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B 2 902 000
ARCHIV FÜR HYGIENE
BEGRÜNDET VON MAX VON PETTENKOFER
FORTGEFÜHRT VON MAX RUBNER
UNTER MITWIRKUNG VON Én ee
Prof. Dr. R. ABEL, Jena; Prof. Dr. O. BAIL, Prag; Prof. Dr. BONHOFF, Marburg a. L.; Prof,
Dr. R. DOERR, Basel; Prof. M. FICKER, Berlin-Dahlem; Prof. Dr. R. GRASSBERGER, Wien;
Prof. Dr. M. HAHN, Berlin; Prof. Dr. L, HEIM, Erlangen; Prof. Dr, R. KISSKALT, München;
Prof. Dr.W. KRUSE, Leipzig; Prof. Dr. Ph. KUHN, Dresden; Prof. Dr. A. LODE, Innsbruck; Prof.
Dr.R.O.NEUMANN, Hamburg; Prof. Dr. L. PFEIFFER, Schwerin; Prof. Dr. W. PRAUSNITZ,
Graz; Prof. Dr. Fr. RENK, Dresden; Prof. Dr. P.SCHMIDT, Halle a.S.; Prof. Dr. W. SILBER-
SCHMIDT, Ziirich; Prof. Dr. K. SÚPFLE, Miinchen; Prof. Dr. W. WEICHARDT, Erlangen
HERAUSGEGEBEN VON |
M.v.GRÜBER - K.B. LEHMANN - P. UHLENHUTH
96. Band
MÜNCHEN UND BERLIN
DRUCK UND VERLAG VON R. OLDENBOURG
1926
- $
Inhalt.
Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik mit spezieller Berúcksichti-
gung der Kata-Thermometrie zur Bestimmung der Entwärmungsverhält-
nisse. (Aus der Prüfungsanstalt für Heizung mit Lüftung in GC
Von Dr. Paul Weiß. (Eingegangen am 2. März 1925) . í
Untersuchungen zur Klärung der Bleiverflüchtigung beim hömögenen Ver-
bleien und Bleilóten unter Verwendung verschiedener Gebläseflammen.
Von Reg.-Rat Dr. Hans Engel, Mitglied im Reichsgesundheitsamt, und
Reg.-Rat Dr. Victor Froboese. (Aus dem Gewerbehygienischen Labora-
torinm des Reichsgesundheitsamts.) (Eingegangen am 20. April 1925) .
Versuche über Ernährung mit vegetabilischer Rohkost bei geistiger und kör-
perlicher Arbeit. Von Professor Dr. Hermann Ilzhöfer, Assistent am
Institut. (Aus dem Hygienischen Institut der Universität München. ) u
gegangen am 16. Mai 1925) . . . . . e CN
Bakteriologische Stuhluntersuchungen bei einer - Ernährung mit rohen Vege-
tabilien. Von med. pract. Friedrich Potz. (Aus dem Hygienischen Institut
der Universität München.) (Eingegangen am 16. Mai 1925)
Über die Bedeutung der Sexualdisposition bei den Infektionskrankheiten.
Seite
69
. 102
. 122
Von Prof. Dr. Hans Günther, Leipzig. (Eingegangen am 23. Mai 1925) . 125
Die Chinin-Idiosynkrasie der Haut bei gewerblichen Arbeitern. Von Prof. H.
Dold, Marburg a. d. Lahn. (Eingegangen am 22. Juni 1925) A
Stndien zur Kenntnis der Eigenschaften von Diphtherie-Toxin-Antitoxin-
Gemischen. 111. Die Beziehung der direkten Giftwirkung des Diphtherie-
toxins zu seiner Bindungsfähigkeit mit Antitoxin. Zugleich ein Beitrag
zur Vorstellung über die Natur des Diphtherietoxins. Von Privatdorent
Dr. Hans Schmidt und Dr. Wilhelm Scholz. (Aus dem Institut für
experimentelle Therapie , Emil v. Behring“, Marburg a. d. Lahn ae
Prof. Dr. H. Dold].) (Eingegangen am 25. Juni 1925) .
Qualitative Untersuchung der Luftbakterien. Von Univ ereitätadorent: Dr. J.
v. Daränyi. (Aus dem staatl. bakteriologischen Institut in Budapest.
Direktor: Prof. Aujeszky.) (Eingegangen am 4. Juli 1925) .
Studien zur Kenntnis der Eigenschaften von Diphtherie- Toxin - Antitoxin-
Gemischen. IV. Die Bedeutung der Zone bei der Ausflockung von
Di- AT - Gemischen. Von Privatdozent Dr. Hans Schmidt und Dr. Wil-
helm Scholz. (Aus dem Institut für experimentelle Therapie „Emil von
Behring“, Marburg a d Lahn. Direktor: Prof. Dr. H. Bon) (Binge-
gangen am 9. Juli 1925) . . . . :
Bioskopische Reduktionsmethoden. II. Vereleicnende Untstsuchubgen mit
der Nitro- und der Methylenblau-Reduktionsmethode und ihre Verwend-
barkeit für Stoffwechseluntersuchungen an Bakterien. Von Dr. med. O.
Kirchner. (Mit Unterstützung der Rockefeller-Stiftung.) (Aus dem Hygie-
nischen Institut der Universität Rostock [Direktor: Professor Dr. von
Wasielewski].) (Eingegangen am 23. Juli 1925).
Zur Technik der Schimmelpilzuntersuchung. Von Professor K. v. S GE
und Professor A. Hartmann. (Mit 2 Abbildungen.) (Aus dem Hygie-
nischen Institut und der histologischen Abteilung des Anatomischen
Instituts München.) (Fingegangen am 2. August 1925) .
34966
. 167
. 172
. 182
. 185
. 195
227
[V Inhalt.
Seite
Über die Bedingungen der Entwicklung von Oberflächenkolonien. Von Prof.
Dr. Karl v. Angerer. (Aus dem SEN Institut Mönchen.) (Ein-
gegangen am 2. August 1925). . . . . e ll
Über die Bedeutung der Diffusionsvorgänge für das Koloniowachatusn: Von
Professor Dr. H. Ilzhöfer und Dr.K.v. Angerer. (Mit 4 Abbildungen.)
(Aus dem syelenlechen Institut es, (Eingegangen am 2. August
1925). . . 237
Studien zur Kenntnis der Eigenschaften. von Diphtherie-Toxin- age
Gemischen. V. Die immunisierende Wirkung der bei der Diphtherie-
Toxin-Antitoxinbindung auftretenden Flocken. Von Privatdozent Dr. Hans
Schmidt und Dr. Wilhelm Scholz. (Aus dem Institut für experimen-
telle Therapie „Emil v. Behring“, Marburg a d. Lahn Prof. Dr.
H.Dold).) (Eingegangen am 21. August 1925) . . . . . 251
Eine vereinfachte Methode der Bestimmung des Koli-Titers eines Wassers,
Von Prof. Dr. L. Horowitz-Wlassowa. (Aus dem Chemiko-Bakterio-
logischen Institut in Orenburg.) (Eingegangen am 12. September 1925) . 262
Wird die Ausnutzung des Nahrungseiweißes durch Saccharin beeinflußt? Von
Professor R. O. Neumann. (Aus dem Hygienischen Staatsinstitut zu
Hamburg. Direktor: Geh. Rat Prof. Dr. R. Neumann EE am
17. September 1925) . . . . . ne . 265
Untersuchungen über o end im Tierkórper. y on Dr. Shinnosuke
Kimura. (Aus dem Hygienischen Institut der deutschen Universität in
Prag. Vorstand: Professor Oskar Kee di did am 16. Oktober
1925) . . . . 277
Beitrag zur Bestimmung von \ Blei in SE Gutts: besonders in
Kot und Harn. Von Reg -Rat Dr. phil. Victor Froboese. (Aus dem Gewerbe-
hygienischen Laboratorium des nv) Ge EE
am 28. August 1925) . . . . . . . SECHS . 289
Studien zur Kenntnis der Figenschaften von Diphtherie-Toxin- Ana
Gemischen. VI. Zur Kenntnis des Flockungsvorganges in Di-T.A.-Ge-
mischen. Von Privatdozent Dr. Hans Schmidt und Dr. Wilhelm
Scholz. (Aus dem Institut für experimentelle Therapie „Emil v. Behring“,
Marburg a. d. Lahn. Direktor: Prof. Dr. H. Son (Eingegangen am
11. November 1925) . . . . . 294
Klinische Beobachtungen an Bleikranken. KE Dr. J. G. Celman (Aus
dem Obuch-Institut für das Studium der Berufskrankheiten in E
(Eingegangen am 17. Oktober 1925) . . . . . 301
Zur Chemie des Leichenwachses unter besonderer Berücksichtigung der Anas
phylaxie. Von Dr. E. Remy. (Aus dem Hygienischen Institut der
Universität Freiburg i. B. Direktor: Geheimrat Prof. Dr. P. SC EE
(Eingegangen am 31. Oktober 1925) . . . . 311
Neue tierexperimentelle Untersuchungen úber den Wert der Kassett -granu-
lierten Erythrozyten für die Frühdiagnose der Bleivergiftung. Von Privat-
dozent Dr. Hans Lehmann, Assistent am Institut. (Aus dem Hygieni-
schen Institut der Universität Jena.) (Eingegangen am 29. Nov. 1925) . 321
Untersuchungen zur Epidemiologie des Typhus. Von Carl Prausnitz.
(Mit 2 Abbildungen.) (Aus dem Hygienischen Institut der Universität
Greifswald. Stellvertretender Direktor: Prof. Dr. Carl A van
gegangen am 12. Oktober 1925) . . . . . 362
Die Mono- und Dinitrophenole als co werbliche Gifte: ES? Eintrittswege in
den Organismus und die paradoxe Totenstarre bei fehlender Säurebil-
dung. Von Prof. Dr. K.B. Lehmann und Dr. Ludwig Schmidt-Kehl
(unter Mitwirkung von Dr. Eduard Keibel, Dr. Fritz Levy, Dr. Kaspar
Niggenicier, Dr. Karl Smitmans und Dr. Hasegawa). (Aus dem
llygienischen Institut der Universität une) (Eingegangen am
T. September 192) . . . nn a ke o ee 000
Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik mit
spezieller Berücksichtigung der Kata-Thermometrie zur
Bestimmung der Entwärmungsverhältnisse.
Von
Paul We,
Diplom-Ingenieur aus Zürich.
(Bei der Redaktion eingegangen am 2. März 1925.) =
I. Kapitel.
Die hygienischen ‘Grundlagen der Lüftungstechnik im Lichte der neueren
Forschung.
Um die Mitte des letzten Jahrhunderts erhielt v. Pettenkofer den
Auftrag, die Schwerkrafts-Lüftungsanlage der Münchener Frauenklinik
zu begutachten. Als erster deutscher Wissenschaftler hat er sich in das
Problem der künstlichen Raumlüftung vertieft und die ihm gestellte Auf-
gabe direkt geistreich gelöst. Es war für ihn als Nichtfachmann keine
Kleinigkeit, die Fülle der ungelösten technischen Fragen zu bewältigen,
um so mehr, als die damalige Zeit unsere heutigen handlichen MeBinstru-
mente noch nicht kannte. Das Anemometer lernte er erst später anläßlich
einer Informationsreise nach Paris kennen, mußte sich also vorerst bei
seinen Versuchen auf rein qualitative Messungen stützen. Pettenkofer
hat es zwar nirgends ausgesprochen; aber ich vermute stark, daß das
Bewußtsein der Unzulänglichkeit dieser qualitativen Untersuchungen ihn
auf den Gedanken brachte, den Luftwechsel eines Raumes durch die meß-
bare Verdünnung eines im Luftgemisch enthaltenen typischen Gases zu
berechnen, eines Gases, das in meßbarer Menge auf irgendeine Weise der
Raumluft beigemischt wird, und dessen prozentualer Gehalt in der Raum-
luft jederzeit chemisch ermittelt werden kann. Es lag auf der Hand, eine
Verunreinigung, die der menschliche Körper durch Atmung resp. Aus-
dünstung selbst der Umgebung mitteilt, als Maßstab zu benutzen. Dafür
kamen die Wasserdampfabgabe, die organischen Verunreinigungen sowie
die Kohlensäureentwicklung des Körpers in Frage. Pettenkofer ent-
schied sich nach reiflicher Überlegung, wonach er den Wasserdampf aus
Gründen der hygroskopischen Beschaffenheit unserer Baumaterialien, die
zahlreiche Quellen zur Veränderung des Wassergehaltes ergeben, die or-
ganischen Verunreinigungen jedoch wegen der meßtechnischen Schwierig-
keiten verurteilte, für die Kohlensäure.
Es ist nicht unwichtig, die Gedankengänge Pettenkofers in dieser
Richtung genau zu verfolgen. Denn sein CO,-Maßstab hat viel zu oft zu
anderen Vorstellungen verführt, als sie Pettenkofer selbst hatte. In seinem
prächtigen Schriftchen „Über den Luftwechsel in Wohngebäuden“ (1),
Archiv f. Hygiene. Bd. 96. 1
2 Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik usw.
das ein schönes Bild seines reichen Schaffens gibt, hat er seine Erfahrungen
und Anschauungen drastisch genug skizziert. An verschiedenen Stellen
betont er, „daß der CO,-Gehalt allein die Luftverderbnis nicht ausmacht,
daß wir ihn bloß als Maßstab benutzen“. ‚Wir haben kein Recht, anzu-
nehmen, daß die Schädlichkeit der Luft überfüllter Räume lediglich von
der Vermehrung der CO, herrühre, sondern sie hängt sicher auch von an-
deren Veränderungen der Atmosphäre, und wesentlich von der Beimischung
organischer Stoffe durch Respiration und Perspiration ab; aber wir können
nicht fehlen, wenn wir annehmen, daß die übrigen Schädlichkeiten aus
dergelben Quelle mit der CO, proportional gehen.“
Das Kernproblem der Lüftung ist ein hygienisches. Die Frage, ob die
o > themischèn ‘oder physikalischen Veränderungen der Raumluft die Schuld
“tragen an deren üblen Wirkung, hat in den Jahren nach Pettenkofer
viele Köpfe beschäftigt und verschiedene Theorien gezeitigt.
Man hat sich bemüht, entgegen Pettenkofers Ansicht, die Kohlen-
säure als den schädlichsten Faktor der Luftverderbnis zu erklären. Und
es ist sicher, daß diese Ansicht in Laienkreisen, zu denen auch vielfach
mangelhaft geschulte Lüftungstechniker zählen, heute noch stark ver-
breitet ist. Das führt zu Konsequenzen, die die vielen ungenügenden Lüf-
tungsanlagen begreiflich machen. Es ist dieser Auffassung nicht scharf
genug gegenüberzutreten; denn eine große Zahl von Versuchen in den ver-
schiedensten hygienischen Instituten der Welt hat bewiesen, daß nicht
nur Promille-, sondern sogar Prozentgehalte an CO, in der Atmungsluft
ohne weiteres ertragen werden (2). Der CO,-Gehalt steigt in den schlech-
test ventilierten Räumen selten über 19% und im Freien nicht über 1%/5.
L. Hill (3) weist nach, daß es unmöglich ist, daß durch CO,-Anreicherung
in der Luft eine solche im Körper eintreten würde; denn wie immer der
CO,-Gehalt der Luft ist, in der Lunge wird er infolge der Tätigkeit der
Atmungsorgane konstant auf ca. 5%, gehalten. Das Atmungszentrum hat
die Aufgabe, die CO,-Konzentration in Lunge und Blut konstant zu
halten. Eine Steigerung des CO,-Gehaltes der Raumluft auf 5%, wird
sich also in einer Steigerung der Atmungsschnelligkeit geltend machen.
Haldane und Priestley fanden, daß bei 2%, CO,-Gehalt die Lungen-
tätigkeit um 50%, 3% — 100%, 4% — 200%, 5% — 300%, gesteigert
wurde, wobei eine Steigerung um 200%, nicht bemerkt wurde. Hey-
mann (4) stellt fest, daB der ruhig atmende Mensch die Luft aus seiner
Umgebung einatmet, die unter Umstánden eine CO,-Konzentration von
59/99) erreicht, während der eigentliche CO,-Gehalt 0,3%% beträgt. In den
Kompressor-Maschinenräumen von Brauereien arbeiten die Maschinisten
stundenlang in einer sehr CO,-reichen Atmosphäre, worüber Messungen bis
2,5% vorliegen.
Auch die Anschauung, daß eine Sauerstoffverminderung der Atemluft
dem Körper schädlich werden könnte, kann sich nicht behaupten. Solange
der O,-Partialdruck genügt, um den Großteil des Hämoglobins des venósen
Blutes beim Durchgang durch die Lunge in Oxyhämoglobin zu verwandeln,
ist von Sauerstoffmangel nicht zu reden. Nach L. Hill (3) hat eine Ver-
minderung des Partialdruckes von 1%, auf Meereshöhe nicht den gering-
sten Einfluß auf die Gesundheit, ein Defizit, wie es schlecht ventilierte
Von Paúl Weiß. 3
Räume kaum aufweisen. Die alpine Luft der Schweizerberge, die unserem
Körper und unserer Lunge erfahrungsgemäß ausgezeichnet bekommt,
hat in großen Höhen O,-Konzentrationen, die um vieles kleiner sind als
diejenigen schlechtest ventilierter Räume.
Eine weitere Theorie, die in den organischen Exspirationsprodukten
den Grund der auffälligen Gesundheitsstörungen suchte, konnte sich nicht
halten. 1888 veröffentlichten Brown-Sequard (5) und d’Arsonval
Experimentaluntersuchungen, die sich mit dem Nachweis dieser „An-
thropotoxine'* befaßten. Sie hatten Tiere mit konzentriertem Kondens-
wasser der Ausatmungsluft tierischer und menschlicher Individuen geimpft
und dadurch Vergiftungserscheinungen nachgewiesen. Tiere, die zur
Atmung die Exspirationsgase anderer Tiere erhielten, erkrankten nach
kurzer Zeit und gingen zugrunde. Zu ähnlichen Ansichten ist auf Grund
seiner Versuche Weichhardt gekommen (6). J. Rosenau und L. Amoß
weisen in einer Veröffentlichung (7) darauf hin, daß in der Ausatmungsluft
Stoffe organischer Natur seien, deren Ermittelung noch nicht gelang, und
die möglicherweise einen bedeutenden Einfluß auf die Gesundheit haben
könnten.
Es mag sein, daß diese organischen Stoffe vor allem es sind, die wir
unter Umständen mit unserem Geruchsorgan unangenehm empfinden,
und die ein flaches Atmen verursachen. Die mit diesen Produkten be-
ladene Luft wird landläufig als „schlechte Luft“ bezeichnet, und die
Idee liegt nahe, ihr die Gesundheitsstörungen zuzuschreiben. Doch wissen
wir alle aus Erfahrung, daß die Geruchsempfindung, auf die es hier an-
kommt, ein sehr relativer Begriff ist. Es scheint, daß unser Geruchsinn
nur auf bedeutende Differenzen reagiert und sich mit der Zeit an Gerüche
gewöhnt, die im ersten Moment starkes Ekelgefühl erzeugten. Auf die
Gerüche selber reagieren verschiedene Individuen verschieden. „Dem
einen ist das ein selten feines Gericht, was der andere nicht riechen kann“
(Flügge).
Die Ekelstoffe sind zur Hauptsache Produkte der Zersetzung auf Haut
und Schleimhäuten, schlechter Zähne, abnormaler Schweißbildung usw.
Daß ihnen jedoch eine Giftwirkung nicht zugeschrieben werden kann,
beweisen eine große Reihe sorgfältig durchgeführter Versuche, die die
Anthropotoxintheorien sachlich widerlegen. L. Paul (8) hat auf Anregung
Flügges in einem hermetisch schließenden Glaskasten Versuche mit ver-
schieden disponierten Menschen gemacht, Kinder, Erwachsenen, Gesunden
und Kranken, und kein einziges positives Resultat erzielt. L. Hill (3)
hat die Tierversuche von Brown-Séquard ebenfalls resultatlos wiederholt.
So müssen wir die Auffassung verlassen, daß die Lüftung vorzugs-
weise gegen die Folgen der chemischen Verunreinigungen zu richten sei.
Diese haben nicht die schädliche Wirkung auf den Organismus, die man
ihnen zugeschrieben hat, und die bekannte Erscheinung von Übelkeit,
von Kopfschmerz und Ohnmacht hat wohl andere Ursachen.
Hermans!) hat als erster bereits im Jahre 1883 die Vermutung aus-
gesprochen, daß die bekannten Erscheinungen eher auf den Mangel einer
1) Archiv für Hygiene 1883, Bd. 1.
4?
A Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik usw.
richtigen Wärmeökonomie des Körpers bei steigender Lufttemperatur und
Luftfeuchtigkeit zurückzuführen seien. Die ausgezeichneten Veröffent-
lichungen von Flügge (2) und seinen Schülern Heymann, L. Paul und
Ercklentz haben diese Vermutung voll zu bestätigen vermocht.
Die oben angedeuteten Versuche von Paul, wobei verschiedene Per-
sonen in einem Glaskasten von 3 m? Inhalt längere Zeit sich aufhielten,
so daß die Kastenluft praktisch nie erreichte chemische Verunreinigungen
erlitt, haben gezeigt, daß die Versuchspersonen unter keinerlei Beeinträch-
- tigungen des Wohlbefindens litten, solange die Temperatur und Feuch-
tigkeit niedrig gehalten wurden. Prüfungen der geistigen Ermüdung er-
: gaben durchaus negative Resultate.
Sobald jedoch Temperatur und Feuchtigkeit im Kasten stiegen,
fielen die Resultate anders aus. Bei 26° und mäßiger Feuchtigkeit oder
bei 21° bis 230 und hoher Feuchtigkeit begannen bei fast allen Versuchs-
personen Unbehagen, Kopfdruck, Beklemmung, Schwindel. Schulkinder
reagierten relativ wenig, am empfindlichsten waren Herzkranke. Ähnliche
Versuche hat L. Hill unternommen, über die er folgendermaßen be-
richtet: (3)
Hill ließ 7 Studenten in einem dichten Glaskasten Y, Stunde ver-
weilen. Inzwischen stieg der CO,-Gehalt auf 3% —4%, der O,-Gehalt
sank auf 16%, (normal 21%), die Temperatur des feuchten Thermometers
stieg auf 29%, die des trockenen auf 30,5% Die Studenten, die fröhlich
lachend den Kasten betraten, wurden stiller und stiller, fühlten sich all-
gemein unwohl. — Sobald jedoch ein im Kasten befindlicher Fächer-
ventilator in Bewegung gesetzt wurde, fühlten sie sich erleichtert und
verlangten sofort danach, sobald er abgestellt wurde.
Diese Versuche erinnern wohl jeden an eigene Erfahrungen, die den
geschilderten nicht unähnlich sind. In überfüllten. Versammlungsräumen
stagniert die Luft zwischen Körpern und Kleidern, wird unerträglich warm
und treibt den Schweiß aus allen Poren. Der Körper hört auf, durch Strah-
lung und Leitung Wärme der Umgebung mitzuteilen. Durch Schweiß-
bildung und Wasserverdampfung muß die Haut aktiv zur Erhaltung des
Wärmegleichgewichts beitragen. Ist dann die den Körper umgebende
Luft feucht gesättigt und fehlt eine mäßige Erneuerung, so melden sich
bald die gefürchteten Symptome, die der „schlechten Luft“ allgemein
zugeschrieben werden.
„Diese Symptome, welche in solch sog. schlechter Wohnungsluft
zur Beobachtung gelangen, beruhen also auf nichts anderem, als auf einer
gewissen Wärmestauung, und die thermischen Einflüsse der Umgebung,
die Temperatur der Luft und der Gegenstände, die Luftfeuchtigkeit und
die Luftbewegung sind allein für das Zustandekommen dieser Symptome
maßgebend“ (Flügge).
Die Anspannung des Wärmeregulierapparates wirkt in erster Linie
auf das Herz zurück. Der Pulsschlag nimmt zu, das Blut fließt in ver-
größertem Volumen zur Haut und in verkleinertem zum Hirn. Die Haut-
gefäße dehnen sich, die Venen füllen sich mit Blut, die Hauttemperatur
steigt. Die Arterien aber werden enger, es steigt der Blutdruck und das
Von Paul Weiß. 5
Herz wird durch die erhöhte Arbeitssteigerung ermüdet. Unter dieser
Ermüdung leiden besonders Herzkranke, bei denen sich die üblen Sym-
ptome sehr schnell einstellen.
Hıll bezeichnet als sekundäre Erscheinungen mangelhafter Ent-
wärmung verminderte Arbeitslust, körperlich und geistig, sowie Beein-
trächtigung des Stoffwechsels. Zugleich werden in solch feuchtwarmet
Atmosphäre alle äußern Bedingungen für die Entwicklung pathogener
Keime begünstigt, in einem Moment, wo der Körper an Widerstands-
fähigkeit einbüßt.
Diese eminenten Feststellungen geben eine unzweideutige Antwort
auf die Frage, was hygienisch unter schlechter Luft zu verstehen ist.
Nicht gegen die chemischen, sondern gegen die physikalischen Veränderun-
gen der Raumluft hat der Lüftungstechniker in erster Linie zu kämpfen,
wobei zu betonen bleibt, daß auf chemisch reine Luft sekundär auch ein
gewisses Gewicht gelegt werden darf. Hauptsache bleibt, in Versamm-
lungsräumen für eine angemessene Entwärmung der Insassen zu sorgen,
entweder durch Einhalten einer angenehmen Temperatur und Feuchtig-
keit oder, wo dies im Sommer nicht möglich sein sollte, durch Unter-
stützung der Entwärmung durch leichte Bewegung der Raumluft.
Altmeister Rietschel war der erste Techniker, der durch die Be-
gründung des Wärmemaßstabes zur Berechnung des Luftwechsels die
Konsequenzen aus diesen hygienischen Gesichtspunkten zog!).
Für den Lüftungstechniker bedeuten diese Feststellungen keineswegs
eine Erleichterung des Problems. Denn es kommt nicht mehr darauf an,
durch einen angemessenen Luftwechsel die Ausatmungsprodukte der In-
sassen quasi zu verdünnen oder auszuwaschen, wie sich Pettenk »ler
ausdrückt. Rietschel hat erkannt, daß es von großer Wichtigkeit ist,
die kühle, frische Luft jedem einzelnen so schnell wie möglich zuzuführen.
um dessen Entwärmungsbedürfnis zu unterstützen. Und wo gar die For-
derung auf Bewegung der Raumluft hinzukommt, ist mit Schwierigkeiten
zu kämpfen, die den erfahrenen Lüftungsmann sehr zaghaft und ängstlich
gemacht haben.
Es hat in den letzten Jahren an praktischen Winken tüchtiger Hy-
gieniker nicht gefehlt, die darauf hingewiesen haben, daß die Luftbewegung
im geschlossenen Raum erheblich gesteigert werden kann, ohne das Wohl-
befinden zu beeinträchtigen. Ich erinnere an die Veröffentlichungen von
Rubner (9), Lange (10) und insbesondere von Prof. Nußbaum (11).
Nußbaum bemerkt richtig, daß das von Pettenkofer berechnete
Mindestmaß eines 5fachen Luftwechsels mit der Zeit zum Normalmaß
wurde, das nicht überschritten werden dürfe. Er empfiehlt bei hoher
Raumtemperatur Steigerung der Lüftung auf das Höchstmaß, um die
Entwármung zu begünstigen. In solchen Fällen können bei normaler
Bekleidung der Rauminsassen Luftgeschwindigkeiten von 1 m/sek ge-
stattet, ja unter gewissen Bedingungen noch überschritten werden. Bet
25°C wurden z. B. 1,5 m/sek noch angenehm empfunden. Er warnt nur
1) Siehe sein Vorwort zur 4. Auflage des Leitfadens für Heizung und
Lüftung.
6 Die hygienischen Grundlagen der Lúftungstechnik usw.
vor den feinen kalten Luftstrómen, den sensiblen Luftstrómen, wie Rubner
sie nennt. Diese werden zwar durch künstliche Lüftung nicht hervor-
gerufen, sondern entstehen durch Winddruck auf Fugen und Spalten,
durch hochgradige Abkühlung der Zimmerluft an Fenstern und Außen-
wänden, durch Eindringen von Kaltluft in Räume, aus denen Luft ab-
gesaugt wird, ohne der Frischluft einen Weg zu weisen oder sie vorzu-
wärmen.
Nach meinen Beobachtungen und Erfahrungen hat die Praxis von
diesen Feststellungen nicht gebührenden Gebrauch gemacht. Weil Mittel
fehlten, durch objektive Messung in jedem Raumpunkt die Entwärmungs-
bedingungen in jeder Hinsicht und nach rein hygienischen Gesichts-
punkten zu prüfen, hat man sich auf diese Ratschläge nicht zu weit ein-
lassen dürfen. Es ist ja bekannt, daß bei Abnahmeversuchen von Lüftungs-
anlagen neben den Leistungsbedingungen der Apparatur vorzüglich auf
„Zugfreiheit‘‘ der Lüftung bedacht genommen wird. Und so wurde denn
ganz logischerweise der Lüftungsingenieur gezwungen, auf eine aufs Min-
destmaß beschränkte Luftbewegung zu achten.
Daß dadurch dem ausführenden Ingenieur Beschränkungen auferlegt
wurden, die der Entwicklung der Lüftungstechnik nur schaden konnten,
ist nicht ganz seine Schuld. Bekanntlich klagen empfindliche Personen
beim geringsten Lufthauch über „Zug“, und das Urteil.über die Lüftung
ist dann rasch gefällt. Es tut deshalb not, diesen wichtigen Fragenkomplex
einmal vom objektiv wissenschaftlichen Standpunkt aus zu beleuchten
und dem Lüftungsingenieur Unterlagen und Instrumente in die Hand zu
geben, mit denen er ein unzweideutiges Urteil zu liefern vermag über die
Güte und Zweckmäßigkeit seiner Anlage.
Bereits im Jahre 1876 hat ein Straßburger Arzt, Dr. Krieger (12),
für seine Untersuchungen über den Wärmeschutz von Kleiderstoffen ein
Instrument gebaut, bestehend aus einem wassergefiillten Kupferzylinder
von bekannter Oberflächen- und Volumengröße, mit dem er den Abküh-
lungseffekt bei Körpertemperatur des Menschen durch den meßbaren
Kalorieverlust pro Zeit- und Flächeneinheit ausdrückte. Krieger hat
auch in einer späteren Schrift (13) zu den hier besprochenen Fragen der
Schädlichkeit verdorbener Raumluft Stellung genommen und sich in
ganz ähnlicher Weise wie Flügge über das Problem geäußert.
Frankenhäuser (14) hat dann später unter dem Namen Homöo-
therm ein etwas modifiziertes Kriegersches Instrument zur Anwendung
im Dienste der Klimatologie empfohlen. (Abb. 1, a.) Das etwas plumpe
Instrument, das zweifellos bedeutende Fehlerquellen besitzt und einer
gewissen Handlichkeit entbehrt, hat sich nach Prof. Dorno (15) nicht
sehr bewährt und hat heute nur noch historisches Interesse.
Seit einigen Jahren wird besonders in England und seinen Kolonien
zu solchen hygienischen Untersuchungen ein Instrument verwendet, das
von Leonhard Hill (16) unter dem Namen Katathermometer eingeführt
wurde. (Abb. 1, b,c.) Im Prinzip verfolgt es die Idee des Kriegerschen
Instrumentes, hat jedoch den Vorzug eminenter Einfachheit und Hand-
lichkeit sowohl in seiner Konstruktion als seiner Anwendbarkeit.
Von Paul Weiß. Fi
Es ist ein einfaches Alkoholthermometer mit etwas erweitertem
zylindrischen Gefäß, dessen weite Skala die beiden Endpunkte 38°C
resp. 35°C (mittlere Körpertemperatur = 36,5°C) trägt. Ein kleines
Reservoir über dem oberen Skalenpunkt gestattet ein Erwärmen des
Thermometers über 38% ohne daß das Instrument beim Aufwärmen in
warmem Wasser Gefahr läuft, zu platzen. Beim Abkühlen von 38° auf
35° gibt das Thermometer immer dieselbe Wärmemenge an die Umgebung
ab. Die Zeit jedoch, in der dieses Herunterkühlen erfolgt, hängt ab von
den äußeren Bedingungen, von der Temperatur der Umgebung und von
Abb. 1.
der Stärke der Konvektion, der Luftbewegung. Wird das Thermometer-
gefäß mit einer feuchten Musselinehülle bedeckt, so reagiert das Instru-
ment auf alle drei Faktoren, die die Entwärmung des Körpers bedingen,
auf Temperatur, Feuchtigkeit und Luftgeschwindigkeit. Jeder Kombi-
nation dieser drei äußeren Faktoren ist ein eindeutiger ‚„Kata-Index“
zugeordnet, der definiert ist als die Wärmemenge in Grammkalorien, die
pro Zeiteinheit durch die Flächeneinheit des Alkoholgefäßes entweicht.
Der Kata-Index wird dadurch ermittelt, daß man die Instrumenten-
konstante (für jedes Instrument ca. 500), das ist die Wärmemenge in
La cal, die bei der Abkühlung von 38% auf 35% durch die Flächeneinheit
des Alkoholgefäßes entweicht (F = cal - em”? - 1000), durch die Zeit in
Sekunden dividiert, die bei Abkühlung des Instrumentes von 38° auf 35°
8 Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik usw.
verstreicht. Auf die weitere Theorie des interessanten Instrumentes wird
im folgenden Kapitel eingegangen werden.
Der Kata-Index H ist also von der Dimension H = cal - cm”? - sec)
- 1000 und charakterisiert einen Abkühlungseffekt. Der trockene Kata-
Index umfaßt die beiden Komponenten Lufttemperatur und Luftgeschwin-
digkeit in einer Größe, während der feuchte Index durch das Maß der
Verdunstung an der feuchten Musselinehülle noch die Luftfeuchtigkeit in
sich schließt.
So haben wir also mit dem Instrument die Möglichkeit, eine physi-
kalische Größe zu messen, die uns Rückschlüsse auf die Entwärmungs-
verhältnisse des Körpers zu ziehen gestattet. Haben wir durch das wissen-
schaftliche Experiment die Grenzen festgestellt, innerhalb denen der
normal bekleidete Körper einwandfrei sich zu entwärmen vermag, so
kennen wir die Beziehung zwischen dem Abkühlungseffekt des Körpers
und demjenigen des Instrumentes.
Diese Erkenntnisse kann die Lüftungstechnik sehr vorteilhaft ver-
werten. Der Hygieniker beurteilt die Güte einer Lüftungsanlage nach
den herrschenden Entwärmungsverhältnissen. Er will in erster Linie hohe
Temperaturen vermeiden; aber, wo dies nicht möglich ist, läßt er in ge-
wissen Grenzen, die im folgenden festgelegt werden sollen, eine Bewegung
der Raumluft zu. Nach meinen Beobachtungen genügen die wenigsten
Lüftungen der ersten Forderung, weil meist mit zu kleinem Luftwechsel
gelüftet wird. Hier kann mit Vorteil die zweite Forderung unterstützend
einspringen, ohne daß der Luftwechsel weiter gesteigert werden muß.
Dazu braucht es aber technische Lösungen, die es gestatten, die
Luftverhältnisse des ganzen Raumes nach diesen Gesichtspunkten zu
beeinflussen. Diese Problemstellung rückt also die technischen Fragen in
ein neues Licht, und der alte Streit, ob von unten oder von oben her besser
zu lüften sei, gewinnt neue Gesichtspunkte. Entscheidend wird aber die
Lösung sein, die es gestattet, nicht nur die Temperatur- und’ Feuchtig-
keitsverhältnisse zu beeinflußen, sondern die gesamte Bewegung der
Raumluft zu beherrschen. Es scheint mir, als ob in dieser Richtung viele
Vorteile liegen.
2. Kapitel.
Die Theorie des Kata-Thermometers.
1. Bestimmung der Konstanten F und Entwicklung der
Eichgleichung.
Das Katathermometer besitzt unten ein Abkühlungsgefäß, bestehend
aus einem 2,2 cm langen Zylinder von 1,8cm Durchmesser, von je einer
Halbkugel begrenzt. An der oberen Halbkugel ist das von 38° bis 35°C
(resp. 100° bis 95° F) graduierte Stabthermometer angeschlossen mit einer
srweiterung am oberen Ende zur Aufnahme der Alkoholflüssigkeit bei
Überwärmung über 38°.
Bei Abkühlung von 35° auf 35° ist der Wärmeverlust immer derselbe,
die Geschwindigkeit jedoch hängt ab von den atmosphärischen Bedin-
gungen. Dieser Wármeverlust, dividiert durch die Oberfläche in em?, ist
Von Paul Weiß. 9
die Konstante F des Instrumentes. F dim = cal - cm? 1000 hängt ab
von der Masse, der Gestalt und spezifischen Wärme des Gefäßes und des
Inhalts. Da Masse und Gestalt vom Glasbläser nur angenähert den oben
gegebenen Dimensionen entsprechend gemacht werden können, ist für
jedes Instrument die Konstante F durch Eichung zu bestimmen.
Nach den Gesetzen des Wärmeüberganges kann mit genügender
Genauigkeit angenommen werden, daß der Wärmeverlust F pro cm? bei
Abkühlung über den engen Temperaturbereich von 3° mit der mittleren
Temperatur ® = 36,5% bei einer Umgebungstemperatur von °, der Tem-
peraturdifferenz (P—t) sowie der Abkühlungszeit T direkt proportional
sei, also:
F=a(®—-ı)T.....2.0..641)
Dividieren wir diese Gleichung beiderseits durch T, so erscheint auf
der linken Seite der bereits definierte Kata-Index.
F
H=3=0« (0D... .... 2
Da a eine Konstante ist, bleibt H als Quotient A für alle Instrumente
derselbe, sofern die Lufttemperatur t konstant ist.
In der Doppelgleichung (2) zur Bestimmung von A sind F und a
unbekannt.
Da die. physikalische Bestimmung von a ganz erhebliche Schwierig-
keiten bereitet, haben Hill und seine Mitarbeiter es vorgezogen, für einige
Instrumente F nach rein physikalischen Gesichtspunkten zu gewinnen,
um daraus dann a zu berechnen (16a).
Die Ermittelung von F geschah nach zwei Methoden:
l. Im Elektrokalorimeter.
Das Katathermometer wurde in ein Kalorimeter gebracht und die
Wärmemenge gemessen, die zum Aufwärmen von 95° F auf 100% F durch
eine Widerstandsspule abgegeben wurde. Die Wasserwerte wurden mit
Sorgfalt bestimmt und die Strahlungsverluste berücksichtigt.
II. Durch Vergleichsversuch.
Die Abkühlungszeit des Katathermometers in ruhender Luft wurde
verglichen mit der eines Kupfergefäßes derselben Gestalt und Größe.
Die Emissionsfähigkeit des Kupfergefäßes wurde durch matten dunkeln
Firnisüberstrich der Kata-Emission gleichgemacht. Die Temperatur des
Kupfergefäßes wurde thermoelektrisch gemessen.
Sind Emission und Gestalt beider Gefäße dieselben, so wird der totale
Wärmeverlust gemessen über denselben Temperaturbereich je proportional
der Abkühlungszeit.
Ist 7, = Kühlzeit Kata (1000—959) F,
Ta = Kühlzeit Kupfer (1000—9509) F,
i Kataoberfläche,
A = Kupferoberfläche (7,04),
MAA
10 Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik usw.
h, = Katawärmeverlust,
ha = Kupferwärmeverlust m * ce © (100 — 95) - 5/, - 1000 Mi/cal,
m = Masse des Cu-Gefäßes,
Co = Spezifische Wärme des Kupfers im betreffenden Tempe-
raturbereich,
5/, = Umrechnungsquotient Fahrenheit-Celsius.
so gilt:
F
AT Ach,
Fa ha
® Tg AT:
hy har Tr _ |
ARA A
Nachdem auf diese Weise für verschiedene Instrumente F genau
bestimmt war, wurden in einem speziell konstruierten Kasten von an-
gemessener Größe (so, daß die Temperatursteigerung der Kastenluft durch
die Wärmeabgabe des Katathermometers nicht meßbar in Erscheinung
trat) und einem Wassermantel zur präzisen Einregulierung jeder ge-
wünschten Lufttemperatur, Abkühlungsmessungen T vorgenommen und
aus einer Folge solcher Messungen a = 0,27 empirisch ermittelt. .
Danach schreibt sich nun die vereinfachte Eichgleichung:
F = 0,27 (D—t)- T;
(OD — t)= 0
EOI OT es a a e ee A)
und | H=0217:-®© . . . 2 2 D
Diese fundamentalen Ergebnisse der Mitarbeiter Hills sind meinen
weiteren Untersuchungen zugrunde gelegt; danach ergibt sich die In-
strumentenkonstante F, indem man in ruhender Luft die Abkühlungszeit T
sowie die Lufttemperatur 2 mißt und das Produkt der mittleren Tempe-
raturdifferenz (36,5 —t) und der Kühlzeit T mit dem Eichfaktor 0,27
multipliziert. Anderseits erhält man den Abkühlungseffekt, den Kata-
Index, A, indem diese Konstante durch die Kühlzeit T dividiert wird.
2. Instrumenteneichung und Kata-Indexin ruhender Luft.
Die Eichung meiner Instrumente habe ich in einem Glaskasten von
30x40x40 cm vorgenommen. In Tabelle I sind die Eichresultate des-
jenigen Instrumentes zusammengestellt, das ich zu meinen sämtlichen
späteren Untersuchungen verwendet habe. Als Mittelwert der 14 Mes-
sungen resultiert eine Konstante F = 510. Die mit dieser Konstanten
berechneten Kata-Indizes in ruhender Luft sind in Abb. 2 zusammen-
gestellt.
3. Trockener Kata-Index in bewegter Luft.
Für die Abkühlung des trockenen Katathermometers in bewegter Luft
gilt die Gleichung: |
F=«(®—ı.T (6)
Von Paul Weiß. 11
tr hata-IndexH =
JO
SS Lufttemperatur —
Abb. 2.
worin:
a = Waármeiibergangskoeffizient,
® = mittlere Katatemperatur,
t =. Lufttemperatur,
= Abkühlungszeit
bedeuten.
Für viele technische Zwecke haben verschiedene Forscher (17) für a'
den empirischen Ansatz
a =a +b. . . ...... 7)
empfohlen, der, ohne die physikalischen Zusammenhänge zu offenbaren,
das Problem auf die Bestimmung der Konstanten a, b und m durch den
Versuch zurückführt.
Somit lautet Gleichung (6):
F=(a+b-vr).(®—ı-T
oder
H=(a+b-0”)- (0 — t).
womit
H H
o rod D . . . . . . e 8)
In dieser Gleichung sind a, b und der Exponent m als Konstanten zu
bestimmen.
Bringen wir a auf die linke Seite und logarithmieren die Gleichung,
so gibt:
Jgn ($ — a) =10 + migo b Ac a de 19)
Wäre a bekannt, so könnte zu jedem v der zugehörige Funktionswert
O
(6 — a) berechnet und im logarithmischen System aufgetragen werden,
wodurch bei genügender Punktzahl b als Konstante für den Spezialfall
12 Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik usw.
v= 0 und m als Tangentenwert des Neigungswinkels der Geraden
(lg b + m lg 0) ermittelt werden.
Zur Bestimmung von a führt folgende Überlegung (27):
Sind 3 Punkte X,, Yi; Xə Yo; Xz, Y durch den Versuch bestimmt,
die der Gleichung
y=aw+b:. r
genúgen, so gelten die Beziehungen:
yy — a =b. Xy
. Y — a =b. X,”
Ys — a = b. Xy”
¿cmd RR dy
Ya — a Xy"
Ya — a Xp"
Yz — a Xa"
und wenn
X, Ka
X, SS A,
Yı * Ya — Mei )
goe, 10)
Yı + Ya — Ate
Der Versuch ist somit so durchzuführen, daß Messungen hauptsäch-
lich am Anfang (z,) und am Ende (x,) des Versuchsbereiches gemacht
werden, worauf dann auf Grund der Bedingungsgleichung i Dees -2 der
f A 3
Bereich um z, durch eine Anzahl Versuchswerte festgelegt wird, um Y,
möglichst genau durch Interpolation zu ermitteln.
Zur Durchführung der Versuche benutzte ich zwei Versuchsanlagen
mit den Geschwindigkeits-Meßbereichen:
Anlage l: v = 0,15 bis 1,5 m/sek.
Anlage Il: v = 1,5 bis 18 m/sek.
Versuchsanlage I (Abb. 3).
Temperaturregulierung. Die Luft kann sowohl aus dem Freien
als aus dem Versuchsraum angesaugt werden. Ein Heizkörper H, der aus
drei elektrisch geheizten Stäben besteht, erlaubt durch zweckmäßiges
Parallel- resp. Hintereinanderschalten einerseits, sowie durch einen Regu-
lierwiderstand IV anderseits ein weitgehendes Regulieren der Lufttem-
peratur. Spannung 220 V. Stromstärke bis 30 A.
Geschwindigkeitsregulierung. Der Ventilator ist mit einem
Gleichstrommotor direkt gekuppelt. Zwei dem Motor vorgeschaltete
Regulierwiderstände gestatten, jede beliebige Tourenzahl und damit jede
beliebige Luftgeschwindigkeit zwischen 0,15 bis 1,5 m/sek im Querschnitt
des Versuchsrohres A einzuregulieren.
Von Paul Weiß. 13
Feuchtigkeitsregulierung. Dadurch, daß die Luft sowohl aus
dem Freien als aus dem Versuchsraum gesaugt werden kann, ist bei kalter
Witterung eine weitgehende Feuchtigkeitsregulierung möglich. Die an-
gesaugte kalte Außenluft wird hochgeheizt und dadurch getrocknet.
Durch ein Dampfrohr kann nun so viel Dampf dieser Luft beigemischt
werden, als zur Erzeugung einer gewünschten Feuchtigkeit nötig ist.
Temperaturmessung. Die Haupttemperatur wird im Querschnitt II
gemessen, der ca. 25 cm vor dem Querschnitt I liegt, in dem die Kata-
messungen gemacht werden. Das Quecksilbergefäß des Thermometers
N Bez, EN,
Dn, Ze
d WI
N
N
$
EA
i | l
S Ai N aan A.
vE ai
liegt ungefähr im selben Stromfaden wie das Katagefäß. Zwei Kontroll-
meßstellen liegen im Querschnitt I resp. im Druckstutzen des Ventilators.
Das Versuchsrohr A ist gegen Wärmeabgabe mit dicken Filzbelägen isoliert.
Sämtliche Thermometer sind von der Phys.-Techn. Reichsanstalt geprüft.
Feuchtigkeitsmessung. Die Feuchtigkeit wird mit einem ge-
prüften Aßmannschen Psychrometer im Querschnitt III gemessen.
Geschwindigkeitsmessung. Da Geschwindigkeiten zwischen 0,15
bis 1,5 m/sek nicht oder ungenau mit dem Staurohr zu messen sind, ist
nach dem Ventilator ein Rohr von bedeutend engerem Durchmesser als
14 Die hygienischen Grundlagen der Lúftungstechnik usw.
das Versuchsrohr eingebaut. Zwischen Reduktionsstutzen und engem Rohr
sorgt ein doppelter Drahtsiebwiderstand b fiir Egalisierung der turbu-
lenten Strómung. Um die Strómung im Versuchsrohr zu richten, sind
Gleichrichtungsróhren a und dahinter Drahtsiebe b eingebaut. Die Quer-
schnittsverhältnisse von engem Rohr zu weitem Rohr sind so, daß den
Geschwindigkeiten von 0,15 bis 1,5 m/sek solche von ca. 1 bis 10 m/sek
entsprechen.
Enges Rohr 0, = 67 mm = d
Versuchsrohr ®, = 180 mm = /)
Nach der Kontinuitätsgleichung gilt:
i fev =F. V
0,0672
K er O= On
Versuchsanlage II.
Die Versuchsanstalt für Heizung und Lüftung der Technischen Hoch-
schule Charlottenburg besitzt eine technisch musterhaft ausgerüstete
stationäre Versuchsanlage, mit der in einem Rohr von 80 cm Durchm.
Windgeschwindigkeiten von 1 bis 18 m/sek bei gleichzeitiger Regulierung
der Temperaturverhältnisse erzielt werden können. Die Anlage besteht
aus den folgenden Hauptelementen:
1. Einem Doppelradventilator, direkt gekuppelt mit Gleichstrom-
motor,
2. einem Umformeraggregat zur Transformation des Erregerstromes
des Triebmotors,
3. aus 4 eingebauten dampfgeheizten Luftröhrenkesseln zur Er-
wärmung der aus der Filterkammer angesaugten Luft.
Gleichrichter Messingnetz
Abb. 4.
Der Querschnitt der Rohrbündel kann durch Schieber nach Bedürfnis
teilweise oder völlig freigelegt werden. Zur Erzielung einer gleichmäßigen
Luftbewegung sind in der Rohrleitung Gleichrichtungsröhren und Messing-
netze eingebaut (Abh. 4).
Die Katamessungen sowie Temperaturmessungen wurden im Quer-
schnitt I, Geschwindigkeitsmessungen im Querschnitt II gemacht. Die
Staurohröffnung lag im selben Stromfaden wie das Katathermometer.
Von Paul Weiß. 45
Die Messungen an diesen Versuchseinrichtungen wurden jeweils erst
gemacht, wenn vollständiger Beharrungszustand insbesondere der Tem-
peraturverhältnisse herrschte. Es sei hier besonders hervorgehoben, daß
Geschwindigkeitsschwankungen einzig an der Anlage I in der Gegend
von 1 m/sek beobachtet wurden, daß alle andern Mikromanometerable-
sungen im Beharrungszustand gemacht werden konnten.
Die Eichung des Mikromanometers ergab für die drei Stellungen der
Kapillare bei (LAN 3%, 5% folgende Eichfaktoren:
y
SCH GO2 003 00% 005 QOG Im JE
aa elers
Abb. 5.
10g Petr _
n 2QgPetr+nan 2 = ce Nullstellung
10, 20. A
1 a ==
1%, 41,5 171,5 130 10 15071 ~ 0,0196 no = 161
a en 123 on 19:20:% 00005 m= 61
127,0 187 60 102.60. ap
10 . 20.4
0 — See —
9% 60 96 36 10° 36. 0,071 no 23
Die zu diesen Stellungen der Kapillare berechneten RL c
sind in Abb. 5 zusammengestellt.
Wird am Mikromanometer ein Ausschlag An beobachtet, so berechnet
sich daraus v wie bekannt:
C- AR = Payn = mm WS = kg m”?
R = Päyn y = y Payn _ pote pet.
Abb. 6 gibt dazu für die drei Kapillarenstellungen die Yp-Werte und
Abb. 7 den Faktor d
Tabelle II (Anhang) enthält sämtliche Messungen ny, n, t, T und die
Berechnungen der Geschwindigkeiten V, Kata-Indexe H und der g Werte.
16 Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik usw.
Abb. 8 gibt eine graphische Übersicht über die Lage dieser Punkte,
H
indem O als Funktion von v aufgetragen ist.
5°
ee El E DEE
SSTT Vleded) ž 7 WA
| y Gene DE Gg
185
I IH Tell Y A |
IVl led TE 7
El EA
g
S
N
(EEREIUNERF
KEE
IAE
n- Mikromanometer ausschla
Q1 02 03 Q4 05 Gë 07 Ge 1
Abb. 6.
Zur Ermittelung von a werden nun zwei möglichst extreme Punkte
gewählt und X, und Y, wie folgt berechnet:
X, = 0,195 A, 7,18
Y, = 0,356 Ye == 1,92
a
Xo Se X3
Xa = YX, X =}0,19 - 7,78 = 1,23
Y, = durch Interpolation = 0,69
Yi: AO 0,356 - 1,52 — 0,69?
LY, + Y,-2Y, 0,356 + 1,52 — 2. 0,69 EE
Von Paul Weiß. 17
| 0 1 2 3
v-Luftgeschwindigkeit in "ls
Abb. 8.
Indem wir die Werte (H/O— a) als Funktion von v im logarithmischen
System auftragen (Abb. 9), erhalten wir die Gerade
Jon (4/0 — a) = lgn b + m lgn v
und somit
= 0,49
m = 0,50
Die endgültige Gleichung zur Berechnung des Abkühlungseffektes
des trockenen Katathermometers in bewegter Luft erhält somit die Form:
H = (0,14 + 0,49 Yo) (365— 1) . . . . . 41)
de e SE E LO AAA A E EA A O
e Hr A
$ IO A A AAA
oal KKK a a TER? E 2% 44
A ES TAO LA ds OS
EE rE
06
. Se E
45
o
e HERA AE ZAG HHE
IE ge Log DE ni (e, 25 T E a
stil MEA HERE
| TTT HA
Ea 11-4 ES HHHH
Pe A EA
Zei: I HE ERT Ges Eeer ege SS
) o RS PRS a ed Be
ar | 02 025 03 03504 1. 05 06 0708091 12 1416182 25 3 354455 6 7 8
Abb. 9.
Archiv f. Hygiene. Bd. 96. 2
18 Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik usw.
Deg E = 0,14 + 0,49 fo . e de de a GE
Abb. 10 gibt H/O nach Gleichung (18) in Funktion von yo.
Vergleichen wir dieses Resultat mit demjenigen der Mitarbeiter Hills,
so finden wir nach zwei Richtungen abweichende Ergebnisse.
Hill stellt Gleichung (8) für zwei Meßbereiche auf:
für Geschwindigkeiten über 1 m/sek:
H
g (0,13 + 0,47 Yo) ar Zei. RN
für Geschwindigkeiten bis 1 m/sek:
Z = (0,20 + 0.40 Yo) gp echt Ae EE
U: UE EE GE: TER e, ër WE 2D. Le 20 26 28 3
W - Wurzelaus Geschwind) ¡gkelt N
Abb. 10.
Hills Mitarbeiter haben Gleichung (13) nach áhnlichen Methoden
gewonnen wie hier Gleichung (12). Die Katamessungen wurden in einem
Luftstrom gemacht, der in Kanálen von quadratischem Querschnitt von
7, 4 resp. 3 englischen Fuß Seitenlánge erzeugt wurde. 2 Kanäle waren aus
Holz, der 4 englische Fuß breite aus Blech. Die Geschwindigkeiten wurden
mit Staurohr gemessen.
Die Abweichung der beiden Gleichungen in den Absolutwerten der
Konstanten habe ich auf den Eichfaktor F zurückgeführt. Denn wird
Gleichung (12) durch 1,04 dividiert, so ergibt dies:
H d
SE 0,134 + 0,47 yo
Wäre F statt 510 etwa 490, so würden die beiden Gleichungen (12)
und (13) identisch. Leider sind die Messungen der Engländer nicht näher
Von Paul Weiß. 19
zu kontrollieren, da über die Geschwindigkeitsmessungen keine Daten
vorliegen. Ebenso fehlen die genauen Eichdaten der Kata-Instrumente,
die zu diesen Messungen Verwendung fanden.
Ich habe meine Eichung streng nach den Gesichtspunkten der Eng-
lánder, die ohne Zweifel richtig sind, vorgenommen, und bin trotz allen
Bemühungen immer wieder auf die Konstante 510 gekommen. Dabei
habe ich besonders auf die Strahlungseinflüsse, die in ruhender Luft eine
erste Rolle spielen und auf die vorliegenden Abweichungen sicher von
Einfluß sind, ein großes Gewicht gelegt. Weitere Versuche mit anderen
Instrumenten bestätigten die Übereinstimmung der Eichwerte mit den
beiden Gleichungen (5) und (12).
In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, daß Eichungen
in ruhender Luft nicht immer zuverlässig sind. Einerseits spielen die
- Umstände, unter denen die Strahlung vor sich geht, eine bedeutende Rolle
(beträgt doch der Anteil der Strahlung am Wärmeverlust in ruhender
Luft ca. 50%,) und anderseits kann die geringste Luftbewegung das Re-
sultat beeinflussen. Weiters ist es nicht ganz einfach, das Thermometer,
das die Temperatur der Umgebung mißt, vor den Wärmestrahlen des
Katathermometers zu schützen, so daß auch dadurch (zwar allerdings
nur geringe) Fehler entstehen können. Ich möchte deshalb hier den Vor-
schlag machen, die Eichung in einem Luftstrom von ca. 0,8 m/sek und
18°C zu machen, da bei dieser Konvektion Abweichungen der Strahlungs-
bedingungen kaum meßbar in Erscheinung treten können, und anderseits
die Abkühlung langsam genug vor sich geht, um die Zeiten genau zu messen.
Von einschneidender Bedeutung ist die zweite Abweichung von Hills
Resultaten. Die vorliegenden Versuche bestätigen meine Vermutung, daß `
die Abkühlung auch im zweiten Meßbereich von 0,15 bis 1 m/sek dem
Gesetz für den hohen Meßbereich genügt. Es ist kein Grund für eine Än-
derung der Gesetzmäßigkeit vorhanden. Die Abweichung, die die Mit-
arbeiter Hills gefunden haben, ist wohl ihrer Versuchsanordnung zuzu-
schreiben, indem die Messungen im niederen Meßbereich so vorgenommen
werden, daß das Katathermometer mit einer bestimmten Geschwindigkeit
kreisförmig durch ruhende Luft geführt wird. Die Berücksichtignng des
bei der Rotation entstehenden Wirbels kann nicht in befriedigender Weise
erfolgen, besonders aber nicht in der Art, wie es geschehen ist. Das Messen
der Geschwindigkeit verschiedener Wirbelstromfäden, indem die Beein-
flussung eines stationären möglichst im Wirbel liegenden Katathermometers
untersucht wird, um daraus die Gechwindigkeit des Wirbelkerns zu inter-
polieren, kann deshalb nicht genügen, weil bei jedem Vorbeipassieren des
rotierenden Instrumentes ein zusätzlicher Wirbel um das stationäre ent-
stehen muß. Die interpolierte Wirbelgeschwindigkeit wird dadurch zu
groß, zudem glaube ich, daß bei kleinen Geschwindigkeiten eine genaue
Korrektur kaum möglich ist. Denn es ist zu beachten, daß nicht nur eine
Rotation der Umluft, sondern ein gleichzeitiger Auftrieb infolge Erwär-
mung durch das Thermometer erfolgt. Bei kleinen Geschwindigkeiten fällt
diese Auftriebskomponente schon entscheidend ins Gewicht und stört
deshalb die Voraussetzungen. Auf alle Fälle sind Geschwindigkeitsreduk-
tionen von 6%, bis 9%, etwas hohe Schätzungen.
9k
20 Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik usw.
Auf Grund dieser Erwägungen und Resultate kann der Bereich der
Gleichung (12) in die Grenzen von 0,2 bis z m/sek gelegt werden.
Die Abhängigkeit des trockenen Kata-Index vom Luftdruck.
Zu der Entwicklung von Gleichung (12) ist zu bemerken, daß die Ab-
hängigkeit o von y nicht genügend berücksichtigt wird, indem y eine Funk-
tion nicht nur der Temperatur, sondern auch des Druckes ist. Die Glei-
chung hat deshalb nur innerhalb einer bestimmten Barometergrenze voll
Geltung und muß zum Gebrauch in anderen Höhenlagen eine Korrektur
erfahren.
O. W. Griffith hat deshalb zur Berechnung dieser Korrektur eine
Gleichung abgeleitet (16a), wonach
m=% (14 e cese 2
gelten soll. |
Danach sind für die verschiedenen Höhen
-miM. =0 600 1500 3100
oder Barometerdruck mm Hg = 762 706 632 500
die Korrekturen 1 + Il — 10 0,96 0,91 0,84
anzubringen, damit Gleichung (18) allgemeine Gültigkeit erhält.
4. Feuchter Kata-Index in bewegter Luft.
Verschiedene Experimente, wie sie Hill anführt (16a) und die ich
bestätigen konnte, zeigen, daß das trockene Katathermometer auf die
Feuchtigkeit nicht meßbar reagiert. Damit fällt seine Bedeutung als
Vergleichsindex zur Charakterisierung der Entwärmungsbedingungen des
Körpers dahin, sobald die Feuchtigkeit in dieser Hinsicht eine Rolle zu
spielen beginnt. Dies ist in der Regel der Fall, wenn die Haut fühlbar
feucht wird; wenn also die Verdunstung die Entwärmung in erheblichem
Maße zu unterstützen hat. Speziell für diese Zwecke ist nun der feuchte
Kata-Index geschaffen, der dadurch gemessen wird, daß die Instrumenten-
konstante F durch die Kühlzeit des mit einer feuchten Musselinhülle um-
gebenen Katagefäßes dividiert wird. Das Instrument verliert nun seine
Wärme durch Strahlung, Leitung, Konvektion und Verdampfung. Dieser
Wärmeverlust wird eine Funktion der Lufttemperatur, -Geschwindigkeit
und -Feuchtigkeit sein, oder kurz, wie ich vermute, eine Funktion der
Luftgeschwindigkeit v und des Gesamtwärmeinhaltes : der Umgebungsluft.
Der Wärmeinhalt z ist diejenige Zustandsgröße, die von allen andern
Zustandsgrößen der feuchten Umgebungsluft abhängt und diese in sich
vereinigt.
Die Wärmeabgabe wird nun nicht mehr lediglich durch die fühlbare
Wärme, die sich in der absoluten Höhe der Temperatur ausdrückt, bedingt,
sondern sie wird wahrscheinlich in einem bestimmten funktionellen Zu-
sammenhang zum Gesamtwärmeinhalt : stehen, der sich darstellt als
Summe der fühlbaren und latenten Wärme in Luft und Dampf.
Von Paul WeiB. 21
Es liegt deshalb die Vermutung nahe, daß der Gesamtwármeinhalt
für den Wärmeübergang des feuchten Katathermometers eine analoge
Rolle spielt, wie die Temperatur für den Wärmeverlust des trockenen
Instrumentes. Dies kommt in Gleichung (16) sehr einfach folgendermaßen
zum Ausdruck:
ER E EE re ve + AO)
T,
worin:
H' = feuchter Kata-Index,
T, = Abkühlungszeit des feuchten Katathermometer,
v = Luftgeschwindigkeit,
ly = Gesamtwärmeinhalt der gesättigten Luft bei der Temperatur
36,5% bezogen auf 1 kg trockene Luft, l
i = absoluter Gesamtwärmeinhalt der Umgebungsluft bezogen
auf 1 kg trockene Luft.
Zur Bestimmung der Konstanten a, b und n wurden an den beiden
beschriebenen Versuchsanlagen eine Großzahl von Messungen gemacht,
die in den Tabellen III und IV (Anhang) zusammengestellt sind.
Abb. 11 gibt einen Überblick über die Messungen, die speziell an der
e
pe
ln
IA
q1 02 03 04 05 46 07 Gë 09 10 11 12 13 14 15
Luftgeschwindigkeit vin ”%
Abb. 11.
Versuchsanlage I gemacht wurden, und Abb. 12 über die des ganzen
Versuchsbereiches.
Die Ermittlung eines solchen Kurvenpunktes geschieht wie folgt:
An der Versuchsanlage wird, sobald Beharrungszustand in bezug auf
Geschwindigkeit, Temperatur und Feuchtigkeit sich einstellt, eine Kata-
messung T, gemacht. Die zugehörigen Messungen am Mikromanometer n,
am Thermometer ¿ und am Aßmannschen Psychrometer t, t; werden
22 Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik usw.
während der Abkühlung des Katathermometers gemacht (sofern die Ab-
kühlungszeit nicht zu kurz) und nur notiert, wenn über die Meßzeit keine
Veränderung irgendeines Instrumentwertes eintritt.
0
ZS, Luftgeschwindigkeit vin”%
Abb. 12.
Aus n und ny wird die Geschwindigkeit, aus 2 und Aen die absolute und
relative Feuchtigkeit, sowie der Wärmeinhalt ¿ wie folgt berechnet:
== 0,5 ees Y ER mm ze 2 "Er
worin:
f = absolute Dampfspannung in mm Hg,
f = der ť entsprechende Sättigungsdruck in mm Hg,
b = Barometerstand in mm Hg,
t = trockene Temperatur,
t = feuchte Temperatur.
b
Zur Berechnung des Gliedes ff = 0,5- 755
daß während der fraglichen Versuchstage vom 5. bis 18. Dezember 1923
die meteorologische Anstalt in Berlin folgende Barometerdrücke notiert:
(1 — 1) ist zu bemerken,
Luftdruckbeobachtungen auf 0% und Normalschwere reduziert.
Seehöhe des Barometers = 57,8 m.
Zeitangabe nach mittlerer Ortszeit.
Dezember 1923.
qe 2P Um 7a 2P Un
D TARO 746,1 74718 12. 769,3 767,4 767,4
By. 502. DS 65 13. -66,0 646 09,4
de 569: 568° 57,9 ké 613 672 652
8. 56,1 541 53,8 15. 573 556 56,9
9. 529 525 545 16. 57,9 563 48,4
10. 593 61,8 67 17. 486 523 452
11. 685 68,7 70,3 18. 498 478 486,6
Von Paul Weiß. 23
Die Hauptversuche wurden gemacht am 6., 7., 8. Dezember sowie in
der Woche vom 10. bis 16. Für diese Versuchstage 'weicht der Barometer-
stand von 755 mm Hg nur unbedeutend ab. Für die größte Abweichung
am 12. Dezember wurde f* genau berechnet und die sich ergebenden
H'
33 —
korrektur verglichen (siehe Tabelle IV, Rubriken — , H'*). Die Ab-
weichungen übersteigen 1% nie und liegen meist im Bereich von 0,5%.
Somit kann für den vorliegenden Fall mit der angenäherten Methode
genügend genau gerechnet werden.
Ist die absolute Dampfspannung nach Gleichung (17) berechnet, so
gewinnt man ¿ aus folgenden Überlegungen: |
i = a tei ...... . 18)
worin x die in 1 kg Luft (trocken) enthaltene Dampfmenge und G deren
Wärmeinhalt bedeuten.
Cp * t stellt den Anteil an fühlbarer Wärme,
x'ia den Anteil an latenter Wärme dar.
Die Dampfmenge x = G; errechnet sich wie folgt:
Ist b = Gemischdruck,
V = Gemischvolumen,
`f = Partialdruck des Wasserdampfes,
F = Sättigungsdruck des Dampfes bei o,
z- Werte mit denen der angenäherten Methode ohne Barometer-
so gilt, wenn t- q = relative Feuchtigkeit,
für Luft:
(b— q: F) V = 2,153 G, : T,
für Dampf:
p: F- V = 3,46 G¿: T.
Da x = D die in 1 kg Luft enthaltene Dampfmenge, so gilt:
2153 pF ` f
Denen
und somit der Wärmeinhalt, bezogen auf 0°C:
i = cp + t + 0,622 L
L
EZ
Ge: t + 0,622 y (0,451: — 595) . 19)
Nach Mollier (Z. d. V. d. I. 1923) kann diese Gleichung graphisch
dargestellt werden. Kurvenblatt I gibt diese Darstellung für unseren
Versuchsbereich.
a ; H’
Ist ¿ dieser Tafel entnommen und der Quotient 35; berechnet, so
ermitteln wir die Konstante a der Gleichung 24 wie früher gezeigt wurde.
24 Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik usw.
EN RT ee CS A
e E SE SH TH
— ER, | E E =
AE: IDA Ze N
85 GA A
d PAI 2 HH
75 EQ LY HIT
E MAGO!
NE
VAN) AX)
7 Wan SA (ALA CA AC KG RE 5% WW
OË, I a NN
PR, d ER SS w
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SA
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DL
asi ¿080 BE BE
D E 7 HE | sa
gu
25 HORN
IO
2
A D 2
xgr rr Wasserbez auf ho Si E
760 "mn Barometer
Kurvenblatt I.
H | f
Lalin g ai erer A A N
u
ign (57 — a) = Ign b + n Ign v un os A
e ee A
Yo Y, eg SE
X, = 0,195 X; = 7,5 X, = YX, X, = 1,21
ı = 0,84 Y, = 2,94 Y, = 1,53
a= 018
a ==
Von Paul Weiß. 25
Werden die Punkte von Gleichung (20) im logarithmischen System
aufgetragen, so liegen sie auf einer Geraden von der Form
lgn (y) =lgnb + n-lgnv. . . . . . 22)
worin
b laut Abb. 13 = 1,24,
n laut Abb. 13 = 0,4.
18 ORI
RES e DE EES RG A ER
5 EE SU YE Y E E EEE
EES RE SS
Soll E
A DE SS E E
98 EEE |
IECH
Sie
BE EN LE
05
0160802 025 03 035 NE 06 0798
donk
Mit diesen Konstanten a, b und n schreibt sich nun die Gleichung (16)
für das feuchte Katathermometer:
H’ = (0,18 + 1,24 00%) (330). . . . . 2)
Diese Gleichung läßt sich in übersichtlicher Weise graphisch dar-
stellen, indem H’ in Funktion von ¿į mit w als Parameter aufgezeichnet
wird.
Abb. 14 erlaubt — in gewissen Grenzen der Genauigkeit, die aber
für praktische Untersuchungen des Lüftungstechnikers genügen — einer-
seits Bestimmung des Wärmeinhaltes der Raumluft aus dem trockenen
und feuchten Index (/7’, v) resp. die Ermittlung der Luftgeschwindigkeit,
wenn z und H’ bekannt sind.
Beispiel: T= 32 Sek. T,= 14,4 Sek.
PERO" sach DES
Aus Abb. 10 v = 0,6 m/sek H’ = 35,4
Aus Abb. 14 ı = 3,8 und aus Tafel I y = 75%.
5. Feuchter Kata-Index in ruhender Luft.
Nachdem die Vermutung, daß der feuchte Kata-Index in bewegter
Luft dem „physiologischen Wármedefizit** (1, — i) proportional sei, wo-
bei der Proportionalitätsfaktor seinerseits eine Potenzfunktion der Ge-
schwindigkeit bedeutet, sich begründen ließ, mag mit einiger Berechtigung
26 Die hygienischen Grundlagen der Lúftungstechnik usw.
ò
LA
Q
H= Feucht
r Kata Index
O e
El
e
d
Q
ES ENEE 15 20
i- wWarmeinhalt der Luft bez. auf 1ko trockeneLuft.
Abb. 14.
der weitere Schritt getan werden und die zur Gleichung (5) für trockenen
Kata-Index in ruhender Luft analoge Gleichung
N EME VE a a A e
aufgestellt werden.
Die in Tabelle V und Abb. 15 zusammengestellten Messungen lassen
trotz aller Schwierigkeiten, die besonders das Messen der Luftfeuchtigkeit
Feuchter Kata-Index inruhender Luft Re
e?
Ae J
N =0634! Ze
2 Zë aer
y y
So Pr
N |
O
$
25
Ç
2
Von Paul Weiß. FAR
der Umgebungsluft des Katathermometers, ohne diese Luft in Bewegung
zu bringen, bereitet, eine Gesetzmäßigkeit in der vermuteten Richtung
erkennen. Danach ergibt sich:
o” = 0,53
A E we be e 32
6. Vergleich mit den Resultaten der Mitarbeiter Hills.
Die entsprechenden Gleichungen der Mitarbeiter. Hills zu den hier
für das feuchte Katathermometer entwickelten Gleichungen lauten:
a) für SESEe? Luft:
v über 1 m/s H =(0,1 +11 f) O . dt 26)
v bis 1 m/s H’ = (0,35 + 0,85 /0) 0 . . . 27)
worin © = 36,5 — t, die Temperaturdifferenz zwischen Katathermometer
und feuchtem Luftthermometer bedeutet.
b) für ruhende Luft:
H—-H=005(F—-N43 s . . . . 28)
worin: H = trockener Kata-Index,
F = Sättigungsdampfdruck bei 36,50,
f = absoluter Dampfdruck
bedeuten.
Die Gleichungen unter a) versuchen, den feuchten Kata-Index mit
der Temperatur des feuchten Luftthermometers in Beziehung zu bringen.
ye Q7 02 03 04 05 96 07 08 09 10 31 12 13 14 15
Geschwindigkeit v in "4.
Abb. 16.
Doch haben meine Messungen, wie Abb. 16 zeigt, eine Gesetzmäßig-
keit in dieser Hinsicht nicht bestätigen können. Die Streuung der Punkte,
die nach den Gleichungen unter a) berechnet werden, ist besonders für
Extremwerte groß; so ergibt z. B. eine Messung bei t = 37,7% und t; = 34,7%
ein T, = 146” bei v = 0,46 m/s.
28 Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik usw.
Nach Gleichung (23) ergibt (H’/33 — 1) — 4,10
und durch Rechnung aus obigen Werten = 1,03
Nach Gleichung (30) hingegen ist Hie = 0,35 + 0,85 Y0,46
= 1,006
während durch Rechnung ein HO" = 1,9
also ein Fehler von ca. 100%, entsteht.
Der genaue Zusammenhang der einzelnen physikalischen Faktoren
und das Maß ihrer Beteiligung an der Entwärmung ist von äußerst ver-
wickelter Natur. Es existieren in der Literatur über dieses Problem der
Abkühlung eines feuchten Körpers in bewegter Luft nur spärliche An-
` gaben. Den wahren Verhältnissen kommt m. E. der von v. Bezold
geprägte Begriff der Äquivalenztemperatur (18), der auch durch Prof.
Linke unter dem Namen Prött-Temperatur eingeführt wurde (19), am
nächsten. Denkt man sich die latente Wärme durch Kondensation des
Wasserdampfes frei geworden und zur Erwärmung der Luft verwandt,
so ergibt sich mit diesem Zuwachs zur tatsächlichen Lufttemperatyr die
Äquivalenztemperatur. Auf den physikalischen Wert dieses neuen Be-
griffes hat die Meteorologie schon längst hingewiesen, und in seiner Disser-
tation hat W. Knoche (20) festgestellt, daß die Verdunstung der Dif-
ferenz zwischen äquivalenter Maximaltemperatur und Äquivalenztem-
peratur annähernd proportional sei . (Für unseren Fall ist die äquivalente
Maximaltemperatur die, die der feuchtgesättigten Luft von 36,5% ent-
spricht.) Daß diese Temperaturdifferenz dieser Äquivalenztemperaturen
mit dem Wärmefluß aus dem Katathermometer in einer physikalischen
Beziehung steht, leuchtet eher ein, als die Darstellung von Gleichung (23),
die den Wärmeverlust mit dem Wärmeinhalt in Zusammenhang bringt.
Tatsächlich ist die Äquivalenztemperatur dem Wärmeinhalt direkt pro-
portional, indem des g ee 29)
D
Wird námlich Gleichung (18) a Cp dividiert, so entsteht:
SE a E po es y 30)
Cp
was eine Temperatur bedeutet.
Setzen wir für x und z¿ die oben gegebenen Ausdrücke, so wird, wenn
c, = 0,239 lili
z ? 5 BL
nee g 6B tun, . - 20
Geste (022 (595 + 0,46 d e
E 0,239 (b — f)
0 2,10 2,07 2,05 2,02 4,60
10 2,14 2,11 2,08 2,05 9,16
20 2,18 2,15 2,12 2,09 17,39
30 2,23 2,20 2,23 2,14 31,55
36,5 2,29 2,26 2,23 2,20 45,4
Von Paul WeiB. | 29
Diese kleine Tabelle gibt eine Übersicht über den Wert des Faktors
von f und zeigt, daß dieser nur geringen Schwankungen unterworfen ist.
Für rohe Rechnung kann annähernd gesetzt werden:
Asta e a 2.2 2. 82)
Da weiter:
b :
¡=P —05 z 49) Ae, ie 189)
so gilt:
A=1+21f—21:.05.575(—t) . . . . 34)
und wenn
b [4 €
2,1 055 > GC kend est |
A =ť 2.2: a a "og 35)
somit
i = c(t + 2,1 f)
lo = Cp (36,5 + 2,1 + 45,4) ~ 33
ly — i =33—C, t +2,1 f)
= Cp (36,5 — 1) + 2,1 c, (45,4 — f')
Dies in Gleichung (16) eingesetzt, ergibt:
H' = (a + b- vr). c,-[(36,5 — 1) +21(45,4—f)] . . 36)
Gleichung (36) zeigt, daß H’ als Funktion von t' und f sich darstellen
läßt, wenn meine und die Feststellungen von W. Knoche richtig sind.
f ist zwar selber eine Funktion von t', aber keine lineare, wie das in den
Gleichungen (26) und (27) stillschweigend vorausgesetzt wurde.
7) Das Kata-Thermometer als Mebinstrument.
Über die praktischen Konsequenzen, die sich aus diesen rein empiri-
schen Gleichungen folgern lassen, sei noch ein Wort gesprochen.
Als reines Meßinstrument für die Lüftungstechnik wird das trockene
Katathermometer von grundlegender Bedeutung. Bis heute besitzen wir
kein Instrument, von solcher Einfachheit, das feine, beliebig gerichtete
Luftströme zu messen gestattet. Die feine Zugluft, die unter Umständen
0,25 m/sek nicht zu übersteigen braucht, war nur mit den Hautnerven
zu konstatieren. Aber gerade diese Zugerscheinungen, von denen man
weiter nichts weiß, als daß sie existieren und daß sie unangenehm und
möglicherweise gesundheitsschädlich sind, sind der eigentliche Feind des
konstruierenden Ingenieurs. Eine Katamessung, gleichzeitig verbunden
mit einer Temperaturmessung, gibt darüber Aufschluß, wie groß diese
Zuggeschwindigkeit v ist und überdies, wie wir später sehen werden, dar-
über, ob dieser Zug auf den Körper eine schädigende Wirkung ausübt.
Aus der großen Zahl der Versuche, die ich mit dem Instrument zu
machen Gelegenheit hatte, habe ich mich über dessen Brauchbarkeit in
dieser Hinsicht voll überzeugt. Wird die Messung der Abkühlungszeit 7
mit einer Stoppuhr auf !/,” sek. genau gemacht; wird das Instrument so
aufgehängt, daß es nicht pendelt, und die Temperatur mit einem zuver-
30 Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik usw.
lässig geeichten Thermometer auf 1/1? genau gemessen, so erlaubt der
daraus zu errechnende Kata-Index sehr genau die Bestimmung der Luft-
geschwindigkeit und die Einschätzung des Abkühlungseffektes nach der
Gleichung
H — (0,14 + 0,49 Yo) (36,5 — 1)
3. Kapitel.
Kata-Thermometrische Untersuehungen über die Entwärmung des mensch-
lichen Körpers unter verschiedenen atmosphärischen Bedingungen.
1. Die Wärmeproduktion und Regulation des Körpers in
ihrer Beziehung zu den atmosphärischen Verhältnissen.
Die Bluttemperatur des gesunden Menschen beträgt rund 37° und
schwankt, falls keine Gesundheitsstörungen vorliegen, unter dem Einfluß
äußerer Temperaturverhältnisse nur um wenige Zehntelgrade. Die Körper-
temperatur, durch das Blut nach dem Prinzip einer Zentralpumpenheizung
konstant gehalten, ist der einzige Fixpunkt bei dem komplizierten Vor-
gang, den die Wärmeökonomie unseres Körpers zur Folge hat. Daraus
folgt unmittelbar, daß der menschliche Körper die Fähigkeit hat, die
durch die energetische Umsetzung in unseren Organen, insbesondere bei
der Tätigkeit der Muskulatur entstehende freie Wärme abzuführen. Dies
geschieht zur Hauptsache durch Lunge und Haut vermittelst Wärme-
leitung, Wärmestrahlung und Wasserverdampfung.
Das Problem der Wärmeökonomie unseres Körpers — und desjenigen
sämtlicher Warmblüter — bringt eine stattliche Anzahl variabler Fak-
toren miteinander in Beziehung. Den Vorgängen im Körper stehen gegen-
über die äußeren atmosphärischen Bedingungen und eine in ihrer Funktion
ans Wunderbare grenzende Wärmeregulation besorgt die Anpassung der
inneren Verhältnisse an die äußeren. Zwei Sphären, die klimatische äußere
und die physiologische innere, die nebeneinander sich bilden, werden
durch diese Regulation miteinander so in Beziehung gebracht, daß dieser
Fixpunkt, diese konstante Körpertemperatur resultiert.
Die ganz unabhängige Sphäre ist die klimatische, bedingt durch
Temperatur, Feuchtigkeit und Bewegung der Umgebungsluft. Soweit es
die Wärmeregulation gestattet, ist die innere, die physiologische Sphäre
von der äußern ebenfalls unabhängig. D. h. der Körper darf durch for-
cierte Arbeit Wärme erzeugen, soviel er will und vermag, solange der
Wärmeüberschuß an die Umgebung abgeleitet werden kann. Die Wärme-
regulation besteht zur Hauptsache darin, daß wärmeempfindende Nerven
die Blutgefäßmuskeln der Hautgefäße so beherrschen, daß sich je nach
dem Entwärmungsbedürfnis die erweiterten Hautgefäße mit Blut anfüllen
oder aber durch Kontraktion der Gefäßmuskeln eine Verminderung der
Blutfülle erzielt wird. Sind jedoch die äußeren Bedingungen so, daß
diese Wärmeregulation nicht mehr ausreicht, um für eine genügende
Entwärmung zu sorgen, so bewirkt dies eine Wärmestauung und eine
Erhöhung der Körpertemperatur. Daraufhin diktieren die empfindenden
Nerven eine Einschränkung der Wärmeproduktion, der Muskelapparat
Von Paul Weiß. 31
reduziert seine Tätigkeit. Umgekehrt ist seine Tätigkeit verstärkt und
ausgiebiger bei erhöhtem Wärmeentzug. Subjektiv empfinden wir be-
kanntermaßen diese Vorgänge als Müdigkeit und Schlaffheit bei gehemmter
Wärmeabgabe, schwüler Luft und fühlen wir uns angeregt zu intensiver
Muskelbetätigung (bis zu unwillkürlichem Schlottern) bei starker Wärme-
abgabe. o
Wir sehen: die Arbeitsfáhigkeit des Menschen ist wesentlich eine
Funktion der klimatischen Faktoren. Dabei ist unter Arbeitsfähigkeit
nicht nur die Betätigung der willkürlichen Muskeln zu verstehen. Auch
der ruhende Körper arbeitet und produziert Wärme, die an die Umgebung
abgeleitet werden muß.
Für die Gesundheit und das Wohlbefinden des Menschen ist es von
größter Bedeutung, daß diese geschilderten Vorgänge in einem bestimmten
Gleichgewicht sind. Es hat deshalb besonders in Arztekreisen und unter
Hygienikern die Frage interessiert, unter welchen Bedingungen dieses -
Gleichgewicht gestört wird und welche Konsequenzen sich daraus gesund-
heitlich ergeben.
Wie bereits im ersten Kapitel dargelegt wurde, hat man die Zu-
sammenhänge lange nicht erkannt und die typischen Krankheitserschei-
nungen, die häufig in überfüllten Versammlungsräumen zu beobachten
sind — herabgesetzte geistige Leistungsfähigkeit, Übelkeit, Schwindel,
Ohnmacht — anderen Ursachen als der mangelhaften Entwärmungs-
möglichkeit zugeschrieben.
Die Erforschung der inneren Zusammenhänge des Entwärmungs-
problems stößt jedoch auf ganz erhebliche Widerstände. Die Kompliziert-
heit des Problems liegt in der Fülle der voneinander abhängigen Faktoren.
In der Tat ist nur durch strengste Systematik und mühsame Arbeit zum
Ziele zu kommen; und dieses Ziel muß erreicht werden angesichts der
überragenden Wichtigkeit der Frage für die Gewerbehygiene, für die öffent-
liche Wohlfahrt und für medizinische Therapie.
2. Beziehungen zwischen Haut- und Lufttemperatur in
ruhender Luft.
Nach den ersten sondierenden Arbeiten von Rubner (9) und seinen
Schülern, sowie von Vincent (21) und Flügge (22) ist Heymann zu-
sammen mit Reichenbach {23) zuerst systematisch an das Problem
herangetreten. Der Gedanke Vincents, die Wärmeabgabe des Körpers
analog der eines toten Körpers mathematisch zu formulieren, wurde von
ihnen wieder aufgegriffen.
Die Versuche wurden so angelegt wie alle Untersuchungen über
Gesetzmäßigkeiten von physikalischen Vorgängen, bei denen mehrere
Variabeln miteinander in Beziehung treten, indem der Einfluß nur einer
Variabeln untersucht wird, während die andern nach Möglichkeit kon-
stant gehalten werden.
In erster Linie interessierte die Frage, welche meßbare Größe als
Indikator für das thermische Befinden des Körpers geeignet sei.
Der Wärmeaustausch geschieht in der Hauptsache an der Körper-
oberfläche und durch die Lunge. In der Lunge durch Verdampfung und
32 Die hygienischen Grundlagen der Lúftungstechnik usw.
Leitung, an der Haut durch Verdampfung, Leitung und Strahlung. Die
Temperatur der Haut wird durch die Funktion des Vasomotorenapparates
so einreguliert, daß der Wärmeverlust, der einerseits eine Funktion der
kombinierten thermischen Wirkung der umgebenden Luft ist, dem Wärme-
überschuß im Körper entspricht. Es lag deshalb auf der Hand, als ob-
jektives Maß für die Temperaturempfindung die Hauttemperatur zu be-
‚trachten. Sie ist jedoch keineswegs ein allgemein gültiges Maß für die
Gesamtwärmeabgabe, sondern nur ein Indikator.
. Anderseits ist der Wärmeverlust abhängig von der Wärmeproduktion
des Körpers. Es ist deshalb erste Versuchsbedingung, die Wärmeproduk-
‚tion in gewissen Grenzen konstant zu halten. Die Versuche wurden aus
diesem Grunde an der: ruhenden Versuchsperson gemacht. Soweit als
möglich wurde auch darauf geachtet, die Stoffwechselbedingungen, die
auf die Wärmeproduktion nicht unbedeutenden Einfluß haben, durch
geeignete zeitliche Versuchsansetzung zu berücksichtigen, sowie weitere
physiologische Momente möglichst auszuschließen.
Von den klimatischen Faktoren hat Heymann nur die Temperatur
variieren lassen, und Feuchtigkeit und Luftbewegung möglichst. konstant
gelassen oder ganz ausgeschaltet.
Damit ist das Problem auf ein einfaches Wärmeaustauschproblem
zurückgeführt, bei dem die Abhängigkeit des Wärmeverlustes von der
. Umgebungstemperatur zur Untersuchung steht und die sich dabei ein-
stellende Oberflächentemperatur beobachtet wird.
Die Oberflächentemperatur resp. Hauttemperatur ist aber ihrerseits
wieder abhängig von äußeren Faktoren, Kleidung, Oberflächengestal-
tung usw. Die Kleidung muß die für die betreffende Person gewohnte
und während der Versuchsfolge möglichst die gleiche sein.
Durch ausgedehnte Versuche haben Heymann und Reichenbach
Temperaturmessungen an verschiedenen Stellen des Körpers gemacht,
um die günstigste Hautstelle zu eruieren. Sie sind dadurch zum Ergebnis
gekommen, daß die Stirntemperatur sich für diese Messungen am besten
eignet, denn diese entspricht am ehesten den physikalischen Vorbedin-
gungen. Die an der Stirn aufgenommenen Termperaturkurven sind von
großer Regelmäßigkeit und zeigen, daß die Stirntemperatur auf die
äußeren Einflüsse empfindlich reagiert (s. Abb. 23, S. 39). Weitere Schwie-
rigkeiten lagen in einer einwandfreien Temperaturmessung. Ein Thermo-
element Eisenkonstantan mit einer brückenförmigen Lötstelle von geringer
Masse wurde mit leisem Druck, so daß keine örtliche Blutstauung und
damit verbundene Temperaturerhöhung entstehen konnte, auf eine mar-
kierte Stirnstelle (meist oberhalb der Nasenwurzel) aufgesetzt und der
Thermostrom mit Spiegelgalvanometer gemessen.
Diese umsichtigen Vorbereitungen des Versuchs und die systema-
tischen Begrenzungen der Versuchsbedingungen führten zu dem Resultat,
daß zwischen Stirntemperatur 7, und Lufttemperatur tz, für den ruhenden
Körper in ruhender Luft die einfache lineare Beziehung festgestellt werden
konnte:
T,=a-+tb-t,
Von Paul Weiß. 33
Die Gleichung hat natürlich nur einen beschränkten Geltungsbereich.
Die beste Übereinstimmung der Messungen mit der Gleichung ist im Be-
reich 15% bis 25% vorhanden. Nach oben und unten nehmen die Abwei-
chungen zu. Dies erklärt sich durch die Tatsache, daß in dem genannten
Bereich ein Wärmegleichgewicht des Körpers sich einstellt, während in
den Grenzgebieten unterhalb 15° und oberhalb 25° das Gleichgewicht
gestört ist. Zur Diskussion der Absolutwerte a und b, die für jedes Indi-
viduum durch Versuch bestimmt werden müssen, ist zu bemerken, daß
besonders 5 interessante Schlüsse über die Empfindlichkeit gegen Tem-
peraturen zuläßt, wie wir später sehen werden.
