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Full text of "Diogenes Laertius: Leben und Meinungen berühmter Philosophen"

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DIOGENES 
LAERTI US 

LEBEN UND MEINUNGEN 
BERÜHMTER PHILOSOPHEN 

ÜBERSETZT UND ERLÄUTERT VON 

OTTO APELT 



ERSTER BAND 

BUCH I— VI 



m 

DER PHILOSOPHISCHES BIBLIOTHEK BAXD 53 
LEIPZIG 1381 .'.VERLAG VOX FELIX MEINER 




Druck von Paul Dünnliaupt, Cöthen i. Anh. 



f 
i 



Vorwort. 



III 



Vorwort. 

• * 

Die vorliegende Übersetzung macht durchaus nicht 
den Anspruch ein auch nur vorläufiger Ersatz zu sein 
für die noch immer ausstehende kritische Ausgabe des 
Diogenes Laertius, dessen letzte in Deutschland erschie- 
nene Ausgabe meines Wissens die Tauchnitzsche vom 
Jahre 1833 mit ihren weiteren Abdrücken ist. Die längst 
notwendige und ersehnte kritische Ausgabe, die, wie ich 
im Verlaufe meiner Arbeit nach bereits begonnenem 
Drucke zufällig erfuhr, jetzt in Vorbereitung ist, ist eine 
interne Angelegenheit der Phüologie. Bei meiner Arbeit 
handelt es sich um etwas anderes: um Abtragung einer 
alten Schuld der Philologie an die nicht philologische 
Lesewelt, soweit sie für alte Philosophie Interesse hat. 
Es war nicht unberechtigt, wenn kürzlich die Verfasserin 
einer freien Übertragung von Stücken des Diogenes Laer- 
tius einen temperamentvollen Appell an die Philologen 
richtete, sich ihrer Pflichten gegen die Laienwelt in dieser 
Hinsicht bewußt zu werden. Schon längst vorher hatte 
der Verleger der Philosophischen Bibliothek in Erkennt- 
nis des vorhandenen Bedürfnisses sein Augenmerk darauf 
gerichtet, seine bekannte Bibliothek durch eine vollstän- 
dige Übersetzung des Diogenes zu ergänzen, doch dauerte 
es lange, ehe ich mich entschließen konnte, seinem 
Wunsche gemäß die Ausführung der Arbeit zu über- 
nehmen. Das Hauptbedenken war eben das Fehlen einer 
kritischen Ausgabe. Die Cobetsche Ausgabe hat zwar 
ihre großen Verdienste, doch weiß jeder, der sich ihrer 
bedient, wie störend das Fehlen des kritischen Apparates 



IV 



Vorwort. 



ist. Immerhin sind im Verlaufe der letzten Jahrzehnte 
nicht unansehnliche Teile des Ganzen bekannt geworden 
durch die Arbeiten von Bonnet, Diels, Wachsmut, Usener, 
Arnim und anderen. Es erschien also nicht allzu ge- 
wagt, sich der Befriedigung des Bedürfnisses anzu- 
nehmen. Wenn die kurzen erklärenden Anmerkungen 
sich ab und zu auf Textfragen einlassen mußten, so ist 
das fast der einzige spezifisch philologische Tribut, den 
die Sachlage mir für die Anmerkungen auferlegte. In 
der Übersetzung macht sich die Berücksichtigung philo- 
logischer Interessen nur bei Wiedergabe der Schriften- 
kataloge insofern geltend, als ich da in den wichtigsten 
Fällen, nämlich bei Aristoteles, Theophrast und Chrysipp, 
die griechischen Titel ab und zu mit einigen Verweisungen 
hinzugefügt habe, die für die genauere Auffassung un- 
entbehrlich sind. Vielleicht dürfte auch das ziemlich 
ausführlich gehaltene Register, wenn auch zunächst für 
das Bedürfnis der Laien berechnet, doch auch dem Philo- 
logen einigen Nutzen bieten, schon durch die bequemere 
Form der Verweisungen nach Büchern und Paragraphen 
als der einzig zweckmäßigen im Gegensatz zu der um- 
ständlichen und dabei häufig genug ungenauen und irre- 
führenden Bezeichnungsweise bei Hübner und Cobet, 
welches letzteren Index nichts weiter ist als ein glatter 
Abdruck des Hübnerschen. 

Die letzte (und wohl zugleich auch erste) voll- 
ständige Übersetzung liegt weit zurück. Est ist die 
in zwei Bänden erschienene Übersetzung von August 
Bor heck, Wien und Prag 1807, dann auch Leipzig 
1809, für ihre Zeit eine achtbare Leistung, der in den 
erzählenden Partien eine gewisse körnige Altertümlich- 
keit des Ausdrucks einigen Reiz verleiht. Kurze Zeit 
vorher war eine Übersetzung erschienen von J. F. und 
P. L. Snell,. Gießen 1806, die sich indessen auf Auszüge 
beschränkt. Erst unsere Zeit hat wenigstens einige Bei- 
träge zu einer neuen Übersetzung geliefert, nämlich die 
oben erwähnte Schrift (Titanen und Philosophen von 
Anna Kolle, Gharlottenburg A. Seydel Nachfolger) und 



Vorwort. 



eine Ubersetzung (nebst kritischen Bemerkungen) des 
zehnten Buches von A. Kochalsky, Leipzig 1914. 

Mein Absehen war auf eine lesbare Übersetzung des 
Überlieferten gerichtet, die den Diogenes wiedergeben soll 
wie er in seinem Buche leibt und lebt, nicht wie er etwa 
nach dem Wunsche eines Bearbeiters oder eines Lesers 
hätte leiben und leben sollen. Der Leser muß also die 
ganze Fülle der Zitate über sich ergehen lassen, in denen 
Diogenes sehr zum Nachteil des Flusses der Darstellung 
schwelgt: eine starke Belastung des Lesers, aber eine um 
so wertvollere Beigabe für den Forscher auf dem Gebiete 
der Geschichte der griechischen Philosophie. Die Er- 
läuterungen zu diesem reichen Quellenmaterial in den 
Anmerkungen -beschränken sich in der Begel auf kurze 
Hinweise auf die einschlägige Literatur. 

Ich kann dies Vorwort nicht schüeßen, ohne der 
treuen Beihüfe zu gedenken, die mir bei Abfassung des 
Buches meine Tochter Dr. Mathilde Apelt in unermüd- 
licher Bereitwilligkeit mit Bat und Tat geleistet hat. 



Dresden, 1. November 1920. 



Otto Apelt. 



VI Inhaltsverzeichnis. 



Inhaltsverzeichnis. 

Seite 

Einleitung . . . '. VIII— XXIV 

Übersicht über die Literatur XXV— XXVIII 

Erstes Buch 1—61 

Prooemium 1 — 10 

Thaies Kapitel I 11— 21 

Solon „ II 22— 32 

Chilon „ III 33— 36 

Pittakos „ IV 36— 40 

Bias „ V 40— 43 

Kleobulos „ VI 43— 45 

Periander „ VII 46— 49 

Anacharsis „ VIII . 50— 52 

Myson „ IX 52— 54 

Epimenides „ X 54 — 58 

Pherekydes „ XI 58— 61 

Zweites Buch 62—128 

Anaximander Kapitel I 62— 63 

Anaximenes „ II 63 — 64 

Anaxagoras „ III 64— 68 

Archelaos „ iV 69 — 70 

Sokrates „ V 70— 83 

Xenophon „ VI 84— 89 

Aischines „ VII 89— 91 

Aristippos „ VIII 91—109 

Phaidon „ IX 109 

Eukleides „ X 110—113 

Stilpon „ XI 113—116 

Kriton „ XII 117 

Simon „ XIII 117—118 

Glaukon „ XIV 118 

Simias „ XV 119 

Kebes „ XVI 119 

Menedemos „ XVII . 119—128 

DrittesBuch 129—173 

Piaton Kapitel I 129—173 

Dogmen 147—173 



Inhaltsverzeichnis. VII 

Seite 

Viertes Buch 174—206 

Speusippos Kapitel I 174 — 176 

Xenokrates „ II 176—182 

Polemon „ III 182—184 

Krates „ IV 184—186 

Krantor „ V 186—188 

Arkesilaos „ VI 188—197 

Bion „ VII 197—202 

Lakydes „ VIII 202—203 

Karneades ,. IX 203—205 

Kleitomachos „ X 205—206 

Fünftes Buch t . . . . 207—257 

Aristoteles Kapitel I 207—226 

Theophrast „ II 227—241 

Straton „ III 241—244 

Lykon „ IV 244—248 

Demetrios „ V 248—253 

Herakleides „ VI 253—257 

Sechstes Buch 258 — 307 

Antisthenes Kapitel I 258-^266 

^^"änope „ II 267—295 

Monimos „ III 296 

Onosikritos „ IV 297 

Krates „ V 297—301 

Metrokies „ VI 301—302 

Hipparchia „ VII 303—304 

Menippos „ VIII 304—305 

Menedemos „ IX 305 — 307 

Anmerkungen zu Buch I— VI 308—341 



VIII 



Einleitung. 



Einleitung. 

Das Buch, um dessen Übersetzung es sich in den- vor- 
hegenden beiden Bänden handelt, nimmt eine ganz ein- 
zigartige Stellung in der gesamten Weltliteratur ein. Es 
ist eine populäre Geschichte der griechischen Philo- 
sophie als einer mit dem griechischen Volkstum engver- 
wachsenen Sache. Kein anderes Volk der Erde war oder 
ist in der Lage, in diesem doppelten Sinne sich eine Ge- 
schichte seiner eigenen Philosophie darbieten zu können. 
Denn wo wäre die Philosophie — ich meine die praktische 
Philosophie, die Ethik, um die es sich hier zunächst nur 
handeln kann — auch nur annähernd zu einer Volks- 
tümlichkeit gelangt wie bei den Griechen? Bei den 
Griechen ist diese Bedeutung so ersichtlich, daß, wer ein 
Bild von ihrem Volksleben in der Höhezeit ihrer Kultur 
geben will, einen wesenthchen Zug vermissen lassen 
würde, wenn er den Einfluß der Philosophie und ihrer 
Träger auf den Volksgeist mit Stillschweigen übergehen 
wollte. Die Philosophie war tatsächlich ein lebendiger 
Faktor in dem Denken und Treiben der Griechen. Das 
Auftreten ihrer Philosophen, ihrWirken und ihre Schick- 
sale stellen zugleich ein Stück ihres Volkslebens dar und 
wahrlich nicht das am wenigsten interessante. 

Es wird immer eine bemerkenswerte Tatsache bleiben, 
daß die Griechen bei ihrer hoch entwickelten Empfäng- 
lichkeit für jedes Schöne in Natur und Kunst alles Kunst- 
schöne zwar in seiner Wirkung auf den Beschauer wohl 
zu würdigen wußten, aber doch einen auffallenden Unter- 
schied machten in der Bangstellung derjenigen Künstler, 



Einleitung. 



IX ' 



die sich dem Wesen ihrer Kunst zufolge mit der Materie 
zu befassen haben, und denjenigen, die sich rein geistig 
betätigen, einen Unterschied also zwischen Bildhauern 
und Malern einerseits und Dichtern anderseits. Den 
Dichtern aber schließen sich, was die höhere Wert- 
schätzung und die Stellung im geselligen Leben anlangte 
unmittelbar die Denker, d. h. die Philosophen an. Man 
kann sagen: die Forderung des Schönen für das Auge 
war den Griechen so natürlich und selbstverständlich, 
daß sie die dahin gehörenden Leistungen wie einen schul- 
digen Tribut entgegennahmen, während ihnen rein geistige 
Leistungen, in ihren gelungeneren Darbietungen wenig- 
stens, wie Offenbarungen aus einer höheren Welt er- 
scheinen mochten. Dabei bilden die Dichter das Mittel- 
glied zwischen den bildenden Künstlern und den Ver- 
tretern des reinen Gedankens, den Philosophen. Denn 
als Herrscher im Reiche der freien Phantasie stellen sie 
zwar immer in- engster Fühlung mit dem Formenreich- 
tum der Sinnenwelt, die sie ihren jeweiligen Zielen gemäß 
nach den Gesetzen der Schönheit umgestalten, haben es 
aber nicht mit der Materie selbst zu tun, sondern mit der 
Auffassungsweise und geistigen Welt des Menschen. 

Der bedeutsame Schritt von der phantasievollen Auf- 
fassung der Natur und des Lebens zu der denkenden Be- 
trachtung derselben läßt die Griechen gewissermaßen sich 
über sich selbst erheben. Denn je mehr sie für die Freude 
am Anschaulichen und die künstlerische Verklärung der- 
selben geschaffen erscheinen, um so schwerer, söllte man 
meinen, müßte ihnen der Schritt in das Reich des Ab- 
strakten, m. a. W. der Anfang der Philosophie, geworden 
sein. Gleichwohl vollzog sich dieser Übergang nicht nur' 
mit einer gewissen Selbstverständlichkeit sondern auch 1 
mit bewundernswerter Stetigkeit des Fortschrittes. Mehr 
und mehr suchen sich die Denker in der Welt der Ab- 
straktionen heimisch zu machen, ohne dabei aber doch 
die Fühlung mit der Gedankenwelt und den Lebensbedin- 
gungen ihres Volkes in geselliger, staatlicher und reli- 
giöser Beziehung zu verlieren. Läßt man die lange Reih 



Einleitung. 



der namhaften Philosophen an sich vorübergehen, so 
findet man darunter Ärzte, Gesetzgeber, Staatsmänner, 
Kaufleute, Feldherren, auch manche, die, aus den Kreisen 
des Gewerbes oder des Handwerkes hervorgegangen, es 
bis zur Gründung einer eigenen Schule oder zur Vor- 
standschaft über eine bereits bestehende brachten. Die 
Öffentlichkeit des Volkslebens, wie sie, begünstigt durch 
ein glückliches Klima und den angeborenen Geselligkeits- 
trieb der Südländer, schon an Werktagen sich allent- 
halben geltend machte, fand ihren erhöhten Ausdruck — 
von den großen nationalen Festtagen in Olympia, auf 
dem Isthmos usw. gar nicht zu reden — an den fest- 
lichen Tagen, die in reicher Fülle der Verehrung der 
Stammesgötter geweiht waren: hier berührte sich vor- 
nehm und gering, arm und reich, alt und jung, gebildet 
und ungebildet in unbefangener Offenherzigkeit. Neu- 
gierde einerseits, Mitteilungsbedürfnis anderseits Meß es 
an reger Unterhaltung niemals fehlen, die, getragen von 
dem Gefühle der Zusammengehörigkeit und Einheit, 
nicht wenig dazu beitrug, die auch in Griechenland nicht 
fehlenden Standesvorurteüe auf ein vergleichsweise sehr 
bescheidenes Maß zu beschränken. Der demokratische 
Geist der Stadtverfassungen einerseits, der politische Ehr- 
geiz der Abkömmlinge altangesehener Familien ander- 
seits sorgten schon an sich für eine gewisse Ausgleichung 
■der Ansprüche; und was die Unterschiede der Bildung 
anlangt, so stand von vornherein die Masse der Unge- 
bildeten dem Häuflein der Gebildeten nicht so schroff 
gegenüber wie bei uns, wo die grobe sowie die meiste rein 
mechanische Arbeit nicht einem Heere von Sklaven son- 
dern den Volksgenossen selbst anheimfällt. Der freie 
Grieche war, bei leicht und billig zu beschaffender Be- 
friedigung der Lebensbedürfnisse, nicht überlastet mit 
druckender Arbeit; es blieb noch Zeit und Stimmung 
übrig für Befriedigung des Triebes nach Geistesbildung, 
•eines Triebes, der bei uns auch in den bürgerlichen 
Kreisen oft völlig überwunden wird von der nicht abzu- 
reisenden Sorge für des Lebens Nahrung und Notdurft 



Einleitung. 



XI 



ja nur zu oft einer schrankenlosen Erwerbslust als dem 
einzigen Lebensinhalt Platz macht. 

Kurz, die Bedingungen für eine volkstümliche Stel- 
lung und Wirkung der Philosophie waren in Griechen- 
land, bei der angeborenen geistigen Gewecktheit des 
Volkes überhaupt, so günstig wie nirgendwo sonst. Und 
die Philosophen? Sie ließen es ihrerseits an sich nicht 
fehlen. Nicht, als ob sie alle aus innerstem Triebe gleich 
den Kynikern den Kreisen des niederen Volkes sich recht 
geflissentlich beigesellt und an Einfachheit und Natür- 
lichkeit den geringen Tagelöhner womöglich noch über- 
trumpft hätten; ihre Neigungen waren in dieser Be- 
ziehung sehr verschieden, es gab auch den und jenen, 
auf den das Odi profanum volgus et arceo Anwendung 
findet; aber irgend welche Fäden verbanden sie doch mit 
dem öffentlichen Leben. Nicht wenige Schulhäupter 
waren bei besonderen Anlässen geschätzte Batgeber für 
öffentliche Angelegenheiten. Selbst die einem zurück- 
gezogenen Leben huldigenden Lehrer wurden doch durch 
den beständigen Verkehr mit den Schülern über den 
Gang der äußeren Dinge immer auf dem Laufenden er- 
halten. -Wer die Anmaßungen der Demokratie und die 
unmittelbare Berührung mit ihr scheute, konnte, nament- 
lich in der Diadochenzeit, gleichwohl zu Einfluß gelangen. 
Nicht wenige führte in der Begel mehr der Ehrgeiz der 
Herrscher als der eigene Ehrgeiz an diesen oder jenen 
Fürstenhof, wo die Fäden einer weitverzweigten Politik 
zusammenliefen. Auch als Gesandte oder in irgend wel- 
cher Vermittlerrolle haben sie in dieser Beziehung zu- 
weilen nicht unbedeutende Erfolge erzielt. Dem Volke 
waren sie alle wohlbekannt, und gerade solche, welche 
eine ganz ausgesprochene Neigung für Zurückgezogen- 
heit hatten, fanden zuweilen bei der großen Menge die 
augenfälligste Achtung. Trat z. B..der etwas menschen- 
scheue Xenokrates ab und zu einmal den Weg von der 
Akademie nach der Stadt an, so wichen ihm alle Schrei- 
hälse und Lastträger voller Bespekt aus. Kein Wunder, 
denn er war eine achtunggebietende Persönlichkeit, die 



XII Einleitung;. 

durch ihre bloße Erscheinung schon so etwas wie' Ehr- 
furcht einflößte. Und prägnante Figuren sind sie alle 
diese Philosophen, die der jüngeren Zeit so gut wie die 
der alteren, von der erhabenen Würde eines Parmenides, 
wie sie uns mit wenigen vielbesagenden Strichen Piaton 
im Iheaetet zeichnet, bis herab zu den skurrilen Exzentri- 
zitäten eines Theodoros Atheos und Bion. 

Daß die Komiker sich diese Gestalten in ihrer reiz- 
vollen Mannigfaltigkeit und zum Teil grotesken Absonder- 
lichkeit nicht entgehen ließen, ist selbstverständlich, zu- 
gleich aber auch ein deutlicher Beleg für die Popularität 
dieser Gestalten. Denn ein dankbarer Stoff für die Bühne 
konnte die Philosophenzunft nur dann werden, wenn ihr 
wne gewisse Volkstümlichkeit anhaftete, als unentbehr- 
liche Voraussetzung für ein entgegenkommendes Ver- 
ständnis von Seiten eines zahlreichen gemischten Theater- 
pubhkums. Der prickelnde Witz der Komiker ist nichts 
weniger als ein Zeichen der Geringschätzung oder gar 
der Verachtung: was sich liebt das neckt sich. Die Ko- 
miker waren gewiß in ihrem Herzen dem Schicksal 
dankbar, daß ihr Volk diese Philosophen, diese oft so 
sonderbaren Käuze, in sich faßte; und die Philosophen 
ihrerseits waren aufgeklärt und klug genug, um zu 
wissen, woran sie mit den Komikern waren. Mochte das 
lneater auch zuweilen von dem Gelächter über sie wider- 
hallen, gleichviel: sie waren doch dessen ziemlich sicher 
daß das Volk ihnen nicht den Rücken kehren würde, und 
™ m, S er «eh er darüber, daß, wenn das Unerwartete 
gleichwohl geschähe, der Nachteil nicht auf ihrer Seite 
sondern auf der des Volkes liegen würde. Denn gewiß 
war Antisthenes nicht der einzige Philosoph, der 
die Frage welchen Gewinn er von der Philosophie ge- 
habt mit den Worten beantworten konnte (Diog. L. VI 
oj: „Die Fähigkeit, mit mir selbst zu verkehren" 

Aus dem Gesagten erhellt zur Genüge, daß ein Grieche 
äTL vf K K aiserz ^> der ekl Buch ähnlichen Charakters 
ha teschreibenwollen, wie Gustav Frey tag es in seinen 
Widern aus der deutschen Vergangenheit unserem Volke- 



Einleitung. 



XIII 



geschenkt hat, ein Buch also, das den Griechen das Bild 
ihrer Vergangenheit in den bezeichnendsten Zügen vor 
Äugen gestellt hätte, sich schwerlich die Schilderung 
des Anteils hätte entgehen lassen, den die Träger der 
Philosophie an der Entwicklung und Bildung des grie- 
chischen Volksgeistes gehabt haben. Und zwar wären das 
nicht die undankbarsten Partien des Werkes geworden. 
Zeigt doch die Menge der verloren gegangenen Mono- 
graphien sowohl wie Sammelberichte über die Lebens- 
läufe der Philosophen, über ihre Schulen und ihre 
Lehren, die wir aus unserem Diogenes Laertius kennen 
lernen, welche Anziehungskraft diese Art von Schrift- 
stellerei gehabt haben muß. Und eben darin würde sich 
ein wesentlicher Unterschied kundgeben zwischen unse- 
rer deutschen Volksart in ihrer Entwickelung und der 
der Griechen. Man hat uns Deutschen nicht selten das 
(angesichts der Gestalt, in der wir uns jetzt der Welt 
präsentieren) besonders schmeichelhafte Kompliment ge- 
macht, wir seien ein Volk von Denkern, von Philosophen. 
Gewiß, wir dürfen uns rühmen, einige der größten Denker 
die unsern zu nennen; allein die Volkstümlichkeit der 
Philosophie und der Philosophen, wie steht es damit? 
Ist sie ein charakteristischer Zug, sei es der Gegenwart 
sei es unserer. Vergangenheit? Man durchblättere das 
genannte Werk, das mit so viel Liebe und Sachkenntnis 
die charakteristischen Züge unseres Volkslebens auf den 
verschiedenen Stufen seiner geschichtlichen Entwickelung 
heraushebt: nur an einer Stelle wird man der Philo- 
sophie und einiger ihrer namhaften Vertreter (Leibnitz, 
Thomasius und Wolff) gedacht finden, und auch da nur 
mehr im Vorbeigehen als zu einläßlicher Betrachtung. 
Und niemand wird dem kundigen Verfasser einen Vor- 
wurf daraus machen. Was von geistigen Strömungen 
wirklich unser Volksleben tiefer ergriff, war nicht die 
Philosophie, es waren die großen kirchlichen Bewegun- 
gen: im Mittelalter namentlich das Wirken der Mönchs- 
orden, in der Neuzeit die Beformation mit ihren folgen- 
schweren Wirkungen. Man hat oft die Wirksamkeit der 



XIV 



Einleitung:. 



Bettelorden mit dem Auftreten der Kyniker und ihren 
späteren Nachfolgern, den kyllischen Wanderpredigern, 
verglichen. Gewiß nicht mit Unrecht. Allein man kann 
in dieser Richtung noch viel weiter gehen und sagen: die 
Probleme und Aufgaben der praktischen Philosophie- 
Cd. i. Ethik und Religionsphilosophie), die doch der Natur 
der Sache nach auch im Altertume allein das Band ab- 
gegeben hatte, das einen gewissen Zusammenhang zwi- 
schan Philosophie und Volksseele herstellte, waren längst 
vor Entwickelung unserer heimischen Philosophie eine 
Domäne der Kirche und Geistlichkeit geworden. Damit 
war der Boden der Volkstümlichkeit für die Philosophie 
von vornherein so gut wie verloren. 

Was unsere philosophischen Angelegenheiten im übri- 
gen anlangt, so lassen sich zwar mit der wechselnden 
Vorherrschaft gewisser Schulen im Altertum manche Er- 
scheinungen, namentlich der nachkantischen Philosophie, 
in Parallele stellen, indes die Frage der Volkstümlichkeit 
bleibt dabei völlig unberührt. Unsere Lebensgewohnheiten 
und unser Volkscharakter, bedingt durch Klima, wirt- 
schaftliche Fragen und überwiegende Neigungen, ver- 
halten sich mehr hemmend als fördernd zu einer volks- 
tümlichen Richtung der Philosophie. Man denke an die 
schone und heitere Sitte der Symposien bei den Griechen r 
m den höheren Kreisen überall beliebt, in den Philo- 
sophenschulen sorgsam und nie ohne Beiziehung auch 
von Laien gepflegt, brachten sie Philosophen- und Laien- 
welt auf ungezwungenste Weise in fruchtbare Berührung 
miteinander und hielten das Interesse auch für philo- 
sophische Fragen in der höheren Bürgerwelt aufrecht. 
Wie steif, kalt, förmlich und unfruchtbar nimmt sich da- 
gegen unsere Geselligkeit aus. Nur wenige unserer Philo- 
sophen sind zu einer gewissen Volkstümlichkeit gelangt 
und auch diese gab sich mehr aus respektvoller Entfer- 
nung als in unmittelbarer Berührung kund. 

Dem entspricht es, daß es eine populäre Geschichte 
der Philosophie bei uns überhaupt nicht gibt, eine Tat- 
sache, die über das Gesagte hinaus ihren höheren Grund 



Einleitung. 



XV 



darin hat, daß die Philosophie, rein wissenschaftlich ge- 
nommen, zur Hauptaufgabe die hat, sich mehr und mehr 
der Abstraktionen zu bemächtigen und sich ihrer Be- 
deutung bewußt zu werden. Je mehr sie sich von ihrem 
Jugendalter entfernt, um so abstrakter werden die Vor- 
stellungsweisen, mit denen sie es zu tun hat, um so größer 
also auch der Abstand von der Gedankenwelt des Durch- 
schnittsmenschen. Wie viel günstiger also stand es da- 
mit bei den Griechen als bei uns. Sokrates und die So- 
kratiker hielten sich vorzugsweise an die Sittenlehre, wo- 
mit sie auf die weitesten Kreise wirken konnten. Der 
eigentliche Erfinder und Begründer der Abstraktionen 
war Aristoteles. Aber eben an den Schicksalen seiner 
Lehre zeigte es sich, daß die große Masse der Griechen 
für diese Welt der reinen Abstraktionen wenig Auf- 
fassung hatte; dabjr das baldige Zurücktreten der peri- 
patetischen Schule gegen die übrigen Schulen, die das 
Interesse für die ethischen und religiösen Fragen bei dem 
großen Publikum zu pflegen, ja zu steigern verstanden 
und sich eines Vordringens oder gar einer Herrschaft 
der abstrakten Bichtung zu erwehren wußten. Dieser 
Umstand, in Verbindung mit dem hohen persönlichen 
Interesse, das die originellen Gestalten mancher Schul- 
häupter auch weiterhin bei der großen Menge erweckten, 
macht- es erklärlich, daß bei den Griechen eine populäre 
Geschichte der Philosophie recht wohl möglich blieb, ja 
für Wißbegierige, deren es in der Kaiserzeit eine nicht 
geringe Menge gab, geradezu ein Bedürfnis ward. 

Für eine diesem Belehrungsbedürfnis entsprechende 
populäre Geschichte der Philosophie war reichliches Ma- 
terial vorhanden. Und zwar teilt sich dies Material in 
zwei Hauptgruppen nach dem Gesichtspunkt einerseits 
der philosophischen Probleme selbst hinsichtlich ihres Ur- 
sprungs, ihrer Entwickelung und ihres Zusammenhangs 
untereinander, anderseits hinsichtlich der persönlichen 
Verhältnisse und des Charakters der Entdecker und 
Träger dieser philosophischen Dogmen. Man bezeichnet 
diese beiden Bichtungen, die längere Zeit getrennt neben- 



XVI 



Einleitung. 



einander hergehen, kurz als die d o x o g r a p h i s c h e und als 
die biographische. Schon Piaton hatte den Anfang ge- 
macht zu einer kritischen Geschichte der Philosophie 
nach dem ersteren Gesichtspunkt, namentlich im So- 
phistes und im Theaetet. Weiterhin hat,te Aristoteles in 
erheblich gesteigertem Umfang jeweilig im Zusammen- 
hang mit der Entwickelung seiner eigenen Ansichten die 
Lehren der früheren Philosophen einer kritischen Be- 
leuchtung unterzogen. Seinen Spuren folgend hatte dann 
sein Schiller und Nachfolger Theophrast ein umfassendes 
Werk über die Ansichten der Physiker («pusixwv fto'Sou) 
geschrieben, das die Grundlage und Hauptquelle bildet 
für die weitere doxographische Literatur. Daneben regte 
sich dann mehr und mehr, vor allem auch in der peri- 
patetischen Schule, das biographische Interesse, dem 
einige Schriften des Hermippos vo* Smyrna dienten, 
nachdem vorher schon einige andere, außerhalb einer 
bestimmten Schule stehende Schriftsteller diesen Weg 
eingeschlagen hatten, unter ihnen vor allem der geist- 
reiche Antigonos von Karystos (um 225 v. Chr.). 
, nachchristliche Zeit vereinigte allmählich diese 

neiden .Richtungen zu mehr oder minder lesbaren Ge- 
samtubersichten, wie sie in den Werken der Pamphile 
und des Favonn und anderer zum Ausdruck kamen 
neben welchen auch Werke mehr kritisch-philosophischer 
l^endenz einhergehen, wie das des späteren Peripatetikers 
Anstokles, eine streitbare Geschichte der Philosophie, aus 
der uns Eusebios längere Bruchstücke bewahrt hat und 
späterhin des Porphyrios Geschichte der Philosophie, die 
gewiß auch eine starke Parteifärbung nicht verleugnet 
naoen wird. Wir würden diesen beiden Werken viel- 
leicht ein gewisses philosophisches Interesse abgewonnen 
haben. Ob damit aber der Wert des reichen Tatsachen- 
materials aufgewogen worden wäre, das uns Diogenes 
bietet, bleibe dahingestellt. 

Für eine auf ein großes Lesepublikum berechnete Ge- 
schichte der Philosophie kam viel darauf an, daß das 
<k>xographische Material .auf ein bescheidenes Maß be- 



Einleitung. 



XVII 



•schränkt und in möglichst elementarer Form gehalten 
wurde unter grundsätzlicher besonderer Hervorkehrung 
der ethischen Momente. Dergleichen Bücher hat es in 
der Kaiserzeit gewiß mehr als eines gegeben und eines 
davon, vielleicht auch mehrere, mögen unserem Verfasser 
als nächste Unterlagen gedient haben. Aber wer war 
denn dieser Verfasser? Auf die Frage Tfo rcoSsv ek 
av5pov, 7c6Si toi koKk; tox^-sc (Wer denn bist du, 
woher, weß Orts und welches Geschlechtes?), bleibt er uns 
leider die Antwort schuldig, man müßte denn in seinem 
Namen Diogenes Laertius selbst eine Art Antwort sehen, 
nämlich einen beabsichtigten Anklang an den SioYcvfji; 
AaspxiaSvj« des Homer, wie man gemeint hat. Damit 
aber ist uns nicht viel gedient. Nur so viel läßt sich nach 
gewissen Kombinationen mit einiger Bestimmtheit sagen, 
daß seine Lebenszeit in die erste Hälfte des 3. Jahrhun- 
derts nach (^istus""iSnr~"Tn3es" diese Dürftigkeit der 
Personalnachrichten ist leicht zu verschmerzen angesichts 
des unschätzbaren Wertes, den das Werk trotz aller ihm 
anhaftenden Mängel hat. Ist es doch die einzige voll- 
ständige Übersicht über die Geschichte der Philosophie, 
die wir aus dem Altertum besitzen und ohne die wir 
nicht einmal eine Vorstellung hätten von der Fülle da« 
uns verloren gegangenen Materials, das einem Schrift- 
steller der Kaiserzeit für eine derartige Arbeit zu Gebote 
stand. 

Das Werk stellt sich, wie Fr. Leo in seiner Schrift 
über Griechisch-römische Biographie sagt, dar „als eine 
vor Diogenes vorhandene Kompilation, die er selbst durch 
größere oder kleinere Zusätze erweitert und, wie aus dein 
Exemplar des Hesychios hervorgeht, durch Streichungen 
gekürzt hat. Die Kompilation war in ihrer Masse aus 
biographischen Schriften verschiedener Art zusammen- 
geflossen. Voran steht eine Beihe von Schulnachfolge£i 
(Sia&oxaQ, zu denen man auch Diokles rechnen mag, 
das Ganze umfassend, wie Darstellungen einzelner 
Schulen, und ein nach Demetrios Magnes gearbeitetes 
Homonymenverzeichnis. Das gelehrte Material, auch 

A p e 1 1 , Diogenes Laertius. II 



XVIII 



Einleitung. 



Apollodor, ist in der Regel durch diese Biographien ver- 
mittelt; aber es muß immer mit dem Fall gerechnet wer- 
den, daß Bücher, die noch in späterer Zeit vorhanden 
waren, auch von den Kompilatoren gelegentlich zuge- 
zogen wurden. Den Grundstock bildet nicht eine einheit- 
liche Darstellung der Schulnachfolgen, der das ganze 
Werk hindurch die übrigen nur ergänzend zur Seite ge- 
treten wären, vielmehr ist das Werk aus Teilen zusam- 
mengesetzt, die der Art ihres Bestandes und der zugrunde 
liegenden Forschung nach verschieden sind." 

Mir will es scheinen, als ob dies Urteil, wenn es auch 
im ganzen den Sachverhalt den Verhältnissen ent- 
sprechend darstellt, doch dem Diogenes einen etwas ge- 
ringeren Anteil an dem Werke einräume, als ihm tat- 
sächlich zukommt. Doch darauf kommt überhaupt nicht 
allzuviel an. Mit Recht nämlich hebt Leo im Anschluß 
an das eben Mitgeteilte hervor, daß es weniger darauf 
ankommt, den nächsten oder vornächsten Vordermann 
zu erkunden als darauf, die Primärquellen festzustellen 
und ihren Wert zu bestimmen. Auf diesem Wege sind 
fast verschollene Schriftsteller wie Apollonios von Tyros 
und namentlich Antigonos von Karvstos, nachdem er 
schon früher durch Köpke von den Toten erweckt war, 
durch Wilamowitz wieder zu Blut und Farbe gelangt. 
Anfänglich nämlich hatte sich die ganze Diogenesfrage, 
seitdem sie durch Nietzsches Aufsätze im Rheinischen 
Museum (s. die Literaturübersicht) zur Diskussion ge- 
stellt war, darauf zugespitzt, die angeblich einheitliche 
nächste Vorlage zu bestimmen, als deren flüchtig über- 
arbeitete Wiedergabe das ganze Werk des Diogenes zu 
betrachten sei. Aber der ganze darauf bezügliche mit 
echtem deutschen Gelehrteneifer geführte Streit ist im 
Grunde nichts als ein Streit um des Kaisers JBart. Die 
zahlreichen Mitteilungen aus guten Quellen, die sich in 
dem Werke des Diogenes finden, haben ihren Wert, der 
ganz unabhängig ist von der Frage nach der Entstehung 
des Werkes. Wesn mir irgend ein Bote eine auf den 
ersten Blick sich als authentisch ausweisende Urkunde 



Einleitung;. 



IXX 



überreicht, so kann es mir gleichgiltig sein, ob er der 
erste ist, der sie in die Hand bekommen, oder ob er sie 
erst von einem andern und dieser wieder von einem 
andern erhalten hat. 

Die in dieser Richtung sich bewegenden Unter- 
suchungen haben dahin geführt, daß man den Diogenes 
mitunter für einen völlig unselbständigen Skribenten, ja 
für einen halben Idioten erklärte, der seine Vorlage auch 
mit dem häufigen „Wir", ja sogar mit dem selteneren, 
aber durchaus nicht fehlenden „Ich" (vgl. z. B. II 97, 
VI i, VIII 53, IX 70) einfach abgeschrieben habe, so 
daß man fast meinen müßte, er habe seine eigenen zahl- 
reichen Verse auch schon in seiner Vorlage vorgefunden. 
Ein großer Geist ist Diogenes gewiß nicht gewesen; er 
mag sich meist an gewisse Vorlagen — sicherlich nicht 
bloß an eine, sondern für verschiedene Partien an ver- 
schiedene — gehalten haben, aber ein bloßer mechani- 
scher Abschreiber ist er schwerlich gewesen. Gewisse 
Liebhabereien, gewisse Spuren subjektiver Teilnahme an 
dem Gegenstande lassen sich, für mein Gefühl wenigstens, 
ziemlich deutlich erkennen. Er hatte ein Herz, er hatte 
Interesse für die Sache, ja war vielleicht selbst nicht ohne 
einen Anflug von philosophischer Parteifärbung, wie aus 
manchen Anzeichen hervorgeht, die ihn, sei es den Skep- 
tikern sei es der Richtung des Epikur zuweisen. Er war 
ein Manu, in dem offenbar ein reger Wissenstrieb lebte 
verbunden mit einer ziemlich umfassenden Literatur- 
kenntnis und einem bemerkenswerten Sammeleifer, ähn- 
lich dem eines Aulus Gellius. Man wird kaum irre 
gehen, wenn man sich ihn im Besitz einer nicht unan- 
sehnlichen Bibliothek denkt, nicht zu eitler Schaustellung 
für etwaige Besucher sondern zu reger eigener Be- 
nutzung. Sein Werk läßt erkennen, daß er bis zum 
letzten Moment vor dem Erscheinen — wir' würden 
sagen, bis zum Abschluß des Druckes — an der Vervoll- 
ständigung desselben arbeitete; offenbar mit Hilfe seiner 
Bibliothek und einer sie ergänzenden Notizensammlung, 
die er sich angelegt. Aus diesem Notizenkasten stammen 

II* 



XX 



Einleitung. 



aller Wahrscheinlichkeit nach die mancherlei Zusätze, 
die er in letzter Stunde, eilfertig und unüberlegt, nicht 
.selten an unpassender Stelle noch einlegte. Er war, wenn 
nicht alles täuscht, ein gutmütiger, harmloser Mensch, 
literarisch interessiert und wohlbelesen, wenn auch ohne 
jede kritische Ader; dabei nicht frei von einer gewissen 
Eitelkeit, die sich in seinen dichterischen Prätensionon 
mehr naiv als verletzend kundgibt. Nicht ganz ohne 
Grund hat man die Vermutung ausgesprochen, sein 
Buch verdanke sein Entstehen dem Umstände, daß er 
mit seiner Gedichtsammlung, dfer „Pammetros", beim 
Publikum wenig Glück gemacht und nun versucht habe, 
den ihm besonders am Herzen liegenden Teil seiner Epi- 
gramme in neuem Rahmen vielleicht besser an den 
Mann zu bringen. Nur darf man dabei nicht vergessen, 
daß tatsächlich schon diesem Liederbuch eine ziemlich 
eingehende Beschäftigung mit den Schicksalen der Philo-" 
sophen zugrunde gelegen haben muß, für die er offenbar 
ein ganz besonderes Interesse hatte. 

War er ehrgeizig, so war sein Ehrgeiz jedenfalls von 
unverfänglicher Art. Sein W T erk ist der beste Zeuge da- 
für, daß er ein ehrlicher Gesell war, der nicht mehr aus 
sich machen wollte als er wirklich war. Er hätte reich- 
lich Gelegenheit gehabt, dem Leser etwas Sand iu die 
Augen zu streuen hinsichtlich der Originalität seiner 
Darstellung; er hätte seine Quellen ausnutzen können 
ohne sie dem Leser namentlich vorzuführen — ein Ge- 
sichtspunkt, der freilich bei der Annahme bloßen Ab- 
schreiben aus einer nächsten Vorlage ganz ausscheiden 
müßte — , er hätte die Selbstverleugnung nicht so weit 
zu treiben gebraucht, wie es tatsächlich geschieht; denn 
er treibt das äjj.<x'pTupov oü8sv ästöo („ich singe nichts 
Unbezeugtes") auch äußerlich durch Namennennung ge- 
radezu auf die Spitze. Er scheint es als eine Art Ehren- 
sache zu betrachten, die Gewährsmänner fast jederzeit 
zu nennen, eine Manier, welche, die Sache rein vom 
Standpunkt der Darstellungsweise betrachtet, weit mehr 
nachteilig als vorteilhaft wirkt, wie denn überhaupt von 



Einleitung. 



XXI 



stilistischer Kunst, von einheitlicher Färbung des Ganzen, 
von wirksamer Gruppierung im einzelnen, von eindrucks- 
voller Verteilung von Licht und Schatten und dergleichen 
wenig oder nichts zu spüren ist, wenn auch die Gesamt- 
disposition für das Werk, wie sie zu Anfang mitgeteilt 
wird, treu eingehalten ist. 

Ungeachtet aller Ausstellungen indes hat er der Nach- 
welt, hat er der Wißbegierde unserer Tage, gleichviel ob 
bewußt oder unbewußt, einen unschätzbaren Dienst er- 
wiesen, indem er sozusagen den Vorhang weggezogen hat, 
hinter dem sich für uns der Reichtum dieser ganzen 
Literaturgatfung barg. Wir haben alle Ursache, ihm 
dankbar zu sein. Ohne ihn hätten wir überhaupt keinen 
Gesamtüberblick über die griechische Philosophie aus der 
Hand eines Griechen. Auch wird man nicht leugnen 
können, daß er einen gewissen Blick für die Bedürfnisse 
eines größeren Leserkreises wie seiner Zeit überhaupt 
hatte. Er hat es verstanden, den Geschmack der gleich- 
zeitigen Lesewelt zu treffen. Es ist gewiß kein bloßer 
Zufall, daß von einer Reihe von Vorläufern seines Buches 
und vielleicht auch ein oder dem anderen gleichzeitigen 
Konkurrenzwerk keines auf die Nachwelt gekommen ist. 
Habent sua fata libelli! Gewiß, der Zufall ist ein gewal- 
tiger Machthaber, ein launenhafter Verteiler von Ruhm 
und oft unverdienter Verborgenheit. Allein in Sachen 
der Büchervererbung sind seine Rechte doch keine 
schrankenlosen. Schon der Erfinder des angeführten 
Spruches, Terentianus Maurus, gibt ihn nur unter einer 
beachtenswerten Einschränkung : pro captu lecto- 
r.is habent sua fata libelli heißt es bei ihm, wofür wir 
auch ruhig einsetzen können pro captu temporum. Ein 
Werk, das dem Geschmack und Bedürfnis nicht bloß des 
Augenblicks und der Gegenwart, sondern seiner Natur 
nach dem eines gebildeten Publikums überhaupt ent- 
spricht, hat in so höherem Maße Anwartschaft auf dau- 
ernde Erhaltung, in je höherem Grade dies Verhältnis auf 
es zutrifft. Der Zufall kann trotzdem manchen bösen 
Streich spielen. Warum mußten des Demokrit Werke, 



XXII 



Einleitung. 



warum die des Poseidonios uns vorenthalten werden? 
Aber im allgemeinen können wir gegenüber den mannig- 
fachen Anlässen zur Zerstörung des alten Literatur- 
bestandes immerhin noch zufrieden sein mit dem, was 
uns das Schicksal erhalten hat. Es war gewiß kein bloßer 
Zufall, daß Ghrysipp, der Vielschreiber, der Vergessen- 
heit anheimfiel, Piaton aber uns erhalten blieb. 

Was also unsern Diogenes betrifft, so hat er alle seine 
Konkurrenten aus dem Felde geschlagen. Wir dürfen so- 
nach mit einiger Sicherheit sagen, daß, mag er auch vreder 
eine Leuchte der Wissenschaft noch überhaupt ein her- 
vorragender Geist gewesen sein, er doch ein. der Welt zu- 
sagendes Werk geschaffen hat. Sein Buch gehört nicht 
zu jenen schlechten Büchern, in Beziehung auf die Les- 
smg sagte, kein Buch sei so schlecht, daß man aus ihm 
nicht doch dieses oder jenes lernen könnte. Es bedarf 
keiner Nachsicht, sondern fordert an erster Stelle zur 
Dankbarkeit auf für das Viele, was uns ohne es verloren 
wäre. Man durchblättere es: welche reiche Fülle des 
Inhalts verbunden mit welcher Mannigfaltigkeit des Ge- 
botenen! Eine stattliche Galerie hervorragender Cha- 
rakterköpfe, eine Versammlung der tonangebenden geisti- 
gen Lenker des geistvollsten Volkes der Erde, Männer 
von kräftigster Eigenart, hier eine Gruppe, würdevoll, 
imponierend, streng, ja wenn es not tut, grausam gegen 
sich selbst, dort eine andere, geistreich, lebensfroh bis zu 
frivoler Genußsucht, dabei aber doch in gewissem Sinne 
über die Nichtigkeiten des Erdenlebens erhaben, weiter- 
hin mehr vereinzelt stehende bizarre Naturen bis fast an 
die Grenze der Karrikatur, kurz Geisteshelden und Son- 
derlinge aller Art, interessant durchweg und jeder von 
ihnen Vertreter einer besonderen Geistes- und Lebens- 
richtung. Und ihre Schicksale, wie' mannigfach und 
teilweis ergreifend zugleich und erhebend. Daneben hei- 
tere Büder des Lebens, des Straßen- und Markttreibens, 
der Begegnungen nicht nur an Fürstenhöfen, sondern 
auch in Wirtshäusern oder am Brunnen, Schilderungen 
von Reisen und Seefahrten. Szenen aus dem Schulleben 



Einleitung. 



XXIII 



der einzelnen Sekten, aus dem Privatleben der Philo- 
sophen, aus Palästen und Hütten bis herab zu den Stätten 
der Unzucht. Und das alles nie ohne die Würze des 
geistvollen, schlagfertigen Witzes, der fast nie eine Ant- 
wort schuldig bleibt, und wo dies einmal der Fall ist, zu 
einem tragischen Ende führt (II 112). Das Ganze eine 
Wanderung vom Himmel durch die Welt zur Hölle, nur 
nicht in einfach regelrechtem Zuge, sondern so, daß die 
Büder kaleidoskopartig wechseln,, rasch überspringend 
von dem einen Gebiet auf das andere. 

Ein gewisser Reiz liegt ferner auch in dem belebenden 
Wechsel zwischen anschaulichen Lebensschilderungen 
und den dogmatischen oder lehrhaften Partien. Zu diesen 
rechne ich nicht nur die im eigentlichen Sinne doxo- 
graphischen Stücke, die nur zum Teil (vor allem die 
stoische und die skeptische Lehre) von Wert sind, son- 
dern auch die Spruchweisheit der Philosophen, die einen 
sehr ansehnlichen Teil des Ganzen ausmacht und dem 
Buche auch über das Interesse der bloßen Unterhaltung 
und Belehrung hinaus einen gewissen erzieherischen 
Wert verleiht. Denn welche Fülle erprobter Lebensweis- 
heit liegt in diesen Aussprüchen der großen griechischen 
Denker geborgen und wie gewinnen sie noch ab und zu 
durch den Eindruck der persönlichen Anlässe, durch die 
sie, sei es angeblich sei es tatsächlich, hervorgerufen 
wurden. 

Das alles sind Momente, die dem Buch für ein gebil- 
detes Publikum aller Zeiten seine Wirksamkeit sichern. 
Für uns Leser von heute gesellt sich dazu noch das 
philologische Interesse an all den literarischen Fragen, 
zu denen der reiche Inhalt des Werkes Anlaß gibt. Da- 
von braucht aber hier weiter nicht die Rede zu sein. 
Denn für den Philologen ist des Diogenes Buch keine Neu- 
heit; er bedarf keiner Übersetzung, wogegen die gebil- 
dete Laienwelt mit Recht eine solche verlangen darf, da 
die einzige vollständige, die wir besitzen, dem Anfang des 
vorigen Jahrhunderts angehört. „Wer Vieles bringt, wird 
manchem etwas bringen." Das gilt gewiß von unserem 



XXIV 



Einleitung. 



Buch, wie bereits oben angedeutet. Gleich der Eingang des 
Werkes wird die sinnigen Leser zu nicht uninteressanten 
Betrachtungen anregen über die Wanderungs- und 
Wandelungsfähigkeit anekdotenartiger Erzählungen 
(Dreifußgeschichte) und ihm zugleich einen Begriff geben 
von der Fabulierlust der Griechen. Die durchschlagende 
Kraft der Spruch Weisheit wird ihre Wirkung auf ihn so 
wenig verfehlen, wie auf den antiken Leser, denn die 
Lebensweisheit bleibt im Grunde immer dieselbe, wie die 
Menschen immer dieselben bleiben. Die Charakterbilder 
der Philosophen werden bei dem einen Leser diese, bei 
dem andern jene verwandte Saite seiner Seele erklingen 
lassen, und was die nicht philologischen Studierten be- 
träft, so wird der Jurist nicht ohne Gewinn ein Buch in 
die Hand nehmen, das uns als einzige derartige Quelle 
aus dem Altertum die Testamente einer ganzen Beihe von 
Philosophen im Wortlaute bietet. Niemand wird es dem 
Leser übel nehmen, wenn er manches ganz übergeht, 
manches mehr mit dem Finger als mit dem Auge liest: 
die Bücherlisten wird er eben nur durchblättern und 
vielleicht auch manches aus den doxographischen Pal- 
lien. Was dagegen die zahlreichen poetischen Beigaben an- 
langt, so wird er gewiß vieles, was aus Tragikern, Ko- 
mikern, den Sillographen, Kallimachos und anderen 
stammt, nicht ohne Interesse lesen. Was aber die eige- 
nen Beiträge des Diogenes betrifft, so wird er in schul- 
diger Bücksicht auf das viele Interessante, das ihm Dio- 
genes geboten, sich diese unschuldigen Blüten einer dürf- 
tigen Phantasie gern gefallen lassen, wie man sich das 
Unkraut am Bande des Kornfeldes gern gefallen läßt, 
zumal wenn, wie in unserem Falle, ab und zu unter dem 
Unkraut auch ein anschuldiges Adonisröschen sich birgt. 



Literaturübersicht. 



XXV 



Übersicht über die Literatur. 



Die erste vollständige Ausgabe — einzelne Partien wäret* 
schon früher in den Aldinischen Ausgaben des Aristoteles und 
Theophrast erschienen — ist die B a s e 1 e r Ausgabe von 1533 
aus der Druckerei des Hieronymus Fr oben und Nikolaus 
Episkopius, daher Frobeniana oder Basileensis genannt. Eine 
lateinische Übersetzung, ein Werk des Kamaldulenser Mönchs, 
und nachherigen Generals seines Ordens Ambrosius 
Civenius, war schon vorher erschienen, Venedig 1475, auch 
Nürnberg 1476 und 1479. Es folgten: 

Laertii Diogenis de vita et moribus philosophorum libri 
decem opera Joannis Sambuci Tirnaviensis 
Pannonii. Antwerpiae. Ex officina Plantini 1566. 
Diogenes Laertius. Gr. et lat. cum notis ed. H. S t e p h a - 

n u s. Paris 1570. 2 Tom. 
Diogenes Laertius. Gr. et lat. cum J. Casauboni notis multo 
auctior. Ed. H. Stephanus. (Zweite Ausgabe.) 
Paris 1593. Die dritte Ausgabe erschien Genf 1615. 
Allen diesen Ausgaben ist die lateinische Übersetzung 
des Ambrosius in z. T. verbesserter Form beigegeben. 
Diogenes Laertius. Gr. et lat. ed. Th. et Petr. Aldo- 

brandinus. Rom 1594. 
Diogenes Laertius. Cum J. Casauboni aliorumque notis ed. 

M e n a g i u s. London 1664. 
Diogenes Laertius. Gr. et lat. ed. M. Meibomius. 
Amsterdam 1692. 1693. 2 Voll. (Prachtausgabe in 
Folio.) 

Diogenes Laertius. Gr. et lat. ed. P. D. Longo litis 
Chur 1791. 

Diogenes Laertius. Ed. H. G. H ii b n e r. 2 Voll. Lpz. 1828. 
1831. 

Diogenes Laertius. Edit. stereotypa (Tauchnitiana) Lpz. 

2 Bde. 1833. Dann mehrfach wiederholt. 
Diogenis Laertii libri decem. Ree. C. G. C o b e t. Paris 

1850 (Didotiana). 
Das zehnte Buch ist besonders herausgegeben mit lat. 
Ubersetzung von P. Gassen di, Leyden 1649 und von C. 



XXVI 



Literattiriibersicht. 



Nürnberger, Nürnberg 1791, 1808 und von H. U s e n e r in 
den Epicurea, Lpz. 1887. 

Von deutschen Übersetzungen gibt es nur eine 
vollständige, nämlich die von August Borheck, Wien und Präs 
1807 (auch Leipzig 1809). Die Übersetzung von J. F. und P. L. 
S n e 1 1 , Oießen 1806, gibt nur Auszüge. Ebenso die neuerdings 
unter dem Titel „Titanen und Philosophen nach Diogenes 
Laertius" erschienene von Anna Kolle, Charlottenburg s. a. 
Das zehnte Buch ist für sich übersetzt und textkritisch be- 
handelt worden von A. Kochalsky, Lpz. 1914. 



Erläuterungsschriften. 

Arndt, W. Emendationes Epicureae. Diss. Berlin 1913. 
Arnim, J. v. Fragmenta Stoicorum. 3 Voll. Lpz. 1905. 
Bahnsch, F. Quaest. de Diog. L. fontibus. Königsberg 1868. 
B e r g k , Th. Comment. crit. spec. II. IV. Marburg 1844—1847. 
B o n n e t. Rhein. Mus. Bd. 32 p. 578 ff. (Die Pariser Codices.) 
B r i e g e r. Epikurs Brief an Herodot § 68—73. Halle 1882. 

— Epikurs Lehre von der Seele. Halle 1893. 
Breitenbach, H., und Genossen. Diog. vita Plat. rec. 

Juvenes dum sumus. Basel 1908. 
Bruns, C. Q. Die Testamente der griech. Philosophen. 

Ztschr. der Savigny-Stiftung Abt. I 46 ff. 
Bywater., J. Vita Aristotelis (aus Diog. L.) seorsum ed. 

Oxford 1879. 

Casaubonus, J. Notae atque Menagii observat. in D. L. 

in der Meibomschen Ausg. Bd. II. 
C o b e t , C. Q. De Diog. L. fabularum pleno. Mnemos. VII 

(1858) 52—55. 

— Variae lectiones II (1873) 320. 322. 

— Diog. L. vita Pythagorae. Coli. crit. Leyden 1878. *p. 449 ff. 
Covotti, A. Quibus libris in libro VII L. D. usus ftierit 

Filol. class. 5 (1897) p. 65 ff. 
D i e 1 s , H. Fragmente der Vorsokratiker. 2. Aufl. Berlin 1907. 

3 Bde. 

— Fragm. poet. philos. Berlin 1901. 

— Reiskii animadversiones in L. Diog. Hermes 24 (1889) 302 

bis 325. 

— Aus dem Leben des Cynikers Diogenes. Archiv f. Gesch. d. 

Phil. VII (1894) p. 313—316. 
Döring, A. Über das bei Diog. L. Ztsch. f. Phil. u. 

philos. Kritik N. F. 101 (1893) p. 165—203. 
E g g e r , V. Disput, de fontibus D. L. Bordeaux 1881. 
Emperius.A. In den Nachträgen zu Hübners Ausgabe de 

Diog. L. Bd. 2 und Opusc. phil. et hist. 323. 



Literaturübersicht. 



XXVII 



Freude n thal, J. Hellenistische Studien III (1879) p. 304 
bis 315. 

Q a r b i n , A. El Testamento de Aristot. Rivista contemp. 1894 
p. 163—170. 

Gassendi, P. Animadversiones in libr. X Diogenis L. 
Leyden 1649. 

— De vita et moribus Epicuri. 

Gercke, A. De quibusdam L. Diogenis auctoribus. Greifs- 
wald 1899. 

— Hermes 37 p. 401 ff. 1902. Die Überlieferung des Diog. L. 
G o m p e r z , Th. Wiener Studien IV 109 (über Philodem). 
Gutschmid, A. v. De Aegyptiacis apud Diog. L. Kl. 

Schriften I 194—200. Lpz. 1889. 
Heine, O. Krit. Beitr. zum 7. B. des Diog. L. Jahrb. f. kl. 

Phil. 99 (1869) 611—628. 
Hermann. C. F. Darmstädter Schulzeitung 1829 No. 45. 

(Rezension der Hübnerschen Ausgabe.) 
Hermann, G. Leipz. Literatzeit. 1829 p. 235. 
H i 1 1 e r. Rhein. Mus. 33 p. 518 ff. (Über Lobon.) 
Hortibonus, Js., (d. i. Js. Casaubonus). Notae ad Diog. L. 

Morgiis 1583. 

Howald, E. Hermes 1920. Bd. 55. Areios Didymos und 
Diog. L. 

— Die Schriftenverzeichnisse des Aristoteles und des Theo- 

phrast. Hermes 1920. Bd. 55. p. 204—221. 
H u 1 1 s c h , F. Zu Diog. L. Jahrb. f. kl. Phil. 135 (1887) 223—25. 
Jacobs, Fr. Anthologia Gr. Bd. VII. 
J ah n , O. Philol. 26 (1867) p. 4 u. 28 (1869) p. 4. 
Kern, G. Bemerkungen zum 10. Buch d. Diog. L. Prg. 

Prenzlau 1878. 14 S. 
Klippel, G. H. De Diog. L. auctoritate. Prg. von Ilfeld. 

Nordhausen 1831. 
K ö p k e , R. De Antigono Carystio. Berlin 1862. 
Kühn, J. Adnotationes ad Diog. L. (In der Meibomschen 

Ausg.) 

Leo, Fr. Die griech.-röm. Biogr. nach ihrer literar. Form. 

Lpz. 1901. p. 35 ff. 
Maaß, E. De biograph. Graecis. Philol. Unters. III 1880. 
M a r t i n i , E. Leipz. Studien XIX (1899) 86. 
M a y o r , J. E. D. Notes on Diog. L. Journ Phil. 57 p. 1—23. 
M e k 1 e r , S. Antigonus Car. apud Diog. L. IX 63 (1895). 
Merbach. De Epicuri Canonico. Diss. Lpz. 1909. 
Nietzsche, F. De Laert. Diog. fontibus. Rhein. Mus. 23 

(1868) 632—653. 

— Beitr. zur Quellenkunde des Laert. Diog. Prg. Basel 1870. 

(Darin auch Rohde über den Burbonicus.) 

— Rhein. Mus. 24 (1869) 210 ff. 25 (1870) 217—231. 



Üj^V^ifl Literaturübersicht. 

rPha 3 ^, F. V. De veterum inductione ad Diog. L. Witten- 
. 0S(I berg 1780. 

fC6\ s¥ft 3 , ,1 J ( . ,J Animadversiones in Diog. L. S. Diels. 

Rjchards, H. Laertiana. Class. Rev. 1904. VII p. 340—346. 

R ! i tSW/fc 'Opusc. I 185 (zu I 16). 

R o e p e r , Th. Philol. I 652 ff. III 22 ff. IX 1 ff. XXX 557 ff. 

R o h d e , E. ,K1. Sehr. I 208. II 102 ff. 

■^MaHÄch-SRÖMtf P. 250 zu Bion. 

Ros.e, Y n Hermes I (1866) 367—97. 

R o-SsfWßBk&fH. Comment. Laertianae. Romae 1788. 

SGh-a^eT&r^tjy Diog. L. prooemio. Diss. Lpz. 1877. 50 S. 

St h nfi d3°, !< H. «tttöia Laertiana. Bonn 1906. 43 S. 

:h.midt, L.,PhilnL 40 (1881) 383—84 zu Diog. L. VI 16. 
stfn-gYtfbr^JiSQFD. Diog. L. und der Engländer Burley. 
In.Wolfs Literar. Analektea 2. Bd. Berlin 1820. p. 227— 255. 
S feh-#aP^!, ».'"AffläffiBrlicher Artikel über Diog. L. in Pauly- 

Wissowa RealencyK^pädie. 
S u s e m i h 1 , F^vtpm, L. VII 1—12. 24—29. Jahrb. f. cl. 
, Phüol, 125W88W MP%890). Rhein. Mus. 1871. 1887. 1891. 

Tannery.J*. Vie d'Eudoxe d'apräs Diog. L. Traduction. 1893. 
tenWW MäMtaThe<bhr. Diss. Bonn 1858. 

— Enjcurea., Lpz. 1887. 

■^^irifflfe tKi 1 FP'p W2. p. 1023 ff. 

^vOöfallybri^ de Diog. L. Prgr. Breslau 
1 1890. II 1895., .llV.ba . 
WilamowiW Ö?8 U ' ^Hitel-.' Unters. III (Antigonos v. 
•ai'lKarystWlVs^ffH .01 rrms 

— Hermes 34, 629 ff. Epistola ad MaaBium. 

ptm v Wü'Cbee!afcnoBesianä der philos. Schulen in Athen. 
Abh. d. Ak. d. W. Berlin 1842. Philol. hist. Kl. 27—119. 
,Sö81 nihsH .oilav/ißO o, 
nyitoernodiaM iab nl) .J .soiCI bß es 

■ 

.0381 III .aiatnU tnl iriq jüaaoQ r f aJn 
.58 (QQ81) XIX noibutg ii 
.RS— 1 .q Tö .lifiS muol .J .goid no E3toH 
.(5Q8I) €ö XI .J .soia buqß .ißQ zunoai) 
.Q0QI .sqj .iziQ .ooifionßO imoiqa 
f.S .zuM .niarIJI .audittiol .soid .liaeJ 3 a .'1 

0V8I loZßfl .Sl'I . S 0ia .Jl 9 ß.I 83b 3ü(IU>ltI9!l91j(; 

(.euoinodiuS mb isdii sbiloM ifo 
.I6S— TIS (0T8I) 5S-.H0IS (QÖ8I) 



Erstes Buch. 



Einleitung (Prooemium). 

Die Entwicklung der Philosophie hat, wie manche 
behaupten, ihren Anfang bei den Barbaren genommen. 
So hatten die Perser ihre Magier, die Babylonier und 
Assyrer ihre Chaldäer, die Inder ihre Gymnosophisten, 
die Kelten und Gallier ihre sogenannten Druiden und 
Semnotheen, wie Aristoteles in seinem Buche „Magi- 
kos" ) und Sotion in dem dreiundzwanzigsten Buch 
seiner „Sukzession der Philosophen (Diadoche)" berichtet. 
Ochos soll: ein Phönizier, Zamolxis ein Thraker und 
Atlas ein Libyer gewesen sein. Geben doch auch die 
Ägypter den Hephaistos, den sie für den Urheber der 
Philosophie halten, für einen Sohn des Nilstroms aus, 
und diejenigen, die über der Philosophie walten, seien 
eben seine Priester und Propheten. 

Von da bis zu Alexander dem Makedonerkönig sollen 
48 863 Jahre verflossen sein. Im Verlaufe dieser Zeit 
soll es 373 Sonnen- und 832 Mondfinsternisse gegeben 
haben. Von den Magiern ab aber, deren erster der 
Perser Zoroaster gewesen sein soll, bis zum Falle von 
Troja rechnet der Platoniker Hermodoros 2 ) in seinem 
Buche von den Wissenschaften 5000 Jahre, der Lyder 
Xanthos von Zoroaster bis zum Übergänge des Xerxes 
über den Hellespont 6000 Jahre; danach, sagte er, hätte 
es noch eine lange Reihe von Magiern gegeben, die ein- 
ander ablösten, Ostanes und Astrapsychos, Gobryas 
und Pazatas, bis zur Auflösung des Perserreiches 
durch Alexander. Indes man täuscht sich und legt 
fälschlich den Barbaren die Leistungen der Griechen 

A p e 1 1 , Diogenes Laertins. i 



Einleitung. 



bei; denn die Griechen waren es. die nicht nur mit der 
Philosophie, sondern mit der Bildung des Menschen- 
geschlechtes überhaupt den Anfang gemacht haben. 
Hat doch Musaios seine Heimat bei den Athenern und 
Linos bei den Thebanern. Den ersteren nennt man 
einen Sohn des Eumolpos und bezeichnet ihn als den 
Verfasser eines Gedichtes von der Theogonie und von 
der Himmelskugel. Ihm schreibt man den Ausspruch 
zu: Alles entstehe aus Einem und löse sich in das Näm- 
liche wieder auf. Er soll iseinen Tod in Phaleron ge- 
funden haben, und auf seinem Grabmal soll folgende 
Aufschrift zu lesen gewesen sein: 

Schaue das Grab! es birgt des Eumolpos Sohn, den Musaios; 
Hier auf Phalerischer Flur ruhet, was sterblich an ihm. 

Vom Vater des Musaios leiten auch die Eumolpiden 
in Athen ihren Namen her. Linos aber soll ein Sohn 
des Hermes und der Muse Urania sein. Er soll eine 
Kosmogonie gedichtet haben mit Schilderungen des 
Laufes von Sonne und Mond und der Erschaffung der 
lebenden Wesen sowie der Früchte. Der Anfang dieses 
seines Gedichtes lautet folgendermaßen: 
Einstmals war eine Zeit, wo alles zugleich ward erschaffen. 

Daraus entnahm Anaxagoras sein Wort von dem ur- 
sprünglichen Zusammensein aller Dinge und von dem 
Hinzutritt des Geistes, der sie ordnete. Linos soll in 
Euböa gestorben sein, getroffen vom Pfeil des Apol- 
lon. 3 ) Seine Grabschrift soll gelautet haben: 

Hier ruht Linos aus Theben gebürtig, Uranias Sprößling, 
Die, mit Kränzen geschmückt, himmlischer Ehren genießt. 

So hat denn die Philosophie ihren Ursprung bei den 
Griechen, und auch ihr Name schon weist jede Ge- 
meinschaft mit den Barbaren entschieden von sich ab. 
Indes diejenigen, die den Ursprung der Philosophie 
auf die Barbaren zurückführen, berufen sich auf den 
Thraker Orpheus, indem sie ihn für einen Philosophen 
erklären, und zw r ar für den ältesten. Allein ich weiß 



I 3-7. 



3 



nicht, ob man einen Mann, der sich über die Götter in 
so lästerlichen Reden erging, einen Philosophen nennen 
darf, noch weiß ich 4 ) überhaupt, welche Bezeichnung 
man für den ausfindig machen soll, der den Göttern 
den ganzen Schwärm menschlicher Leidenschaften ohne 
jede Scheu und Schonung andichtet, selbst solche Un- 
züchtigkeiten, die nur selten von ein oder dem anderen 
Menschen, sogar mit dem Stimmorgan, begangen wer- 
den. Den Orpheus läßt denn die Sage durch die Wut 
von Weibern umkommen, wogegen seine Grabschrift 
zu Dion in Makedonien ihn durch Blitzschlag sterben 
läßt. Sie lautet: 

Hier begruben die Mus#n den Thrakischen Sänger, den Orpheus, 
Mit seinem flammenden Pfeil traf ihn der waltende Zeus. 

6 Die Anwälte des barbarischen Ursprungs der 
Philosophie weisen auch noch hin auf die besonderen 
Gestaltungen der Philosophie bei jedem einzelnen dieser 
Volker. Sie behaupten, die Gymnosophisten und Drui- 
den zielten in einer rätselhaften Sprechweise dahin, 
man solle die Götter ehren, nichts Böses tun und sich 
der Tapferkeit befleißigen. Was wenigstens die Gymno- 
sophisten betrifft, so behauptet Kleitarchos im zwölften 
Buch (seines Lebens Alexanders d. Gr.), sie verachteten 
selbst den Tod, während die Ghaldäer sich mit Astro- 
nomie und Sterndeutern befaßten; die Magier aber be- 
fleißigten sich des Gottesdienstes, der Opfer und Ge- 
bete, überzeugt, daß sie allein erhört würden, auch 
gäben sie Auskunft über Wesen und Werden der 
Götter, die aus Feuer, Erde und Wasser bestünden; 
von Götterbildern aber wollten sie nichts wissen, und 
am allerwenigsten von der Unterscheidung zwischen 

7 männlichen und weiblichen Gottheiten. Über das Wesen 
der Gerechtigkeit suchten sie ins klare zu kommen und 
hielten die Feuerbestattung für gottlos; für erlaubt da- 
gegen halten sie den geschlechtlichen Verkehr mit 
Mutter und Tochter, wie Sotion im 23. Buch (der Dia- 
dochae) schreibt. Auch befaßten sie sich mit der Seher- 

1* 



4 



Einleitung. 



kunst und der Prophetie, sogar unter der Versiche- 
rung, daß ihnen die Götter leibhaftig erschienen. Auch 
sei das Luftreich voll von Gebilden, die infolge der Aus- 
dünstung sich in sanftem Flusse den Blicken der 
Scharfsichtigen mitteilten. Auffälligen Putz und gol- 
denen Schmuck untersagten sie. Ihr Gewand war weiß, 
ihr Ruhebett war der Boden, ihre Nahrung Kohl, Käse 
und grobes Brot, ihr Stock ein Rohrstengel, mit dem 
sie — iso sagt er 5 ) — den Käse anspießten, um Bissen 
davon sich zu Munde zu führen. Zauberspuk kannten 
sie überhaupt nicht, wie Aristoteles in seinem „Magi- 8 
kos" behauptet und Deinon im 5. Buch seiner Ge- 
schichtsforschungen. 6 ) Dieser meint auch, aus der 
Deutung seines Namens ergäbe sich* daß Zoroaster ein 
Sternpriester sei. Die nämliche Behauptung findet sich 
auch bei Hermodor. Aristoteles aber erklärt im 1. Buch 
seines Werkes über Philosophie, die Magier seien sogar 
älter als die Ägypter; es gebe nach ihnen zwei Ur- 
gründe, eine gute Gottheit und eine böse, die eine heiße 
Zeus und Oromastes (Ormuzd), die andere Hades und 
Areimanios (Ariman). Die nämliche Behauptung findet 
sich bei Hermippos, 7 ) im 1. Buch über die Magier und 
bei Eudoxos 8 ) in dem Buche „Periodos" und bei Theo- 
pomp im 8. Buch seiner Philippika. Dieser behauptet 9 
sogar, nach dem Glauben der Magier würden die 
Menschen zu neuem Leben erwachen und unsterblich 
sein, und das All der Dinge würde infolge der Kreis- 
bewegungen immer dasselbe bleiben. 9 ) Dies berichtet 
auch der Rhodier Eudemos. Hekataios ferner meint, 
nach ihnen seien auch die Götter gewordene Wesen, 
und Klearch, der Solier, versichert in seinem Buche 
über Erziehung, auch die Gymnosophisten seien ihrem 
Ursprung nach auf die Magier zurückzuführen. Einige 
behaupten das Nämliche auch von den Juden. Außer- 
dem sind die Geschichtsschreiber, die über die Magier 
berichten, sehr ungehalten über Herodot; denn weder 
habe Xerxes seine Geschosse gegen die Sonne gerichtet, 
noch habe er Ketten ins Meer hinabgelassen; denn das 



I 7-12. 



5 



seien den Magiern zufolge Gottheiten; mit Götter- 
bildern freilich wollten sie aus guten Gründen nichts 
zu schaffen haben. 

10 Was aber die Philosophie der Ägypter anlange, so 
stünde es mit den Vorstellungen über die Götter und 
über die Gerechtigkeit folgendermaßen. Ihrer Behaup- 
tung zufolge ist der Urgrund die Masse (Materie) ; aus 
ihr haben sich die vier Elemente ausgeschieden und 
haben sich lebende Wesen gebildet. Ihre Götter, sagt 
man, sind Sonne und Mond, erstere Osiris genannt, 
letzterer Isis. Auf sie deuten sie in rätselartigen Be- 
zügen hin durch den Käfer (den sogenannten Skara- 
bäus) sowie durch eine Schlangenart und den Geier 
und andere Tiere, wie Manetho in seinem Abriß über 
Naturkunde berichtet und Hekataios in dem 1. Buch 
über die ägyptische Philosophie. Sie errichten Götter- 
bilder und Heiligtümer, da man ja die Gestalt der Gott- 
heit nicht kenne. 10 ) Das Weltganze erklären sie für er- 
schaffen und vergänglich und kugelförmig; die Sterne 

11 für Feuer, durch deren wohltemperierte Wärme alles 
Wachstum auf Erden erzeugt werde. Der Mond, 
meinen sie, verfinstere sich durch das Eintreten in den 
Erdschatten. Die Seele überlebe den Körper und 
wandere in andere Leiber. Regengüsse seien eine Folge 
des jeweiligen Luftwechsels. Auch über die weiteren 
Naturerscheinungen stellen sie ihre Betrachtungen an, 
wie Hekataios und Aristagoras 11 ) berichten. Auch über 
die Gerechtigkeit stellten sie Leitsätze auf, die sie auf 
Hermes zurückführten; und die nützlichsten Tiere 
sahen sie für göttliche Wesen an. Sie selbst erklären 
sich für die Erfinder der Geometrie, Astrologie (Astro- 
nomie) und Arithmetik. So steht es mit ihren Erfin- 
dungen. • 

12 Den Namen Philosophie brachte zuerst Pythagoras 
auf und nannte sich selbst einen Philosophen in dem 
Gespräch, das er in Sikyon mit Leon, dem Tyrannen 
von Sikyon oder Fhlius, führte, wie Herakleides, der 
Pontier, in seinem Buche über die entseelte Frau be- 



6 



Einleitung. 



hauptet; denn kein Mensch sei weise, sondern nur die 
Gottheit. Ehedem wurde, was jetzt Philosophie heißt, 
vielmehr Weisheit genannt, und ein Weiser hieß, wer 
sich mit ihr berufsmäßig beschäftigte, also ein durch 
besondere Geistesschärfe hervorragender Mann, wäh- 
lend Philosoph nur einen Liebhaber der Weisheit be- 
zeichnet. Die Weisen wurden aber auch Sophisten ge- 
nannt, und nicht nur sie, sondern auch die Dichter, 
wie denn Kratinos in den Archilochern in seinen 13 
Lobesworten auf Homer und Hesiod sie so nennt. 

Für weise aber galten folgende Männer: Thaies, 
Solon, Periander, Kleobulos, Chilon, Bias, Pittakos. Zu- 
gezählt werden ihnen Anacharsis der Skythe, Myson 
von Chen, Pherekydes von Syros und Epimenides von 
Kreta; von einigen auch noch der Tyrann Peisistratos. 
Das wären denn die Weisen. 

Die Philosophie aber hat zwei Ausgangspunkte, den 
einen von Anaximander, den andern von Pythagoras. 
Der erstere war ein Schüler des Thaies, Pythagoras da- 
gegen hatte sich dem Pherekydes angeschlossen. Die 
eine Schule wurde die ionische genannt, weil Tha- 
ies, ein Ionier, — er war nämlich Mifesier — des Ana- 
ximander Lehrer war; die andere die i t a 1 i s c h e von 
Pythagoras her, weil er sich meist in Italien aufhielt. 
Es endigt aber die erstere, die ionische, mit Kleito- 14 
machos und Chrysippos und Theophrastos, die italische 
mit Epikur. Denn auf Thaies folgen nacheinander 
Anaximander, Anaximenes, Anaxagoras, Archelaos, 
Sokrates, der Begründer der Ethik, auf ihn dann die 
Sokratiker und unter ihnen vor allem Piaton der 
Stifter der alten Akademie; auf diesen folgen dann 
Speusippos und Xenokrates, sodann Polemon, weiter 
Krantor und Krates, auf diesen Arkesilaos. der Be- 
gründer der mittleren Akademie; sodann Lakydes der 
die neuere Akademie ins Leben rief; ihm folgte Kar- 
neades und diesem Kleitomachos. So bildet denn Kleito- 
machos den Schluß dieser Beihe. 12 ) 

Der Abschluß mit Chrysippos vollzieht sich in fol- | 



5 



I 12 17. 



16 



17 



gender Reihe: auf Sokrates folgt Antisthenes, auf diesen 
Diogenes der Hund, auf diesen Krates von Theben, auf 
diesen Zenon von Kittion, auf diesen Kleanthes, auf 
diesen Chrysippos. 

Die auf Theophrast führende Reihe ist folgende: aui 
Piaton folgt Aristoteles, auf diesen Theophrastos. So 
endigt denn die ionische Schule. 

Die italische aber zeigt folgenden Verlauf: auf 
Pherekydes folgt Pythagoras, auf diesen sein Sohn 
Telauges, auf ihn Xenophanes, auf ihn Parmenides. 
auf ihn Zenon von Elea, auf ihn Leukrppos, auf ihn 
Demokritos; auf diesen dann eine ganze Anzahl, unter 
ihnen vor allen namhaft Nausiphanes und Naukydes, 
an die sich Epikur anschließt. Für die hierhergehorigen 
Philosophen sind zwei Richtungen zu unterscheiden: 
die Dogmatiker und die Ephektiker 13 ) (Skeptiker). 
Unter den Dogmatikern sind alle diejenigen zu ver- 
stehen, die von der Voraussetzung ausgehen, daß 
die Dinge unserm Verstände erfaßbar sind; unter den 
Ephektikern alle diejenigen, welche mit ihrem Urteil 
zurückhalten in der Voraussetzung, daß die Dinge für 
unsern Verstand unfaßbar sind. Unter ihnen gab es 
solche, die Schriften hinterließen, während andere über- 
haupt nichts schrieben, wie nach der Meinung einiger 
Sokrates, Stilpon, Philippos, Menedemos, Pyrrhon, 
Theodoros, Karneades, Bryson, nach einigen auch 
Pythagoras, Ariston aus Ghios, abgesehen von einigen 
wenigen Briefen. Andere verfaßten nur je eine Schrift 
wie Melissos, Parmenides, Anaxagoras, wogegen Zenon 
(der Eleate?) viele, Xenophanes noch mehr verfaßte, 
noch mehr Demokriit, noch mehr Aristoteles und noch 
mehr Epikur und Chrysipp. 

Ihre Namen haben die philosophischen Sekten nach 
verschiedenen Gesichtspunkten erhalten; die einen 
sind genannt worden nach ihren Heimatstädten; so 
die Eher, die Megariker, die Eretrier und die Kyre- 
naiker; andere nach ihren Lehrstätten : so die Akade- 
miker und Stoiker; wieder andere nach zufälligen Um- 



- 



8 i Einleitung. 

ständen: so die Peripatetiker. Auch boshafter Spott 
konnte mitsprechen: so bei den Kynikern (den Hün- 
dischen); bei andern wieder war es die Gemütsver- 
fassung, die für den Namen den Ausschlag gab, so bei 
den Eudaimonikern (den Befürwortern der Glückselig- 
keit), bei andern auch der Hinweis auf eine gewisse 
Eitelkeit, wie bei den Philalethen (Wahrheitslieb- 
habern) und Elenktikern (Widerlegungsmeistern) und 
Analogetikern (Analogiebeflissenen); noch andere be- 
nannte man nach ihren Lehrern wie die Sokratiker 
und Epikureer und sonstige. Was aber den Gehalt 
ihres Philosophierens anlangt, so werden die mit den 
Naturerscheinungen sich Beschäftigenden Physiker ge- 
nannt, diejenigen, die es mit der Unterweisung für sitt- 
liche Bildung zu tun haben, Ethiker (Sittenlehrer) und 
die, welche sich mit wortklauberischer Begriffsbearbei- 
tiing abgeben, Dialektiker. 

Was die Teile der Philosophie anlangt, so unter- 18 
scheidet man deren drei: Physik, Ethik und Dialektik. 
Die Physik handelt von dem Weltganzen und dem, was 
in ihm ist; die Ethik von der Lebensführung und dem, 
was uns Menschen betrifft; die Dialektik endlich be- 
handelt eingehend die begrifflichen Verhältnisse für 
beide Gebiete. 

Die Dichtung auf das physische Gebiet herrscht bis 
auf Archelaos; mit Sokrates, wie schon früher bemerkt, 
trat die Wendung zur Ethik ein, mit Zenon, dem Ele- 
aten, die Wendung zur Dialektik. Der ethischen Sekten 
gibt es zehn: die akademische, die kyrenaische, die 
elische, die megarische, die kynische, die eretrische, die 
dialektische, die peripatetische, die stoische, die epiku- 
reische. Der Vorsteher der alten Akademie war Piaton, 19 
der mittleren Arkesilaos, der neuen Lakydes. Vor- 
steher der kyrenaisehen Sekte war zuerst Aristipp aus 
Kyrene, der elischen Phaidon aus Elis, der megarischen 
^ukleides aus Megara, der kynischen Antisthenes aus 
Athen, der eretrischen Menedemos aus Eretria, der 
dialektischen Kleitomachos aus Karthago, der peripate- 



I 17-21. 



9 



tischen Aristoteles aus Stageira, der stoischen Zenon 
aus Kittion; die epikureische trägt den Namen ihres 
Stifters seihst. Übrigens vertritt Hippobotos in seiner 
Schrift über die Sekten die Ansicht, es gebe nur neun 
Sekten und Lebensrichtungen: erstens die megarische, 
zweitens die eretrische, drittens die kyrenaisehe, vier- 
tens die epikureische, fünftens die annikereische, 
sechstens die theodoreische, siebentens die zenonische 
oder stoische, achtens die alte akademische, neuntens 

20 die peripatetische. Von einer kynischen ist bei ihm 
ebensowenig die Rede wie von einer elischen und dia- 
lektischen. Denn mit der pyrrhonischen Sekte wollen 
die meisten überhaupt nichts zu tun haben wegen ihres 
Mangels an Klarheit und Deutlichkeit; einige aller- 
dings behaupten, in gewisser Hinsicht sei sie eine 
Sekte, in anderer wieder nicht. Was ihr den Schein 
einer solchen gibt, ist folgendes: Sekte nennen wir eine 
solche Gemeinschaft, die einer bestimmten Auffassung 
im Anschluß an das jeweilig Erscheinende folgt oder 
zu folgen scheint; und hiernach können wir die Skep- 
tiker mit vollem Recht eine Sekte nennen. Denken wir 
uns aber unter einer Sekte eine Gemeinschaft, die sich 
an feste Lehrsätze hält, welche in voller Überein- 
stimmung miteinander stehen, dann paßt der Name 
Sekte nicht mehr auf sie; denn sie hat keine (verbind- 
lichen) Lehrsätze. So viel also von den Prinzipien, von 
den Sukzessionsreihen, von den Teilen der Philosophie 

21 und von ihren Sekten. Übrigens tat sich erst vor 
kurzem noch eine eklektische Sekte auf unter Führung 
des Potamon aus Alexandreia, der sich aus den Lehren 
aller Sekten auswählte, was ihm gefiel. 14 ) Er ist, wie er 
in seinem Lehrbuch erklärt, der Ansicht, daß es Krite- 
rien der Wahrheit gibt: erstens die Geisteskraft, von 
der das Urteil ausgeht; sie ist die leitende Macht; so- 
dann das Mittel, durch welches die Wirkung erzielt 
wird, und das ist die denkbar deutlichste Vorstellung. 
Prinzipien für die Gesamtheit der Dinge seien, meint 
er, die Masse (Materie) und das Bewirkende, die Quali- 



10 



Einleitung. 



tat und der Raum. Denn sie stellen das Woraus dar 
und das Wodurch und das Wie und das Worin. End- 
zweck aber, auf den alles sich bezieht, sei ein in jeder 
Beziehung vollendet tugendhaftes Leben, nicht ohne die 
Ausstattung mit den naturgemäßen körperlichen sowie 
äußeren Gütern. Nunmehr aber soll die Rede sein von 
den Männern selbst, und zwar zuerst von Thaies. 



I 21 2Z 



I 1 



Erstes Buch. 



Erstes Kapitel. 
Thaies. 640—562 v. Chr. 

22 Des Thaies Vater war, wie Herodot, üuris und 
Demokrit berichten, Examyos, seine Mutter Kleobulina 
aus dem Hause der Theliden, eines phönizischen Ge- 
schlechtes von höchstem Ansehen, das von Kadmos und 
Agenor abstammte. Er gehörte zu den sieben Weisen, 15 ) 
wie auch Piaton bezeugt. Er war der erste, dem man 
den Namen eines Weisem gab zur Zeit des athenischen 
Archonten Damasias. Während dessen Archontats 
(582 v. Chr.) kam es auch zur Feststellung der Sieben- 
zahl der sogenannten Weisen, wie Demetrios, der Pha- 
lereer, in seinem Verzeichnis der Archonten berichtet. 
In die Bürgerliste von Milet ward er eingetragen, als 
er dort in Begleitung des aus Phönizien verbannten 
Neileos (Neleus, vgl. III 1) eintraf, doch behaupten 
die meisten, er sei geborener Milesier gewesen aus vor- 

23 nehmem Hause. Zunächst politisch tätig, wandte er 
sich dann der Naturbetrachtung zu, hinterließ aber 
einigen zufolge nichts Schriftliches. Denn die ihm 
zugeschriebene Sternkunde für Seefahrer soll ein Werk 

v des Samiers Phokos sein. Kallimachos aber kennt ihn 
ab Entdecker 18 ) des kleinen Bärengestirns, worauf er 
mit folgenden Jamben hinweist: 

Man sagt, des Wagens Sternchen hat er auch entdeckt. 
Die Führer auf der See für die Phönizier, 



12 



Thaies. 



Nach einigen hat er zwei Schriften verfaßt und 
nicht mehr, nämlich über die Sonnenwenden und über 
die Tag- und Nachtgleichen, überzeugt, daß das Übrige 
für den Verstand unfaßbar sei. Nach einigen ist er 
der erste, der sich mit Sternkunde befaßt und Sonnen- 
finsternisse und Wendezeiten vorausgesagt habe, wie 
Eudemos in seiner Geschichte der Astronomie be- 
richtet, weshalb ihn denn auch Xenophanes und Hero- 
dot (I 74) bewundern. Es bezeugen dies auch Hera- 
klit (Frg. 38 Diels) und Demokrit (Frg. 115a). 

Einige bezeichnen ihn auch als ersten Vertreter 24 
der Ansicht, daß die Seele unsterblich sei. Zu diesen 
gehört der Dichter Choirilos. Thaies war es, der zu- 
erst den Sonnenlauf von Wendekreis zu Wendekreis 
feststellte, wie er denn nach einigen auch das Größen- 
verhältnis der Sonne zum Sonnenkreise und so auch 
das Verhältnis des Mondes zum Mondkreise dahin be- 
stimmte, daß es das von 1:720 sei. 17 ) Er war es auch, 
der zuerst den letzten Tag des Monats den dreißigsten 
nannte. Nach einigen legte er auch den Grund zur 
Naturphilosophie. 

Aristoteles 18 ) und Hippias berichten, er denke sich 
auch das Leblose beseelt, eine Ansicht, zu der ihn die 
Beobachtung des Magnetsteines und des Bernsteines 
führte. In der Geometrie ein Schüler der Ägypter hat 
er, wie Pamphile berichtet, zuerst das rechtwinklige 
Dreieck in den Kreis (Halbkreis) eingetragen und 
daraufhin einen Stier geopfert. Andere schreiben dies 25 
dem Pythagoras zu; zu ihnen gehört der Mathematiker 
(der rechenkundige) Apollodor. 10 ) Er (Thaies) för- 
derte sehr erheblich die Entdeckungen, die, wie Kalli- 
machos m seinem jambischen Gedicht sagt, der Phryger 
Euphorbos gemacht hatte, wie z. B. die sogenannten 
Skalen (ungleichseitige rechtwinklige Dreiecke) und 
l!äcM ") Uberbaupt und was zur Theor ie der Linien 

Auch auf staatsmännischem Gebiet scheint er treff- 
lich beschlagen gewesen zu sein. So wußte er es zu 



I 23-27. 



13 



verhindern, daß das Bündnis zustande kam, um das 
sich Kroisos durch eine Gesandtschaft an die Milesier 
bemühte. Das rettete später, nach dem Siege des Kyros, 
den Staat. Und er selbst behauptet, 21 ) wie Herakleides 
berichtet, er sei menschenscheu und ein Sonderling 

26 gewesen. Einige lassen ihn auch verheiratet und Vater 
eines Sohnes namens Kybisthos sein. Nach anderen 
dagegen ist er unverheiratet geblieben und hat den 
Sohn seiner Schwester adoptiert. Auf die Frage, war- 
um er auf den Kindersegen verzichte, soll er erwidert 
haben: „Aus Liebe zu den Kindern." Gegen das 
Drängen auf Verheiratung von Seiten seiner Mutter 
soll er sich zur Wehr gesetzt haben mit den Worten: 
„Noch ist es nicht Zeit dazu," und als sie ihn bei vor- 
geschrittenem Alter heftiger bestürmte, soll er entgegnet 
haben: „Nun ist die Zeit dazu vorüber." Ferner be- 
richtet der Rhodier Hieronymos in dem 2. Buch seiner 
vermischten Denkwürdigkeiten, er habe, um den Be- 
weis zu liefern, daß es gar kein Kunststück sei reich 
zu werden, in Voraussicht einer reichen Ölfruchternte 
alle Ölpressen gemietet und dadurch ein enormes Ver- 
mögen gewonnen. 

27 Für den Urgrund aller Dinge erklärte er das 
Wasser. Die Welt hielt er für beseelt und für erfüllt i 
von göttlichen Wesen. Er soll zuerst die genaue 
Scheidung der Jahreszeiten aufgebracht und das Jahr 

in 365 Tage eingeteüt haben. Und zwar war er im | 
Grunde Autodidakt, nur daß er eine Reise nach 
Ägypten machte, wo er in engen Verkehr mit den 
Priestern trat. Auch berichtet Hieronymos, er habe 
die Höhe der Pyramiden gemessen vermittelst ihres 
Schattens, den er genau in dem Zeitpunkt abmaß, wo 
unser Schatten und unser Leib die gleiche Länge 
haben. 22 ) In Milet stand er in engem Verkehr mit 
Thrasybul, dem Herrscher von Milet, wie Minyes be- 
richtet. Allbekannt ist ferner die Geschichte von dem 
Dreifuß, der, von Fischern aus dem Meere gezogen, 
von dem Volke der Milesier an die (sieben) Weisen 



Thaies. 



überwiesen ward. Man erzählt nämlich, einige ionische 28 
Jünglinge hätten milesischen Fischern einen Fischzug 
abgekauft. Als dabei der Dreifuß zu Tage kam, erhob 
sich ein Streit darüber, der erst geschlichtet ward, als 
die Milesier darüber das Orakel zu Delphi befragten. 
Die Antwort des Gottes lautete folgendermaßen: 

Bürger Milets, du befragst den Phoibos über den Dreifuß? 
Wer der Weiseste ist, dem gebührt, so sag' ich, der Dreifuß. 

So wird er denn dem Thaies überreicht. Dieser 
übergibt ihn einem andern der sieben Weisen, und 
dieser wieder einem andern bis auf Solon. Dieser aber 
erklärte für den Weisesten den Gott und sandte den 
Dreifuß nach Delphi. Kallimachos stellt die Sache in 
seinen Jamben anders dar und zwar so, wie er sie bei 
dem Milesier Maiandrios geschildert fand. Danach 
hat ein gewisser Bathykles, ein Arkadier, eine Schale 
hinterlassen mit der Anweisung, sie dem Trefflichsten 
unter den Weisen zu überreichen. So ward sie dem 
Thaies überwiesen; aus dessen Hand wanderte sie 
reihum von einem Weisen zum andern und kam so 
wieder zurück an Thaies. Dieser aber sandte sie an 29 
den didymäischen Apollon mit folgenden Begleitversen 
nach Kallimachos: 23 ) 

Als Ehrenpreis empfing mich Thaies schon zweimal; 
Jetzt soll ich an das hehre Haupt Athens kommen. 

In Prosa lautet es so: „Der Milesier Thaies, des 
Examyos Sohn, weiht dem delphinischen Apollon dies 
Ehrengeschenk der Hellenen, das er zweimal empfangen 
hat." Der Überbringer der Schale, der Sohn des i 
Bathykles, hieß Thyrion, wie Eleusis in seinem Buch 
über Achilles sagt und Alexander, der Myndier im 
9 Buch seiner mythischen Erzählungen. Eud'oxos 
aber, der Knidier, und Euanthes, der Milesier be- 
richten, einer von den Freunden des Kroisos habe von 
dem Konig ein goldenes Trinkgefäß erhalten um es 
dem Weisesten unter den Griechen zu überreichen, 30 
dieser aber habe es dem Thaies überreicht; durch diesen 



1 28 32. 



LS 



sei es weiterhin an Ghüon gelangt, der den pythischen 
Gott befragt habe, wer weiser sei als er. Die Antwort 
habe gelautet: „Myson." Über ihn soll seines Orts ge- 
handelt werden. (Diesen setzt Eudoxos an die Stelle des 
Kleobulos, Piaton [Prot. 343 A] an die Stelle des Pe- 
riander.) Über ihn gab denn der Pythier folgende 
Auskunft: 

Myson in Chen am Oeta ist besser als du, so behaupt* ich, 
Ausgerüstet mit 5 Geist zu hohem Flug der Gedanken. 

Zum Fragen beauftragt war Anacharsis. Dagegen 
berichten der Platoniker Daimachos und Klearchos, 
die Schale sei von Kroisos an Pittakos gesandt und so 
in Umlauf gesetzt worden. Andron wiederum be- 
hauptet in seinem Buch „Der Dreifuß", die Argiver 
hätten dem Weisesten der Hellenen einen Dreifuß als 
Tugendpreis bestimmt, und als solcher sei Aristo demos 
in Sparta anerkannt worden; dieser habe ihn an Chilon 

31 abgetreten. Es gedenkt des Aristodemos auch Alkaios 
in folgenden Versen [Fr. 50 Bergk"] : 

So hat denn, wie es heißt, Aristodamos 

In Sparta einst ein treffend Wort gesprochen : 

Geld macht den Mann, vergebens 

Sucht man nach einem armen Ehrenmann. 

Einige erzählen, es sei von Periander an den mile- 
sischen Tyrannen Thrasybul ein reich beladenes Last- 
schiff gesandt worden. Dies habe bei Kos Schiffbruch 
gelitten und einige Zeit darauf sei von einigen Fischern 
der Dreifuß hervorgezogen worden. Phanodikos da- 
gegen behauptet, er sei in der Nähe von Athen im 
Meere gefunden, in die Stadt gebracht und auf Be- 
schluß der Volksversammlung dem Bias übersandt 

32 worden. Den Grund werden wir in dem Abschnitt über 
Bias mitteilen. 24 ) Wieder andere behaupten, der Drei- 
fuß sei ein Werk des Hephaistos und vom Gott dem 
Pelops als Hochzeitsgeschenk dargereicht worden; dar- 
auf sei er an den Menelaos gekommen, sei dann mit- 
samt der Helena von Paris geraubt und von der Lako- 



16 



Thaies. 



nerin in das koische Meer geworfen worden mit den 
Worten: „Das wird der Grund zu vielem Streite 
werden." Als späterhin Leute aus Lebedos den 
Fischern dort einen Fang abkauften, sei auch der Drei- 
fuß mit in ihre Hände gekommen. Darüber seien sie 
mit den Fischern in Streit geraten, bis sie nach Kos 
gekommen; und da sie es hier zu keiner Entscheidung 
brachten, erstatteten sie Meldung an ihre Mutterstadt 
Milet. Die Milesier schickten nun eine Gesandtschaft 
nach Kos, wurden abgewiesen und überzogen die Koer 
mit Krieg. Nach starkem Verlust an Menschenleben 
auf beiden Seiten verkündete ihnen ein Orakelspruch, 
sie sollten den Dreifuß dem Weisesten überreichen. 
Beide Parteien einigten sich auf Thaies, dieser aber 
weihte ihn nach vollzogenem Umlauf (bei den Sieben) 
dem didymäischen Apollon. Der Spruch an die Koer 33 
lautete so: 

Nicht wird enden der Streit der Meroper und der Ioner, 
Bis das Werk des Hephäst, der Dreifuß von Qold, der versenkte 
Euerer Stadt entzogen ins Haus des Mannes gelangt ist, 
Der mit Schärfe erkennt was ist, was kommt, was gewesen. 

Der Spruch an die Müesier aber lautete: 
Bürger Milets, du befrägst den Phoibos über den Dreifuß? 

Die Fortsetzung ist oben schon mitgeteilt (I 28). 
Darüber soviel. 

Hermippos in seinen Lebensbeschreibungen über- 
trägt einen von manchen dem Sokrates zugeschriebe- 
nen Ausspruch auf den Thaies. Er legt ihm nämlich 
das Wort bei: Drei Dinge sind es, die mich dem Schick- 
sal zu Dank verpflichten: erstens, daß ich als Mensch 
zur Welt kam und nicht als Tier; zweitens, daß ich ein 
Mann ward und nicht ein Weib; drittens, daß ich ein 
Hellene bm und nicht ein Barbar. Ferner läuft fol- 
gende Erzählung von ihm um: Als er einst, um die- 34 
Sterne zu beobachten, begleitet von einem alten Weib 
seine Wohnung verließ, fiel er in eine Grube. Da rief 
dem Aufschreienden das Weib die Worte zu- Du 



I 32—36. 



17 



kannst nicht sehen, Thaies, was dir vor Füßen liegt, 
und wähnst zu erkennen, was am Himmel ist?" Von 
seinen astronomischen Forschungen übrigens hat auch 
Timon 20 ) Kenntnis, und er lobt ihn darob mit folgen- 
den Worten [Frg. 23 Diels] : 

Zu den Weisen, den Sieben, zählt Thaies, als kundig der Sterne. 

Was Thaies schriftlich hinterlassen hat, beläuft 
sich nach Lobon von Arges 20 ) auf zweihundert 
Verse. Sein Bildnis soll folgende Inschrift getragen 
haben: 

Ihn, den Thaies, erwies als ältesten Kenner der Sternwelt 
Seine Mutter Milet, diese ionische Stadt. 

Zu seinen poetischen Sprüchen sollen folgende ge- 

35 hören: 

Schwatzhafter Rede entstammt niemals verständige Meinung, 
eines, was weise ist, suche; 
Eines, was trefflich ist, wähle. 

Oar mancher geschwätzigen Menschen lose Zungen wirst du 
verstopfen. 

Als Aussprüche von ihm sind folgende bekannt: Das 
älteste der Wesen ist Gott, der unerzeugte; das 
schönste die Welt, das Werk Gottes, das größte der 
Raum, der allumfassende, das schnellste der Geist, der 
alles durchdringende; das stärkste die Notwendigkeit, 
die alles beherrschende, das weiseste die Zeit, die alles 
erfindende. Der Tod, sagte er, unterscheide sich nicht 
vom Leben. „Warum also," erwiderte ihm einer, 
„stirbst du nicht?" Darauf er: „Eben weil es keinen 
Unterschied macht." Auf die Frage, die einer an ihn 
richtete, was früher entstanden sei, die Nacht oder der 

36 Tag, erwiderte er: „Die Nacht um einen Tag früher." 27 ) 
Es fragte ihn jemand, ob der Mensch sich bei frevel- 
hafter Tat dem Auge Gottes entziehen könne. „Nein," 
erwiderte er, „selbst nicht bei bloßer Absicht dazu." 
Einem Ehebrecher, der fragte, ob er seine Unschuld be- 
schwören dürfe, antwortete er: „Meineid ist nicht 
schlimmer als Ehebruch." Weitere Fragen und Ant- 

A p e 1 t , Diogenes Laertills. ? 



18 



Thaies. 



worten: Was ist schwer? „Sich selbst erkennen." Was 
leicht? „Einem andern einen Rat erteilen." Was das 
Willkommenste? „Sein Ziel erreichen." W r as das Gött- 
liche? „Was weder Anfang noch Ende hat." Was hast 
du Erstaunliches 28 ) gesehen? „Einen greisen Tyrannen." 
Wie kann man ein Mißgeschick am leichtesten tragen? 
„Wenn man die Feinde in schlimmer Lage sieht." Wie 
kann man am besten und gerechtesten leben? „Wenn 
wir, was wir an andern tadeln, selber nicht tun." Wer 
ist glücklich? „Wer gesunden Leibes, vom Schicksal be- 37 
günstigt und mit trefflicher Seelenbildung ausgerüstet 
ist." Ferner: Sei eingedenk der Freunde, der anwesen- 
den wie der abwesenden. Suche nicht äußerüch zu 
glänzen, sondern durch Streben und Tat Wohlgefallen 
zu erwecken. Suche nicht auf verwerfliche Weise reich 
zu werden. Mache dich keines Vertrauensbruches schul- 
dig gegen solche, die dir in Treue verbunden waren. 
Was du an Unterstützungen deinen Eltern hast zuteil 
werden lassen, das darfst du auch von deinen Kindern 
erwarten. — Das Anschwellen des Nils erklärte er als 
Wirkung der Passatwinde, die, in ihrer Richtung der 
Strömung entgegengesetzt, diese zurückdrängen. 

Apollodor setzt in seinen Chronika die Geburt des 
Thaies in das erste Jahr der 35. Olympiade (640 v. 
Chr.). 29 ) Er starb in einem Alter von 78 Jahren oder, 38 
wie Sosikrates sagt, von 90 Jahren. Denn er sei ge- 
storben in der 58. Olympiade (548/545 v. Chr.) und 
sei ein Zeitgenosse des Kroisos, dem er auch den 
Übergang über den Halys ohne Drücke zu ermöglichen 
versprochen habe durch Ablenkung des Stromes. 

Es hat auch noch andere Männer des Namens Thaies 
gegeben, wie der Magnesier Demetrius in seinen Homo- 
nymen (Ruch über gleichnamige Dichter und Schrift- 
steller) sagt, und zwar sind es fünf: erstens ein kalla- 
tinischer Rhetor, eitel und gefallsüchtig; sodann ein 
Maler aus Sikyon, ein geistvoller Mann; drittens ein 
Mann der ältesten Zeit, Zeitgenosse des Hesiod, Homer 
und Lykurg; viertens der, dessen Duris in seinem Werk 



I 36—41. 19 

über Malerei gedenkt; fünftens ein jüngerer und wenig 
bekannter, den auch Dionysios in seinen „Kritika" er- 
wähnt. 

39 Unser Thaies also, der Weise, starb, als er einem 
gymnischen Wettkampf zuschaute, infolge der Hitze, 
des Durstes und der Altersschwäche, denn er stand 
bereits in hohen Jahren. Seine Grabschrift lautet fol- 
gendermaßen: 

Schaue dies winzige Grab — doch es reicht der Ruhm bis zum 
Himmel — 

Thaies, der weiseste Mann, schläft hier den ewigen Schlaf. 

Auch von mir gibt es ein Epigramm auf ihn im ersten 
Buch meiner Epigramme oder Vermischten Gedichte. 
Es lautet: 

Einem Wettkampf wohnte er bei, o strahlender Herrscher, 
Als du von dannen ihn riefst, Thaies, den Weisen, den Greis. 

Dank dir! Du hast ihn entführt in deine Nähe; er konnte 
Von dieser Erde nicht mehr schauen das Sternengezelt. 

40 Von ihm stammt das „Erkenne dich selbst" her, 
das Antisthenes in seinen „Philosophenfolgen (Dia- 
dochae)" der Phemonoe zuschreibt; von ihr habe es 
Ghilon sich zu eigen gemacht. 

Über die sieben Weisen — denn es ziemt sich hier 
im allgemeinen auch ihrer zu gedenken — liegen fol- 
gende Überlieferungen vor. Dämon aus Kyrene, der 
Verfasser des Buches über die Philosophen, macht alle 
herunter, besonders aber die Sieben. Anaximenes rech- 
net sie alle zur Gattung der Dichter. Dikaiarch erklärt 
sie weder für Weise noch für Philosophen, wohl aber 
für kluge und zur Gesetzgebung befähigte Männer. 
Archetimos aus Syrakus hat ihre Zusammenkunft beim 
Kypselos geschildert, der er selbst beigewohnt haben 
wiE; Ephoros ihre Zusammenkunft bei Kroisos, wo 
nur Thaies fehlte. Manche wollen auch von einer Zu- 
sammenkunft in Panionion sowie in Korinth und in 

41 Delphi wissen. Was ihre Kernsprüche anlangt, so 
gehen die Ansichten darüber gleichfalls sehr ausein- 
ander, indem der nämliche Spruch bald diesem, bald 

2* 



20 



Thaies. 



wieder jenem zugeschrieben wird. So z. B. [Diels Frg. 
d. V. 2 616, 7]: 

Cliilon war es, von Sparta, der Weise, der folgendes sagte: 
Nimmer zu sehr. Es gefällt alles zur richtigen Zeit. 

Auch über ihre Zahl ist man in Zwiespalt. Lean- 
drios (Maiandrios) setzt an die Stelle des Kleobulos 
und des Myson den Leophantos, des Gorgias 30 ) Sohn 
aus Lebedos oder Ephesos, und den Epimenides aus 
Kreta; Piaton im Protagoras (343 A) den Myson an 
die Stelle des Periander; Ephoros den Anacharsis an 
die Stelle des Myson. Andere rechnen auch den Pytha- 
goras zu ihnen. Dikaiarch nennt vier als völlig sicher: 
Thaies, Bias, Pittakos, Solon; außerdem nennt er noch 
sechs, nämlich Aristodemos, Pamphylos, Ghilon den 
Lakedaimonier, Kleobulos, Anacharsis, Periander, von 
denen er dreien den Vorzug gibt. Einige fügen noch 
den Akusilaos, des Kabas oder Skabras Sohn aus Argos 
bei. Hermippos aber in seinem Buch über die Weisen 42 
führt nicht weniger als siebzehn auf, aus denen der 
eine diese, der andere jene Auswahl treffe; es seien 
dies Solon, Thaies, Pittakos, Bias, Ghilon, Myson, Kleo- 
bulos, Periander, Anacharsis, Akusilaos, Epimenides, 
Leophantos, Pherekydes, Aristodemos, Pythagoras, 
Lasos, der Sohn des Gharmantides oder Sisymbrinos 
oder nach Aristoxenos des Ghabrinos aus Hermione, 
endlich Anaxagoras. Hippobotos dagegen führt in 
seinem Verzeichnis der Philosophen folgende auf: Or- 
pheus, Linos, Solon, Periander, Anacharsis, Kleobulos, 
Myson, Thaies, Bias, Pittakos, Epieharmos, Pythogoras. 
Es sind von Thaies auch folgende (unechte) Briefe in 
Umlauf: 

Thaies an Pherekydes. 

Wie ich höre, trägst du dich, als erster von den 43 
Iouiern, mit der Absicht, dich öffentlich vor den 
Griechen in einer Schrift über die göttlichen Dinge 
vernehmen zu lassen. Und vielleicht tust du ganz recht 
daran, durch eine Schrift die Sache lieber zum Ge- 



I 41—44. 



21 



meingut zu machen als sie ohne eigentlichen Nutzen 
irgend welchen beliebigen Leuten anzuvertrauen. Ist es 
dir also recht, so will ich als Hörer mich von dem 
unterrichten lassen, worüber du schreibst; und gibst 
du mir deinen Willen kund, so will ich zu dir nach 
Syros kommen. Denn wir, ich und Solon von Athen, 
müßten doch alles Verstandes bar sein, wenn wir, die 
wir seinerzeit nach Kreta gefahren sind, um uns über 
die dortigen Verhältnisse zu unterrichten, sodann nach 
Ägypten, um mit den dortigen Priestern und Astrono- 
men zu verkehren, es unterlassen wollten, uns zu dir zu 
44 begeben. Denn auch Solon wird sich bei dir einfinden, 
wenn du es erlaubst. Kommst du ja doch, von Heimat- 
liebe festgehalten, nur selten nach Ionien und fühlst 
dich nicht hingezogen zum Verkehr mit fremden 
Männern, sondern lebst, wie ich annehme, ganz der Ar- 
beit an deiner Schrift, als deiner einzigen Beschäfti- 
gung. Wir dagegen, von Beruf keine Schriftsteller, 
durchwandern Griechenland und Asien. 

