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Full text of "Archäologische Zeitung"

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ARCHÄOLOGISCHE  ZEITUNO 


HERAUSGEGEBEN 


VOM 


AilCHiOLOOISCHEN  INSTITUT  DES  DEUTSCHEN  REICHS. 


JAHRGANG  XXXVIII 
1880. 


REDACTEUR:  DK  MAX  FRÄNKEL. 


BERLIN, 

DRÜCK  UND  VERLAG  VON  G.  REIMER. 

1881. 


I  N  11  A  L  T. 

R.  BoHN  Zum  Nike-Pj^rgos.     Ueber  das  Alter  der  kleinen  zwischen  Propyläen- Slidhalle  und  Nike- 
tempel liegeuden  Treppe  (Tafel  10) 85.  (196) 

H.  Brunn 'yn:o/5</9ot«a^at 18 

A.  CoNZE  Hermes-Kadmilos  (Tafel  1 — 4  und  Holzschnitt) 1 

Ueber  die  Echtheit  einer  Vase  aus  Argos  (Holzschnitt) 74 

E.  CuRTius  Die  Kanephove  von  Pästum  (Tafel  6  und  Holzschnitt) 27 

A.  Flasch  Pbineus  auf  Vaseubildern  (Tafel  12) 138 

J.  Friedlaender  Gruppe  der  Artemis  (Tafel  17) 184 

A.  FuRTWÄNGLER  Weisso  attische  Lekythos  (Tafel  11) 134 

L.  GuRi.iTT  Votivrelief  an  die  Göttermutter  (Tafel  18) 187 

A.  E.  J.  HoLWEUüA  Olympische  Studien 

I  Die  Folgenreihe  der  Festspiele 169 

II    "EcpEÖQns  und  ^EcpsÖQsla       171 

E.  HiJBNER  Das  Bildniss  des  Seneca  (Tafel  5  und  Zinkdruck) 20 

F.  HuLTscH  Das  Grundmaass  der  Griechischen  Tempelbauten 91 

Bestimmung  des  attischen  Fusses  nach  dem  Parthenon  und  Theseion 172 

W.  Klein  Laokoon  ein  Vasenbild  (Holzschnitt) 189 

G.  Körte  Dokimasie  der  attischen  Reiterei  (Tafel  15) 177 

K.  Lange  Aegineteu  und  Corrosion  (Holzschnitt) 121 

A.  Michaelis  Zur  Geschichte  des  Schleifers  in  Florenz  und  der  mediceischeu  Venus 11 

Tragischer  Kopf  (Tafel  8.  9  und  2  Holzschnitte) 75 

A.  MiLCHnöFER  Bacchische  Siegesfeier  (Tafel  16) 182 

Tu.  MoMMSEN  Inschriftbiisteu 

1.  Aus  Herculaneum 32 

2.  Aus  den  Uffizien 36 

E.  Petersen  Kunstgeschichtliche  Miscellen 

1.  Der  Apollon  mit  dem  Hirsch  von  Kanachos 22.  (192) 

2.  Der  Satyr  von  Myron 25 

0.  PucHSTEiN  Zur  Arkesilasschale 185 

Th.  Schreiber  Ludovisische  Antiken  I.     Paris  und  Oinone,  ein  hellenistisches  Reliefbild  (Tafel  13)  .  145 

A.  Trendelenburg  Iris  in  den  Giebelgrupjjen  des  Parthenon 130 

G.  Treu  Werke  des  Skopas  im  Museum  zu  Piali  (Tegea) 98 

Ch.  Waldstein  Marmorfragment  in  Venedig  (Tafel  7) 71 

MISCELLEN. 

H.  Blümner  Die  Maske  des  sog.  sterbenden  Alexander 162 

M.  Fränkel  Zu  Tafel  14 163 

J.  Friedlaender  Römisches  Bildniss  auf  einem  Goldringe  (Holzschnitt) 159 

A.  Furtwänglek  Nochmals  Nike  und  Lines 161 

Gefälschte  Vase 191 

G.  Körte  Nike  und  Linos       101 

G.  Löschcke  Die  Catagusa  des  Praxiteles 102 

A.  MiLCHHöFER  Zu  den  Sculpturen  von  Tegea       190 

Ph.  Sakellarios  Inschrift  aus  Makedonien 159 

R.  Weil  Zu  N.  193  der  Inschriften  aus  Olympia       191 

P.  Weizsäcker  Ueber  die  Statuen  aus  Aegion       101 

E.  Petersen  Nachtrag  zu  S.  22  f. 192 

BERICHTE. 

Erwerbungen  des  britischen  Museums  im  Jahre  1879 103 

Erwerbungen  der  königlichen  Museen  zu  Berlin  im  Jahre  1879 

I     Sammlung  der  Sculpturen  und  Abgüsse  (A.  Conze) 37.  (196) 

II  Antiquarium  (G.  Körte) 39 


IV  Inhalt. 

Seite 

Sitzungen  der  archäologischen  Gesellschaft  in  Berlin 41.  105.  193 

Festsitzung  des  archäologischen  Instituts  in  Rom,  23.  April  1880 104 

Chronik  der  Winckelmannsfeste  (Athen.    Rom.     Berlin.     Bonn.     Frankfurt  a.  M.     Emden)   ....     193 

Bericht  über  die  Thätigkeit  des  kaiserl.  deutschen  -archäologischen  Instituts  vom  1.  April  1879  bis 

dahin  1880  (A.  Conze) 120 

DIE  AUSGRABUNGEN  VON  OLYMPIA. 

Berichte    39  von  G.  Treu 44 

40  von  W.  DöRPFELD 46 

41.  42  von  G.  Treu 48 

43  von  F.  Adler 109 

44  von  E.  CuRTius 110 

45  von  G.  Treu 113 

Inschriften  aus  Olympia  334—353  (W.  Dittenberger) 52 

354—356  (K.  Purgold) 63 

357—362.  363—365  (A.  Kirchhoff) 64.  117 

366—380  (W.  Dittenberger) 164 

G.  CuRTius  Zu  Nr.  362 69 

A.  FURTWÄNGLER  Zu  Nr.  91 70 

Berichtigungen 196 

Berichtigung  (J.  Overbeck) 163 

Erklärung  (E.  Dobbert).     Erwiderung  (J.  Overbeck) 197 

Register  von  0.  Puchstein 197 

ABBILDUNGEN. 

Tafel -^1.  Attisches  Weihrelief  an  die  Grosse  Göttin. 

-  ^2—4r.    Weihreliefs  an  die  Grosse  Göttin. 

-  ^.  Seneca  und  Sokrates,  Doppelbüste. 
y6.  Kanephore,  Bronze  aus  Pästum, 

-  yl.  Marmortorso  in  Venedig. 

-  S.  Tragischer  Kopf  im  Besitze  des  Hon.  Ashley  Ponsonby. 

-  '■^.  Attisches  Grabrelief  in  Lansdownehouse. 

-  -40.     Zum  Nike-Pyrgos. 

-  ,  11.    Attische  Lekythos  im  Berliner  Museum. 

-  12.  Phineus-Vasen  im  British  Museum. 
13.  Paris  und  Oinone. 

-  14.  Sarkophag  aus  Sparta. 

-  15.  Schale  aus  Orvieto. 

-  16.  Bacchische  Siegesfeier.     Krater  aus  dem  Piräus. 

-  17.  Artemis.    Marmorgruppe  aus  Larnaca. 

-  18.  Relief  aus  Tanagra. 

Seite  10.    Nymphenrelief  in  Athen  (s.  S.  8  Anm.  7  c). 

-  22.     Carneol  mit  Porträt  (SenecaV). 

27.     Ergänzte  Ansicht  der  Kanephore  von  Pästum. 

-  63.     Inschrifttafel. 

74.     Ornament  einer  Vase  aus  Argos. 

-  77.     Holzschnitt  des  Kopfes  Taf.  8  aus  Jahns  Ausgabe  der  Elektra. 

-  82.     Ansicht  der  Stele  mit  dem  Ko])fe  Taf.  9. 

-  123.     Corrodirte  Figur  aus  dem  aegiuetischen  Westgiebel. 

-  159.     Römisches  Bildniss  auf  einem  Goldringe. 

-  189.     Kantharos  des  Brit.  Museums  (nach  Panofka  Cab.  Pourtales  pl.  7). 


HERMES -KADMILOS. 

(Tafel  1—4.) 

Auf  einer  Anzahl  von  griechischen  Votivreliefs 
erscheint  neben  einer  Göttin,  welcher  in  den  meisten 
Fällen  die  ständigen  Attribute  der  Kybele  oder,  um 
den  speziellen  Namen  zu  vermeiden,  der  Gütter- 
mutter  beigegeben  sind,  ein  Jüngling  mit  einem 
Prochus  in  der  Reciiten,  offenbar  als  Mundschenk 
der  Göttin.  Ich  stelle  unter  A  bis  X  die  mir  be- 
kannt gewordenen  Exemplare  zusammen  und  zwar 
diejenigen  voran,  auf  denen  die  Hauptfigur  mit 
jenen  Attributen  ausgestattet  ist  (20  sichere  und  3 
wahrscheinliche),  darauf  in  zweiter  Reihe  unter  V 
bis  X  drei  Exemplare,  auf  denen  der  Göttin  die 
Attribute  fehlen;  sodann  wird  ein  sicher  in  die 
erste  Reihe  gehöriges  Exemplar  zu  besprechen  sein, 
auf  dem  der  Jüngling  jedoch  ein  andres  Attribut 
als  den  Prochus  hält  (Y),  und  endlich  führe  ich 
unter  Z  und  Za  noch  zwei  Werke  an,  auf  welche 
durch  diesen  Anschluss  ein  Licht  fällt. 

A.  Taf.  1.  Im  k.  Museum  zu  Berlin,  Inv. 
no.  1467.  Aus  Athen.  W.  M.  0,50  hoch,  0,43 
breit.  Oben  und  rechts  abgebrochen.  Das  Relief 
war  beiderseits  von  einem  Pfeiler,  auf  denen  gewiss 
ein  Gebälk  mit  Giebel  oder  einer  Akroterienreihe 
lag,  eingefasst.  Unten  ist  der  Zapfen  zum  Ein- 
setzen erhalten.  Nach  ilim  lässt  sich,  da  er  in  der 
Mitte  stand,  die  ursprüngliche  Breite  der  Platte  an- 
nähernd l)estimnien. 

Links  sitzt  nach  rechts  gewandt  auf  einem  theil- 
weise  vor  den  Pfeiler  geschobenen  Throne,  dessen 
Armlehne  auf  der  Figur  einer  Sphinx  ruht,  die 
Göttermutter,  an  dem  Tympanon  in  der  Rechten, 
der  Schale  in  der  Linken  und  dem  neben  ihr  am 
Boden  gelagerten  Löwen  ohne  Weiteres  kenntlich. 
Sie  ist  mit  dem  langen  Chiton  und  einem  Oberge- 
wande  bekleidet,  welches  über  den  Hinterkopf  ge- 
zogen ist;  den  Kopf  schmückt  eine  niedrige  Ste- 
phane.    Die  mit  Sandalen  l)ekleideten  Füsse  ruhen 

ArchUolog.  Ztg.,   J.ihrgang  XXXVIII. 


auf  einem  Schemel.  Ihr  zugewandt  steht  eine  weib- 
liche Gestalt,  das  Haar  umbunden  und  nach  Jung- 
frauenart am  Hinterkopfe  in  einem  Schöpfe  aufge- 
nommen, in  Chiton  und  Mantel,  Sandalen  an  den 
Füssen.  Im  linken  Arme  hält  sie  eine  aus  Stäb- 
chen zusammengebundene  Fackel  gesclmltert,  auf 
die  sie  aucli  die  rechte  Hand  legt. 

Weiterhin  folgt  der  Bruch  des  Steins,  der  von 
einer  dritten,  soweit  man  sieht  nackten,  jugend- 
lich männlichen  Figur  nur  das  rechte  Bein  und 
den  rechten  Unterarm  mit  einer  Kanne  in  der 
Hand  übrig  gelassen  hat.  Ob  auf  der  verlorenen 
Hälfte  der  Platte  etwa  die  in  kleinerem  Massstabe 
dargestellten  Stifter  des  Anathems  dargestellt  wa- 
ren, lässt  sich  nicht  mit  voller  Bestimmtheit  be- 
haupten. 

Alles  noch  Vorhandene  ist  von  tadelloser  Er- 
haltung; in  der  Mitte  des  Tympanon  sieht  man  noch 
den  Zirkelstich,  der  beim  Ziehen  des  Kreises  ent- 
stand. Namentlich  auf  den  Vergleich  mit  attischen 
Grabreliefs  ')  hin  wird  man  die  Arbeit  bald  nach 
400  V.  Chr.  entstanden  denken ;  sie  trägt  den  Stempel 
der  edlen  Durchbildung  des  attischen  Handwerks 
um  diese  Zeit  und  maclit  das  Relief  zu  einem  unter 
den  zahlreichen  attischen  Darstellungen  der  Götter- 
mutter, die  sonst  unbedeutend,  ja  roh  zu  sein 
pflegen,  ganz  hervorragenden. 

B.  Taf.  2,  3.  Im  Museum  der  archäologischen 
Gesellschaft  in  Athen  no.  3047.  Aus  dem  Piraeeus, 
wo  ein  Metroon  durch  zahlreiche  andre  Fundstücke 
erwiesen  ist').  W.  M.  0,47  hoch,  0,35  breit,  0,14 
dick.  Körte  in  Mitth.  des  archäol.  Instituts  zu 
Athen  III,  S.  397  f.  Mylonas  in  Bull,  de  corr.  hell. 
1879,  S.  534  f.,  n.  4. 

Ganz  in  der  Weise  der  oben  erwähnten  zahl- 
reichen ,  bisher  besonders  aus  Attika  bekannten 
Votive  thront  ganz   von   vorn   gesellen    die  Göttin 

')  Z.  B.   das    Grabmal    der   Demetria     und    Paniiphile  Arch. 
Zeit.   1871,  Taf.  44  und  dazu  Carl  Curtius  S.  31. 
-)  Carl  Curtius  D.ns  Metroon  in  Athen  S.  9. 

1 


A.  Conze,  Hermes-Kadmilos. 


in  Unter-  und  Obergewand,  einen  Schemel  unter  den 
Füssen,  den  Modius  auf  dem  Kopfe,  das  Tympanon 
in  der  Linken,  die  Schale  in  der  Kechten;  der  Löwe 
ruht  auf  ihrem  Sehoosse.  Ganz  klein  und  nur  im 
Flachrelief  ist  zu  unterst  auf  jedem  Seitenpfeiler 
eine  zur  Mitte  gewandte  Figur  augebracht,  links 
eine  jugendlich  männliche  in  der  Chlamys,  rechts 
eine  weibliche  in  der  Mädehentracht  des  einfachen 
langen  Cliiton.  Die  letztere  hält  jederseits  eine 
lauge  Fackel  aufgestützt,  der  Jüngling  aber  in  der 
gesenkten  Rechten  einen  Krug,  in  der  Linken  (was 
Körte  und  Mylonas  nicht  angeben)  das  Kerykeion. 
Ueber  diesen  Figuren  ist  auf  den  Pfeilern  die  Weih- 
inschrift angebracht:  Mcxv>]g  MrjTQi  xal  Mlxa  Mrjiql 
&£ti)v  ^).  Die  beiden  Stifter  sind,  zumal  dem  Namen 
des  Mannes  nach,  Leute  aus  dem  niedrigen  Volke  ge- 
wesen. Dem  entspricht  die  offenbar  billige  Arbeit  des 
sonst  ganz  ansehnlichen  Anathems.  Wie  misslich  es 
ist,  allein  der  rohen  Form  nach  solche  Werke  in 
eine  späte  Zeit  zu  versetzen,  hat  bereits  Körte  gegen 
Stephani  bemerkt;  die  Schriftform  weist  dieses 
Exemplar,  wenn  auch  nicht,  wie  Körte  bestimmt 
sagt,  in  das  vierte,  so  doch  in  dieses  oder  in  das 
dritte  Jahrhundert  vor  unsrer  Zeitrechnung. 

B".  Im  k.  Museum  zu  Berlin.  Inv.  u.  1605. 
Gefunden  im  Piraeeus.  W.  M.  0,50  hoch,  0,36 
breit,  0,18  dick.  Im  Tempelchen  thront  die  Göttin, 
in  ihrem  Sehoosse  liegt  der  Löwe,  auf  dem  Kopfe 
trägt  sie  den  Modius,  in  der  Rechten  hält  sie  die 
Schale,  in  der  Linken  das  Tympanon.  An  den 
Pfeilern  stehen  in  Flachrelief  ausgeführt  links  der 
Jüngling  in  der  auch  die  linke  Hand  verhüllenden 
Chlamys,  in  dessen  lierabhängender  rechter  Hand 
kein  bestimmter  Gegenstand  deutlich  zu  erkennen 
ist,  und  rechts  das  Mädchen  in  Chiton  und  Mantel, 
welches  eine  lange  Fackel  aufrecht  auf  den  Boden 
gestützt  in  jeder  Hand  hält.  Das  Ganze  von  vor- 
züglicher Erhaltung. 

C.  Im  Museum  der  Akropolis  zu  Athen.  W.  M. 
Etwa  0,22  hoch.  In  einem  Tempelchen  sitzt  die 
Göttin,  ihr  zur  Rechten  der  Löwe.  An  dem  Pfeiler 
links  erscheint  in  kleiner  Gestalt  der  mit  Chiton 
und  Chlamys  bekleidete  Jüngling  stehend,  den 
Prochus  in  der  gesenkten  Rechten ;  auch  rechts  am 
Pfeiler  ist  noch  der  Kest  einer  kleinen  Figur  kennt- 
lich, gewiss  von  dem  Mädchen  mit  den  Fackeln 
herrührend.     Der  Obertheil  des  Ganzen  ist  zerstört. 

•■')  Nicht  MIKA2^  wie  bei  Körte  nur  iils  Druckfehler 
steht.  Mylonas  giebt  unrichtig  am  Anfange  der  Inschrift  zer- 
störte Buchstaben  an;  seine  Beschreibnng  des  Bildwerks  ist 
mehrfach  ungenau. 


D.  Daselbst.  W.  M.  Etwa  0,30  hoch.  Die 
Göttin  thront,  der  Löwe  liegt  auf  ihrem  Sehoosse; 
in  ihrer  Linken  hält  sie  das  Tympanon.  Ilir  Kopf 
fehlt.  Links  am  Pfeiler  des  Tempelcheus  steht 
wieder  der  Jüngling  in  Cliiton  und  Chlamys,  die 
Rechte,  welche  den  Prochus  gelialten  haben  wird, 
ist  ganz  abgestossen.  Am  Pfeiler  rechts  steht  die 
Mädchenfigur  im  langen  Chiton,  zwei  Fackeln  auf- 
recht in  den  Händen. 

E.  Daselbst.  W.  M.  Etwa  0,28  hoch.  Die 
Göttin  thront,  den  Löwen  auf  ihrem  Sehoosse;  in  der 
Rechten  hält  sie  die  Schale.  Der  Obertheil  des 
Ganzen,  die  linke  Körperseite  der  Göttin  und  der 
rechte  Pfeiler  des  Tempelchens  fehlen.  Am  Pfeiler 
links  steht  der  Jüngling  in  Chiton  und  Chlamys, 
der  Prochus  in  der  rechten  Hand  ist  undeutlich. 

F.  Im  Nationalmuseum  zu  Athen.  Kleines 
Exemplar,  ganz  erhalten.  Die  Göttin  thront,  den 
Modius  auf  dem  Kopfe,  den  Löwen  auf  dem  Sehoosse, 
in  der  Linken  das  Tympanon,  in  der  Rechten  die 
Schale.  Der  Schale  wie  gewöhnlich  und  wie  natür- 
lich zunächst  steht  auf  dem  linken  Pfeiler  des 
Tempelchens  der  junge  Jlundschenk  im  Chiton  und 
mit  der  Kanne  in  der  Hand,  ihm  gegenüber  auf 
dem  Pfeiler  rechts  das  Mädchen  mit  den  zwei  auf- 
recht gehalteneu  Fackeln,  beide  Figuren  wie  üblich 
in  flachem  Relief  ausgeführt. 

G.  Im  Museum  der  archäologischen  Gesell- 
schaft zu  Athen.  Fragment  eines  Votivreliefs,  von 
dem  namentlich  auf  der  linken  Seite  der  Jüngling 
mit  dem  Kruge  deutlich  erhalten  geblieben  ist. 

C?".  Taf.  3,  4.  Im  Nationalmuseum  zu  Athen. 
W.  M.  Fragment,  etwa  0,25  hoch.  Der  Jüngling  in 
der  Chlamys  mit  dem  (ganz  deutlichen)  Prochus  iu 
der  gesenkten  Recliten  steht  hier  iu  grösserer  Gestalt 
und  höherem  Relief  neben  der  (nicht  erhaltenen) 
Göttin.  Vor  dem  Pfeiler  links  am  Rande  des  Reliefs 
hinter  dem  Mundschenken  steht  klein  und  in  Flach- 
relief ausgeführt  das  Mädchen  mit  zwei  aufrechten 
Fackeln  in  den  Händen.  Da  die  Hauptgestalt  voll- 
ständig verloren  ist,  so  bleibt  es  dahingestellt,  ob 
das  Relief  sicher  iu  diese  Gruppe,  w'o  die  Benennung 
der  Göttermutter  für  die  Haupttigur  durch  deren 
Attribute  angezeigt  ist,  gehört  oder  in  die  zweite, 
iu  der  Haupttigur  nicht  so  unzweideutige  Gruppe 
V — X.     Dasselbe  gilt  von   der  folgenden  Nummer: 

G''.  Im  Kultusministerium  zu  Athen.  Schöne, 
Griechische  Reliefs  n.  119.  Erhalten  ist  nur  die 
Seitenwand  der  Aedicula  mit  dem  fackeltragenden 
Mädchen. 

H.    Taf  4,  1.     Im   k.   Museum  zu   Berlin.    Inv. 


A.  Conze,  Hermes-Kadmilos. 


3 


n.  1581.  Gefunden  im  Piraeeus.  W.  M.  0,23  lioch. 
Nur  die  linke  Seite  ist  erlialten.  Furtwiingier  in 
Mittlieilungen  des  deutschen  areliäol.  Inst,  zu  Athen 
III,  S.  195. 

In  einer  Felsgrotte,  an  deren  unterem  Rande 
links  der  von  den  Nj'mphenreliei's  bekannte  bärtige 
Kopf  des  Wasserdaimons  aus  dem  Felsen  hervor- 
ragt, stand  inmitten  die  Göttin;  nur  ein  Theil  ihres 
rechten  Arms  und  ein  Stück  des  unteren  Gewand- 
endes am  rechten  Fusse  ist  erhalten.  Zwischen  ihr 
und  dem  bärtigen  Kopfe  steht,  nur  etwa  halb  so 
gross  wie  die  Göttin  selbst,  der  Jüngling  in  der 
Chlamj's  mit  dem  Kruge  in  der  gesenkten  rechten 
Hand.  —  Ich  reihe  dieses  Exemplar  hier  ein  in  der 
Voraussetzung,  dass  das  allerdings  äusserst  roh  ge- 
arbeitete und  nur  in  seinem  Untertheile  erhaltene 
Thier,  das  neben  der  Göttin  sitzt,  ein  Lüwe  sein 
soll.  Furtwänglers  nicht  haltbare  Ergänzung  des 
Fragments  ist  jetzt  von  ihm  selbst  aufgegeben  (s. 
unten  zu  X). 

/.  Taf.  2,  1.  In  dem  Kirchlein  des  Agios  Dimi- 
trios,  eine  halbe  Stunde  von  Koropi,  in  der  Rich- 
tung auf  die  auf  der  Hymettoshöhe  weithin  sicht- 
baren Kapelle  der  Agios  Ilias  zu,  in  Attika.  W.  M. 
0,23  hoch,  0,30  breit,  0,00  dick,  0,02  Relieferhe- 
bung.    Oben  und  rechts  abgebrochen. 

Erhalten  sind  zwei  in  wesentlich  gleicher  Ge- 
stalt neben  einander  von  vorn  gesehen  tlironende 
Gestalten  der  Göttermutter;  die  Köpfe  fehlen.  Beide 
Göttinnen  tragen  Unter-  und  Obergewand  und  halten 
in  der  Rechten  eine  Patera ;  die  zur  Linken  des  Be- 
schauers sitzende  scheint  zur  Linken  das  Tympanon 
gehalten  zu  haben ,  an  der  andern  Figur  ist  die 
entsprechende  Seite  verloren.  Zwischen  beiden  sitzt 
am  Boden  ein  trotz  Rohheit  und  Verstümmelung 
kenntlicher  Löwe.  Von  einer  Figur  zur  Rechten 
des  Ganzen  ist  nur  ein  Beinstück  erhalten,  dennoch 
scheint  es  eher  ein  Jüngling,  sicher  nicht  das  sonst 
vorkommende  fackeltrageude  Mädchen  gewesen  zu 
sein.  Links  ist  aber  bis  auf  Kopf  und  Schultern 
der  Mundschenk  in  Chiton  und  Chlamys,  mit  dem 
Prochus  in  der  gesenkten  Rechten  auf  die  Göttinnen 
zuschreitend,  vollkommen  deutlich  erhalten. 

Die  Doppelung  der  Kybelegestalt  in  einem  und 
demselben  Votivrelief  begegnet  uns  hier  zum  zweiten 
Male.  Ein  andres  Exemplar,  welches  ebenfalls  aus 
Attika  stammt,  publicirte  schon  Stephani  (Ausruhen- 
der Herakles  S.  86,  u.  12),  damals  als  ein  l'nicum. 
Nebenfiguren  befinden  sich  auf  ihm  nicht.  Stephanis 
Deutung,  dass  es  „den  Rheabegriflt'  mit  dem  der 
Demeter  verschmolzen  zeige,  indem  es  jener  Göttin 


die  Köre  beifüge",  ist  wenig  befriedigend,  ebensowe- 
nig die  euhemeristisclie  Aushülfe,  zu  der  Boetticher 
(Katalog  der  Berliner  Gipssammlung,  1872,  n.  310) 
greift,  dass  der  Stein  das  Ehrenmal  zweier  Prie- 
sterinnen der  Kybele  im  Costume  und  mit  den  Attri- 
buten der  Göttin  sei.  Mir  selbst  bleibt  diese  Doppe- 
lung ein  Rätiisel. 

K.  In  der  Sammlung  der  archäologischen  Ge- 
sellschaft zu  Athen.  Aus  dem  Ileiligthume  der 
Göttermutter  bei  dem  Dorfe  Mustaphades  im  Demos 
Tanagra.  Alles  Nähere  bei  Körte  in  Mittheil,  des 
deutschen  archäol.  Instituts  zu  Athen  III,  S.  390  ff., 
n.  156. 

Auf  einem  von  vier  zusammen  oder  doch  zu 
verschiedenen  ganz  gleichen  Votivreliefs  gehörigen 
Fragmenten  erscheint  neben  der  thronenden  Göttin 
ein  nackter  Knabe,  von  Körte  bereits  mit  dem 
Oinochoos  auf  attischen  Kybelereliefs  identificirt. 

L.  Im  Museum  zu  Theben.  Aus  dem  böo ti- 
schen Dorfe  Karantii  stammend.  Alles  Nähere  bei 
Körte  a.  a.  0.  S.  397,  n.  178. 

Wiederum  nur  ein  Relieffragment ,  das  einen 
nackten  Knaben  neben  der  fast  ganz  zerstörten  Ge- 
stalt der  Kybele  zeigt.  Von  Körte  zu  der  Reiiie 
der  attischen  Votivreliefs  gestellt. 

31.  Taf.  3,  2.  Im  k.  Museum  zu  Berlin.  Inv. 
n.  1539.  In  Smyrna  als  angeblich  aus  Ephesos 
stammend  erworben.  W.  M.  0,37  breit.  Von 
rohester  Arbeit  und  oben  abgebrochen,  so  dass  von 
dem  Tempelchen  der  Giebel  und  von  den  drei  dar- 
gestellten Figuren  die  Köpfe  fehlen. 

Inmitten  thront  von  vorn  gesehen  die  Götter- 
mutter, das  Tympanon  in  der  Linken,  die  Schale 
in  der  Rechten,  ihre  Füsse  auf  einen  liegenden 
Löwen  gestützt.  Rechts  von  ihr,  also  ihr  zur  Linken, 
steht  ein,  wie  der  Rest  des  Kopfes  zeigt,  bärtiger, 
mit  Unter-  und  Obergewand  bekleideter  Mann;  zu 
ihrer  andern  Seite  tritt  die  mit  der  Chlamys  be- 
kleidete Gestalt,  welche  in  der  gesenkten  Rechten 
den  Prochus  hält,  heran. 

A'.  Taf.  3,  1.  Im  k.  Museum  zu  Berlin. 
Inv.  n.  1540.  W.  M.  0,28  hoch,  0,20  breit.  Zu- 
sammen mit  dem  vorigen  zu  Smyrna  als  angeb- 
lich aus  Ephesos  stammend  erworben;  ganz 
gleichen  Ursprungs  und  gleichartiger  Arbeit  mit  M 
ist  es  jedesfalls.  Bis  auf  den  abgesplitterten  Kopf 
der  Kybele  ist  es  gut  erhalten. 

Dargestellt  ist  unter  einem  Giebeldache  der- 
selbe Dreiverein  von  Gestalten,  wie  auf  il/,  inmitten 
die  Göttermutter,  hier  stehend,  links  das  Tympanon, 
rechts  die  Schale  haltend;  jederseits  ihr  zu  Füssen 

1* 


A.  Conze,  Hermes-Kadmilos. 


und  ihr  zugekebil  sitzt  ein  Löwe.  Kechts  vou  ihr 
stellt  der  Maun  im  Mautel,  dessen  bärtiger  Kopf 
hier  erbalteu  ist,  andrerseits  der  Jüug-liug  in  der 
Clilamys  mit  dem  Proelius  in  der  gesenkten  Rechten. 

0.  Im  k.  Museum  zu  Berlin.  Inv.  n.  1536. 
W.  M.  0,45  hoch,  0,27  breit.  Gleicher  klein- 
asi atischer  Herkunft  und  gleicher  Arbeit  wie  M 
und  N. 

Im  Tempel  sitzt  an  iliren  Attributen  kenntlich 
die  Göttermutter;  die  Vorderfläclien  beider  Pfeiler 
sind  zerstört,  aber  auf  dem  zur  Rechten  sieht  man 
noch  den  Rest  einer  im  Einzelnen  unkenntlichen 
kleinen  Figur. 

P.  In  der  Sammlung  Saburoff,  von  der  „ionischen 
Küste",  aus  der  Gegend  von  Ephesos  und  Smyrna 
stammend.  Thourelief.  Das  Kähere  bei  E.  Curtius 
in  Mittheil,  des  deutschen  archäol.  Instituts  11, 
Taf.  III,  S.  48  ff. 

In  freierer  Bewegung,  also  insofern  mit  A  zu 
vergleichen,  sitzt  die  Göttermutter  in  ihrem  Tempel 
und  liebkost  den  zu  ihr  aufspringenden  Löwen. 
Neben  ihrem  Throne  (dessen  hinteres  Bein  nicht 
richtig  von  Curtius  als  ein  iittoxqijttjqiöiov  ange- 
sehen ist)  sitzt  klein  ein  flötespieleuder  Silen, 
weiter  nach  Rechts  steht  ebenfalls  klein  an  Gestalt 
ein  Jüngling,  mit  der  Chlamys  bekleidet,  etwa  in 
der  Bewegung  des  Praxitelischen  Periboetos  mit  ge- 
hobener Recliten  aus  einem  Kruge  in  eine  in  der 
Linken  vorauszusetzende  Schale  einschenkend.  Zu 
dem  Thierfriese  unten  und  den  in  orgiastischen 
Bewegungen  beiderseits  augebrachten  weiblichen 
Figuren  vergl.  Conze,  Römische  Bildwerke  einheim. 
Fundorts  in  Oesterreich  in  Denkschr.  der  Wiener 
Ak.  XXIV,  Taf.  V.  VI,  Seite  10. 

Q.  Taf.  3,  3.  In  der  Sammlung  zu  Cattajo, 
n.  1367  (Cavedoni).  Unbekannter  Herkunft,  doch 
gewiss  aus  den  griechischen  Ländern.  W.  M. 
0,29  hoch,  0,21  breit.  Von  gewöhnlicher  Arbeit. 
Rechts  abgestossen,  die  Weihinschrift  unten  ver- 
wischt. Arch.  Ztg.  1867,  Anzeiger  S.  95*;  nächstens 
Dütschke  antike  Bildwerke  in  Oberitalien  IV. 

Die  Göttermutter  mit  Modius,  Tympanon  und 
Schale  stellt  aufrecht,  ihr  zu  Füssen  sitzt  jederseits 
ihr  zugewandt  ein  Löwe.  Links  steht  in  gleicher 
Grosse  wie  die  Hauptfigur  der  jugeudliclie  Mund- 
schenk in  Cliiton  und  Chlamys,  den  Krug  in  der 
gesenkten  Rechten.  Ein  geringer  Rest  auf  der  ab- 
gestossenen  rechten  Seite  des  Reliefs  lässt  ver- 
muthen,  dass  hier  die  bärtige  Mäunergestalt  wie 
auf  IW  und  A'  sicli  befand;  mit  N  ist  auch  sonst 
die   Uebereinstimmung    gross.      Damit   wäre    auch 


die  Annahme  kleinasiatischer  Herkunft  dieses  Exem- 
plars naiie  gelegt.  Vou  der  Votiviuschrift  ist  nur 
der  Name  des  Weihenden  ^Ava^inolic:  noch  halb- 
wegs zu  erkennen. 

R.  In  der  Sammlung  zu  Cattajo,  n.  552. 
W.  M.  0,44  hoch ,  0,29  breit.  Unbekannter,  gewiss 
griechischer  Herkunft.  Sehr  schlecht  erhalten. 
Mir  nachgewiesen  von  Dütschke  und  hier  nach  sei- 
nen .\ngabeu  beschrieben ,  noch  genauer  nächstens 
in  dessen  antiken  Bildwerken  in  Oberitalien  IV. 

In  einer  Aedicula  thront  die  Göttermutter,  die 
Füsse  auf  einem  Schemel,  links  das  Tympanon, 
rechts  die  Schale  haltend,  auf  ihrem  Schoosse  der 
Löwe.  An  der  Vorderseite  des  Pfeilers  links  in 
ganz  flachem  Relief  ein  Knabe  (nach  R.),  in  kurzem 
Chiton,  in  der  gesenkten  Rechten  wohl  ursprüng- 
lich eine  Kanne  tragend,  in  der  Linken  einen 
Gegenstand  erhebend ;  vor  dem  Pfeiler  rechts 
wiederum  in  flachem  Relief  ein  Mädchen  in  langem 
Chiton,  in  der  gesenkten  Linken  einen  Gegenstand 
(Kanne?)  haltend,  mit  der  Rechten  einen  länglichen 
Gegenstand  erhebend. 

Die  fraglich  bleibenden  Dinge  in  den  Händen 
des  Knaben  wie  des  Mädchens  wage  ich  ohne 
Autopsie  nicht  weiter  zu  besprechen. 

S.  Im  Museo  lapidario  zu  Verona.  Unbekannter, 
doch  wie  so  Vieles  in  dieser  Sammlung,  gewiss 
griechischer  Herku  nft.  Geäderter  Marmor.  0,25 
hoch,  0,16  breit.  Maffei  Museo  Veronense  p.  LIII,  5. 
Den  Nachweis  mit  der  hier  benutzten  Beschreibung, 
so  wie  Papierabklatsche  der  beiden  Nebenfiguren 
verdanke  ich  Dütschke.  Siehe  nächstens  dessen  an- 
tike Bildwerke  in  Oberitalien  IV. 

In  einer  Aedicula  thront  die  Göttermutter,  ein 
Diadem  oder  den  Modius  auf  dem  Kopfe,  mit  der 
Linken  stützt  sie  ein  kurzes Skeptron  (?)  [Tympanon?], 
in  der  Rechten  hält  sie  die  Patera,  links  neben  ihr 
sitzt  ein  Löwe.  An  der  Vorderseite  eines  jeden 
der  beiden  Pfeiler  der  Aedicula  ist  in  flachem  Relief 
eine  kleine  Figur  augebraclit:  links  ein  mit  kurz 
gegürtetem  Chiton  [ich  glaube  im  Abklatsche  die 
übliche  Chlamys  zu  erkennen]  bekleideter  Knabe, 
in  der  gesenkten  Rechten  eine  Kanne  haltend,  die 
Linke  in  Schulterhölie  erhebend;  rechts  eine  mit 
langem  Chiton  [und  Obergewand?]  bekleidete  weib- 
liche Figur,  in  der  Recliten  eine  brennende  Fackel 
haltend,  die  Linke  [wahrsclieiulicli  auch  eine  Fackel 
haltend]  in  Sehulterhöhe  gehoben. 

T.  Weihrclief  des  Odryseu  .^damas  an  die 
Nymphen  in  den  Steinbrüchen  von  Faros.  Michaelis 
in  Aman  deW  inst.  18G3,  S.  314,  G. 


A.  Conze,  Hermes-Kadmilos. 


Ohne  Autopsie  wage  ich  über  dieses  Relief,  das 
wir  uoch  immer  nicht  mit  der  wiiuschenswertlien 
Genauigkeit  kennen ,  auch  nur  besclireibeud  nicht 
aufs  Neue  7ai  sprechen;  doch  stelle  ich  die  Ver- 
muthung  auf,  dass  vor  der  am  Löwen  auf  ihrem 
.Schoosse  wie  an  ihrer  Stellung  kenntlichen  tlu'oueu- 
den  Güttermutter  wiederum  der  durch  die  hier 
gebotene  Zusammenstellung  geläufige  jugendliche 
Jlundschenk  steht,  nur  mit  vertauschten  xVrmen 
wie  auf  P  bewegt;  die  Annalmie  einer  phrygischen 
iliitze  desselben  würde  dann  auf  einem  Versehen  be- 
ruhen. 

U.  Relief  auf  Andros.  Michaelis  in  Annali 
(kW  inst.  18()3,  Ö.  314,  F. 

Nur  ganz  frageweise  führe  ich  dieses  mir  selbst 
wiederum  nicht  zu  Gesichte  gekommene  Relief  hier 
auf.  Dass  die  mittlere  der  von  Michaelis  für 
Nymphen  gehaltenen  Figuren  sitzt,  namentlich  aber 
am  linken  Arme  einen  Schild  tragen  soll,  legt  die 
Vermutliung  nahe,  ob  es  nicht  die  Göttermutter  mit 
dem  Tympauon  ist.  Dass  von  einem  Gefässe  in 
der  Hand  des  Jünglings  in  den  Besclireibuugen 
allerdings  nicht  die  Rede  ist,  genügt  nicht  um  die 
gestellte  Frage  entscheidend  zu  verneinen. 

Ua.  Auch  ein  Relief  in  der  Reihe  der  soge- 
nannten Santoni  bei  Akrai  in  Sizilien  glaube  ich 
hierher  rechnen  zu  dürfen,  obwohl  ich  es  wiederum 
nicht  selbst  gesehen  habe.  Unverkennbar  ist  die 
immer  wiederkehrende  Hauptfigur  dieser  Felsreliefs 
die  Göttermatter,  uud  wenn  in  der  Abbildung  bei 
Serradifalco  Anticliitä  di  Sicilia  IV,  tav.  XXXV, 
Fig.  2  das  eine  Mal  neben  ihr  ein  Jüngling  im  Chiton 
mit  einem  Kerykeion  in  der  Linken  erscheint,  so 
dürfte  der  Zeichner  dieses  Attribut  kaum  erfunden 
haben,  obwohl  Schubring  in  seiner  Revision  der 
Bildwerke  (N.  Jahrb.  f.  Philol.  u.  Paedag.  Supple- 
meutb.  IV,  p.  671)  es  nicht  erwähnt. 

Die  bisher  aufgeführten  Votivreliefs  lassen  die 
Gestalt  des  jugendlichen  Mundschenken  einer  Göttin 
dienstbar  erscheinen,  welche  die  mehr  oder  weniger 
vollständigen  Attribute  der  Göttermutter  trägt.  Unter 
den  jetzt  anzureihenden  drei  Votivreliefs,  wo  der 
Hauptgöttin  diese  Attribute  fehlen,  ist  das  weitaus 
wichtigste  das  längst  bekannte,  aber  erst  von 
Wieseler  zum  Gegenstande  einer  eingehenden  Unter- 
suchung gemachte : 

V.  Taf.  4,  4.  Im  k.  Museum  zu  Berlin.  Kat. 
n.  439.  Aus  der  Sammlung  Nani  und  gewiss  grie- 
chisch er    Herkunft.      W.   .M.      0,40  hoch,    0,26 


breit.     Wieseler  in  Nachrichten  von  der  k.  Gesell- 
scliaft  der  Wiss.  zu  Göttingen  1875,  S.  635  ff. 

Das  Ganze  stellt  eine  Felsgrotte  dar,  in  deren 
Hintergründe  auf  einem  Piedestal  ein  weibliclies 
Idol  in  langem  Chiton  mit  zwei  Fackeln  in  den 
Händen  stellt.  Vorn  steht  an  Grösse  liervorragend 
eine  weibliche  Göttergestalt  in  langem  Chiton  und 
eiuem  nur  hinten  herabfallenden  Mantel,  auf  dem 
Kopfe  einen  hohen  kalathosförmigen  Aufsatz.  Die 
beiden  vor  der  Brust  aufgebogenen  Unterarme  sind 
abgebrochen.  Links  von  dieser  grossen  Göttin  er- 
sclieint  etwas  kleiner  an  Gestalt  der  jugendliche 
Mundschenk  in  der  Chlamys  mit  dem  Prochus  in 
der  gesenkten  Rechten;  sein  linker  Vorderarm  ist 
abgebrochen.  Oben  links  am  Felsrande  der  Grotte 
ist  der  bärtige  Achelooskopf  angebracht.  Ganz 
oben  über  dem  Grottenrande  ruht  in  der  Mitte  Pan 
zwischen  zwei  liegenden  Widdern,  neben  welchen 
jederseits  akroterienartig  noch  ein  Thier  lagert. 
Ich  wäre  sonst  geneigt  gewesen  darin  Löwen  zu 
erkennen,  wenn  uicht  schon  vor  mehreren  Jahren 
auf  meine  durch  Treu  vermittelte  Bitte  der  Zoo- 
loge von  Märten  wegen  der  fehlenden  Schwanz- 
bUschel  und  Mähnen  sich  für  doggenähnliche  Hunde 
ausgesproclien  hätte.  Wie  dem  auch  sei,  vollkommen 
sicher  ist,  was  Wieseler  gegen  eine  frühere  unge- 
naue Angabe  von  mir  betont  hat,  dass  unten  links 
von  dem  Mundschenken  ein  Hund  steht  (noch  be- 
sonders in  der  Seitenansicht  abgebildet)  und  aber- 
mals ein  solcher  zwischen  dem  Mundschenken  und 
der  Göttin,  dieser  zugekehrt,  sitzt. 

W.  Taf.  4,  2.  In  der  Sammlung  zu  Cattajo. 
Unbekannter,  doch  gewiss  wie  Q  und  R  griechi- 
scher Herkunft.  W.  M.  0,40  hoch,  0,25  breit. 
Gewöhnliche  Arbeit  und  stark  Verstössen. 

In  einer  Felsgrotte  steht  die  Göttin  in  langem 
Chiton,  liinter  dem  ein  Gewand  iierabfällt.  Ihr 
Kopf  ist  zu  sehr  beschädigt,  um  einen  Aufsatz, 
wenn  er  da  war,  noch  kenntlich  zu  lassen;  die 
Unterarme  sind  vor  der  Brust  aufgebogen,  die 
Hände  verstümmelt,  so  dass  dahingestellt  bleiben 
nmss,  ob  sie  Etwas  hielten ;  jedesfalls  war  es  nicht 
Tympanon  uud  Schale,  die  so  überhaupt  nicht  ge- 
halten werden  können.  Links  von  der  Göttin  steht, 
ganz  gleich  gross  wie  sie,  der  Mundschenk  in  der 
nunmehr  hiureichend  bekannten  Tracht  und  Haltung ; 
die  Kauue  in  der  gesenkten  Rechten  ist  ganz  deut- 
lich, der  linke  Arm  ist  Verstössen.  Sonstiges  Bei- 
werk fehlt  diesem  Relief,  nur  obeu  auf  der  Grotte 
liegen  einander  zugekehrt  zwei  Thiere,  die  wieder 
mehr  Hunden  als  Löwen  ähneln. 


A.  Conze,  Hermes-Kadmilos. 


X.  Taf.  2,  2.  4,  3.  Im  Xationalmiiseuiu  zu 
Athen.  Am  Ilissos  unweit  Agrai  gefuuden.  Zwei 
nicht  ganz  Bruch  au  Bruch  an  einauder  passende 
Fragmente;  oben  beide  abgebrochen.  Die  Arbeit  ist 
sehr  flüchtig.  Furtwängler  in  Jlitth.  des  deutschen 
archäol.  Instituts  iu  Athen  III,  S.  195. 

Links  ist  ein  Theil  des  Randes  der  Felsgrotte  er- 
lialten  und  an  ihm  wieder  (=  H)  der  bärtige  Kopf 
des  Wasserdaimons.  Vor  demselben  steht  der  Mund- 
schenk mit  dem  Prochus  in  der  gesenkten  Eechten, 
dann  folgt,  durch  den  Bruch  jetzt  getrennt,  die  er- 
heblich grössere  aufrecht  stehende  Göttin  im  langen 
Chiton  und,  wie  es  scheint,  einem  Mantel  im  Rücken 
(=  F,  W).  Die  Arme  waren  wie  auf  V  und  W 
vor  der  Brust  aufgebogen,  doch  ist  nur  der  linke 
erhalten,  aber  auch  an  ihm  die  Hand  zerstört.  Auf 
der  andern  Seite  der  Göttin  entspricht,  wie  auf  so 
zahlreichen  der  hier  zusammengestellten  Votiv- 
reliefs,  dem  Mundschenk  das  mit  ihm  etwa  gleich 
gross  gehaltene  Mädchen  im  langen  Chiton,  welches 
zwei  lange  brennende  Fackeln  mit  dem  untern  Ende 
auf  den  Boden  aufgestützt  hält. 

Furtwängler  hat  für  diese  Fragmente  wie  für 
H  eine  Ergänzung  versucht,  nach  der  die  beiden 
Exemplare  iu  einen  andern  Zusammenhang  als  den 
hier  gegebenen  gehören  würden.  Er  hat  mir  selbst 
erklärt,  dass  er  diesen  Versucii  Angesiclits  der  hier 
gebotenen  Parallelen  nicht  aufrecht  erhält. 

Wir  haben  nunmehr  unter  den  Bezeichnungen 
A  bis  Va  und  V  bis  A'  eine  Reihe  von  \'otivreliefs 
attischer  {A — /,  X),  böotischer  {K,  L),  kleinasiati- 
scher (i>/ — 0),  insularer  (T—Ua)  und  auch  (fi,  S,  K, 
W)  unbekannter  griechischer  Provenienz  kennen 
gelernt,  auf  denen  eine  meistens  (A—Ua)  an  allbe- 
kannten Abzeichen  kenntliche,  einmal  auch  als  /-itjz^Q 
i^Eiüv  iuschriftlieh  bezeichnete  (ß)  und  ein  andres  Mal 
(K)  dem  Fundorte  nach  unzweifelhaft  so  zu  benen- 
nende Göttin,  und  dann  wieder  (F— X)  eine  Göttin 
bis  auf  den  Modius  {V)  ohne  erklärende  Abzeichen, 
als  ihren  ständigen  Begleiter  den  jungen  Mundschenk 
zur  Seite  liat.  Auch  die  sonstige  Umgebung,  das 
Mädchen  mit  den  zwei  Fackeln  und  andres  Personal, 
ferner  zuweilen  das  Lokal  einer  Felsgrotte,  ist, 
wenn  man  namentlich  von  der  eiuen  Gruppe  T, 
von  der  andern  V  berücksichtigt,  bei  der  Göttin 
mit  vollen  Attributen  und  der  ohne  dieselben  nicht 
durchgehend  verschieden.  Bei  einer  Gesammtbe- 
trachtung,  bei  welcher  die  kleinen  Variationen  gegen- 


über den  Uebereinstimmungen  zurücktreten ,  wird 
man  geneigt  sein  anzunehmen,  dass  die  Göttin  in 
allen  Fällen  dieselbe  ist,  die  Inschrift  i.iT]TtjQ  Seür 
auf  B  ein  für  alle  Mal  die  Erklärung  giebt,  so  wie 
mau  etwa  sonst  verschieden  gestaltete  Göttinnen, 
wenn  sie  vom  Eros  begleitet  sind,  zuuächst  für 
Aphrodite  halten  wird.  Wieseler,  dem  das  Material 
nur  noch  sehr  unvollständig  vorlag,  hat  die  Be- 
neunung  Hekate  vorgeschlagen,  welche  wir  für  die 
der  Zahl  nach  überwiegende  Klasse  A  —  Ua  jetzt 
keinesfalls  annehmen  dürfen;  es  bleibt  höchstens  die 
Frage,  ob  dieser  Name  der  Hauptgöttin  auf  F,  TF,  X 
bleiben  muss,  eine  Frage,  die  man  aber  iu  die  andre 
verwandeln  darf,  ob  au  den  verschiedenen  Kultus- 
orten, denen  alle  diese  Votive  entstammen,  nicht 
etwa  Wurzel-  und  wesenverwandte  Göttinnen  unter 
verschiedenen  Namen  und  mit  verschiedener  Nuanci- 
rung  ihrer  Persönlichkeit  Geltung  hatten,  selbst 
wenn  es  nicht  für  jede  dieser  Soudergestalten  be- 
sondere Formen  der  bildlichen  Darstellung  gab; 
oder  auch,  ob  nicht  sogar  au  einem  und  demselben 
Kultusorte  dieselbe  Göttin  unter  verschiedenen  Bild- 
formen in  den  Anathemen  erscheinen  kann  (vergl. 
z.  B.  die  Votivsteine  aus  Marseille  Arch.  Zeit.  1866, 
Anzeiger  Taf.  B).  Wir  sind,  glaube  ich,  genöthigt 
diese  Fragen  bis  zu  einem  gewissen  Grade  offen 
zu  halten,  dürfen  aber  für  die  Erklärung  des  jugend- 
lichen Jlundschenken,  die  wir  hauptsächlich  zunächst 
suchen,  von  ihr  absehen.  Genug,  dass  eine  grosse 
Göttin ,  die  meistens  Abzeichen  der  Göttermutter 
trägt,  einmal  als  nrjTfiQ  d^eiüv  ausdrücklich  bezeichnet 
ist,  ein  anderes  Mal  (K)  ihrem  Kultusorte  nach  so 
genannt  werden  muss,  stets  diesen  selben  Mund- 
schenken zu  ihrem  Begleiter  hat. 

Bisher  hat  seine  Gestalt  nicht  viel  Beachtung 
gefunden.  Cavedoni  erklärte  ihn  auf  Q  für  Attis, 
dessen  cliarakteristische  Gestalt  und  Tracht  aber 
gänzlich  felilen.  E.  Curtius,  der  f  allein  ins  Auge 
fasste,  nahm  den  jugendlichen  Weinschenk  für  eiu 
im  Tempel  der  grossen  Göttin  aufgestelltes  Weih- 
gesclieuk,  ein  Symbol  der  Segensfülle,  welche  von 
der  Göttin  ausströmt.  Wieseler  erinnert  iu  gründ- 
licher Erwägung  zunächst  an  Hermes,  der  der  Hekate, 
wie  er  die  Hauptgöttin  nennt,  nahe  stehe,  für  den 


A,  Conze,  Hermes-Kadmilos. 


die  Tracht  passe,  deui  selbst  das  Weiugefäss  auch 
sonst  gegeben  sei,  nimmt  aber  aus  einem  nach  der 
ansehnlichen  Vermehrung  des  Materials  nicht  mehr 
stichhaltigen  Grunde  (seine  Kleinheit  auf  V)  von 
dieser  Deutung  Absfand,  um  sich  für  einen  der 
Hekate  und  llhea  als  untergeordnet  verbundenen 
Daimoncu,  Kuret,  Korybaut  oder  Kabir,  zu  ent- 
scheiden. Wenn  ich  selbst  früher  einmal  absicht- 
lich unbestimmt  nur  von  einem  „Begleiter"  der 
Kybele  gesprochen  habe,  so  wollte  ich  darunter 
nicht,  wie  Wieseler  annahm ,  den  Attis  verstan- 
den wissen.  Vielmehr  lag  darin  unausgesprochen 
eine  Deutung,  die  ich  erst  nach  einiger  Vermeh- 
rung des  Materials  für  hinreichend  wahrscheinlich 
hielt  um  sie  auszuführen  (Sitzungsberichte  der 
k.  Ak.  der  Wiss.  zu  Berlin  19.  Dec.  1878).  Ich 
kam  dabei  sozusagen  zu  einer  Vereinigung  der 
beiden  von  Wieseler  gegen  einander  abgewogenen 
Erklärungsgedauken.  Meine  Darlegung  lief  auf  das 
Folgende  hinaus. 

Wir  haben  Darstellungen  einer  Göttergemein- 
schaft  chthonischen  Charakters  mit  einer  grossen 
Göttin  als  hervorragendem  Mittelpunkte  vor  uns. 
Neben  ihr  tritt,  oft  in  gleich  hoher  Gestalt  wie  sie 
dargestellt  (nanieutlich  A,  Q,  YV),  also  kein  Meusch, 
sondern  ein  göttliches  Wesen,  durch  sein  Amt  aber 
allerdings  ihr  untergeordnet,  ein  Jüngling  als  olvo- 
XÖog  auf.  Den  Schlüssel  zu  seiner  Erklärung  bietet 
der  Name  Kadmilos,  Kasniilos,  Camillus. 

Mit  diesem  Namen  wurde  namentlich  in  Samo- 
thrake,  dessen  Kultusgestalten  (mit  einer  auf  den 
Münzen  der  Insel  mit  dem  Löwen  und  dem  Kopf- 
aufsatze dargestellten  Göttin  au  der  Spitze)  in  einen 
Kreis  mit  den  auf  unseru  Votivreliefs  dargestellten 
fallen,  ein  dius  qitidam  administer  diis  niagnis  (Varro 
L.  L.  VI,  88)  bezeichnet.  Dieser  wurde  ausdrück- 
lich (Muaseas  u.  A.)  mit  Hermes  identificirt,  dessen 
Kultus  nicht  nur  auf  Samothrake  dem  der  chthoni- 
schen Götter  eng  verbunden,  sondern  der  ja  auch 
seiner  verbreitetsten  Vorstellung  nach  ein  minister 
deorum,  speciell  bei  Alkaios  *)    und   Sappho   (vgl. 

■*)  Anakreon  (Sitzungsbenchte  18TS  S.  867)  ein  Schreibfehler 
von  mir.  Die  bei  Preller  Griech.  Mjth.  ^  l,  S.  332,  Anm.  1 
angeführten  Vasenbilder  stellen  nicht  Hermes  als  oivoyoos  dar, 
sondern  mit  einer  Schale  spenilentl ,    gehören  also  nicht  hierher. 


Od}'sseeXV,323)  Mundschenk  der  Götter  war.  Auch 
der  lateinische  Opferdiener  Camillus  ist  von  Plutarch 
Numa  7  wohl  nicht  so  mit  Uureclit,  wie  Welcker 
Götterlehre  I,  S.  330,  Anm.  4  will,  hiermit  in  Ver- 
bindung gebracht.  (Vgl.  Lobeck  Aglaophamos,  na- 
meutlicli  II,  III,  §  7.  Neuhäuser  Cadmilus  8.  49. 
Keil  in  Philologus  2.  Supplementb.  18ö3,  S.  (JOl). 

Diesem  Cadmilos -Hermes  entspricht  seiner  Um- 
gebung, seiner  Gestalt,  Tracht  und  Funktion  nach 
die  Jüngliugsgestalt  in  Chiton  und  Chlamys  mit  dem 
Prochus  auf  unsern  Keliefs. 

Nachdem  durch  die  Nachweisungeu  Körtes  und 
freundliche  Mittheilungen  Dütschkes  *)  das  Material 
der  Untersuchung  den  sehr  grossen  Zuwachs,  mit 
welchem  es  jetzt  hier  mitgetheilt  ist,  erhalten,  nach- 
dem Köhlers  und  Lollings  Güte  mir  die  _ Zeich- 
nung eines  mir  nur  aus  alter  eigener  Notiz  be- 
kannten Exemplars  (/)  verschafft  hatte,  und  ich 
selbst  auf  einer  Eeise  besonders  in  Atlieu  die 
wichtigsten  Exemplare  hatte  nachprüfen  können, 
nahm  ich  die  Behandlung  noch  einmal  wieder  auf 
(Sitzungsberichte  der  k.  Ak.  der  Wiss.  zu  Berlin, 
7.  August  LS79)  und  konnte  vor  Allem  das  Eine 
nachweisen,  dass  die  Deutung  des  Mundschenken 
der  Göttermutter  als  Hermes  nunmehr  siclier  gestellt 
ist  durch  das  Kerykeion,  welches  er  auf  B  in  der 
linken  Hand  trägt. 

Mit  einem  neuen,  besondere  Erwägung  fordern- 
den Attribute  erscheint  er  dagegen  auf: 

y.     Taf.  2,  4.     Im   Natioualmuseum  zu  Athen. 

')  Diitschke  macht  mich  noch  auf  zwei  Anatheme  der 
Göttermutter  in  der  Sammlung  zu  Cattajo  aufmerksam,  die  er 
im  4.  Bande  seineu  antiken  Bildwerke  in  Überitalien  beschreiben 
wird  : 

n.  534.  An  den  Vorderseiten  der  Pfeiler  der  Aedicula,  in 
welcher  die  Gijttin  thront,  ist  in  ganz  flachem  Relief  je  eine 
mit  doppeltem  Gewände  bekleidete  Jungfrau  mit  Modius  auf 
dem  Kopfe,  in  der  gesenkten  Rechten  eine  Patera  (?),  in  der 
Linken  vielleicht  ein  Füllhorn  haltend,  dargestellt. 

n.  552.  An  der  Vorderseite  des  Pfeilers  der  Aedicula  links 
ist  dargestellt  ein  Knabe,  nach  Hechts  gekehrt,  in  kurzem  ge- 
gürteten Chiton,  in  der  gesenkten  Linken  wohl  ursprünglich 
eine  Kanne  tragend,  in  der  Linken  einen  Gegenstand  erhebend; 
auf  dem  Pfeiler  rechts  ein  mit  langem  Chiton  bekleidetes  Mäd- 
chen, in  der  gesenkten  Rechten  einen  Gegenstand  (Kanne?) 
haltend,  mit  der  Rechten  einen  langen  Gegenstand  erhebend. 

Ich  habe  sie  als  jedesfalls  noch  näherer  Untersuchung  be- 
dürftig hier  ausser  der  Reihe  anführen  wollen. 


8 


A.  Conze,  Hermes-Kadmilos. 


W.  M.    0,53  hoch,   0,32  breit,    0,17   dick.     Körte 
a.  a.  0.  S.  398. 

In  einem  sammt  seinem  akroteriengeschmückten 
Giebel  wohlerlialtenen  Tempelchen  thront  die  Götter- 
mutter, mit  Modius  auf  dem  Kopfe,  einem  Löwen 
auf  dem  Schoosse,  in  der  Linken  das  Tympanon, 
in  der  Rechten  die  (abgestossene)  Schale.  Am 
Pfeiler  rechts  erscheint  klein  und  in  Flaclirelief  das 
Mädchen  im  langen  Chiton  mit  den  zwei  langen 
Fackeln ,  am  Pfeiler  links  der  Jüngling  in  Chiton 
und  Chlamys,  beide  der  Göttin  zugekehrt.  Der 
Jünglin?  hält  hier  aber  keinen  Prochus,  sondern 
deutlich  mit  beiden  Händen  gefasst  einen  länglichen 
Gegenstand,  nach  Körte  eine  kurze  brennende 
Fackel.  Allerdings  kann  eine  Fackel  so  gehalten 
werden,  wie  u.  A.  ein  Eeliefbild  zeigt,  das  ohne- 
hin bei  unsrer  Untersuchung  nicht  ganz  ungenannt 
bleiben  kann,  ich  meine  das  auf  der  einen  Lang- 
seite des  attischen  Attisaltars  des  Archelaos  (Kaibel 
Epkjr.  yr.  n.  822.  Arch.  Zeit.  1863,  Taf.  177),  wo 
dem  in  ganz  gleicher  Haltung  eine  deutliche  Fackel 
tragenden  Jüngling  zur  Linken  des  thronenden 
Götterpaares  (Demeter  und  Kybele)  zur  andern 
Seite  wiederum  ein  Mädchen  mit  zwei,  da  aber 
gesenkten  Fackeln  (vergl.  T)  gegenübersteht.  Bei 
genauer  Prüfung  des  Originals  Y  hielt  ich  indessen 
den  Gegenstand  in  der  Hand  des  Jünglings  seiner 
Form  an  sich  nach  nicht  für  eine  Fackel,  sondern 
eher  für  ein  Füllhorn.  Es  ist  gebogen,  nach  unten 
vielleiclit  noch  etwas  mehr  als  die  Zeichnung  es 
giebt  zugespitzt;  auf  seinem  oberen  Rande  würde 
ein  Fruchtaufsatz  liegen.  Doch  mag  eine  Ent- 
scheidung schwer  sein,  zumal  wenn  mau  die  für 
die  Fackel  unpassende  Biegung  auf  den  skizzirten 
Zustand  des  Reliefs  zurückführt.  Dass  jedoch  die 
Figur  der  Hermes  der  übrigen  hier  zusammenge- 
stellten Reliefs  ist,  leidet  keinen  Zweifel.  Mit  diesem 
würde  das  Attribut  der  Fackel  nur  so  ohne  weiteren 
Beleg  zu  reimen  sein,  dass  er  zum  nvQcpnQog  der 
Güttermutter  geworden  sei;  besser  passt  für  ihn 
ein  Füllhorn  als  sprechendes  Abzeichen  in  den 
Händen  des  nlnvTodörrjg,  des  ömzioq  säcov  u.  s.  w., 
wofür  später  der  Beutel  mit  besonderer  Beziehung 
auf  den  Handelsgott  herrschend  wird.  Obendrein 
ist  aber  ein  deutliches  Füllhorn  in  der  Hand  des 
Hermes  auf  einem  Relief,  wo  er  den  Reigen  der 
Nymphen  führt  (Schöne  Griech.  Reliefs  n.  118),  nach- 
weisbar. 

Es  ist  hier  zu  betonen,   dass  der  Hermes  olvo- 

xöog  unserer  Güttermutter -Reliefs  in  seiner  ganzen 
Gestalt  und  Tracht  dem   die   Kympheu   i'tthrenden 


Hermes  zahlreicher  Votivreliefs  ^)  offenbar  deshalb 
auch  sonst  sehr  nahe  steht,  weil  er  beide  Male 
dieselbe  dem  Volksglauben  zumal  in  Attika  ge- 
läufige Gestalt  ist,  wie  die  beiden  in  Rede  kommen- 
den Klassen  von  Bildwerken  überhaupt  sich  nahe 
berühren  und  ihre  Typen  gelegentlich  mischen  (H, 
T,  F,  X).  Auch  das  ist  ihnen  gemeinsam,  dass  so- 
wohl der  Hermes  der  Nymphenreliefs,  als  auch  der 
der  Göttermuttervotive  meistens  ohne  das  Attribut 
des  Kerykeions  erseheint.  Es  bedurfte  anscheinend 
dessen  bei  der  sehr  volksthümlich  bekannten  Gestalt 
nicht  oder  man  ergänzte  es  sieh  leicht,  wenn  es  mit 
Aposiopese  z.  B.  auf  dem  Weihrelief  der  nlvvelg  im 
Berliner  Museum  nur  durch  die  wie  Etwas  fassende 
Hand  angedeutet  war.  So  ist  es  denn  gekommen, 
dass  unsere  fremd  an  die  Bildwerke  herantretende 
Exegese  nur  mit  Irrungen  und  zögernd  auf  den  Nym- 
phenreliefs wie  auf  den  Göttermutter- Anathemen  den 
Hermes  erkannt  hat  und  erst  zuversichtlich  ge- 
worden ist,  nachdem  unter  den  vielen  Nymphen- 
reliefs jetzt  ja  wohl  drei '),  unter  den  Votiven  der 
Göttermutter  erst  das  eine  (ß)  das  auch  für  uns  un- 
zweideutige Abzeichen  vor  Augen  gebracht  hatten. 
Obwohl  die  Hauptabsicht  dieser  kleinen  Unter- 
suchung mit  der  Erklärung  des  Hermes  als  Mund- 
schenken der  grossen  Göttin  erreicht  ist,  kann  eine 
kurze  Uebersicht  des  sonst  auf  den  aufgezählten 
Votivreliefs  vorkommenden  Personals  nicht  unter- 
bleiben *).  Eine  neue  Besprechung  alle  der  auf 
dem  reichstbevölkerten  Relief  von  Faros  (T)  ver- 
sammelten Gestalten  habe  ich  jedoch  schon  vorher 
als  ohne  erneute  Prüfung  des  Originals  misslich 
abgewiesen.  Dass  sonst,  sobald  die  grosse  Göttin 
mit  Hermes  in  einer  Grotte  dargestellt  sind,  Pan 
mit  seiner  Herde  und  der  nach  volksthttmlicher 
Vorstellung    als    aus    dem    Felsen    hervorragender 

'■)  Michaelis  Annali  deW  inst.   18G3  S.  .315. 
')  a.  Sanmilung   Millusich.    Arch.-epigr.    MittheiUingen   aus 
Oesterreich  I,  Taf.  I. 

b.  Im  Kultusministerium  zu  Athen.  Schöne,  Griech.  Reliefs 
n.  117. 

c.  In  athenischem  Privatbesitze  von  mir  1S73  gesehen.  Hier 
abgebildet  als  Vignette  am  Sclilusse  dieses  Aufsatzes. 

")  Die  nur  in  einem  Fragmente  erhaltene  zweite  Neben- 
tigur  auf  /  lasse  ich  der  grossen  Undeutlichkeit  halber  uner- 
wähnt. 


A.  Conze,  Hermes- Cadmilos. 


bärtiger  Kopf  gebildete  Wasserdaimou,  wie  bereits 
angeflilirt,  meiirfacli  vorkomtueu,  bedarf  uameutlicli 
nach  deu  Ausfiiliningeu  von  Michaelis  a.  a.  0. 
keiner  weiteren  Erläuterung. 

Auf  zwei  Exemplaren  (M,  N)  und  wahrschein- 
lich noch  auf  einem  dritten,  dann  wie  jene  zwei 
aus  Kleinasieu  stammenden  (0),  ist  neben  der 
Göttermutter  und  dem  Hermes  ein  bärtiger  vollbeklei- 
deter Gott  dargestellt.  Benennungen  für  ihn  zu  ver- 
muthen  ist  leichter  als  eine  bestimmte  festzustellen. 

Keine  andere  begleitende  Gestalt  erscheint  aber 
nächst  Hermes  so  häutig  der  grossen  Göttin  gesellt 
wie  das  zwei  lange  Fackeln  tragende  Mädchen. 
Meistens  ist  sie  dem  Hermes  durch  Gegenüberstellung 
in  gleicher  Grösse  coordinirt  (ß,  B",  C,  Z>,  [E],  F, 
|G,  G\  0],  i}?,  S,  X,  r),  einmal  steht  sie  kleiner 
als  Hermes  hinter  ihm  (G"),  einmal  in  voller 
Grösse  vor  ihm  zunächst  der  Göttermutter  (/l),  ein- 
mal erscheint  ein  weibliches  Idol  mit  zwei  Fackeln 
im  Hintergründe  (F).  Wenn  sie  auch  auf  dem 
Parischen  Relief  (T)  hinter  der  Kybele  zu  erkennen 
ist,  so  hält  sie  da  die  Fackeln,  welche  sonst  immer 
aufrecht  gehalten  werden,  gesenkt,  was  wieder  die 
Vergleichung  des  schon  ein  Mal  erwähnten  Tauro- 
bolienaltars  des  Archelaos  (Kaibel  Epigr.  gr.  n.  822) 
nahe  legt.  Für  die  Fackelträgerin  auf  diesem  hat 
0.  Jahn  (Arch.  Zeit.  1864,  S.  132f.)  die  Benennung 
Kora  vorgeschlagen.  In  der  dem  Hermes  als  Be- 
gleiterin der  grossen  Göttin  gleichgestellten  Fackel- 
trägerin wird  man  jedoch  am  passendsten  Hekate 
erkennen;  diese  Erklärung  wird  vermuthlich  für 
alle  einzelnen  Exemplare  bestehen,  sobald  wir  die 
Hauptgüttin  trotz  verschiedener  Darstelluugsweise 
durchweg  für  die  Göttermutter  halten  dürfen. 

Das  Feststehende  unter  manchen  somit  nicht  ver- 
hehlten Unsicherheiten  im  Verständnisse  unserer 
Votivreliefs  bleibt  die  Erklärung  des  Hermes  als 
Mundschenken  der  grossen  Göttin. 

Als  die  eigentliche  Grundbedeutung  des  Hermes 
ist  jüngst  von  Wilh.  Heinr.  Koscher  (Hermes  der 
Windgott,  Leipzig  1878)  die  des  Windes  für  mich 
überzeugend  nachgewiesen,  des  Windes,  der  na- 
mentlich auch  Regen  bringend  befruchtet.  Ho  er- 
scheint  denn   die    nachgewiesene   Vorstellung   des 

Archaolog.  Ztg.  Jeihrgnnu-  X.X.WIII. 


Hermes  als  des  Mundschenken  der  grossen  Göttin 
einigermassen  analog  seiner  ältesten  Idolbildung 
mit  dem  Phallos.  Wie  dadurch  der  Befruchtende 
unzweideutig  bezeichnet  ist,  so  wird  der  der  grossen 
Göttin,  der  Erdmutter,  Einschenkende  wiederum 
der  Regen  bringende  Gott  sein.  Beide  Bildformen, 
denen  das  Attribut  der  Flügel  fehlt,  hätten  sich 
also  nicht  so  sehr  an  des  Gottes  ursprünglichste 
Bedeutung  als  an  eine  seiner  Hauptwirkungen  ge- 
halten, und  zwar  grade  an  die  für  den  Landbau 
und  damit  in  den  agrarischen  Kulten  besonders 
wichtige.  Den  in  der  hier  ebenfalls  berührten 
Denkmälerklasse  nach  sehr  populärer  Vorstellung 
dargestellten  Tanz  des  Hermes  mit  den  Nymphen 
hat  Röscher  bereits  (S.  76  f.)  entsprechend  gedeutet, 
wie  er  auch  das  Phallossymbol  (S.  75  f.)  richtig  ein- 
geordnet hat.  Hermes  als  Mundschenk  erscheint 
bei  ihm  aber  nur  in  den  vereinzelten  Dichterzeug- 
nissen (S.  23),  sein  Mundschenkenamt  nur  als  ein 
Theil  seiner  allgemeinen  Eigenschaft  als  Diener 
der  Götter,  während  es  vielmehr  eine  verbreitete 
Kultusvorstelluug  ist  und  in  specieller  Beziehung 
zur  Erdgöttiu  "),  was  auf  einen  tieferen  Sinn  führt, 
steht. 

Auch  für  die  Geschichte  des  Kultus  der  Götter- 
mutter ist  das  Gewonnene  nicht  ganz  werthlos.  All- 
gemein ist  anerkannt,  deutlich  bereits  von  Zoega 
bassir.  I,  S.  55  f.,  besonders  scharf  später  von  Ger- 
hard ausgesprochen,  letzthin  noch  von  Carl  Curtius 
in  seiner  Abhandlung  über  das  Metroon  (Berlin  1868) 
gemässigter  dargestellt,  dass  von  dem  in  römischer 
Zeit  sich  über  das  Reich  verbreitenden  Kultus  der 
phrygischen,  besonders  pessinuntischen  Kybele  mit 
ihrem  Lieblinge  Attis,  mit  besonders  ausschweifen- 
den Gebräuchen,  zuletzt  auch  den  grossen  Opfern 
der  Taurobolien,  speciell  in  Attika  eine  ältere  und 
einfachere  Kultusform  der  Göttermutter  bestimmt 
zu  unterscheiden  ist.  Dieser  letzteren  dürften  unsre 
Votivreliefs  angehören;  sie  bezeugen  grade  aus 
Attika  und  zwar  unter  Anderm  aus  dem  Metroon 
im  Piraeeus,  aber  auch  aus  Bootien  und  von  einem 
kleinasiatischen  Platze,  anscheinend  auch  auf  Andros, 

')  Vergl.  das  Kelief  in  Verona  und  das  jiompejanische  Bild 
bei  O.  Jahn  siichs.  Ber.   IS-ifi  S.  lG2f. 


10 


A.  Conze,  Hermes-Kadmilos. 


Paros  und  in  Sizilien,  eine  solclie  später  durch  die 
Ausbreitung-  des  phrygisclien  Kultus  verdrängte  oder 
doch  in  den  Scliatteu  gestellte  Kultustbrm.  Sie 
zeigen  als  ständigen  Genossen  der  Göttermutter 
anstatt  des  Attis  vielmebr  den  Hermes,  wie  ihn 
die  samothrakischen  Mysterien  aus  uralter  Zeit  her 
festhielten.  Was  die  Datirung  der  einzelneu  Exem- 
plare anlangt,  so  darf  man  sie  nicht  um  ihrer  oft 
flüchtigen  Ausführung  willen  ohne  Weiteres  für 
sehr  spät  halten;  davor  warnt  schon  das  eine,  wie 
gesagt  dem  4.  oder  3.  Jahrhunderte  angehörige 
Exemplar  ß;  bei  dem  sorgfältiger  gearbeiteten  (A) 
spricht  auch  die  Kunstform  für  eine  etwa  gleiche 
Datirung  und  ebenso  die  berührte  nahe  Verwandt- 
schaft mit  den  Nymphenreliefs,  die  vorwiegend 
einer  so  frühen  Epoche  angehören  '"). 

Ganz  zum  Schlüsse  mögen  noch  zwei  Bildwerke 
aufgeführt  sein,  welche  durch  diese  Zusammen- 
stellung einiges  Licht  erhalten  dürften: 

Z.  Relief  in  der  Schule  zu  Mytiliui.  Conze, 
Reise  auf  Lesbos  S.  10  f. 

Die  Herme  neben  der  Göttermutter  wird  nur 
ein  anderer  bildlicher  Ausdruck  für  Hermes  als  Be- 

10)  Michaelis  in  Annali   1S63,  S.  315. 


gleiter  der  Göttin  und  die  Herme  neben  der  sitzen- 
den Erdgöttin  auf  Münzen  von  Sestos  (Gerhard  Ges. 
Abh.  Taf.  LI,  5.  (3)  zur  Vergleichung  herbeizu- 
ziehen sein. 

Z".  An  einer  Moschee  zu  Pergamon  verbaut 
befindet  sich  ein  auf  drei  Seiten  mit  Skulptur  ver- 
sehener Marmorblock,  dessen  ganz  genaue  Be- 
schreibung ich  noch  nicht  zu  geben  vermag.  Die 
Hauptseite  zeigt  verschiedenartige  Gewächse,  Blumen 
und  Früchte,  zu  einem  prächtigen  Ornament  ver- 
einigt, offenbar  mit  Beziehung  auf  die  Allmutter; 
denn  ihre  Gestalt  auf  einem  Löwen  reitend  ist  zwei 
Mal  als  Füllung  der  Voluten  des  Ornaments  ange- 
bracht; ihr  gelten  auch  die  Fackeln,  welche  auf  der 
Schmalseite  des  Steins  gebildet  sind.  Die  Rück- 
seite, so  weit  sie  skulpirt  ist,  ziert  aber,  wohl  um 
des  hier  nachgewiesenen  Zusammenhanges  willen, 
das  Kerykeion  des  Hermes  "). 

'■)  Bei  einem  römischen  Bildwerke,  dein  Bronzerelief  im 
k.  Museum  zu  Berlin  (Friederichs  Berlins  antike  Bildwerke  II, 
no.  2005''.  Curtius  Abh.  der  k.  Ak.  d.  Wiss.  zu  Berlin  1S79, 
Taf.  III,  no.  1)  wird  man  es  zunächst  besser  dahingestellt  sein 
lassen,  ob  die  Zusammenstellung  des  Hermes  mit  der  Kybele 
noch  mit  der  als  griechisch  nachgewiesenen  Vorstellung  zusam- 
menhängt oder  mit  Urlichs  (Jahrb.  des  Ver.  v.  Alterthumsfr.  im 
Rheinl.  XXIII,  S.  53  f.)  und  Friederichs  a.  a.  O.  anderweitig  zu 
begründen  ist. 

Berlin.  Conze. 


ZUR  GESCHICHTE 

DES  SCHLEIFERS  IN  FLORENZ  UND  DER  MEDICEISCHEN  VENUS. 


lui  Jahrgang-  1876  dieser  Zeitung  S.  150  habe 
ich  die  Elireurettung  Saute  Bartolis  hinsiclitlicli  sei- 
ner irrigen  Angabe  über  die  Auffindung  des  Schlei- 
fers') darauf  zu  begründen  gesucht,  dass  er  nur 
die  Angaben  Anderer  referiere.  Icli  kann  jetzt  eine 
bessere  Erklärung  geben.  Die  Ungenauigkcit  Saute 
Bartolis  besteht  allem  Anscheine  nach  nur  in  dem 
Zusätze  sollo  il  monle  Pincio ,  mit  welchem  er  auf 
den  zu  seiner  Zeit  vorzugsweise  so  genannten  Pa- 
last Mignanelli  nahe  der  Piazza  di  Spagua  hinweist; 
es  gab  nämlich  damals  eine  ganze  Anzahl  von  Pa- 
lazzi  Mignanelli  in  Rom.  Gemeint  ist  vielmehr  der 
frühere  Palast  Mignanelli ,  d.  h.  der  Palast  Spada 
alla  Regola.  Derselbe  ward  bekanntlich  unter 
Paul  III  (1534-1549)  vom  Cardinal  Girolamo  Ca- 
podiferro  erbaut.  Da  dieser  seit  1544  den  Titel 
von  San  Giorgio  in  Velabro  (ad  Velum  Anrenm) 
iiine  hatte,  so  erscheint  der  Palast  auf  Bufalinis 
grossem  Stadtplane  von  1551  °)  als  P.  Card.S.  Georgii '). 
Capodiferro  starb  1559.  Seine  Erben  wareu  die  Kin- 
der seiner  Schwester  und  Fabio  Mignanellis,  von 
denen  Pietro  Paolo  1569  gegen  die  Türken  fiel; 
aus  den  Händen  der  Familie  Mignanelli  kam  der 
Palast  sodann  im  zweiten  Viertel  des  folgenden 
Jahrhunderts  durch  Kauf  an  Cardinal  Bernardino 
Spada'').     Wenu    wir    nun    bei    Aldrovandi    slatue 

•)  Die   von    Fea   Miscell.   I   jj.  CCLI   no.   102   angeführten 

Worte    Una  bellissima  statua donnla  alla  rasa  Medtc! 

dalli  signori  .Mignanelli,  si  dice,  che  fosse  Irovata  vel  fahbri- 
care  il  loru  palazzo,  sotto  il  monte  Pivcio  finden  sich  eben- 
so in  der  mir  mittlerweile  zugänglich  gewordenen  Quelle  Feas, 
der  Roma  antica  von  1741  S.  354. 

'-')  [Lanciani]  la  pinnta  di  Roma  di  Leon.  Eufalini  (Rom 
1S79)  C,  2. 

^)  Ueblicher  ist  der  Name  Palazzo  di  San  Giorgio  für 
den  seit  I.ilT  zur  Cancelleria  eingerichteten  Palast.  Der  Er- 
bauer desselben  Raffaele  Riario  war  eben  auch  Cardinal-Diaconus 
von  S.  Giorgio  gewesen. 

*)  Roma  moderno,  Rnni   1741,  S.  Sö3.      NiMiv   Roma  tieW 


S.  166  (162)  die  Statue  des  Schleifers  im  Jahre  1550 
in  einer  Weise  angeführt  finden,  dass  sie  bereits 
seit  einiger  Zeit  bekannt  gewesen  sein  muss,  so  ist 
das  ganz  erklärlich,  wenn  sie  beim  Bau  jenes  Pa- 
lastes zum  Vorschein  gekommen  war. 

Hierfür  lässt  sich  noch  ein  Wahrscheinlichkeits- 
grund aus  der  Lokalität  entnehmen,  in  welcher  Al- 
drovandi den  Schleifer  kannte.  Er  kommt  von  der 
Engelsbrücke  her  und  geht  gradeswegs  zum  Palast 
Farnese,  darauf  zu  zwei  benachbarten  Lokalitäten 
in  strada  Iiilia,  und  dann  zum  giardino  del  Reve- 
rendiss.  Farnese,  che  e  di  lä  dal  Teuere,  al  drilio  del 
sno  Palagio  nuovo.  Aldrovandi  hat  also  am  Süd- 
eude  der  ^'ia  Giulia  den  Ponte  San  Sisto  über- 
schritten und  durch  die  Porta  Settimiana  die  Via 
della  Lungara  betreten,  wo  gleich  ausserhalb  des 
Thores  an  der  Flussseite  bei  Bufalini  (D,  2)  die 
VinCed)  FarnesioCmm)  liegt,  d.  h.  der  Kern  der  spä- 
ter durch  den  Ankauf  der  Vigna  Chigi  (Farnesiua) 
erweiterten  Gartenanlage.  Hieran  schliesst  sich  bei 
Aldrovandi,  ebenfalls  noch  di  lä  dal  Teuere,  das 
Haus  des  M.  Niccolö  Guisa,  in  welchem  der  Schlei- 
fer stand,  und  darauf  kehrt  unser  Führer  zur  Piazza 
Farnese  zurück,  um  die  Umgebung  des  Canipo  di 
Fiore  abzusuchen.  Danach  ist  es  wahrscheinlich, 
dass  das  Haus  Nicc.  Guisas  nicht  weit  von  der 
Vigna  Farnese,  also  auch  nicht  allzu  weit  von  dem 
Palast  Capodiferro -Mignanelli -Spada  entfernt  lag, 
welcher  ja  dem  Ponte  Sau  Sisto  benachbart  ist. 
Die  Statue  konnte  also  leicht  vom  Bauplatz  dieses 
Palastes  in  das  zu  Aldrovandis  Zeit  an  den  Her- 
zog von  Amalfi*)  veriniethete  Haus  Guisas  ver- 
bracht worden  sein. 

anno  1S38,  parle  mod.  II  S.  824.     Beschr.  d.  Stadt  Rom  III,  3 

S.  439.     Ciaconius  intae  pontificiim  ed.  Oldoini  III  S.  706.  777  f. 

■'')  Duca  di  .^filß  bei  Aldrovandi.     Dieselbe  Form  gebraucht 

2* 


12 


A.  Michaelis,  Der  Schleifer  und  die  mediceische  Venus. 


Antiken  im  Palast  Capodiferro  kennt  Aldrovandi 
überliaupt  noch  garniclit;  die  Statue  des  Pompeius 
ward  erst  vom  Papst  Julius  III  (1550  —  1555)  dem 
Cardinal  geschenkt').  Von  dieser  Statue  ist  die 
meines  Wissens  älteste  Abbildung-  in  dem  zweiten 
Bande  von  Cavalieris  Statuen  (1594')  auf  Tafel  89 
enthalten ;  sie  führt  die  Unterschrift  Julius  Caesar 
(seltsam,  dass  auch  hier  Cäsar  seinen  Gegner  be- 
seitigt hat !)  Colosstis.  In  aedibus  Hieronymi  Mignanell, 
Eine  entsprechende  Ortsbezeichnung  führt  ebenda 
auf  Taf.  85  ein  mir  nicht  näher  bekannter,  jeden- 
falls stark  ergänzter  „Genius  saluiis  uel  Naialis". 
Nun  folgt  auf  den  Pompeius  unmittelbar  auf  Taf.  90 
der  Schleifer,  so  dass  man  zunächst  an  den  Zu- 
sammenhang desselben  mit  dem  Palast  Mignanelli 
gemahnt  wird.  Allein  der  Unterschrift  nach  befand 
sich  dieser  „M.  Manlius  Capitolij  propiigitalor"  da- 
mals bereits  in  Palalio  Magni  Diicis  Elr(nriae).  Die 
Reihenfolge  der  Abbildungen  richtet  sich  überhaupt 
in  diesem  zweiten  Bande  Cavalieris  garnicht  nach 
dem  Aufbewahrungsort,  abweichend  von  dem  ersten 
Bande*).  In  diesem  folgen  aufeinander  die  belve- 
derischen  Statuen,  dann  diejenigen  im  Garten  und 
Palast  Cesi  im  Borgo,  die  im  Palast  Farnese, 
die  im  Garten  des  Cardinais  von  Ferrara  (Ippolito 
d'Este,  Gründers  der  Villa  d'Este  in  Tivoli)  auf 
Monte  Cavallo  —  bis  zum  Jahre  1583  einer  der 
grössten  Sehenswürdigkeiten  Roms,  dann  dem  Papst 
geschenkt  und  in  den  päpstliclien  Palast  aufgegan- 
gen") — ,  die  in  der  Villa  Julius  III  vor  Porta 
del  Popolo,  die  auf  dem  Capitol,  die  in  den  be- 
nachbarten Palästen  Capranica  und  dellaValle 
bei  S.  Maria   della  Valle;    den  Beschluss    machen 

Flaminio  Vacca  Memorie  55  (Fea  Mise.  I  p.  LXXVII),  mit 
dem  Zusatz  di  casa  Piccolomini;  dieser  Familie  gehürte  belcannt- 
lich  die  Herzogswürde  von  Amalfi.  Biifalini  kennt  eine  VinfeaJ 
Ducis  Amalphi  vor  der  Porta  del  Popolo,  am  heutigen  Ein- 
gange der  Villa  Borghese. 

^)  Vacca  Memorie  57  bei  Fea  Miac.  I  p.  LXXVII.  Dass 
Aldrovandi  diese  Statue  noch  nicht  kennt,  gibt  einen  neuen 
Beweis  dafür  ab,  dass  sein  Verzeichnis  nicht  erst  1556  aufge- 
setzt worden  ist  (arch.  Zeit.   1870  S.  löl  f.). 

')  Anliquarum  staluarum  urbis  Romae  tertius  et  rjuarlus 
liber  lo.  Bapt.  de  C'uvalleriis  authure.     Rom  159-1. 

')  Antiq.  statuarum  . . .  primus  et  secundus  liber.  Rom  1585. 

')  Montaigne  Journal  du  voyaje  en  Jtalie  [1580.  81],  Rom 
und  Paris  1774,  II  S.  5C.    Fea  Mise.  I  S.  LXXIII  Anm.  a.    Be- 


eine Anzahl  von  Statuen,  welche  theils  öffentlich 
ausgestellt  waren,  theils  kleineren  Sammlungen  an- 
gehörten. Man  kann  demnach  diesen  ersten  Band 
als  eine  kna]ipe  Publication  der  bedeutendsten  unter 
den  damaligen  Sammlungen  Roms,  museographisch 
geordnet,  bezeichnen.  Ganz  anders  der  zweite  Band. 
Ein  festes  Princip  der  Anordnung  ist  hier  überhaupt 
nicht  streng  durchgefülirt,  aber  es  sind  doch  wesent- 
lich stoffliche  Gesichtspunkte  welche  befolgt  werden. 
Die  einzelnen  Götter  sind  von  einander  geschieden, 
aber  in  einer  seltsamen  Reihenfolge  geordnet,  die 
überdies  durch  allerlei  ganz  fremdartige  Eindring- 
linge unterbrochen  wird;  den  Schluss  bildet  eine 
Gruppe  historischer  oder  vermeintlich  historischer 
Bildwerke.  Die  einzelnen  Sammlungen  sind  durch 
den  ganzen  Band  zerstreut.  Ein  paar  Namen  des 
ersten  Bandes  kehren  wieder,  vor  allen  hat  der  Pa- 
last Farnese  noch  eine  reiche  Nachlese  geliefert, 
aber  meistens  sind  es  neue  Namen.  Unter  ihnen 
steht  Palast  und  Garten  des  Grossherzogs  von 
Toscana,  also  die  Villa  Medici,  als  das  weitaus 
reichste  unter  den  neueren  Schatzhäusern  antiker 
Kunst,  an  erster  Stelle;  ausserdem  von  bekannteren 
Namen  die  Paläste  Ceuoli  (d.  h.  Sacchetti,  in  Via 
Giulia),  Vettori,  Santacroce,  Mattei  auf  dem 
Quiriual  und  im  Campus,  Muti  (s.  Bufalini  C,  1  und 
C,  2),  Mignanelli,  Savelli,  Odescalchi;  auch 
die  Villa  Montalto-Peretti,  damals  im  Besitze  des 
Cardinais  Alessandro  Montalto,  eines  Grossneffen 
von  Sixtus  V,  steuert  ihren  „Cincinnatus"  bei 
(Taf.  91).  Andere  Namen  lasse  ich  bei  Seite ;  von 
Sammlern  geringeren  Ranges  tritt  keiner  häufiger 
auf  als  Girolamo  Gariinberti,  der  bereits  um 
die  Mitte  des  Jahrhunderts  im  Hause  des  Cardinais 
Gaddi  lebte,  sich  dort  ein  Museum  mit  manchen 
curioseu  „Antiken"  bildete  und  als  ein  besonderer 
Sachkenner  galt'").  So  lässt  uns  Cavalieris  Werk 
einen  interessanten  Einblick  in  die  Wandelungen 
römischer  Museen  am  Ende  des  sechzehnten  Jahr- 
hunderts thuu,  wenn  auch  durchaus  keinen  voll- 
schreibung d.  Stadt  Rom  III,  •_>  S.  -llöf.  Schreiber  arch.  Zeit. 
1879  S.  71  Anm.  14.  Die  Jahreszahl  beweist,  dass  die  Tafeln 
Cavalieris  wenigstens  zu  grossem  Theile  bereits  längere  Zeit  vor 
dem  l'ublicationsjahr  (1585)  fertig  waren. 

'")  Mich.aelis,  Bildnisse  des  Thukydides  S.  15  Anm.  17. 


A.  Michaelis,  Der  Schleifer  und  die  mediceische  Venus. 


13 


stiindig-en ;  demi  es  fehlen  völlig  so  bedeutende 
Sammlungen  wie  diejenigen  der  Cesarini,  Ludo- 
visi  u.  s.  w.,  von  den  JMuseen  des  folgenden  Jahr- 
hunderts (Giustiniani ,  Borgbese,  Barberini,  Aldro- 
brandini  u.  s.  w.)  natürlich  ganz  abgesehen. 

Es  niuss  auffallen,  dass  in  den  Kupferwer- 
ken des  Cinquecento  keine  Abbildung  der  medicei- 
sehen  Venus  auftritt,  weder  l)ei  Vaccarius  und  Ca- 
valieri,  uocli,  so  viel  ich  nachzukommen  vermag, 
bei  Franzini");  wenigstens  enthält  die  Rotiia  sacra 
antica  e  moderiia  von  1(587  unter  den  von  letzterem 
entlehnten  97  Holzschnitten  nach  antiken  Statuen 
keinen  der  Mediceerin.  Und  docli  sind  hier  den 
Schätzen  der  Villa  Medici  vierzehn  Abbildungen  ge- 
widmet, ja  darunter  hat  sogar  die  jener  Statue  im 
Motiv  verwandte,  aber  unendlich  viel  geringere 
Aphrodite  mit  dem  Eros  zur  Seite  (Dütschke  Uffi- 
zieu  no.  108)  das  Schicksal  betroffen  in  einer  hoch- 
komischen Wiedergabe  verewigt  zu  werden  (S.  50 '''). 
Erst  bei  Perrier  (1638)  erscheint  die  echte  Medi- 
ceerin, und  zwar  sogleich  in  drei  Ansichten  (Taf. 
81 — 83);  etwas  später  bei  Episcopius  gar  in  vieren 
(Taf.  47—50  nach  den  Zeichnungen  zweier  hollän- 
discher Künstler);  zwei  derselben  sind  daraus  bei 
Joh.  Ulr.  Kraus  wiederholt  (Taf.  26.  27).  Auch  in 
Sandrarts  Admiranda  (1680)  fehlt  die  Statue  nicht 
(Taf.  p).  Noch  in  Rom  hatte  endlich  auch  Domenico 
de'  Rossi  die  Zeichnung  machen  lassen,  welche  erst 
1704,  als  die  Statue  sich  längst  in  Florenz  befand, 
in  der  von  P.  A.  Mafi'ei  erklärten  Raccolta  di  staiue 
erschien  (Taf.  27). 

")  Schreiber  arch.  Zeit.  1879  S.  65  Anm.  4.  Die  Original- 
ausgabe von  1589  kenne  ich  freilich  auch  nicht.  [Das  kgl. 
Museum  besitzt  die  Holzschnitte  der  Anliquitates  Romanae  tirbis 
studio  Hieronymi  Franzini  in  einer  Ausgabe  vom  Jahre  1596. 
l'nter  diesen  befindet  sich  keine  Abbildung  der  mediceischen 
Venus.     M.  F.] 

'-')  Grosse  Aehnlichkeit  mit  der  mediceischen  Venus  hat  die 
S.  60  abgebildete  „Veneria  ata.  in  viridario  JRucellai"  mit  einem 
Delphin  zur  Seite,  auf  dem  ein  Eros  reitet.  Jene  Unterschrift 
stammt  von  Franzini  (1589),  man  könnte  also  denken,  die  Statue 
sei  später  in  den  Besitz  der  Medici  gekommen.  Allein  da  sie 
in  der  der  Roma  moderna  selbst  angehürigen  Ueberschrift  zu 
den  Sldtue  del  medesimo  Palazzo  Gaetani  (im  nördlichen  Theile 
des  Corso  s.  S.  -18)  gerechnet  wird,  also  1687  sich  dort  befand, 
kann  sie  nicht  mit  der  zehn  Jahre  früher  nach  Florenz  trans- 
portierten und  schon  viel  früher  in  mediceischem  Besitz  befind- 
lichen Statue  identisch  sein. 


Aus  diesem  Sachverhalt  lässt  sich  mit  einiger 
Wahrscheinlichkeit  entnehmen,  dass  die  mediceische 
Venus  im  sechzehnten  Jahrhundert  noch  ziemlich 
unbemerkt  geblieben  war  und  erst  im  Laufe  des 
nächsten  Jahrhunderts  sich  allmählich  ihren  Welt- 
ruluu  eroberte,  l)is  sie  1677  mit  dem  Schleifer  und 
der  Ringergruppe  als  eine  der  Perlen  der  Samm- 
lung vom  Tiber  an  den  Arno  versetzt  ward.  Um 
so  unwahrscheinlicher  ist  es,  dass  sich  über  ihre 
Entdeckung  authentische  Kunde  sollte  erhalten  ha- 
ben, vollends  wenn  diese  erst  in  der  Zeit  nach  der 
Uebersiedelung  nach  Florenz  auftritt.  So  heisst 
es  bei  Sante  Bartoli  (um  1682  oder  noch  später): 
La  fainosa  Venere  de'  Medici,  la  quäle  ora  nou  si 
trova  piü  in  Roma,  per  licenza  d'Innocenzo  XI.,  si 
dice,  che  fasse  Irovata  in  Pescaria  al  Portico  di  Ot- 
tavia'^).  Also  nur  ein  Gerede,  das  vielleicht  auf  eine 
gelehrte  Reminiscenz  an  die  bei  Plinius  36,  35  er- 
wähnten Venusstatuen  im  Bezirk  der  porticus  Octauiae 
zurückzuführen  ist.  Eine  andere  Nachricht  Hess  die 
Figur  in  oder  bei  Tivoli,  in  der  Villa  Hadrians 
oder  in  hortis  Neronianis,  gefunden  sein'*),  doch  ist 
es  mir  nicht  gelungen  die  Quelle  dieser  Angabe 
aufzutinden,  noch  auch  nur  zu  ermitteln,  wann  sie 
zuerst  auftaucht.  Sicherlich  verdient  sie  ebenso 
wenig  Glauben,  wie  diejenige  Saute  Bartolis.  Da- 
gegen lässt  sich  noch  nachweisen,  woher  die  Statue 
in  die  Sammlung  Medici  gekommen  ist.  Wiederum 
ist  Aldrovandi  unser  Führer. 

In  der  Coutrada  della  Valle  lagen  vier  Häuser 
oder  Paläste  nahe  bei  einander,  welche  sämmtlich 
der  Familie  della  Valle  gehörten:  erstens  das  vom 
alten  Cardinal  Andrea  della  Valle,  einem  der  eiu- 
flussreichsten  und  kunstsinnigsten  Prälaten  der  Hoch- 
renaissance (gestorben  1533  oder  1534),  erbaute 
Haus,  das  zu  Aldrovandis  Zeit  (1550)  ein  Nefi'e  des- 
selben, der  Bischof  von  Melito  Quinzio  de'  Rustici 
(gest.  1566),  bewohnte;  sodann  das  nebenan  gelegeue 
Haus  Valeries  della  Valle;  ferner  das  Haus  Camillo 
Capranicas,  damals  noch  im  Bau  begriffen,  welches 
bald  nachher  auch  in  den  Besitz  jener  Familie  ge- 

")  Roma  antica,  1741,  S.  354  =  Fea  Mise.  1  S.  CCLIII 
no.  108.  Clarac  III  S.  CCXXXII  übersetzt  dans  la  piacine 
du  purtique  d'Octavie\ 

")  Dütschke  Uffizicn  zu  uo.  548  und  sonst  hie  und  da. 


14 


A.  Michaelis,  Der  Schleifer  und  die  mediceiscbe  Venus. 


langte'');  eudlicli  das  Haus  Brutos  della  Valle  "*). 
Alle  "vier  Häuser  waren  mit  Antiken  geschmückt, 
zumeist  das  erste  und  das  vierte.  Der  Hof  des 
ersten  enthielt  nicht  -weniger  als  zwölf  Statuen,  je 
vier  an  jeder  Langseite  und  je  zwei  an  jeder  Quer- 
seite. An  der  Rückseite  waren  dies  zur  Linken  ein 
Ganymed  mit  dem  Adler,  und  zur  Rechten  „ma  Ve- 
ner e  ignnda  quando  nacque  de  la  spuma  del  mare: 
onde  Im  vn  delpno  apprcsso  con  la  spimia  in  bocca, 
che  questa  fttlione  accenna"''').  Nun  steht  es  akten- 
mässig  fest,  dass  der  Cardinal  Fernando  de'  Medici 
im  Jahre  1584  die  Antiken  eben  jenes  Palastes  und 
des  Palastes  Capranica  für  die  von  ihm  gegründete 
Sammlung  in  der  Villa  Medici  ankaufte  ").  In  dem 
Imentario  delle  dodici  Slaliie  del  Palazzo  della  Valle, 
welches  bei  Gelegenheit  des  Verkaufs  aufgenommen 
ward'Oi  finden  sich  denn  auch  alle  zwölf  von  Al- 
drovandi  aufgezählten  Statuen  wieder,  darunter  der 
Ganymedes  und  nna  Venere  di  naturale,  con  tulti 
suoi  membri,  con  il  delphino.  Letztere  wird  mit  dem 
verhältnismässig  hohen  Preise  von  250  Ducaten 
angesetzt.  Den  Ganymedes  hat  Dütschke  richtig  in 
der  Statue  der  Uffizien  no.  115  wiedererkannt; 
merkwürdig,  dass  ev  nicht  auch  die  Venus  erkannt  hat. 
Jener  ist  1.52  Meter  hoch,  diese  1.53;  beide  Statuen 
vereinigen  mit  der  menschlichenHauptfigur  einTbier ; 
sie  waren  also  zu  Gegenstücken  an  der  Wand  des 
Hofes  vortrefflich  geeignet.  Was  aber  vollends 
entscheidend  ist:  in  den  Uffizien  gibt  es  überhaupt 
nur  die  eine  Statue  der  Aphrodite  mit  einem  Del- 

'^)  Letzteres  nach  einer  Mittheilung  Friedr.  von  Duhns.  Der 
im  .Jalire  1572  verstorbene  Bartolommeo  Capranica,  Bischof  von 
Carinola,  war  der  letzte  geistliche  Würdenträger  jener  alten 
riimischen  Familie,  welche  namentlich  den  Bischofssitz  von  Fermo 
lange  Zeit  inne  halte  und  sich  einmal  zu  gleicher  Zeit  zweier 
Cardinäle  rühmen  konnte  (Ughelli  Ilaliu  srnra,  2  Ausg.,  VI 
S.  471,  35  und  sonst). 

'«)  Aldrovandi  S.  212—221. 

")  Aldrovandi  S.  214.  Vor  dem  grossen  Saale  befand  sich 
vna  stalua  ivf/inoichiala  con  vn  ginocchio:  mira  in  su  col 
uolto:  ha  vnit  mimo  col  pugno  chiuso  isojira  la  coscia  dritta; 
Valtra  tiene  aleea  sopra  vn  Ironco ,  sul  quäle  c  la  sua  veste 
riposta  (ebenda  S.  215J.  Offenbar  ist  es  die  Keplik  des  einen 
Niobiden,  aus  verschiedenem  Marmor,  no.  208  bei  Dütschke, 
obgleich  diese  im  Inventar  von  IfiSV  (unten  Anm.  1!))  nicht 
aufgeführt  wird. 

'«)  Dütschke  Uflizien  S.  XVII  f. 

'■')  Gotti   Gallerte  e  mnsei  di  I'irenr.e,  2  AuH.,  S.  3()1>  f. 


phin  zur  Seite.  Es  kommt  noch  hinzu,  dass  Ferdi- 
nand die  Statue  vor  dem  Jahre  1587,  wo  er  als 
Grossherzog  nach  Florenz  übersiedelte,  erworben 
haben  muss.  Steht  somit  die  Identität  fest,  so  kann 
Aldrovandis  Scliweigen  über  die  beiden  Eroten 
ebenso  wenig  daran  irre  machen,  wie  die  Angabe 
vom  Schaume  im  Mund.  Denn  am  oberen,  sehr  ver- 
steckten Eroten  sind  die  Flügel  und  das  linke  ün- 
terbein  ergänzt,  der  sehr  flüchtig  angedeutete  untere 
Eros  ist  gar  bis  auf  einen  Rest  des  linken  Flügels 
ganz  neu,  so  dass  es  fraglich  ist,  ob  Aldrovandi  sie 
überhaupt  bemerken  konnte;  die  Angabe  über  den 
Schaum  aber  erklärt  sich  vielleicht  aus  einer  äl- 
teren etwas  abweichenden  Restauration,  da  vom 
Delphin  unter  anderem  das  Stück  des  Kopfes  zwi- 
schen der  Schnauze  und  dem  Sitzfleisch  des  unte- 
ren Eroten  ergänzt  ist'").  In  der  That  zeigen  die 
älteren  Abbildungen  aus  der  römischen  Zeit  (Epi- 
scopius.  Kraus,  Maffei)  unterhalb  des  Maules  einige 
rundliche  Massen,  welche  man  wohl  für  Schaum 
halten  konnte;  Perrier  und  Sandrart  lassen  statt 
dessen  vom  Maule  aus  Wasser  über  die  Basis  strö- 
men, und  Sandrart  verbreitet  sich  in  seinem  Text 
über  die  Wogen  uud  ihren  Schaum. 

Dass  über  diese  Statue,  welche  wahrscheinlich 
schon  seit  Beginn  des  sechzehnten  Jahrhunderts  im 
Palast  della  Valle  stand *'),  ohne  je  in  hervorragen- 
dem Masse  beachtet  worden  zu  sein,  sich  Fund- 
nachiichten  wie  die  oben  besprochenen  bis  in  späte 
Zeit  erhalten  haben  sollten,  ist  gewiss  wenig  wahr- 
scheinlicli.  [So  mag  ich  denn  auch  kein  Gewicht  dar- 
auf legen,  dass  Sandrart  im  Text  die  Statue  einst- 
mals im  Pantheon  {in  Rolundo)  gestanden  haben  lässt, 
obwohl  wir  in  der  That  anderweit  von  Ausgrabun- 
gen des  alten  Cardinais  della  Valle  in  den  Thermen 
Agrippas  hören  ").   Sicherlich  liegt  der  Angabe  des 

■-'")  Diese  Angaben  fehlen  bei  Dütschke  (Uft'.  no.  548),  der 
überhaupt  der  Statue  eine  eingehendere  Behandlung  hätte  widmen 
sollen.  Ich  entnehme  sie  meinen  im  Jahre  ISfil  gemachten 
Notizen. 

-')  Wenigstens  erwähnt  schon  150i)  Francesco  Albertini  an 
mehreren  Stellen  seines  hochinteressanten  Buches  rie  mirabilihvs 
Romae  (S.  59''.  34  ■■  des  Baseler  Nachdruckes  von  1521)  den 
Palast  della  Valle  wegen  seiner  Antikenschätze. 

-"-■)  Flaminio  Vacca  Memorie  no.  5Ö  bei  Fea  .l/i.«f.  I 
S.  LXXVI. 


A.  Michaelis,  Der  Schleifer  uud  die  mediceisehe  Venus. 


15 


in  solchen  Dingen  ganz  unzuverlässigen  Sandrart 
nichts  als  eine  Erinnerung  au  die  mit  der  Perle 
Kleopatras  gesciimückte  Veuusstatue  in  Agrippas 
Pantheon  (Macrob.  salnrn.  3,  17,  18)  zu  Grunde, 
welche  bei  den  Astygraphen  von  F'ulvius  au  ihre 
KoUe  spielt  und  aucii  noch  in  Mafl'eis  und  Goris 
Erklärungen  der  niediceischen  Venus  bei  Bespre- 
chung von  deren  durchbohrten  Ohrläppchen  heran- 
gezogen wird. 

Weder  Aldrovandi,  noch  das  officielle  Inventar, 
noch  die  älteren  Abbildungen,  noch  Perriers  und 
Sandrarts  Textwortc  kennen  die  Inschrift  und  den 
Künstler  Kleomenes.  Episcopius  sciieint  der  Erste 
zu  sein"),  welcher  im  begleitenden  Text  die  In- 
schrift nach  seinen  Gewährsmännern  erwähnt  und 
so  angibt:  KAEßMENHC  AnOAAOAßPOY 
AOHNAIOC  EnOIEI.  Die  Basis  erscheint  in  die- 
sen ältereu  Abbildungen  rundlich ,  ohne  scharfe 
Räuder;  doch  ist  darauf  vielleicht  nicht  viel  zu 
geben.  Erst  der  Stich  bei  Maftei  zeigt  die  eigen- 
thiimliche,  au  der  Vorderseite  etwas  ausgeschweifte 


KAErtAAEMHC     A 
A  e  HNAIOC 


Es  ist    demnach   ausser  Zweifel,    dass   die  Statue 
noch  iu  Florenz,  oder,  wenn  der  von  den  Giessern 
als  Modell  benutzte  Gipsabguss  schon  etwas  früher 
gemacht  sein  sollte,  wenigstens  in  der  letzten  römi- 
schen Zeit  diese  Inschrift  trug.    Die  jetzige,  deren 
Unechtheit  man  vergeblich  zu  leugnen  versucht  hat, 
ist  erst  in  Florenz  gemacht;  sie  steht  auf  einem  be- 
sonderen  au   die    Basis  angeflickten   Streifen   von 
verschiedenem  Marmor  und  lautet  bekanntlich: 
KAEOAAENHS  t  AnOAAOAßPOY 
AOHNAIOC  EnßESEN. 
In  ihr  liegt  also  nur  eine  ungenaue  Copie  der  aus 

-'■')  Leider  ist  die  Zeit  des  Erscheinens  der  ersten  »S'enu'- 
centuria  von  Ejjiseopius  Sif/norunt  velerum  icones  nicht  ganz 
yeiiau  bestimmbar.  Seine  Paradigmata  graphices  erschienen 
1671;  in  der  zweiten,  später  ausgegebenen  Hälfte  der  Icones 
wird  der  celebrailssimus  liegmsque  Pictnr  Petrus  Lely  in 
London  noch  als  lebend  erwähnt;  dieser  starb  IGSO.  Da  Epi- 
scopius oder  Bisschop,  ein  vielbeschäftigter  Advocat,  der  die 
Kupferstecherkunst  nur  nebenher  betrieb,  erst  1646  geboren  war, 
50  ist  es  wahrscheinlich,  dass  die  hundert  Tafeln  der  Icones  zwi- 
M-hen   li'.Tl  und   I6$0  erschienen.     Bisschop  starb   1686. 


Gestalt,  welche  die  Basis  noch  heute  hat,  und  die  In- 
schrift: AIOMHAHE  AnßAAOAOPOC  |  AOH- 
NAIOZ  EnOltl"),  welche  von  MaÖei  im  Texte 
dahin  verbessert  wird:  KAEOMENHC  APIOAAß- 
AOPOY  I  AOHNAIOC  EHOIEI.  Dass  von  die- 
sen drei  Abschriften  diejenige  bei  Episcopius  nicht 
allein  der  relativ  grössten  grammatisclien  Correct- 
heit,  sondern  auch  der  grössten  diplomatischen 
Treue  sich  rühmen  kann,  zeigt  der  Bronzeabguss, 
welchen  die  königlichen  Giesser  in  Paris,  die  Ge- 
brüder Johann  Balthasar  und  Johann  Jakob  Keller 
aus  Zürich,  im  Jahre  1G87,  also  zehn  Jahre  nach 
der  Ueberführung  der  Statue  nach  Florenz,  für 
Ludwig  XIV  machten'").  Er  befindet  sich  jetzt  im 
Louvre,  wo  er  von  Prof.  A.  Scliöne  auf  meine  Bitte  ge- 
nau untersucht  worden  ist.  Die  Inschrift,  in  vertieften 
—  nicht  wie  die  Giesserinschrift  in  erhabenen  — 
Buchstaben  an  der  geschweiften  Vorderseite  sich 
entlang  ziehend,  sieht  nach  dem  Abklatsch  folgen- 
dermassen  aus : 

noAAoA>npOT 

EnOiEl 

irgend  einem  Grunde  entfernten  älteren  Inschrift 
vor.  Diese  selbst  aber  ist  iu  der  durch  den  Bronze- 
abguss bezeugten  Form  sehr  geeignet  Zweifel  an 
ihrer  Echtheit  zu  erregen.  Wenigstens  wird  dieser 
Eindruck,  den  Schöne  angesichts  des  Originals  em- 
pfieng,  dem  Abklatsch  gegenüber  nicht  bloss   von 

-•*)  Dass  die  Inschrift  nicht  auf  der  Vorderseite  der  Basis, 
sondern  an  der  Seitenfläche  unterhalb  des  Delphins  angebracht 
ist,  hat  wohl  seinen  Grund  nur  in  dem  AVunsehe  des  Stechers, 
trotz  der  Prolilansicht  der  Statue  dennoch  die  ganze  Inschrift 
sichtbar  zu  machen.  Uebrigens  ist  der  Stich  wie  diejenigen 
bei  Episcopius  imd  Sandrart  im  Gegensinne  gemacht. 

■')  Viscontis  Angabe  {opere  varie  III  S.  18)  „moulie  par 
Hellers  sur  l'original,  et  fondue  sur  le  commencement  du  dix- 
seiilieme  stiele,  avant  que  la  slalue  fut  tritnsportee  de  Borne 
a  Florence"  ist  mehrfach  ungenau,  wie  die  in  erhabenen  Buch- 
staben auf  der  rechten  Seitenfläche  der  Basis  (unterhalb  des 
Delphins)  angebrachte  Giesserinschrift  FONDV  PAR  LES 
KELLERS  1687,  welche  Visconti  übersehen  zu  haben  scheint, 
beweist.  Die  Brüder  waren  erst  in  den  dreissiger  Jahren  des 
.Jahrhunderts  geboren.  Ueberhaupt  enthält  die  ganze  Abhand- 
lung Viscontis  neben  grossem  advocatorischen  Scharfsinn  sehr 
viele  unhaltbare  Behauptungen  und  Vermnthungen. 


16 


A.  Michaelis,  Der  Schleifer  und  die  mediceische  Venus. 


mir,  soudern  auch  von  Conze,  Köhler  und  R.  Scholl 
vollständig-  getheilt.  Zu  den  steifen  und  theilweise 
sehr  bedenklichen  paläographischen  Formen  (z.  B. 
dem  schliessendeu  C  des  Hauptnamcns  und  dem  an 
den  beiden  unteren  Enden  gerundeten  £1)  tritt  der 
schlimme  orthographische  Fehler  KXsco^isvrjg,  um 
die  Zweifel  zur  Gewissheit  zu  erheben.  Mir  scheint 
ausserdem  auch  die  durch  Matfei  bezeugte  ge- 
schweifte Form  der  Vorderseite  der  Basis,  an  der 
die  Inschrift  stand,  für  eine  antike  Basis  unstatt- 
haft; wenigstens  ist  mir  kein  zweites  Beispiel  be- 
kannt, obgleich  ich  seit  langer  Zeit  auf  diesen 
Punkt  geachtet  habe.  Dazu  kommt  nun  das  räthsel- 
hafte  Verschwinden  dieser  älteren  Inschrift,  für  das 
sich  schwer  ein  Grund  erdenken  lässt;  denn  Vis- 
contis Vermuthung,  sie  möchte  sehr  verrieben  und 
undeutlich  gewesen  sein,  ist  gegenüber  dem  Bronze- 
abguss  unhaltbar.  Wie  wenn  das  Stück  mit  der 
Inschrift  nur  aus  Gips,  Stucco  oder  einem  andern 
vergänglichen  Stoff  bestanden  hätte,  und  daher  ein 
soliderer  Ersatz,  unter  Beibehaltung  der  unglück- 
lichen früheren  Form,  in  Florenz,  etwa  bei  der  Er- 
gänzung durch  Ercole  Ferrata,  an  die  Stelle  gesetzt 
worden  wäre?  Jener  ursprüngliche  Zusatz  wäre  ver- 
muthlich  nicht  vor  der  Mitte  des  siebzehnten  Jahr- 
hunderts entstanden").  Damit  würde  das  Schweigen 
der  älteren  Auctoritäten,  und  namentlich  Perriers  und 
Sandrarts  erklärt  sein,  welche  sonst  die  Künstler- 
inschriften (Agasias,  Glykon  u.  s.  w.)  nicht  unbeach- 
tet zu  lassen  pflegen.  Sandrart  kehrte  1635  aus 
Italien  zurück,  Perriers  Werk  erschien  1638;  beide 
wareu  als  Zeichner  für  die  Galleria  Giiisliniatia  thä- 
tig,  deren  erster  Band  1631  ausgegeben  zu  sein 
scheint.     Ja   sogar  Franc.  Junius,  der  bis  an  sein 

-'')   In  den  UlHzien  steht  neben    ileni  Eingange  zum  Niobe 
saale  die  Vordersejte  cinev  ziemlich  grossen  Basis  mit  der  Inschrift 

rANYMHAHC  I  A6GÜXAPOYC  |  /\0HNAIOY 

(C.  I.  Gr.  6161i),  welche  Brunn  (Gesch.  d.  griech.  Künstler  I 
S.  38G)  wegen  ihrer  ganz  singulären  Fassung  wohl  mit  Recht 
als  durchaus  verdächtig  bezeichnet.  (Andere  Ansichten  s.  bei 
Jahn  arch.  Beitr.  .S.  19  Anm.  17.)  Sie  stammt  aus  Villa  Medici. 
Sollte  sie  nicht  dort  die  Basis  jener  oben  genannten  Ganymedes- 
statue,  des  ehemaligen  Scitenstückes  zur  Venus  in  Palazzo  Valle, 
bekleidet  haben?  Diese  gibt  zwar  sicherlich  nicht  die  Com- 
position  des  Leochares  wieder,  konnte  aber  einen  gelehrten  Anti- 
quar sehr  leicht  an  das  aus  l'linius  bekannte  Weik  jenes  Künst- 
lers denken  lassen. 


Lebensende  (1677)  an  seinem  Catalogus  artipcum 
arbeitete,  hatte  noch  nichts  von  der  Inschrift  er- 
fahren. So  viel  ist  sicher,  dass  der  im  Vorstehen- 
den gegebene  Beitrag  zur  Geschichte  der  Statue 
und  ihrer  Publicationen,  das  späte  Auftauchen  der 
Inschrift  und  der  paläographische  Charakter  dersel- 
ben in  der  Bronzecopie  den  Glauben  an  Kleomenes 
als  Verfertiger  der  mediceischen  Statue,  und  über- 
haupt an  einen  athenischen  Künstler  Kleomenes, 
Sohn  des  ApoUodoros,  stark  erschüttern  müssen. 

Uebrig  bleibt  noch  das  eine,  von  Visconti  und 
anderen  Verfechtern  der  Echtheit  der  Inschrift  stark 
betonte  Argument:  wie  sollte  ein  moderner  Fäl- 
scher oder  Erfinder, grade  auf  den  ziemlich  obscuren 
Künstlernamen  Kleomenes  gefallen  sein?  Selbst 
wenn  es  nicht  gelingen  sollte,  hierfür  eine  Er- 
klärung zu  finden,  würde  ich  die  vorgebrachten 
Argumente  für  den  modernen  Ursprung-  durch  die- 
sen Einwand  nicht  für  entkräftet  halten,  denn  ähn- 
liche Fragen  müssen  bei  einigermassen  geschickten 
Fälschungen  oft  unbeantwortet  bleiben.  Aber  ich 
glaube  in  der  That  eine  plausible  Erklärung  geben 
zu  können.  Für  einen  Gelehrten  (was  der  Erfinder 
jener  Inschrift  jedenfalls  sein  musste)  mochte  bei 
einem  so  sinnlich  reizenden  Frauenbilde  der  Ge- 
danke an  die  Thespiadeu,  welche  einst  lunius  Pis- 
ciculus  unlautere  Begierden  erweckt  hatten,  nicht 
so  gar  fern  liegen;  diese  waren  ja  aber  Arbeiten 
des  Kleomenes  (Plin.  36,  33.  39).  Wem  diese  Er- 
klärung zu  gesucht  erscheint,  den  möchte  ich  daran 
erinnern,  dass  grade  bei  der  mediceischen  Statue 
eine  einigermassen  ähnliche  Wirkung  auf  verwahr- 
loste GemUther  in  Kom  beobachtet  worden  war. 
Baldinucci  erzählt  im  Leben  Ercole  Ferratas"), 
dass  die  erlesensten  Antiken  der  Villa  Medici  von 
einem  ganzen  Heere  junger  Künstler  förmlich  be- 
lagert gewesen  seien,  e  pin  di  ofpd  allra  la  Vettere, 
la  Olli  rara  hellezza  esposla  quivi  benignamente  ad 
ntilild  de'  professori,  era  bene  spesso  con  parole 
e  con  (jesli  da'  piii  scorretli  abnsala;  deshalb 
habe  Cosimo  III  endlich  1677  die  Ueberführung 
nach  Florenz  angeordnet.     Wenn  man  sich  erinnert, 

-')  Noiizie  de'  professori  del  diieijno,  Mailand  1S12,  XUI 
S.  441. 


A.  Michaelis,  Der  Schleifer  und  die  mediceische  Venus. 


17 


dass  die  Inschrift  überhaupt  erst  kurz  vor  dem 
letzteren  Zeitpunkt  auftaucht,  so  scheint  mir  der 
vermutliete  Zusammenhang  keineswegs  unwahr- 
scheinlich zu  sein.  Dazu  kam  die  Inschrift  des 
Kleomenes  Sohnes  des  Kleomenes  an  dem  sog.  Ger- 
manicus,  welcher  damals  noch  in  der  Villa  Mont- 
alto-Peretti  stand  und  einem  römischen  Gelelirten 
füglich  bekannt  seiu  konnte.  Unerklärt  bleibt  frei- 
lieh die  Wahl  des  Vaternamens  Apollodoros;  denn 
an  den  von  Plinius  (34,  81)  geschilderten  fictor 
inter  cunclos  diligentissimiis  artis  dieses  Namens, 
der  sich  selber  nie  genug  thun  konnte,  ist  schwer- 
lich zu  denken  '^). 

Erst  durch  die  Inschrift  der  mediceischen  Statue 
ist  der  Künstlername  des  Kleomenes  zu  einem  so 
hohen  Kuhme  gelangt,  dass  er  zu  neuen,  freilicli 
weit  naiveren  Erfindungen  Anlass  geben  konnte  "). 

•")  Ich  will  hier  mit  meiner  Ueberzeugung  nicht  zurück- 
halten, ilass  auch  die  Kleomeuesinschrift  auf  der  Arn  mit  dem 
Opfer  der  Iphigeneia  eine  Fälschung  ist.  Jahns  und  der  von 
ihm  (arch.  Beitr.  S.  380  Anm.)  angeführten  Gelehrten  Beob- 
achtung, dass  die  Inschrift  erst  in  die  bereits  vorhandenen 
Brüche  des  unteren  Randes  hineingehauen  ist,  kann  ich  nach 
wiederholter  Prüfung  (1861  und  1878)  nur  bestätigen:  mehr- 
fach sind  die  Striche  in  die  Bruchstellen  hineingeglitten,  so 
beim  O  und  beim  iV  des  Namens,  auch  ist  der  trennende  Punkt 
zwischen  den  beiden  Worten  in  einer  griechischen  Inschrift  nicht 
ohne  Bedenken.  Dütschkes  Einwand  (Uff.  no.  1C5)  trift't  nicht 
den  Kern  der  Sache.  Noch  verfehlter  erscheint  mir  sein  Ver- 
such einer  Rettung  der  Inschrift  ^dvainnon  igyov  an  der 
Ileraklesstatue  in  Palazzo  Pitti  (zerstr.  Bildw.  in  Florenz  no.  36). 
Schon  allein  die  Formen  des  Y  und  das  N  zum  Schlüsse  mit 
ihren  unerhörten  Schnörkeln  schliessen  jeden  Zweifel  aus. 

-')  Auch  der  Künstlername  ApoUonios ,  am  glanzvollsten 
durch  die  Inschrift  des  belvederischen  Torso  vertreten,  hat  eine 
Fälschung  veranlasst.  In  Petworth  steht  ein  etwas  geringeres 
Exemplar  des  schönen  weinschenkenden  Satyrjünglings,  der  be- 
sonders durch  die  Dresdener  Statue  bekannt  ist  (Denkm.  a.  K. 
II,  39,  459.  Arch.  Ztg.  1874  S.  56  no.  20;  in  meinen  Anc. 
Mnrhles  no.  6);  es  ward  von  G.  Hamilton  bei  Rom  entdeckt. 
Dallaway  {Anecdotes  S.  282)  gab,  ich  weiss  nicht  nach  welcher 
Quelle,  an,  auf  dem  (nie  gebrochenen)  Pfeiler,  welcher  der 
Statue  neben  dem  linken  Bein  zur  Stütze  diene,  habe  eine  mehr- 
zellige griechische  Inschrift  gestanden,  von  der  jedoch  nur  noch 
die  Worte  AflGAAGNIOZ  und  EflOIEI  lesbar  seien. 
Müller  (Amalthea  III  S.  252  =  kunstarch.  Werke  II  S.  84) 
referiert  wohl  nur  nach  Dallaway.  Friederichs  fand  1861  nur 
APOAAjQNIO,  Conze  (Archäolog.  Anzeiger  1864  S.  239) 
ADOAAßNIOE  ohne  lnn(i:i.  In  der  Tliat  steht  nur  der 
Name  da: 

AHOAA^'O 


Ich  meine  die  angeblichen  vier  Statuen  dieses  Künst- 
lers in  Wiltonhouse,  zu  denen  sich  noch  ein  Relief 
gesellt.  Die  vier  Statuen  "),  von  sehr  verschiedener 
Güte,  hat  der  Gründer  jener  Sammlung,  Lord  Pem- 
broke,  sämmtlich  aus  der  ehemaligen  Sammlung 
Mazarin  in  Paris  gekauft,  wohin  sie  aus  Rom  ge- 
kommen waren;  aber  keine  derselben  hat  irgend 
eine  auf  Kleomenes  bezügliche  Inschrift  oder  sonst 
ein  Abzeichen  dieses  Ursprungs.  Das  Relief")  ist 
vollends  ganz  modern.  Mag  nun  Lord  Pembroke 
selbst  (was  durchaus  wahrscheinlich  ist)  der  „kecke 
Pfarrherr"  gewesen  sein  oder  ein  Anderer  die  Taufe 
vorgenommen  haben,  hochergötzlich  ist  folgende 
authentische  Auskunft  über  den  Künstler,  welche 
die  Einleitung  zu  Kennedys  Buch  über  Wilton- 
house'^)  gibt  (S.  XXX):  „This  Sculptor  was  one 
of  ihe  mosl  eminent  of  liis  Urne,  and  was  setil  from 
Corinlh  to  Rome  by  PoUjbius,  the  celehraled  Hisiorian, 
lo  execute  litis  work  [das  Relief  des  Curtius!].  At 
whose  desire,  history  does  not  inform  ns;  let  this  he 
as  il  may,  il  is  so  masler ly  a  Performance  as  does 
honour  lo  the  skill  of  the  Artist."  Winckelmanu") 
hatte  wohl  Recht  mit  seiner  Bemerkung:  „es  wäre 
nicht  viel  unverschämter  gewesen  vorzugeben,  dass 
Polybius  den  Künstler  nach  Wilton  geschicket  habe." 

Ad.  Michaelis. 

Wie  das  Facsimile  zeigt,  ist  das  2  in  einer  zweiten  Zeile  nach- 
geholt; irater  dem  Anfang  des  Namens  sind  Spuren  von  leisem 
Kratzen,  sonst  aber  nichts  von  weiterer  Schrift  zu  entdecken. 
Die  Buchstaben  sind  aber  ganz  unordentlich  und  so  leicht  ein- 
geritzt, dass  sie  nicht  von  einem  Meissel,  sondern  nur  von  einem 
Messer  oder  sonst  einem  spitzen  Instrument  herrühren  können. 
Ich  zweifle  nicht  an  ihrem  modernen  Ursprung  und  an  der  Ab- 
sicht des  Fälschers  an  den  berühmten  Künstler  des  Torso  zu 
erinnern.  Sollte  die  Inschrift  aber  dennoch  antik  sein,  so  kann  es 
natürlich  nur  die  Kritzelei  eines  Beschauers,  nicht  die  Angabe 
des  Verfertigers  sein. 

^")  Wiltonhouse  no.  124  bogenbespannender  Eros  (Clarac 
650,  1495);  151  schwanzbeschauender  Satyr  (Clarac  711,  1693); 
159  sitzende  „Euterpe"  (Clarac  498  A,  790  B);  170  knieende 
Amazone  (Clarac  810  A,  2031  C).  Die  näheren  Nachweise  siehe 
demnächst  in  meinen  im  Druck  befindlichen  Ancient  Marbles 
in  Great  Brilain. 

3')  No.  87  Curtius  sich  in  den  Schlund  stürzend. 

^-)  A  Description  of  ihe  Antiquities  and  Curiosities  ia 
Wilton- House.  Salisbury  1769.  Aehnlich  schon  bei  Carey 
Creed  in  seinen  Radierungen  nach  dortigen  Antiken  (1731). 

^')  Geschichte  der  Kunst,  Dresden   1764,  1  S.  XIV. 


Archäolog.  Ztg.,   Jahrgang  X.X.WIII. 


18 


'YnOBIBA 

C.  Robert  hat  zuerst  in  deu  Annali  dell'  Insti- 
luto  (1874,  t.  T;  cf.  p.  243—46),  sodann  nach  einer 
genaueren  Zeichnung  in  der  A.  Z.  1878,  T.  22  ein 
nolanisches,  jetzt  im  berliner  Museum  befindliches 
Vasenbild  publicirt,  dem  er  nach  zwei  Seiten  hin 
eine  mehr  als  gewöhnliche  Bedeutung  vindicirt.  Mit 
feinem  Blicke  hat  er  in  dem  Bilde  eine  Darstellung 
des  vnoßißätea&ai  erkannt:  didaxTeov  ös  tov  Innov 
xat  vnoßtßäKsa&ai.  ton  de  tovxo  diiaiävta  %a 
oxilr]  eyxa&ltEiv  te  xal  xanEivovv  eavTov,  äaie 
EvTiETiüi:  avaßaivEiv  %6v  mnea:  Poll.  I,  213;  vgl. 
Xenoph.  n.  Inn.  6,  16.  Ein  zur  Linken  seines  Pferdes 
stehender  Jüngling  drückt  seinen  r.  Fuss  gegen  den 
r.  Vorderhuf  des  Pferdes,  um  dasselbe  zu  zwingen, 
dieses  Bein  gleich  dem  1.  noch  mehr  zu  strecken 
und  so  das  Aufsteigen  auf  den  erniedrigten  Rücken 
zu  erleichtern.  Sehr  passend  hat  sodann  Robert 
zur  Vergleiehung  eine  Gruppe  aus  dem  Parthenon- 
fries abbilden  lassen,  die  mit  der  ganzen  Compo- 
sition  eine  auffallende  Aehnlichkeit  hat:  eine  Aehn- 
lichkeit,  welche  noch  dadurch  gesteigert  wird,  dass 
hier  wie  auf  der  Vase  der  Jüngling  eine  auf  den 
Rücken  herabhängende  Chlamys  und  einen  Petasos 
im  Nacken  trägt.  Aus  dieser  Vergleiehung  glaubt 
nun  Robert  eine  zweifache  Folgerung  ziehen  zu 
dürfen:  erstens,  dass  hier  eines  der  seltenen  Bei- 
spiele vorliege,  in  denen  ein  Vasenbild  nach  einem 
plastischen  Vorbilde  copirt  worden  sei;  zweitens, 
da  diese  Copie  doch  nur  in  Athen  gemacht  sein 
könne,  dass  dadurch  die  athenische  Herkunft  der 
nolanischen  Vasen  eine  neue  und  entscheidende  Be- 
stätigung erhalte. 

Je  einfacher  diese  Folgerungen  erscheinen,  um 
so  gefährlicher  sind  sie  wegen  ihrer  Consequenzen, 
sofern  sie  sich  schliesslich  doch  als  trügerisch  er- 
weisen sollten. 

Die  beiden  Darstellungen  des  vnoßißdCEod^ai 
sind  nicht  die  einzigen ,  welche  wir  besitzen.  Icli 
rühme  micli  nicht  den  gesanimten  Denkmälervor- 
ratli  darauf  hin  geprüft  zu  haben,  sondern  nur  zu- 
fällig bin  ich  nach  Lesung  des  Robert'schen  Artikels 


ZE^0JI. 

auf  zwei  weitere  Beispiele  aufmerksam  geworden. 
Das  eine  findet  sich  auf  einer  Münze  von  Larissa 
in  Thessalien  aus  guter  griechischer  Zeit,  auf  der 
J.  Friedlaender  richtig  den  Jlomeut  vor  dem  Auf- 
steigen erkannt  hat  (Monatsber.  d.  berl.  Akad.  1878, 
Taf.  II,  30;  S.  453).  Das  Pferd  ist  nach  rechts  ge- 
wendet und  der  Jüngling  steht  deshalb  nicht  dies- 
seits, sondern  jenseits  d«sselben  ')•  Indem  er  das 
Pferd  mit  der  Linken  am  Zügel  hält  und  etwas  zu- 
rückgeleimt den  r.  Arm  mit  der  Reitgerte  auf  die 
Kruppe  stützt,  drückt  er  seinen  r.  Fuss  gegen  den 
1.  Vorderfuss  des  Bosses,  welches  diesen  hebt,  um 
ihn  ebenso  wie  den  r.  zu  strecken.  Der  Petasos 
oder  die  Kausia  bedeckt  hier  den  Kopf,  die  Chlamys 
hängt  über  die  Brust  und  die  1.  Schulter  herab.  — 
Die  zweite  Darstellung  ist  von  den  bisherigen  durch 
einen  weiten  Zeitraum  getrennt;  es  ist  ein  spät- 
römisches Relief  im  Louvre,  dessen  Hauptgegen- 
stand ein  Suovetaurilienopfer  bildet  (Clarac  pl.  221, 
no.  313).  Am  rechten  Ende  steht  ein  gerüsteter 
Krieger  neben  seinem  nach  links  gewendeten  Rosse; 
die  Linke  legt  er  auf  die  Mähne  oben  im  Nacken, 
den  r.  Arm  stützt  er,  etwas  zurückgelehnt,  auf  den 
Rücken,  und  mit  dem  r.  Fuss  rückt  er  die  Vorder- 
beine des  Pferdes  zurecht. 

Nach  diesen  Vergleichungen  wird  Robert  schwer- 
lich noch  an  der  Behauptung  festhalten  dürfen,  dass 
der  im  Parthenonfriese  und  dem  Vasenbilde  ge- 
wählte Moment  zu  denen  gehöre,  die  sich  nicht  so 
leicht  dem  Sinne  des  Künstlers  darbieten  und  also 
nicht  wohl  zweimal  von  einander  unabhängig  er- 
funden sein  könnten.  Es  handelt  sich  nicht  um 
ein  zufälliges,  von  einem  Künstler  individuell  beob- 
achtetes und  aus  dem  Flusse  der  Erscheinungen 
herausgehobenes  Motiv,  sondern  um  eine  typische 
oder  technische,  überall  in  der  Reitschule  eingeübte 
Stellung,  die,  von  Aeusserlichkeiten  abgesehen, 
ihrem  Wesen  nach  immer  die  gleiche  bleibt.    Eben- 

')  Um  die  Zweideutigkeit  von  „vor"  und  „hinter"  zu  ver- 
meiden, empfiehlt  sich  vielleicht  die  Bezeichnung  „diesseits"  und 
jenseits"  zu  allgemeinerem  Gebrauche. 


II.  Brunn,  'Ynnßißä^sa^ai. 


19 


so  erweist  sich  die  Bedeutung,  welche  Robert  dem 
Fehlen  einer  ritterlichen  Bewaffnung  mit  Schwert 
und  Lanze  für  die  Abhängigkeit  des  Vasenbildes 
von  dem  Friesrelief  beilegen  will,  im  Hinblick  auf 
die  thessalische  Münze  als  illusorisch:  es  handelt 
sich  eben  nicht  um  den  kriegerischen  Ausmarsch 
eines  Ritters,  sondern  einfach  um  eine  Reiterstellung. 
Bleibt  nun  auch  die  iiusserliclic  Uebereinstimmung 
in  der  übrigens  durchaus  nicht  ungewöhnliclien  An- 
ordnung von  Chlamys  und  Petasos ,  so  hat  dafür 
Robert  selbst  auf  verschieilene  feinere  Unterschiede 
in  Stellung  und  Haltung  von  Ross  und  Reiter  hin- 
gewiesen, die  sich  schliesslich  doch  weniger  aus 
einer  äuserlichen  Anbequemung  an  den  Raum  der 
Vase,  als  aus  selbständiger  Naturbeobachtung  er- 
klären. Sollte  aber  selbst  hiernach  die  Möglich- 
keit einer  Entlehnung  des  Vasenbildes  von  dem 
Friesrelief  noch  nicht  vollständig  ausgeschlossen 
sein,  so  ist  doch  sicherlich  die  Noth wendigkeit 
in  keiner  Weise  zuzugeben. 

Für  weitere  Folgerungen  darf  aber  ausserdem 
der  künstlerische  Charakter,  der  Styl  der  Zeichnung 
keineswegs  ausser  Acht  gelassen  werden.  Die 
Würdigung  desselben  wird  durch  die  Vergleichung 
eines  zweiten  in  Form  und  Technik  übereinstimmen- 
den Gefässes  erleichtert,  das  mit  dem  ersten  für 
Berlin  erworben  und  von  Robert  in  der  A.  Z.  1878, 
T.  23  publicirt  ist.  „Es  kann  kaum  zweifelhaft 
sein,  dass  wir  zwei  Producte  wahrscheinlich  des- 
selben Arbeiters,  jedenfalls  derselben  Fabrik  vor 
uns  haben."  Was  Robert  über  die  peinliche  Ge- 
nauigkeit in  der  Wiedergabe  des  Details,  über  die 
„sorgfältige,  aber  noch  etwas  unsichere,  fast  möchte 
ich  sagen  ängstliche  Hand"  bemerkt,  ist  gewiss 
richtig.  Nur  hat  Robert  versäumt,  die  einzelnen 
Beobachtungen  einem  allgemeinen  Gesichtspunkte 
unterzuordnen.  Es  fehlt  der  Zeichnung  durchaus 
der  (ich  wähle  den  Ausdruck  mit  Vorbedacht)  tekto- 
nische  Charakter,  der  sonst  den  Vasen  von  Nola 
eigen  zu  sein  pflegt;  die  Zeichnung  ist,  selbst  rein 
technisch  betrachtet,  eine  durchaus  individuelle  freie 
Ilaudzeichnung,  für  die  ich  im  Augenblick  keine 
weiteren  Vergleichungen  auf  Vasen  beizubringen  ver- 


möchte. Hat  diese  nun  aber  irgend  etwas  mit 
attischem  Charakter  gemein?  Auffällig  erscheint 
schon  die  Behandlung  von  Aeusserlichkeiten,  wie 
der  Zügel,  des  Stirnschmuckes  des  Pferdes,  der 
Stiefel,  des  Helmes  am  Krieger  der  zweiten  Vase, 
auffüllig  auch  das  Verhältniss  des  Kopfes  zum  Kör- 
per am  Jünglinge  sowohl  wie  am  Krieger;  und 
wenn  letzterer  in  seiner  ganzen  Erscheinung  etwas 
(im  antiken  Sinne)  Halbbarbarisches  hat,  so  tritt 
uns  auch  an  dem  Pferde  der  ersten  Vase  etwas 
Ungriechisches,  nemlich  ein  auffallender  Mangel  an 
Stylisirung  in  der  Zeichnung  entgegen.  Wir  haben 
e.s  mit  einer  Auffassung  der  Natur  zu  thun,  die  oft 
sehr  in's  Einzelne  geht,  aber  nicht  versteht,  dieses 
Einzelne  dem  Ganzen  unterzuordnen,  die  nicht  auf 
einem  inneren  Verständniss  der  Dinge  beruht,  sondern 
sich  mit  einer  mehr  oder  weniger  oberflächlichen 
Wiedergabe  der  äusseren  Erscheinung  begnügt. 
Fragen  wir  jetzt,  wo  wir  einer  verwandten  Kunst- 
richtung begegnen,  so  brauchen  wir  uns  nicht  weit 
von  dem  Fundorte  der  beiden  Vasen  zu  entfernen. 
Wir  finden  sie  in  den  unteritalischen,  namentlich 
lucanischen  Grabgemälden,  von  denen  hier  nur 
die  pästanischen  in  den  Mon.  d.  Inst.  VIII,  t.  21 
und  im  Bull.  nap.  N.  S.  IV,  t.  4 — 7  citirt  werden 
mögen.  Technik  und  Vortragsweise  bedingen  natür- 
lich manche  Verschiedenheiten  im  Einzelnen;  aber 
in  der  Grundauffassung  zeigt  sich  die  grösste  Ueber- 
einstimmung. 

Was  Thon  und  Firniss,  das  Technische  des 
Töpferhandwerks  anlangt,  unterscheiden  sich  die 
beiden  Vasen,  so  weit  ich  sehe,  durchaus  nicht  von 
andern  nolanischer  Herkunft;  ja  auf  der  Rückseite 
fällt  der  Maler,  so  zu  sagen,  ganz  aus  seiner  Rolle 
und  zeichnet  seine  Figuren  in  der  gewöhnlichsten, 
conventionellsten  Manier.  Handelt  es  sich  also  hier 
um  einheimisches  Fabrikat,  so  erhält  dadurch  die 
Hypothese  vom  athenischen  Ursprünge  der  nola- 
nischen  Vasen  überhaupt  keine  Bestätigung,  sondern 
erscheint  vielmehr  den  gewichtigsten  Zweifeln  unter- 
worfen. 

H.  Brunn. 


20 


DAS  BILDNISS  DES  SENECA. 


(Tafel  5.) 


Zu  Anfang  dieses  Jahrhunderts  befand  sich  die 
Villa  Mattei  zu  Rom  im  Besitz  des  bekannten 
spanischen  Staatsmanns  D.  Manuel  de  Godoy, 
Herzog  von  Alcudia  und  Principe  de  laPaz,  durch  den 
Pabst  auch  Fürst  von  Posserano.  Als  mau  im  Jahr 
1813  auf  dem  Terrain  der  Villa  die  Fundamente  zu 
einem  Keubau  (einer  stufd)  legte,  fand  sich,  unweit 
der  Tribüne  der  Kirche  Santa  Maria  in  Domnica, 
die  durch  die  erhaltenen  Aufschriften  unzweideutig 
bezeichnete  Doppelbüste  des  Seneca  und  Sokrates. 
Sie  ist  seitdem  in  andern  Besitz,  schliesslich  iu  den 
unseres  Museums  übergegangen  (no.  419a)  und  wird 
auf  Tafel  5  in  einem  wohlgelungenen  Lichtdruck 
mitgetheilt,  welcher  den  Seneca  iu  der  (grösseren) 
Vorderansicht  und  im  Profil  nach  links,  den  Sokrates 
nur  im  Profil  nach  rechts  giebt.  Einige  Jahre  nach 
dem  Funde,  welcher  damals  sogleich  das  verdiente 
Aufsehen  machte,  nachher  aber  wieder  in  Vergessen- 
heit gerathen  zu  sein  scheint,  publicierte  ihn  der 
römische  Antiquar  Lorenzo  ße  iu  einer  eigenen 
dem  Fürsten  gewidmeten  Monographie  mit  drei  sorg- 
fältigen von  P.  Fontana  gestochenen  Tafeln'). 
Danach  hat  Ennio  Quirino  Visconti  noch  nach- 
träglich einen  kleinen  Umrissstich  des  Senecakopfes 
in  eine  der  Tafeln  seiner  römischen  Ikonographie 
einfügen  lassen,  obgleich  er  in  demselben  Werke 
vorher  die  noch  von  ihm  mit  Unrecht  für  Seneca 
gehaltene  Erzbüste  aus  Herculaneum  abgebildet 
und  erläutert  hatte ").  Seit  sechzig  Jahren  also 
konnte  man  schon  wissen,  dass  jener  sonderbare 
Kopf  den  Seneca  sicherlich  nicht  darstelle;  wen  er 
darstelle,  ob  den  Philetas  oder  den  Kallimachos, 
wie  neuerdings  vermuthet  worden  ist,  oder  irgend 

')  Lorenzo  Re,  Seneca  e  Socrate,  erma  bicipile  trovalo 
da  S.  A.  S.  il  Principe  della  Face  nelle  scavazioni  della  sua 
Villa  Celimonlana  yiu  Mntlei  u.  s.  w.     Uoin   1816  fol. 

-')  E.  Q.  Visconti  iconographie  romaine  Paris  1817  fol. 
Taf.  16,  5.  Die  falsche  Senecabüste  ist  auf  Taf.  14  abgebildet. 
Im  Text  dazu  (Bd.  I  S.  284  fF.)  ist  die  spUtere  Zutbat  nicht  mehr 
erwähnt  worden;  auch  in  der  Fortsetzung  des  Werkes  von 
Mongez  finde  ich  nichts  darüber  bemerkt. 


einen  Philosophen,  vielleicht  einen  Epikureer  '),  ist 
bisher  nicht  zu  ermitteln  gewesen. 

Die  Büste  unseres  Museums  (aus  einem  weissen, 
nicht  ganz  reinen  Marmor)  zeigt  folgende  Ergän- 
zungen : 

1)  am  Kopf  des  Seneca  die  Nase  mit  dem  dar- 
über befindlichen  Tlieile  der  unteren  Stirn,  die 
linke  Hälfte  des  linken  Auges  oben  mit  der  Braue 
und  einem  Theile  der  Schläfe,  unten  bis  über  das 
Lid  hinaus,  die  Höhe  des  linken  Backenknochens. 

2)  am  Kopf  des  Sokrates  ein  Theil  der  Nase, 
ein  Stück  des  Bartes  der  Oberlippe. 

Die  Höhe  der  Senecabüste  beträgt  27  Cm.;  die 
Köpfe  sind  also  etwas  unter  Lebensgrösse  dar- 
gestellt. 

Unzweifelhaft  acht  sind  die  beiden  Aufschriften, 
von  denen  der  Name  des  Seneca  auf  unserer  Tafel 
in  hinreichender  Deutlichkeit  erscheint,  der  des  So- 
krates iu  folgendem  Facsimile   (in   Originalgrösse) 


CUJ 


>THC 


besonders  gegeben  wird.  Die  Schriftzeichen  der 
ersteren  sind  nicht  zahlreich  genug  und  nicht  hin- 
reichend charakteristisch,  um  eine  einigermassen 
sichere  Datierung  nach  ihren  Formen  zu  gestatten. 
Es  steht  jedoch,  soweit  ich  urtheilen  kann,  durch- 
aus nichts  im  Wege,   sie   als  der  Zeit  des  Seneca 

')  Nur  nicht  etwa  den  Römer  Calijurnius  Piso,  den  mutb- 
masslichen  Besitzer  jener  herculanensischen  Villa  und  den  Freund 
des  Eiiicureers  Phllodemos,  wie  neuerdings  Comparetti  höchst 
unglücklich  vermuthet  hat  in  der  in  diesem  Jahre  erschienenen 
pompeianischen  Festschrift  (Fompei  e  la  reginne  sotlerranea  del 
Vesuvio  nelV  anno  LXXIX  u.  s.  w.  Neapel  1879  8.).  Denn 
wie  die  vornehmen  Senatoren  jener  Zeit,  wie  Caesar,  Cicero,  der 
Triumvir  Antonius  u.  s.  w.  aussahen,  wissen  wir  genau  aus  gleich- 
zeitigen Büsten  und  Münzen.  Dass  keiner  von  ihnen,  auch 
nicht  die  Männer  von  philosophischen  Neigungen,  so  ungekämmt 
und  unrasiert,  so  naturalistisch  nonchalant  umhergegangen  sind, 
wie  der  Träger  jenes  originellen  Kopfes,  bedarf  keines  Nach- 
weises. 


E.  Hübner,  Seneca. 


21 


selbst  oder  der  nächsten  Folgezeit  nach  ihm,  und 
zwar  noch  etwa  dem  dritten  Viertel  des  ersten  Jahr- 
hunderts unserer  Zeitrechnung,  zuzuweisen.  Auch 
die  nicht  mehr  vollständig  erhaltenen  griechischen 
Buchstaben  im  Namen  des  Sokrates  widersprechen 
diesem  Ansatz  nicht. 

Im  übrigen  spricht  die  Bttste  für  sich  selbst.  Sie 
ist  nicht  eine  l)is  in  das  Detail  mit  gleiclier  Sorg- 
falt durchgeführte  Arbeit  und  nicht  die  Arbeit  eines 
Meisters  vom  ersten  Rang,  aber  sie  ist  virtuos  und  in 
breiter  Behandlung  nach  einem  offenbar  sehr  ähn- 
lichen und  lebendigen  Original  hergestellt  und  zeigt 
in  dieser  Lebendigkeit  der  Auflassung  noch  deutlich 
ihre  wenn  auch  nur  mittelbare  Abhängigkeit  von 
der  Natur.  Leider  ist  die  Nase  neu,  was  besonders 
der  Profilausicht  schadet.  Aber  der  wohlgeformte 
Schädel,  welchem  oben  das  Haar  ganz  fehlt,  während 
es  an  den  Seiten  nach  der  Mode  der  Zeit  kurz  ge- 
schoren ist  und  glatt  anliegt,  die  gefurchte  Stirn, 
die  lebendig  blickenden,  auffällig  ungleichen  Augen 
mit  den  hochgezogenen  Brauen,  der  kleine  Mund 
mit  dem  Doppelkinn,  die  fleischigen  Wangen  und 
der  kurze  und  fette  Hals  auf  breiten  Schultern  geben 
das  Bild  einer  Individualität,  wie  man  sie  noch  heut 
unter  den  wohlgenälirten,  intelligenten  und  jovialen 
Sechzigern  in  Italien,  dem  südlichen  Frankreich, 
Spanien  u.  s.  w.  vielfach  antrifft  *).  Der  Zug  des 
in  sich  gekehrten  Denkers  tritt  offenbar  zurück 
gegen  die  kluge,  weltgewandte  und  von  leichter 
Beredsamkeit  überfliessende  Beobachtungsgabe  des 
hochgestellten  Staatsmannes,  Redners,  Schriftstellers, 
Dichters,  der  seinen  Philosophennamen  fast  mehr 
noch  der  litterarischen  Unterscheidung  von  dem 
gleichnamigen  älteren  Rhetor,  seinem  Vater,  als 
seiner  breiten  populär-philosophischen  Schriftstellerei 
verdankt.  Die  Entblüssung  der  rechten  Schulter 
—  wenn  anders  dem  nur  leicht  auf  der  linken 
angedeuteten  Stück  der  Toga  ein  beabsichtigter 
Sinn  untergelegt  werden  darf  —  deutet  vielleicht 
die    Tracht    des     Redners    und     Philosophen    an, 

*)  Die  Worte  des  Tacitus  bei  der  Schilderung  seines  Todes 
(Ännalen  XV  63  senile  corpus  et  j)arco  v  ictu  tenuatum 
lenta  eß'ugia  sanguini  ]>raebebal)  widersiirechen  dem  nicht.  Der 
starke  Hals  ist  vielmehr  ein  natürlicher  Kest  früherer  Wohlge- 
nährtheit. 


welche  dem  griechischen  Brauch  folgte.  Allein  die 
psychologische  Charakteristik  des  Kopfes,  welche 
ja  ohnehin  an  sich  immer  eine  ziemlich  subjective 
ist,  kann  den  Interpreten  des  Seneca  überlassen 
bleiben,  welche  die  nächste  Cabinetausgabe  des 
Dichters,  falls  ein  Bedürfniss  danach  sich  fühlbar 
machen  sollte,  nun  mit  einem  authentischen  Bild- 
nisse desselben  zieren  können. 

Der  Sokrateskopf,  an  welchem  die  Nasenspitze 
leichter  zu  ergänzen  war  als  die  Nase  des  Seneca, 
erfüllt  seinen  nächsten  Zweck,  den  unverkennbarer 
Deutlichkeit,  und  damit  auch  den  weiteren,  durch 
seine  Zusammenstellung  mit  demjenigen  des  Seneca 
für  diesen  ein  Compliment  zu  sein.  Wie  er  sich 
zu  den  übrigen  zahlreichen  Repliken  verhält,  unter- 
lasse ich  hier  zu  untersuchen;  eine  erschöpfende 
Monographie  über  die  Sokratesbildnisse  giebt  es 
meines  Wissens  bis  jetzt  nicht.  Ob  wegen  der  Aehu- 
lichkcit  des  unnatürlichen  Lebensendes  Seneca  be- 
reits von  seinen  Zeitgenossen  ein  römischer  Sokrates 
genannt  worden  ist,  vermag  ich  nicht  zu  sagen  ^). 
Allein  die  berühmte  Schilderung  seines  Todes  bei 
Tacitus,  wonach  er  schon  längst  das  attische  Schier- 
lingsgift für  alle  Fälle  bereit  gehalten  und  zuletzt 
aucli  wirklich,  obgleich  ohne  tödlichen  Erfolg,  noch 
genommen  hat^),  lassen,  wie  die  Ausleger  längst 
l)emerkt  haben,  keinen  Zweifel  darüber,  dass  er 
selbst  damit  die  Parallele  mit  Sokrates  „nicht  ohne 
eine  gewisse  Coquetterie"  (nach  Nipperdey)  be- 
absichtigte. 

Unter  den  von  mir  in  den  Jahren  1860  und 
1861  in  Spanien  und  Portugal  gesammelten  Siegel- 
abdrücken antiker  geschnittener  Steine  und  Glas- 
pasten befindet  sich  einer,  dessen  ich  mich  bei  der 
Betrachtung  der  Senecabüste  sofort  erinnerte,  ob- 
gleich ich  ihn  seit  mindestens  sechzehn  Jahren  nicht 

*)  Welcker,  welcher  auf  die  bedeutungsvolle  Beziehung  der 
Köpfe  historischer  Doppelhermen  zu  verweisen  nicht  unterlassen 
hat  (in  dem  bekannten  Aufsatz  über  Aristophanes  und  Menandcr, 
alte  Denkmäler  V  S.  40f.),   hebt  diesen  Umstand   nicht  hervor. 

*)  Annalen  XV  64  Seneca  interim,  durante  iractu  et  lenli- 
tudine  mortis,  Statium  Annaeum,  diu  sihi  amicitiae  fide  et 
arte  mcdieinae  jnohatuni,  oral,  provisum  pridem  venenum,  quo 
dnmnati  publica  Atheniensium  iudicio  extingucrentur,  promeret ; 
iidlatumqtte  hausit  fruatra,  frigidus  iam  artus  et  cluso  corpore 
adversus  vim  veneni.     Worauf  er  dann  im  warmen  Bade  stirbt. 


22 


E.  Petersen,  Kunstgeschichtliche  Miscellen. 


wieder  vor  Augen  gehabt  hatte.  Es  ist  ein  Carneol 
von  sehr  schöner  Arbeit  und,  wie  mir  schien,  un- 
zweifelhafter Echtheit;  er  befand  sich  damals  im  Be- 
sitz eines  höheren  Beamten,  Don  Luis  Benite,  in 
Lora  del  Rio,  dem  alten  Axati '),  und  soll  daselbst  an- 
geblich auch  gefunden  worden  sein.  Auf  dergleichen 
Fundnotizen  ist  besonders  bei  so  kleinen  Denk- 
mälern natürlich  nicht  viel  zu  geben;  ich  lege  daher 
kein  Gewicht  darauf,  dass  gerade  in  den  nächsten 
Umgebungen  der  Heimat  von  Seneca's  Familie,  Cor- 
duba,  der  Stein  sich  befand.  Wo  er  sich  augen- 
blicklich befindet,  weiss  ich  nicht;  allein  mein 
Siegelabdruck,  obgleich  mit  dem  ersten  besten  Lack 
hergestellt,  aber  sehr  wohl  erhalten,  hat  ausgereicht, 
die  am  Schluss  dieser  Mittheilung  in  Zincotypie  auf 
die  Grösse  des  Originals  verkleinerte  Abbildung 
herzustellen  *).  Nicht  bloss  nach  meinem  eigenen  Ur- 
theil,  dem  ich  in  solchem  Fall  allein  nicht  völlig 
trauen  würde,  sondern  nach  dem  einer  Anzahl  ein- 

')  C.  I.  L.  II  S.  137.  Lora  liegt  am  Guadalquivir  zwischen 
Cordova  und  Sevilla. 

8,  Sie  ist  von  Professor  Bürkner  mit  Zugrundelegung  einer 
den  Abdruck  um  die  Hälfte  vergrössernden  Photographie  auf 
das  Sorgfältigste  ausgeführt. 


sichtiger  und  kunstgeübter  Freunde,  welchen  ich 
den  Abdruck  oder  die  Zeichnung  vorlegen  konnte, 
findet  eine  unverkennbare  Uebereinstimmung  in  den 
charakteristischen  Formen  zwischen  dem  Stein  und 
der  Büste  des  Seneca  statt.  Die  Nase  freilich 
weicht  ab:  aber  sie  ist  ja  in  der  Büste  ergänzt, 
und  verstärkt  daher  gewissermassen  die  Authenti- 
cität  des  Steines.  Allein  ob  derselbe  wirklich  den 
Seneca  darstellt,  oder  eine  andere  ähnliche  Indivi- 
dualität, wie  sie  ja  sicher  zu  allen  Zeiten  vorge- 
kommen sind,  wird  sich,  da  die  Namensbeischrift 
fehlt,  niemals  mit  völliger  Sicherheit  entscheiden 
lassen.  Wohl  aber  schien  es  der  Mühe  werth,  dies 
kleine  Werk  antiker  Glyptik  zur  Vergleichung  mit 
unserer  Senecabüste  der  Publication  derselben  als 
ein  vielleicht  nicht  unerwünschtes  Corollarium  bei- 
zufügen. 


E.  Hübner. 


KÜNSTGESCHICHTLICHE  MISCELLEN. 


1.     DER  APOLLON  MIT  DEM  HIRSCH  VON 
KANACHOS. 

Canachus  Apollinem  nudum  qui  Philesius  cognomi- 
natur  in  Didymaeo  Aeginetica  aeris  temperalura,  cer- 
vumque  una')  ita  vestigiis  suspendil,  ul  linum  subter 
pedes  trahalur^),  alterno  niorsu  calce  digilisque  reti- 
nentibus  solum,  ita  vertebrato  dente  utrisque  in  par- 
tibus,  ul  a  repulsu  per  vices  resiliat. 

Also  lautet  die  Beschreibung  des  Apollobildes  im 
Didymaeum  von  Kanachos  bei  Plinius  n.  h.  34,  75, 
eine  Beschreibung,  die  man  bisher  nicht  recht  ver- 
standen   hat.      Gegen    corvum,    welches  0.  Müller 

')  una  im  Bambcrgensis  fehlend  ist  wohl  ausgefallen;  weder 
Tilgung  noch  Aendcrung  rathsam. 

')  cod.  B   inlitum  und  traimntur. 


'Ueber  den  Apollo  des  Kanachos'  vorzog,  machte 
Soldan  in  der  Zeitschrift  für  die  Alterthumswissen- 
schaft  1841  n.  70  treffende  Einwendungen;  die  Aen- 
dcrung hätte  nichts  für,  alles  wider  sich.  Ob  die 
Erklärungsversuche,  welche  Soldan  daselbst  er- 
wähnt, je  bekannt  gemacht  sind,  weiss  ich  nicht. 
Müller's  Bezeichnung  des  Hirsches  als  eines  auto- 
matischen hat  man  meistens  beibehalten ,  und  die 
Beschreibung  des  Plinius  weniger  mit  den  milesi- 
schen  Münzen  in  Einklang  gefunden,  die  den  Gott 
in  alterthUmlicher  Stellung  mit  dem  liegenden  oder 
stehenden  Hirsch  auf  der  vorgehaltenen  Rechten 
zeigen,  als  mit  einer  Gemme,  welche  nach  Miliin 
Pierres  gravees  G  in  Muller-Wieseler's  Denkmälern 
alter  Kunst  1,  61  abgebildet  ist  und  den  Gott  ein  Vor- 


E.  Petersen,  Kunstgeschichtliche  Miscellen. 


23 


derbein  des  aufgerichteten  Hirsches  in  der  Rechten 
lialtend  darstellt.  So  von  Jan  in  der  Jenaischen 
Literatur- Zeitung  1838  n.  32,  Welckcr  zu  Müllers 
Arc'liäologie  86,  so  auch  Urlichs  in  der  Chresto- 
mathia  Pliuiana  und  neuerdings  der  Herausgeber 
dieser  Zeitschrift  1879,  S.  90.  Dann  wird  man,  wie 
sowohl  an  der  letzt  angeführten  Stelle  als  von 
Muller  in  der  Archäologie  86  ausgesiirochen  ist, 
zu  der  Annahme  gedrängt:  Plinius  habe  statt  des 
Tenipelbildes  ein  andres  Werk  beschrieben.  Ehe 
man  zu  einem  so  bedenkliclien  Ausweg  sich  wandte, 
hätte  sich's  wohl  verlohnt,  die  Worte  des  Plinius  noch 
einmal  genauer  zu  prüfen. 

Dass  zunächst  von  einem  Automaten  keine  Rede 
sein  kann,  ist  gewiss :  man  müsste  denn  etwa  auch 
einen  Thürgriff  ein  Automat  nennen  wollen.  Denn 
der  Hirsch  bewegte  sich  ja  nur,  wenn  man  einen 
Faden  unter  seinen  Füssen  durchzog,  also  durcli 
die  Hände  dessen  der  jenes  Experiment  machte, 
das  gewiss  recht  nacli  dem  Gescbmacke  der  gewöhn- 
lichen Reisenden  war.  Ein  'mechanisches  Kunst- 
stück' mag  mau  es  nennen,  wie  es  ähnliche  auch 
aus  neueren  Zeiten  giebt.  So  erinnere  ich  mich 
durch  eine  einflügelige  Thür  gegangen  zu  sein,  die 
auf  jeder  Seite  in  den  Angeln  hing,  aber  auch  auf 
jeder  Seite  sich  öffnen  Hess,  weil  das  Gehänge  die 
Angel  nur  zur  Hälfte  uuifasste  und  zwar  so,  dass 
es  nur  in  der  Kreislinie,  deren  Mittelpunkt  die 
andere  Angel  bildete,  losliess.  Was  bei  der  Thür 
das  zweifache  Gehänge,  war  bei  dem  Hirsch  der 
doppelte  dens  (nirisque  in  parlibus),  beide  noth- 
weudig  in  der  Linie  eines  Kreisbogens  gerichtet 
und  zwischen  ihren  Spitzen  einen  Zwischenraum 
lassend,  der  geringer  war  als  die  Entfernung  zwi- 
schen den  beiden  Löchern  oder  Scheiden  der  Basis, 
in  welchen  die  beiden  Zähne  abwechselnd  aus-  und 
einfahren  konnten.  Bei  gewöhnlichem  Ruhestand 
griff  freilich  jeder  Zahn  ein,  doch  mit  soviel  Spiel- 
raum, dass  jeder,  d.  h.  einer  um  den  andern  aus 
der  Scheide  gezogen  werden  konnte,  wobei  denn 
aber  der  andere  gleiclizeitig  um  so  tiefer  eingriff'. 
In  diesem  Falle,  wie  bei  dem  von  Plinius  beschrie- 
benen Experiment,  fand  also  ein  al)wechselndes  Ein- 
greifen   beider    Zähne,    ein    alternus   morsus   statt. 


Wenn  demnacli  der  dens  verlehratus  heisst,  so  ist 
bei  diesem  Vergleich  offenbar  nicht  sowohl  die  Mög- 
lichkeit seines  völligen  Austritts  aus  der  Scheide  ^ 
als  vielmehr  seine  Beweglichkeit  in  der  Scheide 
ins  Auge  gefasst.  Klar  ist  ferner,  schon  durch  per 
vices,  dass  mit  repulsus  und  resilial  die  beiden  wech- 
selnden Functionen  jedes  Zahnes  bezeichnet  sind; 
und  zwar  liedeutet  repiilsus  wie  11,  164:  haec  (gin- 
giva  der  Sclilange)  eodeni  praegnans  veneno  impresso 
denlium  repulsu  virus  fundil  in  morsus  das  völlige 
Eindringen,  eigentlich  das  Aufstossen  des  Zahnes, 
wenn  auch  bei  dem  Hirscli  wohl  nicht  die  Spitze 
des  Zahnes  auf  den  Boden  der  Scheide,  sondern 
vielmehr  die  Wurzel  auf  den  Rand  der  Scheide 
aufstiess.  Die  nach  und  von  dem  Aufstossen  plötz- 
lich eintretende  Gegenbewegung  ist  treffend  mit 
resilire  (a  repulsu)  bezeichnet,  wie  2,  39  das  rasche 
Aufziehen  des  Honigfadens  nachdem  der  Tropfen, 
welcher  ihn  hinabzog,  sich  losgerissen,  oder  2,  103 
der  Rückprall  der  von  oben  auf  die  Erde  nieder- 
fahrenden Strahlen:  iidem  infracti  resiliunl.  Was 
haben  wir  nun  aber  unter  ulrisque  parlibus^  in  denen 
der  doppelte  Zahn  eingelenkt  ist,  zu  denken?  Natür- 
lich was  vorher  mit  calce  digilisque  bezeichnet  ist. 
Darunter  versteht  man  Theile  der  Hirschfüsse.  Nur 
Soldan,  obgleich  er  zu  beweisen  suchte,  dass  digiti 
so  verstanden  werden  können,  fügte  hinzu,  es 
möchten  doch  eher  die  digiti  des  Apollon  sein;  als 
ob  beide  Theile  verschiedenen  Wesen  zugehören 
könnten.  Es  können  aber  vielmehr  beide  nicht 
von  dem  Hirsch  verstanden  werden.  Denn  erstens, 
um  den  schwächsten  Grund  voranzustellen,  dürfte 
es  technisch  richtiger  sein,  dass  die  Zähne  an  den 
Füssen  des  Hirsches,  als  dem  feineren  Theil,  die 
Scheiden  dagegen  in  der  wie  auch  immer  beschaf- 
fenen Basis,  als  dem  grösseren  Theile  sich  befan- 
den, so  dass  bei  calx  und  digili  an  die  Basis  des 
Thieres  zu  denken  wäre,  nicht  an  Theile  des  Thieres 
selbst.  Zweitens  sehe  ich  nicht,  wie  das  singula- 
rische calce  neben  dem  pluralischen  digitis  von  mehr 
als  einem  Fusse  gesagt  sein  könnte,  wie  es  doch 
müsste,  wenn  es  Theile  des  Hirsches  wären.  — 
Drittens  finde  ich  niclit,  dass  Zweihufern  digili 
beigelegt  werden.     Soldan  meinte,  es  sei  dasselbe, 


24 


E.  Petersen,  Kunstgeschichtliche  Miscellen. 


wie  wenn  Varro  r.  r.  2,  9  von  digili  eines  Hundes 
rede.  Doch  man  vergleiche,  wie  Varro  den  Hund 
wie  er  sein  soll  beschreibt  pedibtis  magnis  et  allis, 
qiti  ingredienli  ei  displodanliir :  digitis  discretis,  iin- 
guibus  duris  ac  curvis  und  wie  die  Rinder  2,  5 
pedibus  non  latis,  neque  ingredietUibus  qui  displo- 
dantur  nee  cums  ungulae  d'waricenl.  Das  stimmt 
genau  mit  der  Bezeichnung  des  Aristoteles,  welcher 
bei  den  nolvaxiöfj  wohl  von  öäxTvlni  spricht,  von 
nevTEÖäxTvloi  wie  von  zeTQaöäxTvloi  nööeg,  den 
diay,iörj  aber  XV^^^  ^^^^^  '^^^'  ^cixTvloi  (und  ovvxeg) 
giebt,  und  dem  entsprechend  die  übrigen  Vögel  zwar 
TSTQadaxTvXoi ,  den  Strauss  aber  dL%rjl6g  nennt. 
Dass  die  neuere  Zoologie  mehr  entwickelungsge- 
schichtlich  als  anschaulich  auch  den  Fuss  der  Zwei- 
hufer zweizehig  nennt,  kann  nicht  entscheiden. 
Viertens  würde  aber,  auch  wenn  man  eine  dieser 
modernen  entsprechende  Bezeichnung  bei  Plinius 
oder  sonst  einem  alten  Schriftsteller  nachweisen 
könnte,  dies  doch  für  unsere  Stelle  nicht  passen. 
Denn  damit  ein  Faden  unter  den  Füssen  des  Hir- 
sches durchgezogen  werden  könnte,  wäre  es  offen- 
bar erforderlich,  dass  ein  Fuss  um  den  andern  oder 
je  zwei  um  zwei  von  der  Basis  sich  lösten  und 
wieder  sich  anfügten,  nicht,  dass  einzelne  Theile 
eines  Fusses  (oder  mehrerer  Füsse)  wechselnd  sich 
lösten  und  befestigten. 