3. Die Entwärmungsverhältnisse in bewegter Luft.
Diese eben erwähnten Resultate haben zu weiteren Versuchen er-
mutigt. Auf Grund der gesammelten Erfahrungen hat Heymann den.
weiteren Schritt zur Untersuchung des Einflusses insbesondere des Windes
auf die Entwärmung angestrebt, und sodann den kombinierten Einfluß
von Wind und Temperatur zu formulieren versucht. In vorbereitenden
Arbeiten hat er diese Entwärmungsgesetze, die hier zur Frage stehen, am
toten Körper abgeleitet (24). Die praktischen Experimente am Menschen
wurden jedoch durch den Krieg unterbrochen, ohne daß ein abschließendes
Resultat erreicht worden wäre.
Nach dem Kriege hat Lange (10) die Arbeiten Heymanns wieder
aufgenommen, aber ohne die alte Systematik durchgeführt. Seine Arbeit
ist nicht ganz durchsichtig.
Uns Lüftungstechnikern sind besonders die Arbeiten Nußbaums (11)
bekannt, die in ihren Schlußfolgerungen das Problem zwar praktisch aus-
gezeichnet beleuchten, aber von der Lüftungstechnik aus bereits angegebe-
nen Gründen nicht gebührend berücksichtigt werden konnten.
Hill hat nun die Aufgabe von einer ganz andern Seite angefaßt.
Mit seinem Katathermometer, das ihm in Form des Kata-Indexes den
Abkühlungseffekt der klimatischen Faktoren auf die Kataoberfläche ganz
eindeutig mißt, hat er versucht, eine Vergleichsbasis zu schaffen, die es
ermöglichen soll, den Abkühlungseffekt des toten Körpers mit demjenigen
des lebenden in Beziehung zu bringen. Der Kata-Index ist in diesem Falle
ein ähnlicher Indikator, wie die Hauttemperatur der Heymannschen
Versuche.
Hill sagt sich: Den äußeren Verhältnissen, z. B. Windstille und 18°C
Lufttemperatur, die anerkannt angenehm empfunden werden, entspricht
laut Gleichung (5) ein Kata-Index H = 0,27 © = 0,27 (36,5 — 18) = 5.
Nimmt die Raumtemperatur zu, so kann durch entsprechende Bewe-
gung der Luft der Abkühlungseffekt nach Gleichung
= (a + b p) ©
konstant gehalten werden. Aus £ und A ist dann das zugehörige v zu be-
rechnen. Jeder Temperatur ist danach eine bestimmte Geschwindigkeit
so zugeordnet, daß aus ihrer kombinierten Wirkung ein gewünschter
Abkühlungseffekt H resultiert.
Archiv f. Hygiene. Bd. 96. 3
34 Die hygienischen Grundlagen der Lúftungstechnik usw.
Das Problem wáre damit gelóst, wenn fúr alle Verháltnisse H = 5
Geltung hätte. Die Sache liegt nun aber so, daß sowohl beim Katathermo-
meter als beim Körper ein gegebenes Volumen seine Wärme durch eine
gegebene Oberfläche abgibt. Das Verhältnis Volumen : Oberfläche ist
nun in den beiden Fällen sehr verschieden, und eine Verschiebung der
äußeren Bedingungen beeinflußt die Entwärmung der beiden Massen in
verschiedener Stärke. Mit steigender Lufttemperatur braucht das Kata-
thermometer nur mäßige Steigerung der Konvektion, um denselben Ab-
kühlungseffekt H = 5 zu erzielen, wie er den Grundbedingungen ent-
Y,
o EN w — TA er
| — (een
EZ a E oM en l
| —
Windschutz
Kä N
Abb. 17.
spricht. Der Körper aber braucht entsprechend seiner kleineren Ober-
fläche bezüglich des Volumens eine höhere Konvektion. Außerdem spielt
die Bekleidung noch eine Rolle.
Das Problem stellt sich deshalb so, zu jeder Lufttemperatur den
Kata-Index zu bestimmen, der einer idealen Entwärmung des Körpers
entspricht.
In diesem Sinne habe ich zusammen mit Hrn. Prof. Heymann und
Hrn. Prof. Korff-Petersen die Versuche wieder aufgenommen.
Bevor ich auf die Resultate unserer Arbeit eingehe, möchte ich einiges
über unsere Versuchsanlage und Versuchsdurchführung äußern.
Zur Winderzeugung eignete sich die zu solchen Windversuchen von
Rietschel und Brabbée eigens erstellte Veruchsanlage in der großen
Halle des Institutes für Heizung und Lüftung vorzüglich. Eine Beschrei-
bung der Anlage habe ich schon im zweiten Kapitel gegeben und eine
solche findet sich außerdem in der ersten Mitteilung der Versuchsanstalt
für Heizung und Lüftung.
Die Versuchsperson nimmt ca. 8m vor der Mündung des großen
Rohres (0,8 m Durchmesser) Aufstellung, und zwar so, daß Kopf und
Rumpf im Kern des freien Luftstrahles sich befinden, während Stirn und
Brust dem Luftstrom zugekehrt sind. Auf diese Weise erreichen wir die
Von Paul Weiß. 35
durch die Abkühlung ungünstigsten Temperaturwerte an der Stirn (Disp.
der Versuchsanordnung Abb. 17). Die Versuchsperson steht erhöht, so
daß selbst die Füße im Stromfeld sich befinden. Über die Entwicklung
des Geschwindigkeitsfeldes über den fraglichen Querschnitt bei verschie-
denen Windgeschwindigkeiten siehe Forschungsheft d. V. d. I. Nr. 9.
Wir können annehmen, daß bei mittleren und kleinen Geschwindigkeiten
(und Anemometermessungen haben dies auch bestätigt) der Windanfall
auf die ganze vordere Körperseite gleichmäßig sei, während bei höheren
Geschwindigkeiten Kopf und Brust im Kernstrahl von höherer Geschwin-
digkeit und die Beine in einer Zone geringerer Geschwindigkeit sich be-
finden. Doch zeigen die Versuche keinen störenden Einfluß. Die Luft
wird aus der Halle gesaugt, die dieselbe Temperatur wie der Luftstrahl
haben muß; denn sonst steigt oder fällt der Strahl, je nachdem er wärmer
oder kälter als die Hallenluft ist. Die Halle selbst liegt im Keller und läßt
sich gut heizen.
‚Die Erfahrungen, die Heymann in seinen früheren Versuchen mit
der Messung der Stirntemperatur gemacht hat, konnten wir uns nutzbar
| A
m ER-
Th.
d
A
R .G
Abb. 18.
machen. Vor allem haben wir mit denselben Thermoelementen Fe-Const.
gearbeitet, die sich in dieser Form als die empfindlichsten erwiesen haben.
An Stelle des Spiegelgalvanometers, dessen schwingungsfreie Aufstellung
resp. Aufhängung in der Halle ohne Kardan nicht möglich war, gab uns
die bekannte Kompensationsschaltung von Grote-Lindeck ebenso gute
Resultate. (Abb. 18.) Das Prinzip dieser Schaltung ist kurz folgendes:
Die zu messende Spannung e des Thermoelementes schließt man durch
einen konstanten und bekannten Widerstand w. Auf denselben Wider-
stand wird eine zweite EMK so geschaltet, daß die gleichnamigen Pole
der Elemente auf derselben Seite liegen, so daß sie im Thermoelement
einander entgegenwirken. Wird nun im Stromkreis der Kompensations-
batterie ein Widerstand A so einreguliert, daß zwischen den Klemmen
des Widerstandes w eine Spannung herrscht, die der des Thermoelementes
gleich ist, so geht kein Strom durch das Galvanometer G, sein Ausschlag
ist Null. Nun wird der Ausschlag des im anderen Stromkreis eingebauten
Spannungsmessers abgelesen. Im vorliegenden Falle war der Widerstand w
gerade so, daß einem Skalenteil des Meßinstrumentes 0,05 Millivolt ent-
sprachen. Nach den Tabellen der Phys.-Techn. Reichsanstalt gilt für
Fe-Const.-Elemente für die Temperaturdifferenz 0—100° eine EMK von
9,2 Millivolt. Ist deshalb der Ausschlag am Spannungsmesser nach erfolgter
Eh
36 Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik usw.
Kompensation = x Skalenteile, so berechnet sich die Temperaturdifferenz
der beiden Lötstellen des Fe-Konst.-Elementes
9,2
Die eine Lótstelle mißt die Stirntemperatur i, die andere steckt in
einem Ölbad von bekannter Temperatur t, Von diesen Lötstellen führen
die beiden Fe-Drähte zur Schaltung, wo sie an gleich temperierte Kupfer-
klemmen angeschlossen werden, so daß Sekundärströme nicht zu fürchten
sind.
Die Stirntemperatur ergibt sich aus:
ty = ty + dt
Die Geschwindigkeitsmessungen wurden anfangs neben dem Kata-
thermometer noch mit Anemometern — gleichzeitig in Rumpf- und Kopf-
höhe — gemacht. Später erwies es sich, daß die Katamessungen allein
genügten.
An dieser Versuchsanlage und unter Beachtung der beschriebenen
Vorsichtsmaßregeln haben wir nun an uns selbst zwei größere Versuchs-
Kai |
a a a a
10 15 20 25 JO
Abb. 19
serien durchgeführt. Der ursprüngliche Plan, die Versuche an allen drei
Personen durchzuführen, mußte aus Zeitmangel bald aufgegeben werden.
Wir zogen es vor, an den beiden thermisch ziemlich extrem empfindenden
Personen P. und H. möglichst gründliche Versuche zu machen; denn eine
Gesetzmäßigkeit, die wir vermuteten, konnte nur aus einer Fülle von
Versuchspunkten gefolgert werden. Außerdem ist es von Wichtigkeit,
bei den mannigfachen Störungen, die äußere und innere Faktoren auf die
Beziehung zwischen Haut- und Lufttemperatur auszuüben vermögen,
daß die Versuchspersonen mit dem größten Verständnis für die Aufgabe
bemüht sind, solche Störungen nach Möglichkeit durch angepaßte Lebens-
weise usw. fernzuhalten.
Zunächst sind in Tabelle VII und VIII (Anhang) die Messungen in
ruhender Luft zusammengestellt. Abb. 19 gibt die Resultate in graphischer
Darstellung.
Danach ergeben sich die Konstantenwerte a und b in der Heymann-
schen Gleichung:
Von Paul Weiß. 37
a) für Versuchsperson H.: t, = 25,6 + 0,32 £,
b) für Versuchsperson P.: 1, = 24,5 +0,43 t
Der steilere Anstieg der Geraden P. ist wohl eine Folge der Konsti-
tution der Versuchsperson P., indem diese im Gegensatz zu H. ein Fett-
polster hat. P. ist infolgedessen gegen hohe Temperaturen merklich
empfindlicher als H. und schwitzt eher und stärker. Dafür aber erträgt
sie tiefere Temperaturen bis zu einem gewissen Grade leichter als H.
Zur Darstellung des exakten Verlaufes eines Versuchesin bewegter
Luft greifen wir zweckmäßig auf ein Protokoll zurück, z. B. den Ver-
such vom 30. X. 23 (S. 57), durchgeführt an Versuchsperson H.
Vor Beginn des Versuches hat die Versuchsperson ca. 20 Min. aus-
geruht; um 9.55 h wird die erste Stirntemperaturmessung im Windschutz
gemacht. Die Versuchsperson hält die vorstehend beschriebene Lötstelle
über der Nasenwurzel an die Stirn. Das Galvanometer reagiert sofort
und wird durch Einregulieren des Kompensationsstromes in Nullstellung
gebracht. Der Ausschlag des Amperemeters e im Kompensationsstrom-
kreis wird abgelesen und zugleich die Ölbadtemperatur t, der zweiten
Lötstelle notiert. Diese Messungen gestatten nach S. 36 die Berechnung
der Stirntemperatur unter Zuhilfenahme der Eichkurve Abb. 20. Wie das
Protokoll zeigt, werden gleichzeitig Temperatur, Feuchtigkeit und Kata-
Index mitgemessen. uno
` Nachdem im Windschutz eine konstante Stirntemperatur festgestellt
worden ist, begibt sich die Versuchsperson in den Wind, dessen Tem-
peratur und Geschwindigkeit vorher gemessen wird. Nun werden in
rascher Aufeinanderfolge (alle 2 bis 3 Min.) Stirntemperaturmessungen
wiederholt, so lange, bis mindestens drei Messungen vorliegen, die über-
einstimmen oder unbedeutend voneinander abweichen. In der Regel ist
dies nach 20 Min. Bewindung erreicht. Inzwischen macht die Versuchs-
person je eine trockene und feuchte Katamessung an einem Stativ, das
ca. 50 cm vor ihr steht. Die Messungen müssen in einiger Übereinstimmung
sein mit den vorhergehenden oder werden dann nochmals. wiederholt.
Zur Kontrolle des Geschwindigkeitsfeldes werden am selben Stativ in
Kopf- und Brusthöhe Anemometermessungen mit im Freilauf geeichten
Anemometern gemacht, deren Zählwerk elektromagnetisch ein- und aus-
geschaltet werden kann.
Von Zeit zu Zeit gibt die Versuchsperson Angaben über ihr physisches
Befinden und Empfinden. Ist die Stirntemperatur nahezu konstant, so
begibt sich die Versuchsperson wieder in den Windschutz, wo die Stirn-
temperaturmessungen so lange fortgesetzt werden, bis sich der Ausgangs-
wert wieder einstellt. Inzwischen wird der Ventilator auf-eine höhere
Tourenzahl gestellt und im veränderten Geschwindigkeitsfeld Temperatur-,
Anemometer- und Katamessungen gemacht, bevor die Versuchsperson
ihren Platz vor dem Stativ wieder einnimmt.
Hat die Versuchsperson wieder ihre ursprüngliche Stirntemperatur,
die natürlich der Lufttemperatur im Windschutz entspricht, erreicht, und
sind im Wind die vorbereitenden Messungen beendet, so beginnt der Ver-
such wieder in der oben geschilderten Weise.
38 Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik usw.
Die Protokolle der Versuche in bewegter Luft sind sämtliche im
Anhang aufgeführt. Für die Werte der Stirntemperaturen sind für die
Versuche bis zum 6. Nov. Korrekturen nach Eichkurve Abb. 20 vor-
genommen, da das Galvanometer erst von diesem Zeitpunkt an in einer
Eichkurve des Amperemeters
Grote-Lindeck-Schaltung für
Wullstellung des Voltmeters in
2 +Skalenteile nach KA
vers
avs den Instrumentwerten berechnete Temp, —= «$
wirkliche Temperaturen —. e
Abb. 20.
Ruhestellung war, die nach erfolgter Kompensation sogleich den richtigen
e-Wert abzulesen gestattete.
Uber den zeitlichen Verlauf eines solchen Versuches wie úberhaupt
über die inneren Zusammenhänge zwischen Lufttemperatur, Wind-
geschwindigkeit und Stirntemperatur gibt diese Zahlenflut in dieser Form
wenig Aufschluß. Es ist deshalb zweckmäßig, zur Erhöhung der Über-
sichtlichkeit die Stirntemperatur graphisch in Funktion der Zeit aufzu-
tragen, wie dies in Abb. 21 u. 22 für je einen Versuch an H. und P. ge-
schehen ist.
N -
L
S37
d 39
E EEN 1-196 H-T]
829 i —:—V-08 ı 1:20 H-95
S Zeit 1195 H-1%
28 — | -—-Y- SC Zeië?i H=18B2
27 P
15 20 2 JO J5 40
5
Zelt in Min.
Von Paul Weiß. 39
Durch diese Darstellung erhalten wir ungefähr ein Bild davon, wie die
Haut auf die äußeren Einwirkungen — Wind und Temperatur — reagiert,
und zugleich erleichtert diese Darstellung vergleichende Betrachtung
unter verschiedenen Bedingungen.
a
N
era
re Lv,
4
ll % t-20°H-63
———V.07 e 1[=20°H°90
—-— V-20 " t-196°H-143
Se V-34 e 1=196°%4-18
Stirmte
8
Abb. 22.
Diese Charakteristik des Temperaturregulators des Körpers zeigt
folgende Hauptmerkmale:
1. Rasches Fallen der Hauttemperatur mit einsetzendem Wind;
2. allmähliches Fallen bis zu einer gewissen Minimaltemperatur,
die in den meisten Fällen nach 20 Min. Bewindung erreicht ist;
3. nach Aussetzen des Windes zuerst rasches, dann langsames
Steigen bis zur Ausgangstemperatur.
Sehr oft sind typische Schwingungserscheinungen zu beobachten
(Abb. 23), indem die Temperatur rasch fällt, um kurz zu steigen und dann
wieder zu fallen.
S
Stirntemperatur
Ù
10 15 20 25 JO 35 40
5
Zeitinmin.
40 Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik usw.
Diese Charakteristiken haben interessante Analogien zu den dem
Techniker bekannten Reguliervorgängen an Maschinen, die ebenfalls
beim Übergang von einem Beharrungszustand in den andern von solchen
Reaktionsschwingungen begleitet sind. Nach Aufhóren der Bewindung
ist hier und da zu beobachten, daß die Temperatur über die Ausgangs-
temperatur anfänglich hinaussteigt, um dann langsam wieder zu fallen.
Aus der Überlegung heraus, daß einerseits mit sich ändernder Luft-
temperatur die Stirntemperatur (dieselben physiologischen Bedingungen
vorausgesetzt) sich gesetzmäßig ändert, daß überdies bei einer konstanten
Lufttemperatur und wachsender Windgeschwindigkeit mit jeder kleinen
Zunahme von v eine kleine stetige Abnahme von t, erfolgen muß und dieser
- Vorgang je nach der Ausgangstemperatur sich von einer andern absoluten
Höhe aus wiederholt, kann man von dem Gedanken nicht abkommen,
daß jeder Lufttemperatur und Luftgeschwindigkeit eine eindeutige Stirn-
temperatur zugeordnet sein muß. Die ganzen Vorgänge, so wie sie die
Charakteristiken darstellen, verlaufen mit einer Stetigkeit, die eine be-
stimmte Gesetzmäßigkeit zur Grundlage haben müssen.
Dieser Gedanke beherrschte mich bei der Zusammenstellung der
Diagramme I und II, die sich bei unsern Versuchen so bewährt haben,
daß ich aus Kata-Index und Lufttemperatur der Versuchsperson jeweils
zum voraus sagen konnte, welche Stirntemperatur sie am Ende der Be-
windung (nach 20 Min.) erreichen werde.
Die Grundlage der Diagramme bilden die sämtlichen Endwerte der
Bewindungsversuche, wie sie in Tabelle IX und X im Anhang zusammen-
gestellt sind. Die Diagramme seien an einem kleinen Beispiel erläutert:
Greift man irgendeinen Punkt A aus Diagramm I heraus, so zeigt dies,
daß bei einer Lufttemperatur 18° (stark gestrichelt ausgezogene Isotherme)
und gleichzeitiger Windgeschwindigkeit v = 1 m/sek (dünne Linie) die
Versuchsperson P. eine Stirntemperatur von 29,3% C erreicht, während
der Kata-Index 12 beträgt. Abweichungen von diesen Werten, die ein-
mal ein Maximum von 1,5° erreichen, sonst aber meist innerhalb 0,5°
liegen, sind auf physiologische Einwirkungen und auf Meßfehler zurück-
zuführen. Der leitende Gedanke für den Entwurf des Schemas war fol-
gender:
Sowohl der Kata-Index als die Stirntemperatur sind abhängig von
Lufttemperatur und Windgeschwindigkeit. Verläuft die Änderung der
Stirntemperatur bei stetig veränderten äußeren Bedingungen stetig und
gesetzmäßig, wie diejenige des Kata-Index, dann muß dies dann zum Aus-
druck kommen, wenn wir den Kata-Index in Funktion der Stirntempe-
ratur auftragen. Z. B. entspricht einer bestimmten Temperatur in ruhen-
der Luft ein Kata-Index und eine Stirntemperatur eindeutig. Wird nun
die Luft ganz allmählich bewegt, so daß sie stetig an Geschwindigkeit
zunimmt, ohne jedoch die Temperatur zu verändern, dann müssen auch
Kata-Index und Stirntemperatur sich stetig so ändern, daß jedem Zu-
stand der äußern Faktoren je ein eindeutiger Wert sich zuordnet. Diese
sämtlich einander zugeordnete Werte liegen auf der betreffenden Isotherme.
Die Form dieser Isothermen ist charakteristisch und nicht ohne Interesse.
Der Anstieg von der Basis v = 0 m/sek ist beinahe rechtwinklig, d.h.
Von Paul Weiß. 41
daß das Katathermometer auf die feinen Luftbewegungen schneller reagiert
als der Körper, was meiner Ansicht nach eine Folge der Bekleidung und
des Verhältnisses Oberfläche : Volumen ist. Der nackte Körper wird
sich in dieser Hinsicht anders verhalten. Luftgeschwindigkeiten von
Diagramm I.
0,1 m/sek haben nach unseren Beobachtungen (sofern die Luft nicht kälter
als 18°) gar keinen Einfluß auf den normal gekleideten Körper. 0,25 m/sek
vermag jedoch bei 18° die Stirntemperatur schon um ca. 1°C zu senken.
Der Einfluß nimmt jedoch mit wachsender Temperatur rasch ab. Mit
6 35 4
SNirntemperatur °C
Diagramm II.
wachsender Geschwindigkeit ändert sich schließlich die Stirntemperatur
ungefähr parabolisch mit dem Katawert.
Der Aufbau und die Struktur der Diagramme ist für die beiden Ver-
suchspersonen ganz ähnlich. Abweichungen treten wie in den Konstanten
der Heymannschen Gleichungen nur in den Absolutwerten auf. So hat
H. z. B. bei 18° eine Stirntemperatur, die P. schon bei 16° hat, was die
42 Die hygienischen Grundlagen der Lúftungstechnik usw.
Tatsache erneut erklärt, daß P. gegen kühlere Luft einigermaßen wider-
standsfähiger ist als H. Umgekehrt hat dann H. bei 30° erst Temperaturen,
die P. schon bei 28° hatte, was wiederum erklärt, weshalb H. hohe Tem-
peraturen leichter erträgt. Diese Erscheinung entspricht den Tatsachen
vollkommen. Denn die Menschen sind Temperatureinflüssen gegenüber
sehr verschieden empfindlich. Nur ein gewisses Training kann den Körper
an Verhältnisse gewöhnen, die unter normalen Umständen lästig empfunden
werden.
Ob das absolute Maß der Stirntemperatur tatsächlich derjenige In-
dikator ist, der mit der Temperaturempfindung parallel geht, ist genau
noch nicht erwiesen. Man kann das aber aus der Beobachtung ableiten,
daß 32% im allgemeinen sehr gut, 33% und 31% noch gerade leidlich ertragen
werden. Dies zeigt in deutlicher Weise die Rubrik: Bemerkungen in
Tafel IX und X. Ob durch ein systematisches Training, das auf die Ge-
wöhnung an noch höhere und noch tiefere Temperaturen abzielt, einfach
eine nervöse Umwertung der Empfindung — ein gewisses Abstumpfen —
erreicht oder ob durch ein Training der Gefäßmuskeln eine direkte Beein-
flussung der Hauttemperatur erzielt wird, bleibt weiteren Versuchen vor-
behalten.
Aber wir können nicht fehlen, wenn wir, wie das Flügge, Hill und
andere namhafte Hygieniker schon getan haben, 32° Stirntemperatur
dem normalen Empfinden angenehmer Temperaturverhältnisse koordi-
nieren. Dies gilt für ruhende Luft.
In bewegter Luft sind die Verhältnisse komplizierter. Hier ist ledig-
lich durch den systematischen Versuch festzustellen, welche Luftgeschwin-
digkeit den hohen Temperaturen jeweils zugeordnet werden muß, um
günstigste Entwärmungsbedingungen zu schaffen. So wurde die stark
ausgezogene strichpunktierte Linie in den Diagrammen gewonnen, die
auf Grund unserer Beobachtungen diejenigen Punkte verbindet, die den
jeweils herrschenden Temperaturen die günstigsten Windgeschwindig-
keiten zuordnet. Die Linie gibt so ziemlich die Grenze zwischen Wohl-
und Mißbehagen, denn es ist darauf Bedacht genommen, keine zu hohen
Geschwindigkeiten zugrunde zu legen, die ev. leichter gekleideten schäd-
lich werden könnten.
Diese Linie gibt nun zugleich — und darin liegt ihr praktischer Wert
— eine Beziehung der Entwärmungsbedingungen zum trockenen Kata-
Index. Danach sind wir in der Lage, durch Messung des Katawertes und
der Lufttemperatur zu entscheiden, ob die klimatischen Verhältnisse
(Feuchtigkeit vorläufig noch ausgeschlossen) dem Körper bekömmlich
oder schädlich sind. Wird bei einer Lüftungsanlage über ‚Zug‘ geklagt,
so kann der Lüftungsingenieur durch eine Katamessung ganz einwandfrei
entscheiden, ob die Klage objektiv berechtigt ist. Tatsächlich ist eine
Schädigung der Gesundheit durch Wärmeentzug unter diesen Bedingungen
unmöglich. Uns kommt es aber nur darauf an, solche Schädigungen zu
verhüten, und wir können nicht darauf Rücksicht nehmen, ob besonders
reizbare Nerven diese Luftbewegung lästig oder angenehm empfinden.
Von diesem Standpunkte aus haben die Amerikaner das Lüftungsproblem
schon längst behandelt.
Von Paul WeiB. 43
Auf Grund dieser Betrachtungen sind in Abb. 24 die zusammen-
gehórigen Werte Kata-Index und Lufttemperatur aufgetragen, die an-
genähert den einwandfreiesten Entwärmungsverhältnissen für den normal
9 |- Beziehung zwischen Lufttemperatur u trockenem
/Uraten Fal,
2e
8 8
4
, 3
Sr
$
d
X=
5 h
| 18 20 24 26 28 ES
Lufttemperaturt°C
Abb. 24.
bekleideten Körper entsprechen. Abb. 25 gibt in diesem Zusammenhang
die einander entsprechenden Temperaturen und Windgeschwindigkeiten.
Es ist selbstverständlich, daß diese gefundenen Beziehungen je nach
der Bekleidung wechseln. Wir werden andere Isothermen nach Lage und
D
Loftgeschwindigkeit A:
~
0 > j
18 20 Ll 26 28 30
es Lufttemperatur tC
Abb. 25.
Form erhalten; aber wir werden diese Beziehung ganz analog aus dem
neuen Schema herauskonstruieren können. Es ist nicht möglich, wie dies
Hill und Vernon versucht haben, durch entsprechende Umkleidung des
Katathermometers die Abkühlungsverhältnisse desselben so zu gestalten,
44 Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik usw.
daß ein Index für alle Verhältnisse die günstigsten Bedingungen kenn-
zeichnet; denn es sind dadurch andere Faktoren, die bei der Abkühlung
der beiden ganz verschiedenen Körper mitreden, noch nicht ausgeschaltet.
Wenn es also nicht möglich ist, einen Kata-Index zu erhalten, der alle die
günstigsten klimatischen Verhältnisse umfaßt, dann ist die eingige und
beste Lösung die, durch systematische Forschung alle günstig-
sten Katawerte für die wichtigsten technischen Betriebe ein
für allemal zu ermitteln. Dann braucht ein jeder mit dem Kata-
imtemperatur °
&
A
Sti
X R
N
MAL
gë 15 30 45 għ 15 30 46
Zeit mmn. —= i
Abb. 26.
thermometer, das mit Garantie mißt, was gemessen werden soll, nur noch
nachzuprüfen, ob die hygienisch zulässigen Grenzen überschritten oder
eingehalten werden.
4. Der Einfluß der Luftfeuchtigkeit auf die Entwärmung
und das allgemeine Wohlbefinden.
Nach diesen eben besprochenen Gesichtspunkten wird der trockene
Kata-Index in Verbindung mit der Lufttemperatur für viele Zwecke der
Praxis die Entwärmungsbedingungen des ruhenden sowie des arbeitenden
Körpers zu kennzeichnen gestatten. Wenn aber die Haut fühlbar feucht,
die Entwärmung also in erheblichem Maße durch Verdunstung unterstützt
Von Paul Weiß. 45
wird, kann der trockene Kata-Index nicht mehr genügen, denn dieser
reagiert nicht auf die Luftfeuchtigkeit.
Wir haben deshalb versucht, in ganz analoger Weise, wie wir die
Abkühlung der trockenen Haut mit der des trockenen Katathermometers
in Beziehung brachten, die Abkühlung der feuchten Haut und die des
feuchten Katathermometers zu vergleichen.
Die Frage war die, wie sich die Hauttemperatur mit der Feuchtig-
keit ändern werde; ob überhaupt die Hauttemperatur auf die Feuchtig-
keitsänderungen reagiert.
Stirntemperalur
o $
N
N E e e
Abb. 26 a.
Die Versuche zur Klárung dieser Frage wurden in einem Glaskasten
von 8 m3 Inhalt gemacht. Die Feuchtigkeit konnte durch Einblasen von
Wasserdampf bis an die Grenze der Sättigung reguliert werden. Der
Raum, in dem der Kasten stand, wurde auf dieselbe Temperatur geheizt;
denn es war nicht möglich, den Kasten für sich zu heizen, ohne daß ganz
erhebliche Temperaturdifferenzen darin entstanden.
Es ist uns unter diesen Verhältnissen nur schwer gelungen, zwei
Versuche so zu erhalten, daß ein einwandfreier Vergleich der Stirntem-
peratur für den Fall von trockener und feuchter Luft bei derselben Tem-
peratur möglich war. So ist in Abb. 26 in Versuch I der Beharrungs-
zustand vielleicht noch nicht ganz erreicht, und zudem ist die Temperatur
um mehr als 14°C höher als in Versuch II. Wir können deshalb nicht
46 Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik usw.
ohne weiteres die Behauptung aufstellen, daß die Stirntemperatur in
feuchter Luft anders sei als in trockener.
Die Abweichung in diesem Falle ist so minimal — auch wenn wir
annehmen, die Temperatur wäre bis zum Beharrungszustand noch 0,2°
gestiegen — daß sie innerhalb der üblichen Fehlergrenze liegt. Und wenn
eine Abweichung auch tatsächlich vorhanden wäre, dann läßt ihre Klein-
heit keine weitgehenden Schlüsse ziehen.
Dies ist in der Tat eigenartig. Denn wir wissen doch aus Erfahrung,
wie drückend und lähmend ein feuchter heißer Sommertag wirkt. Die
Feuchtigkeit hat entschieden Einfluß auf unseren Organismus, auch wenn
dies in der Hauttemperatur nicht zum Ausdruck kommen sollte.
| Noch interessanter ist aber die Feststellung von Vernon (25), daß
auch die Körpertemperatur (rektal gemessen) und der Puls von der Feuch-
tigkeit unbeeinflußt bleiben. Dadurch ist eine sehr weitgehende Erklärung
für unsere Resultate gegeben, denn besonders der Puls geht beim Vergleich
mit den Versuchen Vernons mit der Stirntemperatur in gewissen Grenzen
parallel. Das Drückende, Depressive einer schwülen Luft ist deshalb
möglicherweise keine durch rein thermische Reize ausgelöste Empfindung.
Wie Vernon bemerkt, leiden die an die erhöhte Tätigkeit der Schweiß-
drüsen nicht gewohnten Personen hauptsächlich unter diesem Unbehagen,
das wir kurz vor Schweißausbruch fühlen. Das Schwitzen selber emp-
finden wir eher als Erleichterung. Zur Stütze dieser Vermutung führt
Vernon an, daß eine Gewöhnung an schwüle Luft parallel geht mit er-
höhter und erleichterter Schweißabsonderung, was von anderer Seite an
Bergarbeitern, die vor Ort unter besonders ungünstigen Entwärmungs-
bedingungen arbeiten, bestätigt wurde. Wer leicht schwitzen kann, ist
demnach dem bedrückenden Gefühl in schwüler Luft weniger ausgesetzt.
Diese Überlegungen und Feststellungen führen zum Schlusse, daß in
schwüler Luft die Stirntemperatur kein genügender Indikator für das
Befinden sein kann, daß überhaupt ein ,,Registrieren“ des Befindens
durch die Messung irgendeiner Größe, die am Wärmeaustausch beteiligt
ist, sei es die Stirntemperatur, die Körpertemperatur oder der Puls, nicht
möglich ist. Der Moment des Schweißausbruches, der sich ganz typisch
von der früheren Tätigkeit der Schweißdrüsen abhebt, läßt einen ganzen
Apparat in erhöhte Funktion treten, der sich von diesem Moment an
entscheidend für die Entwärmung einsetzt.
Diese Vorgänge sind noch zu wenig abgeklärt, als daß man schon
nach Gesetzmäßigkeiten suchen könnte. Um aber trotzdem gewisse
Grenzen zu legen, hat Vernon — und vor ihm schon Haldane — durch
eine Reihe von Versuchen festgestellt, daß die Temperatur des feuchten
Thermometers unter gewissen Einschränkungen sich sehr gut zur Charak-
terisierung der Entwärmungsverhältnisse in ruhender feuchter Luft eignet.
Er macht in einer Tabelle 4 Abstufungen:
von t, = 21° und höher an gilt folgendes:
1.1,= 21° t, = 21—22,2° sehr drückend = 90%
2. l, = 22,2 —23,3° drückend = 80%,
3. 1, = 23,3—24,5% eher drückend 70%
4, Le = 24, 5—..? gut = 709% —6
- Von Paul Weiß. 47
Ist t, also 21% und höher, so sind die thermischen Verhältnisse annehm-
bar, wenn die psychrometrische Differenz (t,— ty) mindestens 3,5°,
noch drückend zwischen (,—1,) = 2,3 + 3,5,
drückend ai = 1,2 + 2,3,
sehr drückend 2 = kleiner 1,2.
Ich habe zwar im II. Kapitel gezeigt, daß der Abkühlungseffekt am
feuchten Katathermometer, und deshalb der der Haut, nicht allein von
der Temperatur des feuchten Thermometers abhängt, und es wäre viel-
leicht richtiger, den Gesamtwärmeinhalt oder die Aquivalenztemperatur
als Maßstab zugrunde zu legen. Es wird jedoch weiteren Versuchen vor-
behalten bleiben, die genauen Zusammenhänge zu klären.
In feuchter bewegter Luft liegt es nahe, das feuchte Katathermometer
zur Messung der Entwärmungsverhältnisse heranzuziehen. Tatsächlich
gibt es für den nackten Körper nach Feststellungen Vernons ausgezeich-
nete Werte und ist deshalb in Bergwerken und anderen Betrieben, wo die
Arbeiter mit entblößtem Oberkörper unter sehr schwierigen Verhältnissen
in thermischer Hinsicht arbeiten müssen, als Meßinstrument am Platze.
Für den bekleideten Körper müßte eine analoge Beziehung zwischen
feuchtem Kata-Index, Lufttemperatur und Feuchtigkeit sowie Wind-
geschwindigkeit, wie für das trockene Katathermometer, durch den Ver-
such gefunden werden. Doch wird bei der Durchführung dieser Versuche
sehr darauf zu achten sein, Akklimatisationserscheinungen auszuschließen,
indem die Versuche nicht in gedrängter Reihenfolge gemacht werden.
5. Zusammenfassung und praktischer Ausblick.
a) Die Forschungen der Hygiene haben gezeigt, daß das körperliche
Wohlbefinden und damit die geistige und körperliche Leistungsfähigkeit
des Menschen in erster Linie davon abhängt, in welchem Maß der Körper
seine Wärme der Umgebungsluft mitteilen kann. Danach hat die Raum-
lüftung. vor allem für günstigste Entwärmungsbedingungen zu sorgen.
b) Zur Messung der kombinierten thermischen Wirkung der klima-
tischen Faktoren hat Leonhard Hill das Katathermometer eingeführt,
das im trockenen Kata-Index die beiden Komponenten Temperatur und
Windgeschwindigkeit, im feuchten Index Temperatur, Wind und Feuch-
tigkeit vereinigt, und zwar gilt für das trockene Katathermometer:
H = (0,14 + 0,49 - yo) (36,5 —t) cal 1000 - cm”? » sec”!
für das feuchte Katathermometer:
H' = (0,18 + 1,24 - v9.4) (33 — i) cal 1000 - cm”? . sec”!
Eine wichtige Verwendungsmöglichkeit des Katathermometers liegt
außerdem darin, daß es beliebig gerichtete Luftströme bis zu sehr kleinen
Geschwindigkeiten zu messen gestattet.
c) Systematisch durchgeführte Versuche ergaben eine Beziehung, die
jeder Temperatur die günstigste Luftgeschwindigkeit zuordnet, so, daß
48 Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik usw.
der ruhende Körper unter diesen Verhältnissen ungefähr entwärmt wird,
wie in einer ruhenden Luft von 18°C. Eine ähnliche Beziehung besteht
zwischen Lufttemperatur und Kata-Index, so daß für jede Lufttemperatur
der Kata-Index gegeben ist, der den günstigsten Entwärmungsbedingungen
entspricht.
H = 0,38 - t — 1,8 189 < t < 30°
d) Analoge Versuche zur Feststellung einer Beziehung in feuchter
Luft scheiterten daran, daß zwar das feuchte Katathermometer auf Feuch-
tigkeitsänderungen reagiert, aber die Hauttemperatur nicht in zuverlässig
meßbarer Weise.
Die Resultate unter a, b und c geben für die Bedürfnisse der Raum-
lüftung eine umfassende Lösung des Entwärmungsproblems. Halten wir
die Bedingungsgleichung unter c ein, so verhindern wir auch in sehr feuchter
Luft gesundheitliche Beschwerden. Die Frage ist nun aber die, inwieweit
diese Erkenntnisse praktisch zu verwerten sind. Dem Konstrukteur, man
sei sich dessen voll bewußt, sind hier Probleme gestellt, die zähe Arbeit
verlangen, bis eine einwandfreie brauchbare Lösung gefunden ist. Man hat,
wie schon früher bemerkt, bis heute ängstlich darauf geachtet, Luftbewe-
gungen in gelüfteten Räumen zu vermeiden und nur die Temperatur durch
Einführen kühlerer Luftmassen in annehmbaren Grenzen zu halten ge-
trachtet. Und es ist auch ganz richtig, in erster Linie angenehme Tem-
peraturverhältnisse anzustreben. Aber wo diese Bemühungen ins Über-
triebene führen oder überhaupt, nicht mehr zum Ziele kommen, da ist
wohl am Platze, die Entwärmungsverhältnisse durch mäßiges Bewegen
der Raumluft zu verbessern.
Die Schwierigkeiten des Problems liegen aber offenbar darin, diese
Luftbewegung so zu gestalten, daß sie im ganzen Raum die Luftmasse
in gleicher Stärke beherrscht, so daß sie die maximale Geschwindigkeit
nirgends überschreitet oder einseitig lokal auftritt. Eine solche Luft-
bewegung kann man z. B. so auslösen, daß man ganze Luftschichten in
Bewegung setzt, indem man kühlere Luft fein verteilt über eine möglichst
große horizontale Fläche durch den Raum hinunter sinken läßt und diese
Fallgeschwindigkeit durch Regulieren der Frischluft-Eintrittstemperatur
reguliert. Für diese Lösung kommt also lediglich eine Lüftung von oben
nach unten in Frage.
Es würde hier zu weit führen, auf alle praktischen Fragen noch ein-
zutreten. Es sei nur noch kurz darauf hingewiesen, daß mit einer Lösung
dieses Problems nicht nur praktische, sondern auch ökonomische Vorteile
verbunden sind, da der Luftwechsel in gewissen Grenzen kleiner gehalten
werden darf, als bei rücksichtslosem Einhalten bestimmter Temperatur-
grenzen.
Was das reine Entwärmungsproblem anbetrifft, so ist mit den Resul-
taten unter c nur der Fall des ruhenden Körpers gelöst. Mit gesteigerter
Muskeltätigkeit wächst die Wärmeproduktion und der an die Umgebung
e
> Lan
- 25
WV
A)
%
et a E EN, U ET er GE On O, AN
A e a dE E
abzuleitende Wärmeüberschuß. Damit verschiebe ben sich die Entwärmungs- | "E
= bedürfnisse ganz erheblich. ` e | | A |
Es wird jedoch immer schwieriger werden, Gesetzmäßigkeiten von GE
einzelnen Versuchspersonen abzuleiten; denn je komplizierter die Zu- 03
sammenhänge in physiölogischer Hinsicht werden, um so größer ist die AN
Rolle, die die körperliche Eignung, das Training und die Akklimatisations- AL:
fähigkeit spielen. Die Versuche sind hier, wie das Hill (16, 16a) und MS
Vernon (16a Part. III) bereits getan haben, den einzelnen Berufsschichten _ Br)
anzupassen und für jeden Beruf von Fall zu Fall die Grenzen des zulässigen WW
Kata-Index zu bestimmen. Mit dem Laboratoriumsversuch sind ledig- ` ` a
lieh die Richtlinien zu erfahren. E f
Weitere Versuche müssen noch lehren, ob das trockene Katathermo- - a
meter, wie ich vermute, für alle Fälle der Praxis genügen wird, so, daß das ga, j
feuchte Katathermometer überhaupt ausgeschaltet oder nur in Fällen A
wie sie unter 4 am Schluß angeführt sind, Verwendung finden wird. Dies ho:
stütze ich auf die Beobachtung, daß die Windgeschwindigkeit, also die y
| Konvektion, auf die das trockene Katathermometer sehr empfindlich ` Y
reagiert, für die Entwármung die weit größere Rolle spielt als die Luft- E:
feuchtigkeit, sowie auf die Feststellung, daß an feuchte Luft sehr weit- Ku
gehende Akklimatisation möglich ist. bk
Ko
| Amhang. A
Eichwerte des Versuchsinstrumentes.
| Tabelle I. d
72,2 7 s
10,25 73,0 7 6,99
| 10,5 73,4 7 6,95
| 10,6 72,4 7 7,05
| 17,6 | 97,7 5 5,22
21,6 125,2 14,9 506 | 4 4,07 i
22,3 132,0 | 14,2 506 | 3,84 3,86
22,4 133,2 14,1 508 3,81 3,83
24,0 149,4 12,5 505 3,38 3,41
25 164,1 11,5 511 3,11 | 3,10
27 195 9,5 | 500 | 2,56 | 2,62
28,2 232,2 | 8,3 520 | 2,24 | 2,20
28,8 | 250,6 7,7 | 522 | 208 2,03
29,4 256,6 7,1 512 1,91 1,91
7146 : 14 = rund 510
Archiv für Hygiene. Bd. 96. 4
50 Die hygienischen Grundlagen der Lúftungstechnik usw.
Trockener Kata-Index in bewegter Luft.
Tabelle II.
1140 161 0,345 | 1,41 | 0,195 | 0,441 | 22,5 | 101,8 | 5,01 | 0,356.
161 165,5 | 0,300 | 1,18 | 0,163 | 0,404 7,3 47,2 | 10,80 | 0,370
171 0,440 | 1,73 | 0,240 | 0,490 7,5 46,5 | 10,95 | 0,378
194 0,810 | 3,19 | 0,440 | 0,662 7,3 39,2 | 13,00 | 0,446
168 0,395 | 1,57 | 0,217 | 0,465 | 13,9 64,6 | 7,90 | 0,350
193,5 | 0,800 | 3,18 | 0,440 | 0,662 | 12,3 46,5 | 10,95 | 0,453
194 0,810 | 3,22 | 0,446 | 0,668 | 12,6 46,6 | 10,90 | 0,446
30 104 1,360 | 5,50 | 0,762 | 0,872 | 20,6 55,4 | 9,22 | 0,579
61 105 1,360 | 5,50 | 0,762 | 0,872 | 20,7 56,0 | 9,13 | 0,577
Ä 82 0,940 | 3,82 | 0,528 | 0,725 | 4,9 83,0 | 6,15 | 0,530
155 2,000 | 8,03 | 1,110 | 1,055 | 16,8 39,3 | 13,00 | 0 660
92 1,150 | 4,51 | 0,625 | 0,790 5,5 32,0 | 15,90 | 0,513
113 1,490 | 5,85 | 0,810 | 0,900 5,2 29,0 | 17,60 | 0,564
144 2,080 | 8,17 | 1,130 | 1,065 5,1 26,0 | 19,60 | 0,625
181 2,260 | 8,90 | 1,230 | 1,110 4,8 23,8 | 21,40 | 0,676
91 1,130 | 4,48 | 0,620 | 0,788 | 12,0 40,4 | 12,60 | 0,515
108 1,420 | 5,64 | 0,782 | 0,883 | 12,9 38,3 | 13,10 | 0,555
137 1,800 | 7,15 | 0,990 | 0,995 | 11,9 33,8 | 15,10 | 0,614
185 2,300 | 9,15 | 1,260 | 1,125 | 11,2 29,4 | 27,40 | 0,689
170 2,150 | 8,54 | 1,180 | 1,090 | 11,5 29,8 | 17,10 | 0,685
108 1,420 | 5,70 | 0,790 | 0,888 | 15,8 43,3 | 11,80 | 0,570
136 1,780 | 7,10 | 0,985 | 0,990 | 14,2 36,1 | 14,10 | 0,633
134 1,760 | 7,20 | 1,000 | 1,000 | 26,3 76,7 | 6,65 | 0,652
125 l
114 l, 6,05 | 6,050 | 2,460 | 18,8 21,1 | 24,20 | 1,370
114 1,760 | 6,050 | 6,050 | 2,460 | 18,8 21,2 | 24,00 | 1,360
165,4 | 1,320 | 5,28 | 0,730 | 0,850 | 15,6 i 44,9 | 11,35 | 0,544
199,5 | 1,780 | 7,10 | 0,985 | 0,990 | 15,8 : 40,5 | 12,60 | 0,610
:46,5 66,5 | 0,651 | 2,60 | 2,600 | 1,610 | 11,3 21,5 | 23,70 | 0,440
56,0 | 0,618 | 2,47 | 2,470 | 1,570 | 11,3 21,8 | 23,40 | 0,930
59 0,727 | 2,90 | 2,900 | 1,700 | 11,9 20,8 | 24,50 | 0,997
59 0,727 | 2,90 | 2,900 | 1,700 | 11,9 21,2 | 24,00 | 0,980
63 0,835 | 3,33 | 3,330 | 1,820 | 12,2 19,4 | 26,30 | 1,080
63 0,835 | 3,33 | 3,330 | 1,820 | 12,2 19,6 | 26,00 | 1,070
75 1,085 | 4,33 | 4,330 | 2,080 | 12,7 18,2 | 28,00 | 1,175
75 1,085 ¡ 4,33 | 4,330 | 2,080 | 12,7 18,0 | 28,30 | 1,190
95 1,420 | 5,70 | 5,700 | 2,390 | 12,9 16,6 | 30,70 | 1,320
94,5 | 1,420 | 5,42 | 5,420 | 2,330 | 12,9 16,3 | 31,30 | 1,320
136 1,950 | 7,78 | 7,780 | 2,790 | 13,4 14,4 | 34,50 | 1,490
136 1,950 | 7,78 | 7,780 | 2,790 | 13,5 14,4 | 35,40 | 1,540
186 2,270 | 9,050 | 9,050 | 3,010 | 13,6 13,8 | 36,90 | 1,610
go | 143 | 2,920
23 139 | 2,880
107 2,440 | 9,75 | 1,350 | 1,165 14,9 33,4 | 15,25 | 0,705
139 2,880 | 11,30 | 1,570 1 1,255 5,1 21,5 | 23,70 | 0,755
115 2,550 | 10,20 | 1,410 | 1,190 11,4 27,2 | 18,80 | 0,750
114 2,540 | 10,10 | 1,400 | 1,180 | 11,9 28,1 | 18,20 | 0,740
11,0 | 172 | 0,465
23
D
aJ
a
©
Gs
Ai
En
©
e]
O
(e)
N»
N
þes
a
Ki
O
Ki
©
Von Paul Weiß. 51
Feuchter Kata-Index in bewegter Luft.
Tabelle III.
7,73|1,06 12,12|11,12| 81 9,4 | 15,8 |32,3|1,455| 1,37
= — |15,5 | 14,0 |11,88| 6,13| 46,5| 6,8 | 15,4 |33,1|1,47 |1,26
180 9,0 11,23 | 14,1 | 12,6 |10,85|10,10| 84 8,4 | 14 |36,4|1,52 | 1,48
180| — — |13,8 | 12,5 |10,78|10,13| 86 8,3 | 14,6 |34,9|1,455| 1,41
¡140 | 7,3 [1,00 | 17,4 | 8,8 | 8,43| 4,13| 28 6,2 | 13,3 |38,3|1,38 | 1,43
105 | 5,5 |0,755| 21,0 | 12,8 |10,99| 6,89| 37 8,4 | 15,8 |32,311,35 [1,31
| 82| 3,82|0,525| 25.6 12,5 |10,78| 4,23| 17 8,2 | 18,7 |27,2|1,13 |1,10
| 89| 4,35/0,596| 15,6 | 12,5 |10,78| 9,23| 14,5| 4,7 | 17,8 |28,6|1,19 | 1,02
891 — — | 15,5 | 12,5 |10,78| 9,23| 14,5| 4,7 | 17,2 |29,6/1,23 | 1,045
RON .— = 1147| 82| 8,10] 4,85| -39 5,9 | 16,0 |31,8|1,12 | 1,17
86| — 10,56 | 15,8 | 15,8 |13,34| — |100 | 10,4 | 19,2 |26,5|1,28 | 1,17
ı 79: 3,48/0,476| 16,3 | 16,3 |13,77| — |100 | 10,8 | 20,2 125,2|1,25 [1,13
77| 3,3310,455| 17 |17 |14,39| — |100 [11,2 | 21,4 |23,8|1.22 | 1,09
90| — |0,6 | 19,4 | 17,6 |14,95|14,05| 84 |11,8|20 |25,511,35 |1,2
89| — |0,596| 20 | 17,8 |15,14|14,04| 81 |11,8|20 |25,5|1,37 |1,20
89| = — 12 VII 9,77| 4,77| 26 7,4 | 17,3 |29,4|1,15 |1,15
122 | 6,45|0,885| 19 9,6 | 8,90| 4,10| 25 6,6 | 14,5 |35,2|1,31 | 1,33
123| — [|0,895| 19 9.6 | 8,90| 4,1 | 25 6,6 | 14,6 (35,0/1,30 |1,32
121| — [0,875| 20,4 |16 |13,51/11,31| 63,5| 10,5 | 17 |30,011,46 [1,33
122| — |0,885| 20,4 | 15,8 |13,34|11,04| 62 | 10,3 | 16,4 |31,3|1,50 |1,37
117 | 6,20/0,85 | 20,8 | 18,5 |15,82|14,67| 81 | 12,4 | 18,5 |27,611,53 | 1,34
119| — 10,86 | 20,8 | 18,5 |15,82|14,67| 81 | 12,4 | 18,7 |27,2|1,51 |1,32
146 | 7,6 [1,04 | 19,1 | 16,5 |13,95/12,65| 77 |11 16,5 |30,9|1,54 |1,40
Wäi — |1,01 | 19,0 | 16,5 [13,95|12,7 | 78 |10,9' 17 Ian |1,50 |1,36
150 | — |1,06 | 18,0 | 14,0 |11,88| 9,88| 65 9,2 | 15,0 |34 |1,51 |1,43
155 | 8,0 |1,10 | 17,8 | 13,8 |11,73| 9,73| 64 9,1 | 14,8 |34,4|1,51 | 1,44
152| — |1,075| 17,2 | 11,2 | 9,90| 6,90| 47 7,5 | 13,6 |37,5|1,48 | 1,47
152 | — = MILI IZ 9061-7061 48,51 7,71 137 ¡371147 11,46
1521 — 16,6 | 9,2 | 8,66| 5,00| 35,4| 6,4 | 12,9 |39,5|1,45 | 1,48
1850| — |1,23 | 17,4 | 17,1 |14,49|14,24| 95 | 11,3 | 15,5 |32,9|1,69 | 1,52
182| — — | 17,5 | 17,2 |14,58|14,43| 97 | 11,3 | 15,5 |32,9/1,70 | 1,52
182| — — [16,3 | 13,4 |11,43|10,00| 72,5| 8,9 | 13,7 |37,1|1,60 | F54
182 | — — |16,3 | 13,5 |11,50|10,1 | 72,5| 8,9 | 13,1 [38,9 1,69 | 1,61
ISA = — |15,9| 88| 8,43| 4,88| 36,5| 6,2 | 12,2 141,1|1,50 | 1,56
1180) — |1,23 | 15,8 | 8,5 | 8,27| 4,62| 35 6,1 | 12,5 |40,8|1,46 | 1,52
92! 4,5 |0,617| 5,11 | 3,5 | 5,86! 5,06| 77 3,8 | 14,4 (35,4 11,07 |1,21
921 — lose | 511 351 586| 506| 77 | 38 | 14.4 1354 1,07 |121
111| — [0,7961 5,0 | 3,2 | 5,74| 4,84| 74,5| 3,5 | 13,3 |38,3|1,15 |1,30
141 | — |0,995| 49| 3,0 | 5,66| 4,71| 73 3,4 | 12,1 |42,1|1,26 |1,41
1811 — 11211 461 201 5,021 4397175 3,4 | 10,9 |46,8|1,39 | 1,58
=5|137| — |1,53 | 5,0 | 3,2 | 5,74| 4,84| 74,5| 3,5 | 9,9 |51,5/11,55 |1,74
—30| 91 | 448/0,64 | 11,6 | 6,8 | 7,36| 4,94| 49 5,2 | 15,1 |33,7|1,13 | 1,22
91| — 10,65 | 124 | 84 | 8,21| 6,21| 58 6,1 | 15,4 (33,111,18 |1,23
Oil — 10,65 1126| 82] 8,1 | 5,9 | 55 6,0 | 15,2 |33,5|1,18 | L24
106—| 109 | 5.5410,76 |129| s9| 849| 649| 59 | 6,3 | 14,3 |35,7|1,29 |1,34
1101 5577:10,79 | 12,8.) -82.| 8,1 | 558.) 53 6,0 | 14,1 |36,1|1,28 | 1,36
137 | 7,05|0,965| 11,6 | 7,0 | 7,47| 5,17| 51 5,3 | 12,7 |38,6[1,38 | 1,46
168 | 8451116 |11 | 85| 827| 7,02| 71,6| 6,1 | 11,7 (43,511,55 | 1,63
1097| — [0,774| 15,3 | 12,4 [10,43| 8,78| 68 381115 143 11,39 | 1,36
106, — (0,76 | 15,1 | 11,8 110,3 | 8,65| 68 8,0 | 14,7 (34.611,40 11,38
pl — 110% 11891 10109771 8.391 70 751.186 13751147. 11:47
133 | 7,1 10,975| 26,8 | 26,2 [25,25 25,0 | 95,5| 19,2 | 25,9 [19,8/1,91 1,44
128 | 6,85/10,94 274 26,8 126,16, 25,86| 95,51 20 28 18,211,88 1,40
1109. — 10,75 30,4 29,8 |31,15/30,85| 96 | 23,4 | 41,2 12,4|1,85 | 1,29
|
| | i i 4
52 Die hygienischen Grundlagen der Lúftungstechnik usw.
Tabelle 111 (Fortsetzung)
H
No n V EN Le f f p i Ty Hr 334
3° | 106 | 0,760 | 25,5 | 15,3 | 12,92 | 7,83 | 32,0|10,0| 16,7 | 30,50 | 1,330
134 1,000 | 27,2 | 22,1 | 19,75 | 17,25 | 64,0 |15,3| 19,0 | 26,80 | 1,510
132 0,990 | 27,5 | 22,9 | 20,75 | 18,43 | 67,0 | 15,8 | 21,2 | 25,20 | 1,450
177 1,250 | 26,3 | 25,1 | 23,66 | 23,06 |91,0|18,2| 22,6 | 22,60 | 1,520
177 1,250 | 26,2 | 25,2 | 23,80 | 23,30 | 92,0 | 18,2 | 23,2 | 22,00 | 1,490
176 1,250 | 24,7 | 15,1 | 12,76 | 7,96 |344,5|10,0| 13,8 | 37,00 | 1,540
11/22 | 195 [0,470 | 36,4 | 18,5 | 15,82 | 6,82 [15,0 |12,2| 23,2 | 22,00 | 1,060
193 0,460 | 37,4 | 31,5 | 34,33 | 31,40 | 66,0 | 25,6| 87,2 | 6,52 | 0,880
195 0,470 | 36,7 | 31,2 | 33,75 | 31,00 | 67,5 125,0| 61,6 | 8,26 | 1,030
194 0,460 | 36,9 | 31,2 | 33,75 | 31,00 | 67,5 125,0| 62,8 | 8,11 | 1,010
194 0,460 | 37,7 | 34,7 | 41,09 | 30,59 | 81,5 | 29,6 | 146,0 | 3,50 | 1,030
194 0,440 7,2 5,0 6,51 | 5,41 |715| 4,5| 16,4 | 31,10 | 1,090
186 0,390 | 22,5 | 14,5 | 12,27 | 8,27 |41,0| 9,5| 20,2 | 25,20 | 1,070
186 | 0,390 | 23,5 | 22,3 | 19,99 | 19,39 | 90,0 | 15,5] 29,2 | 17,50 | 1,020
191 0,430 | 29,4 | 15,2 | 12,84 | 5,74 |19,0|10,0| 20,5 | 24,90 | 1,080
190 0,420 | 29,6 | 14,4 | 12,19 | 6,80 ¡220 /10,4| 20,5 | 24,90 | 1,100
191 0,430 | 30,8 | 24,1 | 22,29 | 18,94 | 57,0 | 16,8 | 27,0 | 18,80 | 1,160
193 0,446 ¡ 29,8 ¡ 26,0 | 24,96 | 23,06 | 74,0 ¡18,9| 33,4 | 15,30 | 1,150
193 | 0,446 | 26,0 | 23,5 | 21,50 | 20,25 | 81,0 | 16,5 | 27,4 | 18,60 | 1,130
194 0,450 | 24,3 | 22,8 | 20,61 | 19,86 | 88,0 | 15,9 | 28,2 | 18,10 | 1,060
194 |0,450 , 23,2 | 22,7 | 20,46 | 20,23 | 96,0 | 15,9 | 28,0 | 18,20 | 1,060
195 0,452 | 22,6 | 21,5 | 19,04 | 18,50 |91,0|15,8| 26,9 | 18,90 | 1,040
195 | 0,452 | 22,3 | 22,0 | 19,63 | 19,48 | 97,5 | 15,2| 27,3 | 18,60 | 1,050
195 0,452 | 18,3 9,5 8,84 | 4,44 |28,0| 6,7| 18,4 | 27,70 ! 1,050
195 0,452 | 18,4 | 12,0 | 10,43 | 7,23 |46,0| 8,0] 18,2 | 28,00 | 1,120
195 0,452 | 19,1 | 17,0 | 14,39 | 13,34 [82,0 | 21,6| 21,6 | 23,60 | 1,090
167 0,190 | 24,2 | 13,2 | 11,28 | 5,78 |26,0| 8,7| 25,4 | 20,10 | 0,790
167 0,190 | 25,0 | 13,4 | 11,43 | 5,63 |24,0| 8,5| 26,2 | 19,40 | 0,760
168 0,210 | 25,8 | 21,5 | 19,04 | 16,89 | 68,5 | 14,8 | 33,0 | 15,40 | 0,850
168 0,210 | 25,8 | 21,5 | 19,04 | 16,89 | 68,5 | 14,8| 32,8 | 15,50 | 0,850
169 0,225 | 27,2 | 27,1 | 26,63 | 26,58 | 99,0 | 20,2 | 42,8 | 11,85 | 0,925
168 | 0,207 | 26,8 | 25,8 | 24,66 | 24,16 [92,5|18,8| 42,4 | 11,95 | 0,840
169 | 0,220 | 26,2 | 25,3 | 23,94 | 23,44 |93,0|18,4| 40,5 | 12,60 | 0,865
171,5 | 0,245 ‚4 5,0 6,51 | 5,31 |69,0| 4,5 | 19,4 | 26,20 | 0,920
191 0,440 6,8 5,3 6,64 | 5,89 180,0] 4,6| 17,3 | 29,40 | 1,035
171 0,238 7,5 5,2 6,60 | 5,45 |70,0| 4,5| 19,6 | 26,00 | 0,915
194 0,440 7,2 5,0 6,51 | 5,41 171,5! 4,5| 16,4 | 31,00 | 1,085
186,5 | 0,210 | 14,0 8,2 8,10 | 5,20 144,0| 5,9| 22,6 | 22,60 | 0,835
195 0,447 | 12,0 8,4 8,21 | 6,41 |61,5| 6,1| 17,3 | 29,40 | 1,090
195 0,447 | 12,2 8,4 8,15 | 6,20 158,5 | 6,0| 17,0 | 30,00 | 1,110
146 0,142 | 20,0 | 14,5 | 12,27 | 9,52 |55,0| 9,5| 27,4 | 18,60 | 0,790
165,5 | 0,165 | 20,9 | 14,8 | 12,51 | 9,36 |51,0| 9,6| 27,6 | 18,40 | 0,785
167 0,187 | 21,0 | 14,9 | 12,59 | 9,54 |51,5| 9,6| 26,0 | 19,50 | 0,835
167 0,187 | 21,0 | 14,9 | 12,59 | 9,54 |51,5| 9,6| 26,0 | 19,50 | 0,835
167 0,187 | 21,2 | 14,8 | 12,51 | 9,31 |49,5| 9,6| 27,6 | 18,50 | 0,790
169,5 | 0,225 | 21,8 | 16,3 | 13,77 | 11,02 | 57,0 | 10,7 | 25,9 | 19,60 | 0,880
169,5 | 0,225 | 21,8 | 15,8 | 13,77 | 11,02 | 57,0 | 10,7 | 26,7 | 19,00 | 0,855
173 |0,267 | 22,0 | 15,1 | 12,76 | 9,31 [47,5/10,0¡ 25,4 | 20,10 | 0,875
173 0,267 |. 22,0 | 15,1 | 12,76 | 9,31 |47,5|10,0| 24,8 | 20,50 | 0,895
177,2 | 0,308 | 22,1 | 17,0 | 14,39 | 11,84 |60,0 | 11,3 | 24,8 | 20,50 | 0,945
53
Von Paul Weiß.
Feuchter Kata-Index in bewegter Luft mit genauer Berücksichtigung der
Barometerkorrektur bei der Berechnung von f*.
Tabelle IV.
GEET EE EE
N N N
A A A A A A A A A A A A A a a A a La a La e A A a A A
A a A SG A A A A
5
26
33
25
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3383229525304 NE 18 0 SS 09 09 tr NAND 0d 00 A 1 18 18 D
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Feuchter Kata-Index in ruhender Luft.
Tabelle V.
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A Gw A A A A h A
N 00 N
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37
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A A A A A â A Ä A Ä A A A A A A A a
AA A A A A A A A
54
Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik usw.
Tabelle V. (Fortsetzung.)
28 25,2 | 23,8 | LA 22,4 80 18,3 | 54,4 9,4
28,5 | 26,4 | 25,5 | 1,05 24,45 | 85 19,5 | 62,6 8,15
i 27,9 | 26,0 | 25 0,95 | 24,05 | 86 19,0 | 59,6 8,55
28,4 | 26,8 | 26,1 | 0,8 25,3 88 19,8 | 70,2 7,3
22,8 | 20,2 | 17,6 | 1,3 16,3 79 13,7 | 39,9 | 12,8
23,6 | 22,2 | 20 0,7 19,3 89 15,3 | 43,4 | 11,8
22,1 | 15,6 | 18,2 | 3,25 14,95 | 76 12,9 | 35 14,5
24,2 | 23,6 | 21,6 | 0,3 21,3 95 16,6 | 52,5 9,8
26 25,8 | 24,7 | 0,1 24,6 98,5 | 18,7 | 65 7,85
24,7 | 24 22,2 | 0,35 | 21,85 | 95 17,0 | 53,4 9,55
24,5 | 23,5 | 21,5 | 0,5 21 92,5 | 16,5 | 35,4 | 14,4
25,1 | 23,7 | 21,7 | 0,7 21 89 16,7 | 38,6 | 13,2
Protokolle der Versuche in bewegter Luft.
Bezeichnungen:
t = Temperatur des Luftstromes.
t* = Temperatur der Luft im Windschutz.
tir = Temperatur des trockenen Thermometers.
tf = Temperatur des feuchten Thermometers.
tb = Temperatur des Ölbades.
dt = Differenz Ölbad — Stirntemperatur.
ts = Stirntemperatur.
t's = Korrigierte Stirntemperatur.
e = Millivolt.
Tı = Abkühlungszeit des trockenen Katathermometers in Sekunden.
Tf = Abkühlungszeit des feuchten Katathermometers in Sekunden.
H = Trockener Kata-Index.
H’ = Feuchter Kata-Index.
no = Anemometerstellung am Anfang.
n = Anemometerstellung am Ende.
v = Luftgeschwindigkeit.
va = Luftgeschwindigkeit gemessen mit Anemometer.
Versuch vom 24. X.
23. Versuchsperson H.
| | | | | | |
Zeit t l ir. | e dt | to | ls Pol Ti H v
n
| | | | |
1104 18,8* 1188/145| 13,1| 12,6| 17,0! 29,6| 31,3
05 | 13,8| 13,3 30,3 32,0
| 13,8! 13,3
|
08 | 13,8| 13,: | 30,3 32,0
| in den Wind : | |
10 12,3 11,8 28,8| 30,3
11 | 11,9 11,4 28,4 29,9 |
I3- | | 11,5 111) 28,1 29.6 |
15 11,1, 10,7 27,7| 29,1
17 11,0! 10,6. 17,1) 27,7 29.1
20 aus dem Wind! 11,1! 10,7| 17,1) 27,8 29,2
l
21% | 18,9 | 12,0 11,5
23 | | 12,0! 11.5
25 | 12,01 11,5
déit "JL 19:0, | LE
]
28,6) 30,1 |
28,6! 30,1
j 30,1 |
7| 31,3] 39,6) 12,9) 1,4 310 394 | 1,3 | 14,6
313 | 939 048 1,5 |
KA sf, We Je,
Zeit
11215
25
26%,
28
11h02
07
| aus dem Wind |
Von. Paul Weiß.
Versuch vom 25. X
16,8*| 16,8) 13,5| 15,6
16,8
|
e Ka
15,5 14, o 15, i
DROE
59
23. Versuchsperson P.
SEIHIEIEIEIE
30,5| 32,2| 38,5 829 | 942 | 1,6
30,4| 32,1
777 | 827 1,0
in den Wind |13, o 13,3 28,8| 30,4
13,5| 13,0 28,5| 30,0
13,2| 12,7| 15,6| 28,31 29,8
12,8| 12,3 27,9| 29,3
12,6| 12,1 27,7| 29,1
12,1! 11,6| 15,6| 27,2| 28,5
12,1) 11,6 28,5 |
16,6 12,1) 11,6 97,2 28,5 37,5| 13,6 1,2
aus dem Wind
| 13,2 12,7| 15,7| 28,4| 29,9 |
| 13,9 13,4 29,1| 30,7
16,5 14,8| 14,2 29,9 31,6
15,0 14,4 30,1| 31,8
15,4 14,8 30,5| 32,3
| 15,9 15,7 31,0| 32,8 942 | 051 | 1,6
115,9 15,3, ` 131,0 32,8 | 827 | 891 | 1,1
Versuch vom 26. X. 23, Versuchsperson H
18,0 | 15,9| 30, Za
17,8* 14,8 14,2| 16,0 30,2
17,2 14,1 16,0) 29,6
17,5 |17,2| 13,2| 14,0] 13,5|
11,1
11,1
11,2
11,0
17,1
aus dem Wind
| 13,0
12,9
‚| 12,0
11,9
| 17,8| 13,2) 10,9| 10,5
114
10,7
10,7
10,8
10,6
12,5
12,4
14,0 13,5
| I ag
13,4)
30,6
28, 2 29,7
27,6 28,5
26,9| 28,2
26,9| 28,2
27,0| 28,3
8| 28,1
8| 28,1
Versuch vom 26. X. 23. Versuchsperson P.
M
| 150 12,5
| 13,8) 13,3
18,0 13,6 14,0 13,4 16,7
30,2| 31,9 87,6
29,2| 30,8
23,4| 29,9
27,3| 28,6
29,2 30,8
30,0, 31,7
30,1| 31,8
56 Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik usw.
‚ Versuch vom 27. X. 28. Versuchsperson P.
H pli N | da
Zeit | t Pa tr e | dt to te Ea T; Tf
9h46 |18,0*| 18,0 16,0 | 16,4 | 15,1 | 30,5 | 32,3 39,5 112,9 1.4 265 333 1,1
47 | 16,2 | 15,6 | 15,1 | 30,7 | 32,5 | 729 815 1,4
in den Wind | |
50 | 14,8 | 14,3 204 31,0 |
52 | 13,9 | 13,4 28,5 | 30,0 ka
54 .|18,8 |19,0 | 15,0 | 13,1 | 12,6 | 15,2 | 27,8 | 29,2 333 496 1,3
56 | 13,0 | 12,5 27,7 | 29,1 496579 1,3.
58 13,0 | 12,5 27,7 | 29,1
10602 | 12,9 | 12,4 | 15,3 | 27,7
aus dem Wind |
03 | 13,1
04 Y, 14,1
08 14,8
10 115,5 |
13 | 15,2
18,6* | i
in den Wind |
181, | 13,8 13,3 | | 28,7 | 30,2 | | |
20 |19,4 | 20,0 15,0 | 12,5 | 12,0 | 15,5 | 27,5 | 28,9 | | |
22 12,0 | 11,5 15,5 | 27,0 | 28,3
24 Y, 11,9/ 11,4 | 26,9 28,2
27 "(187 | 11,1 110,7 26,2 27,3 | 30,3 116,512,5 |
30 | | 10,6 10,2 25,7 | 26,9 | |
32 10,6 10,2 | 15,6 | 25,8 | 27,0 |
35 | | 10,6 10,2, 25,8 | 27,0 |
aus dem Wind | | |
3614 11,3 | 10,8 26,4 | 27,6 |
38 12.2117 | 27,3 | 28,6 |
401 12,1 | 11,6 | 15,7 | 27,3 | 28.6 | |
431, |18,8* 13,2 | 12,7 | 15,8 | 28,5 | 30,1 |
47 | 13,8 | 13,2 | 29,0 | 30,6 | | |
52. | | 14,1 | 13,5 | 29,3 | 30,9 | | |
56 |19,0*| | 14,0 | 13,4 | 15,9 | 29,3 | 30,9 | bk ko
Versuch vom 27. X. 23. Versuchsperson H.
11200 | | 13,9 | 13,4 | 16,3 | 29,7 | 31,4 | | Er | |
31,4 |
03 13,9 | 13,4 29,7 4
in den Wind | |
05 | | 12,8 l
06 12,0 | 11,5 27,8 Gë
08 11,7 11,3 27,6 | 29,0
10 11,0 | 10,6 26,9 | 28,2 |
12 20,0 11,0 | 10,6 | 16,5 | 27,1 | 28,4 | 32,6 | 15,6 3,0 010 /240 2,9
15 10,8 | 10,4 | 26,9 | 28,1 | TOi
19 10,8 | 10,4 | 26,9 | 28,1 | | a |
aus dem Wind | | |
201% | 11,8 | 11,4 | 16,6 | 28,0 | 29,5 | |
221, | | 12,0 | 11,5 28,1 | 29,6
24 Y, | 19,0 | 19,0 | 14,8 | 13,0 | 12,5 | 16,7 | 29,2 | 30,8 | 31,3 /16,3|2,6
28 | | |
2
| 13,0 12,5 129,2 |30,8/956 | 5,3) | | |
Von Paul Weiß. 57
Versuch vom 30. X. 23. Versuchsperson H.
Zeit EJ t: | tr | e dt | lo l, t's T: H D | No n | Va
oan |18,8* 18,6 14,2 | 13,6 | 16,5 | 30,1 | 31,8 100,5 51 02
58 |19,5 |19,6 14,2 | 13,6 | 30,1 | 31,8 | 78,6| 6,5 | 0,2
6 |
d. | |
317 | 2 |
10 "aus dem Wind | | | | |
10 |19,0* 13,6 | 13,1 29,8 | 31,5 i |
19 |20,0 13,8 | 13,3 | 16,8 | 30,1 | 31,8 | 55,6| 9,2 | 0,7 | 047 | 092 0,9
ou \18.9% 14,2 13,6 | 4 321 CH Ri
21 in den Wind | | | | | |
22 13,4 | 12,9 | 16,8 | 2 |
24 12,8 | 12,3 | 29,1 | 30,7
26 | 12,9 12,4 | 16,9 | 29,3 | 30,9
28 | 12,1 | 11,6 28,5 | 30,9
304, 12,3 | 11,8 17,0 | 288 | 30,3 Pl
341, | 20,0 12,1 | 11,6 | 17,0 | 28,6 | 30,1 | 57,2] 9,0 0,65 092 | 119 | 0,7
37 12,1 | 11,6 | 17,1 | 28,7 | 30,2 | |
aus dem Wind | | |
381, | 19,0*| 12,8 | 12,3 29,4 | 31,0 | | | |
40%, | 13,1 | 12,6 | 17,2 | 29,8 | 31,5 |
42 13,1 | 12,6 29,8 | 31,5 |
49 | 19,4* 13,2 | 12,7 | 17,3 | 30,0 | 31,7 {101 | 5,1
54 |196 19,8 13,5 13,1 126 20.9 316 35,614,3 | 2,0 | 249 | 381 | 1,8
58 | | | 13,1 | 12,6 | 29,9 | 31,6 DEN
in den Wind |12,0 | 11,5 | 17,4 | 28,9 | 30,4 | |
11501 11,0 | 10,6 28,0 | 29,4 |
03 19,6 10,9 | 10,5 27,9 29,3 | 35,3 14,4 | 2,0
05 9,6| 92 26,6 | 27,8 |
06 10,1 | 9,7 | 17,5 | 27,2 | 28,5 222 | 338 | 1,7
08 10,1 | 9,7 27,2 | 28,5 380 | 503 | 1,7
13- | 110,1 | 9,7 | 27,2 | 28,5 I | |
14 | 19,2* 11,0 10,6 EN 29,6 | |
161, | 11.9 | 114 | 28,9 304 |
19%, 12,4 | 11,9 | 17,7 | 29,6 | 31,3 | |
31 hacia 19,8 | 13,4 | 12,6 | 12,1 | 17,8 | 29,9 | 31,6 | 28,218 |3,4 |338 | 649 | 3,9
34 ue 11,7 | 29,5 | 31,1 | | | |
36 in den Wind ,2 | 10,8 28,6 | 30,1 | | |
37 Ee 9,5 | 17,9 | 27,4 | 28,8 |
39 9,9 | 9,5 27,4 | 28,8 | |
41 9,8| 9,4 27:31 28,7
431, | 9,4 | 9,0 | 18,0 | 27,0 | 28,3 |
46 19,6 9,2| 8,8 26,8 28,0 | |
49 |19,4* 9,1| 8,7 | 26,7 | 27,9 |
51 8,8| 8,5 18,1 | 26,6 27,8
55 8,9 | 8,5|18,1 | 26,6 | 27,8 |
56 |aus dem Wind | 9,8| 9,4 | 18,127 DO 28,9 | |
58 10,5 | 10,1 | 28,2 | 29,7 |
12:00 11,1 10,7 28,8 | 30,9 | |
06 DESIL; SES 29,5 |31,2 | 28,4118 |3,4 |
10 [19,8% 11,8 | 11,3 (29,5|31,2| 84,01 6,1 | 0,2 | |
16 |194 | (a 113) 29,5 | 31,2 |
12001
02
03
D5
07
00
OL,
19,6
Versuch vom 31. X. 23.
t | lir | tr
19,6
19,6
|
im Windschutz
18,4*
19,6
19,8 |
18,6*|
in den Wind
19,5
20,0
20,0
im Windschutz
18,8* |
|
‚Ventilator umgestellt, in
19,8
19,0*
' in den Wind
‚19,6 |
19,5
im Windschutz
19,2 2%]
119, 6132
Vent. umgest.
19.4
| in den Wind
| 19,4
19,3
A
ta
mm Windsehulz 0
36,5 14
e: et
re ahh
15,01 124 30.0 32,3
14,9 29,9 32,2
14,6 14,0 29,6. 31,8
14,6 14,0 29,6 31,8
14,6 14,0 29,6 31,8| 66,2
14,8| 14,2 15,7| 29,9 32,2
14,9| 14,3 30,0 32,3
14,9 14,3 30,0 32,3
15,8 71,4
52,6
14,9 14,3 15,9| 30,2| 39,5!
14,2| 13,7 16,0 29,7, 31,8.
13,9 13,3 29,3 31,5
13,1/12,6 16,1| 28,7 30,9
13,0| 12,5 28,6 30,8
12,6| 12,1 16,2 28,3 30,5
12,5 12,0 | 28,2| 30,3| 54,0
12,41 11,9 16,3 28,2 30,3
12,4 11,9 16,3 Ba oA
12,9 12,4 28
144 13,8| 16,4 30.2 325.
| 14,8| 14,2) 30,6 32,9 54,2
14,11 13,5 16,6! 30,1 294 37,0
14,1 13.5 30,1 32,4
12,1 11,6] 16,7 28,3 30,5]
Ee 11,4 28.1302
11,4 10,9 27,7 29,8
| 10,5 10,1 16,8 26,9 28,9
10,5 10,1 26,9 28,9
10,1 9,7 16,9 26,6 28,6
10,0. 9,6 17,0 26,6 28,6
10.0 9.6 26,6 28.6
10,0 96 26,6 28.6
11,6 112 38.2303
11.9 11.4 28,4 30,6
11,9| 11,4 17,1 28,5) 30,7
11,9 11,4 23:51.30,7
13,4 12,8 17,2 30,0 32,3)
13,6 13,0 30.2, 32,5
13,1 12,5 17,3 29,8| 32,1)
10,9| 10,4 17,3 27.7, 29,8
10,2 9,8 ih 291
9,5 9,1 26,4 28,4
88: 8,4 17,4 25,8 27,8
8,8 8,4 25,8 27,8
Sol gz 95.7 97,7
gë SA eier
GR: Ra 33.7277
3 81 110625725
009 0517627, 29.1
11.2 10,7 38.3305
(Du 11,5 nl 31.3
PR Ir 204 31.6
12.3 ILS 205 SLT
Versuchsperson P.
7,7 0,41
|
94 0,72
ı Windschutz etwas Luftbewegung
| 13,8|
1,9
26,0/ 19,2 3,5
SE
E
Fa
,19
278 | 337
¡551 | LO
|
| 494
707
ı 627 |
159
23,8
33,2
12,4
Versuch vom 2. XI 23. Versuchsperson H.
Da | Tf
| |
2h45 |25,0* 9,0 123,5 32,5 34,5 157,6 3,2 KH
51 8,9 123,6/32,5/34,5 111,6| 4,6/0,35 |
9,2 | 8,9 23,6 32,5134,5 |
52 ED 131,5 |33,4 | |
531, 8,1 | 7,8 31,4 133,3 |
551, 7,9 | 7,6 31,2133,1 | |
57 Y, | 7,5 | 7,2 |23,7|30,9|32,7 | |
3201 26,4 | 7,2 | 6,9 23,8 30,7 32,5, Erleichterung SE erheblich
04 |26,1 | | 7,1 | 6,8 | 30,6 32,4 Kein Schweiß
071, 26,0 | 7,1 | 6,8 | 30,6 132,4 | | | | | |
08 | | 7,1 | 6,8 | 30,6 32,4 |
09 7,1 | 6,8 30,6 32,4
11 7,1 | 6,8 |23,9130,7 | 32,5 | |
131, 7,9175 31 4 33,3| Schweiß |
181, 8,2 | 7,9 |24,0'31,9|33,9' | |
22 e | 90 861 132,634, H 85,4 6,0|0,8
28 | 8,8 18,5 | 13251346 |
|
30 126,5 | | 7,5 | 7,2 |24,1|31,3|33,2 |
32 e] 30
331, 126,4 26,6 19,2 7,0 130,8 |32,6 | |750 | 792 |0,9|19,3
38 | | 7,0 6,7 (24,2 30,9|32,7| Befinden gut |
39 7,0 67| 30,9 132,7 SET
41 | 8,1 17,8 | 32,0 | 34,0 | | 792 818 0,7,
43 |24,8* | 8,1 7,8 24,3|32,1 34,1| Sehr schwül | |
a ST | 9,0 8,6 32,9/35,0| 85,2| 6,0/0,8 |119|195
l
132,6/34,7| 55,7| 9,211,9 |197 | 35312,
24.4 | 32,9 35,0
"in den Wind | | | | | |
| f
4h00
| |
02 6,5 | 6,2 30,6 32,4 |
0315 6,2 | 6,0 24,4 30,4 32,1 | |
06 |25,2 253 17,5 585,6 30.031 T | | 14,4
08 15,6 | 5,4 29,8 31,5 Angenehme Brise i
09 24,6* (5,7 15,5 299 316 | |
12 | GC Te AAA 245 29,9 31,8 | |
aus den Wind | | | ep
13 | 6,6 Gi 30,8 32,6 Bewegte Luft im Windschutz
154, 2,6 | 6,8 65 31,0132,8 49,0 10,4/12,2 | 353 | 503 [2,0
22 8,1 17,8 32,3 34,3 915 26013,
30 24,2* | 8,0 7,7 24,6 32,3134,3| 37,6 13,413,7 15031755 |3,2
| in de dr Wind | | |
Sl ` Ä 6.0 | 5,8 130,4 32,1 |
33 (24,8 | 5,8 5.6 24,6 30,2 31.9 | |
An | 5,0 4,8 29,4 31,0 | 11,6
37 4,8 | 4,6 29,2 30,8. Thermisch angenehm
40 ra 4,3 28,9 30,4 Stärke des W indes unangene Jun
43 24,6 4,2 4,0 /24,6'28.,6 30,1 | 260 535 | 3, Di
46 4,2 | 4,0 128,6 30,1 | |
481, | 3.8 36 28,2 29,8 | d?
51 a 8 28,5 30,0
aus dem Wind | | | |
53 |23,6*] 15,8 | 5,6 30,2 31,9 |
56 124,4 | 65 6,3 130,9.32,7| 34,4 14,8 4,6 |
581, 124,4 | FEN OR 334. Ha 148146
5h02 123,6* 81 N da a El
60 Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik usw.
Versuch vom 5. XI 23. Versuchsperson P.
9 Erfrischende W irkung.
¡110,71 4,6 | 0,13) |
|
|
aus dem Wind | | |
36 22,0* | 11,1| 10,7! | 31,3| 34,2
39 I 1 Let? 31,7| 34,7|
45 |22,0* 114 11,0 20,7| 31.7 34.7
51 11,5| 1 31,8 34,8| 83,0) 6,2 | 0,36 |
| |
52 | j 10,9 10,5 |31, Pr 34,1 |
54 og sl 14,6 10,8 10,4 EUR) 33,9 Ganz angenehm erfrischend 23,4
56 10,8 10,4 20,7 31,1 33,9 I |
60 122,8 10,8 10,4 31,1 33,9 | |
4h04 | | 10,8 10,4) „os 33, 9 |
06 aus dem Wind |
09 ` 22,3*| 10,8' 10,4 31 234 6) 834 611035 | |
12 | Së 10,5 31,3 34,3 535 610. 1,3
18 1234 Lë 20,9 31,5 34,5 53,8 9,5 | 1,37 943 062! 1,7
20 | inden Wind |
20 123,0 | 10, 0 9,6 30,5| 33,2 |
231, | 23,2 | 90 8,6 29,5| 32,1 | 14,3
2715 | 8,21 7,9 28,8 31,3 Befinden gut.
34 Y, | 8,1! 7,81 21,0 28,8| 31,3 | 1610 728 1,6
37 aus dem Wind 9,0 8 6 21,0| 29,6| 32,2 | EE? |
41 22,8 10,11 9,7 30,7| 33,5 | | | | |
d? 226 10,0, 9,6| 21,1/30,7' 33,5) 30,8! 16,5 4,4 |
in den Wind |
A8 |22,6 1224| 14,5 3, 29,2| 31, | 2
52 68 6,5 27,6) 29,9] |
54 92,4 62. 60 | 27,1) 29,3) 31,0116,5 44 |
59 Gu 5.8 21,2 27,0 29.1 |
5h o4 HO DS 26,5 28,6
07 SIE 551 53 26,5 28,6
10) 50 4.8 5,0 28,0
54 5,2 26.4 28,5
aus dem Wind
15 TAR 07 27.9 30,2
AP 8,11 7,8 29,0 31,5 |
26 KU: 83:23:25 30:0..32.7 001 082| 1
Von Paul Weiß. ` ; 61
Versuch vom 6. XI. 23. Versuchsperson P.
zu Kwela
3h30 |24,2* 148,4 3,4 37,0
40 |26,8 9,0| 8,6| 23,6| 32,21 34,2] 78,4| 6,5 001 | 082
49 10,0| 9,6| 23,7| 33,3] 35,5 382 | 431
CH 9,0| 8,6 32,31 34,3| :
W
53 9,0| 8,6 |
56 8,6 8,3 17,4
4h00 8,5
04 8,0
10 8,3
211 8,6
13 8,6
17 8,9
20 $ 8,9
n den Wind
22 126,2 | | ,2| 8,8 32,8 34, |
25 8,9 8,6 32,6 34 |
28 24,6 16,4 9,0 8,6 2,71 34 26,8
32 :| 25,2 8,9 8,6 2,7| 34,8: 109,0| 4,7! 0,32
34 aus dem Wind 9,0] 8,6. 24,2| 32,8| 34,9
40 |26,2 9,5 9,1 33,31 35,5| 47,2 095 | 339 | 3,0
48 9,0| 8,6 32,8| 34,9
in den Wind
50 126,2 8,0| 7,7 31,9| 33,9 |
52 25,51 16,5; 7,51 7,2 31,4! 33,3 13,0
55 7,01 6,7 32,1
59 125,6 6,6! 6,3 32,3
5h05 6,5| 6,2 32,1
09 25,4 6,2| 5,9 31,8
aus dem Wind
11 23,2% 7,41 7,1 31,3| 33,2
16 | + 8,21 7,9 32,1| 34,1
20 8,8/ 8,5 32,7| 34,8
27 I | I ssis] [327/348
Versuch vom 8. XI. 23. Versuchsperson P.
EE E a e A mn E EE EE
CRREREEENEESEEDEREE
ana [23,6 | |11,8[11,3|23,534,8| 34,8| 155,4) 33 | |
in den Wind
| Ventilator umgestellt |
37 124,1 | | 9,5' 23,6| 3:
9,9
15,4 9,9| 9,5, 23,6
entilator umgestellt
23,8 | 9,8| 9,4
, | 48,8 10,4
23,7
6
23,6 33,0) 33,0
23,4| 15,2
9,0] 8,6
entilator umgestellt |
23,6 | |
23,6 |
23,6| 32,2| 32,2
23,4
15,2| 7,4
7,0
7,1
6,7]
a a n p » e ? TE ée i
A eh" e H e A Mi ke e ed VY - A E
r ? Y we AS WE I T KLS ` - D To 4 Ai w stý "y e UTA
y Lef | à bag JN A eee ert À A
u. A ad N po y á j `
` , ` rä m H Ga A ei t f
» de A4 Be P X o
62 Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik usw.