Thaies an Solon. 

Wenn du Athen verläßt, wirst du, wie mir scheint, 
deinen Wohnsitz am passendsten in Milet aufschlagen. 
Ist doch Milet eine Kolonie von euch; du hast also hier 
nichts Schlimmes zu befürchten. Wenn du es aber 
schwer empfindest, daß auch wir Milesier einem 
Tyrannen Untertan sind — denn dir sind alle Gewalt- 
haber verhaßt — so würde es dir doch eine Freude 
sein, mit uns, deinen Genossen, zusammenzuleben. Auch 
Bias hat dir geschrieben, du möchtest nach Priene 
kommen. W enn du dieser Stadt als Wohnort den Vor- 
zug gibst, so werden auch wir unsern Wohnsitz neben 
dir aufschlagen. 



■% 



22 



Saint. 



ZweitesKapitel. 
Solon. &35— 559 v. Chr. 

Solon. des Exekestides Sohn, führte als erste Maß- 45 
regel für Neuordnung des athenischen Staates die so- 
genannte Seisaehthie (Schuldenabsehüttlung) ein. Das 
war eine Befreiung von Leibeigenschaft und eine Siche- 
rung des Besitzes. Denn man erborgte Geld unter 
Preisgabe seiner Freiheit, und zahlreiche Bürger be- 
gaben sich aus drückender Armut in eine Art Sklaven- 
dienst So hatte er als Gläubiger eine Summe von 
sieben Talenten zu fordern, die sein Vater ausgeliehen 
hatte. Er war der erste, der diese Schuldenmasse er- 
ließ, indem er die übrigen aufforderte seinem Beispiel 
zu folgen. Das darauf bezügliche Gesetz ward Sei- 
saehthie genannt; warum, erklärt sich nun von selbst. 
Dann gab er seine übrigen Gesetze, die im einzelnen 
aufzuzählen zu weit führen würde. Diese ließ er auf 
hölzernen Tafeln öffentlich ausstellen. Seine größte 
Tat war die Wiedergewinnung von Salamis. Da näm- 46 
lieh um dieses, sein Vaterland, Athen und Megara mit- 
einander in Streit lagen, wobei die Athener im Kampfe 
vielfach im Nachteil blieben, war es zu einem Volks- 
beschluß gekommen, es solle jeder, der zum Kampfe 
um Salamis riete, mit dem Tode bestraft werden. Da 
stellte sich denn Solon wahnsinnig und stürzte, mit 
einem Kranze geschmückt, auf den Markt Dort ließ 
er den Athenern durch einen Herold seine auf Salamis 
bezüglichen Elegien vorlesen und wußte sie dermaßen 
aufzustacheln, daß sie den Kampf gegen die Megarer 
wieder aufnahmen. So gewannen sie durch Solon den 
Krieg. Die Verse aber, die den Athenern am wirk- 47 
samsten das Gewissen schärften, waren folgende: 

Lieber möchte ich stammen von einer der kleinen Kykladen, 
Tauschen ein anderes Land gegen mein Heimatgefild ; 

Denn alsbald wird die Kunde sich unter den Menschen verbreiten : 
Schauet den attischen Mann, ihn, der aus Salamis floh. 



T 45-49. 23 

Und weiter: 

Auf! nach Salamis jetzt, zum Kampf um die liebliche Insel! 
Von der belastenden Schuld gilt es jetzt uns zu befrein. 

Er überredete sie auch, den thrakischen Chersones in 

48 Besitz zu nehmen. Um aber den Schein zu vermeiden, 
lediglich mit Gewalt und nicht auf Grund gerechten 
Anspruches Salamis wiedergewonnen zu haben, ließ er 
eine Anzahl von Grabstätten offenlegen, um den augen- 
scheinlichen Beweis zu liefern, daß die Leiber in der 
Richtung nach Sonnenaufgang gebettet lagen ganz 
gemäß der bei den Athenern üblichen Bestattungs- 
weise. Und nicht genug damit, wies er auch nach, daß 
die Gräber selbst nach Osten gerichtet waren und daß 
sich die Namen der Bemen (Gaue, Bezirke), denen ein 
jeder angehörte, nach eigenartig athenischem Brauch 
in Stein gehauen darin vorfanden. 

Einige behaupten, er sei es gewesen, der in dem 
Homerischen Schiffskatalog hinter dem Vers (Tl. 2, 
557) 

Aias führte daher zwölf Schiffe vom Salamisstrande 
den weiteren Vers eingefügt habe: 

Stellte sie dann, wo in Reih'n der Athener Schar sich- geordnet. 

Von da ab war das Volk ihm so herzlich zugetan, 
daß es ihn sogar als Tyrannen sich gern hätte gefallen 

49 lassen. Boch er wollte nichts davon wissen und suchte 
sogar, wie Sosikrates sagt, den Peisistratos, seinen 
Verwandten, dessen Absichten er ahnte, mit aller Kraft 
davon abzubringen. Er stürzte mit Speer und Schild 
in die Volksversammlung und tat ihr den Anschlag des 
Peisistratos kund; und damit nicht genug, erklärte er 
sich auch bereit, ihnen beizustehen mit folgenden 
Worten: „Athener, die einen von euch übertreffe ich an 
Klugheit, die andern an Tapferkeit; an Klugheit die. 
welche den Trug des Peisistratos nicht merkten, an 
Tapferkeit die, welche es zwar merkten, aber aus 
Furcht schwiegen." Barauf erklärte der Rat, dem 



24 



Solon. 



Peisistratos zugetan, ihn für wahnsinnig, worauf er 
erwiderte: 

f Kurze Zeit und es wird mein Wahn sich allen enthüllen, 

Wenn sich die Warhheit den Weg freimacht für jedermanns 
Blick. 

Die Verse aber, in denen er die Alleinherrschaft des 50 
Peisistratos voraussagte, lauteten folgendermaßen: 

Aus der Wolke ergießt sich Schneegestöber und Hagel, 
Und auf den flammenden Blitz folget das Donnergebrüll; 

Kraftvoller Männer Gewalt unterjocht sich die Städte; die Bürger. 
Blind gegen alle Gefahr, fallen der Knechtschaft anheim. 

Doch ohne Wirkung verhallten seine Worte. Schon 
war Peisistratos im Besitze der Macht; da legte Solon 
seine Waffen vor der Halle der Feldherrn nieder mit 
den Worten: „Armes Vaterland, mit Wort und Tat habe 
ich dir gedient." Alsbald segelte er gen Ägypten und 
nach Kypros und gelangte darauf zum Kroisos. Von 
diesem befragt, wer in seinen Augen glücklich sei, ant- 
wortete er: „Tellos, der Athener, und Kleobis und 
Biton" und was sonst noch in jedermanns Munde ist. 
Es erzählten einige, Kroisos habe sich in vollem 51 
Schmuck auf seinem Thron niedergelassen und ihn 
gefragt, ob er je ein ^schöneres Schauspiel erblickt. 
„Allerdings," erwiderte er, „Hofhähne, Fasanen und 
Pfauen, denn sie strahlen im Glänze natürlichen 
Schmuckes, der tausendmal schöner ist." Von da ging 
die Reise nach Kilikien. Dort gründete er eine Stadt 
die er nach seinem eigenen Namen Soli nannte In sie 
nahm er eine Anzahl Athener als Kolonisten auf, die 
im Verlaufe der Zeit ihrer Muttersprache entfremdet 
wurden, so daß man ihre Mundart mit dem Ausdruck 
„Solözismus" (aoXoixtfsiv, <joXoixiqj.o?) bezeichnete Und 
zwar wurden sie selbst Solenser genannt, während 
die Bewohner des kyprischen Soli Solier hießen. Als er 
die Kunde von der bereits befestigten Tyrannenherr- 
sciiaft des Peisistratos erhielt, richtete er folgende 
Verse an die Athener: 



I 49—54. 



25 



52 Seid ihr in Trauer verfallen durch eigne Feigheit, so messet 

Euer Unglück und Leid nicht den Unsterblichen bei. 
Ihr selbst habt sie erhoben, seid ihnen Bürgen gewesen, 

Euere eigene Schuld hat euch zu Knechten gemacht. 
Jeder von euch ist schlau wie der Fuchs für den eigenen Vorteil. 

Gilt es das Ganze, so ist jede Besinnung dahin. 
Nur der Zunge gebt ihr den Wert, der schillernden Rede; 

Gilt es die Tat, so hat keiner ein Auge dafür. 

So Solon. Peisistratos aber richtete an den Flücht- 
ling folgendes Schreiben (unecht): 

Peisistratos an Solon. 

53 Ich bin nicht der einzige Hellene, der auf Allein- 
herrschaft ausging, auch war es für mich nichts Un- 
gebührliches, denn ich stamme aus Kodros' Haus. Ich 
habe nur wieder an mich gebracht, was die Athener 
uns Kodriden entrissen hatten ungeachtet ihres Eides, 
sie würden es dem Kodros und seinem Hause immerdar 
erhalten. Was das übrige anlangt, so weiß ich mich 
frei von jeder Schuld gegen Götter und Menschen. Die 
Athener dürfen ah Bürger mit meiner Erlaubnis ganz 
nach den Gesetzen leben, die du ihnen gegeben. Und 
sie fahren besser dabei als bei demokratischer Ver- 
fassung, denn keiner darf sich Mißhandltingen gegen 
andere erlauben. Auch bringt mir meine Alleinherr- 
schaft keinen Vorteil an Würde und Ehre; es verbleibt 
vielmehr bei dem, was die früheren Könige an recht- 
lich festgesetzten Ehrengaben erhielten. Im übrigen 
führt jeder Athener den zehnten Teil seines Frucht- 
ertrages ab. nicht etwa für mich,' sondern zur Ver- 
wendung für öffentliche Opfer und sonstige gemein- 
nützige Zwecke, sowie für den Fall, daß kriegerische 

54 Ereignisse eintreten. Dir aber mache ich keinen Vor- 
wurf darüber, daß du meine Absicht den Bürgern auf- 
gedeckt hast. Denn du tatest das mehr aus Liebe zur 
Bürgerschaft, als aus Haß gegen mich; zudem machtest 
du dir eine fälsche Vorstellung von der Art meiner 
künftigen Herrschaff. Denn hättest du davon richtige 



26 



Solon. 



Kunde gehabt, so würdest du dick leicht mit der poli- 
tischen Neugestaltung abgefunden und nicht die Flucht 
ergriffen haben. Kehre also zurück in die Heimat in 
dem vollen Vertrauen, daß auch ohne Eidschwur dem 
Solon von Peisistratos kein Leid widerfahren wird. 
Denn wisse, daß auch sonst keinem meiner Feinde ein 
Leid widerfahren ist. Entschließt du dich dazu, in den 
Kreis meiner Freunde einzutreten, so wirst du zu den 
Geschätztesten gehören; denn in dir ist, dessen bin ich 
gewiß, kein Lug und Trug. Willst du es aber mit 
deinem Umgang in Athen anders halten, so sei das 
deinem Gutdünken überlassen. Nur sollst du meinet- 
wegen nicht auf deine Heimat verzichten. 

So Peisistratos. 

Solon bezeichnet als Grenze des menschlichen Lebens 55 
das siebzigste Jahr. In der Gesetzgebung hat er, wie 
es scheint, die trefflichsten Regeln aufgestellt: Gewährt 
einer seinen Eltern nicht den nötigen Unterhalt, so soll 
er für ehrlos erklärt wenden, ebenso wer das väter- 
liche Gut verschleudert. Und den Faulenzer soll jeder 
Beliebige zur gerichtlichen Verantwortung ziehen 
dürfen. Lysias sagt in seiner Rede gegen Nikias, 
Drakon habe dies Gesetz entworfen, Solon habe es ge- 
geben. Ferner, wer sich der Unzucht ergibt, soll von 
der Rednerbühne ausgeschlossen sein. Auch die Aus- 
zeichnungen der Athleten im Wettkampf setzte er auf 
ein bescheidenes Maß herab. Wer in Olympia siegte, 
sollte 500 Drachmen bekommen, wer auf dem Isthmos, 
100 Drachmen, und in gleichem Verhältnis die übrigen. 
Denn es zieme sich nicht, auf diese alle möglichen 
Ehren zu häufen: das sei nur statthaft für die im 
Kriege Gefallenen, deren Söhne denn auch auf öffent- 
liche Kosten unterhalten und erzogen werden müßten. 
Das war ein wirksamer Antrieb zu trefflicher Haltung 56 
der Rürger im Kriege. Man denke an Polyzelos, an 
Kynaigeiros, an Kallimachos und alle die Marathon- 
kämpfer; ferner an Harmodios und Aristogeiton, an 
Miltiades und zahllose andere. Die Athleten dagegen 



I 54—58. 



27 



erfordern nicht nur während ihrer Übungszeit einen 
großen Aufwand, sondern bringen auch als Sieger nur 
Schaden; denn mehr zum Nachteil des Vaterlandes als 
ihrer Gegenkämpfer werden sie mit Kränzen ge- 
schmückt. Und sind sie Greise geworden, ...... 

So scheiden sie als abgenutzte Leute aus, 

wie Euripides sagt. 81 ) Das war dem Solon klar und 
darum verfuhr er in ihrer Ehrung mit größerer Spar- 
samkeit. Besonders trefflich ist auch folgende Gesetzes- 
bestimmung: Kein Vormund darf sich mit der Mutter 
der Waisenkinder in ein Liebesverhältnis einlassen, 
ebensowenig darf der, welchem das Vermögen im Falle 
des Todes der Waisen zufällt, ihr Vormund werden. 

57 Bemerkenswert ist auch folgendes Gesetz: Kein Siegel- 
stecher darf das Muster Siegel des verkauften Ringes 
bei sich behalten. Und: Schlägt jemand einem, der 
nur ein Auge hat, dieses aus, so sollen ihm beide 
ausgeschlagen werden. Und: Was du nicht nieder- 
gelegt hast, das darfst du auch nicht wegnehmen, 82 ) 
sonst trifft dich der Tod. Und: Wird ein Archont im 
Zustand der Trunkenheit betroffen, so ist die Strafe 
dafür der Tod. 

Die homerischen Gedichte sollten nach einer seiner 
Gesetzesbestimmungen in der gehörigen Reihenfolge 
von den Rhapsoden vorgetragen werden; wo der erste 
abgebrochen, da sollte der nächste mit der Erzählung 
fortfahren. Solon also tat für das Verständnis Homers 
mehr als Peisistratos, wie Dieuchidas im 5. Buch seiner 
Megarika sagt. Das bezieht sich vor allem auf den 
Vers (II 546) „Dann, die Athenä bewohnt" und die 
folgenden. Den dreißigsten Tag des Monats nannte er 
zuerst svirjv xai vsav (den alten und neuen). 88 ) Auch ver- 

58 anlaßte er zuerst das (regelmäßige) Zusammentreten 
der neun Archonten zu gemeinsamer Besprechung, wie 
Apollodoros im 2. Buche über die Gesetzgeber sagt. Als 
aber die große Spaltung eintrat, hielt er es weder mit 
den Städtern, noch mit den Pediäern, noch mit den 



• 



28 Solon. 

Paraliern. Von ihm rührt auch der Spruch her, die 
Rede sei ein Bild der Taten, und König sei der an 
Macht Stärkste. Die Gesetze, so sagte er, gleichen den 
Spinngeweben; denn fällt etwas Leichtes und Schwaches 
hinein, so wird es festgehalten, wenn aber etwas 
Größeres, dann schlägt es durch und kommt heil davon. 
Die Rede, sagte er, sei durch Schweigen zu besiegeln, 
das Schweigen aber durch die Zeit. Die, welche bei 59 
den . T J rannen m Ansehen stehen, verglich er mit den 
Steintäfelchen, wie sie bei den Zahlenberechnungen üb- 
lich sind; denn auch bei diesen bedeutet ein jedes bald 
mehr, bald weniger; ebenso halten es die Tyrannen mit 
ihren Günstlingen: sie erheben sie bald zu Macht und 
Glanz, bald erniedrigen sie sie zur Ehrlosigkeit. Auf 
die Frage, warum er kein Gesetz gegeben hätte gegen 
den Vatermord, erwiderte er: „Weil ich ihn für un- 
möglich hielt," und auf die Frage, wie es zu erreichen 
wäre, daß die Menschen so wenig als möglich Unrecht 
taten: „Wenn sie Unrecht, das andere erlitten, so 
empfanden, als wäre es ihnen selbst angetan." Ferner: 
.Die Sättigung wird durch den Reichtum erzeugt, der 
Frevelmut aber durch die Sättigung." Er hielt die 
Athener dazu an, sich mit den Tagen nach dem Monde 
zu richten. Dem Thespis untersagte er Tragödien auf- 
zufuhren und einzuüben; denn das sei nichts als nutz- 
w Jt^u 1 - ? nd als Peisis t™tos sich selbst eine 60 
Wunde beibrachte, sagte er: „Das ist die Frucht solcher 

iCf a- eU f ab er ' wie A P°»odor in seinem 
Buch über die Sekten der Philosophen sagt, folgende 
Ratschlage: Halte die Tugendhaftigkeit für zuver- 
lässiger als den Eid. Lüge nicht. Bemühe dich eifrig 

hTJ? \ ^ Sc J Heße nicht rasch Freundschaft; 
hast du aber Freunde gewonnen, so stoße sie nicht 

Ä V W ^ i f'f ^ h r SChe ' wenn du ^horchen 
gelernt hast. Rate nicht das Angenehmste, sondern 

das Beste. Mache die Vernunft zu deiner Führerin 
. ld * d .? n Umgang mit Schlechten. Ehre die Götter 
sei ehrfürchtig gegen deine Eltern. ' 



I 



I 58-62. 



29 



Man sagt auch, er habe gegen die Verse des 
Mimnerimos [Frg. 6 Bergk]: 

Träf doch als Sechzigjährigen mich das Verhängnis des Todes, 
Ohne Krankheit und Schmerz, ohne bekümmernde Pein, 

61 seine Mißbilligung geäußert in folgenden Zeilen an ihn: 

Weigerst du mir nicht alles Vertraun, so streich diese Worte, 
Nimm mir nicht übel, daß ich besser Bescheid davon weiß. 

Ändere, Meister des Sanges 34 ), den Vers und schreibe wie folgt ihn: 
Träf doch im achtzigsten Jahr mich mit" dem Pfeile der Qott. 

Zu seinen dichterischen Leistungen gehört auch 
die folgende: 

Sei scharf auf der Hut gegen jeglichen Mann, t. 

Sieh zu, ob er Haß im Herzen nicht trägt, 

Wenn er freundlichen Blicks dich umschmeichelt, 

Und ob seine Stimme nicht zweizüngig ist 

Und aus finsterer Brust sich emporhebt. 

Was er schriftlich hinterlassen, besteht vor allem 
bekanntlich aus seinen Gesetzen, sodann aus seinen 
Volksreden, seinen Mahnungen an sich selbst, seinen 
Elegien über Salamis und den athenischen Staat, fünf- 
tausend Zeilen, ferner aus den Jamben und Epoden. 

62 Die Inschrift auf seinem Bildnis lautet folgendermaßen: 

Salamis, einst die Stätte, wo persischer Hochmut dahinsank, 
Hat den Solon zum Sohn, der das Qesetzeswerk schuf. 

Seine Blütezeit war die 46, Olympiade, in deren 
drittem Jahr (594 v. Chr.) er Archont in Athen war, wie 
Sosikrates sagt, und das ist auch das Jahr seiner Gesetz- 
gebung. Er starb in Kypros im Alter von achtzig Jahren, 
tl nd zwar gab er den Seinigen den Auftrag, seine Gebeine 
nach Salamis zu bringen und nach der Einäscherung die 
Asche über die Flur auszustreuen. Daher läßt ihn denn 
auch Kratinos in seinen Cheironen folgende Worte 
sprechen : 

Die Insel ist mein Wohnplatz, wie die Rede geht. 
Bin ich doch ausgestreut ringsum auf Aias' Land. 



30 



Solon. 



Auch von mir gibt es ein Epigramm auf ihn in der 63 
schon genannten Sammlung meiner vermischten Ge- 
dichte, wo ich mich über alle verstorbenen berühmten 
Männer in allen möglichen Versmaßen und Rhythmen, 
in Epigrammen und Liedern habe vernehmen lassen. 
Es lautet folgendermaßen : 

Solons leibliche Hülle verschwand im kyprischen Feuer, 
Salamis birgt sein Qebein, Ähren entwuchsen dem Staub. 

Rasch entfloh seine Seele zum Himmel; seine Gesetze 
Waren den Bürgern Athens eine erfreuliche Last. 

Als Spruch von ihm gilt das Wort: Nimmer zu sehr! 
Auch berichtet Dioskurides in seinen Denkwürdigkeiten 
folgendes: als er über den Tod seines Sohnes — von 
dem wir sonst nichts wissen — weinte und einer zu ihm 
sagte: „Damit erreichst du nichts," so erwiderte er: 
„Eben deshalb weine ich, weil ich nichts erreiche." 

Auch folgende (gefälschte) Briefe gibt es von ihm: 



Du teilst mir mit, daß viele dir nach dem Leben 64 
trachten. Trägst du dich nun mit der Absicht, dich 
ihrer aller zu entledigen, so wirst du nicht zum Ziel 
gelangen. Es stellt dir ja doch auch mancher Unver- 
dächtige nach, der eine aus Furcht für sich selbst, der 
andere ays Verachtung gegen dich, weil es schlechthin 
nichts gibt, wovor du nicht Angst hättest. Ja, es würde 
sich einer Dank verdienen von seilen des Staates, wenn 
er die Stunden ausfindig machen könnte, wo du frei 
bist von Argwohn. 3 ') Das Beste wäre es also, du legtest 
die Herrschaft nieder, womit der Grund zu aller Furcht 
beseitigt wäre. Bestehst du aber durchaus auf der 
Herrschaft, so mußt du darauf bedacht sein, dir Aus- 
lander in größerer Zahl als Eingeborene zu deinem 
Schutze heranzuziehen. Dann wird niemand dir 
furchtbar sein und du brauchst niemanden mehr zu 
verbannen. 



Solon an Periander. 



I 63—66. 



31 



Solon an Epimenides. 

So sollten denn weder meine Gesetze den Athenern 
viel Nutzen bringen, noch hast du ihrem Staat durch 
dein Sühneverfahren wesentlichen Nidzen geschaffen. 
Weder Religion noch Gesetzgeber können, rein auf sich 
selbst gestellt, den Staaten aufhelfen; das können nur 
diejenigen, welche die Volksmassen je nach ihrem Gut- 
dünken dahin und dorthin zu leiten verstehen. Dem- 
gemäß sind denn auch Religion sowohl wie Gesetze nur 
dann von Nutzen, wenn diese Leitung eine gute ist; ist 

65 sie schlecht, dann sind sie nutzlos. So sind auch meine 
Gesetze und was ich für die Gesetzgebung getan, nicht 
förderlich gewesen; dagegen haben die, welche in der 
Handhabung der Gesetze sich schlaff erwiesen, das Ge- 
meinwesen geschädigt, sie, die dem Peisistratos nicht 
entgegentraten, als er die Hand nach der Herrscher- 
macht ausstreckte. Mir aber und meiner Voraussage 
glaubte man nicht. Ihm schenkte man mehr Vertrauen, 
denn er schmeichelte den Athenern, während ich ihnen 
die Wahrheit sagte. Ich also legte meine Waffen vor- 
der Feldherrnhalle nieder mit den Worten, ich sei 
klüger als die, welche nicht merkten, daß Peisistratos 
nach der Tyrannis strebe, und tapferer als die, welche 
sich nicht zur Abwehr entschließen könnten. 'Sie er- 
klärten den Solon für wahnsinnig. Ich aber beschwor 
sie schließlich mit folgenden Worten: „Armes Vater- 
land, Solon hier ist bereit dir mit Wort und Waffen zu 
dienen, und sie erklären mich für wahnsinnig. So gehe 
ich denn von dannen als einziger Feind des Peisistratos; 
die hier Versammelten aber mögen sich zu seinen Leib- 
wächtern machen, wenn sie Lust dazu haben." Es ist 
dir ja bekannt, mein Freund, durch welchen schlauen 
Kunstgriff er sich der Herrschaft bemächtigte. Erst 

66 umschmeichelte er das Volk und wiegelte es auf, dann 
brachte er sich selbst eine Wunde bei, betrat die Ge- 
richtshalle und rief die Hilfe der Richter an unter dem 
Vorgeben, dies sei ihm von seinen Gegnern angetan 



32 Solon. Chiion. 

worden. Und so verlangte er, man solle ihm vierhundert 
der kräftigsten Jünglinge zur Leibwache stellen. Sie 
aber erfüllten das Verlangen ohne auf mich zu hören. 
Die Leibwache ward mit Keulen ausgerüstet. Darauf 
erklärte er die Volksherrschaft für erloschen. Wahr- 
lich, vergeblich habe ich mich bemüht, die Armen unter 
den Bürgern Athens vom Sklavendienst zu befreien: 
jetzt müssen sie alle, arm und reich, dem einen 
Peisistrafos dienen. 



Solon an Peisistratos. 

Ich traue deinem Wort, daß mir nichts Böses von 
dir widerfahren wird. War ich doch nicht nur schon 
vor deiner Herrschaft dein Freund, sondern bin auch 
jetzt dir nicht feindseliger gesinnt als irgend ein Athe- 
ner, dem die Tyrannis mißfällt. Ob es für sie besser 
ist, von Einem beherrscht zu werden, oder ob die De- 
mokratie den Vorzug verdient, darüber mag sich jeder 
von uns beiden nach seiner Überzeugung sein Urteil 
bilden. Auch gestehe ich, du bist von allen Tyrannen 67 
der beste. Indes nach Athen zurückzukehren, ist für 
mich wenig am Platze; denn wer würde mich nicht 
tadeln, wenn ich, der ich in Athen die allgemeine Gleich- 
heit und-die Gelegenheit, Tyrann zu werden, selber ab- 
gewiesen habe, jetzt zurückkehren und mich mit deinen 
Taten einverstanden zeigen wollte. 

Solon an Kroisos. 

Ich bin entzückt von deinem Wohlwollen für mich, 
und, beider Athene, ginge es mir nicht über alles, einen 
fireistaat zum Wohnsitz zu haben, so würde ich lieber 
m deinem Königreich leben als in Athen, wo Peisistra- 
tos ein Gewaltregiment führt. Allein ich ziehe es vor 
da zu leben, wo Gleichheit und Recht herrschen Doch 
werde ich zu dir kommen, gern bereit, deine Gast- 
I reit lidschaft zu genießen. 



I 66-69. 



33 



Drittes Kapitel. 
ChilOll. Um 560 v. Chr. 

68 Chilon, des Damagetos Sohn, war Lakodaimonier. 
Er dichtete Elegien, etwa zweihundert Verse. Von der 
Manne&tugend behauptet er, sie sei die durch scharfe 
Überlegung zu gewinnende Voraussicht kommender 
Dinge, Und zu seinem Bruder, der sich nicht darein 
finden konnte, daß er nicht wie Chilon auch Ephor 
wurde, sagte er: „Ich weiß mich darein zu fügen, wenn 
mir unrecht geschieht, du aber nicht." 38 ) Er war 
Ephor in der 55. Olympiade (560/557 v. Chr.). Pamphile 
dagegen behauptet in der 56. Olympiade (556/553 v. 
Chr.), und Sosikrates berichtet, er sei zum erstenmal 
Ephor gewesen zur Zeit des Arehon Euthydemos. Er 
war es nach Sosikrates auch, der es durchsetzte, daß 
den Ephoren eine Stellung neben den Königen einge- 
räumt wurde, während Satyros diese Maßregel auf 
Lykurg zurückführt. Nach Herodot im 1. Buch (I 59) 
war er es auch, der dem Hippokrates, als er in Olympia 
ein Opfer darbrachte und die Becken ganz von selbst 
(ohne Feuer) zu brodeln begannen, den Rat erteilte, 
entweder überhaupt nicht zu heiraten, oder wenn er 
schon eine Frau hätte, sich von ihr zu trennen und 
sich von seinen Kindern loszusagen. Es heißt auch, 

69 an ihn habe Aisop 37 ) die Frage gerichtet, wie es eigent- 
lich mit Zeus stände, was er zu tun habe. Er aber habe 
erwidert: „Er sorgt, daß das Hohe erniedrigt und das 
Niedrige erhöht werde." Gefragt, wodurch sich die Ge- 
bildeten von den Ungebildeten unterscheiden, 88 ) ant- 
wortete er: „Durch gute Hoffnungen." Was ist schwer? 
„Geheimnisse zu verschweigen, über seine freie Zeit 
richtig zu verfügen und imstande sein, widerfahrenes 
Unrecht zu ertragen." Auch folgende Vorschriften 
stammen von ihm: die Zunge zu beherrschen vor allem 
beim Gastmahl, seinem Nächsten nichts Übles nachzu- 

A p e 1 1 , Diogenes Laertius. 3 



34 



Chilon. 



sagen, wofern man sich nicht der Gefahr der Wieder- 
beleidigung aussetzen will. Niemanden zu bedrohen, 
denn das sei Weiberart. Sich schneller aufzumachen 70 
zu den Freunden, wenn es ihnen schlecht, als wenn es 
ihnen gut geht. Für Hochzeiten darf man sich nicht 
in Unkosten stürzen. Dem Toten soll man nichts Böses 
nachsagen, das Alter soll man ehren, über sich selbst 
soll man wachen, dem eignen Schaden den Vorzug 
geben vor schimpflichem Gewinn, denn der erstere ist 
bald verschmerzt, der letztere bleibt immer auf uns 
sitzen. Lache nicht über das Unglück eines andern. 
Der Starke muß milde sein, sonst wird er von seinen 
Nächsten mehr gefürchtet als hochgeachtet. Lerne dein 
eignes Hauswesen richtig verwalten. Laß die Zunge 
nicht dem Verstände vorauseilen. Beherrsche den 
Zorn. Verwünsch^ nicht die Wahrsagerei. Strebe 
nicht nach Unmöglichem. Auf der Straße geh nicht im 
Eilschritt. Beim Beden bewege die Hand nicht; denn 
das ist ein Zeichen stürmischer Erregung. Gehorche 
den Gesetzen. Befleißige dich eines ruhigen Ver- 
haltens. 

Von seinen sangesmäßigen Aussprüchen hat folgen- 71 
der am meisten Anklang gefunden: „Mit Schleifsteinen 
prüft man das Gold, und es gibt sich klar zu erkennen; 
am Gold aber zeigt sich die Sinnesart der Männer, ob 
sie gut sind oder schlecht." 39 ) Man erzählt, er habe, 
bereits hoch in Jahren, den Ausspruch getan, er sei sich 
keiner unverständigen Handlung bewußt, nur über 
eines sei er mit sich nicht einig. Als Bichter nämlich 
in einem Rechtshandel ein<js seiner Freunde habe er 
für seine Person zwar nach dem Gesetz gehandelt (ge- 
stimmt), habe aber einen befreundeten Bichter dazu 
vermocht, den Angeklagten freizusprechen; mit diesem 
Verhalten habe er sowohl dem Gesetze wie der Sache 
des Freundes dienen wollen. 

Besonders hohen Buhm erwarb er sich unter den 
Hellenen durch seine Voraussage über die lakedaimo- 
nische Insel Kythera]. 40 ) Denn wohl vertraut mit ihrer ' 



I 70-73. 



35 



natürlichen Beschaffenheit und Bedeutung, sagte ex: 
„Wäre sie doch nie entstanden, oder wäre sie nach 
ihrer Entstehung doch wieder von den Wellen ver- 
schlungen worden." Und seine Voraussetzung bewährte 

72 sich als richtig. Denn Demaratos, aus Sparta verbannt, 
. gab dem Xerxes den Rat, bei der Insel eine Flotte bei- 
sammen zu halten. Und hätte sich Xerxes überreden 
lassen, so wäre Griechenland in seiner Hand gewesen. 
Späterhin, während des peloponnesischen Krieges, 
legte Nikias nach Unterwerfung der Insel eine athe- 
nische Besatzung dabin, wodurch er die Lakedaimo- 
nier auf das schwerste schädigte. Mit Worten war er 
kurz angebunden; daher bezeichnet denn auch Arista- 
goras aus Milet diese KürzederRede (ß?ax ,JA0 T^ a ) 
als Chilonische Art, sagt aber weiter, die Bezeichnung 
leite sich her von Branchos, dem Gründer des Bran- 
chidenheiligtums. 45 ) 

Er stand in der 52. Olympiade (572/569 v. Chr.) in 
hohem Alter zur Blütezeit des F abeldichters Aisop. Der 
Tod traf ihn, wie Hermippos berichtet, in Pisa, als er 
seinen Sohn als olympischen Sieger im Faustkampf 
beglückwünschte. Es war das Übermaß von Freude, 
verbunden mit Altersschwäche, was sein Ende herbei- 
führte. Die ganze zur Festfeier versammelte Menschen- 
menge gab ihm das ehrenvollste Geleite. Auch ihm gilt 
eines meiner Epigramme: 

73 Dank dir, leuchtender Pollux, du hast dem Sohne des Chilon 

üunst erwiesen im Kampi, hast ihm den Ölzweig verliehn. 
Sank der Vater vor Freude dahin beim Anblick des Siegers, 
Bleibe die Klage mir fern; gleiche dem seinen mein Tod! 

Auf seinem Bild aber findet sich folgende Aufschrift: 

Ihn, den Chilon, erzeugte das speerbewaffnete Sparta, 
Der aus dem Siebenerkreis leuchtet als erster hervor. 

Sein Kernspruch war: Bürgschaft bringet dir Leid. 
Auch ein (unechtes) Briefchen gibt es von ihm, näm- 
lich: 

3* 



M 



Pittakos. 



Chilon an Periander. 

Du schreibst mir von einem auswärtigen Feldzug, 
an dem auch du selbst teilnehmen willst. Ich aber 
glaube, daß einen Alleinherrscher auch daheim Ge- 
fahren bedrohen und preise denjenigen Tyrannen • 
glücklich, der daheim eines ruhigen Todes stirbt.* 2 ) 



Viertes Kapitel. 

Pittakos. Um 600 v. Chr. 

Pittakos, des Hyrradios Sohn, stammte aus Myti- 74 
lene. Duris dagegen berichtet, sein Vater sei ein 
Thrakier gewesen. Er stürzte in Verbindung mit den 
Brüdern desAlkaios den Melanchros, den Tyrannen von 
Lesbos. Und als die Athener und Mytilenäer um die 
Landschaft Achilleitis kämpften, führte er selbst das 
Heer, während die Athener zum Führer den Phrynon 
hatten, der als Pankratiasit in Olympia gesiegt hatte. 
Mit ihm vereinbarte er einen Zweikampf. Dabei führte 
er hinter dem Schilde ein Netz mit sich, das er unver- 
sehens über den Phrynon warf. So tötete er ihn und 
rettete die Landschaft für sich. Einige Zeit später aber 
kam es, wie Apollodoros in den Chronika sagt, zu einem 
Rechtshandel der Athener mit den Mytilenäern über 
die Landschaft, und Periander, zum Richter bestellt, 
sprach sie den Athenern zu. Pittakos kam damals bei 75 
den Mytilenäern zu hohen Ehren, und sie händigten 
ihm selbst die Herrschaft ein; er aber legte, nachdem 
er zehn Jahre geherrscht und das Staatewesen in Ord- 
nung gebracht, die Herrschaft nieder und lebte noch 
zehn weitere Jahre. Die Mytilenäer schenkten ihm ein 
Muci Land, das er zu einem heiligen Bezirk erhob, der 
jetzt der Pittakeische heißt. Sosdkrates aber erzählt er 
habe davon einen kleinen Teil abgesondert mit den 



I 73-77. 



37 



Worten, die Hälfte sei mehr als das Ganze. Auch als 
Kroisos ihm ein Geldgeschenk machte, nahm er es nicht 
an mit den Worten, er habe doppelt so viel, als er 
wünsche; denn er habe nach dem Tode seines kinder- 

76 losen Bruders diesen beerbt. PamphiLe berichtet im 
2. Buch ihrer Denkwürdigkeiten, seinen Sohn Tyrraios 
habe, als er in einem Barbier laden in Kvme saß, ein 
Schmied durch Beilwurf ums Leben gebracht. Als 
die Kymaier den Mörder dem Pittakos auslieferten, 
habe dieser, von dem Hergang unterrichtet, ihn fsei- 
gegeben mit den Worten: „Verzeihung ist besser als 
Reu e." Herakleitos dagegen behauptet, A 1 k a i o s 
habe einen Missetäter in seine Gewalt bekommen und 
freigelassen mit den Worten: „Verzeihung ist besser 
als Rache." Er gab unter anderem folgendes Gesetz: 
Wenn ein Betrunkener auf einer Missetat ertappt wird, 
soll ihm die Strafe verdoppelt werden.* 3 ) Dadurch 
sollte bei dem großen Weinreichtum der Insel der 
Trunkenheit gesteuert werden. Eines seiner Worte 
lautet: „Schwer ist es tüchtig zu sein", ein Spruch, 
dessen auch Simonides gedenkt mit den Worten: „Ein 
wahrhaft tüchtiger Mann zu werden ist schwer, nach 

77 des Pittakos Wort." Auch Piaton gedenkt dieses Wortes 
im Protagoras (343 B ff.). Weitere Aussprüche: Mit 
der Notwendigkeit kämpfen seihst die Götter nicht. 44 ) 
Das Heirrscheramt zeigt, was am Manne ist. Einstmals 
befragt, was das Beste sei, gab er zur Antwort: „Sich 
mit dem gerade Vorliegenden gut abfinden." Und vom 
Kroisos gefragt, welche Herrschaft die mächtigste sei, 
antwortete er, „Die des bunten Holzes", womit er das 
Gesetz meinte. Er mahnte auch dazu, die Siege ohne 
Blut zu gewinnen. Zu einem Phokäer, der die Äuße- 
rung tat, man müsse einen wahrhaft tugendhaften 
Mann suchen, sagte er: „Du magst noch so sehr suchen, 
du wirst ihn doch nicht finden." Auf die Frage einiger, 
was besonders willkommen sei, erwiderte er, „die 
Zeit"; was dunkel, „die Zukunft"; was zuverlässig, „die 
Erde"; was unzuverlässig, „das Meer". "Ferner: Ver- 



38 



Pittakos. 



\ 



ständige Männer müssen vor Eintreten der Wider- 78 
wärtigkeit durch kluge Voraussicht sorgen, daß sie 
üherhaupt nicht eintrete, tapfere Männer aber müssen, 
wenn das Unglück eintritt, sich auf gute Weise damit 
abfinden. Was du tun willst, darfst du nicht im vor- 
aus sagen, denn mißlingt's, so wirst du ausgelacht. 
Niemandem darf man sein Unglück zum Vorwurf 
machen, denn das wird sich rächen. Hast du etwas 
zur Aufbewahrung empfangen, so gib es auch wieder 
zurnick. Mache den Freund nicht schlecht, ja selbst 
auch den Feind nicht. Übe die Frömmigkeit. Liebe die 
Mäßigkeit. Strebe nach Wahrheit, Treue, Einsicht, Ger- 
schicklichkeit, Freundschaft und Hilfsbereitschaft. 

Von seinen dichterischen Versuchen hat besondern 
Beifall gefunden folgendes: 

Wohlbewehrt mit Bogen, Pfeil und Köcher ' 
Ziehe aus zum Kampfe mit dem Schurken. 
Kommt doch nichts Verläßliches von seiner Zunge, 
Denn sie stößt nur Worte aus dem Munde, 

Die geboren sind in falschem Herzen. 

Auch Elegien dichtete er, sechshundert Verse; in Prosa 79 
schrieb er für die Bürger über Gesetze. Seine Blüte- 
zeit war die 42. , Olympiade (612/609 v. Chp.). Er starb 
während des Archontats des Arktomenes im dritten 
Jahre der 52. Olympiade (572/569 v. Chr.) über siebzig 
Jahre alt. Auf seinem Grab liest man folgende In- 
schrift:") 

Lesbos, als weinende Mutter, des Sohnes beraubt, des geliebten, 
Hat dich, Pittakos, hier trauernd ins Erdreich gesenkt. 

Sein Kernspruch war: Erkenne die rechte Zeit: 49 ) 

Es gab auch noch einen anderen Gesetzgeber Pitta- 
kos, wie Favorinus im ersten Buch seiner Denkwürdig- 
keiten und Demetrios in den Homonymen berichten; 
er wurde „der Kleine" genannt. Von unserem Weisen 
wird erzählt, er habe einst einem. Jüngling, der ihn in 
Heiratssachen um Bat fragte, die Antwort gegeben, die 
Kalhmachos folgendermaßen in Verse gebracht hat- 



I 78-81. 



39 



80 Fragte da aus Atarneus ein Freund den Pittakos also, 

Ihn, des Hyrradios Sohn, in Mytilene daheim: 
„Lieber Vater, ich habe die Wahl zwischen zweien zur Ehe; 

Seh' ich auf Stand und Besitz, gleicht mir die eine genau. 
Doch die zweite ist reicher bedacht. Was tu ich, mein Bester? 

Rate mir; welche der zwei führ' ich als Ehefrau heim?" 
Da erhob seinen Stab, die Waffe des Greises, der Weise: 

„Diese dort — schaue nur hin — geben dir Lehre und Rat.' 
Knaben waren's; sie ließen, bewaffnet mit Peitschen, die Kreisel 

Hurtig im Kreise sich drehn auf dem geräumigen Platz; 
„Ihnen folge!" Der Freund trat nunmehr heran an die Spieler, 

Und was hörte er da? „Treibe den, der dir zunächst." 
Diese Lehre, sie wirkte; den Jüngling zog es nun nicht mehr 

Hin nach dem größeren Haus und nach gehäuftem Besitz. 
So wie dieser die schlichtere Braut zur Gattin sich wählte, 

Sollst, mein Dion 47 ), auch^du treiben nur, was dir zunächst. 

81 Es scheint, als wäre er bei diesem Bescheid der eigenen ■ 
Herzensstimmung gefolgt. Seine Frau nämlich war 
aus vornehmerem Hause als er selbst. Sie war die 
Schwester des Drakon, des Sohnes des Penthilos, und 
behandelte ihn sehr von oben herab. 48 ) , 

Alkaios nennt ihn einen Schleppfüßler (capairove) 
und zwar deshalb, weil er plattfüßig war und die Füße 
nachschleppte, einen Handfüßler (xsipoicoSv)«) wegen der 
Risse in den Füßen, die man „Spalten" (xeipaSec) 
nennt, einen Prahlhans (^aupa^), weil ersieh in hohler 
Eitelkeit gefiele, einen Schmerbauch Opucxov), we il er 
dickbäuchig und fett war; ferner auch einen Dunkel- 
fresser (£o9o§opjt£&7)c), weil er sich keines Lichtes beim 
Abendessen bediente, einen Schlapphans (a-yaeJupToe) 
wegen seines schlappigen Äußern und seiner Unrein- 
lichkeit. Seine Gymnastik bestand in Getreidemahlen, 
wie der Philosoph Klearch sagt. 

Es gibt auch ein (unechtes) Brief chen von ihm fol- 
genden Inhalts: 

Pittakos an Kroisos. 

Du forderst mich auf nach Lydien zu kommen, um 
deine Schätze zu besichtigen. Ich bin auch, ohne sie 
gesehen zu haben, überzeugt, daß des Alyattes Sohn alle 



40 



Bias. 



Könige an Scluüzeu utid Gold übertrifft. Eine Reise 
nach Sardes fiat für mich wenig Sinn. Denn Goldes 
bedarf ich nicht; was ich besitze, reicht hin für mich 
»icht nur, sondern auch für meine Freunde. Gleich- 
wohl werde ich kommen, um dir, meinem Gastfreund, 
in enger Gemeinschaft nahe zu treten. 



Fünftes Kapitel. 
Blas. Um 570 v. Chr. 



q a t™ ^-S Ut ? neS S ° hn ' War seMrtls aus Prie1 *- «2 
\v J ^ atzt u lh \ ^ höcKsten «ater-den sieben 
»>1 tu ? e B* 1 ** mn für b^ütert aus, Doris 
SÜL ! ' «V* nur Btäaasx Kiesen. Phano- 

dikos erzahlt von ihm, er habe kriegsgefangene Mäd- 
chen aus Messene losgekauft, sie als Töchter aufer- 

ÄÄ"* f tm auSßeßtatte * ™* ^h Messene 
z lh t r ^ Elter \ hei ™Kesandt. Als einige Zeit darauf 
zu Atnen, wie früher schon berichtet (I 31) jener 
eherne Dreifuß von den Fischern aufgefunden 
der die Aufschrift trug „dem Weisen", traten nach 



I 81— «5. 



41 



raten der Stadt. Da dachte er an einen Vertrag und 
sandte einen Boten in die Stadt, Bias aber ließ Sand- 
haufen aufschütten, deren Oberfläche er mit Getreide- 
körnern dicht überstreute, und zeigte sie dem Mann. 
Auf diese Kunde schloß Alyattes schließlich Frieden 
mit Priene. Bald darauf sandte der König dem Bias 
eine Einladung zu, worauf dieser erwiderte: „Ich rate 
dem Alyattes Zwiebeln zu essen," (d. h. so viel wie zu 

84 weinen). 49 ) Auch das Rechtsprechen soll seine be- 
sondere Stärke gewesen sein. Doch ließ er seine Bered- 
samkeit immer nur der guten Sache dienen. Dies 
deutet auch der Lerier Demodikos an mit dem Vers: 

Wenn man dich bestellt zum Richter, sei Priene Vorbild dir! 

und Hipponax mit den Worten (die er von einem 
tüchtigen Richter aussagt) : „Selbst dem Bias von Priene 
war als Richter er voraus" [Fr. 79 Bergk 3 ]. Seinen 
Tod fand er auf folgende Weise. Er hatte, bereits hoch- 
betagt, für einen Freund vor Gericht gesprochen und 
lehnte sich nach Beendigung seiner Rede mit dem Kopf 
an die Brust seines Tochtersohnes. Als nun auch der 
Gegner geredet hatte und das Urteil zugunsten des von 
Bias Verteidigten ausgefallen war, fand man ihn bei 
Auflösung der Gerichtssitzung tot im Schöße des 

85 Enkels. Der Staat bereitete ihm ein großartiges Be- 
gräbnis und widmete ihm folgende Grabschrift: 

Dieses Gestein hier birgt den Stolz Ioniens, Bias, 
Der auf prienischer Flur lebte zur Ehre der Stadt. 

Auch ich habe ihn gefeiert: 

Hier liegt Bias beerdigt, umwallt von schneeigem Haupthaar, 
Von dem Qeleiter Merkur friedlich zum Hades entführt. 

Einem Befreundeten galt vor Gericht seine Rede; sich lehnend 
An seines Enkels Brust sank er in ewigen Schlaf. 

Er dichtete einen Gesang auf Ionien, dazu bestimmt, 
seiner Heimat die Wege des Glückes zu zeigen, an die 
zweitausend Verse. Von seinen poetischen Denk- 
sprüchen haben folgende weithin Anklang gefunden: 80 ) 



42 



Blas - Kleobulos. 



Suche allen Bürgern zu gefallen, in welcher Stadt du 
auch weilst, denn das bringt reichen Dank. Selbst- 
gefälligkeit aber und Stolz führt meist zu schwerem 
Schaden. , Körperstärke ist das Werk der Natur, aber 86 
die Kraft zu raten, was dem Vaterlande nützt, ist das 
Werk der Seele und der Einsicht. Überfluß an Geld 
und Gut kann vielen auch durch das Glück beschert, 
werden. Unglücklich, sagte er, sei der, der das Un- 
glück nicht zu tragen wisse. Eine Krankheit der Seele 
sei es, sich in das Unmögliche zu verlieben und fremder 
Leiden nicht zu gedenken. Gefragt, was schwer sei, 
antwortete er: „Den Umschlag zum Schlimmen mit 
edlem Mut zu tragen." Auf einer Seefahrt in Gesell- 
schaft von gottlosen Leuten erlebte er einen gewaltigen 
Sturm, der das Schiff hin und her warf. Als da auch 
jene Leute die Götter zu Hilfe riefen, sägte er: 
„Schweiget, auf daß sie nicht merken, daß ihr hier auf 
dem Schiffe weilt." Von einem gottlosen Menschen 
gefragt, was denn die Frömmigkeit eigentlich sei, 
schwieg er. Und als jener nach der Ursache des 
Schweigens fragte, sagte er: „Ich schweige, weil du 
nach Dingen fragst, die dich nichts angehen." Gefragt, 87 
was den Menschen besonders erfreulich wäre, sagte er: 
„Die Hoffnung." Lieber, sagte er, spräche er Recht 
unter Feinden als unter Freunden, denn von Freunden 
würde unvermeidlich einer sein Feind werden, von den 
Feinden aber einer sein Freund. Gefragt, bei welcher 
Tätigkeit der Mensch Freude empfände, sagte er, „wenn 
er Gewinn hat". „Sein Leben," sagte er, „muß man 
so abmessen, als ob uns sowohl eine lange als eine 
kurze Lebenszeit beschieden sei." Man müsse so lieben, 
als ob man später hassen würde, denn die Schlechten 
seien in der Uberzahl. Folgende Ratschläge erteilte 
er: Hast du ein Unternehmen vor, so gehe mit Bedacht 
ans Werk; was du aber erwählt hast, dabei bleibe 
auch fest bestehen. Rede nicht voreilig, denn das ver- 
rät Torheit. Liebe die Einsicht. Von den Göttern be- 
haupte ihr Dasein. Einen Unwürdigen lobe niemals 88 



I 86-90. 



43 



äeines Reichtums wegen. Um etwas zu empfangen, 
bediene dich der Überredung, nicht der Gewalt. Was 
dir auch Gutes gelingen mag, setze es auf Rechnung 
der Götter. Als Wegzehrung von der Jugend bis zum 
Alter laß dir die Weisheit dienen, denn diese ist sicherer 
als aller andere Besitz. Es gedenkt des Bias auch 
Hipponax, wie bereits (I 84) bemerkt, und auch der 
finstere Herakleitos spendete ihm hohes Lob mit den 
Worten: „In Priene ward Bias geboren, des Teutames 
Sohn, dessen Ruhm größer ist als der der andern." 
(Frg. 39 Diels.) Die Priener haben ihm einen heiligen 
Bezirk geweiht, genannt das Teutameion. Sein Spruch 
war: Die meisten sind schlecht. 



Sechstes Kapitel. 
Kleobulos. Um 600 v. Chr. 

89 Kleobulos, des Euagoras Sohn, stammt aus Lindos; 
nach Duris war er ein Karier. Manche führen sein 
Geschlecht auf den Herakles zurück. Man rühmt ihm 
Körperkraft und Schönheit nach, auch soll er sich mit 
der ägyptischen Philosophie bekannt gemacht haben. 
Er hatte, wie es heißt, eine Tochter Kleobüline, Dich- 
terin von Rätselversen in Hexametern. Ihrer gedenkt 
auch Kratinos in dem gleichnamigen Drama, „Die 
Kleobulinen", wie er es nannte, also im Plural. Er 
soll das Heiligtum der Athene, welches von Danaos 
herstammte, wieder hergestellt haben. Er dichtete 
auch Lieder und Rätsel, an die dreitausend Verse. 
Auch soll er der Verfasser des Epigrammes auf deu 
Midas sein: 

90 Auf dem Qrabe des Midas ruh' ich, die eherne Jungfrau. 
Wisse, so lang das Wasser noch rauscht, die Bäume noch blühen. 
Und so lange wie Sonne und Mond am Himmel noch leuchten, 
Und die Flüsse noch fließen, das Meer die Gestade bespület, 



44 



Kleobulos. 



Harr' ich beständig hier aus auf dem tränenbefeuchteten Grabmal 
Und verkünde dem Wandrer: hier hat man den Midas begraben. 

Zum Beweise dessen beruft man sich auf ein Lied 
des Simonides, wo es heißt [Frg. 57 Bergk 3 ] : 

Kann wohl, wer bei hellem Verstand ist, 

Loben den Lindier Kleobulos., 

Wenn er den rastlosen Flüssen, 

Wenn er den Blumen d'es Frühlings, 

Wenn er dem Sonnenglanz und dem goldenen Monde 

Und der Brandung des Meeres 

Gleichsetzt ein Gebilde von sterblicher Hand? 

Kann doch nichts mit göttlichem Werk sich messen. 

Auch den Stein zerbröckelt der Sterblichen Armkraft. 

Fort denn mit dem törichten Gedanken! 

Das Epigramm, sagt man, kann nicht von Homer 
sein, da Homer lange vor Midas gelebt hat. In den 
Denkwürdigkeiten der Pamphile findet sich von ihm 
auch folgendes Bätsei: 

Vater ist e i n e r , der Kinder sind zwölf, von diesen zählt jedes 91 
Wiederum zweimal dreißig, doch zwiefach beschaffen an Aussehn, 
weiß sind die einen zu schaun, die andern schwarz, aber beide 
sind sie unsterblich zwar, doch schwinden sie alle vorüber. 

Auflösung: das Jahr. Von seinen poetischen 
bpruchen sind folgende besonders berühmt: Unbildung 
überwiegt bei weitem unter den Menschen und leerer 
Wortschwall; aber der rechte Zeitpunkt wird das 
Semige tun Bichte deine Gedanken auf etwas Edles. 
Wicht unbedacht erstatte deinen Dank. 51 ) Die Töchter 
sagte er, müsse man verheiraten, wenn sie noch in 
jungfräulichem Alter stünden, aber an Einsicht doch 

S£° M^ r t Uei \ War ^ 1 ; J WOmit er «beutete, daß auch 
he Madchen der Bildung teilhaftig werden müssen. 

ovLul ' Ä er ' ?T e man durch Wohltaten 
ei freuen, um die Freundschaft zu festigen; den Feind 
aber müsse man sich zum Freunde machen. Denn 
man müsse sich hüten wie vor dem Tadel der Freunde 
so vor den Nachstellungen der Feinde. Ferner Ter- 92 



I 90—93. 



45 



läßt jemand sein Haus, so gebe er sich erst Rechen- 
schaft von dem, was er tun will; tritt er wieder ein 
ins Haus, von dem, was er getan hat. Er gab den 
Rat, man solle fleißig den Körper üben, mehr darauf 
aus sein, zu hören als zu reden, lieber lernbegierig als 
ungelehrig sein, die Zunge vor Lästerung bewahren, 
mit der Tugend vertraut, dem Laster fremd sein, Un- 
recht meiden, dem Staate das beste raten, Herr sein 
über die Lust, nichts mit Gewalt durchsetzen, die 
Kinder erziehen, Feindschaft beilegen, mit der Frau 
nicht zärtlich sein aber auch nicht zanken in Gegen- 
wart anderer, das eine sei Unverstand, das andere Toll- 
heit. Einen betrunkenen Sklaven nicht züchtigen, denn 
das erwecke den Verdacht eigener Trunkenheit; sich . 
eine Frau aus gleichem Stande wählen, denn wählst 
du sie aus höherem Stand, dann machst du dir die 
93 Verwandten zu Gebietern. 52 ) Nicht lachen über die, 
die verspottet werden, denn das mache uns bei den 
Betroffenen verhaßt. Lächelt dir das Glück, so sei 
nicht übermütig. Geht es dir schlecht, so laß dich 
nicht zu Boden werfen. Lerne den Wechsel des 
Schicksals tapfer ertragen. Er starb als Greis, siebzig 
Jahre alt. Seine Grabschrift lautete: 

Tief betrauert den Tod Kleobulos', des Wersen, die Heimat, 
Lindos, die liebliche Stadt, ringsum vom Meere umspült. 

Sein Kernspruch war: Das Maß ist das beste. Und 
dem Solon sandte er folgendes (unechte) Briefchen: 

Kleobulos an Solon. 

Der Freunde hast du eine reiche Zahl und überall 
bist du zu Hause; doch glaube ich, dem Solon wird 
Lindos als Freistaat am willkommensten sein. Es liegt 
als Insel im Meer; schlägst du also da deinen Wohn- 
sitz auf, so hast du nichts von Peisistratos zu be- 
fürchten. Und von allen Seiten werden sich Freunde 
bei dir einfinden. 



46 



Periander. 



Siebentes Kapitel. 

Periander. GG8— 584 v. Chr. 

Periander, des Kypselos Sohn aus Korinth, stammte 94 
aus dem Geschlecht der Herakliden. Er heiratete die 
Lyside, 33 ) von ihm selbst Melissa genannt, die Tochter 
des Prokies, des Tyrannen von Epidauros, und der 
Eristheneia, der Tochter des Aristokrates und Schwester 
des Aristodemos, die nahezu ganz Arkadien beherrsch- 
ten, wie Herakleides der Pontier berichtet in seinem 
Buch über die Herrschermacht. Von ihr hatte er zwei 
Söhne: Kypselos und Lykophron; der jüngere war gut 
beanlagt, der ältere stumpfen Geistes. Im Verlauf der 
Zeit ereignete es sich, daß Periander in einem Anfall 
von Zorneswut seine schwangere Frau durch den 
Wurf mit einem Schemel oder durch einen Fußtritt 
ums Leben brachte, verleitet durch die Verleumdungen 
von Kebsweibern, die er später verbrennen ließ. Von 
seinem Sohn Lykophron aber, der seine Mutter tief be- 
trauerte, sagte er sich los und ließ ihn nach Kerkyra 
(Korfu) bringen. Erst lange nachher, als er selbst 95 
schon im Greisenalter stand, ließ er ihn zurückrufen, 
um ihm die Herrschaft zu übergeben. Aber die Ker- 
kyräer kamen der Ausführung des Planes zuvor und 
töteten ihn. Darüber von Zorn übermannt, schickte er 
Söhne der Kerkyräer zum Alyattes, um sie entmannen 
zu lassen. Als aber das Schiff in Samos vor Anker ge- 
gangen war, ließen sie sich schutzflehend am Altar der 
Hera nieder und wurden von den Samiern gerettet. 
Daruber geriet er völlig außer sich und starb, bereits 
achtzig Jahre alt. Sosikrates berichtet, er sei einund- 
vierzig Jahre vor Kroisos gestorben, vor der 49. Olym- 
piade s (o84/81 v. Chr.). Herodot sagt im ersten Buch 
tm, V er 80 Gastfreun d des' milesischen Tyrannen 
lhrasybul gewesen. Aristipp erzählt im ersten Buch 96 
S*£ " T, 6 Üppigkeit der alten Zeit" von ihm, seine 
Mutter Krateia habe, verliebt in ihn, mit ihm in heim- 



I 94—97. 



47 



lichem Umgang gestanden, und er habe sein Wohl- 
gefallen daran gehabt. Als die Sache aber ruchbar 
wurde, zeigte er sich tief verstimmt gegen jedermann 
infolge seines Verdrusses über die Entdeckung. Ferner 
erzählt Ephoros, er habe das Gelöbnis getan, in Olym- 
pia eine goldene Bildsäule zu weihen für den Fall eines 
Sieges mit seinem Viergespann. Als er dann diesen 
Sieg errang, aber nicht Gold genug hatte, ließ er bei 
Gelegenheit eines heimischen Festes, zu dem, wie er sah, 
die Weiber in- ihrem Goldschmuck erschienen waren, 
diese alle ihres Schmuckes berauben und vollzog so 
die Weihung. Einige berichten folgendes: er wollte 
seine Grabstätte unkenntlich machen, und zu diesem 
Ende bediente er sich einer List: er befahl nämlich 
zwei Jünglingen, sich des Nachts auf einen von ihm 
genau bezeichneten Weg hinauszubegeben und den, der 
ihnen begegnen würde, niederzuschlagen und zu be- 
erdigen; dann sollten vier andere gegen diese aus- 
ziehen, sie töten und beerdigen, und weiter gegen diese 
eine noch größere Zahl. 54 ) Er selbst ging nun den 
ersten entgegen und ward so beim Zusammentreffen 
mit ihüen getötet. Die Korinther aber errichteten ihm 
ein leeres Grabmal (Kenotaphion) mit folgender Auf- 
schrift: 

97 Reich an Weisheit und Qold, im Schöße korinthischer Erde 
Ruht Periander der Fürst, nahe dem Meeresgestad. 

Auch von mir gibt es ein Epigramm, nämlich: 

Qeht dir die Hoffnung fehl, so gräme dich nimmer, dagegen 
Freue dich jedes Geschenks, das dir die Gottheit verleiht. 

Wurde doch Opfer des eignen Grams Periander 65 ) der Weise, 
Weil ihm, was er geplant, nicht zu erreichen gelang. 

Ihm gehört auch der Spruch: Tue nichts des Geldes 
wegen, denn nur das Gewinnenswerte muß man zu ge- 
winnen suchen. Auch dichtete er Denksprüche, an die 
zweitausend Verse. Von ihm stammt das Wort: Wer 
sicher herrschen will, muß sich durch Wohlwollen 
schützen, nicht durch die Waffen der Leibwächter. 



48 



Periander. 



Und einst gefragt, warum er auf der Herrschaft be- 
stehe, antwortete er: „Weil der freiwillige Rücktritt 
ebensoviel Gefahren in sich birgt wie der erzwungene." 
Auch folgende Sprüche gehören ihm: Ich lobe mir die 
Ruhe, Vorwitz ist gefährlich, listiger Gewinn ist 
schimpflich, VoLksherrschaft ist besser als Tyrannen- 
herrschaft; 5 ") die Lust ist vergänglich, die Ehre un- 
sterblich. Im Glück sei maßvoll, im Unglück besonnen. 
Den Freunden gegenüber bleibe stets derselbe, mögen 98 
sie im Glück oder im Unglück sein. . Was du ver- 
sprochen, mußt du auch halten. Geheim zu haltende 
Dinge darfst du nicht ausplaudern. Bestrafe nicht nur 
die Vergehen, sondern auch die Absicht dazu. 

Er war der erste, der sich eine Leibwache hielt und 
die Regierung zur Gewaltherrschaft umwandelte. Auch 
erlaubte er nicht jedem nach Belieben seinen Wohn- 
sitz in der Stadt aufzuschlagen. So berichten Ephoros 
und Aristoteles. Seine Blütezeit fällt in die 38. Olym- 
piade (628/625 v. Chr.), und seine Herrschaft dauerte 
vierzig Jahre. Sotion, Herakleides und Pamphile im 
fünften Buch ihrer Denkwürdigkeiten behaupten, es 
habe zwei Periander gegeben: der eine der Tyrann, der 
andere ein Weiser, und zwar ein Ambrakiote. Das 
nämliche behauptet auch Neanthes aus Kyzikos mit 99 
dem Zusatz, sie seien Vettern gewesen. Und Aristoteles 
sagt, der Korinther sei der Weise, Plato dagegen 
leugnet es." ) Ihm gehört das Wort: Reger Eifer ver- 
mag alles. Wollte er doch auch den Isthmos durch- 
stechen. Es gibt auch einen (unechten) Brief von 
ihm: 

Periander an die Weisen, 

Vielen Dank dem Pythischen Apollon, daß er euch 
zur Zusammenkunft vereint hat, so daß meine Briefe 
euch auch nach Korinth führen werden. Ich aber 
werde wie ihr selbst sehen werdet, euch auf das ent- 
gegenkommendste empfangen. Wie ich höre, habt ihr 
voriges Jahr eure Versammlung beim Lyderkömg in 



I 97— 100. 



49 



Sardes gehabt. Säumt also nunmehr nicht, auch zu 
mir zu kommen, dem Tyrannen von Korinth. Denn den 
Korinthern wird es ein erfreulicher Anblick sein, euch 
im Hause des Periander ein- und ausgehen zu sehen. 

Periander an Prokies. 58 ) 

Den Frevel gegen meine Gemahlin habe ich wider 
Willen begangen. Du aber tust mit voller Absicht Un- 
recht, wenn du meinen Sohn mir abspenstig machst. 
Entweder also tue der Entfremdung des Knaben Ein- 
halt, oder ich werde mich gegen dich zur Wehr setzen. 
Denn was mich anlangt, so habe ich meine Schuld 
gegen deine Tochter bereits abgetragen, indem ich ihr 
zu Ehren die Gewänder aller korinthischen Frauen 
verbrennen ließ. 

Auch Thrasybul schrieb an ihn folgenden Brief: 

Thrasybulos an Periander. 

Deinem Herold habe ich keinen Bescheid mit 
Worten gegeben; wohl aber führte ich ihn auf ein Ge- 
treidefeld und schlug die besonders hervorragenden 
Ähren mit meinem Stabe ab in seinem Beisein. Er 
wird dir auf Befragen melden, was er gehört oder ge- 
sehen hat. Du also mußt, wenn du deine Tyrannen- 
herrscliaft aufrecht erhalten willst, demgemäß handeln: 
Du mußt die Spitzen der Bürgerschaft beseitigen, 
gleichviel ob einer dir als Feind erscheint oder nicht. 
Denn einem Tyrannen sind auch manche Genossen ver- 
dächtig. 



A p e I t , Diogenes Laertius. 



4 



50 



Anacharsis. 



Achtes Kapitel. 
Anacharsis der Skythe. Um 600 v. Chr. 

Der Skythe Anacharsis war der Sohn des ünuros 
und der Bruder des Skythenkönigs Kaduidas, von 
einer griechischen Mutter. Daher auch seine Beherr- 
schung heider Sprachen. Er war Verfasser von Ge- 
dichten über die Bräuche der Skythen und der Grie- 
chen, an die achthundert Verse, in denen er eine 
schlichte Lebensführung empfahl und die kriegerischen 
Anforderungen behandelte. Durch seine freimütige 
Redeweise bot er auch Anlaß zu einer sprichwörtlichen 
Wendung, indem man eine derartig freimütige Bede 
fortan als „skythische Bede" bezeichnete. IMach Sosi- 
krates ist er in der 47. Olympiade (592/89 v. Chr.) nach 
Athen gekommen unter dem Archontat des Eukrates. 
Hernüppos berichtet, er habe sich nach dem Hause des 
Solon begeben und dort einen Diener angewiesen, zu 
melden, Anacharsis spräche vor und wünsche den 
Solon zu seben und womöglich sein Gastfreund zu wer- 
den. Der Diener machte seine Meldung und erhielt von 
Solon den Befehl, ihm zu sagen, Gastfreundschaften 
schlösse man nur im eignen Vaterlande. Alsbald trat 
Anacharsis ein mit den W orten, jetzt sei er im Vater- 
lande und habe das Becht, Gastfreundschaft zu 
schließen. Diese Geistesgegenwart machte auf Solon sol- 
chen Eindruck, daß er ihn bei sich aufnahm und zu 
seinem innigsten Freunde machte. Nach Verlauf einiger 
Zeit kehrte er nach dem Skythenland zurück und ar- 
beitete, überzeugt von der Unzulänglichkeit der heimi- 
schen Einrichtungen, mit aller Kraft auf eine Umgestal- 
tung derselben im Sinne des Griechentums hin. Da 
ward er auf der Jagd von seinem Bruder durch einen 
.Pfeilschuß umgebracht und endete mit den Worten, 
durch seiner Bede Kunst sei er glücklich aus Griechen- 
land wieder heimgekommen, durch die Mißgunst da- 
heim aber sei er ums Leben gekommen. Einige übrigens 



1 101—104. 



51 



berichten, er sei, bei Verrichtung eines Opfers nach 
griechischer Mysterienweise, unigebracht worden. 
Unser Epigramm auf ihn lautet so: 

103 Endlich nach Hause gelangt aus der Fremde, empfahl Anacharsis 

Seinem Volke, sich ganz griechischer Sitte zu weihn. 
Noch war halb nur das Wort aus seinem Munde entflohen, 
Da entführte ein Pfeil rasch ihn ins himmlische Reich. 

Ein Spruch von ihm besagt, der "Weinstock trage 
drei Trauben: eine der Lust, die zweite des Rausches, 
die dritte der Unlust. Er sprach seine Verwunderung 
darüber aus, daß bei den Griechen die Meister der 
Kunst im Wettkampf miteinander stritten, als Hichter 
aber die Laien aufträten. Gefragt, wie einem die Trink- 
sucht verleidet werden könne, sagte er: „Wenn man 
ihm die widerwärtigen Gebärden der Trunkenen vor 
Augen stellt." Seine Verwunderung sprach er auch 
darüber aus, daß die Griechen, die doch .frevelhaften 
Übermut gesetzlich straften, den Athleten Ehren er^ 
wiesen dafür, daß sie einander mit Schlägen trak- 
tierten. Als er erfuhr, daß die Dicke einer Schiffswand 
vier Finger betrage, sagte er: „So viel also beträgt die 
Entfernung zwischen den Schiffenden und dem Tod." 

104 Das Olivenöl nannte er ein Beförderungsmittel des 
Wahnsinns, denn durch den Gebrauch desselben 
würden die Athleten zu wahnsinniger Wut gegenein- 
ander angestachelt. Wie kommt es, sagte er, daß die, 
welche das Lügen verbieten, in den Schenkstuben ganz 
unverfroren lügen? Auch das, meinte er, sei ihm auf- 
fallend, daß die Griechen zu Beginn eines Gastmahls 
aus kleinen Bechern tränken, gesättigt aber aus großen. 
Seine Bildsäulen tragen folgende Inschrift: „Beherrsche 
die Zunge, den Bauch, die Schamteile." Gefragt, ob es 
in Skythien Flöten gäbe, antwortete er: „Nicht einmal 
Weinstöcke." 59 ) Und gefragt, welche Schiffe die sicher- 
sten wären, erwiderte er, „die auf den Strand ge- 
zogenen." Und was er am wunderlichsten fände bei 
den Griechen, sei dies, daß sie den Hauch auf den 
Bergen zurücklassen, das Holz aber in die Stadt 

4* 



52 



Anacharsis Myson. 



bringen.'"') Gefragt, wer die Mehrzahl Meie, die Leben- 
den oder die Toten, .sagte er: „Wohin rechnest du die, 
die man die Mehrzahl nennt?" Von einem Attiker ver- 
höhnt ob seines Skythentunis, sagte er: „Nun, mir 
macht mein Vaterland Schande, du aber bist eine 
Schande für dein Vaterland." Gefragt, was für den 105 
den Menschen zugleich ein Gut und ein Übel sei, sagte 
er,, „die Zunge." Besser, sagte er, sei es, einen wirk- 
lich zuverlässigen Freund zu haben, als viele unzu- 
verlässige. Den Markt nannte er einen Platz, der recht 
eigentlich dazu bestimmt sei, sich gegenseitig zu 
täuschen und zu übervorteilen. Von einem Jüngling 
beim Becher durch übermütige Beden gereizt, sagte er: 
...Mein junger Gesell, wenn du als Jüngling den Wein 
nicht vertragen kannst, wirst du dich als Greis mit 
ilvtn Wasser schlepipen müssen." Für den täglichen 
l.i'bensgebrauch erfand er, wie einige meinen, den 
Anker und die Töpferscheibe. Folgenden (unechten) 
Hrief schrieb er: 

Anacharsis an Kroisos. 

König der Lyder! Ich habe mich nach Griechen- 
land begeben, um mich mit griechischer Sitte und 
Lebensari vertraut zu machen. Des Geldes bin ich 
>ucht bedürftig, bin vielmehr zufrieden, als ein besserer 
Mensch zu den Skythen zurückzukehren. Nun bin ich 
nach Sardes gekommen, weil ich großen Wert darauf 
lege, deine Achtung und Liebe zu gewinnen 



Neuntes Kapitel. 
Mysoil. Um 600 v. Chr. 

Myson, Sohn des Strymon, wie Sosikrates mit Be- 106 
i-utung auf Hermippos berichtet, stammte aus Chen 
mm Ortschaft am Oeta oder in Läkoaden Man reell- 



I 104—108. 



53 



aet ihn zu den sieben Weisen. Man sagt auch, er sei 
eines Tyrannen Sohn gewesen. Von irgend jemand 
wird behauptet, auf die Frage des Anacharsis an die 
Pythische Priesterin, ob irgendeiner weiser sei als er 
selbst, habe dieser folgende Antwort gegeben, deren wir 
schon früher gedacht haben im Leben des Thaies mit 
Bezug auf Chiton (I 30): 

Myson in Chen am Oeta ist besser als du, so behaupt* ich. 
Ausgerüstet mit Geist zu hohem Flug der Oedanken. 

Dieser Orakelspruch versetzte den Anacharsis in große 
Aufregung, und so sei er denn zur Sommerszeit in 
jenes Dorf gekommen und habe den Myson angetroffen, 
wie er gerade beschäftigt war, die Pflugsterze an der 
Pflugschar zu befestigen. Auf seine Bemerkung: „Aber 
Myson, jetzt ist doch nicht die Zeit zum Pflügen," er- 
widerte jener: „aber gerade die rechte Zeit, zum Pflügen 

107 sich zu rüsten." Andere behaupten, dasOrakel habe nicht 
gelautet „Oetäisch" (am Oeta), sondern „Eteiisch" und 
suchen zu ergründen, was dies letztere bedeute. Parme- 
nides (?) versteht darunter einen Bezirk von Lakonien. 
aus dem Myson herstamme. Sosikrates dagegen be- 
hauptet in seinem Buch über die Philosophenfolgen 
(Diadochae), er sei väterlicherseits, ein Eteier, mütter- 
licherseits aber Chener. Euthyohron hinwiederum, des 
Herakleides Pontikos Sohn, gibt ihn für einen Kreter 
aus; denn Eteia sei eine Stadt auf Kreta. Anaxilaos 
nennt ihn einen Arkader. Auch Hipponax gedenkt 
seiner mit den Worten (Frg. 45 Bergk 8 ): 

Myson auch, den Apollon 
Erklärte für der Menschen Allerweisesten 

Aristoxenos berichtet in seinen Vermischten Ge- 
schichten, er habe starke Ähnlichkeit mit Timon und 
Apemantos. Er sei nämMch ein Menschenhasser ge- 
wesen. So habe man ihn in Lakedaimon beobachtet, 
wie er ganz für sich allein in der Einsamkeit gelacht 

108 habe. Und von einem, der ihn- in solcher Lage über- 



54 



Mysön. Epimenides. 



raschte; gefragt, warum er fernab von jeder mensch- 
lichen Gesellschaft Jache, habe er geantwortet: „Eben 
deshalb." Aristoxenös behauptet, eben das sei die Ur- 
sache seines mindern Ruhms, daß er nicht einmal aus 
einer Stadt, sondern nur aus einem Dorfe stamme und 
noch dazu einem ganz unbedeutenden. Eben diese Un- 
berühmtheit sei auch schuld daran, daß manche seine 
Sprüche dem Tyrannen Peisistratos zuschreiben, nur 
Piaton nicht, der Philosoph. Auch dieser nämlich tut 
seiner Erwähnung im Protagoras (343 A), wo er ihn 
an die Stelle des Periander setzt. Ein Spruch von ihm 
war folgender: Man soll nicht die Sachen aus den 
Beden Entnehmen, sondern die Reden aus den 
Sachen : M ) denn nicht verdanken die Sachen den Reden 
ihren Bestand, sondern die Reden den Sachen. Er 
starb in einem Alter von siebenundneunzig Jahren. 



Zehntes Kapitel. 

Epimenides. Um 600 v. Chr. 

Eoimenides war. wie Th<vuiomnos und viele andere 109 
hphannfpn. ein Sohn des Phaistios. nach andern d*8 
■Rosinde« und nach nooh andern des Agesarkos. Er 
starnrnfp aiis Kreta, und zwar ans TCnosos. Rangherab- 
wallendos Haunthaar gab seinem Aussehen etwas 
ErpmdarhVes. Er wurdp einst von seiwm Vater aufs 
Feld ^Rfhictt Z11r AnfaeM über die Schafherde: in 
dpr M'tfaeszeit hoc- er vom "Wegp ah und verfip.1 in einer 
Grotte in einpn .wbenundfiinfzi?iähnVpn Schlaf. End- 
lich erwacht, suchte er nach seinpr Herde, des Glau- 
bens. p r ba.be nur kurze Zeit eesonlnmmert. Als er sie 
nicht fand, gine er nach dem Felde hin und traf 
hier alles in verändertem Zustand und den Acker im 
Besitze eines andern. So kehrte er denn von schweren 



I 108 — 111. 



55 



Gedanken geängstigt wieder in die Stadt zurück. Als 
er dort in sein Hans eintrat, traf er auf Leute, die ihn 
fragten, wer er wäre. Endlich fand er seinen jüngeren 
Bruder, der schon ein altpr Mann geworden war; von 
ihm erfuhr er die ganze Wahrheit. Bei den Griechen 
dann bekannt geworden, wurde er als ganz besonderer 
Liebling der Götter angesehen. 

110 Da nun die Athener in jener Zeit von einer Pest 
heimgesucht wurden und die Pythia ihnen verkündete, 
sie sollten die Stadt sühnen, sandten sie den Nikias. 
des Nikeratos Sohn, zu Schiff nach Kreta, um Eoime- 
nides zu sich zu rufen. Er kam in der 46. Olvmm'ade 
C596/93 v. Ghr.), reinigte ihre Stadt und machte der 
Pest ein Ende, und zwar auf folgende Weise: Eine An- 
zahl schwarzer und weißer Schafe mit sich führend, 
ging er nach dem Areshügel (Areopag"); von da ab ließ 
er ihnen völlig freien Lauf; seinen Begleitern gab er 
die Anweisung, sie sollten immer da, wo sich eine« 
niederlegte, es dem zuständigen Gott als Oofer dar- 
bringen, dann werde das Unheil sein Ende haben. 
Daher kommt es, daß man auch heute noch in den 
athenischen Gauen namenlose Altäre findet, zur Er- 
innerung an die damalige Sühnung. Andere be- 
haupten, das Orakel 62 ) habe als Ursache der Pest den 
Klonischen Frevel bezeichnet und zur Befreiung davon 
Anweisung gegeben; zu diesem Ende hätten zwei Jüng- 
linge, Kratinos und Ktesibios, in den Tod gehen 
müssen, womit da« Unheil gehoben gewesen sei ; Die 

111 Athener aber bewilligten dem Em'menides auf Volks- 
beschluß ein Talent nebst dem Schiff, das ihn nach 
Kreta zurückführen sollte. Er indes nahm das Geld 
nicht an. wohl aber brachte er einen Freundschafts- 
und Bündnisvertrag zwischen Knosiern und Athenern 
zustande. Nicht lange nach seiner Bückkehr starb er, 
wie Phlegon in seinem Buch über die Langlebigen 
sagt, in einem Alter von hundertsiebenundfünfzig 
Jahren, nach Meinung der Kreter von zweihundert- 
neunundneunzig Jahren. Dagegen behauptet der Kolo- 



56 



Epimenides. 



phonier Xenophanes gehört zu haben, er sei hundert- 
vierundfiinfzig Jahre alt geworden. 

Als Dichter besang er den Ursprung der Kureten 
und Korybanten und die Theogonie in fünftausend 
Versen, den Bau des Argonautenschiffs und die Fahrt 112 
des Jason zu den Kolchern in .sechstausendfünfhundert 
Versen. Aber auch Prosaschriften verfaßte er: So über 
Opfer, über den kretischen Staat und über Minoe und 
Rhadamanthys an die viertausend Zeiten. In Athen er- 
richtete er auch, wie Lobon aus Argos in seinem Buch 
über die Dichter sagt, das Heiligtum der „hehren 
Göttinnen (Erinyen, Eumeniden). Er soll auch zuerst 
Hauser und Felder durch Sühnung gereinigt und Tem- 
pel errichtet haben. Manche behaupten auch fcr ha» 
gar nicht geschlafen, sondern habe eine Zeitlang die 
Menschengesellschaft, gemieden, ganz beschäftigt mit 
dem Einsammeln heilkräftiger Kräuter. Auch ein Brief 
an boten, den Gesetzgeber, wird ihm zugeschrieben, der 
ufcsr die von Minos den Kretern gegebene Staatsver- 
fassimg handelt. Allein der Magnesier Demetrios sucht 
m semen) Buche über die gleichnamigen Dichter und 
bchnftstelter (Homonymen) den Brief als eine Fäl- 
schung nachzuweisen und als nicht in kretischer 
Mundart geschrieben, sondern in attischer Sprache. 

™I™w in S^W^" Ich aber habe ™* einen 
jindeum funechten) Brief gefunden folgenden Wort- 



Epimenides an Solon. 

^JrÄT*'" «*■ nämlich Peisistratos „3 

a2 rZ!^' SIL ?*J>*mM* nnd nicht an 
wird, ?tltfnT W °} n u Äthemr unternommen, so 
n^ m^l ^ 86,laft em \ da ^mde sein, indem er 
die Huraei zu Sklaven gemacht hätte; so aber hat er es- 
her semen Knechfun„sver,nchen mit Mänmm t, tun 
dirf* Tr Sdtlechier Art sind. Sie norden chZ- 
tcnanwtnhl erfüllt m» und sich die Tyrann enhrrr- 



I 111—115. 



57 



^•lutfi nicht gefallen lassen. Mag auch Peisistratos 
jetzt Herr der Stadt sein, so wird doch, wie ich gewiß- 
lich hoffe, die Herrschaft nicht auf seine Kinder über- 
gehen. Denn man kann es sich schwer ausdenken, daß 
freiheitsliebende Menschen trotz trefflicher Gesetze 
Sklaven bleiben. Du aber irre nicht in der Fremde 
umher, sondern komm endlich zu uns nach Kreta. 
Denn hier wird dir kein Alleinherrscher lästig sein. 
Führt aber der Zufall dich auf deinen Wanderungen 
mit einem der Genossen des Peisistratos zusammen, so 
fürchte ich, stößt dir ein Unheil zu. - 

114 So lautet das Schreiben. Demetrios sagt, noch einige 
berichteten, er habe von Nymphen eine Art Speise be- 
kommen und in einer Ochsenklaue verwahrt; diese habe 
er in kleinen Dosen zu sich genommen und dann keiner 
Entleerung bedurft, auch hätte ihn niemand je essen 
sehen. Auch Timaios gedenkt seiner im zweiten Buche. 
Einige behaupten, die Kreter opferten ihm wie einem 
Gott. Auch einen besonders scharfen Blick für Er- 
kenntnis der Dinge rühmt man ihm nach. Als er bei 
seinem Aufenthalt in Athen Munychia sah. sagte er zu 
den Athenern, sie wüßten gar nicht, welches Unheil 
dieser Platz über sie bringen werde; sonst würden sie 
ihn ohne weiteres mit den Zähnen zerbeißen. Das sagte 
er so viele Jahre im voraus. Es heißt auch, er hätte zu- 
erst den Namen Aiakos geführt, hätte den Lakedai- 
moniern die schwere Niederlage durch die Arkader 
vorausgesagt 84 ) und sieh den Anschein gegeben, als 

115 wäre er schon oft zu neuem Leben erwacht. Theopomp 
in den Wundererzählungen sa°rt. als er den Tempel der 
Nymphen errichtete, habe sich eine Stimme vom 
Himmel vernehmen lassen : ..Epimenides, nicht den 
Nymphen, sondern dem Zeus!" Auch den Kretern habe 
er die schon erwähnte Niederlage der Lakedaimonier 
durch die Arkader vorausgesagt. Und tatsächlich er- 
litten sie die schwere Niederlage bei Orchomenos. Und 
er sei in ebensoviel Tagen dahin gealtert, als er Jahre 
geschlafen habe; so berichtet derselbe Theopomp. 



58 Pherekydes. 

Myronianos aber behauptet in den Geschichtlichen 
Parallelen, er sei von den Kretern Kures genannt 
worden. Seinen Leichnam halten die Lakedaimonier 
bei sich in Verwahrung gemäß einem Orakelspruch, 
wie der Spartaner Sosibios sagt. Es gibt auch noch 
zwei andere Schriftsteller Namens Epimenides, der 
eine der Genealog, der andere der Verfasser der do- 
rischen Schrift über Rhodos. 



Elftes Kapitel. 

Pherekydes. Um 540 v. Chr. 

Pherekydes, des Babys Sohn aus Syros (Insel), war, 116 
wie Alexander in den Philosophenfolgen sagt, ein 
Hörer des Pittakos. Er hat, wie Theopomp berichtet, 
den Hellenen zuerst Schriften geliefert über die Natur 
und die Götter. Aber auch viel Wunderbares wird von 
ihm erzählt. So soll er bei einem Spaziergang am 
Strande von Samos beim Anblick eines mit vollen 
Segeln dahinfahrenden Schiffes gesagt haben, nicht 
lange werde es dauern, so gehe es unter. Und vor seinen 
Augen noch sei es gesunken. Und als er aus einem 
Brunnen geschöpftes Wasser trank, habe er voraus- 
gesagt, in drei Tagen werde ein Erdbeben eintreten: 
und so sei es auch gekommen. Als er auf dem Wege 
nach Olympia nach Messene kam, habe er seinem Gast- 
freund Perilaos geraten, sich mitsamt seiner Familie 
anderwärts anzusiedeln. Dieser habe sich nicht dazu 
verstehen wollen, und Messene sei in die Gewalt der 
Feinde gekommen. Den Lakedaimoniern soll er, wie 117 
Theopomp in den Wundererzählungen sagt, abgeraten 
haben von dem Gebrauch von Gold und Silber; dies 
habe ihm Herakles im Traume aufgetragen, und dieser 
habe noch in derselben Nacht den Königen befohlen, 
dem Rat des Pherekydes zu folgen. Einige schreiben 
dies dem Pythagoras zu. Hermippos erzählt, als 




I 115—119. 



59 



zwischen Ephesiern und Magnesiern ©in Krieg aus- 
gebrochen war, habe er, von dem Wunsche beseelt, die 
Ephesier möchten siegen, einen Vorübergehenden ge- 
fragt, woher er wäre. Auf die Antwort „aus Ephesos" 
habe er gesagt: „So fasse mich denn bei den Beinen, 
ziehe mich auf magnesischen Boden und melde deinen 
Mitbürgern, sie sollten nach errungenem Siege mich 
dort beerdigen, dies habe Pherekydes dir aufgetragen." 

118 Der Ephesier machte seine Meldung. Da griffen die 
Ephesder am nächsten Tage an und errangen den Sieg 
über die Magnesier. Sie beerdigten den Pherekydes, 
nachdem sein Tod eingetreten, an der bezeichneten 
Stelle und erwiesen ihm hohe Ehren. Einige dagegen 
berichten, er sei nach Delphi gewandert und habe sich 
von dem Korykischen Berge hinabgestürzt. Aristo- 
xenos aber behauptet in seinem Buche über Pytha- 
goras, er sei, nachdem er in eine Krankheit verfallen, 
vom Pythagoras in Delos bestattet worden. Andere be- 
richten, er sei an der Läusekrankheit 65 ) gestorben. Und 
als Pythagoras sich zu einem Besuche einfand und 
fragte, wie es ihm ginge, habe er den Finger durch die 
Türspalte herausgestreckt mit den Worten: „An der Haut 
magst du's erkennen." Daher kommt es, daß bei den 
Philologen diese Bedensart in schlimmer Bedeutung 
genommen wird; wer sie in guter Bedeutung (zur Be- 
zeichnung des Besten) nimmt, braucht sie fehlerhaft. 

119 Er behauptete, die Götter nennten den Tisch Thyoros 
(^uwpoc). Der Ephesier Andron berichtet, es habe zwei 
Männer Namens Pherekydes gegeben, beide aus Syros: 
der eine ein Astrolog, der andre Theolog, Sohn des 
Babys, dessen Schüler Pythagoras gewesen sei. Nach 
Eratosthenes dagegen stammt nur der eine von ihnen 
aus Syras, während der andere ein Athener sei, ein 
Genealoge. Es gibt noch jetzt das von dem Syrier 
Pherekydes verfaßte Buch, das mit den Worten be- 
ginnt: ,.Zeus im d Chronos (die Zeit) und Chthonie 
(die Erde") waren von jeher. Chthonie aber erhielt 
den Namen Ge (Erde), da Zeus ihr die Erde als Ehren- 
geschenk verleiht." Noch jetzt zeigt man auf der Insel 



60 Pherekydes. 

Syros eine Sonnenuhr. Duris versichert im zweiten 
Buch seiner Hören (upoi, Annalen), seine Grabschrift 
habe folgendermaßen gelautet (Biels Fr. d. V? 222): 

Alle Weisheit wohnet in mir; gibt's aber noch höh're, 120 
Bietet mein Freund Pythagoras sie, denn er ist der erste 
Unter den griechischen Weisen : du kannst meinem Worte vertrauen. 

Ton aber von Ghios singt von ihm: 

Ihm, den männlicher Mut und erhabene Sinnesart zierte. 

Ihm steht auch noch im Tod fröhliches Leben bevor; 
Hätte doch sonst sich getäuscht der weise Pythsgoras, der doch 

Hoch über alle hinaus ragte an Einsicht und Geist. 

Auch von mir gibt es ein Gedicht auf ihn im Pherekra- 
teischen Versmaß: 

Syros' Sohn Pherekydes, 
Er, der ruhmvolle Weise, 

Ward den Läusen zur Beute, 121 

Wie die Sage verkündet. 

..Bringt mich," rief er, „alsbald nun 

Hin zur Flur der Magneten; 

Das bringt Ephesos' Bürgern 

Sieg, bringt Sturz den Magneten." 

Er allein war ja kundig 

Jenes pythischen Spruches, 

Und so starb er bei ihnen. 

Wahr ist's also: der Weise 

Ist — wenn wirklich ein Weiser — 

Wie im Leben, so tot auch, 

Stets uns Menschen ein Segen. 
Er lebte um die 59. Olympiade (544/41 v. Chr.). Es 
gibt von ihm folgenden (unechten) Brief: 

Pherekydes an Thaies. 

Möge dir ein gnädiges Ende beschieden sein, wenn m 
die Schickung dich trifft. Mich hat eine Krankheit ge- 
packt gerade als ich dein Schreiben empfing. Ich 
strotzte geradezu von Läusen, und Schültelfleber er- 
griff mich. Ich beauftragte also meine Hausgenossen, 
nach meiner Beerdigung meine Schriften dir zu über- 
mitteln. Und billigst du sie mit den übrigen Weisen, 



I 119—122. 



so sorge für ihre Veröffentlichung; billigt ihr sie nicht, 
so unterlaßt die Veröffentlichung. Denn ich war noch 
nicht mit ihnen zufrieden. Es sind keine beglaubigten 
Tatsachen, die ich bringe, und ich mache mich nicht 
anheischig, die Wahrheit zu wissen. Alles, was du von 
göttlichen Dingen zu lesen bekommst, darf nicht wört- 
lich genommen, sondern muß anders verstanden 
werden. 67 ) Denn ich deute alles nur mehr oder weniger 
dunkel an. Durch die Krankheit mehr und mehr mit- 
genommen, gewähre ich weder irgendeinem Arzt noch 
meinen Freunden Zutritt zu mir. Wenn sie sich vor 
meiner Türe einfanden und nach meinem Befinden 
fragten, streckte ich ihnen den Finger durch das Tür- 
schloß hin und ließ sie so die Wut der Krankheit er- 
kennen. Dabei mahnte ich sie, am nächsten Tage sich 
zu meiner Beerdigung einzufinden. 

Das wären denn die sogenannten Weisen, denen 
einige auch den Tyrannen Peisistratos zuzählen. Nun- 
mehr aber ist von den Philosophen zu handeln; und zu 
beginnen ist mit der ionischen Philosophie, deren Be- 
gründer Thaies ist. Dessen Schüler war Anaximander. 



62 . Änaximander. Anaximenes. 



Zweites Buch. 



Erstes Kapitel. 
Änaximander. Um 611—546 v. Ohr. 

Änaximander, des Praxiades Sohn, war ein Mile- i 
sier. Er behauptete, Anfang und Urelement sei das 
Unbegrenzte (Apeiron), ohne Luft, Wasser oder sonst 
irgend etwas abzusondern. Die Teile seien wandelbar, 
das Ganze aber unwandelbar. Als Zentrum liege in 
der Mitte die Erde in kugeiförmiger Gestalt; der Mond 
leuchte mit geborgtem Licht, er werde von der Sonne 
erleuchtet, die Sonne aber sei nicht kleiner als die Erde 
und sei das reinste Feuer. 1 ) Er ist der Erfinder der 
Sonnenuhr; er stellte sie auf einem geeigneten Platze 
(axio^'/jp a) in Lakedaimon auf, wie Favorinus in seinen 
Geschichtlichen Miscellen berichtet: sie ließ die Wende- 
kreise und die Tag- und Nachtgleichen erkennen; auch 
Horoskope stellte er her. Ferner gab er zuerst eine 2 
Zeichnung von dem Umfang der Erde und des Meeres. 
Auch einen Himmelsglobus fertigte er an. 

Von .seinen Lehrmeinungen gab er einen zusammen- 
fassenden Abriß, der auch dem Apollodoros aus Athen 
zu Händen kam. Dieser berichtet in seinen Chronika 
auch, er sei im zweiten Jahre .der 58. Olympiade 
(547/46 v. Chr.) vierundsechzig Jahre alt gewesen und 
bald darauf gestorben (seine Blütezeit fällt etwa in die 
Zeit de® Polykrates, des Tyrannen von Samos). Durch 
seine Singversuche, wird erzählt, habe er das Gelächter 
der Kinder erregt; er aber habe auf die Kunde davon 
gesagt: „Dank euch, ihr Kinder, denn ihr gebt mir die 
Lehre, daß ich künftig besser singen muß." Es gab 



II 1-4. 



63 



auch noch einen anderen Anaximander, einen Ge- 
schichtsforscher, der gleichfalls Milesier war und in 
ionischer Mundart schrieb. 



Zw*eites Kapitel. 
Anaximenes. Um 546 v. Chr. 

Anaximenes, des Eurystratos Sohn aus Milet, war 
Schüler des Anaximander. Einige wollen ihn auch zum 
Schüler des Parmenides machen. Er erklart für den 
Anfang der Dinge die Luft und diese für das Grenzen- 
lose (Apeiron). Die Sterne, sagte er, bewegen sich nicht 
unter die Erde, sondern (seitwärts) um die Erde herum. 
Er schrieb in ionischer Mundart, einfach und unge- 
künstelt. Er lebte, wie Apollodor berichtet, zur Zeit 
der Eroberung von Sardes (durch Kyrps 546 v. Chr.) 
und starb in der 63. Olympiade (528/525 v. Chr.). ) 
Es hat auch noch zwei andere Männer dieses Namens 
gegeben, beide aus Lampsakos, der eine ein Rhetor, 
der andere ein Geschichtsforscher, Sohn einer 
Schwester des Rhetors, des Verfassers der Schrift über 
die Taten des Alexander. . 
Der Philosoph schrieb folgenden (unechten; «riet. 

Anaximenes an Pythagoras. 

i Thaies, des Examyos Sohn, hat hochbetagt kein 
glückliches Ende gehabt. Als er seiner Gewohnheit 
gemäß mit seiner Magd des Nachts aus dem Vorhot 
seines Hauses ins Freie hinausging, um die bterne zu 
beobachten, stürzte er, in Betrachtung des Himmels 
verloren, einen Abhang hinab. Arme Milesier, deren 
Himmelskundiger auf diese Weise enden mußte! Wir 
aber, seine Schüler, wollen des Mannes eingedenk 
bleiben, und ebenso unsere Kinder und Schuler, und 
wollen auch weiterhin seine Lehren als unser VV aiir- 



Anaximenes. Anaxagoras. 



zeichen betrachten. Jede gemeinsame Untersuchung 
soll mit Thaies anheben. 

Und ferner: 

Anaximenes an Pythagoras. 

Wie gut hast du daran getan* — weit klüger als 5 
wir — , daß du deinen Wohnsitz von Samos nach 
Kroton verlegt hast, wo du in Ruhe lebst. Die Söhne 
des Aiakes richten unsägliches Unheil an, und die Mile- 
sier müssen sich nach wie vor von Tyrannen be- 
herrschen lassen. Ein furchtbarer Gegner ist uns auch 
der Perserkönig, den wir nur dadurch befriedigen 
könnten, daß wir ihm tributpflichtig würden; indes die 
Ionier sind entschlossen, für die Freiheit aller den 
Kampf mit den Uedem (Persern) auf sich zu nehmen. 
Ist es aber einmal zum Kriege gekommen, so ist jede 
Hoffnung auf Rettung geschwunden. Wie könnte es 
sich also Anaximenes noch in den Sinn kommen lassen, 
die Himmelsgeheimnisse zu erforschen, er, der angst- 
erfüllt nur noch die Wahl sieht zwischen Tod und 
Knechtschaft? Du dagegen erfreust dich der herz- 
lichen Verehrung der Krotoniaten und nicht minder 
der übrigen Italioten. Ja auch aus Sizilien strömen dir 
Schüler zu. 



Drittes Kapitel. 

Anaxagoras. 500—428 v. Chr. 

Anaxagoras, der Sohn des Hegesibulos oderEubulos, 6 
stammte aus Klazomenai. Er war Schüler des Anaxi- 
menes und stellte zuerst der Materie den Geist zur Seite. 
Seme Schrift nämlich, durch anmutige und geistvolle 
Darstellung ausgezeichnet, hebt folgendermaßen an:- 
Ahe Dmge waren zusammen, dann kam der Geist dazu 
und ordnete sie. Daher ward auch er selbst Geist 
genannt, und Timon sagt in den Sillen von ihm- 3 ) 



II 5-8. 



65 



Vom Anaxagoras sagt man: er war ein kräftiger Heros, 
Nannte ihn Qeist, weil er geistvoll war, er führte auf einmal 
Alles, was vorher verstreut und ungeordnet, zusammen. 

7 Er ragte hervor durch Abkunft und Reichtum, aber 
auch durch Seelenadel; trat er doch sein väterliches 
Vermögen an seine Verwandten ab. Als ihm diese näm- 
lich Vorwürfe machten wegen seiner Sorglosigkeit, 
sagte er: „Nun, warum übernehmt ihr denn nicht die 
Sorge an meiner Statt?" Und schließlich sagte er sich 
völlig los davon und widmete sich ganz der Betrach- 
tung der Natur, ohne sich um öffentliche Angelegen- 
heiten zu bekümmern. So sagte er zu einem, der ihn 
fragte: „Hast du denn gar kein Herz für dein Vater- 
land?" „Laß das gut sein; nichts liegt mir mehr am 
Herzen, als mein Vaterland," wobei er auf den Himmel 
wies. Er soll beim Übergang des Xerxes über den 
Hellespont zwanzig Jahre alt gewesen sein und zwei- 
undsiebzig Jahre alt geworden sein. Apollodor be- 
hauptet in seinen Ghronika, er sei geboren in der 
70. Olympiade (500/497) und gestorben im ersten Jahre 
der 88. Olympiade (428). Als Philosoph trat er zuerst 
hervor zu Athen in dem Archontat des Kallias (456 
oder Kalliades 480) im Alter von zwanzig Jahren, wie 
Bemetrios der Phalereer in seinem Archontenverzeich- 
nis sagt; dort soll er dreißig Jahre geweilt haben. 

8 Er erklärte die Sonne für eine glühendheiße feurige 
Eisenmasse, größer als der Peloponnes (andere nennen 
statt seiner den Tantalos — den Physiologen — als 
Urheber dieser Ansicht); der Mond aber, behauptete 
er, habe Wohnstätten und Hügel und Schluchten. Ur- 
anfänge seien die gleichartigen Körperchen (Homoio- 
merien); wie nämlich das Gold aus den sogenannten 
Körnchen (Stäubchen) bestehe, so sei das Ganze aus 
den gleichartigen kleine^ Körpern zusammengesetzt. 
Der Anfang der Bewegung sei der Geist. Von den 
Körpern seien die schweren, wie z. B. die Erde, in der 
unteren Region gelagert, die leichteren dagegen, wie 
das Feuer, in der oberen, Wasser und Luft in der 
mittleren. So nämlich habe das Meer zu seiner Unter- 

A p e 1 1 , Diocenes Laertills. 5 



66 



Anaxagoras. 



läge die Erde, die scheibenförmig flach sei, 4 ) während 
das Wasser durch die Sonnenwärme in die Luft ver- 
dunste. Die Sterne hätten anfangs eine kuppeiförmige 9 
Bewegung gehabt, so daß der stets sichtbare Pol das 
Zenith war, dann aber sei die Neigung eingetreten. 5 ) 
Die Milchstraße sei ein Reflex der von dem Sonnen- 
licht nicht beleuchteten Sterne. Die Kometen 8 ) ent- 
stünden durch das Zusammentreffen flammensprühen- 
der Planeten, und diese prallten, wie Funken dahin- 
schießend, von der Luft ab. Die Winde entstünden 
durch Verdünnung der Luft infolge der Sonnenwärme. 
Donner sei ein Zusammenstoß von Wolken, der Blitz 
eine Reibung der Wolken, das Erdbeben ein Ein- 
dringen der Luft in das Erdinnere. Die lebenden 
Wesen entstünden aus dem Feuchten und Warmen 
und Erdartigen, und weiterhin durch Zeugung ausein- 
ander. Das Männliche sei Erzeugnis der rechten Seite, 
das Weibliche der linken Seite. 

Man sagt, er habe den Fall des Meteorsteins in der 10 
Nähe von Aigospotamos vorausgesagt, von dem er be- 
hauptete, er werde aus der Sonne herabfallen. Daher 
habe denn auch Euripides, sein Schüler, in seinem 
Phaethon die Sonne einen goldnen Klumpen genannt. 7 ) 
Bei einem Besuche von Olympia habe er dem Festspiele 
in einem Ledermantel beigewohnt, wie in Erwartung 
von Regenwetter; und so sei es auch gekommen. Als 
ihn einer fragte, ob die Berge bei Lampsakos dereinst 
zu Meer werden würden, soll er geantwortet haben: 
„Ja, wenn die Zeit nicht ausgeht." Und befragt, wozu 
er auf die Weif, gekommen sei, sagte er: „Zur Beobach- 
tung von Sonne, Mond und Himmel." Als einer zu ihm 
sagte: „Du mußtest auf Athen verzichten," erwiderte 
er: „Nein, umgekehrt, Athen auf mich." Als er sich das 
Grabmal des Mausolos ansalj, sagte er: „Ein kost- 
spieliges Grab ist ein Bild versteinerten Vermögens." 8 ) 11 
Einen, der es schwer beklagte, auf fremder Erde sterben 
zu müssen, tröstete er mit den Worten: „Der Nieder- 
stieg zum Hades ist allerwärts der gleiche." 8 ) Er 
scheint, wie Favorinus in seinen Geschichtlichen Mis- 



II 8-13. 



67 



zellen sagt, der erste gewesen zu sein, der darauf hin- 
wies, daß die homerische Poesie von Tugend und Ge- 
rechtigkeit handele, eine Ansicht, die dann sein Freund, 
der Lampsakener Metrodoros, weiter ausgeführt habe, 
wie dieser sich denn auch zuerst bemüht habe um Auf- 
klärung der Naturkenntnisse des Dichters. Anaxago- 
ras war auch der erste, der ein Buch in Prosa heraus- 
gab 10 ) Silenos berichtet im ersten Buch seiner Histo- 
rien, im Archontat des Demylos 11 ) sei ein Stein vom 

12 Himmel gefallen; da habe Anaxagoras gesagt, der 
ganze Himmel bestehe aus Steinen; nur durch den ge- 
waltigen Schwung der Kreisbewegung werde er zu- 
sammengehalten; ließe dieser nach, so wurde er zu- 
sammenstürzen. 

Über seinen Prozeß lauten die Berichte verschieden. 
Sotion sagt in seinem Buche über die Sukzessionen der 
Philosophen, er sei von Kleon wegen Gottlosigkeit an- 
geklagt worden, weil er die Sonne für eine glühende 
Steinmasse erklärt habe; nur durch das Eintreten 
seines Schülers Perikles für ihn sei er mit einer Strafe 
von fünf Talenten und Verbannung davongekommen. 
Satyros dagegen behauptet in seinen Biographien, er 
sei von Thukydides, 12 ) dem politischen Gegner des 
Perikles, angeklagt worden, und zwar nicht nur wegen 

13 Gottlosigkeit, sondern auch wegen Landesverrats an die 
Meder und sei abwesend zum Tode verurteilt worden. 
Gleichzeitig mit seiner Verurteilung habe er auch 
Kunde erhalten von dem Tod seiner Söhne und seine 
Verurteilung mit den Worten aufgenommen: „Schon 
längst hat die Natur sowohl sie (die Richter) wie auch 
mich verurteilt," den Tod der Söhne aber mit den 
Worten: „Ich wußte, daß sie als- Sterbliche von mir er- 
zeugt sind." (Manche schreiben dies letztere Wort dem 
Solon, andere dem Xenophon zu.) 18 ) Demetnos der 
Phalereer berichtet in seinem Buche über das Alter, 
Anaxagoras habe sie eigenhändig begraben. ) Her- 
mippos berichtet in seinen Biographien, er sei als des 
Todes schuldig eingekerkert worden. Perikles aber sei 
vor das Volk getreten mit der Frage, ob man ihn (den 



68 



Anaxagoras - Archelaos. 



Perikles) einer Schuld im Leben zeihen könne, und da 
sie stumm blieben, habe er gesagt: „Nun, ich bin ja 
doch sein Schüler; laßt euch also nicht durch Ver- 
leumdungen dazu hinreißen, den Mann in den Tod zu 
stürzen, sondern folget mir und gebt ihn frei." Und so 
ward er freigegeben. Er aber konnte sich über die ihm 
zugefügte Unbill nicht hinwegsetzen und starb durch 
eigene Hand. Hieronymos aber erzählt im zweiten 11 
Buch seiner Vermischten Denkwürdigkeiten, er sei, ge- 
leitet von Perikles, vor den Richtern erschienen, körper- 
lich verfallen und abgemagert, so daß er seine Frei- 
lassung mehr dem Erbarmen als einem unbeeinflußten 
Richterspruch zu danken habe. So viel über seinen 
Prozeß. Manche sprechen auch von einer Feindschaft 
mit Demokrit, weil dieser ihm eine Unterredung abge- 
schlagen habe. Schließlich zog er sieh nach Lampsakos 
zurück, wo er starb. Als die dortigen Behörden ihn 
nach seinem letzten Wunsche fragten, gab er zur Ant- 
wort: in seinem Todesmonat sollten alljährlich sich die 
Kinder mit Spielen belustigen dürfen. Noch jetzt wird 
dieser Brauch eingehalten. Nach seinem Ende be- 
statteten ihn die Lampsakener mit allen Ehren und 15 
schmückten sein Grab mit folgender Inschrift: 

Friedlich ruht Anaxagoras hier, der Sucher nach Wahrheit, 
weit in den himmlischen Raum drang sein erleuchteter Geist. 

Auch von mir gibt es ein Epigramm auf ihn: 

W «,' e ü a . Is 2 lühende M asse, als Stein die Sonne erklärte, 
Ward Anaxagoras einst schroff mit dem Tode bedroht 

Doch es gelang seinem Freunde, dem Perikles, ihn zu erretten, 
Aber von eigener Hand starb er, der Weise, verzagt. 

Es hat auch noch drei andere Männer Namens 
Anaxagoras gegeben, von denen aber keiner Hervor- 
ragendes geleistet hat; 15 ) der eine war ein Rhetor aus 
der Schule des Isokrates, der zweite ein Bildhauer, 
dessen Antigonos gedenkt: der dritte ein Grammatiker, 
Schüler des Zenodot. 



II 13-17. 



Viertes Kapitel. 
Archelaos. Um 440 v. Chr. 