Freilich  wenn  man  sich  die  Statue  nach  der 
Gemme  vorstellte,  obgleich  in  den  Worten  des  Pli- 
nius nichts,  auch  nicht  das  vestigiis  snspendit  eine 
solche  Vorstellung  erzwingt  oder  auch  nur  nahe- 
legt, wenn  also  der  Hirsch  nur  mit  den  Hinter- 
füssen  auf  dem  Boden  stand,  so  würde  durch  wech- 
selndes Ein-  und  Ausgreifen  eines  Zapfens  an  Fersen 
(calce  für  calcibtis)  und  Zehen  (jenen  Gebrauch 
von  digiti  bei  Zweihufern  zugestanden)  das  Experi- 
ment möglich  sein.  Aber  welchen  Witz  hätte  es 
nun  noch  gehabt?  Konnte  der  Witz  augenschein- 
lich nur  darin  bestehen,  dass  der  Hirsch  an  allen 
einzelnen  Punkten  von  seiner  Basis  abzulösen  war 
und  doch  untrennbar  von  ilir  blieb,  so  musste  doch 
ausser  der  Lösung  der  Ilinterfüsse  vom  Boden  noch 
diejenige  der  Vordcrfüsse  oder  des  einen  derselben 
aus  der  Hand  des  Gottes  erwähnt  werden.    Davon 


aber  sagt  Plinius  nichts,  ja  seine  Worte  schliessen 
dies  aus.  Angenommen  aber  einmal,  dass  auch  die 
Vorderfüsse  lösbar  waren,  so  leuchtet  sofort  ein, 
dass  dann  an  den  Hinterfüssen  nicht  ein  doppelter, 
zu  wechselnder  Function  eingerichteter  Zapfen  son- 
dern ein  einfacher  angebracht  sein  musste,  es  leuchtet 
ein,  dass  nicht  an  calx  und  digili  sondern  an  Vor- 
der- und  Hinterfüssen  der  doppelte  dens  sich  be- 
finden musste.  Ist  es  unzweifelhaft,  dass  calx  und 
digiti  die  einzigen  Berührungspunkte  von  Hirsch  und 
Basis  waren,  so  folgt  mit  absoluter  Nothwendigkeit, 
dass  dies  nicht  Theile  des  Hirsches  sein  können. 
Bleibt  also  nur  an  die  Hand  des  Gottes  zu  denken, 
die  auf  den  MUnzbildern  in  der  Tliat  das  Thier 
trägt.  Freilich  kann  ich  nun  auch  nicht  die  Ueber- 
tragung  von  calx  auf  einen  Theil  der  Hand  in  an- 
deren Schriftstellen  nachweisen.  Im  Grunde  ist 
aber  doch  diese  Uebertragung  ganz  analog  der- 
jenigen von  digiti  auf  den  Fuss.  Dass  diese  so 
häufig,  ja  regelmässig  ist,  jene  vereinzelt  steht,  er- 
klärt sich  vielleicht  daraus,  dass  die  Zehen  so  viel 
häufiger  zur  Geltung  und  Erwähnung  gelangen  als 
der  der  Ferse  entsprechende  Theil  der  Hand.  In 
unserem  Falle  musste  freilich  eben  dieser  Theil  die 
Hinterfüsse  tragen,  wie  die  Finger  (niclitblos  einer) 
die  Vorderfüsse,  wenn  der  Hirsch  nicht  allzu  klein 
sein  sollte.  Von  selbst  versteht  sich,  dass  solum 
Adverb  ist:  weder  sola  noch  solis  liess  sich  füglich 
sagen,  und  das  Adverb  statt  des  Adjectivs  ist  ja 
nicht  selten.  Passend  wird  die  nur  noch  partielle 
Befestigung  betont,  und  passend  scheint  mir  nun 
auch,  dass  da  wo  es  sich  um  Ablösung  des  Hir- 
sches von  der  Basis  handelt  nicht  dieser  die  Basis, 
sondern  die  Basis  den  Hirsch  festhaltend  genannt 
wird.  Der  Hirsch  als  Objekt  ist  aus  dem  Vorher- 
gehenden zu  entnehmen,  und  ob  pedes  und  vestigia 
von  denselben  oder  verschiedenen  Füssen  zu  ver- 
stehen sei,  bleibt  nicht  mehr  unklar.  Am  natür- 
lichsten werden  wir  aus  den  Worten  des  Plinius 
den  Hirsch  nicht  liegend  sondern  stehend  auf  der 
Hand  denken,  womit  die  von  Fränkel  Taf.  7  publi- 
cirten  Münzen  übereinzustimmen  scheinen.  Dass  er 
auf  der  Hand  stand,  ist  in  diesem  Zusammenhange 
mit  calce  digilisque  gesagt,  allerdings,  wie  die  Er- 


E.  Peterseu,  Kunstgeschichtliche  Miscelleo. 


25 


falirung  gelehrt,  nicht  mit  ausreichender  Deutlich- 
keit; dass  die  Hand  vorgestreckt  war,  werden  wir 
nun  aus  nestigiis  suspetidit  entnehmen,  da  suspendere 
so  häufig  nicht  ein  von  oben  herabhängendes  son- 
dern von  unten  getragenes,  nur  nicht  direct  und 
massiv  unterstütztes  bezeichnet.  Ob  in  unserem 
Fall  auch  die  lösliche  Verbindung  mit  der  halb- 
schwebenden Basis,  der  Hand,  zur  Wahl  des  Wortes 
mitgewirkt,  muss  dahingestellt  bleiben. 

Schliesslich  kann  ich  eine  Frage  niclit  unter- 
drücken, die  zu  beantworten  mir  unmöglich,  ob  näm- 
lich die  Millinsche  Gemme  antik  ist,  oder  vielmehr 
ein  moderner  luterpretationsversuch  der  Plinius- 
stelle.  Dass  der  von  Pausanias  10,  13,  3  beschrie- 
bene Apollon  og  ellrj^i^Evog  iarl  z^g  släcpov  nicht 
nothweudig,  ja  kaum  wahrscheinlich  auf  eine  der 
Gemme  ähnliche  Vorstellung  führe,  von  der  auch 
alterthümliche  Darstellungen  der  ihr  Thier  nach 
sich  ziehenden  Götter  durchaus  verschieden  sind, 
braucht  kaum  gesagt  zu  werden. 

2.     DER  SATYR  VON  MYRON. 

Der  Lateranische  Satyr  war  in  Benndorf  und 
Schöne's  Beschreibung  jener  Sammlung  als  tanzend 
gefasst.  Das  war  jedenfalls  weit  besser  geurtheilt, 
als  wenn  Stepliani  ihn  für  einen  trunken  taumeln- 
den hielt;  unrichtig  aber  war  es  aus  jener  Auf- 
fassung einen  Einwurf  gegen  Bruuu's  Zurückführung 
der  Statue  auf  das  von  Plinius  34,  57  beschriebene 
Werk  zu  entnehmen,  da  jene  Bemerkung  der  Mei- 
nung Brunn's  vielmehr  zur  Bestätigung  dienen  kann 
und  dem  Werke  des  Myron  nur  den  Reiz  grösserer 
Lebendigkeit  und  geistvollerer  Conception  zu  ver- 
leihen geeignet  ist. 

Kaum  bat  der  Satyr  die  Töne  des  neuen  Instru- 
mentes zum  ersten  Male  vernommen,  so  wird  er 
flugs  von  Neugier  und  Verlangen  zur  Stelle  ge- 
trieben, aber  ohnehin  schon  zu  tauzen  und  springen 
stets  geneigt,  kann  er  jetzt,  von  jenen  Tönen  und 
Rhythmen  ergrifi'en,  nicht  anders  als  in  gar  künst- 
lichen Sätzen  herbeikommen.  Den  Blick  starr  auf 
den  Punkt,  wo  die  ihn  entzückenden  und  seine  Be- 
gier reizenden  Flöten  zu  denken  sind,  gerichtet, 
stellt  er  ganz  den  salynim   admirantem  tibias  dar. 

Archüul.jg.  Ztg.   Jiihrgant'  XXXVIII. 


Aber  nothwendig  wird  jetzt  auch  zur  Ergänzung 
und  Klärung  der  Situation  die  Anwesenheit  der- 
jenigen, welche  die  Flöten  eben  vorher  noch  hatte 
tönen  machen,  und  die  Plinius  in  der  That  daneben 
nennt  et  Minercam.  Dass  dieselbe  nicht  ein  Werk 
für  sich  war,  verräth  die  alphabetische  Ordnung 
der  ohne  Localangabe  aufgezählten  Werke;  und 
mochte  man  aus  dem  vor  Minervam  jedes  neue 
Werk  anknüpfenden  et  allerdings  auch  in  der  Mi- 
nerva ein  solches  zu  erkennen  geneigt  sein,  so 
führte  andererseits  das  nach  Minerva  eintretende 
Asyndeton  darauf,  die  Minerva  mit  dem  Satyr  zu 
verbinden.  Keine  Verbesserung  war  es  Minervam 
als  zweites  Objekt  zu  adimratitem  zu  ziehen,  da  der 
Satyr  nicht  wohl  gleichzeitig  die  Göttin  und  die 
Flöten  anstarren  konnte,  ausser  wenn  jene  noch 
blasend  dargestellt  war,  oder  wenn  man,  wie  kürz- 
lich geschehen,  die  Statue  bald  hierhin  bald  dorthin 
blickend  dächte.  Und  in  der  That  stellte  ja  einen 
in  den  Grundzügen  der  charakteristischen  Bewe- 
gung übereinstimmenden  Satyr  mit  einer  Athena 
zusammen  ein  Relief  (a),  eine  Münze  (6),  zwei 
Vasen  (cd),  lauter  athenische  Werke').  Dass  in 
denselben  Athena  minder  übereinstimmend  erscheint 
in  Haltung  und  Stellung,  berechtigt  wohl  zu  dem 
Schluss,  dass  ihre  Bewegung,  wie  nach  der  Ver- 
schiedenheit ihres  Wesens  begreiflich,  minder  mar- 
kiert und  drastisch  war  als  diejenige  des  Satyrs. 
Beide  so  gruppiert  zu  denken,  dass  je  nur  eine  Figur 
in  Vorderansicht,  die  andere  dagegen  in  Rückansicht 
sich  darstellte,  wird  sich  schwerlich  jemand  durch 
die  wenig  glückliche  Behandlung  v.  Sybel's  ver- 
führen lassen.  Bedrohlich  für  den  Satjn-  erscheint 
die  Göttin  nirgends,  aber  dieser  verräth  selbst 
durch  seine  Bewegung,  dass  seinem  begehrlichen 
Vordringen  Einhalt  gethan  wird;  und  hatte  die 
Göttin,  wie  alle  Nachbildungen  zeigen,  ihr  Antlitz 
dem    Satyr   zugewandt,    so    kann   diese  Wendung 

')  a:  Arch.  Zeit.  1874  T.  8  S.  93;  b:  jetzt  L.  v.  Sybcl, 
Athena  und  Marsyas,  Marburger  Gratulationsschrift  für  das 
Deutsche  Institut  in  Rom  S.  5  und  Sallets  Zeitschrift  1879 
S.  210;  c:  Hirschfeld,  Athena  und  Marsyas  T.  1;  d  beschrieben 
von  Lüders  Bull.  delV  Inst.  1873,  169;  abc  auch  Conze,  Vor- 
legebliitter  VI,  12,  samiut  der  Lateranischen  Statue.  Die  Lon- 
doner bronze  Arch.  Zeit.  187J  Taf.  8. 


26 


E.  Petersen,  Kunstgeschiclitliche  iliscellen. 


kaum  anders  als  abwehrend  verstanden  werden: 
plastisch  ausgedrückt  dasselbe,  was  bei  Hygin 
Fab.  165  in  dem  Fluche  liegt,  welchen  die  Göttin 
über  denjenigen  ausspricht,  der  die  verworfenen 
Flöten  aufheben  werde.  Die  Copisten  haben  augen- 
scheinlich in  dem  Bestreben  das  corpus  delicti  mög- 
lichst vor  Augen  zu  rücken,  die  Flöten  noch  fallend, 
der  Hand  Athenas  entfallend,  dargestellt,  und  dem- 
gemäss  auch  die  Haltung  der  Göttin  modificiert. 
Auf  der  Hirschfeld' sehen  Vase  c  sieht  es  so  aus, 
als  würfe  Athena  dem  Satyr  die  Flöten  vor  die 
Füsse;  auf  dem  Kelief  a,  als  wende  sie  nur  schei- 
dend noch  einmal  den  Blick  nach  den  fallenden 
Flöten,  Auf  der  Münze  6  scheinen  zwar  auch  die 
Flöten  noch  zu  fallen,  aber  die  Haltung  der  Göttin 
hat  entschieden  etwas  zurückweisendes,  das  leicht 
verstärkt  sein  mochte,  wenn  sie,  wie  cd  zu  ver- 
muthen  nahelegen,  in  der  Kecbten  die  Lanze  hielt. 
Trotz  dieser  Abweichungen  weisen,  wie  gesagt, 
alle  Copien  auf  ein  gemeinsames  plastisches  Ori- 
ginal, und  zwar  auf  ein  in  Athen  stehendes  Original, 
und  je  wahrscheinlicher  es  wurde,  dass  dieses  Ori- 
ginal eben  jenes  von  Plinius  beschriebene  Werk 
des  Myron  sei,  welches  um  seines  Gedankens  willen 
ebenfalls  kaum  anderswo  so  gut  als  in  Athen  auf- 
gestellt zu  denken  ist,  um  so  mehr  musste  man  sich 
versucht  fühlen  die  von  Pausanias  1,  24  auf  der 
Akropolis  von  Athen  beschriebene  Gruppe  IvravOa 


'Adr^rä  nenoirjtai,  xbv  ^ilrjvov  Maqavav  naiovoa, 
nzi  dt)  znig  avlovg  avaloiro,  egglcp^at  acpäg  zfjg 
^Eov  ßovko^dvrjs  für  eben  jenes  Original,  das  Werk 
des  Myron,  zu  halten.  Wie  diese  söhne  Aenderung 
des  Pausaniastextes  möglich  wäre,  habe  ich  schon 
im  Jahrg.  1865  S.  90  dieser  Zeitschrift  gezeigt:  Pau- 
sanias nahm  eine  abwehrende  Haltung  der  Lanze 
als  Schlagbewegung,  mehr  noch  vielleicht  durch  die 
Bewegung  des  Satyrs  als  durch  diejenige  der  Göttin 
veranlasst,  und  verstand  die  Flöten,  welche  in  der 
plastischen  Gruppe  nicht  anders  als  am  Boden 
liegen  konnten,  als  vom  Satyr  bereits  aufgehoben, 
dann  aber  —  er  gebraucht  den  Aorist  dvsloizo, 
nicht  das  Perfectum  —  wieder  fallen  gelassen,  ein 
Missverständniss  ohne  Zweifel,  aber  ein  weit  gerin- 
geres, als  ihm  anderswo  neuerdings  nachgewiesen 
sind.  Nicht  verstehen  kann  ich  aber,  wie  Kekule 
im  Bulleitino  deW  Inst.  1872  S.  288  diese  Auffassung 
in  die  Vase  und  das  Eelief  hineintragen  konnte, 
wo  die  Flöten  den  Händen  Athenas  entfallen  — 
so  jetzt  auch  auf  dem  Münzbild  —  und  wie  er  in 
der  Gruppe  des  Myron,  die  er  auch  bei  Pausanias 
anerkennt,  trotz  Plinius  (und  Pausanias)  den  ganzen 
Vorgang  nur  durch  die  Bewegung  der  Figuren 
ohne  Darstellung  der  Flöten  veranschaulicht  meinen 
konnte. 


Prag. 


Eugen  Petersen. 


27 


DTE  KANEPHORE  VON  PÄSTUM*). 

(Tafel  G). 


Die  hellenii5cbe  Kunst  wurzelt  im  Gottes- 
dienst, und  sie  bat  nicht  nur  in  Darstellung 
von  Göttern  und  Heroen  die  Aufgabe  gefun- 
den, in  deren  Lösung  sie  zu  ihrer  vollen 
Leistungsfähigkeit  erstarkte,  sondern  auch  in 
Darstellung  der  zum  Cultus  gehörigen  Hand- 
lungen. Hier  boten  sieb  dem  Künstler  die 
dankbarsten  Motive  dar,  um  jugendliclie  Ge- 
stalten zu  bilden,  in  welchen  pflicbtmässiger 
Dienst  und  freie  Hingabe,  naive  Anmutb  und 
gemessene  Feierlichkeit,  Rulie  und  Bewegung 
sich  auf  das  Glücklichste  vereinigten.  Die 
Dienstleistungen  waren  von  verschiedener 
Art.  Es  waren  Ehrendienste  im  Tempel  und 
bei  den  Festen  der  Gottheiten,  zu  welchen 
Jünglinge  und  Jungfrauen  der  Gemeinde  für 
eine  bestimmte  Zeit  ausgewählt  wurden,  oder 
es  waren  Handreichungen  untergeordneter 
Art,  zu  welchen  diejenigen  verpflichtet  waren, 
welche  ausserhalb  der  bürgerliclien  Gemein- 
schaft standen,  die  Schutzgenossen,  welche 
den  Bürgertüchtern  Geräthe,  Gefässe,  Schirme 
nachzutragen  hatten.  Denn  die  Standesunter- 
schiede, welche  der  Geist  der  Demokratie 
möglichst  auszugleichen  suchte,  haben  sich 
im  Cultus  dauernd  erhalten,  und  so  weit  un- 
sere Kunde  reicht,  ist  ausser  tadelloser  Kör- 
perbildung und  unbeflektem  Rufe  vornehme 
Geburt  die  wesentlichste  Bedingung  für  jene 
Ehrenämter  geblieben.  Darum  waren  sie  ein 
Gegenstand  des  Ehrgeizes  und  der  Eifersucht,  so  dass 
z.  B.  die  Zurückweisung  der  Schwester  des  Harmo- 
dios, die  als  Korbträgerin  bei  einem  attischen  Fest- 
zuge eintreten  sollte'),  als  die  bitterste  Kränkung  der 
ganzen  Familie  angesehen  werden  konnte. 

Gewisse  Dienstleistungen  waren  mit  den  be- 
sonderen Oertlichkeiten  und  Gebräuchen  einzelner 
Heiligthümer  verbunden,  wie  z.  B.  die  Hydrophorie 

*)  Vortrag  am  Berliner  Winckelmannsfeste  1879. 
')  y-avoCv  oXaovan  (v  nouTii'i  jivi:  Thuk.  V  56. 


in  Itliome,  wo  jeden  Morgen  die  dazu  erko- 
renen Jungfrauen  frisclies  Wasser  aus  der 
unterhalb  gelegenen  Quelle  in  das  Heilig- 
thum  des  Zeus  hinauftragen  mussten.  An- 
dere Dienstleistungen  waren  allen  Gülten  ge- 
meinsam, und  da  zu  jedem  Opfer  eine  Reihe 
kleinerer  Gegenstände  gehörte,  welche  ord- 
nungsmässig  herbeigetragen  werden  mussten, 
so  war  der  Dienst  des  Korbtragens  der  aller- 
verbreitetste.  So  kommt  Chrysothemis  bei 
Sophokles  mit  dem  Korbe,  der  die  Spende 
für  Agamemnons  Grab  enthält.  So  sehen 
wir  auf  den  attischen  Lekythen  die  von 
Mädchen  getragenen  Körbe  mit  Salbgefässen, 
Palmzweigen,  Binden,  und  sowie  Dikaio- 
polis  bei  Aristophanes  seine  Privatdionysien 
beginnt,  lässt  er  die  Tochter  vortreten,  um 
als  Kanephore  das  zum  Opfer  Nöthige  her- 
anzutragen. Auch  im  engsten  Familienkreise 
darf  das  nicht  formlos  geschehen.  Vater, 
Tochter  und  Sklave  treten  zu  einem  Festzuge 
geordnet  an  und  der  Hausvater  betet,  dass 
die  Prozession  und  dann  das  Opfer  gnädig 
aufgenommen  werde '). 

Der  häusliche  Gottesdienst  ist  auf  die  Ge- 
meinde übertragen.  Wir  müssen  annehmen, 
dass  der  Hausvater  der  Bürgergemeinde, 
der  König,  in  dessen  Rechte  dann  der  Ar- 
chen Basileus  eingetreten  ist,  die  Bürger- 
töchter auswählte,  die  den  Dienst  ver- 
sehen sollen.  Es  war  keine  willkürliche  Auszeich- 
nung; denn  die  ältesten  Geschlechter  hatten  einen 
Anspruch  darauf,  vor  den  andern  berücksichtigt 
zu  werden.  Ihre  Töchter  waren  die  Iv  a^tcofiaTi 
nccQ&ivoi  ^).  Bei  der  Arrhephorie  wurden  vier 
BUrgertöchter  aus  den  edelsten  Familien  durch  Ab- 

-)  Acharn.    242:     nQOii^'    Is    lö    nqoaStv   oUyov   tj   xavrj- 

(fÖQOi. 

')  ■/;ai'rj(f6goi'  tv  Tai;  nojxnuTi  ctt  üv  «Ikuuök  nagOhot 
(xttVipfönovv,  tSaniQ  xiit  Iv  TOig  ffava9r}i(t(oi;.  ov  nuauti  ä 
ciifiiio   y.ttvr)ifoi>ttv  Hesychios. 


28 


E.  Curtins,  Kanepbore  von  Pästum. 


Stimmung  gewählt  und  daraus  zwei  durch  die  zu- 
stehende Tempelbehörde  für  den  Dienst  erkoren  '). 

Das  Amt  der  Kanephorie  dürfen  wir  bei  allen 
Gottesdiensten  voraussetzen,  und  es  ist  zufällig, 
dass  wir  es,  so  viel  ich  sehe,  nur  bei  fünf  nach- 
weisen können,  bei  dem  Dienst  des  Zeus  Basileus 
in  Lebadea  ^),  wo  die  zu  dem  Ehrenamt  Erkorene 
vorher  in  der  Herkyna  badete,  bei  den  einander 
entsprechenden  Heradiensten  in  Argos  und  in 
Falerii  ^),  bei  dem  Dionysosdienst '),  bei  dem  der 
Demeter  und  der  Athena  "). 

Wie  wir  in  Athen  die  nationalen  Gebräuche  der 
Hellenen  am  vollkommensten  ausgebildet  zu  finden 
pflegen,  so  weisen  uns  auch  hier  die  Ueberliefe- 
rungen  vorzugsweise  nach  Athen.  Die  Kanephore 
der  Demeter  wird  bei  Horaz  eine  'attica  virgo'  ge- 
nannt, und  mit  dem  Dienst  der  Stadtgöttin  von 
Athen  ist  der  Ritus  so  eng  verbunden,  dass  ihre 
Einführung  unter  Erichthonios  gesetzt  wurde  ')  und 
schon  des  Kekrops  Tochter  Herse  uns  vorgeführt 
wird,  wie  sie  in  züchtiger  Aumuth  den  Korb  auf 
dem  Scheitel  tragend  die  Liebe  des  Hermes  ent- 
zündet '°). 

Wenn  sich  an  den  grossen  Festen  die  Blicke 
einer  ganzen  Gemeinde  auf  die  Jungfrauen  richteten, 
welche  ihrer  Gestalt  und  Herkunft  wegen  vor  allen 
Altersgenossen  auserwählt  waren,  dem  Festzuge 
voranzuwandeln,  so  ist  es  natürlich,  dass  auch  die 
Künstler  zu  plastischer  Nachbildung  angeregt  wur- 
den. Indessen  war  es  nicht  ein  ästhetisches  Wohl- 
gefallen, welchem  die  Statuen  und  Statuetten  von 
Kanephoren  ihre  Entstehung  verdankten,   sondern 

■*)  {(oQrj(fOQiTv  Tiaoant;  /uiv  (/(iqojovovvio  Ji'  tvy^viiav 
äoorjtfoQOi,  ävo  äi  (xolvuvjo  Harpokration. 

5)  Plut.  narr.  am.  1. 

6)  Dion.  Hai.  I  26.     Ovid  Am.  III  13. 

')  Aristophanes  a.  a.  O.  Vgl.  C.  I.  Att.  II  420,  10:  o'iaov- 
OttV  To   hijov  xuvovv  TW   S(m  xurii  7«   nüinia. 

*)  Hoiat.  Sat.  II  3,  S.  13:  ut  attica  viryo  cum  sacris  Cereris 
procedit.  Cicero  in  Ver.  IV  35:  duo  signa  .  ..  (/uae  manibus 
sublalis  Sacra  quaedam  more  Atheniensium  viri/inum  reposita 
in  capitihus  siiatinebant.  Vgl.  0.  .Jahn  Archaeol.  Ztg.  XXIV, 
1SG6,  S.  253. 

')  'Eqi/OovIov  ßuaii.ti(ji'zoq  nfiüiov  xia^nirjOuv  (d  (v 
üiid/jicii  nctnO^vot  (fdjuv  lü  xuiü  ijj  '>fw  l'hilochoros  bei 
Harpokr.  u.  xuvrjifoooi. 

'»}  Ovid  Metam.  II,  711. 


der  Zweck  der  Weihung,  welchem  die  Kunst  der 
Helleneu  ihre  fruchtbarsten  Keime  verdankt,  ist  auch 
hier  der  Anlass  gewesen.  Nach  Vollendung  des 
Ehrenamtes  sollte  das  Andenken  der  durch  das- 
selbe Ausgezeichneten  nicht  erlöschen,  und  wie 
man  Priester  und  Priesterinnen  im  Bilde  reihen- 
weise aufstellte,  um  dadurch  das  Alter  und  die  un- 
unterbrochene Ueberlieferung  des  heiligen  Dienstes 
monumental  zu  bezeugen  "),  so  wurden  auch  Hydro- 
phoren,  Arrephoren  und  Kanephoren  in  Thon,  Erz 
und  Stein  als  Tempelschmuck  zu  gleichem  Zwecke 
aufgestellt. 

In  einer  Praxis  vieler  Menschenalter  ist  dann 
gerade  das  Motiv  der  Kanephorie  durch  Meister  der 
verschiedensten  Schulen  mit  Vorliebe  behandelt 
und  so  glücklich  ausgebildet,  dass  eine  Korbträgerin 
des  Polyklet  neben  dem  Zeus  des  Phidias  als  ein 
ebenbürtiges  Wunder  der  Kunst  angesehen  wurde'"). 

Wie  Skopas  und  Polyklet  dies  Motiv  behandelt 
haben,  können  wir  auch  heute  noch  nicht  nach- 
weisen ;  aber  wir  sind  so  glücklich  ein  echt  griechi- 
sches und  vollkommen  erhaltenes  Kunstwerk  vor- 
legen zu  können,  von  dem  wir  sagen  dürfen,  dass 
es  den  Typus  der  Kanephorie,  wie  ihn  die  ältere 
Kunst  bildete,  zum  ersten  Male  in  urkundlicher 
Form  vor  Augen  stellt,  während  wir  bis  jetzt  nur 
schriftliche  Andeutungen  hatten,  welche  so  unbe- 
stimmter Art  sind,  dass  sie  bis  zuletzt  von  allen 
Kunsthistorikern  missverstanden  werden  konnten. 
Denn  ein  arges  Missverständniss  muss  ich  darin 
erkennen,  dass  man  das  „manibus  sublatis  sacra 
ferre-"  in  der  vierten  Verrina  so  gedeutet  hat,  als 
wenn  die  Kanephoren,  um  den  Korb  zu  halten, 
beide  Hände  nach  oben  gestreckt  hätten,  während 
der  Plural  sich  dadurch  erklärt,  dass  Cicero  von 
zwei  Kanephoren  in  der  Sammlung  des  Heins  redet. 

Ein  zweites  Missverständniss,  das  den  Kane- 
phorentypus  betroffen  hat,  besteht  darin,  dass  man 
die  Mädchen  mit  capitellartigem  Kalatlios  zu  Ge- 
bälkträgerinnen gemacht  hat,  was  dem  Sinne  der 
religiösen    Handlung    völlig    widerspricht.      Dieser 

")  Pausanias  11  17,  3:  «i'ifpitO'Kf  yvvaixöiv  ct'^i  yeyoi'ttdiv 
UyfiKi. 

")  Syminach.   Epict.  I  33. 


E.  Curtius,  Kanephore  von  Pästum. 


29 


Missbrauch  von  Kanepliorenstcatuen  stammt  aber 
schon  aus  alter  Zeit,  wie  die  an  der  Via  Appia 
gefundenen  zeigen,  die  in  der  Villa  Montalto  aufge- 
stellt waren.  Die  eine  derselben  ist  durch  Townley 
in  das  Britische  Museum  gekommen  "),  die  andere 
in  die  Villa  Albani;  sie  sind  auch  von  neueren 
Künstlern  als  Karyatiden  verwendet  worden  '*). 

Nach  Abweisung  dieser  Missverständnisse  be- 
trachten wir  nun  die  neu  zum  Vorschein  gekommene 
Statuette,  wie  sie  mit  Korb  und  Säule  durch  die 
kunstverständige  Hand  des  Bildhauers  im  Kunst- 
gewerbemuseum, Herrn  Behrcnd,  in  Gips  herge- 
stellt und  nach  diesem  Modell  in  dem  voranstehen- 
den Holzschnitte  abgebildet  ist.  An  der  Herstellung 
ist  nichts  zweifelhaft  als  die  Höhe  der  Säule  und 
die  Form  ihrer  Basis. 

Der  leichte  Korb,  vor  Antritt  der  Procession 
auf  den  Kopf  gehoben,  wird  mit  einer  (der  rechten) 
Hand  gehalten,  deren  innere  Fläche  nur  lose  ange- 
legt ist,  damit  der  Korb  nicht  aus  dem  Gleichgewicht 
komme.  Die  Hebung  des  Unterarms  zur  Schulter- 
höhe ist  ein  sehr  anmuthiges  Motiv,  das  ja  auch 
von  Bafael  und  andern  Künstlern  mit  Vorliebe  nach- 
gebildet ist;  ebenso  natürlich  und  der  Situation  ent- 
sprechend ist  die  Senkung  des  linken  Arms,  welcher, 
vom  Ellenbogen  an  bequem  vorgestreckt,  die  Ge- 
wandmasse hebt,  welche,  wenn  sie  frei  herunter- 
fiele, das  Wandeln  im  Zuge  erschweren  würde. 
Der  Zug  ist  in  Bewegung;  den  linken  Fuss  vor- 
setzend, schreitet  die  Jungfrau  ernst,  feierlich,  vor- 
sichtig, aber  zwanglos  und  ohne  eine  Spur  von  Be- 
lastung. Der  Kopf  ist  ein  wenig  gesenkt,  um  die 
vorliegende  Bahn  im  Auge  zu  haben;  bei  stiller 
Sammlung  ist  das  Auge  von  Allem,  was  um  sie  her 
vorgeht,  abgelenkt.  Sie  ist  bekleidet  mit  einem 
Aermelchiton  aus  feiner  Wolle,  der  unter  der  Brust 
gegürtet  ist  und  senkrecht  auf  die  Füsse  herabfällt. 
Darüber  ist  ein  schwereres  Obergewand  geworfen, 
das  von  der  rechten  Schulter  quer  über  die  Brust 
herunterfällt,  so  dass  die  linke  Brust  und  Schulter 

'^)  Ancient  Marblea  of  ihe  British  Museum  Part  I.  London 
1812.     Plate  IV. 

'*)  So  im  Xiobidensaal  des  Neuen  Museum  zu  Berlin.  Vgl. 
Friederichs  Berlins  antike  Bildwerke  8.  Hb.  Ueber  Verwechslung 
von  Kancjjhoren  und  Karyatiden:   Amalthea  III   150. 


frei  bleiben.  Unter  der  linken  Achsel  durchgezogen, 
ist  es  über  den  Kücken  weg  von  hinten  auf  den 
rechten  Oberarm  geworfen,  so  dass  es  hier,  breit 
herunterhangend,  sehr  passend  den  rechten  Winkel 
ausfüllt,  welchen  der  gehobene  Arm  mit  dem  Körper 
bildet,  und  zugleich  dazu  dient,  der  zarten  Gestalt 
eine  ansehnlichere  Fülle  zu  geben.  Mit  unbe- 
kleideten Füssen  betritt  sie  den  heiligen  Boden ;  das 
Haar,  von  einer  Binde  eingefasst,  fällt  in  breiter 
Masse  über  Nacken  und  Bücken  hinunter.  Das 
Ganze  giebt  uns  eine  Vonstellung  von  dem  'virginalis 
habitus  et  vesliliis,  welchen  Cicero  an  der  polykleti- 
schen  Kanephore  im  Hause  des  Heins  rühmt. 

Eine  wohl  erhaltene  metrische  Inschrift  belehrt 
uns  über  die  Persönlichkeit  der  anmuthigen  Jung- 
frau und  den  Zweck  der  Darstellung.  Auf  der  Vor- 
derseite steht  in  grösseren  Buchstaben  Tä^äva  links- 
läufig und  in  gleicher  Richtung  auf  dem  schmaleren 
Eaum  der  andern  drei  Seiten  (DMco  XaQi.ivUda 
dexaTav;  die  letzten  Buchstaben  stehen  auf  dem 
Rande  der  Volute. 

Hier  haben  wir  also  das  erste  sichere  Beispiel 
einer  solchen  Widmung.  Es  ist  nur  zufällig  ein 
Unicum,  und  wenn  wir  annehmen  müssen,  dass 
es  in  den  alten  Heiligthümern  ganze  Reihen  solcher 
Weihefiguren  gab,  so  wirft  dies  auch  auf  attische 
Religionsgebräuche  ein  erwünschtes  Licht.  Lasen 
wir  nämlich  in  dem  Volksbeschluss  zu  Ehren  des 
Lykurgos  bis  dahin  mit  einem  gewissen  Befremden, 
dass  derselbe  für  hundert  Kanephoren  den  Gold- 
schmuck gegeben  habe,  so  begreift  sich  jetzt  leicht, 
wie  eine  solche  Galerie  von  Tempeljungfrauen  zu- 
sammen kommen  konnte,  welche  bis  auf  die  Ver- 
waltungszeit des  kunstsinnigen  Staatsmannes  ihres 
vollen  Schmucks  warteten. 

Wenn  uns  attische  Kanephoren  geschildert  wer- 
den, so  wird  ausser  dem  strengen  Amtsgesicht,  das 
sie  machen  müssen,  und  den  bemalten  Wangen  der 
Mädchen  als  charakteristisch  besonders  der  Gold- 
schmuck hervorgehoben  '^).  Sie  trugen  zum  Tbeil 
goldene  Schalen  in   den  Händen;  gemeinsam  aber 

'^)  ßlinovatt  9vj.ißQO(f(tyov  Arist.  Ach.  2ö4.  —  h'itiQifi- 
fiivr)  Eccl.  730.  —  Lysistr.  1190  mit  dem  Scholion:  /nvaoifonovai 
j'fip  Kl  xtivrjifonoi.  —  Vgl.  Schol.  zu  V.  G4C:  hfioovv  tJf  xut 
i.on<ciSct;  iii'f'if  (r/iff?)  ö/o/piooi'f. 


30 


E.  Cuitius,  Kaoephore  voq  Pästuni. 


war  alleu  das  mit  Goldblättelieu  besetzte  Gewand 
uud  der  goldgeschmiickte  Korb.  Der  Korb  war  als 
Bebälter  der  Opferspenden  das  eigentlich  Heilige 
und  wurde  darum  besonders  ausgezeichnet.  Wie 
der  von  Mosches  beschriebene  Blumenkorb  der 
Europa  mit  l)indenartigen  Goldstreifen  verziert  war, 
welche  mythologische  Scenen  im  Eelief  enthielten  '"), 
so  werden  wir  uns  auch  in  ähnlicher  Weise  die  von 
den  Kanephoren  getragenen  mit  Gold  umwunden 
denken  und  das,  was  Lykurgos  nachträglich  aus- 
führen Hess,  war  vermuthlich  dieser  zum  Fest- 
schmuck gehörige  Goldbesatz. 

Durch  unsere  Statuette  ist  die  Breite  dieser  Körbe 
sowie  der  Neigungswinkel  der  Wände  mit  voller 
Sicherheit  gegeben.  Um  mit  Gold  bekleidet  zu 
werden,  war  Holz  das  beste  Jlaterial,  und  dass  wir 
auch  diesen  Korb  aus  feinem  Holz  gebildet  zu 
denken  haben,  darauf  führt  die  Haltung  der  Finger; 
denn  der  Daumen  war  darauf  berechnet  in  eine 
Höhlung  hinein  zu  fassen,  um  des  Geräthes  um  so 
sicherer  zu  sein. 

Endlich  lehrt  uns  auch  die  kleine  Statuette,  dass 
mit  dem  Ehrenamt  der  Kanephorie  gewisse  Ein- 
künfte verbunden  gewesen  sein  müssen;  denn  jeder 
Zehnte  setzt  doch  einen  Gewinn  voraus,  von  dem  er 
abgehoben  wird  ").  Auf  einen  grossen  Ertrag  wird 
die  Statuette  nicht  schliessen  lassen,  doch  fehlt  der 
Korl),  den  wir  uns  mit  Gold  vergoldet  denken,  und 
die  Säule  von  Marmor.  Au  der  Unterseite  des 
Kapitells  ist  ein  langer  Dorn  erhalten,  der  auf  Stein 
berechnet  gewesen  zu  sein  scheint. 

Sehen  wie  auf  das  Blotiv  der  Weihung,  so  er- 
scheint unserer  Statuette  am  nächsten  verwandt  das 
Erzbeil  von  Santa  Agata,  welches  nach  der  zuletzt 
gegebenen  Deutung  der  noch  zum  Theil  räthsel- 
haften  Inschrift  von  einem  als  Opferschlächter  dienst- 
thueuden  Tempelbeamten  der  Hera  als  Zehnter  ge- 
weiht worden  ist  '*).  Hier  werden  wir  auch  an 
einen  im  Tempeldienst  gemachten  Gewinn  zu  den- 
ken haben. 

Ueber  die  Aufstellung  der  Weihgeschenkc  haben 

'*•)  Vgl.  meine  Abhandlung  über  das  archaische  Bronzerelief 
aus  Olympia.     Abh.  der  k.  Ak.  der  Wiss.  1879  S    14. 
")  (SoiQliv  rriv  ätxuTrjV  luv  (niy.tQÜitov. 
'«)  Hermes  XIII  S.  392. 


wir  in  letzter  Zeit  mancherlei  Belehrung  gewonnen. 
AVir  unterscheiden  gewöhnliche  Postamente  {ßäasig, 
ßä&Qa)  und  Untersätze  von  hervorragender  Höhe, 
wofür  die  griechischen  Ausdrücke  {xioveg^  azvkoi, 
atrjlai)  keine  sichere  Anschauung  geben.  Früher 
dachte  man  bei  xiovsg  immer  au  Rundsäulen.  Die 
Nikesäule  hat  sich  als  ein  dreiseitiger  Pfeiler 
erwiesen;  ein  viereckiger  Marmorpfeiler  sollte  in 
Delphi  das  stolze  Bild  des  Königs  Perseus  tragen, 
an  dessen  Stelle  sein  Besieger  Aemilius  Paulus  trat. 
Auf  Pilastern  und  Säulen  waren  nach  Reliefs  und 
Vaseubildern  '")  Statuen  des  Apollon  in  seinem 
Temenos  aufgestellt. 

Besonders  gebräuchlich  war  es,  die  der  Gottheit 
heiligen  Thiere  in  dieser  Weise  aufzustellen,  wie 
die  Adler  des  Zeus  und  Pan  auf  der  Höhe  des 
Lykeion,  die  einer  Zeit  angehören,  da  noch  keiner- 
lei Bilder  der  Gottheiten  vorhanden  waren  "").  Es 
waren  die  Wappen  der  unsichtbaren  Götter,  so  wie 
man  die  Reichs-  und  [Stadtwappen  aufstellt,  um 
einen  Herrschaftsbezirk  symbolisch  anzudeuten. 
Eulen  uud  Bären  waren,  in  Stein  gehauen,  zu 
Ehren  attischer  Burggöttinnen  aufgestellt '').  Als 
Kampfsymbole  kennen  wir  so  die  Hähne,  die  Preis- 
gefässe,  die  Victorien  zu  beiden  Seiten  der  Athena, 
als  Grab.symbole  die  Sirenen,  wie  eine,  sieben  Ellen 
hoch,  die  über  das  Vierfache  hohe  Säule  auf  des 
Isokrates  Grabe  krönte.  Unsere  Kanephore  lehrt 
uns  nuu,  wie  auch  die  aus  dem  Cultus  hervor- 
gehenden, die  Personen  von  Tempeldieuern  dar- 
stellenden Weihgeschenke  als  Säulenbilder  behandelt 
wurden. 

Die  ionischen  Voluten  waren  seit  alter  Zeit  be- 
sonders beliebt,  um  bei  einem  Aufbau  den  Kopf 
der  tragenden  Glieder  zu  charakterisiren,  wie  z.  B. 
an  den  Sesseln ,  auf  denen  die  Gottheiten  des 
lykischen  Grabtliurms  sitzen.  In  Dodona  ist  eine 
Reihe  ionischer  Kapitelle  gefunden  worden,  deren 
ursprüngliche  Benutzung  durch  unsere  Statuette  auf- 
geklärt wird. 

Wenn  es  sich  um  ein  attisches  Kunstwerk  handelte, 

'»)  Annali  del  Inst.   1878  p.  64. 

''")  Pausanias  VIII  38.  Welzel  de  Jove  et  l'anc  diis  Arcad_ 
Bresl.  1879  p.  38. 

21)   Koss  Arch.  Aufs.  I  201. 


E.  Curtius,  Kanephore  von  Pästum. 


31 


so  würde  eine  so  vollständige  Insclirift,  wie  sie  liier 
vorliegt,  mit  annähernder  Siclierlieit  eine  genaue  Zeit- 
bestimmung gestatten.  Die  älteren  Schriftdenkmäler 
der  achäisclien  Colonien  in  Grossgrieclienland  sind 
aber  so  spärlich,  dass  hier  ein  Gleiches  unmöglich 
ist.  Das  Epigramm  der  Phillo  ist  jünger  als  die 
Bustrophedoninschrift  auf  dem  pästanischen  Gold- 
plättehen (C.  /.  Gr.  5778),  älter  als  die  petelische 
Bronzetafel  mit  dem  Testamente  der  Saotis  (C.  /. 
Gr.  4),  als  die  Beilinschrift  aus  Santa  Agata,  die 
Gefässinselirift  aus  Saleruo  {Bullet.  Nap.  IV  164) 
und  der  Helm  von  Pästum  (C.  /.  Gr.  577Sb);  denn 
diese  Inschriften  sind  sämmtlich  rechtsläufig.  Das 
geradstrichige  Iota,  von  dem  hier  noch  keine  Spur 
vorhanden  ist,  kommt  auf  Münzen  von  Pästum  seit 
der  ersten  Hälfte  des  fünften  Jahrhunderts  vor"'). 
Ich  glaube  also,  dass  unsere  Bronze  mit  ihrer  links- 
läufigen Inschrift  wenigstens  bis  an  die  Schwelle 
des  genannten  Jahrhunderts,  also  in  den  Anfang  der 
siebziger  Olympiaden  hinaufgerückt  werden  muss. 
Als  Kunstwerk  betrachtet  ist  die  Figur  eine  aus- 
gezeichnete Probe  des  alten  Tempelstils,  welcher 
uns  in  wohlerhaltenen  Kundwerken  so  selten  ent- 
gegentritt. Hier  ist,  wie  die  Inschrift  bezeugt,  die 
man  doch  gewiss  nicht  als  eine  archaisirende  an- 
sehen wird.  Alles  echt  und  ursprünglich.  Es  ist 
ein  Stil,  welcher  nichts  Absichtliches  oder  Ge- 
zwungenes zeigt;  es  ist  der  wahre  Ausdruck  des 
religiösen  Gefühls,  aus  welchem  die  Widmung  her- 
vorgegangen ist.      Das  Werk    zeigt  eine   in  ihrer 

'")  V.  Sallet,  Numism.  Zeitschr.  V  227. 


Gebundenheit  vollendete  Kunst,  ohne  eine  Spur  von 
Eohheit  oder  Ungeschick,  schlicht  und  einfach,  von 
ethisclier  Wärme  durelidrungen,  wohl  durchdacht 
in  dem  rhythmischen  Gegensatze  der  beiden  Seiten, 
voll  Harmonie  in  der  Gesammterscheinung  und  im 
Einzelnen  auf  das  Feinste  durchgeführt;  es  ist  ein 
unscliätzbares  Zeuguiss  dafür,  wie  man  um  500 
V.  Chr.  im  griechischen  Unteritalien  bildete.  Damals 
blühte  dort  die  Schule  des  Pythagoras  von  Rhegion, 
den  wir  aus  einer  olympischen  Inschrift  als  einen 
von  Samos  Zugewanderten  kennen  ").  Wenn  wir 
nun  in  unserm  Bildwerke  eines  der  ältesten  Denk- 
mäler der  ionischen  Säule  vor  Augen  haben,  wenn 
wir  ferner  in  der  ganzen  Haltung  und  Bekleidung 
einen  Charakter  erkennen,  welcher  dem  ionisch- 
attischen nahe  verwandt  ist,  so  wird  vielleicht  die 
Vermuthung  nicht  zu  kühn  erscheinen,  dass,  wie 
wir  im  vorigen  Jahre  die  erste  Inschrift  des  Meisters 
gefunden  haben,  der  Italien  und  lonien  in  frucht- 
bare Verbindung  gesetzt  hat,  so  dies  eines  der 
ersten  Denkmäler  sei,  welches  der  Schule  des  in 
Grossgriechenland  tonangebenden  Bildhauers  an- 
gehört. 

Stammt  die  Statuette  wirklich  aus  Pästum,  wo 
Herr  Semper  sie  erworben  bat,  so  bezeugt  sie,  dass 
auch  hier  neben  Poseidon  Athene  herrschte.  Sicher 
ist,  dass  der  pästanische  Poseidon  so  gut  wie  der 
attische  eine  Salzquelle  hatte ;  denn  der  Abfluss  der 
Tempelquelle  heisst  noch  heute  il  salso. 

23)  Archäol.  Zeitung  XXXVI  S.  82. 

Ernst  Curtius. 


32 


INSCHRIFTBÜSTEN. 


1    AUS  HERCULAKEUM. 

Bei  Gelegeulieit  seiner  dankenswertbeu  Ar- 
beiten über  die  lierculauensiscbe  Bibliothek  bat  kürz- 
licb  Comparetti ')  die  Frage  aufgeworfen,  wer  wobl 
der  Eigentbümer  der  stattlichen  Villa  gewesen  sein 
möge,  in  welcher  sie  aufgefunden  worden  ist.  Er 
theilt  sie  dem  L.  Piso  zu,  Consul  im  J.  v.  Chr.  58 
==  696  der  Stadt,  dem  bekannten  politischen  Geg- 
ner Ciceros,  und  nimmt  ferner  an,  dass  die  eine  der 
dort  gefundenen  Bronzebüsten,  die  gewöhnlich  unter 
dem  allerdings  ganz  unberechtigten  Namen  des  Se- 
neca  geht,  diesen  Piso  darstellt.  Zugleich  hat  de 
Petra  -')  aus  den  ungedruckten  Ausgrabungsberichten 
vom  J.  1759  die  jetzt  verlorenen  Fragmente  einer 
Inschrift  ans  Licht  gezogen,  welche  auf  einem  wahr- 
scheinlich zu  jener  Büste  gehörigen  Pfeiler  stand, 
und  auch  diese  Inschrift  hat  Comparetti  auf  jenen 
Piso  bezogen. 

Die  Combination  selbst  beruht  im  wesentlichen 
darauf,  dass  die  herculanische  Bibliothek  in  einer 
allerdings  sehr  auffallenden  Weise  zum  bei  weitem 
grössten  Theil  aus  den  Schriften  des  Epikureers 
Philodemos  besteht,  während  die  Villa  selbst  ihrer 
ganzen  Ausstattung  nach  einem  vornehmen  Römer 
gehört  haben  muss.  Wenn  das  erstere  Moment 
eine  nahe  und  persönliche  Beziehung  zu  Philodemos 
fordere,  so  schliesse  das  letztere  die  Annahme  aus, 
dass  dies  die  eigene  Bibliothek  des  Philosophen  ge- 
wesen sei ;  und  der  complesso  di  fatti  tanto  ben  armo- 
nizzati  giebt  dann  das  gewünschte  Ergebniss. 

Man  wird  einräumen  müssen,  dass  die  allge- 
meine Auffassung  wohl  berechtigt  ist.  So  weit  aus 
den  uns  bekannten  Ueberresten  auf  den  einstmaligen 
Gesammtbestand  der  Bibliothek  Schlüsse  gezogen 
werden  dürfen,   erscheint  sie  allerdings,  wenn  wir 

')  Ln  Villa  de'  Pisoni  e  la  sua  bibliuteca  in  der  Festschrilt 
Pompei  e  la  reglone  sotterrula  del  Vesuvio  neli  anno  LXXIX 
(Neapel  1879)  p.  lööfg. 

-}  1  monumenti  della  villa  Ercolanese  iu  derselbeu  Schrift 
p.  251  fg. 


von  den  wenigen  lateinischen  Rollen  absehen  ^), 
vielmehr  iu  Ciceros  Zeit  gebildet  als  in  derjenigen 
Vespasians,  und  macht  ungefähr  den  Eindruck,  wie 
heute  eine  alte  Schlossbibliothek,  in  der  Ramlers 
Gedichte  und  Wielands  Oberon  die  modernste  Lit- 
teratur  darstellen.  Sie  mag  wohl  drei  bis  vier 
Generationen  hindurch  unbeschädigt  wie  uuvermehrt 
in  guter  Ruhe  gestanden  haben,  bevor  die  Lava 
des  Vesuv  sie  bedeckt  hat. 

Aber  so  berechtigt  die  allgemeine  Auffassung 
ist,  so  verkehrt  ist  die  besondere  Anwendung,  die 
davon  gemacht  wird.  Freilich  war  Piso  ein  Ver- 
ehrer, respectiv  Gönner  des  Philodemos;  aber  hat 
denn  ein  Philosoph  dieser  Art  nur  einen  Verehrer 
und  nur  einen  Gönner?  Philodemus,  sagt  Asconius*) 
von  ihm,  ßtit  Epicuretis  illa  aelale  nobilissimus.  Das 
kann  doch  nur  heissen,  dass  diejenigen  Römer,  die 
sich  in  Ciceros  Zeit  zu  dieser  Secte  hielten,  nach 
üblicher  Dilettantenart  in  diesem  neuesten  Meister 
den  Gipfel  der  Weisheit  erkannten  und  seine  Bücher 
wenn  nicht  vorzugsweise  lasen,  doch  vorzugsweise 
kauften.  Es  ist  mehr  als  unbesonnen  unter  all 
diesen  Anhängern  des  Philosophen,  deren  gemein- 
same Verehrung  ihn  zum  tiohilissimus  gemacht  hat, 
den  einen  uns  zufällig  erwähnten  Piso  herauszu- 
greifen, als  ob  dieser  allein  eine  solche  einiger- 
massen  närrische  Philodemos-Bibliothek  sich  zuzu- 
legen im  Stande  gewesen  wäre.  Gewiss  gab  es  da- 
mals von  philosophischem  Drang  angehauchte  Guts- 
besitzer genug,  die  auf  diese  Art  der  griechischen 
Weisheit  huldigten;  wer  nach  dem  Namen  eben 
dieses  Bücherfreundes  in  den  Fasten  sucht,  verdient 
ihu  darin  zu  finden. 

Beiläufig  mag,  obwohl  Behauptungen,  die  gar 
nicht  begründet  sind,  auf  Widerlegung  keinen  Au- 
si)ruch   haben,   doch  noch  daran  erinnert  werden, 

ä)  Das  Epos,  dem  die  Beschreibung  der  Schlacht  von  Actium 
angehört,  gehört  wahrscheinlich  dein  Rabirius,  dem  Zeitgenossen 
des  Vergilius. 

*)  p.  129  Orelli. 


Tb.  Mommsen,  Inschriftbüsten. 


33 


dass  unter  den  ziemlich  zahlreichen  aus  Hercula- 
iicuni  bekannten  Namen  sich  nicht  ein  einziger  Cal- 
inirnier  befindet;  wonach  es  nicht  gerade  wahr- 
scheinlich ist,  dass  die  Pisonen  dort  eine  Villa  ge- 
habt haben.  Freilich  erlosch  die  Descendenz  jenes 
Piso  vermuthlich  mit  dem  Tode  seines  Sohnes,  des 
bekannten  Stadtpräfecten  im  J.  32  v.  Chr.  ')  und 
gehören  unsere  Inschriftennamen  vorzugsweise  der 
letzten  Epoche  der  Existenz  der  Stadt  an.  Dennoch 
würde  man  immer  erwarten  dürfen  die  rechtliche 
Nachkommenschaft  des  grossen  Hauses  in  der  Plebs 
von  Herculaneum  vertreten  zu  finden,  wenn  es  bis 
auf  Tiberius  letzte  Jahre  dort  heimisch  gewesen  ist. 
Nachdem  Comparetti  in  Betreff  des  Besitzers  der 
Villa,  um  mit  seinen  Worten  zu  reden,  „in  der 
Seele  des  Lesers  ebenso  wie  in  der  des  Verfassers 
einen  Grad  der  Ueberzeugung  hergestellt  hat,  wel- 
cher den  weit  hinter  sich  lässt,  den  die  wissen- 
schaftliche Beweisführung  in  der  Regel  erreicht", 
wendet  er  sich  zu  der  nicht  minder  dankbaren  Auf- 
gabe uns  das  Portrait  jenes  Piso  zu  verschaffen. 
Es  habe  dies,  meint  er,  in  jener  Villa  nicht  fehlen 
können  und  es  wieder  zu  erkennen  sei  leicht  (assai 
facile),  da  Cicero  im  Verlauf  seiner  Invectiven  von 
seinem  Feind  eine  genaue  Personalbeschreibung  gebe. 
In  der  That  passe  auf  diese  Beschreibung  auf  das 
genaueste  die  sogenannte  Büste  des  Seneca.  —  Dass 
gegen  solche  Glaubenskraft  Argumente  etwas  verfan- 
gen, ist  nicht  zu  erwarten;  der  gesunde  Menschen- 
verstand kann  aber  doch  nicht  umhin  seine  beschei- 
denen Einreden  diesen  Gläubigen  zur  eventuellen 
Erwägung  zu  stellen.  Dass  ein  Bücherfreund  seine 
Bibliothek  mit  den  Büsten  namhafter  Dichter  und 
Gelehrten  schmückt,  ist  in  alter  wie  in  neuer  Zeit 
üblich  gewesen;  aber  sollte  Herr  Comparetti  in 
seinem  Studirzimmer  neben  Virgil  und  Dante  wirk- 
lich seine  eigene  Büste  aufgestellt  haben?  oder  ist 
etwas  davon  überliefert,  dass  Cicero  unter  den  Her- 
men seiner  Bibliothek  die  seiuige  gehabt  hat?  und 
beide  Herren  waren  oder  sind  dazu  doch  in  ganz 
anderer  Weise  berechtigt  als  der  Consular  L.  Piso. 
Unter  den  Merkmalen,  die  Cicero  von  Piso  angiebt, 
ist  nicht  ein  einziges,   das  nicht  auf  jeden  älteren 

*)  Ejjhern.  epigr.  I  p.  14ü. 
Archiiolog.  Ztg.,   Jahrgang  XXXVllI. 


magern  glatzköpfigen  Mann  passt;  das  Geheimniss 
auf  Grund  einer  solchen  nicht  polizeilichen,  son- 
dern rhetorischen  Personalbeschreibung  die  Identität 
der  Person  festzustellen  verdient  in  der  That  die 
weiteste  Verbreitung.  Nicht  blos  die  Geschichte, 
sondern  das  praktische  Leben  wird  den  wesentlich- 
sten Nutzen  davon  ziehen,  wenn  dasselbe  in  allge- 
meine Anwendung  kommt. 

Aber  das  Schicksal  waltet  gerecht.  Erweisen 
lässt  sich  zwar  nicht,  welchen  Kopf  jene  Büste  dar- 
stellt, aber  sehr  bestimmt  erweisen,  dass  sie  den 
Piso  nicht  vorgestellt  haben  kann.  Denn  bekannt- 
lich trugen  die  Kömer  in  Cieeros  Zeit  den  Bart 
geschoren,  während  diese  Büste  mit  dem  richtigen 
derben  Bart  der  älteren  Zeit  ausgestattet  ist,  also 
ohne  Zweifel  irgend  einen  älteren  einst  so  nam- 
haften wie  jetzt  namenlosen  Schriftsteller  darstellt. 
Comparetti  erwähnt  jene  allbekannte  Sitte  selbst, 
glaubt  aber  vielmehr  aus  Cieeros  Worten  entnehmen 
zu  müssen,  dass  Piso  den  Bart  stehen  Hess.  In- 
dess  beruht  dies  auf  zwiefachem  Missverständniss. 
Denn  die  pilosae  genae,  die  er  ihm  vorrückt'),  be- 
zeichnen nicht  die  bärtigen,  sondern  die  schlecht 
oder  erfolglos  rasirten  Wangen;  und  wenn  er  in 
einer  anderen  Rede')  die  strenge  und  altvateri- 
sche Haltung  Pisos  mit  den  Worten  verhöhnt: 
unum  aliquem  te  ex  barbatis  Ulis  exemplum  imperii 
veteris,  imaginem  antiquitatis,  columen  rei  publicae 
diceres  intueri,  so  spricht  er  eben  damit  aus,  dass 
er  keineswegs  barbaius  war  —  wie  es  anderswo 
bei  ihm  heisst ") :  aliquis  mihi  ab  inferis  excitandus 
est  ex  barbatis  Ulis,  non  hac  barbula  qua  isla  (die 
Clodia)  delectatur,  sed  illa  horrida,  quam  in  statuis 
atque  imaginibus  mdemus ').  Also  mit  der  Pisobüste 
steht  es  noch  etwas  schlimmer  als  mit  Pisos  Besitz- 
titel an  der  herculanischeu  Villa.  —  Mit  der  Gabi- 
niusbüste,  die  Comparetti  schliesslich  als  Pendant 
und  Gegenstück  derjenigen  des  Piso  zum  Besten 
giebt,  dürfte  es  leicht  am  allerschlimmsten  stehen; 
dass  ein  Consul  des  römischen  Volkes,  auch  wenn 
er  kein  Cato  war,  mit  zierlichen  Damenlocken  und 

«)  in  Pia.   1,  1. 

')  pro  Sest.  8,  19. 

*)  pro  Cael.  14,  33. 

')  Vgl.  Borghesis  Auseinandersetzung  opp.  1   p.  93. 

5 


34 


Th.  Mommsen,  Inschriftbüsten. 


einem  Stirnband  in  der  Villa  seines  Collegen  ab- 
gebildet worden  ist,  ist  so  ausserordentlich  wunder- 
bar, dass  kleinere  Wunderdinge  neben  dieser  Lei- 
stung verschwinden. 

Aber  was  mich  zunächst  veranlasst  hat  diese 
im  Allgemeinen  mehr  vor  das  archäologische  Forum 
gehörigen  Hypothesen  zu  erörtern,  ist  die  mit  der 
Büste  in  Verbindung  stehende  Inschrift.  Nicht  als 
ob  ich  das  Räthsel,  das  sie  aufgiebt,  zu  lösen  ver- 
möchte; aber  es  erscheint  mir  noth wendig  die  von 
Comparetti  versuchte  Lösung,  die  de  Petra  nicht 
hätte  billigen  sollen,  als  allen  epigraphischen  Ge- 
setzen widersprechend  abzuweisen.  Sie  stand  auf 
einem  Marmorpilaster,  der  sicher  eine  Büste  —  ob 
gerade  die  dem  Seneca  beigelegte,  ist  weniger  aus- 
gemacht —  getragen  hat.  Es  fanden  sich  drei  Frag- 
mente, wovon  das  erste  den  Anfang,  das  dritte 
das  Ende  der  Inschrift  giebt;  die  Lesungen  beider 
scheinen  ziemlich  gesichert,  während  das  kleine 
Mittelstück  schlecht  überliefert  und  ohne  Zweifel 
verlesen  ist: 

TP^lVul        :SPIS- 

/  /\1  V 

Comparettis  von  Petra  gebilligte  Lesung  ist 

TELESPIS 
Q_ 

was  aufgelöst  wird  mit  Teles  Pis(onis)  q(uadralarius).  — 
Aber  dass  die  drei  Stücke  nicht  zusammenschlössen, 
wie  hierbei  angenommen  ist,  kann  niemand  be- 
zweifeln, der  die  Ausgrabungsberichte  gelesen  hat; 
Weber  und  Paderni  suchten  eifrig  nach  den  feh- 
lenden Stücken  und  hätten  sicher  den  Anschluss 
der  ihnen  vorliegenden  erkannt,  wenn  er  vorhan- 
den gewesen  wäre.  Ferner  fordert  schon  die 
äussere  Symmetrie,  dass  in  der  zweiten  Zeile  vor 
dem  Q_  wenigstens  noch  ein  Buchstabe  gestanden 
hat.  Weiter  stecken  in  jedem  Wort  jener  Auf- 
lösung ein  oder  mehrere  Fehler.  Teles  ist  als  Scla- 
venname  höchst  befremdlich.  Der  Sclave,  der  seinem 
Herrn  im  Atrium  eine  Verehrung  darbringt,  nennt 
ihn  regelmässig  nicht  mit  dem  Cognomen,  sondern 
dem  häuslichen  Sprachgebrauch  folgend  mit  dem 
Vornamen  unter  Beifügung  von  noster.  Quadratarius 
ist   dem  epigraphischen  Sprachgebrauch  fremd;   er 


würde  faber  fordern.  Die  Abkürzung  von  Pisonis 
in  Pis  ist  anstössig,  die  von  quadratarius  durch  q 
unmöglich;  Abkürzungen  müssen  denen,  an  die  die 
Inschrift  sich  wendet,  verständlich  sein,  das  heisst 
entweder  conventioneil  fixirt,  oder  so  gestaltet,  dass 
der  Leser  die  fehlenden  Buchstaben  mit  Leichtigkeit 
ergänzt,  und  bei  diesem  quadratarius  trifft  keins 
von  beidem  zu.  Endlich  beweist  die  in  beiden  Ab- 
schriften, resp.  Abzeichnungen  wiedergegebene  In- 
terpunction  hinter  dem  die  erste  Zeile  endigenden 
Worte,  dass  nach  es  kein  Wortschluss  war. 

Dass  die  Inschrift  nichts  enthielt  als  einen  Na- 
men   im   Nominativ   und    eine  Standesbezeichnung 
oder  Formel,  seheint  sicher  zu  sein.    Jener  Name 
kann  nicht  wohl  erklärende  Beischrift  zu  der  Büste 
gewesen   sein,   theils   weil   lateinische  Beischriften 
dieser  Art  sehr  sparsam  begegnen  und  wo  sie  sich 
finden,  sich  wohl  ohne  Ausnahme  auf  gefeierte  Per- 
sonen beziehen,  theils  weil  sie,  wo  sie  vorkommen, 
bloss  den  Namen  nennen  und  die  zweite  Zeile  unter 
dieser  Voraussetzung  kaum   erklärlich   sein  würde. 
Also   muss    wohl  angenommen   werden,   dass   der 
Name  der  des  Schenkers  ist,  der  dem  Besitzer  der 
Villa  diese  Gabe  stiftete.     Unter  welchen  Gesetzen 
diese  Gattung    von  Dedicationen  steht,   ist   wenig 
untersucht  worden  und  in  der  That  auch  schwierig 
zu  ermitteln;  es  mögen  derselben  in  ziemlicher  An- 
zahl vorhanden  sein,    aber  wo  sie  gelöst  von  dem 
ursprünglichen  Fundort  begegnen,    lässt  sich  nicht 
viel  damit  anfangen.     Wir  sind  in  dieser  Hinsicht 
fast  ausschliesslich  auf  Pompeii  angewiesen.  Danach 
scheint  die  Regel  aufgsstellt  werden  zu  dürfen,  dass 
Dedicationen   an   Privatpersonen   der  Regel   nach, 
selbstverständlich  nach  vorher  eingeholter  Einwilli- 
gung der  Gemeindebehörde,  auf  öffentlichem  Grund 
aufgestellt  werden,  selbst  wenn  ein  Privater  sie  dem 
andern  macht,  eine  Ausnahme  aber  für  Sclaven  und 
Freigelassene  besteht,  vielleicht  auch  für  Clienten 
geringen  Ranges;  auch  hier  gilt  der  Satz:  servis  res 
publica  quaedam  et  quasi  civilas  domus  est. '")    Also 
kann  die  Inschrift,  wie  dies  auch  Comparetti  und 

'")  Pliiiius  ep.  S,  IG.  Auch  die  Aufstellung  der  Tationats- 
tafeln  im  Atrium,  die  freilicli  unter  anderen  Gesetzen  steht,  be- 
ruht auf  dem  Clientelverhältniss. 


Tb.  Mommsen,  Inschriftbüsten. 


35 


de  Petra  richtig  gefülilt  lia))en,  wolil  nur  gefasst  wer- 
den als  analog  den  iu  pompeianisclien  Privathäusern 
gefundenen  Widmungen :  Genio  L.  noslri  Felix  l(iber- 
tus)  ")  —  Primo  7i(ostro)  Anteros  arcar{ius)  ")  — 
Genio  M.  n{ostri)  et  Laribus  duo  Diadumeni  liberti^'); 
der  Empfänger  ist  durch  den  Aufstellungsort  hin- 
reichend bezeichnet  und  kann  fehlen.  —  Das  Cogno- 
men  des  Schenkers  kann  wohl  nur  Thespis  gewesen 
sein;  obwohl  ich  diesen  Namen  als  römisches  Liber- 
tinencognomen  anderweitig  zu  belegen  nicht  vermag, 
war  er  doch  als  landläufig  in  der  Litteratur  an  sich 
geeignet  also  verwendet  zu  werden.  In  der  zweiten 
Zeile  eine  Amtsbezeichnung,  wie  uvir  q_  q_  oder 
QviNQ.,  zu  erkennen  verbietet  sowohl  das  griechische 
Cognomen  wie  der  Aufstellungsort;  es  muss  auch 
hier  etwas  gestanden  haben,  was  mit  der  abhängigen 
Stellung  des  Dedicanten  sich  verträgt.  Nicht  als 
irgendwie  gesichert,  aber  als  möglich '^)  möchte  ich 
die  Ergänzung  vorschlagen: 

T_>T^pjvLiius    rtitsPIS 
sua    pe\Q_ 


Ich  habe  mich  auf  die  Frage,  welche  Individuen 
in  jenen  Büsten  dargestellt  sind,  nicht  weiter  ein- 
gelassen, da  der  gesunde  Menschenverstand,  der 
ja  wohl  auch  auf  archäologischem  Gebiet  Beweis- 
kraft hat,  für  sich  allein  genügt,  um  die  unbedingte 
Verkehrtheit  von  Comparettis  Hypothese  festzu- 
stellen ,  und  das  Weitere  die  Archäologen  vom 
Fach  angeht.  Indess  will  ich  nicht  unterlassen 
hier  vorzulegen,  was  einer  von  diesen,  Herr  Prof. 
Robert  mir  darüber  mittheilt.  '  Bei  der  Bestimmung 
des  früher  fälschlich  Seneca  genannten  Portrait- 
kopfs  ist  zunächst  zu  beachten,  dass  es  von  dieser 
Büste  nicht  bloss  das  eine  herculanische  Exemplar 
giebt,  sondern  eine  Reihe,  deren  Zahl  der  der  er- 

")  Mau  Bull.  deW  inst.   187G  p.  160. 

'-)  Derselbe  a.  a.  0.  p.  22. 

")  Derselbe  a.  a.  0  1S67  p,  45.  Von  den  dem  Genius  einer 
Privatperson  geweihten  Inschriften  gehören  wohl  die  meisten 
hierher;  besonders  in  und  um  Segusio  haben  sie  sich  zahlreich 
gefunden  (vgl.  C.  I.  L.  V  im  Index).  Auch  dass  dergleichen 
auf  Ringen  vorkommen  (C.  III,  CO  19,  15),  ist  für  den  privaten 
Charakter  dieser  Widmungen  bezeichnend. 

'■*)  Vgl.  den  Consul  J/.  Eppuleius  Proculus  L.  f.  Ti.  Cae- 
pio  Ilispo  Ürelli  3670. 


haltenen  Homer-  und  Euripidesbüsten  kaum  nach- 
stehen dürfte.  Es  ist  also  dies  das  Portrait  einer 
ausnehmend  berühmten  und  in  der  Kaiserzeit  sehr 
populären  Persönlichkeit.  Ferner  trägt  das  in  dem 
Museum  auf  dem  Palatin  befindliche  Exemplar  einen 
Epheukranz;  die  dargestellte  Person  ist  also  ein 
Dichter.  Dann  ist  in  zwei  Exemplaren,  von  denen 
sich  das  eine  in  Villa  Albani,  das  andere  in  der 
galleria  geograßca  des  Vatican  befindet  (abgeb.  bei 
Visconti  Iconographie  grecque  t.  XIV,  3.  4)  uns  eine 
Doppelherme  erhalten,  in  der  unser  Kopf  mit  dem 
eines  bartlosen,  nervös  und  kränklich  aussehenden 
Mannes  vereinigt  ist,  dessen  scharf  markirte  Züge 
den  Römer  auf  den  ersten  Blick  erkennen  lassen, 
während  der  Typus  des  fraglichen  Kopfes  —  das 
ist  eine  Erkenntniss,  die  sich  unmittelbar  Jedem 
aufdrängte,  sobald  einmal  die  traditionelle  Deutung 
auf  Seneca  überwunden  war  —  unrömisch,  ent- 
schieden griechisch  ist.  Der  griechische  Vertreter 
einer  Dichtungsgattung  ist  mit  seinem  römischen 
Nachahmer  in  derselben  Weise  zusammengestellt, 
wie  bei  der  jetzt  in  unserm  Museum  befindlichen 
Doppelherme  der  wirkliche  Seneca-Kopf  mit  So- 
krates.  —  Alles  dies  ist  nun  nicht  etwa  neu;  im 
Gegentheil,  es  ist  oft  gesagt  worden  und  jedem 
Archäologen  so  bekannt,  dass  man  sich  fast  beden- 
ken muss  in  einer  Fachzeitschrift  überhaupt  davon 
zu  sprechen.  Auch  Brizio,  dessen  Deutung  (Ann. 
deW  Inst.  1873  p.  98—106)  Herr  Comparetti  erwähnt 
und  also  wohl  aus  eigener  Leetüre  kennt,  hat  diese 
Momente  gebührend  hervorgehoben.  Warum  hat 
Herr  Comparetti  es  verschwiegen,  dass  es  von  seiner 
Pisobüste  mehr  Exemplare  giebt  als  von  den  Büsten 
Scipios  und  Ciceros?  warum  hat  er  keines  jener 
Judicien  der  andern  Exemplare,  auf  die  die  wissen- 
schaftliche Erklärung  angewiesen  ist,  auch  nur  mit 
einem  Worte  erwähnt?  —  Die  Antwort  auf  diese 
nahe  liegenden  Fragen  zu  geben  ist  seine  oder  des 
Lesers  Sache. 

'Das  Problem  selbst,  wem  die  Büste  gehört, 
harrt  allerdings  immer  noch  seiner  Lösung.  Für 
die  Bestimmung  des  Zeitalters  des  dargestellten 
griechischen  Dichters  giebt  der  Bart  einen  Anhalt. 
Die    Männer   aus  dem   fünften   und   auch  aus   der 

5* 


36 


Th.  Mommsen,  Inschriftbüsten. 


ersten  Hälfte  des  vierten  Jalirliunderts  tragen 
stärkere  Barte.  Bartformen,  wie  sie  die  frag- 
liche Büste  hat,  kommen  in  der  Zeit  Alexanders 
und  der  Diadochen  vor;  ferner  ist  der  Ausdruck  des 
Kopfes  weit  mehr  der  des  gelehrten  Forschers  als 
des  Dichters  aus  der  Blüthezeit  des  echten  Hellenen- 
thums.  Dies  Alles  weist  uns  auf  eine  Persön- 
lichkeit aus  dem  Frtthlingsalter  der  hellenistischen 
Cultur,  der  Zeit,  wo  der  Dichter  zugleich  Philolog 
und  Litteraturhistoriker,  Arzt  und  Astronom  ist, 
ein  Zeitansatz,  der  durch  die  entschieden  nach- 
lysippische  Formengebung  bestätigt  wird.  Von 
solchen  Erwägungen  geleitet  hatte  Dilthey  auf 
Kallimachos,  Brizio  auf  Philetas  gerathen.  Beides 
ist  nicht  bewiesen  —  denn  Brizios  Ausführungen 
können  unmöglich  für  Beweise  gelten;  aber  beides 
ist  an  sich  möglich  und  passend,  und  der  Ruhm 
und  die  Bedeutung  der  genannten  Männer  würde 
das  häufige  Vorkommen  der  Büste  vollständig  er- 
klären. Von  Herrn  Comparettis  Deutung  auf  L.  Piso 
kann  man  das  Gleiche  leider  nicht  sagen. 

Ueber  den  lustigen  Einfall  den  wunderbaren 
sog.  Berenike-Kopf,  der  in  so  frappanter  Weise 
die  Verschmelzung  des  aegyptischen  und  des  hel- 
lenischen Typus  zeigt,  dass  man  ihn  als  Symbol 
der  gesammten  alexandrinischen  Cultur  hinstellen 
könnte,  für  Aulus  Gabinius  zu  erklären,  brauche 
ich  kein  Wort  zu  verlieren.' 

2.  AUS  DEN  UFFIZIEN. 
Bei  meinem  letzten  Aufenthalt  in  Florenz  wurde 
ich  zufällig  veranlasst  in  den  Uftizien  die  in  der 
letzten  Zeit  mehrfach  besprochene  Büste  mit  In- 
schrift anzusehen,  welche  dem  König  Pyrrhos  bei- 
gelegt wird.  Die  Angabe  Dütschkes  (Archäolog. 
Zeitung  1877  S.  68  nebst  der  Abbildung  Taf.  9; 
Antike  Bildwerke  in  Oberitalien  3  S.  l'JO),  dass 
darauf,  wie  es  einmal  heisst,  'mit  vollkommener 
Deutlichkeit',  wie  anderswo  gesagt  wird  'mit  etwas 
unleserlichen  Zügen'  geschrieben  sei  PIPOC,  ist  mit 
dem  Augenschein  in  ebenso  schneidendem  Wider- 
spruch wie  die  Deutung  dieser  Lesung  auf  König 
Pyrrhos  mit  der  Grammatik.  Allerdings  ist  die  In- 
schrift,  nach  Kieseritzkys  Bericht  im  Bullelt.  delC 


Inst.  1879  p.  78,  erst  jetzt  ganz  freigelegt  und  stand 
früher  in  der  That  niPOC;  aber  dass  die  ersten 
beiden  Buchstaben  nur  auf  dem  Pech  der  Verkittung 
eingekratzt  waren,  musste  doch  auch  damals  schon 
erkennen,  wer  über  solciie  Dinge  mitreden  will. 
Ein  Bruch  geht  quer  durch  die  Inschrift;  ob  der 
untere  Theil  der  Basis,  auf  dem  von  den  letzten 
Buchstaben  die  unteren  Hälften  sich  befinden,  alt  ist 
oder  restituirt,  wird  sich  erst  ausmachen  lassen,  wenn 
die  Büste  ausgebrochen  und  die  Fuge  genau  unter- 
sucht wird,  was  im  Augenblick  nicht  zu  bewerk- 
stelligen war.  Doch  kommt  wenig  darauf  an,  da 
schon  die  oberen  unzweifelhaft  alten  Hälften  die 
Lesung  sichern.  In  der  That  ist  der  erste  Buch- 
stab, von  dem  nur  der  Vordertheil  übrig  ist,  O,  w,  C 
gewesen;  den  zweiten  erweist  die  ■  zweite  wie  oft 
etwas  höher  stehende  Spitze  //y,/  als  M;  es  folgt 
liPOC  (nicht  irPOC,  wie  Kieseritzky  meint)  oder 
HPOC.  So  seltsam  also  die  Inschrift  auf  dieser 
Büste  erscheint,  die  Lesung  OMHPOC  wird  kaum 
abzuweisen  sein.  An  ceBHPOC  habe  ich  nachträg- 
lich gedacht;  doch  glaube  ich  nicht  in  der  Spur  des 
M  mich  getäuscht  zu  haben. 

Gleichzeitig  hatte  ich  Gelegenheit  die  eben  dort 
befindliche  Inschriftbüste  der  Domitia  (vergl.  Bildw.  3 
S.  71.  72)  zu  betrachten.  Dütschkes  Abbildung  der 
Inschrift  ist  treu  und  zeigt  mit  dankenswerther  Be- 
stimmtheit den  Standpunkt  der  vollendeten  epigraphi- 
schen Unschuld  des  Katalogschreibers.  Die  Form  so- 
wohl der  Tablette  wie  die  der  Buchstaben,  namentlich 
das  sauber  mittelalterliche  M,  beweisen  auf  das  Evi- 
denteste, dass  die  Inschrift  nicht  etwa  falsch,  son- 
dern bloss  modern  ist.  Für  den,  der  die  Elemente 
der  lateinischen  Epigraphik  kennt,  genügt  eigentlich 
schon  der  Kominati v;  indess  die  bedenkliche  Frage, 
ob  der  Archäologe  vom  Fach  diese  Elemente  zu  ken- 
nen braucht,  mag  auf  sich  beruhen.  Aber  ein  be- 
scheidenes Mass  paläographischer  Kunde  und  eine 
gewisse  Fähigkeit  des  Lesens  dürfte  doch  wohl  auch 
den  Archäologen  nicht  bloss  zieren,  sondern  auch 
ihn  vor  allerlei  Schaden  und  maucljeriei  Spott  be- 
wahren, und  scheint  mir  keine  unbillige  Anforderung 
an  die  Verfertiger  von  Museumskatalogen. 

Th.  Mommsen. 


37 


BERICHTE. 


ERWERBUNGEN  DER  KÖNIGLICHEN  MUSEEN  ZU  BERLIN  IM  JAHRE  1879. 


I.  Sammlung  der  Sku 
Die  Haupterwerbung  dieses  Jalires  ist  die  der 
pergamenisclien  Altertliiimer,  durch  weiche 
die  Abtheilung-  einer  völlig  neuen  Gestalt  entgegen- 
geht. Eingehend  über  dieselbe  zu  berichten  ist  hier 
nicht  der  Ort;  das,  was  in  aller  Kürze  zu  sagen  war, 
ist  bereits  in  dem  Berichte  der  Generalverwaltung 
(Arch.  Ztg.  1879,  S.  197)  und  in  einem  im  Drucke 
erschienenen  Vortrage  (Perganion  von  Conze,  Berlin 
bei  Dümmler  1880)  mitgethcilt;  eine  etwas  aus- 
führlicliere,  wenn  auch  immer  nur  vorläufige  Nach- 
richt wird  mit  einer  Anzahl  von  Abbildungen  in 
dem  näclisten  Hefte  der  Jahrbücher  der  k.  preus- 
sischen  Kunstsammlungen  ausgegeben  werden. 

Wirklich  in  das  Museum  aufgenommen  sind  im 
Jahre  1879  alle  zu  dem  Altarbau  gehörigen  Skulp- 
turen; unterwegs  sind  noch  ausser  zahlreichen  an- 
deren Fuudstücken  die  Architekturtheile  sowohl 
des  Altarbaus,  als  auch  vom  Augusteum  und  vom 
Gymnasium,  ferner  die  Exedra  Attalos'  II,  welche 
ganz  hier  aufgerichtet  werden  wird.  Bleiben  die 
noch  ausstehenden  Stücke  auch  hinter  den  Skulp- 
turen des  Altarbaus,  namentlich  der  Gigantomachie, 
an  sensationellem  Charakter  zurück,  so  ist  ihr  Ge- 
winn dennoch  für  die  Abtheilung  namentlich  in- 
sofern wichtig,  als  damit  in  dem  Gesammtbilde 
der  Kunst  des  Alterthums,  wie  es  die  Museen 
bieten  sollen,  zum  ersten  Male  auch  die  bisher  so 
gut  wie  ganz  fehlende  Architektur  und  zwar  in 
ansehnlicher  Weise  hervortreten  wird. 

Unter  den  sonstigen  Erwerbungen  von  Origi- 
nalen gehört  ein  weiblicher  Kopf  von  weissem 
Marmor  der  älteren  griechischen  Zeit  an,  obwohl 
sich  seine  Provenienz  nicht  über  Rom  hinaus  ver- 
folgen lässt.  Er  ist  dem  Kopfe  der  sogenannten 
Penelope  im  Vatikan  (Verz.  der  Gipsabg.  im  k. 
Mus.  zu  Berlin  1880,  n.  729)  nahe  verwandt,  jedoch 
nicht  wie  diese  Figur  eine  antike  Kopie,  sondern 
eine  altgriechische  Originalarbeit. 

Der  Zeit  frei  entwickelter  griechischer  Kunst 
gehören,  wenn  auch  nur  als  untergeordnete  Ar- 
beiten, zwei  zu  dem  Aufsatze  „Hermes-Kadmilos" 
(oben  S.  1  if.)  publicirte  Reliefstücke  an,  ferner 
eine  Relieffigur  aus  Kreusis  und  eine  marmorne 
Sonnenuhr  aus  Athen.  Auf  dieser  wohl  in  der 
Diadochenzeit  gearbeiteten  Sonnenuhr  ist  einerseits 


Ipturen   und  Abgüsse. 

der  Kopf  der  Athena,  andrerseits  der  des  Dionysos, 
vorn  ausciieinend  der  des  Helios,  alle  in  flachem 
Relief  angebracht.  Unter  einigen  uns  zugekomme- 
nen Grabreliefs  geringerer  Art,  darunter  auch  drei 
aus  Pergamon,  zeichnet  sich  als  ein  sehr  gut  erhal- 
tenes Exemplar  einer  auf  den  kleinasiatischen  Küsten 
und  Inseln  niclit  seltenen  Klasse  von  Grabsteinen 
der  einer  Frau,  gefunden  in  Smyrna,  aus. 

Griechischer  Arbeit,  aber  italischen  Fundortes, 
letzteres  wenigstens  aller  Wahrscheinlichkeit  nach, 
ist  ein  Marmorthronos  mit  reich  ornamentirter 
Rückseite,  eine  völlige  Replik  des  schon  länger  be- 
kannten, im  Parthenon  aufgestellten  (Verz.  der 
Gipsabg.  n.  1287),  jedoch  ohne  eine  Inschrift. 

Von  römischen  Arbeiten  sind  nur  zwei  Sar- 
kopiiagdeckel  und  die  Doppelbüste  des  Se- 
neca  und  Sokrates  mit  antiken  Namensbei- 
schrifteu  (Arch.  Ztg.  1880,  Taf.  5)  erworben. 

Aus  Etrurien  gelangte  in  das  Museum  ein 
kleiner  Cippus  von  Orvieto  und  ein  Sarko- 
phag aus  Nenfro,  von  Norchia  stammend,  mit 
dämonischer  Reliefdarstellung,  männlicher  Deckel- 
figur und  zweizeiliger  Inschrift  des  Aruth  Churcles 
Larthal  Clan    (Deecke  Etr.  Forsch  I,  S.  11,  n.  2). 

Von  griechischen  Inschriften  erhielt  die 
Abtheilung  namentlich  vier  sepulcrale,  von  denen 
drei  Beigabe  von  Bildwerken  sind,  ferner  zwei  eben- 
falls einem  Reliefbildwerk  beigefügte  anathematische 
aus  Kula  {KoXötj  in  der  Katakekaumene)  und  das 
Bruchstück  eines  Tempelinventars  aus  Imbros  (Blau 
und  Selilottmann  Monatsber.  der  k.  Akad.  d.  W. 
zu  Berlin  1855,  S.  628,  n.  21). 

Von  den  anathematischen  Inschriften  steht  die 
eine  unter  dem  Reliefbilde  eines  nach  Rechts  hin 
reitenden  Mannes,  der  eine  Doppelaxt  in  der  Lin- 
ken hält: 

A 

ANTi.NIAANTiNIOYAno 
AiNieE-BOZHN^AIATO/» 
NABEBH.   INEMEEniTONXO 
PONENPYnAP^EnENAYTH 
5      KOA  A  E0  I  C  A  AE  .  EZ^^MOAO 

rHCAMHNKEANEGHKAEYAO 
riANOTIErENOMHNOAO'  . 
HPOC 


38 


Erwerbungen  der  Berliner  Museen  1879. 


AvTioviu  ÄvTcoviov  ÄtiÖX- 
Xiovi  d^Ecp  Bol^rjvcü  diä  ro  ä- 
vaߣßTj[x6]ve  fie  ini  zov  xo- 
gnv  Iv  QvnaQcp  kntvdvTTj, 
xoXaai^iaa  ös  i^wi-inlo- 
yrjaa  /i<»)v  xs  äv£&t]xa  evlo- 
ytav  öii  iy£v6/.tTjv  6l6[xk- 
r/QOg. 
Ueber  der  zweiten  Inschrift  ist  nur  das  Doppel- 
beil in  Eelief  dargestellt: 

ANGEZTHSANOIAP 
TEMnNOSYOlTO 
KATHAXGENSTHA 
AAPIONVnoTOYBO 
5     OSAnoAAßNITAPSI 
^v&iairjaav  ol  ^q- 
tf^icüvng  vni  to 
xatTjax^ev  arrj).- 
Xafjiov  vno  lov  ßo- 
6g  ÄnöXXwvL   TaQoi. 
Auch  ein  Grabrelief  mit  der  Darstellung  eines 
Eeiters  (nach  Kechts  hin)  stammt  aus  Kula,  unter 
dem   Eelief  die  von   Wagner  (Mein,   de  Vacad.   de 
Belgique  XXX  S.  22,  n.  IV)  publicirte  Inschrift. 

Ein   marmornes  Cinerar,    welches   aus    einem 
Grabgewölbe   bei  Sa r des  stammt,    hat  die  Form 
eines  oblongen  Kastens  (0,47  M.  lang,  0,37  M.  breit, 
0,35  M.  hoch),  auf  dessen  Vorderseite  auch  das  Schloss 
nachgebildet  ist,   mit  giebelförmigem  Deckel,  oben 
auf  dessen  vorderer  Schrägfiäche  die  Inschrift : 
eniiepewCTHCPtJMHCAlONYClOYTOYAeHNAlOY 
MHNOC    Y n eP BepeXA I OY    IA    APTeMlAWPOC 
APTEMIAWPOY     GTCüN     Me 

'Eni  legiuig  Trjg  'Pwf.iT]g  Jcovvaiov  tov  ^3-r]vaiov 
(.ir^vog    YneqßsQEtaiov  la'  JlQT£f.iiöa}Qog 

JlQZe/XldcJQOV    ETWV    (IE  . 

Ein  cylindrischer  Untersatz  von  weissem  Mar- 
mor, dessen  Aussenfläche  vier  Eroten  mit  Blumen- 
gehängen umgeben,  stammt  aus  Rhodos;  zwischen 
den  ßeliefzierrath  eingeschrieben  steht: 

ATHSAPXÖ 
K  N  IA I ZE  A 
n  I  ZK  N  I  A I 

A 
^yrjoaQyog 
Kvidi\r,\g-    Ei- 
nig Kvidia- 


Ein  kleines  Grabrelief  endlich  eines  Mädchens 
mit  einem  Hunde,  in  Konstantiuopel  gekauft,  sonst 
unbekannter  Provenienz,  ist  überschrieben : 

OAYMniAIIf2IAOY 
'OXvfinidg  ZiolXov. 

Für  diese  Inscbriftsteine  sind  wir  den  Herren 
Pfarrer  Dr.  Zschimmer  und  Generalconsul  Dr.  Busch 
zu  Dank  verbunden. 

An  Gipsabgüssen  ')  wurden  angekauft  oder 
geschenkt : 

Aus  Athen:  bemalter  Abguss  des  Gorgoneions 
(Kat.  n.  82A,  Ross,  areh.  Aufs.  I,  Taf.  VIII),  des- 
gleichen der  Aristionstele  (Kat.  n.  76),  ferner  ar- 
chaisches Grabrelief  mit  zwei  Frauen  (Kat.  n.  83  A. 
Schöne,  griech.  Rel.  XXIX,  122),  Grabrelief  von 
Abdera  (Kat.  n.  84A.  Schöne,  griech.  Rel.  XXXIX, 
123),  die  Marmorvase  mit  Marsyas  und  Athena 
(Kat.  n.  1089  B.  Areh.  Zeit.  XXXll,  Taf.  8),  die 
Grabstele  mit  griechischer  und  phöniziscber  In- 
schrift (Kat.  234  U.  Kekule  Theseion  n.  27),  das 
durch  die  Verbindung  von  Relief  und  Malerei  merk- 
würdige Grabrelief  des  Demokleides  im  Barba- 
kion  (Kat.  n.  234T),  der  Knabe  mit  dem  Vogel 
aus  Lilaia  (Kat.  n.  286  A.  Ann.  XXXI,  tat.  d'agg.  A). 

Aus  Constantinopel:  Giasgefäss  mit  den  vier 
Figuren  des  stiertragenden  Herakles,  des  Dionysos, 
des  Hermes  mit  dem  Kerykeion  in  der  rechten  und 
einem  Widderkopfe  auf  der  linken  Hand,  und  der 
Herbst-Hore,  welche  Jagdbeute  trägt  (Kat.  n.  860  A. 
Revue  archeol.  1879,  pl.  VII).  Das  Gefäss  wurde 
im  Grabe  eines  jungen  Mannes  bei  Kyzikos  ge- 
funden. 

Aus  Holkham-Hall:  die  von  Michaelis  ent- 
deckte Büste  des  Thukydides  (Kat.  774 A). 

Aus  Rom:  Kopf  der  Aphrodite  Caetani  (Kat. 
n.  1058  C). 

Aus  Turin:  Zwei  Reliefs,  das  eine  ein  Vier- 
gespann (Kat.  n.  234  S),  das  andre  ApoUon  mit 
einem  Vogel  auf  der  vorgestreckten  Hand  darstel- 
lend (Kat.  n.  74  A)  und  Statue  eines  sich  salbenden 
Athleten  (Kat.  n.  658  B).  Vergl.  areh.  Zeit.  XXV, 
S.  77*. 

CONZE. 

')  Das  kleine  Veizeichniss  der  Gipsabgüsse  ist  soeben  (1S8U) 
in  neuer,  vielfach  berichtigter  Auflage  im  Verlage  der  Weid- 
mannscfaen  Buchhandlung  erschienen. 


Erwerbungen  der  Berliner  Museen  1879. 


39 


II.     An 

Bronzen.  Kanephore,  archaische  Statuette  mit 
Weihin.schrift  (Arch.  Zeit.  1880  Tat'.  6).  Paestuiu.  — 
Statuette  der  sitzenden  Isis  mit  dem  kleinen  Horus 
auf  dem  öchoosse;  bei  Aarau  gefunden.  —  Sta- 
tuette eines  Negers  der  mit  Hosen  bekleidet  ist, 
Oberkörper  nackt,  Hände  auf  dem  Kücken.  Gute 
Arbeit.  Aegypten.  —  Klappspiegel  mit  aufge- 
nietetem Relief,  an  dem  der  Grund  ausgeschnitten. 
Dionysos  mit  Kantharos  und  Tbyrsos  nach  1,,  neben 
ihm  ein  Panther;  es  folgen,  eng  verbunden,  Fan 
und  ein  junger  Satyr.  Angeblich  aus  Galaxidi.  — 
Rund  mit  getriebenem  Löwenkopf  in  der  Mitte: 
Wandverzierung  eines  etruskischen  Grabes  (Vgl. 
Friederichs,  Berlins  antike  Bildwerke  II  n.  1310—1.3). 
Monteromano.  —  Seepferd,  von  einem  Geräth. 
Äugst  bei  Basel.  —  Kleiner  Pantherkopf,  war 
am  Ende  eines  hölzernen  Geräthes  befestigt;  eben- 
daher. —  Kleiner  Adler  auf  Postament;  Adler  auf 
einem  Eberkopf  stehend  (Bekrönung  eines  Stabes). 
Iconia.  —  Männliches  Glied,  zum  Einsetzen  in  eine 
Votivstele  bestimmt.  F.-O.  unbekannt.  —  Bronze- 
geräthe  (2  Schalen,  3  Kannen,  Napf,  3  Spiegel). 
Nau paktos  —  Fragmente  einer  grossen  Hydria. 
Smyrna.  —  Ring  mit  Inschrift  AOMNOY. 

Blei.  Schleuderblei  mit  Scorpion  und  Blitz. 
Dardanellen.  —  Schleuderblei  mit  Inschrift  BA- 
XIAEfls:  AAEIANAPOY.     Athen. 

Inschriften.  Bronzeplatte  mit  Ehrendecret  der 
(bisher  unbekannten)  Stadt  Anisa  (in  Syrien?). 
Zu  beiden  Seiten  der  Inschrift  eine  korintliische 
Halbsäule,  auf  welcher  ein  das  Gebälk  stützender 
Jüngling  in  Chiton  steht.  (Der  zur  L.  fehlt  ebenso 
wie  das  Gebälk.)    F.-O.  unbekannt. 

Silber.  Fibula  mit  Filigranornamenten,  aus 
einem  der  ältesten  Gräber  von  Orvieto. 

Miscellaneen.  Halbes  Diptychon  des  Con- 
suls  Anastasius  (W.  Meyer,  Zwei  antike  Elfenbein- 
tafeln S.  67  n.  15a).  —  Diptychon  des  Justinus 
(ebenda  S.  74  n.  31;  Taf.  I).  Aus  der  früheren 
Kunstkammer  dem  Antiquarium  überwiesen. 

Glas.  Achteckiger  Stift  von  hellgrünem  Glas  mit 
abgestumpfter  Spitze,  oben  durchbohrt  (Anhängsel?). 
Aus  einem  der  ältesten  Gräber  der  Necropole  von 
Orvieto  {Bull,  dell'  bist.  1879  S.  230,  8).  —  Runde 
Büchse  ohne  Deckel.  Athen.  —  Zwei  Armbänder, 
eines  in  Form  einer  Schlange;  ebendaher.  —  Pet- 
schaft mit  sitzendem  geflügelten  Löwen.     Iconia. 

Geschnittene  Steine.  Hermes-Kopf  mit  Stirn- 
flügeln und  Kerykeion.    Schöne  Arbeit.    Onyx.    La- 


tiquarium. 

konien.  —  Gesprenkelter  Jaspis,  auf  dem  gewölb- 
ten Rücken  eingeschnitten  ein  rennender  Panther. 
Kleinasien.  —  Doppelseitige  Abraxas- Gemme, 
Bergkrystall.  —  Cicade  aus  ßergkrystall.  Rom.  — 
Schreitender  Löwe,  erhaben  geschnitten;  Chalcedon. 
Kleinasien. 

Terrakotten.  Aus  Griechenland:  Archaische 
weibliche  Figur  mit  Diadem,  eine  Blume  haltend; 
Beine  in  Profil.  Halae  in  Lokris.  —  Derselbe 
Typus,  etwas  entwickelter.  F.-O.  unbekannt.  — 
Weibl.  Idol,  der  Körper  walzenförmig,  mit  Wulst 
um  den  Kopf.  Tanagra.  —  Alterthümliche  sitzende 
Frau,  von  einem  Gefäss.  Cypern.  —  Thronende 
Göttin,  die  Arme  an  den  Körper  gelegt.  Halae 
in  Lokris.  —  Thronende  Göttin,  in  jeder  Hand 
einen  Apfel.  Atalanti.  —  Thronende  Göttinnen, 
die  eine  mit  Modius,  die  andre  mit  Blume  in  der 
R.;  Hydrophore  mit  Ferkel;  runde  Scheibe  mit  aus- 
gezacktem Rand,  darauf  ein  Gorgoneion  mit  Thier- 
ohreu  in  Relief.  Von  Hag.  Sostis  (Tegea),  vgl. 
Mitth.  IV  S.  171.  —  Geflügelte  weibl.  Figur  schwe- 
bend, ganz  in  den  Mantel  eingehüllt  (Eidolon?). 
Sehr  schön.  Eros  schwebend  trägt  eine  grosse  Am- 
phora. Tanagra.  —  Stehender  Papposilen,  mehr- 
fach beschädigt,  gute  Arbeit.  Piraeus.  —  Trun- 
kene Alte  mit  Weinschlauch,  ganz  kleines  Figür- 
chen.  Korinth.  —  Komischer  Schauspieler,  Frag- 
ment. Korseia  in  Lokris.  —  Kl.  Fuss  mit  Sandale. 
Silensmaske  in  Relief  (unter  dem  Henkel  eines  rothen 
Thongefässes  angebracht  gewesen).     Athen. 

Aus  Kleinasien:  Tragischer  Schauspieler. 
Pergamon.  —  Weibliche  Gewandfigur  nach  1. 
schreitend.  Alte  Frau  ein  Mädchen  an  der  Hand 
führend.  Tänzerin  mit  Krotala.  Myrina  in  Aeolis 
(Geschenke  des  Herrn  E.  Baltazzi).  —  Sitzende 
Frau  mit  Schleier  reicht  einem  Kinde  die  Brust. 
An  der  Rückseite  unten  eingedrückt  IM.  Kirka- 
gatsch.  —  Stehender  Eros,  bekränzt,  hebt  den  Rand 
seines  Chiton,  eine  Spange  um  den  Oberschenkel 
sehen  lassend.  Kynie  in  Aeolis.  —  Fragmentirte 
Figuren  aus  Assos  (Geschenk  des  Herrn  Prof. 
Virchow):  thronende  Göttin  mit  Blüthe,  archaisch; 
Pferd  mit  Knaben  als  Reiter;  2  Hydrophoren 
u.  s.  w.  —  Maske  mit  spitzer  Mütze;  3  Carri- 
caturen;  Relief  von  einem  Gefässboden:  erotisches 
Symplegma.  Dardanellen.  —  Fragment  eines  Re- 
liefs: Herakles  und  Autaios. 

Aus  Italien:  Zwei  nebeneinander  thronende 
Göttinnen,  zwischen  ihnen  sitzendes  Kind  (vgl.  Ger- 


40 


Erwerbungen  der  Berliner  Museen  1879. 


bard,  Antike  Bildw.  Taf.  2).  Cerveteri.  ~  Eros 
an  einen  Pfeiler  gelehnt;  derselbe  in  Helm  und 
Panzer.  Curti.  —  Schüssel  mit  Früchten  und 
Kuchen  u.  s.  w.  aus  einem  Grabe  bei  Orvieto.  — 
Ötirnziegel  mit  Silenskopf.  Orte.  —  Römisches 
Friesrelief  mit  der  Auffindung  des  Telephos  (ähn- 
lich, doch  nicht  aus  derselben  Form  Campaua  Opere 
in  plastica  tav.  25).  —  Lampe.  Chiron  lehrt  Achill 
die  Leyer  spielen.     Corneto. 

Vasen.  Aus  Griechenland:  Zwei  Giessgefässe 
mit  phantastischem  Pflauzenoruament,  auf  dem  einen 
ein  Vogel  (?),  den  mykeuischen  Gefässen  ver- 
wandt. Kreta.  —  Viereckiger  Kasten  aus  blassem 
Thon  mit  Deckel,  auf  welchem  2  Schlangen.  Lang- 
seite a:  Persische  Artemis  zwei  Vögel  haltend;  an- 
gebundenes Pferd.  Schmalseite  a:  Frau  ein  Pferd 
am  Zaum  haltend.  Langseite  b:  Mann  mit  Lago- 
bolon,  Hund,  Hase.  Schmalseite  b:  Hund,  Hase. 
Der  Grund  mit  Ornamenten,  uameutl.  Henkelkreuz 
und  Palmetten,  gefüllt.  Theben.  —  Aryballos, 
asiatisches  Ornament,  am  Henkel  Kopf  in  Profil. 
Ebendaher.  —  Balsamar  in  Gestalt  einer  Sirene, 
blassgelber  Thou  mit  schwarzen  Puncten.  Aegina.  — 
Balsamar  in  Gestalt  einer  Sphiux,  die  in  einen  Vogel- 
körper endigt;  aus  gelblich  glasirtem  Thon  (phö- 
nikisch'?).     Aegina. 

Schwarzfigurige  Vasen:  Zweihenkliger  Be- 
cher mit  Thierfiguren  auf  schmalem  Streifen.  Ko- 
rinth.  —  Fragmente  eines  grossen,  tiefen  Beckens 
mit  Ausgusstülle  und  seitlichen  Henkeln.  Bildstrei- 
fen unter  dem  Rand  des  Gefässes:  a)  Zwei  geflü- 
gelte Gestalten  in  kurzem  Ciiiton  nach  r.  Inschrift 
l4(}£Tivia.  b)  Perseus  (Tlegeiig  sie!)  in  Chitou,  Flü- 
gelstiefeln, Kappe,  ein  Schwert  umgeljuuden,  in 
eiligem  Laufe  nach  r.  Links  Athene  {Ä&Evaia)  in 
Chiton  und  Mantel  ruhig  stehend.  Auf  dem  unteren 
Streifen:  Sphinxe,  weidende  Pferde,  dann  Streifen 
mit  Palmettenornament.  Aegina.  —  Teller  mit 
erhobenem  Rand,  blassrother  Thon.  Sitzender  Dio- 
nysos mit  Trinkhorn,  ihm  gegenüber  eine  sitzende 
Frau  mit  Blume  in  der  erhobenen  L.  Marathon.  — 
Zwei  Kannen:  (=  Berlin  n.  G33)  a)  Krieger,  h)  Ama- 
zone neben  einem  Pferd  stehend.  Mykenae.  — 
Attische  Lekythen.  Mit  weissem  Grund.:  Athene 
einen  Giganten  zu  Boden  werfend,  rechts  und  links 
je  eine  Amazone  zu  Pferde  (tiüclitig).  Mit  rothem 
Grund:  Theseus  und  Minotaurus  (flüchtig).  Grösser: 
Paris- Urtheil.  Hermes  hält  den  Paris  mit  Gewalt 
fest.  Eingeritzte  Contourzeichnung  mit  aufgesetztem 
Roth:  Silen  mit  Leyer  nach  r.  schreitend.  —  Le- 
kythen  mit  Contourzeichnung  aus  Athen:    Sitzende 


Frau  mit  Wachtel;  vor  ihr  stehend  ein  Mann  mit 
Stab ;  Inschriften  'OlvvmxoG  xaXög.  6  nalg  xaAog. 
Auf  der  Schulter  des  Gefässes  schwebender  Eros. 
Abschiedsscene :  Bärtiger  Krieger  in  voller  Rüstung, 
dem  eine  Frau  ein  Wickelkind  hinhält.  Längliches 
Alabastron  derselben  Technik:  Sitzender  Jüngling 
mit  Stab,  vor  ihm  Panther,  dann  stehende  Frau  mit 
Schale. 

Polychrome  Lekythen  mit  schwarzer  Contour- 
zeichnung: a)  Mann  mit  einem  Kind  im  Arm. 
Taenie.  b)  Grabstele,  1.  bärtiger  Mann  mit  Stab, 
eine  Lekythos  haltend,  rechts  unbärtige  Gewand- 
figur, c)  Grabstele,  1.  Frau,  zu  deren  Füssen  ein 
Krug;  r.  Maun,  beide  mit  Geberden  der  Trauer. 
Suniou.  —  Polychrome  Lekythos:  Jüngling  zu 
Pferde  (mit  Chlamys,  Petasos,  Lanze)  vor  eiuer 
Grabstele.    Athen. 

Rothfigurige  Vasen:  Aryballos  mit  kleinen 
(jetzt  fehlenden)  Henkeln.  Gesandtscliaft  an  Achill: 
Achill  trauernd,  Odysseus,  Diomedes,  Phoinix,  Aias 
(sämmtlicli  mit  Inschriften).  Feinste,  noch  etwas 
strenge  Zeichnung.  Athen.  —  Bauchige  Lekythos 
mit  langem,  engem  Hals :  Sitzende  Frau  mit  Schale 
vor  einem  Kottabosständer.  L.  stehendes  Mädchen, 
Flöten  spielend.  Attika.  —  Kleine  Hydria:  3  Mäd- 
chen mit  Wollarbeit  beschäftigt.  Strenge  Zeichnung. 
Aegina.  —  Kleine  Kanne  mit  Goldschmuck  (s.  Arch. 
Zeit.  1879  S.  93  Anm.  1):  Aphrodite  auf  dem  Schwan, 
von  anderen  Figuren  umgeben.     Athen. 

Glocke  (?)  aus  Thon;  auf  rothem  Streifen  schwarz 
aufgemalt:  AiavTidw  elfiL  Athen.  —  Zwei  Becher 
mit  schwarzem  Firniss,  eingeritzt:  (DiXlag;  Deckel 
mit  Bügel,  auf  der  convexen  Seite  (roth  auf  weissem 
Grund)  eiu  Tascheukrebs;  bauchiges  Gefäss  mit  ganz 
engem  Hals  und  weiter  Mündung,  schwarz  gefirnisst. 
Theben. 

Vasen  aus  Italien.  Obertheil  eines  Balsamars, 
Aphrodite  mit  Taube  (Körte,  Arch.  Zeit.  1877  S.  177 
Anm.  32).  Cerveteri.  —  Schwarzfig.  Schale  des 
Kikosthenes  uud  Anakies.  Herakles  mit  der  Hydra, 
zweimal.  Orvieto.  (Bull.  deW  Inst.  1879  S.  4).  — 
Kleiner  Teller  des  Sosias  mit  hockendem  Silen  (Ga- 
zeitc archeol.  1878  pl.  25).  —  Amphora  mit  gewunde- 
nen Henkeln.  Dionysos,  bärtig  mit  Leyer  und  Sonnen- 
schirm —  bärtiger  Mann  aufschauend.  Orvieto. 
(Bull.  deW  Inst.  1879  S.  3  f.).  —  Bauchige  Oenochoe, 
Athene  ein  Pferd  aus  Thon  modellirend.  Capua.  — 
Zweihenkliger  Becher  iu  Gestalt  eines  Dojtijclkopfes 
(Satyr  und  Bacchantin).  Corneto.  —  Teller  mit 
Fuss :  Weiblicher  Kopf.  Flüchtige  Zeichnung  (lokal- 
etruskiscli).     Vetralla.  G.  Kiirte. 


Sitzungsberichte. 


41 


SITZUNGSBERICHTE. 
Archäologische  Gesellschaft  iu  Berlin. 


Sitzung  vom  6.  Januar  1880.  Nacli  der  durch 
Acclamation  vollzogenen  Wiederwahl  des  Vorstandes 
der  Gesellschaft  legte  der  Vorsitzende  Herr  Curtius 
vor:  'lazoQixij  exd^eaig  twv  ngd^ecov  rfjg  sv  Idd-t'jvaig 
aQXacoXoyixfjg  sTaiglag  und  Ev&.  Äßorop^'?)  von 
Alten,  Bohlwege  und  Rümerwege  im  Herzogthum  Ol- 
denburg; Albert  Duncker,  Rechtsrheinische  Limes- 
forschung; Ders.,  Römischer  Main-Uebergang  zwi- 
schen Hanau  und  Kesselsbach;  P.  Pervanoglu,  GH 
Istri]  Virchow,  Troja  (aus  der  Deutschen  Rund- 
schau); Lösche  ke,  Alt -Spartanische  Basis  (Pro- 
gramm von  Dorpat);  C.  Lange,  die  Statuenbeschrei- 
bung des  Christodor  und  Libanios  (Rliein.  Museum); 
Overbeck,  Analekten  zur  Erklärung  der  Parthenon- 
Skulpturen  (Berichte  der  sächs.  Gesellsch.  der  Wissen- 
schaft); Th.  Schreiber,  Apollon  Pythoktonos;  Le- 
normant,  //  milo  di  Ado7ie-Tammuz  (aus  den  Ver- 
handlungen des  Orientalistencongresses  zu  Florenz 
1878);  Satura  philologa  Hermanno  Sauppio  ob- 
tulit  amicornm  decas.  —  Herr  von  Kor  ff  berich- 
tete über  seine  Reisen  in  Griechenland.  —  Herr 
Conze  gab  eine  summarische  Uebersicht  der  auf 
Anlass  der  Humannschen  Entdeckungen  iu 
Pergamon  ausgefiihrteu  Untersuchungen,  deren 
Resultate  besonderer  Publication  und  zwar,  soweit 
sie  die  Architecturwerke  betreffen,  durch  die  noch 
am  Orte  in  der  Arbeit  begriffenen  Herren  Bohn 
imd  Stiller,  welchem  letzteren  Herr  Raschdorff  zur 
Seite  steht,  vorbehalten  bleiben.  Herr  Humann 
hat  hierzu  in  den  letzten  Monaten  seiner  erfolg- 
reichen Thätigkeit  einen  Plan  der  Akropolis  von 
Pergamon  in  neuer  Aufnahme  geliefert.  Die  von 
Herrn  Konstantin  jun.  aus  Athen  aufgenommenen 
Photographien  pergamenischer  Baureste  wurden  der 
Gesellschaft  vorgelegt.  Da  die  erwähnte  Publikation 
ihrem  gesammten  Umfange  nach  erst  im  Laufe  der 
Jahre  zum  Erscheinen  gebracht  werden  kann,  so 
ist  die  Herausgabe  eines  vorläufigen  Berichts  seitens 
aller  an  den  Arbeiten  betheiligten  Herren  etwa  für 
Pfingsten  d.  J.  in  Vorbereitung;  diesem  Berichte  wer- 
den unter  Anderm  auch  Zeichnungen  einiger  Haupt- 
gruppen der  Gigantomachie  von  der  Hand  des  Herrn 
Otto  Knille  beigegeben  werden.  —  Zum  Schlüsse 
legte  der  Vorsitzende  eine  Zeichnung  (von  Herrn 
Architekt  Graef)  des  in  Olympia  kürzlich  gefun- 
denen rechten  Fasses  des  Hermes  des  Praxi- 
teles vor. 

Archiiolog.  Ztg.,   Jahrgang  XXXVIII. 


Sitzung  vom  3.  Februar  1880.  Nachdem  für 
die  Verwaltung  der  Geldmittel  der  Gesellschaft 
im  Jalire  1879  Decharge  ertheilt  war,  verkündete 
Herr  Curtius  die  Aufnahme  der  Herren  Hin- 
richs  und  Buermann  zu  ordentlichen  Mitglie- 
dern. —  Herr  Robert  legte  zunächst  A.  Mau's 
pompejanische  Beiträge  vor;  auf  einige  baugeschicht- 
liche Fragen  näher  eingehend,  scliloss  er  sich  im 
Wesentlichen  den  Ausführungen  des  Verfassers  an. 
Gleich  diesem  Buche  ist  auch  eine  grössere  Publi- 
cation der  italienischen  Regierung  zu  der  im  Sep- 
tember V.  J.  begangenen  1800jährigen  Gedenkfeier 
der  Verschüttung  Pompeji's  erschienen:  Pompei  e 
la  regione  sotlerrata  del  Vesuvio;  aus  dem  reichen 
Inhalt  hob  der  Vortragende  als  besonders  dankens- 
werth  die  Fortsetzung  des  Helbigschen  Kataloges 
der  pompejanischen  Gemälde  durch  Sogliano  hervor. 
Endlich  besprach  er  den  1.  Theil  des  1.  Bandes  des 
von  Kekul6  geleiteten  grossen  Terrakotten werkes: 
„Die  Terrakotten  von  Pompeji"  von  H.  von  Roh- 
den.  —  Herr  Hübner  legte  vor  den  an  die  General- 
verwaltung der  Kgl.  Museen  eingesandten  Bericht 
des  Obersten  Wolf  über  die  bei  Gelegenheit  des 
Neubaues  eines  Directions-Wohngebäudes  der  Kgl. 
Artilleriewerkstatt  zu  Deutz  zu  Tage  getretenen 
Ueberreste  des  römischen  Castells  (vgl.  Arcli.  Ztg. 
1879  S.  202).  —  Herr  Curtius  besprach  die  kleine 
neugriecliische  Schrift  von  Cavadias  über  Paeonios, 
welche  sich  im  Wesentlichen  an  den  Aufsatz  von 
Brunn  anschliesst,  und  entwickelte  seine  abweichende 
Deutung  der  Statuen  der  s.  g.  Tyrannenmörder 
auf  eine  dem  Gemälde  des  Panaenos  entnommene 
Gruppe:  Miltiades  und  Kallimachos  als  Vorkämpfer 
in  der  Schlacht  bei  Marathon  (s.  Hermes  XV 
S.  147  ff.).  —  Herr  Adler  sprach  über  die  Bauge- 
schichte des  Heraion  zu  Olympia,  woran  Herr  Cur- 
tius einige  Bemerkungen  über  die  Bedeutung  des 
Heradienstes  für  die  älteste  Geschichte  von  Olympia 
knüpfte. 

Sitzung  vom  2.  März  1880.  Herr  Curtius 
proclamirte  die  Aufnahme  der  Herren  Hauck  und 
Becker  als  ordentliche  Mitglieder  und  besprach 
die  neu  eingegangenen  Schriften:  Virchow,  Bei- 
träge zur  Landeskunde  der  Troas  (Abhandlungen 
der  Berliner  Akademie  d.  Wissensch.);  Frangois 
Lenormant,  Les  antiquites  de  la  Troade  II  und 
Les  antiquites  de  Mycines  (Gazette  des  beaux  arts); 

6 


42 


Sitznnsrsberichte. 


Bursian,    Orgeonen- Inschriften   aus  dem  Piraeus 
(Berichte  der  Müuchener  Akademie);    Julius,   Ee- 
cension  von  C.  Lange,    die  Conipositiou  der  aeg'i- 
netischen  Giebelsculpturen  (Fieckeisens  Jahrbücher); 
Hans  Hildebrand,    Fynden  i  Troas;    Bericht  der 
Times  rom   26.  Februar    über  eineu   in    der  Roj^al 
Academy  gehaltenen  Vortrag  von  Newton  über  die 
deutschen  Ausgrabungen  in  Olympia.  —  Herr  Körte 
verlas  eine  von  Herrn  Treu  eingesandte  Abhandlung 
über  die  Eeconstructiou  der  Giebelreliefs  am  Schatz- 
hause der  Megarer  zu  Olympia.  —  Herr   Adler 
legte  die  neuesten  aus  Olympia  eingegangenen  archi- 
tektonischen Zeichnungen  vor.  —  Herr  Weil    be- 
sprach   den    Katalog    der    macedonischen    Münzen 
des  britischen  Jluseums,    bearbeitet  von  B.  Head. 
In  der  historischen  Einleitung  weist  der  Verf.  nach, 
wie   bis  auf  die  Zeit  Philipps  II.  das  Gebiet   des 
euböisch-attischen  Münzfusses    auf  die  Chalkidike 
beschränkt  geblieben  ist,    während  in  den  übrigen 
Theilen  Macedoniens,  an  der  Küste  sowohl  wie  im 
Binnenlande,  der  babylonische  und  der  graeco-asia- 
tische  Münzfuss  herrschend  waren.  —  Herr  Conze 
machte  Mittheilungen   über  die  verschiedenen  Sta- 
dien, welche  die  Entdeckung  des   grossen  Samo- 
thrakischeu  Anathems  der  Nike  auf  einem  Schiffs- 
vordertiieil   durchlaufen   hat.      Auf  die   Auffindung 
der  Statue  durch  Herrn  Champoiseau  im  Jahre  1865 
und  ihren  Transport  in  den  Louvre  folgte  die  erste 
literarische  Würdigung  ihres  künstlerischen  Werthes 
durcli  Herrn  Frijhuer  und  die  Formung  für  Berlin, 
München  und  Wien,    sodann   die  uns  zuerst  durch 
Herrn  Bode  gebraclite  Nachricht  von  der  Existenz 
erheblicher    im    Fröhnerschen    Kataloge    nicht   er- 
wähnter Fragmente  der  Statue  im  Louvre.     Inzwi- 
schen war  die  Untersuchung  der  au  Ort  und  Stelle 
zurückgebliebenen  Reste  des  Unterbaues  durch  die 
österreichische   Expedition    im  Jahre   1875    erfolgt. 
Danach    machte   Herr  Hauser    zuerst  die    für   das 
Verständniss  des   ganzen   Denkmals    entscheidende 
Beobachtung,   dass  der  Unterbau  die  Gestalt  eines 
Schififsvordertheils  gehabt  haben  müsse,  eine  Beo- 
baclitung,   die  Herr  Graser  bekräftigte   und   durch 
deren    Mittheilung    an   Herrn   Champoiseau    dieser 
veranlasst  wurde,    auch  die  Reste  des  Unterbaues 
in  den  Louvre  zu  schaffen.    Auf  Grund  alles  somit 
Gewonnenen  unternahm  endlich  Herr  Zumbusch  in 
Wien   die  Restauration   des  Monuments  in  verklei- 
nerter Nachbildung  im  Anschlüsse  an  einen  Münz- 
typus des  Demetrios  Poliorketes.    Nach  eingehender 
Untersuchung  führt  Herr  Benndorf  im  zweiten  bald 
erscheinenden   Bande    der    'archäologischen    Unter- 


suchungen auf  Samothrake'  das  Monument  geradezu 
auf  den  grossen  Seesieg  des  Demetrios  beim  kypri- 
scheu  Salamis  im  Jahre  306  v.  Chr.  als  eine  Weihung 
des  Siegers  au  die  samothrakischen  Götter  zurück. 
Die  Restauration  von  Zumbusch  wird  bald  im  Ber- 
liner Museum  aufgestellt  werden.  —  Herr  Curtius 
sprach  über  die  neuerdings  bezeugte  Institution  der 
lEQol'innaQXOi,  der  Anführer  der  berittenen  Schutz- 
wache des  Artemistenipels  zu  Ephesos.  —  Herr 
Mommsen  besprach  eine  den  letzten  Ausgrabungen 
in  Deutz  entstammende  römische  Inschrift  und  wies 
auf  die  eigenthümlichen  Nachlässigkeiten  in  dersel- 
ben hin.  —  Herr  Robert  theilte  eine  neue  Deutung 
des  bisher  auf  die  Opferung  der  Iphigenia  bezogenen 
pompejanischen  Gemäldes  Heibig  n.  1305  (Zahn 
II,  61)  auf  Admet,  Alkestis  und  Orcus  mit.  — 
Herr  Bormann  sprach  über  eine  von  ihm  im  vori- 
gen Winter  zu  Rom  in  dem  Palast  der  Propaganda 
wieder  aufgefundene  kleine  Basis,  deren  früher  auf 
verschiedene  Weise  hergestellte  Aufschrift  von  ihm 
mit  Sicherheit  so  gelesen  wurde: 

Hercules  inmcte,  sancte  Silvani  nepos, 
hie  advenisli.     Ne  quid  hie  ßat  mali! 
GCenio)  p(opuli)  RComatd)  f(eliciter)! 
Die  beiden   lateinischen   Trimeter   zu  Anfang  sind 
Umbildung  der  bekannten  griechischen: 

n  xov  /liog  nalg  xaXhvixog  Hgaxlfjs 
ivi^äÖE  xaToixei'  firjdev  tlaixio  xcexöv. 
Auf  dem  römischen  Altar  ist  also  für  'Sohn  des  Zeus' 
eingesetzt  'Enkel  des  Silvan'  und  ein  Segenswunsch 
für  den  Genius  des  römischeu  Volkes  zugefügt.  Dies 
glaubte  der  Vortragende  durch  die  Annahme  er- 
klären zu  können,  dass  sich  die  Inschrift  auf  den 
Kaiser  Commodus  bezieht,  der  auf  den  Münzen  als 
Bereutes  Commodianus  oder  Hereules  Romanus  er- 
scheint. Als  er  den  Coloss  des  Nero  zu  seinem 
eigenen  Bildniss  als  Hercules  umgestalten  Hess, 
machte  man  nach  Dio  das  Epigramm: 

6  tov  /liog  ndig  xalllvixog  'FJQaxXrjg 
ovx  slfti  ytovxiog,  äXK  ävayxäi^ovai  /.te 
also  eine  Parodie  jener  Verse.  Der  Hercules-Com- 
modus  ist  zugleich  als  Genius  des  römischen  Volkes 
auf  einem  Medaillon  durch  Füllhorn  in  der  L.  und 
Opferschale  in  der  R.  bezeichnet  (iFröhner,  M6- 
daillo/is  p.  139).  Nach  dem  Vortragenden  ist  bei 
diesem  Hercules  die  Abweichung  von  der  gewöhn- 
licheu  Genealogie  weniger  autfallend.  Wenn  die 
Griechen,  auf  die  der  Gebrauch  einen  lebenden 
Menschen  zu  einem  bestimmten  Gott  zu  machen  zu- 
rückgeht, dem  Namen  desselben  gewöhnlicli  veog 
oder   Vi«  vorsetzen,    so  dass   z.  B.  M.  Aurel  und 


Sitzungsberichte. 


43 


L.  Verus  3enl  'Oh'finini  vsni  Jinaxovgoi  heissen, 
Julia,  die  Gattin  von  Septimius  Severus,  via  "Hqa 
'Pwftaia,  Plotina  ^qiQodkrj,  &ea  vswxeQa,  so  deute 
der  Zusatz  an,  dass  die  Identification  nicht  völlig 
sei.  Hat  sich  dieselbe  möglicher  Weise  nicht  mit 
auf  die  Herkunft  erstreckt,  so  konnte  Hercules- 
Commodus  auch  in  ein  verwandtschaftliches  Ver- 
hältniss  zu  Silvan  gebracht  werden.  Nach  dem 
Zeugniss  der  Inschriften  sei  Silvan  der  Patron  der 
Gladiatoren,  wenigstens  zu  Commodus  Zeit  und  in 
Rom  bei  seineu  Banden  gewesen.  Nun  war  Com- 
modus stolz  auf  seine  Tüchtigkeit  als  Gladiator  und 
auf  diese  geht  nach  den  Schriftstellern  seine  Verehrung 
als  Hercules  zurück:  so  ersclieine  die  Anknüpfung 
an  Silvan  nicht  unerklärlich.  Herr  Mommsen,  der 
mit  der  Beziehung  auf  Commodus  einverstanden 
war,  erklärte  sich  mit  Entschiedenheit  gegen  die 
Ansicht,  dass  die  Herkunft  des  als  Hercules  gelten- 
den Commodus  von  der  des  Hercules  hätte  verschie- 
den gedacht  werden  können.  Es  müsse  eine  Sage 
gegeben  haben,  nach  der  die  Mutter  des  Hercules 
eine  Tochter  des  Silvan  war. 

Sitzung  vom  6.  April  1880.  Der  Vorsitzende, 
Herr  Schöne,  theilte  ein  an  die  Gesellschaft  gerich- 
tetes Telegramm  des  Herrn  Treu  aus  Olympia 
mit,  worin  derselbe  über  den  gefundenen  Kopf  des 
Dionysos  aus  der  Gruppe  des  Praxiteles  berichtet. 
Ferner  machte  er  die  sehr  erfreuliche  Mittheilung, 
dass  die  griechische  literarische  Gesellschaft  zu  Con- 
stantinopel  der  deutscheu  Regierung  ein  in  ihrer 
Sammlung  befindliches  zu  den  Sculpturen  des  grossen 
Altars  von  Pergamon  gehöriges  Fragment,  welches 
an  eine  der  in  unser  Museum  gelangten  Platten  an- 
passt,  zum  Geschenk  gemacht  habe.  Daran  knüpfte 
er  den  Ausdruck  besonderen  Dankes  an  den  an- 
wesenden griechischen  Gesandten  Herrn  Rangabe, 
dessen  gütiger  Vermittelung  jener  Entschluss  we- 
sentlich mitzudanken  ist.  Von  neuen  Erscheinun- 
gen konnten  vorgelegt  werden:  Overbeck,  Ge- 
schichte der  griechischen  Plastik.  3.  Aufl.,  Liefrg.  1 ; 
Stark,  Handbuch  der  Archäologie  I,  2  (das  Werk 
soll  nicht  weiter  fortgesetzt  werden);  Fergusson, 
Erechtheion,  übersetzt  von  Dr.  Ludwig  Meyer,  be- 
vorwortet  von  Schliemann;  Programm  des  Johan- 
neums  in  Hamburg  mit  einer  Abhandlung  von 
Dütschke  über  ein  Relief  mit  der  Darstellung  der 


Familie  des  Augustus  in  Florenz;  M.  C.  Descemet, 
Marques  de  briqites  relatives  ä  utte  parlie  de  la  getis 
Domitia.     An  das  letztere  Werk  knüpfte  der  Vor- 
sitzende einige  Bemerkungen,  indem  er  namentlich 
hervorhob,  wie  man  einzelne  Sklaven  an  der  Hand 
der  Inschriften  durch  mehrere  Phasen  ihres  Lebens 
begleiten  könne.   —    Herr  Mommsen   sprach  über 
einige  Inschriften   auf  neuerdings   am   Esquilin,  in 
Campanien  und  Etrurien   aufgefundenen  Gefässen, 
welche  sämmtlich  aus  der  Fabrik  von  Cales  stam- 
men.    Die  Verfertiger   dieser   Gefässe  führen  Vor- 
uud  Gentil-Namen  wie  die  römischen  Bürger,  aber 
mit  einem   Zusätze,   z.  B.  C.  s.  =  Caji  servus:    es 
waren    also   Sklaven,    die   mit   Bewilligung   ihrer 
Herren  sich  als  Freie  gerirten.     Dies  sei,  so  führte 
der  Vortragende  aus,  die  in  den  älteren  Zeiten  der 
Republik  allein  üblich  gewesene  Art  der  Freilassung, 
ein  rein  privatrechtlicher  Act,    wonach  dem  Herrn 
die  volle  Gewalt  über  den  Sklaven  verblieb.    Erst 
allmählich   habe  sich  die  wirkliche  Freilassung  in 
das   römische   Recht    eingeschlichen.     Die   richtige 
Auffassung   dieses   Verhältnisses,    wie  sie   Redner 
schon  früher  angenommen  und  nun  durch  jene  In- 
schriften  eine  monumentale  Bestätigung  findet,   ist 
von  der  einschneidendsten  Bedeutung  für  die  ganze 
ältere  römische  Geschichte:    auf  jene   ältere,    rein 
privatrechtliclie  Freilassung  sei  die  Entstehung  der 
plebs  zurückzuführen.  —  Herr  Körte  berichtete  über 
den   Fortgang   der   Arbeit  am  2.  Baude   des   vom 
Institut    herausgegebenen    etruskischen    Urnen- 
Werkes,    dessen    Publication    ihm    übertragen    ist. 
Der  Inhalt  des  Bandes   wurde   kurz   characterisirt 
und   dann  mehrere   Serien   von   Urnenzeichnungen 
vorgelegt,  für  welche  der  Vortragende  neue  oder 
besser    begründete    Deutungen   geben    zu    können 
glaubte.  —  Herr  Bor  mann  sprach  über  die  s.  g. 
latercula  miliium  aus  Rom  und  wies  nach,  dass 
diese  Inschriftplatten  mit  nach  Centurien  geordneten 
Namenlisten  die  Bekleidung  von  aediculae  bildeten, 
welche  die  Soldaten  der  römischen   Besatzung  bei 
Gelegenheit   ihrer   Entlassung   stifteten.     Die    vor- 
geschriebenen Jahre   bezeichnen  die  Zeit  der  Ein- 
stellung; dass  gewöhnlich  zwei  Jahre  angegeben  sind, 
glaubt  der  Vortragende  am    wahrscheinlichsten  so 
erklären  zu  können,  dass  alle  zwei  Jahre  Entlas- 
sung stattgefunden  hat. 


DIE  AUSGRABUNGEN  YON  OLYMPIA. 


BERICHTE. 


39. 

Der  rechte  Fuss  des  praxitelischen  Hermes  ist 
am  23.  December  bei  der  Umliackuiig  der  Erde 
zwischen  der  Cellawand  und  den  Südsäulen  des 
Heraion  ausgegraben  worden.  Hier  scheint  er  lie- 
gen geblieben  zu  sein,  als  man  die  Unterbeine  der 
Statue  und  die  Obersteine  ihrer  Basis  verschleppte, 
und  wurde  dann  in  den  Boden  des  Tempelumgan- 
ges eingetreten,  denn  er  lag  nur  25  Cm.  unter  dem 
Stylobat.  Es  darf  als  ein  glücklicher  Zufall  be- 
zeichnet werden,  dass,  nach  den  Fundorten  von 
Hermesfuss  und  Dionysosrumpf  zu  urtheilen,  die 
fehlenden  Theile  unserer  Gruppe  nach  S.,  resp. 
S.W.  verschleppt  worden  sind;  denn  nun  haben  wir 
Hoffnung,  dieselben  vielleicht  in  den  noch  auszu- 
grabenden Terrains  südwestlich  vom  Heraion  wie- 
der aufzufinden. 

Der  Fuss  ist  übrigens  nicht  nur  als  Ergänzung 
des  schönsten  aller  olympischen  Funde  werthvoll, 
sondern  auch  an  sich  ein  wahres  Juwel  an  Aus- 
führung und  Erhaltung.  An  dem  zierlichen  Riemen- 
werk der  Sandale,  das  uns  ein  Beweis  dafür  ist, 
mit  welcher  Liebe  die  Hand  des  Künstlers  selbst 
bei  diesen  Nebensachen  weilte,  sind  sogar  noch  die 
rothe  Farbe  und  leichte  Spuren  der  Vergoldung  er- 
halten, welcher  jene  zum  Untergrunde  diente.  Auch 
Bronze,  und  wohl  vergoldete  Bronze,  scheint,  nach 
einem  erhaltenen  Stift  auf  dem  Spann  des  Fusses 
zu  urtheilen,  zur  Verzierung  des  Schuhwerkes  ver- 
wandt gewesen  zu  sein.  Die  edlen  Formen  des 
Fusses  sind  mit  einem  Raffinement  vollendet,  das 
nicht  weiter  getrieben  werden  kann.  Mau  glaubt 
förmlich,  die  weisse  Haut  zwischen  dem  rauh  schraf- 
firten  feinen  Riemenwerke  hervorleuchten,  die  Mus- 
keln des  voll  aufgesetzten  Fusses  unter  demselben 
aufquellen  zu  sehen. 

Mit  Flügeln  scheinen  die  Sandalen  nicht  ver- 
sehen gewesen  zu  sein;  es  lässt  sich  hierüber  mit 


ziemlicher  Sicherheit  urtheilen,  da  der  Fuss  erst 
über  dem  Knöchel  gebrochen  ist.  Seine  Länge  be- 
trägt 33  Cm.  Es  haftet  an  demselben  auch  noch 
ein  Theil  der  Plinthe,  deren  roh  behauener  Rand 
völlig  in  einer  Austiefung  der  Bekrönungsplatte  der 
Basis  verschwand.  Letztere  besitzen  wir  ebenfalls, 
nachdem  dieselbe  von  den  Architekten  aus  mehre- 
ren kleinen  Bruchstücken,  die  in  der  Heraioncella 
umherlagen,  wieder  zusammengesetzt  worden  ist. 

Einen  andern  guten  Fund  haben  wir  im  S.  der 
Zanes  gemacht,  wo  jetzt  die  stehengebliebenen  Erd- 
massen abgeräumt  werden:  den  Panzertorso  eines 
römischen  Kaisers.  Die  Brust  desselben  ziert  die 
Darstellung  eines  von  zwei  Siegesgöttinnen  ge- 
schmückten Tropaions,  an  dessen  Fuss  ein  gefessel- 
ter Gefangener  kauert.  Neben  dem  r.  Beine  der 
Statue,  dereu  untere  Extremitäten  sich  mit  Hülfe 
früherer  Funde  vollständig  wieder  herstellen  Hessen, 
kniet  eine  kleine  weibliche  Gestalt  in  barbarischem 
Kostüm,  die  Hände  auf  dem  Rücken  gefesselt,  offen- 
bar die  Repräsentantin  einer  unterjochten  Völker- 
schaft (Ausgrabungen  HI,  Taf.  18,  2,  3).  Da  dies 
letztere  Stück  vor  zwei  Jahren  in  der  Cella  des 
Metroons  gefunden  wurde,  so  können  wir  mit  Sicher- 
heit schliessen,  dass  die  ganze  Statue  von  dort 
stanmit.  Die  Vortrefllichkeit  ihrer  Arbeit  stimmt 
mit  dieser  Annahme  vollständig  überein;  denn  sie 
giebt  den  ursprünglich  ebenfalls  dort  aufgestellten 
Statuen  des  Claudius  und  Titus  (Ausgrabungen  IV, 
Tafel  19,  2,  3)  wenig  nach. 

Nach  Besprechung  dieser  Einzelfunde  im  Herzen 
der  Altis  wenden  wir  uns  zu  deu  im  0.  und  W. 
des  Zeustempels  unternommenen  grösseren  Arbeiten. 

Unser  voriger  Bericht  hat  die  ersten  wichtigen 
Statuenfunde  aufgezählt,  welche  im  äussersten  Osten 
des  olympischen  Gebietes,  auf  dem  Westwalle  des 
Stadions  gemacht  wurden.  Seitdem  haben  unsere 
Grabungen  den  Kamm  des  Walles  dicht  unter  der 


Berichte  aus  Olympia. 


45 


jetzigen  Erdobeifliicbe  längst  überall  erstiegen,  und 
eine  reichliche  Nachernte  von  Fragmenten  der  Tein- 
pelskulpturen  (darunter  die  Unterbeine  des  sinnen- 
den Greises  vom  Ostgiebel,  die  Plinthe  des  Zeus) 
und  zahlreiche  Statuentheile  aus  römischer  Zeit 
sind  uns  zugefallen.  Jetzt  sind  wir  damit  beschäf- 
tigt, die  Erde  des  Walles  selbst  zu  durchsuchen, 
da  uns  derselbe  an  anderen  Stellen  bereits  im  vori- 
gen Jahre  wertbvolle  Terracotten  und  Bronzen  ge- 
liefert hat,  welche  wohl  bei  Gelegenheit  einer  Auf- 
höhung  desselben  dorthin  gerathen  sind  (Zeuskopf, 
Argiverschilde).  Gleich  südlich  vom  gewölbten 
Stadioneiugauge  lasen  wir  ein  12  Cm.  hohes  Frag- 
ment aus  Terracotta  auf:  die  untere  Hälfte  eines 
rothen  Silensgesichtes  mit  schwarzem  Barte  und 
frühlich  grinsendem  Jlunde,  in  dem  die  weissen 
Zahnreihen  sichtbar  werden.  Eine  weiss  gemalte, 
also  weibliche,  kleine  Hand  zaust  ihm  um  den 
Nacken  herum  am  Barte.  Offenbar  gehörte  das 
Fragment  zu  einer  jener  Gruppen  frauenraubender 
Silene,  von  deren  einer  wir  bereits  im  vorigen 
Jahre  ein  Untertlieil  gefunden  (Ausgr.  z.  Ol.  IV, 
27  a,  1). 

Tiefer  in  der  Erde  des  Walles  Bronzen:  Thier- 
figuren,  Dreifüsse,  auf  deren  Ringhenkeln  Vögel 
sitzen,  wie  auf  den  Griifen  am  Becher  des  Nestor. 
Endlich  ein  Fragment  von  dem  kreisförmigen  Rande 
eines  bauchigen  Gefässes  von  gewaltigen  Dimen- 
sionen, auf  dem  sich  die  Reste  einer  Weihinschrift 
der  Spartiaten  erhalten  haben.  Ihr  Weihgeschenk 
scheint  also  bereits  in  antiker  Zeit  mit  dem  übrigen 
auf  den  Kehrichtliaufen  gewandert  zu  sein. 

Ein  nach  S.O.  gezogener  Graben  hat  leider 
lediglich  das  Resultat  ergeben,  dass  dieser  Theil 
des  olympischen  Gebietes  vom  Alpheios  wegge- 
schwemmt worden  ist,  der  statt  dessen  hier  grosse 
Sandmassen  aufgehäuft  hat.  Ich  kann  mich  also 
ohne  Weiteres  den  ausgedehnten  Arbeiten  im  W. 
zuwenden,  welche  der  Hauptaufgabe  dieses  Winters 
gelten,  der  Aufsuchung  der  noch  fehlenden  Theile 
des  Westgiebels  und  der  Westmetopen.  Um  dieser 
Aufgabe  in  vollem  Masse  genügen  zu  können,  ist 
in  drei  Richtungen  vorgegangen  worden :  nach  N.W. 
(Palästra  und  Gymnasiongraben),  nach  W.  (N.  und 
W.  der  byz.  Kirche)  und  nach  S.W.  (Südwest- 
graben). 

Das  Gebiet  im  N.  der  byz.  Kirche  hatte  seine 
Marmorfunde  bereits  in  den  letzten  Monaten  des 
vorigen  Arbeitsjahres  hergegeben.  Hier  galt  es 
vorerst,  die  letzten  Reste  späterer  Ueberbauten  zu 
beseitigen  und   den  antiken  Boden  völlig   frei    zu 


legen.  Innerhalb  der  mannigfachen  antiken  Anla- 
gen, die  hier  zu  Tage  traten,  machten  wir  einen 
ganz  eigenartigen  Fund,  einen  viereckigen,  stuckir- 
ten  und  bemalten  Aschenaltar.  Er  stand  innerhalb 
eines  kreisrunden  Gemaches,  mit  der  Rückwand  an 
die  Nordseite  desselben  gelehnt.  Die  Aschenerde, 
aus  der  das  ganze  Innere  des  Altars  besteht,  war 
zuerst  mit  einer  rohen  Kalkschicht  und  dann  mit 
einer  ganzen  Menge  von  Stucklagen  —  wir  zählen 
deren  über  20  —  successive  umgeben  worden.  Auf 
mehreren  derselben  Hessen  sich  Malereien  unter- 
scheiden; am  besten  erhalten  ist  auf  der  rechten 
Seite  ein  grüner  Oelzweig  mit  braunen  Stengeln 
auf  weissem  Grunde.  Die  Kanten  sind  roh  abge- 
schrägt. (H.  40  Cm.,  Br.  60,  Tiefe  40.)  Auf  und 
in  demselben  fanden  sich  zahlreiche  Kohlen-  und 
Thierknochen-Reste. 

Von  der  Palästra  ist  jetzt  der  ganze  südliche 
Theil  freigelegt.  Die  späten  Mauern,  welche  ihn 
durchziehen,  haben  auch  hier  Giebel-  und  Metopen- 
fragmente  geliefert.  Unter  den  ersteren  namentlich 
die  Unterbeine  der  weiblichen  Ortsgottheit  aus  der 
linken  Ecke  des  Westgiebels  und,  zu  unserer  nicht 
geringen  Verwunderung,  auch  ein  grosses  Stück 
von  den  Hinterbeinen  der  Reliefpferde  aus  der  nörd- 
lichen Hälfte  des  Ostgiebels.  Es  ist  dieses  das 
erste  Ostgiebelfragment,  das  wir  in  den  Westen 
verschleppt  gefunden  haben.  Unter  den  Metopen- 
fuuden  ist  besonders  der  Kopf  des  kretischen  Stiers 
hervorzuheben,  der  sich  dem  Bruche  des  Halses  in 
der  pariser  Metopenplatte  genau  anfügt.  Der  rö- 
mischen Epoche  scheint  die  lebensgrosse  Statue 
eines  nackten,  ruhig  dastehenden  Mannes  anzuge- 
hören, deren  Bruchstücke  wir  hier  überall  zerstreut 
gefunden  haben.  Sie  sind  leicht  an  einem  blendend 
weissen,  überaus  feinkörnigen  Marmor  kenntlich, 
dessen  sorgfältig  polirte  Oberfläche  einigermassen 
an  die  Weise  hadrianischer  Zeit  erinnert. 

Jetzt  sind  die  Trümmermauern,  aus  denen  wir 
diese  Skulpturreste  hervorgezogen  haben,  überall 
gefallen  und  wir  graben  in  tieferen  Schichten  zwi- 
schen den  umgestürzten  Schäften  des  Säulenhofes, 
welche  von  einer  dicken  Sandschicht  umhüllt  neben 
ihren  Basen  und  Kapitellen  noch  so  daliegen,  wie 
sie  ein  Erdbeben  hingeworfen. 

Hand  in  Hand  mit  dieser  Freilegung  der  Pa- 
lästra gingen  Aufräumungen  vor  der  Ostwand  der- 
selben und  im  S.  des  Prytaneions,  Durchsuchungen 
von  späten  Mauern  und  Tiefgrabungen.  Die  erste- 
ren ergaben  vor  Allem  ein  besonders  werthvoUes 
Stück,   das  Vordertheil  eines  nach  1.  schreitenden, 


46 


Berichte  aus  Olympia. 


lebhaft  bemalten  Reliefpferdes  aus  Kalkstein.  Dop- 
pelt wertbvoU,  weil  es  zu  jenen  früher  gefundenen 
Kalksteinreliefs  gehört,  die  wir  jetzt  mit  der  grössten 
Wahrscheinlichkeit  den  Götter-  und  Gigantenkämpfen 
im  Giebel  des  Megareer-Schatzhauses  zuweisen  kön- 
nen. Daneben  fanden  sich  die  Fragmente  eines 
räthselhaften  grossen  Geräthes  aus  gebranntem  und 
bemaltem  Thon.  Das  Ganze  sieht  einer  Gefäss- 
mündung  von  bedeutenden  Dimensionen  (Höhe  ca. 
70  Cm.)  am  ähnlichsten,  kann  aber  einem  Gefäss 
schon  deswegen  nicht  angehört  haben,  weil  es  nach 
unten  offen  ist  und  die  runde  Mittelöfifnung  bei 
einem  Durchmesser  des  ganzen  Mündungstellers  von 
ca.  1,80  M.  nur  etwa  10  Cm.  beträgt.  Vielleicht  ist 
an  einen  Opfertisch  oder  dergleichen  zu  denken; 
jedenfalls  haben  wir  etwas  ganz  Eigenartiges  und 
Neues  vor  uns.  Die  tieferen  Schichten  ergaben 
wie  gewöhnlich  Bronzen,  darunter  einen  grossen 
Kessel  und  ein  alterthümliches  Inschriftplättchen. 

Ein  noch  weiter  nach  N.W.  dui'ch  die  terra  in- 
cognita  des  grossen  olympischen  Gymnasiums  ge- 
zogener Graben  ist  erst  in  die  Gegend  der  hoch- 
gelegenen späten  Trttmmermauern  hinabgestiegen, 
so  dass  nur  von  vorläufigen  Funden  in  demselben 
die  Rede  sein  kann.  Der  bedeutendste  darunter 
ist  das  Obertheil  eines  sehr  schön  gearbeiteten 
weibl.  Porträtkopfes  der  römischen  Epoche. 

Wie  hier  den  N.W.,  so  haben  wir  schon  im 
vorigen  Jahre  den  ganzen  S.W.  des  olympischen 
Gebietes  mit  einem  mächtigen  gegen  7  M.  tiefen 
Graben  durchschnitten.  Von  den  grossen  architek- 
tonischen Ueberraschungen,  die  er  uns  gebracht, 
wird  anderswo  die  Rede  sein.  Auf  die  Frage  nach 
den  fehlenden  Giebeltheilen  lautete  seine  Antwort 
lediglich  negativ.  Archäologische  Funde  hat  der- 
selbe überhaupt  fast  nur  in  seinem  N.O.-Ende  ge- 
bracht, wo  die  Reste  von  Erzstatuen  aus  römischer 
Zeit  umherlagen,  und  dicht  am  s.w.  Altisthor,  wo  wir 
einen  schön  erhaltenen  Bronzediskus  mit  der  Weih- 
inschrift eines  korinthischen  Fünfkämpfers  aus  der 
255.  Olympiade  (245  n.  Chr.)  auflasen. 
Olympia,  den  1.  Januar  1880. 

Georg  Treu. 

40. 

Galt  die  4.  Ausgrabungsperiode  besonders  dem 
0.  und  S.O.  Oiympias,  so  wurde  die  laufende  5.  der 
Freilegung  des  ganzen  westlichen  Theiles  bestimmt. 

Schon  jetzt  haben  wir  auf  dieser  Seite  eine  statt- 
liche Reihe  wichtiger  Bauten  ausgegraben,  welche 
fast  den  ganzen  Raum  zwischen  der  Altis  und  dem 


Kladeos  einnehmen.  Sie  liegen  ausserhalb  des  hei- 
ligen Bezirkes  an  einer  breiten  Strasse,  welche  neben 
der  westl.  Altismauer  herläuft  und  von  der  zwei 
Thore  das  Betreten  der  Altis  gestatteten.  Das  nörd- 
lichste dieser  Gebäude  ist  die  schon  vor  2  Jahren 
aufgefundene  Palästra;  weiter  südl.  folgt  ein  Ge- 
bäudecomplex,  der  sich  um  den  antiken  Unterbau 
der  byzantinischen  Kirche  —  höchst  wahrscheinlich 
die  Werkstatt  des  Phidias  —  gruppirt;  den  südl. 
Abschluss  bildet  das  grosse  Gymnasion. 

Am  Schlüsse  der  letzten  Campagne  waren  wir 
westl.  vom  Altiswestthore  auf  eine  ionische  Säulen- 
halle gestossen,  deren  Ausdehnung  nicht  mehr  fest-, 
gestellt  werden  konnte.     Die  diesjährigen  Grabun- 
gen haben  nun  ergeben,  dass  dieselbe  zur  äusseren 
Halle  einer  sehr  stattlichen,  aus  dem  4.  Jahrh.  v.  Chr. 
stammenden  Bauanlage  gehört,  die  schwerlich  etwas 
anderes    sein    kann ,    als   das    grosse    Gymnasion 
von  Olympia.     Obgleich  erst  ein  kleiner  Theil  des 
Gebäudes  freigelegt  werden  konnte,  sind  wir  doch 
über  seine  Ausdehnung  und  im  Allgemeinen  auch 
über  seine  Grundrissbildung  unterrichtet:  einen  in- 
neren quadratischen  Hof  von  ca.  30  M.  Breite  um- 
giebt   eine   dorische  Säulenhalle,    an    die   sich  auf 
allen  Seiten  eine  doppelte  Reihe  von  grösseren  und 
kleinereu  Räumen  anschliesst.    Rings  um  das  Ganze 
legt  sieh  eine  nach  aussen  geöffnete  ionische  Säulen- 
halle,  welche  der  Anlage  ein  prächtiges  Aussehen 
verlieli.     Die   dorischen  Säulen  des   Hofes,    schon 
mit   fast  geradlinigen  Echiuen,    haben  sehr  weite 
Abstände,    so  dass  auf  jede  Axe  drei  Triglypheu 
kommen.     Von  diesen   sind    zahlreiche   Exemplare 
vorhanden.      Die    dorischen    Geisa,    welche    noch 
schöne  Farbenspuren  zeigen,    waren  mit  sehr  edel 
gezeichneten    Akroterien    aus    Terrakotta   bekrönt. 
Die    äussere,    den    Oblongbau   umkreisende   Halle 
war  abgewickelt  über  300  M.  lang  und  besass  138 
ionische  Säulen.    Hir  Architrav  ist  aus  zwei  Fascien 
gebildet  und  trägt  unmittelbar  das  Geison,  welches 
mit    einer   prächtigen    Rankensima   aus   Thon   ge- 
schmückt war.     Ausser  diesen  dorischen   und  ioni- 
schen Stützcnstellungen  enthielt  der  Bau  im  Innern 
höchst  interessante  korinthische  Säulen  mit  bemalten 
Kelchkajiitcllcn,  deren  glatte  Fassung  an  ägyptische 
Kapitelle    erinnert.     Das  Gebäude  ist  verhältniss- 
mässig  gut  erhalten :  die  unteren  Theile  der  Wände 
und  die  Basen  der  sämmtlichen   ionischen  Säulen 
stehen  noch  an  ihrer  alten  Stelle;  dagegen  sind  die 
Säulentrommcln,  die  Kapitelle  und  die  Gebälke  in 
byzantinischer  Zeit  abgebrochen  und  zum  Bau  der 
grossen  Festungsmauer  verwendet  worden.     Diese 


Berichte  aus  Olympia. 


47 


Verpflanzung  hat  die  einzelnen  Rauglieder,  zum 
Theil  mit  ihrem  Farbensclimuke,  vor  weiterer  Zer- 
störung bewahrt. 

Dass  diese  Anlage,  deren  Grundfläche  annähernd 
ein  Quadrat  von  80  M.  Seitenlänge  bildet,  eines  der 
bedeutendsten  Gebäude  von  Olymjiia  gewesen  sein 
muss,  ist  zweifellos.  Da  ferner  der  Grundriss,  so- 
weit wir  ilm  kennen,  mit  der  Vitruvisehen  Beschrei- 
bung eines  griechischen  Gymnasion  übereinstimmt, 
so  glauben  wir  das  von  Pausanias  mehrmals  er- 
wähnte grössere  Gymnasion  gefunden  zu  haben. 
Allerdings  haben  die  meisten  Topographen,  den  An- 
gaben jenes  Schriftstellers  folgend,  das  Gymnasion 
weiter  nach  N.  verlegt,  doch  ist  einerseits  in  dieser 
Gegend  bis  jetzt  keine  Spur  eines  grösseren  griechi- 
schen Gebäudes  aufgetaucht  und  andererseits  lassen 
sich  jene  Angaben  ohne  besonderen  Zwang  mit  der 
Lage  des  neu  gefundenen  Gebäudes  vereinigen. 

Ein  zweites  neues  Gebäude  ist  im  N.  der  byzan- 
tinischen Kirche  aufgedeckt  worden.  Es  besteht  aus 
einem  quadratischen  Säulenhofe  von  8  dorischen 
Säulen  an  jeder  Seite,  um  den  sich  eine  Reihe  ein- 
zelner Zimmer  gruppirt.  In  der  Axe  des  Hofes 
liegt  westl.  ein  kleinerer  Peristyl,  dessen  Seiten 
von  je  2  Anten  und  2  Säulen  gebildet  werden; 
einige  Säulenstümpfe  stehen  noch  aufrecht  und  zwi- 
schen ihnen  haben  sich  Schranken  aus  Porös  er- 
halten. Der  Peristyl  umschliesst  einen  runden  mit 
Porosquadern  ausgemauerten  Brunnen,  der  jetzt  nach 
erfolgter  Reinigung  wieder  reines  Wasser  liefert. 

Westl.  von  jenem  Brunnenhofe  trat  sodann  ein 
merkwürdiger  Rundbau  au  das  Tageslicht.  Hoch- 
kantig gestellte  Porosquadern  bilden  einen  Kreis 
von  8  M.  Durchmesser,  der  von  einer  zweiten  qua- 
dratischen Quadermauer  umgeben  ist,  so  dass  der 
Bau  im  Innern  rund,  im  Aeusseren  aber  viereckig 
erscheint.  In  diesem  Rundbau  fanden  wir  den  treff- 
lich erhaltenen,  noch  mit  Asche  bedeckten  Altar, 
welcher  im  vorigen  Berichte  erwähnt  ist. 

Von  der  nördl.  belegenen  Palästra  kannten  wir 
bisher  nur  den  nordöstl.  Quadranten  und  die  Um- 
fassungswände; nach  Freilegung  der  ganzen  südl. 
Hälfte  während  der  Monate  November  und  De- 
cember  ist  die  Grundrissdisposition  vollständig  ge- 
sichert. Die  Mitte  füllt  ein  grosser  Hof,  der  Vitruvs 
Beschreibung  entsprechend  an  der  Südseite  mit 
einer  doppelten,  an  den  übrigen  Seiten  mit  ein- 
fachen Säulenhallen  umgeben  ist.  An  diese  Um- 
gänge schliessen  sich  mehrere  grosse  Säle  und  ein- 
zelne kleine  Zimmer  an,  deren  Bestimmung  sich 
zwar  nicht   überall,    aber  doch  in  mehreren  Fällen 


noch  gut  nachweisen  lässt.  Ausser  einem  Räume, 
der,  weil  er  ein  Bassin  enthält,  gewiss  als  Bade- 
zimmer gedient  hat,  finden  wir  namentlich  viele 
Säle,  in  welchen  schön  profilirte  Sitzbänke  aus 
Porös  an  den  Wänden  angebracht  sind;  wir  dürfen 
in  iimcn  ohne  Zweifel  Hörsäle  für  Vorträge  er- 
kennen. In  mehreren  dieser  Exedren,  die  sich 
nach  dem  Peristyle  hin  mit  ionischen  Stützenstel- 
lungen öffnen,  sind  Basen  für  Statuen  noch  in  situ 
aufgefunden  worden. 

Neben  diesen  umfangreichen  Anlagen  haben  uns 
die  bisherigen  Grabungen  werthvoUe  Ergänzungen 
zu  melireren  schon  früher  gefundenen  Bauten  ge- 
liefert: 

In  der  Cella  des  Heraion  standen  in  römischer 
Zeit  2  Reihen  dorischer  Säulen,  welche  den  Innen- 
raum in  drei  Laugschiffe  theilten.  Die  ursprüng- 
liche Einrichtung  war  anders.  In  ähnlicher  Weise, 
wie  es  der  Apollotempel  bei  Phigalia  zeigt,  waren 
an  den  Längswänden  der  Cella  weit  vorspringende 
Wandpfeiler  vorhanden,  welche  vorn  in  Antenform 
beendigt  waren.  Dadurch  entstand  an  jeder  Seite 
der  Cella  eine  Reihe  kapellenartiger,  zur  Aufstellung 
von  Weihgeschenken  vorzüglich  geeigneter  Nischen. 
Besonders  bemerkenswerth  ist  dabei,  dass  diese  kur- 
zen Querwände  mit  den  äusseren  Tempelsäulen  axial 
stehen  und  zwar  so,  dass  die  Kapellen  stets  eine 
doppelte  äussere  Axenbreite  besitzen.  Diese  genaue 
Uebereinstimmung  des  inneren  und  äusseren  Systems 
kann  unmöglich  erst  bei  einem  späteren  Umbau  ent- 
standen sein,  sondern  war  schon  in  dem  ursprüng- 
lichen Plane  des  Tempels  vorgesehen.  Daher  ist 
die  auffallend  weite  Axenstellung  der  Pterousäulen 
(fast  3  untere  Durchmesser)  als  von  dem  ältesten 
Bau  herrührend  gesichert.  Zieht  man  hierzu  die 
früher  erwähnten  Eigeuthümlichkeiten  des  Heraion 
(die  Verschiedenheit  der  Säulen  und  der  Kapitelle, 
sowie  das  gänzliche  Fehlen  der  Gebälkstücke)  in 
Betracht  und  erwägt  man,  dass  die  G'/^  M.  breiten 
Kapellen  der  Cella  unmöglich  mit  Steinarchitraven 
überdeckt  worden  sein  können,  so  kann  man  sich 
der  Ansicht  nicht  verschliessen,  dass  das  Heraion 
in  seiner  jetzigen  Gestalt  noch  der  ursprüngliche 
Bau  ist,  dessen  Gebälk  und  äussere  Säulen  aus  Holz 
hergestellt  waren.  Die  letzteren  sind  im  Laufe  der 
Jahrhunderte  allmählich  durch  die  verschiedenartig- 
sten dorischen  Steinsäuleu  ersetzt  worden,  und  nur 
eine  Säule  im  Opisthodom,  welche  den  zerstörenden 
Einflüssen  der  Witterung  am  wenigsten  ausgesetzt 
war,  bestand  noch  zu  Pausanias  Zeit  aus  Holz.  Das 
alte   hölzerne  Gebälk  der  Aussenfagaden,    welches 


48 


Berichte  ans  Olympia. 


durch  das  weit  überhängeude  Geisou  und  durch 
einen  Farbeniiberzug  geschützt  war,  ist  höchst  wahr- 
scheinlich bis  zur  gänzlichen  Zerstörung  des  Tempels 
(im  Jahre  395  oder  426  n.  Chr.)  erhalten  geblieben. 
Wie  ausserordentlich  wichtig  diese  am  Heraion  ge- 
wonnenen Erkenntnisse  für  die  Entwickelungsge- 
schichte  des  dorischen  Baustiles  sind,  liegt  auf  der 
Hand  und  bedarf  keiner  weiteren  Darlegung. 

Von  geringerer  Wichtigkeit,  aber  doch  nicht  ohne 
Interesse  ist  die  Auffindung  korinthischer  Säulen, 
welche  in  der  Cella  des  wahrscheinlich  aus  dem 
4.  Jahrh.  v.  Chr.  stammenden  Metroon  gestanden 
haben.  In  römischer  Zeit,  bei  der  grossen  Restau- 
ration des  Metroon,  wurden  die  Kapitelle  leider 
durch  theilweises  Abschlagen  der  Blätter  und  durch 
eine  rohe  Ueberputzung  in  dorische  verwandelt,  so 
dass  ihre  ursprüngliche  Fassung  schwer  erkenn- 
bar ist. 

Werthvolle  Ergänzungen  sind  dem  Schatzhause 
der  Megarer,  dessen  Bausteine  in  die  byzantinische 
Mauer  verbaut  waren,  zu  Theil  geworden.  Die  bei- 
den Säulen  des  im  Schema  eines  Anten-Tempels  er- 
bauten Schatzhauses,  die  Architravbalkeu,  von  denen 
der  mittlere  die  Aufschrift  Msyaqkov  trägt,  die  Tri- 
glyphen  und  Metopen,  die  roth  und  blau  bemalten 
Geisa,  die  Giebelblöcke,  sowie  die  schönen  Thon- 
simen  sind  fast  vollständig  gefunden  worden.  Da 
der  Bau  aus  sehr  früher  Zeit  stammt  und  da  sein 
Giebel  mit  den  in  der  vorigen  Campagne  gefunde- 
nen Reliefs,  einen  Gigantenkampf  darstellend,  ge- 
schmückt war,  so  wird  er  unter  den  wenigen  alt- 
dorischen iiauteu  Griechenlands  fortan  eine  sehr 
bevorzugte  Stellung  einnehmen. 

In  Bericht  38  war  gesagt  worden,  dass  die  Echo- 
halle wahrscheinlich  ionischen  Stiles  gewesen  sei. 
Eine  genaue  Untersuchung  des  in  gewaltigen  Massen 
vorhandenen  verschiedenartigsten  Baumateriales  hat 
aber  ergeben,  dass  die  dorischen  Säulen,  Architrave, 
Triglypheu  und  Geisa,  welche  den  Ilauptbestandtheil 
der  östl.  byzantin.  Festungsmauer  bilden,  der  Echo- 
hallc  angehört  haben.  Jene  frühere  Angabe  muss 
hiernach  bericlitigt  werden.  Der  Bau  war  ursprüng- 
lich einschiffig  gestaltet;  mächtige  Holzbalken,  deren 
Auflager  an  der  Innenseite  der  Triglyj)lien  noch  er- 
halten sind,  überdeckten  den  10  M.  tiefen  Raum. 
Erst  in  der  späteren  römischen  Zeit  ist  bei  einer 
nothwendigen  Restauration  und  zur  Verminderung 
der  Spannweite  eine  mittlere  StUtzcnstellung  nach- 
träglich hergestellt  worden. 

Olympia,  den  1.  Februar  1880. 

Wilhelm  Dörpfeld. 


41. 

Die  Fundamente  des  grossen  Zeusaltares,  ein  aus- 
gezeichneter archaischer  Marmorkopf,  zwei  römische 
Bildnissköpfe,  das  ergänzende  Untertheil  eines  uralten 
Eumenidenidols,  grosse  Stücke  der  Hydrametope, 
Fragmente  der  Giebelgruppeu  und  der  Nike,  zahl- 
reiche Inschriften,  massenhafte  Bronze-  und  Terra- 
cottafunde  in  der  Urschicht  des  olympischen  Bodens, 
endlich  die  Reconstruktion  des  Gigantenkampfes  am 
Megareerschatzhause  —  das  sind  die  Ergebnisse  der 
letzten  Wochen. 

Der  archaische  Marmorkopf  ist  fast  lebensgross 
und  von  einem  zurückgeschobenen  korinthischen 
Helm  bedeckt,  unter  dessen  Schirme  drei  Reihen 
archaischer  Spirallöckchen  hervorquellen.  Zwei  die- 
ser Reihen  waren  besonders  gearbeitet  und  eingesetzt; 
ebenso  die  schräg  gestellten,  jetzt  fehlenden  Augen. 
Das  breite,  bärtige,  alterthümlich  lächelnde  Gesicht 
steht  etwa  auf  der  Kunststufe  der  Aeginetenköpfe. 
Von  diesen  jedoch  uutersclieidet  es  sich  sehr  be- 
stimmt durch  die  Behandlung  der  breit  hervorstehen- 
den, fleischigen  Wangen,  den  weichen  und  vollen, 
etwas  schief  stehenden  Mund,  durch  einen  Naturalis- 
mus in  der  Wiedergabe  der  Lippenhaut,  der  bei 
einem  so  alten  Kunstwerke  geradezu  in  Erstaunen 
setzt  und  wunderlich  mit  der  alterthümlichen  Ge- 
sammtanlage kontrastirt.  Es  kann  nach  alledem 
keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  wir  ein  Portrait 
und  zwar  aus  der  letzten  Zeit  des  6.  oder  der 
ersten  des  5.  vorchristl.  Jahrh.  aufgefunden  haben. 

Die  Vernachlässigung  von  Ohr,  Kinnlade  und 
Hals  an  der  1.  Seite  beweist,  dass  diese  Partien 
dem  Auge  des  Beschauers  ursprünglich  entzogen 
waren;  am  wahrscheinlichsten  wohl  durch  einen 
Schild,  dessen  Rand  bei  ruhiger  Armhaltung  ge- 
rade in  diese  Höhe  hinaufgereicht  haben  müsste. 
Nun  findet  sich  unter  unsern  früher  ausgegrabenen 
Fragmenten  ein  solcher  schildbewehrter  Arm  und 
zwei  Schildfragmente,  die  in  Marmor,  Proportionen 
und  Stileigenthümlichkeiten  so  genau  mit  unserm 
Kopfe  übereinstimmen,  dass  man  an  der  Zusammen- 
gehörigkeit nicht  zweifeln  kann.  Auf  dem  Schild- 
reste am  Arme  und  einem  der  übrigen  Fragmente 
lässt  sich  auch  noch  das  Relief  des  Schildzeicheus 
erkennen:  Phrixos,  der  auf  goldwolligem  Widder 
über  die  Fluthen  reitet.  Dieses  Emblem  hilft  uns 
Arm  und  Kopf  mit  grösster  Wahrscheinlichkeit  einem 
der  Siegcrbilduisse  zuzuweisen,  die  Puusanias  be- 
schreibt. Er  erwähnt  nändich  G,  17,  6  die  Statue 
des  Eperastos,  der  im  Waffenlauf  gesiegt  hatte,  also 
wahrscheinlicii  mit  Helm  und  Schild  dargestellt  war. 


Berichte  aus  Olympia. 


49 


In  seiner  Inschrift  vülimte  er  sich,  „aus  dem  Ge- 
schleclitc  heiligredender  Kiytiaden  und  ein  Seher  aus 
dem  Gebliite  göttergleicber  Melampodideu"  zu  sein. 
Melam])us  aber  ist  ein  Neffe  des  Phrixos  und  ein 
Vetter  des  Jason,  gehört  also  jenem  minyschcn  Ge- 
schlechte thessalischer  Aioliden  an,  auf  dem  der 
volle  Glanz  der  Argonautensage  ruht.  Eine  natür- 
lichere Erklärung  für  jenes  Sciiildzeiclien  wird  sich 
schwerlich  finden  lassen:  es  ist  ein  stattliches  Wap- 
penbild,  das  Eperastos  am  Ehrentage  seines  Sieges 
trug ;  ein  Ahnenbild,  das  die  stolze  Genealogie  der 
Weihinschrift  noch  weiter  hinaufführt. 

Auch  der  Fundort  von  Arm  und  Fuss  unserer 
Statue  —  denn  auch  diesen  besitzen  wir  walir- 
scheinlich  —  stimmt  zu  dieser  Annahme  vortreff- 
lich. Wie  Fausanias  vom  Leonidaion  kommend  und 
zum  grossen  Zeusaltare  gehend  das  Bildniss  des 
Eperastos  in  der  Nähe  des  Gorgias  stehen  sah,  so 
haben  wir  die  Glieder  des  einen  und  die  Basis  des 
anderen  zwischen  Leonidaion  und  Zeusaltar  nicht 
weit  von  einander  vor  der  N.-O.-Ecke  des  Zeus- 
tempels wieder  aufgefunden,  gewiss  auch  unfern 
ihres  ursprünglichen  Standortes.  Der  Kopf  freilich 
war  in  den  N.-W.,  in  die  Nähe  des  Pelopionthores 
verschleppt  worden,  wo  er  in  einem  mit  Ziegel-  und 
Porosbrocken  gefüllten  Loche  liegen  blieb.  — 

Von  den  römischen  Portraitköpfen  erinnert  der 
eine  an  die  Züge  des  jugendlichen  Augustus;  der 
andere,  welcher  sich  einer  Gewandstatue  aus  der 
Exedra  aufs  genaueste  einfügt,  stellt  die  jüngere 
Faustina  dar.  Dort  steht  auch  noch  die  Basis  mit 
der  Weihinsclirift  des  Herodes  Atticus.  Die  Ge- 
mahlin des  Marc  Aurel  erscheint  in  dieser  Statue 
von  einem  jugendlich  anmuthigen  fast  mädchen- 
haften Reiz,  wie  kaum  sonst  in  ihren  zahlreichen 
Bildnissen.  War  sie  hier  doch  als  ganz  junge  Frau 
dargestellt,  wie  man  aus  den  Inschriftbaseu  ihrer 
zugleich  aufgestellten  beiden  ältesten  Kinder  mit 
Hecht  geschlossen  hat.  — 

Aus  den  späten  Mauern  über  der  Echohalle  zo- 
gen wir  das  Untertheil  jenes  ägj'ptisirenden  weib- 
lichen Idols  hervor,  dessen  im  30.  Bericht  Erwäh- 
nung getliau  ist  (Ausgr.  IV.  Taf.  17).  Es  wird  durch 
diesen  neuen  Fund  noch  merkwürdiger;  denn  nun 
erweist  sich,  dass  die  säuleuartig  starr  dastehende 
Göttin  mit  beiden  eng  am  Körper  anliegenden  Hän- 
den je  eine  Schlange  am  Halse  gepackt  hielt.  Wir 
besitzen  in  ihr  somit  die  älteste  aller  Eumeniden- 
darstellungen.  — 

Ganz  in  der  Nähe  dieses  kostbaren  Stückes  fan- 
den wir  ein  grosses  Fragment  vom  Mantel  der  Nike 

Archiiolog.   Ztg.,   Jahrg.    XXXVHI. 


des  Paionios,  das  durch  mannigfaclie  Anfügungen 
früher  gefundener  Fragmente  zu  einer  Höiie  von 
ca.  50  und  einer  Breite  von  ca.  90  Cm.  angewaciisen 
ist.  Wie  das  Gewand  angeordnet  war,  das  im 
Rücken  der  Göttin  in  gewaltigem  Bogen  sich  bauschte, 
ist  leider  eine  noch  ungelöste  Frage.  Das  neue  Stück 
bringt  mit  der  Ausfüllung  einer  grossen  Lücke  neue 
Rätlisel  durch  Nachweis  eines  Gewandansatzes  an 
der  Innenseite  des  Mantels.  — 

Die  Giebelgruppen  des  Zeustempels,  besonders 
die  westliche,  haben  in  dieser  Zeit  wiederum  neuen 
Zuwachs  an  ergänzenden  Gliedmassen,  Kürperfrag- 
menten und  Faltenstücken  erhalten;  von  den  Me- 
topen  aber  ist  uns  eine  fast  ganz  neu  gewonnen, 
die  mit  dem  Hydrakampfe  des  Herakles. 

Ein  riesiger  Schlangenleib  wälzt  sich  von  1.  her 
in  wulstigen  Windungen  durch  die  ganze  Metope 
und  bäumt  sich  am  r.  Rande  derselben  hoch  empor. 
Wohl  ein  Dutzend  Schlangenbälse  entspriessen  ihm 
hier,  sich  bald  kampfesmuthig  emporreckend,  bald 
todt  daliegend.  In  diese  tritt  Herakles  von  1.  her 
hinein,  mit  der  L.  einen  derselben  packend.  Er- 
legte Sclilangenbälse  und  abgeschnittene  Köpfe  um 
ihn  herum  zeugen  von  gethaner  Arbeit.  Uebrigens 
besitzen  wir  vom  Herakles  bis  jetzt  wenig  mehr 
als  den  Torso.  Die  Aehnlichkeit  mit  der  entspre- 
chenden Theseionmetope  ist  unverkennbar;  nur  fehlt 
lolaos.  Doch  während  dort  im  Sinne  einer  vorge- 
schrittenen Kunstübung  aller  Nachdruck  auf  die  Be- 
wegung des  hastig  lierbeieilenden  Helden  gelegt  ist, 
verweilt  unser  Künstler  mit  alterthümlicher  Breite 
bei  der  Schilderung  seines  grotesken  Ungethüms, 
dessen  Schlangenkuäuel  fast  Dreiviertel  der  Metope 
einnimmt.  Dass  sich  ein  ähnliches  Zusammentreffen 
der  Motive  bei  fundamental  verschiedener  Behand- 
lungsweise  auch  in  den  Metopen  mit  dem  Eber,  den 
Diomedesrossen,  dem  Kerberos  und  theilweise  auch 
dem  Geryoneskampfe  nachweisen  lässt,  giebt  zu 
denken.  Ueberall  wird  man  die  olympischen  Me- 
topen noch  von  der  älteren  Weise  gebunden  finden. 
Am  Reliefgrunde  der  Hydrametope  hat  sich  mehr- 
fach ein  lebhaftes  Roth  erhalten.  Um  so  auffallen- 
der war  es  uns,  als  wir  die  untere  Hälfte  der  jMe- 
tope  mit  den  Beinen  des  kretisclien  Stiers  ausgruben, 
am  Fond  reichliche  Spuren  eines  leuchtenden  Blau 
zu  finden,  von  dem  sich  der  Stierkörper  rothbraun 
abhob.  — 

Nicht  neu  gefunden,  aber  doch  gleichsam  neu 
gewonnen  ist  uns  jetzt  der  Götter-  und  Giganten- 
kampf aus  dem  Giebel  des  Megareerschatzhauses, 
nachdem  es  uns  gelungen,   denselben  aus  den  im 

7 


50 


Berichte  aus  Ol 


yiiipia. 


vorigen  Jahre  iu  der  bjzantinisclien  Westmauer  ge- 
fundenen Eeliefbrucbstücken  so  weit  wiederherzu- 
stellen,   dass  sich  über  diese  älteste  aller  auf  uns 
gekommenen  Giebelkompositioneu  jetzt  mit  völliger 
Sicherheit   urtheilen   lässt   (vergl.  auch   Bericht  29 
und  „Ausgraljungeu"  Band  IV.  Taf.  18  und  19).    Den 
5,80  breiten  und  0,73  11.  hohen  Giebelrahmen  füllten 
Kämpferpaare  und  2  Eckfiguren,   also  im  Ganzen 
12  Gestalten.   Die  Jlitte  nahmen  Zeus  uud  ein  Gi- 
gant ein,    der  verwundet   ins   Knie    gesunken    ist 
(Taf.  18).    Er,  wie  alle  seine  Genossen,  sind  nach 
der  Weise  der  älteren  Kunst  in  voller  Waffenrüstung 
gebildet.  Eechts  folgten,  den  Giebelecken  zugewandt, 
Herakles  mit  einem  gestürzten  Giganten  und  Ares 
kniend,   ebenfalls  mit  einem  zu  Boden  gestreckten 
Gegner  vor  sich  (Taf  20  b).     Die  Ecke  nahm   ein 
gefallener  Gigant  ein,    dessen  behelmter  Kopf  den 
äussersten  Winkel  füllte.     Links,  in  strenger  sym- 
metrischer Entfernung  ebenfalls  zwei  Kämpferpaare. 
Zeus  zunächst  wahrscheinlich  Athena  und  ihr  Geg- 
ner; sodann  Poseidon  und  ein  erlegter  Gigant.    Aus 
der  linken  Ecke  heraus  kommt  dem  Gotte  ein  See- 
thier  zu  Hülfe.    Von  diesen  Gestalten  besitzen  wir 
noch  9  mehr  oder  weniger  vollständig;  drei  (Zeus, 
Atheua  und  den  gefallenen  Giganten  der  r.  Ecke) 
nur  in  unbedeutenden  Besten,  was  bei  dem  weichen 
Kalkmergel  dieser  Reliefs  und  der  barbarischen  Art 
ihrer  späteren  Vermauerung   nicht  zu  verwundern 
ist.     Immerhin  ist  genug  übrig,  um  zu  zeigen,  wie 
die  Kindheit  der  Kunst  —  unsere  Gruppe  stammt 
etwa  aus  der  Mitte  des  6.  Jahrh.  und  walirschein- 
lich  aus   der  Schule  des   Dipoinos  und  Skyllis  — 
dergleichen  Aufgaben  in  engem  Kaume  uud  mit  be- 
schränkten Mitteln  zu  lösen  suchte.   Hier  haben  wir 
die  ersten  Anfänge  jener  unausgesetzten  Bemühun- 
gen vor  uns,  welche  die  griechische  Kunst  einst  zu 
jenen  vollendeten  Leistungen  hinaufführen  sollten, 
die  wir  jetzt  am  Gigantenaltar  von  Pergamon  be- 
wundern. 