Versuch vom 9. XI. 23. Versuchsperson H.
emm Se
Zeit KACAPI L | IW Ts LS v Ty Bemerkungen
27,0*| 27,01 18,0 35,01 35,0 1550 2,6 Sehr schwül
3h 17 | 27,0* (ege 94] 35,0 35.0 | Kein Schweiß
19 | Ventilator umgestellt: " den Ke
26,0 |258 17,8 | 130,6) 3,9 0,20 29,5
34 | 26,1 ‚11,0 10,0 24,3 24,9 34,9) 127,4! 4,0! 0,23 Schwül
37 | 10,9 34,8 34,8 |
Ventilator umgestellt s] | | | |
42 | 26,4 10,6| 10,2 24,3) 34,5 34,5 119,0, 4,3) 0,34
51 | 26,6 | 26,6 17,8| 10,0 9,6 24,4 34,0 34,0 103,5 4,9 0,52 24,0 Noch drückend
26,6 10,2 9,8| 24,5 SN 34,3 107,8 4,7/0,45| |
Ventilator umgestellt
4107 72.1272 18,1 9,2| 8,8 24,6 33,4 33,4 73,01 7 18,0| Ganz gut
274 | 9,2 8,9 24,6 33,5 33,5| 74,
Ventilator umgestellt | | | |
19 27,2 8,8| 8,5 24,7| 33,21 33,2] 61,6 8,3) 2,25 14,7 Frisch
28 | 26,8 8,5| 8,2| 24,8| 33,0| 33,0| 59,8 8,5| 2,25
Bemerkungen
10536 116,3* 17,6, 21,0 20,2 11,6 31,8 31,8 |
40 (16,3 | | 9 20,1 "7. 31,7| 36,4| 14,0 1,25
44 | in den Wind 119,01 18,3 11,71 30,01 30,0) |
48 17,4| 8,6 18,9 18,2 11,8 30,0| 30,0 13,0 Recht kühl
51 (17,2 18,01 17,3 11,8| 29,11 29,1 |
54 17,21 16,5 28,3| 28,3
57 (17,2 16.8 16,1 11,9 28,0 28,0
11h00 168| 16,1 12,0 28,11 28,1)
06 1172 16.8| 16,1 12,1) 28,2 28,2] 37,6 13,6 1,30 Unangenchm
11/1174 16.7 16,0 98,2 28,2 kalt
14 | 16,2) 15,6 12,3 27,9 27,9 |
17 16,11 15,5 27,8| 27,8
20 16.2| 15.6, 12,4| 28.0, 28,0
93 |17,4| 9,21 16,5| 15,8 28,2/28,2 | |
EEN vom 27. XI. 23. Versuchsperson’P.
| 20.4 12.0 3 Dä
gh 37 Wa
212
32, a 32,4
| in den W ind | | | |
48 18,4 | 37,7| 13,7| 1,34
50%, | 90, 0i 19,2| 12,1! 31,3| 31, 3 Etwas kühl
53 118,4 18,4 9,7 18,8 18,1) 12,1) 30,2) 30,2 2 | 13,4
56 18,5 18,8 18,1 12,2 30,3 30,3 37,0 dni 1,60 Frostgefühl
59 18,6 18,1 12.3 A SE |
10h01 | Ventilator umgestellt |
03 118,6 18,21 17,5 12,4| 29, d 29,9 | S , Etwas kühler
06 188 (18,8 9,5 18.3 17.6 12,4 30.0| 30,0
09 118,8 18,0 17,3 12,5 29,8| 29,8! 37,0. 13,8| 1,66
16 | | 16,9 16,2 12,7 28,9| 28,9
19 | | | 16,9 16,2 12,8| 29,0| 29,0) |
Von Paul Weiß. 63
Versuch vom 27. XI. 28. (Fortsetzung.) Versuchsperson P.
tr e dt bo u | ts T: H v Te | Bemerkungen
|
16,3| 15,7| 12,9| 28,6] 28,6] 35,8| 14,2] 1,77
16,3| 15,7| 13,0! 28,7| 28,7 'Erhebliches
16,3 15,7| 13,0| 28,7| 28,7 | | Frostgefúhl
Ventilator umgestellt | | |
29 18,8] | | | 13,1
31 | 27,8| 27,8
33 [18,6 |18,5| 9,5 15,01 14.4 13,2) 27,6| 27,6 28,0| 18,2 3,10) [Sehr kühl
36 15,0| 144| 13,3| 27,7) 27,7)
45 | ventilator umgestellt; zur Erhohlung von der Kälte Geet
sich die Versuchsperson in den Heizraum
49 | in den W ind | | | |
| 15,1
52 (18,2 14,5 13,9 28,4 2 28,4| 26,0 19,6 3,45
55 (18,2 14,5 13,9 140| 27,9 27,9 27.0 18,9 3,20
11h01 13,8| 13,3| 14,2| 27,5 27,5) | | | |Kalt
Versuch vom 27. XI. 23. Versuchsperson H.
11h07 |18,6* 17,4] 16,7 14,3| 31,0| 31,0 | |
10 | 189 17,3| 14,4| 31,7| 31,7 |
12 17,5 14,4 31.9 31.9
16 | 118,2 17,5 14,5 32.0 320 |
in den Wind |
20 [19,4 |19,4| 9,7| 16,3| 15,7) | 1,10
23 16,0 15,4 14,7 30,1 30,1 frósteln
26 15,8| 15,2| 14,8| 30,0! 30,0 |
29 119,6 | 15,2) 14,6 14,9 29,5 29,5 45,3! 11,2] 1,10
37 | | 15,0| 14,4| 15,0| 29,4| 29,4 Ideen |
11540 | Ventilator umgestellt |
43 | 19,6) 19,8! 10,4| 13,9| 13,4, 15,2 28,6| 28,6! 37,0| 13,8! 1,84 11,8
46 | 19,7 13,2| 12,7| 15,3 | 2g
|13,2| 12,7] 15, Frostgefühl
Ventilator umgestellt | | |
53 | 19,3 | 13,0| 12,5) 15,4| 27,9| 27,9| 28,8 17,7 3,20 |
12h01 19,2) 10,0, 12, 1) 11,6, 15,6| 27,21 27,2 | 9,6
04 | 12,0 11,5 15,6| 27,1 | 27,1 ke d
06 | 19,0 11, 114 15,7| 27,1) 27,1| 28,6| 17,8| 3,10)
Versuch vom 3. XII. 23. Versuchsperson P.
4107 |In den Wind
18,0 | 17,9| 11,0) 16,6| 16,0 dl 32,5 32,5| 77,8| 6,6 0,18| 23,0
5,5
23 | 18,0 | 18,1! 11,2 16,7| 16,1| 16,5 32,6 32,6| 79,0| 6,5| 0,16| 25,
28 16,2| 15,6| 16,6 32,2| 32,2
34 16,5| 15,8 32,4 32,4| 81,8| 6,31 0,15
43 16,4| 15,8 indifferent
16,1) 15,5
entilator umgestellt
54 | 18,6 14,5 13,9 30,6 30,6 49,(
5h00 14,1 13,5| 16,7| 30,2 30,2 55,0| 9,3 0,
03 118,5 | 3,21 9,6 0,6: Zuggefúhl
07 14,1 13,5 30,2) 30,2 ganz leicht
11 | | 14,1| 13,5| 16,8, 30,3, 30,3 kühl
64 Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik usw.
Versuch vom 3. XII. 23. Versuchsperson P. (Fortsetzung.)
Bemerkungen
7,31 0,30
indifferent
Ventilator umgestellt
282 18,1
36 118,21 | 2,90 [kúhl
40 178) | l10,9l 10,5 17,027,527 "
5 mol. on 9,5 17,11 26,6 26,6| 26,5 19,2 2,90, Sehr kalt
50 99 95| 171 26,6 26,0| 19,6290)
Versuch vom 4. XII. 23. Versuchsperson P.
4h37 |12,8 | | 24,2| 21,0| 2,25
44 |12,6 | 12,6| 7,0 ol 9,0 116,4 25,4) 25,4 | Pröt 7,2
48 | 12,2 8,8| 8,5| 16,4| 24,9| 24,9| 23,9| 21,3| 2,20 Empfinden
52 | 12,0 I 8,2| 7,9! 16,3| 24,2] 24,2 | recht kühl
57 |11,7 | | 8,1| 7,8 16,2) | |
Ventilator umgestellt |
5409 | 13,6 | | 43,0 11,9 0,59 |
13 113,5 | | 13,2| 12,7| 16,0; 28,7| 28,7! | |
19 Dë | 12,8 12,3| 15,9| 28,2] 28,2! | | ganz leicht
22 | 13,5 | 12,8) 12,3 15,8] : | kühl
Ventilator umgestellt | |
34 [14,1 | | | 51,2 10,0 0,41
39 | 14,2 15,2 14,6 15,5 30,1| 30,1 | |
44 [14,0 | | | | 51,8. 9,9| 0,37
54 |14,2|13,8| 7,8| 15,0! 14,4| 15,2 29,6| 29,6 |
6h01 | 14,2 | | 14,9 | 14,3| 15,1 | 29,4| 29,4
Versuch vom 5. XU. 23, Versuchsperson P.
3h25 0,50| 17,8
32| 15,4
42|. 14,0 13,4 16,4 29,8
47 | 15,4 X
Ventilator umgestellt
16,3 15,3
4h05 | 16,5 15,6 15,0 ,
14 | 16,0 15,8| 15,2| 16,1 E 313 |
21 | 15,8 15,8! 15,2| 16,0 31,2 Zi 57,6 8,8, 0,36 Füße kalt, sonst
27 | 15,6 | 55,8 2 0,38 indifferent
33 | 15,6 15,8| 15.2| 15,9 31,1 31,1
Am folgenden Tag bettlägerig wegen Farónkdl und Fieber.
Versuch vom 12, XII. 23. Versuchsperson H.
2h5] 14,1| 13,5 19,6| 33,1| 33,1
3h01 14,0| 13,4| 19,7| 33,1| 33,1
21,8* 14,0| 13,4! 19,7| 33,1| 33,1| 129,8; 3,9
in den Wind | | |
Ber ` | 13,8] 13,2 19,7 32,9| 32,9) | |
20 | 21,8 13,3 128| | 32,5| 32,5| 93,0 5,5 0,19
23| 21,6 | 21,4 13,4 13,2| 12,7| 19,7 32,4 32,4 26,1| Ganz normal
30 | 21,6 13,1| 12,6 19,7 32,3 32,3 95,0| 5,4 0,20
34 | 134 129 [32,6 32,6 |
36 | 21,4 13,2127, |32,4| 32,4 |
Von Paul Weiß.
Versuch vom 12. XII. 23.
Zeit
'entilator umgestellt
42 | 21,8 12,9| 12,4| 19,8
47 |21,6 | 21,5) 13,4 12,6 12,1! 19,8
12,7| 12,2
12,2 11,7
12,2 11,7
21,6 |
21,5 |
19,8] :
65
Versuchsperson H. (Fortsetzung.)
Bemerkungen
59,2! 8,6 ea
ji
Í
08 | 21,3 | Ventilator umgestellt 7 5
12 21,2 | 21,2] 13,2] 11,11 10,7 30,6
17 | 21,3 | 11,6 11,2 31,1 31,1) 47,7, 10,7 Kein Nachteil
21 | 21,1 | 11.0 10,6| 19,9| 30,5 30,5| 45.4 11,2 1,41.
Ventilator umgestellt | | | | |
gä) | [100 9,6 29,5, 29,5, 33,4| 15,2 2,80
31 | 20,9 [20,8 13,1, 9,1 8,8 20,0 28,8 28,8 | ag
35 | 20,8 9,1| 8,8 20,0 28,8 28,8 | GC ci
40 | 20,8 | 9.0) 8,71 ` 128,728,7) 31,0 16,41 3,24 | Etwas kühl
Zusammenstellung der Katawerte und Stirntemperaturen in ruhender Luft,
Tabelle VII.
Versuchsperson P.
Datum | t t: lr e dt H Bemerkungen
27. X. |18,0 16,2| 15,6| 15,1| 30,7| 32,5
31.2: 11489 15,2| 14,6| 15,6 30,2) 32,5
6. XI. | 24,2| 24,0| 21,6| 10,0| 9,6| 23,7| 33,3 35,5| 148,4 | 3,45| Heiß
8. XI. | 23,6 11,8 11,4 23,5| 34,9 34,9 155,4 3,28
14. XI. | 11,6| 11,4| 9,2) 14,1) 13,5! 16,2| 29,7| 29,7| 66,4| 7,70
11,6, 14,0 14,0) 13,5| 16,2 29,7| 29,7 |
17,4 18,1| 17,4| 15,0) 32,4 32,4| 90,4 5,65
17,6 181 17,4| 15,0 32,4 32,4| 97,7 5,22
24. XI. 10,2 | 20,4| 19,6) 8,7 28,3| 29,31 59,2 8,60. Nach jeder Verlage-
10,2 19,6| 18,8| 8,8 27,6 28,6| 61,1 8,35 rung d. lustrumente
18,6 21,0| 20,2| 10,6 30,8 32,5| 98,2 5,18 wird neu geeicht
18,6 20,8| 20,9| 10,8 30,8 32,5| 97,8 5,21
22,4 21,11 20,3 12,4 32,7 34,0 pl
22,5 | [|21,1|20,3| 12,9| 33,2| 34,5| 104,2| 4,80|
| 22,6 20,0| 19,2| 13,7 32,9 34,3| 107,5| 4,65
26. XI. | 16,3 20,9| 20,1| 11,7 31,8 31,8 eet,
27. XL | 17,5 21,2 20,4| 11,8| 32,2 32,2 äi
| | | |
Tabelle VIII. Versuchsperson H.
22. X. 1181 13,7| 13,2| 16,8| 2001 31,8] 96,0| 5,30
24. X. |18,8 13,8 13,3| 17,0) 30,3| 32,0
26. X. [17,5 17,2 13,2 14,0 13,5 16,2 29,7 31,4| 88,4| 5,76
16,9 13,9: 13,4| 16,3 29,7) 31,3|
30. X. |18,8 19,6 13,6 14,2 13,6| 16,5 30,1| 31,8| 100,5, 5,10
2. XI. | 26,6 9,2, 8,8| 23,6 32,5 34,5| 157,6 3,24
9. XI. | 27,0 27,0, 18,0) 11,3 10,8) 24,1| 35,0 34,7| 135,0 2,60 Sehr schwül
14. XI. | 11,6 11,4| 9,2) 13,9 13,4| 16,2, 29,6| 29,6
17,6 17,0 16,3 15,0 31,3 31,3
17,4 17,0 16,3, 14,9| 31,2) 31,2
27. XI. | 18,6 18,2; 17,5| 14,5 32,0 32,0
12. XII. | 21,8; 14,0, 13,4| 19,7| 33,1) 33,1
Archiy für Hygiene. Bd. 96.
66
Die hygienischen Grundlagen der Lúftungstechnik usw.
Zusammenstellung der Kata-Werte und Stirntemperaturen in bewegter Luft.
Datum
Tabelle IX. Vers Uche person: * E
A
X.
27. X.
A
3. XII.
2. XI.
9. XI.
28,5| 37,5 | 13,6 | 1,20
28,6 | 37,8 | 13,5 | 1,40
29,1| 39,5 | 12,9 | 1,40
27,0 | 30,3 | 16,5 | 2,50
32,2| 66,2 | 7,7/0,41
54,0 | 9,5 | 0,78
28,6 | 36,5 | 14,0 | 1,90
27,7 | 28,5 | 17,9 | 3,30
33,9 | 97,7
33,9 | 83,0
31,3 | 53,8
21,2 | 26,4 | 28,5 | 31,0
1| 82,0
8 | 109
8| 45,9
,3| 81,2
1
2
16,6 | 12,1 | 11,6 | 15,6
18,1 | 11,0] 10,6 | 16,7
MY
NN DD
a
wë
-+
wë
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SG O O 1 00 YO SA =1
3000 vo
iv
a
þat
WW
E
D&D
beet
~v
62,1
46,8
23,5 | 30,2 | 30,2 | 32,6
15,8 | 1274 | 28,2 | 28,2 | 37,6
18,6 | 18,8 | 18,1 | 12,3 | 30,4 | 30,4| 37,0 | 13,8
18,8 | 16,9 | 16,2 | 12,8 | 29,0 |29,0 | 37,0 | 13,8
18,7 | 16,3 | 15,7 | 13,0 | 28,7 | 28,7 | 35,8 | 14,2
18,6 | 15,0 | 14,4 | 13,3 | 27,7 | 27,7 | 28,0 | 18,2
18,2 | 13,8 | 13,3 | 14,2 | 27,5 | 27,5| 27,0 | 18,9
18,2 | 16,1 | 15,5 | 16,7 | 32,2 | 32,2 |. 81,8 | 6,
18,5 | 14,1 | 13,5 | 16,8 | 30,3 |30,3 | 53,2
18,6 15,1 | 145 | 16,8 | 31,3 | 31,3] 69,3
oi 95/171 26,6|26,6| 26,0|1
1 23,9 |2
'8 | 123 | 15.8 | 28,1 | 28,1! 43,0 |1
518| 9,
51.0 | 10,0 0,45
55,8 | 9,2 | 0,38
hd
<-
-+
wë
-
wë
ws
-
-+
e
~»
A
M N D O O E 00 00 En Yo
Eed
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wë
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-
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y
- <-
-
5d o 5A e 5d “
wë
DONO DY a mi pu pu a O A O NO
ERES EE CC SÍ
-
Tabelle X. Versuchsperson H.
|
10,7 | 17,1 ' 27,8 | 29,2
11,6 | 15,6 27,2 | 28,5
39,6! 12,9
37,5| 13,6 | 1,20
32,6 | 15,6 | 3,00
20,0 | 13,8 | 13,3 | 16,7 | 30,0 | 31,7 | 80,6| 6,3 | 0,20 |
20,0 | 12,1 | 11,6 | 17,1 | 28,7 |30,2| 57,2| 9,0|0,65
19,6 | 10,1 | 9,7 | 17,5 | 27,2 | 28,5 | 35,3 14,4 | 2,00
19,6| 8,9| 8,5 |18,1 | 26,6 | 27,8 28,4| 18,0 | 3,40
26,0| 7,1 | 6,8 | 23,8 | 30,6 | 32,4 112 | 4,6, 0,35
264 | 7,0 | 6,7 | 24,2 | 30,9 | 32,7 | 85,4| 6,0 | 0,80
25,2 | 5,7 | 5,5 | 24,5 | 29,9 | 31,8 | 55,7] 9,2 | 1,90
24,6 | 4,1 | 3,9 | 24,6 | 28,5 | 30,0 | 34,4| 14,8 , 4,60
26,6 | 10,9 ; 10,5 | 24,3 | 34,8 34,8 '127 | 4,0 0,23
26,6 | 10,2 | 9,8 | 24,5 | 34,3 | 34,3 |108 | 4,7 ,0,45
27,41 9,2| SO 24,6 | 33,5 33,5 | 74,6| 6,8 1,50
26,8| 8,5| 8,2 | 24,8 | 33,0 | 33,0 | 59,8| 8,5 ; 2,25
26,5| 7,3; 6,9 | 24,9 | 31,8 | 31,8 | 40,6| 12,6 | 5,
1,40
Bemerkungen
Mäßiges Kältegefühl
kühl
kühl
ganz angenehm
Beine kühl
Erfrischende Wirkung
angenehm erfrischend
Befinden gut
Noch etwas drückend
drückend
erfrischend
drückend
frisch
unangenehm kalt
Etwas kúhl
Noch kühler l
Erheblich. Frostgefühl
Sehr kühl
kalt.
indifferent
ganz leicht kühl
indifferent
sehr kalt
recht kühl
‚leicht kühl
Kalte Füsse (Fieber.)
kühl, Wind ungleich-
mäßig
ganz angenehm
_frösteln
kalt
keine Erleichterung
Befinden gut
angenehme Brise
thermisch angenehm
schwül
noch drückend
ganz gut
5 | frisch
00 | Wind unangenehm
Von Paul WeiB. 67
Zusammenstellung der -Kata-Werte und Stirntemperaturen in bewegter Luft.
Tabelle X. Veasuchsperson H. (Fortsetzung.)
Datum EN e dt to le D, T: H v Bemerkungen
27. XI. | 19,6 | 15,0 | 14,4 | 15,0 | 29,4 | 29,4 | 45,3| 11,2 | 1,10 | frósteln
19,6 | 13,2 | 12,7 | 15,4 | 28,1 | 28,1 | 37,0| 13,8 | 1,84 | Frostgefühl
19,0 | 11,9 | 11,4 | 15,7 | 27,1 | 27,1 | 28,6| 17,8 | 3,10
12. XII. | 21,4 | 13,2 | 12,7 | 19,7 | 32,4 | 32,4 | 95,0| 5,4 | 0,20 | ganz normal
21,3 | 12,2 | 11,7 | 19,8 | 31,5 | 31,5 | 59,2| 8,6 | 0,76 | gut
21,1 | 11,0 | 10,6 | 19,9 | 30,5 | 30,5 | 45,4| 11,2 | 1,40 | kein Nachteil
20,8 | 9,0 | 8,7 | 20,0 | 28,7 | 28,7 | 31,0] 16,4 | 3,24 | etwas kühl
Im Glaskasten.
8,4 | 0,72 | sehr angenehm
67,0 | 7,6 | 0,66 | angenehm
15,9
bet ei
o. »
32,7 | 32,7
9
26,0 17,4
Versuche in feuchter Luft.
. Bezeichnungen wie früher.
Weitere Bezeichnungen:
= Galvanometerstellung am Anfang.
a = Galvanometerstellung am Ende.
= Galvanometerausschlag.
Or = Korrigierte Ölbadtemperatur.
Versuch vom 28. XII. 28. Versuchsperson H.
EEE AZ A EEE En A EEE EEE EEE EEE EEE EE A A Ol
Zeit t ong a da dt L T: Bemerkungen
1230 |23,9* 97,31.
33 |24,0*| 24,5 | 23,5 35,4
37 24,7123,9| 72,0 |41,7,30,3|14,0|13,4|19,1|32,5
44 124,5* 114
45 41,1 30,9|14,3|13,7|19,5| 33,2
57 |24,9*|25,1 | 23,7 41,5/30,5|14,8|14,2|19,2|33,4|134 |38,6
60 125,1* 41,6|30,4|15,0|14,4 | 19,2 | 33,6 Sehr roter Kopf
Versuch vom 4. I. 24. Versuchsperson H.
11h 122
AP TE 114,2|13,6|19,9|33,5
34 25,0*
43 125,6* ,3/41,7|30,1/14,5/13,9|19,9|33,8
Versuch vom 7. I. 23. Versuchsperson H.
1h12 ¡24,8*| 24,7 31,6 |
24 24,9*|24,9 ie miso: 13,2. 12,6 20,6 33,2
38 24,8|16,2 30.8138 164 |37,3
47 125, ‚0* 71, ‚6 a II,
68 Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik usw.
Literaturverzeichnis.
(1) v. Pettenkofer, „Über den Luftwechsel in Wohngebäuden“, München
1858
(2) Flügge, Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten (Z. f. H. u. I.)
1905, Ausführliche Literaturangaben.
(3) Leonard Hill, Smithonian Miscellaneous Collections, 1913: ‚The influence
sl the atmosphere on our health and comfort in confined and crowded
places.‘
(4) B. Heymann, Z. f. H. u. I. 1905: „Über den Einfluß wieder eingeatmeter
Expirationsluft auf die CO,-Abgabe.“
(5) Brown-Séquard und d’Arsonval, Comptes rendus T. CV.
(6) Vgl. die ausführlichen Literaturangaben Formäneks in seiner Arbeit:
„Über die Giftigkeit der Ausatmungsluft.“
(7) J. Rosenau und L. Amoss, „Organic matter in expired breath“, Heating
and Ventilating Magazine, Dez. 1911.
(8) L. Paul, „Die Wirkung der Luft bewohnter Räume“, Z. f. H. u. I. 1905.
(9) Rubner, Handbuch für Hygiene.
(10) Lange, „Über den Einfluß bewegter Luft auf das therm. Verhalten des
Menschen“, Z. f. H. u. I. 1921.
(11) NuBbaum, Gesundheitsingenieur 1914, S. 441 und 1915, S. 294.
(12) Krieger, Straßburg, 1876.
(13) Derselbe, „Wert der Ventilation“, Straßburg 1899.
(14) Frankenháuser, Med. Klin. 1911, Bd. 7.
(15) C. Dorno, Zeitschr. f. phys. u. diätetische Therapie 1923, „Über geeignete
Klimadarstellung**.
(16) L. Hill, Revue internationale d'hygiène publique 1921, Nr. 3, „Les rela-
tions entre la santé et l’atmosphere ambiante‘, sowie: The science of
ee and open air treatment‘, H. M. Stationery Office London,
art. I, 19.
(16a) L. Hill, „The Katathermometer in studies of body heat and efficiency,
H. M. St. Off. London 1923, sowie: „Health and ventilation“, Heating
and Vent. Mag. Nov. 1912.
(17) M. Wierz, 33. Mitteilung der Versuchsanstalt für Heizung und Lüftung.
Hinlein, Vergleiche auch Literaturangaben von Hinlein, 99. Forschungs-
heft des V.d. I.
Gröber, sowie: Gröber, „Grundgesetze der Wärmeleitung und des Wärme-
überganges‘“.
(18) v. Bezold, Ztschr. f. Luftschiffahrt u. Phys. d. Atm. 1894.
(19) F. Linke, „Das Prött-Theorem‘, Meteorolog. Ztschr. 1922, S. 267.
(20) W. Knoche, Archiv der deutschen Seewarte 1905.
(21) Vincent, „La determination de la temperature climatologique‘ Ciel et
Terre, 1890, sowie: Nouvelles recherches sur la temp. clim., Brüssel 1906.
(22) Flügge, Festschrift Rob. Koch, Jena 1903.
(23) Heymann und Reichenbach, ‚Beziehungen zwischen Haut- und Luft-
temperatur“, 2. f. H. u. I. 1907.
(24 Heymann, „Über den Einfluß des Windes auf die Wärmeabgabe toter
) Objekte‘, Z. f. H. u. I. Bd. XLVI, S. 196.
(25) Vernon, ‚The index of comfort at high atmospheric temperatures“‘ in „The
Katathermometer in studies of body heat and efficiency”, London H. M.
St. Off. 1923.
(26) R. Kimura, „Ermüdungsstudien bei genau bemessener körperlicher Ar-
beit“, Z. f. H. u. I. . 98.
(27) F. Bradtke, Meteorologische Zeitschrift 1918, S. 313.
$
Untersuchungen zur Klärung der Bleiverftiichtigung beim
homogenen Verbleien und Bleilöten unter Verwendung
verschiedener Gebläseflammen.
Von
Reg.-Rat Dr. Hans Engel und Dr. phil. Victor Froboese,
Mitglied i Regierungsrat
im Reichsgesundheitsamt.
(Aus dem gewerbe-hygienischen Laboratorium des Reichsgesundheitsamts.)
(Bei der Redaktion eingegangen am 20. April 1925.)
Erfahrungen, welche der eine von uns während seiner früheren Tätigkeit
in der chemischen Industrie sammeln konnte und die sich später bei größer
angelegten in den Jahren 1920—1922 vom Reichsgesundheitsamt vor-
genommenen Erhebungen über die Gesundheitsgefährdung in Betrieben
zur Verarbeitung von metallischem Blei bestätigt haben!), ließen es als
erwiesen erscheinen, daß bei der Bleilóterei, und zwar vor allem bei der
sogenannten Homogenverbleiung, die Arbeiter in einem gewissen Maß
der Gefahr der Bleierkrankung ausgesetzt sind, und daß diese Gefährdung
ganz hauptsächlich durch die Entstehung und Einatmung von Bleidämpfen
bzw. von Bleirauch (Bleioxyd in feinster Verteilung) herbeigeführt wird.
Diese Auffassung war zunächst aus dem Ergebnis der ärztlichen Unter-
suchungen und Feststellungen an den Arbeitern in Betrieben zur Verar-
beitung von metallischem Blei und aus dem Studium der Arbeitsvorgänge
gewonnen, indem sich dabei immer wieder herausstellte, daß, wenn auch
nicht ausschließlich, so doch ganz überwiegend Bleilöter, insbesondere die
Homogenverbleier, Anzeichen der Bleiwirkung aufwiesen. Das ließ sich
kaum anders als durch die Bleiverflüchtigung erklären, die mit besonders
starker und ausgedehnter oberflächlicher Erhitzung der bearbeiteten Blei-
fläche verbunden ist, da die Aufnahme von Blei auf anderem Wege,
insbesondere durch äußere Beschmutzung, gerade bei diesen Arbeiten,
nur in geringerem Maße stattfinden kann. Bei diesen Erhebungen wurde
auch schon der Versuch gemacht, durch Luftuntersuchung an einer Arbeits-
1) H. Engel, Über die Gesundheitsgefährdung bei der Verarbeitung von
metallischem Blei mit besonderer Berücksichtigung der Bleilöter, Heft 13 der
Schriften aus dem Gesamtgebiet der Gewerbehygiene, herausgegeben von der
Deutschen Gesellschaft f. Gewerbehygiene, Verlag v. J. Springer.
Archiv für Hygiene. Bd. 96. 6
r
70 Untersuchungen zur Klärung der Bleiverflüchtigung usw.
stelle und durch Untersuchung an geeigneter Stelle entnommener Staub-
proben die Entstehung von Bleirauch bei der homogenen Verbleiung
nachzuweisen. (Näheres hierüber a. a. O.)
Ähnliche Untersuchungen über den Bleigehalt der Luft an der Arbeits-
stelle bei loser Verbleiung sind mit positivem Ergebnis in einer englischen
Akkumulatorenfabrik ausgeführt worden (laut amtlicher Mitteilung an
das Reichsgesundheitsamt). Ebenso haben ältere Untersuchungen des
Reichsgesundheitsamtes!) bei der nämlichen Arbeit (lose Verbleiung bei
der Herstellung von Akkumulatorenkästen und dem Zusammenlöten von
Akkumulatorenplatten zu Sätzen) die „Bleiverdampfung‘‘ wahrscheinlich
gemacht. Neuerdings ist die Frage der Bleiverflüchtigung bei der Blei-
löterei durch Luftuntersuchungen im Betrieb und in einer die Bedingungen
der Homogenverbleiung annähernd nachahmenden Versuchsanordnungen
im Laboratorium in der Chemisch-Technischen Reichsanstalt?) geprüft
und dabei die Möglichkeit der Einatmung von Bleidämpfen dargetan
worden.
Alle diese Untersuchungen haben übereinstimmend die Tatsache einer
Bleiverflüchtigung bei dem Arbeitsvorgang der Bleilöterei festgestellt.
Daß diese Bleiverflüchtigung in einem für die Gesundheit schädlichem
Maße stattfinden kann, und daß sie wenigstens bei der Homogenverbleiung
die Hauptquelle der Bleigefährdung bildet, wurde durch das Ergebnis
der ärztlichen Untersuchung und zwar nur durch diese, erwiesen. (Die
inzwischen erschienene Arbeit von Fischer?) läßt u. E. keine gegen-
teiligen Schlußfolgerungen zu, da die gewählte Versuchsanordnung zur
Entscheidung der Frage nicht geeignet ist.) Daraus ergab sich aber als
wichtigster gewerbehygienischer Gesichtspunkt für die Verhütung der
Bleigefährdung beim Homogenverbleien die Beseitigung oder Einschrän-
kung der Entstehung und Einatmung des Bleirauchs. Die gegen die Ge-
fährdung durch äußere Beschmutzung gerichtete rein persönliche Pro-
phylaxe, allgemeine Sauberkeit, Händereinigung usw., konnte nicht ge-
nügen.
Im Verfolg dieser Frage war, wie schon in der früheren erwähnten
Veröffentlichung dargelegt, zu prüfen, wie sich verschiedene in der Technik
verwendete oder verwendbare Gebläseflammen hinsichtlich der Bleiver-
dampfung bzw. Bleiverflüchtigung vergleichsweise verhalten, und ob in
dieser Beziehung wesentliche Unterschiede von praktischer Bedeutung
zwischen ihnen bestehen. Hierüber konnte aus den vorliegenden ärzt-
lichen Untersuchungen nichts gefolgert werden. Diese Fragestellung war
aber der experimentellen Lösung im Laboratoriumsmodellversuch zu-
gänglich. Sie bildet den Gegenstand der im Folgenden mitgeteilten Unter-
suchung, die also, wie ausdrücklich hervorgehoben werden soll, nach ihrer
ganzen Anlage nicht dazu bestimmt war, die tatsächlich bei der Arbeit
zur Einatmung gelangenden Bleimengen festzustellen, oder aus den ge-
fundenen absoluten Bleimengen Schlußfolgerungen dieser Art zu ziehen.
1) Wutzdorff, Arbeiten aus dem Reichsgesundheitsamt, Bd. 15. S. 166.
2) Jahresbericht 111 der Chemisch-Technischen Reichsanstalt 1922—1923,
S. 92.
3) Archiv f. Hygiene Bd. 94, S. 342.
Von Dr. Hans Engel und Dr. Victor Froboese. 11
Der gewerbehygienische Kernpunkt unserer Fragestellung war vielmehr
ausschließlich der, ob sich bei der vergleichenden Untersuchung ver-
schiedener Gebläseflammen unter der praktischen Verwendung möglichst
entsprechenden Bedingungen hinsichtlich der Bleiverflüchtigung so große
Unterschiede feststellen ließen, daß es gerchtfertigt erschien, die Verwen-
dung gewisser Gebläseflammen zu vermeiden oder zu verbieten und ihren
Ersatz durch andere zu empfehlen. Tatsächlich verwendet werden in der
Praxis neben der Wasserstoff-Sauerstoff-Flamme, die bei weitem am
häufigsten Anwendung findet, die Wasserstoffdruckluftilamme, die
Azetylen-Sauerstoffllamme und die Leuchtgasdruckluft- und Sauerstoff-
flamme.
Der Gedanke, der der ganzen Fragestellung und der danach zu wäh-
lenden Versuchsanordnung zu Grunde lag, war, wie das nahe liegt, der, daß
die Intensität der Bleiverflüchtigung unter den beim Arbeitsvorgang der
Bleilöterei herrschenden Bedingungen, d. h. bei unmittelbarer Berührung
der schmelzenden oder geschmolzenen Bleioberfläche mit der sehr heißen
Gebläseflamme, hauptsächlich von der spezifischen Flammentemperatur
abhängen muß. Wollte man diese Abhängigkeit einfach theoretisch aus
der Dampfspannungskurve des Bleis ableiten, die relative Bleiverflüch-
tigung also als Funktion der Bleidampfspannung und der spezifischen
Flammentemperaturen betrachten, wo würde man entsprechend dem
Verlauf der Dampfspannungskurve. im Bereich der in Betracht kommenden
Flammentemperaturen zu ganz erheblichen Unterschieden gelangen. Die
Bleiverflüchtigung wäre danach unter dem Einfluß der Azetylensauerstoff-
Flamme auf das 4fache gegenüber der Wasserstoff-Sauerstoff-Flamme
und etwa das 15fache gegenüber der Wasserstoff-Druckluftflamme anzu-
nehmen, wenn man als spezifische Flammentemperaturen 3000, 2400 und
1950° zu Grunde legt, wie das Diagramm der Bleidampfspannung in Ab-
bildung 1 zeigt. Auf die praktischen Verhältnisse läßt sich das Ergebnis
einer solchen Berechnung, abgesehen von der vermutlich verhältnismäßig
geringeren thermischen Ausnutzung höherer Flammentemperaturen, u. a.
schon deshalb nicht ohne weiteres übertragen, weil die Verwendung der
Gebläseflammen nicht immer unter Speisung mit der optimalen Gas-
mischung und voller Ausnutzung der thermisch optimalen Flammenzone
erfolgt. Außerdem war mit dem Einfluß anderer, von vornherein nicht zu
übersehender Faktoren auf die Bleierhitzung und auf die Bleiverflüchtigung
zu rechnen.
Einen erheblicheren Einfluß erwarteten wir insbesondere davon, ob
die mit der Bleioberfläche in Berührung kommenden Flammenzonen mehr
reduzierende oder oxydierende Eigenschaften besaßen, und nahmen uns
vor, auch diese Frage in geeigneter Weise in den Bereich unserer Unter-
suchungen zu ziehen.
Gerade diese Unsicherheit der rein theoretischen Behandlung der Frage
rechtfertigte ihre Inangrifínahme im Experiment. Immerhin sahen wir
zunächst die Flammentemperatur als die hauptsächlich maßgebende
Eigenschaft der verschiedenen Flammen an, so zwar, daß die spezifische
Bleiverflüchtigung in Abhängigkeit von der spezifischen Flammentem-
- peratur ungefähr in der Reihenfolge der Anwendung folgender Flammen
6*
72 Untersuchungen zur Klärung der Bleiverflüchtigung usw.
ansteigen mußte: Leuchtgas-Druckluftflamme, Wasserstoff-Luftflamme,
Wasserstoff-Sauerstofí-Flamme, Azetylen-Sauerstoff-Flamme.
Unsere Arbeitshypothese war also die, daB der Umfang der Bleiver-
flüchtigung bei der Erhitzung einer geschmolzenen Bleioberfläche mittels
verschiedener Gebláseflammen, der unter sonst gleichen Bedingungen
nach Maßgabe der Dampfspannungskurve des Bleis als abhängig von der
spezifischen Flammentemperatur gedacht werden muß, außerdem aber
auch durch andere Eigenschaften der verwendeten Flammen, insbesondere
ihre reduzierenden oder oxydierenden Wirkungen (aber auch durch
Unterschiede und Zufälligkeiten in der Art ihrer Anwendung) beeinflußt
werden dürfte, auch unter geeigneten Versuchsbedingungen, die den
praktischen Verhältnissen bei der Bleilóterei möglichst entsprechen,
diese Abhängigkeit noch so deutlich erkennen läßt, daß daraus Nutzan-
wendungen für die gewerbehygienische Beurteilung der verschiedenen
gebräuchlichen Flammenarten gezogen werden können.
An sich wäre es erwünscht gewesen, zur Lösung der gestellten Frage
eine Versuchsanordnung zu finden, die es ermöglicht hätte, unter den ver-
schiedenen Faktoren, deren Einfluß vorauszusetzen oder sicher zu erwarten
war, jeden einzelnen, zunächst also die uns in erster Linie interessierende
Flammentemperatur, für sich allein, d. h. unter sonst ganz gleichen Be-
dingungen zu prüfen. Wir mußten uns aber von vornherein sagen, daß
eine diesem Ziel entsprechende Versuchsanordnung kaum — und jedenfalls
nicht mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln — zu verwirklichen war.
Die Gesichtspunkte und Überlegungen, welche zur Wahl der unten näher
beschriebenen Versuchsanordnung führten, waren folgende: Wollte man
den Einfluß der spezifischen Flammentemperatur in den beobachteten
Bleiverdampfungswerten möglichst rein in die Erscheinung treten lassen
und ermitteln, so kam es in erster Linie darauf an, den wirksamen Be-
rührungsquerschnitt der verwendeten Gebläseflamme, d. h. den von der
Flamme unmittelbar getroffenen Teil der geschmolzenen Bleioberfläche
in allen Versuchen möglichst gleich groß zu machen. Denn nur im Bereich
dieser Berührungsfläche — und zwar in einer Oberflächengrenzschicht,
die man sich beliebig dünn vorstellen mag — ist eine der spezifischen Flam-
mentemperatur nahe kommende und in engerer Abhängigkeit von ihr
stehende Temperatur anzunehmen. Außerhalb dieser Berührungsfläche
nach der Tiefe und vor allem entlang der Oberfläche selbst, fällt diese
Temperatur sehr rasch ab auf Werte, bei welchen eine nennenswerte Blei-
verdampfung nicht mehr stattfinden dürfte. Im Bereich dieses Oberflächen-
temperaturgefälles ist demnach die Bleiverdampfung — wenn überhaupt
noch vorhanden — ganz geringfügig gegenüber dem Hauptanteil der Blei-
verdampfung, welcher im Bereich des unmittelbaren Berührungsquer-
schnittes stattfindet. Besteht demnach die gesuchte Beziehung zwischen
Bleiverdampfung und spezifischer Flammentemperatur nur in dieser
„Überhitzungszone‘, so läßt sie sich durch die Bestimmung der Gesamt-
bleiverdampfung — in Wirklichkeit natürlich eines aliquoten Teils
derselben — ermitteln, wenn die wirksame Berührungsfläche zwischen
Flammenkegel und Bleioberfläche stets annähernd gleich oder doch ihrer
Ausdehnung nach bekannt ist. — Diese räumliche Beschränkung der Blei-
Von Dr. Hans Engel und Dr. Victor Froboese. 73
verdampfung auf den Flammenberührungsbereich läßt sich unter Berück-
sichtigung der innerhalb derselben und in seiner náchsten Umgebung
herrschenden Temperaturverháltnisse erkennen, wenn man das Diagramm
der Bleidampfspannung — bei steigenden Temperaturen in Abb. 1 be-
trachtet, wonach die Bleidampfspannungskurve erst bei oberhalb 1600°
(ungefährer Siedepunkt des Bleis) liegenden Temperaturen steil anzu-
steigen beginnt.
Aus diesem Verlauf der Bleidampfspannungskurve ergibt sich auch —
und das war ein wichtiger Punkt in unseren Überlegungen, der deshalb
hier kurz erwähnt werden soll —, daß die Bleiverdampfung durch Flammen,
die an der Berührungsfläche nur Temperaturen unterhalb 1600° erzeugen,
viel geringer sein wird, als diejenige bei Anwendung von Flammen, die
hier wesentlich höhere Temperaturen entstehen lassen. Außerdem ent-
sprechen den Temperaturintervallen im Bereich der zunehmenden Steilheit
der Bleidampfspannungskurve oberhalb 1600% — wesentlich größere Unter-
schiede in der Bleiverdampfungsgeschwindigkeit. Daraus ergibt sich, daß
verschieden große Wärmezufuhr an sich einen viel geringeren Einfluß auf
die Bleiverdampfung hat als die verschiedenen Temperaturen, unter denen
die gleiche Wärmezufuhr stattfindet. Man kann also z. B. mit einer ent-
sprechend großen Flamme niederer Temperatur die gleiche oder selbst höhere
Wärmezufuhr und dementsprechend gleiche und selbst größere räumliche
Ausdehnung der Schmelzwirkung erzielen, wie mit einer kleineren Flamme
höherer Temperatur, ohne daß es dabei zu einer ebenso großen Blei-
verdampfung zu kommen braucht. Diese kann sogar — trotz größerer
Berührungsfläche — im ersteren Falle geringer ausfallen. Es hängt eben
die spezifische Bleiverdampfung verschiedener Gebläseflammen ver-
mutlich nach Maßgabe der nicht geradlinig, sondern mit zunehmender
Steilheit verlaufenden Bleidampfspannungskurve von der spezifischen
Flammentemperatur ab. Um sie im Versuch zu messen, hätten, wie oben
gesagt, die Berührungsquerschnitte, in welchen die spezifische Flammen-
temperatur wirksam ist, annähernd gleich oder ihrer Ausdehnung nach
bekannt sein müssen. Diese Bedingung einzuhalten, war aber aus ver-
schiedenen Gründen nicht möglich. Einerseits lassen sich Flammengröße
und Flammenform, zumal bei Verwendung verschiedener Heizgase und der
danach zu wählenden Arbeitsdrucke nicht so einstellen, daß der geomet-
rische Berührungsquerschnitt mit der Bleioberfläche jedesmal der gleiche
ist; denn Flammenstruktur und auch die von der Strömungsgeschwin-
digkeit der Flammengase abhängige Deformation der Flamme an der
Berührungsstelle ändern sich hierbei von Fall zu Fall in unübersehbarer
Weise. Außerdem ist es aber auch unmöglich, das Mischungsverhältnis
der speisenden Gase so zu ‚regulieren und mangels genauer Kenntnis der
Temperaturverteilung jeder einzelnen Flamme diese so mit der Bleifläche
in Berührung zu bringen, daß innerhalb der jeweiligen Berührungsfläche
überhaupt eine bestimmte, der spezifischen nahekommende mittlere Flam-
mentemperatur zur Wirkung gelangt. Besonders in den Versuchen mit
mehr oxydierend oder reduzierend eingestellten Flammen mußten sich die
hierbei auftretenden Änderungen der Flammenstruktur und Flammen-
temperatur störend geltend machen.
74 Untersuchungen zur Klärung der Bleiverflüchtigung usw.
Aus allen diesen Gründen mußten wir von vornherein auf eine wissen-
schaftlich exakte Beobachtung der Beziehungen zwischen spezifischer
Flammentemperatur und Bleiverdampfung verzichten und uns auf eine
Versuchsanordnung beschränken, welche grobe Fehler — durch die
mangelhafte Beherrschung der zur Wirkung gebrachten Flammenquer-
schnitte und Temperaturen selbst sowie der übrigen besonders zu prüfenden
oder daneben in Betracht kommenden Einflüsse — soweit ausschloß, daß
wenigstens große und regelmäßige Ausschläge der Versuchsresultate zur
Beantwortung der gestellten Frage verwertet werden konnten. Bei der
Wahl einer solchen Versuchsanordnung war zunächst eine mögliche An-
näherung an die Bedingungen der praktischen Homogenverbleiung anzu-
streben, und zwar sowohl hinsichtlich der Art der verwendeten Brenner
und ihrer Anwendungsweise als auch hinsichtlich des Arbeitsvorganges
selbst, der in seiner grundsätzlichen Eigenart nachzuahmen war. Hierzu
gehörte zunächst, daß die Flamme und die zu erhitzende Bleioberfläche
gegeneinander bewegt wurden, und daß die letztere stets in bereits ge-
schmolzenem Zustand mit der Flamme in Berührung kam. Wir erreichten
das durch Verwendung des weiter unten näher beschriebenen, um eine
senkrechte Achse exzentrisch zur Flammenberührungsstelle rotierenden
Bleibades. Die zu prüfenden Gebläseflammen wurden nach Möglichkeit
in der bei der Bleilóterarbeit üblichen Art und Weise zur Wirkung ge-
bracht, d. h. es wurde — abgesehen von den Versuchen, deren besonderer
Zweck und Fragestellung eine Abweichung hiervon erforderlich machten —
das Gasgemisch auf optimale Heizwirkung und ruhiges, gleichmäßiges
Brennen eingestellt und ungefähr die geometrische Mitte des äußeren
Flammenkegels mit der Bleioberfläche in Berührung gebracht. Daß hierbei
nicht immer Flammen und Flammenzonen mit der größtmöglichen
Heizwirkung bzw. die spezifische Flammentemperatur zur Wirkung kamen,
ist bereits gesagt, entsprach aber dem wesentlich praktischen Zweck der
Untersuchung. Auch konnten wir wenigstens bei normal eingestellten
Flammen damit rechnen, daß sich die wirksamen Flammentemperaturen
bei Flammen verschiedener Art so zu einander verhielten, wie die spezi-
fischen Flammentemperaturen, also entsprechend der oben wiedergege-
benen Reihenfolge.
Es handelte sich nun weiter um die Frage, wie zu erreichen war, daß,
wenn auch die Berührungsfläche zwischen Flamme und Bleioberfläche
unbekannt und nicht stets annähernd gleich war, der Einfluß der unver-
meidbaren Unterschiede das Ergebnis nicht in irreführender Weise fälschen
konnte. Bei der oben dargelegten Unmöglichkeit, ersteres in zuverlässiger
Weise zu erzielen, beschränkten wir uns darauf, die Flammengröße zunächst
(beurteilt nach dem optischen Eindruck und unter Berücksichtigung der
der Arbeitsdrucke) möglichst gleich einzustellen, und halfen uns im übrigen
in folgender Weise: Die Gesamtheizwirkung der Flammen — in der Haupt-
sache abhängig von der Flammentemperatur, der Flammengröße sowie
dem Berührungsquerschnitt — ließ sich einigermaßen an Hand des Schmelz-
effekts beurteilen. Dieser trat gerade bei dem rotierenden Bleibad dadurch
sinnfällig in die Erscheinung, daß sich ein offener oder geschlossener Schmelz-
rıng bildete, dessen Breite nach erreichtem Temperaturgleichgewicht von
Von Dr. Hans Engel und Dr. Victor Froboese. 19
der Gesamtheizwirkung der Flamme abhängig war. Wir versuchten nun
diesen Schmelzring, insbesondere seine Breite in Flammennähe, durch
entsprechende genauere Einregulierung der zunächst schätzungsweise
eingestellten Gebläseflamme möglichst gleich zu halten, nachdem diese
genügend lange eingewirkt hatte und das ganze System des rotierenden
Bleibades einigermaßen temperaturstabil geworden war, oder, soweit wir
dies nicht ganz erreichten, wenigstens aus der beobachteten Breite des
Schmelzringes ein annäherndes Urteil über die Gesamtheizwirkung zu
gewinnen. Wurde diese derart (was allerdings nicht in allen Versuchen
gelang) einigermaßen gleichgehalten, so war eine gewisse Gewähr dafür
gegeben, daß in den Versuchen mit Flammen höherer Temperatur der
wirksame Flammenberührungsquerschnitt nicht größer sondern eher
kleiner war als in denjenigen mit weniger heißen Flammen. Wenn, wie
das von vornherein für notwendig gehalten wurde, fernerhin nur sehr
erhebliche und in gleichen Versuchsreihen konstante Unterschiede in der
Bleiverflüchtigung unseren Schlußfolgerungen zu Grunde gelegt wurden,
so konnten mit gutem Recht die gefundenen Unterschiede, wenn sie in
entsprechender Richtung lagen, als der Ausdruck der jeweiligen spezi-
fischen Bleiverflüchtigung und, wie wir voraussetzten, in erster Linie des
Einflusses der verschiedenen Flammentemperaturen angesehen werden.
Wesentlich war, wie gesagt, die Einhaltung einer einigermaßen gleichen
Gesamtheizwirkung, über deren Größe die Beobachtung der Schmelz-
ringbreite Aufschluß gab. So war auch eine gewisse Kontrolle über andere
nicht eindeutig zu regelnde, aber die Bleiverdampfung thermisch beein-
flußende Faktoren möglich, sodaß bei ausschließlicher Berücksichtigung
erheblicher und konstanter Unterschiede grobe Irrtümer vermieden
wurden. Im Hinblick auf die praktische Nutzanwendung hatte dieses
Vorgehen außerdem den Vorteil, daß der Umfang der Bleiverflüchtigung
bei Flammen gleicher Heizwirkung und demnach gleicher technischer
Verwendbarkeit verglichen wurde.
Allerdings erwies sich bei einigen der ersten Versuche mit Flammen
von geringer spezifischer Temperatur und mäßiger Heizkraft die Schmelz-
wirkung nicht immer als ausreichend, um auf dem rotierenden Bleibade
einen geschlossenen Schmelzring zu erzeugen oder wenigstens Gewähr
dafür zu bieten, daß die Bleioberfläche stets in schon geschmolzenem Zu-
stand in den Flammenbereich eintrat. Hierauf mußte aber im Interesse
der Gleichmäßigkeit der Versuchstechnik und der Vergleichbarkeit der
Versuchsergebnisse Wert gelegt werden. Wir halfen uns (es handelte sich
nur um wenige Versuche, bei denen dies im Protokoll ausdrücklich vermerkt
ist) dadurch, daß wir das Bleibad von unten an einer von dem Flammen-
wirkungspunkt möglichst entfernten Stelle soweit -erhitzten und warm-
hielten, daß das Blei schon in einiger Entfernung vor dem Eintritt in die
Flammenzone zu schmelzen begann. Dieses Vorgehen sollte also im wesent-
lichen eine Verminderung der Wärmeverluste durch die Abkühlung des
Bleibades während der Rotation bewirken. Auf die Bleiverdampfung war
ein Einfluß dieser Wärmezufuhr durch Hilfsheizung, abgesehen von der
beabsichtigten Vermeidung einer möglichen Fehlerquelle, kaum zu erwarten.
In den meisten Versuchen, insbesondere den wichtigen Versuchen mit
76 Untersuchungen zur Klärung der Bleiverflüchtigung usw.
heißeren Flammen (vor allem mit der Wasserstoff-Sauerstoff- und Aze-
tylen-Sauerstoff-Flamme) hat sich eine derartige Hilfsheizung als ent-
behrlich erwiesen. Sie wurde hier nur zur Vorwärmung des Bleibades
bis zur genügenden Temperaturstabilität benutzt.
Die praktische Durchführung der im Vorstehenden grundsätzlich -be-
schriebenen Versuchsanordnung, die Art der Bestimmung der Bleiver-
flüchtigung usw. sind im experimentellen Teil näher dargestellt. Dort
sind auch die Versuchsergebnisse in einer Tabelle zusammengestellt und
im einzelnen erläutert und besprochen.
Zunächst mochte es immerhin bedenklich erscheinen, die Beziehungen
zwischen der Bleiverflüchtigung und den spezifischen Flammentempe-
raturen in Versuchen zu beobachten, in denen nicht einmal diese, geschweige
denn die übrigen maBgebenden Bedingungen gemessen wurden. Doch zeigten
die Versuche bald, daß bestimmte später näher zu beleuchtende Einflüsse
anderer Art so große Unterschiede in der relativen Bleiverflüchtigung
hervorriefen, daß hinter diesen die gesuchte thermisch bedingte Abhängigkeit
und der Einfluß der nicht durch Messung festgestellten Faktoren ther-
mischer Art an Bedeutung verloren. Das Bemerkenswerteste an dem Ge-
samtergebnis war nämlich das unseren Voraussetzungen ganz wider-
sprechende Ergebnis der Versuche mit der Wasserstoff-Sauerstoff-Flamme
auf der einen und der Azetylen-Sauerstoff-Flamme auf der anderen Seite.
Denn im vollen Gegensatz zu unseren Erwartungen wurde die Bleiver-
flüchtigung vergleichsweise hier fast durchgehend erheblich geringer ge-
funden als dort. Sieht man von einzelnen später zu besprechenden Ver-
suchen ab, in. welchen mit besonderer Fragestellung abweichende Be-
dingungen eingehalten wurden, so bewegte sich dieser Unterschied in einer
Größenordnung, die keineswegs die Erklärung durch zufällige und unbe-
absichtigte Abweichungen in bezug auf die für die thermische Wirkung
maßgebenden Versuchsbedingungen zuläßt. Zudem liegt er in einer der
vorauszusetzenden Abhängigkeit von der Flammentemperatur gerade
entgegengesetzten Richtung. Er fand sich auch in Versuchen, die annähernd
untereinander vergleichbar sind, mit einer Konstanz, die eine solche Er-
klärung ausschließt. Eine Gegenüberstellung der Versuche 7 bis 9 mit
den Versuchen 16 bis 19 läßt dies sehr deutlich erkennen. Die Bleiver-
flüchtigung wurde bei Anwendung der normalen Azetylen-Sauerstoff-
Flamme zum Teil als minimal und jedenfalls nur als ein Bruchteil der-
jenigen gefunden, welche die Anwendung der normalen Wasserstoff-
Sauerstoff-Flamme von sicherlich nicht höherer, vermutlich eher niedriger
Temperatur und gleicher Schmelzwirkung hervorbrachte. Sie war ver-
schwindend klein gegenüber den Werten, welche wir nach Maßgabe der
angenommenen Abhängigkeit von der Flammentemperatur und bei Unter-
stellung einer wesentlich höheren Flammentemperatur auf Grund der
Ergebnisse der vorhergegangenen Versuche mit der Wasserstoff-Sauer-
stoff-Flamme hätten erwarten müssen. Dieser Widerspruch gegen unsere
Erwartungen hatte uns schon nach Ausführung der allerersten Versuche
mit diesen beiden Flammenarten (Versuche 7 und 8 bzw. im Protokoll
nicht aufgeführte Versuche mit der Azetylen-Sauerstoff-Flamme, deren
Ergebnis dem der Versuche 16 und 17 entsprach) überrascht. Selbst
Von Dr. Hans Engel und Dr. Victor Froboese. 77
wenn wir den von uns unterstellten Temperaturunterschied der beiden
Flammenarten außer Betracht ließen, war das Ergebnis dieser Versuche
in keiner Weise mit der von uns vorausgesetzten Abhängigkeit der Blei-
verflüchtigung von der spezifischen Flammentemperatur in Einklang zu
bringen. Es mußte daran gedacht werden, daß hier unterschiedliche Wir-
kungen chemischer Natur in den beiden verschiedenen Flammen zu
den rein thermisch bedingten hinzutreten, welche die erwartete und auch
sicher vorhandene Beziehung zwischen Flammentemperatur und Blei-
verdampfung bezw Bleiverflüchtigung so stören, daß diese nicht mehr
deutlich erkennbar bleibt. Fraglich war zunächst, durch welche von beiden
Flammenarten die auf Grund der Bleidampfspannungskurve als irregulär zu
Lewchtgos + Luß M r Lufi Ar Or OM O2
paren 1| Joch 130) fach 60H foch 2200): fach
Abb. 1.
bezeichnende Bleiverflüchtigung entstanden ist. Dafür, daß in der Azetylen-
flamme ein solcher stórender Einfluß wirksam sei, schien uns zunächst
schon der Umstand zu sprechen, daß erst bei ihrer Prüfung eine sehr starke
Abweichung von der bei den vorher angestellten Versuchen mit der
Wasserstoff-Druckluft- und Wasserstoff-Sauerstoff-Flamme beobachteten
unserer Erwartung entsprechenden Beziehung’ zwischen Bleiverflüch-
tigung und Flammentemperatur aufgetreten war. Diese Abweichung war —
wie aus der Tabelle hervorgeht — bei diesen ersten Versuchen (diese waren
in der Reihenfolge 1 bis 3, 7 und 8, 16 und 17 angestellt) noch viel größer
und auffallender, als bei den in das Diagramm (Abb. 1) eingetragenen
Mittelwerten aller Versuche, bei welchen sich der nivellierende Einfluß
der Versuche mit verschiedener Sauerstoffzufuhr geltend macht. Außerdem
schien uns aber auch vom chemischen Gesichtspunkt aus ein störender
78 Untersuchungen zur Klärung der Bleiverflüchtigung usw.
Einfluß im Sinne einer Verminderung der Bleiverflüchtigung — also
in der Azetylenflamme — leichter vorstellbar als ein umgekehrter Ein-
fluß in der Wasserstoff-Flamme. Es lag nahe, die Entscheidung dadurch zu
versuchen, daß man der Wasserstoff-Sauerstoff-Flamme eine kleine Menge .
Azetylen zusetzte und fernerhin, da ein den Kohlenwasserstoffen allgemein
zukommender Einfluß angenommen werden mußte, die Bleiverflüchtigung
bei Anwendung der normalen Wasserstoff-Sauerstoff-Flamme und
einer karburierten Wasserstoff-Sauerstoff-Flamme zu vergleichen. Das
Ergebnis dieser Versuche bestätigt unsere Annahme und zeigt, daß in der
Normal-Wasserstoff-Sauerstoff-Flamme die gleichzeitige Verbrennung
von Azetylen oder Benzoldampf die Bleiverflüchtigung weitgehend unter-
drückt, während z. B. die Beimischung von Kohlensäure keinen Einfluß
erkennen ließ. Für den rein gewerbehygienischen Zweck unserer Unter-
suchung scheint uns also die Feststellung von hohem Wert, daß die An-
wendung der Azetylenflamme mit einer vergleichsweise sehr geringen Blei-
verflüchtigung verknüpft ıst und daß die Karburierung der Wasserstoff-
Sauerstoff-Flamme genügt, um die Bleiverflüchtigung auch bei dieser
Flamme auf ein sehr geringes Maß herabzudrücken. Es ist ohne weiteres
anzunehmen, daß diese Wirkung der Karburierung auch durch Zusatz
anderer Kohlenwasserstoffverbindungen hätte erreicht werden können. Hie-
rauf ist auch wohl die unter Berücksichtigung der Heizwirkung und der
vermutlichen Flammentemperatur recht geringe Bleiverflüchtigung in den
Versuchen 4, 5 und 6 mit dem Leuchtgas-Sauerstoff-Schweißbrenner zu-
rückzuführen.
In der Abb. 1 sind nun in das Diagramm der Bleidampfspannungen bei
steigenden Temperaturen die Mittelwerte der bei den Versuchen mit der
Wasserstolf-Luftfllamme, Wasserstoff-Sauerstoff-Flamme und Azetylen-
Sauerstoff-Flamme pro cbm gefundene mg Blei bei deren spezifischen
Flammentemperaturen eingetragen. Daraus wird nochmals ersichtlich,
daß, während die Bleiverdampfungsgeschwindigkeit mit steigender Tem:
peratur entsprechend der Bleiverdampfungskurve zunimmt, die Blei-
verflüchtigung (bzw. der Bleigehalt der Abgase und damit der Raumluft)
sich nicht ohne weiteres nach der Temperatur zu richten braucht, sondern
auch von der chemischen Zusammensetzung der Flamme beeinflußt wird.
Hinter diesem bemerkenswerten Ergebnis tritt, wie aus den Versuchen
hervorgeht, die ursprünglich gesuchte Abhängigkeit von der Flammen-
temperatur in den Hintergrund. Auch schien die Bedeutung der Versuche,
welche in bezug auf die Wasserstoff-Sauerstoff- und die Azetylen-Sauer-
stoff-Flamme den Einfluß einer mehr oxydierenden oder mehr reduzierenden
Einstellung dieser beiden Flammen auf die Bleiverflüchtigung gemäß
unserem ursprünglichen Arbeitsplan aufklären sollten, zunächst zurück-
zutreten. Das Ergebnis dieser Versuche hat aber gerade im Hinblick auf
den gefundenen grundsätzlichen Unterschied in der Wirkung beider Flam-
menarten an Bedeutung gewonnen, insofern es vielleicht mit diesen in
Beziehung zu bringen ist und sogar Anhaltspunkte zu dessen Erklärung
bietet. Es zeigt sich nämlich, wie im experimentellen Teil näher dargelegt
ist, daß wiederum im Widerspruch zu unseren anfänglichen Voraussetzungen
die reduzierende Einstellung eine geringere Bleiverflüchtigung im Gefolge
Von Dr. Hans Engel und Dr. Victor Froboese. 79
hatte, als die mehr oxydierende Einstellung. Namentlich bei dem Versuche
mit der Azetylenflamme trat dies deutlich hervor, wie ein Vergleich der
Versuche 16 bis 20 mit denjenigen unter Nr. 21 bei 26 zeigt. Eine Steigerung
der Sauerstofímenge in dem Mischungsverháltnis vergrößerte hier die
Bleiverflüchtigung regelmäßig in einem Ausmaß, das in der gleichzeitigen
Änderung der Flammentemperatur und damit der gesamten Heizwirkung
keine Erklärung findet. Das Ergebnis dieser Versuche zeigt aber auch,
daß der Azetylenflamme die Fähigkeit, Blei zu verflüchtigen, nicht unter
allen Umständen abgeht, und daß die Gegenwart eines verbrennenden
Kohlenwasserstoffes diese Fähigkeit an sich nicht ausschließt oder — in
der karburierten Wasserstoff-Sauerstoff-Flamme — vernichten muß.
Diese Wirkung und der Umfang der Bleiverflüchtigung überhaupt hängt
vielmehr anscheinend in weiten Grenzen auch davon ab, ob nach Maß-
gabe des Mischungsverhältnisses der Flamme mehr oder weniger reduzie-
rende Eigenschaften erteilt werden. Letzteres gilt offenbar auch von der
Wasserstoff-Sauerstoff-Flamme. Vergegenwärtigt man sich nun weiter,
daß die Azetylenflamme in der Regel einen mehr reduzierenden Charakter
besitzt, und daß die Gegenwart verbrennender Kohlenwasserstoffe bei
Karburierung einer Wasserstoff-Sauerstoff-Flamme in derselben Richtung
wirksam wird, so liegt der Gedanke nahe, daß der, der rein thermisch
bedingten Abhängigkeit übergeordnete Einfluß chemischer Natur, welcher
ın diesen Flammen im Sinne einer Verminderung der Bleiverflüchtigung
wirkt, eben auf dieser reduzierenden Wirkung beruht. Ein Versuch, die
gefundenen Tatsachen in diesem Sinne zu erklären, ist in dem Abschnitt
„Iheoretisches über die Versuche“ unternommen.
Experimenteller Teil.
Zur Ausführung der Versuche diente die nachfolgend beschriebene
Apparatur:
Ein mit einem 70 mm hohen Rand umgebener Teller von 390 mm
Durchmesser aus starkem Eisenblech war durch eine schwere Eisenplatte
als Fuß mit Hilfe eines auf einer Spitze stehenden Rundeisens als Absatz so
befestigt, daß der Teller sehr leicht wagerecht in Drehung versetzt werden
konnte. Abb. (2)
Eine auf seiner Achse angebrachte Schnurscheibe ermöglichte die
Drehung durch einen kleinen Elektromotor mit Schneckenvorgelege. Der
Motor war noch mit einem Regulierwiderstand versehen, sodaß eine sehr
langsame Tourenzahl des Tellers, etwa 10 Umdrehungen in der Minute,
erreicht wurde. Der Tellerboden war innen stark verbleit. Die Bleischicht
betrug über 1cm. Mit Hilfe eines Stativs konnten nun verschiedenartige
Brenner, wie sie in der Industrie zum Bleilöten und Verbleien benutzt
werden, in der Weise angebracht werden, daß die Flamme exzentrisch
senkrecht auf die Bleioberfläche gerichtet war, wobei der Teller in Drehung
gesetzt wurde. Dieser Teil der Apparatur sollte ungefähr die Verhältnisse
nachahmen, die bei der homogenen Verbleiung vorhanden sind. Durch
Regulierung der Tourenzahl konnte der Teller so in Bewegung gesetzt
werden, daß grundsätzlich der Arbeitsvorgang nachgeahmt wurde, bei
dem der Arbeiter mit der Flamme zum Verbleien auf dem geschmolzenen
80 Untersuchungen zur Klárung der Bleiverflúchtigung usw.
Blei hin- und herfáhrt. Der Teller war ferner so hoch über dem Fußge-
stell angebracht, daß es möglich war, ihn zeitweilig mit einem Leuchtgas-
luftgebläse von unten her zu erwärmen. So konnten verhältnismäßig
kleine Flammen zur Anwendung gelangen, die stets über geschmolzenes
Blei strichen. Ferner konnte die Apparatur, ehe das Absaugen bei geschmol-
zenem Blei und eingestellter Versuchsflamme begann, gut vorgewärmt
und ein rasches Temperaturgleichgewicht hergestellt werden.
Abb. 2.
Die Absaugevorrichtung bestand aus einem mit bleifreier Glaswolle
beschickten Vorstoß aus dünnem Glase von der Form, wie ihn Abb. 3
zeigt. Diese wurde so gewählt, weil verschieden große Querschnitte in
Röhren bei Abscheidung von Teilchen günstig wirken. Da bei der Tem-
peratur, welcher der Verstoß während eines Versuches ausgesetzt ist,
als Füllmaterial nur Glaswolle oder Asbest in Frage kommt, Vorversuche
aber gezeigt hatten, daß Glaswolle selbst bei dichtem Hineinstopfen in
Röhren große Gasdurchläßigkeit besitzt und dabei sehr gut Staubteilchen
zurückhält, so wurde der Vorstoß mit letzterer angefüllt. Diese erste
Füllung blieb, um Unregelmäßigkeiten durch dichteres oder lockeres
Von Dr. Hans Engel und Dr. Victor Froboese. 81
Füllen zu vermeiden, stets dieselbe. Die Abstände des Vorstoßes von der
Brennerspitze über dem Teller waren mit einigen, besonders vermerkten
Ausnahmen bei jedem Versuch diejenigen, wie Abb. 3 sie darstellt.
Abb. 3.
Die schräg gestellte Öffnung des Vorstoßes befand sich über der Mitte,
dem Drehpunkt des Tellers. Durch eine Stativklemme war es möglich,
den Vorstoß nach Abnehmen stets genau in seine frühere Lage zu bringen.
An den Vorstoß war ein Glasrohr angeschmolzen, das durch einen Schliff
mit dem Absorptions-U-Rohr verbunden werden konnte. Der Schliff war
gemäß Abb. 4 angefertigt, so daB der Gässtrom mit dem leicht gefetteten
a AA GERNE
q it EE
Abb. 4.
en
Schliff nicht direkt in Verbindung kam. Hieran schloß sich ein großes
U-Rohr, das mit Glasscherben von zerbrochenem Biegerohr zum Teil ge-
füllt war.
Auf den Schenkel des U-Rohres, in den das Gas eintrat, war ein Hahn-
trichter gesetzt, aus dem ab und zu ein Tropfen verdünnte Salpetersäure
auf die Glasscherben tropfte. In diesem U-Rohr wurden dem Gasstrom
die letzten Bleireste entzogen. Größtenteils blieb indessen das Blei, da es
sich, wie weiter unten angeführt wird, um Bleioxyde handelt, schon in der
Glaswolle sitzen. Um die zum Absaugen der Gase benutzte Pumpe vor Sal-
petersäuredämpien zu schützen, wurde hinter das U-Rohr noch ein zweites
mit festem Ätzkali geschaltet. Das Ätzkali befand sich indessen nur in
dem stark erweiterten Verbindungsrohr der beiden Schenkel, um den Gas-
strom nicht zu sehr zu hemmen. Die gesanıte, bisher beschriebene Appa-
ratur zeigt Abb. 5.
Zum Absaugen der Verbrennungsgase diente für den vorliegenden
Zweck eine sehr brauchbare, elektrisch angetriebene Pumpe, die von der
A.-G. für Maschinenfabrikation vorm. Freund & Co., Berlin, angefertigt
82 Untersuchungen zur Klärung der Bleiverflüchtigung usw.
wird und als sogenannter „fahrbarer Kleinkompressor‘‘ neben einer für
andere Zwecke ausnutzbaren Druckleistung bis zu 6 Atm. eine gute Saug-
wirkung von über 2 cbm pro Stunde ausübt. Um die geringen Stöße der
Pumpe beim Ansaugen auszugleichen, wurde eine 3 1 fassende Woulff’sche
Flasche mit unterem Tubus davorgeschaltet. Der untere Tubus war mit
der Pumpe verbunden. Der obere Tubus trug ein Quecksilbermanometer,
um den Unterdruck ablesen und die Dichtigkeit der Saugleistung stets
— EAN | A
e, SS Li f
Abb. 5.
kontrollieren zu können. An den anderen Tubus waren mittels Schlauch
die U-Röhren angeschlossen. Es war durch Vorversuche festgestellt worden,
daß bei der stets gleichen Beschickung des Vorstoßes mit Glaswolle die
in der Stunde geförderte Luftmenge 2 cbm betrug, und daß diese sich im
allgemeinen nicht merklich änderte, wenn der Vorstoß sich mit den hier
in Betracht kommenden Mengen von Bleioxyd anreicherte. Eine stete
Kontrolle war überdies für besondere Fälle durch den am Manometer
abzulesenden Unterdruck und einen dazwischen geschalteten Strömungs-
messer!) gegeben. Da ferner die Netzspannung von 220 Volt stets konstant
1) Zeitschrift f. Angew. Chemie 35, 659 (1922).
Von Dr. Hans Engel und Dr. Victor Froboese. 83
war, war die Tourenzahl der Pumpe und damit auch die gefórderte Luft-
menge stets die gleiche. Diese Absaugevorrichtung (Abb. 6) ıst auch bereits
mit Erfolg von einem von uns zu Staubbestimmungen!) in der Industrie
benutzt worden.
Die benutzten Brenner entstammen der Industrie, und zwar wurden
benutzt: ein einfacher Bleilötbrenner (Kupferrohr mit Düse), ein Wasser-
stofflótbrenner?) mit selbsttätiger Luftansaugung, ein Leuchtgas-Sauerstoff-
Schweißbrenner neuer Konstruktion?), ein Knallgas-Schweißbrenner und
ein Azetylen-Schweißbrenner?). Die chemische Prüfung des Inhalts von
Vorstoß und Salpetersäure-U-Rohr auf Blei nach jedem Versuch und
dessen quantitative Bestimmung wurden folgendermaßen ausgeführt:
Abb. 6.
‚Zunächst wurde der Vorstoß abgenommen, gut mit 30proz. heißer
Salpetersäure, zuweilen unter Zugabe von Wasserstoffsuperoxyd ausge-
spült und das U-Rohr ebenso behandelt. Die gewonnenen Bleilösungen
wurden in einer Porzellanschale vereinigt und zur Trockne gedampft.
Nach dem Aufnehmen mit salpetersäurehaltigem Wasser wurde die Lösung
mit Natronlauge alkalisch gemacht, dann mit Essigsäure schwach ange-
säuert, filtriert und das Blei mit wenig 5proz. Kaliumchromatlósung heiß
gefällt. Man läßt absitzen und bis zum anderen Tage stehen. Darauf
wurde durch einen Goochtigel mit eingeschmolzenem Glaspulverfilter
filtriert, mit 20proz. Natriumazetatlösung ausgewaschen und das Blei-
4) Archiv f. Hygiene 95, Heft 3/4, S. 174. Froboese, der anorganische Staub.
2) Fabrikate der Firma Dräger in Lübeck und Bremen.
3) Fabrikat der Oeltank-Gesellschaft, Berlin W 57.
84 Untersuchungen zur Klärung der Bleiverflüchtigung usw.
chromat in verdünnter Salzsäure gelöst. Diese Lösung wurde in einen
300 ccm fassenden Erlenmeyerkolben mit Glasstopfen gegeben, und die
Luft durch Kohlensäure vertrieben, die aus einer Stahlflasche ohne vor-
geschaltete Waschflasche entnommen wurde. Darauf wurden 2 g in wenig
Wasser gelóstes Jodkalium hinzugefügt, die Lösung auf 200 ccm verdünnt
und je nach den vorhandenen Bleimengen mit 1/10 oder 1/50 n. Natrium-
thiosulfat unter Anwendung von Stärke als Indikator titriert. Um in
den sehr verdünnten Lösungen die Oxydation des Jodwasserstoffes durch
Luft zu vermeiden, ist vor der Endtitration der Stärkelösung nochmals
Kohlensäure überzuleiten. Die Nahriumthiosulfatlösung wurde mit
Kaliumbichromat eingestellt. Bekannte Lösungen, 10 mg Blei enthaltend,
lieferten, auf diese Weise titrimetrisch bestimmt, den Sollwert. Die 1/50
Natriumthiosulfatlösung hält sich auch in dunkler-Flasche bei normaler
Aufbewahrung mit einer an der Flasche befestigten Bürette und auto-
matischem Zulauf nicht gut. Sie wird immer schwächer und muß öfter
kontrolliert werden, was mit eingestellter Bichromatlösung leicht geschehen
kann.
Um zu prüfen, ob die Absorptionseinrichtung der Absaugeleitung
bleifrei war, wurde zunächst, ohne daß der Brenner in Tätigkeit gesetzt
wurde, eine Stunde abgesaugt, wobei genau 2 ccm Luft gefördert wurden.
Die Prüfung von Vorstoß und Salpetersäurerohr fiel negativ aus; somit war
die Glasapparatur bleifrei.
Ehe nunmehr die angestellten Versuche beschrieben werden, ist es
notwendig, noch auf einige mehr technische Gesichtspunkte kurz hinzu-
weisen, welche bei der Beurteilung der Versuchsergebnisse berücksichtigt
werden müssen. Man kann sich bei Verwendung verschiedener Brenner-
konstruktionen (aber auch bei verschiedener Einstellung des Gasgemisches)
2 Flammen mit gleicher Heizkraft und Temperatur denken, von denen die
eine aus weiter Brennerdüse mit geringem Gasdruck, die andere aus enger
Düse mit entsprechend stärkerem Gasdruck brennt. Die sehr verschiedene
Blaswirkung dieser beiden Flammen ruft einmal eine verschiedene De-
formation an der Bleioberfläche hervor, welche den wirksamen Berührungs-
querschnitt verändert, sie wirkt aber auch deshalb etwas verschieden auf
die Bleiüberführung in die Luft, weil die Bleiverdampfung um so ergiebiger
vor sich geht, je schneller etwaiger Bleidampf von der Bleioberfläche
entfernt wird. Außerdem ist in dem soeben ausgeführten Beispiel bel
vorausgesetzter gleicher Heizkraft die Erhitzung des Bleis pro qcm
auch verschieden, in dem bei Flammen, die mit großer Strömungs-
geschwindigkeit auf das Metall auftreffen, eine stärkere örtliche Über-
hitzung gegeben ist.
Weiter war die Frage zu erörtern, welche Flammenzone jeweils die
Bleifläche berühren soll, der Endpunkt a des inneren blauen Kegels einer
Knallgasflamme K oder die Mitte 5 der farblosen Flamme oder die Spitze c.
(Abb. 7). Wählt man den Punkt a, so ergibt sich bei gleichen bei der Azety-
lensauerstoff-Flamme A geschaffenen Verhältnissen, daß der Punkt a (der
Schweißpunkt) so dicht über dem Blei liegt, wie es beim homogenen Ver-
bleien in der Fabrik nie der Fall wäre, weil der Arbeiter sonst oft den Brenner
in das Blei tauchen würde. Er benutzt tatsächlich den Punkt b}.
Von Dr. Hans Engel und Dr. Victor Froboese. 85
Wir wandten im allgemeinen wie weiter oben bereits ausgeführt, ent-
sprechend dem Vorgehen in der Praxis den mittleren Teil des großen
Flammenkegels an, soweit bei einzelnen Versuchen nicht Abweichungen
hiervon notwendig waren, die in ihrer Beschreibung besonders vermerkt
sind. Weitere Schwierigkeiten, den hier beabsichtigten Vergleich der
Flammen durchzuführen, ergeben sich, wenn oxydierend, normal und
reduzierend eingestellte Flammen auf die Überführung von Blei in die Luft
verglichen werden sollen. Denn Abweichungen vom optimalen Mischungs-
verhältnis einer normal brennenden Knallgasflamme setzen gleichzeitig die
Temperatur herab.
Abb. 7.
Noch andere Unannehmlichkeiten, wie z. B. die verschiedenartige
Konstruktion der in der Industrie benutzten Brenner, ließen von Fall zu
Fall Zweifel aufkommen, ob es berechtigt war, z. B. einmal eine aus einem
Azetylenschweißbrenner brennende Azetylensauerstoff-Flamme mit einer
Knallgasflamme bei Benutzung desselben Azetylenschweißbrenners be-
züglich der Bleiverdampfung zu vergleichen. Durch das weiter oben
(im 1. Teil) näher begründete und für die einzelnen Versuche im folgenden
erläuterte Vorgehen glauben wir, diese Schwierigkeiten so weit beseitigt zu
haben, daß die für den praktisch gewerbehygienischen Teil der gestellten
Aufgabe mit der gebotenen Vorsicht gezogenen Schlußfolgerungen als
zutreffend angesehen werden können.
Nach Vornahme einiger Vorprüfungen wurden nun die in der nach-
stehenden Tabelle zusammengestellten Versuche ausgeführt.
Beschreibung der Versuche.
Zunächst ist unter Nr. 1 der Tabelle ein Versuch mit einer Wasser-
stoff-Flamme wiedergegeben, der unter Anwendung eines Wasserstoff-
lötbrenners aus der Technik ausgeführt wurde. Dieser saugt kurz vor der
Düse selbst Luft an, wenn man durch Verstellen eines Gewinderinges
seitliche Löcher freigibt. Da hierbei infolge unzureichender Heizkraft der
Flamme eine genügende Schmelzwirkung nicht zu erzielen war, wurde durch
Heizung des Tellers von unten ein für den Flammenbereich in Betracht
kommender, stets gleich großer Teil Blei geschmolzen erhalten und die
“Archiv für Hygiene. Bd. 96. 7
25
27
33
2./3.
Angewendete
Gase
Wasserstoff und Luft
dto.
dto.
Leuchtgas und Sauerstoff
dto.
dto.
Wasserstoff und
Sauerstoff
dto.
dto.
dto.
dto.
dto.
dto.
dto.
dto.
Acetylen und Sauerstoff
dto.
dto.
dto.
dto.
dto.
dto.
dto.
dto.
dto.
dto.
Wasserstoff mit etwas
Acetylen versetzt und
Sauerstoff
Wasserstoff, über Benzol
streichend u. Sauerstoff
Wasserstoff u. Sauerstoff
dto.
Wasserstoff, über Benzol
streichend u. Sauerstoff
Wasserstoff u. Sauerstoff
+ 501 Kohlensäure
pro Stde.
Wasserstoff u. Sauerstoff
Acetylen und Sauerstoff.
abgesaugte| erhaltene
Hun menge Gesamt-
t NNN VN vv GT Div
NNN NNNNuN
N NNN N
= E
DD
Bleimenge
in mg
36
6.
mg Blei
pro
cbm
Untersuchungen zur Klärung der Bleiverflüchtigung usw.
SE
benutzte
Brennerart
Wasserstoff-Lötbrenner
151 H, pro Min.
dto.
dto.
Leuchtgas-SchweiB-
brenner „Assa“ Nr. 3
dto.
dto.
Wasserstoff-Sauerstoff-
Lötbrenner mit Mund-
stück für 20—30 mm Blei
dto.
dto.
Einfaches Brennerrohr
4,5 mm Düse
mit 3-Wegstück
dto
Wasserstoff-Sauerstoff-
Lótbrenner
Disenweite 1,5 mm
Einfaches Brennerrohr
1,5 mm Düse
mit 3-Wegstúck
dto.
Acetylen-Schweißbrenner _
1,5 mm Düse
Acetylen-Schweißbrenner
dto.
dto.
dto.
dto.
dto.
dto.
dto.
dto.
dto.
dto.
dto.
dto.
dto.
dto.
dto.
dto.
dto.
dto.
| 8.
Angaben úber den
Arbeitsgasdruck
Von Dr. Hans Engel und Dr. Victor Froboese. 87
Bemerkungen
1 Atm. Ha!)
dto.)
4 Atm. Ha?)
2 Atm. 0,?)
dto.5)
dto.*)
.etwa 151 H, pro Min.)
dto.*)
| a +
| 1/, Atm.
1/¿ Atm. 0,1)
dto.*!)
1 Atm. H+ sehr
wenig O; !?)
1 Atm. H¿+ etwas
mehr O, !3)
1 Atm.H,+/¿Atm.0,!*)
1 Atm. H+ großer
Oy-UberschuB 15)
3/, Atm. O,-Druck !°)
dto.!”)
etwas mehr als ?*/, Atm.
O,-Druck 18)
dto.!?)
do Si
4 Atm. O,-Druck 2)
3/, Atm O,-Druck ??)
1 Atm. O,-Druck 23
etwas mehr als 1 Atm.
Oe- Druck *%)
4,3 Atm. O,-Druck 2)
1,5 Atm. O,-Druck *)
4 Atm. O,-Druck ?”)
0,8 Atm. 0?)
1 e =)
ı) Gelbgrúner Anflug in der Glaswolle sichtbar. Schmelzring 35 mm breit durch Er-
wärmung vonuntenerhalten. Geringer gelber Beschlag auf ungeschmolzenen Blei.
2) Wie Versuch 1.
2) Keine Erwärmung von unten während des Versuchs.
breit, jedoch nur Y% des Umfanges lang.
t) In der Umgebung des Schmelzringes grauer Beschlag. Glaswolle vorn etwas grau.
5) Auf fester Bleifläche grau-schwarzer Beschlag. Schmelzring 30 mm breit.
t) Wie Versuch 5. :
1) Schmelzringbreite kaum größer. Glaswolle bereits nach 10 Minuten deutlich hell-
gelb. Gelbe Beschläge auf den festen Bleiflächen.
+) Wie Versuch 7.
®) Zu beiden Seiten des Schmelzringes gelbe und gelbbraune Beschläge.
10) Schmelzwirkung geringer. Ringbreite etwa 2,5 cm. Glaswolle gelb. Gelbe Oxyd-
beschläge auf den festen Bleiflächen.
11) Wie Versuch 10.
12) Knallgasflamme mit noch mehr H-Überschuß. O,-Zufuhr verringert. Schmelz
wirkung kleiner als bei Versuch 10 und 11. Schmelzringbreite etwa 25 mm-
12) Knallgasflamme mit H,-Überschuß eingestellt. Schmelzringbreite wenig geringer.
als bei Versuch 10 und 11, größer als bei Versuch 12.
14) Normale Knallgasflamme, hergestellt durch Verstärken der O,-Zufuhr. Gelbe
SE zu beiden Seiten der geschmolzenen Zone. Schmelzringbreite
mm. ;
35) Da die Flamme durch die vermehrte O,-Zufuhr kürzer wurde, wurde der Brenner
dichter an das Blei gebracht. Gelbbraune Beschläge. PbO, in der Glaswolle.
16) Flamme nicht kohlend, aber weißbrennend eingestellt. Flammengröße wie bei
Versuch 3, Schmelzwirkung etwas stärker, also etwa 25 mm breiter Schmelz-
ring. Auf und seitlich der Schmelzfläche graue Beschläge, gelber Anflug.
17) Wie Versuch 16,
18) Or Druck etwas verstärkt. Bläulicher Kegel in der Flamme schwach sichtbar,
Flamme sonst noch weiß. Auf der Bleifläche grau bis grau-grüner Beschlag
Schmelzring —10 mm.
19) Glaswolle wie bei früheren C,H,-Versuchen nicht gefärbt. Schmelzring 20 mm
Kein gelber Beschlag.
20) Wie Versuch 20.
21) Q,-Druck vergrößert. Schmelzring 25 mm durchschnittlich; dauernd ganzer Um
fang geschmolzen. Graugrüner Beschlag, gelblicher Anflug. Flamme noch weiß,
22) Bei Versuch 22 Brennerspitze näher an das Blei gebracht. O,-Druck verkleinert.
Desgl. C,H,-Zuführung bis die Flamme nur noch ganz schwach weißlich war.
Schmelzwirkung blieb dieselbe wie bei Versuch 21.
33) Brennerspitze noch etwas gesenkt. Schmelzring 35 mm breit rund herum.
Flamme brennt normal.
12) Flamme hat nur blauen Kegel, sonst farblos. Glaswolle vorne grau, graue Oxyd-
ne gelblichweißer Beschlag außerhalb. Schmelzring 20 mm; tiefe Delle
m Blei.
ss) Flamme farblos nur mit grünem kleinem Kegel. Ende des Kegels aber noch
mindestens 2 cm über der Bleifläche. Schmelzring 20 mm, gelblicher Ring.
*) HeiBester Punkt der C,H,-Flamme, Ende des kleinen grünen Kegels auf der
Flamme, tiefe Delle im geschmolzenen Blei. Schmelzwirkung geringer, etwa
20 mm Schmelzringbreite. Außen grüngraue und gelbe Beschläge. Graue
Haut auf dem geschmolzenen Blei.
22) Flamme war etwas weißlich. Die Schmelzwirkung war etwa die von Versuch 21.
Grauer Beschlag mit gelblichem Anflug. Schmelzring etwa 25 cm breit.
ss), Während des Versuchs wurden etwa 50 ccm C,H, verdampft. Grauer Oxyd-
beschlag. kein gelber Beschlag. Schmelzwirkung geringer wie bei 27. WeiBliche,
nicht rußende Flamme.
3) Die Flamme blieb von Versuch 28 ohne Änderung der Gaszufuhr brennen, nur
strich durch Umschaltung der Wasserstoff jetzt nicht mehr über C, Ha
Glaswolle, Beschläge wie bei Versuch 7.
380) Versuch genau wie Nr. 29.
22) Ohne die Flamme zunächst zu ändern, wurde zwecks Karburierung mit C,H.
der II, wieder über Benzol geleitet. Dann wurde, um gleiche Schmelzwirkung
zu erzielen, die Brenngaszufuhr etwas vergrößert.
s)Die Flamme brannte mit etwas O,-Überschuß. Glaswolle stark gelb gefärbt.
22) Staubbestimmungen 1 m seitlich der Apparatur 1,60 über Fußboden in ? cbm:
a) 21,2 mg Staub — 3,2 mg Pb procbm; b) 24 mg Staub — 3,3 mg Pb pro cb m
3) Staubbestimmungen wie bei 33. Gleiche Schmelzwirkung wie bei 33.
a) 18 mg Staub — 0,6 mg Pb pro cbm; b) 16 mg Staub — 0,8 mg Pb pro cbm.
Schmelzstreifen 25 mm
7*
88 Untersuchungen zur Klärung der Bleiverflüchtigung usw.
Zusatzheizung so reguliert, daß dieser Zustand gleichmäßig erhalten
blieb. Der Gang des Versuches war folgender:
Nachdem eine Zeitlang der Teller in Drehung versetzt und von unten
an einer von dem Ort der Gebläseflammen genügend entfernten Stelle
erhitzt worden war, bis das System temperaturstabil erschien, wurde die
Wasserstoff-Luft-Flamme angezündet und normal einreguliert. Sobald ein
35 mm breiter Schmelzring entstanden war, wurde die Pumpe in Betrieb
gesetzt. In 2 Stunden wurden genau 4 cbm Verbrennungsgase abgesaugt.
Die Vorwärmung von unten wurde so eingestellt, daß der Schmelzring
dauernd annähernd gleichblieb. Sie konnte aber nicht ganz eingestellt
werden, wenn die erforderliche Breite des geschmolzenen Bleibandes er-
halten bleiben sollte. Die Flamme wirkte so während des ganzen Versuches
auf geschmolzenes Blei. Nach Beendigung des Versuches war die Glaswolle
im Vorstoß schwach gelbgrün gefärbt, und auf der geschmolzen gebliebenen
Bleifäche des Tellers war ein ebenso gefärbter Anflug sichtbar. Nach Aus-
spülung der Absorptionsvorrichtung wurde das Blei nach dem oben an-
gegebenen Verfahren bestimmt. Wir fanden 25 mg Blei in 4cbm oder
auf 1cbm umgerechnet, 6,2 mg Blei.
Unter der laufenden Nummer 2 der Tabelle (theoretische Betrach-
tungen über die Versuche folgen weiter unten) sind die Ergebnisse eines
völlig gleichartigen Versuchs verzeichnet.
Versuch 3 unterscheidet sich nur dadurch von dem vorhergehenden,
daß während des Versuches keine Erwärmung des Bleis von unten her
erfolgte. Es war aber auch so ein Teil des Bleis in der Umgebung der
Flamme geschmolzen. Abgesaugt wurden hier, wie auch bei den später
folgenden Versuchen, nur 2cbm Luft, da für die Analyse genügend große
Bleimengen erhalten wurden. Die bei den 3 Versuchen erhaltenen Blei-
werte 6,2 6,7 und 6,6 mg für 1 cbm stimmten wider Erwarten gut überein.