16 Archelaos aus Athen oder aus Milet, Sohn des 
Apollodoros oder nach anderen des Midon, war 
Schüler des Anaxagoras und Lehrer des Sokrates. Er 
verpflanzte zuerst die Naturphilosophie aus Ionien 
nach Athen 10 ) und ward Physiker genannt, wie denn 
mit ihm die Naturphilosophie erlosch und der Ethik 
Platz machte, die durch Sokrates eingeführt ward. 
Doch scheint auch schon Archelaos sich mit Ethik be- 
faßt zu haben; denn er hat über Gesetze, über Schön- 
heit und Gerechtigkeit philosophiert. Von ihm empfing, 
wie man annahm, Sokrates seine Anregungen und 
bildete sie bis zu dem Grade aus, daß man ihn auch für 
den eigentlichen Erfinder hielt. 17 ) Er stellte zwei Ur- 
gründe des Werdens auf, Wärme und Kälte. Die 
lebenden Wesen sind nach ihm aus dem Schlamm ent- 
standen. Von dem Gerechten und dem Verabscheuungs- 
würdigen behauptete er, sie seien nicht ursprünglich 
(«pussi), sondern durch Mensohensatzung (vo[io) be- 
stimmt. Seine Lehre entwickelt sich folgendermaßen: 

17 Das Wasser, sagt er, durch die Wärme in flüssigen Zu- 
stand gebracht, wird, insoweit es sich zu einer Art 

. Hefe 18 ) verdichtet, zu Erde; insoweit es aber in Um- 
lauf bleibt, erzeugt es die Luft. So wird denn die Erde 
von der Luft, die Luft aber von dem Umschwung des 
Feuers zusammengehalten. Die lebenden Wesen, sagt 
er, entstehen aus der Erde, die in (durch die Sonne) 
erwärmtem Zustand einen milchähnlichen Schlamm als 
Nahrungsstoff hervortreten läßt; und das hat denn 
auch zur Menschenschöpfung geführt. Er stellte zuerst 
die Behauptung auf, daß der Schall durch das An- 
schlagen der Luft (an das Ohr) entstehe. Das Meer 
bildet sich nach ihm in den Höhlungen der Erde, indem 
es durch das Erdreich durchsickert. Das größte Ge- 
stirn ist die Sonne, und das Weltall ist unendlich, 




70 



Archelaos - Sokrates. 



Es hat noch drei andere Männer Namens Arche- 
laos gegehen: der erste ist der Chorograph aller von 
Alexander durchzogenen Länder, der zweite hat die 
Naturseltenheiten in Versen beschrieben, der dritte ist 
Rhetor und Verfasser einer Rhetorik. 



Sokrates 469—399 v. Chr. 

Sokrates. der Sohn des Bildhauers Sophroniskos 18 . 
und der Hebamme Phainarete, wie auch Piaton im 
Theätet (149 A) erwähnt, war Athener und stammte 
aus dem Demos Alopeke. Es ging die Rede, er habe 
dem Euripides bei seinen Dichtungen geholfen. Es be- 
zieht sich darauf folgende Stelle des Mnesimachos: 

* 

„Die Phryger" sind das Neuste vom Euripides. 

Dem Sokrates das Reisig ^eb*™) zu dem Werk beschafft. 

und weiter: 

Euripides. durch Sokrates zurechtgezimmert. 

, Und Kallias in den „Gefangenen": 

A. Schon forderst du Respekt und wirfst dich in die Brust. 

B. Ich darf es, da mir Sokrates zur Seite steht. 

Aristophanes in den Wolken: 

Seht hier des Schauspiels Meister, den Euripides, 
Er strotzt von Schwätzerlust und Weisheitsdunst. 

Erst war er einigen zufolge Schüler des Anaxagoras 19 
wie auch des Dämon, wie Alexander in seinem Buch 
über die Philosophenfolgen sagt, dann, nach der Ver- 
urteilung des Anaxagoras, ward er Schüler des Arche- 
laos, dessen Liebling er auch nach Aristoxenos gewesen 
sein soll. Duris behauptet, er habe auch im Dienste 



Fünftes Kapitel. 




II 17-21. 



71 



anderer gearbeitet, und zwar als Bildhauer. Von ihm 
seien auch, sagt man, die mit Gewändern bekleideten 
Charitinnen auf der Akropolis. Daher auch die Verse 
des Timon in den Sillen [Frg. 25 Diels] : 

Steinmetz ward er sodann und weltverbessernder Schwätzer, 
Zauberfürst der Hellenen, spitzfindiger Rede Erfinder. 
Nasenrümpfer, Rhetorenverspotter, halbattischer 18 ) Heuchler. 

Denn er war auch stark in der Rhetorenkunst, wie 
auch Idomeneus berichtet. Verboten ihm doch die 
dreißig, seine Redekünste zu lehren, wie aus Xenophon 

20 bekannt. 20 ) Auch Aristophanes verspottete ihn als 
einen, der die schlechtere Sache zur bessern macht. 
Denn, wie Favorinus in seinem Miszellenwerk be- 
richtet, war er der erste, der im Verein mit seinem 
Schüler Aischines die Rhetorenkunst lehrte. Das ver- 
sichert auch Idomeneus in seinem Werk über die 
Sokratiker. Er war auch der erste, der sich als Lehrer 
über Lebensgrundsätze vernehmen ließ, sowie der erste 
Philosoph, der gerichtlich verurteilt das Leben ein- 
büßte. Aristoxenos, des Spintharos Sohn, behauptet, 
er habe sich auch auf Gelderwerb gelegt, nämlich 
fallen gelassene kleine Münze gesammelt und aufbe- 
wahrt, und, war der Vorrat aufgebraucht, dann von 
neuem gespart. Demetrios von Byzanz berichtet, Kri- 
ton habe, entzückt von seinen geistigen Reizen, ihn 
seiner Werkstatt abwendig gemacht und ihm eine 
höhere Bildung zuteil werden lassen. Er aber habe er- 

21 kannt, daß die Naturphilosophie für uns nichts tauge 
und habe sich der Sittenlehre zugewandt, für die er in 
Werkstätten und auf dem Markte wirkte, mit der Er- 
klärung, er suche nach dem (Od. IV 392) 

1 Was dir Böses und Gutes in deinem Hause geschehn sei. 

Oft genug sei es vorgekommen, daß er bei seinen Unter- 
redungen von den durch seine Nachforschungen ge- 
reizten Beteiligten unsanft angefaßt und zerzaust und 
meist verächtlich behandelt und verlacht wurde. Das 



72 



Sokrates. 



alles aber habe er mit unerschütterlicher Langmut über 
sich ergehen lassen. So sei er einmal auch durch einen 
Fußtritt beschimpft worden und habe, als jemand 
seine Verwunderung darüber äußerte, daß er sich das 
gefallen lasse, erwidert: „Wie? Hätte mich ein Esel ge- 
treten, hätte ich diesen etwa gerichtlich belangt?" So 
also erzählt Demetrios. 

Auf Reisen ins Ausland, wie die meisten sie lieben, 22 
war sein Sinn gar nicht gestellt; nur wenn die mili- 
tärische Pflicht ihn rief, ließ er sich darauf ein. Sonst 
blieb er daheim und lag in regster Streitlust mit seinen 
Mitunterrednern seinen Nachforschungen ob, nicht als 
ginge er darauf aus, ihnen ihre eigenen Ansichten 
auszutreiben, sondern lediglich in dem Streben, die 
Wahrheit zu ergründen. Euripides soll ihm die Schrift 
des Herakleitos zum Lesen überreicht- und ihn dann 
gefragt haben, wie er darüber denke; da habe er er- . 
widert: „Was ich davon verstanden habe, zeugt von 
hohem Geist; und, wie ich glaube, auch was ich nicht 
verstanden habe; nur bedarf es dazu eines delischen 
lauchers." Auch auf Körperkräftigung legte er großen 
Wert und erfreute sich trefflicher körperlicher Ver- 
fassung. Er machte den Feldzug nach Amphipolis mit 
(.422 v Chr.); und in der Schlacht bei Delion (424 
: y. Lhr.) rettete er dem Xenophon, der vom Pferd«? ge- 
tanen war durch sein Beispringen das Leben; auch 
schritt er beim Rückzug inmitten der wilden Flucht 23 
aller Athener ganz gelassen einher, ruhig sich um- 
blickend und zur Abwehr bereit, falte einer an ihn sich 
heranwagte. Auch den Feldzug nach Potidaia machte 
er mit (430 v Chr.), und zwax fuhr er zu Schiff dort- 
hin, denn zu Lande war es nicht möglich, da der Krieg 
es mcht zuließ. Dort soll er auch eine ganze Nacht wie 
festgebannt m der nämlichen Stellung ausgeharrt 
haben, auch soll er dort den Ehrenpreis, der ihm für 
treffliche Haltung zugesprochen war, an den Alkibiades 
abgetreten haben, der übrigens von Aristipp in dem 
vierten Buch über die üppige Lebensweise der Alten 



II 21-25. 



73 



als sein Liebling bezeichnet wird. Ion von Ghios be- 
richtet, daß er als Jüngling mit Archelaos nach Samos 
ausgezogen sei (im samischen Feldzug 441/40 v. Chr.). 
Aristoteles sagt, er habe auch einen Besuch in Delphi 
gemacht, und Favorin läßt ihn im ersten Buch seiner 
Denkwürdigkeiten auch nach dem Isthmos gekommen 

24 sein. 21 ) In seinen Überzeugungen ließ er sich nicht 
irre machen; er hielt sich zur Demokratie, wie ersicht- 
lich ist aus dem Widerstande, den er dem Krjtias und 
dessen Genossen entgegensetzte, als sie ihm den Befehl 
gaben, den Leon aus Salamis, einen reichen Mann, 
ihnen in die Hände zu liefern, um ihn zum Tode zu 
verurteilen. Auch war er der einzige, der seine Stimme 
für Freisprechung der zehn Feldherren abgab (Argi- 
nusenschlacht). Und als es ihm möglich war, aus dem 
Kerker zu entkommen, ließ er sich nicht darauf ein. 
Die, welche sein Schicksal beweinten, ließ er hart an 
und entwickelte, gefesselt im Kerker, jene erhabenen 
Lehren. Er war genügsam und lauter. Pamphile be- 
richtet in dem siebenten Buche ihrer Denkwürdigkeiten, 
er habe, als Alkibiades ihm ein großes Grundstück zum 
Bau eines Wohnhauses zur Verfügung stellte, ihm ge- 
antwortet: „Auch wenn ich Schuhe nötig hätte ) und 
du mir Leder anbötest, um mir selbst meine Schuhe 
daraus zu machen, würde ich mich lächerlich machen, 

25 wenn ich es annähme." Oft sagte er beim Anblick der 
massenhaften Verkaufsartikel zu sich seihst: „Wie 
zahlreich sind doch die Dinge, deren ich nicht bedarf!" 
Und immer wieder hörte man ihn die Jamben 
zitieren: 28 ) 

Die silbernen Gefäße und das Purpurkleid 
Sind fürs Theater gut, fürs Leben nicht. 
Vor den Großen dieser Erde, vor Männern wie dem 
Makedonier Archelaos, dem Skopas in Krannon 
(Thessalien), dem Eurylochos in Larissa hatte er Avenig 
Respekt und nahm weder ihre Geldgeschenke an, noch 
ließ er sich zu einem Besuche bei ihnen bewegen. In 
seiner Lebensweise war er so einfach und streng, daß 



74 



Sokrates. 



er allein in Athen von den zahlreichen Seuchen, die 
dort wüteten, verschont blieb. Aristoteles berichtet 26 
[s. Frg. 84 p. 1490b 8 ff.], er habe zwei Frauen gehabt; 
von der ersten, der Xanthippe, stamme sein Sohn 
Lamprokles ab, von der zweiten, der Myrto, der Tochter 
Aristides' des Gerechten, die er ohne Mitgift geheiratet 
habe, stammten seine Söhne Sophroniskos und Mene- 
xenos. Andere wieder behaupten, Myrto sei seine erste 
Frau gewesen. Einige lassen ihn auch beide Frauen 
zugleich haben; zu ihnen gehören Satyros und der 
Rhodier Hieronymos. Sie behaupten nämlich, die 
Athener hätten, um die starken Lücken in der männ- 
lichen Bevölkerung auszufüllen, durch Volksbeschluß 
festgesetzt, man dürfe sich zwar nur mit einer 
Bürgerin verehelichen, aber Kinder auch mit einer 
andern zeugen. Danach habe sich auch Sokrates ge- 
richtet. Er war der Mann, die ihn Verspottenden mit 
Verachtung abzutun. Auf seine Anspruchslosigkeit 27 
war er stolz, und niemals nahm er Bezahlung an. Er 
pflegte zu sagen, wenn ihm sein Essen und Trinken am 
besten schmecke, bedürfe er am wenigsten der Lecker- 
bissen und rechne am wenigsten auf einen erst noch 
(I zu erwartenden Trank. Und: wer am wenigsten be- 
darf, der ist den Göttern am nächsten. Das kann man 
auch aus den Komödiendichtern entnehmen, die, ohne 
es zu merken, mit ihrem Spott ihn im Grunde nur 
IG] 611 S ° Aristoplianes folgendermaßen [Nub. 411 bis 

0 Mensch, mit Fug voll großer Begier nach der Weisheit Fülle 
und Segen, 

Wie wird dir das Leben von Glück umstrahlt in Athen und in 

Hellas verlaufen. 
Denn stark an Gedächtnis, ein denkender Kopf bist du und nicht 

zu erschüttern 

In deinem Gemüte und wirst nicht matt durch Stehen oder 
durch Gehen, 

Noch stört deine Laune des Frostes Gewalt noch quält dich die 

Sehnsucht nach Frühstück. 
Du verzichtest auf Wein und auf üppige Kost und auf andere 

nutzlose Dinge. 



II 25-30. 



75 



28 Ameipsias ferner bringt ihn in seinem „Mäntelchen" 
auf die Bühne, wo es folgendermaßen heißt: 

Mein Sokrates, Bester im engeren Kreis, zur Massenwirkung | 

Auch du bei, uns, du Duldefund Held? Wie läßt sich ein Mantel 
dir schaffen? . 

A Dies Unheil, es schreibt von den Schustern sich her, sie 
fühlten sich gröblich beleidigt. 

B Doch dieser, wenngleich von Hunger gequält, hat nie sich 
entschlossen zu schmeicheln. 

Diesen seinen edlen Stolz und seine hohe Sinnesart 
gibt auch Aristophanes zu erkennen LNub. 3bd\ : 

Daß stolz auf den Straßen umher du gehst mit den Augen die 

Umwelt durchmusternd, 
Und, Unbill leidend vom Barfußgehn, auf uns wie von oben 

herabblickst. f 

Gleichwohl gab es auch Fälle, wo er sich den Um- 
ständen anpaßte und in feinerer Kleidung erschien, 
wie er z. B. in Piatons Gastmahl bei Agathon aut- 

29 tT1 %v verstand sich in gleichem Maße auf beides, auf 
das Ermahnen und auf das Abmahnen. So ließ er den 
Theätet nach seiner Unterredung mit ihm über das 
Wissen in hoher Begeisterung von sich gehen, Mie 
Piaton sagt; den Euthyphron dagegen, der gegen seinen 
Vater einen Prozeß anstrengte wegen Fremdenmordes, 
warnte er davor durch eine Unterredung über die 
Frömmigkeit. Den Lysis brachte er durch seine Mah- 
nungen auf die Wege strengster Sittlichkeit Denn er 
hatte die Gabe, seine Worte aus den Tatsachen gleich- 
sam herauswachsen zu lassen-) ^ versöhnte er auch 
seinen Sohn Lamprokles wieder mit seiner Mutter, mit 
der er zerfallen war, wie Xenophon") irgendwo sagt.. 
Und den Glaukon, den Bruder Piatons, der als Staats- 
mann auftreten wollte, brachte er davon ab, ] »weil ^ hm 
Anläse und Erfahrung dazu fehlte, wie Xenophon 
sagt. 28 ) Den Charmides dagegen trieb er dazu an weil 

30 er sich dafür eignete. Auch den Iphikrates, den Feld- 



78 



Sokrates. 



herrn, regte er zu stärkerein Selbstbewußtsein an, 
indem er ihn aufmerksam machte auf die Hahnen- 
kämpfe zwischen den Hähnen des Barbiers Meidias 
und denen des KaLlias. Und ihn selbst wollte Glauko- 
nides zum Schmuck der Stadt machen wie einen Fasan 
oder Pfau. 29 ) Für sonderbar erklärt er es, daß ein 
jeder leicht angeben könne, wieviel er besitze, aber 
nicht sagen könne, wieviele Freunde er habe; so wenig 
kümmere man sich um sie. Als er gewahr wurde, daß 
Eukleides sich mit allem Eifer auf die Künste der 
Erdstik warf, sagte er: „Mein Eukleides, mit den 
Sophisten wirst du fertig werden können, mit den 
Menschen aber gewiß nicht." Denn er hielt diese Spitz- 
findigkeiten für unnützen Kram, wie auch Piaton im 
Euthydem sagt, 80 ) Als ihm Charmides Sklaven anbot, 31 
um durch $ie zu Einkünften zu gelangen, nahm er sie 
nicht an; nach einigen machte er sich auch nichts aus 
des Alkibiades Schönheit. Die^Muße lobte er sich als 
den herrlichsten Besitz, wie auch "Xenophon im Sym- 
posion (4, 44) sagt. Nur eines, pflegte er zu sagen, sei 
ein wirkliches Gut, das Wissen, nur eins ein wirkliebes 
Übel, die Unwissenheit; Beichtum und hohe Geburt 
hätten keine Würde in sich, sondern im Gegenteil nur 
Unheil. Als einer zu ihm sagte, Antisthenes stamme 
von einer thrakischen Mutter, fertigte er ihn mit den 
Worten ab: „Warst du denn des Glaubens, ein so edler 
Mann stamme von zwei Athenern ab?" 31 ) Den Phai- 
don, der als Gefangener sich in unwürdiger Lage be- 
fand, ließ er durch Kriton loskaufen und machte ihn 
zu einem geachteten Philosophen. Das Leyerspiel er- 32 
lernte er noch, als die eigentliche Zeit dazu schon vor- 
über war ) und begründete seinen Entschluß mit den 
Worten, man brauche sich nicht zu schämen, wenn 
man erlerne, was man noch nicht wisse. Ferner wid- 
mete er sich auch gern der Tanzkunst, überzeugt, daß 
eine solche Korperbewegung der Gesundheit dienlich 
sei. wie auch Xenophon in seinem Symposion (2, 16) 
sagt. Auch pflegte er zu sagen, sein Dämonium zeige 



II 30-34. 



77 



ihm das Kommende im voraus an. Das gute Gelingen 
sei zwar nichts Geringes, fange aber mit Kleinem an; 3 *) 
ferner: er wisse nichts außer eben dies, daß er nichts 
wisse. Von denen, die frühreife Früchte für schweres 
Geld einkauften, sagte er, sie verzichteten auf die Hoff- 
nung, die Zeit der Reife zu erleben. Und gefragt, was 
die Tugend des Jünglings sei, antwortete er: „Nimmer 
zu viel." Geometrie sollte man nach ihm so lange 
treiben, bis man ein Grundstück nach Maß übernehmen 

33 und übergeben könne. Als er im Theater bei Auffüh- 
rung der „Auge" des Euripides in Beziehung auf die 
Tugend dje Worte vernahm: 

Am besten ist's, man trennt sich rasch von diesem Kram, 
erhob er sich und verließ das Theater mit den Worten, 
es sei doch lächerlich, wenn man es für geboten er- 
achte, nach einem vermißten Sklaven eifrig zu suchen, 
während man die Tugend dem Verderben überlasse. Auf 
die Frage, ob man heiraten solle oder nicht, gab er die / 
Antwort: „Was du auch tust, du wirst es bereuen."^ 
Auch sprach er seine Verwunderung darüber aus, daß 
die Bildhauer, die doch alle Sorge darauf verwendeten, 
ihre steinernen Bilder den Originalen möglichst ähn- 
lich zu machen, nicht das geringste dafür täten, nicht 
selbst den Steinen ähnlich zu erscheinen. 34 ) Für die 
Jünglinge stellte er die Regel auf, sie sollten sich 
immer wieder im Spiegel betrachten, um, wenn sie 
schön wären, sich dessen würdig zu machen, wenn 
aber häßlich, diesen Mangel durch gute Bildung aus- 

34 zugleichen und zu verdecken. Als er einmal eine An- 
zahl reicher Bekannter zum Mahle eingeladen und 
seine Xanthippe wegen der Bewirtung in Angst war, 
sagte er: „Nur Mut! Denn sind sie maßvoll, dann 
werden sie sich leicht in alles finden, sind sie aber 
Schlemmer, dann Gottbefohlen mit ihnen!" Die an-<> 
deren Menschen, pflegte er zu sagen, leben, um zu essen; 
er selbst aber esse, um zu leben. Von der großen Masse 
des gemeinen Volkes sagte er, es stehe damit ähnlich, 
wie wenn einer ein einzelnes Vierdrachmenstück ge- 



78 



Sokrates. 



ringschätzig bewertete, dagegen einen Haufen solcher 
Münzen als hochwertig gelten ließe. Als Aischines zu 
ihm sagte: „Ich bin arm und habe sonst nichts, aber 
mich selbst übergebe ich dir," da antwortete er: „Sagst 
du dir nicht, daß es das Größte ist, was du mir über- 
gibst?" ' Zu einem, der seinen Verdruß darüber 
äußerte, daß man, als die Dreißig zur Macht kamen, 
ihn übersehen habe, sagte er: „Wie? das tut dir doch 
nicht etwa leid?" Und als einer zu ihm die Äußerung 35 
tat: „Die Athener haben dich zum Tode verurteilt," 
sagte er: „Und die Natur hat s ie zum Tode verurteilt." 
Andere schreiben dies Wort dem Anaxagoras zu. Als 
seine Frau sagte: „Du stirbst ungerechterweise," er- 
widerte er: „Wünschtest du etwa, daß ich gerechter- 
weise stürbe?" Im Traum glaubte er einen zu ver- 
nehmen, der die Worte an ihn richtete (Jl. IX 363. 
Plat. Krit. 44 B): 

Laß drei Tage vergehn, dann bist du im scholligen Phthia, 

worauf er zu Aischines sagte: „Am dritten Tage muß 
ich in den Tod gehen." Als er im Begriff war, den Gift- 
becher zu leeren, wollte ihm Apollodor ein kostbares 
Gewand reichen, um darin zu sterben; da sagte er: 
„Wie? Mein eigenes Gewand soll gut genug gewesen 
sein, darin zu leben, nicht aber um darin zu sterben?" 
Als jemand zu ihm bemerkte, es führe einer üble Reden 
gegen ihn, erwiderte er: „Recht so, denn von guten 
Reden versteht er nichts." Als Antisthenes ein Loch in 36 
seinem Mantel allen recht sichtbar machte, sagte er: 
„Aus deinem Mantel sehe ich die Eitelkeit hervor- 
leuchten." Jemand machte ihn auf einen Verleumder 
aufmerksam, worauf er sagte: „Nein, das trifft mich 
nicht, denn an mir findet sich nichts von dem, was er 
vorbringt. Er verlrat auch die Meinung, man müsse 
sich den Komikern recht geflissentlich preisgeben; 
denn wenn sie auf wirklich uns anhaftende Fehler hin- 
weisen, so werden sie dadurch auf unsere Besserung 
hinwirken; wo nicht, so geht uns die Sache nichts an. 



n 34-38. 79 

Zur Xanthippe sagte er, als sie erst sich in Schmähun- 
gen gegen ihn erging und ihn dann sogar mit schmutzi- 
gem Wasser übergoß: „Sagte ich nicht, daß Xanthippe, 
wenn sie donnert, dann auch Regen bringt?" Und als 
Alkibiades äußerte: „Unausstehlich ist doch die keifende 
Xanthippe," da entspann sich folgendes kleine W ort- 
gefecht: „Aber ich bin doch längst daran gewohnt, 
gerade so wie man sich an das unaufhörliche Geräusch 
einer Rolle gewöhnt; und auch du läßt dir doch das 

37 Geschrei der Gänse gefallen." — „Dafür bringen sie 
mir auch Eier und Junge." — „Auch ich habe von 
Xanthippe Kinder bekommen." Als sie einmal auf dem 
Markte ihm sogar seinen Mantel vom Leibe riß und 
seine Bekannten ihm rieten, sich doch handgreiflich 
zur Wehr zu setzen, erwiderte er: „Beim Zeus, wolil 
damit ihr in Parteien geteilt unsern Faustkampf mit 
Zurufen begleitet: Hoch Sokrates, hoch Xanthippe! 
Der Umgang mit einem widerspenstigen Weibe, sagte 
er, gleiche dem der Rossebändiger mit besonders feu- 
rigen Pferden. 8 *) „So wie sie, einmal solchen Pferdes 
Herr geworden, leicht auch mit den andern fertig 
werden, so werde ich mich infolge des Umgangs mit 
Xanthippe auch leicht mit den andern Menschen zu- 
rechtfinden." Solche Reden, verbunden mit den ent- 
sprechenden Handlungen, brachten ihm auf Anfrage 
des Ghairephon jenes wohlbekannte Zeugnis der Pythia 
Gin* 

An Weisheit nimmt es niemand auf mit Sokrates. 

38 Daher denn auch die große Gehässigkeit gegen ihn, die 
ihren Grund auch noch darin hatte, daß er die eiteln 
Herren die sich wer weiß was auf sich einbildeten, 
ihrer Torheit überführte, wie z. B. den Anytos, wie es 
im Menon des Piaton zu lesen ist. Dieser nämlich, er- 
bost über den Spott des Sokrates, reizte zunächst den 
Arislophanes gegen ihn auf, dann überredete er auch 
den Meietos, ihn gerichtlich zu belangen wegen Gott- 
losigkeit und als Verführer der Jugend. So reichte denn 
Meietos die Klage ein, Polyeuktos trug die Anklage vor 



80 



Sokrates. 



Gericht vor, wie Favorinus in seinen Geschichtlichen 
Miszellen behauptet; geschrieben aber war die Rede 
von dem Sophisten Polykrates, wie Hermippos be- 
hauptet, oder nach andern von Anytos, vorbereitet war 
alles von dem Demagogen Lykon. Antisthenes in den 39 
Sukzessionen der Philosophen und Piaton in der Apo- 
logie nennen als Ankläger folgende drei: Anytos, Lykon 
and Meietos, Anytos als grollenden Vertreter der Hand- 
werker und Staatsmänner, Lykon als Vertreter der 
Redner und Meietos als Vertreter der Dichter, weil 
Sokrates ihnen allen übel mitgespielt. Favorinus aber 
behauptet im ersten Buch seiner Denkwürdigkeiten, die 
Rede des Polykrates gegen Sokrates sei nicht die wirk- 
lich gehaltene; es wird nämlich in ihr des Wiederauf- 
baues der Mauern durch Konon gedacht, der erst sechs 
Jahre nach Sokrates Tode vollzogen ward. Das ist un- 40 
leugbare Tatsache. Die Klageschrift aber, die, dem 
Zeugnis des Favorinus zufolge, noch heute in dem 
Metroon (Archiv) aufbewahrt wird, laufet folgender- 
maßen: „Diese Anklage verfaßte und reichte unter Eid 
ein Meietos, des Meietos Sohn aus dem Demos Pitthos, 
gegen Sokrates, des Sophroniskos Sohn aus dem Demos 
Alopeke: Sokrates versündigt sich durch Ableugnung 
der vom Staate anerkannten Götter sowie durch Ein- 
führung neuer göttlicher Wesen; auch vergeht er sich 
an der Jugend, indem er sie verführt. Der Antrag 
geht auf Todesstrafe." Lysias schrieb eine Verteidi- 
gungsrede für ihn; als sie der Phüosoph gelesen hatte, 
sagte er: „Eine schöne Rede, mein Lysias, aber nicht 
passend für mich." Tatsächlich war sie auch mehr im 
btil der Gerichtsreden, gehalten als im Geiste der 
Jt'ünosophie Als nun Lysias sagte: „Wie kommt es, 41 
daß die Rede, wenn sie doch schön ist, dir nicht paßt?" 
antwortete er: „Würden nicht auch schöne Kleider und 
bcüuhe für mich unpassend sein?" Während der Ge- 
richtssitzung bestieg, wie Justus aus Tiberias in 
seinem Stenima berichtet, Piaton die Rednerbühne mit 
den Worten: „Als Jüngster, ihr Bürger von Athen, 



II 38-43. 



81 



von allen, die die Rednerbühne bestiegen," da 
unterbrachen ihn die Richter mit dem Rufe: „Nein, die 
Rednerbühne verlassen haben [also: herunter mit 
dir]." 36 ) So ward Sokrates denn verurteilt mit einer 
Mehrheit von zweihunderteinundachtzig Stimmen. Als 
dann die Frage nach Art und Maß der Strafe zur Ver- 
handlung stand, erklärte er, fünfundzwanzig Drachmen 
zahlen zu wollen — Eubulides allerdings berichtet, er 
habe sich zur Zahlung von hundert Drachmen bereit 

42 erklärt. Als darüber unter den Richtern ein starker 
Lärm ausbrach, gab er die Erklärung ab: „In Rück- 
sicht auf meine Verdienste beantrage ich als rechtliche 
Entscheidung die Speisung im Prytaneion." Da ver- 
urteilten sie ihn zum Tode, indem noch weitere achtzig 
Stimmen sich der Majorität beigesellten. In den Kerker 
gebracht, mußte er den Giftbecher leeren nach einer 
Reihe von Tagen, denen er eine besondere Weihe ver- 
lieh durch die herrlichen Mahnungen, die Piaton im 
Phaidon mitteilt. e 

Nach einigen dichtete er auch einen Päan (Lob- 
gesang), der mit den Worten anhebt: 
Qruß dem Apollon, der Artemis auch, den hehren Geschwistern! 

Dionysodor aber behauptet, der Päan rühre nicht von 
ihm her. Auch eine Äsopische Fabel dichtete er, nicht 
besonders gelungen, deren Anfang lautet: 

Richtet nicht über die Tugend mit Weisheit, der Masse entlehnet. 
So sprach einstens Äsop zu den Bewohnern Korinths. 

43 Nun weilte er nicht mehr unter den Menschen. Die 
Athener aber wurden alsbald von Reue befallen. Sie 
schlössen die Ringschulen und die Gymnasien, be- 
straften einige durch Verbannung und verurteilten den 
Meietos zum Tode. Den Sokrates »aber ehrten sie durch 
Errichtung einer ehernen Düdsäule, die sie, ein Werk 
des Lysippos, im Zeughaus (Pompeion) aufstellten. 
Und was den Anytos anlangt, der damals verreist war, 
so verwiesen ihn die Herakleoten gleich am Tage seiner 

A p e 1 1 , Diogenes Laertius. 6 



» 



82 Sokrates. 

Ankunft des Landes. Dieser Vorgang mit Sokrates und 
den Athenern steht übrigens nicht vereinzelt in der Ge- 
schichte da, es gibt viele ähnliche Fälle. Ward doch 
Homer, wie Herakleides berichtet, als angeblich nicht 
recht bei Verstände, mit einer Buße von fünfzig 
Drachmen belegt, Tyrtaios für verrückt erklärt, wäh- 
rend man den Astydamas 37 ) früher als den Aischylos 
durch eine Erzstatue ehrte. Darob tadelt sie auch 44 
Euripides in seinem Palamedes mit folgenden Worten: 

Gemordet habt ihr, gemordet 

Den Künder der Weisheit, 

Der Musen Nachtigall, die keinem 3S ) ein Weh tat. 

Dem mag sein, wie ihm wolle. Philochoros 39 ) aber be- 
richtet, Euripides sei vor Sokrates gestorben. Geboren 
wurde er, wie Apollodor in den Chronika sagt, unter 
dem Archontat des Apsephion im vierten Jahr der 
77. Olympiade (469 v. Chr.) am sechsten des Monats 
Thargelion, dem Geburtstage der Artemis, wie die De- 
lier behaupten, an dein die Athener die Stadt durch 
Sühnung reinigen. Er starb im ersten Jahre der 
95. Olympiade (399 v. Chr.) im Alter von siebzig 
Jahren. So lautet der Bericht des Phalereers Derne- 45 
trios. Einige nämlich lassen ihn im sechzigsten Jahre 
gestorben sein. Beide — Sokrates und Euripides — 
waren Hörer des Anaxagoras, der im ersten Jahr der 
75. Olympiade (480 v. Chr.) geboren war unter dem 
Archontat des Kalliades. 40 ) Mir will es scheinen, als 
hätte Sokrates auch die Naturphilosophie zum Gegen- 
stand seiner Unterredungen gemacht. Ließ er sich doch 
anch auf Darlegungen über die Vorsehung ein, nach 
Xenophons Zeugnis, 41 ) obschon der nämliche Xeno- 
phon behauptet, er habe es in seinen Unterredungen 
nur mit den Gegenständen der Ethik zu tun. Ähnlich 
verhält es sich auch mit Piaton. In der Apologie kommt 
er auf Anaxagoras und andere Naturphilosophen zu 
sprechen als auf Dinge, von denen Sokrates nichts zu 
wissen behauptet. Und doch legt er da, wo er sich 
selbst über Naturphilosophie ausspricht, alles dem 



II 43-47. 



83 



Sokrates in den Mund. 42 ) Aristoteles berichtet von 
einem syrischen Magier, der, nach Athen gekommen, 
dem Sokrates unter anderm Schlimmen auch sein ge- 
waltsames Ende vorausgesagt habe. Auch von mir gibt 
es ein Epigramm auf ihn: 

Trink im Olymp nun Nektar, o Sokrates! Hat doch die Gottheit 
Dich für weise erklärt, sie, aller Weisheit Beschluß. 

Deine Athener scheuten sich nicht dir den Becher zu reichen, 
Aber mit deinem Mund tranken sie selber ihn aus. 

Eine Art Nebenbuhler von ihm war, wie Aristo- 
teles im dritten Buch seiner Poetik sagt, der Lemmer 
Antilochos und der Zeichendeuter Antiphon, wie einst 
der Krotoniate Kylon Nebenbuhler des Pythagoras. 
Und so wetteiferte auch mit dem lebenden Homer 
Saearis (?), mit dem verstorbenen der Kolophonier 
Xenophanes, und mit dem lebenden Hesiod Kerkops, 
mit dem verstorbenen der eben genannte Xenophanes; 
und mit Pindar der Koer Amphimenes, mit Ihales 
Pherekydes, mit Bias Salaros aus Priene, mit Pittakos 
Antimenidas und Alkaios, mit Anaxagoras Sosibios und 
I mit Simonides Timokreon. Von seinen Nachfolgern den 
sogenannten Sokratikern, sind die hervorragendsten 
Piaton, Xenophon, Antisthenes; von den sogenannten 
Zehn" 43 ) sind die berühmtesten folgende vier: Aiscln- 
nes Phaidon, Eukleides, Aristippos. Zunächst aber ist 
von Xenophon zu reden, dann von Antisthenes in dem 
Abschnitt über die Kyniker, sodann über die ! sokra- 
tiker 44 ) und so schließlich von Piaton, der das \oibild 
abgibt für die zehn Sekten und die erste Akademie 
selbst gründete. Mit der Nachfolgeschaft also mag es 

S ° Es'lab 8 auch noch einen andern Sokrates, einen 
Historiker, der eine Beschreibung von Argos geliefert 
hat, und einen zweiten, einen Peripatetiker au* » Bithy- 
nien einen dritten, einen Epigrammendichter, und 
Seh den Koer, der über die Götternamen ge- 
schrieben. 



84 



Xenophon. 



Sechstes Kapitel. 
Xenophon. Etwa 430—354 v. Chr. 

Xenophon 45 ) war der Sohn des Gryüos, Athener, 48 
aus dem Demos Erchia, Achtung gebietend und von 
außerordentlich stattlichem Äußern. Ihn soll Sokrates 
bei einer Begegnung in einem engen Gäßchen mit vor- 
gestrecktem Stock angehalten und gefragt haben, wo 
man die verschiedentlichen Nahrungsmittel einkaufen 
könne; nach erhaltener Antwort fragte er weiter, wo 
denn die Stätten zu finden wären für Bildung der 
Menschen zur Tugendhaftigkeit. Als jener darüber 
nicht Auskunft geben konnte, soll Sokrates gesagt 
haben: „So folge mir denn und laß dich belehren." Von 
Stund an ward er der Schüler des Sokrates. Er brachte 
zuerst durch schriftliche Aufzeichnungen die gehalte- 
nen Gespräche zur Kenntnis des Publikums unter dem 
Titel: „Denkwürdigkeiten" (Memorabilien). Auch war 
er der erste unter den Philosophen, der Geschichte 
schrieb. Aristippos erzählt im vierten Buch seines 
Werkes über die üppige Lebensweise der Alten, er sei 
in den Kleinias 46 ) verliebt gewesen und habe unter 
anderem zu ihm gesagt: „Jetzt ist's mir lieber, den 49 
Kleinias anzublicken als alles andre, was es unter 
Menschen Schönes gibt. Und Blindheit für älles andere 
wäre mir weniger schmerzlich, als blind zu sein für den 
einzigen Kleinias. Des Nachts und im Schlafe bin ich 
voll Kummer, daß ich ihn nicht sehe, und dem Tag und 
der Sonne weiß ich mich zu größtem Dank verpflichtet, 
daß sie mich den Kleinias sehen lassen " 

Mit Kyros ward er auf folgende Weise befreundet: 

Sn£ a Q ^ 5 eziehun g zu dem Böotier Proxenos, 
einem Schuler des Gorgias aus Leontini, einem Freunde 
des Kyros. Dieser sandte aus Sardes, wo er als Gast 
des Kyros we,lte, einen Brief an Xenophon nach Athen, 

F™,S t r l n na uJ? o Sardes einlud ' um m " Kyros 
Freundschaft zu schließen. Diesen Brief zeigte er dem 



II 48-52. 



85 



50 Sokrates und fragte ihn um Rat. Sokrates aber wies 
ihn nach Delphi, um den Gott zu befragen. Xenophon 
folgte dem Rat. Im Tempel erscheinend, fragt er aber 
nicht, ob er zum Kyros reisen solle, sondern in welcher 
Art und Weise; darüber war Sokrates zwar etwas ver- 
stimmt, riet ihm aber doch, die Reise anzutreten. So 
erscheint er denn vor Kyros und tritt ihm ebenso nahe 
als Freund wie Proxenos. Was das weitere betrifft, 
den Kriegszug hinauf und den Rückmarsch, so hat er 
uns das selbst in trefflicher Weise geschildert. In 
grimmer Feindschaft lebte er mit dem Pharsaliex 
Menon, 4T ) der zur Zeit des Hinaufzuges der Fuhrer 
des Fremdenkorps war. Ihm wirft er unter anderem 
auch vor, daß er Lieblinge gehabt habe, die älter waren 
als er selbst. Auch einem gewissen Apollonides wirft 
er vor, 48 ) er habe durchlöcherte Ohren. Nach dem per- 

51 stachen Feldzug, den Drangsalen am Pontos und dem 
Vertragsbruch des Odryserkönigs Seuthes ) erschien 
er wieder in Asien zur Unterstützung des Lakedaimo- 
nierkönigs Agesilaos und überließ ihm gegen Rezahlung 
die Truppen des Kyros. Auch war er aufs engste mit 
ihm befreundet. In dieser Zeit erging über ihn von 
Seiten der Athener das VerbannungsuTteil wegen Re- 
«ninstigung der Lakedaimonier. Er begab sich nun 
nach Ephesos und übergab die Hälfte seines ange- 
sammelten Geldes dem Megabyzos, dem Priester der 
Artemis, zur Aufbewahrung, bis zu seiner Ruckkehr; 
käme er nicht wieder, so sollte. er eine Bildsäule her- 
stellen lassen und sie der Göttin weihen. Die andere 
Hälfte verwandte er für Weihgaschenke nach Delphi. 
Von Ephesos kehrte er mit Agesilaos nach Griechen- 
land zurück, da dieser zum Kampf gegen die Thebaner 
heimkehren mußte. Da gewährten ihm die Lakedaimo- 
nier das Recht der staatlichen Gastfreundschaft 

52 (Proxenie). Jetzt trennte er sich von Agesilaos und 
ging nach Skillus, einer Ortschaft ganz in der Nähe 
von Elis. Dahin folgten ihm auch sein Weib ) Phile- 
sia, wie der Magnesier Demetrios berichtet, und seine 



86 Xenophon. 



beiden Söhne, die sogenannten Dioskuren Gryllos und 
Diodoros, wie Deinarchos sagt in seiner Rede wider 
Xenophon 51 ) in Sachen pflichtvergessener Freigelasse- 
ner. Als sich hier nun Megabyzos aus Anlaß der olym- 
pischen Festspiele mit der ihm anvertrauten Geld- 
summe einfand, kaufte er dafür ein Grundstück, das er 
der Göttin weihte; es wurde durchflössen vom Flusse 
Selinos, gleichen Namens mit dem in Ephesos. Dort 
hatte er nun seinen Wohnsitz, beschäftigt mit Jagd, 
mit Bewirtung seiner Freunde und Abfassung seiner 
Historien. Deinarchos berichtet, die Lakedaimonier 
hätten ihm auch ein Haus mit Ackerland geschenkt. 
Ferner soll ihm der Spartiate Philopidas Gefangene 53 
aus Dardanos als Geschenk übersandt haben, und er 
habe nach Belieben über sie verfügt. Man sagt auch, 
die Eleer seien gegen Skillus zu Felde gezogen und 
hätten, da die Lakedaimonier mit ihrer Hilfe zauderten, 
den Ort eingenommen. Seine Söhne entkamen, wie es 
heißt, mit wenigen Sklaven nach Leprecn. Xenophon 
selbst aber zunächst nach Elis, dann auch nach Le- 
preon zu seinen Söhnen; von da, rettete er sich mit 
ihnen nach Korinth und schlug dort seinen Wohnsitz 
auf. Inzwischen hatten die Athener beschlossen, den 
Snartanern Hilfe zu leisten. So schickte er denn seine 
Söhne nach Athen, um für Sparta . Kriegsdienste zu 
tun. ) Denn ihre Erziehung hatten sie in Soarta er- 54 
halten, wie Diokles in den Biographien der Philosophen 
sagt. Diodoros kam glücklich aus der Schlacht davon, 
ohne etwas Hervorragendes geleistet zu haben. Er 
hatte einen Sohn, der den gleichen Namen wie sein 
Bruder führte. Gryllos daeresren. der bei der Beiterei 
diente — <* war Schlarht bei ManWa (362 v. Chr.) 
— flpl nach rühmlichem Kamof. wie Mnmq im fünf- 
undzwanzig gsten Buch beruhtet: BeiWührer war 
Kenhisodor. oberster Heerführer Eejressfiaos: es war 
dies die Schlacht, in der auch Epaminondas fiel. Xeno- 
phon soll, mit einem Kranze geschmückt, gerade mit 
einem Opfer beschäftigt gewesen sein; auf die Meidimg 



II 53-57. 87 

vom Tode seines Sohnes soll er den Kranz abgelegt 
dann aber wieder aufgesetzt haben l auf die Kunde daß 
55 er als wahrer Held gestorben sei. Einige behaupten, er 
habe ohne auch nur eine Träne zu vergießen, gesagt 
Ich wußte, daß er als Sterblicher von mir gezeugt 
ist <' 63 ) Aristoteles berichtet, 54 ) es hätten viele Tausende 
Preislieder und Grabschriften auf Gryllos verfaßt, zum 
Teil auch um dem Vater eine Aufmerksamkeit damit 
zu erweisen. Und Hermippos behauptet m seiner 
Schrift über Theophrast, auch Isokrates habe ein Preis- 
lied auf Gryllos verfaßt. Timon aber treibt »einen Spott 
mit ihm (Xenophon) in folgenden \ersen [Frg. 26 D/1 . 
Schwächlicher Schriften gibt's, wenn du willst, zwei, dre, oder 
Eben wie XenophoJ'schdeb oder Aischines, der sich gefügig 
Zeigte. 66 ) 

So verlief sein Leben. Seine Blütezeit fällt in das vierte 
Jahr der 94. Olympiade (401. v. dir ), und seinen Feld- 
zug mit Kyros machte er unter dem Archontat des 
56 Xenainetos ein Jahr vor dem Tode des Sokrates .Er 
starb, wie der Athener Stesikleides m seinem Verzeich- 
nis der Archonten und olympischen Sieger berichtet, 
im ersten Jahr der 105.. Olympiade (359 v. Chr.) unter 
dem Archen Kallidemides zur Zeit wo Phi lippos, des 
Amyntas Sohn, in Makedonien zur Herrschaft gelangte. 
Nach dem Zeugnis des Magnesiers Dernetrios starb er in 
Korinth hochbetagt. Ein Mann von großer Tüchtig- 
keit auf vielen Gebieten, besonders hervorragend auch 
Sch seine liebevolle Vertrautheit mit .J^™*' 
Jagd und Taktik, wie aus seinen Schriften hervor- 
geht. Zudem war er gottesfürchtig gewissenhaft im 
Opferdienst, kundig der Auslegung der Opferzeichen 
und streng ergebener Nacheiferer des Sokrates Er 
schrieb an die'vierzig Bücher über deren Einigung 
die Meinungen weit auseinandergehen: die Anabasis, 
57 in der jedes einzelne Buch sein besonderes Prooemium 
hat. während das Ganze ohne Einleitung ist. die Kyru- 
pädie, die Hellenika und die Memorabilien, das Sym- 



88 



Xenophon - Aischines. 



posion, den Oikonomikos, über die Reitkunst, den 
Kynegetikos und den Hipparchikos, die Apologie des 
Sokrates, über die Einkünfte, den Hieron oder Tyranni- 
kos, den Agesilaos und die Staatsverfassung der Athe- 
ner und Lakedaimonier, von der der Magnesier Deme- 
trios behauptet, sie sei kein Werk des Xenophon. Er 
soll es auch gewesen sein, der die der "Welt noch unbe- 
kannten Bücher des Thukydides ans Licht zog, und ob- 
schon er sie als die seinigen hätte ausgeben können, 
selber den Grund zu ihrem Ruhme legte. Man nannte 
ihn auch die „Attische Muse" wegen der Anmut der 
Darstellung. Daher stammt auch die gegenseitige 
Eifersucht zwischen ihm und Piaton, auf die wir in 
dem Abschnitt über Piaton näher eingehen werden. 06 ) 
Auch auf ihn gibt es einige Epigramme von mir. Sie 58 
lauten: 

Nicht gegen Person nur zog Xenophon aufwärts mit Kyros, 
Nein er suchte zugleich aufwärts zur Gottheit den Weg. 

Hellas Geschichte uns schildernd erwies er die eigene Bildung, 
Und seines Sokrates Bild zeigt uns was Weisheit vermag. 

Ein anderes über seinen Tod lautet so: 87 ) 

^iffeS^^ auch de ? Kranaos stadt und des Kekr °p s 

r>Jt* ♦ ! Q " n . st, ' n £ aus dem Land verbannt grausam, 

dJ &älÄ m K ° rinth eh l? gern dich empfangende Stätte. 
Du wähltest sie zum neuen lieben Heim freudig. 

T> v .f ni ?TS habe ich die Nachricht gefunden, seine 59 
Blutezeit falle in die 89. Olympiade (424/21 v Chr ) 
zusammen mit der der übrigen Sokratiker, und Istros 
berichtet, er sei verbannt worden auf Antrag des Eubu- 
E^butos ™ rUckgekehrt Unfalls auf Antrag des 
Es hat sieben Männer Namens Xenophon gegeben. 
MhJI* p St / ei \ ebe " besprochene; der zweite ein 
TW?' v™, " de f P ^ thostrato «. des Dichters der 
S e ' Ve f fasse r/es Lebens des Epaminondas und 
a , » eben a * d * r ^ Schriften; der dritte ein Arzt 

aus Kos, der vierte der Verfasser einer Geschichte 



1 



II 57-61. 



89 



Hannibals; der fünfte Verfasser einer mythischen 
Wunderfibel; der sechste ein Parier, Bildhauer; der 
siebente ein Dichter der alten Komödie. 



Siebentes Kapitel. 
Aischlnes. Um 400 v. Chr. 

60 Aischines, Sohn des Wurstmachers Gharinos, nach 
anderen des Lysanias, aus Athen, ließ sich von Jugend 
auf keine Anstrengung verdrießen. Daher denn auch 
seine unerschütterliche Anhänglichkeit an Sokrates 
und der Ausspruch des Sokrates: „Nur des Wurst- 
machers Sohn weiß mich gebührend zu würdigen." Er 
ist es nach Idomeneus gewesen, der dem Sokrates im 
Gefängnis zur Flucht riet, und nicht Kriton. Piaton 
hat nur deshalb, weil Aischines dem Aristippos näher 
stand, den Kriton zum Unterredner gemacht. Auf das 
schärfste wurde er von Menedemos, dem Eretrier, mit 
der Verleumdung verfolgt, seine Dialoge seien zumeist 
Werke des Sokrates; durch Xanthippe in ihren Besitz 
gekommen, habe er sie als die eigenen ausgegeben. Von 
ihnen sind die sogenannten Kopflosen (axs'<p<x\oi, d. i. 
Dialoge ohne szenische Einleitung) matt und zeigen 
nichts von der Somatischen Kraft; so behauptete denn 
auch der Ephesier Peisistratos, sie gehörten nicht dem 

• 61 Aischines. Die meisten dieser sieben Dialoge, behauptet 
Persaios, 58 ) gehörten dem Pasiphon aus Eretria, der sie 
unter des Aischines Werke eingereiht habe. Aber auch 
unter des Antisthenes Werken hat er (Persaios) den 
kleinen Kyros, den kürzeren Herakles und Alkibiades 
als untergeschoben verdächtigt, ebenso anderer Werke. 
Der Dialoge des Aischines nun, die ein Bild von der 
Somatischen Geistesart zu geben suchen, gibt es sieben: 
der früheste ist MiMiades, der sich denn auch noch 



90 



Aischines - Aristippos. 



ziemlich ischwächlich ausnimmt, dann Kallias, Axio- 
chos, Aspasia, Alkibiades, Telauges, Rhinon. 59 ) Man 
erzählt, seine dürftige Lage habe ihn veranlaßt, nach 
Sizilien zum Dionysios zu reisen; Piaton habe ihn dort 
unbeachtet gelassen, wogegen Aristipp sich seiner an- 
genommen habe; und gegen Überreichung einiger seiner 
Dialoge habe er Geschenke empfangen. Dann nach 
Athen zurückgekehrt, habe er nicht gewagt, als Lehrer 62 
der Philosophie aufzutreten, da damals Piaton und 
Aristipp in hohem Ansehen standen. Doch habe er 
gegen Bezahlung Vorträge gehalten. Dann* habe er sich 
aufs Redenschreiben verlegt zur Verteidigung un- 
schuldig Verfolgter, daher denn auch Timon auf ihn 
mit den "Worten zielte: „Die Kraft des Aischines, die 
sich gefügig zeigte." 60 ) Sokrates aber soll ihm ange- 
sichts seiner drückenden Armut den Rat erteilt haben, 
er möge bei sich selbst eine Anleihe machen durch Ent- 
ziehung der Nahrungsmittel. Seine Dialoge ver- 
dächtigte auch Aristipp; denn als er in Megara 61 ) einen 
davon vorlas, soll er spöttisch gesagt haben: „Woher 
hast du das, du Räuber?" Polykritos aus Mende be- 63 
richtet im ersten Buche seiner Geschichte des Diony- 
sios, er habe bis zur Vertreibung des Tyrannen und bis 
zur Rückkehr des Dion nach Syrakus beim Dionysios 
gewohnt; mit ihm zusammen habe auch der Tragödien- 
dichter Karkinos dort geweilt. Es geht auch ein Brief 
des Aischines an Dionysios um. Auch in den Künsten 
der Rhetorik war er sehr bewandert, wie sich aus der 
Verteidigungsrede ergibt, die er für den Vater des Feld- 
herrn Phaiax 62 ) schrieb, sowie aus der Art, wie er ins- • 
besondere den Leontiner Gorgias nachahmt. Lysias 
schrieb gegen ihn eine Rede, die den Titel führte „über - 
Verleumdung" (wspiewxoq>avrfac\ Daraus erhellt, daß er 
sich auch mit Rhetorik abgab. Von Freunden von ihm 
wird einer genannt, Aristoteles mit dem Beinamen 
Mythos. 

Von allen Somatischen Dialogen hält Panaitios für 64 
echt nur die des Piaton, des Xenophon, des Antisthenes 



II 61-66. 



91 



und des Aischines, über 'die des Phaidon und Eukleides 
ist er zweifelhaft, die übrigen verwirft er sämtlich. 63 ) 
Es hat acht Männer dieses Namens gegeben. Der 
erste ist unser Aischines; der zweite der Verfasser der 
Rhetorik; der dritte der Redner zur Zeit des Demosthe- 
nes; der vierte ein Arkadier, Schüler des Isokrates; der 
fünfte der Mytilenäer, den man auch die „Redner- 
geißel" nannte; der sechste ein Neapolitaner, ein Aka- 
demiker, Schüler und Liebling des Rhodiers Melan- 
thios; der siebente der Milesier, politischer Schrift- 
steller; der achte ein Bildhauer. 



Achtes Kapitel. 
Aristippos. Um 435^-350 v. Chr. 

65 Des Aristippos Heimat war Kyrene, doch siedelte 
er, wie Aischines berichtet, angezogen durch den 
Namen des Sokrates, nach Athen über. Er war, wie der 
Peripatetiker Phanias aus Eresos sagt, der erste unter 
den Sokratikern, der für seine philosophische Lehr- 
tätigkeit Bezahlung forderte und seinem Lehrer Geld 
zuschickte. Als er ihm einst zwanzig Minen übersandte, 
erhielt er sie alsbald wieder zurück mit der Versiche- 
rung des Sokrates, das Dämonium verbiete ihm die An- 
nahme. Sokrates war nämlich ungehalten darüber 
Xenophon stand mit Arietipp auf gespanntem Fuß. ) 
So wählte er denn bei den Ausführungen über die 
Lust den Aristipp als den, an welchen Sokrates sie 
richtet. Auch Theodoras ließ es in seinem Buch über 
die Sekten an Tadel gegen ihn nicht fehlen, auch 
66 Piaton nicht in seinem Phaidon (59 BC), wie bereits 
anderswo bemerkt. 60 ) Er wußte sich mit Gluck m Ort, 
Zeit und Person zu schicken und jede Rolle den je- 
weiligen Umständen gemäß zu spielen. Daher fand er 
auch mehr als die andern den Beifall des Dionysios, da 



Aristippos. 



er jeder Lage stets die beste Seite abzugewinnen wußte. 
Denn er genoß die Lust, die der Augenblick bot, ohne 
ängstlich nach Genüssen zu jagen, die in dunkler 
Ferne liegen. Daher auch das Wort des Diogenes, der 
ihn einen „königlichen Hund" nannte. Timon 88 ) aber 
macht sich über ihn lustig als über einen Weichling mit 
folgenden Worten [Fr. 27 D.]: 

Wie Aristippos' verwöhnte Natur, der tastend erkannte 
Falsches. 

Einst soll er ein Rebhuhn für fünfzig Drachmen ge- 
kauft haben; und als ihm einer dies vorrückte, ant- 
wortete er: „Du aber, hättest du es nicht für einen 
Obolos gekauft?" und als jener ja sagte, erwiderte er: 67 
„Das ist für dich gerade so viel wie für mich fünfzig 
Drachmen." Dionysios ließ ihm einst drei weibliche 
Schönheiten vorführen mit der Aufforderung, sich eine 
auszuwählen; da führte* er alle drei weg mit den 
Worten: „Auch dem Paris hat es keinen Segen ge- 
bracht, einer den Vorzug zu geben." Doch führte er 
sie nur bis in die Vorhalle und ließ sie dann laufen. 
So geschmeidig war er im Wählen und Verwerfen. 
Daher habe einst Straton oder nach anderen Piaton zu 
ihm gesagt: „Du bist der einzige, dem es gegeben ist. 
im Prachtgewand und in Lumpen aufzutreten." Als 
Dionysios ihn einmal anspuckte, nahm er es ruhig 
hin : und als ihm einer diese Gleichmütigkeit vorrückte, 
erwiderte er: „Wie? sollen denn die Fischer es sich ge- 
fallen lassen vom Meerwasser übersnritzt zu werden, 
um einen Gründling zu fangen, und ich soll es nicht 
über mich ergehen lassen, mit Speichel bespritzt zu 
werden, um ein Fischgericht zu bekommen?" Als ihn 68 
sein Weg einstens am Diogenes vorüberführte, der 
damit beschäftigt war, sein Kraut abzuspülen, sagte 
dieser spottend: ..Hättest du gelernt, dich mit solcher 
Kost zu begnügen, so würdest du dich nicht zum 
Dienst an Tyrannenhöfen erniedrigen." Aristipp aber 
entgegnete: ..Und du würdest, wenn du mit Menschen 
umzugehen verstündest, dich nicht mit Krautwaschen 



II 66-70. 93 

abgeben." 67 ) Auf die Frage, welcher Vorteil ihm aus 
der Philosophie erwüchse, antwortete er: „Ein sicheres 
Auftreten im Verkehr mit jedermann." Einem ge- 
legentlichen Tadel wegen seines verschwenderischen 
Lebens begegnete er mit den Worten: „Wäre das ver- 
werflich, so würde es gewiß bei den Göttern nicht zu- 
lässig sein." Und einstmals gefragt, was die Philo- 
sophen vor anderen voraus hätten, antwortete er: „Ge- 
setzt," 8 ) es wären sämtliche Gesetze aufgehoben, .so 
werden wir Philosophen doch in unserer Lebensweise 
keine Veränderung eintreten lassen." Auf die Frage 

69 des Dionysios, weshalb die Philosophen an den Türen 
der Reichen anklopfen, die Reichen aber nicht an den 
Türen der Philosophen, antwortete er: „Weil die 
ersteren wissen, was ihnen not tut, die anderen aber 
nicht." Von Platon einst getadelt wegen seines ver- 
schwenderischen Lebens, fragte er: „Hältst du den 
Dionysios für tüchtig?" und nach bejahender Antwort 
fuhr er fort: „Und doch lebt er verschwenderischer als 
ich; nichts also hindert verschwenderisch und dabei 
doch tadelfrei zu leben." Gefragt, wodurch sich die Ge- 
bildeten von den Ungebildeten unterscheiden, ) sagte 
er: „Wodurch sich die gezähmten Rosse von den un- 
gezähmten unterscheiden." Als beim Eintritt in das 
Haus einer Dirne einer seiner jungen Begleiter er- 
rötete, sagte er: „Nicht im Eintritt liegt das Bedenk- 
liche, aber nicht wieder loskommen können, das ist s! 

70 Als ihm einer ein Rätsel vorlegte mit der Aufforderung: 
„Löse es!" erwiderte er: „Tor du, wozu lösen, was uns 
trotz der Banden, in denen es liegt, schon Schwierig- 
keiten macht?" Besser, sagte er, sei es, ein Bettler zu 
sein, alß ungebildet; denn jenem fehle es am beide, 
diesem aber an der Menschlichkeit (Humanität). ; 
Einem, der ihn schmähte, wich er einst aus; dieser 
aber verfolgte ihn mit den Worten: „Warum fliehst 
du?" — „Weil," sagte er, „du die Freiheit hast zu 
schmähen, und ich die Freiheit, es nicht anzuhören. ' 
Als einer die Bemerkung machte, er sähe immer die 



94 



Aristippos. 



Philosophen an den Türen der Reichen, erwiderte er: 
„Sieht man doch auch die Ärzte immer an den Türen 
der Kranken; allein deshalb möchte doch niemand lieber 
krank sein als heilen." Auf einer Seefahrt nach Ko- 71 
rinth geriet er infolge eines Sturmwetters in schwere 
Beängstigung. Als da einer der Mitfahrenden zu ihm 
sagte: „Wir ungelehrten Leute haben keine Angst, ihr 
Philosophen aber zittert und zagt," antwortete er: „Es 
ist nicht dieselbe Art von- Seele, um die du und ich uns 
ängstigen." Als sich einer mit seiner Vielwissenheit 
brüstete, sagte er: „Wie diejenigen, die im Essen und in 
der Gymnastik keine Grenzen kennen, nicht gesunder 
sind als die, welche darin das rechte Maß einhalten, so 
sind nicht die achtbar, die vieles, sondern die Nütz- 
liches lesen." Einem Redner, der seine (des Aristipp) 
Sache vor Gericht mit Erfolg vertreten hatte und darauf 
an ihn herantrat mit der Frage: „Was hat dir nun dein 
Sokrates genützt?" entgegnete er: „Dieses, daß die 
lobenden Worte, die du zu meinen Gunsten sprachst, 
wirklich der W T ahrhedt entsprechen." Seiner Tochter 72 
Arete suchte er die besten Grundsätze beizubringen und 
gewöhnte sie durch strenge Erziehung an Verachtung 
des Übermaßes. Auf die Frage, welche Förderung 
seinem Sohne aus der Bildung erwachsen werde, ant- 
wortete er: „Wenn auch sonst keine, so doch wenig- 
stens die, daß er im Theater nicht dasitzen wird wie ein 
Stein auf dem Stein." 71 ) Als ihm einer seinen Sohn 
zuführte, verlangte er fünfhundert Drachmen, und als 
jener erwiderte: „Dafür kann ich ja einen Sklaven 
kaufen," sagte er: „Kaufe ihn nur, dann hast du zwei." 
Geld, sagte er, nähme er von seinen Freunden nicht für 
den eigenen Gebrauch, sondern um ihnen zu zeigen, 
worauf man das Geld verwenden müsse. Einem Vor- 
wurf darüber, daß er in eigner Sache für Geld einen 
Anwalt angenommen habe, begegnete er durch die 
Worte: „Wenn ich ein Gastmahl gebe, miete ich mir 
doch auch einen Koch." Einst gebot ihm Diony- 73 
sios, ein bestimmtes Kapitel aus der Philosophie zu er- 



II 70-75. 



95 



örtern; da sagte er: „Es ist doch lacherlich, daß ich 
über eine Sache zu deiner Belehrung reden, und von 
dir erst lernen soll, w a n n man über diese Sache reden 
muß u72 ) Darüber entrüstet habe Dionysios ihm seinen 
Platz ganz unten an der Tafel angewiesen den er mit 
den Worten eingenommen habe: „Du wolltest diesen 
Platz zu einem Ehrenplatz machen." Ate einer sich 
seiner Taucherkünste rühmte, sagte er: „Schämst du 
dich nicht, mit Delphinenkünsten groß zu tun? be- 
fragt nach dem Unterschied zwischen einem Weisen 
und Nichtweisen, sagte er: „Schicke sie beide nackt zu 
Unbekannten, und du wirst es erfahren. Als einer 
damit prahlte, daß er wer weiß wie viel trinken könne, 
ohne betrunken zu werden, sagte er: „Das kann ein 
74 Maultier auch." Als ihm jemand \orhalt tat, daß er 
mit einer Dirne zusammen lebe, antwortete er: »Macm 
es denn etwa einen Unterschied, ob ein Haus, das ich 
bekomme, viele Bewohner gehabt hat oder keinen? — 
Nein' — „Und ob das Schiff, auf dem ich fahre schon 
Tausende von Passagieren in sich gehabt hat oder 
keinen einzigen?" - Durchaus nicht! — „Also macht 
es auch keinen Unterschied, ob ein Weib mit dem ich 
zusammenlebe, schon viele Liebhaber gehabt hat oder 
keinen " Als ihm einer zum Vorwurf machte, dali er, 
ein Schüler des Sokrates, sich den Unterricht bezahlen 
lasse, sagte er: „Mit vollem Becht; nahm doch auch 
Sokrates, wenn man ihm Brot und Wein zuschickte, 
einiges davon an, während er den Best zurückschickte; 
denn seine Wirtschaftsverwalter waren die ersten 
Männer von Athen, während mein Wirtschaftsfuhrer 
nur der Sklave Eutychides ist, den ich für Geld ge- 
kauft habe." Er pflegte auch Umgang mit der Buhlerm 
Lais, wie auch Sotion im zweiten Buche seiner 
75 Sukzessionen berichtet. Den Tadlern antwortete er m 
Bezug auf sie: „Ich bin ihr Herr und nicht ihr Knecht; 
denn zu gebieten über die Lust und ihr nicht zu unter- 
liegen, das ist wahrhaft preiswürdig, nicht sie sieb zu 
versagen" WaTf ihm jemand seine Verschwendung 



9« 



Aristippos. 



für die Freuden der Tafel vor, so sagte er: „Würdest 
du das nicht kaufen, wenn du es für drei Obolen be- 
kämst?" und auf die bejahende Antwort fuhr er fort: 
„Ich bin also nicht so lustbegierig wie du geldgierig." 
Als Simos, der Wirtschaftsverwalter des Dionysias, ein 
Phryger und verlotterter Gesell, ihm einstmals pracht- 
volle Häuser mit Mosaikfußböden zeigte, spie er ihm 
aus vollem Halse ins Gesicht und gab dem darüber 
Entrüsteten die Antwort: „Ich fand hier keinen schick- 
licheren Ort dafür." Dem Gharondas oder nach an- 76 
deren dem Phaidon antwortete er auf die Frage: Wer 
ist der nach Salben Duftende? „Ich, der Unselige, und 
unseliger noch als ich ist der Perserkönig. Aber frage 
dich, ob nicht, wie von den übrigen Geschöpfen keines 
dadurch an seinem Werte einbüßt, so auch der Mensch 
nicht. Zum Henker aber mit den Wollüstigen, die 
unsere herrliche Salbe in Verruf bringen." Gefragt, 
wie Sokrates gestorben sei, antwortete er: „So, wie ich 
es mir wünschte!" Als der Sophist Polyxenos ihn 
einst besuchte und sich über die Damen verwunderte, 
sowie über die verschwenderisch besetzte Tafel und 
dann einen Tadel vernehmen ließ, sagte er nach einer 
kleinen Pause: „Kannst auch du heute unser Gast 
sein?" und nach erhaltener Zusage fuhr er fort: „Wozu 77 
also dein Tadel? Es scheint, du tadelst nicht die Tafel, 
sondern den Kostenaufwand." Als sein Diener unter- 
wegs einen Geldsack zu tragen und an der Last schwer 
zu schleppen hatte, sagte er, wie Bion in seinen Ab- 
handlungen berichtet: „Schütte aus, was zu viel ist, 
und trage nur, so viel du kannst." Einst merkte er auf 
einer Seefahrt, daß er auf ein Seeräuberschiff geraten 
sei; da nahm er sein Geld heraus, zählte es, und ließ 
es dann, als geschähe es bloß aus Versehen, ins Meer 
fallen mit einem deutlichen Seufzer. Andere berichten, 
er habe noch die Worte hinzugefügt, es sei besser, der 
Mammon gehe durch Aristipp zugrunde als umgekehrt. 
Als Dionysios ihn einst nach dem Zwecke seines 
Kommens fragte, sagte er, er wolle mitteilen von dem, 



II 75-80. 



97 



was er besäße, und empfangen was er nicht besäße. 

78 Einige aber formulieren seine Antwort so: „Als ich der' 
Weisheit bedurfte, ging ich zum Sokrat,es; jetzt aber, 
da ich des Goldes bedarf, bin ich zu dir gekommen." 
Er tadelte die Menschen, daß sie bei ihren Einkäufen 
die Geräte einer genauen Besichtigung unterzögen, da- 
gegen mit Prüfung der Lebensführung es so leicht wie 
möglich nähmen. Andere schreiben dies Wort dem 
Diogenes zu. Als einst bei einem Gelage Dionysios den 
Befehl gab, es solle Mann für Mann in einem purpur- 
nen Gewände tanzen, habe Piaton sich nicht darauf 
eingelassen mit den Worten [Eur. Bacch. 827] : 

Wie könnt' ich je behängen mich mit Weiberschmuck?' 
Aristipp dagegen habe es sich gefallen lassen und 
seinen Tanz mit den treffenden Worten eingeleitet 
[Eur. Bacch. 314 f.] : 

Wird doch auch beim Bacchusfest 
Ein züchtig Frauenherz sich wahren vor Verderb. 

79 Als er einmal für einen Freund eine Bitte an Diony- 
sios richtete und abschlägig beschieden ward, suchte 
er ihn durch einen Fußfall umzustimmen. Darüber 
machte sich jemand lustig, er aber entgegnete: „Nicht 
ich trage die Schuld daran, sondern Dionysios, der 
seine Ohren in den Füßen hat." Bei einem Aufenthalt 
in Asien wurde er vom Satrapen Artaphernes in Ge- 
wahrsam genommen. Da sagte jemand zu ihm: „Und 
dabei bist du so guten Mutes?" worauf er erwiderte: 
„Wann sollte ich denn, du Tor, mutiger gestimmt sein 
als jetzt, wo ich Gelegenheit haben werde, mich mit 
Artaphernes zu unterhalten?" Diejenigen, die, in den 
üblichen Bildungsfäohern wohlgeschult, sich doch mit 
der Philosophie nicht näher befaßt hatten, verglich er 
mit den Freiern der Penelope, denn diese könnten auch 
über Melantho und Polydora und die übrigen Mägde 
verfügen, aber eher alles andere erreichen als die Ehe 
mit der Herrin. Ähnlich lautet auch ein Ausspruch 

80 des Ariston, nämlich: Odysseus habe bei seiner Fahrt 

A p e f t , Diogenes Laertins. 7 



98 



Aristippos. 



in die Unterwelt die Toten fast alle gesehen und ange- 
redet, nur die Königin selbst habe er nicht zu sehen 
bekommen. Auf die Frage ferner, was tüchtige Jüng- 
linge lernen müßten, antwortete Aristipp: „Das, was 
ihnen künftig als Männern sich nützlich erweisen 
wird." Zu einem, der ihm vorrückte, daß er vom So- 
krates den Weg zum Dionysios habe einschlagen 
können, bemerkte er: „Zum Sokrates führte mich das 
Bedürfnis nach Anspannung des Geistes, zum Diony- 
sios das nach Abspannung." (OTu8s£a-7rai,8t.ä.) 7S ) Als ihm 
der Verkehr mit den Schülern schon reichen Gewinn 
abgeworfen hatte, fragte ihn Sokrates: „Wie kommet 
du zu so vielem?" worauf er erwiderte: „Wie du zu 
deinem Wenigen." Als eine Dirne zu ihm sagte: „Ich 81 
bin schwanger von dir," antwortete er: „Das kannst 
du unmöglich erkennen; ebensogut könntest du sagen, 
du wärst bei einem Gang durch dichtes Binsengestrüpp 
von dieser bestimmten Binse gestochen worden." Einer 
warf ihm vor, daß er sich von seinem Sohne lossage, 
als wäre es nicht sein eigenes Kind, worauf er er- 
widerte: „Wissen wir doch auch, daß der Schleim und 
die Läuse aus uns selbst kommen; gleichwohl schleu- 
dern wir sie, nutzlos wie sie sind, so weit wie möglich 
von uns." Als er von Dionysios Geld erhielt, während 
Piaton ein Buch bekam, sagte er zu einem, der ihm 
dies aufmutzte: „Nun, ich bedarf eben des Geldes, 
Piaton dagegen der Bücher." Auf die Frage, weshalb 
er vom Dionysios scheel angesehen werde, erwiderte er: 
„Um dessenwülen, was die andern an Dionysios aus- 
zusetzen haben." 74 ) Auf eine Bitte an Dionysios um 82 
Geld antwortete dieser: „Aber du hast mir ja doch er- 
klärt, der Weise werde nie in Verlegenheit geraten." — 
„Nur erst heraus mit dem Geld," fiel ihm Aristipp ins 
Wort, „dann wollen wir über diese meine Äußerung 
weiter reden." Als er darauf das Geld erhalten, sagte 

€ aÜ • Siehst ' ich bin niicht in Verlegenheit geraten." 
Als Dionysios einmal die Worte zitierte [Fragm. aus 
Sophokles] : 



II 80-84. 



99 



Wer am Tyrannenhof sein Unterkommen sucht. 

Der wird zum Sklaven, war er gleich ein freier Mann, 

verbesserte er rasch einfallend: 

Nie wird er Sklave, wenn als freier Mann er kommt. 
So berichtet Diokles in seinen Lebensbeschreibungen 
der Philosophen. Andere teilen das Wort dem Piaton 
zu Von heftigem Zorne gegen Aischmes erfüllt, sagte 
er doch bald darauf: „Wollen wir uns nicht verlohnen, 
wollen wir nicht ablassen von diesem unsinnigen Hm- 
und Herreden, willst du abwarten, bis irgendein Witz- 
ling uns beim Becher versöhnt?" Darauf Aischmes: 

83 „Von Herzen gern." Und Aristipp: „Denke also daran, 
daß ich, obschon der Ältere, den ersten Schritt zur 
Versöhnung getan habe," worauf Aischmes: „Ja. gewiü, 
bei der Hera, du hast vollkommen recht, denn du uber- 
triffst mich bei weitem an Güte: ich bin der btifter der 
Feindschaft und du der Stifter der Freundschaft. 

Alle diese Äußerungen werden ihm zugeschrieben. 
Es hat aber vier Aristippe gegeben: der erste ist der 
eben Besprochene; der zweite der Verfasser der be- 
schichte Arkadiens; der dritte der Metrodidakt, der 
Tochtersohn des ersten; der vierte das Mitglied der 
neueren Akademie. • , , , -d- , , 

Dem Kyrenaiker Aristipp werden folgende Bücher 
zugeschrieben: drei Bücher Libyscher Geschichte dem 
Dionysios gewidmet, ein Buch Dialoge, und zwar fünf- 
undzwanzig Dialoge teils in attischer teils in dorischer 

84 Mundart geschrieben. Es sind dies folgende: 1. Arta- 
bazos, 2. An die Schiffbrüchigen, 3. An die Verbannten, 
4 An einen Bettler, 5. An Lais, 6 An Porös, 7^ Ab La* 
über den Spiegel, 8. Hermeias, 9. Der Traum, 10. An 
den Leiter des Gelages, 11. Philomelos, 12. An die 
Hausgenossen, 13. An die Tadler seiner Neig^g für 
alten Wein und für Dirnen, 14. An die Tadler seiner 
reichen Tafel, 15. Brief an seine Tochter Arete 16 < An 
einen, der sich für Olympia übte 17. A ™ge, 
18. Zweite Anfrage, 19. Traktat (Ghrie) an Dionysios, 



100 



Aristippos - Kyrenaiker. 



20. Ein zweiter über das Bild, 21. Ein dritter über des 
Dionysias Tochter, 22. An einen, der sich für zurück- 
gesetzt und verkannt hält, 23. An einen, der ihn mit 
Ratschlägen behelligt. 75 ) Einige schreiben ihm auch 
sechs Abhandlungen (Diatriben) zu, andere wieder 
leugnen, daß er überhaupt etwas geschrieben habe. Zu 
* ihnen gehört der Rhodier Sosikrates. Nach Sotion aber 8$ 
im zweiten Buch sowie nach Panaitios gehören ihm 
folgende Schriften: Über Erziehung. Über die Tugend. 
Protreptikos. Antabazos. Die Schiffbrüchigen. Die 
Verbannten. Sechs Diatriben. Drei Ghrien. An Lais. 
An Porös. An Sokrates. Über den Zufall. 

Als höchstes Ziel stellte er die sanfte (glatte) zur 
Empfindung sich steigernde Bewegung hin. Wir aber 
wollen nach der Darstellung seines Lebens uns nun- 
mehr seinen Schülern, den Kyrenaikern, zuwenden, die 
sich selbst teils Hegesiaker, teils Annikereer, teils Theo- 
doreer nannten. Aber auch der Schule des Phaidon, 
deren hervorragendste Vertreter die Eretrier sind. Es 
steht damit folgendermaßen: des Aristipp Schüler 86 
waren seine Tochter Arete und Aithiops aus Ptolemais 
und Antipater aus Kyrene. Der Arete Schüler war ihr 
Sohn Aristippos der Metrodidakt (Mutterlehrling), und 
dessen Schüler war Theodoros der Gottlose (ateoc), wie 
er erst hieß, später der Gott (^so;). Schüler des Anti- 
pater war Epitimides aus Kyrene, dessen Schüler 
Paraibates, dessen Schüler Hegesias, genannt Peisi- 
thanatos (zum Tode ratend) und Annikeris, der den 
Piaton aus der Gefangenschaft loskaufte. 

Diejenigen, welche den Grundsätzen des Aristipp 
treu blieben und sich Kyrenaiker nannten, hielten sich 
an folgende Lehrsätze. Sie nahmen zwei Seelenzustände 
an, den einen als sanfte Bewegung, nämlich die Lust, 
den Schmerz aber als rauhe (ungestüme) Bewegung. 
Zwischen Lust und Lust, sagen sie, ist kein Unter- 87 
schied,' ) und es gibt nichts, was sich durch einen 
höheren Grad von Annehmlichkeit vor dem andern 
Angenehmen hervorhebt. Die Lust ist allen Geschöpfen 



II 84-89. 101 

erwünscht, dem Schmerz aber weicht man aus Indes 
ist es die körperliche Lust, die sie für das Ziel erklaren, 
wie auch Panaitios behauptet in seinem Werke über die 
Sekten, nicht aber die bewegungslose Lust bei ^ egtaü 
der Schmerzen, jener Zustand der Ungestortheit dem 
Epikur huldig! und den er für das Ziel erklart. Sie 
machen auch einen Unterschied zwischen Ziel und 
Glückseligkeit. Ziel nämlich sei die einzelne Lust, ( 
Glückseligkeit die Summe der einzelnen Lustempün- 
düngen in der auch die vergangene und zukunftige , 
mitinbegriffen sind. Die einzelne Lust sei um ihrer 
selbst willen begehrenswert, die Glückseligkeit dagegen 
nicht um ihrer selbst willen, sondern wegen der ein- 
zelnen Lustempfindungen. Der Beweis dafür, daß die 
Lust das Ziel ist, liegt in der Tatsache, daß wir ohne 
alle vorausgegangene Überlegung von Kind auf uns 
mit ihr verwandt fühlen und daß wir, in ihren Besitz 
gelangt, nichts weiter begehren, während wir nichts 
so sehr meiden wie *Me ihr entgegengesetzte Schmerz- 
empfindung. Und zwar sei die Lust ein Gut selbst 
dann, wenn ihre Quelle noch so schmutzig wäre. So 
berichtet Hippobotos in seinem Buch über die Sekten. 
Denn mag auch die Handlung verächtlich sein, dw 
Lust rein für sich genommen ist doch um ihrer selbst 
willen erstrebenswert und ein Gut. Dagegen scheint 
89 ihnen die Beseitigung (u*e£«ips«i<;) des Schmerzes — 
dies ist der Ausdruck, dessen sich Epikur für die Sache 
bedient — noch nicht (eigentliche) Lust zu sein. Eben- 
sowenig ist die Lustlosigkeit schon Schmerz. Denn die 
Bedingung für beide sei Bewegung, eine Bedingung, 
die weder auf die Schmerzlosigkeit noch auf die Lust- 
: losigkeit zutreffe, denn die Schmerzlosigkeit sei ein Zu- 
stand der Empfindungslosigkeit wie im Schlafe. 
Manche, behaupten sie, seien wegen verkehrter Geistes- 
verfassung eines Strebens nach Lust überhaupt nicht 
fähig. Indes nicht alle geistigen Lust- und Schmerz- 
gefühle beruhen auf körperlichen Lust- und Schmerz- # 
empündungen. Denn schon aliein über das Wohl- 



102 



Aristippos - Kyrenaiker. 



ergehen des Vaterlandes freue man sich wie über das 
eigene. Anderseits reicht aber auch die bloße Er- 
innerung an das Gute oder die Hoffnung darauf nicht 
hin zum Zustandekommen der Lust, wie es nach Epi- 
kurs Annahme der Fall ist. Denn der Zeitverlauf läßt 90 
die Bewegung der Seele wieder verschwinden. Sie be- 
haupten aber auch, daß das bloße Sehen oder Hören 
noch nicht die Lust ausmache. Denn die Nachahmung 
von Wehklagen (auf dem Theater) hören wir mit Lust 
an, die wirklichen dagegen mit Unlust. 77 ) So bezeich- 
neten sie denn Lustlosigkeit und Schmerzlosigkeit als 
mittlere Zustände. Weit aber stehe an Annehmlichkeit 
die körperliche Lust über der geistigen, und in dem- 
selben Maße sei der Körperschmerz empfindlicher als 
der Seelenschmerz. Daher würden denn auch die Ver- 
brecher durch Körperschmerzen härter gestraft; 78 ) 
denn — so meinten sie — schwerer zu ertragen ist der 
Schmerz, während die Lust unserer Natur mehr ent- 
spricht. Daher wandten sie auch der letzteren eifrigere 
Sorge zu. So komme es denn, daß, wenngleich die Lust 
als ein selbständiges Gut für sich bestehe, sich doch 
dem Genüsse mancher Lust oft der Umstand entgegen- 
stelle, daß sie nur durch Unlust erkauft werden könne. 
Die Glückseligkeit also, als die Gesamtsumme aller 
Lust, erschien ihnen demzufolge als ein kaum zu er- 
reichendes Ziel. Ihrer Ansicht nach führt zwar weder 91 
der Weise ein durchaus lusterfülltes Leben, noch der 
Tor ein durchweg schmerzvolles, aber sie sind doch 
(vergleichsweise) gegen die andern im Übergewicht. 
Es genügt, wenn einer in den einzelnen einschlagenden 
Fallen der Lustempfindung teilhaftig wird. 79 ) Die Ein- 
sicht halten sie für ein Gut, doch für erstrebenswert 
nicht um ihrer selbst willen, sondern um der erfreu- 
lichen Folgen willen. Freunde suche man um des 
Nutzens willen; so habe man auch an einem Körper- 
teil Freude, solange er da sei. Einige Tugenden, 
meinten sie, fänden sich auch bei den Unweisen. 
Fleißige Körperübung fördere uns auch auf dem Wege 



II 89-93. 



103 



zur Tugend. Der Weiße, meinen sie, werde sich nicht 
von Neid, Liebesleidenschaft oder Aberglauben be- 
herrsche lassen. Denn diese Seelenregungen beruhen 
auf ^Vorstellungen. Doch sei er dem Schmerz und 
de Furcht zugänglich, denn das seien ^turgemaße 

92 Vorgänge. Der Reichtum sei zwar nicht an und für 
S zu erstreben, verhelfe uns aber doch (mit) zur 
Lust. Die Seelenerregungen ^n^M ^ te- 
-reifbar- sie selbst nämlich, 80 ) nicht aber ihr Ursprung. 
Auch der Naturforschung enthielten sie sich wegen 
deToffenLren Unbegreiflichkeit des Gegenstandes j, wo- 
gegen äfsich mit logischen Fragen • 5"^g£ 
wezen des daraus erwachsenden Nutzens ) Meleagros 
SnS Sn zweiten Buche der P^op^hen^ 
meintngen und Kleitomachos im ersten p f^J£l . 
behaupten, sie hätten nicht nur die 
auch die Dialektik für unbrauchbar erklart. Denn wer 
Sch di ^wissenschaftliche Einsicht erworben habe in 
das Wesen des Guten und Bösen, der ^ 
stände richtig und gut zu reden und sich freizuhalten 

93 vST AbSÄn und Todesfurcht. _ Nichts, meinten ISA 
™e sei von Natur (an und für ach) gerecht «der^ 
verwTrflich, sondern nur durch Menschensatzung und 
äwohXit Aber der achtbare Mann wird sich nicht 
2Äa Handlungen ve» tehen, der daran stehen- 
den Strafe und des Leumunds wegen. Das Daaeia^s 
Weisen sei Tatsache. Sie nehmen einen jjj^^ 
Fortschritt in der Philosophie wie auf all en and eren 
Gebieten an. Auch behaupten sie, daß unter den 
Setmerzen der eine mehr, der andere «n^tej 
und daß die Sinneswahrnehmungen nicht durchweg 

zuverlässig seien. 

Was die sogenannten Hegesiaker anlangt, so stimm- 
ten sie in Annahme der Ziele, nämlich der Lust und 
des Schmerzes, mit dem Gesagten überein. In bezug 
aber auf die selbständige Geltung der Dankbarkeit, 
Freundschaft und Wohltätigkeit nahmen sie einen 
völlig ablehnenden Standpunkt ein, 82 ) denn man er- 



104 



Aristippos - Kyrenaiker. 



strebe sie nicht um ihrer selbst willen, sondern um des ' 
Nutzens willen, ohne den ihnen überhaupt kein Sein 
zukäme. Die Glückseligkeit sei eine reine Unmöglich- 94 
keit, denn der Leib werde von vielerlei Leiden heim- 
gesucht, die Seele aber sei die Begleiterin des Körpers 
und teile seine Leiden und Erschütterungen, und was 
unsere Hoffnungen anlange, so würden viele durch 
das Schicksal zuschanden gemacht; damit aber sei das 
wirkliche Vorhandensein der Glückseligkeit ausge- 
schlossen. Leben und Tod seien erstrebenswert. 83 ) Von 
Natur, sagten sie, sei nichts angenehm und unange- 
nehm: Seltenheit oder Neuheit oder Sättigung schaffe 
den einen Lust, den andern Unlust. Armut und Reich- 
tum kommen für die Lust nicht weiter in Rechnung, 
denn die Lust der Reichen habe keinen Vorzug vor der 
•der Armen. Knechtschaft und Freiheit seien in glei- 
chem Grade bedeutungslos für das Maß der Lust, ebenso 
hohe Geburt und niedere, Ruhm und Verachtung. Dem 9S 
Unvernunftigen habe das Leben Wert, für den Ver- 
nunftigen sei es gleichgültig. Der Weise werde um 
seiner selbst willen alles tun, da er keinen andern für 
gleichwertig mit sich selbst ansehe. Denn möchte er 
von einem andern auch noch so viel Nutzen ziehen, so 
komme das an Wert doch dem nicht gleich, was er 
selbst für sich leiste. Sie bestritten auch die Wahrheit 
der binneswahrnehmungen, da diese keine scharfe Er- 
kenntnis lieferten; durchweg müsse man sich in seinem 
lun und Handeln nach dem richten, was vernunft- 
gemäß erscheine. 84 ) Verfehlungen aber seien verzeih- 
lich, denn der Mensch verfehle das Rechte nicht aus 
freiem Willen, sondern unter dem Zwang irgendwelcher 
feilschen Erregung. Dem Haß dürfe man nicht die 
^ugel schießen lassen, sondern müsse vielmehr den 
andern eines Besseren belehren. Der Weise werde 
sicü nicht so sehr auszeichnen durch die Wahl des 
Guten wie durch das Meiden des Schlimmen, indem 96 
er sich ein nicht von Mühsal und Leid beschwertes 
Leben zum Ziele setze. Dieser Wunsch erfülle sich 



II 93-98. 



denen, die kein übertriebenes Gewicht auf die Er- 
weckungsmittel der Lust legten. 

Die Annikereer halten es im übrigesn ebenso wie 
diese; was aber die Freundschaft im Leben betrifft und 
die Dankbarkeit, die Ehrfurcht gegen die Eltern und 
das tatkräftige Eintreten für das Vaterland, so lassen 
sie diese in Geltung. Wenn also der Weise um des- 
willen 85 ) sich auch Belästigungen gefallen lassen muß, 
so wird er nichtsdestoweniger doch glücklich sein, 
selbst wenn nur ein geringes Maß von Lust für ihn da- 
bei abfällt. Das Glück des Freundes, meinten säe, sei 
nicht um seiner selbst willen zu erstreben; denn es sei 
für den Nächsten überhaupt nicht empfindbar. Fer- 
ner: Der Verstand sei für sich nicht stark genug, um 
volles Vertrauen zu gewinnen und sich über das Urteil 
der großen Masse hinwegzusetzen; die gute Gewöhnung 
müsse hinzukommen wegen der von jeher uns an- 

97 haftenden Sündhaftigkeit. Freundschaft dürfe man 
nicht nur des Nutzens wegen pflegen, so daß man, 
wenn dieser ausbleibt, sich nicht mehr um den Freund 
kümmere, sondern auch auf Grund des im Laufe der 
Zeit erwachsenen Wohlwollens, das uns treibt, auch 
Mühseligkeiten für den Freund auf uns zu nehmen. 
Stellt man auch als Ziel die Lust auf, und empfindet 
man es schwer, ihrer beraubt zu werden, so nimmt 
man doch ohne Widerstreben Beschwerden auf sich 
ans Liebe zum Freunde. 

Die Theodoreer, wie man sie nennt, leiten diesen 
ihren Namen von dem früher schon erwähnten Theo- 
doros her und hielten an dessen Lehrsätzen fest. Dieser 
Theodoros war es, der allen Meinungen über die Götter 
den Garaus machte. Mir kam seinerzeit ein gar nicht 
verächtliches Buch von ihm zu Händen, 86 ) betitelt 

98 „Über die Götter", aus dem Epikur das meiste ent- 
nommen haben soll von dem, was er vortrug. Theo- 
doros hörte auch den Annikeris und den Dialektiker 
Dionysios, wie Antisthenes in den Philosophenfolgen 
sagt. Als Ziel setzte er die Freude und den Schmerz, f 




Aristippos - Kyrenaiker. 



die erstere als bedingt durch die Einsicht, den letzteren 
durch den Unverstand. Güter seien die Einsicht und 
Gerechtigkeit, Übel die entgegengesetzten Seelenver- 
fassungen, in der Mitte zwischen beiden liege Lust und 
Unlust. Die Freundschaft ließ er nicht gelten, weil sie 
sich weder bei den Unweisen fände noch bei den 
Weisen, denn für jene schwinde mit dem Wegfall des 
Eutzens auch die Freundschaft; die Weisen aber be- 
dürften, selbstgenugsam wie sie seien, überhaupt keines 
Freundes. Er erklärte es auch für vernunftgemäß, 
daß der brave Mann sich nicht für das Vaterland dem 
Tode preisgebe. Denn man dürfe die Einsicht nicht 
preisgeben, um den Unverständigen zu nützen. Vater- 99 
land sei die Welt. Der Weise werde gelegentlich auch 
stehlen, Ehebruch treiben und Tempelraub begehen. 
Denn nichts davon sei an sich (von Natur) verwerflich, 
sobald man absehe von der gangbaren Meinung, die 
ihr Dasein nur dem Zwecke der Abschreckung der Un- 
vernünftigen verdanke. Der Weise werde ohne jeden 
Arg Umgang mit seinen Lieblingen pflegen. Daher 
liebte er auch spitzfindige Fragen wie die folgenden: 
„Wird eine grammatisch geschulte Frau, insofern sie 
grammatisch geschult ist, nicht auch nützlich sein?" 
Ja. „Und wird ein Knabe und Jüngling nützlich sein, 
insofern er grammatisch geschult ist?" Ja. „Es wird 
doch also auch eine schöne Frau nützlich sein, insofern 
sie schön ist, und ein schöner Knabe unid Jüngling 
nützlich, insofern er schön ist?" Ja. „Ein schöner 
Knabe und Jüngling wird doch also nützlich sein für 
das, wofür er schön ist?" Ja. „Er ist aber nützlich 100 
für den Liebesumgang." Dies zugegeben folgerte er 
nun weiter so: „Wenn also jemand mit ihm Liebes- 
umgang pflegt, insofern er nützlich ist, so vergeht er 
sich nicht; folglich wird er sich auch nicht vergehen, 
wenn er von der Schönheit Gebrauch macht, insofern 
sie nützlich ist." Fragen dieser Art waren es, durch 
die er seine Verstandesstärke bekundete. Zu seinem 
Namen „Gott" ist er, wie es scheint, auf folgende Weise 



II 98-102. 



101 



102 



gekommen: StUpon fragte ihn: „Theodoras, wenn du 
behauptest, etwas zu sein, bist du es dann auch? und 
nach bejahender Antwort: 87 )" „Du behauptest aber 
doch, ein Gott zu sein?" „Ja." „Also bist du auch 
ein Gott." Das ließ er sich gern gefallen; da sagte fc>til- 
pon lachend: „Du Schelm, durch solche Schlußweise 
würdest du auch zu dem Eingeständnis kommen, daß 
du eine Dohle wärest und noch tausenderlei anderes. 
Als Theodoras einst bei dem Oberpriester Eurykleides 
weilte, sagte er zu ihm: „Sage mir, Eurykleides, wer 
sind die Frevler wider die Heiligkeit der Mysterien? 
Auf die Antwort: „Diejenigen, die diese Geheimnisse 
den Uneingeweihten ausplaudern," erwiderte er: 
Also frevelst auch du, da du von ihnen mit Unein- 
geweihten sprichst." Mit knapper Not nur entging er 
der Gefahr, vor den Gerichtshof des Areopags ge- 
zogen zu werden; nur dem Phalereer Demetrios hatte 
er seine Rettung zu danken. Amphikrates aber be- 
richtet in seinem Buche über berühmte Manner, er 
seL verurteilt worden und habe den Schierlingsbecher 
getrunken. Als er am Hofe des Ptolemaios, des Sohnes 
des Lagos, weilte, ward er einst von ihm als Gesandter 
zum Lysimachos geschickt. Als er diesem gegenüber 
sehr freie Reden führte, sagte Lysimachos zu ihm: 
Sage mir, Theodoros, bist du es nicht, der aus Athen' 
verbannt ward?" Darauf Theodoros: „Du hast recht 
gehört, denn die Stadt der Athener konnte mich nicht 
tragen so wenie wie Semele den Dionysos, und stieb 
mich von sich." 878 ) Als Lysimachos dann sagte: „Sieh 
dich vor und erscheine nicht noch einmal vor uns, ^ 
erwiderte er: „Nur, wenn Ptolemaios mich schickt. 
Da sagte Mithras, der Schatzmeister des Königs, der 
dieser Unterredung beiwohnte: „Du scheinst nicht nur 
die Götter, sondern auch die Könige nicht zu kennen. 
Die Antwort lautete: 88 ) „Wie wäre es für mich mög- 
lich sie nicht zu kennen, da ich dich für einen Gotter- 
feind halte?" Er soll einst in Korinth mit einer großen 
Schar von Schülern umhergezogen sein; da habe der- 




108 



Kyrenaiker - Phaidon. 



gerade seinen Kerbel abspülende Kyniker Metrokies 
-zu ihm gesagt: „Du, mein Herr Sophist, hättest nicht 
so viele Schüler nötig, wenn du Kraut wüschest." 89 ) 
„Und du," erwiderte er auf der Stelle, „würdest dich 
gewiß nicht mit diesem Kraut abgeben, wenn du dich 
auf den Umgang mit Menschen verstündest." Der 101 
nämliche Vorgang wird auch, wie dem Leser schon 
bekannt, von Diogenes und Aristipp erzählt. So lebte 
und lehrte Theodoros. Zuletzt begab er sich wieder 
nach Kyrene und lebte dort an der Seite des Magas 
hochgeachtet noch lange Zeit. Als er zuerst von dort 
verbannt wurde, soll er eine artige Äußerung getan 
haben, nämlich: „Ihr tut gut daran, meine Kyrenäer, 
daß ihr mich aus Libyen nach Griechenland ausweist." 

Der Theodore hat es zwanzig gegeben: Der erste ist 
der Samier, des. Rhoikos Sohn. Dieser ist es, der den 
Rat gab, die Grundmauern des Ephesischen Tempels 
durch eine Unterlage von Kohlen gegen die Feuchtig- 
keit des Rodens zu schützen. Die Kohlen nämlich, 
sagte er, erhielten nach Ablegung ihrer holzartigen 
Eigenschaften einen Grad von innerer Festigkeit, der 
die Feuchtigkeit nicht eindringen lasse. Der zweite 
ist der Kyrenäer, der Mathematiker, dessen Schüler 
Pia ton war; der dritte der eben behandelte Philosoph: 
der vierte der Verfasser des prächtigen Ruches über 
die Stimmübung; der fünfte der Verfasser des Ruches 104 
über die Nomendichter, 90 ) von Terpander an; der 
■sechste der Stoiker; der siebente der Verfasser der 
römischen Geschichte; der achte der Syrakusaner, der 
Verfasser des Ruches über Taktik; der neunte der Ry- 
zantmer, bekannt als Redner und Staatsmann; der 
zehnte desgleichen, ihn erwähnt Aristoteles in seinem 
Abriß über die Redner; 91 ) der elfte der Thebaner, ein 
-Bildhauer; der zwölfte ein Maler, dessen Polemon ge- 
denkt; der dreizehnte ein Maler aus Athen, über den 
es eine Schrift von Menodotos gibt; der vierzehnte ein 
Lphesier, ein Maler, dessen Theophanes- gedenkt in 
seinem Ruch über Malerei; der fünfzehnte der Epi- 



II 102-105. 



109» 



graminendichter; der sechzehnte der Verfasser der 
Schrift über die Dichter; der siebzehnte em Arzt,. 
Schüler des Athenaios; der achtzehnte ein Chier, stoi- 
scher Philosoph; der neunzehnte ein Milesier, gleich- 
falls stoischer Philosoph; der zwanzigste der Trago- 
diendichter. 



Neuntes Kapitel. 

Phaidon. Um 400 v. Chr. 

105 Phaidon aus Elia, aus edlem Geschlecht, geriet mit- 
samt seiner Vaterstadt in die Hände der Feinde und 
mußte sich in drückende Dienststellung fügen. Bei 
verschlossener Tür indessen genoß er den Umgang des- 
Sokrates, bis dieser den Alkibiades oder Kriton ver- 
anlaßte, ihn loszukaufen. Von da ab widmete er sich 
in edler Muße der Philosophie. Hieronymos in seinem 
Buche über das Ansichhalten des Urteils spöttelt über 
ihn und nennt ihn einen Sklaven. Seine echten Dialoge 
sind Zopyros und Simon; zweifelhaft der Nikias und 
Medios, den einige für ein Werk des Aischinos, andere 
des Polyainos erklären. Auch der „Antimachos" oder 
„Die Alten" wird bezweifelt und so auch die Schuster- 
gespräche ( «umxoO, die einige dem Aischines zu- 
schreiben. Sein Nachfolger war Pleistanos (?) aus- 
Elia und dritter von ihm ab der Eretrier Menedemos 
nebst seinem Genossen, dem Phliasier Asklepiades, die 
beide von Stilpon ausgegangen waren. Bis zu diesem 
wurden sie Elische Philosophen genannt, von Menede-, 
mos ab Eretrische. Über diesen wird später zu be- 
richten sein, weil auch er Stifter einer Sekte war. 



110 



Eukleides. 



Zehntes Kapitel. 
Eukleides. Um 400 v. Chr. 

Eukleides stammte aus Megara am Isthmos, oder 106 
uaeh einigen, aus Gela, wie Alexander in den Philo- 
sophenfolgen berichtet. Er beschäftigte sich eingehend 
mit den Schriften des Parmenides; seine Schüler und 
Nachfolger wurden Megariker genannt, sodann 
Eristiker und späterhin Dialektiker. Diesen letzteren 
Namen gab ihnen zuerst der Ghalkedonier Dionysios, 
weil sie ihre Untersuchungen in Form von Frage und 
Antwort führten. Bei ihm fanden sich, wie Hermo- 
doros berichtet, Piaton und die übrigen Philosophen 
nach dem Tode des Sokrates zusammen, aus Furcht 
vor der Grausamkeit der Gewaltherrscher. 

Er lehrte, das Gute sei Eins, mit vielen Namen be- 
nannt: bald nannte er es Einsicht, bald Gott, anderswo 
wiederum Vernunft und so weiter. Dem Guten Ent- 
gegengesetztes aber ließ er nicht gelten. Beweise pflegte 
er nicht in ihren Voraussetzungen, sondern nur in 
ihren Schlußsätzen anzugreifen. 92 ) Auch leugnete er 107 
die Zulässigkeit der Gleichnisreden, denn sie bestehen, 
wie er sagt, aus Gliedern, die einander entweder ähn- 
lich oder unähnlich sind; wenn also aus ähnlichen, 
so hat man sich besser an die Sache selbst zu halten 
als an das, dem sie ähnelt, wenn aber aus unähnlichen, 
dann ist die Vergleichung überflüssig. Darum läßt 
sich auch Timon über ihn folgendermaßen aus, zu- 
gleich mit Sticheleien gegen die übrigen Sokratiker: 98 ) 

, Doch diese Schwätzer, sie gelten mir nichts, mich kümmert 
von ihnen 

Keiner, wer es auch sei, nicht Phaidon, auch nicht Eukleides, 
Der, ein verbissener Zänker, die Megarer füllte mit Streitmut. 

Dialoge schrieb er sechs: Lamprios, Aischines, Phoi- 108 
nix, Kriton, Alkibiades, Erotikos (von der Liebe). Zu 
den Nachfolgern des Eukleides gehört auch der Mile- 



II 106-110. 



111 



sier Eubulides, der viele dialektische Spitzfindigkeiten ) 
aufgebracht hat, wie den Lügner, den Betrüger, die 
Elektra, den Verhüllten, den Sorites (Gehäuften), den 
Gehörnten und den Kahlkopf. Von ihm heißt es bei 
einem der Komiker: 

Eubulides, der Kampfhahn, der mit dem Gehörnten Staat macht, 
Mit Prahlereien, Lug und Trug den Rednern kräftig mitspielt, 
Zog zungenfertig ab von hier, Demosthenes vergleichbar. 

Auch Demosthenes scheint sein Zuhörer gewesen 
und durch ihn in der Aussprache des Rho (R) geför- 

109 dert worden zu sein. Eubulides lag auch mit Aristo- 
teles in Streit und hatte viel an ihm auszusetzen. Zu 
den sonstigen Nachfolgern des Eubulides gehörte 
Alexinos aus Elis, ein sehr streitfertiger Mann, daher 
er denn auch Elenxinos (Widerleger) genannt wurde. 
Am meisten lag er im Kampfe mit Zenon. Hermippos 
berichtet von ihm, er sei von Elis nach Olympia über- 
gesiedelt, um dort der Philosophie zu leben, und als 
seine Schüler sich bei ihm erkundigten, warum er da 
seinen Wohnsitz aufschlage, habe er erklärt, er beab- 
sichtige, eine Schule zu gründen, die den Namen „Olym- 
pische Schule" erhalten solle. Da seien sie wegen un- 
zureichenden Lebensunterhaltes, und auch weil sie die 
ungesunde Lage des Ortes erkannten, wieder abgezogen. 
So habe denn Alexinos weiterhin vereinsamt dort ge- 
lebt nur mit einem Diener. Später sei er beim Baden 
im Alpheios durch ein spitziges Rohr verwundet worden 

110 und habe so den Tod gefunden. Es gibt von mir ein 
Epigramm auf ihn, das so lautet: 95 ) 

So war es denn nicht leere Sage, daß einstens 

Einer, von Unglück verfolgt, 
Im Bad auf einen Nagel mit dem Fuß aufstieß, 

Denn der vortreffliche Mann 
Starb, eh' er schwimmend noch gewann des Alpheios 

Strand, durch ein Rohr gestochen. 

Er hat aber nicht allein gegen Zenon geschrieben, 
sondern ist auch Verfasser von anderen Büchern, so 



112 



Eukleides. Stilpon. 



des gegen den Geschichtsschreiber Ephoros gerichteten. 
Des Eubulides Schüler war zunächst Euphantos aus 
Olynth, der Verfasser einer Geschichte seiner Zeit. 
Auch dichtete er mehrere Tragödien, die ihm bei den 
Wettkämpfen viel Ehre einbrachten. Zudem war er 
Lehrer des Königs Antigenes, an den er auch eine Ab- 
handlung über das Königtum gerichtet hat, die außer- 
ordentlichen Beifall fand. Er starb ruhig in hohem 
Alter. 

Es gibt auch noch andere Schüler des Eubulides. 511 
Zu ihnen gehört Apollonias, mit dem Beinamen Kro- 
nos, dessen Schüler Diodoros, der Sohn des Ameinias, 
der lasier, war, gleichfalls Kronos mit Beinamen. Ihm 
sind in den Epigrammen des Kallimachos folgende 
Worte gewidmet: 

Ihn könnte auch Momos nicht tadeln; 
Schrieb er doch selbst an die Wand: „Kronos ist weise fürwahr." 

Auch er war Dialektiker und soll nach einigen die 
Fragen nach dem Verhüllten und dem Gehörnten er- 
funden haben. Er wurde während seines Aufenthaltes 
bei Ptolemaios Soter von Stilpon aufgefordert, ge- 
wisse dialektische Aufgaben zu lösen; da er dies aber 
nicht gleich im Augenblick vermochte, ward der König 
ungnädig gestimmt, ja nannte ihn sogar spottend 
Kronos (d. i. Dümmling). Da verließ er die Tafel, 112 
schrieb eine Abhandlung über die vorgelegte Frage und 
gab sich aus Unmut selbst den Tod. Unser Vers auf 
ihn lautet: 

Welch böser Geist war's, der dich, Kronos, dazu trieb, 

Daß du gequält von Herzensangst, 
Dich selbst hinunterstürztest in den Tartaros, 

Weil dir des Stilpon Rätsel nicht 
Sich löste; aus dem Kronos ward ein Esel {ovo? = Esel) nun, 

Wenn man das Rho und Kappa streicht. 

Zu den Schülern des Eukleides gehört auch Ichthyas, 
des Meitallos Sohn, ein trefflicher Mann, an den auch 
der Kyniker Diogenes einen Dialog gerichtet hat. 



II 110-114. 



113 



Ebenso Kleinomachos aus Thurioi, der zuerst über 
Axiome und Aussagen und dergleichen schrieb, und 
Stilpon aus Megara, der hochberühmte Philosoph, über 
den nun zu handeln ist. 



Elftes Kapitel. 
Stilpon. Um 320 v. Chr. 

13 Stilpon, aus dem griechischen Megara, hörte bei 
einigen Schülern des Eukleides; andere behaupten, er 
habe den Eukleides selbst gehört, aber außerdem auch 
den Thrasymachos aus Korinth, den Freund des 
[chthyas, wie Herakleides berichtet. Er übertraf die 
anderen an Erfindsamkeit und Disputierkunst m einem 
solchen Grade, daß nahezu ganz Griechenland die 
Augen auf ihn richtete und sich zur Megarischen 
Philosophie bekehren zu wollen schien. Uber ihn be- 
richtet der Megariker Philippos wörtlich also: „Dem 
Theophrast entfremdete er den Theoretiker Metrodoros 
und den Timagoras aus Geld, dem Kyrenaiker Aristo- 
teles den Kleitarchos und Simias, dem Vialektiker 
Aristeides den Paioneios, wie er denn auch die Uialelt- 
tiker Diphilos aus dem Bosporos, des Euphantos bolm, 
und Myrmex, des Exainetos Sohn, die erschienen 
waren, um ihn zu widerlegen, beide zu seinen eifrigen 

14 Anhängern machte." Außerdem brachte er auch den 
Peripatetiker Phrasidemos, einen kenntnisreichen 
Physiker, auf seine Seite; auch den Lehrer der Rhetorik 
Alkimos, der sich vor allen Rhetoren in Griechenland 
hervortat, sowie den Krates und wer weiß wie viele 
andere wußte er in seine Netze zu ziehen. Unter ihnen 
war vor allem auch der Phönikier Zenon. Auch in 
Staatssachen war er sehr bewandert. Er war ver- 
heiratet, pflegte aber auch Umgang mit der Hetäre 

A p e 1 1 , Diogenes Laertius. 8 



114 



Stilpon. 



Nikarete, wie Onetor irgendwo berichtet. Auch hatte 
er eine auf schlechte Wege geratene Tochter, die mit 
einem Bekannten von ihm, dem Simias aus Syrakus, 
verehelicht war; da sie sehr ausschweifend lebte, sagte 
einer zu Stilpon, sie mache ihm Schande. Er aber er- 
widerte: „Die Schande, die sie mir macht, ist nicht 
größer als die Ehre, die ich ihr mache." 

Er stand auch in Ansehen bei Ptolemaios Soter. 115 
Als dieser über Megara Herr geworden war, bot er 
ihm ein Geldgeschenk an und lud ihn ein, sich mit ihm 
nach Ägypten einzuschiffen. Stilpon aber nahm nur 
einen mäßigen Teil des Geschenkes an, schlug dagegen 
die Reise ab und begab sich deshalb nach Ägina, bis 
jener von Megara abgesegelt war. Aber auch Deme- 
trios, des Antigonos Sohn, trug nach der Einnahme von 
Megara Sorge, daß sein Haus bewacht und alles Ge- 
raubte ihm zurückgegeben würde. Als er zu dem Ende 
ein Verzeichnis der verlorenen Gegenstände von Stü- 
pon verlangte, erklärte dieser, er habe von seinem 
Eigentum nichts verloren; denn niemand habe ihm 
seine Bildung entführt, sein Verstand und sein Wissen 
seien ihm geblieben. Und gelegentlich einer Unter- 116 
redung über die Wohltätigkeit gegen die Menschen 
nahm er den Herrscher so für sich ein, daß er sein 
warmer Anhänger wurde. 