Georg  Treu. 


42. 


Eine  reichere  und  mannigfaltigere  Ernte  als 
dieses  Mal  haben  unsere  Berichte  selten  zu  ver- 
zeichnen gehabt.  Wir  danken  dieses  vor  Allem 
unserm  Kaiser,  dessen  Munificenz  es  ermöglichte, 
die  Zahl  der  Arbeitskräfte  fast  bis  zur  doppelten 
Höhe  zu  steigern,  um  den  nahen  Abschluss  der 
Ausgrabungen  zu  einem  voUständigeu  und  würdigen 
zu  gestalten.  Vor  allem  ist  der  Kopf  des  Dionysos- 
knäbleins  gefunden,  das  der  praxitelische  Hermes 
auf  seinem  Arme  trägt.     Es  ist  dies  ein  ganz  be- 


sonderer Glücksfall.  Alle  andern  noch  fehlenden 
Theile  der  Gruppe,  mit  Ausnalime  etwa  der  rechten 
Hand,  hätten  wir  allenfalls  noch  verschmerzen  kön- 
nen; dieser  allein  wäre  für  uns  völlig  unersetzlich 
gewesen.  Keine  moderne  Phantasie,  kein  verglei- 
chendes Studium  hätte  uns  zu  zeigen  vermocht,  in 
welcher  Weise  Praxiteles  einen  Kinderkopf  gebildet 
haben  müsste.  Man  durfte  auf  die  Lösung  dieses 
Problems  um  so  mehr  gespannt  sein,  als  es  be- 
kannt ist,  wie  spät  erst  die  griechische  Kunst  die 
Schwierigkeit  der  Kinderdarstellung  vollständig  über- 
windet. Dass  das  Dionysosknäblein  für  sein  Alter 
zu  klein  gebildet,  ja  überhaupt  als  Nebenwerk  be- 
handelt sei,  wohl  um  den  Hermes  um  so  melir  als 
Hauptfigur  der  Gruppe  wirken  zu  lassen,  erfährt 
nun  eine  weitere  Bestätigung.  Wenn  die  Propor- 
tionen das  Auge  auch  nicht  überall  ganz  kinder- 
haft  anmuthen  und  die  Einzelbildung  des  Gesichts 
hinter  dem  Hermes  unleugbar  ein  wenig  zurück- 
steht, so  geniessen  wir  dafür  die  Bewegung  erst 
jetzt  völlig  in  dem  Eeize  echt  kindlicher  Lebens- 
äusseruug.  Als  wir  am  Nachmittag  des  27.  März 
das  Köpfchen  über  80  M.  von  dem  ursprünglichen 
Standorte  der  Gruppe  ausgegraben  hatten,  da  war 
es  vor  Allem  die  Lebhaftigkeit  der  Bewegung  in 
der  Kindesgestalt,  deren  überraschender  Wirkung 
sich  keiner  von  uns  entziehen  konnte.  Die  Be- 
schädigungen, welche  der  Kopf  erlitten,  sind  nicht 
erheblich,  da  dieselben  sich  meist  an  der  rechten, 
dem  Beschauer  abgewandten  Kopfseite  befinden,  die 
linke  Seite  ist  verhältnissmässig  gut  erhalten.  — 

Den  Berieht  über  die  Metopeufunde  beginnen 
wir  mit  der  Besprechung  des  Herakleskopfes  aus 
der  Metope  mit  dem  nemeischen  Löwenkampt'e.  Bei 
der  Aufräumung  und  Reinigung  des  Zeustcmpel- 
Stylobates  erwies  sich  eine  der  Stylobatquadern  als 
verschoben;  wie  es  scheint,  hatte  man  den  Versuch 
gemacht,  dieselbe  fortzuschaffen  und  dabei  jenen 
Kopf  als  den  nächstliegenden  Stein  zur  Stütze  unter- 
geklemmt. Es  muss  dies  ziemlich  bald  nach  dem 
Sturze  der  Metopen  geschehen  sein,  da  der  Kopf 
bei  dieser  Gelegenheit  zwar  die  Spitzen  von  Nase, 
Lipi)en  und  Kinn  eiubüsste,  dennoch  aber  als  der 
einzige  von  allen  bisher  aufgefundenen  Köpfen 
sicii  die  Bemahlng  von  Haar  und  Augen  erhal- 
ten hat.  Sie  ist  nach  dem  sacliverständigen  Ur- 
theil  unseres  Gastes  des  Herrn  Prof.  Zimke  aus 
Marburg  anscheinend  in  englisch  Roth  (Eisenoxyd) 
hergestellt,  und  an  dem  grössten  Theil  des  Haares, 
den  Augenbrauen,  den  Liderrändern  und  dem  Stern 
des  r.  Auges  in   lebhaften   uud  reichlichen  Resten 


Berichte  aus  Olympia. 


51 


zu  constatireu.  Die  Gesicbtsh.aut  dagegen  ist  auch 
hier  weiss  und  glatt,  während  das  Haar  rauhere 
Oberfläche  zeigt.  Dass  der  Kopf  aus  der  Löwen- 
metope  stammt,  geht  unwiderleglich  daraus  hervor, 
dass  seine  Wange  auf  die  rechte,  noch  erhaltene 
Hand  gestützt  ist.  Diese  Stellung  findet  einzig  in 
dem  Pariser  Bruchstücke  des  genannten  Keliefs  ihre 
Erklärung,  aus  dem  hervorgeht,  dass  Herakles  nach 
1.  gewendet  neben  dem  erlegten  Löwen  stand  und 
den  r.  Fuss  auf  dessen  Leib  setzte.  Der  r.  Ellen- 
bogen wird  sich  auf  den  Schenkel  gestützt  haben. 
Es  ist  ein  schöner  und,  so  weit  wir  sehen,  unserm 
Künstler  ganz  eigenthümlicher  Gedanke,  den  Hel- 
den nach  seinem  ersten  Siege  in  dieser  ausdrucks- 
vollen Duldergeberde  darzustellen,  als  gedächte  er 
aller  der  Kämpfe  und  Gefahren,  die  ihm  noch  be- 
vorstehen. — 

Unter  den  neu  gefundenen  Giebelköpfen  ist  der 
schönste  der  der  knieeuden  Lapithin  aus  der  linken 
Giebelhälfte.  Die  Geberde,  mit  der  sie  ihr  Haupt 
tief  auf  die  Brust  niederbeugt,  um  sich  vor  der 
Umklammerung  des  Kentauren  zu  schützen,  der  sie 
mit  seinem  Hinterbeine  festzuhalten  sucht;  die  vollen, 
grossen  Gesichtsformeu,  das  gelöste  Haar,  welches 
das  Haupt  iu  gedrängter  Fülle  umflattert,  alles  dies 
ist  in  monumentaler  Grösse  und  Strenge  der  Auf- 
fassung zu  packender  Wirkung  gebracht.  —  Von 
der  einzigen  noch  fehlenden  Gestalt  des  West- 
giebels, dem  Theseus,  ist  wiederum  ein  kleines 
Fragment,  eine  Hinterkopflamelle  zum  Vorschein 
gekommen.  Man  könnte  dies  als  ein  böses  Omen 
nehmen;  allein  wie  wenig  wir  auf  die  Hoffnung 
zu  verzichten  brauchen,  zerschellte  Köpfe  allmä- 
lig  zusammenzufinden,  also  z.  B.  auch  der  Paio- 
uios-Nike  ihr  Antlitz  wiederzugeben,  hat  uns  wieder 


der  Fund  von  dem  Gesichte  des  knabenraubenden 
Kentauren  gelelirt  (20.  März).  Auch  von  diesem 
hatten  wir  bereits  früher  Hinterkopfstücke  gefunden. 
Das  Gesicht  aber  ist  uns  dennoch  gerettet  worden, 
und  zwar  dadurch,  dass  ein  später  Ansiedler  der 
Gegend  im  S.  des  Philippeions  das  Grab  seiner 
Angehörigen  unter  seiner  Hütte  mit  einer  zweiten 
Deckschicht  aus  Ziegelsteinen,  Porosbrocken  und 
Marmorfragmenten  versah,  in  die  er  auch  dieses 
Kopfstück  mit  einflickte.  Es  ist  eins  der  charak- 
teristischsten Kentaurengesichter  mit  wirrem,  kurzem 
Haar,  niedriger,  gefurchter  Stirn  und  dem  Ausdruck 
thierischer  Wildheit  in  den  Zügen.  — 

An  demselben  Tage  wie  den  eben  gemeldeten 
thateu  wir  noch  den  Fund  einer  überlebensgrossen 
ApoUonstatue  römischer  Zeit.  Ueber  die  feineren 
Stilnüancirungen  wird  sich  erst  nach  Auffindung  des 
Gesichts,  der  Unterarme  und  Unterbeine  urtheilen 
lassen.  Der  von  einer  Chlamys  locker  umgebene  1. 
Arm  hielt  eine  Leier,  die  Rechte  also  wolil  ein 
Plektron.  Das  Haupt  schmückte  ein  Metallkranz; 
die  sonst  üblichen  Schulterlocken  scheinen  gefehlt 
zu  haben. 

Unsere  übrigen  plastischen  Funde  bestehen  aus 
einem  überlebensgrossen  nackten  männl.  Torso  rö- 
mischer Arbeit  und  dem  Körper  eines  Satyrknaben, 
der,  au  einen  Baumstamm  gelehnt,  die  Flöte  bläst, 
auch  dies  eine  mittelmässige  römische  Wiederholung 
eines  bekannten  Typus.  Wichtig  ist  der  Fund  eines 
fast  lebensgrossen,  leider  aber  sehr  beschädigten 
Terrakottakopfes,  der  in  Darstellung  und  Stil  grosse 
Uebcreinstimmung  mit  dem  Haupte  des  Heraion- 
kultbildes zeigt. 

Olympia,  den  2.  April  1880. 

Georg  Treu. 


52 


INSCHRIFTEN  AUS  OLYMPIA. 


334. 

Block  aus  parisc-hem  Marmor,  0,4S  lang,  0,308  breit,  0,17 
hoch.  Rechte  Seitenfläche  gebrochen;  Vorderfläche  und  linke 
Seiteuflüche  glatt  bearbeitet,  die  Rückseite  nur  mit  dem  Spitz- 
hammer (Anschlus.-fläche):  die  Oberflüche  ist  rauh  vorgearbeitet, 
vermuthlich  zu  spaterer  Verwendung.  Gefunden  im  Südwest- 
graben am  19.  December  1S79,  verbaut  in  eine  der  späteren  Ziegel- 
mauern, 12, .50  M.  westlich  von  der  5.  (von  N.  gerechnet)  Ost- 
säule des  grossen  Südwestgebäudes.     Abschrift  von  Furgold. 


„Der  letzte  Buchstabe  ist  so  zerstört,  dass  sich 
Bcht  entscheiden  lässt,  ob  die  zwei  noch  erkenn- 
baren Vertiefungen  von  einem  A  oder  A  herrühren 
oder  zufällige  Verletzungen  sind;  in  anderer  Be- 
leuchtung schienen  schwache  Umrisse  eines  O  dar- 
über sichtbar  sein."     K.  Purgold. 

Ja/xdyTjTOs  Jiayöqa,  Ob  am  Ende  noch  ein 
Buchstabe  gestanden  hat,  muss  nach  den  vorste- 
henden Angaben  von  Purgold  dahingestellt  bleiben. 
Doch  wäre  die  Form  Jiayoqao  für  den  Dialekt  und 
die  Entstehungszeit  dieser  Inschrift  buchst  auffal- 
lend, da  auf  dorischem  Gebiet  diese  Genetivforra 
(natürlich  abgesehen  von  metrischen  Inschriften)  nur 
in  einer  uralten  Grabschrift  von  Melos  (Hermes  II, 
p.  454;  Kirchhoff,  Studien  zur  Gesch.  des  gr.  Alph.' 


p.  57)  vorkommt,  während  das  Denkmal  der  Nach- 
kommen des  Diagoras  von  Rhodos,  das  Pausanias 
VI,  7,1  erwähnt  und  zu  dem  dieser  Block  gehörte, 
am  Ende  des  fünften  Jahrhunderts  vor  Chr.  errich- 
tet sein  muss.  Ueber  die  Bedeutung  des  Fundes 
für  die  Baugeschichte  bemerkt  Herr  Dr.  Purgold 
Folgendes:  „Da  Pausanias  die  Reihe  der  Ehren- 
statuen dieses  rhodischen  Geschlechts  noch  unverletzt 
sah,  gewährt  die  Verwendung  derselben  in  jener 
Mauer  einen  chronologischen  Anhaltspunkt  für  die 
Entstehung  der  späteren  Einbauten  in  die  Südwest- 
halle, deren  Ziegehverk  trotzdem  nach  dem  Urtheil 
der  hiesigen  Architekten  zu  dem  besten  in  Olympia 
erhaltenen  gehört."  Dazu  fügt  Herr  Dr.  Treu  noch 
einige  Bemerkungen  über  den  Aufstellungsort  der 
Diagoridengruppe:  „Ursprünglich  wird  die  Dama- 
getosbasis  mit  denen  der  übrigen  Diagoriden  vor 
der  Nordostecke  des  Zeustempels  gestanden  haben, 
ist  also  um  etwa  230  Meter  nach  Südwesten  ver- 
schleppt worden.  Pausanias  (VI,  7,  1)  führt  sie 
nämlich  zwischen  den  Statuen  des  Kallias,  Eukles 
und  Eutiiymos  (VI,  6,  1.  2.  4)  einerseits  und  der  des 
Hellanikos  (VI,  7,  8)  andrerseits  auf,  deren  Basen 
wir  sämmtlich  im  nordöstlichen  Theil  der  byzanti- 
nischen Mauer,  also  ungefähr  35  Meter  östlich  von 
der  Nordostecke  des  Zeustempels,  wiedergefunden 
haben." 


335. 


Oberplatte  einer  Basis  aus  Kalkstein,  gefunden  am  1.  März 
1880  etwa  25  M.  südlich  vom  Ostrande  des  Philippeion,  verbaut 
in  eine  „Slavenmauer",  lang  1,50,  breit  0,87,  dick  0,24.  Der 
Stein  ist  an  seiner  vorderen  Schmalseite  und  an  den  hinteren 
Hälften  der  Langseiten  einfach  profilirt,  die  Vorderhälfte  der  Lang- 
seiten zeigt  Anschlussflächc.  Hier  setzte  also  jederseits  ein  Seiten- 
block an,  an  dem  sich  das  Prolil  fortsetzte.  Die  Unterseite  des 
Blockes  ist  nur  roh  behauen  und  zeigt  zwei  rechteckige  Dübel- 
löcher;   die  Oberfläche    hat   vorn    an   jeder  Seite  zwei  Klaminer- 


spuren  zur  Befestigung  jener  Seitenblöcke  und  drei  grössere  Ver- 
tiefungen zur  Befestigung  der  darauf  stehenden  Statuengruppe. 
Die  Inschrift  steht  auf  dem  15  Centimeter  hohen  platten  Ober- 
rande des  vorderen  Profils  in  regelmässigen,  sorgfältig  einge- 
hauenen Buchstaben.  Am  unteren  Theil  dieses  Randes  läuft, 
nach  rechts  ansteigend,  eine  schmale  weisse  Schicht,  in  welcher 
der  Stein  mehr  verwittert  und  die  Schrift  daher  nur  noch  zum 
Theil  erkennbar  ist.     Purgold. 


AAKEAAIMONI.QNO 

l<|)V-ilON 

T  E  S  Y 

n  O  T  n  N  T 

Y  P  A  N  N^^ -^ 

/kaaaikpathoeo 

H  E  N  O^N 

.AEONTHZIONKATArArONTA 

/eistanfatp 

lAAKAIAlAJAYSANTAFOTITOYSnOAlTAZ 

KAIEISTANEH 

A  P^ 

/ 

O  1  A  N 

Z  !        TA 

A  Z  A  N  T  A 

yfa-^EÖaijiim'uov  o'i  cfv[Y\6vztg  vnn  tuiv  TVQ(ivt'\iiii'\  elg  tccv  naigida  xai  diaXvaavta  nmi  xnvg  nnXttag 

KaX).txQc'ciTj     fyto^irnv    yteovzraiov,     ■Kazayayövta  xai  tlg  tuv  6§  ctQyßg  \evv\oiai\a7tOKa\Ta  [arJaaajTa. 


W.  Dittenberger,  Inschriften  ans  01ym|iia. 


53 


Das  interessante  Denkmal  gilt  dem  bekannten 
aeliäischen  Staatsmann,  der  mehrere  Jahrzehnte  hin- 
durch als  Haupt  der  römischen  Partei  eine  einfluss- 
reiche und  verhängnissvolle  Rolle  gespielt  hat. 
Leontion  als  seine  Heimat  war  bereits  durch  Polybius 
XXIV,  10, 8  bekannt,  den  Namen  des  Vaters  er- 
fahren wir  erst  durch  unsere  Inschrift.  Ueber  die 
specielle  Veranlassung  zur  Errichtung  des  Denkmals, 
die  Rückführung  der  lakedämonischen  Verbannten, 
die  Kallikrates  als  Gesandter  beim  römischen  Se- 
nat im  Widerspruch  mit  seiner  Instruction  durch- 
setzte (180  V.  Ch.)  und  dann  als  Strateg  der  Achäer 
(179  V.  Ch.)  zur  Ausführung  brachte,  berichtet  Po- 
lybius XXIV,  10-12  ausführlich. 

336. 

„Gelber  Sandsteinblock  0,82  bieit,  0,36  dick.  Ausgegraben 
schon  in  einem  der  ersten  Jahre,  am  Ostende  der  Terrasse  des 
Zeustempels,  gerade  vor  der  Mitte  der  Ostfront,  südlich  der 
Philesiosbasis.  Oben  hat  der  Stein  Dübellücher;  offenbar  bildete 
er  den  Vorderblock  einer  Basis.  Die  Inschrift  hat  durch  Cor- 
rosion  gelitten;  in  Z.  5  glaubte  ich  ausser  dem  o  bei  günstiger 
Beleuchtung  noch  im  Anfang  die  Spuren  IAH  (unter  TTn)  und 
unter  dem  A  von  'OXvtmiu  ein  /\  wahrzunehmen."    K.  Purgold. 


TIBEPIONKAAYAIONliPr 

PIOYYION\EP5niANiKH 
SANTAOAYMTTIA     TEePITT 
IT  fl  I  T  E  A  E  I  ri  i  llllllllllllllllllllllllll 
lllllllllllllllllll  O  IIIIIIIIIIIIHIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIII 
A  u  O  A  \  ///  N  I  O  Z  A  n  O  A  A  5i  N  I  O  Y  Y  o  2: 
HAEI05:OKAITIBEPI05:///AYAIOS 
TONE  AYTOYnATPftrinKAlEYEPrETI- 
THN        All        OAYMTTIßl 


Tißegiov  KXavSiov   Tiß[E\  \  qiov  vlov  Negtova, 

vixr/  I  ßavTa  'Olv/.i7iia  ts&qIti  \  nio  zslst'(() 

^7iol^[iü]viog ^nokkwvtov  vng  \  'Hlelog  o  xal  Ttße- 
Qiog  [Kl]av6iog  \  xov  eavTOv  ncczQcova  xal  ev£Q- 
yi{rrj)  I  T}]v  Jil  'Okv/tnici). 

An  dem  zu  n.  34  geführten  Nachweis,  dass 
die  Angabe  des  Africanus  von  einem  Wagensiege 
des  Kaisers  Tiberius  in  der  199steu  Olympiade 
auf  einer  Verwechselung  desselben  mit  seinem 
Adoptivsohn  Germanicus  beruhe,  kann  diese  Inschrift 
durchaus  nichts  ändern.  Denn  der  Ti.  Claudius 
Ti.  f.  Nero    derselben  kann  zwar   nicht  wohl    ein 


anderer  sein,  als  der  Kaiser  Tiberius;  aber  eben 
diese  Namen  beweisen,  dass  die  Errichtung  des 
Denkmals  nicht  nur  vor  seinen  Regierungsantritt, 
sondern  sogar  vor  seine  Adoption  durch  Augustus 
(2G.  Juni  4  nach  Chr.)  fallen  muss,  der  darin  er- 
wähnte Sieg  also  spätestens  Ol.  195  (1  n.  Chr.)  er- 
rungen sein  kann.  Nur  insofern  trägt  unsere  In- 
schrift zur  Aufklärung  über  die  Notiz  in  dem  Ver- 
zeichniss  des  Africanus  bei ,  als  sie  uns  die  Ent- 
stehung des  Irrtliums  begreiflich  macht:  Hatte  der 
Kaiser  Tiberius  wirklich  einst  unter  der  Regie- 
rung seines  Stiefvaters  selbst  mit  dem  Viergespann 
in  Olympia  gesiegt,  während  er  dann  als  Kaiser 
(nach  einer  Unterbrechung  von  nur  wenigen  Olym- 
piaden) die  hippischen  Agone  wieder  einführte 
und  nun  seinen  Adoptivsohn  und  präsumtiven  Nach- 
folger in  derselben  Kampfart  auftreten  Hess,  so 
lag  eine  Verwechselung  dieser  beiden  Siege  gewiss 
sehr  nahe. 

337. 

„Basisblock  aus  gelblichem  Sandstein,  gefunden  im  Februar 
1880  verbaut  vor  der  Westfront  der  Echohalle,  etwa  in  der  Mitte 
derselben.  Hohe  0,38,  Länge  0,785;  die  Tiefe  beträgt  jetzt  0,60, 
doch  ist  der  Stein  an  eiuer  der  Langseiten  gebrochen.  Von  der 
Bronzestatue,  zu  welcher  die  auf  der  anderen  Langseite  befind- 
liche Inschrift  gehörte,  sind  auf  der  Oberfläche  die  Standspuren 
erhalten,  der  linke  Fuss  trat  ganz  auf,  der  rechte  nur  mit  der 
Vorderfläche  und  w.ir  etwas  zurückgesetzt.  Dass  diese  Fläche 
jedoch  nicht  die  ursprüngliche  Oberseite  ist,  zeigt  ein  an  der 
jetzigen  Unterfläche  an  den  drei  erhaltenen  Seiten  herumlaufen- 
der, ungefähr  0,06  breiter,  0,025  hoch  hervorstehender  Rand; 
die  vertiefte  Fläche  innerhalb  desselben  ist  in  der  Mitte  rauh  ge- 
spitzt, an  den  Seiten  geglättet.  Der  Stein  war  also  ursprünglich 
Unterblock  einer  anderen  Basis,  in  welcher  auf  seiner  jetzigen 
Unterseite  ein  oberer  Stein  ruhte.  Dass  er  in  dieser  früheren  Ver- 
wendung ziemlich  lange  gedient  hat,  zeigen  sowohl  auf  der  jetzigen 
Unterseite  als  auf  der  Inschviftfläche  zahlreiche,  duri'h  die  dem 
K.alkstein  eigene  Verwitterung  entstandene  rundliche  Löcher;  au 
einigen  Stellen  ist  deutlieh,  dass  der  Steinhauer  beim  Eingraben 
der  Buchstaben  denselben  auszuweichen  suchte."     K.  Purgold. 


AIOrENHSAIONYriOYE'l'ESIorNIKK 

SASTOYSSAATTirTASOAYNTTlATTEN 

TPAKlSTTYeiAAISlSeniATPISNEME 

ATPlSKOiNONASIASAlSENNEAnOAI// 

AlSHpAIÄTAENAprEIKAITOYSAOI 

TrOY2lEpOYSKAIi:TE'{>ANEITA2Arß 

NA2        Tr-AlIOAYNni:ß 

„Zeile  3  hat  an  zweiter  Stelle  deutlich  ein 
unter  die  Linie  herabreichendes  p  gestanden,  doch 
ist  das  Versehen  durch  eine  Rasur  verbessert." 


54 


W.  Dittenberger,  Inschriften  aus  Olympia. 


JioyivT^Q,  JiovvGiov   'Ecpaaiog,    vixi]   I  aag  xovq 
oalniaTag'0).vvTiia  tcev  \  räxig,  Ilv&ia  öig,  la&iiua 
TQls,Nii.i£  1  aTQtg,xoivdvidaiasöls,£vNea7i6l[Ei]  \ 
dlg,  "Hgata  rä  ev  'LiQyei,  xal  jovg  loi  \  novg  hqovg 
xai  aiecpavelTag  äyco  |  vag  n ,  Ju  'OXvvnup. 

338. 

„Basis  aus,  wie  es  scheint,  pentelischem  Marmor.  Gefunden 
am  8.  Januar  1880,  in  eine  der  ,,Slavenmauern-  südlich  der 
Zanes  verbaut.  Oben  und  unten  mit  einem  an  allen  vier  Seiten 
herumgeführten  vorspringenden  Profil  versehen.  Hijhe  im  Ganzen 
0,75,  Breite  und  Tiefe  0,55,  das  Inschriftsfeld  0,47—49  in  nicht 
ganz  regelmässigem  Quadrat.  Auf  der  Oberfläche  verschiedene 
Vertiefungen,  darunter  die  Spur  des  linken,  nur  mit  dem  Vorder- 
theil  aufgesetzten  Fusses,  und  vier  tiefere  unregelmässige  Löcher." 

K.  Purgold. 


PHTiAAX   YreiAi 


'Pijyi).).a  'Yyelu. 

339. 

Basis  aus  pentelischem  Marmor,  gefunden  am  10.  Februar 
1880,  etwa  20  Meter  südlich  vor  der  Mitte  der  Südfront  des 
Heraion,  nördlich  dicht  neben  der  Porös -Wasserleitung,  die  an 
der  Nordseite  des  Pelopion  entl.ang  läuft,  nicht  in  situ.  Breite 
0,53,  Tiefe  0,43.  Der  obere  Theil  ist  abgebrochen,  das  Inschrift- 
feld in  einer  Höhe  von  0,65  erhalten,  unten  ist  es  durch  einen 
vorspringenden  Rand  abgeschlossen,  unterhalb  dessen  der  Stein 
wieder  gebrochen  ist.     Abschrift  von  Purgold. 


-Tö^^O  A  YMTT  I  OR 

YMNONAEISAi:     \ 
EIAPYMAIBOYAHS 
fH^'ftOAYMTTIAAOS 


[ —       — jYffod  1  \rj!.i]og  'Olvf-iniov  \  ifivov  äelaag 
t'iÖQvi^ai  ßovlrjg  |  rp'](p'{)  'Olvi-iTiiäöog. 

Kach  gewissen  Anzeichen  in  der  Schriftform 
dürfte  dieses  Epigramm  dem  zweiten  Jahrhundert 
nach  Christus,  der  Zeit  des  Hadrian  oder  der  Au- 
toninc,  angehören. 


340. 

„Basis  aus  pentelischem  Marmor,  beiderseits  mit  einem  vor- 
springenden Rande  abgeschlossen,  der  linke  einfach,  der  rechte 
doppelt  profilirt;  mit  diesem  lang  0,9G,  breit  0,54;  Inschriftfeld 
lang  0,68,  hoch  0,48.  Diese  an  drei  Seiten  herumgeführten 
Profile  sind  oftenbar  für  eine  stehende  Basis  berechnet,  für  welche 
das  linke  den  unteren,  das  rechte  den  oberen  Abschluss  bilden 
sollte.  Doch  ist  von  einer  Verwendimg  des  Steins  in  dieser 
Lage  nichts  zu  erkennen,  er  zeigt  weder  Reste  von  Inschrift 
noch  Standspuren,  die  einer  solchen  entsprächen.  Dass  aber  die 
Ränder  nicht  zur  Einfassung  der  gegenwärtigen  Inschrift  gemacht 
wurden,  vielmehr  diese  mit  dem  durch  dieselben  gebildeten  Raum 
zu  rechnen  hatte,  geht  auch  daraus  hervor,  dass  ibre  drei  ersten 
Zeilen  gedrängter  geschrieben  werden  mussten.  Auf  der  nun- 
mehrigen Oberseite  Standspuren  zweier  Füsse ,  der  rechte  (0,35 
lang)  mit  ganzer  Fläche  aufgesetzt,  der  linke  nur  mit  dem  Vorder- 
theil;  in  ihm  zwei  runde  Vertiefungen  zur  Befestigung  der  darauf 
stehenden  Bronzestatue."     K.  Purgold. 


TONAeT6  0N<flXAHeceYP6KTHNrroAYXAPMoN 
CTHCÄMeNePMÄAlKHCZHNlTTAP'ieYAlKUJl 

HNHCÄNA'eAÄHNeceNÄlCIMlHirAPANYCCeN 
APXHNTTANTOIHCIÄPICeWNAPeTHC 


Tövö^  heov  fPiaXiisg  evQ(Q)EXT>]v  IIoXvxciQfiov 
aT>]Oaf.iEv  {Qi-ia  öixtjg  Zrjvl  naq    Idvdixoj' 

ijvT^aav  (J'  "Ekhp'Eg"  ev  alai^iit]  yccg  avvaaev 
aQX>]v,  navToirjg  l'ÖQig  iiov  aQSiiig. 

Der  Geehrte  scheint  Bürger  von  Phigaleia  und 
Strateg  des  achäischen  Bundes  gewesen  zu  sein, 
die  Ehrenbezeugung  selbst  auf  einem  Beschluss  der 
Stadtgemeinde  von  Phigaleia,  dem  dann  aber  das 
xoivov  TüJv  Idxaiöjv  zustimmte,  zu  beruhen;  denn 
}jv7]aav,  das  im  gewöhnlichen  Sinn  hier  sehr  matt 
wäre,  ist  wohl  in  der  Bedeutung  von  awfveaav 
oder  wie  es  technisch  in  dieser  späten  Zeit  ge- 
wöhnlich heisst,  Eneipr](f[aavTo,  avv£nEipr]q>iaavTO 
gemeint.  Die  Hellenen  gaben  ihre  Zustimmung  zu 
der  von  den  Phigaleern  beschlossenen  Errichtung 
der  Statue.  fQfia  öixT^g  V.  2  erinnert  an  C.  I.  Atl. 
III,  77G  nlovzaQxov,  atad^EQijg  fQ^a  aaocpQoavvijg. 
Das  vorliegende  Epigramm  ist  entschieden  jünger 
als  n.  330,  und  schwerlich  vor  der  zweiten  Hälfte 
des  dritten  Jahrhunderts  n.  Chr.  verfasst. 

341. 

„Basis  aus  pentelischem  Marmor,  gefunden  im  Januar  1880 
in  eine  der  „Slavcnmauern"  im  Süden  der  Zanes  verbaut.  Hoch 
0,89,  breit  0,53,  tief  0,46.  Die  Vorderseite  ist  mit  einem  ringsum 
gieichmässig  jirotilirten  Rande  umgeben,  das  Inschriftfeld  0,72 
hoch  und  0,37  breit.     Die   übrigen  Seiten  glatt;    auf  der  Ober- 


W.  Dittenberger,  Inschriften  aus  Olympia. 


55 


fläche    in   der  Mitte  ein  rundes  Loch  mit  nach  hinten  laufender 
Gussrinne  zur  Befestigung  der  Tlinthe  einer  Marmorstatue." 

K.  l'urgold. 


HOAYMniKH 

B    O    Y    A    H 

KAIOAHMOCH 

ACIftN-TT-MeMMI 

5 

ON<|>IAOAAMON 

r-M6MMIOY-GYAAMOY 

YION-riOYAIOYCnCTAToY 

erroNON>e<j>HBeYCAN 

TAAPeTHCKAlCn<l'PO 

0 

CYNHCKAlTTAIAeiAC 

eNeKGNKAITHCYTTCP 

THNHAIKIANAOHHC 

c5ANG0HKeNö 

lOYAIAAnAA 

5 

csHMHTHPä 

'H  'OXvfinixi^  I  ßovltj  I  xal  6  dPjfiog  'H  \  Xsiiov 
n{6n).iov)  Msm-u  I  ov  Oilöött^iov,  \  r(a'iov)  Me^i- 
fiiov  Evöäi-iov  I  vlov,  I\tttov)  'lovliov  ^toargäTov  | 
eyyovov,  ecprjßEvaav  |  %a,  ccQSTrjg  xal  aoxpQO  |  avvrjg 
xat  naidelag  \  tvexev  xat  Ttjg  vneQ  |  Trjv  7]lixLav 
dö^rjs  I  ävsdrjxsv  |  'lovlia  "AnXa  \  rj  (^iritriQ, 

342. 

„Basis  aus  pentelischem  Marmor.  Höhe  im  Ganzen  1,11, 
des  Inschriftfeldes  0,6S.  Breite  0,GO.  Bloss  an  der  Vorderseite 
oben  und  unten  mit  einem  Profil  versehen,  die  andern  Seiten 
nur  rauh  bearbeitet.  Auf  der  Oberfläche  ist  die  rechte  Fussspur 
mit  zwei  runden  Lüchern  darin,  und  links  einige  andere  runde 
Liicher  zur  Befestigung  der  Fasse  einer  Bronzestatue  zu  bemerken. 
Gefunden  am  23.  Januar  1880  vor  der  Westfront  der  Echohalle, 
südöstlich  vom  Metroon."     K.  Purgold. 


ATAeH                 TYXH 

HOAYMniKHBOYAHKAlO 

AHMOCOH\elWNrACINION 

KOVAAPATONÄNGVnATON 

vnATONAnoAeAei  rMENON 

TeiMHCANTATHNOAYMni 

ANKAiAorwKAieprw 

Idyadfizv'/,}].  I  'H'OXviinixrj  ßovlr^  xat  o  \  ör^fing 
6  'Hleiiüv  r{äiov)  Idaiviov  \  Kovadgärov,  äv!}v7ia- 


tov ,    I    ijuctTOv    änodEdEiy^iEi/ov^    \  TEti.i>]aavTa    Trjv 
'Olvf-ini  I  av  xai  Aöyf/>  xai  l'oyoj. 

Herr  Dr.  Treu  spricht  in  einer  der  Abschrift 
beigefügten  Bemerkung  die  Verniuthung  aus,  dass 
dieser  Asinius  Quadratus  der  Historiker  sei,  welcher 
(We'Pufiata  y^iXiEir^Qig  verfasste  (Müller  Fr.  Hist.  III, 
p.  659).  Dies  ist  nicht  nur  durchaus  wahrschein- 
lich, sondern  es  lässt  sich  vielleicht  in  den  Worten 
TeifitjaavTa  T^v'Olv^niav  xai  koycii  xai  EQyio  eine 
directe  Anspielung  auf  jenes  Geschichtswerk  er- 
kennen. Nach  Suidas  s.  v.  reichte  dasselbe  von  der 
Gründung  der  Stadt  bis  zu  den  Anfängen  des 
Alexander  Severus.  Man  wird  gewiss  K.  Müller 
Recht  geben  müssen,  wenn  er  der  Ansicht  von 
Vossius  {de  hisioricis  Gr.  p.  286  ed.  "Westermann) 
entgegentritt,  wonach  der  Titel  beweise,  dass  Suidas 
geirrt  habe  und  das  Werk  bis  zur  Regierung  des 
Philippus  Arabs  gegangen  sein  müsse :  vielmehr  sei 
umgekehrt  aus  der  Thatsache,  dass  die  %iluTriqig 
betitelte  Geschichtsdarstellung  nur  bis  in  die  ersten 
Jahre  des  Alexander  Severus  reichte,  zu  schliessen, 
dass  Asinius  Quadratus  der  auch  anderweitig  nach- 
weisbaren Meinung  gefolgt  sei,  nach  der  das  Grün- 
duugsjahr  Roms  mit  dem  Anfang  der  Olympiadenzäh- 
lung zusammenfalle.  Dann  liegt  aber  die  Vermuthung 
gewiss  nahe  genug,  dass  Quadratus,  vielleicht  im 
Proümium,  dieses  merkwürdigen  Zusammentreffens 
in  einer  Weise  gedacht  hatte,  welche  füglich  als 
eine  Verherrlichung  Olympias  aufgefasst  werden 
konnte.  Das  in  der  Inschrift  erwähnte  Proconsulat 
ist  sicher  (wegen  des  vrcatov  anodEdEiy(.i£vov)  ein 
prätorisches,  und  dann,  da  die  Provinz  nicht  ge- 
nannt wird,  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  das  von 
Achaia. 

343. 

„Basis  aus  pentelischem  Marmor,  gefunden  im  Februar  1880 
etwa  zehn  Schritt  östlich  vor  der  Apsis  der  byzantinischen  Kirche. 
Oben  und  unten  weit  ausladende  Profile  von  später  Form;  mit 
denselben  hoch  1,25,  breit  und  tief  0,72.  Inschriftfeld  0,8-l 
hoch,  0,0-1  breit.  Auf  der  Oberfläche  der  Basis  ist  aus  demselben 
Stück  ein  runder,  protilirter  Untersatz  gearbeitet  (0,11  hoch,  Durch- 
messer 0,51)  auf  welchem  vermuthlich  die  runde  Plinthe  der  Statue 
befestigt  war;  die  Oberfläche  dieses  runden  Aufsatzes  hat  in  der 
Mitte  ein  Loch  mit  nach  vorn  laufender  Gussrinne,  das  später, 
um  den  Bleiverguss  herauszunehmen,  ringsum  erweitert  worden 
ist."     Iv.  Purgold. 


56 


W.  Dittenberger,  Inschriften  aus  Olympia. 


AfAGHI     TYa. 

EAOSETHBOTAH 

thoAtmttikhi 

<)>AABIOi:4>YAA2: 

ÄÄESANAPOreESSÄ'^o- 

S     O     <}>     I     2     T     H    S 

GECCÄAWN 

cyneApoc 

X   e   H   N  Ä    I    W  N 

ÄPEOTTÄrEITHC 

l4ya&f]  Tvxllj.  \  "EöoSs  zfj  ßovlfj  \  rfj'Oh'finixfi  | 

OXäßiog    (Dvla^  \  'Als^ävögov    Gsaaakdg  \    ooq>i- 

Gtrig'  I  Qeaaccliüv  \  avveÖQog,  \  AdrjvaUov  \  Idqeona- 

ysiTTig. 

344. 

„Kalksteinblock,  gefunden  im  Januar  18S0  in  einer  der  Slaven- 
mauem  südlich  der  Zanesbasen.  Hoch  0,98,  breit  0,565,  tief  0,40. 
Die  Vorderseite,  das  Inschriftfeld,  ist  geglätttet  und  nach  oben 
und  an  beiden  Langseiten  etwas  abgeschrägt,  so  dass  es  nur  0,97 
hoch  und  0,525  breit  ist;  an  den  beiden  Nebenseiten  Dübellöcher. 
Die  Inschrift  ist  sorgfältig  eingehauen,  doch  sind  die  Zeilen  nicht 
ganz  regelmässig  gestellt,  besonders  die  untersten  ziemlich  schief." 

K.  l'urgold. 


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T  H  C  I  e  P  lo  T  A  T  H  G  H  A 

ei 

Cju  N  B  O  YA  HG 

Tö  xoivov  Tiüv  I  l^xaiiüv  n(6nliov)  AYliov  \ 
AgloTcava  Meaai]  \  viov  lEQocpävxrjv,  \  no(nXiov) 
AlXiov  Agiaziü  |  vog  i£Qoq)avTov  \  vlov,  atqttTrjyTq- 
aav  I  za  ziov  EXli^viov  |  cfiXozeifKog,  avv  \  navzeg  oi 
"EXXrjveg  |  aviazrjoav,  im  \  tprjcpiaa^Evrjg  xal  \  zfjg 
IsQCüzäztjg  'HXeI  \  cov  ßovXijg. 

345. 

,, Basis  aus  pentelischem  Marmor,  gefunden  im  Februar  1880, 
in  eine  der  „Slavenmauern"  verbaut.  Oben  und  unten  ein  an 
drei  Seiten  herumgeführter  vorspringender  Rand,  dessen  Profil 
späte  Form  zeigt.  Mit  demselben  hoch  1,18,  breit  und  tief  0,54. 
Das  Inschriftfeld  ist  0,83  hoch  und  oben  0,42,  unten  0,46  breit. 
Auf  der  Oberfläche  zwei  Fussspuren  von  der  darauf  aufgestellten 
Bronzestatue,  0,32  lang.  Die  Buchstaben  sind  zum  Theil  nur 
ganz  flach  und  unsicher  eingeritzt ,  oflenbar  sehr  später  Zeit." 
K.  Purgold. 


A  r  A  fo\H   T  Y  X  H 

.o  N  A  A  xi-rr  p  o 

-r-?|i  TONY  TT  Vt  ' 
Kc()NATTTTION\ 
GABeiNONHO 
AYJ.lTriKHBOYAH 

APeV^ceNeKA 

t        /P  B 


'Aya&fj  zi'x/].  \  Tov  Xai-mQÖ  \  zaxov  inazi  \  xov 
"Attuiov  I  ^aßsivov  ij  'O  \  Xv/.tni}erj    ßovXfj  \  aQSzijg 
ivsxa.  I  xp{i]cpiai.iati)  '0X{iii.inix7jg)  ßovXrjg. 

346. 

„Oberblock  einer  Basis  aus  pentelischem  Marmor,  gefunden 
am  27.  Februar  1880  zwischen  dem  Pelopionthor  und  der  Süd- 
ostecke der  Palästra  etwa  in  der  Mitte.  Lang  1,49,  hoch  0,25, 
tief  0,76.  Der  Stein  ist  vorn  mit  einem  Profil  versehen,  dessen 
oberer  0,125  hoher  Rand  die  Inschrift  trägt;  er  ist  unten  nur 
roh  behauen,  rechts  und  links  Anschlussfläche;  oben  hat  er  an 
den  beiden  Schmalseiten  KUmmerliJcher  und  anf  der  ganzen  Fläche 
verschiedenartige  Vertiefungen  und  Standspuren.  Da  die  Inschrift 
am  linken  Rande  mit  der  zweiten  Hälfte  eines  in  grösseren  Buch- 
staben geschriebenen  Namens  beginnt,  so  ist  anzunehmen,  dass 
dieser  die  Mitte  bildete  und  vor  ihm  auf  dem  links  anschliessen- 
den Block  ebenfalls  noch  drei  Namen  standen.  Links  muss  ein 
Stein,  dessen  Grösse  wir  nicht  mehr  berechnen  können  und  der 
keine  Inschrift  mehr  trug,  angesetzt  haben."     K.   Purgold. 


-AT  OPAS 
pNTOSHAEIOS 
>lTTIATE0PITTnflI 
r  A  F I  ft  I 


TIMAPETAtl'iAlSToYHAEIA         ■j'IAlSTotANTKl'ANoYSHAEIoS     0EOAOTANTI<))A]MOYSHAEIA 
OAYMTTIASYN5^PIAITEAElAl     OAYMTriASYNftPIAlTEAEIAI     OAYMTTI  A  APM  AT  I  TTflAlKfll 


[ J7pa|^«yoe«g(V)  |  ...  ovzog  'l-lXeiog  |  |'OAii|//iTta  ts^qiutki)  \  [zjsXsiq).  \  Ti(.iaQi.ta   (iJiXiazov  'HXeia  |  'OXvfiTiia   ovvcoqIöi  zeXel^. 
OiXiozog  AvzKfavnvg  'nXelng  \  'OXifinia  avvwQidi  zeXsic^.  |  Qeodöza  Avziqxivovg  'HXeia  \  '<)Xi/.tTiia  aQ^tazi  ntüXixw. 


W.  Dittenberger,  Inscbrifteii  aus  Olympia. 


57 


Das  Denkmal  stellte  offenbar  die  siinimtliclien 
(sieben,  s.  die  Bemerkung  v.  Purgold)  Mitglieder 
einer  eleischeu  Familie,  welche  in  den  Olympien 
gesiegt  hatten,  dar,  hatte  also  eine  gewisse  Aehn- 
lichkeit  mit  dem  der  rhodischen  Diagoriden.  Na- 
türlich ist  es  viel  jünger,  als  dieses,  und  gehört 
wohl  dem  ersten  Jalirhundert  vor  Christus,  allen- 
falls auch  der  ersten  Hälfte  des  zweiten  an.  Be- 
merkenswerth  ist,  dass  sich  unter  vier  erhaltenen 
Namen  zwei  von  Frauen  finden,  als  ein  neuer  Be- 
weis, wie  gewöhnlich  die  Betheiligung  derselben 
an  hippischen  Agonen  gewesen  ist. 

347. 

Weisser  Marmor,  0,36  hoch,  0,275  breit,  0,052  dick.  Ge- 
funden am  27.  Mai  1879  im  nördlichen  Theile  des  Prytaneion. 
Abschrift  von  Furtwäugler. 


A  P  X  I  A  A  A 

K AE I nnosA 
HPAKAEIAHZSN^Al//TEIS: 
MIKKIAITIMßNOZKAYTIAAHS 
APISTAPXOIKYPOYIAMIAHZX 

rPAMMATEYZ 
AAMAPIZTOZAMT I OXOY     A 
AYAHTHZZniAOZa         T 

KAiAOYXoiinniAzxAPonoz<|> 

APKEZOSAPMO A I OY  T 

KAOHMEPOOYTHZOAYMniXOZa 
H  YAE  Y  SZnT  I  12  N  2    lATPOZ 
A  M  M  J2  N  I  OZ  8  <t>      APXITEKTJ2N 
nPATAK^NeM  EHHTHTHZ 

noAYXAPHZAPIZTOKPATO//Zl1 
APXIMATI  POZAAEZANAPOZa  N 
EniZnoNAOPXHZTAIAPEZTOZ 
MOAOZZOY      X      ArAOHMEPOZ 
APXIAAOY     A"KAAA"NKAEinnoY 
ZnZ  I  N  I  KOZHPAKAI  AOY  A" 

O  1  NOXOOZ  I  Z  I  Arzpoz 
MOAOZZOY 


10 


15 


20 


^QXiäda\g ]  -J. 

Klei'nnng  ^[QiaToddi]i:iov      K. 
^HQaxXeidr]g)  »'(ewrepog?)  f.iä[v]tetg- 
31ixiclag  Ti'fuorog  KXvriädrjg 
^(jiazaQyng  Kvqov  Uaßidtjg         X. 

yQa/nfiazevg 
^af-iägiazog  ^vxiöy^ov         J, 
av Xt]Ti']g'  Ziü'il 0 e)  r. 

xl(e)i.dovxoi'  'Inniag  Xägonog     0. 
'l4QX6aog   ^Aqi-iodiov         T. 
xa-9^i]f.ieQoi^vT}]g'  'Okv/nmxog). 
^v?.£vg'  ^wTuov).   largög' 

Äf-miüVlOg)       0.    CCQILzi'KTWV' 

UgataxcSj')     M.  s^rjyrjXT^g- 
nolvxcxQtjg  ^QiaToxQdTo[v]g  M. 

dfJxil-ict'yiQog'  Aki^avögog)         N. 
iniaTtovöoQXfjarai'    ^geaiog 
MoXoaaov  X.     Ayad>]i.t£Qog 
AqX^'^^ov  Jo.     KäXkwv  KkeiTinov 
2walvixog  'HgaxXidov         Jo. 
olvoxöog'    'laidwQog 
Bloloaaov. 


Die  Buchstaben,  welche  hier  wie  in  einigen  der 
früher  veröffentlichten  Kataloge  der  Mehrzahl  der 
Namen  nachgesetzt  sind,  können  kaum  etwas  an- 
deres sein,  als  Abkürzungen  einer  dem  attischen 
Demotikon  ähnlichen  Bezeichnung;  vielleicht  sind 
es  die  Phylen  von  Elis,  über  deren  Zahl  zur  Zeit 
dieser  Inschriften  wir  nichts  wissen  (für  eine  viel 
frühere  Zeit  vgl.  Paus.  V,  9,  6).  Die  Entstehung 
des  vorliegenden  Kataloges  fällt  nach  Furtwänglers 
Bemerkung  nahe  an  Ol.  190  (20  vor  Chr.).  Denn 
in  dem  aus  dieser  Olympiade  stammenden  Verzeich- 
niss  n.  240  kommen  dieselben  beiden  Kliduchen  vor. 
Auch  n.  63,  wo  der  hier  verzeichnete  Mantis  Mikkias 
vorkommt,  stammt  ungefähr  aus  derselben  Zeit. 
Ausserdem  macht  Furtwäugler  darauf  aufmerksam, 
dass  auch  hier  die  Epispondorchesten  die  Söhne  der 
Spondophoren  sind;  ebenso  n.  349.350. 


Archäolog.  Ztg.,  J.ahrgnng  XXXVin. 


58 


W.  Dittenberger,  Inschriften  aus  Olympia. 


348. 

Pentelischer  Marmor,  gefunden  17.  Mai  1879  im  Pryta- 
neion.  Höhe  und  Breite  9,35,  Dicke  0,0'2.  Abschrift  von  Furt- 
wängler. 


AlOP 


o 


lEPA 


EniTHS        ZKr  OAYMniA/ 

eEOKOAOI         OAYMniKC; 
M  A  PKOZ        «l'AYSTOY         T 
NEIKOKAHZ     NEIKOKAEOYZ 
APIZTOAHMOS     ArHSAPXO"»/ 

ZnONAO<j)OPOI 
ePASnN  EPENNlANO>) 

EniroNOs    EniroNOY 

GEOAOTOS     0EOAOTOY 

r«1ANTE  IZ  I 

■YGIßN         nYeiflNO?/ 

LMnor. 


z/t  ng  iegä 
im  T'fjg  axy   '0?.v/.iTt i(i[dos] 

■d-£ox6koi  'Olv^in ixo[i] 
Mägxog  Oui'arov         F. 
5       Nsixo-Kkfjg  NecxoxXtnvg 
ÄQiaTÖÖTjiiog  JtyrjaÜQXOv, 
anovöoqiOQOi 
Ggdatov  'Eqevviavov 
'Eniyovog  'Eniyövov 
10       QsodoTog  Qeoöotov. 

/.lävTEig 
Tlv^icov  nvi}iiüvog  ['[anidrjg] 
["OAJvjUTTOg  \^OXvi.i7iov  KkvTiäörjg]. 

Verzeichniss  aus  01.223  (113  n.Chr.).  S.  die 
Bemerkungen  zu  n.  349. 

349. 

Platte  jjcntelischen  Marmon^,  welche,  wie  die  Rückseite  er- 
kennen liissst,  früher  ein  Dacliziegcl  des  Zeustenipels  gewesen 
war,  0,05  dick,  0,42  breit,  0,CG  hocli,  in  drei  Stücken,  gefunden 
a  den  G.  .Juni,  b  den  7.  Juni,  c  den  9.  Juni  1S79,  alle  drei 
verbaut  in  der  byzantinischen  Kirche.    Abschrift  von  Furtwüngler. 


JioQ  IsQa 
/nETSxexstQC^  TW  fiszct  TTJv  axy 
'OXv^tniäda  d-eoxöXoi  'OXvfj.nixoi 
rd'iog  Movaaiov         J. 
5    J{ixi.iog)  Jäv&iaxLog  Qeoyevrjg        F. 
yfvxdiov  ylvxäovog         N. 

anovdoqiÖQOi 
Movaalog     Fatov 
Faiog  Fatov 

10    ^nqiojv  ylvxäovog. 

l.i(ivrQs)ig 
"0?.vfinog  '0).v/.inov  KkvTiäötjg 
Flvd-Uüv  Tlvd-UovOQ  'lafildrjg. 
s^TjytjTt'jg 
15    'Qgägiog  ^aßlvog. 

anovöav  lr]g'  ^Hgäg   Hgccxkidov 
(ytvxolswv  Jiovvaioii). 

enianovdoQX^OTai 
^nolXcüviog  Movaaiov 

FloXvxaqnog         Fatov 
20    'EnatfiQoÖLXog       26(piovog. 

\y\Qani.iatEvg'   F^äiog')  ...<pevviog  KäXXiazog 

Interessant  sind  die  Verzeichnisse  n.  348  und 
349  dadurch,  dass  sie  aus  derselben  Olympiade  da- 
tirt  sind,  jedoch  so,  dass  n.  348  die  während  der 
223.  Olympient'eier  fuugirenden  Beamten,  n.  349 
die  des  darauf  folgenden  vierjährigen  Zeitraums  (113 
bis  116  n.  Chr.)  aufführt.  Mit  Ausnahme  der  beiden 
/.lävTEig  finden  wir  durchweg  verschiedene  Personen 
verzeichnet.  —  Z.  16.  17  ist  nach  Furtwänglers  aus- 
drücklicher Angabe  der  Name  ytvxoXiwv  Jiovvalov 
nachträglich  zugesetzt,  womit  auch  der  Singular 
anovdavXrjg  stimmt.  Bisher  konnten  wir  zwei  Grup- 
pen von  derartigen  Katalogen  unterscheiden,  von 
denen  die  eine  (n.  63.  64.  160.  240.  241.  347),  der  Zeit 
kurz  vor  Beginn  der  christlichen  Zeitrechnung  an- 
gehörig'), einen  avXT]Ti]g,  die  andere  (n.  161.  206. 
245.  247.  350.  Eph.  arcli.  3486.  3487),  sämmtlich  zwi- 
schen Ol.  240  (181  n.  Chr.)  und  261  (265  n.  Chr.) 
verfasst,  zwei  oder  drei  onovdavlai  nennen. 
In  die  dazwischenliegenden  Lücke  von  beinahe 
zwei  Jahrhunderten  musste  nothwendig  die  Ver- 
änderung sowohl   in  der  Titulatur  als  in  der  Zahl 

')  Die  Datirung  ist  nur  erhalten  n.  240  (Ol.  190  =  20  v.  Chr.), 
aber  alle  übrigen  liegen  nach  sicheren  Indicien  (s.  darüber  die 
Bemerkungen  zu  den  einzelnen  Stücken)  dieser  chronologisch 
sehr  nahe. 


W.  Dittenberger,  Inschriften  aus  Olympia. 


59 


^^^^    ^^/^^\ 

^           W^          ^\ 

^^                  A  1  o  p             y^           1  e  P  A                       ^\^ 

MeTeKexeiPcoTUiMeAATHN      ckt 

OAYMniAAA         deOKoXoi      OAYTrrWJlOI 

TAIOC                    /mOYCAIOY            Ä                        ^~~"'^-^-, 

Ä  ANeecTioc/eeoreNHc        r 

"~~^ 

AYKAWN      /     AYkAONOC        N 

CnO  NAO<J>OPOI 

MOYCAlOc/          r  A  1  O  Y 

TAIOC                      TAIOY 

CO'I'CON                  AYKAONOC 

/l  A  N  T  1  C 

OAYMn(oc     oAYMnoY     kAytiaahc 

nY0Kt,N       nYeiwNOC   iamiahc 

eZHTHTHC 

W  P  A  P 

IOC        CABINOC 

cno  N 

AAYAHC     HPAC   H  P  AK  AI  AO  Y  A  Y  KO  A6  tON 

AIONYCIOY^-^        eni  CnONAOPXHCTA  1 

A  n/o  AAOJNIOC           MOYCAIOY 

no,  AYKAPnOC         TAIOY 
eUA<t>POAITOC       CO<l)WNOC 

///pAMMATeYC-r.JUCA<|>eNNIOC      KAAAICTOC 

dieser  Beamten  fallen.  Schon  zu  n.  241  wies  ich 
darauf  hin,  dass  der  Fund  einer  dieser  Zwischen- 
zeit angehürigen  Inschrift  leicht  darliber  Aufklärung 
geben  könnte,  ob  Pausanias  V,  15,  10  die  Aufzäh- 
lung des  Personals  aus  einer  älteren  Quelle 
geschöpft,  oder  nach  eigener  Erkundigung  an  Ort 
und  Stelle  über  die  zu  seiner  Zeit  bestehenden 
Einrichtungen  gegeben  habe.  Diese  Frage  ist  nun 
meines  Erachtens  durch  die  vorliegende  Inschrift 
zu  Gunsten  der  ersteren  Alternative  entschieden: 
denn  während  Pausanias  die  ältere  Bezeichnung 
avlrjTijs  hat,  finden  wir  hier  bereits  mehrere  Jahr- 


zehnte vor  der  Abfassung  seiner  Eliaca  den  Titel 
anovdavXrjq.  Die  Aenderung  der  Bezeichnung  hat 
also  sicher  vor  Pausanias  stattgefunden,  wahrschein- 
lich aber  auch  die  der  Zahl;  denn  das  Natürlichste 
ist  doch  anzunehmen,  dass  eben  in  Ol.  223  zu  dem 
einen  Spondaulen  nachträglich  noch  ein  zweiter  hin- 
zugefügt, und  dann  von  der  nächsten  Olympiade 
an  durchgehends  sofort  deren  zwei  ernannt  worden 
seien.  Sollte  aber  auch  die  Zweizahl  in  jener  Ol3'm- 
l)iade  nur  aus  besonderen  Gründen  als  vorüber- 
gehende Ausnahme  zugelassen  und  erst  viel  später 
als  stehende  Einrichtung  eingeführt   worden  sein, 

8* 


60 


W.  Dittenberger,  Inschriften  <aus  Olympia. 


SO  genügt  doch  die  Verschiedeiilieit  der  Benenuuug 
zum  Beweis,  dass  Pausanias  nicht  den  Bestand  des 
Personals  wie  er  zu  seiner  Zeit  war  augiebt. 

350. 

Tafel  von  pentelischem  Marmor,  0,82  hoch,  0,42  breit,  0,01 
dick.  Rothe  Farbe  in  den  Buchstaben  noch  sehr  gut  erhalten. 
Die  Fragmente  wurden  alle  beisammen  gefunden,  offenbar  nahe 
dem  ursprünglichen  Standorte  der  Platte.  Aus  den  Funden 
scheint  sich  überhaupt  zu  ergeben,  dass  die  Kataloge  dieser  Art 
ihren  Aufbewahrungsort  im  Prytaneion  hatten.  Links  korin- 
thische Säule  zur  Einfassung,  die  entsprechende  auf  der  rechten 
Seite  ist  weggebrochen.     A.  Furtwängler. 


20 


25 


A  I  OP 

MereKexHPlwTCü 
eeoKoXo 

TIBEPKAvnA 
MMeMMANT( 
MBit-     cAyJ 

A  N 6  I  KKij) O 

A  O  N  H  C  I  flpP  OC        K\eoMAXOY 

Ä  ■  M  H  T  POB  I  OC~~--.^^Cjl)  T  H  P  I  X  OY 

M  A  NT>£-i%NO  A  Y  M  n  I  K  O  I 

KAoAYMnoc        I  aM^i  A  h  c 

A  Ajy€3ANÄPOC  •       ZJ|a\iAhC 
\^AoAYMnoC-Al  oßljC\  K  K  A  ^^sTJA  A  H  c 
VAKAeoMAXOC      (Wl  •  l<  A  Y  T  I  A/A  h\c 

nep  I  m"HT»Ni 
k\Acc         Bere/Toc 
k  a  a  y       y  tt/t  i  a  n  o  c 
ct/fonAayAAi 

co<))CjJnocIi  äyV  e  I  N  o  c 
/A  I  OC  N 

/enicnoNAopxHcrAi 
AeoNjAlc     NeiKH<}>opoY 

A  I  O  N  Y('C  l\0  C    ONHCI'j'OPOY 
C  Y  N  X  A  I  Pa:y  N     JUHTPOBIOY 

rp  A  .uhAtIcyc       AnoAAwNiocAioc 


5     TtßiQ(ing)  KX(ai'dins)  'Ynariavos         O. 
M(äQxng)    Msfi^niog)   '^AvTSixog  F. 

M{äQxog)    Bixp(äviog)  2avviöag  M. 

ßnnvdncpÖQO  t 
Av^qrjhog)  I\eixr]cpÖQog  S. 
10    Av^QTjXiog)  'OvrjaifoQog  Klsofiäxov 
Av{QriXiog)    MrjTQÖßiog    JScoTrjQtxov. 

(.lävTELg  'OXvfiTTixoi- 
Kl(avdiog)    "Okv^inng    'la/.udt]g 
Av{Qt]Xiog)  Äls^avÖQog  S.     ^Iai.itöt]g 
15    Av(Qr]Xiog)  ^'OXvf.inog  Jio\ye\ixov  KkvTiäörjg 
u4v(Q)']liog)  Kle6i.iaxog  M.     KlvTiäörjg. 

n  EQi  rjyrirai 
Käaa(iog)    Beyerog 
Klav(diog)    'Yn[a]Tiav6g. 
20  anovdavXai 

Av^Qriliog)  [Ä\l(pEi6g  ^ncpiovog 
M^ÜQxog)  A{vQ>]hog)  'Yyeti'Og 
EvTiOQog  Jiög. 

enianovdoQxriaxai 
yieovräg  NeixijtpoQOV 
25    Jiovvaiog  ^Ovr^aicpogov 
^vvy_aiQiüv  Mr]tQoßlov. 
yga^ifiarsiig'   ÄnolXiöviog  Jiög. 
Verzeiclmiss  aus  Ol.  247  (209  n.  Chr.).   Aus  dem- 
selben lässt  sich  meine  Ergänzung  von  n.  163  Z.  7 
berichtigen;  denn  offenbar  hat  dort  derselbe  Name 
AiQt]liog'"0?.vfinog  Jwveixov  Klvziäötjg  gestanden, 
wie  hier  Z.  15.   Auch  der  erste  /.lävTig  beider  Ver- 
zeichnisse ist  identisch,  und  der  Name  des  dritten 
in  jener  Inschrift   (. . .  AXOC  KAeo  . . .)    wird  wohl 
[KX£6i.i]axng   KXeolfiäynv]    zu    ergänzen    sein    und 
dieselbe    Person    bezeichnen,    die    hier    AlqrjXiog 
KlEÖi-iaxng  M.  KXvTiäörjg  heisst.    Die  einzige  Diffe- 
renz zwischen  den  beiden  Verzeichnissen  in  Betreff 
der  (xävTEig  ist  also,  dass  der  hier  an  zweiter  Stelle 
stehende  laniide  Aurelius  Alexander  dort  ganz  fehlt, 
und  das   beruht  wohl   auf  einem  reinen  Versehen, 
da   die  Dreizahl   der  ixävxeig  sonst  ohne  Beispiel 
ist.   Demnach  dürfte  die  Entstehungszeit  von  u.  163 
viel  näher  an  209  als  an  181  n.  Chr.  liegen,  da  sie 
mit  dem  Katalog  des  letzteren  .Jahres  (n.  161)  doch 
nur  den  einen  /.luvrig  Claudius  Olympus  gemein  hat. 

351. 

Der  von  A.  Furtwängler  herrührenden  Abschrift  des  jeden- 
falls im  Sommer  1879  kurz  vor  Schluss  der  Ausgrabungen  ge- 
fundenen Steins  lagen  keine  näheren  Angaben  über  Zeit  und 
Ort  der  Aullindung  bei. 


W.  Dittenbcrger,  Inschriften  aus  Olympia. 


61 


eKeXHPtUTWKAT\TH\l 

CNr-oAYxiniAAA-eeoKo 
;A  o  I  o  \  Y  11  n  I  K  o  I    » 
f<j>\ABioceiciA(üPocr-Tor- 

IIAYPHAlOCeAAHNOKPATHC<|> 
ABeTAHNOCCTAXYC<}> 

crroNAo<j>opoieiciÄwPoc 
nYGiWNocreNeeAioceAAHNo 

KPATOYC-NH<t'0JNCTAxYOC 
XlANTeiC-KAAYA-noAYKPATHClAjU 

KA-TeicAxieNOciAxi-BiB-<|>AYCjr 
Mj__\  j^ociAlT-ANT-ZHeoc 
^^'^'KAcciocBerc 


sxeyj'jQco  tcZ  xaTcc  ttjv  \  avy' 
'0}.vfimäda  &sox6\loi  'Oli'iiintxol 
5     T{hog)  Oläßiog  Elaidcogog  F.     t6  y' 
M{äQxog)  ^vQt'ßiog  ^EXXtjvoKQaxi^g     O. 
^(oixiog)  Bsikfjvog  ^Täyvg     O. 
anov d nqioQOf    ElaidfoQog 
nvif-itüvog,  rsvsd^liog  'Ellt]vo- 
10    xQaiovg,  Nqcfiov  ^xäyvog. 

(.ittvzEig'    Kkavd(iog)  IlnXvxQäziqg  ^Iafi{idi]g), 
Kl(avdcog)    Teiaa/.ievdg   'Iafi{(öt]g),     Biß{ovX- 

hog)   0avaT£(i)- 
viavog  'lai^{iöi]g)  ^AvT(wviog)   Zq^og  [Ä/vrta- 

drjg^. 
\neQirjyrf\%ai'  Käaatog  Bsy£[rog  . . .  .] 
Laut  der  Ueberschrift  ist  dies  ein  Katalog  der 
während  der  253.  Olympienfeier  (233  n.  Chr.)  fun- 
girenden  Beamten.  Der  Perieget  Cassius  Vegetus 
kommt  schon  sechs  Olympiaden  früher  (n.  350),  die 
drei  ^lävTsig  Polykrates,  Faustinianus  und  Tisame- 
nus  noch  vier  (Eph.  3487),  und  die  beiden  letzteren 
sogar  noch  acht  Olympiaden  später  (Eph.  3486) 
vor.  Diese  Aeniter  sind  offenbar  lebenslänglich 
gewesen,  während  das  übrige  Personal  für  jede 
Festperiode  neu  ernannt  wurde. 


352. 

Basis  aus  ijentelisehem  Marmor,  oben  unil  unten  ])rofilirtei- 
Rand.  Höhe  des  Ganzen  0,S5,  Hreite  0,50,  Tiefe  0,54.  Inschrift- 
felil  0,46  hoch,  0,44  breit.  Auf  der  UberHiiclie  ein  unregel- 
mässiges Loch  mit  Gussrinne  zur  Befestigung  einer  Marmor- 
statue mit  l'linthe.  Gefunden  am  2.  Januar  1880  in  einer  der 
„Slavenmauern"  südlich  der  Zanes  verbaut.  Abschrift  von  Purgold. 


HTTOAICHÄeiCON 
KAIHOAYMTTIKH 
BOYAH8AOYKHWN 
KAAYAlANMNACiee 

an-kAoykhnoycai 

KAAPOYKAlBeTÄHNHC 

KACGIACXPYCAPeTAC 

eYTATePA 


H  nölig  'HleiiDv  \  xal  ?)  'Olvi.inixrj  j  ßovlt) 
AovxTjvrjv  I  Kkavdlav,  Mvaaid-i  |  av,  K{oivtov)  ylov- 
x7]vov  2ai\xldQov  xal  BsrXr^vrjg  \  Kaaaiag  Xqvaa- 
girag  \  d-vyaiiQU. 

Die  Eltern  sind  bekannt  aus  n.  43,  wo  Z.  3  aus 
der  vorliegenden  Inschrift  {BeT]lr)vq  zu  ergänzen 
ist.  Dieser  Gentilname  in  Verbindung  mit  dem 
Individualnamen  XQvaagha  weist  auf  Abstammung 
dieser  Frau  aus  der  Ehe  des  L.  Vetulenus  Florus 
mit  der  Tochter  der  Julia  Chrysarete  (n.  78  mit 
Nachtrag  Jahrg.  XXXV  p.  196)  hin.  Auch  hier  also 
wieder  ein  Beleg  dafür,  wie  der  enge  Kreis  vor- 
nehmer Familien,  die  das  öffentliche  Leben  in  Elis 
in  der  Kaiserzeit  beherrschten,  durch  Verschwäge- 
rung untereinander  verbunden  war.  Ueber  die 
Familie  des  Saiklaros  s.  n.  9.  14.  43 ,  über  die  des 
L.  Vetulenus  Laetus  und  L.  Vetulenus  Florus  13. 
27.  67.  78  mit  Nachtrag.  Auch  L.  Vetulenus  Stachys 
im  dritten  Jahrhundert  n.  Ch.  (n.  351)  gehört  ohne 
Zweifel  diesem  Geschlecht  an. 


353. 

Basis  aus  pentelischem  Jlarmor.  Am  oberen  und  unteren 
Rande  ein  an  drei  Seiten  herumgeführtes  Profil.  Hübe  des 
Ganzen  0,6G,  untere  Breite  0,50.  Üben  an  beiden  Seiten  zer- 
stört; doch  sind  noch  zwei  Vertiefungen  zur  Befestigung  der 
Statue  wahrzunehmen.  Hübe  des  Inschriftfeldes  0,47,  Breite 
0,44.  Gefunden  am  30.  December  1879  in  einer  der  ,, Slaven- 
mauern" südlich  der  Zancsbasen  verbaut.    Abschrift  von  Purgokl. 


62 


W.  Dittenberger,  Inschriften  aus  Olympia. 


H^_A_Y_M^Ti  rrrr 

^  BoYAHr-loYAiO\ 
IIAITTTTONTPAA 
AIANONTONACI 
APXHNH0WNeN6 
KAcsoAYMTTIAAI 
CS  GAB  C5 


'H  '0At>;<7ri[x^]  1  ßovXrj  r(<iiov  'lovXio[v]  |  Ol- 
Xinnov  TQaXjXiavov,  zov  ^oiiäqxqv,  tj^-w»»  eVelxa, 
'Olvfiniadt  aXß . 

Die  Datiruug  aus  der  232.  Olympiade  (149  n. 
Chr.)  lässt  nicht  den  geringsten  Zweifel,  dass  dies 
derselbe  Asiarcb  Philippos  aus  Tralles  ist,  der  bei 
Gelegenheit  des  von  Waddington  (Fastes  des  pro- 
vitices  Asiat,  p.  221)  auf  den  23.  Februar  155  n.  Chr. 
gesetzten  Martyriums  des  Polykarp  vorkommt.  Vgl. 
Marquardt  Ephem.  epigr.  1  p.  211  n.  2. 


Zu  n.  227  (vgl.  Jahrg.  1879  S.  143). 

Pentelischer  Marmor;  breit  0,27  mit  dem  0,05  breiten  Rande,  grüsste  Höhe  0,15. 


k 


/ 


1 1  1 1  1 1    I 


vT-CT^ri-tH   C   H  M   W  N    Y 

-tCm  oiBHC-eneYHtice 
vxPeiKoYYioc-eeoY.N  ep'  o  y  a  y  i  wm  0 
i'Tci-.'XXjLT  o-i.YnATor^To.r-TWKoi  nw 


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OCTINACCYNeit,iliYMeiNeiTAKAU 
HNMGNeYNOl   A^N~iT>.'-£-.,XO  N  T  f  (V 

und  ein  wesentliches  Stück  derselben  mit  der  An- 
rede und  Datiruug  gewonnen.  Die  bisher  nicht 
bestimmbaren  Buchstaben  von  d  sind  zu  lesen  d  1, 
klö  drj^ittQ%fx!ig  k^o]vaiag  %6\  rf  2,  fc  i  6  aXkagXEi- 
/wds".     Purgold. 


„Die  beiden  neuen  Bruchstücke  A;  l  fügen  sich 
dem  mit  d  bezeichneten  Fragment  in  der  Weise  an, 
dass  ihre  5.  Zeile  die  unmittelbare  Fortsetzung  von 
d  1  bildet.  Dadurch  wird  für  diesen,  den  Brief  des 
Kaisers  enthaltenden  Theil  der  Inschrift  zunächst 
die  Stellung  in  Bezug  auf  den  r.   Eand   bestimmt 

Zu  n.  247. 

Durch  ein  am  21.  Mai  1879   im  Südosten  des  Heraion  gefundenes,   von  Furtwängler   abgeschriebenes   Fragment  (c)   wird  die  In- 
schrift in  folgender  Weise  vervollständigt: 


...^ 

A  b:  Sä   IN    1    ^ 

^_^^^ 

K  A  E  I    A  O  Y^ 

^-^a'V^ 

E  H  H  r  H  T  H 

/x  A  P  H   S 

O  I  N 

O   A   Y  M  TT  I    ) 

/rTPETr:r?Nos 

-^ 

NAOPXHSTHS 

E  TT  I  M  E  A  F^ 
M  / 

I 

TTPEn::Nos 

\ 

E  I  P  o  S 

H  P  A  K  A  E  I  A 

ISTTPETTGINOS; 

Furtwängler   maclit    darauf  aufmerksam,   dass  Z.  3  oliue   Zweifel   aus  n.  347   £^^;}''?r^[s  /Toli)]x«^'jg 
zu  lesen  sei,  und  der  Katalog  also  mit  jenem  in  dieselbe  Zeit  (nicht  weit  von  Ol.  190)  gehöre. 

W.  Dittenberger. 


^ 


Ar,-huolo,,m-l,r   Xrilumi   XXXVin   (If^^n}. 


y.'i  .s'.  «3 


'¥ai 


356. 


YAIIOAYMTTlOD'AAYTAPXOY'cfVVCKPeiBOONIÄNOY'CYNreNOYC 
SJCYNKAH  T I K  CÜ  N'  KAI  YTTAT I KCÜ  NOAYMTTIAÄOC '  Y  N<  5 ' 


362. 


A^|^AT?ATO|5PAAElOl5nATI^|AA'©A|^|^EA/KAir^^fc  Aa/kAitAvtO 
AlI^Tl^/C^TlAI^AV<ElpF^I^I^^^OI^FAA^lOA\I&/v\Enl©ElA/vTAX\ 

KAIAO|^/^aECi^TOa/t^a0^^^1/0\KAItO\M^\A  AE^IEKA^^^^Al^K-A 
"POTi/vOil^EKA^TO^TOA/AA&nipO^O/yTOAyKA®VTAi^TOil\0/^/v 

iQiOlEPEA/noiiEirEAAAA/OiiK  A^kA\taaaat\k  AiAEPE/vr    ® 
n£^TX)ATAMlOKlAAiXE/VAE/vnO\Il©^lO/yAPOT\/y^TOE^ 

^0\    <^A|feElI0^l/V^^^K0l^A\PAT^lA^0(1^0©E^;^TÄvT^^KAPA5:K0l 


I  N  S  C  H  K  I  F  T  E  N    .\  U  S    O  L  Y  M  P  I  A. 


K.  Puigold,  Inschriften  aus  Olympia. 


63 


354. 

Fragment  einer  l'/»  ^itn.  dicken  Bronzetafel.    Gefunden  am 
15'.  November   1879  im  Osten  der  Poikile.     Mit  Abklatsch. 


Dieser  Streifen  gehört,  wie  zuerst  Herr  Dimi- 
triacles  bemerkte,  zu  der  iu  der  Archtäolog.  Zeitg. 
Nr.  223  veröffentlichten  Inschrift.  Der  Beweis  da- 
für liegt  besonders  in  dem  Ornament  der  Rück- 
seite, dessen  Bänder  sich  auf  dem  neuen  Fragment 
genau  fortsetzen.  Während  die  grössere  Tafel  den 
Rand  oben  und  unten  erhalten  hat,  fehlt  er  auf 
dem  Streifen,  der  von  den  9  Ornamentreihen  der 
vollständigen  Platte  nur  7  trägt.  Der  erste  Buch- 
stabe der  zweiten  Zeile  kann  auf  unserem  Frag- 
ment wohl  nur  fl  gewesen  sein,  obwohl  dessen 
2.  Verticalstrich  in  dem  andern  Theil  der  Inschrift 
überall  weniger  lang  ist;  der  untere  Strich  des  "2 
kann  von  einer  zufälligen  Verletzung  herrühren. 

Das  Ornament  zeigt,  dass  sich  der  Streifen  an 
keiner  Seite  unmittelbar  an  das  grössere  Stück 
anschliesst;  die  fehlenden  Theile  der  Tafel  sind 
also  vermuthlich  zu  späterem  Gebrauch  iu  dieser 
Weise  zerschnitten  worden.  Für  die  Ergänzung 
dürfte  das  neue  Stück  daher  kaum  etwas  beibringen. 

355. 

Basisblock  aus  grauem  Kalkstein,  lang  (an  der  Vorderseite) 
gegenwärtig  0,93  (hinten  0,88);  breit  0,98;  hoch  0,295.  Gefun- 
den am  4.  Januar  1880,  verbaut  in  eine  der  ,,Slavennmuern" 
einige  30  Schritt  südlich  der  6.  Zanesbasis.  Die  Schriftfliiche  hat 
auf  drei  Seiten  einen  Randbeschlag  von  etwa  0,03  und  ebenso 
die  Kückseite,  auf  welcher  in  der  Mitte  eine  jetzt  abgebrochene 
Versatzbosse  stehen  geblieben  war.  Die  Überdache  zeigt  am 
linken  Rande  zwei  Dübellöcher,  welche  zur  Vcrklaninierung  mit 
einem  anstossenden  Block  dienten;  die  linke  Seite  ist  als  An- 
stossfläche  bearbeitet.    Ob  das  gleiche  auf  der  rechten  Seite  der 


Fall  war,  ist  nicht  mehr  zu  entscheiden,  da  diese  eine  spätere 
Umarbeitung  erlitten  hat;  doch  ist  es  wahrscheinlich,  da  der  er- 
haltene Block  nur  an  der  rechten  hinteren  Ecke  eine  Standspur 
zeigt,  in  Gestalt  eines  ovalen  Loches,  das  später  weiter  ausge- 
arbeitet worden  ist,  wohl  um  den  Bleiverguss  herauszulösen.  Die 
Basis  wurde  in  römischer  Zeit  zerstört  und  unser  Block  um- 
gekehrt als  Oberstein  einer  andern  Basis  verwendet.  Zu  diesem 
Zwecke  wurde  seine  rechte  Seite  zu  einem  späteren  Profil  ab- 
gearbeitet, so  dass  die  letzten  Buchstaben  der  Inschrift  und  der 
rechte  Randbeschlag  auf  der  Vorder-  und  Ilinterseite  verloren 
gingen;  auf  seiner  ursprünglichen  Unterfläche  finden  sich  von 
dieser  zweiten  Verwendung  eine  Anzahl  unregelmässiger  Vertie- 
fungen, welche  zur  Befestigung  der  auf  der  späteren  Basis  auf- 
gestellten Statue  dienten.  Ueber  der  Inschrift  auf  der  Vorderseite 
einige  Zeichen,  die  aber  wohl  kaum  als  Buchstabe  zu  betrachten 
sind,  wenigstens  sind  zwischen  ihnen  keine  weiteren  Buchstaben- 
reste zu  erkennen. 


I 


BAZIAISSANOAY 
BAZIAE-'iSPYP 


Baalhaaav  'Olvi.t[niada]  \  ßaailscog  üvqIqov]. 

Was  die  aus  zwei  oder  mehr  Blöcken  beste- 
hende Basis  getragen  haben  mag,  ist  aus  der 
einen  erhaltenen  Staudspur  nicht  zu  ersehen,  jeden- 
falls aber  war  es  keine  einzelne  Figur.  Wenn  die 
Bildsäule  der  Olympias,  der  Tochter  des  Pyrrhos, 
mit  einer  andern  Figur  in  irgend  einer  Weise  ver- 
bunden dargestellt  war,  wird  man,  nach  Analogie 
der  Säulen  mit  den  Statuen  des  Ptolemäus  und  der 
Arsiuoe,  zunächst  an  ihren  Bruder  und  Gatten  Alex- 
andros  zu  denken  geneigt  sein. 

356. 

Votivdiskus  aus  Bronze.  Gefunden  am  3.  Novbr.  1879, 
2,5  Meter  südl.  vom  S.-W.-Thor  der  Altismauer  in  der  Höhe 
der  2.  Stufe  des  Stylobats  desselben.  Die  Scheibe  hat  0,34  im 
Durchmesser,  ihre  Dicke  nimmt  nach  dem  Rande  zu  ab,  hier  be- 
trägt sie  etwa  5  Millimeter,  während  sie  in  der  Mitte  bis  14  Mm. 
misst.  Beide  Flächen  sind  mit  3  concentrischen  Kreissjstemen 
decorirt,  welche  je  einen  breiten  Streifen  bilden,  der  beiderseits 
von  2  vertieften  Linien  eingefasst  ist;  der  mittlere  dieser  Streifen 
ist  halbrund  profilirt,  die  beiden  anderen  sind  flach  geblieben. 
Diese  Decoration  ist  auf  beiden  Seiten  des  Diskus  nur  in  den 
Massen  etwas  verschieden;  namentlich  ist  auf  B  das  innerste 
dieser  Kreissysteme  kleiner  und  das  Centrum  mit  einem  Kranz 
verziert,  der  auf  A  fehlt.  Das  Ganze  ist  vollkommen  erhalten. 
A  ist  nach  einem  Papierabdruck.  B  bloss  nach  der  Ab- 
schrift auf  der  beigehefteten  Tafel  verkleinert. 

A  EvxaQiazrjQiov  Jiei  'OlviAnlii)  Tlönl^iog)  liaxXrj- 
niäö)]g  KoQivUioc;  nevTaä-log.     avs',  a'. 

B  JiVOlvunlit).  ä?.vT(iQXOi'  0l{aßlov)  ^xQsißcoviavov 
avvyhovg  avvxi.rjTixcäv  xal  vnaTixwv.  oXv/n- 
niädog  vv^'. 


64 


A.  Kirchhoff,  Inschriften  aus  Olympia. 


Die  Schrift  ist  auf  beiden  Seiten  zwischen  dem 
mittleren  und  äusseren  Kreisstreifen  eingegraben. 
Im  Charakter  derselben  lassen  sich  einige  Verschie- 
denheiten zwischen  den  beiden  Seiten  wahrnehmen. 
Die  Buchstaben  der  Vorderseite  A  sind  kleiner,  von 
unsicherer,  wechselnder  Form  und  uuregelmässigeu 
Abständen,  die  Hastae  der  gradlinigen  Buchstaben 
überschneiden  sich  vielfach,  statt  sich  scharf  zu 
treffen  und  sind  durch  ungleiche  Punkte  oder  Knöpfe 
abgeschlossen;  die  Buchstaben  der  Küekseite  (ß) 
dagegen  verrathen  eine  sicherere,  routinirte  Hand, 
sie  sind  von  regelmässigen  Formen,  die  zuweilen 
ein  Streben  nach  Zierlichkeit  erkennen  lassen,  und 
in  gleichmässigen  Abständen  ausgearbeitet;  ihre 
Hastae  stossen  genau  an  einander  und  sind  durch 
gleichartige  Querstriche  begrenzt.  In  den  Formen 
unterscheiden  sieh  die  My  Kho  Ypsilon  Omega  auf 
beiden  Seiten. 

Diese  Verschiedenheiten  zwischen  der  Aufschrift 
des  weihenden  Privatmannes  und  des  Beamten  von 
Olympia  legen  die  Vermuthung  nahe,  dass  die  Be- 
schi-eibung  der  vorderen  Seite  und  damit  wohl  die 
Anfertigung  des  Weihgeschenkes  überhaupt  an  einem 
Orte    stattgefunden    habe,    wo    weniger    geschulte 


Hände  zur  Ausführung  der  Inschrift  verwendet  wer- 
den mussten,  wie  sie  dem  Alytarchen  von  Olympia 
zur  Verfügung  standen,  als  er  später  seinen  Namen 
auf  demselben  anbringen  Hess. 

Neu  ist  wohl,  dem  Alytarchen  als  eponymem 
Magistrat  zu  begegnen.  Wie  die  Datirung  YNS  auf 
B  (Ol.  456  =  1045  n.  Chr. !)  zu  erklären  und  mit 
der  auf  der  andern  Seite  CNt  =•  Ol.  255  zu  glei- 
chen ist  —  das  diesem  gegenüberstehende  A  wird 
das  erste  Jahr  dieser  Olympiade  bezeichnen  —  ist 
unklar*).  Karl  Pukgold. 

*)  [Es  scheint,  dass  in  der  Doppeldatirung  Ol.  255  =  456 
eine  chronologische  Spielerei  vorliegt,  indem  die  letztere  Zahl  an 
die  allererste  unter  den  mehrfachen  mythischen  Einsetzungen  des 
olympischen  Agons  anknüpft.  Freilich  bin  ich  nicht  im  Stande 
anzugeben,  ob  ein  chronologisches  System  existirt  hat,  wonach 
jene  erste  Stiftung  der  Olympien  durch  denjenigen  Herakles,  der 
einer  der  idäischen  Daktylen  war,  um  201  Olympiaden  vor  die 
erste  gezühlte  Olympias  fiel.  Nach  Eusebios,  der  (I  p.  183  Schone) 
die  idäischen  Daktylen  unter  Erichthonios  setzt,  würden  etwas 
über  700  Jahre  herauskommen.  Eine  ähnliche  Bewandtniss  hat 
es  jedenfalls,  wenn  in  Inschriften  von  Ephesus  zweimal  (Wood 
Discoveries  Append.  VI  n.  8  p.  5-1  Z.  10  'Eiftar]tdi  [was  gewiss 
nicht,  wie  W.  meint,  ein  Schreibfehler  ist]  (/iC'.  n.  18  p.  68 
Z.  7  T)}f  (fiC'  Ilfj'TfjriQi^Sog)  die  ölite  Penteteris  des  Festes  der 
'Eifiotitt  vorkommt.     W.  D  ittenberger.] 


357. 


Fragment  vom  Rande  eines  Bronzcgefässes.  Gefunden  süd- 
lich der  KovTiTt]  im  Westwalle  des  Stadions,  c.  3  M.  tief  unter 
der  jetzigen  Erdoberfläche.  23 — 25  Mm.  breit,  ca.  1  Cm.  dick 
und  IS'/-,'  Cm.  lang  (in  gerader  Linie  gemessen).  Der  Rand  ist 
nach  innen  hin  rund  profilirt,  nach  aussen  zu  setzt  er  scharfkantig 
an  den  Bauch  des  Gefasses  an;   von  diesem  ist  ein  zackig  ausge- 


brochenes Stück  (grösste  Breite  5  Cm.)  erhalten,  dessen  geschweifte 
Form  auf  ein  kesselartiges  Gefäss,  vielleicht  ein  Dreifussbecken, 
schliessen  lässt.  Die  obere  Fläche  des  Randes  ist  glatt  imd  ent- 
hält den  Rest  der  Weihinschrift  in  uuregelmässigeu  Buchstaben. 
Purgold.     Mit  Abklatsch. 


\x^^f 


-  -  ot(f;>)  27iaQTiäTa[i  - 

Ein  fünfstrichiges  Sigma  begegnet  noch  auf  an-  gegebene,  aus  acht  Strichen  zusammengesetzte  Form 

deren    altspartanischen   Inschriften;  die  ihm    hier 


ist  eine  anderweit  nicht  belegbare  Besonderheit. 


358. 


Bronzefragnient,  gefunden  am  29.  November  1879  im  N.O. 
der  byzantinischen  Kirche.  Oben  abgerundet,  unten  rund  |iro- 
filirtcr  Rand,  r.   und   I.Bruch;   zu  einem  Gefäss  kann  daher  dies 


in  7  Stücke  zerbrochene  Fragment  nicht  gehört  haben.    Abschrift 
von  Purirold. 


A.  Kirchhoff,  Inschriften  aus  Olympia. 


65 


Ttü[i]  oder  io[i]  Jl-  - 

359. 

Fragment  einer  l'/fMm.  starken  Bronzetafel.  Gefunden  am 
10.  Januar  1880  10  Schi-itt  südlich  der  10.  Zanesbasis  in  der 
Höhe  von  deren  Fundament.  Oben  ist  der  Rand  erhalten,  unten 
und  an  den  Seiten  Bruch:  das  Fragment  ist  durch  einen  Kiss 
links  von  der  Mitte  getheilt,  die  linke  untere  Ecke  etwas  um- 
gebogen (für  den  Abklatsch  daher  nicht  fassbar) ,  in  der  Copie 
aber  aufgerollt.  Die  Inschrift  ist  in  sorgfältigen,  tiefen  Zügen 
eingegraben,  die  Lesung  nirgends  zweifelhaft;  zerstört  sind  nur 
der  fünfte  Buchstabe  der  1.  Zeile,  der  wohl  T  gewesen  ist,  und 
der  achte  Zeile  6,  der  sich  jedoch  noch  als  ^  erkennen  lässt. 
Purgold   mit  Abklatsch.     Verkleinert  auf  -/,. 


Ao</mA/y;HO< 

P/V 


Da  das  Chi  nach  dem  zu  Aiifang  der  zweiten 
Zeile  erhaltenen  Reste  zu  schliessen  die  Form  \J/ 
gehabt  zu  haben  scheint,  so  gehört  das  Alphabet 
der  Inschrift  meiner  zweiten  Reihe  an.  Das  Iota 
wird  noch  in  seiner  älteren  Gestalt  als  gebrochene 
Linie  (S)  geschrieben,  während  daneben  bereits  das 
vierstrichige  Sigma  (s)  Verwendung  findet.  Es  ist 
dies  eine  Eigeuthümlichkeit,  für  welche  bis  jetzt 
eine  Analogie  nicht  aufzuweisen  ist,  weshalb  da- 
rauf verzichtet  werden  muss,  die  Provenienz  der  In- 
schrift aus  dem  Schriftcharakter  zu  bestimmen. 
Sämmtliche  bis  jetzt  bekannte  Inschriften  der  ver- 
schiedensten Locale,  welche  dem  Iota  seine  alte  Ge- 
stalt lassen,  schreiben  nämlich  den  Zischlaut  mit 
dem  Zeichen  M,  und  letzteres  bleibt  in  der  Regel 
noch  bis  in  die  Periode  im  Gebrauch,  in  welcher 
dem  Iota  bereits  die  vereinfachte  Gestalt  gegeben 
wird;  nie  überdauert  sonst  die  alte  lotaform  die 
Zeit  der  Herrschaft  des  M. 

Bei  dem  fragmentirten  Zustande  der  Inschrift 
lässt  sich  nur  Weniges  mit  Sicherheit  lesen  und  ist 
au  die  Herstellung  eines  Zusammenhanges  und  ein 
wirkliches  Verständniss  nicht  zu  denken.  Z.  1. 
-iveö\x\cn,  Fo — ,  Z.  2.  --XQ^i.iaTa  oaie--,  Z.  3. 


- OTode    teXXo 


Z.  4. 


xov    nivaxa  - 


Z.  5. 


-  -  oloia9av  (?)  oa  --,  Z.  6  in  der  Mitte  vielleicht 
allog  (cog). 

360. 

iVagment  vom  Rande  eines  Gefasses  aus  starkem  Bronze- 
blech, 3  Mm.  breit,  20  Cm.  lang,  etwa  2  Cm.  hoch,  gefunden 
am  9.  Februar  1880  im  N.W.  der  byzantinischen  Kirche.  Die 
Weihinschrift  stand  auf  der  Aussenseite  des  Gelasses  und  ist  in 
flachen,  unregelmässigen  Strichen,  ofi'enbar  von  wenig  geübter 
Hand,  eingegraben.     Abschrift  von  Purgold. 


"^^y^iniA'A/EB^^^ 


„Da  wir  durch  den  zweiten  Namen  '^xQWQeim 
auf  das  Gebiet  des  Alpheios  hingewiesen  werden, 
so  haben  wir  den  ersten  wohl  'AXaavEig  zu  lesen 
und  darunter  die  Bewohner   der   bei  Steph.  Byz. 


genannten    elischen  Stadt  Alesion   zu   verstehen." 
Purgold. 

Zur   Begründung    von   Herrn   P.'s  Vermuthung 
verweise  ich  noch  auf  Strabon  8,  341 :  to  d'  l4}.£i- 


Archiiulofe".  Ztg.   Jahrgang  XXXVIII. 


66 


A.  Kirchhoff,  Inschriften  aus  Olympia. 


aiöv  iati  to  vvv  'AXaiavalov  (so  A)  xiöqu  tisqI 
zijv  ÄfiCfLÖoUda^  iv  fj  xai  xaToc  iiijva  ayoqav  avvd- 
yovaiv  ol  nsQioixoi  •  xeiTai  ös  Ini  T^g  OQSivfjg 
odov  Ttjg  £s  ^Hliöos  £ig  'Olvfiniav. 

Der  Gebrauch  des  vierstricliigen  Sigma  führt  in 
das  fünfte  Jahrhundert  hinab. 

361. 

Fragment  aus  l'/j  Mm.  starkem  Bronzeblech,  13  Cm.  lang 
und  am  unteren  Rande  6  Cm.  breit.  Die  rechte  Seite  ist  um- 
gebogen; wenn  es  gelingt,  wozu  im  Augenblick  die  Mittel  fehlen, 
sie  aufzurollen,  werden  sich  die  meisten  Zeilen  noch  um  einige 
Buchstaben  vergrüssern.  Ob  die  Inschrift  oben  und  unten  be- 
endet ist,  lässt  sich  nicht  mehr  entscheiden,  da  offenbar  das 
Blech  auch  links,  zu  späterer  Verwendung,  zerschnitten  ist. 
Gefunden  im  S.W.  der  Pelopionthores.  Nach  Abschrift  von 
Purgold  auf  ^,3  verkleinert. 


Z.  2,  zweites  Zeichen,  ist  der  Punct  im  Runde 
wohl  nur  eine  zufällige  Verletzung  der  Oberfläche, 
da  das  Omikron  sonst  als  blosses  Rund  gebildet 
erscheint  und  die  Form  des  Theta  Z.  3  0  ist.  Von 
einer  Lesung  kann  selbstverständlich  nicht  die  Rede 
sein;  doch  glaube  ich  Z.  9  2]elivio[vTi  -  -  zu  er- 
kennen und  in  der  That  stimmen  sowohl  die  Ge- 
stalt des  Xi,  wie  sie  Z.  7  zu  Ende  begegnet  (H), 
als  auch  die  sonstigen  Eigenthümlichkeiten  der 
Schrift  zur  Schreibweise  der  bis  jetzt  bekannten 
insehriftlichen  Denkmäler  von  Seliuus.  Doch  ist  die 
vorliegende  Urkunde  älter  als  jene,  da  die  Zeilen 


noch  furchenförmig  geordnet  waren,  wie  die  Ueber- 
reste  trotz  ihrer  sonstigen  Geringfügigkeit  deutlich 
erkennen  lassen. 

362. 

Bronzetafel,  gefunden  am  7.  Februar  ISSO,  c.  13'/;  M.  süd- 
lich vom  rhilippeion  im  antiken  Boden,  l,Oö  M.  unter  der  Ober- 
kante des  antiken  Stromas  nördl.  von  dem  Fundort  der  In- 
schrift. 0,44  lang;  0,09  hoch;  etwa  1  Mm.  stark,  oben  mit 
einem  vortretenden  7  Mm.  breiten  Kand  versehen.  An  der  r. 
Seite  ist  in  der  Mitte  ein  rundes  Befestigungsloch  eingeschlagen, 
mit  Rücksicht  auf  welches  Z.  ö  zurückgerückt  ist;  das  gleiche 
ist  1.  mit  dem  Anfang  der  Zeile  der  Fall,  nur  ist  sie  hier  ge- 
brochen. Die  Tafel  ist  auf  allen  Seiten  vollständig;  die  Lücken 
am  1.  und  unteren  Rande  werden  theihveise  durch  3  anpassende 
Fragmente  ergänzt,  von  denen  das  grosste,  in  der  1.  Ecke,  einen 
Tag  früher  als  die  Tafel  selbst  gefunden  wurde. 

Wie  auf  der  1.  Seite  ;in  dem  Loch,  so  haben  sich  an  an- 
deren Stellen  die  Brüche  mehrfach  an  den  Buchstabenrändern 
hingezogen  und  lassen  deren  Umriss  noch  erkennen.  Die  Schrift 
ist  tief  und  sorgfältig,  aber  nicht  grade  regelmässig  eingegraben; 
das  Omikron  hat  durchweg  dieselbe  kreisrunde  Form  und  die 
gleiche,  etwas  unverhältnissmässige  Grösse ;  es  scheint  mit  einem 
mechanischen  Hülfsmittel  ausgeführt ,  etwa  mit  einem  Stempel 
eingeschlagen. 

Da  die  Bronze  noch  so  haltbar  ist,  dass  sie  eine  kräftige 
Reinigung  vertrug,  ist  von  den  erhaltenen  kein  Buchstabe  zweifel- 
haft geblieben;  nur  die  kleinen  Fragmente  sind  sehr  zerbrechlich 
und  lassen  keinen  Papier-Abdruck  zu.    Purgold.    Mit  Abklatsch. 

Facsimile  in  ^/^  des  Originals  auf  der  S.  63  beigehefteten 
Tafel. 

Die  Urkunde  bezeichnet  sich  selbst  als  eine  ele- 
ische,  wozu  Sprache  und  Schrift  auf  das  Beste  stim- 
men. Der  Rhotakismos  des  Auslautes  ist  durch 
zwei  Fälle  vertreten,  das  Sigma  aber  überwiegt  bei 
Weitem.  Eine  Besonderheit  ist,  dass  d  im  An-  wie 
im  Inlaute  vor  Vocalen  regelmässig  durch  ^  vertreten 
wird,  ein  d  überhaupt  nicht  auftritt.  Da  hierdurch 
dieser  Zetakismos  als  eine,  wenn  auch  nicht  auf  allen 
Urkunden  zum  Ausdruck  kommende  Eigenthümlich- 
keit  der  Mundart  von  Elis  erwiesen  wird,  so  liegt 
kein  Grund  mehr  vor,  an  der  eleischen  Provenienz 
von  Inschriften,  welche  eben  diese  Eigenthümlich- 
keit  aufweisen,  wie  oben  n.  223,  zu  zweifeln;  schon 
U.308  hatte  etwaigen  Bedenken  den  Boden  entzogen. 
Lesung  und  Erklärung  der  Inschrift  bereiten 
ungewöhnliche  Schwierigkeiten;  ich  gebe  daher  die 
folgende  Uebertragung  in  Miuuskelschrift  mit  aller 
durch  diese  Umstände  auferlegten  Reserve. 

Jt  FQCcT()a  Tolg  Faleiois-  naigidv  -if^aQQtiv  xal  ys~ 
vectv  xa(T)TavT6.  \  al  ^e  %ig  xaziaq'  avasie  FÜqqevoq 
FaXsiu,  al  t,e  (xi^nid-slav  %d  L,i-  \  xaia  oq  /.leyiazov 
tiXog  exoi  xai  xol  ßaailäeg,  Cexa  i-ivalg  xa  \  ano- 
zivoi  FixaOTog  zwv  /nijuinoEoviiüv  xaif(S-)vTalg  zol 
Zi  'Olvv-  I    nloi.    enirnoi  Cs  x'  'EllavoTJxag,  xal 


A.  Kirchhofi',  Inschriften  aus  Olympia. 


67 


ralla  tixcaa  snsvn-  \  hio  «  Cct^tuoQyta.  al  Ce  (.irj- 
(7te)v7ioi,  ClcpvLov  anozivixcü  iv  ^taaiga-  j  «t.  «( 
^[s]  Tig  TOP  ahiad-ivza  ^ixaltov  lnäaxoi,  sv  tat 
Cexa^ivatai  >c'  I-  |  vixo[iT]o,  al  FsiCwg  Ifiäaxot.  xal 
natQiäs  o  ygotpevg  Tav[T]ä  x'  anäaxoi  |  .  .  tv  .  .  . 
xeo  .  o  .  .  la^iaQog  'Olvvniai. 

Z.  1.  Die  Ueberscbrift  bezeichnet  die  Rhetra 
als  nur  für  die  Eleer  gültig,  somit  als  die  Urkunde 
nicht  eines  Vertrages,  sondern  einer  gesetzlichen 
Bestimmung.  Im  darauffolgenden  ersten  Satze  sind 
nazQitt  und  yEveä  ofi'enbar  Bezeichnungen  l)ekannter 
Gliederungsformen  der  Bevölkerung,  wie  sie  in  den 
Zeiten  aristokratischer  Staatsordnung  mit  politischer, 
in  den  späteren  der  ausgebildeten  Demokratrie  mit 
lediglich  familienrechtlicher  Bedeutung  überall  in 
Hellas  bestanden;  die  nargiai  und  yevsai  von  Elis 
entsprachen  etwa  den  attischen  (fgargiai  und  yivrj. 
Weiter  ist  ^aggslv  xiva  oder  tl  zwar  eine  der  ge- 
meiugriechischen  Sprache  älterer  und  späterer  Zeit 
geläufige  Construction  in  dem  Sinne  von  „sich  vor 
etwas  nicht  fürchten"  oder  auch  „Vertrauen  auf  et- 
was setzen" ;  allein  offenbar  bat  hier  d^aq^elv  (pqa- 
xQiav  xal  ysvog  einen  speciellereu,  in  der  Volks- 
oder Rechtsprache  von  Elis  begründeten  Sinn,  wel- 
chen näher  zu  praecisiren  ich  nicht  im  Stande  bin. 
Die  Schlussworte  des  Satzes  vermag  ich  nur  unter 
der  Voraussetzung  zu  lesen  und  zu  verstehen,  dass 
das  überlieferte  xaiTavto  auf  einem  Versehen  des 
Graveurs  beruht  und  in  xazTavTo  oder  xaravxo  zu 
ändern  ist,  was  als  xar«  to  avxö  zu  fassen  wäre. 
Z.  2 — 5  Auf.  Im  ersten  Vordersatze  habe  ich 
xaziaq'  avasie  getrennt,  weil  ein  Compositum  xa- 
^leqaviiv  anzunehmen  mir  bedenklich  schien;  xa- 
&iEQog  würde  seine  Analogien  in  dem  elischen  snL- 
agov  und  dem  phokischen  no&ieqov  haben.  Was 
freilich  xad-iega  aveiv  rivog  für  eine  Handlung  be- 
zeichnet und  wie  es  zu  erklären  ist,  dass  diese 
Handlung  ausdrücklich  auf  eine  Person  männlichen 
Geschlechtes  (oQQavog  'Hlslov)  bezogen  wird,  bleibt 
mir  dunkel ;  wahrscheinlich  handelt  es  sich  um  das 
Opfer,  welches  bei  Einführung  männlicher  Fami- 
lienglieder in  Phratrie  und  Geschlecht  darzubrin- 
gen ist.  Wenn  weiter  der  folgende  hypothe- 
tische  Zwischensatz    mit   einem   di   angeschlossen 


wird,  so  kann  ich  darin  nur  ein  Versehen  des  Gra- 
veurs erkennen,  der  dieses  de  aus  dem  Anfange 
des  vorangehenden  Satzes  irrthUmlich  wiederholte, 
ohne  sich  den  Zusammenhang  gegenwärtig  zu  er- 
halten. Was  den  Sinn  dieses  zweiten  Satzes  an- 
Ijelangt,  so  vermuthe  ich,  dass  unter  rä  dlxaia, 
einem  Ausdruck,  der  weiter  unten  öfter  wiederkehrt 
und  bereits  auf  n.  223  und  303  begegnete,  herkömm- 
liche Gebüliren,  und  unter  EniTi^ivai  ra  dlxaia 
die  Einforderung  und  Beitreibung  derselben  zu  ver- 
stehen ist.  Als  diejenigen  Personen,*  welche  diese 
Gebühren  einzufordern  haben,  und  für  den  Fall, 
dass  sie  ihrer  Verpfliclitung  nicht  nachkommen 
sollten,  mit  einer  Geldbusse  belegt  werden,  sind 
og  av  To  fieyißiov  Tslog  e)(t]  und  die  ßaaikelg  ge- 
nannt. Unter  dem  ersteren  verstehe  ich  den  Vor- 
stand der  Phratrie,  unter  den  letzteren  die  adligen 
Mitglieder  derselben,  welche  etwa  als  Beirath  des 
Vorstandes  fungirend  zu  denken  wären.  Die  Ver- 
pflichtung ist  solidarisch,  und  im  Falle  der  Ver- 
absäumung hat  somit  nach  Inhalt  des  folgenden 
Hauptsatzes  exaaxog  ttüv  firj  ininoiovvimv  die  Busse 
zu  erlegen;  ich  nehme  also  an,  dass  ol  f.it]  snuioi- 
ovvTsg  gleichwerthiger  Ausdruck  für  ol  (.irj  enixi- 
■d^evreg,  nämlich  rd  ölxaia,  ist.  Die  Busse  bestellt 
in  zehn  Minen,  welche  als  xa-9(d^)vTal  (d.  b.  xaxa- 
■^wßt)  TW  Jil  "OXvi-inii^  bezeichnet  werden,  also 
an  den  Tempelschatz  fielen,  wohl  deswegen  weil 
auch  die  nicht  erhobenen  dlxaia  an  diesen  abzu- 
führen gewesen  wären.  Uebrigens  findet  sich  die- 
selbe Formel  auch  auf  n.  223,  wo  Z.  4  offenbar 
[iMJvßig  x'  äuoTlvoi  xab(ß)vTaig  toi  Zi  Twlvvnloi 
zu  lesen  ist. 

In  formaler  Beziehung  verdient  Beachtung  das 
eleische  a  in  ßaailäsg  für  ßaaikPjsg,  ferner  die 
Accusativplurale  erster  Declination  auf  aig  (^tvalg- 
xad^^vtalg),  welche  indessen  bereits  von  der  Da- 
mokratesbronze  her  bekannt  sind. 

Zeile  5 — 6.  Der  folgende  Abschnitt  legt  den 
Hellauodiken  und  der  Damiorgie,  d.  h.  doch  wohl 
der  Gesammtheit  der  politischen  Vorstände  (dafiicog- 
yoi)  der  einzelnen  Gemeinden  von  Elis,  gewisse 
Verpflichtungen  auf,  deren  Beschaffenheit  und  Zu- 
sammenhang mit  den  vorangehenden  Bestimmungen 

9* 


68 


A.  Kirchhoff,  Inschriften  aus  Olympia. 


mir  indessen  unklar  sind.  Die  Verbalformeu  eniv- 
7101  und  enevnhco  vermag  ich  nur  auf  ein  Com- 
positum von  ninTisiv  zurückzuführen;  es  wäre  z.  B. 
möglich,  dass  die  Präposition  ix,  i^  in  unserer 
Mundart  I  gelautet  hätte,  oder,  wie  in  anderen 
Mundarten,  ihr  auslautendes  x  dem  folgenden  Con- 
sonanten  assimilirt  hätte,  so  dass  ensvnot,  und 
snsvnhco  als  inniiinoi  und  snrrsiunhio  zu  lesen 
wären.  Allein  ich  wUsste  nicht  zu  sagen,  was  ein 
solches  ixneftneiv  bedeuten  sollte,  noch  weniger, 
was  unter  ra  alla  ölxaia  zu  verstehen  ist'). 

Z.  6_7  Auf.  Der  Hellanodike  und  die  Da- 
miorgie  werden  in  eine  Busse  verfallen  erklärt, 
wenn  sie  die  mit  dem  voraussetzlichen  sxns/xnsiv 
bezeichnete  Handlung  unterlassen.  Denn  es  scheint 
mir  klar,  dass  im  Vordersatze  durch  blosses  Ver- 
sehen des  Graveurs  (irjvnoL  für  (.t^nsrnoi  gesetzt 
worden  ist.  Die  Busse  besteht  in  dem  l,lq>vtov  d.  h. 
Sicpviov,  also  dem  Doppelten  der  nicht  erhobeneu 
Gebühren;  vgl.  tw  öifvlco  oben  n.  SOG  Z.  8,  wie 
denn  auch  n.  223  Z.  1  offenbar  ticfi[vLov  zu  er- 
gänzen ist.  Das  schliessende  ev  ixaaTqäai  erläutert 
sich  durch  die  Glosse  bei  Hesychios  3,75  (laaxQlaL: 
ort  xüv  aQyj')vt(i}v  ev-^vvdi. 

Z.  7  —  8.  Dieser  Satz  würde  in  attische  For- 
men übertragen  lauten:  säv  ds  rig  xov  ahia&svra 

öixauüv /;,    Iv    tfj    dexafivala    ivExiod^co,    iav 

tlöwg rj.    Dass  unter  rj  öexa^vaia,  nämlich  tt}- 

fila,  der  Busssatz  von  zehn  Minen  zu  verstehen  ist, 
kann  nicht  zweifelhaft  sein;  ebenso  gewiss  scheint 
mir  aber,  dass  o  ahia&slg  dixaiuiv  eine  Person  be- 
zeichnet, welche  beschuldigt  ist,  die  herkömmlichen 
dixaia  nicht  erlegt  zu  haben.  Was  aber  bedeutet 
das  Verbum  l^äaxeiv'i  Ich  würde  es  mit  li^äoaeiv 
gleichen,  wenn  nicht  der  Zusatz  eldüg  diese  Mög- 
lichkeit auszuschliessen  schiene. 

Z.  8— Ü.  Der  nicht  vollständig  erhaltene  Schluss- 
satz enthält  eine  Anweisung  für  den  Schreiber  t% 

')  Herr  Dr.  Röhl  glaubt,  dass  die  Glosse  des  Hesychios 
3,303  n^ftifjis'  hf/vriuofxoi  für  die  Erklärung  verwendet  wer- 
den könne.  Allein  ein  „pfänden"  würde  in  den  Zusammenhang 
nur  auf  einem  Umwege  passen,  und  ich  wüsste  diese  Bedeutung 
nicht  in  überzeugender  Weise  weder  für  das  Simplex  noch  das 
vorausgesetzte  Compositum  abzuleiten.  Man  würde  geneigt  sein, 
vielmehr  auf  die  Bedeutung  'beitreiben,  erheben'  zu  rathen, 
wenn  diese  sich  etymologisch  nur  irgendwie  rechtfertigen  Hesse. 


TiaTQiäg,  ungewiss  welcher,  es  sei  denn,  dass  die 
sämmtlicheu  yevsal  von  Elis  überhaupt  nur  eine 
nuTQiä  bildeten.  Man  sollte  meinen,  dass  es  sich 
nur  um  eine  öffentliche  Ausstellung  der  im  Vorher- 
gehenden enthaltenen  Bestimmungen  [tama)  im 
heiligen  Bezirke  von  Oljmpia  (^Olvfinla)  handeln 
könne.  Leider  weiss  ich  wenigstens  nicht  mit 
Sicherheit  zu  sagen,  was  das  Verbum  änäaxeiv 
oder  näaxsiv  (je  nachdem  nämlich  x  anäaxoi  oder 
xa  naaxoL  abgetheilt  wird)  zu  bedeuten  hat.  Die 
verstümmelten  Reste  der  letzten  Zeile  rühre  ich 
lieber  gar  nicht  an.  Was  die  Trübung  des  a  zu  o 
in  yQocpevg  für  y(ja(pEvg  betrifft,  welche  durch  die 
analoge  Erscheinung  in  anderen  Mundarten  Bestä- 
tigung findet,  verdient  hervorgehoben  zu  werden, 
dass  sie  sich  in  der  Mundart  von  Elis  nicht  auf 
alle  Ableitungen  dieses  Stammes  erstreckt  bat:  vgl. 
yqäfpea  C.  I.  G.  11,  ygägtog  und  yqaffEiov  oben  n.  223, 
yqaq^ev  und  ßioXoyqäipOQ  der  Damokratesbronze. 

Oben  habe  ich  angenommen,  dass  Z.  5  unter 
'Ellavo^ixag  der  eine  damals  fungirende  Hellano- 
dike zu  verstehen  sei,  obwohl  der  Artikel  nicht  hin- 
zugefügt ist.  Denn  es  ist  nicht  abzusehen,  wes- 
halb, wenn  mehrere  Hellauodiken  damals  fungirten, 
Verpflichtung  und  Strafandrohung  nur  auf  einen 
von  ihnen  bezogen  sein  sollten,  und  es  ist  eben- 
massig  klar,  dass,  wenn  dies  dennoch  der  Fall  ge- 
wesen wäre,  nothwendig  hätte  gesagt  werden  müssen, 
welcher  von  den  mehreren  eigentlich  gemeint  sei, 
was  doch  nicht  der  Fall  ist.  Sonach  gehört  unsere 
Urkunde  in  die  Zeit,  in  welcher  von  den  Eleern 
nur  ein  Hellanodike  bestellt  zu  werden  pflegte. 
Dies  aber  geschah,  wie  wir  bestimmt  wissen  (Pau- 
sanias  5,  9.  4),  bis  zur  50.  Olympiade,  von  wel- 
chem Zeitpunkt  an  ihre  Zahl  zwei,  dann  neun, 
zuletzt,  nach  einigem  Schwanken,  zehn  betrug.  Es 
folgt  hieraus,  dass  unsere  Bronze  nothwendig  älter 
sein  muss,  als  die  fünfzigste  Olympiade,  und  also 
vor  das  Jahr  580  v.  Chr.  zu  setzen  ist. 

Von  welcher  Bedeutung  diese  Thatsache  für  die 
genauere  chronologische  Bestimmung  der  älteren 
eleischen  Inschriften  und  die  Geschichte  der  Schrift 
im  Allgemeinen  ist,  bedarf  wohl  keiner  weiteren 
Ausfüliruug. 


G.  Cnrtius,  Zu  Nr.  362. 
Nachträge. 


69 


Zu  Nr.  308  der  Olympisclieu  Inscbrifteu  schlägt 
Hr.  Professor  Dittenherger  in  der  sechsten  Zeile  viel- 
mehr vor  6  d^€Ox6Xo\Q,  OQZtQ  töxa  d-soxo^lioi,  arco- 

xlvoL  xa To"]  Zl  'OXvvnU^  'kaTQ\a'iwiJ.svov  -,  was 

der  Wahrheit   sicher  sehr   nahe   kommen   dürfte; 


ebenso  zu  Nr.  306,  das  unmögliche  N  der  ersten 
Zeile  nicht  aus  Ä,  sondern  aus  M  verschrieben  zu 
fassen,  und  demzufolge  entweder  avvdrii.ia,  oder 
avv&t]^ia,  avvd-rjfia[i]  zu  lesen. 

A.  K. 


Zu  Nr.  362. 


Von  meinem  Bruder  aufgefordert,  auch  meiner- 
seits an  diesem  Orte  vorzubringen,  was  sich  mir 
etwa  über  diesen  neuen  Fund  seit  der  ersten  Kennt- 
nissnahme  des  Textes  ergeben  haben  würde,  will 
ich  im  Anschluss  an  die  obige  Erklärung  von  Kirch- 
hoff's  bewährter  Hand  die  wenigen  Bemerkungen 
nicht  unterdrücken,  zu  denen  mir  der  Text  selbst 
und  die  Erklärung  des  ersten  Herausgebers,  welche 
mir  durch  die  Güte  der  Redaction  vorlag,  Aulass 
giebt.  Es  geschieht  dies  im  vollsten  Bewusstsein 
von  der  Schlüpfrigkeit  des  Bodens,  auf  dem  wir 
uns  hier  bewegen. 

Im  Anfang  von  Z.  2  scheint  xaTiagavoeis  als 
ein  Wort  auch  mir  bedenklich,  weil  es  an  abgelei- 
teten Verben  auf  -  amo  fehlt.  Vielleicht  aber  ist 
statt  des  von  K.  vorgeschlageneu  xaTiag'  aiasiev 
vielmehr  mit  sogenannter  Tmesis  xaz  I'oq'  avaeiev 
zu  lesen.  Das  Verbum  aveiv  'nehmen'  liegt  uns 
nämlich  nur  in  der  Zusammensetzung  vor  und 
xaTavaai,  dem  Sinne  nach  von  xad^eknv  wenig  ver- 
schieden, würde  gut  in  den  Zusammenhang  passen, 
wie  xad^aiQEiv  xpfjcpov,  ^rjcpiai.ia  gesagt  wird,  xazav- 
otti  ist  durch  Hesychius  bezeugt,  mit  der  Erklärung 
xaravTl^aai,  xaxadiaai  und  der  Variante  xa&av- 
aai  aqiaviaai.  Aus  Alkman  (fr.  97  Bergk^)  liegt 
uns  Tciv  MüJaav  xaTavasli;  vor.  Die  Tmesis,  rich- 
tiger die  ursprüngliche  adverbiale  Selbstständigkeit 
der  mit  Verben  zusammen  zu  denkenden  Präposi- 
tionen, ist  freilich  in  Prosa  fast  nur  durch  Herodot 
vertreten.  Bei  diesem  aber  ist  sie  so  häufig,  dass 
mau  darin  gewiss  keine  homerische  Nachahmung 
erblicken  darf.  Wie  leicht  könnte  sich  auch  bei 
einem  andern  griechischen  Stamme  diese  Weise  iu 
alter  Zeit  erhalten  haben?   Gerade  im  Gebrauche 


der  Präpositionen  zeigen  die  Mundarten  mancherlei 
Verschiedenheiten  von  einander. 

FÜqqsvoq.  Digamma  ist  in  diesem  Worte  bis- 
her nicht  nachgewiesen.  Der  homerische  Text 
schliesst  es  an  mehreren  Stellen  aus  und  fordert 
es  nirgends.  Nach  den  bisherigen  Zeugnissen 
musste  man  daher  auf  vocalischen  Anlaut  schliessen, 
und  da  sich  im  skr.  rsha-bha-s  'Stier'  ein  ver- 
wandtes, im  zd.  arshan  'Mann,  Männchen'  ein  iden- 
tisches Wort  darzubieten  schien,  durfte  aQarjv,  wie 
Grundz.  d.  Etym."  342  geschehen  ist,  mit  diesen 
Wörtern  zusammengestellt  worden.  Allein  das 
Sanskrit  bietet  auch  in  gleicher  Bedeutung  von 
Thieren  die  Form  vrshan.  Jetzt  werden  wir 
Fagaev  für  die  älteste  Form  halten  und  für  Homer 
anuehmeu  müssen,  dass  sich  bei  ihm  das  F  schon, 
wie  in  anderen  Fällen,  verflüchtigt  hat.  Jedenfalls 
also  steht  K.'s  Deutung  von  Seiten  der  Sprachfor- 
schung kein  Hinderniss  im  Wege. 

Z.  5.  Die  Erklärung  der  drei  Verbalformen 
EHENnOI  EnENHETO  üm\ENnOI(m  BIENHOI) 
aus  nifincü  findet  K.  selbst  unbefriedigend.  Ich 
versuche  daher  eine  andere.  Zunächst  lohnt  es 
sich  nachzusehen,  ob  wir  nicht  für  die  dritte  uns 
die  Annahme  einer  Verschreibung  (aus  E[nE]NnOI) 
ersparen  können,  zu  der  K.  genöthigt  ist.  Ich  gehe 
von  der  Annahme  aus,  die  mir  sehr  natürlich 
scheint,  dass  die  beiden  ersten  Formen  um  die 
Präposition  eni  reicher  sind  als  die  dritte  und  dass 
die  Sylbe  ev  in  allen  dreien  die  Präposition  be- 
zeichnet. Ein  Verbum  e/.incü  freilich  —  wobei  man 
an  "Efinovoa  denken  könnte  —  wird  man  nicht  an- 
nehmen dürfen.  Aber  nichts  hindert  uns,  aus  den 
überlieferten  Zeichen  ein  Verbum  contractum  her- 


70 


A.  Furtwängler,  Zu  Nr.  91. 


auszulesen.  Ich  glaubte  anfangs,  es  sei  snEvnoX  zu 
lesen  und  dies  als  Contraction  aus  enennotj,  enef.i- 
nr^Tiü  als  solche  aus  EnE!:moj]Tw  aufzufassen.  Al- 
lein da  uir  kurz  vorher  ininosävTiov  lesen  mit 
unversehrtem  o,  scheint  mir  das  bedenklich.  Aber 
wir  können  auch  ensvnw  inEvTir]xo)  (mit  dorischer 
Contraction  aus  ae,  wie  sie  in  MENTIOI  vorliegt) 
ivniö  schreiben,  und  ein  Verbum  in -ev- natu 
uud  Ev  -  näco  annehmen.  Die  Grammatiker  kennen 
ein  nä(D  t6  ßUnio,  mit  welchem  Lobeck  ßhemat. 
p.  8  EU  -  na  -  10  -  g  in  Sinne  von  s'f.m£iQog  und 
Efi  -  na  -  a  -  tfJQag  ^tv&wv  niaTioxäg,  (.läQZvqag  in 
der  Bedeutung  'Augenzeuge'  zusammen  stellt.  li.inä- 
raov  l'i-tßXExpov  nä(fioi  (Hesyeh.)  ist  dazu,  wie  es 
scheint,  das  Intensivum  (vgl.  el.  l  -  täio).  Wir  ge- 
winnen so  für  i^inäw  die  Bedeutung  'beachten,  be- 
aufsichtigen', für  EnEf-inäco  'noch  dazu  beaufsich- 
tigen'. Diese  Bedeutung  passt,  wie  mich  dünkt, 
in  den  Zusammenhang. 


Die  Geltung  von  ev  ^aaTQaai  auf  der  Grenze  der 
sechsten  uud  siebenten  Zeile  ist  durch  die  von  K.  an- 
geführte Glosse  des  Hesychius  sicher  gestellt.  Aber 
ein  Wort  (.laatqüa  ist  befremdlich.  Es  konnte  wohl 
nur  für  fiaoTQaia  stehen.  Für  den  Ausfall  des  t 
Hesse  sich  die  Form  sa  =  sl'rj  C.  I.  No.  11  bei- 
bringen. Aber  auf  unsrer  Tafel  bleibt  das  i  zwi- 
schen doppeltem  a  in  ^sxafivaiag  und  ^ixaia  sowie 
in  inid^sTav.  Auch  hätte  eine  Bildung  wie  (laargaia, 
wenn  man  es  nicht  als  substantivirtes  Adjectiv  wie 
■fj  vaxeqaia  fassen  will,  kaum  hinreichende  Analo- 
gie. Ich  glaube  daher,  der  Schreiber  hat  beim 
Uebergang  von  Z.  6  zu  Z.  7  aus  Versehen  das  Al23ha 
doppelt  geschrieben.  Wir  erhalten  dann  die  Form 
(.läaxQui,  Dativ  von  ^läarga,  das  ganz  wie  Fgärga, 
XvTQa  u.  s.  w.  gebildet  ist.  Das  /naoTQia  (oder 
etwa  fiaazQEia?)  des  Hesychius  ist  eine  weiter  ab- 
geleitete Form. 

ööatg  t'  oliyT]  %e  (fih]  re, 

Georg  Curtius. 


Zu  Nr.  91. 


Zu  deu  Beispielen,  dass  eine  .ältere  Inschrift 
später  an  demselben  Bathron  durch  eine  Wieder- 
holung ersetzt  wird,  gesellt  sich  die  Basis  des  Tel- 
lon.  Die  Nr.  91  publicirte  Inschrift  scheint  dem 
1.  Jahrhundert  v.  C.  anzugehören;  doch  an  der  1. 
davon  befindlichen  Seite  des  Bathrons  sind,   eben- 


falls auf  der  oberen  horizontalen  Fläche,  die  Reste 
einer  verlöschten  Inschrift  des  fünften  Jahrhunderts 
zu  erkennen,  von  denen  ich  las 

////  S  G  A  S  I  O  S  P  //// 

'Oßfijff^ß'atog  n  . . . 

A.  Furtwängler. 


MARMORFRAGMENT  IN  VENEDIG. 


(Tafel  7.) 


Das  iiaeli  dem  Abgüsse  des  Ijritisclien  Museums 
auf  Tafel  7  abgebildete  Fragment  einer  weiblichen  Ge- 
wandstatue war  ich  bei  der  Betrachtung  des  Originals 
in  der  Bibliothek  San  Marco  zu  Venedig  (0,91  M.  hoch) 
geneigt  zu  den  Parthenongiebeln  zu  rechnen.  Seit- 
dem Herr  Newton  den  erwähnten  Abguss  beschafft 
und  in  den  Elgin-rooms  zur  bequemen  Vergleichung 
aufgestellt  bat,  ist  meine  Ueberzeugung  von  der 
Richtigkeit  dieser  Zutheilung  des  Bruchstückes,  das 
zu  Morosini  keine  Beziehung  hat '),  zwar  nicht  ganz 
fest  geblieben,  doch  ist  jedenfalls  so  viel  Ueber- 
f"nstimmung  vorhanden,  um  zu  einer  Prüfung  der 
Zusammengehörigkeit  aufzufordern.  Ich  beabsich- 
tige nicht  einen  endgiltigen  Spruch  zu  thun,  son- 
dern, indem  ich  Uebereinstimmungen  und  Abwei- 
chungen hervorhebe ,  der  Entscheidung  der  dazu 
Befähigten  vorzuarbeiten. 

Abgebrochen  sind  von  dem  Fragmente  die  Füsse 
und  ein  Stück  vorn  aus  der  Mitte  der  r.  Wade, 
unmittelbar  unter  dem  r.  Knie  ist  ein  Stück  abge- 
stossen;  sonst  bestehen  die  Verletzungen  meist  in 
Sprüngen  und  in  Abrundungen  der  schärferen  Li- 
nien der  tief  geführten  Gewandung,  welche  den  Ein- 
druck nicht  wesentlich  beeinträchtigen. 

Das  Grossartige  und  Kräftige  und  dabei  doch 
Massvolle  hat  unser  Fragment  mit  den  Partbenon- 
sculpturen  gemein;  es  ist  durch  dieselbe  lebens- 
volle Ruhe,  die  Phidias  seinen  Statuen  einzuhauchen 
wusste,  geadelt,  so  dass  trotz  der  starken  Ver- 
stümmelung   die    Empfindung    des    Grossen    her- 

1)  E.  Gerhard,  Arch.  Ztg.  XVIII  S.  43:  „Die  Herkunft 
dieses  vortreft'liclien  Fragments  betreffend  .  .  .  vernahm  Herr  New- 
ton, dass  es  erst  gegen  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  durch  den 
Gesandten  der  Republik  Venedig  aus  Constautinoijel  nach  Venedig 
gelangt  sei."  —  Sonst  erwähnen  das  Fragment  Valentinelli,  Marmi 
scolpiti  del  Museo  arch.  d.  Marciana  p.  47  nr.  69  (tav.  IX). 
Thiersch,  Reisen  in  Italien  (Leipzig  1826)  S.  226.  Conze,  Arch. 
Ztg.  XXX  S.  85  nr.  69. 

ArcUUolog.  Ztg.,  Jahrgang  XXXVIII. 


vorgebracht    wird.     Wie   bei    der    von    Michaelis 
und  Petersen  als  Köre  bezeichneten  Frauengestalt 
vom  Ostgiebel  (mit  welcher  sowie   mit   der  ersten 
der  drei  sitzenden   Frauen   vom   0.stgiebel  —   bei 
Michaelis  E  und  K  —  unser  Fragment  soviel  Aehn- 
lichkeit  besitzt,  dass  wir  die  Vergleichung  hinfort 
auf  diese  beiden  Figuren  fixiren  wollen)  sind  die 
Beine  auseinandergespreizt,  das   rechte   etwas  vor 
das  linke  gestellt.     Es  giebt  dies  der  Composition 
etwas  Breites  und  Monumentales,  welches  leicht  bei 
mit  geschlossenen  Füssen   sitzenden   Figuren    ein- 
gebüsst  wird,  und  zugleich  wird  das  Schwerfällige 
und  Wulstige  vermieden,  welches  entsteht,    wenn 
der  Künstler  lediglich  durch  bauschige  an  den  Seiten 
herunterhängende  Draperie   die  gewünschte   Breite 
erlangen  will.     Zudem  aber  motivirt  es  vollständig 
das  klare  Hervorseheinen  der  Formen  und  verleiht 
demselben  dadurch  den  Eindruck   des  Natürlichen 
und  Unabsichtlichen.    Die  Stellung  bringt  auch  jenen 
schönen  Wechsel   von  angespannten,  grossen,  ein- 
fachen Flächen  mit  kleinen  gebrochenen  Linien  in 
den  Falten  hervor,  welcher    der    Gewandung    der 
Parthenonfiguren  den  lebensvollen  Rhythmus  giebt. 
Wie  die  Giebelfiguren  zeigt  das  Fragment  das 
hervorstechendste   Merkmal  attischer    Kunstübung: 
das   lebhafte  naturalistische  Texturgefühl,   ein  Ge- 
fühl das  hie    und    da    au    den  Giebeln   sogar  ein 
etwas  zu  starkes  Haschen  nach  Wahrheit  zur  Folge 
hat,  wie  es  sich  in  den  unruhigen  kleinen  Fältchen, 
dann  wieder  in  den  ausserordentlich  breit  gehaltenen 
Stoffmassen    kundgiebt;    unter    Andern   hat   schon 
Flaxman  auf  diesen  Fehler   hingewiesen.    An  un- 
serem Bruchstücke  können  wir  leider  ein  Abheben 
der  Gewandung  vom  Körper  nicht  beobachten;  je- 
doch ist,  wie  bei  E  und  K  im  Ostgiebel,   der  Un- 
terschied  des  schweren  Stoffes  des  Obergewandes 

10 


72 


Ch.  Waldstein,  Marmorfragment  in  Venedig. 


und  des  leicht  sich  faltenden  des  Uutergewandes, 
sowie  der  leeren  und  der  von  Körpertlieilen  er- 
füllten Gewandung  aufs  feinste  angedeutet.  —  Ich 
vermuthe,  dass  schon  vor  Phidias,  besonders  (nach 
den  schriftlichen  Nachrichten  zu  urtlieilen)  bei  Py- 
thagoras  von  Khegiou,  sich  das  Bestreben  nach 
Texturangabe  kundgab.  Ich  kann  daher  Michaelis 
(S.  158  f.)  nicht  ganz  beipflichten,  wenn  er  die  ge- 
ringen Mängel  im  Detail  der  Gewandung  am  Par- 
thenon darauf  zurückführen  will,  dass  sie  hier  zum 
ersten  Male  in  voller  Freiheit  zu  geben  versucht 
sei,  in  welchem  Falle  nach  der  Erfahrung  ein  Zu- 
viel aufzutreten  pflege.  Ich  möchte  vielmehr  glauben, 
dass  Phidias,  dessen  Hauptwerke  in  der  Goldelfeu- 
bein -Technik  gearbeitet  waren,  zu  deren  Anwen- 
dung eben  jenes  lebhafte  Texturgefühl  führte,  dem- 
selben in  Marmor  nicht  genug  thun  konnte  und 
daher  zu  etwas  extremen  Mitteln  getrieben  wurde. 
Trotzdem  bleiben  freilich  auch  in  der  Eiuzeldurch- 
bildung  des  Faltenwurfs  die  Partheuonsculpturen 
Musterwerke  für  alle  Zeiten. 

Das  Fragment  bietet  in  einer  Hinsicht  bei  der 
Behandlung  der  Falten  Beispiele  von  Vollendung, 
wie  sie  kaum  am  Parthenon  gefunden  werden.  Ich 
meine  die  Vermitteluug  zwischen  Falte  und  Fläche, 
wenn  ich  so  sagen  darf  das  organische  und  all- 
mählige  Ausklingen  der  Falte.  Es  wird  dies  am 
deutlichsten,  wenn  man  z.  B.  eine  Falte  an  der 
rechten  Seite  der  Figur  oder  mehrere  auf  dem 
Öchoosse  mit  den  Falten  an  römischen  Gewaud- 
statuen  vergleicht.  Hier  sind  sie  mit  dem  Bohrer 
eingetrieben  und  enden  unvermittelt,  vom  Anfange 
bis  zum  Ende  Rinnen  von  gleichmässiger  Tiefe  und 
Breite.  An  unserer  Figur  wechseln  an  derselben 
Falte  Breite  und  Tiefe  und  so  bietet  sie  dem  Auge 
ein  mannigfaches  Spiel  von  Licht  und  Schatten;  sie 
verläuft,  indem  sie  allmählig  flacher  und  breiter  wird. 

Die  Kniee  sind  an  fast  keiner  antiken  Gewand- 
statue so  meisterhaft  durchgebildet  wie  an  dem 
Fragmeute;  es  ist  als  ob  dieselbe  Hand  wie  die 
Kniee  von  E  und  K  sie  gebildet  habe.  Auch  die  Art, 
wie  an  den  Parthenonfiguren  das  durch  das  hervor- 
tretende Knie  angespannte  Gewand  auf  der  Seite, 
vorn  Knie  aus,   in   kleine  Fältchcn   verläuft,   ist  an 


unserer  Figur  zu  erkennen.  Es  bringt  dies  einen 
wohlthuenden  Gegensatz  zu  den  grossen  Flächen 
des  über  den  Waden  angespannten  Gewandes 
hervor.  Etwas  störend  wirkt  es,  dass  eine  grosse 
Faltenmasse,  welche  von  der  rechten  Seite  aus 
leicht  über  den  Knöchel  geht,  auf  der  linken  Seite 
wieder  kräftig  hinaufgeführt  wird.  Aehnlich  aber 
verfolgt  man  bei  E  im  Ostgiebel  eine  Faltenmasse 
von  einer  Seite  bis  zur  andern,  nur  dass  sie  hier 
bis  über  das  Knie  läuft.  Dass  das  Gewand  sich 
in  einer  dreieckigen  Kante  vom  Fusse  abhebt,  be- 
ruht wieder  auf  dem  Texturgefühl,  indem  zwischen 
Gewand  und  Fuss  ein  scharfer  Abschnitt  hervor- 
gebracht werden  soll,  und  dasselbe  findet  sich  an 
den  Giebelfiguren  wie  an  der  Demeter  des  Frieses. 

Es  mnss  befremden,  dass  die  ruhigen  Massen 
und  grossen  Linien  der  Composition  durch  die  zwi- 
schen den  Beinen  angehäuften,  relativ  kleinlichen 
Linien  des  Faltenwurfs  am  Zipfel  des  schwe- 
ren Mantels  in  ihrem  einheitlichen  Charakter  ge- 
stört werden.  Künstlerisch  lässt  sich  dies  aus 
einem  Streben  nach  Abwechslung  erklären,  wie 
aus  dem  "Bemühen,  die  durch  die  gespreizten 
Beine  hervorgebrachte  monotone  Fläche  zu  vermei- 
den. Auch  dies  findet  sich  an  Figuren  des  Ost- 
giebels sowie  in  Andeutung  bei  der  Aphrodite  des 
Frieses.  Nur  ist  in  Folge  der  ßeinstellung  die 
Aushöhlung  des  Gewandes  im  Schoosse  unserer 
Figur  weit  tiefer  und  ausgesprochener  als  an  den 
Figuren  des  Ostgiebels,  und  es  bedurfte  daher  einer 
grösseren  Gewandmasse  um  die  Lücke  auszufüllen, 
die  einen  störenden  scharfen  Abschnitt  inmitten  der 
Gestalt  hervorgebracht  hätte. 

Charakteristisch  ist  an  unsrer  Figur  auch  die 
Behandlung  der  Falten  am  leichten  Chiton,  wo 
dieser  auf  dem  Boden  aufsitzt;  sie  ist  meines  Wis- 
sens in  so  prägnanter  Weise  ausserdem  nur  an 
den  Giebelfiguren  zu  erkennen.  Die  Fläche  ist 
durch  tiefes  Aushöhlen  in  verschiedene  grössere 
Theile  zerlegt,  deren  jeder  dann  wieder  durch  zwei 
flachere  und  schmalere  Aushöhlungen  in  drei  Ab- 
schnitte getheilt  wird.  Natürlich  sind  diese  Ab- 
schnitte nicht  parallel  gehalten,  sondern  in  belebten 
Windungcu,   und   ohne  einen   Gedanken   an  archi- 


Ch.  AYaldsteia,  Marmoifragment  in  Venedig. 


73 


tektonisclie  Steifheit  hervorrufen  zu  wollen,  möchte 
ich  sie  Gewaudtriglyphen  nennen.  Das  beste 
Beispiel  hiervon  findet  sich  vorn  auf  der  rechten 
Seite  des  Fragments.  Diese  kleinen  dünnen  Flä- 
chen sind  natürlich  hier  und  au  den  Giebelfiguren 
meistens  leielit  abgestossen;  jedoch  finden  sich  die 
deutlichen  oberen  Ansätze  derselben  an  der  Figur 
D  des  "Westgicbels  unten  an  der  rechten  Seite,  wo 
sie  in  Folge  der  Einhöhlung  niclit  ganz  abgebro- 
chen werden  konnten.  Am  Friese  sind  die  Figuren 
zu  klein,  als  dass  die  Falten  so  ins  Detail  aus- 
gebildet werden  konnten;  hier  wird  vielmehr  bei 
den  herabhängenden  Chitonen  eine  dichotomische 
Eintheilung  befolgt. 

Soweit  das  Einzelne.  Nehmen  wir  nun  au,  dass 
das  Fragment  zu  den  Parthenongiebeln  gehöre,  so 
erhebt  sich  die  Frage,  wo  es  in  denselben  seinen 
Platz  finden  würde.  An  den  Ostgiebel  ist  nicht  zu 
denken;  seine  Ecken  sind  mit  erhaltenen  Figuren 
ausgefüllt  und  für  die  Mitte  sind  die  Proportionen 
zu  klein.  Wenn  wir  Carreys  und  des  Nointerschen 
Anonymus  Zeichnungen  des  Westgiebels  betrachten, 
so  muss  die  Aebnlichkeit  sowohl  der  Stellung  als 
der  Gewandung  bei  dem  Fragmente  und  der  ge- 
wöhnlich als  Demeter  (gruppirt  mit  lakchos  und 
Köre)  bezeichneten  Figur  auffallen.  Die  Möglich- 
keit der  Identification  schwindet  jedoch,  wenn  man 
den  Dalton'schen  Stich  heranzieht,  denn  auf  diesem 
sitzt  diese  Figur  gar  nicht. 

Seinen  Grössenverhältnissen  nach  würde  das 
Fragment  vor  den  s.  g.  Asklepios  passen.  Es  findet 
sich  hier  zwischen  den  beiden  männlichen  Figuren 
auch  eine  Lücke,  von  der  richtig  gesagt  wurde,  dass 
sie  des  Constrastes  mit  der  Südwest-Ecke  wegen  von 


einer  weiblichen  Figur  habe  ausgefüllt  sein  müssen, 
etwa  einer  dem  Kephisos  gesellten  Nymphe.  Diese 
Figur  können  wir  uns  nun  unmöglich  auch  liegend 
denken ;  nicht  bloss  das  Gebot  der  Abwechslung, 
sondern  auch  der  Raum  spricht  dagegen,  und  somit 
wäre  eine  Figur  wie  die  Venetianer  für  diese  Stelle 
wohl  passend.  Icli  erinnere  daran,  dass  neben  dem 
Theseus  des  Ostgiebels,  also  ebenfalls  einer  gela- 
gerten Figur,  die  sitzende  Köre,  die  unserm 
Fragmeute  so  ähnlich  ist,  ihren  Platz  hat. 

Bei  meiner  Annahme  würde  ich  mir  die  Situa- 
tion etwa  folgendermassen  denken.  Die  Nymphe 
sass  in  Ruhe,  als  der  jugendliche  Flussgott  sich 
plötzlich  erhob,  um  sich  nach  dem  Streite  im  Cen- 
trum hinzuwenden.  Dadurch  aufgeschreckt,  wendet 
sie  den  Oberkörper  ebenfalls  nach  rechts,  doch  ohne 
ihn  ganz  umzukehren.  Der  Mantel  fällt  von  der 
Schulter,  sein  Zipfel  in  den  Schooss.  Wie  es  der 
Natur  gemäss  ist,  wenn  wir  uns  vom  ruhigen  Sitzen 
plötzlich  nach  einer  Seite  umwenden  (wobei  wir 
gewöhnlich  nicht  den  ganzen  Körper,  sondern  nur 
den  Oberkörper  drehen),  streckt  sie  das  dem  An- 
ziehungspunkte abgewendete  Bein  zurück. 

Als  Ergebniss  meiner  Erörterungen  möchte  ich 
die  folgenden  Sätze  aufstellen:  dass  eine 'Möglich- 
keit der  Zugehörigkeit  des  Fragments  zu  den  Giebel- 
figuren wohl  vorhanden  ist;  dass  unter  allen  er- 
haltenen Werken  der  griechischen  Kunst  keines 
den  Parthenonsculpturen,  sowohl  in  Auffassung  wie 
in  Technik,  näher  steht;  dass  unser  Bildwerk,  wenn 
es  nicht  aus  der  Werkstatt  des  Phidias  stammt,  doch 
ein  meisterhaftes  Product  der  attischen  Kunst,  spä- 
testens aus  der  Zeit  unmittelbar  nach  Phidias,  ist. 

London.  Charles  Waldstein. 


10' 


74 


ÜBER  DIE  ECHTHEIT  EINER  VASE  AUS  ARGOS. 


Am  12.  April  1858  nahm  ich  bei  dem  Apotheker 
in  Argos  die  Durchzeichuung  eines  Vasenbildes, 
welche  in  dieser  Zeitung-  1859,  Taf.  CXXV,  S.  33  f. 
publicirt  wurde.  Am  17.  August  1860  habe  ich 
die  Vase  noch  ein  Mal  gesehen;  ihr  Besitzer  war 
nach  dem  Piräeus  gezogen  und  hatte  sie  dahin  mit 
sich  genommen.  Ich  muss  erwähnen,  dass  ich 
damals  auf  der  Abreise  von  Griechenland  zusammen 
mit  Michaelis  im  Piräeus  war,  und  unmittelbar  vorher 
in  Athen  an  den  Nachspürungen  meines  Freundes 
nach  Vasenfälschungen  den  Antheil  genommen  hatte, 
den  unsere  enge  Studienverbindung  mit  sich  brachte. 
Als  ich  die  Vase  wiedersah,  konnte  ich  also  wohl 
absonderlich  kritisch  gestimmt  sein.  Auch  hat,  so 
viel  wir  uns  erinnern,  Michaelis  die  Vase  mit  mir 
besichtigt.  Ein  Zweifel  an  ihrer  Echtheit  ist  damals 
jedesfalls  nicht  zur  Sprache  gekommen.  Ich  selbst 
notirte  mir  die  Form  des  oberen  Ornamentbandes, 
welche  ich  in  meiner  Publikation  nur  ganz  allge- 
mein hatte  andeuten  können,  so  wie  ich  sie  nach- 
stehend angebe,  und  Hess  mir  von  dem  Besitzer 
erzählen,  dass  die  Vase  in  der  Gegend  des  Heraions 
gefunden  sei. 


Jahre  vergingen.  Im  Frühjahr  1873  tauchten  ge- 
fälschte Exemplare  derselben  Vase  in  Athen  auf. 
Wieseler  signalisirte  in  seinem  archäologischen  Be- 
richte über  eine  Reise  in  Griechenland  (Abh.  der 
K.  Ges.  der  Wiss.  zu  Güttingen  XIX,  1874,  S.  49) 
deren  zwei  als  grobe  Betrügereien,  das  eine  bei  einem 
Kunsthändler  (er  hiess  Nostrakis),  das  andere  bei 
einem  bekannten  Privatsammler.  Auf  dem  letzteren 
Exemplare  hatte  die  Hydra  acht  statt  der  zehn  Köpfe 
meiner  Publikation;  das  Gefäss  selbst  hielt  Wieseler 
für  alt,  nur  die  Malerei  für  modern  aufgesetzt,  wobei 
auch  ein  Versuch  Inschriften  anzubringen   gemacht 


war.  Der  Sammler  hat  darauf,  von  Ehusopulos  auf 
die  Thatsache  der  Fälschung  aufmerksam  gemacht, 
dieses  sein  Exemplar  fortgegeben. 

Es  war  um  dieselbe  Zeit,  im  März  1873,  dass 
ein  deutscher  Reisender  in  Atlien  ein  Exemplar  der- 
selben Vase  kaufte.  Er  verschenkte  es  nach  Berlin, 
wo  ich  es  oft  habe  sehen  können  und  augenblicklich 
vor  mir  stehen  habe.  Dass  an  diesem  Exemplare 
die  Vase  selbst  antik,  die  Malerei  aber  modern  auf- 
gesetzt ist,  leidet  keinen  Zweifel.  Dass  es  nicht 
das  von  mir  publicirte  Exemplar  ist,  geht  aus  einer 
Menge  von  grossen  und  kleinen  Verschiedenheiten, 
namentlich  dem  Fehlen  einer  ganzen  Figur,  hervor. 
Auch  das  von  Wieseler  erwähnte  Exemplar  des 
Sammlers  ist  es  nicht,  wie  die  Zahl  der  Köpfe  der 
Hydra  und  der  Mangel  an  Inschriften  beweist. 

Was  Wieseler  wohl  nicht  annahm,  hat  sodann 
Klügmann  in  der  Sitzung  des  römischen  Instituts 
am  7.  April  187G  (Bnll.  deW  inst.  187G,  S.  116)  zu- 
versichtlich behauptet,  dass  die  von  mir  publicirte 
Vase  selbst  eine  Fälschung  sei:  „poiia  tanti  iudizj 
dt  essere  stato  dipinto  da  im  falsario,  che  nemmeno 
■piiö  recar  maraviglia  di  vedervi  Cerhero  con  una 
sola  tesla".  Dass  auf  einem  Vasenbilde,  welches 
nach  Klügmanns  eigener  Ansicht,  wenn  es  echt 
wäre,  das  älteste  uns  bekannte  mit  einer  Darstellung 
des  Kerberos  sein  würde,  der  spätere  Typus  des 
dreiköptigen  Hundes,  welchen  auch  weniger  alte 
Vasenbilder  zweiköpfig  bilden,  noch  nicht  erscheint, 
kann  den  ausgesprochenen  Verdacht  schwerlich 
irgendwie  begründen.  Von  den  nicht  ausgesprochenen 
Gründen  vermag  ich  keinen  zu  finden.  Allerdings 
beruft  sich  Klügmann  auf  die  Existenz  der  falschen 
Exemplare  in  Athen  nach  Wieselers  Berichte. 

Indessen  kann  dieser  Umstand  doch  wohl  so 
wenig  gegen  das  von  mir  in  Argos  gezeichnete 
Exemplar  beweisen,  wie  die  von  Michaelis  nachge- 
wiesene gefälschte  Nachbildung  der  Innenbilder 
der   Sosiasschale   auf  einer  Trinkschale   in  Athen 


A.  Michaelis,  Tragischer  Kopf. 


75 


(Arch.  Ztg.  XIX,  1861,  S.  202*  f.)  der  Autlieuticität 
des  OrigiDals  im  Berliner  Museum  Eintrag-  thun 
kann,  so  lange  man  dieses  selljst  vor  Augen  hat. 
Ich  habe  nun  auch  keine  Bemühung  unterlassen, 
jenem  argivischen  Exemplare  wieder  auf  die  Spur 
zu  kommen  um  es  abermals  prüfen  zu  kihiuen,  lange 
ganz  vergeblich,  bis  ich  im  vorigen  Jahre  Herrn  Dinii- 
trios  Elevtheriu  aus  Argos  kennenlernte,  der  mit  dem 
später  nach  dem  Piräeus  übergesiedelten  Apotheker 
aus  Argos,  Andreas  Pitzidis,  dem  Besitzer  der  Vase, 
verwandt  war.  Der  Besitzer  war  inzwischen  ver- 
storben, aber  Uerr  Dimitrios  hat  auf  meine  Bitte  in 
der  Familie  die  sorgfältigsten  Nachforschungen  nach 
der  Vase  angestellt;  leider  haben  sie  schliesslich  zu 
der  Erklärung  der  Hinterbliebenen  geführt,  dass  die 
Vase  zerbrochen  und  verloren  sei.  Auch  nicht  eine 
Scherbe  ist  mehr  aufzufinden  gewesen. 


Alles  Dieses  festzustellen  schien  mir  der  Mühe 
werth.  Namentlich  die  eine  Hälfte  des  Vasenbildes, 
in  der  Herakles  gegen  Hades  einen  Stein  wirft,  wie 
Artemis  gegen  den  Stier  auf  dem  argivischen  Relief 
(Baus.  II,  19,  G.  Vgl.  Mon.  dell'  inst.  X,  52,  1), 
wovor  erschreckt  Hades  vom  Throne  aufspringend 
flieht  (II.  XX,  61  f.  Id'idwvevg  delaag  ex  9q6vov  alzo. 
Cf.  Herod.  VII,  212),  ist  so  eigenthümlich,  dass 
die  einmal  aufgeworfene  Frage,  ob  die  Malerei  antik 
oder  modern  sei,  nach  Möglichkeit  beantwortet 
w'crden  niusste.  Ich  bin  überzeugt,  dass  Löscheke 
ganz  recht  that,  wenn  er  sie  noch  kürzlich  als  un- 
bedenklich echt  behandelte  (De  basi  qiiadam  prope 
Spartam  reperta.  Dorpater  Programm  1879,  S.  3). 

CONZE. 


TRAGISCHER  KOPF. 

(Tafel  8.  9.) 


Im  Besitze  von  Künstlern  und  Kunstfreunden  in 
Eom  findet  man  nicht  selten  den  Abguss  eines 
schönen  weiblichen  Kopfes  mit  dem  Ausdruck  tiefer 
Trauer,  von  einem  schweren  Gewaudstück  schleier- 
artig bedeckt  und  umhüllt.  Unter  dem  traditionellen 
Namen  der  „Mutter  des  Herakles"  oder  der  „Om- 
phale"  bekannt,  geniesst  der  Kopf  grossen  Ansehens 
und  begegnet  auch  in  Sammlungen  von  Gipsabgüssen 
diesseits  der  Alpen  nicht  ganz  selten.  Zu  Anfang 
der  vierziger  Jahre  erwarb  Welcker  ein  Exemplar 
für  das  Bonner  Kunstmuseum')  und  vermuthete, 
das  Original  m(3chte  wohl  nach  England  gegangen 
sein.  Später  fügte  er  die  Notiz  hinzu,  es  solle  in 
Ostia  gefunden  und  bei  Mr.  Jones  in  London  sein'). 
Ueber  Ort  und  Zeit  des  Fundes  ist  es  mir  nicht 
gelungen  irgend  etwas  Genaueres  zu  ermitteln;  das 

')  Zuerst  verzeichnet  in  dem  Neuesten  Zuwachs  des  akad. 
Kunstmus.  zu  Bonn,  18-14,  S.  8  No.  17ü4.  In  der  zweiten,  1S41 
erschienenen  Auflage  des  akad.  Kunstmuseums  ist  der  Abguss 
noch  nicht  aufgezählt.  Ein  andres  Exemplar  befand  sich  in 
Berlin  im  Gewerbeinstitut  (Friederichs,  Bausteine  No.  810).  Neuer- 
dings ist  der  Abguss  bei  Brucciani  in  London  käuflich  zu  haben. 

-)  Bei  Kekule',  akad.  Kunstmus.  zu  Bonn  S.  101  Xo.  402 
nach  einer  handschriftlichen   Randbemerkung  Welckers. 


Original  selbst  tauchte  zuerst  aus  dem  Versteck 
englischen  Privatbesitzes  bei  Gelegenheit  der  Kunst- 
ausstellung von  Manchester  im  Jahre  1857  auf,  wo 
es  unter  den  nicht  zahlreichen  Antiken  von  Belang 
einen  Ehrenplatz  einnahm.  Damals  befand  sich  der 
Kopf  bereits  im  Besitz  des  gegenwärtigen  Eigen- 
thümers,  des  Hon.  Ashley  Geo.  J.  Ponsonby,  zweiten 
Sohnes  des  ersten  Lord  de  Mauley  und  Urenkels  des- 
jenigen Earl  of  Bessborough,  welcher  im  vorigen 
Jahrhundert  einer  der  eifrigsten  englischen  Antikeu- 
sammler  war;  als  Hon.  W.  Ponsonby  gehörte  er  zu 
den  Stiftern  der  Gesellschaft  der  Dilettanti,  deren 
Mitglied  er  sechzig  Jahre  lang,  bis  zu  seinem  Tode 
(1793),  blieb  ■').  Seine  Sammlungen  wurden  zerstreut, 
aber  sein  Enkel,  Lord  de  Mauley,  scheint  etwas  von 
den  Neigungen  des  Grossvaters  geerbt  zu  haben. 
Bei  ihm  hatte  Waagen  bereits  einige  Jahre  vor  der 
Ausstellung  in  Manchester  den  Kopf  gesehen  und 
gebührend  hervorgehoben^),  ohne  sich  jedoch  dabei 

3)  Michaelis,  Ancienl  Marlies  in  Great  Britain   S.  60  f. 

*)  Treasures  of  art  in  Great  Britain  II  S.  83.  Die  An- 
gabe bezieht  sich  auf  das  Jahr  ISöO  oder  1851,  da  sie  in  dem 
älteren  deutschen  Buche  Waagens  noch  l'elilt. 


76 


A.  Michaelis,  Tragischer  Kopf. 


des  verbreiteten  Abgusses  zu  erinuern.  Auch  Emil 
Braun  erwähnt  den  sog.  „Omphalekopf"  des  Lord 
de  Mauley  in  einem  Briefe  an  Gerhard  vom  31.  Januar 
1853').  Das  Aufsehen,  welches  das  Original  in 
Manchester  erregte,  mag  den  Besitzer  veranlasst 
haben  den  Kopf  dem  South  Kensington  Museum  zu 
öffentlicher  Ausstellung  zu  leihen'').  Dort  steht  er 
seit  einer  Reihe  von  Jahren  in  einem  ziemlich  dunkeln 
Winkel,  durch  einen  braunen  Ueberzug  —  ich  weiss 
nicht  ob  in  Folge  des  Kohlenstaubes  oder  irgend 
einer  Tränkung  —  traurig  entstellt  und  unschein- 
bar gemacht,  so  dass  ausnahmsweise,  da  die  Natur 
des  Marmors  nicht  mehr  zur  Geltung  kommen  kann, 
die  Abgüsse  klarer  und  schöner  wirken  als  das 
Original ').  Es  wäre  sehr  zu  wünschen,  dass  letzteres 
endgiltig  an  einen  günstigeren  und  würdigeren  Platz 
käme  —  und  welcher  könnte  geeigneter  sein  als 
das  britische  Museum?  —  und  dort  einer  vorsich- 
tigen aber  gründlichen  Reinigung  unterzogen  würde. 
Dabei  müsste  dann  noch  ein  Fehler  der  Aufstellung 
verbessert  werden,  von  dem  unten  die  Rede  sein 
wird.  Ergänzt  ist  au  dem  Kopfe  nur  die  Nasen- 
spitze. Ausserdem  scheint  der  moderne  Rand  des 
Gewandes,  welches  sich  neben  dem  rechten  Ohr 
herabzieht,  abgebrochen  und  der  Bruch  überarbeitet 
worden  zu  sein;  bei  stärkerem  Vorspringen  des 
Mantels  traten  also  die  reichen  Locken  noch  mehr 
in  den  Schatten,  der  Kopf  desto  mehr  ins  Licht. 
Die  alte  Deutung  auf  Omphale  (denn  die  „Mutter 
des  Herakles"  lassen  wir  billig  bei  Seite)  erklärte 
sich  Welcker  aus  „der  Schönheit  des  Gesichts  und 
der  Löwenhaut  über  der  Stirne",  und  warf  zur  Er- 
klärung des  leisen  schmerzlichen  Zuges  die  "Worte 
„vielleicht  verlassen  von  Herakles''  hin.  Aber  es 
ist  gar  keine  Löwenhaut  vorhanden,  sondern  ein 
.schwerer  dicker  Wollenstoff,  und  für  ein  Weib  von 
so  überkräftiger  Natur  wie  Omphale  passt  schlecht 
die  liebessieche  Stimmung  einer  Dido.  Mau  braucht 
nur  das  pompejanischeOmphalebild")  zu  vergleichen, 

^)  Im   Archiv  des  aichiiolügischeD  Instituts  in  Rom. 

«)  Michaelis  a.   a.  O.  London,  South  Kens.  Mus.  No.  IS. 

')  Etwas  Aehnliches  ist  bei  dem  schijnen  Leidener  Dionysos- 
kopfe der  Fall  {Mon.  delV  Jnsl.  II,  41,  1.  Denkm.  der  .ilten 
Kunst  II,  31,  345). 

»)  Zahn,  die  schönsten  Ornamente  III  Taf.  84.  Berichte  d. 
.•■iichs.  Ges.  d.  Wiss.   18Ö5  Tal'.  0. 


um  des  fundamentalen  Unterschiedes  zwischen  der 
lydischen  Bezwingerin  des  Herakles  und  unserem 
Kopfe  inne  zu  werden.  Freilich  noch  viel  verfehlter 
ist  die  in  England  meistens  übliche  Bezeichnung 
einer  Juno  Sospita  oder  Lanuvina,  die  wiederum 
nur  durch  die  allgemeine  Aehnlichkeit  der  Kopf- 
bedeckung mit  einem  Fell  hervorgerufen  sein  kann ; 
,,an  eine  Juno  Lanuvina  kann  nur  ein  archäologi- 
scher Witzliug  denken",  meinte  Braun  mit  Recht. 
Waagen  enthielt  sich  jedes  Deutuugsversuches.  Jahn 
hob  den  stark  tragischen  Ausdruck  hervor,  indem 
er  den  Holzschnitt  auf  dem  Titelblatt  seiner  Aus- 
gabe der  sophokleischen  Elektra")  (er  ist  weiter 
unten  in  diesem  Aufsatze  wiederholt)  mit  den  kurzen 
Worten  einführte:  „caput  marmoreum,  paene  intactiim 
Ostiae  ut  dictmt  repertum,  nunc  in  Britannia  delites- 
cens,  tragicam  Spirans  gravitatem: 

eiTS  aoi  Ävtiyovriv  elnelv  q>ilov,  ovx  av  aj^iägtoig, 
ei're  xal   HXixTQav." 

Schwerlich  lag  es  in  Jahns  Absicht  mit  diesen 
Versen  des  Dioskorides  ")  gradezu  den  Namen  einer 
Antigone  oder  Elektra  für  den  Kopf  in- Vorschlag 
zu  bringen,  wie  es  hie  und  da  verstanden  worden 
ist,  sondern  er  wollte  gewiss  nur  den  Kopf  der 
tragischen  Sphäre  zuweisen,  die  Gruudstimmuug  als 
der  Tragödie  entlehnt  oder  wenigstens  verwandt 
bezeichnen.  Insoweit  ist  schwerlich  ein  Widerspruch 
zu  befürchten. 

Dieser  Charakter  des  Kopfes  tritt  noch  viel 
schärfer  hervor,  wenn  mau  ihm  seine  richtige  Stellung 
wiedergiebt,  worauf  mich  zuerst  mein  Freund 
G.  Gerland  aufmerksam  gemacht  hat.  Die  modernen 
Restauratoren  und  Gipsgiesser  haben  bekanntlich 
die  leidige  Neigung  fast  alle  einzelnen  Köpfe  mehr 
oder  weniger  senkrecht  auf  die  Basis  zu  setzen  und 
ihnen  dabei  meistens  gar  noch  eine  etwas  zurück- 
gelehnte Haltung  zu  verleihen").     Jeder  Vorstand 

")  Bonn  1861.  Jahns  Interesse  für  den  Kopf  war  durch 
die  begeisterte  Schilderung  seines  Freundes  Dr.  Ilermann  Härtel, 
als  dieser  auf  der  Rückreise  von  Manchester  im  Herbst  1857  in 
Bonn  vorsprach,  gesteigert  worden. 

">)  Anthol.  Palat.   7,  37,  9. 

")  Vgl.  die  Bemerkungen  von  Brunn  in  dieser  Zeitschrift 
1876  S.  24.  Der  vortreffliche  Amazonenkopf  des  britischen  Mu- 
seums (^Anc.  Marbl.  X  Taf.  5)  wird  im  Ouide  lo  the  Oraeco- 
Roman  Sculptures  I  No.  150   dem   capitolinischen   Typus  zuge- 


A.  Michaelis,  Tragischer  Kopf. 


77 


einer  Abgusssammlurig  wird  davon  7.u  erzählen 
wissen,  wie  vielen  Köpfen  erst  nachträglich  durch 
ein  VornUberbeugen,  gelegentlieli  auch  durch  eine 
seitliche  Neigung  die  richtige  Wirkung  gesichert 
werden  muss.  Wenn  dieser  Uebelstaud  schon  bei 
den  vereinzelten  Köpfen  hervortritt,  wie  viel  nach- 
theiliger müsste  erst  die  Wirkung  sein,  wenn  man 
sich  den  Kopf  in  der  üblichen  Haltung  auf  seinem 
Körper  dächte:  statt  dass  der  Kopf  zum  Beschauer 
herabblickte,  würde  dieser  meistens  das  Kinn  und 
die  Nasenlöcher  als  Hauptstücke  des  Gesiebtes  zu 
sehen  bekommen,  wie  das  in  der  That  beispielsweise 
bei  den  Abgüssen  der  Zeusmaske  von  Otricoli  der 
Fall  zu  sein  pflegt.  In  unserem  Falle  beweist  schon 
die  Richtung  des  Halses,  dass  die  gewöhnliche  steile 
Aufstellung  falsch  ist,  denn  es  würde  unmöglich  sein 
sich  danach  den  Körper  in  einer  zum  Kopfe  passen- 
den oder  auch  nur  überhaupt  möglichen  Stellung  zu 
ergänzen.    Es  ist  ganz  bezeichnend,  dass  der  Holz- 


schneider welcher  den  vorstehenden  Holzschnitt  (für 
Jahns  Ausgabe  der  Elektra)  oder  der  Zeichner 
welcher  die  Vorlage  dazu  gemacht  hat  willkürlich  die 
Haltung  des  Halses  mit  der  des  Kopfes  in  Einklang 
gesetzt  und  das  zwischen  dem  neu  erfundeneu  Hals- 
umriss  und  den  Locken  entstandene  Dreieck  durch 
Gewand  ausgefüllt  hat.  Giebt  man  dagegen  dem 
Halse  seine  ursprüngliche  grade  Haltung  wieder, 
so  fallen  die  Locken  senkrecht  herab,  die  Falten 
des  Mantels  an  der  rechten  Seite  erhalten  ebenfalls 
ihren  natürlichen  Zug,  und  vor  Allem  tritt  erst  jetzt 

wiesen;  richtig  aufgestellt  entspricht  er  genau  den  Köpfen  des 
Lansdowne-Berliner  Typus,  deren  vielleicht  bestes  Exemplar  er 
ist.  Das  ludovisische  Relief  der  sterbenden  Meduse  (i/on.  dell' 
Inst.  IX,  3ö)  gelangt  erst  zu  seiner  vollen  Wirkung,  wenn  man, 
entsprechend  dem  Falle  der  Haare,  den  Kopf  so  weit  senkt  dass 
die  Nase  senkrecht  sttht. 


der  Grundcharakter  des  Kopfes  in  voller  ergreifen- 
der Schönheit  hervor.  Nach  einem  demgemäss  auf- 
gestellten, leider  nicht  ganz  frischen  Abguss,  der 
früher  in  Gerhards  Besitz  war,  ist  die  Photographie 
gemacht  worden,  welche  der  Lithographie  auf  unse- 
rer Tafel  8  zu  Grunde  liegt.  Jedoch  ist  die  Neigung 
nach  vorn  wie  gegen  die  Rechte  um  ein  Geringes 
zu  stark  gerathen,  wie  sich  aus  einem  äusseren 
Merkmal  ergiebt.  Der  Kopf  endigt  nämlich  oben 
in  einer  graden,  nur  obenhin  bearbeiteten  Fläche. 
Diese  ist  ohne  Zweifel  ein  Theil  der  ursprünglichen 
Oberfläche  des  Marmorblockes,  welcher  also  nicht 
völlig  ausreichte;  jedoch  konnte  man  selbst  bei 
niedriger  Aufstellung  der  Statue  diesen  Mangel  nicht 
bemerken.  Da  nun  wohl  anzunehmen  ist,  dass  die 
Oberfläche  des  Blockes  horizontal  war,  so  ergiebt 
sich  aus  diesem  Umstand  mit  ziemlicher  Sicherheit 
die  ursprüngliche  Haltung  des  Kopfes,  welche 
übrigens  von  derjenigen  in  der  Abbildung  so  wenig 
abweicht,  dass  der  Unterschied  für  den  Eindruck 
fast  ganz  verschwindet'^). 

In  der  somit  gesicherten  Haltung  tritt  das  schöne 
volle  Oval  des  Gesichtsumrisses  vortrefflich  hervor. 
Alle  Formen  sind  gross  und  breit.  Die  namentlich 
im  Verhältniss  zur  Nase  nicht  hohe  Stirn  bietet  fast 
gar  keine  ebene  Fläche,  sondern  ist  durchweg  ge- 
rundet, so  dass  sie  schon  oberhalb  der  inneren 
Augenwinkel  energisch  zurückweicht  und  diese 
Biegung  bis  zu  den  Schläfen  consequent  fortsetzt  '^). 

'-)  Auch  der  Hinterkopf  ist  in  ähnlicher  Weise  abgeplattet, 
jedoch  bildet  diese  Fläche  mit  derjenigen  des  Oberkopfes  keinen 
rechteu,  sondern  einen  etwas  stumpfen  Winkel,  daher  sie  zur 
Bestimmung  der  Haltung  nicht  verwendbar  ist.  Denn  wollte 
man  von  dieser  Fläche  als  einer  senkrechten  ausgehen,  so  würde 
man  ähnlichen  Schwierigkeiten  wie  bei  der  gewöhnlichen  Auf- 
stellung, wenn  auch  in  etwas  geringerem  Grade,  begegnen.  Man 
wird  vielmehr  annehmen  müssen,  dass  die  Seiten  des  Marmor- 
blocks von  Anfang  an  nicht  in  rechten  'Winkeln  an  einander 
stiessen,  wie  dies  ja  noch  heutzutage  bei  Marmorblöcken  für 
statuarische  Zwecke  sehr  oft  der  Fall  ist. 

'^)  Zu  den  mancherlei  anregenden  Sammlungen,  welche  der 
Bildhauer  Ed.  von  der  Launitz  sich  angelegt  hatte,  gehörte 
auch  eine  Auzahl  von  Durchschnitten,  welche  er  sich  von  den 
Köpfen  hervorragender  Antiken  gemacht  hatte,  vom  teneatischen 
ApoUon  bis  zur  mediceischen  Venus.  Es  war  im  höchsten 
Grade  belehrend  die  Uebergänge  von  den  geradlinigen  eckigen 
Durchschnitten  zu  den  immer  mehr  gerundeten  zu  verfolgen. 
Unser  Kopf  würde,  namentlich  im  Durchschnitt  der  Stirn,  ent- 
schieden zu  den  meist  gerundeten  gehurt  haben. 


78 


A.  Michaelis,  Tragischer  Kopf. 


Kebeu  dem  breiten  kräftigen  Ansatz  der  Nase  sind 
die  (nicht  dargestelltenj  Branen  ein  wenig  empor- 
gezogen ,  ein  leiser ,  aber  vernehmlicher  Ausdruck 
der  schmerzlichen  Stimmung.  Die  sehr  tief  gele- 
genen inneren  Augenwinkel  und  die  weichen  Haut- 
polster, welche  mehr  gegen  aussen  sich  über  den 
Stirurand  herUberlegen  und  das  Lied  in  seinem  wei- 
teren Verlaufe  bedecken,  dienen  jenen  Ausdruck 
zu  verstärken.  Die  Augen  sind  ähnlich  stark  wie 
die  Stirn  gerundet.  Die  starke  Nase  mit  ihrem 
breiten  Eiickeu  verläuft  nach  geringer  Einsenkung 
au  ihrer  Wurzel  in  einer  dem  Profil  der  Stirn  pa- 
rallelen Linie,  so  dass  also  annähernd  das  soge- 
nannte griechische  oder  attische  Profil  entsteht. 
Die  Nasenflügel  sind  leise  gehoben  und  eiue  leichte 
Senkung  mehr  als  Falte  zieht  sieh  jederseits  herab, 
im  Einklang  mit  den  schmerzlich  gesenkten  Winkeln 
des  leise  geöffneten  Mundes,  dessen  sehr  tiefe  Aus- 
höhlung einen  Schatten  von  trefflicher  Wirkung  er- 
zeugt. Ausserordentlich  schön  sind  die  vollen,  schwel- 
lenden, aber  von  jeder  Sinnlichkeit  freien  Lippen; 
die  obere  ist  leise  gehoben.  Unter  der  gross  und 
einfach  behandelten,  aber  sehr  lebendig  bewegten 
Oberfläche  der  Wangen  fühlt  man  deutlich  den 
Backenknochen  durch;  ja  die  obere  Hälfte  der 
Backen  ist  wie  leise  geschwollen,  so  dass  der  An- 
schein des  Verweinten  entsteht  und  zugleich  jene 
von  den  Nasenflügeln  ausgehenden  Senkungen  stär- 
keren Schatten  erbalten.  Das  Kinn,  mit  seiner  sehr 
deutlichen  Zweitheilung,  ist  mehr  breit  als  hoch 
und  springt  kräftig  vor.  Ein  edles  Weib  in  tiefe 
Seelentrauer  versenkt,  das  ist  der  Gesammteindruck 
der  sich  dem  Beschauer  aufdrängt. 