Es ist daraus zu folgern, daß wesentliche unbeabsichtigte und unberechen-
bare Störungen während des Versuches und unvergleichbare Verhältnisse
durch Abbau der Apparatur und Wiederaufstellung bei der betreffenden
Anordnung nicht eintreten. Es sei hier gleich bemerkt, daß überhaupt
die erhaltenen Bleiwerte bei gleichen Versuchen an verschiedenen Tagen
stets gut übereinstimmten, wenn der Gasdruck, die Drehungsgeschwindig-
keit des Tellers und die Absaugevorrichtungen völlig gleich waren.
Nicht wesentlich andere, im Durchschnitt eher geringere Bleimengen
lieferten die Versuche 4,5 und 6 mit einem neuen Leuchtgas-Sauerstoff-
Schweißbrenner, obwohl die Heiz- und Schmelzwirkung der Flamme
erheblich größer war als die der in Versuch 1, 2 und 3 benutzten Flamme,
erkenntlich an dem breiteren oder längeren Schmelzring, der ohne Er-
wärmung von unten zustande kam. Die einzelnen Bleiwerte weichen hier
bedeutend mehr voneinander ab. Der Grund hierfür ist vermutlich in dem
etwas schwankenden Gasdruck zu suchen. Aus dem Durchschnittsbleiwert
der Wasserstoff-Luft-Flamme und dem niedrigeren Durchschnittsbleiwert
der l.euchtgas-Sauerstoff-Flamme Schlüsse ziehen zu wollen, wäre in
Anbetracht der Schwierigkeiten der Versuchsanstellungen innerhalb dieser
unterschiedlichen Größenordnung nicht berechtigt. Immerhin ist im
Hinblick auf das Ergebnis der späteren Versuche mit kohlenwasserstoff-
Von Dr. Hans Engel und Dr. Victor Froboese. 89
haltigen Flammen bemerkenswert, daß die Bleiverflüchtigung trotz der
ganz erheblich höheren Temperatur und Schmelzwirkung dieser Flammen
nicht größer befunden wurde als in den vorangehenden Versuchen mit der
thermisch weniger ausgiebigen Wasserstoff-Luft-Flamme.
Die Versuche 7 bis 15 sind mit der Knallgasflamme angestellt. Zur
Verwendung gelangte zunächst bei den Versuchen 7 bis 9 ein Wasserstoff-
Sauerstoff-Lötbrenner, dessen Wirkung nach „Angabe der herstellenden
Firma für eine Blechstärke von 20 bis 39 mm Blei ausreicht. Der Brenner
war so befestigt, daß sich der Mittelpunkt der normal eingestellten Flamme
auf der Bleifläche befand. Der Endpunkt des blauen Kegels lag also noch
ein wenig höher. Obwohl diese Flamme infolge ihrer zweifellos höheren
Temperatur eine zwar örtlich eng begrenzte (im Bereich der unmittelbaren
Berührungsfläche), dafür aber starke Wirkung erzeugt, war die Schmelz-
ringbreite kaum größer als in den Versuchen 4 bis 6. Die erhaltenen Blei-
werte für 1 cbm abgesaugter Luft aber waren, wie die Tabelle zeigt, von
ganz anderer Größenordnung, und es können auch die innerhalb der unver-
meidlichen Fehlergrenzen liegenden Schwankungen der Werte nicht darüber
hinwegtäuschen, daß durch die Knallgasflamme weit mehr Blei in die Luft
überführt wird, als durch die vorher untersuchten Flammen. Die rauschende
Flamme übte allerdings auch eine stärkere Blaswirkung aus, die neben der
hohen spezifischen Flammentemperatur — aber sicher in weit geringerem
Maße — zu der größeren Bleiverflüchtigung beigetragen haben mag.
Da in der Technik vielfach auch noch einfache kupferne Brennerrohre
mit Düse angewendet werden, denen durch vorgeschaltete Dreiwegstücke
Wasserstoff und Sauerstoff zugeführt wird, so verwendeten wir bei Versuch
10 und 11 ein solches Rohr mit der gleichen Düsenweite wie die des
Brenners, der bei Versuch 7 bis 9 benutzt wurde. Wohl infolge geringerer
Flammentemperatur bei ungenügender Mischung der zur Verbrennung
gelangenden Gase wurde weniger Blei im cbm abgesaugter Gase gefunden.
Die Schmelzwirkung war allerdings auch etwas geringer. Die gefundenen
Werte sind aber jedenfalls noch von einer wesentlich höheren Größenord-
nung als die in den Versuchen 4 bis 6 gefundenen.
Die Versuche 12 bis 15 sollten der Klärung der Frage dienen, ob und
wie die Bleiverflüchtigung bei Anwendung der Wasserstoff-Sauerstoff-
Flamme sich ändert, je nachdem dieser durch entsprechende Gasregu-
lierung (Änderung der Sauerstoffmenge) mehr oder weniger reduzierende
Eigenschaften erteilt werden. Selbstverständlich sind hierbei auch Än-
derungen der Flammentemperatur gegenüber der normalen Flamme mit
optimalem Mischungsverhältnis nicht zu vermeiden.
Bei einem stets gleichbleibenden Wasserstoff-Arbeitsdruck wurde bei
Versuch 12 zunächst sehr wenig Sauerstoff zugegeben. Es ist interessant,
festzustellen, daß der gefundene Bleiwert dadurch unter die bei Versuch
1 bis 3 erhaltenen Mengen sank, wo Wasserstoff mit ausreichender Luft-
menge verbrannt wurde. Die Schmelzwirkung war ungefähr die bei Ver-
such 3 beobachtete.
Nun wurde bei Versuch 13 unter Anwendung des einfachen Brenner-
rohres mit Dreiwegstück bei demselben Wasserstoffdruck wie bei Versuch
12 die zugeführte Sauerstoffmenge etwas gesteigert, doch so, daß noch
90 Untersuchungen zur Klärung der Bleiverflüchtigung usw.
Wasserstoff im Überschuß vorhanden war. Hierdurch stieg bei etwas
vermehrter Schmelzwirkung die im cbm gefundene Bleimenge auf 14 mg.
Bei Versuch 14 wurde die Sauerstoffzufuhr so gesteigert, daß das optimale
Mischungsverhältnis hergestellt war. Die nun erhaltene Bleimenge hatte
wieder die Größenordnung der bei denVersuchen 7 bis 9 gefundenen Zahlen.
Bei Versuch 15 wurde die Sauerstoffzufuhr noch mehr gesteigert, jedoch.
so, daß die Flamme nicht zurückschlug. Es wurde allerdings, um Gefahren
hierbei auszuschließen, bei diesem Versuch statt des einfachen Brenner-
mischrohres ein Schweißbrenner von gleicher Düsenweite benutzt, der
eigentlich für Azetylen-Sauerstoff bestimmt war. Infolge der verstärkten
Sauerstoffzufuhr wurde die Gesamtlänge der Flamme kleiner, und es mußte
die Brennerspitze näher an die Bleifläche herangebracht werden. Das
Ergebnis des Versuchs war, daß ungefähr die doppelte Bleimenge, nämlich
106 mg im cbm erhalten wurde, als bei normal eingestellter Knallgasflamme.
Bemerkenswert ist noch, daß nach dem Behandeln der Glaswolle mit ver-
dünnter Salpetersäure die Glaswolle vorn braunrot war. Die Färbung ver-
schwand erst, und zwar sofort, beim Behandeln mit wasserstoffsuperoxyd-
haltiger Salpetersäure. Man hatte es also hier höchstwahrscheinlich mit
kleinen Mengen Bleisuperoxyd (PbO,) zu tun. Der hohe Rand des Tellers
war mit weißlichem Rauch beschlagen, und die festen Bleiflächen zeigten
gelbe bis gelbbraune Oxydbeschläge. Es schienen die gelben Beschläge
durch weitere dauernde Einwirkung der Verbrennungsgase erst nachträglich
braun zu werden.
Ehe nun die Oberfläche des Bleis durch Abkratzen und Bürsten mit
einer Stahlbürste für den nächsten Versuch gereinigt wurde (diese Reinigung
wurde übrigens nach jedem Versuch vorgenommen), wurde der Versuch
unter genau gleichen Verhältnissen wiederholt, nur mit dem Unterschied,
daß das Brenngas nicht entzündet wurde. Es sollte auf diese Weise ge-
prüft werden, ob etwa durch einen Luftstrom, wenn auch dessen Blaswir-
kung derjenigen der Flamme nicht ganz entsprach, bereits auf der Blei-
oberfläche abgesetzter Oxydbeschlag in die Glaswolle der Absaugevor-
richtung gelangt. Nach Absaugung von 2 cbm konnte in den Absorptions-
vorrichtungen kein Blei gefunden werden. Das spricht dafür, daß alles
in die Auffangevorrichtungen gelangte Blei sich nicht etwa schon vorher
einmal aus dem der Abgase abgesetzt hatte. Dies gilt für alle hier ange
führten Versuche.
Nunmehr wurde in den Versuchen 16 bis 26 die Azetylen-Sauerstoff-
Flamme unter Anwendung des soeben benutzten Schweißbrenners unter-
sucht. Das Prinzip war auch hier, einer stark reduzierenden (weißlich
brennenden) Azetylen-Sauerstoff-Flamme in einer Versuchsreihe, Versuche
16 bis 26, allmählich mehr Sauerstoff zuzuführen, bis sie mit geringem
Sauerstoffüberschuß, so weit möglich, brannte, um dabei die verschiedenen
erhaltenen Bleimengen festzustellen. Allmählich wurde der Brenner
wegen der Verkürzung der Flamme der Bleifläche näher gebracht (während
eines Versuchs verblieb der Brenner natürlich in seiner Lage). Überraschen-
weise ergaben die beiden ersten Versuche Nr. 16 und 17, daß kaum nennens-
werte Mengen Blei sich verflüchtigt hatten. Weitere Sauerstoffzufuhr
vergrößerte die von der noch immer weißlichen Azetylenflamme gelieferte
Von Dr. Hans Engel und Dr. Victor Froboese. 91
Bleimenge auch nicht wesentlich, wie die Versuche Nr. 18, 19 und 20 zeigen.
Die Bleimengen waren immer noch kleiner als die kleinsten bisher mit anderen
Flammen erhaltenen, obwohl die Schmelzwirkung zweifellos größer war,
als bei den Versuchen 1 bis 3. Auffällig war auch, daß sich die festen Blei-
flächen nicht wie bei den Versuchen mit der Knallgasflamme mit gelbem
oder gelbweißem Oxydbeschlag bedeckten, sondern daß dort ein grauer
oder grauschwarzer Beschlag sichtbar wurde. Auch konnte beobachtet
werden, daß sich schon auf dem geschmolzenen Blei am Flammenrand
eine graue Haut bei der Rotation weiter schob und gleichsam aus der
Flammenberührungsfläche hervorwuchs. Diese Ablagerungen konnten
nicht als Bleioxyd angesprochen werden. Erst bei den folgenden Versuchen
mit immer größerer Sauerstoffzufuhr bildete sich neben den grauen Be-
schlägen auch ein geringer gelber Beschlag. Manchmal schienen auch gegen
Ende des Versuchs Beschläge durch dauernde Einwirkung der heißen Ab-
gase allmählich gelb zu werden.
Die Versuche 21 und 22 ergaben keine größeren Bleimengen, als bei
Versuch 1 bis 3 gefunden wurden, obwohl die Schmelzwirkung hier bedeu-
tend größer war. Die Azetylen-Sauerstoff-Flamme war noch ganz schwach
weißlich.
"Abb. 8.
Bei Versuch 23 wurde die Gas- und Sauerstoffzufuhr vergrößert, um
noch größere Schmelzwirkung zu erhalten, was nur eine unwesentliche
Steigerung der gefundenen Bleimenge mit sich brachte.
Von Versuch 24 ab war die Flamme farblos; es war nur der bekannte
kleine grüne Kegel sichtbar, d. h. die Azetylenflamme war wie zum Eisen-
schweißen eingestellt. Die Schmelzwirkung erhöhte sich zunächst noch.
Als aber der Brenner mit dem Schweißpunkt auf die Bleifläche gebracht
wurde (Versuch 26), gab es im Blei eine tiefe Höhlung, so daß die heißen
- Flammengase von der fast halbkugelig vertieften Bleifläche direkt unter
dem Brenner reflektiert wurden und so für die Erhitzung der seitlichen
Bleiteile verloren gingen, wie es Abb. 8 darstellt, während sonst die heißen
Abgase noch über die Bleifläche hinstrichen.
Die Deformation des auftreffenden Flammenkegels war also hier eine
ganz andere als bei den übrigen Versuchen. Besonders war die horizontale
Ausdehnung der Flammenberührungsfläche verkleinert, und die Verbre-
nungsgase nahmen einen anderen Weg. Die sehr heißen Abgase werden
hier auf kürzestem Wege mit dem Luftsauerstoff gemischt (in Richtung
der Pfeile), während bei den früheren Versuchen die Gase zunächst noch
über Bleiflächen strichen, ehe sie sich — bereits stark gekühlt — mit dem
92 Untersuchungen zur Klärung der Bleiverflüchtigung usw.
Luftsauerstoff völlig vermischten. Die geänderte Richtung der Abgase
mag auch auf die Absaugung von Einfluß gewesen sein. Aus allen diesen
Gründen ist das Ergebnis dieses Versuchs mit den übrigen nicht ver-
gleichbar, ganz abgesehen davon, daß derartige Bedingungen bei der Blei-
löterarbeit auch nicht vorliegen. Aber selbst dieser Versuch, welcher dazu
unternommen war, bei einer für die Bleilöterarbeit anormalen Anwendung
der Azetylenflamme eine recht große Bleiverflüchtigung zu erhalten,
lieferte keineswegs die Bleimengen, welche mit der Wasserstoff-Sauerstoff-
Flamme unter ähnlichen Bedingungen (siehe Versuch 15) zu erhalten waren.
Die folgenden Versuche wurden, ausgehend von den im ersten Teil
wiedergegebenen Überlegungen angestellt, um den Einfluß der Karbu-
rierung der Wasserstoff-Sauerstoff-Flamme klarzustellen, nachdem die
Versuche 7 und 8 bezw. 16 und 17 den auffälligen Unterschied in der Wir-
kung der Wasserstoff-Sauerstoff-Flamme gegenüber der Azetylenflamme
hatten erkennen lassen. y
Bei Versuch 27 wurde dem Wasserstoff mittels eines Dreiwegstückes
zunächst etwas Azetylen zugesetzt und diese Mischung mit Sauerstoff in
dem vorher benutzten Azetylen-Schweißbrenner verbrannt. Die Flamme
war etwas weißlich und lieferte einen geschlossenen Schmelzring von etwa
25 mm Breite wie bei Versuch 21. Darauf wurde im Versuch 28 der Wasser-
stoff mit Benzol karburiert. Abb. 9 zeigt die Anordnung, die es ermöglichte,
entweder den Wasserstoff über das in einer Waschflasche befindliche
Benzol streichen zu lassen oder ihn rein dem Brenner zuzuführen. Die mit
Wasserstoff-Benzoldampf brennende Flamme war weißlich, rußte aber
nicht. Die Schmelzwirkung war etwas geringer. Nach Absaugung von
2 cbm innerhalb einer Stunde wurde durch Umschaltung der Wasser-
stoff wieder der Flamme rein zugeführt, ohne daß die Gaszufuhr geändert
wurde (Versuch 29). Die Flamme entfärbte sich völlig und brannte (viel-
leicht mit etwas Sauerstoffüberschuß) als normale Knallgasflamme. Nun
wurden die Absorptionsvorrichtungen wie üblich ausgespült, d. h. bleifrei
gemacht, wieder an die Apparatur angesetzt und von neuem 2 cbm abge-
saugt. Während die kohlenwasserstoffreie Flamme 1,6 mg lieferte, ergab
die Knallgasflamme 43,5 mg Blei, eine Menge, wie sie die Versuche 7 bis 9
auch geliefert hatten. Die Schmelzwirkung war bei Versuch 29 etwas größer
als bei Nr. 28. e
Als Wiederholung wurden nun die beiden Versuche in umgekehrter
Reihenfolge gemacht. Versuch Nr. 30 wurde mit reiner Knallgasflamme wie
Nr. 29 ausgeführt und ergab 35 mg Blei, während nach Umschaltung und
Karburierung des Wasserstoffs mit Benzoldampf (Versuch 31) 9 mg .
Blei gefunden wurden. Die Schmelzwirkung war im letzteren Falle wieder
etwas geringer.
Zum Schluß sei noch auf die ın der Tabelle unter Nr. 33 und 34 ange-
führten Versuche hingewiesen. Die Bleiverflüchtigung konnte man, wenn
sie eine bestimmte Größe erreicht hatte, jedesmal während der Versuche
deutlich an einem metallischen Geruch wahrnehmen. Um zu erfahren,
welche Bleimengen in dem Versuchsraume (Größe: 365x 420 x 920 cm)
etwa 1 m seitlich der Apparatur bei 160 cm Höhe über dem Fußboden noch
aufzufinden sind. wurden dort Staubbestimmungen nach der früher be-
Von Dr. Hans Engel und Dr. Victor Froboese. 93
schriebenen Methode!) unter Absaugung von je 2 cbm Luft, die durch ein
gewogenes Papierfilter filtriert wurden, ausgeführt, während die Wasser-
stoff-Sauerstoff-Flamme 100 mg Blei in 1 cbm in die Absaugevorrichtungen
trieb (Versuch 33). Es wurde einmal in 21,2 mg Staub 6,3 mg Blei, dem-
nach 3,2 Blei in 1 cbm Luft gefunden, ein anderes Mal in 24 mg Staub
6,6 mg Blei, entsprechend 3,3 mg Blei in 1 cbm Luft, festgestellt. Die
Schmelzwirkung, welche bei diesen Versuchen die Wasserstoff-Sauerstoff-
Flamme erzeugt hatte, wurde nun mit der Azetylen-Sauerstoff-Flamme
(Versuch Nr. 34) in gleichem Maße hervorgerufen, wobei 18 mg Blei in
1cbm Luft in die Absaugevorrichtung gelangten. Es wurden wiederum an
der gleichen Stelle wie vorher Staubbestimmungen bei 2 cbm Luftabsaugung
gemacht. Die eine ergab bei 18 mg Staubgewicht 0,6 mg Blei in 1 com Luft;
bei der zweiten Bestimmung wurde in 16 mg Staub 0,8 mg Blei in 1 cbm
gefunden.
Es zeigen somit auch diese Versuche, die an verschiedenen Tagen ge-
macht sind, daß bei Anwendung der Knallgasflamme, der Bleigehalt der Luft
auch im Arbeitsraum größer ist, als wenn die gleiche Schmelzwirkung mit
der Azetylensauerstoff-Flamme hervorgebracht wird, daß also ein höherer
Bleigehalt in den hier benutzten Absaugevorrichtungen auch auf einen
höheren Bleigehalt in der staubigen Raumluft schließen läßt.
Theoretisches über die Versuche.
Wie im ersten Teil bereits betont ist, zeigt sich bei vergleichender
Betrachtung, daß überall da, wo die Knallgasflamme zur Anwendung ge-
langt ist, die Bleiwerte eine weit beträchtlichere Höhe erreichen, als bei den
Versuchen mit allen anderen Flammenarten, daß auf der anderen Seite
— als auffallendster Befund — die Versuche mit der Azetylen-Sauerstoff-
Flamme und die in Verfolg dieses Befundes weiter angestellten Versuche
mit der karburierten Wasserstoff-Sauerstoff-Flamme eine wider Erwarten
niedrige Bleiverflüchtigung ergaben. Wenn Wasserstoff-Luft, Leuchtgas-
Sauerstoff (unter Anwendung des „Assabrenners‘“), Azetylen-Sauerstoff
und mit Kohlenwasserstoff karburierte Wasserstoff-Sauerstoff-Flammen
Bleiwerte lieferten, die in ihrer Größenordnung nicht sehr verschieden
und ganz erheblich kleiner sind als diejenigen in den Versuchen mit der
Wasserstoff-Sauerstoff-Flamme, so fällt dieses Ergebnis jedenfalls hin-
sichtlich der Azetylen-Sauerstoff-Flamme und vielleicht- auch hinsichtlich
der Leuchtgas-Sauerstoff-Flamme ganz aus dem Rahmen der Erwartungen
heraus, welche sich aus der rein von thermischen Einflüssen ausgehenden
Betrachtung der Zusammenhänge ergaben. (Bei den Versuchen mit den
karburierten Flammen war bereits von einer neuen Voraussetzung aus-
gegangen.)
Ganz wider diese Erwartungen haben die Versuche ergeben, daß die
Azetylenflamme trotz ihrer höheren Flammentemperatur nicht die größte
Bleimenge in die Luft treibt. Zu .beachten ist hierbei allerdings, daß die
sehr hohe und auch für Bleiarbeiten gar nicht erforderliche Temperatur
der Azetylen-Sauerstoff-Flamme für die Bleischmelze nicht voll ausge-
4) Froboese: Arch. f. Hyg. 95, Heft 3/4, S. 174.
94 Untersuchungen zur Klärung der Bleiverflüchtigung usw.
nutzt werden kann, wie der Versuch 26 mit. Verwendung des heißesten
Punktes der farblos brennenden Flammen zeigte.
Bemerkenswert ist bei einem Vergleich der hier zur Anwendung
gebrachten Flammen ferner, daß die normale Wasserstoff-Sauerstoff-
Flamme am stärksten rauscht, was sich bei Zuführung überschüssigen
Sauerstoffs noch steigert. Alle anderen hier benutzten Flammenarten,
besonders aber die Leuchtgas-Sauerstoff-Flamme brennen ruhiger, und es
spielt sicher wohl die Blaswirkung der Flamme ebenfalls eine gewisse
Rolle, die zu erfassen wir mangels geeigneter Meßeinrichtungen uns ver-
sagen mußten.
Auffallend war eine Beobachtung, die es vielleicht ermöglicht, rein
chemisch die mehr oder weniger starke Bleiverflüchtigung zu erklären.
Es war nämlich merkwürdig, daß bei Anwendung von kohlenwasserstoff-
haltigen Flammen sich auf oder in der nächsten Umgebung des geschmol-
zenen Bleis nur graue, grauschwarze, zuweilen auch graugrüne Beschläge
Abb. 9..
absetzten, abgesehen von einem leichten gelblichen Anflug gegen Ende
des Versuchs. Solche grauen Beschläge fehlten bei Versuchen mit der
Knallgasflamme. Hier waren jedesmal dicke gelbe Beschläge, zuweilen
sogar mit rötlichem oder bräunlichem Ton auf den festen Bleiflächen
festzustellen. Die Glaswolle selbst war je nach der Menge des aufgenom-
menen Bleis weiß bis zitronengelb, aber bei Versuchen mit Kohlen-
wasserstoff enthaltenden Gasen nur vorn grau. Selbst die Wasserstoff-
Luft-Flamme färbte die Glaswolle vorn schwach gelblich-grün und lieferte
schon einen geringen gelblichen Beschlag, während die Leuchtgas-Sauer-
stoff-Flamme bei gleichem Bleiwert (Spalte 6) die Glaswolle vorn etwas
grau färbte und keinen gelben, sondern einen grauen Beschlag bildete.
Der Brenner war nach einem Knallgas-Flammenversuch stets stark weiß
beschlagen, nicht aber bei Anwendung der Kohlenwasserstoff enthaltenden
Flammen. Fragt man sich, woraus die hier aufgetretenen Beschläge be-
stehen, so kommt man zu folgendem Schluß: Da die Kohlenwasserstoff
enthaltenden Flammen so eingestellt waren, daß sie nicht rußten, also
Kohlenstoffabscheidung nicht in Betracht kommt, ferner Bleikohlen-
stoffverbindungen auch nach Art des Nickelkohlenoxyds, Ni(CO), bisher
nicht bekannt sind, so ist mit einiger Wahrscheinlichkeit anzunehmen,
daß die grauen bezw. grauschwarzen Beschläge, zunächst nur nach der
Farbe zu schließen, fein verteiltes metallisches Blei oder Bleisuboxyd
Pb,O sind. Es besteht nun wenig Wahrscheinlichkeit dafür, daß das Blei,
welches durch die Flamme zunächst in Dampfform überführt worden ist,
Von Dr. Hans Engel und Dr. Victor Froboese. 95
bei der sehr großen Oxydierbarkeit des Bleis als solches den Abgasen,
beigemischt bleibt, und ohne sich der hohen Temperatur zu oxydieren,
entweder sofort auf kalten Bleiflichen niedergeschlagen oder weiter mit
der Luft fortgeführt wird. Kommt also hier elementarer Bleidampf außer-
halb der Flamme kaum in Frage und sieht man von einer Bildung
von Verbindungen wie Bleiwasserstoff ab, so kónnen nur Bleioxyde in
die Luft übergehen. Das Blei bildet folgende Oxyde:
Pb O — Bleisuboxyd, schwarzes oder graues Pulver.
PbO — Bleioxyd, gelb, in feinverteiltem Zustand weißlich.
Pb,O, — Bleisesquioxyd, rotgelbes Pulver.
PbO, — Bleisuperoxyd, braunes Pulver.
Pb,0, — Mennige, lebhaft rotes Pulver.
Unter diesen Oxyden nimmt für die Aufklärung der Bleiüberführung
in die Luft das Bleioxyd (PbO) eine Sonderstellung ein, weil es anscheinend
allein befähigt ist, sich in äußerst fein verteilter Form als weißer Nebel
abzuscheiden, der in der Luft sehr lange schweben bleibt. Durch einen
Versuch läßt sich diese Schwebefähigkeit leicht zeigen. Läßt man einen
elektrischen Flammenbogen kurze Zeit zwischen Blei- und Kohleelek-
troden brennen und saugt den entstehenden weißen Rauch in eine geräumige
Flasche von etwa 20 1 Inhalt, so setzt sich dieser Nebel überaus schwer ab.
Man hat es hier mit einem Luftkolloid zu tun, das durch die Luftströmung
wie ein Gas mit fortgeführt wird. Von den übrigen Oxyden konnte nur
noch Bleisuperoxyd (bei Versuch 15) in der Glaswolle festgestellt werden,
dessen Menge aber gegenüber dem entstandenen Bleioxyd nur sehr klein war.
l Auffällig war nun, daß die Glaswolle nach Beendigung eines jeden
Versuchs, welcher ein hohen Bleiwert geliefert hatte, stets bis in den Glas-
vorstoß hinein gelblich gefärbt war, während der Brenner, der eiserne Blei-
badrand u. a. einen weißlichen Beschlag aufwiesen. Es ist daher zu schließen,
daß hierbei wesentliche Mengen anderer Oxyde, die der Glaswolle eine an-
dere Färbung erteilen würden, nicht in diese gelangen und ferner daß bei
Anwendung kohlenwasserstoffhaltiger Flammen schon auf Grund der Farbe
der Glaswolle nach einem normalen Versuch keine großen Mengen PbO
entstehen, was ja auch die Analyse stets bestätigt.
Soll also Blei durch eine Flamme in großer Menge in die Luft überführt
werden, so müssen die Verhältnisse innerhalb der Flamme möglichst günstig
für die Bildung von PbO sein, da dieses, mit den Abgasen in die Luft getrie-
ben, sich, wie erwähnt, als Luftkolloid wie ein Nebel verhält und durch
die Luftbewegung weiter geführt wird. Daß der Luftsauerstoff außerhalb
der Flamme das eventuell in den schon stark gekühlten Flammenabgasen
enthaltene Blei erst zu PbO oxydiert, ist unwahrscheinlich. So starke
Bleiüberführungen können nur durch Verbrennung des Bleis innerhalb
der Flamme dicht über der Berührungsfläche stattfinden.
Die Versuchsreihen haben bewiesen, daß eine Steigerung der Sauer-
stoffzufuhr sowohl bei der Knallgas- als auch bei der Azetylen-Sauerstoff-
Flamme eine Verstärkung der Bleiverflüchtigung mit sich bringt. Dies
steht mit obigen Ausführungen völlig im Einklang. Es muß also, damit in
der Auffangsvorrichtung recht viel Blei gefunden wird, freier Sauerstoff
96 Untersuchungen zur Klärung der Bleiverflüchtigung usw.
in der Flamme sein. Andererseits muß hiernach die Bleiverflüchtigung
stark unterdrückt werden, wenn innerhalb der Flamme gerade über der
Bleiberührungsfläche eine Zone herrscht, die eine Oxydation des ent-
standenen Bleidampfes nicht zuläßt, so daß diese nur unvollkommen durch
den Luftsauerstoff bei inzwischen eingetretener starker Abkühlung er-
folgen kann, und deshalb eben PbO in Form von feinstem Nebel nicht mehr
entsteht.
Es muß nochmals betont werden, daß zu der spezifischen Temperatur
jeder Flamme eine bestimmte Bleiverdampfung gehört. Ist also die
Azetylenflamme heißer als die Knallgasflamme, so verdampft auch not-
gedrungen unter dem Einfluß der heißeren Flamme mehr Blei. Aber
letzteres muß auf irgendeine Weise gehindert werden, als Bleioxyd in die
Luft überzutreten. Warum die Verwandlung des Bleis in Bleioxyd und
damit eine starke Verflüchtigung gerade in der Knallgasflamme leicht
möglich erscheint, in der Azetylen-Sauerstoff-Flamme dagcgen sehr er-
schwert ist, darüber geben die chemischen Flammenbilder dieser beiden
Flammenarten Aufschluß. Die Knallgasflamme ist in Figur 10 dargestellt.
2 Mo +05 #50
Q 6
Abb. 10.
Der Kegel a enthält stets unverbranntes Gas. Bei normaler Ein-
stellung befindet sich im Mittelpunkt b der Flamme vornehmlich Wasser-
dampf. Die Dissoziationstemperatur des Wasserdampfes ist so hoch, daß
für gewöhnlich in der Knallgasflamme nicht mit starker Dissoziation zu
rechnen ist. Anders aber bei Einbringung von Metallen in die Knallgas-
flamme. Schon weißglühendes Platin bewirkt erhebliche Dissoziation von
Wasserdampf. Befindet sich also, wie das bei den früher beschriebenen
Versuchen der Fall war, im Punkt b der Knallgasflamme glühender Blei-
dampf, der nicht nur katalytisch die Zersetzung des Wasserdampfes in
Wasserstoff und Sauerstoff fördert, sondern noch dazu den Sauerstoff
aus dem Dissoziationsprodukt durch Bindung sofort herausreißt, so muß
erstens
die stete Neubildung von Sauerstoff durch die dauernde Gleich-
gewichtsstörung ergiebiger werden
und zweitens
bei der fortgesetzten Neubildung von Bleidampf die Bildung von
Bleioxyd unbegrenzt sein. l
Das auf diese Weise entstandene Bleioxyd kommt auf seinem Weg ein
die Luft allein mit noch nicht dissoziiertem kühlerem Wasserdampf zu-.
sammen, wobei Umwandlungen nicht mehr stattfinden, und mischt sich
dann der Luft als feinster Rauch bei.
Es soll auch noch auf einen Umstand hingewiesen sein, der ohne Zweifel
die Bleidampfoxvdation innerhalb der Knallgasflamme stark fördert.
Von Dr. Hans Engel und Dr. Victor Froboese. 97
E. H. Riesenfeld?) hat die Bildung von Ozon und Wasserstoffsuperoxyd
in der Knallgasflamme nachgewiesen. Der Arbeit ist zu entnehmen, daß
die Bildung von Ozon und Wasserstoffsuperoxyd in der Knallgasflamme
um so stärker wird, je kleiner man unter sonst gleichen Umständen die
Flamme macht. Bei Benutzung einer Mikroflamme kann die Ausbeute so
gesteigert werden, daß Ozonkonzentrationen erhalten werden, die viele
hundertmal größer sind als die nach dem Nernst’schen Wärmesatz
berechneten oder als die durch Explosionsversuche experimentell bestätigten
Gleichgewichtskonzentrationen. Die hierzu notwendige Energie soll der
Strömungsenergie entnommen werden.
Diese Feststellungen sind vielleicht besonders wertvoll, wenn man die
Größe der Bleiverflüchtigung bei der Bleilöterarbeit (Kleinarbeit, insbe-
sondere bei der „losen‘‘ Bleilóterei) unter Benutzung kleiner Knallgas-
flammen beurteilen will. Jedenfalls ist eine Steigerung des Ozongehaltes in
kleinen Knallgasflammen gleichbedeutend mit verstärkter Bleirauch-
bildung, und es ist ohne eindeutiges Versuchsmaterial nicht angängig, zu
400 e Ss
Abb. 11.
sagen, daß eine kleine Flamme überhaupt nur eine ganz untergeordnete
Bleiverdampfung erzeugen kann.
Die vorstehend geschilderten Bedingungen für die Bildung von Blei-
oxyd in der Knallgasflamme treffen in dieser Weise nur für eine Flamme zu,
die mit dem optimalen Gasmischungsverhältnis brennt. Es ist indessen
klar, daß ein Wasserstoffüberschuß, ganz abgesehen von der hierdurch
eintretenden Temperaturerniedrigung, die übrigens auch ein Sauerstoff-
überschuß bewirken würde, hemmend auf die Bleioxydbildung wirken
muß, während ein Sauerstoffüberschuß diese verstärken wird. Es wird
also ein Gasmischungsverhältnis geben, bei dem die Bleiverflüchtigung
ihr Maximum erreicht. Dieses machte sich während des Versuchs 15 daran
kenntlich, daß die Knallgasflamme eine intensiv fahlblaue Farbe annahm,
die sich ganz bedeutend abschwächte, sobald entweder die Wasserstoff-
oder die Sauerstoffzufuhr vergrößert wurde. Die so erhaltenen Bleimengen
waren bei diesem Versuch auch am größten.
Es bleibt nun noch übrig, zu erklären, warum eine Verbrennung des
Bleidampfes in der normal brennenden Azetylenflamme nicht so leicht
stattfinden kann. Hierzu ist erforderlich, klarzustellen, wie man sich die
Verbrennung des Azetylens aus einem Azetylen-Schweißbrenner,
der bei den Versuchen angewendet wurde, vorzustellen hat. Abb. 11 stellt
1) Zeitschr. f. Phys. Chem. 110, 801 (1924) u. Phys. Ber. 1924, 22, S. 1609.
98 Untersuchungen zur Klärung der Bleiverflüchtigung usw.
das Bild der Azetylen-Sauerstoff-Flamme mit ihren chemisch verschieden
wirkenden Zonen dar. Obwohl nach der Gleichung:
2 CH; + 5 O = 4 CO, + 2 H,O
für die vollstänige Verbrennung des Azetylens auf ein Volumen CH3
2,5 Volumen O, nötig sind, so hat sich bei der Konstruktion der Azetylen-
schweißbrenner bereits gezeigt, daß beste Wirkungen nur erzielt werden,
wenn das Mischungsverhältnis von C,H, zu O, etwa 1:1 ist. Nun hat
bereits Le Chatelier!) darauf hingewiesen, daß die Verbrennung des
Azetylens mit Sauerstoff stufenweise vor sich geht und zunächst nach der
Gleichung:
| i I.: 2 CH; + 20, = 4 CO + 2 H,
verläuft. Wird also wie es durch die Konstruktion des Brenners auch tat-
sächlich geschieht, um ein ruhiges und wirkungsvolles Brennen der Flamme
zu erzielen, daß Azetylen in den Azetylen-Schweißbrenner nur mit etwa
gleichen Teilen Sauerstoff gemischt verbrannt, so müssen die Verbrennungs-
produkte der Gleichung I. mit Hilfe des Luftsauerstoffs nach der Glei-
chung II.:
IT.: 4 CO +2 H, +3 0O, = 4 C O + 2 H,0
weiter verbrannt werden.
Hieraus ergibt sich die Zusammensetzung der in Abb. 11 gezeichneten
einzelnen Zonen.
Der Kegel a enthält größtenteils unverbranntes Mischgas. Die Zone b
besteht aus Kohlenoxyd und Wasserstoff, die in dem übrigen äußeren
Flammenraum durch den Luftsauerstoff weiter zu Kohlensäure und Wasser-
dampf verbrennen.
Entsteht nun an der Stelle b Bleidampf, wie es bei der verwendeter
Versuchsanordnung tatsächlich der Fall ist, so ist keine Möglichkeit der
Verbrennung zu Bleioxyd, PbO, durch freien Sauerstoff gegeben. Bläst
diese Flamme bej b auf eine geschmolzene Bleifläche, so wird der entstehende
Bleidampf zunächst unter dem Schutze einer Kohlenoxyd-Wasserstoff-
Atmosphäre seitlich aus der Flamme herausbefördert, wobei starke Ab-
kühlung durch kältere Bleiflächen eintritt. Die weitere Verbrennung der
schützenden Gase sowie des Bleidampfs selbst kann nunmehr nur außer-
halb der Flamme durch den Luftsauerstoff erfolgen. Hier steht für die
Oxydation des Bleidampfs indessen theoretisch nur ein kleiner Teil zur Ver-
fügung, da der vorhandene Luftsauerstoff zunächst für die Verbrennung
von Kohlenoxyd und Wasserstoff verbraucht werden wird und der Rest
erst für die Bleidampfoxydation in Frage kommt. Daß diese, wenn
sie eintritt, unter den obwaltenden Umständen sehr wahrscheinlich unvoll-
kommen ist und vielleicht nur, wie angenommen, zu dem Suboxyd PbO
führt, das dem Augenschein nach sofort auf den geschmolzenen und den
kalten Bleiflächen abgesetzt wird, ist auch wegen inzwischen eintretender
weiterer Abkühlung zu vermuten. Eine Spaltung des auch bei hohen
Temperaturen sehr stabilen Kohlenoxyds kommt nicht in Betracht.
1) Comptes renders de l’ Acad. 1895, 121, 1144, siehe auch: Vogel „Das
Acetylen“ 2. Aufl. 1923, S. 233.
Von Dr. Hans Engel und Dr. Victor Froboese. 99
Wird der normal brennenden Azetylenflamme (Gasmischungsver-
háltnis 1 C,H,:1 O,) mehr Azetylen zugeführt, so werden beide Zonen a und
b länger. Es kann sogar überschüssiges Azetylen bis an die Bleioberfläche
gelangen. Hierdurch wird die Kohlenoxyd-Wasserstoff-Zone auch etwas
vergrößert, also die Bleidampfoxydation noch mehr herabgedrückt. Umge-
kehrt wird eine stärkere Sauerstoffzufuhr zu der normal brennenden
Azetylenflamme die Kohlenoxyd-Wasserstoff-Zone verkleinern. Der gebil-
dete Bleidampf kommt dann mit Kohlensäure und Wasserdampf zusammen.
Letzterer dissoziiert durch den Bleidampf, wodurch die Bedingungen für
die PbO-Bildung, wie im Falle der Knallgasflamme, gegeben sind.
Das Karburieren der Knallgasflamme muß nun augenscheinlich auch
dazu führen, daß in der Flamme eine Kohlenoxyd-Wasserstofí-Zone ent-
steht, die die Bleiverbrennung hindert. Bekannt ist, daß bei Verbrennung
von Leuchtgas mit ungenügender Luftmenge, sowie durch Zersetzung
anderer Kohlenwasserstoffe bei hoher Temperatur Azetylen entsteht.
So erklärt sich höchst wahrscheinlich die Verminderung der Bleiverflüch-
tigung bei Anwendung von karburierten Wasserstoff-Flammen sowie von
Leuchtgas-Sauerstoff-Flammen nur als sekundäre Azetylenwirkung. Nach
obigen Ausführungen ist verständlich, warum eine Beimischung von
Kohlensäure zur Knallgasflamme (Versuch 32) keine Herabdrückung der
Bleiverflüchtigung herbeiführt, auch wenn man davon absieht, daß durch
die Kohlensäure die Flammentemperatur erniedrigt wird und schon deshalb
eine Verminderung erfolgen müßte. Selbst wenn Kohlenoxyd angewendet
worden wäre, würde dadurch noch keine Kohlenoxyd-Wasserstoff-Zone
bei b geschaffen werden, sondern am Endpunkt des Kegels a der Knallgas-
flamme (Abb. 10) Kohlensäure, die eine Oxydation des Bleidampfs unter
Bildung von Kohlenoxyd zuläßt.
Soll die Frage erschöpfend behandelt werden, in welcher Form sich
das Blei in der Luft unter den hier vorliegenden Umständen finden könnte,
so darf eine etwaige Bildung von Bleiwasserstoff nicht außer acht gelassen
werden, über dessen Existenz nach den Arbeiten von F. Paneth, Matthies
und Schmidt-Hebel!) kein Zweifel mehr besteht, und dessen höchst
giftige Wirkung hier auch in Betracht kommen könnte. Die genannten
Verfasser zeigten’ überdies, daß die Bildung von Bleiwasserstoff durch bloße
Vereinigung von Blei und Wasserstoff selbst in einer ionisierenden Funken-
strecke so gut wie nicht erfolgt, daß sie aber durch Kohlenwasserstoffe
als Katalysatoren ungemein gefördert wird. Es wäre nicht ausgeschlossen,
daß z. B. in den Kohlenwasserstoff enthaltenden Flammen die geringen in
Dampfform überführten Bleimengen teilweise in Bleiwasserstoff verwandelt
würden. Obwohl dieser bei höherer Temperatur leicht zersetzlich ist, so
wäre doch seine Bildung hier nicht unmöglich, da durch den Gasstrom
dauernd Reaktionsprodukte aus dem Flammeninnern herausgerissen werden
und durch die sofortige Kühlung auch unbeständige Verbindungen an den
„verhältnismäßig kalten Metallflächen konserviert werden könnten.
Folgende Versuchsanordnung gestattet, hier Klarheit zu schaffen: An
den mit Glaswolle gefüllten Vorstoß schloß sich eine für alle Bleiverbin-
1) Ber. d. Deutsch. Chem. Ges. 55 (1922) 775.
400 Untersuchungen zur Klärung der Bleiverflüchtigung usw.
dungen außer dem möglicherweise hier anwesenden gasförmigen Blei-
wasserstoff undurchlässige Filterbüchse?). Von hier gelangte der Gasstrom
in ein stark erhitztes, 60 cm langes böhmisches Rohr, worin sich etwa vor-
handener Bleiwasserstoff zersetzen mußte, dessen Zersetzungsprodukt Blei
nach der Abkühlung entweder im Glasrohr selbst oder indem nachfolgenden,
Salpetersäure enthaltenden U-Rohr nachweisbar sein müßte. Bei Ab-
saugung von 2 com Abgasen konnte aber weder bei Anwendung der Wasser-
stoff-Sauerstofí-Flamme noch der Azetylen-Sauerstoff-Flamme Blei als
Zersetzungsprodukt gasförmiger Bleiverbindungen nachgewiesen werden.
Ob Bleiwasserstoff dennoch in kohlenstoffhaltigen Flammen entsteht, aber
am Rande der Flamme oxydiert wird, konnte nicht entschieden werden und
ist für diese Arbeit auch belanglos, da in den Abgasen jedenfalls kein Blei-
wasserstoff vorhanden ist.
Folgerungen aus den Versuchen für die Praxis.
Aus den Ergebnissen dieser Arbeit lassen sich nun Folgerungen ziehen,
auf Grund deren die Gefährdung der Arbeiter in den Werkstätten, wo
homogen verbleit oder Blei gelötet wird, vielleicht erheblich vermindert
werden kann. Zunächst ist wiederum gezeigt, daß bei allen hier untersuchten
Flammenarten Blei in die Luft gelangt, und insofern der in einer früheren
Arbeit des einen von uns vertretene Standpunkt gestützt und bestätigt, daß
die Verhütung der Bleierkrankung in den Bleilötereien an diese Tatsache an-
knüpfen und vor allem darauf gerichtet sein muß, die Entstehung von Blei-
rauch und seine Einatmung nach Möglichkeit einzuschränken und zu ver-
meiden. Vor allem aber wurde nachgewiesen, daß gerade die in der chemi-
schen GroBindustrie am meisten für Bleilöterarbeiten benutzte Wasserstoff-
Sauerstoff-Flamme (Wasserstoff ist dort Anfallprodukt) am stärksten Blei
in die Luft überführt, während die Azetylen-Sauerstoff-Flamme und die
in geeigneter Weise karburierte Wasserstoff-Sauerstoff-Flamme, sowie die
Leuchtgas-Sauerstoff-Flamme in weit geringereí Maße hierzu befähigt
sind. Das Ergebnis unserer Untersuchungen erlaubt daher eine bedeutsame
Nutzanwendung insofern, als nunmehr ein Weg gegeben ist, durch Anwen-
dung geeigneter, leicht herzustellender Wasserstoff-Kohlenwasserstoff-
Gemische (Karburierung) oder reiner Kohlenwasserstoffe (Azetylen), die
Überführung von Blei so gering zu machen, daß die Gefährdung der Arbeiter
dadurch sich erheblich vermindern läßt.
Zusammenfassung.
1. Es wurde cine Apparatur zusammengestellt, um Flammen bei ihrer
Wirkung auf Blei vergleichsweise in bezug auf ihre Überführung von Blei
in die Luft prüfen zu können.
2. Die Bleiverflüchtigung bei der dem Arbeitsvorgang der Bleilöterei
entsprechenden Wirkung von Gebläseflammen auf Blei ist nochmals ein-
wandfrei und als nicht unerheblich festgestellt worden.
1) Von der Firma Auer, Berlin O hergestellt als bleidichter Gasmasken-
filtereinsatz der nur. Nebel u. Rauch festhält, Gase aber durchläßt.
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H r y" F A
eg E a D
V Cen. kv
A Ge > 7
3. Die Überführung von Blei in die Luft ist am stärksten bei Anwendung
einer mit Sauerstoffüberschuß brennenden Knallgasflamme und am
schwächsten bei Kohlenwasserstoffe enthaltenden Flammen, z. B. bei der
schwach weißlich brennenden, nicht rußenden Azetylenflamme. Sie läßt
sich bei Anwendung der Wasserstoff-Sauerstoff-Flamme durch Karbu-
rierung stark herabdrücken. Im Vergleich zur Knallgasflamme bewirkt
auch die Leuchtgas-Sauerstoff-Flamme nur eine geringe spezifische Blei-
verflüchtigung.
4. Bleiwasserstoff konnte in den Verbrennungsgasen nicht nachgewiesen
werden. Es wurde dargelegt, daß das Blei hauptsächlich als sehr feiner
Bleioxydnebel der Atemluft beigemischt wird, und bestätigt, daß sich ein
solcher Nebel lange Zeit in der Luft schwebend hält, ohne sich abzusetzen.
5. Es wurde versucht, eine Erklärung zu geben, warum bei der Wirkung
der Knallgasflamme auf Blei die Verflüchtigung leicht möglich ist, während
sie bei Anwendung der Azetylen-Sauerstoff-Flamme oder verwandter
Flammen trotz ihrer spezifisch höheren Temperatur vergleichsweise. sehr
gering ist.
6. Es werden Anregungen gegeben, wie die Arbeitergefährdung in den
hier in Betracht kommenden Bleibetrieben auf Grund der angestellten
Versuche vermindert werden kann.
Archiv für Hygiene. Bd. 96. 8
BR Von Dr. Hans Engel und Dr. Victor Froboese. — 101.
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d yA ARO et SR. Steen Er ES
Versuche über Ernährung mit vegetabilischer Rohkost bei
geistiger und körperlicher Arbeit.
Von
Professor Dr. Hermann Ilzhöfer,
Assistent am Institut.
(Aus dem Hygienischen Institut der Universität München.)
(Bei der Redaktion eingegangen am 16. Mai 1925.)
In einer unter diesem Titel kürzlich erschienenen Abhandlung teilte
F.-Potz1) mn, daf, er unter dem Zwang äußerer Verhältnisse seit dem
Jahre 1922 eine ganz einfache, vorwiegend aus frischem, konserviertem
„Obst und Brot: :hestehende. und nur anfánglich auch etwas Molkereiprodukte
enthaltende Kost aufnahm und dabei angestrengt geistig, 3 Monate lang
auch als „Schwerstarbeiter‘‘ körperlich arbeiten konnte, ohne, von kleinen
Schwankungen abgesehen, in Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit eine
nennenswerte Einbuße zu bemerken.
Die ohne Stoffwechseluntersuchungen nur auf Grund der 6 Monate
lang täglich in annähernd gleichen Mengen aufgenommene, zeitweise durch
Wägung kontrollierte Nahrung enthielt pro Tag in der 1.Versuchsperiode
bei geistiger Arbeit (tägl. durchschnittlich 8 Stunden med. Kolleg und
ca. 2 Stunden häusl. Studium) bei i. M. 55 kg Körpergewicht 2208 Rein-
kalorien mit 32 g Eiweiß, in der 2. Versuchsperiode (als Hilfsarbeiter in
einem Walzwerk) bei 53,6 kg mittl. Körpergewicht 1858 Reinkalorien mit
22—40 g Eiweiß, das waren auf 70 kg Körpergewicht umgerechnet im
ersten Fall 2823, im zweiten 2425 Kalorien pro Tag. Jenes KostmaB war
also nicht ungewöhnlich nieder, dieses jedoch lag erheblich unter dem
allgemeinen gültigen Normalwert.
Da sich Herr Potz am Schlusse seiner Veröffentlichung zur Wieder-
holung grundsätzlich gleicher Versuche bereit erklärte, forderte ich ihn auf
Anregung von Herrn Geh. Rat von Gruber auf, sich mir nach Beendi-
gung seines med. Staatsexamens zur Ausführung von Stoff- und Gas-
wechselversuchen als Versuchsperson zur Verfügung zu stellen. Er erklärte
sich dazu bereit und kam am 15.1. 25 hierher.
1) Arch. f. Hyg. 94, 529; cf. auch Huntemüller, Münch. med. Wochen-
schrift 71, 862.
Versuche über Ernährung mit vegetabilischer Rohkost usw. 103
Da er nach seiner Ankunft an einer äußerst schmerzhaften, stark
eiternden und schlecht heilenden Zahnperiostitis erkrankte, konnten die
Versuche erst am 31. I. beginnen. Sie dauerten mit kurzen Unterbrechungen
bis 19. III.
Herr Potz war auch nach Abschluß seiner mitgeteilten Versuche,
ohne jedoch die Nahrung weiter abzuwiegen, im großen und ganzen bei
dem letzten Kostmaß und der gleichen, einfachen, kalt verzehrten Nahrung
geblieben; er erklärte übrigens ausdrücklich, sie keineswegs als die für ihn
optimale anzusehen und hielt sich auch durchaus nicht sklavisch daran,
so wenig wie an eine bestimmte Kalorienzahl. Er gestattete sich vielmehr
nicht selten Ausnahmen, indem er, sei es zur Befriedigung von öfter auf-
tretenden Gaumengelüsten, sei es, um bei Geselligkeiten nicht aufzufallen,
auch warme Getränke (wie Kaffee, Tee, Kakao, Suppen), Butter, Eier,
Käse, Fleisch- und Mehlspeisen, hin und wieder auch Alkoholika zu sich
nahm. Selbstverständlich mußte er sich hier, da er nicht unter Klausur
gehalten werden konnte, verpflichten, während der Versuchstage nur die
festgelegte Kost aufzunehmen, deren Wahl ich ihm selbst überließ.
Von den oben erwähnten Ausnahmen abgesehen, hatte er sich teils aus
Ersparnisgründen, teils infolge von theoretisch anfechtbaren Vorstellungen,
auf die ich hier nicht näher eingehen will, in letzter Zeit der absoluten
Rohkost zugewandt und vermied jegliches zubereitete Nahrungsmittel;
daher wollte er bei den beabsichtigten Versuchen auch kein Brot, das er
früher, wie erwähnt, noch täglich gegessen hatte, zu sich nehmen.
Zunächst sollte das für ihn gültige Minimum der Nahrungszufuhr
bei leichter körperlicher, vorwiegend sitzender und mit geistiger Arbeit
verbundener Beschäftigung (als Praktikant im bakteriologischen Labo-
ratorium) festgestellt werden. Die Versuchsperson selbst glaubte dabei
mit wesentlich weniger Nahrung, als sie bisher aufgenommen hatte, aus-
kommen zu können und hoffte, daß ihr 4 Orangen, 2 Äpfel, 8 Datteln, je 30 g
Korinthen, Rosinen, Hasel- und Erdnußkerne und 60 g geschälte Hafer-
körner als Nahrung pro Tag genügen würden. Die in entsprechendem
Vorrat eingekauften Nahrungsmittel wurden täglich abgewogen, bei den
Orangen, Äpfeln und Datteln die ganze Frucht und der Abfall (bei ersteren
Schalen und Kerne, bei den Äpfeln Kerngehäuse und Kerne und bei den
Datteln nur die letzteren) und aus der Differenz beider Wägungen die ver-
zehrte Menge berechnet. Da bei jeder dieser Obstarten im Verlauf der Ver-
suchszeit über 70 derartige Wägungen gemacht wurden, ergaben sich gute
Durchschnittswerte für den jeweiligen Abfall, die ich deshalb hier anführe:
bei Orangen i. M. 30%,
bei Äpfeln i. M. 13%,
bei Datteln i. M. 11%.
Von jedem Nahrungsmittel wurde in eßfertigem Zustand (bei den
genannten 3 Obstarten also nach Abfallentfernung) in Doppelanalysen eine
Bestimmung des N-Gehaltes gemacht und aus diesem durch Multiplikation
mit 6,25 der Rohproteingehalt berechnet, der den sonst gefundenen Werten
entsprach. Da die Anführung der täglich aufgenommenen Nahrungsmengen
zu viel Raum beanspruchen würde und dieselben zudem nur bei den mit,
g*
104 Versuche úber Ernáhrung mit vegetabilischer Rohkost usw.
Abfall verbundenen schwankten, habe ich in der nachfolgenden Tabelle I
nur die in den einzelnen Versuchsperioden i.M. pro Tag aufgenommene
Nahrung zusammengestellt. Die außer dem von mir bestimmten N-Gehalt
dort noch eingetragenen Werte (Fett, Rohkalorien) wurden den König-
schen Tabellen entnommen.
Vor Beginn der 1. Versuchsperiode wurde am 2. II. im med. klinischen
Institut von Herrn Prof. Kämmerer, dem ich auch an dieser Stelle
bestens dafür danke, eine klinische Untersuchung der Versuchsperson,
welche, 261, Jahre alt, bei 169 cm Länge 54,2 kg wog, vorgenommen, die
folgendes ergab: Aussehen: gut, nicht anämisch; Körperbau: grazil; Mus-
kulatur: mäßig; Ernährungszustand: mäßig, jedoch keine extreme Mager-
keit; Puls: 60, mittelkräftig, regelmäßig; Blutdruck: ca. 120; klin. Unter-
suchungsbefund: Herz, Lunge, Abdomen o. B.; Durchleuchtung: Zwerch-
fell beiderseits ausgiebig beweglich, etwas tiefstehend, Herz o. B., eher
etwas klein, Hilus bes. rechts starke kalkige Ablagerungen, Spitzenfelder
und Lunge sonst völlig frei; Blutbefund: Hämoglobin 75%, Erythrocyten:
5076000, Leukocyten: 5000, Färbeindex % = > 1, Blutzucker: 52 mg%,
Blutharnsäure: 6 mg%, bei einer 2. Bestimmung am 9. II.: 4mg%. Das
Ergebnis der klinischen Untersuchung wurde, abgesehen von dem an der
untersten Grenze des normalen (60—110 mg%) stehenden Blutzucker-
und des in Anbetracht der purinfreien Kost relativ recht hohen Blutharn-
sáurewertes (2—4 mg%,) nomal) als in keiner Hinsicht auffallend bezeichnet
Tabelle 1.
Die in den einzelnen Versuchsperioden i. M. pro Tag aufgenommenen
Nahrungsmittel in g
Vezsuchsperiode: SS kr II. IV. | 9
Tag: 4.—8. II. | 9.—11. II. |12.—13.II. 24. 11.5. ITI. [9.—18. III.
Orangen. 446 | 432 502 580 | 619
Äpfel . 243 228 332 | 628 | 734
Korinthen . 30 30 30 — —
Rosinen . 30 30 | 30 — —
Datteln 62 67 68 — 301)
Feigen . D — — —- 122 205
Haselnußkerne 30 30 45 | ui 50
Erdnußkerne . aX 30 30 45 | 50 50
Geschälte Haferkörner 60 60 60 160 160
Honig . . A E _- | = — | 100 —
MIC ho 0.2 Bee 500 750 e =n
N. re te 3.99 | 6,14 8,4 7,57 10,03
o COMEDIA = A uD 24,93 | 38,37 52,5 47,31 62,68
a Rtl Ze dee A o 34 | WÉI | 19 65 65
Kohlehydrat . - : » 220 248 290 420 475
Rohkalorien . . . . | 1320 | 1675 2140 2520 2808
Nach einer 4 Tage dauernden Vorperiode, wáhrend der die eingenom-
menen Nahrungsmittel schon gewogen, auch Urin und Kot gesammelt
1) Die Datteln wurden nur an den 3 ersten Tagen zu je 100 g verzehrt; obiger
Wert wurde nur der Einfachheit halber in die Tabelle als Mittelwert pro Tag
eingesetzt; die unten angegebenen N-Werte sind jedoch aus den jeweilig auf-
genommenen Tagesmengen berechnet.
Von Dr. Hermann Ilzhöfer. 105
und zur Orientierung einigemal untersucht wurden, begann am 4. II. der
eigentliche Stoffwechselversuch, während dessen Dauer täglich morgens
nach Urin- und Kotentleerung eine Wägung des unbekleideten Körpers
stattfand, und täglich der N-Gehalt von Kot und Urin, sowie in letzterem
das NaCl und NH, bestimmt, außerdem häufig die aktuelle Reaktion,
der Harnsäure- und Kreatiningehalt des Urins ermittelt wurde. Die dies-
bezüglichen Untersuchungsergebnisse sind in Tab. II, die für die Aufstel-
lung der Stoffwechselbilanz in Betracht kommenden in Tab. III und die
mit dem Zuntz-Geppertschen Respirationsapparat ausgeführten Gaswech-
selbestimmungen in Tab. IV zusammengestellt.
- Da sich während der Vorperiode gezeigt hatte, daß die Versuchsperson,
welche keinerlei Getränke zu sich nahm, innerhalb 24 Stunden nur 250 bis
300 cem Harn von 1033 mittl. spez. Gewicht mit reichlich sich absetzendem
Uratsediment entleerte, veranlaßte ich dieselbe, wenigstens Y, Liter Wasser
am Tag zu trinken. Die Harnmenge nahm daraufhin etwas zu und betrug
jetzt i. M. 470 ccm pro Tag, also immer noch recht wenig, von 1023 mittl.
spez. Gewicht, der Harn setzte auch jetzt noch öfter reichlich Uratsediment
ab. Die Werte der aktuellen Reaktion (i. M. p, = 7,12, also H: = 7,59 + 1078
d NaH PO, 1
und Nap HPO, 2,6
gehalt (i. M. 0,7 g pro Tag) in Anbetracht der purinfreien Kost, und ebenso
die Kreatininausscheidung (i. M. tägl. 1,53 g) relativ hoch. Der niedere
NaCl- und NH,-Gehalt konnte im Hinblick auf die Art der Kost nicht auf-
fallen. Den N-Gehalt bespreche ich nachher.
Die Menge des einmal täglich geformt entleerten Kotes (i. M. 128 g
frisch) war zwar absolut, aber nicht relativ gering, wenn man das bei Be-
trachtung der abgewogenen Tagesration ersichtliche kleine Nahrungs-
volum berücksichtigte. Der Wassergehalt des Kotes war recht konstant
(i. M. 75%), aber verhältnismäßig hoch, so daß die täglich entleerte Trocken-
kotmenge i. M. nur 31,3 g betrug. Der mit dem Kot ausgeschiedene N
ging der abgegebenen Kotmenge nahezu ganz parallel und betrug durch-
schnittlich 1,1 g pro Tag. Da nach Stab 3 der Tab. 111 i. M. 4 g N im Tag
eingeführt wurden, gingen somit von ihm im Kot 27% zu Verlust, die Nah-
rung wurde also recht schlecht ausgenutzt, was bei ihrer Zusammen-
setzung mit tägl. 15 g Rohfasergehalt erklärlich war. Es fanden sich auch
stets reichlich Zellulosereste aller Art von feinsten Teilchen bis zu ange-
brochenen, ja selbst einzelnen ganzen Haferkörnchen im getrockneten
Kot vor.
Der unter Berücksichtigung des Darmverlustes für diese 1. Versuchs-
periode sich ergebende Nettowert der aufgenommenen Nahrung ist in
der folgenden Tab. V eingetragen. Bezüglich der Berechnung dieser Werte
sei bemerkt, daß von den (dem betr. Eiweiß-, Fett- und Kohlehydratgehalt
entsprechenden) Rohkalorienmengen (cf. Tab. I) für den Eiweißverlust im
Darm die jeweils gefundene Zahl und für den Fett- und Kohlehydrat-
verlust ein in Anbetracht der zellulosereichen Nahrung sicher nicht zu hoher
Wert von 20 bzw. 30%, in Abzug gebracht wurde. Der nach Abzug des
Kot-N vom eingeführten N erhaltene Wert x 6,25 wurde als Reineiweiß
gerechnet.
) boten nichts auffallendes, dagegen war der Harnsäure-
106 Versuche úber Ernáhrung mit vegetabilischer Rohkost usw.
Tabelle II. Harn-
Harn |
dE A | d S Ar Haras | gesi 1
suchs- Tag Aussehen Menge | "Per | Re | N er
Periode path. Bestandteile we aktion skuro | atinin |
wicht | | |
ccm pa g g | g |
trúb. |
4. 11.25 Uratsedim. 440 | 1021 | 7,1 6,03 | 0,65 | 1,57
S> H 3 463 | 1022 | 7,22 | 5,41 | 0,7 | 1,56
I. klar. |
6. Il. Azetonschw. + 532 | 1020 | 7,1 6,03 | 0,95 | 1,48 |
klar.
SP Azeton + 484 | 1023 | 7,22 | 8,73 | 0,6 | 151 |
8. Il, klar. 430 | 1020 | daa 4,43 0,63 | 1,54 |
9.. TE ZS 483 | 1021 —- 4,93 | — =-
II. 10. II SS 504 | 1022 | 7,37 | 5,49 | 0,84 | 1,6 |
E 1%: 11: D 462 | 1027 1.22 6,23 | 0,87 1,55
II] LACE A 1146 | 1012 | 7,1 | 6,82 -— Ze A
18: IK > LOGG 1.1011 ı TIT 16,12 1,0 | 1,47
schw. trüb.
24. II. Uratsedim. >82 | 95
25. Ek reichl. Uratsedim. 472 | 1022 | 4,52 o ti
Sp, 21. wenig Uratsedim. | 618 | 1017 | — | 45 —
27: TE, klar | 494 | 1024 | 7,19 | 4,42 | 0,98 | 1,6
I\ 28. IE = | 642 1015 — 4,72 — e
oi A | 524 | 1022 | 7,04 | 422 | 10 | 15
22117, wenig Uratsedim. | 680 | 1011 | — | 4,57 =
SL klar | 750 1016 | = 5,19 => =
4.111. reichl. Uratsedim. 230 | 1029 | — 2,62 - —
| reichl. Uratsedim. 1025 = 4,38 — =-
V. a klar 682 | 1016 51 | — —
| M TO AL 5,67 — --
| wenig Uratsedim. | 1031 E- 5,88
V.b klar HET ı 1025 — 7,24 — —-
| ' 619 | 1023 1,1 7,46 — l
1016
Der erste vor Beginn des eigentlichen Stoffwechselversuches am 2. II.
morgens nüchtern ausgeführte Respirationsversuch ergab nach Tab. IV
einen Grundumsatz von 1124 Kalorien (= 20,75 pro kg bzw. 703 pro qm).
Dieser Wert lag 23%, unter der Norm (je 24%, berechnet nach der aus den
Harris-Benediktschen Tabellen!) entnommenen Standardzahl und der
nach Gruber?) auf 1 cm Körperlänge bezogenen Umsatzgröße und
20%, berechnet pro Stunde und qm nach du Bois3). Die Versuchsperson
1) el, Grafe, path. Phys. d. Gesamtstoff- u. Kraftwechsels, S. 488 u. ff.
2) Sitzungsber. der b. Akad. d. Wissensch.; math.-phys. Kl., S. 341.
3) cf. Grafe, a. a. O., 8. 35.
Von Dr. Hermann llzhófer. | 107
und Kotbefund.
Harn Kot
Menge g N
NaCl | NH, Aussehen ‚frisch [bei 105° en im | Bemerkungen
getr. | gehall [Mischen
g g g g in °% | Kot
0,5 0,18 [geformt, braungelb 75,5 | 0,9
0,67 | 0,19 do viel Haferkórner 76,0 | 1,1
0,65 | 0,21 ; 75,8 | 1,4
| 057 | 0,12 73,6 | 1,2
_0,67 | 0,14 75,1 | 1,2
0,56
0,8
0,7
1,3 `
| 1,34 am 14. abends starker
Durchfall, daher Ver-
such abgebrochen.’
2,0 75,7 | 3,29
1,24 | 0,19 e 79,6 | 2,43
breiig; gelb;
1,05 | 0,22 sáuerl. Geruch 81,4 | 2,54
1,93 | 0,28 76,2 | 3,94
0,5 0,36 79,0 | 2,66
0,52 | 0,28 80,8 | 3,16
0,44 | 0,21 78,4 | 3,0
0,7 0,24 83,8 | 4,26
0,46 | 0,82 A ag ES 3
daher Kot nicht auf-
zusammeln.
2,86 | 0,3 breiig; gelb 55,4 | 77,5 | 2,62
2,0 0,28 S 67,6 | 77,6 | 2,65
1,93 | 0,24 me i 220 | 55,2 | 75,0 | 2,2
1,04 | 0,18 e 61,1 | 75,5 | 2,62
0:32 | 0,18 A 367 | 79,9 | 78,2 REN
0,32 | 0,15 5 358 | 76,2 | 85,1 | 3,97
_101 | 0,22 | geformt, gelb | 187
0,49 | 0,18 breiig, gelb 224 | 54,8 | 76,4 | 2,48
0,49 | 0,2 Ge 373 | 798 | 78.6 3,62 WÄER
0,37 | 0,19 i 393 | 754 | 80,8 | 3,43
befand sich also ohne Zweifel damals im Zustand der Unterernährung. Diese
war sicher zum größten Teil auf die Begleitumstände der schon erwähnten
heftigen Zahnperiostitis zurückzuführen. Denn dabei war die Rohkost,
die an sich gutes Kauen verlangte, infolge des in den ersten Tagen ganz
mangelnden und dann noch einige Zeit recht schlechten Kauvermögens
natürlich wenig zweckmäßig — in den ersten Tagen nahm die Versuchs-
person überhaupt nur Orangensaft zu sich — und qualitativ und quanti-
tativ ungenügend, besonders da noch Schlaflosigkeit und heftige Schmerzen
vorhanden waren. Es war daher begreiflich, daß die an sich magere Ver-
suchsperson dabei in ihrem Ernährungszustand herunterkam.
Versuche über Ernährung mit vegetabilischer Rohkost usw.
108
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Von Dr. Hermann Ilzhöfer.
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410 Versuche über Ernährung mit vegetabilischer Rohkost usw.
Tabelle V.
Brutto- und Nettowerte der!in den einzelnen Versuchsperioden durchschnittlich
aufgenommenen Kalorien und Eiweißmengen.
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Mittl. : i `
Ver- Kör- l Auf 1 kg Auf 70 Kg
suchs- Tag Fa Körpergewicht | Körpergewicht
Pe [weht Kto: | Roh- | kalo- | Rein- | kaio- kalo- | Rein-
kg rien |eiweiß | ven | eiweiß rien | eiweiß
I. | 4.—8. II. | 53,63 | 1320 | 25 1000 | 17,25 1300 | 22,5
11. 19.—11.11. | 52,97 | 1680 | 38,61 | 1300 | 31 1700 | 40,6
111. |12.—13.11. 52,97 | 2140 | 52,88 | 1700 | 44,8 2250 | 58,8
IV. 124.11.—4.lll.| 54,54 | 2520 | 47,31 | 1800 | 27,62 2300 | 35,7
V. [8.—18. I11.| 53,67 | 2808 | 62,7 | 2100 | 44,8 2750 | 58,1
Trotz des sehr niederen Grundumsatzes (20,75 Cal pro kg) konnte
jedoch schon vor Beginn des eigentlichen Stoffwechselversuches kein
Zweifel darüber bestehen, daß die aufgenommene Nahrung kalorisch unge-
nügend sein würde, denn der verwertbare Teil derselben (18,6 Cal pro kg)
reichte nicht einmal hin, den Ruhebedarf zu decken, so daß zur Bestreitung
des Verdauungs- und Leistungszuwachses der Körper sein eigenes Material
heranziehen mußte. Trotzdem führte ich den Stoffwechselversuch durch,
teils um die Versuchsperson durch ihre eigene Erfahrung von der Unmög-
lichkeit einer qualitativ und quantitativ so ungenügenden Nahrungs-
zufuhr zu überzeugen, teils um festzustellen, wie sich unter diesen Um-
ständen der Eiweißumsatz gestalten würde.
Was nun die Stoffwechselbilanz betrifft, so sieht man aus Stab 1 der
Tab. III, daß das Körpergewicht bis zum 6. tägl. nahezu um denselben
Betrag (i. M. 0,12 kg), vom 7. bis 9. (an dessen Vortag zum letzten Male
die gleiche Nahrung genommen wurde) jedoch erheblich stärker sank;
im Gesamtmittel dieser Versuchsperiode betrug die tägliche Gewichtsab-
nahme 0,2 kg. Sie darf, da Schwankungen des Wasserhaushaltes bei der
gleichmäßigen Flüssigkeitszufuhr und geringen körperlichen Betätigung
kaum eine Rolle spielten, wohl nur auf den Verlust an Körpersubstanz
bezogen werden. Inwieweit an diesem Gewichtsverlust die lebendige
Zellsubstanz beteiligt war, sieht man aus Stab 3—5 der Tab. III.
Daraus ist zu entnehmen, daß bei einer täglichen Zufuhr von durch-
schnittlich 4g N im Urin i. M. 6,13 und im Kot i. M. 1,15, zusammen
7,28 g N pro Tag ausgeschieden wurden, so daß der Körper also i. M. tägl.
3,3 g N = 20,62 g Eiweiß von seinem Bestand hergeben mußte. Daß das
N-Defizit nicht noch größer war, ist ohne Zweifel nur darauf zurückzuführen,
daß die Versuchsperson schon unterernährt in den Versuch hineinging
und sich, wie angegeben, schon auf einen sehr niederen Umsatz eingestellt
hatte, der während der Versuchsperiode nicht wesentlich sank, denn der
am 5. und 7. gefundene Grundumsatzwert (i. M. 1100 Cal) war nur um
3%, niederer als der vom 2.11.
Man sieht aus Stab 5 der Tab. III, daß das N-Defizit vom 4. bis 6. II.
langsam zunahm, am 7. fast auf den doppelten Betrag des Vortages (= 36 g
Körpereiweißverlust) anstieg, um am 8. jäh his unter den Anfangswert abzu-
Von Dr. Hermann Ilzhöfer. 111
fallen. Die letztere Tatsache läßt vermuten, daß der Körper auch mit der
kleinen Menge des zugeführten resorbierbaren N (2,76 g = 17,25 g Eiweiß)
sich weiterhin doch noch ins N-Gleichgewicht gesetzt hätte, allein ich
getraute mich nicht, die Ernährung in der bisherigen Weise fortzusetzen,
da schon im Urin vom 5. und 6. deutlich Azeton (mit der Liebenschen
Reaktion) nachweisbar war und auch vom 6. ab bei der Versuchsperson
selbst subjektive Empfindungen der unzureichenden Ernährung in Form
von schneller Ermüdbarkeit bei geistigen Leistungen und körperlichen
Bewegungen (wie auf dem Gang ins Institut oder beim Ausprobieren einer
“ Schrotmühle) auftraten, sich außerdem starkes Hungergefühl und be-
zeichnender Weise ein nur mit großer Energie zu bekämpfendes Verlangen
nach Butterbrot bemerklich machte.
Ich gab deshalb vom 9. ab als Zulage zu der bisherigen Kost pro Tag
Y, Liter Milch, welche die Versuchsperson jeweils in 2 Portionen am Vór-
und Nachmittag ungekocht trank. Aus den Tabellen II und IV ist zu ent-
nahmen, daß daraufhin im Harn- und Kotbefund keine wesentliche Ände-
rung, im Grundumsatz eine kleine Steigerung (um 39) gegenüber den Vor-
tagen eintrat und aus Tab. Ill, daß von dem i.M. jetzt eingeführten N
(6,14 g) mit dem Kot 1,18 g = 19%, also etwas weniger als an den Vortagen
‚ausgeschieden wurde. Der N-Umsatz ergab, daß bei annähernder Kon-
stanz des Körpergewichtes am 9. N-Gleichgewicht bestand, am 10. eine
kleine, am 11. jedoch schon wieder eine doppelt so große N-Unterbilanz
auftrat. Daß trotz der vorausgegangenen Reduzierung des Körpereiweiß-
bestandes jetzt noch keine N-Retention eintrat (wie bei den Versuchen von
v.Hößlin!) und Kestner?) war natürlich nur darauf zurückzuführen,
daß die gegenüber den Vortagen eingetretene Steigerung der Kalorien-
und Eiweißzufuhr noch zu gering war.
Es wurden daher vom 12. ab zu der ursprünglichen Kost %, Liter
Milch und je 15 g Hasel- und Erdnußkerne pro Tag zugelegt und dadurch
(cf. Tab. V) rund 1700 Nettokalorien mit 45 g verdaulichem Eiweiß einge-
führt. Nunmehr trat am 12. und 13. bei gleichbleibendem Körpergewicht
eine deutlich positive N-Bilanz (+ 0,7 g) ein. Der Grundumsatz zeigte
gegenüber der 1. Versuchsperiode wiederum eine kleine Steigerung (um 4%),
die allerdings ebenfalls noch innerhalb der normalen Schwankungs-
grenzen lag.
Am Abend des 14. entleerte die Versuchsperson, sei es infolge des ihr
ungewohnten reichlichen Milchgenusses an sich oder infolge der ungekocht
getrunkenen Milch im Anschluß an erhebliche, schon am Nachmittag ein-
getretene Blähungen mehreremal einen dünnbreiigen Stuhl, der natürlich
nicht aufgesammelt werden konnte, sodaß der Versuch abgebrochen werden
mußte.
Er wurde erst am 24. II. wieder aufgenommen. Denn die Versuchs-
person, welche 3) als Rheinländer die ihr bei vorübergehendem Aufenthalt
in München gebotene Gelegenheit, den hiesigen Fasching kennen zu lernen,
sich nicht entgehen lassen wollte, hatte in der Zwischenzeit verschiedene,
4) Arch. f. Hyg.. 88, 147.
2) Deutsche med. Wochenschr., 45, 235.
3) Die Angaben erfolgen mit Genehmigung der Versuchsperson.
112 Versuche über Ernährung mit vegetabilischer Rohkost usw.
mit Tanz verbundene Geselligkeiten mitgemacht. Abgesehen davon, daß dies
schon an sich die äußeren Versuchsbedingungen verändert hätte, konnte
die Versuchsperson noch dazu aus verschiedenen Gründen die sonst einge-
nommene Rohkost nicht einhalten und nahm daneben verschiedene andere
Nahrungsmittel zu sich, die ich ara besten nach ihren eigenen Aufzeichnungen
hier anführe.
44.11. Kost wie bisher; abends 1 Tafel Schokolade, 1 kleiner Kuchen, Brot.
mit Butter und Käse.
15. Kost wie bisher; außerdem mittags Butterbrote; nachm. Kaffee,
Torte, Wein; abends Suppe, Braten mit Spätzel und Salat.
16. Kost wie bisher.
17. Kost wie bisher; außerdem mittags Semmel mit Käse; abends Brot
und Schinken, Bier, Wein.
18. Frisches Obst wie sonst; statt Kor. und Ros. Honig, statt Datt. Feigen,
abends Schweinskotelett mit Kart., kalt. Aufschn., Salat, Semmel.
19. Kost wie bisher; -nur statt 60 100g Hafer; außerdem 60 g Honig;
Kaffee.
20. Kost wie bisher, abends Kalbsbrat. m. Sparg., Kartoffelsalat, Knödel,
Semmel.
21. Kost wie bisher; ohne Hafer, dafür mittags 4 Semmel m. Butt. u. Wurst,
Kaffee m. Gebäck; abends Gebäck.
22. Kost wie bisher; abends noch Suppe, Kalbskot. m. Gemüse, Semmel
- und Aufschn., Bier, Wein, Schokolade, Kuchen.
23. Kost wie bisher; ohne Hafer; abends Schokolade, Kuchen, Bier.
Für die am 24. II. wieder aufgenommenen Versuche war auf Wunsch
der Versuchsperson der tägliche Speisezettel abgeändert worden. Sie
wollte die auf die Dauer zu kostspieligen Korinthen, Rosinen und Datteln
und außerdem die Milch weglassen und dafür 10 getrocknete Feigen und
100 g Bienenhonig pro Tag aufnehmen. Da die jetzt verzehrte Kost der
zuletzt genommenen aber kalorisch mindestens gleichwertig sein sollte,
mußten die Mengen der früher schon aufgenommenen Nahrungsmittel
(Orangen, Äpfel, Hasel-, Erdnußkerne und Haferkörner) entsprechend
erhöht werden (cf. Stab 4 der Tab. 1).
Die Erdnußkerne wurden jeweils fein zermahlen, mit den nunmehr
geschroteten Haferkörnern und dem Honig zu einem Teig vermengt und
daraus etwa handtellergroße Wecken geformt, die als Brotersatz dienten
und, in 3 Tagesportionen verteilt, gegessen wurden. Die Orangen, Äpfel,
Feigen und Haselnußkerne wurden in der sonst üblichen Weise mittags und
abends verzehrt und im ganzen 2—3 Schluck Wasser pro Tag getrunken.
Infolge der geringeren Flüssigkeitszufuhr war die in dieser Versuchs-
periode täglich entleerte Harnmenge (i. M. 595 ccm bei 1018 spez. Gew.)
erheblich kleiner als in der 3. (i. M. 1056 ccm), dagegen etwas größer als
in der 1. und 2. Versuchsperiode (i. M. 475 cem), was erklárlich war, weil
damals weniger frisches Obst verzehrt wurde.
Eine Nachwirkung der in den Vortagen aufgenommenen fleisch-
und purinhaltigen Kost war am 24. II. noch an der Verschiebung der aktu-
ellen Harnreaktion nach der sauren Seite und der gegenüber den früheren
Von Dr. Hermann Ilzhöfer. 113
Perioden deutlich hóheren Harnsáure- (1,3 g) und NaCl-Ausscheidung (2 g)
unschwer zu erkennen. Alle diese Werte fielen, wie Tab. II erkennen läßt,
weiterhin wieder ab, bei der NaCl-Ausscheidung konnte dies täglich ver-
folgt werden, sie sank bis zum 26. langsam (auf 1 g), um nach einem vorüber-
gehend (am 27.) und ohne ersichtlichen Grund aufgetretenen Anstieg
(auf 1,9 g) wieder zu sinken und dann nahezu konstant zu bleiben. Der
Gesamtmittelwert betrug 1g pro Tag. Die Kreatinin- (i. M. 1,5 g) und
NH,-Ausscheidung (i. M. 0,27 g) — jene wieder relativ hoch, diese nieder —
hatte sich gegenüber früher nicht wesentlich geändert. Die im einzelnen
nachher zu besprechende N-Ausscheidung im Urin war, von den etwas
größeren Schwankungen am 24. II. und 3. 4. III. abgesehen, recht konstant.
Der regelmäßig zweimal am Tag (morgens und spätnachmittags)
entleerte Kot war hellgelb und mit Ausnahme der zwei ersten Tage, stets
breiig, also von hohem Wassergehalt (i. M. 79%) und hatte einen, speziell
beim Trocknen hervortretenden säuerlichen Geruch (flüchtige Fettsäuren).
Die Kotmenge betrug i. M. frisch 338 g, also 2Ymal soviel wie in den
vorhergegangenen Versuchsperioden, bei 105° getrocknet i.M. 68g pro
Tag. Während sie vom 24. II. bis 2. III. nur innerhalb mäßiger Grenzen
schwankte, stieg sie am 3., wohl infolge einer beginnenden Darmreizung auf
519 g und ihr Wassergehalt auf 84%, und am 4. abends setzte nach voraus-
gegangenen erheblichen Blähungen und Leibschmerzen ein starker, nachts
sich noch zweimal wiederholender Durchfall ein, der zum Abbruch des
Versuches zwang. Infolge des starken Wasserverlustes durch den Darm
wurde nach dem Auftreten der Diarrhoe nur mehr ganz wenig, hochkonzen-
trierter Harn, der reichlich Uratsediment absetzte, entleert, so daß die
gesamte Urinmenge vom 4. auf den 5. II., von der nichts verloren gegangen
war, nur 230 ccm betrug.
Der Kot-N, welcher der jeweils ausgeschiedenen Kotmenge wieder
ganz parallel ging, war mit durchschnittlich 3,16 g pro Tag sehr hoch.
Da nach Tab. I u. III i. M. nur 7,57 g N täglich eingeführt wurden, gingen
somit im Kot 41,7% (1) N zu Verlust, die Ausnútzung der Nahrung war also
noch wesentlich schlechter als in der 1. Versuchsperiode. Das war jedoch
nicht verwunderlich, denn es wurden jetzt, ganz abgesehen von der nicht
unerheblichen Steigerung des Rohfasergehaltes der Nahrung (der jetzt
1. M. 25 g pro Tag betrug), mit letzterer auch täglich 10 Feigen und 100 g
Bienenhonig zugeführt; erstere regen stets die Stuhlbeförderung an und
letzterer kann, in größeren Mengen genossen, leicht zum Auftreten von
sauren Gärungen im Darmkanal, die vermutlich auch in erster Linie das
Auftreten der Diarrhoe verursachten, Anlaß geben.
Der nach Abzug des Darmverlustes sich ergebende Nettowert der
Nahrung betrug nach Tab. V i. M. 1800 Reinkalorien mit 27,6 g resorbier-
barem Eiweiß.
Der erste zu Beginn dieser Versuchsperiode (am 25. 11.) ausgeführte
Respirationsversuch ergab nach Tab. IV einen Grundumsatz von 1363 Cal
(= 24,8 pro kg bzw. 846 pro qm), der nach den weiteren, am 27. Il. und
3. III. gemachten Gaswechselbestimmungen sich nicht wesentlich änderte;
er betrug im Gesamtmittel dieser Versuchsperiode 1387 Cal (= 25,3 pro kg
1144 Versuche úber Ernáhrung mit vegetabilischer Rohkost usw.
und 864 pro qm) und lag jetzt nur mehr 6,5% unter der Norm (auf die oben
angegebene Weise berechnet).
Der am 25. II. gegenüber dem 13. gefundene Anstieg des Grundum-
satzes (absolut um 19%, pro 1 kg und í qm um 15 bzw. 17%) kann nur
durch die in der Zeit vom 14. bis 24. II. eingenommene reichlichere Er-
nährung verursacht worden sein, er ist m. E. ein deutlicher Beweis dafür,
daß der Umsatz in den Zellen sich entgegen dem Pflügerschen Grund-
gesetz in verhältnismäßig kurzer Zeit den veränderten Ernährungs-
bedingungen angepaßt hat. Es war übrigens, wie schon betont, auch in der
2. und 3. Versuchsperiode mit der Steigerung der Kalorien- und Eiweiß-
zufuhr eine gewisse Erhöhung des Grundumsatzes einhergegangen, sie
lag zwar noch innerhalb der normalen Schwankungen, ist aber vielleicht
doch nicht ganz zufällig gewesen, denn beim Vergleich der auf 1 kg Körper-
gewicht, noch mehr der auf 1 qm bezogenen Umsatzgröße:
in der Vorperiode. . ..... 20,75 Cal pro kg; 703 pro qm
» own 1. Versuchsperiode . . . 2052 an n» DI „ y
9) 9) 2. 23 RAR, 21,3 ” 9 A 713 9 9
29 7? 3. = 9) SC E 21,6 33 1 "39 722 37 9)
ist eine Tendenz zum allmáhlichen Ansteigen kaum zu verkennen, zumal
da Gewicht und Oberfläche in der 2. und 3. Versuchsperiode konstant
blieben.
` Bei Betrachtung der in Tab. III gegebenen Bilanzaufstellung dieser
Versuchsperiode fällt zunächst der seit dem 13. IT. eingetretene, nicht uner-
hebliche Anstieg des Kórpergewichtes um insgesamt 2, also um täglich
rd. 0,2 kg auf. Er war sicher auf die infolge der reichlicheren und besser
ausnützbaren Nahrung eingetretene Verbesserung des Ernährungszustandes,
bis zu einem gewissen Grad vielleicht auch auf Wasserretention zurück-
zuführen, da aus den oben mitgeteilten Aufzeichnungen der Versuchsperson
hervorgeht, daß mit der Veränderung der Nahrungszufuhr auch eine Ver-
mehrung der Flüssigkeitsaufnahme einhergegangen war.
Das Körpergewicht nahm in den ersten 3 Tagen relativ wenig, am
4. und 5. Tag jedoch stärker ab (an beiden zusammen um 0,5 kg) und blieb
darnach bis zum Auftreten des Durchfalls annähernd konstant. Im großen
und ganzen bestand, auch abgesehen von der vorübergehenden stärkeren
Gewichtseinbuße am 27. und 28. eine Neigung zu ganz allmählicher
Gewichtsabnahme, welche aus der Gesamtabnahme vom 24. II. bis 4. II.
(dem Morgen vor dem Auftreten des Durchfalls) berechnet, i. M. pro Tag
0,1 kg betrug. Nach der Diarrhoe trat erklärlicherweise ein erheblicherer
Gewichtsverlust ein.
Die N-Bilanz war während der ersten 3 Tage deutlich, wenn auch in ab-
nehmendem Grade, positiv (i. M. + 0,7 g N pro Tag wie in der 3, Versuchs-
periode), wurde dann am 27.11. mit 0,8g N-Verlust deutlich negativ,
was nur auf die vermutlich infolge vorübergehender Darmreizung an
diesem Tage besonders schlechte Nahrungsresorption (cf. den erheblichen
Anstieg des Kot-N) zurückzuführen war. Nachdem am 28. II. und 1. 111.
nochmals ein schwach positiver Wert und am 2. II. N-Gleichgewicht
bestanden hatte, trat am 3.111. infolge der wieder beginnenden Darm-
Von Dr. Hermann llzhófer. 115
reizung eine nahezu 21,mal so große N-Einbube wie am 27. II. ein. Ver-
gleicht man die gesamte N-Ein- und Ausfuhr (60,55 bzw. 61,36 g N) in
dieser Versuchsperiode, so ergibt sich, daß innerhalb von 8 Tagen ein Ge-
samt-N-Verlust von 0,81 g, also pro Tag i.M. ein N-Verlust von 0,1 g
auftrat, d.h. im Gesamtdurchschnitt dieser Versuchsperiode bestand N-
Gleichgewicht.
Die relativ kleine Eiweißmenge (27,6 g Reineiweiß = 0,51 pro kg =
35,7 g pro 70 kg), mit der es erzielt wurde, wird verständlich, wenn man den
Ernährungszustand der Versuchsperson, der auch jetzt noch (mit 54,5
mittl. Körpergewicht bei 169 cm Körperlänge) als recht mäßig bezeichnet
werden mußte, sowie die infolge der früheren Einbußen sicher nicht uner-
hebliche Reduktion ihres Körpereiweißbestandes berücksichtigt. Letztere
geht übrigens auch daraus hervor, daß schon von den kleinen Mengen
des zugeführten resorbierbaren N (i. M. 4,42 g!) in den ersten Tagen deut-
liche N-Ansätze gemacht wurden. Diese konnten weiterhin nur deshalb
nicht mehr aufrechterhalten werden, weil ‘offenbar die Kalorienzufuhr
nur gerade ausreichte, den täglichen Bedarf zu decken. Letztere Tatsache
ergibt sich nicht nur aus dem oben geschilderten Verhalten des Körper-.
gewichtes, sondern auch aus folgenden Überlegungen.
Der Grundumsatz betrug in dieser Versuchsperiode i. M. 1380 Cal;.
setzt man für den Verdauungszuwachs statt 12%, einen der Menge und Art,
der aufgenommenen Nahrung — die statt der üblichen 159% nur 8%, EiweiB-
kalorien enthielt — und einen dem mäßigen Ernährungszustand der Ver-
suchsperson entsprechend niedereren Wert von 8%, = 110 Cal an, so erhält
man für Grundumsatz + Verdaüungszuwachs rd. 1500 Nettokalorien, so
paß für den Leistungszuwachs noch 300 Cal pro Tag übrig blieben, die zur
Deckung des aus der Beschäftigung der Versuchsperson (s. oben) sich
ergebenden Bedarfes ausreichen konnten. `
Es hat sich also aus dieser Versuchsperiode ergeben, daß die Versuchs-
person bei 54,5 mittl. Körpergewicht bei leichter, vorwiegend sitzender
und mit geistiger Arbeit verbundener Beschäftigung ihren Bedarf mit
1800 Reinkalorien und 27,6g resorbierbarem Eiweiß (= 2300 Cal mit
36 g Eiweiß pro 70 kg) decken konnte. Ihr unter den genannten äußeren
Bedingungen gefundener Verbrauch lag also an der untersten Grenze des
normalen.