Man erzählt sich, er habe über des Pheidias Athene 
folgende Frage vorgelegt: „Ist des Zeus Tochter Athene 
ein Gott?" Antwort: „Ja." „Diese aber ist nicht vom 
Zeus, sondern von Pheidias." Antwort: „Ja." „Also 
ist sie kein Gott." Darüber ward er auch, wie es heißt, 
vor den Areopag geladen, wo er nicht leugnete, aber er- 
klärte, seine Behauptung sei ganz richtig, denn sie sei 
kein Gott, sondern eine Göttin; Götter seien männlich. 
Da hätten aber die Areopagiten den Befehl über ihn er- 
gehen lassen, die Stadt auf der Stelle zu verlassen. 
Theodoros, der sogenannte Gott, soll damals spottend 
gesagt haben: „Woher wußte denn das Stilpon? Hat 
er ihr denn ihr Kleid aufgehoben und nach ihrem 



11 114—119. 



115 



Garten geschaut?" Er war allerdings sehr unverfroren, 

117 Stilpon dagegen sehr fein und gesetzt. Als z.B. Krates 
ihn fragte, ob die Götter Freude hätten an Anbetungen 
und frommen Bezeigungen, soll er gesagt haben: „Dar- 
über, du Tor, frage mich nicht auf der Straße, sondern 
wenn ich allein bin." Die nämliche Antwort soll auch 
Bion gegeben haben auf die Frage, ob es Götter gäbe: 

Willst du -die Menge nicht erst von mir wegscheuchen, du Alter? 

Stilpon war in seinem Wesen schlicht und keiner 
Verstellung fähig, auch im Verkehr mit dem Laien 
entgegenkommend und gewandt. Als der Kyniker 
Krates einst statt ihm auf eine an ihn gerichtete Frage 
zu antworten einen streichen ließ, sagte er: „Vvußte 
ich doch, daß du alles andere eher vernehmen lassen 

118 würdest als das, was sich gehört." Ein andermal legte 
Krates ihm eine getrocknete Feige und dazu eine Frage 
vor; er nahm die Feige und verzehrte sie; da sagte 
jener: „0 weh, ich bin um meine eigene Feige ge- 
kommen." Darauf Stilpon: „Aber mit ihr auch um die 
Frage, zu der die Feige das Angeld war." Und als er 
zur Winterzeit den Krates einmal völlig erstarrt vor 
Kälte erblickte, sagte er: „Es scheint mir, Krates, du 
bedarfst eines neuen Mantels" (was auch bedeuten 
konnte „eines Mantels und Verstandes"). 96 ) Das emp- 
fand Krates schwer und rächte sich durch folgende 
Spottverse auf ihn [Fr. 1 Diels]: 87 ) 

Auch den Stilpon erblickt' ich, von schweren Leiden betroffen, 
In dem Gemach, wo das Lager der Wüstling sich üppig bereitet. 
Kämpfe focht* er dort aus und mit ihm viele Genossen, 
Und mit der Tugend trieben sie dort die verfänglichsten bpiele. 

119 Als er sich in Athen aufhielt, soll er die Menschen 
so bezaubert haben, daß sie aus den Werkstätten herbei- 
strömten, um seiner ansichtig zu werden. Und als 
einer sagte: „Stilpon, sie staunen dich an wie ein wildes 
Tier," soll er geantwortet haben: „Nein, wie einen 
wahren Menschen." 

8* 



116 



Stilpon. Kriton. Simon. 



Hervorragend als sophistischer Streitkünstler, 
leugnete er auch die Gültigkeit der allgemeinen Be- 
griffe. Er sagte, wenn jemand das Dasein des Menschen 
(als allgemeinen Begriffes) behaupte, so meine er damit 
keinen Menschen, er nenne ja doch weder diesen noch 
jenen (bestimmten Menschen); denn welcher Grund 
spräche mehr für den einen als für den andern? Also 
meine er auch nicht diesen bestimmten. So ist auch der 
Kohl (als Begriff) nicht ein bestimmtes Kohlgewächs 
hier, denn Kohl gab es schon vor vielen tausend 
Jahren; dies ist also nicht der Kohl. 98 ) 

Man erzählt, er sei einmal mitten im Gespräch mit 
Krates davongeeilt, um Fische einzukaufen. Jener 
wollte ihn zurückhalten und sagte: „Wie? du läßt das 
Wort im Stich?" — „Nein," erwiderte er, „das Wort 
habe ich, dich aber laß ich im Stich, denn das Wort 
bleibt, der Fisch aber ist verkauft, wenn ich länger 
warte." 

Es gehen unter seinem Namen neun Dialoge ziem- 120 
lieh blutloser Art: Moschos; Aristipp oder Kallias; 
Ptolemaios; Ghairekrates; Metrokies; Anaximenes; 
Epigenes; An seine Tochter; Aristoteles. Herakleides 
behauptet, auch Zenon, der Gründer der Stoa, sei sein 
Hörer gewesen. Hermippos berichtet, er sei in hohem 
Alter gestorben, nachdem er Wein zu sich genommen 
habe, um das Ende zu beschleunigen. Unser Epigramm 
auf ihn lautet folgendermaßen: 

Den Megarenser Stilpon — dir gewiß bekannt — 
Warf Krankheit nieder und der Jahre Last, ein schweres Joch. 

Doch fand er in dem Wein den überleg'nen Lenker 
Des bösen Zwiegespannes, das er so zum Ziele trieb. 

Er wurde auch bespöttelt von dem Komiker Sophilos 
in dem Drama „Die Hochzeit": 



Die Rede des Charinos ist des Stilpon Pfropf. 09 ) 



II 119—122. 



117 



Zwölftes Kapitel. 

Kriton. Um 420 v. Chr. 

Kriton aus Athen war dem Sokrates mit ganz be- 
sonderer Liebe zugetan und sorgte so treu für ihn, daß 
ihm an des Leibes Notdurft niemals etwas fehlte. Seine 
Söhne waren Schüler des Sokrates, es waren dies 
Etritobulos, Hermogenes, Epigenes, Ktesippos. Kriton 
hat siebzehn Dialoge geschrieben, die zusammen e l n 
Buch bilden. Ihre Titel sind folgende: 1. Gelehrigkeit 
reicht nicht aus zur Tugend; 2. Von dem reichen Be- 
sitz- 3. Von dem Erforderlichen oder Pohtikos; 4. Von 
dem Schönen; 5. Von dem Bösetun; 6. Von der Ord- 
nungsliebe (cu^jjLOöuvrj); 7. Vom Gesetz; 8. Von dem 
Göttlichen; 9. Von den Künsten; 10. Von dem Bei- 
sammensein; 11. Von der Weisheit; 12. Protagoras oder 
Politikos; 13. Von den Buchstaben; 14. Von der Dicht- 
kunst; 15. Von dem Schönen (vgl. No. 4); 16. Vom 
Lernen; 17. Von der Erkenntnis oder von dem Wissen; 
18. Von der Einsicht. 



Dreizehntes Kapitel. 

Simon. Um 420 v. Chr. 

Simon aus Athen war Schuster. Sokrates besuchte 
ihn in seiner Werkstatt und teilte ihm gesprächsweise 
mancherlei mit, was er aufzeichnete, soweit sein Ge- 
dächtnis reichte. Daher nennt man seine Dialoge, die 
Schusterdialoge. Es sind, dies dreiunddreißig Dialoge 
in ein Buch zusammengefaßt. Nämlich: 1. Von den 
Göttern; 2. Vom Guten; 3. Vom Schönen; 4. DasVvesen 
des Schönen; 5. u. 6. Von der Gerechtigkeit erstes und 
zweites Gespräch; 7. Von der Tugend, daß sie nicht 
lehrbar ist; 8., 9. und 10. Von der Tapferkeit, erstes, 



118 Glaukon. Simias. Kebes. Menedemo a . 



zweites und drittes Gespräch; 11. Vom Gesetz; 12. Von 
der Volksverführung; 13. Von der Ehre; 14. Von der 
Dichtkunst; 15. Von dem Wohlbehagen; 16. Von der 
Liebe; 17. Von der Philosophie; 18. Von der Wissen- 
schaft; 19. Von der Musik; 20. Von der Dichtkunst 
(s. No. 14); 21. Das Wesen des Schönen (s. No. 4); 123 
22. Vom Unterricht; 23. Von der wissenschaftlichen 
Gesprächsführung; 24. Vom Urteil; 25. Vom Seienden; 
2G. Von der Zahl; 27. Von der Sorgfalt; 28. Von der 
Arbeit; 29. Von der Gewinnsucht; 30. Von der Prah- 
lerei; 31. Von dem Schönen (s. No. 3), nach an- 
deren: 31. Vom Beraten; 32. Vom staatsmännischen 
Verstand oder vom Erforderlichen; 100 ) 33. Vom Böse- 
tun. Er war, wie man sagt, der erste, der sich auf 
Sokratische Dialoge legte. Perikles lud ihn zu einem 
Besuche bei sich ein mit dem Versprechen, für seinen 
Unterhalt zu sorgen, er jedoch erklärte, seine Bede- 
freiheit sei ihm nicht feil. 

Es gab auch noch einen anderen Simon, der eine 
Anweisung zur Beredsamkeit verfaßt hat, und noch 
einen, der Arzt war zur Zeit des Seleukos Nikanor; 
ein dritter war ein Bildhauer. 



Vierzehntes Kapitel. 
Glaukon. 

i. 

Glaukon stammt aus Athen. Auch von ihm gehen 124 
neun Dialoge um in einem Band: Pheidylos, Euripides, 
Amyntichos, Euthias, Lysitheides, Aristophanes, Kepha- 
los, Anaxiphemos, Menexenos. Außerdem gibt es unter 
seinem Namen noch zweiunddreißig Dialoge, die für 
unecht gelten, 



II 133-126. 



119 



Fünfzehntes Kapitel. 
Simias. Um 400 v. Chr. 

Simias war Thebaner. Auch von ihm gehen . in 
einem Bande dreiundzwanzig Dialoge xxm.l. Von 
der Weisheit; 2. Von der ^^^^.^ 
Musik- 4. Von dem Epos; 5. Von der Tapferkeit, 
6 Von der Philesophie; 7. Von der Wahrheit; 8 Von 
den Buchstaben; 9. Von der Unterweisung; 10 Von der 
Kunst- 11. Von dem Vorsteheramt; 12. Von dem 
Senden- 13. Von dem Erstrebenswerten und dem 
Verwerflichen 14. Vom Freunde; 15. Vom Vvissen; 
TeToft 6 Seele; 17. Von der guten «hrung, 
18. Von dem Möglichen; 19. Von Hab und Gut 20. Vom 
Leben; 21. Vom Wesen des Schönen; 22. Von der Sorg- 
falt; 23. Von der Liebe. 



Sechzehntes Kapitel. 

Kebes. Um 400 v. Chr. 

125 Kebes war Thebaner. Auch von ihm gehen drei 
DialogfunT: Die Tafel, 101 ) Der siebente (Monatstag), 
Phrynichos. 

Siebzehntes Kapitel. 
Menedemos. Etwa 350—276 v. Chr. 

Menedemos, 102 ) zu dem Kreise des 
war der Sohn des zu dem sogenannten ^»1^** 
hause gehörenden Kleisthenes, eines Mannes von edler 
Erl der aber Baumeister und unbemittelt war. 
AndSe behaupten auch, er sei Theatermaler gewesen, 



120 



Menedemos. 



und Menedeui habe beide Künste erlernt. Als er daher 
einen Antrag in der Volksversammlung stellte, tadelte 
ihn ein Alexineer mit den Worten, ein Weiser dürfe 
sich weder mit Theatermalerei noch mit Anträgen an 
das Volk abgeben. Von den Eretriern zum militärischer) 
Wachdienst nach Megara gesendet, suchte er Piaton 
in der Akademie auf (?) und gab, hingerissen von ihm, 
den Kriegsdienst auf. Allein Asklepiades aus Phlius 126 
brachte ihn auf andere Wege und begab sich mit ihm 
nach Megara, wo sie beide des Stilpon Schüler wurden. 
Von da segelten sie nach Elis, wo sie mit Anchipylos 
und Moschos, den Schülern des Phaidon, zusammen- 
trafen. Bis zu dieser Zeit wurden sie, wie schon in dem 
Abschnitt über Phaidon (II 105) bemerkt, Elische 
Philosophen (Eliaker) genannt; weiterhin aber nach 
dem Vaterland dessen, von dem hier die Rede ist, Ere- 
triker. 

Menedemos scheint ein achtunggebietender Mann 
gewesen zu sein, wie denn Krates von ihm spottend 
sagt [Fr. 2 D.] : 

Hier den Asklepiossproß und dort den Eretrischen Ochsen 

und Timon [Fr. 29 D.] : 103 ) 

Sein Gerede begann stolz blickend der törichte Schwätzer. 

Er war so achtunggebietend, daß Eurylochos aus 127 
Kassandria, als er vom Antigonos mitsamt seinem 
jungen Begleiter Kleippides aus Kyzikos eingeladen 
wurde, die Einladung abschlug; er fürchtete nämlich, 
Menedemos werde davon erfahren. Denn er war ein 
scharfer Tadler und nahm kein Blatt vor den Mund. 
Als einst ein Jüngling mit unzüchtigen Reden um sich 
warf, ließ er zwar kein Wort darüber laut werden, 
nahm aber ein Stäbchen und zeichnete auf den Fuß- 
boden die Gestalt eines Unzucht treibenden Jünglings. 
Alle wandten ihren Blick darauf, so daß sich der 
Jüngling, betroffen von dem unverkennbar ihm gelten- 
den Schimpf, davonmachte. Als Hierokles, der Befehls- 



II 125-130. 



121 



haber des Peiraieus, mit ihm im Tempel des Amphia- 
raos auf und ab ging und viel von der Eroberung Ere- 
trias sprach, erwiderte er nur mit der Frage, wozu ihn 

128 Antigonos mißbrauche. Zu einem sich frech brüstenden 
Ehebrecher sagte er: „Weißt du nicht, daß nicht nur 
der Kohl, sondern auch der Rettig guten Saft hat?" ) 
Zu einem Buben, der laut schrie, sagte er: „Gib acht, 
daß du nicht etwa unbemerkt etwas im Rücken hast." 
Als Antigonos ihn um Rat fragte, ob er einem Gelage 
beiwohnen solle, ließ er ihm nichts weiter zurück- 
melden, als: „Denke daran, daß du eines Königs Sohn 
bist." Einen beschränkten Gesellen, der eine ganz un- 
passende Bemerkung zu ihm machte, fragte er, ob er 
ein Landgut hätte, und als dieser antwortete, Guter 
habe er eine Menge, sagte er: „So mache dich denn auf 
und verwalte sie, sonst kannst du es erleben, daß du 
dich nicht nur um deine Güter bringst, sondern auch 
die Rolle des geschniegelten Einfaltspinsels aufgeben 
mußt." Zu einem, der ihn fragte, ob ein ehrenwerter 
Mann heirate, sagte er: „Bin ich in deinen Augen ein 
ehrenwerter Mann oder nicht?" und als jener bejahte, 

129 sagte er: „Nun, ich habe geheiratet." Einen, der ge- 
sagt hatte, der Güter gäbe es viele, fragte er, wie hoch 
die Zahl wäre, und ob er glaube, daß es mehr als hun- 
dert seien. Als es ihm nicht gelang, den großen Auf- 
wand eines seiner Gastgeber einzuschränken und er 
wieder zu ihm eingeladen wurde, sagte er zwar nichts, 
gab ihm aber schweigend eine verständliche Warnung 
dadurch, daß er nichts weiter als Oliven aß. 

Durch diesen seinen Freimut wäre er mit seinem 
Freunde Asklepiades am Hofe des Nikokreon in Ky- 
pros beinahe zu Fall gekommen. Denn als der Konig 
sein monatliches Fest beging und wie die anderen 
Philosophen so auch diese beiden zu sich einlud, soll 
Menedemos gesagt haben, wenn es mit der Versamm- 
lung solcher Männer wohlbestellt sei, so mußte das 
Fest Tag für Tag gefeiert werden; wo nicht, so sei es 

130 auch jetzt überflüssig. Und als der Tyrann ihm darauf 



122 



Menedemos. 



entgegnete, er halte sich diesen Tag frei, um die Philo- 
sophen zu hören, wurde er noch ausfälliger, indem er 
bei der Opferspende 105 ) dartat, man müsse den Philo- 
sophen jederzeit sein Ohr leihen. Hätte nicht die Macht 
des Flötenspiels sie auseinandergebracht, wer weiß, ob 
sie nicht umgekommen wären. Mit Bezug darauf soll 
denn auch, als sie auf der Seefahrt einen Sturm durch- 
zumachen hatten, Asklepiades gesagt haben, die treff- 
liche Kunst des Flötenspiels hätte sie gerettet, die frei- 
mütige Sprache des Menedemos hätte sie ins Verderben 
gestürzt. 106 ) 

Auf die üblichen Äußerlichkeiten gab er, wie man 
sagt, nicht viel und war gleichgültig gegen die gewöhn- 
lichen Schuleinrichtungen. Von Ordnung war bei ihm 
nichts zu sehen; kreisförmig aufgestellte Bänke suchte 
man bei ihm vergebens; wo ein jeder gerade umher- 
wandelte oder sich niedergelassen hatte, hörte er zu, 
und e^r selbst machte es ebenso. Gleichwohl war er, 131 
sagt man, ängstlich auf seine Würde bedacht und 
nicht frei von Ehrgeiz. Als daher in früherer Zeit er 
sowohl wie Asklepiades einem Baumeister beim Bau 
eines Hauses Dienste leisteten, machte sich zwar Askle- 
piades nichts daraus, sich nackend auf dem Dache 
sehen zu lassen, wie er den Lehm zutrug, Menedemos 
dagegen versteckte sich, sobald er einen kommen sah. 

Als er sich der staatlichen Tätigkeit widmete, war 
er so ängstlich, daß er einst bei Aufstellung des 
Räucherwerks dies nicht in das Räucherfaß schüttete, 
sondern daneben fallen ließ. Als Krates sich einmal 
an ihn heranmachte und ihm seine staatliche Tätigkeit 
vorwarf, befahl er, wie erzählt wird, einigen, ihn ins 
Gefängnis zu bringen. Krates aber paßte nichtsdesto- 
weniger ihn aus dem Gefängnisfenster, als er vorüber- 
ging, ab und nannte ihn, sich herausbiegend, einen 
Agamemnoneer und Stadtregenten ('H«ft\oiKokv>). 

In gewisser Hinsicht war er verschlossen und nicht 132 
frei von Aberglauben. Als er einst in einer Herberge 
mit seinem Asklepiades ahnungslos von dem den 



II 130-134. 



123 



Unterirdischen dargebrachten Fleische 10 ) gegessen, 
wurde es ihm, als er die Wahrheit erfuhr, so übel, daß 
er sich entfärbte und Asklepiades ihm erst zu Gemute 
führen mußte, daß nicht das Fleisch schuld wäre an 
dieser Erschütterung, sondern die Gedanken, die er 
sich darüber gemacht. Im übrigen war er hochgemut 
und freidenkend. Was seinen körperlichen Zustand 
anlangt, so blieb er, als er schon Greis war, an Festig- 
keit hinter keinem Athleten zurück, von Aussehen ge- 
bräunt, wohlbeleibt und abgehärtet, von maßiger 
Größe, wie man an seinem Bildnis sehen kann, das m 
Eretria auf der alten Rennbahn aufgestellt ist. Es ist 
nämlich, wie absichtlich, fast nackend und laßt die 

133 meisten Körperteile unverhüllt sehen. Er war auch 
gastfrei und liebte es, wegen des ungesunden Klimas 
von Eretria, öfters Bekannte zu Gelagen bei sich zu 
sehen, darunter auch Dichter und Musiker. ) Er war 
auch befreundet mit Aratos und Lykophron, dem lra- 
gödiendichter, sowie mit dem Rhodier Antagoras. 
Über alle anderen ging ihm Homer, dann auch die 
lyrischen Liederdichter, ferner Sophokles und auch 
Achaios, dem er den zweiten Platz unter den Dichtern 
des Satyrspiels zuerkannte, während er dem Aischylos 
den ersten einräumte; daher er denn gegen seine 
Gegner im Staate, wie man sagt, sich mit folgenden 
Versen wehrte: - - m 

So wird der Schnelle von dem Schwachen eingeholt, 
So von der Schildkröt* auch der Aar in kurzer Zeit 

134 Das sind Verse des Achaios aus seinem Satyrspiel Om- 
phale. Mithin gehen die fehl, die da behaupten, er habe 
nichts gelesen außer der Medea des Euripides, von der 
einige sagen, sie sei das Werk des Neophron aus 

Sikyon. , „ 

Was seine Lehrer betrifft, so wollte er von Piaton 
und Xenokrates, auch von dem Kyrenäer Paraibates 
nichts wissen; für Stilpon dagegen war er voll Be- 
wunderung, und als man ihn einst nach ihm fragte, 



124 



Menedemos. 



sagte er weiter nichts als: „Er war ein freidenkender 
Mann." Übrigens war Menedemos ein scharfer Kopf, 
der den Hörern viel zumutete und in seiner Gedanken- 
fügung schwer zu widerlegen war. Er ging auf alles 
ein und war um Auswege nie verlegen; daher er denn, 
wie Antisthenes in den Philosophenfolgen sagt, in ganz 
hervorragendem Maße streitfertig war. Unter anderem 
hörte man öfters folgende Fragenkette von ihm: „Das 
Verschiedene ist doch von dem Verschiedenen ver- 
schieden?" — „Ja," — „Nun ist doch Nützlichsein ver- 
schieden von dem Guten?" — „Ja." — „Also ist das 
Gute verschieden von dem Nützlichsein." Er verwarf 135 
auch die verneinenden Axiome, während er die be- 
jahenden gelten ließ; doch auch von diesen ließ er nur 
die einfachen zu, die nicht einfachen verwarf er und 
nannte sie verflochten und verwickelt. Herakleides 108 ) 
bezeichnet ihn, was die Lehrmeinungen betrifft, als 
einen Platoniker, der aber mit der Dialektik nur 
Scherz treibe. So antwortete er auf die Frage des 
Alexinos, ob er aufgehört habe, seinen Vater zu 
sehlagen: 110 ) „Ich habe ihn weder geschlagen, noch 
habe ich aufgehört." Auf dessen Entgegnung aber: „Du 
mußtest mit Ja oder Nein die Frage unzweideutig 
lösen," erwiderte er: „Es wäre doch lächerlich, euren 
Gesetzen zu folgen, da es doch möglich ist, gleich an 
der Schwelle Widerstand zu leisten." Als Bion sich in 
unermüdlichen Angriffen gegen die Wahrsager erging, 
sagte er von ihm, er gebe Toten noch einmal den Todes- 
stoß. Und als er einmal die Behauptung hörte, das 136 
höchste Gut sei, alles zu erlangen, was man wünsche, 
_ soll er erwidert haben: „Weit besser ist es zu wünschen, 
was not tut." 

Antigonos der Karystier sagt, er habe nichts ge- 
schrieben und verfaßt, also mache er auch nichts von 
emer bestimmten Lehrmeinung abhängig. Bei den ge- 
meinschaftlichen Untersuchungen, sagt er, war er so 
kampfeseifrig, daß er oft mit rot unterlaufenen Augen 
fortging. Trotz dieser Leidenschaftlichkeit im Bede- 



II 134-138. 



125 



streit war er doch in seinen Handlungen so gutherzig 
wie möglich. So zeigte er sich gegen Alexinos, den er 
vielfach verspottete und hart mitnahm, doch ungemein 
freundlich, indem er seiner Gattin auf dem Wege von 
Delphi bis Ghalkis Begleitung beigab zum Schutz gegen 
Diebe und Räuber, vor denen sie Besorgnis hegte. Die 

137 Freundschaft 111 ) hielt er sehr hoch, wie aus seiner Ein- 
mütigkeit mit Asklepiades hervorgeht, die der Freund- 
schaftsliebe des Pylades an Innigkeit nichts nachgab. 
Aber Asklepiades war der ältere, so daß man sagte, er 
sei der Dichter, Menedemos aber der Schauspieler. Es 
soll Archipolis ihnen einst eine Summe von dreitausend 
zugewandt haben; da habe es einen heftigen Streit um 
den zweiten Platz für die Annahme gegeben, und 
so habe keiner von beiden angenommen. 

Man erzählt auch von ihren Eheverhältnissen fol- 
gendes: Sie heirateten Mutter und Tochter, Asklepiades 
die Tochter, Menedemos die Mutter. Als dem Askle- 
piades seine Frau 112 ) starb, heiratete er die des Mene- 
demos, und dieser, da er die Staatsleitung antrat, hei- 
ratete eine vermögende Frau. Nichtsdestoweniger 
teilten sie nach wie vor ihre Wohnung, und Menede- 
mos übertrug die Wirtschaftsführung seiner früheren 

138 Gattin. Asklepiades starb vor ihm in bereits hohem 
Alter, nachdem er bei stattlichem Vermögen doch in 
schlichtester Einfachheit mit Menedemos vereint ge- 
lebt hatte. Als dann einige Zeit darauf der Geliebte 
des Asklepiades zu einem Gelage sich einfand und die 
anwesenden Jünglinge ihm den Eingang versperrten, 
gebot ihnen Menedemos, ihn einzulassen, mit den 
Worten, Asklepiades halte auch noch unter der Erde 
die Tür für ihn offen. Beiträge zu ihrem Unterhalt 
erhielten sie von dem Makedonier Hipponikos und 
dem Lamier Agetor. Der eine gab jedem von beiden 
dreißig Minen, Hipponikos aber dem Menedemos zur 
Ausstattung seiner Töchter zweitausend Drachmen; er 
hatte nämlich, wie Herakleides berichtet, von seiner 
Gattin Oropia drei Töchter. 



j 



126 



Menedemos. 



Seine Gastmahle veranstaltete er auf folgende 139 
Weise: Zunächst nahm er in Gesellschaft von zweien 
oder dreien seine Mahlzeit ein, bis sich der Tag zum 
Abend neigte. Dann rief einer die sich einstellenden 
Gäste, die auch ihrerseits bereits ihre Mahlzeit zu sich 
genommen, herein. Kam einer zu früh, so fragte er, 
auf- und abgehend, die Herauskommenden, was auf 
der Tafel stünde und welche Zeit es wäre. Wenn nur 
Gemüse oder Eingesalzenes, dann zogen sie wieder ab; 
wenn aber Fleisch, so traten sie ein. Im Sommer 
waren die Lagergestelle mit Binsenmatten belegt, im 
Winter mit Fellen; sein Kopfkissen brachte jeder selbst 
mit. Das herumgereichte Trinkgefäß war nicht größer 
als ein mäßiger Becher. Der Nachtisch bestand aus 
Lupinen oder Bohnen, mitunter auch aus Obst, wie 
Birnen, Äpfeln, auch wohl aus Schoten oder gar bloß 
aus getrockneten Feigen. Auf alles dies weist Ly- 140 
kophron hin in dem auf ihn gedichteten Satyrspiel, be- 
titelt „Menedemos", ein Drama, das er zum Lobe des 
Philosophen gedichtet hatte. Eine Stelle daraus lautet 
folgendermaßen: 

Sieh wie beim schlichten Mahle unter ihnen kreist 
Der kleine Becher! Doch des Mahles Würze ist 
Das kluse Wort, auf das die Schar der Hörer lauscht. 

Anfangs machte man sich nichts, aus ihm; er mußte 
sich von Seiten der Eretrier die Beinamen Hund und 
Schwätzer gefallen lassen; weiterhin aber erregte er so 
hohe Bewunderung, daß man die Leitung des Staates 
in seine Hände legte. Als Gesandter ging er zum 
Ptolemaios und Lysimachos, überall mit Ehren auf- 
genommen. Auch zum Demetrios begab er sich als 
Unterhändler, und es gelang ihm, die zweihundert 
Talente, welche die Stadt ihm jährlich zahlen mußte, 
um fünfzig herabzusetzen. Als er bei diesem verleumdet 
wurde, als wolle er die Stadt dem Ptolemaios in die 
Hände spielen, verteidigte er sich durch ein Schreiben, 
dessen Anfang lautet: „Menedemos bietet dem König 141 



II 139-148. 



127 



Demetrios seinen Gruß. Wie ich vernahm, tst dir 
mancherlei über mich zugebracht worden." Wie die 
Rede geht, war es von seinen politischen Gegnern ein 
gewisser Aischylos, der ihn verleumdet hatte. Be- 
sonders eindrucksvoll soU seine Sendung an Demetrios 
in der Sache für Oropos gewesen sein, wie auch 
Euphantos in seinen Geschichtserzählungen erwähnt. 
Auch Antigonos gewann ihn lieb und bekannte sich 
als sein Schüler. Nach dem Siege des Antigonos über 
die Barbaren bei Lysimachia beantragte Menedemos 
einen Volksbeschluß an ihn, der schlicht und von 

142 Schmeichelei frei mit folgenden Worten anhub: Ute 
Feldherren und die Ratsvorsteher erklären: „Da der 
König Antigonos nach seinem Siege über die Barbaren 
wieder in sein Reich zurückkehrt und alles andere ihm 
nach Wunsch gelingt, so haben Rat und Volk folgen- 
den Beschluß gefaßt." Als er deshalb und wegen seiner 
sonstigen Freundschaft mit Antigonos auf die Ver- 
leumdungen des Aristodemos hin in den Verdacht kam, 
die Stadt an den König zu verraten, entwich er heim- 
lich aus der Stadt und barg sich in Oropos im Heilig- 
tum des Amphiaraos. Als dort goldene Trinkgefaße 
abhanden kamen, ward er, wie Hermippos berichtet, 
auf gemeinsamen Volksbeschluß der Böotier des Landes 
verwiesen. Innerlich völlig gebrochen, schlich er sich 
von da heimlich in seine Vaterstadt, nahm sein Weib 
und seine Töchter zu sich, floh zum Antigonos und 

143 beschloß entmutigt sein Leben. Im völligen Gegensatz 
dazu behauptet Herakleides, er habe als Ratsvorsteher 
zu wiederholten Malen die Freiheit seiner Vaterstadt 
verteidigt gegen die Anhänger des Demetrios, die diesen 
zum Herrn der Stadt machen wollten; er habe also 
keineswegs dem Antigonos die Stadt in die Hände 
spielen wollen, sondern sei fälschlich verleumdet 
worden; den Verkehr mit Antigonos habe er vielmehr 
in der Absicht unterhalten, seinem Vaterland die Frei- 
heit zu sichern, und da dieser sich nicht dazu ver- 
stand, habe er aus Verzweiflung durch eine sieben- 



128 



Menedenios. Piaton. 



tägige Hungersqual sein Leben beschlossen. Ganz 
ähnlich lautet der Bericht des Antigonos Karystios. 
Nur mit dem Persaios 113 ) lag ex in unversöhnlicher 
Feindschaft. Denn dieser war es allem Anschein nach, 
der, als Antigonos willens war, dem Menedemos zu- 
liebe den Eretriern die demokratische Freiheit zurück- 
zugeben, dies verhinderte. Daher tat Menedemos einst 
beim Becher, nachdem er seine überzeugenden Gründe 
gegen ihn dargelegt, unter anderen folgende Äußerung 
über ihn: „So zeigt er sich als Philosoph, als Mann 
aber ist er der schlechteste von allen, die da sind und 
sein werden." 

Er starb nach Herakleides im vierundsiebzigsten 
Jahre seines Lebens. Auf ihn geht folgendes Epigramm 
von mir: 

Dein Schicksal, Menedemos, ist mir wohlbekannt, 
Dein Tod nach sieben Tagen Hungersqual. 
Freiwillig starbst du, als Eretrier, doch tapfer nicht, 
Denn deine Tat entstammte der Entmutigung. 

Dies also sind die Sokratiker und ihre Nachfolger. 
Nunmehr gilt es, mich dem Piaton zuzuwenden, dem 
Begründer der Akademie, und seinen Nachfolgern, so- 
weit sie sich einen Namen geschaffen haben. 



11 143 144. HI 1-2. 129 

* 



Drittes Buch. 



PlatOtl. 427—347 v. Chr. 

1 Platon 1 ) aus Athen war der Sohn des Ariston und 
der Periktione oder Potone, 2 ) die ihr Geschlecht aui 
Solon zurückführte. Des Solon Bruder nämlich war 
Dropides; dessen Sohn war Kritias, dessen Sohn Kal- 
laischros, dessen Sohn Kritias, das Haupt der Dreißig, 
und Glaukon. Des letzteren Kinder waren Charmides 
und Periktione, von der Platon stammte aus ihrer Ehe 
mit Ariston, als sechster von Solon abwärts. Solon 
aber führte sein Geschlecht auf Neleus und Poseidon 
zurück. Auch Piatons Vater soll sein Geschlecht aui 
Kodros, des Melanthos Sohn, zurückgeführt haben, die 
nach Thrasyllos gleichfalls als Nachkommen des Po- 

2 seidon gelten. Speusipp in seinem Leichenschmaus 
Piatons — wie das Buch betitelt ist — und Klearch ) 
in seiner Lobschrift auf Platon, und Anaxilides im 
zweiten Buche von den Philosophen berichten, es sei 
in Athen die Bede gegangen, Ariston habe der in voller 
Schönheit blühenden Periktione Gewalt antun wollen, 
ohne seinen Willen durchzusetzen; und als er sich be- 
schied, sei ihm Apollon erschienen, woraufhin er sie 
unberührt gelassen habe bis zur Niederkunft. ) 

Piatons Geburt fällt, wie Apollodor in den Chronika 
berichtet, in die 88. Olympiade (428/5 v. Chr.); sein 
Geburtstag war der siebente des Monats Thargelion, 
der Geburtstag des Apollon nach der Überlieferung der 
Delier. Gestorben ist er. wie Hermippos berichtet, bei 

A p e 1 1 . Diogenes Laertius. 9 



130 



Piaton. 



einem Hochzeitsschmaus im ersten Jahre der 108. 
Olympiade (348/5 v. Chr.) im Alter von einundachtzig 
Jahren. Neanthes aber sagt, er sei als Vierundachtzig- 3 
jähriger gestorben. Er ist also sechs Jahre jünger als 
Isokrates. Dieser nämlich ist unter Lysimachos, Pia- 
ton aber unter Ameimas geboren, in dessen Archontat 
der Tod des PeriMes fällt. Er stammte aus dem Demos 
Kolyttos, wie Antileon im zweiten Buche der Zeitrech- 
nung schreibt. Nach einigen ist er in Ägina geboren 
im Hause des Pheidiades, des Sohnes des Thaies, wie 
Favorinus in seinen Vermischten Geschichten be- 
richtet, da sein Vater mit andern an der Landverteilung 
beteiligt war und nach Athen zurückkehrte, als die 
Ansiedler von den den Ägineten zu Hilfe kommenden 
Lakedaimoniern wieder von der Insel vertrieben wur- 
den. Er ließ auch im Theater in Athen Chöre auf- 
treten auf Kosten des Dion, wie Athenodoros im achten 
Buche seiner Spaziergänge berichtet. Er hatte zwei 4 
Brüder, Adeimantos und Glaukon, und eine Schwester. 
Potone, die Mutter des Speusippos. 

Seinen Unterricht in der Grammatik erhielt er bei 
Dionysios, dessen er auch in den Anterasten gedenkt, 
in der Gymnastik bei dem Argivischen Bingmeister 
Ariston, welcher die Änderung seines Namens ver- 
anlaßte, indem er ihn wegen seiner trefflichen Körper- 
verfassung Piaton nannte, während er bisher nach 
seinem Großvater Aristokles hieß, wie Alexander in den 
Philosophenfolgen sagt. Einige wollen diesen Namen 
auch auf seinen breiten Bedefluß zurückführen oder 
auf seine breite Stirn, wie Neanthes behauptet. Manche 
berichten von seinem Auftreten als Bingkämpfer auf 
dem Isthmos. So auch Dikaiarch im ersten Buche 
von den Lebensläufen. Auch mit Malerei gab er sich 5 
ab 4a ) und mit dichterischen Versuchen, zuerst mit Dithy- 
ramben, dann auch mit Liedern und Tragödien. Er 
soll eine schwache Stimme gehabt haben, wie auch der 
Athener Timotheos 6 ) in seinen Lebensbeschreibungen 
behauptet. Es geht die Erzählung. Sokrates habe ge- 



III 2- 7. 



131 



träumt, er halte auf seinem Schöße das Junge von 
einem Schwan, das alsbald befiedert und flugkraftig 
geworden, in die Lüfte emporgestiegen sei mit schallen- 
den Jubeltönen; und tags darauf sei ihm Piaton vor- 
geführt worden; da habe er gesagt, dies sei der Vogel. 
Seine philosophischen Studien betrieb er zunächst in 
der Akademie, dann in dem Garten am Kolonos, wie 
Alexander 6 ) in den Phüosophenfolgen nach Hera- 
kleitos 7 ) sagt. Als er dann mit einer Tragödie in den 
Wettbewerb eintreten wollte, verbrannte er, des So- 
krates Mahnungen folgend, seine Dichtungen vor dem 
Dionysischen Theater mit den Worten (Jl. 18, dW. 
Eile, Hephaist, zum Piaton herbei, der deiner bedürftig. 

6 Von da ab — er war zwanzig Jahre alt — war er 
ununterbrochen des Sokrates Hörer; nach dessen Hin- 
scheiden hielt er sich an den Herakliteer Kratylos und 
an den Hermogenes, der in seiner Philosophie ein An- 
hänger des Parmenides war. Dann, im Alter von acht- 
undzwanzig Jahren, wie Hermodor 8 ) sagt, entwich er 
mit noch manchen andern Sokratikern nach Megara 
zum Eukleides. Darauf reiste er nach Kyrene zum 
Mathematiker Theodoros und von da nach Italien zu 
den Pythagoreern Philolaos und Eurytos; von da nach 
Ägypten zu den Propheten. Dort soll auch Euripides 
sein Begleiter gewesen sein, der daselbst von einer 
Krankheit befallen und durch eine Seewasserkur von 
den Priestern geheilt ward; daher auch sein Vers Upn. 
Taur. 1193): 

Das Meer spült alles Weh und Leid der Menschen weg. 

7 Auch soll er nach Homer gesagt haben, alle Ägypter 
seien Ärzte. Piaton hatte auch beschlossen, die Magier 
aufzusuchen, mußte aber wegen der Kriege in Asien 
darauf verzichten. Nach seiner Rückkehr nach Athen 
wählte er zu seiner Wohn- und Lehrstätte die Akade- 
mie. Das ist ein baumreiches Gymnasium vor der 
Stadt, das seinen Namen von einem Höros Hekademos 



132 



Piaton. 



hat, wie auch EupoMs in den Astrateuten (Kriegs- 
befreiten) sagt: 

In Hekademos Hain mit seinen schatt'gen Gängen. 

Auch Timon sagt von Piaton [Fr. 30 D.] :°) 

Allen voran als Führer der Breiteste; Worte von süßem 
Klange ertönen von ihm wie Gesang der Zikaden, der lieblieh 
Von dem Geäste erschallt im Hain Hekademos des Helden. 

Vordem nämlich wurde diese Stätte Hekademia ge- 8 
nannt, also mit Epsilon (e) geschrieben. Unser Philo- 
soph war auch mit Isokrates befreundet, und Praxi- 
phanes hat in einer Schrift eine Unterhaltung über die 
Dichter wiedergegeben, die sie auf einem Landgut des 
Piaton geführt haben, wo Isokrates. als dessen Gast 
weilte. Aristoxenos berichtet, er habe drei Feldzüge 
luitgemacht, erstens nach Tanagra, zweitens nach 
Korinth, drittens nach Delion, wo er sich auch aus- 
gezeichnet habe. 

Er faßte die Lehren des Heraklit, der Pythagoreer 
und des Sokrates zur Einheit zusammen. Denn in 
seiner philosophischen Lehre wird die sinnliche Er- 
kenntnis nach Heraklit, die gedachte Erkenntnis nach 
Pythagoras und die praktisch-politische nach Sokrates 
beurteilt. Einige, zu denen auch Satyros 10 ) gehört, 9 
erzählen, er habe dem Dion nach Sizilien den Auftrag 
gesandt, drei pythagoreische Bücher vom Philolaos 
für hundert Minen zu kaufen. Denn er gebot, sagt 
man, über reiche Mittel, da er vom Dionysios mehr als 
achtzig Talente empfing, wie auch Onetor 11 ) sagt in 
seiner Schrift, die den Titel führt: „Ob der Weise sich 
auf Gelderwerb legen wird?" 

Eine reiche Fundgrube für ihn waren auch die 
Werke des Komödiendichters Epicharm, aus dem er 
sehr viel entlehnte, wie Alkimos in seinen Büchern an 
Amyntas 12 ) schreibt, deren vier sind. Da heißt es in 
dem ersten: „Es ist offensichtlich, daß Piaton vieles 
votn Epicharm her übernimmt. Man sehe zv. Piaion 



III 7-11. 



133 



behauptet, das sinnlich Wahrgenommene sei dasjenige, 
das niemals weder ' nach Qualität noch nach Quantität 
in demselben Zustande beharre, sondern immer in Fluß 
und Veränderung sei, wie denn alles dasjenige, dem 

10 man die Zahl (die Zählbarkeit) nimmt, weder gleich 
noch überhaupt irgend etwas noch ein Ding von be- 
stimmter Größe oder Beschaffenheit ist. Das ist das- 
jenige, welches in einem beständigen Werden begriffen 
ist, ohne jemals zum Sein zu gelangen. Das nur Denk- 
bare dagegen ist das, was weder einen Verlust, noch 
einen Zuwachs erfährt. Dies ist das Wesen der ewigen 
Dinge, das immer sich gleich und das nämliche bleibt. 
Und eben über diese Gegenstände der Sinneswahrneh- 
mung xmd der gedachten Erkenntnis hat Epicharm sich 
deutlich geäußert: 

A Götter hat's doch stets gegeben, niemals haben sie gefehlt. 
Was auf Erden hier geschiehet, hält den gleichen Lauf 

stets ein. .... .. . 0i 

B Aber Chaos war gewiß doch erste Gottheit wie es heißt. 
a! Nein, unmöglich! Was zuerst kommt, stammt von andern 

niemals her. ■ 
B. Niemals also kam ein Erstes? A. Auch ein Zweites nicht, 

beim Zeus, . 

11 Von den Dingen dieser Welt hier, nein, sie war von jeher da. 

und 

A Wenn zu einer Zahl von Steinen, sie sei ung'rad oder g'rad, 
Einer einen neuen zufügt oder einen davon nimmt, 
Ist die Zahl dann noch dieselbe? B. Nein, das glaub ich 
nimmermehr! 

A. Und zu einer Elle Tuches füge ein paar Zoll hinzu 
Oder schneide vom Vorhandnen ebenso viel Zolle ab. 
Hast du dann das alte Maß noch? B. Nicht doch! A. Gut. 

So schau dir nun , 
Auch die Menschen an, die einen wachsen, andre schwinden hin, 
Kurz in stetem Wechsel wandeln sie durch ihres Daseins Zeit. 
Was nun. durch Naturtrieb wechselnd, nie am selben Platze 

bleibt, 

Ist ein anderes geworden nunmehr als es vorher war. 
Und so waren du und ich auch gestern andere als heut , 
Und wie heut', so auch in Zukunft nach dem nämlichen Gesetz. 



134 



Piaton. 



Weiter sagt Alkimos noch folgendes: „Es sagen die 12 
Weisen, daß die Seele ihre Erkenntnis teils durch Wahr- 
nehmung vermittelst des Körpers erhalte wie beim 
Hören und Sehen, teils durch eignes Nachdenken ohne 
jede Beihilfe des Leibes. Daher teile sich denn das 
Seiende in Wahrgenommenes und Gedachtes. Darum 
sagte auch Piaton, diejenigen, welche die Urgründe des 
Alls zu erfassen trachteten, müßten zunächst die Ideen 
an sich in ihrer Besonderheit genau bestimmen, als da 
sind: Ähnlichkeit, Einheit, Menge, Größe, Ruhe, Be- 
wegung; sodann müßten sie das Schöne an sich und 
ebenso das Gute und Gerechte und was weiter von 
dieser Art ist, als an sich bestehende Wesenheiten auf- 
weisen; drittens den Überblick gewinnen über alle 13 
Ideen, die ein Verhältnis der Gegenseitigkeit voraus- 
setzen, als da sind Wissen oder Größe oder Herrschaft, 
und dabei immer bedenken, daß die irdischen Dinge 
wegen ihrer Teilnahme an jenen übersinnlichen Wesen 
mit ihnen die gleiche Benennung tragen; das z. B. heißt 
gerecht, was teil hat an der Gerechtigkeit, das schön, 
was teil hat an der Schönheit. Es ist aber jede einzelne 
der Ideen ewig und nur dem Geiste erfaßbar und über- 
dies jeder Störung unzugänglich. Daher sagt er denn 
auch, die Ideen ständen in voller Wirklichkeit (!» ffl 
(puasi) gleichsam als Musterbilder da, die Einzeldinge 
aber seien ihnen ähnlich in ihrer Eiaenschaft als Äb- 
bildunaen") Emcharm nun läßt sich über das Gute 
und über die Ideen folgendermaßen vernehmen: 

A. Ist Flötenspiel ein Etwas? B. Ja. wie sollt' es nicht? 14 ) ^ 
A. Der Mensch nun, ist er Flötenspiel? B. Nein, nimmermehr. 
A. Der Flötenspieler nun, sag' an, was masr er sein? 

E>'n Mensch doch: oder nicht? B. Gewiß. A. Auf diese Art 

Wird's wohl auch mit dem Outen stehn; das Oute wird 

Ein Ding an sich sein, für sich selbst; und wer's erlernt 

Und als ein Wissender beherrscht, wird eben srut, 

So wie, wer Flöte lernt, ein Flötenspieler wird, 

Wer tanzen lernt, ein Tänzer, Flechter, wer da flicht; 

— Und nimm beliebig jedes Fach, aufs Q'ratewohl — 

Ein jeder wird wohl Künstler, doch nicht selbst die Kunst. 



III 12 17. 135 



Piaton sagt in seiner Darlegung der Gründe für An- 

15 nähme") der Ideen folgendes: „Wenn es ein Gedächtnis 
gibt so muß es tatsächlich auch Ideen geben, denn das 
Gedächtnis setzt etwas Ruhendes und ^Ä ^" 
aus- es hat aber nichts anderes festen Bestand als die 
Ideen Denn auf welche Art, sagt er, sollen die leben- 
den Wesen sich erhalten, wenn sie nicht in gewissem 
zlamnZhang mit den Ideen 

,}pr Natur den Verstand empfangen hatten? öo aoei 
erinnern st sich der Gleichheit von (Geträfn und 
fahrung wie sie ihrer Art nach für sie paßt, wodurch 
TTe%Znen geben, daß allen l^^Tdtnl 
Kenntnis der Gleichheit eingepflanzt ist. Daher denn 
auch Ze Sinnesempfindung für alles, was einerlei 
Geschlechts mit ihnen ist. Wie heißt's nun bei Epi- 
charm? 

16 Eumaios, Weisheit ist auf e i n ^ Gattung nicht 
Beschränkt, denn alles, was da lebt, hat auch Verstana. 
So laß dich nur erinnern an das HennenvolK . 
Denkst du genau nach, nicht lebend'ge Junge bnngts 
Hprvhr- es brütet aus sie und beseelt sie so. 
Kwie'l mttdieser Weisheit ist bestel H .das we.ß 
Natur allein: sie hat es ganz von selbst gelernt. 

Und weiter: 

Kein Wunder, daß wir so uns äußern unter uns 
QewÄfünkenTscS 

17 Dieses und dergleichen mehr führt Alkimos im Ver- 
laufe seiner vier Bücher an mit Hinweisungen auf die 
£te Anregungen, die Piaton dem Epicharn i ver- 
dankt Daß aher auch Epicharm selbst sich der Be- 
deutung seiner Weisheit wohl bewußt war ist ersicht- 
lich aus ienen Versen, in denen er prophetisch hin- 
weist auf seine kommenden Nacheiferer: 



136 



Piaton. 



Was ich glaube, oder vielmehr was ich sicher weiß, ist dies: 
Kommen wird die Zeit, wo wieder meiner Lehre man gedenkt, 
Und es wird sich einer finden, der das Versgewand vertauscht 
Gegen einen Purpurmantel, reich verbrämt mit Wortgepräng, 
Seine Gegner wird er schlagen, selbst ein schwerbezwungner 
Held. 

Wie es scheint, ist Piaton der erste gewesen, der 18 
auch die bis dahin unbeachtet gebliebenen Werke des 
Mimographen Sophron nach Athen gebracht und sie 
zum Gegenstand mimischer Charakterstudien gemacht 
hat. Sie sollen auch unter seinem Kopfkissen gefunden 
worden sein. Er ist dreimal in Sizilien gewesen: das 
erstemal, um die Insel und ihre Feuerschlünde zu be- 
sichtigen, bei welcher Gelegenheit er auch mit dem 
Tyrannen Dionysios, dem Sohne des Hermokrates, auf 
dessen dringende Einladung, in Berührung kam. Doch 
stieß er bei ihm hart an, als er bei einem Gespräch über 
die Tyrannenherrschaft die Äußerung tat, nicht dem 
sei der Vorzug zu geben, was ihm bloßen Nutzen 
bringe, sondern es müsse etwas sein, das sich auch 
durch seinen inneren Tugendwert vor anderem emp- 
fehle. In zorniger Aufreizung erwiderte jener: „Deine 
, Worte schmecken nach Altersschwäche." Darauf 
Piaton: „Und deine nach Tyrannenlaune." Darüber 
-entrüstet, war der Tyrann zuerst gesonnen, ihm das 19 
Leben zu nehmen; dann aber, durch Dion und Aristo- 
menes milder gestimmt, stand er davon zwar ab, über- 
gab ihn aber dem zufällig gerade angelangten sparta- 
nischen Gesandten Pollis, um ihn als Sklaven zu ver- 
kaufen. Der nahm ihn auch mit nach Ägina und ver- 
kaufte ihn dort. Da klagte ihn Gharmandros, des 
Charmandrides Sohn, mit dem Antrag auf Todesstrafe 
an gemäß dem dort bestehenden Gesetz, daß der erste 
Athener, der die Insel betrete, ungehört des Todes sein 
sollte. Er selbst aber war es, der dies Gesetz einge- 
bracht hatte, wie Favorin in seinen Vermischten Ge- 
schichten berichtet. Doch auf die wenn auch nur 
scherzhafte Äußerung von irgend jemand hin, der Ge- 



III 17 21. 137 



landete sei ja ein Philosoph, ließ man ihn laufen. 
Einige wieder erzählen, er sei vor die Volksversamm- 
lung geführt worden und habe da, scharf von der 
Menge beobachtet, kein Wort von sich gegeben, sondern 
ruhig den Gang der Dinge abgewartet. Sie aber ent- 
schieden sich zwar nicht für den Tod, wohl aber für 
20 den Verkauf wie bei Kriegsgefangenen. So kaufte ihn 
denn der zufällig gerade anwesende Annikeris aus 
Kvrene los für zwanzig Minen, nach anderen iui 
dreißig und schickte ihn nach Athen zurück zu seinen 
Freunden Diese erstatteten dem Annikeris alsbaJd das 
ausgelegte Geld zurück, was er aber abwies mit den 
Worten, sie seien nicht die einzigen, die würdig waren, 
sich eines Piaton anzunehmen. Einige berichten auch 
Dion habe ihm das Geld geschickt, er aber habe es fui 
sich nicht angenommen, sondern habe dem Piaton da- 
für den Garten in der Akademie gekauft Von Pillis 
geht die Rede, er sei von Chabrias, besiegt worden und 
dann bei Helike im Meere umgekommen weil die Gott- 
heit ihm gezürnt habe wegen des Philosophen So 
stellt auch Favorin die Sache dar im ersten Buche 
21 seiner Denkwürdigkeiten. Dem Dionysios aber ließ 
sein böses Gewissen keine Ruhe; als er Kunde davon 
erhielt, richtete er das briefliche Ansuchen an P aton, 
Sn nicht durch nachteilige Äußerungen bloßzustellen 
Piaton erwiderte darauf, er habe nicht Zeit genug, um 
an den Dionvsios zu denken. * 

leL zweite Reise nach Sizilien führte ihn zum 
iüngern Dionysios, den er um Land und Leute bat, 
She das vo'n ihm entworfene ,Staats,deal verwirk- 
lichen sollten. Dionysios sagte das zwar zu, hielt J-ber 
nicht Wort. Einige berichten auch, er habe sich in 
"roße Gefahr gebracht durch den angeblichen Ver- 
such den Dion und Theodotas zur Befreiung der Insel 
Treizen; aus diesem Anlaß habe auch der Pythagoreer 
\rchS ein briefliches Gnadengesuch an Dionysios 
SShtefund dadurch seine Rückkehr nach Athen er- 
wirkt. Der Wortlaut des Briefes ist folgender. 



138 Piaton. 

Ardlytas Heil dem Dionysios. 

Wir Freunde des Piaton haben alle den Lamiskos 22 
und Photidas an dich entsandt, um den Mann gemäß 
der von dir erhaltenen Zusicherung zurückzubringen. 
Du wirst gut tun, dich zu erinnern, mit welchem Eifer 
du damals uns alle auffordertest, den Piaton zu dir 
kommen zu lassen mit der Bitte, ihn dazu geneigt zu 
machen und jede Bürgschaft zu übernehmen, insbeson- 
dere für seine Sicherheit sowohl für den Fall des 
Bleibens wie der Rückkehr. Erinnere dich ferner auch 
daran, daß du seine Ankunft mit Jubel begrüßtest und 
ihm seit jener Zeit deine Zuneigung zuwandtest, wie 
sonst keinem deiner Gäste. Ist aber nun eine Ent- 
fremdung eingetreten, so mußt du der Stimme der 
Menschlichkeit folgen und uns den Mann unverletzt 
wieder zustellen. Tust du dies, so wirst du gerecht 
handeln und uns zu Bank verpflichten. 

Seine dritte sizilische Reise hatte den Zweck, den 23 
Dion mit Dionysios auszusöhnen. Dies gelang ihm 
nicht, und so kehrte er unverrichteter Sache nach der 
Heimat zurück. Hier befaßte er sich nicht mit staat- 
lichen Angelegenheiten, obschon seine Schriften seine 
Befähigung zum Staatsmann dartun. Schuld daran 
war der Umstand, daß sich das Volk bereits in andere 
staatliche Grundsätze und Anschauungen eingelebt 
hatte. Pamphile behauptet im fünfundzwanzigsten 
Buche ihrer Denkwürdigkeiten, die Arkadier und The- 
baner hätten bei Gründung der Stadt Megalonolis ihn 
zum Gesetzgeber berufen. 17 ) Er aber folgte dem Rufe 
nicht, nachdem er erfahren, daß sie nicht gewillt seien, 
den Grundsatz der bürgerlichen Gleichheit durchzu- 
führen. Man erzählt auch, er habe die Verteidigung 
des auf den Tod angeklagten Feldherrn Chabrias über- 
nommen, da keiner der andern Bürger sich dazu ver- 
stehen wollte. Als er damals mit Chabrias zur Akro- 24 
pohs hinaufging, begegnete ihm der Sykopbant Kroby- 



III 22-26. 139 



los und sagte: „Du willst einem andern vor Gericht 
Beistand leisten und weißt nicht, daß auch dich des 
Schates Giftbecher erwartet." Da habe Piaton er- 
widert- .Auch als ich fürs Vaterland zu Felde zog, habe 
ch den Gefahren getrotzt; so werde ich auch jetzt 
meine Pflicht gegen den Freund erfüllen und der Ge- 
fX trotzen " Er hat zuerst, wie Favorin im achten 
Buche s iner Vermischten Geschichten sagt, die dialo- 
3 Lehrform aufgebracht, und er hat auch zuerst 
ÄS Leodamas auf die analytische Methode 
der Untersuchung aufmerksam gemacht Auch hat er 
fn die ^Philosophie zuerst folgende Bezeichnungen ein- 
geführt Antipoden (Tim. 63 A), Element, Dialekt k 
Qualität (TtoioTTic), oblonge Zahl (im Gegensatz zur 
Ouadratzahl). Unter den Begrenzungsausdrucken ist 
Sfihn zurückzuführen der Name der ebenen Flache; 
?m fibrigen auch noch der Ausdruck „göttliche \or- 
25 sehung" Er war es auch, der zuerst unter den Philo- 
Znhen gegen die Bede des Lysias, des Sohnes des 
KephSos Einspruch erhob, indem er sie Wort für 
Wort im Phaidros beleuchtete. Auch die Bedeutung 
der Grammatik unterzog er zuerst der wissenschaft- 
lichen Forschung. Da er nun auch der erste war, dei 
fast allen früheren Philosophen ^^™\. s ?. h lf 
die Frage nahe, weshalb er des Demokrit nicht ge- 

Als er in Olympia erschien, so erzählt Neanthes aus 
Kyzikos richteten sich aller Augen auf ihn; dort hatte 
« Seite auch seine Zusammenkunft mit Dion, der 
zum Zuge gegen Dionysios rüstete. In dem ersten 
Che dt Denkwürdigkeiten des Favorin findet sich 

Se^merkung, daß der Perser ^^Kfin" 
säule des Piaton für die Akademie stiftete mit der ln- 
Shrift Der Perser Mithridates, des Bhodobatos Sohn, 
Sit 'den Musen dies Bildnis Piatons, ein Werk des 
26 Sion Herakleides sagt, er wäre in seiner Jugend 
?o züchtig und gesetzt gewesen, — 
übermäßig hätte lachen sehen. Trotz dieser beJPst 



140 Pia ton. 

zucht entging doch auch er nicht dem Spotte der 
Komiker. So sagt Theopomp von ihm im Hedychares: 

denn Eins ist gar nicht Eins 
Und zwei? Die Zwei ist schwerlich Eins, wie Piaton sagt. 

Und auch Alexandrides im Theseus: 

Als er Olivenfrucht verschlang, wie's Piaton tat. 

Auch Timon sagt mit Anspielung auf seinen Namen 

folgendes [Fr. 19 D.]: 19 ) 

Es 

Solch ein Plattierer war Piaton und Schöpfer von Wunder- 
gestalten. 

Und Alexis in der Meropis: 

Zur rechten Zeit erscheinst du, denn ich Ärmste weiß 
Mir keinen Rat: wie Piaton wandl' ich auf und ab 
Und finde nichts Gescheites, mache mich nur müd'. 

Und im Ankylion: 

Du red'st ins Blaue, läufst wie Piaton hin und her, 
Und weißt von Laugensalz und Zwiebel bald Bescheid. 

Und im Amphikrates: 

Was eigentlich das Gute sei, das du durch sie 

Erlangen willst, ist mir geheimnisvoller noch 

Als das Platon'sche Gut, o Herr. B. So höre denn. 

In dem Dexidemides: 

0 Piaton, 

Daß du doch ewig finster blickst und sonst nichts kennst, 
Der Schnecke gleich die Brauen runzelnd feierlichst. 

Kratinos im Fälschlich Untergeschobenen: 

Ein Mensch bist du doch offenbar und bist beseelt. 

Das weiß ich, zwar nach Piaton nicht, doch denk' ich mir's. 

Alexis im Olympiodoroe: 

Mein Leib, mein sterblich Teil, ist dürr und abgezehrt. 
Doch mein unsterblich Teil entwich hinauf zur Luft. 
B. Das klingt nach Piatons Schule doch? 



III 26 31. 



141 



Und im Parasiten: 

Als unbelauscht mit Piaton plaudern ganz intim. 

Auch Anaxilas spöttelt über ihn im Botrylion und der 
Kirke und den Reichen Frauen. Aristipp im vierten 
Buche von der Schweigern der Alten behauptet, er 
habe sich verliebt in einen Jüngling Namens Aster, 
der mit ihm sich in der Sternkunde übte, und auch m 
den schon erwähnten Dion. Einige nennen auch den 
Phaidros. «Klare Zeugnisse für seine Liebe seien fol- 
gende Epigramme, die er selbst auf sie verfaßt habe: 

Auf zu den Sternen blickst du, mein Stern. 20 ) Ach wär' ich 
der Himmel, 

Tausendäugig alsdann würde ich blicken nach dir. 
lind ein anderes: 

Als du noch lebtest, leuchtetest du als Morgengestirn mir, 
Nun als Abendgestirn spendest den Toten du Licht. 

Auf den Bion aber so: 

Tränen waren der Hekuba Los und der troischen Weiber; 

Gleich bei ihrer Geburt war dies der Mören Beschluß. 
Und dir, Dion, dem Helden, dem Tatenreichen, dem Sieger, 

Schnitten die Himmlischen ach! weitere Hoffnungen ab. 
In deiner Heimat geräumiger Flur, geehrt von den Bürgern, 

Ruhest mein Herzblut du, Dion, so rasend geliebt. 

Biese Verse sollen auch als Inschrift auf seinem Grabe 
in Syrakus stehen. Aber auch auf Alexis, sagt man, 
und auf Phaidros, seine angeblichen Geliebten, wie 
vorher erwähnt, gibt es Vense von ihm. Nämlich: 

Jetzt gilt nichts mein Alexis, doch sage das einzige Wort nur,") 
Daß eine Schönheit er ist: jedermann schaut dann nach ihm. 

Warum zeigest du, Herz, den Hunden den Knochen? Du wirst es 
Später bereun, ward nicht so uns auch Phaidros geraubt? 

Er soll auch die Archaianassa geliebt und folgende 
Verse auf sie gedichtet haben: 

Archaianassa lieb' ich, die Kolophonische Schönheit, 
Die. wenngleich schon verblüht, reizvoll und lieblich noch ist. 



1 42 Piaton. 

Als sie noch strahlte im Reize der Jugend, wie habt ihr Unsel'gen 
Aus der verzehrenden Glut euch zu erretten vermocht? 

Und auch auf Agathon: 32 . 

Als ich den Agathon küßte, da fühlten die Lippen die Seele, 
Denn sie war krank und schien mich zu verlassen bereits. 

Und noch eines: 

Mit dem Apfel werf ich nach dir, und schenkst du mir, Beste, 
Willig und freudig dein Herz, nimm ihn und gib dich mir hin. 
Aber — wehe mir! — denkst du auch anders, so nimm doch 
den Apfel, 

Daß er dir zeige, wie bald Jugend und Anmut verblühn. 
Und: _ I .A.A:J 

Ich bin der Apfel; es wirft mich ein Liebender, beste Xanthippe, 
Sei mir geneigt, denn bald werden wir beide verblüh'n. 

Man schreiht ihm auch ein Epigramm auf die mit List 33 
gefangenen Eretrier zu: 

Von Euböa stammen wir her; doch nahe bei Susa 
Ruhen wir hier; wie weit ach! von dem heimischen Land. 

lind auch dieses: 

Kypris sprach zu den Musen: Ihr Mädchen, ehrt Aphrodita, 
Sonst soll Eros alsbald euch mit den Waffen bedreun. 

Drauf die Musen : Laß ab von solchem Geschwätze : das Knäbchen 
Wird sich nimmer verstehn zu einem Flug gegen uns. 

Und noch eins: 

Gold fand einer und ließ die Schlinge zurück; doch ein andrer 
Hing an der Schlinge sich auf ob seines Goldes Verlust. 

Molon") ihm feindlich gesinnt, sagt: „Nicht dar- 34 
über darf man sich wundern, daß Dionysios in Ko- 
rinth, wohl aber darüber, daß Piaton in Sizilien weilt." 
Auch Xenophon scheint nicht in freundlichem Ver- 
hältnis zu ihm gestanden zu haben. Denn es macht den 
Eindruck der Nebenbuhlerschaft, daß sie die gleichen 
Themata behandelt haben, wie das Symposion, Apologie 
des Sokrates und die Denkwürdigkeiten. Ferner der 



III 31—37. 



14S 



eine den Staat, der andere die Kyrupädie; und m den 
Gesetzen erklärt Piaton die letztere für eine Erfindung, 
denn einen solchen Kyros habe es nicht gegeben. ) 
Beide gedenken des Sokrates, nirgends aber tut einer 
des andern Erwähnung, abgesehen von einer Stelle im 
dritten Buche der Memorabilien, wo Xenophon den 
Piaton erwähnt (Mem. III 51). 

35 Es geht auch folgende Erzählung um: Antisthenes 
wollte eine seiner Schriften vorlesen und lud dazu auch 
Piaton ein. Als dieser fragte, 24 ) was er vorlesen wolle, 
sagte er, eine Abhandlung über die Unmöglichkeit des 
Widersprechens. Da sagte Piaton: „Wie kannst du 
denn über eben dies Thema überhaupt schreiben? 
wobei er ihm auseinandersetzte, daß er mit sich selbst 
in Widerspruch stehe. 25 ) Da schrieb Antisthenes einen 
Dialog gegen Piaton, betitelt Sathon. Seitdem waren 
sie dauernd verfeindet. Man erzählt auch, Sokrates 
habe nach Vorlesung des Platonischen Lysis gesagt: 
„Beim Herakles, was der junge Mensch doch alles 
über mich zusammenlügt." Der Verfasser nämlich hat 
mancherlei zu Papier gebracht, was Sokrates nie ge- 

36 sagt hat. Auch mit Aristipp stand Piaton auf ge- 
spanntem Fuß. Denn in dem* Dialog über die Seele 
(Phaidon) macht er es ihm zum Vorwurf, daß er beim 
Tode des Sokrates nicht zugegen war, ) sondern in 
dem doch so nahe liegenden Agina blieb. Auch mit 
Aischines :stand er in einer Art Nebenbuhlerschaft, 
weil wie es heißt, auch er beim Dionysios m Ansehen 
stand; so sei er denn, als er von Mangel getrieben sich 
am Hofe einfand, von Piaton nicht beachtet worden 
während Aristipp sich seiner angenommen habe. Und 
was die Bolle anlangt, die Piaton dem Kriton zuweist 
als demjenigen, der im Gefängnis zur Flucht rat, so 

• meint Idomeneus, sie gehöre von rechtswegen dem 
Aischines; Piaton habe aber den Kriton gewählt wegen 

37 seiner Feindschaft gegen jenen. Sich selbst hat mton 
in keiner seiner Schriften erwähnt außer im Phaidon 
(59 B) und in der Apologie (34 A). 



144 



Piaton. 



Aristoteles sagt, seine Schreibart halte die Mitte 
zwischen Poesie und Prosa. Er ist, wie Favorinus 
irgendwo sagt, der einzige gewesen, der bei der Vor- 
lesung des Phaidondialoges durch Piaton bis zu Ende 
ausgeharrt hat, während alle übrigen sich entfernten. 
Einige behaupten, Philippos der Opuntier habe seine 
„Gesetze", die auf Wachstafeln aufgezeichnet waren, 
umgeschrieben. Dieser soll auch der Verfasser der 
Epinomis sein. Euphorion ferner und Panaitios haben 
behauptet, der Anfang der Republik sei in mannigfach 
veränderter Form vorgefunden worden, und Aristo- 
xenos sagt, fast die ganze Republik sei aus des Prota- 
gons Antilogika entlehnt; 27 ) sein erster Dialog aber 
sei der Phaidros gewesen; denn der Gegenstand hat 38 
etwas Jugendliches. Dikaiarch aber tadelt seine 
Schreibart überhaupt als schwülstig. 

Als Piaton einem Würfelspieler zusah, soll er ihm 
Vorhalt getan haben, und auf dessen Entgegnung, es 
ginge ja nur um geringen Einsatz, geantwortet haben: 
„Aber die Gewöhnung ist nichts Geringes." Gefragt, ob 
auch er einen Denkspruch hinterlassen werde ähnlich 
dem der früheren, antwortete er: „Erst muß man sich 
einen Namen geschaffen haben, dann können noch 
. viele (Denksprüche) folgen." Als einst Xenokrates bei 
ihm eintrat, bat er ihn, seinen Sklaven zu peitschen, 
er selbst könne es nicht wegen der zornigen Erregung, 
in der er sich befinde. Und auch zu einem Sklaven 39 
sagte er einmal: „Du hättest Peitschenhiebe erhalten, 
wenn ich nicht im Zorne wäre." Als er sich einmal 
aufs Pferd gesetzt hatte, stieg er alsbald wieder her- 
unter mit den Worten, er wolle sich hüten, in den 
Reiterübermut zu verfallen. Den Trunkenen riet er, 
sich im Spiegel zu beschauen, dann würden sie ab- 
stehen von einer so entstellenden Unsitte. Bis zur 
Trunkenheit sich dem Weingenuß zu ergeben, erklärte 
er für durchaus unziemlich außer an den Festen des 
weinspendeniden Gottes. Auch das übermäßige Schlafen 
mißfiel ihm. So sagt er in den Gesetzen (808 B): „"Wer 



III 37-42. 



145 



schläft, ist zu nichts nütze." Ferner sei erwähnt sein 
Spruch: „Die Wahrheit ist lieblicher als jeder Ohren- 
schmaus." Andere setzen für Wahrheit hier ein: „Die 
Wahrheit zu reden." Über die Wahrheit läßt er sich in 
den Gesetzen (Jl (5(53 E) folgendermaßen vernehmen: 

40 „Schön ißt die Wahrheit, mein Freund, und unvertilg- 
bar; doch scheint es nicht leicht, ihr in den Gemütern 
Eingang zu verschaffen." Er war auch von dem 
Wunsche beseelt, sein Andenken durch Freunde oder 
durch Bücher erhalten zu sehen. Vom großen 
Menechenverkehr hielt er sich meistens fern, wie 
einige sagen. 

Über die Umstände, unter denen er starb, haben 
wir bereits berichtet. Sein Tod fällt in. das dreizehnte 
Jahr der Herrschaft des Königs Philippos, wie Favo- 
rin im dritten Buche seiner Denkwürdigkeiten sagt; 
Theopomp bemerkt, er sei von diesem nachträglich ge- 
ehrt worden. Myronian sagt in den Geschichtlichen 
Parallelen, Philon gedenke eines Sprichwortes über 
die Läusekrankheit Piatons, als sei er an dieser zu- 

41 gründe gegangen. Beerdigt wurde er in der Akademie, 
wo er die meiste Zeit mit philosophischer Arbeit zu- 
brachte. Daher wurde denn seine Sekte auch die Aka- 
demische genannt, wie denn auch die gesamte Bevölke- 
rung dieses Bezirkes ihm das Grabgeleite gab. 

Sein Testament lautete folgendermaßen: „Folgendes 
ist die Hinterlassenschaft Piatons und seine Verfügung 
darüber: Das Grundstück am Iphaistiaglenheiligtum, in 
dessen Nähe nördlich der Weg vom Kephisiadenheilig- 
tum sich hinzieht, südlich das Herakleion im Iphai- 
stiadenheiligtum liegt, und das östlich den Archestratos 
aus dem Demos Phrearrhoi, westlich den Philippos aus 
dem Demos Chollidai zum Nachbar hat. Dies zu ver- 
kaufen oder in andre Hände zu bringen, soll nie- 
mandem erlaubt sein, sondern es soll, wenn irgend 
möglich, im Besitz des jungen Adeimantos verbleiben. 

42 Das Eiresideische Grundstück , das ich von Kalli- 
machos gekauft habe, das nördlich zum Nachbar den 

Apeit, Diogenes Laertius. in 



14G Piaton. 



Eurymedon aus dem Demos Myrrhinus hat, siidhch 
den Demostratos aus dem Demos Xypeie, östlich den 
Eurymedon aus Myrrhinus, und westlich an den 
Kephisos grenzt. An Silber drei Minen, eine silberne 
Schale im Werte von hundertfünfundsechzig Drach- 
men ein Trinkbecher im Werte von fünf undvierzig, ein 
goldner Fingerring und ein goldner Ohrring, beide zu- 
sammen im Werte von vier Drachmen und drei 
übolen Der Steinmetz Eukleides schuldet mir drei 
Minen. Der Artemis schenke ich die Freiheil. Tychon, 
Biktas, Apolloniades, Dionysios hinterlasse ich als 
Sklaven An Geräten das, was im Verzeichnis steht, 43 
ron dem Demetrios eine Abschrift hat. Ich schulde 
keinem Menschen irgend etwas. Zu Testamentsvoll- 
streckern ernenne ich den Sosihenes, Speusippos, 
Demetrios, Hegias, Eurymedon, Kallimachos, Thra- 
sippos." So lautet das Testament. Seinem Grabmal 
sind folgende Epigramme gewidmet. Erstens: 

Über die Menge erhaben an Reinheit und rechtlicher Denkart 
Wahrhaft göttlichen Geists, ruhet Aristokles hier. 

Gibt es einen, der allen an Weisheit weit überlegen. 
Dann reicht keiner an ihn, Neid und Gehässigkeit schweigt. 



Ferner : 

Diese Erde, sie birgt in sich den Körper des Piaton, 
Doch seine Seele, sie teilt jetzt mit den Göttern das Los. 

Er, des Ariston Sohn, der Erschauer des göttlichen Lebens, 
Wird von den Freunden des Rechts auch aus der Ferne 
verehrt. 

Und ein jüngeres: 

A. Aar, was schwebst du über dem Grab? So nenne die 

Gottheit, 

Deren Sternenpalast du mit dem Auge erspähst. 

B. Ich bin der Seele Piatons, der schon zum Olympos enteilten, 

Bild; seinen irdischen Leib birgt hier die attische Flur. 

Auch von mir gibt es ein Epigramm folgenden Wort- 
lauts: 

Hätte nicht Phoibos für Hellas den Piaton erschaffen, wie hätte 
Je er den menschlichen Geist von seiner Rohheit geheilt? 



44 



III 42-47. 



147 



So wie Phoibos Sohn Asklepios Heiler des Leibes, 
So ist Piaton der Arzt für den unsterblichen Ueist. 

Und ein anderes, über seinen Tod: 

Seinen Asklepios schenkte den Menschen Apollon, und Piaton, 
Diesen als Heiler des Geists, jenen als Heiler des Leibs. 

Bei einem Hochzeitsmahl entwich er zur Himmelsstadt droben, 
Die er gegründet dereinst als eine Stätte des Zeus. 

46 Das sind die Epigramme. Seine Schüler aber waren 
Speusippos aus Athen, Xenokrates aus Chalkedon, 
Aristoteles aus Stageira, Philippos aus Opus, Hestiaios 
aus Perinthos, Dion aus Syrakus, Amyklos aus Hera- 
klea, Erastos und Koriskos aus Skepsis, Timolaos aus 
Kyzikos, Euaknon aus Lampsakos, Peithon und Hera- 
kleides aus Aineia, 2S ) Hippothales und Kalldppos aus 
Athen, Demetrios aus Amphipolis, Herakleddes Ponti- 
kos und noch viele andere, unter ihnen auch zwei 
Frauen, Lastheneia aus Mantineia und Axiothea aus 
Phlius, die Männer Meldung anlegte, wie Dikaiarch be- 
richtet. Einige behaupten, auch Theophrast sei sein 
Zuhörer gewesen und der Redner Hypereides; das- 
selbe sagt Chamäleon auch von dem Redner Lykurg. 
Ähnlich berichtet Polemon. Auch von Demosthenes be- 

47 hauptet es Sabinos mit Berufung auf den Thasier 
Mnesistratos im vierten Buch seiner Übungsstoffe. Und 
das hat auch manches für sich. 

Da du, und zwar mit vollem Recht, eine Lieb- 
haberin des Piaton bist und es an Eifer in Durch- 
forschung der Lehren des Philosophen mit jedermann 
aufnimmst, 29 ) so habe ich es für notwendig erachtet, 
dir einen Umriß zu geben von der Eigenart seiner 
Lehrweise und der Ordnung seiner Dialoge und der Art 
seines Beweisverfahrens, durchweg so weit wie mög- 
lich nur nach den Grundlinien und leitenden Gesichts- 
punkten, um so die Übersicht über sein Leben durch 
einen Blick auf seine Lehren zu ergänzen. Denn es 
hieße, nach dem Sprichwort, Eulen nach Athen 
tragen, wollte ich dir alles ins einzelne hinein vor- 

10* 



148 



Piaton. 



führen* 0 ) Man hört wohl, Zenon, der Eleate, habe als 
erster Dialoge geschrieben. Aristoteles aber nennt als 
«nh-hon im ersten Buche über die Dichter den Alexa- 48 
inenos aus Styra (auf Euboia) oder aus Teos, wie auch 
Favorin in den Denkwürdigkeiten. Ich dagegen meine, 
daß Piaton sich durch seine strenge Behandlung und 
Ausbildung dieser eigenartigen Schriftgattung den 
\nspnu h gesichert habe auf den ersten Platz nicht 
nur in Bezug auf die Schönheit, sondern auch auf die 
Lrtindung. Es ist aber der Dialog eine sich in Frage 
und Antwort abspielende Ausführung eines philoso- 
phischen oder politischen Themas unter angemessener 
Charakteristik der auftretenden Personen und ge- 
höriger Rücksicht auf die sprachlichen Anforderungen. 
Bio Dialektik aber ist die Bnterredungskunst, durch 
die wir etwas als nichtig oder als richtig erweisen auf 
Urund dos Frage- und Antwortverfahrens der Unter- 
minor. Bio Platonische Darstellungswedse zeigt zwei 4! 
Hauptformen: die unterweisende und die unter- 
suchende. Die unterweisende teilt sich wieder in zwei 
\rten: m den theoretischen und in den praktischen 
Teil. Von diesen teilt sich der theoretische wieder in 
Physik und Logik, der praktische in Ethik und Poütik. 
Was die untersuchende Form anlangt, so hat auch 
diese wieder zwei Hauptarten: die übende und die 
streitende. Die übende zerfällt wieder in die auf Ge- 
dankengeburt abzielende und die ausprobierende; die 
streitende in die nachweisgebende und die wider- 
legende. 

Es ist mir nicht unbekannt, daß manche die Dialoge 1 
anders einteilen, nämlich in dramatische, erzählende 
und gemischte. Allein sie ließen sich bei dieser Be- 
zeichnung dos Unterschiedes der Dialoge mehr von dem 
dramatischen als von dorn philosophischen Gesichts- 
punkt leiten. In das Bereich der Physik gehört der 
Timaios, in das der Logik der Politiken Kratylos, Par- 
monidos und Sophistes; in das der Ethik die Apologie, 
Kviten. Phaidon. Phaidros, das Symposien. Menexe- 



III 47-53. 



149 



110s, Kleitaphon, die Briefe, sowie Philebos, Hippar- 
chos, die Anterasten; in das der Politik der Staat, die 
Gesetze, Minos, die Epinomis und der Atlantikos (Kri- 

51 tias); in das der Gedankengeburt die beiden Alkibiades, 
Theages, Lysis, Laches; in das ausprobierende Gebiet 
Euthyphron, Menon, Ion, Charrnides, Theätet; in das 
nachweisende z. B. der Protagoras und in das wider- 
legende Euthydemos, die beiden Hippias, Gorgias. 
Und damit genug von dem Wesen des Dialogs und der 
Unterscheidung seiner Arten. 

Da aber viel darüber gestritten wird, ob sein Ver- 
fahren ein dogmatisches ist, wie manche behaupten, 
oder nicht, so wollen wir auch dies in Erwägung ziehen. 
Es besteht doch das dogmatische Verfahren darin, daß 
man ein Dogma aufstellt, wie das Verfahren des Ge- 
setzgebers darin besteht, daß er ein Gesetz gibt. Der 
Ausdruck Dogma aber wird für beides gebraucht, so- 
wohl für das, was man als bloße Meinung äußert, wie 
auch für die eigentliche Meinung selbst. Das bloß 
Gemeinte ist ein erst zu untersuchender Satz, die Mei- 

52 nung selbst aber die eigentliche Überzeugung. 31 ) Pia- 
ton nun gibt über das, was er sicher erfaßt hat, klare 
Auskunft, das Falsche widerlegt er, und über das noch 
Unsichere hält er mit seinem Urteil zurück. Das aber, 
was nach seiner Meinung richtig ist, gibt er durch vier 
Personen kund, durch Sokrates, Timaios, den Athe- 
nischen Gastfreund und den Fremdling aus Elea. Es 
sind aber die Fremdlinge 32 ) nicht, wie manche gemeint 
haben, Piaton und Parmenides, sondern ungenannte 
erdichtete Personen; denn auch was er den Sokrates 
und den Timaios vortragen läßt, sind seine eigenen 
Dogmen. Als solche, deren Irrtümer widerlegt werden, 
führt er Personen ein wie Thrasymachos, Kallikles und 
Polos, Gorgias und Protagoras, ferner Hippias, Euthy- 
dem und andere ähnliche. 

53 Für die Beweisführung bedient er sich meist des 
induktorischen Verfahrens, und zwar nicht in einer 
Form, sondern in doppelter. Es ist nämlich die In- 



150 PIaton - 

duktion ein Schluß, der durch einige wahre Fälle die 
gleiche Wahrheit für andere Fälle in angemessener 
Weise erschließt. 33 ) Es sind zwei Arten der Induktion 
zu unterscheiden, die eine durch Entgegensetzung, die 
andere durch direkte Folgerung. Die der Entgegen- 
setzung ist eine solche, aus der für den Gefragten 3 *) 
bei jeder Antwort sich ein Widerspruch ergibt. 85 ) 
Z. B.: Mein Vater ist entweder ein anderer als dein 
Vater oder einerlei mit ihm. Gesetzt nun, dein Vater 
ist ein anderer als mein Vater, so ist er, da er ein 
anderer ist als ein Vater, doch überhaupt kein Vater; 
ist er aber einerlei mit meinem Vater, so ist er, da er 
der nämliche ist wie mein Vater, doch wohl mein 
Vater. Und wiederum: Wenn der Mensch kein leben- 54 
des Wesen ist, so ist er doch wohl Stein oder Holz. 
Nun ist er aber nicht Stein oder Holz, denn er ist be- 
seelt und hat eigene Bewegung. Also ist er ein leben- 
des Wesen; ist er aber ein lebendes Wesen und ist 
lebendes Wesen auch der Hund und der Ochse, so 
wäre der Mensch lebendes Wesen und Hund und Ochs. 
Das ist die auf Widerspruch und. Kampf berechnete 
Form der Induktion, deren er sich nicht zum dogma- 
tischen Vortrag bediente, sondern zum Widerlegen. 

Die Form der direkten Folgerung ist eine zwiefache : 
die eine weist die gesuchte Gültigkeit des Besonde- 
ren nach durch die des Besonderen; die andere be- 
glaubigt die Gültigkeit des Allgemeinen durch 
die des Besonderen. Die erstgenannte Art ist die 
rhetorische, die zweite die dialektische. Bei der erste- 
ren handelt es sich z. B. um die Frage: Hat dieser 
Mensch da die Mordtat begangen? Beweis dafür ist, 36 ) 
daß man ihn um jene Zeit mit Blut bespritzt gefunden. 5S 
Diese Schlußart ist die rhetorische, denn die Bhetorik 
hat es mit dem Besonderen zu tun, nicht mit dem All- 
gemeinen. Sie fragt nicht nach dem Gerechten an sich, 
sondern was im einzelnen Falle gerecht ist. Die andere 
Form ist der dialektische Schluß, wo erst das Allge- 
meine durch das Besondere bewiesen sein muß. So 



III 53-57. 



131 



wird z. B. gefragt, ob die Seele unsterblich sei und ob 
die Toten wieder ins Leben eintreten. Der Beweis da- 
für wird in dem Dialog über die Seele (Pbaidon) ver- 
mittelst eines allgemeinen Satzes geführt, namhch, daß 
das Entgegengesetzte aus dem Entgegengesetzten ent- 
steht. 37 ) Und dieser allgemeine Satz seinerseits wird 
durch gewisse Sätze, die sich auf besondere Gebiete 
beziehen, erwiesen, wie z. B. den, daß das. Schlafen 
mit dem Wachen, das Größere mit dem Kleineren in 
notwendigem Wechselverhältnis steht. Dieser Hilfs- 
mittel bediente er sich zum Erweis seiner Meinungen. 

56 Wie vor Zeiten in der Tragödie zunächst nur der 
Cher allein die ganze Handlung durchführte, sodann 
Thespis einen Schauspieler einführte, um dem Chor 
einige Pausen zu gönnen, Aischyles einen zweiten und 
Sophokles den dritten, womit die Tragödie ihre Voll- 
endung erreichte, so war auch der Betrieb der Philo- 
sophie vordem auf das eine Gebiet der Physik be- 
schränkt; dem fügte Sokrates als zweites die Ethik 
hinzu, und Piaton als drittes die Dialektik, womit er 
die volle Höhe der Philosophie erreichte. 

Thrasyllos behauptet, er habe seine Dialoge nach 
dem Muster der tragischen Tetralogien herausgegeben, 

57 sowie man dort mit vier Dramen in den Wettkampf 
eintrat (an den Dionysien, den Lenäen, den Panathe- 
näen und den Chytren), von denen das vierte ein Satyr- 
drama war. Die vier Stücke aber nannte man Tetra- 
logie. Die Zahl aller echten Dialoge, sagt er, beträgt 
demnach sechsundfünfzig, wobei für den Staat zehn 
Dialoge gerechnet werden — von dem übrigens Favo- 
vin im zweiten Buch seiner Vermischten Geschichten 
sagt, daß er sich fast ganz schon in den Antilog-ika des 
Protagoras finde 38 ) — und für die Gesetze zwölf. Der 
Tetralogien aber sind neun, wobei für den Staat und 
die Gesetze je e i n Buch gerechnet wird. Die erste 
Tetralogie ist eine Zusammenstellung von Dialogen 
gemeinverständlichen Inhalts; er will nämlich zeigen, 
wie das Leben des Philosophen beschaffen sei. Für 



152 



Piaton. 



jeden Dialog hat er eine doppelte Überschrift: die eine 
ist ein Personenname, die andere eine Sachbezeichnung. 
An der Spitze der. ersten Tetralogie steht Euthyphron 58 
oder über die Frömmigkeit. Es gehört dieser Dialog 
in die Klasse der ausprobierenden; als zweiter folgt die 
Apologie des Sokrates, in die Klasse der ethischen ge- 
hörend; als dritter Kriton oder über" das pflichtmäßige 
Handeln, gleichfalls ethisch; als vierter Phaidon oder 
über die Seele, auch ethisch. Die zweite Tetralogie wird 
eröffnet durch den Kratyfos oder über die Richtigkeit 
der Namen, logischen Inhalts; es folgen Theätet oder 
über das Wissen, ausprobierend; Sophistes oder über 
das Seiende, logischen Inhalts; Politikos oder über das 
Königtum, logischen Inhalts. An der Spitze der dritten 
Tetralogie steht Parmenides oder über die Ideen, lo- 
gisch; es folgen Philebos oder über die Lust, ethisch; 
Symposion oder über das Gute, ethisch; Phaidros oder 
über die Liebe, ethisch. An der Spitze der vierten steht 59 
der Alkibiades oder über die Natur des Menschen; er 
gehört in das Gebiet der Gedankengeburt; es folgen 
der zweite Alkibiades oder über das Gebet, demselben 
Gebiet angehörend; Hipparchos oder der Gewinnsüch- 
tige, ethisch; Anterasten oder über Philosophie, ethisch. ■ 
An der Spitze der fünften Tetralogie steht der Theages 
oder über Philosophie, er gehört in das Gebiet der Ge- 
dankengeburt; es folgen Gharmides oder über die Be- 
sonnenheit, ausprobierend; Laches oder über die 
Tapferkeit, Gedankengeburt; Lysis oder über die 
Freundschaft, Gedankengeburt. Die sechste wird er- * 
öffnet durch den Euthydem oder Eristikos, widerlegend; 
es folgen Protagoras oder die Sophisten, nachweisend; 
Gorgias oder über die Rhetorik, widerlegend; Menon 
oder über die Tugend, ausprobierend. An der Spitze 60 
der siebenten stehen die beiden Hippias, der erste mit 
dem Nebentitel Über das Schöne, der zweite mit dem 
Nebentitel Über die Lüge, beide widerlegend; es folgen 
Ion oder über die Haas, ausprobierend; Menexenos oder 
Grabrede, ethisch. Die achte eröffnet der Kleitophon 



III 57-62. 



153 



oder Protreptikos, ethisch; es folgen der Staat oder 
über die Gerechtigkeit, politisch; Timaios oder über die 
Natur, physisch; Kritias oder Atlantikos, ethisch. Die 
neunte eröffnet der Minos oder über das Gesetz, poli- 
tisch; es folgen die Gesetze oder über die Gesetzgebung, 
politisch; Epinomis oder die nächtliche Versammlung 

61 oder der Philosoph, politisch; die dreizehn Briefe, 
ethisch; bei diesen bediente er sich^als Uberschrift der 
Formel: Heil und Wohlverhalten (su TcpaxTrsiv), während 
Epikur die Formel: Wohlleben wünsch' ich (s;j öia-ystv 
gut leben), Kleon: Freude sei dir beschert (x a ''? £lv < laß 
dirs gut gehen), brauchte. Von diesen Briefen ist 
einer gerichtet an Aristodemos, zwei an Archytas, vier 
an Dionysios, einer an Hermeias und Erastos und Ko- 
riskos, einer an Leodamas, einer an Dion, einer an 
Perdikkas, zwei an die Anhänger des Dion, So teilt 
Thrasyllos die Werke ein und mit ihm einige andere. 

Einige aber, zu denen der Grammatiker Aristopha- 
nes gehört, teilen die Dialoge nach Trilogien ein und 
setzen als erste die aus Staat, Timaios und Kritias be- 
stehende; als zweite Sophistes, Politikos und Kratylos; 

62 als dritte Gesetze, Minos, Epinomis; als vierte Theätet, 
Euthyphron, Apologie; als fünfte Kriton, Phaidon, 
Briefe; im übrigen jeder Dialog für sich und ohne Ord- 
nung. Manche fangen, wie bereits früher gesagt, mit 
dem Staat an, andere mit dem größeren Alkibiades, 
wieder andere mit dem Theages; noch andere mit dem 
Euthyphron oder auch mit dem Kleitophon; einige 
auch mit dem Timaios, andere mit dem Phaidros oder 
auch mit dem Theätet, und viele machen den Anfang 
mit der Apologie. 39 ) 

Für unecht gelten von den Dialogen allgemein Mi- 
don oder Hippotrophos, Eryxias oder Erasistratos, 
Alkyon, die Kopflosen, nämlich Sisyphos, Axiochos, 
Phäaken, Demodokos, Chelidon, Hebdome, Epimenides. 
Von ihnen scheint der Alkyon einen gewissen Leon zum 
Verfasser zu haben, wie Favorin in dem fünften Bücher 
seiner Denkwürdigkeiten sagt. 



154 



Piaton. 



Was seinen Wortschatz anlangt, so bedient er sich 63 
sehr mannigfacher Bezeichnungen, um den Unge- 
lehrigen und Unberufenen den Überblick über seine 
philosophische Schriftstellern nicht zu leicht zu 
machen. Im eigentlichsten und allerstrengsten Sinne 
ist ihm Weisheit die wissenschaftliche Erkenntnis des 
nur Denkbaren und wahrhaft Seienden, in deren vollem 
Besitz, wie er sagt, nur die Gottheit und die vom Körper 
getrennte Seele sind. Im eigentlichen Sinne aber nennt 
er auch die Philosophie Weisheit, als ein Hinstreben 
nach der göttlichen Weisheit. Gemeinhin aber wird 
von ihm die ganze erfahrungsmäßige Erkenntnis als 
Weisheit bezeichnet. So nennt er z. B. die Werkmeister 
weise. Auch benutzt er für verschiedene Dinge die 
nämlichen Namen. So findet sich bei ihm das Wort 
cxv).s; (schlecht, minderwertig) auch in der Bedeutung 
„einfach", wie es auch bei Euripides im Likymnios vor- 
kommt, wo es vom Herakles heißt: 

Einlach, schmucklos, trefflich, wo's das Größte gilt, 
Für die Tat nur alle Weisheit sparend, 
Unberührt von leeren Rednerkünsten. 

Platon braucht das Wort zuweilen auch vom Schö- 64 
nen. zuweilen aber auch vom Kleinen. 40 ) Oftmals 
braucht er verschiedene Namen für dieselbe Sache. 
So nennt er die Idee auch Form (Eidos) und Gattung 
'Genos) und Muster (-apoiSe'.-yiia) und Anfang (Prinzip) 
und Ursache (a?-tov). Sogar entgegengesetzte Ausdrücke 
braucht er für die nämliche Sache. So nennt er das 
sinnlich Wahrgenommene sowohl seiend wie nicht 
seiend; seiend, weil es Erzeugnis eines Werdens ist, 
nicht seiend wegen seiner unaufhörlichen Verände- 
rung. So sagt er auch von der Idee, sie sei weder be- 
wegt noch ruhend, und so sei sie auch Eines und Vieles. 
So machte er's noch bei gar manchen Dingen. 

Für die Auslegung seiner Lehre gelten folgende drei 6S 
Regeln. Zuerst gilt es Bescheid zu geben über Wort- 
sinn und Bedeutung jeder Stelle; sodann über die zu- 



III 63-68. 155 

grundlegende Absicht, ob es als Hauptsache für sich 
im eigentlichen Sinne oder bloß im bildlichen Sinn zu 
nehmen ist, und ob es zur Stütze seiner Mirsatze oder 
zur Widerlegung der Mitunterredner dient ; und 
drittens, ob es mit dem Gesagten seine Richtigkeit hat. 

Weil sich nun aber in seinen Büchern auch gewisse 
kritische Zeichen dem Text beigesetzt finden, so mag 
auch darüber Auskunft gegeben werden. Em beige- 
setztes x (Chi) bezieht sich auf Wortbedeutungen, Rede- 
figuren und überhaupt auf den Platonischen Sprach- 
gebrauch; die Diple ( >-) auf die Lehrsätze und Mei- 
66 nungen des Piaton. Ein mit Punkten umgebenes X UO 
auf besonders hervorstechende Schönheiten des. Aus- 
drucks; die mit Punkten versehene Diple (^) aut Be- 
richtigungen durch Kritiker; der mit Punkten ver- 
sehene Spieß oder Obelos (+) auf willkürliche Athetesen 
(Unechtserklärungen); das mit Punkten versehene 
Antisigma 00 deutet auf mehrfachen Gebrauch oder 
auf mehrfache Schreibart der Wörter; ein Donnerkeil 
(xspamov) auf die Philosophenschule; ein Sternchen 
äoTspiaxoc) auf die Übereinstimmung der Lehrsatze, ein 
Obelos auf die Verwerfung der Lesart. Das wäre es, 
was sich auf die kritischen Zeichen und auf die Zahl 
seiner Bücher bezieht. Antigonos der Karysüer sagt 
in seiner Schrift über Zenon, wollte einer sie m der 
neueren Ausgabe lesen^so mußte er den Besitzern da- 
für Honorar bezahlen.' 40 ' 1 ) : 

67 Seine Lehrmeinungen waren folgende: Die beele, 
erklärte er, sei unsterblich und umkleide sich nach- 
einander mit einer ganzen Reihe verschiedener Leiber; 
ihr Ursprung gehe zurück auf die Zahl, wie der des 
Körpers auf geometrische Raumfiguren. Er definierte 
sie als Idee des nach allen Seiten sich zerteilenden 
Lebenshauches, sprach ihr Selbstbewegung zu und er- 
klärte sie für dreiteilig: ihr vernünftiger Teil nabe 
seinen Sitz im Haupt, der mutvolle Teil im Herzen und 
der begehrliche Teil in der Gegend des Nabels und der 

68 Leber. Sie umschließe von der Mitte aus ringsum all- 



156 Piaton. 

seitig den Körper, setze sich aus den Elementen zu- 
sammen und bilde, nach harmonischen Intervallen ge- 
teilt, zwei ineinander gefügte Kreise, von denen der 
innere, sechsfach geteilt, im ganzen sieben Kreise bilde, 
und dieser liege 41 ) dem Durchmesser nach zur linken 
Seite nach innen zu, der andere nach der Seite rechts 
hin. Darum komme ihm auch die Herrschaft zu, da 
er nur einer sei, während der andere nach innen zu 
geteilt sei. Der erstere sei der Kreis des Selbigen, die 
letzteren die Kreise des Anderen; der erstere, erklärte 
er, sei die Bewegung der Seele, durch die letzteren 
würde sowohl das Ganze wie auch die darin befind- 
lichen Planeten bewegt. So von der Mitte aus bis zu 69 
den Enden hin nach harmonischen Verhältnissen ge- 
teilt, erkenne die Seele das Seiende und stehe mit allem 
in Einklang, da sie in sich die harmonisch geordneten 
Elemente habe. Meinung bilde sich nach Maßgabe des 
Kreises des Anderen, wenn dieses sich in richtiger Ver- 
fassung befinde (op'iouu.svou), Wissen aber nach dem des 
Selbigen. 42 ) 

Er nahm zwei Urgründe des Alls an, Gott und die 
Materie; jenen nennt er auch Vernunft und Ursache. 
Die Materie sei gestaltlos und unbegrenzt; aus ihr bilde 
sich das Zusammengesetzte. Vormals in ordnungs- 
loser Bewegung, habe Gott sie, sagt er (Tim. 30 A), in 
einen Raum zusammengeführt, überzeugt, daß Ord- 
nung besser sei als Unordnung. Es habe sich aber 7» 
dieser Wesensbestand in vier Elemente gewandelt: 
Feuer, Wasser, Luft und Erde; daraus sei, wie die Welt 
selbst, so alles, was in ihr ist, entstanden. Von diesen 
Elementen erklärt er die Erde für das allein Unver- 
änderliche, und zwar gilt ihm als Grund dafür der 
Unterschied der geometrischen Figuren, aus denen die 
Elemente bestehen. Danach nämlich sind die Figuren 
der übrigen Elemente miteinander gleichartig, denn alle 
setzen sich zusammen aus rechtwinkligen Dreiecken 
mit einer längeren Seite, nur die Erde habe zur Grund- 
lage ein Dreieck von besonderer Art (gleichschenkelig 



III 68-73. 157 



recht™««).") Das Element des ^ «to- 

nicht so voneinander geschieden daß jedes immer ^oeu 
?hm eigentlich zukommenden Platz einnähme, ) denn 

Ä^hwung des Himmels 
Teile -rück und $£^%£. 

schaffenheit verändern, so ^ p ^ h ^ e ^% 
Es eebe auch nur eine einzige erachat ene w«i 
(Tim 30 E f., vgl. 31 B), denn sie sei von Gott j» gebüto 
worden daß sie sinnlich wahrnehmbar is . ) Sie sei 
beseelt v/eil das Beseelte vor dem Unbeseelten den Vor- 
zug habe; und dies sei das Werk des an Gute unver- 
gleichbaren Schöpfers. Eine e i n z i g e aber sei sie 
SnS in unbegrenzter Zahl erschaffen, wed auch 
das Muster, nach dem er sie * J J ^ W£: 
72 Kugelförmig sodann sei sie, weil auch der *; rzeu g ei 
St dTese Gestalt habe; denn die sichtbare Welt um- 
fasse alle andern lebenden Wesen, er selbst aber die 
^ret von allen. Sie sei glatt und habe J-to 
Sinneswerkzeug und keine Gliedmaßen, denn sie be- 
K£ durchaus nicht. Überdies beharre die 
Wet aut S unvergänglichem Bes^ denn ^ lose 
«nrh nicht auf, so wenig wie die Gottheit. JJie ge 
Itte Schöpfung habe Gott zum Urheber weil das Gute 
von Natur das Gute hervorbringe. Die Erschaffung des 
Himmelsgebäudes aber könne nichts «W^J^Jj* 
Beste zur Ursache haben; denn von /eui Schönsten 
unter allem Erschaffenen könne nur das Beste ,unta 
allem Denkbaren die Ursache sein. Dias« aber sei nu 
Gott, und da das Himmelsgebaude dem Besten ahnlich 
ist, so kann es als Schönstes kerne« der erschaffenen 
Dinge ähnlicher sein als der Gottheit. ) 
73 Es bestehe aber die Welt aus Feuer, Wasser, Luft 



158 



Piaton. 



und Erde. Aus Feuer, damit sie sichtbar sei; aus Erde 
damit sie fest sei; aus Wasser und Luft, damit sie' 
Spielraum biete für die proportionalen Verbindungen 
— denn die stereometrischen Körper stehen mitein- 
ander in Analogie durch zwei mittlere Proportionale 
um das Ganze zur Einheit zu bringen — ; aus allen zu- 
sammen aber, damit die Welt vollkommen und unver- 
gänglich sei. 

Die Zeit sei ein Bild der Ewigkeit, und die Welt 
bleibe immerdar bestehen, die Zeit aber sei der Um- 

denn N *H Ta g> Monat und 
hos dahin gehört, seien alles Teile der Zeit. Ohne die 
naturhche Ordnung der Welt gebe es also keine Zeit! 
denn nur mit dem Eintritt ihres Bestehens sei auch 

tnS M g ^ n - Y"^ 6 Zeit entsteb -en zu lassen, seien 74 
TrTX M j ) . Ild , u "' d 1 Wandelsterne erschaffen worden. 
rl£r ff t? Jahreszeiten dem Auge deutlich 
™ ™ l T{ Iebenden Wesen der Zahl teilhaftig 
zu rächen, habe Gott das Lieht der Sonne angezündet 

£ t ; bCT , dem , ? dkreis habe MoL seine 
den Vrüt v ann ,* )J « enden die, Sonne und in 

den darüber hmaushegenden die Planeten. Die Welt 
^ durchweg beseelt, denn es sei eine beseelte Bewe- 
komLn sie g^ 11 * 11 sel Um ater die Welt voll- 
™ r e ? dUrC , h An ^ lei chung an die nur dem 
Sn aucr!Ä he ' «J«*»»*** lebendige Welt, 
Sen F^?J lbn8 r i ^ bendei1 Wesen in ihrer natür- 
sie hp£ g rt - erSChaffen worden ' den " da jene Welt 
Götter u mUSSe a T h unsre WeIt sk ^ben. Die 
D?r L lvo ^überwiegend feuerartiger Natur. 
t ;172 n Rechter seien drei: Vögel, Waaser- 
Munir^ ff" 6 - D ! e u Erde 861 unter alte n Gottheiten 75 
wXl^ w^f die älteste ; sie gegründet 
wirken T ^Ji?*"* VOn Nacht " nd Tag *u be- 
wirken. In die Mitte gestellt, bewege sie sich um die 

man D l^ f**- ZWei Arten von Ursachen gibt, so muß 
man, sagt er, einräumen, daß die Dinge ihren Ursprung 



III 73-77. 



159 



ide, teils in der Vernunft haben, teils in der Notvvendig- 

sie keit. Das letztere ist der Fall mit Luft, Feuer, Erde* 

?en Wasser; sie seien nicht Elemente im strengen und 

in- eigentlichen Sinne, wohl aber Träger der Elemente; sie 

ile, bestünden nämlich aus einer Zusammensetzung von 

?u- Dreiecken, in die sie sich wieder auflösten. Die eigent- 

er- liehen Elemente nämlich seien das rechtwinklige Drei^ 

eck mit einer längeren Seite und das gleichschenklige 
elt 76 rechtwinklige Dreieck. Anfang und Ursache seien also ■ 

tn- die genannten zwei (Vernunft und Notwendigkeit), für 

nd die das Muster die Gottheit und die Masse sei; die 

iie letztere kann an sich nur gestaltlos sein, wie dies auch 

it; bei den anderen für Aufnahme empfänglichen Dingen 

ch der Fall sei.* 8 ) Die Ursache dessen trage den Charakter- 

en 74 der Notwendigkeit, denn wenn sie (die Materie) der 

n. Idee teilhaftig würde, erzeugte sie die entsprechenden 

ch Einzelwesen. Durch die Ungleichartigkeat ihrer Kraft 

ig würde sie in Bewegung gesetzt, und einmal in Bewe- 

gt, gung, setzte sie auch ihrerseits das aus ihr Entstehende 

le in Bewegung. Diese Massen hätten ursprünglich nur 

in eine vernunftlose und ungeordnete Bewegung gehabt- 

dt * Als sie aber einmal den Anfang gemacht hätten zum 

3- Aufbau des Weltgebäudes, seien sie durch die Gottheit 

1- nach Möglichkeit zur gleichmäßigen und festen Ord- 

o 77 nung geführt worden. Denn schon vor der Schöpfung 

t, des Himmels habe es die zwei Ursachen (Urgründe) 

gegeben und als dritte das Werden, nur noch nicht in 
It voller Deutlichkeit, sondern nur Spuren davon ohne 

e die feste Ordnung. 4 ") Nachdem aber das W^eltgebäude 

erschaffen, hätten auch sie sich der festen Ordnung ge- 
fügt, und aus allen vorhandenen Körpern habe sich 
a 75 das Himmelsgebäude gebildet. Gott und die Seele sind 

>t seiner Meinung nach unkörperlich ; denn so seien sie 

am sichersten bewahrt vor Verderben und Leid. In den 
e Ideen aber sieht er, wie schon bemerkt (III 12 f.), die 

Urgründe und Prinzipien dafür, daß die in der Natur- 
} auseinandertretenden Einzeldinge ihr bestimmtes Ge- 



il präge tragen. 



160 



Piaton. 



Was das Gute und Böse anlangt, so hielt er es damit 78 
folgendermaßen. Das Endziel sei die Verähnlichung 
mit Gott. Die Tugend reiche zwar an sich zur Glück- 
seligkeit aus, bedürfe aber doch gewisser Werkzeuge 
und Beihilfen dazu, nämlich der körperlichen Vor- 
züge, wie Kraft, Gesundheit, Sinnesschärfe und der- 
gleichen, auch der äußeren Güter wie Beichtum, Ge- 
burt, Name. Aber der Weise werde, auch wenn ihm 
dieses abgehe, gleichwohl glücklich sein. Er werde sich 
auch den Staatsgeschäften widmen, werde heiraten und 
die bestehenden Gesetze nicht übertreten, ja er werde 
sich auch selbst nach Möglichkeit für die Gesetzgebung 
in seinem Vaterlande betätigen, sofern er den Stand 
der Dinge nicht als völlig hoffnungslos''' 0 ) erkenne in- 
folge maßloser Entartung des Volkes. Er glaubt auch 79 
an eine Teilnahme der Götter an den menschlichen An- 
gelegenheiten sowie an das Dasein von Dämonen. Den 
Begriff des Schönen hat er zuerst erwiesen als im 
engsten Zusammenhang stehend mit dem, was lobens- 
wert, vernünftig, nützlich, ziemend und schicklich ist, 
lauter Vorstellungen, die bei ihm aufs engste mit dem 
zusammenhängen, was der Natur gemäß und mit ihr 
in Ubereinstimmung ist. Auch über Dichtigkeit der 
Wörter (Namen) hat er gehandelt, wie er denn auch 
die Methode des richtigen Antwortens und Fragens in 
wissenschaftlicher Weise zuerst festgestellt und reich- 
lich angewendet, hat. In den Dialogen stellt er auch die 
Gerechtigkeit als ein göttliches Gesetz hin, zur War- 
nung an die Übeltäter vor Strafen nach dem Tode, also 
zugleich als kräftigeren Antrieb zum rechtschaffenen 
Handeln. Daher erschien er auch manchen als gar zu 80 
starker Liebhaber des Fabelhaften, da er seine 
Schriften mit dergleichen Erzählungen ausstattete zu 
dem Zweck, durch solche dunkle Andeutungen unserer 
Zustande nach dem Tode von frevelhaftem Tun abzu- 
schrecken. So viel von seinen Lehrmeinungen. 