Dieser  Eindruck  wird  noch  wesentlich  gehoben 
durch  die  doppelte  Umrahmung  des  Kopfes,  welche 
das  Haar  und  der  sehleierartige  Mautel  bewirken. 
Das  dicke  krause  Haar  zieht  sich  vom  Scheitel  nach 
beiden  Seiten  in  ziemlich  starkem  Gewirre  hin.  Ueber 
der  Stirn  stehlen  sich  einzelne  Locken  aus  der  Masse 
hervor  und  fallen  gesondert  hin;  jederseits  schwingt 
sich  vor  den  Ohren  eiue  grössere  Locke  weit  auf 
die  Backe  vor  (die  bedeutend  flachere  am  rechten 
Olir  ist  auf  der  Abbildung  kaum  erkennbar);  hinter 
beiden  Ohren  fallen  in  freierem  Geriugel  die  Haare 


herab,  au  der  rechten  Seite  besser  erhalten  als  an 
der  linken.  Alles  kündigt  an,  dass  die  Trägerin 
nicht  in  der  Stimmung  ist  auf  Ordnung  und  Schmuck 
ihres  reichen  Haares  Sorgfalt  zu  verwenden,  sondern 
es  sich  selbst  überlassen  hat.  In  der  Sprache  der 
Bühnentechnik  würde  man  eine  Maske  dieser  Art 
wohl  als  •Aaräxofj.og  coxQci  bezeichnet  haben:  rj  de 
xaräxo^iog  luxQa  ^sXaiva  t^v  k6^i]v,  ßXiftfia  XvthjqÖv, 
To  öa  yiQiü^ia  Ix  xov  ovö^iaTos^'}-  Endlich  ist  auch 
die  Schwere  des  Gewandstoffes  wirksam.  Der  eine 
Wulst,  bei  dem  die  Dicke  des  Zeuges  es  zu  einzelnen 
Faltenmotiven  kaum  kommen  lässt,  mit  seiner  starken 
Unterhöhlung,  drückt  gewissermassen  auf  den  Kopf, 
ohne  docli  die  Freiheit  der  Stirn  zu  beeinträchtigen. 
Die  flüchtige,  nur  oberflächlich  den  Zug  des  Ge- 
wandes andeutende  Behandlung  des  Faltenwurfes 
au  beiden  Seiten  beweist  deutlich,  dass  die  Statue 
nur  auf  Vorderansicht  berechnet  war;  hier  sollte 
einst  wohl  nur  der  vordere  Rand  als  Rahmen  für 
die  Lockenfülle  wirken. 

So  wenig  Zweifel  über  den  Grundcharakter  des 
Kopfes  entstehen  können,  so  schwierig  ist  es  eine 
bestimmtere  Deutung  der  dargestellten  Persönlichkeit 
zu  geben.  Heutzutage  scheinen  die  Ansichten  dahin 
zu  neigen,  dass  eine  trauernde  Barbarin  dargestellt 
sei.  So  schrieb  schon  1853  Braun  au  Gerhard: 
„Der  sog.  Omphalekopf  scheint  mir  eine  Provinz 
darzustellen.  Wolff,  dem  ich  diese  Ansicht  mittheilte, 
ist  meiner  Meinung."  Wesentlich  in  Uebereinstim- 
mung  damit  sprach  Friederichs'*)  dem  Kopf  einen 
unhcUeuischen  Charakter  zu,  wie  er  für  eine  edle 
Barbarenfrau  nach  Art  der  „Thusnelda"'*)  passend 
seiu  würde;  die  Trauer  sei  bei  dieser  Annahme 
ebenso  erklärlich  wie  die  fremdartige  Kopfbedeckung. 

i<)  I^Uux  4,  140. 

'^)  Bausteiue  No.  810. 

«)  Mon.  Ined.  dcW  Inst.  III,  28,  A  und  S.  Diitschke  Uffi- 
zieu  No.  560.  Conze  (Zeitschr.  für  bild.  Kunst  VII,  330  Aura.  2) 
weist  auf  einen  Stich  Enea  Vicos  von  1541  hin.  Damals  be- 
fand sich  die  Statue  mit  ihren  vier  Genossinnen  in  aedibus 
Cardinalis  de  Valle,  d.  h.  dem  bald  darauf  sogenannten  Palazzo 
Cajjranica,  wo  1550  AKlrovandi  die  fünf  „Saime"  in  einer 
oberen  Loggia  sah  (staltie  S.  218).  Eine  Abbildung  dieses  Hofes 
mit  seinen  Statuen  gibt  ein  gleichzeitiger  Stich  von  Hieron.  Kook, 
den  mir  v.  Duhn  1878  in  der  Corsiniana  gezeigt  hat.  In  aedi- 
bvs  Capranicae  befand  sich  die  Statue  auch  noch,  als  die  Zeich- 
nung  für   C'avaliori   gemacht   ward    (anllq.   slat.    I  et   II   liier, 


A.  Michaelis,  Tragischer  Kopf. 


79 


Conze")  ist  zu  der  gleicben  Annahme  geneigt,  und 
vergleicht  ausser  der  Florentiner  Statue  aucli  den 
Petersburger  Kopf  einer  Germanin'*).     Zurückhal- 
tender äussert  sich  Kekule  '"),  indem  er  zu  Friederichs 
Vermuthung   die  Worte  hinzufügt:    „obgleich  auch 
hierzu  die  Aehnlichkeit  kaum  ausreicht".    Vielleicht 
wird   man  für  jene  Annahme  auch   die   oben  be- 
sprochene Beschaffenheit  der  Ober-  und  der  Hinter- 
fläche unseres  Kopfes  geltend  zu  machen  geneigt 
sein;  wie  bei  der  Florentiner  Statue  und  dem  Peters- 
burger Kopfe  die  Kückseite  kaum    ausgeführt   ist 
und  dadurch  eine  ehemalige  architektonische  Ver- 
wendung, etwa  an  einem  Triumplibogen,  nahegelegt 
wird,  so   würde  ja  auch  die  Vernachlässigung  der 
Eückseite  und  der  Seitenflächen  an  unserem  Kopfe 
eine  ähnliche  Vermuthung  l)egünstigen.  Allein  dieser 
Umstand  lässt  doch  nur   überhaupt  auf  eine  nicht 
allzu  niedrige  Aufstellung  vor  einer  Wand  oder  in 
einer  Nische  schliessen;  die  weitere  Analogie  würde 
erst   dann  zwingend   sein,    wenn    der   barbarische 
Charakter  unseres   Kopfes  feststünde.     Dies  muss 
ich   aber   bestreiten,   ebenso  wie  auch  Kekule  eher 
an  eine  mythische  Idealgestalt  als  an  eine  Barbarin 
denken  mochte.    Ich  gestehe,  ebenso  wenig  in  den 
Formen  des  Gesichtes  wie  in   dem  Ausdruck  der 
Züge  irgend  etwas  Ungriechisches  finden  zu  können. 
Man  vergleiche  nur  den  Petersburger  Kopf;  so  ge- 
ring auch  dessen  Ausführung  ist,  der  Charakter  der 
Barbarin  ist  dennoch  unverkennbar.  Stärker  idealisirt 
sind  die  Züge  der  sog.  Thusnelda,   aber  die  Herb- 
heit der  Formen,  in  denen  gleichsam  der  Amazonen- 
typus zum  Matronalen  hin  fortgebildet  erscheint,  und 
das  Düstere  des  Ausdrucks  sind  von  den,  bei  aller 

1585,  Taf.  20,  wiederum  mit  abgebrochenem  rechten  Unterarm, 
sonst  aber  voHstäudig) ,  aber  ein  Jahr  ehe  der  Band  -erschien, 
war  der  ganze  Inhalt  des  Palastes  vom  Card.  Ferd.  de'  Medici 
gekauft  worden  (Gotti  gatlerie  e  »meei  de  Firenze  S.  361  ft'., 
s.  besonders  S.  362:. 

■')  Verzeichniss  der  Gipsabgüsse  [in  Berlin]  No.  788  B.  Der 
Hinweis  auf  den  Petersburger  Kopf  ist  im  zweiten  Abdruck 
(1880)  gestrichen. 

")  Zeitschrift  für  bild.  Kunst  VII  zu  S.  332  mit  Conzes 
Text  ebenda  S.  331  f. 

")  Akad.  Kunstraus.  zu  Bonn  Xo.  402.     Der  folgende  Zu- 
satz:  ,, vielleicht  darf  man  auch  an   eine   eigenthümliche  Amazo- 
nenbildung denken"  bedürfte  einer  näheren  Ausführung,  um   — 
für  mich  wenigstens  —  irgend  Wahrscheinlichkeit  zu  haben. 
Archäolog.  Ztg.   Jahrg.ius  XXXVIII. 


Kräftigkeit  der  Anlage,  weichen  Formen  und  von 
dem  traurigen,  fast  sentimentalen  Sinnen  unseres 
Kopfes  so  verschieden,  wie  meines  Erachtens  es 
sich  eben  für  den  Gegensatz  einer  Barbarin  und 
einer  Griechin  schickt.  Gern  berufe  ich  mich  auch 
hier  auf  das  Zeugniss  Gerlands,  de,ssen  Blick  fUr 
ethnologische  EigenthUmlichkeiten  besonders  ge- 
schärft ist:  er  vermag  ebenfalls  keine  Spur  von 
irgend  welchem  Barbarentypus  in  den  Formen  und 
Zügen  zu  entdecken,  steht  vielmehr  nicht  an,  den 
Kopf  für  den  einer  Griechin  zu  erklären. 

Mit  grösserem  Scheine  lässt  sich  zu  Gunsten 
der  bestrittenen  Erklärung  die  Charakterisirung  des 
Haares  und  des  Gewandes  geltend  machen.     Die 
Dicke  des  Stoffes,  aus  welchem  letzteres  besteht,  ist 
allerdings    bei    griechischen  Frauenbildern,   sei  es 
idealen  oder  portraitmässigen,   nicht  üblich,  aber, 
so  viel  ich   sehe,    auch  bei  Barbarenfrauen   nicht 
nachweisbar.     Die  Germanin  der  Loggia  de'  Lanzi 
ist  so  wenig  verschleiert  wie  die  Petersburger  Ge- 
nossin oder  die  Provinzdarstellungen  auf  bekannten 
Neapler  und  römischen  Reliefs"),  und  das  ganze 
Gewand  der  „Thusnelda"  ist  aus  so  dünnem  Stoffe 
gemacht,  dass  die  Falten  sich  nicht  einmal  überall 
von  Kleinlichkeit  frei  halten.    Ich  glaube,  dass  die 
Wahl  des  schweren  Stoffes    bei    unserem  Marmor 
ausschliesslich  durch  eine    künstlerische  Eücksicht 
bestimmt  ward.     Vergleicht  man  die  Demeter  von 
Knidos,  oder  jene  unzähligen  benannten  oder  namen- 
losen verschleierten  Frauen  auf  attischen  Grabsteinen 
des  vierten  Jahrhunderts,   auch   diejenigen  mit  ge- 
senktem Haupte  und  entschiedenem  Ausdruck  der 
Trauer,  immer  verhüllt  der  Mantel  nur  das  Hinter- 
haupt, die  vordere  Hälfte  des  Kopfes  dagegen  tritt 
frei  und  unbedeckt  hervor,  unverkennbar  zum  Vor- 
theil  eines   klaren,   freien   und  ruhigen  Eindrucks. 
Auch    wo  der  Schleier   dazu  verwandt  wird  eine 
tiefere  Schattenmasse   um   das   Gesicht   zu  bilden, 
erstreckt  sich  dies  nur  auf  die  Partie  neben  den 
Wangen,  nicht  auf  die  Stirn  und  die  Haare  darüber. 
Das  ist  auch  ganz  natürlich  bei  dem  üblichen  feineren 
Stoff  des  Mantels;  wird  dieser  über  das  Haupt  ge- 
zogen, so  kann  er  sich  oben  nur  demselben  glatt 


20)  Denkm.  d.  alt.  Kunst  I,  68,   375  a  —  d. 


11 


80 


A.  Michaelis,  Tragischer  Kopf. 


anschmiegen;  eine  selbständige  Faltenbiklung  würde 
gegen  die  Natur  des  Gewebes  sein,  und  wo  sie 
etwa  versucht  wird,  kann  es  nicht  wohl  über  eine 
so  schwächliche  Welleubeweguugdes  vorderen  Randes 
hinausiiommen,  wie  wir  sie  z.  B.  an  der  matronalen 
„Herculanerin"  iu  Dresden")  bemerken.  Es  liegt 
nun  auf  der  Hand,  wie  sehr  nicht  bloss  die  malerische 
Wirkung  sondern  auch  der  Ausdruck  der  Stimmung 
in  unserem  Marmor  dadurch  gesteigert  wird,  dass 
fast  der  ganze  Kopf  verhüllt,  sein  Umriss  verdeckt 
wird  und  dass  das  Gewand  in  selbständiger  Geltung 
auftritt,  indem  es  mit  einem  grossen  starken  Bausch 
auf  dem  Kopfe  lastet.  Dies  konnte  eben  nur  durch 
die  festere,  gröbere  Art  des  Gewandstoffes  erreicht 
werden,  und  um  diesen  Effect  zu  erzielen  hat  meines 
Erachtens  der  Künstler  sich  die  Abweichung  von 
der  Tracht  des  wirklichen  Lebens  gestattet.  Auch 
dieser  Punkt  tritt  übrigens  erst  bei  der  richtigen, 
geneigten  Haltung  des  Kopfes  in  volles  Licht;  erst 
so  wird  es  klar,  dass  das  Gewand  den  ganzen  Kopf 
bis  oberhalb  der  Stirn  bedeckt  und  mit  seinem 
polsterartigen  Bausche  so  weit  überhängt,  dass  nur 
noch  grade  das  reiche  Haar  darunter  seine  Wirkung 
nicht  eiubüsst. 

Dies  Haar  in  seiner  üppigen  und  gelösten  Fülle 
würde  an  sich  für  eine  Barbarin  ganz  passend  sein, 
obschon  das  Haar  der  beiden  öfter  genannten  Ger- 
maninnen, vor  allem  das  des  Petersburger  Kopfes, 
wesentlich  verschieden  charakterisirt  ist,  viel  weniger 
kraus,  viel  steifer,  starrer  und  so  zu  sagen  massiger. 
Reiches  Haar  ist  ja  aber  durchaus  nicht  den  Barba- 
rinneu ausschliesslich  eigen;  man  denke  nur  an  die 
Lockenfülle  der  Kiobe,  namentlich  in  dem  weit  vor- 
züglicheren Exemplar  der  Sammlung  Yarborough^"), 
au  die  sogenannte  Klytia'^)  und  so  viele  andere  edle 

21)  Augusteura  Taf.  19  ff. 

")  Specimens  I,  37.  Deukm.  d.  alt.  Kunst  I,  34,  142  C. 
Auf  diesen  Kojjf  passen  Antiiiatros  Worte  fvOtov  f^  äS^ov 
XQttrds  ttifiioa  xo^rjp  {anthol,  Palat.  app.  Plan.  133,  2,  vgl. 
ebenda  134,  3),  welche  Jahn  (pop.  Aufs.  S.  102)  der  Florentiner 
Statue  gegenüber  nicht  zutreffend  fand. 

^ä)  Hübner  Bildn.  einer  Uomerin  Taf.  1.  —  Ich  bemerke 
ausdrücklich,  dass  die  nachfolgenden  Beispiele  nicht  den  Kupfer- 
werken,  welche  iiierin  vielfach  ungenau  oder  unzureichend  sind, 
cntnoinnien ,  sondern  an  den  Originalen  oder  Abgüssen  gesam- 
melt sind. 


Frauenkopfe.  Nicht  die  Fülle  sondern  die  mangelnde 
Pflege  des  Haares  ist  an  unserem  Kopfe  die  Haupt- 
sache, diese  aber  ergiebt  sich  aus  der  Situation. 
Man  glaubt  noch  zu  erkennen,  dass  das  Haar  nicht 
immer  so  verwahrlost  gewesen  ist,  innerhalb  der 
Unordnung  treten  deutlich  die  Spuren  einstiger 
Pflege  hervor;  das  Haar  ist  weich  und  biegsam  ge- 
blieben (ganz  anders  als  bei  jenen  Barbarinnen), 
nur  die  augenblickliche  Ordnung  fehlt  ihm.  Eben- 
so wenig  Beweiskraft  haben  einige  Einzelheiten 
der  Haarbildung.  Wenn  bei  der  „Thusnelda"  sich 
am  Scheitel  ein  paar  Löckchen  aus  der  Masse  lösen 
und  auf  die  Stirn  herabfallen,  ähnlich  wie  bei  un- 
serem Kopfe,  so  dient  dies  beidemal  dem  gleichen 
Zwecke,  die  Achtlosigkeit  der  trauernden  Frau  auf 
die  Ordnung  ihres  Haares  zu  bezeichnen.  Auch 
die  todte  Amazone  in  Neapel,  die  zu  den  perga- 
menischen  Weihgeschenken  gehört"^),  weist  das- 
selbe Detail  auf,  desgleichen  der  Stockholmer 
Endymiou'^);  abweichend,  aber  noch  reicher  ausge- 
bildet ist  das  wirre  Haar  der  sterbenden  Meduse 
Ludovisi*^).  Das  schliesst  nicht  aus,  dass  anders- 
wo die  gleiche  Besonderheit  als  ein  mehr  oder 
weniger  bewusstes  Mittel  der  Gefallsucht  auftritt, 
z.  B.  an  dem  schönen  Brouzekopf  der  Aphrodite 
aus  Kleinasien  im  britischen  Museum"),  au  der 
Petersburger  sog.  Venus  de  F Ermitage^"),  an  einem 
Bronzeköpfchen  aus  Pompeji^")  u.  s.  w.  Ebenso 
wird  bekanntlich  das  Motiv  des  von  der  einen 
Schulter  herabgleitendeu  Chiton  bald  zum  Ausdruck 
der  Coquetterie,  bald  (wie  bei  den  Penelopebilderu) 
zur  Charakterisirung  selbstvergessener  Trauer  ver- 
wandt. In  anderen  Beispielen  von  in  die  Stirn 
hängenden  Locken  ist  es  zweifelhaft,  ob  nicht  viel- 
mehr eine  künstlerische  Mauier  als  eine  bestimmte 
Absicht  vorliegt,  z.  B.  bei  dem  ApoUon  Giustiniani 


2*)  .Von.  IneJ.  deW  Inst.  IX,  20,  5. 

")  Guattani  Man.  Ined.  1784  Genn.  Taf.  2.  Clarac  IV, 
586,  1250.  Die  Abbildung  lässt  die  Eigenthümlichkeit  nicht 
erkennen. 

26)  Mon.  Ined.  delV  Inst.  IX,  35.     Annali  1871  Taf.  S.  T. 

2')  Arch.  Zeitg.    1878   Taf.  20. 

2')  Wenigstens  wenn  der  Abguss  No.  1073  im  Berliner  Neuen. 
Museum  von  dieser  Statue  genommen  ist. 

2'')  Antkh.  di  Ercol.  V  Taf.  3. 


A.  Michaelis,  Tragischer  Kopf. 


81 


und  seinen  Genossen "),  dem  Brouzekopf  der  Juno 
aus  Vienne  im  Museum  zu  Lyon"),  einer  bronzeneu 
Artemis  (Oberkörper)  aus  Pompeji '')  u.  s.  w. 

Weit  auffälliger  sind  au  unserem  Kopfe  die 
grossen  Locken,  welche  vor  jedem  Ohre  weit  auf 
die  Backe  vorspringen.  Aber  auch  hierin  würde 
es  ganz  verkehrt  sein  etwas  charakteristisch  Bar- 
barisches suchen  zu  wollen.  Um  aus  einer  grösse- 
ren Zahl  nur  wenige  deutliche  Beispiele  heraus- 
zugreifen, welche  keinen  Zweifel  lassen  dass  der 
Künstler  diesen  Zug  hervorheben  wollte,  nenne  ich 
wiederum  die  Köpfe  von  der  Familie  des  giustinia- 
nischen  Apollon  ");  namentlich  an  dem  römischen, 
von  Juljus  besprochenen  tritt  die  Absichtlichkeit 
stark  hervor.  Auch  der  Baseler  Apollonkopf  ^*) 
hat  an  dieser  Stelle  ein  kleines  Löckchen,  das  am 
belvederischen  Kopfe  etwas  anspruchsvoller  gedreht 
ist.  Deutlicher  ist  die  Locke  an  der  herrlichen 
Bronzestatuette  des  bogenspannenden  Apollon  aus 
Paramythia  im  britischen  Museum  ^*),  sowie  an  dem 
bronzenen  Sauroktonos  in  Villa  Albani  (namentlich 
am  rechten  Ohr).  Dass  grade  der  deus  intonsus 
besonders  viele  Beispiele  liefert,  ist  natürlich.  Ihm 
schliesst  sich  Dionysos  an,  z.  B.  in  der  Gruppe  mit 
Ambrosia  im  britischen  Museum ").  Unter  den 
Göttinneu  bietet  auch  für  diese  Eigenthümlichkeit 
Aphrodite  am  meisten  Analogien,  vor  allem  wieder- 
um in  dem  Bronzekopf  des  britischen  Museums,  iu 
weit  geringerem  Grade  in  dem  vaticanischen  Kopfe, 
welcher  aus  den  Diocletiausthermen  stammt  ").    Auf 

3°)  Cabinet  Pourtales  Taf.  U.  Denkm.  d.  alt.  K.  II,  11, 
123.  —  J/on.  Ined.  delV  Inst.  X,  19.  —  Müller-Schöll  Mit- 
theilungen aus  Griechenland  Taf.  4,  (i. 

=')  Gazette  arclUol.  II  Taf.  1. 

3-)  Mus.  Borbon.  VIII  Taf.  60. 

^^)  Anm.  30.  Hierfür  lässt  sich  auch  die  giustinianische 
Apollonstatue  (<,aW.  Giustin.  I,  56.  Clarac  III,  486,  942)  ver- 
gleichen. 

31)  Man.  Ined.  deli  Inst.  VIII,  39.  40. 

^^)   Specimens  I,  43.     Clarac  III,  485,  936. 

3«)  Anc.  Marbles  III,  11.  Clarac  IV,  691,  1629.  Denkm. 
d.  alt.  K.  II,  32,  371.  Etwas  anderer  Art  sind  die  auf  die 
Backen  vorspringenden  Locken  krausen  Haares  beim  sog.  ster- 
benden Alexander  in  Florenz ,  dem  ähnlichen  capitolinischen 
Kopf,  dem  Müncheuer  Terracottenköpfchen  bei  Lützow  Mün- 
chener Ant.  Taf.  1,  ferner  dem  vaticanischen  Triton  (Mus.  Pia 
Clem.  I  Taf.  34). 

3')  Guattani  Mon.  Ined.  ISOö  Taf.  19.  Mus.  Chiaram.  I 
Taf.  27. 


den  grossen  Eeliefs  des  pergamenischen  Altars 
trägt  die  mit  Schleier  und  Wollbinden  geschmückte 
Göttin,  welche  das  schlangenumwundene  Gefäss  als 
Waffe  schwingt,  vor  dem  rechten  Ohr  eine  ziemlich 
grosse,  eigenthUmlich  geringelte  Locke.  —  Diese 
Beispiele,  welche  bei  längerer  Aufmerksamkeit  und 
reicherem  Untersuchungsmaterial  ohne  Zweifel  nicht 
bloss  vermehrt  sondern  auch  mehrfach  durch  noch 
zutreffendere  Beispiele  würden  ersetzt  werden  kön- 
nen, genügen  jedenfalls  für  den  Nachweis,  dass 
diese  Art  von  Locken  bei  griechischen  Idealfiguren, 
weiblichen  wie  männlichen,  nicht  selten  ist;  ob  sie 
sich  jemals  bei  Barbarinnen  findet,  weiss  ich  nicht. 
Wenn  es  mir  gelungen  sein  sollte  die  Deutung 
unseres  Kopfes  auf  eine  Barbarin  oder  Repräsen- 
tantin eines  barbarischen  Landes  als  unbegründet 
zu  erweisen,  so  kommen  wir  wieder  auf  Jahns 
capiil  tragicam  spirans  gravitatem  zurück.  Zweifel- 
haft kann  dabei  sein,  ob  wir  den  Kopf  direet  der 
Tragödie  oder  dem  Idealgebiet  überhaupt,  oder  aber 
dem  wirklichen  Leben  zuweisen  sollen.  Dass  nicht 
füglich  eine  tragische  Heldin  oder  eine  mythische 
Heroine  ganz  im  Allgemeinen  gemeint  sein  könne, 
steht  wohl  fest;  für  eine  specielle  Deutung,  z.  B,  auf 
Antigone  oder  Elektra,  fehlt  es  bei  der  grossen  An- 
zahl von  „Iv  av^iq>OQÜ~  befindlichen  Heldinnen  und 
bei  dem  gänzlichen  Mangel  bestimmter  Kennzeichen 
jetzt  an  jedem  Anhalt,  den  einst  die  vollständige 
Statue  durch  ihre  Tracht  oder  durch  ein  Attribut 
dargeboten  haben  kann.  Ich  bin  jedoch  eher  ge- 
neigt die  Erklärung  auf  einem  etwas  andern  Ge- 
biete zu  suchen,  in  Anknüpfung  an  die  attischen 
Grabreliefs  mit  trauernden  Frauen,  welche  in  be- 
sonderer Fülle  und  Schönheit  aus  dem  vierten  Jahr- 
hundert erhalten  sind.  Als  Muster  der  Gattung 
mag  der  herrliche  Kopf  dienen,  welcher  jedem  Be- 
sucher von  LansdownehoHse  als  der  hervorragendste 
Schmuck  der  Eingangshalle  bekannt  ist").     Er  ist 

38)  Michaelis  arch.  Anz.  1862  S.  339*.  Ancient  Marbles 
in  Great  Britain,  London,  Lansdowneh.  1.  Das  Fragment  be- 
steht aus  pentelischem  Marmor.  Hijhe  0,(^7,  wovon  0,30  auf 
das  Gebälk,  0,37  auf  den  Rest  der  Bildfiäche  kommen.  Grösste 
Breite  0,455,  hinten  0,49.  Die  Dicke  beträgt  am  Gebälk  0,165, 
am  Tympanon  und  Epistyl  0,135  ;  die  Reliefplatte  ist  nur  0,04 
dick.     Das  o  statt  ov  in  der  Inschrift,  welche  mit  grosser  Sorg- 

11* 


82 


A.  Michaelis,  Tragischer  Kopf. 


in  (leider  etwas  stumpfen)  Abgüssen  verbreitet  und 
nach  einem  soleben  auf  Tafel  9  abgebildet.  Da 
aber  der  Abguss  nur  den  Kopf  enthält,  so  werden 
die   nachstehenden  Holzschnitte  geeignet  sein   das 


ganze  Fragment  anschaulich  zu  machen  und  zu- 
gleich die  ausserordentliche  Reliefhöhe  zu  zeigen: 
bei  einer  Gesiclitslänge  von  0,18  M.  ragt  der  Kopf 
bis  zu  0,155  M.  aus  dem  Eeliefgrunde  hervor.  Die 
Erhaltung  des  Gesichtes  ist  bis  auf  die  bestossene 
Nasenspitze  vollkommen,  selbst  die  Augenlieder 
haben  ihre  volle  Schärfe  bewahrt.  Das  sehr  weich 
behandelte  wellige  Haar  ist  mit  einem  dreifachen 
Bande  umwunden.  Vom  Hinterhaupte  fällt  schleier- 
artig der  feine  Mantel  herab;  oben,  wo  er  einst 
nicht  sichtbar  war,  ist  er  nur  ganz  oberflächlich 
bearbeitet.  Ein  Loch  im  linken  Ohrlappen  weist 
auf  den  Schmuck  eines  metallenen  Ohrgehänges  hin. 
Die  Stele  (vermuthlich  gehört  der  Kopf  einer 
sitzenden  Figur  an)  muss  einst  nicht  bloss  zu  den 
grössten  sondern  auch  zu  den  schönsten  ihrer  Art 
gehört  haben.  Die  Behandlung  ist  die  denkbar 
einfachste.  Stirn,  Backen,  Kinn  zeigen  jene  ruhig 
grosse  Formgebung,  welche  auf  individualisirendes 
Detail  ganz  verzichtet  und  doch  nirgendwo  den 
Hauch  warmen  Lebens  vermissen  lässt.  Der  Brauen- 

fiilt  eingegraben  ist,  weist  auf  das  erste  Viertel  des  vierten  Jahr- 
hunderts. Auf  fj  Jf/'v«  --]oiJÜ'ov;  ,'tvyit[irjo  folgte  vielleicht 
noch  die  Angabe  des  Gatten,  da  die  Verschleierung  eine  ver- 
heiratete Frau  zu  bezeichnen  scheint. 


rand  ist  mit  ziemlicher  Bestimmtheit  gezeichnet. 
Das  obere  Augenlied  ist  gegen  den  inneren  Winkel 
emporgezogen;  der  Blick  erhält  dadurch  etwas 
Freies  und  zugleich  einen  leisen  Ausdruck  weh- 
miithiger  Resignation ,  welcher  überhaupt  im  Mar- 
mor selbst  vernehmlicher  als  in  der  Abbildung 
hervortritt.  Ein  nicht  vollkommener  Parallelismus 
zwischen  Augen  und  Mund,  wie  er  oft  an  attischen 
Köpfen  beobachtet  ist,  namentlich  bei  etwas  ge- 
neigter Kopfhaltung,  ist  auch  unserem  Kopfe  eigen; 
der  rechte  Mundwinkel  hängt  ein  wenig  und  ver- 
stärkt dadurch  den  Ausdruck  gelinder  Trauer.  Fast 
alle  diese  Züge  kehren,  bald  deutlicher  bald  ver- 
wischter, in  den  besten  Exemplaren  der  Grabreliefs 
ähnlicher  Art  und  Zeit  wieder. 

Ein  Vergleich  zwischen  diesem  Kopfe  und  dem 
des  Hon.  Ashley  Ponsonby  ergibt  für  beide  die 
gleiche  Grundlage  einer  schmerzlichen  Stimmung. 
Nur  erscheint  diese  in  dem  attischen  Relief  kopfe  mehr 
zurückgehalten,  auf  jenes  bescheidene  Mass  äusser- 
lichen  Hervortretens  beschränkt,  welches  die  ganze 
Zeit  des  hohen  Stils  innegehalten  hat.  Kekule  ") 
hat  mit  vollem  Recht  darauf  hingewiesen,  wie  auf 
den  Orpheusreliefs  die  Köpfe  allein  fast  ausdrucks- 
los sind,  das  Gesammtmotiv  der  Figuren  aber  deut- 
lich genug  zum  Ausdruck  gekommen  ist,  um  auch 
die  Gesichter  mit  in  den  Bereich  seiner  Wirkung 
hineinzuziehen.  Noch  au  dem  Niobekopf  kann  man 
beobachten,  wie  nur  auf  wenige  Stellen  der  Aus- 
druck des  Schmerzes  sich  beschränkt,  während  alle 
andern  Theile  des  Gesiclites  davon  unberührt  er- 
scheinen, so  dass,  wenn  man  jene  Stellen  verdeckt, 
von  dem  besonderen  Ausdrucke  nichts  erkennbar 
wird.  Dies  Masshalteu  beruht  auf  einer  richtigen 
Beobachtung  der  Wirklichkeit.  Der  Physiologe  Du- 
chenne hat  festgestellt,  dass  eine  isolirte  Reizung 
gewisser  einzelner  Muskeln,  an  Augen,  Nase,  Mund, 
vollkommen  genügt  den  Ausdruck  bestimmter  Em- 
pfindungen hervorzurufen,  obschon  das  ganze  übrige 
Gesicht  unverändert  bleibt.  Anders  ist  das  bei  dem 
Kopfe  im  South- Kensington- Bluseum.  Wie  die 
ganze  Oberfläche  bewegter  erscheint,  so  vertheilt 
sich  auch  der  Ausdruck  des  Schmerzes  mehr  über 

■")   Uas  akad.   Kunstnius.  zu  Donu  S.  38  ff. 


A.  Michaelis,  Tragischer  Kopf. 


83 


das  ganze  Gesicht;  er  wird  stärker  zugleich  imd 
individueller,  gleichwie  die  Formeu  des  Gesichtes 
selbst  individueller  sind.  Dem  entspricht  es  denn 
auch  dass  das  Haar,  welches  bei  der  Frau  des  at- 
tischen Grabsteines  wohlgeordnet  ist,  mit  heran- 
gezogen wird  zur  Charakteristik  des  aller  Aeusser- 
lichkeit  nicht  achtenden  Schmerzes,  und  dass  selbst 
der  Mantel  in  Stoff  und  Lage  der  gleichen  Absicht 
des  Künstlers  dienen  muss.  Es  liegen  eben  zwei 
verschiedene  Richtungen,  zwei  verschiedene  Epochen 
künstlerischer  Empfindung  und  künstlerischer  Aus- 
drucksweise vor.  Das  schliesst  aber  nicht  aus  dass 
die  Bestimmung  der  Statue,  welcher  der  schöne  Kopf 
angehörte,  derjenigen  des  attischen  Grabreliefs  ähn- 
lich war.  Eine  trauernde  Frau,  sei  es  als  Einzel- 
statue sei  es  in  einer  Gruppe,  an  oder  auf  einem 
Grabe  aufzustellen  konnte  einer  prunkvolleren  Zeit, 
welche  in  der  Errichtung  von  Ehrenstatuen  schwelgte, 
nicht  fern  liegen,  wo  ein  älterer  einfacherer  Sinn 
sich  mit  dem  Relief  begnügt  hatte.  Ein  eigent- 
liches Portrait  wird  man  deslialb  hier  so  wenig 
erwarten,  wie  dies  auf  den  Grabreliefs  der  späteren 
Zeit  üblich  ist;  das  stärker  individuelle  Gepräge, 
welches  der  ganzen  Kunst  seit  Lysippos  eigeu  ist, 
genügt  auch  hier  vollkommen  zur  Erklärung.  Eine 
eingehendere  Untersuchung  verlaugt  dagegen  die 
Frage,  ob  und  wie  weit  wir  berechtigt  sind  der- 
gleichen statuarischen  Gräbersclimuck  anzunehmen. 
Angeregt  ist  diese  Frage  ja  bereits  —  ich  erinnere 
an  Conzes  Ansicht  über  Sinn  und  Bestimmung  der 
ludovisischen  Gruppe  des  Menelaos  "),  oder  an  die 
sog.  Penelopestatuen  — :  sie  iu  grösserem  Zusam- 
menhange und  mit  reicherem  Material  vorzunehmen 
fehlt  es  mir  augenblicklich  an  Zeit,  daher  icii  mich 
hier  mit  der  Andeutung  begnügen  muss,  dass  ich 
geneigt  bin  die  Frage  zu  bejahen. 

Ueber  die  Zeit,  in  welcher  unser  Kopf  entstan- 
den sei,  äussert  sich  Braun  in  dem  oben  angeführten 
Briefe  an  Gerhard:  „Der  Styl  ist  breit,  aber  deco- 
ratiousmässig  und  weist  auf  die  erste  Kaiserzeit 
hin."  Den  Ausdruck  „decoratiousmässig"  kann 
ich  nicht  für   zutreffend  halten.     Vielleicht  ist  das 

*")  Sitzungsber.  der  Wiener  Akad.  LXXI  S.  320.  LXXX 
S.  Gl"  f.,  vgl.   Arch.  Zeitg.   1S7G   S.  148   Anm.  7. 


Urtheil  durch  den  entstellenden  Ueberzug  des  Ori- 
ginals mitbestimmt;  an  den  Abgüssen  tritt  eine  so 
weiche  und  lebensvolle  Behandlung  der  Oberfläche 
und  eine  solche  Uebereinstimmuug  von  Ausdruck 
und  Form  hervor,  dass  mir  jenes  Urtheil  dem  Stil 
nicht  gerecht  zu  werden  scheint.  Aufgefallen  ist 
mir,  wie  in  den  beiden  tiefen  Rillen  unterhalb  des 
Mantels  und  zwischen  diesem  und  den  Haaren  die 
Spuren  des  Bohrers  stehen  gelassen  sind,  doch  war 
diese  kleine  Nachlässigkeit  bei  einigermassen  hoher 
Aufstellung  einst  kaum  bemerklich.  Aber  selbst 
wenn  Braun  mit  seiner  Zeitbestimmung  Recht  haben 
sollte,  worüber  ich  mir  ein  sicheres  Urtheil  bei  dem 
gegenwärtigen  Zustande  und  der  ungünstigen  Auf- 
stellung des  Originals  nicht  erlaube,  so  würde  dies 
doch  nur  das  vorliegende  Exemplar  angehen.  Der 
Kopf  ist  sicherlich  keine  römische  Erfindung,  son- 
dern stammt  aus  einer  besseren,  griechischen  Zeit. 
Mir  ist  es  niclit  undenkbar  (und  insofern  kann  ich 
mich  denen  nähern,  welche  an  eine  Barbarin  den- 
ken) dass.  wir  in  unserem  Fragment  den  Rest  einer 
Statue  aus  hellenistischer,  vielleicht  frühhellenisti- 
scher Zeit  besitzen,  deren  Motiv  später  den  Künstlern 
gefangener  Barbarinnen  für  römische  Triumphal- 
monumente zum  Muster  gedient  hat. 

Strassburg.  Ad.  Michaelis. 


Anhangsweise  mögen  hier  noch  ein  paar  Stellen 
aus  Briefen  Emil  Brauns  an  Gerhard,  im  Herbst 
1849  in  London  geschrieben,  Platz  finden.  Sie  be- 
ziehen sich  auf  das  in  weiten  Kreisen  populär  ge- 
wordene und  in  Abgüssen  verbreitete  sogenannte 

Marmorfigürchen  aus  Smyrna, 
mit  welchem  Gerhard  den  siebenten  Jahrgang  seiner 
Archäologischen  Zeitung  eröffnete.  Die  überraschende 
Mittheilung,  dass  dieses  von  Gerhard  einst  in 
Millingeus  Händen  gesehene  und  hochgeschätzte, 
sodann  in  Lord  Vernons  Besitz  gelaugte  Werk 
modernen  Ursprunges  sei,  hat  offenbar  bei  Gerhard 
nicht  sogleich  Glauben  gefunden;  als  er  sich  davon 
hatte  überzeugen  müssen,  verbannte  er  den  Abguss 
aus  seinem  Zimmer,  um  nicht  stets  an  die  ärger- 
liche Täuschung  gemahnt  zu  werden.  Es  wird  kaum 
der  Erinnerung  bedürfen,  dass  Braun  damals  bereits 


84 


A.  Michaelis,  Tragischer  Kopf. 


sehr  stark  von  eleu  bei  ihm  immer  wachsenden 
Interessen  für  technische  Fragen  und  für  Repro- 
ductionsverfaliren  erfüllt  war. 

„10.  Sept. ...  Was  das  Millingensche  Biscuitfig-ür- 
chen  betrifft,  so  hörte  ich  lauge  bevor  Ihre  Publi- 
cation  ankam  davon  reden.  Burgon  hat  zuerst  den 
Betrug  entdeckt.  Es  scheint  noch  vor  Millingens 
Tode  verschwunden  zu  sein,  ist  aber  von  allen 
hiesigen  Museumsbeamten  gesehen  und  einstimmig 
verdammt  worden'-. 

„28.  Sept.  Ich  habe  Ihre  lieben  Zeilen  vom 
19.  nicht  eher  beantworten  wollen,  bis  ich  das 
Vernonsche  Figürchen  zu  untersuchen  Gelegenheit 
gehabt  hätte.  Das  ist  erst  gestern  möglich  gewesen. 
Es  bedurfte  nicht  erst  der  Untersuchung  des  Materials, 
um  sich  von  dessen  Unechtheit  zu  überzeugen.  Ganz 
augenscheinlich  ist  es  auf  Betrug  gemacht  oder 
wenigstens  dazu  hergerichtet  worden.  Die  Draperie 
der  Brust  erinnert  auflallend  au  den  Bröndstedschen 
Torso*'),  während  der  Faltenwurf  des  unteren  Theils 
durchaus  nicht  mit  den  dort  entwickelten  Motiven 
stimmt.  Von  dem  modernen  Ausdruck  des  Gesichts 
nicht  zu  reden,  so  ist  der  Vortrag  der  Haare  der- 
massen  trivial  und  trotz  des  geistlosen  Fleisses 
leblos,  dass  dies  allein  jeden  kundigen  Archäolog'en 
vorsichtig  gemacht  haben  würde. 

„Was  nun  das  Blaterial  betrifft,  so  ist  es  das 
modernste  Biscuit.  König  hat  Säuren  darauf  reagiren 
lassen,  aber  ohne  den  mindesten  Erfolg.  So  weit 
würde  ich  nie  gegangen  seiu.  Die  Risse,  welche 
beim  Trocknen  auf  der  Oberfläche  entstanden  sind, 
reichen  allein  hin  jeden  Zweifel  zu  zerstören.  Auch 
ist  es  innen  hohl,  was  bei  einer  Marmorstatuette 
von  so  kleinem  Umfang  durchaus  befremdend  sein 
würde. 

*')  Aus  Keos:  Bründsted  Reisen  und  Untei's.  1  Taf.  9.  Die 
Aehnlichkeit  ist  nichts  weniger  als  sclilagend. 


„Die  Frage,  welche  für  mich  allein  Interesse 
haben  würde,  ist  die:  ob  es  französischen  oder 
deutschen  Ursprungs  ist?  Es  scheint  mir  nicht  denk- 
bar, dass  es  ein  englisches  Fabricat  sei,  da  Flaxman 
die  Sculptur  nicht  so  weit  gefördert  hat  .... 

„Millingen  ist  eben  stumpfsinnig  geworden,  wie 
Payne  Knight  u.  a.  Ein  solches  Cento  würde  ihn 
haben  lachen  machen,  hätte  er  es  in  anderen  Händen 
getrofl"eu.  Das  kommt  auf  seine  Rechnung  und  ist 
eiu  gutes  Gegenstück  zu  Capranesis  Zahnbürste  mit 
englischem  Fabriknamen,  die  er  mir  trotz  meiner 
kritischen  Einwendungen  als  antik  verkauft  hat, 
und  zu  Fogelbergs  moderner  Glaspaste  mit  Künstler- 
namen, die  ich  ihm  mit  60 — 80  Scudi  bezahlt  habe. 

„Ihnen,  mein  hochverehrter  Freund,  ist  aber  noch 
etwas  Schlimmeres  passirt.  Der  Cammeo  mit  der 
Minervengeburt,  welchen  Sie  letzthin  publicirt  ha- 
ben"), ist  modern.  Ich  habe  ihn  oft  galvanoplasticirt 
und  die  Paste  von  Odelli  mit  Angabe  des  modernen 
Künstlers,  der  auch  ein  Gegenstück  dazu  gemacht 
hat,  erhalten.  Bucci")  hatte  eine  Glaspaste  davon, 
die  er  mir  bei  Einschiffung  der  Leiche  von  Prinz 
Heinrich  für  alt  verkaufen  wollte  und  die  bei  Cer- 
veteri  gefunden  sein  sollte.  Bei  dieser  Gelegenheit 
erhielt  ich  von  Odelli  die  Gypspaste  mit  Perlenrand. 
Dies  bedarf  keiner  weiteren  Erörterungen  und  Sie 
dürfen  die  Sache  als  ausgemacht  ansehen." 

„29.  Sept.  Das  Vernon -Figürchen  ist  nach 
Newtons  Vorschlag  zu  einem  Schiffsbild  als  unge- 
flügelte Kike")  hergerichtet  worden", 

*-)  Archüol.  Zeitung  1849  Taf.  6,  1. 

^^)  Antikenhändler  in  Civitä  Vecchia. 

**)  Die  richtige  Deutung  —  ob  etwa  auch  das  Vorbild  des 
Fälschers?  —  erglebt,  wie  längst  bemerkt  worden  ist,  die  Mänade 
Thalia  auf  der  Vase  bei  Tischbein  II,  44.  Denkm.  d.  alt.  K. 
II,  41,  487.  Dadurch  findet  auch  die  Thiertatze  auf  der  Rück- 
seite des  Figürchens  ihre  Erklärung,  auf  welche  ohne  jenes  oder 
ein  ähnliches  Vorbild  der  Verfertiger  nicht  leicht  gerathen  sein 
würde. 


85 


ZUM  NIKE-PYRGOS. 

Uebev  das  Alter  der  kleiuen  zwischen  Propylaeen-Südballe  und  Niketempel 

liegenden  Treppe. 

(Tafel  10.) 


■  Es  lag  in  meiner  Absieht  die  Resultate  der  Unter- 
suchungen, die  ich  über  die  Propylaeen  und  ihre 
Umgebung  angestellt  habe,  im  Zusammenhange  zu 
veröifentlichen.  Wenn  ich  in  Naclistehendem  theil- 
weis  davon  abweiche,  so  bin  ich  hierzu  zunächst 
veranlasst  durch  die  jüngst  in  der  Zeitschrift  für 
Bauwesen  Jahrgang  XXX  Heft  1 — 3  erschienene 
Abhandlung  von  Professor  Karl  Bötticher  „Tekto- 
nische  Untersuchungen  auf  der  Akropolis  im  Früh- 
jahr 1878,  betreffend  die  Thymele  des  Niketempels 
und  die  Südhalle  der  Propylaeen.  I".  Wir  begegnen 
in  dem  ersten  Abschnitt,  der  sich  mit  jener  be- 
kannten zum  Niketempel  gehörigen  Treppe  beschäf- 
tigt, einer  Reihe  von  Resultaten,  die  uns  allerdings 
nicht  neu  sind,  da  sie  schon  früher  vom  Verfasser 
im  Philologus  XXI  Band  1  ausgesprochen  sind. 
Sie  treten  aber  dieses  Mal  in  präciserer  Form  als 
Früchte  einer  „wiederholten  technisch  durchgreifen- 
den Prüfung  an  Ort  und  Stelle"  auf,  unterstützt  von 
einer  Reihe  von  Zeichnungen,  die  leider  im  Detail 
zuweilen  gerade  jene  minutiöse  Genauigkeit  ent- 
behren, die  der  Verfasser  mit  vollem  Recht  als  un- 
erlässliehe  Nothwendigkeit  für  eine  solche  Unter- 
suchung hinstellt. 

Die  Resultate  aber,  zu  denen  ich  über  jenen 
Punkt  gelangt  bin,  sind  wesentlich  verschieden  von 
den  dort  ausgesprochenen.  Wenn  ich  mir  gestatte 
in  Nachfolgendem  dieselben  darzulegen,  so  giebt 
mir  einerseits  eine  längere  untersuchende  Beschäf- 
tigung an  Ort  und  Stelle  den  Muth,  mich  zu  denen 
zu  rechnen,  welche  ein  Urtheil  über  diese  Fragen 
sich  zu  bilden  berechtigt  sind,  andererseits  aber 
halte  ich  es  auch  für  eine  Pflicht,  rechtzeitig  der 
Gefahr  vorzubeugen,  dass  bei  der  hohen  Autorität, 
welche  der  Verfasser  auf  dem  Gebiete  der  tech- 
nischen Forschung  mit  Recht  beansprucht,  seine 
dort  niedergelegten  Meinungen  weitere  Verbreitung 


finden  und  damit,  statt  zu  klären,  eine  gewisse  Ver- 
wirrung in  mancherlei  schwebende  Fragen  bringen. 

Es  möge  mir  gestattet  sein,  bei  meinen  Mitthei- 
lungen im  Grossen  und  Ganzen  dem  Gange  zu 
folgen,  welchen  Bötticher  eingeschlagen,  da  ich 
glaube,  dass  dies  die  vergleichende  Abwägung 
und  die  Schätzung  der  gegenseitigen  Behauptungen 
erleichtern  dürfte.  Ich  werde  mich  natürlich  nur 
auf  die  in  Betracht  kommenden  technischen  Fra- 
gen beschränken.  Zur  Erklärung  des  Folgenden 
weise  ich  auf  die  Grundriss-Skizze  der  Treppe  und 
ihrer  Umgebung  hin,  sowie  auf  die  perspectivische 
Ansicht  derselben  von  Nord  her  (Taf.  10),  da  ich 
glaube,  dass  besonders  die  letztere  am  besten  zu 
einem  leichteren  Verständuiss  beitragen  wird.  Zum 
Gruudriss  bemerke  ich,  dass  der  Marmor  weiss  ge- 
blieben ist;  die  Porosquadern,  soweit  sie  in  regel- 
mässigem Verbände  liegen,  sind  durch  helle;  un- 
regelmässige Fundameute  und  Füllmaterial  durch 
dunkle  Schraffur  bezeichnet.  In  der  Buchstaben- 
bezeichnung folge  ich  so  weit  als  möglich  der  von 
Bötticher  angewendeten. 

Der  Verfasser  entwickelt  in  der  Einleitung ')  die 
Gesichtspunkte,  nach  denen  die  Untersuchung  ge- 
macht werden  müsste.  Er  betont  mit  Recht  den 
Zusammenhang  in  der  Gestaltung  zwischen  dem 
Niketempel  und  dem  Südflügel.  Es  hat  diesen  bis- 
her Niemand  geleugnet  und  es  wird  ihn  auch  Nie- 
mand leugnen  wollen ;  denn  nur  aus  diesem  gegen- 

')  Der  von  Bötticher  erwiihnten  Litteratur  über  diese  Frage 
füge  ich  noch  Jie  Abhandlung  von  L.  Julius  „über  den  Sud- 
flügel der  Propylaeen"  in  den  Mittheilungen  des  deutschen  ar- 
chäologischen Instituts  zu  Athen  IS 76  Heft  III  hinzu.  Wenn 
auch  diese  Schrift  nicht  „mit  völliger  Sicherheit"  die  Frage 
nach  dem  Abschluss  des  SüdÜügels  erledigt,  so  ist  dennoch  durch 
die  Beibringung  einer  Reihe  von  Momenten  ein  bedeutender 
Schritt  vorwärts  gethan  worden ;  um  so  mehr  muss  es  befremden, 
dass  dieser  bisher  wohl  wichtigste  Beitrag  zur  Klärung  der  Sach- 
lage von  Bötticher  gänzlich  mit  Stillschweigen  übergangen  wird. 


86 


R.  Bohn,  Nike-Pyrgos. 


seitigen  Sichbediugeu,  wie  es  der  Thatbestand  jetzt 
zeigt,  lassen  sich  die  weiteren  Fragen,  die  Bau- 
zeit des  Tempels  und  das  Bauprogramm,  bestimmen. 
Ueberrascbend  ist  nur  der  Sclduss,  den  der  Ver- 
fasser daraus  zieht:  Durch  die  Südhalle  allein 
kann  der  festliche  Zugang  zum  Altar  vor  dem 
Tempel  gewesen  sein;  folglich  ist  jede  Möglich- 
keit, den  Platz  von  einer  andern  Seite  her  zu  be- 
treten, ausgeschlossen;  folglich  muss  jene  kleine 
zwischen  dem  Siidtiiigel  und  dem  Xikepyrgos  lie- 
gende Treppe  modern  sein  d.  h.  aus  fränkischer 
oder  türkischer  Zeit. 

Diese  Behauptung  sucht  der  Verfasser  durch  eine 
Reihe  von  Beweisen  zu  stützen.  Sie  sind  zwiefacher 
Natur:  zunächst  Mittheiluug  von  Thatsacheu  und 
diese  könnten  zwingend  sein;  jedoch  habe  ich  mich 
von  dem  Vorhandensein  der  angeführten  technischen 
Merkmale  trotz  eingehendster  Prüfung  au  vielen 
Stellen  nicht  überzeugen  können,  zuweilen  habe  ich 
sogar  gerade  das  Gegentheil  gefunden.  Andere  Be- 
weise beruhen  so  zu  sagen  auf  Schlussfolgerungen 
aus  schwankenden  Prämissen,  und  diese  sind  natür- 
lich discutirbar  und  anderer  Auslegung  fähig. 

Ehe  wir  zu  einer  speciellen  Würdigung  der  ein- 
zelnen Punkte  übergehen,  möge  der  vorhandene 
Thatbestand  kurz  hervorgehoben  werden.  Das  nach 
Norden  schauende  Krepidoma  der  Propylaeen-Süd- 
halle  ist  durch  gleichmässige  Marmorplinthen  ge- 
bildet; der  untere  Theil,  soweit  er  durch  den  alten 
Aufgang  gedeckt  war,  durch  Porosquadern  (P  P). 
Es  endigt  westlich  in  einem  vorspringenden  Stirn- 
pfeiler (W),  dessen  oberste  Schichten  jetzt  fehlen, 
mitsamt  den  einst  vielleicht  darauf  befindlichen 
beiden  Pieiterstatuen.  Dass  dieser  Pfeiler  in  Form 
einer  Ante  gebildet  ist,  d.  h.  nach  Nord  und 
Süd  um  ein  wenig  vorspringt,  beweist,  dass  hier 
ursprünglich  ein  selbständiger  Abschluss  geplant 
war,  genau  wie  an  der  Nordhalle.  Als  man  ihn 
errichtete,  war  das  Project  einer  westlichen  Ver- 
längerung und  damit  natürlich  zusammenhängend 
einer  südlichen  Hintermauerung  noch  nicht  gefasst. 
Wie  die  Nordseite  so  sind  auch  die  West-  und 
Südseite  nicht  als  Ansclilussflüchen  gearbeitet,  sie 
zeigen  noch  einen  feinen  Werkzoll,  d.  h.  gespitzte 


Flächen  mit  schmalem  glattem  Randbeschlag.  An 
der  Westseite  sieht  man  ausserdem  noch  in  den 
beiden  unteren  Schichten  die  stehengebliebenen  Ver- 
setzungsbosseu.  Ehe  aber  noch  die  Propylaeen 
vollendet  waren,  wurde  das  Project  erweitert  aus 
Gründen,  die  sich  wohl  muthmassen  aber  bis  jetzt 
nicht  mit  Sicherheit  bestimmen  lassen.  Die  aller- 
dings schon  früher  aber  in  anderer  Form  vorhan- 
dene Bastion,  auf  der  jetzt  der  Niketempel  steht, 
wurde  sowohl  bis  zu  ihrer  gegenwärtigen  Höhe  em- 
porgeführt, als  auch  in  ihrem  nördlichen  Abschluss 
in  eine  Flucht  mit  der  Propylaeen- Axe  gebracht. 
Ein  neuer  directer  Zugang  zu  dem  so  geschaffeneu 
Plateau  wurde  hergestellt,  und  in  der  geschicktesten 
Weise  natürlich  da,  wo  die  Poroswand  des  Pyrgos 
mit  der  Marmorwange  zusammentrifft,  wie  durch 
die  Natur  gegeben  so  auch  in  künstlerischer  Weise 
den  Uebergang  zwischen  beiden  vermittelnd.  Treppe, 
Pyrgoswand  mit  dem  Kranzgesims  und  Niketempel 
sind  aus  einem  Guss  hergestellt,  und  zwar  später 
aber  im  unmittelbaren  Anschluss  an  den  Propylaeen- 
bau'). 

Von  der  Treppe  ist  nur  der  einschneidende  Theil 
in  fünf  Marmorstufen  erhalten.  Ihre  Breite  beträgt 
1,315  Meter;  die  unterste  Stufe  tritt  ein  wenig  — 
0,028  —  vor  die  Flucht  der  Mauer  vor,  in  welche 
sie  einbindet,  während  sie  0,100  hakenförmig  über 
den  Pfeiler  übergreift  (jetzt  abgebrochen).  Wie 
die  unterste  stossen  auch  die  folgenden  Stufen 
stumpf  gegen  den  Stirnpfeiler,  sind  dagegen  in 
richtigem  Verband  mit  der  Pyrgosmauer,  also  mit 
ihr  zusammen  ausgeführt.  Sobald  aber  die  Treppe 
ihre  jetzige  Höhe  erreicht  hat,  erbreitert  sich  die- 
selbe nach  Osten  zu,  wie  die  Auftrittspuren  der 
obersten  (p)  erkennen  lassen.  Deshalb  ist  diese 
verlängert,  nicht  zufällig,  wie  Bötticher  meint,  weil 
sie  wie  alle  übrigen  anderen  „antiken  Werken  ent- 
nommen" wären.  Noch  zwei  Stufen  weiter  und  die 
Höhe  des  Paviments  vor  dem  Niketempel  war  er- 
reicht. Gerade  dort  wird  auch  der  östliche  Lauf 
der  Nikebalustrade  abgeschnitten  haben;  wir  werden 

■)  Die  Beweise  dieser  weitergehenden  Behauiitung,  nament- 
lich \v:is  den  Nikctempel  anbetrifft,  werden  später  im  Zusam- 
menhange der  Propylaeenuntersuchung  gegeben  werden. 


R.  Bohn,  Nike-Pyrgos. 


87 


niclit  fehlgTeifeü,  jenes  neulich  gefundene  Endstück, 
welches  in  seinen  Maassen  vortrefflicli  dahin  passt, 
auch  dorthin  zu  setzen,  so  dass  zwischen  Tempel 
und  Balustrade  ein  kleiner  Durchgang  zu  jenem 
vor  der  Nordfront  des  Tempels  liegenden  dreieckigen 
Plätzchen  geschaffen  wurde. 

Die  unterste  Stufe  (c)  ruhte  auf  einer  besonde- 
ren, zur  Aufnahme  der  Podestplatte  ausgefalzten 
Porosquader  (a,  b);  ihr  sorgsamer  Fugenschluss  bei- 
derseits schliesst  schon  den  Gedanken  an  ein  nach- 
trägliches „Einschieben"  aus.  Dass  ein  Unterschied 
in  der  Farbe  vorhanden  sei,  der  auf  eine  „späte  Her- 
kunft" hinweise,  habe  ich  nicht  gesehen;  dass  die 
gerade  daneben  befindliche  Plinthe  zufällig  eine 
gelblichere  Tönung  hat,  konnte  doch  den  Verfasser 
nicht  zu  dieser  Bemerkung  veranlassen.  Ein  Blick 
auf  die  übrigen  zeigt  uns,  dass  sie  in  allen  Nuancen 
zwischen  Graugelb  und  Eothgelb  spielen.  Befestigt 
war  die  Podestplatte  an  den  Block  durch  zwei  — 
nicht  einen  —  symmetrische  jetzt  durchgebrochene 
Längsdübel,  denen  beiden  der  Bleiumguss  nicht 
fehlt.  Die  Ante  wurde  aber  zur  Aufnahme  dieses 
stumpfen  Fugenstosses  besonders  hergerichtet.  An 
ihrer  Südseite  wurde,  da  die  Treppe  weiter  reichte, 
zwischen  sie  und  die  oberste  Stufe  ein  Stück  (/«) 
eingeschoben;  von  dem  vortretenden  rauhen  Werk- 
zoll aber  zu  diesem  Zweck  ein  wenig  weggearbeitet. 
Auf  der  Westseite  wie  auch  auf  der  Nordseite, 
soweit  die  unterste  Stufe  und  die  Podestplatte  über- 
griffen, wurde  diese  Werkschicht  etwas  sorgfäl- 
tiger abgeglättet,  so  dass  sich  längs  der  Stufen  theil- 
weise  ein  besonderes  Richtband  bildet,  wie  wir  es 
an  antiken  Werken  gewohnt  sind.  —  Eine  solche 
Exactheit  der  Arbeit,  die  dem  Verfasser  keineswegs 
entgangen  ist,  traut  derselbe  den  Franken  oder 
gar  den  Türken  zu!  Es  sind  ja  noch  genügende 
Spuren  auf  der  Burg  vorhanden,  um  zu  sehen,  wie 
jene  zu  bauen  pflegten.  Ein  Blick  nur  auf  die 
Reste  der  Kanzlei  oberhalb  der  Pinakothek  genügt, 
wie  ich  glaube,  um  den  gewaltigen  Unterschied  der 
Art  zu  erkennen  in  welcher  das  Mittelalter  in  roher 
Weise  Material  auf  Material,  aus  den  verschiedensten 
Bauten  entnommen,  aufeinander  thürmte,  mit  Mörtel 
verband  und  verschmierte.   Eben  jene  Hände,  welche 

Archäolot'.  Ztg.,  Jahrgang  XXXVIII. 


den  Thurm  unmittelbar  daneben  aufführten  und  zu 
diesem  Zwecke  alles  Hindernde  niederrissen  und 
liegen  Hessen,  sie  sollen  mit  solcher  Akuratesse 
gearbeitet,  sich  solche  Schwierigkeiten  gemacht 
haben:  ich  erinnere  auch  noch  an  das  vom  Ver- 
fasser angenommene  Einschieben  und  Drehen  der 
Stufen  (§  2,  4),  an  die  Verlegung  der  oberen  Kranz- 
platte und  Wiederherstellung  der  Balustrade  (§  4,  4). 

Gehen  wir  nun  zu  einer  specielleren  Würdigung 
der  verschiedenen  Beweise  für  den  späten  Ursprung 
der  Treppe  über,  die  der  Verfasser  in  §  2  giebt. 
Da  dieselbe  nicht  antik  sein  kann,  so  wird  zunächst 
ein  Motiv  gesucht,  welches  die  Herstellung  hätte 
veranlassen  können.  Dieses  wird  in  der  Errichtung 
des  gewaltigen  Thurmes  über  dem  Südflügel  ge- 
funden: durch  denselben  wurde  die  Communication 
mit  dieser  Hochfläche  „vollständig"  abgeschnitten, 
und  dadurch  auch  mit  der  grossen  Bastion,  welche 
sich  vom  Nikepyrgos  bis  zum  Agrippapostament 
hinzog;  folglich,  so  schliesst  Bötticher,  musste 
jener  neue  Zugang  angelegt  werden.  Hätte  sich 
aber  jene  Zeit,  die  ohne  Schonung  der  Antike 
Alles  rücksichtslos  zu  Bedürfnissbauten  umschuf, 
wenn  es  überhaupt  nothwendig  gewesen,  nicht  an- 
ders geholfen  als  durch  jene  zierliche  und  compli- 
cirte  Treppenanlage?  Nun  stammt  aber  der  Thurm 
aus  der  Zeit  der  türkischen  Herrschaft  und  damals 
führte,  wie  wir  aus  den  Berichten  der  späteren 
Reisenden  Spon  und  Wheler  und  aus  Vernedas 
Plan  ')  sehen,  der  grosse  Weg  zur  Burg  durch  das 
Thor  in  der  Batterie  nahe  dem  Agrippapostament 
nach  Süden  umbiegend  und  steigend  längs  der  West- 
front des  Thurmes  hin ,  bog  dann  nach  Osten  um 
und  führte  über  die  Brauronische  Stützmauer  auf 
das  Burgplateau.  Die  so  stark  abgenutzten  Ober- 
plinthen  des  Krepidoma  an  der  Südhalle  lassen 
deutlich  erkennen,  wie  lange  der  Weg  über  sie 
hinging.  Wozu  bedurfte  es  daneben  noch  der  An- 
lage eines  besonderen  Treppchens? 

Der  Verfasser  berichtet  nun  aber  weiter,  in  wel- 
cher Weise  die  Treppe  hergestellt  wurde:  An  der 
„bequemsten"  Stelle  unmittelbar  neben  dem  Pfeiler 

3)  de  Laborde  II  p.  182.  Vgl.  auch  die  späteren  Skizzen 
bei  Stuart  und  Revctt. 

12 


88 


R.  Bohn,  Nike-Pyrgos. 


wurde  die  „stumpf  und  olme  mögliche  Einbindung 
vorstossende"  Kordmauer  des  Nikepyrgos  „gewalt- 
sam zerstört."  Ich  habe  weder  von  der  Entfernung 
hindernder  Plintheu,  noch  der  „schrägen  Verschie- 
bung noch  benutzbarer"  irgend  etwas  constatiren 
können  und  frage  zunächst,  wozu  jener  Einbruch 
bis  auf  den  Boden  hinab  überhaupt  nothwendig 
gewesen  wäre,  da  die  Treppe  ja  nur  in  ihrem 
oberen  Theil  einschneidet,  also  der  untere  Mauer- 
theil  unbeschadet  hätte  bestehen  bleiben  können. 
Was  sich  aber  jetzt  zeigt,  entspricht  vollständig  der- 
jenigen Technik,  die  in  der  Antike  überall  da  auf- 
tritt, wo  zwei  Mauern  im  Winkel  zusammenstossen : 
abwechselnd  binden  die  Schichten  ein.  So  sehen 
wir  auch  hier  die  Quadern  (e,  e)  verlängert,  aber 
so  weit  sie  einst  verdeckt  waren  als  Anschluss- 
flächen behandelt,  d.  h.  mit  rauher  vertiefter  Mittel- 
fläche und  glattem  Rande  ^).  Es  beweist  dies  also 
den  antiken  Anschluss  einer  Mauer  und  zwar  hier 
des  Unterbaues  für  die  Weiterführung  der  Treppe. 

Die  weitere  Behauptung,  dass  innerhalb  des 
Hohlraumes  Steinabfälle  mit  Mörtel  und  Eeste  frän- 
kischer Ziegel  gefunden  wurden,  entzieht  sich  natür- 
lich jetzt  jeder  Controle;  wenn  jedoch  der  Ver- 
fasser behauptet,  dass  jener  Inhalt  nicht  vollständig 
entfernt  sei,  um  den  Zustand  der  Höhlung  noch 
kenntlich  zu  lassen,  so  bemerke  ich,  dass  ich  trotz 
wiederholter  eingehender  Prüfung  nichts  habe  finden 
können;  nur  die  Eeste  mergelhaltiger  Erde  sind 
vorhanden,  wie  sie  aus  dem  leicht  verwitterbaren 
porösen  Kalkstein  und  der  Feuchtigkeit  ganz  natür- 
lich erzeugt  wird. 

Der  Verfasser  geht  dann  zu  einer  Beschreibung 
der  verschiedeneu  Zeichnungen  über  und  giebt 
darin  eine  Reihe  sehr  richtiger  Detailbeobachtungen, 
die  aber  für  die  Entscheidung  der  vorliegenden 
Frage  ohne  Belang  sind.  Nicht  beistimmen  kann 
ich  dem  späten  Ursprung  der  Porosplinthen  (P,  P) 
an  dem  Krepidoma;  dieselben  sind  antik,  waren 
aber  einst  durch  den  alten  Aufgang  verdeckt.  Eine 
weitere  Stütze  für  seine  Behauptung  sieht  der  Ver- 
fasser in   dem  ungleichen   Auftritt   der  Stufen;   er 

*)  In  den  Zeichnungen  bei  Biittichev  (Xo.  II)  ist  dieses  für 
die  Beurthcilung  nicht  unwichtige  I'aktum  gar  nicht  dargestellt. 


lässt  dieselben  zwischen  11"  6'"  und  13"  6'"  schwan- 
ken, d.  h.  also  um  2"  =  0,053  M.  Die  genauen 
Maasse  sind  aber  auf  der  Ostseite,  von  oben  begin- 
nend, 0,330.  0,330.  0,342.  0,309.  0,330;  das  Maximum 
der  Differenz  ist  mithin  nur  0,033.  Es  zeigt  sich  al)er, 
dass  die  dritte  Stufe  ein  wenig  schräg  verschoben 
ist,  und  zwar  um  c.  0,005,  wie  die  Witteruugskante 
deutlich  markirt:  ein  Umstand,  der  bei  den  er- 
schütternden Zerstörungen  die  der  Stirupfeiler  er- 
litten nicht  zu  verwundern  ist.  Bringt  man  dieses 
in  Rechnung,  so  bleibt  als  grösste  Differenz  nur 
0,023  übrig  und  diese  darf  bei  einer  so  nebensäch- 
lichen Anlage  wie  unsre  Treppe  nicht  in  dem  Grade 
befremden  dass  daraus  ein  Beweis  für  modernen 
Ursprung  abgeleitet  werden  könnte.  Zeigen  uns 
doch  die  Propylaeen  selbst  häufig  Schwankungen, 
z.  B.  der  unmittelbar  daneben  befindliche  Pfeiler  in 
der  uuregelmässig  verlaufenden  Kantenlinie  seiner 
Eckquadern.  Die  Rillen  auf  den  drei  obersten 
sowie  die  Löcher  auf  der  dritten  Stufe  mögen  spä- 
tere Zusätze  sein;  sie  berühren  die  Frage  nach  dem 
Alter  der  Treppe  selbst  nicht. 

Um  das  Uebergreifen  der  Porosplinthen  auf  die 
Marmorstufen  zu  erklären  und  doch  die  spätere 
Entstehung  der  Treppe  zu  retten,  greift  der  Verfasser 
zu  der  Annahme  eines  eigenthümlichen  technischen 
Verfahrens.  Er  lässt  erst  in  die  Poroswand,  da  wo 
die  Stufeu  einbinden  sollen,  tiefe  Löcher  einarbeiten, 
dann  die  Stufen  schräg  einschieben  und  allmälig 
drehen,  bis  sie  in  ihre  richtige  Lage  gekommen 
sind.  Ich  habe  eine  solche  tiefe  Aushöhlung  nir- 
gends constatiren  können  und  glaube  auch,  dass 
sicli  ein  derartiges  technisches  Verfahren,  zumal  in 
jener  Zeit,  wohl  von  selbst  verbieten  dürfte.  Um 
aber  die  Sache  überhaupt  möglich  zu  macheu, 
hätte  der  Verfasser  denn  doch  noch  einen  Schritt 
weiter  gehen  müssen:  er  musste  erst  die  ganze  jetzige 
Ecke  wegbrechen,  dann  die  Stufen  einlegen  und 
darauf  die  neue  Ecke  im  Verl)ande  mit  jenen  wie- 
der aufführen  lassen.  Für  die  obere  Krauzplatte 
nimmt  er  ja  doch  später  etwas  derartiges  an.  Wäre 
ein  solches  Verfahren  nicht  einfacher  und  rationeller 
gewesen? 

Wir  kommen  jetzt  zu  dem  zweiten  Theil  des 


R.  Bohn,  Nike-Pyrgos. 


89 


Zugangs,  soweit  derselbe  nämlich  ausserhalb  der 
Maueräucht  liegt.  In  Bezug  auf  seine  Form  war 
ich  zu  denselben  Resultaten  gelangt  wie  Büt- 
ticher:  nicht  eine  Treppe,  wie  bisher  ohne  jeden 
Beweis  angenommen  wurde,  sondern  eine  Rampe 
führte  längs  der  Wange  empor  bis  zu  jenem 
Podest.  Dies  lässt  sich  deutlich  nachweisen  an  dem 
schrägen  Linterstreifen  (f,  f),  der  durch  die  Witte- 
rung gebildet  ist  und  den  stumpfen  Anschluss  des 
vermutblich  marmornen  Plattenbelages  ge'gen  die 
Wand  kennzeichnet.  Die  Steigung  ist  gering,  sie 
beträgt  c.  1:8-  Aus  dem  Abstand  der  zur  Auf- 
nahme jener  Platten  schräg  abgearbeiteten  Funda- 
mentquadern (P)  und  dem  Linterstreifen  lässt  sich 
die  Dicke  des  Belages  zu  c.  0,15  bestimmen.  Auf 
der  andern  Seite  ruht  die  Rampe  auf  einem  be- 
sonders aus  Porosblöcken  (F,  F)  construirten  Fun- 
dament. 

Eine  andere  Frage  ist  es  aber,  aus  welcher  Zeit 
dieser  Theil  stammen  mag.  Hier  kann  es  zweifelhaft 
sein.  Nicht  dass  in  der  Verwendung  älterer  Bau- 
theile  als  Fundament  irgend  ein  Beweis  für  eine 
mittelalterliche  Herkunft  läge;  denn  durch  die  per- 
sische Zerstörung  war  eine  Fülle  von  altem  Material 
vorhanden,  welches  man  zu  den  Neubauten  au  den 
Stellen  verwendete,  wo  es  bestimmt  war  nicht  ge- 
sehen zu  werden.  Die  mehrfach  jetzt  offen  liegenden 
Fundamente  der  Propylaeen  zeigen,  wie  oft  ganz 
unregelmässig  Quadern,  Platten,  ja  Säulentrommeln 
aus  verschiedenem  Stoff  hierzu  verwendet  sind. 
Es  ist  aber  nicht  unwahrscheinlich,  dass  jene 
Treppe  ursprünglich  in  nördlicher  Richtung  sich 
direct  fortsetzte,  bis  sie  das  Niveau  des  alten  Auf- 
gangs erreichte,  der  aber  bedeutend  höher  lag  als 
die  jetzige  Treppe,  die  in  ihrer  Lage  identisch  ist 
mit  jener  grossen  in  der  ersten  Hälfte  des  ersten 
Jahrhunderts  angelegten  Marmor-Prachttreppe.  Bei 
dieser  hätte  jener  Quereinschnitt  gestört,  man 
knickte  deshalb  den  Zugang  und  legte  den  Unter- 
theil  rampenartig  gegen  die  Wange.  Es  spricht 
hierfür  die  allerdings  ziemlich  flüchtige  Construction 
der  Fundamente,  andererseits  aber  auch  der  Umstand, 
dass  diese  durch  Marmorplatten  bekleidet  waren; 
sowoiil  die  Spuren  der  Klammerbänder,  mit  denen 


sie  befestigt  waren,  haben  sich  erhalten,  als  auch  die 
deutlichen  Marken  (ii)  ihres  Anschlusses  an  die  P}'r- 
goswand  von  jener  vorspringenden  Stufe  abwärts 
bis  auf  die  Haupttreppe.  Daher  erklärt  sich  auch 
das  Zurücktreten  dieser  Fundirung  gegen  die  Stufen- 
breite. Die  Marmorinkrustirung  entspricht  viel  mehr 
der  römischen  Bauweise. 

Ebenso  wie  die  einschneidende  Treppe  ist  auch 
der  jetzige  Zustand  der  Nord-Ost-Ecke  des  Nike- 
pyrgos  antik,  und  die  Nordwand  ist  niemals  ver- 
längert gewesen  bis  zu  jenem  Stirnpfeiler  W.  Den 
Beweis  hierfür  giebt  diese  selbst.  Sie  ist  in  durch- 
aus regelmässigem  Fugenschnitt  mit  Läufern  und 
Bindern  construirt,  letztere  sind  jedoch  zuweilen, 
vielleicht  weil  eine  dahinter  befindliche  ältere  Mauer 
ein  tieferes  Einbinden  unmöglich  machte,  auch 
Läufersteine,  jedoch  durch  eingeschnittene  Stein- 
fugen als  Binder  charakterisirt.  Dies  ist  bereits 
früher  bemerkt  und  auch  von  Bötticher  *)  hervor- 
gehoben worden;  es  giebt  uns  den  Beweis,  welch 
grosses  Gewicht  man  auf  einen  regelmässigen 
Fugenschnitt  der  Fläche  legte.  Die  jetzige  Ecke 
schneidet  nun  genau  mit  je  einem  Binder  abwechselnd 
mit  einem  y^  Läufer  ab.  Gäbe  man  die  Verlän- 
gerung zu,  so  wäre  man  genöthigt,  da  das  Licht- 
maass  der  Treppe  grösser  ist  als  doppelte  Binder- 
breite, eine  grössere  Quader  anzunehmen;  dann  wäre 
jene  Regelmässigkeit  gestört.  Ferner  müssten  die 
beiden  Quadern  (e,  e)  unter  der  Treppe,  die  in  der 
Binderschicht  liegen,  wenn  sie  ursprünglich  sichtbar 
gewesen,  auch  jene  Pseudofugen  zeigen,  was  aber 
nicht  der  Fall  ist,  wogegen  sie,  wie  oben  bemerkt, 
als  Auschlussflächen  behandelt  sind. 

Gekrönt  war  die  Mauer  durch  eine  umlaufende 
Marmorplatte,  an  welche  sich  das  Paviment  der 
Hochfläche  anschliesst.  Sie  besteht  aus  einem  grossen 
Kyma  mit  hohem  Abacus  darüber,  welcher  wieder 
in  einem  zarten  Kymation  endet.  Die  Vorderfläche 
dieses  Gliedes  zeigt  durchweg  das  Spitzeisen,  nur 
die  Ränder  sind  glatt.  Auf  seiner  Oberfläche  ist 
noch  die  Lehre  für  die  bekannte  wohl  nachträglich 
hinzugefügte  Nikebalustrade  erhalten.    Je  zwei  Re- 

')  Aber  nicht  einige  Zoll,  sondern  nur  c.  5  Millimeter  be- 
trägt die  Tiefe  des  Einschnitts. 

12* 


90 


R.  Bohn,  Nike-Pyrgos. 


liefplatten  waren  immer  auf  der  Mitte  der  Kranz- 
stiieke  zusammengestosseu  und  dort  mit  einem  ge- 
meinschaftlichen Verticaldübel  auf  jenen  befestigt; 
bei  dem  Eckstück  (A)  fällt  der  eine  Dübel  mit 
der  südlichen  Stosskante  zusammen,  wo  sich  noch 
eine  Kranzplatte  mit  dem  Endstück  der  Balustrade 
anschloss.  Dasselbe  macht  aber  eine  Ausnahme  in 
der  Profilirung.  Es  ist  an  seiner  Ostseite  glatt  ab- 
geschnitten und  tritt  hier  mit  seiner  Fläche  nur 
so  weit  über  die  Porosplinthen  vor,  als  in  der  Nord- 
front die  Unterkante  des  Kyma  darüber  vorgreift, 
d.  h.  0,020  Meter '^).  Die  Witteruugskante  an  der 
Unterfläche  bestätigt  dies.  Es  hatte  einfach  seinen 
Grund  darin,  wie  auch  Julius  a.  a.  0.  S.  227  be- 
reits bemerkt,  die  an  und  für  sich  schon  nicht 
breite  Treppe  durch  ein  weit  vorspringendes  schwe- 
res Profil  nicht  einseitig  zu  verengen.  Nur  jenes 
obere  kleine  Kymation  ist  mit  feinem  künstlerischen 
Gefühl  herumgeführt;  es  wird  sich  eiust  so  weit 
südlich  an  dem  jetzt  fehlenden  Block  fortgesetzt 
haben  bis  es  sich  an  der  obersten  Stufe  todtlief. 
Beweist  dieses  schon  die  Lage  der  Platte  A  als 
von  jeher  an  dieser  Stelle  beabsichtigt,  so  wird  es 
noch  bestätigt  durch  2  Lücher  an  den  beiden  süd- 
lichen Stossflächen,  welche  je  in  der  Platte  und 
Porosunterlage  mit  einander  correspondiren  und 
einst  zur  Aufnahme  der  verbindenden  jetzt  heraus- 
gebrochenen Dübel  dienten. 

Ist  nach  der  Ansicht  von  B()tticher  aber  die 
Treppe  mittelalterlich,  so  wird  er  nothwendig  zu  der 
Consequenz  gedrängt,  dass  auch  jene  Eckplatte 
nicht  mehr  an  ihrer  Stelle  liegt,  und  er  lässt  die- 
selbe daher  ursprünglich  bis  unmittelbar  an  den 
Stirnpfeiler  W  reichen,  unter  der  Motivirung,  dass 
die  „kranzbildende  Eigenschaft"  mit  dem  Fehlen 
des  grossen  Kyma  aufhöre  und  dass  die  lothrechte 
Schnittfläche  „auf  einen  stumpfen  Fugenstoss  oder 
den  ehemaligen  Verstoss  gegen  einen  anderen  kör- 
perlich von  ihr  gesondert  bleibenden  Stein"  hin- 
weise. Hierin  sehe  ich  wohl  den  Versuch  einer 
tektonischen  Erklärung  aber  keinen  Beweis;  wir 
haben  vielmehr  in  Obigem  gesehen,  wodurch  ledig- 
lich jene   Umstände    hervorgerufen    wurden.     Um 

';  In  den  Zeichnungen  bei  Uütticher  nicht  dargestellt. 


nun  aber  bei  diesem  „stumpfen  Fugenstoss"  auch 
dem  kleinen  umlaufenden  Kymation  gerecht  zu 
werden,  nimmt  der  Verfasser  dasselbe  zur  Deckung 
der  durchgehenden  Verticalfuge  zwischen  Stirnpfeiler 
und  Pyrgos  an,  und  zwar  in  der  Weise,  dass  „die 
oberste  Marmorpliuthe  von  W  in  der  ganzen  Länge 
ihrer  Stirn  nah  seinem"  —  d.  h.  des  Kymation  — 
„Profil  ausgefalzt  zu  denken  ist"  und  dass  „diese 
Falzung  dann  mit  ihm  wieder  eingedeckt  und  ge- 
schlossen wurde".  Eine  derartige  Verwendung  eines 
Kymation  aber  widerspricht  vollständig  der  antiken 
Constructionsweise. 

Der  von  dem  Verfasser  versuchte  „metrische" 
Beweis  für  den  örtlichen  Wechsel  der  Platte  A  stützt 
sich  als  „ausschlaggebend"  unter  anderm  auf  eine 
einzeln  vorhandene  Platte  (§  4.  5.  7).  Es  über- 
rascht uns  aber,  wenn  er  behauptet,  dass  diese 
Platte  nothwendig  zum  Nordkranz  gehört  haben 
soll.  Dieselbe  ist  allerdings  einst  benutzt  und  ge- 
hörte nicht  an  die  Westseite  des  Pyrgos,  so  weit 
nämlich  das  Krepidoma  des  Tempels  reicht,  wie 
der  Verfasser  ganz  mit  Eecht  aus  der  Verschieden- 
heit der  Form  folgert.  Aber  warum  denn  nicht  an 
die  Westseite  südlich  des  Tempels,  wo  die  Form 
der  Kranzplatte  genau  dieselbe  wie  an  der  Nord- 
seite, ja  ein  Stück  noch  in  situ  ist;  die  Südwest- 
ecke des  Pyrgos  ist  ja  noch  ca.  3,80  Meter  vom 
Tempelsterobat  entfernt.  Warum  nicht  an  die 
Südseite,  wo  der  Verfasser  doch  selbst  (§  4,  i)  das 
Herumlaufen  des  Kranzes  annimmt.  Ebensowenig 
gehört  auch  die  jetzt  neben  A  liegende  Platte  (C) 
ursprünglich  hierher.  Dieselbe  ist  weniger  tief  wie 
sämmtliche  übrigen  am  Nordrand  noch  in  situ  lie- 
genden, welche  unter  sich  und  mit  A  gleiche  Tiefe 
haben,  so  dass  eine  durchlaufende  Fuge  entstand. 
Auch  in  der  Abnutzung  der  Oberfläche  markirt  sich 
dieser  Unterschied.  Diese  Platte  ist  erst  bei  der 
Restauration  des  Tempels  hierher  gelegt  worden 
und  stammt  von  der  AVest-  oder  Südseite. 

Der  Verfasser  denkt  sich  die  jetzige  Lage  der 
Platte  dadurch  hervorgerufen,  dass  beim  „Einbruch" 
der  Treppe  dieselbe  von  ihrer  alten  Stelle  unmittel- 
bar neben  dem  Stirupfeilcr  entfernt  worden  sei; 
c))enso  sei  die  folgende  ganz  beseitigt  und  die  er- 


Fr.  Hultsch,  Grundmaass  der  griechischen  Tempel. 


91 


stere  dann  mit  aller  Präcision  wieder  auf  die  neu 
formirte  Ecke  gelegt  worden.  Er  stellt  e.s  dabei 
als  wahrscheinlich  hin,  dass  auch  die  Nikebalustrade 
in  gleicher  Weise  mitgeändert  worden  sei.  Wie 
sehr  aber  ein  so  sorgsamer  mit  Schonung  der  An- 
tike durchgeführter  Umbau  allem  widerspricht,  was 
wir  sonst   von   mittelalterlicher   Bauthätigkeit   auf 


der  Burg  beobachten  können,  Laben  wir  bereits 
oben  hervorgeholten. 

So  viel  zur  Siclierstelluug  des  antiken  Ursprungs 
jener  kleinen  Treppe.  Ein  näheres  Eingehen  auf 
die  weiteren  sicli  daran  schliessenden  Fragen  muss 
ich  mir  für  später  vorbehalten. 

Athen  im  Mai  1880.  Richard  Bohn. 


DAS  GRUNDMAASS  DER  GRIECHISCHEN  TEMPELBAUTEN. 


Unter  allem  Schönen  und  Bewundernswerthen, 
was  die  deutschen  Ausgrabungen  zu  Olympia  ans 
Licht  gebracht  haben,  nimmt  sicherlich  nicht  den 
letzten  Platz  ein  die  Entdeckung  zweier  Maassstäbe 
griechischer  Architekten,  deren  einer  bisher  noch 
völlig  unbekannt  war,  während  der  andere  sich  als 
der  Vorgänger  des  römischen  Fusses  herausstellte. 

Wir  werden  diese  Maasse  im  Folgenden  als  den 
grösseren  und  den  kleineren  olympischen  Fuss  be- 
zeichnen. 

In  der  Vorrede  zum  3.  Band  der  Ausgrabungen 
(S.  28  f.)  wurde  von  F.  Adler  auf  Grund  der  Unter- 
suchungen Dörpfeld's  nachgewiesen,  dass  die  Hand- 
breite des  kleineren  Fusses  7  mal  in  der  ägyptischen 
Königselle  enthalten  ist,  ferner,  dass  der  kleinere 
Fuss  zum  grösseren  sich  genau  wie  13:14  verhält. 
Daran  knüpfte  sich  nun  sofort  die  Frage,  ob  etwa 
auch  der  grössere  Fuss  in  einem  erkennbaren  Zu- 
sammenhang mit  dem  ägyptischen  Maasse  gestanden 
habe. 

Einen  bedeutsamen  Fingerzeig  gab  das  Oxfor- 
der metrologische  Relief,  welches  vor  kurzem  von 
Ad.  Michaelis  in  dieser  Zeitschrift  (XXXVII  S.  177  ff.) 
besprochen  worden  ist.  Das  Monument  stammt  wahr- 
scheinlich aus  Kleinasien  oder  von  den  Inseln  und 
gehört  der  ersten  Hälfte  des  5.  Jahrhunderts  oder 
einer  nicht  viel  jüngeren  Epoche  an.  Die  Darstel- 
lung versinnbildlicht  das  Maass  einer  Klafter  und 
dazu  einen  kleineren  Maassstab  von  0,295  m,  welcher 
genau  '/,  dieser  Klafter  beträgt,  überdiess  aber  dem 
römischen,  und  mitbin  auch  dem  kleineren  olympi- 
schen Fusse  sehr  nahe  steht. 


Es  sind  also  der  grössere  olympische  Fuss 
ßV^mal,  der  kleinere  olympische  und  der  römische 
Fuss  7  mal  in  der  Klafter  der  königlichen  Elle  ent- 
halten. Die  naheliegende  Frage,  ob  etwa  noch 
andere  Fussmaasse  des  Alterthums  in  ähnlichem 
Zusammenhange  mit  der  Klafter  stehen,  führte  zu 
dem  überraschenden  Resultate,  welches  wir  durch 
die  umstehende  Uebersicht  darstellen. 

Zur  Erläuterung  dieser  Tabelle  ist  zunächst  zu 
bemerken,  dass  der  Betrag  der  ägyptischen  Königs- 
elle mit  aller  nur  möglichen  Sicherheit  auf  0,525  m 
bestimmt  ist.  Ihre  Klafter  hielt  demnach  2,10  m. 
Dieses  uralte  Maass  ist  später  bei  den  griechischen 
Baumeistern,  wie  leicht  erklärlich,  um  ein  weniges 
herabgegangen;  denn  die  Bauten  von  Olympia  wei- 
sen 2,084  m,  der  Parthenon  zu  Athen  2,081  m,  das 
Oxforder  Relief  2,07  —  2,06  m  als  Betrag  der  Klaf- 
ter aus. 

Nur  beiläufig  sei  die  naheliegende  Frage  berührt, 
ob  das  fremdartige  Maass,  welches  so  eigenthümlich 
neben  dem  griechischen  angewendet  worden  ist,  aus 
dem  ägyptischen  oder  aus  dem  babylonischen  Cultur- 
kreise  stammt.  Denn  neben  der  ägyptischen  Königs- 
elle steht  als  ursprünglich  gleiches  Maass  die  baby- 
lonische Elle,  von  Uerodot  ebenfalls  als  königliche 
bezeichnet.  Da  ferner  als  Vermittler  der  Uebertra- 
gung  nach  Griechenland  jedenfalls  die  Phöniker 
zu  betrachten  sind,  so  ist  die  Möglichkeit  nicht  aus- 
geschlossen, dass  die  Elle  aus  dem  babylonischen 
oder,  wenn  man  will,  etwas  später  aus  dem  medi- 
schen  Reiche  nach  Griechenland  gewandert  sei. 
Doch    sprechen    überwiegende  Gründe    der  Wahr- 


92 


Fr.  Hultsch,  Grundmaass  der  griechischen  Tempel. 


Auf  die  Klafter    der 

königl.  Elle  werden 

gerechnet 


Fuss 
6 

6'/3 

6V4 


7'A 

s 


Palästen 
24 

25 

26 

2GV2 
27 


30 
32 


Uebersicht  der  Fussmaasse 


Philetärisoher  Fuss 

(Kleiner  asiatisclier  Fuss')     .    .  ) 
\Pes  Drusianus  in  Germanien-)   J 
Grösserer  olympischer  Fuss  .    .    . 
Correlat  des  samischen  Fusses 
Attischer  Fuss 

{Kleinerer  olympischer  Fuss     .    . 
Fuss  des  Oxforder  metrol.  Reliefs 
Römischer  Fuss 

(Fuss  von  Ushak  in  Kleinasien  3)  1 
lOskischer  und  campanischer  Fuss*)  J 
Fuss  des  Eratosthenischen  Stadions') 


scheinliclikeit  für  die  Entlelinung  aus  Aegypten,  wie 
ja  auch  die  Dimensionen  des  Heraion  auf  Samos 
beweisen,  dass  die  samische  Elle  Herodots  die 
grössere  ägyptische,  und  zwar  nach  beutigem  Maasse 
im  Betrage  von  523  mm,  war,  während  dem  ßaai- 
kijiog  nfjXvg,  d.  i.  der  babylonisch-persischen  Elle, 
im  Sinne  desselben  Schriftstellers  ein  Betrag  von 
mindestens  530,  wahrscheinlich  aber  533  mm  zu- 
kommt. Also  waren,  wenn  diese  Auffassung  richtig 
ist,  die  ursprünglich  gleichen  Maasse  der  ägyptischen 
und  babylonischen  Elle  zu  Herodots  Zeit  local  diflfe- 

')  Wird  weiter  unten  am  Artemistempel  zu  Ephesos  nach- 
gewiesen werden  und  ist  ausserdem  gesichert  durch  das  Stadion, 
welches  7'/2  mal  in  der  römischen  (nicht  etwa  in  der  Philetä- 
rischen)  Meile  enthalten  ist  (Metrologie  S.  267).  Dasselbe  Sta- 
dion war  genau  32  mal  in  dem  ägyptischen  Schoinos  enthalten 
(unten  Anra.  5). 

=)  Metrologie  S.  294. 

3)  Böckh  Monatsbericht  der  Berliner  Akad.  1854  S.  85  (wie- 
derholt In  den  Gesammelten  kleinen  Schriften  VI  S.  261f.). 

*)  H.  Nissen  Pompejanische  Studien  S.  70ff.  390 ff.  Die  de- 
finitive Festsetzung  des  oskischen  Fusses  auf  0,275  m  findet 
sich  S.  92. 

5)  Der  Schoinos  war  unter  den  Ptolemäern  gesetzlich  zu 
12000  königlichen  Ellen  oder  30  Stadien  desjenigen  Fussmaasses 
normirt,  welches  später  auch  in  Aegypten  das  Philetärische  ge- 
nannt wurde.  Wenn  also  Eratosthenes,  der  unter  Ptolemaeos  III 
Euergetes  und  seinem  Nachfolger  in  Alexandria  lehrte,  nach 
Plinius  12,  13,  53  auf  den  Schoinos  40  Stadien  rechnete,  so 
musste  er  damit  andere  als  die  Philetärischen  meinen.  Der 
Fuss  des  Eratosthenischen  Stadions  verhält  sich  demnach  zum 
Philetärischen  Fuss  wie  3:4  ^  6:8,  wie  in  der  obigen  Ueber- 
sicht gesetzt  ist.  Andere  rechneten,  wie  Plinius  hinzufügt, 
32  Stadien  auf  den  Schoinos,  das  sind  jene  kleinasiatischen, 
welche  seit  dem  2.  .Jahrb.  n.  Chr.  häufig  vorkommen  und  von 
den  Kömern  zu  7'/2  auf  die  Meile  normirt  worden  sind  (Anm.  1). 


Ursprüng- 
licher  Betrag 

gemäss  der 

Klafter  von 

2,10  m 


0,350 

0,336 

(0,323) 
0,317 
(0,311) 

(0,300) 

(0,280) 
0,2625 


Normalbetrag 
nach  der 

Klafter  von 
2,084  m 


0,3334 

0,3206 
0,3146 
0,3087 

0,298 


0,2779 


Elfectives  Maass  in 
Metern 


0,3546  bis  0,350 
(0,335  bis  0,3286 
l0,3327 

0,321  bis  0,3206 

0,317   bis  0,314 

0,3083 
ro,2977 

0,295 
[o,2957 
1 0,2775 
10,275 

0,2625 


renzirt,  und  zwar  hatte  die  ägyptische,  d.  i.  die  ihr 
gleiche  samische  Elle  eine  geringe  Abminderung 
erfahren,  welche  noch  etwas  grösser  in  den  Bauten 
von  Olympia  und  Athen  erscheint,  die  königlich 
persische  Elle  aber  war  etwas  über  den  ursprüng- 
lichen Betrag  gehoben,  so  dass  der  Unterschied, 
welchen  Herodot  vorfand,  nahezu  einen  Centimeter 
heutigen  Maasses  betrug. 

Die  Fussmaassstäbe,  welche  7  mal  in  der  Klafter 
enthalten  sind,  erklären  sich,  wie  schon  bemerkt, 
aus  der  bekannten  Thatsache,  dass  es  in  Aegypten 
ausser  der  grösseren  oder  königlichen  Elle  eine 
kleinere  gab,  deren  Handbreite  7  mal  in  der  grösse- 
ren Elle  enthalten  war  °).  Wenn  also  die  Griechen 
nach  ihrer  Weise  aus  der  kleineren  Elle  heraus  ein 
Zweidrittelmaass  als  Fuss  bildeten,  so  musste  dieses, 
weil  4  Handbreiten  enthaltend,  7  mal  in  der  Klafter 
der  königlichen  Elle  enthalten  sein. 

^)  Ein  mathematisches  Handbuch  der  alten  Aegypter  {Pa- 
pyrus Rhind  des  British  Museum),  übersetzt  und  erklärt  von 
Aug.  Eisenlohr,  Leipzig  1877,  I  S.  9  vergl.  mit  S.  139f.  144f. 
146,  rechnet  nach  einer  Elle  von  7  Handbreiten.  Der  erwähnte 
Papyrus  ist  um  1700  v.  Chr.  geschrieben;  das  Original  aber, 
welches  der  Schreiber  vor  sich  hatte,  reicht  in  die  Zeit  des 
Königs  der  zwölften  Dynastie  Amemhat  III,  mithin  nach  Lep- 
sius  in  das  23.,  nach  Brugsch  in  das  Ende  des  24.  Jahrh.  zu- 
rück. Ueber  die  verschiedenen  noch  vorhandenen  Ellenmaass- 
stäbe, deren  ältester  dem  15.  Jahrh.  angehört,  ist  Lepsius  Die 
altägyptische  Elle  und  ihre  Eintheilung,  Abhandl.  d.  Berliner 
Akad.  1865  S.  14  ff.  44  ff.,  über  den  Nilmesser  von  Elephantine 
derselbe  S.  53 f.  zu  vergleichen;  ausserdem  aber  die  modificirte 
Ansicht  desselben  Gelehrten  in  der  Zeitschr.  für  ägypt.  Sprache 
1877  S.  3  und  6  zu  berücksichtigen. 


Fr.  Ilultscb,  Grundraaass  der  griechischen  Tempel. 


93 


Suchen  wir  nun,  soweit  es  sich  in  obiger  Ueber- 
sicht  um  die  Maassstäbe  griechischer  Architekten 
handelt,  in  den  Resten  alter  Tempel  die  Nachweise 
für  die  Ableitung  aus  der  Klafter. 

Am  nächsten  steht  der  königlichen  Elle  als  das  ent- 
sprechende Zweidrittelmaass  der  Philetärische  Fuss. 
Bauwerke  dieses  Fusses  werden  also  am  wenigsten 
den  Zusammenhang  mit  der  königlichen  Elle,  und 
voraussichtlich  auch  nicht  mit  der  Klafter,  verläug- 
nen  können.  Der  Tempel  der  Athena  Polias  zu 
Priene  zeigt  als  Säulenweite  von  Axe  zu  Axe  im 
Mittel  10  Fuss  zu  0,354G  m,  und  die  Entfernung 
von  Mitte  zu  Mitte  der  Ecksäulen  beträgt  100  Fuss 
in  die  Länge  und  50  Fuss  in  die  Breite').  Daraus 
lässt  sich  vermuthen,  dass  der  Stylobat  des  Tempels 
geplant  war  zu  105  Fuss  von  350  Millim.  in  die 
Länge  und  54  in  die  Breite,  d.  h.  zu  17 '/^  und 
9  Klaftern  der  königlichen  Elle. 

Mit  grösster  Deutlichkeit  zeigt  das  Heraion  zu 
Olympia  die  Klafter  der  königlichen  Elle,  und  zwar 
im  genauen  Betrage  von  2,084  m,  als  Grundmaass. 
Die  Oberstufe  ist  angelegt  nach  der  Norm  von 
24  Klaftern  in  die  Länge  und  9  in  die  Breite,  die 
Säulenhöhe  beträgt  2'/j,  die  lichte  Cellabreite  4  Klaf- 
tern^). Die  Länge  der  Oberstufe  verhält  sich  zur 
Breite  wie  8 : 3.  Die  übrigen  Dimensionen  sind  vor- 
wiegend nach  dem  Maassstabe,  welcher  7  mal,  einige 
vielleicht  auch  nach  jenem,  welcher  ß'/^mal  in  der 
Klafter  enthalten  ist"),  bemessen. 

Die  Dimensioneu  des  Zeustempels  zu  Olympia 
bekunden  deutlich  das  Streben,  das  nationalgrie- 
chische Maass,  den  Fuss,  mehr  hervortreten  zu  lassen, 
ohne  dass  jedoch  die  altüberlieferte  Klafter  beseitigt 
wird.  In  sinniger  Auffassung  wird  der  Ausgleich 
zwischen  beiden  Maassen  dahin  geregelt,  dass  die 
eine  Hauptdiraension  für  einen  runden,  und  zwar 
decimalen  Betrag  von  Fuss  in  Anspruch  genommen 
wird,  die  andere  aber  der  Klafter  der  köuiglichen 
Elle  verbleibt.  Als  Fussmaass  hat  der  grössere  olym- 
pische Fuss  gedient.   Die  Oberstufe  misst  200  solche 

0  n.  Wittich  Archäol.  Zeitung  XX  S.  276 f. 
')  So   berechnet   nach   den   Angaben   F.  Adlers   und  Dörp- 
feld's,  Ausgrabungen  von  Olympia,  Bd.  III  Vorrede  S.  28  f. 
5)  Dörpfeld  a.  a.  O.  S.  29. 


Fuss  in  die  Länge,  8G'/',  in  die  Breite '").  Letztere 
Dimension  entspricht  sehr  nahe  53  königlichen  Ellen. 
Nehmen  wir  nun  an,  was  der  Walirscheinlichkeit 
durchaus  entspricht,  dass  die  Unterstufe  je  um  3 
königliche  Ellen  =  1,56  m  länger  und  breiter  sein 
sollte,  so  erhalten  wir  eine  Baufläche  von  50  Ellen 
oder  14  Klaftern  in  die  Breite  und  126  Ellen  oder 
3r/j  Klaftern  in  die  Länge,  und  als  Verhältniss  von 
Breite  zu  Länge  4:9.  Die  durchschnittliche  Axen- 
weite  aller  Säulen  beträgt  5,21  m  d.  i.  27;  Klaftern. 
Die  übrigen  Dimensionen  scheinen  sämmtlich  nach 
dem  grösseren  olympischeu  Fuss,  oder  sagen  wir 
lieber  nach  einem  Klaftermaassstab  welcher  in  26 
Handbreiten  getheilt  war,  geplant  zu  sein.  Als 
kleinster  Theil  der  Handbreite  ist  am  Zeustempel 
bis  jetzt  die  Hälfte,  d.  i.  '/,  des  Fusses  oder  2  Dak- 
tylen, nachgewiesen''). 

In  bewunderungswürdiger  Harmonie  ist  der  Aus- 
gleich zwischen  griechischem  und  orientalischem 
Maass  vollzogen  worden  am  Artemistempel  zu  Ephe- 
sos,  dessen  Breite  Plinius  (36,  14,  95)  zu  225  und 
die  Länge  zu  425  Fuss  angiebt.  Mit  Recht  erblickt 
H.  Wittich  (Bd.  XXX  S.  29  ff.  dieser  Ztschr.)  hierin 
römische  Fuss;  diese  sind  aber  ebensowenig  wie 
bei  dem  Zeustempel  zu  Olympia  oder  dem  Parthe- 
non zu  Athen  zurückzuführen  auf  gemeingriechische 
oder  samische  von  0,317  m,  sondern  sie  gehören 
einem  besonderen  kleinasiatischen  System  an,  wel- 
ches, wie  die  obige  Uebersicht  zeigt,  dem  Philetä- 
rischen  nahe  steht.  Wie  7  Philetärische  Stadien 
auf  die  römische  Meile  gehen"),  so  ist  auch  eine 
Reduction  derselben  Meile  auf  7'/._,  Stadien  nachzu- 
weisen. Der  Fuss  dieses  kleineren  Stadions,  dessen 
Ursprung  ebenfalls  in  Kleiuasien  zu  suchen  ist,  ver- 
hielt sich  also  zum  Philetärischen  wie  14:15  und 
betrug  demnach  etwa  0,33  m").  Wenden  wir  nun 
diesen  Maassstab  auf  die  von  Plinius  überlieferten 

'")  Adler  a.a.O.  S.  26  und  dazu  Blatt  31  des  III.  Bandes. 
Früher  war  eine  Dimension  von  200  imhümlich  so  genannten 
olympischen  Fuss  zu  0,3168  m  angenommen  worden  (vergl.  Vor- 
rede I  S.  20),  eine  Verniuthung,  die  bereits  in  der  Vorrede  zu 
Bd.  II  S.  15  zu  einigen  Bedenken  Anlass  gab  und  schliesslich 
als  unhaltbar  sich  heratisstellte. 

")  Derselbe  a.  a.  0. 

'■-)  Metrologie  S.  Ö7f.,  267. 

'^)  Vergl.  oben  Anm.  1  und  5. 


94 


Fr.  Hultsch,  Gruudmaass  der  griechiscben  Tempel. 


Dimensionen  des  Artemisiou  an,  so  ergiebt  sieb 
sofort,  dass  der  Tempel  zu  200  solcbe  Fuss  in  die 
Breite  und  375  Fuss  iu  die  Länge  geplant  war. 
Da  aber  dieser  Fuss  zugleicb  6'/^  mal  in  der  Klafter 
der  königlichen  Elle  enthalten  ist,  so  ist  die  Länge 
zu  deuten  als  Dimension  von  60  Klaftern.  Der 
Tempel  mass  also,  und  zwar  nach  aller  Wahr- 
scheinlichkeit in  seiner  Oberstufe,  100  Doppelfuss 
in  die  Länge  und  60  Klaftern  in  die  Breite,  d.  h.  die 
eine  Dimension  war  decimal  und  nach  griechischem 
Maasse,  die  andere  sexagesimal  und  nach  orienta- 
lischem Maasse  geplant'*)  und  beide  überdiess  auch 
mit  Rücksicht  darauf  ausgewählt,  dass  sie  sich  leicht 
in  das  correspondirende  Längenmaass  übertragen 
Hessen,  nämlich  die  200  Fuss  der  Breite  in  32  Klaf- 
tern, und  die  00  Klaftern  der  Länge,  wie  schon 
bemerkt,  in  375  Fuss.  Wechselseitig  verhielten  sich 
Breite  zu  Länge  wie  8:15.  Die  Säulenweite  von 
Axe  zu  Axe,  welclie  zu  7,28  m  nachgemessen  wor- 
den ist,  betrug  22  Fuss '°),  der  untere  Durchmesser 
der  Peristylsäuleu  wahrscheinlich  6  Fuss.  Die  Norm 
des  Fussmassstabes ,  welcher  beim  Tempelbau  An- 
wendung gefunden  hat,  ist  mit  Sicherheit  zwischen 
0,333  und  0,331  m  festzusetzen. 

Wir  wenden  uns  nun  zum  Parthenon  auf  der 
Akropolis  von  Athen.  Der  prächtige  Bau  ist  be- 
kanntlich  von  Perikles    errichtet   worden  auf  den 


Substructionen  eines  älteren  Tempels,  der  von  Pei- 
sistratos  begründet,  später  nicht  völlig  vollendet, 
zuletzt  beim  Einfalle  der  Perser  zerstört  worden 
war  ").  Ueberliefert  ist,  dass  der  Perikleische  Bau, 
dem  der  Name  ixaTÖvnedog  beigelegt  wird,  um 
50  Fuss  grösser  war  als  der  von  den  Persern  ver- 
brannte Temi)er').  Dass  das  Mehr  von  50  Fuss 
nicht  etwa  auf  die  Längendimension  des  Stylobats, 
geschweige  denn  auf  dessen  Breite,  bezogen  werden 
darf,  zeigt  der  noch  erkennbare  Unterbau  des  Tem- 
pels nicht  minder  wie  vereinzelte  BaustUcke,  welche 
bei  der  Neubefestigung  der  Akropolis  in  die  nörd- 
liche Burgmauer  eingefügt,  so  bis  auf  heutigen  Tag 
erhalten  und  sorgfältig  nachgemessen  worden  sind'^). 
Zunächst  geht  aus  diesen  Messungen  zweifellos 
hervor,  dass  der  Maassstab,  welchen  die  Baumeister 
des  älteren  Parthenon  angewendet  haben,  genau 
nach  dem  attischen  Fusse  von  0,3083  m  normirt 
war,  welcher  am  Perikleischen  Parthenon  mit  Sicher- 
heit nachgewiesen  worden  ist").  Ein  und  zwanzig 
noch  erhaltene  grössere  Säulentrommelu  halten  im 
Durchmesser  6,233  F.  engl.  =  1,898  m,  d.  i.  genau 
6  attische  Fuss  2^/^  Daktylen;  fünf  andere  kleinere 
im  Durchmesser  von  5,601  F.  engl.  =  1,7055  m 
stellen  nicht  minder  genau  5  attische  Fuss  8'/^  Dak- 
tylen dar").  Aehnlich  sind  folgende  Dimensionen 
zu  beurtheilen''). 


Fuss 
engl. 


Metopen      des  Gebülkes  der  Fronten 

Triglyphen   „  „  ,  ,         

Metopen     des  Gebälkes  der  Flanken 

Triglyphen  „  ,  .  .         

Siiulenweite  von  Axe  zu  Axe  in  den  Fronten  .    . 
,       ,      ,      ,      .     Flanken  .    . 

'*)  In  ganz  analoger  Weise  hat  die  Ausgleichung  zwischen 
decimaler  und  sexagesimaler  Rechnung  in  dem  gemeingriechischen 
System  der  Längenmaasse  stattgefunden,  worüber  in  Fleckeisens 
Jahrb.  1867  S.  51»f.,  533f.  das  Niihere  zu  finden  ist. 

'^)  Berechnet  unter  Voraussetzung  eines  Fusses  von  0,331  m. 
Wittich,  Archäol.  Zeitg.  XXX  S.  30  deutet  dieselbe  Dimension 
zu  23'/4  „altgriechischen,  d.  i.  saniischen",  Fuss.  Nach  letzte- 
rem Maasse  würden  auf  die  Breite  des  Tempels  210,  auf  die  Liinge 
393Yi   Fuss  kommen. 

"■)  Ad.  Michaelis,  Der  Parthenon  S.  5  IT.,   119ff. 

")  Ilesychios  u.  d.  W.  Michaelis  S.  119. 

'")  Die  Dimensionen  des  voriiersischen  Parthenon  behandeln, 
ausser  Michaelis  a.  a.  O.,  li.  Strack  Archäol.  Zeitg.  XX  S.  241  ff., 
Wittich  ebenda  XXIX  S.  105  ff.    Die  Nachmessungen  rühren  her 


3,795 
2,49 
3,92 
2  72 
12,57 
13,28 


Meter 


1,1555 
0,7582 
1,1936 
0,8282 
3,8275 
4,0438 


Attische 

Fuss   1  Dakt. 

3 

12 

2 

7'/= 

2 

14 

2 

11 

12 

6V4 

13 

2 

Daraus  abgeleiteter 
Werth  des  attischen 
Fusses  in  Metern 


0,30813 

0,3071 

0,30803 

0,3082 

0,3082 

0,3081 


von  F.  C.  Penrose  An  Investigation  of  the  Frinciples  of  Athe- 
nian  Archilecture ,  London  1851,  ein  Werk,  welches  dem  Ver- 
fasser dieser  Zeilen  zur  Zeit  leider  nicht  zugänglich  ist.  Der 
von  Penrose  benutzte  Maassstab  des  englischen  Fusses  hat  sich 
nachträglich  als  um  0,001  zu  klein  herausgestellt;  deshalb  sind 
im  Folgenden  die  Messungen  Penrose's  reducirt  nicht  nach  der 
Bestimmung  des  engl.  Fu.sses  zu  0,30480  m  (Bessel),  sondern 
nach   einem  Fuss  von  0,3045  m. 

'3}  Metrologie  S.  52 f. 

20)  Michaelis,  Parthenon  S.  122. 

-')  Zusannuengestellt  nach  Wittich  a.  a.  0.  S.  108.  Wittich 
selbst  führt  die  Messungen  Penrose's  zurück  auf  samische  Fuss 
von  0,317  m,  welche  die  Eintheilung  in  12  (statt  Iti)  6(ixivi.ot 
gehabt  haben  sollen. 


Fr.  Hultsch,  Grundmaass  der  griechischeu  Tempel. 


95 


Mit  diesem  zuverlässigen  Maassstabe  ausgerüstet 
deuten  wir  nun  leicht  die  Hauptdimeusioneu  des 
Tempels.  Naeli  der  lichtvollen  Darstellung  Strack's 
(Jahrg.  XX  S.  243  f.  dieser  Zeitschr.)  hat  die  obere 
Fläche  des  Stereobats  103,12  Fuss  engl,  iu  die  Breite 
und  214,56  Fuss  in  die  Länge  betragen,  und  es 
entwickelt  sich  daraus,  wie  der  restaurirte  Plan 
nachweist,  ein  Stylobat  von  91,7  F.  engl.  Breite  und 
205  F.  Länge,  d.  i.  27,90  zu  62,42  m.  Letztere  Di- 
mension aber  entspricht  genau  202'/^  attischen  Fuss 
zu  0,3083  m,  während  die  Breite  9OV2  Fuss  ergiebt. 
Nun  verhält  sich  beim  Perikleischen  Parthenon  die 
Breite  des  Stylobats  zur  Länge  wie  4:9  (Metrolo- 
gie S.  53);  das  gleiche  Verhältuiss  kommt  aber  auch 
beim  älteren  Parthenon  heraus,  wenn  wir  die  Breite 
zu  90  statt  90'/j  Fuss  ansetzen.  Iu  neuerem  Maasse 
betrug  also  die  Breite  des  Stylobats  27,75  m  und 
die  Länge  62,42  m. 

Allein  die  90  und  202'^  attischen  Fuss  der  Breite 
und  Länge,  welche  wir  soeben  ermittelt  haben,  sind 
noch  nicht  diejenigen  Zahlenbeträge,  welche  ur- 
sprünglich beim  Baue  vorgeschwebt  haben.  Denn 
da  der  attische  Fuss  6%  mal  in  der  Klafter  der 
königlichen  Elle  enthalten  ist  (s.  die  Tabelle  oben 
S.  92),  so  erkennen  wir  in  deu  2Ü2'/j  Fuss  der  Länge 
das  Grundmaass  von  30  Klaftern,  woran  sich  eine 
Breite  von  13 '4  Klaftern  schliesst.  Wie  die  alten 
Baumeister  diese  Beträge  ausgesprochen  haben,  be- 
halten wir  uns  vor  noch  später  zu  zeigen. 

Die  Säulenhöhe,  mit  Michaelis  (S.  122)  zu  10  Mo- 
duli gerechnet,  würde  9,49  m  betragen.  Strack 
schätzt  sie  in  seinem  Plane  zu  30  Vj  F.  engl.  = 
9,363  m,  d.  i.  genau  30Va  attische  Fuss,  und  diese 
wiederum  lösen  sich  auf  zu  dem  glatten  Betrage 
von  4V2  Klaftern. 

Durch  die  Area  des  Stylobats  sind  Länge  und 
Breite  der  Cella  ungefähr  bestimmt.  Die  genauere 
Dimension  der  Länge  ist  mit  Recht  aus  der  oben 
angeführten  Stelle  des  Hesychios  ermittelt  worden. 
Beim  Perikleischen  Parthenon  nämlich  sind  Cella 
und  Opisthodomos  nebst  den  Mauern  in  einer  Länge 
von  158,56  F.  engl.  =  48,28  m  bemessen ;  rechnet 
man  nun  hiervon  50  attische  Fuss  =  15,41  m  ab, 
so  bleiben  für  die  Cellalänge  des  älteren  Parthenon 

Archüolog.  Ztg.   Jahrgant'  XXXVUI. 


32,87  m,  ein  Betrag,  den  Strack  in  seinem  Restau- 
rationsplan nur  unmerklich  geändert  hat,  indem  er 
die  Cellalänge  im  Licliten  zu  97 '/^  F.  engl.,  je  eine 
Mauerstärke  zu  5  F.,  mithin  die  ganze  Cellalänge 
zu  32,73  m  ansetzt.  Es  würden  nun  weiter  die  ent- 
sprechenden Beträge  in  griechischem  Maasse  anzu- 
geben sein;  doch  müssen  wir,  ehe  dies  geschehen 
kann,  zunächst  den  architektonischen  Maassstab  auf- 
suchen, welcher  dem  Perikleischen  Parthenon  zu 
Grunde  gelegen  hat. 

Der  Ausgang  ist  zu  nehmen  von  der  Benennung 
exazni^inEdog.  '  Hundertfüssig'  hat  man  das  Wort 
von  jeher  gedeutet  und  diesen  Betrag  auch  in  Wirk- 
lichkeit am  Parthenon  aufgefunden.  Aber  ursprüng- 
lich bedeutete  txaiöfineöog  doch  wohl  'hundertfiä- 
chig',  d.  i.  aream  numero  centenario  dimensam  coii- 
tinetis.  Wenn  es  also,  wie  nicht  zu  bezweifeln,  auch 
für  'huudertfüssig'  gebraucht  wurde,  so  geschah 
dies  nach  demselben  Sprachgebrauche,  wie  fivQiä- 
dsg  mit  weggelassenem  dqay^iiüv,  xsvTrjvccQiov  für 
centum  pondium,  ferner  cenletiarius  für  'hundert- 
pfüudig'  und  'hundertfüssig',  decietis  statt  einer 
Million  Sesterzeu  und  viele  andere  Benennungen 
der  Art  gesetzt  werden.  Uebrigens  mag  auch  die 
ähnliche  Form  ixaTÖf-inodog,  welche  schon  bei  Ho- 
mer (II.  f  164)  handschriftlich  sich  findet,  die  nicht 
seltene  Uebertraguug  der  Bedeutung  '  hundert- 
füssig' auf  ixaTÖj-inedog  veranlasst  haben.  Wie 
aber  der  Parthenon  dazu  kam  ixaro^nedog  genannt 
zu  werden,  geht  aus  einer  werthvoUeu  Notiz  bei 
Harpokration  hervor,  laut  welcher  nicht  sowohl  die 
Zahl  von  100  Fuss  (gar  viele  Tempel  waren  ja 
durch  grössere  Dimensionen  ausgezeichnet),  sondern 
die  schöne  Harmonie  des  Baues  die  Benennung 
veranlasst  hat").  Wir  deuten  demnach  den  ixa- 
zöfinsdog  Haqd^Evüv  als  einen  Tempel,  dessen 
Fläche  (welche  selbstverständlich  ein  längliches 
Rechteck  bildete)  nacli  der  Zahl  100  bemessen  war. 
In  attischem  Maasse  beträgt  die  Breite  des  Stylo- 
bats 100,  die  Länge  225  Fuss,  und  die  Breite  ver- 
hält sich  zur  Länge  wie  4 :  9.     Sowie  wir  nun  an 

--)  Harpokr.  u.  fznidunt  Jui';  ö  II(iQ9ev(av  vnö  iiyoif  (xa- 
jouTifJoi  (xciktUo  diu  xulkoi  xa'i  fvQvi/uiar,  Ol)  d/ci  fj^ytilog, 
üq  J\ltvix).t)i  ri  KaXliOKHixui  h  Tw  nn>\  l-i&ijfiSf. 

13 


96 


Fr.  Hultsch,  Grundmaass  der  griecbischen  Tempel. 


die  Ableitung  des  attischen  Fusses  aus  der  Klafter 
der  küiiigliclien  Elle  uns  erinnern,  reduciren  sich 
die  225  Fuss  der  Länge  auf  33 '/a  Klaftern,  und  wir 
können  sagen :  der  Tempel  war  bemessen  zu  100  Fuss 
in  die  Breite  und  zu  einem  Drittel  von  100  Klaftern 
in  die  Länge.  Aber  warum  sollte  es  nicht  ge- 
stattet sein,  das  Drittel  der  Klafter  selbst  als  einen 
selbständigen  Maassstab  aufzufassen?  Kennen  wir 
diesen  Maassstab  versuchsweise  die  attische  Bau- 
elle und  denken  ihn  uns,  wie  jede  Elle,  getheilt 
in  24  Daktylen.  Dann  war  der  Hckatompedos,  wie 
zu  100  Fuss  in  die  Breite,  so  zu  100  Bauellen  in 
die  Länge  geplant,  stellte  also  im  eigentlichsten 
Sinne  die  Fläche  dar,  welche  das  griechische  Wort 


bezeichnet.  Weiter  ergiebt  sich  unmittelbar,  dass 
Fuss  zu  Bauelle  sich  gerade  so  verhielt  wie  die 
Breite  des  Tempels  zur  Länge,  und  wir  können 
nun  sofort  einen  Maassstab  uns  reconstruiren,  wel- 
cher 2'/^  attische  Fuss  =  9  attische  Palästen  = 
0,6937  m  betrug  und  in  Vierundzwanzigstel  getheilt 
war.  Je  1  Vierundzwanzigstel  war  dann  gleich 
l'/j  Daktylen  des  gewöhnlichen  Fusses,  und  4  Vier- 
undzwanzigstel gliclien  sich  mit  6  attischen  Dak- 
tylen oder  l'/j  Palästen.  Um  nun  zu  verdeutlichen, 
wie  dieser  neue  Maassstab  aufzufassen  ist,  lassen 
wir  die  Einzeldimensionen  der  Stylobatlänge  '^) 
nebst  den  Reductionen  auf  attische  Fuss,  königliche 
Ellen  und  attische  Bauellen  folgen. 


Meter 


Attische 


Fuss 


tylen 


Königliche 
'   Dak- 


Ellen 


tvlen 


Attische 


Bau- 
ellen 


Dak- 
tylen 


Daraus  abgeleiteter 

Werth  des  Fusses 

in  Metern 


Pteron  mit  Vorstufe  zum  Naos 

Tiefe  des  Pronaos 

Wanddicke 

Cellalänge  im  Lichten 

Zwischenwand 

Opisthodoraos 

Wanddicke 

Tiefe  des  Posticum 

Pteron   mit  der  Vorstufe  zum  Naos 


5,217 
5,414 
2,077 

29,853 
0,952 

13,326 
2,074 
5,277 
5,25tt 


IC. 
17 

C 
96 

3 
43 

6 
17 
17 


14 

8'/. 
12 
12 

i'A. 

2 

12 

1 

L_ 


10 
10 

4 
57 

1 
25 

4 
10 
10 


9V: 


20 
13'/,, 

2V, 


7 
7 
3 

43 
1 

19 
3 
7 
7 


12 
19 


14 
14 


0,30915 

0,30882 

0,30766 

0,3085 

0,30805 

0,3090 

0,3072 

0,30925 

0,3082 


Stylobatlänge 09,45 

Welchen  von  diesen  drei  Maassstäben  sollen  wir 
nun  für  den  wahrscheinlichsten  erklären?  Die  Wahl 
zwischen  königlicher  und  Bauelle  fällt  nicht  schwer. 
Zunächst  geht  aus  der  früheren  Darstellung  hervor, 
dass  zwar  die  Klafter  der  königlichen  Elle,  nicht 
aber  dass  diese  Elle  selbst  nach  dem  griechischen 
Festland  übertragen  worden  ist.  Vollends  aber 
zeigen  die  auslaufenden  Brüche  von  '/j  Daktylen, 
dass  dieses  Maass  den  attischen  Architekten  fern 
gelegen  hat. 

Wir  haben  also  noch  die  Beträge  in  attischen 
Fuss  und  in  Bauellen  zu  vergleichen.  Im  Fussmaass 
müssen  wir  herabsteigen  bis  zur  Hälfte  des  Dak- 
tylos  =  9,6  mm;  dagegen  haben  wir  bei  der  Bau- 
elle nur  ganze  Daktylen  und  als  kleinstes  Theilmaass 
einen  Betrag  von  28,9  mm.  Dies  gicbt  wohl  den 
entscheidenden  Ausschlag  zu  Gunsten  der  Bauelle. 

Indcss    ist    immer   festzuhalten,    dass    attischer 


225      I      — 


133 


100 


0,30866 

Fuss  und  Bauelle  neben  einander  gehen,  nicht  eines 
das  andere  ausschliessen.  Es  wird  also  das  eben 
gewonnene  Eesultat  nicht  dadurch  umgestürzt  wer- 
den, wenn  beim  weiteren  Forschen  nach  den  Maassen 
des  Parthenon  irgend  eine  kleinere  Einzeldimension 
bequemer  auf  Brüche  des  Fusses  als  der  Bauelle 
sich  reduciren  sollte. 

Diese  Untersuchung  möge  für  spätere  Zeit  und 
Gelegenheit  aufbewahrt  bleiben.  Jetzt  ist  zunächst 
noch  die  Frage  zu  beantworten,  ob  die  Bauelle  be- 
reits bei  dem  vorpersischen  Parthenon  Anwendung 
gefunden  hat.  Von  vornherein  ist  dies  wahrschein- 
lich; denn  die  Dimensionen  des  jüngeren  Parthenon 
lehnen  sich  in  der  Hauptsache  eng  an  den  älteren 
Bau  an,  nur  dass  eine  Vergrösserung  etwa  in  dem 

■'■')  Zusammengestellt  nach  Wittich  Archüol.  Zeitg.  XXIX 
8.  109.  Der  englische  Fuss  Penrose's  ist,  wie  bereits  bemerkt 
wurde,  zu  0,3045  m  gerechnet. 


Fr.  Hultseh,  Giundmaass  der  griechischen  Tempel. 


97 


Verliältniss  von  9 :  10  eingetreten  ist.  Im  Einzelnen 
wird  die  Anwendung  der  Bauelle  für  den  älteren 
Parthenon  am  kürzesten  durch  folgende  Uebersicht 
nachgewiesen,  in  welcher  die  beigefügten  Zahlen 
allenthalben  Bauellen  bedeuten:  Stylobatbreite  40, 
Stylobatlänge  90,  Säulenweite  von  Axe  zu  Axe  im 
Pteron  der  Fronten  5"/,,,  desgleichen  im  Ptcron  der 
Flanken  57,^,  Säulenhühe  lo'/j,  Cellalänge  im 
Lichten  43"')!  Längenmauer  der  Cella  mit  Einschluss 
der  Flügel  5G'^),  Cellabreite  im  Lichten  23,  äussere 
Cellabreite  2G"),  Area  des  eigentlichen  Naos  in 
der  Breite  27"),  in  der  Länge  GT'/j.  Breite  und 
Länge  der  Naosarea  verhalten  sieh  wie  2:5,  die 
Quermauern  der  Cella  zu  den  Längenmauern  wie 
13:28. 

Mehrere  Gründe  tragen  dazu  bei,  diesen  Zahlen 
einen  hohen  Grad  von  Wahrsclieiulichkeit  zu  ver- 
leihen. Zunäclist  fällt  ins  Auge  die  durchgängige 
Abrundung  der  Beträge  und  die  Einfachiieit  der 
gegenseitigen  Verhältnisse.  Ferner  kommt  in  Be- 
tracht, dass  Strack  seinen  schönen  Recoustructions- 
plau  ohne  jede  vorgefasste  Meinung  betreffs  des  zu 
Grunde  liegenden  Maasses  entworfen  hat,  also  die 
nachträglich  hergestellte  Uebereinstimmung  mit  dem 

^*)  Wie  bereits  bemerkt,  schätzt  Strack  diese  Dimension  zu 
97Vj  F.  engl.  =  9GVi6  attisciie  Fuss  =  39,C5  m.  Wenn  wir 
statt  dessen  96V4  att.  F.  =  43  Bauellen  =  29,83  m  anneh- 
men, so  wird  die  geringe  Abweichung  hinlänglich  gestützt 
durch  die  Tradition  bei  Hesychios.  Denn  beim  Perikieisehen 
Parthenon  betragen  Cella  und  Opisthodomos  nebst  den  Mauern 
nach  der  oben  gegebenen  Specialiibersicht  156  att.  F.  7'/.j  Dakt.; 
davon  50  F.  ab,  bleiben  rund  IO6V2  Fuss.  Die  Mauerstärken 
schätzt  Strack  zu  5  F.  engl.  =  1,522  m,  wofür  wir  mit  un- 
merklicher Abweichung  4  att.  F.  14  Dakt.  =  1,603  ra  anneh- 
men. Zwei  solche  Mauerstärken  ergeben  also  9^/4  att.  Fuss 
=  4'/3  Bauellen  :=:  3,005  m.  Dazu  nach  der  eben  angeführten 
Annahme  die  Cellalänge  im  Lichten  von  96^/4  att.  F.  u.  s.  w. 
ergiebt  als  äussere  Cellalänge  lOG'/j  att.  Fuss  =  4773  Bauellen 
=  32,83  m. 

'*)  Genau  nach  Strack,  der  127'/2  F.  engl,  setzt,  das  sind 
126  att.  Fuss  =  I8V3  Klaftern  =  5G  Bauellen  =  38,84  m. 

-'')  Auch  diese  Dimensionen  sind  genau  aus  dem  Strack- 
schen  Plane  abgeleitet. 

-■)  Strack  nimmt  an  62'/s  F-  engl-  =  Cl,73  att.  F.,  wofür 
wir  60-74  att.  F.  =  9  Klaftern  =  27  Bauellen  setzen ,  eine  Ab- 
weichung, welche  durch  die  Gewinnung  des  glatten  Verhält- 
nisses 2:5  zwischen  Breite  und  Länge  gesichert  ist.  Denn  die 
Länge  der  Area,  welche  Strack  zu  155  F.  engl.  =  153,09  att.  F. 
schätzt,  braucht  nur  modificirt  zu  werden  zu  15 1^,  att.  F.  = 
22'/3  Klaftern  =  67 '/3  Bauellen,  um  die  eben  genannte  Propor- 
tion zu  erhalten. 


attischen  Maass  Zeugniss  ablegt  für  die  Richtigkeit 
der  Hyi)othese.  Endlicli  glaubt  Unterzeichneter 
noch  anfuhren  zu  dürfen,  dass  er  zunächst  alle  Di- 
mensionen nur  auf  attisches  Fussmaass  zurUckge- 
rechnet  und  dann  die  Reductionen  auf  Klaftern  der 
königlichen  Elle  beigefügt  hat.  Erst  im  Laufe  der 
Uutersuclmng  wurde  die  attische  Bauelle  entdeckt, 
nach  welcher  nun  in  ganz  unerwarteter  Weise  die 
anderweit  festgesetzten  Dimensionen  sich  so  ver- 
einfachten, wie  oben  gezeigt  worden  ist. 

Zum  Schluss  ist  noch  mit  wenigen  Worten  des 
Heraions  zu  Samos  zu  gedenken.  Dasselbe  ist  be- 
kanntlich nach  einem  Fussmaass  gebaut,  welches  zur 
königlichen  Elle  sehr  nahe  wie  3:5  sich  verhält^"), 
und  mit  hinlänglicher  Sicherheit  auf  0,31G  m  anzu- 
setzen ist*").  Aus  dem  Mittelbetrag  der  Säuleu- 
durchmesser  geht  hervor,  dass  G  samische  Fuss 
gleich  3y,  königlichen  Ellen  gerechnet  worden  sind. 
Dieses  Yerhältniss  liat  nun  in  den  Hauptdimen- 
sionen dabin  seinen  Ausdruck  gefunden,  dass  die 
Breite  des  Tempels  zu  160  Fuss,  die  Länge  zu 
50  Klaftern  der  königlichen  Elle  geplant  wurde. 
Daraus  leitet  sich  ferner  mit  grosser  Wahrschein- 
lichkeit das  Verhältniss  29:60  zwischen  Breite  und 
Länge  ab,  und  die  IGO  Fuss  reducireu  sich  auf 
24'/,,  Klafter.  Weiter  folgt  daraus,  dass  auf  die 
Klafter  G'7,9  samische  Fuss  kamen,  ein  Verhält- 
niss, das  offenbar  in  dieser  Form  niemals  Aus- 
druck gefunden  hat,  sondern  in  die  oben  ange- 
führte Gleichung  von  G  samischen  Fuss  mit  37,  königl. 
Ellen  umgesetzt  worden  ist.  Deshalb  haben  wir 
auch  in  der  oben  aufgeführten  Uebersicht  der  Fuss- 
maasse  nicht  den  samischen  Fuss  selbst,  wie  er  am 
Heraion  sicii  zeigt,  sondern  ein  Correlat  desselben 
eingesetzt,  welches  die  Mitte  zwischen  dem  grösse- 
ren olympischen  und  dem  attischen  Fusse  hält,  aber 


-*)  H.  Wittich  wies  in  Jahrg.  XV  dieser  Zeitschrift  diesen 
Fuss  am  Heraion  nach  und  bestimmte  ihn  zu  0,31565  m,  wofür 
er  später  abgerundet  3173  Centinieter  (XXIX  S.  37)  und  zuletzt 
0,317  m  setzte  (XXIX  S.  107). 

-')  Aus  dem  mittleren  Säulendurchmesser  von  1,8938  m  leitet 
sich  ab  ein  Fuss  von  0,3156  m,  aus  der  nur  abgeschätzten  Breite 
des  Tempels  ein  Fuss  von  0,3162  m,  ans  dem  Abstand  der  Säu- 
lenaxen  ein  Fuss  von  0,3167  m;  mithin  sind  0,316  m  ein  wahr- 
scheinlicher Durchschnittswerth. 

13* 


98 


G.  Treu,  Werke  des  Skopas. 


auch   in   dieser  Gestalt  ziemlicb  auÖ'iillig  zwischen 
die  übrigen  Jlaasse  sich  einschiebt. 

Die  eigenthüniliche  Stellung  des  samischen  Fusses 
geht  ausserdem  auch  noch  aus  der  anderweit  fest- 
gestellten Gleichung  hervor,  wonach  10  samische, 
d.  i.  gemeingriechische  Fuss  6  königlichen  Ellen 
entsprechen  ").  Die  Lüsung  aller  der  Fragen,  wel- 
che hieran  sich  knüpfen,  kann  nur  aus  dem  Ge- 
sichtspunkte der  Wegmaasse  entwickelt  werden, 
würde  also  dem  Zwecke  dieser  Zeilen,  die  es  le- 
diglich mit  architektonischen  Maassen  zu  thun  haben, 
fern  liegen. 

2»)  Vergl.  Fleckeisens  Jahrb.  1867  S.  SlSfF. 


Im  allgemeinen  darf  als  Norm  angenommen 
werden,  dass  alle  noch  so  verschiedenen  architek- 
tonischen Maassstäbe  (deren  Zahl  durch  weitere 
Untersuchungen  vermuthlich  sich  noch  vermehren 
wird)  aus  der  Klafter  der  königlichen  Elle  abzu- 
leiten sind,  und  ferner  dass  aus  dieser  grossen 
Vielheit  von  Maassen  nur  diejenigen  zu  weiterer 
Verbreitung  gelangt  sind,  welche  zugleich  als 
Wegmaasse  verwendet  wurden^'). 

Dresden.  Fr.  Hultsch. 

^')  Anlimgend  den  rümischen  Fuss  finden  sich  einige  An- 
deutungen in  Jahrg.  XXXVII  dieser  Zeitschr.  S.  178  f. 


WERKE  DES  SKOPAS 

im  Museum  zu  Piali  (Tegea). 


Milchhöfer  führt  in  seinem  Verzeichniss  tegea- 
tischer  Skulpturen  unter  anderem  folgende  Marmor- 
werke auf  (Mitth.  d.  Deutschen  Arch.  Inst,  in  Athen 
IV,  S.  13.3  f.) : 

'24.  Kopf  eines  Kriegers.  Piali,  bei  Joann  Kozaridis. 
Dem  Profildurchschnitt  nach  in  zwei  Hälften  gespalten,  wovon 
die  eine  über  der  Hausthür  eingemauert  ist.  H.  0,25.  Unter- 
kiefer und  Nase  fehlen.  Auf  dem  Kopf  ein  runder  Helm,  mit 
geschweiftem  Visir.  Das  Auge  liegt  tief  und  blickt  (schmerz- 
lich?) nach  oben.  Der  Augenknochen  darüber  ist  stark  ent- 
wickelt. Das  Haar  ist  zurückgestrichen;  das  Gesicht  unbärtig. 
Arbeit  nicht  vor  alexandrinischer  Zeit.' 

'25.  Jugendlicher  Aihle  tenkopf.  Ebenda.  H.  0,20. 
Ein  Stück  des  Schädels  fehlt.  Der  Kopf  ist  nach  links  geneigt; 
der  Hals  ist  ausserordentlich  stark  entwickelt  (heraklesartig). 
Nase  und  Mund  bestossen.  Augen  tiefliegend.  Die  niedrige 
Stirn  tritt  mit  dem  unteren  Theile  hervor.  Die  Ohren  sind  klein. 
Xicht  bedeutende  und  etwas  übertriebene  Replik  eines  bekannten 
Typus.' 

'26.  Stierkopf.  Ebenda.  Schnauze  fehlt.  Die  Haare 
sind  büschelartig  und  mit  besonderer  Sorgfalt  gearbeitet.  Die 
sehr  lebendig  gebildeten  Augen  liegen  tief  unter  den  gewölbten 
Augenknochen.     Arbeit  aus  guter  Zeit.' 

Dieser'Stierkopf"  ist  nichts  geringeres  als  ein 
Rest  vom  Haupte  des  kalydonischen  Ebers  aus  dem 
Ostgiebel  des  Athenatcnipels  zu  Tegea,  und  die 
beiden  übrigen,  von  Milchhöfer  beschriebenen  Köpfe 
stammen  meines  Erachtens  ebenfalls  unzweifelhaft 
von  den  Giebelgruppen  des  Skopas  her.     Alle  drei 


Stücke  befinden  sieh  jetzt  im  Museum  der  Dimarchie 
zu  Piali,  mit  Ausnahme  des  eingemauerten  Gesichts- 
theiles  von  24. 

Auf  den  Eberkopf  aufmerksam  geworden  zu 
sein ,  verdanke  ich  einer  mündlichen  Aeusserung 
Dörpfelds,  der  ihn  mit  Adler  zusammen  in  Piali 
gesehen  hatte.  Beide  Herren  hatten  den  Kopf  so- 
gleich richtig  erkannt,  ohne  damals  übrigens  von 
der  abweichenden  Deutung  Milchliöfers  Kunde  zu 
haben  und  ohne  dem  Fragmente  ihre  Aufmerksam- 
keit näher  zuwenden  zu  können.  War  doch  ihre 
Zeit  vollständig  von  den  architektonischen  Eesteu 
in  Anspruch  genommen,  deren  Untersuchung  auch 
sie  zu  der  bestimmten  Ueberzeugung  führte,  dass 
der  Tempel  der  Athena  Alea  von  Milchhöfer  in  der 
That  gefunden  sei. 

Audi  von  dem  Jünglingskopfe  No.  25  hatte  ich 
bereits  in  Olympia  gehört  und  zwar  durch  Kavadias, 
der  Milchhöfer  nach  Tegea  als  Ephoros  der  grie- 
chischen Ilegierung  begleitet  hatte.  Auf  meine 
Frage,  ob  denn  in  Piali  nichts  von  den  Giebeln 
des  Skopas  vorhanden  sei,  hatte  er  auf  jenen  Kopf 
als  vielleicht  hineingehörig  hingewiesen  und  sich 
auf  den  Stil   und  die  Abmeisselung   des  Schädels 


G.  Treu,  Werke  des  Skopas. 


99 


berufen.  Den  Eberkopf  hatte  avxeh  er  für  ein  Stier- 
baupt  augeseben. 

Diese  Nacbriebten  veranlassten  mich,  auf  meiner 
Rückreise  aus  Olympia  das  Museum  von  Piali  nach 
Resten  der  skopasiscben  Giebelgruppen  zu  durch- 
forschen, mit  der  Absicht,  die  Abformung  der  wich- 
tigsten Stücke  durch  den  Gypsgiesser  Kaludis  zu 
bewirken,  der  sich  in  unserer  Begleitung  befand. 
Diese  letztere  Absicht  scheiterte  leider  an  dem 
Widerstand  des  Dimarchen.  Alle  Vorstellungen, 
dass  eine  Abformung  der  betreffenden  Stücke  dem 
Plane  einer  Wiederaufnahme  der  Ausgrabungen  und 
daher  auch  dem  Wohlstande  des  Dorfes  nur  förder- 
lich sein  könnte,  waren  vergeblich  und  haben  uur 
den  Erfolg  gehabt,  die  mir  für  das  Studium  des 
Museums  ohnehin  schon  knapp  zugemessene  Zeit 
auf  kaum  eine  Stunde  zu  reduciren. 

Wenn  ich  es  dennoch  wage,  unter  so  ungünstigen 
Umstcänden  gemachte  und  daher  so  unvollständige 
Beobachtungen  au  dieser  Stelle  mitzutiieilen,  so  ge- 
schieht es,  weil  ich  deren  Richtigkeit  dennoch  ver- 
treten zu  können  glaube  und  es  bei  der  Wichtig- 
keit der  Frage  für  meine  Pflicht  halte,  nach  Mög- 
lichkeit zu  einer  Prüfung  des  Thatbestandes  an  Ort 
und  Stelle  aufzufordern,  bis  es  mir  gelingt  Ab- 
güsse oder  Abbildungen  herbeizuschaffen.  — 

No.  26  ist  der  mittlere  Theil  eines  etwa  lebens- 
grossen  Thierkopfes  (H.  30,  Br.  43  Cm.).  Ihm 
fehlen  einerseits  die  Schnauze,  andrerseits  Stirn, 
Ohren  und  der  grösste  Theil  des  Halses.  Wenn 
also  auch  gerade  die  bezeichnendsten  Theile  abge- 
brochen sind,  so  ist  doch  auch  in  dieser  Verstüm- 
melung noch  der  Eber  an  folgenden  Merkmalen 
sicher  zu  erkennen:  erstens  an  der  vollständigen 
und  dichten,  borstenartigen  Behaarung  von  Hals, 
Kinnladen,  Wangen,  Stirn,  Nase,  kurz  des  ganzen 
Kopfes;  ferner  an  der  durch  die  Hauer  veranlassten 
Emporziehung  der  Oberlefze,  deren  Ansatz  noch 
deutlich  erkennbar  geblieben  ist,  obgleich  die  ganze 
Spitze  der  Sciinauze  mitsamt  den  Hauern  selbst 
fehlt.  Endlich  verräth  sich  der  Eberkopf  in  der 
wagerechten  Linie,  welche  die  Kinnladen  mit  dem 
Halsansatz  bilden:  bei  einem  Stiere  müsste  zwischen 
beiden,   bei  der  gewöhnliehen  Kopfhaltung  wenig- 


stens, ein  einspringender  Winkel  entstehen.  Augen 
und  Augenknochen  dagegen  sind  für  einen  Eber- 
kopf allerdings  etwas  zu  gross  und  kräftig;  aber 
dieser  in  den  Eberdarstellungen  der  griechischen 
Kunst  häufiger  vorkommende  Verstoss  gegen  die 
Natur,  welcher  die  Verwechselung  mit  einem  Stier- 
kopf veranlasst  haben  mag,  ist  zwar  in  der  Ober- 
ansicht der  Stirnpartien  sehr  merklich,  beeinträch- 
tigt jedoch  das  Profil  des  Eberkopfes  viel  weniger. 
Dass  dieser  in  der  That  für  die  Ansicht  von  der 
linken  Seite  her  gearbeitet  war,  beweisen  zwei 
Dubellöcher  mit  Bleiverguss  an  der  rechten  Seite 
des  Maules.  Ich  nehme  an,  dass  dieselben  zur  Be- 
festigung des  Ebers  vor  einer  Wand  gedient  haben 
und  denke  dabei  mit  Adler  und  Dörpfeld  an  den 
Giebel  des  Atheuatempels  mit  der  kalydonischen 
Jagd. 

Grösse  und  Stil  stimmen  zu  dieser  Annahme 
vortrefflich.  Die  Dimensionen  des  Thieres  werden 
die  des  bekannten  florentinischen  Ebers  noch  über- 
troffen haben.  Die  Arbeit  weist,  mit  diesem  ver- 
glichen, auf  eine  frühere,  weniger  naturalistisch  ge- 
stimmte Zeit.  Sie  trägt  deutlich  einen  freien  und 
geistreichen,  aber  auch  durchaus  dekorativen  Cha- 
rakter, wie  dies  grade  bei  einer  Giebelgruppe  sehr 
begreiflich  ist.  Wie  Milchhöfer  die  Haare  als  mit 
besonderer  Sorgfalt  gearbeitet  bezeichnen  konnte, 
versteht  man  nur,  wenn  man  sich  dessen  erinnert, 
dass  er  an  einen  Stierkopf  dachte:  denn  dann  aller- 
dings wäre  die  Sorgfalt  soweit  getrieben,  selbst 
dort  gesonderte  Haarpartieen  zu  bilden,  wo  in  der 
Natur  lediglich  glattes  Fell  zu  sehen  ist. 

Entschieden  wird  die  Frage  der  Zugehörigkeit 
vollends  durcli  den  Umstand,  dass  der  Eberkopf 
sich  noch  jetzt  mit  zwei  anderen,  von  demselben 
Tempel  stammenden  Giebelköpfen  zusammen  in  dem 
Besitz  eines  Bauern  von  Piali  befindet,  dessen  Grund- 
stück vor  der  Südostecke  des  Atheuatempels 
gelegen  ist,  also  ganz  nahe  von  der  Tempelfront, 
die  Skopas  mit  der  Darstellung  der  kalydonischen 
Jagd  schmückte.  Dass  der  Besitzer  alle  drei  Stücke 
auch  auf  seinem  Grundstücke  ausgegraben  haben 
werde,  ist  allerdings  nur  eine  Annahme,  aber,  wie 
man  zugeben  wird,  eine  sehr  wahrscheinliche.    Uud 


100 


G.  Treu,  Weike  des  Skopas. 


selbst  wenn  sie  sich  als  irrig  erweisen  sollte,  so 
bliebe  doch  immer  sicher,  dass  der  Eberkopf  in 
oder  bei  Piali,  also  in  dem  Tempelgebiet  der  Atheua, 
und  zwar  zusammen  mit  anderen  Giebelköpfen  zum 
Vorschein  gekommen  ist. 

Jene  beiden  lebensgrossen  Jünglingskopfe  (siehe 
oben  No.  24  und  25)  zeigen  ungefähr  den  Typus, 
den  wir  bisher  der  alexandriuischen  Epoche  zuzu- 
weisen gewohnt  waren.  Mit  ihrem  tief  liegenden, 
schmerzlich  aufblickenden  Augen,  der  vorgebauten 
Uuterstirn ,  dem  markirten  Muskelspiele  sehen  sie 
etwa  aus,  wie  in  Form  und  Ausdruck  gesteigerte, 
pathetischer  gestimmte  Niobideuköpfe.  Sie  gleichen 
hierin  völlig  den  Köpfen  vom  Mausoleumsfriese; 
ja  selbst  die  Helmform  von  24  kehrt  dort  genau 
so  wieder  (z.  B.  Newton  Discoveries  Taf.  10,  oben 
=  Overbeck  Plastik  IP  Fig.  86,  m). 

Von  Seiten  des  Stiles  und  der  Grösse  steht  einer 
Zuweisung  dieser  Köpfe  zu  den  Skopasgiebeln  also 
wol  nichts  im  Wege.  Entschieden  wird  die  Sache 
aber  durch  den  Umstand,  dass  sie  nur  an  einer 
Seite  völlig  ausgearbeitet  sind.  Die  rechte 
Kopfseite  ist  nämlich  bei  beiden  nur  aus  dem  Hohen 
gehauen,  und  bei  25  ist  sogar  noch  ein  Theil  des 
Schädels  in  der  Scheitelgegend  in  gerader  Fläche 
abgespitzt,  offenbar  um  ihn  leichter  unter  der  ein- 
engenden Giebelsima  unterbringen  zu  können. 

Wie  dies  alles  Milchhöfer  hat  entgehen  können, 
ist  mir  völlig  räthselbaft.  Von  der  auffallenden 
Vernachlässigung  der  einen  Seite  au  jenen  Köpfen 
redet  sein  Bericht  mit  keinem  Worte.  Und  auch 
über  jene  Abmeisselung  des  Scheitels  hat  er  sich 
mindestens  undeutlich  ausgesprochen.  Dass  dem 
'Athletenkopf'  Xo.  25  'ein  Stück  des  Schädels 
fehle'  konnte  leicht  dahin  verstanden  werden,  dass 


dieser  Theil  bloss  abgebrochen  sei.  Dass  er  end- 
lich in  dem  einen  dieser  Köpfe  die  'nicht  bedeu- 
tende und  etwas  übertriebene  Replik  eines  be- 
kannten Typus'  sah,  mag  auf  Rechnung  des  üblen 
Zustandes  kommen,  in  dem  sich  der  Kopf  befindet. 
Dass  uns  aber  aus  den  erhaltenen  Theilen  des 
behelmten  Jünglingskopfes  Art  und  Kunst  eines 
ganz  grossen  Meisters  entgegenleuchten,  wird  wol 
auch  er  zugeben. 

Zu  alledem  gesellt  sich  ein  äusseres  Kriterium 
der  Zugehörigkeit  aller  dieser  Stücke  zum  Tempel 
der  Atheua  Alea,  das  Milchhöfer  ebenfalls  entgangen 
ist:  sie  sind  sämmtlich  aus  demselben  Marmor 
von  Dolianä  gemeisselt,  aus  dem  nach  Milchhöfers 
und  Siegels  Beobachtungen  der  ganze  Tempel  ge- 
baut war  (s.  Mittiieilungen  IV  S.  135  Anm.).  Wenn 
ersterer  daher  (ebenda  V.  S.  GS),  von  einem  neuer- 
dings bei  der  Paleo-Episkopi  gefundenen  Arme, 
'dem  einzigen  unter  den  ihm  bekannt  gewordenen 
antiken  Resten,  welcher  sich  mit  einiger  Wahr- 
scheinlichkeit den  Giebelgruppen  zutheileu  Hesse', 
behauptet,  er  sei  aus  parischem  Stein,  so  wage  ich 
hieran  Zweifel  zu  äussern,  obgleich  ich  es  leider 
versäumt  habe  i!m  auf  sein  Material  hin  zu  unter- 
suchen. Auch  mir  schien  der  Arm  übrigens  sicher 
zum  Giebel  zu  gehören  und  zwar  nicht  nur  wegen 
der  Uebereinstimmung  seiner  Arbeit  mit  jenen  Köpfen, 
sondern  auch  weil  an  der  einen  Seite  desselben  die 
ßaspelstriche  stehen  geblieben  sind. 

Nach  allem  diesem  scheint  es  mir  unzweifelhaft, 
dass  in  Piali  Reste  der  Giebelgruppen  des  Skopas 
vorhanden  und  noch  zu  finden  sind.  Möge  hier 
der  Spaten  bald  wieder  angesetzt  werden,  um  auch 
diese  kostbaren  Schätze  zu  heben. 

Berlin,  Juli  1880.  Georg  Tkeu. 


101 


MISCELLEN. 


ÜBER  DIE  STATUEN  AUS  AEGION. 


In  den  „Mittheilungen  des  Deutsehen  Archäolo- 
gischen Instituts  in  Athen"  III  S.  95—103  veröifent- 
licht  Körte  zwei  Statuen  aus  Aegion:  Hermes  und 
eine  weibliche  Porträtstatue.  Während  er  nun  zu 
der  ersteren  eine  ganze  Reihe  von  Analogien  (B—G 
und  a — Ä)  aufzählt  und  sogar  die  schon  von  Conze 
(Reise  auf  den  Inseln  des  thrak.  Meeres  S.  19)  her- 
beigezogene Dresdener  Statue  (Augusteum  T.  54) 
erwähnt,  die  dem  vorliegenden  Typus  doch  ziem- 
lich ferne  steht,  zieht  er  für  die  weibliche  Gewand- 
figur nur  drei  verwandte  Bildwerke  herbei,  von 
denen  überdies  das  zweite  ein  Relief,  das  dritte, 
eine  Statue  „mehr  abweichend  im  Motiv"  ist.  Sehr 
auifallend  ist  es,  in  dieser  Reihe  nicht  der  berühm- 
ten Dresdener  Statue  zu  begegnen  (Augusteum  T.  23, 
24.  Hettner  Catal.  no.  162),  die  bekannt  ist  unter 
dem  Namen  des  Mädchens  aus  Herculaneum.  Die 
Aehnlichkeit  beider  Statuen  ist  vom  Wirbel  bis  zur 
Zehe  eine  geradezu  frappante,  die  Höhe  der  Dres- 
denerbeträgt 1,70,  die  der  Statue  aus  Aegion  l,G9m., 
die  Haartracht,  das  Gewandmotiv,  die  Haltung  der 
Arme,  die  Stellung  der  Beine,  alles  ist  über- 
raschend ähnlich,  nur  sind  bei  der  Dresdener  Statue 
die  Zehenspitzen  des  linken  Fusses  unter  dem  Ge- 
wand verborgen,  der  rechte  Fuss  ist  also  weniger 
•weit  zurückgesetzt  als  bei  der  anderen,  eine  Eigen- 


thümlichkeit,  die  sie  mit  der  von  K.  zuerst  genann- 
ten Statue  von  Andros  gemein  hat.  K.  versetzt 
beide  Statuen  in  die  römische  Kaiserzeit.  Das  Ge- 
wandmotiv des  herculanischen  Mädchens  stimmt  je- 
doch nach  Hettner  a.  a.  0.  „ganz  mit  einer  aus 
Theben  stammenden  Terrakotta  {Elgin  Marlies  II 
p.  122)  überein,  deren  Entstehung  entschieden  vor 
die  Kaiserzeit  gesetzt  werden  muss,  und  ebenso  mit 
Terrakotten  aus  Tanagra."  Körte  selbst  giebt,  hin- 
sichtlich der  Verwendung  der  beiden  Statuen  aus 
Aegion  als  Grab  schmuck,  zu,  dass  derartige  Grab- 
anlagen mit  Hermes-  und  Porträtstatuen  schon  im 
zweiten,  ja  vielleicht  dritten  vorchristlichen  Jahr- 
hundert sich  finden  konnten.  Einzig  die  von  K. 
behauptete  Verwandtschaft  des  Hermes  mit  den 
Werken  der  Pasitelischen  Schule  würde  demnach 
zu  einer  Versetzung  in  den  Anfang  der  Kaiserzeit 
nöthigen;  jedoch  ist  diese  Verwandtschaft  nicht 
nachgewiesen  und  aus  der  Abbildung  nicht  zu  er- 
kennen. Jedenfalls  aber  darf  in  der  Reihe  der 
Analogien  zu  der  weiblichen  Gewandfigur  aus  Aegion 
die  Dresdener  Statue  no.  162  nicht  fehlen,  und  auf 
diese  aufmerksam  zu  machen,  ist  der  Zweck  dieser 
Zeilen. 

Ueidenheim,  Ende  Mai  1880. 

Paul  Weizsäcker. 


NIKE  UND  LINOS. 


Einige  Besonderheiten  in  dem  vielbesprochenen 
Bilde  der  angeblich  aus  Nola  stammenden  r.  f  Le- 
kythos  n.  855  des  Berliner  Museums  (Arch.  Ztg. 
1848  Taf.  21,  1),  auf  welche  mich  C.  Robert  zuerst 
aufmerksam  machte  —  namentlich  die  eigenthümliche 
Form  der  Flügel  der  Nike,  deren  Federn  sämmtlich 


von  fast  gleicher  Länge  sind  und  die  von  den 
Vasenbildern  dieses  Stils  abweichende  Bildung  der 
Locken  des  als  Linos  bezeichneten  Jünglings  — 
veranlassten  mich  während  meiner  Thätigkeit  am 
Antiquarium  des  kgl.  Museums  im  Sommer  vorigen 
Jahres   eine    genaue  Prüfung  des  Gefässes  vorzu- 


102 


G.  Löschcke,  Catagusa. 


nehmen.  Auf  Wunsch  der  Redaction  dieser  Zeitung 
theile  ich  hier  kurz  das  Resultat  derselben  mit, 
•welches  die  maunigfachen  an  dieses  Vasenbild  ge- 
knüpften Erörterungen ')  in  unerwarteter  Weise  er- 
ledigt. Verdacht  erweckend  erschien  schon  die 
ganze  Technik  des  Gefässes,  dessen  Firniss  auf- 
fallend stumpf  ist,  während  die  Linien  der  Zeich- 
nung nicht,  wie  bei  allen  ächten  Vasen,  erhaben 
hervortreten.  Geliudes  Waschen  mit  Spiritus  ge- 
nügte ,  um  diesen  Verdacht  zur  Gewissheit  zu 
bringen.  Weder  irgend  ein  Theil  der  Zeichnung 
noch  die  Inschriften  widerstanden  diesem  Ver- 
fahren, durch  welches  bekanntlich  ächte  Vasenzeich- 
nungen in  keiner  Weise  angegriffen  werden.  Von 
dem  ganzen  Gefäss  scheint  nur  das  Schulterstück 

')  Gerhard  Berlin's  antike  Bildwerke,  Vasensammlung 
no.  855;  Arch.  Ztg.  1848  S.  321;  O.  Jahn,  Arch.  Beiträge 
S.  97  6".;  Friederichs  Arch.  Ztg.  1865  S.  80;  Knapp  ebenda 
1876  S.  124. 


antik  zu  sein:  an  diesem  ist  der  Thon  viel  härter 
als  an  den  übrigen  Theilen  und  die  Linien  des 
Palmettenornamentes  zeigen  jene  charakteristische 
Erhabenheit. 

Aus  dem  Kreise  der  Vasen,  welche  Nike  einen 
Jüngling  verfolgend  zeigen,  ist  die  unsrige  also 
zu  streichen  und  damit  fallen  die  auf  die  letztere 
begründeten  Erklärungen  jenes  Darstellungskreises. 
Der  von  Nike  verfolgte  Jüngling  wird  vielmehr, 
wie  ich  schon  Arch.  Zeitg.  1878  S.  112  ausgeführt, 
einfach  als  siegreich  und  zwar  der  Leier  wegen, 
die  er  in  der  Hand  hält,  als  siegreich  in  den  mu- 
sischen Künsten  aufzufassen  sein.  —  Uebrigens  ist 
unsre  Vase  nicht  die  einzige  gefälschte  unter  den 
aus  der  von  Koller'schen  Sammlung  stammenden 
des  Antiquariums,  und  verhältnissmässig  viele  der- 
selben sind  mehr  oder  weniger  stark  interpolirt. 

Göttingen.  G.  Körte. 


DIE  CATAGUSA  DES  PRAXITELES. 


Auch  Overbeck's')  Erklärung  der  vielumdeuteten 
catagusa  als  eine  Darstellung  der  Anodos  der  Kora 
bietet  kaum  die  endgiltige  Lösung.  Oder  ist  es 
wirklich  wahrscheinlich,  dass  man  eine  Gruppe  wie 
Overbeck  sie  voraussetzt:  „Hekate  die  aufsteigende 
Kora  der  Demeter  zuführend"  kurzweg  als  xarä- 
yovaa  benannt  hätte,  also  nach  einer  Nebenfigur? 
Vielmehr  führt  einzig,  so  viel  ich  sehe,  ein  Weg  zum 
Ziel,  auf  den  Förster ')  hingewiesen  hat,  freilich  ohne 
ihn  selbst  einzuschlagen.  Er  erinnert  daran,  dass 
in  den  Worten  des  Plinius  (Praxiteles)  fecii  Proser- 
pinae  raptum,  item  catagusam  keinerlei  Nöthigung 
liegt,  um  innere  Beziehung  der  beiden  Werke  auf 

')  Kunstmjthologie  HI  433  ff. 
')  Raub  der  l'ersephone  105. 


einander  anzunehmen.  Damit  tritt  die  xaxäyovaa 
des  Praxiteles  aber  völlig  in  eine  Reihe  mit  der 
ipeXiovj^isvT]  und  wahrscheinlich  auch  der  axeqxivovaa 
desselben  Künstlers  und  erklärt  sich  ungesucht  als 
Votiv-  oder  Porträtstatue  eines  spinnenden  Mäd- 
chens. In  wie  weit  die  schöne  Bronzestatue  einer 
Spinnerin  in  München^)  und  die  Marmorcopie  des- 
selben Originals,  die  sich  einst  bei  Depoletti  in  Rom 
befand  ^),  praxitelischen  Charakter  im  Einzelnen  be- 
wahrt haben,  vermag  ich  hier  nicht  zu  entscheiden. 

Dorpat.  G.  Loeschcke. 

'J  Brunn,  Beschreibung  der  Glyptothek  314.    Museo  Chiara- 
monti  II   tav.  A. 

■•)  Kunstblatt   1838  S.  350. 


103 


BERICHTE. 


ERWERBUNGEN  DES  BRITISCHEN  MUSEUMS  IM  JAHRE  1879. 
Aiiszue;  aus  C.  T.  Newton's  Bericht  an  das  Parlament. 


Marmor.  Fragment  vom  Friese  des  Mausso- 
leums:  Obertbeil  einer  mit  ihrer  Streitaxt  vorwärts 
stürmenden  Amazone  (abgeb.  Newton  Travels  and 
discoveries  I  pl.  1  p.  44).  Geschenk  des  Sultans; 
vormals  im  kaiserl.  Museum  zu  Constautinopel. 
Unter  den  1856  zu  Budrum  ausgegrabenen  Resten 
ist  das  Fragment  eines  linken  Schenkels,  das  zu 
der  neu  erworbeneu  Figur  gehört.  —  Kopf  des  Eu- 
ripides  von  wunderbarer  Erhaltung;  auch  die  Nase 
ist  vollständig.  —  Kopf  von  einer  Statue  des  jugendl. 
Dionysos,  veröflentlicht  von  Robert  Annali  d.  Inst. 
1875  tav.  C.  Spuren  rother  Farbe  im  Haar,  das 
einen  Epheukranz  trug.  —  Kopf  des  Apollo,  trotz 
der  Verstümmelung  der  Züge  von  besonderem  In- 
teresse durch  seine  Aehnlichkeit  mit  dem  Apollo 
Pourtales.  Abg.  Monumenli  d.  Inst.  X  t.  19  und 
Otfr.  Müller,  Mittheilungen  aus  Griechenl.  T.  4  rf. 
—  Mäuul.  Kopf,  bartlos,  mit  Flügelhelm  also  wahr- 
scheinl.  Perseus.  Aeusserst  verrieben,  aber  sehr 
edel.  —  Weibl.  Kopf,  Exemplar  eines  in  mehreren 
Repliken  bekannten  für  Sappho  erklärten  Typus, 
dessen  Original  wahrscheinlich  aus  der  besten  Zeit 
attischer  Kunst  stammt.  Die  Nase  ist  ergänzt.  — 
Kleiner  Kopf  des  Eros  von  schöner  Arbeit  und  sehr 
guter  Erhaltung.  Vermuthlich  zu  einer  Statue  des 
Bogenspauners  wie  Grieeh.-röm.  Galerie  uo.  145  ge- 
hörig. —  Kopf  Alexanders  des  Grossen,  der  Hals  auf 
die  eine  Seite  gebeugt.  Er  ist  in  der  Auffassung 
gänzlich  verschieden  von  dem  schon  im  Museum 
befindlichen  Alexauderkopfe  und  mit  viel  grösserem 
Raffinement  gearbeitet,  vernmthlich  die  Copie  einer 
berühmten  Bronze  aus  der  Zeit  des  Lysipp.  — 
Schöner  Kopf  des  Augustus  in  mittleren  Jahren, 
ohne  Nase;  charakteristischer  halber  Kopf  des 
Tiberius;  Kopf  des  Trajau;  4  weibl.  Porträtköpfe 
u.   A. 

Bronzen.  Votivhand,  einen  Tannenzapfen  hal- 
tend; auf  der  Rückseite  eine  Schildkröte  und  eine 
Eidechse,  auf  der  Handfläche  ein  Täfelchen,  auf 
dem  Gelenk,  um  welches  sich  eine  Schlange  windet, 
steht  die  griech.  Weihinschrift  an  den  Gott  Saba- 
zios  (Archäolog.  Ztg.    1854   S.  440,   0.   Jahn  Be- 

Archiiolüij.  Zv^.,  Jahrgang-  XXXVlll. 


richte  der  Sachs.  Gesellsch.  d.  W.  1855  S.  102.  Vgl. 
Dilthey  Archäolog.  epigr.  Mittheilungen  aus  Oesterr. 
1878  S.  57).  —  Komischer  Schauspieler  auf  einem 
Altar  sitzend.  Gefunden  zu  Migalo  Castro  in  Kreta. 
Wie  das  vorige  Stück  aus  der  Sammlung  des  Lord 
Londesborough.  —  Kleiner  weibl.  Kopf,  mit  Lorber 
bekränzt.  Gef.  1874  zu  Apt,  Vaucluse.  —  Lebens- 
grosser  r.  Arm,  welcher  die  r.  Hand  einer  zweiten 
Figur  fasst.  Von  einem  Taucher  in  der  See  bei 
der  Stadt  Rhodus  gefunden.  —  Statuette  des  Apollo, 
von  sehr  schöner  Erhaltung,  doch  fehlen  die  Arme. 
Angebl.  aus  Thessalien. 

Inschriften.  Griechisch:  Langes  Fragment 
enthaltend  eine  Liste  von  Beitragenden,  wahrscheinl. 
zu  einem  öö'entlichen  Darlehen.  Aus  Rhodus.  — 
Inschrift  aus  Cerigo.  —  Vierzeilige  Steinschrift 
enthaltend  einen  Theil  von  der  Datirung  und  dem 
Praescript  des  Decretes  eines  parthischen  Königs 
aus  der  Dynastie  der  Arsaciden.  Aus  Babylon.  — 
Lateinisch:  Bronzeschale  mit  flachem  zum  Auf- 
hängen durchbohrtem  Rand  und  der  Inschrift 

QCARMINIVS 
OPTATVS 
LARIBVS 

Gefunden  bei  Mailand,  früher  in  der  Sammlung 
Biondelli.  —  Drei  Augenarztstempel:  Grotefend 
no.  38.  56.  57. 

Terracotten.  Statuette  einer  sitzenden  Göttin, 
wahrscheinlich  Artemis,  ein  Rehkälbchen  haltend.  — 
Ganymed  einen  Hahn,  Frau  eine  Gans  haltend. 
Beide  aus  Kleinasien.  —  Ciste  in  der  Form  eines 
Todtenbettes,  auf  welchem  eine  weibl.  Figur  aus- 
gestellt ist.  In  demselben  archaischen  Stil  wie  die 
1873  von  Castellani  gekaufte  Ciste  mit  den  beiden 
lagernden  Figuren  desselben  Fundortes  Cervetri.  — 
Aus  Tanagra:  Bekleidete  Frau  in  reizender  Hal- 
tung; Frau  in  Chiton  und  Mantel;  eine  stehende  und 
zwei  kleine  sitzende  Figuren,  wahrscheinlich  alter- 
thümliche  in  Böotien  verehrte  Gottheiten  darstellend; 
Silen  eine  Scheibe  haltend;  Silen  mit  dem  Kinde 
Dionysos  auf  der  Schulter;  Amme  ein  Kind  nährend. 

14 


104 


Sitzungsberichte. 


Geschnittene  Steine  und  Goldschmuck. 
Gediegenes  Armband  1862  in  Pompei  gefunden.  — 
Ring  mit  gesehn.  Sarder:  Krieger  einen  Helm  hal- 
tend; ein  andrer  mit  Jasper:  Hermes  mit  Geldbeutel; 
Armband-Fragment  von  Bracteatengold  mit  Jasper: 


Fortuna;  Ohring  mit  Onyx:  Stier.  Diese  4  Stücke 
mit  noch  8  andern  erworbenen  Schmuckgegenstän- 
den von  Gold  stammen  aus  einem  Grabe  zu  Tor- 
tosa  in  Phönicien  und  waren  früher  in  der  Samm- 
lung des  Prinzen  Napoleon  Bonaparte. 

M.  F. 


SITZUNGSBERICHTE. 

Festsitzung  des  archäologischen  Instituts  in  Rom,  23.  April  1880. 


Den  Tag  der  Palilien  feierte  das  Institut  dies- 
mal in  Gegenwart  Ihrer  Kaiserl.  Hoheit  der  Frau 
Kronprinzessin  Victoria.  Die  Secretäre  und  Stipen- 
diaten desselben  empfingen  die  hohe  Frau  am  Ein- 
gange des  Hauses  und  geleiteten  dieselbe  in  den  mit 
frischem  Grün  geschmückten  Sitzungssaal.  Herr 
Prof.  Henzen  hielt  dann  eine  kurze  Ansprache, 
worin  er  die  Bedeutung  des  Tages  hervorhob  und 
die  Anwesenheit  Ihrer  Kaiserl.  Hoheit  als  ein  neues 
Zeugniss  der  wohlwollenden  Theilnahme  des  Kaiser- 
lichen Hauses  begrüsste. 

Derselbe  eröffnete  darauf  die  Reihe  der  Vorträge 
mit  der  Erklärung  einer  Inschrift,  welche  kürzlich 
auf  dem  römischen  Forum,  nahe  dem  Bogen  des 
S.  Severus,  blossgelegt  worden.  Sie  findet  sich  auf 
einem  Marmorblock,  welcher  augenscheinlich  einst 
als  Basis  einer  Reiterstatue  diente  und  wurde  zu 
Ehren  der  Truppen,  welche  im  J.  405  u.  Chr.  unter 
Führung  des  Stilicho  das  Heer  des  Radagais  bei 
Fiesole  vernichteten,  vom  römischen  Senat  und  Volk 
durch  Vermittlung  des  Stadtpräfecteu  Pisidius  Ro- 
mulus  errichtet.  Der  Vortragende  verbreitete  sich 
in  kurzen  Worten  über  die  Lage  des  Römischen 
Reiches  seit  dem  Tode  des  grossen  Theodosius  und 
besprach  namentlich  die  Inschriften,  welche  sich 
auf  die  politischen  und  kriegerischen  Begebenheiten 
jener  Zeiten  beziehen,  so  die  Ehrenbasen  des  Sti- 
licho, gesetzt  die  eine  nach  der  Ueberwindung  des 
Gildo,  die  andere  gleichzeitig  mit  der  neuen  In- 
schrift; die  Inschriften,  welche  die  Ausbesserung 
der  Mauern,  ThUrme  und  Thore  Roms  zur  Zeit  des 
ersten  Einfalls  des  Alarich  verherrliciien;  diejenige 
des  Triumplibogeus  der  Kaiser  Arcadius,  Honorius 
und  Theodosius  des  Jüngeren,  und  erläuterte  die- 
selben mit  Hülfe  der  Gedichte  des  Claudian.  Der 
Name  des  siegreiclien  Feldherrn,  welcher  nach  sei- 
ner Verurtlieilung  und  Hinrichtung  sowohl  auf  sei- 
nen Ebrenbasen ,    wie    auf  der    Mehrzahl    der   In- 


schriften der  Stadtthore  zerstört  wurde,  ist  auch 
auf  dem  neuen  Monumente  sorgfältig  ausgemeisselt. 