Es war in Aussicht genommen, am 5. II. mit stärkerer körperlicher
Arbeit zu beginnen, als der Versuch, wie erwähnt, wegen Auftreten des
Durchfalles abgebrochen werden mußte und natürlich erst fortgesetzt
werden konnte, nachdem sich die Versuchsperson davon wieder erholt hatte.
Da sie jedoch während der zu dem Zweck eingeschobenen 3tägigen Pause
aus äußeren Gründen die bisherige Kost nicht einhalten konnte, führe ich
die vom 6.—8. III. von der Versuchsperson eingenommenen Nahrungsmittel
nach deren Angaben hier wieder an:
6. III. mittags: wie bisher; abends: Matjeshering mit Butter und Kartoffeln
Brot, Tee.
7. 111. mittags: Semmeln mit Butter und Leberwurst, Obst, Kaffee mit
Keks; abends: Schinken mit Bandnudeln und Salat, 11 Bier.
116 Versuche über Ernährung mit vegetabilischer Rohkost usw.
8. III. mittags: Semmeln mit Butter und Leberwurst, Obst, Kaffee mit
Keks; abends: wie am Mittag, Kakao statt Kaffee.
Für die nunmehr beginnende 5. Versuchsperiode wurde auf Wunsch
der Versuchsperson die bisher aufgenommene Kost etwas abgeändert.
Die Menge der Hasel-, Erdnußkerne, geschroteten Haferkörner und die Zahl
der Feigen blieb gleich, dagegen sollte der Honig wegfallen und an seine Stelle
100 g Datteln treten, außerdem wurde die Menge des noch reichlich vor-
rätigen frischen Obstes etwas gesteigert. Vom 12. ab blieben jedoch die
Datteln wegen ihres zu hohen Preises wieder weg und wurden durch 100 g
Feigen ersetzt. Die Nahrung wurde in der gleichen Zurichtung — die
geschroteten Haferkörner mit den gemahlenen Erdnußkernen und Feigen zu
einem Teig verarbeitet — und zu denselben Tageszeiten wie in der voraus-
gegangenen Versuchsperiode verzehrt, ihre pro Tag durchschnittliche
Menge ist in Tab. I eingetragen. Man sieht daraus, daß sie mehr N und
Kalorien enthielt wie in der 4. Versuchsperiode, das war aber im Hinblick
auf die in Aussicht genommene stärkere Arbeitsleistung nicht unangebracht.
Da sich inzwischen ergeben hatte, daß die Versuchsperson nur bis zum
20. hier bleiben konnte, mußte diese letzte Versuchsperiode viel mehr zu-
sammengedrängt werden als erwünscht und von vornherein beabsichtigt
war. Es sollte daher die bisherige Art der Beschäftigung nur 3 Tage inne-
gehalten, dann 3 Tage lang daneben schwerere körperliche Arbeit geleistet
werden und nach einem Ruhetag (Sonntag) noch 3 Tage mit leichterer
körperlicher Arbeit folgen.
Die Arbeitsleistung wurde im gut, geheizten Zimmer vormittags
nüchtern zwischen 10 und 11 Uhr, nachmittags von 4 Uhr ab am Ergostaten
ausgeführt; der Körper der Versuchsperson war dabei nur mit einer Bade-
hose bekleidet. |
Um ohne allzulange Ausdehnung der eintönigen Dreharbeit eine
entsprechende Arbeitsgröße zu erreichen, wurden auf Wunsch der Versuchs-
person kürzere Arbeitszeiten bei stärkerer Belastung des Ergostaten
gewählt.
Die am Vormittag des ersten Tages (12. III.) innerhalb 1 Stunde aus-
geführte Arbeitsleistung betrug 36000 mkg. Sie war in Anbetracht des
plötzlichen Übergangs recht groß und konnte nur dank der ungewöhnlichen
Energie der Versuchsperson ohne Unterbrechung durchgehalten werden,
verursachte jedoch erhebliche Erschöpfung und starken Schweißverlust.
Daher wurde nachmittags die gleiche Arbeit auf 2 hintereinander liegende
Stunden mit je 18000 mkg verteilt und außerdem nach je halbstündiger
Arbeit eine 10 Minuten dauernde Ruhepause eingelegt; die Arbeit konnte
daraufhin ohne wesentliche Anstrengung und ohne nennenswerte Er-
schöpfung bewältigt werden. Am 13. und 14. III. wurden ebenfalls je
72000 mkg Arbeit — am Vor- und Nachmittag je 36000 pro Stunde mit
10 Minuten Ruhepause — geleistet, deren Ausführung der Versuchsperson
infolge des fortschreitenden Trainings zunehmend leichter fiel als am ersten
Vormittag. Es sei noch erwähnt, daß die Versuchsperson in diesen 3 Tagen
kein Verlangen nach vermehrter Nahrungszufuhr verspürte, wobei man
allerdings berücksichtigen muß, daß sie schon früher ‚durch gutes Zureden
Von Dr. Hermann llzhófer. 117
und mit etwas zähem Willen“ die vom Magen ausgehenden Gefühle zu
beherrschen gelernt hatte. Die vom 16. bis. 18. III. jeweils vor- und nach-
mittags innerhalb 1 Stunde ohne Ruhepause ausgeführte Arbeitsleistung
von je 18000 mkg = 36000 mkg pro Tag konnte, ohne Anstrengung oder
Erschöpfung zu verursachen, bewältigt werden. Das nach Beendigung der
betr. Arbeitsleistung jeweils durchschnittlich beobachtete Verhalten der
Pulsfrequenz ergibt sich aus folgender Zusammenstellung:
nach Ablauf
nach Ablauf
von 15 Minuten | von 30 Minuten
110 = 70°% | 90=-+40% | 75 = + 16%,
96 = + 45%% | 85=-+30%, | 70=+ 6%,
Die von der Versuchsperson ausgeführte Arbeit entsprach hinsichtlich
der Stundenleistung bei 36000 mkg mindestens derjenigen eines Schwer-
und bei 18000 mkg derjenigen eines mittleren Arbeiters, denn in den be-
kannten Versuchen von Becker und Hämäläinen!) betrug die aus dem
Energieverbrauch berechnete Arbeitsgröße pro Stunde bei den Holzsägern
34—34000, bei den Metallarbeitern, Malern und Schreinern 12—414000 mkg.
Dagegen entsprach die effektive Tagesleistung der Versuchsperson bei
72000 mkg nicht ganz derjenigen eines mittleren Arbeitern bei 8stündiger
Arbeitszeit, da von den genannten Autoren für diese Zeit beim Schuh-
macher rund 61000 und beim Metallarbeiter 95000 mkg berechnet wurden,
während die Tagesleistung mit 36000 mkg etwa zwischen derjenigen des
Schneiders und Buchbinders (mit 29000 bzw. 54000 mkg pro 8 Stunden) lag.
Was zunächst den Urin- und Kotbefund in dieser 5. Versuchsperiode
betrifft, so sieht man aus Tab. II, daß hierin an den einzelnen Tagen
stärkere Schwankungen auftraten wie in der 4. Periode. Das hing natürlich
“mit der Änderung der äußeren Versuchsbedingungen zusammen, bezüglich
derer noch erwähnt sei, daß die Versuchsperson an den Tagen mit körper-
licher Arbeit jeweils Y, Liter angewärmtes Wasser trank, während sie an
den ersten 3 Tagen wie bisher keine Flüssigkeit zu sich nahm. Bei Betrach-
tung des Harnbefundes fällt, vom N zunächst abgesehen, wie zu Beginn
der 4. Versuchsperiode die am 9. III. gesteigerte und in den nächsten
Tagen wieder auffallend langsam absinkende NaCl-Ausfuhr als Nachwir-
kung der angeführten Nahrungsänderung auf. Der mit der körperlichen
Arbeit verbundene Schweißverlust machte sich in erster Linie an einer Ab-
nahme der NaCl-Ausscheidung, zum Teil (am 12.—14.) auch an einer kleinen
Verminderung des NH,-Gehaltes und der Menge des Harnes bemerklich.
Die Menge des, vom 15. III. abgesehen, wieder zweimal täglich in
Breiform entleerten hellgelben Kotes war in den 3 ersten Tagen etwas
kleiner als in der letzten Versuchsperiode, stieg aber unter dem Einfluß der
körperlichen Arbeit deutlich an. Ganz analog verhielt sich der Kot-N.
Die in dieser Versuchsperiode am 11., 14. und 17. ausgeführten Respi-
rationsversuche (cf. Tab. IV) ergaben, was den Grundumsatz betrifft,
untereinander und mit denjenigen der 4. Periode innerhalb der Schwan-
kungsgrenzen übereinstimmende Werte, dagegen war die Atemmechanik
in den zwei letzten, ca. 14 Stunden nach Beendigung der jeweiligen Muskel-
1) Skand. Arch. f. Phys., 31, 235.
Archiv für Hygiene. Bd. 96. 9
unmittelbar
darnach
Arbeitsleistung
pro Stunde
vorher
118 Versuche über Ernährung mit vegetabilischer Rohkost usw.
arbeit ausgeführten Respirationsversuchen insofern etwas anders, als bei bei-
den die Atemfrequenz, beim einen auch die pro Minute geatmete Luftmenge.
deutlich höher war als früher. Die betr. Änderungen sind zwar an sich nicht
groß, aber doch nicht außer acht zu lassen, nachdem die Atemmechanik
bei allen anderen Respirationsversuchen außerordentlich konstant war.
Es bestand also in diesem Fall 14 Stunden nach Beendigung der Arbeit
nur mehr diese kleine Nachwirkung der vorausgegangenen Muskeltätigkeit,
während ich früher!) bei 2 unterernährten Studenten nach Ablauf der
gleichen Zeit trotz kleinerer Arbeitsleistung eine weit erheblichere Stei-
gerung der Lungenventilation und des Grundumsatzes (um rd. 50%)
nachweisen konnte. Der Unterschied in diesen Beobachtungen dürfte
darin seine Erklärung finden, daß die diesmalige Versuchsperson, die an sich
nicht besser genährt war als jene, infolge ihrer wiederholten Betätigung als
Werkstudent an körperliche Arbeitsleistungen mehr gewöhnt war. Außerdem
spielen bei solchen Versuchen die individuellen Verhältnisse, die Muskel-
disziplin, nicht zuletzt die Willensstärke, welche meiner diesmaligen Ver-
suchsperson in reichem Maße zu Gebote stand, bekanntlich eine nicht un-
wichtige Rolle. |
Aus der Bilanzaufstellung in Tab. III ist zu entnehmen, daß vom ein-
geführten N mit dem Kot an den 3 ersten Tagen annähernd gleich viel
(i. M. 25%), an den 3 nächsten Tagen mit stärkerer Muskelarbeit von Tag
zu Tag mehr (26, 33, 39 i. M. 33%), am darauffolgenden Ruhetag nur 16%
und an den 3 letzten Tagen mit weniger Muskelarbeit wieder mehr (24, 36, 33,
i.M. 31%) zu Verlust ging. Die Ausnutzung der Nahrung war also an sich
zwar wieder recht schlecht, aber bei gleicher Beschäftigung doch besser als in
der vorausgegangenen Versuchsperiode (mit i. M. 41%, N-Verlust), obwohl
diesmal der Rohfasergehalt der Nahrung (i. M. 32 g pro Tag) noch etwas
höher war als in jener; dieser Umstand war vermutlich nur auf das Weg-
bleiben der Honigzufuhr zurückzuführen. Dagegen trat unter dem Einfluß
der stärkeren Muskelbeanspruchung eine deutliche Verschlechterung der
Nahrungsresorption auf, die vielleicht mit der Art der Arbeitsleistung inso-
fern zusammenhing, als durch die Dreharbeit in vorgebeugter Stellung die
Stuhlbeförderung angeregt wurde.
Am Verhalten des Körpergewichtes in dieser Versuchsperiode fällt
zunächst der am ersten Tag der letzten Wägung gegenüber konstatierte An-
stieg um 0,6 kg (vom 5.—9.) auf, welcher offenbar nur wieder eine Folge
der in den betr. Tagen vorgenommenen Änderung der Nahrungs- und
Flüssigkeitsaufnahme war. Vom 9.—12. (dem Morgen vor Beginn der Mus-
kelarbeit) sank das Körpergewicht wieder ab (um insgesamt 0,5 kg), was
wohl in erster Linie durch die Einstellung auf einen anderen Wasserhaushalt
bedingt war. Dafür spricht nicht nur das nachher zu besprechende Ver-
halten der N-Bilanz, sondern auch der Umstand, daß gleichzeitig, ohne daß
mehr Flüssigkeit getrunken wurde, die Harnmengen anstiegen. Vom
12. bis 15. nahm das Gewicht um insgesamt 0,68 kg ab, stieg nach dem Ruhe-
tag wieder um 0,28 kg an und nahm endlich vom 16. bis 19. wieder um
0,53 kg ab. Daß dies (vom 12.—19.) mit der Veränderung der äußeren
. Versuchsbedingungen wechselnde Verhalten des Körpergewichtes nicht nur
= 1) Arch. f. Hyg., 88, 332.
Von Dr. Hermann llzhófer. 119
auf eine Veränderung des Wasserhaushaltes, sondern bis zu einem gewissen
Grad auch auf eine solche des anderen Körpermaterials zurückzuführen
war, ergibt sich aus der Verfolgung der N-Bilanz.
Diese war vom 9. bis 11. deutlich positiv. Das konnte an sich nicht auf-
fallen, nachdem schon in den zwei vorausgegangenen Versuchsperioden die
große Neigung des Organismus zum N-Ansatz hervorgetreten war, allein
die Tatsache, daß jetzt vom eingeführten resorbierbaren N (i.M. nur
7,44 g pro Tag) durchschnitt]. 2,5 g, also ein ganzes Drittel retiniert wurde,
ist doch sehr bemerkenswert und zeigt klar den großen N-Hunger des
Körpers. Diese N-Ansätze konnten jedoch mit dem Einsetzen der stärkeren
Muskelarbeit nicht mehr aufrecht erhalten werden. Am 12. wurde zwar
trotz letzterer noch ein deutlich positiver Wert gefunden, der aber um 0,8 g
N tiefer lag als der Mittelwert der drei Vortage, am 13. trat jedoch eine
schwache und am 14. eine nahezu dreimal so große N-Einbusse (= 3,12
bzw. 8,8 g Körpereiweißverlust) auf. Am darauffolgenden Ruhetag erfolgte
‚sofort wieder eine N-Retention, wobei %, des an den zwei Vortagen einge-
büßten Körper-N wieder angesetzt wurden. Die N-Retention hielt auch
in den drei nächsten Tagen bei der auf die Hälfte reduzierten Muskelarbeit
noch an; am ersten derselben (16.) war sie sogar noch (um 0,4 g) höher
als am vorhergegangenen Ruhetag, so daß die gesamte am 13. und 14,
eingetrene N-Einbusse wieder hereingebracht war, am 17. und 18. nahm sie
wieder ab (um 0,7 bzw. 0,9 g dem jeweiligen Vortag gegenüber). Ob bei
weiterer Fortsetzung des Versuches N-Gleichgewicht oder eine N-Unter-
bilanz eingetreten wäre, läßt sich natürlich nicht sagen.
Aus dem geschilderten Verhalten des Eiweißumsatzes in den leider nur
kurzen einzelnen Stadien dieser Versuchsperiode geht einerseits das Bestre-
ben des Körpers, mit seinem wertvollsten Material zu sparen, andererseits
die Tatsache klar hervor, daß die zugeführte Nahrung zwar an den Tagen
mit mäßiger Muskelarbeit (16.—18.) genügte, dagegen an denjenigen mit
schwererer (12.—14.) nicht ausreichte, um den tatsächlichen Bedarf zu decken.
Die Größe des letzteren kann man annähernd auf folgende Weise
berechnen. Nach den Untersuchungen von Zuntz!) bedingt eine Arbeits-
leistung von 30000 mkg pro Stunde beim 70 kg schweren Mann eine Stei-
gerung des Bedarfes um 388 Cal pro Std., d. 1. 580%, des Grundumsatzes
(65—70 Cal pro Std. bei 70 kg Körpergewicht); daher erfordert eine Arbeits-
leistung von 36000 mkg unter den gleichen Voraussetzungen ein Mehr an
466 Cal = 690%, des Grundumsatzes. Da letzterer bei meiner Versuchs-
person (i. M. der 5. Versuchsperiode) nur 57,5 Cal pro Std. betrug, bean-
spruchte bei ihm die (vom 12.—14.) täglich ausgeführte Arbeitsleistung von
2 x 36000 mkg ein Mehr von 2 x 396 = rd. 800 Cal pro Tag. Rechnet `
man für den Verdauungszuwachs aus den früher angeführten Erwägungen
wieder 8%, des Grundumsatzes (von 1380 Cal = 110 Cal, so erhält man für `
beide zusammen (1380 + 110 =) rd. 1500 Cal. Nachdem nur 2100 Cal mit
der Nahrung zugeführt wurden, ergab sich somit nach Berücksichtigung des
durch die Muskelarbeit bedingten Mehrbedarfes (von 800 Cal) schon ein
Defizit von 200 Cal, das durch den übrigen Tagesbedarf infolge der leichten,
1) Zitiert nach Rubner in Handb. der Hyg. von Rubner, Gruber,
Ficker, Bd. I, 1. Abt., S. 66. N
9
120 Versuche über Ernährung mit vegetabilischer Rohkost usw.
vorwiegend geistigen Beschäftigung noch um mindestens 200 Cal, also auf ins-
gesamt 400Cal pro Tag vergrößert wurde. Die Deckung dieses Defizits mußte
der Körper aus seinem eigenen Bestand bestreiten. Am 1. Tag reichte dazu
offenbar sein Reservematerial noch aus, an den folgenden mußte, wie die
N-Abgabe im Harn zeigt, schon das Körpereiweiß mit herangezogen werden.
Die gleiche Berechnung ergibt für die Tage (16.—18.) mit auf die
Hälfte reduzierter Muskelarbeit von je 36000 mkg pro Tag, daß nach
Berücksichtigung des durch letztere bedingten Mehrbedarfes von den zu-
geführten 2100 Cal noch (2100 — 1380 + 110 + 400) rd. 200 Cal übrig
blieben, die zur Deckung des übrigen Tagesbedarfes genügen konnten.
Es geht also aus dieser annähernden Berechnung ebenso wie aus dem
früher besprochenen Verhalten des Eiweißumsatzes klar hervor, daß für
die Versuchsperson eine Zufuhr von 2100 Nettokalorien (= 2800 Cal pro
70 kg Körpergewicht) an denjenigen Tagen (16.—18.), wo sie außer ihrer
leichten, vorwiegend geistigen Beschäftigung auch stärkere Muskelarbeit
im Betrage von 36000 mkg pro Tag ausführte, genügte, dagegen an den
Tagen (12.—14.) mit je 72000 mkg Arbeitsleistung nicht ausreichte, den
jeweiligen Tagesverbrauch zu bestreiten.
Da für die Arbeitskategorien, deren effektive Tagesleistung nach den
früheren Ausführungen derjenigen der Versuchsperson an den genannten
Tagen ungefähr gleichkommt (Schneider-, Buchbinder bzw: Schuhmacher,
Metallarbeiter) von Becker und Hämäläinen!) ein mit den Nahrungs-
bestimmungen Tigerstedts?) gehr gut übereinstimmender Energiebedarf
von 2500—2700 bzw. 2800—3100 Reinkalorien pro 70 kg Körpergewicht
berechnet wurde, so ergibt sich, daß der unter den genannten Bedingungen
beobachtete Verbrauch der Versuchsperson zwar an der untersten Grenze
des allgemein gültigen Normalwertes stand, jedoch keineswegs so nieder
war, wie man nach den Angaben der Versuchsperson (cf. Einleitung), daß
sie als „Schwerstarbeiter‘‘ mit 2400 Cal (pro 70 kg Körpergewicht ge-
rechnet) ausgekommen sei, erwarten mußte.
Nun waren allerdings bei der ganzen Art ihrer Darstellung — „ich
galt in der Sprache des Volkes als Schwerstarbeiter‘‘ — und bei der regel-
mäßigen Hervorhebung des letzteren Wortes durch Sperrdruck gewisse
Zweifel berechtigt, ob die Versuchsperson die betr. Arbeit tatsächlich als
Schwerstarbeit empfunden hatte. Das war auch nach ihrer späteren
mündlichen Versicherung durchaus nicht der Fall, denn sie erklárte3),
die betr. Arbeit habe zwar hin und wieder erhebliche Kraftleistungen bean-
sprucht, sei aber im allgemeinen, übrigens auch nach Ansicht von objektiv
denkenden Arbeitern keineswegs der dabei auszuführenden Muskelarbeit
nach, sondern höchstens wegen der äußeren Umstände, der Gefahr, Hitze,
schlechten Luft usw. als Schwerstarbeit anzusehen gewesen. Die Richtig-
keit dieser Ansicht geht übrigens auch aus der Fassung des angeführten
Zeugnisses (...,,es war nie zu bemerken, daß ihn die zeitweise?) harte
1) cf. a. a. O.
2) Skand. Arch. f. Phys., 34, 151.
3) Die folgenden Ausführungen wurden von der Versuchsperson gelesen
und gebilligt.
4) Von mir hervorgehoben.
Von Dr. Hermann llzhófer. 121
und gefährliche Arbeit bei großer Hitze und teilweise sehr schlechter Luft
irgendwie ermüdet hat“....) hervor.
Daher war es auch verständlich, daB die Versuchsperson die zur Aus-
führung jener Arbeit pro Stunde nötige Muskelbeanspruchung ım Ver-
gleich zu der am Ergostaten bei einer stündl. Arbeitsleistung von 36000 mkg
erforderlichen als Kinderspiel bezeichnete.
Es kann also nach diesen Richtigstellungen nicht mehr die Rede davon
sein, daß die Versuchsperson bei einer der Muskelleistung nach
schwersten Arbeit mit durchschnittlich 2400 Cal pro 70 kg ausgekommen ist.
Dazu kommt, daß es meiner Ansicht nach keineswegs zulässig war, zur
Berechnung der letzteren Zahl alle in der Zeit vom 2. VIII.—26. IX. 23
erfolgten Kalorienzufuhren heranzuziehen, denn aus der dauernden Ab-
nahme des Körpergewichtes und aus den in der Veröffentlichung mitge-
teilten Angaben und subjektiven Empfindungen der Versuchsperson geht
deutlich hervor, daß sie mit der in der Zeit vom 2. VIII.—4. IX. 23 auf-
genommenen Kalorienzahl eben nicht ausgekommen ist. Wenn man diese
Perioden bei der Berechnung des Mittelwertes wegläßt, so ergibt sich, daß
die Versuchsperson, nach dem Verhalten des Körpergewichtes und ihren
subjektiven Empfindungen zu urteilen, in jener Zeit, deren tägliche Muskel-
beanspruchung nicht viel größer war als die zu einer Arbeitsleistung von
36000 mkg pro Tag erforderliche, mit einer durchschnittlichen Kalorien-
zufuhr von 1950 Cal = 2550 pro 70 kg Körpergewicht ausgekommen ist.
Es hat sich also bei Berücksichtigung aller angeführten Momente, die zuerst
hinsichtlich der bei körperlicher Arbeit für die Versuchsperson erforder-
lichen Kalorienzufuhr bestehende Divergenz der Beobachtungen nicht
unwesentlich verkleinert. Man kann zugunsten des von der Versuchs-
person s. Zt. beobachteten niedrigeren Verbrauches auch noch anführen,
daß die Versuche i. J. 1923 im Hochsommer, die diesmaligen dagegen im
Winter stattfanden und daß bei jenen die „zielbewußte Autosuggestion‘“
eine gewisse Rolle gespielt haben mag.
Wie dem auch sei, jedenfalls geht aus den vorstehend beschriebenen
Stoff- und Gaswechseluntersuchungen deutlich hervor, daß die Versuchs-
person keinen erheblich unter dem allgemein gültigen Normalwert liegenden
Kalorienverbrauch hatte. Es ist aber immerhin bemerkenswert, daß sie
den letzteren nicht nur bei leichter, vorwiegend geistiger Beschäftigung,
sondern auch bei gleichzeitiger mäßiger Muskelarbeit durch Aufnahme
einer absoluten, im wesentlichen aus frischem und getrocknetem Obst be-
stehenden und statt Brot nur geschrotete Haferkörner enthaltenden Roh-
kost decken konnte. Daß es, auch vom ökonomischen Standpunkt aus,
wenig zweckmäßig ist, eine so schlecht ausnutzbare, nach den Versuchs-
ergebnissen u. U.sogar zu Durchfällen führende Nahrung aufzunehmen,
brauche ich an dieser Stelle wohl nicht näher zu begründen. Über die Hin-
dernisse, welche schon von vornherein der weiteren ‚Verbreitung einer so
einfachen Kost, selbst wenn dabei statt Haferkörnern Brot verzehrt wird,
entgegenstehen, hat sich die Versuchsperson selbst schon in ihrer eingangs
erwähnten Veröffentlichung ausgesprochen.
Bakteriologische Stuhluntersuchungen bei einer Ernährung
mit rohen Vegetabilien.
Von ,
med. pract. Friedrich Potz.
(Aus dem Hygienischen Institut der Universität München.)
(Bei der Redaktion cingegangen am 16. Mai 1925.)
In der Zeit vom 31. Januar bis 20. März 1925 wurden im Hygienischen
Institut München Stoff- und Gaswechselversuche an mir gemacht, deren
Art und Ziel aus der vorstehenden Arbeit Herrn Prof. Dr. Ilzhöfers zu
ersehen ist. Da ich während dieser Monate am Institut beschäftigt war,
hatte ich Gelegenheit, im Verlauf der Ernährungsversuche die bakteriolo-
gische Beschaffenheit der Fäzes zu beobachten. Das Resultat dieser Stuhl-
untersuchungen bildet meines Erachtens eine erwähnenswerte Ergänzung
zum Hauptversuch.
Ich beschränke mich darauf, die wesentlichen Kennzeichen der in
Frage kommenden Bakterien anzugeben; ihre ausführliche Beschreibung
bitte ich gegebenenfalls in der einschlägigen Literatur nachzulesen.
In den gefärbten Ausstrichpräparaten fanden sich durchweg: ein
kurzes, plumpes, gramnegatives Stäbchen; ein schlankes, gramnegatives
Stäbchen; grampositive Streptokokken; gramnegative Kokken oder
Kurzstäbchen; Hefen; Sarzinen; endlich ein grampositives, plumpes,
ziemlich großes Stäbchen. Bei den Züchtungsversuchen ist es mir nicht ge-
lungen, Kolonien von diesem grampositiven Stäbchen zu erhalten. Sodann
möchte ich die Tatsache hervorheben, daß innerhalb der Versuchs-
perioden überhaupt sehr wenig Kolonien auf den Nährböden wuchsen
gegenüber den Zwischenzeiten, in denen Abweichungen von der durch-
geführten Ernährungsweise vorkamen. Selbstredend wurde das Mögliche
getan, immer die gleiche Menge Aussaatmaterial zu verwenden.
Während der 1. Versuchsperiode vom 31.1. bis 8.2.1925 — die
Bedingungen bitte ich in Prof. Dr. Ilzhöfers Arbeit nachzulesen —
fanden sich in den Kulturen konstant folgende Stämme:
1. Ein gramnegatives, kurzes, plumpes, unbewegliches Stäbchen;
aerob und anaerob; Säurebildung auf Drigalski; dasselbe und Gasbildung
in Traubenzucker-Lackmusbouillon: Bacterium coli.
Bakteriologische Stuhluntersuchungen usw. 123
2. Im gleichen Mengenverhältnis wie 1. ein schlankes, lebhaft eigen-
bewegliches, gramnegatives Stäbchen; aerob; alkalische Reaktion auf Dri-
galski; in Traubenzucker-Lackmusbouillon: weder Säure- noch Gasbildung;
dafür schwache Reduktion und Häutchenbildung: Bacterium alcaligenes.
3. Ein grampositiver Streptokokkus; Säurebildung auf Milch- und
Traubenzuckernährböden; Kolonien stecknadelkopfgroß, erhaben; dunkel-
braun; granuliert. |
4. Ein anderer Streptekokkus; morphologisch und chemisch gleich dem
vorigen; nur viel kleinere, tautropfenartige, gelblich durchscheinende, vom
vorhergehenden deutlich verschiedene Kolonien und geringeres Säure-
bildungsvermögen. Beide Streptokokken waren fakultative Anaerobier.
5. Hefen.
6. Ein gramnegatives, sehr kleines, streng anaerobes Bacterium, Kokkus
oder Kurzstäbchen. Tautropfenartige bis stecknadelkopfgroße Kolonien;
im Zentrum braun; zum Rand hin aufhellend; keine Rötung auf Drigalski
im Vakuum; wächst auf der Platte zusammen mit anderen Stämmen,
z. B. Coli, besser und in größeren Kolonien. Bei 37% starkes Wachstum
mit Gasbildung in Blutbouillon (nach Prof. M. Kitt); bleibt darin lange
lebensfähig. Weniger gutes Wachstum und Gasbildung in Leber-Zucker-
bouillon; wächst gut im überschichteten Agarstich, sowohl in gewöhn-
lichem als in Zuckeragar; darin starke Gasbildung. In dem gleichen,
gewöhnlichen Agar bildete Coli kein Gas. Unter Paraffin sehr schlechtes
Wachstum; dagegen vorzüglich im Vakuum, und zwar auf allen Nährböden,
am besten allerdings- auf den zuckerhaltigen. In Gelatine und bei 22°
überhaupt wurde kein Wachstum beobachtet. Eine mit dem Bakterium ge-
spritzte Maus starb nach 10 Tagen während der Nacht; in den Kulturen
aus Leber, Milz und Lungen fanden sich Fäulniserreger und das einge-
sprizte Virus. Es ist mir einmal gelungen, das Bakterium durch das
Berkefeldfilter zu filtrieren; ein bekanntes Stäbchen wurde zur Kontrolle
vorher zugemischt; dieses konnte aus dem Filtrat nicht gezüchtet werden.
Während der 4. Versuchsperiode, vom 24.2. bis 5.3.25 — Bedin-
gungen aus den Tabellen ersichtlich — trat zuerst keine Änderung in der
Bakterienflora ein. Nach einigen Tagen aber waren auf Drigalski-Böden
keine roten Kolonien mehr vorhanden. Statt der großen, roten Kolenien —
Coli — fanden sich nur blaue, die sich durch ihre verschiedene Lichtdurch-
lässigkeit schon makroskopisch in zwei Arten einteilen ließen. Nach ge-
lungener Differenzierung auf Traubenzucker-Lackmusagar und in Trauben-
zucker-Lackmusbouillon ließ sich feststellen, daß es sich handelte um:
1. Ein schlankes, lebhaft eigenbewegliches, gramnegatives Stäbchen;
Bläuung auf Drigalski; keine Säuerung auf Traubenzuckeragar; Reduktion
und Háutchenbildung in Traubenzucker-Lackmusbouillon: Bacterium
alcaligenes.
2. Ein unbewegliches, kurzes, plumpes, gramnegatives Stäbchen;
keine Säuerung auf Drigalski; Säuerung auf Traubenzucker-Lackmusagar;
Säuerung und Gasbildung in Traubenzucker-Lackmusbouillon; Säurebildung
auf Drigalski nicht anzüchtbar; coliähnliche Kolonien auf Gelatineplatten;
Agglutinationsversuch mit Paratyphus negativ: (Coli mutatum ?).
124 Bakteriologische Stuhluntersuchungen usw.
Außerdem waren wie gewöhnlich die beiden Streptokokken, Helen
und Sarzinen vorhanden. Anaerob hauptsächlich säurebildende Strepto-
kokken und wie bisher das unbekannte Bakterium.
Bei diesem Stuhlbefund, der einige Tage anhielt, hatte ich Durchfall.
Die Ausscheidungen hatten einen intensiv sauren Geruch,‘ wohl zurückzu-
führen auf die durch den reichlich aufgenommenen Honig verursachte
saure Gärung im Darm. Vielleicht war dies auch die Ursache für das Ver-
schwinden des sonst vorhandenen Bacterium Coli. Mit dem Absetzen des
Honigs vom Kostzettel verschwand der Durchfall und der eigentümliche
bakteriologische Befund im Stuhl.
In der Zwischenzeit zur nächsten Versuchsperiode, also vom 6.3.
abends bis zum 8.3.25 abends wurde mit anderen gekochten Speisen
auch etwas Fleisch genossen: Hering, Leberwurst und Schinken. Am
- 9.3. daraufhin Drigalski-Platten aus den Fäzes der vorhergehenden Tage.
Es zeigte sich am 10. 3. 25 sowohl am Anfang wie am Schluß des breiigen
Stuhles großer Bakterienreichtum, und darunter große Mengen von Säure-
bildnern (Bact. coli).
Am Schluß der Ernährungsversuche, also vom 9.3. bis 20. 3. 25,
bei denen in Hinsicht der zugeführten Nahrung gegenüber der Anfangszeit
nur ein quantitativer Unterschied war, fand sich auf den Platten das gleiche
Bild wie in der ersten- Versuchsperiode; die Kolonien waren nicht so zahl-
reich, doch fanden sich Coli und Alcaligenes zu gleichen Teilen; dazu die
beiden Streptokokken-Arten.
Zusammenfassung.
Während der streng durchgeführten Ernährungsversuche zeigte sich
eine starke Verminderung des Bakteriengehaltes in den Fäzes. Das säure-
bildende Bacterium Coli und das alkalibildende Bacterium Alcaligenes
wuchsen in ungefähr gleichem Mengenverhältnis. Während einer kurzen
Zeit verschwand das Bacterium Coli vollständig. Es wurde ein bisher un-
bekannter Anaerobier gefunden.
Über die Bedeutung der Sexualdisposition bei den
Infektionskrankheiten.
Von |
Professor Dr. Hans Günther, Leipzig.
(Bei der Redaktion eingegangen am 23. Mai 1925.)
Die konstitutionelle Krankheitsdisposition oder die Wahrscheinlich-
keit des Eintrittes einer bestimmten Erkrankung auf Grund der konstitu-
tionellen Veranlagung ist ein hóchst verwickelter, kaum analysierbarer
Komplex, mag es sich nun um Individualkonstitution, Familienkonstitution
oder Rassenkonstitution handeln ?). Die Bedeutung der letzteren bei Haus-
tieren und Versuchstieren in bezug auf Infektionen ist ja längst bekannt,
in der menschlichen Pathologie sind unsere Kenntnisse darüber noch
recht gering. Um in die Bedeutung der konstitutioneHen Disposition
beim Menschen etwas Einsicht zu gewinnen, sind erst einzelne Teilprobleme
mit möglichst einfacher Fragestellung in Angriff zu nehmen.
Ohne Zweifel ist der Sexualdualismus eine höchst bedeutsame
konstitutionelle Eigenschaft, von der man annehmen kann, daß sie auch
bei der Krankheitsdisposition eine Rolle spielt. Wenn wir aus den Krank-
heiten wieder nur die Gruppe der Infektionskrankheiten herausgreifen,
über die größeres statistisches Material vorliegt, so ergibt sich die zunächst
.sehr einfach klingende Fragestellung, ob eine konstitutionelle Sexual-
disposition zu bestimmten Infektionskrankheiten festgestellt
werden kann. Lassen die ja meist getrennt nach Geschlechtern angelegten
Seuchenstatistiken einen konstitutionellen Einfluß des Sexualdualismus
erkennen? Es ist später darzulegen, wie eine kritische Sichtung des Ma-
teriales zu erfolgen hat. Zunächst dürfen wir nicht verhehlen, daß der
Bearbeitung große Schwierigkeiten dadurch entstehen, daß bei Infektions-
krankheiten neben der konstitutionellen Disposition die Exposition
eine solche Bedeutung haben kann, daß die konstitutionellen Momente,
ganz verdeckt werden. Wenn hinsichtlich einer bestimmten Infektions-
krankheit regelmäßige Geschlechtsdifferenzen in der Exposition bestehen,
so liegt natürlich primär diesen Verhältnissen der konstitutipnelle Sexual-
dualismus mit seinen funktionellen Unterschieden der Lebensweise zu-
grunde. Wenn wir aber die konstitutionelle Sexualdisposition zu Er-
krankungen kennen lernen wollen, muß das störende Moment der Ex-
position möglichst ausgeschaltet oder wenigstens mit in Rechnung gezogen
werden. Ergibt die Statistik außerhalb der Fehlergrenze liegende Unter-
Archiv für Hygiene. Bd. 96. 10
126 Über die Bedeutung der Sexualdisposition bei den Infektionskrankheiten.
schiede in der Erkrankungsquote beider Geschlechter, so ist zunáchst zu
fragen, ob Geschlechtsdifferenzen der Exposition allein dafür verantwortlich
gemacht werden können. Diese Erwägung ist aber nicht mit der Kritik-
losigkeit anzustellen, mit der mancherseits verfahren wurde, indem die
Exposition jederzeit ein beliebter deus ex machina war. In den ersten Lebens-
jahren fallen diese Unterschiede überhaupt weg, und die Ansichten über
gesteigerte Exposition durch „Erkältung‘‘, mechanische Schädigungen
usw. bedürfen noch in mancher Hinsicht einer ernsten Revision.
Hier sollen die Infektionskrankheiten eingeteilt werden in diapho-
rische, kontagiöse und traumatische. Bei ersteren werden die
Krankheitserreger durch aggressive Zwischenwirte (Diaphoren) auf den
Menschen übertragen, bei der 2. Gruppe wird das Kontagium direkt
von Mensch zu Mensch oder indirekt unter Vermittelung von Nahrungs-
und Gebrauchsgegenständen übertragen, bei der traumatischen Gruppe
dringen zufällig vorhandene, ev. ubiquitäre Infektionserreger bei einer
Verwundung in den Körper ein.
Bei den Diaphoronosen haben Ungeziefer, Mücken und andere
Zwischenwirte eine überragende Bedeutung als expositioneller Faktor.
Über die durchschnittliche Behaftung einer Population mit Ungeziefer
liegen keine bestimmten Erfahrungen vor. Exzessive Grade findet man
bekanntlich bei Vagabunden (meist JH), welche aber doch bei zivilisierten
Völkern nur einen kleinen Prozentsatz bilden.
Anamnestische Erhebungen haben bezüglich Flöhe und Läuse keinen großen
Wert, da ja die Träger individuell sehr verschieden reagieren, indem manche
überhaupt das Ungeziefer nicht bemerken, andere dagegen, besonders Neurasthe-
niker, stark gepeinigt werden. Die Belästigung durch Mücken und Fliegen ist
bekanntlich individuell verschieden, die Expositionsgefahr ist um so größer,
je länger der Aufenthalt im Freien (< d°‘) und je größer die nackte Körperfläche
(< 2) ist. Bei Getreidemilben und Erntemilben wird behauptet (Bernstein),
daß die zartere Haut der Frauen und Kinder öfter befallen wird.
Die Ausbreitung kontagióser Krankheiten wird besonders durch
Kongregationen, engeres Zusammenleben in Kasernen, Fabriken usw.
gefördert. Da Kongregationen häufiger beim männlichen Geschlecht vor-
kommen, müßten in der Regel Männer häufiger an Infektionskrankheiten
erkranken. Um so mehr muß es dann aber auffallen, wenn eine Seuche
bei Frauen öfters vorkommt. Neben der Morbiditát gibt uns die Statistik
auch Aufschluß über die Mortalität an Seuchen, deren Zahlen denen der
Morbidität nicht parallel gehen. Das sieht man besonders, wenn man die
Letalitát bestimmt. (Der Ausdruck „Letalität‘ soll hier nur in dem bei
Hvgienikern üblichen Sinne des Verhältnisses der Gestorbenen zu den
Erkrankten gebraucht werden.) Auf diese Prozentzahl hat im allgemeinen
die Exposition keinen wesentlichen Einfluß, höchstens zufällig dann,
wenn z. B. zur Zeit der schwersten Fälle während einer Epidemie infolge
besonderer Kongregationsverhältnisse mehr Individuen eines Geschlechts
schwer erkranken; solche Zufälle werden aber durch andere Statistiken
ausgeglichen.
Besondere konstitutionelle Momente spielen offenbar beim Bazillen-
trágertum eine Rolle, welches eine deutliche Sexualdisposition aufweist.
Wir unterscheiden sekundäre Bazillenträger (Dauerausscheider), welche
Von Dr. Hans Günther. 127
nach Ablauf der Infektion die Erreger noch weiter als harmlose Parasiten
im Kórper dulden, und primáre Bazillentráger, welche durch die Infektion
úberhaupt nicht krank geworden sind. Man kann natúrlich die Existenz
solcher primären Träger leugnen und behaupten, daß die Erkrankung
nur leicht ohne erkennbare Symptome verlaufen ist. Damit würde aber
der Begriff der Krankheit zu einer unbestimmten Phrase entstellt. Neuer-
dings erklärt sie Neufeld als „ganz leichte allverbreitete Krankheits-
zustände‘‘, spricht aber auch von „ubiquitären Mikroorganismen, die
nur unter besonderen Umständen zu Krankheits- und Epidemieerregern
werden.“ Es gibt wohl ubiquitäre Infektionserreger, die vom Organismus
je nach seiner Disposition nicht oder ‚„saprophytär‘‘ (ohne Krankheits-
erscheinungen auszulösen) geduldetet werden, oder schließlich infektiös
wirken können. Es ist sehr wohl denkbar, daß einzelne Individuen durch
das Wachstum ‚infektiöser‘‘ Bakterien in ihrem Körper keinen Schaden
erleiden, während andere in kürzester Zeit unterliegen. Bekannt ist ja die
Meinungsverschiedenheit bei Lepra, ob es hier primäre Bazillenträger gibt,
oder ob diese als leichteste chronische Krankheitszustände anzusehen
sind.
Die statistische Bearbeitung hat besonders die Erfahrungen
verschiedener Untersuchungsstellen zu vergleichen und ein genügend
großes Material zu verwerten. Werden die Betroffenen nach Geschlecht
in Prozentzahlen angegeben, so können bei zu kleinem Umfang des ge-
samten Materials Entstellungen des wahrscheinlichen Prozentverhältnisses
durch Zufallsschwankungen und gelegentliche besondere Einwirkungen
eintreten. Der Umfang des Materiales ist daher anzugeben, um eine ober-
flächliche Orientierung über den Grad der Wahrscheinlichkeit zu ermög-
lichen.
In unserer Zeit ist es auch in der Medizin Mode geworden, in solchen
Fällen den mittleren Fehler anzugeben, ohne daß man sich oft über
dessen Bedeutung im klaren ist. Für das gezählte Prozentverhältnis,
also 2% d und (100—:)% 2 bei einem Gesamtumfang von n Personen
wird der mittlere Fehler meist nach der Formel
m = + y al
n
berechnet. Obwohl neuerdings ernste Zweifel über die Unfehlbarkeit der `
Fehlertheorie auftauchen, welche wohl nur als eine vorläufige Vereinbarung
zu gelten hat, so soll doch auch hier der Mode entsprechend der mittlere
Fehler angegeben werden. Es ist aber wohl zu beachten, daß dieser sich
nur auf den „blinden Zufall‘ bezieht, und daß er gerade bei den Infektions-
krankheiten im Verhältnis zu den durch Exposition und andere besondere
Einflüsse bedingten Abweichungen nur eine untergeordnete Bedeutung
hat.
Neuerdings wurde wieder von Autoren eine alte Formel für den mittleren
Bat
18 -z (100—:
Fehler m = t ]-- ap S hervorgeholt, welche auf Poisson zurückgehen
soll und bisher mit Recht vergessen war.
10*
128 Über die Bedeutung der Sexualdisposition bei den Infektionskrankheiten-
Die Einsicht in die konstitutionellen Beziehungen der Sexualdispo-
sition wird gefördert durch die Einführung des Sexualquotienten,
besonders wenn es sich um nach Altersklassen geordnete Reihenunter-
suchungen handelt. Dieser wird immer so berechnet, daß die Anzahl
der weiblichen Individuen durch die der männlichen dividiert wird, also
` . Die logischen Beziehungen zum Dispositionsbegriff werden S. 146 ge-
nauer erörtert. Der Sexualquotient kann sich auf verschiedenes Material
beziehen und wird dementsprechend durch verschiedene Zeichen ausge-
drückt, wie sich aus folgender Tabelle I ergibt.
Tabelle I.
Sexualquotient Zeichen
der normalen Geschlechtsverteilung in einer Population
(Populations-Sexualquotient) . ............ y
der statistisch. erfaßten Erkrankten . ......... (q)
der auf die Zahl der Nichterkrankten bezogenen Kranken (q):y =q
der an einer bestimmten Krankheit Gestorbenen . (q)
der auf die normale Altersverteilung der Gesunden
bezogenen Gestorbenen . . » . 2 2 2220200. (q): y =q
der auf die Zahl der Erkrankten bezogenen Gestorbenen
(der Letalität) . . das soaa ea ==
mittlerer Sexualquotient der Erkrankten ....... Am
mittlerer Sexualquotient der Gestorbenen . ...... Im
Bei gleicher Beteiligung beider Geschlechter hat der Quotient den
Wert 1. Sind doppelt so viele 2 erkrankt, so ist (q) = 2,0, sind von diesen
Erkrankten aber doppelt so viel d — so ist
b
V
bo a
Besonders zu empfehlen ist auch die logarithmische Abbildung dieser
Werte, bei welcher reziproke Werte Spiegelbilder zur Eins-Linie der Gleich-
heit ergeben. (Auf die Vorteile graphisch-logarithmischer Darstellung
gewóhnlicher statistischer Prozentzahlen haben besonders amerikanische
Biometiker (Fisher, Pearl usw.) hingewiesen).
Der mittlere Fehler des Sexualquotienten q läßt sich berechnen nach
der Formel
— \ijn:g—1
Ferner werden hier noch mittlere Sexualquotienten eingeführt.
Die Notwendigkeit ihrer Berechnung ergibt sich aus folgender Überlegung.
Die aus einer früheren Arbeit (4) entnommene Tabelle II zeigt die auf
die normale Altersklassenverteilung beider Geschlechter (y) in Leipzig
berechneten Morbiditäts-Sexualquotienten. Für die Gesamtsumme ergibt
Von Dr. Hans Gúnther. 129
sich hier ein Quotient g = 0,835, welcher niedriger ist als alle Quotienten
der einzelnen Altersklassen. Dieser offenbar unrichtige. Wert kommt da-
durch zustande, daß bei der Berechnung des Gesamtresultates der Popu-
Tabelle II (Diphtherie-Mortalität Leipzig 1915—1918).
112 | 186
172 | 210 508
0,89 | 0,925 | 1,03 | 1,20 0,97
1,23 | 1,30 | 1,16
0,98 | 0,88
lationsfrequenz derjenigen Altersklassen, in welchen nur wenig Diphtherie-
todesfälle vorkommen, die gleiche Bedeutung beigemessen wird, wie in
den Klassen der häufigen Todesfälle, da ja bei der Berechnung der Quotient
y der Gesamtpopulation (= 1,16) eingesetzt worden ist. Zur richtigen
Berechnung dieses Quotienten muß aber den Teilquotienten der einzelnen
Altersklassen je nach der Häufigkeit ihrer Todesfälle beider Geschlechter
zusammen (m + w) eine verschiedene Bewertung (‚Gewicht‘) gegeben
werden. Es müssen daher die Quotienten q jeder Altersklasse mit dem
Faktor ( m+ w) der gleichen Klasse multipliziert werden. Aus der Summe
dieser Produkte Xg: (m + w) wird nun der „mittlere Sexualquotient‘
qm durch Division mit der Gesamtzahl aller Todesfälle S(m + w) erhalten:
Es ergibt sich also nach beistehender Rechnung (Tabelle III) qm
= 1008,6:1032 = 0,9773. Der mittlere Fehler .. dieses Wertes beträgt
Tabelle III.
(m+w) | q-(m+w)
nach obiger Formel 0,06, so daß also ein mittlerer Sexualquotient qm = 0,98
+ 0,06 resultiert, der einen Schluß auf die Prädisposition des männlichen
Geschlechts nicht zuläßt. Aus einer in der gleichen Arbeit (4) angeführten
Berliner Statistik ergibt sich dagegen der Wert qm = 0,91 + 0,02, also
eine auch durch andere Statistiken erhärtete Prädisposition des & Geschlech-
tes zum Diphtherietod. Bei der Berechnung des mittleren Sexualquotienten
der Letalität ga sind die Prozentzahlen der Letalität als Häufigkeits-
faktoren einzusetzen, also X (m'% + w"%).
Zur Feststellung des Morbiditáts-Sexualquotienten sind die statisti-
schen Grundlagen noch nicht sehr befriedigend. Zu erstreben ist, die frag-
lichen Verhältnisse in einer großen Population in möglichst großem Um-
130 Uber die Bedeutung der Sexualdisposition bei den Infektionskrankheiten.
fange zu erfassen und dies ist nur durch amtliche Statistiken móglich,
welche andererseits die ja bekannten Nachteile haben. Als brauchbar gilt
die offizielle norwegische Morbiditätsstatistik, deren auf die Nichterkrankten
der gleichen Gruppen bezogenen Zahlen bereits für die Jahre 1913—1919
von Schiff zusammengefaßt wurden. Nach diesen Angaben habe ich die
Werte der Tabelle IV berechnet.
Tabelle IV. (Norwegen 1913—1919).
Krankheit Krankheit —
EL RAR E AR
(Morbiditit) | (Letalität)
DE EEE
0—15 über 15 0—15 über 15
1,32 10,98 0,68
0,53 Lut 1,20
Pneumonie . 0,87| 0,72 | | Erysipel
Grippe. . . 11,05. 0,68 |1,05 1,22 ] Sepsis
Keuchhusten |1,12; 1,02 [1,13 | Meningit. |
Diphtherie . [1,07 ' 1,25 (0,90 1,06 epid. E 0,52 1,26, 0,87
Scharlach: . 11,15 1,41 10.77] Poliomyelit.. 0,65 0,85| 0,80
Masern .. 11,13
Róteln . . . |120| 1.10
Varizellen . |1,09
Typhus. . . [1,05
1,37 | Dysenterie
| Parotitis epid.
0,72 Polyarthr.
0,87] 0,84 rheum. acut.
0,36 |
(Der Umfang der Statistik ist allerdings fiir unsere Frage noch recht
klein, beträgt z. B. für Grippe 2834, Meningitis epid. nur 620 Fälle.) Eine
weitere beachtliche Morbiditätsstatistik ist die der Ortskrankenkasse
Leipzig für die Jahre 1887—1904. Bei der vom Kaiserlichen statistischen
Amte durchgeführten Bearbeitung wurde die Beziehung der Krankheitsfälle
auf die Gesamtheit der Mitglieder in der Weise durchgeführt, daß nicht
die Zahl der wirklich vorhandenen Kassenmitglieder, sondern die aus der
Gesamtsumme der Beitragstage errechnete Anzahl der „Personenjahre‘*
bestimmt und auf diese Weise der Durchschnitt der während der Dauer
eines Jahres anwesenden Beitragspersonen nach Geschlecht und Jahres-
klassen gesondert festgestellt wurde. Nach den auf 100000 Gesunde
der gleichen Altersklassen bezogenen Werten dieser Statistik habe ich die
q-Werte der Tabelle V berechnet.
Tabelle V. (O.K.K. Leipzig.) q (Morbidität).
15 Mu Ab ‚u 35 du 45 50 |
Diagnose bis bis bis bis bis bis bis bis 99 DU
14 IA Ai 34 3y h4 49 DA
Pneumonie Jon Ans 0,52! 0,70, 0,52) 0,44! 0,61 0,73| 0,84 0,46| 0,50 0,58] 0,46
Influenza. .|0,87 1,10 1,22 1,31) 1,40 1,54 1,46 1,50 1,20) 1,06| 1,11| 1,26] 1,575 1,00
Tuberkulose | 1,01, 0,92 1,02 1,00| 0,76 0,91 1,02 0,49 0,87! 0,32. 0,84| 0,18 0.82
Typhus. . .|0,69 0,97 0,77 1,03| 0,59| 1,03 0,70 1,01 1,84 | 0,88
Sepsis (ohne | |
puerperal.). 0,37 OAI 0,59 0,60, 0,55 DT e —— |—— 0,45
Parotit. epid.| 1,10 1,19 1,33 1,36 2,66, 1,36 | 1,50
Polyarthrit | |
rheum. ac. .11,08 1,15 1,16 1,38 0,61 0,91 0,63 | 1,30
lues (aller
Organe . .[3,04 1,44 1,96 1,59 1,36 1,70 0,79 | 2,03
Von Dr. Hans Ginther. i 131
Auch die Erfahrungen von Kliniken verdienen Berücksichtigung,
da sie hinsichtlich der Richtigkeit der Diagnose eine größere Garäntie
bieten, als die anderen Statistiken, wenn sie auch den Nachteil des zu ge-
ringen Umfanges des Materiales haben und eine Beziehung der Werte
auf den nicht erkrankten Teil einer bestimmten Population nicht zulassen.
Außer den nach der Literatur bekannten Zahlen werden hier besonders
die Erfahrungen der Leipziger medizinischen Klinik verwertet.
(Der Sexualquotient der Gesamtzugänge schwankte vor 1914 zwischen
0,76—0,87, Mittel 0,82. Eine Beziehung der Morbiditätssexualquotienten
auf diese Quotienten erscheint nicht ratsam.) Durch den Krieg trat eine
Verschiebung ein. Noch im Jahre 1922 betrug der Quotient der Zugänge
1,12, zeigt dann wieder abnehmende Tendenz (1924 y = 0,90).
Weit besser sind die statistischen Grundlagen der Mortalität,
weil hier große amtliche Statistiken vorliegen. Bevor auf die speziellen
Verhältnisse der Seuchensterblichkeit eingegangen wird, muß die Bedeutung
der Sexualdisposition bei der allgemeinen Mortalität klargestellt
werden. Ich habe bereits früher (3) an mehreren deutschen Statistiken
eine gewisse Gesetzmäßigkeit im Kurvenverlaufe der für die einzelnen
Altersklassen berechneten g-Werte hingewiesen; daß nämlich die in etwas
verschiedenen Hauptlagen befindlichen g-Kurven alle unterhalb der
Hauptabszisse (1-Linie) beginnen, bis zur Pubertät über diese hinaus an-
steigen, dann bis etwa zum 22. Lebensjahre unter 1 absinken, bis zum
Beginn des 4. Dezenniums wieder in geringem Grade ansteigen, bis in die
6. Dekade hinein weiter sinken und schließlich in den letzten Dekaden
wieder steigende Tendenz zeigen. Es sind also neben der lange bekannten
Knabenübersterblichkeit die beiden Maxima weiblicher Prävalenz in der
Pubertät und in der Hauptzeit der Kinderproduktion (um 25.—30. Jahr)
hervorzuheben. Bei der Bearbeitung der Infektionskrankheiten ist zu
bedenken, daß ein etwa analoger Kurvenverlauf entweder durch eine
übergeordnete, allgemeinere konstitutionelle Gesetzmäßigkeit, oder daß
umgekehrt die Lage der q-Werte der allgemeinen Mortalität im wesentlichen
durch die Seuchensterblichkeit bedingt sein könnte.
Für die Mortalität der Infektionskrankheiten dient hier als statistische
Grundlage in erster Linie die Mortalitätsstatistik des Deutschen Reiches
von 1913 nach den medizinisch-statistischen Mitteilungen des Reichs-
Gesundheits-Amtes; die auf je 100000 Lebende jeder Altersklasse bezogenen
Häufigkeitszahlen, sowie die zugehörigen Sexualquotienten finden sich
in Tabelle VI. Zum Vergleich dient ferner die Mortalitätsstatistik der Ver-
einigten Staaten von Nordamerika des Jahres 1910 (Tabelle VII, nach Pearl
berechnet), deren Umfang allerdings für eine Einteilung nach 5jährigen
Altersklassen zu gering ist.
Wenn man auch bei solchen großen Statistiken im allgemeinen einen
Ausgleich der zufälligen und besondern partiellen Faktoren vermuten
kann, so gibt sich doch mitunter ein Einfluß besonderer örtlicher Faktoren
auch in großen Statistiken kund, wie die Tabelle VIII der Mortalitäts-
statistik des Deutschen Reiches, sowie einzelner Gruppen seiner Staaten
(1911) für einige Infektionskrankheiten zeigt, da in den süddeutschen
Staaten fast durchweg ein höherer Sexualquotient auftritt. Merkwürdiger-
tion bei den Infektionskrankheiten.
isposi
132 Uber die Bedeutung der Sexuald
= E EE VE
— — | — | — | — | —|210|€Z30¡P90 1680 |080| * * et ~ LL LE EA A
TII TI) GT) eil get Kol Gol ZT) 90) ZT) +I) Si T| 60| ot Ttiëiolrenl : "rr" " aumaəyuəsíq
ılgeolzs‘o| 011990 |6P0|S6'0| 0'11€£80|€8'0 660 |63'1 1060 |PL0|28%3|p9L0|860| — lr: ++ + " ellefeN
— | — | — | — | — | — | — |80'T|020|08°0 |zeT | LEO: 160921 L0] 011840 veo] * : rer USMDOJ
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TIT | 90°T | TO°T | 68°0 | ELO | P90|25%0 | GEO, 870 | ern za‘o | sa‘ | 8r‘o | e90 180! OT !88‘0 9Lof * * ` Cool aruounauqg
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“(8167 YNY soydsjnaq Terejuom) "TA SlTaqeL
Von Dr. Hans Günther. 133
weise zeichneten sich in dieser Zeit auch gerade die süddeutschen Staaten
durch eine (im Jahre 1912 einsetzende) höhere Knabengeburtsziffer im
Verhältnis zu den norddeutschen Staaten aus, worauf Timerding hin-
weist.
Tabelle VIII Quotient (q) der Todesfälle 1911.
" Keuch- |Diphtherie | <narıarh | Masern
husten | Krupp | Scharlach | Roten | Typhus | Erysipel
Deutsches Reich . | (q) | 117° | 091 ae | 005 | 083 | 0915
g | 3839 5408 2623 | 2859 | 1359 | 787
Preußen ..... | Ọ | 4391 4883 2491 | 2650 | 1103 | 688
Ä (a) | 1,13 0,90 0,95 | 0,93 | 081 | 091
Bayern, Württem- || g | 1173 1416 383 | 805 | 162 | 271
berg, Baden, || Q | 1452 1339 388 | 923 | 166 | 243
ElsaB-Lothr. || (g) | 1,24 0,95 1,01 | 1,03 | 102 | 0,90
Auch zeitliche Verschiebungen der Sexualquotienten aus ihrer regu-
lären Lage können vorkommen. Ich habe bereits früher (4) berichtet,
daß in den Nachkriegsjahren eine Verschiebung der Sexualquotienten
der Mortalität zulasten des weiblichen. Geschlechts beobachtet werden
kann, wie sich aus der Mortalitätsstatistik der Tuberkulose und Diph-
therie ergibt.
I. Diaphorische Infektionskrankheiten.
Unter allen Infektionskrankheiten tritt am meisten in der Gruppe
der Diaphoronosen die Exposition als ein die Beteiligung der Geschlechter
bestimmender Faktor in den Vordergrund des ätiologischen Denkens. Wie
die folgende Zusammenstellung ergibt, ist aber damit eine hinreichende
Klärung nicht gegeben, es bleiben vielmehr noch manche offenen Fragen.
1. Febris recurrens (Rückfallfieber). Als Zwischenwirte des Er-
regers Spirochaete Obermeieri werden Pediculi capitis et vestimenti (?),
Argas persicus, Ornithodorus genannt. Nach zahlreichen Statistiken ist
ein beträchtliches Überwiegen der männlichen Kranken nicht zu bezweifeln,
meist sind über 80% der Erkrankten 2. Besonders wird die Krankheit
in Asylen und bei Vagabunden angetroffen. Es liegt daher nahe, die Sexual-
differenz durch Ungleichheit der Exposition zu erklären und einen Einfluß
der konstitutionellen Disposition zu bestreiten (Eggebrecht). In einer
allerdings kleinen Statistik von Murchison war die Sexualdifferenz
wesentlich geringer (231 3 : 206 2), wobei sogar ein Überwiegen der 2
nach dem 25. Lebensjahr angegeben wurde.
2. Icterus infectiosus (Morbus Weil). Als Erreger dieser vorwiegend
als Kriegsseuche und Kasernenepidemie bekannten Krankheit gilt Spiro-
chaeta icterogenes, als Zwischenwirt Fliegen, Läuse, ev. Rattenflöhe.
Die Prädisposition der Männer wird in der Literatur betont, Hoppe-
Seyler gibt 90% d an. Schon Griesinger fand, daß das wohl identische `
„biliöse Typhoid“, welches allerdings von anderen Autoren als Rekurrens-
fieber angesehen wird, in Ägypten ganz ausschließlich Männer betraf.
Schürer bezeichnet das starke Überwiegen der Männer als sehr merk-
434 Über die Bedeutung der Sexualdisposition bei den Infektionskrankheiten.
würdig und betont, daß die in der älteren Literatur vor dem Kriege (Frey-
han 1894) beschriebenen, nicht zahlreichen Fälle bei Frauen und Kindern
.alle atypisch seien und zum Teil überhaupt als falsche Diagnose (Sepsis,
Cholangitis) ausgeschaltet werden müßten. Einen wirklich charakteri-
stischen Fall bei einer Frau oder einem kleinen Kinde konnte Schürer
in der ganzen Literatur nicht finden.
Beim gewöhnlichen „epidemischen Ikterus‘‘ ergeben sich andere
Verhältnisse. Eine New Yorker Epidemie betraf nach Williams 353 &
und 345 9, also (q) = 0,98 + 0,08. Berliner Kinder erkrankten an
katarrhalischem Ikterus nach Ewer im Verhältnis 170 3: 171 2.
3. Trypanosomiasis (Schlafkrankheit). Zwischenwirt des Erregers
Trypanosoma gambiense ist die Fliege Glossina palp. Bei dieser Krankheit
scheint einer Präponderanz der d, resp. in anderen Gegenden der 2
eine entsprechende Exposition parallel zu gehen (bei einzelnen Negerstäm-
men arbeiten mehr die Frauen). Doch ist vielleicht auch eine direkte geni-
tale Übertragung möglich.
4. Malaria (Wechselfieber).
Als Zwischenwirt der Plasmodien ist Anopheles bekannt. Wie überhaupt
bei vielen Dipteren sind nur die Anophelesweibchen blutsaugend und allein die
Überträger der Malaria. Bekanntlich zeigen die Mundwerkzeuge erheblichen
Sexualdimorphismus, das Q hat nach Leon eine viel größere am Hypopharvnx
ansetzende Speichelpumpe. Als Erklärung wird angegeben, daß das Weibchen
bei größerem Stoffwechsel mehr und stickstoffreichere Nahrung brauche und
daß die Blutnahrung zur Eiablage erforderlich sei. Es ist nicht bekannt, daß
Anopheles in der Wahl des Blutspenders Unterschiede zwischen den Geschlechtern
macht, wohl aber Kë einzelne Menschenrassen, wie Neger, angeblich bevor-
zugt.
Zur Erklärung der Tatsache, daf nach der allgemeinen Erfahrung
häufiger 3 erkranken, kann die erhöhte Exposition (Arbeit im Freien)
herangezogen werden, doch ist hiermit noch nicht gesagt, daß eine konsti-
tutionelle Sexualdisposition keine Rolle spiele.
Eine Mortalitátskurve der g-Werte kann man nach der amerikanischen
Statistik (Tabelle VII) berechnen, doch zeigt diese nur sehr ausgeprägt,
— ähnlich wie bei der Lungentuberkulose —, die beiden weiblichen Maxima,
aber auch sonst wegen zu geringen Umfanges recht unregelmäßige Schwan-
kungen.
5. Typhus exanthematicus (Fleckfieber). Als Erreger gelten Rickett-
sia Prowazeki, als Zwischenwirte Kleiderläuse. Die Seuche hat in zivili-
sierten Ländern ihre Bedeutung fast verloren und flammt nur zu Kriegs-
zeiten hier und da stärker auf. Im allgemeinen sind 3 stärker betroffen.
Frauen erkranken nach Mosler in geringerem Grade. Eine Statistik
Reders über 3 Epidemien 1915—1917 sei erwähnt, welche das umgekehrte
Verhältnis (526 2 : 439 2), bei der letzten dieser Epidemien sogar in
stärkerem Grade (114:37) zeigte; es ist aber zu beachten, daß infolge
des Kriegszustandes wesentliche Verschiebungen in der Population zu-
gunsten der 2 eingetreten waren. Die aus dieser Statistik berechneten
Werte seien aber in Tabelle IX angeführt, da sie über die Letalitát
informieren.
Von Dr. Hans Günther. ` 135
Tabelle IX.
I 15—19 | 20—29 | 30—39 | 40—49 | 50— `
Morbidität (q) | 1,37 1,57 1,27 1,06 0,55 |1,20 + 0,08
Mortalität (g)| 1,67 2,0 1,13 0,78 042 10,78 + 0,13
Letalitat | 122 | 127 0,89 0,73 0,76 [0,65 + 0,14
Letalität Y | 62 | 51 | 156 | 28,9 | 505 | 168
In dieser Tabelle fällt der niedrige Summenwert von d (= 0,65) auf,
der niedriger ist als die entsprechenden Werte der Altersklassen. Es ist
daher ein mittlerer Sexualquotient der Letalität zu berechnen, indem die
einzelnen Klassenwerte nach der Höhe der Prozentzahlen der Letalität
bewertet und daher mit diesem Gewicht versehen werden. Es ergibt sich
gm = 0,82. Nach Angaben von Martini könnte man auch Rassenunter-
schiede des Sexualquotienten der Letalität vermuten, wie Tabelle X der
Letalitát der polnischen Bevölkerung während des Krieges zeigt, welche
auch auf eine geringere Letalität. des Fleckfiebers bei den Juden über-
haupt schließen läßt. (Auch ältere Statistiken weisen eine höhere Mor-
talıtät der Y auf, so Breslau 1868 (Lebert).)
Tabelle X.
gd Y
„Christen“. . . 31 22 0,71
Juden. .... 22 13 0,59
6. Febris periodica „quintana“ (Fünftagefieber, Trench-fever).
Als Erreger dieser Kriegsseuche, die besser als febris ,sextana” (Gün-
ther 6) zu bezeichnen wäre, da der Sextanatyp mit einem Intervall von
vier fieberfreien Tagen überwiegt, wird Rickettsia wolhynica vermutet,
die durch Kleiderläuse übertragen wird. Ich selbst habe mehrere hundert
Fälle gesehen und kenne auch aus der Literatur nur männliche Erkrankun-
gen, mit Ausnahme cines beschriebenen atypischen Falles (Kranken-
sch wester). In der Etappe wäre doch immerhin die Infektion von 2
durch Übertragung von Kleiderläusen möglich gewesen.
7. Pestis (Bubonenpest). Als Zwischenwirt des Bacillus pestis
kommt der Rattenfloh, ferner neben der Ratte noch die Maus und das
Murmeltier in Betracht. Menschliche Bazillenträger wurden nachgewiesen.
Über Sexualdisposition läßt sich vorläufig nichts Sicheres aussagen.
8. Lyssa (Tollwut). Zwischenwirt des noch unbekannten Erregers
ist bekanntlich der Hund, dessen BiB nach Teissier öfters Männer be-
treffen soll; der gleiche Autor glaubt auch, daß Rabies nach Biß durch
einen tollen Hund relativ öfters bei Männern zum Ausbruch komme.
Man kann vielleicht annehmen, daß & eher geneigt sind, Hunde zu
necken und zu reizen. Nach Hetsch erkranken weit mehr Männer. Ph.
Bauer zählte 288 4 und 87 9. Von Kindern unter 15 Jahren wurden
nach Gowers 89 Z und 33 2 betroffen, später ist die männliche Prádis-
position nach Gowers noch größer. Der Schutzimpfung unterzogen sch
in Wien 1913—-23 nach Schweinburg 5619 3 und 3281 9; über 50%,
wurden sicher von wutkranken Tieren gebis:en.
136 Über die Bedeutung der Sexualdisposition bei den Infektionskrankheiten.
II. Kontagióse Infektionskrankheiten
(und septische Erkrankungen).
In diese Gruppe fallen im erweiterten Sinne auch bakteriologisch
charakterisierte Krankheiten, bei denen die „Kontagiosität‘‘, resp. die
Ubertragung der Bakterien von Mensch zu Mensch kaum fiir die Er-
krankung entscheidend ist, wie z. B. bei der genuinen Pneumonie, immerhin
muß sie stattgefunden haben, damit die Krankheit ins bakteriologische
Schema paßt. Auch die septischen Erkrankungen und Polyarthritis
rheumat. finden hier Platz.
1. Genuine Pneumonie. Die Prädisposition des männlichen Geschlechts
ist ja von jeher bekannt (Klose 1829 u. a.) und wurde meist lediglich
durch Exposition erklärt. Es werden immer wieder Behauptungen ange-
führt, daß in Arbeiterkreisen mit gleicher Verteilung der Geschlechter
kein Unterschied der Pneumoniedisposition bestehe, doch umfaßt z.B.
die Statistik von Rulf (cit. Aufrecht) nur 44 g und 502. Es ist besonders
hervorzuheben, daß im Weltkrieg nach Jungmann die Pneumonie bei
Etappenformationen besonders in größeren Städten „ungleich häufiger
als bei den Fronttruppen” war, während doch der dem bequemen Denken
geläufige Expositionsfaktor der Erkältung letzteren in weit höherem
Maße zugesprochen werden muß.
Die Prävalenz der Y bezieht sich hauptsächlich auf die Morbidität.
Es sollen zunächst die Erfahrungen der Leipziger medizinischen Klinik
in den Jahren 1896—1913 und 1919—1923 (also mit Ausschluß der Kriegs-
jahre) mitgeteilt werden (Tabelle XI).
Tabelle XI.
Morbidität
Alter d Q a) | Y
0—9 107 | se | 0,83 | 10 |
10—19 537 | 163 | 034 | 104 | 033 | 30 | 22 | 073 | 215
20—29 809 | 303 | 0,375| 1,01 | 0,37 | 73 , 39 | 0,53 | 1,42
30—39 564 | 172 | 031 | 101 | 0,30 | 142 | 51 |036 | L17
40—59 712 | 206 | 029 | 109 | 027 | 258 | 88 | 034| 117
60— 209 | 139 | 066 | 147 | 045 | 136 | 90 | 066 | 100
T 2938 11072 | 0,37 ¡ 1,05 | 0,35 | 657 309 | 0,47 | 1,27
Aus der gleichen Klinik liegen schon statistische Zahlen von 1900
bis 1910 (Dissertation von Stutzer und Blumstein) vor, welche die
Morbidität 405 9 : 1221 3=0,33 und die Mortalität 101 2 (25%) : 236 d
(19,3%) ergaben, also q = 0,43 und q' = 1,30.
Zum Vergleich mit den Werten der Leipziger Klinik seien die Berech-
nung nach den von Aufrecht aus dem Magdeburger Krankenhaus be-
richteten Zahlen gegeben (Tabelle XII). Die Morbidität betraf dort 1223 3
und 2789. Wie man aus dieser Tabelle sieht, hat der Sexualquotient der
Gesamtzugänge im Krankenhaus keinen wesentlichen Einfluß, da in
Leipzig mehr g, in Magdeburg mehr $ Zugänge erfolgten.
Von Dr. Hans Günther. 137
Tabelle XII.
0,83 0,34 0,37 0,31 0,29 0,66 |
0,81 0,30 | 0,7 0,13 0,15 | 0,34
1,27 2,15 1,42 1,17 1,17 1,00
(0,34) | (4,0) 1,76 1,35 1,03
0,37
Leipzig (a) . . - -
Magdeburg (q) . . 0,23
Leipzig q
Magdeburg q. SÉ 1,09
Nach diesen Erfahrungen erkranken also fast dreimal so viel Männer.
Nach der Statistik der Leipziger O.K.K. (vgl. Tabelle V) ist die Gesamt-
lage der Quotientenwerte etwas höher trotz der Beziehung auf die nicht
erkrankten Mitglieder; für die Gesamtzahl ist q = 0,465. Vor der Pubertät
hat der Morbiditätsquotient einen relativ höheren Wert, ist also das weib-
liche Geschlecht mehr beteiligt als später. Dies zeigt auch die norwegische
Statistik (Tabelle IV), bei welcher aber auch nach der Pubertät der Quotient
wesentlich höher ist, als bei unserer Statistik. Es scheint mir erwünscht,
die Verhältnisse bei Stadt- und Landbevölkerung getrennt zu studieren.
Die Mortalität betrifft auch stärker die Männer, wie schon aus den
angeführten Statistiken zu ersehen ist. Der Sexualquotient der Pneumonie-
Mortalität zeigt dieselben Schwankungen, wie bei der allgemeinen Mortalität
nur ist die Gesamtlage der Kurve, resp. der Durchschnittswert von q
nach dem 15. Lebensjahre niedriger als bei der allgemeinen Mortalität,
Hieraus ergibt sich mit Sicherheit eine höhere Mortalität des 3 Geschlechts
nach der Pubertätszeit, als sie der allgemeinen Sterblichkeit entspricht.
Die großen amtlichen Statistiken sind insofern nicht ganz eindeutig zu
verwerten, als sie besonders durch Bronchopneumonien und anderes,
was unter der Flagge „Lungenentzündung“ segelt, verunreinigt sind. Der
mittlere Quotient q,, beträgt (nach Tabelle VI) 0,81.
Eine Quotientenreihe der Mortalität Preußens 1909 (auf 105 Lebende
bezogen) sei hier angeführt (Tabelle XIII), weil in ihr das weibliche Puber-
tätsmaximum deutlich zur Geltung kommt. Dies ist bei der amerikanischen
Statistik (vgl. Tabelle VII) nicht der Fall, wohl aber zeigt dort die Broncho-
pneumonie ein ähnliches Verhalten.
Tabelle XIII.
SEENEN
DESEN EES
q |0,81 [0,97 | 1,04: 1,02 | 1,06 | 1,23 ¡ 0,67 | 0,60 | 0,85 | 0,68 | 0,51 | 0,58 | 0,76 | 0,83
Bei der Leipziger O.K.K. betrágt der Mortalitátsquotient q 0,71.
Nach Mortalitätsstatistik der deutschen Krankenhäuser 1907—1910 ist
(q) = 0,50 (bei nicht kruppöser Lungenentzündung 0,56) Lehmann
bezweifelt hier den Einfluß einer Sexualdisposition, da diese sich auf alle
Altersklassen erstrecken müsse. Anders liegen die Verhältnisse bei der
Letalität. Dies kann man schon aus den Zahlen vermuten, die v. Huß 1861
gab (Tabelle XIV). Nach älteren französischen Autoren (Briquet, Gri-
solle) ist die Letalität bei Frauen etwa doppelt so groß. Aus der Statistik
der Leipziger Klinik ergibt sich, daß von den an genuiner Pneumonie
Erkrankten in allen Altersklassen (bis zum 60. Jahre) relativ mehr 2
438 Uber die Bedeutung der Sexualdisposition bei den Infektionskrankheiten-
Tabelle XIV.
Morbidität . .
Mortalität . .
Letalität . . .
2187 | 429 | (q) = 0,195
219 | 62 |(g) = 0,28
10%, |14,5%| q =1,45
sterben. Es müssen also viel mehr Männer erkranken, damit der Gesamt-
effekt einer fast doppelt so hohen Pneumonie-Mortalität der Y erreicht
wird.
2. Pertussis (Keuchhusten). Bei dieser Kinderkrankheit ergibt sich
eine Bedeutung der Sexualdisposition, "die aber noch weiterer Klärung
bedarf.
Bezüglich der Morbidität sind die statistischen Grundlagen noch zu
gering, um die feststellbaren geringen Differenzen als gesetzmäßige an-
erkennen zu können. Es gehen daher auch die Meinungen der Autoren
über diese Frage noch sehr auseinander. Klose (1829) war der Ansicht,
daß bei Keuchhustenkindern kein Sexualeinfluß bestehe, daß aber von `
Erwachsenen mehr Frauen infolge Exposition erkranken. Andererseits
weisen aber doch schon Zahlen älterer Beobachter auf eine Prädisposition
der Mädchen hin (bei Ranke (q) 1,05, bei Voit 1,37), und neuerdings
wird auch von Apert (Paris) und Hermann und Bell (Ver. Staaten)
ein Überwiegen der Mädchen angegeben. Diese Differenz wurde durch
cine größere weibliche Disposition zu Krampfkrankheiten zu deuten
versucht (Hagenbach). Neuerdings wird aber noch von Klotz eine ge-
setzmäßige Sexualdisposition geleugnet.
Von statistischem Material seien die Zahlen der Leipziger medizi-
nischen Klinik angeführt (309 & und 342 9), deren geringer Umfang
allerdings keinen sicheren Schluß zuläßt; es ergibt sich (q) = 1,1 + 0,09
oder eine Beteiligung von 52,6 + 1,9% 2. Die norwegische Statistik
(vgl. Tabelle IV) läßt ähnlich geringe Differenzen erkennen. Die Ergeb-
nisse der Baseler Statistik 1870—1919 nach Jessen zeigt Tabelle XIVa.
Tabelle XIVa. (Basel.)
10—15 über 15 2
1017 | 3074 |
1229 | 3686 '
Aus einer Wiener (1899—1901) Statistik von Neurath über 11793 Fälle
ergibt sich (q) = 1,30 oder 56,5 — 0,14 % 2, vorher (1886—1899) ist nach
Rosenfelds Angaben (q) = 1,16, für 1895—1914 (Peller) kann man
feststellen, daß q im Alter von 11—145 Jahren 1,85 beträgt. Nach der
Pubertätszeit nimmt der Quotient ab, und im Alter scheinen keuch-
hustenähnliche Zustände hauptsächlich bei Männern vorzukommen.
Von Dr. Hans Gúnther. 139
Die Mortalität ist unzweifelhaft bei Mädchen größer, und zwar im
1. Dezennium (vgl. Tabelle VI bis VIII). Im ersten Lebensjahre allerdings,
wo die häufigsten Erkrankungen vorkommen, ist der Unterschied noch
gering; daher ist auch für die Gesamtheit der mittlere Sexualquotient
in Tabelle VI nur 1,04. Diese Prädisposition ergibt sich nicht nur in Deutsch-
land, sondern auch in England (nach Aschers Zahlen q = 1,14) und an-
deren europáischen Lándern, Japan, Australien (Neisser und Marcks),
Amerika (Tabelle VII). Daß vor dem 4. Lebensjahr mehr & sterben
(Oerum), entspricht nicht den allgemeinen Erfahrungen. Geringe zeit-
liche Schwankungen können natürlich in einer Population vorkommen,
so ergibt sich für Preußen 1879 (nach Ascher) q = 1,06, 1901—1906
(q) = 1,10, 1907—1912 (q) = 1,14 (Neumann); auch in den Jahren 1911
bis 1922 starben in allen Altersklassen mehr o (Schmidt).
Über die Letalität ist noch wenig bekannt. Nach der norwegischen
Statistik ist auch das weibliche Geschlecht stärker betroffen, indem vor
der Pubertät q" = 1,13; ähnliches ergibt sich aus der Baseler Statistik
(XIVa), in Wien ist 1896—1899 (Rosenfeld) g’= 1,10. Im vorigen
Abschnitt ergab sich mit Sicherheit eine höhere weibliche Letalität bei
Pneumonie. Wenn auch das Material wohl nicht ausschließlich ,,genuine**
Pneumonie enthält, und es andererseits nicht ratsam erscheint, die ,,Bron-
chopneumonie“ als einheitliche Krankheit statistisch zusammenzufassen,
ist doch die Frage naheliegend, ob die Letalität der Bronchopneumonie
analoge Beziehungen aufweist. Und gerade bei Keuchhusten ist doch
die Mortalität vorwiegend durch Bronchopneumonie bedingt, so daß es
vielleicht erlaubt ist, gewisse einheitliche Beziehungen anzunehmen.
3. Influenza, Grippe. Die Diagnosestellung ist bekanntlich meist
etwas und oft sehr unbestimmt. Es wird daher nicht gelingen, statistisch
eine einheitliche Krankheit zu erfassen. Selbst wenn man nur den Pfeiffer-
schen Bazillus als Erreger gelten lassen wollte, wäre die bakteriologische
Abgrenzung der Krankheit schwierig, da 40—75%, der Gesunden nach
Neufeld Bazillenträger sind (eine ähnliche Häufigkeit wird übrigens bei
Rotlauf und Hühnercholera angegeben, wo aber die Infektiosität sicher
gestellt sein soll). Nach v. Strümpell macht das Geschlecht ‚jedenfalls
keinen Unterschied‘; Apert behauptet, daß die Erkrankung bei Mädchen
häufiger vorkomme und schwerer verlaufe.
Die Morbidität scheint nach der Leipziger O. K. K.-Statistik (Tabelle V)
mehr Frauen zu betreffen (bemerkenswert ist hier der stetige Anstieg
des Quotienten bis zum 45. Jahre). In Norwegen dagegen sind nach der
Pubertät mehr Y heimgesucht (Tabelle IV). Die Leipziger medizinische
Klinik hatte das Verhältnis von 326 8:818 $ Kranken ((q) = 2,5); davon
starben 68 Y und 185 9; hieraus folgt der Letalitátsquotient q” = 1,09
+ 0,26. Jamin und Stettner negieren Alters- und Geschlechtsdispo-
sition. Sie fanden bei Kindern krank 194 2:181 3 = 1,07, tot 7 (= 3,9%) d
und 12 (= 6,2%) 9, also q = 1,7 und g’ = 1,6, wiesen aber auf die höhere
weibliche Letaldisposition hin (Tod erfolgt meist durch Bronchopneu-
monie). Bei einer tschechischen Epidemie 1918 erkrankten 115 g : 106 2
` Kinder.
`
440 Über die Bedeutung der Sexualdisposition bei den Infektionskrankheiten.
Für die Mortalität ergeben sich nach Möllers Statistik aus verschie-
denen Gegenden Deutschlands im Jahre 1918 und auf 100 Sterbefälle
jeder Altersklasse berechnet die Prozentzahlen der Tabelle XV.
Tabelle XV.
g 3,4 | 16,8 | 21,3 | 21,7 4,9 12,6%,
Q 6,8 | 19,7 | 25,6 | 32,1 4,6 15,9 ,,
q* 2,0 1,17 1,2 1,48 0,94 1,26
Man kann hiernach eine höhere weibliche Grippemortalität annehmen.
Die amerikanische Statistik (Tabelle VII) zeigt nichts Charakteristisches.
Die Letalität belastet nach der norwegischen Statistik mehr pubertäts-
reife Frauen.
4. Encephalitis epidemica und Grippe-encephalitis. Das statistische
Material der epidemischen Encephalitis ist nochsehr gering. Nach Staehelin
und Löffler erkranken mehr Männer, nach Reinhart besteht keine Sexual-
differenz, auch nach der englischen amtlichen Statistik (Mac Nalty)
mit 634 d und 639 € nicht. Dennig-Philippsburg zählte 117 <3 und
65 2, Hunt 172 3 und 96 2, Tilney und Howe in Newyork 50 & und 49 9.
Jaksch (Prag) berichtet über 19 & und 17 2 Fälle von Encephalitis coma-
tosa (tot 38,42) und 553 : 45 9 Encephalopathia postgripposa (tot 4 2).
Goldflam (Warschau) gibt eine Altersverteilung (Tabelle XVa).
Tabelle XVa.
In Pearls Studien findet sich eine statistische Bearbeitung einer
New Yorker Epidemie (1920), der ich folgende Zahlen entnehme (Ta-
belle XV b).
Tabelle XVb.
131
97
7
66 15
233
0,737 | 0,065
0,62
aal 21
0,96 ¡ 0,62
1,3 1,0
1,14
1,14
Diese Zahlen sprechen für eine höhere männliche Morbidität und
Mortalität. Pearl stellt folgende Rechnung an: Der Anteil der erkrankten
g ist p = 316 : 549 = 0,5756 mit dem wahrscheinlichen Fehler 0,674 -
a = + 0,0142. In der Bevólkerung ist der Anteil der nicht er-
Von Dr. Hans Ginther. 141
krankten 3 pı = 0,4994 + 0,00. Die Differenz beträgt p — p, = 0,0762
+ 0,0142 und ist das 5,4fache ihres walirscheinlichen Fehlers. Also be-
stehe eine männliche Prädisposition zur epidemischen Encephalitis.
Duncan beobachtete an 136 Fällen im allgemeinen keine Sexual-
disposition, doch betrafen schwere Fälle symptomatischer Paralysis
agitans dreimal so oft Frauen. Im Gegensatz zum echten Parkinsonismus,
der selten vor dem 45. Jahr eintritt und häufiger bei 3 vorkomme, wird
die symptomatische Form bei Encephalitis viel häufiger vor dem 36. Jahr
und bei 2 mindestens ebenso oft beobachtet.
4a) Singultus epidemicus, der besonders bei Influenzaepidemien
beobachtet wird, scheint nach Staehelin und Löffler nur g, besonders
zwischen 20 und 55 Jahren zu befallen. Nach Kalischer findet sich
während einer meist & ergreifenden Epidemie unter den $ oft Brech-
neigung. In Winnipeg soll eine Epidemie von etwa 1000 Fällen mit über
90% & vorgekommen sein (Cadham).
4b) Vertigo paralysans (Morb. Gerlier), angeblich durch Mierer
paralysans bedingt, hauptsächlich bei in Ställen beschäftigten Personen (mehr 3)
beobachtet, aber auch Hausinfektionen ohne Bevorzugung eines Geschlechis
(Rehsteiner).
5. Tuberkulose. Wenn zunáchst die allgemeine Tuberkulosestatistik
berücksichtigt wird, so ist hervorzuheben, daß ihre Zahlen doch im wesent-
lichen durch die Häufigkeit der Lungentuberkulose bedingt sind, so daß
also eine ziemliche Übereinstimmung des Ergebnisses mit dem spezielleren
der Lungentuberkulose zu erwarten ist.
Bezüglich Morbidität seien die Zahlen der Wiener Krankenanstalten
1896—1905 (nach Bucura) über „Tuberkulose und Skrophulose'* ange-
führt, wonach (q) = 23004 9 : 34686 d = 0,66. Bei der Leipziger Orts-
krankenkasse kommen auf 10° Versicherungspflichtige an Tuberkulose
(aller Organe) Erkrankte 771 g und 631 9, so daß q = 0,82, eine für
Tuberkulose typische Altersbeziehung ist dabei (vgl. Tabelle V) nicht fest-
stellbar.
Daß die persönliche Disposition neben der Exposition eine gewichlige Be-
deutung hat, ist hinlänglich bekannt und ergibt sich besonders eindrucksvoll
aus der Tatsache, daß — auch nach eigenen Erfahrungen — bei Tuberkulose-
erkrankung eines Ehegatten der andere Partner viel seltener erkrankt, als dem
Grade der Exposition nach zu erwarten wäre. Neue statistische Feststellungen
von Tecon über 482 tuberkulöse Verheiratete (welche in 90°/, mit ihrem Partner
ein Bett teilten), ergaben, daß immerhin in 18,7°/, eine tuberkulöse Infektion
des anderen Gatten nachweisbar war, und daß von diesen 90 Fällen 70%, die In-
fektion der Frau durch den vorher erkrankten Mann betrafen.
Die Mortalität der Tuberkulose belastet auch mehr das & Geschlecht.
Die pathologisch-anatomische Feststellung der Tuberkulose als Todes-
ursache hat zwar einen höheren Grad von Zuverlässigkeit, als die amtliche
Statistik, doch ist der Umfang des Materiales für die Berechnung des Quo-
tienten etwas klein. Bartel fand Tuberkulose als Todesursache bei 420 d
und 318 9, resp. bei 35,5% der d und 25,3% der $ Sektionen, wobei
q = 0,71.
Eine besondere Auslese stellt das Sektiorsmaterial Bigland-Watson
dar, welches vollständige Sektionen bei 324 g und 83 o Paralytikern betrifft.
Archiv für Hygiene. Bd. op. 11
142 Über die Bedeutung der Sexualdisposition bei den Infektionskrankheiten.
Es ergab sich Tuberkulose in verschiedenen Organen bei 30 + 0,8%, Ch und 38,5
+ 5,3%, Q, also sicher kein Überwiegen der g.
Vgl. Literatur über Sexualdisposition bei Beitzke, über das Sexualver-
hältnis nach dem Kriege bei Prinzing (Erklärungsversuche).