Die Dinge teilte er, wie Aristoteles sagt, 51 ) in fol- 
gender Weise ein. Die Güter gehören teils der Seele an, 



111 78 - 82. 



teils -dem Körper, teils liegen sie . außerhalb von uns. 
Gerechtigkeit z. B. und Einsicht, Tapferkeit und Be- 
sonnenheit und das dem Verwandte gehören der Seele; 
die Schönheit, die. gute Leibesverfassung, GesuBdhj&ii 
und Kraft zürn Körper; die Freunde, das Glück des 

81 Vaterlandes und\ der: Beichtum zum Äußern. Es gibt 
demnach, drei Arten von Gütern, seelische, körperliche, 
ä*&fcrö£?Jß allst .dosiijsijfo^oeb aliei oel$ fwira aesaue&äi 

Die Freundschaft zählt auch drei Arten:, erstens die 
natürliche, zweitens die mit Genossen, drittens die 
Gastfreundschaft.™) Als natürliche.. bezeichjQLeaiGsv'ir 
diejenige, die zwischen Eltern und Kindern sowie Ver- 
wandten untereinander besteht; diese , teilen auch an- 
dere Geschöpfe mit uns. Genossenschaftsfreundschaft 
dagegen ist diejenige, die aus dem Umgang erwächst 
asach ohne jede verwandtschaftliche Beziehung, so wie 
bei Pylades und Orestes. Die Gastfreundschaft end- 
lich ist die, welche sich durch Empfehlung oder briejb 
licheh>3^töefeiöanit den. Gastfreunden bildet. Die 
Freundschaft ist also teils natürlicher Art, teils beruht, 
sie auf genossenschaftlichem, teils auf gastlichem Ver- 
kehr^dazu fügen manche noch als vierte Art die Ver- 
liäMiedtiteät^önt) haäidößtisd eühb eib .aß'vüjg xiov 

82 Staatsverfassungen gibt es fünf: erstens Demokratie, 
zweitens Aristokratie, drittens .. Oligarchie^ viertens 
Königtum, fünftens Tyrannis. Entscheidendes Merk- 
mal für die Demokratie ist die Herrschaft der Yojks- 
meÄg&änMen betreffenden Staaten und ihre Befugnis, 
sich ihre Behörden und ihre Gesetze .selbst zu geban^ 
Eine Aristokratie ist derjenige Staat, in dem weder.sdie. 
Reichen noch die Armen, noch die äußerlich. Hervor- 
ragenden herrschen, sondern wo die Leitung nur in 
der Hand der Edelsten und Besten, liegt. Oligarchie 
(Herrschaft weniger) findet sich da, wo die BeÖordeji 
nach Maßgabe der Vermögensstufen: erwählt werden ; 
denn der Reichen gibt es weniger als ; der Armen. Was 
die Königsherrschaft anlangt, so giht es;, awei; Arten::; 
eine nach Gesetz, die andere nach der Herkunft. Die 

A p e 1 1 , Diogenes Laertins. , , 



162 



Piaton. 



karthagische z. B. ist eine gesetzliche, denn der Staat 
hat die Bestimmung darüber, die lakedaimonische und 83 
makedonische ist eine nach Herkunft (erbliche), denn 
das Königtum haftet an den Abkommen eines be- 
stimmten Geschlechtes. Tyrannis endlich findet sich 
da, wo die Bürger durch Trug oder Zwang unter die 
Gewalt eines Einzigen geraten sind. Die Staatsver- 
fassungen sind also teils demokratisch, teils aristokra- 
tisch, teils oligarchisch, teils Königsherrschaft, teils Ty- 
rannis. 

Die Gerechtigkeit teilt sich in drei Arten: die erste 
bezieht sich auf die Götter, die zweite auf die Menschen, 
die dritte auf die Abgeschiedenen. Die, welche die 
gesetzlichen Opfer darbringen und die Pflichten der 
Frömmigkeit erfüllen, tun ihre Schuldigkeit gegen die 
Götter; diejenigen, die Geliehenes und Anvertrautes 
zurückgeben, handeln gerecht gegen Menschen, und 
die, welche sich die Pflege der Grabmäler angelegen 
sein lassen, gegen die Verstorbenen. Gerechtigkeit also 
gilt gegen Götter, Menschen und Verstorbene. 

Auch die Wissenschaft ist dreifacher Art: die erste §4 
eine ausübende (praktische), die zweite ein Herstellen 
von etwas, die dritte betrachtend (theoretisch). Die 
Häuserbaukunde z. B. und Schiffsbaukunde sind her- 
stellender Art, denn man kann ihr fertiges Werk be- 
schauen. Die Staatskunst dagegen sowie die Kunst 
des Flöten- und Zitherspielens und anderes dergleichen 
sind ausübender Art, denn sie stellen kein fertiges Er- 
gebnis ihrer Arbeit vor Augen, so daß man es be- 
schauen kann, sondern sie üben etwas aus: der eine 
spielt auf der Flöte, der andere auf der Zither, der 
dritte betätigt sich für den Staat. Die Geometrie aber 
und Harmonik und Astronomie sind betrachtender 
Art; denn sie üben weder etwas aus noch stellen sie 
etwas her, sondern der Geometer untersucht, wie sich 
die Linien zueinander verhalten, der Harmoniker ver- 
tieft sich in das Wesen der Töne, der Astronom in die 
Betrachtung der Gestirne und des Weltbaus. Die 



III 82-87. 



163 



Wissenschaften sind demnach teils betrachtender, teils 
ausübender, teils herstellender Art. 

85 Die Heilkunst ist fünffacher Art: sie betätigt sich 
erstens nach seiten der Pharmazie, zweitens der 
Chirurgie, drittens der Diätetik, viertens der Diagnostik, 
fünftens der unmittelbaren Hilfeleistung. Die pharma- 
zeutische Kunst heilt die Krankheiten durch Medizin, 
die chirurgische durch Schneiden und Brennen, die 
diätetische bekämpft die körperlichen Schwächungen 
durch Regelung der Ernährung und Lebensweise, die 
diagnostische durch Erkenntnis der Natur der Krank- 
heit, die hilfeleistende entfernt den Schmerz durch un- 
mittelbares Eingreifen. Die Heilkunst ist also teils 
pharmazeutischer, teils chirurgischer, teils diätetischer, 
teils diagnostischer, teils hilfeleistender Art. 

86 Die Gesetze unterliegen einer Zweiteilung. Sie zer- 
fallen in geschriebene und ungeschriebene. Das Ge- 
setz, das unser staatliches Leben regelt, ist ein ge- 
schriebenes; dagegen wird dasjenige, das auf bloßem 
Herkommen beruht, ungeschrieben genannt. Danach 
soll man zum Beispiel nicht nackend auf dem Markte 
erscheinen oder in Frauenkleidung auftreten. Denn 
dem steht zwar kein geschriebenes Gesetz hindernd im 
Wege, gleichwohl tun wir es aber nicht, weil wir uns 
durch ein ungeschriebenes Gesetz gebunden fühlen. 
Das Gesetz ist also teils ein geschriebenes, teils ein un- 
geschriebenes. 

Der Vortrag umfaßt fünf Arten: erstens den soge- 
nannten politischen Vortrag, dessen sich die Staats- 
männer in den Volksversammlungen bedienen; zwei- 

87 tens den den Rhetoren geläufigen, schriftlich ausge- 
arbeiteten Prunkvortrag zum Zwecke der Lob- 
preisung, des Tadels und der Anklage; das ist der 
rhetorische Vortrag. Die dritte Art ist diejenige, die in 
der gegenseitigen Privatunterhaltung zur Geltung 
kommt, der sogenannte Privatvortrag. Eine weitere 
Art ist diejenige, der gemäß die das Gespräch Führen- 



zu 



den sich iö 'kürzen -Frage^AöS* Äfltwor^^v^gert: 
aas 5der so^^^^o^.^^ 
ÄJt>etts»dsfcäer :Kortiag r :dessen sich die. Meistei dt i 
Künste^in,Sacliaiu;ihrei;-:feIgne3t Kunst- bemmem~sMm 
ist der -teeinische, Vortrag. Der Vortrag. ist also, ent- 
w^;^Mscten<^^^ 

Die Musik unterlagt einer Dreiteilung: nie erste ss 
Art beschränkt sich ; iuf die btimmo, ist also der bloDe 
Gesang- die zweite teüt ; Ith zwischen Mund' und Hand, 
wie z 13 der -^esUür zur Läuterdie - dritte :wird--&trr: 
S eh die Hand ausglüht, wie z.H::bei der 1 
geschieht. Das wären also die ; 
dürch-Mühd/durch Mund und Hand, durch Hand. . 

Die.Edelbürtigkett zählt y^r . Arten: eig^ nejrnt 
man solche edelbürtig, die von anerkannt trefflichen 
ahd gerechten Vorfahren atetanmiou, zweitens nennt 
än so die Nachkönun^r von Mannen, die einst 
Mächthaber und Herrscher - gewesen sind; ferner die 
Nachkommen' solcher, die' sich' einen Namen gemactrt 
haben "als Feldherren .oder als bekränzte- Sieger in 
VVettkä nmfen denn auch dies gibt den Nachkommen 

die, welche selbst durch Seelenadel and Hochher 
keit hervor ragen, denn auch diese nennt man e 
bärtig, ja dies ist sogar 'die "beste Art von Edelbürtig- 
keit. Es beruht also die Edelbürtigkeit entweder 1 - a\if 
iä»iÄifiäinngüi?vroji: -trefflichen j^öpfahieni -©der ^üvon 
M4ehthabeinrioiter-ivon Mäjsaierri/ großfiaizüSiameastiodec 
aitf 8ig^i^ttich^rDtih£iiti^Eea;/8iIoY neb ni lennüßi 
-*&m ^ÖM^MsaMtoe^-s^dgeröfe öttfiweä«* W 
w%h%efällig (%eifa&wnrdig) wie die- sichtbare kbrper- 
IMe/ WöhlgestaM-Mer 'äient^em&'Gfefeiä^eh, MW'&ü&l 
<teiM ;;; ve&- eine^^ 

Hfeuse'-und-ähnliehem spricht, ©£4r ^£fW&8tä$&h sfe 
nützlich in Beziehung auf Gesetze und Lebensgründ* 
Sätze und alles dem ähnliche, Die Schönheit also geilt 



III 87-92. 



165 



entweder auf das Lob oder den Gebrauch oder den 
'■Nuten, -i« HA ViU iiov M ili.il i .ri'jll •>!>»"!•'! in u 
90 Die Seele unterliegt einer Dreiteilung: der eine Teil 
ist das Denkvermögen, der zweite das Begehrungsver- 
mögen, der dritte die Herzhaftigkeit. Auf Grund des 
Denkvermögens beraten wir, erwägen wir, überlegen 
wir und was dergleichen mehr ist; der begehrliche Teil 
ist der Grund unseres Verlangens nach Speise und 
Liebesgenuß und dergleichen, der herzhafte Teil der 
GrPnd zu mutvoller Stimmung, zu Lust, Leid und 
Zornesaufwallung. Die Seele ist also teils denkender, 
teils begehrender, teils herzhafter Art. 

Die vollendete Tugend hat vier Arten: erstens die 
Einsicht, zweitens die Gerechtigkeit, drittens die Tapfer- 
91 1 kei*, 1 vie**teÄS die Besonnenheit. In der Einsicht liegt 
der Grund für die Richtigkeit unserer Handlungen; in 
der Gerechtigkeit der Grund für pünktliche Einhaltung 
unserer Verpflichtungen* 'im Verkehrs- und Geschäfts- 
leben; in der Tanferkeit der Grund zum Ausharren in 
Gefahren und Sdireckriiis&en ohne Anwandlung zur 
i'Patoe , nflPcW: i: in" der Besonnenheit der Gründl zur 
Herrschaft über die Begierden und zu einem sittsamen 
TerM\ ,/ uriter l! Abwehr feder Unterwerfung'' Unter das 
Gebot : der (Lüetf 1 TMC Tugend »zerfällt 'also in Einsicht, 
Gerechtigkeit, Tapferk&t',- 'Beeoflnenhelt, 

Die Herrschaft ers,ens die 

gesetzliche, zweitem dw* nafjfr^phj^ , drittens die nach 
Herkommen,' und Gewohnheit, viertens die nach j$b- 
kunft (Erblichkeit) fünftens die n<>waltherj^ 
92 Die staatlichen von den Burgern gewählten Beamten 
' „)j9^ij^,jnach dem Gesetz; was die natürliche Herr- 
schaft anlangt, so kommt diese dem männlichen Ge- 
schlecht zu, nicht nur unter den Menschen, sondern 
auch unter den übrigen Geschöpfen; de™ gemeinhin 
herrscht das männliche Geschlecht über das weibliche. 
Die gewohnheitsmäßige Herrschaft aber ist von der 
Art. wie sie die Pädagogen über die Knaben ausüben 



Piaton. 



und die Lehrer über die Schüler. Die auf Abkunft sich 
gründende Herrschaft ist von der Art wie die der 
spartanischen Könige, denn ihr Königtum ist ein erb- 
liches; auch in Makedonien besteht die gleiche Art von 
Herrschaft, denn auch da gründet sich das Königtum 
auf Abkunft. Dagegen herrschen die, welche durch 
Gewalt oder Trug in den Beisitz ihrer Macht gelangt 
sind im Widerspruch mit dem Willen der Burger- 
schaft. Diese Art von Herrschaft nennt man eine be- 
waltherrschaft. Es gibt also eine gesetzmäßige, eine 
natürliche, eine gewohnheitsmäßige, eine erbliche unü 
eine gewaltsame Herrschaft." 4 ) 

Die Beredsamkeit umfaßt sechs Arten: fordert näm- 93 
lieh der Redner zum Krieg oder zu einem Bündnis- 
vertrag gegen einen andern auf, so wird die darauf 
abzielende Rede Mahnrede genannt; empfiehlt er aber 
das Gegenteil, nämlich weder Krieg zu führen noch 
ein Bündnis zu schließen sondern sich ruhig zu ver- 
halten, so nennt man seine Rede Abmahnungsrede. 
Eine dritte Art der Beredsamkeit bezieht sich auf Un- 
recht, das einem, wie man darzutun sucht, von einem 
andern widerfahren ist, den man als Urheber vielen 
Unheils hinstellt; diese Art der Rede heißt Anklage- 
rede. Die vierte Art der Beredsamkeit ist die Ver- 
teidigungsrede; führt man nämlich den Nachweis, daß 
einer weder das Recht verletzt noch sonst sich eine 
Blöße gegeben hat, so nennt man das eine Ver- 
teidigungsrede. Die fünfte Art der Beredsamkeit be- 94 
steht darin, daß man einem Gutes nachsagt und ihn als 
einen braven und tüchtigen Mann kennzeichnet; diese 
Art heißt Lobrede. Die sechste Art besteht darin, daß 
man einen als nichtswürdig kennzeichnet; diese Bede- 
form wird Tadelrede genannt. Die Arten der Bered- 
samkeit sind also Lob, Tadel, Mahnung, Abmahnung, 
Anklage, Verteidigung. 

Für das Richtigsprechen kommen folgende Punkte 
in Betracht: erstens das Was, zweitens das Wieviel, 



III 92-97. 



167 



drittens das Zu wem, viertens das Wann gur das 
Was? ist die Antwort: „Was nützlich ist für den 
Redenden sowohl wie für den Hörenden;" für das Wie- 
viel- .Nicht mehr und nicht weniger als hinreichend 

95 ist f für das Zu wem? : „Unterhältst du dich mit alteren 
Leuten, in deren Gesellschaft du dich befindest, ) so . 
muß deine Redeform dem höhern Alter angepaßt sein; 
wenn mit jüngeren, dann muß sie einen lugendlicheren 
Ton anschlagen;" auf das Wann?: „Weder zu früh 
noch zu spät." Versieht man es m einem diesei Funkte, 
so wird man fehlgehen und nicht richtig reden. 

Die Wohltätigkeit teilt sich nach vier Gesichts- 
punkten: sie vollzieht sich entweder durch Geldmittel 
oder durch persönliches Eingreifen oder durch Kennt- 
nisse oder durch Reden. Durch Geldmittel, wenn man 
einem Bedürftigen dazu verhilft in Beziehung auf Geld 
wieder über Wasser zu kommen; durch persönliches 
Eingreifen hilft man einander, wenn man tätlich Miß- 
handelten, auf die man stößt, zur Abwehr beisteht; was 

96 aber die Kenntnisse anlangt, so erweisen sich die- 
jenigen als wohltätig, die als Erzieher, als Arzte oder 
als Lehrer Gutes wirken; und durch Rede wohltatig 
wirkt einer, der bei Prozessen für einen andern ein- 
tritt und eine angemessene Rede für ihn hält. So wird 
demnach die Wohltätigkeit geübt entweder durch Geld- 
mittel oder durch persönliches Eingreifen oder durch 
Kenntnisse oder durch Reden. 

Das Ende (der Abschluß) für die Dinge stellt sich in 
vier Gestalten dar: erstens gibt es ein gesetzmäßiges 
Ende der Dinge, nämlich wenn nach Zustandekommen 
eines Volksbeschlusses dieser in Form des Gesetzes seine 
' Vollendung erhält; zweitens ein natürliches Ende nach 
Tag, Jahr und Jahreszeiten; drittens ein kunstmäßiges 
Ende, wie z. B. bei der Baukunst, denn sie stellt ein 
Haus fertig, oder bei der Schiffsbaukunst, denn sie 
97 stellt Schiffe fertig; ein zufälliges Ende dagegen er- 
halten die Dinge, wenn sie anders ablaufen, als man 



Piaton. 



vermutete. Das Ende der Dinge; ist also entweder 
gesetzmäßig oder natürlich oder kunstgemäß oder zu- 
fällig. 1 l>-)\;<\-, :.' I I •!•<!. ü.l'i •:• tl 1 1 i< J U < K\ l\'< 1 1 M') 1 im I \ 

Das Vermögen (die Kraft) umfaßt vier Arten: die 
erste bezieht sich auf das, was wir durch unsern Ver- 
stand erwägen und überdenken können; die zweite auf 
das, was wir durch unsern Körper leisten wie gehen, 
geben, nehmen und dergleichen; die dritte auf das, 
was wir durch die Ansammlung von Kriegern oder 
von Geldmitteln vermögen, woher denn ein König ein 
vielvermögender Mann genannt wird; die vierte auf 
unser Befinden und unsre Zustände und unser Tun 
nach der guten und schlimmen Seite hin; wir ver- 
mögen z. B. krank zu werden, erzogen zu werden, ge- 
sund zu werden und alles dergleichen. Das Vermögen 
bezieht sich also teils auf den Verstand, teils auf den 



bezieht sich also teils auf den Verstand, teils auf den 
Körper, teils auf Heeresmacht und Geldmittel, teils auf 
Tun nnd,£eiden. 7 ,v,i.ji ..uim ,imn tiful yi-lint^iii) 

Die Menschenliebe ist dreifacher Art: die eine be- 98 
kündet sich in den Formen der Anrede, z. B. in der Art 
und Weise, wie manche jeden ihnen Begegnenden be- 
grüßen, ihm die Bechte entgegenstrecken und ihn be- 
willkommnen; die zweite zeigt sich in der Hilfsbereit- 
schaft gegen jeden Unglücklichen; die dritte in der 
Gastlichkeit, mit der man andere zur Tafel zieht. Also 
freundliche Begrüßung, Wohltätigkeit und Gastfreiheit 
sind hier die unterscheidenden Merkmale. 

Die Glückseligkeit teilt sich fünffach nach folgenden 
Bestimmungen: sie ist teils Wohlberatenheit', -teils 
Sinnesschärfe und körperliche Gesundheit, teils Glück 
in unsern Unternehmungen, teils guter Buf bei den 
Mitmenschen; teils endlich fünftens Wohlstand an Geld- 
mitteln und dem. was sonst für das Leben wünschens- 
wert ist. Die Wohlberatenheit ist eine Frucht der Er- 99 
Ziehung und der reichen Erfahrung; die Sinnesschärfe 
gründet sich auf die körperlichen Organe, z. B. wenn 
einer das. worauf es ankommt, mit seinen Augen sieht, 



III 97 101. I6 9 



mit seinen Ohren hört und mit Nase und Mund Wahr- 
nimmt und spürt; das also ist Sinnesscharfe, das 
Glück aber besteht darin, daß es einem gelingt, <j»s 
vorgesteckte Ziel zu erreichen, und zwar m der rich- 
tigen Weise, so wie es sich für den braven und tugend- 
haften Mann ziemt; der gute Ruf besteht 
den Mitmenschen geäußerten Hochachtung für uns 
Wohlstand beisteht darin, daß man m Bezug auf die 
Lebensbedürfnisse so gestellt ist, daß man sich nicht 
nur Freunden wohltätig erweisen, sondern auch den 
öffentlichen Ehrenpflichten (Leiturgien) m stattliche! 
und glanzvoller Weise nachkommen kann. Wer alles 
dtes in sich vereinigt, der ist im Besitze der vollen 
Sk eligkeit. Es besteht also die Glückseh gkeit in 
Wohlberatenheit, in Sinnesschärfe und korperl chei 
Gesundheit, in Glück, in gutem Ruf und m Wohlstand. 

Die Künste teilen sich dreifach, in eine erste eine 
zweite und eine dritte Klasse: die,- erste Klasse bilden 
die Metallbeschaffung durch Grubenbau und die Holz- 
fällungskunst, denn sie liefern das Material (to W- 
stoff); 57 ) die zweite bilden die Schmiedekunst und die 
Zimmermannskunst, denn sie sind die formenden; aus 
dem Eisen stellt die Schmiedekunst die Waffen her 
aus dem Holz die Holzbearbeitungskunst die Flöten 
und Leiern; die dritte ist M«iW#ÄÄ; 
dient sich z. B. die Reitkunst der Zügel, die Kriegs- 
kunst der Waffen, die Musik der Flöten und der Leier. 
Es gibt also drei Klassen von Künsten, eine erste, eine 
zweite und eine dritte, 
l Das Gute teilt sich in vier Gattungen: wir brauchen 
das Wort erstens für den Tugendhaften als für den 
im eigentlichen Sinne Guten; sodann auch s für di<> 
Tugend selbst und für die Gerechtigkeit, die wir ja gut 
nennen- drittens brauchen wir diese Bezeichnung tur 
Dinge wie etwa Speisen, zuträgliche Körperubungen 
und Heilmittel; viertens bezeichnen wir als gut solche 
Dinge wie Flötenspielkumft, Schauspielkunst und der- 



170 



Piaton. 



gleichen. Es gibt also vier Arten des Guten, erstens 
den Tugendbesitz, zweitens die Tugend selbst, drittens 
Speisen und zuträgliche Leibesübungen, viertens 
Flötensipielkunst und Schauspielkunst. 

Von den Dingen überhaupt sind einige schlimm, 102 
einige gut, einige weder das eine noch das andere. 
Schlimm nennen wir dasjenige, was immer schaden 
kann, wie z. B. Unmäßigkeit, Unverstand, Ungerechtig- 
keit und dergleichen; das dem Entgegengesetzte ist gut; 
von andern Dingen wiederum sagen wir, daß sie bis- 
weilen nützen, bisweilen aber auch schaden, so z. B. 
das Spazierengehen, das Sitzen und Essen; oder daß 
sie überhaupt weder nützen noch schaden können; 
diese also sind weder gut noch schlecht. Die Dinge 
sind also teils gut, teils schlimm, teils keins von 
beiden/' 8 ) 

Die gesetzliche Ordnung ist dreifacher Art; erstens 103 
wenden wir den Ausdruck auf Staaten an, wo sich 
vortreffliche Gesetze finden; zweitens aber auch auf 
solche, wo die Bürger den bestehenden Gesetzen treu 
bleiben; drittens da, wo man auch ohne eigentliche 
Gesetze nach Herkommen und maßgebenden Lebens- 
formen ein befriedigendes staatliches Dasein führt. Die 
gesetzliche Ordnung besteht also entweder 1n vortreff- 
lichen Gesetzen oder in treuem Gehorsam gegen die 
Gesetze oder in einer auf löbliches Herkommen und 
guten Lebensbrauch gegründeten Staatsverwaltung. 
Dementsprechend gibt es auch eine dreifache Gesetz- 
losigkeit; erstens dann, wenn die Gesetze nichts taugen, 
weder in Bezug auf die Fremden noch auf die Bürger ; 
zweitens wenn man den bestehenden Gesetzen nicht 
folgt, drittens wenn es überhaupt kein Gesetz gibt. Also 104 
Untauglichkeit der Gesetze, Ungehorsam gegen die be- 
stehenden Gesetze und das Fehlen jedes Gesetzes über- 
haupt sind die unterscheidenden Merkmale für die 
drei Arten der Gesetzlosigkeit. 

Die Entgegensetzung ist von dreifacher Art. Wir 
setzen z. B. das Gute dem Bösen entgegen, wie die Ge- 



III 101-106. 171 



rechtigkeit der Ungerechtigkeit, die Einsicht dem Un- 
"SS und dergleichen; ferner * d* ^dem 
Bösen entgegengesetzt wie z. FoUer^rual der 

enW™ wie das Gute zum Bösen oder wie das Böse 
zum ßSen oder so, daß keines der beiden Glieder gdt. 

DieTüter zerfa ien in drei Arten: erstens in so che, 
in deren BSt^man gelangen kann, zweitens m so che, 
Lntn« AnteiUrlangen ^»mÄ 
die ihren Bestand in sich selbst haben. Der buteraei 
ersten Art kann man sich habhaft machen, wie z. B. 
dir Gerechtigkeit und der Gesundheit; Guter der 
zweiten Ä alle, die man zwar "fc^^ 
machen, an denen man aber Anteil haben kann ^ 
kann man z B. das Gute an sich zwar nicht seipst 
hXn Sh sich Anteil an ihm verschaffen; m sich 
ÄbS sind die Güter, die weder die Annahm, 
noch den Besitz zulassen, sondern ein selbständiges 
Sin haben, wie z. B. das Tugendhaftsein und daa Ge- 
Stsein ein Gut ist. Dieses kann man weder besitzen 
noch Anten an ihm haben, sondern beides deckt sich 
106 ES unserer selbständigen Person. Sc . haben . denn d* 
Güter ihre Bedeutung teils für den Besitz, teils für die 
Anteilnahme, teils als selbständag.' ) 

Die Beratung ist dreifacher Art: man entnimmt 
seine Gründe entweder der Vergangenheit oder der zu- 
künftigen oder der gegenwartigen Zeit; die aus oei 
Vergangenheit tragen den Charakter von Beispielen, 
z B mit was für Leiden haben die Lakedannonier ihr 
festes Vertrauen bezahlen müssen?" Die aus der 
Gegenwart sind z. B. solche, die den Hinweis darauf 
geben, daß die Mauern schwach, die Menschen feige 
der Vorrat an Nahrungsmitteln gering sind. Die aut 



17 2 ■" PW»a-lli 

die Zukunft bezüglichen sind Warnungen wie die, man 
solle die Gesandtschaften nicht verdächtigen, denn das 
könnte Hellas in schlechten Ruf bringen. Die Beratung 
holt also ihre Gründe teils ans der Vergangenheit, teils 
aus der Gegenwart, teils aus der Zukunft. 

Die Stimme (der Schall) teilt sich in zwei Arten 107 
nach den Merkmalen der Beseeltheit und der UnbeseeR- 
heit; beseelt ist die Stimme der lebenden Wesen, unbe- 
seelt die Töne und der Widerhall; die beseelte Stimme 
ist teils durch Schrift darstellbar, teils der Schrift un- 
zugänglich; erste res ist der Fall bei der menschlichen 
Stimme, lezteres bei der der Tiere. Die Stimme ist also 
teils beseelt, teils unbeseelt. 

Die Dinge sind teils teilbar, teils unteilbar; die teil- 
baren wiederum sind teilbar entweder in gleichartige 
Teile oder in ungleichartige. Unteilbar ist. was über- 
haupt keine Teilung zuläßt und keine Bestandteile hat. 
wie die Einheit, der Punkt und der Ton, teilbar da- 
gegen, was aus Bestandteilen zusammen gesetzt ist. wie 
?.. B. Silben. Zusammenklänge, lebende Wesen. Wasser, 
Gold. Und gleichteilig ist, was ans gleichen Teilen zn- 108 
rammen gesetzt ist und bei dem sich das Ganze und der 
Teil durch nichts anderes unterscheiden als durch die 
Menge, wie bei Wasser. Gold und allem • Flüssigen und 
was dem ähnlich, ungleichteilig dagegen, was aus un- 
gleichartigen Teilen zusammengesetzt ist, wie t. B. ein 
Hans und dergleichen. Die Dinge sind also teils teil- 
bar, teils unteilbar, die teilbaren- aber entweder gleich- 
teilig oder ungleichteilig. 

Die Dinge gelten entweder für sich, oder sie haben 
eine Beziehung auf anderes; für sich gültig in der Bede 
ist das. was zu seiner Deutung keiner weiteren Be- 
stimmung bedarf, wie z. B. Mensch, Pferd aand die 
andern lebenden Wesen, denn diese bedürfen keines 
weiteren Zusatzes in der Bede; die Beriefaungswörter 109 
dagegen bedürfen noch eines Zusatzes, wie z. B. größer 
als etwas, schneller als etwas, schöner als etwas rand 
dergleichen. Denn das Größere ist größer ais ein 



III K»~-1W 173 

Kleineres und da* Schnellere ^S^fS^Z o2£ 
Dintre gelten in der Rede also entweder für acn «wi 
SXrffi« zu etwa, anderein. Und ebenso teilte er, 
nach Aristoteles, auch das Erste ein. ; 

Es hat auch noch einen andern Flaton gegeoen, 

.inen rh*he„ .«^^?Ä 
wie der Grammatiker Seleukos berichtet in dem ersren 
Buch Jon der Philosophier^ zweiter war ein Pen- 
pSklr Schüler des Aristoteles, und ein dritter, *» 
Praxiphanes SohAt Wehte*-.«** *Uen Komödie. 

.ixD -v 688— TO* ewi2 .«oqqlMWqfc 

l aadif xwgflX'lieiJilC eioaxm ixw xraös&l» Jixu f a 
-ssoe rate» astätmQ. muuiMixribivrau ai irnwb ,no- 
a»b xfasn saattfeifcatt »fc fcfofedjwig n^rft 

-ivK aoineO ineb exus ,ü9diA&L<s «ndocs äoDmu'^wj. «od 

üfeswifoS isb «aaoJo«! «b üdoö ^ 
sab 9 s5ia8 «h ms *> baßJa 9idsi »ifoA .eot^ *. *»■ 
~m ebüqmrlO .801 i«b aa&B. man nov ^"»f 
üi aszaitiz&iD isb n9u3ßlS Mb eJÜ9ie xi 4M ti^J * 
-iriei asM&xns ^w^b&U. ieb ni «iwH aoy 

ied£ sJÜ9J «laei 19 deid wici*!«! ::^:^d;J . 
-min i£w x3 .JiedoH «toffifi» ü«^b &*&™wj*>m 
» «asm iidisw o8 .sL«a£UJß9S taa süßeste', doß 
nah ni nsiobflüH ai» a9naoS &b «stiH i*b ßi o. 
9flie is&dtecJ 9disi bß;; jn&ww ß^ßßxä 
asb iiaxdooH sab um jd-juass &>aoi»i*lL do&fl 

— j jfifuiiirrff n 



.xi9ßno'. 



S C9bi9d 9ib dOiUS XJSÜOfc *i913b91ÖH ÄBffll» 
" am* ßi9fl9dJa*J <ß9d*d Jiörfes äoj&H : ::ri^d^ 

&£I »däusCI .aoilil «iftaaA bßi; - ' 
-lol ßdi ߣ eteixS ßftflia ni soirmoiCL dws* Jinso ßoi« 



174 



Speusippos. 



Viertes Buch. 



Erstes Kapitel. 
Speusippos. Etwa 407—339 v. Chr. 

Damit schließen wir unsere Mitteilungen über Pia- 1 
ton, die wir in unverdrossenem Bemühen unter sorg- 
fältiger Durchsicht der Überlieferung nach dem Maße 
unserer Kraft zusammengestellt haben. 1 ) 

Sein Nachfolger als Schulhaupt war Speusippos, 
des Eurymedon Sohn, aus Athen, aus dem Demos Myr- 
rhinus. Er war der Sohn der Potone, der Schwester 
des Piaton. Acht Jahre stand er an der Spitze der 
Schule, von dem Beginn der 108. Olympiade (347 
v. Chr.) ab. Er stellte die Statuen der Charitinnen in 
dem von Piaton in der Akademie errichteten Lehr- 
saal auf. 

An den Lehrsätzen Piatons hielt er fest, teilte aber 
nicht durchweg dessen sittliche Hoheit. Er war näm- 
lich jähzornig und genußsüchtig. So erzählt man, er 
habe in der Hitze des Zornes sein Hündchen in den 
Brunnen geworfen, und habe aus Lustbegier eine 
Beise nach Makedonien gemacht, um der Hochzeit des 
Kassander beizuwohnen. 

Zu seinem Hörerkreis sollen auch die beiden 2 
Schülerinnen des Piaton gehört haben, Lastheneia aus 
Mantineia und Axiothea aus Phlius. Darüber läßt 
sich denn auch Dionysios in einem Briefe an ihn fol- 
gendermaßen spöttelnd vernehmen: „Man kann die 
Philosophie auch bei deiner arkadischen Schülerin 



IV 1-4. I 75 



erlernen. PUUon machte seine Schuler steh gWM*^ 
SS du aber treibst die Auflage ein, glevhuel, ob 
Je LI oder mit Widerstreben gegeben wird, 

Ei war wie Diodor im ersten Buch seiner Denk- 
würd LSn Sgt, der erste, der sein Augenmerk auf 
^^e^Z^Uenhang der Wissenschaften . ruh- 
Me und sie nach Möglichkeit in ^er^i^mrt- 
einander brachte. Er war es auch, der zuerst die so 
3 Rannten Geheimlehren 2 ) des Isokrates «j Ofent- 
Hnbkeit brachte wie Kaineus') sagt. Auch eiianu ei 
Ä Tat einem Geflechte von ™"^Z 
Körbe zu machen. Als er infolge von Gliederlähmung 
sich körperlich gebrochen fühlte, beschied er den Xeno- 
krates zu sich/unr ihm die Leitungder Schu e anzu- 
vertrauen Man erzählt auch, daß, als er sich aut 
einl Wagen nach der Akademie fahren ließ er dem 
SSS™ begegnet sei, den er ?f 

Heil dir! Der aber habe erwidert: „Dir aber kein neu, 
der du es über dich gewinnst, in einem solchen Zu- 
Snd'e weiter zu lebem" Schließlich machte « * 
hochbetagt, aus Verzweiflung seinem Leben 
ehi Ende Es gibt von mir ein Epigramm auf An. ) 

Sicher weiß ich: es wollte Speusipp das Leben sich nehmen, 
St hätt' ich nimmermehr solches behauptet, 

KeÄfoiÄlrt floß in ihm, sonst wäre er mmmer 
Ob einer Nichtigkeit zagend geschieden. 

4 Plutarch 5 ) behauptet im Leben des Länder und 
Sulla er sei an der Läusekrankheit gestorben. Er wai 
aber an sTch schon durch seine Ausschweifungen kor 
perlich geschwächt, wie Timotheos m seinen Buch 
von den Lebensbeschreibungen sagt. Erjagte wie 
dieser berichtet, zu einem Reichen, der in ein häßliches 
Frauenzimmer verliebt war. Was soll sie .dir »Ich 
wollte dir für zehn Talente schon eine schönere hnden. 

Er hat sehr zahlreiche Abhandlungen und mehrere 
Dialoge hinterlassen, 0 ) darunter auch den Arisüpp 
riK&a^* ein Buch Vom Reichtum fat* utam* 



tffö? Spetisippos. 

Von der Lust (rcspi viScwrjc), Von. 'der Gerecht%keifc>{roipti 
SixacoöüvT);), Von der Philosophie (irspi cpdoooipüac),. Von. 
der .Freundschaft (rospt <pdoa?), Von den Göttern (rcs$ 
^$»3»),. Der Philosoph (#1X65.090;), Ah Kephalos (ttpbs 
Ki<paXov), Kephatos-. (K£<paXo.;), Kleinomachos oder 
L^sias (KXei.vey.axoc "fj Auaia;), Der Bürger (lloXirr,;), 
Von der Seole (xspl 'i'jyr,;). An Gry floß U?b<J rpvXXov), 
Aristipp ('Apiatutxsc), : Kritik der Künste • (texvwv 
sXevx 0 ?)- Weitere Werke y^aiäMai sind : Dialogische 5 
Denkwürdigkeiten - (uisojiD^iwerixol ÖtaXoYov), . und : zfaia>i: 
ein Buch Kuastgespräch (T exvowv), zehn Gespräche 
über die gleichen. Gesichtspunkte für die Wissenschaft* 
lictoXB^ndlüi^'-<^^c^^ 7cpa7(Ji(x.Tsigt>. 
ojurfuv), 7 ) Einteilungen (foatps'öeic) und Richtlinien Au- 
sgleichende Übersichten -(repoi -ca spoia ujco?&«c). 
Von den Gattungen und Artender Beispiele -(itspi yevün 
xai siSwv ita.paöeqp.airov)._ An den Zeugenlosen, (rcpo; 
xcv 'AjJiocpTupov), Lob Piatons (UXortwyo.s e7y.ut1.10v), Briefe 
(^jiCöToXott) an Dion, Dionysios, Philippos, Über G^etz- 
gebung (rospc yo(j.o3sö'a?), Mathematikos (Ma^p-a-cwo«), 
Mahdrobülos (iUavöpofJouXo;). Lysias (. Au cia?) , Definitio- 
nen (spei), . Ordnungen der Denkschriften feflSfi 
()7i:op.v7)[jLaTr6)v). Im ganzen 43 475 Zeilen. 




seiner Denkwürdigkeiten, Aristoteles habe seine Bücher 
für; drei Talente gekauft. Es hat auch noch einen 
andern Speusipp gegeben, einen herophiteischen Arzt 

arö!AfagnlidarfDg?.uA aai&a tfomb aoäot doia aß toda 
riooff ifieai9a ni aoodJöraiT 91 7/ t tdo-ßv/rfo89§ doirraq 
%'vu ,9j 3ß8 -la „.laga 4 S9jrwch9idoa9dafi9d9 J nsb nov 
aorioiiaßri nio afi$P}M<$ä ft a p 1 i e | 

ifol ?-ri Xenokrates. 396—314 v. Chr. 

.nobnd äTModäs 9n.ra nodoa 9tn9lßT nrl9x inl urfa 9tM» 
9i9Kienokrates, des AgathenofcioSohni : stmwrfer^aus 1 
Chälkedon. Von Jugend auf War er ein Hörer des 
Piaton und begleitete ihn auch auf einer seiner Reisen") 



IV 4-8. 177 

nach Sizilien. Er war von lllitur schwerfällig, so daß, 
wie man erzählt, Piaton, ihn mit Aristoteles verglei- 
chend, sagte: „Er bedarf des Sporns, Aristoteles da- 
gegen des Zügels", und „Der eine ist schwer anzu- 
treiben wie ein Esel, der andere leicht wie ein Pferd. 
Im übrigen aber hatte sein Auftreten etwas durchaus 
Achtunggebietendes, verbunden mit finsterem Ernst, 
so daß Piaton oft zu ihm sagte: „Xenokrates, opfere^ 

' den Grazien." . 

7 Er hielt sich zumeist in der Akademie auf; trat er 
aber einmal den Weg nach der Stadt an, so wichen 
ihm alle Schreihälse und Lastträger aus. Einmal soll 
auch Phryne, die Hetäre, ihn in Versuchung haben 
bringen wollen;. sie habe, heißt es, scheinbar von andern 
verfolgt, Zuflucht in seiner bescheidenen Behausung 
gesucht; er aber habe aus Menschenfreundlichkeit ihr 
Aufnahme gewährt und das einzige Bett, das er hatte, 
mit ihr geteilt. Doch all ihr Bitten und Flehen war 
vergeblich, so daß sie sich schließlich davon machte. 
Zu den sie Befragenden sagte sie, sie käme nicht von 
einem Manne, sondern von einer Statue. Einige be- 
richten, seine Schüler hätten die Lais veranlaßt sich 
neben ihn in sein Bett zu legen; er aber sei so enthalt- 
sam gewesen, daß er auch häufig sich Schneiden und 
Brennen an seinem Schamteil habe gefallen lassen. 
Er genoß auch das größte Vertrauen; war er doch der 
einzige, dem die Athener trotz des bestehenden Ver- 
botes, unvereidigt Zeugnis abzulegen, dies erlaubten. 
8 Auch war er über die Maßen genügsam. Als z. B. 
Alexander ihm eine erhebliche Geldsumme übersandte, 
nahm er davon nur 3000 attische Minen und schickte 
das übrige zurück mit der Bemerkung, der Konig 
brauche mehr, da er mehr Leute zu unterhalten habe. 
Auch eine von Antipater ihm zugesandte Geldsumme 
soll er abgewiesen haben, wie Myronianos in seinen 
„Geschichtlichen Parallelen" berichtet. So soll er auch, 
beim Becherwettkampf 10 ) an dem jährlichen Choenfesl, 
mit einem goldenen Kranze geehrt, beim Herausgehen 

A p e 1 1 , Diogenes Laertius. 12 



178 



Xenokrates. 



diesen Kranz an der dort stehenden Hermesstatue 
niedergelegt haben, wie er auch die Blumenkränze 
niederzulegen pflegte. Er soll auch mit .andern zu 
Phüipp als Gesandter geschickt worden sein und seine 
Mitgesandten sollen, durch Geschenke zur Nachgiebig- 
keit gestimmt, den Einladungen des Philipp Folge ge- 
leistet und sich in mancherlei Unterhaltungen mit ihm 
ergangen haben; er aber habe beides gemieden Auch 
ließ ihn Phüipp aus diesem Grunde nicht an sich heran. 
So erklärten denn, wie es heißt, seine Mitgesandten 9 
bei ihrer Rückkunft nach Athen, die Mitsendung des 
Xenokrates sei völlig überflüssig gewesen, und die 
4.th#her schickten sich schon an, ihn in Strafe zu 
nehmen. Von ihm aber belehrt, daß sie fortan nur 
noch mehr um den Staat besorgt sein müßten — denn 
Phüipp hätte jene bereits durch Geschenke bestochen, 
während er ihn selbst durch keine Vorsteüungen hatte 
auf seine Seite bringen können — sollen sie ihn doppelt 
geehrt haben. Und Phüipp soll später geäußert haben, 
Xenokrates sei unter jenen Gesandten der einzige ge- 
wesen, der sich nicht habe bestechen lassen. Auch zum 
Antipater ward er während des Lamischen Krieges; 
als Gesandter geschickt zur Verhandlung über die 
kriegsgefangenen Athener, und soll, zur Tafel ge- 
zogen, ihn folgendermaßen angeredet haben: 
Kirke. welcher Mann, dem Recht und Billigkeit obliegt. 
Hätte das Herz sich eher mit Trank und Speise zu laben. 
Eh' er die Freunde gerettet und selbst mit Augen gesehen? 
Antipater nahm dies treffende Zitat (Od. X 382 ff.) 
wohl auf und gab die Gefangenen sofort frei. 

Als einst ein Sperling, verfolgt von einem Habicht, 
sich in seinen Schoß flüchtete, streichelte er ihn zärt- 
lich und ließ ihn dann fliegen mit den Worten, einen 
Schutzflebeaden dürfe man nicht ausliefern. Von 
Bion bespöttelt, erklärte er, er werde ihm nicht ant- 
worten, denn auch die Tragödie würdige den Spott der 
Komödie gegen sie keiner Antwort. Zu einem, der 
Musik noch Geometrie noch Astronomie ge- 



IV 8-12. 



179 



trieben und sein Schüler werden wollte, sagte er : „Ziehe 
dein«« Weges, denn du bist nicht im Besitze der Hand- 
haben für die Philosophie." Andere lassen ihn fol- 
i gende Antwort gehen: „Bei mir wird keine Wolle ge- 
walkt " Als Dionysios zu Piaton sagte: „Du wirst noch 
um deinen Kopf kommen," da zeigte der mitanwesende 
Xenokrates auf seinen eigenen Kopf hin mit den 
Worten: „Erst muß diesen das Schicksal ereilen." Man 
erzählt, als Antipater einst nach Athen kam und ihn 
herzlich begrüßte, habe er nicht eher geantwortet, als 
bis er seinen Vortrag, in dem er gerade begriffen war, 
beendet. Er war ein Verächter alles Hochmutes; häu- 
fig des Tages überließ er sich dem angestrengtesten 
Nachdenken, und e i n e Stunde, sagt man, widmete er 

dpm Schweigen. „ • , 

Er hat zahlreiche Schriften, Gedichte und Mahn- 
reden hinterlassen und zwar folgende: 

I. Von der Natur. Sechs Bücher. (*«e/ 

2 Von der Weisheit. Sechs Bücher.. (*«P< o*pia f ) 

3. Vom Reichtum. Ein Buch. (*«e/ **>»»i>) 

4. Der Arkadier. Ein Buch. (A»xas) , . 

5. Vom Unbegrenzten. Em Buch, {»t* *«° 

6. Vom Knäbchen. Ein Buch. <»8« «" . , 
12 7 Von der Selbstbeherrschung. Ein Buch. eyxgaieta ( ) 

8. Vom Nützlichen. Ein Buch. w.W) . 

9. Von der Freiheit. Ein Buch. «*«»*«?°») 
10. Vom Tode. Ein Buch, t*** 

II. Von der Freiwilligkeit. Ein Buch. (*«<?' buvauv) 

12. Von der Freundschaft. Zwei Bücher., 

13. Von der Billigkeit. Ein Buch. 

14. Vom Gegenteil. Zwei Bücher. (-""P« t***™*) . 

15. Von der Glückseligkeit. Zwei Bücher. (f«e< tv*upori* ( ) 

16. Vom Schreiben. Ein Buch. (»/£>< W«) 

17. Vom Gedächtnis. Ein Buch, («e« A«Wff) 

18. Von der Unwahrheit. Ein Buch. (**e< *»*w) 

19. Kallikles. Ein Buch. (KalAizüjsy*) 

20. Von der Einsicht. Zwei Bücher. ("'»', veor^-vt) 

21. Der Haushälter. Ein Buch. (Oixovoutxos) > 

22. Von der Besonnenheit. Ein Buch, ™<rt°«™V) , 

23. Von der Gesetzeskraft. Ein Buch. («e» t«*"H*<°s 

24. Vom Staate. Ein Buch. ™hx*uts) 

25. Von der Frömmigkeit. Ein Buch. («P< •«•"»»«) 

12* 



^gQ Xenokrates. 

26. Von der Lehrbarkeit der Tugend. Ein Buch. (S" nagafoti, 
v üQt*n) -. . \ 

27. Vom Seienden. Ein Buch. (*W ™« »w«) 

28. Vom Schicksal. Ein Buch. <»«<?» «^«e.«^?) 
29 Von den Leidenschaften. Ein Buch, (*«<?« 
30* Von der Lebensweise. Ein Buch, (f fe» pw>") 

31. Von der Eintracht. Ein Buch. (*«e< o/tovouv) _ 

32. Von Erlernbarem. Zwei Bücher. rt 1 ""), . 
33 Von der Gerechtigkeit. Ein Buch. <^e< *f'<"""'^) 

34. Von der Tugend. Zwei Bücher, w« 

35. Von den Artbegrifien. Ein Buch. (»«»• ff«'") 

36. Von der Lust. Zwei Bücher. f 0 "^. . 

37. Von der Lebensführung. Ein Buch. fr*e* P tOÜ ) 

38. Von der Tapferkeit. Ein Buch. .N'^W 

39. Über das Eine. Ein Buch. <;™e<, *>» f °f) 4 
40 Von den Ideen. Ein Buch. {**Q\ «W) « 

41. Von der Kunst. Ein Buch, («e« ™Z»"?ff) . 

42. Von den Göttern. Zwei Bücher. **'»»'; 
43 Von der Seele. Zwei Bücher. <™Q l y'OTO 

44. Vom Wissen. Ein Buch, ("«0* inu>tvms> 

45. Der Staatsmann. Ein Buch, ("»hr txofi ( > 

46. Von der Verständigkeit. Ein Buch, 'f «e« e*«rowiow»'ifff) 

47. Von der Philosophie. Ein Buch. <**0' y^o<jo<pta f ) _ 

48. Von der Lehre des Parmcnides. Ein Buch. (»'S« ™" 

/tEfllfov) , x 

49. Archedemos oder über Gerechtigkeit. Ein Buch. KAQxmpn 

50. Vom Guten. Ein Buch. (**°< thyn»nv\ 

51. Die auf den mathematischen Verstand bezüglichen Lehren. 
Acht Bücher. (tO» *egi rrj» tfidvoin») 

52. Auflösung der Probleme über die Reden. Zehn (?) Bücher. 
{Höh; Tiöf liegt rnrj X<'y<"'f) 13 ) , . . 

53. Vorlesungen über Physik. Sechs Bücher, ispvoixrjs «xQoaa- 
e<og) 

54. Hauptstück. Ein Buch. (xeq?dX,-aov) _ 

55. Von den Gattungen und Arten. Ein Buch. (*«<»' r«"«" xm 

elSiö» 

56. Pythagoreische Lehren. Ein Buch. (IIv&ayÖQeia) 

57. Auflösungen. Zwei Bücher. Q-vasip 

58. Einteilungen. Acht Bücher, ('ha^iaen) 

59. Sätze (Behauptungen). Zwanzig (dreiundvierzig) Bücher. 

(»caswv ßißXia) 

60. Von der Unterredungskunst. Vierzehn (40.**f. 2. 700. 40) 
Bücher. 7lt 6' 70 dittktyioH-ai nQnyiiuTtLag ßißha) 

61. Nächstdem fünfzehn Bücher und weitere sechzehn Bücher 
Lehrvorschriften für die Vortragsweise. k^qI im^^uKoyw 



IV 12—15. 



181 



62. Logische Erörterungen. Neun Bücher a«^'««) ' 

63. Auf die Lehrgegenstände Bezügliches. Sechs Bucher. 

64. Auf den mathematischen Verstand Bezügliches. Weitere 
zwei Bücher vgl. No. 51. , _» 

65 Von der Geometrie. Fünf Bücher. (»«8« yewwrew) 

66. Aufzeichnungen (Denkschriften). Ein Buch. (v*owt"™>) 

67 Gegensätze. Ein Buch. («wm»»'), vgl. No. 14. 

68. Von den Zahlen. Ein Buch, (»«e« »qi»^) 

69. Theorie der Zahlen. Ein Buch, («e'*^" *«»e«») 

70. Von den Intervallen. Ein Buch. (»*e« ttaotw«™») , 
7L Astronomische Lehren. Sechs Bücher. (r W v ^ « ö r e o^) 

14 72. Elemente an Alexander vom Königtum. Vier Bucher. 
(oroixela ngbs 'AXiSaväoov tisqI ßaadetae) 

73. An Arybas. {ptqU 'A Q ißav) 

74. An Hephaistion. {" Q og HyMixuova) 

75. Über Geometrie. Zwei Bücher. p<o(ietQuxs) 

76. Verse 40. 20. 2. 4. 200. 30. 9. (<™*°0 [VerdorbenJ 

Obschon er ein so hervorragender Mann war, haben 
ihn die Athener doch einmal verkauft, weil er das 
Schutzgeld nicht zahlen konnte. Da kaufte ihn Deme- 
trios der Phalereer und heilte den Schaden für beide: 
dem Xenokratas schenkte er die Freiheit, den Athenern 
gab er das Schutzgeld. So berichtet Myronianos aus 
Amastris im ersten Buch seiner „Geschichtlichen 
Parallelen". 

Er ward Nachfolger des Speusipp als Schulhaupt 
unter dem Arehontat des Lysimachides und leitete sie 
fünfundzwanzig Jahre lang von dem zweiten Jahre 
der 110. Olympiade (340/336 v. Chr.) ab. Er starb des 
15 Nachts infolge eines Anpralls an eine Wanne im Alter 
von bereits 82 Jahren. Unser Spruch auf ihn lautet: 

An eine eherne Wanne stieß einst Xenokrates tödlich 
Mit seinem Kopf und starb mit einem gellenden Schrei, 
Er, der sich überall als bester Mann bewährt. 

Es hat noch sechs andere Männer dieses Namens 
gegeben. Der erste ist; der alte Taktiker, (der zweite?) ) 
sodann ein Anverwandter und Mitbürger unseres Philo- 
sophen, von dem es eine Hede „Arsinoetikos" gibt auf 
den Tod der Arsinoe; der vierte ist ein Philosoph, der 



182 



Xenokrates. Polemon. 



eine Elegie verfaßt hat, nicht besonders glücklich. 
Aber so geht es eben: wenn Dich ter sich auf Pr osa 
werfen, so glückt es ihnen, wollen dagegen Prosaiker 



es mit der Poesie versuchen, so versagen sie — ein Be- 
weis dafür, daß Prosa eine Sache der Natur, Poesie eine 
Sache der Kunst ist. Der fünfte war ein Bildhauer, 
der sechste ein Verfasser von Liedern, wie Aristoxenos 
sagt. 



Drittes Kapitel. 

Polemon. Um 310 v. Chr. 

Polemon aus Athen war ein Sohn des Philostratos, 16 
aus dem Demos Oia. In seiner Jugend war er so un- 
züchtig und ausschweifend, daß er sogar Geld unter 
die Leute brachte, um sich zur Befriedigung seiner 
Wollust zu verhelfen; ja er hatte in den engen Gäßchen 
sogar seine Verstecke dafür. 14 ") Es wurde sogar in der 
Akademie einmal ein an einer Säule angebrachtes 
Dreiobolenstück gefunden, das für den gleichen Zweck 
bestimmt war. Einstmals kam er auch auf Verab- 
redung mit seinen jungen Freunden bekränzt und vom 
Wein berauscht in die Schule des Xenokrates gestürmt; 
dieser aber Meß sich in seinem Vortrag nicht irre 
machen, sondern führte ihn ununterbrochen zu Ende. 
Der Vortrag handelte von der Mäßigkeit. Der. Jüng- 
ling, aufmerksam zuhörend, ward in kurzer Zeit für 
die Sache gewonnen und widmete sich ihr mit so an- 
haltendem Fieiße, daß er die anderen überholte und 
selbst Nachfolger in der Leitung der Schule ward von 
der HC. Olympiade (316/313 v. Chr.) ab. 

Antigonos von Karystos berichtet in seinen Lebens- 17 
besohreibungen, sein Vater sei ein hochangesehener 
Mann unter seinen Mitbürgern gewesen und habe 
einen Rennstall für Wagenwettkämpfe gehalten. Und 
von Polemon selbst erzählt er, seine Gemahlin habe ihn 
verklagt wegen Mißhandlung auf Grund seines straf- 




IV 15—19. 



183 



Hchen Umgangs mit jungen Leuten. Aber einmal ge- 
wonnen für das Studium der Philosophie, habe er an 
Charakterstärke so zugenommen, daß er in Haltung 
and Gebahren fortab immer derselbe blieb ^selbst 
in der Stimmlage seines Vortrages nie einen Wandel 
eintreten ließ. Dadurch sei auch Krantor für ihn ge- 
wonnen worden. 15 ) Ja, als ein wütender Hund ihn an- 
fiel und ihm die Kniekehle zerfleischte, habe er nicht 
einmal die Farbe gewechselt; und als auf die Kunde 
davon in der Stadt große Aufregung entstand, sei er 

18 vollständig ruhig geblieben. Bei theatralischen Auf- 
führungen war er tieferen Gemütserregungen völlig un- 
zugänglich. Als der Dichter Nikostratos, der den Bei- 
namen Klvtaimnestra führte, ihm und dem Krates 
etwas von seinen Dichtungen vorlas, fühlte sich Krates 
ganz in die entsprechende Stimmung versetzt, wah- 
rend Polemon kalt blieb, als hätte er überhaupt nicht 
mit zugehört. Kurz, er glich ganz dem Mann, wie er 
von dem Maler Melanthios in den Büchern über die 
Malerkunst geschildert wird. Da heißt es nämlich, die 
Bildnisse müßten das Gepräge einer gewissen Selbst- 
herrlichkeit und Härte tragen, und ähnlich stehe es 
auch mit dem Charakter. Polemon pflegte zu sagen, 
man müsse seine Kraft an den Aufgaben des Lebens 
üben, nicht an dialektischen Spitzfindigkeiten, bei denen 
man sich gleichsam in ein musikalisches Kunstwerk- 
chen völlig versenke und hineinlebe; so komme es, daß 
man im Fragespiel der Unterhaltung zwar Bewunde- 
rung finde, in der Seelenverfassung aber mit sich selbst 
in Widerspruch gerate. In seinem Auftreten war er 
vornehm und fein, frei von allem „Essiggleichen und 
Scharfgewürzten", wie Aristophanes vom Eunpides 

19 sagt, was, wie Aristophanes gleichfalls sagt [fr. 180 
Dind] : 

Nur geile Unzucht ist an einem Klumpen Fleisch. 

Bei seinen Vorträgen über ihm vorgelegte Fragen 
ließ er sich, sagt man, nicht zum Sitzen nieder, son- 



184 



Polemon. Krates. 



dern ging dabei auf und ab. Wegen seiner edlen 
Sinnesart genoß er hohe Schätzung in der Stadt. Doch 
hatte er dem öffentlichen Leben völlig den Rücken 
gewandt 18 ) und hielt sich dauernd im Schulgarten auf. 
an dessen Seiten die Schüler sich kleine Hütten er- 
richtet hatten, um dem Museum und dem Versamm- 
lungsraum nahe zu wohnen. Wie es scheint, eiferte 
Polemon in allen Stücken dem Xenokrates nach; auch 
behauptet Aristippos im vierten Buch seines Werkes 
über die Schwelgerei der Alten, er sei in ihn verliebt 
gewesen. Denn immer wieder kam Polemon auf ihn 
zu sprechen und stellte in seiner Person das volle Ab- 
bild seiner Sittenstrenge, seines Ernstes und seiner 
Würde dar, vergleichbar einer dorischen Tonweise. Er 
war auch ein Liebhaber des Sophokles und am meisten 20 
an den Stellen seiner Dichtungen, wo, wie ein Komiker 
sagt, 

Ihm ein Molosserhund mit an der Arbeit half, 17 ) 
und wo es naeh Phrynichos 
Nicht Most gab, auch nicht Mischwein, sondern Pramnier. 
So pflegte er denn zu sagen, Homer sei der epische 
Sophokles, Sophokles aber der tragische Homer. Er 
starb in hohem Alter an der Schwindsucht und hinter- 
ließ eine ziemliche Zahl von Schriften. Unser Spruch 
auf ihn lautet so : 

Polemons Grab ist dies; er ward von der zehrenden Krankheit 
Dahingerafft, dem schlimmen Feind der Menschenwelt. 

Doch nicht Polemon ist's, sein Leib nur; als zu den Sternen 
Empor er stieg, ward hier versenkt sein toter Leib. 



Viertes Kapitel. 
Krates. Um 300 v. Chr. 

Krates war der Sohn des Antigenes; er gehörte dem 21 
Demos Thria an und war Zuhörer und Liebling des 
Polemon, wie er denn auch dessen Nachfolger als Haupt 



IV 19—23. 



185 



der Schule wurde. Das Freundschaftsband, das sie 
umschlang, war so stark, daß sie nicht nur bei Leb- 
zeiten in ihrer Berufstätigkeit ganz die gleichen Wege 
gingen und bis zum letzten Atemzuge einander glichein, 
sondern auch nach ihrem Tode das Grab miteinander 
teilten. Daher dichtete denn Antagoras folgende Grab- 
schrift auf sie: 

Hier ruht Polemon neben dem gottesfürchtigen Krates 
— Wanderer, ziehst du vorbei, lies es und künd' es der Welt — 

Männer der edelsten Art, in Eintracht verbunden; die Rede, 
Die ihrem Munde entfloß, zeugte von himmlischer Kraft. 

Und ihr Wandel, getreu ihren unwiderruflichen Lehren, 
War ein erhebender Schmuck für ihrer Zeiten Geschlecht. 

So versteht man denn auch das Wort des Arkesi- 
laos, der bei seinem Übertritt aus der Schule des Theo- 
phrast in die ihrige gesagt haben soll, sie seien eine 
Art Götter öder Überbleibsel aus der goldenen Zeit. Sie 
waren beide nichts weniger als Hascher nach Volks- 
gunst. Vielmehr hielten sie es damit wie der Flöten- 
spieler Dionysodo ros, der einst sich" etwas darauf zu- 
gute getan haben soll, daß, wie eT sagte, ihn nie jemand 
auf einem Dreiruderer oder an einer Quelle habe 
spielen hören wie den Ismenias. Seine Mahlzeiten nahm 
er, wie Antigonos berichtet, bei Krantor ein, denn sie 
und Arkesilaos lebten in herzlicher Eintracht mitein- 
ander. Arkesilaos teilte seine Wohnung mit Krantor, 
Polemon die seinige mit Krates und noch einem Mit- 
bürger, einem gewissen Lysikles. Es war aber, wie 
schon vorher bemerkt, Krates der Liebling des Pole- 
mon, und Arkesilaos des Krantor. 
3 Bei seinem Tode hinterließ Krates, wie Apollodor 
im dritten Buch seiner Chronika sagt, eine Beihe von 
Schriften teils philosophischen Inhalts teils Volksreden 
und Gesandtschaftsreden. Aber nicht nur dies, son- 
dern auch namhafte Schüler. Zu ihnen gehört Arkesi- 
laos, über den wir noch zu berichten haben 18 ) — denn 
er war auch Hörer des Krates — und Bion, der Bory- 
sthenite, späterhin mit dem Sektennamen Theodoreear 



löß Krates. Krantor. 

bezeichnet, über den wir gleichfalls noch berichten 
werden im unmittelbaren Anschluß an Arkesüaos. 

Der Männer Namens Krates sind im ganzen zehn 
gewesen: erstens der Dichter der alten Komödie, 
Zweitens der Rhetor von Tralles, aus des Isokrates 
Schule, drittens der Schanzenbauer im Dienste des 
41exander, viertens der Kyniker, über den noch zu be- 
richten ist, 19 ) fünftens ein peripatetischer Philosoph, 
sechstens der eben besprochene Akademiker, siebentens 
ein Grammatiker aus Mallos, achtens ein Verfasser von 
geometrischen Schriften, neuntens ein Epigrammen- 
diohter, zehntens ein akademischer Philosoph aus 
Tarsos. 



Fünftes Kapitel. 

Krantor. Um 310 v. Chr. 

Krantor aus Soloi, in seiner Heimat bewundert, 2 4- 
siedelte nach Athen über, wo er in Gemeinschaft mit 
Polemon des Xenokrates Hörer ward. Er hmterlieü 
Schriften im Umfang von 30 000 Zeilen, von denen 
einiges von manchen dem Arkesilaos beigelegt wird. 
Gefragt, was ihn für den Polemon so eingenommen 
hätte, soll er geantwortet haben, „dies, daß ich ihn 
immer gleichmäßig reden hörte, nie in höherer oder 
tieferer Stimmlage." 20 ) 

Er erkrankte und zog sich in den Tempelbezirk des 
Asklepios zurück, wo er fleißig spazieren ging. Es 
strömten ihm aber von allen Seiten Schüler zu in der 
Annahme, er weile dort nicht seiner Krankheit wegen, 
sondern in der Absicht, da eine Schule zu gründen. Zu 
ihnen gehörte auch Arkesilaos, getrieben von dem 
Wunsche, durch ihn beim Polemon eingeführt zu 
werden, obschon Krantor mit ihm in einem Liebes- 
verhältnis stand, wie wir in dem Abschnitt über Arke- 
Äilaos des näheren berichten werden. 21 ) Aber er soll, 25 



IV 23—27. 



t8? 



wieder gesundet, auch selbst Hörer des Potemoa ge- 
worden sein, was diesem große Bewunderung ein- 
brachte.") Er soll auch sein Vermögen dem Arkesuaos 
hinterlassen haben im Betrage von zwölf Talenten. 
Von diesem befragt, wo er beerdigt zu sein wunscne, 
soll er gesagt haben: 

Am besten läßt sich's in geliebter Erde ruhn. 
Er soll auch Gedichte verfaßt und sie in seiner 
Vaterstadt in dem Heiligtum der Athene versregelt 
niedergelegt haben. Der Dichter Theaitetos besingt ihn 
in folgenden Versen: 

Krantor war bei den Menschen beliebt, noch mehr bei den- 

Ack noch warmer S n?c'ht Greis, als ihm das Todeslos M. 
Ze?ged*h freundlich, o Erde, dem Toten, dem he.hgen Mannet 
Möge da droben er auch leben in Fülle und Glanz. 

26 Krantor war ein besonderer Bewunderer des Homer 
und des Euripides, die er allen anderen vorzog, kr er- 
klärt es für außerordentlich schwer, den strengen 
Charakter der Tragödie zu wahren und dabei doch zu- 
gleich auch die menschliche Empfindung zum Aus- 
druck kommen zu lassen, und er zitierte gern den Vers 
aus dem Bellerophon: 
Weh uns! Nein, nicht doch! Unser Leid war Menschenlos. 

Man spricht auch von Versen des Dichters Anta- 
goras auf den Eros als einem angeblichen Gedichte des 
Krantor. Es lautet: 

Schwankend bin ich im Herzen ob deiner dunkelen Abkunft: 
Soll ich dich nennen den ersten der Gotter der ew Ero* 
Jener Wesen, die Erebos einst mit der Nacht, der allmachtgefl 
Drunten unter den Wogen des weiten Okeanos zeugtet 
27 Oder entstammst du der Kypris, der Sinnigen oder der . Erde 
Oder den Winden? Du bringst in stetem Wechsel bald Schlimmes 
Bald auch Gutes dem Menschen als doppelgestaltiges Wesen. 

Er war auch originell in Wortbildung und Aus- 
druck. So sagte er von einem tragischen Dichter, er 



188 



Krantor. Arkesilaos. 



habe eine unbehauene Stimme, noch voller Rinde; und 
von den Versen eines Liederdichters, seine Verse seien 
filzig; die Thesen des Theophrast, sagte er, seien mit 
Purpur geschrieben. Von seinen Büchern wird am 
meisten die Schrift über die Trauer bewundert. Er 
starb noch vor Polemon und Krates, an der Wasser- 
sucht. Unser Spruch auf ihn lautet: 

So bist auch du denn, Krantor, der Wassersucht erlegen 
Und bist hinabgesunken in die dunkeln Tiefen Plutons. 
Dort weilst du jetzt in Freuden; doch deiner Rede Zauber 
Vermißt mit Schmerz der Akademoshain und deine Heimat Soloi. 



Sechstes Kapitel. 

Arkesilaos. 316(?)— 240 v. Chr. 

Arkesilaos, der Sohn des Seuthes oder des Skythes, 28 
stammte, wie Apollodor im dritten Buch der Chronika 
•berichtet, aus Pitane in Äolien. Mit ihm als ihrem 
Haupt beginnt die mittlere Akademie. Er war es, der 
zuerst die Zurückhaltung des Urteils als leitenden 
Grundsatz aufstellte wegen der Widersprüche in den 
Behauptungen der Menschen. Er war es auch, der es 
aufbrachte, die Gründe nach beiden Seiten hin (nach 
der bejahenden und nach der verneinenden) geltend zu 
machen, auch war er der erste, der die überlieferte 
Lehrweise des Piaton dahin abänderte, daß er sie 
durch die Art der Frage und Antwort streitfertigex 
machte. Dem Krantor näherte er sich auf folgende 
Weise: Er war der vierte von Brüdern, deren zwei von 
gleichem Vater und zwei von gleicher Mutter stammten. 
Von ihnen hieß der ältere, der von der gleichen Mutter 
stammte, Pylades, der ältere von dem gleichen Vater 
Moireas, der sein Vormund war. Er hörte zuerst den 
Mathematiker (und Astronom) Autolykos, seinen Mit- 2» 
Mrger, ehe er nach Athen übersiedelte; mit ihm 



IV 27—31. 18$ 

machte er auch eine Reise nach Sardes. Dann genoß 
er den Unterricht des Musikers Xanthos m Athen und 
weiter hörte er den Theophrast. Darauf wandte er sich 
dem Krantor zu und trat zur Akademie über bem 
oben genannter Bruder Moireas nämlich suchte ihn tur 
die Rhetorik zu interessieren, 23 ) er aber hielt es mit der 
Philosophie. Krantor, von Liebe zu ihm entflammt, 
richtete an ihn mit des Euripides Worten aus der 
Andromeda die Frage: 

O Jungfrau, rett* ich dich, wirst du mir's danken auch? 

worauf er mit dem unmittelbar folgenden Verse ant- 
wortete : 

Führ* mich, o Freund, als Sklavin oder Gattin heim. 

30 Seitdem gehörten sie einander an. Theophrast soll 
darüber verstimmt gewesen sein und gesagt haben. 
Ein hochbegabter und hoffnungsvoller Jüngling hat 
meiner Schule den Rücken gekehrt.". Denn außer- 
ordentlich eindrucksvoll in seiner Art des Vortrags, 
dabei zur Schriftstellerei aufgelegt und dann hin- 
reichend geübt, befaßte er sich auch mit Poesie, bo 
sind folgende Epigramme von ihm auf Attalos m 
wetteren Kreisen bekannt: 

Pergamos glänzt durch Waffen nicht nur ; auch seinen Gespannen 
Tönet nicht selten der Preis auf der Olympischen Bah". 

Darf man sich aber getraun die Plane der Gottheit zu deuten. 
Dann gibt Pergamos einst Stoff noch zu größerem Ruhm. 

31 Und auch ein Gedicht auf den Menodor, den Geliebten 
des Eudamos, eines seiner Mitschüler: 

Phrygien liegt fern ab, fern auch Thyateira, das heil'ge; 

So auch Kadanade, dein Stammort, Menodor. 
Aber zum Acheron hin, dem schaurigen, — wo man auch Her- 
kommt — . • 

Ist, wie es heißt, der Weg an Länge immer gleich. 
Hier errichtete Eudamos dir ein herrliches Grabmal, 

Dem du viel lieber warst als seiner Sklaven Schar. 



190 



Arkcsilaos. 



Den Homer liebte er über alles: er konnte sich nicht 
zu Bette legen, ohne noch ein paar Seiten Homer ge- 
lesen zu haben; und auch des Morgens früh pflegte er, 
wenn er ihn lesen wollte, zu sagen, er gehe zu seinem 
Geliebten. Von Pindar aber sagte er, er mache den 
Mund volltönender und schütte ein Füllhorn von 
Namen und Wörtern über uns aus. In seinen jungen 
Jahren versuchte er auch eine Schilderung von dem 
Dichter Ion zu entwerfen.") Auch hörte er den Geo- 32 
meter Hipponikos, über den er als über einen im 
übrigen trägen und langweiligen Gesellen spöttelte, 
aber doch sagte, beim Gähnen sei ihm die Geometrie in 
den Mund geflogen. Ihn nahm er auch, als er eine Zeit- 
lang in Irrsinn verfiel, in sein Haus auf und pflegte 
ihn sorgsam so lange, bis er wieder völlig hergestellt 

Nach des Krates Tod übernahm er die Fuhrung der 
Schule, nachdem ein gewisser Sokratides zu seinen 
Gunsten zurückgetreten war. Sein philosophischer 
Standpunkt der Unentschiedenheit des Urteils soll 
auch, wie einige sagen, schuld daran sein, daß er kein 
Buch geschrieben hat. Andere wieder wollen wissen, 
man habe ihn dabei betroffen, wie er Niedergeschrie- 
benes verbesserte, das er nach einigen herausgegeben, 
nach anderen verbrannt habe. Er war auch ein Be- 
wunderer des Piaton und war im Besitz seiner 
Schriften.") Aber auch dem Pyrrhon eiferte er nach. 33 
MH der Dialektik beschäftigte er sich angelegentlich 
und machte sich auch mit den Lehren der Eretrier ver- 
traut. Daher auch die folgenden Verse des Ariston 
über ihn: 

Piaton räch vorn, Diodor in der Mitte und Pyrrhon von hinten. 
Bnd Timon läßt sich über ihn folgendermaßen aus: 36 ) 

Mit Merredemos unter der Brust als helfendem Schwimmer 
Wird er zum fleischigen Pyrrhon und zum Diodoros enteilen. 

und ein Stück weiterhin läßt er ihn (den Arkesilaos) 

sagen: 



IV 31-3S. 10t 
Schwimmen wer* ich zum Pyrrhon und Diodoros, dem Dunkeir, 

Er war sehr würdevoll und gedrungen in der Rede 
und ihr iha rf in der Unterscheidung der Worte, auch 
M ein witziger Spötter und rückhaltloser Tadtor, weshalb 
denn Timon sich auch so über ihn äußert. 
Auch Verzögerung 2 ') tadelt er scharf an der säumigen Jugend. 

So sagte er denn auch zu einem Jüngling, der sich 
frecher Reden erdreistete: „Wird ihn nicht einer am 
Genicke fassen?" Und einem, der m ^ Verdachte 
stand, «ich mißbrauchen zu lassen und der Am _mi . dei 
Behauptung gekommen war, es «eherne nicht eines 
größer als das andere zu sein, begegnete er mit der 
F™ge ob auch das Zehnzöllige nicht verschieden sei 
von dem Sechszölligen. Und als ein gewisser Herncn 
aus Ch£s, ein häßlicher Gesell, der sich aber embildete 
achön zu sein und sich stets in feinen Gewändern 
SS m, ihn fragte, ob seiner Meinung nach em 
Weiser sich nicht verlieben werde, antwortete er Etwa 
ruXdann, wenn einer nicht so schön st wie dt . und 
nicht so schöne Gewänder tragt wie^ du?_ U ™ a * ^ 
(der nämliche), unzüchtig, wie er überdies war, zum 
SS Arkesilaos wie zu einem gestrengen Herrn sagte. 
Darf, Herrin, man dich fragen oder bleibt man stumm? 
erwiderte er sofort: 

Was soll, o Weib, dies rauhe, ungewohnte Wort? 
Und als ein gewöhnlicher Schwätzer ihn belästigte, 
sagte er [Frg. aus Euripides] : 

Zuchtloses Schwatzen ist der Sklavenkinder Art. 
Einen anderen Schwätzer fertigte er mit den 
Worten ab, es wäre gut gewesen, wenn er wenigstens 
eine gestrenge Amme gehabt hätte. 28 ) Es kam auch 
wohl vor, daß er überhaupt nicht antwortete, kmern 
Wucherer und dabei zugleich Liebhaber der Gelehr- 
samkeit, der sagte, daß er über etwas nicht im klaren 
sei, entgegnete er: 



192 



Arkesilaos. 



. Kennt doch das Vogelweib auch nicht der Lüfte Zug, 
Es müßte denn die Zeit des Eierlegens sein. 20 ) 

Das sind Verse aus des Sophokles Oinomaos. Einem 36 
Dialektiker aus der Schale des Alexinos, der nicht im- 
stande war, über eine Ansicht des Alexinos nach Ge- 
bühr Auskunft zu geben, verwies er auf das Verfahren 
des Philoxenos gegen die Ziegelbrenner; als dieser näm- 
lich Ziegelbrenner singen hörte, die seine Lieder in er- 
bärmlicher Weise verhunzten, stampfte er selbst mit 
seinen Füßen die Ziegeln in Stücke mit den Worten: 
„Wie ihr mir meine Sachen ruiniert, so ich euch die 
euren." 

Schlecht zu sprechen war er auf die, welche nicht 
zur rechten Zeit sich an die Wissenschaften heran- 
gemacht hatten. Beim dialektischen Unterricht war 
es ihm gleichsam zur anderen Natur geworden, sich 
der Wendungen zu bedienen: „Ich behaupte" und „dem 
wird nicht beistimmen der N. N." mit Nennung des 
Namens. Das machten ihm viele seiner Schüler nach, 
ebenso wie seine Vortragsweise überhaupt nebst seiner 
ganzen Haltung. Außerordentlich erfinderisch war er 37 
in treffenden Entgegnungen sowie in der Kunst, der 
Rede die rechte Wendung zu geben in der Richtung 
auf den gerade vorliegenden Gegenstand und sich jeder 
Situation anzupassen. Er gebot über eine unvergleich- 
liche tiberredungskraft. Daher strömten ihm Schüler 
in großer Zahl zu, trotz der Schärfe des Tadels, dem 
sie sich ausgesetzt sahen. Sie fanden sich leicht damit 
ab, denn er war von Herzen gut und machte seine 
Hörer ganz allmählich hoffnungsvoller. Gegen Mit- 
menschen war er sehr freigebig, immer bereit, sich wohl- 
tätig zu erweisen, am liebsten ganz in der Stille, nie- 
mals eitel oder auf Dank bedacht. Als er einst dem 
kranken Ktesibios einen Besuch machte und die große 
Bedürftigkeit bemerkte, unter der er zu leiden hatte, 
steckte er ihm heimlich einen Beutel voll Geld unter 
das Kopfkissen, und als dieser ihn fand, sagte er: „Das 
ist eine artige Aufmerksamkeit des Arkesilaos." Aber 



IV 35-40. 



193 



auch noch ein andermal überschickte er ihm tausend 
Drachmen. Den Arkadier Archias führte er beim 
Eumenes ein und brachte ihn dadurch zu hohem An- 
sehen» 

38 Freigebig und nichts weniger als am Gelde hängend 
fand er sich doch als erster bei Schaustellungen von 
silbernen Gefäßen ein und hatte das allergrößte Inter- 
esse für dergleichen Schaustellungen von Silber und 
Gold, wie man sie beim Archekrates und bei Kallikrates 
sehen konnte. Vielen stand er mit seinen Geldmitteln 
zu Diensten und unterstützte sie. Und als einmal einer 
silberne Gefäße von ihm geliehen hatte zur Bewirtung 
von Freunden und sie bei sich behielt, soll er sie ihm 
absichtlich zum Gebrauch überlassen und sie ihm, als 
er sie zurückgeben wollte, mit Rücksicht auf seine Be- 
dürftigkeit zum Geschenk gemacht haben. Einen Teil 
seines Vermögens hatte er in Pitane; die Sendungen 
von dorther erfolgten durch seinen Bruder Pylades. 

Auch dem Eumenes, dem Sohn des Philetairos, ver- 
dankte er viele stattliche Ehrengaben, weshalb er denn 
ihm allein von allen Königen seine Schriften widmete. 

39 Viele andere bezeugten auch dem Antigonos ihre Er- 
gebenheit und machten ihm, sobald er erschien, ihre 
Aufwartung; er dagegen hielt sich zurück, um jeden 
Schein von Aufdringlichkeit zu vermeiden. Herzliche 
Freundschaft verband ihn mit Hierokles, dem Befehls- 
haber über Munychia und den Peiraieus. Bei fest- 
licher Gelegenheit erschien er stets bei ihm zu Gaste. 
Dessen dringende Aufforderungen an ihn, sich dem 
Antigonos vorzustellen, blieben ohne Erfolg: er ging 
nur bis an das Eingangstor, um dann wieder umzu- 
kehren. Als nach der Seeschlacht des Antigonos 80 ) 
sich viele an ihn herandrängten und schmeichlerische 
Briefe an ihn richteten, verharrte er selbst in Schwei- 
gen. Gleichwohl übernahm er im Dienste seiner Vater- 
stadt eine Gesandtschaft an Antigonos nach Demetrias, 

40 ohne den Zweck zu erreichen. So brachte er denn fast 
seine ganze Zeit in der Akademie zu, allen Staats- 

Ape lt , Diogenes Laertins. 13 



194 



Arkesilaos. 



geschäften aus dem Wege gehend. Zuweilen hielt er 
sich auch in Athen im Peiraieus auf und hielt dort 
seine Disputationen ab aus Freundschaft für den Hie- 
rokles. Das gab auch Veranlassung zu manchen Ver- 
leumdungen gegen ihn. 

An starken Aufwand gewöhnt — denn was war er 
denn anders als ein zweiter Aristipp — fand er sich 
gern mit Männern gleicher Sinnesart an der Tafel zu- 
sammen. Auch verkehrte er öffentlich mit den Elischen 
Hetären Theodote und Philaite und berief sich den 
Tadlern gegenüber auf des Aristipp Schriften. Auch 
gegen Jünglinge war er in dieser Beziehung nicht 
gleichgültig, sondern starker Leidenschaft ergeben, wes- 
halb denn der Stoiker Ariston aus Chios und seine Ge- 
nossen ihn stark verhöhnten, indem sie ihn einen Ver- 
derber der J ugend, einen Lüstling und Frechling nann- 
ten. Auch in den Demetrios, jenen, der die Seefahrt 41 
nach Kyrene machte, soll er stark verliebt gewesen 
sein, und in den Kleochares aus Myrleia. Über diesen 
soll er auch zu Zechgenossen die Äußerung getan 
haben: Ich will immer die Tür aufschließen, er aber ver- 
sperrt sie mir. 

Er stand auch in einem Liebesverhältnis mit De- 
mochares, des Laches Sohn, und mit Pythokles, des 
Bugelos Sohn. Als er diese miteinander auf der Tat 
ertappte, sagte er, er sei nachsichtig genug, es ihnen 
zu gewähren. Daher denn die bissigen Angriffe der 
vorhin Genannten gegen ihn; sie spotteten seiner als 
eines Gunsthaschers bei der Menge und eines Ruhm- 
süchtigen. Am stärksten aber setzte ihm der Peripa- 
tetiker Hieronymos immer zu, wenn er seine Freunde 
zur Feier des Geburtstages des Halkyoneus, des Sohnes 
des Antigonos, um sich versammelte, bei welcher Ge- 
legenheit Antigönos reiche Geldzuschüsse für die Tafel- 42 
freuden zu senden pflegte. Bei solchem Anlaß ver- 
bat er sich auch jedesmal die Erörterung gelehrter 
Fragen beim Becher und sagte zum Aridelos, der ihm 



IV 40-43. 



195 



ein Problem vorlegte und ihn zur Besprechung desselben 
aufforderte: „Das ist ja gerade der besondere Vorzug, 
der Philosophie, daß sie die schickliche Zeit für jede 
Sache zu wählen weiß." 31 ) Was aber den Vorwurf der 
Gunsthascherei bei der Menge anlangt, so läßt sich dar- 
über auch Timon unter anderen folgendermaßen ver- 
nehmen [Fr. 34D.]:") 

Arso sprach er und tauchte hinein in die Menge der Hörer. 
Diese staunten ihn an, wie Finken, umpiepend die Eule, 
Auf ihn weisend, den Eitlen, den Buhler um Beifall der Menge. 
Wahrlich, kein groBes Verdienst. Was machst du dich breit 
•wie ein Dummkopf? 

Indes lag ihm tatsächlich alle Eitelkeit so fern, daß 
er seine Schüler sogar dazu anhielt, auch andere zu 
hören. Als ein junger Chier sich durch seinen Unter- 
richt nicht befriedigt fühlte und auf den vorhin ge- 
nannten Hieronymos als ihm zusagend hinwies, führte 
er ihn selbst zu ihm und stellte ihn dem Philosophen 
vor mit der Mahnung, sich einer guten Haltung zu be- 
fleißigen. Ein artiges Wort von ihm ist auch das fol- 
43 gende: Als ihn einer fragte, wie es käme, daß aus den 
anderen Schulen viele in die des Epikur überlaufen, 
aus der epikurischen aber keiner in andere, sagte er: 
„Aus Männern können Entmannte werden, nicht aber 
aus Entmannten Männer." 

Als er sein Ende nahe fühlte, vermachte er sein 
ganzes Vermögen seinem Bruder Pylades als Dank 
dafür, daß dieser ihn ohne Wissen des Moireas nach 
Ghios gebracht und von da nach Athen geleitet hatte. 
Im Verlaufe seines Lebens hatte er weder geheiratet 
noch Kinder gezeugt. Er fertigte drei Niederschriften 
seines Testamentes an und legte die eine nieder in 
Eretria bei Amphikritos, die zweite in Athen bei einigen 
seiner Freunde, die dritte sandte er in seine Heimat an 
Thaumasias, einen seiner Verwandten, mit der 
Bitte, sie wohl zu verwahren. An diesen richtete er 
auch folgendes Schreiben: 

13* 



196 



Arkesilaos. Bion. 



Arkesilaos entbietet dem Thaumasias seinen Gruß! 

Ich habe dem Biogenes mein Testament übergeben 44 
mit dem Auftrag, es dir zuzustellen. Denn meine zu- 
nehmende Schwäche und mein körperlicher Verfall 
legen es mir nahe, mein Testament zu machen, um, 
wenn mir etwas zustoßen sollte, mein Leben nicht mit 
einem Unrecht gegen dich zu beschließen, der du mir 
so viele Beweise deines tätigen Wohlwollens gegeben 
hast. Bir schenke ich in bezug auf Wahrung der 
Testamentsbestimmungen unter allen meinen dortigen 
Bekannten das größte Vertrauen, 33 ) sowohl wegen 
deines Alters als wegen deiner Verwandtschaft mit mir. 
Eingedenk also des unbedingten Vertrauens, mit dem 
ich das Testament bei dir niederlege, versuche mir volle 
Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, damit, soweit es 
auf dich ankommt, meine Verfügungen des beabsich- 
tigten Eindruckes nicht entbehren. Es ist aber dies 
Testament niedergelegt in Athen bei einigen meiner Be- 
kannten und in Erelria bei Amphikritos. 

Er starb, wie Hermippos berichtet, nach über- 
mäßigem Genuß starken Weines in Irrsinn verfallen, 
bereits 75 Jahre alt, von den Athenern geschätzt wie 
kein anderer. Unser Epigramm auf ihn lautet fol- 45 
gendermaßen: 

Arkesilaos, wie konntest du doch im Genüsse des Kraftweins 
So überbieten das Maß, daß du in Irrsinn verfielst? 

Mehr noch als deinen Tod beklage ich, daß du beim Becher 
Dich an den Musen vergingst durch deinen Mangel an Maß. 

Es hat noch drei andere Männer des Namens Arkesi- 
laos gegeben: der eine war ein Dichter der alten 
Komödie, der zweite ein Elegiendichter, der dritte ein 
Bildhauer. Auf diesen hat Simonides folgendes Epi- 
gramm gedichtet: 

Dies ist der Artemis Bild, errichtet für zweihundert Drachmen, 
Drachmen von Parischer Art, kenntlich am Zeichen des Bocks. 

Arkesilaos fertigte sie im Geist der Athene, 
Des Aristodikos Sohn, herrlich mit kunstvoller Hand. 



IV 43—47. 



197 



Unser Philosoph hatte seine Blütezeit, wie Apollo- 
dor in den Chronika berichtet, in der 120. Olympiade 
(300/296 v. Chr.). 



Siebentes Kapitel. 

Bion. Um 300 v. Chr. 

Bion 34 ) war seiner Herkunft nach ein Borysthenite. 
Über seine Eltern und über die Umstände, die ihn der 
Philosophie zugeführt haben, gibt er selbst genaue Aus- 
kunft, und zwar in einem Gespräch mit Antigonos. Als 
dieser nämlich ihn fragte (Od. X 325): 
Wer, weß Volkes bist du? Und wo ist deine Geburtsstadt? 
merkte er an dem Tone der Frage, daß er verleumdet 
worden sei und sagte zu ihm: „Mein Vater war ein 
Freigelassener, der sich die Nase am Arme abwischte — 
womit er andeutete, daß er ein Salzfischhändler war — , 
von Herkunft ein Borysthenit, ohne eigentliches Ge- 
sicht, wohl aber mit einer Handschrift im Gesicht, die 
von der Grausamkeit seines Herrn Zeugnis ablegte. 
Meine Mutter war von der Sorte, wie sie ein Mann 
dieser Art zu heiraten pflegt — aus einem Bordell. 
Wegen Hinterziehung von Zollabgaben ward dann 
mein Vater mit der gesamten Familie verkauft. Mich, 
einen jungen, nicht reizlosen Gesellen, kaufte ein 
Redner, der mir bei seinem Tode seine ganze Habe 
hinterließ. Ich verbrannte seine Schriften, zerriß alles, 
siedelte nach Athen über und wandte mich der Philo- 
sophie zu (Jl. VI 211): 

Siehe, solches Geschlechtes und Blutes darf ich mich rühmen. 
Das ist die Wahrheit über mich. Mögen also Per- 
saios 35 ) und Philonides es nun bleibenlassen, über 
mich Forschungen anzustellen. Lerne mich durch mich 
selbst kennen." 

Kein Zweifel: Bion war einerseits ein gewandter 
und vielseitiger Sophist, der denen, die die Philosophie 



196 



Bion. 



herunterreißen wollten, zahlreiche Handhaben bot; 
unter Umständen war er aber auch entgegenkommend 
im Verkehr und selbst duldsam gegen Hochmut**) 

Er hat eine große Menge von Abhandlungen 
hinterlassen, aber auch Sentenzen, die sich für die An- 
wendung nützlich erweisen. Ate man ihm z. B. vor- 
warf, daß er nicht versucht habe, einen Jüngling für 
sich zu gewinnen, erwiderte er: „Es ist nicht möglich, 
einen weichen Käse mit der Angel zu fangen." Auf 
die Frage, wer sich das meiste Leid auflade, antwortete 
er: „Der, welcher der Glücklichste zu sein strebt" Bei 48 
Gelegenheit der Heiratsfrage — denn auch dieses "Wort 
wird ihm zugeschrieben — sagte er: „Heiratest da eine 
Häßliche, so kann sie dir nicht gefallen, wenn aber eine 
Schöne, so gefällt sie allen." 17 ) Das Alter, sagte er, ist 
der Sammelplatz der Übel; denn alle Übel suchen da 
ihre Unterkunft. Ruhm ist die Mutter von Trübsal") 
Die Schönheit ist ein fremdes Gut Der Reichtum ist 
der Nerv der Dinge. Von einem, der sich durch Wohl- 
leben um seinen Grundbesitz gebracht hatte, sagte er: 
J)en Amphiaraos verschlang die Erde, du aber ver- 
schlangst die Erde." Ein großes Unglück ist es, Un- 
glück nicht tragen zu können. Er fand es verkehrt, 
die Menschen zu verbrennen, als wären sie fühllos. und 
sie doch anzurufen, als hörten sie noch. Oftmals sagte 
er, es sei besser, seine Jugendschönheit einem andern 49 
hinzugeben, als selbstsüchtig sich den Genuß einer 
anderen zu verschaffen, denn das wirke schädigend 
auf Körper und Seele. Auch äußerte er sich ungehalten 
über Sokrates mit den Worten: „Hatte er es auf Alki- 
biades abgesehen und enthielt er sich trotzdem, so war 
er ein Tor; war das aber nicht der Fall, so Hegt in 
seinem Verhalten gar nichts Außerordentliches." Der 
Weg zum Hades, meinte er, sei leicht und biete sich wie 
von selbst dar; denn man lege ihn mit geschlossenen 
Augen zurück. Den Alkihiades tadelte er mit den 
Worten: _Als heranwachsender Jüngling machte er die 
Männer ihren Weibem abspenstig, ab junger Mann die 



IV 47—51 



199 



Weiber ihren Männern." In Rhodos lehrte er, wäh- 
rend sich die Athener dort der Rhetorik befleißigten, 
Philosophie; als ihm nun einer darüber Vorhalt tat, 
sagte er: „Weizen habe ich mitgebracht, und ich sollte 
nun Gerste verkaufen?" Die Insassen des Hades, sagt« 

50 er, würden härter gezüchtigt werden, wenn sie in un- 
durchbrochenen Fässern Wasser tragen müßten als in 
durchlöcherten. Zu einem schwatzhaften Gesellen, der 
ihn um seinen Beistand vor Gericht bat, sagte er: „Ich 
werde dir den Gefallen tun, wenn du Anwälte bestellst 
und nicht selbst erscheinst." Als er in Gesellschaft von 
Schurken auf einer Seefahrt in die Gewalt von See- 
räubern fiel und jene ausriefen: „Wir sind verloren, 
wenn wir erkannt werden," satrte er: „Und ich, wenn 
wir nicht erkannt werden." Dünkelhaftigkeit, pflegt« 
er zu sagen, ist ein Hemmnis des Fortschrittes. Von 
einem reichen Geizhals sagte er: „Nicht er besitzt sein 
Vermögen, sondern sein Vermögen ihn." Von A"T\ Geiz- 
hälsen überhaupt sagt er, sie sorgten für ihr Hab und 
Gut wie für das Ihrige, zögen aber, als wäre es etwas 
Fremdes, keinen Nutzen für sich daraus. Junge Leute, 
sagte er, müßten es mit der Tapferkeit halten. Greise 
müßten ihre Stärke in der Einsicht haben. Die Einsicht 
hebe sich so deutlich von den anderen Tugenden ab 

51 wie das Gesicht von den übrigen Sinnen. Das AKeT, 
sagte er, dürfe man nicht schmähen, denn wir alle 
wünschen zu ihm zu gelangen. Zu einem sichtlich 
übellaunigen Neidhammel saete er: „Ich weiß nicht, 
ob dir etwas Schlimmes widerfahren ist oder einem 
andern etwas Gutes." Niedere Geburt, sagte er. sei eine 
schlimme Hausgenossin (Mitgabe) für freimütige Rede, 
denn (Enr. Hipp. 434) 

Sie duckt den Mann, so dreist er auch im Reden sei 

Die Freunde, welcher Art sie auch sind, muß man 
sich zu erhalten bestrebt sein, damit wir nicht in den 
Verdacht kommen, übele Freunde zu haben odeT brave 
Freunde abgestoßen zu haben. 



200 Bloti. 

Er hatte sich zuerst für die Akademie ent- 
schieden, 30 ) in der Zeit, wo er des Krates Schüler war; 
dann wandte er sich der kynischen Schule zu, den 
schäbigen Mantel über den Schultern und den Quer- 
sack auf dem Rücken. Diese äußere Veränderung war 52 
aber auch das einzige, womit er sich zu dem kynischen 
Grundsatz der Abhärtung gegen alles Leid bekannte. 
Späterhin ging er zu den Theodoreern über, nachdem 
er den Theodoros. den Atheisten, diesen Tausendkünstler 
der sophistischen Rede gehört hatte. Darauf hörte er 
den Peripatetiker Theophrastos. Er hatte auch einen 
Stich ins Theatralische und war stark in der Kunst, 
die Dinge ins Lächerliche zu ziehen, indem er mit 
drastischen und derben Ausdrücken für die Dinge 
nicht sparte. Weil er es verstand, seine Rede in allen 
Farben schimmern zu lassen, soll Eratosthenes von 
ihm gesagt haben, Bion habe zuerst der Philosophie 
ein blumiges Gewand angelegt. Auch für Parodie hatte 
er entschiedene Begabung. Dahin gehören z. B. fol- 
gende Verse: 40 ) 

Trauter Archytas, der Laute verwandt, deiner Sache so sicher, 
Allerkundigster du des Streits über Länge der Saiten. 

Überhaupt trieb er mit Musik und Geometrie seinen 53 
Spott. Er machte großen Aufwand, und darum wan- 
derte er von Stadt zu Stadt und scheute sich zuweilen 
auch nicht, den Leuten Sand in die Augen zu streuen. 
So wußte er in Rhodos die Schiffer zu bereden, Schüler- 
kleidung anzulegen und als sein Gefolge aufzutreten. 
Mit ihnen trat er in das Gymnasium ein, wo er aller 
Augen auf sich zog. Auch pflegte er einige seiner 
Schüler an Sohnes Statt anzunehmen, teils um seine 
Lustbegier an ihnen zu befriedigen, 41 ) teils um an ihrer 
Zuneigung einen Schutz zu haben. Aber auch die 
Eigenliebe war an ihm stark ausgeprägt, wie er denn 
großes Gewicht auf den Spruch legte: Freundesgut ist 
gemeinsam. Daher gibt es auch keinen Schüler, der 
sich bestimmt nach ihm bezeichnete. Also trotz der 



IV 51—58. 



201 



großen Zahl seiner Hörer gab es doch keine nach ihm 

54 benannte Sekte. Doch verführte er manche zur Un- 
zucht. So soll Betion, einer seiner Vertrauten, einst zu 
Menedem gesagt haben: „Ich, Menedemos, verbinde 
mich des Nachts mit Bion und glaube, es ist mir dabei 
nichts Unziemliches widerfahren." Oft erging er sich 
auch im Verkehr mit seinen Schülern in gottlosen 
Äußerungen, eine Folge seiner Beziehungen zu Theo- 
doras. 

Als er dann später in eine Krankheit verfiel, lieü er 
sich — so erzählt man in Chalkis, wo er auch gestorben 
ist — überreden, Amulette zu tragen und reuig wieder 
gut zu machen, was eT gegen die Gottheit gesündigt. 
Der Mangel an Krankenwärtern brachte ihn in eine 
traurige Lage, bis Antigonos ihm zwei Krankenwärter 
zuschickte. Und er folgte auch selbst 42 ) in einem Trag- 
sessel, wie Favorin in seinen Vermischten Geschichten 
erzählt. Aber auch ich habe über sein Lebensende 
meinen Tadel geäußert in folgenden Versen: 

55 Als Skythe, vom Borysthenes, stammt Bion her, der dreiste, 
Der sich, wie wohlbekannt, vermaß der Götter Sein zu .leugnen. 
Und, blieb er fest bei diesem Satz, so könnte man wohl sagen: 
Der Mann ist überzeugungstreu, so schlecht auch ist sein Glaube. 
Doch nun, von Krankheit heimgesucht und bange vor dem 

Sterben, 

Was tat er jetzt, der Atheist, der keinen Tempel ansah 

56 Und fromme Opf'rer fühlen ließ die Schärfe seiner Zunge? 

Er füllte auf dem eig'nen Herd, auf Tisch und auf Altaren 
Mit Fettgeruch, mit Räucherwerk, mit Dampf die Götternasen 
Und betete : Vergebet mir, ich sündigte. Und mehr noch : 
Er streckte willig einem Weib den Hals hin zur Besprechung, 
Umwickelte mit Riemen auch gehorsam seine Arme, 

57 Ließ ob der Türe an der Wand Lorbeer und Schwarzdorn 

prangen, 

Bereit zu allem, nur allein zum Tod sich nicht bequemend. 
Der Tor, der Gottes Dasein nur durch Lohn erkaufen wollte, 
Als gäb' es Götter eben nur, wenn Bion an sie glaubte! 
All deine Weisheit half dir nichts, schon ward der Tor zur Kohle 
Und reicht die Hand dem Pluton hin: Sei mir gegrüßt, o Pluton! 

58 Es sind der Männer des Namens Bion zehn ge- 
wesen: erstens der Zeitgenosse des Syriers Pherekydes, 



202 



Lakydes. Karneades. 



ein Prokonnesier, von dem es zwei Bücher gibt; zwei- 
tens ein Syrakusaner, Verfasser einer Schrift über 
Rhetorik; drittens unser Bion hier; viertens ein Demo- 
kriteer und Mathematiker aus Abdera, der in attischem 
und ionischem Dialekte schrieb. Dieser war es, der zu- 
erst das Vorhandensein von Gegenden behauptete, wo 
Tag und Nacht je sechs Monate dauerten. 43 ) Der 
fünfte war ein Solier, der Verfasser einer Schrift über 
Äthiopien, der sechste ein Rhetor, von dem es neun 
Bücher gibt, betitelt nach den Musen; der siebente ein 
lyrischer Dichter; der achte ein Bildhauer aus Milet, 
dessen auch Polemon gedenkt; der neunte der Dichter 
einer Tragödie, betitelt Tarsiker; der zehnte ein Bild- 
hauer aus Klazomenai oder Ghios, dessen Hipponax 
gedenkt. 



Achtes Kapitel. 
Lakydes. Um 240 v. Chr. 

Lakydes war der Sohn des Alexandros, seine Hei- 59 
raat war Kyrene. Er ist der Stifter der neuen Aka- 
demie und Nachfolger des Arkesilaos, ein hochacht- 
barer Mann, der nicht wenige Nacheiferer gehabt hat. 
Von jung auf war er an strenge Arbeit gewöhnt; er 
war zwar arm, aber liebenswürdig und umgänglich. 
Auch in Führung seiner Hauswirtschaft soll er sehr 
gutmütig gewesen sein. Wenn er aus seiner Vorrats- 
kammer etwas geholt hatte, versiegelte er die Eingangs- 
tür dazu und schob den Siegelring durch eine kleine 
Öffnung wieder nach innen, um so jeder Wegnahme 
und Entwendung von Vorräten vorzubeugen. Die 
Diener, die das gemerkt hatten, lösten das Siegel und 
nahmen, was ihnen beliebte; dann schoben sie den 
Siegelring auf die nämliche Weise durch die Öffnung 
wieder in die Kammer hinein. Und so oft sich das auch 
wiederholte, sie wurden doch nie ertappt. 



IV 5S-62. 203 

60 Lakydes hielt seine Schule in der Akademie in dem 
von dem König Attalos, hergerichteten Garten, der nach 
dem Schulhaupt Lakydeum genannt wurde. Er war 
auch nach Menschengedenken der einzige, der noch bei 
Lebzeiten die Schule an andere übergab, nämlich an die 
Phokeenser Telekles") und Euander. Von Eu ander 
übernahm sie dann der Pergamener Hegesmus, von 
diesem Karneades. Ein hübsches Wort wird dem La- 
kydes zugeschrieben. Als nämlich Attalos ihn zu sich 
beschied, soll er gesagt haben, die Bilder müsse man 
aus der Entfernung betrachten. Erst spat beschäftigte 

61 er sich mit Geometrie; da sagte einer zu ihm: „Erst 
jetzt findest du dazu Zeit?" Darauf er: Sollte ich 
mich etwa noch länger besinnen, es zu tun? 

Der Beginn seines Scholarchats fällt in das vierte 
Jahr der 134. Olympiade (244/241 v. Chr.) und es 
endigte nach sechsundzwanzig Jahren. Er starb an 
Lähmung infolge zu starken Weingenusses. Wir haben 
folgendes Liedchen auf ihn gedichtet: 

Also auch dich, Lakydes, zog an den Füßen der Weingott, 
Wie uns die Kunde bezeugt, grausam zum Hades hinab. 

Ja, es ist wahr: Dionysos, in Fülle den Körper durchdringend. 
Löset die Glieder und wird darum Lyaios (Loser) genannt. 



Neuntes Kapitel. 

Karneades. Um 160 v. Chr. 

Karneades war der Sohn des Epikomos oder, wie 
Alexander in den Diadochae (Nachfolgen) sagt, des 
Philokomos. Er stammte aus Kyrene. Er war em 
eifriger Leser der stoischen Schriften, vor allem der 
Bücher des Chrysipp, die er in höflichem Tone be- 
kämpfte, mit solchem inneren Wohlbehagen, daß er 
den Spruch darauf machte: 
Qäb's den Chrysippos nicht, wär's auch um mich geschehn. 



204 



Karneades. Kleitomachos. 



Er besaß einen Arbeitstrieb, wie kaum sonst jemand. 
In der Physik war er weniger bewandert, umsomehr 
in der Ethik. So ließ er sich denn, unablässig mit 
seinen Vorträgen beschäftigt, Haare und Nägel lang 
wachsen. In der Philosophie war sein Auftreten von 
stärkster Wirkung: sogar die Rhetoren verließen ihre 
Schulen und kamen zu ihm, ihn zu hören. Er hatte 
eine ungemein kräftige Stimme, so daß der Gymnasi- 63 
arch zu ihm schickte, er solle nicht so laut schreien, 
worauf er erwiderte: „So gib mir ein Maß für die 
Stimme." Darauf habe jener sehr treffend geantwortet: 
„Dein Maß hast du an den Zuhörern." 40 ) Er war hef- 
tig und ungestüm im Tadel und bei Streitfragen schwer 
zu bekämpfen. Tafelfreuden mied er aus den vorher 
berührten Gründen. 

Favorin gibt in den Vermischten Geschichten ein 
Geschichtchen von seinem Auftreten gegen einen 
Schüler und Hörer, den Bithynier Mentor, zum besten. 
Dieser nämlich machte sich an die Beischläferin des 
Karneades heran; da redete er ihn mitten im Vortrag 
parodierend an (Od, 4, 349 ; 2, 401): 

Siehe, ein Meergreis hält sich hier auf von untrüglicher Wahrheit 64 
Gleichend dem Mentor sowohl an Gestalt wie auch in der Stimme. 
Er soll von dieser Schule ausgeschlossen sein. 

Sofort erhob sich jener mit den Worten (Jl. 2, 52): 
Laut verkündeten sie's und flugs war die Menge versammelt. 

Dem Tode scheint er mit nicht geringer Zaghaftig- 
keit entgegengesehen zu haben, denn man hörte ihn 
häufig die Worte sagen: „Die Natur wird, was sie zu- 
sammengesetzt hat, auch wieder auflösen." Als er 
hörte, daß Antipater durch Gift sich das Leben ge- 
nommen habe, fühlte auch er sich angeregt zu mutiger 
Stimmung gegenüber dem Tode und sagte: „So gebt 
denn auch mir." — „Nun, was denn?" erwiderte man, 
worauf er antwortete: „Honigwein." Bei seinem Tode 
soll eine Mondfinsternis eingetreten sein zur Andeu- 



IV 62-67. 



205 



tung, wie man wohl sagen könnte, des Mitgefühls des 

65 nächst der Sonne schönsten Gestirnes. Apollodor be- 
richtet in den Chronika, er sei im vierten Jahr der 
1G2. Olympiade (132/129 v. Chr.) gestorben in einem 
Alter von 85 Jahren. 

Es gibt noch Briefe von ihm an Ariarathes, den 
König von Kappadokien. Was sonst von ihm umgeht, 
haben seine Schüler zusammengestellt; er selbst hat 
nichts hinterlassen. Auch auf ihn gibt es ein Gedicht 
von mir in logaödischem und archebulischem Versmaß: 

Was soll ich, Muse, tadeln am Karneades? Auf! sag es mir! 
Der kennt ihn nicht, der nicht Bescheid weiß über seine Furcht 
Dem Tode gegenüber; als an ihm die böse Krankheit zehrte, 
Da widersetzt' er sich der Auflösung, bis er vernahm, 
Daß Antipatros selber sich durch Qift das Leben nahm. 

66 „So gebt auch mir zu trinken," rief er. „Was denn? Was?" 
„Gebt Honigwein." Nicht müde ward er vorzubringen diesen 

Spruch : 

„Es wird Natur, die mich zusammenfügte, mich auch dösen." 
Er mußte gleichwohl abziehn in das Totenreich. Und doch! 
Um wieviel leichter hätf er wandern können in des Hades Reich. 

Es wird erzählt, er hätte an Verschleierung des 
Augenlichtes gelitten, ohne es zu wissen, 40 ) und habe 
dem Sklaven befohlen, Licht anzuzünden. Als dieser 
es gebracht und mit den Worten hingesetzt habe: „Hier 
ist es," habe er gesagt: „Gut, so lies du." 

Unter den vielen Schülern, die er gehabt, war der 
namhafteste Kleitomachos, über den gleich zu reden 
sein wird. Es hat auch noch einen anderen Karneades 
gegeben, einen frostigen Elegiendichter. 



Zehntes Kapitel. 

Kleitomachos. Um 130 v. Chr. 

67 Kleitomachos stammte aus Karthago. Sein eigent- 
licher Name war Asdrubas. In seiner Heimat philo- 
sophierte er in seiner Muttersprache. Im Alter von 



206 Kleitomachos. Aristoteles. 

vierzig Jahren kam er nach Athen und hörte den Kar- 
neades. Dieser fand Gefallen an seiner Arbeitsamkeit, 
machte ihn mit griechischer Schrift und Literatur be- 
kannt und bildete ihn aus. Er war so fleißig und be- 
triebsam, daß er über 400 Bücher verfaßte. Er wurde 
der Nachfolger des Karneades und erläuterte in seinen 
Schriften vor allem die Lehren dieses Mannes. Er hat 
drei Schulen besucht: die akademische, die peripate- 
tische und die stoische. Die Akademiker insgesamt 
hechelt Timon in folgendem Verse durch [Fr. 35 D.]: 

Auch nicht die Akademie mit dem ungesalzenen Wortschwall. 