Hierauf  ergriff  Herr  Prof.  Lumbroso  das  Wort 
über  die  Stellung  Alexandriens  in  der  alten  Welt. 
Er  sprach  von  seinem  Einfluss  auf  Bildung  und 
Cultur  der  Kaiserzeit  und  beleuchtete  die  Politik 
Alexandriens  gegenüber  den  Eingeborenen,  seine 
beständige  Absonderung  von  Aegypten,  welche  noch 
nach  Jahrhunderten  die  Verschiedenheit  der  beiden 
Nationen  kenntlich  gelassen  habe. 

Schliesslich  handelte  Herr  Prof.  Hei  big  über 
den  Gebrauch  des  Pileus  in  dem  alten  Italien. 
Der  Pileus  wurde  vom  freien  Römer  getragen  und 
dem  Sclaven  bei  seiner  Freilassung  aufgesetzt.  Er 
war  also  das  Symbol  der  Freiheit,  womit  stimmt, 
dass  er  bei  mehreren  uralten  Priesterschaften,  wie 
den  Flamines,  Pontifices  und  Saliern,  gebräuchlich 
war.  Besonders  bezeichnend  dabei  ist,  dass  es  dem 
Flamen  Dialis  verboten  war,  denselben  abzunehmen. 
Wenn  aber  die  Argei  tutulati,  d.  h.  mit  einem 
tutuliis,  einer  Art  des  Pileus  versehen  waren,  so 
beweist  das,  dass  diese  Kopfbedeckung  dereinst 
als  ein  characteristischer  Bestandtheil  der  römischen 
Tracht  galt.  Der  Gebrauch  den  Pileus  bei  den 
Saturnalien  zu  tragen,  ist  offenbar  ein  Ueberrest 
aus  jener  Epoche.  Die  gleiche  Bedeutung  hatte 
der  Pileus  im  alten  Etrurien.  Die  Wandmalerei 
eines  sehr  alten  cornetaner  Grabes  (sog.  grotta 
del  morto)  stellt  einen  Todten,  der  auf  dem  Pa- 
radebette liegt,  mit  dem  Pileus  dar.  Denselben 
tragen  in  einem  andern  gleichzeitigen  Grab  (sog. 
grolta  delle  iscri:,ioni)  etruskische  Larse,  welche 
an  der  Leichenfeier  theiluehmen.  Ebenso  sind  auf 
etrurischen  Monumenten  Personen,  welche  Beziehung 
zum  Cultus  haben,  Priester,  Festordner,  Flötenspie- 
ler, mit  dem  Pileus  dargestellt.  —  Gilt  es,  die  ur- 
sprünglichen Typen  der  Kopfbedeckung  der  römi- 
schen Priester  zu  veranschaulichen,  so  sind  in  erster 


Sitzungsberichte. 


105 


Linie  die  etruriscben  Denkmäler  zu  beachten,  da 
sie  der  Zeit,  in  welcher  die  betreffenden  Ornate 
festgestellt  wurden,  näher  stehen,  als  die  bisweilen 
coufusen  Angaben  der  Schriftsteller  und  die  Abbil- 
dungen der  spätrömischen  Monumente.  Der  Vor- 
tragende zeigte,  dass  sich  von  der  ursprlinglichen 
Tracht  der  Flamines  und  der  Flamiuica  eine  deut- 
liche Vorstellung  aus  den  ältesten  cornetaner  Wand- 
malereien gewinnen  lässt.  —  Zum  Schluss  untersuchte 
derselbe,  woher  der  mit  der  Binde  umwundene  steife 
Pileus  und  die  entsprechende  Haube  nach  Italien 
gelangte.  Er  wies  nach,  dass  die  Kopftracht  des 
jüdischen  Hohenpriesters  und  die  Tiara  des  Perser- 
köuigs  auf  der  gleichen  Combination  beruhen.  Die- 
selbe Tracht  kommt  auch  auf  phonicischen  Denk- 
mälern vor,  und  ihren  Uebergang  nach  Griechenland 
bezeugt  die  Schilderung,  welche  die  Hias  XXII, 
468  fl'.  von  dem  Kopfschmuck  der  Andromache  ent- 
wirft. Da  jedoch  diese  Kopfbedeckung  in  Griechen- 
land nur  bei  Frauen,  nicht  auch  bei  Männern  nach- 
weisbar ist,  in  Italien  dagegen  beiden  Geschlechtern 
eignete,  so  ist  es  fraglich,  ob  dieselbe  durch  helle- 
nische Vermittlung  in  den  Westen  eingeführt  wor- 


den ist.  Vielleicht  erfolgte  ihre  Verbreitung  daselbst 
durch  den  Handel  der  Karthager,  bei  denen  wir, 
wie  bei  ihren  östlichen  StammbrUdern,  diese  Tracht 
für  beide  Geschlechter  voraussetzen  dürfen.  — 

Der  Vortragende  knüpfte  hieran  eine  Danksagung 
an  Herrn  Alexander  Castellani,  welcher  eine  inter- 
essante Serie  von  Goldarbeiten  verschiedener  Zeiten 
aus  seiner  Sammlung  ausgestellt  hatte. 

Die  Frau  Kronprinzessin  nahm  nach  der  Sitzung 
auch  die  Bibliothek  Italischer  Muuieipalgeschichten, 
welche  dem  Institut  von  Herrn  von  Platner  bei  Gele- 
genheit der  Jubiläumsfeier  geschenkt  war,  in  Augen- 
schein. 

Der  Sitzung  wohnten  die  Herren  der  Kaiserl. 
Botschaft  mit  Ausnahme  des  durch  Unpässlichkeit 
verhinderten  Botschafters,  der  Königl.  dänische  Ge- 
sandte, der  Director  der  französischen  Schule  Herr 
Geffroy  bei,  von  Einheimischen  die  Herren  de  Rossi 
und  Fiorelli,  die  als  Ehrenmitglieder  der  Direction 
am  Directionstische  Platz  genommen  hatten,  Graf 
Mamiani  und  zahlreiche  andere  Gelehrte,  ebenso 
viele  Fremde. 


Archäologische  Gesellschaft  in  Berlin. 


Sitzung  vom  4.  Mai  1880.  Der  stellver- 
tretende Vorsitzende  Herr  Schöne  legte  eine  Reihe 
neuer  literarischer  Erscheinungen  vor:  Blümner's 
zweite  sehr  erweiterte  Bearbeitung  von  Lessing's 
Laokoon;  R.  Förster,  Farnesinastudien;  P.  Leh- 
feldt.  Die  Holzbaukunst;  Forchhammer,  Mykenä 
und  der  Ursprung  der  mykeuischen  Funde;  Sta- 
tistisches Handbuch  für  Kunst  und  Kunstge- 
werbe 1880.  —  Herr  Dr.  Furtwängler  legte 
seine  Abhandlung  „Die  Bronzefunde  von  Olympia 
und  deren  kunstgeschichtliche  Bedeutung"  (aus  den 
Abhandl.  der  Königl.  Akad.  der  Wissenschaften 
1879)  vor.  —  Herr  Dobbert  bericlitete  über  Be- 
obachtungen, die  er  an  den  Abgüssen  zweier  zum 
Westgiebel  des  Parthenon  gehörender  Pferde- 
köpfe gemacht.  Nachdem  Herr  Professor  Overbeck 
im  Sommer  1879  dem  Vortragenden  im  britischen 
Museum  die  schöne  Entdeckung  mitgetheilt,  dass 
das  rechte  Pferdehinterbein  vom  Westgiebel  an  der 
Rückseite  abgeplattet  gewesen,  um  an  die  Wand 
gelehnt  zu  werden,  also  zu  einem  Pferde  gehörte, 
das  in  der  rechten  Giebelhälfte  zwischen  Amphitrite 


und  Poseidon  gestanden  habe,  untersuchte  er  die 
ihm  von  Herrn  Overbeck  gezeigten  in  demselben 
Museum  befindlichen  Abgüsse  zweier  Pferdekopf- 
fragmente,  ebenfalls  vom  Westgiebel,  darauf  hin,  ob 
sie  nicht  auch  zur  rechten  Giebelhälfte  gehörten. 
Lässt  sich  diese  Zugehörigkeit  beweisen,  so  er- 
giebt  sich  endgültig  das  IrrthUmliche  der  bekannten 
Annahme  Stephani's  von  nur  einem  Pferde  neben 
Poseidon.  Der  Vortragende  fand  nun,  dass  der 
eine  Kopf  an  der  rechten  Seite  eine  ganz  ähn- 
liche Abplattung  behufs  Anlehnung  an  eine  Wand 
zeige,  wie  das  Bein,  woraus  er  schloss,  dass 
der  Kopf  nach  linkshin  gewendet  war,  also  zur 
rechten  Giebelhälfte  gehörte;  an  der  linken  Seite 
des  andern  Pferdekopfes  fiel  dem  Vortragen- 
den die  starke  Betonung  der  kleinen  Falten  am 
Kinnbacken  auf,  wie  sich  solche  an  der  rechten 
Seite  des  äusseren  Pferdekopfes  vom  Gespanne  des 
Helios  am  Ostgiebel  finden:  daraus  zog  er  den 
Schluss,  dass  jener  zweite  Kopf  eine  Wendung  nach 
links  mache  und  also  dem  äusseren  Pferde  in  der 
rechten    Hälfte    des    Westgiebels    angehörte.      Der 

14* 


106 


Sitzungsberichte. 


Vortragende  habe  damals  seine  Beobachtungen 
Herrn  Overbeck  mitgetbeilt,  der  ihm  vollkommen 
Recht  gegeben  und  seither  ja  auch  seine  eigene 
Entdeckung  am  Beine  sowie  die  Beobachtungen 
Dobbert's  an  den  beiden  Köpfen,  freilich  ohne 
diesen  zu  nennen,  in  den  ^Berichten  der  Kgl.  Sachs. 
Gesellseh.  d.  Wissensch."  veröffentlicht  habe.  Eine 
eingehendere  Prüfung  der  seit  Kurzem  auch  im 
Berliner  Museum  befindlichen  Abgüsse  hat  dem 
Vortragenden  noch  Folgendes  ergeben.  Lehnt  man 
den  ersten  Kopf  mit  der  abgeplatteten  Stelle  an 
die  Wand,  so  springt  derselbe  ein  wenig  nach  links 
vor,  was  zu  der  auf  Carrey's  Zeichnung  augedeu- 
teten Stellung  des  entsprechenden  Kopfes  der  linken 
Giebelhälfte  stimmt;  auch  die  Neigung  des  Kopfes 
mit  den  steifen  Ohren  scheint  derjenigen  beim  ent- 
sprechenden Athena-Pferde  ähnlich  gewesen  zu  sein. 
Die  Zugehörigkeit  des  zweiten  Kopfes  zum  Am- 
phitrite- Gespann  erweist  sich  auch  noch  aus  Fol- 
gendem: die  rechte  Seite  des  Kopfes  beschreibt 
eine  leicht  convexe,  die  linke  eine  entsprechend 
concave  Biegung;  die  Mäbnenlinie  wendet  sich 
nach  links,  wie  an  dem  nach  rechts  gewendeten 
Kopfe  des  Helios-Pferdes  vom  Ostgiebel  die  entspre- 
chende Linie  sich  nach  rechts  neigt;  das  Haar  der 
Mähne  sowie  des  Büschels  zwischen  den  Ohren  ist 
nach  linkshin  geschwungen;  der  Kopf  mag  in 
ähnlichem  Grade  emporgehoben  gewesen  sein,  wie 
(nach  Carrey's  Zeichnung)  beim  äusseren  Athena- 
Pferde;  die  Ohren  waren  in  entsprechender  Weise 
zurückgekehrt.  Herr  Professor  Albert  Wolff  habe 
nach  eingehender  Prüfung  sich  entschieden  für  die 
Zugehörigkeit  der  drei  Fragmente  zur  rechten  Gie- 
belhälfte ausgesprochen.  Herr  Wolff  erkennt  an 
der  technischen  Behandlung  der  Abplattungen  des 
Beines  und  des  ersten  Kopfes  dieselbe  Künstler- 
hand; der  zweite  Kopf  sei  nach  links  gewendet. 
Die  Maasse  der  Köpfe  stimmen  nach  den  Ergebnissen 
der  Wolff'schen  Messungen  zu  dem  schon  von  Mi- 
chaelis publicirten  und  von  Overbeck  wohl  mit 
Recht  der  rechten  Giebelfläche  zugewiesenen  Pfer- 
dekörperfragment,  wälirend  Herr  Wolff  bezüglich 
der  Zugehörigkeit  des  anderen  Pferdetorso  zum 
Wcstgiebel  wegen  der  Kleinheit  des  Maassstabes 
Zweifel  hegt.  —  Herr  Conze  legte  den  von  ihm 
gemeinsam  mit  A.  Hauser  und  0.  Benndorf 
herausgegebenen  zweiten  Band  archäologischer 
Untersuchungen  auf  Saniothrake  (Wien,  Ge- 
rold und  Sohn,  1880)  vor,  und  sprach  sich  dank- 
bar gegen  die  Kais,  österr.  Regierung  aus,  welche 
es  crmögliclit  liabe,    dass  seiner  Recognoscirungs- 


reise  vom  Jahre  1857  eine  voll  durchgeführte 
Untersuchung  in  den  Jahren  1873  und  1875  habe 
folgen  können.  Herr  Mommsen  ergriff'  die  Ge- 
legenheit sich  äusserst  anerkennend  über  die  Fort- 
schritte der  antiquarischen  Forschungen  in  Oester- 
reich  seit  den  letzten  Jahrzehnten  zu  äussern.  Wenn 
z.  B.  bis  vor  etwa  zwanzig  Jahren  die  unmittelbar 
bei  Wien  gelegene  Römerstätte  von  Carnuntum  in 
mehr  als  billiger  Vernachlässigung  geblieben  sei, 
so  könne  umgekehrt  die  jetzt  darauf  gewandte 
Thätigkeit  als  Muster  hingestellt  werden.  Und  so 
mache  sich  eine  einsichtige  Fürsorge  über  das  ganze 
Reichsgebiet,  namentlich  von  Cisleithanien,  bemerk- 
lich, und  zwar  überall,  an  den  Universitäten  wie 
in  Aquileja,  Spalato  unter  organisatorischem  Ein- 
greifen der  Regierung,  welche,  wie  die  eben  vor- 
gelegte Publikation  zeige,  der  geographischen  Lage 
des  Kaiserstaates  entsprechend  auch  Untersuchungen 
der  Stätten  hellenischer  Kultur  im  Bereiche  der 
österreichischen  Machtsphäre  als  ihre  Ehrenaufgabe 
ansähe.  Herr  Mommsen  erwähnte  den  Beschluss 
der  Berliner  Akademie,  die  Oesterreich  und  den 
Orient  umfassende  Abtheilung  der  Sammlung  der 
lateinischen  Inschriften  Herrn  Otto  Hirschfeld  in 
Wien  zu  übertragen  und  sprach  die  Hoffnung  aus, 
dass  sowohl  die  Fortsetzung  dieses  Theiles  der 
Sammlung  dauernd  an  Wien  geknüpft  bleiben  möge, 
als  auch  sonst  die  von  Oesterreich  durch  eine  Reihe 
wohlgerichteter  Untersuchungen  geweckten  Erwar- 
tungen der  Alterthumswisseuschaft  fernerhin  erfüllt 
werden  möchten.  .—  Herr  Conze  empfahl  sodann 
der  Aufmerksamkeit  die  neue  Auflage  des  kleinen 
Katalogs  der  Gipsabgüsse  im  Königl.  Mu- 
seum (1880)  und  legte  den  Vortrag  von  Perrot, 
De  Varl  egyptien  et  de  Varl  assyrien  (Paris  1880), 
sowie  Detlefsen's  dritte  Abiiandlung  de  arte  Ro- 
manorum antiquissima  vor.  Letztere  behandelt  die 
Darstellungen  von  Thieren,  darunter  vornehndich 
auch  die  der  Wölfin.  Herr  Conze  hob  hervor,  dass 
Detlefseu  mit  Recht  keinerlei  Fundnachricht  für 
das  berühmte  kapitolinische  Bronzeexemj)lar  der 
Wölfin  als  beglaubigt  ansähe  und  ebenso  mit  Recht 
die  Möglichkeit  der  Identificirung  dieses  Exemplars 
mit  irgend  einem  der  in  der  antiken  Literatur  er- 
wähnten Exemplare  in  Abrede  stelle.  Nicht  be- 
achtet sei  bei  Detlefsen  der  von  Stevenson  geführte 
Nachweis,  dass  die  jetzt  kapitolinisclie  Wölfin  im 
lateranensischcn  Palaste  schon  im  U.  Jahrh.  n.  Chr. 
erwähnt  werde,  endlich  habe  Detlefsen  von  der 
neuerlicli  erhobenen  Controverse,  dass  die  Bronze 
mittelalterliclie  Arbeit  sein  könne,   nicht  Notiz  ge- 


Sitzungsberichte. 


107 


nommen.  Herr  Bode  erkKärte  den  Nachweis  der 
Existenz  der  Wölfin  im  Lateran  scliou  im  i).  Jahrh. 
als  nicht  wohl  von  Stevenson  get'ülirt  ansehen  zu 
können,  so  dass  er  sich  berechtigt  halte,  au  der 
Annahme  eines  späteren  mittelalterlichen  Ursprungs 
festzuhalten,  da  eine  Datirung  in  die  karolingische 
Zeit  nach  dem  damaligen  Zustande  der  Kunst  in 
Italien  nicht  möglieh  scheine;  wäre  dagegen  jener 
Beweis  von  Stevenson  wirklich  geführt,  so  müsse 
die  kapitolinische  Wölfin  antike  Arbeit  sein.  —  Herr 
Humann,  bei  seinem  Eintritt  durch  Erheben  von 
den  Sitzen  begrüsst,  dankte  zunächst  für  den  ehren- 
vollen Empfang  und  erklärte  dann,  dass  er  nur  in 
seiner  Eigenschaft  als  praktischer  Ingenieur  die 
pergamenischen  Ausgrabungen  erläutern  wolle. 
Darauf  zeichnete  er  eine  Skizze  der  Burg  von 
Pergamon  an  die  Tafel,  zeigte  die  Attalische  Be- 
festigung, die  höher  gelegene  und  folglich  kleinere 
byzantinische  und  die  noch  höhere  kleinste  tür- 
kische Veste  und  erzählte  dann,  wie  er  vor  [)  Jahren 
die  ersten  Fragmente  in  der  byzantinisclien  Mauer 
gefunden,  wie  vor  2  Jahren  Herr  Director  Conze 
ihn  instruirt  hätte,  dass  sie  von  einer  Gigantoma- 
cliie  herrühren  mUssten  und  dass  der  Zeus-Altar 
zu  suchen  sei,  den  die  Gigantomachie  umgeben 
habe;  wie  darauf  Leben  in  die  Sache  gekommen 
sei  und  am  8.  September  1878  die  von  so  vielem 
Glücke  begleiteten  Arbeiten  begonnen  hätten.  Der 
Vortragende  zeigte  dann,  warum  der  Zeus-Altar  fast 
sicher  da  liegen  musste,  wo  er  gefunden  wurde, 
erläuterte  ferner  die  Lage  des  früher  für  die  Po- 
lias-Kuine  gehaltenen,  nunmehr  auch  blossgelegteu 
Augusteums,  des  abgebrochenen  und  in  eine  Mauer 
verbauten  Tempels  der  Julia,  sowie  des  theil weise 
ausgegrabenen  römischen  Gymnasiums.  Nachdem 
er  dann  kurz  darauf  hingewiesen ,  welche  Aufga- 
ben noch  zu  erledigen,  besonders  welche  Mauern 
noch  nach  Bruchstücken  der  Friese  des  Altars  und 
nach  Inschrift -Platten  des  Schlachten -Monuments 
abzusuchen  seien,  ging  er  speciell  auf  den  Zeus- Altar 
über  und  skizzirte  eine  perspektivische  Ansicht 
desselben,  wie  sie  sich  nach  den  Fragmenten  er- 
giebt.  Ein  Würfel  von  rund  110  Fuss  Länge, 
100  Fuss  Breite  und  In  Fuss  Höhe  bildete  den  Unter- 
bau; in  die  eine  Seite  schnitt  eine  Treppe  ein.  Den 
Würfel  umgaben  unten  3  Stufen,  auf  welchen  sich 
eine  etwa  1  Meter  hohe  Platte  erhob,  auf  dieser 
lag  ein  nur  '/.,  Fuss  dickes  ablaufendes  Glied, 
welches  die  Namen  der  Giganten  trug  und  unmit- 
telbar iiierüber  der  2,30  Meter  liohe  Fries  der  Gi- 
gantomachie,   ringsum    und    in    die  Treppe   hinein 


gegen  die  Stufen  sich  todt  laufend,  in  einer  Ge- 
sammtlänge  von  etwa  135  Meter.  Auf  diesem 
Fries  lag  schützend  das  weit  ausladende  Hauptge- 
sims, in  dessen  Hohlkehle  die  Namen  der  Götter 
standen,  und  schloss  den  Unterbau  ab.  Auf  der 
Plattform  habe  in  der  Mitte  der  kleine  Zeus-Altar 
gestanden ,  ringsum  am  Rande  sicli  eine  ionische 
Säulenhalle  von  etwa  10  Fuss  Höhe  hingezogen, 
in  oder  auf  der  wohl  die  vielen  gefundenen  Elu-en- 
statuen  ihren  Platz  gehabt  haben  möchten.  Von  der 
Säulenhalle  etwas  nach  Innen  gerückt  sei  wohl 
der  Telephos- Fries  angeordnet  gewesen,  so  dass 
der  am  Altar  Opfernde  von  diesem  zunächst  um- 
geben war. 

Sitzung  vom  1.  Juni  1880.  Der  Vorsitzende 
Herr  Cürtius  legte  vor:  Heibig,  Capellatiira  all' 
epoca  Omerica;  Martorell,  Apunles  Arqueotogicos; 
Das  Kuppelgrab  bei  Menidi,  herausg.  vom  Athe- 
nischen Institut,  und  sprach  dann  über  die  Resultate 
seiner  letzten  Reise  nach  Olympia;  mit  Rom  beginnend 
erwähnte  er,  dass  der  Kopf  des  sog.  Aristoteles  im 
Palazzo  Spada  sich  als  gar  nicht  zu  der  Statue  ge- 
hörig, auch  aus  anderem  Marmor  gefertigt,  erweisen 
lasse;  er  berichtete  hierauf  über  die  im  botanischen 
Garten  aufgestellten  bei  der  Villa  Farnesina  neu 
ausgegrabenen  Wanddekorationen,  vornehmlich  über 
die  Gemälde  eines  langen  Saales,  dessen  durch 
Kanephoren  in  Felder  getheilte  Wände  mit  Land- 
schaften und  darüber  mit  einem  Friese  geschmückt 
sind,  der  in  zwölf  Streifen  eben  so  viele  höchst 
realistische  Darstellungen  der  vita  forensis  giebt,  in- 
dem jeweils  links  eine  Störung  der  öffentlichen  Ruhe, 
rechts  die  gerichtliche  Verhandlung  darüber  darge- 
stellt ist.  Darauf  legte  er  den  die  letzten  Ausgra- 
bungen umfassenden  Plan  von  Olympia  vor  und 
sprach  namentlich  über  die  Gebäude  im  Westen  der 
Altis,  wo  er  den  ursprünglichen  Sitz  der  Manteia  von 
Olympia  sowie  die  Wohnstätten  der  priesterlichen  Be- 
amten nachzuweisen  suchte.  —  Herr  Hauck  sprach 
über  seine  Theorie  der  horizontalen  Curvaturen, 
indem  er  mehrere  gegen  dieselbe  erhobenen  Ein- 
wände zu  widerlegen  suchte  und  am  Poseidon- 
tempel zu  Pästum  beobachtete  Thatsachen  als 
neue  Bestätigungen  für  dieselbe  geltend  machte. 
Seine  Theorie  bringt  die  ausschliesslich  an  dori- 
schen Tempeln  beobachteten  Curvaturen  in  Zu- 
sammenhang mit  der  durch  den  Ecktriglyphen-Con- 
flict  veranlassten  Verjüngung  der  äussersten  Säulen- 
zwischenräume. Die  ungewohnte  Gesammterschei- 
nung,  welche  letztere  zur  Folge  hatte,  weckte  das 
Bedürfniss,    das  gestörte   perspectivische  Gleicbge- 


108 


Sitzungsberichte. 


■svicbt  dadurch  wieder  herzustelleu,  dass  man  — 
entsprechend  der  dem  perspectivischeu  Bewusstsein 
geläufigen  subjectiveu  Erscheinungsform  —  mit  dem 
verjüngenden  Abfallen  der  Breitendimcnsioneu  ein 
gleichzeitiges  Abfallen  der  Hühendimeusionen  nach 
rechts  und  links  correspondiren  Hess.  —  Herr 
Mommsen  legte  Tafeln  in  Farbendruck  nach 
Mosaiken  vor,  die  ein  Privatgrab  grösster  Aus- 
dehnung in  Nordafrika  schmückten ;  Jagd  und  Land- 
leben bilden  den  Gegenstand  der  reichen  Darstel- 
lungen, die  nach  den  erklärenden  Beischriften  von 
ihm  nach  350  n.  Chr.  datirt  wurden.  —  Herr  Bor- 
mann legte  ein  im  vorigen  Jahr  bei  Regensburg 
gefundenes  und  im  Besitz  von  Herrn  Schwarzenberg 
in  Potsdam  befindliches  Fragment  eines  s.  g.  Mi- 
litairdiploms  und  zugleich  das  besonders  gut 
erhaltene  Exemplar  dieser  Denkmäler  vor,  das  der 
Königl.  Bibliothek  zu  Berlin  gehört.  Bei  dem  neu 
gefundenen  Stück  fehlen  mit  der  einen  Tafel  die 
Namen  der  sieben  Zeugen;  die  Fassung  der  Urkunde 
selbst  lässt  sich  fast  vollständig  herstellen.  Sie  ist 
im  Jahre  153  n.  Chr.  für  einen  mit  seiner  Frau 
genannten  gemeinen  Soldaten  der  ala  secutida  Fla- 
via  miliaria  pia  ßdelis  ausgestellt,  die  in  dem  da- 
mals von  dem  Procurator  Ulpius  Victor  verwalteten 
Raetien  stand.  —  Endlich  sprach  Herr  L  es  sing  über 
ein  von  ihm  aufgefundenes  Stück  Zeug,  das,  dreifach 
bedruckt,  den  vom  Adler  geraubten  Ganymed  dar- 
stellt und,  da  es  der  Sassaniden-Zeit  angehört,  das 
älteste  erhaltene  Beispiel  der  erwähnten  Technik  ist. 

Sitzung  vom  6.  Juli.  Der  Vorsitzende  Herr 
Curtius  zeigte  an,  dass  Herr  Adler  sein  Amt  im 
Vorstande  der  Gesellschaft  niedergelegt  habe  und 
trug  eine  schriftliche  Erklärung  vor,  welche  der- 
selbe Herr  auf  den  Wunsch  von  Mitgliedern  über 
einen  die  pergamenischen  Entdeckungen  behandeln- 
den Artikel  im  Berliner  Tageblatt  vom  5.  Mai  d.  J. 
abgegeben  hat.  Derselbe  sei  vom  Bauführer  Lud- 
wig aus  eigener  Initiative  verfasst  und  habe  münd- 
liche Mittheilungen  de.s  Herrn  Adler  fahrlässig  in 
von  diesem  gemissbilligter  Weise  verarbeitet. 

Herr  Curtius  legte  dann  vor  Newton,  Essays 
011  arl  and  archeology,  desselben  Catalog  der  Par- 
thenonsculpturen ;  Barclay  Head's  Münzen  von 
Ephesos;  ferner  die  neueste  Publieation  des  Mu- 
seums und  der  evangelischen  Schule  in  Smyrna, 
wobei  er  besonders  auf  die  erfolgreichen  Arbeiten 
des  Herrn  Weber  über  Heiligtliuiii  und  Tumulus 
von  Belevi  (2  Stunden  von  Eplicsos)   und   die  von 


ihm    beschriebenen  Alterthümer  vom  Sipylon    auf- 
merksam   machte.     Ferner    besprach    derselbe    die 
Mittheilungen    aus    Athen    Band  V,    Heft  2,    wobei 
Milchhöfer's   Abhandlung   über    bemalte   Grabsteine 
den  Anlass  gab  über  attische  Gräbersitte  in  älterer 
Zeit    zu   sprechen.     Es    wurden  Blätter    vorgelegt, 
welche  eine  sitzende  Figur  am  Grabe  zeigen,    die 
den   Todten    darzustellen   scheint.  —  Herr  Conze 
legte  darauf  das  I.Heft  des  4.  Jahrgangs   der  ar- 
chäologisch-epigraphischen    Mitth  eilungen 
aus    Oesterreich    vor,    aus    dessen    Inhalte    sich 
neue  Belege   der  kürzlich  von  Herrn  Mommsen  in 
der  Gesellschaft   anerkannten  Wirksamkeit   der  K. 
K.  Regierung  innerhalb  Oesterreichs  und  in  dessen 
Nachbarländern  ergäben.    Namentlich  verweilte  der 
Vortragende  bei  dem  Aufsatze  des  Herrn  Benndorf 
über  einen  weiblichen  Marmorkopf  aus  Tralles,  der 
für  die   Zeitbestimmung  der  Venus  von  Milo   und 
des  pergamenischen  weiblichen  Kopfes,  welcher  im 
Abgüsse  ausgestellt   war,    in  Betracht   kommt.   — 
Herr    Robert    besprach    den    Jahrgang    1879    der 
Monume?äi  deW  Instiluto  und  legte  eine  neue  Zeich- 
nung   des    Achillessarkophages    Borghese    im 
Louvre  (Clarac,  mtis.  desculpt.pl.  111)  vor,  dessen 
ursprünglich  in  ganz  flachem  Relief  gehaltene  Rück- 
seite  (mit  der   Auslösung  des  Hektor)  in   der  Re- 
uaissancezeit  durch  eine  Menge  moderner  Zuthaten 
zu    einem    vollständigen    Hochrelief    umgearbeitet 
wurde,  um,  losgesägt  von  der  Hauptseite,  nunmehr 
ein  passendes  Pendant  zu  der  letzteren  zu  bilden.  — 
Herr  Seeck  entwickelte  seine  Deutung  der  an  der 
linken  Treppen wange  des  pergamenischen  Altars 
befindlichen  Reliefgruppe:    er  erkennt  hier  die  Re- 
präsentanten  der   vier  Elemente   gemeinsam  gegen 
die  Giganten  vorstttrzend;   Wasser  und  Erde  seien 
links  durch  zwei  Localgottheiten ,  das  Feuer  durch 
Hephäst ,     die    Luft     durch    Iris    dargestellt.      In 
der    sich    hieran    knüpfenden   Debatte    führten   die 
Herren    Conze    und    Schöne    Gründe    gegen    diese 
Deutung    an.  —   Herr    Furtwängler    legte    den 
neuen  Compte  rendu  von  Stephani  und  die  darauf 
beruhende  Abhandlung    von  Ernst  Schulze    über 
die    mykenischen    Alterthümer    vor.     Er    suchte 
sowohl  die  vollkommene  Haltlosigkeit  der  Gründe, 
welche  beide  Schriften   gegen  das   hohe  Alter  der 
mykenischen  Funde  vorbringen,  als  die  Unmöglich- 
keit der  positiven  Annahme  Stephani's  nachzuweisen, 
dass    die    mykenischen    Gräber    von    Herulern    im 
dritten  Jahrh.  n.  Chr.   angelegt   worden  seien. 


DIE  AUSGRABUNGEN  VON  OLYMPIA. 


BERICHTE. 


43. 

Als  ich  vor  zwei  Jahren  Olympia  verliess,  ge- 
schah es  mit  dem  Bewusstsein,  dass  trotz  aller  An- 
strengungeu  der  grössere  Theil  der  Arbeit  uoch 
ausstehe,  und  dass  es  der  fortdauernden  Gunst  und 
Fürsorge  von  Kaiser  und  Reich,  sowie  vielen  Eifers 
aller  dazu  Berufenen  bedürfen  würde,  um  das  Unter- 
nehmen glücklich  zu  Ende  zu  führen.  Jetzt  wieder 
zu  gemeinsamer  Thätigkeit  mit  meinem  Freunde 
Curtius  hierher  zurückgekehrt,  habe  ich  die  Gewiss- 
heit gewonnen,  dass  es  noch  in  dieser  Arbeitsperiode 
möglich  werden  wird,  die  eigentlich  technischen 
Aufgaben  zu  erledigen;  zur  letzten  wissenschaft- 
lichen Ausbeutung,  sowie  zur  Abwickelung  aller 
Geschäfte  wird  die  nochmalige  Aussendung  der 
beiden  bisherigen  Spezialieiter  Dr.  Treu  und  Bau- 
führer Dörpfeld,  wenn  auch  nur  auf  kürzere  Zeit, 
im  Herbste  kaum  zu  umgehen  sein. 

Von  den  namentlich  in  den  letzten  Wochen  ge- 
machten Fortschritten,  die  der  ebenso  umsichtigen 
wie  thatkräftigen  Leitung  verdankt  worden,  hebe 
ich  in  aller  Kürze  Folgendes  hervor. 

Die  Altis  ist  vollständig  freigelegt  und  zwar  bei 
möglichster  Sonderung  der  Materialien  so  übersicht- 
lich und  klar,  dass  von  einem  höheren  Punkte  aus 
fast  alle  Bauwerke,  die  Tempel,  die  Schatzhäuser, 
die  Hallen  und  Thore,  ja  selbst  eine  erhebliche 
Anzahl  der  noch  am  Platze  gebliebenen  Altäre  und 
Basen  für  jeden  mit  der  Topographie  Olympias 
Vertrauten  deutlich  erkennbar  sind.  Aber  über 
jenen  engeren  Bezirk  ist  das  Ausgrabungsfeld  nach 
allen  Seiten  schon  weit  hinausgewachsen. 

Nach  Osten  hat  die  Freilegung  des  Stadion, 
soweit  dieselbe  wichtig  und  ohne  zu  grossen  Kosten- 
aufwand möglich  war,  stattgefunden.  Es  wurden 
alle  ursprünglichen  Einrichtungen,  die  Ablaufs-  und 
Zielschraukeu,  die  Stände  für  die  20  Läufer,  die 
Wasserleitungen  mit  den  Schöpfplätzen,  der  geheime 
Eingang  u.  A.    wohlerhalten    aufgefunden.      Selbst 


die  Steigungswinkel  der  alten  Erdaufschüttungen 
zeigten  sich  messbar  und  die  sichere  Gewinnung 
des  olympischen  Stadion  mit  ca.  192,15  m  war  eine 
besonders  werthvolle  Frucht  dieses  Verstosses  nach 
Osten. 

Im  Süden  ist  die  hoch  interessante  Gebäude- 
gruppe des  Buleuterion  mit  dem  Temenos  des  Zeus 
Horkios  und  eine  stattliche  zweischiffige  korinthisch- 
dorische Stoa,  an  welcher  die  heilige  Feststrasse 
entlang  lief,  hervorgetreten. 

Noch  bedeutender  waren  die  Ergebnisse  der 
Forscliungen  vor  der  durch  zwei  Thore  und  eine 
Pforte  sicher  constatirten  Altis-Westmauer.  Hier 
lagen  in  langer  Reihenfolge  von  S.  nach  N.  die 
Unterrichts-  und  Uebuugsplätze  für  deu  Wett- 
kanipf,  von  einigen  kleineren  theils  sacralen,  theils 
profanen  Gebäuden  unterbrochen.  Zunächst  im  S. 
das  grosse  Gymnasion,  das  schon  nach  seiner  ge- 
nerellen Planbildung  und  seinen  Hauptdimensiouen 
bekannt  ist;  auch  ist  ein  Theil  der  Nordseite  be- 
reits freigelegt  worden,  während  an  der  weiteren 
Blosslegung  augenblicklich  eifrig  gearbeitet  wird. 

Nördlich  davon,  jenseits  der  byzantinischen 
Kirche,  sind  althellenische  Grundmauern  entdeckt 
worden,  die  von  einer  eigenartigen  Gebäudegruppe 
herrühren.  Den  Kern  bildet  der  merkwürdige 
tholosartige  Rundbau,  der  einen  mit  vielen  Stuck- 
lagen überzogenen  Erdaltar  geliefert  hat  (Bericht  40) 
Oestlicli  davon,  aber  getrennt,  ist  ein  kleiner  Säulen- 
hof mit  einem  alterthümlich  construirten  Brunnen 
in  der  Ecke  erkennbar,  vielleicht  der  interessante 
Rest  eines  der  vielen  Beamtenhäuser.  Auf  einen 
späteren  Umbau  deuten  die  Reste  eines  grossen 
römischen  Hofes  östlich  daneben,  während  andere 
im  W.  und  S.W.  vorhandene  Mauerzüge  noch  der 
näheren  Erforschung  harren. 

Der  nächste,  nördlich  davon  belegene  Terrain- 
abschnitt wird  augenblicklich,  einerseits  zur  Bergung 
weiterer  Giebelstücke  des  Zeustempels,  die  hierher 


HO 


Berichte  aus  Olympia. 


versclileppt  worden  sind,  andererseits  zur  Vervoll- 
ständigung unserer  topographischen  und  arehitecto- 
nischen  Erkenntnis«,  durchsucht. 

Noch  weiter  nördlich  folgt  die  zwar  einfach 
gestaltete,  aber  durch  edle  Verhältnisse  und  feine 
Architektlirformen  ausgezeichnete  Palästra.  Auch 
dieser  im  Ganzen  wohlerhaltene  Bau  gliedert  sich 
mit  Hallen  und  Hörsälen  um  einen  offenen  Hof  wie 
das  grosse  Gymnasion,  aber  es  fehlen  ihm  die 
äusseren  Säulenhallen,  die  jenes  auszeichnen.  Da- 
für sind  seiner  Nordseite  zwei  andere  Gebäude 
unmittelbar  angefügt;  eine  nach  Norden  geöffnete 
Stoa  und  ein  auf  hohem  Stufenbau  erhobenes  Pro- 
pyläon  sehr  monumentaler  Structur,  welches  eine 
Art  von  Festthor  für  diesen  Theil  der  Gymnasion- 
bauten  bildete.  Hier  lagen  parallel  neben  einander 
und  nach  N.  in  das  Kladeos-Thal  weit  eindringend 
mehrere  Uebungslauf bahnen,  sowie  die  Plätze  für 
den  Sprung  und  den  Diskuswurf.  Schon  ist  die 
grosse  zweischiftige  Wandelhalle,  welche  diese  Ge- 
sammtanlage im  0.  begleitete,  auf  mehr  als  200  m 
Länge  festgestellt  worden  und  hoffentlich  wird  es 
noch  gelingen,  das  entsprechende  Gegenstuck  im 
W.  jenseits  des  Kladeos  ebenfalls  nachzuweisen. 

Alle  diese  mit  dem  griechischen  Leben  so  innig 
verwachsenen  Bauanlageu  treten  uns  hier  in  einer 
Vollständigkeit  und  Deutlichkeit  entgegen,  wie  bei 
dem  Beginn  unserer  Arbeiten  in  keiner  Weise  er- 
hofft werden  durfte. 

An  der  Nord  seile  der  Altis,  da  wo  den  Fuss 
des  Kronosberges  eine  lange  gestufte  Futtermauer 
begrenzt,  scheint  uns  das  Schicksal  die  gleiche 
Gunst  gewähren  zu  wollen.  Schon  ist  es  gelungen, 
aus  den  zahllosen  Baustückeu,  die  die  byzantini- 
schen Mauern  verschlungen,  aber  auch  gerettet  ha- 
ben, die  wichtigsten  Bauglieder  für  zwei  Schatz- 
häuser hervorzuziehen  und,  wenigstens  im  Bilde,  zu 
vereinigen.  Weitere  Reconstructionen  stehen  in 
Aussicht,  so  dass  auch  diese  werth volle  Gattung 
antiker  Denkmäler,  von  der  bisher  nur  der  Name 
bekannt  war,  in  der  Geschichte  der  Baukunst  fortan 
nicht  unvertreten  sein  wird. 

Trüber  sind  die  Aussichten  für  eine  sichere 
Wiederherstellung  des  auch  im  N. ,  aber  weiter 
westl.  belegenen  Prytaneion.  Zwar  ist  der  grössere 
Theil  seiner  Grundmauern  noch  erhalten,  aber  ein 
mehrmaliger  und  theilweis  sehr  durchgreifender 
Umbau  erschwert  die  bau-analytische  Untersuchung 
in  hohem  Maasse,  so  dass  wir  auf  ungelöste  Räthsel 
und  sehwebende  Fragen  schon  jetzt  gefasst  sein 
müssen. 


Und  wie  mit  steigendem  Erfolge  die  Aussenan- 
lagen  eine  nach  der  anderen  blossgelegt  sind,  so 
hat  die  nochmalige  sorgfältige  Reinigung  und  Unter- 
suchung aller  erhaltenen  Baureste  innerhalb  der 
Altis  gleichfalls  zu  wichtigen  nachträglichen  Ent- 
deckungen geführt.  Sie  einzeln  aufzuführen  ist 
unmöglich.  Es  mag  genügen,  an  das  Festthor  zum 
heiligen  Bezirke  des  Pelops,  an  die  Proedria,  d.  h. 
den  Standplatz  für  die  Behörden  und  Gesandten 
beim  grossen  Festopfer,  an  die  beiden  ca.  14  m 
hohen  Marmorsäulen  für  Ptolemäus  Philadelphos 
und  Arsinoe  IL,  an  die  unscheinbaren  und  doch  so 
wichtigen  Reste  des  grossen  Zeus-Altars  zu  erinnern. 

Von  den  vielen  Baulichkeiten,  die  erwähnt  wer- 
den, fehlt  noch  Einzelnes,  wie  das  Theatron  und 
der  Hippodrom,  sowie  die  kleinen  Tempel  der  De- 
meter, der  Aphrodite,  der  Eileithyia  —  alle  ausser- 
halb belegen  — ,  vor  Allem  das  ältere  Festtbor  im 
Süden,  das  den  Hauptzugang  zur  Altis  eröffnete. 
Die  jetzt  ertheilten  Ausgrabungs-Directiven  sind 
darauf  gerichtet,  auch  hier  mehr  Licht  zu  ver- 
schaffen und  das  grosse  gewonnene  Material  so 
weit  als  möglich  zu  vervollständigen.  Nach  den 
bisherigen  Resultaten  hegen  wir  die  Hoffnung,  dass 
auch  bei  diesen  letzten  Tastungen  ein  guter  Erfolg 
nicht  ausbleiben  und  es  uns  vergönnt  sein  wird, 
die  Altis  innen  wie  aussen  mit  ihren  Stiftungen 
und  Gebäuden  bis  zum  Herbste  d.  J.  im  Wesent- 
lichen vollständig  im  Bilde  liefern  zu  können. 


Druva,  20.  April  1880. 


F.  Adler. 


44. 


Dem  architektonischen  Berichte  lasse  ich  eine 
Uebersicht  der  Denkmälerfunde  folgen.  Während 
die  bauliche  Aufräumung  auf  allen  Seiten  nach  be- 
stimmten Zielen  vorschreitet,  um  den  Grundriss  von 
Olympia  bis  Anfang  Juni  möglichst  zu  vervoll- 
ständigen, sind  wir  für  bildliche  und  schriftliche 
Denkmäler  auf  eine  gelegentliche  Nachlese  ange- 
wiesen, welche  im  Ganzen  dürftiger  wird,  je  weiter 
wir  uns  vom  Ceutrum  der  Altis  entfernen.  Gewiss 
können  die  Schlusswochen  noch  reichere  Funde 
bringen,  namentlich  aus  dem  Innern  des  grossen 
Gymnasiums,  wo  die  Siegerlisten  aufgezeichnet 
waren.  Aber  wir  müssen  docli  darauf  gefasst  sein, 
dass  gewisse  schmerzlich  empfundene  Lücken  in 
den  grossen  Compositionen  des  Zeustempels  unaus- 
gefüllt  und  manches  schöne  Bildwerk  trümmerhaft 
bleiben  wird.  Neuere  Erfahrungen  haben  gezeigt, 
wie  einzelne  Bruchstücke  von  Giebelwerken  hinaus 
über  die  Grenzen  von  Olympia  verschleppt  worden 


Berichte  aus  Olympia. 


111 


sind,  uud  ebenso  dass  am  Fusse  des  Krouoshügels 
Kalküfen  versteckt  lagen,  welche  wahrscheinlich 
schon  in  byzantinischer  Zeit  eine  Reihe  von  Mar- 
niorwerken  vernichtet  haben.  Wenn  diese  Stätten 
des  Verderbens  uns  zu  Anfang  bekannt  gewesen 
wären,  so  würden  wir  schwerlich  mit  so  guter 
Zuversicht  die  Aufdeckung  der  Altis  beantragt 
haben.  Jetzt  ergänzen  sie  die  Geschichte  des  Unter- 
ganges von  Olympia,  deren  Studium  ja  auch  ein 
Theil  unserer  wissenschaftlichen  Aufgabe  ist,  und 
am  Ende  des  5.  Jahrgangs  können  wir  solche  Er- 
fahrungen schon  mit  grösserer  Gemüthsruhe  auf- 
nehmen, nachdem  wir  einen  solchen  Deukniäler- 
schatz  geborgen  haben,  wie  er  im  Felde  der  Altis 
sowie  in  den  Magazinen  sich  angesammelt  hat. 

Wer  nach  mehrjähriger  Abwesenheit  zurückkehrt, 
bedarf,  wenn  er  auch  allen  Fortschritten  der  Aus- 
grabung gefolgt  ist,  doch  einer  Reihe  von  Tagen, 
um  sich  wieder  zu  orientiren,  und  er  kann,  wenn 
er  an  Ort  und  Stelle  das  grauenhafte  Werk  der 
Zerstörung  ansieht,  sich  nur  darüber  wundern,  dass 
es  möglicli  war,  eine  solche  Menge  plastischer  Ge- 
stalten in  den  hiesigen  Mus-een  zu  vereinigen.  Man 
bedenke  doch,  dass  vom  Ostgiebel  sämmtliche 
21  Figuren  aufgefunden  sind  und  von  den  13 
menschlichen  7  mit  ihren  Köpfen.  Im  Westgiebel 
sind  bis  auf  den  Theseus  (von  dem  nur  Fuss,  Arm 
und  Hinterkopf  vorhanden  sind)  ebenfalls  alle 
21  Figuren  gefunden  mit  13  Köpfen.  Von  den 
unscheinbaren  Bruchstücken  werden  viele  erst  in 
der  Olympia-Ausstellung  des  Berliner  Museums  ihre 
Verwerthung  finden,  aber  schon  jetzt  können  wir 
den  Kopf  des  knieenden  Knaben,  das  Unterbein 
des  Zeus,  den  Untertheil  des  sinnenden  Greises, 
den  Schenlvel  des  Oinomaos  als  wichtige  Fortschritte 
bezeichnen,  welche  der  Ostgiebel  in  der  ablaufen- 
den Arbeitsperiode  gemacht  hat.  Der  Westgiebel 
verdankt  ihr  zwei  Köpfe,  den  des  Knabenräubers 
und  den  vorzüglichen  Kopf  der  knieenden  Frau, 
welche  von  einem  Kentauren  in  das  Haar  gefasst 
wird.  Ausserdem  fand  ich  durch  die  diesjährigen 
Ausgrabungen  wesentlich  ergänzt  die  eine  der 
Nymphen,  ferner  die  alte  Sklavin,  welche  verzwei- 
felnd das  Haar  rauft,  und  ebenso  die  verschiedenen 
Kampfgruppen,  welche  durch  Auffindung  von  Brust- 
theileu.  Armen  und  Füssen  an  Klarheit  und  Zu- 
sammenhang gewonnen  haben. 

Die  Metopen  des  Zeustempels,  welche  durch  die 
glücklichen  Bemühungen  von  Dr.  Treu  ein  ganz 
neues  Interesse  für  die  Kunstgeschichte  gewonnen 
haben ,    sind   neuerdings    durch    Vervollständigung 

Archliolog.   Ztg.,   Jahrg.    XXXVIÜ. 


des  Löwen,  des  Stiers  und  der  Hydra,  vor  Allem 
aber  durch  den  vorzüglich  erhaltenen  Kopf  des  auf 
den  Löwen  tretenden  Herakles  wesentlich  gefördert, 
und  es  ist  jetzt  nur  eine  Metope  übrig  (die  mit 
der  Hirschkuh),  von  der  wir  uns  keinerlei  Anschau- 
ung maclieu  können.  Den  zuletzt  genannten  Kopf 
des  jugendlichen  Herakles  stehe  ich  aber  nicht  an, 
für  einen  der  schönsten  und  wichtigsten  unserer 
Funde  zu  erklären.  Auf  mich  wenigstens  hat  er 
durch  seinen  tief  empfundenen  Gesichtsausdruck 
den  grössten  Eindruck  gemacht  und  mir  zuerst  die 
Ueberzeugung  davon  gegeben ,  dass  auch  die  Me- 
topen Werke  attischer  Kunst  sind,  und  zwar  in 
dem  Stil  der  Tempelplastik,  wie  er  sich  gegen  die 
Mitte  des  5.  Jahrb.  in  Athen  entwickelt  hatte  und 
wie  er  einstweilen  nur  in  den  Denkmälern  von 
Olympia  studirt  werden  kann. 

Was  endlich  die  beiden  Einzelwerke  klassischer 
Kunst,  Xike  und  Hermes,  betrifft,  so  ist  die  eine 
durch  Gewandstück  und  Hinterkopf,  der  andere 
durch  Fuss  uud  Dionysosköpfchen  wesentlich  ver- 
vollständigt, so  dass  man  schon  daran  denken  kann, 
durch  eine  Restauration  des  Gipsabgusses  den  ur- 
sprünglichen Gesammteindruck  beider  Standbilder 
zu  veranschaulichen. 

Wenn  diese  Statuen  mit  den  Metopen  und  Giebel- 
kolossen zusammen  gewissermasseu  die  Central- 
gruppe  unserer  statuarischeu  Funde  bilden ,  so 
schliessen  sich  daran  einerseits  die  Ueberreste  älte- 
rer Kunstepochen,  andererseits  die  Gruppe  jüngerer 
Werke.   Beide  Gattungen  sind  ansehnlich  Ijereichert. 

Die  alte  Zeit  giebt  sich  dem  Auge  schon  da- 
durch zu  erkennen,  dass  ihr  der  Marmor  fremd  ist. 
Einen  neuen  überraschenden  Einblick  in  diese  Zeit 
giebt  Treu's  Reconstruction  des  megarischen  The- 
saurengiebels, von  dessen  12  Figuren  nur  3  fehlen, 
eine  Frucht  der  diesjährigen  Arbeitsperiode,  sowie 
andere  Ueberreste  polychromer  Kalksteinreliefs.  Aus 
dem  Gebiete  religiöser  Plastik  ist  zu  dem  bekannten 
Herakopfe  die  schlangenhaltende  Eumenide  gekom- 
men, die  jetzt  durch  den  unteren  Theil  ergänzt  ist. 
Dazu  hat  sich  das  Fragment  einer  zweiten  ganz 
gleichen  gefunden  aus  demselben  dunkeln  lakoni- 
schen Kalkstein.  Endlich  gehört  hierher  der  von 
Treu  erkannte  Eperastoskopf,  welcher  mit  dem 
Arme,  der  den  Phrixosschild  trug,  und  dem  dazu 
gefundenen  Fuss  zu  einem  kunstgeschichtlich  sehr 
wichtigen  Siegerdenkmale  gehört.  In  der  feinen 
Durchführung  der  Details  scheint  er  der  Kunst  des 
5.  Jahrb.  nahe  zu  stehen,  und  er  unterscheidet  sich 
auch    dadurch  von  den   früher  genannten  Werken 

15 


112 


Berichte  aus  Olympia. 


altpeloponnesiscber  Kunst,  dass  er   aus  paiiscbem 
Marmor  ist. 

Die  andere  grosse  Gruppe  olj'mpischer  Skulp- 
turen ist  die  der  Nacbblüthe  attiseber  Kunst,  meist 
römischer  Zeit,  eine  Gattung,  welcbe  in  diesem 
Jahre  auf  43  Statuen  angewachsen  ist.  Dazu  kom- 
men 20  Köpfe  und  als  ein  Werk  besonderer  Art 
der  bekannte  Stier  mit  der  Weibinsebrift  der  Regula, 
lauter  Sculpturen  aus  pentelischem  Marmor,  und 
wahrscheinlich  zum  grössten  Theil  in  Athen  fertig 
gemacht. 

Es  sind  zum  Theil  mythologische  Figuren,  wie 
der  Koloss  des  Zeus,  der  in  diesem  Jahr  gefundene 
arcbaisirende  ApoUon,  die  Statuen  der  Nemesis- 
Tycbe  (die  beiden  Gegenstücke  aus  dem  Eingange 
des  Stadiums),  des  Asklepios  und  des  ruhenden 
Herakles,  ein  tlötenblasender  Satyr  und  ein  nackter 
Torso,  beide  diesjährige  Funde.  Zweitens  Athleten- 
l)ilder,  in  deren  Reibe  ein  jüngst  gefundener  Pau- 
kratiasteukopf  gehört.  Drittens  Mitglieder  des  kaiser- 
lichen Hauses  und  endlich  Privatleute,  Männer  wie 
Frauen.  Diese  Statuen  stammen  grössteutheils  aus 
der  Exedra,  aus  dem  Metroon  und  von  der  Ostseite 
des  Heraion.  Einzelne  derselben  gewinnen  durch 
besondere  Attribute,  wie  das  Bild  einer  gefesselten 
Provinz,  die  Athena  mit  der  Wölfin  auf  dem  Panzer 
Hadrians  u.  s.  w.  oder  durch  ihre  Künstlerinschriften 
ein  hervorragendes  Interesse.  Sie  lehren  uns  fünf 
Meister  der  attischen  Renaissance  kennen.  Den 
seltsamsten  Ursprung  haben  die  in  den  letzten  Tagen 
dazu  gefuudeuen  Römerstatuen.  Sie  waren  nämlich, 
dem  Feuertode  geweiht,  schon  in  einen  der  oben 
erwähnten  Kalköfen  geworfen:  die  Verbrennung  ist 
durch  irgend  eine  Katastrophe  unterbrochen  worden, 
und  so  bat  man  jetzt  die  zerschlagenen  Blarmor- 
bilder  wieder  aus  dem  Abgrund  herausgezogen. 

Ueberblicken  wir  die  gesammten  Sculpturfunde, 
welcbe  die  beiden  grossen  Magazine  nebst  dem 
Mittelhofe  füllen,  so  sind  es  ohne  die  Masse  der 
Fragmente  jetzt  87  Statuen  (darunter  44  über 
Lebensgrösse)  und  42  Köpfe,  welcbe  die  verschie- 
densten Gattungeu  und  Zeiten  griechischer  Kunst- 
übuug  vertreten.  Wenn  man  bedenkt,  dass  die  elf 
Metopenköpfe,  die  sich  durch  ilire  Erhaltung  aus- 
zeichnen ,  die  Köpfe  der  Hermesgruppe  und  der 
Nike  nicht  mitgerechnet  sind,  so  wird  man  zugeben, 
dass  nicht  leicht  eine  Antikensanuiilung  in  kurzer 
Zeit  zusammengekommen  sein  möchte,  welche  für 
das  Studium  der  Kopfbildung  in  der  Plastik  der 
Alten  ein  so  reiches  Material  darbietet  wie  die 
olympische. 


Wo  es  sich  um  Kunstwerke  handelt,  haben  Zalden 
eine  verhältnissmässig  geringe  Bedeutung;  es  schien 
mir  aber,  nachdem  die  einzelnen  Gegenstände  bei 
verschiedenen  Gelegenheiten  besprochen  sind,  jetzt 
gegen  Ende  der  Ausgrabungen  nicht  unpassend, 
auch  einen  numerischen  Ueberblick  zu  geben. 

Terrakotta  und  Erz  ergänzen  die  Ueberreste  der 
Steinskulptur.  Sie  sind  das  Material  einer  mehr 
populären  Industrie,  welche  auch  den  kleineu  Leuten 
Gelegenheit  giebt,  ihre  Anwesenheit  und  Pietät  in 
roh  geformten  Gegenständen  zu  bezeugen,  die  ihrem 
Lebenskreise  entnommen  sind.  Als  Kunstwerke 
merkwürdig  sind  die  alterthümlicheu  Thonköpfe 
von  Zeus  und  Hera,  die  Fragmente  weiblicher  Ge- 
wandfigureu  von  der  soi'gfältigsten  Ausführung, 
einer  Gruppe  von  Satyr  und  Kymphe,  eines  grin- 
senden Sileuskopfes  u.  s.  w.  Diese  Stücke  sind  von 
vorzüglicher  Wichtigkeit  wegen  der  gut  erhaltenen 
Farben  und  wegen  der  Seltenheit  grösserer  Thon- 
figuren  in  Griechenland.  Dazu  kommen  Tiiierbilder 
mannigfacher  Art  und  ein  römischer  Porträtkopf 
über  Lebensgrösse.  Ein  besonderes  Kabinet  der 
olympischen  Magazine  bilden  die  architektonischen 
Terrakotten,  die  in  voller  Farbenfrische  und  in  der 
grössten  Mannigfaltigkeit  des  Stils  erhaltenen  Kranz- 
gesimse, sowie  Stirn-  und  Firstziegel.  Von  wasser- 
speienden Löwenmasken  ist  hier  eine  solche  Fülle 
in  Thon  und  Stein  erhalten,  dass  mau  allen  Wand- 
lungen des  Geschmacks  durch  Jahrhunderte  hindurcli 
folgen  kann. 

Die  Bronzen  bat  Herr  Dimitriades  jetzt  in  einem 
besonderen  Raum  geordnet.  Wir  finden  dort  die 
spärlichen,  aber  unschätzbaren  Ueberreste  von  Gross- 
bronzen, tausende  von  kleinen  Votivfiguren,  dann 
die  bekannten  Reliefs  in  orientalischem  Stil,  ferner 
eine  Gruppe  von  archaischen  Statuetten  (darunter 
den  blitzscbleudernden  Zeus  in  seinem  für  Olympia 
charakteristischen  Typus  und  einen  ausfallenden 
Hopliten),  zierliche  Reliefs  von  getriebener  Arbeit 
in  altkorinthischem  Stil,  endlich  auch  Figuren  des 
freien  Stils  bis  zu  den  Mercurgestalten  der  römi- 
schen Zeit. 

Ausserdem  sieht  man  im  Bronzemuseum  jetzt 
eine  reiche  Auswahl  von  Wafi'en  und  Geräthstücken, 
Schilden  (einen  mit  Inschrift),  Helme  aus  verschie- 
denen Zeiten,  Schienen  aller  Art,  Scliwerter  (sehr 
selten),  Lanzeuspitzen  (zum  Theil  mit  Zuschriften); 
von  Erzgeräthen  sind  besonders  die  Schalen  massen- 
weise vorbanden,  Dreifüsse,  Greifenköpfe  in  grosser 
Auswahl,  Henkel  aller  Art.  Von  Sehnuickgegen- 
ständen  abgesehen,  sind  es   besonders  die  mit  In- 


Beliebte  aus  Olympia. 


113 


sclivift  vevsebeneu  Gewichte,  die  mit  noch  unerklär- 
ten Inschriften  und  mancherlei  Symbolen  versehenen 
GewichtstUcke  verschiedener  Form  und  Grösse  (ca. 
150  Stück),  welche  im  Prytaneion,  aber  auch  in 
der  ganzen  Altis  gefunden  sind.  Man  sieht  hier  in 
grosser  Mannigfaltigkeit  Alles  vereinigt,  was  in  Erz 
den  Gottheiten  dargebracht  zu  werden  pflegte; 
darunter  auch  manches  noch  Räthselhafte,  wie  die 
sogenannten  „Stimmmarken."  Endlich  ist  ein  aus- 
erwählter Schatz  des  Bronzenkabinets  die  Samm- 
lung von  Inschrifttafeln,  die  sich  mit  den  grössern 
Fragmenten  schon  auf  50  Stück  beläuft  und  für 
die  Technik  und  Geschichte  hellenischer  Erzschrift 
das  reichste  Material  darbietet. 

Während  diese  Urkunden  jetzt  sämmtlich  in 
einem  Schrank  zusammenliegen,  sind  die  ca.  400 
Steinschriften  in  der  ganzen  Altis  zerstreut.  Denn 
man  bat  nur  einzelne,  besonders  merkwürdige 
Steine,  wie  den  des  Bybon,  und  die  kleineren  Stein- 
tafeln, wie  die  Listeu  der  priesterlichen  Beamten, 
deren  Bruchstücke  noch  fortwährend  aus  dem  Pry- 
taneion und  der  nördlichen  Umgebung  der  byzan- 
tinischen Kirche  zum  Vorsehein  kommen,  in  das 
Museum  gebracht,  die  monumentalen  Steinurkuuden 
aber  an  ihrer  Fundstelle  gelassen.  Im  günstigsten 
Falle,  wenn  die  Fundstellen  auch  die  ursprünglichen 
Aufstellungsorte  waren,  sind  die  Inschriften  auch 
topographische  Denkmäler  ersteu  Ranges,  wie  die 
Nikeinschrifteu  und  die  luschriftbasen  des  Praxi- 
teles, Telemachos  u.  a.,  oder  man  hat  die  Inschriften 
wenigstens  in  der  Nähe  ihres  ursprünglichen  Staud- 
ortes aufgefunden,  wie  z.  B.  die  Basis  des  Philonides. 
Eine  wichtige  Inschrift,  wenn  auch  nur  aus  vier 
Buchstaben  bestehend,  brachte  uns  neulich  der  hinter 
der  Thesaureuterrasse  gezogene  Graben ;  sie  enthält 
in  alten  Schriftzügen  den  Anfang  des  Namens  der 
Kyrenäa  und  ist  das  Bruchstück  einer  Dedikations- 
urkunde  aus  dem  Schatzhause  derselben. 

Wenn  ich  endlich  noch  die  Münzen  erwähne, 
deren  Anzahl  auf  5000  angewachsen  ist,  wobei  die 
Masseufunde  byzantinischer  Münzen  je  unter  einer 
Nummer  verzeichnet  sind,  so  giebt  diese  Uebersicht 
eine  annähernde  Vorstellung  davon,  was  au  Denk- 
mälern aller  Art  aus  dem  Boden  von  Olympia  an 
das  Licht  gefördert  ist. 

Von  merkwürdigen  Einzelheiten  erwähne  ich 
nur  noch  einen  kleinen  Erdaltar,  der  vor  längerer 
Zeit  in  dem  Rundbau  nördlich  von  der  byzantini- 
schen Kirche  gefunden  ist.  Eine  nähere  Unter- 
suchung zeigte  uns  in  diesen  Tagen,  dass  er,  oben 
mit  einer  Ziegelplatte  bedeckt,   au  den  Seiten  mit 


weissem  Stuck  überzogen  war.  Dieser  Ueberzug 
mit  Schrift  und  Blattornament  wurde  von  Zeit  zu 
Zeit  erneuert.  Es  gelang  uns,  zehn  solcher  Schichten, 
eine  nach  der  anderen,  abzulösen ;  es  war  der  Altar 
eines  Heros,  dessen  Name  nicht  genannt  wird,  dessen 
Dienst  aber  mit  der  Mantik  von  Olympia  im  Zu- 
sammenhang stehen  muss.  Es  ist  ein  religiöses 
Denkmal  einzig  iu  seiner  Art. 

Die  Hauptsache  aber  sind  nicht  diese  Einzel- 
heiten, sondern  das  Ganze,  die  wiedergewonnene 
Anschauung  des  gesammten  Raumes  von  Olympia, 
und  so  kehre  ich  zu  dem  Grundriss  der  Altis  zu- 
rück, von  dem  ich  ausging,  der  wichtigsten  Ur- 
kunde unserer  Arbeiten,  welche  nooli  in  aller  Hän- 
den sein  wird,  wenn  die  Altis  selbst  wieder  über- 
wachsen, verschüttet  und  verwildert  sein  mag.  Das 
Interesse,  das  sich  an  den  Grundriss  anknüpft, 
geht  über  das  der  Baugeschichte  weit  hinaus,  und 
wie  genau  wir  uns  mit  seiner  Hülfe  in  Olympia 
Orientiren  können,  zeigen  ja  am  deutlichsten  die  an 
Ort  und  Stelle  aufgefundenen  Schrankensteine  der 
Rennbahn,  an  denen  die  Wettkämpfer  ihren  Lauf 
anfingen  und  vollendeten. 

Es  fehlte  noch  ein  umfassenderes  Bild  der  Ge- 
gend. Herr  Landesvermessungsrath  Kaupert  ist  be- 
schäftigt, die  topographische  Aufnahme  in  V,oooo 
auszuführeu,  in  einer  Ausdehnung  von  5000  m  in 
die  Länge  und  4000  m  iu  die  Breite,  so  dass  ein 
Kartenblatt  von20qkm  hergestellt  wird,  wo  Olympia 
in  der  Mitte  liegt. 

Die  Ausgrabung  ist  bis  heute  mit  500  Mann 
fortgesetzt.  Das  griechische  Osterfest  macht  eine 
achttägige  Pause. 

Olympia,  den  29.  April  1880.  E.  Curtius. 

45. 

Das  letzte  Ausgrabungsjahr  hat  mit  einem  ebenso 
überraschenden  wie  wichtigen  Funde  abgeschlossen, 
dem  lebensgrossen  Bronzekopf  eines  olympischen 
Siegers,  einem  Meisterwerke  der  Diadochenperiode. 

Es  ist  das  Bildniss  eines  reifen  Mannes,  dessen 
finster  und  entschlossen  dreinblickendes  Antlitz  von 
dichtem,  wirrem  Haar  und  Bart  tief  beschattet  und 
eingerahmt  wird.  Der  Kranz  von  wildem  Oelbaum 
kennzeichnet  ihn  als  Olympioniken;  die  dick  ver- 
sch wolleneu  Ohren  als  Pankratiasten.  Die  Lippen 
scheinen  versilbert  gewesen  zu  sein,  die  Augäpfel, 
ursprünglich  wahrscheinlich  ans  farbigeu  Steinen 
gebildet,  fehlen  jetzt.  Im  Uebrigen  ist  die  Erhal- 
tung, von  einigen  Oxydwucherungen  abgesehen, 
eine  gute.  Die  Höhe  ist  31  Cm.,  genaue  Lebensgrösse, 

15* 


114 


Berichte  aus  Ohmpia. 


wie  wir  aunelimen  müssen,  da  es  den  Hellauodikeu 
oblag,  darüber  zu  wacheu,  dass  dieselbe  nicht  über- 
schritten wurde.  —  Wenn  Plinius  berichtet,  dass 
erst  ein  dreimaliger  olympischer  Sieg  das  Kecht 
7.ur  Aufstellung  einer  Statue  von  voller  Bildniss- 
ähnlichkeit verlieh,  dass  also  die  übrigen  Sieger 
sich  mit  typischen  Athletenbildern  begnügen  mussten, 
so  kann  darüber  gar  kein  Zweifel  sein,  dass  uuser 
Kopf  der  erstereu  Klasse  angehörte.  Denn  die 
charaktervolle  Hässlichkeit  seiner  Züge  ist  von  dem 
Künstler  in  aller  ihrer  brutalen  Energie  mit  einer 
Uuverhohlenheit,  ja  virtuosen  Geflissentlichkeit  wie- 
dergegeben worden,  welche  deutlich  zeigt,  dass  es 
ihm  hierauf  recht  eigentlich  ankam.  Uebrigens 
verräth  Alles  einen  Meister  ersten  Ranges:  die 
Sicherheit,  mit  der  der  Knochenbau,  das  trotzig 
vorgeschobene  Untergesicht,  die  breite  gekrümmte 
Nase,  die  energischen  Stirnhügel  gegeben  sind; 
die  vollendete  "Wahrheit  in  der  Wiedergabe  der 
Haut,  der  gespannten  sowohl,  als  der  Fältchen 
und  Säckchen  um  die  tiefliegenden,  misstrauisch 
und  scharf  aus  ihren  Höhlen  hervorblickenden 
Augen.  Haar  und  Bart  endlich  sind  von  voll- 
endeter Virtuosität:  diese  sich  durch-  und  überein- 
ander bäumenden  Haarmassen,  dieses  geistreiche 
Spiel  in  sorgfältig  durchciselirten  Einzelheiten  ist 
mit  einer  sicheren  Bravour  durchgeführt,  wie  sie 
erst  der  Epoche  der  pergameniscben  und  rhodischen 
Schulen  zur  Verfügung  stand.  In  diese  Zeit,  in 
das  2.  oder  .3.  vorchristliche  Jahrh.,  weist  auch  der 
geniale  Realismus  der  Porträtauffassung.  Namen 
jedoch  vermögen  wir  weder  für  den  Darsteller 
noch  für  den  Dargestellten  zu  nennen,  da  der  Fund- 
ort des  Kopfes,  dicht  vor  dem  Abstich,  an  dem  wir 
im  N.O.  des  Prytaneions  Halt  gemacht,  zu  deutlich 
auf  weite  Verschleppung  hinweist,  wir  mithin  eines 
sicheren  topographisclien  Anhalts  für  die  Identifi- 
kation der  Statue  entbehren. 

Dass  jene  Scheidung  zwischen  ikonischen  und 
typischen  Siegerstatuen  für  die  Zeit  der  gereiften 
Kunst  wenigstens  sicher  bestand,  dafür  hat  uns  ein 
anderer  glücklicher  Fund  in  derselben  Gegend  den 
monumentalen  Beleg  gebracht. 

Es  ist  dies  ein  etwas  unter  Lebensgrösse  ge- 
haltener Jünglingskopf  aus  pentelischem  Marmor, 
der,  wie  die  venschwolleneu  Oiiren  zeigen,  eben- 
falls einen  siegreichen  Pankratiasten  darstellen  soll. 
Aber  statt  der  Bildnissähnliciikeit  springt  hier  die 
directe  Anlehnung  an  einen  praxitelisehcn,  unserem 
Hermes  nahe  stehenden  Typus  deutlich  in  die  Augen. 
Von   diesem    scheiden    den    neu   gefundenen   Kopf 


wesentlich  nur  einige  stärkere  Drucker,  eine  leichte 
Vergröberung  der  Formen.  Er  ist  im  Vergleich 
zum  Hermes  sehr  feinsinnig  ins  Herakleshafte  hin- 
übergestimmt; das  kurz  geschnittene  Haupthaar  ge- 
drungener gelockt,  die  Backenknochen  schärfer  her- 
vorgehoben, die  Augen  weiter  geöffnet  und  schärfer 
geschnitten,  die  Wendung  des  Kopfes  lebhafter, 
gleichsam  herausfordernd. 

Die  Richtung  auf  volle  Bildnisswahrheit  konnte 
sich  von  diesen  typischen  Athleteubilduugen  natür- 
lich erst  scheiden,  als  die  Kunst  in  den  Vollbesitz 
ihrer  Mittel  gelangt  war.  In  unserem  archaischen 
Eperastos-Kopfe  dagegen  geht  Typisches  und  Por- 
träthaftes noch  in  voller  Naivetät  neben-  und  durch- 
einander (s.  Bericht  41). 

Hat  sich  uns  mit  der  Entdeckung  dieser  drei 
Köpfe  ein  neues  Gebiet  erschlossen,  so  vervoll- 
ständigt und  berichtigt  der  neu  aufgefundene  Kopf 
der  Hippodameia  unsere  Kenutniss  des  Ostgiebels 
in  erfreulichster  Weise.  Wir  haben  ihn  aus  den 
späten  Hüttenmauern  über  dem  Leonidaion  hervor- 
gezogen. Arg  Verstössen  und  entstellt  zieht  er 
dennoch  durch  die  Anmuth  seines  lächelnden  Aus- 
druckes und  das  echt  mädchenhafte  Haargelock  an; 
das,  vom  Wirbel  schlicht  nach  allen  Seiten  herab- 
fallend, Stirn,  Wangen  und  Nacken  mit  doppeltem 
Geringel  umgiebt.  Mit  dem  Kopfe  zusammen  ge- 
sehen, mildert  sich  auch  die  Starrheit  in  der  Ge- 
wandanordnung der  Gestalt  zu  einer  gewissen  her- 
ben Sprödigkeit,  die  sich  sehr  wohl  zu  dem  Aus- 
druck jungfräulicher  Hoheit  schickt. 

Nicht  vorbereitet  waren  wir  auf  eine  so  ent- 
schiedene Wendung  des  Hauptes  zur  1.  Schulter  hin, 
wie  sie  jetzt  der  genau  aufpassende  Halsansatz  er- 
giebt.  Diese  Thatsache  ist  so  überraschend  und  so 
wichtig,  dass  sie  nach  der  Meinung  des  Unter- 
zeichneten eine  Umkehrung  der  in  der  Berliner 
Olympia-Ausstellung  durchgeführten  Anordnung  der 
Mittelgruppe  des  Ostgiebels  nöthig  macht.  Die  bis- 
herige Aufstellung  nämlich  liess  die  fünf  Mittel- 
figuren in  nachstehender  Ordnung  von  1.  nacli  r. 
auf  einander  folgen:  Sterope;  Oinomaos,  von  seinem 
Weibe  ab  und  der  Mitte  zugewandt,  in  der  Zeus 
steht;  Pelops,  ebenfalls  Zeus  zugewandt;  endlich 
Hippodameia.  Die  letztere  würde  bei  dieser  Auf- 
stellung, wie  wir  jetzt  sehen,  von  ihrem  Freier 
Pelops  sich  völlig  abwendend,  in  die  Ecke  blicken. 
Dadurch  fallen  beide  Gestalten  gänzlich  auseinander, 
was  weder  ästhetisch  befriedigt  noch  dem  Licbes- 
einverständniss  der  Beiden  zu  entsprechen  scheint. 
Ordnet  man  dagegen  umgekehrt:   Hippodameia  — 


Berichte  aus  Olympia. 


115 


Pelops  —  Zeus  —  Oinomaos  —  Sterope,  so  wen- 
den sieb  Pelops  und  Hippodaiiieia  nicht  nur  zu 
einander  bin,  wie  in  stillem  Gespräcbe  begriffen, 
sondern  man  erhält  auch  zur  L.  wie  zur  R.  des 
Zeus  je  eine  geschlossene  Gruppe ,  wo  früher 
fünf  Figuren  unvermittelt  und  steif  neben  einander 
standen.  Erst  dann  gelangt  ferner,  wie  die  Be- 
schreibung des  I'ausanias  dies  fordert,  Oinomaos 
auf  die  Seite  des  Kladeos,  Pelops  auf  die  des  Al- 
pheios.  Erst  dann  wendet  sich  Zeus  entschieden 
dem  Pelops  zu,  der  damit  auf  die  rechte,  die  gltick- 
verheissende  Seite  des  Gottes  zu  stehen  kommt. 
Jetzt  ist  auch  das  beiderseitige  Gefolge  in  Einklang 
mit  der  Stimmung,  die  in  den  beiden  Hauptgrui)pen 
herrscht.  Jener  Greis  vor  Allem,  der  in  trübem 
Sinnen  dasitzt,  das  Unheil  gleichsam  vorausahnend, 
das  über  Oinomaos  hereinbricht,  befindet  sich  dann 
hinter  des  Oinomaos  Rossen.  Auf  der  Seite  des  Pe- 
lops dagegen  herrscht  rühriges,  rüstiges  Treiben.  — 

Der  vorige  Bericht  hat  die  Lücke  beklagen 
müssen,  welche  durch  das  Fehlen  des  Herakles- 
kampfes mit  der  Hirschkuh  in  der  Metopeureihe 
des  Zeustempels  zurttckblieb.  Jetzt  ist  auch  diese 
Lücke  einigermassen  gefüllt.  Schon  früher  hatte 
der  Unterzeichnete  aus  dem  Vorhandensein  eines 
nach  1.  niederblickenden  Herakleskopfes  und  eines 
nach  derselben  Seite  kuieenden  Beines,  zweier 
Stücke,  die  sich  in  keiner  anderen  Metope  unter- 
bringen Hessen,  auf  die  Composition  dieser  Metope 
zu  schliessen  versucht.  Er  hatte  aus  jenen  Frag- 
menten gefolgert,  dass  die  Ereilung  der  Hirschkuh 
durch  Herakles  auch  hier  in  dem  altgewohnten 
Schema  dargestellt  gewesen  sei,  welches  Herakles 
auf  dem  Rücken  der  Hindin  knieen  und  ihr  Haupt 
am  Geweihe  zurückbeugen  lässt.  Diese  Vermu- 
thung  ist  durch  die  Auffindung  vom  Rumpfe  der 
Hirschkuh  lediglich  bestätigt.  Für  die  im  41.  Be- 
richt hervorgehobene  Verwandtschaft  unserer  Me- 
topen  mit  denen  des  Theseions  ergiebt  sich  damit 
ein  neuer  Beweis. 

Die  übrigen  Marmorfunde  waren  von  geringerer 
Bedeutung.  Ein  römischer  Porträtkopf,  aus  au- 
gusteischer Zeit  etwa,  verdient  nur  diese  kurze 
Erwähnung,  da  er  weder  von  besonders  guter  Ar- 
beit ist,  noch  sich,  fürs  Erste  wenigstens,  benennen 
oder  unterbringen  lässt. 

Desto  erfreulicher  ist  unsere  Ernte  an  Klein- 
bronzen ausgefallen,  an  der  besonders  die  tieferen 
Schichten  des  antiken  Bodens  im  N.  des  Prytauei- 
ons  und  im  W.  des  Buleuterions  betheiligt  sind. 

Der    altehrwürdige    Typus   des    nackten,    weit 


ausschreitenden  blitzschleudernden  Zeus  mit  dem 
Adler  auf  der  ausgestreckten  Linken  ist  in  nicht 
weniger  als  drei  vortrefflichen  Exemplaren  vertre- 
ten, deren  Vergleichuug  um  so  lehrreicher  ist,  als  sie 
aus  verschiedenen  Kunstepochen  stammen. 

Zeus  dürfen  wir  vielleicht  auch  noch  in  einer 
vierten,  nördlich  vom  Prytaneion  gefundenen  Sta- 
tuette erkennen,  unzweifelhaft  der  bedeutendsten 
unter  allen  unseren  Kleinbronzen  —  schon  der 
Grösse  nach,  denn  sie  misst  29  Cm.  Dargestellt  ist 
ein  bärtiger,  eng  in  seinen  Mantel  gehüllter  Mann, 
der,  in  der  bekannten  starren  Haltung  archaischer 
Statuen,  mit  durchgedrückten  Knien  dasteht,  den 
linken  Fuss  vorgesetzt,  beide  Unterarme  in  rechtem 
Winkel  vorgestreckt.  Die  Attribute  in  den  Händen 
sind  bis  auf  unkenntliche  Ansätze  versehwunden, 
nnd  so  wären  wir  für  die  Deutung  dieser  Figur 
völlig  ohne  Anhalt,  wenn  nicht  die  frappante  Aehn- 
licbkeit  des  Kopfes  mit  einem  in  der  Nähe  des 
Zeustempels  ausgegrabenen  Zeushaupte  (Ausgr.  IIL 
Taf.  22)  uns  wenigstens  ein  gewisses  Recht  gäbe, 
auf  Zeus  zu  schliessen. 

Endlich  ist  im  Westen  des  Buleuterions  das 
allerliebste  Bronzefigürchen  eines  zum  Symposion 
gelagerten  Jünglings  aufgefunden  worden.  Den  1. 
Ellenbogen  auf  ein  Polster  gestützt,  die  Trinkschale 
in  der  Hand,  die  Rechte  in  lebhafter  Bewegung 
erhoben  und  den  Beschauer  anblickend,  erinnert  er 
sehr  an  die  archaischen  Dekelfiguren  gewisser 
etruskischer  Sarkophage.  Man  muss  sich  dieselben 
jedoch  in  den  zierlichsten  Stil  vom  Ausgang  des 
6.  Jahrb.  zurückübersetzen,  um  eine  adäquate  Vor- 
stellung von  diesem  anmuthigen  Figürchen  zu  ge- 
winnen. 

Dies  sind  die  beträchtlicheren  archäologischen 
Ergebnisse  aus  den  Schlusswochen  der  olympischen 
Ausgrabungen,  die  am  14.  Juni  zu  Ende  gingen. 
Sie  haben  mehr  und  Bedeutenderes  gebracht,  als 
wir  jetzt  noch  erwarten  durften,  wo  wir  nach  allen 
Seiten  hin  die  Grenzen  des  heiligen  Zeusbezirkes 
weit  übersehritten  haben. 

Am  24.  d.  M.  werden  die  Museen  für  die  Dauer 
der  Sommermonate  versiegelt,  und  noch  am  sel- 
ben Tage  werden  sämmtliche  Expeditionsmitglieder 
Olympia  verlassen  haben.  In  den  Herbstmonaten 
soll  im  Wesentlichen  nur  noch  eine  Aufarbeitung 
und  nochmalige  Revision  der  Ausgrabungsergebnisse 
stattfinden. 


116 


Berichte  aus  Olympia. 


Nachträge  zu  Bericlit  42*). 

Zum  Kopfe  des  Dionysosknabeu  in  der 
praxiteliscben  Hermesgruppe: 

Dass  das  Dionysosknäblein  für  seiu  Alter  zu 
klein  gebildet,  ja  überhaupt  als  Nebenwerk  behan- 
delt sei ,  wohl  um  den  Hermes  um  so  mehr  als 
Hauptgestalt  der  Gruppe  wirken  zu  lassen,  erfährt 
nun  eine  weitere  Bestätigung.  Der  kleine  Schädel, 
das  zwar  kindliche,  aber  doch  nichts  weniger  als 
puttenhafte  pausbäckige  Gesicht,  das  lange  Haar, 
welches  in  zierlich  geordneten  Wellen  durch  eine 
Schnur  zusammengehalten  wird  und  über  der  Stirn 
ursprünglich,  wie  es  scheint,  zu  einem  kleineu 
kuaufartigeu  Büschel  zusammengefasst  war,  verräth 
ebenso  sehr  ein  entwickelteres  Kindesalter  als  die 
Körperformen  und  die  sichere  Haltung.  Wenn  da- 
her die  Proportionen  das  moderne  Auge  auch  nicht 
überall  ganz  kinderhaft  anmuthen  und  die  Einzel- 
bildung des  Gesichtes  hinter  der  des  Hermes  un- 
leugbar zurücksteht,  so  kosten  wir  dafür  die  Be- 
wegung erst  jetzt  völlig  in  ihrem  vollen  Reize  echt 
kindlicher  Lebensäusseruug. 

Als  wir  am  Nachmittag  des  27.  März  das  Köpf- 
chen über  80  M.  weit  von  dem  ursprünglichen  Stand- 
orte der  Gruppe  ausgegraben  hatten  —  es  lag  ca. 
40  M.  n.w.  von  der  N. W.-Ecke  des  Zeustempels  unver- 
baut auf  einer  Schicht  von  Thonscherben  und  Poros- 
brockeu  —  und  das  unverkennbare  dem  Rumpfe  so- 
gleich aufpassten,  da  war  es  vor  Allem  die  Lebhaftig- 
keit der  Bewegung  in  der  Kindesgestalt,  deren  wahr- 
haft überraschender  Wirkung  sich  keiner  von  uns 
entziehen  konnte.  So  lebendig  hatte  sich  Niemand 
das  Kind  gedacht.  Diese  naiv  reizende  Neigung 
des  vorgestreckten  Köpfchens  zur  1.  Schulter  hin, 
um  au  dem  Hermeskopf  vorüber  zu  dessen  r.  Hand 
hinaufblicken  zu  können,  ist  von  so  frappanter 
Wahrheit,  dass  man  das  1.  Aermchen  förmlich  zu 
sehen  glaubt,  welches  sich  bittend  nach  dem  aus- 
reckt, was  Hermes  in  seiner  Rechten  hielt.  Denn 
es  unterliegt  jetzt  gar  keinem  Zweifel  mehr,  dass 
diejenigen  Recht  behalten  werden,  welche  voraus- 
setzten, der  Gott  halte  seinem  kleinen  Gesellen  eine 
Traube  oder  etwas  dergleichen  hin. 

*)  [Bericht  i2  ist  oben  S.  öOf.  aus  eiuer  Zeitung  abgedruckt, 
welche  wie  sich  herausgestellt  hat,  den  ursprünglichen  Text  nur 
in  Verstümmelung  wiedergegeben  hat.  Es  werden  daher  die 
ausgefallenen  Partien  hier  nachgetragen;  des  Zusammenhanges 
wegen  werden  dabei  einige  Sätze  wiederholt.  Herr  Treu  hat 
die  Gelegenheit  benutzt  einige  Zusätze  anzufügen,  welche  durch 
eckige  Kbimmern  gekennzeichnet  sind.     Hed.) 


Und  auch  noch  andere  Hermes-Streitfragen,  auf 
die  hier  nicht  näher  eingegangen  werden  kann, 
werden  durch  diesen  neuen  Fund  ihrer  Lösung  ent- 
gegen geführt.  [Es  sollte  hiermit  auf  die  von  Benn- 
dorf  in  Lützow's  Kunstchronik  XIII  S.  779ff.  aufge- 
worfeneFrage  hingedeutet  werden,  ob  der  olympische 
Hermes  wegen  seiner,  der  lysippisehen  so  ver- 
wandten, Formengebung  nicht  einem  jüngeren,  um 
die  Zeit  des  Theophrast  lebenden  Praxiteles  ange- 
hören könne.  Hier  schien  mir  das  Dionysosköpfchen 
durch  seine  unleugbar  hinter  der  Hauptfigur  zurück- 
gebliebene Formengebung  und  durch  eine  gewisse 
Aehulichkeit  der  Haarbehandlung  und  der  Gesichts- 
züge mit  der  knidischen  Aphrodite  diese  Frage  zu 
Gunsten  des  älteren,  des  grossen  Praxiteles  zu  ent- 
scheiden.] 

Die  Hauptfreude  bleibt  aber  nicht  die  Lösung 
der  wissenschaftlichen  Probleme,  sondern  die  Wie- 
derauferstehuug  eines  Bewegungsmotivs  voll  an- 
muthigsten  Lebensgefühles.  Und  dieser  Genuss 
wird  durch  die  Beschädigungen,  welche  der  Kopf 
erlitten,  wenigstens  nicht  allzusehr  beeinträchtigt, 
da  dieselben  sich  meist  an  der  rechten,  dem  Be- 
schauer abgewandten  Kopfseite  befinden;  die  linke 
Seite  ist  verhältnissmässig  gut  erhalten.  Wie  zu 
erwarten  war,  setzt  sich  auch  hier,  ganz  wie  beim 
Hermes,  das  Haar  rauh  gegen  die  fein  geglättete, 
weisse  Gesichtshaut  ab.  Endlich  aber  hat  es  sich 
so  glücklich  gefügt,  dass  die  Brüche  des  Halses 
dem  Rumpfe  genau  aufpassen,  so  dass  die  Zuge- 
hörigkeit auch  äusserlich  erwiesen  ist,  Richtung 
und  Bewegung  des  Kopfes  unverrückbar  gegeben 
sind.  [Ich  deute  auf  diesen  äusseren  Beweis  der 
Zugehörigkeit  jetzt  um  so  nachdrücklicher  hin,  als 
dieselbe  neuerdings  von  Newton  in  einem  Times- 
Berichte  über  seine  letzte  Reise  nach  Olympia 
(April  1880)  sehr  mit  Unrecht  in  Zweifel  gezogen 
worden  ist.  Davon  dass  die  Brüche  in  der  That 
genau  aufeinander  passen,  wird  sich  bald  ein  Jeder 
mit  Hilfe  der  jetzt  bereits  in  Berlin  eingetroffenen 
Gypsform  überzeugen  können.]  — 

Zum  Herakleskoj)f  aus  der  Westmetope  mit 
dem  nemeischen  Löwen: 

Die  Gesichtshaut  ist  weiss  und  glatt,  während 
das  Haar,  das  wie  bei  allen  Heraklesköpfen  der 
Metopen  als  ungegliederte  Masse  behandelt  ist,  eine 
rauhere  Oberfläche  zeigt.  Ein  Versuch,  die  ein- 
zelnen Locken  darzustellen,  ist  auch  in  der  Farbe 
nicht  gemacht ;  es  wäre  aber  nicht  undenkbar,  dass 
uns  blos  die  Untermalung  erhalten  geblieben  ist. 

Der  Gestus,   in  welchem   dieser  Herakles  dar- 


A.  Kirchhoflf,  luschriften  aus  Olympia. 


117 


gestellt  war,  kehrt  zu  ueuem  Zcugniss  für  den 
verwaudteu  Ursprung-  vou  Metopeu  uud  Giebel  in 
einer  Greisengestalt  des  Ostgiebels  wieder;  in  un- 
serem Relief  erhält  er  aber  noch  einen  tieferen  Sinn 
dadurch,  dass  eine  zweite  Gestalt,  wahrscheinlich 
Athena  als  göttliche  Helferin  und  Trösterin,  neben 
Herakles  dastand;  dies  glaube  ich  wenigstens  aus  den 
Raumverhältnissen  der  Metope  und  der  Vergleichuug 
verwandter  Darstellungen  schliessen  zu  müssen. 

Dass  die  Künstler  der  RIetopen  mit  ihrer  Sceuen- 
reihe  eine  chronologische  Abfolge  der  Herakles- 
thaten  einzuhalten  unternommen  hatten  uud  den 
Löwenkampf  wie  gewöhnlich  als  die  früheste  der- 
selben aufgefasst  wissen  wollten,  haben  sie  dadurch 
deutlich  dargethan,  dass  sie  unseren  Herakleskopf 
allein  unter  allen  erhaltenen  unbärtig  bildeten.  Dass 
endlich  diese  Reihe  an  der  Nordwestecke  begonnen 
haben  müsse,  erhält  durch  den  Fundort  dieses  Kopfes 
eine  neue  Bestätigung.  [Die  Stylobatquader  des 
Zeustem])els,  unter  der  dieser  Kopf  versteckt  ge- 
funden wurde,  ist  nämlich  die  der  Nordwestecke.]  — 

Zum  Kopfe  des  knabenraubenden  Ken- 
aureu  aus  dem  Westgiebel : 

Es  ist  eins  der  charakteristischen  Kentauren- 
gesichter mit  wirrem,  kurzem  Haar,  niedriger,  ge- 
furchter Stirn  und  dem  Ausdruck  thierischer  Wild- 
heit in  den  Zügen.  Tief  eingeschnittene,  eigen- 
thUmlich  schematische  Falten  an  Nasenwurzel  imd 
Nüstern  zeigen,  dass  der  Kentaur  sich  durch  Beissen 
seines  Gegners  erwehrte  —  vom  Munde  selbst  ist 
uns  nur  die  Oberlippe  erhalten.  Mit  diesem  Motiv 
ist  aber  auch  der  Platz  des  neuen  Fundes  im  Giebel 
gegeben.  Denn  nach  der  symmetrischen  Entspre- 
chung, welche  durch  die  ganze  Composition  geht, 
kann  das  Gesicht  nur  dem  Gegenstück  des  beissen- 
den  Kentauren  der  linken  Giebelhälfte  angehören, 
also  dem  Knabenräuber.  — 

Zu  der  Überlebensgrossen  archaisirenden  Statue 
eines  leierspielenden  ApoUon: 


In  den  Fundamenten  einer  anseheinend  noch 
aus  spätrömischer  Zeit  stammenden  Halle  im  S.  des 
Philippeions  waren  Bruchstücke  von  Inschriften  und 
Sculptureu  bemerkt  worden.  Der  in  Folge  dieser 
Beobachtung  sofort  unternommene  Abbruch  der 
Fundamente  ergab  richtig  nicht  nur  einige  In- 
schriften, sondern  auch  über  dreissig  Bruchstücke 
einer  nackten  männlichen  Statue,  die  offenbar  ab- 
sichtlich zum  Zweck  der  Einmauerung  zerkleinert 
worden  ist. 

Der  etwas  mühsame  Versuch  ihrer  Wiederher- 
stellung gelang  endlich,  und  ich  konnte  bei  dieser 
Gelegenheit  constatiren,  dass  wir  Hinterkopf  und 
Hals  der  Statue  bereits  früher  in  der  Nähe  der  so- 
genannten byzantinischen  Kirche  aufgefunden  hatten. 
Bereits  damals  hatte  ich  aus  dem  Flechtzopfe,  wel- 
cher den  Hinterkopf  umgiebt,  gefolgert,  es  müsse 
in  Olympia  eine  Marmorwiederholung  jenes  be- 
kanntenarchaisirendenAppollontj-pus  gegeben  haben, 
der  in  verschiedenen  Exemplaren  in  den  Museen 
von  Athen,  Neapel,  Mantua,  Cassel  vertreten  ist. 

Auch  unser  Exemplar  stammt  wohl  aus  römi- 
scher Zeit,  lieber  die  feineren  StiluUancirungen 
wird  sich  erst  nach  Auffindung  des  Gesichts  und 
der  noch  fehlenden  Unterarme  und  Unterbeine  ur- 
theilen  lassen.  Uebrigens  sieht  man  schon  jetzt, 
dass  der  von  einer  Chlamys  locker  umgebene  linke 
Arm  eine  Leier  hielt,  die  Rechte  daher  wahrschein- 
lich ein  Plektron.  Das  Haupt  schmückte  ein  Me- 
tallkranz; die  sonst  üblichen  Schulterlocken  scheinen 
zu  fehlen. 

Also  ein  leierspielender  ApoUon  in  Olympia,  den 
Pausanias,  wie  fast  alles  aus  römischer  Zeit  stam- 
mende, übergangen.  Vielleicht  das  Weihgescheuk 
eines  Dichters,  der  siegreich  einen  olympischen  Hym- 
nus gesungen,  wie  auf  einer  der  Dichterbasen  steht, 
die  wir  in  letzter  Zeit  hier  gefunden. 

Georg  Treu. 


INSCHRIFTEN  AUS  OLYMPIA. 


363. 


Bronzetafel,  gefuiuleu  18.  Octobev  1S79  innerhalb  des  Pry- 
taneion,  lang  0,19,  hoch  0,06ö,  an  den  vier  .abgerundeten  Ecken 
mit  Lochern  zum  Befestigen  versehen.  Die  Schriftseite  wenig 
convex,  an  der  unteren  Hiilfte  der  linken  Seite  durch  einen 
Stoss  oder  Schlag  eingedrückt.  Bei  der  Auffindung  fehlte  ein 
kleines  Stück  links  mit  dem  Anfang  der  2.  Zeile;  beim  Aus- 
graben ist  sie  in  zwei  ungleiche  Theile  zerbrochen  und  dadurch 


eine  Lücke  in  der  1.  Zeile  und  eine  kleinere  in  der  5.  entstan- 
den; endlich  sind  bei  der  Reinigung  einige  kleinere  Stücke  von 
der  linken  oberen  Ecke,  welche  jedoch  keine  Buchstaben  ent- 
hielten, .ibgebrochen.  Purgold.  Mit  zwei  Abschriften  und  zwei 
Abklatschen,  von  denen  die  einen  vor,  die  anderen  nach  der  voll- 
ständigen Reinigung  genommen  worden  sind.  Für  das  nachstehende 
Facsimile  ist  ausser  den  Abklatschen  die  spätere  dieser  Abschriften 
benutzt. 


118 


A.  Kirchhoff,  Inschriften  aus  Olympia. 


^p-ATfATO^ArvA/Td 
,.TAriOi.(Z)lAfAA/p^/V1 
^T  ^  AK  oPOTA^O/M^A^r 
"Ol  O^oAPOI^t^^  O/äA'* 

M /y  Q I  A^_^.0  ^ A  ^  r  O  Pi^ 


Von  den  Bemerkungen,  mit  denen  Herr  P.  seine 
Abschriften  begleitet  hat,  theile  ich  als  von  Be- 
deutung die  folgenden  mit: 

Z.  1.  Vor  dem  ersten  A  scheint  kein  anderer 
Buchstabe  gestanden  zu  haben.  Das  F  ist  jetzt  in 
der  angegebenen  Weise  durch  die  ganze  Dicke  der 
Platte  hindurehgestossen;  es  war  vollständig  unter 
dem  Oxyd  verborgen,  aber  dass  die  Bronze  gerade 
in  dieser  Form  dem  Drucke  nachgab,  bezeugt,  dass 
hier  diese  Linien  eingravirt  waren. 

Z.  2.  Vor  M  können  noch  1 — 2  Buchstaben  ge- 
standen haben. 

Z.  4  sind  an  vorletzter  Stelle  von  den  schrägen 
Strichen  des   R  noch  schwache  Spuren  erkennbar. 

Z.  5  ist  von  dem  drittletzten  Buchstaben  sicher 
nur  I,  doch  kann  er  sehr  wohl  K  gewesen  sein. 

Am  schwierigsten  ist  Z.  6,  3 ');  hier  ist  die  tiefste 
Stelle  einer  Einbiegung,  welche  die  Platte  durch 
einen  Stoss  erhalten  hat.  Es  ist  kaum  zu  entschei- 
den, ob  der  Horizontalstrich  an  dieser  Stelle  (T)  nicht 
etwa  bloss  durch  das  Zusammenknicken  der  Tafel 
entstanden  ist,  besonders,  da  deren  zwei  vorhanden 
sind.  Ist  dies  der  Fall,  so  wäre  K  oder  R  möglich. 
Der  folgende  Buchstabe  könnte  B  sein.  Von  dem 
<N  in  der  Glitte  der  Zeile  und  dem  Schluss  der 
nächsten  sind,  wie  von  den  übrigen  schraffirten 
Buchstaben,  nur  in  der  günstigsten  Beleuchtung 
noch  Spuren  zu  erkennen. 

')  Die  erste  Abschrift  gibt  hier  ein  schraffirtes  ||;  die 
Abklatsche  lassen  nichts  als  den  unteren  Theil  einer  dem  vorher- 
gehenden A  nüher  als  dem  folgenden  Zeichen  stehenden  litista 
erkennen. 


Ich  habe  dem  noch  hinzuzufügen,  dass  Z.  4  der 
6.  Buchstabe  vom  Ende  auf  der  zweiten  Abschrift 
als  I  gegeben  ist,  auf  der  ersten  dagegen  als  T,  was 
mir  die  Abklatsche  zu  bestätigen  scheinen.  Z.  3  end- 
lich geben  beide  Abschriften  übereinstimmend  dem 
14.  Zeichen  die  Gestalt  F ;  es  ist  aber  ohne  Zweifel 
ein  B  gewesen,  und  auf  den  Abklatschen  glaube 
ich  den  Verbinduugsstrich  bei  guter  Beleuchtung 
noch  deutlich  erkennen  zu  können. 

Hiernach  ist  zu  lesen : 

o(t)s.  (filiav  Titvxav,ov\xa  Fersa.  ■xumözagoi  i-ifjv- 
nedeoiav,  |  and  tio  ßco/.tcü  anoFrjkeoiäv  xa  toi 
ngöl^svot  xal  toI  fiävTisg.  al  td[v]  6[q]xov  \  nalg]- 
ßaivoiav,  yvcüfiavTOQ  .  .  ovao.  |  tiu^vvniai. 

Die  Namen  der  beiden  contrahirenden  Gemeinden 
sind  sonsther  nicht  bekannt;  da  aber  der  Dialekt 
der  Urkunde  entschieden  der  von  Elis  ist  und  dazu 
auch  die  Schrift  stimmt,  so  muss  wenigstens  eine 
von  beiden  eine  eleische  gewesen  sein.  Nach  Ana- 
logie anderer  eleischer  Rhetreu  habe  ich  angenom- 
men, dass  die  Namen  der  Contrahenten  im  Dativ 
standen  und  dass  folglich  der  Graveur  sich  wenig- 
stens zweimal  der  Auslassung  eines  Iota  schuldig 
gemacht  hat:  die  scheinbar  überlieferten  Accusative 
fügen  sich  in  keine  Construction.  Auch  im  folgen- 
den ersten  Satze,  der  als  Gegenstand  des  Vertrages 
ein  Freundschaftsbündniss  auf  fünfzig  Jahre  angiebt, 
scheint  der  Graveur  geirrt  zu  haben;  es  fehlt  das 
Verbum  und  ich  vermuthe,  dass  hinter  (piliav  der 
Infinitiv  ^fiev  ausgelassen  worden  ist. 


A.  Kirchhoff,  luschrilten  aus  Olympia. 


119 


Der  folgende  Satz  verordnet,  dass  im  Falle 
eines  Vertragsbruches  der  schuldige  Theil  von  der 
Opfergemeiuschaft  des  Altares,  natürlich  des  Zeus 
von  Olympia,  ausgeschlossen  sein  soll,  und  weist  die 
betreffenden  Beamten  und  Priester,  die  ngö^evoi 
und  fiävTsig,  an,  ihn  vorkommenden  Falls  abzu- 
weisen. Eine  Bildung  sfinsöeiv  gegenüber  dem 
gewöhnlichen  e^nedovv  kann  auffällig  erscheinen; 
indessen  ist  zu  beachten,  dass  der  Sinn  des  Verbums 
intransitiv,  nicht  transitiv  zu  sein  scheint,  da  ein 
Object  wenigstens  nicht  ausdrücklich  hinzugefügt 
ist.  anoFrjkeio  ist  gleich  dem  dnsileco  oder  aneilw 
anderer  Mundarten;  vgl.  syFriUuo  der  Tafeln  von 
Heraklea. 


Der  letzte  Abschnitt  scheint  eine  Busse  festzu- 
setzen für  diejenigen,  welche  ihrer  eidlichen  Ver- 
pflichtung nicht  nachkommen  würden,  also  sei  es 
die  Beamten  und  Priester,  falls  sie  die  Vertrags- 
brüchigen zulassen  sollten,  sei  es  die  letzteren 
selbst,  falls  sie  der  Zurückweisung  nicht  Folge 
leisten  sollten.  Wortlaut  aljer  und  specieller  Sinn 
des  abschliessenden  Hauptsatzes  der  Periode  bleiben 
mir  rätliselhaft;  die  Schwierigkeit,  welche  vorliegt, 
wird  dadurch  nicht  vermindert,  sondern  eher  ge- 
steigert, dass  man  zu  Anfange  der  fraglichen  Stelle 
yviö^iav,  wie  am  Schlüsse  zwlvvnlai  deutlich  zu 
erkennen  glaubt. 


364. 

Gefunden   den    14.  Apiil   18S0   am  Ostende    der  Thesfinrenstrasse,  vor  der  Futtermaiier  des  Kronion. 

Neues  Fragment  von  dem  Rande  desselben  Bronzekessels  wie  Nr.  357,  ebenfalls  23  Mm.  breit,  lang  0,17.  Von  dem  Kessel 
selbst  ist  an  diesem  Stück  ein  dreieckiges,  0,16  langes  Fragment  erhalten;  sein  ursprünglicher  Durchmesser  Hess  sieb  auf  1,60  be- 
rechnen.    Die  Buchstaben  sind  tief  eingegraben,  die  Schrift    grosser  und  weitläufiger  als  auf  dem  Fragment  357.     Purgold*). 


Demnach  scheint  die  Fassung  der  Weihinschrift  die  folgende  gewesen 

365. 

Fragment  eines  1  Mm.  starken  Bronzeblechs,  etwa  t)  Cm. 
hoch,  imten  S'/s  Cni.  breit.  Gefunden  r2.  Juni  1S79  im  Norden 
des  Prytaneion.     Purgold. 

Z.  4  vielleicht  t]«  xp[?;';i'ö^^«.  Die  Inschrift  war 
ersichtlich  ßovaTQnq<T]ödv  geschrieben  in  einem  Alpha- 
bete, in  welchem  +  den  Werth  eines  Chi  hatte; 
das  Sigma  ist  trotzdem  bereits  vierstrichig  gebildet. 
In  allen  diesen  Punkten  verräth  das  Fragment 
nächste  Verwandtschaft  mit  den  oben  mitgetheilten 
Stücken  318  und  3G1. 

A.  Kirchhoff. 

*)  (Von  Nr.  357  theilt  Herr  Purgold  zugleich  eine  neue 
Abschrift  mit,  welche  sich  von  der  früheren  dadurch  unter- 
scheidet, dass  der  Querstrich  des  zweiten  Alpha  über  den  linken 
Schenkel  beträchtlich  hinausgeht,  während  der  des  dritten  Alpha 
vollständig  erhalten  ist.    Red.] 


zu  sein: 


iTO 


Archiiolot'.  Ztg.,   Jahrg.mg  X.XXVIII. 


16 


120 


Bericht 

über  die  Tlultigkeit   des  kaiserlich  deutschen  Archäologischen  Instituts  vom   1.  April 

1879  bis  dahin  1880. 


Das  Institut  beging  am  21.  April  1879  das  Fest 
seines  fünfzigjährigen  Bestehens,  worüber  in  dieser 
Zeitung  bereits  berichtet  ist  (XXXVII,  S.  106  ff.). 

Die  Ceutraldirection  hielt  ihre  Plenarversamm- 
lung  zu  Berlin  am  24.-27.  März  1879.  Die  Namen 
der  gewählten  Blitglieder  sind  bereits  in  dem  an- 
geführten Berichte  über  das  Jubiläum  aufgeführt. 
Die  Stipendien  wurden  ertheilt  den  Herren  Keck, 
Purgold,  Schäfer  und  Schmidt,  sowie  die  zwei 
fälligen  christlichen  den  Herren  Erbes  und  Hol- 
zinger. 

Von  den  periodischen  Publikationen  der  Ceutral- 
direction erschien  die  archäologische  Zeitung 
in  regelmässiger  Folge. 

Die  Serie  der  Karten  von  Attika  wurde  unter 
Leitung  des  Herrn  Curtius  so  weit  gefördert,  dass 
die  Ausgabe  des  1.  Heftes,  die  Stadt  Athen  und 
den  Piräeus  umfassend,  im  Rechnungsjahre  1880/81 
sicher  erfolgen  wird.  Herr  Milchhöfer  hat  die  Ab- 
fassung des  Textes  zum  Piräeus  übernommen. 

Die  Fertigstellung  des  2.  Bandes  der  etruski- 
schen  Urnen  ist  Herrn  Körte  übertragen. 

Für  die  Sammlung  der  römischen  Sarko- 
phage hat  Herr  Eichler  das  Zeichnen  in  Italien 
fortgesetzt  und  ist  zuletzt  mit  Herrn  Robert  in  Paris 
zusammengetroft'en,  um  unter  dessen  Leitung  die 
Ergänzung  der  früher  dort  beschafl'ten  Zeichnungen 
vorzunehmen  und  bei  der  Revision  der  Zeichnungen 
behülflich  zu  sein. 

Von  der  Serienpublicatiou  der  Terrakotten 
hat  Herr  Kekule  den  ersten  Band,  die  Terrakotten 
von  Pompeji  umfassend,  bearbeitet  von  Herrn  von 
Kobden,  erscheinen  lassen. 

Das  Repertorium  oder  der  litterarische  Appa- 
rat der  Archäologie  ist  von  Herrn  Benndorf  gemäss 
den  Beschlüssen  der  letzten  Plenarversammlung  in 
Angriff  genommen. 

Die  etruskischen  S'piegel  sind  von  Herrn 
Klügmann  fortgeführt  worden. 

Die  Tafeln  für  das  AVerk  des  Herrn  Wau  über 
pompejanische  Wandmalerei  wurden  der  Vol- 
lendung nahe  ge!)racht. 

Von  dem  aus  Matz'  Nachlasse  von  Herrn  von 
Duhn  bearbeiteten  Katalog  antiker  Bildwerke 


in  Rom  mit  Ausschluss  der  grösseren  Samm- 
lungen lagen  der  Plenarversammlung  die  ersten 
Druckbogen  vor, 

ebenso  von  dem  Katalog  der  Antikensamm- 
lung der  Villa  Ludovisi  von  Herrn  Schreiber 

und  von  Herrn  Dütschkes  4.  Bande  des  Kata- 
log es  ober  italienisch  er  Antikensammlungen. 
Vor  Erscheinen  des  ebenfalls  druckfertigen  5.  Bandes 
soll  die  Antikeusammlung  der  Marciana  demselben 
eingefügt  werden. 

Die  Tafeln  zum  2.  Hefte  der  Darstellungen 
aus  der  heiligen  Geschichte  von  Alexander 
Iwauoff,  welche  das  Institut  testamentarischer 
Verfügung  zufolge  herausgiebt,  sind  vollendet;  die 
Lebensbeschreibung  Iwauoff's  von  M.  Botkin,  welche 
mit  dem  2.  Hefte  ausgegeben  werden  soll,  ist  im 
Drucke  begriffen. 

Die  römische  Section  des  Instituts  gab  die 
Monumenti,  Annali  und  Bullettiui  in  ordnnngs- 
mässiger  Weise  heraus;  die  Curse  und  Sitzungen 
wurden  von  den  Herren  Sekretären  abgehalten.  Herr 
Heibig  besuchte  etrurische  und  umbrische  Fund- 
stätten, andere  Reisen  führten  die  Herren  von  Duhn, 
Kieseritzky  und  Mau  aus,  letzterer  nach  Pompeji, 
wo  auch  das  Zeichnen  verschwindender  Wand- 
gemälde fortgesetzt  wurde.  Herr  Dressel  war  für 
Sammlung  von  Ziegelstempeln  tliätig.  In  die  Biblio- 
thek fand  eine  Sammlung  von  Werken  über  Re- 
naissauce-Architektur Aufnahme. 

Die  athenische  Section  hat  den  4.  Band  der 
Mittbeilungen  abgeschlossen.  Die  Sitzungen  sind 
regelmässig  gehalten.  Durch  Ausgrabung  hat  das 
Institut  zwei  Punkte  untersucht,  ein  dem  mykeui- 
schen  verwandtes  Kuppelgrab  bei  Menidi  und  den 
Athenatempel  zu  Tegea,  letzteren  nur  recognos- 
cirend,  das  Grab  bei  Menidi  abschliessend  mit 
glücklichstem  Erfolge,  worüber  in  einer  eigenen 
Publikation  Rechenschaft  abgelegt  ist.  Ausserdem 
l)etreibt  das  Sekretariat  die  Forsetzung  der  Samm- 
lung und  Herausgabe  uralter  mykcnischer  und  ihnen 
verwandter  Vasen,  wozu  Herr  Löschcke  im  britti- 
sclieu  Museum  Studien  gemacht  und  Aufnahmen 
veranlasst  hat.  Conze. 


AEGINETEN  UND  CORROSION. 


Im  Herbst  1878  hatte  ich  bei  einer  Untersuchung 
der  Aeginetenfragmente  in  der  Glyptothek  zu 
München  gefunden,  dass  jede  der  beiden  Giebcl- 
gruppen  zwei  Figuren  mehr  enthielt  als  man  bisher 
glaubte.  Durch  die  gütige  Vermittelung  von  Herrn 
Prof.  Overbeck  publicirte  ich  meine  Entdeckung  in 
den  Berichten  der  königl.  sächs.  Gesellschaft  der 
Wissenschaften  zu  Leipzig,  1878  Heft  II  S.  1—94. 
Nachdem  diese  Arbeit  von  Schwabe  in  den  neuen 
Jahrbüchern  für  Philologie  1879  S.  616  ff.  sehr  wohl- 
wollend besprochen  war,  erschien  kürzlich  in  der- 
selben Zeitschrift  1880  H.  1—22  eine  neue  Behand- 
lung des  Gegenstandes  von  L.  Julius,  die  zu  dem 
Kesultat  kommt,  dass  ich  mich  geirrt  habe.  Da 
der  Verfasser  auch  einige  sachliche  Gründe  gegen 
mich  vorbringt,  die  den  Einen  oder  Anderen  an  der 
Richtigkeit  meiner  Resultate  irre  gemacht  haben 
mögen,  so  sehe  ich  mich  veranlasst,  die  Frage  hier 
noch  einmal  zu  behandeln,  zumal  da  ich  seitdem 
einige  Details  in  München  von  neuem  vergleichen 
und  über  einen  Hauptpunkt,  die  Corrosion,  auf 
meinen  Reisen  Material  sammeln  konnte,  das  man- 
chem willkommen  sein  dürfte. 


Ich  hatte  auf  vier  bisher  entweder  nicht  er- 
wähnte oder  falsch  bestimmte  Fragmente  bewaff- 
neter Krieger  hingewiesen  (den  Schildarm  29  und 
die  Beinfragmente  30,  34  und  35),  die  nicht  bei  den 
12  Figuren  unterzubringen  waren ,  aus  denen  man 
nach  Prachovs  Kachweis  eines  zweiten  Zugreifenden 
jede  Giebelgruppe  bestehen  Hess,  und  die  mir  des- 
halb den  Beweis  lieferten,  dass  jeder  Giebel  noch 
zwei  stehende  Schildträger  mehr  enthielt.  Diesen 
Schluss  zu  widerlegen  gab  es  nur  ein  Mittel,  näm- 
lich die  betreffenden  Fragmeute  oder  andere,  die 
zu  ihrer  Bestimmung  dienten,  den  Aegiueten  ein- 
fach abzusprechen.  Dies  hat  denn  auch  Julius  ge- 
than,  und  bei  der  Neuordnung  der  Aeginetenfrag- 
mente in  der  Glyptothek  sind  die  von  mir  als  be- 
sonders wichtig  erkannten  Stücke  auf  einem  Haufen 
zur  Rechten  des  Eintretenden  als  nicht  zu  den  Aegi- 
ueten gehörig  zusammengelegt  worden. 

AichUolog.  Ztg.,  Jahrgang  XXXVin. 


Von  dem  Schildarm  29,  den  Brunn  früher  dem 
Ostgiebel  zugewiesen  hatte,  kann  Julius  nach  mei- 
nen Messungen  nicht  mehr  läugnen,  dass  er  dem 
Westgiebel  angehört  hat.  Er  stimmt  in  der  Hal- 
tung genau  mit  den  Schildarmen  der  vorhandenen 
Lanzenkämpfer  übereiu,  und  da  alle  Schildträger 
des  Westgiebels  ihre  Schildarme  haben,  so  hatte 
ich  ihn  einem  neu  hinzuzufügenden,  sei  es  ste- 
henden, sei  es  knieenden  Krieger  zugesclirieben. 
Das  hält  nun  Julius  keineswegs  für  nöthig,  son- 
dern da  Prachov  einen  zweiten  Zugreifenden  1. 
nachgewiesen  hat,  so  gibt  er  diesem  den  Arm  und 
findet  den  „materiellen"  Beweis  hierfür  darin  dass 
—  alle  übrigen  Schildträger  ihre  Schildarme  haben ; 
wobei  er  nur,  wie  mir  scheint,  voraussetzt  was  er 
erst  beweisen  will,  nämlich  dass  die  zwei  neuen 
Schildträger  nicht  dawaren.  Dass  der  Zugreifende 
1.  keinen  Schild  gehabt  haben  kann,  hatte  ich  nun 
freilich  im  voraus  gezeigt;  denn  erstens  muss  ein 
in  gel)ückter  Stellung  Zugreifender,  der  einen  Schild 
zur  Vertheidiguug  trägt,  diesen  selbstverständlich 
zur  Deckung  seines  Kopfes  über  sich,  nicht  mit 
leichtgebogenem  Arme  neben  sieh  halten,  zweitens 
aber  sind  von  dem  Zugreifenden  1.  zwei  linke 
Armfragmente  vorhanden,  nämlich  die  1.  Hand  24 
mit  einem  Loch  an  der  Aussenseite  zur  Befestigung 
in  der  Wand  und  der  Unterarm  28  mit  zwei  dem- 
selben Zweck  dienenden  Löchern  ebenfalls  an  der 
Aussenseite,  durch  deren  eines  überdiess  auf  einer 
Hallerschen  Zeichnung  ein  Stift  geht. 

Nach  Julius  gehören  nun  beide  Fragmeute  nicht 
zu  den  Aegiueten.  Warum  ?  Weil  sie  hindern,  den 
Schildarm  29  dem  Zugreifenden  1.  zu  geben.  Denn 
einen  stichhaltigen  Grund  führt  er  nicht  an.  Er 
ist  vielmehr  ganz  wie  ich  der  Meinung,  dass  bei 
der  verhältnissmässig  sehr  geringen  Anzahl  der 
mit  den  Aegiueten  gefundenen  aber  sicher  nicht 
zu  ihnen  gehörigen  Fragmente  (höchstens  '/,)  nur 
eine  ausgesprochene  Differenz  in  Material,  Maassen 
uud  Stil  uns  das  Recht  gibt,  ein  Fragment  den 
Giebelgruppen  abzusprechen.  In  Material  und  Stil 
stimmen  nun  24  und  2S  durchaus  mit  den  Aegiueten 
überein.     Was  die  Maasse  betrifft,   so  ist  der  Ge- 

17 


122 


K.  Lange,  Aegiueten  und  Corrosion. 


lenkumfang:  der  Hand  24  allerdings  etwas  grösser 
als  der  der  übrigen  Hände  des  Ostg'iebels.  Die 
Differenz  beträgt  aber  an  der  von  Julius  gemessenen 
Stelle  nicht  wie  er  behauptet  2,  sondern  wie  er- 
neute sorgfältige  Messungen  mich  lehrten  iy._.  Cm. 
Wenn  nun  die  Maasstabelle  auf  S.  11  f.  meiner 
ersten  Abhandlung-  bei  entsprechenden  Gliedern 
desselben  Giebels  oft  Differenzen  von  3 — 4  Cm.  im 
Umfang  zeigt,  und  wenn  Julius  selbst  auf  derselben 
Seite,  wo  er  unsere  Hand  den  Aegineten  abspricht, 
einen  Unterschied  von  1  Cm.  für  nicht  zu  gross  hält, 
um  zwei  Fragmeute  sogar  derselben  Figur  zu- 
zuschreiben, „da  ähnliche  Differenzen  sich  häufiger 
linden",  so  wird  der  halbe  Centimeter  mehr  ihn 
.schwerlich  berechtigen,  die  Hand  24  den  Aegineten 
abzusprechen.  Was  aber  den  Arm  28  betrifft,  so 
liedaure  ich,  dass  Julius  meiner  Beweisführung  in 
IJezug  auf  ihn  nicht  ganz  gefolgt  ist. 

Er  behauptet  nämlich,  ich  hätte  gezeigt,  dass  schon 
,. seine  Maasse  nicht  stimmen  wollen"  (d.  h.  doch 
offenbar  mit  den  übrigen  Figuren),  und  schliesst 
daraus,  dass  er  nicht  zu  den  Aegineten  gehöre. 
Ich  hatte  dies  aber  nur  unter  der  Voraussetzung 
gezeigt,  dass  die  Hand  24  zu  den  Aegineten  gehört. 
Denn  da  alsdann  letztere  vom  Zugreifenden  1.  im 
Ostgiebel  stammt,  der  einzigen  Figur,  der  der  Arm  28 
gehören  könnte,  dieser  aber  zu  weit  erhalten  ist,  um 
derselben  Figur  zugeschrieben  werden  zu  können, 
so  muss  er  zum  Westgiebel  gerechnet  werden,  ob- 
gleich sein  Umfang  an  der  dicksten  Stelle  genau 
mit  den  Ostgiebelmaassen  übereinstimmt  und  der 
Umfang  zunächst  dem  Handgelenk  nur  72  Cm.  we- 
niger misst.  Kun  entfernt  Julius  selbst  die  Hand  24 
aus  dem  Giebel:  dann  bietet  der  Arm  28  gar  keine 
Schwierigkeiten  mehr,  er  gehört  dem  Ostgiebel  und 
zwar  dem  Zugreifenden  1.  an  und  bep'eist  für  diesen, 
also  folglich  aucli  für  den  des  AVestgiebels ,  was 
im  andern  Falle  für  beide  besonders  bewiesen  wäre, 
nämlich  dass  sie  keinen  Schild  trugen,  der  Arm  29 
ihnen  also  nicht  gehören  kann. 

Noch  zwei  andere  Gründe  findet  Julius  gegen 
die  Zugehörigkeit  des  Arms  28  zum  Zugreifenden 
1. :  die  Löcher  an  seiner  Aussenseite  sollen  verlan- 
gen, ihn  mit  der  Innenseite  nach  oben  zu  kehren, 
was  wohl  für  einen  Empfangenden,  nicht  aber  für 
einen  Zugreifenden  passe.  Ich  kann  nach  erneuter 
Untersuchung  nur  versichern,  dass  der  Arm  nach 
Maassgabe  der  Richtung  seiner  Lücher  nicht  selir 
verschieden  von  dem  des  Zugreifenden  r.  bewegt 
war,  wie  ihn  Thorvaldsen  ergänzt  hat.  Ferner 
soll  die  Befestigung  des  Arms  durch  einen  so  kurzen 


Stift,  wie  den  von  Haller  gezeichneten  (vgl.  meine 
Tafel  II  Fig.  28a)  unmöglich  sein,  weil  „wie  schon 
Prachov  erwiesen",  der  Zugreifende  vor  dem  Vor- 
kämpfer, also  der  Giebelwand  fern  stand.  Wodurch 
hat  Prachov  das  erwiesen?  Durch  die  Bemerkung, 
dass  das  1.  Bein  des  Vorkämpfers  1.  nicht  corrodirt 
sei,  folglich  das  r.  Bein  des  Zugreifenden  vor  ihm 
hergegangen  sein  müsse.  Dass  eine  derartige  Benut- 
zung der  Corrosion  nicht  zulässig  ist,  wird  im  zwei- 
ten Theile  dieses  Aufsatzes   nachgewiesen  werden. 

Da  Julius  auf  ästhetische  Reflexionen  sehr  viel 
Werth  legt,  so  versucht  er  auch  zu  zeigen,  dass 
der  Zugreifende  1.,  den  mau  bisher  immer  arglos 
ohne  Schild  ergänzte,  auf  diese  Weise  allen  Gesetzen 
der  Schönheit  ins  Gesicht  schlagen  würde.  Der 
Schild  soll  nämlich  dazu  dienen,  im  Ostgiebel  die 
Aegis  der  Athene  und  den  Oberkörper  des  Gefal- 
lenen zu  compensiren.  Doch  abgesehen  davon, 
dass  diese  Compensation  ganz  gut  durch  die  r, 
Hand  der  Göttin  geschaffen  werden  konnte  —  denn 
diese  war  ohne  Zweifel  lanzenschwingend  erhoben  — 
so  war  sie  doch  im  besten  Falle  nur  im  Ostgiebel 
nöthig,  während  der  Arm  29  grade  dem  West- 
giebel angehört,  wo  die  entgegengesetzte  Richtung 
des  Gefallenen  in  der  Mitte  eine  derartige  Vermeh- 
rung der  Masse  auf  der  1.  Seite  gar  nicht  einmal 
wünschenswerth  machte. 

Natürlich  muss  Julius,  um  die  Hand  24  und  den 
Arm  28  zu  verdächtigen,  auch  die  zwei  weiteren 
Beispiele  von  Metallbefestigung,  die  ich  gegenüber 
dem  Urtheil  Wagners  zuerst  nachgewiesen  hatte, 
läugnen.  Von  dem  Helmbusch  7  sagt  er:  „Im 
Puutello"  (vgl.  meine  Figur  7  a)  „freilich  ist  ein 
Loch;  in  diesem  ist  ein  moderner  Ring  befestigt, 
durch  den  eine  Sicherheitskette  gezogen  werden 
kann.  Soll  dieses  Loch  etwa  antik  sein?  Ich  kann 
das  kaum  glauben :  denn  es  wäre  doch  sehr  unthun- 
lich  gewesen,  zur  Entlastung  der  Hand  des  Zu- 
greifenden, welche  den  Helm  frei  hielt,  nur  den 
Helmbusch  und  nicht  lieber  den  Helm  selber  an 
der  Wand  zu  befestigen."  Aber  da  der  Helm  ja 
gar  nicht  erhalten  ist,  so  kann  auch  er  noch 
befestigt  gewesen  sein  und  dies  nimmt  Julius 
selbst  später  an;  zwei  Befestigungen,  wie  sie  auch 
der  Arm  28  zeigt,  sind  bei  einer  so  schweren  Last 
ganz  natürlich.  Das  Loch  ist  aber  sicher  antik, 
denn  der  Puntello,  der  das  Gewicht  des  Busches 
vermehrt,  ist  vom  Künstler  eben  nur  hinzugefügt 
worden,  um  ein  Loch  von  genügender  Tiefe  an- 
bringen zu  können,  was  in  dem  dünnen  Marmor 
nicht  möglich  gewesen  wäre. 


K.  Lange,  Aegineteu  und  Corrosioii. 


123 


Weiter  hatte  ich  auf  das  Fragment  eines  Arms  40 
hingewiesen,  das  in  der  Schildhandiiabe  ein  durch- 
gehendes, innen  noch  mit  Metall  gefülltes  Loch 
zeigt.  Letzteres  kann  nicht  zur  Befestigung-  des 
besonders  gearbeiteten  Schildes  gedient  haben,  wie 
Julius  will,  denn  der  Schild  war,  was  aus  der 
Hruchtliicbe  an  der  Aussenseite  hervorgeht,  gleich 
den  meisten  anderen  aus  einem  Stück  mit  dem 
Arm  gearbeitet.  xVlso  kann  das  Loch  nur  von  einer 
Wandbefestigung  stammen. 

Die  zwei  neuen  Schildträger,  die  aus  dem  Schild- 
arm 29  mit  Sicherheit  für  den  Westgiebel  abzuleiten 
sind,  erwies  ich  für  den  Ostgiebel  durch  drei  Frag- 
mente bewaffneter  Beine,  30,  34  und  35,  die  eben- 
falls in  Marmor,  Maassen  und  Stil  mit  dem  Ost- 
giebel übereinstimmen  und  bei  keiner  der  bisher 
vorhandenen  oder  angeuommeueu  Figuren  unter- 
zubringen sind.  Aus  Ansätzen  von  Bewaffnung 
und  Bekleidung,  die  sich  au  ihnen  finden,  schloss 
ich,  dass  das  zweite  Vorkämpferpaar  im  Ostgiebel, 
und  folglich  auch  im  Westgiebel,  stehend  zu  den- 
ken sei  und  dass  es  Panzer  und  Beinschienen  ge- 
tragen habe,  welches  letztere  allerdings  für  den 
Westgiebel  wenigstens  nicht  bewiesen  werden  kann. 

Den  Einwand,  dass  nach  meinem  Entwurf  auf 
jeder  Seite  ein  Vorkämpfer  mit  und  einer  ohne  Pan- 
zer und  Beinschienen  paarweise  gruppirt  werden  wür- 
den, was  „nach  der  Sprache  der  griechischen  Kunst" 
unmöglich  sei,  hat  schon  Overbeck  im  Vorwort  zur 
dritten  Auflage  seiner  Geschichte  der  griechischen 
Plastik  durcli  Hinweis  auf  den  Nikefries  und  zahl- 
reiche andere  Beispiele  widerlegt.  Auch  auf  die 
Frage,  wie  sich  in  der  sonst  nackten  Gesellschaft 
ein  völlig  gewappnetes  Kämpferpaar  ausnehmen 
würde,  hat  Overbeck  durch  Hinweis  auf  den  ge- 
panzerten Bogenschützen  1.  im  Westgiebel  hinreichend 
geantwortet.  Ich  möchte  hier  nur  noch  hinzufügen, 
dass  grade  durch  die  zwei  neuen  Vorkämpfer  wenig- 
stens im  Ostgiebel  der  Herakles  und  sein  Gegenstück 
nicht  so  vereinzelt  unter  der  nackten  Gesellschaft 
der  übrigen  Figuren  dastehen  als  bisher,  ja  dass 
durch  den  regelmässigen  Wechsel  zwischen  beklei- 
deten und  unbekleideten  Figuren  eine  vorzügliche 
Farbenwirkung  erzielt  wurde,  deren  Bedeutung  der- 
jenige nicht  unterschätzen  wird,  der  gewohnt  ist, 
antike  Sculpturen  mit  einiger  Farbenphantasie  an- 
zuschauen. — 

Diese  Gründe  hält  Julius  für  genügend,  meine 
„Hypothese  zu  zertrümmern".  Gewissermassen 
zum  Ueberfluss  bringt  er  noch  einen  Beweis  gegen 
dieselbe  vor,   der  nach  seiner  Meinung  sogar  ein 


„mathematischer"  ist.  Er  behauptet  nämlich:  „Der 
Raum  im  Giebel  erlaubt  nicht  zwei  stehende  Lanzen- 
kämpfer auf  jeder  Seite." 

Wer  sich  erinnerte,  dass  ich  durch  eine  Ober- 
ansicht der  ganzen  Compositiou  geometrisch  die  Mög- 
lichkeit bewiesen  hatte,  14  Figuren  im  Giebel  unter- 
zubringen, musste  erwarten,  dass  Julius  sich  be- 
mühen werde,  die  Correctheit  meiner  Messungen 
anzuzweifeln.  Weit  gefehlt!  So  mühsame  Beweise 
hält  er  nicht  fürnöthig;  bietet  ihm  doch  auch  hier 
die  Corrosion  eine  bequemere  Handhabe.  Zunächst 
giebt  er  durchaus  zu,  dass  wenn  überhaupt  zwei 
neue  Vorkämpfer  im  Westgiebel  anzunehmen  seien, 
die  Figuren  nur  so  georduet  werden  können  wie 
ich  sie  ordne :  die  erhaltenen  Vorkämpfer  der  Giebel- 
mitte zunächst.  Nun  macht  er  die  Entdeckung,  dass 
die  Corrosion  an  der  r.  Seite  des  Vorkämpfers  1.  auf 
dem  Oberschenkel  plötzlich  aufhöre  und  zwar  „deut- 
lich fühl-  und  sichtbar  kreisförmig  concav".  Dies 
erkläre  sich  nur  dadurch,  dass  vor  dieser  glatten 
Stelle  ein  runder  Gegenstand,  d.  h.  der  Schild  des 
knieenden  Lanzenkämpfers  1.  gewesen  sei,  und  da 
nun,  wie  ich  selbst  nachgewiesen,  zwei  neue  Vor- 
kämpfer nicht  erlauben  würden,  die  erhaltenen  Vor- 
kämpfer und  die  knieenden  Lanzeukämpfer  zu  grup- 
piren,  so  seien  die  zwei  neuen  Vorkämpfer  zu  ver- 
werfen. Ich  brauche  kaum  zu  bemerken,  dass  dieser 
„mathematische"  Beweis  nichts  als  ein  Cirkelschluss 
ist,  da  Julius  auch  hier  voraussetzt,  was  er  erst 
beweisen  müsste,  nämlich  dass  glatte  Stellen  an 
corrodirteu  Figuren  sich  nur  durch  davor  befindliche 
Gegenstände  erklären  lassen.  Nun  kann  man  zudem 
grade  hier  sicher  nachweisen,  dass  die  Corrosion,  um 
die  es  sich  handelt,  nicht  im  Giebel  entstanden  ist,  son- 
dern unter  der  Erde.  Sie  erstreckt  sich  nämlich  kei- 
neswegs, wie  Julius  glauben  machen  will,  in  dieser 
Stärke  auf  deu  ganzen  Obevkörper  der  Figur,  sondern 
hört,   wie  die  Schraftirung  auf  beistehendem  Holz- 


sclniitte  zeigt,  nach  oben  zu  plötzlich  auf,  und  zwar 
mit  der  Bruchkante  des  ganzen  Beins.    Beim 


124 


K.  Lange,  Aegineteii  und  Corrosion. 


Einsturz  des  Giebels  brach  das  Bein  vom  Körper  ab 
und  kam  am  Boden  resp.  unter  dem  Bauschutt  so 
zu  liegen,  dass  die  Oberfläche  zunächst  dem  Bruch 
stark  verwitterte,  währeud  die  anstossende  Fläche 
des  Oberkörpers  in  Folge  einer  geschützteren  oder 
trockneren  Lage  nur  jenes  Minimum  von  Corrosion 
zeigt,  das  auch  ich  im  Giebel  entstanden  denke. 
Wenn  diese  Corrosion  nach  unten  zu  bogenförmig 
endigt,  so  ist  das  der  reine  Zufall,  währeud  der 
Umstand,  dass  sie  sieh  aucli  hinten  auf  dem  Glutäus 
fortsetzt,  und  zwar  in  einer  Form  und  Ausdelmung, 
dass  man  sie  nicht  durch  vom  Helmbusch  herab- 
tropfendes Regenwasser  erklären  kann,  eine  weitere 
Bestätigung  dafür  bietet,  dass  sie  nicht  im  Giebel 
entstanden  ist'). 

Zwei  andere  Gründe  giebt  mir  Julius  selbst  an 
die  Hand,  und  ich  will  sie  wenigstens  erwähnen, 
obwohl  ich  sie  der  Sache  nach  für  falsch  halte. 
Er  führt  nämlich  des  längeren  aus,  dass  der  pa- 
rische  Marmor,  wie  die  Theseion -Metopen  zeigen, 
keineswegs  von  ganz  gleichmässiger  Structur  sei 
und  deshalb  auch  ganz  unregelmässig  verwittere. 
Da  er  nun  schwerlich  die  glatten  Stellen  der  The- 
seion-Metopen  durch  davor  befindliche  Schildträger 
erklären  wird,  so  kann  man  auch  wohl  für  die 
Aegineten  von  ähnlichen  Erklärungsversuchen  ab- 
sehen. Ferner  dreht  er  denselben  knieenden  Lanzen- 
kämpfer 1.,  dessen  Schild  er  für  die  Glätte  auf  dem 
Bein  des  stehenden  Lanzenkämpfers  verantwortlich 
macht,  um  eine  Corrosion  seiner  1.  Wange  zu  er- 
klären, mit  dem  Kopfe  nach  der  von  S.  W.  kommen- 
den Verwitterung  zu,  ohne  zu  bedenken,  dass  dann 
natürlich  auch  dessen  Schild  mit  der  scharfen  Kante 
nach  dieser  selben  Seite  zu  gerichtet  sein  würde, 
also  das  glatte  Bein  des  Vorkämpfers  nicht  mehr 
schützen  könnte. 

So  wären  denu  die  beiden  Vorkämpfer  wieder 
in  ihr  Recht  eingesetzt.  Ihr  Nachweis  stützte  sich 
einfach  auf  die  Existenz  der  Fiagmente,  die  auch 
Julius  nicht  läugnet,  sondern  nur  durch  verkehrtes 
Hineinmengen  der  Corrosion  in  ihrer  Beweiskraft 
abzuscliwächen  sucht^). 


')  Die  an  Gipsabgüssen  gar  nicht  erkennbare  Bruclikante 
des  Beins  konnte  man  auch  am  Original  allenfalls  übersehen, 
da  sie  mit  Gips  verschmiert  und  staubig  geworden  ist. 

■')  Die  Wahrscheinlichkeitsberechnung,  wonach  es  undenkbar 
sein  soll,  dass  sich  von  4  Figuren  nur  3  (besser  i  mit  dem  Schild- 
arm 29)  Fragmente  gefunden  haben,  kann  ich  wohl  angesichts 
der  Thatsache,  dass  von  mehreren  Figuren  des  Ostgiebels  nur 
ein  Fragment,  von  den  beiden  Zugreifenden  im  Westgiebel  nur 
ganz  wenige  Bruchstücke  erhalten  sind,  auf  sich  lieruhen  lassen. 


Ein  Nebenresultat  meiner  ersten  Abhandlung 
war,  dass  Herakles,  den  Brunn  wegen  der  Corrosion 
seiner  1.  Seite  auf  die  rechte  Giebelhälfte  versetzt 
hatte,  wieder  auf  die  1.  zu  setzen  ist,  weil  diese 
den  Griechen  gehört.  Denn  der  Verwundete  in  der 
Mitte  ist  auf  jeden  Fall  ein  Grieche,  das  verlangt 
die  ganze  Handlung,  besonders  die  schützende 
Stellung  der  Athena.  Nun  wird  er,  wie  Prachov 
nachgewiesen,  von  r.  her  beraubt,  von  derselben 
Seite,  gegen  die  Athena  ihre  Aegis  schüttelt.  Rechts 
müssen  also  die  Troer,  links  die  Griechen  stehen. 
Julius  meint  freilich,  Atliena  greife  überhaupt  nicht 
unmittelbar  in  den  Kampf  ein,  schon  ganz  „materiell" 
genommen  stehe  sie  ihm  fern  —  nun  ja,  so  fern, 
dass  sie  im  Westgiebel  ihren  Schild  quer  vor  den 
Zugreifenden  r.  schiebt  und  dass  aus  dem  Schilde 
des  Gefallenen  in  der  Mitte  ein  beträchtliches  Stück 
herausgeschnitten  werden  musste,  um  für  ihre  Beine 
Platz  zu  schaffen!  Meine  Bemerkung,  dass  schon 
die  Stellung  der  Athena  zwischen  beiden  Flügeln, 
deren  Vertheilung  ja  ganz  im  Belieben  des  Künstlers 
stand,  für  ihre  Parteinahme  charakteristisch  sei, 
berücksichtigt  Julius  gar  nicht.  Gegen  die  Beraubung 
von  der  r.  Seite  aber  hat  er  einen  Einwand,  an  den 
ich  freilich  nicht  gedacht  hatte:  der  Zugreifende  r. 
ist  gar  nicht  ein  Feind  des  Gefallenen,  sondern  ein 
Freund,  der  seine  Waffen  rettet:  „er  liest  unterwegs 
den  Helm  auf,  um  alsdann  auch  den  Versuch  zu 
machen,  den  Gefallenen  zu  seiner  Partei  hinüber- 
zuziehen"! Sollte  es  nicht  doch  zweckmässiger  sein, 
erst  den  Körper  zu  retten,  anstatt  sich  die  Hände 
mit  Waffen  zu  überladen  und  dem  Feinde  so  Zeit 
zum  Hinüberziehen  des  Gefallenen  zu  geben?  Ueber- 
dies  lässt  die  ganze  Haltung  nicht  an  ein  Auflesen, 
sondern  nur  an  ein  Berauben  denken,  und  gegen 
dieses  vertheidigt  sich  ja  auch  der  Gefallene  mit 
dem  Schwert,  wie  Prachov  weitläufig  auseinander- 
gesetzt bat'). 

II. 

Die  zahlreichen  Glätten  der  Vorderseiten  und 
Corrosionen  der  Rückseiten  an  den  Aegineten  hatten 
mich  nach  Vergleich  anderer  Werke  und  unter  Con- 
sultation  eines  Mineralogen  zu  dem  Resultat  kommen 

'■')  Eine  erfreuliche  Bestätigung  meiner  Ansicht  finde  ich 
darin,  dass  A.  Burckhardt  (Ueber  die  äginetischen  Giebel- 
gruppen. Einladungsschrift  des  Pädagogiums  zu  Basel  1879) 
ganz  kürzlich  unabhängig  von  mir  mit  denselben  Gründen  für 
dieselbe  Sache  eingetreten  ist.  Auch  Overbeck  (Gesch.  der 
griech.  Plast.  I  '  S.  233  Anm.  77)  hat  sich  mir  trotz  des  nicht 
näher  motivirten  Widerspruchs  von  Schwabe  (Neue  Jhrb.  f.  Philol. 
1879,  S.  619)  angeschlossen. 


K.  Lange,  Aegineten  und  Corrosion. 


125 


lassen,  dass  uur  das  Minimum  der  Corrosion  an 
den  exponirten  Seiten  oben  im  Giebel  entstanden 
sei,  alle  stärkeren  Verwitterungen  dagegen,  sowohl 
die  ganz  unregelmüssig  vertlieilten  im  West-  als 
auch  die  ziemlich  ^regelmässigen  im  Ostgiebel,  an 
oder  unter  der  Erde.  Da  einerseits  auch  Julius 
eine  Erdcorrosion  bei  nicht  weniger  als  drei  Figuren 
und  einem  Fragment  annimmt,  andrerseits  es  mir 
nicht  eingefallen  ist,  die  Verwitterung  antiker  Werke 
über  der  Erde  überhaupt  zu  läugncn,  so  handelt 
es  sich  nur  um  die  Frage,  welcher  Grad  der  Cor- 
rosion der  Luft,  welcher  der  Erde  zuzuschreiben 
sei.  Die  Regelmässigkeit  der  Corrosion  an  den  Ost- 
giebelfiguren hatte  ich  durch  die  Annahme  erklärt, 
dass  sie  zumeist  auf  die  Vorderseiten  stürzten  und 
durch  den  Contact  mit  der  Erde  grade  hier  ziemlich 
stark  corrodirteu,  indem  sich  die  Feuclitigkeit  in  der 
Erde  viel  länger  als  in  der  Luft  hielt  und  folglich 
viel  stärker  wirken  musste^). 

Julius  behauptet  nun,  auch  der  parische  Mar- 
mor verwittere  sehr  stark  an  der  Luft;  das  gehe  aus 
den  Theseion-Metopen  hervor,  die,  obwohl  sie  nie 
in  der  Erde  gelegen,  doch  zahlreiche  Verwitterungen 
zeigten.  Das  ist  allerdings  richtig.  Doch  sind  ihre 
Corrosionen  so  unregelmässig,  dass  es  offenbar  un- 
möglich ist,  sie  dem  direct  auffallenden  Regen  zu- 
zuschreiben. Ist  doch  z.  B.  der  Sinis  über  und 
über  ungefähr  so  stark  zerfressen  wie  der  Gefallene 
r.  im  aeginetischen  Westgiebel,  während  auf  der 
Stiermetope  z.  B.  die  hintere  Hälfte  des  Stiers  und 
der  grösste  Theil  vom  Gewände  des  Theseus  voll- 
kommen intact  sind.  Da  giebt  es  nur  eine  Erklä- 
rung: Durch  den  Einfluss  der  Witterung  wurden 
die  Geisonblöcke,  welche  die  Metopen  vor  dem  un- 
mittelbaren Aufschlagen  des  Regens  schützten,  an 
den  Fugen  durchgefressen,  das  Regenwasser  sickerte 
durch  und  wirkte  auf  einzelne  Stellen  zerstörend, 
auf  andre  gar  nicht  ein,  eine  Erscheinung,  die  man 
auf  jeder  Photograpliie  eines  antiken  Tempels  be- 
obachten kann. 

Als  zweites  Beispiel  deutlicher  Luftverwitterung 
nennt  Julius  die  Parthenonsculpturen.  Da  ich  über 
sie  und  andere  Werke  der  griechischen  Plastik  in 
London,  Paris  und  Berlin  genauere  Untersuchungen 

*)  Man  konnte  auch  an  die  stellen-  und  schichtenweise  auf- 
tretenden Säuren  denken,  die  natürlich  in  dem  über  den  Figuren 
sich  häufenden  Bauschutt  nicht  vorhanden  waren.  Da  genaue 
Nachrichten  über  die  Lage  der  einzelnen  Figuren  fehlen,  so  ist 
auch  die  Möglichkeit,  dass  die  Vorderseiten  nach  dem  Fall 
meistens  nach  oben  gerichtet  waren  und  durch  den  Jahrhunderte 
langen  directen  Regenfall  in  dieser  ungeschützten  Lage  corrodirten, 
nicht  ausgeschlossen. 


in  dieser  Richtung  gemacht  habe,  so  sei  es  gestattet, 
diese  hier  in  grösserem  Zusammenhange  mitzutheilen. 

Julius  läugnet  den  Einfluss  der  Erde  schlechthin 
(was  ilin  freilich  nicht  hindert,  ihn  hie  und  da  selbst 
zur  Erklärung  heranzuzielien),  schon  deshalb  weil 
der  grösste  Theil  der  unsere  Museen  füllenden 
Werke,  obwohl  unter  der  Erde  gefunden,  keine  Spur 
von  Corrosion  zeige.  Man  kann  an  zahlreichen 
Beispielen  das  Gegentheil  auch  für  die  in  Italien 
gefundenen  Werke  nacliweisen.  Ein  besonders 
schlagendes  ist  ein  kleiner  bogenspannender  Eros 
No.  146  im  third  Graeco- Roman  Saloon  des  brit. 
Museums,  der  in  der  Nähe  von  Antium  gefunden 
worden  ist:  Körper  und  Flügel  waren  in  eine  Am- 
phora eingeschlossen  und  sind  ganz  intact  geblieben, 
Füsse,  Köcher  und  Stütze  lagen  nahe  davon  in  der 
Erde  und  zeigen  eine  ziemlich  starke  Verwitterung  ^), 

Darüber  dass  an  griechischen  Werken  die 
Erdcorrosion  vorhanden  ist,  und  zwar  in  viel  höherem 
Grade  als  die  Luftcorrosion,  besteht  unter  Leuten, 
die  griechische  Monumente  mit  Aufmerksamkeit  be- 
trachtet oder  an  Ausgrabungen  Theil  genommen 
haben,  kein  Zweifel.  Interessant  ist  in  dieser  Hin- 
sicht die  Erscheinung,  dass  bei  Friesen  aneinander 
stossende  Platten  und  bei  gebrochenen  Gliedern 
die  Theile  zu  beiden  Seiten  des  Bruches  verschieden 
stark  corrodirt  sind. 

Die  sechs  Platten  des  archaischen  Wageufrieses 
von  Xanthos  im  brit.  Museum«)  sind  in  ganz  un- 
gleicher Stärke  corrodirt,  z.  B.  ist  die  Platte  mit 
dem  vordersten  Wagen  sammt  dem  darauf  stehenden 
Lenker  stark  verwittert,  während  die  r.  anstossende 
Platte  mit  den  Pferden  dieses  Wagens  sowie  Armen 
und  Gesicht  desselben  Wagenlenkers  vollkommen 
glatt  erhalten  ist. 

Ebenso  sind  beim  Fries  von  Assos  die  einzelnen 
Platten  verschieden  stark  zerstört. 

Am  Fries  von  Phigalia,  der  am  ursprünglichen 
Bau  dem  Regen  gar  nicht  ausgesetzt  war,  sind 
zahlreiche  Verwitterungen  vorhanden,  und  zwar 
wiederum  unregelmässige.  Nicht  nur  ist  eine  ganze 
Platte  (No.  12  im  brit.  Museum)  viel  stärker  cor- 
rodirt als  die  übrigen,  sondern  es  sind  auch  zahl- 
reiche Theile  einer  Platte  oder  einer  Figur,  die 
abgebrochen  waren,   stärker  verwittert  als  die  un- 

^)  Synopsis  of  the  Contents  of  the  British  Museum:  a 
guide   to    the    Graeco  -  Roman  sculptures.    Part.  I.  sec.  edition 

1879  p.  6ß.  Vgl.  auch  Hancarville,  Recherches  sur  Vorigine  etc. 

I  345.  Letzterer  macht  ,,les  sels  de  la  terre"  für  die  Corro- 
sion verantwortlich. 

')  A.  Prachov,  Antiquissima  momimenta  Xanthica.  Pe- 
tersburg 1871,  Z  ab. 


126 


K.  Lange,  Aegineteii  und  Corrosion, 


mittelbar  daianstossenclen,  wofür  die  Beispiele  hier 
aufzuzählen  zu  weit  führen  würde. 

Dass  die  Parthenon-Sculpturen,  obwohl  sie  zum 
grössten  Theil  nie  unter  der  Erde  gelegen  haben, 
doch  starke  Spuren  von  Witterungseinfluss  zeigen,  ist 
bei  der  schiefrigen,  wenig  compacten  Structur  des  pen- 
telischen  Marmors  ganz  natürlich.  Von  einer  regel- 
mässigen Lufteinwirkung  auf  einer  Seite  ist  aber 
nicht  die  Rede.  Die  ursprüngliche  Oberfläclie,  durch 
bräunliche  Farbe  und  politurartige  Glätte  kenntlich, 
ist  ausser  auf  einigen  Rückseiten  z.  B.  der  des 
Kephisos,  an  folgenden  der  Witterung  ausgesetzten 
Stellen  erhalten  geblieben :  r.  Seite  des  Halses  und 
Innenseite  des  linken  Armes  des  Helios,  Stücke  der 
r.  Seite  seines  vorderen  Pferdekopfes,  grosse  Stücke 
an  der  Gewandung  der  beiden  sitzenden  Frauen, 
der  Iris  und  der  liegenden  Frau  (und  zwar  nicht 
etwa  die  geschützten  Theile  der  Falten,  sondern 
grade  die,  wo  sich  das  Wasser  am  längsten  halten 
musste),  ferner  Stücke  vom  Oberkörper  und  linken 
Beine  des  Kephisos  und  vom  Oberkörper  des 
Poseidon,  endlich  Faltenpartien  im  Gewände  der 
Leukothea.  Wenn  diese  zahlreichen  Stellen  bei  dem 
pentelischen  Marmor  und  bei  einer  über  2000jährigen 
Einwirkung  des  Wassers  glatt  geblieben  sind,  wie 
sollte  der  jedenfalls  härtere  parische  Marmor  der 
Aegineten,  der  viel  kürzere  Zeit  der  Witterung 
ausgesetzt  war,  in  dem  Grade  an  der  Luft  corrodirt 
sein,  den  die  Ostgiebelfiguren  zeigen? 

Bei  den  Maussoleum-Sculpturen,  deren  Mar- 
mor allerdings  härter  ist  wie  der  der  Parthenon- 
Figuren,  aber  doch  gewiss  nicht  wie  der  der 
Aegineten,  gehören  die  corrodirten  Theile  der 
Oberfläche  zu  den  Seltenheiten.  Grade  die  nach 
oben  gewendeten  Flächen  derjenigen  Figuren,  die 
siclier  am  Äusseren  des  Gebäudes  augebracht  waren, 
wie  der  Pferde,  des  Maussolos,  des  Reiters  in 
phrygischem  Costüm,  sind  nicht  nur  nicht  corrodirt, 
sondern  sogar  so  gut  erhalten,  dass  man  deutlich 
die  einzelnen  Raspelstriche  sieht,  mit  denen  der 
Künstler  ilirer  Oberfläche  ein  rauhes  Ansehen  ge- 
geben hat.  Bei  den  Löwen  ist  die  Zerstörung  sehr 
unregelmässig,  von  einer  Wetterseite  keine  Rede. 
Die  einzelnen  Köpfe  sind  theils  ganz  glatt  erhalten 
uud  nur  mechanisch  zerstört,  theils  ringsum  bis  zur 
Unkenntlichkeit  zerfressen  —  natürlich,  denn  sie 
wurden  überall  zerstreut,  zum  Theil  in  Gebäuden 
eingemauert  zum  Tlicil  in  der  Erde,  gefunden. 

Besonders  instructiv  für  den  Ostgiebel  von  Aegina 
ist  das  Studium  des  Nereiden-Monumentes  von 
Xantlios.    Denn  die  zu  ihm  gehörigen  Statuen  sind 


ebenfalls  von  parischem  Marmor,  und  nach  den 
Fundberichten  ist  es  unzweifelhaft,  dass  sie  in  den 
Säuleniutercolumnien  standen'),  folglich  mit  der 
Vorderseite  vollständig  dem  Wetter  ausgesetzt  waren. 
Dennoch  finden  sich  an  der  Vorderseite  aller  Figuren 
zahlreiche  mehr  oder  weniger  grosse  glatte  Stellen, 
besonders  bei  79  und  83  im  brit.  Museum  und  bei 
dem  von  der  linken  Hand  von  78  herabfallenden 
Gewände,  während  die  Hinterseite  der  meisten 
Figuren  mehr  oder  weniger  corrodirte  Theile  auf- 
weist, so  bei  77  und  78,  besonders  aber  bei  82, 
wo  die  ganze  Rückenpartie  leicht  corrodirt  ist.  Dass 
die  am  meisten  vortretenden  Theile,  Oberschenkel, 
Kniee,  Brüste,  Faltenliöhen  und  Füsse  am  meisten 
verwittert  sind,  wird  man  ähnlich  zu  erklären  haben 
wie  die  Corrosion  der  Ostgiebelfiguren  von  Aegina, 
wenn  man  nicht  lieber  annehmen  will,  dass  auf 
diese  Stellen  das  Regenwasser  vom  Gebälk  herab- 
tropfte. Für  Erdcorrosion  spricht  freilich  auch  hier 
der  Umstand,  dass  grade  die  stärksten  uud  ausge- 
dehntesten Corrosionen  der  Aussenseiten,  z.  B.  an 
75  (Michaelis  I)  und  81  (Michaelis  IV)  nicht  von 
derselben  Richtung  herkommen,  sondern  dass  bei 
einer  und  derselben  Figur  die  eine  Corrosion  nach 
vorn,  die  andere  nach  der  Seite  oder  gar  nach 
hinten  gewandt  ist.  Eine  schon  mehrfach  beobachtete 
Erscheinung  findet  sich  auch  auf  dem  Rücken  von 
78,  wo  die  Fläche  auf  der  einen  Seite  eines  Bruches 
etwa  2  Zoll  breit  verwittert,  die  anstossende  Fläche 
dagegen  glatt  geblieben  ist. 

Einseitig  corrodirte  Einzelfiguren  kommen 
öfter  vor.  So  ist  bei  einer  archaischen  unterlebens- 
grossen  Figur  in  der  Rotunde  des  Louvre  die  Vor- 
derseite ziemlich  regelmässig  verwittert,  die  Hinter- 
seite glatt,  während  umgekehrt  bei  einer  neuerdings 
ins  britische  Museum  gelangten  archaischen  sog. 
Apollonfigur,  die  demnächst  von  Löschcke  in  dieser 
Zeitschrift  publicirt  werden  wird,  sowie  bei  einem 
Dionysos  im  Louvre  (No.  216)  grade  die  Rückseite 
die  corrodirte  ist.  Man  sieht  hieraus,  dass  auch 
aus  einseitigen  Corrosionen  keineswegs  auf  die 
ursprüngliche  Stellung  geschlossen  werden  kann. 

Am  wichtigsten  für  unsere  Untersuchung  sind 
jetzt  die  pergamenischen  Sculpturen  geworden. 
Ihr  Material  ist  ein  bläulicher  Marmor,  etwas  fein- 
körniger als  der  der  Aegineten,  etwa  so  hart  wie 
die  zweite  Sorte  des  carrarisclien.  Seine  Verwitte- 
rungsfähigkeit sciicint  grösser  als  die  der  Aegi- 
neten zu  sein,  denn  an  den  corrodirten  Theilen 
ist  der  Marmor  an  der  Oberfläche  leicht  wie  Sand- 

')  Michaelis  Ann.  d.   Inst.    187.j  p.  17'J  Anm.  347. 


K.  Lange,  Aegineten  und  Corrosion. 


127 


stein  mit  der  Hand  abzureiben,  was  bei  jenen  un- 
möglicli  ist. 

In  Bezug  auf  Corrosion  theilen  sich  die  per- 
gameuisclien  Reliefe  in  zwei  Grup))en,  nüuilich  in 
diejenigen,  welclie  in  der  byzautiuisclien  Mauer 
mit  der  Reliefseite  nach  innen  eingemauert  waren, 
und  in  solche,  die  in  der  Erde  gefunden  sind. 
Auf  den  e  rsteren  sitzt  eine  dicke,  steinhart  gewor- 
dene Kalkkvuste,  die  jetzt  mühsam  entfernt  wird, 
und  unter  der  die  ursi)rUngliclie  Oberfläche  meist 
so  intact  erscheint,  dass  man  die  einzelnen  antiken 
Raspelstriclie  genau  erkennen  kann  ").  Diejenigen 
Stücke  dagegen,  die  in  der  Erde  lagen,  sind  fast 
alle  mehr  oder  weniger  stark  corrodirt,  meistens 
über  und  über,  oft  aber  auch  nur  stellenweise. 
Besonders  frappant  ist  der  Gegensatz  zwischen  cor- 
rodirten  und  nicht  corrodirteu  Stücken  da,  wo  von 
zwei  aneinander  stossenden  Theilen  einer  Figur  der 
eine  in  der  Mauer  gesessen,  der  andere  in  der  Erde 
gelegen  hat:  diesseits  des  Bruchs  vollkommene 
Glätte,  jenseits  starke  Corrosion.  Conze  und  Hu- 
mann erklären  die  verschiedene  Corrosion  der  unter 
der  Oberfläche  gefundenen  Theile  durch  ihre  ver- 
schiedene Lage  in  der  Erde:  im  ganzen  sollen  die 
Platten,  die  mit  dem  Relief  nach  oben  gekehrt 
waren,  stärker  corrodirt  sein  als  die  übrigen.  Nach 
Humauu  hätte  auch  die  Art  der  Erde,  ob  Sand 
ob  Humus,  entscheidend  eingewirkt.  Auch  entnehme 
ich  den  Angaben  Treus  über  die  olj'mpischen  Sculp- 
turen,  dass  da  wo  die  Lage  in  verschiedenen  Erd- 
sorten zu  constatiren  ist,  ihre  Spuren  auf  der  Ober- 
fläche deutlich  erkannt  werden  können.  Vorläufig 
wird  mau  also  nicht  sowohl  die  durchsickernde 
Feuchtigkeit  als  die  chemische  Beschaffenheit  der 
Erde  für  die  Zerstörung  verantwortlich  zu  machen 
haben. 

Was  die  Giebelfiguren  von  Olympia  betrifft, 
so  ist  die  Erlialtung  ihrer  Oberfläche  eine  auffallend 
gute.  Corrosionen  in  der  Stärke  wie  bei  dem  Ost- 
giebel von  Aegina  sind  nur  sehr  wenige  vorhanden, 
sehr  zahlreich  dagegen  sind  die  grossen  fast  glatten 
oder    nur   ganz   leicht  corrodirten   Flächen.     Auch 

")  Wenn  auch  au  dieseu  Stücken  hie  und  da  eme  Corro- 
sion vorkommt,  wie  z.  B.  bei  dem  r.  Oberschenkel  und  einem 
Schlangenstück  des  Giganten  der  r.  Treppenwange,  in  dessen 
Schlange  ein  Adler  die  Krallen  einschlägt,  so  wird  man  das, 
«eil  diese  Stellen  grade  die  am  weitesten  vorragenden  des  gan- 
zen Reliefs  sind ,  wohl  durch  die  Annahme  erklüren  dürfen, 
dass  auf  sie  der  Regen  vom  Gesims  herabtropfte.  Doch  ist  diese 
Corrosion  viel  unregelmässiger  als  an  den  Üstgiebelßgureu  von 
Aegina  und  erinnert  vielmehr  an  die  Figuren  des  Nereidenmo- 
numents. 


für  die  Unterschiede  der  Zerstörung  zu  beiden  Sei- 
ten eines  Bruches  gibt  es  hier  melirere  Beispiele, 
worauf  mich  Treu  besonders  aufmerksam  machte. 
So  ist  z.  B.  der  Kopf  des  Apollon  im  Westgiebel, 
der  im  Sand  gefunden  wurde,  ganz  intact,  sein 
Körper,  der  in  Humuserde  lag,  leicht  corrodirt,  die 
Schenkel  wiederum  glatt  und  ein  unter  einer  Säulen- 
trommel gefundener  Gewandzipfel  hinter  dem  r. 
Bein  sogar  mit  der  Farbe  erhalten;  ebenso  ist  der 
Körper  Hippodameias  ganz  intact,  ihr  neu  gefun- 
dener Kopf  stark  verwittert.  Die  am  meisten  vor- 
tretenden Pferde  der  Viergespanne  und  die  bei- 
den Lapitlien  vor  den  der  Mitte  zunächst  stehenden 
Kentauren  im  Westgiebel  haben  die  dahinter  be- 
findlichen Theile  nicht  vor  der  Verwitterung  ge- 
schützt. Köpfe,  die  so  stark  exponirt  waren  wie  der 
des  Peirithoos  1.  und  der  ueugefundene  Frauenkopf 
mit  der  Hand  im  Haar  sind  trotzdem  fast  ganz 
intact.  Bei  den  Metopen  kann  man  zufällig  nach- 
weisen, dass  sie  am  Tempel  sogar  ihre  Farbe  con- 
servirt  haben:  der  Herakleskopf  von  der  Löwen- 
metope  war  beim  Sturz  unter  eine  Eckquader  ge- 
kommen und  zeigt  noch  seine  ganze  Bemalung, 
während  z.  B.  dass  Fass  des  Eurystheus,  dessen 
Kopffragment  eine  vollkommen  glatte  Oberfläche 
zeigt,  sehr  stark,  offenbar  von  auftropfendem  Regen, 
corrodirt  ist. 

Ich  darf  hier  nicht  verschweigen,  dass  Conze 
die  Verwitterung  der  kleinen  Giebelfiguren  von 
Samothrake  im  Giebel  entstanden  denkt,  da  sie 
sich  grade  an  den  Theilen  findet,  die  dem  Regen 
ausgesetzt  waren.  Ihre  Stärke  erklärt  er  aus  der 
geringen  Widerstandskraft  des  Marmors  und  aus 
dem  sehr  regnerischen  Klima.  Möglich  dass  dies 
zur  Erklärung  ausreicht,  jedenfalls  zeigen  auch  hier 
einige  glatte  Stellen  an  den  Vorderseiten  und  das 
Vorhandensein  starker  Corrosionen  nach  verschie- 
denen Richtungen  hin,  dass  von  einer  Regelmässig- 
keit der  Einwirkung  nicht  die  Rede  sein  kann. 

Auf  Grund  der  hier  zusammengestellten  That- 
sachen  wende  ich  mich  wieder  zu  den  Aegineten. 
Dass  man  corrodirte  Flächen  auf  ihren  Hinterseiten 
auch  durch  Zufälligkeiten  im  Giebel,  z,  B.  durch 
umgekantete  Geisonblöcke,  die  das  Wasser  herab- 
laufen Hessen,  erklären  könne,  will  ich  um  so  we- 
niger läugnen,  als  ich  selbst  die  Verwitterung  der 
Theseiou- Metopen  ähnlich  entstanden  denke;  dass 
man  es  darum  müsse,  wird  niemand  behaupten. 
Zudem  giebt  es  an  den  Ostgiebelfiguren  drei  schla- 
gende Beweise  für  Erdcorrosion: 

Erstens:   die  Wetterseite    ist  in  Aegina  nach 


128 


K.  Lange,  Aegineten  und  Conosion. 


Milcliböfers  Untersuchungen  Südwest;  trotzdem  sind 
die  Ostgiebelfiguren  stäriier  corrodirt  als  die  des 
Westgiebels.  Julius  erklärt  dies  daraus,  dass  der 
Marmor  des  Westgiebels  von  compacterer  Structur 
als  der  des  Ostgiebels  sei,  und  in  der  Tbat  ist  jener 
etwas  feinkörniger  als  dieser;  doch  dass  er  darum 
auch  leicbter  verwittern  müsse,  ist  eine  ganz  will- 
kürliche Voraussetzung.  Die  Verwitterungsfähigkeit 
hängt  mit  der  Grösse  des  Korns  gar  nicht  zusam- 
men, wie  zahlreiche  Erfahrungen  lehren,  und  wenn 
sie  es  thäte,  so  wurde  eher  der  feinkörnigere  Mar- 
mor bei  der  grösseren  Zahl  seiner  Angriffspunkte 
verwitterungsfähiger  sein  als  der  grobkörnigere. 

Zweitens:  die  Waffenstücke,  die  aus  Metall 
oder  Marmor  angesetzt  waren,  wie  Wehrgehänge, 
Backenklappen  u.  s.  w.  haben  die  unter  ihnen  be- 
findlichen Flächen  nicht  vor  der  Verwitterung  ge- 
schützt, was  sie  doch  hätten  thun  müssen,  wenn 
die  Verwitterung  im  Giebel  entstanden  wäre,  da 
sie  dort  ohne  Zweifel  noch  an  ihrer  Stelle  sassen. 
Ausnahmen  hiervon  sind  die  Frisur  der  Athena 
des  Ostgiebels  und  die  Schamhaare  des  Vorkämpfers 
1.  im  Ostgiebel,  die  offenbar  beide  nicht  gleich 
beim  Sturz  abbrachen  oder  wenigstens  so  lauge  an 
ihrer  Stelle  blieben,  dass  sie  die  darunter  befind- 
lichen Theile  vor  Verwitterung  schützten. 

Drittens:  abgebrochene  Glieder  sind  verschie- 
den corrodirt  von  den  austossenden  Körpertheilen  ''). 
Julius  läugnet  dies  zwar.  Bei  genauer  Prüfung 
zeige  sich  nämlich,  „dass  an  allen  nach  Maassgabe 
der  Bruchflächen  sicher  zu  einem  erhalteneu  Kumpfe 
gehörigen  abgebrochenen  Gliedern  die  Corrosion  an 
durcliaus  entsprechender  Stelle  und  in  der  Nähe 
des  Bruches  auch  in  gleicher  Stärke  wie  am  Piumpfe 
sich  finde."  Wenn  dies  wirklich  der  Fall  wäre,  so 
würde  es  keineswegs  gegen  Erdcorrosion  sprechen, 
sondern  einfach  beweisen,  dass  die  am  Bodeu  ab- 
gebrochenen Glieder  in  derselben  Lage  verblieben 
wie  die  zugehörigen  Torsen,  was  jedenfalls  die 
Regel  war.  Nun  gibt  es  aber  ausser  dem  oben 
besprochenen  r.  Bein  des  Vorkämpfers  1.  im  West- 
giebel nicht  weniger  als  fünf  Beispiele  derselben 
Art:  vom  Gefallenen  r.  im  Westgiebel,  dessen  Torso 
ungemein  stark  zerfressen  ist,  hat  der  r.  zum  grössten 
Theil  antike  Arm  eine  vollkommen  glatte  Ober- 
fläche. Der  1.  Fuss  des  Gefallenen  1.  im  Ostgiebel 
ist  auf  dem  nach  oben  gekehrten  inneren  Knöciiel 
ganz  glatt  erhalten,   während   das  Bein  auf  dieser 

")  Dies  Argument,  das  ich  schon  bei  vielen  anderen  Denk- 
mälern angewandt  habe,  verdanke  ich  einer  Bemerkung  L.Schwabes 
in  der  Anzeige  meiner  Arbeit. 


Seite  unmittelbar  vom  Bruch  an  ziemlich  stark  cor- 
rodirt ist.  Vom  Gefallenen  in  der  Mitte  des  West- 
giebels ist  der  r.  Oberarm  an  der  Aussenseite  stark 
corrodirt,  der  Unterarm,  der  abgebrochen  war,  ganz 
glatt.  Vom  Vorkämpfer  1.  im  Westgiebel  ist  der 
1.  Oberschenkel  stark  corrodirt,  der  gebrochene 
Unterschenkel  glatt.  Während  der  r.  Arm  des  Zu- 
greifenden r.  im  Ostgiebel  stark  corrodirt  ist,  hat 
der  Helmbusch  7,  der  nur  durch  den  Helm  von 
ihm  getrennt  war,  eine  ganz  glatte  Oberfläche. 
Damit  wird  wohl  die  Erdcorrosion  auch  für  die 
Ostgiebelfiguren  von  Aegina  ein  für  allemal  be- 
wiesen sein.  — 

Noch  ein  Wort  über  den  Julius'schen  Compo- 
sitionsentwurf,  den  er  wohl  nicht  ganz  correct  den 
„Brunn-Prachovschen"  nennt.  Da  Julius  nicht  alle 
Corrosionen  der  Rückseiten  aus  Zufälligkeiten  im 
Giebel  oder  aus  auftropfendem  Regen  nach  dem  Fall 
erklären  kann,  um  nicht  endlich  doch  zugeben  zu 
müssen,  dass  die  Corrosionen  ganz  unsichere  Büttel 
der  Kritik  sind,  erklärt  er  einige  derselben  auf 
eine  neue  Weise,  nämlich  durch  die  Drehung  der 
betreffenden  Figuren  im  Giebel.  Durch  diese  sollen 
sich  dann  auch  mehrere  Glätten  an  den  Vorderseiten 
erklären,  die  man  nicht  aus  davor  befindlichen  Fi- 
guren ableiten  kann.  Sehen  wir,  was  er  um  dies 
Priucip  durchzuführen  den  aeginetischen  Künstlern 
zutraut. 

Der  sog.  Paris  ist  auf  der  1.  Schulter  glatt,  auf 
der  r.  Rückenhälfte  ganz  regelmässig  corrodirt, 
folglich  dreht  ihn  Julius,  um  jene  Stelle  zu  decken, 
diese  der  von  S.W.  kommenden  Witterung  auszu- 
setzen so,  dass  er  schräg  in  die  Giebelwand  hin- 
einschiesst!  Leider  würde  dadurch  auch  die  1.  Seite 
seines  Gesichts  geschützt,  obwohl  sie  stark  cor- 
rodirt ist.  Dagegen  wird  der  knieende  Lanzen- 
kämpfer 1.  wegen  der  Corrosion  seiner  1.  Gesichts- 
hälfte mit  dem  Gesicht  nach  S.W.  gedreht,  wobei 
zugleich  sein  glatter  r.  Unterschenkel  vor  der  Witte- 
rung geschützt  werden  soll.  Freilich  bleibt  dann 
die  Glätte  seiner  1.  der  Luft  ausgesetzten  Hand 
unerklärt,  und  überdies  wird  es,  wie  schon  oben 
bemerkt,  unmöglich,  dann  die  Glätte  auf  dem  r. 
Beine  des  Vorkämpfers  1.  durch  den  Schild  dieses 
selben  Lanzenträgers  zu  erklären.  Jlan  sollte  fer- 
ner erwarten,  dass  Julius  den  Bogenscliützen  1. 
der  Responsion  wegen  ebenfalls  schräg  in  die 
Wand  schiessen  lässt.  Ganz  im  Gegentheil!  Auch 
hier  gilt  es  ja,  eine  Glätte  am  r.  Unterschenkel 
und  eine  Corrosion  am  1.  Oberschenkel  zu  erklären, 
und  so  wird   die  Figur  der  vorigen  parallel,  d.  li. 