Vergleichsweise seien Erfahrungen bei der Tuberkulose des Rindes nach Be-
funden bei der Schlachtung (Tabelle XVI) angeführt. Die hier angeführten
Prozentzahlen zeigen Verschiedenheiten, welche sowohl auf die Rasse, als auf
Unterschiede der Exposition zurückzuführen sind.
Tabelle XVI.
Statistik
Deutsches Reich .
Budapest. ... .
Nach Röckls Statistik erkrankten von 201570 Ochsen und Bullen 3,2%/,,
von 178749 Kühen 6,9% an Tuberkulose, also q = 2,15.
Über die Altersprogression des Sexualquotienten bis zur Pubertät
gibt Tabelle XVII der Tuberkulosemortalität in Preußen Aufschluß.
Steppenvieh
Tabelle XVII.
KS ? 0,6
1918—20 |0,85|0,90|0,94|1,08 0,73/0,90;1,02
Der Pubertätsanstieg ist hier und in noch höherem Grade in der fol-
genden Statistik (Tabelle XVIII) der Kindersterblichkeit an Tuberkulose
in Budapest 1911—1922 (nach Pach) stärker ausgeprägt als in der all-
gemeinen Mortalitätsstatistik.
Tabelle XVII.
In einer früheren Arbeit (3) habe ich nachgewiesen, daß der Sexual-
quotient q ebenso wie bei der allgemeinen Mortalität auch bei der Tuber-
kulosesterblichkeit in der Hauptevolutionszeit (bis zur Pubertät) als
Funktion des Lebensalters (x) sich berechnen läßt nach der Formel
= ek(x—ae), wobei e die Basis des natürlichen Logarithmus ist. Nach
den Le S. 47 und 48 angeführten Berechnungen haben die Konstanten a
und k der Tuberkulosemortalität Preußens folgende Werte (Tabelle XIX).
Tabelle XIX.
In den Jahren
1891—1895
1876—1901
1910
0,92 | 0,0655
1,00 | 0,0625
1,21 | 0,0680
Von Dr. Hans Günther. 143
Als Beispiel seien die nach der Formel berechneten (q,) und nach der
Statistik gefundenen (g,) Werte der Tuberkulosesterblichkeit Preußens in
den Jahren 1876 bis 1901 in Tabelle XX zusammengestellt.
Tabelle XX.
qı | 0,87 093 | 0,99 | 113 | 1,35 | 1,84
da | 0,86 | 0,97 | 1,01 | 1,15 | 1,36 | 1,83
Die temporären Schwankungen des Geschlechtsverháltnisses der
Tuberkulosemortalitát, auf die Dornedden neuerdings wieder hinweist,.
sind besonders an Aschers Zusammenstellung zu ersehen, wonach in
England 1849—1870 der Quotient q von 1,09 auf 1,00 sinkt, 1871—1880 aber
0,92 beträgt. (In London selbst überwiegen in dieser Zeit stets die Männer,
q bewegt sich sogar von 0,74 auf 0,69. Lokale Expositionsfaktoren haben
also einen bedeutsamen, temporär wechselnden Einfluß). In Tabelle XVII
fällt in den Nachkriegsjahren besonders eine Steigerung des weiblichen
Pubertätsmaximums auf. Die Mortalität der Alterstuberkulose (über
50 Jahre) habe nach Herzog bei beiden Geschlechtern gleichsinnigen
Kurvenverlauf.
a) Lungentuberkulose. Das Problem der Sexualdisposition wurde
schon vor einem Säkulum in Angriff genommen. Coschwitz erklärte
1820, die Lungentuberkulose sei für 3 verderblicher. Louis lehrte aber
eine Prädisposition der Frauen, und eine Pariser Statistik von 1827 ergab
eine höhere $ Mortalität. Auch der Bonner Kliniker Naumann gab 1829
eine Prädisposition der $ an. Die neueren Statistiken sprechen aber für
eine stärkere Beteiligung des 3 Geschlechts. Das geht schon aus den Zah-
len des vorigen Abschnitts hervor, welche doch hauptsächlich durch
Tuberkulose der Lungen bedingt sind.
Haemoptoé ist zwar nicht immer, aber doch am häufigsten durch
Tuberkulose bedingt. Galenus glaubte, daß sie bei 2 häufiger vorkomme,
nach Naumann ist aber eher das Gegenteil der Fall. Für letzteres spricht
auch die Statistik, denn die Leipziger O. K. K. hatte auf 10° Versicherte
187 d und 1492 Haemoptoöfälle, daher q = 0,80. Tuberkulöse Spitzen-
pleuritis „im Rahmen der chronischen rezidivierenden Pleuritis“ soll
nach Neumann bei 2 viel häufiger vorkommen. Ähnliches beobachtete
Hollö, doch ist eine Erklärung durch größere Sa der 2
keine Erklärung, sondern nur eine Umschreibung.
Die Statistik der Invalidenversicherung ergab, daß von sämtlichen
Kranken, die ein im Berichtsjahre 1910 zum Abschluß gekommenes Heil-
verfahren benötigten, die Lungentuberkulose bei den Y Kranken 58,
bei 2 49%, ausmacht, woraus sich der Quotient of = 0,84 ergibt.:
Nach der Statistik des Reichsversicherungsamtes von 1898 führt
Tuberkulose der Lungen ebenso wie andere Lungenkrankheiten in ver-
schiedenen Berufszweigen (Landwirtschaft, Industrie, Handel) in allen
Altersklassen bei Y weit häufiger zur Invalidität (q = 0,51 bis 0,77).
Auf die Gesamtzahl der Invalidenursachen 1896—1899 m Deutschland
kb
444 Uber die Bedeutung der Sexualdisposition bei den Infektionskrankheiten.
(nach Geschlechtern getrennt) berechnet und in Promille ausgedrückt
ergeben sich (Tabelle XXI):
Tabelle XXI.
Krankheiten der Lungen außer Tuberkulose
Lungentuberkulose . ZE
Tuberkulose außer Lungentuberkulose . Ce
Die Mortalitátsquotienten zeichnen sich durch das besonders hohe
weibliche Pubertátsmaximum aus, wie es auch die amerikanische Statistik
erkennen läßt (Tabelle VII). Daß auf die durchschnittliche Lage der Quo-
tienten die Exposition, u. a. der Unterschied zwischen Großstadt- und
Landbevölkerung einen merkbaren Einfluß hat, wurde schon gelegentlich
der Londoner Statistik hervorgehoben. Auch Sörensen fand in Däne-
mark vom 20. Lebensjahre ab zwar stets ein Überwiegen der männlichen
Todesfälle, aber in höherem Grade (q 0,70 bis 0,40) in Kopenhagen als in
den Provinzstädten und noch mehr bei den niederen sozialen Ständen
(q = 0,67—0,34). Anders allerdings klingt ein Satz von Grotjahn.
„Es kann vorkommen, daß die Sterblichkeit des männlichen Geschlechts
an Tuberkulose durch starke Industrialisierung und die damit verbunde-
nen günstigen Erwerbsverhältnisse sinkt, während gleichzeitig diese
Sterblichkeit bei den Frauen steigt, die zum Schaden ihrer Gesundheit
in die industrielle Betätigung hineingezogen werden.“ Kayserling fand
in Berlin nach 1907 eine größere Tuberkulosesterblichkeit der 2, welche
er als „Reaktionserscheinung des weiblichen Organismus auf die erhöhte
und vermehrte Berufstátigkcit'* auffaßt. Bei der Leipziger Lungenfürsorge
traten (nach Leipz. Stat. Jahrb.) vor 1911 mehr g, 1911—1913 mehr 2
in Beratung.
Die Letalität belastet in jüngeren Jahren mehr die 9, später mehr d.
So zählt die Leipziger Fürsorge, auf 100 Fälle berechnet und in Alters-
klassen des Fürsorgebeginnes eingeteilt folgende Prozent Todesfälle (Ta-
belle XXII):
Tabelle XXI.
Alter
Geschlecht a
1,11
0,84
Die gleiche Fürsorgestelle hatte 1906—1919 die in Tabelle XXIII
verzeichneten Kranken in Beobachtung. ‘Bei dem geringen Umfange des
Tabelle XXIII.
davon gestorben
1577 | 479 30,4%,
9 1669 + 486 | 29,2%,
Quotient [1,06+.0,03 1,01 + 0,07| 0,96 + 0,1
Von Dr. Hans Günther. 145
Materiales sind aber die mittleren Fehler so groß, daß bezüglich des Le-
talitätsquotienten keine sichere Aussage gemacht werden kann.
b) Abdominaltuberkulose. Eine Prädisposition des weiblichen
Geschlechts scheint sich hier durch die größte Häufigkeit in den jugend-
lichen Jahren zu ergeben. Die Wiener Krankenanstalten behandelten
1896—1905 (nach Bucura) an Tuberkulose des Peritoneums 480 § und
672 9, also 58,2 + 1,45 % 2 oder q = 1,40. Bei der Abdominaltuberkulose
des Kindes tritt nach Frank in der Zeit der größten Häufigkeit (3.—4. Le-
bensjahr) ein Überwiegen der & (25:18), später der 2 hervor. Die geringe
Gesamtzahl der in Tabelle XXIV verzeichneten Fälle Franks ergibt 52,5 +
4,7% Q oder q = 1,11 + 0,2, also ein unbestimmtes Resultat.
Tabelle XXIV.
] Alter | 14 | 5-10 | 1144 | 3 `
d 29 18 6 53
oz 24 26 9 59
Barthey-Rilliet findet bei Kindern das Verhältnis 53 g : 33 9,
Schmid (Basel) 23 3 : 182, Melchior bis zum 7. Lebensjahre 44:39,
später 15 3 : 142.
c) Miliartuberkulose. Das klinische Material ergibt ein Überwiegen
der Männer. An der Leipziger Medizinischen Klinik wurden 1889—1909
behandelt 147 d und 54 9, also 73,1 + 3,1% d oder q = 0,37.
Die Sektionsstatistik des John Hopkins Hospital ergibt nach Pearl
ein Überwiegen der g, aber keinen Rassenunterschied des Sexualquotien-
ten (Tabelle XXV). Der Verlauf des Sexualquotienten in der amerika-
nischen Statistik (Tabelle VII) ähnelt sehr demjenigen der Lungentuber-
kulose. Auch die deutsche Statistik (Tabelle VI) zeigt einen ähnlichen
Verlauf mit einem mittleren Sexualquotienten qm = 1,02.
Tabelle XXV.
Weiße. .
Farbige .
H
0,58 + 0,16
0,50 + 0,07
235 | 123 | 0,52 + 0,06 | 358
d) Meningitis tuberkulosa. Das männliche Geschlecht überwiegt
deutlich. Die Leipziger Medizinische Klinik behandelt 1894—1913 und
1919—1923 im ganzen 241 Y und 1432, also 62,8 + 2,5% g oder q = 0,59.
Das Material der Leipziger Klinik 1889—1908 wurde bereits von O.
Fischer verarbeitet, der 175 & und 85 2 zählte; (q) = 0,48 + 0,07. Er
hebt dabei hervor, daß im Alter von 14—20 Jahren das weibliche Ge-
schlecht überwog (8 3,2592). Huguenin (cit. Seitz) fand, daß die Männer
vor dem 15. Jahre stark, später aber nur in geringerem Grade überwiegen.
In England betrug 1849—1880 der Quotient 0,76—0,68, in London 0,62
bis 0,67 (nach Ascher). In Amerika (Tabelle VII) ist der Verlauf sehr ähn-
lich der Kurve der allgemeinen Mortalität. (Kaneko fand unter einem
kleinen Material von 66 Fällen in Dairen mehr 9).
446 Über die Bedeutung der Sexualdisposition bei den Infektionskrankheiten.
e) Larynx tuberkulose betrifft mehr Männer. Gegen diese An-
sicht wendet sich Thomson, der Unterschied sei durch Differenzen der
Exposition völlig zu erklären ($ seien weniger der Ermüdung und In-
fektion ausgesetzt! ?).
f) Hauttuberkulose. Lupus der Nase bevorzugt nach Kaufmann
jugendliche Frauen.
9. Knochentuberkulose. Fürst zählt bei Kindern 90 g : 59 9,
also 60,4 + 4% d oder q = 0,66.
h) Nierentuberkulose. Nach Kapsammer 68 3:43 2.
6. Diphtherie. Die Bearbeitung der Diphtherie nach gleichen Gesichts-
punkten ist bereits in einer früheren Arbeit (4) erfolgt, auf die hier verwiesen
wird. Dort habe ich auch die logischen Beziehungen des Begriffes der
Sexualdisposition zu dem allgemeinen Dispositionsbegriff klarzustellen
versucht. Hierauf sei noch einmal in etwas modifizierter Form einge-
gangen. Die Krankheitsdisposition oder Wahrscheinlichkeit des Ein-
trittes einer bestimmten Erkrankung wird bestimmt durch das Verhältnis
der Erkrankten zu den überhaupt in einer Population vorhandenen Indivi-
duen, nach Vereinbarung gültig für die Dauer eines Jahres. Dieser Disposi-
tionsbegriff läßt sich wieder in einzelne Teilbegriffe spalten. Es läßt sich
z. B.die Altersdisposition bestimmen, indem die gleiche Berechnung für
einzelne Altersklassen durchgeführt wird. Die entsprechende Berechnung
für einzelne Geschlechter ergibt die Sexualdisposition. Die maskuline
Sexualdisposition (Dm) entspricht daher dem Verhältnis der männlichen
Erkrankten (m) zu den überhaupt vorhandenen männlichen Individuen (a).
Der Quotient z ist also der Ausdruck für die Wahrscheinlichkeit eines
männlichen Individuums einer bestimmten Population, im Laufe eines
Jahres an einer bestimmten Krankheit zu erkranken. Als Beispiel sei hier
die Diphtheriemorbidität Leipzigs der Jahre 1920 bis 1923 gewählt, welche
in Tabelle V der zitierten Arbeit (4) gegeben ist. Nach dieser Statistik
können die Durchschnittswerte der Erkrankungen innerhalb eines Jahres
nach Jahresklassen geordnet zunächst für das weibliche Geschlecht be-
stimmt werden; die gefundenen Werte (w) sind in folgender Tabelle XXVI
verzeichnet. Für die normale Altersklassenbesetzung wurden die Werte
Tabelle XXVI. (Leipzig.)
588,7 324000 | 0,182 |
Von Dr. Hans Gúnther. 147
für das 2 Geschlecht (f) der Leipziger Volkszählung von 1919 eingesetzt.
Hiernach wird berechnet D y = (wo) Es ist also z. B. die Wahrscheinlich-
keit für ein 12jähriges Mädchen, während der Dauer dieses Lebensjahres
in Leipzig an Diphtherie zu erkranken Dw = 0,0033; es werden wahrschein-
lich 0,3% Mädchen dieses Alters erkranken. In der gleichen Weise können
die Werte für das männliche Geschlecht berechnet werden. Dies ist aber
auch noch auf anderem Wege möglich. Die vorletzte Kolonne der Tab. XXVI
enthält die Sexualquotienten, wie sie in der früheren Arbeit (4) berechnet
wurden. Mittels dieser Quotienten läßt sich die maskuline Sexualdispo-
sition berechnen, indem Dm = E Andererseits kann auch der Morbiditäts-
Sexualquotient gefunden werden nach der Formel q = Ze Außer den
Dm
Le bearbeiteten Statistiken sei für die Morbiditát noch Tabellle XXVla
gegeben, welche die Baseler Fälle 1870—1919 darstellt.
Tabelle XXVIa. (Basel.)
Beer A A es A El
a EEE
g | 2111244 761 | 316 | 5798
O 151 | 2209 2309 1086 | 510 | 6265
ai | 0,71 | 0,90 | 1,11 | 1,43 | 1,61 | 1,08
Tg 104 ' 478 | 106 66 754
Q Si | 410| 111) 29 | 631
(q) | 0,78 | 0,86 | 1,04 | 0,44 | 0,84
q’ 1,1 | 0,96 | 0,94 0,3 T 0,78
Die Mortalitätsquotienten schwanken um den Wert 0,90 (vgl. Tabelle II
und VI). Der mittlere Quotient beträgt nach Tabelle VI 0,87; außerdem
scheint in dieser Tabelle eine fast kontinuierliche Altersprogression der
Quotienten aufzutreten, welche aber in anderen Statistiken nicht existiert.
In Preußen ergibt sich 1876—1915 in fünfjährigen Zeiträumen eine
auffällige Konstanz, indem die g-Werte nur zwischen 0,88 und 0,92 schwan-
ken und durchschnittlich 0,90 betragen. Auch für Berlin ergibt sich 1877
bis 1914 ein Wert von etwa 0,89. Für Leipzig wies ich in den Nachkriegs-
jahren eine beträchtliche Steigerung des Quotienten nach; bereits in den
Jahren 1915—1918 ergibt sich ein mittlerer Quotient qm = 0, 97, 1919—1923
aber beträgt qm 1,52.
Die Letalitátswerte sind noch recht unsicher . In Berlin ist 1885
bis 1894 g’ = 0,83 (bei q = 0,93), 1905—1914 q' = 0,79 (bei q = 0,84);
in Basel o = 0,78, in Wien (1883—1899) nach Rosenfeld 0,85; sie sind
also etwas niedriger als die Mortalitátsquotienten. Wenn man die Alters-
schwankungen von g’ in Tabelle IV und XXVI vergleicht, so ergeben sich
Widerspriiche.
Für die Kindermortalitát an Diphtherie + Keuchhusten + Masern
+ Scharlach zusammen ergibt sich in Preußen 1901—1912 (nach
Tabellen bei Neumann) nur ein geringes jáhrliches Schwanken von
q zwischen 0,98 und 1,04 (Mittel y = 0,995). Wenn also bei diesen
148 Uber die Bedeutung der Sexualdisposition bei den Infektionskrankheiten.
Erkrankungen verschiedene Sexualquotienten bestehen, so kommen die
Differenzen bei einer derartigen Zusammenfassung nicht zum Vorschein.
(Teissier meint, daß Frauen länger als Y zu Kinderinfektionskrankheiten
disponiert sind und führt dies auf engeren Kontakt mit Kindern zurück;
Eruptionsfieber seien bei d nach dem 20. Jahr sehr selten, bei 2 öfters
zwischen 25. und 30. Jahre zu finden.
7. Morbilli, Masern. Ohne Berücksichtigung des Lebensalters treten
keine deutlichen Differenzen der Sexualdisposition hervor. In der Literatur
finden sich viel Widersprüche. Die alte Angabe von Percival, daß Knaben
eine größere Anlage zu Masern besitzen, wurde 1831 von Naumann be-
stritten. Nach Jochmann spielen Geschlecht und Rasse keine Rolle.
Eine Lübecker Morbiditätsstatistik (1908—1919) zählt 2998 g : 2989 9,
also 50,08 + 0,65 % d (dabei dreimal in einzelnen Jahren mehr 2).
Bei Beachtung des Alters können sich Differenzen ergeben, die aber nicht
eindeutig sind. Roger (zit. Teissier) behauptet, daß im Alter von 15
bis 20 Jahren mehr d, dann mehr 2 erkranken. Die norwegische Statistik
(Tabelle IV) hat vor der Pubertät q = 1,13, später 0,79. Die Baseler
Statistik 1870—1919 (Jessen) ergibt fast jedes Jahr ein geringes Über-
wiegen der Mädchen; die Altersprogression ist in Tabelle XXVIb er-
sichtlich. Die Wiener Statistik 1895—1904 (Peller) ergibt im 1. Lebens-
jahre q = 0,95, in der Pubertätszeit 1,26.
Tabelle XXVIb. (Basel)
10-45 | 15—30
0—1 | 1—2 | 2—5 | 5—10 über 30 | >
231! 54 | 17015
g | 963 | 1826 | 6752 | 6733 | 436
Q 957 | 1752 | 6927 | 6823 | 588 | 321 8l | 17449
(a) | 099. 0,96 | 102 101 | 1,35; 1,28; Lë 1,08
td 146 | 185: 101 20 I| — | — | 453
Q 165 202i 86 22 Il — | — 476
(q) | 1,113. 1,09 | 0,85 | 1,1 li — -- i 1,05
LD 14 "DÉI, 11 13; — Lë
Die Mortalitátswerte ohne Berücksichtigung des Alters schwanken
meist um 1,0. Die Werte betragen in Preußen (1879) q = 1,00, (1889
bis 1914) q = 0,91 (dabei in jedem einzelnen Jahre § > 2), auch 1911
bis 1922 bis zum 3. Lebensjahr (nach Schmidt) mehr d: Lübeck (1908
bis 1919) q = 1,01 oder 49,7 +- 3,9%, d, Bayern (1871—1875) q = 1,00,
England q = 0,91 bis 0,92.
Mit Alterseinteilung ergeben sich die Quotienten der Tabellen VI, VIT,
XXVII (Mortalität Preußen 1892-1914 einschließlich Róteln), XXVIII
(Mortalität England 1881—1890 pro 100000 Gestorbene) und XXIX
(Mortalität England 1861—1870) nach Angaben von Schütz.
Tabelle XXVII. (Preußen.)
alter | o— | 1 | 2 | 3-4 | 5-9 ¡10-14 | 15-19 | 20-39 1 40—80
7, 30,9 11,3 | 4,69 1,29 0,17 | 0,03 | 0,01 | 0,01
24,4 | 297 | 115 A8 | 14 , 0722 | 0/04 ' 002 | 0,01
q | 0,89 | 0,91 | 1,01 | 1,02 | 1.09 | 1,29 | 1,30 | 2,0 | 1,0
Von Dr, Hans Günther. 449
Tabelle XXVII (England).
103 | 26
103 | 28
Es ergibt sich aus diesen Tabellen ebenso, wie aus Tabelle VI und VII
eine ziemlich erhebliche Pubertätssteigerung, die in den folgenden Dekaden
noch anhält, resp. zunimmt.
Für die Letalität ergibt sich nach Tabelle IV vor Pubertät g’ = 0,85,
später 1,37. In Basel ist g’ vor der Pubertät 1,01. Eine Wiener Statistik
(Rosenfeld) gibt für alle Quotienten keine nachweisliche Geschlechts-
differenz. |
ta. Rubeola, Röteln. Die Erkrankung ist meist in der Masernstatistik
mit enthalten. In Norwegen ist q nach Tabelle IV größer als 1. Peller
. gibt für das Alter 0—10 Jahre den Wert q = 1,17. Die Leipziger Medi-
zinische Klinik hat nur 28 3 und 32 2 aufzuweisen.
8. Searlatina, Scharlach. Bei der Morbidität ergeben sich sichere
Unterschiede, die schon ältere Kliniker ahnten. Naumann schreibt
1831: „Kinder vom 1. bis 10. Lebensjahre sind der Krankheit am meisten
unterworfen; aber bei den meisten erhält sich die Empfänglichkeit fast in
gleichem Grade bis zum 20. Lebensjahre. Etwa von diesem Zeitpunkt
an beginnt die Anlage bei Subjekten männlichen Geschlechts abzunehmen,
ist aber bei weiblichen Individuen, besonders bei Personen von sehr zarter
Konstitution, noch immer sehr ausgezeichnet.“ Einzelne kleine Epidemien
lassen natürlich keine Gesetzmäßigkeit erkennen, es können daher in ein-
zelnen Epidemien g, in anderen $ überwiegen (Thomas 1877). Roger
behauptet, daß zunächst mehr & (15.—20. Jahr), dann mehr 2 betroffen
werden.
Die Erfahrungen der medizinischen Klinik zu Leipzig (1894—1923)
in Tabelle XXX entsprechen etwa den Verhältnissen in Norwegen (Tabelle
Tabelle XXX (Leipzig).
= Morbidität
Mortalität
Alter
A GES
Letalitát
y q’
503 | 529 |1, 56 i 50 11,1 | 9,5 | 0,85
10—19 | 478, 525 | 1,1 3,98 A0 | Lu
20—29 | 196 : 267 | 1,36 56 122 | 04
30-39 33 50] 151 5 ) | 015
40—59 131 10| — 3 0,4
60— ¡A E ] de
E [12287 1381 |ı 113 | 95 ı 79 | 7,75 5711073
- 450 Uber die Bedeutung der Sexualdisposition bei den Infektionskrankheiten.
IV), wo der Quotient q vor Pubertät 1,15, später 1,14 beträgt. Bei Orts-
krankenkassen Leipzig ergibt sich ein sehr hoher Quotient 1,60, da die Kin-
derjahre wegfallen. Die Baseler Statistik 1870—1919 zeigt Tabelle XX Xa.
2 XXXa. (Basel.)
In Wien ist nach Rosenfelds Zahlen (q) vor der Pubertät 0,97—1,09,
in Altersklassen 16—40 Jahre 1,27; nach Peller stieg der Quotient q
von 0,78—0,84 im ersten Lebensjahre auf mehr als 1 in der Pubertäts-
zeit und auf 1,87 im Alter. von 26—30 Jahren. Alabrese zählte bei
einer Scharlachepidemie unter :100 Fällen 64 2. In Helsingfors ergeben
sich nach den Zahlen Björkstens die in Tabelle XXXI verzeichneten
Werte. |
Tabelle XXXI. (Helsingfors.)
0-4 | 5—9 [10-14 | 15-19 | 20—29 | 30-50
0,78 | 121
Die weibliche Prädisposition zur Scharlacherkrankung nimmt also
nach der nicht immer ausgeprägten Pubertätsprädisposition in späteren
Lebensjahren beträchtlich zu.
Der Sexualquotient des Scharlachtodes liegt unter 1, weilin den Jahren
der größten Häufigkeit der Erkrankung mehr Knaben sterben. Er beträgt
nach bei Ascher angegebenen Zahlen 1879 in Preußen 0,89, 1871—1875
in Bayern 0,89, in England 0,92—0,95. Bei O.K.K. Leipzig ist der Quotient
trotz Ausfalls der Kinderjahre nur 0,95. Der mittlere Quotient beträgt
im Deutschen Reich 0,97 (Tabelle VI). In dem Zeitraum 1911—-1922
überwiegen in Preußen in der Summe der einzelnen Jahre meist Y, doch
in den Jahren 1911, 1917 und 1921 die £ (Schmidt). Wenn man das Alter
berücksichtigt, so findet man, daß z. B. nach Statistiken Preußen 1877,
England 1859, Amerika 1910 der Quotient etwa nach dem 10. Lebensjahre
die Einslinie überschritten hat und in der 3. Dekade hohe Werte (1,39
bis 1,93) erreicht.
Die Letalität belastet nach den Erfahrungen der Leipziger Klinik
nach der Pubertät in auffallendem Maße das männliche Geschlecht (vgl.
Tabelle XXX). Vor der Pubertät ist g’ auch in Norwegen unter 1 (Tabelle
IV). Auch nach der Baseler Statistik ist og = 0,73 (vor der Pubertät 0,77,
nachher 0,53), in Wien nach Rosenfelds Zahlen vor Pubertät 0,96,
nachher 0,97.
Von Dr. Hans Günther. 451
Eine interessante Familienforschung wurde von Meyer-Burkhard
«(Düsseldorfer Krankenhaus) durchgeführt. Singuläre Scharlachfälle kamen
in 2059 Familien vor; es erkrankten unter 14 Jahren 655 2: 549 3 = 1,19,
über 14 Jahren 443 : 414 = 1,07, in Summa 1098 : 963 = 1,14, davon
starben 55 (= 5,7%) d und 57 (= 5,2%) 9, also (q) = 1,04 und e = 0,91.
Ferner fanden sich 173 Scharlachfamilien (mit 969 Mitgliedern), in denen
mehr als 4 Mitglied erkrankte; die Verteilung zeigt Tabelle XXXla.
Tabelle XXXIa.
we? fe E
Alter Quot.
unter 14 Jahren | 305 | 213 185 192 | 60,5 | 65,5 | 1,08
über 14 Jahre 170 | 201 11| 39 6,5 | 19,4 | 2,98
ephritis — — 1 11 8,7 | 4,77 | 0,55
Gestorben — | — | 7 6 3,6 | 2,6 0,72
9. Erysipel. Die Prädisposition des weiblichen Geschlechts ist in hohem
Grade ausgeprägt. Bereits J. P. Frank zählte unter 20 gleichzeitig be-
hafteten Kranken 16 weibliche, Naumann (1832) glaubt, daß 2 der Rose
mehr unterworfen seien, v.Strümpell hält das Erysipel für „anscheinend
bei Frauen etwa häufiger, auch Teissier betont die weibliche Prädisposition
(besonders zwischen 15 und 30 Jahren).
Von den einzelnen Morbiditätsstatistiken sind zu nennen O.K.K.
Leipzig mit q = 2,02, Medizinische Klinik Leipzig (1892—1913) mit
716 3 und 886 9, also 55, 4 + 1,2% 2 und (q) = 1,24, Münchener Klinik,
(Frickhinger) mit 188 3 und 512 9, also (q) = 2 73, Wien (Samberger)
mit 52 Y und 152 2, unter letzteren meist Dienstmádchen, Norwegen
(Laache) mit 2340 2 und 3733 2, also 61,5 + 0,6% 2 und (q) = 1,6,
dagegen Hamburg 1889—1908 (nach Lehmann) mit 1310 g und 1030 2,
also 44 + 1% 2 und (q) = 0,79.
Diese 2 Prädisposition zeigt sich in allen Lebensaltern. Sie ist nach
der norwegischen offiziellen Statistik (Tabelle IV) vor (1,23) und nach der
Pubertät (1,32) vorhanden, zeigt sich in dem sehr kleinen Material Sam-
bergers, speziell zwischen 21.—95. Lebensjahr (q = 2,0) nach Peller,
und ım Greisenalter nach Schlesinger (91 3: 133 9).
Die Mortalität ist vielleicht auch in den Kinderjahren bei g größer
(vgl. Tabelle VII), später aber bei Männern. Der mittlere Sexualquotient
beträgt in Deutschland (Tabelle VI) 0,96.
Auch die Letalität ist auf Grund der Norwegischen Statistik beim
männlichen Geschlecht besonders nach der Pubertät (e = 0,68) größer.
10. Sepsis, Pyaemie. Für die häufigeren Erkrankungen der Männer
macht das „autistische Denken" gern die größere Exposition der Y zu
Traumen verantwortlich. Aus der Statistik muß natürlich die Puer-
peralsepsis ausgeschlossen werden.
Dieses 43 Überwiegen zeigt sich am Material der Leipziger O. K. K.
(Tabelle V) mit q = 0,45 (nach der Pubertät), und erstreckt sich auf alle
Lebensalter. Das gleiche ergibt sich aus der norwegischen Statistik (Ta-
belle IV) mit q = 0,79 vor und q = 0,53 nach der Pubertät.
152 Über die Bedeutung der Sexualdisposition bei den Infektionskrankheiten.
Die Mortalitátswerte, welche auch durchschnittlich das & Geschlecht
mehr belasten, ergeben sich aus der amerikanischen Statistik (,,ohne**
Puerperalsepsis), die vielleicht doch in der 3. Dekade durch Puerperal-
sepsis verunreinigt ist; an ihr ist aber der auffällige Parallelismus mit den
Erysipelwerten (die ersten Lebensjahre mit dem häufigen Nabelerysipel
ausgenommen) hervorzuheben.
Die Letalitát ist nach der norwegischen Statistik beim 2 Geschlecht
nach der Pubertät (1,20) größer.
Anhangsweise sei bei den septischen Erkrankungen die Endocarditis
lenta besprochen, welche ja in der Mehrzahl der Fälle (60—809,) durch
Streptococcus viridans bedingt ist und häufiger das männliche Geschlecht
heimsueht. Das Material der Leipziger Klinik ließ ich in einer Dissertation
von H. Bona (1924) verarbeiten. 1903—1923 fanden sich 69 Fälle, die
größerenteils nach Kriegsbeginn (1921—1922 allein: 22 Fälle) beobachtet
wurden. Bei der kleinen Zahl ist immerhin auffällig, daß vor dem Kriege
das Verhältnis 10 3:17 2, nach S EIEBSD BUNG aber 293 : 139 betrug,
daß also das Überwiegen der g mit (q) = 0,45 sich erst nach 1914 bemerk-
bar macht.
11. Polyarthritis rheumatica acuta (ac. Gelenkrheumatismus). Nach
Jochmann spielt das Geschlecht keine Rolle. Das Material der Leipziger
Klinik (1900—1923) läßt aber (in Tabelle XXXVI) nach dem 40. Jahre
Tabelle XXXVL.
0,92
0,96
0,40
ı 0,56
0,72
38787 2646 | 0,92
ein wesentliches Überwiegen der männlichen Erkrankungen erkennen.
Temporäre Schwankungen kommen natürlich vor. Rolly bearbeitete
die Statistik der gleichen Klinik 1900—1909; er fand in dieser Zeit keine
wesentliche Geschlechtsdifferenz, dabei aber im Jahre 1903 ein auffälliges
Überwiegen der Frauen (266 d : 121 2); ohne dieses Jahr würde sich für
die übrigen Jahre ein geringes Plus der g ergeben. Die Statistik der
Leipziger Ortskrankenkasse (1887—1904) zeigt aber ein Überwiegen der
Frauen an (q = 1,30); es tritt aber bei der Alterseinteilung auch eine be-
trächtliche männliche Prädisposition nach dem 35. Jahre auf.
Bei Rindern erkranken nach Hutyra-Marek „viel seltener Ochsen‘
an akutem Gelenkrheumatismus.
Bei der mit dieser Infektionskrankheit oft in Zusammenhang stehenden
Chorea erkranken mehr als doppelt so viele Y (q = 2,5).
12. Typhus. Ältere Angaben sind entsprechend der damaligen Un-
sicherheit der Diagnose zu bewerten. Nach Klose (1829) erkranken mehr
Frauen, ebenso in englischen großen Fabrikstádten nach Percival.
Von Dr, Hans Günther, 153
. Naumann betont dann, daß bei einzelnen Epidemien mehr d, bei anderen
mehr o erkrankten. Hildebrand bemerkte schon, daß die Mortalität bel
Frauen geringer ist. Daß in der Gravität eine geringere Disposition be-
stehe (Klose), wird von Naumann bestritten; Potain meinte aber auch,
daß Typhus in der Gravidität leichter verlaufe. Gerhardt (1877) berichtete,
daß der Typhus nach mehreren Autoren bei Knaben häufiger sei, im Alter
von 10—15 Jahren aber nach Murchison bei Mädchen.
In neuerer Zeit wurde der Frage weniger Bedeutung beigemessen.
Nach v. Strümpell ist ein Einfluß des Geschlechts nicht mit Sicherheit
festzustellen. Schottmüller stellt die Exposition in den Vordergrund;
in Hamburg seien mehr & erkrankt, weil die dort zahlreichen Flößer,
Schiffer und Seeleute an der Elbe der Infektion mehr ausgesetzt seien,
von den erkrankten Frauen andererseits sei die Mehrzahl im Haushalt
beschäftigt. Im neuesten französischen Handbuch gibt Widal an, daß
Typhus bei g 5mal so häufig sei!
Bezüglich Morbidität sollen zunächst die klinischen Erfahrungen
berücksichtigt werden. Das Material der Leipziger medizinischen Klinik
1891—1923 ist in Tabelle XXXII zusammengestellt.
Tabelle XXXII (Leipzig).
Morbidität Mortalität
Alter |
| Letalitat `
0—9 89
10—19 | 339 | 337
20—29 | 392 | 604
30-39 | 177 ' 220
40—80 | 112 | 16
E [1107| 1414 , 128 | 1,05
Das Material der Klinik 1893 bis 1907 wurde von Piorkowsky
(Dissert.) zusammengestellt und ergab krank 651 2 : 578 3 = 1,13, tot
129 : 102 = 1,26, q” = 1,12.
Zum Vergleich seien die Zahlen der Wiener Krankenanstalten 1902
bis 1911 (nach Peller) angeführt in Tabelle XXXIII; das Material um-
Tabelle XXXIII. (Wien.)
6—10 1115 | 16—20 21— 30 31—40 | 41—70, >
wa | 0,62) 127 | 1,24 | 1,17 Ä 1,22 | 123 , 1,45 | Lë
1.0 | (a7) | 1,78 | 0,97 | 092: 145 | 1,26
1,51 : 0,791 0,75 1,0, 1,03
faßt 1471 d und 1803 2 Typhuskranke. Die femininen Maxima der (q)
und (g)-Werte sind hier gegenüber der vorhergehenden Statistik etwas
verschoben. Sehr ähnlich ist aber der Verlauf der Letalitätswerte (oi,
nur mit einem noch ausgeprägteren Pubertätsmaximum. Auffälligerweise
tritt in der Statistik der Leipziger Ortskrankenkasse (Tabelle V) ein Über-
1) y bedeutet die durchschnittliche Sexualproportion der Leipziger Be-
völkerung.
454 Über die Bedeutung der Sexualdisposition bei den Infektionskrankheiten.
wiegen der weiblichen Morbidität nicht hervor. (Bei einer allerdings sehr
kleinen Schulepidemie (Peller) waren mehr Mädchen, besonders von
11—14 Jahren, betroffen (26:11)). Auch in den Tropen erkranken nach
Castellani mehr Frauen an Typhus und Paratyphus. Die Morbidität
überwiegt also nach der Pubertät beim weiblichen Geschlecht.
Die Mortalität betrifft im ganzen etwas mehr Männer. Nach Aschers
Zahlen ergibt sich für Preußen (1879) q = 0,94, Bayern (1871—1875)
q = 0,88, England q= 0,97—1,01. Ascher betont, daß nicht „erheblich
mehr‘ d sterben, wie es Hospitäler angeben, und weist auf die Ähnlichkeit
des Quotientenverlaufes mit der Tuberkulose hin. Der mittlere Quotient
beträgt im Deutschen Reich 0,84. Der Altersverlauf der Quotienten ist
in der deutschen und amerikanischen Statistik (Tabelle VI und VII) sehr
ähnlich; beide Kurven zeichnen sich durch ein beträchtliches $ Pubertäts-
maximum und ein ziemlich starkes Überwiegen der 3 nach dem 15. Le-
bensjahr aus. Besonders deutlich ergibt sich das Pubertätsmaximum
an der preußischen Statistik von 1877, deren Mortalitäts-Sexualquotienten
in Tabelle XXXIV verzeichnet sind. |
Tabelle XXXIV.
— — ee PP e Genen m
2 ¡34 5-9 10- |15— 20— 25—|30- 39 40- |50—|60— 10—|80—
0,84! 0,93| 0,93 | 0,78| 0,73| 0,78! 0,95| 1,0
1,41 1,
Temporáre Schwankungen kommen vor. Abel hebt hervor, daß nach
der deutschen Statistik 1917—1922 mehr Frauen an Typhus gestorben
sind, vor 1917 dagegen mehr 2: es wird dies als Erfolg der Schutzimpfung
bei 3 gedeutet. Sehr anschaulich sind Abels Tabellen mit 5jährigen.
Altersklassen nach einzelnen Jahren; während 1908—1914 im Alter von
5—15 Jahren meist mehr 9. und nach dem 15. Jahre stets mehr 2 starben,
überwiegen 1915—1922 auch nach der Pubertät fast stets die Frauen.
Die Jahresdurchschnitte auf 10% Lebende berechnet betrugen 1905—1914
in Preußen 0,657 & und 0,486 9 (q = 0,74), 1917—4922 aber 0,72 8
und 0,85 2 (q = 1,19).
Eine französische Statistik Juli 1919 bis Februar 1924 (Courtois-
Suffit) ergibt unter 328 Fällen 224 2 (q = 2,15); auch hier wird die Nicht-
impfung der Frauen zur Erklärung herangezogen.
Nebenbei sei erwähnt, daß nach Torellis Versuchen kastrierte Hunde
bei der Typhusinfektion früher sterben sollen, als die Kontrollen.
Die Letalität zeigt nach den klinischen Erfahrungen (Tabelle XXXII
und XXXIII) bei allerdings hohem mittleren Fehler ein starkes 2 Puber-
un Murchison hob schon 1884 hervor. daß ım Alter von
eimal so viel g sterben. Die norwegische Statistik zeigt
nur ein Überwiegen der & an (0,84—0,87). Nach Rosenfelds Wiener
Statistik ergibt sich ql = 0,90. Die so verhängnisvollen Darmperforationen
sollen nach v. Strümpell bei & häufiger vorkommen.
Allbekannt ist die Tatsache, daß bei Typhus die weiblichen Dauer-
ausscheider wesentlich überwiegen. Die Ursache ist unbekannt. Es
wird der durch Schnüren erschwerte Gallenabfluß, die wagrechte Stellung
Von Dr. Hans Günther. 155
.der Gallenblase (Loeb), häufigere Anwesenheit von Gallensteinen zur
Erklärung angeführt. Die weiblichen Dauerträger sind, wie sich aus
Tabelle XXXV (teils nach Weichardt) ergibt, etwa dreimal so häufig
als die 3. Kinder bis zum 14. Lebensjahre sind nach Gaehtgens viel
seltener Dauerausscheider. Bei Paratyphus finden sich widersprechende
Angaben bezüglich des Geschlechtsverhältnisses der Bazillenträger (Loele).
Tabelle XXXV.
Mayer ...
Forster. . . 4,9
Klinger. . 4,8
Fornet... 2,5
Prigge Em
ER)
13. Parotitis epidemica. Mumps. Die háufige Komplikation mit
Orchitis weist schon auf einen Zusammenhang mit den Sexualdrüsen
hin. Es wurde daher die Frage einer Sexualdisposition oft diskutiert.
Nach Naumann (1834) erkranken Frauen seltener und dann meist in
jüngeren Jahren, Hamerley zählte (1822) 79 3 und 1 $. Ältere Autoren
erwähnen aber schon Epidemien mit Überwiegen der Mädchen.
Nach v. Strümpell hat das männliche Geschlecht entschieden eine
größere Disposition, Teissier meint, daß die Krankheit bei Y häufiger
sei und schwerer verlaufe, Feer erwähnt in seinem Lehrbuch nichts
darüber. Nach Barnewitz besteht keine gesetzmäßige Prädisposition.
Neuerdings versucht man wieder die Exposition in den Vordergrund
zu schieben. Die Literaturbearbeitung hat natürlich immer das Bezugs-
material:zu berücksichtigen (Kasernenepidemien usw. sind auszuschalten).
Schottmüller erklärt die Annahme einer besonderen Disposition der
Knaben überhaupt als unbegründet; es sei die erhöhte Exposition maß-
gebend, da es mehr Sammelplätze für männliche Personen gebe. Auch
Citron negiert eine Sexualdisposition; er sah bei einer Epidemie in einem
Mädchenwaisenhaus prozentual ebensoviel 9 erkranken, als sonst Knaben
erkranken.
Bei einer norwegischen Epidemie (1900) fand Arnesen unter Kindern
ein Verhältnis 159 g : 114 9, unter Erwachsenen aber 34 8:47 9. Damit
würde die Statistik der O. K. K. Leipzig übereinstimmen, welche ein
deutliches Überwiegen der 2 nach der Pubertät anzeigt (q = 1,50).
Schottmüller sah bei einer Hamburger Epidemie mehr 2 erkranken.
Bei einer Epidemie in einer Taubstummenanstalt (Joseph 1864) erkrankten
18 d und 16 9.
l Nach der norwegischen offiziellen Statistik überwiegt das männliche
Geschlecht, besonders nach der Pubertät (0,36). In Wien ist nach Rosen-
f elds Angaben vor der Pubertät q 0,66—0,85, später 0,89—0,84, in Summa
2045 2: 2471 2 = 0,83. Nach Statistik der preußischen Krankenhäuser
1909—1914 ergibt sich (q) = 0,65 = 702 2:1073 g.
456 Über die Bedeutung der Sexualdisposition bei den. Infektionskrankheiten.
14. Meningitis cerebrospinalis epidemica (Genickstarre). Nach
v. Strümpell läßt sich ein durchgreifender Unterschied des Geschlechtes
nicht feststellen. Emminghaus (1877) meint, daß bei Kindern keine
Sexualdifferenz bestehe. Nach Westenhöfer seien Individuen mit lym-
phatischer Konstitution prädisponiert. Die Bedeutung der Exposition
wurde mancherseits gewürdigt. Jehle stellte die Hypothese der Kohlen-
grubeninfektion auf (zit. Jochmann). Auch Bazillentráger haben eine
expositionelle Bedeutung, welche zu 2—20% in der Bevölkerung vorkom-
men sollen (Flack, Glover, cit. Neufeld). Eine Feststellung der Sexual-
proportion der Bazillenträger wäre daher erwünscht.
Zur Feststellung der Morbiditätsverhältnisse sind die statistischen
Unterlagen noch gering. An der Leipziger Medizinischen Klinik wurden
1889—1923 beobachtet 103 Z und 41 2, also 71,5 + 38 % d oder
(q) = 0,40. Eine Epidemie in Texas (1912) ergriff nach Mac Nalty
1598 & und 977 $. Der Umfang der norwegischen Statistik (Tabelle IV)
ist ebenfalls gering (620); der Quotient beträgt vor der Pubertät 0,82,
nachher 0,52. Eine Prädisposition des & Geschlechts scheint aber gesichert.
Die Mortalität belastet wohl auch mehr das g Geschlecht. Im Deut-
schen Reich war 1912 und 1913 das Geschlechtsverhältnis der an epi-
demischer Genickstarre Gestorbenen 240 & und 181 2, (g) = 0,75.
Die Kurve der amerikanischen Statistik (Tabelle VII) zeigt sehr starke
stationäre Schwankungen wohl wegen zu geringen Umfanges.
Der Letalitätsquotient beträgt nach der norwegischen Statistik vor
der Pubertät 1,26, nachher 0,87.
15. Poliomyelitis anterior acuta („Kinderlähmung“). Morbiditäts-
statistiken ergaben ein Überwiegen der männlichen Patienten. „Es muß
in der männlichen Konstitution an sich eine gewisse Prädisposition für die
Krankheit liegen“ (Wernstedt). Nach Wickmans Zusammenstellung
überwiegen in 11 von 13 kleinen bis größeren Epidemien die Männer, die
Summe dieser Epidemien ergibt 1624 d und 1210 9, also (q) = 0,74.
Leegaard zählt unter 3290 Fällen 55,4 — 0,8% 3, (q) = 0,80. . Eine Ep:- `
demie 1908 in Wien und Niederösterreich ergriff nach Zeppert 130 &
und 97 9 Kinder, 1916 erkrankten von New Yorker Kindern 56% d
(Mac Nalty), Caverly zählte 57—60% d. In England und Wales be-
trug 1918 die Morbidität nach Mac Nalty 118 und 110 $: Nach einer
italienischen Statistik (Simonini) erkrankten auch mehr Knaben. Aus
Kansas wird eine kleine Epidemie 93 3:53 9 berichtet (Direley). Nach der
offiziellen norwegischen Statistik ist vor der Pubertät q = 0,87, nachher 0,65.
Die Letalitát hat nach Tabelle IV etwa den Quotienten 0,8. Nach
Rühräh-Maver verläuft die Krankheit bei Knaben schwerer und mit
höherer Letalität.
16. Variola, Pocken. Vorláufig zeigen sich noch keine sicheren
Gesetzmäßigkeiten. Bei einer Schweizer Epidemie (1921—1923) ergibt
sich ohne Beachtung der normalen Altersverteilung die nach Stirners
Zahlen erfolgte Berechnung der Tabelle XXXVII. Es ergibt sich also für
die Gesamıtmorbidität keine deutliche Sexualdisposition, dagegen ım 2.
und 3. Dezennium, der Zeit der häufigsten Geburten, ein Überwiegen der
EEN Mairinger nimmi eme erhöhte Disposition schwangerer Frauen
Von Dr. Hans Günther. 157-
Tabelle XXXVII.
an, da er allein unter 88 9 Patienten 10% gravide fand. Dieser Schluß
ist aber nicht richtig, da jederzeit nach meinen Berechnungen etwa 16%,
aller im gebärfähigen Alter befindlichen Frauen gravid sind. Schutzimpfung
oder Nichtschutzimpfung hatte bei der Schweizer Epidemie auf die Ge-
schlechtsverteilung keinen wesentlichen Einfluß, nur war bei den Ge-
impften die Frequenz für beide Geschlechter nach höheren Altersklassen
zu verschoben. Nach Teissier befällt die Variola im Alter von 15—20
Jahren (bei vakzinierten Individuen) häufiger das männliche Geschlecht,
-dann läßt diese Prädisposition angeblich unter dem Einfluß der zweiten
Vakzination beim Militär nach, so daß im Alter von 40 Jahren die Fre-
quenz bei beiden Geschlechtern die gleiche sei.
- Für die Mortalität ergeben sich (nach Aschers Zahlen) für Preußen
(1871) der Quotient 0,97, Bayern (1871—75) q = 0,87, England q = 0,81
bis 0,78. Unter Berücksichtigung der Altersverteilung ergibt sich aus einer
englischen Statistik (Tabelle XXXVIII) nach dem 20. Jahr ein dauerndes
Tabelle XXXVIII.
—4 | 5—9 |10-14| 15— , 20—
0,98 | 0,93 1,0 | 0,88 | 0,52 ` 0,51
0,51 | 0,47 | 0,52 | 0,39
Überwiegen der 3. Die amerikanische Statistik (Tabelle VII) zeigt ein
sehr unregelmäßiges Schwanken. Der Letalitätsquotient würde in Wien
(1885—1899) nach Rosenfelds Zahlen 0,97 betragen (bei 5550 Fällen,
(q) = 0,99 und (q) = 0,96).
17. Varicellae, Spitzpocken. Die spárlichen Morbiditátsstatistiken
lassen kein sicheres Ergebnis zu. An der Leipziger Klinik fand sich das
Verhältnis 141 3 : 117 2, also 54,6 + 3,1% d oder (q) = 0,83 + 0,1.
Die Altersverteilung zeigt Tabelle XXXIX. Die norwegische Statistik
(Tabelle IV) ergibt vor der Pubertät q = 1,09, nachher 0,72. In Wien
beträgt 1896—1899 nach Rosenfelds Angaben (q) = 0,98, es bewegt sich
Tabelle XXXIX.
6—10 [1144] 15 —
4 | 2 10 | 15 | 141
91 18 5 3 |117
(q) | 0,97 | 0,82 0,5 | 0,2 | 0,83
Archiv für Hygiene. Bd. 96. 12
458 Über die Bedeutung der Sexualdisposition bei den Infektionskrankheiten.
in einzelnen Altersklassen von 0,98—0,90. Von Säuglingen Berliner Heim-
stätten erkrankten nach Bosse 18 Y und 19 9.
Nach Pellers Zahlen ergibt sich vor der Pubertät 0,95, speziell im
Alter von 6—15 Jahren 1,02. Also recht weitgehende Differenzen.
Der Herpeszoster sei hier wegen seiner neuerdings genannten Be-
ziehungen zu den Varizellen erwähnt. Naumann behauptete, daß er
ähnlich wie das Erysipel am häufigsten bei 2? vorkomme, vorzugsweise
zwischen 25. und 50. Jahre. In der Leipziger medizin. Klinik wurden
aber 1889—1913 behandelt im Alter von 0—25 Jahren 15 3, 7 2, bis
50 Jahre 6 8,5 9, bis 80 Jahre 7 3, 5 2, also (q) = 17:28 = 0,6. Auch
die Statistik der Leipziger O. K. K. ergibt weit mehr d (Tabelle XL).
Tabelle XL.
0,33.
1,21
0,25
0,57
0,17 | 0,08
0,02
0,51 | 0,68
0,16
0,25
1,8
0,16
0,59
18. Dysenterie (Bazillen-Ruhr). Über Sexualdisposition nichts be-
kannt. (Die Quotienten der Tabelle VII zeigen ein sehr unregelmäßiges
Schwanken. Nach der Wiener Statistik Rosenfelds mit auffällig kleinen
Zahlen und sehr hoher Letalitát würden (q) = 0,68, (q) = 0,59 und g’
= 0,87 sein). .Amoebiasis betraf nach Garin-Lépine 191 & und 17 2.
19. Cholera. Deutliche Sexualdifferenzen sind wohl nicht vorhanden.
Gavarret hat bereits 1844 anläßlich einer Pariser Mortalitätsstatistik
(21616 Z und 22033 2 auf je 10° Lebende) die Möglichkeit des Nach-
weises einer Geschlechtsdifferenz zurückgewiesen, da die möglichen Schwan-
kungen größer seien. (Es ergibt sich q = 1,02.) Bei der Petersburger Epi-
demie 1909 ist nach den Zahlen von Tschistowitsch (q) = 0,58 + 0,01,
der Letalitátsquotient q" = 1,06. Nach Eichhorst ist die Letalitát der
Männer größer. In Italien ergab sich 1865 nach Aschers Zahlen q = 0,98
bis 0,90 in den einzelnen Altersklassen. (Nach Pellers Angaben sollen
die Quotienten bis zum 20. Jahr einen ähnlichen Verlauf wie beim Schar-
lach haben). Bazillenträger wurden schon von Koch nachgewiesen, deren
Sexualquotient noch festzustellen ist.
20. Febris miliaris (Schweißfriesel). Nach Jochmann scheint das
weibliche Geschlecht besonders disponiert zu sein; nach Teissier sollen
Frauen zweimal so häufig betroffen werden als 3. Bei einer Krainer
Epidemie (1873) erkrankten 174 g und 495 e ((q) = 2,8); die Mortalität
betrifft in einzelnen Epidemien teils mehr d oder 9 (Immermann).
21. Febris melitensis (Maltafieber). Nach Teissier besteht kein
Geschlechtsunterschied.
22. Aktinomykosis der Mundhóhle betrifft nach Kaufmann ófters
Männer. Das Myzetoma (Madurafuß), eine der Aktionsmykose ähnliche
Erkrankung kommt nach Carter (10 3: 1 2) und Plehn weit häufiger
bei 4, vorwiegend bei Landarbeitern vor; Exposition zu Traumen spielt
wohl eine Rolle.
Von Dr. Hans Günther. 459
23. Anthrax (Milzbrand). Im Deutschen Reich kamen 1921—22 vor
178 d und 20 2 Fälle. Die Differenz ist auf Unterschiede der Exposition
zurückzuführen.
24. Lepra. Der Übertragungsmodus ist noch unbekannt. Bazillen-
träger sollen vorkommen. Nach Neißer erkranken in allen Ländern und
an allen Formen der Lepra mehr Männer. In Neusüdwales soll nach
Westergaard das Verhältnis 7,4 3:2,5 9 Leprösen bestehen. In Schweden
fanden sich 1923 nach Reenstierna nur 14 d und 23 9.
25. Venerische Infektionen. Während die übrigen Infektionskrank-
heiten bei beiden Geschlechtern in ähnlicher Weise sich manifestieren,
und daher die Wahrscheinlichkeit der richtigen Diagnose durch den Sexual-
dualismus so gut wie gar nicht beeinflußt wird, liegen die Verhältnisse
bei den venerischen Infektionen ganz anders. Hier bedingt der Sexual-
dimorphismus bezüglich der primären Affektion eine solche Verschiedenheit
des Krankheitsbildes, daß die Schwierigkeit der Diagnosestellung bei beiden
Geschlechtern weitgehende Differenzen bietet. Nach der allgemeinen
Ansicht und landläufigen Statistik erkranken Männer viel häufiger an
Luesund Gonorrhoeals Frauen. Die deutsche Statistik über die in der
Zeit vom 15. XI. bis 14. XII. 1919 gemeldeten Fälle läßt keineswegs einen
Schluß auf die Häufigkeit der Geschlechtskrankheiten zu, gibt aber ver-
mutlich ein richtiges Bild von der Geschlechtsverteilung der statistisch
erfaßbaren Fälle, welche in Tabelle XLa verzeichnet sind.
Tabelle XLa.
Geschlechtskrankheiten .
sonorrhoe, acut Bee
e chron.. . . .
3 acut u. chron.
Ulcus molle ...... 670 |0,12
Lues I ........ 10 652 | 0,69
Tabes ... gr e a. 731 1035
Paralyse ........ 565 ¡0,35
Aortenaneurysma . 139 | 0,30
Lues congenita. - . . . 1124 |1,03 + 0,05
Aus diesen Zahlen kann man wohl nicht schließen, daß Gonorrhoe
bei Frauen relativ häufiger chronisch verläuft, sondern eher annehmen,
daß akute Gonorrhoe bei 2 relativ seltener erkannt wird. Wenn man
das Alter berücksichtigt, so ergibt die deutsche Statistik unter Beziehung
auf den Bevölkerungsstand gleichen Alters, daß Tripper im Alter von
15—19 Jahren in München, Frankfurt a. M., den ländlichen Regierungs-
bezirken Niederbayern und Köslin häufiger das weibliche Geschlecht be-
trifft. Das gleiche ergibt sich für Lues in Berlin, Hamburg, Dresden,
Breslau, Stuttgart, nicht in ländlichen Bezirken. In Großstädten erkrankten
1919—1921 nach Statistik der städtischen Beratungs- und Fürsorgestellen
der Hansestádte (Sieveking) an Lues 10623 9 :14417 3 = 0,74, Gonor-
rhoe 3442 2:9359 3 = 0,37, Lues + Gonorrhoe 202 9:109 4 = 1,85. Es sei
ferner eine Statistik der letzten Jahre aus Nürnberg (Voigt) erwähnt, nach
12*
-460 Uber die Bedeutung der Sexualdisposition bei den Infektionskrankheiten.
welcher der Morbiditätsquotient (q) bei Lues etwa 0,35, bei Gonorrhoe 0,54
beträgt. Es ist aber zu beachten, daß primäre Affektionen bei Frauen viel
schwerer und daher seltener erkannt werden. Wenn ich meine internistischen
Erfahrungen bei Männern und Frauen vergleiche und dabei die so zahlreichen
Befunde genitaler Erkrankungen bei Frauen in Erwägung ziehe, die eine
venerische Infektion (Go.) vermuten, aber bakteriologisch nicht sicher nach-
weisen lassen, so glaube ich, daß das weibliche Geschlecht in einem weit
höheren Prozentsatz beteiligt ist, als der hier z. B. genannte Quotient an-
nehmen läßt. — Besondere Verhältnisse, nämlich ein beträchtliches Über-
wiegen der syphiliskranken Frauen weist die Statistik der Leipziger Orts-
krankenkasse (Tab. V) auf, wobei die Prostituierten ausgeschlossen sind.
Zur Feststellung des Morbiditäts-Sexualquotienten bei Lues können
auch die Ergebnisse der Wassermannschen Reaktion mit herangezogen
werden, soweit sie wahllos eine große Population umfassen, da ja die Mög-
lichkeit, daß die Untersuchung gerade in die negative Phase eines luetisch
Affizierten fällt, bezüglich des Geschlechts keine Differenzen erwarten läßt.
Ich habe mangels geeigneteren Materials die Ergebnisse der Wasser-
mannreaktion an der Leipziger Medizinischen Klinik in den Jahren 1922
bis 1924 auszählen lassen. (Die Zählung wurde von Herrn cand. med.
Schmidt vorgenommen; die mehrmalige Ausführung der Probe bei der-
selben Person konnte bei der Zählung nicht ausgeschaltet werden, der da-
durch entstandene Fehler dürfte aber für die Berechnung der Quotienten
keine wesentliche Bedeutung haben.)
Tabelle XLI.
mittlere
Febler +
Gesamt-Zugänge - ..........
Blutuntersuchung nach Wassermann bei | 4921 4128 | 0,05
°% aller Zugänge . ......... +. 67,3 | 564 . 0,84
Wassermann positiv . . . . .. . +... 851 : 868 : 1,02 0,02
Din der Untersuchten positiv. . . . . . 17,3 | 21 Lä 0,1
Liquoruntersuchung nach Wassermann. 744 | 429 0,58 0,03
Hi, aller Zugänge . . ......... 10,2 5,9 0,58
Wassermann posiliv. . . 2 2 20.20... 112 75 | 0,67 : 0,11
°/, der Untersuchten positiv. . . . . . 15,1 ; .175 | 116 ` 0,26
Wie aus Tabelle XLI ersichtlich ist, überwiegen auch unter Berücksich-
tigung des mittleren Fehlers die weiblichen Träger einer positiven Wasser-
mannreaktion in der Leipziger Bevölkerung, indem der Wert für q
über 1,1 beträgt. Das Resultat der Liquoruntersuchungen kann in demsel-
ben Sinne gedeutet werden, wenn auch das Material für sich allein wegen
zu geringen Umfanges keine Entscheidung zuläßt, da q = 1,16 + 0,26.
(Die Prozentzahlen der Positiven sind sicher zu hoch, doch wird der Ver-
hältniswert dadurch nicht beeinträchtigt).
Bei dem dermatologischen Material von Bruhns, welches Patienten mit
negativer Lues-anamnese unter Ausschaltung der Prostituierten (1234 g und
540 Q mit Hautleiden oder Gonorrhoe) enthält, dürfte aber eine Auslese zur
Geltung kommen; hier ist WR. bei 1,5 t 0,3% g und 7,2 + 1,1% GO positiv,
q also 4,8 + 2,2!
Von Dr. Hans Günther. 161
Am hygienischen Institut Gießen fand sich nach Engelhardt fol-
gende Verteilung (Tabelle XLla), welche wegen des geringen Umfanges
für eine Sexualdifferenz nicht beweisend ist.
Tabelle XLla.
Untersucht WR +
"ie
24,6
486 | 110 22,6
0,77 + 0,05 | 0,71 + 0,09 | 0,92 + 0,2
Kongenitale Lues zeigt kaum Geschlechtsdifferenz der Morbidität.
In Graz stellt Bartusch-Marrain 1914—-1924 in den einzelnen Jahren
meist ein Überwiegen der / Fälle fest; es ergaben das Material der Kinder-
klinik 76 9 : 118 g = 0,64, die amtlich gemeldeten Fälle 97 9 : 144 q =
0,67 + 0,1. Bei dem geringen Umfang des Materials läßt sich ein sicherer
Schluß nicht ziehen. Bucura zählte 120 3 und 12692, Kirsch 48 3 und
772. Die deutsche Reichsstatistik (Tabelle XLa) läßt jedenfalls keine
sichere Differenz erkennen.
Die Mortalität an gonorrhoischer Sepsis ist selten und daher die Be-
stimmung des Sexualquotienten zu unsicher. Bei der Syphilis ist der
letale Ausgang je nach der Art der Organschädigung sehr verschieden. Bei
summarischer Betrachtung ergibt sich aber nach der amerikanischen
Statistik (Tabelle VII) in den ersten Lebensjahren (Lues congenita) keine
deutliche Abweichung von den s&llgemeinen Mortalitätsverhältnissen,
dagegen im späteren Alter sicher eine höhere Zahl der männlichen Lues-
todesfälle, als der allgemeinen Mortalität entspricht.
Ob bei gleicher Exposition, d.h. bei der Kohabitation mit einem In-
fektionsträger das eine Geschlecht eine größere Disposition besitzt, ist
nicht bekannt. Besonderer Erwähnung bedürfen aber die durch zufällige
Übertragung zustande kommenden, aber relativ häufigen gonorrhoischen
Infektionen kleiner Kinder, und zwar fast ausschließlich kleiner¿Mádchen.
Dieser eklatante Unterschied ist wohl auf den Sexualdimorphismus der
einer asexuellen Übertragung ausgesetzten Organe zurückzuführen.
(Übrigens kommt nach Sachs beim weiblichen Geschlecht auch häufig
eine durch blaurote Verfärbung und Verhärtung der Urethralmündung
charakterisierte Pseudodiphtherie vor.)
MI. Traumatische Infektionskrankheiten.
Dem Eindringen von lebenden Krankheitserregern durch Verwundun-
gen sind nach der allgemeinen Annahme Männer mehr ausgesetzt. Um so
mehr müßte es auffallen, wenn sich für gewisse Krankheitsspezies eine
weibliche Prädisposition ergibt. Wundscharlach, manche Formen von
Erysipelund Sepsis sind traumatischer Art. Sie fallen mit in die bereits
bearbeitete Statistik, welche jedenfalls für Scharlach und Erysipel keine
höhere Morbidität des männlichen Geschlechtes anzeigt. Vielleicht ist
ihr Anteil zu gering, um einen entscheidenden Ausschlag zu geben. Die
Frage bedarf einer besonderen Bearbeitung. Aktinomykose (mehr g)
162 Über die Bedeutung der Sexualdisposition bei den Infektionskrankheiten.
soll auch mitunter auf dem Wege des Traumas (Getreidegrannen usw.)
in den menschlichen Körper gelangen, und das ähnliche, bereits erwähnte
Myzetoma soll vorwiegend bei Landarbeitern vorkommen.
Tetanus (Starrkrampf) mag zuweilen „idiopathisch“ vorkommen,
meist handelt es sich aber um Tetanus traumaticus. Eine Häufung
des Leidens tritt im Kriege auf. Sonst sind die Morbiditätsstatistiken
gewöhnlich zu klein, als daß bindende Schlüsse gezogen werden könnten.
Immerhin seien einige Zahlen genannt. Curling 112 3:16 2 (0,14),
Poland 227 3:479 9 (0,21), Leipziger Klinik 46 8g: 24 2 (0,52). ,,Idio-
pathischer‘‘ Tetanus nach Gowers 37 Z und 9 2.
Mit Beriicksichtigung des Alters geben sich nach einer alten kleinen
Statistik Polands und nach Zahlen von Gowers (traumat. + idiopath.
Tetanus) die Werte der Tabelle XLII.
Tabelle XLII.
Die Konstitutionsforschung interessiert besonders der Tetanus
neonatorum und Tetanus der Kinder, bei welchen der exogene Einfluß
der geschlechtsverschiedenen Lebensweise noch nicht zur Geltung kommt.
Das Material ist auch hier sehr gering. Nach einigen kleinen von Solt-
mann zitierten Statistiken ergibt sich zusammengefaßt 96 Z: 74 2, also
(q) = 0,77. Nach der amerikanischen Mortalitätsstatistik ist gegenüber
den wesentlich niedrigeren Werten des späteren Alters im 1. Lebensjahre
q = 0,80; dieser Wert entspricht aber dem der allgemeinen Mortalität
(vgl. Tabelle VII).
Zusammenfassung. Das Tatsachenmaterial unter Abschnitt I
und III läßt vorläufig keine weiteren Schlüsse zu, dagegen verdient die
Gruppe II eine zusammenfassende Betrachtung. Hier ist der Umfang
des mir zugänglichen Materiales zwar wesentlich größer, doch möge er
bald von berufener, besonders hygienischer Seite eine Erweiterung erfahren.
Trotz der Mängel der Statistik und mancher Widersprüche ergeben sich
immerhin einwandfreie Gesetzmäßigkeiten, die durch bestimmte Werte der
Sexualquotienten charakterisiert werden. Wenn auch diese Werte keine
absolute Genauigkeit haben und sogar beträchtliche temporäre Schwan-
kungen zeigen können, sobald besondere Störungen in einer Population
(soziale Verschiebung, Krieg, Ernährungskrisen) eintreten, so pendeln
sie doch unter ‚normalen‘ Verhältnissen um gewisse Lagen, deren Fest-
stellung unter Berücksichtigung verschiedenartiger statistischer Quellen
Zweck vorliegender Arbeit ist. Durch Vergleich der so gewonnenen Werte
wurden durch Kalkül Richtwerte bestimmt, welche nach den bisherigen
Erfahrungen als vorläufig brauchbares Maß dienen können. Diese Werte
für die Sexualquotienten q (der Morbiditát), q (der Mortalität) und d
(der Letalität) ohne Berücksichtigung des Alters sind in Tabelle XLIII
verzeichnet. Es besteht zwischen diesen Werten die Relation o = q:0.
Von Dr. Hans Günther. 163
Tabelle XLIII.
Diagnose
Keuchhusten , , :
Influenza. .... | 1 | 2 1,2
Meningitis tuberc. .
Miliartuberculose .
II
0,4
Sepsis . 2»... .
Meningit. epidem. . ` 0,6
Pneumonie . . . .| 0,5
III
IV Scharlach Ea
j Diphtherie . . . .
Erysipel . ... .
In Klasse I dieser Tabelle finden sich nur geringe gesetzmäßige Unter-
schiede. In der folgenden Klasse tritt die & Prädisposition äußerst stark
hervor, die eingeklammerten Letalitätswerte unterscheiden sich von den
übrigen dadurch, daß ihr Wert durch die im praktischen Sinne absolute
Letalität des Leidens bedingt ist, daher gleich 1 sein muß; wenn eine we-
sentliche Zahl von Fällen zur Heilung käme, würden sich vermutlich auch
Geschlechtsdifferenzen der Letalität ergeben. In die gleiche Klasse können
wir auch die Endocarditis lenta ordnen, deren statistische Unterlagen
aber noch sehr gering sind. Klasse III ist der vorhergehenden verwandt,
nur ergeben sich hier Letalitätsquotienten, welche das weibliche Geschlecht
stärker belasten. Der scharfe Gegensatz der Werte für Morbidität und
Letalität findet sich auch in Klasse IV, aber in umgekehrtem Sinne.
Bei Berücksichtigung der Altersklassen treten die Verschiedenheiten
der Sexualquotienten noch viel schärfer hervor. Bei einer groben Alters-
einteilung in die Pubertätszeit, die vor und nach dieser liegende Lebenszeit
ergeben sich Besonderheiten, welche in der obigen Tabelle nicht zum Aus-
druck kommen. In Tabelle XLIV soll nach diesem Prinzip nur die Fest-
stellung stärkerer Abweichungen von der Gleichheit eingeordnet werden,
sofern die Werte der Sexualquotienten über 1,25 und unter 0,80 liegen.
Es ergibt sich aus dieser Zusammenstellung, daß die Wertebeziehungen
der Klasse III und IV der Tabelle XLIII im wesentlichen durch die Ge-
schlechtsunterschiede nach der Pubertät bedingt sind, also wohl mit der
Funktion der Sexualdrüsen ın irgendeinem Zusammenhang stehen. Wäh-
rend der Pubertät zeigt offenbar das weibliche Geschlecht bei verschie-
denen Krankheiten eine höhere Letalität. Vor der Pubertät ist nur das
kontráre: Verhalten von Keuchhusten und Diphtherie hervorzuheben.
Welche Folgerungen ergeben sich hieraus für die Konstitutions-
forschung ? Soweit können wir in das Dunkel der Konstitution auf diesem
Wege eindringen, daß wir das Walten von irgendwelchen mit dem Ge-
schlechte zusammenhängenden Gesetzmäßigkeiten in diesem hochkompli-
zierten „biologischen Ordnungskomplexe‘ (6) ahnen können. Der Versuch
einer Deutung der hier gegebenen Tatsachen ist aber gefährlich, da er leicht
464 Über die Bedeutung der Sexualdisposition bei den Infektio nskrankheiten.
Tabelle LXIV.
Maximale
Prädisposition Lebensalter Morbidität | Mortalität Letalität
vor Pubertät | Keuchhusten
Pneumonie Pneumonie
2 Tuberkulose
weibliche Pubertat Miliartuberc.
(Quotienten Typhus Typhus
über 1,25) asern ( y asern Sepsis
Da
nach Pubertät Scharlach Scharlach
| Typhus _
| Er sipa
Pneumonie
, Pneumonie Scharlach
, nach Pubertät Sepsis Typhus Erysipel
männliche Endocardit.ienta | Erysipel (Diphtherie ?)
(Quotienten (Polyarth.rheum.)
Pubertät
| Diphtherie |
auf Irrwege führen kann. Die Tatsache, daß auf die größere Erkrankungs-
ziffer männlicher Säuglinge für Masern, Scharlach und Diphtherie eine
kleinere Knabenziffer der älteren Kinder (6—10 Jahre) folgt, suchte
schon Rosenfeld in dem Sinne zu deuten, daß bei einer stärkeren Durch-
seuchung einer Altersklasse des einen Geschlechts in den folgenden Jahren
der relative Anteil des anderen Geschlechts bezüglich der Möglichkeit
der gleichen Erkrankung dadurch eine Zunahme erfahren muß, wenn auch
der Wortlaut nicht eindeutig ist. („Wo im allgemeinen die parasitäre
Widerstandskraft beider Geschlechter gleich anzunehmen ist, werden wir
auch nach einer stärkeren Erkrankung des einen Geschlechts im Säug-
lingsalter eine stärkere Immunisierung desselben Geschlechtes in den späte-
ren Kinderjahren als Antwort auf die frühzeitigere Durchseuchung vor-
finden müssen‘).
Bereits 1888 erwähnt Henniker den Altersumschwung des Morta-
litátsquotienten bei verschiedenen Infektionskrankheiten (z. B. Masern,
Diphtherie, Typhus, Blattern, Diarrhoe), indem in der ersten Kindheit
mehr Knaben und später mehr Mädchen sterben. ‚These first years
of life over; the two sexes for the rest of early childhood stand more on
an equality; and more of the weakly males having already succumbed,
there may perhaps now be even some slight inferiority on the side
of the girls.“
Seitdem wir die Bedeutung der konstitutionellen Disposition zu
Infektionskrankheiten kennen, ist es klar, daß auf eine stärkere Morbidität
des einen Geschlechtes in einem bestimmten Lebensalter (besonders durch
vor Pubertät |
Von Dr. Hans Günther. 165
den letalen Ausfall der am stärksten Disponierten) eine spätere Altersgruppe
mit relativ geringerem Anteil der Disponierten folgen muß. Und daß
auch dabei die Immunisierung des Körpers eine bedeutsame Rolle spielt,
kann man daraus ersehen, daß bei den von Rosenfeld betrachteten,
mit Immunisierungsvorgängen verbundenen ,,Kinderkrankheiten“ das
genannte Phänomen der Altersverschiebung des Sexualquotienten deutlich
hervortritt, während z. B. bei Pneumonie oder Erysipel derartiges nicht
beobachtet wird. -
Es ist aber wohl zu beachten, daß die ‚„Morbidität“ in Wirklichkeit
nur die vom Arzt festgestellten Krankheitsfälle bedeutet, und daß es völlig
ungewiß ist, wie viele wirklichen Erkrankungen unterhalb der diagnosti-
schen Erkenntnisschwelle verlaufen und vielleicht bei Vorhandensein
eines ,nosologischen Sexualdualismus‘ bei einem Geschlechte
häufiger vorkommen. An Pneumonie z. B. erkranken nach der Statistik
viel mehr Männer, die Letalität ist aber bei Frauen größer, die Pneumonie
verläuft also bei Frauen schwerer. Es könnte aber die Umkehrung möglich
“sein, daß die Pneumonie bei Frauen leichter verläuft, und daß daher ein
großer Prozentsatz diagnostisch nicht manifest wird, daß also der Morbi-
ditätsquotient in Wirklichkeit etwa 1 beträgt und der allein sichere Mor-
talitätsquotient auf eine wesentlich höhere Letalität der Pneumonie beim
männlichen Geschlecht hinweist.
Bei Beobachtung der Altersverschiebung der Letalitätsziffer ergibt
sich ein neuer konstitutioneller Faktor, welcher den genannten Täuschungs-
möglichkeiten weniger unterworfen ist und daher eine Spur wirklich be-
stehender konstitutioneller Beziehungen bildet. (Bei logarithmographischer
Darstellung bedeutet dies, daß zwar die Gesamthöhenlage der Kurve zur
Einheitslinie ungewiß, ihre Richtung aber ungefähr bekannt ist.) Zum
Beispiel zeigt Tabelle XXXII aus der Leipziger Klinik ein einwandfreies
stetiges Ansteigen der Letalitätsziffer (%,) des Typhus, und er wird ja auch
in Lehrbüchern (v. Strümpell) der leichtere Verlauf des Typhus bei
Kindern betont. (Die Werte der Letalitätsquotienten haben aber in dieser
Tabelle wegen des hohen mittleren Fehlers gar keine Bedeutung. — Ein
etwaiger Immunisierungseinfluß im obigen Sinne macht sich hier nicht
bemerkbar.) Umgekehrt ist bei Scharlach und Masern die Letalität in
den ersten Kinderjahren am größten, wie auch aus hier angeführten Ta-
bellen hervorgeht; man kann daher nach den statistischen Feststellungen
nicht sagen, daß Masern und Scharlach „bei Erwachsenen relativ schwer“
verlaufen.
Eindeutige Beziehungen der Quotientenwerte zu allgemeinen kon-
stitutionellen Gesetzmäßigkeiten lassen sich noch nicht geben, auch ver-
erbungstheoretische Erklärungsversuche!) der Sexualdisposition sind vor-
läufig noch wertlos. Man kann nur ganz allgemein sagen, daß der konsti-
tutionelle Sexualdualismus sowohl vor dem Einsetzen, als auch während
des Bestehens der Sexualdrüsentätigkeit auf die konstitutionelle Dispo-
4) Schiff meint, daß die Disposition zu Infektionskrankheiten durch be-
stimmte, für einzelne Krankheiten spezifische, in den x-Chromosomen lokalisierte
Erbanlagen mit bestimmt werde, so daß bei dominanter Anlage Überwiegen der
Q, bei rezessiver der d resultiere.
466 Uber die Bedeutung der Sexualdisposition bei den Infektionskrankheiten.
sition zu bestimmten Krankheiten und auf den Krankheitsverlauf einen
je nach der Krankheitsart verschiedenen Einfluß hat.
Literatur.
Das statistische Material stammt aus den bekannten statistischen Quellen,
ferner auch aus den Handbüchern der inneren Medizin von Nothnagel,
v.Bergmann-Stähelin und Kraus-Brugsch. Besonders zu nennen sind:
SO 10 Sn LN Wi N bës
mha
pa
. Bucura, K. Geschl. untersch. b. Mensch. Leipzig 1913.
. Günther, H., Grundlagen der biologischen Konstitutionslehre. Leipzig
1922.
. Derselbe, Letaldisposition und Sexualdisposition. Naturwiss. Korre-
spondenz 1923. I.
. Derselbe, Sexualdisposition bei der Diphtherie. Zentralbl. inn. Med.
1924. Nr. 16.
. Derselbe, Biol. Zentralbl. 1924, Bd. 44.
. Derselbe, Ergeb. inn. Med. und Kinderhk. Bd. 15, S. 697.
. Jessen, Schweiz. med. Wochenschr. 1924. S. 1166.
. Pearl, Medical Biometry. London 1923.
. Rosenfeld, Zentralbl. allg. Gesundheitspflege 1902. Bd. 21.
. Schiff, F., Ungleiche numerische Beteiligung der Geschl. an ak. In-
fektionskrankheiten. Mediz. Klinik 1924.
. Timerding, Analyse des Zufalls. 1915, S. 141.
Die Chinin-Idiosynkrasie der Haut bei gewerblichen
Arbeitern.
Von
Professor H. Dold, Marburg, Lahn.
(Bei der Redaktion eingegangen am 22. Juni 1923.)
Bekanntlich besitzen manche Personen eine sehr gesteigerte Empfind-
lichkeit gegen Chinin bei medikamentöser Verabreichung. Diese Über-
empfindlichkeit äußert sich teils darin, daß schon bei den üblichen thera-
peutischen Dosen die bekannten toxischen Chininwirkungen (Ohrensausen,
Schwerhörigkeit bis Taubheit, Zittern der Hände, Herzklopfen, Schwindel,
Angstzustände, Kollaps, bitterer Geschmack im Munde, Übelkeit, Durch-
fälle, schmerzhafte Koliken des Uterus usw.) sich zeigen, teils darin, daß
Asthma, Erytheme und Urticaria auftreten. Verschiedentlich wird berichtet,
daß schon nach geringen Dosen Chinin (0,1 g) Tränenfluß, Nießen, Ge-
sichtsschwellungen und Urticaria sich entwickelten. A. Plehn!) sah bei
einer noch nie an Malaria erkrankten Dame wenige Minuten nach Ein-
nahme von 1,g Chinin lebhaftes Hautjucken, erythematöse Rötung
von Hals und Brust und Schüttelfrost mit Temperaturen bis 38,7 und höher.
Auch Ziemann?) beobachtete bereits nach 0,2 g Chinin Urticara bzw.
Temperatursteigerung. Diese Chininidiosynkrasie scheint sich auch zu
vererben. So konnte Harrison?) in seiner eigenen Familie das Bestehen
einer Chininidiosynkrasie durch drei Generationen hindurch verfolgen,
indem bei allen Mitgliedern der Familie nach Einnahme geringer Dosen
von Chinin, bis herunter zu !/,, g, Urticaria auftrat.
Bei allen diesen medikamentösen Formen der Chininidiosynkrasie
entwickeln sich die Krankheitserscheinungen im Anschluß an perorale
oder parenterale Aufnahme des Chinins, wobei nicht selten die Beobach-
tung gemacht wird, daß die Einverleibungsart von Bedeutung ist. So
wird berichtet (Montel*), Hauer°), daß die Idiosynkrasie nur nach Ein-
nahme per os, nicht per injektionem auftrat.
Nun gibt es aber noch eine besondere Form der Chininidiosynkrasie
der Haut, die bei gewerblichen Arbeitern vorkommt und die außerhalb
der Kreise der Chininindustrie nur wenig bekannt zu sein scheint. Einige
1), 2), 3), 4), 5) Siehe Ziemann, Malaria und Schwarzwasserfieber, Menses
Handbuch der Tropenkrankheiten. 3. Aufl. 1924, Bd. III, S. 334—335.
168 Die Chinin-Idiosynkrasie der Haut bei gewerblichen Arbeitern.
. derartige Fälle, die wir in den Behringwerken gelegentlich der fabrikatori-
schen Gewinnung von gewissen Chininpräparaten sahen, lenkten unsere
Aufmerksamkeit auf diese Erscheinung. In der Literatur ist darüber
kaum etwas zu finden. Nur in Hagers Handbuch der pharmazeu-
tischen Praxis, Bd. 1, 9. Abdruck, S. 764 findet sich eine kurze Notiz.
Es heißt dort: „Nach dem Gebrauche von Chinin bemerkt man häufig
Schweiße und Hautausschläge. Solche Ausschläge zeigen sich besonders
häufig bei Arbeitern, welche mit chinaalkoidhaltigen Dämpfen, Lösungen
oder Staub in Berührung kommen. Diese Exantheme beginnen gewöhn-
lich mit einer Knötchenbildung im Gesicht und an den Armen und einer
Anschwellung der Augenlider und Genitalien. Bei der Weiterentwicklung
solcher oft langwieriger Ausschläge bilden sich Krusten oder Schrunden‘“.
Da diese Hautidiosynkrasie bei Chininarbeitern in ärztlichen Kreisen noch
wenig bekannt ist und da die oben zitierten Angaben nicht ganz richtig
sind, dürfte die Mitteilung unserer eigenen Beobachtungen und Ermitte-
lungen Interesse bieten.
Fall 4: Dr. K. Im Anschluß an das Arbeiten mit dem mehlfeinen Pulver
gewisser Chininverbindungen trat bei ihm an den von Kleidern unbedeckten
Körperteilen, also im Gesicht bis zum Hals, an den Händen und dem freien Teil
der Arme ein teils trockenes, teils nässendes Ekzem auf. Das Gesicht, insbesondere
die Augenlider, die Ränder der Naseneingänge und die Mundpartie sind stark
angeschwollen. Der Juckreiz ist in allen befallenen Teilen stark. Beim Kratzen
oder bei anderer Reizung springen die Schwellungen auf und scheiden eine seröse
Flüssigkeit aus. Die Fingernägel zeigen eine an der Nagelwurzel beginnende,
allmählich fortschreitende Nekrose. Diese Erscheinung trat nicht an allen 10,
sondern nur an 6 Fingern, nämlich am Zeige-, Mittel- und Ringfinger beider-
seits auf. Allgemeinerscheinungen, wie Übelkeit, Kopfschmerzen, erhöhte Tem-
peraturen u. dgl. waren nicht vorhanden, auch kein Asthma.
Nach Entfernung aus dem Betrieb gingen die Erscheinungen mit Ausnahme
der Nagelnekrose in 3—4 Tagen völlig zurück.
Nach Rückkehr in den Betrieb und nachdem Dr. K. mit den oben erwähnten.
pulverförmigen Chininverbindungen wieder in manuelle Berührung gekommen
war, erfolgte rasch ein neuer Anfall, der nach Entfernung aus dem Betrieb und
Aufenthalt in frischer Luft wieder zurückging. Durch nochmalige Berührung
mit den pulverförmigen Chininsalzen kam ein dritter Anfall zum Ausbruch.
Auch dieser verschwand nach Verlassen der Arbeitsstätte und Aufenthalt in
frischer Luft allmählich wieder. Es zeigte sich, daß nach der zweiten Attacke
der Rückgang der Krankheitserscheinungen längere Zeit in Anspruch nahm
als nach dem crsten Anfall; nach dem dritten Anfall längere Zeit als nach dem
zweiten.
Seit Dr. K. jede körperliche Berührung mit den pulverigen Chininsalzen
peinlichst vermeidet, ist kein Anfall mehr aufgetreten. Für die Frage der Ätiologie
dieser Hautidiosynkrasie gegen Chinin ist die Tatsache von Interesse und Be-
deutung, daß Dr. K. ohne Schaden mit Lösungen der Chininsalze arbeiten kann.
Auch das Einatmen von Dämpfen und das Einatmen von Luft. die Chininstaub:
enthält, ruft bei ihm keine Erscheinungen hervor.
Fall 2. Bei einem Arbeiter stellten sich dieselben Erscheinungen ein, nur
nicht in so akuter Form. Außer den im Fall 1 genannten Körperpartien wurden’
bei diesem sekundär auch die Geschlechtsteile befallen (starkes Skrotalódem).
In der oben zitierten Literaturstelle ist das Vorkommen von Anschwel-
lung der Genitalien ebenfalls erwähnt. Bei unserem Falle ist das Auftreten der
Affektion an den Genitalien mit größter Wahrscheinlichkeit auf die Berührung
der Genitalien beim Urinieren zurückzuführen und es liegt nahe, anzunehmen,
daß die Dinge bei den anderen beobachteten Fällen von Genitalekzem als Teil-
erscheinung der Hautidiosynkrasie gegen Chinin ebenso liegen.
Von Professor H. Dold. 169
Im ganzen kamen 9 Fälle von Chininidiosynkrasie der Haut zur Be-
obachtung, Asthma fehlte stets. 5 Fälle betrafen Frauen, 4 Fälle
Männer. Von diesen 9 Fällen waren 2 schwerer, 7 leichterer Art. Die
schwereren Fälle ereigneten sich am Anfang, da die Leute aus Unkenntnis
des Zusammenhangs nach Ausbruch der Krankheit noch weiter arbeiteten.
Bei 7 der Fälle kommt als auslösendes Agens nur Chininpulver in Be-
tracht, bei 2 Fällen lagen die Dinge anders. Diese Personen reinigten
mit Lauge Flaschen, die eine ölige Suspension des chininhaltigen Bismut-
Yatrens enthielten. Es ist möglich, daß die Lauge die Haut der Chinin-
wirkung zugänglich machte.
Die von uns beobachteten Fälle von Hautidiosynkrasie gegen Chinin
bei gewerblichen Arbeitern veranlaßten uns, auch bei den Chininfabriken
über die dort gemachten Erfahrungen Erkundigungen einzuziehen, deren
Ergebnis ich im folgenden mitteile.
1. Häufigkeit des Vorkommens. Unsere eigenen Erfahrungen
ließen uns vermuten. daß diese Idiosynkrasien verhältnismäßig häufig vor-
kommen. Nach Mitteilung der Vereinigten Chininfabriken Zimmer & Co.,
Frankfurt a.M., ist jedoch der Prozentsatz der Erkrankungen an Chinin-
ekzemen nicht groß; er wird von dieser Seite auf 2—3% geschätzt. Eine
genaue Statistik über Chininekzeme wird allerdings nicht geführt.
Andere Chininfabriken, die wir befragten, konnten auch keine genaueren
Angaben über die Häufigkeit der Hautidiosynkrasie machen. Die Möglich-
keit besteht, daß die verschiedenen Chininverbindungen in verschiedenem
Grade zur Entwicklung der Hauterscheinungen Veranlassung geben und
daß die Chinin-Yatrensalze (Chinin-Jodoxychinolin-Sulfosäure-Verbin-
dungen), mit denen wir es zu tun hatten, besonders leicht zur Auslösung
der Hauterscheinungen führen.
2. Einfluß des Pigmentgehaltes de Haut. Wir hatten den
Eindruck gewonnen, daß blonde Menschen etwas empfindlicher sind als
schwarze. Dahingehende Anfragen bei den Chininfabriken brachten jedoch
keine Bestätigung dieser Vermutung.
3. Einfluß des Geschlechtes. Bei unseren Fällen überwogen die
weiblichen Personen, so daß uns eine größere Empfindlichkeit des weib-
lichen Geschlechtes vorzuliegen schien. Die Frage nach der Häufigkeit des
Auftretens der Chininekzeme bzw. der Chinin-Hautidiosynkrasie beim
männlichen und weiblichen Geschlechte konnte von den Chininfabriken
ebenfalls nicht beantwortet werden, da eine getrennte Statistik der Fälle
nicht geführt wird. Nach Meinung der Vereinigten Chininfabriken Zimmer
& Co., Frankfurt a. M., ist das weibliche Geschlecht keinesfallsempfindlicher
gegen das Chinin. Fälle von Chininkrankheit bei weiblichen Personen
sind dort kaum vermerkt worden, was aber vielleicht darauf zurückzu-
führen ist, daß dort die Arbeiterinnen nur bei der Verpackung, nicht aber
im eigentlichen Produktionsbetrieb beschäftigt sind.