Nachdem wir so des Piaton Nachfolger durchge- 
sprochen, wenden wir uns nun zu den auch von Piaton 
ausgegangenen Peripatetikern, an deren Spitze Aristo- 
teles steht. 



Fünftes Buch. 

i 

Erstes Kapitel. 
Aristoteles. 384—322 v. Chr. 

1 Aristoteles, des Nikomachos und der Phaistias 
Sohn, stammte aus Stageira. Nikomachos war ein 
Sohn des Nikomachos, dieser ein Sohn des Machaon 
und dieser ein Sohn des Asklepios, wie Hermippos in 
seiner Schrift über Aristoteles berichtet. Des Aristo- 
teles Vater Nikomachos lebte am Hofe des Makedoner- 
königs Amyntas als dessen Arzt und Freund. 

Aristoteles war derjenige unter den Schülern Pia- 
tons, der ihm an Geisteskraft am nächsten stand. Er 
stieß beim Sprechen mit der Zunge etwas an, wie der 
Athener Timotheos in seinen Lebensbeschreibungen er- 
zählt, auch war er schwach auf den Beinen, wie man 
sagt, und kleinäugig, kleidete ©ich aber stattlich und 
ließ es an Fingerringen und Haarpflege nicht fehlen. 
Er hatte auch einen Sohn Nikomachos von seiner Kon- 
kubine Herpyllis, wie Timotheos sagt. 

2 Er trennte sich von Piaton noch bei dessen Leb- 
zeiten, so daß dieser gesagt haben soll: „Aristoteles hat 
gegen mich ausgeschlagen, wie es junge Füllen gegen 
die eigene Mutter tun." Hermippos erzählt in den 
Lebensbeschreibungen, während einer Gesandtschafts- 
reise des Aristoteles zum König Philippos zur Wah- 
rung der Interessen Athens sei Xenokrates zum Haupte 
der Akademie erhoben worden; als nun Aristoteles bei 



208 Aristoteles. 

seiner Rückkehr die Schule unter der Leitung eines 
anderen gesehen hätte, habe er sich einen Garten des 
Lykeions zur Stätte seiner Lehrtätigkeit erwählt, wo er 
täglich bis zur Zeit des Salbens auf und abwandelnd 
sich mit seinen Schülern in philosophischen Unter- 
haltungen ergangen habe. Daher der Name Peripate- 
tiker (Herumwandler). Andere führen den Namen 
darauf zurück, daß er mit dem von einer Krankheit 
wiedergenesenen Alexander Spaziergänge unter lehr- 
reichen Gesprächen gemacht habe. Als die Zahl der 3 
Schüler weiterhin wuchs, begann er seine Vorträge 
auch im Sitzen zu halten, was er mit den Worten ein- 
leitete: 

Xenokrates soll reden und ich schweigen? Nein! 

Er übte seine Schüler in Behandlung aufgestellter 
Thesen, unterließ es aber nicht, sie zugleich nach der 
rhetorischen Seite hin zu schulen. Späterhin begab er 
sich zu dem Eunuchen (Verschnittenen) Hermeias, dem 
Herrscher von Atarneus; einige behaupten, dieser 
sei sein Geliebter gewesen, andere, Hermeias habe sich 
mit ihm verschwägert und ihm seine Tochter oder 
Nichte zur Frau gegeben, wie der Bericht des Magne- 
siers Demetrios in seinem Homonymenbuch (Buch 
über gleichnamige Dichter und Schriftsteller) lautet. 
Er behauptet auch, Hermeias, von Abkunft Bithynier, 
sei ehedem Sklave des Eubulos gewesen und habe seinen 
Herrn umgebracht. Aristipp aber im ersten Buch über 
die Schwelgerei der Alten berichtet, Aristoteles habe sich 
in die Konkubine des Hermeias verliebt, Hermeias habe 
sie ihm abgetreten, er habe sie geheiratet und im 4 
Überschwange der Freude ihr ein Opfer dargebracht 
nach dem Muster desjenigen, das die Athener der Eleu- 
sinischen Demeter darbringen. Und dem Hermeias 
widmete er einen Lobgesang, der weiter unten mitge- 
teilt ist. Von da soll er sich nach Makedonien zu 
Philipp begeben und den Unterricht seines Sohnes 
Alexander übernommen haben. Auch soll er ihn ge- 



V 2-6. 



209 



beten haben, seine Vaterstadt Stageira wiederherzu- 
stellen, die von Philipp zerstört worden war; die Bitte 
sei ihm gewährt worden, und er sei auch ihr Gesetz- 
geber geworden. Trat er doch auch in seiner Schule 
als Gesetzgeber auf nach dem Vorgang des Xeno- 
krates, indem er alle zehn Tage einen neuen Vorsteher 
erwählen ließ. 

Nachdem er seine Aufgabe an Alexander erfüllt zu 
haben glaubte, siedelte er nach Athen über, nicht ohne 
ihm seinen Verwandten, den Olynthier Kallisthenes, 
empfohlen zu haben. Da dieser dem König in seinen 
Reden zu freimütig entgegentrat und sich den War- 

5 nungen des Aristoteles nicht fügte, soll er (Aristoteles) 
ihn mit den Worten zurechtgewiesen haben ( Jl. 18, 95) : 

Bald,. mein Sohn, verblühet das Leben dir, so wie du redest! 

Und das traf denn auch zu. Er geriet nämlich in den 
Verdacht, an dem Anschlag des Hermolaos gegen 
Alexander beteiligt gewesen zu sein und wurde, ver- 
laust und jeder Püege bar, in einem eisernen Käfig 
herumgeführt und schließlich einem Löwen vorge- 
worfen. So kam er ums Leben. 

Nach Athen übergesiedelt, blieb Aristoteles dreizehn 
Jahre Leiter seiner Schule, bis er nach Ghalkis ent- 
wich infolge einer Anklage, die der Oberpriester 
Eurymedon oder, wie Favorin in seinen Vermischten 
Geschichten schreibt, Demophilos gegen ihn wegen an- 
geblicher Gottlosigkeit angestrengt hatte, auf Grund 
eines Lobgesanges auf den vorbin genannten Hermeias 

6 sowie auch eines Epigramms, das er auf dessen Statue 
in Delphi hatte setzen lassen und das folgendermaßen 
lautete: 

Diesen brachte ums Leben der bogenkundigen Perser 
Mächtiger Herrscher dereinst wider der Qötter Gebot. 

Nicht mit der Lanze ward er erlegt im offenen Kampfe, 
Nein, er ward durch die List eines Vertrauten gefällt. 

Hier starb er an einem Schierlingstrank, wie Eume- 
los in dem fünften Buch seiner Geschichten erzählt, in 

A p e 1 1 . Diogenes Laertins. 14 



210 



Aristoteles. 



einem Alter von 70 Jahren. Eben dieser behauptet 
auch, er habe sich als Dreißigjähriger an Piaton an- 
geschlossen. Beides beruht auf Irrtum. Er ist viel- 
mehr nur G3 Jahre alt geworden, und sein Anschluß 
an Piaton erfolgte in seinem 17. Jahre. 

Der Lobgesang (Hymnus) aber lautet folgender- 
maßen: 

Tugend, schwer erringbar für die Menschen, 7 

Schönstes Ziel uns für das Leben, 

Hehre Jungfrau, deine Schönheit läßt die Menschen 

Unverzagt die größte Mühe tragen, 

Macht in Hellas selbst den Tod zur Freude. 

Solche Himmelsfrucht erwächst durch dich dem Herzen. 

Weder Qold noch Eltern noch des süßen Schlafes Ruhe 

Kommen dir an Wert gleich und an Würde. 

Dir zu Liebe scheute Herakles, der Zeusentsproß'ne, 

Scheuten Leda's Söhne keine Mühsal 

Deiner habhaft sich zu machen. 

Dich ersehnend weihte sich Achilles, 

Weihte Aias sich dem Tode. 

Ja, dein Bild, das holde, 8 

Ließ auch den Hermeias auf der Sonne Strahl verzichten. 

Seine Taten leben fort im Liede 

Und die Musen, Mnemosynes Töchter, 

Mehren seines Namens Ruhm in Zukunft, 

Zeus zu Ehren preisend seine Gastlichkeit und seine Freundschait. 

Auch von mir gibt es Verse auf Aristoteles: 

Den Aristoteles wollte belangen Eurymedon einstens, 

Priester -der Ceres, da er frevele wider den Gott. 
Doch er entzog sich durch Gift dem Gericht und errang ohne 
Mühe 

Uber die Feinde den Sieg, machte zu Schanden ihr Werk. 

Wie Favorin in seinen Vermischten Geschichten be- 9 
richtet, ist er der erste gewesen, der — eben in dieser 
Anklagesache — eine gerichtliche Rede zu eigener Ver- 
teidigung schriftlich abgefaßt hat, wobei er die Worte 
des Homer auf Athen anwandte: 

Birnen reifen auf Birnen und Feigen reifen auf Feigen. 1 ) 

Nach Apollodor in den Chronika ist er im ersten 
Jahre der 99. Olympiade (384 v. Chr.) geboren, hat 



V 6-11. 



211 



sich als Siebzehnjähriger an Piaton angeschlossen und 
ist zwanzig Jahre dessen Schüler gewesen. Nach Mity- 
lene ist er im vierten Jahre der 108. Olympiade (345 
v. Chr.) unter dem Archontat des Eubulos gekommpn. 
Nach Piatons Tode im ersten Jahre dieser Olympiade, 
unter dem Archontat des Theophilos, ist er zum Her- 
uieias gereist, bei dem er drei Jahre geweilt hat. Unter 
dem Archontat des Pythodotos begab er sich zum Phi- 
lo lipp, im zweiten Jahre der 109. Olympiade (343 v. Chr.), 
als Alexander fünfzehn Jahre alt geworden war. Dar- 
auf kehrte er im zweiten Jahre der 111. Olympiade 
(335 v. Chr.) nach Athen zurück und lag im Lykeion 
dreizehn Jahre seiner Lehrtätigkeit ob; dann begab er 
sich im dritten Jahre der 114. Olympiade (322 v. Chr.) 
nach Chalkis und starb da im Alter von 63 Jahren an 
einer Krankheit, in demselben Jahre, in dem auch 
Demosthenes in Kalauria starb unter dem Archontat 
des Philokles. 

Bekanntlich hat er durch seine Empfehlung des 
Kallisthenes bei König Alexander sehr angestoßen. 
Um ihn (den Aristoteles) zu kränken, soll Alexander 
den Anaximenes 2 ) stark begünstigt und dem Xeno- 
krates Geschenke geschickt haben. Auch der Chier 
Theokrit ließ seinen Spott an ihm aus in einem Epi- 
11 gramm, das nach Ambryon 3 ) in seiner Schrift über 
Theokrit folgenden Wortlaut hatte: 

Leeren Kopfes weiht Aristoteles einem Eunuchen, 
Einem Sklaven Eubuls, leer dem Hermeias ein Grab. 

Er, der, ergeben dem Dienste des Bauchs, es vorzog zu wohnen 
An des Borboros Strand statt in der Akademie. 

Aber auch Timon setzte ihm hart zu mit den Worten 
1 Fr. 36 D.] : 

Auch Aristoteles nicht mit seinem leeren Geschwätze. 

Dies das Leben des Philosophen. Wir aber, haben 
auch Einblick tun können in das Testament des 
Mannes, das etwa folgenden Wortlaut hat: 4 ) 

14* 



212 



Aristoteles. 



„Hoffentlich geht alles gut; für den Fall aber, daß 
sich etwas ereignen sollte, hat Aristoteles folgende letzt- 
willige Verfügungen getroffen: Die Aufsicht über alles 
und in allen Stücken soll in der Hand des Antipater 
liegen. 43 ) Bis zu dem Zeitpunkt, wo Nikanor*) eintreten 12 
kann, sollen Vormünder sein Aristomenes, Timarchos, 
Hipparchos, Dioteles, Theophrastos, wenn er dazu be- 
reit und es ihm möglich ist, sowohl über die Kinder wie 
Uber die Herpyllis und den gesamten Nachlaß. Und ist 
das Mädchen herangereift, so soll sie dem Nikanor zur 
Gattin gegeben werden; stößt ihr aber etwas zu — was 
Gott verhüte und was nicht stattfinden wird — vor 
oder nach der Hochzeit, ohne daß noch Kinder vor- 
handen sind, so soll Nikanor Vollmacht haben, für den 
Sohn und das Übrige die nötigen Anordnungen zu 
treffen, so wie es seiner und unser würdig ist. Auch 
soll Nikanor Sorge tragen für das Mädchen und für 
den Knaben Nikonuichos in einer für beide") gebüh- 
renden Weise wie an Vaters und Bruders statt. Sollte 
aber dem Nikanor vorzeitig etwas ztistoßen, was Gott 
verhüte, sei es vor der Hochzeit mit dem Mädchen, sei 13 
es nachher, ohne daß Kinder vorhanden sind, so soll 
den Anordnungen, die er etwa getroffen hat, Folge ge- 
leistet werden. Wünscht aber Theophrast des Mäd- 
chens Gatte zu werden, so soll es gehalten werden wie 
bei der Ehe mit Nikanor; wo nicht, so sollen die Vor- 
münder im Verein mit Antipater sowohl über das 
Mädchen wie über den Knaben in gemeinsamer Be- 
ratung ihre Anordnungen nach bestem Ermessen 
treffen. [Es sollen aber die Vormünder und Nikanor 
bei ihren Maßregeln stets meiner und der Herpyllis 
als meiner treuen und fürsorglichen Genossin ein- 
gedenk sein sowie ihrer sonstigen Pflichten; und 
wünscht sie sich wieder zu verheiraten, so soll sie 
keinem Manne überlassen werden, der meiner nicht 
würdig wäre. Es sollen ihr aber außer dem, was sie 
früher empfangen, ein Talent Silber aus dem Nachlaß 
und wenn sie es wünscht, drei Dienerinnen überlassen 



V 11—16. 



213 



werden, sowie die Magd, die sie hat, und der Bursche 
H Pyrrhaios; und will sie in Chälkis wohnen bleiben, so 
soll ihr das am Garten liegende Gasthaus überlassen 
werden, oder, wenn in Stageira, dann das väterliche 
Haus. Mag sie nun das eine oder das andere wollen, so 
sollen ihr die Vormünder das Haus mit den erforder- 
lichen Gerätschaften ausstatten, geschmackvoll und 
den Wünschen der Herpyllis entsprechend. Nikanor 
soll auch Sorge tragen, daß der junge Myrmex in einer 
unser würdigen Weise wieder den Seinigen zugeführt 
werde mit allem, was wir ihm Zugehöriges in Empfang 
genommen haben. Ambrakis soll frei sein und, wenn 
meine Tochter heiratet, 500 Drachmen erhalten nebst 
der Magd, die sie hat. Auch Thaies soll außer der ge- 
kauften Magd, die er hat, 1000 Drachmen erhalten und 
eine Magd, Auch dem Simon soll man, abgesehen von 

15 dem früher zum Kauf eines Burschen ihm überwiesenen 
Geld, entweder einen Burschen kaufen oder Geld zum 
Kaufe geben. Tycho soll frei sein, sobald meine Tochter 
heiratet, ebenso Philon und Olympios und dessen Knab- 
lein. Von den jungen Burschen, die den Dienst bei mir 
versehen haben, sott keiner verkauft werden, vielmehr 
sotten sie im Hausdienst verwendet werden; sind sie 
aber herangewachsen, so sollen sie nach Verdienst die 
Freiheit erhalten. Es soll auch Sorge getragen werden 
für Fertigstellung der Bildnisse, die dem Gryllion in 
Auftrag gegeben sind; nach ihrer Vollendung sollen sie 
gehörigen Ortes aufgestellt werden, das BM des Nika- 
nor und das des Proxenos, das ich in Auftrag zu geben 
mir vorgenommen, sowie das der Mutter des Nikanor. 
Und was das bereits vollendete Büdnis des Arimnestos 
anlangt, so soll es eine Aufstellung finden, die es zu- 
gleich als Denkmal erscheinen läßt, da er kinderlos ge- 

16 storben ist. Auch soll ein Bildnis meiner Mutter der 
Demeter in Nemea geweiht werden oder wo es sonst gut 
scheint. Wo man mein Grab herrichtet, da sollen auch 
die ausgehobenen Gebeine der Pythias beigesetzt wer- 
den, wie sie es selbst angeordnet hat. Auch soll Nika- 



214 



Aristoteles. 



not für seine zu hoffende Rettung das Gelübde erfüllen, 
das ich für ihn getan habe: steinerne Bildsäulen') vier 
Ellen groß dem rettenden Zeus und der rettenden 
Athene in Stageira." 

So steht es um sein Testament, Wie es heißt, fanden 
sich bei ihm auch Tiegel in großer Zahl vor, und wie 
Lykon behauptet, pflegte er sich in einer Wanne heißen 
Oles zu baden und das Öl dann zu verkaufen. 8 ) Einige 
wollen auch wissen, er habe die Gewohnheit gehabt, 
sich einen Schlauch mit heißem Öl auf den Magen zu 
legen, und wenn er sich zur Ruhe legte, habe er eine 
eherne Kugel in die Hand genommen, unter der eine 
Schüssel aufgestellt war, um beim Falle der Kugel in 
das Gefäß durch den Schall geweckt zu werden. 

Es werden auch folgende besonders treffende Aus- 17 
sprüche auf ihn zurückgeführt. Auf die Frage, was die 
Lügner für einen Gewinn von ihren Lügen haben, ant- 
wortete er: „Daß man ihnen nicht glaubt, auch wenn 
.sie die Wahrheit sagen." Als man ihm vorwarf, daß er 
einem Taugenichts ein Almosen gegeben, sagte er: 
„Mein Mitleid galt nicht seinem Verhalten, sondern 
dem Menschen." 9 ) Oft pflegte er zu seinen Freunden 
lind Schülern, wo auch immer im Tageslicht 10 ) er ver- 
weilte, zu sagen: „Das Gesicht empfängt sein Licht von 
der umgebenden Luft, die Seele aber das ihre von dem 
Unterricht." Oft auch sagte er mit starker Betonung: 
„Die Athener hätten den Getreidebau und die Gesetze 
erfunden ; allein das Getreide zwar wußten sie zu ver- 
werten, nicht aber die Gesetze." „Die Wurzeln der Bil- 
dung," sagte er, „sind bitter, ihre Früchte aber sind 
süß." Auf die Frage, was schnell veralte, sagte er: „Der 18 
Dank." Gefragt, was die Hoffnung sei, sagte er: „Der 
Traum eines Wachenden." Als ihm Diogenes eine ge- 
trocknete Feige reichte, sagte er sich, daß, wenn er sie 
nicht annähme, jener ein beißendes Wort gegen ihn in 
Bereitschaft hätte; er nahm sie also an mit den 
Av orten, Diogenes sei nicht nur um seine Feige, son- 
dern auch um sein Witzwort gekommen. Und als er 



V 16—20. 



215 



ihm wieder eine reichte, nahm er sie, hob sie nach 
Knabenart hoch in die Luft und gab sie mit den Worten 
0 großer Hrmmelssohn" (Ms-ra? Aio^c) zurück. 
Dreierlei, pflegte er zu sagen, ist nötig für die Erziehung 
und Geistesbildung: Naturanlage, Belehrung, Übung. 
Als er von einem Verleumder hörte, der ihn verun- 
glimpfte, sagte er: „Wenn ich abwesend bin, mag er 
mir auch Geißelhiebe verabreichen." Die ^honhert^ 

19 pflegte er zu sagen, sei eine bessere Empfehlung als, 
jeder Brief. Andere schreiben das Wort in dieser | 
Fassung dem Diogenes zu, während er selbst die Wohl- 
gestalt für ein Geschenk Gottes 11 ) erklärt habe. So- 
krates erklärte sie angeblich für eine Gewaltherrschaf 
(Tyrannis) von kurzer Dauer, Piaton für ein Vorrecht 
der Natur, Theophrast für einen schweigenden Betrug, 
Theokrit für einen elfenbeinernen Scha'den, Karneades 
für ein Königtum ohne Leibwächter. 

Auf die Frage nach dem Unterschied zwischen Ge- 
bildeten und Ungebildeten antwortete er: »Er ist so 
groß wie der zwischen Lebenden und Toten." ) Die 
Bildung, sagte er, sei in glücklichen Zeiten eine Zierde, 
im Unglück eine Zuflucht. Diejenigen Eltern, die 
ihren Kindern eine gute Bildung gegeben hätten, seien 
weit achtungswerter als die, welche sie bloß zeugten; 
denn die letzteren schenkten ihnen nur das Leben, die 
ersteren aber auch den Vorzug, tadellos zu leben. Zu 
einem, der sich seiner Abkunft aus einer großen Stadt 
rühmte, sagte er: „Nicht darauf kommt es an, sondern 
darauf, daß man eines großen Vaterlandes auch wür- 

20 dig sei." Die Frage, was ist ein Freund? beantwortete 
er mit der Erklärung: „Eine Seele, die in zwei 
Leibern wohnt." Die Menschen, sagte er, seien teils 
so karg, als ob sie ewig leben, teils so verschwenderisch, 
als ob sie im nächsten Augenblick sterben würden. 
Als einer ihm die Frage vorlegte: „Wie kommt es, daß 
wir mit schönen Leuten uns gern recht lange unter- 
halten?" entgegnete er: „So kann nur ein Blinder 
fragen." Als ihm einer mit der Frage kam, welcher 



216 



Aristoteles. 



Gewinn ihm aus der Philosophie erwachsen wäre, 
sagte er: „Daß ich ohne Befehl tue, was andere nur 
aus Furcht vor den Gesetzen tun."") Auf die Frage, 
wie die Schüler sich am besten in ihrem Fortschreiten 
förderten, antwortete er: „Wenn sie denen, die einen 
Vorsprung hätten, nacheilten, ohne auf die Rück- 
ständigen zu warten." Einen Schwätzer, der ihn mit 
seinem Gewäsch überschüttet hatte und fragte: „Ich 
bin dir doch nicht zur Last gefallen?" fertigte er mit 
den Worten ab: „Nicht im mindesten, denn ich habe 
gar nicht auf dich geachtet." Auf den Vorwurf, den 
man ihm machte, daß er einem Unwürdigen eine Unter- 
stützung habe zuteil werden lassen — denn auch in 21 
dieser Form tritt die Sache auf") — antwortete er: 
..Nicht dem Menschen galt meine Gabe, sondern der 
Menschlichkeit." Auf die Frage, wie wir uns gegen 
unsere Freunde zu verhalten haben, erwiderte er: „Ge- 
rade so, wie wir wünschen, daß sie sich gegen uns 
verhalten." Die Gerechtigkeit erklärte er für diejenige 
Seelentugend, die einem jeden zuweist, was ihm ge- 
bührt. Als schönste Mitgabe für das Alter erklärte er 
die Bildung. Favorin berichtet im zweiten Buch seiner 
Denkwürdigkeiten, er habe immer wieder gesagt: 
..Viele Freunde, kein Freund," ein Aussprach, der sich 
auch im siebenten Buche der Ethik findet. 15 ) Das sind 
die Denksprüche, die ihm beigelegt werden. 

Die Zahl seiner Schriften ist außerordentlich groß. 
Im Hinblick auf die hervorragenden Verdienste des 
Mannes um alle Gattungen der Literatur halte ich es 
für angemessen, ein Verzeichnis seiner Schriften folgen 
zu lassen:") 

1. Über die Gerechtigkeit 4 B. (xtaL SixaioaiW) 22 
Dialog. [Zeller 58 f.] 

2. Über die Dichter. 3 B. (Ttepi Trowrröv) Dialog. 
[Z. 58, 61.] 

3. Über Philosophie. 3 B. (zepi <piXo<joq>tac) Dialog. 
[Z. 60.] 



V 20—22. 



217 



4 Ober den Staatsmann. 2 B. (Trepl rcoXmxov) Dialog 
[Z. 62.] 

5. Von der Redekunst oder Gryllos. 1 B. frepi faroponiC 
71 TpOXoc) " Dialog. [Z. 62. 106.] 

6. Nerinthos. 1 B. (N-fav*o«) Dialog.) [Z. 62.] 

7. Der Sophist. 1 B. (2o<piöxr^) Dialog. [Z. 62.] 

8. Menexenos. 1 B. (Mcvtfgcvoe) Dialog. [Z. 62.1 

9. Von der Liebe. 1 B. (ipö-cixoc) [Z. 62. 103.] 

10. Gastmahl. 1 B. (3uu.7ccffi.0v i] luepl u.e^ir)?) Dialog. 
[Z. 62 ] 

11. Vom Reichtum. 1 B. (icept ttXoutov) [Z. 62.] 

12. Der Ermahner. 1 B. OrpOTpsTCTOtb?) [Z. 63.] 

13. Von der Seele. 1 B. (rcepi <]>»xrfi) Dialog. Auch 
Eu5t]u.o£ genannt. [Z. 58 ff.] 

14. Vom Gebet. 1 B. (icepl ttyfd Dialog. [Z. 62.] 

15. Von edler Geburt. 1 B. (icept ev^evetac) Dialog. 
[Z. 62.] 

16. Von der Lust. 1, B. Oiepl ^oov^?) S. No. 66. 

17. Alexander oder Über Kolonien. 1 B. ('AXs£avopo; 
ri &xtp dbcoi'xov) [Z 63.] 

18. Vom Königtum. 1 B. (icspi ßaaiXetaf) [Z. 63.] 

19. Von der Erziehung. 1 B. (reept Trai&sia;) Dialog. 
[Z. 63.] 

20. Vom Guten. 3 B. (ropi la-fafrov) Dialog. [Z. 63.] 

21. Auszüge. aus den Gesetzen Piatons. 3 B. (xa ix 
töv vojjlöv nXaTuvof) [Z. 65 f.] 

22. Auszüge aus dem Staat. 2 B. (xa ix. iroXtreta?) 
[Z. 65 f.] 

23. Von der Hauswirtschaft. 1 B. (rcept oixovou.£ac) 
[Z. 105.] 

24. Von der Freundschaft. 1 B. (repi qpiXia?) [Z.104.J 

25. Vom Leiden oder Zuständlichen. 1 B. (zept xo3 
ira5X& lv ■*) rceftov^evai) [Z. 88.] 

26. Von den Wissenschaften. 1 B. (icspt &uujriju,ov) 
[Z. 73.] 

27. Von den Fangschlüssen. 2 B. Ocepl £pi<mxwv) [Z. 73.] 

28. Lösungen von Fangschlüssen. 4 B. (XiScci? ipianxaQ 
[Z. 75.] 



218 



Aristoteles. 



29. Sophistische Einteilungen. 4 B. (Siaipeseic aotpwTixaQ 
[Z. 75.] 

30. Von den Gegensätzen. 1 B. (zspi svavriov) [Z. 74.] 

31. Von Arten und Gattungen. 1 B. (xspt siSov xat 
Ysvmv) [Z. 74.] 

32. Von den eigentümlichen Merkmalen. 1 B. (itept 
E8fcw) [Z. 74.] 

33. ' Abhandlungen über Schlußfolgen. 3 B. ((>7co|j.vi}|i*~2 

E7rix6i?^iJ-(x^'-x(x) [Z. 75.] ' 

34. Heischesätze für die Tugend. 2 B. (Tcporaffei? xtpl 
äpsT? 1? ) [Z. 103.] 

35. Einwürfe. 1 B. (svaxacei?) [Z. 75.] 

36. Über die verschiedenen Bedeutungen philosophischer 
Begriffe. 1 B. (itepi töv Kcaityfii Xsyou.svt)v t, xaira 
Tcpocfteaiv) [Z. 81.] 

37. Von den Leidenschaften oder vom Zorn. 1 B. {-zip. 
xa^uv tj Tcspi bpyr t c) [Z. 103.] 

38. Ethik. 5 B. ftW) [Z. 101.] 

39. Von den Elementen. 3 B. (jcepl aTot^e'-wv) [Z. 88.] 

40. Vom Wissen. 1 B. («spi s7UK7rr 1 |j.if)C. vgl No. 26.) 
[Z. 73.] 

41. Vom Prinzip. 1 B. (Tcepi apyr,;) [Z. 88 ] 

42. Einteilungen. 17 B. (SiaipeW?) [Z. 66. 79.] 

43. Von den Einteilungen. 1 B. (Sunperuc»*, vgl. No. 62.) 
[Z. 79.] 

44. Von Frage und Antwort. 2 B. (?:spi epoTr'aeu? 
xal aTOxp-'aeuj) [Z. 73.] 

45. Von der Bewegung. 1 B. Ocept xivt-tso?) [Z. 86. 88.] 

46. Heischesätze. 1 B. (tz?oz<z<juc, vgl. No. 67.) [Z. 75.] 

47. Eristische Heischesätze. 1 B. (7upc?aae'.c igarmui) 
[Z 75 ] 

48. Schlußfolgerungen. 1 B. (ayXXoyiaaot) [Z. 75.] 

49. Erste Analytik. 9 B. f^perepa avaX-jTixa) [Z. 70f.] 

50. Zweite große Analvtik. (aMüumxa jorepa p.sfaA!z) 
[Z. 70 f.] 

51. Über Probleme. 1 B. (zspi TcpoßATjjta-rov) [Z. 70t] 

52. Methodische Fragen. 8 B. (;ie*o&wa) (Z. 72. 74.] 



V 22—24. 



219 



53. Vom Bessern. 1 B. (wpi ttoü ßeATCovo;) [Z. 103.) 

54. Über die Ideen. 1 B. (mpl t^q ihiad . [Z- 65_] 

55. Definitionen zur Grundlegung für die Logik 7 B. 
(opct wpo TWV TOJC'.XÖV) [Z 74.] 

24 56. Lehre von den Schlüssen. 2 B. (crjXÄo-riajAÖv, vgl. 
No. 48.) [Z. 74.1 

57. Lehre vom Schluß und von der Definition. 1 B. 
foottwjtfftucbv xat opoi) [Z- 74.] 

58. Vom Erstrebenswerten und Zufälligen. 1 B. (rep-. 
toO aCpeToü xal tou emfrfaptfobd l z - 103.] 

59. Die Grundlagen der Topik 1 B. (t* 7:pc; tcjv -orov) 
[Z. 74.] , , 

60. Topik für die Definitionen. 2 B. [wkoüt npcs tou? 

opow;) [Z. 74.] 

61. Leidenschaften. 1 B. {mfcfy vgL No. 37) [Z ; 103.] 

62. Von den Einteilungen. 1 B. (5-.atpeTi.xdv, vgl. No. 43) 
[Z 79.] 

63. Vom Lernen (oder r von der Mathematik'' '<). 1 B. 
{w&mäecatM [Z. 90.] 

64. Definitionen. 13 B. (6p«j|io0 [Z. 78.] 

65. Schlußverfahren. 2 B. (£jtixeipr)ii<r:a) [Z. 75.] 

66. Von den Lüsten. 1 B. (xepi t ( oovov. vgl. No. 16) 
[Z. 63, 103.] 

67. Heischesätze. 1 B. (Trpo-raW;, vgl. No. 46.) [Z. 75.] 
68 Von der Freiwilligkeit. 1 B. (W- s'xoWj) [Z. 103.] 

69. Vom Schönen. 1 B. (z:spl y.a/.oü) [Z. 108.] 

70. Sätze für Schlußfolgen. 15 B. (*e<ieic 
wmQ [Z.75.] 

71. Thesen über die Liebe. 4 B. frauf «puTixa-.) 
[Z. 103.] 

72. Thesen über die Freundßchaft. 2 B. (^eiet? fÜBtat) 
[Z. 104.] 

73. Thesen über die Seele. 1 B. (Sfoei; *lfi iptfc) 
[Z. 94 ] 

74. Thesen über den Staat 2 B. CrreVei? *fkxoc*L) 
[Z. 106.] 

75. Vorträge über Politik, wie bei Theophrast.^ 8 B. 

( nbtwr ixpoaaü; ü; ig . eto^paVro-j ) |Ä 1 05. J 



220 



Aristoteles. 



76. Vom Gerechten. 2 B. (nspi oixafov.) [Z. 103.] 

77. Übersicht über die Redekunst. 2 B. (tsxvmv awoLfayn) 
[Z. 77.] 

78. Redekunst. 2 B. (t^vt) pijTopu«]) [Z. 77.] 

79. Rhetorik. 1 B. (xspY)) [Z. 76.] 

80. Zweite Übersicht über die Redekunst. 2 B. (aXX-»| 
ts^vöv atovaywy»)'.) [Z. 76 f.] 

81. Methodisches. 1 B. (p.s^o&ixdv.) [Z. 72.] 

82. Rhetorik des Theodektes. IB. (-cs'xvvi^T^cöeoSsxTou 
auva^oyT)') [Z. 76.] 

83. Abhandlung über die Dichtkunst. 2 B. (^poiyp-axeia 
T ^X V7 )S rcooiTuajc) [Z. 107.] 

84. Rhetorische Enthymemen. 1 B. (sv^ujA^axa foTopixa) 
[Z. 77.] 

85. Von der Größe. 1 B. (nspi (isy^ouc) [Z. 77, 90.] 

86. Einteilungen der Enthymeme. 1 B. £v'ä'uu,v)p.aTöv 
SiaipsWc) [Z. 77.] 

87. Von der Redeweise. 2 B. (rcspi Xs'^so?) [Z. 77 ] 

88. Von der Beratung. 1 B. (ttspi dU(jLßouXtac) [Z. 77.] 25 

89. Übersicht. 2 B. (avmyoy^, vgl. No. 77) [Z. 77, 79.] 

90. Von der Natur (Physik). 3 B. (wspi «pu'aeoc) 
[Z. 86, 88.] 

91. Zur Physik. 1 B. (<pu<nxdv) [Z. 88.] 

92. Von der Philosophie des Archytas. 3 B. (rcspi. 
r»i<; 'Appmou <piXo<ro<p£a£) [Z. 65.] 

93. Von der Philosophie des Speusippos und Xenokrates. 
1 B. (rcspl TTii S7tsu(Jt7r7cou xai Ssvoxparou?) [Z. 66.] 

94. Auszüge aus dem Timaios und aus dem Archytas 
(t<x sx tou Ttp.ai'ou xai t£v 'AppTeiov) [Z. 65.] 

95. Wider die Lehren des Melissos (Unsere Schrift MXG). 
1 B. («pbc Ta MsXiWu) [Z. 66.] 

96. Wider die Lehren des Alkmaion. 1 B. fapos xa 
'AXxnafovo«) 1 B. [Z.66.] 

97. Wider die Pythagoreer. 1 B. (ttooc tous üu^a-yo- 
pefou?) [Z. 65.] 

98. Wider die Lehre des Gorgias. 1 B. fapos ra 
r 0 p 7 tou) [Z.65.] VgLNo.95. 



V 24—26. 221 

99. Wider die Lehre des Xenophanes. 1 B. (7rpb? xa 
Sevoqpavou?) [Z. 66.] * 

100. Wider die Lehre des Zenon. 1 B. (irpo{ xo 
Zifvovo^ [Z. 66.] , . 

101. Von den Pythagoreern. 1 B. (ircpi xov HuSayo- 
petov) [Z. 65.] 

102. Tiergeschichten. 9 B. (irepi ?u'ov) [Z. 91.] 

103. Anatomische Beschreibungen. 7 B (dvaxou.a0 
[Z. 93.] 

104. Auszug aus den anatomischen Beschreibungen. 1 B. 
(exXoyrj dv<xxo[j.<3v) [Z. 93.] 

105. Von den zusammengesetzten Tieren. 1 B. (wcep 
xov auräexuv £uov) [Z. 92.] # 

106. Von den mythologischen Tieren. 1 B. (wep xüv 
[i.u'iroXofouu.svuv Suov) [Z. 92.] 

107. Über das Nichtzeugen. 1 B. (urcsp xoÜ u.tj yewäv) 
[Z. 92.] 

108. Von den Pflanzen. 2 B. (rcspl (puxüv) [Z. 98.] 

109. Physiognomik. 1 B. (<pu<noYvu{uxov) [Z. 99.] 

110. Von der Heilkunde. 2 B. (laxpixd) [Z. 99.] 

111. Von der Einheit. 1 B. (wspl u.ovd8o?) [Z. 90.] 

112. Anzeichen* von Unwetter. 1 B. (auweia xst[J-«vfc>v) 
[Z. 89.] 

26 113. Über Astronomie. 1 B. (dfjxpovojuxov) [Z. 91.] 

114. Von der Optik. 1 B. (ottxixo'v) [Z. 90.] 

115. Von der Bewegung. 1 B. (irepi xivuyieoc. vgl. 
No. 45) [Z. 88.] 

116. Von der Musik. 1 B. (Trepi. [xouaixf,?. vgl. No. 132) 
[Z. 108.] 

117. Von der Gedächtniskunst. 1 B. (u.vtj|j.ovixov.) 
[Z. 77.] 

118. Homerische Streitfragen. 6 B. (d7ropr,u.axa ' Ou.i)p(.xa) 
[Z. 108.] 

119. Dichtkunst. IB. («oi-irro«*) [Z. 108.] 

120. Physikalische Problemein alphabetischer Anordnung. 
38 B. (<pu<nxa xaxa (rzoiyjdov) [Z. 101.] 

121. Anschauungsprobleme. 2 B. (&ri.xe^eaixsva 7cpo- 
ß^xaxa) [Z. 101.] 



222 



Aristoteles. 



122. Allgemeine Probleme. 2 B. (£yxuV.Xi<x) [Z. 101.] 

123. Mechanische Probleme. 1 B. {^rcfjvKy.a.) [Z. 90.] . 

124. Demokritische Probleme. 2 B. (Tzpofik^tTi Ix 
tÜv AT]u.oxpt-ou) [Z. 65 f.] 

125. Vom Magneten. 1 B. (icspi z^q Xftou) [Z. 90.] 

126. Parabeln. 1 B. (icapaßoXaO [Z. 109.] 

127. Ungeordnete Probleme. 12 B. (<rcaxra) [Z. 101, 
109.] 

128. Nach Gattungen geordnete Probleme. 14 B. 
(SpfPU/utm xa-ra ye'voc) [Z. 101.] 

129. Rechtsstreitigkeiten. 1 B. ( &ix*iop.aTa) [Z. 106.] 

130. Olympische Sieger. 1 B. ('OXypTTiovixaO [Z. 109.] 

131. Pythische Sieger. 1 B. (nröiovlxa-) [Z 109.] 

132. Von der Musik. 1 B. (tts^I ixovaixr t c. vgl. No. 116) 
[Z. 108.] 

133. Über pythische Angelegenheiten. 1 B. (IIuSixs:; 
[Z. 109.] 

134. Nach Weisungen der Pythischen Sieger. 1 B. 
(HuÄiovixöv sXsyxoO [Z. 100.] 

135. Dionysische Siege. 1 B. (vixcu. AiovuoiaxaO 
[Z 109.] 

136. Über Tragödien. 1 B. (wspt TpaYoSuäv) [Z. 108.] 

137. Didaskalien. 1 B. (SiSasxaXiai) '[Z. 108.] 
138 Sprichwörter. 1 B. (wzpoiuAaO [Z. 77, 106.] 

139. Gesetze für gemeinsame Mahlzeiten. 1 B. (vd|i<* 
ouddinxoO [Z. 104.] 

140. Gesetze. 4 B. («%u») [Z. 106.] 

141. Kategorien. IB. (xa-nftoptai) [Z. 67 £] 

142. Von der Auslegung. IB. ( K epi sppTpefo?) [Z.69fc] 

143. Verfassungen von 158 Staaten in ihren öffentlichen 27 
und privaten Einrichtungen, demokratische, olig- 
archiscne, tyrannische, aristokratische (jz6k.-ze.itv. 
ttoXsuv 8-jotv deovaatv p£ (xoivai) xai Ztuß, 5i)p.o- 
xpa-nxai, oXi-yapxixflu, Tupawtxai, apurToxpafixai) 
[Z. 106.] 

144. Briefe an Philipp. Selymbrische Briefe. Vier Briefe 

an Alexander. Acht an Antipater. Einer an 




V 26-39. 223 

.„eutor. Einer an Arihton. Einer an Olywpias. 
Einer an Hephaistion. Einer an Themistagoras. 
Einer an Philoxenos. Einer an Demokrit (im- 
axokcd irpbc 4>&wwtov x. t. a.) [Z. 56.] 

145. Gedicht in Hexametern, dessen Anfang ist: „Hei- 
liger Gott, vor allen verehrt, Ferntreffer" (sV»), m 
apx , »l', OLfi jsüv izpia frais' IxaTaßo'Xe) [Z. 56.] 

146. Elegie, deren Anfang lautet: ,.Tochter der kinder- 
gesegneten Mutter" (&eyeta, «v apx»l» xaXXix&tvou 
u,7)Tpb? ^u'faTsp) [Z. 56.] 

28 Insgesamt umfassen seine Schriften 445 270 Zeilen. 
So groß ist die Zahl seiner Eücher. Ihr Lehrgehalt 
ist folgender: 17 ) Die Philosophie verteilt sich auf zwei 
Gebiete, das der praktischen und das der theoretischen 
Philosophie. Dem praktischen gehören Ethik und 
Politik an, von denen die letztere es teils mit dem Staat, 
teils mit der Hauswirtschaft zu tun hat. Das theore- 
tische Gebiet umfaßt Physik und Logik, doch bildet die 
letztere keinen eigentlichen Teil für sich, sondern ist 
aufs schärfste gekennzeichnet als Werkzeug für alle 
Teilgebiete. Es sind ihr zwei Ziele gestellt: sie hat 
klaren Aufschluß zu geben einerseits über das Wahr- 
scheinliche, anderseits über die Wahrheit. Für jedes 
dieser beiden Gebiete hielt er sich an zwei Behandlungs- 
arten: an die Dialektik und Rhetorik für das Wahr- 
scheinliche, an die Analytik und Philosophie (im enge- 
ren Sinne) für das Wahre, dabei läßt er nichts außer 
acht was entweder zur Erfindung oder zur Beurteilung 
oder zur Anwendung gehört. Was die Erfindung be- 

29 trifft, so liefert er mit seiner Topik und Methodik eine 
Fülle von Sätzen, die uns in den Stand setzen, die 
Probleme in überzeugender Weise zu behandeln. Was 
aber die Beurteilung anlangt, so dient ihr die erste und 
zweite Analytik: in der ersten Analytik werden die 
Vordersätze (auf ihre Schlußkraft hin) beurteilt, 18 ) in 
der zweiten handelt es sich um Prüfung des Schluß- 
satzes. Zur Anwendung gehören die eristischen 



224 



Aristoteles. 



Schlüsse, die verfänglichen Fragen, die sophistischen 
Widerlegungen und Trugschlüsse und was dem ähn- 
lich ist. Als Wahrheitskriterium galt ihm für Er- 
scheinungseindrücke die Sinneswahrnehmung, für 
alles Ethische, wo es sich um Staat und Haus und Ge- 
setze handelt, die Vernunft. Als alleiniges Endziel 
stellte er die Ausübung der Tugend in einem voll- 30 
kommenen Leben hin. Die Glückseligkeit erklärte er 
für einen durchgängigen Zusammenschluß von dreier- 
lei Gütern: von seelischen, die er auch als die ersten dem 
Range nach bezeichnet, zweitens von körperlichen 
Gütern, also von Gesundheit, Kraft, Schönheit und der- 
gleichen, drittens von äußeren Gütern, wie Reichtum, 
hohe Geburt, Ruhm und was dem ähnlich. Die Tugend 
für sich, meinte er, sei nicht hinreichend zur Glück- 
seligkeit, sie bedürfe auch der körperlichen und äuße- 
ren Vorzüge, denn der Weise würde ein unglückseliges 
Dasein führen, sei es nun, daß er in qualvollen Leiden 
oder in Armut oder in ähnlichen Umständen lebt. Da- 
gegen sei Schlechtigkeit völlig ausreichend zum un- 
glückseligen Dasein, möchten auch noch so viele äußere 
und körperliche Vorzüge ihr zur Seite stehen. 

Die Tugenden, behauptete er, stünden nicht in einer 31 
Wechselbeziehung von der Art, daß eine aus der ande- 
ren folge, denn es könne ein Einsichtiger und ebenso 
auch ein Gerechter zugleich zügellos und maßlos 6ein. 
Der Weise, erklärte er, sei nicht aller Leidenschaft un- 
zugänglich, niemals aber werde er sich zur Maßlosig- 
keit darin fortreißen lassen. Die Freundschaft, er- 
klärte er, sei Gleichheit des gegenseitigen Wohlwollens. 
Dabei unterschied er drei Arten: die eine beruhend auf 
Verwandtschaft, die andere auf Liebe, die dritte auf 
einem Verhältnis der Gastlichkeit. 19 ) Die Liebe aber 
beziehe sich nicht nur auf das persönliche Zusammen- 
sein, sondern auch auf die Philosophie. Der Weise 
könne sich verlieben, könne als Staatsmann wirken, 
könne auch heiraten und mit Königen Umgang pflegen. 
Von den drei Lebensweisen, die er unterschied, der be- 



V 29-33. 



225 



trachtenden (theoretischen), handelnden (praktischen) 
und genußsüchtigen, gab eT der betrachtenden den 
Vorzug. Auch die allgemein anerkannten Fächer der 
Geistesbildung sind förderlich für den Erwerb der 
Tugend. 

32 Was die Naturwissenschaften anlangt, so ließ er an 
Forschungseifer für Ergründung der Ursachen alle 
anderen weit hinter sich zurück: selbst für die gering- 
fügigsten Erscheinungen suchte er die Gründe anzu- 
geben. Daher auch die große Zahl seiner Schriften, 
die es mit physikalischen Betrachtungen zu tun haben. 
Die Gottheit erklärte er, wie Piaton, für unkörperlich; 
ihre Vorsehung, behauptete er, reiche bis zum Sternen- 
himmel, sie selbst sei unbeweglich; alle irdischen Er- 
scheinungen aber fänden ihre Regelung im engen Zu- 
sammenhang mit diesen himmlischen Erscheinungen. 
Neben den vier Elementen gebe es noch ein fünftes, 
welches den Himmelsgebüden zugrunde hege; seine 
Bewegung sei anderer Art, nämlich kreisförmig. 

Die Seele, meinte er, sei unkörperlich; sie sei die 
erste Wirklichkeit (Entelechie), nämlich eines natür- 
lichen und organischen, der Möglichkeit nach belebten 
Körpers. Diese Wirklichkeit ist nach ihm doppelter 

33 Art. Er versteht unter Entelechie eine unkörperliche 
Form und zwar erstens der Möglichkeit nach, wie die 
Hermesgestalt in diesem Sinne auch schon in dem noch 
ungeformten Wachs enthalten ist, das indes die Fähig- 
keit hat, die bestimmten Gestaltungen in sich aufzu- 
nehmen, ebenso wie das Erz in diesem Sinne eine Bild- 
säule ist; zweitens aber, dem tatsächlichen Zustande 
nach, heißt Entelechie erst der vollendete Hermes oder 
die fertige Bildsäule. Von einem „natürlichen" Körper 
spricht die Definition deshalb, weil es teils künstlich 
hergestellte Körper gibt, wie die von den Werkmeistern 
verfertigten, als da sind Türme, Schiffe und dergleichen, 
teils von der Natur geschaffene, wie Pflanzen und 
Tiere. Des Ausdrucks „organischen Körpers" aber be- 
dient er sich deshalb, weil es sich um die Ausrüstung 

A p e 1 1 , Diogenes Laertius. 15 



226 



Aristoteles. Theophrast. 



desselben für bestimmte Zwecke bandelt, wie z. B. das 
Gesiebt ihni zum Seben und das Gehör ihm zum Hören 
dient. Und wenn es in der Definition heißt, eines „der 
Möglichkeit nach belebten" Körpers, so bedeutet das 
den inneren Besitz der belebenden Kraft. Das „der 
Mögbchkeit (Kraft) nach" hat auch eine doppelte Be- 34 
deutung. Es geht entweder auf den Besitz oder auf die 
Wirksamkeit; auf die Wirksamkeit in dem Sinne, wie 
man vom Wachenden sagt, er habe eine Seele, auf den 
Besitz, wie man es vom Schlafenden sagt. Damit nun 
auch dieser (der Schlafende) mit inbegriffen sei, hat 
er das „der Möglichkeit nach" hinzugesetzt. 

Auch über vieles andere hat er seine Ansichten ent- 
wickelt; doch würde die Aufzählung zu weit führen. 
Überhaupt war er unvergleichlich arbeitsam und er- 
finderisch, wie schon aus dem vorher mitgeteilten 
Bücherverzeichnis hervorgeht, das der Bücherzahl nach 
nahezu 400 Nummern umfaßt, 20 ) wobei es sich nur um 
die zweifellos echten Werke handelt. Denn es werden 
ihm noch viele andere Schriften beigelegt sowie auch 
treffende Aussprüche, die, ohne schriftlich festgelegt 
zu sein, nur in mündlicher Mitteilung fortleben. 

Männer des Namens Aristoteles finden sich acht. 35 
Erstens der hier behandelte; zweitens der athenische 
Staatsmann, 21 ) von dem es auch lesenswerte Gerichts- 
reden gibt; drittens der Verfasser von Abhandlungen 
über die Ilias; viertens ein sizilischer Bedner, der eine 
Schrift gegen des Isokrates Panegyrikos veröffentbcht 
hat; fünftens der mit dem Beinamen „Mythos", ein 
Anbänger des Sokratikers Aischines; sechstens der Ky- 
renäer, der über die Dichtkunst geschrieben hat; sie- 
bentens der Turnlehrer, dessen Aristoxenos gedenkt in 
seinem Leben Piatons; achtens ein unbedeutender 
Grammatiker, von dem es ein Lehrbuch über den 
Pleonasmus gibt. Unser Stagirit aber hat viele Schüler 
gehabt, darunter als hervorragendsten den Theophrast, 
von dem nunmehr zu handeln ist. 



V 33—38. 



227 



Zweites Kapitel. 
Theophrast. Etwa 370—285. 

36 Theophrastos aus Eresos (auf Lesbos) war der 
Sohn des Melantas, eines Walkers, wie Athenodor im 
achten Buch seiner Spaziergänge berichtet. Er war 
zuerst Hörer seines Mitbürgers Alkippos in seiner 
Vaterstadt, darauf hörte er den Piaton und wandte sich 
dann dem Aristoteles zu. Als dieser sich nach Ghalkis 
zurückzog, übernahm er selbst die Leitung der Schule 
in der 114. Olympiade (324/1 v. Chr.). Er soll auch 
einen philosophisch gebildeten Sklaven namens Pom- 
pylos gehabt haben, wie Myronianos aus Amastris (in 
Paphlagonien) im ersten Buch seiner historischen Pa- 
rallelen berichtet. Theophrast war ein Mann von höch- 
ster Einsicht und unermüdlicher Arbeitsamkeit, und, 
wie Pamphile im 32. Buch ihrer Denkwürdigkeiten 
sagt, Lehrer des Komödiendichters Menander, übrigens 

37 auch wohltätig und gern zu Gesprächen bereit. Bei 
Kassander war er wohl angeschrieben und Ptolemäus 
suchte den Verkehr mit ihm. Die Athener hielten so 
große Stücke auf ihn, daß wenig gefehlt hätte, so wäre 
Agonides, der es wagte, ihn der Gottlosigkeit anzu- 
klagen, selbst der Anklage verfallen. Es sammelten 
sich als Hörer um ihn an die zweitausend Schüler. Er 
hat sich in dem Brief an Phanias, den Peripatetiker, 
unter anderem über das Wesen des Unterrichts 22 ) fol- 
gendermaßen ausgelassen: „Nicht zu reden von einer 
Massenversammlung, ist es schon nicht leicht, eine 
kleine Gesellschaft, wie man sie wünscht, um sich zu 
haben. Die Vorlesungen machen Berichtigungen nötig. 
Alles aufzuschieben und liegen zu lassen erlauben die 
zunehmenden Jüngling sjahre nicht mehr." 23 ) In 
diesem Briefe bediente er sich des Ausdrucks Scho- 
lasticus (wohl im Sinne des gelehrten Pedanten). 24 ) 

38 • Ungeachtet seiner Beliebtheit mußte er sich doch, 
wie auch alle übrigen Philosophen, einige Zeit aus der 

15* 



228 



Theophrast. 



Stadt entfernen, da Sophokles, des Amphikleides Sohn, 
ein Gesetz durchgebracht hatte, es dürfe kein Philosoph 
als Leiter einer Schule auftreten ohne die ausdrück- 
liche Genehmigung des Rates und des Volkes; Wider- 
setzlichkeit gegen diese Bestimmung sollte die Todes- 
strafe nach sich ziehen. Doch schon im folgenden Jahr 
kehrten sie wieder zurück, da Philion den Sophokles 
wegen Gesetzesübertretung belangt hatte. Daraufhin 
hatten die Athener das Gesetz wieder aufgehoben, dem 
Sophokles eine Strafe von fünf Talenten auferlegt und 
den Philosophen die Rückkehr gestattet, damit auch 
Theophrast wieder zurückkehren und wieder in die 
alten Verhältnisse eintreten möchte. Er hieß eigentlich 
Tyrtamos, doch Aristoteles gab ihm wegen seiner gött- 
lichen Redegabe den Namen Theophrastos. Aristipp 
behauptet im vierten Buch von der Schwelgerei der 39 
Alten, er habe auch ein Liebesverhältnis mit des Aristo- 
teles Sohn Nikomachos gehabt, obschon er sein Lehrer 
war. Auch erzählt man, Aristoteles habe über ihn und 
Kallisthenes das Gleiche gesagt, was Piaton, wie früher 
bemerkt (IV 6), von Xenokrates und Aristoteles selbst 
gesagt haben soll, nämlich der eine bedürfe des Zügels, 
der andere dagegen des Sporns; Theophrast nämlich 
verstand es bei seiner erstaunlichen Geistesschärfe, 
jedem Gedanken den entsprechenden klaren Ausdruck 
zu verleihen, während Kallisthenes von Natur lang- 
samen Geistes war. Ferner erzählt man, er habe nach 
des Aristoteles Tod auch einen eigenen Garten erworben 
unter Beihilfe des Phalereers Demetrios, mit dem er in 
enger Beziehung stand. 

Folgende mit Nutzen verwendbaren Aussprüche 
sind von ihm bekannt: Eher darf man einem unge- 
zäumten Pferde trauen als einer zerfahrenen Rede. 40 
Zu einem, der sich bei einem Gastmahl durchweg 
schweigend verhielt, sagte er: „Bist du unwissend, so 
tust du ganz klug daran, zu schweigen; hast du aber 
Bildung, dann unklug." Immer wiederholte er den 
Spruch, die Zeit sei der kostbarste Aufwand. 



V 3»-42. 



229 



Er starb hochbetagt in einem Alter von 85 Jahren, 
und zwar war die Ursache seines Todes die, daß er in 
seinem Arbeitseifer etwas nachließ. Unsere Verse auf 
ihn lauten: 

Glaub' es, der Weisheit Bogen zerbricht bei schlaffem Gebrauche! 

Dies ist das treffende Wort eines verständigen Manns. 
Blieb doch auch Theophrast, so lang er voll Eifer sich mühte. 

Wohl und gesund, doch entspannt, starb er von Leiden be- 
schwert. 

Man sagt, er habe, von seinen Schülern befragt, ob 
er einen Auftrag zu geben hätte, geantwortet: „Aufzu- 
tragen habe ich nichts, wohl aber darf ich sagen, daß 
das Leben mit seiner leidigen Ruhmsucht mancherlei 

41 Freuden vortäuscht. Wenn wir anfangen zu leben, so 
sterben wir. Nichts also ist unnützer als Ruhmsucht. 
Ich wünsche euch Glück auf den Weg und rate euch: 
entweder entsaget dem Betriebe der Wissenschaft — 
denn die Mühe ist groß — oder nehmet es ernst mit ihr, 
denn der Ruhm ist groß. Das Leben bietet mehr Nich- 
tiges als Nützliches. Für mich ist die Zeit vorbei zu 
raten was zu tun sei, an euch aber ist es auszuschauen 
was zu tun sei." Bei diesen Worten gab er den Geist 
auf — so wird erzählt — und die Athener gaben ihm 
zu Fuß sämtlich das feierliche Geleit. Favorin sagt, 
er habe sich im Alter auf einem Tragsessel herumtragen 
lassen; so berichte Hermippos mit dem Zusatz, das er- 
zähle der Pitanäer Arkesilaos in seiner Schrift an den 
Kyrenäer Lakydes. 

42 Auch er hat eine ungeheure Masse von Schriften 
hinterlassen, die hier gleichfalls zu verzeichnen mir 
angemessen erscheint wegen der Fülle vortrefflichen 
Inhalts. Es sind folgende : SB ) 

1. Erste Analytik. 2 B. 'AvaXtmxa 7rpoTepa. 

2. -Zweite Analytik. 7 B. 'AvaXu-cixa wrcepa. 

3. Analytik der Schlüsse. 1 B. izcpi avaXwreuc m>XXo- 

YWJJLMV. 

4. Auszug aus der Analytik. 1 B. avaXuxtxov imxopr. 



230 



Theophrast. 



5. Von hergeleiteten Sätzen. 2 B. <xvT)Y[«ivoi \6-yoi. 

6. Theorie der Streit- oder Trugschlüsse. (2 B.) 
<rywv(.<j-(.xa Trepi touc e'picrTixou? Xdyou{ $sop£a. 

7. Über Wahrnehmungen. 1 B. xspi. ata^aewv. 

8. Gegen Anaxagoras. 1 B. TCpbc 'Ava^ayopav. 

9. Von der Lehre des Anaxagoras. 1 B. 7rspi töv A. 

10. Von der Lehre des Anaximenes. 1 B. rcepi twv A. 

11. Von der Lehre des Archelaos. 1 B. 7rspt tmv 
'Ap^eXocou. 

12. Über Salz, Natron und Alaun. 1 B. 7rspl aXwv 
vixpo'j (JTUJrxvjpi'ac. 

13. Über die Versteinerungen. ÜB. 7tepi,T«v X&ouu.£V6)v 

14. Von den unteilbaren Linien. 1 B. uepi T6)v ato'u.Mv 
•ypau.[X6)v. 

15. Vorlesungen. 2 B. äxpoa'asic. 

16. Von den Winden. 1 B. -nspl avs'u.«v. 

17. Unterschiede der Tugenden. 1 B. äpstöv Siatpopou. 

18. Vom Königtum. 1 H. 7rspi ßao-tXsia?. 

19. Von der Königserziehung. 1 B. 7rspi 7tau8s£a? 
ßaaiXeo?. 

20. Von den Lebensweisen. 3 B. Trspi ßiwv. 

21. Vom Alter. 1 B. ^spi. y»]'po?;. , 

22. Von der Astronomie des Demokrit. 1 B. 7repl pffi 43 
Ar^oxpiirou ä(TTpoXoyia?. 

23. Von Luft- und Himmelserscheinungen. 1 B. rcspi 
Trj{ o.erapai.OASCT^tai;. 

24. Von den Bildern. 1 B. 7cspt. tmv siSu'Xuv. 

25. Von Säften, Farben und Fleisch. 1 B. 7rept y}>\i.üv 
^powv crapxwv. 

26. Von der Weltordnung. 1 B. uspt toü 5t.axdau.ou. 

27. Von den Menschen. 1 B. Trspi twv av^pw7rov. 

28 Sammlung von Sprüchen des Diogenes. 1 B. twv 
Aioysvoi)£ CTuvaywYr'. 

29. Definitionen. 3 B. 8iopt.au.ou 

30. Liebesbuch. 1 B. sptmxd?. 

31. Ein anderes Buch von der Liebe. 1 B. aXXo 7tepv 
spwro;. 

32. Von der Glückseligkeit. 1 B. wepl eüooau.ovt!a?, 



V 42—44. 



231 



33. Von den Begriffen (Ideen?). 2 B. mpl etöov. 

34. Von der Epilepsie. 1 B. rcspl imXifoea«. < 

35. Vom Enthusiasmus. 1 B. wepl sVirouo-'.a<ifi.ou. 

36. Über Empedokles. 1 B. Tcspl 'EjwceSoxXs'ouc. 

37. Über dialektische Schlüsse. 18 B. sTd-x^pr^axa. 

38. Einwendungen. 3 B. hmdasiz. 

39. Von der Freiwilligkeit. 1 B. Ttspi sxousfou. 

40. Auszug aus Piatons Staat. 2 B. imro\x.i\ UXa- 

41. Von der Stimmverschiedenheit gleichartiger liere. 
1 B. Trepi ETspo^ovia? £«<dv xöv ojxoyevwv. 

42. Von dem, was in gedrängten Massen erscheint. 1 B. 
7uepi xöv d&po'öv 9a1.vot1.svMv. 

43. Von bissigen und schlagenden Tieren. 1 B. rcspt 
SaxsxMv xai. ß)of]Tt,xwv. 

44. Von den sogenannten neidischen Tieren. 1 B. rcspi 
tmv £uuv oaa Xs'-ysTou f^ovstv. 

45. Von den auf dem Trockenen bleibenden Tieren. 1 ü. 
7cspt tmv sv ^po: &tan.evovT«v. 

44 46. Von den ihre Farbe ändernden Tieren. 1 B. wspi 
töv xot? XP°' a ^ {isxaßaXXo'vTMv. 

47. Von den sich versteckenden Tieren. 1 B. 7repi tov 
«poXsudvTov. 

48. Von den Tieren. 7 B. Tcspi £co6>v. ( • „ 

49. Von der Lust nach Aristoteles. 1 B. Ttspi iq&ovY^ 

'AptaxoTs'XKiC. - . ' „ 

50. Ein anderes von der Lust. 1 B. wspi t)öov»i<; aXXo. 

51. Thesen. 24 B. SsW?. _ j 

52. Vom "Warmen und Kalten. 1 B. Ttspi ^spu,ou xou 
i|<uxpou. . 

53. Von Schwindel und Verfinsterungen. 1 B. Tvspt 
JXtYY«v xa!. o-xotwctsmv. 

54. Vom Schweiße. 1 B. 7tspt. CopwTöv. 

55. Von Bejahung und Verneinung. 1 B. irspl xara- 
cpaaswi; xwl awotpaasoc. 

56. Kalhsthenes oder von der Trauer. 1 B. KaXXia^svTjc; 
r\ 7TSpl 7cev^ou£. 

57. Von der Ermüdung. 1 B. 7r.pl xo'ttov, 



232 



Theophrast. 



58. Von der Bewegung. 3 B. n&pi xiv^'o-sm?. 

59. Von den Steinen. 1 B. rcepi Xföov. 

60. Von der Pest. 1 B. ize.pi Xo(.u.öv. 

61. Von der Ohnmacht. 1 B. nepi Xsuvo^u/tav 

62. Megarikus. 1 B. MsTapixo'?. 

63. Von der Melancholie. 1 B. isepi u,eXaYXpMa£- 

64. Von den Metallen. 2 B. 7vepi. u,exaXXwv. 

65. Vom Honig. 1 B. wepl [neXiToc. 

66. Sammlung der Sprüche Metrodors. 1 B. twv Mirtpo- 
Wpou auvaywYii'. 

67. Erwägungen über Lufterscheinungen. 2 B. (isTap- 
aioXoYixa. 

68. Von der Trunkenheit. 1 B. «spl 

69. Gesetze nach alphabetischer Folge. 24 B. vdjtoi 
xara azoiyj,lov. 

70. Auszug aus den Gesetzen. 10 B. vo'jjmv imzopq. 

71. Zu den Definitionen. 1 B. wpoc touj opt,<r[jLOU{. 

72. Von den Gerüchen. 1 B. 7tspl oou,<3v. 

73. Von Wein und Öl. ... rcepl oüvou xal &a£ou. (Zahl 45 
fehlt.) 

74. Die ersten Vordersätze. 18 B. 7rpuTai npozdaeit. 

75. Gesetzgeber. 3 B. vou.o^sTai. 

76. Von Staatsverfassungen. 6 B. 7coXixt.xa. 

77. Von dem politisch Zeitgemäßen. 4 B. 7toXiTtxä 
■rcpbc tou£ xatpou'?. 

78. Vom politischen Herkommen. 4 B. «oXircxa siiq. 

79. Vom besten Staat. 1 B. irspl rr t z apüvtii 7roXlTe£a{. 

80. Sammlung von Problemen. 5 B. 7rpoßX-»iu.ai:MV 

81. Von Sprichwörtern. 1 B. n&pi 7rapo<.u,M5v. 

82. Vom Starrwerden und Schmelzen. 1 B. 7fspt 
7nj'£sov xal tt)'£sov. 

83. Vom Feuer. 2 B. wspl wupdc. 

84. Vom Atmen. 1 B. reepi. 7rvsu[i.aTMv. 

85. Von der Gliederlähmung. 1 B. wepl rcapaXii<ie6>£. 

86. Vom Ersticken. 1 B. wspi 7nn.7u.ou. 

87. Vom Irrsinn. 1 B. Trspt 7capacppoauv*)?. 

88. Von den Leidenschaften. 1 B, xepi wa^MV. 



V 44—46. 



233 



89. Von den Zeichen. 1 B. iz&pi cn)u,siuv. 

90. Von den Trugschlüssen. 2 B. rcspl ao<pi<Tu.aT«v. 

91. Von der Auflösung der Schlüsse. 1 B. wept. 
auXXoY(.c7(j.MV dvaXuasdx;. 

92. Topika. 2 B. Tomx.1T. 

93. Von der Strafe. 2 B. n&pi Tifiopwt«. 

94. Von den Haaren. 1 B. Ttspt Tpiyüv. 

95. Von der Tyrannis. 1 B. izepi Tupaw&o?. 

96. Vom Wasser. 3 B. 7rspl uSaxo«. 

97. Von Schlaf und Träumen. 1 B. rcepl uirvou xai. 

98. Von der Freundschaft. 3 B. rcspl yiUas,. 

99. Von der Ehrliebe. 2 B. •rcepi. f <pt.XoTi[uac. 
100. Von der Natur. 3 B. wept «pussu«;- 

46 101. Physik. 18 B. 7cspl ^tXTixwv. 

102. Auszug aus der Physik. 2 B. wepi «puaixüv ^totou-v 

103. Physik. 8 B. <pucnxa. 

104. Gegen die Physiker. 1 B. rcpbc tou? <pu<rt.xoui;._ 

105. Pflanzenforschungen. 10 B. wept qwxixuv [cnropuSv. 

106. Von der Entstehung der Pflanzen. 8 B. <pu-uxa 
aixia. 

107. Von den Säften. 5 B. Trspl x^Xöv. 

108. Von der falschen Lust. 1 B. wspl vbsuboü? YjSov^e- 

109. Von der Seele eine These, rcspt *\>»x*iS ^s'oic [xia. 

Erster Anhang. 

110. Von den kunstlosen Beweisen. 1 B. nspi tov 

(XTSpOV 7t£<JTSWV. 

111. Von den einfachen Zweifelf allen. 1 B. wspi. twv 
«hfXuv Sift7copn]|jLaTUV. 

112. Harmonielehre. 1 B. ap^ovixa'.' 

113. Von der Tugend. 1 B. 7cepl apeirJjc. 

114. Stützpunkte oder "Widersprüche. 1 B. atpoppai. t 
ivarawastC. 

115. Von der Verneinung. 1 B. rcspi. dc7iro<paaeMC. 

116. Von der Meinung. 1 B. xepi yvö'jxt)?. 

117. Vom Lächerlichen. 1 B- *epi TfeXofov- 



Theophrast. 



118. Abendbetrachtungen. 2 B. SsiXiva. 

119. Einteilungen. 2 B. StaipsW«;. 

120. Von den Unterschieden. 1 B. 7uepl 8ia<pop<Sv. 

121. Von den Rechtswidrigkeiten. 1 B. Tcspl T6 r v fax? 

122. Von der Verleumdung. 1 B. wepi SiaßoX^c- 

123. Vom Lobe. 1 B. xspi. &rafoou. 

124. Von der Erfahrung. 1 B. icepi i^K&ipiat;. 

125. Briefe. 3 B. imavoknL 

126. Von den von selbst entstehenden Tieren. 1 B. 
itspi. töv auTo^aTUV £g>'g>v. 

127. Von der Absonderung. 1 B. rcspi. ^xxpteeo?. 

128. Lob der Götter. 1 B. ^yxo'fn* ^rsov. 47 

129. Von Festfeiern. 1 B. icspi sopxöv. 

130. Vom Glück. 1 B. rcspi. suruxtac. 

131. Von Enthymemen. 1 B. rcepi £v^u[j.n)[j.a-i:wv. 

132. Von Erfindungen. 2 B. irspt sup-»ju,aTOv. 

133. Ethische Lehrvorträge. 1 B. -r^ixat ayokcLi 

134. Ethische Oharakterzeichnungen. 1 B. r^Moi 
^apaxrJjpsi;. 

135. Vom Lärmgetümmel. 1 B. rcspi. ^opußou. 

136. Von der Geschichtsforschung. 1 B. rcspl £<rcopta{. 

137. Von Beurteilung der Schlüsse. 1 B. ize.pl xptasu« 
cruXXo'yi.CTpiüv. 

138. Von der Schmeichelei. 1 B. xs-pi xoXaxeia?. 

139. Vom Meere. 1 B. icepl ^aXaTr»)C. 

140. An Kassander vom Königtum. 1 B. ~Jcpo<; Ka- 
aavSpov 7tspl ßaaiXsta?. 

141. Von der Komödie. 1 B. ' irspt xo^co&iai;. 

142. Von den Versmaßen. 1 B. rcepl uirpuv (?). 

143. Von der Darstellungsweise. 4 B. itept X^suc- 

144. Sammlung vtm Lehrsätzen. 1 B. Xo'ymv awawri' 

145. Auflösungen. 1 B. Xuast?. 

146. Von der Musik. 3 B. Tcspt (jiouaixijs. 

147. Von den Lufterscheinungen. 1 B. Tcspl jxsreopwv. 

148. Megakles. 1 B. MeyaxXTji;. 

149. Von den Gesetzen. 1 B. rcepl vo'tuw. 

150. Von Gesetzesübertretungen. 1 B. itepl 7tapavo|j.ov. 



V 46—48. 



151. 

152. 
153. 
154. 
155. 
156. 
157. 

48 158. 
159. 
160. 

161. 
162. 

163. 

164. 
165. 
166. 
167. 
168. 

169. 

170. 

171. 
172. 

173, 
174 

175 



235 



1 B. 



7CSp'. 



Sammlung Xenokratischer Lehren. 1 B. 

EUvoxpaTou? tTuvayMY'*)- 
Vom Umgang. 1 B. ou.i.X-r]T(.xoc. 
Vom Eid. 1 B. 7tept opxou. 
Regeln der Rhetorik. 1 B. TrapocYye'Xu.a™ fo-copixvj?. 
Vom Reichtum. 1 B. 7cspl tcXou'itou. 
Von der Dichtkunst. 1 B. wspi. 7co(.K]Tuaj«. 
Politische, ethische, physische, erotische Probleme. 
1 B. 7tpoßXY)'u.aTa 7:oXi.Ti.xa -pixa 9uaixa. epomxa. 
Von den Einleitungen. 1 B. TCpooi'jna- 
Problemensammlung. 1 B. 7cpoßXir)[i.aTov auvonforr). 
Von den physischen Problemen. 1 B. Tcepi xwv 
7rpoßX7]U.aTMV <pucrt.xMv. 
Vom Beispiel. 1 B. Tcepi. 7capaoetyu.aToc. 
Von der Themastellung und der Erzählung, 
wspi. TcpfÄscrso? xcu 8(.T)Tr[uai:o?. 
Von der Dichtkunst, ein weiteres. 1 B. 
TcoiYiTix-rj? aXXo. 

Von den "Weisen. 1 B. rcspi. xwv cto9«v. 

Vom Rat. 1 B. Tcspt. aupißouX'»)?. 

Von Solöcismen 1 B. rapl aoXo(.xiqj.öv. ^ 

Von der Redekunst. 1 B. irspi ts'xvt)« foxopixTi?. 

Von den rhetorischen Künsten. 17 Arten. Tcspt 

T£X V « V p^TOp'.XWV sl'of) 1%. 

Von dem schauspielerischen Vortrag. 1 B. .-wepi 

U7toxpfoso<;. i" ... 

Aristotelische und Theophrastische Denkschriften. 
6 B. u7Cojj.vY)'p.aTa, 'ApiaxoTsXixa •») 0fiO9pa'crcs!.(X. 
Physische Meinungen. 16 B. 9uaixou 8o'£ai. 
Auszug aus den physischen Meinungen. 1 B. 

9UCH.XWV S7ttTOU.Y]'. 

Von der Anmut. 1 B. Tcepi x<*P lZ0 $- r 

Ethische Charakterzeichnungen. (Zahl fehlt.) 

yapaxT^ps? t^moL 

Vom Falschen und Wahren. 1 B. Tcepi 
xou aXif)^ou?. 




t 



236 



Theophrast. 



Zweiter Anhang. 

176. Forschungen über die Gottheit. 6 B. t«v 7rspi xo 

177. Von den Göttern. 3 B. Tcepi ^söv. 

178. Geometrische Forschungen. 4B. Ccrcopfat Ys«u,eTpt,xa6 

179. Auszug aus des Aristoteles Tiergeschichte. 6 B. 49 

£7ttTO(J.a£ 'AptCTTOTsXoUiJ rcspi. ^m'ov. 

180. Schlußfolgen. 2 B. ImxeipnjixaTa. 

181. Thesen. 3 B. Ssae«;. 

182. Vom Königtum. 2 B. 7tspl ßaeriXefrxc. 

183. Von den Ursachen. 1 B. Tcepl aWov. 

184. Über Demokrit. 1 B. rcepi A-»)u.oxpfr:ou. 

185. Von der Verleumdung. 1 B. irepl cuaßoX-ijc. 

186. Von der Entstehung. 1 B. rcspl ysvs'o-sui;. 

187. Von der Klugheit und dem Charakter der Tiere. 
1 B. 7cepl £uov q>povn]<TS&)C xal ^ou£. 

188. Von der Bewegung. 2 B. rcspl xwrfcrsuc. 

189. Vom Sehen. 2 B. rcepi o<J>eo£. 

190. Zu den Definitionen. 2 B. 7cpbc opou$. 

191. Von dem Gegebensein. 1 B. irepl roü oeSocfrai. 

192. Vom Größeren und Kleineren. 1 B. rcepi uxi'£ovo{; 
xai elarcovoi;. 

193. Von den Musikern. 1 B. icepi töv [j.oucfi.xwv. 

194. Von der göttlichen Glückseligkeit an die Akade- 
miker. Ttepi TTjc ^eia<: suSatfxovi'ac ftpo£ tou? ^ 
'AxaSir)u.£a€. 

195. Der Ermahner. 1 B. TcpoTps7n:txoc. 

196. Uber die beste Staatsverfassung. 1 B. icöc apicrr' 
av to'Xic; otxoixo. 

197. Denkschriften. 1 B. ra uitou,vir)'u,aTa. 

198. Über den sizilischen Krater. 1 B. icspl 0u'axos tou 

199. Vom Zugegebenen. 1 B. respl tmv o(jloXoyouu.s'vuv. 

200. Von den physischen Problemen. 1 B. wepi. tmv 
7CpoßX , »)u.aT6)v qjucrixov. 

201. Von den Arten des Wissens. 1 B. tivs«; oE tpoko'. 



V 4&— 50. 



237 



202. Vom Lügner. 3 B. icepl tou ^eu&ouivov. 

203. Vorhalle der Topik. 1 B, -cot icpb tüv to'icov. 

Dritter Anhang. 

50 204. An Aischylos. 1 B. icpbc Aloxu'Xov. 

205. Geschichte der Astronomie. 6 B. a<rcpoXo-|f(.xr 
Juropia. 

206. Arithmetische Forschungen. . . . aprau.7iTi.xai 
Earopi'ai. (Zahl fehlt.) 

207. Von der Vermehrung. 1 B. icepl aü£»)'aeoG. 

208. Akicharus. 1 B. 'Axfyapo?. 

209. Über Gerichtsreden. 1 B. icepl 8(.xavt.xüv Xo'yov. 

210. Von der Verleumdung. 1 B. icepl SiaßoXvjs. 

211. Die Briefe an (?) Astykreon, Phanias, Nikanor. im- 
crcoXal aC eYi 'AcrcuxpeovTi. $av£a Nixavopi. 

212. Von der Frömmigkeit. 1 B. xspl eucreße£a<;. 

213. Euias. 1 B. EviaSo? (Suia'Sec? üsener). 

214. Vom günstigen Zeitpunkt. 2 B. rcepl xaipöv.^ 

215. Von eigenen Reden (?). 1 B. icepl olxefov^ Xo^ov. 

216. Über Kindererziehung. 1 B. icepl ircuSov a^orfa- 

217. Ein anderes verschiedenes. 1 B. aXXo 8ia'<popov. 

218. Über Bildung oder über Tugenden oder über Be- 
sonnenheit. 1 B. icepl TtatSsCa? t) icepl äpexov t) 
wepl ou<ppo<iuvi)i;. 

219. Der Ermahnen 1 B. icpotpeiCTixo'?. 

220. Von den Zahlen. 1 B. icepl ap&u.üv (§vti\t.av 
Usener nach Meursius). 

221. Erklärungen zu der Darstellung der Schlüsse. 1 B. 
opicxixa icepl Xe^e«? ctuXXoyiciu.üv. 

222. Vom Himmelsgebäude. 1 B. icepl ovpavoü. 

223. Politische Fragen. 2 B. icoXroxa'. 

224. Von der Natur. 1 B. icepl «puaeo«. 

225. Von den Früchten. Von Tieren, icepl xapjcöv. 
icepl £oov. 

Diese machen (insgesamt) 230 808 Zeilen aus. Auch 
er also hat eine so beträchtliche Zahl von Schriften 
verfaßt. 



238 



Theophrast. 



Auch sein Testament ist mir zu Händen gekommen. 
Es lautet so: 26 ) . 51 

„Hoffentlich geht alles gut; sollte es aber anders 
kommen, so verfüge ich letztwillig folgendes: Meine 
ganze häusliche Habe") vermache ich dem Melanies 
und dem Pankreon, den Söhnen des Leon. Aus den 
Beträgen, über die Hipparch 2 *) zu verfügen hat, will ich 
die Kosten für folgende Leistungen bestritten sehen: es 
sollen daraus erstens die Arbeiten für Herstellung des 
Museums 2 ") sowie der Göttinnen vollendet werden und 
was sonst für letztere zur Verschönerung getan werden 
kann; sodann soll davon die Bildsäule des Aristoteles 
im Heiligtum aufgestellt werden, ebenso die übrigen 
Weihgeschenjce, die vorher im Heiligtum ihren Platz 
hatten. Ferner soll der kleine Säulengang am Museum 
nicht schlechter als vorher wieder aufgebaut werden. 
Auch sollen die Tafeln, auf denen die Erdkarte darge- 
stellt ist, in dem unteren Säulengange aufgestellt wer- 
den. Auch der Altar soll' so wiederhergestellt werden, 52 
daß ihm nichts zu seiner Vollkommenheit und Schön- 
heit fehlt. Ferner soll die Bildsäule des Nikomachos 
seiner wirklichen Größe entsprechend 30 ) fertig gesieüt 
werden. Das Geld für die Herstellung des Bildes ist be- 
reits in der Hand des Praxiteles, der sonstige Aufwand 
soll aus den genannten Mitteln bestritten werden. 
Seine Aufstellung soll es an einem Platze finden, der 
den Vollstreckern auch der übrigen Testaments- 
bestimmungen angemessen erscheint. So viel von dem 
Heiligtume und von den Weihgeschenken. Bas Grund- 
stück, das ich in Stageira besitze, vermache ich dem 
Kallinos, meine gesamte Bibliothek aber dem Neleus. 
Den Garten und das Schulhaus nebst den an dem 
Garten liegenden Häusern überlasse ich den Nachver- 
zeichneten zu beliebigem Beisammensein und gemein- 
samen philosophischen Erörterungen, 31 ) doch — da 
nicht jedermann dort beliebig lange verweilen kann — 53 
nur unter der Bedingung, daß sie es nicht veräußern 



V 50—55. 



239 



und keiner es für sich allein in Besitz nimmt, ) viel- 
mehr soll es wie ein Heiligtum gemeinsamer Besitz 
sein, und sie sollen wie Verwandte und Freunde zu 
ihrem Verkehr miteinander Gebrauch davon machen, 
wie es ziemend und billig ist. Teilhaber dieser Ge- 
nossenschaft sollen sein Hipparchos, Neleus, Straton, 
Kallinos, Demotimos, Demaratos, Kaüisthenes, Me- 
lanies, Pankreon, Nikippos. Auch dem Aristoteles, dem 
Sohne des Metrodoros und der Pythias, soll es, wenn er 
für Philosophie Interesse hat, verslattet. sein, in diesen 
Kreis einzutreten, und es sollen die Alteren ihm alle 
ihre Sorge zuwenden, um ihn in der Philosophie soweit 
wie möglich zu fördern. Mich aber soll man auf dem 
Platze des Gartens begraben, der am angemessensten 
dafür scheint, ohne jeden Prunk bei der Beerdigung 

54 oder für das Denkmal. Auf daß aber nun an das, was 
mich selbst (meine eigene Person) betrifft, sich die- 
jenigen Dienstleistungen anschließen, die sich auf das 
Heiligtum sowie auf das Denkmal, den Garten und das 
Schulhaus beziehen, 33 ) so soll auch mein Pompylos mit 
dafür Sorge tragen, indem er selbst dort wohnt und 
auch wie bisher das Wohl der anderen dort sich ange- 
legen sein läßt. Für die Ausnützung des Grundstuckes 
sollen die Besitzer selbst sorgen. Pompylos und Threp- 
tes, die längst schon frei sind und sich mir sehr nutz- 
lich erwiesen haben, sollen in ungestörtem Besitz alles 
dessen bleiben, was sie früher von uns erhalten oder 
selbst besessen haben nebst den 2000 Drachmen die 
ich jetzt von Seiten Hipparchs ihnen zugewiesen habe; 
in diesem Sinne habe ich selbst 3 *) häufig mit Melanies 
und Pankreon gesprochen und mich ihrer völligen Bei- 
stimmung versichert. Auch übermache ich ihnen 
die Magd Somatale. Von den Burschen erklare ich jetzt 

55 den Molon und Timon und Parmenon für frei. Was 
den Manes und Kallias betrifft, so sollen sie noch vier 
Jahre als Mitarbeiter im Garten bleiben, worauf ich sie, 
ihre gute sittliche Führung vorausgesetzt, für frei er- 
kläre. Von dem, Hausgerät sollen die Testamentsvoll- 



■ 



■ 



240 Theophrast. 

strecker dem Pompylos geben, so viel ihnen gut scheint, 
das übrige sollen sie verkaufen. Den Karion schenke 
ich dem Demotimos, den Donax dem Neleus. Eubios sott 
verkauft werden. Dem Kallinos soll Hipparch 3000 
Drachmen geben. Und wären wir uns nicht dessen be- 
wußt, daß Hipparch früher für Melantes und Pankreon 
sowie für mich selbst viel getan und jetzt in seinen 
eigenen Vermögensverhältnissen einen schweren Schiff- 
bruch erlitten hat, so würden wir verfügt haben, daß 
er in Gemeinschaft mit Melantes und Pankreon die Be- 
stimmungen des Testamentes ausführe.™) Allein da 56 
ich sah, daß es ihnen nicht leicht würde, mit ihm in ge- 
meinschaftlicher Wirtschaft zu leben, und es als nütz- 
licher für sie erachte eine bestimmte Summe von 
Hipparch zu erhalten, so soll Hipparch dem Melantes 
und Pankreon einem jeden ein Talent geben. Auch sott 
Hipparch den Testamentsvollstreckern zur Bestreitung 
des Aufwandes für Ausführung der einzelnen testa- 
mentarischen Bestimmungen je nach dem Fälligkeits- 
termin Zahlung leisten. Ist er dem ordnungsgemäß 
nachgekommen, so soll er aller Verpflichtungen gegen 
mich ledig sein. Und hat Hipparch in Chalkis auf 
meinen Namen etwas ausgeliehen, so soll das dem 
Hipparch gehören. Zu Vollstreckern der Testaments- 
bestimmungen ernenne ich Hipparch, Neleus, Straton, 
Kallinos, Demotimos, Kallisthenes, Ktesarchos. Die 
Testamentsabschriften, mit Theophrasts Siegelring ver- 57 
siegelt, liegen die eine bei Hegesias, dem Sohne des 
Hipparch — Zeugen sind Kallippos aus dem Demos 
Pallene, Philomelos aus dem Demos Euonymia, Ly- 
sander aus dem Demos Hybadä und Philion aus dem 
Demos Alopeke — , eine zweite Abschrift hat Olympio- 
dor; Zeugen sind dieselben. Eine dritte hat Adeimantos 
in Verwahrung genommen; überbracht hat sie ihm 
sein Sohn Androsthenes, Zeugen sind Aeimnestos, des 
Kleobulos Sohn, Lysistratos, des Phaidon Sohn aus 
Thasos, Straton, des Arkesüaos Sohn aus Lampsakos, 
Thesippos, des Thesippos Sohn aus dem Demos Kera- 



V 55—59. 



241 



meis, Dioskurides, des Dionysios Sohn aus dem Demos 
Epikephisia." 

So steht es mit seinem Testamente. Es behaupten 
auch manche, der Arzt Erasistratos sei sein Hörer ge- 
wesen, und das hat viel für sich. 



Drittes Kapitel. 
Straton. f 269 v. Chr. 

58 Als Schulhaupt folgte ihm Straton, des Arkesilaos 
Sohn, aus Lampsakos, dessen er auch in seinem Testa- 
mente gedacht hat. Er war ein Mann von hervor- 
ragender Bedeutung, Physiker genannt, weil er sich 
mit unvergleichlichem Eifer der Naturbetrachtung 
zuwandte. Er war auch Lehrer des Ptolemäus Phila- 
delphus und erhielt von ihm, wie es heißt, achtzig Ta- 
lente. Seine Schulherrschaft begann, wie Apollodor in 
den Chronika sagt, in der 123. Olympiade (288/5 
v. Chr.) und dauerte achtzehn Jahre. 

59 Es gibt folgende Schriften von ihm: 1. Vom König- 
tum 3 B.« 2. Von der Gerechtigkeit 3 B. 3. Vom Guten 
3 B. 4. Von den Göttern 3 B. 5. Von den Urgründen 
3 B. 6. Von den Lebensweisen. 7. Von der Glückselig- 
keit. 8. Von der Philosophie (vom philosophischen 
König). 9. Von der Tapferkeit. 10. Vom Leeren. 
11, Vom Himmelsgebäude. 12. Vom Geisteshauch. 
13. Von der Menschennatur. 14. Von Erzeugung der 
Tiere. 15. Von der Mischung. 16. Vom Schlafe. 
17. Von den Träumen. 18. Vom Gesicht. 19. Von der 
Wahrnehmung. 20. Von der Lust. 21. Von den 
Farben. 22. Von den Krankheiten. 23. Von den Ur- 
teilen. 24. Von Geistesanlagen. 25. Über Metali- 
maschinen. 26. Vom Wirbelwind 30 ) und Finsternissen. 
27. Vom Leichten und Schweren. 28. Vom Enthusias- 
mus. 29. Von der Zeit. 30. Von Ernährung und Wachs- 

A p e I t , Diogenes Laertius. jg 



242 



Straton. 



tum. 31. Von den zweifelhaften Tieren. 32. Von den 
fabelhaften Tieren. 33. Von den Ursachen. 34. Auf- 
lösung von Zweifelfragen. 35. Einleitung zur Topdi. 
36. Vom Zufälligen. 37. Von der Definition. 38. Vom 
Mehr und Weniger. 39. Vom Ungerechten. 40. Vom 60 
Früheren und Späteren. 41. Von der höheren Gattung. 
42. Vom eigentümlichen Merkmal. 43. Von der Zu- 
kunft. 44. Zwei Bücher Untersuchungen der Erfin- 
dungen. 45. Aufzeichnungen, deren Echtheit zweifel- 
haft ist. 46. Briefe mit dem Anfang: „Straten wünscht 
der Arsinoe Wohlergehen." 

Er soll so abgezehrt gewesen sein, daß er ohne 
Empfindung starb. Unsere Verse auf ihn lauten wie 
folgt: 

Schwächlichen Leibs war der Mann : das kam von der Menge 

der Salben, 
Den Straton mein' ich, acht' auf mich; 
Lampsakos war seine Heimat; doch immer mit Krankheiten 

ringend 

Verfiel dem Tod er unvermerkt. 

Männer Namens Straton finden sich acht: erstens 61 
ein Schüler des Sokrates; zweitens unser Straton hier; 
drittens ein Arzt, Schüler des Erasistratos oder nach 
anderen sein Pflegekind; viertens der Geschichts- 
schreiber, der die Kriege des Philippos und Perseus 
mit den Römern geschildert hat; fünftens 
sechstens ein Epigrammendichter; siebentens ein alter 
Arzt, wie Aristoteles sagt; achtens ein Peripatetiker, 
der in Alexandreia lebte. 

Von dem Physiker hat sich noch folgendes Testa- 
ment erhalten: 

„Für den Fall meines Todes bestimme ich letzt- 
willig folgendes: Meine gesamte häusliche Habe hinter- 
lasse ich dem Lampyrion und Arkesilaos. Aus meinem 
in Athen befindlichen Kapitalvermögen sollen die 
Testamentsvollstrecker zunächst die Kosten für die Be- 
erdigung bestreiten sowie für die üblichen Feierlich*- 
keiten nach der Beerdigung, ohne Prunk, aber auch 



V 59—64. 



243 



ohne Knauserei. Testamentsvollstrecker soüen sein: 

62 Olympichos, Aristeides, Mnesigenes, Hippokrates, Epi- 
krates, Gorgylos, Biokies, Lykon, Äthanes. Die Schule 
hinterlasse ich dem Lykon, da die anderen teils zu all 
sind teils durch Geschäfte zu sehr in Anspruch ge- 
nommen; und die übrigen täten gut daran, wenn sie 
dieser Bestimmung nach Kräften Vorschub leisteten. 
Ihm (dem Lykon) vermache ich auch meine gesamte 
Bibliothek, abgesehen von dem, was ich handschrift- 
lich hinterlasse, ebenso alles Gerät für die gemein- 
samen Mahlzeiten sowie die Polster und Trinkgefäße. 
Bern Epikrates sollen die Testamentsvollstrecker 500 
Drachmen geben und einen von den Burschen, dessen 
Wahl dem Arkesilaos zusteht. Lampyrion und Arkesi- 
laos sollen erstlich den Vertrag auf sich nehmen, den 

63 Baippos für Iraios geschlossen hat. Er soll weder dem 
Lampyrion noch den Erben des Lampyrion irgend 
etwas schulden, sondern soll jeder Verbindlichkeit ledig 
sein. Auch sollen die Testamentsvollstrecker ihm 500 
Silberdrachmen und einen Burschen nach der Wahl 
des Arkesilaos geben; denn er hat viel mit mir durch- 
gemacht und sich mir nützlich erwiesen; darum soll 
er nun auch auskömmlich und anständig leben können. 
Auch dem Biophantos und Biokies und Abus schenke 
ich die Freiheit. Ben Simias aber überlasse ich dem 
Arkesilaos. Auch den Bromon gebe ich frei. Wenn 
Arkesilaos ankommt, soll Iraios mit Olympichos und 
Epikrates und den übrigen Testamentsvollstreckern 
den Aufwand für das Begräbnis sorvie für die sonstigen 
Erfordernisse berechnen. Was von dem Gelde noch 

64 übrig bleibt, soll Arkesilaos vom Olympichos erhalten, 
ohne ihm etwa Schwierigkeiten zu machen in Bezug 
auf Termin und Fristen. Auch soll Arkesilaos den Ver- 
trag auf sich nehmen, den Straton mit Olympichos und 
Amemias abgeschlossen hat, und der bei Phüokrates, 
des Tisamenos Sohn, niedergelegt ist. Mit dem Grabmal 
soü man es halten wie Arkesilaos, Olympichos und 
Lykon es für gut befinden." 

16* 



244 



Straton. Lykon. 



Das ist sein Testament in der überlieferten Fassung 
wie sie sich in der Sammlung des Ariston aus Keos 1 ') 
findet. Straton selbst , war übrigens, wie oben schon be- 
merkt, ein höchst achtungswerter Mann, hervorragend 
in allen Fächern der Wissenschaft, vor allem in dem 
der Physik, diesem durch Alter und Würde besonders 
hervorragenden Gebiet. 



Viertes Kapitel. 

LykOIl. 299—225 v. Chr. 

Des Straton Nachfolger war Lykon, des Astyanax 65 
Sohn, aus Troas, ein beredter und zur Erziehung von 
Knaben hervorragend befähigter Mann. Von ihm 
stammt der Ausspruch, man müsse, wie man den 
Pferden mit Sporn und Zügel beikomme, so den 
Knaben Scham und Ehr liebe mit auf den Weg geben. 
Die Gewandtheit und Fülle seiner Ausdrucksweiße zeigt 
sich am besten an einem Beispiel. Über ein armes 
Mädchen nämlich äußert er sich so: „Eine schwere 
Last für einen Vater ist ein Mädchen, das wegen 
mangelnder Mitgift die Blüte ihrer Jahre versäumt" 
Daher soll denn auch Antigonos von ihm gesagt haben, 
es stehe mit ihm nicht so wie mit einem wohlriechenden 
und lieblichen Apfel; den könne man abpflücken und 
auch anders wohin bringen; des Lykon Bedefrüchte 
dagegen müßte man gleichsam am Baum beschauen, 
also am Manne selbst. 1 *) Damit sollte die hohe Anmut 
seiner Bedeweise gekennzeichnet werden. Daher setzten * 
auch manche ein Gamma (G) vor seinen Namen (und 
nannten ihn Glykon „der Süße" statt Lykon). Wie vor- 
teilhaft stachen seine mündlichen Äußerungen ab von 
dem, was er niederschrieb. Wie anmutig scherzte er 
z. B. über solche, die es bereuten, nicht rechtzeitig sich 
in die Lehre begeben zu haben und die nun das Ver- 
säumte wieder gut zu machen wünschten: sie klagen, 



V 64—68. 



3tf 



sagte er, sich selbst an und legen durch unerfüllbare 
Wünsche das Geständnis der Reue ab über ihre Träg- 
heit, die nicht wieder gut zu machen ist. Und you 
denen, die in ihren Ratschlüssen fehlgingen, sagte er: 
sie betrügen sich vollständig in ihren Berechnungen, 
ganz ähnlich denen, welche die Geradheit eines Dinges 
mit einem krummen Richtholz prüfen oder ihr Gesicht 
in einem wogenden Gewässer oder einem verbogenen 
Spiegel sich spiegeln lassen. Und ferner: nach den 
Kränzen des Marktes machen sich viele auf den Weg, 
nach denen in Olympia wenige oder keiner. 
67 Oftmals gab er den Athenern seinen Rat und er- 
wies sich ihnen dadurch außerordentlich nützlich. In 
seinem Anzug hielt er auf größte Sauberkeit; seine 
Kleider mußten so weich und so fein wie nur möglich 
sein, wie Hermippos berichtet. Dabei legte er aber 
doch auch das größte Gewicht auf regelmäßige Leibes- 
übung, war kräftigen Körpers und verleugnete nicht 
die Spuren athletischer Neigungen, wie sie sich nach 
dem Bericht des Antigonos von Karystos an den hart 
nutgenommenen Ohren und der vom Salböl geglätteten 
Haut kundgaben. So soll er denn auch in seiner Heimat 
an dem Hieienfeste als Ringkämpfer aufgetreten sein 
und sich im Ballspiel geübt haben. 

Am Hofe des Eumenes und Attalog war niemand 
beliebter als er. Diese Herrscher ließen ihm denn auch 
sehr reiche Geschenke zukommen. Auch Antigonos be- 
mühte sich um seine Freundschaft, doch ohne Glück, 
fe Mit dem Peripatetiker Hieronymos war er dermaßen 
verfeindet, daß er der einzige war, der sieb an der Feier 
des Jahrestages, von dem wir in des Arkesilaos Leben 
gesprochen haben (IV 41), nicht beteiligte. Er leitete 
die Schule vierundvierzig Jahre lang von Straten* 
Tode ab, der ihn in der 127. Olympiade (272/69 v. Chr.) 
letztwillig zu feinem Nachfolger erkoren hatte. 
Übrigens war er auch Hörer des Dialektikers Pan- 
tboides gewesen. Er starb in seinem 74. Jahre am 
Podagra. Unsere Verse auf ihn lauten: 



246 



Lykon. 



Nimmer darf ich vergessen des Lykon, der an der FuBfficht 
Starb, mich wundert zumeist diese verlängerte Qual. 

War' er noch frisch auf den Beinen gewesen, er hätte in einer 
Einzigen Nacht den Marsch hin nach dem Hades vollbracht. 

Der Männer Namens Lykon hat es mehrere gegeben: 
erstens den Pythagoreer, zweitens den hier besproche- 69 
nen, drittens einen epischen Dichter, viertens einen 
Epigrammendichter. 

Auch in das Testament des Philosophen haben wir 
Einblick tun dürfen. Es lautet: 39 ) • 

folgendes ist mein letzter Wüte für den Fall, daß 
ich dieser Schwäche erliege: alle meine häusliche* 0 ) 
Habe vermache ich den Brüdern Astyanax und Lykon, 
und es muß meines Erachlens daraus alles das zurück- 
erstattet und bestritten werden, was ich von irgend je- 
mand in Athen zum Verbrauch erluüien oder in An- 
spruch genommen habe* 1 ) sowie auch der Aufwand 
für die Bestattung und die sonstigen Feierlichkeiten. 
Was mir aber in der Stadt und in Ägina gehört, ver- 
mache ich dem Lykon; denn er trägt meinen Namen 70 
und hat die meide Zeit zu meiner großen Freude mit 
mir zusammengelebt, entsprechend der Stellung als 
Sohn, die er bei mir hatte. Das Schulhaus hinterlasse 
ich denen unter meinen Anhängern, denen damit ein 
Gefallen geschieht, dem Bulon, Kallinos, Ariston, 
Amphion, Lykon, Python, Aristomachos, Eerakteios, 
Lykomedes und meinem Neffen Lykon. Sie selbst sollen 
sich als Leiter denjenigen wählen, der ihrem Dafür- 
halten nach am fähigsten ist den Standpunkt der 
Schule zu wahren und sie am wirksamsten zusammen- 
zuhalten*') Dazu sollen auch meine übrigen Freunde 
mit behülflich sein sowohl im liebevollen Gedenken an 
mich wie auch m Rücksicht auf den Ort. Was die Be- 
stattung und Verbrennung anlangt, so sollen Buten 
und Kallinos mit ihren Genossen sie so veranstalten, 
daß der Aufwand dafür weder zu_ knapp noch zu groß 
wird. Von meinen Ölbäumen in Ägina soll Lykon nach 71 
meinem Ableben den Jünglingen so viel zugute kommen 



V 68-73. 



247 



hutmm als sie zur Salbung mit Öl nötig toben damit 
VeSwndiiW *» Andenken an mich sowie 
iE in Ehren gehalten, sich in Zunder 
Weise fortpflanze. Auch eine Bildsäule von 
a Zellen Den passenden Platz für die Auf Stellung 
ZlTer nach gründlicher Beziehung 
bei ihm Biophantos und Herakleides, des V™f*™ s 
Sohn, zur Seite stehen sotten Aus nmnem *^ h ™ 
Vermögen soll Lykon alle Gläubiger, von denen ich 
)Zh !eZ Abreise etwas erhalten habe, bepedigm. 
iTu Zellen sich") Bulon und KalUnosmü ihren An- 
sprüchen für das, was für die Begattung und die 
sonstigen Feierlichkeiten aufgeweitet worden ist L 
soU den Betrag entnehmen aus dem, was ich beiden 
(Brüdern) an häuslicher Habe hinterlassen habe. Auch 
72 soU er dm Ärzten Pasühemis und Medios ehreiideEr- 
kennüichkeit erweisen, denn sie verdienen t ob ihrei 
Fürsorge für mich und ob ihrer Kunst 
größere Ehre. Ich vermache auch dem Sohne Oes 
Kaüinos ein Paar Therikteischer Becher 
Gattin ein Paar Rhodiakerbecher , eine feine Becke . eine 
grobe Becke, eine Matratze und die zwei besten Kopf- 
kissen des Nachlasses als Zeichen dafür, daß wir ihrer 
in aller Verehrung gedenken. Über meine Dienerschaft 
treffe ich folgende Bestimmungen, dem ^ 
schon längst frei ist, erlasse ich das Losegeld 
„ache ihm fünf Minen nebst Mantel und Leibrock 
denn nach so langem treuen Beistand, den er mir bei 
der Arbeit geleistet, soll er ein anstandiges Leben 
haben. Dem Chalkedonier Kriton erlasse ich gleich- 
falls das Lösegeld und schenke ihm vier Minen. Auen 
dem Mikros schenke ich die Freitod; Lykon soll ihm 
den Unterhalt gewähren und von jetzt ab sechs Jahre 
lang für seine Erziehung sorgen. Auch dem Lhares 
73 schenke ich die Freiheit; den Unterhalt soll ihm Lykon 
gewahren. Ich vermache ihm zwei Minen una meine 
Bücher, soweit es sich um bereits bekannte hanaeu, 
das noch nicht Veröffentlichte übermache ich dem 



248 



Lykon. Demetrios. 



Kallinos zu sorgfältiger Herausgabe. Ich vermache 
auch dem freigelassenen Syros vier Minen und die 
Menodora; und falls er mir etwas schuldet, so erlasse 
ich es ihm. Der Hilara hinterlasse ich fünf Minen, eine 
grobe Becke, zwei Kopfkissen, eine Matratze und ein 
Bett nach ihrer Wahl. Die Freiheit schenke ich auch 
der Mutter des Mikros wie auch dem Noemon, Bion, 
Theon, Euphranor und Hermeias. Auch Agathon soll 
nach Ablauf von zwei Jahren freigelassen werden; so 
auch die Sänftenträger Ophelion und Poseidonios nach 
Ablauf von vier Jahren. Ferner vermache ich dem 
Demetrios, dem Kriton und dem Syros je ein Bett nebst ™ 
Decken aus der Hinterlassenschaft nach Gutdünken 
des Lykon. Dies soll ihr Eigentum werden, wenn sie ein 
jeder seinen besonderen Verpflichtungen treu nachge- 
kommen sind. Was mein Grab betrifft, ob es hier oder 
in meinem Hause sein soll, so mag es Lykon damit 
halten wie er will; denn ich bin überzeugt, daß er eben- 
sogut wie ich das Schickliche richtig finden wird. Hat 
er alles dies ordnungsgemäß erledigt, so soll die hiesige 
Hinterlassenschaft ihm rechtsgültig zustehen. Zeugen 
sind Kallinos von Hermione, Ariston von Keos, Euphro- 
nios der Paianier." 

Er, der alles was die Erziehung und jede andere 
Art von Belehrung betrifft so verständig handhabte, 
zeigt sich auch in seinen letztwilligen Verfügungen, 
man kann wohl sagen, besonders haushälterisch und 
sorgfältig, so daß er auch hierin Nacheiferung ver- 
dient. 



Fünftes Kapitel. 

Demetrios. Ungefähr 350—280 v. Chr. 

Demetrios, des Phanostratos Sohn aus Phaleron, 75 
war ein Schüler des Theophrast. Er leitete als Volks- 
jedner in Athen den Staat zehn Jahre lang und wurde 



V 73— 77,_ 



mit dreihundertsechzig ehernen Bildsäulen geehrt, meist 
Standbilder zu Pferd oder auf Wagen und Zweigespannen, 
deren Herstellung noch nicht dreihundert Tage er- 
fordert hatte. In so hohem Angehen stand er. Seine 
staatsmännische Tätigkeit begann, wie der Magnesier 
Demetrios in seinen Homonymen berichtet, zu der Zeit, 
wo Harpalos, fliehend vor Alexander, nach Athen kam. 
Er hat sich um seine Vaterstadt vielfach außerordent- 
liche Verdienste erworben; denn er hat die Stadt ge- 
fördert durch die Steigerung ihrer Einkünfte und 
durch den Zuwachs an Bauwerken, obschon ex keinem 
großen Hause entstammte. Er gehörte nämlich zum 

76 Hause des Konon, wie Favorin im ersten Buch seiner 
Denkwürdigkeiten sagt;") doch wohnte er zusammen 
mit seiner Geliebten, Lamia, einer Bürgerin aus edlem 
Hause, wie der nämliche Gewährsmann im ersten 
Buche berichtet. Indes erzählt dieser auch in seinem 
zweiten Buch, er habe sich von Kleon mißbrauchen 
lassen. Didymos erzählt in seinen Symposiaca, er sei 
nach einer Hetäre mit dem Namen „Goldblickende" 
(Xapi7oßXs?apo;) und „Leuchtende" (Aaij.7reT(o) gekenn- 
zeichnet worden. Auch geht die Erzählung, er habe 
nach Verlust seines Augenlichts in Alexandreia dasselbe 
durch den Sarapis wieder erhalten, auf den er denn 
auch die Preislieder gedichtet habe, die noch heute ge- 
sungen werden. Ungeachtet aber seiner glänzenden 
Stellung in Athen zog sich doch über seinem Haupt 
die Wolke des alles benagenden Neides zusammen. 
Von einigen Gegnern heimtückisch verfolgt, ward er 

77 abwesend zum Tode verurteilt. Da man aber seiner 
Person nicht habhaft werden konnte, ließen sie ihren 
giftigen Haß an dem Erze aus: sie rissen seine Stand- 
bilder nieder und verkauften sie teils, teile versenkten 
sie sie in die Fluten teils zerschlugen sie sie zu Nacht- 
töpfen; denn auch dies wird erzählt. Nur eine einzige 
Bildsäule von ihm ist noch auf der Akropolis erhalten. 
Favorin erzählt in seinen Vermischten Geschichten, sie 
hätten dies nur auf Befehl des Königs Demetrios getan, 



250 



Demetrios. 



doch bezeichneten sie auch das Jahr seines Archontats 
als Jahr der Ungesetzlichkeit, 46 ) nach Favorin. Her- 
mippos berichtet, er habe nach Kassanders Tod aus 
Furcht vor Antigonos bei Ptolemaios Soter Zuflucht 78 
gesucht; bei längerem Verweilen daselbst habe er unter 
anderem dem Ptolemaios geraten, die Herrschaft an die 
Söhne der Eurydike (seines Kebsweibes) zu übertragen. 
Darauf habe dieser sich nicht eingelassen, sondern 
habe das Diadem dem Sohne der Berenike übergeben. 
Dieser habe ihn nach dem Tode des Taters in seinem 
Gebiete in Gewahrsam nehmen lassen bis zur end- 
gültigen Beschlußfassung über sein Schicksal. Da ver- 
sank er in eine mutlose Stimmung, und wohl halb 
schlummernd von einer Schlange in die Hand gebissen, 
gab er den Geist auf. Er ward im Busirischen Bezirk 
in der Nähe von Diospolis beerdigt. Unser Epigramm 79 
lautet folgendermaßen: 

Der Schlange gift'gem Biß erlag Demetrios; 

Ekelen Giftes genug 
Enthielt ihr Leib, die Augen kündeten nicht Tag. 

Nein, nur den finstern Tod. 