K.  Lange,  Aegineten  und  Corrosion. 


129 


mit  dem  Kopf  uacli  der  Geisonkante  gedreht,  wo- 
bei freilich  wieder  eine  grössere  corrodirte  Fläche 
unter  der  r.  Achsel  in  gedeckte  Stellung  käme. 
Kurz,  wo  es  geht,  werden  Corrosionen  und  Glätten 
aus  der  Stellung  erklärt;  wo  es  nicht  geht,  aus  der 
verschieden  compacten  Structur  des  Marmors;  wo 
auch  das  nicht  räthlich  scheint,  gar  aus  dem  ver- 
schieden festen  Anhaften  der  Farbe,  wie  bei  den 
ungedeckten  und  doch  theilweise  glatten  oberen 
Gewandfalten  der  Athena;  oder  —  und  das  ist 
jedenfalls  das  einfachste  —  gar  nicht!  Bei  den 
Zugreifenden  und  Vorkämpfern  bieten  sich  nun 
wieder  entweder  ganz  zufällige  oder  (wie  bei  dem 
1.  Unterschenkel  38)  gar  nicht  vorhandene  glatte 
Streifen,  aus  denen  geschlossen  wird,  dass  der 
Zugreifende  1.  nahe,  derjenige  r.  fern  der  Giebel- 
wand gestanden  habe  —  und  von  diesen  Unregel- 
mässigkeiten, die  Julius  in  die  Anordnung  hinein- 
bringt, behauptet  er  dann,  dass  sie  „für  das  Ein- 
dringen in  die  Feinheiten  der  Composition"  von 
grosser  Wichtigkeit  sind!  '") 

'")  Was  die  Deutung  der  Aegineten  betrift't,  so  hatte  ich  mich 
mehr  für  Patroklos'  als  für  Achills  Tod  ausgesprochen.  Da  nun 
auch  A.  Burckhardt  (a.  a.  O.)  sich  unabhängig  von  mir  ebenso 
entschieden  hat,  so  kann  ich  mich  begnügen,  auf  seine  und  meine 
früheren  Argumente  zu  verweisen.  Betreffs  der  kunsthistorischen 
Stellung  der  beiden  Giebel  zu  einander  war  ich  zu  dem  Resultat 
gekommen ,  dass  der  Ostgiebel  etwas  später  als  der  Westgiebol 
von  einem  selbständig  arbeitenden  Meister  gefertigt  sei,  wobei 
ich  natürlich  an  einen  , beträchtlichen"  Unterschied  bei  ihrer 
grossen  formalen  Verwandtschaft  nicht  gedacht  hatte.  Auch  in 
dieser  Beziehung  muss  ich  auf  früher  Gesagtes  verweisen  und  be- 
merke dazu  nur,  dass  es  keineswegs  auffallend  ist,  wenn  der  West- 
giebel, der  nach  der  Insel  zu  lag  und  beim  Aufgang  zum  Tempel 
zuerst  ins  Auge  fiel,  auch  zuerst  mit  Sculpturen  versehen  wurde, 
und  dass  ferner  die  von  Julius  constatirte  Verschiedenheit  des 
Marmors  durchaus  gegen  eine  völlig  gleichzeitige  Entstehung 
beider  Giebel  spricht. 


Im  Interesse  der  Sache  muss  ich  bedauern,  dass 
Julius  sich  nicht  begnügt  hat,  mir  im  Einzelnen 
Fehler  in  Angaben  und  Zeichnungen  nachzuweisen, 
wobei  er  ohne  Zweifel  noch  mehr  als  die  fünf  Ver- 
sehen hätte  finden  können,  die  ich  um  so  lieber 
zugebe,  als  sie  für  die  Hauptfrage  ganz  gleich- 
giltig  sind  und  jeder  billig  Denkende  sie  dem 
Anfänger  verzeihen  wird,  der  einer  verwickelten 
Frage  und  einem  reichen  Material  gegenüber  ganz 
auf  seine  eigene  Kraft  angewiesen  war  ' '). 

K.  Lange. 

")  Diese  fünf  Fehler  sind  folgende:  die  Ferse  13  habe  ich 
mit  Unrecht  dem  Bogenschützen  1.  im  Ostgiebel  zugeschrieben, 
sie  gehört  vielmehr  einer  weiblichen  Figur  an,  wie  aus  leisen 
Faltenspuren,  die  ich  bei  der  dunklen  Aufstellung  übersehen, 
hervorgeht.  Das  Säulenkapitell  (No.  78  im  Katalog)  schrieb  ich 
mit  Unrecht  der  äusseren  Säulenreihe  zu,  da  ich  mich  seiner 
Grösse  nicht  mehr  erinnerte.  Bei  Fragment  2  hatte  ich  zu  er- 
wähnen vergessen,  dass  Prachov  es  schon  benutzt  und  abgebildet 
hat.  Bei  der  Zeichnung  von  Fragment  10  sind  oben  zwei  quer- 
laufende Striche  vergessen,  weil  sie  auch  in  Prachovs  Zeichnung 
fehlen,  nach  der  die  meinige  gemacht  ist.  Ein  Versehen  war 
es  endlich,  wenn  ich  vermuthete,  die  Hohenmaasse  der  Figuren 
in  Brunns  Katalog  seien  durch  Umrechnung  aus  dem  Schom- 
schen  Katalog  erlangt.  Veranlasst  wurde  ich  hierzu  dadurch, 
dass  der  Gefallene  links  im  Ostgiebel  von  Fussspitze  zu  Scbild- 
rand  1,S45  M.  misst,  während  Brunn  1,68  angiebt,  was  freilich 
wie  Julius  mittheilt  (indem  er  übrigens  fälschlich  1,88  als  rich- 
tiges Maass  nennt)  ein  Druckfehler  ist.  Dann  aber  sind  in 
Brunns  Compositionsentwurf  die  beiden  Vorkämpfer  um  etwa 
10  Cm.  zu  niedrig  gezeichnet,  was  allerdings,  wie  ich  zu  con- 
statiren  versäumte,  mit  den  Angaben  des  Katalogs  nicht  stimmt. 
Wenn  Julius  bei  der  Bestimmung  zahlreicher  anderer  Fragmente 
(z.  B.  14.  33.  37.  38.  40.  41.  42.  52.  53.  56.  57;  vgl.  besonders 
S.  11)  von  mir  abweicht,  so  beruht  das  entweder  auf  der  Vor- 
aussetzung, dass  nur  zwei  Vorkämpfer  da  waren,  oder  auf  der 
ausschliesslichen  Annahme  von  Luftcorrosion,  oder  auf  vollstän- 
diger Willkür.  Willkür  ist  es  auch,  wenn  er  die  Beinfragmente 
54  und  55  den  Aegineten  abspricht. 


Archäolog.    Ztg.,  Jahrg.   XXXVIII. 


18 


130 


IRIS  IN  DEN  GIEBELGRUPPEN  DES  PARTHENON. 


Seit  Visconti  (1816)  ist,  wie  die  Zusammeustel- 
lung  bei  Michaelis,  Der  Parthenon  S.  165  lehrt,  für 
die  jugendliche,  in  lebhafter  Bewegung  begriffene 
Figur  des  Ostgiebels,  deren  stürmische  Eile  in  den 
mächtig  zurückwallenden  Falten  des  geschlitzten 
Chitons  und  dem  im  Rücken  bogenartig  sich  aufbau- 
schenden Mantel  den  lebendigsten  Ausdruck  findet, 
die  Bezeichnung  Iris  zu  so  allgemeiner  Geltung  ge- 
kommen, dass  die  dagegen  auftauchenden  Bedenken 
immer  wieder  zurückgedrängt  wurden  (Petersen, 
Kunst  d.  Pheidias  127  gegen  Welcker  A.  D.  I  83), 
und  auch  die  neueren  Erklärer  der  Giebelgruppen, 
Michaelis,  Petersen,  Newton  {guide  to  the  sculpt. 
ofiheParth.  1880  S.  11)  die  herkömmliche  Bezeich- 
nung beibehalten.  In  der  That  entspricht  ja  die 
jugendlich  elastische  Gestalt  in  ihrer  fliegeuden  Eile 
sehr  wohl  unserer  Vorstellung  von  der  leichtfüssi- 
gen  Götterbotin,  und  wer  in  dem  bauschenden  Mantel 
mit  Visconti  eine  Hindeutung  auf  den  Regenbogen 
zu  erkennen  vermochte,  musste  auf  Iris  als  zu- 
trefl'enden  Namen  von  selbst  geführt  werden.  Grade 
gegen  die  Andeutung  des  Regenbogens  aber  durch 
den  breiten  fast  die  ganze  Rückenhöhe  einnehmen- 
den Mantelbausch  wandte  sich  Welcker  a.  a.  0. 
und  wies  darauf  hin,  wie  unähnlich  diese  breite 
Peplosmasse  dem  schmalen  Regenbogen  sei,  der 
sich  mit  Leichtigkeit  aus  dem  Mantel  nachahmend 
hätte  bilden  lassen.  Den  entscheidendsten  Einwand 
aber  lässt  auch  er,  wie  fast  alle  nach  ihm,  unbe- 
rührt, deu  nämlich,  dass  ein  griechischer  Bildner  aus 
Phidias  Zeit  an  einer  so  hervorragenden  Stelle, 
wie  in  den  Giebelfeldern  eines  Tempels,  die  XQV- 
aonregog  V^tg  nicht  ungeflügelt  hätte  darstellen 
können.  Wäre  die  Beflügelung  der  Iris  nicht  durch 
inschriftlich  bezeugte  Darstellungen  gesichert  (z.  B. 
auf  der  schönen  Brygos-Vase  mo7i.  ined.  IX  46), 
so  Hessen  sich  Stellen  wie  Porphyr,  de  abst.  III  16 
inxiqwaav  de  zi]v  ze  Nixtjv  xal  trjv  Iqiv  und  schol. 
Arist.  av.  1213  Dind.  ImiqtDtai  (^  ^l^is)  ^cii  e^tjy- 


■Kü)f.iEvov  sxsi  i^ov  xiTÜiva^  xal  za  meqa  öianinza- 
zai  tug  xwuai  dafür  anführen  ').  Dass  Welcker  mit 
seiner  Benennung  Oreithyia  den  Kreis  von  Dämo- 
nen richtig  bezeichnet,  welchem  diese  windschnelle 
Botin  angehört,  kann  nach  dem  was  Röscher  (Her- 
mes der  Windgott  S.  16  ff.)  zusammengestellt  hat, 
und  im  Hinblick  auf  ganz  ähnliche  Darstellungen, 
wie  das  von  Matz  erklärte  Relief  Colonna  (arch. 
Zeitg.  1875  Taf.  4)  —  wo  selbst  das  Motiv  des  aus 
dem  Chiton  nackt  hervortretenden  Beines,  nur  ver- 
gröbert, wiederkehrt  —  nicht  wohl  zweifelhaft  sein. 
Zu  sicherer  Benennung  jedoch  fehlt  es  hier  wie 
dort  an  Anhaltspunkten. 

■)  Von  zweifellosen  Irisdarstellungen  ist  mir  nur  eine  einzige 
bekannt,  wo  die  Beflügelung  zu  fehlen  scheint:  die  inschriftlich 
beglaubigte  Iris  der  Fran9oisvase  {mon.  ined.  IV  54 — 57;  arch. 
Zeitg.  1850  Taf.  23.  24).  Dass  sie  in  Wahrheit  ungeflügelt  ist, 
möchte  ich  angesichts  der  grade  an  dieser  Stelle  ungenauen  und 
unzuverlässigen  Publikation  nicht  behaupten.  Der  Oberkörper 
der  Iris  ist  völlig  en  face  gebildet,  so  dass  schon  hierdurch  die 
Flügel  griisstentheils  verdeckt  werden;  dann  aber  scheint  in  deu 
unklaren  Linien  an  der  Schulter,  die  das  von  Chiron  getragene 
Wild  fast  berührt,  in  der  That  der  obere  Flügelbogen  unmittelbar 
unter  dem  Stocke  noch  sichtbar  zu  sein.  Sollte  aber  eine  Nach- 
prüfung des  Originals  auch  das  Fehlen  der  Flügel  ergeben,  so 
wäre  dies  eine  Freiheit  des  Vasenzeichner.s,  dem  zur  Charakterisi- 
rung  seiner  Figuren  ausser  den  stehenden  Attributen  noch  In- 
schriften zu  Gebote  standen  —  auch  dem  Hermes,  der  bis  in 
die  Einzelheiten  des  Gewandes  ein  Gegenstück  zur  Iris  ist,  fehlt 
jede  Andeutung  von  Flügeln  — ,  eine  Freiheit,  aus  welcher  ein 
Rückschluss  auf  eine  gleiche  Freiheit  des  Marmorarbeiters  nicht 
gezogen  werden  darf.  Ob  die  flügellose  Frau  mit  Kerjkeion  im 
Parisurtheil  einer  schwarzfigurigen  Amphora  zu  Berlin  (0.  Jahn, 
Telephos  und  Troilus  Taf  III)  Iris  zu  nennen  ist,  muss  bei  dem 
Maugel  einer  Inschrift  und  der  Häufigkeit  ähnlicher  Figuren  auf 
Vasenbildern,  wo  auch  Nike  und  Eirene  mit  Kerjkeion  ausge- 
stattet werden,  dahingestellt  bleiben.  Jahn  nennt  sie  wegen  des 
Kerykeion,  und  weil  sie  dem  Hermes  als  Begleiterin  beigegeben 
ist,  Iris,  ohne  jedoch  den  auflalligen  Umstand  ihrer  Flügellosig- 
keit  zu  verschweigen  (S.  79  Anm.  96)  oder  ein  zweites  Beispiel 
dafür  beibringen  zu  können.  Nicht  recht  verständlich  ist  mir, 
was  sich  Welcker  gedacht  hat,  als  er  über  diese  vermeintliche 
Iris  schrieb  (onn.  1845  p.  158):  'Les  ailes,  avec  leaqueltes  eile 
est  ailteurs  representde,  n'auraient  point  convenu  ici.'  Gar 
kein  Grund  liegt  vor,  die  attribut-  und  flügellose  Frau  bei  Ger- 
hard A.  V.  II  14G.  147,  welche  mit  staunender  Geberde  Nereus 
naht,  Iris  zu  nennen. 


A.  Trendelenburg,  Tris  im  Parthenongiebel. 


131 


Muss  so  die  Reibe  der  namenlosen  Figuren  des 
Ostgiebels  um  die  scbeinbar  so  treffend  benannte 
Iris  vermehrt  werden,  so  gewinnen  wir  durch  Be- 
seitigung- dieser  Benennung  für  die  Erklärung  der 
Mittelgruppe  des  Westgiebels  freie  Bahn:  hat  doch, 
scheint  es,  nur  das  Festhalten  an  der  überkomme- 
nen Vorstellung  von  der  Iris  mit  bauschendem 
Mantel  eine  Figur  dieser  Gruppe  und  damit  den 
Zusammenhang  derselben  bisher  nicht  erkennen 
lassen. 

Unter  den  Fragmenten,  welche  Michaelis  dem  Ost- 
giebel zuweist,  betindet  sich  der  Torso  einer  weib- 
lichen Figur,  welche  grosse,  regelmässige  Vertie- 
fungen an  den  Schulterblättern  als  ursprünglich  ge- 
flügelt erkennen  lassen  (Taf.  VI  J).  Die  Zugehörig- 
keit dieses  Torso  zum  Ostgiebel  unterliegt  aber 
den  gegründetsten  Bedenken.  Denn  Visconti's  An- 
gaben über  den  Auffindungsort  desselben  wider- 
sprechen sich  (Michaelis  im  Text  S.  175,  14),  und 
auf  der  Carreyschen  Zeichnung  (Taf.  VI  5)  ist  von 
dem  'swr  le  plan  itiferieur  du  fronton'  gefundenen 
Torso  nichts  zu  sehen.  Diese  Erwägungen  be- 
stimmten Matz  (Gütt.  g.  A.  1871  S.  1948  ff.),  den 
Torso  dem  Westgiebel  zuzuweisen  und  in  ihm  die 
von  Michaelis  mit  JV  bezeichnete  Figur  der  Carrey- 
schen Zeichnung  (Taf.  VII  2)  zu  sehen.  Die  Ueber- 
einstimmung  ist  eine  schlagende.  Die  Haltung  der 
Arme  —  der  linke  ging,  wie  ein  neuerdings  dem 
Torso  angefügtes  Schulterstück  erkennen  lässt,  ge- 
nau wie  bei  Carrey  in  massiger  Neigung  nach 
unten  — ,  die  Entblossung  derselben,  die  Gewand- 
lage am  Halse,  das  rechte  vom  Knie  an  aus  dem 
Gewände  heraustretende  Bein,  die  starke  Erhebung 
des  rechten  über  den  linken  Oberschenkel,  alles 
stimmt  bis  ins  Einzelne  überein,  so  dass  ein  Zwei- 
fel an  der  Identität  beider  Figuren  ausgeschlossen 
ist.  Michaelis  hat  denn  auch  (arch.  Zeitg.  1872 
S.  115f.)  das  Gewicht  der  Matz'schen  Bedenken 
nicht  nur  sofort  anerkannt,  sondern  dasselbe  auch 
noch  durch  eigene  Beobachtungen  über  die  Pro- 
venienzangaben des  Torso  vermehrt,  so  dass  er  zu 
dem  Schlüsse  kommt,  ein  äusseres  Zeugniss,  wel- 
ches den  Torso  dem  Ostgiebel  zuzuweisen  zwänge, 
sei  nicht  vorhanden.     Ist  dies   aber  der  Fall,    so 


tritt  die  bisher  noch  immer  als  zuverlässig  erfun- 
dene Carreysche  Zeichnung  in  ihre  Rechte,  und 
diese  weist  unserm  Torso  seinen  Platz  unwider- 
sprechlich  neben  Poseidons  Gespann  an  *). 

Schwierigkeit  maclite  die  Benennung.  Matz  be- 
hielt die  hergebrachte  Bezeichnung  Nike  bei  und 
dachte  sich  dieselbe  "von  dem  neutralen  Hinter- 
grunde" auf  Athene  zueilend.  Das  Missliche  die- 
ser Erklärung  leuchtet  ein.  Um  die  vom  Beschauer 
nach  links  schreitende  Athene  zu  erreichen,  hätte 
sie  an  den  Rossen  von  Poseidons  Gespann  und 
dann  an  diesem  selbst  vorbeieilen  müssen:  kein 
Beschauer  der  Gruppe  konnte  so  weit  von  einander 
entfernte  Figuren  als  zusammengehörig  verbinden. 
Auch  scheint  es  unantik,  dass  die  Siegerin  vor  der 
Siegesgöttin  scheinbar  flieht:  Nike  fliegt  sonst  nicht 

-)  Petersens  Gründe  gegen  die  Identificirimg  von  J  und 
JV  sind  zahlreicher  als  stichhaltig.  Er  führt  (K.  d.  Ph.  S.  144 
Anm.  1)  deren  sechs  an:  1)  'die  verschiedene  Haltung  des  Ober- 
körpers, dort  gehoben,  hier  geneigt."  Dies  ist  eine  durch  die 
Stellung  des  Torso  in  der  Michaelis'schen  Zeichnung  (VI  14) 
hervorgerufene  Täuschung.  Derselbe  steht  zu  sehr  en  face ; 
rückt  man  ihn  ein  wenig  mehr  nach  links  (vom  Beschauer)  herum, 
so  tritt  der  annähernd  rechte  Winkel,  in  welchem  Oberschenkel- 
und  Brustlinie  zu  einander  stehen,  deutlich  hervor.  2)  'der 
Shawl  von  N,  welcher  mit  den  Flügeln  von  J  unvereinbar  ist.' 
Selbst  wenn  der  Shawl  auf  dem  1.  Arm  von  N  sicher  zu  dieser 
Figur  gehört,  was  keineswegs  ganz  zweifellos  ist,  hindert  er  doch 
durchaus  nicht  die  Beflügelung  derselben.  Er  fällt  ja  über  den 
einen  Arm  (nicht  über  beide,  wie  Petersen  S.  174  sagt)  herab 
und  kommt  mit  den  Flügeln  gar  nicht  in  Berührung.  3)  'das 
Gewand  lang  und  schwerfällig  bei  A',  kurz  und  fein  bei  J.' 
Ob  schwerfällig  oder  fein,  mochte  ich  bei  einer  Zeichnung,  wie 
der  Carreyschen,  nicht  entscheiden;  gleich  lang  oder  kurz  sind 
aber  beide,  denn  beide  lassen  den  rechten  Oberschenkel  frei 
heraustreten.  4)  'die  Unmöglichkeit  hinter  Amphitrites  Wagen 
noch  eine  Figur  mit  Flügeln  zu  stellen.'  Für  die  Wagenlenkerin 
der  Athene,  Nike,  nimmt  Petersen  S.  166  die  Beflügelung  an, 
obwohl  zwischen  dieser  und  der  folgenden  Figur  auf  der  Zeich- 
nung gar  kein  Zwischenraum  gelassen  ist;  hinter  N  aber  ist 
ein  ungewöhnlich  grosser  freier  Raum ,  der  grade  bei  der  Nei- 
gung des  Überkörpers  nach  vorn  wie  zur  Ausfüllung  durch  ein 
i'lügelpaar  bestimmt  scheint.  5)  'Nike  im  Westgiebel  wäre  im- 
erklärlich.'  Nike  soll  auch  unser  Torso  gar  nicht  sein.  6)  'end- 
lich ist  von  den  verschiedenen  Angaben  Viscontis  jedenfalls  die 
positivste  die,  dass  J  im  Ostgiebel  gefunden  sei'.  Hierauf  ant- 
wortet Michaelis  a.  a.  O.  und  Petersens  eigenes  'jedenfalls'.  — 
Newton  giebt  in  dem  soeben  erschienenen  guide  to  the  sculp- 
iures  of  the  Parthenon  1880  p.  15  die  Aehnlichkeit  des  Torso 
mit  der  Figur  des  Westgiebels  zu,  erklärt  sich  aber  gegen  die 
Identificirung,  weil  er  einmal  Nike  auf  Poseidons  Seite  für  un- 
vereinbar mit  der  Composition  hält  und  zweitens  bei  einer  Nike 
den  Shawl  am  1.  Arm  nicht  zu  erklären  wisse. 

18* 


132 


A.  Trendelenburg,  Iris  im  Parthenongiebel. 


hinterdrein,  sondern  entgegen.  Dazu  kommt,  dass 
Nike  in  der  Lenkerin  von  Atheues  Wagen  (G) 
schon  vorhanden  ist;  denn  seitdem  Petersen  a.  a.  0. 
S.  168  für  den  männlichen  Begleiter  des  Gespanns 
{ff)  aus  dem  charakteristischen  Gewandmotiv  — 
die  im  Rücken  herabhängende  Chlamys  ist  über 
den  linken  Arm  geschlagen  —  die  Benennung  Her- 
mes ausser  Zweifel  gesetzt  hat,  ist  damit  auch  das 
dritte  Glied  des  Dreivereins  'Eqi.irjs  6  nit-iniov  NIxtj 
T  lA&äva  nohäg  (Soph.  Philokt.  133,  Michaelis 
S.  184)  gegeben.  Auch  Michaelis  weist  a.  a.  0. 
die  Unhaltbarkeit  der  Matz'schen  Deutung  durch 
überzeugende  Gründe  nach.  Aber  befangen  in  der 
Meinung,  unser  Torso  könne  schlechterdings  nur 
einer  Nike  angehören,  die  doch  in  der  Wagenleu- 
kerin  der  Athene  schon  vorbanden  war,  sah  er 
sich  unlösbaren  Schwierigkeiten  gegenüber.  Sie 
lösen  sich  mit  leichter  Mühe,  sobald  wir  diese  Mei- 
nung aufgeben. 

Dies  gethan  und  in  der  Figur  Iris  erkannt  zu 
haben  ist  das  Verdienst  Heinrich  Brunns  (ßer.  d. 
Münch.  Akad.  1874  S.  24).  Da  er  aber  auf  eine 
nähere  Begründung  seiner  Benennung  verzichtet 
und  durch  seine,  wie  mir  scheint,  unhaltbare  Auf- 
fassung der  ganzen  Mittelgruppe  ')  vielleicht  selbst 
gegen  seine  Deutung  misstrauisch  gemacht  hat  — 
wenigstens  erwähnt  Newton,  der  sonst  die  neueren 
Arbeiten  über  die  Parthenonsculpturen  eingehend 
benutzt,  derselben  mit  keinem  Worte  — ,  so  soll 
durch  wenige  Bemerkungen  die  Berechtigung  der- 

')  Nachdem  Brunn  die  Uebereinstimmung  des  Torso  mit 
der  Begleiterin  von  Poseidons  Gespann  gegen  Petersens  Einwürfe 
in  ähnlicher  Weise  vertheidigt  hat,  wie  es  Anm.  2  geschehen  ist, 
bemerkt  er  über  die  Mittelgruppe:  "Weit  schöner  gliedert  sich 
das  Ganze,  wenn  wir  annehmen,  dass  die  Gespanne  eben  ankom- 
men und  nun  angehalten  werden  sollen,  und  dass  Hermes,  indem 
er  den  Wagen  der  Athene  zur  Stelle  geleitet,  ihr  entgegeneilt, 
um  ihr  im  Auftrage  der  Gütter  den  Sieg  zu  verkünden,  während 
Iris  dem  Poseidon  die  Botschaft  bringt,  dass  er  sich  aus  dem 
Lande  zurückzuziehen  habe ,  dessen  Besitz  ihm  soeben  abge- 
sprochen worden  ist.  Mir  scheint  die  Sache  so  einfach,  dass  sie 
eines  weiteren  Beweises  nicht  bedarf."  So  einfach  ist  die  Sache 
wohl  nicht;  wenigstens  ist  die  Auffassung  des  Hermes  und  der 
Iris  als  Boten,  welche  dem  eben  noch  streitenden  Götterpaare 
die  Nachricht  von  dem  Siege  dort,  der  Niederlage  hier  bringen 
sollen,  sicherlich  erheblichen  Zweifeln  unterworfen.  Auch  Brunn 
kommt  über  die  landläufige  Auffassung  der  Iris  als  Gütterbotin 
nicht  hinaus,  eine  Auffassung  die  das  richtige  Verständniss  der 
Gruppe  unmöglich  machen  musstc. 


selben  nachgewiesen  und  hierdurch  für  die  ein- 
fachste Erklärung  der  Mittelgruppe,  dass  die  Götter, 
wie  die  Helden  Homers,  mit  ihren  Gespannen  und 
ihrem  Gefolge  in  den  Kampf  ziehen,  ein  neues  und, 
wie  ich  glaube,  entscheidendes  Moment  gewonnen 
werden. 

In  demselben  Verhältniss  wie  Hermes  zu  Atheues, 
steht  die  geflügelte  weibliche  Figur  zu  Poseidons 
Gespann.  Der  Parallelismus  beider  Figuren,  wie 
der  der  ganzen  Mittelgruppe,  ist  ein  vollständiger. 
Die  beiden  Kämpfenden  in  der  Mitte,  die  zwei 
Paare  von  Rossen  (denn  auch  für  Poseidons  Ge- 
spann sind  durch  die  von  Overbeck  und  Dobbert 
neuerdings  aufgefundenen  Fragmente  Rosse  er- 
wiesen, Ber.  d.  sächs.  Ges.  d.  W.  1879  S.  72  ff. ; 
Arch.  Zeitg.  1880  S.  105f.),  die  beiden  Wagenlenke- 
rinnen und  die  beiden  Begleiter  der  Wagen  machen 
ein  so  fest  geschlossenes  Ganze  aus,  dass  für  die 
entsprechenden  Glieder  desselben,  die  bis  in  alle 
Einzelheiten  der  Stellung  und  Bewegung  symme- 
trisch componiert  sind,  auch  entsprechende  Funk- 
tionen angenommen  werden  müssen.  Ist  nun  der 
nofiTtalog  des  Athenegespannes  Hermes,  so  wird 
die  Geleiterin  des  Poseidongespannes  mit  Sicher- 
heit benannt  werden  können,  wenn  es  gelingt  eine 
Göttin  ausfindig  zu  machen,  die  in  ihrem  Wesen 
dem  Hermes  entspricht.  Eine  solche  aber  ist  Iris. 
Sie  ist  wie  Hermes  jueTayyeXog  &£(öv  (0  144)  und 
trägt  wie  er  ein  Kerykeion,  sie  ist  wie  er  noörj- 
ve^iog  und  deshalb  geflügelt  (E  353),  sie  ist  wie  er 
nonnalog  *) ^  wie  Hermes -Kadmilos  (arch.  Zeitg. 
1880  S.  1  ff.)  trägt  sie  auf  bekannten  Vasenbildern 
eine  Kanne,  ja  sie  entspricht  selbst  in  ihrer  ursprüng- 
lichen Bedeutung  als  Regen-  und  Wolkengöttin  dem 
Windgotte  Hermes  —  als  solcher  überzeugend  nach- 
gewiesen in  dem  oben  erwähnten  Buche  von  Röscher 
(Leipzig  1878)  —  und  gehört  recht  eigentlich  zum 
Gefolge  Poseidons. 

•■)  E'AiJ'i  führt  sie  die  verwundete  Aphrodite  aus  der  Schlacht, 
indem  sie  selbst  deu  Wagen  mit  ihr  besteigt  und  die  Rosse  ab- 
schirrt; sie  geleitet  auf  der  Francjois-Vase  den  Hochzeitszug  der 
Götter  zu  Peleus  und  Thetis;  sie  geleitet  den  Wagen,  auf  wel- 
chem Athene  den  Herakles  in  den  Olymp  führt  (Millingen  peint. 
d.  vas.  ffr.  pl.  36),  sie  den  Wagen  der  Aphrodite  (Bull.  1868 
p.  184)  u.  a.  m. 


A.  Treadelenburg,  Iris  im  Parthenongiebel. 


133 


Der  Regenbogen  ist  schon  in  der  Ilias  ein  Sturni- 
bringer  (P  548  zsQog  t)  noke/^oio  i]  xal  xeij-Kovog 
dvai^aXnsog,  vgl.  scliol.  B  zu  W  198  tj  Iqiq  (pavelaa 
noXkaxig  ävi/^iiov  xivrjaiv  örjloi),  deshalb  wird  Iris 
von  Tzetzes  in  den  homerischen  Allegorien  (bei 
Matranga  anecd.  gr.  I)  als  Wolkensamnilerin  aus- 
gelegt und  zur  Stütze  hierfür  ein  Vers  des  Empe- 
dokles  ene  Tig  xüv  hzigiov  angeführt:  ^Iqig  d'  ix 
nsXäyovg  avsfiov  qieQBi  iq  /^iyav  o/j-ßgov.  Diese 
gewiss    ursprüngliche    Bedeutung    der    Iris ')    als 

^)  Eine  sichere  Ableitung  des  Wortes  !(jis  ist  bisher  nicht 
gefunden.  Ich  ghuibte,  einmal  .auf  die  Regeugöttin  geführt,  die 
von  Pausanias  III  19,  4  überlieferte  Form  iVp/j  mit  Jiiocc  =  Ifiaa 
zusammenstellen  und  als  Wurzel  m  =  bibere  annehmen  zu  dürfen: 
'der  Regenbogen  trinkt,  sammelt  Wasser'  {concipit  bei  Ovid), 
allein  Georg  Curtius  in  Leipzig,  den  ich  um  Auskunft  bat,  über- 
zeugte mich  in  einem  ebenso  freundlichen  als  ausführlichen 
Schreiben  von  der  Unmöglichkeit  dieser  Ableitung.  Mit  gütiger 
Erlaubniss  des  ausgezeichneten  Etymologen  darf  ich  das  auch 
weiteren  Kreisen  gewiss  willkommene  Schreiben  hier  mittheilen. 
"Ich  bedauere  Ihnen  über  den  Namen  Vpif  nichts  Fruchtbringendes 
mittheilen  zu  können.  Sie  haben  ganz  Recht  mit  der  Annahme, 
dass  ich  von  den  bisherigen  mit  dem  Worte  angestellten  Ver- 
suchen (ffpcü  =:  X^yto,  fi'po)  =  sero,  tifii)  keinen  billige.  Laut- 
lich müssen  wir  von  der  bei  Homer  wahrscheinlichen  Form 
FT(ii  -  ;  ausgehen,  begrifflich,  meine  ich,  von  dem  Naturobject 
des  Regenbogens.  Mit  den  Lauten  von  Fiftii  verträgt  sich  die 
Form  Bi^Qig  bei  Pausanias  unter  der  Voraussetzung,  dass  das  ß, 
wie  dies  auch  bei  Grammatikern  und  Lexikographen  häufig  vor- 
kommt (vgl.  }'n-/9f()j'o'f  Hes}-ch.)  Zeichen  für  F,  nicht  Umwand- 
lung des  Lautes  ist.  Pausanias  geht  ja  gar  nicht  darauf  aus,  die 
auf  jenem  Altar  eingemeisselten  Schriftzüge  genau  wiederzu- 
geben. Die  Form  IIooikSujv  hat  dort  gewiss  nicht  gestanden, 
denn  sie  ist  ionisch.  Er  fand,  denke  ich,  Ffnig  vor,  und  da  ihm 
das  alterthümliche  F  auffiel,  wollte  er  das  nicht  unerwähnt  lassen 
und  schrieb  BiQig.  Wäre  wirklich  einmal  in  Lakonien  die  Media 
ß  mit  ihrem  alten  Klang  in  diesem  Worte  gesprochen,  so  müssten 
wir  den  Namen  vom  homerischen  Fujis  völlig  trennen.  Denn 
ein  anlautendes  ß  vor  einem  Vok.il  fällt  ebenso  wenig  ab,  als 
es  sich  in  F  verwandelt.  Auch  mit  n  ist  eine  Gemeinschaft  für 
echtes  ß  schwer,  für  ß  als  Zeichen  für  F  gar  nicht  zu  erweisen. 
Uiait  neben  Waa  steht  ganz  vereinzelt  da  und  ist  nicht  lakonisch. 
Die  Entstehung  eines  n  aus  F  habe  ich  Grundz.  *  588  ablehnen 
zu  müssen  geglaubt.  Sie  sehen  also,  dass  ich  zu  meinem  Be- 
dauern Ihrer  Etymologie  nicht  zuzustimmen  vermag.  Leider 
weiss  ich  Ihnen  nun  aber  keine  andre  Deutung  vorzulegen. 
Bei  jedem  Versuch  der  Art  scheint  mir  ein  wichtiges  Moment 
in  dem  homerischen  Plural  iQiaatv  A  11  zu  liegen.  Ich  schliesse 
daraus,  dass  schon  in  homerischer  Zeit  ?pi-f  ein  Appellativum 
war,  dass  die  Bedeutung  'bunter  Streif  am  Himmel'  feststand 
und  dass  nach  einer  richtigen  etymologischen  Topik  entweder 
in  einer  Wurzel  des  Schimmerns,  Schillerns,  Glänzens  (die  Blume 
Iris,  die  Iris  im  Auge,  die  Iris  des  Pfauenauges)  oder  in  der 
Vorstellung  des  Streifs  das  Etymon  zu  suchen  ist.  Die  Göttin 
Iris  seheint  mir  ebenso  secundär  zu  sein,  wie  die  Göttin  Eos 
oder  der  Gott  Helios  u.  s.  w.    Zusammenhang  mit  lat.  vir-i-di-s 


Regen-,  Wolken-  und  Windgöttin  ist  unter  dem  Ein- 
flu.ss  der  Ilias  —  die  Odyssee  kennt  Iris  gar  nicht 
und  setzt  Hermes  an  deren  Stelle  —  früh  verdun- 
kelt, denn  sie  verwendet  Iris  ausschliesslich  als 
Götterbotin  und  wird  damit  für  die  spätere  Dicht- 
und  bildende  Kunst  sowie  für  unsere  Vorstellung 
massgebend.  Einzelne  Anklänge  an  den  ursprüng- 
lichen Zusammenhang  der  Iris  mit  Meer  (ex  nskä- 
yovg  avefiov  cpsQSi)  und  Wind  scheinen  sich  zwar 
auch  in  der  Ilias  zu  finden,  so  wenn  Iris  ß  77  ff., 
die  Thetis  dem  Zeus  zuzuführen,  in  das  Meer  liinab- 
taucht  und  sie  aus  den  Fluthen  heraufiführt,  oder 
^  198  dem  Boreas  und  Zephyros  aus  eigenem  An- 
trieb, ohne  Befehl  eines  höheren  Gottes,  das  Gebet 
Achills  übermittelt  und  darauf  zu  den  Gestaden  des 
Okeanos,  woher  sie  gekommen,  zurückkehrt,  allein 
diese  Züge  Hessen  sich  allenfalls  auch  aus  ihrem 
Botencharakter  erklären.  Dagegen  tritt  in  ihrer 
Genealogie  bei  Hesiod  die  ursprüngliche  Bedeutung 
klar  zu  Tage.  Sie  heisst  theog.  265  eine  Tochter 
des  Thaumas  und  der  Elektra;  dies  aber  ist  eine 
Tochter  des  Okeanos;  der  Iris  Schwestern  sind  die 
im  Sturme  raubenden  Harpyien,  und  wie  eine  von 
diesen  Aello  heisst,  so  heisst  sie  selbst  deUönog 
(0  409  und  sonst).  Ganz  geschwunden  ist  auch 
späterhin  nicht  das  Andenken  an  die  Wind-  und 
Regeugöttin,  sagt  doch  noch  Ovid  met.  I  271  con- 
cipit Iris  aquas  alimentaque  nubibus  affert. 

Gäben  uns  schon  diese  literarischen  Zeugnisse 
ein  unzweifelhaftes  Recht,  Iris  im  Gefolge  Posei- 
dons an  der  Stelle  vorauszusetzen,  wo  im  Gefolge 
Athenes  Hermes  steht,  so  ist  doch  eine  Bestätigung 
durch  ein  Denkmal  bildender  Kunst  immerhin  er- 
wünscht ").     Eine  solche  bietet   in  überraschender 

ist  nicht  unmöglich,  unter  der  Voraussetzung  und  mit  Bezug  auf 
die  bekannte  Thatsache,  dass  die  Bezeichnung  der  Farben  sich 
erst  verhältnissmässig  spät  fixirte.  Aber  auch  dabei  bleiben 
Schwierigkeiten  übrig,  die  namentlich  in  den  Endsilben  des  la- 
teinischen Wortes  und  dessen  mehrfach  herangezogenem  indischen 
Seitenstück  liari-s  'falb,  gelblich,  grün'  liegen." 

«)  In  den  bildlichen  Darstellungen  ist  der  Charakter  der 
Wassergöttin  durch  den  der  Botin  in  der  Regel  so  völlig  ver- 
drängt, dass  selbst  bei  Darstellungen  von  Wasserdämonen  nicht 
zu  entscheiden  ist,  ob  Iris  Botin  oder  gleichgeartete  Gottheit 
ist.  In  einem  pompejanischen  Gemälde,  einem  Pendant  zu 
Bildern    aus    dem   Kreise   der   Wasserwesen,    erkannte    Panofka 


134 


A.  Furtwängler,  Attische  Lekythos. 


Weise  der  Hyakintbos-Altar  zu  Amyklä  (Paus.  III 
19,  3),  dessen  bedeutungsvoUeu  Figurensclimuck  ich 
Bull.  d.  I.  1871  p.  124  ff.  im  einzelnen  erklärt  habe. 
Die  Eingangsseite  desselben  schmückte  eine  Darstel- 
lung von  acht  Figuren :  Dionysos  mit  seiner  Schwe- 
ster Semele  und  Ino  von  Hermes  dem  Zeus  zuge- 
führt; hinter  Zeus  die  dem  Dionysos  stets  freund- 
lich  gesinnten  Gottheiten    des   Meeres :    Poseidon, 

Bull.  d.  J.  18-17  \>.  131  in  einer  geflügelten  Frau  mit  einem 
Baumzweige  in  der  Hand  Iris  „avuto  riyuardo  alle  sue  streite 
relazioni  colle  divinith  del  mare."  Auf  der  Hesperidenvase 
(Ann.  1859  tav.  d'agg.  GH)  ist  Iris  (geflügelt  und  mit  Kerj- 
keionj  Atlas  und  der  Hesperide  beigesellt,  weil  sie  im  Westen 
an  den  Gestaden  des  Okeanos  weilt  (</'  198  0'.),  in  demselben 
Sinne,  wie  neben  ihr  Poseidon  selbst  Zuschauer  des  Vorganges 
ist.  Hier  ist  ihre  enge  Beziehung  zum  Meere  unverkennbar: 
hieraus  und  nicht,  wie  Petersen  es  thut,  aus  ihrem  Charakter 
als  Botin  ist  ihre  Anwesenheit  zu  erklären. 


Amphitrite  und  Iris  —  genau  dieselben  wie  in  un- 
serm  Giebelfelde!  In  besonderer  Weise  bedeutungs- 
voll steht  auf  dem  Altare  Iris  der  Ino,  beide  die 
Gruppe  abschliessend,  gegenüber:  jene,  die  den 
Sturm  bringt  und  das  Meer  aufregt,  diese,  die  als 
Leukothea  im  aufgeregten  Meere  dem  Schiffer  den 
rettenden  Schleier  zuwirft '). 

A.  Trendelenburg, 

')  Die  Frage,  ob  Nike  als  Wagenlenkerin  der  Athene  ge- 
flügelt war  oder  nicht,  erledigt  sich  jetzt  zu  Gunsten  der  erstereu 
Annahme.  Bei  dem  strengen  Parallelismus  beider  Gruppen 
scheint  ein  Gegengewicht  gegen  das  Flügelpaar  der  Iris  mit 
Nothwendigkeit  bei  Nike  gefordert  werden  zu  müssen.  Die 
Flügel  werden  wie  bei  der  Iris  besonders  eingesetzt  gewesen 
und  deshalb  um  so  leichter  ausgebrochen  worden  sein.  Eine 
Dfi'xr)  liTiTSQog  wäre  ja  auch  hier,  wo  die  Hände  kein  charakte- 
ristisches Attribut  halten  konnten,  für  den  Beschauer  als  Nike 
nicht  verständlich  gewesen. 


WEISSE  ATTISCHE  LEKYTHOS. 

(Tafel  11). 


Die  wohl  erhaltene  Lekythos  des  Berliner  Mu- 
seums, welche  auf  der  beigegebenen  Tafel  11  ab- 
gebildet ist,  stammt  aus  einem  athenischen  Grabe 
beim  Dipylon  (bei  der  Kirche  Agia  Triada). 

Der  feine,  schöne  rothe  Thon,  aus  welchem  die 
Vase  gefertigt  ist,  tritt  nur  an  der  äusseren  verticalen 
Fläche  des  Fusses  zu  Tage,  während  derselbe  im 
Uebrigen  theils  von  glänzendem  schwarzen  Firniss, 
theils,  und  zwar  an  den  Hauptflächen  des  Gefässes, 
von  einer  dünnen  aber  festen  und  glatt  glänzenden 
weissen  Thonschicht  überzogen  ist. 

Auf  der  Vorderseite  des  Gefässbauches  hat  der 
Verfertiger  mit  der  schwarzen  Firnissfarbe  und  mit 
dem  Pinsel  (nicht  mit  der  Feder)  in  einfachen  Um- 
rissen eines  jener  harmlosen  häuslichen  Bilder  ge- 
malt, wie  wir  sie  auf  so  zahlreichen  griechischen 
Vasenbildern  in  ähnlicher  und  doch  immer  neuer 
Weise  dargestellt  finden.  Eine  sitzende  Frau  hält 
betrachtend  mit  beiden  Händen  einen  aus  einem 
einfachen  Zweige  mit  kleinen  Blättchen  gewundenen 
Kranz  vor  sich  hin.  Eine  Wachtel  sitzt  auf  ihrem 
Knie  und  schaut  ihr  zu;    ihr  gegenüber  aber  steht 


ein  bärtiger  Mann,  zugleich  aufmerksam  der  Sitzen- 
den zugewandt  und  doch  in  möglichst  bequemer 
Stellung,  vorgelehnt  auf  den  knotigen  Stock  und  die 
Rechte  in  die  Seite  stemmend.  Dass  die  Unterhal- 
tung der  Beiden  eine  nicht  ganz  gleichgültige  sei, 
scheint  der  fliegende  Eros  anzudeuten,  der  über 
ihnen  an  der  Schulter  der  Vase  abgebildet  ist,  in 
jeder  Hand  das  Ende  einer  nach  r.  und  1.  auslau- 
fenden ornamentalen  Palmetten-  und  Blüthenranke 
haltend,  wie  denn  Eros  mit  ähnlichen  Ranken  oder 
mit  Blüthen  und  Zweigen  gerade  in  den  Vasen  des 
strengen  Stiles  nicht  selten  ist');  auch  seine  Bildung 
als  Knabe  und  mit  langem  Haare  (dessen  vor  den 
Ohren  herabhängende  Enden  mit  verdünnter  Farbe 
gemalt  sind)  entspricht  den  Gewohnheiten  des  ge- 
nannten Stils. 

Die  Frau  befindet  sich  offenbar  in  ihrem  eigenen 
Gemache,  indemsie  deu  Besuch  desMannes  entgegen- 
nimmt; an  der  Wand  hängt  echt  weibliches  Gcräth, 
ein  Spiegel  und  links  ein  Alabastron ;  hinter  ihrem 
Stuhle  steht  der  übliche  Korb  mit  der  Wolle  für  ihre 

')  Vgl.  Furtwängler,  Eros  S.  14.  15. 


A.  Furtwängler,  Attisclie  Lekythos. 


135 


häusliche  Arbeit.  Ihr  stattlicher  Sitz  mit  Schemel  und 
Polster  scheint  die  Herrin  des  Hauses  anzudeuten: 
der  Stuhl  mit  den  geraden  Beinen  und  der  geraden 
von  einer  Palmette  bekrönten  Rücklehne  ist  mir  ge- 
nau so  anderwärts  nicht  erinnerlicli ;  es  ist  offenbar 
eine  ältere  Uebergangsform  zu  dem  vom  sogenannten 
schönen  attischen  Vasenstile  au  auf  Vasen  und  anderen 
Monumenten  bis  zum  Beginne  römischer  Zeit  durch- 
weg üblichen  Stuhle  mit  geschweiften  Beinen  und 
ebensolcher  Rücklehne.  —  Die  Frau  ist  unbeschuht 
und  hat  nackte  Füsse,  während  die  des  Mannes  mit 
kurzen  Buudscliulien  versehen  sind;  auch  dies  wohl 
ein  Zeichen,  dass  der  Mann  von  aussen  kam,  die 
Frau  sich  zu  Hause  befindet.  Einen  ähnlichen  Unter- 
schied zwischen  dem  stehenden  Manne  und  der  sitzen- 
den Frau  finden  wir  übrigens  mehrfach  in  attischen 
Grabreliefs  des  vierten  Jahrhunderts,  welche  eben- 
falls das  Zusammensein  von  Mann  und  Frau  dar- 
stellen ;  letztere  pflegt  nämlich  dann  blosse  Sandalen 
zu  tragen,  während  ersterer  mit  vollen  Schuhen  be- 
kleidet ist"),  ofi'eubar  um  den  Gegensatz  vondrausseu 
und  drinnen  zu  betonen. 

Kleinere  Vögel  als  häusliches  Spielzeug  nament- 
lich junger  Mädchen  kennen  wir  aus  zahlreichen 
Vasen  vom  schönen  Stile  au  und  aus  kaum  weni- 
ger zahlreichen  attischen  Grabsteinen.  Auch  der 
Wachtel,  die  wir  hier  auf  dem  Schoosse  der  Frau 
sitzen  sehen,  begegnen  wir  zuweilen  auf  Grabreliefs 
und  sonst,  wie  denn  z.  B.  eine  attische  weisse  Grab- 
lekythos  (Berlin,  Inv.  no.  2684)  denselben  Vogel  in 
derselben  Weise  auf  dem  Schoosse  eines  an  der 
Grabstele  trauernd  sitzenden  Mädchens^)  zeigt.  Auch 
das  Motiv  unserer  Frau,  indem  sie  einen  Kranz 
vor  sich  hinhält,  ist  kein  individuelles,  etwa  nur  für 
diese  besondere  Scene  geschaffenes;  in  demselben 
Motive  erblicken  wir  eine  Frau  auf  einer  nur  wenig 
jüngeren  attischen  Grablekythos  (Benndorf,  griech. 

■)  So  z.  B.  das  Relief  bei  Ileydemann,  d.  ant.  Marmorb. 
zu  Athen  S.  312  no.  831  (Hej'demanu's  Besehreibung  ungenau); 
Kckule,  Theseion  no.  155  (die  Schuhe  des  Mannes  nicht  erwähnt) 
und  no.  385  (die  „weibliche  Figur  in  doppeltem  Gewände  und 
Schuhen"  ist  vielmehr  ein  Mann  im  Mantel,  dessen  1.  Brust 
nackt  ist). 

')  Dasselbe  müsste  nach  Milchhöfer  (Mittheil.  ath.  Inst. 
V,  180)  als  die  Verstorbene  angesehen  werden,  was  hier  schon 
wegen  der  oben  flatternden  Psyche  wenig  wahrscheinlich  ist. 


u.  sie.  Vasenb.  Taf.  19,  5),  und  zwar  bildet  die  ganz 
allein  dargestellte  Frau  hier  das  Relief  oder  Gemälde 
einer  Grabstele.  Es  war  ein  allgemeines  Motiv 
für  Frauen,  derselben  Art  wie  das  Halten  von 
Schmuckgegenständen  oder  dgl.  Eine  speciellere 
Deutung  unserer  Bilder  als  die  eines  Besuches  im 
Frauengemach  dürfte  aber  überhaupt  dem  zarten 
Wesen  dieser  Gattung  allgemein  gehaltener  attischer 
Vasenzeichnungen  widersprechen. 

Bevor  wir  nun  die  historische  Stellung  unseres 
Gefässes  innerhalb  seiner  Gattung  des  Genaueren 
fixiren  können,  müssen  wir  zunächst  die  technische 
Ausführung  desselben  etwas  näher  betrachten.  Die 
Zeichnung  ist,  wie  schon  bemerkt,  durchweg  mit 
dem  Pinsel  ausgeführt,  und  zwar  ohne  Zuhülfenahme 
von  anderen  Farben  lediglich  mit  der  schwarzen 
Firnissfarbe.  Gleichwohl  hat  der  Künstler  eine 
Abwechslung  dadurch  erreicht,  dass  er  die  Farbe 
bald  dick  und  schwarz,  bald  verdünnt  und  braun- 
gelb auftrug.  Diese  Nüancirung  sucht  die  von  uns 
gegebene  Reproduction  möglichst  genau  zum  Aus- 
drucke zu  bringen.  Namentlich  sind  die  vielen 
feinen  Falten  des  langen  Chitons  der  Frau  mit  den 
weiten  Oberärmeln  durch  die  ganz  dünne  gelbliche 
Firnissfarbe  gegeben,  während  der  gröbere  Stoff 
des  Mantels,  welchen  der  Mann  nach  der  gewöhn- 
lichen Sitte  so  umgeworfen  hat,  dass  seine  rechte 
Brust  davon  frei  bleibt,  durch  wenige  kräftigere 
Pinselstriche  characterisirt  ist.  In  ganz  anderer 
Weise  ist  der  Mantel  unserer  Frau  behandelt,  indem 
derselbe  nicht  bloss  couturirt,  sondern,  wie  auch 
die  Haare,  mit  der  schwarzen  Farbe  voll  ausgefüllt 
ist.  Diese  Füllung  ist  indess  kein  gleichmässiger 
schwarzer  Ueberzug  nach  Art  der  schwarzfigurigen 
Technik,  sondern  ungleich  aufgepinselt,  bald  dicker 
bald  dünner,  was  unsere  Tafel  wicdergiebt  *).  Es 
ist  klar,  dass  diese  Füllung  mit  dem  Firnisse  hier 
nur  der  Ersatz  für  die  Füllung  mit  einer  anderen 
wirklichen  Farbe  ist;  das  Gefäss  ist  also  wieder 
ein  deutlicher  Beweis,  wie  man  keinen  Anstoss 
daran  nahm,  einen  Theil  der  Gegenstände,  nament- 

*)  Fi"eilich  ein  wenig  zu  stark,  indem  nicht  alle  zarten 
Uebergiinge  sich  wiedergeben  lassen.  —  Die  weisse  Stelle  in  der 
Mitte  ist   am  Originale  durch   Abspringen  des  Firnisses  verletzt. 


136 


A.  Furtwängler,  Attische  Lekythos. 


lieh  der  Gewänder,  mit  Farbe  gefüllt,  einen  anderen 
bloss  mit  Linien  umrissen  zu  seilen.  Die  Blättclien 
der  Palmetten  an  der  Schulter  unserer  Vase  wieder- 
holen denselben  Gegensatz  des  Gefüllten  und  nur 
Conturirten. 

Es  würde  zu  weit  führen,  wollten  wir  die  Ent- 
wickelung-  der  attischen  weissen  Lekythen  in  allen 
ihren  Stufen  verfolgen;  nur  auf  einige  für  die  Er- 
kenntniss  der  Stellung  unseres  Gefässes  besonders 
wichtige  Puncte  sei  hingewiesen. 

Die  Bildfläche  von  Vasen  aus  dem  üblichen  rothen 
Thone  mit  einer  dünnen  weissen  Tlionschicht  zu  über- 
ziehen, wurde  erst  gebräuchlich  in  der  Zeit  der  letzten 
Entwickelung  des  schwarzfigurigen  Vasenstils,  doch 
hier  in  grosser  Ausdehnung  namentlich  fürOinochoen, 
Schalen,  Skyphoi  und  vor  Allem  für  Lekythen  ver- 
wendet. Die  Darstellungen  auch  auf  letzteren  sind 
meistens  mythische.  Die  daneben  sich  entwickelnde 
rothfigurige  Technik  wird  nun  aber  aucli  auf  die 
weissen  Lekythen  übertragen,  indem  dieselben  statt 
voll  angepinselter  schwarzer  Figuren  vielmehr  blosse 
Contur- Zeichnungen  strengen  Stils  erhalten.  Die 
Darstellungen  dieser  Lekythenklasse  weichen  ebenso 
von  denen  der  schwarzfigurigen  ab,  als  sie  mit  denen 
der  streng  rothfigurigen  übereinstimmen.  Scenen  des 
täglichen  Frauenlebens  aus  möglichst  wenig  Figuren 
bestehend  wiegen  hier  weitaus  vor,  und  unter  den 
Göttern  sind  Nike  und  Eros,  auch  Athena  bevor- 
zugt*)-, auf  Grabescult  Bezügliches  findet  sich  nie- 
mals. Nicht  selten  indess  werden  auch  hier  schon 
einzelne  Gewänder  sei  es  nur  mit  Firniss  sei  es 
mit  rother  oder  brauner')  Farbe  gefüllt.  Dieselbe 
Technik  ward  auch  für  Innenbilder  von  Schalen 
des  strengen  Stils  beliebt;  ein  bekanntes,  durch 
den  Künstlernamen  hervorragendes  Beispiel  hiervon 
ist  die  Berliner  Schale  des  Euphronios  (Gerhard, 
Trinksch.  u.  Gef.  14). 

Nur   wenig   später   als    die    erwähnte   Gattung 

')  Hierher  gehören  z.  B.  Ero3,  Berlin  713;  Nike  fliegend 
vor  einem  Altar,  Berl.  2417;  Nike  mit  Hydria,  Benndorf  Gr.  Vb. 
Taf.  31,  2;  Athena  stehend,  Berh  1890;  im  athenischen  Kunst- 
handel ein  besonders  vorzügliches  .Stück  mit  einem  grossen 
Athenakopfe;  ein  ähnlicher  mit  einem  grossen  weiblichen  Kopfe, 
neben  welchem  noch  die  leierspielenden  Hände  vorkommen,  von 
vier  dorischen  Säulen  überdacht. 

'')  Violett  und  Blau  kommen  in  dieser  Gattung  noch  nicht  vor. 


scheint  eine  andere  Gruppe  weisser  Lekythen  zu 
sein,  welche  die  Conturzeichnung  nicht  in  der 
Weise  der  rothfigurigen  Technik  mit  jenen  feineu 
Linien,  die  deutliches  Relief  haben,  sondern 
mit  breiteren  Pinselstrichen  und  mit  verdünnter, 
gelblicher  Firnissfarbe  aufträgt.  Farbige  Füllung 
erscheint  hier  niemals.  Der  weisse  Thougrund 
hat  hier  nicht  den  dunkleren  gelblichen  Ton  der 
vorigen  Gruppe,  sondern  ist  von  hellem,  lichtem 
Weiss.  Der  Stil  der  Zeichnung  ist  in  der  Regel 
etwas  weniger  streng  als  in  der  vorigen  Gattung 
und  die  Augen  sind  bereits  meist  im  Profil  ge- 
zeichnet. Den  Hauptunterschied  bilden  jedoch  die 
Darstellungen,  indem  zwar  hier  diejenigen  der  vo- 
rigen Gruppe  nicht  gauz  fehlen'),  doch  bei  weitem 
die  auf  das  Grab  bezüglichen  (es  ist  meist  die 
Schmückung  der  Stelen  durch  die  Frauen  oder  die 
blosse  Darstellung  des  Grabes  selbst)  überwiegen. 
Die  hier  dargestellten,  meist  vor  einem  Tumulus 
befindlichen  Stelen  bieten  übrigens  für  jene  bekla- 
genswerthe  Lücke  in  den  erhaltenen,  nämlich  aus 
der  zweiten  Hälfte  des  fünften  Jahrhunderts  wenig- 
stens einigen  Ersatz*). 

Von  diesen  beiden  Gruppen  unterscheidet  sich 
unsere  Lekythos  durch  einige  Eigeuthümlichkeiten, 
welche  sie  vielmehr  in  Verbindung  mit  den  nun 
folgenden  Gattungen  des  ganz  freien  Stiles  setzt. 
Hals  und  Schulter  der  Vase  zeigen  dort  nämlich 
noch  immer  den  vollen  Thongruud  und  die  Schulter 
ist  mit  den  aus  Lotosknospen  entstandenen  schwar- 
zen verticaleu  Strichen  bemalt.  Hier  ist  der  Hals 
bereits  schwarz  gefirnisst  und  die  Schulter  zeigt 
den  weissen  Grund  und  darauf  freie  Palmetten- 
ranken. Dies  ist  bereits  der  für  alle  weissen  Le- 
kythen des  ganz  freien  Stils  festgehaltene  Typus. 
Unser  Beispiel  dürfte  jedoch  eines  der  ersten  des- 
selben sein:  denn  in  seinen  übrigen  Eigenschaften 
schliesst  es  sich  vielmehr  an  die  beiden  vorigen 
Gruppen  an,  zwischen  denen  es  in  der  Mitte  steht, 
und  zwar  au  die  zweite  derselben  durch  die  Ver- 
wendung  der  breiteren  Pinselconturen  ohne  Relief 

')  Z.  B.  Berl.  712  eine  sitzende  Frau  spendend;  Benndorf 
Gr.  Vb.  Taf.  27,  2  Iris. 

")  Nicht  viele  sind  publicirt;  von  denen  bei  Benndorf  Gr.  Vb. 
gehören  hierher  Taf.  19,  2.  ä;  24,  1.  2. 


A.   Fartwängler,  Attische  Lekythos. 


137 


und  das  helle  Weiss  des  Thongrundes,  an  die  erste 
jedoch  durch  die  Art  der  theilweise  gefüllten,  theil- 
weise  nur  conturirten  Gewänder,  ferner  durch  die 
dem  häuslichen  Leben  der  Frauen  entnommene  Dar- 
stellung, endlich  durch  den  strengeren  Stil;  denn 
auch  hier  sehen  wir  die  Augen  noch  en  face, 
nicht  im  Profil  gezeichnet.  Hierzu  und  zu  einer 
Datirung  des  Gefässes  nicht  viel  nach  der  Mitte 
des  fünften  Jahrhunderts  passt  auch  die  Inschrift, 
die  coustant  noch  das  dreischenklige  Signia  ge- 
braucht; dieselbe,  die  hauptsächlich  der  Füllung 
des  Kaumes  dient,  enthält  nur  die  gerade  in  der 
genannten  Zeit  besonders  beliebten  xaAo'g-Eufe:  1. 
ö  JTßlg  xalög,  oben  xaXog,  r.  'Olvvmxog  xalog"). 
Es  ist  indess  gar  nicht  zu  bezweifeln,  dass  die 
Vase  bereits  der  Zeit  des  Schwankens  zwischen  s 
und  s  angehöre,  denn  die  oben  genannte  Schale 
des  Euphronios,  die  nach  der  angewandten  Technik 
(Linien  mit  Relief)  und  der  noch  etwas  strengeren 
Zeichnung  eher  etwas  älter  sein  müsste  als  unsere 
Lekythos,  schreibt  bereits  S;  ferner  zeigt  z.B.  eine 
weisse  attische  Lekythos,  die  als  die  unmittelbar 
nächstfolgende  Stufe  nach  der  unsrigen  gelten  muss 
und  von  ihr  im  "Wesentlichen  nur  durch  den  freieren 
Stil  unterschieden  ist,  nicht  nur  bereits  s  sondern 
auch  das  ionische  Lambda  a  '").  Doch  ist  bekannt 
und  liesse  sich  leicht  an  vielen  Beispielen  zeigen, 
dass  die  Vasenmaler  noch  lange  s  schreiben,  nach- 
dem s  in  den  officiellen  Gebrauch  übergegangen 
und  auch  ihnen  nicht  mehr  unbekannt  war. 

Wir  sahen,  dass  in  verschiedenen  Beziehungen 
unser  Gefäss  einer  Uebergangszeit  angehört,  indem 
es  die  Eigenschaften  mehrerer  fest  geschlossener,  auf- 
einander folgender  Gruppen  vereinigt.  Ganz  ver- 
einzelt steht  das  Gefäss  indessen  nicht,  wenn  ich 
auch  augenblicklich  als  in  Stil  und  Technik  fast 
genau  tibereinstimmend  keine  Lekythos,  sondern 
nur  ein  weisses  Alabastron  aus  Athen  (Berl.  luv. 
no,  2632)  nennen  kann. 

')  Ein  in  Athen  nicht  ungewöhnlicher  (vgl.  C.  I.  A.  1,  443; 
C,  /.  Cr.  120;  768),  doch  auf  Vasen  mir  sonst  nicht  bekannter 
Name. 

'»)  Berl.  Inv.  no.  2508  APOMinPOS:  KAAOS  APOMO- 
KAEIAO     sitzende  Frau,  der  eine  Amme  das  Kind  hinhalt. 


Nur  mit  wenig  Worten  sei  der  weiteren  Ent- 
wicklung der  weissen  Lekythen  gedacht.  Gemein- 
sam ist  den  folgenden  Gattungen,  dass  andere  Dar- 
stellungen als  solche,  die  sich  auf  Grabescult  und 
Tod  beziehen,  niciit  mehr  vorkommen.  Es  folgen 
zunächst  die  ohne  Zweifel  noch  ins  fünfte  Jahr- 
hundert gehörigen  Lekythen,  welche  die  Umrisse 
der  Figuren  noch  mit  verdünnter  Firnissfarbe  geben 
(z.  B.  Benndorf  Gr.  Vb.  Taf.  20,  2),  dann  diejenigen 
welche  die  Firnissfarbe  nur  selten  und  für  ge- 
ringeres Detail,  für  die  Conturen  der  Figuren  aber 
eine  matte  graue  oder  gelblichbraune  Farbe  ver- 
wenden (z.  B.  Benndorf  Taf.  18,  2),  endlich  die 
ohne  alle  Firnissfarbe  und  mit  rothen  oder  roth- 
braunen Conturen  der  Figuren.  Da  die  Bekrönung 
der  Grabstelen  mit  Akanthos  erst  in  den  beiden 
letzten  Gattungen  auftritt,  so  werden  jene  vorher- 
gehenden Gruppen,  da  der  Akanthos  auf  inschrift- 
lich zu  datirenden  erhaltenen  Stelen  schon  zu  An- 
fang des  vierten  Jalirhunderts  erscheint,  noch  in 
das  Ende  des  fünften  oder  wenigstens  den  Anfang 
des  vierten  Jahrhunderts  gewiesen.  Auch  dies  eine 
Bestätigung,  dass  die  früher  besprochenen  älteren 
Gi'uppen  ungefähr  in  die  Mitte  des  fünften  gehören. 

Zum  Schlüsse  möchte  ich  noch  auf  eine  gewisse 
Analogie  hinweisen,  die  mir  zwischen  der  besproche- 
nen Entwicklung  der  weissen  Lekythen  und  den 
attischen  Grabreliefs  zu  bestehen  scheint.  Es  be- 
darf dieser  Punkt  noch  genauerer  Forschung;  in- 
dess eine  bestimmte  Verwandtschaft  der  Darstel- 
lung unserer  Lekythos,  ebenso  wie  der  ähnlichen 
oben  Anm.  10  erwähnten,  mit  denjenigen  älte- 
ren 'Grabreliefs,  welche  nur  Scenen  aus  dem 
täglichen  Leben  des  Frauengemaches  darstellen, 
ist  nicht  zu  läuguen;  und  wie  nun  in  den  atti- 
schen Grabreliefs  offenbar,  freilieh  erst  im  vierten 
Jahrhundert,  eine  Beziehung  zum  Tode  und  Ab- 
scheiden immer  deutlicher  zum  Ausdruck  zu  ge- 
langen scheint,  so  sahen  wir  jene  einfachen  Lebens- 
darstellungen von  den  weissen  Lekythen  schon  in 
der  zweiten  Hälfte  des  fünften  Jahrhunderts  ver- 
schwinden, um  den  von  Grab  und  Tod  entlehnten 
Stoffen  zu  weichen.  A.  Furtwängler. 


ArctaUolog.  Ztg.,  Jahrgang  XXXVUI. 


19 


PHINEUS  AUF  VASENBILDERN. 

(Tafel   12.) 


Die  bis  jetzt  bekannt  gewordenen  bildlichen 
Darstellungen  der  Phineussage  entsprechen  inhalt- 
lich den  beiden  ältesten  Phineusbildern,  von  wel- 
chen wir  Kenntniss  haben,  jenen  am  Kasten  des 
Kypselos')  und  am  Throne  von  Amyklae^),  d.  h. 
sie  stellen  ebenso  wie  jene  die  Befreiung  des  nor- 
dischen Königs  von  den  Harpyien  dar. 

Die  Anzahl  der  nachgewiesenen  Bildwerke  ist 
freilich  noch  eine  ziemlich  geringe,  allein  eine  ver- 
gleichende Betrachtung  derselben,  wie  wir  sie  hier 
anstellen  wollen,  erscheint  uns  schon  deshalb  lohnend, 
weil  abgesehen  von  den  gemeinsamen  Grundzügen 
der  Composition,  die  dadurch  allein  sich  ergeben, 
nur  auf  solche  Weise  namentlich  das  eine  der 
beiden  Vaseugemälde,  die  auf  Taf.  12  zum  ersten 
Male  veröffentlicht  werden,  seine  eigenartige  Auf- 
fassung des  Mythus  hinreichend  erkennen  lässt. 

In  Ansehung  der  Alterthtimlichkeit  wenn  auch 
nicht  seiner  Inschriften,  so  doch  der  Compositions- 
weise  und  der  Stilformen  ist  an  erster  Stelle  zu 
erwähnen  das  innere  Flanken-Bild  einer  grossen 
schwarzfigurigen  Kylix  aus  der  ehemaligen  Samm- 
lung Feoli,  jetzt  im  Museum  der  Universität  Würz- 
burg: Bull.  d.  Inst.  18G5.  p.  50ff.  (Brunn.)  Ur- 
lichs, Verzeichniss  der  Antikensammlung  d.  Univers. 
Würzburg,  Heft  III  p.  89.  Mon.  d.  Insl.  X.  tav.  VIII, 
Ann.  1874.  p.  3ff.  (Flasch.) 

Phineus  ruht  auf  einem  Bette,  vor  dem  ein 
Tisch  aufgestellt  ist.  Aus  der  Armbewegung  des 
Blinden  entnehmen  wir,  dass  der  Tisch  mit  Speisen 
besetzt  zu  denken  ist,  von  denen  er  zu  sich  zu 
nehmen  im  Begriffe  steht.  Dass  die  Harpyien  zu- 
gegen gewesen  sind  und  das  Mahl  zu  stören  ver- 
sucht hätten,  dafür  fehlt  jede  Andeutung;  es  sind 
weder  auf  dem  Tische  Speisen  zu  unterscheiden, 
noch  hängen  solche,   wie  sonst  der   Fall  ist,  von 

')  Paus.  V,  17,  4:  'hivivg  xi  ö  ©oftf  laiC,  xtü  ol  natiSi; 
ot  Boq(ov  lüg  'AQ7iv(ai  ün    avioij  Sidxovaiy. 

^  Paus.  III,  18,  8:  Kälaig  äi  xai  Zrjirji  ii'ti  '.Aijnvlai 
'l'iv^dig  üntXuvvovaiv. 


demselben  herab  oder  liegen  am  Boden.  Wir 
müssen  demnach  als  Idee  des  Vasenmalers  anneh- 
men, dass  die  Harpyien  zwar  gekommen  seien, 
ihren  Unfug  zu  verüben,  aber  an  der  Ausführung 
durch  die  beiden  Boreassöhne  gehindert  wurden. 
Auch  in  den  Händen  der  flüchtigen  Unholde  ist 
nichts  zu  gewahren,  was  sie  geraubt  hätten.  Mit 
ausgebreiteten  Armen  fliegen  sie  dem  Meere  zu, 
das  durch  eine  Wellenlinie  und  Fische  darin  ange- 
deutet ist,  verfolgt  von  Zetes  und  Kaiais,  welche 
mit  der  einen  Hand  die  Fliehenden  zu  erhaschen 
suchen,  mit  der  anderen  drohend  das  gezückte 
Schwert  schwingen. 

Alles  in  diesem  Bilde  entspricht  der  Darstellungs- 
weise der  ältesten  griechischen  Kunst.  Die  Boreaden 
sind  bärtig  und  tragen  ihr  langes  Haupthaar  im 
Nacken  zu  jener  Form  aufgebunden,  in  der  man 
den  altattischen  Krobylos  erkannt  hat.  Ihre  Tracht 
besteht  in  dem  ebenfalls  aus  alten  Bildwerken  be- 
kannten kurzen  Männer-Chiton.  Namentlich  aber  ist 
die  Beflügelung  der  Verfolgten  sowohl  als  der  Ver- 
folger alterthümlich:  sie  tragen  je  vier  grosse  Flü- 
gel an  den  Schultern,  das  eine  Paar  nach  oben, 
das  andere  nach  unten  aufgeschlagen,  dazu  an 
den  Stiefeln  ein  kleineres  Flügelpaar,  ganz  nach 
Art  des  Hermes  auf  älteren  Vasenbildern.  Abge- 
sehen von  der  Beflügelung  aber  sind  die  Harpyien 
einfache  Frauengestalten  ohne  irgend  einen  Zusatz 
von  nicht-menschlicher  Form;  ihre  Haare  fliessen 
aufgelöst  den  Nacken  hinab,  ihre  Tracht  ist  ein 
gegürteter  langer  Chiton  mit  violetten  Streifen. 

Wollen  wir  uns  von  den  beiden  durch  Pausanias 
beschriebenen  Bildwerken  eine  Vorstellung  machen, 
so  halten  wir  uns  am  zweckmässigsten  an  dieses 
Vasengemälde  und  zwar  nicht  blos  in  der  Anlage, 
sondern,  wie  wir  eben  gesehen  haben,  auch  im 
Detail.  Nur  giebt  es  jenen  gegenüber  den  Vor- 
gang noch  durch  drei  weibliche  Gestalten  erweitert, 
die    um    das    Bett    des    Phineus    angeordnet   sind. 


A.  Flasch,  I'hineus  auf  Vasenbildern. 


139 


Zwei  davon  —  sie  stehen  zu  Füssen  der  Klinc  — 
bilden  eine  Gruppe.  Obwohl  die  eine  der  beiden 
Frauen  durch  eine  Knospe,  die  sie  am  Stengel 
hält,  sinnreich  characterisirt  ist  und  sich  als  eiu 
der  römischen  Spes  verwandtes  Wesen  zu  erken- 
nen giebt,  so  würden  wir  doch  wohl  olme  die  In- 
schrift über  die  Deutung  in  Verlegenheit  sein,  we- 
nigstens sie  schwerlich  erhärten  können.  Es  sind 
Heren,  und  wir  müssen  gestehen,  dass  durch  ihre 
Einführung  die  trockene  Schilderung  des  Vorganges 
anziehender  geworden  ist,  indem  sie  uns  sozusagen 
eine  Perspektive  in  das  langjährige  Leiden  und  das 
Elend  des  Phineus  eröfl'net.  Die  Göttinnen  der  Zeit- 
abschnitte, der  Stunden  Tage  und  Jahre,  führen  ja 
nicht  bloss  die  Zeitigung  der  Feldfrüchte  herbei 
(Hes.  Theog.  903 :  alv  l^y'  wqevovoi  xarad-vT^Toiai 
ßgoToJai),  sie  zeitigen  freundlich  gesinnt  auch  der 
Menschen  Hoffnungen  und  Erwartungen  und  bringen 
wiewohl  oft  zögernden  Fusses  den  Leidenden  Er- 
lösung^). So  haben  sie  auch  dem  Pliineus  des 
Bildes  die  erlösende  Stunde  heraufgefUhrt. 

Die  dritte  weibliche  Figur  steht  zu  Häupten  des 
Bettes.  Schon  wegen  dieser  Sonderstellung,  dann 
aber  auch,  weil  ihr  der  Maler  einen  besonderen 
Namen  —  er  nennt  sie  Erich tho  —  beigeschrieben 
hat,  kann  sie  nicht  als  dritte  zu  den  Hoien  ge- 
rechnet werden.  Diese  erscheinen  eben  nach  atti- 
scher (Paus.  IX,  35,  1)  oder  überhaupt  älterer 
(Paus.  III,  18,  7)  Anschauung  in  der  Zweizahl.  Hin- 
sichtlich des  Namens  Erichtho  aber  lässt  uns  die 
literarische  Ueberlieferung  im  Stich  ;  sie  meldet  von 
keinen  Beziehungen  desselben  zu  dem  Mythus  des 
Phineus,  und  wir  müssen  uns  deshalb  begnügen,  die 
Figur  im  allgemeinen  als  zugehörig  zu  dem  Blin- 
den zu  bczeiclmen,  in  ihr  eine  durch  Familienband 
an  ihn  geknüpfte  Pflegerin  zu  sehen.  Darnach 
hätte  der  Maler  jene  Version  des  Mythus  nicht  ge- 
kannt oder  wenigstens  nicht  befolgt,  nach  welcher 
Phineus  das  göttliche  Strafgericht  durch  Versto- 
ssung  seiner  ersten  Gattin  und  Missliandlung  ihrer 
Kinder  auf  sich  zieht.  Schwerlich  nämlich  hätte 
jene  Version  dem  Künstler  Veranlassung  geboten, 
eine  familienangehörige  Person   in  der  Umgebung 

»)  Cf.  Thcükr.  XV,  103.     11.  XXI,  450. 


des  Phineus  aufzuführen.  Die  Namen  seiner  Gat- 
tinnen aber  lauten  sonst  Kleopatra,  eine  Tochter  des 
Boreas  und  der  Oreithyia,  Idaia,  Eidothea,  Eurytia, 
vgl.  Soph.  Antig.  980  nebst  Schol.,  Schol.  Apoll.  Khod. 
II,  178.  Schol.  Odyss.  XII,  69.  Welcker,  Gr.  Trag. 
329  ff.  Preller- Plew,  Gr.  Myth.  II,  p.331  Anm.  1. 

Noch  ein  zweites  schwarzfiguriges  Bild  können 
wir  erwähnen,  das  zwar  nicht  den  Phineus,  aber 
die  Harpyien  in  Beziehung  auf  ihn  darstellt.  Das- 
selbe gehört  zu  den  Fragmenten  einer  archaischen 
Vase  aus  Aigina,  welche  vor  kurzer  Zeit  vom 
Berliner  königlichen  Antiquarium  erworben  worden 
sind  und  demnächst  in  der  arch.  Ztg.  veröffentlicht 
werden  sollen.  In  einem  von  Ornament  eingerahmten 
Felde  sieht  man  zwei  Harpyien,  die  erste  als  Are- 
pyia  insehriftlich  bezeichnet,  in  einem  förmlichen 
Wettlauf  dahineilen.  Es  sind  geflügelte  Frauen  mit 
fliessendem  Haar;  beachtenswerth  ist  ihr  kurzer 
Chiton;  ferner  hat  der  Maler  der  ersten  die  Hände 
krallenförmig  stilisirt.  Ein  zweites  Feld,  das  ver- 
loren ist,  enthielt  wahrscheinlich  den  Phineus  mit 
einer  Nebenfigur.  Auf  einem  anderen  erhaltenen 
Felde  sieht  man  Perseus  durch  die  Luft  fliegen,  wäh- 
rend hinter  ihm  seine  Beschützerin  Athena  steht. 
Demnach  hätten  die  Gorgonen  das  Gegenstück  zu 
den  Harpyien  gebildet,  gerade  wie  sie  bei  Aischylos 
in  den  Eumeniden  (V.  48  ff.)  einander  parallel  ge- 
nannt werden. 

Im  Stile  der  entwickelten  Kunst  und  schon 
realistischer  in  der  Auffassung  giebt  den  Vorgang 
das  leider  etwas  fragmentirte  rothf.  Bild  einer 
Amphora  aus  attischen  Ausgrabungen:  Millingen, 
A71C.  Utied.  Mofi.  15  —  Stackeiberg,  Gräber  der 
Hellenen  38.  Ersterer  erklärt  dasselbe  richtig, 
letzterer  will  den  Tod  des  Agamemnon  und  die 
Erinyen  dargestellt  sehen. 

In  dem  Feoli'schen  Bilde  ist  Phineus  als  blin- 
der Mann  dargestellt,  hier  giebt  sich  der  weiss- 
häuptige  Greis  durch  ein  Scepter  als  König  zu 
erkennen.  Er  liegt  auch  nicht  zu  Tische,  son- 
dern sitzt  hinter  demselben,  wenn  man  nach  der 
unklaren  Zeichnung  urtheilen  darf,  auf  einer  Er- 
höhung. Speisen  sind  hier  deutlich  auf  dem  Tische 
angegeben.    Einzelnes    entfällt    oder   ist   entfallen, 

19* 


140 


A.  Flasch,  Phineus  auf  Vasenbildern. 


Dank  den  Haipyien,  gegen  die  Phineus  —  ein 
Zeichen  der  Klage  —  die  Rechte  erhebt.  Sie  ent- 
■weiehen  eben  mit  ihrer  Beute;  zwei  davon  tragen 
lange  Fetzen,  wohl  Fleischstiicke ,  in  den  Händen, 
eine  dritte,  wie  es  scheint,  ein  Brod.  Die  vorge- 
schrittenere Kunst  dieses  Bildes  zeigt  sich  besonders 
in  der  Cliarakteristik,  in  den  Wendungen  und  Be- 
wegungen der  Räuberinnen,  wodurch  den  Gestalten 
der  Charakter  flüchtiger,  haschender,  gieriger  Wesen 
eingeprägt  ist.  Ob  auch  die  struppigen  Haare  so- 
wie das  unschöne  Profil  vom  Maler  beabsichtigt 
sind  und  mit  zur  Charakteristik  dienen  sollen, 
lässt  sich  bei  der  auch  sonst  zu  Tage  tretenden 
Flüchtigkeit  desselben  leider  nicht  entscheiden; 
im  übrigen  hat  die  Bildung  der  geflügelten  Frauen 
nichts  Auffallendes. 

Von  den  Boreaden  vermag  ich  nur  einen  mit 
Sicherheit  zu  erkennen,  jene  stark  fragmentirte  Ge- 
stalt rechts  neben  dem  Tische  des  Phineus,  von 
der  nur  die  Unterbeine  mit  Stiefeln,  die  Spitzen 
der  Flügel,  der  Kopf,  ein  Stück  des  mit  der  Lanze 
zum  Wurf  emporgehobenen  Armes  und  ein  Rest 
der  vorgestreckten  Linken  mit  umwickelter  Chlamys 
erhalten  sind.  Millingen  hält  die  sich  bückende 
Figur  zur  äussersten  Rechten  in  der  Publication 
für  den  zweiten  Boreaden.  Das  ist  naheliegend, 
um  so  mehr  als  die  Figur  einen  kurzen  Chiton  trägt, 
während  doch  die  drei  sicheren  Harpyien  mit  langem 
Chiton  angethan  sind.  Allein  mir  scheint  die  Hal- 
tung der  Gestalt  —  sie  duckt  sich  im  weiten  Aus- 
schritt und  bewegt  die  Hände  nach  unten,  wie 
wenn  sie  etwas  aufraffen  wollte  —  weit  eher  einer 
Harpyie  zu  entsprechen  als  einem  Boreaden,  so 
dass  ich  geneigt  bin  einen  Irrthum  oder  eine  Nach- 
lässigkeit des  Vasenmalers  anzunehmen,  der  ent- 
weder den  zweiten  Boreaden  vergessen  oder  Bo- 
readen und  Harpyie  verwechselt  hätte. 

Beide  Bildwerke,  das  Feoli'sche  und  das  Gra- 
ham'sche,  haben  das  gemeinsam,  dass  sie  das 
Abenteuer  in  keine  sichtliche  Beziehung  zu  dem 
Zuge  der  Argonauten  setzen.  In  den  literarischen 
Quellen  des  Mythus  kommen  die  Boreaden  als 
Theilnehmer  an  der  Argofahrt  an  das  Gestade 
ihres    Oheims;    in    diesen   Bildern    dagegen    findet 


sich  keinerlei  Andeutung,  weder  dass  die  Befreier 
zu  Schiffe,  noch  dass  sie  überhaupt  mit  anderen 
Genossen  gekommen  sind.  Nicht  so  das  nächste 
Bild,  welches  die  Befreiung  des  Phineus  als  ein 
Abenteuer  auf  der  Fahrt  der  Argo  nach  Kolchis 
darstellt.  Es  ist  unter  dem  bestimmten  Einflüsse 
der  ausgebildeten  Argouautensage  entstanden,  und 
nicht  bloss  das,  es  kann  auch  seiner  zeitlichen 
Entstehung  nach  jener  Epoche  nicht  fern  stehen, 
welclie  das  Gedicht  des  ApoUonios  hervorgebracht 
hat;  denn  seiner  schon  etwas  lockeren  Stilistik 
nach  gehört  es  eher  dem  Schlüsse  des  3.  Jahr- 
hunderts v.  Chr.  als  dessen  mittleren  Decennien  an. 
Es  handelt  sich  um  das  bekannte  Amphora-Bild 
der  Sammlung  Jatta  in  Ruvo:  Calalogo  del  Mnseo 
Jatla,  No.  1095.  Bull.  Arcli.  Nap.  IlL  p.  28  ff. 
IV.  p.  199ff.  Mon.  d.  Inst.  111,49,  Ann.  1843.  p.  Iff. 
(Duc  de  Luynes.)  Stephani,  Boreas  und  die  Boreaden 
p.  19,  2. 

Die  Scene  ist  hier  zu  einer  breiten,  figuren- 
reichen Composition  ausgesponnen,  in  welcher  des 
Phineus  Befreiung  von  den  Harpyien  nur  den 
Mittelpunkt  bildet.  Der  blinde,  etwas  verwildert 
aussehende  Phineus  sitzt  an  dem  Felsgestade  seines 
Landes.  Seine  königliche  Würde  ist  durch  ein 
Scepter  gekennzeichnet;  dass  er  aber  ein  barbari- 
scher König  ist,  lehrt  seine  phrygische  Kopfbe- 
deckung. Er  hatte  sich  die  Mahlzeit  vorsetzen 
lassen,  der  Tisch  ist  aber  aus  seiner  geraden  Stel- 
lung verschoben  und  die  Speisen  sind  durcheinander 
geworfen.  Laut  klagend  über  sein  Missgeschick, 
schmerzbewegt  aucii  im  Antlitz,  streckt  Phineus 
seine  Linke  aus.  Die  Harpyien,  zwei  an  Zalil, 
tragen  wieder  den  kurzen  Cliiton,  der  ähnlichen 
Dämonen  von  der  ausgebildeten  griechischen  Kunst 
insgemein  gegeben  worden  ist,  um  dadurch  den 
Eindruck  ihrer  Raschheit  und  Bewegungsfähigkeit 
zu  erhöhen.  Unmenschliche  Bildung  haben  sie  nicht, 
allein  die  eine  ist  entstellt  durch  einen  scheusslichen 
Mund  mit  aufgeworfenen  Lippen  und  durch  eine 
grosse,  habichtartig  gekrümmte  Nase.  Auch  in 
den  verzogenen  Augenbrauen  und  dem  wirren 
Haar  hat  der  Künstler  das  Unholde  dieses  Wesens 
auszudrücken   versucht.     Beide  werden  mit  iiirem 


A.  Flascb,  Phineus  auf  Vasenbildern. 


141 


Raube  von  den  Boreadcn,  von  deui  einen  mit  Speer, 
von  dem  anderen  mit  dem  Sciivverte  dem  Meere 
entgegen  gescheucht,  wobei  die  erste  ihrem  Ver- 
folger, der  eben  den  Speer  auf  sie  entsenden  will, 
die  Rechte  entgegenstreckt.  Dieser  Gestus,  der  nur 
dahin  interpretirt  werden  darf,  dass  sie  um  Schonung 
ihres  Lebens  bittet,  ist  ein  erfreulicher  und  frischer 
Zug,  welchen  kein  anderes  Bild  bringt.  —  Dem  Vor- 
gange folgen  in  der  nächsten  Umgebung  des  Phineus 
einige  Personen  mit  gespannter  Aufmerksamkeit. 
Am  meisten  füllt  darunter  ein  Mann  mit  Speer  in 
die  Augen,  der  durch  seine  Tracht,  Hosen  und 
pbrygische  Mütze,  seine  Zugehörigkeit  zu  Piiineus 
zu  erkennen  giebt.  Er  ist  ein  getreuer  Wächter 
oder  Pfleger,  das  mänjiliche  Gegenstück  zu  jener 
Frauengestalt  zu  Häupten  der  Kline  auf  der  Feoli- 
Vase.  Duc  de  Luynes  hat  ihn  an  der  Hand  des 
Apollonios*)  Paraibios  genannt;  ob  der  Maler  ihm 
denselben  Kamen  gegeben  hätte,  ist  nicht  zu  sagen, 
auch  an  und  für  sich  gleichgültig;  nur  auf  das  Ver- 
hältniss  kommt  es  hier  an. 

Auffallend  schon  dadurch,  dass  sie  sitzt,  noch 
mehr  aber  durch  das  Kerykeion  in  ihrer  Hand  ist 
ferner  eine  Jünglingsgestalt,  die  zwar  gegen  Phineus 
gekehrt  ist,  aber  sich  umgewandt  hat  und  mit  er- 
hobener Hand  der  Verfolgungsscene  zuschaut.  Duc 
de  Luynes  will  in  ihr  den  Aithalides  sehen,  der 
durch  das  Kerykeion  als  Sohn  des  Hermes  charakte- 
risirt  sei  ').  Am  besten  ist  es  jedenfalls,  wenn  man 
einmal  an  einen  Argonauten  denkt,  hier  den  Herold 
derselben  zu  sehen,  der  mit  Phineus  in  ihrem  Na- 
men unterhandelt,  das  Mahl  absichtlich  hergerichtet 
und  die  Verfolgungsscene  in's  Werk  gesetzt  habe. 
Allein  was  soll  überhaupt  ein  eigener  Herold, 
hier  wo  die  ganze  Schaar  der  Argonauten  an's 
Land  gestiegen  ist,  wo  unter  anderen  doch  sicher- 
lich  auch    lasou ,    der    Führer    und    naturgemässe 

*)  Apoll.  KhoU.  II, -lös ff. :    aiiv  totatvä  ixuvt  Ilu^iulßiog, 

Ö'j    ^ß    Ol    fltV    (fCi.XUTOi. 

')  Noch  freier  sagt  Jatta,  Calalogo  \>.  ülO:  Quimlo  alla 
inierpreiazione  della  figura  par7m  allresi  che  nhin  duhbio 
debba  aversi  a  crederla  Erito  o  Echione  o  Elhalide,  lulti  Ire 
ßgliuoli  di  Mircurio,  i  quali  /ecero  parte  degli  Argonauli.  — 
Ueber  Aith-ilides  s.  Apoll.  Rhod.  I,  59  ft. :  itCo^s  0'  kit'  (x  J'i)os 
ägiax^li  7t(>o(^xav  AlOaliärfv  xriQvxa  9o6v,  ii!)7i(n  ji  fi0.t- 
aOtti  äyyi).(a;   xiti  ax^mnov  (nttittnov    Euutluo  x.  t.   r. 


Si)recher  derselben,  vom  Maler  gegenwärtig  gedacht 
sein  muss !  Es  bleibt  uns  keine  andere  Annahme  als 
die  auch  methodisch  allein  begründbare,  dass  näm- 
lich die  Figur  Hermes  sei.  Schon  das  Sitzen  unmittel- 
bar in  der  Nähe  des  aufgeregten  Vorgangs  zeigt  ein 
über  die  Sache  gleichmUthiges,  göttliches  Wesen  an, 
und  auch  die  Begründung  seiner  Anwesenheit  fällt 
nicht  schwer.  Denn  welcher  Vorgang  in  der  Heroen- 
welt verträgt  nicht  die  Gegenwart  des  Götterboten, 
durcli  den  ein  Ereigniss  an  den  Willen  des  Zeus  ge- 
knüpft wird,  namentlich  auf  einer  sogenannten  unter- 
italischen  Vase,  wo  das  Einmischen  göttlicher  Wesen 
in  menschliche  Vorgänge  geradezu  Regel  ist,  eine 
Tendenz,  in  der  sich  merkwürdiger  Weise  die  Aus- 
gänge der  griechischen  Kunst  mit  ihren  Anfängen  be- 
gegnen? Ausserdem  aber  ist  Hermes  als  Theilnehmer 
an  dem  Harpyienabenteuer  keineswegs  eine  freie, 
neue  Erfindung  unseres  Vasenmalers  oder  seines 
Vorbildes ;  nach  Hesiod  (Schol.  Apoll.  Rhod.  II,  296) 
und  Apollonios  (II,  28G)  hiess  eine  Botschaft  des 
Zeus  die  Boreaden  von  der  Verfolgung  abstehen, 
bei  dem  letzteren  bringt  Iris  die  Botschaft,  bei 
ersterem  Hermes  *). 

Wir  müssen  aber  noch  die  Frage  aufwerfen,  ob 
Hermes  nur  augenblicklich  gegenwärtig  gedacht 
sei  oder  ob  wir  ihn  nicht  vielmehr  im  Sinne  des 
Malers  als  Theilnehmer  an  dem  Argonautenzuge  zu 
betrachten  haben.  Zu  dieser  Frage  nöthigt  uns 
schlechterdings  der  nllog,  den  er  gleich  anderen 
Argonauten  auf  dem  Haupte  trägt.  Beantworten 
lässt  sich  dieselbe  nur  im  Hinblick  auf  die  An- 
wesenheit noch  einer  anderen  Gottheit,  nämlich 
der  Athena.  Obschon  ihre  sonstigen  Kennzeichen, 
wie  Aigis  und  Helm  fehlen,  obschon  sie  gleichfalls 
eine  Schifl'ermütze  auf  der  Hand  hält,  —  mit  dem  Stab 
in  ihrem  Arm  kann  nur  eine  Lanze  gemeint  sein, 
und  ein  Schild  zu  ihren  Füssen  muss  wohl  als  ihr 

<■)  Auf  diese  Deutung  bin  ich  namentlich  durch  Engelraann 
aufmerksam  geworden,  der  hauptsächlich  wegen  der  Anwesen- 
heit des  Hermes  das  bekannte  Relief  einer  ephesischen  columna 
caelata  auf  nnsere  Scene  beziehen  und  den  geflügelten  Dämon 
mit  dem  Schwert  an  der  Seite  für  einen  Boreadon  erklären 
will  (vgl.  Arch.  Ztg.  1879.  S.  114),  worin  ich  ihm  allerdings 
nicht  beistimmen  kann.  Die  Robert'sche  Erklärung  freilich  (Berl. 
^yinckelnlannsprogr.   1S79)  halte  ich  für  nicht  minder  bestreitbar. 


142 


A.  Flaseh,  Phineus  auf  Vasenbildern. 


Eigenthum  betraclitet  werden ').  Wir  kennen  die 
Laxheit  der  8i)äten  Vasenmaler  in  Bezug  auf  die 
Charakteristik  ihrer  Figuren  zu  sehr,  als  dass  wir 
uns  durch  diese  schwächliche  Kennzeichnung  in 
unserer  Deutung  beirren  lassen  könnten.  Allein  die 
gewöhnliche  Athena  ist  hier  nicht  dargestellt,  son- 
dern wie  ausser  der  Haltung  die  Schiffermiitze  zeigt, 
die  Beschützerin  der  Argonauten,  die  Geleiterin  oder 
Theilnehmerin  des  Zuges").  Und  sie  ist  als  solclie 
keine  befremdende  Gestalt  unter  den  Argofahreru; 
auch  auf  der  ficorouischen  Ciste  sehen  wir  sie  unter 
denselben  als  Zuschauerin  bei  der  Bestrafung  des 
Amj'kos.  Dieselbe  Bedeutung  wie  für  Athena  hat 
die  Schiffermiitze  auch  für  Hermes.  Während  aber 
Athena  müssig  ist  und  um  den  dargestellten  Vor- 
gang sich  weiter  nicht  bekümmert,  war  Hermes  bei 
demselben  besonders  betheiligt,  was  sein  Sitzen  im 
Centrum  erheischte.  Die  Aufgabe,  die  er  da  hatte, 
zeigt  jene  Version  des  Mythus,  wonach  die  Harpyien 
nur  für  immer  vertrieben ,  nicht  getödtet  werden 
sollten,  deutlich  an:  er  ordnete  nämlich  den  Vor- 
gang, überwacht  ihn  jetzt  und  wird  rechtzeitig  den 
Willen  des  Zeus  verkünden.  Unter  seinen  Auspicien 
also  geht  der  Befreiungsact  vor  sich. 

Am  Ufer  sehen  wir  die  Menge  der  Argonauten  zer- 
streut. Sie  sind  von  der  Argo  gestiegen,  die  man  hin- 
ter den  Felsen  versteckt  sieht,  um  Wasser  zu  schöpfen, 
sich  zu  baden,  zu  kräftigen,  überhaupt  auszuru- 
hen von  der  Fahrt.  Darauf  deutet  der  sprudelnde 
Quell,  deuten  die  verschiedenen  Utensilien  am  Boden 
oder  in  den  Händen  der  Jünglinge,  als  Amphoren, 
Geräthkasten ,  Strigilis  mit  Salbgefäss  u.  s.  w.  Es 
wäre  ein  mUssiges  Unterfangen,  ihnen  Namen  bei- 
legen zu  wollen.  Nur  lason,  ihr  Führer,  ist  durch 
seine  Stellung  zwischen  der  Argo  und  Pliineus, 
also  unmittelbar  bei  der  Mittelgruppe,  deutlich  ge- 
macht.    Er  steht  auf  einen   Speer  gestützt,    hohe 

")  Duc  de  Luj-nes  cntsclieidet  sicli  nicht  in  der  Deutung  der 
Figur,  Stejiliani  nennt  sie  eine  Frau,  vielleiclit  Kleo]patra,  Jatta 
richtig  Minerva. 

*)  Sie  hat  den  Beinamen  'laaovltt  cf.  Schol.  Apoll.  Uhod. 
I,  955.  Sie  hilft  die  Argo  bauen.  Auf  einer  Schale  des  Mus. 
Greg,  aus  Cervetri  steht  sie  in  der  Nähe  des  Jason  wie  sonst  in 
der  Nähe  des  Herakles  oder  des  Perscus  {Mon.  d.  Inst.  II,  3. 
Gerhard,  lason  des  Drachen  Beute.  Flaseh ,  Angebl.  Argonau- 
tonbilder  \k  2-1  ff.) 


Stiefel  an  den  Füssen,   die  Schiffermütze  auf  dem 
Haupt,  und  schaut  den  Boreaden  nach. 

Die  nächste  Analogie  zu  unserem  im  Detail  so 
reichen  und  umständlichen  Vasenbilde  bietet  nicht 
eine  rein  griechische,  sondern  eine  nur  von  helle- 
nischer Kunst  beeinflussteComposition,  das  Abenteuer 
der  Argonauten  mit  Amykos  auf  der  berühmten  fico- 
rouischen Ciste.  Dort  zerfällt  das  Bild  wie  hier  in 
ein  Centrum  und  viele  Nebenfiguren,  Argonauten 
von  ganz  ähnlicher  Erscheinung  und  in  denselben 
Beschäftigungen  begriffen.  Auch  dort  ist,  wie  ge- 
sagt, Athena  zugegen.  Je  öfter  man  beide  Com- 
positionen  mit  einander  vergleicht,  desto  mehr  muss 
man  die  Ueberzeugung  gewinnen,  dass  durchaus 
ähnliche  Argonautenbilder  oder  ein  Cyklus  von 
solchen  sowohl  den  Maler  des  Gefässes  als  den 
Zeichner  des  Graffito  beeinflusst  haben. 

An  diese  schon  früher  bekannt  gegebenen  Bild- 
werke reihen  wir  hier  zwei  neue,  die  nicht  die  Be- 
freiung des  Phineus  zum  Gegenstand  haben,  son- 
dern nur  seine  Strafe,  sein  Leiden.  Beide  gehören 
zu  der  Klasse  der  sog.  rothfigurigen  Vasenbilder 
und  befinden  sich  in  dem  britischen  Museum. 

Das  erste  ist  einer  Amphora  entnommen,  die 
aus  den  Salzmann'schen  Ausgrabungen  zu  Kameiros 
stammt  und  auf  Tafel  12,  2  abgebildet  ist  *).  Wir 
sehen  Phineus  beim  Mahle  sitzen;  um  seine  könig- 
liche Würde  auszudrücken,  hat  sich  der  Maler  nicht 
mit  dem  Scepter  begnügt,  er  lässt  ihn  auch  auf 
einem  Throne  sitzen,  und  seine  Füsse  auf  hohem 
Schemel  ruhen.  Die  Speisen  auf  dem  Tische  zur 
Linken  sind  verstört.  Eine  Harpyie,  gegen  die 
sich  der  König  mit  dem  Haupte  und  ausgestreck- 
ten Arme  gewendet  hat,  entfiieht  mit  Speisen 
in  der  Linken,  mit  einer  Schale  in  der  Rechten. 
Sie  blickt  auf  Phineus  zurück.    Bedauernswerth  ist, 

[*)  Dem  Verfasser  wie  dem  Redacteur  dieser  Zeitschrift  ist 
bekannt  geworden,  dass  die  Zeichnung  dieser  Vase,  yelche  ihnen 
durch  fremde  GeliiUigkeit  versclialTt  wurde,  recht  ungenügend 
ist.  Da  aber  die  Aus.sicht  eine  bessere  zu  gewinnen  sehr  unge- 
wiss ist,  haben  sie  sich  nach  einigem  Schw.anken  entschlossen, 
die  Abbildung  nicht  zu  unterdrücken,  besonders  da  es  für  den 
Zweck  dieses  Aufsatzes  zuerst  auf  eine  Anschauung  der  Com- 
])Osition  ankommt.  —  Herrn  Percy  Gardner  in  London  sind 
Verfasser  und  Herausgeber  für  die  sehr  nützliche  Auskunft  dank- 
bar, die  er  dem  letzteren  bereitwilligst  über  manche  l'unktc  er- 
tlicilt  hat,  welche  die  Zeichnung  unsicher  Hess.] 


A.  Flasch,  Phineus  auf  Vasenbildern 


143 


dass  gerade  der  Vorderarm  desselben  fragmcntirt 
ist.  Ich  glaube  niimlicli,  Phiueus  hob  den  Arm  nicht, 
wie  wir  namentlich  auf  dem  Ruveser  Bilde  sehen,  kla- 
gend empor,  sondern  streckte  ihn  flehentlich  ge- 
gen die  erbarmungslose  Ilarpyie.  So  gefasst  gewinnt 
wenigstens  die  Composition  der  Vorderseite  der  Am- 
phora, die  nur  aus  diesen  zwei  Figuren  besteht, 
ausserordentlich  an  Interesse  und  an  Beziehung  der 
gegenseitig  sich  anblickenden  Gestalten.  —  Auf  der 
Etickseite  ist  eine  zweite  Ilarpyie  abgebildet,  die  im 
Flug  wie  triumphirend  einen  Knäuel  Speisen  empor-  ■ 
hält.  Die  Räuberinnen  sind  von  jugendlich  schö- 
ner Bildung,  Mädchengestalten  (virginei  volucrum  vol- 
ius  vgl.  Verg.  Aen.  III,  21G)  mit  kurzen,  ärmellosen 
Chitonen,  kleinen  Flügeln  und  wallenden  Haaren. 

An  zwei  Stellen  liest  man  den  Ausruf  KAUO^- 

Das  Bild  bietet  nichts  Neues.  Man  kann  sich  das- 
selbe sogar  recht  wohl  in  der  Phantasie  durch  die  Bo- 
readen erweitern,  ohne  dass  man  mehr  als  die  Kopf- 
haltung der  ersten  Harpyie  und  vielleicht  die  Arm- 
bewegung des  Phineus  zu  ändern  brauchte,  und  es  so 
zu  einer  Befreiungsscene  umgestalten.  Anders  das 
nächste,  auf  derselben  Tafel  publicirte  Bild,  das 
von  den  Elementen,  aus  denen  die  angeführten  Dar- 
stellungen sich  zusammensetzen,  nichts  als  den  Tisch 
wiederbringt. 

Die  Vase,  gleichfalls  eine  Amphora,  stammt  aus 
Nola  und  befand  sich  ehedem  in  dem  Museum  Blacas. 
Es  ist  das  Verdienst  Löscheke's,  die  Redaktion  der 
arch.  Ztg.  auf  dieselbe  aufmerksam  gemacht  zu 
haben. 

Ohne  weiteres  erklärt  sich  jetzt  aus  dem  typi- 
schen Tische,  der  TQdn£'(^a  sösafiäxcov  mit  den 
durcheinander  geworfenen  und  herabhängenden 
Speiseresten,  die  aufrecht  stehende  Gestalt  des 
bärtigen  Mannes.  Phineus  ist  höheren  Alters,  sein 
Vorderhaupt  bereits  kahl;  er  ist  auch  blind,  nur 
den  Lidspalt  hat  der  Maler  gezeichnet,  das  Auge 
nicht  geöfinet.  Eine  Binde  im  Haar  und  ein 
Scepter,  das  in  seinem  Rücken  lehnt,  kennzeichnen 
den  König,  wahrscheinlich  auch  die  Tracht,  die 
aus  Chiton  und  Himation  besteht.  Denn  auch  auf 
der  eben  betrachteten  Vase  kehrt  dieselbe  Tracht 
auffallender  Weise  wieder,  während  es  doch  Brauch 


der  auf  solcher  Hübe  stehenden  griechischen  Kunst 
ist,  bei  Männern  insgemein  den  Chiton  hinwegzu- 
lassen und  sie  nur  mit  dem  Himation  zu  drapiren. 
Durch  diesen  Gegensatz  zu  dem  lieblichen  wirkt  die 
Gewandung  schon  bedeutungsvoll.  Ziehen  wir  noch 
hinzu,  dass  auch  das  Ruveser  Bild  dieselbe  Tracht 
zeigt  und  auf  den  sogenannten  unteritalischen  Vasen 
Könige  fast  regelmässig  den  Chiton  tragen,  so  er- 
scheint es  uns  vollends  unzweifelhaft,  dass  auch 
hier  die  Würde  der  dargestellten  Person  durch  die 
Gewandung  gekennzeichnet  sein  solP). 

Am  meisten  befremdet,  im  Vergleich  zu  den  an- 
deren Bildern,  dass  hier  Phineus  vor  dem  Tische 
steht,  während  wir  ihn  einmal  liegend,  sonst  sitzend 
gefunden  haben.  Zu  dieser  Haltung  kommt  als 
nicht  minder  überraschendes  neues  Motiv  die  Be- 
wegung der  beiden  Hände.  Die  Vorderarme  sind 
nämlich  in  ziemlich  paralleler  Führung  leicht  erhoben 
und  die  Hände  zugleich  geöffnet. 

Eine  Erklärung  des  hier  Dargestellten  hat  selbst- 
verständlich von  der  Beschaffenheit  des  Tisches  aus- 
zugehen und  nicht  ausser  Acht  zu  lassen,  dass  die 
dort  angerichtete  Verwüstung  zeigt,  wie  die  Harpyien 
bereits  zugegen  gewesen  und  nun  entwichen  sind. 
Unter  diesen  Umständen  Hesse  sich,  etwa  auf  der  Rück- 
seite der  Amphora,  eine  Harpyie  erwarten,  ich  sage 
eine,  weil  dem  einen  Phineus  doch  nicht  wohl 
zwei  Figuren  auf  der  Rückseite  hätten  entsprechen 
können.  Und  allerdings  ist  hier  eine  Frau  darge- 
stellt, allein  in  gewöhnlicher,  uugeflUgelter  Gestalt 
und  in  ruhiger  Haltung.  Dieselbe  ist  auch  zwei- 
fellos als  zu  Phineus  gehörig  gedacht,  allein  nur  in 
demselben  Sinne  wie  die  Frauengestalt  der  Feoli- 
Schale;  sie  ist  Genossin,  Pflegerin  des  Phineus? 
vielleicht  seine  Gattin. 

Entscheidendes  also  für  das  Hauptbild  lässt  sich 
aus  der  Rückseite  nicht  entnehmen,  dasselbe  will 
aus  sich  allein  interpretirt  sein.  Bei  einem  Blinden 
könnte  man  nun  daran  denken,  dass  er  die  Hände 
vorstreckte,  um  sich  tastend  zu  dem  Speisetisch  zu 
bewegen.     Allein  dem  widerspricht  die  ganze  Hal- 

')  Vergl.  Jatta,  Calalogo  p.  504:  .  .  con  lungo  chitone 
manicatu  (ed  ^  iL  quarlo  eaempio  coteslo,  dopo  quello  di  Creonte, 
di  Ceteo  e  di  Priamo,  del  ynwv  }(tiinöu)i6g  appropriato  ai  re 
SU  guesli  vascularii  dipinii). 


144 


A.   Flasch,  Phineus  auf  Vasenbildern. 


tung  des  Phineus,  der  erhobenen  Hauptes  aufrecht 
dasteht  und  nicht  den  geringsten  Anschein  giebt, 
als  wolle  er  vorwärts  schreiten.  Was  sollte  er  auch 
an  dem  Tische?  Der  Zustand  desselben  bezeugt, 
dass  ihm  die  Mahlzeit  zum  Theil  schon  entführt, 
zum  Theil  ungeniessbar  gemaclit  worden  ist.  Ausser- 
dem müsste  er  wohl  mit  den  Händen  vorwärts  nach 
unten  tasten  und  sich  selbst  zugleich  entsprechend 
bewegen.  Der  Augenschein  hingegen  lehrt,  dass 
er  seine  Hände  erhebt,  ohne  etwas  greifen  und 
ohne  sich  bewegen  zu  wollen:  er  erhebt  seine 
Hände  zu  den  Göttern,  er  betet.  Stehend'")  und 
mit  erhobenen  Händen  (y^elgag  avaa%i!)v^  oqsyvvq) 
wendet  er  sich  zu  ihnen  um  Erlösung  von  seinen 
Leiden.  Der  Deutlichkeit  halber  unterstützte  übri- 
gens der  Vasenmaler  Haltung  und  Gestus  noch 
durch  den  Ausruf  0EOI,  den  er,  als  käme  er  aus 
dem  Munde  des  Phineus,  beigeschrieben  hat. 

Das  Gebet  des  hülflosen  Alten,  in  dieser  Einfach- 
heit unter  Ausschluss  aller  Zuthaten  vom  Maler  vor- 
getragen, macht  einen  ergreifenden  Eindruck.  Nie- 
mand vermag  dem  Gestraften  zu  helfen  als  die  Götter; 
er  hat  es  erkannt,  ist  in  sich  gegangen  und  nimmt 
seine  Zuflucht  zu  den  gestrengen  Pächtern.  Diese 
rein  psychologische  Auffassung  des  Mythus  verleiht 
dem  Bildchen  eine  unwiderstehliche  Wirkung,  erweckt 
in  uns  das  tiefste  Mitleid.  Wir  malen  uns,  angeregt 
durch  die  erbarmungswürdige  Erscheinung  vor  uns, 
in  der  Phantasie  die  Summe  ihres  Elends  weit  grösser 
aus,  als  wenn  uns  der  Maler  zeigte,  wie  Phineus 
zu  Tische  sit/t  und  von  den  leibhaftig  gegenwärtig 
gemalten  Harpyien  gestört  wird.  Das  kleine  Bild 
hat  aber  dadurch  auch  einen  kunsthistorischen 
Werth,  insofern  es  sich  mehr  denn  unzählige  andere 
Vasenbilder  als  ein  achtes  Kind  der  auf  die  Schil- 
derung des  Seelenlebens  ausgehenden  Kunst  des 
4.  Jahrh.  v.  Chr.  erweist. 

Angebracht  ist  über  dem  Tische  die  Aufschrift 
XAI'AAIAE^,  unter  demselben  das  dazu  gehörige 
KAUO^. 

Die  Schöpfung  eines  Bildes  wie  dieses  möchte 

">)  II.  XXIV,  30G:  tvyjj  'iutna  aiüs  fj^aio  ii>xH.  l'hilostr. 
Vit.  Apollon.  G,  4:  xaOüntQ  oi.  lo  X(itiitov  oqOoi  tl((>tt- 
ntunvri;,  was  viele  Bildwerke  illustriron. 


man  gerne  dem  Einflüsse  attischer  Kunst  zuschrei- 
ben. Als  Fundort  der  Vase  wird  Kola  angegeben. 
Allein  wir  können  diesmal  in  der  Frage  nach  dem 
Fabrikationsorte  weiter  vordringen,  da  ein  ausser- 
ordentlich günstiges  Geschick  diese  Vase  und  jene 
aus  Kameiros  in  ein  und  dasselbe  Museum  zusam- 
mengeführt hat.  Beide  Stücke  stimmen  nämlich  so- 
wohl an  Grösse  als  an  Form  vollkommen 
üb  er  ein.  Ferner  ist  auch  die  Kunststufe,  auf  der 
sie  stehen,  die  gleiche,  und  der  Charakter  der 
*  Zeichnung  nicht  wesentlich  verschieden.  Es  müssen 
also  beide  Amphoren  aus  einer  und  derselben  Fa- 
brik und  aus  ziemlich  gleicher  Zeit  stammen.  Der 
gemeinsame  Fabrikationsort  zu  sein ,  von  wo  das 
eine  Exemplar  nach  Kameiros,  das  andere  nach 
Nola  wanderte,  hat  kein  Platz  mehr  Anspruch  als 
Athen  und  es  vereinigen  sich  glücklicher  Weiseimeh- 
rere  Umstände,  diese  Hypothese  fast  zur  Gewiss 
heit  zu  erheben:  erstens  die  tiefe,  originelle  Auf- 
fassung des  Mythus  auf  der  Blacas'schen  Vase,  zwei- 
tens die  Zugehörigkeit  des  für  beide  gewählten 
Vorwurfs  zu  der  attischenLaudessage  überhaupt,  drit- 
tens die  Gegenstände  anderer  auf  Kameiros  mitgefun- 
dener, stilistisch  ähnlicher  Vasen,  worunter  eine 
Unterrichtsdarstellung  und  ein  Bild  mit  der  speci- 
fisch  attischen  Sage  von  Erichthonios  und  den 
Töchtern  des  Kekrops,  weshalb  die  attische  Prove- 
nienz dieser  schon  früher  vermuthet  worden  ist"); 
vgl.  Ann.  d.  Insl.  1879.  tav.  d'agg.  F.  p.  G2 — 66 
(R.  Engelmann);  p.  112 — 119  (Heydemann).  Ann.  d. 
Inst.  1878  tav.  d'agg.  0.  F.  p.  284-295.  Die  dritte 
Phineus- Vase,  jene  bei  Millingen  und  Stackeiberg 
publicirte,  stammt  aus  attischen  Ausgrabungen.  Dass 
das  vierte  Exemplar  endlich,  die  aiginetischen  Frag- 
mente, attisches  Fabrikat  ist,  erhebt  die  Namens- 
form l4&>]vaitt  über  jeden  Zweifel.  Unter  solchen 
Umständen  dürfte  aber  der  gerade  aus  altattischen 
Bildwerken  bekannte  Krobylos  der  Boreaden,  so- 
wie die  vornehmlich  für  Attika  bezeugte  Zweizahl 
der  Hören,  von  denen  eine  durch  die  Blüthe  sicher 

' ')  //  Vdso  la  cui  origine  atenieee  i  fuor  di  duhbio,  se  si 
giudica  dal  miio  puramente  ateniese  ....  Esso  contribuisce 
7wn  poco  a  farci  credere  die  la  maggioranza  dei  vasi  trovati 
in  quel  silo  non  siano  fabbricati  allrove  che  in  Atene  Engel- 
iiiann  a.  a.  U.  p.  65. 


Th.  Schreiber,  Lndovisisehe  Antiken  I. 


145 


als  Thallo  unterschieden  ist,  Grund  genug  sein, 
auch  für  die  Feoli'sclie  Vase  attische  Provenienz 
anzunehmen.  So  stehen  wir  denn  vor  der  er- 
freulichen Thatsache,  dass  uns  die  Darstellung  der 
Phineussage  wenn  auch  nur  in  TPenigen  Bildwer- 
ken, so  doch  in  solchen  vorliegt,  die,  eines  ausge- 
nommen, der  attischen  Kunstiudustrie  angehören. 


Nur  von  dem  Ruveser  Bilde  lässt  sich  attische 
Provenienz  weder  beweisen  noch  wahrscheinlich 
machen.  Es  nimmt  aber  auch  seiner  ganzen  Compo- 
sition  nach  eine  Sonderstellung  ein,  ist  hellenistisch 
nnd  zwar,  wie  aus  der  Verwandtschaft  mit  der 
erwähnten  Ciste  hervorgeht,  italisch-hellenistisch. 
Würzburg.  A.  Flasch. 


LUDOVISISCHE  ANTIKEN. 


I.    Paris  und  Oinone,  ein 

(Taf. 

Ein  vielbesprochenes  Relief  der  Villa  Ludovisi 
schildert  ausführlich  das  Urtheil  des  Paris.  Die 
Göttinnen  sind  von  Hermes  vor  ihren  Richter  ge- 
führt ;  an  Paris  Seite ,  den  Eros  im  Begriff  ist  zu 
überreden,  steht  die  bisherige  Gefährtin  seines 
Hirtenlebens,  die  Nymphe  Oinone.  Sie  scheint  zu 
ahnen,  welches  Unheil  ihrer  Liebe  droht,  indem  sie 
die  Syrinx,  auf  der  sie  noch  eben  gespielt,  vom 
Munde  absetzt  und  das  heimliche  Einverständniss 
zwischen  Paris  und  Eros  argwöhnisch  beobachtet '). 

Einen  Schritt  weiter  in  der  Entwickelung  der 
Sage  führt  ein  anderes  Monument  derselben  Villa, 
das  wie  manches  Bildwerk  der  Sammlung  bisher 
wenig  Beachtung  gefunden  hat.  Es  ist  das  Relief, 
welches  nach  einer  photographischeu  Aufnahme  auf 
Tafel  13  abgebildet  ist ').  Mit  einem  in  Grösse 
und  Ausführung  übereinstimmenden  Gegenstück 
bildet  es  gegenwärtig  den  einzigen  Schmuck  der 
geräumigen,  in  das  Erdgeschoss  des  Hauptpalastes 
führenden  Halle.  Die  Platte  ist,  obgleich  vielfach 
gebrochen,  von  vortrefflicher  Erhaltung.  Ergänzt 
sind  nur  die  Nasenspitzen  des  Jünglings  und  der 
Frau,  an  letzterer  noch  die  Spitze  des  1.  Daumens. 
An  dem  Gewand  des  ersteren  sind  einige  Falten 
bestossen.  Das  Material  ist  grobkörniger  griechi- 
scher Marmor. 

')  Schreiber ,  Die  antiken  Bildwerke  der  Villa  Ludovisi 
nr.  106.  Abweichende  Auflassung  bei  Braun,  Zwölf  Basreliefs 
zu  Taf.  VII  und  Overbeck,   Bildw.  z.  troisch.  Sagenkr.  p.  239. 

•)  Katalog  nr.  149.    Die  Maasse  sind  folgende:  H.  1,13  m. 
B.  1,33.     Relieferhebung  bis  0,10. 
ArchUolog.  Ztg.,  Jahrgang  XXXVIIl. 


hellenistisches  Reliefbild. 

13.) 

Das  Relief  wird  in  einem  Inventar  v.  J.  1633, 
welches  den  Gesammtbestand  der  ludovisischen 
Kunstschätze  nach  dem  Tode  des  Cardinais  Ludo- 
visi verzeichnet,  an  der  jetzigen  Stelle  angeführt, 
die  Darstellung  als  il  rapimento  d'Elena  gedeutet  ^). 
Dieselbe  Auslegung  wiederholen  die  späteren  Be- 
schreiber  der  Villa,  Pinarolo,  Nibby  u.  A.  Sie  ist 
auch  von  Winckelmann  ^)  beibehalten  worden,  der 
gleich  allen  folgenden  Erklärern  das  ludovisische 
Relief  nur  beiläufig,  bei  Gelegenheit  des  verwandten 
Monumentes  in  Palazzo  Spada,  mit  kurzen  Worten 
erwähnt.  Wie  wenig  diese  Deutung  mit  der  Dar- 
stellung in  Einklang  steht,  haben  schon  Otto  Jahn 
und  Braun  ')  erkannt,  und  beide  fast  gleichzeitig 
die  richtige  Erklärung  gefunden.  Die  ruhige,  nicht 
zur  Flucht  antreibende,  sondern  eher  abwehrende 
Haltung  des  sitzenden  Jünglings  macht  es  unmög- 
lich an  eine  Entfülirungsscene  zu  denken.  Es  ist 
vielmehr  der  sich  aus  dem  Schönheitsgerieht  auf 
dem  Ida  entwickelnde  Moment  wiedergegeben,  die 
Scene,  in  welcher  Paris  von  den  Versprechungen 
der  Aphrodite  bethört  sich  zur  Abfahrt  nach  Hellas 
entschlossen  hat,  während  Oinone,  die  treulos  Ver- 
lassene, noch  einmal  versucht  den  Geliebten  vor 
dem  unheilvollen  Unternehmen  zu  warnen.  Der 
Vorgang   spielt   sich    am  Gestade   des  Meeres  ab. 

3)  A.  a.  O.  p.  29  lin.  10. 
*)  Mon.  ined.  II  p.  158. 

^)  Jahn,  Arch.  Beitr.  p.  349.  Braun,  Bull.  delV  Inst.  1845 
p.  39.    1848  p.  69.     Zwölf  Basreliefs  zu  Taf.  Vlll. 

20 


146 


Th.  Schreiber.  Ludovisisehe  Antiken  I. 


Zur  Linken  sitzt  Paris,  durch  die  phvygische  Mütze 
und  den  Hirtenstab  in  seiner  Linken  gekennzeichnet, 
auf  einem  Felsensitz  unter  einer  Pinie,  nicht  mehr 
im  Hirtengewande,  das  er  auf  anderen  Bildwerken 
trägt,  sondern  mit  einer  leicht  um  die  Glieder  ge- 
legten Chlamys  bekleidet.  In  nachlässiger  Haltung, 
wie  in  Träumereien  über  das  künftige  Glück  ver- 
sunken, lehnt  er  den  Oberkörper  zurück  und  stützt 
das  lockige  Haupt  mit  dem  seitwärts  auf  dem  Felsen 
ruhenden  rechten  Arm.  Seitlich  hinter  ihm,  so  dass 
sie  durch  einen  vorragenden  Felsen  unterwärts  ver- 
deckt wird,  steht  Oinone  allein,  nicht  mehr  traulich 
an  Paris  gelehnt,  obgleich  die  Beugung  ihres  Kör- 
pers eine  Stütze  zu  fordern  scheint.  Sie  ist  in  den 
Mittelpunkt  des  Bildes  gestellt  und  darin,  wie  in 
ihrer  Geste  und  in  der  reichen  Kleidung,  im  Schmuck 
des  Schleiers,  der  von  ihrem  Haupte  über  den  Rücken 
herabfällt  und  dessen  einen  Zipfel  die  Rechte  an- 
muthig  gefasst  hält,  giebt  sie  sich  als  Hauptfigur 
der  Darstellung  zu  erkennen.  Mit  dem  Zeigefinger 
weist  sie  auf  das  Schiff  zu  iiiren  Füssen.  Sie  sieht 
mit  dem  Blick  der  Seherin  ^)  voraus,  welches  Un- 
heil von  hier')  seinen  Ausgang  nehmen  wird.  Dass 
ihre  Warnung  vergeblich  ist,  zeigt  nicht  blos  die 
lässige  Haltung  des  Paris,  der  ihr  kaum  einen 
flüchtigen  Blick  zu  gönnen  scheint,  sondern  auch 
die  Ausrüstung  des  Schiffes.  Man  sieht  auf  dem 
Verdeck  den  in  einen  breiten  Ring  auslaufenden 
Schaft  des  Ankers  und  am  Schiffshintertheil  einen 
Schild,  ein  Tympanon  und  zwei  mit  flatternden 
Bändern  verzierte  Thyrsosstäbe  befestigt.  Xacli 
Welcker's  sinniger  Auslegung  '')  bezeichnen  die  bak- 
chischen  Geräthe  „den  Rausch,  worin  sich  Paris 
befindet,  oder  die  Lustigkeit,  womit  er  seinem  ge- 
wähnten Glück  zueilt".  Der  Schild  aber,  wenn  er 
nicht  leere  Verzierung  ist,  konnte  auf  den  Kampf 
anspielen,  der  als  letzte  Folge  aus  dem  Abenteuer 
entspringen  sollte.  Einen  wirksamen  Abschluss  nach 
oben  erhält  die  Darstellung  durcli  einen  sclmialen 
Reliefstreifen,  der  von  dem  Hauptbilde  durch  eine 
schmale,  unverzierte  Leiste  getrennt  ist  und  in  wohl- 

^)  Die  Sehergabe  der  Oinone  bezeugen  A|iolloü.  III,  12.  6. 
Parthen.  4.    Conon  23.    Clem.  Alex.  Strom.  I  p.  144  Sylb. 

')  Von  den  v^ff  ünyjxuxoi  des  Paris  spricht  schon  II.  V,  62  f. 

«)  A.   D.   V   p.  177. 


berechneter  Reihenfolge  die  Zinnen  und  Gebäude 
Troias  summarisch  andeutet.  Von  links  nach  rechts 
folgen  ein  Stück  der  Stadtmauer,  ein  Thor,  eine 
Porticus,  ein  Tempel  und  eine  einzelne  Säule  mit 
undeutlichem  Aufsatz  aufeinander.  Man  bekommt 
den  Eindruck,  als  sei  mit  der  Kleinheit  dieses  archi- 
tektonischen Beiwerks  und  mit  seiner  Anbringung 
über  den  Figuren  in  gesondertem  Felde  eine  Art 
perspectivischer  Wirkung  beabsichtigt.  War  dies 
der  Fall ,  so  sollten  die  Gebäude  Troias  nicht  blo.s 
symbolisch  die  Oertlichkeit  verdeutlichen  helfen, 
sondern  sich  mit  dem  Hauptbilde  auch  zu  einer 
räumlichen  (ideal  gedachten)  Einheit  zusammen- 
schliessen.  Damit  liesse  sich  erklären,  dass  die 
Gesammtdarstellung  nach  rechts  durch  einen  Fels- 
streifen abgeschlossen  wird,  der  mit  dem  oberen, 
die  Stadt  tragenden,  zusammenstösst  und  die  Meeres- 
wellen mit  dem  Schiff  wie  in  einen  Hafen  eingrenzt. 
Es  spricht  nicht  dagegen,  dass  die  Wellen  nur  im 
unteren  Theil  des  Reliefs  plastisch  ausgeführt  sind, 
denn  durch  Bemalung,  die  auch  an  einem  analogen 
Relief  vorausgesetzt  worden  ist  (s.  unten),  konnte 
die  glatte  Fläche  über  dem  Schiff  sehr  leicht  als 
Wasser  cliarakterisirt  werden.  Jedenfalls  prägt  sich, 
worauf  wir  zurückkommen  werden,  die  malerische 
Haltung  des  Bildes  in  der  Gesammtauffassung  des 
Stoffes  deutlich  aus. 

Schon  Winckelmann  hatte  das  ludovisisehe  Relief 
mit  einem  anderen  in  Palazzo  Spada  zusammenge- 
stellt, welches  von  ihm  zuerst  und  seitdem  ver- 
schiedene Slale  ')  publicirt  worden  ist  und  von  dem 
der  leichteren  Vergleichung  halber  eine  Abbildung 
auch  auf  Tafel  13,2  reproducirt  wird.  Es  wiederholt 
im  Allgemeinen  die  Composition  der  eben  betrach- 
teten Darstellung,  doch  mit  wesentlichen  Abwei- 
chungen im  Einzelnen.  Aus  den  Pinienzapfen  der 
Thyrsosstäbe  sind  nach  Brauns  Angabe  —  das  Origi- 
nal lässt  die  Gegenstände  nicht  deutlich  erkennen  — 

')  Braun,  Zwölf  Basreliefs  Taf.  VIII.  Jahn,  Arch.  Beitr. 
Taf.  10.  Overbeck,  Gall.  her.  Bildw.  Taf.  12,  5,  daselbst  p.  257 
die  übrige  Literatur.  Ergänzt  an  Paris:  Kopf,  r.  Arm,  1.  Hand, 
an  Oinone  I.  Hand  und  r.  Vorderarm,  am  Wassergott  beide  Hände 
und  der  Hals  der  Urne  mit  dem  Wasser.  Nicht  vollständig  sind  die 
Angaben  von  K.  Keil,  Arch.  Anzeiger  1864  p.  26ö*.  Die  Maasse 
sind:   H,   c.    1,  70,   B.    1,  06.      Relieferh.  bis  c.  0,lf). 


Tb.  Sclireiber,  Ludovisische  Antiken  I. 


147 


Lanzenspitzen  geworden,  der  Anker  ist  ausgelassen. 
Oinone,  die  auf  dem  ludovisiscben  Relief  eine  iso- 
lirte  Stellung  einnimmt  und  sich  auf  einen  (plastisch 
nicht  angegebenen)  Felsen  zu  stützen  scheint,  lehnt 
sich  hier  vertraulich  auf  die  Schulter  des  treulosen 
Gatten,  dem  sie  auch  den  Kopf  zuwendet,  was 
nach  Wclckers  richtiger  Bemerkung  verwirrend  und 
widersprechend  wirkt.  Wichtiger  ist  ein  Unter- 
schied, den  Welcker  übersehen  hat.  Während  in 
der  spada'schen  Darstellung  sich  Paris  wie  in  herz- 
lichem Gespräch  aufgerichtet  hat,  giebt  er  in  dem 
ludovisischen  Relief  durch  seine  nachlässig  abge- 
kehrte Haltung  deutlich  zu  erkennen,  dass  alle 
Warnung  fruchtlos  sein  wird,  ein  feiner,  ohne  Zwei- 
fel dem  Original  gebührender  Zug,  durch  den  in 
dem  gegenwärtigen  Moment  zugleich  der  künftige 
angedeutet  wird.  Auch  ist  der  lange  Schleier,  den 
Oinone  auf  letzterem  Bildwerk  trägt,  der  Würde 
der  Seherin  angemessener,  als  die  Haube,  die  ihr 
in  der  spada'schen  Replik  verliehen  ist.  In  dieser 
ist  von  dem  Schleier  nur  ein  Rest  über  dem  linken 
Arm  übrig  geblieben,  ein  deutliches  Zeichen,  wie 
willkührlich  und  unachtsam  der  Bildhauer  die  Mo- 
tive des  Vorbildes  benutzt  hat. 

Besonders  auffallend  ist  in  der  spada'schen  Wie- 
derholung die  Erweiterung  der  Compositiou  durch 
die  Figur  einer  Wassergottes,  der  für  sich  allein 
die  volle  Breite  des  unteren  Reliefstückes  in  An- 
spruch nimmt.  Sucht  man  nach  einem  Namen  für 
ihn,  so  haben  Okeanos  und  die  Flussgötter  Ska- 
mandros  und  Kehren,  der  Vater  Oinonens,  fast 
gleiche  Berechtigung,  wenn  auch  Skamandros,  als 
dem  Ida  angehörig  und  auch  sonst  bei  Begeben- 
heiten der  troischen  Sage  gegenwärtig'"),  hier  am 
schicklichsten  Platz  finden  könnte.  Obgleich  sich 
also  die  Anwesenheit  einer  Lokalgottheit  erklären 
Hesse,  so  ist  doch  aus  verschiedenen  Gründen  sehr 
unwahrscheinlich ,  dass  die  Figur  bereits  der  Ori- 
ginaldarstellung angehört  hat.  Zunächst  ist  es  ihre 
Geberde,  welche  Bedenken  erre^'t.  Mit  dem  er- 
hobenen rechten  Arm  (nur  die  Hand  ist  modern) 
deutet  sie,  wie  der  Ergänzer  wohl  richtig  ange- 
nommen,   in    die  Ferne    und    erhebt  zugleich   den 

">)  I3eisi)iele  liei   .Tahn  a.  a.  O.  p.  334. 


Blick  zu  Paris  hinauf.  Wenn  dem  Künstler  tiber- 
haupt  ein  Gedanke  vorschwebte,  so  kann  es  nur 
der  schon  von  Braun  ausgesprochene  gewesen  sein, 
dass  der  Flussgott  dem  zur  Abreise  entschlossenen 
Paris  eine  Mahnung  ertheilt  „daheim  zu  bleiben  im 
Vaterlande".  Es  ist  in  dem  Fall  eine  Nachahmung 
der  Warnung,  welche  Oinone  mit  gleicher  Geberde 
ausdrückt,  eine  Wiederholung  des  Motivs,  die  schon 
darum  nicht  günstig  wirkt,  weil  sie  die  Theil- 
nahme  von  Oinone  auf  eine  ganz  untergeordnete 
Figur  ablenkt.  Ueberdies  ist  das  Eingreifen  ir- 
gend einer  Lokalgottheit  in  den  Verlauf  der 
Sage  nicht  bezeugt.  Etwas  anderes  ist  es,  wenn 
bei  Horaz  ")  der  greise  Nereus,  dessen  Pro- 
phetengabe die  Sage  oft  hervorhebt,  auf  oifener 
See  dem  mit  Helena  heimschiffenden  Paris  das 
kommende  Unglück  voraussagt.  Eine  so  selb- 
ständige Bedeutung  können  Ortsgottheiten  nicht  be- 
anspruchen, sie  sind  als  reine  Personifikationen  mit 
dem  Lokal,  welches  sie  repräsentiren,  eng  ver- 
wachsen und  eben  deshalb  von  der  bildenden  Kunst 
mit  Vorliebe  als  sitzend  oder  am  Boden  gelagert 
dargestellt  worden.  Wesen  dieser  Art  sind,  um 
ein  treifendes  Wort  von  Friederichs  ")  anzuwenden, 
„passiv  nach  ihrer  Natur  und  wenn  sie  auch  Theil- 
nahme  zeigen  durch  Geberden,  so  bleiben  sie  doch 
immer  kalt  und  uninteressant  und  scheinen  ent- 
behrlich". In  der  That  wird  niemand  im  ludovisi- 
schen Relief  die  Gestalt  des  Wassergottes  vermissen. 
Die  Composition  ist  hier  in  sich  abgeschlossen  und 
klar  disponirt,  das  Hauptbild  und  der  darüber  an- 
gebrachte Hintergrund  bestimmt  von  einander  ge- 
sondert. Nicht  so  in  der  spada'schen  Wiederholung. 
Oinone,  die  dort  im  Mittelpunkte  des  Bildes  steht, 
während  Paris  und  Schiff,  sich  auf  einander  be- 
ziehend, die  beiden  Seiten  füllen,  ist  hier  mehr  auf 
die  Seite  geschoben  und  mit  Paris  zu  einer  engen 
Gruppe  verbunden.  Beide  ragen  über  die  obere 
Trennungsleiste  hinaus,  was  wiederum  eine  wesent- 
liche Veränderung  des  architektonischen  Hinter- 
grundes veranlasst  hat.     Statt  der  wohl  berechne- 

")   Carm.  I,  15,  5. 

'■-)  Die  iihilostratischen  Bildei-  p.  248,  im  Excuis  „Ueber  die 
Personifikation  der  Natur'. 

20  * 


148 


Tb.  Schreiber,  Ludovisische  Antiken  I. 


ten  Reihenfolge  der  Bauten  auf  dem  ludovisischen 
Relief  finden  sich  hier  rechterseits  drei  tempelartige, 
mit  Säulenumgängen  versehene  Gebäude,  zwei  vier- 
seitige, die  mit  Giebeldächern  bekrönt  sind,  und  in- 
mitten ein  Rundbau.  Sie  sind  säuimtlich  durch  ein 
zweites  Stockwerk  überbaut  '^),  offenbar  um  den 
höher  gewordenen  Reliefstreifen  zu  füllen,  wie  ja 
auch  in  der  Mitte  des  Schiffes  zur  Verdeckung  des 
darüber  entstandenen  leeren  Raumes  ein  arkaden- 
artig sich  öffnender  Bau  aufgesetzt  ist.  Nach  links 
folgt  ein  bedeutungsloser  Hügel  mit  einem  strauch- 
ähnlichen Bäumchen  als  dürftiger  Ersatz  für  die 
neben  Paris  weggelassene  Pinie.  Am  deutlichsten 
zeigt  sich  das  Ungeschick  der  Anlage  in  der  räum- 
liehen Einfügung  der  Figur  des  Wassergottes.  Sie 
ist  mit  dem  Mittelbilde  nur  in  sehr  lockere  Ver- 
bindung gebracht,  welche  durch  die  vom  Fuss  des 
Paris  an  quer  laufende  Leiste  eigentlich  wieder 
aufgehoben  wird.  Indem  ihr  eine  über  die  Ver- 
hältnisse der  Hauptfiguren  weit  hinausgehende 
Grösse  gegeben  ist,  soll  sie  augenscheinlich  den  er- 
weiterten Rahmen  wenigstens  in  der  Breite  aus- 
füllen, ohne  doch  —  wie  die  sehr  empfindliche 
Lücke  unterhalb  des  Paris  beweist  —  dazu  geeignet 
zu  sein.  Es  ist  nach  dem  Gesagten  leicht  zu  er- 
kennen, dass  gerade  diese  Füllfigur  die  Verände- 
rung und  Verschlechterung  der  ursprünglichen  Com- 
position  hervorgerufen  hat.  Um  ihr  Aufwärtsblicken, 
durch  welches  allein  der  Zusammenhang  mit  dem 
Mittelbilde  hergestellt  wird,  einigermassen  zu  moti- 
viren,  musste  die  Hauptgruppe  soviel  als  möglich 
zur  Seite  gerückt  werden.  So  zusammengedrängt 
erforderte  sie  mehr  Kaum  nach  oben  und  veran- 
lasste wiederum  die  Verkürzung  der  Darstellungen 
im  oberen  Randstreifen,  während  darunter  links  die 
Pinie  aus  Raummangel,  und  aus  Unverständniss  auch 
der  Felsenrand  zur  Rechten  in  Wegfall  kamen. 

Von  beiden  Wiederholungen  steht  mithin  die 
ludovisische  der  Originaleomposition  am  nächsten, 
ja  sie  darf  wohl  als  getreue  Nachbildung  derselben 

'^)  Derartige  Bauten  sind,  wenn  auch  nicht  unerhürt,  doch 
keineswegs  häufig  gewesen.  Pausanias  (III,  15.  11)  kennt  nur 
einen  zweistöckig  übersetzten  Tempel  (in  Sparta).  Der  Tempel 
des  Iladrian  in  Kyzikos  hatte  ausser  zwei  Stockwerken  noch 
eine  Krypta  (Marquardt,  Cyzicus  p.  150  ff.). 


gelten.  Dass  sie  nicht  selbst  das  Original  ist,  geht, 
von  anderen  Gründen  abgesehen,  schon  aus  dem 
Missverhältniss  zwischen  Erfindung  und  Ausführung 
hervor.  Denn  trotz  aller  technischen  Routine  ist  die 
Arbeit  von  einer  gewissen  Trockenheit,  wie  sie 
Werken  der  Kaiserzeit  eigen  ist,  nicht  freizuspre- 
chen. Andererseits  zeichnet  sich  die  Composition 
durch  Vorzüge  aus,  die  sie  weit  über  die  Durch- 
schnittsleistungen der  römischen  Kunst  erheben.  So 
bleibt  die  Frage  übrig,  welcher  Zeit  das  Vorbild  zu- 
zuweisen ist.  Sie  wird  sich,  wenn  überhaupt,  nur 
mit  Hülfe  eines  vergleichenden  Ueberblickes  über 
die  verwandten  Monumente  lösen  lassen. 

Dass  wir  hier  nicht  eine  vereinzelte  Schöpfung, 
sondern  Produkte  einer  eigenthümlichen  Geschmacks- 
richtung vor  uns  haben,  hatte  schon  Braun  erkannt, 
indem  er  mit  dem  erwähnten  und  den  übrigen 
sieben  zu  ihm  gehörigen  Reliefs  des  Palazzo  Spada 
zugleich  vier  andere  publicirte,  die  in  Auffassung 
und  Ausführung  die  nächsten  Analogien  bieten.  Es 
sind  dies  zwei  Reliefs  des  capitolinischen  Museums, 
den  schlafenden  Endymion'^)  und  Andromeda's  Be- 
freiung darstellend  '^)  und  zwei  in  Villa  Albani  be- 
findliche, deren  eines  Daidalos  und  Ikaros,  das 
andere  Herakles  bei  den  Hesperiden  behandelt. 
Von  einigen  dieser  Darstellungen  sind  mehr  oder 
weniger  genaue  Repliken  nachweisbar  "').  So  ist 
die  Daidalosgruppe  nochmals  ausgeführt  auf  einem 
Relief  in  rothem  Marmor,  ebenfalls  in  Villa  Albani ''). 
Die  capitolinische  Darstellung  der  Befreiung  Andro- 
meda's ist  mit  Umkehrung  des  Motivs  und  mancher- 
lei Veränderungen  für  ein  kleines  Relief  des  neapler 
Museums  verwendet  "*).  Die  Liste  ist  damit  nicht 
abgeschlossen.  In  demselben  Geschmack  sind  zwei 
Reliefs  des  lateranischen  Museums  behandelt.  Das 
eine  schildert,  wie  Heibig  nachgewiesen   hat,   die 

")  Foggini,  Mus.  Cap.  IV  tv.  53.     Braun  Taf.  IX. 

'*)  Foggini  IV,  52.  Braun  Taf.  X.  Fedde,  De  Perseo  et 
Andromeda  p.  63  nr.  1. 

'^)  Dass  von  dem  Endymionrelief  eine  Keplik  in  Villa  Ludo- 
visi  existire,  wie  Wörmann,  Landschaft  in  d.  Kunst  d.  a.  V. 
]i.  275  Anm.  31  angiebt,  ist  nicht  richtig.  Hat  vielleicht  das 
stark  ergänzte  Relief  mit  einem  gestürzten  Niobiden  (nr.  162) 
zu  dem  Irrthum  Anlass  gegeben? 

")  Zoega,  Bassir.  tv.  44. 

'»)  Miix.  Borh.  VI,  40.  Fedde  p.  64  nr.  3.  Vgl.  Mon.  Matth. 
III,  28.  2.     Fedde  p.  64  nr.  2. 


Th.  Schreiber,  Ijudovisische  Antiken  I. 


149 


Kindlieitspflege  des  Pan  ") ,  in  dem  zweiten  hat 
Kekule  wohl  mit  Reclit  die  Auffindung  des  Knaben 
Asklepios  durch  Autolaos  erkannt ").  Den  gleichen 
Charakter  trägt  ein  Relief  des  Louvre  "),  gewöhn- 
lich als  „/e  faune  chasseur"  citirt,  in  welchem  ein 
Satyr  einem  Panther  neckend  ein  Wildpret  vorhält. 
Ferner  ein  auf  unsrer  Tafel  abgebildetes  Relief  der 
Villa  Ludovisi "),  welches,  vermufhlich  der  ur- 
sprünglichen Bestimmung  entsprechend,  bei  der 
Aufe^tellung  als  Gegenstück  der  Oinonedarstellung 
verwendet  worden  ist.  Es  zeigt  einen  Satyr,  der 
eine  schlafende  Nymphe  beschleicht,  beide  von  einer 
Grotte  umgeben,  zur  Rechten  vor  derselben  eine 
Pinie.  Hier  lassen  sich  endlieh  auch  zwei  Marmor- 
reliefs in  Palazzo  Colonna  ")  anführen.  In  dem  einen 
sieht  man  zwischen  einem  Pfeiler  mit  Götterbild  und 
einer  Herme  einen  stehenden  Hermaphroditen,  der 
einen  Eroten  auf  dem  Arm  trägt,  hinter  ihnen  über 
einer  Mauer  mehrere  ländliche  Heiligthümer.  Das 
andere  enthält  einen  ebenfalls  stellenden,  syrinx- 
blasenden  Satyr,  der  sich  auf  einen  mit  einer  Herme 
bekrönten  Pfeiler  stützt.  Daneben  ist  ein  hoch  auf- 
ragender Baum  angebracht.  Im  weiteren  Umkreis 
reihen  sich,  wenn  auch  theilweise  nur  als  Ausläufer 
derselben  Richtung,  zahlreiche  Reliefs  an,  welche 
unter  Vermeidung  mythologischer  Stoffe  dem  Hinter- 
grund eine  selbständige  Bedeutung  geben,  indem 
sie  landschaftliche  Motive  im  Sinne  des  Idylls  mit 
einer  gewissen  behaglichen  Breite  schildern  ^0- 
Was  diesen  Darstellungen    einen  gemeinsamen 

")  Benndorf-Schüne,  Lat.  Mus.  nr.  24.  DaK.  11,  40.  482. 
Vgl.  Heibig,  Untersuchungen  p.  360  Anm.  6. 

-'")  Lat.  Mus.  nr.  11.  Braun,  Antike  Marmorwerke  Taf.  5. 
Kekule,  ^?ioiJe  3Icmorie  d.  I.  p.  124  Anm.  4. 

-')  Fröhner,  Notice  I  nr.  281.  Clarac  17»,  169.  DaK.  II, 
39.  465. 

■■^  Taf  13,  3.     Schreiber,  Villa  Ludovisi  nr.  148. 

■'i)  Gerhard,  Ant.  Bildw.  Taf.  42,  1  u.  2.  DaK.  II,  56.  717. 
Ueber  das  zugehörige  dritte  Relief  s.  weiter  unten.  Die  Anzahl 
der  hierher  gehörigen  Reliefs  wird  sich  vermuthlich  vermehren 
lassen.  Vgl.  z.  B.  das  Fragment  einer  analogen  Darstellung  des 
Britischen  Museums  (Theseus  und  Minotauros?  Als  Hintergrund 
sorgfältig  ausgeführtes  Mauerwerk)  Anc.  marbl.  XI  pl.  48  und 
unten  Anm.  30.  Auszuscheiden  ist  das  in  der  Form  des  Rah- 
mens an  die  aufgezählten  Monumente  erinnernde  Relief  des  Lou- 
vre  DaK.  II,  45.  568,  welches  nach  Fröhner,  Mus.  de  France 
zu  pl.  27  modern  ist. 

'*)  Vgl.  die  Aufzählung  bei  Heibig,  Untersuchungen  p.  3G0 
Anm.  7  und  Wörmann,  L.indsch.  K.  a.  V.  p.  296  fl'. 


Charakter  giebt,  ist  nicht  sowohl  die  Wahl  der  Ge- 
genstände, als  die  durchaus  malerische  Behandlung 
des  Hintergrundes.  Baum,  Fels  und  Meer  kommen 
für  sich  zur  Geltung,  sie  sind  mit  einer  Sorgfalt 
und  Ausführlichkeit  behandelt,  welche  mit  dem 
Pinsel  zu  wetteifern  seheint.  An  Stelle  des  knappen, 
mehr  andeutenden  Ausdrucks  der  älteren  Plastik  ist 
eine  gewisse  Redseligkeit  getreten,  die  aucii  vom 
Nebensächlichen ,  vom  Beiwerk  nichts  übergehen 
will,  ja  gerade  in  ihm  sich  oft  nicht  genug  thun 
kann.  Dabei  ist  docli  in  den  besseren  Reliefs  ein 
feines  Gefühl  für  künstlerischen  Aufbau  der  Staf- 
fage unverkennbar.  Wie  schön  gegliedert,  wirksam 
in  den  Contrasten  und  von  anmuthigem  Linienfluss 
ist  beispielsweise  die  Zeichnung  des  Louvrereliefs. 
Welche  Fülle  reizvoller,  wohlvertheilter  Motive  ent- 
hält das  lateranische  Relief  mit  der  Pflege  des 
jugendlichen  Pan.  Selbst  im  Grundschema  der 
Anordnung  zeigen  einige  der  besten  Leistungen 
dieser  Gattung,  welche  weiter  unten  genauer  zu  be- 
sprechen sein  werden,  eine  unverkennbare  Verwandt- 
schaft unter  einander. 

Vor  allem  charakteristisch  ist  die  Zusammenfas- 
sung der  Composition  zu  einem  nur  wenige,  meist 
zwei,  nie  über  vier  Figuren  enthaltenden  Bilde,  dem 
mit  Vorliebe  ein  oblonger,  mehr  hoher  als  breiter  Rah- 
men gegeben  wird.  Durch  letzteren  und  durch  die 
ungewöhnlich  grossen  Dimensionen  fallen  diese  Jlar- 
mortafeln  unter  der  Masse  römischer  Reliefs,  die 
unsere  Museen  füllen,  leicht  in  die  Augen.  Die 
Figuren  der  Panspflege  des  Lateran  und  der  Reliefs 
in  Palazzo  Colonna  erreichen  volle  Lebensgrösse. 
Auf  den  Reliefs  in  Palazzo  Spada  ist  ihnen  durch- 
schnittlich dreiviertel  Lebensgrösse  gegeben,  ebenso 
auf  dem  zweiten  Relief  des  Lateran  und  dem  des 
Louvre.  Die  Gesammthöhe  schwankt,  wenn  man 
von  den  anders  geformten  ludovisischen  Reliefs  ab- 
sieht, zwischen  m.  1,  28  und  2,14,  die  Breite  zwi- 
schen 0,72  und  1,67  *').  Trotz  so  grosser  Verhält- 
nisse hält  die  Figurenerhebung  zwischen  Flach-  und 
Hochrelief  massvoll  die  Mitte  ein. 

2*)  Von  einem  der  Spadareliefs  sind  die  Maasse  unter  Anm.  9 
angegeben.  Lateran  nr.  24  hat  H.  2,14,  B.  1,67;  Lateran  nr.  11 
dagegen  H.  1,28,  B.  0,72;  das  Louvrerelief  H.  1,786,  B.  1,177 
(Clarac). 


150 


Th.  Schreiber,  Ludovisische  Antiken  I. 


Einige  dieser  Eeliefs,  iu  denen  Fels  und  Baum 
besonders  geschickt  verwendet  sind,  stehen  hinter 
der  vollen  Wirkung  eines  Landschaftsgemäldes  nur 
vrenig  zurück  und  mochten  ihr  noch  näher  kommen, 
wenn  sie  einst,  wie  man  vernuithet  hat,  polychrom 
bemalt  waren  "^).  Auch  in  der  Behandlung  des 
Stoffes  tritt  mehrmals  zwischen  Relief  und  Gemälde 
eine  gewisse  Uebereinstimmung  hervor,  ohne  dass 
sich  eine  directe  Abhängigkeit  des  einen  vom  ande- 
ren, eine  unveränderte  Uebertragung  des  Gemäldes 
in  Relief  nachweisen  Hesse.  Denselben  Gegenstand, 
welchen  das  Louvrerelief  schildert,  beschreibt  Lu- 
kian ")  als  Inhalt  eines  Gemäldes.  Auf  einem 
Felsen  sitzt  Branchos,  der  Sohn  des  lächelnd  zu- 
schauenden Apollon,  und  spielt  mit  einem  Hunde, 
indem  er  ihm  mit  der  Rechten  einen  Hasen  vor- 
hält. Das  Hauptmotiv  ist  hier  wie  dort  dasselbe 
und  doch  soweit  verändert,  dass  in  beiden  Com- 
positionen  die  Freiheit  der  Erfindung  gewahrt  ist. 
Auch  die  Beschleichung  einer  schlafenden  Bak- 
chantin,  welche  auf  dem  Gegenstück  des  ludo visi- 
schen Oinouereliefs  dargestellt  ist,  kehrt  in  ähn- 
licher Auffassung  auf  pompejanisehen  Wandgemälden 
wieder,  welche  das  Motiv  dem  berühmten  Bild  des 
Nikomachos  entlehnt  haben  mögen  ").  Dieselbe 
Verwandtschaft  ist  zwischen  den  oben  genannten 
Reliefs  mit  Andromeda's  Befreiung  und  einigen 
Wandgemälden  schon  mehrfach  hervorgehoben  wor- 
den ''). 

War  die  Annäherung  dieser  Reliefs  an  Wand- 
gemälde, wie  wir  voraussetzen  dürfen,  eine  beab- 
sichtigte, so  lässt  sich  daraus  schliessen,  dass  sie 
auch  gleich  jenen  zur  Wanddecoration  bestimmt 
waren  und  eben  nur  an  Stelle  der  Tafelbilder  treten 
sollten.     Darauf  weisen  nicht  blos  die  plastisch  aus- 

'■">)  Heibig  (Untersuchungen  p.  301  Anm.  4)  meint,  dass  in 
dem  capitolinischen  Andromedarelief  die  glatte  Fläche  hinter  der 
Figin-  des  Perseus,  die  im  Vergleich  zur  linken  Seite  auffällig 
leer  ist,  durch  Farbe  belebt  sein  konnte,  etwa  durch  Andeutung 
des  Meeres.  Auch  in  dem  ludovisischen  Oinonerelief  wird  die 
nicht  plastisch  ausgeführte  Stütze,  auf  welche  sich  Oinone  mit 
dem  r.  Arme  lehnt,  durch  Farbe  angegeben  gewesen  sein. 

-')  de  domo  24.  Vgl.  Blümner,  Arch.  Stud.  zu  Lucian  p.  62. 

»»)  Ilelbig  nr.  542  ff.  Untersuchungen  p.  238  ff.  371. 

■')  Heibig  nr.  1185  ff.  Fedde,  de  Perseo  et  Andromeda 
p.  6-2  f. 


geführten  Rahmen,  welche  in  einzelnen  Reliefs  (so 
iu  dem  letzterwähnten  des  Capitols  ^'')  und  in  der 
farnesischen  Nachbildung)  die  Darstellung  als  in 
sich  abgeschlossenes  Einzelbild  charakterisiren,  son- 
dern auch  der  Umstand,  dass  sich  mehrfach  unter 
ihnen  inhaltlich  mit  einander  verbundene  oder  we- 
nigstens äusserlich  in  Bezug  gesetzte  Gegenstücke 
finden.  Wie  das  dem  Louvrerelief  verwandte  Ge- 
mälde nach  Lukians  Beschreibung  mit  sieben  an- 
deren einen  einheitlichen  Zimmerschmuck  bildete^'), 
so  vermuthlich  die  acht  Reliefs  des  Palazzo  Spada, 
die  zusammen  bei  S.  Agnese  vor  Porta  Pia  ^^)  ge- 
funden sind  und  in  Grösse,  Idee  und  Ausführung 
einander  völlig  entsprechen.  Nach  Braun  sind  hier 
vier  Helden-  und  Liebesabenteuer  an  einander  ge- 
reiht. Mehr  im  Geiste  antiker  Kunst  scheint  es  ge- 
dacht, wenn  Welcker")  zwischen  je  zwei  Darstel- 
lungen einen  Wechselbezug  vermuthete,  der  in  der 
äusseren  Symmetrie  und  im  Charakter  des  Inhalts 
zum  Ausdruck  komme.  So  tritt  Bellerophon  (Braun, 
Taf.  I),  der  nach  dem  Himmel  strebt  und  zur  Erde 
tödtlich  verwundet  zurücksinkt,  Adonis  (Taf.  II) 
gegenüber,  der  aus  den  Armen  einer  Göttin  iu  den 
Tod  gellt.  In  einem  anderen  Tafelpaar  finden  sich 
je  zwei  Figuren  in  einem  Gegensatz  der  Eigen- 
schaften: ..Amphion  (Taf.  III),  ein  Günstling  des 
Apollon,  ist  mit  Zethos,  der  der  Jagd  und  dem  äusser- 
lichen  Leben  ergeben  ist,  und  Odysseus  (Taf.  IV), 
den  der  Verstand,  mit  Diomedes,  welchen  die  Hel- 
denstärke auszeichnet,    im  Streit".     Keiner  Erklä- 

2")  In  den  Abbildungen  (Braun  Taf.  X  und  Foggini  IV,  52) 
ist  der  Rahmen,  auf  welchen  die  Gewandung  beider  Figuren 
(Perseus  und  Andromeda)  stellenweise  übergreift,  niclit  ange- 
geben. Ebenso  lässt  die  Abbildung  des  neapler  Reliefs  (Mus. 
Borb.  VI,  40)  den  Rahmen  weg.  Auch  das  in  Anm.  23  er- 
wähnte Fragment  des  britischen  Museums  ist  mit  einem  sorg- 
fältig ausgeführten  Ralimen   abgeschlossen. 

^')  Welcker,  Philoslr.  praef.  p.  LXV.  Eine  so  strenge 
Responsion,  wie  sie  Blümner,  Arch.  Stud.  zu  Luc.  p.  57  und  68 
fordert,  ist  bei  derartigen  Zusammenstellungen  selten  beabsichtigt. 
Eine  gewisse  äussere  .Symmetrie  der  Anordnung  und  Aehnlich- 
keit  oder  Contrast  des  Gedankens  (nicht  vcillige  Gleichheit  des 
Mythus  oder  der  Figuren)  bilden  meist  das  verbindende  Element. 
Vgl.  Brunn,  Troische  Mise.  HI,   185.  188. 

^-)  Bartoli  mem.  100  bei  [Venuti]  Roma  antica.  R.  1741. 
I  p.  342  und  Fea,  Mise.  I  p.  250.  Vgl.  auch  Vacca  mem.  47 
=  Fea  I,  74. 

33^  Alte  Denkm.  II,  31G. 


Tb.  Schreiber,  Ludovisische  Antiken  I. 


151 


rung:  bedarf  es,  wenn  Paris  von  Eros  verführt 
(Taf.  VII)  und  ebenderselbe  von  Oinone  gewarnt 
(Taf.  VIII)  einander  gegenüber  gestellt  sind  und 
auch  die  letzten  zwei  Reliefs  mit  Pasiphae  neben 
dem  Stier  (Taf.  V)  und  Hypsipyle  bei  Opbeltes  Tod 
(Taf.  VI)  konnten  unter  dem  Gesichtspunkt,  dass  sie 
die  Scliicksale  unglücklicher  Königinnen  schildern, 
recht  wohl  in  Verbindung  gesetzt  werden.  Einen  ge- 
wissen, wenn  auch  lockeren  Gedankenbezug  möchte 
ich  ebenso  zwischen  den  beiden  ludovisischen  Re- 
liefs voraussetzen,  wenigstens  ist  an  ihrer  Zusam- 
mengehörigkeit, da  sie  in  Grösse,  Auffassung  und 
Reliefbehandlung  übereinstimmen,  nicht  zu  zweifeln. 
Von  dem  Andromedarelief  des  capitolinischen  Mu- 
seums hat  Bartoli  ^*)  die  Notiz  hinterlassen,  dass 
es  beim  Graben  der  Fundamente  für  den  Palazzo 
Muti  auf  Piazza  SS.  Apostoli  zusammen  mit  „zwei 
anderen  Stücken  in  demselben  Geschmack"  aufge- 
funden wurde.  Die  letzteren  wurden  leider  auf  Be- 
fehl des  Besitzers  —  den  Beweggrund  giebt  Bartoli 
genauer  an  —  zerbrochen  und  an  Ort  und  Stelle 
wieder  verschüttet.  Auch  die  zwei  Reliefs  in  Palazzo 
Colonna  sind  mit  einem  dritten,  oben  übergangenen 
offenbar  als  Gegenstücke  gedacht.  Daher  die  Gleich- 
heit des  Rahmens  und  der  Grössenverhiiltnisse,  die 
übereinstimmende  Beschränkung  der  Darstellung  auf 
eine  Hauptfigur  und  gewisse  Analogien  der  Anord- 
nung. So  wiederholt  das  dritte  Relief  im  Beiwerk 
(links  ein  Pfeiler  mit  daraufstehendem  Götterbild, 
rechts  eine  Herme)  wie  in  der  Gesammtgruppirung 
genau  das  Motiv  des  Reliefs  mit  dem  Hermaphro- 
diten und  unterscheidet  sich  nur  —  wenn  Gerhards 
Zeichnung  darin  zuverlässig  ist  —  durch  den  gänz- 
lich fehlenden  Hintergrund. 

In  welcher  Weise  diese  Gegenstücke  verwendet 
worden  sind,  darüber  lassen  sich  bei  dem  Mangel 
bestimmter  Anlialtspuncte  vor  der  Hand  nur  Vermu- 
thungen  äussern.  Die  Grössenverhältnisse  und  die 
Goschlossenheit  der  Darstellung  sprechen  dafür,  dass 
sie  nicht  decoratives  Beiwerk,  sondern  selbständig 
wirkender  Haupttheil  des  Wandschmuckes  sein 
sollten.  Am  nächsten  liegt  die  Vergleichung  pom- 
pejanischer  Wanddecorationen,  in  welchen  das  Tafel- 

=*)  mem.  iö  =  Venuti  I,  308.     Fea  I,  233. 


bild,  dem  diese  Reliefs  so  nahe  kommen,  zum 
Mittelpunkt  der  in  Felder  getheilten  Wandflächen 
gemacht  wird.  Allerdings  kann  man  einwenden, 
dass  die  Ausgrabungen  in  Pompeji  noch  kein  ein- 
ziges Beispiel  einer  solchen  Verwendung  des  Reliefs 
geliefert  haben.  Dies  beweist  aber  nur,  dass  die 
campanische  Landstadt,  die  ohnehin  mit  dem  Luxus 
Roms  nicht  wetteifern  konnte,  von  einer  Gesclimacks- 
richtung  noch  nicht  berührt  war"),  die  in  der  Haupt- 
stadt bereits  allgemeine  Geltung  erlangt  haben 
musste.  Dass  letzteres  der  Fall  war,  geht  aus  Ar- 
beit und  Fundort  der  Mehrzalil  der  oben  ange- 
führten Reliefs  unzweifelhaft  hervor.  Lassen  wir 
die  Frage  nach  der  Entstehungszeit  der  Vorbilder 
vorerst  bei  Seite,  so  weist  wenigstens  die  Ausfüh- 
rung der  uns  erhaltenen  Reliefs  meist  mit  Sicherheit 
auf  die  römische  Epoche.  Während  einige  offenbar 
noch  der  ersten  Kaiserzeit  angehören  — •  so  die  bei- 
den ludovisischen  Reliefs  — ,  sind  andere,  wie  das 
aus  rothem  Marmor  gearbeitete  Relief  der  Villa 
Albani ") ,  letzteres  schon  des  Materials  wegen, 
nicht  vor  der  Zeit  Hadrians  entstanden.  In  dieser 
Epoche  hatte  neben  dem  Relieffries  auch  das  bild- 
förmig  in  sich  abgeschlossene  Relief  im  System  der 
Flächendecoration  eine  wichtige  Stelle  errungen. 
Man  erkennt  dies  deutlich,  wenn  man  einen  Blick 
auf  verschiedene  der  uns  erhaltenen  Triumplibögen 
wirft.  Hier  sind  es  besonders  die  breiten  Flächen 
der  Attika,  deren  durch  Pilaster  abgegrenzte  Felder 
gern  mit  oblongen  Relieftafeln  ausgefüllt  werden. 
Manche  von  ihnen,  wie  die  von  einem  Trajans- 
bogen  übertragenen  Tafeln  am  Constantinsbogen, 
zeigen  selbst  in  der  reichen  architektonischen  Staffage 
eine  grosse  Verwandtschaft  mit  den  uns  beschäfti- 
genden Reliefs,  wenn  sie  auch  dem  Geist  der  Er- 
findung nach  von  ihnen  wesentlich  verschieden  sind. 
Aber  auch  für  Innenräume  muss  derartiger  Re- 
liefschmuck sich  Geltung  verschafft  haben.  Es  war 
dies  lediglich  eine  Consequcnz  der  Veränderungen, 
welche    sich    im  Decorationsprincip  der  Kaiserzeit 

3^)  Das  weiter  unten  (s.  Anm.  42)  erwähnte  Stuckrelief  giebt 
wenigstens  ein  Zeugniss  dafür,  dass  die  Ersetzung  des  Gemäldes 
durch  Relief  auch  hier  nicht  unerhört  war. 

•■"")  Zoega,  Boss.  I,  44  (Daidalos  und  Ikaros);  vgl.  Friede- 
richs, Baust,  p.  466  f. 


152 


Th.  Schreiber,  Ludovisisebe  Antiken  I. 


allmählicb  vollzogen  hatten.  Als  man  sich  von  der 
einfachen  Bemaluug  der  Wände  zur  Inkrustirung- 
derselben  mit  kostbaren  Marmorplatten  wandte,  war 
der  Uebergang  vom  Gemälde  zum  Relief  gleichsam 
von  selbst  geboten.  Der  überschwängliche  Ge- 
brauch des  Marmors,  die  Bevorzugung  gerade  der 
seltensten,  der  buntfarbigen  Gattungen  greift  seit  dem 
Ende  der  Republik  unaufhaltsam  um  sich  '").  Der 
Marmor  überzieht  nach  und  nach  alle  Flächen,  die 
bisher  dem  Stucco  und  der  Malerei  vorbehalten  waren. 
Wir  können  Anfang  und  Gipfelpunkt  dieser  Entwicke- 
lung,  soweit  sie  in  Rom  vor  sich  geht,  noch  genau  be- 
stimmen. Nach  den  Angaben  des  Plinius  ")  war  Ma- 
murra,  der  berüchtigte  praefectus  fabrtim  des  Caesar, 
der  Erste,  der  die  Wände  seines  Hauses  auf  dem  Cae- 
lius  mit  Marmorplatten  belegen  liess.  Sein  Beispiel 
fand  bald  so  allgemeine  Nachahmung,  dass  das  ein- 
fache Haus  der  Vorfahren  zum  Schlagwort  der 
Sittenrichter  wurde  und  Seneca ,  der  im  86.  Briefe 
ein  grelles  Bild  vou  dem  Luxus  seiner  Zeit  ent- 
wirft, die  verweiclilichten  Römer  mit  bitterem  Spott 
an  die  schlichten  Räume  der  Villa  Scipio's  erinnern 
konnte:  'Heut  zu  Tage',  ruft  er  aus,  'glaubt  sich  jeder 
arm  und  elend  eingerichtet,  wenn  seine  Wände  nicht 
von  mächtigen  und  kostbaren  Marmorfülhmgen  strah- 
len, wenn  nicht  alexaudrinischer  Marmor  mit  nu- 
midischen  Tafeln  contrastirt,  wenn  nicht  der  kunst- 
volle und  nach  Art  der  Malerei  in  Farben  schillernde 
Wachsüberzug  {circumlitio)  überall  die  Marmorfelder 
bunt  umsäumt ''*''),  wenn  nicht  die  Decke  hinter 
Spiegelglas  unsichtbar  wird'.  Auch  damit  ist  nicht 
Allen  Genüge  gethan  ;  es  finden  sich  Fälle  erwähnt, 
wo  Platten  aus  Bronze  und  Edelmetallen,  mitunter 
durch  eingelegte  Gemmen  und  Perlmutterstücke 
reich  verziert,  zur  Wandbekleidung  verwendet  wer- 
den ").  In  solchen  Räumen  hatte  das  Fresco- 
gemälde  keine  Stelle  mehr.    Plinius  sagt  es  am  An- 

")  Semper,  Stil  P,  462ft'.  FriedUinder,  Sittengesch.  Roms 
lU  p.  61  ff. 

39)  N.  H.  XXXVI.  48. 

'^)  Ich   folge  der  Auffassung  Sempeis  a.   a.   0.  p.  463. 

")  Beispiele  bei  Semper  a.  a.  O.  p.  470  f.  Für  mit  Erz- 
platten bekleidete  Wände  mochten  die  ytti.y.oi  nlvaxis  yeyQafi- 
fi(voi  bei  Philostrat.  Vit.  Ap.  T.  II,  2  bestimmt  sein.  Vgl. 
E.  Curtius,  Das  archaische  Bronzerelief  aus  Olympia.  Abh.  d. 
Berl.  Akad.  d.  W.   1879  p.  7. 


fang  des  35.  Buches  mit  deutlichen  Worten,  dass 
die  Malerei,  der  einst  Könige  und  Völker  gehuldigl 
hätten,  zu  seiner  Zeit  völlig  von  den  Marmoren  d.  h. 
von  der  polylithen  Wanddecoration  aus  dem  Felde 
geschlagen  sei.  Er  klagt  darüber,  dass  mau  sogar 
angefangen  habe  „mit  dem  Stein  zu  malen"  {coe- 
pimus  et  lapide  pingere),  denn  man  war,  weil  man 
das  farbige  Bild  nicht  missen  wollte,  unter  Kaiser 
Claudius  darauf  verfallen  die  Marmorplatten  durch 
eingelegte  bunte  Marmorstückchen  ornamental  zu 
verzieren  und  verstand  in  dieser  Weise,  durch  In- 
tarsia-Arbeit, selbst  figürliche  Darstellungen  auszu- 
führen ").  Aber  dieses  Verfahren  scheint  der  tech- 
nischen Schwierigkeiten  wegen  nicht  viel  angewendet 
worden  zu  sein.  Ein  einziges  Beispiel  derartiger  Mar- 
inorinkrustation  haben  die  französischen  Ausgrabun- 
gen auf  dem  Palatin  zuTage  gefördert.  Angemessener 
und  einfacher  war  es  jedenfalls,  die  Malerei  durch 
das  Relief,  die  Freskogemälde  durch  plastische  Bil- 
der zu  ersetzen.  Ich  möchte  vermuthen,  dass  die 
plastische  Decoration  in  Gyps  oder  Stucco  diesen 
Uebergang  vermittelt  hat,  da  sie  ja  oft  genug  mit 
der  Malerei  unmittelbar  verbunden  wurde  und  manch- 
mal deren  Aufgaben  auch  selbständig  durchführte. 
Es  lässt  sich  in  den  öifentlichen  Gebäuden  Pompejis 
leicht  verfolgen,  wie  die  Stuckarbeit  ihre  ursprüng- 
liche Bestimmung,  den  struktiven  Gedanken  eines 
Baugliedes  energischer  hervorzuheben,  die  Flächen 
ornamental  zu  gliedern,  allmählich  erweitert  und  der 
Malerei  sich  nicht  mehr  dienend  unterordnet,  sondern 
gleichberechtigt  neben  sie  tritt.  Namentlich  im  Decken- 
schmuck  gewöhnt  man  sich  abgegrenzte  Stuckreliefs 
und  Gemälde  mit  einander  wechseln  zu  lassen  *'). 
Aber  man  scheut  sich  auch  nicht,  dem  Stucco  das 
Gemälde  ganz  zu  opfern,  wie  am  besten  jene  phan- 
tastische, durchaus  nach  Art  eines  Gemäldes  aus- 
geführte Stuckdecoratiou  beweist,  mit  welcher  die 
breite  Wandfläche  des    Hofes  der   grösseren  pom- 

*o)  Plin.  H.  N,  XXXV,  2  ff.  Heibig,  N.  Rhein.  Mus.  XXV 
(1870)  p.  397.  Offenbar  unrichtig  erklärt  Semper  a.  a.  0.  p.  465 
die  Worte  des  Plinius. 

■")  Vgl.  z.  B.  den  Deckenschmuck  derGrüber  an  der  ViaLatina 
Mon.  deW  Inet.  VI  tv.  43  ff.  49  ff.  Auch  die  gelegentlich  als 
zum  Ilausschmuck  gehörig  erwiihnten  Reliefs  (FriedUinder,  Sitten- 
geschiclite  Roms  III  p.  137  Anm.  1)  werden  meist  aus  Terrakotta 
oder  Stuck  bestanden  haben. 