4. Art und Grad der Idiosynkrasie. Der Grad der Hautüber-
empfindlichkeit gegenüber Chinin ist außerordentlich verschieden. Nach
Mitteilungen der Chininfabriken gibt es einerseits „Leute, die so empfind-
lich sind, daß sie gewissermaßen nur die Nase in die Fabrik zu stecken
brauchen, um zu erkranken“. Es ist selbstverständlich, daß solche Per-
. 470 Die Chinin-Idiosynkrasie der Haut bei gewerblichen Arbeitern.
sonen nicht eingestellt werden können bzw. aus dem Betrieb wieder ent-
fernt werden müssen. Andererseits gibt es Fälle von Idiosynkrasie gegen
-Chinin, die „dauernd, aber so gelinde auftreten, daß sie nicht störend
empfunden werden.“ Es soll auch vorkommen, daß „Leute, die 20 Jahre
und mehr in der Fabrik beschäftigt waren, ohne irgendwelche Erscheinungen
zu zeigen, plötzlich erkrankten.‘ Eine Ursache für diese plötzliche An-
derung im Verhalten gegenüber Chinin ließ sich in solchen Fällen nicht
ermitteln; die Betreffenden hatten während der ganzen Zeit ihren Arbeits-
platz nicht gewechselt und eine Änderung ihrer Tätigkeit lag anscheinend
nicht vor.
5. Rezidive. Personen mit einer Idiosynkrasie gegen Chinin zeigen
das gleiche Verhalten wie die mit anderen Idiosynkrasien Behafteten.
Sie werden in der Regel die Idiosynkrasie während ihres ganzen Lebens
nicht los. Die Berührung mit der causa nocens hat unweigerlich die Aus-
lösung der Krankheitserscheinungen zur Folge. Bemerkenswert scheint
mir die oben mitgeteilte Beobachtung zu sein, daß der Rückgang der Er-
scheinungen mit zunehmender Zahl der Rezidive sich verlangsamt.
6. Welche physikalische Zustandsform des Chinins be-
wirkt die Hauterscheinungen. Nach der oben zitierten Angabe aus
Hagers Handbuch der pharmazeutischen Praxis werden die
Erscheinungen durch chinaalkaloidhaltige Dämpfe, Lösungen oder Staub
hervorgerufen. Wir haben gesehen, daß bei unseren Fällen, besonders deut-
lich bei Fall 1, nur die Berührung mit den Chininsalzpulvern einen Anfall
zur Folge hat, währerid das Arbeiten in Lösungen und das Einatmen von
Dämpfen reaktionslos vertragen wird. Unsere diesbezüglichen Ermitt-
lungen bei den Chininfabriken führten zu einem gleichsinnigen Ergebnis.
Nach den Erfahrungen der Vereinigten Chininfabriken Zimmer & Co.,
Frankfurt a. M., treten Chininekzeme beim Mahlen und Sieben der China-
rinde fast nie auf, eigentlich ausschließlich beim Pulverisieren
der Chininsalze und beim Lösen derselben. Beim letzteren Akt ist natürlich
auch reichlich Gelegenheit gegeben, mit dem Chininpulver in Berührung
zu kommen. Auch die Braunschweiger Chininfabrik spricht die Vermutung
aus, daß der Chininstaub die Hauterscheinungen hervorrufe.
Es deutet also alles darauf hin, daß der Chininstaub bzw. die
Pulverform der Chininsalze hauptsächlich, wenn auch nicht aus-
schließlich!), diese Hauterscheinungen hervorruft. Und hier sind drei
Möglichkeiten: 1. Der Chininstaub wird inhaliert und von den Luftwegen
aus resorbiert. 2. Der Chininstaub wird verschluckt und vom Darmtraktus
aus resorbiert. In beiden Fällen könnte es dann zu einem Ausbruch der
Erscheinungen vom Blutwege aus kommen. 3. Der Chininstaub dringt
unmittelbar in die Haut ein und löst direkt die geschilderten Erscheinun-
gen aus. In Wirklichkeit wird beim Hantieren mit den pulverförmigen
Substanzen auf allen drei Wegen Chinin in den Körper dringen. Aber ich
glaube doch aus unseren eigenen Beobachtungen und den Erfahrungen
der Chininfabriken schließen zu müssen, daß in erster Linie die direkte
Berührung des Chininstaubes mit der Haut die Krankheitserscheinungen
1) cfr. unsere obigen 2 Fälle.
Von Professor H. Dold. 1471
‚hervorruft. Dafür spricht das Auftreten der Schwellungen und Ekzeme
an allen unbedeckten, gegen den Chininstaub nicht geschützten Körper-
teilen, obgleich dieser Umstand nicht als ein sicherer Beweis für die Rich-
tigkeit der Annahme einer direkten Staubreizwirkung betrachtet werden
kann. Sah man doch auch nach parenteraler Einverleibung von Chinin
nicht — wie zu erwarten wäre — eine allgemeine Urticaria auf dem
ganzen Körper auftreten, sondern auf die Partien beschränkt, die mit
kaltem Wasser benetzt worden waren!), die also einem äußeren Reiz aus-
gesetzt waren. Trotzdem glaube ich, daß unsere Annahme einer direkten
Reizwirkung auf die Haut richtig sein wird. Dafür spricht m. E. auch die
Beobachtung, daß bei einem unserer männlichen Fälle die Erscheinungen
außer an den unbedeckten Körperteilen sekundär auch noch an den Ge-
schlechtsteilen auftraten. Hier ist doch die einfachste und natürlichste An-
nahme die, daß gelegentlich des Urinierens die chininstaubhaltigen Finger
den Chininstaub auf die Haut des Genitale übertrugen.
7. Therapie. Eine Heilung der betroffenen Personen durch irgendein
Medikament scheint es nicht zu geben. Das einzige Heilmittel ist sofortige
Entfernung aus dem Betriebe und für die Zukunft peinlichste Vermeidung
der causa nocens. Aufenthalt in frischer Luft scheint den Rückgang der
Erscheinung zu begünstigen. Umschläge mit Borwasser oder essigsaurer
Tonerde auf die erkrankten Hautpartien lindern den Juckreiz. Gros?)
sah nach Kalziumchlorür, in Dosen von je 1g an drei Tagen gegeben,
eine schwere Chininidiosynkrasie verschwinden. Wenn man aber bedenkt,
daß die Hauterscheinungen auch ohne jede Therapie nach Beseitigung
der Krankheitsursache innerhalb von 3—4 Tagen zurückzugehen pflegen,
so erscheint die Heilwirkung des Kalziumchlorürs unbewiesen.
Zusammenfassung.
Bei einzelnen Personen, die mit der Herstellung von Chinin und Chinin-
präparaten beschäftigt sind, treten Hauterscheinungen (Urticaria, Ekzeme)
auf, und zwar meist an den unbedeckten Körperteilen, gelegentlich auch
(sekundär) an den Geschlechtsteilen. Diese Hauterscheinungen werden
hauptsächlich durch den Chininstaub und die pulverförmigen
Chininpräparate hervorgerufen. Aller Wahrscheinlichkeit nach liegt eine
unmittelbare Reizwirkung des Chinins auf die Haut vor. Ein Schutz-
oder Heilmittel scheint es nicht zu geben. Empfindliche Personen haben
jede Berührung mit den pulverförmigen Chininpräparaten peinlichst zu
vermeiden und sind ev. ganz aus dem Betrieb zu entfernen.
4) Ziemann, Le S. 335.
2) Ziemann, Malaria und Schwarzwasserfieber, Menses Handbuch der
Tropenkrankheiten. 3. Aufl. 1924, Bd. III. S. 334—335.
Studien zur Kenntnis der Eigenschaften von Diphtherie-
Toxin-Antitoxin-Gemischen.
HI. Die Beziehung der direkten Giftwirkung des Diphtherietoxins zu
seiner Bindungsfähigkeit mit Antitoxin. Zugleich ein Beitrag zur Vor-
stellung über die Natur des Diphtherietoxins.
Von
Privatdozent Dr. Hans Schmidt und Dr. Wilhelm Scholz.
(Aus dem Institut für experimentelle Therapie „Emil von Behring“, Marburg
a. d. Lahn (Direktor: Prof. H. Dol d].)
(Bei der Redaktion eingegangen am 17. April 1925.)
Es ist durch vielfache Erfahrung bestätigt, daß die immunisierende
Fähigkeit eines Di-toxins durchaus nicht mit seiner am Meerschwein-
chen gemessenen direkten Giftwirkung parallel geht. Wie wir in unserer
ersten Mitteilung!) ausgeführt haben, ist das beste Maß für die immuni-
sierende Wirkung eines Di-toxins sein Lf-Wert, d. h. der Wert, der die
Menge Gift angibt, die mit 1 AE unter optimaler Flockung so vollkommen
gebunden ist, daß keinerlei erkennbare Wirkung weder von Toxin noch
von Antitoxin übrig bleibt. Für die immunisierende Fähigkeit eines Toxins
ist eben nur seine Bindungsfähigkeit maßgebend. Daher eignet sich ein
Gift zur Antitoxinerzeugung um so mehr, je weniger davon nötig ist,
um 1 AE völlig zu binden, d. h. je geringer zahlenmäßig der Lf-Wert ist.
Zwei Di-Gifte können die gleiche direkte Giftwirkung für Meerschwein-
chen haben, also die gleiche D.]. m., aber trotzdem verschiedene Lf-
Werte, und die Erfahrung zeigt, daß das Gift mit dem kleinsten Lf-Wert
auch am besten immunisiert; und umgekehrt können zwei Gifte mit dem
gleichen Lf-Wert Meerschweinchen gegenüber sehr verschieden giftig sein.
Am deutlichsten zeigt sich der Unterschied zwischen der direkten
Giftwirkung und der immunisierenden Fähigkeit bei den mit Formol
in der Wärme entgifteten Di-toxinen. Diese sind für Meerschweinchen
ungiftig geworden, haben aber dabei ihre immunisierende Wirkung be-
halten sowie auch die Fähigkeit, mit Antitoxin in vitro zu flocken. Während
nach Ramon?) die antigene Wirksamkeit des mit Formol behandelten
4) Archiv für Hygiene 1925. 95, 308.
2) Ramon, Annal. de "Inst. Pasteur 1925, 39, Nr. 1.
Kenntnis der Eigenschaften von Diphtherie-Toxin-Antitoxin-Gemischen. 173
Toxins eng an seine Flockungsfähigkeit gebunden ist, behaupten Kraus,
Löwenstein und Baecher!), daß dies nach Formolbehandlung nicht
mehr der Fall ist. Wir haben mit Formol-behandelten Di-Giften keine
große Erfahrung, können aber sagen, daß wir mit gewöhnlichen Di-toxinen
niemals eine Beobachtung machten, die der Ramonschen Auffassung
widerspricht 2).
Da nun kein Grund vorliegt, der zu der Annahme zwingt, daß in
einem Di-Gift zwei verschiedene Substanzen vorkommen, von denen die
eine nur toxisch ist, die andere nur Antitoxin zu binden vermag, so haben
wir entweder anzunehmen, daß in dem Di-Gift nur ein antigener
Stoff vorkommt, der Antitoxin bindet und der unter gewissen Bedingungen,
die chemisch-konstitutioneller oder vielleicht nur physikalisch-chemischer
Natur sein können, toxisch ist. Oder wir setzen in dem Di-Gift das Vor-
handensein mehrerer verschiedener Stoffe voraus, die zwar alle antigen
sind und Antitoxin binden, aber nicht alle toxisch sind.
Zu der letzteren Annahme sah sich Ehrlich genötigt, um einige Er-
scheinungen zu erklären, die bei der Bindung von Toxin und Antitoxin auf-
traten, vor allem die folgenden Beobachtungen: 1. Die Abnahme der direkten
toxischen Wirkung (D. 1. M.), während der indirekt gemessene L-+-Wert
beständiger bleibt, und 2. die Beobachtung, daß zu einer Lo-Mischung
sehr viel mehr Gift zugegeben werden muß, um zu L+ zu gelangen, als
1 D.1. m. entspricht. Ehrlich?) nahm an, daß ein Di-Gift neben Toxin
Toxoid enthält, das die gleiche (oder noch größere) antitoxinbindende
Fähigkeit hat wie Toxin, aber ungiftig ist, und ferner Toxon, das Anti-
toxin schwächer bindet und dessen Giftwirkung im Gegensatz zu der des
Toxins eine langsamere und mehr neurotrope ist. Toxin geht allmählich
in Toxoid über und das Toxon in Toxonoid, welches für Meerschweinchen
ungiftig und nur noch geringgradig giftig für Kaninchen sein soll. Weiter
sah sich Ehrlich genötigt, auch im Toxin selbst noch Pro-, Deutero- und
Tritoxine anzunehmen mit verschiedener Bindungsfähigkeit für Anti-
toxin. Dabei hielt Ehrlich an der durch Experimente (scheinbar) gut
gestützten Annahme fest, daß die Bindung mit Antitoxin dem chemischen
Gesetz der multiplen Proportionen folgt, und daß das Antitoxin eine ein-
heitliche Substanz ist.
Ehrlichs Theorie der Konstitution des Diphtheriegiftes ist durch
die Annahme einer großen Vielheit von Giftkomponenten — so wurden
noch a-, ß-, y-Modifikationen jeder Komponente angenommen — so ver-
wickelt worden, daß ihr praktischer Wert für das Arbeiten mit Di-Gift
darunter litt. Dazu kam, daß das Gesetz der multiplen Proportionen für
die Bindung von Toxin und Antitoxin nur in erster Annäherung gilt, aber
hier immerhin so gut, daß es die Grundlage für die noch jetzt gültige Wert-
bestimmung der Heilsera bildet. Man hat sich in der Folgezeit bemüht,
die Vorstellungen von Ehrlich durch andere zu ersetzen.
4) Wiener klin. Wochenschr. 1924, S. 561.
2) Auf die Rolle des Antitoxins bei der Flockung kommen wir in einer
späteren Mitteilung zu sprechen. |
3) Klin. Jahrbuch 1897, 6, 299.
Archiv für Hygiene. Bd. 96. 13
`- 474 Kenntnis der Eigenschaften von Diphtherie-Toxin-Antitoxin-Gemischen.
So haben Arrhenius und Madsen!) eine Theorie entwickelt, die
das Zusammenwirken von Toxin und Antitoxin auf Grund des Massen-
wirkungsgesetzes von Guldberg und Waage erklärt. Aber hier ist die
Annäherung zwischen Rechnung und Beobachtung nur in beschränktem
Grade vorhanden, weniger jedenfalls als bei der Ehrlichschen Annahme
der Bindung nach multiplen Proportionen. Die von A.u.M. aus der
Theorie geforderte Reversibilität der Toxin-Antitoxinbindung ist tatsäch-
lich vorhanden und von Morgenroth und Willanen?) und später von
Ramon?) experimentell bewiesen. Auf einer solchen Reversibili-
tät beruht ja jede aktive Immunisierung mit T.A.-Gemischen.
Aber die experimentell (Dissociation durch schwache Säure) erwiesene
Reversibilität ist doch verschieden von der in der Theorie von A. u. M.
verlangten. Letztere fordert, daß jede T.A.-Verbindung noch freies Toxin
enthält, während die von Morgenroth und Ramon bewiesene Reversi-
bilität bei T.A.-Verbindungen stattfand, die sicher frei von Toxin waren,
und heute wissen wir, daß selbst beträchtlicher Antitoxinüberschuß die
‚Reversibilität der T.A.-Bindung und damit eine aktive Immunisierung
zuläßt.
Dagegen wird die Theorie von Bordet*), der die Bindung von Toxin
mit Antitoxin auf Adsorption zurückführt, unseren gegenwärtigen Anschau-
ungen mehr gerecht, obwohl es vorderhand unmöglich ist, mit dieser Theorie
die Bindung mathematisch genau quantitativ zu verfolgen.
Die Adsorption ist der Ausdruck schwacher chemischer Affinitáten
(vielleicht auf Nebenvalenzen beruhend), und es ist mit dieser Vorstellung
der Adsorption gut vereinbar, wenn die Bindung zwischen Adsorbens
und adsorbiertem Stoff im Laufe der Zeit immer fester, auch in chemischem
Sinne, wird, was Erfahrungen mit T.A.-Gemischen reichlich bestätigen.
Von Krogh*) nahm an, daß bei jeder Toxin-Antitoxinbindung die Reaktion
in zwei Stadien verläuft: Erst findet Adsorption statt, die relativ schnell
abläuft und dann kommt es zu chemischer Bindung.
Im Gegensatz zu Ehrlich faßt Bordet das Di-Gift als ein einheit-
liches Toxin auf und, um nun zu, erklären, daß trotz Abnahme der Giftig-
keit die Bindungsfähigkeit mit Antitoxin "erhalten bleibt, genügt ihm die
Annahme geringer Änderungen des Toxinmoleküls entweder i in rein physi-
kalischem Sinne oder in der Form geringer chemischer Umlagerungen.
Uns scheinen, wie Bordet, Änderungen in physikalischem Sinne
näher liegend zu sein, wobei aber nicht ausgeschlossen ist, daß auch
rein chemische Änderungen in gleichem Sinne der Entgiftung wirksam
sein können, wie z. B. ein fermentativer Abbau des Toxinmoleküls im Sinne
Dernbys. Jedenfalls aber muß der Vorgang der spontanen Entgiftung
reversibel sein, wie wir weiter unten gezeigt zu haben glauben. Die Ent-
giftung durch Formol ist höchstwahrscheinlich ein anderer Prozeß, als der
1) Arrhenius, Immunochemie 1907.
2) Virchows, Arch. Path. 1907, 190, 371.
3) C. rend. d. l’acad. d. sciences 1923, 176, 267.
4) Annal. de l”Inst. Pasteur 1903, 17, 161.
5) Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten 1911, 68, 251.
6) C. rend. Soc. Biol. 1923, 88, 109.
Von Dr. Hans Schmidt und Dr. Wilhelm Scholz. 475
mit der Zeit spontan auftretende Vorgang und für diesen letzteren halten
wir physikalische Änderungen für wahrscheinlich.
Da nun aber die Tatsache, daß zwei Gifte bei gleicher Bindungs-
fähigkeit (Lf) verschiedene Giftwirkung (D. 1. m.) haben können, es prak-
tisch erscheinen läßt, von Toxinen und Toxoiden zu sprechen, so möchten
wir diese Begriffe ebenso beibehalten, wie den des Toxons, da sich im
letzteren Begriffe die Tatsache ausdrückt, daß die Giftwirkung mehr neuro-
tropen Charakter hat. Nur verstehen wir unter diesen Begriffen nicht
streng verschiedene Komponenten des Di-Giftes, sondern Stadien ein
und desselben Giftes, die sich mit fließendem Übergang nur graduell
voneinander unterscheiden. So ließe sich vieles von der Ehrlichschen
Annahme mit der von Bordet zum folgenden Bild von der Konstitution
des Di-Giftes vereinigen.
Das Diphtheriegift wird durch einen fermentativen Prozeß während
des Wachstums der Di-Bazillen aus den Albumosen der peptonhaltigen
Bouillon gebildet (Walbum, Dernby). Vom Augenblicke seiner Bildung
an erleidet das Gift eine mit der Zeit erst schnell, dann immer langsamer
verlaufende Umwandlung, wobei einmal seine Affinität zu Antitoxin zu-
nimmt, und dann im weiteren Verlauf derselben seine Toxizität abnimmt.
Die Art der Umwandlung kann man sich chemisch oder mehr physikalisch
vorstellen. Wir neigen zur Annahme einer Dispersitätsabnahme, oder einer
Polymerisation, wobei wir uns im einzelnen folgendes Bild machen: Zu-
nächst entsteht hochdisperses Toxon, das zwar auch schon eine Affinität
zu Antitoxin hat, aber diese ist noch nicht voll entwickelt, daher auch die
Bindung eine lockere bleibt. Die Affinität zu Antitoxin nimmt in dem
Maße zu, als sich das Toxon weiter polymerisiert. Hat das Di-Gift so eine
gewisse Stufe der Dispersität erreicht, tritt die typische Toxinwirkung
auf. Hat die Dispersitätsabnahme einen gewissen Grad überschritten,
dann verliert der Molekülkomplex allmählich seine giftige Eigenschaft;
dagegen bleibt die Affinität zum Antitoxin bestehen, dessen Haftung eher
noch größer wird. Das Toxin ist dadurch zum Toxoid geworden.
Dieser Alterungsprozeß des Di-Giftes wird durch Einwirkung von
Licht, Wärme und Schütteln beschleunigt.
Läßt sich dieser Prozeß auch umkehren? d. h. ist es möglich, das
Toxoid wieder in Toxin zu verwandeln und Toxin in Toxon ? Diese Frage
läßt sich zurzeit noch nicht mit aller Entschiedenheit beantworten, aber
es gibt tatsächlich Beobachtungen, die man in diesem Sinne deuten kann.
Walbum!) hatte schon früher festgestellt, daß Peptonzusatz bis zu
5%, die hämolysierende Wirkung verschiedener Bakterien steigert, was
später J. Hammerschmidt?) für das Hämotoxin der Di-Bazillen be-
stätigen konnte.
Walbum?) hat nun ferner beobachtet, daß beim Versetzen einer
keimfrei filtrierten Di-Bouillonkultur mit gleichem Teil einer Witte-
4) Zeitschrift für Immunitätsforschung 1908, 8.
2) Zentralblatt für Bakt. 1924, I, 98, 443.
3) C. rend. Soc. Biol. 1922, 87, 1224.
13*
476 Kenntnis der Eigenschaften von Diphtherie-Toxin-Antitoxin-Gemischen.
Peptonbouillon und Bebrüten dieser Mischung bei 37° für 5 Stunden!)
die Dosis letalis minima sich erheblich verringert hatte, daß sich also mehr
Gift gebildet hatte, und zwar ein Gift, das quantitativ durch Antitoxin
neutralisierbar war.
Wir haben diese Versuche nachgeprüft, und zwar mit besonderer
Rücksicht auf die Frage, ob die auftretende Giftsteigerung auf einer Neu-
bildung von Toxin beruht, oder ob es sich nur um ein Wiedergiftigwerden
bereits vorhandener ungiftiger Giftbestandteile handelt.
Walbum hat ganz bedeutende Steigerung der Giftigkeit beobachtet.
In seinen Versuchen wurde die D.l.m. 3—4mal kleiner. Solch eine
erhebliche Giftsteigerung konnten wir nicht feststellen, doch glauben
wir aus Versuchen mit verschiedenen Di-Bazillenstämmen schließen zu
können, daß sich in dieser Hinsicht verschiedene Di-Stämme verschieden
verhalten 21.
Zunächst hätte man ja erwarten sollen, daß bei der Verdünnung
eines Di-Giftes zu gleichen Teilen mit Peptonbouillon, die D. 1. m. doppelt
so groß entsprechend der Verdünnung würde. Wir haben jedoch fast durch-
weg in zahlreichen Versuchen gesehen, daß bei einer solchen Verdünnung
und Stehenlassen der Mischung bei 37° für 5 Stunden, die D. 1. m. unver-
ändert blieb. In einigen Fällen war sie sogar etwas geringer geworden.
Es handelt sich also zweifellos um eine Zunahme der in vivo direkt ge-
messenen Giftwirkung.
Bei der Erklärung dieser Erscheinung ist zunächst zu beachten, daß
das Di-Gift durch Filtration (Seitzscher Filter) keimfrei gemacht war.
Ein durch Wachstum von Di-Bazillen in der neuzugefügten Pepton-
bouillon frisch entstandenes Gift ist also von vornherein auszuschließen.
Es kommen also zur Erklärung für die Giftzunahme dieses Di-Gift-
Peptonbouillongemisches nur folgende Möglichkeiten in Betracht:
1. Es hat sich zu dem vorhandenen Toxin neues Toxin hinzugebildet.
Dieses neue Toxin kann
a) ganz neu und unabhängig von den bereits vorhandenen Giftstoffen
aus der Peptonbouillon entstanden sein, oder
b) durch Umwandlung nicht giftiger bereits vorhandener Giftbe-
standteile in giftige gebildet worden sein.
Träfe die erstere Möglichkeit zu, so wäre nicht nur die D. 1. m. erhöht,
sondern die Mischung müßte auch an Bindungsfähigkeit mit Antitoxin
gewonnen haben. Dies müßte sich in einer Steigerung der L + -, Lo- und
Lf-Werte im Vergleich zu den durch die Verdünnung zu gleichen Teilen
bedingten halben Werten des Originalgiftes äußern. Im zweiten Falle wäre
1) Bei noch längerem Brutschrankaufenthalt fand Walbum wieder eine
Abnahme der Giftigkeit.
2) Di-Stämme aus dem dänischen Staatsinstitut, Kopenhagen, scheinen
besonders toxoidarme Di-Gifte zu erzeugen (sehr kleine D.1. m. bei mittlerem
Lf-Wert), wie aus der Tatsache hervorgeht, daß Madsen das bis dahin bekannte
toxoidärmste Gift mit 160 nachweisbaren Bindungseinheiten für 1 AE in der
Lo-Mischung hatte, und wie ferner die von S. Schmidt (C. rend. Soc. Biol. 1924,
90, 1178) angegebenen Zahlenwerte zeigen.
Von Dr. Hans Schmidt und Dr. Wilhelm Scholz. 177
nur eine Steigerung der D. l. m. zu erwarten, während die anderen Werte,
die auf der Bindungsfähigkeit beruhen, auf den halben Originalwert ent-
sprechend der Verdünnung sinken.
2. Es hat sich ein neuer Stoff gebildet, der von dem Diphtherietoxin
als solchem verschieden ist, aber entweder
a) selbst toxisch ist und dadurch die Erhöhung der Giftigkeit bedingt,
oder |
b) selbst nicht giftig ist, aber in irgendeiner Weise die Di-Toxin-
wirkung aktiviert.
Gegen die erstere Möglichkeit spricht schon die von Walbum ge-
machte Beobachtung, daß das neu entstandene Toxin völlig durch Anti-
toxin neutralisierbar ist. Ferner müßte es möglich sein, bei Eintreten
der optimalen Flockung mit Antitoxin, dieses neue Gift in der übrig-
bleibenden Flüssigkeit nachzuweisen. Die zweite Möglichkeit ist schwer
von der als 1b bezeichneten experimentell zu trennen. Denn bezüglich
der D. l. m. sowie aller indirekt bestimmten Giftwerte würde das Ergebnis
das gleiche sein. Wenn man aber den Prozeß der Verdünnung mit Pepton-
bouillon zu gleichen Teilen mit anschließender fünfstündiger Bebrütung
nicht einmal, sondern mehreremal hintereinander ausführt, so wird
man bei ib sehr bald eine Mischung erhalten, bei der alles bereits vorhan-
dene nichttoxische Di-Gift umgewandelt ist, so daß weitere Behandlung
in obigem Sinne nur eine Herabsetzung der Giftwirkung auf die Hälfte
bedingen wird. Bei der unter 2b gemachten Voraussetzung scheint jedoch
kein Grund vorzuliegen, daß sich nicht wieder neue das Toxin aktivierende
Substanz bildet. Wenn auch die Bildung derselben anfangs schnell und
später viel langsamer erfolgen wird, so wird doch stets eine D.1.m. zu
beobachten sein, die größer ist, als die durch die Verdünnung bewirkte
Verringerung um die Hälfte.
Zwischen diesen Möglichkeiten hat das Experiment zu entscheiden.
Wir geben .im folgenden ein typisches Protokoll eines unserer Versuche
wieder.
Die durch Seitzfilter keimfrei filtrierte neuntägige Diphtheriebouillonkultur
(355b) wurde zu gleichen Teilen mit der gleichen Peptonbouillon (P, = 7,2) ver-
setzt, mit der die Kultur hergestellt worden war. Darauf wurde ein Teil derselben
mit 0,5proz. Karbol versetzt und zur Wertbestimmung verwendet, der andere Teil
wieder mit Peptonbouillon zu gleichen Teilen versetzt und 5 Stunden lang be-
brütet. Dieser Vorgang wurde dreimal hintereinander vorgenommen mit folgen-
dem Ergebnis:
I. Ver- II. Ver-
| III. Ver-
dünnung dúnnun |
Original dünnung
0,0009 | 0,00083| 0,00133| 0
0,100 0,200 0,400 H
0,071 0,143 0,28 O,
0,071 0,143 .| 0,28 0
178 Kenntnis der Eigenschaften von Diphtherie-Toxin-Antitoxin-Gemischen.
Diese Zahlen besagen folgendes:
Die indirekt durch Bindung mit Antitoxin erhaltenen Giftwerte
L+, Lo und Lf nehmen in dem Maße zu, der der Verdünnung entspricht,
also jeweils um die Hälfte.
Bei der D. l. m. ist es aber anders. Der Verdünnung entsprechend
hätten die Werte lauten müssen 0,0009, 0,0018, 0,0036 und 0,0072. Wir
sehen jedoch, daß die erste Verdünnung eine Giftzunahme um mehr als
das doppelte des durch die Verdünnung allein veränderten Giftwertes
bewirkte. Auch die zweite Verdünnung hatte nicht eine Giftabschwächung
um die Hälfte der Werte bei I. zur Folge, sondern die D. 1. m. blieb noch
etwas kleiner als 0,0016. Die III. Verdünnung brachte praktisch die Giftig-
keit auf die Hälfte des Wertes der II. Verdünnung. Nun kommt noch hin-
zu, daß die überstehende Flüssigkeit, welche bei der mit der I. Verdünnung
gemachten Flockungsprobe sich bildete, ganz frei von jeder erkennbaren
Giftwirkung war.
Wir glauben demnach berechtigt zu sein, die unter Ib beschriebene
Möglichkeit als Ursache für die beobachtete Giftzunahme anzunehmen.
Bei der weiteren Erklärung dieser Erscheinung berühren wir die Frage
nach der Bildung des Di-Toxins.
Nach Walbum!) wird ein von den Di-Bazillen während ihres Wachs-
tums ausgeschiedenes an sich ungiftiges ‚„Protoxin‘“ extrazellulär durch die
Albumosen des Peptons als Folge eines enzymatischen Prozesses aktiviert.
Nach Walbum durchläuft also die Bouillonkultur, die filtriert die Toxin-
lösung vorstellt, ein Stadium der Ungiftigkeit, bevor sie giftig wird. R.
Kraus?) hat dies bei Untersuchung einer Di-Boullion in 24stündigen
Zwischenpausen nicht feststellen können. Nach unseren eigenen Versuchen
(siehe Kurvenfigur unserer I. Mitteilung) scheint dieser Nachweis, wenn
überhaupt ausführbar, nur innerhalb der ersten 24 Stunden möglich zu
sein. In den meisten Fällen dürfte bei gut giftbildenden Stämmen das
Toxin bereits 1-fach sein nach Ablauf der ersten 24 Stunden.
K. G. Dernby?) kam gestützt auf eigene Untersuchungen sowie auf
die Versuche Walbums zu der Auffassung, daß sich aus den Di-Bazillen,
während sie wachsen, sterben und autolysieren, proteolytische Fermente
bilden, die nun ihrerseits die Albumosen und Peptone der Bouillon angreifen.
So entständen als Zwischenprodukte die Toxine, die beim weiteren Abbau
ihre Giftigkeit verlieren. Die Hauptstütze für diese Ansicht von Wal-
bum und Dernby, daß das Di-Toxin erst sekundär aus den Albumosen
und Peptonen entsteht, ist die Tatsache, daß die Di-Bazillen zur Gift-
bildung Albumosen benötigen. Und zwar sind es die dem Eiweiß am näch-
sten stehenden Abbaustufen, die nötig sind. Daher die guten Erfahrungen
der Engländer mit dem Douglas-Náhrboden*) (mit Pankreasfermenten
angedautes Fleisch) wie auch die Beobachtung von Chiari und Silber-
stein), wonach die Di-Bazillen auf Bouillon, die aus angedautem Fleisch
1) C. rend. Soc. Biol. 1922, 87, 1224; Biochem. Ztschr. 1923, 184, 601.
2) Wiener klin. Wochenschr. 1925, Nr. 14, 822.
3) C. rend. soc. Biol. 1923, 88, 109; Hygiea 1923, 85, 165.
4) P. Hartley, Journ. of Path. and Bact. 1922, 25, 479.
5) Zeitschr. für die ges. exper. Medizin 1923, 88, 337.
Von Dr. Hans Schmidt und Dr. Wilhelm Scholz. 179
hergestellt ist, besser wachsen als auf gewöhnlicher Fleischbriihe. Kurz-
dauernde Trypsinwirkung auf das Fleisch fördert die Giftbildung, während
längere Einwirkung und damit verbundene weitere Aufspaltung des Ei-
weißes schädlich zu sein scheint.- Die Ansicht Dernbys, daß das Toxin
weiter abgebaut wird und dadurch ungiftig wird, lassen wir dahin gestellt.
Wir vermuten, daß es nicht allein chemische Einflüsse sind, die das Toxin
entgiften, um so mehr als wir den spontanen Entgiftungsvorgang bis zu
einem gewissen Grade für umkehrbar halten. Auch die Untersuchungen
von v. Groer!) bezüglich der Rolle der H-Ionenkonzentration bei der Gift-
bildung möchten wir nicht im gleichen Sinne deuten, wie v. Groer es
tut, der u. a. annimmt, daß die Toxinmoleküle durch die wachsende Al-
kaleszenz der Kultur aktiviert werden.
Wir haben bei unserem obigen Versuch eine zweifellose Giftsteigerung
festgestellt, ohne daß das Milieu alkalischer wurde. Im Gegenteil: z. B.
hatte das Di-Gift Nr. 358 p„= 7,7. Nach Versetzen zu gleichen Teilen
mit einer Peptonbouillon, die p, = 7,2 hatte, und Bebrütung der Mischung
5 Stunden lang hatte die Flüssigkeit p, = 7,4 und die D. 1. m. war unver-
ändert auf 0,00166 geblieben.
Wir machen uns von der Giftzunahme durch den Peptonbouillon-
zusatz — auch Bouillon ohne Pepton bewirkt eine Steigerung der Giftig-
keit — folgendes Bild, das natürlich bei der Unkenntnis, die wir von der
chemischen Natur des Di-Giftes haben, nur als eine vorläufige Hypothese
‚bewertet werden darf.
Das Di-Gift enthält hochdisperses Toxon, relativ mitteldisperses
Toxin und relativ niedrigdisperses Toxoid in fließenden Übergängen.
Die Bildung des Toxons, aus dem sich erst Toxin und Toxoid bildet, aus
den Albumosen der Bouillon ist an das Wachsen und die Gegenwart der
Di-Bazillen gebunden und ferner, wie alle enzymatischen Vorgänge, an
eine gewisse H-Ionenkonzentration. Die Giftbildung hört auf mit dem
Abfiltrieren der Di-Bazillen, aber die Umwandlung von Toxon zu Toxin
zu Toxoid schreitet noch fort, und zwar anfangs schnell, später langsamer.
Wird nun die gifthaltige Bouillon mit frischer Peptonbouillon versetzt, `
so wird kein neues Gift gebildet, insofern die Bindungsfähigkeit der Gift-
menge mit Antitoxin in keiner Weise geändert wird (alle Werte, die sich
auf die Bindungsfähigkeit beziehen, nehmen der Verdünnung entsprechend
gleichmäßig ab). Vielmehr ist die Giftsteigerung darauf zurückzuführen,
daß ein großer Teil der Toxoide wieder Toxincharakter angenommen hat,
wie wir annehmen möchten durch Dispersitätserhöhung (peptisierende
Wirkung der Bouillon). Dasselbe gilt bis zu einem gewissen Grade auch
für die Toxine, von denen ein Teil der den Toxonen bz. deren Dispersität
nahestand, wieder Toxoncharakter angenommen hat. Eine zweite weitere
Verdünnungsmaßnahme verwandelt den Rest oder fast alles noch vorhan-
dene Toxoid in Toxin zurück und wenn, wie in obigem Beispiel, bei der
II. Verdünnung kein Toxoid mehr übrig geblieben ist, läßt eine III. Ver-
dünnungsmaßnahme die direkte Giftwirkung auf den der Verdünnung
entsprechenden halben Wert sinken. Wir hätten dann ein Gift gewonnen,
1) Biochem. Ztschr. 1923, 138, 13 und 34.
480 Kenntnis der Eigenschaften von Diphtherie-Toxin-Antitoxin-Gemischen.
das kein Toxoid mehr enthält. Alles vorhandene Gift besteht aus Toxin
und überwiegend aus Toxon. Dies geht für uns auch daraus hervor, daß
die Meerschweinchen bei der direkten Giftprüfung nicht mehr den üblichen
charakteristischen Befund aufweisen, sondern im Vordergrunde des Krank-
heitsbildes stehen starke Gewichtsabnahmen und nervöse Erscheinungen.
Ähnliches ist auch bei der Bestimmung der L+-Werte der 111. Verdünnung
zu beobachten. Daher ist es besonders schwierig, die verschiedenen Gift-
werte am Tier bei dieser letzten Mischung festzustellen.
Wenn wir nun so tatsächlich eine Giftmischung gewonnen haben,
die kein Toxoid enthält, dann müßte die von Ehrlich theoretisch aus seinen
Versuchen gefolgerte Tatsache zutreffen, daß in einem solchen Gift die
D. l. m. gleich der Bindungseinheit (vgl. I. Mitteilung) = 1/2% Lo (genau
= Lann Lf) ist. Bei frischen Giften liegen aber die Lo und Lf-Werte so nahe
beieinander, daß sie sogar öfters, wie in unserem Beispiel praktisch zu-
sammenfallen.
Berechnen wir nun Lf/200 aus den Daten des obigen Protokolls so
finden wir:
(beobachtet)
D.1.m.
L,/200 Original 0,071 : 200 = 0,00035 0,0009
E I. Verdünnung 0,143 : 200 = 0,00071 0,00083
P II. = 0,28 : 200 = 0,0014 0,00133
S 111. Ge 0,50 : 200 = 0,0025 0,0025
Wir sehen also, daß schon bei der 11. Verdünnung die D. 1. m. praktisch
gleich Lf/200 geworden ist, und bei der III. Verdünnung waren die Werte
genau gleich.
Wir erblicken hierin nicht nur eine gute Stütze für unsere Annahme
der Umwandlung von Toxoid in Toxin, sondern glauben auch hiermit
die Annahme Ehrlichs, daß in 1 Lo-Dosis Gift 200 Bindungseinheiten
mit 1 AE abgesättigt sein müssen, experimentell bestätigt zu haben.
Wenn wir bedenken, daß Ehrlich nur den Lo-Wert als Neutrali-
sationswert eines Giftes kannte, von dem wir heute wissen, daß er unter
Umständen beträchtlich von dem wahren Neutralisationswert Lf abweicht,
und ferner bedenken, daß damals ın dem reinsten, d. h. toxoidärmsten
Gift, das sein Schüler Madsen untersuchte, 160 Bindungseinheiten in
1 Lo Dosis nachgewiesen werden konnten, so können wir nicht umhin,
seinem genialen Scharfblick, mit dem er aus rein theoretischen Erwägungen
und auf Grund zahlreicher sehr mühsamer Giftanalysen die Zahl der Bin-
dungseinheiten in einer völlig neutralen Giftmischung mit 1 AE als 200
voraussagte, die größte Bewunderung zu zollen.
Zusammenfassung.
Wir fassen das Diphtheriegift als einen einheitlichen Stoff auf, der aber
infolge stetiger Dispersitätsänderungen in verschiedenem physikalischem
Zustand vorkommt. Zunächst bildet sich durch einen enzymatischen
Prozeß aus den Albumosen des Nährbodens hochdisperses Toxon, das dann
unter Dispersitätsabnahme in Toxin und schließlich in Toxoid übergeht.
Von Dr. Hans Schmidt und Dr. Wilhelm Scholz. 484
.Die typische Di-Giftwirkung ist an eine gewisse Dispersität gebunden
gedacht. Die unter Dispersitätsabnahme spontan eintretende Giftab-
schwächung ist reversibel. Die Angaben Walbums, daß eine keimfreie
filtrierte Di-bouillonkultur durch Verdünnung mit frischer Bouillon zu
gleichen Teilen nach fünfstündigem Brutschrankaufenthalt giftiger wird,
konnten bestätigt werden. Für diese Giftzunahme wird eine Rückver-
wandlung der Toxoide in Toxin mit gleichzeitiger Vermehrung der Toxone
angenommen. Durch wiederholte Verdünnung desselben Giftes mit Bouillon
und nachfolgendem Brutschrankaufenthalt konnte ein Gift erhalten werden,
das frei von Toxoiden war. Bei diesem Gift erwies sich die D. 1. m. genau
gleich TG des Lf-Wertes. Dies ist eine experimentelle Bestätigung der
Annahme: Ehrlichs, daß in einer mit 1 AE völlig neutralisierten Gift-
menge genau 200 Bindungseinheiten mit .Antitoxin abgesättigt sind.
Archiv für Hygiene, Bd. 96. 14
Qualitative Untersuchung der Luftbakterien.
Von
Universitätsdozent Dr. J. v. Darányi.
(Aus dem staatl. bakteriologischen Institut in Budapest. Direktor: Professor
Ä Aujeszky.)
(Bei der Redaktion eingegangen am 4. Juli 1925.)
Die bisherigen Untersuchungen der Luftbakterien waren fast ausschließ-
lich quantitativer Art. Zur Beurteilung der Keimzahl sind die Verfahren
von Petri, Fodor, Ficker und Hesse am meisten im Gebrauch. Quali-
tative Untersuchungen wurden meistens nur insoferne ausgeführt, um zu
bestimmen, inwieweit die Luft als Überträgerin von pathogenen Keimen
eine Rolle spielt. Dieses Thema über Vorkommen von pathogenen Keimen
in der Luft ist aber von verschiedenen Seiten schon so ausführlich behandelt
worden, daß ich mich dabei nicht weiter aufzuhalten brauche.
Die Bakterienflora der Luft ist, wenn ich mich so ausdrücken darf,
meistens nur insoweit studiert, ob bestimmte Bakterien in der Luft zu-
fälligerweise vorkommen können oder nicht. Es ist z. B. nachgewiesen,
daß Cholera-, Pest-, Diphtherie-, Influenzabazillen, Pneumo-, Meningo-
kokken in der Luft nicht vorkommen, ausgenommen in der unmittelbaren
Nähe von Kranken in ausgehusteten Tröpfchen, während der Austrock-
nung trotzende Tuberkelbazillen, nach Untersuchungen von Cornet
manchmal mit dem Staub des Krankenzimmers in die Luft gelangen
können.
Genauere qualitative Untersuchungen wurden noch am meisten be-
züglich der Schimmelpilze angestellt. ` So ist aus den diesbezüglichen
Untersuchungen des meteorologischen Observatoriums in Montsouris zu
entnehmen, daß die Schimmelpilze 10—60% aller Luftbakterien ausmachen
können. Während der Prozentsatz der Schimmelpilze in den Sommer-
monaten kleiner ist: 10—30% , ist derselbe in den Wintermonaten 30—60%.
Dieser günstigere Prozentsatz im Winter ist vielleicht mit ihrer verhältnis-
mäßig größeren Widerstandsfähigkeit zu erklären!). In eigenen Versuchen
in den Monaten April und Mai habe ich im Freien 14—25% Schimmelpilze
gefunden. Diese Untersuchungen habe ich mit einfachem- und Kaninchen-
blutagar in Petrischalen angestellt, welche ich verschieden lange Zeit
der Luft aussetzte. Nach Entwicklung der Kolonien bestimmte ich diese
qualitativ, im ganzen mehr als 20000.
Nach Untersuchungen von Neißer und Flügge?), wonach nur ganz
eingetrocknete Bakterien durch Luftbewegung aufgehoben und schwebend
erhalten bleiben, ist es verständlich, daß ich bei meinen Unter-
‚Quantitative Untersuchung von Luftbakterien. Von Dr.J.v.Darányi. 183
suchungen nur solche Bakterien in größerer Menge in der Luft antraf, die `
eine große Widerstandsfähigkeit besitzen. So sind in großer Zahl, besonders
im Freien manchmal bis zu 50%, sporentragende saprophytische Bazillen
zu finden, die meistens mit den Heubazillen verwandt sind. Weiterhin
kommen oft verschiedene Mesentericusarten und viele fäulniserregende,
sporentragende Bakterien vor, welche meistens aus dem Darminhalt ver-
schiedener Tiere herrühren. So fand ich im Hofe der Tierärztlichen Hoch-
schule, wo immer viele Tiere ein und ausgetrieben werden, 50%, auf der
‚Hungariastraße in Budapest, wo viel Vieh getrieben wird, 42%, sporentragen-
de Bazillen, während ihre relative Menge in nur von Menschen bewohnten
Räumen immer kleiner war.
Mit den Dungstoffen wächst auch die Zahl der säurefesten Bakterien
im allgemeinen. So fand ich im Hofe der Tierärztlichen Hochschule 6%,
während sonst 0—1% zu finden sind. — Verhältnismäßig klein ist die Zahl
der Kolibazillen und anderer nicht sporentragender, nicht säurefester
Bazillen. Sie erreichen auch an Orten mit viel Dungstoffen kaum 1%.
Dieses ist mit ihrer, im Vergleich zu den Sporen und säurefesten Bazillen
relativ kleineren Widerstandsfähigkeit zu erklären Sie können ein so
starkes Eintrocknen, welches das Hineingelangen in die Luft mit dem Staub
ermöglicht, nicht überleben. — Sarzinen sind auch in ziemlich großer Zahl
in der Luft, nach meinen Untersuchungen 3—129%.
Eine große Gruppe der Luftbakterien bilden die Kokken, und zwar
in überwiegender Mehrzahl der Staphylococcus albus. Die Resistenz des-
selben steht ungefähr zwischen der der Sporen und des Kolibazillus und
entspricht im großen und ganzen der Resistenz der säurefesten Bakterien.
Staphylokokken habe ich in größter Zahl in geschlossenen, von Menschen
bewohnten oder besuchten Räumen gefunden. Die meisten Staphylo-
kokken waren bei meinen Untersuchungen, in der Luft eines Dampfbades,
dann in einem Schlafzimmer, am wenigsten im Freien zu finden. — Dieser
merkwürdige Befund weist auf die Herkunft dieser Bakterien hin. — Der
Staphylokokkus albus kommt nämlich als ständiger Bewohner auf der
menschlichen Haut vor, ungefähr so, wie der Kolibazillus im Darme. Er
ist in sehr großer Zahl in den Ausführungsgängen der Talg- und Schweiß- .
drüsen und in der äußeren Hornschicht vorhanden. Durch Abschieferung
und Austrocknung von Epidermisschuppen gelangen die Staphylokokken
in die Luft. Wo zur Epidermisabschilferung die meiste Gelegenheit ge-
boten ist (Bad, Schlafzimmer), sind sie demzufolge in größter Zahl vor-
handen, bis zu 93%. Aber auch im Freien habe ich 18%, gefunden. Diese
Luftstaphylokokken können nur ganz ausnahmsweise pathogen sein.
Nur 1% aller Staphylokokken bewirkten in meinen Versuchen Haemolyse.
Aber auch die haemolytischen Kokken zeigten nach anderen Prüfungs-
methoden (Tierversuch, Agglutination, Plasmagerinnung) keine Patho-
genität. Selbst im Operationszimmer der Ambulanz auf der chirurgischen
Klinik überstieg ihre Zahl nicht 19%, und auch diese erwiesen sich im Tier-
‘versuch nicht pathogen. Ich kann somit die früheren Untersuchungen
von Parascandolo, Sanfelice und Pereira über häufiges Vorkommen
von Staphylococcus pyogenes aureus in der Luft (in schwebender Form)
nicht bestätigen. Die Befunde dieser Autoren und besonders ihre Prüfungs-
184 Quantitative Untersuchung von Luftbakterien. Von Dr. J. v. Darányi.
technik auf Virulenz hat auch Concornotti?) beanstandet. Es scheint
also, daß die pathogenen Staphylokokken, wenn sie bis zu dem Grade ein-
trocknen, um in der Luft schweben zu können, ihre Virulenz größtenteils
einbüßen.
In kleinerer Zahl nicht einmal bis zu 1% kommen Blastomyzeten (Sac-
charomyces cerevisiae usw.) vor. Außerdem fand ich in kleinerer Menge
schöne farbige Bakterien. Nach Flemming) sind schöne farbstoffbildende
sog. chromogene Bakterien besonders in höheren Luftschichten in größerer
Zahl zu finden.
Zur Veranschaulichung der gewonnenen Resultate schließe ich die
untenstehende Tabelle an, welche die besprochenen Bakteriengruppen
nach ihrem Vorkommen an den verschiedenen Orten prozentuell angibt:
. Gewinnung der Luft-
proben:
999/, albus)
Sporen-
tragende Bak-
terien
Sarzinen
Säurefeste
Bakterien
myzeten)
Hefepilze,
chromogene
Bakterien)
Staphyloco-
ccus (in 95 bis
Schimmelpilz-
arten (Hypho
Andere Bak-
terien (Coll,
Freie Luft,. Hungaria- | |
straße in Budapest . . 18 43 IG" Ti 25 | 2h
Hof des bakteriol. In- |
stitutes (in der Náhe von
Stallungen) . .. . ... 30 41 8 2. 18. d l
Hof der tierärztl. Hoch- | |
schule. ........ 18 50 10 6 | 14 | 2
In der elektr. StraBen- | !
bahn... 22.2.2 en % 26 38 12 , 0 23 | l
Im Laboratorium . . 51 25 | 10 | l 12 1
Ambulanz, Operations- | | | |
zimmer der Chirurg. Uni- | |
versitätsklinik . . . . . 69 12 6% 0 | 11 | 1,
Wohnzimmer . ... 62 26 | 2 | 0 9 | 1
Schlafzimmer . . . . 76 9 1 3 0 | 11 | 1
Dampfbad. ... . . 93 2), | 2 0 | 2 dé
| |
Bemerkung. Die Zahlen bedeuten Prozente. |
Bei diesen Untersuchungen war mir Herr Asistent Buzna mit
großem Eifer behilflich, dem ich an dieser Stelle für seine Hilfe meinen
Dank ausspreche.
Literatur.
. Arnold, Traite d’hygiene (1895) und Rigler Kózegeszségtan (ungarisch).
. Reichenbach im Friedberger-Pfeiffers Lehrbuch der Mikrobiologie 1919.
. Zentralbl. f. Bakter. R. Bd. 26, S. 492.
. Zeitschr. f. Hyg. Bd. 58, S. 345.
Wes Ge N mb
Studien zur Kenntnis der Eigenschaften von Diphtherie-
Toxin-Antitoxin-Gemischen.
IV. Die Bedeutung der Zone bei der Ausflockung von Di-T.A.-Gemischen.
Von
Privatdozent Dr. Hans Schmidt und Dr. Wilhelm Scholz.
(Aus dem Institut für experimentelle Therapie , Emil v. Behring“, Marburg
a. d. Lahn (Direktor: Prof. Dr. H. Dold.)
(Bei der Redaktion eingegangen am 16. Mal 1925.)
Wir haben in unserer ersten Mitteilung!) über die Eigenschaften von
Diphtherie-Toxin-Antitoxin-Gemischen (T.A.) gezeigt, daß der Lf-Wert
eines Giftes nicht mit dem Lo-Wert?) übereinzustimmen braucht. Vom
L+-Wert an nimmt der Toxinüberschuß nach Lf zu stetig ab. Er wird
schließlich so gering, daß nur eine eben noch erkennbare Reaktion am
Meerschweinchen zu bemerken ist, wenn man das Tier am zweiten Tage
nach der Einspritzung tötet. Eine solche T.A.-Mischung entspricht dem
Lo-Wert. Eine noch weitere Abnahme des Toxinüberschusses entzieht
sich dem Nachweis beim Meerschweinchen, insofern die Toxinmenge unter-
schwellig wird, d.h. vom Tier ohne erkennbare Symptome vertragen wird,
es sei denn die Bildung einer aktiven Immunität. Um so geringe Gift-
mengen im Tierversuch nachzuweisen, müßte man Vielfache derselben
einspritzen. Aber auch dann könnte man, wenn es sich, wie hier, nur um
Spuren noch freien Di-Toxins in T.A.-Gemischen und nicht um Di-Gifte
allein (ohne Antitoxin) handelt, die direkte Giftwirkung nicht von der-
jenigen trennen, die durch die Zerlegung der T.A.-Verbindung im Tier-
körper verursacht wird. Ist nun der Giftüberschuß in einem T.A.-Gemisch
so gering geworden, daß er sich des direkten Nachweises entzieht, dann
pflegt das Gemisch auszuflocken. Wir hätten dann nur die von den Flocken
befreite Flüssigkeit zu untersuchen. Ist diese, selbst in großen Dosen,
völlig frei von Toxinwirkung und auch nicht imstande, zu immunisieren,
dann entspricht das betreffende T.A.-Gemisch dem Lf-Wert des Giftes.
Es ist demnach klar, daß der Lf-Wert zahlenmäßig stets kleiner sein muß
1) Arch. f. Hygiene 1925. 95. 308. -
2) Lf ist diejenige Giftmenge, die mit 1 AE optimal flockt und in vitro
genau neutralisiert ist. Lo ist die mit 1 AE im Tierversuch neutrale Giftmenge,
und L+ ist die Giftmenge, die mit 1 AE ein Meerschweichen in vier Tagen tötet.
Archiv für Hygiene. Bd. 96. 15
186 Kenntnis der Eigenschaften von Diphtherie-Toxin-Antitoxin-Gemischen.
als der Lo-Wert. Unter Umständen, bei frischen Giften, können beide
den gleichen Wert haben, was aber wohl mehr auf unserem unvollkommenen
Verfahren beruht, den Lf-Wert und mehr noch den Lo-Wert wirklich scharf
zu bestimmen. Mit anderen Worten: das Verhältnis Lo/Lf ist entweder
gleich oder meistens größer als 1, eine Tatsache, der auch, Sordelli!) zu-
stimmt. Wovon hängt die Größe dieses Verhältnisses im Einzelfalle ab ?
Wir wollen unter Zugrundelegung unserer Auffassung von der Zusammen-
setzung des Di-Giftes, wie wir sie in unserer zweiten Mitteilung?) kurz
skizziert und in der dritten?) ausführlicher dargelegt haben, den Vorgang
untersuchen, der stattfindet, wenn eine gegebene Di-Giftmenge durch
Steigerung des Antitoxinzusatzes bis zur Vollständigkeit neutralisiert
wird, oder, was auf das gleiche hinauskommt, wenn zu 1 AE immer
weniger Di-Gift zugesetzt wird.
Wir nehmen ein frisches 8- bis 10tägiges Di-Gift an, von dem zu 1 AE
soviel zugesetzt ist, daß die Mischung = 1 L + Dosis ist. Das Gift enthält
Toxone, Toxine und Toxoide. Alle diese haben zunächst gleichmäßig Anti-
toxin gebunden. Es bleibt nur soviel von Toxon, Toxin und Toxoid frei,
als etwa der Giftmenge entspricht, die ein Meerschweinchen ın 4 Tagen
töten kann. Genau ist diese Giftmenge nicht feststellbar, da ja in vivo
eine Trennung der Bindung stattfindet, und die Wirkung, die man beob-
achtet, in Wirklichkeit die Folge beider Einwirkungen auf das Tier ist,
sowohl des von vorneherein freien Toxins als auch des im Tiere aus der
Bindung frei werdenden Toxins!).
Denn wenn man die L+-Mischung längere Zeit stehen läßt, wird die
Bindung fester und der anfänglich am 4. Tage eintretende Tod wird hinaus-
geschoben. Z. B.: Ein T.A.-Gemisch, das nach dem Ansetzen und vor der
Einspritzung 1 Stunde lang bei 37% stand, tötete ein Meerschweinchen
in 60 Stunden. Dasselbe Gemisch brauchte nach 24stündigem Stehen
bei 37° 132 Stunden und nach 1stindigem Stehen bei 45% 96 Stunden,
um ein genau gleich schweres Meerschweinchen zu töten. Diese Verhält-
nisse waren bereits Ehrlich gut bekannt. Auch erhöhte Temperatur
bedingt das Festerwerden der Bindung. (Daher vielleicht auch der be-
schleunigende Einfluß der Wärme auf den Flockungsvorgang.)
Wäre die Wirkung eines L+-Gemisches auf ein Meerschweinchen
nur durch die Menge freien Toxins bedingt, mit anderen Worten, würde
das gebundene Toxin sich völlig neutral verhalten, dann müßte der zahlen-
mäßige Unterschied zwischen einer neutralen T.A.-Mischung (= Lf)
und einer L+-Mischung nur 1 D.l.m. betragen, was aber bekanntlich nicht
der Fall ist. Deswegen hat ja Ehrlich, um zu erklären, daß man einer
Lo-Mischung mehr als 1 D.l.m. von Gift hinzufügen muß, um den L+-
Wert zu erhalten, zu der Annahme einer Vielheit von Di-Giftkomponenten
mit verschiedener Affinität zu Antitoxin greifen müssen. Läßt man ein
solches unterneutrales T.A.-Gemisch, wie es eine L+-Mischung darstellt,
1) A. Sordelli u. R. Serpa. C. rend., Soc. Biol. 1925, 92. 824.
2) Arch. f. Hyg. 1925. 95. 339. -
3) Arch. f. Hyg. 1925. 96. 172.
4) In Übereinstimmung mit Glenny, Pope und Waddington. Journ.
of exp. Path. and Bact. 1925, 28. 279.
Von Dr. Hans Schmidt und Dr. Wilhelm Scholz. 187
sehr lange Zeit stehen, so kann das Gemisch, wie in unserer zweiten Mit-
teilung erörtert wurde, eine geringe Zunahme an freiem Gift erfahren.
Es wird sich wahrscheinlich — mit Gewißheit läßt sich das noch nicht
sagen — um eine Umlagerung in dem Sinne handeln, daß das Antitoxin
von den Toxonen und höherdispersen Toxinen, die das Antitoxin weniger
fest binden, zu den niederdispersen Toxinen und Toxoiden übergegangen
ist!) (vgl. Mitteilg. III).
Wird 1 AE mit immer weniger Gift als zur Erreichung der L+- Dosis
nötig ist, gemischt, dann erreichen wir bald die Lo-Mischung. Geht man
noch etwas mit dem Giftzusatz herunter, dann erhält man die Lf-
Mischung. Ist noch weniger Gift mit 1 AE verbunden, dann erhalten wir
T.A.-Gemische mit graduell zunehmendem Antitoxinüberschuß. Doch
lange bevor man den Lf-Wert erreicht, hat das T.A.-Gemisch die Nei-
gung zu flocken.
Da nun die Giftwirkung im Tier bei 1 L+-Dosis nur durch das noch
freie resp. schnell frei werdende Toxin bedingt ist, so muß die Giftmenge,
d.h. die Menge giftiger Bouillon, die mit 1 AE L+ gibt, naturgemäß
zahlenmäßig um so kleiner sein, je toxinreicher oder je toxoidärmer das
Gift, d.h. die Gift-Bouillon, ist im Vergleich zu einem anderen Gifte mit
gleichem Lf-Wert. Daher ist der Unterschied L+—Lf um so größer, je
mehr Toxoid in dem Gift vorhanden ist, demgemäß auch der Quotient
L-+/Lf um so größer. In der Tat finden wir die höchsten Werte dieses
Verhältnisses bei alten Giften (siehe die Tabellen I und 11 unserer I. Mit-
teilung). Bei solchen alten Giften ist aber auch der Wert Lo/Lf um so
größer als 1, je mehr man sie als toxoidreich anzunehmen berechtigt ist.
Ein Lo-Gemisch enthält der Definition nach eine Spur freies Gift. Auch
diese Spur ist bei einem toxinreichen Gift zahlenmäßig kleiner als beı
einem toxoidreichen. Nur bringt der Unterschiedswert (Lo—Lf) die Be-
ziehung zum Toxoidgehalt nicht so zum Ausdruck wie der Unterschieds-
wert L+—Lf.
Tabelle I.
Datum der
Gift Nr. Herstellung
(Lo—Lf)
16. 11. 1925
7 0,067 1904
281 0,171 23. VIII. 1921
2823 0,156 2. V III. 19233)
344 0,013 15. VIII. 1924
3. XII. 1924
350 | 0,008
Diese Tabelle I soll das eben Gesagte zeigen. Aber wir müssen uns
darüber klar bleiben, daß andere noch unbekannte Faktoren die zahlen-
mäßigen Unterschiede zwischen L+, Lo und Lf beeinflussen.
1) Glenny (loc. cit.) nimmt an, daß.Toxin eine viel größere Affinität zu
Antitoxin hat als Toxoid.
2) Vom 2. 8. 1923 an stand dieses Gift mit den Di-Bazillen unberührt
1%/, Jahre lang bei Zimmertemperatur.
15*
188 Kenntnis der Eigenschaften von Diphtherie-Toxin-Antitoxin-Gem ischen.
Wenn man eine Flockungsreihe ansetzt (fallende Mengen Serum zu
1 oder 2 cem Gift), dann erhält man in der Regel Flockungen in einer An-
zahl von Röhrchen. Man beobachtet eine Flockungszone. Die Mischung
in dem zuerst’flockenden Röhrchen dient zur Bestimmung des Lf-Wertes.
Die Zone erstreckt sich zu beiden Seiten dieses Röhrchens und nimmt
mit der Zeit an Breite zu, bis schließlich der Überschuß an freiem Gift
oder freiem Antitoxin-Serum so groß ist, daß keine Flockung mehr auftritt.
Können wir nun aus der Breite der Zone Schlüsse auf gewisse Eigen-
schaften des Giftes oder des Serums ziehen ? Fällt das Ende der Zone auf
der toxischen Seite mit dem Lo-Wert oder mit dem L-+-Wert zusammen ?
Oder fallen gar beide Werte noch innerhalb der Flockungszone ?
Zur Beantwortung dieser Fragen haben wir mit verschiedenen Giften
gegenüber einem und demselben als Prüfungsserum dienendem Serum,
das 410fach war, Flockungsreihen angestellt. Doch bevor wir Niederschrif-
ten derselben bringen, möchten wir an dieser Stelle einige Bemerkungen
über die Brauchbarkeit der Flockungsprobe für die Wertbestimmung von
Serum und Giften einflechten.
Wir haben bereits wiederholt, besonders in unserer I. Mitteilung, darauf
hingewiesen, daß der Lf-Wert eines Giftes, d. h. die Menge Gift, die mit 1 AE eine
optimale Flockung gibt, mit keinem anderen im Tierexperiment gefundenen Gift-
wert identisch ist. Da nun zur Zeit noch kein Maßsystem bekannt ist, das die
Wertigkeit von Gift oder Serum nur auf Grund der gegenseitigen Flockbarkeit
zu bestimmen erlaubte, so bleibt als allein zulässiges Grundmaß, auf das alle
Bestimmungen zurückgeführt werden müssen, das Ehrlichsche Standard-
Antitoxin in Frankfurt a. M. Diese Antitoxineinheit liegt ja bereits dem Flok-
kungswert Lf eines Giftes zu Grunde. Trotzdem wir nun wissen, daß der in vitro
erhaltene Flockungswert durch keinen in vivo darstellbaren Giftwert wieder-
gegeben werden kann, müssen wir doch an irgendeiner Stelle eine Verbindung
zwischen den beiden Maßsystemen herstellen. Z. B. das Di-Gift 319 ergibt mit
einem Serum, das auf das genaueste im Tierversuch als 410fach bestimmt war,
eine Ausflockung, deren Optimum bei der Verwendung von 1 ccm Gift bei
0,0284 ccm Serum lag. In dieser Serummenge waren 11,65 AE, und 1 AE flockte
daher mit 0,0858 ccm Gift, so daß letztere Zahl den Lf-Wert des Giftes darstellt.
Es ist also zu beachten, daß dieser Berechnung des Lf-Wertes eine ‚in vivo‘
Bestimmung des Serums zu Grunde liegt. Dieser unzweifelhaft logische Fehler
läßt sich nicht vermeiden, wenn man das Flockungsverfahren zur Wertbestim-
mung von Giften und Seren in dem zur Zeit üblichen Maßsystem benutzen will.
Auch Glenny nimmt ein besonderes Prüfungsserum, dessen antitoxischen Wert
vorher in vivo bestimmt ist. Die Erfahrung hat aber gezeigt, daß dieses Ver-
fahren sehr brauchbar ist. Nur ist es unbedingt nötig, immer wieder, wenn man
verschiedene Gifte gegen ein gleiches Serum, oder wenn man mit einem
Prüfungsgift verschiedene Sera bestimmen will, einen genauen Vergleich in vivo
mit dem Standardantitoxin durchzuführen. Geschieht dies nicht, so können
selbst anscheinend einwandfreie Versuche doch dazu führen, daß bei der Ein-
stellung eines Serums gegen ein Prüfungsgift der ‚in vivo“ Wert des Serums
über doppelt so hoch ausfallen kann, wie der durch dieFlockung in vitro bestimmte.
Nur so können wir uns die überraschenden Zahlenangaben von Glenn y?) und
Glenny und Wallace?) erklären, die u.a. ein Serum im Tierversuch 260fach
und mit dem Flockungsverfahren nur 110fach fanden. Derartige Unterschiede,
ja nicht einmal angenähert so große, haben wir niemals während der langen
Zeit, in der wir das Flockungsverfahren benutzen, beobachten können.
4) The Journal of Path. & Bact. 1925. 28. 130.
2) Ebenda 1925. 28. 317 (besonders $. 324).
Von Dr. Hans Schmidt und Dr. Wilhelm Scholz. 189
. Wir haben also mit einem in vivo bekannten Serum den Flockungswert
eines Giftes festgelegt. Nehmen wir dieses Gift als Prüfungsgift, um damit andere
Sera zu prüfen, so finden wir bei gleicher Giftmenge eine andere Zahl ccm Serum,
um das gleiche optimale Flockungsbild zu erhalten. Da wir wissen, daß von dem
4140fachen Serum 0,0284 ccm mit 1 ccm des Prüfungsgiftes optimal flockte,
und jetzt z. B. 0,034 ccm eines anderen Serums das gleiche tut, so schließen wir:
0,0284:410 = 0,034: 2
und finden daraus x = 500. Wir nehmen daher das unbekannte Serum als 500-
fach an und vielfältige Erfahrung zeigte, daß die auf diese Weise gefundenen
Serumwerte verläßlich waren, insofern sie sich mit dem gleichzeitig im Tier-
versuch ermittelten deckten.
Nehmen wir umgekehrt das bekannte 410fache Serum, das mit Di-Gift
319 Lf = 0,0858 gab, als Prüfungsserum gegen andere Gifte, so würde man bei
Zusatz fallender Serummengen zu je 1 ccm der zu untersuchenden Gifte finden,
daß das Serum jedesmal scheinbar einen anderen Titer hat. Entsprechend obigem
Beispiel würden wir also finden:
4 ccm Di-Gift 319 gab mit 0,0284 ccm des 410fachen Serum Lf
= 0,0858
4 ccm Di-Gift Z gab mit 0,034 ccm des 410fachen Lf = zx
woraus wir schließen: 0,0858:0,0284 = x2:0,034 und finden für das Di-Gift Z
den Flockungswert z = 0,103. Das 410fache Serum hätte diesem Gift gegenüber
den scheinbaren Wert 500fach. Im übrigen sei bezüglich der Technik der Aus-
flockungsversuche auf die Arbeit von W. Scholz!), auf die zusammenfassende
Darstellung der Wertbestimmungsverfahren von Di-Gift und Di-Serum von
H. Schmidt?) und schließlich auf die Arbeit von A.T. Glenny und U. Wal-
lace3) verwiesen, von denen letztere Autoren sehr beachtenswerte technische
Winke zur Vermeidung von Fehlerquellen bei der Flockungsprobe geben.
Die Zahlenangaben der folgenden Versuchsaufzeichnungen geben die
durch Umrechnung erhaltenen ccm Gift an, die mit je 1 AE des 410-
fachen Prüfungsserums gemischt waren. Die Zahlen sagen direkt nichts
über die Technik der Flockungsproben aus, bei denen vielmehr fallende
Mengen des Prüfungsserums zu konstanten Giftmengen gefügt waren.
Die Mischungen standen in einem Wasserbad bei 45° bis 50°.
Versuchsniederschriften der Di-toxin-Antitoxin-Flockung
mit Berücksichtigung der Breite der Flockungszone.
I. Di-Gift 352b. Lo = 0,075; L+ = 0,100; Lf = 0,071 geprüft gegen
410faches Serum.
2 Gil 0,020 | 0,041 | 0,062 | 0,083 | 0,104 | 0,125 , 0,146 | 0,167
Ir.) -F LN ESTE mek Trn = —
nach 1h bei 45°.
„15h „45%... [++] ttt +++ u el
Lf Lo L+ | |
1. Tr. = leichte Trübung; — = Röhrchen klar; die Zahl der Kreuze
bedeutet die Stärke der Flockung.
1) Centralbl. f. Bact. I. 1923. 91. 24.
2) Zeitschr. f. Kinderheilk. 1925. 89. 214.
3) Journal of Path, and Bact. 1925. 28. 317.
190 Kenntnis der Eigenschaften von Diphtherie-Toxin-Antitoxin-Gemischen.
IL Di-Gift 281. Früher: Lo = 0,33; L+ = 0,44; Lf = 0,159
Jetzt: Lo = 0,35; L+ = 0,45; Lf = 0,200
geprüft gegen 410faches Serum.
1AE-+-ccm Gift: o, 125|0, 146 0,16 167 0,188 | 0,209 |0,231/0,251¡0,272/0,292;0, eh 0,334
nach 5*/¿h b. 45° |. Tr. L Tr.1.Tr.| Tr. =
|
III. Di-Gift 293. Lo = 0,35; L+ = 0,57; Lf = 0,26
geprüft gegen 410faches Serum.
1 AE +cem Gift: | 0,251
| 0,292 lo,334| 0,376 lo,418/0,463|0,503/0,542] 0,585 10,627
nach 201/;h bei 45° | +-+ || 44444481444 ti + | - |] — | =
am a ans a EE un
„ 68h „45° | 444
| Lf Lo L,
IV. Di-Gift 344. Lo = 0,2; L+ = 0,36; Lf = 0,187
geprüft gegen 410faches Serum.
1 AE + ccm Gift: Lo,
nach 70h bei 450
Die angegebenen Versuchsbeispiele genügen, um zu zeigen, daß die
Flockung sich mit der Zeit erstaunlich weit in das Gebiet des Toxinüber
schusses, erstreckt. Wie weit die Flockungszone auch in das Gebiet des
Antitoxinüberschusses reicht, lassen wir dahingestellt. Da es uns weniger
interessierte, haben wir diesem Gebiet geringere Beachtung geschenkt.
Sicher ist aber, daß auch auf der antitoxischen Seite eine Grenze der
Flockungszone vorhanden ist, jenseits welcher der Antitoxinüberschuß
eine Flockung verhindert.
Aus unseren Versuchen ersehen wir also, daß das Ende der Flok-
kungszone weder mit dem Lo-, noch mit dem L+-Wert zu-
sammen zu fallen braucht. In der Tat befanden sich bei der Mehr-
zahl der von uns untersuchten Gifte beide Werte innerhalb
der Flockungszone. Es ist bemerkenswert, daß ein so toxisches Ge-
misch wie L+ bei höherer Temperatur und nach längerer Zeit doch noch
zur Ausflockung gelangt.
Was nun die Bedeutung der Zonengröße anbetrifft, so sind wir nicht
in der Lage, sie in irgendeine Beziehung zur toxischen oder immunisierenden
Eigenschaft des Di-Giftes zu bringen. Es macht uns eher den Eindruck,
als hinge die Ausdehnung der Zone mit solchen Eigenschaften eines Diph-
therie-Giftes zusammen, die überhaupt seine Flockbarkeit bedingen.
Außerdem sind die besonderen Eigenschaften des Serums nicht nur
für die Flockung überhaupt, sondern wohl auch für die Breite der Zone
mit verantwortlich zu machen?).
4) In einer späteren Mitteilung werden wir versuchen, zu zeigen, daß die
Breite der Zone einmal auf der Schutzwirkung des Serumalbumins auf die für
Von Dr. Hans Schmidt und Dr. Wilhelm Scholz. 491
Von ganz besonderem theoretischen Interesse ist nun der Befund bei
dem alten Di-Gift Nr. 7, den die folgende Versuchsniederschrift zeigt:
Di-Gift 7, geprüft gegen 410faches Serum.
0,16/0,18| 0,20 | 0,23 | 0,25
Tr.| + + +H | +
1AE Leem Gitt|0,04'0,05[0,0610,07'0,08]. . . ..
Lo 1 LIT y LEI L-+11>0,3
ur Lo 11
Das Gift Nr. 7 war 1904 hergestellt worden und hat seitdem, wie die fol-
genden Zahlenwerte angeben, eine beträchtliche Abschwächung erfahren.
Giftwerte des Di-Giftes Nr. 7:
Bezeichnet
0,00083
0,0166 Beim Versuch mit I
39 3) H
Bei den Flockungsproben mit diesem alten Gift konnten wir nun
wiederholt beobachten, daß sich zwei Flockungszonen bildeten, die durch
eine nichtflockende Zone getrennt waren. Es fanden sich zwei Optima.
Das eine gab bei 0,20 ccm Giftbouillon zu 1 AE eine kräftige Flockung,
die dem Lf-Wert entspricht, den das Gift jetzt hat; das andere Optimum
war dagegen weniger scharf ausgeprägt, trotzdem aber deutlich bemerkbar.
Dieses zweite Optimum entsprach dem Lf-Wert 0,058, den das Gift früher
. hatte, und bei dem vor 2 Jahren noch eine kräftigere Flockung zu beob-
achten war. Die gleichen Zahlenwerte für beide Optima liessen sich auch bei
Benutzung eines anderen Prüfungsserums feststellen, so daß klar ist,
daß wir es hier mit einer Eigentümlichkeit zu tun haben, deren Ursache
im Gift und nicht im Serum zu suchen ist. Hand in Hand mit dieser
Verschiebung des Lf-Wertes ist auch eine solche des Lo- und L+-Wertes
eingetreten.
Daraus läßt sich zunächst folgern, daß der Lf-Wert eines Giftes, wenn
er auch von allen Giftwerten der beständigste ist, doch selbst mit der Zeit
veränderlich ist. Bei dem ebenfalls schon älteren Gift 281 (Beispiel II
der Versuche) scheint sich auch eine solche Änderung zu vollziehen, inso-
fern der früher (vgl. I. Mitteilung) erhaltene Lf-Wert 0,159 sich nach 0,20
verschoben hat. Auch der L+-Wert dieses Giftes ist von 0,44 auf 0,45
gestiegen. Es ist eine Erfahrungstatsache, daß Diphtheriegifte, die bekannt-
lich alle nach ihrer Herstellung sich in ihren direkten und indirekten Gift-
werten spontan abschwächen, um dann längere Zeit praktisch konstant zu
bleiben, ganz plötzlich eine erneute weitere Abschwächung erfahren, deren
Werte nun wieder für einige Zeit konstant sind, bis ein neuer Schub er-
folgt. Was die Ursache für diese stufenförmige Abschwächung ist, lassen
das Zustandekommen der Flockung nötigen Euglobuline beruht sowie auf der
Schutzwirkung der Peptonbouillonstoffe; das Ende der Zone ist erreicht, wenn
sowohl das antitoxinhaltige Serum, wie auch die gifthaltige Bouillon in genügen-
dem Überschuß vorhanden ist.
192 Kenntnis der Eigenschaften von Diphtherie-Toxin-Antitoxin-Gemischen.
wir dahingestellt1). Wir vermuten, daß nach langem Stehen irgendeine
Handhabung, z. B. Öffnen der Flasche, Entnahme einer Probe, Um-
füllen usw. die auslösende Ursache ist. Während die Bestimmung des Lo-
und L+-Wertes eines abgeschwächten Di-Giftes beim Tier nur die Abnahme
der Bindungsfähigkeit und den Verlust der Giftigkeit untrennbar voneinan-
der feststellt, gibt uns die Flockungsprobe durch die doppelten Optima
noch einen Einblick in die Vergangenheit des Giftes. Mischt man nämlich
gleiche Teile des Di-Giftes Nr.7 (Lf = 0,20) und des frischen und gut
flockenden Di-Giftes 358 (Lf = 0,070), so würde man bei dem Gemisch
einen Lf-Wert — 0,130 entsprechend dem Mittelwert erwarten. Tatsäch-
lich beobachtet man aber Lf = 0,119.
Es hat den Anschein, als beträfe die Abschwächung nur einen Teil,
und zwar den größeren Teil des Giftes, der den Lf-Wert 0,20 angenommen
hat, während der kleinere Teil noch den alten Lf-Wert behielt. Die zuletzt
im Tierversuch beobachteten Lo- und L-+-Werte sind wahrscheinlich
auch nur Resultanten der beiden Giftanteile. Wird das Gift 7 nun mit
einem frischeren Gift versetzt, so wirkt dieses ähnlich wie der Zusatz von
Peptonbouillon zu frischem Gift, wie wir in unserer dritten Mitteilung be-
schrieben. Der spontane Abschwächungsvorgang ist bis zu einem gewissen
Grade umkehrbar, was sich im obigen Beispiel dadurch ausdrückt, daß der
Lf-Wert des Gemisches kleiner war, als er der Berechnung nach hätte sein
dürfen.
Das Auftreten einer doppelten Zone wurde bereits von Glenny und
Wallace?) beschrieben. Aber diese Autoren fanden die Erscheinung
meistens durch das Serum bedingt, insofern ein Serum, das sich z. B. bei
der Flockung mit verschiedenen Giften stets als 290fach erwies, nebenbei
Flockungsmaxima zeigte, die den Werten 30, 55 und 60 entsprachen. Diese
zweite Flockung nennen Glenny und Wallace unspezifisch. Sie kann
aber manchmal zeitlich früher eintreten als die spezifische und dadurch
Irrtümer veranlassen, weswegen nur solche Sera zur Prüfung von Giften
dienen sollten, welche diese Erscheinung nicht zeigen. Wir selbst haben
dieselbe niemals mit Serum beobachtet, sondern nur mit älteren Giften,
und können in unserem Falle das zweite Flockungsmaximum nicht un-
spezifisch nennen, weil es ebenso wie das erste auf Toxin-Antitoxinbindung
beruht. Anderseits geht aus der Darstellung von Glenny und Wallace
nicht hervor, warum sie das zweite Maximum unspezifisch nennen. Ver-
suche, dasselbe auch bei Prüfung mit nicht Di-Gift enthaltender Bouillon
zu erhalten, sind nicht angegeben. Auch fehlen Angaben, ob solche Sera
besonders frisch oder besonders alt waren. Es ist nicht unwahrscheinlich,
daß solche Sera Di-Antikörper verschiedener Art besitzen 3).
1) Di-Gifte verhalten sich in dieser Hinsicht sehr verschieden, was vielleicht
an Eigentümlichkeiten der Bouillon liegt.
2) loc. cit. =
3) Daß das Antitoxin als solches Änderungen erfahren kann, hat Glenn y
(Journal of Hygiene 1913. 8. Nr. 1) gezeigt. Antitoxisches Di-Serum, das lange
Jahre bei 37° stand, ist danach in der Lage, wenn mit Gift gemischt und einge-
spritzt, beim Meerschweinchen wohl alle lokalen Reaktionen (Ödem) zu ver-
hindern, nicht aber den Di-Tod.
Von Dr. Hans Schmidt und Dr. Wilhelm Scholz. 193
Auch bei manchen Giften geben Glenn y und Wallace an, eine dop-
pelte Flockungszone beobachtet zu haben. Ob es besonders alte Gifte
waren, läßt sich aus der Darstellung nicht entnehmen. Hier wird das
zweite Maximum als nicht spezifisch bezeichnet, weil es sehr schnell ın
Mischungen mit großem Antitoxinüberschuß eintritt. So beschreiben die
Autoren ein Di-Gift, bei dem die Umrechnung ihrer Flockungskurve!) :
folgendes Flockungsbild gibt:
1 AE-+ ccm Gift: .... [0,016 | 0,018 |0,020 [0,0225 | 0,025 [0,0275 | 0,030 | 0,033
Flockung nach 3Std... | +++ | +++1+44+| ++ | ++ ña
1 AE 4+ ccm Gift:... 0,16 | 0,18 | 0,2
0,04 | 0,09 | 0,1 | 0,12
Flockung nach 3 Std. . | — en 4 dëck ee g de
0,16 wird als der spezifische Lf-Wert angesprochen, während die andere
Flockung, die bereits nach 1%, Stunden in die Erscheinung trat, als un-
spezifisch gelten soll. Diese letztere Flockung hat eine sehr breite Zone,
dessen Ende auf der antitoxischen Seite nicht in die Beobachtungsreihe
kam. Das Bild hat zwar eine gewisse Ähnlichkeit mit unserem Flockungs-
bild bei Di-Gift 7, aber auch hier ähnliche Ursachen für das doppelte
Flockungsmaximum anzunehmen, hindert uns der Umstand, daß wir bis
jetzt kein natives (nicht künstlich konzentriertes) Di-Gift beobachteten,
das einen so niedrigen Flockungswert von 0,02 hatte, der also einem 50-
fachen Di-Gift entspräche. Welche Art von Di-Gift aber die englischen
Autoren benutzten, läßt sich aus ihrer Mitteilung nicht entnehmen.
Wie die Flockung überhaupt zustande kommt und durch welche
Faktoren sie beeinflußt wird, werden wir in einer späteren Mitteilung zu
zeigen versuchen.
t.
0,14
Zusammenfassung.
1. Bei allen indirekten Di-Giftwertbestimmungen ist die am Tier
beobachtete Wirkung nicht nur die Folge des freien Toxins, sondern auch
wesentlich mitbedingt durch das aus der Bindung mit Antitoxin im
Tierkórper frei werdende Toxin. Die Toxin-Antitoxinbindung wird im
Laufe der Zeit fester.
2. Bei jedem Di-Gift ist Lo:Lf> 1. Der Wert dieses Verhältnisses
ist um so größer, je mehr das Di-Gift Toxoide enthält. Diese Abhängigkeit
vom Toxoidgehalt kommt bei dem Verhältnis L+:Lf noch mehr zum
Ausdruck.
3. Bei der Wertbestimmung von Di-Serum und Di-Giften durch das
Flockungsverfahren ist eine einmalige willkürliche Gleichsetzung des in
vitro erhaltenen Serumwertes mit dem in vivo erhaltenen notwendig, um
die Messung auf das Ehrlichsche Standardantitoxin zu beziehen. Die
Berechtigung dieser Gleichsetzung ist durch die Erfahrung erwiesen,
aber fortgesetzte Vergleichsproben mit dem Standardantitoxin sind nötig,
um grobe Abweichungen der in vivo Werte von den in vitro erhaltenen
trotz scheinbar einwandfreier Technik zu vermeiden.
= 4) Auf Seite 330 im Journ. of Path. & Bact. 1925. 28.
194 Kenntnis der Eigenschaften von Diphtherie-Toxin-Antitoxin-Gemischen.
4. Die Flockung von Di-Gift und Antitoxin erstreckt sich über eine
von Fall zu Fall verschieden weite Zone, die mit der Dauer des Versuches
an Ausdehnung zunimmt. Meistens liegt der Lo-Wert innerhalb der
Zone und in vielen Fällen kommt es sogar bei LE noch zur Flockung.
5. Der.Lf-Wert eines Giftes ist zwar von allen Giftwerten der bestän-
digste, aber auch er verändert sich, wenn auch erst nach längerer Zeit.
6. Bei einem alten Gifte (Nr. 7) konnten 2 Flockungsmaxima unter-
schieden werden. Diese Erscheinung kann durch die Annahme erklärt
werden, daß ein Teil des Giftes sich abgeschwächt und einen neuen nied-
rigeren Lf-Wert angenommen hat. Dem entspricht auch eine Abnahme in
den Lo- und L+-Werten; diese Werte sind Resultanten der 2 Giftanteile,
aber während sich bei diesen Werten die Spaltung des ursprünglichen
Giftes nicht mehr nachweisen läßt, ist sie bei der Flockung durch das Auf-
treten zweier Maxima noch zu erkennen. Bei Di-Serum wurde die Eigen-
tümlichkeit, zwei Maxima bei der Flockung zu bilden, von uns im Gegen-
satz zu Glenny, bisher nicht beobachtet.
Bioskopische Reduktionsmethoden II.
Vergleichende Untersuchungen mit der Nitro- und der Methylenblan-
Reduktionsmethode und ihre Verwendbarkeit für Stoffwechselunter-
( suchungen an Bakterien.
Von
Dr. med. O. Kirchner.
(Aus dem Hygienischen Institut der Universität Rostock (Direktor: Prof. Dr.
v. Wasielewski).
(Mit Unterstútzung der Rockefeller-Stiftung.)
(Bel der Redaktion eingegangen am 23. Juli 1925.)
Die vorangegangene kritische Untersuchung (Arch.f. Hyg. 1925,
Nr. 5—6, S. 280) führte zu dem Ergebnis, daß der Chemismus der Nitro-
reduktion ein außerordentlich komplizierter ist und bei der definitiven
Lipschitzschen Methodik die Fehlerquellen so groß sind, daß die mit
dieser Methodik gewonnenen Ergebnisse, soweit sie quantitativ sind, keine
strikte Beweiskraft beanspruchen können, insbesondere auch nicht die
Schlußfolgerung, daß der Nitroreduktion die prinzipielle Sonderstellung
einer im Gegensatz zu anderen Reduktionen aufs engste mit dem Atmungs-
prozeß verknüpften Reaktion zukomme.
Im folgenden sei nun über die eigenen Versuchsergebnisse mit der
Nitro- und mit der Methylenblau-Reduktionsmethode sowie über ver-
gleichende Untersuchungen mit Verwendung beider Farbstoffe berichtet.
A. Versuche mit der Nitro-Reduktion.
Der Anlaß zu der Untersuchung des Chemismus der Nitroreduktion
war die Feststellung, daß der durch bakterielle Reduktion aus dem Nitro-
anthrachinon entstehende rote Farbstoff durchweg nicht, wie von Bieling
(1) angegeben, das Aminoanthrachinon ist, sondern sich von diesem durch
eine schwächere Färbekraft und die Eigenschaft unterscheidet, daß seine
rote Farbe in alkalischer Lösung in Grün umschlägt; dieser Tatsache ist
hinzuzufügen, daß bei den verschiedenen Bakterienarten bedeutende
Unterschiede qualitativer Art im Reduktionsprodukt festzustellen sind,
neben den starken quantitativen Differenzen im Reduktionsvermögen.
In qualitativer Hinsicht scheinen sich von den untersuchten Bakterien-
arten der Staphylococcus aureus und der Bac. subtilis am gegensätzlichsten
196 Bioskopische Reduktionsmethoden II.
zu verhalten: Der Staphylococcus aureus, der sehr kräftig reduziert, liefert
ein mehr rosafarbenes Reduktionsprodukt, das in alkalischer Lósung eine
kräftige, saftgrúne Farbe annimmt; der Bac. subtilis, der sehr mäßig redu-
ziert, liefert (in 1proz. Peptonlösung) ein lachsrotes Reduktionsprodukt,
das in alkalischer Lösung seine Farbe behält. Hier ist also bis zum End-
produkt, dem Aminoanthrachinon C,¿H¿0,HN,, reduziert worden, während
der Staphylococcus aureus überwiegend nur bis zum Hydroxylamino-
anthrachinon C,,H„O,NHOH reduziert. Die meisten Bakterienarten stehen,
was die Zusammensetzung des Reduktionsproduktes anbelangt, zwischen
diesen beiden Extremen. Ihr Reduktionsprodukt enthält beide Reduktions-
stufen in wechselndem Verhältnis und zeigt demgemäß bei Zusatz von
KOH eine schmutziggrüne bis olivfarbene Mischfarbe. Auch bei ein und
derselben Bakterienart zeigen sich qualitative Unterschiede geringeren
Grades in Abhängigkeit von dem verbrennenden Substrat; Bac. subtilis
z. B. gibt in 1proz. mit NaCl isotonisch gemachter Traubenzuckerlósung
ein Reduktionsprodukt, das in alkalischer Lósung olivfarben wird, also
vermutlich ein Gemisch von Amin und Hydroxylamin darstellt. Auf die
Bedeutung des verbrennenden Substrates wird noch später zurückzu-
kommen sein. Die Ursache dieser qualitativen Differenzen ist vielleicht
in der Eigenart der Stoffwechselvorgänge der verschiedenen Bakterien-
arten bzw. in der Verschiedenheit der dabei statthabenden energetischen
Verhältnisse zu suchen; dafür spricht besonders die Abhängigkeit auch vom
verbrennenden Substrat.‘ Die Bildungswärmen des Hydroxylaminoanthra-
chinons und des Aminoanthrachinons sind nicht bekannt; es wäre vielleicht
möglich, daß gewisse Umsetzungen, z. B. die des Bac. subtilis in Pepton-
lösung mit einem solchen Energieverbrauch verlaufen, daß dazu die
Bildungswärme des Hydroxylaminoanthrachinons nicht genügte, vielmehr
eine eventuelle größere, bei Bildung des Aminoanthrachinons verfügbar
werdende Energiemenge erforderlich wäre. Für das Methylenblau hat
Meyerhof (8) die Bildungswärmen bestimmt; für die Umwandlung des
Methylalkohols in Formaldehyd ergibt sich nach Meyerhof für Sauerstoff
als Wasserstoffacceptor:
CHOH +0 > HCOH + Hai
63,4 40,4 68,4
aus der Differenz der Bildungswármen eine freiwerdende Wärmemenge von
54,4 cal; für Methylenblau als Wasserstoffacceptor dagegen:
CH¿OH +M (Meth.-blau) > HCOH + MH, (Meth.-blau-Base)
63,4 40,4 25,7
eine verfügbare Wärmemenge von nur 2,7 cal. — Erwähnt sei ferner noch,
daß nach Scholl und Eberle (12) bei der Reduktion des Nitroanthrachi-
nons in alkalischer Lösung von Traubenzucker als Nebenprodukt die
Azoxyverbindung des Anthrachinons entsteht, welche Verbindung also
wohl auch in dem bakteriellen Reduktionsprodukt anzunehmen ist, so daß
hinsichtlich der Zusammensetzung des bakteriellen Reduktionsproduktes
des Nitroanthrachinons das gleiche gilt wie für dasjenige des m-Dini-
trobenzols.