Herakleides erzählt in seinem Auszug aus den Dia- 
dochae des Sotion, Ptolemaios habe dem Philadelphos 
die Herrschaft abtreten wollen, Demetrios aber habe 
ihn davon zurückgebracht durch die Worte: „Gibst du 
es einem andern, so hast du es selbst nicht mehr." Zu 
der Zeit, als er in Athen von Verleumdern angeklagt 
wurde, fehlte nicht viel — denn auch dies ward mir 
kund — , daß der Komödien dichter Menander vor Ge- 
richt gezogen wurde aus keinem andern Grunde, als 
weil er sein Freund war; doch legte Telesphoros, der 
Vetter des Demetrios, wirksam Fürbitte ein. 

An Menge der Bücher und Zahl der Zeilen hat er, 80 
ein Mann von höchster Bildung und reichster Erfah- 
rung, fast alle Peripatetiker seiner Zeit hinter sich ge- 
lassen. Sie sind teils historischen, teils polltischen In- 
halts, teils handeln sie von den Dichtern, teils sind sie, 
rhetorischen Charakters, Volksreden und Gesandt- 



V 77—82. 



251 



schaftsreden, aber auch, Sammlungen, von I'abehi 
Äsopischer Art und mancherlei anderes. Namkcn: 
1 Von der athenischen Gesetzgebung o B. 2. Von den 
athenischen Bürgern 2 B. 3. Über Demagogie 2 B. 
4. Über Staatskunst 2 B. 5. Über Gesetze 1 B; 6. Uber 
Rhetorik 2 B. 7. Strategik 2 B. 8. Von der Ibas 2 B. 
9 Von der Odyssee 4 B. 10. Ptolemaios IB. '11. Von 

81 der Liebe 1 B. 12. Phaidondas 1 B. 13. Maidon 1 B. 
14. Kleon 1 B. 15. Sokrates 1 B. 16. Artaxerxes 1 B. 
17. Homerisches 1 B. 18. Aristeides 1 B. 19. Aristo- 
machos 1 B. 20. Der Ermahner 1 B. 21. Von der 
Staatsverfassung 1 B. 22. Von dem Jahrzehent 1 B. 
23 Von den Ioniern 1 B. 24. über Gesandtschaften 
1 B 25 Über Vertrauenswürdigkeit 1 ß. 26. Von der 
Anmut 1 B. 27. Vom Glück 1 B. 28. Von der Hoch- 
herzigkeit 1 B. 29. Von der Verheiratung 1 B. 30. Von 
der Meinung 1 B. 31. Vom Frieden 1 B. 32. Von den 
Gesetzen 1 B. 33. Vom Lebensberuf. 34. Von dem 
rechten Zeitpunkt 1 B. 35. Dionysios 1 B. 36. Chal- 
kidische Rede 1 B. 37. Strafrede wider die Athener 
1 B. 38. Über Antiphanes 1 B. 39. Historische Ein- 
leitung 1 B. 40. Briefe 1 B. 41. Die vereidigte Volks- 
versammlung. 42. Vom Alter 1 B. 43. Gerechtsame 
1 B. 44. Äsopisches 1 B. 45. Ghrien IB. — Seine 

82 Schreibart trägt philosophisches Gepräge, gemischt mit 
rednerischer Wucht und Kraft. 

Als er hörte, daß die Athener seine Bildsäulea zer- 
trümmert hatten, sagte er: „Aber nicht zertrümmert 
haben sie die Tugend, um derenwillen sie sie aufge- 
richtet hatten." Den (unansehnlichen) Augenbrauen,, 
sagte er, käme keine geringe Rolle zu, denn sie könnten 
das ganze Leben mit Schatten bedecken. Nicht nur 
der Reichtum ist blind, sondern auch das ihn leitende 
Glück. Was im Kriege das Eisen ausrichtet, das leistet 
in der Staatsverwaltung die Rede. Als er einmal einen 
liederlichen Jüngling sah, sagte er: „Siehe da, ein vier- 
eckiger Hermes mit Mund, 40 ) Bauch, Scham und 
Bart." Von hoffärtigen Männern, sagte er, man müsse' 



2ö2 



Demetrios. Herakleides. 



ihre Hoffart ihnen austreiben, ihr Selbstgefühl aber 
ihnen lassen. Die Jünglinge, sagte er, müssen daheim 
vor ihren Eltern, auf den Straßen vor den Begegnen- 
den, in der Einsamkeit vor sich selbst Ehrfurcht haben. 
Die (echten) Freunde, sagte er, finden sich bei glück- 
lichen Anlässen nur ein, wenn man sie ruft, bei un- 83 
glücklichen von selbst. — Das sind die bemerkens- 
werten Sprüche, die wahrscheinlich von ihm stammen. 

Namhafte Demetrier finden sich im ganzen 
zwanzig.* 7 ) Ersten® der Chalkedonier, der Redner, 
älter als Thrasymachos; zweitens unser Demetrios hier; 
drittens der Byzantiner, ein Peripatetiker ; viertens der 
sogenannte Graphicus (Maler), sehr klar im Vortrag, 
zugleich auch Maler; fünftens ein Aspendier, Schüler 
des Apollonios von Soli; sechstens der Kallatianer, der 
20 Bücher über Asien und Europa verfaßt hat; sieben- 
tens der Byzantier, der in 13 Büchern den Übergang der 
Gallier aus Europa nach Asien und in anderen acht 
die Taten des Antiochos und Ptolemaios und ihre Maß- 
nahmen für die Verwaltung Libyens geschildert hat; 
achtens der seinerzeit in Alexandreia lebende Sophist, 84 
Verfasser einer Rhetorik; neuntens der Adramyte- 
nische Grammatiker mit dem Beinamen Ixion, wegen 
eines angeblichen Frevels widetr die Hera; zehntens der 
Kyrenäer, ein Grammatiker, mit dem Beinamen Stam- 
nos, ein beachtenswerter Mann; elftens der Magnesier, 
ein reicher Mann aus vornehmem Haus und sehr ge- 
lehrt; ihm verdankt auch sein Mitbürger Metrodor viel 
für seine Bildung; zwölftens der Grammatiker aus 
Erythrä, der das Bürgerrecht in Temnos (in Mysien) 
erwarb; dreizehntens der Bithynier, Sohn des Stoikers 
Diphilos, Schüler des Rhodiers Panaitios; vierzehnten« 
der Smyrnäische Rhetor. Diese waren Gelehrte und 
schrieben in Prosa. Dichter dieses Namens aber waren 85 
erstens vier der alten Komödie, zweitens ein Epiker, 
von dem allein sich erhalten haben folgende Verse gegen 
die Neider: 



V 82—87. 253. 

Lebend ward er verachtet, gestorben wird er ersehnt nun. 
Und es entspann sich über das Grab und über den Leichnam 
Auch schon Krieg zwischen Städten mit starker Erregung des- 
Volkes. ., 

Drittens der Satirspieldichter aus Tarsos; viertens der 
Jambendichter, ein scharf züngiger Mann; fünftens ein 
Bildhauer, dessen Polemon gedenkt; sechsten» der 
Erythräer, ein vielseitiger Schriftsteller, Verfasser von 
historischen und rhetorischen Werken. 



Sechstes Kapitel. 
Herakleides, um 360 v. Chr. (bis über 330). 

86 Herakleides aus Herakleia am Pontos, Sohn^dea 
Euthyphron, war ein reicher Mann. In Athen schloß 
er sich zunächst an Speusipp an; doch hörte er auch 
die Pythagoreer und schwärmte für die Schriften 
Piatons. Erst später hörte er den Aristoteles, wie So- 
üon in den Diadochae sagt. Er hielt auf feine und 
weiche Kleidung und war überaus stattlich von Figur, 
so daß ihn die Athener nicht Pontikos nannten son- 
dern Pompikos. Ruhig und feierlich schritt er einher. 
Es gibt von ihm ganz hervorragende und treffliche 
Schriften. So Dialoge, von denen ethischen Inhalts sind 
drei Bücher von der Gerechtigkeit, eines von der Be- 
sonnenheit, fünf von der Frömmigkeit, eines von der 
Tapferkeit und noch eines allgemein von der Tugend, 

87 eines von der Glückseligkeit, eines von der Herrschaft, 
eines von den Gesetzen und verwandten Gegenständen, 
eines von den Namen, eines von Verträgen, der Wider- 
willige, von der Liebe (Erotikos), und ein Buch „Klei- 
nias". Physischen Inhalts: von der Vernunft und? 
der Seele' 8 ) sowie auch noch ein besonderes -Buch über 
die Seele, sodann von der Natur und den Bildern, gegen 
Demokrit, von den Himmelserscheinungen, von den 



Herakleides. 



Dingen im Hades, zwei Bücher von der Lebensweise, 
eines von den Ursachen der Krankheiten, eines vorn 
Guten, eines gegen Zenons Lehrsätze, eines gegen Me- 
trons Lehren. Grammatischen Inhalts: zwei Bücher 
über Homers und Hesiods Zeitalter, zwei Bücher über 
Archilochos und Homer. Musikalischen Inhalts: drei 
Bücher über Euripidei'sche und Sophokleische Fragen, 
zwei Bücher von der Musik, zwei Bücher Homerische 
Fragen, ein Buch Theorematikon, eines von den drei 88 
Tragödiendichtern, ein Buch Gharakterzeichnungen, 
eines von der Dichtkunst und den Dichtern, eines von 
der Treffsicherheit, eines vom Voraussehen, vier Bücher 
Erklärungen zu Heraklit, ein Buch erklärende Be- 
merkungen zu Demokrit, zwei Bücher Lösungen 
eristischer Fragen, ein Buch betitelt „Axiom", ein 
Buch von den Begriffen, ein Buch Auflösungen, ein 
Buch Ermahnungen, ein Buch an Dionysios. Bheto- 
rischen Inhalts: von der Kunst öffentlicher Beden oder 
Protagoras. Historischen Inhalts: über die Pythago- 
reer und über Erfindungen. 

Einiges davon hat er im Ton der Komödie gegeben, 
wie seine Ausführungen über die Lust und über die 
Besonnenheit, anderes in dem der Tragödie, wie die 
Schilderungen aus dem Hades und die Ausführungen 
über Frömmigkeit und über die Macht. In seiner Dar- 
stellungsweise hält er eine gewisse Mitte ein, etwa so, 89 
wie es die Verkehrsformen mit sich bringen, wenn sich 
Philosophen, Feldherren und Staatsmänner gegenein- 
ander aussprechen. Doch gibt es auch Abhandlungen 
über Geometrie und Dialektik von ihm. Übrigens 
zeichnen sich alle seine Schriften durch Mannigfaltig- 
keit, durch Schwung der Darstellung und große An- 
ziehungskraft aus. 

Er soll auch seine von einem Tyrannen geknechtete 
Heimatstadt in Freiheit gesetzt haben durch Ermor- 
dung des Gewaltherrschers, 49 ) wie der Magnesier Deme- 
trios in den Homonymen sagt. Dieser erzählt auch 
folgendes Geschichtchen von ihm: Er habe eine 



V 87—91. 



255 



Schlange von jung auf großgezogen und bei nahendem 
Tode einen seiner Getreuen angewiesen, seinen Leich- 
nam heimlich zu beerdigen und statt seiner die 
Schlange auf die Bahre zu legen, um den Anscheinzu 
erwecken, als sei er zu den Göttern entschwunden. 

90 Altes wurde pünktlich ausgeführt. Und als die Mit- 
bürger dem Herakleides das Grabgeleit gaben und üm 
mit Lobgesängen priesen, kroch mittlerweile die 
Schlange, durch das laute Geräusch aufgescheucht, 
aus den Gewändern hervor und richtete großen 
Schrecken bei den meisten an. In der Folge aber wurde 
der ganze Hergang enthüllt, und Herakleides erschien 
nun den Menschen nicht mehr in falschem Glänze son- 
dern in seinem wahren Wesen. 

Unsere Verse auf ihn lauten folgendermaßen: 

Herakleides, du wolltest den Menschen dich künden als einer, 

Der sich zur Schlange sofort 50 ) wandelte mit seinem Tod. 
Aber du hast dich getäuscht, du Schlauer! Das Tier war in 
Wahrheit 

Schlange, doch du, o Tor, hast dich als Tier nun entpuppt. 

91 Das berichtet auch Hippobotos. Indeß Hermippos 
erzählt, aus Anlaß einer Hungersnot, die schwer auf 
dem Lande lastete, hätten die Herakleoten die Pythia 
um Rat zur Erlösung befragt. Da habe Herakleides 
durch Geld nicht nur die Gesandten, sondern auch die 
Pythia selbst bestochen, folgende Antwort zurückzu- 
bringen: sie würden des Unglückes ledig werden, wenn 
Herakleides, des Euthyphron Sohn, bei Lebzeiten von 
ihnen mit einem goldenen Kranze geschmückt und 
nach seinem Tode als Heros verehrt würde. In dieser 
Fassung wurde der Orakelspruch überbracht, aber die 
ihn ersonnen, kamen nicht auf ihre Rechnung. Denn 
im Augenblicke, als Herakleides im Theater gekrönt 
ward, kam er durch Schlagfluß ums Leben; die Ge- 
sandten aber traf die Strafe des Steinigungstodes, Und 
zur selben Stunde starb auch Pythia; beim Betreten 
nämlich des Allerheildgsten ward sie von einer Schlange 
tödlich gebissen. So viel über seinen Tod. 



Herakleides. 



Aristoxenos, der Musiker, erzählt, er habe auch 92 
Tragödien gedichtet und sie für Werke des Thespis 
ausgegeben, und Chamäleon") behauptet, er (Heraklei- 
des) habe ihm seine Schriften über Hesiod und Homer 
gestohlen und sie als Material für seine eigenen 
Schriften verwendet. Auch der Epikureer Autodoros 
läßt sich tadelnd gegen ihn aus und widerlegt seine 
Schrift über die Gerechtigkeit. Ein weiterer Fall ist 
der folgende: Dionysios, Metathemenos genannt, oder, 
wie andere wollen, Spintharos, hatte einen Partheno- 
paios gedichtet unter des Sophokles Namen. Heraklei- 
des nahm die Sache gläubig auf und berief sich in einer 93 
Stelle seiner eigenen Schriften darauf als auf Sopho- 
kleische Zeugnisse. Sobald dies Dionysios erfuhr, ent- 
hüllte er ihm das Geheimnis; Herakleides aber war 
mißtrauisch und wollte der Mitteilung keinen Glauben 
schenken. Da machte ihn jener auf die Anfangsbuch- 
staben der ersten Verse aufmerksam, 32 ) die den Namen 
„Pankalos" ergaben; das war der Geliebte des Diony- 
sios. Als Herakleides aber noch immer ungläubig war 
und behauptete, das sei ein reiner Zufall, da verwies 
ihn Dionysios abermals auf sein Werk mit den Worten: 
Du wirst auch folgende Verse finden: 

A. Ein alter Affe fängt sich in der Schlinge nicht. 

B. Gefangen wird er wohl, doch erst nach langer Zeit. 

Ferner auch: 

„Herakleides versteht die Buchstaben nicht und schämt sich 
nicht." 

Der Herakleidesse finden sich vierzehn: erstens 
unserer hier; zweitens ein Mitbürger von ihm, der 
Lieder zu Waffentänzen und allerhand Schnurren ge- 
macht hat; drittens ein Kymäer, der fünf Bücher 94 
Persergeschichte geschrieben hat; viertens noch ein 
Kymäer, ein Rhetor, Verfasser einer Rhetorik; fünftens 
tin Kallatianer oder Alexandriner, der das sechs- 



V 92—94. 



257 



Irändige Buch über die Philosophenfolgen geschrieben 
hat, und die Lembeutische Rede, wovon er auch Lem- 
boa genannt wird; sechsten« der Alexandriner, der 
Verfasser der Persischen Eigenheiten; siebentens der 
Dialektiker aus Bargyle, der gegen Epikur geschrieben 
hat; achtens der Arzt aus der Schule dös Hikesias; 
neuntens der Tarentinische Arzt, der Empiriker; 
zehntens ein Dichter, der moralische Sentenzen ver- 
faßt hat; elftens ein Bildhauer aus Phokäa; zwölftens 
ein klangreicher Epigrammendichter; dreizehntens der 
Magnesier, der Verfasser der Geschichte des Mithri- 
dates; vierzehntens der Verfasser der Astrologie. 



\ 



17 



258 



Antisthenes. 



Sechstes Buch. 



Erstes Kapitel. 
Antisthenes. 444 bis etwa 368 v. Chr. 

Antisthenes, des Antisthenes Sohn, war geborener i 
Athener. Er stammte aber, wie es hieß, nicht aus voll- 
gültiger Ehe. Als ihn einer darüber höhnte, soll er er- 
widert haben: „Auch die Göttermutter ist eine Phry- 
gerin." Man glaubte nämlich, seine Mutter sei eine 
Thrakerin gewesen. So gab er denn auch durch seine 
rühmliche Haltung in der Schlacht bei Tanagra dem 
Sokrates Anlaß zu der Äußerung, schwerlich wäre aus 
einer Ehe eines Atheners mit einer Athenerin ein so 
trefflicher Mann hervorgegangen. 1 ) Und er selbst sagte 
höhnend von den Athenern, die sich nicht wenig 
darauf zugute taten, erdgeborene Ureinwohner zu 
sein, sie hätten, was ihre Abstammung anlange, nichts 
voraus vor Schnecken und Heuschrecken. 

Er war zuerst ein Schüler des Rhetors Gorgias. 
Daher das rednerische Gepräge seiner Dialoge, beson- 
ders in dem Dialoge „Wahrheit" sowie in den Protrep- 
tika (den sittlichen Mahnungen). Hermippos berichtet, 2 
er hätte die Absicht gehabt, bei der großen Isthmischen 
Festfeier die Athener, Thebaner und Lakedaimonier zu 
tadeln und zu loben; doch habe er diese Absicht auf- 
gegeben angesichts der großen Zahl von Teilnehmern, 
die sich aus diesen Städten zur Feier eingefunden.") 
Späterhin schloß er sich an Sokrates an, wovon er so 



VI 1-4. 



259 



großen Gewinn hatte, daß er seine eigenen Schüler auf- 
forderte, seine Mitschüler beim Sokrates zu werden. 
Im Peiraieus wohnhaft, legte er Tag für Tag den Weg 
von vierzig Stadien zurück, um den Sokrates zu hören. 
Seinem Vorbild verdankte er jene Beharrungskraft 
und jene Reinigung der Seele von aller Leidenschaft, 
womit er den Grund zur kynischen Schule legte. Und 
daß Mühsal ein Gut sei, legte er dar an den Beispielen 
des großen Herakles und des Kyros, indem er so Helle- 

3 nen und Barbaren zum Zeugnis heranzog. Er gab 
zuerst eine Definition der „Rede" durch die Formel: 
„Rede ist der Ausdruck dessen, was ein Ding war oder 
ist." Immer wieder sagte er: „Lieber verrückt werden 
als der Lust erliegen." Und: „Man darf nur mit solchen 
Weibern sich näher einlassen, die es einem Dank 
wissen." Zu einem Pontischen Jüngling, der sein 
Schüler werden wollte und sich erkundigte, was er dazu 
nötig hätte, sagte er: „Ein neues Büchelchen, ein neues 
Griffelchen und ein neues Täfelchen," wobei er mit dem 
..neu" (xa'.voö = xai voü) immer zugleich mit auf den 
Verstand hinwies. 8 ) Als ihn einer fragte, was für eine 
Frau er heiraten solle, antwortete er: „Wenn eine 
schöne, 60 gefällt sie allen, wenn eine häßliche, so 
wird sie d i r nicht gefallen." 4 ) Als er einst hörte, daß 
Piaton sich absprechend über ihn äußerte, sagte er: 
..So geht es den Königen: sie tun Gutes und lassen 
Böses über sich sagen." Als er in die Orphischen Myste- 

4 rien eingeweiht wurde und der Priester sagte, die 
dieser Teilhaftigen hätten im Hades viele Freuden zu 
erwarten, erwiderte er: „Warum also stirbst du 
nicht?" Als man ihn einmal höhnte, daß er nicht von 
zwei Freien abstamme, sagte er: „Doch auch nicht von 
zwei Ringkämpfern, und gleichwohl bin ich ein Ring- 
kämpfer." Auf die Frage, wie es käme, daß er nur 
wenige Schüler hätte, antwortete er: „Weil ich sie mit 
silbernem Stabe hinaustreibe." 5 ) Auf die Frage, warum 
er mit seinen Schülern so hart verfahre, sagte er: 
„Halten es doch auch die Ärzte so mit ihren Patienten." 

IT» 



260 



Antisthenes. 



Als er einst einen Ehebrecher auf der Flucht sah, sagte 
er: „Welcher Gefahr hättest du für einen einzigen 
Obolos entgehen können." „Besser ist's," sagte er, wie 
Hekaton in den Ghrien berichtet, „unter Geier als 
unter Lob s c h r e i e r 6 ) zu geraten; denn jene fressen 
die Toten, diese die Lebenden." Auf die Frage, was das 
Beseligendste unter Menschen sei, sagte er: „Im Glück 5 
zu sterben." Als einst ein Schüler ihm sein Leid klagte, 
daß er seine Hefte verloren habe, sagte er: „Du hättest 
den Inhalt in deine Seele und nicht auf deine Blätter 
schreiben sollen." Wie das Eisen vom Bost, sagte er, 
würden die Neider von ihrer eigenen Niedertracht ver- 
zehrt. Ferner: „Wer unsterblich werden will, muß ein 
frommes und gerechtes Leben führen." Und: „Als- 
dann gehen die Staaten zugrunde, wenn sie nicht mehr 
imstande sind, die Schlechten von den Guten zu unter- 
scheiden." Als er einst von üblen Gesellen gelobt wurde, 
sagte er: „Mir ist bange, daß ich irgend etwas 
Schlimmes begangen habe." Das Zusammenhalten 
einträchtiger Brüder erklärte er für stärker als jede 
Mauer. Man muß seinen Beisebedarf, sagte er, so ein- 6 
richten, daß er sich auch mit dem schwimmenden 
Schiffbrüchigen retten kann. Einst wegen seines Ver- 
kehrs mit schlimmen Gesellen zur Bede gesetzt, ant- 
wortete er: „Auch die Ärzte sind mit ihren Patienten 
zusammen, ohne Fieber zu bekommen." Es ist doch 
widersinnig, sagte er, den Weizen vom Unkraut zu 
säubern und im Kriege die unbrauchbaren Leute aus- 
zusondern, dagegen von der Staatsverwaltung die 
Schurken nicht auszuschließen. Auf die Frage, welchen 
Gewinn ihm die Philosophie gebracht hätte, antwortete, 
er: „Die Fähigkeit, mit mir selbst zu verkehren." Als 
beim Becher einer zu ihm sagte: „Stimm doch ein Lied 
an," gab er zur Antwort: „Blase du die Flöte dazu.'' 
Als Diogenes ihn um einen Leibrock bat, hieß ex ihn 
seinen Mantel zusammenfalten. 7 ) Auf die Frage, was 
man am nötigsten hätte zu lernen, erwiderte er: „Dem 
Verlernen vorzubeugen." Diejenigen, welche 



VI 4—9. 



261 



unter böser Nachrede zu leiden hatten, mahnte er 
standhafter auszuharren als solche, die mit Steinen be- 
worfen würden. Über Piaton spottete er als über einen 
hoffärtigen Menschen. Als ein großer Festzug im 
Gange war und er ein schnaubendes Roß vorüberziehen 
sah, sagte er zu Piaton: „Auch du kommst mir vor wie 
ein stolzes Prunkroß." Diese Äußerung hatte ihren 

4nlaß darin, daß Piaton das Roß wiederholt lobte. Als 
er den erkrankten Piaton einmal besuchte und eine 
Schüssel sah, in die er sich erbrochen hatte, sagte er: 

Die Galle sehe ich hier wohl, aber den Hochmut 

8 nicht." Den Athenern gab er den Rat, durch eine Ab- 
stimmung die Esel für Pferde zu erklären, und als sie 
dies als unsinnig abwiesen, sagte er: „Rei euch kann 
man ja auch Feldherr werden, ohne etwas gelernt zu 
haben, durch bloßes Handaufheben." Als einer zu ihm 
sagte: „Du hast zahlreiche Lobredner," erwiderte er: 
„Was habe ich denn Röses getan?" 8 ) Als er ein 
Loch in seinem Mantel recht sichtlich hervorkehrte, 
sagte Sokrates, der dieses gewahr ward, zu ihm: »Deine 
Eitelkeit blinkt mir aus deinem Mantel entgegen." ) 
Als, nach dem Eericht des Phanias in seinem Ruche 
über die Sokratiker, einer die Frage an ihn richtete, 
w as er tun müßte, um ein tüchtiger Mann zu werden, 
antwortete er: „Wenn du von den Wissenden lernst, 
daß das Schlechte, was dir anhaftet, zu meiden ist." 
Zu einem Lobredner der Schwelgerei sagte er: „Meinen 
Feinden gönnte ich es, daß ihre Söhne Schweiger 

9 würden." Zu einem Jüngling, der sich für den Bild- 
ner ein schönes Aussehen zu geben suchte, ließ er sich 
.so aus: „Sage mir, wessen würde sich wohl das Erz 
(einer Statue) rühmen, wenn ihm zu reden vergönnt 
wäre?" — „Seiner Schönheit," lautete die Antwort. — 
„Schämst du dich also nicht," erwiderte er, „deine 
Freude an nichts anderem zu haben, als woran ein 
seelenloses Eild sie hat?" Als ein Pontischer Jüngling 
ihm reichliche Versorgung seinerseits zusicherte, so- 
bald sein Schilf mit gesalzenen Fischen ankäme, nahm 



262 



Antisthenes. 



er ihn bei der Hand und ging mit ihm, mit einem 
leeren Sacke ausgerüstet, zu einer Mehlhändlerin, ließ 
den Sack füllen und machte sich wieder auf den Weg; 
als jene aber die Zahlung forderte, sagte er: „Der 
Jüngling hier wird sie leisten, sobald sein Schiff mit 
den Salzwaren ankommt." Er war es wahrscheinlich 
auch, der die Verbannung des Anytos und den Tod des 
Meietos veranlaßte. Alö er nämlich mit Jünglingen aus 10 
dem Pontos zusammentraf, die der Name des Sokrates 
nach Athen gelockt hatte, führte er sie zum Anytos mit 
der ironischen Bemerkung, dieser sei weiser als So- 
krates; darüber gerieten die Umstehenden in solchen 
Unwillen, daß sie seine Verbannung durchsetzten. Sab 
er irgendwo ein auffallend geputztes Frauenzimmer, 
so ging er in ihre Wohnung und forderte ihren Mann 
auf, sein Roß und seine Waffe sehen zu lassen; hätte 
er solche, so brauche er von ihrer Putzlust nichts zu 
befürchten; denn sie böten hinreichenden Schutz zur 
Wahrung seiner Familienehre ; wo nicht, so müsse er 
sie zwingen, ihren Putz abzulegen. 

Sein philosophischer Standpunkt gibt sich in fol- 
genden Sätzen kund: Die Tugend, so führte er aus, sei 
lehrbar. Adel und Tugend sind nicht nach Personen 
getrennt. Die Tugend sei ausreichend zur Glückselig- 11 
keit und bedürfe außerdem nichts als die Sokratische 
Willenskraft. Die Tugend bestehe im Handeln und be- 
dürfe weder vieler Worte noch Lehren. Der Weise sei 
sich selbst genug, denn alles was andere hätten habe 
er auch. Die Ruhmlosigkeit sei ein Gut und stehe auf 
gleicher Stufe mit der Mühsal. Der Weise werde sich 
in Sachen der Staatsverwaltung nicht nach den be- 
stehenden Gesetzen richten sondern nach dem Gesetze 
der Tugend. Und er werde heiraten um der Nach- 
kommenschaft willen, wobei seine Wahl auf die 
schönsten Frauen fallen werde. Auch verlieben werde 
er sich, denn der Weise allein wisse, wen man lieben 
dürfe. Diokles verzeichnet von ihm noch folgenden 12 
Ausspruch: Für den Weisen ist nichts fremd und un- 



VI 9—14. 



263 



ergründbar. Der Tugendhafte ist liebenswert. Die 
sittlich Tüchtigen sind Freunde. Entschlossene und ge- 
rechte Männer muß man sich zu Bundesgenossen 
raachen. Die Tugend ist eine Waffe, deren man nicht 
beraubt werden kann. Es ist besser, mit wenigen 
Trefflichen gegen die Gesamtheit der Schlechten, als 
mit zahlreichen Schlechten gegen wenige Treffliche zu 
kämpfen. Auf die Feinde muß man wohl acht haben, 
denn niemand bemerkt unsere Fehler eher als sie. Die 
Gerechten muß man höher schätzen als die Ver- 
wandten. Für Mann und für Frau ist die Tugend die 
nämliche. Das Gute ist schön, das Böse ist haßlich. 
13 Alles Schändliche halte für fremd. Das sicherste Boll- . 
werk ist die Einsicht, denn, sie kann weder weg- 
geschwemmt noch verraten werden. Schaffe dir m dir 
selbst ein Bollwerk durch die Unfehlbarkeit deiner Be- 
rechnungen. 

Seinen Unterricht erteilte er in dem Kynosarges, 
einem Gymnasium nicht weit vor dem Tor, wovon nach 
einigen die Schule auch ihren Namen bekommen haben 
soll. Er selbst aber wurde Haplokyon (schlechtweg 
Hund) 30 ) genannt. Er verdoppelte, wie Diokles be- 
richtet, zuerst seinen alten Mantel 11 ) und beschränkte 
sich ganz auf ihn ; dazu führte er Stock und Quersack 
mit sich; auch Neanthes sagt, er habe zuerst den 
Mantel verdoppelt. Sosikrates aber im dritten Buch 
der Diadochae bemerkt, der Aspendier Diodoros habe 
zuerst sich den Bart lang wachsen lassen und sich mit 
Stock und Quersack ausgerüstet. 
14 Antisthenes ist der einzige Sokratiker, den Theopomp 
lobt mit den Worten, er sei ein hochbegabter Mann 
und verstehe es. durch die gewandte Art seiner Unter- 
haltung jedermann sich willfährig zu machen. Das er- 
hellt auch aus seinen Schriften, wie auch aus des 
Xenophon Symposion. Er gilt auch alis geistiger Ur- 
heber der so überaus mannhaften Sekte der Stoiker, 
wie denn der Epigrammendichter Athenaios sich 
folgendermaßen über diese vernehmen läßt: 



264 



Antisthenes. 



Heil euch stoischen Weisen! Ihr habt die erhabensten Lehren 
Eueren Blättern vertraut, habt sie geheiligt durch sie 

Tugend allein verbürgt das Heil der Seele; ihr findet 
Keinen anderen Hort jemals für Menschen und Staat 

Neischliche Lust, das gepriesene Ziel für andere Menschen, 
Hat eine einzige nur sich von den Musen erwählt. 

i Er war auch der Wegweiser zu des Diogenes leiden- 15 
.schaftsloser Seelenruhe, zu des Krates Selbstbeherr- 
schung, wie zu des Zenon Beharrlichkeit und hat selbst 
den Grund zu der Staatstheorie gelegt. 12 ) Xenophon 
bemerkt, er sei der angenehmste Unterhalter gewesen, 
im übrigen außerordentlich enthaltsam. 

Seine umlaufenden Schriften umfassen zehn Bände. 
Der erste enthält folgende Abhandlungen: Von der 
Ausdrucksweise oder von den Kennzeichen {^spi Xs'leoc 
i\ ftspt xapaxTKi'pMv). Aias oder Aias Rede (Al'ac r t Aiavtof 
Äop?), ^ Odysseus oder von Odysseus ('05i><t<tsu? tj ttip! 
08-jaaswc), Des Orestes Verteidigung oder über die 
Rechtsanwälte ('OpsVirou äizolojCa t] Trepi. twv Sixoypaqjov), 
Isographe oder Lysias und Isokrates ('Ictoyp<x<pv) tj Av- 
Ti'a ? xat'Iaoxpa'TY ) <;) ; Gegen den Zeugenlosen des Isokrates 
(icpöS tov WpaTouc 'AjtapTupov). Der zweite Band: 
Von der Natur der Tiere (rcepi. £w'uv cpucs«?), Von der 
Kindererzeugimg oder von der Hochzeit, ein Liebes- 
gespräch Ospi TraiSoTTou'ac r, «gpj ya'piou spcmxo's), Von 
den Sophisten, eine physiognomische Abhandlung (mpl 
-ov aoyvnm 9ua1.0Yvofj.txd?), über Gerechtigkeit und 16 
Tapferkeit, ermahnender Dialog in drei Abteilungen 
(«gpt otxawCTuvTj? xal ävopa'ac irpoTp£7mxb<: 7rpüro£, 
Ssu'-cepoc, Tpiroc), Über Theognis (icepl ©soyviSoc 5' s j. 
Dritter Band: Vom Guten fcrspt dya'äroO), Von der 
Tapferkeit (^ept avSpsi'as), Vom Gesetz od er vom Staat 
Otepi vojj.ou •») ^spl ic&XiTsto«), Vom Gesetz oder Vom 
Schönen und Gerechten (jcspi. vop.ou v) Ttspi. xaXou xal 
oixafou), Von Freiheit und Knechtschaft (rcepi eXeo^epi'ac 
xat. öouXsta?), Vom Vertrauen faepi, ■Kiazstoc), Vom 
Vormund oder vom Gehorchen (TcspUraxporcou T,7cspl xoü 
rafirsafrai), Vom Siege, ein Haushaltungsbuch Oept 
voetic otxovctuxo>). Vier ter Band : Kyros (Küpo;), 



VI 14—18. 



265 



Der größere Herakles oder Von der Kraft ( HpoxVr)?o 
asßov ri icspl ia X üo?). Fünfter Band: Kyros oder \ om 
Königtum (KOpo? $ ßowiXste«), Aspasia ( Aaraciux). 
Sechster Band: Die Wahrheit ('AX^eux) Von der 
Disputierkunst, ein widerlegendes Gespräch (w- tou 
S-aXe'Ysa^oi avTiXo^ixoc). Sathon oder \om Wider- 
sprechen, drei Abteilungen (2d*wv ^ V Touav^ 
Xgyew a' ß' y')> Von der Bedeweise (ictpi iH.aXexirou), 
17 Siebenter Band: Von .der Erziehung oder Von den 
Namen in fünf Abteilungen («spi icai5eiac ij ovoiiotcüv 
d ß' t' 5' e'), Vom Gebrauche der Namen, polemisch 
(reepl 6vo|j.a'Tov xjP».««»« ^ $PW™»«)j Von Frage und 
Antwort ("£?<• epu^aeoc xai drcoxpfesoc). Vom Meinen 
und Wissen in vier Abteilungen («plSo^cxal fafTMtqc 
a' ß' f »'), Vom Sterben (iwpl tou awÄcwil»), Uber 
lieben und Tod (wspl frtfj« xai. Savairow), Von den 
Dingen im Hades frspi. tov sv a5ou). Von der Natur in 
zwei Abteilungen (wepl qiwreoc d ß'), Frage über die 
Natur in zwei Abteilungen ('Epo^a wep«. «puaswc ß ), 
Meinungen, polemisch (Ao£oa i\ s'pumxo'c). Probleme 
über das Lernen (*ept xoO fx-xv^dvew -poßXTj'vrra), 
Achter Band: Von der Musik (rapl jj.ouöoajO, Über 
die Ausleger (^spi s^ytjtwv), Über Homer (-spl 0(XT,pou), 
Über Ungerechtigkeit und Gottlosigkeit (ttspt d5odas Kät 
dssßetac), Über Kalchas KaX^vro«), Über den 

Kundschafter (wepl xa-rao-xo-ou), Von der Lust (wspt 
ySov^c). Neunter Band: Über die Odyssee 
"()5yaaretaf), Über den Stab (*spl pdßäou), Athene oder 
Über Telemach ('A^vd 3j itepl Ti]Xsfi.dx,ou), Über Helena 
und Penelope (wepi 'EX^vijj xocl rtyvsXojt-K)?), Über Pro- 
' teus (TCspt üpoTewc), Der Kyklop oder Über Odysseus 
(Ku'xXö^ Tj 7T£pi 'Obvaaiuq). Vom Gebrauche des Weines 
18 oder Von der Trunkenheit ^oder ^ Vom Kyklopen frepl 
(owou xFl'c 12 "? "h KE 9 l ! J - £ '~'*l£ "h Ktpt toü KuxXotuos;), Von 
der Kirke (Tcspf, K£px-*i<;), Von Amphiaraos (wepi. 
'A(j.cpt.apdoo), Von Odysseus, Penelope und dem Hunde 
(repi toÜ 'OSuaaso? xod fIv]veX67rr); xod 7irspl toü xuvos).- 
Zehnter Band: Herakles oder Midas CHpaxXr,c % 



.266 Antisthenes. Diogenes. 

M{8a?), ^ Herakles oder Über Einsicht und Kraft 
( HpaxX-^i ^ repi ^por^oc •»] iayvoi;). Kyros oder Der 
Geliebte (KOpo; r, ^po^svo?), Kyros oder Die Kund- 
schafter (K-ipoc •») xaTa'ffxawoi), Menexenos oder Vom 
Herrschen (Msve^evo? wepl toü apx s '- v ), Alkibiades 
( AXx-ßia'8-»)?), Archelaos oder Vom Königtum 
('Apx^.ao? i] Trept ßaatXei'a?). Das sind seine Schriften. 
Timon ergeht sich wegen der Menge seiner Schriften 
in Tadel über ihn und nennt ihn einen „geschwätzigen 
Tausendkünstler". [Frg. 37 Diels.] 13 ) 

Er starb an Kräfteverfall. Während seiner Krank- 
heit besuchte ihn Diogenes und fragte ihn: „Du be- 
darfst doch nicht etwa eines Freundes?" 14 ) Und ein 
andermal trat er mit einem Dolch bei ihm ein. Als nun 
Antisthenes die Worte ausstieß: „Wer kann mich wohl 
von meinen Qualen befreien?" sagte er, den Dolch vor- 
zeigend: „Dieser da." Da erwiderte Antisthenes: „Von 
den Qualen, sagte ich, nicht vom Leben," denn, wie es 
schien, war er wohl aus Liebe zum Leben duldsamer 19 
gegen die Krankheit. Folgendes sind meine Verse 
auf ihn: 

• 

Eine Hundenatur, Antisthenes, warst du im Leben; 

Mit deinem bissigen Wort trafst du die Menschen ins Herz. 
Schwindsucht raffte dich hin, wird mancher sagen. Wozu das? 

Eines Fuhrers bedarf jeder zum Hades hinab. 

Es gibt noch drei andere Antisthenes: einen Herak- 
hteer, einen zweiten aus Ephesos und einen dritten, 
einen Historiker aus Rhodos. Wie wir nun früher die 
Schulen des Aristipp und des Phaidon nach ihren Ver- 
tretern durchgesprochen haben, so wollen wir jetzt die . 
von Antisthenes ausgehenden Kyniker und Stoiker zur 
1 bersicht bringen, und zwar in folgender Ordnung. 



VI 18—21. 



267 



f J 



Zweites Kapitel. 

Diogenes. 404—323 v. Chr. 

20 Diogenes, 15 ) des Wechslers Hikesias Sohn stammte 
aus Smopt Diokles erzählt, sein Vater habe ein 
öffentliches Wechslergeschäft gehabt und «i^ 
Falschmünzerei flüchtig geworden. Lubuhdes aber be- 
richtet in seinem Buch über Diogenes, diejars« *fl* 
der Täter gewesen und sei mit seinem Vater in die 
Fremde gegangen. Ja, er selbst sagt von sich in seinem 
PorLos (vgl § 80), er habe die Münze verfälscht 
Einige behaupten, er sei zum Aufseher gemacht worden 
und habe sich von den Werkleuten ^eden la^n- 
nach Delphi oder nach Delos, der Heimat des Apollor,, 
zum deichen Tempel sich zu begeben, um dort anzu- 
fragen, ob er das vornehmen dürfe, wozu man ihn auf- 
'ordere (nämlich eine Änderung des Nomisma). Als 
der Gott es erlaubte, nämlich eine Änderung der staat- 
lichen Ordnung (7coX t Tix.bv voju^a) überhaupt (nicht 
aber der Münze, vo^-au.*), faßte er es anders auf, 
fälschte die Münze, ward gefaßt und mulite wie 
einige vermelden, in die Verbannung gehen, wahrend 
er nach anderen freiwillig aus der Stadt entwich, aus 
Furcht; noch andere behaupten, er sei vom Vater zur 
21 Münzfälschung veranlaßt worden, und dieser sei nn 
Gefängnis gestorben, er aber sei flüchtig geworden 
und nach Delphi gegangen und habe da angefragt, 
nicht ob er das Geld fälschen dürfe, sondern was ihm 
dazu verhelfen würde, alle an Ruhm zu ubertreffen, 
und habe darauf jene Antwort erhalten. ) 

Nach Athen gelangt, wandte er sich dem Anti- 
sthene* zu. Als dieser aber ihn von sich wies, da er 
niemanden um sich leiden mochte, erzwang er sich 
doch endlich den Zutritt durch seine geduldige Be- 
harrlichkeit. Und als Antisthenes einmal seinen Stock 
gegen ihn erhob, reckte er ihm seinen Kopf hm mit 
drn Worten: „Schlage nur zu, denn du wirst kein Holz 



2158 



Diogenes. 



finden, das hart genug wäre, mich fortzutreiben, so- 
lange ich dich noch reden höre/' Von da ab ward ei- 
sern Zuhörer und mußte als armer Flüchtling so spar- 
sam wie möglich leben. Wie Theophrast in seinem 
Megarikos 17 ) berichtet, ward er aufmerksam auf eine 
hin- und herlaufende Maus, die weder eine Ruhestätte 22 
suchte noch die Dunkelheit mied noch irgend welches 
Verlangen zeigte nach sogenannten Leckerbissen. Das 
gab ihm einen Wink zur Abhilfe für seine dürftige 
Lage. Er war es nach einigen, der zuerst seinen 
Mantel durch Übereinanderschlagen gleichsam ver- 
doppelte,") um jedem Bedarf zu genügen und auch 
das Bett zu ersetzen. Auch rüstete er sich mit einem 
Ranzen aus, der seine Nahrung barg, und so war ihm 
joder Ort recht zum Frühstück, zum Schlafen, zur 
Unterhaltung, kurz für alles. So pflegte er denn, mit 
seinem Finger auf die Säulenhalle des Zeus und auf 
das Zeughaus (Pompeion) hinweisend, zu sagen, diese 
Bauten hätten die Athener ihm zur Wohnstätte er- 
richtet. Nach einem Krankheitsanfall bediente er sich 23 
•■Ines Stabes zur Stütze, den er dann aber gewohnheits- 
mäßig immer mit sich führte, nur in der Stadt nicht, 
wohl aber auf seinen Wanderungen, ebenso wie auch 
den Ranzen, wie Olympiodo res berichtet, der leitende 
I5eamte Athens, und der Rhetor Polyeuktos und Lysa- 
nias, des Aischrion Sohn. Als er einen brieflich ge- 
beten hatte, ihm ein Häuschen zu besorgen und dieser 
zu lange auf sich warten ließ, nahm er das Faß im 
Metroon (Tempel der Göttermutter Kybele und Staats- 
archiv) zu seiner Wohnung, wie er selbst in seinen 
Briefen bezeugt. Im Sommer pflegte er sich auf dem 
glühend heißen Sande umherzuwälzen, im Winter die 
schneebedeckten Bildsäulen mit seinen Armen zu um- 
fangen, nichts verabsäumend, um sich widerstands- 
fähig zu machen. 

Besonders stark war er darin, anderen seine Ver- 2* 
achtung kund zu geben. Des Schulhauptes Eukleides 
Hallo nannte er Galle und des Piaton Beleb- 



Vi 21—26. 269 

rung Verkelnung. 19 ) Die Bionysischeii Wett- 
cämpfe nannte er große Wunderwerke ^r ^arren ) 
und die Demagogen Bediente des Pobels. ) Auch horte 
nan ihn Sen, wenn er im Lehen Steuermännern be- 
Sgne Äzten und Phüosophen, dann käme ahm 
der Men-ch wie das verständigste unter allen be- 
sth r ö£lor; wenn dann aber wieder T = *utern 
und Sehern nebst ihrem gläubigen Anhang ode 
Leuten die sieh auf ihre Berühmtheit oder ihren 
Reichtum werweiß was einbildeten, dann erscheine ihm 
SS erbärmlicher als der Mensch. Nicht Seiten sagte 
er er glaube, man müsse sich zum Leten entweder 
2S mit Vei^tand' ausrüsten oder mit ^.^Jg^ 
sich zu erhängen). Und als er sah, daß Piaton bei 
e nem prunkvollen Mahle sich an die Ohven hielt, sagte 
er Wie' Erst macht derWeise die große Seereise nach 
Sizilien um der Tafelfreuden willen und nun, da hier 
alles in Fülle zu haben ist, versagst du dar den Genuöj 
worauf Piaton erwiderte: „Glaube mir, bei denGottern, 
Biogenes, auch dort habe ich mich meist an _ Oliven ^und 
dergleichen gehalten." - „Wozu also," fuhr Biogene, 
fort, „hattest du es nötig, nach Syrakus zu fahrem 
Gab es etwa damals in Attika kerne Ohven? Favorm 
dagegen schreibt in seinen Geschichtemisz^llen diese 
Äußerung dem Aristipp zu. Ein andermal begegnete 
er, getrocknete Feige* essend, dem Piaton und sagte. 
„Bu kannst auch teilnehmen." Und als jener zulangte 
und aß, sagte er: „Teilnehmen, sagte ich nicht auf- 
25 essen" Als Piaton ihn einst zu Gaste geladen hatte 
nebst Freunden, die von Bionysios her eingetroffen 
waren, trampelte er auf dessen Fußteppichen herum 
mit den Worten: „Ich trete des Piaton anmaßhehe 
Hohlheit mit Füßen," worauf Piaton sagte: Welchen 
Grad von Aufgeblasenheit, o Biogenes, gibst du damit 
kund der du dir einbildest, nicht aufgeblasen zu sein. 
Andere erzählen die Sache in folgender Form : Biogenes 
habe gesagt: „Ich trete des Piaton AufgeWasenheu mit 
Füßen," worauf dieser erwidert habe: „Ja, mit emei 



270 



Diogenes. 



anderen Aufgeblasenheit, Diogenes." Sotion aber im 
vierten Buch schreibt diese Äußerung dem Kyniker zu 
als gegen Piaton selbst gerichtet. (?) Einst hatte 
Diogenes ihn um Wein gebeten, zugleich auch um ge- 
trocknete Feigen; Piaton aber schickte ihm ein ganzes 
großes Gefäß voll. Da sagte er: „Wenn man dich fragte, 
wieviel zweimal zwei ist und du antwortetest 
zwanzig, so würde deine Antwort so wenig zu der 
Frage passen wie deine Gabe zu dem Verlangten." Er 
spottete auch über ihn als einen Wortverschwender. 
'Auf die Frage, wo in Griechenland er brave Männer 27 
gesehen hätte, antwortete er: Männer nirgends, Knaben 
aber in Lakedaimon." Als sich einst zu seiner ernsten 
Rede niemand einstellen wollte, begann er wie ein 
Vogel zu trillern; als sich daraufhin eine Masse Volkes 
um ihn zusammendrängte, schalt er sie, daß sie sich 
solchem Getändele mit vollem Eifer und Ernst zu- 
wendeten, während sie für ernste Dinge keine Zeit und 
keinen Antrieb hätten. Die Menschen, sagte er, wett- 
eiferten darin, sich gegenseitig zu Fall zu bringen und 
einander niederzutreten, aber um den Preis der Tu- 
gend ringe niemand. Auch sprach er sein Befremden 
aus über die Grammatiker, die des Odysseus Fehler 
aufspürten, die ihrigen aber unbeachtet ließen, und 
daß die Musiker zwar die Saiten der Leier zum Ein- 
klang stimmten, ihre eigene Seelenverfassung aber dem 
Mißklang preisgäben. So schauten auch die Mathe- 28 
matiker nach Sonne und Mond, aber was ihnen vor den 
Füßen läge, das übersähen sie, 22 ) und die Redner 
würden nicht müde von dem zu sprechen, was recht 
sei, es aber zu tun unterließen sie. Und die Hab- 
süchtigen sprächen zwar verächtlich vom Geld, liebten 
es aber über die Maßen. Er sprach sich ungehalten 
ans über die, welche die Gerechten loben, daß sie über 
Geld erhaben seien, dabei aber doch die mit Reichtum 
Gesegneten preisen. Auch ging es ihm wider den 
Mann, den Göttern um der Gesundheit willen zu opfern 
und beim Opfer selbst zu schmausen auf Kosten der 



VI 26—30. 



271 



Gesundheit. Auch . verhehlte er nicht seine Bewunde- 
rung für die Sklaven, die die Eßgier ihrer Herren beim. 
Mahle beobachteten, ohne sich eines Raubes an dfen 

29 Speisen schuldig zu machen. Er lobte die, welche 
heiraten wollen und nicht heiraten, die, welche ab- 
segeln wollen und nicht absegeln, die, welche staats- 
männisch tätig sein wollen und es unterlassen, die 
Kinder aufziehen wollen und es nicht tun, die sich 
fertig machen, in den Dienst der Fürsten zu treten und 
davon abstehen. Von ihm stammt auch der Ausspruch, 
nach Freunden dürfe man die Hand nicht mit einge- 
bogenen Fingern ausstrecken." 3 ) Menippos erzählt in 
dem „Verkauf des Diogenes", er sei bei seinem Verkauf 
als Gefangener gefragt worden, auf welches Geschäft 
er sich verstände, und seine Antwort habe gelautet: 
.,Über Männer zu herrschen;" und dem Herold gab er 
die Weisung: „Rufe aus, ob einer gewillt sei, sich einen 
Herrn zu kaufen." Und als man ihm (bei diesem Ver- 
kauf) das Sitzen verwehrte, sagte er: „Das macht 
nichts aus; werden doch auch die Fische verkauft, 
mögen sie nun so oder so gelagert sein." Auch sprach 

30 er seine Verwunderung darüber aus, daß wir beim Ein- 
kauf eines Topfes oder eines Tiegels die Ware sorg- 
fältig beklopfen, beim Einkauf eines Menschen aber 
uns mit dem bloßen Anblick begnügen (vgl. II 78). Zu 
seinem Käufer Xeniades sagte er: du mußt mir ge- 
horchen, ob ich gleich Sklave bin; gehorche er doch 
auch dem Arzte oder Steuermann, gesetzt auch, daß 
sie Sklaven wären. Eubulos sagt in der Schrift, die be- 
titelt ist „Der Verkauf des Diogenes", er habe es mdt 
der Erziehung der Kinder des Xeniades so gehalten, 
daß er sie außer den übrigen Fächern im Reiten, 
Rogenschießen, Schleudern, Speerwerfen unterwiesen 
habe. Weiterhin in der Ringschule gestattete er dem 
Ringmeister nicht, sie in den Athletenkünsten zu üben, 
sondern als Ziel hatte er immer nur die gesunde Ge- 
sichtsfarbe und die gute körperliche Verfassung im 
Auge. Die Knaben prägten sich viele Stellen aus Dich- 



212 



Diogenes. 



tern und Schriftstellern, auch aus des Diogenes eigenen 
Schriften ein, und er ruhte und rastete nicht, ihnen 
den Lernstoff in möglichster Kürze für das Gedächtnis 
leicht behattbar zu machen. Im Hause hielt er sie an. 
dienstfertig zu sein und sich mit einfacher Kost und 31 
mit Wasser zu begnügen. Mit ganz kurz geschnittenem 
Haar, ohne jeden Schmuck, ohne Mantel und Schuhe, 
schweigsam und das Auge nur auf sich selbst gerichtet 
mußten sie auf den Straßen einhergehen. Auch auf die 
Jagd hinaus führte er sie. Sie aber waren ihrerseits 
eifrig um des Diogenes Wohl besorgt und legten bei 
ihren Eltern oft ein gutes Wort für ihn ein. Derselbe 
Schriftsteller bezeugt, daß er im Hause des Xeniades 
alt geworden und nach eingetretenem Tode von dessen 
Söhnen beerdigt worden sei. Hierher gehört auch fol- 
gender Ausspruch von ihm. Als Xeniades ihn fragte, 
wie er ihn begraben solle, sagte er: „Auf dem Gesichte 
hegend." Auf die Frage aber nach dem Grunde sagte 32 
er: „Weil in kurzer Zeit das Untere zu oberst gekehrt 
werden wird." Dies aber deshalb, weil die Makedoner 
bereits die Herrschaft in den Händen hatten oder mit 
anderen Worten von unten nach oben gelangt waren. 
Als ihn einer in ein prunkvolles Haus führte und sich 
das Spucken verbat, spie er ihm den im Munde ge- 
sammelten Schleim ins Gesicht mit den Worten, er 
habe jergebens nach einem schlechteren Platz ge- 
sucht. ") Andere schreiben dieses dem Aristipp zu. 
Einst rief er laut: „Heda, Menschen," und als sie her- 
zuliefen, bearbeitete er sie mit seinem Stocke mit den 
Worten: „Menschen habe ich gerufen, nicht Unflat." 
So erzählt Hekaton im ersten Buche seiner Chrien. Es 
geht auch die Rede, Alexander habe die Äußerung 
getan, wenn er nicht Alexander wäre, möchte er Dio- 
genes sein. Nicht Taube und Blinde, sagte er, sind zu 38 
beklagen, sondern die, die den Rucksack nicht 
trage n. s ") Einst kam er, wie Metrokies in den Chrien 
erzählt, zu einem Gelage junger Leute und wurde, weil 
^iur halbgeschoren, durchgeprügelt; da schrieb er die 



VI 30—35. 



273 



Namen seiner Peiniger auf eine weiße Tafel, die er 
sich umhing, und machte damit die Runde in der 
Stadt. So rächte er sich an ihnen, indem er sie der 
Verurteilung und der Verachtung preisgab. Er sagte, 
er sei einer von den vielgepriesenen Hunden, 20 ) aber 
keiner der Preisenden wage es, mit ihm auf die Jagd 
zu gehen. Einem, der sich vor ihm rühmte: „In den 
Pythischen Spielen besiege ich Männer," erwiderte er: 
„Ich Männer, du nur Knechte." 27 ) Als er die Worte 
zu hören bekam : „Du bist nun alt und mußt dir künftig 
Ruhe gönnen," entgegnete er: „Wie? Gesetzt, ich liefe 
in der Rennbahn um die Wette, dürfte ich dann, nahe 
dem Ziele, nachlassen, statt meine Kraft nur noch mehr 
zusammenzunehmen?" Eine Einladung zu einem Gast- 
mahl schlug er aus mit der Begründung, auch kurz 
vorher habe man sich für sein Erscheinen nicht dank- 
bar gezeigt. Mit nackten Füßen wandelte er auf dem 
Schnee und was sonst oben bereits mitgeteilt ist. Sogar 
rohes Fleisch versuchte er zu genießen, doch konnte 
er's nicht verdauen. Einmal traf er den Redner 
Demosthenes in einem Wirtshause frühstückend, und 
als dieser vor ihm sich mehr in das Innere des Raumes 
zurückzog, sagte er: „Umsomehr wirst du im Wirts- 
haus sein." Einst wollten Fremde gern den Demo- 
sthenes sehen; da streckte er den Mittelfinger 28 ) aus 
und sagte: „Seht, dieser da ist der athenische Dema- 
gog." Als jemand ein Stück Brot hatte fallen lassen 
und sich schämte, es wieder aufzuheben, wollte er ihm 
einen Denkzettel geben: er schlang also um den Hals 
eines irdenen Kruges eine Schnur und schleifte so das 
Gefäß über den ganzen Töpfermarkt weg. 28 *) Er ahme, 
sagte er, die Chormedster nach; denn auch diese gingen 
im Tonangeben ein wenig über das eigentliche Maß 
hinaus, damit die übrigen den richtigen Ton träfen. 
Auf einen einzigen Finger, sagte er, käme es bei den 
meisten an, ob sie verrückt wären oder nicht; wenn 
nämlich jemand umherwandelnd mit dem Mittelfinger 
auf etwas hinzeigt, so gilt er für verrückt, wenn aber 

Apelt, Diogenes Laertius. 18 



274 



Diogenes. 



mit dem Zeigefinger, dann nicht. Das Wertvolle, sagte 
er, bekäme man auf dem Markte um einen Spottpreis 
und umgekehrt; so wäre eine Bildsäule nicht unter 
dreitausend Stück Kupfermünzen zu haben, ein Maß 
Mehl dagegen schon für zwei Stück. Zu Xeniades, 
seinem Käufer, sagte er: „Wohlan, nun tue, was dir 
befohlen wird," und als dieser erwiderte (Eurip. Med. 36 
410): 

Aufwärts richtet sich nun der Lauf der Flüsse 

entgegnete er: „Hättest du als Kranker einen Arzt ge- 
kauft, würdest du ihm dann etwa nicht folgsam sein, 
sondern sagen, aufwärts richte sich nun der Lauf der 
Flüsse?" Als sich einer bei ihm in der Philosophie 
unterweisen lassen wollte, gab er ihm einen Hering 
mit der Weisung ihm zu folgen; der aber warf aus 
Scham den Fisch weg und machte sich davon. Einige 
Zeit darauf begegnete ihm Diogenes und sagte lachend: 
, : Die Freundschaft zwischen dir und mir hat ein 
Hering zerstört." Diokles aber erzählt die Geschichte 
so: es sagte einer zu ihm: „Gebiete uns, Diogenes;" da 
nahm er ihn mit sich und machte Anstalt, ihm einen 
Käse für einen Halbobol zu tragen zu geben; der aber 
ließ sich das nicht bieten, und da sagte Diogenes: „Ein 
lumpiger Käse hat deine und meine Freundschaft zer- 
stört." 

Als er einmal ein Kind sah, das aus den Händen 37 
trank, riß er seinen Becher aus seinem Banzen heraus 
und warf ihn weg mit den Worten: „Ein Kind ist mein 
Meister geworden in der Genügsamkeit." Auch seine 
Schüssel warf er weg, als er eine ähnliche Beobachtung 
an einem Knaben machte, der sein Geschirr zerbrochen 
hatte und nun seinen Linsenbrei in der Höhlung eines 
Brotstückes barg. 

Er machte folgenden Schluß: Den Göttern gehört 
alles; nun sind aber die Weisen Freunde der Götter, 
unter Freunden aber ist alles gemeinsam; alles also 
gehört den Weisen. 



VI 35—39. 



275 



Als er einst sah, wie ein Weib sich in höchst an- 
stößiger Weise vor den Göttern niederwarf, wollte er 
ihr ihren Aberglauben austreiben, trat, wie Zoilos aus 
Perga berichtet, an sie heran und sagte: „Schämst du 
dich nicht, o Weib, dich vor dem etwa hinter dir 
siehenden Gotte — denn alles ist seiner voll — bloß- 
zustellen?" Dem AskLepios stellte er als Weihgeschenk 
einen anstürmenden Fechter auf, der die vor dem Gott 
aufs Gesicht Niederfallenden umzubringen drohte: Die 
Flüche der Tragiker, pflegte er zu sagen, seien für ihn 
eingetroffen, er sei 29 ) 

Der Vaterstadt, dem Haus, der lieben Heimat fern, 
Ein Bettler, Flüchtling, kämpfend um sein täglich Brot. 

Dem Schicksal, sagte er, stelle ich den Mut, dem 
Gesetz die Natur, der Leidenschaft die Vernunft ent- 
gegen. Als er im Kraneion 30 ) sich sonnte, trat Alexan- 
der an ihn heran und sagte: „Fordere, was du wün- 
schest," worauf er antwortete: „Geh mir aus der 
Sonne." 

Als ein Gelehrter eine lange Abhandlung von sich 
vorlas und endlich an einem nur halb beschriebenen 
Blatt erkennen ließ, daß der Schluß unmittelbar bevor- 
stände, sagte er zu den Versammelten: „Mut, ihr 
Männer, ich sehe Land." 31 ) Und als einer ihm durch 
einen Schluß bewies, daß er (Diogenes) Horner hätte,* 2 ) 
befühlte er seine Stirn und sagte: „Ich merke nichts 
davon." Ähnlich machte er's mit dem, der behauptete, 
es gebe keine Bewegung: er stand auf und spazierte 
hin und her. Als einer von Himmelserscheinungen 
sprach, fragte er: „Wie lange ist es denn her, daß du 
vom Himmel hierher gekommen bist?" 

Als ein schuftiger Eunuch über seine Haustür die 
Inschrift setzen ließ: jedem Bösen ist der Eintritt ver- 
wehrt, fragte er: „Wie soll denn aber da der Herr des 
Hauses selbst hineinkommen?" Als er seine Füße mit 
wohlduftendem Öl salbte, sagte er: „Vom Kopf zieht 
sich der Wohlgeruch des Öls in die Luft, von den 
Füßen aber in die Geruchsorgane." 88 ) 

18* 



276 



Diogenes. 



Als die Athener ihn aufforderten sich den heiligen 
Weihen zu unterziehen und sagten, im Hades hätten, 
die Geweihten den Vorrang, erwiderte er: „Das wäre 
doch lächerlich, wenn ein Agesilaos und Epameinon- 
das sich im Pfuhle herumtreiben, dagegen nichtige Ge- 
sellen, nur weil sie die Weihe empfingen, auf den In- 
seln der Seligen wohnen sollen." Als Mäuse auf seinen 
Tisch krochen, sagte er zu ihnen: „Siehe da, auch Dio- -10 
genes füttert Schmarotzer." 

Als Piaton ihn Hund nannte, erwiderte er: „Jawohl, 
denn ich bin zu denen, die mich verkauft haben, 
wieder zurückgekehrt." Als er das Bad verließ, fragte 
ihn einer, ob viele Menschen im Bade wären. „Nein!" 
lautete die Antwort. Nun aber, ob viel Pöbel darin 
wäre. „Ja," lautete die Antwort. Als Piaton die Defi- 
nition aufstellte, der Mensch ist ein federloses zwei- 
füßiges Tier, und damit Beifall fand, rupfte er einem 
Hahn die Federn aus und brachte ihn in dessen Schule 
mit den Worten: „Das ist Piatons Mensch;" infolge- 
dessen ward der Zusatz gemacht „mit platten Nägeln". 

Auf die Frage, zu welcher Stunde man frühstücken 
müsse, antwortete er: „Der Deiche mag frühstücken, 
wenn er Lust hat, der Arme, wenn er etwas zu beißen 
hat." Als er in Megara die Schafe mit Schutzdecken 41 
versehen, 34 ) die Kinder aber nackt herumlaufen sah, 
sagte er: „In Megara hat es mehr für sich, ein Widder 
zu sein als ein Sohn." Als ihm einer (aus Versehen) 
einen Stoß mit einem Balken versetzt hatte und rief: 
„Nimm dich in acht," sagte er: „Soll ich denn noch 
einen Stoß bekommen?" 35 ) Die Demagogen nannte er 
Volkslakeien, 30 ) die Kränze Ruhmgesichwüre. Er zün- 
dete bei Tage ein Licht an und sagte: „Ich suche einen 
Menschen." 

Man fand ihn einmal ganz von Wasser beträuft, 
und als ihn die Umstehenden bemitleideten, sagte 
Piaton, der auch dabei war, „wenn ihr ihn bemitleiden 
wollt, so müßt ihr euch entfernen," womit er auf seine 
Ruhmsucht hinzielte. 37 ) Als ihm einer einen Faust- 



VI 39—44. 



277 



schlag an den Kopf versetzte, sagte er: „Beim Himmel, 
daran habe ich noch nicht gedacht, daß ich bei meinen 
Ausgängen mir einen Helm aufsetzen muß." Und als 

42 auch Meidias ihm einen Faustschlag versetzte mit den 
Worten: „Dreitausend liegen für dich auf dem Tische," 
versah er sich am Tage darauf mit Faustriemen, boxte 
ihn nieder und sagte: „Dreitausend liegen für dich auf 
dem Tische." 38 ) 

Als der Arzneihändler Lysias ihn fragte, ob er an 
Götter glaube, sagte er: „Wie könnte ich denn nicht an. 
sie glauben? Halte ich doch dich für einen Götterfeind." 
Andere schreiben dies Wort dem Theodoros zu. 30 ) Als 
er einen sich über und über mit Weihwasser be- 
sprengen sah, sagte er: „Du Unseliger, weißt du nicht, 
daß du dich durch Besprengung mit Weihwasser 
ebensowenig von deinen Sünden im Leben freimachen 
kannst wie von deinen grammatischen Sünden?" Er 
tadelte die Menschen ob des Gebetes, denn sie bäten nur 
um das, was ihnen seihst gut scheine, nicht aber um 
das, was wahrhaft gut wäre. Und zu denen, die sich 

43 durch Träume schrecken ließen, bemerkte er: „Was ihr 
wachend tut, das macht euch keinen Kummer, aber 
was ihr im Schlafe euch einbildet, das macht euch viel 
zu schaffen." Als zu Olympia der Herold verkündete: 
„Dioxippos hat über Männer gesiegt," sagte er: „Über 
Knechte hat er gesiegt, ich über Männer." 40 ) 

Er war auch bei den Athenern beliebt. Als ein 
junger Mensch sein Faß zertrümmert hatte, ließen sie 
diesem eine Tracht Prügel verabfolgen, ihn selbst aber 
beschenkten sie mit einem anderen Faß. Der Stoiker 
Dionysias erzählt von ihm, er sei nach der Schlacht 
von Chaironeia als Gefangener vor Philipp geführt 
worden, und da habe er auf die Frage, wer er sei, ge- I 
antwortet: „Ein Erkunder deiner Unersättlichkeit." \ 
Das habe solche Bewunderung erweckt, daß er frei- 
gelassen ward. Als Alexander einst einen gewissen 

44 Athlias (Unheil) mit einem Schreiben an Antipater 
nach Athen sandte, sagte Diogenes, der sich zur Stelle 



278 



Diogenes. 



befand, „Athlias von Athlias durch Athlias an 
Athlias" (Unheil von Unheil durch Unheil an Un- 44 
heil). 41 ) Als Perdikkas ihn mit dem Tode bedrohte, 
falls er sich nicht entschließen würde zu ihm zu 
kommen, bemerkte er: „Das ist keine Heldentat; das 
können Käfer und Spinnen auch vollbringen." Eher, 
meinte er, hätte er drohen sollen, daß er auch ohne 
mich glücklich leben könnte. 

Oft schärfte er mit lauter Stimme den Menschen die 
Lehre ein, daß ihnen das Leben von den Göttern an 
sich nicht schwer gemacht sei, aber über dem Suchen 
nach Leckerbissen, Wohlgerüchen und was dem ähn- 
lich, sei das in Vergessenheit geraten. In diesem 
Sinne sagte er auch zu einem, der sich von einem 
Diener seine Schuhe anziehen ließ: „Noch hast du 
nicht den Gipfel der Glückseligkeit erstiegen, solange 
du dich nicht auch noch schneuzen läßt; das wird 
dann der Fall sein, wenn du an den Händen gelähmt 
bist."") Als er einst sah, daß die Priester (Hieromne- 45 
monen) einen der Unterbeamten, der aus dem Tempel- 
schatz eine Schale gestohlen, abführten, sagte er: „Die 
großen Diebe führen den kleinen ab." 

Als er einst einen Knaben sah, der Steine nach 
einem Marterholz warf, sagte er: „Recht so, du wirst 
das Ziel gewiß treffen." 43 ) Zu Knaben, die ihn um- 
standen und sagten : „Wir trauen dir nicht, du könntest 
uns beißen," sagte er: „Nur keine Angst, meine Kinder, 
ein Hund frißt kein Grünzeug." 44 ) Einem Laffen, der 
mit einem Löwenfell als Umwurf prunkte, rief er 
zu: „Laß ab davon, die Hülle der Tapferkeit zu 
schänden." Als einer den Kallisthenes glücklich pries 
und sagte, er führe beim Alexander ein Leben in 
Üppigkeit und Prunk, erwiderte er: „Der Unglück- 
selige, der sich zu jeder Mahlzeit nur durch Alexander 
kommandieren lassen muß." Wenn er Geld brauchte, 
so ließ er es sich von seinen Freunden geben, aber, wie 46 
er sagte, nicht als Gabe, sondern als Rückgabe (Rück- 
erstattung). 



VI 44—48. 



279 



Als er einst auf dem Markte Onanie trieb, sagte er: 
Könnte man doch den Bauch auch ebenso reiben, um 
den Hunger los zu werden." 45 ) Als er einen jungen 
Menschen in Begleitung vornehmer Herren zu einem 
Gastmahl gehen sah, riß er ihn los, führte ihn zu seinen 
Angehörigen und empfahl ihn ihrer Obhut. Zu einem 
geputzten Jüngling, der ihn nach etwas fragte, sagte 
er, er werde ihm nicht eher antworten, als bis er sein 
Gewand gelüftet und ihm gezeigt hätte, ob er ein Weib 
oder ein Mann sei. Zu einem im Bade das Kottabos- 
spiel 46 ) treibenden Jüngling sagte er: „Je besser, desto 
Schimmer." Bei einer Mahlzeit warf man ihm 
Knochen hin wie einem Hunde, doch er bepißte sie 

47 beim Weggehen wie ein Hund. Die Bedner, sowie alle, 
die in dieser Kunst ihren Buhm suchen, nannte er 
Dreimenschen im Sinne von dreifach Elenden. Einen 
unwissenden Deichen nannte er ein goldwolliges Schaf. 
Als er an dem Hause eines Wüstlings die Aufschrift 
sah „Verkäuflich", richtete er folgende Worte an das 
Haus: „Ich wußte wohl, daß du, so im Bausche lebend, 
deinen Herrn ohne weiteres wieder von dir geben 
würdest." Als ein Jüngling sich über die Menge derer 
beklagte, die ihn belästigten, sagte er: „Laß auch du 
davon ab, die Anzeichen deiner Lustbegier der Öffent- 
lichkeit preiszugeben." Beim Eintritt in ein schmutziges 
Bad sagte er: „Die sich hier baden, wo baden sie denn, 
um wieder rein zu werden?" Als ein elender Lauten- 
schläger allgemein getadelt wurde, trat er allein für 
ihn ein und lobte ihn; auf die Frage aber: „Warum 
dies?" antwortete er: „Weil er trotz solcher Mangel- 
haftigkeit es vorzieht, durch Lautenschlagen und nicht 

48 durch Baub und Diebstahl sich zu nähren." Einen 
Zitherspieler, dem alle Zuhörer immer davonliefen, be- 
grüßte er mit den Worten: „Gruß dir, Hahn," und auf 
die Frage: „Wieso denn?" gab er die Antwort: „Weil 
du durch deinen Gesang alle auf die Beine bringst." 
Als ein Jüngling sich öffentlich mit einer Bede ver- 
nehmen ließ, füllte er den Bausch seines Mantels mit 



280 



Diogenes. 



Lupinen und führte sie ohne weiteres 47 ) zum Munde; 
dadurch lenkte er die Blicke der Menge von jenem 
weg auf sich und fragte nun anscheinend verwundert, 
wie es käme, daß sie jenen ganz sich selbst überließen 
und nur ihn anstarrten. Als ein besonders aber- 
gläubischer Gesell zu ihm sagte: „Mit einem Schlage , 
werd' ich dir deinen Schädel spalten," erwiderte er: 
„Und ich werde dich zittern machen durch kräftiges 
Niesen zu deiner Linken." 

Als Hegesias ihn bat, ihm etwas von seinen 
Schriften zu leihen, sagte er: „Du kommst mir doch 
töricht vor, Hegesias; denn wenn es sich um getrock- 
nete Feigen handelt, da willst du keine gemalten, son- 
dern wirkliche haben; wo es .sich aber um Geistes- 
übung handelt, da willst du von wahrer Übung nichts 
wissen und wendest dich der geschriebenen zu." 

Als ihm einer seine Verbannung vorrückte, sagte 49 
er: „Eben deshalb, du Elender, bin ich Philosoph ge- 
worden." Und als wieder einer zu ihm sagte: „Die 
Sinopeer haben die Verbannung über dich verhängt," 
entgegnete er: „Und ich habe das Verbleiben über sie 
verhängt." 48 ) Als er einst einen Olympischen Sieger 
Schafe weiden sah, sagte er: „Wie schneU, mein Treff- 
lichster, bist du von Olympia nach Nemea (Weideland) 
gekommen." 49 ) Auf die Frage, warum die Athleten 
stumpfsinnig seien, antwortete er: „Weil sie aus 
Schweine- und Ochsenüeisch aufgebaut sind." Einmal 
bettelte er eine Bildsäule an (um eine milde Gabe). 
Und als man ihn fragte, was er damit bezwecke, sagte 
er: „Ich übe mich in der Kunst, mir etwas abschlagen 
zu lassen." Als er einen anbettelte — denn das tat er 
zuerst wegen drückenden Mangels — lautete seine An- 
rede: „Hast du einem anderen schon eine Gabe verab- 
folgt, so reiche auch mir eine; wo nicht, so mache mit 
mir den Anfang." 

Von einem Tyrannen befragt, was für Erz am besten 50 
tauge für eine Büdsäule, erwiderte er: „Das, aus dem 
Harmodios und Aristogeiton gegossen worden sind." 



VI 48—52. 



Auf die Frage, wie es Dionysios mit seinen Freunden, 
halte, antwortete er: „Wie mit Beuteln; sind sie voll, 
so hängt er sie auf, sind sie leer, so wirft er sie weg. 
Ein Neuvermählter hatte an sein Haus die Inschrift 
setzen lassen: 00 ) 

Hier wohnt des Zeus Sohn Kallinikos Herakles, 
Kein Unglück störe je den Frieden dieses Heims. 

Dem setzte er die Worte hinzu: „Erst nach dem Krieg 
der Herzensbund." Die Habsucht nannte er die 
Mutterstadt alles Übels. Als er einen Schwelger in einem 
Gasthaus Oliven essen sah, sagte er: „Aha, du hast 
üppig gefrühstückt, sonst würdest du nicht so zu Abend 
essen." 

51 Tugendfeste Männer nannte er Ebenbilder der 
Götter, die Liebe eine Beschäftigung für Müßiggänger. 
Gefragt, was im Leben einen traurigen Anblick ge- 
währe, antwortete er: „Ein hilfloser Greis." Und ge- 
fragt, welches Tier am gefährlichsten beiße, sagte er: 
„Unter den wilden Tieren der Sykophant, unter den 
zahmen der Schmeichler." Als er einst zwei Kentauren 
in elendester Weise gemalt sah, fragte er: „Welcher 
von beiden ist Cheiron (der Schlechtere)?" 51 ) Schmei- 
chelreden nannte er Honigschlingen. Den Bauch nannte 
er die Charybdis des Lebens. Bei der Kunde, daß der 
Ehebrecher Didymon ertappt worden sei, sagte er: „Er 
verdient, daß man ihn an seinem Namen aufhänge." 52 ) 
Gefragt, warum das Gold bleich (blaß) ist, sagte er: 
„Weil es Angst hat vor seinen vielen Nachstellern." 
Als er eine Frau in einer Sänfte sah, bemerkte er: „Der 
Käfig paßt nicht für das Tier." Als er einen flüchtigen 

52 Sklaven an einem Brunnen sitzen sah, sagte er: „Hüte 
dich, junger Mensch, vor dem Abgrund, du kannst 
leicht hineinfallen." 53 ) Als er einen jungen Kleider- 
dieb im Bade sah, fragte er: „Worauf hast du's abge- 
sehen? Auf ein Salb mit tele he n oder auf ein 
Kittelchen ?" 54 ) Als er einst Weiber an einem 
Ölbaum erhängt sah, sagte er: „Möchten doch alle 



Diogenes. 



Bäume solche Frucht tragen." Beim Anblick eines 
Kleiderdiebes sagte er («TL X 343): 

Sag an, was führte dich hierher? 
Willst du einen berauben der Leichname hier auf dem Schlacht- 
feld? 

Auf die Frage, ob er einen Burschen oder eine Magd 
habe, sagte er: „Nein." Und auf die weitere Frage: 
„Wenn du nun stirbst, wer wird dich aus dem Hause 
xsegtragen?" entgegnete er: „Der, der das Haus nötig 
hat." Als er einen schönen Knaben unbewacht im 53 
Schlafe liegen sah, rüttelte er ihn auf mit den Worten: 
„Wach auf (nach Jl. VIII 95, XXII 283): 

„Daß dem Schlafenden nicht ein Speer den Rücken durchbohre." 

Und zu einem, der Einkäufe machte zu einem schwel- 
gerischen Mahl (nach Jl. XVIII 95): 

Bald, mein Sohn, verblühet das Leben dir, wenn du so einkaufst. 

Als Piaton sich über seine Ideen vernehmen ließ 
und von einer Tischheit und einer Becherheit redete, 
sagte er: „Was mich anlangt, Piaton, so sehe ich wohl 
einen Tisch und einen Becher, aber eine Tischheit und 
Becherheit nun und nimmermehr." Darauf Piaton: 
„Sehr begreiflich; denn Augen, mit denen man Becher 
und Tisch sieht, hast du allerdings; aber Verstand, mit 
dem man Tischheit und Becherheit erschaut, hast du 
nicht." [Auf die Frage, die einer an ihn richtete: „Wie 54 
denkst du, Diogenes, über Sokrates?" antwortete er: 
„Er war nicht recht bei Sinnen."] 55 ) 

Auf die Frage, wann man heiraten müsse, gab er 
folgende Antwort: „Die Jünglinge noch nicht, die Alten 
nicht mehr." 50 ) Man fragte ihn, welchen Gewinn er 
sich von einem Faustschlag ins Gesicht verspräche? 
Er antwortete: „Einen Helm." 57 ) Als er einen Jüng- 
ling sich hübsch putzen sah, sagte er: „Wenn für 
Männer, so ist's ein Schlag in die Luft, wenn für 



VI 52—56. 



283 



Weiber, so machst du dich zum Schuf t." ) Als Br- 
emen Jüngling erröten sah, sagte er: „Mut, meinbonn, 
das ist die Farbe der Tugend." Als er einst zwei 
Rechtskundigen zugehört hatte, verdammte er sie beide 
mit den Worten, der eine habe gestohlen, der andere 
nichts verloren. 50 ) Auf die Frage, welchen Wem er 
am liebsten trinke, antwortete er: „Den ich von anderen 
bekomme." Es sagte einer: „Viele Leute lachen dien 
aus!" Er entgegnete: „Aber ich werde nicht nieder- 
gelacht." Als einer sagte, das Leben sei ein übel, er- 
widerte er: „Nicht das Leben, sondern ein böses 
Leben." Als man ihm riet, seinen entlaufenen Sklaven 
55 wieder zu suchen, sagte er: „Es wäre doch lächerlich» 
wenn Manes ohne Diogenes, Diogenes aber nicht ohne 
Manes leben könnte." Als er Oliven frühstückte und 
ein Kuchen aufgetragen wurde, warf er jene weg mit 
den Worten (Eurip. Phoen. 40): 

Entweiche, Fremdling, mache den Tyrannen Platz, 
und ein andermal (Jl. V 366 u. ö.): 



Gefragt, welcher Hundeart er angehöre, sagte er: 
„Wenn hungrig, bin ich ein Malteser, wenn gesättigt, 
ein Molosser, einer von der Art, die die meisten zwar 
loben; 01 ) aber wenn es gilt, mit ihm hinauszuziehen 
auf die Jagd, so schrecken sie wegen der Beschwerlich- 
keiten davor zurück. So könnt ihr auch mit mir nicht 
zusammenleben aus Angst vor Beschwernissen." 

Auf die Frage, ob die Weisen Kuchen essen, ant- 
56 wortete er: „Just so wie die übrigen Menschen." Auf 
die Frage, warum die Leute den Bettlern Gaben ver- 
abreichten, den Philosophen aber nicht, erwiderte er: 
„Weil sie sich vorstellen, sie könnten wohl dereinst 
lahm oder blind werden, niemals aber, sie könnten 
Philosophen werden." Er bat einen Geizhals um eine- 
Gabe, und als dieser zögerte, sagte er: „Mensch, be- 




Treibend schwane er die Geißel. 60 ) 



Diogenes. 



denke, es gilt mich zu laben, nicht mich zu be- 
grabe n." 82 ) Als er Vorwürfe zu hören bekam wegen 
seiner einstigen Falschmünzerei, sagte er (im 
Märchenton): „Es war einmal eine Zeit, wo ich einer 
war, wie du es jetzt bist; aber so wie ich jetzt bin, wirst 
du nimmermehr." Und einem anderen, der ihm den 
nä m lichen Vorwurf machte, entgegnete er: „Ja, ich 
pißte auch die Leute ohne weiteres an, aber jetzt nicht 
mehr." Als er nach Myndos kam und das große Tor 57 
vor der kleinen Stadt sah, sagte er: „Bürger von Myn- 
ilos, schließet euer Tor, sonst wandert euch die Stadt 
auß." Beim Anblick eines auf der Tat ertappten 
Purpurdiebes sagte er (Jl. V 83): 

Diesen ereilte der purpurne Tod und das grause Verhängnis. 

Als Krateros ihn zu einem Besuch bei sich auf- 
forderte, erwiderte er: „Nein, lieber will ich in Athen 
Salz lecken, als beim Krateros an der prunkvollsten 
Tafel sitzen." An den dickbäuchigen Bhetor Anaxime- 
nes herantretend, sagte er: „Laß auch uns Bettlern 
etwas von deinem Bauche ab; dies wird dir selbst Er- 
leichterung und uns Nutzen schaffen." Als dieser 
Bhetor einmal eine Disputation abhielt, machte sich 
Diogenes durch einen emporgehaltenen Salzüsch be- 
merklich, wodurch er die Aufmerksamkeit der Hörer 
auf sich ablenkte, und als jener darüber ungehalten 
war, sagte er: „Ein elender Salzfisch für einen Obolos 
hat genügt, der Disputation des Anaximenes ein Ende 
zu machen.'" 3 ) Als man ihm vorrückte, daß er auf bi 
dem Markte gegessen habe, sagte er: „Habe ich doch 
auf dem Markte auch gehungert." Einige beziehen 
auch folgendes Geschichtchen auf ihn: Piaton beobach- 
tete ihn, wie er seinen Kohl abspülte; er trat an ihn 
heran und sagte leise zu ihm: „Hättest du dich dem 
Dionysios fügsam erwiesen, so brauchtest du keinen 
Kohl zu waschen." Dieser aber habe ebenso leise ge- 
antwortet: „Und hättest du dich zum Kohlabspülen 
herabgelassen, so hättest du dich nicht dem Dionysios 



VI 56-60. 265 

dienstbar gemacht." 64 ) Als einer zu ihm sagte, „es gibt 
gar viele, die über dich lachen," erwiderte er: „Ja, und. 
über sie lachen vielleicht wieder die Esel; aber so wenig 
sich jene um die Esel kümmern, so wenig kümmere ich 
mich um sie." Als er einen Jüngling mit Philosophie 
beschäftigt sah, sagte er: „Brav so, du bekehrst die 
Liebhaber deines Leibes zur Liebe für die Schönheit 

59 der Seele." Als einer die Weihgeschenke in Samothrake 
anstaunte, sagte er: „Es wären deren noch weit mehr,, 
wenn auch die nicht Geretteten solche Stiftungen 
machten." Andere schreiben dies Wort dem Melier 
Diagoras zu. Als ein wohlaussehender Jungling sich 
zu einem Gastmahl aufmachte, sagte er zu ihm: „Als 
ein Schlechterer (Cheiron) wirst du wieder zurück- 
kehren." Als er nun, zurückgekehrt, am folgenden 
Tage sich mit den Worten meldete: „Ich bin zurück- 
gekehrt und bin nicht schlechter geworden," sagte 
Diogenes: „Zwar kein Cheiron, aber ein Eurytion." ") 
Er sprach einen übellaunigen Menschen um eine Gabe 
an. „Erst mußt du mich überreden," erwiderte dieser, 
worauf Diogenes: „Könnte ich dich überreden, so hätte 
ich dich schon überredet, dich zu erhängen." 

Auf seiner Rückkehr von Lakedaimon nach Athen 
sagte er zu einem, der nach dem Wohin und Woher 
fragte: „Aus einer Männerstadt in eine Weiberstadt." 
Als er von Olympia heimkehrte, gab er einem, der 
fragte, ob viel Volks beisammen gewesen wäre, zur ^ 

60 Antwort: „Volks die Menge, aber wenige Menschen." 86 ) \ 
Die Wüstlinge verglich er mit Feigenbäumen, die auf 
steilen Abhängen wachsen und deren Frucht nicht die 
Menschen genießen, sondern Raben und Geier ver- 
zehren. Als Phryne in Delphi eine goldene Aphrodite 
als Weihgeschenk aufstellen ließ, soll er darauf die In- 
schrift gesetzt haben: „Gestiftet von dem lüderlichen 
Griechenland." Als Alexander einst bei einem Zu- 
sammentreffen zu ihm sagte: „Ich bin Alexander, der 
große König," sagte er: „Und ich bin Diogenes der 
Hund."* 7 ) 



Diogenes. 



Ate man ihn fragte, welches Verhalten ihm den 
Namen Hund verschafft habe, erwiderte er: „Die mir 
eine Gabe reichen, umwedle ich, die mir nichts geben, 
belle ich an, und die Schurken beiße ich." Er pflückte 
von einem Feigenbäume die Früchte ab. Da sagte ihm 6! 
der Wächter: „An diesem Baum hat sich kürzlich ein 
Mensch erhängt." — „Gut," erwiderte er, „so werde 
ich ihn reinigen." Ali er einen Olympischen Sieger 
seine Augen unverwandt auf eine Hetäre richten sah, 
sagte er: „Sieh da, wie ein kampfesstolzer Widder 
vom ersten besten Mädel am Halse fortgeführt wird." 
Die stattlichen Hetären verglich er mit einer tödlichen 
Honigmischung. 

Als er auf dem Markte sein Frühstück verzehrte, 
riefen ihm die Umstehenden fortwährend zu „Hund", 
er aber erwiderte: „Ihr seid Hunde, da ihr euch um 
mich, den Essenden, herumdrängt." Als zwei Weich- 
linge sich vor ihm versteckten, sagte er: „Nur keine 
Angst, ein Hund frißt kein Grünzeug." 68 ) Als man 
ihn über einen unzüchtigen Knaben fragte, wo er her 
sei, sagte er: „Aus Tegea." 88 ) Als er sah, daß ein un- 
fähiger Ringkämpfer sich als Arzt auf tat, sagte er: 
„Was soll das? Willst du etwa die, die dich früher be- 62 
siegten, jetzt niederstrecken?" Als er sah, wie der Sohn 
; einer Hetäre einen Stein in eine Volksmenge warf, 
sagte er: „Sieh dich vor, daß du nicht deinen Vater 
triffst." Als ein Bürschchen ihm ein Messer zeigte, das 
er von seinem Liebhaber empfangen, sagte er: „Das 
Messer ist gut, aber der Griff (daran) ist vom Übel." 70 ) 
Ate einige einen Geber lobten, der ihm eine Gabe ver- 
abreicht hatte, sagte er: „Mich aber lobt ihr nicht als 
würdigen Empfänger?" Als einer von ihm seinen 
Mantel zurückforderte, sagte er: „Hast du ihn mir ge- 
schenkt, so habe ich ihn; hast du ihn mir aber geliehen, 
so brauche ich ihn." Als ein Untergeschobener ihm 
sagte, daß er Gold in seinem Mantel hätte, erwiderte er: 
„Ja, eben deshalb schiebe ich ihn mir auch beim Schlafen 
als Unterlage unter." 71 ) 



VI 60-65. 



287 



63 Auf die Frage, welchen Gewinn ihm ^ Philosophie 
gebracht hätte, sagte er, wenn sonst auch Richte, so 
doch jedenfalls dies, auf jede Schicksalswendung ge- 
faßt zu sein. 72 ) Gefragt nach seinem Heimatsort ant- 
wortete er: „Ich bin ein Weltbürger." Als er Leute 
den Göttern opfern sah, um durch sie einen Sohn zu 
erhalten, sagte er: „Aber was aus ihm werden soll, das 
scheint euch keines Opfers wert?" Als eine Beisteuer 
von ihm verlangt wurde, sagte er zu den Einwohnern: 

Andere magst du berauben, von Hektor ziehe die Hand ab. T2a ) 

Die Hetären, sagte er, seien die Königinnen der 
Könige; denn sie könnten alles verlangen, was ihnen 
in den Sinn käme. Als die Athener durch Volks- 
abstimmung den Alexander zum Dionys erklart hatten, 
bemerkte er: „Macht nun auch mich zum Sarapis." Zu 
einem, der ihm vorhielt, daß er unreine Orte betrete, 
sagte er: „Auch die Sonne scheint in die Aborte, wird 
aber doch nicht besudelt." 

64 Er nahm seine Mahlzeit in einem Tempel ein, und 
als während dessen unreine Brote vorgelegt wurden, 
nahm er sie und warf sie fort mit den Worten: „Da 
einem Tempel dürfe nichts Schmutziges Eingang 
finden." Es sagte einer zu ihm: „Du weißt nichts, und 
gleichwohl philosophierst du," darauf er: „Auch wenn 
ich mir die Weisheit nur anmaße, so ist das schon 
philosophieren." Ein Vater führte ihm seinen Sohn zu 
mit den Worten: „Er ist hochbegabt und durchaus 
tugendfest." Darauf erwiderte er: „Wozu also bedarf 
er dann meiner?" Von denen, welche die Tugend 
immer im Munde führten, aber nicht danach handelten, 
sagte er, sie unterschieden sich nicht von einer Leier; 
denn auch diese habe weder Gehör noch Empfindung. 
Ins Theater ging er, wenn die andern ihm daraus ent- 
gegenströmten, und nach dem Grunde gefragt, sagte 
er: „So halte ich es grundsätzlich in meiner ganzen 

6S Lebensführung." 70 ) Als er einst einen weibischen 



288 



Diogenes. 



Jüngling sah, sagte er: „Schämst du dich nicht, 
schlechter für dich zu sorgen als die Natur? Diese hat 
dich zum Manne gemacht, du aher machst dich mit 
aller Gewalt zum Weibe." Als er einen unvernünftigen 
Menschen ein Saiteninstrument stimmen sah, sagte er: 
„Schämst du dich nicht, die Töne mit dem Holze in 
Einklang zu bringen, dagegen deine Seele mit dem 
Leben in Mißklang zu lassen?" Einem, der sagte, „ich 
tauge nicht zur Philosophie," entgegnete er: „Wozu 
also lebst du, wenn dir nichts daran liegt, dein Leben 
schön zu gestalten?" Zu einem, der seinen Vater ver- 
ächtlich behandelte, sagte er: „Schämst du dich nicht, 
den zu verachten, von dem dein Hochmut doch her- 
stammt?" Als er einen stattlichen Jüngling unstatt- 
hafte Reden führen hörte, sagte er: „Schämst du dich 
nicht, aus elfenbeinerner Scheide ein bleiernes Schwert 
zu ziehen?" Und zur Rede gesetzt, daß er in einer 
Schenke tränke, sagte er: „Lasse ich mich doch auch in 66 
einer Scherstube scheren." Als man es tadelte, daß er 
vom Antipater einen alten Mantel angenommen hatte, 
sagte er (Jl. III 65): 

Unverwerflich ja sind der Unsterblichen ehrende Gaben. 

Als ihn einer mit einem Balken angerannt hatte 
und sagte, „Nimm dich in acht," versetzte er ihm mit 
seinem Stocke einen Schlag und sagte: „Nimm dich in 
acht."") Als einer eine Hetäre mit flehentlicher Bitte 
bestürmte, sagte er: „Elender, wozu diese Bitte, deren 
Versagung weit besser ist als ihre Erfüllung?" Zu 
einem, der sich mit duftendem Öl salbte, sagte er: 
„Nimm dich in acht, daß der Wobiger uch deines 
Hauptes dich nicht in schlechten Geruch bei der Welt 
bringe." Die Sklaven, sagte er, dienen ihren Herren, 
und die Nichtsnutze ihren Begierden. 

Gefragt, warum die Sklaven Mannfüße (ävopavro&a) 67 
genannt würden, antwortete er: „Weil sie die Füße von 
Männern hatten, aber eine Seele, die der deinigen 
gleicht — ich meine dich, den Frager." 



VI 65-69. 



289 



Einen Verschwender bat er um eine Mine. „Wie 
kommt es," fragte dieser, „daß du die anderen nur um 
einen Obolos bittest und mich um eine Mine?" Er 
antwortete: „Weil, ich hoffe, von den anderen noch 
öfters etwas zu bekommen, was aber dich anlangt, so 
liegt es im Schöße der Götter, ob ich von dir noch ein- 
mal etwas empfangen werde." Als er Vorwürfe dar- 
über zu hören bekam, daß er bettele, was Piaton nie 
tue, sagte er: „Auch der bettelt, aber (Od. I 157): 

Nahe haltend den Kopf, damit es die andern nicht hörten. 

Ais er einen unfähigen Bogenschützen sah, setzte 
er sich unmittelbar neben dem Ziele nieder mit den 
Worten: „Da bin ich sicher vor seinem Pfeil." Die 
Liebenden, sagte er, müßten ihre Lust durch Leid und 

68 Entsagung erkaufen. Gefragt, ob der Tod ein Übel sei, 
sagte er: „Wieso ein Übel? Wenn er da ist, merken 
wir ja doch nichts von ihm." 

Als Alexander sich mit ihm in ein Gespräch ein- 
ließ und ihn fragte: „fürchtest du mich nicht?" sagte 
er: „Was bist du denn? Gut oder bös?" — „Gut," er- 
widerte er. Und darauf Diogenes: „Das Gute also, wer 
sollte es fürchten?" 

Eine gute Bildung, sagte er, sei für die Jugend ein 
Zuchtmittel, für das Alter ein Trost, für den Armen 
Reichtum und für den Reichen ein Schmuck. 75 ) 

Als Didymon, der Ehebrecher, das Auge eines 
Mädchens ärztlich behandelte, sagte er zu ihm: „Nimm 
dich in acht, daß du nicht bei deiner ärztlichen Be- 
mühung um das Auge der Jungfrau die Pupille zer- 
störst." 78 ) 

Als ihm vermeldet wurde, daß seine Freunde ihm 
nachstellten, sagte er: „Wie soll man sich helfen, wenn 
man Freunde gerade so behandeln muß wie Feinde?" 

69 Gefragt, was unter Menschen das Schönste sei, ant- 
wortete er: „Das freie Wort." Als er in einen Lehrsaal 
eintrat und daselbst viele Musenbilder sah, aber nur 

A p e 1 t , Diogenes Laertius. 19 



290 



Diogenes. 



wenige Schüler, sagte er: „Segne's Gott, mein Lehr- 
meister, du hast viele Schüler." 77 ) 

Er pflegte alles in voller Öffentlichkeit zu tun, so- 
wohl was die Demeter betrifft, wie auch die Aphrodite. 
Darauf bezieht sich folgende Schlußfolgerung: Wenn 
es nichts Absonderliches ist zu frühstücken, so ist es 
auch auf dem Markte nicht absonderlich; nun ist aber 
das Frühstücken nichts Absonderliches ; folglich ist es 
auch nicht absonderlich auf dem Markte. Und da er 
häufig öffentlich Onanie trieb, sagte er: „Könnte man 
doch so durch Reiben des Bauches sich auch den 
Hunger vertreiben." 78 ) So wird noch manches andere 
ihm zugeschrieben, so viel, daß es zu weit führen würde, 
es im einzelnen mitzuteilen. 

Die Übung, lehrte er, ist eine doppelte, einerseits 70 
eine geistige, anderseits jene körperliche, bei deren 
regelmäßigem Betrieb sich eine Denkweise bildet, die 
dem tugendhaften Handeln Vorschub leistet. 78 ) Zur 
vollkommenen Bildung sei die eine so unentbehrlich 
wie die andere; denn Wohlsein und Kraft gehören zu 
den Forderungen für die Seele so gut wie für den 
Körper. Er fügte auch Belege dafür bei, daß man 
durch Übung leicht zur Tüchtigkeit gelange. Denn die 
Beobachtung zeige, daß in den Handwerksfächern so- 
wohl wie in den höheren Künsten die Berufsleute 
durch eifrige Übung es zu keiner geringen Gewandt- 
heit und Fertigkeit bringen; man brauche nur darauf 
zu achten, in welchem Grade sowohl Flötenspieler wie 
Athleten einander es zuvortun je nach dem Maße der 
eigenen andauernden Übung. Hätten diese den 
Übungseifer auch auf die Seele übertragen, so wären 
ihre Anstrengungen nicht ohne Nutzen und Frucht ge- 
blieben. Nichts, sagte er, gerate wohl im Leben ohne 71 
Übung; diese sei imstande alle Hindernisse zu über- 
winden. Da also Voraussetzung für ein glückliches 
Leben die Wahl naturgemäßer Kraftanstrengung sei 
statt nutzloser, sei der Unverstand die Ursache unseres 
Unglücks. Denn die Verachtung gerade der Lust ge- 



VI 69—73. 



291 



währt die allergrößte Lust, wenn man sie vorher durch 
Übung sich angeeignet hat, und wie diejenigen, die 
sich an ein angenehmes Leben gewöhnt haben, ungern 
zu dem Gegenteil übergehen, so verachten diejenigen, 
die sich ernstlich für das Gegenteil geschult haben, ,mit 
um so größerer Lust eben die Lüste selbst. 

Solches lehrte er und handelte auch danach, indem er 
wirklich die Münze verfälschte dadurch, daß er weniger 
Gewicht legte auf die Vorschriften des Gesetzes als auf 
die der Natur. Als sein Vorbild für die Lebensführung 
bezeichnete er den Herakles, der nichts höher hielt als 

72 die Freiheit. Alles, sagte er, sei im Besitze der Weisen, 
wobei er sich der oben schon mitgeteilten Schlußweise 
bediente: 80 ) Alles gehört den Göttern; die Götter aber 
sind Freunde der Weisen; den Freunden aber gehört 
alles in Gemeinschaft; alles also gehört den Weisen. 
Und was das Gesetz anlangt, so ist ohne ein solches 
ein staatliches Leben nicht möglich; denn ohne Staats- 
verfassung gibt es keinen Nutzen städtischer Gemein- 
schaft; der Staat aber ist städtische Gemeinschaft; das 
Gesetz hinwiederum hat ohne Staat keinen Nutzen; 
folglich ist das Gesetz Bedingung städtischer Gemein- 
schaft. Hohe Geburt und Ruhm sowie alles dergleichen 
war für ihn nur Zielscheibe des Spottes. Er hatte 
dafür die Bezeichnung „Schmuckhüllen der Ver- 
worfenheit". Die einzig wahre Staatsordnung finde 
sich nur im Weltall. Er erklärte sich auch für 
Weibergemeinschaft, indem er die Ehe als nichtig be- 
zeichnete und die gütliche Überredung allein für ent- 
scheidend hielt für das Beisammensein; darum sollte 
•auch Kindergemeinschaft gelten. Auch hielt er es nicht 
für etwas Unerhörtes, einen Tempelraub zu begehen 

73 oder Fleisch von irgendwelchem Tiere zu genießen; ja 
selbst Menschenfleisch zu verzehren sei kein Vergehen 
wider die Gottheit, wie sich aus dem Brauche fremder 
Völker ergebe. Und zwar berief er sich auf folgende 
Betrachtungen als beweisend dafür, daß streng- 
genommen alles in allem enthalten sei und durch alles 



* 



292 Diogenes. 

hindurchgehe: im Brote seien Fleisehteile und im 
Kohl Brotteile und auch Teile von allen übrigen 
Körpern, indem allenthalben durch gewisse unsicht- 
bare Poren Stoff massen 81 ) eingesogen und wieder aus- 
gedünstet würden, wie er es in seinem Thyestes klar 
macht, wenn anders die Tragödien von, ihm stammen 
und nicht vielmehr von dem Aigineten Phihskos, 
einem Schüler von ihm, oder auch von Pasiphon des 
Lukianos Sohn, von dem Favorin in seinen Ver- 
mischten Geschichten berichfct, daß er nach seinem 
(des Diogenes) Tode geschrieben habe. 

Musik, Geometrie, Astronomie und dergleichen 
könne man, meinte er, beiseite liegen lassen, als nutz- 
lose und nicht notwendige Fächer. Ganz außerordent- 74 
lieh treffsicher war er in seinen Antworten auf vorge- 
legte Fragen, wie sich aus dem früher Mitgeteilten 
ergibt. 

Bei seinem Verkauf zeigte sich sein Edelsinn im 
besten Lichte. Auf der Fahrt nämlich nach Agina fiel 
er Seeräubern in die Hände, an deren Spitze Skirpalos 
stand; von ihnen wurde er nach Kreta gebracht und 
zum Verkauf ausgeboten. Als der Herold ihn fragte, 
auf welches Geschäft er sich verstünde, antwortete er: 
„Menschen zu beherrschen." Dabei wies er auf einen 
vornehm gekleideten Korinther, den schon genannten 
Xeniades hin mit den Worten: „Diesem verkaufe 
mich; er bedarf eines Herrn." So kaufte ihn denn 
Xeniades, nahm ihn mit nach Korinth, gab ihn seinen 
Söhnen zum Lehrmeister und überließ ihm die Leitung 
des gesamten Hauswesens. Er aber bewährte sich m 
dieser Stellung dermaßen, daß Xeniades bei einem 
Bundgang durch das Haus sagte: „Ein guter Geist 
(Dämon) ist in mein Haus eingezogen." Kleomenes 
erzählt in seinem Buche „Paidagogikos", seine Schüler 75 
hätten ihn freikaufen wollen, er aber habe sie darob 
Toren genannt; seien doch die Löwen keine Sklaven 
ihrer Ernährer, sondern umgekehrt: die Ernährer 
seien die Sklaven der Löwen; denn sich zu fürchten 



VI 73—77. 



»ei Knechtesart, vor den wilden Tieren aber hätten die 
Menschen Furcht. 

Wunderbar war die Überredungsgabe, die dem 
Manne innewohnte: wer es auch sein mochte, es war 
ihm ein Leichtes, ihn für sich zu gewinnen. So soll ein 
gewisser Onesikritos in Ägina von seinen beiden 
Söhnen den einen, Androsthenes, nach Athen geschickt 
haben; hier habe er den Diogenes gehört und sei da- 
durch an Athen gefesselt worden; der Vater habe 
dann 82 ) auch noch seinen älteren Sohn, den oben schon 
genannten 83 ) Philiskos nach Athen gehen lassen, und 
auch dieser sei in gleichem Grade gefesselt worden; 

76 und schließlich sei als dritter auch er noch hinzu- 
gekommen und habe hier gemeinsam mit seinen 
Söhnen sich der Philosophie gewidmet. Eine solche 
Zauberkraft lag in den Vorträgen des Diogenes. Zu 
.seinen Zuhörern gehörte auch Phokion, genannt der 
„Rechtschaffene", sowie auch der Megariker Stilpon 
und noch mehrere andere Staatsmänner. 

Er soll in einem Alter von ziemlich ^eunzig Jahren 
gestorben sein. Über seinen Tod lauten die Nach- 
richten verschieden. Die einen nämlich berichten, er 
sei nach Benagung eines rohen Ochsenfußes von der 
Cholera ergriffen worden und an ihr gestorben. 
Andere, er habe sich den Atem verhalten; diese Nach- 
richt findet sich unter andern auch bei Kerkidas dem 
Megalopolitaner oder Kreter, der in den Meliamben 
sich so vernehmen läßt: 

Nicht mehr, der früher er war, der Sinopeer, 

Kenntlich an Stab, an Doppelmantel und Lust an der Freiluft, 

Nein, die Lippen fest gegen die Zähne gepreßt, stieg er aufwärts, 

77 Den Atem verhaltend; denn du warst wahrhaft 
Diogenes, Zeus entsprossen, warst Hund des Himmels. 

Andere sagen, er habe einen Polypen unter Hunde 
verteilen wollen und sei dabei in die Fußsehne gebissen 
worden, was seinen Tod herbeigeführt habe. Seine 
Schüler aber blieben, wie Antisthenes in den Diädochar- 



294 



Diogenes. 



sagt, bei der Annahme, daß ex an verhaltenem Atem 
gestorben sei. Er hielt sich nämlich meist im Kraneion 
auf, einem Gymnasium vor Korinth. Wie gewöhnlich 
stellten sich dort seine Schüler ein, fanden ihn in seinen 
Mantel gehüllt, waren aber doch nicht der Meinung, 
daß er schliefe, denn er war kein Nachtfreund und 
Langschläfer; sie schlugen nun den Mantel zurück und 
fanden ihn leblos (nicht mehr atmend). Ihre Meinung 
ging dahin, er habe sich dem weiteren Leben auf solche 
Art entziehen wollen. Hier kam es auch, wie es heißt, 
alsbald zu einem Streit unter den Schülern über die 78 
Frage, wer die Beerdigung übernehmen sollte, ja es 
kam bis zum Handgemenge. Als aber die Väter und 
die Obrigkeiten dazu kamen, wurde er von diesen in 
der Nähe des Tores, das nach dem Isthmos führt, be- 
graben. Dort errichtete man ihm auch eine Säule, auf 
der ein Hund aus Parischem Marmor stand. In der 
Folge ehrten ihn seine Mitbürger auch durch eherne 
Bildsäulen mit folgender Inschrift: 

Auch das Erz wi^trsteht nicht der Zeit; doch, Diogenes, dein 
Ruhm 

Bleibet für immer bestehn, trotzend dem Zahne der Zeit; 
Denn du wurdest uns Führer zum selbstgenügsamen Leben, 
Zeigtest den leichtesten Pfad, der zu dem Ziele uns führt. 

Auch von mir gibt es Verse auf ihn in prokeleusma- 79 
tischem Versmaß: 

A. Sage, Diogenes, welches Todesgeschick riß dich fort 

Nach dem Hades? D. Ich erlag eines Hundes grimmigem 
Zahn. 

Einige berichten, er habe sterbend den Auftrag ge- 
geben, 84 ) ihn unbeerdigt hinzuwerfen zur Beute für 
jedes wilde Tier, oder man solle ihn in eine Grube 
werfen mit einer kleinen Schicht Staub darüber; nach 
anderen wieder, man solle ihn in den Elises 85 ) werfen, 
um seinen Brüdern nützlich zu werden. Demetrios 
übrigens berichtet in den Homonymen, Alexander sei 



VI 77—81. 



295 



in Babylon an dem nämlichen Tage gestorben, an dem 
Diogenes in Korinth sein Leben beschloß. 

Es sind folgernde Bücher von ihm in ( Umlauf. 
Dialoge: Kephalion, Ichthyas, Koloios, Pordalis, Volk 
der Athener A^vatav), Staat (H°XiT6t'ot), Sitten- 

kunst ( Ts'xvyi Vom Reichtum (xspl tcXoutou), Von 
der Liebe ('Epmtoco'?), Theodoros, Hypsias, Aristarchos, 
Vom Tode (rcspl ^avaxou t ; Briefe ('EranroXat'); sieben 
Tragödien: Helena, Thyestes, Herakles, Achilleus, Me- 
deia, Chrysippos, Oidipus. Dagegen behauptet Sosi- 
krates in dem ersten Buche der Nachfolge und Satyros 
in dem vierten Buch der Biographien, nichts davon 
gehöre dem Diogenes, und Satyros versichert, die soge- 
nannten Tragödien gehörten dem Aigineten Philiskos, 
dem Schüler des Diogenes. Sotion aber führt im 
siebenten Buch als allein echt folgende Schriften auf: 
Von der Tugend (7tepi<ipsT?ic), Vom Guten (rept aya^oü), 
Erotikos, Ptochos, Tolmaios, Pordalis, Kasandros, 
Kephalion; Philiskos, Aristarchos, Sisyphos, Gany- 
medes, Ghrien, Briefe. 