Th.  Schreiber,  Ludovisische  Antiken  I. 


153 


pejaiiischen  Thermen  überzogen  ist  *').  Was  hier 
in  geringem  Material  versucht  wurde,  konnte  die 
llau))tstadt  in  werthvollerem  Stoffe  ausführen,  und 
in  der  Tliat  iässt  sieh  für  die  Marmorwände  der 
Prachthallen  öffentlicher  Gebäude,  für  die  Luxus- 
zimmer, mit  deren  Ausstattung  sich  die  Reiclien 
überboten,  kein  passenderer  Schmuck  denken,  als 
jene  Marmorreliefs,  von  denen  wir  ausgegangen 
sind  ").  Wenn  uns  der  Boden  Roms  kein  Beispiel 
dieser  Decorationsweise  unberührt  erhalten  hat,  so 
mögen  wir  die  Unachtsamkeit  früherer  Finder  oder 
das  Spiel  des  Zufalls  anklagen,  einen  gültigen  Gegen- 
beweis wird  man  daraus  nicht  ableiten  dürfen. 
Vielleicht  Iässt  sich  aber  durch  Verknüpfung  zweier, 
getrennt  überlieferter  Nachrichten  ein  Zeugniss  für 
mehrere  der  in  Frage  stehenden  Reliefs  zurückge- 
winnen. 

In  Vaccas  Aufzeichnungen  "■*)  findet  sich  die 
Notiz,  dass  bei  S.  Agnese  vor  Porta  Pia  neben  dem 
Bacchustempel  —  nicht,  wie  Fea's  umgeformter 
Text  angiebt,  mit  diesem  zusammenhängend  —  ein 
grosser  ovaler  Säulenbau  gestanden  habe,  unter 
welchem  man  viele  Kammern  entdeckte,  die  im 
Innern  „an  allen  Seiten"  mit  Marmorplatten  aus- 
gelegt waren.  Ueber  die  ehemalige  Bestimmung 
dieser  Räume  wagt  Vacca  kein  Urtheil  abzugeben, 
er  berichtet  nur,  dass  man  sie  wegen  einiger  da- 
selbst gefundener  Gebeine  für  eine  Zufluchtstätte 
christlicher  Märtj-rer    gehalten    habe,   das    übliche 

*-)  Oveibeck,  Pompeji  Taf.  zu  p.  198.  Die  Stuckdecoration 
.gehört  der  Zeit  nach  dem  Erdbeben  vom  Jahre  63  an  (Nissen, 
Pomp.  Studien  p.  151.  158.     Mau,  Pomp.  Beitr.  p.  U7). 

'')  Ausser  diesen,  eine  besondere  Klasse  bildenden  Reliefs 
Iässt  sich  leicht  eine  grosse  Anzahl  kleinerer  Relieftafeln  nach- 
weisen, die  ähnlichen  Decorationszwecken  gedient  haben  müssen. 
Sie  sind  meist  mit  plastisch  hervorgehobenen,  mehr  oder  weniger 
verzierten  Uahmenleisten  umgeben.  Einige  charakteristische  Bei- 
spiele sind  an  einer  Wand  des  neapler  Museums  vereinigt.  Vgl. 
auch  Visconti,  Mon.  sc.  Borgh.  {ed.  mil.)  tv.  33.  Zoega,  Basa.  r. 
tv.  30  u.  a. 

*'")  mem.  47:  me  ricordo,  che  h  Santa  Agnesa,  fuor  di 
Porta  Pia  ,  ui  e  li  canto  il  tempio  di  Bucco  un  grand'  inco- 
lonnato  di  forma  ouata,  ui  fh  trouato  sotto  molte  grotte  alle 
utC  huomo,  larghe  dn  cinque  palmi,  tutte  föderale  da  oyni  in- 
torno  con  laalre  di  marmo.  lo  non  so  ijiudicare  h  che  ser- 
uissero  anticamente.  Vi  trouorno  delV  ossa;  si  diceua  che 
fussero  de  martiri,  che  in  quel  luogho  si  stessero  jier  paurn 
de  tiranni.  Ich  citire  nach  der  von  mir  vorbereiteten  Text- 
ausgabe. 

Archiiolog.  Ztg    Jahrgang  XXXVIII. 


Volksgerede,  wie  es  in  jener  Zeit  überall  entstand, 
wo  der  Pliantasie  freier  Spielraum  gelassen  blieb. 
Jedenfalls  kann  die  Anlage  nicht  den  Charakter 
von  römischen  Grabkammern  getragen  haben,  weil 
dann  die  Aeusserungen  Vacca's  bestimmter  ausge- 
fallen wären.  Nun  wissen  wir  aus  den  oben  an- 
geführten Nachrichten  Bartoli's,  dass  die  Spada- 
schen  Reliefs  bei  der  Erneuerung  derselben  Kirche 
S.  Agnese  und  zwar  beim  Ausbessern  oder  Her- 
stellen der  Treppe  zum  Vorschein  kamen.  Winckel- 
mann  giebt  in  seinen  Moniimenli  inediti  ^^*')  diese 
Notiz  mit  der  ohne  Zweifel  aus  den  Worten  Bar- 
toli's abgeleiteten  Ausdeutung  wieder,  dass  man  die 
Reliefs  in  den  barbarischen  Zeiten  umgestürzt  und 
zu  Stufen  der  Treppe,  welche  in  die  Kirche  führt, 
gebraucht  hatte.  Daraus  macht  Braun  in  der  Ein- 
leitung seines  Werkes,  die  Marmortafeln  seien,  in- 
dem man  die  glatten  Rückseiten  aufwärts  kehrte, 
zur  Deckung  des  Fussbodens  der  Kirche  benutzt 
worden.  Ueberliefert  ist  nur  die  Verwendung  der 
Platten  beim  Bau  der  Treppe  von  S.  Agnese,  sie 
werden  also  sehr  wahrscheinlich  einen  in  der  Nähe 
vorhanden  gewesenen  Gebäude  entnommen  sein,  und 
dieses,  möchte  ich  vermuthen,  war  eben  dasjenige, 
dessen  Zimmer  nach  Vacca's  Angaben  vollkommen 
mit  Marmorplatten  verkleidet  waren. 

Bei  einigen  anderen  Reliefs  ist  es  sicher,  dass 
sie  zur  Verzierung  von  Bäder-  oder  Brunnenanlagen 
gedient  haben.  Ich  meine  die  beiden  laterauischen 
Reliefs,  bei  denen  die  Platte  an  passenden  Stellen 
zur  Einfügung  von  Ausflussröhren  durchbohrt  ist*'). 
Schwerlich  kann  hier  an  Brunnen  der  einfachen 
Art,  die  uns  aus  pompejanischen  Wohnhäusern  be- 

*^h)  Zur  Abbildung  des  Daidalos-Pasiphaereliefs  nr.  94. 

**)  Ich  möchte  jedoch  wenigstens  von  dem  Asklepiosrelief 
nicht  glauben,  dass  schon  das  Vorbild  diese  Bestimmung  hatte. 
Das  Kind  schickt  sich  nicht  zum  Trinken  an,  das  Vorhalten  des 
Kantharos  ist  also  kein  ursprünglicher  Zug  und  erst  in  der  Nach- 
bildung durch  Veränderung  des  Originals  hinzugekommen.  Auch 
war  die  Mündung  des  von  Autolaos  mit  der  Rechten  emporgehal- 
tenen Horns  zur  Anbringung  einer  Ausflussöft'uung  nicht  geeignet. 
Die  griechische  Kunst  weiss  aber  das  Auslaufen  des  Wassers 
sehr  sinnreich  zu  motiviren,  z.  B.  wenn  sie  den  Satyr  im  Rausch 
das  Haupt  auf  den  offen  gebliebenen  Schlauch  legen  Iässt.  Auch 
in  dem  Relief  mit  Pans  Pflege  dürfte  das  Vorbeifliessen  des 
Wasserstrahls  am  Gesicht  des  Kindes  nicht  der  Intention  des 
erfindenden  Künstlers  entsprechen. 

21 


154 


Th.  Schreiber,  Ludovisische  Antiken  I. 


kannt  ist,  gedacht  werden.  Die  Grösse  dieser  Re- 
liefs lässt  eher  verrauthen,  dass  sie  zur  Wanddeco- 
ration  in  prächtigen,  ausgedehnten  Badehallen  be- 
stimmt waren,  etwa  in  Räumen,  wie  sie  Seneca  in 
dem  schon  angeführten  Briefe  geschildert  hat.  In 
Hallen,  deren  Wände  von  Marmor  strahlten,  die 
mit  Säulen,  Statuen  und  allerlei  Zierrathen  erfüllt 
waren,  in  denen  das  Wasser  aus  silbernen  Hähnen 
über  die  Stufen  sprudelte,  ist  auch  für  solche  Re- 
liefs der  geeignetste  Platz,  während  das  Frescobild 
als  weniger  dauerhaft  hier  kaum  verwendbar  war. 
In  einzelnen  Fällen  scheint  man  dann  den  Gebrauch 
verallgemeinert  zu  haben.  Ich  schliesse  dies  aus 
einer  Angabe  Cicero's,  wonach  das  Relief  gelegent- 
lich selbst  auf  Kalkwänden  das  Frescobild  vertreten 
hat.  In  einem  Briefe  an  Atticus  (I,  10)  erbittet  er 
sich  einige  Reliefs,  um  sie  in  die  Stuckwände  des 
Atriums  seiner  tusculanischen  Villa  einzulassen. 
Aber  dies  wird  nur  Ausnahmefall  gewesen  sein. 
Seine  natürliche  Stelle  hatte  das  bildförmig  in  sich 
abgeschlossene  Relief  von  Anfang  an  auf  Marmor- 
wänden, welche  höchstens  das  Mosaikbild,  nicht 
aber  das  Freskogemälde  zuliessen. 

Diese  so  nahe  liegenden  Folgerungen  hat  Phi- 
lippi  in  den  Untersuchungen  über  die  römischen 
Triumphalreliefs")  mehrfach  gestreift,  aber  sich 
gleichwohl  zu  dem  Ausspruch  verleiten  lassen, 
dass,  abgesehen  von  den  Tempeln,  die  Architektur 
in  älterer  Zeit  —  gemeint  ist  die  Epoche  bis  in 
den  Anfang  der  Kaiserherrschaft  hinein  —  wenig 
Gelegenheit  geboten  habe  Reliefschmuck  anzubrin- 
gen, „weil  die  Stelle,  welche  der  Reliefsculptur  als 
Decoration  zukam,  längst  von  der  Malerei  einge- 
nommen war".  Auch  Semper ")  hat  in  seinem 
umfassenden  Ueberblick  über  die  Principien  der 
Wandbekleidung  nur  darauf  hingewiesen,  dass  die 
Marmorinkrustation  dazu  zwang  zur  Mosaikmalerei 
überzugehen,  um  den  Farbenschmuck,  der  mit  dem 
Mauerputz  untrennbar  verbunden  war,  nicht  einzu- 
büssen.  Er  übersieht,  dass  das  buntfarbig  bemalte 
Relief  sich  hierfür  noch  besser  eignete.  Aber  er 
hat  doch  die  Entwickelungsphasen  der  Wanddeco- 

*'■>)  Abhandl.  d.  Sachs.  Ges.  d.  AViss.  VI  (1872)  p.  269  f. 
")  Stil  P  §  81  ff',  besonders  p.  4G3. 


ratiou  in  grossen  Zügen  so  sicher  gezeichnet,  dass 
es  nicht  schwer  ist  dem  Relief  die  ihm  gebührende 
Stelle  anzuweisen. 

Es  ist  ein  unbestreitbares  Verdienst  des  Semper'- 
sehen  Werkes  den  Einfluss  des  Orients  auf  die 
hellenistische  Kunst  in  seiner  ganzen  Tragweite  er- 
kannt und  nacligewiesen  zu  haben.  Als  die  Er- 
oberungszüge Alexanders  d.  Gr.  den  asiatischen 
Osten  dem  Abendlande  erschlossen  hatten,  führte 
die  genauere  Kenntniss  der  orientalischen  Kultur 
allmählich  eine  tiefgreifende  Veränderung  im  Ge- 
schmack und  in  der  Kunsttechnik  der  Griechen 
herbei.  Vor  allem  war  es  der  uralte,  in  Asien  sich 
auch  auf  die  Architektur  erstreckende  Bekleidungs- 
luxus und  das  damit  eng  zusammenhängende  In- 
krustationsverfahren, welches  die  hellenistischen 
Architekten  sich  aneigneten  und  bei  monumentalen 
Anlagen,  wie  bei  Prunkzelten,  Scheiterhaufen  und 
anderen  Gelegenheitsbauteu  zur  Anwendung  brach- 
ten. Erst  ven  Griechenland  her,  aus  den  Diadochen- 
reichen  gelaugte  die  neue  Kunstpraxis,  die  polylithe 
Wandbekleidung,  nach  Rom,  und  wie  sie  sich  hier 
entwickelte,  ist  oben  wenigstens  in  Umrissen  ange- 
deutet worden.  Aber  gewiss  nicht  blos  das  Deco- 
rationsprincip,  sondern  mit  ihm  auch  die  Vorbilder 
wurden  dem  hellenistischen  Osten  entlehnt.  —  Das 
dürfen  wir  schon  im  Hinblick  auf  die  campanische 
Wandmalerei  vermuthen ,  die  ja  in  gleicher  Weise 
System  und  Motive  des  Wandschmuckes  der  alex- 
andrinischen  Kunst  abgeborgt  hat. 

In  der  That  ist  von  keiner  Seite  verkannt  woiv 
den,  dass  die  Darstellungen  der  eingangsweise  zu- 
sammengestellten Reliefs  dem  Wesen  der  Erfindung 
nach  griechischen  Ursprungs  sind.  Von  dem  An- 
dromedarelief  des  Capitols  sagt  Friederichs"),  die 
Composition  sei  gewiss  griechisch,  wenn  auch  nicht 
aus  früher  Zeit.  Man  kann  von  mehreren  dieser  Dar- 
stellungen "*)  bestimmter  behaupten,  dass  in  ihnen 
eine  Stimmung  herrscht,  die  der  bukolischen  Dichtung, 
wie  sie  die  Diadochenzeit  pflegte,  durchaus  verwandt 
ist.  Mit  Vorliebe  sind  Mythen  und  Sagen  behandelt, 
welche  in  dieser  Epoche  erst  ihre  specifische  Ausbil- 

■■")  Bausteine  nr.  tJ78. 

'"■)  Vgl.  das  Loiivi-erelief  und  oben  Anm.  2-1. 


Th.  Schreiber,  Ludovisische  Antiken  I. 


155 


düng  erfahren  oder  iu  deu  Vordergrund  treten.  So 
die  Sage  von  Oinone,  von  Endymiou,  von  Pasipbae 
und  Adonis.  Ueberhaupt  ist  charakteristisch  und  dem 
Empfinden  der  hellenistischen  Zeit  durchaus  ange- 
messen, dass  gerade  Liebesscenen,  meist  in  senti- 
mentaler Auifassung,  bevorzugt  werden"").  Auch 
die  Wahl  von  Gegenständen,  wie  die  Kindheitspflege 
des  Pan,  des  Asklepios*"),  ist  in  einer  Zeit  erklär- 
lich, welche  den  Geburtslegenden  der  Götter  be- 
sonderes Interesse  zuwendete '''').  Vor  allem  ent- 
spricht die  Betonung  des  landschaftlicben  Elenjentes 
den  künstlerischen  Neigungen  der  Diadochenperiode, 
einer  Zeit,  die  nicbt  nur  das  Hirtenleben  im  Idyll 
poetisch  zu  verklären  wusste,  sondern  bereits  die 
Landschaftsmalerei  zur  selbständigen  Kunstgattung 
ausgestaltet  hatte  '"). 

Aber  die  Frage  nach  dem  Ursprung  der  uns 
beschäftigenden  Reliefs  ist  mit  diesen  Bestimmungen 
noch  nicht  gelöst.  Die  einzelnen  Motive  und  ganze 
Darstellungen  konnten  in  der  hellenistischen  Epoche 
entstanden  und  doch  erst  in  der  Kaiserzeit  für  das 
Relief  verwertbet  worden  sein.  Hat  doch  die  rö- 
mische Kunst  um  der  eigenen  Armuth  willen  we- 
nig Bedenken  getragen  sich  Formen  und  Bilder  aus 
dem  reichen  Schatz  der  griechischen  Vorzeit  an- 
zueignen und  auch  über  stilistische  Schranken  sich 
leicht  hinweggesetzt.  Die  Schwierigkeit  der  Ent- 
scheidung liegt  vor  allem  darin,  dass  unsere  Vor- 
stellungen von  dem  Kunstvermügen  der  hellenistischen 
Epoche  zu  einem  nicht  geringen  Theile  von  Rück- 
schlüssen aus  dem  Erbgut  der  römischen  Kunst  ab- 
hängen und  grössere  Monumenteureihen  zur  Ver- 
gleichung  nicht  zur  Hand  sind. 

In  einer  Anmerkung  der  erwähnten  Abhandlung 
kommt  Philipp!"^)  auf  das  Problem  zu  sprechen, 
ohne  ein  bestimmtes  Urtheil  zu  wagen.  Er  hält 
es  für  wahrscheinlich,  dass  schon  die  hellenistische 

*»")  Rohde,  Griech.  Roman  p.  100  und  sonst. 

■")  Hierher  gehört  auch  das  borghesische  Relief  mit  einer 
Kindheitspflege  Besehr.  Roms  III,  3  p.  241  nr.  21.  Winckel- 
mann,  M.  I.  nr.  71.  Visconti,  Mon.  sc.  Borgh.  tv.  33.  P'.ine 
sichere  Deutung  ist  noch  nicht  gefunden. 

'■"■')  Ich  hoffe  auf  dieses  Thema,  dessen  Begriindung  hier  zu 
weit  führen  würde,  an  anderem  Orte  eingehen  zu  können. 

^')  Heibig,  Untersuchungen  p.  300  und  sonst. 

")  A.  a.  O.  p.  2S5  Anm.  41. 


Skulptur  wenigstens  deu  landschaftlichen  Hinter- 
grund aus  der  Malerei  in  das  Relief  eingeführt 
habe  und  verweist  auf  die  beiden  capitolinischen 
Reliefs,  in  welchen  sich  eine  unverfälschte  griechische 
Erfindung  und  dabei  eine  Arbeit  zeige,  die  sich 
durch  keinerlei  bestimmte  Merkmale  als  römisch  zu 
erkennen  gebe.  Andrerseits  sei  jedoch  kaum  die 
Möglichkeit  zu  bestreiten,  dass  noch  in  der  Kaiser- 
zeit ausgezeichnete  griechische  Künstler  solche 
Werke  hervorzubringen  im  Stande  waren.  Nicht 
sicherer  lautet  das  Urtheil  Wörmann's  '"''),  der  eben- 
falls an  beiden  Möglichkeiten  festhält.  Er  übersieht 
aber  gerade  das  wichtigste  Kriterium,  indem  er 
ohne  Weiteres  annimmt,  die  von  Braun  publicirten 
und  ähnlichen  Reliefs  seien  „offenbar  Gemälden 
nachgebildet".  Diese  Vermuthuug  mag  bei  einigen 
Darstellungen  vielleicht  das  Richtige  treffen,  bei 
einer  bestimmten  Anzahl  anderer  ist  sie  sicher 
falsch. 

Beschränkt  man  sich  auf  das  Studium  der  nach- 
stehend angeführten  Reliefs,  so  ist  leicht  zu  erken- 
nen, dass  sie  in  einem  wichtigen  Punkte  die  engste 
Verwandtschaft  zeigen.  Baum  und  Fels  werden  zwar 
freigebig  zur  Ausstattung  des  Hintergrundes  ver- 
wendet, ja  es  waltet  sichtlich  das  Bestreben  vor, 
mit  ihnen  den  Raum  nach  allen  Seiten  zu  erfüllen. 
Gleichwohl  wird  für  die  Figuren  stets  ein  freier 
Hintergrund  ausgespart,  auf  dem  sie  sich  unge- 
stört durch  kreuzende  Linien  des  Beiwerks  zur 
vollen  Geltung  bringen  können.  In  dem  Paosrelief 
des  lateranischen  Museums  tritt  der  bocksfüssige 
Gesell  des  jugendlichen  Gottes  aus  einer  Grotte  her- 
vor, deren  Hintei'grund  nicht  ausgeführt  ist.  Auch 
die  Umrisse  der  Nymphe  und  des  Knaben  heben 
sich  scharf  von  dem  glatten  Grunde  ab  und  erst 
über  ihren  Köpfen  breiten  sich  die  Zweige  des  mit 
Vögeln  reichlich  besetzten  Baumes  aus,  dessen  Blät- 
terwerk den  Raum  nach  oben  ausfüllt.  Auf  dem 
Louvrerelief  (le  faune  chasseur)  ist  dem  Felsen  eine 
Unterhöhlung  gegeben,  um  für  den  Oberkörper  des 
Satyrs  möglichst  freies  Feld  zu  schaffen.  Die  gleiche 
Felsbildung  zeigt  das  spada'sche  Relief  mit  Belle- 
rophon  und  Pegasos,   wo   auch  wie  dort,    nur  mit 

'^)  Die  Lanilscluift  in  der  Kunst  der  alten  Völker  p.  272. 

21* 


156 


Tb.  Schreiber,  Ludovisische  Antiken  I. 


Umkebrung  der  Anordnung,  der  Baum  dem  Felsen 
gegenüber  gestellt  wird,  und  gerade  hier  verdient 
Beacbtung,  wie  die  Massen  des  Gesteins,  aus  wel- 
cbem  unten  die  das  Flügelross  tränkende  Quelle 
entspringt,  in  der  Weise  aufgetbürmt  sind,  dass 
sie  den  Konturen  der  Gruppen  entlang  laufen 
und  sie  gleicbsam  einfassen.  Ein  drittes  Mal  kehrt 
dasselbe  bequeme  Motiv  des  überhängenden  Felsens 
auf  der  Andromeda- Darstellung  des  Capitols  wieder. 
In  der  ausgeprägtesten  Form  erscheint  es  aber  auf 
einem  nach  dem  Charakter  der  Composition  hier- 
her gehörigen  Relief  der  Glyptothek**),  in  welchem 
unterwärts  eine  Rinderheerde  sichtbar  ist,  während 
darüber  von  links  her  sich  in  der  vollen  Breite 
des  Bildes  ein  Felsenvorsprung  ausdehnt,  als  Ruhe- 
platz eines  Berggottes,  dem  ein  Hund,  ein  flammen- 
der Altar  und  eine  Priaposherme  beigegeben  sind.  In 
dem  Asklepiosrelief  des  Lateran  ragt  der  Felsen  von 
linksher  nur  soweit  in  die  Bildfläcbe  herein,  als 
der  von  den  Figuren  freigelassene  Raum  verstattet. 
Eine  Grotte  mit  glattem  Hintergrund  umschliesst  die 
beiden  Figuren,  Satyr  und  Nymphe,  des  einen  ludo- 
visischeu  Reliefs  (Taf.  13,3),  und  wie  sehr  derselbe 
Vorzug  eines  freien  Hintergrundes  auf  dem  anderen 
Relief  (Taf.  13,1)  dazu  beiträgt  die  Klarheit  und  ru- 
hige Wirkung  der  Darstellung  zu  sichern,  lehrt  ein 
vergleichender  Blick  auf  die  verdorbene  Composition 
der  Replik  in  Palazzo  Spada.  Auch  das  Endymion- 
relief  des  Capitols,  oder  —  wenn  der  Restaurator 
von  dem  Verdacht,  den  Hintergrund  verändert  zu 
haben,  freigesprochen  werden  kann")  —  sein  Vor- 
liild,  ist  vermuthlich  in  demselben  Geschmack  be- 
handelt gewesen,  während  jetzt  durch  die  den 
Reliefgrund  nach  allen  Seiten  ausfüllenden  Risse 
und  Furchen  der  Felswand  die  Gesammtwirkung 
wesentlich  beeinträchtigt  wird*"). 

Es  bedarf  keiner  Ausführung,  dass  diese  Dar- 
stellungsweise  unabhängig    von    malerischen    Vor- 

^*)  ISiunu,  Glypt.  nr.  127.  Winckclmann,  M.  I.  CT.  Biaun, 
XII  Basreliefs  Vignette  zu -Taf.  7. 

")  K.  Keil  (Areh.  Anzeiger  1864  p.  "205*)  stiegen  vor  dem 
Original  „Zweifel  auf  gegen  ilus  Altenluim  der  umuhigen  Be- 
handlung des  Grundes  oben".  Auch  die  unteren  felsparticn 
scheinen  überarbeitet  zu  sein. 

'*)  Ich  urtheile  nach  einer  nhotographischen  Aufnahme.  Die 
Braun'scbe  Publilcation  ist  auch  hier  nicht  zuverlässig. 


bildern  entstanden,  dass  sie  allein  auf  die  Wirkung 
des  Reliefs  berechnet  ist.  Das  landschaftliche  Beiwerk 
und  die  Figuren  werden  soviel  als  möglich  aus- 
einander gehalten,  damit  letztere  durch  den  glatten 
Hintergrund  zu  ruhigerer  Wirkung  kommen.  Es  ist 
ein  Compromiss  zwischen  dem  malerischen  Princip 
einer  jüngeren  Zeit  und  den  strengen  Forderungen 
des  älteren  Reliefstils,  ein  Versuch  landschaftliche 
Staffage  in  das  Relief  einzuführen,  ohne  den  freien 
Hintergrund  für  die  Figuren  aufzugeben.  Zugleicli 
prägt  sich  in  dem  übereinstimmenden  Schema  der 
Anordnung  einzelner  Darstellungen,  in  der  Wieder- 
holung gewisser  Motive  (so  des  überhängenden 
Felsens),  auch  in  der  mehrfach  beliebten  Gegen- 
setzung von  Fels  und  Baum  eine  eigenartig  ent- 
wickelte Kunstweise  aus,  die  neben  den  verwandten 
Schöpfungen  der  Malerei  eine  selbständige  Bedeu- 
tung beanspruchen  darf.  Ganz  anders  ist  die 
Relief  behandlung  in  den  Darstellungen  auf  römischen 
Triumphbögen,  wo  die  consequente  Entwickelung 
des  malerischen  Princips  bereits  zur  Andeutung 
perspectiviseher  Verkürzungen,  zur  Vervielfachung 
der  Reliefpläne,  die  sich  hintereinander  absetzen, 
geführt  hat  und  unter  Umständen  der  gesammte 
Reliefgrund  ohne  Rücksicht  auf  die  Figuren  mit 
landschaftlichem  oder  architektonischem  Beiwerk 
überzogen  wird.  Die  grossen  Reliefs  am  Titusbogen 
und  die  in  den  Constantinsbogen  übertragenen 
Trajansschlachten  zeigen  durchschnittlich  drei  bis 
vier,  mitunter  noch  mehr  Pläne,  die  mit  grossem 
Geschick  zur  illusorischen  Vertiefung  des  Feldes 
verwendet  sind.  Die  Anfänge  zu  dieser  Flächen- 
behandlung finden  sieh  iu  der  Diadochenzeit.  Auf 
Münzen  der  Ptolemäer  mit  den  Brustbildern  des 
Herrscherpaares  und  auf  mehreren  Prachtcameen 
derselben  Periode  wird  bereits  eine  doppelte  Relief- 
fläche angewandt.  Dass  diese  Neuerung,  die  sich 
wohl  zuerst  auf  dem  Gebiete  der  Glyptik  zur  Ver- 
werthung  der  verschieden  gefärbten  Scliichten  des 
Onyx  nötiiig  machte"),  frühzeitig  auch  auf  die 
Behandlung  des  Marmorrelicfs  ihre  Wirkung  aus- 
übte, ist  eine  naheliegende  Vermuthung.  In  der 
Darstellung   des    ludovisischen   Paris -Oinonereliefs 

")  Ilelbig,  Untersuchungen  p,  48. 


Th.  Schreiber,  Ludovisische  Antiken  I. 


157 


ist  sie  bereits  zur  Geltung  gekommen.  Die  den 
oberen  Streifen  füllenden  Gebäude  und  das  Schift" 
sind  in  ziemlich  flacher  Erhebung  gebildet,  während 
die  Figuren  und  das  landschaftliche  Beiwerk  zur 
Linken  kräftiger  aus  dem  Hintergrunde  hervor- 
treten. 

Wenn  diese  Untersuchungen  dargethan  haben, 
dass  die  Keliefbilder  —  um  für  die  verständliche 
Sache  einen  kurzen  Ausdruck  zu  gebrauchen  —  eine 
Mittelstellung  einnehmen  zwischen  den  Schöpfungen 
der  älteren,  vormakedonischen  Kunst  und  denen  der 
römischen  Epoche,  so  ist  damit  zugleich  ihre  Ent- 
stehungszeit festgestellt.  Sie  sind  Produkte  der 
hellenistischen  Kunst,  eben  jener  Epoche,  die  durch 
die  Aufnahme  des  Inkrustationsverfahrens  auch  dazu 
gedrängt  wurde  ihre  Decorationsmittel  zu  erweitern 
und  einen  Ersatz  für  das  theilweise  verdrängte 
Tafelbild  zu  schaffen.  So  erweist  sich  die  Umbil- 
dung des  Reliefs  nach  der  Seite  des  Malerischen 
als  letzte  Frucht  der  griechischen  Kunstentwickelung, 
nicht  —  wie  Philippi  ^"J  annahm  —  als  selbständige 
Leistung  der  epigonenhaften  römischen  Kunst. 

Es  darf  als  ein  äusserer  Beweis  für  die  Kichtig- 
keit  dieser  Folgerungen  gelten,  dass  sich  auch  auf 
Votivreliefs  von  sicher  griechischer  Arbeit  etwa 
aus  dem  Anfang  des  vierten  Jahrhunderts  die  oben 
geschilderte  Behandlung  des  felsigen  Hintergrundes 
vorfindet.  Ein  in  den  Archäologisch-epigraphischen 
Mittheiluugen  aus  Oesterreich ")  mitgetheiltes,  be- 
sonders charakteristisches  Beispiel  zeigt  die  von 
Hermes  geleiteten  Nymphen  in  einer  plastisch  an- 
gedeuteten Höhle,  deren  Hintergrund  noch  nicht 
realistisch  ausgeführt,  sondern  als  ebene  Fläche 
behandelt  ist. 

Nach  diesen  Erörterungen  ist  die  Aufgabe  nicht 
schwer,  unter  den  obeu  zusammengestellten  Reliefbil- 

^*)  Der  7.  Abschnitt  seiner  Abhandlung  trägt  die  Ueber- 
schril't  ,Die  Umbildung  des  Reliefs  nach  der  Seite  des  Male- 
rischeu vollzog  sich  in  Rom".  Uebrigens  hat  bereits  Heibig 
(Untersiichuuyen  p.  3üO)  daraul  hingewiesen ,  dass  schon  auf 
Terrakotten  südrussischer  Provenienz,  deren  Arbeit  sicher  der 
vorrömischen  Epoche  angehört,  landschaftliche  Motive  ange- 
bracht sind. 

'")  I  Taf.  1  p.  4  ft'.  Das  Relief  soll  aiis  Lampsakos  stam- 
men und  belindet  sich  jetzt  in  der  Sammlung  Millosicz.  Vgl. 
auch  das  athenische  >i'ymphenrelief  Arch.  Zeitg.  1880  p.  10  und 
dass.  Tafel  4,  1.  2  und  4. 


dem  die  älteren  hellenistischen  Compositionen  von  den 
in  römischer  Zeit  hinzugefügten  Ergänzungsstücken 
zu  trennen.  Schon  aus  dem  Paris-Oinonerelief  in 
Palazzo  Spada  geht  hervor,  dass  das  Bedürfniss 
die  Anzahl  der  Gegenstücke  zu  vermehren  dazu 
führen  konnte,  kleinere  Compositionen  durch  Zusätze 
auf  die  erforderliche  Grösse  zu  bringen.  In  anderen 
Fällen  hat  der  römische  Künstler  sich  nicht  gescheut, 
aus  zusammengelesenen  Motiven  ein  neues  Bild  zu 
fertigen.  So  verdankt  das  Gegenstück  des  spada- 
schen  Oinonereliefs  —  Paris  von  Eros  bethört  — 
seine  Figuren  einer  grösseren  Darstellung  des  Paris- 
urtheils,  von  der  uns  eine  Nachbildung,  wenn  nicht 
das  Original  selber,  in  dem  an  der  Spitze  dieses 
Aufsatzes  genannten  ludovisischen  Relief  erhalten 
ist  ^'').  Die  Hauptschwächen  jeder  Compilation  tre- 
ten hier  unverhüllt  zu  Tage.  Die  obere  Hälfte  wird 
den  Forderungen  der  Raumfüllung  nur  in  sehr  ge- 
rigem Maasse  gerecht  und  im  unteren  Felde  ist  nicht 
einmal  ein  Versuch  gemacht,  die  Rinderheerde  dem 
Raum  anzupassen,  sondern  von  einem  Thier  das 
nicht  unterzubringende  Stück  einfach  abgeschnitten. 
Auch  die  Reliefs  in  Palazzo  Colonna  verrathen  durch 
die  Mängel  der  Composition  ihren  späteren  Ur- 
sprung, aber  sie  dienen,  wie  die  Grössenverhält- 
nisse,  die  oblonge  Form  u.  a.  beweisen,  denselben 
Zwecken  wie  jene  hellenistischen  Reliefs  und  sind 
offenbar  im  Hinblick  auf  sie  geschaffen  worden. 
Bei  zweien  der  Spadareliefs ,  vielleicht  auch  bei 
anderen,  ist  die  Möglichkeit,  dass  sie  lediglich  Ge- 
mälden nachgebildet  worden,  nicht  unbedingt  abzu- 
weisen. Prüft  man  die  Darstellung  mit  Daidalos 
und  Pasiphae  neben  dem  Stier  (Braun  Taf.  V)  auf 
die  Raumverwenduug  hin,  so  fällt  die  Leerheit  der 
oberen  Bildhälfte  in  die  Augen.  Rechterseits  deckt 
eine  schmale  Thür  nothdürftig  den  Hintergrund, 
die  linke  Seite  dagegen  ist  plastisch  unverziert 
geblieben,  eine  Lücke,  die  im  Gemälde  leicht  als 
Wand  charakterisirt  werden  konnte,  die  aber  im 
Relief,  auch  wenn  Polychromie  ergänzend  aushalf, 
immer  neben  den  mehr  oder  weniger  stark  hervor- 

^)  Das  Münchener  Relief  (Anm.  54),  welches  sich  ebenfalls, 
nur  mit  Umkehrung  der  Motive,  an  das  ludovisische  Vorbild  an- 
lehnt, muss,  wie  oben  erwähnt,  der  Relief behandlung  wegen 
schon  in  hellenistischer  Zeit  entstanden  sein. 


158 


Th.  Schreiber,  Ludovisische  Antiken  I. 


springenden  Figuren  als  leere  Stelle  fühlbar  wer- 
den musste.  Dazu  kommt,  dass  auch  hier,  wie  im 
Paris-Erosbilde,  der  Rahmen  die  hintere  Hälfte  des 
Stieres  abschneidet.  Wenn  eine  solche  Verkürzung- 
wesentlicher  Figuren  im  Gemälde,  das  durch  deu 
Rahmeu  wie  durch  ein  Fenster  in  die  Sceue  schauen 
lässt,  noch  erträglich  ist,  so  wirkt  sie  im  Relief, 
welches  als  körperlich  hervortretend  der  Illusion 
weniger  Spielraum  giebt,  unstreitig  sehr  störend, 
wird  hierher  also  vielleicht  erst  aus  malerischen 
Vorbildern  übertragen  sein.  In  dem  Relief  mit 
Odysseus  und  Diomedes  (Braun  Taf.  IV)  ist  letz- 
terer zwar  vor  freien  Hintergrund  gestellt,  hinter 
der  Figur  des  Odysseus  aber  eine  reich  verzierte 
Mauerwand  angedeutet,  die  den  Vorzug  jeuer  Figur 
aufhebt.  Hier  entsteht  die  Frage,  ob  breit  ent- 
wickelte architektonische  Hintergründe,  die  in  Ge- 
mälden keinen  Anstoss  erregen,  schon  in  helle- 
nistischen Reliefs  vorauszusetzen  oder  erst  seit 
römischer  Zeit,  als  die  Triumphal-Darstellungen  den 
Reliefstil  veränderten,  zur  Aufnahme  gekonuueu 
sind.  Letztere  Ansicht  vertrat  Philippi  und  dar- 
nach müsste  das  eben  erwähnte  Relief,  das  alba- 
nische mit   Daidalos  und  Ikaros  (Braun  Taf.  XII) 


u.  A.  ebenfalls  den  römischen  Ergänzuugsstückeu 
beigezählt  werden.  Doch  wage  ich  ohne  eine  weiter 
ausgreifende  Untersuchung,  die  an  dieser  Stelle 
nicht  möglich  ist,  kein  bestimmtes  Urtheil  abzu- 
geben. Auch  andere  Darstellungen,  z.  B.  Hypsi- 
pyle  uud  Opheltes  (Braun  Taf.  VI),  haben  den  Vor- 
zug des  freien  Hintergrundes  für  die  Figuren 
aufgegeben;  einige,  wie  Braun  Taf.  II  (Adonis) 
und  Taf.  III  (Amphion  uud  Zethos)  halten  ihn  we- 
nigstens nicht  mit  der  Consequenz  fest,  die  wir  in 
den  oben  charakterisirten  Beispielen  gefunden  haben. 
Aber  es  kann  nicht  auffallen,  dass  eine  Relief be- 
behandlung,  wie  diejenige  der  hellenistischen  Re- 
liefbilder ist,  nach  und  nach  ausartete  und  vergrö- 
bert wurde,  bis  sie  endlich  in  die  Richtung  gerieth, 
die  wir  aus  den  römischen  Triumphalreliefs  kennen. 
In  der  Kaiserzeit  mochte  dann  der  Verbrauch  sol- 
cher Reliefs  ein  so  starker  sein,  dass  die  helle- 
nistischen Vorbilder  nicht  ausreichten  und  man  ge- 
zwungen war,  dem  Mangel  durch  eigene  Produkte 
abzuhelfen,  die  denn  auch  die  Unselbständigkeit 
und  Gedankenarmuth  der  römischen  Kunst  nicht 
verläugnen  können. 

Th.  Schreiber. 


159 


MISCELLEN. 


ROMISCHES  BILDNISS  AUF  EINEM  GOLDRINGE. 


Ein  beim  Goldschmuck  des  Antiquariums  unter 
Nr.  207  aufbewahrter  Ring  hat  den  Kopf,  dessen 
Abdruck  hier  abgebildet  ist,  vertieft  in  das  Gold 
des  Ringes,  nicht  in  einen  Stein,  eingegraben;  das 
Ganze  bildet  nur  ein  Stück. 

Es  ist  römische  Arbeit,  so  naturwahr  und  herb, 
charaktervoll  und  lebendig  als  römische  Bildnisse 
der  guten  Zeit  zu  sein  pflegen;  der  Geist  der 
Künstler  adelt  die  Hässlichkeit  der  Dargestellten. 

Man  möchte  dem  Styl  nach  glauben,  die  Arbeit 
gehöre  in  die  Zeit  der  Republik.  Die  Köpfe  des 
M.  Claudius  Marcellus,  Seipio,  Aheuobarbus  und 
einige  andere  auf  Denaren  der  Republik  haben  den- 
selben Charakter. 

Wer  der  Dargestellte  ist,  das  sagen  leider  nicht 
die  beiden  Buchstaben  hinter  dem  Kopf.  Gleich- 
zeitig mit  demselben  sind  sie  gewiss  eingraviert, 
nicht  etwa  ein  späterer  Zusatz,  das  zeigen  ihre 
Formen  und  die  Stelle,  wo  sie,  eine  Lücke  in  der 
Darstellung  ausfüllend,  stehen. 

Man  kann  sie  VP  oder  JA  lesen,  je  nachdem 
man  sie  von  oben  oder  unten  betrachtet.  VP  wäre 
nach  Analogie  der  Münzen  die  natürlichste  Lesung; 
auf  den  Münzen  wenden  nämlich  die  Buchstaben 
die  Köpfe  fast  immer  nach  aussen.    V  könnte  dann 


das  Praenomen  Volusus  sein,  T  Name  oder  Zuname, 
allein  r  wäre  eine  ganz  ungewöhnliche  Form  für  F 
(Ritschi  Priscae  latinitatis  monumenla  Tafel  XVI 
Nr.  24).  Liest  man  die  Buchstaben  wie  sie  auf 
dem  Ringe  stehen  —  was  man  wohl  nicht  darf, 
da  das  Bild  doch  zum  Siegeln  bestimmt  war  —  so 
passte  das  U,  aber  am  A  fehlte  der  Querstricli  der 
es  zum  A  machen  würde.  Die  Epigraphiker  mögen 
entscheiden.  Griechisch  sind  die  Buchstaben  gewiss 
nicht,  vr  etwa  YA  zu  lesen,  was  diese  Zeichen  in 
KAVr  mit  den  grossgriechischen  Formen  einer 
weit  älteren  Epoche  allerdings  bedeuten,  und  etwa 
dies  YA  zu  YA^ov  zu  ergänzen,  zu  dem  Namen 
eines  berühmten  Steinschneiders,  —  davor  braucht 
wohl  nicht  gewarnt  zu  werden. 

Es  ist  oben  gesagt,  dass  der  Styl  auf  die  Zeit 
der  Republik  weist,  allein  das  Stylgefühl,  auf  wel- 
ches jetzt  manche  Kunstforscher  so  grosses  Gewicht 
legen,  ist  subjectiv  und  unsicher,  besonders  für 
chronologische  Bestimmungen,  weil  der  Styl  immer 
durch  den  Ort,  wo  das  Kunstwerk  entstanden  ist, 
bedingt  wird.  So  vielleicht  auch  in  diesem  Falle; 
und  jedenfalls  ziemt  es  sich  anzuführen,  dass  Plinius 
(bist.  nat.  XXXIII  1  sect.  6)  sagt:  contra  vero  multi 
nullas  admitlunt  gemmas,  mtroque  ipso  signanl;  id 
Claudi  Caesaris  principalii  repertum. 

Es  schien  nützlicli,  auf  dies  kleine  interessante 
Denkmal  von  neuem  aufmerksam  zu  machen. 

J.  Friedlaender. 


INSCHRIFT  AUS  MAKEDONIEN. 


EKKAHSIASATO 

ETTAPXOTAAEEAA'APOTTOrAEi^A/IAOT 

KAITTOAAflA/ nOAEITft/vrno 

TftA'EnAPXlKftA/EEEAATA'0/\/TAI 


160  P'^-  Sakellarios,  Inschrift  aus  Makedonien. 

5     THZTftA/AHMOSIftA/TOnftA/ 
XPHSEßSOTKAPKOTME/VftA' 

A    r    r    9.   A/ ETEIMHSAA/TO 

nOAAAKAIEKEIH'ETSAMEA/OI 
AAAAKAinEPIBAAAOME/VftA' 

10     AAAASEATTOItKATOXAr 
EA/XßPIOISrnEPßA/OIAIAKA 
TEXOA'TErATTAITPOTEPOA' 
EAOSAA/XEIPASA*irTAME 
A^OIATTJ^A/KAinAPAXftPOTA/TES 

15     ATTATHITTOAITEIAIA/TA/AEOI 
ATA/ATflTEPO     1    T5^/VETTAPXI    K    9    /V 
EKBIAZOA/TAlTOrSTTEA'HTASKAI 
ATTATEEKEIA/AAOTKEHO/VAT 
TOISBOTAOA/TAIKATEXEIA' 

20     KAITTPOSEMnOA'OTSITHA/APXAI 
AA/rHA/XAPAKlSMOTTEKAI/VO 
MH£ATTOKAEIOTi:iKAIA*AIPOTA/ 
TAITOrSnOAEITASKAIAIO 
AftA'EAOEETi^ITETrOA   EITAPXHI 

25     KAITOlSTTOAEITAISOMOrA'flMOA'Or 
SIMOA'AKATATHA/rE/VTIAA/OTAIATA 
EIA^TOrSEnAPXIKOrSAETIMHSA/V 
TOKATEXEIA/EISAETAAOITTAMHAE 
A/lEEEl/VAIEnAPXiKßlHEMTTO/VEIA' 

30     HArOPAZEIA/HKATEXEIA/MHAEAOr 
MATI/VIAIAOA'AITTOAITEIASHXPHSE 
;2STflA/AHM02:i5^A/MOA/Ol2AEAA/EI 
SGAlTHA/rHA/TOISAnOTETIMHME 
A/OIZOPErTOISEniMEAEISGAIAE 

35  TOTTflA^TOA/KATETOSrEIA'OnEA/OA' 
nOAEITAPXHA/ß5:TEEmA'A....TflA/nOAEITftA/KAI 
EKBAAAEIA'KAIKßATEI/VTOTS... 
...MHATTOTETEIMHMEA/HA'rHA/ 
BlAZOMEA'OrrEAA/AETHI     .     .     .     . 

40     .     .     nOAEITAPXHlKAIAOTMA     .     .     .     . 

AHMOriATOTTOA/ATTO 

AOTA'AIEISAISKOA^AHA'APIAnEA' 
TAKISXIAIAKAIAAAATHinOAl 
TEIAITTEA'TAKISXEIAIA    .    .     .    . 

45 TOTTOTOAOrMAE 

AOHETßlAIEnOA/TITHA/EnAP 
XlAA'IOTA/IftlPOT'l'IA/i^IAIA 
TftA/TTPESBETTflA/TOT.... 
....KAIAIATPOTKAI      .      .      . 

50....      KAIAEKEI/VOSATTO 

K     r     V     Si     Z      .      .      KAISTHAOrPA*. 


(PiAinn 

A  1  A  c 


A.  Furtwängler,  Nike  und  Linos. 


161 


'ExxkTjata  aazo  ,  snäqxov  ÄXe^ävöqov 

10V   ^scüviöov  xal  nokköjv nokeiTiuv    vno 

Twv  snaQxixcüv  e^si-avpoviai  trjs  zwv  dt]/xoaiwv 
zöniov  xQTloeiog,  ovx  ctQxovi.ievMv  avTwv,  ....  irsi- 
/.irjOavzo  nokXd  xal  exet  ■{pevadf.ievoi,  dlXa  xal  nsqi- 
ßaHnfiivwi'  ciXlag  eavTo7g  xaroxctg,  vnsg  ibv  ol  dia- 
xatixovTsg  avxd  ngöregov  eöoaav  x^^Qog  a(piatä(.uvoi 
avtiöv  xal  nagaxiiiQOvvTeg  avtd  ttj  7ioXiTei(^,  vvv 
ÖE  Ol  övvaTUizEQOi  zcöv  Enaqxi'X'<^v  sxßiä^ovzai  zovg 
nevTjzag  xal  aiza  ze  ixelva  a  ovx  s^ov  avzdlg  ßov- 
Xovzai  xazixeiv,  xal  7T()oa£/.iTioi'Ovoi  zfjv  aqxaiav  yr^v, 
XaQaxiafiov  ze  xal  vofxfjg  anoxlslovac  xal  dcpaigovv- 
zai  zovg  noXeizag  xal  diodiov  eSo^ev  ziö  ze  noXsi- 
tÖqxI}  "'**  '^"'S  noXeizaig  6i:wyvcoi.wvovav  f.iöva  xazd 
zrjv  revziavov  diäza^iv  zovg  snaQXi-'xovg  a  Izifirj- 
aavzo  xazixeiv,  eig  ös  zu  Xnind  /.irjöevl  sS.£lvai 
enaQxixc^  i^  sunovEiv  rj  ayogäl^eiv  //  xazsxeiv,  ftTjde 
döyi-ia  Zivi  didövai  noXizeiag  r]  XQ^f^^(^\^  tw»»  Ötj^o- 
aiiov,  fxövoig  öi  dvsJa&ai  zrjv  yrjv  zolg  dnozezi(.ii]- 
jxivoig  'Ogsazoig.  ini/iieXelad-ai  de  zovziov  zov  xaz' 
ezog  yeivöi-ievov  noXeizäQxr]v .    waze  iniva  ....  züv 

noXeizwv  xal  ixßaXXeiv  xal  xwXveiv  zovg f<^ 

änozezeif.iT]fiiv?]v  yrjv  ßiato/^ivovg'  idv  de  z/j 

noXeizdqx]]   xal  öoyi-ia di](.i6aia,  zovzov 

dnoöovvai  elg  {q>)iaxov  drjväqia  nevzaxiaxiXia  xal 

aXXa  zfj  noXizeia  nevzaxiaxeiXia  zovzo 

zo  ööyi-ia  sdo^e  t(^  dienovzi  zrjv  enaqxiav  'lovviip 

''PovcpivM    did    züJv    ngeaßevTtüv    zov   xal 

/lidyqov  xal xal  a  exeivog  avzoxvqioa  .  .  xal 

azrjXoyqaq' 


Deu  Abdruck  der  vorliegenden  Inschrift  habe 
ich  im  Distrikte  Orestis  (lieute  enaqxia  Kaazoqiag) 
in  Makedonien  von  einer  Marmorplatte  genommen. 
Die  Inschrift  ist  im  Allgemeinen  gut  erhalten,  d.  h. 
ihr  Inhalt  ist  deutlich,  mir  aber  ist  es  nicht  ge- 
lungen einen  ganz  vollständigen  Abdruck  zu  nehmen. 
Im  Originale  selbst  sind  die  letzten  vier  Zeilen 
grösstentheils  zerstört;  die  Buchstaben  derselben 
waren  kleiner  als  die  der  übrigen  Inschrift,  wie  es 
scheint,  wegen  Kaummangel.  Es  standen  hier  an- 
scheinend verschiedene  einzelne  Namen,  vermuth- 
lich  Unterschriften.  Das  Dogma,  welches  die  In- 
schrift enthält,  ist  unter  dem  Kaiser  Hadrian  ab- 
gefasst,  wie  der  darin  erwähnte  damalige  Statt- 
halter von  Makedonien  'lovviog  'Povcplvog  beweist. 
Der  Stein  befindet  sich  jetzt  im  Dorfe  Idranitzi, 
welches  ungefähr  vier  Stunden  weit  von  der  Stadt 
Kastoria  (in  Römischer  Zeit  Celetrum)  und  1  '/^  Stun- 
den von  den  Quellen  des  Flusses  Haliakmon  liegt; 
um  diese  Quellen  wohnten  die  in  der  Inschrift  er- 
wähnten Oresten,  wie  auch  die  Städte  Orestikon 
Argos  und  Amantia  wahrscheinlich  in  der  Nähe  der 
Quellen  des  Flusses  lagen.  Eine  zweite  Lesung  der 
Inschrift  oder  ein  glücklicherer  Abdruck  wird  viel- 
leicht die  Lücken  ausfüllen  und  den  Sinn  deutlicher 
machen,  wie  auch  den  Namen  der  Stadt  entziffern. 

Halle  a.  S.,  10.  August  1880. 

Philippos  Sakellarios 
aus  Epirus. 


NOCHMALS  NIKE  UND  LINOS. 


Eine  von  mir  bei  Gelegenheit  der  neuen  Cata- 
logisirung  der  Berliner  Vasensammlung  vorgenom- 
mene Untersuchung  der  in  einer  Miscelle  des  vorigen 
Heftes  (S.  101)  von  G.  Körte  besprocheneu  Lekythos 
ergab  ein  von  dem  dort  mitgetheilten  verschiedenes 
Resultat.  Das  ganze  Gefäss,  selbst  Henkel,  Mün- 
dung und  Fuss,  ist  völlig  antik,  doch  aus  Stücken 
zusammengesetzt.  Sicher  modern  eingefügt  ist  nur 
das  den  vorgesetzten  linken  Fuss  der  Nike  und  den 

Ai'chtiolog.  Ztg.,  Jahrgang  XXXVIII. 


rechten  des  Jünglings  nebst  dem  Mäander  darunter 
umfassende  Stück.  Der  Firniss  des  Gefässes  ist 
tadellos.  Der  Restaurator  desselben  suchte  in  üb- 
licher Weise  nicht  nur  die  Fugen  der  Brüche,  son- 
dern auch  diejenigen  Beschädigungen  durch  Ueber- 
malung  zu  verdecken,  welche  die  Oberfläche  na- 
mentlich an  den  mittleren  Gewandpartien  durch 
Zersetzung  erlitten  zu  haben  scheint.  Diese  Ueber- 
malung,    die  jetzt  grösstentheils  von  mir  entfernt 


162 


H.  Blümner,  S.  g.  sterbender  Alexander. 


ist,  hielt  sich  indess  ziemlich  genau  an  die  antiken 
Spuren,  wie  sich  namentlich  an  einigen  Stellen  er- 
kennen Hess,  wo  dieselbe  auf  wohl  erhaltene  antike 
Zeichnung  übergegritfen  hatte.  Der  trügende  An- 
schein eines  modernen  Ursprungs  des  Ganzen  ward 
eben  durch  jene  Uebermalung  veranlasst.  —  Noch 
erwähne  ich,  dass  von  den  Köpfen  der  des  Jüng- 
lings sehr  übermalt  war;  die  Flügel  der  Nike  in- 
dess sind  intact  und  entsprechen  durchaus  der  im 
strengen  Vasenstile  gebräuchlichen  Bildung. 

Was  dagegen  die  thörichten  Inschriften  betrifft, 


so  bestätigte  sich  Körte's  Beobachtung  durchaus; 
sie  sind  modern  und  gegenwärtig  entfernt.  —  Der 
Stil  des  einst  schönen  und  sorgfältigen  Gefässes 
ist  der  „strenge"  im  Uebergange  zum  „schönen". 
Das  theilweise  oder  vollständige  Uebermalen  etwas 
beschädigter  Vasenbilder  wurde  sowohl  im[römischen 
als  besonders  im  neapolitanischen  Kunsthandel  mit 
grosser  Routine  betrieben,  und  die  Berliner  Samm- 
lung bietet  zahlreiche  dem  obigen  verwandte  Bei- 
spiele. 

A.    FURTWÄSGLER. 


DIE  MASKE  DES  SOG.  STERBENDEN  ALEXANDER. 


Obgleich  die  Deutung  dieses  Idealkopfes,  in 
dessen  Zügen  sicherlich  keine  Spur  von  Portrait- 
ähnlichkeit  zu  finden  ist,  als  sterbender  Alexander 
noch  in  Friederichs  (Bausteine  No.  682)  einen  Ver- 
theidiger  gefunden  hat,  so  sucht  doch  heut  die 
Mehrzahl  der  Archäologen  sicherlich  mit  Recht  die 
Deutung  auf  mythologischem  Gebiete.  Overbecks 
Deutung  auf  Kapaneus  trifft,  trotz  des  Widerspruchs 
von  Friederichs,  insofern  das  Richtige,  als  sicher- 
lich es  ein  physischer  Schmerz  ist,  der  das  Gesicht 
verzerrt  und  den  Kopf  nach  hinten  sich  zurück- 
beugen lässt.  Freilich  erregt  die  Bartlosigkeit  Be- 
denken, weniger  der  Ausdruck  des  Gesichts,  denn 
„weich"  ist  derselbe  keineswegs,  wennschon  ebenso 
wenig  „wild". 

Ich  habe  nun  schon  früher  den  Gedanken  ge- 
hegt, dass  der  Kopf  einen  jugendlichen  Titanen 
oder  Giganten  vorstelle.  Seitdem  mir  aber  die 
erste  vorläufige  Publication  der  schönsten  Re- 
liefs vom  pergamenischen  Altar  zugekommen  ist 
(Conze,  Huniann  u.  A.,  Die  Ergebrrisse  der  Aus- 
grabungen zu  Pergamon,  Berlin  1880),  hege  ich 
an  der  Richtigkeit  dieser  Deutung  keinen  Zweifel 
mehr.  Der  Kopf  des  von  Athene  niedergeworfenen 
jugendlichen  Athleten  auf  Taf.  IV  entspricht  im 
Ausdruck,  den  hoch  heraufgezogenen  Augenbrauen, 
dem  wirr  sich  sträubenden  Haar,   der  nach  hinten 


gebeugten  Stellung  so  genau  der  florentiner  Maske, 
dass  ich  keinen  Augenblick  anstehen  möchte,  den 
florentiner  Kopf  für  den  eines  sterbenden  Giganten 
zu  erklären,  besonders  da,  wie  ich  höre,  auch  mit 
einem  der  noch  nicht  abgebildeten  pergamenischen 
Gigantenköpfe  grosse  Aehnlichkeit  vorhanden  ist. 
An  der  edeln,  jugendlichen  Bildung  wird  nunmehr, 
nachdem  wir  in  den  pergamenischen  Skulpturen 
Giganten  von  „edelster  sympathischer  Bildung,  sei 
es  frischer  Jugendlichkeit  oder  würdiger  Mannes- 
gestalt"  kennen  gelernt  haben,  niemand  mehr  An- 
stoss  nehmen.  Andererseits  aber  findet  das  mähuen- 
artig  gesträubte  Haar,  das  man  ja  auch  an  den 
schon  früher  bekannten  Gigantenbildungen  beo- 
bachten konnte  und  das  ganz  besonders  zu  der  Deu- 
tung auf  Alexander  verleitet  hat,  bei  dieser  An- 
nahme seine  beste  Erklärung;  nicht  minder  ist, 
abgesehen  von  der  schon  bemerkten  eigenthUmlichen 
Kopfhaltung,  für  welche  der  den  Kapaneus  treffende 
Blitzstrahl  doch  nur  ein  schwaches  Auskunftsmittel 
war,  für  den  Giganten  das  Sichtbarwerden  der 
Zähne  charakteristisch.  Ich  weise  bloss  noch  dar- 
auf hin,  dass  diese  Deutung  mit  der  allgemein 
angenommenen  Datirung,  wonach  der  „sterbende 
Alexander"  in  die  Üiadochenzeit  gehört,  sehr  wohl 
übereinstimmt. 

Zürich.  H.  Blümner. 


Zu  Tafel  14.  —  Berichtigung. 


163 


Zu  Tafel   14. 


Der  gUtigeu  Vermittlung  des  Herrn  Dr.  A.  Milch- 
hüter verdankt  die  Redactiou  eine  von  Herrn  Gillieron 
herrührende  Zeichnung  des  im  Museum  von  Sparta 
befindlichen  Sarkophages,  den  die  auf  Tafel  14 
wiedergegebene  reizende  Darstellung  sclimückt ;  das 
ins  Patissiamuseum  zu  Athen  versprengte  Bruch- 
stück mit  Kopf  und  Schultern  des  cymbelschla- 
gendeu  Eroten  ist  in  der  Zeichnung  hinzugefügt. 
Dass  unsere  Tafel  in  der  Noth  des  Kaumes  das  fort- 
laufende Bildwerk  getheilt  geben  musste,  erschwert 
die  Veranscliaulichuug  hoffentlich  nicht  zu  sehr. 
Eine  eingehende  Beschreibung  des  Denkmals  findet 
man  in  Dressel  und  Milchhöfer's  Verzeichniss  der 
antiken  Kunstwerke  aus  Sparta  (Mittheilungen  des 
arch.  Inst.  II)  S.  401,  eine  lichtvolle,  die  Composi- 
tionsprincipien  darlegende  Auseinandersetzung  über 
den  Keliefschmuck  der  wenig  zahlreichen  grie- 
chischen Sarkophage  bei  Matz  in  der  archäolog. 
Zeitg.  1872  S.  11  ff.  Unter  den  S.  16  aufgezählten 
Erotendarstellungen  auf  dieser   Klasse   von  Denk- 


mälern steht  die  vorliegende  an  Schönheit  gewiss 
obenan;  die  streng  symmetrische  Gliederung,  die 
Matz  als  den  ihm  bekannten  Exemplaren  eigen- 
thümlich  hervorhebt,  finden  wir  auch  bei  dem  uu- 
srigen  wieder. 

Es  sei  die  Gelegenheit  benutzt  auf  das  Bruch- 
stück eines  stofflich  gleichartigen  Sarkophages  von 
später  und  gewöhnlicher  Ai-beit  hinzuweisen,  das 
mit  der  übrigen  Ausbeute  seiner  Expedition  vor 
kurzem  durch  Sejjp  in  das  Berliner  Museum  ge- 
kommen ist.  Es  genügt  nämlich  ein  Blick  auf  die 
Abbildung  in  dieses  Verfassers  'Meerfahrt  nach 
Tyrus'  S.  202,  um  zu  erkennen,  dass  kein  „ertrun- 
kener Melikertes",  sondern  ein  stark  betrunkener 
Erot  dargestellt  ist,  den  ein  zweiter  vom  Nieder- 
taumeln zurückhält,  während  ein  dritter,  der  das 
Tympanon  dazu  schlägt,  damit  gewiss  eine  weit 
harmlosere  Absicht  verfolgt  als  „die  Auferstehung 
zur  Harmonie  der  Sphären  anzudeuten." 

M.  F. 


Berichtigung. 


In  der  Sitzung  der  archäologischen  Gesellschaft 
in  Berlin  am  4.  Mai  d.  J.,  über  welche  der  Bericht 
in  der  mir  so  eben  zugegangenen  Archäolog.  Zei- 
tung d.  J.  Heft  2  S.  105  f.  abgedruckt  ist,  hat  Herr 
Prof.  Dobbert  die  Entdeckung  der  Abplattung  des 
einen  Pferdekopfes  vom  westlichen  Parthenougiebel 
für  sich  in  Anspruch  genommen  und  gesagt,  er 
habe  seine  Beobachtung  mir  mitgetheilt,  der  ich 
ihm  vollkommen  Eecht  gegeben  und  seither  meine 
eigene  Entdeckung  sowie  die  Beobachtungen  D's. 
an  den  Pferdekc'lpfen ,  freilich  ohne  diesen  zu 
nennen,  in  den  Berichten  der  K.  Sachs.  Ges.  d. 
Wiss.  veröffentlicht  habe.  —  So  kleinlich  ein  Prio- 
ritätsstreit bei  einer  derartigen  Entdeckung  er- 
scheinen kann,  die  Jeder  macheu  konnte,  nachdem 
diejenige  der  Abplattung  des  Pferdebeines  gemacht 
worden  war,  kann  ich  doch  die  in  den  Aeusserun- 
gen  des  Herrn  D.  gegen  mich  gemachte  Insinuation, 
als  hätte  ich  eine  von  ihm  herrührende  Beobachtung 
als  die  meinige  benutzt,  nicht  ruhig  hinnehmen  und 
erkläre  deshalb  hiermit,  dass  Herr  Prof.  Dobbert 
sich  geirrt  hat.  Mein  londoner  Tagebuch  weist 
nach,  dass  ich,  nachdem  ich  am  20.  August  die 
Wahrnehmung  an  dem  Beine  gemacht  hatte,  durch 
dieselbe  ganz  natürlicherweise  zu  weiteren  Unter- 
suchungen der  Pferdefragmente  vom  Parthenon  an- 
geregt,  selbigen  Tages   die  verwandte  Erschei- 


nung an  dem  einen  Pferdekopfe  festgestellt  habe. 
Mit  Herrn  Prof  Dobbert  traf  ich  am  1.  September 
zusammen  und  theilte  ihm,  wie  vorher  Mehren 
(Newton,  Murray,  Dr.  Lange  u.  A.)  meine  Ent- 
deckungen an  dem  Bein  und  an  dem  Kopfe 
mit,  desgleichen,  dass  ich  auch  den  zweiten,  bei 
Michaelis  nicht  abgebildeten  Pferdekopf  zu  dem 
Gespanne  des  Poseidon  rechne.  Darauf  machte 
mich  Herr  Prof.  Dobbert  seinerseits  auf  „die  Beto- 
nung der  kleineu  Falten  am  Kinnbacken"  aufmerk- 
sam, „wie  solche  sich  an  der  rechten  Seite  des  äu- 
ssern Pferdekopfes  vom  Gespanne  des  Helios  am 
Ostgiebel  tinden"  und  leitete  daraus  den  Schluss 
ab,  „dass  jener  Kopf  eine  Wendung  nach  links 
mache  und  also  dem  äussern  Pferd  in  der  rechten 
Hälfte  des  Westgiebels  angehörte."  Dass  ich  diese 
Wahrnelimung  dem  Herrn  D.  verdanke,  hätte  ich 
bei  meiner  Publication  sagen  sollen  und  hätte  das 
auch  getlian,  wenn  icli  hätte  ahnen  können,  dass 
Herr  D.  auf  diese  seine  Wahrnehmung,  welche  meine 
Entdeckung  in  so  erwünschter  Weise  bestätigt,  ein 
so  grosses  Gewicht  legt,  wie  es  sich  jetzt  zeigt. 
Dass  ich  aber  irgend  eine  weitere  Beobachtung  dem 
Herrn  D.  entlehnt  habe,  ohne  ihn  zu  nennen,  dies 
stelle  ich  hiermit  auf  das  Bestimmteste  in  Abrede. 


Leipzig,  28.  August  1880. 


OVERBECK. 


22* 


DIE  AUSGKABUNGEN  VON  OLYMPIA. 


INSCHRIFTEN  AUS  OLYMPIA. 


366. 

„Niedrige  Basis  aus  pentelischem  Marmor,  ohne  Profilirung. 
Gefunden  am  4.  April  1880  vor  der  Westaltismauer,  südlich  vom 
PhilippeioD.  o  5  steht  auf  der  Vorderseite  und  der  r.  Neben- 
seite, c  auf  der  Oberfläche  am  vorderen  Rande  vor  den  beiden 
darauf  befindlichen  Fussspui-en ;  von  diesen  fehlt  die  r.,  da  die  r. 
hintere  Ecke  der  Platte  abgebrochen  ist;  die  1.  ist  0,17  gross; 
auch  durch  sie  geht  ein  Bruch,  der  die  1.  hintere  Ecke  und  die 
1.  Inschriftseite  durchschneidet.  An  den  Seiten  hat  die  Basis 
in  der  Mitte  des  unteren  Randes  je  eine  rechteckige  Vertiefung, 
welche  vermuthlich  zur  Befestigung  derselben  auf  der  Unterseite 
diente  und  nur  auf  der  Rückseite  fehlt;  die  Inschriften  nehmen 
schon  auf  dieselbe  Rücksicht."  Ausser  einer  Abschrift  von  K. 
Purgold  lag  mir  ein  Abklatsch  vor. 


E  P  M  A  2  I  2  mTu-O VXnTNI  O  x\^ 
YSAnoAÄTNHSNEIKHXAS 


O  A  Y  M  n  I  ^ 


//// 


A  I  X  K  A  I  T  H  N 


A  O  I  n  H  N  n  E  P  I  C  ps-CTH  E  N  "i  K /////// 


A  K  T  I  O  I  X  K  A  11-' 


//// 
//// 


P  A  I  o  I  S  A  H  o\/// 
Y  M  n  I  rV/ 


ANAPASnANKPATION 

'EQ/.iäg  'Ialcü\v]og  ^vzioxs  i  vg  and  Jäifvrjq, 
VEixrjaag  'OXv[.iTiia  ölg  xal  ttjv  |  kotnrjv  nsQtoöov 
ev  ifj  \ne]  \  Qi6ö(p  avv  ö[l\g  Ns/xeioig,  |  M'xTtoi.g  xai 
'Hqaioig,  Jil  '0[^]  |  vi^niq).  —  \  avögag  navxQäziov. 
Die  Worte  ev  t^  nagiödii)  können  wohl  nur  so 
gedeutet  werden,  dass  Hermas  oline  Unterbrechung 
immer  bei  der  nächstfolgenden  Feier  eines  der  vier 
grossen  Nationalspiele  aufgetreten  ist  und  gesiegt 
hat,  während  in  dem  vixt^aag  zrjv  neqioöov  an  sich 
dieses  noch  nicht  liegt.  Ueber  die  Verbindung  an- 
derer Festspiele  mit  der  ursprünglichen  neqiödog 
siehe  zu  nr.  ÜÜ. 


367. 

Fragment  einer  Kalksteinbasis,  gefunden  am  '29.  Oktober 
1879  im  Osten  der  Echohalle.  Oben  und  an  den  Seiten  Bruch, 
unten  der  Ansatz  des  Profils  erhalten;  hoch  0,16,  lang  0,25,  tief 
0,17.     Abschrift  von  Purgold. 


!1  TT  CTTTTt  K  TVn 
MeCCAAGl^/ 
THNAPeTHa 

'H    nölig  xa[l  fj  'Olv/.in:txri   ßovXi] ]  | 

M.£aaaXsiv\ov,  xov  eavTtov  £veQys]Trjv,  oQETrjg  [svexev]. 

Das  Cognomen  Messalinus  ist  zu  häufig,  um  eine 
nähere  Bestimmung  der  Person  der  die  Inschrift  gilt 
zu  gestatten. 

368. 

Fragment  aus  gelbem  Kalkstein,  gefunden  16.  Mai  1880  im 
Norden  des  Prytaneion.  Unten  ist  der  Rand  erhalten  mit  einem 
Theil  der  rauhen  Unterfläche;  rechts  Anschlussfläche,  links  imd 
oben  Bruch.  Der  erhaltene  Theil  ist  0,29  lang,  0,13  hoch.  In 
den  Buchstaben  noch  deutliche  Spuren  von  Roth.  Ausser  einer 
Abschrift  von  Purgold  lag  mir  ein  Abklatsch  vor. 


p  N  S  fl  T  H  P  A  K-?rr 
k^5  TKANTAAPE 


[Tdv  ösha  .  .  ,  top  eavT]cöv  awzfJQU  xai   [eiieq- 
yizriv,  dLev\eyxavxa  aQE[Tfj ]. 

369. 
,, Basisblock  von  grauem  Kalkstein,  gefunden  am  16.  Decem- 
ber  1870  im  ersten  grösseren  Gemach  von  S.  an  der  Ostwand 
der  Palästra  in  situ.  Länge  der  Vorderseite  (a)  und  Hinterseite 
(b)  0,83,  Breite  der  linken  Seite  0,74,  der  rechten  0,70.  Höhe 
der  vorderen  Schriftfläche  links  0,26,  rechts  0,22;  der  hinteren 
links  0,24,  rechts  0,27.  Dieser  Kalksteinblock,  ringsum  glatt, 
ohne  Profil,  bearbeitet,  bildet  gegenwärtig  den  Unterstein  einer 
Basis,  welche  ausserdem  noch  aus  einem  zweiten,  auf  ihm  ru- 
henden besteht  (0,77  X  Oj^'t  g''oss,  0,165  dick);  derselbe  ist  oben 
mit  einem  zurücktretenden  Profil  von  etwa  0,06  Höhe  bekrönt 
und  zeigt  auf  der  Oberfläche  vier  roh  gearbeitete  Vertiefungen 
mit  Gussrinnen,  innen  mit  dem  Bleivergiiss,  durch  welchen  die 
Plinthe  einer  darauf  aufgestellten  Statue  befestigt  war.  Dieser 
obere  Block,  der  sich  mit  dem  unteren  auf  keiner  Seite  genau 
in  der  Grösse  deckt,  ist  so  auf  denselben  gelegt,  dass  an  der 
Westseite,  wo  sich  das  Gemach,  in  welchem  sie  stehen,  nacli  dem 
grossen  Sänlenliof  des  Gymnasiums  öft'net,  ihre  Kanten  auf  ein- 
aniler  schlius.sen,  offenbar  weil  die  Statue,  deren  Basis  sie  in  ihrer 
jetzigen  Verbindung   bildeten,    nach   dieser   Seite   hin   die  Front 


W.  Dittenberger,  luschriften  aus  Olympia. 


165 


hatte.  Es  ergibt  sich  ans  den  angegebenen  Umständen,  dass 
die  beiden  Blöcke  von  älteren  Monumenten  genommen  sind. 
Uebcr  die  ursprüngliche  Bestimmung  des  oberen  Blocks  ist  keiner- 
lei Vermuthung  aufzustellen,  für  den  unteren  Block  lassen  die 
beiden  Inschriften,  die  er  an  den  beiden  jetzigen  Nebenseiten 
trägt,  eine  doppelte  frühere  Verwendung  erkennen.  Die  altere 
von  beiden  ist  offenbar  u ,  welche  von  einer  Basis  herrührt ,  in 
welcher  der  Block  hochkantig  an  die  linke  Ecke  der  Vorderseite 
gestellt  war.  Dies  Monument  war  schon  in  der  auf  Ol.  259 
(257  —  260   n.  Chr.)')   nächstfolgenden    Zeit    zerstiirt,    denn    in 


dieser  wurde  derselbe  Block  zu  der  Basis  eines  Siegers  verwen- 
det, in  der  er  liegend,  wie  jetzt,  nur  natürlich  mit  anderer 
Front,  als  Unterstein  angebracht  war.  Ein  darüber  liegender 
Block  hat  den  Anfang  der  Siegerinschrift  getragen,  mit  dem  der 
Name  des  Siegers  verloren  ist ').  Wir  haben  hier  einen  Anhalts- 
jiunkt  dafür,  dass  in  der  Palästra  vermuthlich  noch  im  zweiten 
Jahrhundert  neue  Monumente  errichtet  worden  sind,  freilich  aus 
den  Bestandtheilen  von  früheren."  Ausser  einer  Abschrift  von 
K.  Purgold  lag  mir  ein   Abklatsch  vor. 


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A'^Z/THCBOYACY 

THCKAITPinOAeiTHCBOYAeYrF 

iv,KAineprAioc 

BOYAeYTHCKHPYZ'TPICnePIOAOCAÄeinTOC      1 

NeiKHCACiePOYCArWNACTOY 

aaeNOYC.OAYoaniA/iGCNFi 

CYnorerPAJU 

.  c  N  H  '  c  N  0  c  :: 

KÄneTWA    1    AeNPU)JUHrA0HNAC-POXl  A/// 

XOYeNPCOXlH.f.     PIO    JU     HCA 

W    N   /////////////// 

Die  Beste  von  a  lassen  zwar  erkennen,  dass 
diese  Inschrift  zu  der  Statue  eines  Mannes  gehörte, 
die  ihm  von  einer  Stadtgemeinde  (wahrscheinlich 
der  von  Elis)  gesetzt  war;  von  einer  Herstellung 
aber  kann  nicht  die  Rede  sein.  Man  erkennt:  Z.  1 
^  Tcokig,  Z.  2  Käklin[nov]  oder  KakXin[7iiö>]v], 
Z.  3  .  .  -xov  TtjI  . .  . .,  Tl.  A  innaQxri[öttvxtt\,  Z.  5 
[TEt^irj\uisvov  6[£  u.  s.  w.,  Z.  6  xiov  xal  .  ■  .,  Z.  7 
aQtrfjg  [evsxa]. 

Dagegen  fehlt  von  b  zwar  der  Anfang,  das  Er- 
haltene aber  ist  ein  zusammenliängendes  und  bis 
auf  ganz  kleine  und  sicher  zu  ergänzende  Lücken 

vollständiges  Stück: ßovXevTrjg  xat  2^ivq- 

vacog  ßovlevzrjg  xal  0ila\d£l(pevg  ßovksvTrjg  xal 
'l£Qanol{£i]T7]g  ßov).£v\zi^g  xal  TQinoksitTjg  ßnvlevT^g 
xal  IleQ/alng  ßovlEvzrjg,  xfJQv^  TQiansgiodog  a^ein- 
Tog,  I  veixtjaag  legoiig  ayüvag  zovg  v7ioy£yQai.i\^ii- 
vovg-  'OXv/^mia    d'   'Ol(vixniaöi)   avg',    avtj',   avi^' , 

')  Vielmehr  Ol.  260  s.  unten.     W.  D. 


<j[^']''),  1  Kan£zu)lia  sv  'Pco/itt]  / ,  läd^rjväg  IlQOfiä- \ 
Xov  ev  'Pdif-ij]  y',  'P(ö/^rjg  alcöv[ia]. 

Die  Person  des  Dedicanten  lässt  sich,  obwohl 
der  Name  mit  dem  oberen  Stein  verschwunden  ist, 
sicher  bestimmen.  Es  findet  sich  nämlich  in  dem 
Verzeichniss  ein  Festspiel,  das  überhaupt  nur  ein- 
mal stattgefunden  hat:  denn  die  'Pcofijjg  almvia 
können  in  einer  Inschrift  dieser  Zeit  nur  von  der 
Feier  des  tausendjährigen  Bestehens  der  Stadt  Rom 
248  n.  Chr.  verstanden  werden.  In  dieser  aber  hat 
als  xriQV^  Valerius  Eclectus  aus  Sinope  gesiegt, 
nach  der  Inschrift  eines  von  ihm  dargebrachten  Ana- 
thems  in  Athen  (C.  /.  Att.  III  129);    ihm  muss,  da 

')  Doch  s.  unten.     W.  D. 

^)  Dass  der  olympischen  Siege  vier  waren,  ist  vorher  aus- 
drücklich angegeben,  und  da  in  Purgold's  Abschrift  wie  auf 
dem  Abklatsch  zwischen  den  Spitzen  der  Palmzweige  der  Halb- 
kreis des  C  und  zwei  horizontale  Linien,  die  offenbar  zum  ^ 
gehörten,  erkennbar  sind,  für  ein  drittes  Zahlzeichen  aber  kein 
Raum  zu  sein  scheint,  so  dürfte  das  Datum  des  vierten  Sieges 
(Ol.  260)  gesichert  sein. 


166 


W.  Dittenberger,  Inschriften  aus  Olympia. 


zwei  Sieger  in  demselben  Agon  undenkbar  sind, 
auch  unsere  Inschrift  zugeschrieben  werden.  Und 
dies  findet  bei  näherer  Betrachtung  beider  Denk- 
mäler noch  anderweitige  Bestätigung:  Zunächst  gebt 
aus  den  Olympiadenzahlen  hervor,  dass  die  Olympia- 
siege mit  Ausnahme  des  ersten  erst  nach  seinem 
Siege  in  den  römischen  Säeularspieleu  errungen 
sind;  dies  berechtigt  wohl  anzunehmen,  dass  sein 
Auftreten  in  den  Agonen  zu  Rom  mehr  in  den  An- 
fang seiner  Laufbahn,  und  vor  die  Periode  seiner 
glänzenden  Erfolge  in  den  griechischen  National- 
festen  fällt;  und  dazu  stimmt  wieder  vortrefflich, 
dass  in  den  Zahlen  der  in  Rom  errungenen  Siege 
beide  Inschriften  genau  mit  einander  stimmen  {Ka- 
netiöKia  ev  'Pdfitj  y  ,  l4d-r]väg  nQOf.iäyov  iv  'Po^^rj  y). 
Wenn  sie  dagegen  in  Betreff  der  hellenischen 
Hauptfeste  auseinandergehen,  indem  er  in  der  atti- 
schen Inschrift  wiqvi.  dtgneQLOöog  mit  zwei,  in 
der  olympischen  Tgigneglodog  mit  vier  Olympia- 
siegen heisst,  so  liegt  auf  der  Hand,  dass  dies 
durch  die  verschiedene  Entstehungszeit  beider  Denk- 
mäler bedingt  ist,  und  die  des  attischen,  welche  ich 
im  Corpus  nur  nach  dem  Sieg  bei  der  tausend- 
jährigen Feier  Roms  nach  248  ansetzen  konnte,  wird 
hierdurch  genauer  auf  die  Zeit  zwischen  der  258sten 
und  259sten  Olympienfeier  (253—257  n.  Chr.)  fest- 
gestellt, während  das  olympische  Denkmal  nach 
(und  zwar  wahrscheinlich  unmittelbar  nach)  der 
2608ten  (261  n.  Chr.)  errichtet  ist.  Unter  den  Städten, 


deren  Rathsmitglied  der  Dedicant  sich  nennt,  kommt 
freilich  nur  eine,  Perge,  in  beiden  Inschriften  vor. 
Aber  bedenken  wir,  dass  das  Verzeichniss  des 
olympischen  Denkmals  durch  Verlust  des  oberen 
Steins  verstümmelt  ist,  das  des  athenischen  aber 
durch  den  Zusatz  xai  aAAw»/  nokliöv  rtöletov 
noleiTTjg  xai  ßovlsvr^g  sieh  selbst  als  unvollständig 
gibt,  so  erklärt  sich  das  Fehlen  von  Philadelpheia, 
Hierapolis  und  Tripolis  in  dem  athenischen,  das 
von  Sinope,  Athen,  Delphi,  Elis,  Sardes  und  Xikaia 
in  der  olympischen  Inschrift  auf  die  natürlichste 
Weise.  Nur  dass  Smyrna,  welches  auf  dem  olympi- 
schen Denkmal  vorkommt,  auf  dem  attischen  fehlt, 
könnte  Bedenken  erregen,  da  bei  der  Bedeutung 
dieser  Stadt  doch  die  Nennung  des  Namens  schwer- 
lich unterblieben  sein  würde.  Aber  da  die  olympi- 
sche Inschrift  mehrere  Jahre  jünger  ist  als  die  atti- 
sche, steht  nichts  der  Annahme  im  Wege,  dass 
Eklektus  erst  nach  der  Errichtung  der  ersteren  die 
Würde  eines  Rathsherrn  von  Smyrna  erlangt  hat. 

370. 

Basis  aus  grauem  Kalkstein,  gefunden  am  25.  Mai  1880  im 
Westen  des  Buleuterion- Südbaues.  Lang  0,59,  tief  0,52,  hoch 
0,36.  Der  Block  ist  ohne  alle  Profile  glatt  gearbeitet,  auf  der 
Oberfläche  zwei  kleine  ovale  Löcher  zum  Einlassen  einer  Bronze- 
statue, zwischen  ihnen  ein  drittes,  rechteckiges;  die  1.  Seite  des 
Steines  ist  als  Anschlussfläche  behandelt.  Da  jedoch  die  In- 
schrift vollständig  ist,  kann  sich  hier  nur  entweder  ein  Stein  mit 
selbständiger  Inschrift  angeschlossen  haben,  oder  der  unsrige  ist 
in  einer  seiner  ursprünglichen  Bestimmung  fremden  Weise  ver- 
wendet. Die  Buchstaben  sind  auf  der  ausgewitterten  Vorder- 
fläche zum  Theil  nur  schwer  leserlich,  einige  in  der  Mitte  nicht 
mehr  erkennbar."     Abschrift  von  K.  Purgold. 


^afiai9idag  M£p\inn]nv  'HXslng,  vix7]aag  ,  avv- 
laqidi  na)?.txrj.  Die  Ergänzung  des  Namens  rührt 
von  Purgold  her.     Nach  der  Schriftform  dürfte  das 


Denkmal  in  die  erste  Hälfte  des  dritten  oder  die 
zweite  des  zweiten  Jahrhunderts  vor  Christus  zu 
setzen  sein. 


W.  Dittenberger,  Inschriften  aus  Olympia. 


167 


371. 

Zwei  Fragmente  aus  feinkürnigem,  kalksteinartigem  grauem 
Marmor,  a  0,24  lang,  0,28  hoch,  0,24  tief  erhalten,  gefunden 
am  10.  März  1880,  verbaut  im  Süden  des  Philippeion  in  einer 
spätrömischen  Mauer,  b  im  Ganzen  0,32  hoch,  erhalten  in  der 
Länge  von  0,23,  tief  0,2G.  Unten  Rand,  1.  ein  Stück  der  Seiten- 
fläche mit  einem  Versatzbossen  erhalten,  oben  ein  Stück  der 
Oberfläche,  welches  erkennen  lässt,  dass  die  Inschrift  hier  nicht 
mehr  als  vier  Zeilen  enthalten  hat.  Gefunden  im  April  1880  im 
Westen  des  Prytaneion  vor  der  Ostfront  der  Nordhalle  der  Pa- 
lästra.     Abschrift  beider  Stücke  von  K.  Purgold. 


ION 


N  EP  f 


I  xav  MslyaXonoXiTav  avi\  \  d-r]xav 

aQetä[g  evexa  TÜg  eig]  |  avrovg. 

JigiOTeag  Nixa [  Meyalonolitag  [enoirjas], 

Dass  die  letzten  Zeilen  den  Künstlernamen  ent- 
halten, ist  sowohl  wegen  des  Nominativs  als  wegen 
der  Stellung  zur  oberen  Inschrift  kaum  zu  be- 
zweifeln. 

372. 

Fragment  der  Oberplatte  einer  Basis  aus  grauem  Kalkstein, 
gefunden  am  20.  März  1880  südlich  vom  Philippeion  in  einer 
spätrümischen  Mauer.  Hoch  0,17,  breit  0,37,  tief  0,57.  Der  Stein 
ist  rechts  und  hinten  gebrochen,  etwa  in  der  Mitte,  da  man  am 
Bruch  noch  die  Spuren  des  abgestossenen  Versatzbossen  bemerkt, 
der  in  der  Mitte  stehen  geblieben  sein  wird;  das  Inschriftfeld  ist 
auch  unten  zerstossen.  Ausser  einer  Abschrift  von  K.  Purgold  lag 
mir  ein  Abklatsch  vor. 


■t-IAONIKO^  <i>IAr^ 

NIKH^AC     OAYM 

(Dilövixog  0iIio[tov  {(Dilioxidov ,  Wiliaxov'?) 
]  I  vix^aag  'OXv/^[nta ]. 

Dass  der  letzte  Buchstabe  in  Z.  1  ein  2  (nicht 
etwa  J)  gewesen  ist,  ergiebt  der  Abklatsch  mit 
Sicherheit. 

373. 

Fragment,  von  allen  Seiten  verstümmelt,  nur  oben  ist  der 
Rand  erhalten.  Unterhalb  der  zweiten  Zeile  ist  eine  andere  aus- 
radirt.  Ucber  Ort  und  Zeit  der  Auffindung  lag  mir  keine  An- 
gabe vor.     Abklatsch  und  Abschrift  von  Purgold. 


DTTIOtOKAIATTOAl 

///////////////////////////////////////////, 


ir  o  N 

[TißeQiov  Klavd]iov  N£Qü)[va  \  6  deiva  . . .  .Jou 
v\6g  6  xal  ÄnoX[X ]. 

Die  beiden  letzten  Zeilen  können  kaum  zu  der- 
selben Inschrift  gehören;  vielleicht  ist  zu  ergänzen 
[fi  ßovX\fi  I  [Jqov^oov,  wenn  man  auch  bei  einem 
gemeinsamen  Denkmal  der  beiden  Stiefsöhne  des 
Augustus  die  Namen  eher  neben  als  unter  einander 
stehend  erwarten  sollte. 

374. 

„Basisblock  aus  schwarzem  Kalkstein,  verbaut  in  eine 
spätrömischc  Mauer  im  Süden  des  Philippeion ;  gefunden  den 
20.  Mai  1880,  0,29  hoch,  rechts  und  hinten  gebrochen,  etwa 
0,70  lang  und  ebenso  tief.  Die  linke  Seite  hat  Anschlussfläche. 
Die  Inschrift  steht  am  vorderen  Rande  der  Oberfläche,  links  von 
der  Mitte  derselben,  wo  der  Stein  jetzt  7  Centimeter  breit  aus- 
gemeisselt  ist,  wohl  zum  Zwecke  seiner  späteren  Verwendung. 
Auch  sonst  ist  die  Oberfläche  des  Steines  sehr  beschädigt  worden, 
doch  enthielt  sie  wohl  die  zwei  Fussspuren  "  Abklatsch  und  Ab- 
schrift von  K.  Purgold. 


III  P  H  IM. 


In  diesen  Buchstabenresten  ist  wohl  eher  das 
Ethnikon  [^Jjxag  als  ein  Personenname  zu  er- 
kennen. 

375. 

Fragment  eines  Ziegelstempels,  gefunden  am  15.  December 
1879  im  Südwestgraben.     Abklatsch  und  Abschrift  von  Purgold. 


Purgold  vermuthet,  dass  [Ij/rt  MsXyjlxog]  zu  lesen 
sei.  Mir  ist  es  wahrscheinlicher,  dass  hier  die  in 
Inschriften  von  Gebäuden  u.  dergl.  so  häufige 
Formel  [i]niiitskrj[d-£VTog  (oder  sTiifielTjTsvovTog)  xov 
^eivog^^  gestanden  hat. 

376. 
„Ziegel   mit  Stempel,   gefunden   im  Sommer  1879  im  Pry- 
taneion,  0,24  im  Quadrat,  0,04  dick.     Der  Ziegel  ist  mit  dia- 


168 


W.  Dittenberger,  Inschriften  aus  Olympia. 


gonal  laufenden,  eingedrückten  Doppelstreifen  versehen ;  über  die- 
selben hinweg  ist  in  der  Mitte  in  vertieftem  Felde  der  Stempel 
mit  einer  Form  eingepresst;  die  Buchstaben  in  sorgfültiger,  zier- 
licher Ausführung  römischer  Zeit."  Abklatsch  und  Abschrift  von 
K.  Purgold. 


A  Y  K  1  A  Ä 

AvKiöa. 


377. 


„Fragment  aus  grauem,  kalksteinartigem  Marmor  (arkadi- 
schem oder  lakonischem).  Oben  und  unten  Rand,  die  anstossen- 
den  Flächen  rauh  bearbeitet,  links  Bruch.  0,095  hoch,  erhalten 
0,23  lang  und  0,12  tief.  Gefunden  den  20.  April  1880  im  Nor- 
den des  grossen  Südwest-Baues.'-  Abklatsch  und  Abschrift  von 
Purgold. 


/ 


A  I  N  E  M  E  A  1- 


'f  A  MESSHNIC// 
M  II  O  A  Y  M  n  in  //// 


xat  Nsfieag  \  [b  öslva  . .  .]ia  Mea(j)]vio[g]  \ 

378. 

,, Fragment  aus  gelbem  Kalkstein,  gefunden  vor  der  Ostfront 
des  Zeustempels  am  29.  Februar  1880,  0,16  lang,  0,14  breit  und 
0,10  dick;  nur  oben  ein  kleines  Stück  des  Randes  erhalten.  Die 
Inschriftfläche  ist  so  verwittert,  dass  die  Lesung  äusserst  schwie- 
rig ist."     Abschrift  von  K.  Purgold. 


Es  ist  nicht  möglich,  einen  Zusammenhang  her- 
zustellen; wahrscheinlich  gehörte  die  Basis  zu  dem 
Anathem  eines  olympischen  Sieges,  worauf  Z.  1 
'Olv^n[ia]  (oder  [Jii]  '0Ai);W7r[t'f<j])  und  Z.  3  vixwv 
hinzuweisen  scheint.  Die  Reste  der  übrigen  Zeilen 
sind  unverständlich. 


379. 

Fragment  vom  Oberblock  einer  Kalksteinbasis,  mit  Profil; 
0,11  hoch,  0,36  lang,  0,26  tief  erhalten.  Auf  dem  oberen  Rande 
des  Profils  ist  die  Inschrift  in  sehr  schwachen  Zügen  noch  er- 
kennbar. Gefunden  am  21.  Oktober  1879  im  Westen  des  Pry- 
taneion ,  verbaut  in  eine  der  ,,Slavenmauern."  Abschrift  von 
K.  Purgold. 


STOYHAEIOS 
\  T  I  T  E  A  E  I  ft  1 


fO  öslva  . . .  .JffTov  'Hf.slog  \  [vixj^aag  'Olvfinia 

380. 
Fragment  vom  Oberblock  einer  profilirten  Kalksteinbasis, 
0,11  hoch;  0,22  lang,  0,10  tief  erhalten.  Oben  Rand  mit  einem 
Stück  der  Oberfläche  daran,  unten  der  Ansatz  des  Profils ;  r.  und 
1.  Bruch.  Gefunden  am  2.  Januar  1880  ausserhalb  der  West- 
Altismauer,  vor  dem  S.-W. -Graben.     Abschrift  von  Purgold. 


IXOSNIKOAPOMC) 
I  KH2  AS///  \  Y  N/ 

■  n  n  A  I  ////// 

V  I  52  I  IUI 


. . .xog  NiKodQ6i.i[ov    'HXeios  (?)  v]ix>]aag  ['0]}.vv- 

[nia  I nü}li[xüi  (oder  -xfj)  |  z/tt  'Olv/j.]nit{). 

Ein  Eleer  Nikodromos  kommt  nr.  4  vor. 


Halle  a.  S. 


W.  Dittenberger. 


OLYMPISCHE  STUDIEN. 


I.     Die  Folgenreibe  der  Festspiele. 

Die  Folge  der  Festspiele  ist  uns  von  keinem 
Schriftsteller  ausdrücklich  mitgetheilt;  Tansanias 
hat  sie  zwar  überliefern  wollen,  doch  ist  seine 
Nachricht  durch  handschriftliche  Verderbniss  ge- 
trübt. An  der  Stelle  V,  9,  3;  6  de  xöa^ng  o  tieqI 
zov  aycSva  ig)'  rjfxwv,  üg  ■d-vsaQ-ai  toj  ^£fi5  t«  'legElct 
nevtäd-Xov  (.lev  xal  öqü/hov  tiöv  "nniov  vaxsQa  ayio- 
viGfiätcüv,  ovTng  xazsaTTj  acpiat  o  xoüfiog  OXvfi- 
ntäSi  eßdö/iiT]  ngog  xalg  sßöofi^xovra  sind  nämlich 
mehrere  Worte  ausgefallen.  Der  mit  wg  eingeleitete 
Satz  erwähnte  wie  in  Parenthese  die  Folgenreihe 
der  Festlichkeiten  als  eine  allgemein  bekannte 
Sache,  und  berichtet  dass  sie  in  der  77.  Olym- 
piade eingeführt  wurde,  ta  ttqo  tovtcov  di  snl 
■^(.ligag  rjynv  Trjg  avTijg^  so  erzählt  P.  weiter, 
o^oiiog  xal  av&qwnoiv  xal  'Inniav  aycova.  tots  ds 
TiQorixd-riaav  ig  vvxza  ol  nayxQaTiatovisg ,  are 
ov  xaza  xaigov  laxXt]&£vTsg ,  oItioi,  öe  iysvovxo 
o'i  TS  'InnoL  xal  ig  nXiov  eti  tj  nSv  nsvTa&lcov 
aj^iXla'  ....  ij^Tindiov  ös  nvx  sfis'k'Ke  nayxQUTio) 
xov  lomov  x6  Tievxa&Xnv  ovöi  ol  mnni  yevriasa&ai. 
Eines  geht  aus  dieser  Stelle  mit  ziemlich  grosser 
Klarheit  hervor,  dass  nämlich  die  Wettkämpfe,  die 
man  vor  der  77.  Olympiade  an  einem  Tage  ab- 
hielt, seitdem  auf  zwei  vertheilt  wurden.  Bevor 
wir  uns  aber  weiter  mit  der  Stelle  beschäftigen, 
wollen  wir  erst  zusehen,  was  anderswoher  über  die 
Folgenreihe  der  Wettkämpfe  festgestellt  werden  kann. 

Wir  lesen,  wieder  bei  Pausanias  (VI,  13,  2),  von 
einem  gewissen  Polites:  avifpr^vE  de  ccqettjv  nodüv 
ev  OXvixnia  nSaav  •  and  yctg  xov  lUTjKiaxov  xal 
öiagxEaxaxov  di  oliyioTOv  drj  xatgov  iiiE9r]Qf.i6aaTO 
inl  x6  ßgaxvxaxov  oiiiov  xal  wxiaiov,  xal  öollxov 
x£  iv  Tj^eQa  xfj  avxfj  xal  nagavtlxa  axadiov  laßcov 
vixTjv  nQnai3-t]xE  diavXov  acplai  xfjv  xQtxrjv.  Diese 
Worte  beweisen,  dass  die  Folgenreihe  bei  den  ver- 
schiedenen Arten  der  Wettkämpfe  war:  döXixog, 
axädiov,  ölavXog,  und  diese  Folge  hat  auch  ihren 
rationellen  Grund.  Bei  dem  döXixog  kommt  es  niclit 
hauptsächlich  auf  Schnelligkeit  an:  man  muss  den 

Arcliäolog.    Zig.   JahrcanfT  XXXTIII. 


Körper  in  eine  Bewegung  setzen,  die  er  lange  aus- 
halten kann;  wenn  man  damit  anfängt  möglichst 
schnell  zu  laufen,  so  ist  man  erschöpft,  ehe  man 
am  Ziele  ist.  Bei  dem  axädiov  im  Gegentheil,  wo 
man  nur  einmal  die  Laufbahn  zurückzulegen  hat, 
kommt  es  fast  nur  auf  Schnelligkeit  an.  Der  öiav- 
log,  das  einmalige  Durchmessen  der  Bahn  hin  und 
zurück,  ist  etwas  wie  eine  Verbindung  der  beiden 
Anforderungen,  er  erheischt  Schnelligkeit  und 
Ausdauer. 

Von  grosser  Wichtigkeit  ist  weiter  Paus.  VI, 
15,  3:  fj  de  'Olvfiuiäg  rj  erps^rjg  (die  142.)  elxs 
fiiv  xov  Klsixofiaxov  xovxov  Ttayxgaxiov  xal  nvy~ 
fifjg  äy(oviaTt]v,  slyE  de  xal  'HIe7ov  KÜtiqov  inl 
rjfiegag  xijg  avxfjg  nalaiaai  xs  ofiov  xal  nayxQß~ 
xiäaai  nQO&vfi.ov^iEvov.  yeyovvlag  de  rjdrj  xm  Känqcff 
vixrjg  inl  xtj  nakr]  ävedidaaxEv  6  Kkeizöfiaxng  xovg 
'EXkavodlxag  yEvrjaea&ai  avv  zu  dixalco  ag)iaiv,  «t 
x6  nayxqaxiov  iaxaXeaavxo  nglv  rj  nvxTEvaavxa 
avzov  Xaßelv  zqav^iaxa.  Hieraus  sehen  wii-,  dass 
die  näXi]  der  nvy/.n],  die  nvyi.i7j  dem  nayxqätiov 
vorherging.  Die  Hellanodiken  gaben  dem  Wunsche 
des  Klitomachos  damals  nach,  dass  aber  öfter  als 
dieses  einzige  Mal  die  gewöhnliche  Folgenreihe  der 
Wettkämpfe  geändert  worden  sei,  zeigt  sich  nirgends. 
In  späteren  Zeiten  (Ol.  21G)  vernehmen  wir  aus 
Inschr.  147  und  148  (Arch.  Zeitg.  1878  S.  91)  von 
einem  nayxgäxiov,  das  bis  iu  die  Nacht  dauerte; 
es  wird  dies  wohl  der  letzte  in  der  Eeihe  der 
Wettkämpfe  gewesen  sein,  so  dass  auch  damals 
ohne  Zweifel  die  nvyfiT]  vorherging. 

Bei  Xenophon  Hell.  VII,  4  lesen  wir  über  ein 
Festspiel  zu  Olympia:  xal  xrjv  ftiv  Innodga/^iav 
ijdt]  inanoi/jxeaav  xal  xa  dQ0/.uxd  zov  nevxä&Xov. 
Hieraus  geht  deutlich  hervor,  dass  das  nevxaitXov 
nach  der  Innodgoixia  folgte. 

Wir  kennen  also  drei  Gruppen  von  nachein- 
ander folgenden  Wettkämpfen: 

1.  döXixog,  axädiov,  diavXog. 

2.  näXrj,  nvy(.iri,  nayxqäziov. 

3.  Innodgania,  nivzad-Xov. 

23 


170 


A.  E.  J.  Holwerda,  Olympische  Studien. 


Wie  folgten  nun  diese  Gruppen  auf  einander? 
Bei  Julius  Africanus  (Ed.  Rutgers  S.  67)  lesen  wir, 
dass  in  der  113.  Olympiade  Argeus  der  Avgiver  im 
ööXixog  siegte  und  sv  "Agyei  rtiv  avzov  vIxtjv  avd-t]- 
^SQov  av^yystXev.  Hieraus  dürfen  wir  doch  wohl 
schliessen,  dass  d6Xixog,aT<xöiov,  dlavlog  des  Morgens 
abgebalten  wurden.  Ferner  folgt  aus  der  schon 
angeführten  Inschrift  148,  dass  näXr},  nvyfirj  und 
nayxgäTiov  später  am  Tage  stattfanden.  Demnach 
sind  zwei  Fälle  möglich:  1.  dass  an  einem  Tage 
abgehalten  sind:  ööXixog,  aräöiov,  dlavlos,  nälr], 
nvyy.ri,  nayxQaziov,  am  andern  \nnodQOi.da,  nevt- 
ad^iov.  2.  dass  an  einem  Tage  abgehalten  sind 
ööXixog,  otädiov,  diavkog,  inTiodQOf.iia,  nEv%ad-Xov, 
am  andern  nalrj,  7ivy/.i>],  nayxQariov.  Der  zweite 
Fall  ist  sehr  unwahrscheinlich.  Es  ist  fast  undenk- 
bar, wenn  man  an  einem  Tage  nur  die  drei  Wett- 
kämpfe abhielt,  dass  das  nayxqätiov  jemals  bis  in 
die  Nacht  gewährt  haben  sollte.  Als  man  einen 
Tag  für  die  Wettkämpfe  hinzunahm,  wird  man 
diesem  doch  viel  eher  die  zwei  längereu  InnodQO- 
fiitt  und  nivTa&lov,  als  die  viel  kürzeren  ndXr], 
nvyftr^,  nayxQOTiov  zugewiesen  haben. 

Wir  kehren  nun  zurück  zu  der  ersten  Stelle  des 
Pausanias.  Früher  wurden,  so  ist  ihr  Inhalt,  an 
einem  Tage  die  Wettkämpfe  von  Pferden  und  die 
von  Menschen  abgehalten.  Zur  Zeit  der  77.  Olym- 
piade aber  währte  das  nayxQariov  bis  in  die  Nacht, 
weil  die  vorhergehende  mnodQOi-iia  und  das  nivz- 
a&lov  zu  lange  aufgehalten  hatten.  Nachdem  die 
neue  Folgenreihe,  die  Pausanias  an  unserer  durch 
eine  Lücke  entstellten  Stelle  kurz  angedeutet  hatte, 
eingeführt  worden  war,  wurde  das  nayxgäTiov 
nicht  mehr  durch  das  nivxad^Xov  und  die  "nnoi 
bedrängt. 

Lässt  sich  nun  über  diese  neue  Folgenreihe  aus 
dieser  Stelle  des  Pausanias  etwas  schliessen?  Die 
ausdrückliche  Angabe,  dass  vor  ihrer  Einführung 
der  Wettkampf  von  Pferden  und  von  Menschen  an 
einem  Tage  abgehalten  wurde,  könnte  glauben 
machen,  dass  dies  nachher  nicht  mehr  der  Fall 
war,  dass  also  der  Innoiv  äywv  seitdem  an  einem 
andern  Tage  statt  fand  als  die  übrigen  Kampf- 
spiele. Aber  es  steht,  wie  wir  gesehen  haben,  fest, 
dass  das  nivtai^Xov  am  nämlichen  Tage  auf  die 
Innoögn/ida  folgte.  Ein  der  Kürze  wegen  nicht 
sehr  genauer  Ausdruck  ist  freilich  viel  weniger 
auöallend,  wenn  wir  bedenken,  dass  die  genauere 
Nachricht  in  den  entstellten  Worten  vermuthlich 
eben  vorhergegangen  war.  Wenn  man  mnnÖQo^iia 
und  ntviaO^lov  verlegen  wollte,  um  für  das  nayxgä- 


Tiov Zeit  zu  gewinnen,  so  ist  es  am  wahrschein- 
lichsten, dass  man  ihnen  den  neu  hinzugekommenen 
Tag  zuwies.  So  gewinnen  wir  auch  hier  dieselbe 
Folgenreihe  der  Wettkämpfe,  die  wir  bereits  aus  an- 
dern Gründen  abgeleitet  haben. 

Danach  wage  ich  anzunehmen,  dass  den  Inhalt 
der  entstellten  Worte  des  Pausanias  die  Nachricht 
bildete,  dass  das  nhTa&kov  und  der  ög6/:iog  xtSv 
"nncov  später  statt  fanden  als  die  übrigen  Wett- 
kämpfe. Die  Stelle  kann  also  etwa  gelautet  haben 
wie  folgt,  ohne  dass  wir  natürlich  behaupten  wollen, 
gerade  den  Wortlaut  getroffen  zu  haben :  log  dvea- 
9ai  Toj  9evj,  zä  isgeia,  [s'neiza  di  yiyvea&ai  tovg 
ayiüvag  ]  nsvTä&kov  /.tiv  xal  ögofiov  ziov  "nniav 
voTega  [fjf^isga,  ngozsga  ds  zwv  Xoincüv]  äyiovia- 
ftäzcüv.  Die  zwei  fehlenden  Stücke  sind  walir- 
seheinlich  fast  gleich  gross  gewesen;  es  können 
leicht  die  über  einander  stehenden  Hälften  von  zwei 
Zeilen  verloren  gegangen  sein.  Vor  vozega  und 
ngoTsga  habe  ich  keinen  Artikel  gesetzt,  da  man 
sonst  glauben  konnte,  dass  die  Festspiele  zu  Olympia 
nur  zwei  Tage  dauerten. 

Wir  haben  bisher  alle  Männer-Wettkämpfe  er- 
wähnt, ausgenommen  den  Waifenlauf.  Aus  Arte- 
midor  I  G3 ')  (angeführt  bei  Krause,  Seite  99  Anm.  5) 
folgt,  dass  dieser  eine  Zugabe  war  zu  den  übrigen 
Wettkämpfen,  also  auf  das  nivTudXov  folgte.  Es 
ist  daher  nicht  befremdend,  dass  Pausanias  diese 
Kampfart  nicht  nennt,  wo  er  nur  mit  wenigen 
Worten  an  die  seinen  Lesern  wohl  bekannte  Folgen- 
reihe der  Wettkämpfe  erinnern  will. 

Was  die  Wettkämpfe  der  Knaben  anbelangt, 
so  dürfen  wir  aus  Plut.  Quaest.  Conv.  II,  5,  1 
schliessen,  dass  sie  denen  der  Männer  vorher- 
gingen. 

Für  den  weiteren  Hergang  des  fünftägigen  Festes 
ist  von  Wichtigkeit  Andocid.  IV,  29  (S.  12G),  wo  von 
Alcibiades  gesagt  wird,  dass  er  die  nof-insta  von  den 
athenischen  Theoren  entlieh,  angeblich  für  die  ini- 
vixia  (den  xw^Hog  zum  Zeus-Altar),  in  Wahrheit  aber, 
um  sie  den  folgenden  Tag  vor  dem  Opfer  der  Festge- 
saudten  zu  benutzen.  Hieraus  sehen  wir  deutlich,  dass 
an  dem  Tage  nach  der  Beendigung  der  Spiele  erst  das 
Opfer  der  Sieger  und  nachher  das  der  Festgesandten 
dargebracht  wurde.  Der  Scliluss  wird  wohl  das 
den  Siegern  von  den  Eleern  im  Prytaneion  veran- 
staltete Festmahl  gewesen  sein. 

Der  xü^tog  der  Sieger  erfolgte  am  Abend  nach 
ihrem  Siege. 

')  zö  äl  onXov  ).ey6/i(V0V  Inl  Tic'tvjwv  nciai  nctnoXxtt; 
ar)/iia(vii'  jeXevzttTov  yÜQ  xai  Inl  niiai  lo  uOXov. 


A.  E.  J.  Ilolwerda,  Olympische  Studien. 


171 


Die  Folgeureihc  der  Festlichkeiten  während  der 
fünftilgigen  Feier  war  also  wahrscheinlich: 

1.  Bov&vaia  (muthmasslich  fanden  am  näm- 
lichen Tage  die  sonstigen  Vorbereitungen  statt,  wie 
der  Eid  vor  Zeus  Vorkios  und  die  Prüfung  der 
Knaben  und  jungen  Pferde). 

2.  Wettkampf  der  Knaben. 

3.  Erste  Hälfte  vom  Wettkampf  der  Männer: 
döhxoe,  OTÜSiov,  diavXog,  nält],  nvyfii],  nayxqätiov. 
xtöfiog  der  Sieger. 

4.  Zweite  Hälfte  vom  Wettkampf  der  Männer: 
innoÖQOula,  nivta&lov,  onliTÜv  öqÖhos-  xwi-iog 
der  Sieger. 

5.  Opfer  der  Sieger  und  der  Tbeoren.  Fest- 
mahl im  Prytaneion. 

II.  "Eg>edQog  und  'Eifedgela. 
Die  Frage  nach  dem  Wesen  der  Ephedrie,  die 
den  Gelehrten  so  viele  Sorgen  gemacht  hat  (Krause, 
Olympia  S.  llSif.),  kann,  wie  mir  scheint,  aus 
den  zu  Olympia  neu  entdeckten  Inschriften  No.  146 
bis   148   (Archäol.  Zeitg.  1878  S.  90)    beantwortet 

werden. 

In  No.  147   lesen  wir,   dass  Tiberius  Claudius 
Eufus   nävrag   /.lev    ävecpedqng   enayxQaiiaae   xovg 
xX^QOvg  Tolg  öaxifitüTÜToig  Xa^iov  ctvdqdaiv.     Dies 
beweist,   dass  die  von  Lucianus  Hermot.  40 ff.   be- 
schriebene Loosung  zur  Paarung  der  Wettkämpfer 
während  eines  Wettkampfes   mehrmals   stattfinden 
konnte,  wobei  man  dann  natürlich  jedesmal  einen 
gefährlichen  oder  einen  weniger  tüchtigen  Gegner 
bekommen  konnte.     Die  Loosung  konnte  selbstver- 
ständlich   nicht  anders   vorgenommen  werden   als 
erstens  zwischen  allen  Kämpfern,  danach  zwischen 
den  Siegern  aus   den   Paaren    des    ersten  Ganges 
und  dem  Ephedros,  wenn  es  einen  solchen  gegeben 
hatte,  dann  zum  Dritten  wieder  zwischen  den  Siegern 
aus   den  Paaren  des  zweiten  Ganges,  u.  s.  w.     Es 
konnte  natürlich  während  eines  Wettkampfes  mehr- 
mals vorkommen,    dass  die   Zahl  der  Loose   eine 
ungerade  war,  und  alsdann  gab  es  während  dieses 
Wettkampfes  mehrere  eq>sdQeiag.      Auf   diese  Art 
werden,  wie  ich  meine,  die  Worte  unserer  Inschrift 
vollkommen   klar.      Mit    einer   gewissen  Emphase 
wird  verkündigt,  Piufus  habe  alle  durch  das  Loos 
bestimmten  Reihen,  xl?]Qovg,  durchgekämpft,  auch 
nicht  eine  Eeihe  sei   an  ihm  vorübergegangen,  er 
habe  nie  eine  scpsdQsla  gehabt.     Nehmen  wir  ein- 
mal,   um  uns  die  Sache  zu  veranschaulichen,  an, 
dass  es  z.  B.  18  Wettkämpfer  gab,  so  wurden  daraus 
das  erste  Mal  9  Paare  gebildet,  ohne  dass  es  einen 


eqieÖQog  gab.  Aus  den  Siegern  jener  9  Paare  wur- 
den dann  wieder  4  Paare  gebildet,  wobei  ein  aqis- 
ÖQog  blieb.  Diese  4  Paare  gaben  2  Sieger,  also 
mit  dem  egteögog  3  Personen,  aus  welchen  ein  Paar 
und  ein  eqtsdgog  entstand;  der  Sieger  aus  dem  Paare 
kämpfte  zuletzt  mit  dem  ecpeÖQog  um  die  Schluss- 
entscheidung. Eine  Anzahl  von  10  Kämpfern  gab 
also  3  iq>eöeeiag;  16  Kämpfer  gaben  keine  einzige, 
11  und  5  gaben  2  Ephedrien  u.  s.  w. 

Die  Inschrift  146  ist  hiermit  vollkommen  in  Ein- 
klang. Ariston  aus  Ephesos  erzählt  uns  darin,  er 
habe  ävsq>edQog  {b.  Z.  7),  ^wctS  ecpsdQsiag  (c.  5)  ge- 
siegt, und  weiter  (c.  7)  eTtid  yäg  sx  naidwv  naXä- 
lAug  (.lovog  ovx  dvenavaa,  CEvyvvi.ievog  ö'alel  nav- 
xag  ctnsaTEcpävovv.  Ariston,  der  keine  scpeSgeicc 
gehabt  hat,  ist  immerfort,  ohne  Unterlass,  gepaart 
worden.  Also  wurden  mehrmals  Paare  gebildet 
und  musste  es  vorkommen  können,  dass  jemand 
einmal  nicht  in  ein  Paar  eingeloost  wurde.  Weiter 
lesen  wir,  dass  Ariston  dreimal  an  der  Reihe  war, 
er  wurde  ja  bekränzt  TQiaad  xa-i  avTinaliov  a&Xa 
xoveiaä^isvog  (b.  8).  Die  erste  Loosung  aus  den 
7  Kämpfern  ergab  3  Paare  und  einen  ecpeÖQog,  die 
zweite  2  Paare  aus  den  3  Siegern  und  dem  ecpedgog, 
die  2  Sieger  aus  diesen  Paaren  kämpften  das  dritte 
Mal  um  den  Kranz. 

Es  war  immer  vortheilhaft  sq)eÖQSiav  ksloyxsvai, 
da  man  dann  einen  Kampf  weniger  zu  bestehen  hatte 
als  die  Uebrigen;  am  vortheilhaftesten  war  natür- 
lich eine  s(f£ÖQEia  beim  letzten  Gange,  wenn  negi 
xov  ateqittvov  gekämpft  wurde').  Eine  solche  ist 
eine  stpedgEia  xat'  s^oxi^v,  und  man  hat  sie  denn 
wohl  auch  im  Auge,  wenn  man  das  Wort  Eq>EÖQog 
sprichwörtlich  gebraucht.  So  ist  Crassus  (Plut. 
Pomp.  53)  der  Ephedros  von  Pompejus  und  Caesar: 
sie  wussten,  dass,  wären  sie  mit  einander  in  Streit 
gerathen,  der  Sieger  sich  mit  Crassus  hätte  messen 
müssen.  Aeschyl.  Choephor.  866  muss  statt  eqiEÖQog 
gelesen  werden  s(fidQoig: 

zoi'ai'ÖE  nälrjv  fxövog  mv  stpidqoig 
diaanlg  heIXel  &E~iog  'OQsazrjg 
atpEiv. 
Der  Dichter  sagt,  dass  Orestes   es  gegen  zwei 

-)  Der  Rafus  der  147.  Inschrift  hat  ttsqI  rov  ajKfüvov 
gekämpft  ngö;  «vcfp«  IfloyxÖTU  f(ffäQf(av.  Ich  glaube  nicht, 
dass  dies  ein  i(ff(S{>o<:  von  dem  letzten  Gange  gewesen  zu  sein 
braucht;  das  Gegentheil  ist  vielmehr  wahrscheinlich.  Warum 
sonst  nicht  einfach  ttoo?  fyfJpor?  Die  Inschrift  macht  von 
den  Verdiensten  des  Rufus  möglichst  viel  Aufhebens;  hätte  er 
gegen  einen  fif fÖQog  im  letzten  Gange  gesiegt,  so  hätte  sie  es 
deutlich  gesagt. 

23* 


172 


Fr.  Holtsch,  Attischer  Fuss. 


aufnehmen  müsse;  fängt  er  mit  Aegistbos  an,  so  ist 
Klytaemnestra  l'q)eÖQog,  beginnt  er  mit  letzterer,  so 
ist  es  Aegistbos.  Bei  Luciauus  (Hermotimos  40) 
beisst  es  vom  l'^eÖQog,  dass  ibm  sebr  vortbeilhaft 
sei  t6  fielXeiv  axfifj-ia  toig  xsxurjxöoi  av/iinea£~iad^at, 
und  vorher  itpeÖQevei  neQifxiyiov  eaz'  dv  ixelvoi 
dywvlaMfiai.  Da  der  Epbedros  nur  mit  einem 
jener  Ermüdeten  zu  kämpfen  hat,  so  würde  Lucianus 
sich  genauer  ausgedrückt  haben,  wenn  er  z.  B.  kvt 
£x  Twv  xEx/^ir^xöziov  gesagt  hätte;  da  er  sich  aber 
in  den  Zeitpunkt  versetzt,  wo  der  scpeÖQog  noch 
abwartete,  welche  unter  den  x£xi.irjx6Teg  für  ihn 
als  Gegner  in  Beti-acht  kommen  würden,  so  ist  es 
erklärlich,  dass  er  die  Mehrheit  gebraucht. 

Boeckh  lässt  den  eqiEÖQog  mit  allen  xex/xrjxöisg, 
einem  nach  dem  andern,  kämpfen;  da  würde  er  wohl 
sehr  bald  xEx/nTjxoxeg  sich  gegenübea*  gehabt  haben, 
welche  viel  mehr  äxi.ii]Teg  waren  als  er  selbst. 
Hatte  aber  jemand  auch  nur  im  ersten  Gange  eine 
Ephedrie  gehabt,  so  war  er  während  des  ganzen 
Kampfes  im  Vortheil;  er  war  immerhin  weniger 
ermüdet  als  die  übrigen.  Man  mui^ste  selbstver- 
ständlich bemüht  sein,  diesen  Vortheil  möglichst  zu 
verringern,  und  schon  deswegen  ist  Krause's  Er- 
klärung unrichtig,  der  den  Ephedros  warten  lässt. 


bis  alle  Wettkämpfer  so  oft  gepaart  gewesen  sind, 
dass  nur  Einer  übrig  bleibt,  mit  dem  er  dann 
kämpfen  müsse.  Ein  i'tpsÖQog,  der  mit  frischen 
Kräften  kämpft  gegen  Einen,  der  z.  B.  schon  mehr 
als  drei  Gegner  besiegt  hat,  hätte  gar  zu  leichtes 
Spiel  gehabt :  Krauses  Erklärung  unterliegt  dem  ent- 
gegengesetzten Mangel  wie  die  Boeckh'sche  ^). 

Man  könnte  mir  einwerfen,  dass  bei  meiner  Er- 
klärung einem  Kämpfer  auch  mehrere  Ephedrien 
zufallen  konnten.  Ich  antworte  darauf,  dass  dem, 
wenn  mau  es  wollte,  sehr  leicht  vorzubeugen  war: 
man  reichte  z.  B.,  wenn  zum  zweiten  oder  dritten 
Male  eine  ungerade  Anzahl  Wettkämpfer  das  Loos 
ziehen  musste,  vor  der  Loosuug  demjenigen,  welcher 
schon  einmal  l'qieÖQog  gewesen  war,  eine  Marke, 
mit  einem  Buchstaben  bezeichnet,  der  sich  noch- 
mals in  der  Urne  fand.  Der  Gegner  des  nicht 
loosenden  sqieÖQog  war  alsdann  der,  welcher  den 
gleichen  Buchstaben  zog. 

Leiden.  A.  E.  J.  Holwerda. 

')  Wenn  Krause  meint,  der  Xtinofitvog  oder  xaTai.iin6fit}'og 
idöv  tiviciyioi'tojMV,  von  dem  Pausanias  spricht  (VI,  10,  1  und 
VIII,  40,2),  sei  ein  'iiftiinog  gewesen,  so  ist  et  entschieden  im 
Irrthum.  Ein  Jeder  der  nach  den  wiederholten  Versuchen  zuletzt 
übrig  blieb,  um  den  Kranz  zu  streiten,  war  ein  xcaii).ti7i6fjevos. 


BESTIMMUNG  DES  ATTISCHEN  FUSSES 

NACH  DEM  PARTHENON  UND  THESEION. 


Der  attische  Fuss  ist  nach  Wurm,  Paucker  und 
Böckh  bisher  ziemlich  allgemein  zu  136,GG  Par. 
Linien  =  308,3  Millim.  angesetzt  worden  ')  Jedoch 
schienen  die  genaueren  Messungen,  welche  Penrose 
am  Parthenon  anstellte '),  zu  dem  etwas  höheren 
Betrage  von  etwa  309  Millim.  zu  führen  ^).  Wenn 
wir  es  nun  versuchen,  innerhalb  dieser  Grenzen 
den  möglichst  genauen  Werth  festzustellen,  so  ist 
zunächst  zu  untersuchen,  inwieweit  die  gegebenen 
Voraussetzungen  als  zuverlässig  gelten  dürfen. 

Die  Differenz  zwischen  den  beiden  Grenzwerthen 
beträgt  0,7  Millim.  oder  0,0023  des  ganzen  Fusses; 
wollen  wir  also  in  diesem  engen  Bereiche,  der  an 
sich  schon  sehr  feine  Messungen  voraussetzt,  noch 

')  S.  Metrologie  S.  53  f. 

-)  An  Invesligation  of  Ihe  Principles  of  Athenian  Archi- 
tecture  Oy  F.  C.  Penroae.  Published  by  the  Society  of  Di- 
lettanti.     London  1851. 

')  Ad.  Michaelis  Der  Parthenon  S.  123  Anni. 


genauer  den  wahrscheinlichen  Normalwerth  auf- 
finden, so  haben  wir,  genau  genommen,  drei  ver- 
schiedene Voruntersuchungen  zu  führen,  nämlich 
zunächst  über  den  Grad  von  Zuverlässigkeit  jener 
Maassstäbe,  welche  die  alten  Architekten  angewendet 
haben,  ferner  über  die  Abweichungen,  welche  der 
Bau  des  Parthenon,  trotz  der  scheinbaren  Unwandel- 
barkeit des  Steines  erfaliren  haben  kann,  endlich 
über  die  Genauigkeit  der  neuerdings  angewendeten 
Maassstäbe. 

Es  ist  leicht  zu  sehen,  dass  die  erste  und  zweite 
der  erwähnten  Untersuchungen,  wollte  man  sie  er- 
schöpfend führen,  sehr  umfangreich  sich  gestalten 
würden;  doch  sind  bereits  früher  einige  hauptsäch- 
liche Resultate  genügend  festgestellt  worden.  Eine 
haarscharfe  Messung  bis  auf  Zehntausendtel  unseres 
Metermaasses  war  den  alten  Arcliitektcn  kaum  mög- 
lich; sie  würde  aber  auch  nicht  ängstlich  von  ihnen 
erstrebt  worden  sein,   selbst  wenn  die  technischen 


Fr.  Ilultsch,  Attischer  Fuss. 


173 


Ilülfsmittel  dies  gestattet  hätten.  Breite  und  Länge 
des  Stylobatcs  des  Parthenon  sollen  sich  verhalten 
wie  4:9;  aber  in  Wirkliehkeit  sind  beide  Flanken 
ein  wenig  länger  als  sie  nach  diesem  Verhältniss 
sein  sollten,  und  wiederum  untereinander  weichen 
sowohl  die  beiden  Fronten  als  die  beiden  Flanken, 
die  einander  je  gleich  sein  sollten,  ein  wenig  ab  ^), 
und  in  ähnlicher  Weise  haben  sich  kleine  Ab- 
weichungen zwischen  den  theoretisch  berechneten 
und  den  effectiven  Dimensionen  vielfach  gezeigt  *). 
Ferner  hat  man  beobachtet,  dass  der  Unterbau  des 
Tempels,  wahrscheinlich  in  Folge  von  Erdbeben 
und  unter  dem  Druck  der  darauf  lastenden  Massen, 
theilweise  ein  wenig  sich  gelockert  hat,  sodass  eine 
wenn  auch  geringe,  so  doch  merkbare  Vergrösserung 
der  Dimensionen  der  Fronten  eingetreten  ist  ^),  in 
Folge  dessen  auch  der  hieraus  abgeleitete  Werth 
des  Fusses  etwas  zu  gross  ausfallen  wird. 

Aber  auch  hinsichtlich  des  dritten  Punktes  müssen 
wir  einen  höheren  Grad  von  Unsicherheit  consta- 
tiren,  als  zunächst  zu  erwarten  war.  Wir  wünschen 
den  Normalwerth  des  attischen  Fusses  möglichst 
genau  im  Metermaass  festzusetzen.  Wäre  nun  die 
jüngste  Ausmessung  des  Parthenon  mit  Metermaass- 
stäben erfolgt,  so  hätte  zwar  immer  noch  mancher 
Fehler  unterlaufen  können,  aber  es  wäre  doch 
wenigstens  die  Unsicherheit  vermieden  worden, 
welche  aus  der  nachträglichen  Reduction  des  ab- 
weichenden Maassstabes  in  das  Metermaass  unaus- 
bleiblich hervorgeht. 

Die  beiden  Maassstäbe,  mit  denen  Penrose  maass, 
waren  von  Stahl,  röhrenförmig,  jeder  etwa  4  Fuss 
lang.  Letztere  Angabe  ist  ohne  Zweifel  so  zu  ver- 
stehen, dass  auf  den  Maassstäben  drei  ganze  eng- 

*)  Penrose  S.  7  f.  und  Tafel  4,  Michaelis  a.  a.  O. 

*)  Vergl.  Penrose  S.  9  f.  14  fiF. 

*)  Penrose  schätzt  in  einer  Note  zu  S.  7  den  Gesammtbe- 
trag  dieser  nachträglichen  Ausdehnung  auf  0,005  Fuss  (^  1,5  mm). 
Später,  in  einer  Note  zu  S.  28,  giebt  er  an,  dass  von  der  ge- 
messenen Ausdehnung  der  Ostfront  0,006  F.  (=  1,8  mm)  und 
von  der  Westfront  0,009  F.  (^2,7  mm)  aus  diesem  Grunde 
abgezogen  werden  müssen.  Ich  gestehe,  dass  die  Genauig- 
keit und  der  überaus  kleine  Betrag  dieser  Correcturen  mir  etwas 
bedenklich  erscheint.  Ist  wirklich  ein  Auseinandergehen  der 
Fügungen  im  Unterbau  bemerkbar,  so  muss  der  Gesammteffect 
wohl  etwas  höher  angesetzt  werden  als  auf  nur  j-j^o ö  'i^r  Ge- 
sammtausdehnung.  Beiläufig  bemerke  ich  hier  noch,  dass,  je 
grösser  die  zu  messende  Gesammtausdehnung  ist  und  je  öfter  die 
angelegten  Maassstäbe  gewechselt  werden  müssen,  um  so  un- 
vermeidlicher ein  Fehler,  und  zwar  stets  nach  dem  Mehr  hin, 
entstehen  muss.  In  der  That  geben  im  Durchschnitt  die  Dimen- 
sionen nach  l'enrose,  je  grösser  sie  sind,  so  auch  grössere  Werthe 
für  den  attischen  Fuss. 


lische  Fuss  und  darüber  Zehntel,  Hundertel  und 
Tausendtel  des  Fusses,  letztere  jedoch  im  Gesammt- 
bctrage noch  nicht  einen  ganzen  Fuss  darstellend, 
eingetragen  waren.  Selbsverständlich  waren  beide 
Maassstäbe  Penrose's  möglichst  genau  justirt;  aber 
doch  fehlen  uns  die  Unterlagen  um  beurtheilen  zu 
können,  wie  nahe  der  Fuss  derselben  überein- 
stimmte mit  dem  normalen  englischen  Fusse,  wel- 
cher zu  0,304801  Meter  angesetzt  zu  werden  pflegt, 
gar  nicht  zu  gedenken  des  Umstandes,  dass  auch 
ein  niedrigerer  Ansatz  des  englischen  Fusses  zu 
nur  0,30479  Meter  vorkommt.  Ja  noch  mehr,  als 
nach  Ausführung  aller  Messungen  am  Parthenon 
die  Penrose'schen  Maas.sstäbe  nochmals  controlirt 
wurden,  stellte  sich  heraus,  dass  sie  um  0,001  Fuss 
kürzer  waren,  als  anfänglich  festgestellt  worden 
war.  Der  englische  Fuss  also,  nach  welchem  Pen- 
rose seine  Messungen  aussprach,  war  um  das  Viertel 
eines  Tausendtel  kürzer,  als  er  sein  sollte '),  und 
die  gemessenen  Dimensionen  sind  in  diesem  Ver- 
hältnisse zu  hoch  ausgefallen  "). 

Da  indess  dieser  Fehler  durch  eine  leichte  Cor- 
rectur  sich  beseitigen  lässt,  so  wollen  wir  von  nun 
an  annehmen,  dass  wir,  nachdem  die  eben  erwähnte 
Berichtigung  angebracht  ist,  den  Penrose'schen 
Maassstab  genau  in  das  Metermaass  übertragen 
dürfen,  und  setzen  mithin  jeden  von  Penrose  durch 
Messen  gefundenen  Fuss  gleich  0,304725  Meter. 

Danach  ergeben  sich  aus  den  Messungen  o.  der 
Stylobatbreite   an    der   Ostfront,   b.  an  der  West- 

')  Penrose  S.  7,  sechste  Anmerkung.  Irrthümlich  folgert 
H.  Wittich  Archäol.  Zeitg.  XXIX  S.  105  aus  Penrose's  Worten, 
dass  seine  Messungen  nach  einem  englischen  Fusse  ausgeführt 
worden  seien,  der  um  ein  volles  Tausendtel  zu  klein  gewesen 
sei;  ja  er  nimmt  sogar  an,  dass  Penrose's  Fussmaassstab  um 
2  Tausendtel  zu  verkürzen  sei.  Penrose  selbst  dagegen  setzt  als 
Correctur  nur  den  Abzug  des  Achtels  eines  Tausendtels  auf  den 
Fuss.  Ich  selbst  glaube  mit  gutem  Grund  den  Maassstab  Pen- 
rose's, so  wie  er  bei  der  zweiten  Controle  sich  ergab,  als  die 
eflfective  Norm  seiner  Messungen  anzunehmen. 

')  Leider  habe  ich  in  meinem  Aufsatz  über  ,das  Grund- 
maass  der  griechischen  Tempelbauten',  Archäol.  Zeitg.  XXXVIII 
S.  94  u.  96,  da  mir  damals  (wie  ich  auch  ausdrücklich  bemerkte), 
Penrose's  Werk  nicht  zugänglich  war,  dessen  Messungen  nach 
Wittich's  Angabe  (s.  vor.  Anm.),  mithin  um  |  Tausendtel  zu 
stark  reducirt.  Da  es  hier  nur  auf  diejenigen  Werthe  des  at- 
tischen Fusses  ankommt ,  welche  dort  S.  94  u.  90  in  der  letzten 
Columne  stehen,  so  sei  kurz  bemerkt,  dass  es  genügt  dort  je 
0,0002  m  (genauer  0,00023  m)  hinzuzufügen  um  den  Fehler  gut 
zu  machen.  —  Ich  unterlasse  nicht  bei  diesem  Anlass  der  Direc- 
tion  der  König!.  Bibliothek  zu  Berlin  meinen  aufrichtigen  Dank 
dafür  auszusprechen,  dass  sie  mir  das  seltene  und  kostbare  Werk 
Penrose's  nebst  einigen  andern  verwandten  Inhalts  zur  Benutzung 
in  meinem  Wohnorte  anvertraute. 


174 


Fr.  Hultscb.  Attischer  Fuss. 


front,  c.  der  Stylobatläuge  an  der  nördlichen  Seite, 
d.  an  der  südlieben  Seite,  die  Breite  zu  100  und 
die  Länge  zu  225  attischen  Fuss  gerechnet,  folgende 
Werthe  des  attischen  Fusses: 

a.  308,81  mm  c.  308,98  mm 

b.  308,87  mm  d.  309,00  mm. 

Unter  diesen  Beträgen  sind  c  und  d  zu  hoch  infolge 
eines  Fehlers,  welchen,  wie  schon  bemerkt,  bereits 
die  alten  Werkmeister  beim  Baue  selbst  begangen 
haben,  aber  auch  a  und  b  sind  etwas  zu  kürzen, 
und  zwar  a  um  mindestens  0,02  mm,  b  um  min- 
destens 0,03  mm ,  wahrscheinlich  aber  beide  noch 
um  eine  Wenigkeit  mehr  '). 

Die  letztere  Unsicherheit  wird  völlig  verschwin- 
den, wenn  wir  im  inneren  Bau  eine  Dimension  aus 
findig  machen,  welche  als  bestimmtes  Multiplum  des 
attischen  Fusses  erkennbar  ist.  Penrose  deutet  die 
Cellalänge  im  Lichten  zusammen  mit  der  Stärke 
der  W^and  zwischen  Cella  und  Opisthodomos  als 
Strecke  von  100  attischen  Fuss  '").  Da  diese  Dimen- 
sion von  ihm  zu  101,222  engl.  Fuss  angegeben  wird, 
so  brechen  sich  daraus  30,844  Meter,  mithin 
e.  ein  attischer  Fuss  von  308,44  mm. 

Der  gemessene  untere  Durchmesser  der  Säulen 
des  Peristyls  beträgt  nach  Penrose  (S.  710)  6,251  F. 
—  1,9048  Meter  und  stellt  dar  ^\  der  Breite  des 
Stylobates,  mithin  W"  attische  Fuss.  Wir  gewinnen 
daraus  als  Werth  des  attischen  Fusses 

f.  308,35  mm. 

Endlich  beträgt,  ebenfalls  nach  Penrose,  die 
Breite  des  Abacus  der  Säulen  der  Ostfront  6,756  F. 
=  2,0587  Meter  und  dieselbe  stellt  dar  ^\  der  Stylo- 
batbreite, mithin  V  attische  Fuss,  woraus  sich 

g.  308,78  mm 
für  den  attischen  Fuss  ergeben. 

Die  mittlere  Säulenhöhe,  mit  Ausnahme  der  Eck- 
säulen, wird  von  Penrose  ")  zu  34,218  engl.  F.  = 
10,427  Meter  angegeben.  Beabsichtigt  war  ohne 
Zweifel  die  Höhe  von   15  Bauellen  ")  =  33 1  Fuss, 

')  Die  Reductionea  berechnet  nach  Penrose  S.  28.  Im 
übrigen  vergl.  oben  Anra.  6. 

'")  A.  a.  O.  S.  9,  AbsaU  2,  und  nach  ihm  Wittich  a.  a.  O. 
S.  109.  Nach  meinem  Ansätze  in  dieser  Zeitschrift  XXXVIII 
S.  96  fehlen  2^  Daktylen  an  den  100  Fuss;  es  würde  also  hier- 
nach der  attische  Fuss  wieder  etwas  höher,  nämlich  auf  308,76  mm, 
herauskommen. 

")  .S.  14,  Michaelis  S.  114. 

'-)  Ueber  die  ,Bauelle'  als  besonderes  Maass  des  Parthenon 
8.  Archäol.  Zeitg.  XXXVIII  S.  9C.  Die  oben  angenommene  Zahl 
von  15  Bauellen  wird  zunächst  gestützt  durch  das  Verhältniss 
zur  Länge  des  Stylobates:  dies  ist  nämlich  3;  20,  gerade  wie 
der  Abacus  der   Säulen    der    Ostfront  (s.   oben   bei  g)  ^   des 


wonach  sich  308,95  Millim.  als  Werth  des  attischen 
Fusses  ergeben  würden.  Allein  die  besonderen 
Rücksichten,  welche,  abgeleitet  aus  den  feinsten  Ver- 
hältnissen zwischen  Durchmesser  und  Höhe,  gerade 
bei  dieser  Dimension  einen  grossen  Einfluss  hatten ''), 
mögen  zu  einer  kleinen  Abweichung  von  der  Norm 
von    15  Bauellen    geführt  haben,    so  dass  nun  die 

attischen  Fusses  misst.  Den  sichern  Beweis  aber  bietet  die  Ver- 
gleichung  mit  dem  älteren  Parthenon.  Dieser  verhält  sich  in 
Breite  und  Länge  des  Stylobates  zu  dem  jüngeren  Bau  genau 
wie  9  :  10.  Wenn  nun  die  Säulenhohe  des  älteren  Tempels  zu 
13^  Bauellen  sich  hat  bestimmen  lassen  (a.  a.  O.  S.  97),  so  kommt 
dem  Jüngern  Parthenon  nach  dem  eben  bemerkten  Verhältniss 
eine  geplante  Säulenhöhe  von  15  Bauellen  zu,  unbeschadet  der 
kleinen  Abweichungen  bei  der  Ausführung  im  einzelnen,  welche 
die  complicirten  Gesetze  der  architektonischen  Harmonie  mit 
sich  brachten. 

")  Wie  Penrose  S.  13  f.  des  näheren  nachzuweisen  sucht, 
ist  die  Höhe  der  Ecksäulen  bestimmt  a.  durch  das  Verhält- 
niss zur  Stylobatbreite  und  zu  der  Gesammthöhe  des  Tempels, 
b.  durch  das  Verhältniss  zum  untern  Säulendurchmesser.  Die 
Stylobatbreite  verhält  sich  zur  Gesammthöhe  des  Tempels  wie 
12:7,  und  wieder  die  Gesammthöhe  zur  Säulenhöhe  wie  12:7; 
also  Säulenhöhe  zur  Stylobatbreite  7- :  12^.  Andrerseits  soll  die- 
selbe Säulenhöhe,  wenn  man  den  unteren  Säulendm'chmesser  sich 
getheilt  denkt  in  60  Minuten,  5  Durchmesser  28^  Minuten  be- 
tragen. Die  übrigen  Säulen  des  Peristyls  seien  dann  wieder  nach 
ganz  bestimmten  Voraussetzungen  etwas  kürzer  bemessen  worden. 
Alle  diese  Combinationen  sind  ungemein  scharfsinnig  imd  in  der 
Hauptsache  unanfechtbar.  Allein  die  supponirte  Eintheilung  des 
Säulendurchmessers  in  Minuten  und  der  Minute  in  Hälften, 
Viertel  und  Achtel  (vergl.  z.  B.  S.  10  u.  15)  ist,  wenn  irgend  in 
dieser  Hinsicht  die  Geschichte  der  Mathematik  zuverlässige 
Daten  bietet,  ganz  gewiss  unhaltbar.  Bei  weiterer  Verfolgung 
der  schwierigen  Frage  wird  man  unterscheiden  zwischen  den 
durch  geometrische  Construction  gefundenen  Einzeldimensionen, 
welche  zum  Theil  gar  nicht  nach  Fuss  und  Theilen  des  Fusses 
oder  irgend  einem  benannten  Maassstab  ausgemessen,  sondern 
auf  Schablonen  in  die  geforderte  Grösse  zum  Gebrauch  für  die 
Werkleute  übertragen  wurden  (nur  auf  diese  Weise  z.  B.  konnten 
die  einzelnen  Säulentrommeln  so  genau  sich  zusammenschliessen, 
wie  es  in  der  That  geschehen  ist:  vergl.  Michaelis  S.  181,  und 
zwischen  anderen  Dimensionen,  welche  in  bestimmten  Maassen 
ausgesprochen  und  in  die  Detailpläne  eingezeichnet  wurden. 
Dies  mag  dann  in  der  Regel  nach  Fuss ,  Daktylen  und  Theilen 
des  Daktylos  bis  zum  Achtel,  vielleicht  selbst  bis  zum  Sechzehntel, 
geschehen  sein  —  es  war  die  Methode  der  fortgesetzten  Hal- 
birung,  denn  der  Daktylos  ist  -j'jj  des  Fusses,  und  ein  Achtel  des 
Daktylos  vertritt  die  Halbirung  des  Fusses  bis  zur  siebenten 
Potenz.  Dass  daneben  noch  -j-  und  ^  des  Fusses,  bezw,  des 
Daktylos  (aber  nicht  etwa  Neuntel,  Siebenundzwanzigstel  u.  s.  w.) 
vorkommen  konnten,  ist  wahrscheinlich,  aber  vor  der  Hand  nicht 
nachweisbar.  Anlangend  die  Frage  der  Säulenhöhe,  bietet  meine 
Hypothese  eine  klare  und  fassliche  Norm,  ohne  die  Details  der 
Ausführung,  welche  auf  den  feinsten  geometrischen  Constructio- 
nen  beruhten,  zu  präjudiciren.  Für  die  Geschichte  der  ange- 
wandten Mathematik  sind  in  dem  Penrose'schen  Werke,  wie 
es  mir  scheint,  Materialien  von  hoher  Bedeutung  verborgen. 


Fr.  Ilultseb,  Attischer  Fuss. 


175 


Nachmessung,  wenn  wir  eben  diese  Norm  zu  Grunde 
legen,  einen  Betrag  des  Fusses  ergiebt,  der  in  glei- 
cher Linie  mit  den  obigen  Werthen  c  und  d  steht. 

Ueberbliclien  wir  nun  alle  bisher  berechneten 
Werthe,  so  haben  wir  zuncächst  c  und  d  auszu- 
scheiden, weil  sie,  wie  nachgewiesen,  von  vorn- 
herein etwas  zu  gross  ausgefallen  sind;  ferner 
wiederholen  wir,  dass  auch  a  und  b  einer  geringen 
Abminderung  bedürfen,  und  gelangen  so  zu  dem 
Resultate,  dass  der  attische  Fuss  nach  den  Pen- 
rose'schen  Messungen  des  Parthenon  anzusetzen  ist 
zwischen  308,35  und  308,8  Millim. 

Auf  einem  etwas  geringeren  Betrag  führen  da- 
gegen die  Ueberreste  des  älteren,  vorperikleischen 
Parthenon.  In  der  Abhandlung  über  das  Grund- 
maass  der  griechischen  Tenipelbauten  '^)  habe  ich 
es  versucht  einige  Maasse  dieses  Tempels  auf  at- 
tische Fuss  und  Daktylen  zu  reduciren  und  daraus 
die  entsprechenden  Werthe  des  attischen  Fusses  ab- 
geleitet. Dieselben  bedürfen,  wie  bereits  erwähnt 
(Anm.  8),  noch  einer  kleinen  Correctur.  Insbeson- 
dere ist  abzuleiten  aus  der  Säulenweite  von  Axe 
zu  Axe  h.  in  den  Fronten,  i.  in  den  Flanken 
h.  ein  attischer  Fuss  von  308,4  mm, 
i.  ein  attischer  Fuss  von  308,32  mm, 
während  die  übrigen  früher  berechneten  Dimensio- 
nen einen  Fuss  zwischen  308,2  und  308,4  mm  zu 
ergeben  scheinen. 

Auch  der  Durchmesser  mehrerer  noch  erhaltenen 
Säulentrommeln  hat  sich  berechnen  lassen,  und  zwar 
bei  einundzwanzig  derselben  auf  1,899  M.,  bei  fünf 
dagegen  auf  nur  1,707  M.  '^).  Beide  Zahlen  stehen 
so  nahe  zu  einander  in  dem  Verhältniss  10:9  "), 
dass  wir  dieses  für  ein  beabsichtigtes  halten  müssen, 
um  so  mehr  als  auch  Breite  und  Länge  des  Stylo- 
bates  und  die  Säuienhöhe  bei  dem  älteren  und  jün- 
geren Parthenon  zu  einander  je  wie  9 :  10  sich 
verhalten.  Nun  kann  es  nicht  Aufgabe  der  gegen- 
wärtigen Untersuchung  sein  auch  nur  vermuthungs- 
weise  die  Stellen  zu  bestimmen,  welche  die  erwähn- 
ten Fragmente  in  dem  älteren  Baue  eingenommen 
haben  ");  allein  da  einerseits  das  gegenseitige  Ver- 

»)  Archilol.  Zeitg.  XXXVIII  S.  94. 

'^)  Vergl.  Penrose  S.  73  nebst  Tafel  40  Fig.  3  No.  1  u.  2, 
Michaelis  S.  122. 

'*)  Die  Penrose'schen  Berechnungen  kommen  auf  6,233 
und  5,601  engl.  Fuss  aus;  das  Verhältniss  beider  Zahlen  ist 
10,015:9,  d.i.  kein  anderes  als  10:9. 

")  Michaelis  S.  122:  'Jene  (die  21  Säulentrommeln  von 
1,90  M.  Durchmesser)  gehiiren  ohne  Frage  der  äusseren  Säulen- 
stellung und  zwar  SUulenlüssen  an'.  Nach  dieser  Vermuthung, 
welcher  ich  durchaus  beipflichte,  würden  vielleicht  auch  die  fünf 


hältniss  der  beiden  Dimensionen  constatirt  ist,  an- 
drerseits der  grössere  Säulendurchmesscr  von  dem 
am  jüngeren  Parthenon  gemessenen  kaum  merklich 
abweicht,  so  werden  wir  sagen  können,  dass  der 
eben  erwähnte,  nicht  direct  gemessene,  sondern  nur 
mittelbar  auf  1,90  M.  geschätzte  Durchmesser  am 
alten  Parthenon  kein  anderes  Maass  darstellen  sollte, 
als  der  am  jüngeren  Bau  gemessene  von  1,9048  M., 
und  folgern  dann  weiter,  dass  der  grössere  Säulen- 
durchmesser am  älteren  Parthenon  zu  setzen  ist 
k  =  6^-}  attische  Fuss  '*),  der  kleinere  aber,  da  er 
zu  jenem  sich  wie  9  :  10  verhält,  l  =  5|  Fuss.  Hier- 
aus ergeben  sich  als  Werthe  des  attischen  Fusses 
k.  307,75  mm,  l.  307,22  mm. 
Weiter  ist  es  nun  auch  möglich  einen  Fusswerth, 
dessen  monumentale  Fixirung  etwa  15  Jahre  vor 
den  Anfang  des  Neubaues  des  Parthenon  fällt,  aus 
jenem  Heiligthume  Athens  abzuleiten,  welches  als 
Theseiou  anzusehen  trotz  erhobenen  Zweifels  doch 
wohl  gestattet  ist.  DieStylobatlängedesselbenbeträgt 
31,761,  die  Breite  13,716  M.,  die  Länge  der  unteren 
Stufe  32,516,  die  Breite  14,462  M.  ").  Die  beiden 
letzteren  Dimensionen  verhalten  sich  wie  9 : 4,  die 
Stylobatbreite  steht  der  Absicht  nach  zur  Stylobat- 
breite des  älteren  Parthenon  in  dem  Verhältniss 
40:81'°),  die  Stylobatlänge  endlich  scheint  nach 
dem  stärkeren  Säulendurchmesser  des  älteren  Par- 
thenon geplant  zu  sein  '").    Wir  haben  aber  ausser- 

Stücke  geringeren  Durchmessers  als  Säulenfüsse  gedacht  und 
der  zweiten  Reihe  der  Fronten  zugewiesen  werden  können.  Ehe 
man  jedoch  weiter  combinirt,  ist  wohl  das  Bedenken  zu  berück- 
sichtigen, dass  schwerlich  die  fraglichen  Reste  bei  ihrer  geringen 
Zugänglichkeit  (vergl.  die  Penrose'schen  Zeichnungen  a.a.O.) 
so  genau  haben  gemessen  werden  kijunen,  dass  die  beiden  an- 
gegebenen Beträge  der  Durchmesser  wirklich  für  alle  einzelnen 
Stücke  gelten.  Wohl  aber  bleibt  das  Resultat  gesichert,  dass 
diese  beiden  Durchmesser  sich  zu  einander  verhalten  wie  10 :  9. 

")  Vergl.  oben  S.  174  Sp.  1.  Doch  ist  der  auslaufende  Bruch 
schwerlich  von  den  alten  Baumeistern  so,  wie  oben  ausgerechnet 
steht,  bezeichnet  worden  (vergl.  Anm.  13),  sondern  durch  den 
sehr  günstigen  Näherungswerth  von  2i  Daktylen.  Nach  dieser 
Voraussetzung  ist  oben  der  Werth  h.  berechnet  worden.  Legt 
man  die  Bruchzahl  6^4  ^ti  Grunde,  so  erhält  man  307,61  mm 
für  den  Fuss. 

")  Die  Originalmessungen  bei  Penrose  S.  67  lauten  104,23 
45,011   106,708  47,459  Fuss. 

-")  Nach  Penrose  a.  a.  O.  beträgt  die  Stylobatlänge  des 
Theseion  ^  der  Stylobatbreite  des  jüngeren  Parthenon  =  44J  at- 
tische Fuss.  Allein  der  letztere  Tempel  stand  noch  nicht,  als  das 
Theseion  gebaut  wurde.  Wir  haben  also  den  Vergleich  mit  dem 
älteren  Parthenon  zu  ziehen,  dessen  Stylobat  90  Fuss  maass. 

2')  Penrose  setzt  die  Stylobatlänge  des  Theseion  gleich  y 
des  Durchmessers  der  Säulen  des  jüngeren  Parthenon,  mithin 
gleich  102,88  attischen  Fuss  (berechnet  aus  der  Proportion 
5K   10':  35). 


176 


Fr.  Ilultsch,  Attischer  Fuss. 


dem,  aller  Analogie  gemäss,  glatte  Werthe  in  at- 
tischen Fuss  für  die  Hauptdimeusionen  zu  suchen. 
Da  das  Verhältniss  4  :  9  zwischen  Breite  und  Länge, 
welches  am  älteren  und  jüngeren  Parthenon  in  den 
Maassen  der  Oberstufe  dargestellt  ist,  beim  Theseion 
in  der  Unterstufe  seinen  Ausdruck  findet "),  so 
haben  wir  zunächst  die  Beträge  nach  Fuss  aufzu- 
suchen. Unverkennbar  ist  die  Unterstufe  geplant 
m.  in  der  Länge  zu  105|  Fuss,  n.  in  der  Breite 
(gemäss  dem  Verhältniss  9:4)  zu  46|  Fuss,  und 
wir  erhalten  hiernach  als  Werthe  des  attischen 
Fusses  m.  308,2  mm, 

n.  308,43  mm, 
und  erkennen,  indem  wir  diesen  Fussmaassstab 
weiter  anlegen,  o.  in  der  Länge  des  Stylobates  die 
Dimension  von  103  '^  und  p.  in  der  Breite  die 
Dimension  von  44^  attischen  Fuss,  nebst  den  Fuss- 
werthen  o.  308,36  mm, 

p.  308,4  mm. 
Die  Säulenhöhe  beträgt  5,709  Meter'*),  d.  i.  18^  atti- 
sche Fuss  zu  308,6  Millim.,  ergiebt  also,  ähnlich  wie 
beim  Parthenon  (oben  S.  174,  letzter  Absatz),  einen 
verhältnissmässig-  reichlichen  Betrag  des  Fusses. 

In  dieser  langen  Reihe  berechneter  Werthe  des 
attischen  Fusses  scheiden  wir  zunächst  als  minder 
sicher  und  offenbar  zu  niedrig  ausgefallen  die  Be- 

'-)  Es  wiederholt  sich  also  hier  dasselbe  Verhältniss  und 
derselbe  Ausdruck  dieses  Verhältnisses  in  den  Dimensionen  der 
Unterstufe,  wie  ich  es  in  dieser  Zeitschr.  XXXVIII  S.  93  am 
Zeustempel  zu  Olympia  nachgewiesen  habe.  Nicht  zufällig  ist 
es  wohl,  dass  die  Dimensionen  der  Unterstufe  des  Theseion  leicht 
auch  auf  grössere  olympische  Fuss  sich  reduciren  lassen,  nämlich 
die  Breite  auf  45  Fuss  zu  321,4  mm  und  die  Länge  auf  101^  Fuss 
zu  321,1  mm.  Dagegen  scheint  eine  Beziehung  zur  Klafter  der 
königlichen  Elle  beim  Theseion  nicht  statt  zu  finden.  Da  andrer- 
seits die  Beziehung  zum  attischen  Fuss  unleugbar  ist,  so  mag 
dieser  Tempel  als  Beispiel  dienen,  wie  auf  dem  Boden  Atticas 
das  olympische  Maass  in  das  attische  übergeleitet  wurde.  —  Zu 
erwähnen  ist  noch  die  abweichende  Ansicht  H.  Wittich's  (Philo- 
logus  XXIV  S.  599),  der  einen  Fuss  von  316  bis  31S  Millim.  als 
Grundmaass  des  Theseion  annimmt. 

23)  Wollte  man  nach  Maassgabe  von  Anm.  21  die  Länge 
zu  102f  attischen  Fuss  ansetzen,    so   erhielte  man  für  den  Fuss 

308.7  nun.  Allein  der  obige  Satz  wird  durch  den  olympischen 
Fuss  (Anm.  22)  eclatant  bestätigt.  Denn  die  44^  attischen  Fusss 
der  Stj'lobatbreite   sind   genau  42J  grössere  olympische  Fuss  zu 

320.8  mm,  und  die  gemessenen  31,7G1  m  der  Stylobatlänge  genau 
99  olymp.  Fuss  ebenfalls  zu  320,8  mm.  Wir  können  also  aus 
der  Froportion  42J  :  44^  ^  99  :  x.  die  Zahl  der  attischen  Fuss 
berechnen,  welche  nach  der  Absicht  des  Erbauers  in  der  Stylo- 
batlänge enthalten  sein  sollten.  Ausgerechnet  ergiebt  die  Pro- 
portion als  Werth  von  x  10!  .'y  Fuss.  Die  Zahl  von  103  ganzen 
attischen  Fuss  stellte  also  die  Vermittelung  zwischen  den  ander- 
weit berechneten  Werthen  103^^   und  102J  dar. 


träge  k  und  /  aus,  und  haben  dann  in  /«,  i,  vi  bis 
p  wenig-  dififerirende  Werthe  innerhalb  der  engen 
Grenze  von  308,2  bis  308,4,  also  einen  höchst  wahr- 
scheinlichen Mittelwerth  von  308,3  Millim. 

Somit  sind  wir  zurückgekommen  auf  die  anfangs 
erwähnte,  bisher  übliche  Schätzung  des  attischen 
Fusses  und  haben  dieselbe  nachweisen  können  für 
eine  Epoche,  welche  vor  dem  Bau  des  Perikleischen 
Parthenon  liegt.  Dass  wir  diese  Bestimmung  aber 
auch  als  die  allein  gültige  für  alle  Untersuchungen 
und  Vergleichungen  im  Gebiete  der  griechisch-rö- 
mischen Metrologie  festhalten  müssen,  beweist,  um 
von  anderen  Gründen  zu  schweigen,  die  Vergleichung 
mit  dem  römischen  Fusse. 

Eine  der  sichersten  Grössen  in  der  alten  Metro- 
logie ist  der  von  Nissen  festgestellte  oskische  Fuss  "). 
Da  wir  nun  das  gesetzliche  Verhältniss  zwischen 
oskischem  und  römischem  Fuss  noch  nachweisen 
können,  so  kommt  auch  der  Festsetzung  des  rö- 
mischen Fusses  derselbe  Grad  von  Sicherheit  zu 
Gute.  Von  diesem,  definitiv  zu  295,7  Millim.  be- 
stimmten römischen  Fusse  gelangen  wir  nach  dem 
ebenfalls  bezeugten  Verhältnisse  24 :  25  zurück  zu 
einem  attischen  Fusse  von  308,2  Millim.;  also  hatten 
auch  die  Römer,  als  sie  ihren  Fuss  nach  dem  at- 
tischen regulirten,  dasjenige  attische  Fussmaass  vor 
sich,  welches  wir  soeben  aus  zwei  älteren  Bau- 
werken Athens  berechnet  haben,  nicht  die  besondere 
und  etwas  höhere  Norm,  welche  der  jüngere  Par- 
thenon ausweist. 

Wie  kamen  aber  die  Baumeister  des  jüngeren 
Parthenon  zu  dieser,  wenn  auch  unbedeutenden,  so 
doch  immerhin  merklichen  Erhöhung?  Ein  Blick 
auf  die  früher  gegebene  Uebersicht  über  die  Ab- 
leitung der  griechischen  Fussmaasse '")  zeigt,  dass 
dem  normalen  grösseren  olympischen  Fusse  von 
320,6  Millim.  ein  attischer  Fuss  von  308,7  Millim. 
genau  entspricht.  Dies  war  also  die  Norm,  welche 
Iktinos  und  Kallikrates  dem  neuen  Bau  zu  Grunde 
legten  und,  wie  die  Nachmessungen  zeigen,  im 
ganzen  mit  grosser  Genauigkeit  festhielten,  gewisser- 
maassen  ein  modulus  restitulus,  wie  die  Münz- 
kunde von  nummi  restituH  spricht.  Im  übrigen 
al)er  behielt  der  attische  Fuss  den  bereits  vor 
Perikles  festgesetzten,  um  etwa  0,4  Millim.  niedri- 
geren Werth  bei,  welchem  später  auch  die  Römer 
sich  anschlössen. 

Dresden.  Fk.  IIultsch. 

-*)  Keducirt  aus  18,735  engl.  Fuss  nach  Tenrose  Tafel  35. 
■")  Vergl.  Archäol.  Zeitg.  XXXVIII  S.  92  mit  Anm.  4. 
■')  Ebenda  S.  92  oben. 


177 


DOKIMASIE  DER  ATTISCHEN  REITEREI. 

(Tafel  15). 


Die  auf  Taf.  15  nach  einer  mit  gewohnter 
Genauigkeit  und  Sorgfalt  angefertigten  Bause 
G.  van  Geldern's  abgebildete  r.  f.  Trinkschale  stammt 
aus  der  Necropole  von  Orvieto  und  befindet  sich 
jetzt  im  kgl.  Museum  zu  Berlin  ').  Die  Aussen- 
seite  ist  mit  einer  fortlaufenden  Darstellung  ver- 
ziert, deren  Anfang  und  Ende  durch  den  einen 
Henkel  von  einander  getrennt  sind. 

Unter  einem  flüchtig  gezeichneten  Baume  sitzt 
auf  felsigem  Grund  nach  1.  gewandt  ein  bärtiger, 
mit  dem  Mantel  bekleideter  Mann.  Er  hält  auf 
den  Knieen  mit  der  L.  ein  Diptychon  (das  obere 
Ende  desselben  fehlt  zugleich  mit  dem  haltenden 
Daumen),  der  r.  Unterarm  ist  erhoben,  und  die  jetzt 
fehlende  Hand  hielt  einen  Griffel,  dessen  Ende  noch 
erhalten  ist.  Offenbar  ist  der  Dargestellte  bereit, 
irgend  welche  Aufzeichnungen  in  seine  Schreibtafel 
zu  machen;  um  beim  Schreiben  unbehindert  zu  sein, 
hat  er  den  Mantel  von  den  Schultern  zurückgestreift, 
so  dass  beide  Arme  frei  sind.  Der  mit  einer 
schmalen  Binde  geschmückte  Kopf  ist  ein  wenig 
gesenkt.  Neben  ihm  steht  ein  Mann  in  langem 
Mantel  und  Schuhen,  in  der  erhobenen  R.  ein  Scep- 
ter;  leider  ist  nur  die  untere  Hälfte  der  Figur  er- 
halten. Auf  diese  beiden  Männer  zu  kommen  nun 
von  1.  her  3  Jünglinge  in  gleicher  Tracht  (Chla- 
mys  und  Petasos ;  der  zweite  trägt  ausserdem 
noch  hohe  Reiterstiefel),  welche  je  ein  Pferd  am 
Leitriemen  führen,  während  sie  in  der  anderen  Hand 
je  2  Speere  halten.  Zwischen  dem  ersten  und 
zweiten  schreitet  in  derselben  Richtung  ein  mit  dem 
Mantel  bekleideter  Jüngling,  der  in  der  vom  Mantel 
entblössten  R.  einen  langen  Krückstock  trägt  und 
die  (jetzt  fehlende)  L.  erhebt,  wie  es  scheint  um 
dem  voranschreitenden  Jüngling  eine  Anweisung 
zu    geben.     Hinter   ihm   ist  ein  Baum  gezeichnet. 

')  Sie  ist  im  Sommer  1877  in  einem  auf  dem  Terrain  des 
Cav.  Pallucco,  südöstlich  von  der  heutigen  Stadt,  gelegnen  Grabe, 
das  wie  bei  Weitem  die  meisten  orvietaner  Gräber  eingestürzt 
war,  gefunden  worden. 

Archiiolog.   Ztg.,   Jahrg.    XXXVIIl. 


Den  Beschluss  macht  jenseits  des  dritten  Pferdes 
ein  bärtiger  Mann  im  Mantel,  mit  Schuhen  an  den 
Füssen,  der  die  erhobene  R.  auf  ein  Seepter  gestützt 
ruiiig  dasteht  und  aufmerksamen  Blickes  den  Vor- 
gang betrachtet. 

Auf  den  ersten  Blick  ist  klar,  dass  wir  es  hier 
mit  einer  nicht  der  Mythologie  sondern  dem  öffent- 
lichen Leben  entnommenen  Darstellung  zu  thun 
haben.  Auch  die  specielle  Bedeutung  des  darge- 
stellten Vorganges  ist  unzweifelhaft:  die  jugend- 
lichen Reiter  stellen  sich  und  ihre  Pferde  einer  Com- 
mission  von  zwei  Männern  vor;  ein  Schreiber  ist 
in  Bereitschaft,  das  eventuelle  Resultat  dieser 
Musterung  zu  verzeichnen.  —  Untersuchen  wir,  um 
diese  Erklärung  weiter  zu  begründen,  kurz  die  Nach- 
richten über  die  attische  Reiterei.  Denn  dass  die 
vorliegende  Vase  attisch  ist,  wird  Niemand  be- 
zweifeln. 

Wir  wissen  zunächst  im  Allgemeinen,  dass  die 
Oberaufsicht  über  die  Reiterei  der  ßovlri  zustand  '). 
Vor  versammeltem  Rathe  fanden  öffentliche  Para- 
den der  ganzen  Truppe  (öaxifiaalai,  iniöel^sig^') 
an  verschiedenen  Orten,  nämlich  der  Akademie,  dem 
Lykeion  und  dem  Hippodrom  statt;  wie  man  an- 
nehmen darf  zu  bestimmten,  gesetzlich  vorgeschrie- 
benen Zeiten.  —  Ausser  diesen  Paraden  gab  es 
aber  noch  eine  Dokimasie  jedes  einzelnen  Reiters, 
unmittelbar    nach     dem    Eintritt    in     die    Truppe, 

-)  Boeckh,  Staatshanshalt  I  2  S.  352. 

ä)  Xenoph.  Hipp.  III,  1;  {^^ketv  äl!  iw  innKQyiu)  hi 
ä€  y.aX  lulXa,  oaa  iniöiixi'vvai  iSsi  ii]  n6).ii  oniog  !]  ävvn- 
jöv  y.ukliorn  (nidti^ti,  ji<  Tf  h' ^xciö rifx(u  xtii  i«  iv  Av- 
xiCcp  xttl  TK  'hukrifioi  xtt)  T«  hl  im  in  71 0(5  q6  /HO).  In  der 
weiter  unten  (6  ff.),  gegebenen  Besprechung  der  Uebungen  auf 
den  einzelnen  Taradeplätzen,  für  deren  jeden  Xenophon  beson- 
dere Anweisungen  ertheilt,  werden  nur  3  genannt:  Lykeion  (6.  7), 
Hippodrom  (10 — 13),  Akademie  (14).  Die  Worte  xctl  i«  </>«- 
).tjQol  enthalten  nur  eine  nähere  Bestimmung  zu  dem  folgenden 
xai  iti  Iv  ifp  lTi7T0iiQ6/.iM,  indem  der  Hippodrom  ja  in  Phaleron 
lag  (Curtius  u.  Kaupert  Atlas  von  Athen  Taf.  X).  Es  sind  also 
entweder  diese  Worte  {xtd  t«  •4'alriuoi)  zu  streichen,  oder 
wenigstens  das  folgende  xaC. 

24 


178 


G.  Körte,  Dokimasie  der  attischen  Reiterei. 


wie  der  Rechtsfall  des  jtingeren  Alkibiades  zeigt. 
Derselbe  wurde  nämlich  äargaTslag  und  ösMag 
angeklagt,  weil  er  statt  sich  zum  Dienst  als  Hoplit 
zu  stellen,  zu  welchem  er  von  den  Strategen  aus- 
gehoben war,  als  Reiter  gedient  hatte  und  zwar 
ohne  sich  der  vorgeschriebenen  Dokimasie  unter- 
zogen zu  haben  *).  Es  leuchtet  ein ,  dass  das  für 
diesen  Fall  von  Lysias  angezogene  Gesetz,  welches 
dem  Uebertreter  Atimie  androhte  °),  nicht  etwa  auf 
jene  Paraden  sondern  auf  die  besprochene  öoxi- 
ixaaia  des  einzelnen  Reiters  Bezug  hat.  Diese 
entschied  zunächst  über  die  definitive  Zulassung 
zum  Dienst  in  der  Reiterei,  zu  welchem  der  Rekrut 
vorher  durch  den  Hipparchen  angenommen  resp. 
ausgehoben  war  ^).  Sie  gewährte  also  einerseits 
dem  Rekruten  die  Möglichkeit,  Einspruch  gegen 
seine  Heranziehung  zum  Cavalleriedienst  (wegen  un- 
zureichender Mittel  u.  s.  w.)  zu  erh  eben;  andererseits 
konnten  Untaugliche  wieder  entfernt  und  ein  allzu 
starker  Zudrang  zum  Reiterdienst  bei  augenblicklich 
etwa  höherem  Bedarf  an  Hopliten  verhindert  wer- 
den. Freilich  wird  der  letztere  Fall,  dass  nämlich 
auf  Entfernung  eines  Reiters  und  Einreihung  des- 
selben in  die  Infanterie  gegen  seinen  Willen  ent- 
schieden wurde,  gewiss  selten  eingetreten  sein:  in 
der  Regel  war  es  vielmehr  schwierig,  die  Cavallerie 
auf  die  vorgeschriebene  Zahl  von  1000  zu  bringen, 
wie  Xenophon's  Vorschlag,  200  fremde  Reiter  ein- 
zustellen, sowie  die  Anweisung  für  den  Hipparchen, 
wie  er  die  geeigneten  Rekruten  theils  mit  Güte 
theils,  wenn  es  nöthig,  auch  durch  gerichtlichen 
Zwang  heranzuziehen  habe,  beweist').  Weiter  er- 
streckte sich  diese  Dokimasie  ohne  Zweifel  auf  die 
Diensttauglichkeit  der  von  den  Reitern  selbst  zu 
stellenden  Pferde.  Es  liegt  in  der  Natur  der  Sache, 
wenn  es  auch  nirgends  ausdrücklich  überliefert  ist, 
dass  diese  Einzelmusterung  von  Mann  und  Pferd 
nicht  von  dem  ganzen   Rath,    sondern  durch  eine 

*)  Lysias  or.  14,  8. 

')  (toü  vÖuov  xt>.(vovjog,)  luv  rij  üioxluaaiog  InTievi), 
cijiuov  (irai.  Auf  diese  dtixitiaaut  im  engeren  Sinne  gehen 
dem  Zusammenhang  nach  auch  Lycurg  bei  Harpocration  s.  v. 
iSoxi/iaaOfis  und  Xenojih.  Oeconom.  IX,  15. 

•)  Xcnoph.  Hipp.  I,  7. 

')   Ilipp.  IX,  3.     I,  9  ft. 


dazu  deputirte  Commission")  von  Sachverstän- 
digen, an  denen  es  wohl  niemals  ganz  gefehlt  haben 
wird,  vorgenommen  wurde.  Es  scheint,  dass  diese 
Commission  dauernd  die  Angelegenheiten  der  Ca- 
vallerie im  Plenum  des  Rathes  vertrat  und  an- 
dererseits der  nach  Xenophon's  ganzer  Schilderung 
offenbar  schwachen  Autorität  der  Hipparchen  den 
Mannschaften  gegenüber  als  Rückhalt  diente'),  in- 
dem sie  wenigstens  befugt  war,  sich  durch  wieder- 
holte Musterungen  von  der  Ausbildung  von  Mann- 
schaften und  Pferden  zu  überzeugen  und  auch 
nach  der  ersten  Dokimasie  die  aus  irgend  einem 
Grunde  untauglichen  Pferde  auszumustern'").  Diese 
Annahme  dient  den  Forderungen  des  Xenophon 
(Hipp.  I,  13 — 15)  zur  Voraussetzung.  Freilich  lässt 
die  Fassung  eben  dieser  Forderungen  (ßoi  öoxsl, 
ayad-öv  /.loi  doxsl  sivai)  erratheu,  dass  sie  in 
Wirklichkeit  selten  oder  nie  erreicht  wurden  ") 
und  dass  der  Rath,  resp.  seine  Commission  von 
dieser  Befugniss  keinen,  oder  keinen  durchgreifen- 
den Gebrauch  gemacht  habe. 

Wir  unterscheiden  also,  um  diesen  Hauptpunkt 
noch  einmal  zu  wiederholen,  allgemeine  öffentliche 
Paraden  der  Reiterei,  die  im  weiteren  Sinne  doxi- 
jiiaatai  genannt  wurden,  und  eine  im  engereu 
Sinne  so  genannte  öoxijuaaia  des  einzelnen  Reiters, 
welche  vielleicht  ebenfalls  periodisch  wiederkehrte. 
Eine  solche  ist  auf  unserer  Vase  dargestellt.  Die 
Commission  des  Rathes  wird  durch  die  zwei  Män- 
ner mit  Sceptern  (und  Schuhen)  repräsentirt.  Dass 
beide  nicht  nebeneinander,  sondern  der  eine  am  Ende, 
der  andere  am  Anfange  der  Darstellung  stehen,  ist 
offenbar  nur  dem  Rhythmus  der  Composition  und 
den  Erfordernissen  des  Raumes  zu  Liebe  geschehen. 
In  dem   Jüngling  mit  dem  Krückstöcke    zwischen 

8)  So  wie  der  Trierenbau  im  Auftrag  des  Rathes  durch 
eine  Commission,  die  jotrjoonoiol,  besorgt  wurde.  Boeckh, 
Staatshaush.  I,  S.  351;  III,  59;  vgl.   auch  ebda.  Gl. 