Es finden sich der Diogenesse fünf: erstens der 
Apolloniate, der Naturphilosoph, der Anfang seines 
Buches lautet so: „Beim Beginn jeder Darlegung scheint 
es mir nötig von einem Pritizip auszugehen, das keinem 
Zweifel Raum läßt,**) zweitens der Sikyonier, der die Ge- 
schichte des Peloponnes geschrieben hat; drittens un- 
serer hier; viertens der Stoiker aus Seleukia, auch ge- 
nannt der Babykmier wegen der Nachbarschaft; fünf- 
tens ein Tarsier, der über poetische Fragen geschrieben 
hat, die er zu lösen sucht. Von unserem Philosophen 
sagt Athenodoros im achten Buch der Peripatoi (Spazier- 
gänge), sein Gesicht habe immer geglänzt, da er sich stets 
gesalbt habe. 



29(5 Monimos. Onesikritos. Krates. 



Drittes Kapitel. 
Monimos. Um 340 v. Chr. 

Monimos aus Syrakus war ein Schüler des Dio- 82 
genes. Er war Diener hei einem Wechsler in Korinth, 
wie Sosikrates sagt. Mit diesem Wechsler stand Xeni- 
ades, der Käufer und Hörer des Diogenes, in regem 
Verkehr und rühmte dessen hervorragende Tüchtig- 
keit, wie sie sich in Taten und Worten bewährte. Da- 
durch weckte er in Monimos die Liebe zu dem Mann 
in dem Grade, daß er sich wahnsinnig stellte und das 
Kleingeld sowie sämtliches Silbergeld auf den Wechs- 
lertisch bunt durcheinander warf, bis ihn sein Herr 
entließ. Und nun schloß er sich flugs dem Diogenes an. 
Auch dem Kyniker Krates folgte er in vielen Stücken 
und wandelte ähnliche Wege wie er. So kam es, daß 
sein Herr noch mehr in dem Glauben an seinen Irr- 
sinn bestärkt wurde. Er ward dann ein berühmter 
Mann, so daß auch der Komiker Menander seiner Er- 
wähnung tat. In einer seiner Komödien, dem Hippo- 
komos, ließ er sich so über ihn vernehmen: 

Mein Philon! Monimos war gewiß ein weiser Mann 83 
Nur etwas weniger berühmt. A. Er, der den Ranzen trug? 
B. Der Ranzen drei. Doch sprach ein Wort er, das, beim 
Himmel, glaub's! 
Nicht gleichkam nur dem allbekannten Delphispruch 
„Erkenn' dich selbst" und was noch sonst an Sprüchen dort 
Geschrieben steht: Der Bettler übertraf sie noch. 
Denn jede bloße Meinung nannt' er eitel Dunst. 

Er war ein Mann von ernstester Würde, ein Ver- 
ächter des Ruhmes und ganz nur dem Dienst der 
Wahrheit ergeben. Auch einige Schwänke gibt es von 
ihm, tiefer Ernst in der Hülle des Scherzes, sowie zwei 
Bücher über die Triebe und ein Ermahnungsbuch 
(Protreptikos). 



VI 82—85. 



Viertes Kapitel. 
Oneslkritos. Um 330 v. Chr. 

84 Onesikritos stammte nach einigen aus Ägina, nach 
dem Magnesier Demetrios aber aus Astypalaia. Auch 
er gehörte zu den namhaften Schülern des Diogenes. 
Es tritt bei ihm eine gewisse Ähnlichkeit mit Xeno- 
phon hervor. Xenophon zog mit Kyros zu Felde, er 
mit Alexander; jener schrieb die Kyropädie, dieser 
über die Erziehung Alexanders; jener verherrlichte 
den Kyros, dieser den Alexander. Auch seine Dar- 
stellungsweiße ist der des Xenophon ähnlich, nur daß 
er als Nachahmer hinter dem Original zurücksteht. 

Auch ein Menander, mit dem Beinamen Drymos, 
war Schüler des Diogenes, ein Bewunderer Homers, 
und Hegesaios aus Sinope, mit dem Beinamen Kloios 
(Halseisen), und Philiskos aus Ägina, wie bereits 
früher bemerkt. 87 ) 



Fünftes Kapitel. 

Krates. Um 328 v. Chr. 

85 Krates, des Askondas Sohn, war ein Thebaner. 
Auch er gehörte zu den namhaften Schulern des 
Hundes. Hippobotos dagegen sagt, er sei nicht Schuler 
des Diogenes gewesen, sondern Anhänger des Achaers 
Bryson. Von ihm kennt man folgende poetische 
Spielerei [Fr. 4 Diels] : M ) 

Pere ist eine Stadt inmitten des rötlichen Dunstes 

Schön und fett, aber fern von überfließender Fülle, 

Nimmer betritt sie ein Tor, und auch kein loser Schmarotzer, 

Auch kein lüsterner Wüstling, der seines Gesäßes sich rühmet. 

Nichts als Quendel und Lauch und Feigen erzeugt sie zum Brote. 

Darum liegen sie nie im Krieg miteinander; sie brauchen 

Keine Waffen zum Kampf wegen Goldes und eitelen Ruhmes. 



298 



Krates. 



Auch gibt es von ihm die wohlbekannte Ephemeris 85 
(Tagebuch), die so lautet: 

Zehn Minen gib dem Koch, dem Arzt e i n Drachmenstück, 
Dem Schmeichler fünf Talent', dem Beirat ein „Qott lohn's!", 
Der Dirne ein Talent, dem Weisen drei Obol'. 

Man nannte ihn auch den Türenöffner, weil er in jedes 
Haus hineinging und zum Guten mahnte. Von ihm 
stammen auch folgende Verse [Fr. 8 D.] : 

Was ich erlernt und erdacht und im Bund mit den Musen er- 
worben, 

Ist mein eigen; die Güter des Glücks sind eitel und nichtig. 

Und über den Gewinn, der ihm aus der Philosophie 
erwächst [Fr. 18,2 D.]: 

Ein Tagmaß Bohnen und ein. kummerfreier Sinn. 

r 

Auch folgendes wird ihm zugeschrieben [Fr. 14 
D.]: 

Die Liebe heilt der Hunger und, wo nicht, die Zeit, 
Und wem auch dies nicht hilft, dem hilft der Strick. 

Seine Blütezeit fällt in die 113. Olympiade (328/25 87 
v. Chr.). Antisthenes in den Diadochae erzählt, er 
habe sich nach Anhören einer Tragödie, in der Telephos 
mit einem Körbchen in der Hand, im übrigen aber 
kümmerlich ausgestattet auftrat, alsbald der kynischen 
Philosophie zugewandt. Er habe sein Vermögen zu 
Gelde gemacht — denn er gehörte zu den reichst- 
begüterten — und an die zweihundert 80 ) Talente zu- 
sammengebracht, die er an seine Mitbürger verteilt 
habe. Und er habe nun sich mit so ausdauernder Kraft 
der Philosophie gewidmet, daß auch der Komiker 
Philemon seiner gedenke. Bei ihm heißt es nämlich: 

Im Sommer trug er einen dicken Mantel stets, 
Im Winter Lumpen, um's dem Krates gleich zu tun. 



VI 86—90. 



299 



Diokles berichtet, Diogenes habe ihn überredet, sein 
Landgut zur freien Schafweide zu machen und was er 
an barem Gelde habe ins Meer zu werfen. In dem 
Hause 90 ) des Krates, sagte er, schlug Alexander seine 

88 Wohnung auf, in dem der Hipparchia Philippos. Oft- 
mals kam es vor, daß er seine Verwandten, die ihn be- 
stürmten, von seinem Verhalten abzustehen, mit dem 
Stocke fortjagte und so in seinem Edelmut sich uner- 
schütterlich zeigte. Der Magnesier Demetrios erzahlt, 
er habe sein Geld bei einem Wechsler niedergelegt mit 
der Bestimmung, daß, wenn seine Kinder sich nicht der 
Philosophie zuwendeten, er ihnen das Geld auszahlen 
sollte; würden sie aber Philosophen, so sollte er es 
unter das Volk verteilen; denn würden sie Philosophen, 
so hätten sie nichts nötig. Eratosthenes erzählt, er habe 
von der Hipparchia, von der weiterhin noch die Rede 
sein wird, einen Sohn gehabt namens Pasikles. Als 
dieser zum Jüngling aufgewachsen, habe er ihn in die 
Wohnung einer Dirne geführt mit der Bemerkung, so 
halte es sein Vater mit der Hochzeit. Die Ehen der 

89 Ehebrecher nähmen einen tragischen Verlauf, ihr 
Lohn bestehe am Ende in Flucht und Mord, die der 
Hetärenbesucher einen komischen, denn sie fuhren 
durch Unzucht und Trunkenheit zum Wahnsinn. 

Sein Bruder Pasikles war ein Schüler des Eukleides. 
Ein hübsches Wort von ihm führt Favorin an im 
zweiten Buch seiner Denkwürdigkeiten. Nämlich: als 
er für einen Jüngling Fürbitte einlegte beim Gym- 
nasiarchen, umschlang er dessen Hüften, und als dieser 
darüber in Zorn geriet, sagte er: „Gehören dir deine 
Hüften nicht ebensogut an wie deine Kniee?" Er erklarte 
es für unmöglich, einen völlig fehlerfreien zu finden; 
immer finde sich wie im Granatapfel auch irgendein 
fauler Kern. Als er den Zitherspieler Nikodromos ge- 
reizt hatte, erhielt er von ihm einen Faustschlag ins 
Gesicht; er klebte sich denn ein Läppchen auf die Stirn 
mit der Aufschrift: „Nikodromos ist schuld daran.' ) 

90 Gegen die Dirnen erging er sich absichtlich in Schmä- 



Krates. Metrokies. 



hungen, denn er wollte sich dadurch zugleich auch im 
Ertragen von Verleumdungen üben. Auf den Phale- 
reer Demetrios, der ihm Brot und Wein zusandte, 
schalt er mit den Worten: „Wenn doch die Quellen 
auch Brot mit sich führten!", ein Beweis, daß er nur 
Wasser trank. 

Als er sich den Tadel der athenischen Stadt- 
aufseher zuzog wegen seiner feinen Sidonischen Klei- 
dung,* 1 ) sagte er: „Auch Theophrast kleidet sich so, ich 
will es euch zeigen." Da sie ihm nicht glauben wollten, 
führte er sie in die Barbierstube, wo er sich scheren 
Meß, und wies auf ihn hin. Als er in Theben vom Gym- 
nasiarchen mit der Peitsche gezüchtigt wurde — nach 
anderen in Korinth von Euthykrates — und am Fuße 
fortgeschleift ward, führte er, ohne sich in seinem 
Gleichmut stören zu lassen, den Vers an (Jl. I 59) : 

Schwang er mich hoch, an der Ferse gefaßt, von der heiligen 
Schwelle. 

Diokles aber bemerkt, er sei von Menedemos, dem 9t 
Eretrier, fortgeschleift worden. Dieser nämlich war 
eine stattliche Erscheinung und stand in dem Ruf, dem 
Phliiasier Asklepiades zu Willen zu sein. Krates legte 
also die Hand auf dessen Hüfte und sagte, „hier innen 
ist Asklepiades." Darüber geriet Menedemos dermaßen 
in Zorn, daß er ihn am Fuße fortschleifte, wobei jener 
Vers angeführt ward. Zenon von Kition erzählt in den 
Chrien, er habe sich, ohne sich irgendwie zu genieren, 
einst ein Schaffell in seinen alten -Mantel eingenäht. 
Von Gesicht war er häßlich und wurde bei den gym- 
nastischen Übungen ausgelacht. Doch er pflegte, die 
Hände erhebend, zu sagen: „Sei getrost, Krates, ob 
deiner Augen und des übrigen Körpers; es wird die 
Zeit kommen, wo diese Spötter, von Krankheit ent- 92 
.stellt, dich glücklich preisen und ihren eigenen ge- 
längten Zustand schwer beklagen werden." Solange, 
sagte ei-, müsse man philosophieren, bis man die Feld- 
herren für Eseltreiber halten würde. In Gesellschaft 



VI 90—94. 



301 



von Schmeichlern, sagte er, lebe man ebenso einsam 
wie Kälber, die unter Wölfe geraten wären; denn man 
habe da keine Angehörigen, sondern nur lauernde 
Nachstetter. Als er sein Ende nahe fühlte, machte er 
auf sich selbst folgende Verse [Fr. 9 D.] : 

So machst du dich auf, du buckliger Alter, 
Wanderst zum Hades hinab gebeugt von der Last deiner Jahre. 

93 Denn das Alter hatte ihn krumm gebeugt. Als Alexan- 
der ihn fragte, ob er seine Vaterstadt wieder aufgebaut 
zu sehen wünsche, sagte er: „Wozu das? Denn wer 
weiß, bald wird wieder ein anderer Alexander kommen 
und sie zerstören." Sein Vaterland sei die Ruhmes- 
verachtung und die Armut, die gegen jeden Schicksals- 
schlag gefeit seien, und er sei Mitbürger des vor jedem 
Neide gesicherten Diogenes. Es gedenkt seiner auch 
Menander in den Zwillingen in folgenden Versen: 

Du wirst zur Seite mir im alten Mantel gehn 
Wie mit dem Krates einst, dem Kyniker, sein Weib. 
Und seine Tochter gab er, wie er selber sagt, 
Auf Probe seinen Schülern dreißig Tage lang. 

Es folgen nun seine Schüler. 



Sechstes Kapitel. 
Metrokies. Um 300 v. Chr. 

94 Metrokies, der Bruder der Hipparchia, der zuerst 
den Peripatetiker Theophrast hörte, war dermaßen ver- 
schüchtert, daß, als ihm einst während der Schulübung 
ein Wind entfuhr, er sich aus Verzweiflung in seinem 
Zimmer einschloß in der Absicht, sich durch Hunger 
das Leben zu nehmen. Als Krates dies erfuhr und sich, 
aufgefordert durch die Angehörigen, zu ihm begab, 



302 



Metrokies. Hipparchia. 



nachdem er absichtlich zuvor Bohnen genossen, suchte 
er ihm zunächst durch vernünftige Vorstellungen klar 
zu machen, daß er keine Schandtat begangen habe; 
denn es müßte doch wunderbar zugehen, wenn nicht 
auch die Winde sich ihren natürlichen Abzug ver- 
schafften; schließlich aber richtete er ihn dadurch 
wieder auf, daß er selbst sich dieser Sünde schuldig 
machte und so zu seinem Tröste sich tatsächlich mit 
ihm auf die gleiche Stufe stellte. Von da ab ward er 
sein Zuhörer und brachte es in der Philosophie zu 
einer beachtenswerten Stellung. Er verbrannte seine 95 
Schriften, wie Hekaton im ersten Buch der Ghrien 
sagt, mit den Worten: 

Nur Nebelbilder sind's, der Traumeswelt entstammt. 

Also nichts als leeres Geschwätz. Einige wieder 
sagen, er habe Theophrasts Vorträge verbrannt mit den 
Worten (Jl. XVIII 392): 

Tritt hervor, Hephaistos; die Herrscherin Thetis bedarf dein. 

Er lehrte, von den Dingen seien die einen für Geld 
käuflich, z. B. ein Haus; die anderen nur für den Ein- 
satz von Zeit und Fleiß, wie eine tüchtige Bildung. 
Reichtum sei schädlich, wenn man ihn nicht in wür- 
diger Weise verwende. Er starb als Greis durch Selbst- 
verhalten des Atems. Schüler von ihm waren Tbeom- 
brotos und Kleomenes, des Theombrotos Schüler war 
Demetrios aus Alexandreia, des Kleomenes Schüler 
Timarchos aus Alexandreia und Echekles aus Ephesos; 
doch hörte Echekles auch den Theombrotos und diesen 
dann Menedemos, von dem noch zu reden ist. Auch 
Mcnippos aus Sinope zeichnete sich unter ihnen aus. 



VI 94—98. 303, 

Siebeates Kapitel. 
Hipparchia. Um 300 v. Chr. 

96 Auch Hipparchia, die Schwester des Metrokies,, 
fühlte' sich durch die Lehren dieser Schule angezogen. 
Sie stammten beide aus Maroneia. Sie schwärmte für 
des Krates Lehren und Lebensweise, völlig unzugäng- 
lich für die Bewerbungen ihrer Freier, und völlig, 
gleichgültig gegen ihren Reichtum, ihre hohe Geburt, 
ihre Schönheit. Mit Leib und Seele gehörte sie nur dem 
Krates. Sie drohte sogar ihren Eltern, selbst Hand an 
sich zu legen, wenn man sie ihm nicht gäbe. Krates, 
von den Eltern aufgefordert, das Mädchen von ihrem 
Vorhaben abzubringen, gab sich die erdenklichste Mühe. 
Schließlich, als es ihm nicht gelang sie zu überreden, 
erhob er sich, legte alles, was er bei sich trug, vor ihren 
Füßen nieder und sagte: „Hier steht dein Bräutigam, 
dies ist seine Habe, danach fasse denn deinen Ent- 
schluß," denn er würde nicht mit ihr in Gemeinschaft 
treten, wenn sie nicht seine Lebensweise völlig mit ihm 

97 teile. Das Mädchen entschied sich alsbald, legte die 
gleiche Kleidung an, wie er, zog mit ihm herum, wohnte 
ihm im Freien" 1 ') bei und ging mit ihm zu den Mahl- 
zeiten. So beteiligte sie sich auch an einem Gastmahl 
beim Lysimachos, wo sie # den Theodoros, den soge- 
nannten Gottesleugner, durch folgendes Sophisma ab^ 
führte: Was Theodoros tut, ohne dafür eines Unrechts 
geziehen zu werden, das kann auch Hipparchia tun, 
ohne dabei eines Unrechts geziehen zu werden; Theo- 
doros aber tut nicht unrecht, wenn er sich selbst 
schlägt, also tut auch Hipparchia nicht unrecht, wenn 
sie den Theodoros schlägt. Dem setzte er keine Gegen- 
rede entgegen, hob aber ihren Mantel in die Höhe. 
Allein Hipparchia ließ sich dadurch nicht in Schrecken 
oder Verwirrung bringen, wie es sonst Weiberart ist.. 

98 Und als er sagte (Eurip. Bacch. 1228): 

Wer ist sie, die vom Weberschiffchen sich entfernt? 



•304 



Hipparchia. Menippos. 



sagte sie: „Ich bin's, Theodoras; aber du glaubst doch 
nicht etwa, daß ich mir selbst übel damit gedient habe, 
wenn ich die Zeit, die ich auf den Webstuhl hätte ver- 
wenden sollen, einer tüchtigen Geistesbildung zugute 
kommen ließ?" So gibt es noch zahllose andere Sprüche 
dieser Philosophin. 

Von Krates 94 ) ist auch ein Buch „Briefe" in Um- 
lauf, in dem sich treffliche philosophische Gedanken 
finden, in der Darstellung zuweilen ähnlich dem Pia- 
ton. Auch Tragödien hat er geschrieben in erhaben- 
stem philosophischen Stil, wie z. B. folgende Stelle 
zeigt: 

Mein Vaterland umfaßt weit mehr als einen Turm 
Und eine Hütte. Jede Burg und jedes Haus 
Des ganzen Erdenrundes nimmt uns willig auf. 98 ) 

Er starb in hohen Jahren und ward in Böotien be- 
graben. 



Achtes Kapitel. 
Menippos. Um 300 v. Chr. 
Menippos, gleichfalls ein Kyniker, war von Haus 99 



der Ethik sagt. Nach Diokies war sein Herr ein Pon- 
tiker namens Baton. Durch seine von Geldgier eingegebe- 
nen eindringlichen Bitten setzte er es endlich durch; The- 
baner zu werden. Er ist kaum ernsthaft zu nehmen. Seine 
Bücher strotzen von Possenreißerei und erinnern stark 
an die Schriften seines Zeitgenossen Meleager. Her- 
mippos behauptet, er sei ein Tagewucherer gewesen und 
auch so genannt worden; er habe nämlich Geld auf 
Schiffszinsen ausgeliehen und Pfänder zur Sicherung 
genommen, wodurch er sich ungeheuer bereichert 
habe. Schließlich sei er aber durch Nachstellungen 
«m sein ganzes Vermögen gekommen und habe aus 



aus ein Phünikier und 




Sklave, wie Achaikos in 



VI 98—102. 



305 



Verzweiflung seinem Leben durch Erhängen ein Ende 
gemacht. Unser Gedichtchen auf ihn lautet so: 

Phönizier von Abkunft, doch ein Kreterhund, 

Ein Wucherer auf Tageszins — so hieß er auch — 

Menippos, dir nicht unbekannt. 

In Theben war's, wo er durch Einbruch in sein Haus 

Sein ganzes Geld verlor und wider Hundesbrauch 

Sich selbst erhängte. 

Einige behaupten, seine Bücher seien nicht von ihm 
sondern von den Kolophoniern Dionysios und 
Zopyros, die ihm ihre scherzhaften Schriften als einem 
gewiegten Kaufmann zum Vertrieb übergaben. 

Der Menippe finden sich sechs: erstens der Ver- 
101 fasser der Lydischen Geschichten und auch eines Aus- 
zugs aus Xanthos, zweitens der unsrige hier, drittens 
ein Sophist aus Stratonikeia, Karier von Abkunft, 
viertens ein Bildhauer, fünftens und sechstem Maler, 
deren beider Apollodor gedenkt. 

Von dem Kyniker gibt es dreizehn Schriften und 
zwar folgende: Die Unterwelt (Nexyta), Testamente 
C^io&ijxai). Scherzhafte Götterbriefe ('EtckttoXk!. xsxo 
4»su[J.svat a7co tou twv jcöv n:po(7W7irou). Gegen die 
Physiker, Mathematiker und Grammatiker; über den 
Geburtstag Epikurs und die von von ihnen gefeierten 
Zwanzigsten flpcc tou? ^utrixouc xal [*<x'3t 1 [j.<xtixou(; 
xal ypajxfj.a'rixoui; xai 70va? 'Eittxou'pou xoä xa? jp-qaxsu- 
oixe'vai; vit aüxwv sixa'Sa?) und andere. 



102 Menedemos war der Schüler des Kölotes aus Lamp- 
sakos. Dieser trieb es, wie Hippobotos berichtet, im 
Wunderglauben so toll, daß er als Erinnye verkleidet 




Neuntes Kapitel. 

/ 

Menedemos. Um 300 v. Chr. 



Apelt, Diogenes Laertius. 



23 



306 



Menedemos. 



umherzog und sich ausgab für einen aus dem Hades 
gesandten Erkunder der menschlichen Sünden, der da- 
hin wieder zurückkehrend den dortigen Göttern über 
das Geschaute Bericht erstatten müsse. Er ging in 
folgender Tracht einher: ein bis auf die Füße herab- 
gehender schwarzgrauer Leibrock, umschlungen von 
einem purpurnen Gürtel; auf dem Haupte ein arka- 
discher Hut mit den eingewirkten zwölf Zeichen des 
Tierkreises, kothurnartige Schuhe, übermäßig langer 
Bart, einen Eschenstab in der Hand. 

So viel von den Lebensläufen der Kyniker. Dem 103 
wollen wir aber nunmehr noch ihre gemeinsamen Lehr- 
sätze hinzufügen, denn wir halten auch sie für eine 
philosophische Sekte, nicht, wie manche meinen, bloß 
für Vertreter einer bestimmten Lebensweise. Von 
Logik also und Physik wollen sie nichts wissen, ähn- 
lich wie der Chier Ariston, ihr Absehen ist allem auf 
die Ethik gerichtet. Und was manche als besonders 
charakteristisch für Sokrates anführen, das legt 
Diokles dem Diogenes bei, indem er diesen sagen läßt, 
es gelte zu fragen (Od. 4, 392) : 96 ) 
Was dir Böses und Gutes in deinem Hause geschehn sei. 
Sie verwerfen auch die üblichen Wissensfächer. 
Wer die Herrschaft über sich selbst gewonnen hat, — 
so pflegte Antisthenes zu sagen, — der gibt sich nicht 
mit grammatischen Künsten ab, um nicht durch fremd- 
artige Dinge abgezogen zu werden. Auch die Geometrie 
verwerfen sie und die Musik und alles dergleichen. So 104 
sagte Diogenes zu einem, der ihm eine Sonnenuhr 
zeigte: „Allerdings eine nützliche Einrichtung, um die 
Mahlzeit nicht zu versäumen." Und zu einem, der ihm 
eine musikalische Aufklärung gab, sagte er: 97 ) 

Der Männer Einsicht schafft dem Staat das WohlergehD 
Und auch dem Haus, nicht Zither- oder Flötenspiel. 

Als Endziel stellen sie hin ein tugendhaftes Leben, 
wie Antisthenes in seinem Herakles sagt, ähnlich wie 



VI 102—105. 



307 



die Stoiker, wie denn überhaupt zwischen diesen beiden 
Schulen ein gewisser Zusammenhang besteht. Daher 
auch die Bezeichnung des Kynismos als eines kurzen 

105 Weges zur Tugend. So lebte auch der Kitier Zenon. 
Sie predigen, ein genügsames Leben, begnügen sich mit 
Speisen, die unmittelbar nur den Hunger stillen, und 
mit ihrem Mantel, unter Verachtung des Reichtums, 
des Ruhmes und der hohen Geburt. Zuweilen 08 ) leben 
sie nur von Kräutern und durchgehends nur von 

i kaltem Wasser; ihr Unterkommen finden sie unter 
dem ersten besten Obdach, auch in Fässern, wie Dio- 
genes, der zu sagen pflegte, es sei göttlich, nichts zu 
bedürfen, und gottähnlich, nur wenig nötig zu haben. 
Nach ihnen ist die Tugend lehrbar, wie Antisthenes in 
seinem Herakles sagt, und unverlierbar. Der Weise 
ist nach ihnen liebenswert und ohne Fehl und ein 
Freund derer, die ihm gleichen; nichts stellt er dem 
Zufall anheim. Alles, was zwischen Tugend und 
Schlechtigkeit in der Mitte liegt, erklären sie für gleich- 
gültig, ähnlich wie Ariston von Ohios. 

So viel also von den Kynikern. Wir müssen uns 
nun den Stoikern zuwenden, an deren Spitze Zenon 
steht, der Schüler des Krates. 



308 



Anmerkungen zum ersten Buch. 

1 ) S. 1. Diese Schrift, angeblich ein Dialog, wird hier wie 
auch I 8 und II 45 fälschlich dem Aristoteles beigelegt, 
während sie von dem Anonymus Menag. No. 191 zu der 
Pseudepigrapha gerechnet und in dem Aristotelischen Schriften- 
verzeichnis .des Diogenes V 21 ff. überhaupt nicht erwähnt 
wird. Suidas s. v. 'Avtw'jsvt]? legt sie dem Antisthenes bei, 
unter dem wahrscheinlich der Peripatetiker Antisthenes aus 
Rhodos (um 180 v. Chr.) zu verstehen ist. 

2 ) S. 1. Er gehörte noch zu den unmittelbaren Schülern 
Piatons, über den wir ihm einige wertvolle Nachrichten ver- 
danken. 

3 ) S. 2. Also schnell- und schmerzlos, nach des Homer 
häufiger Wendung olc; tkyoivoic. ßsXssaow. 

4 ) S. 3. Der lahmen Stelle ist m. E. aufzuhelfen durch An- 
nahme des Ausfalls eines oüos nach oyx oi%. Danach ist 
folgendermaßen zu schreiben und zu interpungieren: s-y« 8s d 
tov 7tsp£ t'swv s'^aycpeu'savTa roiaura £pf, cpdoa^ov xaXsiv 
oux oiSa, (ou5s) riva bü TTposa^opsusw x t. X. Damit 
scheint mir der Stelle besser gedient als mit Streichung des 
Tiva bei xpoca-yopEik'.v, mit der man sich beholfen hat. Nach 
einem oüx o?oa konnte ein ouos sehr leicht ausfallen. 

5 ) S. 4. Nämlich Sotion. Denn es ist mit Reiske (Herrn. 24 
p. 305) für 9<xai zu schreiben cpvjcJi. 

°) S. 4. Nämlich Persergesrhichte. Vgl. Com. Nep. Conan 

c. 5. 

T ) S. 4. Hermippos von Smyrna, Peripatetiker, um 200 
v. Chr. 

8 ) S. 4. Nicht der Platoniker Eudoxos, sondern der Rhodier 
Eudoxos um 225 v. Chr., Verfasser einer Schrift über eine Erd- 
umsegelung (-yv]; Trspioöo;). 



Erstes Buch. 



309 



9 ) S. 4. Es ist nämlich mit Holsten und Diels (Herrn. 24, 
305) wohl zu schreiben: xat. xa ovra (xa aüta) xai? auxüv 
srixuxXii'asat Siau.iveiv, zwischen ovxa und xt&C 
nämlich ist in dem guten Cod. F (einem Laurentianus) eine 
Rasur von etwa 7 Buchstaben. 'EtcixuxXtj'csgi. aber hat Holsten 
wohl richtig für das kaum verständliche stuxXyi'gsgi. der Hss. 
eingesetzt. 

10 ) S. 5. Man dürfe also das fehlende Wissen durch die 
freie Einbildungskraft ersetzen. 

".) S. 5. Der Sohn des berühmten Grammatikers und 
Kritikers Aristarch, in der zweiten Hälfte des 2. Jahrh. v. Chr. 

12 ) S. 6. Dem entspricht auch die spätere Ausführung, die 
IV 67 mit Kleitomachos schließt. Dagegen schließt die Reihe 
der Peripatetiker nicht mit Theophrast sondern mit Lykon. 
Nach dem Roseschen Index (Hermes I 370) hat die Reihe der 
Stoiker bei Diogenes ursprünglich bis Cornutus gereicht. 

13 ) S. 7. Von sTzs'xeiv »mit dem Urteil zurückhalten". Im 
Vorhergehenden ist „Naukydes" vermutlich nur Variante zu 
„Nausiphanes". 

") S. 9. Eine bemerkenswerte und wenn man sie auf 
Diogenes bezieht, allerdings auffällige Stelle. Wilamowitz 
weist sie wie diese ganze Partie dem Hippobotos (nach 70 v. 
Chr.) zu Antig. v. Kar. 327, 8. 

' 15 ) S. 11. Diese Worte habe ich mit Diels (Frg. <L V. 2 p. 3) 
eingesetzt. Damit klärt sich die Bezugnahme auf Piaton auf; 
die Stelle bezieht sich dann auf Prot. 343A. 

16 ) S. 11. Die Entdeckungen (supufsJiaTa) sind ein ständiger 
Artikel der Lebensbeschreibungen. Neben Entdeckungen und 
Erfindungen werden auch neue philosophische Lehren dazu 
gerechnet. Vergl. F. Leo, Qriech.-röm. Biogr. p. 48 ff. 

") S. 12. So ungefähr wird die Stelle gelautet haben nach 
der wahrscheinlichen Wiederherstellung von Diels Herrn. 24, 
306. Der scheinbare Durchmesser der Sonne ist 720 mal im 
ganzen Sonnenlauf enthalten, indem er nahebei einen halben 
Grad beträgt. Dasselbe Verhältnis wird für den Mond- an- 
genommen. 

1S ) S. 12. Arist. de anima 405» 19. 

19 ) S. 12. Vergl. Diog. L. VIII 12. 



310 



Anmerkungen. 



20 ) S. 12. Das ist ein Durcheinander von ionischer und 
pythagoreischer Uberlieferung. 

21 ) S. 13. Nämlich Thaies als Gesprächsperson des Hera- 
kleides. Vgl. Diog. VIII 4 und Diels Frg. d. V. 2 651. 

22 ) S. 13. Was für den Menschen galt, galt notwendig 
auch für die Pyramide. In dem bezeichneten Moment brauchte 
man also nur den Schatten der Pyramide zu messen um genau 
das Maß ihrer Höhe zu erhalten. 

") S. 14. Das sind Hinkjamben (Choliamben). Kallimachos 
hat die prosaische Widmung des Thaies in diese Verse gebracht. 
-*) S. 15. Diog. L. I 82. 

25 ) S. 17. Frg. 1 Diels (Poet. phil. fr. p. 190). Vgl. Wachs- 
muth Sillogr. Qr. p. 100 f., der den Vers abweichend von der 
in unserer Ubersetzung befolgten Lesart folgendermaßen 
schreibt: otov s7teiT<x Oa'VrjTot, aoowv aoipov, <xaTpovdfnr)fj.<x. 

20 ) S. 17. Die Zeit des Lobon ist unbekannt. Vgl. Leo 
a. a. 0. p. 22 Anmerk. 

2T ) S. 17. Jedem Tag nämlich muß eine Nacht voraus- 
gegangen sein, also auch dem ersten Tag, nicht aber jeder 
Nacht ein Tag; denn vor Schöpfung der Sonne war ununter- 
brochene Nacht. Vgl. Plut. Alex. c. 64, wo die nämliche Frage 
anders beantwortet wird. Auch Clem. Alex. Strom. VI 38 
kommt auf die Sache zu sprechen. 

2S ) S. 18. Hier ist die Überlieferung unsicher. 

29 ) S. 18. Für 35 fördert Diels (Rhein M. 31, 16) 39. 

30 ) S. 20. So mit Reiske für das handschriftliche Qorsias. 

31 ) S. 27. In dem verloren gegangenen Drama Autolykos. 

32 ) S. 27. Vgl. Plat. Oes. 913 C. 
GS ) S. 27. Vgl. Diog. L. I 24. 

34 ) S. 29. At/paaraS-f) „Meister des Sanges", als Anrede an 
den Mimnermus, ist dasjenige Wort, auf das die handschriftliche 
Überlieferung nach Th. Bergks Vermutung hinweist. 

35 ) S. 30. Die handschriftliche Überlieferung ist hier nicht 
iehlerfrei. Qottfr. Hermann will die, Worte so geschrieben 
wissen : xav rcöXst. x a 'P lv xoctoc ^ 0 1. o s|eup<ov vj [jlt] u7uo7rco{ 
sin); „du würdest dir den Staat zu Dank verpflichten, wenn du 
ausfindig machen wolltest, inwiefern du nicht verdächtig bist". 

S8 ) S. 33. Vgl. Plut. Mor. 190 A: Der König Teleklos 



Erstes Buch. 



311 



sagte zu seinem Bruder, der sich beschwerte, daß die Bürger 
ihn nicht mit gleicher Erkenntlichkeit behandelten wie jenen: 
„Du weißt dich nicht darein zu finden, wenn man dir 
unrecht tut". t _ „ 

3T ) S. 33. So nach Reiske, der a u t o u xai Ataoirov, 
wie es der Sinn fordert, einsetzt fürauxbv xal AIöwtcou der Hss. 

38 ) S. 33. Vgl. II 69. V 19. Nach unserem Spruch sind die 
Gebildeten Leute, von denen man sich keiner schlimmen 
Handlungen zu versehen hat. 

S9 ) S. 34. Das Gold als ethischer Wertmesser hat schon 
für das Altertum ebenso große Bedeutung wie in unserer Zeit. 

40 ) S. 34. Jetzt Cerigo, vor der östlichen Landspitze 
Lakoniens, dem berüchtigten Cap Malia (Malea) gelegen, am 
Eingange zum griechischen Archipel. 

41 ) S. 35. Danach wäre Brachylogie nicht eigentlich Kürze 
der Rede, sondern die von Branchos geübte Redeweise = 

«*) S. 36. Dies Brieflein ist selbst ein Muster von 
Brachylogie. 

43 ) S. 37. Unsere Jurisdiction folgt der entgegengesetzten 
Maxime. Ihr ist Trunkenheit Milderungsgrund. Ob zum Vor- 
teil für die Gesamtheit? 

44 ) S. 37. Ein Quidproquo wie es scheint. Nach Piaton 
nämlich (Prot. 345 D) gehört das Wort Äva-pq) cüos ^eoi. jJ.ax.ovTa!. 
nicht dem Pittakos sondern dem Simonides. Der Umstand 
aber, daß das Wort sich innerhalb der platonischen Erörterung 
des Pittakosspruches über das stöXbv etvai findet, hat wohl 
dazu geführt auch dies Wort dem Pittakos beizulegen. Ob 
dies Mißverständnis dem Diogenes selbst oder schon seiner 
Vorlage zur Last fällt, ist belanglos. Jedenfalls wird man gut 
tun vor 'Avapca voll zu interpungieren. 

") S. 38. Über den mutmaßlichen Urheber (Lobon) dieses 
und anderer Grabepigramme (vgl. I 85. 93. 96) s. Diels Herrn. 
24, 306 und Leo, a. a. 0. p. 22, 2. 

40 ) S. 38. Vgl. I 26. 41. 91. 

47 ) S. 39. Die Lesart Atov ist ganz treffend; denn man 
darf nicht vergessen, daß man es mit einem Gedicht zu tun hat 
nicht des Pittakos sondern des Kallimachos. Kallimachos macht 



312 



Anmerkungen. 



eben hier die Nutzanwendung auf s e i n e n Fall, tut also genau 
das, was man zu erwarten berechtigt ist. 
") S. 39. Vgl. I 92. 

40 ) S. 41. Das ist offenbar eine bloß erläuternde Rand- 
bemerkung. 

50 ) S. 41. Das folgende waren wohl ursprünglich Verse, 
doch hat es wenig Bedeutung, sie wiederherstellen zu wollen. 

01 ) S. 44. Das sind ursprünglich Verse, auf tieren Wieder- 
herstellung aber wenig ankommt. 

52 ) S. 45. Vgl. I 81. 

53 ) S. 46. Vielleicht Lysidike nach Reiske. Zu dem 
folgenden vgl. Herod. III 48. V 94. 

") S. 47. Durch die Wiederholung in vermehrter Zahl 
wird die Spur immer mehr verwischt und dadurch die Möglich- 
keit der Entdeckung erschwert. 

K ) S. 47. Rückweisung auf I 95, auf die Erzählung von 
den durch die Samier geretteten Knaben. 

58 ) S. 48. Sonderbar im Munde des Periander, aber nicht 
unmöglich. 

") S. 48. Nicht direkt, wohl aber indirekt Prot. 343 A. 
58 ) S. 49. Vgl. I 94. 

C9 ) S. 51. Das scheint darauf hinzudeuten, daß man im 
Altertum Flöten auch aus Rebenholz machte. 

00 ) S. 52. Anspielung auf Köhlereien im Gebirgswald, Im 
folgenden ist wohl für das xas'ovt<x<; der Hss. mit Casaubonus 
zu schreiben ItXeiova«; unter Anspielung auf ot ttAsiovs? = 
ol ts^vsutsc. Die Toten sind die Majorität. 

61 ) S. 54. Vgl. II 29. 

62 ) S. 55. So nach Diels Frg. d. V. 2 489, 25. 

63 ) S. 56. Ein gewiß auch unechter, vielleicht von Diogenes 
selbst erdichteter Brief. 

"*) S. 57. Vielleicht wird damit hingedeutet auf ihre schwere 
Niederlage durch die Tegeaten Herod. I 66 f. 

65 ) S. 59. Der Läusekrankheit begegnet man noch öfters. 
Vgl. Leo a. a. 0. p. 58. 

••) S. 59. Vgl. Diels Frg. d. V. 2 507 und Arch. f. Phil. I 11. 
S. 61. So nach Reiske. 



313 



Anmerkungen zum zweiten Buch. 

*) S. 62. Diese Bemerkungen über Mond und Sonne ge- 
hören von Rechtswegen in den Abschnitt über Anaxagoras und 
sind nur irrtümlich hierher geraten. Auch bei den folgenden 
Bemerkungen handelt es sich um verschlagene Zettel. S. Diels 
Frg. d. V. 2 p. 653 und desselben Parm. 1897 p. 111. 

2 ) S. 63. Hier folge ich mit Diels der Umstellung Simsons 
<Rh. Mus. 31, 27), dadurch kommt die nach den Hss. unent- 
wirrbare Chronologie in Ordnung. • 

3 ) S. 64. Vgl. Wachsmuth Sillogr. gr. 161 f. 

4 ) S. 66. Diese Scheibenförmigkeit steht nicht in Wider- 
spruch mit der Paukengestalt, die nach anderen Berichten 
Anaxagoras der Erde gab. Die Erdscheibe nämlich wird ge- 
tragen von der unter ihr liegenden Luft, die zufolge der gleich- 
mäßigen Rundung des ganzen Himmelsgewölbes durch den sie 
umgebenden Äther genau die Form einer Halbkugel erhält. Die 
auf ihr ruhende Erdscheibe bildet gleichsam den Deckel dieser 
unteren Luft. Beide zusammen aber, Luft und Deckel, geben 
genau die Gestalt einer Pauke. 

°) S. 66. Anaxagoras denkt sich also, daß das Himmels- 
gewölbe sich anfangs aufrecht um den Horizont herumgedreht 
habe wie die bewegliche Kuppel einer Sternwarte um ihre 
Basis. Nachher sei aber die Neigung eingetreten. Durch diese 
Neigung hat sich der Weltpol aus dem Zenith heraus nach 
Norden gesenkt. Diese Neigung ist also die Polhöhe, nämlich 
die Polhöhe von Jonien, die er sich als für die ganze Erde giltig 
vorstellt. 

8 ) S. 66. Diese von Aristoteles im ersten Buche der 
Meteorologie bestätigte Angabe über die Kometen ist besonders 
wichtig für die Geschichte der Astronomie. Wer nämlich die 



> 



314 



Anmerkungen. 



Kometen für ein zufälliges Zusammentreffen von Planeten er- 
klärt, der konnte von der Zahl der Planeten und ihrem Laui 
keine auch nur annähernd richtige Vorstellung haben. 

7 ) S. 66. Dies ist die Stelle des Diogenes Laertius, an die 
Goethe eine sinnige Vermutung über des Euripides Drama 
„Phaethon" angeknüpft hat. Sie findet sich in „Kunst u. Alter- 
tum" Bd. VI Heft 1. Weimar-Ausgabe Bd. 41« S. 244. 

8 ) S. 66. Diese Äußerung kann aus chronologischen Gründen 
— Mausolos gehört erst dem vierten Jahrhundert v. Chr. an — 
nicht von Anaxagoras stammen. Diels hält sie für da-; 
Apophthegma eines Kynikers. 

9 ) S. 66. Vgl.Diog. L. IV, 31. 49. 

10 ) S. 67. Für das konstruktionswidrige cuYYP a 9'n£ der 
Handschriften ist vielleicht zu lesen auYYP«? 2 "?- 

u ) S. 67. Für das überlieferte Air|p.oXou empfiehlt Diels 
Frg. d. V. 2 704 <4ii)p.oi:udvo<; p.uXov>, womit das Jahr 470 v. Chr. 
bezeichnet wäre. 

1E ) S. 67. Der bekannte Staatsmann, nicht der Historiker. 

1S ) S. 67. Das scheint eine Randbemerkung zu sein, daher 
von Diels eingeklammert. 

14 ) S. 67. Auch das Gnomologium Vaticanum unter No. 117 
enthält diese Angabe von dem Tode zweier Söhne. Sternbach, 
Wiener Stud. X 22. Sonst ist gewöhnlich nur von einem die 
Rede. 

15 ) S. 68. Hss.: ov £v oüosvi. itavira. Das korrupte Ttavira 
ist m. E. zu ändern in epava. Vgl. Plat. Symp. 197 A sX'Xo'Yip.oe 
y.ai ^avoc. Pausan. IV, 4 Uokuyjxgi-tiQ Mstfaijvio? xa ts aXXa 
oüx d<pav»)<; xai vo«]v '0)a)p.7ua<jiv avYjpijp.Evoc- 
Gebräuchlicher ist siu^avife, vgl. Diog. L. II, 54 ouSsv est* 
oave? irpa£a<;. 

16 ) S. 69. Ein wohl nur versehentlich hierher geratener 
Satz, den Diels einklammert. 

") S. 69. Die handschriftliche Überlieferung leidet hier an 
einem schwer zu hebenden Fehler. 

1S ) S. 69. In der Ubersetzung dieser korrupten Stelle bin 
ich einer früheren Vermutung von Diels gefolgt. 

18 ) S. 71. Wachsmuth, Sillogr. gr. 167 ff. schreibt UTcatmxoj 




Zweites Buch. 



315 



iür vicarcutd;. Andere Vermutungen s. bei Diels Frg._ poet. 
pbil. p. 190. 

20 ) S. 71. Xenoph. Mem. I, 2, 31. 

21 ) S. 73. Vgl. Pkt. Kriton 52 B. 

**) S. 73. Des Sokrates Abhärtung in dieser Beziehung ist 
bekannt. 

2S ) S. 73. Wenn dies Verse des Philemon sind, so passe» 
sie schlecht in den Mund des Sokrates. 

24 ) S. 75. So auch im Eingang des platonischen Timaeus 
20 C. 

20 ) S. 75. Vgl. Diog. L. I 108. 
M ) S. 75. Xen. Mem. II 2. 
2T ) S. 75. Xen. Mem. III 6.. 

25 ) S. 75. Xen. Mem. III 7. 

20 ) S. 76. Diese Übersetzung ist nichts weiter als ein Not- 
behelf. Es galt der allem Anschein nach schlecht überlieferten- 
Stelle irgend einen Sinn abzugewinnen. Von dem hier ge- 
nannten Glaukonides wissen wir sonst nichts. 

30 ) S. 76. Gemeint ist wohl Euthyd. 303 D, wo Sokrates 
seine ironischen Bemerkungen gegen die Sophisten macht. 
Was dann 304 E in ähnlichem Sinne gesagt wird, gehört nicht 
mehr dem Sokrates an. 

31 ) S. 76. Vgl. Diog. L. VI 1. 

32 ) S. 76. Nach Reiske, der zwischen otts und xaipo; ein> 
ouxe'ti einschiebt, das der Sinn fordert.- 

S3 ) S. 77. Das Wort wird auch dem Zenon zugeschrieben 
und zwar in einer klareren Fassung als hier. Vgl. Diog. L. VII 
26 und Wyttenbach zu Plut, Mor. p. 486 der Lpz. Ausg. Zu, 
denken ist natürlich an das Wort von dem Anfang als der 
Hälfte des Ganzen. Plat. Ges. 753 E. Rpl. 377 A B. 

84 ) S. 77. Vgl. Diog. L. II 72. 

35 ) S. 79. Vgl. Xenoph. Symp. II 10. 

30 ) S. 81. Eine ganz apokryphe Nachricht. 

3T ) S. 82. Astydamas war der Schwestersohn des Aischy- 
los, ein fruchtbarer Tragiker wie auch noch einige seiner Nach- 
kommen. 

B8 ) S. 82. Hier ist wohl für ou5s'v zu lesen ouoeV= oiosva. 
39 ) S. 82. Ein gründlicher Forscher um 280 v. Chv. 




316 



Anmerkungen. 



40 ) S. 82. 

41 ) S. -82. 
**) S. 83. 
*») S. 83. 
*♦) S. 83. 



41 ) S. 85. 

") S. 85. 

* 9 ) S. 85. 

M ) S. 85. 



Vgl. Diog. L. II 7. 

Xen. Mem. I, 4. Vgl. auch ebenda I, 6, 14. 
Nämlich im Dialog Phaidon. 
Vgl. Diog. L. I 18. 

Eine verworrene Stelle, über die man vgl. Leo 
•a. a. 0. p. 39 Anm. 2 und Gercke, de quibusdam D. L. auctoribus 
p. 46 f. 

4G ) S. 84. Über die Quellen des Diog. L. für das Leben 
Xenophons s. Leo a. a. 0. 39 ff. Das Beste stammt aus der 
Rede des Dinarch, wie Wilamowitz gezeigt hat. Diogenes hat 
dies dem Magnesier Demetrios entnommen. 
*") S. 84. Bruder des Alkibiades. 

Bekannt aus dem Platonischen Dialog Menon. 
Xen. Anab. III, 1, 31. 
Vgl. das siebente Buch der Anabasis. 
Griechisch •yu'voct.ov, das gewöhnlich in verächt- 
lichem Sinne gebraucht wird. Daß es aber bei Diogenes auch 
die ehrbare Gattin bedeuten kann, zeigt II 137. 

") S. 86. Dieser Xenophon ist der Enkel des berühmten 
Xenophon. Über die Rede des Dinarch vgl. Anm. 45. 

z '") S. 86. Sie dienten also nicht im athenischen Heere. 
53 ) S. 87. Vgl. Diog. L. II 13 (Dublette). 
") S. 87. In dem verloren gegangenen Dialog rcspi. pvjxo- 
.piXTjc r, rpu'XXo;. 

M ) S, 87. So nach Wachsmuth, der Sillogr. gr. 173 f. die 
Stelle folgendermaßen schreibt : ■»} t' Aio^ive«» oüx ixtcAt? 
•vvg) ypadvai, die Worte werden II 62 noch einmal angeführt. 
56 ) S. 88. Vgl. Diog. L. III 34. 
") S. 88. Es wechseln Hexameter mit Hinkjamben. 
") S. 89. Schüler des Stoikers Zenon, gebürtig aus Kitium 
auf Cypern. Vgl. VII 36. 

59 ) S. 90. Vgl. H. Dittmar, Äschines von Sphettos in den 
Piniol. Untersuchungen von Kießling und Wilamowitz 21 
(1912), 65 ff. 

60 ) S. 90. Vgl. Diog. L. II 55. 

") S. 90. Damit ist hier wohl das sizilische Megara 
xemeint. 

« 2 ) S. 90. Vgl. Thuc. V 4. 



7 



Zweites Buch. 



317' 



ss ) S. 91. Ein losgerissenes Stück, das eigentlich zu § 61 
gehört. Panätius soll Piatons Phaidon für unecht erklärt haben. 
Diese kaum glaubliche Notiz erklärt sich vielleicht aus unserer 
Stelle, aus einer Verwechslung nämlich des plat. Dialogs mit 
der Schriftstellerei Phaidons selbst. 

M ) S. 91. Vgl. Xen. Mem. II 1, III 8. 

° 5 ) S. 91. Eine darauf bezügliche Notiz findet sich zwar, 
aber erst Diog. L. III 36. Es liegt also wohl keine RückWeisung 
auf eine frühere Stelle unseres Buches sondern ein Hinweis 
auf eine andere Schrift desselben Verfassers vor. 

° 6 ) S. 92. Wachsmuth Sillogr. 175. 

67 ) S. 93. Vgl. Diog. L. II 102, VI 58. 

e8 ) S. 93. Die Philosophen nämlich folgen im Qriinde nur 
den ungeschriebenen Gesetzen. 

60 ) S. 93. Uber diesen Unterschied vgl. auch I 69 und V 19. 

70 ) S. 93. Das Wort äv^pwx(.ö|j.c? scheint sonst nicht vor- 
zukommen und klingt fast wie eine späte Qräcisierung des 
lateinischen humanitas. 

71 ) S. 94. Vgl. Diog. L. II 33. 

72 ) S. 95. Vgl. Plut. Mor. 218 B eiSu? Xo^ov, xcn.1 TOV 
toü Xsyeiv xoupov oiSsv. 

7S ) S. 98. Ein Wortspiel, das durch die Übersetzung 
einigermaßen wiedergegeben wird. 

74 ) S. 98. Nämlich die Geldgier. 

75 ) S. 100. Die Rechnung stimmt also nicht. 

76 ) S. 100. Vgl. Plat. Phil. 13 C, wo Sokrates gegen diesen 
Standpunkt des Protarchos aufs entschiedenste Verwahrung 
einlegt. 

") S. 102. Eine feine Bemerkung, die sich fruchtbar er- 
weist für die Kunsttheorie überhaupt in Bezug auf die Frage der 
Zulässigkeit des an sich Widerwärtigen und Häßlichen in der 
künstlerischen Darstellung. 

7S ) S. 102. Man sollte nun erwarten: „als durch Seelen- 
schmerz"; allein die Fortsetzung entspricht dem nicht und 
damit geht die Logik in die Brüche. 

™)S. 102. Eigentlich „lustvoll zurückkehrt" (jjos'o? ^avay-f)), 
eine etwas auffällige Wendung. . 

80 ) S. 103. Das besagen hier die Worte sXs-yov ow auroc. 



318 



Anmerkungen. 



") S. 103. Die Ethik bedarf zur Begründung ihrer Wahr- 
heiten der Logik. 

82 ) S. 103. Zu dem griechischen Text dieser SteHe s. Diels 
Doxogr. 591, 32. 

**) S. 104. Danach wäre also der Selbstmord wohl 
zulässig. 

84 ) S. 104. Diese entstellt überlieferten Worte habe ich 
■den Anforderungen des Sinnes gemäß übersetzt. 

M ) S. 105. Das Komma im griechischen Text ist nicht mit 
•den Herausgebern hinter sondern vor oia -aij-a zu setzen. 

M ) S. 105. Bei der herrschenden Neigung, dem Diogenes 
L. jede Regung von Selbständigkeit abzusprechen, wird es 
nicht an solchen fehlen, die auch diese Stelle mitsamt dem 
„mir" der Vorlage zuweisen werden. Allein «*< modus in 
rebus, sunt ctrli denique fines. 

S7 ) S. 107. Das erklärt sich wohl durch die Beziehung auf 
die subjektive Giltigkeit aller Urteile, welche die Kyrenaiker 
mit Protagoras annahmen. Vgl. Zeller II, l 3 , 301. 

87a ) S. 107. Vgl. II 10. 

M J S. 107. Dazu vgl. Diog. L. VI 42. 

* 9 ) S. 108. Vgl. Diog. L. II 68. 

**) S. 108. Nomen (vou.0-. == Gesetze) sind feierliche 
Lieder strenger und altertümlicher Art, vergleichbar unseren 
Kirchenliedern. 

M ) S. 108. Damit ist seine verloren gegangene Schrift 
TexvMv ouvaYt>7Yj gemeint. Frg. 132 p. 1500 b 35. 

*") S. 110. Das spricht mehr für Streitlust als für schlichte 
Wahrheitsliebe. 

85 ) S. 110. Vgl. Wachsmuth Sillogr. 152 f. 

M ) S. III. Über diese beliebten Geistesspiele der Griechen 
«eben Auskunft Zeller II, l 3 225 ff., Fries, Logik 3. Aufl. 351 ff. 
und andere. 

* 5 ) S. 111. Es sind Hinkjamben (Choriamben) abwechselnd 
mit Daktylen. 

M ) S. 115. Ein unnachahmbares Wortspiel. Das griechische 
'.u.<xt£ou xatvou bedeutet „eines neuen Mantels", kann aber 
auch, wenn manxaivoüin seine Silben zerlegt und dafür xatvov 
schreibt, bedeuten „des Mantels und des Verstandes". Vgl. VI 3. 



L 



Zweites Buch. 



319 



° 7 ) S. 115. Vgl. Wachsmuth Sillogr. p. 193 f., wo man Aus- 
kunft findet über die zahlreichen Anspielungen obscörter Art, 
mit denen hier Timon den Lesern aufzuwarten scheint 

9S ) S. 116. Vgl. meine Bemerkungen dazu im Rhein. Mus. 
N. F. 53, 621 ff. 

") S. 116. Der Name Stilpon war wohl überhaupt selten, 
daher keine Homonymen. 

10 °) S. 118. So nach Reiske, der vor Xd^ou einschiebt 
•KoXiTtxoü mit Verweisung auf II 121 xi xb s7cir»)'6eiov .y'i 
noXiTixo£. 

101 ) S. 119. Das ist die uns erhaltene Cebetis tabula (z£va£), 
ein allegorisches Gemälde des menschlichen Lebens. 

102 ) S. 119. Die Mitteilungen über Menedemos zeichnen 
sich nicht nur durch eine verhältnismäßige Fülle des Stoffs, 
sondern auch durch eine ungewöhnliche Lebhaftigkeit des 
Colorits aus. Sie sind, wie Wilamowitz in seiner Schrift über 
Antigonos von Karystos überzeugend nachgewiesen, dem 
Diogenes, d. h. den Vormännern des Diogenes, durch Hera- 
kleides Lembos, Zeitgenossen des Aristarch, vermittelt 
worden. Herakleides kann aber das Material auch bei Sotion 
gefunden haben, wie Leo a. a. O. S. 74 f. zeigt. 

103 ) S. 120. Vgl. Wachsmuth Sillogr. 195. 

S. 121. Es sind selbstverständlich geschlechtliche An- 
spielungen, um die es sich hier handelt. Ihren Sinn wird man 
einigermaßen erkennen, wenn man in den Problemen des 
Aristoteles liest, was er 908b 5 ff. über die betreffenden 
Wirkungen des Rettigs mitteilt Wenn Menedemos den Ehe- 
brecher als einen Rettigf resser ($a.<pa.voy6pxai<:o<;) nach der 
Komödie hinstellte, so wußte jeder Hörer, was er damit meinte. 
Zugleich scheint darin eine Anspielung zu liegen auf jene 
gerichtliche Strafe für Ehebrecher in Athen, die mit dem Aus- 
druck pacpaviooüv bezeichnet wurde. 

10 °) S. 122. Hier leidet die Überlieferung (ini tt ( ? ^uava?) 
vielleicht an einem Fehler. 

1<w ) S. 122. Ihre rasche Abreise bringt sie in den Sturm, 
der ihnen den Tod droht Der Freimut des Menedemos trägt 
also in gewisser Weise die Sehuld an ihrer jetzigen Todes- 
gefahr. 



320 



Anmerkungen. 



107 ) S. 123. Vgl. die Bemerkung Reiskes (Herrn. 24, 309): 
Loquitur de epulis, quas divites in triviis Hecatae deisque 
inferis deponere solebant. 

108 ) S. 123. Die Gastfreiheit erscheint hier in etwas auf- 
tauender Weise als eine Art Entschädigung für die Unbilden 
des Klimas, als ein Gegengewicht gegen die durch das Wetter 
verursachte übele Laune. 

109 ) S. 124. Gemeint ist Herakleides Lembos. 

110 ) S. 124. Hätte er einfach „Ja" geantwortet, so wäre 
die Antwort gewesen : „Also hast du ihn doch geschlagen, denn 
sonst hättest du nicht aufgehört." Hätte er aber einfach „Nein" 
gesagt, so schlüge er ihn ja immer noch. Auf jeden Fall also 
würde er als Missetäter gegen seinen Vater erscheinen. 
Menedem nahm gegen dergleichen Fangschlüsse den ganz 
richtigen Standpunkt ein. 

U1 ) S. 125. Es ist hier mit Reiske für (f&ae, zu schreiben 
cpiXixoc. 

11S ) S. 125. Vgl. die Anmerkung zu II 52. 

S. 128. Persaios war der Sohn des Demetrios. 



/ _ 



321 



Anmerkungen zum dritten Buch. 

3 ) S. 129. Als Grundlage zu dieser Biographie gibt sich zu 
erkennen die Einleitung des Thrasyllos zu seiner Ausgabe der 
Platonischen Werke, .die auf guten Quellen beruht. Diogenes 
Laertius oder sein Vorgänger hat diese Grundlage durch zahl- 
reiche Zusätze aus bekannten Sammelwerken der Kaiserzeit 
ergänzt. Vgl. Leo a. a. O. S. 54 f. 

: ) S. 129. Das beruht wohl lediglich auf einer Vermengung 
mit dem Namen der Schwester Piatons. 

= ) S. 129. Klearch von Soli gehörte zu den unmittelbaren 
Schülern des Aristoteles. Er wird noch einige Male von 
Diogenes zitiert. 

4 ) S. 129. Also unbefleckte Empfängnis. Es galt. Piaton 
zu einem überirdischen Wesen, zu einem Sohn Apollons zu 
machen. 

4a ) S. 130. Die Genesis dieser verworrenen Steile bis 
Mitte von 66 hat Usener aufgeklärt in der Epicurea XXIII f. 

5 ) S. 130. Ein Schriftsteller unbestimmter Zeit, der in 
einem wohl biographischen Werke auch über Piaton handelte 
und mit besonderer Vorliebe Auffallendes in der äußeren Er- 
scheinung seiner Helden nacherzählte. Vgl. Steinhart, Piatons 
Leben Lpz. 1873 p. 19 f. 

°) S. 131. Alexander der Polyhistor, der zu Sulla's Zeit 
ein Buch über die Reihenfolge der Philosophenschulen 
(tüv tpiXoaotpov hinboyjxC) schrieb. 

') S. 131. Wer damit gemeint sei, ist fraglich. 

■) S. 131. Ist der Schüler Piatons. 

") S. 132. Vgl. Wachsmuth Sillogr. p. 102. 

10 ) S. 132. Satyros war ein Freund des berühmten 
Grammatikers und Kritikers Aristarch (um 170 in Alexandria). 

n ) S. 132. Über ihn s. Leo a. a. 0. 55 Anm. 4. 

A p e 1 1 , Diogenes Laerlius. 21 



322 



Anmerkungen. 



12 ) S. 132. Der Mathematiker Amyntas aus Herakleia war 
Schüler Piatons; er ward bekämpft von Alkimos, dem Schüler 
Stilpons. Uber die Frage der Echtheit der hier zitierten Partien 
aus dem Drama des Epicharm s. Diels, Frg. d. V. 2 p. 89 und 668. 

13 ) S. 134. Vgl. Plat. Parm. 132 D f. 

") S. 134. Ob hier mit Diels noch ein Vers hinter dem 
ersten einzufügen sei, lasse ich dahingestellt. 

15 ) S. 135. Griechisch: sv rr) ~spi tüv löewv utcoXij'vJjsi. 
Das würde als Büchertitel, wie man es hat verstehen wollen 
(vgl. z. B. Steinhart, Leben Piatons p. 13 f.), sich wunderlich 
genug ausnehmen. Bedenkt man aber, daß Amyntas ein 
Schüler Piatons war, so handelt es sich bei den angezogenen 
Worten wahrscheinlich um Ausführungen Piatons vor seinen 
Schülern, also um Lehrvorträge. So richtig Schwartz in dem 
Artikel Alkimos in Pauly-Wissowa p. 1544. Das gibt den hier 
mitgeteilten Ausführungen ein ganz besonderes Interesse. Wir 
hören hier Piaton vor seinen Schülern sprechen und gewinnen 
einen Einblick in seine geistige Werkstatt. Der Mechanismus 
der Gedächtniskraft der Tierwelt wird ihm hier zur Stütze 
seiner Lehre von der Anamnesis. 

") S. 135. Im griechischen Text ist hier ein Wort aus- 
gefallen. 

") S. 138. Cobet schreibt richtig MsyaXTjv toXiv, denn 
es ist offenbar Megalopohs gemeint, das auch bloß MeydtV»] 
genannt wurde. 

18 ) S. 139. Eine Frage, mit der man sich neuerdings mehr- 
fach beschäftigt hat. Vgl. meine Anmerkung 124 p. 166 f. 
meiner Ubersetzung des Timaeus. 

19 ) S. 140. S. Wachsmuth Sillogr. 172. 

20 ) S. 141. Im Griechischen „Aster" (Stern) als Eigen- 
name. 

21 ) S. 141. So nach Reiskes richtiger Deutung. 

22 ) S. 142. Das ist Apollonius Molo, der berühmte Rhetor 
in Rhodos, der geschätzte Lehrer des Cicero. Er schrieb u. a. 
ein Buch gegen die Philosophen (xxcoc tmv (ptXoao'tpwv), dem 
diese boshafte Bemerkung gegen Piaton angehört haben mag. 

23 ) S. 143. Damit ist gemeint die Stelle 694 Äff. in den 



Drittes Buch. 



323 



Gesetzen, wo eine offenbare Polemik gegen Xenophon vorliegt 
und zwar ohne Namensnennung. 

24 ) S. 143. Es ist mit Reiske tc\äo[j.svc'j zu schreiben. 

») S. 143. Denn diese Schrift stand ja von vornherein 
durch ihren Zweck und Inhalt in Widerspruch mit aller Welt 
wie mit aller Erfahrung. 

26 ) S. 143. Vgl. Diog. L. H 65. 

27 ) S. 144. Vgl. Diog. L. III 57. 

28 ) S. 147. Auf dem thrakischen Chersones. 

29 ) S. 147. Wer die hier als Empfängerin — nicht des 
ganzen Werkes, sondern — dieses Abschnittes bezeichnete ge- 
lehrte Dame sei, läßt sich zwar nicht mit Sicherheit sagen, 
doch vermutet man mit einiger Wahrscheinlichkeit, daß es die 
aus Galen De theriac. ad Pison. 458. XIV p. 215 Kühn bekannte 
Arria sei. Eine Widmung des ganzen Werkes an sie hätte nur 
am Anfang des Buches ihren Platz finden können. S. U se n e r 
Epicurea XXXIII Anm. 

so ) S. 148. Was nun folgt, ist, abgesehen von einigen 
Partien im ersten Teil, schablonenhafte, dazu mehrfach von 
fremdartigen (aristotelischen) Gesichtspunkten beherrschte, im 
Ganzen tote und geistlose Zusammenfassung des Lehrgehaltes 
der platonischen Schriften im Stile etwa des Alkinous oder 
Albinus, in den letzten Partien geradezu nur ein dürres 
Herbarium, ohne Saft, Kraft, Farbe und Leben, ein deutlicher 
Beleg dafür, in welcher Verzerrung und Verdörrung uns Piaton 
erscheinen würde, wenn uns das Schicksal seine Schriften vor- 
enthalten hätte. Die Einteilungssucht erinnert hier und da 
geradezu an die Tabulaturquälereien der Meistersänger. 
Diogenes selbst ist an diesen Dingen unschuldig; er lebt hier 
offenbar ganz auf Borg, nur darf man nicht so weit gehen, auch 
für die Anrede an die gelehrte Dame einen anderen verant- 
wortlich zu machen als ihn selbst. 

31 ) S. 149. Diese Unterscheidung schwebt in einer etwas 
unbestimmten Mitte zwischen zwei sehr bestimmten Unter- 
scheidungen Piatons, nämlich zwischen der von wahrer 
Meinung und falscher Meinung einerseits und von Meinen und 
Wissen anderseits. 

3J ) S. 149. Damit sind gemeint die führenden Gesprächs- 

21* 



324 



Anmerkungen. 



Personen in den Dialogen Sophistes, Politikos und in den Ge- 
setzen. Man hat sich — so meint der Verfasser — unter diesen 
nicht eine bestimmte Person (also auch nicht den Piaton als 
solchen), sondern nur Vertreter platonischer Ansichten über- 
haupt vorzustellen. 

3S ) S. 150. Vgl. Artet. Top. 105* 13 t| abcb -wv y.aV sxacra 
inl xa. xo&oXou s9o5o<;. In unserem Text ist der Wortlaut 
sehr wenig präzis. 

34 ) S. 150. Reiske schreibt wohl richtig k rt ? a für zspl 

35 ) S. 150. Das ist überhaupt kein induktiver Schluß 
sondern ein Sophisma, das durch den Modus tollendo ponens 
schließt. Die Induktion hat es immer mit der Verbindung 
der Teile zum Ganzen zu tun, diese Schlußart dagegen mit 
der Entgegensetzung der Teile i m Ganzen. 

36 ) S. 150. Das ist überhaupt kein disjunktiver (induktiver) 
Schluß sondern ein konjunktiver WahrscheinlichkeitsschluS. 
Wir schließen im vollständigen konjunktiven Schluß auf eine 
Begebenheit, deren Ursachen wir vollständig kennen oder auf 
einen Tatbestand, dessen Merkmale wir vollständig kennen. 
Bei gerichtlichem Verfahren handelt es sich in der Regel aber 
nicht um vollständige sondern nur um partielle Kenntnis der 
Merkmale. Es handelt sich also bloß um Wahrscheinlichkeit, 
also um einen konjunktiven Wahrscheinlichkeitsschluß. 

") S. 151. Der zu beweisende Satz wird hier mit Hilfe 
eines altgemeinen Satzes bewiesen, der seinerseits durch 
Induktion bewiesen wird. 

3S ) S. 151. Vgl. Diog. L. III 37, wo für dieselbe alberne 
Behauptung Aristoxenos als Zeuge genannt wird. 

3B ) S. 153. Hier ist mit Reiske für das bloße 'Aito\oyia<; 
der Hss. zu schreiben clk 'AteoXoyiok;. 

40 ) S. 154. D. h. vom Schwachen, Unbedeutenden, dabei 
aber Redlichen und Braven z. B. Gorg. 483 C dyarcoai ya'p, 
o£u.ai, au-uoi av xb i'aov sx.ua <pauXöfepoi ovtsc- 
Ale. I, 129 A. 

40a ) S. 155. Die Akademie selbst betrieb den Verkauf. 
Vgl. Wilamowitz Antig. v. Kar. 286. 

41 ) S. 156. Nach Tim. 36 C sollte man für xsts^n viel- 
mehr erwarten xtveiffS'ai, wie vielleicht auch zu schreiben ist. 



Drittes Buch. 



325 



*-) S. 156. Das ist eine ungenaue Wiedergabe von Tim. 
37 B, wo nur von der 5b£a dX?] ^ die Rede ist. Mit hfio-j- 
p.svou soll das platonische bp^b? ov oder op^b; luv wieder- 
gegeben werden; es müßte aber mindestens heißen bp^ou^evov, 
auf xuxXov bezogen. 

«) S. 157. Vgl. Plat. Tim. 54 Äff. 

44 ) S. 157. Vgl. Plat. Tim. 58 B ff. 

4I ) S. 157. Damit wird nur der Begriff des Erschaffenen 
begründet; die Begründung der Einheit folgt dann erst. 

4e ) S. 157. Der griechische Text bietet oiodu'efÄm sie fbv 
^edv. Das gibt keinen Sinn. Einen solchen gewinnt man meines 
Erachtens, wenn man slg durch o? — eine häufige Ver- 
wechselung — ersetzt, nämlich o?rbv ^sbv seil, aqftapxov 
oiotjJLs'vsiv. Die Analogie zwischen der Welt und Gott ist ja 
hier durchgehend das Entscheidende. 

47 ) S. 157. Vgl. Plat. Tim. 29 E. 

45 ) S. 159. Vgl. Plat. Tim. 49 A. Formlosigkeit und blinde 
Notwendigkeit stehen wie Wechselbegriffe zueinander. 

4B ) S. 159. Eine dunkele Wiedergabe von Plat. Tim. 48 Äff. 

50 ) S. 160. Es ist mit Casaubonus d7iapouTr;Ta zu lesen für 

siiTüapottTijTa. der Hss. 

51 ) S. 160. Es handelt sich um eine pseudo-aristotehsche 
Schrift des späteren Altertums über platonische Einteilungen. 
S. Zeller, Phil. d. Gr. II, 2 8 , 66 Anm. 2. 

»i) S. 161. Vgl. Plat. Legg. 697 Äff. 743 E. 870 B. Epist. 

355 B. 

53 ) S. 161. Diese Einteilung findet sich als solche nirgends 
bei Piaton, wenn auch von den drei Arten jede für sich 
gelegentlich vorkommt. Dagegen hätte man die bekannte 
treffliche aristotelische Einteilung der Freundschaft nach ihren 
Motiven, nämlich nach 1. dem Nutzen, 2. dem Vergnügen. 3. der 
Tugend aus dem platonischen Lysis wenn nicht unmittelbar 
entnehmen, so doch herauserkennen können. Nicht besser steht 
es mit den dann folgenden Einteilungen. 

") S. 166. Man vgl. hierzu die echt platonische Einteilung 
im dritten Buch der Gesetze 690 A ff. 

8S ) S. 167. Zu dem „Wann" vgl. Diog. L. II 73 und viele 
andere ähnliche Stellen, die alle auf die Wichtigkeit 



326 



Anmerkungen. 



richtigen Wahl der Zeit zum Reden hinweisen, also die hohe 
Bedeutung des jtaipos hervorheben. 

**) S. 167.Es fragt sich, ob für das anstößigea[j.apTavovta; 
der Hss. nicht einzusetzen ist o^apTowrac, das ich in meiner 
Übersetzung zum Ausdruck gebracht habe. 

57 ) S. 169. Also das, was Piaton mit einem besonders an- 
schaulichen Ausdruck als irpMTO'yevsc XTrjp.a, als „erst- 
geborenen Besitz" bezeichnet im Politikos 288 E. 

B8 ) S. 170. Das Weder-Noch als mögliches drittes Glied 
neben einem konträren Gegensatz spielt in den platonischen 
Dialogen der ersten Periode eine ziemliche Rolle. Vgl. Gore. 
467 E ff. Lys. 216 D ff. Menon88C. Charm. 161 AB. Auch noch 
in Dialogen der mittleren Periode kommt Piaton darauf zu 
sprechen, wie Euthyd. 280 E. Symp. 202 AB. In § 104 unseres 
Abschnittes kommt Diogenes L. noch einmal auf die Sache 
zurück. 

59 ) S. 171. Weit klarer ist die Dreiteilung der Güter, die 
Piaton selbst in den Gesetzen an mehreren Stellen gibt, wie 
697 Äff., 743 E, 870 Bf., aber auch schon in früheren Dialogen 
wie z. B. Gorg. 451 E. Euthyd. 278 E ff. 

80 ) S. 173. Das entspricht nämlich in gewisser Weise der 
Aristotelischen Unterscheidung von xa^' auxd und xai:a öup.- 
ßsß-qxo'i;. Für Piaton nannte man diese Unterscheidung to 
owso'v. Vgl. Meine Beitr. z. Gesch. d. gr. Phil, p, 90 t 



327 



Anmerkungen zum vierten Buch. 

1 ) S. 174. Die Geschichte der Akademie ist nach Wifis» 
mowitz im Wesentlichen einem Werke aus- dem Ende des 
zweiten vorchristlichen Jahrhunderts entnommen, in dem das 
treffliche Buch des Antigonos von Karystos benutzt worden 
war. Was das Verhältnis zu den Fragmenten aus Philodem 
(cuvra§is twv <piXo(jo9«v) über Speusipp und die Akademie 
betrifft, so liegt beiden eine gemeinsame Quelle zu Grunde, die 
aber bei Diogenes durch eine feindlich gehaltene Darstellung 
durchbrochen ist. Bemerkenswert für dies vierte Buch ist 
auch das gänzliche Fehlen des doxographischen Elementes. 
Vgl. Leo a.a.O. 56 f. 59 f. 73. 

2 ) S. 175. D. h. nur für den engeren Schulerkreis be- 
stimmte Lehren oder Verhaltungsanweisungen. 

8 ) S 175. Über ihn ist nichts Näheres bekannt. 

*) S. 175. Der zweite und vierte Vers sind daktylische 

Tetrameter. M 
/ °) S. 175. Bei Plutarch ist wohl von Läusekrankheit üie 
/ Rede, aber nicht in Bezug auf Speusipp. Nach Leo a. a. O. 
S. 58 stammt die Kunde aus Myroniano* der nach Diog. L. 
III 40 auch TceptTwv nXa'xwvo? cpSreipüv MSou-ro^TsXeuT^cavTO? 
gehandelt hat in seinen historischen Parallelen. 
°) S. 175. Hierzu vgl. Zeller II, l 3 858 f. 

7 ) S. 176. Vgl. Zeller IL l s 849, 1. 

s ) S. 176. Von ihm wissen wir nichts Näheres. 

°) S 176. Nämlich der letzten. S. Zeller a. a. 0. 841. 

10 ) S. 177. Dieser Vorgang hat sich am Hofe des Dionysios 
in Syrakus abgespielt. 

") S. 178. In den Jahren 323 und 322 v. Chr. 

12 ) s! 179. Vielleicht über den Kallikles des platonischen 
Gorgias. 



328 



Anmerkungen. 



J3 ) S. 180. Die Zahlen in No. 52, 59, 60, 76 sind verdorben. 

14 ) S. 181. Hier ist, wie die Unstimmigkeit der Zahlen 
zeigt, mit Cobet eine Lücke anzunehmen. 

" a ) S. 182. Vgl. Wilamowitz, Antigonos v. Kar. p. 63 Anm. 

15 ) S. 183. Vgl. Diog. L. IV 24. 

16 ) S. 184. Der Ausdruck s'xTcsTCaTTjXo's ist wohl zu er- 
klären nach IX 3, wo es von Heraklit heißt: xal ts'Xo£ [u- 
oa.täQoirrßtx.c, xoü i x IC a t vj <s a c, sv toi£ opsen. owjraTO, 
sowie nach IX 63, wo es von Pyrrhon heißt: sxicaireüv auTov 
xai s'pT|U.a£s(.v. Danach ist exraxstv in der Bedeutung sece- 
dere zu nehmen. Angewendet also auf unsere Stelle heißt das: 
„er hatte sich aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen", 
nicht aber, wie es die Ubersetzer, lateinische und deutsche, 
nehmen „er war spazieren gegangen".. 

") S. 184. Nämlich als scharfer Wächter gegen Un- 
ziemliches. 

18 ) S. 185. S. § 28 ff. 
") S. 186. S. VI 85 ff. 

20 ) S. 186. S. Diog. L. IV 18. 

21 ) S. 186. Vgl. IV 29. 

22 ) S. 187. Sie waren ja beide schon berühmte Leute. 

2 ?) S.189. Er wandte sich also von der strengeren Schule 
des Theophrast einer Schule zu, die mit der Rhetorik auf 
freundlicherem Fuße zu stehen schien, denn er wollte es mit 
seinem Vormund (der zugleich sein Stiefbruder war) nicht ver- 
derben. 

24 ) S. 190. Da er nach § 32 nichts geschrieben (ver- 
öffentlicht) hat, so sind mit dem sxapaxrrjpiSs eben wohl nur 
Vorarbeiten gemeint. 

25 ) S. 190. Das, sollte man meinen, wäre für einen 
Akademiker selbstverständlich gewesen. 

2e ) S. 190. Vgl. Wachsmuth Sillogr. 115 ff. 

27 ) S. 191. Der Burbonicus hat hier: xod vs'ov iXT^-ufcst.? 
e7U7rVrj'|s<nv iyx.a.za\Lt.yvv$. Die Varianten und Verbesserungs- 
vorschläge s. bei Wachsmuth. Ich empfehle dafür zu schreiben: 
y.a.1 vs'ov (jlsXXtj'csii; x. t. X.: „Er machte auch schon die 
Säumnisse der Jünglinge mit zum Gegenstand seines Tadels 
und seiner Mahnreden." Er konnte es nicht leiden, wenn nicht 



Viertes Buch. 



329 



rasch und scharf geantwortet wurde. War er es doch, der nach 
§ 28 auf die Methode St ifarr^aeai; xai arcoxpursoK 
besonderen Wert legte. 

2S ) S. 191. Das wäre etwa das, was wir mit der Redens- 
art bezeichnen: „es fehlt ihm die Kinderstube". 

20 ) S. 192. Die Verse finden sich auch bei Plutarch 
Ouaest. Symp. 718 A, nur daß da nicht Xy^oikh steht, sondern 
•rcXvl'irouGt.. Doch hat allem Anschein nach Arkesilaos absichtlich 
das tcXy^ouci durch Xifcoucri ersetzt, weil es ihm eben auf das 
X^av (äyvosw) ankam. Was ich mit „Zeit des Eierlegens" 
gegeben habe, ist im Griechischen -zöxoc, „Gebären", zugleich 
aber auch übertragen „die Zinsen". Beides also muß man sich 
unter der Zeit des Eierlegens vorstellen. Wenn es sich um 
Zinszahlen handelt, weiß der Wucherer stets trefflich Bescheid. 

34 ) S. 193. Damit ist wohl der glänzende Sieg gemeint, 
den Antigonos Gonatas bei dem Vorgebirge Leukolla auf Kos 
um 263 v. Chr. über die ägyptische Flotte davontrug. Daraul 
folgte die Unterwerfung von Athen. 

31 ) S. 195. Das Lob der passenden Zeit kehrt häufig 
wieder; vgl. I, 26. 41. 79. 91. II, 73. So sagt Immermann 
(Putlitz, Immermanns Leben II, 135) : „der Liebesdienst wurde 
zur rechten Zeit erwiesen und war daher wie alles, was zur 
rechten Zeit kommt, ein unschätzbarer". Theophrast hat eine 
besondere Schrift Tcspi. zatpov geschrieben s. V 5t). 

32 ) S. 195. Vgl. Wachsmuth Sillogr. 119 f. 
*») S. 196. So mit Emperius. 

3i ) S. 197. Die Quellenanalyse s. bei Leo a, a. 0. 65 f. 
**) S. 197. Schüler des Zenon. 

30 ) S. 198. Griechisch dbroXauaai xu'tpou, eine nicht leicht 
verständliche Wendung. Reiske will <x7caxXuaoa einsetzen für 
<x7coX<xüaat,, aber da müßte man noch weiter ändern. Meine 
Übersetzung zeigt vielleicht, daß man dem a7coXaüaai immerhin 
sein Dasein gönnen kann. 

37 ) S. 198. Das nämliche Wort wird VI 3 dem Antisthenes 
beigelegt. 

38 ) S. 198. Hier haben die Hss. stöv, das Reiske durch 
dcv'.cÖv ersetzt. 

39 ) S. 200. So mit Reiske izgo^-tfo für Trap^l-o. 



330 



Anmerkungen. 



4 «) S. 200. S. Wachsmuth Sillogr. 201. 

41 ) S. 200. Dagegen vgl. seinen Ausspruch § 49. 

42 ) S. 201. So mit Reiske auTo'c für aÜT(J>. 

43 ) S. 202. Das könnte immerhin auf dem Wege astro- 
nomischer Forschung theoretisch erschlossen worden sein. 
Aber empirisch hat wohl Pytheas von Massilia in der Zeit etwa 
Alexanders des Gr. zuerst diese Erscheinung festgestellt. 

44 ) S. 203. Seine Grabschrift bei Kaibel, Epigramme auf- 
Steinen 40. 

45 ) S. 204. Eine Maßbestimmung für das Anhören vorr 
Reden, aber von einem ganz anderen Gesichtspunkte aus, gibt 
Piaton Rpl. 450 B C. 

46 ) S. 205. Das bezieht sich offenbar auf das erste Stadium 
der Erkrankung am Staar, wo der Leidende noch kein volles. 
Bewußtsein seines Zustandes hat. 



33i 



Anmerkungen zum fünften Buch. 

J ) S. 210. Das Wort Sykophant (Feigenanzeiger) war 
ursprünglich Bezeichnung für diejenigen, die als Aufpasser 
Leute zur Anzeige brachten, welche widergesetzlich Feigen aus 
Attika ausführten. Die Feigen also erinnern an die gewerbs- 
mäßige Anzeigerzunft. 

2 ) S. 211. Das ist der mutmaßliche Verfasser der Rhetorik 
an Alexander, ein Lampsakener. 

s ) S. 211. Dieser (bezweifelte) Name findet sich jetzt auf 
Thesaurosquittungen auf Ostraka als Name eines thebanischen 
Sitologen. S. Leo Biogr. 52 Anm. 6. 

4 ) S. 211. Vergleiche zu diesem sowie zu den weiter noch 
mitgeteilten Testamenten C. G. Bruns, die Testamente der 
griechischen Philosophen, Ztschr. der Savigny-Stiftung Abt. I. 
46 ff. 1880. 

3 ) S. 212. Sohn des Proxenos, der des Aristoteles Vor- 
mund gewesen. 

') S. 212. .Für das handschriftliche ocutov lese ich mit 

Reiske auro. 

7 ) S. 214. Griechisch £oa X&wa, das man begreiflicher 
Weise mit „Tierbilder aus Stein" wiedergegeben hat. Richtiger 
aber deutet man es, wie auch möglich, als „steinerne Bild- 
säulen", hier wahrscheinlich — wegen der Größe — Götter- 
bilder. 

8 ) S. 214. Ähnlich dem, was von Jerome in Kassel erzählt 
wurde, nur daß das Aristotelicum weniger Glauben verdient. 

9 ) S. 214. Vgl V 21. 

10 ) S. 214. Griechisch : sv'ira av xai o tz o u oiaxpißov ixufß. 
Reiske streicht das otüou, das in der Tat nach stöa nicht nur 
entbehrlich sondern vom Übel ist. Doch glaube ich, daß das 



332 



Anmerkungen. 



xai oteou seine Entstehung einem ursprünglichen y.a-c'-Tou 
verdankt „wo auch immer im Tageslicht er verweilte", denn 
eben vom freien Tageslicht ist ja hier die Rede. 

") S. 215. ^soü Süpov mit Cobet. 

32 ) S. 215. Vgl. I 69. II 69. 

") S. 216. Das erinnert an den schönen Ausspruch des 
Xenokrates, den uns Cicero (Repl. I 3) aufbewahrt hat. Als 
man ihn nämlich fragte, was denn seine Schüler bei ihm er- 
reichten, soll er geantwortet haben: „daß sie aus freien 
Stücken so handeln, wie es die Gesetze unter Androhung 
von Gewalt beföhlen" M M ««» sponte facerent, quod cogerentur 
fasert legibus). 

") S. 216. Vgl. V 17. 

*•) S. 216. Dem Sinne nach Eth. Nie. 1170b 20 bis 1171* 20. 

16 ) S. 216. Es sind drei Verzeichnisse der aristotelischen 
Schriften erhalten. Das unsere geht wie auch das des Hesychios 
Illustr. wahrscheinlich zurück auf den Peripatetiker und Kalli- 
macheer Hermippos, auf den auch des Diogenes Mit- 
teilungen über das Leben des Aristoteles größtenteils zurück- 
gehen (V 2); das dritte, dürftigste, weil nur trümmerhaft er- 
halten, ist das des Philosophen Ptolemaios. Ich gebe unser 
Verzeichnis, entsprechend seiner Wichtigkeit, deutsch und 
griechisch, um die Vergleichung mit unserm Corpus Aristo- 
telicum zu erleichtern, mit durchgängiger Verweisung in 
eckigen Klammern auf Z e 1 1 e r Bd. II, 2, 3. Aufl., wo sich sehr 
sorgfältige Notizen zur Orientierung über das Verhältnis zu 
unserem jetzigen Schriftenbestand finden. 

") S. 223. Das ist eine Art Ansatz zur Doxographie, die 
in diesem Buche ebenso kärglich bedacht ist wie im vierten, 
wo sich auch nur für Arkesilaos einige Hinweise finden. 

1S ) S. 223. Es handelt sich da um den Mechanismus des 
Schlusses, d. h. um seine innere Struktur in Bezug auf die 
Stellung der Vordersätze zueinander. 

10 ) S. 224. So, ungefähr wenigstens, in der Rhetorik, wo 
es 1381*> 34 heißt: si'Sv] cpiXia? s-oupeüx, oüteidr»)?» auYY^ vsta- 
Umfassender und zugleich tiefer in der Nikom. Ethik 1155b 12 : 
sL'Sy) xpla., ha. xb fofo&öv, Sia to xP 7 l' a ^ 0V > Mt to f,5y. 
Vgl. Diog. L. III 81 über Piaton. 



Fünftes Buch. 



33* 



2B ) S. 226. Im Gegensatz zu der Zahl der Werke. 

21 ) S. 226. Der als Jüngling im Parmenides des Piaton als. 
Mitunterredner auftritt. 

") S. 227. Für das unverständliche ö(.>cacrr»]pi'ou der Händ- 
schriften ist hier m. E. zu lesen 8iSaxTY)piou, wonach ich 
übersetzt habe. 

23 ) S. 227. Dies scheint mir der Sinn der Stelle zu sein, 
die wohl auf einen Anfall von Übellaunigkeit angesichts der 
Schwierigkeiten und Mühsale des Lehrberufs zurückzuführen 
ist. Die iqXoaou sind doch wohl auf die heranwachsende 
Jugend zu beziehen. 

24 ) S. 227. Dies Sätzchen erweist sich sowohl sachlich als 
grammatisch — es fehlt das Objekt — als verdächtig. 

25 ) S. 229. Dies Verzeichnis ist, wie Usener erkannt 
hat (Analecta Theophrastea Lpz. 1858), alphabetisch geordnet 
und durch drei gleichfalls (mit geringen Störungen) alphabetisch 
geordnete Anhänge ergänzt. 

2G ) S. 238. Vgl. Anm. 4. 

2T ) S. 238. Mit der häuslichen Habe ist sein Hab und 
Gut in seiner Heimat Eresos gemeint. Vgl. Wilamowitz p. 265 
Anmerkung. 

28 ) S. 238. Er hatte die Vermögensverwaltung sowohl für 
die Schule wie für Theophrast übernommen. 

28 ) S. 238. Die Zerstörung ist zurückzuführen auf die 
zweite Belagerung Athens durch den König Demetdos im J.. 
294 v. Chr. Vgl. Wilamowitz a. ä. O. p. 267 f. Anm. 

30 ) S. 238. So durfte in Olympia kein Siegerbild über die- 
Lebensgröße hinaus gehen. 

31 ) S. 238. Vgl. das Testament des Lykon IV 70. 

32 ) S. 239. Der wechselnde Schülerbestand erforderte eine 
feste Heimstätte, die gegen Veräußerung oder gegen Besitz- 
nahme durch einen Eingeborenen gesichert war. Es . sollte zu 
vorübergehendem Aufenthalt immer gutes Unterkommen vor- 
handen sein. 

33 ) S. 239. Diese Periode ist gründlich mißverstanden und 
mit mehrfachen Änderungen bedacht worden, weil man das 
auvei'pi)Tai falsch deutete. Dies hat hier nichts mit ctum.«?^^^ 
oder dergleichen zu tun, sondern ist passiver Konjunktiv zu- 



334 



Anmerkungen. 



auvelpsiv „anreihen", und demgemäß ist otvco? = damit; sein 
Subjekt erhält der Absichtssatz in dem dann folgenden ^spa- 
7isudneva und zur Herstellung des Ganzen ist weiter nichts 
nötig aJs die Einschiebung eines ra hinter aup.ßaVnx, durch 
dessen letzte, gleichlautende Silbe es einfach verschlungen 
worden ist — eine Leiche, wie unsere Setzer diesen in den 
Handschriften wie in den Drucken gleich häufigen Fehler 
treffend benennen.Es müssen also die Kommata nach cuvsipirrai 
und nach cujJißavTa fallen, also: "Otsq<; hi ouveipuprai p-eta 
Ta mpi •jjjJLa? aupißavTa <t<x> 7cspl xo Cepbv . . . ^spa7r£uo[isva, 
•cruvsTCiiisisw^ai. vc. t. X. Im übrigen vergleiche man meine 
Übersetzung. 

34 ) S. 239. So mit Reiske, der richtig für auxoic ein- 
setzt aurd?. 

x ) S. 240. So ist wohl der etwas befremdende Ausdruck 
i^a'Yetv zu deuten. Vgl. V 72. 

30 ) S. 241. Für das überlieferte Xiy.oO setzt Reiske richtig 
ein IX1770U. Vgl. Theophrast 7tspt tXXtytov- 

a7 ) S. 244. Nicht Ariston aus Chios, wie es bei Cobet 
unrichtig heißt. Vgl. Zeller II, 2 p. 41, 2. 

38 ) S. 244. Nur seine lebendige Rede, nicht die ge- 
schriebene (also von seiner Person losgelöste) weckte das 
große Wohlgefallen. 

33 ) S. 246. Dies Testament ist in seiner Art ein Zeugnis 
für das zu Anfang (§ 65) über den Unterschied seiner Schreib- 
weise von seiner Redeweise Gesagte. Die Sprache hat hier 
etwas sehr Schwerfälliges. 

40 ) S. 246. D. h. „in Troas" nach Wilamowitz a. a. 0. 
D. 263. 

41 ) S. 246. Der schwer zu deutende Ausdruck sx7r£7Tpax«? 
wird von Reiske mit Recht bezweifelt. 

* a ) S. 246. Für das überlieferte ctuvs£siv schreibt Cobet 
<T\)vau£siv, ob aus der Handschrift (F), bleibt unbekannt. Doch 
vgl. Speusipp an Xenokrates (Sokratikerbrief e 32) wapa-y svo'jxsvov 
sie 'Axa8iQP.6iav auve'xstv tot 7cepfa<XTov. Das schützt 
auch unsere Stelle, nur muß für auv^stv eingesetzt werden 

* 3 ) S. 247. Das schwierige rcapaxoXo-j joüg'.v der Hand- 



Fünftes Buch. 



335 



Schriften hat Cobet durch rcaps'/sö^offotv nebst weiteren 
Änderungen ersetzt. Jedenfalls bietet die Stelle große 
Schwierigkeiten. 

44 ) S. 249. Vgl. Wilamowitz a. a. O. p. 46 Anm. 

45 ) S. 250. Meine Ubersetzung folgt dem Text Cobets, der 
hier die nächstliegende Verbesserung bietet. 

46 ) S. 251. Nach Reiske, der das cv'pu.a der Handschriften 
durch a-cdu-a ersetzt. 

47 ) S. 252. Hier hätte Diogenes oder sein Vormann die 
beste Gelegenheit gehabt, demjenigen, dem er an erster Stelle 
seine Homonymenverzeichnisse verdankte, dem Magnesier 
Demetrios, ein bescheidenes Denkmal zu setzen durch Nennung 
seines Namens. War er etwa so unselbständig, daß er, was 
der Magnesier aus begreiflichen Gründen unterließ, aus 
sklavischer Abhängigkeit auch seinerseits unterließ? Oder 
war der Magnesier zu wenig klassisch, d. h. nicht alt genug, 
um ihn mit auf die Liste zu bringen? Auch Demetrios selbst 
scheint in der Auswahl nicht zu weit herabgegangen zu sein; 
doch läßt sich das wegen der Schwierigkeiten der Chronologie 
nicht genau kontrollieren. Vgl. Wilamowitz, Antig. 104, 3. 

48 ) S. 253. Nach Reiske, der nach voO ein xotl einsetzt. 

49 ) S. 254. Wilamowitz will a. a. O. p. 24 für u.dvafx ov 
lesen KXe'ap/ov. 

50 ) S. 255. Ich folge hier der schönen Emendation Reiskes, der 
arapti für aTOXOt, schreibt. 

81 ) S. 256. War ein jüngerer Zeitgenosse des Herakleides. 
M ) S. 256. Die sogenannte itapa.<sTwt). VgL VIII 78. 
53 ) S. 256. Arnim, Stoic. f rg. 1 94 schreibt für ou5' jprfvv'Tti 
hier vielleicht richtig o 5' ^oyu'v^»). 



336 



Anmerkungen zum sechsten Buch. 

2 ) S. 258. Vgl. II 31. 

-) S. 258. Hierzu lohnt es sich folgende kritische Äußerung 
Lessings (Philologischer Nachlaß XIII, 295 f. Hempel) zu ver- 
gleichen: „Diese Stelle bedarf offenbar eine Verbesserung. — 
Wenn Antisthenes die Athenienser, Thebaner und Lacedämonier 
zugleich loben und tadeln wollen, sehe ich nicht, warum ihn die 
Gegenwart derjenigen, die seine Rede gerade das Meiste an- 
ging, davon hätte abhalten können. Possen! Diogenes will 
sagen, Hermippus melde, daß Antisthenes bei den isthmischen 
Spielen einst die Athenienser in einer öffentlichen Rede habe 
tadeln und bestrafen, die Thebaner und Lacedämonier aber 
loben wollen; da er aber gesehen, daß von den beiden letzteren 
allzu viele zugegen gewesen, so habe er es unterlassen, aus 
Beisorge ohne Zweifel, nicht sowohl für einen Sittenrichter der 
erstem als vielmehr für einen Schmeichler der letztern ge- 
halten zu werden. Diese neue Auslegung gründet sich darauf, 
daß, wie man aus Laertius sieht, Antisthenes mit den 
Atheniensern sehr unzufrieden gewesen, da sich hingegen die 
Lebensart der Spartaner und Thebaner zu der seinigen viel 
besser schickte. Sein Schüler Diogenes war der nämlichen 
Gesinnung." 

3 ) S. 259. Zerlegt man xaivoO („des neuen", Genetiv des 
Adjektivs xaivo'f) in seine zwei Silben, so erhält man neu. vou 
= „und des Verstandes". Damit hänselt Antisthenes den 
weisheitsdurstigen Jüngling. Vgl. II 118. 

4 ) S. 259. Vgl. IV 48. 

6 ) S. 259. Hierzu bemerkt Lessing a. a. 0. p. 296: „Dieses 
heißt in der lateinischen Übersetzung: Interrogatus cur paucos 
haberet disäpulos? Quoä, inquit, argentea illos virga non ejicio. 



Sechstes Buch. 



337 



Casaubonus billigt die Negation. Ich finde auch ohne sie 
einen sehr guten Verstand. Ich glaube nämlich, Antisthenes hat 
weiter nichts damit sagen wollen als: weil ich sie weg- 
prügele. Daß er dies wirklich tat, erhellt aus dem Exempel 
des Diogenes VI 21. Aber warum mit einem silbernen 
Stecken? Sollte er wohl auf den caduceus des Merkur alluddert 
haben? Er war es, der zuerst den philosophischen Mantel, den 
Stecken und die Tasche aufbrachte. Und so, wie Diogenes 
diesen Stecken mit einem Szepter vergleicht, so wollte ihn 
Antisthenes vielleicht im Scherze mit der Rute Merkurs ver- 
gleichen (vgl. Hör. I 10); y_Qva6pptxKL$ war daher ein Beiname 
Merkurs." (Ich bemerke dazu, daß Antisthenes selbst ein Buch 
über den Stecken, 7rspi paßoou, geschrieben hat. Vgl. § 17.) 

") S. 260. Im Griechischen lautet das Wortspiel xopaxa? 
(Krähen) — ' xo'Xaxac (Schmeichler). 

7 ) S. 260. Vgl. § 22. 

8 ) S. 261. Vgl. § 5. 

9 ) S. 261. Vgl. II 36. 

,0 ) S. 263. Reiske will für 'AtcXoxümv lesen A-jtoxuov 
") S. 263. Vgl. § 6. 

12 ) S. 264. Nach Reiske, der TcoXtxei'a liest für ~dXa. 

1S ) S. 266. Vgl. Wachsmuth Sillogr. gr. Ulf. 

**) S. 266. Ein sprechendes' Zeugnis für die forcierte 
Selbstgenügsamkeit (Autarkie) der Xyniker. 

") S. 267. Vgl. die Quellenanalyse bei Leo, Biogr. p. 49. 

1C ) S. 267. Was diesen verworrenen Ausführungen sowie 
den willkürlichen Kombinationen Qöttlings (Ges. Abh. I 251 ff.) 
Wahres oder Wahrscheinliches zu Grunde liegt, hat D i e 1 s 
dargelegt im Archiv f. Gesch. d. Phil. VII (1894) 313—316. 

1T ) S. 268. Vgl. V 44 (No. 60 des Theophrastischen 
Bücherverzeichnisses). 

") S. 268. Vgl. § 6. 

38 ) S. 269. Die griechischen Wortspiele sind sx°^i — 
ypkq und S'-arpißn] — xa-rarpißi). 
30 ) S. 269. Vgl. § 64. 
al ) S. 269. Vgl. § 41. 

") S. 270. Vgl. I 34 das über Thaies Erzählte. 

A r c 1 t , Diogenes Laertins. 22 



ggg . Anmerkungen. 

2l ) S 271. Etwa entsprechend unserem „Hand wird nur 
von Hand gewaschen, wenn du nehmen willst, so gib". 
24 ) S. 272. Vgl. II 75. 

28 ) S 272 Das griechische Wortspiel, das durch die Uber- 
setzung, wenn auch unvollkommen genug, angedeutet ist. spielt 
mit den Worten ävaoipo; (verstümmelt) und aveu T^pa; 
(ohne Rucksack). 

18 ) S. 273. Vgl. § 55. 

2T ) S. 273. Vgl. § 43. 

28 ) S. 273. Eine starke Verhöhnung. S. weiter unten. 
28 ») S. 273. Vgl. VII 3. 

29 ) S. 275.. Nach Valckenar aus Euripides. 

80 ) S. 275. Ein Hain und Ringplatz vor Korinth, Lieblings- 
aufenthalt des Diogenes. . 

81 ) S. 275. Dergleichen Vorlesungen stellten an die ue- 
duld der Hörer oft nicht geringe Anforderungen. So soll, als 
Piaton seinen Phaidon vorlas. Aristoteles der einzige gewesen 
sein, der bis zu Ende ausharrte. Diog. L. III 37 (nach Favonn). 

82 ) S. 275. Dieser bekannte Fangschluß hieß „der Oe- 

^"s 8 ) S. 275. In dem ersteren Fall also verflüchtigt sich der 
Duft, ohne unserem Qeruchsorgane zu Gute zu kommen. 

84 ) S 276. Zum Schutze der kostbaren Wolle gegen die 
Dornen. Vgl. Horaz 08 II, 6, 10 dulce pdlitis ovibm Gate« 
flumen. 

85 ) S. 276. Dublette dazu VI 66. 

86 ) S. 276. Vgl. VI 24. 

87 ) S. 276. Vgl. VI 48. . : r 
zs ) S. 277. Das heißt: „Die hast du noch gut bei mir. 

Dieser Meidias ist der bekannte Feind des Demosthenes. 
8B ) S. 277. Vgl. II 102. 
*°) S. 277. Vgl. VI 33. 

41 ) S. 278. Dabei muß man sich „Unheil" zugleich als 
Eigennamen denken. 

") S. 278. Ein sehr treffendes und witziges Wort geien 
die Selbsterniedrigung und gleichsam Selbstverstümmelung, die 
darin liegt, daß man nicht selbst seine Arme zu seinem Körper- 
dienst braucht. 



Sechstes Buch. 339 



«*) S 278 Läßt ^ch verschieden deuten: z. B. „Du wirst 
gewiß einen Aufseher bekommen", oder: „Du wirst selbst an 
den Galgen kommen" oder auch noch anders. 

**) S. 278. Vgl. VI 61. 

* 5 ) S. 279. Vgl. VI 69. 

ie ) S 279. Ein Liebesspiel, eine Art Liebesorakel. 
Ü) s. 280. Das heißt wohl „ungekocht". Im übrigen vgl. 
VI 41 

S. 280. Vgl. das stolze Wort des Anaxagoras II 10 und 

des Theodoros II 102. 

*») S 280 Unnachahmbares Wortspiel, indem der urts- 
name Nemea als Ableitung von v^tstfrai „weiden" betrachtet 

Wirds '°) S. 281. Von Cobet durch ganz geringe Änderungen in 

Trimeter gebracht. . 

B1 ) S 281 Cheiron ist der bekannte Kentaur, sein Name 
aber hat als Adjektiv die Bedeutung „schlechter". Ähnlich das 
Wortspiel VI 59. 

M ) S. 281. Atöup.oi heißen die Hoden. 

5S ) S. 281. Das Wort 9psap „Brunnen" war bei den 
Griechen bildliche Bezeichnung für große Gefahr 

8t ) S. 281. Wortspiel mit aXei(J.[Jiatiov (Salbe) und <xaa 
tutraov (ein anderes Kleid). 

") S 282 Dies ungereimte Dictum ist schon von Menagius 
als Einschiebsel bezeichnet und seiner Herkunft nach erklärt 

WOr M)"' s 28 2. Damit vgl. die Antwort des Thaies an seine 
Mutter auf deren Wunsch, er möge sich verheiraten I 26. 
5T ) S. 282. Nämlich zum Schutze. 

58 ) S. 283. Im Griechischen wird mit den Worten axux 61 -« 
und a5ixei? gespielt. 

5B ) S. 283. Das würde man besser verstehen, wenn es 
von den P a r t e i e n gesagt wäre. 

* 4 ) S. 283. D. L hier: er peitschte die Oliven weg. 

6I ) S. 283. Vgl. § 33. ; , ; ; 

«*) S 284 Wortspiel mit xpotpr, und xatpirj. Sachlich Kann 
entweder' die Zeit gemeint sein (Augenblick - Zukunft) oder 
der Kostenpunkt (ein Begräbnis war eine kostspieligeSache). 



340 



Anmerkungen. 



« 3 ) S. 284. Vgl. § 36. 

64 ) S. 285. Vgl. II 68 die Begegnung des Aristipp und 
II 102 die Begegnung des Theodoros mit Diogenes in Korinth. 

65 ) S. 285. Der Kentaur Eurytion war es, der bei der 
Hochzeit des Lapithen Peirithoos dessen Neuvermählte Hippo- 
dameia entführen wollte, aber des Outen zu viel tat im Wein- 
trinken. Od. 21, 295 ff. Im übrigen vgl. Diog. L. VI 51 zu dem 
Wortspiel mit Cheiron. 

° 6 ) S. 285. Vgl. § 33. 

67 ) S. 285. „Hund" ward dem Diogenes wie den Kynikern 
überhaupt zum Ehrennamen, ähnlich wie sich die Dominikaner 
selbst als die Hunde des Herrn bezeichneten, die für ihren 
Herrn bellen und kläffen. Vgl. § 61. 

08 ) S. 286. Vgl. § 45. 

e9 ) S. 286. Anspielung auf Bordelle. 

70 ) S. 286. Der Griff, Xaß-q, ist im Griechischen auch das 
Empfangen, der Anlaß des Nehmens, und dieser Anlaß ist eben 
hier der Stein des Anstoßes. 

71 ) S. 286. Cobet schreibt xotu.a für xo!.u.(3u.ai. Doch dürfte 
s'xst sich wohl auf Diogenes beziehen, so daß Diogenes sagt: 
„Jawohl, mein Mantel ist mir so viel wert, daß ich sogar 
darauf schlafe." Doch kann vielleicht auch eine Obscönität 
dahinter stecken. 

T2 ) S. 287. Vgl. II 68. V 20. VI 86. Vgl. auch VI 65. 

72a ) S. 287. Dieser anscheinend homerische Vers findet 
sich nirgends in der Ilias. Wohl aber hat ihn Voß in seiner 
Übersetzung an passender Stelle in der Patrokleia (XVI 91) 
eingefügt und zwar eben aus dieser unserer Diogenesstelle. 

78 ) S. 287. Vgl. VI 24. Er bezeichnet sich damit sehr 
treffend als einen, der gegen den Strom schwimmt. 

74 ) S. 288. Vgl. § 41. 

75 ) S. 289. Vgl. Cic. pro Archia c. 7. 

7e ) S. 289. D. i. „die Jungfrau schändest". 

") S. 290. Das auv ^soi? kann aber auch heißen „zu- 
sammen mit den Göttern (den Musen)", und diese Zweideutig- 
keit ist hier wohl beabsichtigt. 

7S ) S. 290. Vgl. § 46. 

79 ) S. 290. Hier hat Reiske geholfen, der die Stelle sa 



Sechstes Buch. 



341 



schreibt: ca\).azvArp TauTr ( v (ohne Interpunktion nach aojxa- 
TOCqv) und dann cuvs^si für cuvs/st?. 
80 ) S. 291. Vgl. § 37. 

S1 ) S. 292. Ich folge, um eine dem Sinne entsprechende 
Konstruktion zu bekommen, dem Vorschlage des Mericus 
Casaubönus, der vcai. vor opcov streicht. 

82 ) S. 293. stt' aütw für Ift' ayrov mit Reiske. 

8S ) S. 293. Vgl. § 73. 

S4 ) S. 294. Hier muß man für xotl sv-csiXaff^at entweder 
schreiben wravr«£Xa<frai oder mit Cobet das x« streichen. 

8B ) S. 294. Die Lesart ist nicht ganz sicher. Vgl. Gotting 
a. a. 0. 271. 

8e ) S. 295. Vgl. IX 57. 

") S. 297. Vgl. VI 76. 

88 ) S. 297. Parodie zu Od. 19, 172 ff. Vgl. Wachsmuth 
Sillogr. p. 196 f. , 

«») S. 298. Schon Reiske hat das sxairov gestrichen, das 
in den Handschriften noch neben ouxxocia steht. j 

90 ) S. 299. Hier scheint hinter owo? ein coxsiro aus- 
gefallen zu sein. Sein Haus war gewiß eines der stattlichsten 
in Theben, also passend zu dessen Quartier. Andere helfen 

anders. 

91 ) S. 299. Vgl. VI 33. 

92 ) S. 300. Das gehört also in seine üppige Jugendzeit. 
8S ) S. 303. Das iv «pavspw braucht nicht gerade zu sein 

„vor den Augen des Publikums",' sondern wie bei Goethe in dem 
Gedicht „Die getreuen Gatten". 

84 ) S. 304. Dieser Abschnitt gehört eigentlich zu dem 
Kapitel über Krates, ist aber hierher geraten, wie dergleichen 
Mißgriffe sich mehrfach bei Diogenes finden. 

95 ) S. 304. Vgl. § 63. 

") S. 306. Vgl. II 21. 

97 ) S. 306. Aus des Euripides Antiope. 

98 ) S. 307. Mit Reiske svioxs für svio£ ts.