')  Vgl.  Xenoph.  Hipp.  I,  8  («j'nSö)'  fiOi  äoxd  (ivai)  fr  ift 
T(( /Sovilij  l/fij' p^iopn?  i7iiir)St(ovi,  Sniüg  Kyovin  ifoßäiat  rt 
Toig  Innfag,  ßililovtg  yaQ  av  ihr  ifoßovfAfvoi,  xatanQcivv- 
wal  j(  i»;r  ßovXt'ii',  ijv  ii  naQn  xitiiwv  yctltTiahii. 

">)  Denn  dies  kann  nicht  wohl  bei  den  grossen  öffentlichen 
Paraden  (s.  oben)  geschehen  sein. 

")  Vgl.  V.  Wilamowitz-MoellenJorff,  Philologische  Unter- 
suchungen I,  S.  24,  Anm.  45. 


G.  Körte,  Dokimasie  der  attischen  Reiterei. 


179 


dem  ersten  und  zweiten  Reiter  haben  wir  höchst 
wahrscheinlich  einen  Offizier  zu  erkennen,  viel- 
leicht einen  der  Hipparchen  selbst:  denn  dass  zu 
diesem  Amt  auch  junge  Leute  gewählt  wurden,  be- 
weist Xenophon  Memorab.  III,  3.  In  die  an  sich 
gleichartigen  Motive  der  Eeiter  und  Pferde  ist  in 
glücklichster  Weise  Abwechslung  gebracht  dadurch, 
dass  uns  der  Künstler  verschiedene  Momente  der 
Musterung  vorführt.  Der  erste  Reiter  ist  schon  un- 
mittelbar vor  dem  prüfenden  Senator  angekommen 
und  steht  in  bescheidener  Haltung  vor  ihm.  Er  ist 
etwas  hinter  seinem  Pferd  zurückgeblieben,  auf  die 
gute  Dressur  des  Thieres  vertrauend,  das  nur  einer 
leichten  Führung  durch  den  Leitriemen  bedarf.  Der 
zweite  kommt  mit  grossen  Schritten  herbei,  sein 
Pferd,  das  mit  erhobenem  Kopfe  wiehert,  nach  sich 
ziehend.  Der  dritte  endlich  ist  eben  erst  im  Begriff, 
sich  in  Bewegung  zu  setzen.  Er  wendet  sich  vor- 
anschreitend nach  seinem  Pferde  um  und  fasst  den 
Leitriemen  dicht  am  Maule  mit  der  Rechten,  indem 
er  das  Thier  zum  Folgen  aufl'ordert.  Die  Reiter 
tragen  nicht  die  schwere  Rüstung,  welche  Xeno- 
phon negi  Inn.  XII  beschreibt,  sondern  die  bei  den 
Uebungen  im  Frieden  gewiss  allgemein  gebräuch- 
liche leichte  Kleidung :  Chlamys  und  Petasos  und 
ausserdem  die  xQcevil'va  6vo  nalTÖ,  welchen  Xeno- 
phon als  Angriifswaffe  den  Vorzug  vor  der  lang- 
geschäfteten  Lanze  giebt  und  auf  deren  geschickte 
Handhabung  er  erklärlicherweise  einen  besonderen 
Nachdruck  legt").  Von  dem  Zaumzeug  der  Pferde 
ist  —  wie  auch  sonst  ähnliches  Detail  auf  Vasen- 
bildern häufig  nur  andeutungsweise  dargestellt  ist  — 
nur  der  Leitriemen  (^äywysvg,  Qvtaywyevg  bei  Xeno- 
phon, sonst  auch  QvzriQ'^)  angegeben,  welcher  von 
den  Alten  neben  den  Zügeln  gebraucht  wurde, 
hauptsächlich  zur  Führung  des  Pferdes  an  der 
Hand"). 

'*)  ntQl  17171.  XII,   12.   13;  Hipp.  I,  6. 

■3)  Vgl.  Dio  Chrysost.  or.  C3,  4. 

")  Nach  Xenoph.  tt.  ihtt.  VI,  9  ist  dem  Reitknecht  als 
Regel  einzuschärfen :  fArjnore  iiynv  jfjs  rjvlctg  löv  'ititjov.  toüto 
yr.o  hfnoyvti^ovs  Tioni.  Vielmehr  soll  das  Pferd  am  Leit- 
riemen, der  in  den  Nasenriemen  [U't'O.ioy)  oder  den  Kinnriemen 
(ÜTro/ftiivid'i'n)  eingeschnallt  wurde,  geführt  werden:  VI,  4 — 6; 
VII,  1.  Die  richtige  Erklärung  der  letzteren  Stelle,  namentlich 
der  Worte   i^niiov    und    vTjnyuXivtöin  bei  Jacobs,    Xenophon's 


Endlich   sind  über    die  Bewegung   der   Pferde 
noch  einige  Worte  hinzuzufügen.    Alle  drei  schrei- 

Buch  über  die  Reitkunst  übersetzt  und  mit  Anmerkungen  ver- 
sehen S.  143  ff.  —  Auf  der  schönen  Vase  von  Nola  mit  der 
Darstellung  des  v7ioßißu^io!>ai  unterscheidet  man  in  der  besseren 
Abbildung  Arch.  Zeitg.  1878  Taf.  22  deutlich  den  dickeren  äyta- 
yfiig  von  dem  nur  durch  einen  dünnen  Strich  bezeichneten  Zügel. 
Er  scheint  am  i/'f''^""'  befestigt  zu  sein.  Zügel  und  Leitriemen 
(oder  Leilseil)  finden  sich  nebeneinander  auch  an  dem  (Bronze-?) 
Kopf  eines  Pferdes  mit  vollständiger  Zäumung  bei  Ginzrot, 
Die  Wagen  und  Fuhrwerke  der  Griechen  und  Römer  u.  s.  w.  II, 
Taf.  LXXII,  7  (nähere  Angaben  über  den  Aufbewahrungsort 
u.  s.  w.  fehlen)  und  den  beiden  von  Aiax  Ilios  gehaltenen  Pferden 
auf  der  praenestinischen  Ciste  Mon.  delV  Inst.  IX  Taf.  22.  23. 
Auf  den  beiden  letzteren  Monumenten  ist  der  rtymyfvi  vielmehr 
an  der  vnox<')iviäüi  befestigt  zu  denken.  Auf  andern  Monu- 
menten erscheint  nur  der  äyuyfi'g,  am  Nasenriemen,  ipäliov, 
befestigt,  so  auf  der  r.  f.  Schale  Gerhard,  Auserl.  Vasenb.  IV 
Taf.  293/4,  1 ;  Münzen  des  Archelaos  I.  von  Macedonien ,  des 
Amyntas  II.  (?),  des  Audoleon  von  Paenonien,  der  Stadt  Ma- 
ronea  in  Thracien  s.  Catalogue  of  the  greek  coins  in  the 
british  museum  Macedon  etc.  S.  164.  168.  4;  Thrace  etc.  S.  126. 
Die  Erklärung  des  Wortes  \l>aXiov  betreffend  füge  ich  noch 
hinzu,  dass  die  Knebel  von  Metall  an  den  beiden  Enden  des  Ge- 
bisses ,  von  denen  Stephani  einige  aus  südrussischen  Gräbern 
stammende  von  sehr  mannigfaltiger  Form  abgebildet  und  be- 
sprochen hat  {Compte-rendu  1865  S.  186—90;  1874,  S.  194; 
1876  S.  123,  132—138;  1877  S.  8)  sicher  nicht  wie  dieser  Ge- 
lehrte, allerdings  zweifelnd,  vorschlägt,  ilx'ciia  zu  nennen  sind. 
Die  angeführte  Stelle  des  Xenophon  und  Pollux  I,  148  xiä  ftijv 
10  fjttv  oXby  Kt)  OTouciTi  Tov  YTtTjov  tjifri^ofxtvov  1p (i X 1 0  V  ver- 
bieten das.  Einige  andre  Stellen ,  wo  von  dem  Klirren  der 
ipäXia  die  Rede  ist  (Stephani  C.  r.  1865  S.  158),  erklären  sich 
vielmehr  durch  die  wohlbegründete  Annahme  von  Jacobs  a.  a.  O., 
dass  häufig  der  auf  der  Nase  des  Pferdes  aufliegende  vordere 
Theil  des  iptUtov  aus  Metall  und  zwar  aus  einem  oder  mehreren 
Stücken  bestand.  Derartige  Nasenriemen,  deren  vorderer  Theil 
aus  Eisen  oder  mit  Eisen  gefüttert  ist,  sind  in  Italien  noch  heut- 
zutage für  Zug-  und  Lastthiere  in  Gebrauch,  um  das  Maul  der- 
selben zu  schonen.  —  Wie  es  scheint  giebt  es  keine  besondre 
Bezeichnung  für  den  in  Rede  stehenden  Theil  des  Pferdege- 
schirres, denn  die  in  dem  trefflichen  Werke  von  Schlieben,  die 
Pferde  des  Alterthums  S.  145  f.  (auch  schon  von  Montfaucon, 
vgl.  Jacobs  a.  a.  0.  S.  190)  gegebne  Erklärung  als  lupi  oder 
Xvxoi  „weil  sie  (die  Knebel)  eine  krumme  hakenförmige  Gestalt 
hatten  und  man  unter  Xvxo;  auch  einen  Haken  oder  eine  Wolfs- 
angel verstand",  passt  durchaus  nicht  auf  alle  erhaltenen  Knebel 
der  Art,  welche  häufig  vielmehr  ganz  gerade  sind :  vgl.  C.  r.  1865, 
S.  188;  1876,  S.  123.  124.  Eher  möchten  als  Xixoi,  lupi  die 
bei  Stephani  Cr.  1876  S.  125.  132—134  abgebildeten  Ringe 
zu  deuten  sein.  Dieselben  sind  an  den  beiden  Enden  der  Trense 
angebracht,  so  dass  sie  sich  um  deren  Achse  drehen  und  haben 
je  4  nach  der  Innenseite  der  Trense  gerichtete  scharfe  Zacken. 
Stephani  bezieht  sie  S.  125  irrig  auf  die  ;;frj'oi  des  Xenophon 
TT.  iTtTi.  X,  6,  welche  vielmehr  zweifellos  als  ringsum  mit 
Zähnen  oder  mit  Einkehlungen  versehene  Walzen  zu  erklären 
sind:  vgl.  Jacobs  a.  a.  O.  S.  186;  Schlieben  S.  143.  Während 
diese    im  Maule    des  Pferdes  liegen    als   scharfes,   im  Gegensatz 

24* 


180 


G.  Körte.  Dokimasie  der  attischen  Reiterei. 


ten  nämlicli  mit  den  beiden  Beinen  einer  Seite 
gleichzeitig  aus.  Dies  ist  nicht  der  natürliche  Gang 
des  Pferdes,  welches  vielmehr  beim  Gehen  auf  den 
beiden  sich  kreuzweise  gegenüberstehenden  Füssen 
ruht'*).  Allerdings  kann  jene  gleichseitige  Be- 
wegung, der  sogenannte  Pass,  dem  Pferde  künst- 
lich beigebracht  werden;  doch  war  diese  im  Mittel- 
alter allgemein,  heute  wohl  nur  noch  im  Orient 
beliebte  Gangart,  welche  für  den  Reiter  ausser- 
ordentlich bequem  ist,  im  Alterthum  durchaus  nicht 
so  allgemein  gebräuchlich  als  man  gewöhnlich  an- 
nimmt'^).    Gewiss    ist,    dass   sie    in  Griechenland 

zum  weichen,  glatten  Gebiss,  sollen  die  von  Stephani  publicirten 
Ringe  vielmehr  zu  beiden  Seiten  ausserhalb  des  Maules  bleiben, 
wie  die  seitlich  und  zwar  nach  innen  angebrachten  Zähne  be- 
weisen. Ihr  Zweck  war  offenbar  der,  das  Wenden  des  Pferdes 
zu  erleichtern ,  indem  dabei  der  eine  Stachel  gegen  die  Lefzen 
gedrückt  wurde.  Namentlich  war  diese  Unterstützung  der  Zügel- 
wirkung erwünscht,  wenn  der  Reiter  die  Zügel  nur  mit  einer 
Hand  führte  (was  auch  im  Alterthum  die  Regel  war,  s.  Schlieben 
S.  187);  denn  die  Wendung  mit  blosser  Trense  ist  dann,  wenn 
auch  m(5glich,  doch  immerhin  schwieriger.  Die  Kandare  aber, 
welcher  wir  ims  dabei  bedienen,  war  den  Alten  unbekannt. 

")  Vgl.  Aristot.  7rf(j(  CoiftJi'  nooiCag  c.  \i:  xivMcti  Ö€ 
TK  onCaitiu  noog  i«  iunnoaitiv  y.aiu  ä  ic'tfi  tjQOV.  ftlTÜ 
yaQ  lö  dffiöj'  läiv  (fiTiQoaUfv  jo  tanoTtgöv  iwv  OTiiaittv  xi- 
vovaiv.  iira  i6  ccQiaiiooi'  idv  ifXTigoaStv,  /Jtrci  ö(  jovro  t6 
Stiiöv  %(üv  oniaüiv. 

")  S.  Ruhl,  Ueber  die  Auflassung  der  Natur  in  der  Pferde- 
bildung antiker  Plastik,  S.  73;  Schlieben  a.  a.  O.  S.  182.  — 
Die  einzige  Stelle  eines  alten  Schriftstellers,  welche  den  Pass- 
gang beschreibt,  ist  Plinius  N.  H.  VIll,  166,  \>.  78,  12  ed. 
Detlefsen:  in  eadem  Hispania  Gallaica  gens  et  Äsiurka  equini 
generis  —  In  sunt  quoa  celdones  vocamus,  minore  forma  appel- 
latos  aaturcones  —  gignunt,  guibtis  non  vulgaris  in  cursu 
gradus,  sed  mollis  alterno  crurum  explicatu  glome- 
rativ,  unde  equis  tolutim  capere  incursum  iraditur  arte. 
Hier  ist  tolutim  capere  incursum,  traben,  dem  jenen  spani- 
schen Pferden  angeblich  angeborenen  Passgang  gegenüber- 
gestellt: jene  Pferde  müssen  das  Traben  erst  künstlich  erlernen. 
Denn  dass  tolutim,  tolutarius  nicht,  wie  man  allgemein  an- 
nimmt, auf  den  Pass,  sondern  auf  den  einfachen  Trab  zu 
beziehen  sind,  lehren  die  einschlägigen  Stellen,  welche  auf  meine 
Bitte  mein  Freund  G.  Lüwe  zusammengestellt  hat.  Ich  gebe  im 
Folgenden  seine  Notizen  wieder:  „Hauptfundort  für  die  Stellen  ist 
Nonius  p.  4,  Isqq.,  wo  acht  Belege  gegeben  werden.  Er  erklärt  to- 
lutim^volubiiiter  (dass  die  Glosse  in  Juvenalem  p.IX  tolutim:  vo- 
lubiliter  ebendaher  stammt,  hat  schon  Keil  gesehen).  Bei  allen 
Stellen  kommen  wir  mit  dem  Deutschen  ,im  Trabe'  am  besten  aus. 
Plaut.  Asin.  v.  70G,  wo  Libanus  seinen  Herrn  als  Gaul  behandelt, 
sagt  er  zu  ihm,  als  es  nicht  gut  gehen  will:  „ei,  was  ist  denn  das? 
wue  ist  das  für  ein  Gang?  Ich  werde  Dir  den  Hafer  knapper  mes- 
sen, ,tolutim  ni  hadizas',  wenn  Du  nicht  ordentlich  trabst."  Aehn- 
lich  spricht  Fronto  übertragen  von  den  sententiae  tolutares,  den 
„nur  trabenden"  nicht   stolz  galoppirenden  des  Seneca.     Ferner 


bis  auf  Aristoteles'  Zeit  unbekannt  war.  Denn 
dieser  kennt  sie  nicht  nur  nicht,  sondern  geht  so- 
weit zu  behaupten,  dass  ein  Pferd,  wenn  es  die 
beiden  Beine  einer  Seite  gleichzeitig  heben  wollte, 
umfallen  mUsste").  Auch  bei  Xenophon  und  Pollux 
wird  der  Pass  nicht  erwähnt'*). 

bei  Lucilius:  Stadium  acclive  tolutim  evadere  (wo  das  acclive 
ein  tolutim  erschwert)  und  velle  tolutim  hie  semper  et  incepturu 
videtur  (er  sieht  aus  wie  einer,  der  immer  im  Trabe  davon 
will,  es  aber  immer  beim  Anfange  bewenden  lässt).  Trefilich 
stimmt  zu  der  Gleichstellung  tolutim  =  Trab  die  Stelle  aus 
einer  Satire  des  Varro:  sed  ut  equos,  qui  ad  vehendum  est 
natus,  tarnen  kic  traditur  magistro,  ut  equiso  doceat  tolutim  ,  ■  : 
das  Pferd  muss  das  (regelmässige,  schulgerechte)  Traben  erst  lernen. 
In  Glossen  kommen  die  betr.  Worte  wenig  vor.  totularius: 
iTznotf'OQsiig,  tolutiloquentia:  rd  Inngo/ov,  tolutim:  fniiQOya 
sind  moderne  Onomasticonglossen  (Prodr.  p.  184  sqq.).  Nur  tolu- 
tarius ist  zweimal  vertreten,  tolutarius:  ßnäiajrjg  (Philoxenus 
p.  214,  13:  ebenso  ist  p.  218,  50  zu  schreiben)  und  toliiarius 
(sehr,  tolutarius)  est  ambulatorius  equus  (iletzer  Glossar), 
wozu  nmbulatura  bei  Vegetius  zu  vergleichen.  Vegetius,  Mu- 
lomed.  IV,  cap.  6:  Persis  et  statura  et  positio  a  caeteris 
equorum  yeneribus  non  plurimum  differt  sed  solius  ambu- 
laturae  quadam  gratia  discernuntur  a  caeteris  —  inter 
colatorios  enim  et  eos  guos  totonarios  vulgus  appellat  avibu- 
latura  eorum  media  est.  Hier  heisst  ambulatura  einfach 
Gangart,  und  die  gewöhnliche  Gleichstellung  des  Wortes  mit 
fr.  l'amble,  it.  ambio,  ambiadura  =^  Pass  ist  falsch.  Vegetius 
kennt  offenbar  den  Pass  nicht,  die  den  persischen  Pferden  zuge- 
schriebene Gangart  ist  vielmehr  als  ein  schwimmender  oder 
trippelnder  Gang  (Schlieben,  S.  183)  zu  denken.  „Auch  gradarius 
hat  mit  dem  Pass  nichts  zu  thun"  (wie  Ruhl,  S.  72,  nach 
Aldrovandi  de  quadrup.  I,  p.  19,  angiebt).  Lucilius  bei  No- 
nius a.  a.  O. :  ipse  equo'  nonformosu'  gradarius  optimu'  vector 
„es  war  nicht  schön,  aber  es  trug  gut  und  ging  seinen  sicheren 
Schritt";  Nonius  erklärt  gradarius:  ,est  molli  gradu  et  sine 
succussatura  nitens'.  Von  Cicero  heist  es  bei  Seneca:  Cicero 
quoque  noster,  a  quo  Romana  eloquentia  exsiluit,  gradarius 
fuit:  „er  ging  Schritt  für  Schritt"  (dem  eo:silire  entgegengesetzt). 
Bei  Diomedes  ist  puyna  gradaria  Gegensatz  zu  p.  stataria.  In 
Glossaren  findet  sich  das  Wort  nirgends;  das  Onomasticon 
Vulcanii  (p.  60  gradarii:  innoifOQttg)  ist  ein  Product  des  XVI. 
Jahrhunderts".  — 

Es  giebt  also  weder  im  Griechischen  noch  im  Lateinischen 
ein  Wort  für  Pass,  Passgänger.  Der  einzige  Schriftsteller,  der 
diese  Gangart  beschreibt,  Plinius,  betrachtet  sie  offenbar  nicht 
nur  als  eine  ungewöhnliche,  sondern  als  eine  unreine.  Die- 
selbe kann  also  im  Alterthum  nicht  allgemeiner  üblich  gewe- 
sen sein. 

'')  ebda,  weiter  unten:  e?  Si  loig  ät^itig  äuifoi^goig  tiqio- 
TOig  fiiü  tiv  lyfyi'Oi'TO  itüi'  Infioui'awv  xui  uvfniTiiuv.  Auch 
der  Passgang  des  Kameeis  war  dem  Aristoteles  unbekannt,  denn 
die  llist.  an.  II,  9  dem  Löwen  und  dem  Kameel  zugeschriebene 
Bewegung  xaiu  axi).og  ist  nicht  Pass,  kommt  übrigens  weder 
beim  Löwen  noch  beim  Kameel  vor.  Vgl.  Aubert  und  Wimmer 
zu  der  Stelle,  die  Plin.  11,   lOü  citiren. 

")  Denn  die  von  Pollux  I,  194  citirte  Definition  des  Simon: 


G.   Körte,  Dokiruasie  der  attischen  Reiterei. 


181 


In  der  assyrischen  und  ägyptischen  Kunst  wer- 
den schreitende  Pferde  und  andere  vierfüssige  Thiere, 
so  viel  ich  sehe,  durchgehends  so  dargestellt,  dass 
sie  die  beiden  Beine  derselben  Seite  heben.  Diese 
Darstellungsweise  ist  auch  auf  die  phönikische  '") 
und  auf  die  arciiaisch-griecliische  Kunst ")  über- 
gegangen. Sie  ist  in  letzterer  durchaus  die  Kegel, 
obwohl  vereinzelte  Ausnahmen  schon  früh  vor- 
kommen"), und  ist  namentlich  auf  Münzen  ")  bis 
in  die  Zeit  der  höchsten  KunstblUthe  beibehalten, 
ebenso  auch  auf  vielen  rothtigurigen  Vasen  stren- 
geren Stils  ''^).  Offenbar  handelt  es  sich  also  auch 
für  diese  um  ein  lange  Zeit  festgehaltenes,  der 
Natur  widersprechendes  Schema  der  Bewegung, 
nicht  um  die  Darstellung  einer  besonderen  Gang- 
art. Auch  die  Beispiele  ähnlicher  Art  aus  späterer 
(römischer)  Zeit  sind  meines  Erachtens  auf  ungenaue 
Naturbeobachtung  zurückzuführen^'),  und  ich  kenne 
kein  sicheres  Beispiel  eines  Passgängers;  beson- 
ders gilt  dies  von  den  berühmten  Pferden  über 
dem  Portal  von  S.  Marco  in  Venedig,  welche  ur- 
sprünglich einen  Wagen  zogen  ").  — 

f  v^Qo^og  (5^  innog  6  öXlyov  cti'^üJi'  ttno  itjg  yrjg  Iv  i^ 
jqiX^iv  I«  axikri  hat  mit  dem  Passgang  nichts  zu  thuu ,  wie 
Schliebeu  a.  a.  O.  S.  18'2,  ir29  bemerkt,  bezieht  sich  vielmehr 
auf  einen  schnellen   und   zugleich   bequemen  Trab. 

")  Vgl.  die  Silberschalen  Cesnola,  Cyprus  pl.  XI;  S.  329; 
Muaie  Napoleon  III  pl.  X;  Mon.  delC  Inst.  X,  31.  32.  XI,  2, 
auch  die  Sarcophage  von  Amathus  pl.  XIV  und  Golgoi  pl.  X 
(griechische  Arbeit). 

-")  Reliefs  mit  Viergespann:  Schöne,  Grieeh.  Reliefs  XV,  73; 
Annali  deW  Inst.  1861  tav.  B.  Reiter;  Mittheilungen  IV,  Taf.  4. 
—  Viele  Beispiele  für  schwarztig.  Vaseumalerei  bei  Gerhard,  A. 
Vasenb.  passim. 

'')  So  die  beiden  gewiss  dem  7.  Jahrh.  angehörigen  Vasen 
von  den  griechischen  Inseln  Mon.  deW  Inst.  IX,  ö ;  die  korin- 
thische Vase  Gerhard  A.  V.  Taf.  220;  Overbeck,  Ileroengal. 
XXII,   1   (neben  der  gewohnlichen  Uarstellungsart). 

''')  S.  Cataloyue  of  the  ijreek  coins  in  the  brlt.  Mus. 
Sicily  bei  Catana,  Enna,  Gela,  Ilimera,  Leontini,  Messana, 
Nacona,  Panormus,  Selinus,  Syracus;  ib.  Thrace  etc.  bei 
Aenus,  Byzantium;  ib.  Macedon  etc.  bei  Mende,  Olynthos, 
Potidaea,  unbek.  Stadt  S.  136,  den  Bisalten,  Edonern;  Alexan- 
der I.  von  Macedonien,  Perdikkas  (?). 

")  Gerhard  A.  V.  136,  227,  229/30,  293/4.  1.  2.  5,  291.  1 
(beide  Arten  der  Bewegung  nebeneinander,  ebenso  199).  Ziegen- 
bock, Widder:  Mon.  deW  Inst.  VI.  VII,  67. 

-*)  Wie  schon  Winckelmann  Kunstgesch.  Theil  I  Cap.  IV 
annahm. 

25)  Vgl.  zu  denselben  die  feinen  Bemerkungen  von  Ruhl 
a.  a.  O.  S.  47  f.  —  Das  Pferd  des  Marc-Aurel  geht  keineswegs 
Pass,  wie  Schlieben  a.  «.  0.  S.  182  behauptet.  Vgl.  Ruhl  S.  69.  72. 


Meines  Wissens  ist  unser  Vasenbild  das  einzige 
bis  jetzt  bekannte,  welches  einen  solchen  officiellen 
Akt  aus  dem  Leben  der  Athener  zur  Darstellung 
bringt,  und  als  solches  darf  es  ein  hervorragendes 
Interesse  in  Anspruch  nehmen.  Es  ist  ein  neuer 
Beweis  von  jener  Vorliebe  des  athenischen  Volkes 
für  seine  Cavallerie,  welche  ihren  glänzendsten  Aus- 
druck im  Parthenonfriese  gefunden  hat.  — 

Das  Innenbild  der  Schale  zeigt  einen  der  200 
berittenen  skythischen  Bogenschützen,  welche  der 
Staat  als  leichte  Cavallerie  zur  Verstärkung  der 
aus  Bürgern  bestehenden  unterhielt").  Er  steht  in 
buntem  Barbaren-Costüm  neben  (jenseits)  seinem 
ungeduldig  mit  dem  linken  Vorderfuss  scharrenden 
Pferde  und  sieht  mit  zurückgewandtem  Oberkörper 
visirend  an^  einem  Pfeil  hinab,  den  er  in  beiden 
Händen  hält:  offenbar  um  sich  zu  überzeugen,  ob 
er  vollkommen  gerade  sei.  Neben  seinem  rechten 
Bein  kommt  unter  dem  Bauche  des  Pferdes  ein  Stück 
des  Köchers  zum  Vorschein,  den  er  an  der  rechten 
Seite  hängen  hat.  Von  dem  rechten  Hinterfuss  des 
Pferdes  ist  ein  Stück,  weil  es  in  das  zu  decorirende 
Kund  nicht  hineinging,  einfach  weggelassen. 

Offenbar  steht  diese  Darstellung  in  einer  inne- 
ren Beziehung  zu  der  der  Aussenseite;  gegenüber 
dem  feierlichen  Ernst  der  letzteren  ein  gemüthliches 
Genrebild.  — 

Zum  Schluss  möchte  ich  noch  auf  das  Relief  bei 
Schöne  XVII  n,  79  hinweisen.  Ich  glaube,  dass  es 
von  einem  seiner  Amtsführung  wegen  bekränzten 
Hipparchen  ")  geweiht  ist,  der  sich  selbst  an  der 
Spitze  seiner  ini  (palayyog  geordneten  Truppe")  vor 
dem  Rathe  paradirend  ")  hat  darstellen  lassen.  Der 
Mangel  der  vollständigen  BewaÖ'nung  kann  bei  einem 
griechischen  Monument  gegen  diese  Deutung  nicht 
geltend  gemacht  werden.  Wir  hätten  also  in  diesem 
schönen  Relief  ein  an  die  oben  erwähnten  Cavallerie- 
Paraden  erinnerndes  Denkmal  zu  erkennen. 

Göttiugen.  G.  Körte. 

'"')  Boeckh,  Staatshaushalt  I  S.  368. 

")  So  nennt  ohne  nähere  Begründung  schon  Bötticher,  Ver- 
zeichuiss  der  Gipsabgüsse  1871  n.  333  den  voraufreitenden  Mann. 

^*)  Dieselbe  ist  nur  andeutungsweise  dargestellt. 

=')  Ein  Schauspiel,  das  Xenophon  Hipp.  III,  12  mit  sicht- 
licher Passion  beschreibt. 


182 


BACCHISCHE  SIEGESFEIER. 

(Tafel  16.) 


Die  auf  Tafel  16  im  Maassstabe  von  Vs  wieder- 
gegebene Darstellung  befindet  sich  auf  den  Frag- 
menten eines  in  der  Nähe  des  Peiraieus  gefundenen 
Kraters,  welche  ich  durch  Hrn.  Giliieron  copiren 
und  in  den  sicheren  Theilen  ergänzen  Hess.  Bei- 
spiele der  in  Boeotien  so  häufigen  Kraterform  sind 
mir  bisher  aus  attischen  Gräbern  nicht  bekannt  ge- 
worden; den  engen  Baum  Verhältnissen  derselben 
wird  es  zuzuschreiben  sein,  dass  hier  überhaupt  so 
wenig  unverletzte  Vasen  von  grösseren  Dimensionen 
gefunden  werden. 

Unser  Gefäss  gehört  dem  streng  rothfigurigen 
Stile  an;  alle  Tänieu,  Blätter  und  Zweige  waren 
mit  weisser  Farbe  aufgetragen. 

Wir  erkennen  deutlich  sämmtliche  wesentlichen 
Züge  der  Darstellung. 

Es  handelt  sich  um  die  Weihung  eines  Dreifusses 
der  von  Nike  bekränzt  wird.  Dabei  steht  der  Opfer- 
stier. Eine  Frau  mit  Fackel  und  Oinochoe  wendet 
sich  zu  Dionysos,  um  ihm  einzuschenken.  Hinter 
diesem  steht  ein  Satyr.  Die  'Anwesenheit  der  Nike 
verkündet  uns  einen  Sieg,  die  des  Dionysos  einen 
Sieg  errungen  bei  einem  bacchischen  Feste.  Drei- 
füsse  sind  der  Preis,  welcher  den  Siegern  in  den 
dramatischen  Aufführungen  ertheilt  wurde;  mit  Stie- 
ren wurde  das  Siegesopfer  dargebracht. 

Es  ist  wohl  zu  bemerken,  dass  wir  keine  an- 
dere Gelegenlieit  kennen,  bei  der  ein  Stieropfer 
mit  Weihung  eines  Dreifusses  verbunden  wäre,  dass 
wir  somit  ohne  zwingende  Gründe  weder  diesem 
Monument  noch  ähnlichen  eine  andere  Deutung  zu 
geben  berechtigt  sind. 

Folgende  Vasen bilder  sind  dem  unsrigen  am 
nächsten  verwandt: 

1.  Hancarville  II,  37  =  Müller-Wieseler,  Denkm. 
II,  625.  (Dreifuss,  Stier,  2  Niken,  Dionysos  sitzend. 
Ein  Satyr  und  eine  baechische  Frau.) 

2.  Stamnos,  in  München.  Jahn  386  =  Gerhard, 
A.  Vb.  81;  Vases  etr.  PI.  I.  (Dreifuss,  Opferstier  von 
Nike  getränkt.     Eine  Frau  mit  Tänie.) 

3.  Kalpis  der  Sammlung  Catalani.   Gerhard,  A. 


Vb.  II  p.  9  n.  32.  (Dreifuss,  Stier  von  Nike  bekränzt.) 
(gleich  n.  1?). 

4.  Stamnos  des  Brit.  Museums  n.  755.  Gerhard, 
A.  Vb.  243.  (2  Dreifüsse,  2  Stiere,  welche  von  zwei 
Mädchen  geschmückt  werden.) 

5.  Hancarville  III,  36  =  Laborde  I,  78  = 
Inghirami  363.  (Dreifuss,  Opferstier  mit  Nike  und 
sechs  Jünglinge  mit  Fackeln.) 

Die  Darstellungen  auf  1 — 3  namentlich  haben 
zugleich  mit  unserem  Vasenbilde  gemeinsam,  dass 
sie  sich  völlig  auf  idealem  Boden  bewegen.  Es 
entspricht  durchaus  der  Richtung  der  älteren  Kunst, 
menschliche  Vorgänge  in  den  Bereich  des  Göttlichen 
zu  versetzen.  Derselben  Auffassung  folgt  auch  die 
bekannte  Serie  der  auf  kitharödische  Siege  be- 
züglichen Reliefs,  welche  Nike  vor  Apollo,  Artemis 
und  Leto  darstellen  (Welcker,  A.  Denkm.  II,  p.  37  ff. 
Jahn,  Griech.  Bilderchr.  p.  45  ff.).  Deshalb  führe 
ich  auch  sie,  trotz  der  Einwendungen  Stephani's 
{Compte  Rendu  1878,  S.  218  ff.),  auf  ältere  Vorbil- 
der zurück. 

Einer  bald  idealen,  bald  realen  Auffassung  be- 
gegenen  wir  auch  in  den  plastischen  Darstel- 
lungen, welche  sich  auf  geweihte  Dreifüsse  be- 
ziehen. Doch  sind  nur  wenige  ganz  frei  von 
menschlicher  Beimischung: 

a)  Die  Basis  von  der  Tripodenstrasse  in  Athen, 
Pervanoglu,  Annali  delV  Inst.  1860  Tv.  d'agg.  G. 

Vielleicht  auch 

b)  Das  Fragment  eines  Reliefs,  in  den  Propy- 
laeen  zu  Athen  befindlich.  Höhe  0,28,  Breite  0,33. 
In  der  Mitte  ein  kleiner  Bau  mit  Dach,  der  auf 
drei  Säulen  ruht,  ein  Dreifussmonument.  Links  Kopf 
einer  Frau  (Nike  ?),  rechts  sind  nur  zwei  Arme  er- 
halten, die  etwas  mit  einem  Hammer  zu  befestigen 
scheinen.  Da  die  Hände  sehr  breit  sind,  ist  viel- 
leicht an  einen  Satyr  zu  denken.  Etwa  Arbeit  des 
3.  Jahrhunderts. 

Nur  wenig  entfernt  von  dieser  Gattung  sind  die- 
jenigen Reliefs,  auf  denen  statt  der  Gottheiten  ihre 
priesterlichen  Vertreter  erscheinen,   so  in  der 


A.  Milchhöfer,  Bacchische  Siegesfeier. 


183 


e)  bekannten  Dresdener  Basis. 

Auf  einen  Dreifuss  bezieht  sieb  gewiss  auch 

d)  Mo7i.  deW  Inst.  IV,  42.  (Nike,  Kitharode  und 
Priesterin.) 

Während  in  d  der  Kitharode  noch  die  Gestalt 
des  Gottes  hat,  tritt  in  den  Uebrigen  der  Geehrte 
oder  Weihende  in  völlig  menschlicher  Darstellung 
hinzu: 

e)  Schöne,  Gr.  Reliefs  n.  63. 

f)  Eine  sehr  ähnliche  Composition  ausser  dem 
bei  Schöne  erwähnten  Hesiod  in  der  „Apotheose 
Homers"  in  einem  Relief  der  Propyläen  zu  Athen. 
Höhe  0,4ö,  Breite  0,25. 

g)  Curtius,  Arehäol.  Zeitg.  1867,  Tafel  226. 
Relief  auf  der  Burg  zu  Athen. 

Unter  den  Figuren  unseres  Vasenbildes  ist  nur 
eine,  deren  Bedeutung  vielleicht  nicht  völlig  klar 
ist  —  der  Satyr,  welcher  auch  auf  Vase  1  erscheint, 
gehört  zur  Begleitung  des  Dionysos  und  hat  kein 
Recht,  den  Namen  Dithyrambos  zu  beanspruchen, 
den  ihm  Wieseler  ertheilt  —  es  ist  die  Frau  mit 
Oinochoe  und  Fackel.  Schon  aus  der  Composition 
ist  zu  entnehmen,  dass  auch  sie  den  höheren  Wesen 
angehören  muss.  Ungeflügclte  Frauen  kommen  auch 
auf  den  Vasen  2  und  4  vor  (vgl.  Arehäol.  Zeitg.  1853, 
Tafel  52,  1).  Die  eine  derselben  erweist  sich  durch 
den  Thyrsos  als  bacchische  Figur,  als  Begleiterin 
und  Dienerin  des  Dionysos;  ihren  Namen  festzu- 
stellen, scheint  mir  bei  dem  Mangel  einer  Beischrift 
unmöglich.  Auch  müssen  wir  die  Frage  ungelöst 
lassen,  ob  nicht,  wenigstens  in  Vorbildern,  welche 
etwa  unsern  Vasen  zu  Grunde  liegen,  irgend  eine 
Personification  gemeint  sein  könne,  etwa  Arete 
oder  die  siegreiche  Pliyle  '). 

Besonders  wichtig  aber  wird  uns  die  in  Rede 
stehende  Figur  durch  das  Attribut  der  Fackel. 
Dieselbe  erklärt  sich  hier  hinreichend  sowohl  aus 
dem  feierlichen  Opfer,   welches  mit  dem  Sieg  ver- 

')  Man  vergleiche  das  schon  citirte  Relief  Schöne  63 ,  wo 
EvTuSfu  mit  einem  vor  einem  Dreifusse  stehenden  Manne  dar- 
gestellt ist. 


bunden  ist,  als  überhaupt  aus  der  Beziehung  auf 
Dionysos  und  seine  nächtlichen  Feste.  Mit  einer 
Fackel  zündet  die  Priesterin  auf  der  kitharödi- 
schenBasis  Monum.  IV,  42  den  Altar  an').  Eine 
Weihung  der  Fackel  erscheint  ferner  auf  der  viel 
besprochenen  Dresdener  Basis.  Hier  sind  wir 
ebensowenig  berechtigt,  an  einen  Sieg  im  Fackel- 
wettlauf')  zu  denken,  wie  bei  unserem  Monumente, 
welches,  wie  wir  glauben,  zur  endgültigen  Erklä- 
rung der  Dresdener  Basis  beitragen  wird.  Die 
Lampadedromie  wurde  weder  dem  Dionysos  ge- 
feiert (vergl.  Hermes  VII,  437),  noch  wissen  wir 
dabei,  wie  schon  oben  hervorgehoben  wurde,  von 
Dreifuss  und  Stier  als  Gegenständen  der  Siegesfeier. 
Ebenso  wird  durch  unser  Vasenbild  jede  Beziehung 
auf  den  delphischen  Mythus  (Bötticher)  zurückge- 
wiesen. 

Sehr  häufig  ist  mit  der  Siegesfeier  auch  die 
Spende,  die  Libation  verbunden,  welche  auf  unserm 
Vasenbilde  dem  Dionysos  dargebracht  wird.  So  in 
den  auf  Siege  der  Kitharöden  bezogenen  Reliefs.  Die 
Meinung  Stephani's  {Compte  Rendu  1873,  113  ff.),  dass 
in  der  anovöi'j  ein  Wunsch,  die  Bitte  um  Erfolg, 
also  Hinweisung  auf  ein  Zukünftiges  ausgedrückt 
sei,  ist  schon  an  sich  sehr  gezwungen  und  wird 
auch  durch  unser  Vasenbild  widerlegt,  welches  doch 
offenbar  einen  vollendeten  Sieg  darstellt.  Ich  er- 
kenne in  der  Spende  nur  den  erhöhten  Ausdruck 
einer  Ehrenbezeugung,  die  man  Göttern  und  Heroen 
darbringt,  oder  bei  besonderer  Gelegenheit  auch 
Menschen,  welche  heroische  Handlungen  unterneh- 
men oder  vollendet  haben. 

Arthur  Milchhöfer. 

2)  Auch  auf  den  anderen  kithorödischen  Siegesmonumenten 
erscheint  die  Fackel  (Welcker,  A.  D.  II  p.  37ft'.  Jahn,  Gr.  Bil- 
derchr.  p.  45  ff.).  Es  ist  wahr,  dass  dieselbe  der  Artemis,  welche 
sie  trägt,  als  Attribut  zukommt.  Aber  sie  ist  auch  in  den 
Händen  der  Frauen  bei  Clarac,  Mus^e  de  Sc.  122  n.  62,  und 
auf  der  albanischen  Tafel  (Jahn,  Bilderchr.  Taf.  V). 

3)  Müller,  Handbuch  §  96  n.  20.  Pervanoglu  Annali 
1861,  p.  120.  Friederichs,  Bausteine,  p.  92.  —  Auch  die 
Fackeln  in  den  Händen  der  Jünglinge  auf  dem  Vasenbild  n.  ö 
erklären  sich  hinreichend  durch  das  bevorstehende  Opfer. 


184 


GRUPPE  DER  ARTEMIS. 

(Tafel  17.) 


Die  auf  Tafel  17  Nr.  1  nach  einem  Licbtbilde 
gezeichnete  kleine  Marmorbildsäule  —  sie  ist  80 
Centimeter,  ungefähr  2'/2  Fuss  hoch  —  ist  in  Lar- 
naea-Scala  auf  Cypern  gefunden  und  von  Herrn 
M.  0.  Richter  in  der  Wiener  Neuen  lUustrirteu  Zei- 
tung, IX.  Jahrgang,  I.  Band,  vom  26.  September 
1880  abgebildet  worden. 

Herr  Richter  hält  die  Gestalt  für  die  Tochter 
eines  Königs  von  Kition,  welche  sich  auf  das  Idol 
der  Aphrodite  lehnt,  weil  sie  etwa  im  Begriff  sei 
sich  zu  vermählen.  Allein  die  unter  Nr.  2  ver- 
grössert  abgebildete  Münze  von  Eukarpia  in  Phry- 
gien  zeigt,  dass  es  Artemis  ist.  An  dem  Bande, 
das  schräg  über  die  Brust  der  Bildsäule  geht,  hing 
der  Köcher  am  Rücken. 

Eine  verwandte  Darstellung  der  Artemis  giebt 
die  hier  unter  Nr.  3  abgebildete  Lampe  aus  Knidos, 
auf  welche  mich  Conze  aufmerksam  gemacht  hat: 
sie  ist  von  Newton  Discoveries  at  Halicarnassus 
Cnidos  and  Branchidae,  Tafel  LXXXIV  5  abgebildet; 
Newton  nahm  die  Figur  als  Hekate,  es  ist  Artemis. 

Wen  das  Idol  darstellt,  auf  welches  Artemis 
sich  in  allen  drei  Denkmälern  stützt,  bleibt  wohl 
ungewiss.  Denn  auch  Aphrodite  stützt  sich  auf  ein 
völlig  ähnliches  Idol  in  der  kleinen  farbigen  Mar- 
morfigur, welche  vor  einigen  Jahren  in  Pompeji 
gefunden  worden  ist  und  demnächst  in  dieser  Zeit- 
schrift veröffentlicht  werden  wird.  Auch  da  hält 
das  Idol  in  der  Rechten  eine  kleine  Blume  oder 
eine  Frucht,  und  erhebt  mit  der  Linken  das  Ge- 
wand. Es  kommt  öfter  vor,  dass  eine  Gottheit  in 
ihrer  späteren  Gestaltung  sich  auf  ihr  eigenes  alter- 
thümliches  Bild  lelint. 


Danach  darf  man  glauben,  dass  auch  Artemis 
in  dem  cyprischen  Marmorfigttrchen,  der  Gruppe  der 
Münze  und  der  Lampe  sich  auf  ihr  eigenes  Idol 
lehnt. 

Die  auf  der  Münze  dargestellte  Gruppe  war  in 
Eukarpia  öffentlich  aufgestellt,  also  gewiss  von 
grossen  Verhältnissen,  etwa  von  Lebensgrösse.  Die 
Vorderseite  der  Münze  zeigt  nämlich  die  Umschrift 
AHMOC  eVKAPneilN  um  den  lorbeerbekränz- 
ten Kopf  des  Demos,  die  Umschrift  der  Kehrseite 
heisst  AITHCAM6NOY  H  KA  MAE  MAPK6A- 
AIANOY;  und  auf  einer  zweiten  Münze  ist  der 
Kopf  der  BOVAH  eVKAPneßN,  auf  der  Kehr- 
seite die  nämliche  Gruppe,  umher  6niM€AH0EN- 
TOC  r  KA  <|)AAKKOY.  Also  wird  auf  der  ersten 
dieser  beiden  zusammengehörigen  Münzen  durch 
<xhrjaai.ievov  ausgedrückt,  dass  Marcellianus  die  Er- 
laubniss  zur  Errichtung  der  Gruppe  erbeten,  auf 
der  zweiten  durch  Eni^ielrj&evrog,  dass  Flaccus  die 
Errichtung  besorgt  hat.  Diese  Münzen  gehören 
ihrem  Styl  und  der  Art  der  Aufschriften  nach  sicher 
der  Zeit  Hadrian's  an,  folglich  ward  damals  die 
Gruppe  in  Eukarpia  aufgestellt  (auf  Münzen  der 
Antonine  ist  diese  Gruppe  weniger  zart  und  schön 
wiederholt).  Man  darf  demnach  glauben,  dass  die 
Gruppe  und  das  Marmorfigürchen,  wenn  sie  sich 
nicht  wie  Original  und  Kopie  zu  einander  ver- 
halten, wohl  beide  Nachbildungen  eines  älteren 
Originals  sind.  Die  Kleinheit  der  Marmorfigur 
spricht  schon  dawider,  dass  sie  ein  Original- 
werk sei. 

J.  Friedlaender. 


185 


ZUR  ARKESILASSCHALE. 


In  dem  Dorpater  Programm  von  1879  hat  G. 
Löschcke  ')  gelegentlich  einer  Aufziihlung  der  sämmt- 
lichen  Vasen,  welche  der  Arkesilasschale ')  ver- 
wandt sind,  als  etwaige  Fabrikationsorte  derselben 
Kyrene  und  Sikyon  genannt,  während  er  die  Hypo- 
these W.  Klein's,  dass  sie  aus  Sparta  stammen 
möchten,  zwar  für  wahrscheinlich,  aber  vorläufig 
für  unbeweisbar  hält.  Vielleicht  dient  die  Wieder- 
aufnahme eines  bereits  von  Heeren')  angestellten 
Vergleiches  der  Arkesilasschale  mit  gewissen  orien- 
talischen Darstellungen  dazu,  ein  neues  Moment 
zur  Cbarakterisirung  des  Bodens,  auf  dem  die 
Schale  entstehen  konnte,  zu  gewinnen.  Auf  den 
Wandgemälden  ägyptischer  Gräber  nämlich  ist  be- 
kanntlich keine  Scene  aus  dem  Leben  des  Ver- 
storbenen häufiger  dargestellt  als  die,  dass  dem 
sitzenden  oder  auch  stehenden  Herrn  die  Tribute 
und  Erträgnisse  seiner  Besitzungen  dargebracht 
werden  oder  dass  er  seinen  Untergebenen  bei 
den  mannigfachsten  Verrichtungen  des  alltäglichen 
Lebens  zuschaut.  Als  Theil  eines  solchen  grosseren 
Bildes  findet  sich  häufig  auch  die  Darstellung  des 
Abwägens  von  Getreide,  Goldringen  oder  anderen 
Gegenständen^),  eine  Darstellung,  die  in  der  äu- 
sserst verbreiteten  typischen  Hlustration  des  ägypti- 
schen Totenbuchs,  dem  Totengericht  vor  Osiris,  zu 
einem  selbständigen  und  bedeutungsvollen  Gemälde 
ausgebildet  worden  ist'),  und  entsprechend  der 
Wichtigkeit  dieses  mythologischen  Vorgangs  fehlt 
hier  niemals  eine  der  zur  Bedienung  der  Wage 
nothwendigen  Personen.  Indem  so  vor  dem  Thron 
des  Osiris  das  Herz  des  Verstorbenen  mit  der 
Wahrheit  gewogen  wird,  beobachtet  Horus  die  eine 
Wagschale  und  Anubis  mit  der  zweiten  zugleich 
auch  die  Zunge,  nach  der  er  die  Hand  ausstreckt "), 
während    der    ibisköpfige    Thot    das    Resultat    der 

')  De  basi  guadam  prope  Spartam  reperta,  S.   12  ff. 

ä)  Abgeb.  31.  d.  I.  I,  47.  Welcker,  Alte  Denkmäler,  Bd.  3, 
Taf.  34. 

3)  Vgl.  Welcker  a.  a.  0.  S.  496. 

<)  Lepsius,  Denkmäler,  Abth.  III,  Bl.  10.  39.  122.  Wil- 
kinson  Anclent  Egyptians  2.  Aufl.  I,  S.  285. 

')  Ebda.  III,  232.  IV,  16.  Leemans,  Aegyptische  Monumen- 
ten T.  PI.  XXVI.  Am  bequemsten  findet  man  ein  Beispiel 
der  beiden  Darstellungen  bei  Dümichen,  Gesch.  des  allen  Aegjp- 
tens,  Berlin   1879,  auf  den  beiden  ersten  Talein. 

')  Auf  der  betr.  Tafel  bei  Dümichen  hat  der  Schreiber  die 
Zunge  zu  zeichnen  unterlassen. 

ArchSulug.  Ztg.,   Jahrgang  XXXVIII. 


Wägung  gewissenhaft  verzeichnet.  Wo  es  sich  um 
Scenen  des  gewöhnlichen  Lebens  handelt,  kommen 
natürlich  noch  die  Lastträger  hinzu. 

Unscliwer  erkennt  man  dieselben  Rollen  unter 
dem  Personal  der  Arkesilasschale,  über  deren  Vor- 
züge vor  den  ägyptischen  Bildern  wir  kein  Wort 
zu  verlieren  brauchen.  Da  ist  —  um  der  Bequem- 
lichkeit wegen  eine  Lesung  zu  adoptiren  —  Slipho- 
machos,  welcher  neben  der  einen  Wagschale  stehend 
mit  dem  Finger  auf  die  Zunge  derselben  weist; 
ein  anderer,  Uubenannter,  verfolgt  mit  lebhaftester 
Aufmerksamkeit  das  Steigen  und  Fallen  der  zwei- 
ten Schale  und  entsprechend  Thot  oder  dem  Schrei- 
ber bedeutet  Sophortos  seinem  Gebieter  Zahl  und 
Gewicht  der  gewogenen  Massen.  Dass  die  Last- 
träger hier  nicht  fehlen  dürfen,  ist  selbstverständ- 
lich; eine  echt  ägyptische  Figur  ist  der  sie  beauf- 
sichtigende Wvla^^). 

Dass  diese  Analogien  des  ägyptischen  und  des 
griechischen  Bildes,  trotzdem  sie  sich  aus  der  Natur 
des  dargestellten  Gegenstandes  von  selbst  ergeben, 
nicht  ganz  zufällig  sind,  wird  sowohl  durch  die 
Wahl  des  Vorwurfs,  der  immer  als  alleinstehend 
unter  den  Darstellungen  archaischer  Vasen  bezeich- 
net worden  ist,  als  auch  besonders  durch  einige 
auffällige  Einzelheiten  der  Arkesilasschale  im  höch- 
sten Grade  wahrscheinlich.  Zwar  will  der  ägyp- 
tische Schurz,  mit  dem  Sliphomachos  und  Sophortos 
bekleidet  sind,  sowie  die  auf  dem  Totengericht  und 
unserer  Schale  identische  Form  des  Wagebalkens 
wenig  sagen;  aber  auffallend  für  griechische  Sitte 
ist  die  Verwendung  einer  so  fremdländischen  und 
gefährlichen  Bestie  wie  des  Panthers  *)  als  Haus- 
thier,  das  friedlich  unter  dem  Stuhl  seines  Herrn 
lagert,  während  die  Aegypter  ausser  den  Hunden 
und  Katzen  auch  Affen  und  andere  Bewohner  afrika- 
nischer Wildniss  im  Hause  hielten ').    Am  unzweifel- 

')  Vgl.  Dümichen ,  Resultate,  Taf.  VIII.  Bädeker,  Aegyp- 
ten,  S.  411;  vgl.  S.  414. 

')  Auf  einer  Vase ,  deren  Zeichnung  sich  im  archäol.  Ap- 
parat des  Berliner  Museums  (Fol.  230,  Nr.  350)  befindet,  ist 
der  Panther  zwischen  den  Stuhlbeinen  tektonisch  verwendet. 

«)  Hund  und  Affe  bei  Lepsius  II,  134,  b.  III,  9,  f.  12. 
Dümichen,  Resultate,  Taf.  X.  Wilkinson,  a.  a.  0.  I,  S.431,  Taf.XI; 
gezähmte  Thiere  bei  Kosellini  I,  72.  73.  Dümichen,  Flotte  einer 
ägyptischen  Kiinigin,  Taf.  VI  (vgl.  Taf.  XII).  Bädeker  a.  a.  O. 
S.  411.    Wilkinson  I,  S.  38  Taf.  II  .4  ß.    Besonders  berühmt  war 

25 


186 


0-  Puchstein,  Arkesilasschale. 


haftesten  eiullicli  gebt  der  über  der  Wage  sitzende 
Affe  auf  ägyptiscbe  Anscbauung  zurück:  es  ist  der 
Kynoskepbalos  als  Symbol  des  Thot,  des  Gottes 
für  Maass  und  Zabl,  wie  er  auf  der  ägyptischen 
Wage  an  derselben  Stelle  fast  regelmässig  vor- 
gefunden wird,  auf  dem  Totengericlit  a.  a.  0.  ausser- 
dem in  dem  oberen  Streifen  des  Bildes  beiderseits 
als  Hüter  der  Wage  neben  derselben  sitzt. 

Diese  Anklänge  einer  griechischen  Darstellung  au 
ägyptische  Vorbilder  Hessen  sich  leicht  aus  der  Indi- 
vidualität des  betreffenden  Künstlers  erklären,  der 
von  jedem  griechischen  Orte  aus  eigene  Anschauung 
Aegyptens  erlangt  haben  könnte.  Aber  sollte  mau 
nicht  von  allen  Punkten  am  wahrscheinlichsten  da 
den  Künstler  suchen  dürfen,  wo  er  ohne  weite 
Keisen  und  abenteuerliche  Lebensschicksale  durch 
die  gegebenen  Verhältnisse  seiner  Heimat  Gelegen- 
heit hatte,  ägyptisches  Treiben  kennen  zu  lernen? 
Aus  diesem  Gesichtspunkt  kann  von  den  vor- 
geschlagenen Fabrikationsorteu  der  Arkesilasschale 
am  ehesten  Kyrene  sowohl  wegen  seiner  geo- 
graphischen Lage  wie  wegen  der  intimen  Beziehun- 
gen zu  Aegypten  gerade  im  6.  Jahrhundert  in 
Betracht  kommen.  Zwar  erlitt  Apries,  der  von  den 
den  Kyrenäern  feindlichen  Libj'ern  zu  Hülfe  ge- 
rufen war,  eine  vollständige  Niederlage^"),  aber 
schon  unter  seinem  Nachfolger  Amasis  (570—526) 
bestand  zwischen  den  Nachbarstaaten  nicht  allein 
ein  Schutz-  und  Trutzbündniss ,  das  bis  zur  persi- 
schen Invasion  währte,  sondern  ausser  den  erklär- 
lichen Handelsbeziehungen  sogar  Connubium.  Amasis 
selbst  war  mit  einer  Kyrenäerin  verheirathet,  und  zu 
den  von  ihm  nach  Kyrene  geweihten  Anathemen 
gehörte  auch  sein  eigenes  gemaltes  Porträt ' ').  An- 
dererseits wird  in  Kyrene  der  Isiskult  bereits  von 

der  zahme  Löwe  Ramses'  11,  erwähnt  bei  Diodor  I,  48,  1,  abgeb. 
Eosellini  I,    84  (vgl.  I,  65.   Lepsius  III,  2,  b.  100). 

'0)  Herodot  IV,   159. 

")  Herodot  II,   181.   132;   vgl.  Plutar  ch  mor.  p.  261. 


Herodot  bezeugt '").  Sehr  wohl  könnte  man  also  die 
Arkesilasschale  als  ein  authentisches  Zeugniss  die- 
ses lebhaften  und  freundschaftlichen  Verkehrs  der 
beiden  Länder  grade  zur  Zeit  des  Amasis  und 
Arkesilas  IL")  auffassen,  ein  Zeitansatz,  der  unsere 
Vase  nur  wenige  Jahre  jünger  machen  würde  als 
der  von  W.  Klein  vermuthete  Zusammenhang  mit 
der    Landvertheilung    unter    Battos   II    (um   575 

V.  Chr.'*). 

Ausserdem  Hesse  sich,  wie  man  sonst  aus  der 
Darstellung  bestimmter  Mythen  auf  korinthischen, 
chalkidischeu  oder  attischen  Ursprung  schliesst,  allen- 
falls mit  gleichem  Rechte  die  Figur  des  Arkesilas  für 
die  Entstehung  der  Schale  in  Kyrene  geltend  machen. 
Die  Beischriften  endlich,  deren  bisherige  Deutungen 
vielleicht  an  den  barbarischen  Bestandtheilen  der- 
selben gescheitert  sind  '^),  würden  ebensowenig 
gegen  wie  für  Kyrene  sprechen:  denn  ob  das  dor- 
tige Alphabet  aus  Thera,  der  Heimat  der  ersten 
kyreuäischen  Colonisteu,  stammt  oder  etwa  in  Folge 
des  bedeutenden  Zuwachses,  den  Kyrene  aus  dem 
Peloponnes  und  anderen  Territorien  gelegentlich 
der  Landvertheilung  erhielt ''^),  modificirt  worden  ist, 
bat  noch  nicht  entschieden  werden  können.  Jeden- 
falls entspricht  die  Form  l4Qxsal?.ag  dem  in  Kyrene 
üblichen  dorischen  Dialect. 

Wie  sich  die  anderen  mit  der  Arkesilasschale 
zusammengehörigen  Vasen  zur  Annahme  einer  kyre- 
näischen  Fabrik  verhalten,  wird  erst  bei  der  Publi- 
cation  einer  grösseren  Anzahl  derselben,  welche  die 
Eedaction  dieser  Zeitschrift  vorbereitet,  untersucht 
werden  können. 

Berlin.  0.  Puchstein. 

''^)  IV,   186. 

")  Vgl.  Brunn,  Probleme  S.  34. 

")  Euphronios,  S.  36. 

'^)  So  mag  in  Bezug  auf  den  Namen  Sliphoraachos  nicht 
unerwähnt  bleiben,  dass  macha  die  ägyptische  Bezeichnung  für 
,,Wage",  ,, wägen"  ist. 

'6)  Her.  IV,  159;  vgl.  161. 


187 


VOTIVRELIEF  AN  DIE  GÖTTERMUTTER. 


(Tafel  18.) 


Das  herrliche  Votivrelief  an  die  Göttermutter, 
•welches  aus  dem  Dorfe  Mustaphades,  nahe  dem  alten 
Tanagra,  stammt  und  zuerst  von  Körte  (Mittli.  III 
S.  390  f.)  beschrieben  worden  ist,  hat  in  neuester 
Zeit  eine  gleichzeitige  Behandlung  durch  Milchhöfer 
(Mitth.  V  S.  216f.  u.  209  Anm.  1),  Furtwängler  („Der 
Satyr  aus  Pergamon"  Winckelmannsprogramm  1880 
S.  28)  und  Conze  (s.  oben  S.  3K)  erfahren,  und  ist 
dadurch  dem  Interesse  des  archäologischen  Publi- 
kums so  nahe  gelegt,  dass  eine  Publication  dessel- 
ben nicht  unwillkommen  sein  dürfte.  Ich  theile 
deshalb  auf  Taf.  18  eine  Zeichnung  mit,  welche  ich 
im  vorigen  Jalire  in  Athen  nach  dem  Originale  in 
Vj  der  natürlichen  Grösse  machte. 

Das  Original,  über  dessen  Fund  und  Maasse  es 
genügt,  auf  Körte's  Beschreibung  zu  verweisen, 
besteht  aus  4  Fragmenten,  die  jetzt  im  Varvakion 
aufbewahrt  werden.  Das  HauptstUck  war  selbst 
mehrfach  gesprungen,  ist  aber  jetzt  zusammengefügt 
und  in  Gips  gefasst.  Die  3  übrigen  Stücke,  die 
sich  durch  die  Gleichheit  von  Arbeit,  Material  (pen- 
teliscbem  Marmor)  und  Fundort  als  zugehörig  er- 
weisen, lassen  sich  gleichwohl  weder  unter  sich 
noch  mit  der  Hauptgruppe  zusammenfügen.  Das 
Stück,  auf  welchem  uns  der  Oberkörper  eines 
jugendlichen  Pan  erhalten  ist,  gehörte  dem  linken 
seitlichen  Abschlüsse  an.  Milchhöfer  hat  zuerst 
diese  Deutung  gegeben,  während  vorher  die  etwas 
verstossenen  aber  unzweifelhaften  Merkmale  der 
Hörner  und  spitzen  Ohren  übersehen  worden  waren. 
Körte  erkannte  richtig,  dass  die  Lehne  und  einige 
Gewandfalten  zu  Häupten  des  Pan  dem  Bildnisse 
einer  nach  r.  thronenden  Kybele  angehören.  Wir 
haben  also  hier  eine  ähnliche  Composition  wie  auf 
dem  Thonrelief  der  Göttermutter  aus  der  Sammlung 
Saburofif  (E.  Curtius,  Mitth.  II  Taf.  3  S.  48  ff.),  wo 
neben  dem  Throne  ein  kleiner  flötenspielender  Si- 
len  sitzt. 


Berechnet  man  die  ungefähre  Ausdehnung  für 
das  Bild  der  Kybele  und  die  zwischen  ihr  und  dem 
Manne  zur  Rechten  zu  ergänzenden  beiden  weib- 
lichen Figuren,  von  denen  uns  nur  die  Köpfe  er- 
halten sind,  so  ergiebt  sich  für  das  Relief  eine 
ziemlich  bedeutende  seitliche  Ausdelinung,  zumal 
da  jene  beiden  weiblichen  Gestalten,  wie  der  Relief- 
grund zeigt,  nicht  so  dicht  gruppirt  waren  wie  die 
erhaltenen.  Ob  Theile  sämmtlicher  Figuren  auf  uns 
gekommen  sind,  lässt  sich  nicht  mit  Bestimmtheit 
entscheiden.  Wir  vermissen  jedenfalls  den  sonst 
treuesten  Begleiter  der  Kybele,  ihren  von  Conze 
als  Herraes-Kadmilos  bezeichneten  Mundschenk.  Von 
den  beiden  bedeutendsten  Votivreliefs  an  die  Götter- 
mutter, diesem  und  dem  attischen  oben  Taf.  1  pu- 
blicirten,  ist  beidemal  leider  nur  die  Hälfte  —  hier 
die  rechte,  dort  die  linke  —  erhalten,  doch  glaube 
ich ,  dass  sich  durch  Zusammenhaltung  dieser  bei- 
den Theile  eine  ungefähre  Anschauung  von  der 
Compositionsweise  dieser  Gattung  von  Kybele-Reliefs 
wiedergewinnen  lässt  ').  Dort  werden  wir  also 
auf  der  r.  Seite  die  Gruppe  der  3  Mädchen  und 
den  bärtigen  Mann  mit  mehr  Wahrscheinlichkeit  als 
einen  Zug  von  Adoranten  voraussetzen,  da  sieh 
solche  bisher  auf  Kybelereliefs  noch  nicht  gefunden 
haben.  Andererseits  war  auf  unserem  Relief  die 
Kybele  offenbar  in  einer  dem  attischen  Relief 
durchaus  entsprechenden  Haltung  gebildet,  welche 
uns  ihr  statuarisches  Bild  in  seitlicher  Ansicht 
zeigt,  während  es  in  den  vataxot  naturgemäss  en 
face  erscheint.  Einer  der  weiblichen  Köpfe  wird 
einer  Figur  angehört  haben,  welche  der  Fackel- 
trägerin entspricht,  und  zu  ihr  wird  sich  die  zweite 
gesellt  haben.     Die  Deutung   für  dieses  Paar  auf 

')  Dass  die  gegenseitige  Ergänzung  eine  nur  ungefähr  rich- 
tige sein  kann,  beweisen  schon  die  vorliegenden  Abweichungen 
in  den  gemeinsam  erhaltenen  Partien:  der  Pan  statt  des  Löwen 
und  zwei  weibliche  Gestalten  vor  Kybele  statt  der  einen  des  at- 
tischen Reliefs. 

25* 


188 


L.  Gurlitt,   V'otivrelief  an  die  Götterniutter. 


Demeter  und  Köre  liegt  um  so  näher,  als  auch  in 
den  Köpfen  ein  Altersunterschied  zum  Ausdruck 
gebracht  ist. 

Die  3  übrigen  weiblichen  Gestalten  kehren  wie- 
der auf  dem  Kybele-ßelief  aus  der  Sammlung  Sa- 
buroff  (E.  Curtius  a.  a.  0.,  A.  Conze  a.  a.  0.  S.  4  P). 
Dort  sind,  zu  beiden  Seiten  längs  der  Säulen  über- 
einander, klein  je  3  leidenschaftlich  tanzende  "Wei- 
ber gebildet,  von  denen  je  eine  auch  ein  Tympanou 
führt,  während  die  andern  ohne  Attribute  sind  '). 
An  sich  wäre  es  zweifelhaft,  ob  mit  diesen  eine 
Schaar  irdischer  Weiber  gemeint  ist  oder  göttliche 
Wesen,  doch  entscheidet  für  letztere  die  Heranzie- 
hung unseres  Reliefs.  Denn  hier  beweist  die  Grösse 
der  Figuren,  dass  sie  höhere  Wesen  sind,  und  so 
werden  auch  dort  an  demselben  Platze,  wo  wir  so 
oft  auf  den  vataxoi  der  Kybele  klein  gebildet  ihr 
dienstbare  Gottheiten  finden,  dieselben  göttlichen 
Wesen  nur  in  symmetrischer  Verdoppelung  gemeint 
sein.  Ihre  Deutung  haben  schon  Milchhöfer  und 
gleichzeitig  Furtwängler  gegeben,  indem  sie  auf 
Pindar,  Pyth.  III,  77  =  137  hinwiesen: 

di.)^  £nev^aa-&ai  (.itv  iyiav  i&elo} 

MatQi,  zav  KovQai  nag'  e^iov   nqöd^vqov  avv 

Jlavl  i^elnovtai  d^a(A.a 

aefxvav  -^söv  iwiixtai. 
Dieselbe  Vereinigung  von  der  Göttermutter,  Pan  und 
den  KovQOL  kehrt  wieder  Frg.  63  Böckh  (72  Bergk) 
wo  die  Bezeichnung  aeixvwv  Xaqixwv  an  die  Stelle 
der  KovQui  tritt.  Auf  die  innige  Verwandtschaft 
dieser  Figuren  in  Haltung  und  stilistischer  Behand- 
lung mit  attischen  Nymphendarstellungen  hat  Milch- 
höfer (a.  a.  0.  S.  216)  ebenfalls  schon  hingewiesen. 

-)  Den  Gegenstand  in  der  Hand  des  mittleren  Mädchens 
unseres  Reliefs  weiss  ich  nicht  zu  deuten.  Eine  Fackel  ist  es 
schwerlich. 


Die  bärtige  Figur  schliesslich  ist  identisch  mit 
der  von  Conze  (oben  Taf.  3,  1  u.  2 ,  dazu  S.  3  M,  N. 
S.  4  Q)  publicirten.  Wie  dort  ist  der  Mann  mit 
einem  langen  Himation  bekleidet,  das  die  r.  Brust 
frei  lässt,  hat  dichtes,  fliessendes  Haar  und  einen 
vollen  Bart.  Seinem  Gesichte,  das  wir  hier  zum 
ersten  Mal  in  genauer  Durchbildung  sehen,  geben 
ein  lächelnder  Zug  und  die  vollen  etwas  sinnlichen 
Lippen  einen  gemüthlichen,  freundlichen  Ausdruck. 
Es  würde  dies  für  die  von  Milchhöfer  vorgeschla- 
gene Deutung  auf  den  wohlwollenden  Heilgott  pas- 
sen, welche  ich  durch  keine  bessere  zu  ersetzen 
wüsste. 

Auf  das  Interesse,  welches  die  jugendliche  Bil- 
dung eines  Pans  in  so  früher  Zeit  beansprucht,  ist 
schon  von  anderer  Seite  aufmerksam  gemacht  wor- 
den (Milchhöfer  S.  209,  1 ;  Furtwängler  S.  28). 

Betreffs  der  Zeit  des  Reliefs  herrscht  Ueberein- 
stimmung:  die  Gedrungenheit  der  Figuren,  die 
Strenge  der  Zeichnung,  in  der  jedoch  keine  Spur 
archaischer  Gebundenheit  zurückgeblieben  ist,  die 
einfache,  höchst  aumuthige  Composition,  zusammen 
mit  der  Sicherheit  und  Feinheit  in  der  Behandlung 
des  Flachreliefs,  verweisen  die  Arbeit  etwa  in  die 
Zeit  des  Phidias,  jedenfalls  noch  in  das  5.  Jahr- 
hundert. Es  gehört  auch  vom  künstlerischen  Stand- 
punkt zu  den  bedeutendsten  Votivreliefs  so  früher 
Zeit  und  erweckt  besonders  durch  die  ausdrucks- 
volle Durchbildung  der  Köpfe  ')  eine  gute  Meinung 
von  der  Kunetübung  in  Tanagra  zu  einer  Zeit, 
welche  fast  |  um  ein  Jahrhundert  vor  der  Blüthe 
der  Terracotten-Technik  liegt. 

Hamburg.  Ludwig  Gurlitt. 


2)  Diese  hat  in  der  Lithographie  leider  einige  Einbusse  er- 


litten. 


LAOKOON 

EIN   VASENBILD. 


189 


Der  Kantbaros  des  britischen  Museums  im  Stile 
des  Epigenes,  dessen  Bild  diesen  Zeilen  vorgedruckt 
ist,  wurde  bereits  zweimal  publieirt,  von  Raoul- 
Kocbette  Mon.  ined.  pl.  40  und  Pauofka  Cab.  Pour- 
iales  pl.  7. 

Die  Exegese  dieser  Herausgeber  ist  wunderlich 
genug.  Die  eine  Seite,  welche,  man  sollte  meinen 
unverkennbar,  die  Bestrafung  Ixions  vorstellt,  wurde 
von  beiden  auf  Orestes  bezogen,  und  zwar  einmal 
als  Orestes  vor  Iphigenie,  das  andere  Mal  als  Orestes 
vor  der  „Justiz",  und  es  blieb  Klügmann  vorbe- 
halten, die  richtige  Deutung  auszusprechen').  Die 
Erklärung  der  andern  Seite  als  Ermordung  des 
Neoptolemos  durch  Orestes  wurde  von  Robert  mit 
Kecht  als  gleich  verfehlt  bezeichnet,  dessen  Versuch 
jedoch,  etwas  Positives  an  die  Stelle  zu  setzen,  nicht 
gerade  glücklich  genannt  werden  kann*). 

Gehen  wir  ohne  Weiteres  an  die  Betrachtung 
des  Bildes  selbst.  Was  sehen  wir?  Einen  Mann 
von  einer  Schlange  umringelt,  wie  hülfesuchend  auf 
einen  Altar  geflüchtet.  Er  schwingt  in  der  K. 
ein  Schwert,  dessen  Scheide  seine  L.  hält,  ver- 
gebens gegen  das  Unthier,  das  schon  mit  Blitzes- 
schnelle aus  dem  Bereich  seines  Armes  heraus  auf 
seinen  Leib  geglitten,  ihm  eben  den  tödtlichen  Bisa 
versetzt^).  Neben  ihm  sinkt  das  erste  Opfer  der 
Schlange,  ein  Jüngling,  mit  geschlossenen  Augen  in 

')  Nuove  Memorie  delV  instiluto  p.  388. 

2)  Thanatos  S.  43. 

')  Auf  der  Vase  selbst  sieht  man,  was  die  Publicationen 
anzugeben  unterliessen,  von  der  Stelle,  wo  der  Rachen  des  Thie- 
res  ansetzt,  zwei  Streifen  Blut  herunterrieselu. 


die  Arme  des  Todes ^).    Thanatos,   dies  ist  gewiss 
der  richtige  Name  der  Flügelfigur,  beugt  sich  über 
ihn  und  fasst  seine   Beute.     Zu   spät  eilt  von   der 
andern  Seite  durch  den  heiligen  Hain,  den  ein  Oel- 
baum  bezeichnet,  eine  fürstliche  Gestalt,  das  Skep- 
tron  in  der  einen  Hand,  in  der  andern  einen  eben 
aufgerafften  Stein  nach   dem  Unthier  schleudernd. 
Den  Lesern  dieser  Zeitung  ist  erst  vor  Kurzem 
an  besonders  hervorragender  Stelle  ins  Gedächtniss 
zurückgerufen  worden,  dass  nach  der  älteren  Fas- 
sung der  Laokoonsage  in  den  Untergang  des  Vaters 
nur  einer  seiner  Söhne  mitverstrickt  wird.    Das  ist 
die    Lösung  auch   für    unser  Bild,    und    es    bleibt 
nur  übrig,    einen  Namen    für    den    Herbeieilenden 
zu  finden.     Ich  denke  es   ist  Anchises,   Laokoons 
Bruder.     Und  wer  Tioch  an  einem   allerdings  auf- 
fallenden  Nebenumstande,    der  Schwertscheide   in 
der  Hand  des  Priesters,  Anstoss  nehmen  sollte,  den 
mögen  Stellen    wie   Euripides  Iphigenie   in   Aulis 
15G5  und  Hekabe  543  überzeugen  ^).     Und  gerade 
in  diesem  Umstände  liegt  die  Wahl  des  Momentes 
noch  schärfer  ausgeprägt.     Unser    Meister    stimmt 
darin  zwar  nicht   mit  dem  pompejanischen  Wand- 
*)  Die  Form  der  Wunde  lässt  keinen  Zweifel,  liass  sie  vom 
Biss  der  Schlange  herrühre  und  nicht  etwa  vom  Schwert  in  der 
Hand  des   Mannes.     Im   letzten   Falle   würde   der   frische    rothe 
Strich  nicht  fehlen  dürfen. 

*)        Kti^xas  <r  ö  fiävTis  ii  xnvövv  XQvarikajov 

lUrjxiv  dfir  ;feipl  tfäayavoi'  anaoa; 

xoXnJiv  iatüStv 
und 

fjr    ü^ifCxQvaov  (fctayavov  x(ünr)i  laßiav 

tittlxt  xoltov. 


190 


A.  Michhöfer,  Sculpturen  von  Tegea. 


decorateur,  doch  mit  Agesaudros  und  Athcuodoros 
überein.  Nocli  sind  die  Vorbereitungen  zum  Opfer 
für  Poseidon  nicbt  im  Gange,  priesterlicbe  Gewän- 
der nicht  angethan,  Opfergeräth  und  Opfertbier  nicbt 
herbeigeführt,  da  vollzieht  ein  anderer  gekränkter 
Gott  sich  selbst  sein  eigenes  Opfer.  Der  Grund  die- 
ser Uebereinstimmung  kann  hier,  wo  jedes  directe 
Abhängigkeitsverbältniss  ausgeschlossen  ist  und  auch 
kein  gemeinsames  Kunstgesetz  dem  Maler  verwehrt, 
was  den  Bildbauern  versagt  blieb,  nur  in  der  sie 
alle  inspirirenden  sophokleischen  Tragödie  zu  suchen 
sein.  Wie  sehr  ihr  Geist  unser  Gefäss  erfüllt,  das 
zeigt  am  besten  die   Gegenüberstellung  Ixion  und 


Laokoon.  Sie  weist  uns  gebieterisch,  die  Schuld 
Laokoous  dort  zu  suchen,  wo  Sophokles,  der  ja 
auch  einen  Ixion  gedichtet,  und  nicbt  die  spätere 
uns  geläufigere  Sage  sie  sab  '*).  Ixion  wie  Laokoon, 
beide  haben  gefrevelt,  von  brünstiger  Begier  nach 
einem  Weibe  getrieben,  gegen  beide  hat  die  Liebe 
der  Gottheit  sich  in  strafenden  Hass  verwandelt. 
Vom  Geiste  des  Dramas  leiht  unser  herrlicher 
Kantharos  seinen  höchsten  Werth.  Sein  Maler  war 
eben,  das  zeigt  der  Stil  klar  genug,  des  Dichters 
Zeitgenosse. 

London,  Nov.  1880.  Wilhelm  Klein. 

6)  Welker,  gr.  Trag.,  S.  151. 


MISCELLEN. 


zu  DEN  SCULPTUREN  VON  TEGEA. 


Da  eine  rasche  Verständigung  der  Betheiligten 
über  wichtige,  bisher  nur  dem  Urtbeile  Weniger  zu- 
gängliche Thatsacben  stets  im  allgemeinen  Interesse 
liegt,  so  halte  ich  es  nicht  für  überflüssig,  mich  offen 
zur  Ansicht  derer  zu  bekennen,  welche  in  den  von 
mir  im  Hause  Kotzaridis  zu  Piali  vorgefundenen  und 
Mittb.  des  deutsch,  arch.  Inst.  IV,  S.  133  f.  unter 
Nr.  24 — 26  beschriebenen  Köpfen  Eeste  der  Gie- 
belfiguren vom  Athenatempel  des  Skopas  er- 
blicken. 

Ich  gewann  diese  Ueberzeugung  auf  einem  er- 
neuten Besuche,  den  ich  Tegea  im  Sommer  1880 
abstattete.  Eine  in  den  athenischen  Mittheilungen 
zu  veröffentlichende  Notiz  war  druckfertig,  als  in 
dieser  Zeitung  (oben  S.  98 ff.)  der  Bericht  von  Treu 
erschien,  während  Kavvadias  in  einem  Artikel 
des  Bullet,  d.  Inst.  1880,  S.  199  ff.  seine  Priorität 
wahren  zu  müssen  glaubte.  Ich  kann  hinzufügen, 
dass  sich  im  Frühjahr  1880  Prof.  W.  Gurlitt 
hinsichtlich  der  beiden  männlichen  Köpfe  im  glei- 
chen Sinne  geäussert  hatte  und  sich  dabei  von  einer 
früheren  Peise  her  eines  dritten,  seitdem  verscholle- 
nen Kopfes  von  gleichem  Stilcharakter  erinnerte'). 

Damit  könnte  die  Sache,   bis  Abbildungen  und 

')  Furtwängler  hält  es  jetzt  nach  persönlicher  Mittheilung 
für  wahrscheinlich,  dass  der  in  zwei  Theile  gespaltene  und  auf 
beiden  Gesichtsteitcn  ungleich  behandelte  Kolossalkopf,  den  er 
und  Löschcke  1878  im  Privatbesitz  zu  Tripolis  sahen  (vgl. 
meinen  Antikenbericht,  Mitth.  IV,  S.  145,  n.  4),  ebenfalls  den 
Tempelskulpturcn  angchürt  habe. 


Gipsabgüsse  vorliegen,  als  erledigt  gelten,  wenn 
nicht  doch  noch  einige  sachliche  Punkte  festzustellen 
blieben,  und  wenn  nicbt  der  vorwurfsvolle  Ton  in 
Treu's  Referat  einige  Bemerkungen  in  eigener  Sache 
entschuldigte. 

Wer  die  mysteriösen  Vorkehrungen  kennt,  unter 
denen  der  Reisende  in  griechischem  Privatbesitze 
versteckte  Alterthümer  zu  sehen  bekommt,  und  wer 
sich  erinnert,  wie  wenig  massgebend  oft  der  erste 
Eindruck  selbst  unter  günstigeren  Verhältnissen  zu 
sein  pflegt,  wird  an  Pionierarbeiten  dieser  Art, 
wie  „Antikenberichte  aus  dem  Peloponnes",  einen 
anderen  Massstab  der  Beurtheilung  legen,  als  an 
ausgeführte  Museumskataloge.     Als  ich  im  Jahre 

1878  jene  drei  Köpfe  mit  Schmutz  und  Schimmel 
bedeckt  in  dem  dunkeln  Keller  bei  Kotzaridis  vor- 
fand, blieb  mir  dort  weit  weniger  Zeit  zur  Betrach- 
tung übrig,  als  z.  B.  Treu,  der  doch  bereits  ahnte, 
was  er  sehen  würde,  in  dem  kleinen  Museum  von 
Piali '). 

In  sachlicher  Hinsicht  bleibt  mir  Folgendes  nach- 
zutragen : 

1.  Nicht  nur  der  Kopf  Nr.  25,  sondern  auch  Nr.  24 
zeigt  jene  durch  die  Aufstellung  im  Giebel  ver- 
anlasste Abplattung  des  Schädels,  was  Treu  eben- 
falls entgangen  ist. 

2.  Die  beiden   Löcher  am  Eberkopf  unter  der 

-)  Während  der  Untersuchungsgrabung  am  Tempel  im  Jalire 

1879  hatte  ich  triftige  Gründe,  die  in  ihrem  Versteck  gebliebe- 
nen  Köiife  nicht  wieder  aufzusuchen. 


A.  Furtwängler,  Gefälschte  Vase. 


191 


rechten  Seite  des  Maiiles  stammeu  doch  offenbar 
von  den  eingesetzten  Brouzespitzen  der  Geschosse 
her,  nicht  von  EisendUbein  zur  Befestigung  an  der 
Giebelfläche.  Der  Eber  war  somit,  was  für  die 
Composition  ebenso  wichtig  als  auffallend  ist,  nach 
rechts  gewandt  (die  beiden  übrigen  Köpfe  nach 
links). 

3.  Das  Material  der  Skulpturen  stammt,  wie 
schon  Treu  hervorgehoben  hat,  aus  den  benach- 
barten Brüchen  von  Dolianä,  nicht  aus  Faros,  wie 
Kavvadias  behauptet. 


4.  Dagegen  ist  der  bei  Palaeo-Episkopi  gefundene 
Arm  wirklich  aus  parischem  Marmor  gefertigt.  Schon 
deshalb  müssen  wir  seine  Zugehörigkeit  jetzt  in 
Abrede  stellen. 

5.  Der  Fundort  der  drei  Köpfe  ist  zwar  nicht 
auf  dem  Grundstück  Kotzaridis  zu  suchen,  aber 
auch  nicht  in  weiter  Entfernung.  Sie  stammen  aus 
späten  Mauerresten,  welche  K.  als  Mitglied  der 
Kirchenbehörde,  um  Material  für  den  neuen  Glocken- 
thurni  zu  gewinnen,  aufgedeckt  und  aufgelöst  hatte. 

Berlin.  Arthur  Milchhöfer. 


GEFÄLSCHTE  VASE. 


Aus  der  Reihe  der  Vasen,  die  völlig  überein- 
stimmende Wiederholungen  anderer  sind,  ist  ein 
Beispiel,  das  bisher  unter  die  wichtigsten  gezählt 
werden  durfte,  zu  streichen.  Die  ehemals  Witt- 
genstein'sche,  jetzt  in  Dresden  befindliche  Replik 
eines  herrlichen  Aryballos  des  Britischen  Museums, 
die  von  0.  Jahn  (Vasen  mit  Goldschmuck,  Taf. 
II,  3.  4)  zuerst  bekannt  gemacht  und  ausführlich 
besprochen  wurde ,  ist  gefälscht.  Allerdings  hat 
Jahn  das  Gefäss  erst  allein  und  darauf  „gemein- 
sam mit  kundigen  Freunden  genau  geprüft"  und 
nach  ihm  könnte  „an  der  Echtheit  gar  kein  Zwei- 
fel sein"  (S.  8).  Gleichwohl  erkennt  der  geschärf- 
tere Blick  der  Jetztzeit  sofort,  dass  es  ein  zwar 
geschicktes ,  doch  zweifellos  modernes  Product  ist, 
hervorgegangen  aus  dem  Atelier  eines  Neapolitaner 
Händlers.  Die  völlig  unautike  Technik  giebt  hier- 
für den  unzweideutigsten  Beweis;  das  Gelbroth  der 
Figuren  ist  nicht  das  des  Thones,  sondern  eine  auf- 
gesetzte Schicht ').  Aber  schon  beim  genaueren  Be- 
trachten der  Publication  bei  Jahn  wird  Niemandem 
die    hässliche    Stillosigkeit   entgehen,    welche    die 

')  Indess  ganz  verschieden  von  der  nicht  seltnen  antiken 
Technik  der  mit  thonrother  Farbe  auf  schwarzem  Firnissgrund 
bemalten  Gefiisse. 


moderne  Copie  in  der  Zeichnung  aller  Figuren, 
besonders  der  Köpfe,  im  Vergleiche  zum  Originale 
zeigt.  Der  Fälscher  war  übrigens  an  unteritalische 
Vasen  gewöhnt.  Nicht  nur  die  Form  und  Orna- 
mentik seines  Productes  entbehrt  all  der  attischen 
Feinheiten  des  Originals"),  sondern  auch  in  die 
figürliche  Composition  mischte  er  Gewohnheiten 
apulischer  Vasen  ein.  Die  auf  dem  Originale  ver- 
goldeten Theile  giebt  demnach  der  Fälscher  mit 
dem  gewöhnlichen  Weiss,  auf  welches  Gelb  gesetzt 
ist');  ebenso  bemalt  er  einen  Theil  der  Zweige  und 
und  Kränze.  Statt  ferner  die  Eudaimonia  auf  einem 
Felsen  ruhen  zu  lassen,  malt  er  unter  ihren  Sitz 
nach  apulischem  Brauche  eine  Reihe  weisser  Punkte. 
Die  Haare  endlich  vermochte  er  nicht  in  der  feinen 
attischen  Weise  des  Originals  durch  einzelne  ge- 
wellte Pinselstriche  zu  geben,  sondern  pinselte  es 
voll  aus.  Die  Inschriften  gab  er  sehr  iucorrect 
wieder.  A.  Furtwängler. 

-)  Ob  indess  antike  Theile,  etwa  Mündung  und  Fuss,  zu 
dem  Gefässe  benutzt  wurden,  konnte  ich  bei  meiner  Anwesen- 
heit in  Dresden  nicht  constatiren. 

')  Die  Vergoldung  der  Armbänder,  die  Jahn's  Publication 
angiebt,  ist  auf  dem  Gefiisse  weder  jetzt  noch  früher  vorhanden 
gewesen. 


ZU  N.  193  DER  INSCHRIFTEN  AUS  OLYMPIA. 


Durch  eine  von  Th.  HomoUe  auf  der  Agora  von 
Delos  gefundene  Statuenbasis  mit  der  Inschrift  (Bul- 
leliti  de  Corr.  Hellen.  IV  p.  325 f.):  n'i  tr^aiiüiai  tov 
vavagxov   Kal^ixgäiJjv  Bdiaxov    ^äftiov   ävi&Tjuav, 


die  von  dem  jetzt  erst  durch  delische  Funde  als 
politische  Conföderation  der  Inseln  des  ägeischen 
Meeres  unter  dem  Schutz  der  Lagiden  genauer  be- 
kannt gewordenen  xoivov  züv  vrjaionwv  herrührt, 


192 


R.  Weil.  Inschrift  193  aus  Olympia. 


hat  sich  als  Dedieant  in  den  beiden  Inschriften  aus 
Olympia  Archäol.  Zeitg.  1878  S.  174,  1879  S.  143 
und  211  des  Ptolemaeos  Philadelphos  Admiial  Kal- 
likiates  ergeben,  so  das»;  auf  der  Basis  der  Arsinoe 
zu  ergänzen  ist  Ka}.XixQ(iTT][s  Boiaxov]  Hä^iog,  auf 
der  des  Philadelphos  Kakltx[Q](itTjg  [Boiax]ov  2ä- 
[Utog].  Wenn  die  delische  Inschrift  einen  etwas 
jüngeren  Schriftcharakter  trägt  als  die  elische,  kann 
dies  von  der  Identificirung  der  betreffenden  Persön- 
lichkeit nicht  ablialten,  indem  auf  den  Kykladen 
unter  kleinasiatischcm  Einfluss  die  jüngeren  Schrift- 
formen zeitiger  auftreten  als  auf  dem  Festland. 
Wie  HomoUe  bereits  gesehen,  ist  der  in  der  olym- 
pischen und  delischen  Inschrift  erwähnte  Kallikrates 
nicht  verschieden  von  dem  Nauarchen  dieses  Ka- 
mens,  dessen  in  zwei  Epigrammen  des  Posidipp 
gedacht  wird,  bei  Athen.  VII  p.  318Z>  und  in  dem 
neuerdings  von  Heinr.  Weil  publicirten,  Monuments 
grecs  1879  p.  28£f.  (wiederholt  von  H.  Blass,  Eliein. 
Museum  1880  S.  91  f.);  beide  beziehen  sich  auf  das 
von  Kallikrates  erbaute  Heiligthum   der  Aphrodite 


Arsinoe  (Strabo  p.  800)  auf  dem  Zephyrion  an  der 
Kanopischen  Nilmündung.  Leider  giebt  die  delische 
Inschrift  keinen  Aufschluss  über  des  Kallikrates 
weitere  Thätigkeit.  Doch  wird  man  den  Anlass 
zur  Errichtung  der  beiden  Marmorsäulen  mit  den 
Statuen  des  Ptolemaeos  Philadelphos  und  seiner 
Gemahlin  Arsinoe  in  den  Ereignissen  bis  zum  chre- 
monideischen  Krieg'  oder  gar  in  der  Verbindung 
von  Elis  mit  der  Partei  des  Arcus  suchen  müssen. 
Von  letzterem  waren  zwei  Statuen  in  der  Altis, 
eine  welche  den  König  zu  Pferd  darstellte,  im  Süd- 
osten des  heiligen  Bezirks  von  den  Eleern  errichtet 
(Paus.  VI,  12,  5),  eine  andere  im  Süden  des  Zeus- 
tempels in  der  Nähe  der  Statuen  des  Demetrios 
und  Antigonos  erwähnt  (Paus.  VI,  15,  9).  Zu  den 
beiden  Inschriften  n.  195  und  19G,  von  Statuen  her- 
rührend, welche  ein  Ptolemaeos,  unter  dem  hier 
nur  Ptolemaeos  (III)  Euergetes  verstanden  werden 
kann,  für  spartanische  Könige  hat  errichten  lassen, 
scheint   sich  bei    den   Ausgrabungen  keine  Ergän- 


zung gefunden  zu  haben. 


E.  Weil. 


NACHTRAG  zu  S.  22  f. 


Da  ich  die  Erfahrung  gemacht  habe,  dass  meine 
oben  S.  22  vorgetragene  Erklärung  der  Plinianischen 
Beschreibung  des  Apollon  von  Kanachos  (h.  n.  34, 
75)  Unklarheit  und  Zweifel  Hess,  welche  durch  eine 
Zeichnung  sofort  beseitigt  ^vurde,  so  erlaube  ich  mir 
das  Versäumniss  nachholend  eine  Zeichnung  mitzu- 
theilen,  so  gut  ich  sie  zu  geben  vermag,  und  zur 
Erläuterung  derselben  folgendes  zu  bemerken: 


H  stellt  im  Durchschnitt,  wie  alles  Uebrige,  die 
innere  Handfläche  dar,  die  wirkliche  Form  nur  an- 
deutend. In  ihr  sind  x  y  die  Scheiden,  in  welche 
a  und  b  der  dens  verlebratus  des  vorderen  und  hin- 
teren Fusspaares  eingriff  und  zwar  allerno  morsu, 
wie  hier  gezeichnet  ist,  wenn  man  das  von  Plinius 
beschriebene  Experiment  des  unter  den  Füssen 
durchgezogenen  Fadens  machte.  Mit  c  habe  ich  das 
Centrum  der  Kreise  bezeiciinet,  aus  welchen  die 
äusseren  und  inneren  Umrisse  der  Zähne  a  b  Seg- 
mente sind;  mit  C  das  Centrum  für  die  entsprechen- 


den Kreise  von  x  y.  Man  wird  sich  so  leicht  über- 
zeugen können,  dass  in  gleicher  Weise  wie  b  auch 
a  ausgreifen  kann;  dass  aber  auch  beide  zugleich 
eingreifen  können,  wie  es  der  gewöhnliche  Ruhe- 
stand erforderte;  dass  endlich  nicht  a  b  gleichzeitig 
herausgezogen  werden  können,  weil  der  Abstand 
ihrer  Spitzen  geringer  als  der  Abstand  der  Schei- 
dcn-Oefifnungen,  und  dass  bei  dem  Versuch,  auch 
den  zweiten  Zahn  nach  dem  ersten  herauszuziehen, 
letzterer  nothwendig  wieder  in  seine  Scheide  zu- 
rückkehrt. 

Es  genügt,  die  Möglichkeit  des  Experiments 
überhaupt  dargethan  zu  haben.  Denn  natürlich  fällt 
mir  niclit  ein,  zu  behaupten,  dass  die  Construction 
genau  die  eben  beschriebene  gewesen  sei,  da  es 
mehrere  Möglichkeiten  giebt.  Es  wäre  z.  B.  mög- 
lich, dass  an  jedem  der  vier  Füsse  ein  Zahn  an- 
gebracht war:  dann  bedurfte  es  nicht  der  Scheide, 
um  die  Bewegung  der  dentes  beim  Aus-  und  Ein- 
greifen in  eine  bestimmte  Richtung  zu  zwängen, 
und  auch  bei  einem  einfachen  Zahn  je  vorn  und 
hinten  war  die  Scheide  entbehrlich  bei  viereckigem 
Schnitt  des  Zahnes  wie  der  Oefifuung,  in  welciie  er 
einfassen  sollte,  da  so  eine  seitliche  Drehung  des 
halb    herausgezogenen    Hirsches    um    die   Axe    des 


E.  Petersen,  Nachtrag  zu  S.  22  f. 


193 


anderen  Fusses  verhindert  war,  und  bei  accurater 
Arbeit  doch  auch  bei  noch  so  grosser  Dlinnheit 
des  Erzes  der  Ausschnitt  die  Kichtung  des  Zahnes 
bestimmte. 

Um  einzusehen,  dass  der  in  eine  Scheide  oder 
auch  in  einen  einfachen  Ausschnitt  eingreifende 
Zahn  dens  vertehratus  genannt  werden  konnte,  ver- 
weise ich  auf  Haricss'  Lehrbuch  der  plastischen 
Anatomie  V  S.  163,  Fig.  134,  wo  der  Durchschnitt 


zweier  Halswirbel,  vertebrae,  ein  analoges  Eingreifen 
derselben  in  einander  zeigt.  Viel  schlagender  noch 
ist  der  Vergleich  von  S.  156,  Fig.  127  und  S.  157, 
Fig.  128,  wo  das  eine  Mal  ineinander,  das  andere 
Mal  auseinander  gezeichnet  sind  die  obersten  ver- 
tebrae des  Halses,  deren  zweiter  der  episiropheus  in 
den  atlas  mit  einem  Zapfen  eingreift,  welcher  sogar 
den  Namen  processus  odonloideus  führt. 


Prag. 


Eugen  Petersen. 


BERICHTE. 


SITZUNGSBERICHTE. 


Archäologische  Gesellschaft  in  Berlin. 


Sitzung  vom  2.  November  1880.  Der  Vor- 
sitzende Herr  Curtius  legte  von  eingegangenen 
Schriften  vor:  W.  Klein,  über  die  parisch -atti- 
sche Bildhauerschule;  K.  Schneider,  die  Geburt 
der  Athene;  K.  Lange,  die  Composition  des 
Frieses  von  Phigalia;  Kordela,  über  die  Wasser- 
bauten von  Alt-Atlicn ;  besonders  aufmerksam  machte 
er  auf  den  ersten  Jahresbericht  des  neu  gegründe- 
ten archäologischen  Instituts  von  America 
und  das  Programm  der  englischen  Gesellschaft  für 
Förderung  der  hellenischen  Studien.  Eingesandt 
sind  ausserdem:  Friedr.  Wieseler,  Festrede  zur 
academischen  Preisvertheilung  in  GGttingen  über 
den  Hermes  des  Praxiteles;  0 verbeck,  Aualecten 
zur  Kritik  und  Erklärung  der  Parthenonskulpturen; 
Guido  Hauck,  die  Stellung  der  Mathematik  zur 
Kunst  und  Wissenschaft;  Ad.  Michaelis,  ein 
neues  Handbuch  der  Archäologie  (von  C.  B.  Stark); 
J.  J.  Bachofen,  Antiquarische  Briefe,  vornehmlich 
zur  Kenntniss  der  ältesten  Verwandtschaftsbegriffe  ; 
^Iwtti'vriq  Ilavzat,idrjg  negi  Trjg  XaQvaxog  xnv  Kv- 
xpilov.  —  Darauf  besprach  Herr  Dr.  L.  Gurlitt  eiu 
neu  entdecktes  Kriegerrelief  aus  Karnösi,  dem 


alten  Kleitor  in  Arcadien,  und  legte  davon  eine 
von  ihm  nach  dem  Originale  genommene  Zeichnung 
vor.  Die  Haltung  des  Kriegers  erklärte  er  für  die 
des  Gebetes  und  wies  das  Bildwerk  in  die  Blüthe- 
zeit  des  achäischen  Bundes,  jedenfalls  nach  207 
V.  Chr.  Derselbe  behandelte  unter  Vorlage  von 
Photographien  drei  Reliefs  aus  Patras  mit  der 
Darstellung  von  Amazonenkämpfen,  getreuen 
Copien  aus  dem  Friese  von  Phigalia.  —  Herr 
Curtius  legte  zahlreiche  Photographien  nach  den 
neuesten  Funden  in  Pomp  ei  und  nach  dem  merk- 
würdigen Friese  vor,  der  jetzt  im  Musco  Tibe- 
riuo  ausgestellt  ist,  wobei  Herr  Br uns  über  einige 
der  dargestellten  Gerichtsscenen  sprach.  —  Daran 
schloss  sich  ein  Vortrag  des  Herrn  Curtius  über 
die  seit  einem  halben  Jahre  im  hiesigen  Antiqua- 
rium  befindliche  Bronzetafel  mit  dem  De  er  et  der 
Anisener,  welche  im  Original  und  von  Herrn 
Behrens  ergänzt  in  einem  Gipsmodelle  vorlag,  und 
besonders  eine  Untersuchung  über  die  Verwendung 
von  stützenden  und  tragenden  Figuren,  wie 
solche  an  dieser  Inschriftplatte  angebracht  sind, 
innerhalb  der  antiken  Kunst. 


CHRONIK  DER  WINCKELMANNSFESTE. 


Athen.  Das  Institut  in  Athen  eröffnete  seine 
diesjährigen  Sitzungen  am  9.  December,  dem  Ge- 
burtstage Winckelmanns,  mit  einem  Vortrage  des 

ArchSolog.  Ztg.,   Jahrgang  XXXVIU. 


Herrn  Professor   Köhler    über    die   pergameni- 
schen  Funde. 


194 


Chronik  der  Wiuckelmannsfeste. 


Rom,  10.  Deeember.   Herr  Henzen  eröffnete  die 
Sitzung  mit  der  Erinnerung  an  den  jüngst  verstor- 
benen Collegen  Adolf  Klügmann.  —  Hieraufsprach 
Herr  Dresse  1  über  ein  vor  kurzem  in  Rom  gefun- 
denes und  in  seinem  Besitz  befindliches  Gefäss  mit 
altlateiuischer  Inschrift  von  128  linksläufig  ein- 
geritzten  Buchstaben.     Neben   den   spitzv^inkligen 
Zügen  ist  von  Bedeutung  besonders  das  sonst  nicht 
gemeingebräuchliche  fUnfschenklige  m  und  die  Form 
des  r,  welches  hier  dem  griechischen  P  gleich  er- 
scheint.    Nimmt  man  das  Vorkommen  der  früh  auf- 
gegebenen Buchstaben  k  und  a  hinzu  und  die  noch 
nicht  durchgeführte  Differenzierung  des  c  und  g,  so 
darf  man   diese  Inschrift  als   das  älteste  Denkmal 
lateinischer  Epigraphik  bezeichnen.     Sie  zerfällt  in 
zwei  Theile,  ist  in  saturnischem  Rhythmus  abgefasst 
(nach  Bücheier)  und  meldet,  dass  D venös  das  Ge- 
fäss für   einen  Verstorbenen  machte,    dem   es  am 
novendiale  sacrum  aufgestellt  werden  sollte.    Dvenos 
ist  entweder  Name  des  Töpfers  oder  auch  allgemein 
als  „frommer,  guter"  aufzufassen;  das  letztere  zieht 
der  Vortragende   vor.     Der   zweite  Theil   der   In- 
schrift enthält  religiöse  Satzungen,  in  denen  D.  das 
beim  sacrum  novendiale  und  der  Weihuug  des  Ge- 
fässes    selbst    zu    beobachtende    Ritual    erkennen 
möchte.     Zu    Gunsten  des  Verstorbenen   wird  das 
Gefäss  Jupiter  und  Saturn  dargereicht  und  der  Ops 
Toitesia  ein  besonderes  Opfer  gebracht.    Seine  in 
schroffer    Gesetzessprache    abgefassten    Satzungen 
verbieten  die  Theilnahme   einer  Jungfrau  bei  dem 
Act  der  Darbringung,    während  deren   Gegenwart 
am  Altar  der  Ops  für  nothwendig  erklärt  wird.  — 
Saturn  und  Ops  stehen   mit  dem  Todten  in  naher 
Verbindung,  nicht  so  Jupiter,  wenigstens  nicht  in 
dem  italischen  Cult.     Seine  Erwähnung  neben  Sa- 
turnus  und  Ops  erkläre  sich  nur  durch  griechischen 
Einfluss,  unter  dem  Ops  mit  Rhea  (der  Mutter  des 
Zeus),  Saturn  mit  Kronos  identificirt  wurde.    Diese 
Combination  müsse  aber  schon  früh  geschehen  sein, 
da  die  Inschrift  —  in  der  jetzigen  Gestalt  etwa  350 
V.    Chr.   aufgeschrieben    —    offenbar    auf    ein    äl- 
teres Original  zurückgehe.  —  Herr  Hei  big  sprach 
über  die  homerischen  Waffen.    Die  AVaffen  der 
klassischen  Zeit,  besonders  Helm  und  Panzer,  sind 
erst    in    verhältnis.smässig    später  Zeit    entstanden. 
Auf  den  Denkmälern,  die  vor  die  griechische  Blüthe- 
zeit  fallen,  ist  das  klassische  Bildungsprincip  noch 
niclit  zur  Keife  gekommen,  vielmehr  erscheinen  die 
auf  ihnen  dargestellten  Waffen,  verglichen  mit  den 
Körpern,  von  denen  sie  getragen  werden,  unorga- 
nisch und  schwerfällig.     Aehnlich  hat  man  sich  die 


homerischen  Waffen  zu  denken,  die  durch  die 
ältesten  Vasenbikler  veranschaulicht  werden.  —  Es 
folgte  die  Besprechung  der  einzelnen  Waffenstücke. 
Der  homerische  Helm  bedeckte  Stirn  und  Schläfe 
und  lief  auf  beiden  Seiten  in  Bronzeplatten  aus, 
welche  die  Wangen  bedeckten  und  in  denen  sich 
Löcher  für  die  Augen  befanden.  Da  das  Epos  vom 
Aufschlagen  der  Backenschirme  schweigt,  so  waren 
wohl  Kappe  und  Backenschirme  aus  einem  Stück 
gearbeitet,  wie  es  bei  den  ältesten  erhaltenen 
griechischen  Helmen  der  Fall  ist.  Die  Bedeckung 
des  Gesichts  durch  den  Helm  ging  so  weit,  dass 
sich  die  Helden  in  der  Schlacht  nur  an  der  Be- 
waffnung erkennen.  Nach  der  verschiedenen  Aus- 
stattung der  Helmkappe  lassen  sich  die  homerischen 
Helme  in  zwei  Gattungen  theilen.  Bei  der  einen 
war  die  Kappe  von  einem  bronzenen  Bügel  {<pdlog) 
tiberzogen,  der  vom  Hinterkopfe  bis  auf  die  Stirn 
herabreichte  und  auf  dem  der  Busch  befestigt  war. 
Der  a/.Kpifpa'kos  hatte  zwei  parallele  Bügel.  Bei  der 
andern  Gattung  ward  der  Busch  von  einem  hohen 
dünnen  Metallrohr  getragen ;  darauf  beziehen  sich  die 
Worte  ÖELvdv  de  l6q>og  xad-vnsQd-ev  evevev.  Die  cpä- 
Xaqa  sind  die  Büschel,  die  auf  den  Seiten  der 
Kappe  aus  der  Bronze  herausgetrieben  oder  auf- 
genietet waren.  Der  Panzer  war  unförmlich  weit 
und  Hess  dem  Körper  freien  Spielraum.  Der  runde 
Schild  hatte  beinahe  die  Höhe  des  Kriegers.  Weil 
zur  Handhabe  dieser  kolossalen  Scheibe  die  beiden 
inneren  Bügel  nicht  genügten,  so  gab  man  ihm 
einen  Stützpunkt  durch  einen  Riemen  {xEXafnäv)^ 
der  an  den  beiden  Endpunkten  des  horizontalen 
Durchmessers  befestigt  war  und  sich  au  der  rech- 
ten Weiche  des  Kriegers  kreuzend  über  der  linken 
Schulter  getragen  wurde.  Schliesslich  entwickelte 
der  Vortragende,  wie  die  schwerfallige  Rüstung  die 
Kampfweise  der  homerischen  Epoche  beeinflusste. 
—  Die  Bibliotheksverwaltung  ist  Herrn  Mau  provi- 
sorisch übertragen. 

Berlin,  8.  Deeember.  Der  Vorsitzende  der 
archäologischen  Gesellschaft,  Herr  Curtius,  er- 
öffnete die  40.  Winckelmannsfeier  mit  einem  Nach- 
rufe an  die  der  Gesellchaft  im  Laufe  des  verflossenen 
Jahres  durch  den  Tod  entrissenen  Mitglieder:  den 
Bildhauer  Gilly,  den  Privatdocenten  Dr.  Heller, 
den  Geh.  Leg.-Rath  von  Jasmuud,  den  Pro- 
fessor Dr.  Nitzsch  und  den  Oberhofbaurath  Strack, 
der  zu  dem  engsten  Kreise  derer  gehörte,  welche 
die  Gesellschaft  ins  Leben  gerufen  und  lebendig 
erhalten  haben,  ein  Mann,  in  dem  wissenschaftliche 


Chronik  der  Winckelmannsfeste. 


195 


Forsclmng  und  künstlerisches  Schaffen  harmonisch 
vereint  waren.     Aus  seinem  Nachlass  waren  z.  Th. 
farbig  ausgeführte  Zeichnungen  ausgestellt,  auf  das 
Löwenthor,  das  Dionysostheater,  Olympia,  das  pla- 
täische    Denkmal    u.   A.    bezüglich.   —   Ausserdem 
waren    ein   umfassender   Plan    der  Altis  und  Um- 
gebung, den  Herr  Kaupert  nach  seiner  im  Frühjahr 
veranstalteten  Aufnahme  entworfen  hatte,  und  eine 
vom   Bildhauer  Herrn  Walcher  modellirte  Relief- 
karte   von    Athen    ausgestellt.     Als    Festprogramm 
gelangte  eine  Schrift  von  A.   Furtwäugler    „Der 
Satyr  aus  Pergamon"  zur  Vertheilung.    Eingesandt 
war  die  Schrift  Ziuzow's   über  Eros  und  Psyche. 
Die  Vorträge  begannen  mit  einem  der  Gesellschaft 
gewidmeten    Berichte    von    Karl    Humann     aus 
Smyrna,  worin  derselbe  eine   von  Plänen  und  An- 
sichten begleitete  Schilderung  von  Forschungen  gab, 
welche   er  im   Sipylos   angestellt   hat,   eine    Be- 
zeichnung, die  auf  das  Gebirge  Manissa-dagh  bei 
Magnesia  zu   beschränken  sei.     Humann  fand  hier 
in  den  Fels  gemeisselte  uralte  Bauten;  in  350  M. 
Seehöhe  war  ein  Prisma  von  1,65  M.  Länge,  1,30 
M.  Tiefe,    1,20  M.  Höhe  mit   horizontaler  Grund- 
fläche aus  dem  Stein   herausgearbeitet,   ein  Raum, 
gerade  gross  genug,  um  einen  Thronsessel  aufzu- 
stellen, so  dass  die  Oertlichkeit  auf  die  Burg  des 
Tantalos  und  den  Thron  des  Pelops  passt;  der 
letztere   liegt,    wie  Pausanias  5,  13,  7  beschreibt, 
oberhalb  des  berühmten  Felsbildes  am  Sipylos.  — 
Hierauf  besprach  Herr  Dr.  Milch höf  er,  welcher  als 
Gast  anwesend   war,  die  korinthischen  Thon- 
täfelchen  des  kgl.  Museums,    über  deren   Fund- 
stätte   er   an  Ort  und  Stelle  Ermittelungen   vorge- 
nommen hatte.     Danach  waren  dieselben  in  einem 
heiligen  Haine  des  Poseidon ,  dessen  Figur  sie  in 
mannigfachen  Variationen  wiederholen,  an  Bäumen 
aufgehängt.     Die  übrigen  Darstellungen  geben  von 
dem    hoch    entwickelten    Culturleben    Korinths    im 
siebenten  und  sechsten  vorchristlichen  Jahrhundert 
ein  reiches  Bild.    Ausser  Jagd,  Viehzucht  und  Land- 
bau   sind  Krieg,    Scliifffahrt   und   Gymnastik    ver- 
treten.    Besonders    lehrreich    sind    die    Scenen  in- 
dustrieller Thätigkeit:  des  Bergbaues,  der  Metall- 
schmelze, der  Gefässfabrikation.   Auch  diese  stehen 
in  engster  Beziehung  zum  Lokal;   denn  eben  hier 
findet  sich  die  weisse  Töpfererde,  und  Bergwerks- 
schachte sind  in  unmittelbarer  Nähe  nachzuweisen. 
Auch  mythologische  Scenen  sind  dargestellt;   zahl- 
reiche Inscliriften  im  ältesten  Alphabet  erhöhen  den 
Werth  dieser  korinthischen  Funde.   —  Herr  Robert 
deutete  das  ^1«».   d.  Insl.  1878  tav.  d'agg.  C  publi- 


cirte  ruveser  Vasenbild  auf  den  Mythos  von  Orion, 
Eos  und  Artemis  (Apollodor  I,  4,  3.  Hygin  astrol. 
II,  34.)  —  Herr  Mommsen  behandelte  eine  in 
Venedig  wieder  zum  Vorschein  gekommene  latei- 
nische Grabinschrift,  welche,  bisher  für  unecht 
gehalten,  nun  als  zweifellos  echt  sich  herausgestellt 
hat.  Sie  stammt  vermuthlich  aus  der  syrischen 
Kolonie  Berytos  (Beirut).  Das  Hauptinteresse  der 
Inschrift  besteht  darin,  dass  der  vornehme  Bery- 
tenser,  dem  sie  angehört,  als  Kriegstribun  in  die 
Armee  des  in  dem  Lucasevangelium  genannten 
römischen  Statthalters  von  Syrien  Quirinius  eintrat 
und  als  solcher  die  Schätzung  der  Stadtgemeinde 
Apamea  am  Orontes  vornahm.  Die  Bevölkerungs- 
ziffer von  117,000  Stadtbürgern  ist  wohl  die  ein- 
zige aus  dem  Alterthum  überlieferte  einer  der- 
artigen Mittelstadt.  Die  Schätzung  der  Gemeinde 
Apamea  wird  derjenigen  von  Palästina  gleichartig 
gewesen  sein.  —  Herr  Kaupert  sprach  im  An- 
schluss  an  seine  Wandkarte  von  Olympia  über 
die  Lage  und  die  natürliche  Beschaffenheit  des 
alten  Festortes  und  seiner  Umgebung,  sowie  über 
die  Veränderungen,  welche  derselbe  im  Laufe  der 
Zeit  durch  Abschwemmung  der  Berge,  durch  Erd- 
beben und  Wassergewalt  erlitten  hat.  Im  An- 
schluss  daran  wies  Herr  Curtius  auf  eine  der 
letzten  Entdeckungen  im  Westen  der  Altis  hin,  auf 
den  alten  Rundbau,  auf  welchem  ein  Aschenaltar 
in  situ  gefunden  wurde,  der  durch  aufgemalte  In- 
schriften und  Kränze  als  ein  Heroeualtar  gekenn- 
zeichnet wird  und  auf  die  in  Olj^mpia  verehrten 
Heroen  der  Mantik  bezogen  wurde. 

Bonn.  An  der  vom  Verein  von  Alterthums- 
freunden  veranstalteten  Winckelmannsfeier  sprach 
Herr  Prof.  Woermann  aus  Düsseldorf  über  die  Ge- 
schichte der  ehemaligen  Düsseldorfer  Gemälde- 
galerie, indem  er  von  der  Errichtung  des  1710 
vollendeten  Galeriegebäudes,  von  der  Bedeutung  und 
den  Schicksalen  der  Sammlung  bis  zu  ihrer  Ent- 
fernung aus  Düsseldorf  handelte  und  zum  Schlüsse 
darlegte,  wohin  die  Sammlung  in  Baiern  verstreut 
worden  ist,  wo  sich  die  Galerien  von  München, 
Sclileisshcim,  Augsburg,  Würzburg  u.  A.  in  dieselbe 
getheilt  haben.  Der  Redner  widerlegte  die  Be- 
hauptung, als  seien  Bilder  der  Sammlung  als 
Geschenk  Maximilian  Joseph's  von  Baiern  an  Na- 
poleon I.  nach  Paris  gekommen;  vielmehr  habe 
wahrscheinlich  kein  Bild  Baiern  wieder  verlassen. 
In  Düsseldorf  aber  seien  nur  zwei  Bilder  der  Ga- 
lerie    geblieben:     Rubens     herrliche     Himmelfahrt 


196 


Chronik  der  Winckelmannsfeste. 


Maria  und  Job.  van  Winglien's  Delila:  jenes,  weil 
es  zu  gross  war,  um  transportirt  zu  werden,  dieses 
wahrscheinlich,  weil  man  es  nicht  für  modern  genug- 
hielt. —  Herr  Dr.  Lamprecht  sprach  unter  Vor- 
lage von  Abbildungen,  welche  der  Verein  zu  die- 
sem Zwecke  hatte  anfertigen  lassen,  über  zwei 
Meisterwerke  Rheinischer  Miniatur-Malerei 
des  10.  Jahrhunderts.  Der  Redner  ging  von  der  spä- 
teren Karolingischeu  Miniaturmalerei  aus  und  zeigte, 
wie  die  Schicksale  derselben  sich  eng  mit  dem 
letzten  Aufschwung  und  dem  jähen  Verfall  des 
Herrscherhauses  verknüpften,  bei  dessen  Ausgang 
sie  Schutz  und  Fortpflanzung  im  Rheinlande,  in 
St.  Gallen,  Reichenau  und  dem  linken  Uferland  des 
Mittelrheins,  fand.  Hier  war  es  besonders  Reichenau, 
in  welchem  unter  dem  starken  Einfluss  antiker 
Reminiscenzen  die  Miniaturkuust  eine  neue  Blüthe 
zeitigte.  Zeuge  davon  ist  der  Codex  Egberti^  ein 
Lectionar,  aus  den  70er  Jahren  des  10.  Jahrh.  her- 
rührend, das  sich  jetzt  in  der  Trierer  Stadtbibliothek 
befindet.  Starken  byzantinischen  Einfluss  hat  man 
in  der  Miniaturmalerei  der  Moselgegenden  dieser 
Zeit  finden  wollen,  namentlich  in  den  Bildern  des 
Echternacher  Evangeliars,  welches  wahrscheinlich 
in  Trier  in  den  Jahren  983 — 92  entstanden  ist, 
jetzt  in  Gotha.  Dem  gegenüber  suchte  der  Redner 
darzuthun,  dass  diese  Bilder  rein  deutschen  Cha- 
rakter zeigen,  u.  A.  wegen  der  Identität  der  Com- 
positionen  mit  dem  Codex  Egberti. 

Frankfurt  a.  M.  Die  diesjährige  Winckelmanns- 
feier  fand  am  9.  December  unter  sehr  starker  Be- 
theiligung statt.  Von  Seiten  des  Alterthumsvereins 
sprach  Herr  Dr.  Hammerau  über  die  aus  der 
Vermischung  der  römischen  und  germani- 
schen Cultur  herrührenden  Relicte  der  ersteren. 


die  besonders  in  der  Sprache  noch  sehr  zahlreich 
seien.  Es  lägen  Untersuchungen  von  Dilthey, 
Moue  und  Vilmar  vor;  allein  es  müssten  noch  wei- 
ter namentlicli  die  althochdeutschen  Sprachdenk- 
mäler nacli  dieser  Richtung  hin  durchforscht  wer- 
den. Besonders  biete  Otfried,  aber  auch  der  Heliand 
und  selbst  der  angelsächsische  Beowulf  eine  reiche 
Quelle,  ebenso  die  mittelalterlichen  Urkunden,  so- 
wie die  Eigennamen.  Redner  gab  eine  reiche 
Fülle  von  Beispielen,  die  er  nach  bestimmten 
Gesichtspunkten  zusammengestellt  hat.  Von  beson- 
derem Interesse  waren  die  mundartlichen  Aus- 
drücke, welche  wie  in  dem  schwäbischen  Merkt  von 
mercatus  neben  dem  schriftdeutschen  Markt  den 
Ursprung  noch  treuer  festgehalten  haben.  —  Von 
Seiten  des  historischen  Vereins  sprach  Herr  Dr.  V. 
Valentin  über  eine  Maler-Akademie  im  vori- 
gen Jahrhundert  zu  Frankfurt  a.  M.  Er  zeigte 
an  der  Hand  der  im  städtischen  Archiv  befindlichen 
Akten,  wie  eine  solche  Anstalt  von  den  Kunst- 
malern im  Gegensatz  zu  den  zünftigen  Meistern 
unter  der  Führung  des  tüchtigen  Malers  Christian 
Schütz  versuelit,  dann  von  dem  Maler  und  Kupfer- 
stecher Coentgen  durchgeführt  worden  sei.  Er 
knüpfte  hieran  Bemei-kungen  über  das  Akademiei 
wesen  des  vorigen  Jahrhunderts  und  die  ihr  ent- 
gegengetretene Strömung,  aus  welcher  sich  die  Neu- 
gestaltung der  deutschen  Malerei  entwickelte  und 
unter  deren  Vorkämpfern  Winckelmann  in  erster 
Reihe  steht. 

Emden.  Wie  in  früheren  Jahren  hielt  die  hie- 
sige Gesellschaft  für  bildende  Kunst  und  vater- 
ländische Alterthümer  auch  am  letzten  Winckel- 
maunstage  eine  Sitzung  ab,  in  welcher  Herr  Dr. 
Kohlmann  die  pergamenischen  Funde  erläuterte. 


Berichtigungen. 


Seite  38  Sp.  1  Z.  5.    6  lies  i^cofioloyi^adfiTjv. 

-     89     -     -  -   8u.  14  -     Sinterstreifen. 
-2-17  -     Scheinfugen. 


Tafel  11  ist  durch  Versehen  des  Schriftlithogra- 
phen als  Lithographie  bezeichnet.  Es  ist  Lichtdruck 
nach  einer  Zeichnung  des  Herrn  Martin  Körte. 


Register. 


197 


Erklärung. 


Der  oben  S.  163  veröffentliclitcn  „Berichtigung" 
des  Herrn  Professor  Overbeck  gegenüber  halte  ich 
meinen  S.  105  f.  im  Auszuge  mitgetheilten  Bericht 
in  seinem  vollen  Umfange  aufreclit  und  stelle  hier- 
mit in  Abrede,  dass  mir  in  London  irgend  eine 
die  Zugehörigkeit  der  beiden  Pferdeköpfe  zum  Po- 


seidongespann betreffende  Entdeckung  mitgetheilt 
worden.  Auch  konnte  bei  der  Art,  wie  Herr  Over- 
beck damals  meine  Beobachtungen  entgegennahm, 
mir  der  Gedanke  nicht  kommen,  dass  eine  solche 
Entdeckung  bereits  vorangegangen  sein  könnte. 

E.    DOBBERT. 


Erwiderunj 


Auch  ich  bleibe  bei  meiner  oben  S.  163  abge- 
druckten Erklärung  in  ihrem  ganzen  Umfange 
stehen,  und  zwar  mit  um  so  grösserer  Sicherheit, 
als  es  sich  bei  mir  nicht  lediglich  um  Erinnerungen, 
Eindrücke  und  Schlüsse  handelt,  sondern  um  den 
folgenden  Wortlaut  meines  londoner  Tagebuches 
vom  20.  August  1879: 

„Ausser  den  zwei  bei  Michaelis  abgeb.  Frag- 
menten von  Pferdeköpfen  ist  ein  grosses  drittes 
mit  einer  Mähnenbehandlung  vorhanden,  welche  an 


die  bei  den  Heliosrossen  erinnert.  Mass  27 — 28  Cm. 
zwischen  den  inneren  Augenwinkeln.  Helios  hat 
seine  4  Pferde  (2  in  London ,  2  in  situ) ,  Selene 
ihre  2  (1  in  London,  1  in  situ),  Athena  hat  bei 
Carrey  nur  2  Pferde,  folglich  gehört  der  3.  Kopf 
wie  der  Fuss  zu  dem  Gespauu  des  Poseidon.  Um 
so  sicherer,  da  der  bei  Michaelis  abgeb.  Kopf  wie 
das  Bein  hinten  abgeplattet  ist." 

Leipzig,  11.  Januar  1881.  Overbeck. 


REGISTEK 

VON 
O.  PUCHSTEIN. 

Ä.  =  Relief;   T.  =  Terracotte;   F=Vase. 


Achelooskopf  auf  Kybelereliefs  5,   V. 

Admet,  pompej.  GemäUie  42. 

Aegineten,  Fragmente   der  —    121  ff. 
Corrosion  127  fr. 

Aesehylus  Choephor.  8GG  S.   171. 

Affe  auf  der  Arkesilasschale  185. 

Akan  thuskronung  bei  Grabstelen  137. 

Alexander,   sterbender  162.     Kopf  in 
London   103. 

Alkestis,  pompej.  Gemälde  42. 

Anakies,  Schale  des  Künstlers  —  40. 

Anchises  auf  V.  189. 

Aphrodite  Arsinoe,  Heiligthtim  der  — 
192. 

Apollon  von  Kanachos  22  ff.   192. 
Statuen  aus  Thessalien   103,  in  Olym- 
pia 51.  Kopf  in  London  103. 


Argonautensage   140. 

Aristoteles  im  P.  Spada   107. 

Arkesilasschale  185. 

Arsinoe,  Statue  der  192. 

Artemis  mit  Rehkälbchen  103;  auf  ihr 
Idol  gestützt  184,  Taf.  17. 

Artemision  zu  Ephesos,  Maasse  des  93. 

Asklepios  auf  Kybelereliefs  188. 

Athena  auf  weissen  Lekytban  136;  auf 
V.  aus  Aegina  139;  auf  einer  Phineus- 
vase  141 ;  —  und  der  Satyr  Ton  Myron 
25.    Cameo  mit  Geburt  der  —  84. 

Attis  auf  Kybelereliefs  6. 

Augustnskopf  in  Olympia  49;  in  Lon- 
don  103. 

Barbarin,  Kopf  einer  —  75,  Taf  8. 


Bauelle  des  Parthenon  174  Anm.   12. 
Berenikekopf  36. 
Boreaden  auf  Phineusvasen  138  ff. 
Braun,  Briefe  von  E.  —  83. 

Camillus  vgl.  Kadmilos. 
Cavalieri's  Ordnungsprincip   der  Ab- 
bildungen 12. 
Commodus  als  Hercules  42. 
Corrosion   antiker  Sculpturen  124  fl'. 
Curvatur  der  griech.  Tempel  107. 

Dedicationen  an  Private  34. 
Dionysos  auf   V.    180  Taf.  IG.     Kopf 

in  London  103. 
Dipoinos  u.  Skyllis,  Gruppe  von  —  50. 
Discus  aus  Bronze  63,  No.  356. 


198 


Register. 


Domi  tiabüste  in  Florenz  36. 
Dreifuss,  Weihung  eines  —   182  ö'. 

Eber,    Kopf    des    kalydonischen   —   in 

Tegea  98,  vgl.   190. 
Eidechse  103. 
Ixaröfintöog  95. 
Elemente,    die   4   —    in   der   pergam. 

Gigantomachie  108. 
Elle,  ägyptische,  babylonische,  samische, 

persische  91  fl". 
Endymion,    R.    in    V.    Ludovisi    148 

Anm.  16. 
Eperastos,  Porträtkopf  des  —  48. 
Ephedrie  171. 
Episcopius'  Icones,  Abfassungszeit  von 

—   16  Anm.  23. 
Erichtho  auf  Phineusvase  139. 
Eros   auf  weissen  Lekythen  136.     Kopf 

in   London    103.     Eroten    auf   einem 

Sarkophag  163  Taf.  14. 
Euripideskopf  in  London  103. 
Eumenide  in  Olympia  48. 
Euphronios,  Berliner  Schale  des  — 136. 

Fälschung   einer  V.  mit  der  Hydra  74, 

einer  V.  in  Dresden  191,  in  Berlin  101 

vgl.  161. 
Faustinakopf  in  Olympia  49. 
Fussmaass,   das   attische  94  if.  172  if.; 

das  olympische  91fl".  vgl.  176  Aima.22; 

das  römische  91  S.  vgl.  176. 

Gabiniusbüste   aus   Herculaneum   33. 
Giganten  kämpf  am  Megareerschatzhaus 

in  Olympia  49;  aus  Pergamon  37.  41. 

107  f.  vgl.  43.  126.     —  köpf  162. 
Gorgonen  139. 
Grabescult,  Darstellungen  von  —  auf 

Lekythen  136. 
Grabfigur,  Kopf  einer  —   75ff.  Taf.  8. 
Grabreliefs  aus  Pergamon  u.  Smyrna 

37,  in  Lansdownehouse  82  Taf.  9. 

Hand  als  Votiv  103. 

liarpyien  auf  Phineusvasen  138  Ö'. 

Ilekate  auf  Kybelercliefs  6.  9.  184. 

Heraklosstatue  in  Florenz  17  Anm.  28. 

Hercules  Commodus  42. 

Hermes  auf  Kybelercliefs  1  ff.  Taf.  1 — 4. 
vgl.  132;  7tvnif6(>os,  nXovjoööjrjg  8; 
auf  Nymphenreliefs  8 ;  auf  Phineus- 
vasen 141 ;  Fuss  des  praxitelischen  44; 
Dionysoskiipfchen  desselben  50.  116. 

Hören  auf  einer  Phineusvase  139. 

Hund  auf  Kybelercliefs  5,   V.    W. 

Institut,  Jahresbericht  des  archäol.  — 

120. 
Iphigeneiaopfcr,  Ära  17  Anm.  28. 


Iris  im  Parthenongiebel  130  ff. ;  als 
Regen-  und  Windgüttin  132  S. ;  Ety- 
mologie 133  Anm.  5. 

Kabir    (Kuret,   Korybant)   auf  Kybele- 

reliefs  7,  vgl.  187. 
Kadmilos,  Hermes-  7  ff. 
Kanephore  aus  Pästum  27  ff.  Taf.  G. 
Kanephorie  27. 
Kallimachoskopf  36. 
Kapaneuskopf  162. 
Karyatiden  28. 
Kasmilos  s.  Kadmilos. 
zarny Ol/ff«  des  Praxiteles  102. 
Kehren  auf  einem  Parisrelief  147. 
Klafter,   Ableitung  der  griech.  Maasse 

aus  der  —  91  ff. 
Kleomenes,  der  Künstler  —  15  ff.  17 

Anm.  28. 
Kovgai  auf  Kybelercliefs  188. 
Kybelereliefs  Iff.  Taf.  1—4.  187 Taf.  18. 

Landschaftlicher  Hintergrund  auf  Re- 
liefs 148  ff. 

Laokoonvase  189. 

Lares,  Votiv  an  die  103. 

Lekythos,  weisse  —  in  Berlin  134  ff. 
Taf.  11.  Geschichte  der  attischen  Le- 
kythen 136. 

Linos  und  Nike  auf  V.  101,  vgl.   161. 

Lotosknospe  als  Ornament  136. 

Maass,  der  griech.  Tempel  9 Iff. 
Maussoleum-Sculpturen,  Corrosion  der 

—  126;  neues  Fragment  zu  den  —  103. 
Metroon  in  Olympia  44;  im  Piräeus  1. 
Mili  tär  diplom  aus  Regensburg  108. 
Münze  von  Larisa   18. 

Nereidenmonument,      Corrosion     der 

Sculpturen  vom  —  126. 
Nike   auf  Vn.  101,  vgl.  161.  136.  182, 

Taf.  16;  in  den  Parthenongiebeln  13  Iff.; 

—  anathem  von  Samothrake  42 ;  —  ba- 
lustrade  89;  ^pyrgos  in  Athen  85  ff. 
Taf  10. 

Nikosthenes,  Schale  des  40. 
Niobide  im  P.  della  Valle  14  Anm.  17. 

O  inone  145  ff. 

Okeanos  auf  einem  Parisrelief  147. 

Omphalekopf  75  Taf.  8. 

Orcus   auf  einem  pompej.  Gemälde  42. 

Oreithyia  als  Botin  130. 

Orion,  Eos  u.  Artemis  auf  V.   195. 

Ornament,   lineares  63   No.  354;    my- 

kenisches    und    asiatisches    40;    einer 

argivischen    V.  74;  Lotosknospen  136; 

Palmctte  an  der  Stuhllehne  136  Taf.  11. 

Krönung  von  Grabstelen  137. 


Pan  auf  Kybelereliefs  5.  8.  187  Taf.  18. 

Panther  als  Hausthier  185. 

Paris  und  Oinone  145  Taf.  13. 

Parthenon,  Maasse  des  94.  172 ff.  Frag- 
ment aus  dem  Westgiebel  (?)  in  Ve- 
nedig 71  Taf.  7;  Gespann  des  Posei- 
don 105  vgl.  132.  163.  197;  Corrosion 
der  Giebelsculpturen  126.  Erklärung 
des  Westgiebels  130  ff. 

Pausanias  V,  9,  3  vgl.  169  ff. 

Pelops,  Thron  des  —  195. 

Penelope- artiger  Kopf  in  Berlin  37. 

Perseus  auf  V.  139.  Kopf  in  London 
103. 

Pferdegeschirr  179  Anm.  14;  -gang- 
arten  180  Anm.  16. 

Philetaskopf  36. 

Phineus  auf  Vn.  138  ff".  Taf.  12. 

P Ileus,  Gebrauch  des  —  104. 

Calijurnius  Piso,  Kopf  des  —  20  Anm.  3. 
32  ff. 

Plinius  n.  h.  34.  75,  zu  —  22  ff.  vgl. 
192. 

Praxiteles,  Hermes  des  —  44.  50.  116; 
die  xarc'tyovaa  des  —  102. 

Propyläen,  Südhalle  der  —  85  ff. 

Ptolemäos  Philadelphos  und  Euerge- 
tes,  Statuen  des  —  vgl.  192. 

Pyrrhosbüste  in  Florenz  36. 

Pythagoras  von  Rhegion   31. 

Rabirius,  Verfasser  herculanischer  Rol- 
len 32  Anm.  3. 

Reiterei,  Dokimasie  der  attischen  177  ff. 
Taf  15. 

Reliefs  mit  malerischem  Hintergrund 
149  ff. 

Ring  mit  Porträtkopf  159. 

Sabazios,  Votiv  an   103. 

Sapphokopf  in  London  103. 

Sarkophag,  etrusk.  37;   -deckel  ebda. 

Satyr  von  Myron  25;  —  die  Flöte  bla- 
send, Statue  in  Olympia  51.  —  und 
Nymphe,  R.   149,  Taf.  13,3. 

Scenischer  Sieg,  Monumente  auf  — 
bezüglich  182  ff'. 

Schauspieler,  kom.  —  in  London  103. 

Schleifer  in  Florenz,  Geschichte  des 
—  11. 

Schildkröte  103. 

Schoinos,   ägyptischer  —  92   Anm.  5. 

Seneca,  Kopf  des  —  20  ff.  Taf.  5; 
32.  35.  37. 

Silensgesicht  aus  Olympia  45. 

Skamandros  auf  einem  Parisrelief  147. 

Sklave,  Freilassung  der  röm.   --    43. 

Skopas'  Werke  in  Tegea  98 ff.  190. 

Sokrateskopf  20  ff.  Taf.  5. 


Register. 


199 


Sonnenuhr  aus  Athen  37. 
Sosias,  Teller  des  Künstlers  —  40. 
Spiele,  Reihenfolge  der  oljnip. —  lG9ff. 
Stadion,  Eratosthenisches  92  Anm.  5. 
Stilicho,  Inschriften  des  104. 

Tannenzapfen  103. 
Tantalos,  Burg  des  —   195. 
Thallo  auf  l'hineusvasen  1Ö9.   145. 
Thanatos  auf  V.   189. 
Theseion,  Maasse  des   —  175  ff.;    Co- 

rosion  der  -Metopen  125. 
Thron  von  Marmor  37. 


Tiberiuskopf  in  London  103. 
Titanenkopf  162. 
Trajanskopf  in  London  103. 

Wachtel  135  vgl.  Taf.  11. 

Waffen,  homerische  —  194. 

Wanddekoration  durch  Gemälde  u. 
Ss.  150  ff.;  durch  Marraorincrustation 
152  ff. ;  antike  —  bei  der  V.  Farne- 
sina 107. 

Wasser daimon,  Kopf  auf  Kybelere- 
liefs  3  (vgl.  Achelooskopf).  6,  X  8. 

Wassergott  auf  Parisrelief  147  Taf.  13. 


Weihgeschenke,  Aufstellung  der  30. 
Widder  auf  Kybelereliefs  5,   V. 
Wölfin,  die  kapitolinische  106. 

Venus,  älteste  Abbildungen  der  medi- 
ceischen  —  13 f.;  Inschrift  derselben  15; 
Statue  im  Viridarium  Rucellai  14. 

inoßi ßuitaS  ai.  Darstellungen  des  — 
18. 

Xenoph.  Hipp.  III,  1,  zu —  177  Anm.  3. 


II.    TOPOGRAPHISCHES  REGISTER. 


Aarau,  Iris  mit  Horus  aus  —  39. 

Aegina,  Balsamar  aus  —  40.  139. 

Aegypten,  Bronze  aus  —  39.  Ent- 
lehnung der  griech.  Maasse  aus  —  92. 

Aegion,   zu  den  Statuen  aus  —  101. 

Agrai,  Rs.  aus  —  6,  X 

Akrai,  Santoni  bei  —  5,   Ua. 

Andros,  R.  aus  —  5,   U. 

Anisa,  Dekret  der  Stadt  —  39. 

Apamea,  Schätzung  von  —  195. 

Apt,  Kopf  aus  —  in  London,   103. 

Arges,   V.  aus  —  74. 

Assos,  Tn.  aus    —  39. 

Atalanti,  T.  aus  —  39. 

Athen,  Alterthümer  aus  —  1.  37.  39. 
40.  134  Taf.  11.  —  ijj.  im  Museum 
der  arch.  Ges.  1,  ß.  2,  G.  3,  K;  vgl. 
187  Taf.  18;  im  Nationalmuseum  2,  F 
Ga.  Taf.  3.  4;  6,  X  Taf.  2,  2.  4,  3; 
7,  Y  Taf.  2,  4;  im  Cultusministerium 
2,  Gb;  im  Museum  der  Akropolis  2, 
C.  D.  E;  in  den  Propyläen  182,  b. 
183,/.  —  Nikepyrgos  85  ff.  Taf.  10. 
Theseion  125.  175.     Parthenon  94. 

Attika,  Lekythen  aus  —  40.  R.  in  der 
Kirche  des  Agios  Dimitrios  in  —  3,  /. 
Taf.  2,  1. 

Äugst,  Gerätfragment  aus  —  39. 

Axati,  Carneol  aus  —  22. 

Babylon,  gr.  Inschr.  aus  —   103. 

Berlin,  Erwerbungen  des  Museums  im 
Jahre  1879  S.  37  ff.  —  Rs.  in  —  1, 
A  Taf.  1 ;  2,  Ba.  H  Taf  4,  1 ;  3,  Jkf 
Taf.  ä,2\N  Taf.  3,1;  4,  0.  5,  V 
Taf.  4,  4.  Sarkophag  mit  Eroten  163. 
Dopijelbüste  des  Seneca  und  Sokrates 
20  ff.  Taf.  5.  Goldring  159.  Lekythos 
mit  Nike  und  Linos  101,  161.  weisse 
Lekythen  134ff.  Taf.  11.   V.  mit  Har- 


pyien  139,  mit  Darstellung  des  vnoßi- 
ßäCia^tai  ISS.  Schale  aus  Orvieto   177 
Taf.  15.  korinth.   Thontäfelchen  195. 
Berytos,  Inschr.  aus  —  in  Venedig,  195. 

Cales,  Gefässe  aus  der  Fabrik  von  —  43. 

Capua,   V.  aus  —  40. 

Cattajo,   R.  in  —  4,   Q   Taf.  3,  3;  R; 

5,   W  Taf.  4,  2.   vgl.  S.  7  Anm.  5. 
Cerigo,  Inschrift  aus  —  103. 
Cervetri,  r.  aus  — 39.   F. 40.  Cistel03. 
Co  meto,  T.  und   V.  aus  —  40. 
Curti,  T.  aus  —  40. 
Cypern,   T.  aus  —  39;  vgl.  Larnaca. 

Dardanellen,  Schleuderblei  xmd  T. 
aus  —  39. 

Dresden,  Basis  in  —  vgl.  182  ff.;  ge- 
fälschte r.  191. 

Ephesos,  Maasse  des  Artemistempels  92 
Anm.  1;  93.  Rs.  aus  —  3,  31  Taf.3,2. 
N  Taf.  3, 1  ;  4,  0.  P. 

Eukarpia,  Münze  von —   184  Taf.  17. 

Florenz,  Geschichte  des  Schleifers  in  — 
11  ff.,  der  Venus  Medici  13;  Basis  in  — 

16  Anm.  23;  Ära  mit  Iphigeneiaopfer 

17  Anm.  28;  Pyrrhosbüste  36;  Domitia- 
büste  ebda.;  Ileraklesbüste  im  P.  Pitti 
17  Anm.  28. 


Galaxidi,  Spiegel  aus 


39. 


Halae,  Tn.  aus  —  39. 

Herculaneum,  Büste  und  Villa  des 
Piso  in  —  32  ff.  20  Anm.  3 ;  Gabinrus- 
büste  aus  —  33 ;   lat.  Inschrift  34. 

Iconia,  Adler  und  Petschaft  aus  —  39. 
Imbros,  Tempelinventar  aus  —  37. 


Kameiros,  Phineusvase  aus  —  142 
Taf.  12. 

Karantä,  R.  aus  —  3,i. 

Karn^si  (Kleitor),  Kriegerrel.  aus —  193. 

Kleinasien,  T.  aus  —  103;  Gem- 
men 39. 

Knidos,  Lampe  aus  —  184  Taf.  17. 

Kolor]  (Kula),  gr.  Inschr.  aus  —  37  ff. 

Korinth,  T.  aus  39;  F.  40.  Thontäfel- 
chen 195. 

Korseia,  T.  aus  —  39. 

Kreta,  V.  aus  40;  Fund  von  Migalo 
Castro  103. 

Kreusis,  R.  aus  —  37. 

Kyme,  T.  aus  —  39. 

Kyrene,  Fabrikationsort  der  Arkesilas- 
schale    185. 

Kyzikos,  Glasgefäss  aus  —  38. 

Lakonien,  Gemme  aus  —  39. 

Lansdownehouse,  Grabrelief  in  — 
81  ff.  Taf.  9. 

Larnaka,  Artemis -Gruppe  aus  —  184 
Taf.  17. 

London,  Erwerbungen  des  brit.  Mus. 
im  Jahre  1879  S.  103.  —  Omphale- 
kopf  —  75  Taf.  8;  Phineusvasen  142 
Taf.  12;  Laokoonvase  189;  Corrosion 
einzelner  Sculpturen  125. 

Mailand,  Bronzeschale  aus  —  103. 

Marathon,   V.  aus  —  40. 

Monte romano,    Wandverzierung    aus 

—  39. 
München,  Aegineten  in  —  vgl.  121  ff. 
Mustaphades,  Kybelerelief  aus  —  3,  K\ 

vgl.  187  Taf.  18. 
Mykene,   Vn.  aus  —  40. 
Myrina,   Tn.  aus  —  39. 
Mytilini,  R.  in  —   \0,Z. 


200 


Register. 


Naupaktos,  Bronzegeräth  aus  —  39. 
Noia,  Stil  und  Herkunft  der  Vasen  aus 

—  19.  1-44.     Phineusvase  aus  —  143. 
Norchia,  Sarkophag  aus  —  37. 

Olympia,  Inschriften  aus  —  52  ff.  117  ff. 
lG4ff.  vgl.  191.  Ausgrahungsberichte 
44ff.  lOOff.;  das  grosse  Gymnasion  46; 
Baugeschichte  des  Heraion  48;  Epe- 
rastosstatue  48;  Aschenaltar  45;  Rund- 
bau 47;  nördl.  Palästra  47;  Metroon 
48 ;  Megareerschatzhaus  48 ;  Echohalle 
48;  Hydrametope  49;  Herakleskopf  50. 
116;  Lapithin  51;  Bronzekopf  eines 
Siegers  113;  Jünglingskopf  114:  Hip- 
podameiakopf  114;  Herakles  und  die 
Hirschkuh  115;  Kleinbronzen  115; 
Dionysosköpfchen  116;  knabenrauben- 
der Kentaur  116;  Apollostatue  116; 
Corrosion  der  Sculpturen  in  —  127. 
Reihenfolge  der  Festspiele  169 ff. ;  Ephe- 
drie  171  ff. 

Orte,  T.  aus  —  40. 

Orvieto,  Alterthümer  aus  —  37.  39. 
40.    177  Taf.  15. 

Paris,  Bronzeabguss    der  Venus  Medici 

in  —  18. 
Faros,  Nymphenrelief  in  —  4,  T. 
Pästum,   Kanephore  mit  Inschrift    aus 

—  27  ff.  Taf.  6. 


Patras,  Amazonenreliefs  in  —   193. 
Pergamon,  Kybelerelief  in  —   10,  Za. 

Grabreliefs  aus  —  37.     T.  aus  —  39. 

Ausgrabungen  in  —  37.  41.  107  f.  vgl. 

43.     Corrosion   der  Sculpturen  aus  — 

126  f. 
Phigalia-Fries,  Corrosion  des  —   125. 

Copien  193. 
Piali,  vgl.  Tegea. 
Firäeus,  T.  aus  dem  —  39.    Bs.  1,  B. 

2,  B".  n  Taf.  4,  1.    V.  182  Taf.  16. 

Regensburg,  Militärdiplom  aus  —  108. 

Rhodos,  Untersatz  aus  — ■  38.  Bronze- 
fragment u.  griech.  Inschr.   103. 

Rom,  altl.  Inschr.  in  —  194.  Antica- 
glie  aus  —  39.  Wanddekorationen  bei 
V.  Farnesina  107.  Venusstatue  im  P. 
Gaetani  12.  Rlyronischer  Satyr  im 
Lateran  25.  Parisrel.  in  V.  Ludo- 
visi  145  Taf.  13,  1;  Endymionrel.  148 
Anm.  16;  B.  mit  Satyr  u.  Nymphe  149 
Taf.  13,  3.  P.  Mignanelli  vgl.  11.  12. 
Rom.  Inschr.  im  P.  der  Propaganda  42. 
Venusstatue  im  Viridarium  Rucellai  13. 
Aristoteles  im  P.  Spada  107 ;  Parisrel. 
146  ff.  Taf.  13,  2;  Rs.  von  S.  Agnese 
153;  Antiken  im  P.  della  Valle  14.  16 
Anm.  26.  vgl.  78  Anm.  16. 

Saburoff,  R.  der  Sammlung  4,  P. 

Samos,  Maass  des  Heraious  auf  —  97. 


Samothrake,  Corrosion  der  Giebel- 
figuren von  —  127. 

Sardes,  Cinerar  aus  —  38. 

Sipylos,  Felsbauten  des  —  195. 

Smyrna,  Marmorfigürchen  aus  —  83  ff. 
R.  37.   F.  39. 

Sparta,  Sarkophag  in  —  163   Taf.  14. 

S  u  n  i  0  n ,  Lekythen  von  —  40. 

Tanagra,   Tn.  aus  —  39.  103. 
Tegea,    Tn.    aus   —   39.     Skopasische 

Sculpturen  in  —  98  ff.  vgl.   190. 
Theben,  Kybelerel.  in  —  Z,L.  Vn.  aus  — 

40. 
Thessalien,  Apollo  aus  —  103. 
Tortos a  (Phönizien),  Grabfund  von  — 

103. 

Venedig,  Statuenfragm.  in  —  71  Taf.  7. 

Inschr.  aus  Berytos  in  —  195. 
Verona,  B.  in  —  4,  S. 
Vetralla,  Teller  aus  —  40. 

Wien,  Corrosion  der  samothrak.  Giebel- 
figuren 127. 

Xanthos,  Corrosion  des  Wagenfrieses 
von  —  125. 

Zephyrion,  Heiligthum  auf  dem  — 
vgl.  192. 


III.     EPIGRAPHISCHES  REGISTER. 


Griechische  luschrifteii 

aus  Athen  S.  39;  aus  Constantinopel 
S.  38;  aus  Imbros  S.  38 ;  aus  Kula(Äo^.ö»;) 
S.  37.  38;  aus  Kyreue  S.  186;  aus  Ma- 
kedonien (Idranitzi)  S.  159  ff'. ;  aus  Olym- 
pia S.  52  ff.  No.  334—336;  S.  117  ff. 
No.  363.  364;  S.  164  ff.  No.  366  — 380; 
vgl.  S.  171  ff.  191 ;  aus  Püstum  S.  29 
Taf.  6 ;  aus  Rhodos  S.  38 ;  aus  Sardes 
S.  38;  Metrische  Inschr.  0.  339.  340. 
S.  27  Taf.  6. 

O  :=  Olympia. 
l.     Namen. 
14  yai)  t]/ne()og  0.  347     57. 
'^ynaaQxos  38.   0.  348     58. 
'A»uvu  S.  29  Taf.  6. 
Uaevattt  auf  V.     40. 
'ASr)VÜ    IlQÖfxa^og,    Spiele   der   —   iu 

Rom  0.  369,6     165. 
'yl»tivaroi  0.  343     56. 
AluvjCö  la  11/j.C     40. 


n.  A  t).  1 0  s  ApCaiojv  0.  344     56. 

'AxQMQetoi  0.  360     65. 

"AxTia  0.  366.     164. 

AXuavfjg  0.  360     65. 

Fakiioi  O.  362     66. 

Alesion,  vgl.  zu  0.  360     65. 

'A).^$uvägos  0.34.3  SbG.  0.347  S.57. 
0.  350  S.  60.  —  Aiüjviäov  159.  ,9«- 
ail.^cog  'Ali^ävSgov  auf  einem  Schleu- 
derblei   39. 

'Al(pei6s  0.  350     60. 

Aft/^aJvios  0.  347     57. 

'.^VKtiOf  0.  363     117. 

'AvailnoXig  Taf.  3,3.  vgl.  S.  4,  Q. 

J.  "Avüiaxiag    Qtoyivrig  0.  349     59. 

'lAvTtixog  O.  350     60. 

AvTio/tvg  0.  366     164. 

'Aviio/og  0.  347     57. 

'Avt Kfiüvrjg  0.  346     56. 

AvjmvCa  Avjoivlov     37. 

Avj{üJVio;)  Zrjaog  0.  351     61. 

'Anka   0.  341     55. 

'Anull—   O.  373     167. 


Aii6}.).o)vi  StmBoirjVM  37. —  Tapat 38. 

Anok).ojviog  0.  349.  350.  S.  59.  — 
AtioUmvIov  0.  336.  S.  53;  der  Künst- 
ler An.  S.  17  Anm.  29. 

'Linniog  2^aßitvog  0.  345     56. 

"AQyog  0.  337     53. 

'AQeonayeiirjg  O.  343     56. 

Afiinvia  auf  V.     40. 

'IAqc  aiog  0.  347     57. 

AgCataQ/og  0.  347     57. 

Aqioi (ag,  Künstler  0.  371     167. 

AniaröSiifiog  0.  347     57. 

Agiatoärifiog  0.  348     58. 

AoiaioxQÜiTjg  0.  347     57. 

Agxäs  0.  374     167. 

"AQXEGog  0.  347     57. 

Agfiöäiog   0.  347     57. 

AQxtfiCiSiüQogAQii^iöixtQOv    38. 

Aqt^/ziovos  vloC    38. 

AQXiüäug  0.  347     57. 

AaiÜQxrig  0.  353      62. 

xoivöv  'Aalag  0.  337     53. 

IlonX.  AaxXr]7iiäi!)'r]g  0,  356     63. 


Register. 


201 


r.  'AaCvtog  Kovaigitro;   0.  342     55. 
Av  {Quitos)   'AkfiuväQOi   0.  250     CO. 
Av.  'AXipitös  O.  350     60. 
M.   AvQ^Xi  0  ;   'ElXrjvoxQcnriq    0.  351 

61. 
Av.  Klio^v/og  0.  350     60. 
Av.  Mrjjyößioi  0.  350     60. 
Av.  NeiXTiifÖQOs  O.  350      CO. 
Av.''0ivfi7ios  0.  350     CO. 
Av.  OvnaiffÖQOs  0.350     CO. 
M.  A(fiQnhog)  'Yyervoi  0.  350     CO. 
xoivöv  TüJv  'A)raiu>v  0.  344     56. 

Valerius  Eclectus  s.  zn  0.  309  S.  1C5. 
Biytiog  0.  350.  351     CO. 
BejXrjvri    Kttoalct   XnvanQ^ta    0.  352 

61. 
yi.  Berlijvog  .i'iKpfus  0.  351     61. 
B tß{ovX kl  os)   'f'cwmnviavös    0.  351 

61. 
M.  Biipüviog  2:avv(iSag    O.  350     60. 

r  Bezeichnung  der  Phyle   0.  347  —  351 

57. 
rät og  0.  349     59. 
rEvi»i.tog  0.  351     61. 
ViVTittVÖg     160. 

/1  Bezeichnung  der  Phyle  0.  347  S.  57. 
349     59. 

Aa/^('yriTog  0.  334     52. 

Aa/n(ci»id'ag  0.  370   166. 

Aafiägiarog  0.  347     57. 

Aätfvn  0.  366     164. 

AiayoQttg  0.  334     52. 

Alayqog     160. 

Aioy(vrtg  0.  337     53. 

Aiövdxog  0.  350     60. 

Atovvaiog  0.  337  S.  53.  349.  350 
S.  CO.  —  'A»rivaTog    38. 

Ao.  0.  347     57. 

AOMNOY  auf  einem  Ringe  S.  39. 

Anofiinnog  xukög AnofiOxkiCöo Vasen- 
inschrift S.  187  Anm.  5. 

AQOvaog  0.  373      167. 

EtatSiaqog  0.  351,  5.  8.     Gl. 
"EXXnvig  0.  340  S.54.  344  S.  56. 
^EXXrivoxQi'tfqg  0.  351      61. 
'EXTtig     38. 

'En  aifQÖö  iiog  0.  349     59. 
'EiiCyovog  0.  348     58. 
'ETiifiiXrig  0.  247     62. 
'Egewittvög  0.  348     58. 
'F.QixSg  0.  366     164. 
Ev<5(tftog  O.  341     55. 
Evnonog  0.  350     60. 
'E(f,(niog  0.  337     53. 

Ziiig.    Aiög  UqÜ  0.  348—351  S.  58  Ai 
0.  358    S.  65.     All  'OXvftnio)   0.  336 
Archüolog   Ztg.   Jahrgang  XXXVIII. 


S.  53,  356  S  63,  366  S.  164,  377. 
378  S.  168.  —  'OXvvntn)  337  S.  53 
vgl.  364  S.  119.  Zrivt  iOviSlxa)  0.  340 
S.  54.  ZI  'OXvvTilot  0.  362  S.  66  — 
als  Personenname  (Gen.  Aiog)  350  S.CO. 

Zfi»og  0.  351     61. 

ZwiXog  S.  38.  0.  347  S.  57 

llXfTog  0.  336  S.  53.  346  S.  56.  370 
S.  ICC.  379  S.  168.  —  7/Affc  346 
S.  56.  —  'HX f  Ciov  ßovlij  344  S.  56.  — 
"HX.  ätifiog  341,  342  S.  55.  —  'HX. 
noXig  352  S.  61.  —  Phylen  von  Elis 
vgl.  zu   0.  347  S.  57. 

'HQttxXeCärig  0.  247  S.  62.  0.  347 
S.  57. 

'HQBxXCärig  0.  347  S.  57.  349  S.  59. 

'llQÜg  O.  349     59. 

ßeoy(vrtg  O.  349  59. 
©toJÖT«  0.  34C  56. 
©«dJoTOf  0.  348  58. 
Sioitvog  0.  335  52. 
eBoaaXög  0.  343  56. 
0p«fftuv  0.  348     58. 

'Jttfiiärig   0.  347  S.  57.  348  S.  58.  349 

S.  59.  350,  351  S.  60. 
'reQci7ioX((rrjg  0.  3ed,b.     165. 
IM  Stempel  einer  T.     39. 
'IovXCa':AnXa  0.  341     55. 
r.  'lovXiog  ZioGTQttTog  O.  341     55. 
r.     'lovXiog     'PCXmnog      TgaXXiavög 

0.  353    62. 
'lovviog  'PovifTvog     160. 
'InnCag   0.  347     57. 
'laCiSioQog  0.  347     57. 
7(t/(U)'  0.  366     164. 
7(TÖ<fi)jU0f  0.  339     54. 

K  Bezeichnung  der  Phyle  0.  347     57. 

KaXXixQu^rig  0.335S  52  vgl  S.191ff. 

KaXXtn-  0.  369,  a     165  , 

KäXXiOTog  0.  349     59. 

KriXXoiv   O.  347     57. 

Kaaaia  0.  352     Gl. 

Kaaaiog  B^ysiog    0.  350.  351  S,  60. 

KXavdla  0.  352     Cl. 

Tiß^Qiog  KXaväiog  Tißfglov  vläg  Ni- 

Qwv  0.  336  S.  53.  0.  373  S.  167. 
KXav(^äiog)  IIoXvxQÜTrjg  0.  351     61. 
KX."OXvftnog  0.3bO     60. 
KX.  Ttiaufitvog  0.  351     61. 
TißSQ.  KX.  'Ynariavög  0.  350     60. 
KXannog  0.  347     57. 
XXtOfAuyog  0.  3.50     60. 
KXvTiüJrig  0.347  S.Ö7.  348.  349  S.  58. 

350  S.  60.   3bl  S.  61. 
r.  A'ilwJio?   0.  227     G2. 
KviiCa  Kviäiog     38. 
KoQiv»iog  0.  356     63  . 


KovaÖQÜi og   0.  342     55. 
KvQog  0.  347     57. 

AaxiiSuifAovCiav  ol  tfvyövi fg  0.335 

52. 
A(ovjäg  0.  350     CO. 
Afovirjatog  0.  335     52. 
.Afiovtäag  S.   159.   0.  227     C2. 
Aovxnvn  KXaväUi  0.  352     61. 
K.  Aovxrivög  ZttixXÜQog  0.352      61. 
.Avxäiov  0.  349     59. 
./^i^x^J«?  0.  376     168. 
AvxoXdov  0.  349     59. 
AvaCnnov  tqyov    S.  17  Anm.  28. 

iM  Bezeichnung  der  Phyle   0.  347  S.  67. 

350  S.  60. 
Mivrig  Taf.  2,  3  S.  2. 
MagxfXXtttVÖg  auf  einer  Münze  S.184. 
Mägxog  O.  348     58. 
MeyaXonoXCtag  0.  371a.  i.      167. 
Mn-ng'i  0.  375      167. 
r.  M(ft^iog  EvJnfjog  0.  341     55. 
M.  ;i/f^.  "Avieixog  0.  350     60. 
//.   JIK/Jfiiog  'f'iXöäafiog  0.  341     55. 
Mivinnog  0.  370     166. 
/l/ftTOfafryos  0.  367     164. 
Mf öa^vtof  0.  344  S.  56.  377  S.  168. 
MeTÜTiiot  0.  363     118. 
MriTQl  9idiv  Taf.  2,3  S.  2. 
Mrirgößiog   0.  350     60. 
MCxa  Taf.  2,3  S.  2. 
Mixxiag  0.  347     57. 
Mvaai»ia  0.  352     61. 
MoXoaaog  0.  347     57. 
Mo D(j HI-Off  0.  349     59. 

JV  =  vtcÜTfeof  ?  0.  347  S.  57;  zur  Be- 
zeichnung der  Phyle  0.347  S.  57.  349 
S.  59. 

NcünoXig  0.  337     53. 

NetxoxXrjg  O.  348     58. 

Ntfi^ag  O.  377      168. 

Nigova  O.  227     62. 

]Viitf,(ov  O.  351     61. 

Nlxa 0.  371      167. 

Nixöägofiog  0.  380     168. 

'OXvfiTiCu    0.    342    S.  55.    362    S.  66. 

363  S.  117. 
'OXvfiniüg  S.38.  —  dieKönigin  0.355 

63. 
'OXv^niyog  0.  347  S.  57.  'OXiivni- 

/off  xttXög  auf  V.  Taf.  US.  137. 
'OXvfi7T({<or)  0.  247     62. 
"OXvfiTiog   0.  348.  349     58. 

—  Ofi^vovg  {kvyctirjg     82. 

—  oi'ioff   0.   346     56. 

'OuTioog  auf  einer  Büste  in  Florenz    36. 
'Ontaitaaiog  zu  0.  91     70. 
"OQtazoi     160. 

27 


202 


Register. 


Tlegyatog  0.  369,  6.     165. 
HiQiv;  (für  TltQatvi)  auf  V.     40. 
noi.vxagnog  0.  349     59. 
nolvxgdrri;   0.  351     61. 
nof.vxägijs  0.  347     57. 
flolv/agfiog  0.  340  54. 
UgaSayög«;  0.  346     56. 
noaittxmv  0.  347     57. 
Hg^TKüV  0.  247     62. 
nv»Ca)V  0.  348.  349  S.  58.  351  S.  61. 
IIvqIqos]  0.  355     63. 

'Pijya/a  0.  338     54. 
'Pov<plv  og  160. 
■Pw^?)  0.  369,6.     165. 

Zttßtivog  0.  345     56. 
Zn/Srj-Of  0.  349     59. 
2aix).agog  0.  352     61. 
ZavvCSag  0.  350     60. 
2tlnviüVTi..  .  0.  361     66. 
^Ixgeißiavittvös  0.  356     63. 
.^"^«i'pi'nroff  0.  369,2).     165. 
Zoifiov  0.  349.  350  S.  59. 
.Z'nßpTiäißt  0.  357     64. 
Zr«;fys  0.  351     61. 
SvvxaCQiav  0.  350     60. 
XtoaCvixog  0.  347     57. 
2(aaTQaiog  0.  341     55. 
.S'ioi^pi;^ OS  0.  350     60. 
.2'ftji/w»'  0.  347     57. 

T  Bezeichnung  der  Phyle    0.  347     57. 
Tiiaafitvog  0.  351.     61. 

T.ji 0.  369,  a.     164. 

Tellon,  Basis  des  —  O.  91  S.70. 
TificcQiTcc   0.  346     56. 
Tl/xcov  0.  347     57. 
Tett).i.iav6g  0.  353     62. 
TginoXiCxrig  0.  369,6.     165. 

'Yytla  0.  338     54. 
'Yy fXvog  0.  350     60. 
Vr   auf  einer  Gemme     159. 
•Y;iaTt«»'os   0.  350     60. 
juijvoj  'YntQßeQtiatov     38. 

«/>  Bezeichnung  der  Phyle  0.  347  S.  57. 

0.  350.  351  S.  60. 
't'ttCarog  0.  348     58. 
't'avaTeivici vog  0.  351     61. 

r. if^fi'iog  KuUtaiog  0.  349    59. 

'Pialijeg  0.  340     54. 
<I>i).ttdt}.(ftvg  0.  369,6.     165. 
't'iXiug  auf  einer   V.     40. 
'I'Clinnog  0.  353     62. 


«^i/lfa O.  372     167. 

'PCXtajog  0.  346     56. 
'PtliM  Taf.  6.  S.  29. 
'piXöiSa/^og  0.  341     54. 
tf-oldv/xoc  0.  372     167. 
T.  <Plüßiog  ElaläioQog  0.  351     61. 
«f>i.  ZxQiißb)Viav6g  0.  356     63. 
*Aß,«(Of  '/-iI-IkI  0.  343     56. 
•/"Anxxof  auf  einer  Münze     184. 
'Piilai  0.  343     56. 

X  Bezeichnung  der  Phyle   0.  347      57. 
XÜQrig  0.  247     62. 
XaQfitäiig  auf  V.  Taf.  12  S.  144. 
Xagfj.vXii5ag  Taf.  6  S.  29. 
Xfipoi//  0.  347     57. 
XQvaciQ^j«  0.  352     61. 

■i2pß(>(OS  Ilaßrvog  0   349     59. 

2.    Sachregister. 
itQol  xiu  aT((fuvitjttl  äy luve g  0.337  53. 
Kili/TK();f  ?)f  0.  356     63. 
KV»vnajog  0.  342     55. 
Apostroph  0.  340     54. 
ctQfi «  TiioXixov  0.  346  S.  56;  380  S.  168. 

—  latiov   0.  379     168. 

r«e()))V  O  362  S.66;  Etymologie  S  69. 
ßp;^ijUßj'ipof  0.  347     57. 
ß(>;fii^xnuv  0.  347     57. 
ßO/l»)i^f  0.347  S.57;  vgl.  zu  349  S.59. 
Beamtenkataloge  0.  347— 350  S.57. 

—  vgl.  0.  217  S.  62. 
ßovXtvj^g  0.  3696.     165. 

ßovXri   'OXvfimxri   0.  341  —  343    S.  55. 

345  S.  56.  352,  353  S.  61.  367  S.  164. 
yQa.fi jj.ai tilg  0.  347 — 350  S.  57. 
äixciia  Taf  6  S   29. 
iXXttVoClxag  0.  362     66. 
tiitynr^g    0.  347    S.  57.    349    S.  59. 

0.  247  S.  62. 
inaQ/Ctt,  (naqxixaC,  f;Tap;|fOf  S.  159ff. 
EHENIIOr,    EflENnETO,    ENHOI 

0.  362  S.  66;  vgl.  S.  69. 
tmanovä OQ/riarrig    0.   347     S.57. 

349.  350  S.  59.  247  S.  62. 
iifrißsvaag  0.  341     55. 
Zetakismos  vgl    zu  0.  362.     66. 
ittoC  Ausruf  auf  einer   V.  S.  144. 
»tox6Xoi  W.iz/JTiizoi' 0.348-350  S.58. 
"jlQaiu    0.    366   S.  164.     iß   fv  "4Qyu 

337  S.  53. 
tazQÖg  0.  347     57. 
iiQiiig  T^s  'Pui/itjg     38. 
itQO(fic(Virig  0.  344     56. 


Innaq/riaag  0.  369,  a.     165. 
"Ia9fita  0.  337     53. 
xa0^71fi(Q09vTrjg  0.347     57. 
xaXög,    6    nccig    xßAo'f    S.  40.  Taf    11 

S.  136.     Taf.  12  S.  143.  144. 
KanfTüiXcc!   0.  369,6.     165. 
x^puf  0.  3G96.     165. 
xXitäovxog  0.  247  8.62.  0.347  S.57. 
fiäyeiQog  0.  247     62. 
fiävreig  0.  347—351  S.  57. 
MA2:TPAAI  0.  362  S.  66,  vgl.  S.  69. 
N^/iia    0.  337  S.  53.     mfiein    0.366 

S.  164. 
SvXev;  0.  347     57. 
olvo/oog  0.  347  S.  57.   0.  247  S.  62. 
'OXv/iTTiK  0.  336  S.  53.  337  S.  54.  346 

S.  56.  366  S.164.  369  S.165.  372  S.167. 

378—9  S.  168. 
navxQaj lov  0.  366     164. 
7iivitt»Xog  0.  356     63. 
neQuiyrjTttl  0.  350,  351  S.  60. 
TitgCoäog  äei  Festspiele  0.  366  S.  164. 
noXeizÖQxrjg  160. 
nQia  ßtVTuC     160. 
nv»itt  O.  337     53. 
Rhotakismos  vgl.  0.  362  S.  66. 
aaXniaTiU  0.   337     53. 
aoy/orijf  0.  343     56. 
anov<SavX7]g  0.  349.  350  S.  69. 
OTioväoifÖQoi  O.  348—351  S.58. 
avveäQog  0.  343     56. 
avvxXriJtxög  O.  356     63. 
avv(oQli  itXf(a  0.  346     56. 

—  7i(oXix^  0.  370  S.  166.  0.  380  S.  168. 
zi&qinnog  0.  336     53. 

—  liXtiog  0.  346     56. 
'OXvfiniog  vfivos  0.  339     54. 
vnajixög  0    345  S.  56.  0.356  S.  63. 
vTiarog  dnotStJeiyfiivog  0.  342     55. 
qUaxog     160. 

Lateinische  Inschriften. 

Aus  Rom  S. 42.43. 194;  ausCales  S.43; 

aus  Herculaneum  S.  34  ff. 
Q.  Carminius  Optatus  103. 
duenos  194. 

Hercules  Silvani  nepos    42. 
Jupiter     194. 
Latercula  militum     43. 
Ops  Toiteria    194. 
Pis(onis)     34. 
q(uadratarius)    34. 
sacrum  novendiale     194. 
Teles     34. 


ARCHÄOLOGISCHE     ZEITUNG    1880 


TAFEL  1 


WHiJj^.jÄ „^,^,.i.^lll)rA|^|,.  liihi..,  , 


ATTISCHES     WEIHRELIEF 

AN    DIE    GROSSE    GOTTIN 


ARCHÄOLOGISCHE    ZEITUNG    1880 


TAFEL  2. 


.iim 


'i(.</i 


CjtI  l=3nK  "Bei 


WEIHRELIEFS 

AN  DIE  GROSSE     GÖTTIN. 


ARCHÄOLOGISCHE    ZEITUNG    1880 


TAFEL  3 


WE  I  H  R  E  LI  E  FS 


AN   DIE  GROSSE    GOTTIN 


AKOnHULUOlOUnt.       tLiit-* 


W  El  H  RE  LI  EFS 

AN  DIE  GROSSE   GÖTTIN. 


LiiK  V,  Carl  LeoriLBed.. 


\l 


i^m 


SENECA    UND    SOKRATES 

DOPPELB  Ü  STE. 


ARCHÄOLOGISCHE     ZEITUNG    )880 


TAFEL  6 


R>l3d/RÜ^1V^SyR  ^Ö11>(D^  A^A0RT 


KANEPHORE 

BRONZE     AUS     PAESTUM 


o 

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ARCHÄOLOGISCHE     ZEITUNG    1880 


.^SSgiSf" 


TRAGISCHER      KOPF 

IM       BESITZE      DES      HON       ASHLEY       PONSONBY 


ARCHÄOLOGISCHE     ZEITUNG    1880. 


TAFEL   9 


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\ 


ATTISCHES  GRABRELIEF 

IN     LANSDOWNEHOUSE  . 


Lith.v.CUonh.Beclff! 


A  R  CH  AO  10  GISCHE     2EITUNG1880 


TAFEL   10- 


,M. 


i:  50. 


ZUM      NIKE-PYRGOS 


AllU  il.|i'7   V  II    Mr1i, 


I  .1     i ... '  <  „  ,|f,  K,jfi((,f 


HAOLOGISCHE    ZEITUNG    1880 


TAFEL    11. 


iü>(n»*^JI5iMjmtafr!^lHrmTe/fsrBrf7n 


ATTISCHE    LEKYTHOS 

IM    BERLINER    MUSEUM. 


C.Leonh.Becker. 


Druck  V.  J  Hesse  Hafl.Beriui 


PHINEUS -VASEN 

IM      BRITISH     MUSEUM 


h  EecVer. 


ARCHÄOLOGISCHE      ZEITUNG   1880 


TAFEL  13. 


-^'.«.J 


PARIS   UND    OINONE. 


IjÖlv  Carl  Leorih  Becker 


JJmjücYlEesseJflfiJetlm- 


ARCHÄOLOGISCHE    ZEITUNG     1380 


TAFEL  14 


SARKOPHAG   AUS    SPARTA. 


OfttvüDiP  uiLiäiv-)  '.ainuel 


Druck  vJ&sselufl.: 


ARCHÄOLOGISCHE    ZEITUNG    1880. 


1 


1 


SCHALE   AUS   ORVIETO. 


ARCHÄOLOGISCHE    ZEITUNG   1880, 


üÜitJ  Samuel. 


BACCHISCI- 

KRATER    A 


ARCHÄOLOGISCHE    ZEITUNG    1880. 


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O 


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j       ^ 

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5ACCHISCHE    SIEGESFEIER 

KRATER    AUS     DEM     PIRÄUS 


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ARCHÄOLOGISCHE     ZEITUNG    1880. 


TAFEL  18. 


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RELIEF   AUS  TANAGRA. 


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3  3125  00098  5404