Von Dr. med. O. Kirchner. 197
Was die Versuchsanordnung betrifft, so machte die gegen-
über dem Aminoanthrachinon schwächere Färbekraft des bakteriellen
Reduktionsproduktes ein Abweichen von der ursprünglichen Vorschrift
Bielings notwendig. Diese sah als Vergleichsröhrchen eine Skala von 14
Teströhrchen gleichen Durchmessers vor, die in je 10 cm? Wasser von 0,1
bis 4,0 mg steigende Mengen Aminoanthrachinon enthielten. Da die
Lösungen des Aminoanthrachinons sehr beständig und in ihrem Farbton
den durch bakterielle Reduktion entstandenen Lösungen im allgemeinen
bei einiger Übung im Ablesen recht vergleichbar sind, so wurde die Amino-
` anthrachinonlósung wegen des großen Vorteils, eine konstante Testskala
zu haben, beibehalten. Der Bereich der Testskala wurde jedoch sehr ein-
geschränkt, und nur 8 Röhrchen, die 0,05, 0,1, 0,15, 0,2, 0,25, 0,3, 0,35
0,4 mg in je 10 cm® Wasser enthielten, zur Ablesung verwandt, wobei
die Röhrchen eines Versuches eventuell mit der ein- oder vielfachen Menge
Wasser so verdünnt wurden, daß alle Röhrchen in einem möglichst engen
Bereich dieser Skala abgelesen werden konnten. Die Ablesung geschah mit
dem Walpoleschen Komparator unter Verwendung besonderer Röhrchen,
die denselben Durchmesser wie die Röhrchen der Testskala haben. Zur
Ablesung wurden die sofort bei Beendigung des Versuches in Eiswasser
gestellten Röhrchen mit der entsprechenden Wassermenge verdünnt und
in die Ableseröhrchen umgegossen; hinter das abzulesende Röhrchen wurde
ein Röhrchen mit Wasser, hinter das Teströhrchen ein anderes geschaltet,
welches abgetötete Bakterienabschwemmung, Nährflüssigkeit und Nitro-
anthrachinon in gleichen Mengen bzw. in gleicher Verdünnung enthielt
wie das abzulesende Röhrchen. Bei den niedrigen Werten um 0,2 ist der
Farbton von Reduktionsprodukt und Aminoanthrachinon ziemlich gleich,
so daß bei einiger Übung auch Intervalle zwischen zwei Teströhrchen gut
abzuschätzen sind. Wo das Ablesen etwas schwieriger war, wie besonders
bei dem vorzugsweise Hydroxylaminoanthrachinon bildenden Staph. aur.,
wurden die einzelnen Röhrchen einer Versuchsreihe an der Testskala ge-
messen und die erhaltenen Werte kontrolliert, indem jedes Röhrchen mit
einem bestimmten Röhrchen der Reihe verglichen und die Differenz im
Farbton durch Hinterschalten von Aminorotröhrchen hinter das schwächer
gefärbte Röhrchen bestimmt wurde. So wurden feste Werte erhalten,
deren durch die Ablesung bedingte Fehler sicher innerhalb der der Nitro-
reduktion an sich zukommenden Fehlergrenzen liegen, Werte, die verglei-
chend-quantitativ verwandt werden können. In einer späteren Arbeit,
die mir erst kürzlich zu Gesicht gekommen ist, ist übrigens auch Bieling
(2) von seiner ursprünglichen Methodik ohne Angabe der Gründe abge-
gangen und geht nun so vor, daß er alle Röhrchen eines Versuches auf
den Farbton des am schwächsten gefärbten Röhrchens bringt, und die bei
den einzelnen Röhrchen dazu nötige Wassermenge angibt. — Die Mengen
in den Versuchsröhrchen betrugen 4,0cm3; 3,6cm’ davon entfielen auf die
Bakterienaufschwemmung plus Nährflüssigkeit, dazu wurden 0,4 cm?
1proz. Nitroanthrachinonlösung gesetzt. Die Menge 4,0 cm? wurde ge-
wählt, weil sie die zum Ablesen erforderliche Mindestmenge ist und ander-
seits noch ohne weiteres eine Verdünnung mit dem drei- bis vierfachen
Volumen-Wasser zur Ablesung gestattet. Zweckmäßig für ein möglichst
. 198 Bioskopische Reduktionsmethoden II.
rasches Ablesen nach Beendigung eines Versuches ist die Verwendung
einer 50 em? Dürette, aus der man die zur Verdünnung erforderlichen
Wassermengen zulaufen läßt. Die für den Versuch nötige Bakterienmenge
pro Röhrchen wurde in einem Vorversuch bestimmt und die Menge ge-
wählt, welche in einer bestimmten Zeit eine Reduktionsgröße von etwa
0,5 bis 1,0 zeigte. Im Hauptversuch wurden gewöhnlich je drei Parallel-
röhrchen angesetzt, die bei sorgsamem Ansetzen übereinstimmende Werte
gaben, wie Tabelle I zeigt. Dieser Versuch wurde in der Weise abgelesen,
daß der Farbton des Röhrchens 1 mit der doppelten Menge Wasser verdünnt,
mit den Teströhrchen, denen ein entsprechend verdünntes Coli-Bouillon-
Nitroanthrachinonröhrchen hintergeschaltet war, verglichen wurde. Der
Farbton wurde auf etwa 0,26 geschätzt, berechnete sich also für das unver-
dünnte Röhrchen auf 0,78. Mit diesem Versuchsröhrchen 4 wurden dann
die übrigen Versuchsróhrchen in entsprechender Verdünnung verglichen,
die Differenz im Farbton bestimmt und daraus der Wert berechnet.
Die Nitroreduktion, überhaupt wohl jede biologische Farbreduktion,
ist von einer Reihe von Faktoren abhängig und außerordentlich empfind-
lich. Eine geringe Verschiedenheit eines dieser Faktoren in den einzelnen
Röhrchen einer Versuchsreihe bewirkt schon erhebliche Differenzen in den
abgelesenen Werten. |
So scheinen Unterschiede ın der Bakterienzahl nicht vermeidbar,
wenn man z.B. bei der Beschickung von 5 Parallelröhrchen mit je 0,2 cm?
einer mäßig dichten homogenen Bakterienabschwemmung plus 3,4 cm?
Nährlösung plus 0,4 cm? Nitroanthrachinon so vorgeht, daß man die fünf
Röhrchen aus einer 1-cm8-Pipette unter sorgsamstem Abmessen direkt
mit der Bakterienabschwemmung beschickt; die nach Beendigung des
Versuches abgelesenen Werte bilden dann meist eine fallende oder steigende
Reihe. Mischt man dagegen die Gesamtmengen von Nährlösung und
Bakterienabschwemmung und beschickt die Röhrchen mit je 3,6 cm?
dieser Aufschwemmung, so erhält man ziemlich gleiche Werte.
Eine sehr wichtige Rolle spielen bei der bakteriellen Reduktion die
Temperaturverhältnisse, worauf für die Methylenblaureduktion schon
Cathcart und Hahn hingewiesen haben, und zwar sind die Unterschiede
in der Größe der Reduktion schon bei geringen Schwankungen in dem.
für die Versuche in Frage kommenden Temperaturbereich recht beträcht-
lich, wie die nachstehende Tabelle zeigt:
Tabelle 1.
B. coli, auf Schrägagar, 16 Std. alt; mit je 5 cm?
physiol. Kochsalzlösung abgeschwemmt.
Vorversuch.
o Coliab- Nitr. anthr. | Ablesung
1 3,5 cm? | 0,4 cm? 0,05
2 3,4 3. 0,4 an ,1
3 32 n 04 ,, 0,35
4 28 ,, , De „ 0,6
Von Dr. med. O. Kirchner: | 199
Hauptversuch. |
Abschwemmung von B. coli 8,0 cm? + Bouillon 28,0 cm? gemischt; 9 Röhrchen
mit je 3,6 cm? davon beschickt; sofort nach Einsetzen in die Wasserbäder Zusatz
von je 0,4 cm? Nitroanthr. 1:100. Nach 50 Minuten in Eiswasser und abgelesen.
Redukt.-Größe
Tempe- Ablesung der mit 200°/, Wasser |für das unver-
ratur verdünnten Röhrchen dünnte Röhr-
chen berechnet
l 0,26
2 par wie 1 0,26 Gi 0,78 | 100%,
3 wie 1 0,26 | 0,78
4 um 0,05 kleiner als 1:0,21 | 0,63
5 (e „003 ,, „ 1:0,23 0.9) 0,65 | 83%
6 „ 005 ,, „ 1:0,21 0,63
7 um 0,08 gróber als 1:0,34 | 1,02
8 p 40 „œ 008, „ 1:0,34 102) 1,02 |130%
9 0,08 ,, „ 1:0,34 | 1,02
Unter sonst gleichen Verhältnissen ist die Reduktionsgröße des B. coli
also bei 34° um 17% kleiner, bei 40° um 30% größer als bei 37°; für Staph.
aur. sind die entsprechenden Werte 0,53 bzw. 0,65 bzw. 0,94, also ebenfalls
bei 34° um 18%, kleiner, bei 40° um 44%, größer als bei 37°. Es ergibt sich
daraus die Notwendigkeit genauester Temperaturregulierung bei ver-
gleichenden Untersuchungen, bei denen, wie z. B. bei Versuchen über die
Abhängigkeit der Reduktion vom Sauerstoffpartialdruck, verschiedene
Wasserbäder benutzt werden müssen.
Ein wesentlicher Faktor, von dem die Reduktionsgröße, d.i. die
Menge des aus dem Nitroanthrachinon gebildeten Reduktionsproduktes
abhängt, ist in der Reduktionsdauer gegeben. Doch ist die Abhängigkeit
nicht so, daß die Reduktionsgröße der Reduktionsdauer stets proportional
wäre. Vielmehr wechselt dies Abhängigkeitsverhältnis einmal mit der
verwendeten Nährlösung; ferner ist es ein anderes beim Staph. aur., ein
Tabelle IlI.
Staph. aur., 16 Stunden alt, auf Schrägagar, abgeschwemmt mit je 5 cm? phys.
Kochsalzlösung. Nährlösung Peptonbouillon. Im Vorversuch wurde die pro
Röhrchen zu verwendende Menge mit 0,05 cm? der Abschwemmung bestimmt.
Die Röhrchen des Hauptversuchs wurden mit je 3,6 cm? einer Mischung von Bouil-
lon und Bakterienabschwemmung im Verhältnis 3,55:0,05 beschickt, ins Wasser-
bad von 37° gebracht und erhielten nach 5 Minuten je 0,4 cm? Nitroanthrachinon
1:100. 15,30... Min. nach dem Nitroanthrachinonzusatz wurden je 3 Röhrchen
in Eiswasser gestellt und sofort die Werte bestimmt, die gut übereinstimmten.
Einfachheitshalber ist in den Tabellen nur je ein.Röhrchen angeführt.
Zur Ver-
dünn. nötige
Wassermenge
Für das unver-
Abgelesen. (Junnt. Röhrch.
berechnet
Redukt.- |
-200 Bioskopische Reduktionsmethoden 11.
anderes beim Bact. coli; auch bei demselben Mikroorganismus, z. B. dem
Staph. aur., ist es davon abhängig, ob man eine Abschwemmung von Agar-
kulturen oder aber eine Bouillonkultur verwendet, welche Produkte des
bakteriellen Abbaus enthált und dadurch die Zusammensetzung der
Versuchslósung ändert. Die Tabelle II zeigt das Fortschreiten der Reduk-
tionsgröße für Staph. aur. bei Verwendung einer Abschwemmung von
Agarkulturen.
Die Reduktionsgröße steigt hier also keineswegs proportional der
Reduktionsdauer, sondern bedeutend stärker. Kurvenmäßig dargestellt
ergibt sich folgendes Bild (Fig. 1 Kurve a).
20 20 30 2 so 60 70 O 90
— Minulen —»
Fig. 1. Staphyloc. aureus in Boulllon.
Fortschreiten der Nitroreduktionsgröße.
02
Ähnlichen Verlauf zeigt die entsprechende Kurve (Fig. 4, Kurve a)
für Abschwemmungen von Diphtheriebazillen von Loefflerserumkulturen
in 1proz. Peptonlösung als Nährflüssigkeit. Zur Erklärung des zunehmenden
Ansteigens der Reduktionsgröße namentlich in der dritten Halbstunde
wären verschiedene Ursachen denkbar. Einmal könnte die anfänglich
geringere Reduktion irgendwie im Zusammenhang stehen mit der Über-
tragung von festem in flüssigen Nährboden, die ja die Oberflächenverhält-
nisse und damit die Stoffwechselvorgänge beeinflussen könnte. Daß dem
nicht so ist, zeigt die Kurve b, Fig. 1, die das Fortschreiten der Reduktion
in einem Bouillonversuch unter Benutzung derselben Staph.-Kochsalz-
abschwemmung wie in Versuch II darstellt, nachdem sie 24 Stunden bei
Zimmertemperatur gestanden hatte. Ihr Verlauf ist im wesentlichen der
gleiche wie der der Kurve a. — Auch die Möglichkeit, daß das anfängliche
Zurückbleiben der Nitroreduktion seine Ursache in dem zunächst genügenden
Vorhandensein gelösten Sauerstoffs hätte und mit dessen Abnahme das
Von Dr. med. O. Kirchner. 201
Verhältnis Nitroatmung zu Sauerstoffatmung sich zugunsten der Nitro-
reduktion verschöbe, scheint für den Staph. aur. bei Bouillon als Nähr-
lösung nicht zuzutreffen. Es wird hierauf im Zusammenhang noch aus-
führlich eingegangen. — Eine katalytische Wirkung des aus dem Nitro-
anthrachinon entstehenden Reduktionsproduktes läßt sich ebenfalls aus-
schließen, denn der Versuch III, in dem die Reduktionsgrößen aufeinander
folgender gleicher Zeiträume für sich bestimmt werden, wo also eine ev.
katalytische Wirkung von in den vorangegangenen Zeiträumen gebildetem
Reduktionsprodukt ausgeschlossen ist, zeigt eine analoge Steigerung.
Tabelle III.
Staph. aur., auf Schrägagar, 16 Stunden alt; mit physiol. Kochsalzlösung abge-
schwemmt; Nährlösung Peptonbouillon. Die zu verwendende Menge Bakterien-
abschwemmung mit 0,1 cm? pro Röhrchen im Vorversuch bestimmt; Haupt-
versuch: Röhrchen beschickt mit je 3,6 cm3 einer Mischung von Bouillon und
Bakterienabschwemmung im Verhältnis 3,5:0,1; in 37%; nach 5 min erhalten
die ersten drei Röhrchen je 0,4 cm? Nitroanthrachinonlösung 1 :100, nach weiteren
15 min die zweite Serie usw. Nach je 15 min Reduktionsdauer Herausnahme
der Versuchsröhrchen, Einstellen in Eiswasser und sofortiges Ablesen.
Für unver-
dünnt. Röhrch.
berechnet
Zur Ver-
dünn. nötige
Wassermenge
Nitroanthr.-Zusatz Redukt. da er
L
1 sofort 15 Min. ` 100 Zi, 0,1 0,2
4 nach 15 Min. 19: us | 200 %/ 0,2 0,4
7 , 30, 15 „ 300 %, 0,16 0,64
10 oo 45 15 „ 400 %. 0,17 0,85
13 „60 „ 15 „ 600 %, 0,14 « 0,98
16 o Je Se 15 „ 600 0,16 1,12
19 „ op 15 „ 700 %/, 0,16 1,28
22 „ 105 „ 15 „ 700 %. 0,16 1,28
25 , 120 „ 15 „ 700%, 0,16 1,28 *
28 3 Std. 15 Min. 15 ,, 700 % 0,17 1,36
3 |4, 15, 45 p 700 %, 0,18 1,4
aale, 15 „ 700 %, 0,19 1,52
37 8 „ 15 „ 700° 0,2 1,84
40 |12 „ 15 700%, 0,28 2,24
43 | 24 ,, 15 , 1000 %, 0,17 1,87
Aus diesem Versuch, in Fig. 2, Kurve a graphisch dargestellt, geht hervor,
daß die Größe der Nitroreduktion pro Viertelstunde für Staph. aur. in
Bouillon in den ersten zwei Stunden rapide, in den nächsten vier langsamer
steigt und nach 12 Stunden einen maximalen Wert erreicht, um dann sehr
langsam abzusinken. Dies läßt keine andere Deutung zu als die, daß die
Bakterien bei ihrer Tätigkeit Stoffe bilden, welche die Nitroreduktion
fördern. Bieling (2) sieht in solchen, in gewissen alten Bouillonkulturen
vorhandenen Fördersubstanzen von den Bakterien aufgebaute vitamin-
artige, den Gesamtstoffwechsel anregende Eiweißstoffe; ebenso hält
Bieling die in gewissen anderen Bouillonkulturzentrifugaten verminderte
Reduktionsgröße für durch ähnliche den Gesamtstoffwechsel hemmende
Substanzen bedingt. Mehr Wahrscheinlichkeit scheint mir eine andere
Annahme zu haben, nämlich die, daß es sich bei den Fördersubstanzen um
Zwischenstufen des bakteriellen Abbaus der in der Bouillon vorhandenen
Archiv für Hygiene. Bd. 96, 16
202 Bioskopische Reduktionsmethoden II.
Nahrungsstoffe handelt, die einer Umsetzung unter Verwendung des Nitro-
sauerstoffs zugänglicher sind. Gegen die Annahme spezifischer Förder-
und Hemmungssubstanzen spricht offenbar der in Fig.2 Kurve b darge-
stellte Parallelversuch zu Versuch 111, der mit der gleichen Staphylococcen-
aufschwemmung und in genau derselben Weise, aber 3 Stunden später,
angesetzt wurde; er unterschied sich von Versuch III nur dadurch, daß
jedes Röhrchen statt 3,5 cm? nur 2,9 cm? unbeimpfte Bouillon enthielt,
— S/UMEen —»
Fig. 2. Nitroreduktionsgröße in aufeinanderfolgenden gleichen Zeiträumen,
Staphyloc. aur. in Bouillon.
dafür aber einen Zusatz von 0,6 cm? Filtrat einer 14 Tage aerob bebrüteten
Staph. aur.-Bouillonkultur. Sind die von Bieling in vier Tage alten Staph.-
Bouillon-Kulturen festgestellten hemmenden Substanzen vitaminartige
Aufbaustoffe, so würden sie wohl auch in 14 Tage alten Kulturen noch vor-
handen sein; um anderseits sicher zu sein, daß alle in der Bouillon vorhan-
denen Stoffe, die vom Staph. aur. abgebaut werden können, aufgebraucht
sind, wurde eine 14 Tage alte Kultur gewählt. Die Kurve b gleicht nun
in ihrem Verlauf ganz der des Versuches 111; es scheint keinerlei Wirkung
einer spezifisch hemmenden Substanz erkennbar, die doch wohl in einer
Herabsetzung des Unterschiedes zwischen Anfangs- und maximalem Wert
zum Ausdruck kommen würde.
Übrigens sind nicht nur die ReduktionsgrófBen aufeinanderfolgender
Zeiträume verschieden, sondern sie weichen auch bei den einzelnen Bak-
terienarten in anderer Weise ab; B. coli z. B. zeigt in den ersten Phasen
ebenfalls eın starkes Ansteigen der Reduktionsgröße pro Viertelstunde,
aber beim B. coli ist der scharfe Anstieg nach einer Stunde beendet, beim
Von Dr. med. O. Kirchner. 203
Staph. aur. erst nach zwei Stunden; beim B. coli ist die Reduktionsgró Be
auf der Höhe der Reduktion nur etwa 21, mal so groß als der Anfangswert,
beim Staph. aur. dagegen siebenmal so groß. In Fig. 3 sind die Reduktions-
größen für B. coli in den aufeinanderfolgenden Viertelstunden dargestellt.
Die Versuche entsprechen denen mit Staph. aur., doch waren hier 0,6 cm?
einer dichten Coliabschwemmung nötig; Kurve a ist ein Versuch mit Bouil-
lon als Nährlösung, ebenso gibt Kurve b die Resultate eines Versuches,
bei welchem als Nährlösung eine Mischung von 5 Teilen Bouillon mit 1 Teil
einer filtrierten 14 Tage bebrüteten Colibouillon, die nach Bieling Förder-
substanzen enthält, verwandt wurde.
70
08
— Stunden —
Fig. 3. Nitroreduktionsgröße in aufeinanderfolgenden gleichen Zeiträumen.
B. coli in Bouillon,
- Zwei Versuche mit Diphtheriebazillen zur Feststellung der Reduktions-
größen in aufeinanderfolgenden gleichen Zeiträumen lassen sich ebenfalls
mit der Bielingschen Hypothese kaum erklären. Kurve a, Figur 4 stellt
das Ergebnis des ersten Versuches dar, in welchem eine Abschwemmung
mit Peptonlösung von 16 Stunden alten Diphtheriebaz.-Kulturen auf
Loefflerserum benutzt wurde; Kurve b des zweiten Versuches, in welchem
zur Herstellung der Bakterienabschwemmung ebenfalls 16 Stunden alte,
aber sofort nach der Beimpfung mit Peptonlösung überschichtete Loeffler-
serumröhrchen dienten. Als Nährlösung wurde in beiden Versuchen
Peptonlósung (1%, Pepton, 0,7% NaCl) verwendet, und zwar enthielten
die Röhrchen des zweiten Versuches auf 1 Teil der Abschwemmung 31%
Teile frischer Peptonlösung, so daß ein Mangel an Nährstoffen hier nicht
in Frage kommen kann. Die Bakterienkonzentrationen waren in Versuch a
75 Millionen pro cm, in Versuch b 107 Millionen; sie differierten also nicht
sehr stark.
Würde man die unzweifelhafte Steigerung der Nitroreduktion in b als
Teilerscheinung einer Förderung des gesamten Stoffwechsels auffassen, so
ist der Abfall, das Aufhören der fördernden Wirkung nach der kurzen Zeit
von 2 Stunden, nicht verständlich — eine Erschöpfung der Nährflüssigkeit
ın dieser kurzen Zeit ist wohl kaum anzunehmen — zumal in a etwa nach
16*
-204 Bioskopische Reduktionsmethoden II.
eben derselben Zeit die Fórderwirkung dieser hypothetischen Substanz
deutlich wird. Sieht man dagegen in der gesteigerten Nitroreduktion eine
Erscheinung für sich, die ihre Ursache in dem Vorhandensein gewisser
V-1 RN 2 Ve 3 TR Y RPS
Stunden —
Fig. A Reduktiousgröße in aufeinanderfolgenden Zeiträumen bei B. diphth.:
a) in frischer Pepton-Nährlösung (Keimzahl 75 Millionen),
b) in teilweise alter Nährlösung (Keimzahl 107 Millionen).
mit dem Mittel der Dehydrierung leicht abzubauender Substanzen hat,
so sind damit die beiden Kurven besser zu erklären. In Versuch a findet
mit dem allmählichen Entstehen solcher Abbaustufen ein langsamer An-
stieg der Nitroreduktion statt; in Versuch b dagegen würde das reichliche
Vorhandensein solcher Substanzen in der alten Nährflüssigkeit die Nitro-
reduktion in den ersten Phasen stark steigern, worauf die Reduktionsgröße
absinkt auf ähnliche Werte, wie sie Versuch a zeigt.
Ein Versuch durch Verwendung eiweißfreier Nährlösung, und zwar
1 proz. Traubenzuckerlösung mit 0,7% NaCl, die Frage zu entscheiden,
ob es sich bei den die Nitroreduktion steigernden Substanzen um eiweiß-
artige Stoffe handelt oder nicht, ergab für Staph. aur. ebenfalls, daß bei
Verlängerung der Reduktionsdauer die Nitroreduktion nicht proportional,
sondern stärker anstieg. Beim Traubenzucker als verbrennender Substanz
ist aber der Sauerstoffpartialdruck von erheblichem Einfluß auf die Größe
der Nitroreduktion, wie weiterhin gezeigt werden wird, so daß die ge-
steigerte Nitroreduktion hier ausschließlich oder zum Teil durch den in der
Tiefe der Versuchsröhrchen bald auftretenden Sauerstoffmangel bedingt
sein kann; ım Gegensatz zur Bouillon, wo eine solche Abhängigkeit jeden-
falls nicht nachweisbar ist.
Besteht nun eine Abhängigkeit der Nitro-Reduktion vom Sauer-
stoffpartialdruck? In diesem Punkt stehen sich die Anschauungen
von Lipschitz und Bieling gegenüber. Lipschitz bezeichnete zunächst
die Nitro- und die Sauerstoffatmung als konkurrierende Reaktionen, also
Von Dr. med. O. Kirchner, 205
weitgehend gleichwertig und das Verháltnis der einen zur anderen als im
wesentlichen von dem des Angebotes an Sauerstoff bzw. Nitrokórper ab-
hängig in der Weise, daß die Nitroreduktion bei Sauerstoffausschluß
höchste Werte habe, bei hohem Sauerstoffangebot dagegen auf verschwin-
dende Werte zurückgehe. Er erweiterte das später dahin, daß die Nitro-
atmung außer den atmungsartigen auch gärungsartige Stoffwechselprozesse
erfasse. Bieling trennt dagegen die Nitroatmung als chemische Atmung
streng von der Sauerstoffatmung; beide verliefen nebeneinander, ohne
sich gegenseitig zu beeinflussen. Der Auffassung von Lipschitz liegen
im wesentlichen die Ergebnisse von Reduktionsversuchen am überlebenden
Muskel in physiologischer Kochsalzlösung zugrunde; diejenige von
Bieling stützt sich auf Versuchsergebnisse an Bakterien, speziell an Staph.
aureus in Bouillon.
Die Empfindlichkeit der Nitroreduktion und ihre Abhängigkeit von
einer Reihe Faktoren macht es bei vergleichenden Untersuchungen not-
wendig, alle übrigen Bedingungen, .insbesondere die Temperaturverhált-
nisse in den Parallelversuchen genau gleich zu gestalten. Es wurden also
sämtliche Versuchsröhrchen mit je 3,6 cm3 der gleichen Mischung von
Bakterienabschwemmung und Nährlösung beschickt, die eine Hälfte der
Röhrchen wurde für den Versuch bei Sauerstoffabwesenheit, die andere
für den Kontrollversuch bei Luftzutritt verwendet. Als Wasserbad für
den anaeroben Versuch diente ein starkwandiges zylindrisches Glasgefäß
mit aufgeschliffenem Deckel, wie es von A.Meyer (7) als sog. Kulturvakuum
angegeben ist. Die Versuchsröhrchen wurden, in einem Gestell befestigt,
in das mit Wasser von 37° zur Hälfte gefüllte Kulturgefäß hineingesetzt;
sofort nach der Beschickung der Röhrchen mit je 0,4 cm? 1proz. Nitro-
anthrachinonlösung wurde der Deckel aufgesetzt und das Gefäß an der
Wasserstrahlpumpe evakuiert. Das Sieden des Wassers und der Röhrchen
im Kulturvakuum beginnt nach 1 bis 2 Minuten; das Auspumpen wurde
während weiterer 3 bis 5 Minuten fortgesetzt, so daß durch die fortgesetzte
Dampfblasenentwicklung. der gelöste Sauerstoff so gründlich wie es bei
biologischen Versuchen nur möglich ist, entfernt wird. Zur Abdichtung
des Vakuums wurde der leicht zu handhabende und zuverlässig schließende
Gummiabschluß verwendet, wie er anderen Ortes (4) beschrieben ist.!)
Eine sichere Kontrolle des unbedingten Abschlusses ist in dem Kondens-
wasser gegeben, das sich in dem Spalt zwischen dem inneren Rand der
Gummiringe und den beiden Schlifflächen des Vakuums ansammelt und
jedes Eindringen von Luftblasen anzeigen würde. Da beim Sieden die
Temperatur im Innern des Vakuums absinkt, so wurde die Anfangstempera-
tur in demselben auf etwa 40° gebracht, an einem kleinen im Vakuum
befindlichen Thermometer die Temperatur dauernd beobachtet und die
Temperatur des für den Kontrollversuch dienenden Wasserbades danach
4) Zur Herstellung des Abschlusses empfiehlt es sich, die den Drahtring
zwischen sich schließenden Gummiflächen einmalig mit möglichst zähklebendem
Lanolin oder ähnlichem zu bestreichen. Die Ringe verkleben dann und braucht
man weiterhin nur die Gummidichtung als ganzes zwischen die zweckmäßig
mit (nichtklebendem) Vaselin eingefetteten Schlifflächen zu legen. Gebrauchs-
fertige Ringe sind von der Firma Ernst Leitz, Berlin zu beziehen.
206 Bioskopische Reduktionsmethoden II.
reguliert. In dieser Weise wurde eine große Anzahl Versuche an verschie-
denen Bakterien unter Verwendung verschiedener Nährlösungen durch-
geführt. Für Staph. aureus ergab sich, daß in Bouillon, also bei eiweiB-
artigen Stoffen als verbrennender Substanz eine einwandfreie Beeinflussung
der Nitroreduktion durch Sauerstoffmangel nicht festzustellen ist. Tabelle
IV gibt die Resultate eines derartigen Versuches, der zugleich Aufschluß
darüber geben soll, ob die sog. Fördersubstanzen in ihrer Entstehung von
Sauerstoffanwesenheit abhängig sind oder nicht.
Tabelle IV.
Staph. aur., auf Schrägagar, 16 Std. alt, mit physiol. Kochsalzlósung abge-
schwemmt; Náhrlósung Peptonbouillon. Menge der Staph. Abschwemmung pro
Róhrchen im Vorversuch mit 0,1 cm? bestimmt. Hauptversuch: Róhrchen be-
schickt mit je 3,6 cm? einer Mischung von Bouillon und Bakterienabschwemmung
3,5:0,1. Die Róhrchen des Versuchs b werden zunächst A Stunden aerob bei 370,
die des Versuches c anaerob bei 37% gehalten; die Róhrchen des Versuches a
werden nicht sofort zum Versuch verwendet, sondern nach 4 Std. in Eiswasser
gemeinsam mit denen von b und c. Nach 4 Std. werden alle Röhrchen für 15 min
in Eiswasser gebracht, kommen dann in das aerobe bzw. das anaerobe Wasserbad
und erhalten nach 5 min je 0,4 cm? Nitroanthrachinonlösung 1:100; nach 30 min
Reduktionsdauer kommen die Röhrchen in Eiswasser und werden EES
! Bei Luftzutritt
Im \ Vakuum
= S | Fürun- = & Für un-
3 eduk- | 3
ERE abgeı. | VETA: are] | © LESE Mittel-
338 | ROhr- tions- (3535
o Y Q
> S > E
a) geg 4 Stunden in Eiswasser.
1 | 30 Min. | 200%, 0,14 | 2 |) 5130 Min. | 200 9 0,15 | 0,45 |
2130 „ |2009%,1 0,15 | es 0,42 | 6130 , [200% 0,13 | 0,39 Vo ¿y
3|30 ,, |200%, 0,13 | 0,39 f” : D „ 1200% 0,16 | 0,48 |( °
4130 .. |200%,| 0,13 | 0,39 „200%, 0,15 | 0,45
b) zuvor 4 Stunden in SC bei Luftzutritt.
9130 Min. |1000%,| 016 | 1,76 13 | 30 Min. ¡1000%,| 0,16 | 1,76 |
10[30 ,, Wou 0,17 | 1,87 |l; -g [14|30 ,, ¡1000%,| 0,17 , 1,87 [ly g7
11130 ,, [1000%,)j 0,15 | 1,65 (> Jis|30 ,, |1000%, T 1,98 Í '
12130 ,, ¡1000%,| 0,16 ' 1,76 16130 ,, |1000%,| 0,17 | 1,87
c) zuvor 4 Stunden in 37° im Vakuum.
17 | 30 Min. | 700 %/,| 1,44 21 | 30 Min. 700 %, ech 1,28
18130 ,, [700% 0,16 | 1,28 ||, 34 122130 „ [|700%o 0,16 | 1,28 |,
19|30 ,, [|700%, 0,15 | 1,20 f” 23:30 ,, 100 S/o! 0,18 | 1,44 Í >
20130 ` |700%, 0,18 : 1,44 24130 ,, |700%,| 0,15 | 1,20
Aus dem Versuch geht hervor, daß die sog. Fórdersubstanzen unter anaero-
ben Verhältnissen ebenso wie bel Luftzutritt, aber in etwas geringerer Menge
entstehen. Die Differenz zwischen den Reduktionsgrößen der anaeroben
Versuche und denen der aeroben Parallelversuche ıst dagegen so gering,
daß eine Abhängigkeit der Nitroreduktion vom Sauerstoff beı Verwendung
von Peptonbouillon, wenn überhaupt vorhanden, so doch nur sehr gering
sein kann. Ähnlich war auch bei anderen Bakterien, so B. coli und B.
Von Dr. med. O. Kirchner. - 207
diphtheriae, eine Abhängigkeit der Reduktionsgröße vom Sauerstoff bei
Verwendung von Peptonbouillon nicht festzustellen.
Ganz anders liegen die Verhältnisse aber bei Verwendung von Trauben-
zuckerlösung als Nährflüssigkeit; hier ist bei den meisten untersuchten
Bakterienarten eine mehr oder weniger ausgesprochene Abhängigkeit
der Größe der Nitroreduktion von dem Sauerstoffangebot vorhanden.
Tabelle V zeigt das für Staph. aureus.
Tabelle V.
Staph. aur., auf Schrägagar, 16 Std. alt, mit physiol. Kochsalzlósung abge-
schwemmt. Nährflüssigkeit 1proz. Traubenzuckerlösung mit 0,7% NaCl; Menge der
Staph.-Abschwemmung pro Röhrchen im Vorversuch mit 0,5 cm? bestimmt.
Hauptversuch: Röhrchen mit je 3,6 cm? einer Mischung von Traubenzucker-
lösung und Staph.-Abschwemmung im Verhältnis 3,1:0,5 beschickt ; wie im vorigen
Versuch werden die Röhrchen des Versuches a zunächst 4 Std. in Eiswasser,
des Versuches b 4 Std. aerob bei 37°, des Versuches c anaerob bei 37° gehalten.
Nach 4 Std. werden alle Röhrchen für 15 min in Eiswasser gebracht, kommen dann
in das aerobe bzw. anaerobe Wasserbad und erhalten nach 5 min je 0,4 cm?
Nitroanthrachinonlösung 1:100. Nach 60 min Reduktionsdauer Einstellen in
Eiswasser und Ablesen.
Bei Luf tzutritt
Im Vakuum
= S Für un- 2 S Für un-
-| 386% verd. SE verd.
o i Sa E| abgel. Mittel- SEWE| abgel. Mittel-
= > d = he =
tions- |3335 Röhr SSSS| Wert Röhr ;
dauer | E a S Wert chen wert GE 3 er chen | wer
> S ber. 2 > ber.
a) zuvor 4 Stunden in Eiswasser.
1160 Min. |400°,,| 0,23 ¡ 1,15 5 [60 Min. |100°%,| 0,24 | 0,48 |
2160 ,, 1400°/,| 0,21 | 1,05 1.14 | 6)60 , 1100 Dél 0,22 | 0,44 0.48
3160 ,, |400%, 0,25 | 1,25 i 7|60 „ |100%,| 0,2 | 0,4 | ,
4|60 ,, |400%/,: 0,22 | 1,10 8/60 ,, 1200%,| 0,2 0,6
b) zuvor 4 Stunden in 37° bei Luftzutritt.
9 o — Eeer | 13 60 Min. | — "äs |
10 60 „ zo sp 0,15; 14 | 60 nm TT D 0,2
11160 ,, — i, 0,15 c2a.0,15 15 | 60 SEA be | ıca.0,17
12160 ,, A 0,17| 16160 , ` — !,,0,12
c) zuvor 4 Stunden bei 37% im Vakuum.
17160 Min | — [ca 0,15 | 21 |60 Min.| — ES 0,2]
18160 ,, — |,,0,15 | 22160 ,, — |, 0,2
19160 ` — 1702 ca.0,17 23160 ` Bu les 0,2 ca.0,17
20 60 , SA ir 0,2 | 24 60 an "Ian 0,1
d Kontrollróhrchen mit physiol. Kochsalz- statt Traubenzuckerlösung zuvor
4 Stunden in Eiswasser.
1|60 Min.) — |ca.0,15 4|60 Min.| — |ca.0,05
2160 ,, — len DAD ca.0,08] 5|60 „ — Ia DA ca.0,08
3/60 „ — 1»,,0,15 | 6160 „ „0,1
Die Reduktionsgröße bei Sauerstoffabwesenheit hat also mehr als den
doppelten Wert gegenüber der bei Luftzutritt; die Unterschiede werden
übrigens im allgemeinen umso ausgesprochener, je größer die Reduktions-
dauer ist. Der Kontrollversuch d, welcher mit gleichen Bakterienmengen,
208 Bioskopische Reduktionsmethoden II.
aber mit physiol. Kochsalz- statt mit Traubenzuckerlösung angesetzt ist,
zeigt eine minimale Reduktionsgró Be, ein Beweis, daß die hohen Werte von a
durch den Traubenzucker bedingt sind. Auffällig sind die ganz geringen
Werte der Röhrchen b und c, während im Bouillonversuch IV die 4 Stunden
bei 37% gehaltenen Röhrchen den drei- bis vierfachen Wert der Röhrchen a
zeigen. Das hat seine Ursache offenbar in einer Verschiebung der Re-
aktion nach der sauren Seite, wie aus dem folgenden Versuch hervorgeht:
Tabelle VI.
Staph. aur. Abschwemmung 0,6 cm? + 3,0 cm3: a) 1proz. Traubenzuckerlösung
(mit 0,5% NaCl und 0,5% Na,HPO,), b) bei 1proz. Traubenzuckerlösung (mit
0,7% NaCl); Reduktionsdauer 30 min.
1) Sofort angesetzter Versuch; im Vakuum: Reduktionsdauer 30 min.
Trbz.-LOs. | Trbz LOs.
m. Phosphat¡o.Phosphat
py zu Beginn des Nitrored.-Versuches . . . . . . +.
pu zu Ende des Nitrored.-Versuches . ..........
Reduktionsgröße, Mittelwert aus je 3 Versuchsröhrchen 0,61
2) zuvor 4 Stdn. bei 37° gehalten; Reduktionsdauer 30 Min.; im Vakuum.
Trbz.-Lös. | Trbz.-Lös.
m. Phosphat 0.Phosphat
pp zu Beginn des Nitrored.-Versuches . . . . . . . . 7,5 6,5
pp zu Ende des Nitrored.-Versuches . . .. 2.2... 7,3 6,5
. Reduktionsgröße, Mittelwert aus je 3 Versuchsröhrchen 0,83 0,16
Die Nitroreduktion ist hier, also für Staph. aur. in Traubenzuckerlösung
in hohem Maße von der Reaktion abhängig; schon bei der nach 4 Stunden.
erreichten pH von 6,5 ist sie nur noch recht gering. Wird die Säurewirkung
durch Zusatz von Dinatriumphosphat ausgeschaltet, so ergeben sich für
die 4 Stunden bei 37% gehaltenen Röhrchen zwar keine höheren Werte
wie im Bouillonversuch, aber doch die gleichen wie für die frischenRöhrchen:
Tabelle VII.
Angesetzt wie Versuch V, aber mit 0,6 cm? Staph. aur. Abschwemmung und 1 proz.
Traubenzuckerlösung mit Phosphatzusatz D 5% | Na NO 0,5% NaCl).
Bei Luftzutritt
Zur Ver-
Redukt.- Mittel-
Dauer | 4ünn. nötige | wert
Wassermenge
Im n Vakuum o
Zur Ver-
dünn. nötige | Mittel-
Wassermenge
Redukt.-
Dauer
a) Zuvor 4 Std. in Eiswasser.
1—3 |45 Min.| 500% | LI | 4—6 | 45 Min | 300%, | 0,65
b) Zuvor 4 Std. in 37% bei Luftzutritt.
7—9 | 45 Min. | 500% ' 11 | 10—12 | 45 Min | 300%, | 0,65
c) Zuvor 4 Std. in 37% im Vakuum.
13—15 | 45 Min. | 500%, ! 10 | 16-18] 45 Min. | 300%, ; 0,75
Bei Traubenzucker als verbrennendem Substrat und Staph.aur. als
reduzierendem Agens besteht also eine Abhängigkeit vom molekularen
Von Dr. med. O. Kirchner. 209
Luftsauerstoff. Anderseits ist hier ein Entstehen reduktionsfórdernder
Substanzen nicht festzustellen, beides im Gegensatz zur Bouillon.
Es verhalten sich aber keineswegs alle Bakterien dem Traubenzucker
gegenüber wie der Staph. aureus. B. coli bewirkt nur in erheblich größeren
Konzentrationen in Traubenzuckerlösung als Nährflüssigkeit eine deutliche
Reduktion, die sich als vom Vorhandensein molekularen Sauerstoffes un-
abhängig erweist.
Tabelle VIII.
Menge der Coliabschwemmung pro Röhrchen im Vorversuch mit 1,8 cm? be-
stimmt; Hauptversuch: 1,8 cm? Coliabschwemmung + 1,8 cm? 1proz. Trauben-
zuckerlósung (mit 0,7% NaCl); Reduktionsdauer 60 min, sonst genau wie V’
angesetzt.
Im Vakuum Bel Luftzutritt
Zur Ver-
dünn. nötige
Wassermenge
Redukt.-
Mittel-
Dauer wert
Zur Ver-
dünn. nötige
Wassermenge
a) Zuvor 4 Std. in Eiswasser.
1—3 | 60 Min. | 400%, | 0,83 | 4-6 |60 Min. | 400% | 0,83
b) Zuvor 4 Std. in 37° bei Luftzutritt.
7—9 [60 Min.) 400% | 10 | 10-12 | 60 Min. ! 400%, | 0,95
c) Zuvor 4 Std. in 37° im Vakuum.
13—15 | 60 Min. ' 400%, | 10 | 16—18 | 60 Min. | 400%, | 10
d) Kontrollversuch mit physiol. Kochsalz- statt mit Trbz.-Lösung;
zunächst 4 Std. in Eiswasser gehalten.
1—3 | 60 Min. | 400%, | 155 | 4—6 |60 Min. | 400%, | 1,45
Die Verhältnisse bei der von B. coli in Traubenzuckerlösung bewirkten
Nitroreduktion liegen recht kompliziert. Außer der Unabhängigkeit vom
molekularen Luftsauerstoff fällt vor allem auf, daß der Kontrollversuch d
mit gleichen Bakterienmengen, aber physiol. Kochsalz- statt Trauben-
zuckerlösung fast den doppelten Wert zeigt wie Versuch a. Es sind also
in der mit physiol. Kochsalzlösung hergestellten Abschwemmung von
46 Stunden alten Colikulturen auf: Schrägagar Nährstoffe vorhanden,
mittels deren das B. coli die Nitroreduktion zu unterhalten vermag. Man
könnte nun zunächst annehmen, daß diese Reduktion durch sehr bald ent-
stehende, aus dem Traubenzucker gebildete schädigende Stoffe, vor allem
Säuren, gehemmt wird.
Tabelle IX.
Coliabschwemmung 1,8 cm? + 1,8 cm?: a) 1proz. Traubenzuckerlösung (mit
0,5% NaCl und 0,5% Na¿HPO,); b) 1proz. Traubenzuckerlósung (mit 0,7% NaCl,
- Ohne Phosphat); c) 0,85proz. NaCl-Lösung.
1) Sofort angesetzter Nitroreduktionsversuch; Reduktionsdauer 35 min.
Trbz.-Lös. | Trbz.-Lös. |. Nacl-
m. Phosphat|o.Phosphat Lösung
py zu Beginn des Nitrored.-Versuches . . . .
py zu Ende des Nitrored.-Versuches. . . . .
Reduktionsgröße, Mittelwert aus je 3 Röhrchen
210 Bioskopische Reduktionsmethoden II.
2) 3 Std. bei 37° gehalten, dann Nitroreduktionsversuch angesetzt; Reduk-
tionsdauer 35 min; drei der NaCl-Röhrchen wurden durch Zusatz von 0,15 cm?
La n-HCl-Lösung auf eine pH von 6,6 gebracht.
Trbz.-Lös.| Trbz.-Lös. NaCl.-
Lösung
NaCl.-Lös.
| angesäuert
pH zu Beginn des Nitrored.-Versuches 5,6 5,1
pH zu Ende des Nitrored.-Versuches 5,4 5,1 6,6
Reduktionsgröße, Mittelwert aus je 3 |
Röhrchen ........... 0,75 | 0,85 0,0
Aus dem Versuch IX 1) scheint hervorzugehen, daß die Veränderung der
Wasserstoffionenkonzentration eine Rolle spielt, denn der Versuch mit
NaCl-Lósung zeigt bei einer konstanten pp von 7,6 den höchsten Wert
mit 0,88; der mit Traubenzuckerphosphatlösung bei einer pp von 7,7 bis
7,0 den Wert 0,5; der Versuch mit Traubenzuckerlösung ohne Phosphat
bei einer py von 7,5 am Anfang und 5,6 zu Ende des Versuches den Wert
0,4. Der Parallelversuch IX 2) ergibt aber nun, daß, ähnlich wie die Röhr-
chen b und c des Versuches VIII, die durch B. coli in Traubenzucker be-
wirkte Nitroreduktion bei einer py von 5,6 bzw. 5,1 ungehemmt verläuft,
im Gegensatz zum Staph. aureus, wo die Nitroreduktion in Traubenzucker
schon bei einer pg von 6,5 fast aufgehoben ist. Auf der anderen Seite
erweist sich die Nitroreduktion des B. coli in physiol. Kochsalzlösung,
welche wohl durch in der Abschwemmung vorhandene Nährstoffe irgend-
welcher Art unterhalten wird, als an neutrale Reaktion gebunden. Säuert
man nämlich einen Teil derselben NaCl-Röhrchen, die bei einer py von
7,6 eine Reduktionsgröße von 0,8 zeigen, durch Zusatz einer entsprechenden
Menge HCl bis zu einer pp von 6,6 an, so wird die Nitroreduktion voll-
kommen aufgehoben.
Es scheinen hier beim B. coli also, N betrachtet, zwei ver-
schiedene Arten von Nitroreduktion mit verschiedenen Eigenschaften sich
zu kombinieren. Auf der einen Seite wäre das die mit dem Abbau von
Traubenzucker einhergehende Nitroreduktion, die, vom molekularen
Sauerstoff unabhängig, auch bei saurer Reaktion verläuft; anderseits eine
mit in der Bakterienabschwemmung vorhandenen Stoffen unterhaltene
Nitroreduktion, welche, ebenfalls unabhängig vom Sauerstoff, nur bei neu-
traler Reaktion vonstatten geht. Eine dritte Art der Nitroreduktion mit
wieder anderen Eigenschaften ist die durch Staph. aur. in Traubenzucker
bewirkte, welche vom molekularen Sauerstoff abhängig ist, also mit der
Sauerstoffatmung konkurriert und für ihren Ablauf auf eine neutrale Re-
aktion angewiesen ist.
Was nun speziell den Traubenzucker betrifft, so ist also die mit seinem
Abbau verknüpfte Nitroreduktion eine andere beim Staph. aur., eine
andere beim B. coli. Zur Erklärung dieser verschiedenen Arten von Nitro-
reduktion ist es nötig, sich dessen bewußt zu bleiben, daß die Nitroreduktion
nichts Selbständiges ist, sondern Teilerscheinung einer chemischen Um-
setzung innerhalb eines aus drei Faktoren bestehenden Systems: 1. der
abbaufähigen Substanz, die dehydriert bzw. oxydiert wird, dt. der Nähr-
substanz; 2. des hydrierbaren bzw. desoxydierbaren Wasserstoffaccep-
tors bzw. Sauerstofflieferanten; 3. der lebenden Zelle, deren Fermente
Von Dr. med. O. Kirchner. 211
die Umsetzung katalysieren. Der Abbau der Nahrungsstoffe geschieht mit
den Mitteln der Dehydrierung, d.i. Abspaltung von Wasserstoff, der An-
lagerung von Wasser und vielleicht der Oxydierung, d.i. Anlagerung von
Sauerstoff in wechselnder Aufeinanderfolge.
Ob der Traubenzuckerabbau bis zu den Endprodukten, CO, und H,O
geht, wie beim B. coli, oder ob er auf einer Zwischenstufe stehen bleibt,
wie beim Staph. aur., ferner welcher von den vielen möglichen Wegen
beschritten wird, ist von der Eigenart der lebenden Zclle abhängig. Als
Wasserstoffacceptoren kommen physiologischerweise vor allem, wie
Wieland betont hat, der molekulare Luftsauerstoff, daneben aber auch
beim Abbau der Nahrungssubstanzen entstehende Stoffe in Frage; ım
Experiment können andere Wasserstoffacceptoren an deren Stelle treten,
wie Methylenblau, Chinon, Nitrokörper.
Es ist nun wahrscheinlich, daß in der Kette aufeinanderfolgender
chemischer Umsetzungen, wie sie beim Traubenzuckerabbau durch B. coli
z. B. sicher statthaben, der Nitrokörper nicht in jedem, sondern nur in
dem einen oder anderen Gliede dieser Reihe den physiologischerweise in `
diesem Gliede als Wasserstoffacceptor dienenden Stoff ganz oder teilweise
vertreten kann; wobei vielleicht anzunehmen ist, daß die Fähigkeit der
Zelle zur Verwendung des Nitrokörpers abhängig ist von den bei der be-
treffenden Umsetzung stattfindenden energetischen Verhältnissen, in der
Weise, daß die bei der Hydrierung des Nitrokörpers verfügbar werdende
Energie genügen müßte, um die Umsetzung zu unterhalten.
Nach dieser Annahme würde der höhere Nitroreduktionswert der
drei Stunden bei 37% gehaltenen Röhrchen in Tabelle IX durch eine An-
sammlung solcher Abbaustufen bedingt sein, welche einer weiteren Um-
setzung mit dem Nitrokörper als Wasserstoffacceptor zugänglich sind.
Ähnlich, nämlich als für den Abbau mit Hilfe der Nitroreduktion besonders
geeignete Dessimilationspunkte würden auch die sog. Fördersubstanzen
vielleicht zu beurteilen sein, wie sie sich in Bouillon in den ersten Stunden
nach Beimpfung mit Staph. aureus z. B. bilden (Tabelle IV).
Betrachtet man die Nitroreduktion als Teilerscheinung, so wird es
verständlich, daß, wie die zugrunde liegenden chemischen Umsetzungen
verschiedener Art sein, also auch bei verschiedener Reaktion die optimalen
Bedingungen ihres Ablaufs haben können, ebenso auch die diesen Um-
setzungen gemeinsame Teilerscheinung der Nitroreduktion bei ganz gegen-
sätzlichen Bedingungen statthaben kann, wie das bei Staph. aur. und
B. coli in Traubenzuckerlösung der Fall ist.
Dieselbe Substanz, der Traubenzucker, steigert im Fall des Staph. aure-
us die Nitroreduktion gegenüber physiol. Kochsalzlösung erheblich, im
Fall des B. coli setzt sie die Nitroreduktion gegenüber der in Kochsalz-
lösung nicht unbeträchtlich herab, trotzdem das B. coli zweifellos den
Traubenzucker energisch abbaut. Es ist also nicht angängig, ganz allge-
mein in der Größe der Nitroreduktion ein Maß des Umfanges der ab-
laufenden Stoffwechselprozesse zu sehen. In Übereinstimmung damit
bezeichnet übrigens Thunberg die von ihm angegebene Methode der Auf-
suchung physiologischer Zwischenstufen des Traubenzuckerabbaus des
Kik Bioskopische Reduktionsmethoden 11.
Muskels, die als Indikator eine Steigerung der Methylenblaureduktion
durch solche Substanzen benutzt, als zur Feststellung nur derjenigen
Zwischenstufen geeignet, die dehydrierenden Abbaues fähig sind.
B. Versuche mit der Methylenblau-Reduktion.
Das Nitroanthrachinon und das Methylenblau unterscheiden sich
wesentlich: 1. das Nitroanthrachinon selbst ist schwach gefärbt, sein Re-
duktionsprodukt kräftig rot; beim Methylenblau ist umgekehrt der Indi-
kator kräftig gefärbt, sein Reduktionsprodukt, die Leukobase, farblos;
2. die Leukobase des Methylenblau geht bei Luftzutritt sofort wieder in
Methylenblau über, während das Reduktionsprodukt des Nitroanthrachinon
luftbeständig ist, sich nicht wieder in den Ausgangsstoff zurückverwandelt;
3. das Nitroanthrachinon ist verhältnismäßig sauerstoffreich, das Methylen-
blau dagegen enthält keinen Sauerstoff. |
Die Reversibilität der Methylenblaureduktion ist für die Versuchs-
technik insofern von Bedeutung, als sie es nötig macht, bei den Versuchen
den Luftsauerstoff auszuschließen. Schnabel (11) verwandte zu diesem
Zweck die Überschichtung der einzelnen Versuchsröhrchen mit flüssigem
Paraffin, während Thunberg (13) sich für seine Methylenblau-Reduktions-
versuche am Muskel besonderer, mit eingeschliffenem Glasstöpsel versehener
Röhrchen bedient, die evakuiert und zur Sicherung gegen jedes Eindringen
von Luft unter Wasser gehalten werden. Für die eigenen Versuche wurde
das oben beschriebene zylindrische Vakuumgefäß mit Gummiabdichtung
verwandt, in welchem die Versuchsröhrchen, in einem Gestell befestigt,
in einfacher Reihe der Innenwand entlang angeordnet wurden. Ver-
gleichende Untersuchungen mit diesem Vakuum- und dem Paraffinüber-
schichtungsverfahren zeigten, daß das Methylenblau im ersten Fall regel-
mäßiger, schneller und vollkommen entfärbt wird, während bei der Pa-
raffinüberschichtung, wie das auch Schnabel angibt, stets an der Pa-
raffingrenze eine schmale blaue Schicht bestehen bleibt, die bei auftretenden
Strömungen nach unten sinken und sich in der Nährlösung verteilen kann.
Die Bestimmung des Zeitpunktes der vollkommenen Methylenblauent-
färbung ist hier also unsicher, weil das Paraffin keinen unbedingten Ab-
schluß darstellt und dauernd geringe Mengen Sauerstoff aus dem Paraffin
in die Nährlösung übertreten läßt. Am deutlichsten geht das daraus hervor,
daß im Vakuum einmal entfärbte Röhrchen bis zur Öffnung des Vakuums
“entfärbt bleiben, während bei Paraffinüberschichtung entfärbte Röhrchen
nach Stunden oder Tagen, wenn die Reduktionsfähigkeit abnimmt und die
durch den nachdringenden Sauerstoff bewirkte Reoxydation nicht mehr aus-
gleichen kann, sich wieder kräftig blau färben.
Da die Herstellung anaerober Verhältnisse in der angegebenen Weise
keine Schwierigkeiten bereitet, so liegt in der Notwendigkeit anaeroben
Arbeitens allein kein erheblicher Einwand gegen die Verwendung der
Methylenblau-Reduktionsmethode. Wesentlicher ist es, daß infolge der
Reoxydation der Methylenblau-Leukobase nur eine Art der Ablesung mög-
lich ist, nämlich die Bestimmung der Zeitdauer, in welcher eine bestimmte
Menge Methylenblau vollkommen entfärbt wird. Die Reduktionsgeschwin-
digkeit nämlich, d.i. die im Zeitraum reduzierte Menge, ist außer von
Von Dr. med. O. Kirchner. 213
anderen Faktoren abhángig von der Konzentration des Methylenblaus,
sie wird also besonders in den letzten Phasen, wo nur wenig nicht reduzierte
Methylenblaumoleküle noch vorhanden sind, bedeutend geringer sein als
in den ersten Phasen bei reichlicher Gegenwart derselben. Diese starke
Abnahme der Reduktionsgeschwindigkeit läßt sich, natürlich SE schät-
zungsweise, beobachten, wenn man sich Vergleichróhrchen mit Y, Ya, t/s
der Methylenblaumenge der Versuchsróhrchen herstellt und durch Ver-
gleich damit das Fortschreiten der Entfärbung der im Vakuum befindlichen
Versuchsröhrchen verfolgt. Insofern liegen die Verhältnisse bei der Me-
thylenblau- also anders als bei der Nitroreduktionsmethode, bei welcher
während der Versuchsdauer nur ein Bruchteil der reichlich vorhandenen
Indikatormoleküle reduziert wird, man also die Reduktionsgeschwindigkeit
als gleichbleibend annehmen kann. Unter sich sind aber die bei der Me-
thylenblau- -Reduktion erhaltenen Entfärbungszeiten durchaus vergleich-
bar, da ja diese durch das allmähliche Verschwinden unreduzierten Methylen-
blaus bedingten Änderungen der Reduktionsgeschwindigkeit in den ein-
zelnen Röhrchen sich immer entsprechend verhalten.
Die Versuche wurden in den gleichen Mengenverhältnissen angesetzt
wie die Nitroreduktionsversuche. Die Gesamtmenge war 4,0 cm; davon
entfielen 3,6 cm? auf Bakterienabschwemmung und Nährflüssigkeit. Als
zu entfärbende Methylenblaumenge wurde teils die von Neisser und
Wechsberg (9) angegebene Menge pro 1 cm? beibehalten, teils die 4fache
Menge verwandt; nur geschah das Zugeben in der Weise, daß z. B. statt
4 Tropfen der Neisser-Wechsbergschen Gebrauchslösung 0,4 cm?
einer aufs Doppelte verdünnten Lösung zugesetzt wurden!). Im ersten
Fall wurde die Gebrauchslösung hergestellt durch Verdünnen von 0,5 cm?
der Stammlósung mit 49,5 cm? physiol. Kochsalzlósung; im zweiten Fall
durch Verdiinnen von 2,0 cm? Stammlösung mit 48,0 cm? physiol. Koch-
salzlösung. Analog wie ın den Nitroanthrachinonversuchen wurde durch
einen Vorversuch diejenige Menge Bakterienabschwemmung bestimmt,
welche zur Entfärbung der verwandten Methylenblaumenge in dem ge-
wählten Zeitraum nötig war.
Die Methylenblaureduktion durch Bakterien und ihre Bedingungen
sind von Cathcart und Hahn (3) eingehend studiert worden. Hier inter-
essiert von ihren Ergebnissen der recht erhebliche Einfluß der Temperatur,
den die eigenen Versuche bestätigten.
Versuche darüber, ob die zur Entfärbung wechselnder Mengen von
Methylenblau erforderlichen Zeiten diesen Mengen proportional sind, er-
gaben, daß dies ebensowenig der Fall ist wie bei der Nitroreduktion. Wenn
sich aber bei der Nitroreduktion das zwar unverhältnismäßige, aber doch
gleichförmige Ansteigen der Reduktionsgrößen durch die Annahme er-
1) Die Vorschrift von Neisser und Wechsberg ist:
1. Herstellung der Stammlösung: Methylenblau 1,0; Alkohl.abs. 20,0;
Aqu. dest. 29,0 g;
2. frisch zu bereitende Gebrauchslósung: 4 cm? Stammlösung + 49 cm?
physiol. Kochsalzlósung.
Zum Gebrauch wird 1 Tropfen von Lösung 2 auf 1,0 cm? Kulturflüssigkeit zu-
gesetzt.
- 214 Bioskopische Reduktionsmethoden II.
klären ließ, daß mit dem Fortschreiten der Abbauprozesse Stufen erreicht
werden, die dem dehydrierbaren Abbau zugänglicher sind, so liegen die
Verhältnisse bei der Methylenblaureduktion undurchsichtiger und die
Versuchsergebnisse erscheinen mitunter paradox.
Tabelle X.
Staph. aur., auf Agar, 16 Std. alt, mit physiol. Kochsalzlósung abgeschwemmlt.
Hauptversuch: Staph. aur.-Abschwemmung 0,1 cm? + 3,5 cm? Bouillon pro
Róhrchen. Nach Einsetzen ins Vakuumwasserbad Zusatz von je 0,4 cm? ver-
schieden konzentrierter Methylenblaulósung und sofortiges Evakuieren.
enthalten pro cm* Neißer-
Wechsberg-Methylenblaumenge
erechnei a
d. Zeitraum Y.
einfach ` 1
4—6 zweifach 22 „ 1,1
7—9 vierfach 32. 5 1,6
10—12 achtfach 65 ,„ 3,3
13—15 zwölffach 190 ,, 9,5
16—18 sechzehnfach nach 31%, Std. i
noch kräf t. blau
Es verhalten sich hier die Entfärbungszeiten für die 1-, 2-, 4-, 8-, 12-fache
Methylenblaumenge wie 1:1,1:1,6:3,3:9,5; bei einem zweiten ebensolchen
Versuch wie 1:1,2:1,9:3,8:6,3. Die doppelte Methylenblaumenge wird
also fast in derselben Zeit entfärbt wie die einfache; die Entfärbungszeiten
der vier- und der achtfachen Methylenblaumenge sind proportional; jen-
seits der achtfachen Menge wird das Verhältnis umgekehrt wie bei den
kleinen Mengen, die zur Entfärbung nötigen Zeiten wachsen stark an.
Bei Verwendung von Traubenzuckerlösung statt Bouillon sind die Be-
ziehungen zwischen Mengen und Entfärbungszeiten ähnlich. Die zur Ent-
färbung der 1-, 2-, 4-, 8-, 12-fachen Methylenblaumenge nötigen Zeiten
verhalten sich in einem Versuch wie 1:1,3:2,3:6,4:25; in einem zweiten
mit etwas größerer Staphylococcenmenge wie 1:1,2:1,5:3,1:6,8.
Eine recht wesentliche Ursache für die Jenseits der achtfachen Menge
eintretende auffällige Verlangsamung der Reduktion scheint darin zu liegene
daß, je mehr Methylenblau die Versuchsröhrchen enthalten, ein umso,
deutlicherer Niederschlag sich am Boden der Röhrchen zeigt. Dieser Nieder-
schlag ist farblos, wird aber bei Luftzutritt grünlich; unter dem Mikroskop
stellt er sich als aus büschelförmigen Kristallen bestehend dar, die sich
in Alkohol-Wasserstoffsuperoxyd langsam mit blauer Farbe lösen. Es
handelt sich jedenfalls um Leukomethylenblau, das in Kristallen abge-
schieden, einen großen Teil der Bakterien einschließt und sie so an der
weiteren Reduktion hindert.
Für das zu Anfang bestehende Mißverhältnis dagegen zwischen redu-
zierten Mengen und Entfärbungszeiten zugunsten der ersteren kommt wohl
die oben dargelegte Beeinflussung der Reduktionsgeschwindigkeit durch die
Änderung der Methylenblaukonzentration ausschlaggebend in Frage.
Direkt paradox erscheinen die Ergebnisse von entsprechenden Ver-
suchen an B. coli.
_ Von Dr. med. O. Kirchner. 215
Tabelle XI.
Hauptversuch 0,3 cm? ziemlich dichte B. coli-Abschwemmung + 3,3 cm? Bouillon
pro Röhrchen. Nach Einsetzen ins Vakuumwasserbad Beschicken mit Methylen-
blau und sofortiges Evakuieren.
E z erechnet auf den
Enthalten pro cm?
entfárbt Zeitraum von
Neißer-Wechsberg- | nach 19 Minuten als
Methylenblaumenge Einheit
1—3 einfach 1
4—6 zweifach 16 ,, 0,84
7—9 vierfach de de 0,37
10—12 achtfach 13 ,, 0,68
13—15 sechzehnfach 24 ,, 1,3
Die zur Entfärbung der 1-, 4-, 8-, 16-fachen Methylenblaumenge nötigen
Zeiten verhalten sich also wie 1:0,84:0,37:0,68:1,3; in einem zweiten ähn-
lichen Versuch mit etwas größerer Colimenge wie 1:0,75:0,4:0,65:1,9.
Zur Entfärbung der vierfachen Menge ist also nur die Hälfte der Ent-
färbungszeit der zweifachen, nur !/, der für die Entfárbung der einfachen
Menge nötigen Zeit erforderlich. Daß das Substrat, die Bouillon, für dieses
Ergebnis ohne Belang ist, zeigt der folgende Versuch mit Traubenzucker-
lösung, bei welchem für die Colimenge 1,0 ein ähnlisches Resultat er-
scheint.
Tabelle XII.
B. coli auf Agar, 16 Std. alt, mit physiol. NaCl-Lösung abgeschwemmt. Nähr-
lösung 1 proz. Traubenzuckerlósung mit 0,7% Kochsalz.
Berechnet auf die
Entfärbungszeit d.
einfachen Menge
als Einheit
Enthalten pro cm?
Neißer-Wechsberg-
Methylenblaumenge
1—2 einfach 8 Min. 1
3—4 zweifach T a 0,88
5—6 vierfach Ds 0,63
7—8 achtfach Bla» | 0,81
9—10 sechzehnfach » | 1,1
b) 0,5 cm? B. coli-Abschwemmung + 3,1 cm? 1 proz. Trbz.-Lósung.
1—2 einfach 11 Min. : 1
3—4 zweifach b y 0,63
5—6 vierfach 91/3 ,, 0,86
7-8 achtfach Ä DE o> 1,5
9—10 sechzehnfach 29 ,, | 2.6
c) 0,2 cm? B. coli-Abschwemmung + 3,4 cm? 1 proz. Trbz.-Lósung.
1—2 einfach 20 Min. 1
3—4 zweifach 13 , 0,65
5—6 vierfach 18*/,, 0,93
7—8 achtfach | 33l/, 1,7
9—10 sechzehnfach E Ol y 3,4
So widersinnig dies Ergebnis scheint; daß es sich nicht um eine Unstimmig-
keit in der Versuchsanordnung handeln kann, sondern um etwas Gesetz-
mäßiges, geht aus dem guten Übereinstimmen der Parallelróhrchen her-
vor. Wie der Reihenversuch XII mit abnehmenden Bakterienmengen
216 Bioskopische Reduktionsmethoden 1I.
deutlich zeigt, verschiebt sich mit der Abnahme der Bakterienkonzentration
die kürzeste Entfärbungszeit nach den niedrigeren Methylenblaumengen hin,
ohne sie allerdings zu erreichen; entsprechend steigt die Entfärbungszeit
für die sechzehnfache Methylenblaumenge, die bei der Colimenge 1,0 fast
dieselbe ist wie die für die einfache Methylenblaumenge, bei der Colimenge
0,2 auf das Dreifache an. Es ist anzunehmen, daß bei weiterer Verminde-
rung der Bakterienzahl ein Punkt erreicht wird, wo die einfache Methylen-
blaumenge die kiirzeste Entfirbungszeit beansprucht; es ist dazu schein-
bar aber ein starkes Herabgehen mit der Bakterienmenge nötig, und bei
der damit verbundenen Verlángerung der Reduktionsdauer werden die
Ergebnisse ungenau. So eindeutig úbrigens die Bedeutung der Konzen-
trationsverhältnisse erscheint, sie erklärt nur, weshalb die Entfärbungszeit
der einfachen Methylenblaumenge nicht kleiner als die für die zwei-, vier-
und achtfache Menge ist, nicht aber, weshalb sie größer ist als diese. Eine
stichhaltige Erklärung hierfür ist einstweilen nicht möglich.
Bei der Nitroreduktion von Staph. aur. in Bouillon wurde ein starkes
Ansteigen der Reduktionsgröße in aufeinanderfolgenden Zeiträumen fest-
gestellt; es interessierte, ob bei der Methylenblau-Reduktion die gleiche Er-
scheinung auftritt. Ein strikter Vergleich ist bei der Art der Ablesung,
welche die Zeit mißt, in der eine bestimmte Menge Methylenblau entfärbt
wird, nicht durchführbar. Es wurde nun so vorgegangen, daß die Versuchs-
röhrchen 2, 11%, 1 bzw. 1, Stunde in 37° und dann in Eiswasser gehalten
wurden; nach etwa 21, Stunden wurden sie gemeinsam mit solchen, die
die ganze Zeit in Eiswasser gehalten waren, im selben Vakuumgefäß, also
unter gleichen äußeren Bedingungen, zum Methylenblauversuch verwandt.
Tabelle XIII.
0,1 cm? Staph. aur.-Abschwemmung + 3,5 cm? Bouillon pro Röhrchen. 5 min
vor Zusatz von Methylenblau in Wasserbad von 38% gestellt; nach Zusatz sofort
evakuiert.
Enthalten pro cm? j i
Neisser-Wechsberg- SH
Methylenblaumenge
a) zuvor 2 Stdn. in 37%, dann 20 Min. in Eiswasser.
1-3 | vierfach | 6 Min.
b) zuvor 1'/, Sídn. in 37°, dann 50 Min. in Eiswasser.
46 | vierfach 7 Min. l
c) zuvor 1 St. in 37°, dann 1 St. 20 Min. in Eiswasser.
7—9 | vierfach | 9Min.
d) zuvor !/, St. in 37°, dann 1 St. 50 Min. in Eiswasser.
10—12 | vierfach | 12 Min.
e) 2 St. 20 Min. in Eiswasser.
13—16 | vierfach : 23 Min.
Es findet also, ebenso wie bei der Nitroreduktion, eine Steigerung der
Methylenblaureduktion statt, die sich in einer Herabsetzung der Entfär-
bungszeiten der bebrüteten Röhrchen auf Y, bis 1% der zur Entfärbung
Von Dr. med. O. Kirchner. 217
der dauernd in Eiswasser gehaltenen Röhrchen nötigen Zeit ausdrückt.
Bei B. coli waren die Entfärbungszeiten der 2, (Lé, 1, 1, Stunde bebrüteten
Röhrchen 3, 3, 3, 4 Minuten, gegenüber einer Entfärbungszeit der unbe-
brüteten Röhrchen von 8 Minuten; die Steigerung hier ist also in Überein-
stimmung mit dem Ergebnis bei der Nitroreduktion, weniger stark als beim
Staph. aureus.
Endlich wurde noch untersucht, ob Staph. aureus und B.coli bei
Verwendung von Methylenblau ein gleiches Verhalten gegenüber den ver-
schiedenen Versuchslösungen zeigten, wie in den Nitroanthrachinonver-
suchen. Um nach Möglichkeit die in den Abschwemmungen von Agar-
kulturen vorhandenen Stoffwechselprodukte auszuschalten, wurden die
Bakterien zweimal mit physiol. Kochsalzlösung gewaschen.
Tabelle XIV.
Staph. aureus bzw. B. coli, auf Agar, 16 Std. alt, mit Spatel abgenommen, zwei-
mal mit physiol. Kochsalzlösung gewaschen und wieder aufgeschwemmt.
Art und Menge
Methylen- | Entfärbungs-
der Abschwemmung zeit
blaumenge
- Nährlösung
1a Staph. aur. 0,3 cm? NaCl-Lösg. einfach 50 Min
b SS ES Trbz.-Lósg. 10 ,,
2a Staph. aur. Bouillon | vierfach 19 ,,
b 2 e: DE 5 Pepton-Lösg. | 102 ,
c Ge se. Ek j Trbz.-Pept.-Lösg. | 24 ,,
3a B.-coli 0,3 cm? NaCl-Lösg. einfach | 24 ,
b e 0,3 - Trbz.-Lósg. | AA „
4a B.-coli 0,2 cm? Bouillon | vierfach jp 1 ,„
b E 0,2 ,, Pepton-Lósg. | ge 20 ,,
c Ds 02 ,, Trbz.-Pept.-Lósg. e E ` SE »,;
Für die Traubenzuckerlösung ist das Ergebnis also ein ähnliches wie in
den Nitroanthrachinonversuchen: Während Staph. aur. in Traubenzucker-
lösung sehr viel kräftiger reduziert, ist die Reduktion bei B. coli in Trauben-
zuckerlösung eine geringere als in Kochsalzlösung. Dementsprechend ist
auch die Entfärbungszeit in Traubenzucker-Peptonlösung bei Staph.
aureus eine bedeutend kürzere, bei B. coli aber eine längere als in Pepton-
lösung. Auffällig ist ferner, wie verschieden Staph. aureus und B. coli sich
in Bouillon und in Peptonlösung verhalten: bei Staph. aureus ist die Ent-
färbungszeit in Peptonlösung die fünffache der in Bouillon nötigen Zeit;
bei B. coli dagegen nur das Doppelte seiner Entfärbungszeit in Bouillon.
C. Vergleichende Untersuchungen mit der Nitro- und der
Methylenblau-Reduktionsmethode.
Die derzeitigen Anschauungen über den Abbau der Nahrungssub-
stanzen, speziell des Traubenzuckers, gehen dahin, daß die lebende Zelle
diesen Abbau mit den Mitteln der Wasserstoffabspaltung aus dem Molekül
und der Anlagerung von Wasser an dasselbe in wechselnder Aufeinander-
folge vollzieht. Der Wasserstoffabspaltung aus der verbrennenden Sub-
stanz entspricht eine Anlagerung desselben an einen Wasserstoffacceptor;
denn es gibt nur wenige Zellarten, die den Wasserstoff direkt in molekularer
Archiv für Hygiene. Bd. 96. 17
218 Bioskopische Reduktionsmethoden II,
Form abspalten könnten, wie es die Erreger der Buttersäuregärung ver-
mögen (Neuberg). Im normalen Zellgeschehen dient als solcher Wasser-
stoffacceptor ganz überwiegend der molekulare Sauerstoff, der sich in dem
einen Produkt der Atmung, dem Wasser findet, während das Kohlen-
dioxyd seinen Sauerstoffbedarf aus intermediär angelagertem Wasser
bestreitet (Wieland). Die von den bioskopischen Reduktionsmethoden
als solche Wasserstoffacceptoren der Zelle gebotenen Farbstoffe, das Nitro-
anthrachinon und das Methylenblau, sind nun chemisch nicht gleich-
wertig, sondern stellen entgegengesetzte Typen dar: das Methylenblau
enthält keinen Sauerstoff, den es an die Zelle abgeben könnte, seine Ent-
färbung kommt also nur durch Anlagerung von aus den Nahrungsstoffen
abgespaltenem Wasserstoff zustande; die Nitrogruppe des Nitroanthra-
chinons, die für die Umsetzung allein in Frage kommt, ist dagegen reich
an Sauerstoff. Theoretisch sind damit zwei Möglichkeiten gegeben: die
Nitroreduktion kann einmal durch rein dehydrierende Prozesse zustande
kommen, dann dient der Sauerstoff der Nitrogruppe ebenfalls als Wasser-
stoffacceptor und wird zu Wasser hydriert:
— NO, + 6 H —> — NH, + 2 Hy0;
— NO, + 4 H > — NHOH +H;0;
oder aber der Sauerstoff wird nicht an von der Nahrungssubstanz ange-
spaltenen Wasserstoff angelagert, sondern tritt in das verbrennende Mole-
kül selbst ein, oxydiert es; die Reduktion’ der Nitrokórper vermag dann
dehydrierende und oxydative Abbauvorgänge zu unterbalten.
Es ist ferner als sicher anzunehmen, daß die Differenz der Bildungs-
wärmen, die für Methylenblau und seine Leukobase von Meyerhof mit
25,7 Cal. bestimmt ist, für das Nitroanthrachinon und seine Reduktions-
produkte eine andere ist; es ist also auch vom energetischen Standpunkt
aus möglich und wahrscheinlich, daß die Umsetzungen, die unter Reduk-
tion der aromatischen Nitrogruppe abzulaufen vermögen, teilweise andere
sind als die durch die Methylenblaureduktion unterhaltenen.
Es wurde deshalb versucht, festzustellen, ob der chemischen Ver-
schiedenwertigkeit von Methylenblau und Nitroanthrachinon auch eine
biologische entspricht, oder aber ob beide biologisch gleichwertig sind.
Tabelle XV.
Konzentration| Aminoanthrachinon Methylenblau
5 mol | rosa | stark blau
ndo mol | blaBrosa kráftig blau
i e mol noch deutlich himmelblau
BH mol | Spur | blaßblau
166 000 mol | ge noch deutlich
mol = Spur
320000
Von Dr. med. O. Kirchner. 219
Dazu war zunächst ein Vergleich der Färbekraft des Methylenblau und des
Reduktionsproduktes des Nitroanthrachinons notwendig. Anstelle des
letzteren, welches, wie eingangs besprochen, ein wechselndes Gemisch
verschiedener Reduktionsstufen des Nitroanthrachinons ist, wurde Amino-
anthrachinon verwandt und festgestellt, bis zu welchen Verdünnungen
molarer Lösungen noch eine deutliche Färbung vorhanden ist. Das Mole-
kulargewicht des Methylenblau ist 319, das des Aminoanthrachinons 223.
Das Methylenblau hat also gegenüber dem Aminoanthrachinon eine
etwa viermal so große Färbekraft.
Sind Nitroanthrachinon und Methylenblau biologisch gleichwertige
Wasserstoffacceptoren, so wird die gleiche Menge aktivierten Wasserstoffs,
die 1 Molekül Nitroanthrachinon in Anthrachinonhydroxylamin bzw. Amino-
anthrachinon verwandelt, 2 bzw. 3 Moleküle Methylenblau hydrieren:
Ce Ha—N GH, ` Cs H,—N (CH,),
N S +2 H> N S
bA N
Ce H¿—N (CH,), Cl C, H,—NH (CH,), Cl
Methylenweiß
Methylenblau
Cu H, O, 2 NO, + A H ——y Ca H, O, . NHOH + H, O;
| Hydroxylaminoanthrachinon
Cu H,0,-NO, + 6 H => Cu H, O02- NH, +2H,O.
Aminoanthrachinon
10 cm3 der nach Vorschrift von Neisser und Wechsberg hergestellten
gesättigten Methylenblau-Stammlösung enthalten, wie durch Eindampfen
und Wägen festgestellt wurde, 0,155 g Methylenblau; die Lösung ist also
1,55proz. Daraus berechnet sich eine, die einfache Neisser-Wechsberg-
sche Methylenblaumenge (0,0155 mg in 1 cm?) enthaltende Nährflüssigkeit
1 M
20580 mol. Wiirde das Re-
duktionsprodukt des Nitroanthrachinons ausschließlich Anthrachinon-
hydroxylamin sein, so würde die gleiche Menge abgespaltenen Wasserstoffs,
d
als Methylenblaulösung der Konzentration
mol Methylenblau reduziert, nur mol Nitroanthrachinon
1
30580 41160
reduzieren; das entspráche einem abgelesenen Wert von ca. 0,06 fir das
unverdünnte Röhrchen. Für Aminoanthrachinon als ausschließliches
Reduktionsprodukt wären dieZahlen: mol Nitroanthrachinon würde
Der.
61 740
reduziert, dem Wert von etwa 0,04 der Vergleichsskala entsprechend. Das
sind bei der Nitroreduktion in beiden Fällen Werte, die an der Grenze des
1 en
20000 mol Methylenblaulósung erst
bei 8 bis 16facher Verdünnung an diese Grenze kommt. Die Empfindlichkeit
der Methylenblaureduktionsmethode würde also der Nitroreduktions-
methode gegenüber etwa 10mal so groß sein.
noch Erkennbaren liegen, während die
17*
220 Bioskopische Reduktionsmethoden II.
Bei der Durchführung derartiger vergleichender Versuche ergaben
sich nun aber Nitroreduktionswerte, welche wechselten, stets höher waren
und das 2- bis 10fache der obigen Werte von 0,04 bis 0,06 betrugen. Diese
höheren Werte sind jedoch nicht auf eine biologische Höherwertigkeit
des Nitroanthrachinons gegenüber dem Methylenblau zurückzuführen,
sondern zunächst — und das macht eine Gleichsetzung der ın gleichen Ver-
suchsröhrchen während der gleichen Zeit reduzierten Nitroanthrachinon-
und Methylenblaumengen unmöglich — auf die Verschiedenheit der Kon-
zentration, in welcher Nitroanthrachinon und Methylenblau ın den Ver-
suchsröhrchen zugegen sind.
Bei Verwendung der einfachen Neisser-Wechsberg-Menge beträgt
diese Konzentration in den Methylenblauröhrchen wie oben angegeben,
an. mol. In den Nitroanthrachinonversuchen dagegen berechnet sich
die Konzentration des Nitroanthrachinons aus der Menge 0,01 g/cm? mit
SE mol; hiervon wird während der Reduktionsdauer, bei einem durch-
schnittlichen Reduktionswert von 1,0 für das unverdünnte Röhrchen,
2530 mol, also */,y der vorhandenen Menge, reduziert, so daß zu Versuchs-
; , KOUPI . 9
ende das Nitroanthrachinon noch in einer Konzentration von —— vor-
2530
handen ist. Die Reduktionsgröße wird also bei der Nitroreduktion wegen
der ganz anderen Konzentrationsverhältnisse — hohe Anfangskonzen-
tration des Nitroanthrachinons, ganz geringe Abnahme derselben während
der Versuchsdauer — eine größere sein müssen als bei der Methylenblau-
Reduktion, wo die Konzentration des Indikators schon anfangs nur 1/100
der Konzentration des Nitroanthrachinons beträgt und im Laufe des Ver-
suches auf O absinkt.
Es ist also bei der Verschiedenheit der Konzentrationsverhältnisse
nicht angängig, aus der Abweichung der gefundenen Nitroreduktions-
größen von der theoretischen Menge Rückschlüsse auf eine verschiedene
biologische Wertigkeit von Methylenblau und Nitroanthrachinon zu machen.
Dagegen ist es wohl möglich, die Nitroreduktionswerte, die immer der-
selben Menge reduzierten Methylenblaus entsprechen, unter sich zu ver-
gleichen; wobei nicht zu verkennen ist, daß auch hier in den verschiedenen
Konzentrationsverhältnissen eine gewisse Fehlerquelle gegeben ist ınso-
fern, als beim Methylenblau bei dem Absinken der Reduktionsgeschwindig-
keit in den Phasen vor der vollkommenen Entfärbung innerhalb verhältnis-
mäßig großer Zeiträume nur noch geringe Mengen Methylenblau reduziert
werden, während z. B. bei Staph. aureus in Bouillon, wie ein Blick auf
Tabelle II und III zeigt, gerade umgekehrt die Reduktionsgeschwindigkeit
in den späteren Zeiträumen erheblich größer ist wie anfangs; schon ein
geringes Abweichen von dem Zeitpunkt der vollkommenen Entfärbung,
der schwer ganz genau, zu bestimmen ist, wird in solchem Falle Fehler
bedingen können. Immerhin zeigen die folgenden Versuche, bei denen
wechselnde Mengen von Staph. aureus-Abschwemmung verwandt wurden,
Von Dr. med. O. Kirchner. 221
die in verschiedenen Zeiten entfärbten, für Staph. aureus in Bouillon nicht
allzu sehr auseinandergehende Reduktionswerte.
Tabelle XVI.
Nährflüssigkeit Bouillon: Bakterienabschwemmung + Nährlösung 3,6 cm?; dazu
0,4 cm? a) einer Methylenblaulösung (0,1 cm? Stammlósung + 99,0 cm? physiol.
Kochsalzlósung), d.i. einfache Neisser-Wechsberg-Menge pro cm?, bzw.
einer Methylenblaulósung (1,0 cm? Stammlósung + 24,0 cm? physiol. Kochsalz-
lösung, d.i. die vierfache Neisser- Wechsberg- Menge pro cm?; b) einer A proz.
Nitroanthrachinonlösung. Jeder Versuch bestand aus 6 Röhrchen, 3 Methylen-
blau- und 3 Nitroröhrchen, die im Vakuum-Wasserbad bei 38° gehalten wurden
bis zur Entfärbung der drei Methylenblau-Parallelröhrchen, die meist zur selben
Zeit entfärbt waren, oder aber nur geringe Differenzen zeigten. Gleichzeitig
wurden die Nitroröhrchen in Eiswasser gebracht und ihre Werte bestimmt, die
ebenfalls vollkommen übereinstimmten.
Art und Menge der
Bakterien-
abschwemmung
~ Methylenblauröhrchen |
Methylenblau-
menge pro cm?
- [Nitroanthr.-Röhrchen.
ea Há Reduktionsgröße
in der gleichen Zeit
Ver-
la | Staph. aur. 0,2 cm? einfach 9 Min. ` 0,4
b 0 3 12 ` 0,44
c „ 22 „ 0,4
d vierfach 15 „ | 0,5
2a einfach az ,, 0,4
b „ 005, | vierfach 29 , | 0,53
3a einfach 18 ,, 0,2
b e 35 „ | 0,19
c D 46 ,, 0,21
d vierfach 8 ,, | 0,13
4a|l , „ Ls einfach 422 ,, 0,18
b vierfach 23 ,, 0,12
c S ll ,„ 0,14
5 einfach 37 Ae | 0,41
6 70 ,, 0,44
In allen Versuchen mit Ausnahme von 5 und 6 wurde die gleiche Bouillon
verwandt. Die der Entfärbung immer derselben Menge Methylenblau ent-
sprechende Nitroreduktionsgröße ist nun, wie aus der Tabelle hervorgeht,
einmal abhängig von der Bakterienart; und zwar ist die der einfachen
Methylenblaumenge entsprechende Nitroreduktionsgröße für Staph. aureus
in Bouillon ca. 0,4, für Coli in Bouillon dagegen mit 0,2 nur die Hälfte dieses
Wertes. Bei Verwendung der vierfachen Methylenblaumenge wird der
Unterschied noch sehr viel deutlicher: einer Nitroreduktionsgröße von
0,52 für Staph. aureus steht dann eine solche von 0,13 für B. coli gegenüber.
Es tritt hier wieder das eigenartige in Tabelle XII dargestellte Verhalten
des B. coli hervor, daß nämlich die vierfache Methylenblaumenge in kür-
zerer Zeit entfärbt wird wie die einfache. Unabhängig davon, wie das zu
erklären sein mag, ist man wohl berechtigt, in diesen recht verschiedenen
Werten den Ausdruck einer biologischen Verschiedenwertigkeit der beiden
Wasserstoffacceptoren Methylenblau und Nitroanthrachinon zu sehen.
Die dissimilatorischen Prozesse beim B. coli verlaufen offenbar so, daß sie
in weit höherem Maße das Methylenblau nutzbar zu machen vermögen,
als das beim Staph. aureus der Fall ist, dessen Umsetzungen bei Anwesen-
heit des sauerstoffhaltigen Nitroanthrachinon bedeutend besser ablaufen,
222 Bioskopische Reduktionsmethoden II.
sei es wegen der günstigeren energetischen Verhältnisse bei der Hydrierung
des atomaren Nitrosauerstoffs, sei es, daB dieser direkt zur Oxydation der
verbrennenden Substanz dient.
Die relative Nitroreduktionsgröße wechselt ferner für dieselbe Bak-
terienart mit der Nährlösung. So wurde die der vierfachen Methylenblau-
menge entsprechende Nitroreduktionsgröße für Staph. aureus in Bouillon
mit ca. 0,5, in 1 proz. Peptonlósung mit ca. 0,2, in 1proz. Traubenzucker-
lösung mit ca. 0,12, in Traubenzucker- -Peptonlösung mit ca. 0,25 gefunden;
für Coli waren die Werte i in Bouillon 0,14, in 1 proz. Peptonlösung ca. 0,25,
in 1proz. Traubenzuckerlósung ca. 0,4, in Traubenzucker-Peptonlösung
ca. 0,2.
Übrigens wechseln die relativen Nitroreduktionsgrößen in Bouillon
entsprechend der Zusammensetzung derselben, die ja keineswegs konstant
‚Ist; so zeigte eine Bouillon, die mehrmals, insgesamt etwa 5 bis 6 Stunden,
sterilisiert worden war, in einer Reihe von Versuchen für Staph. aur. Werte
von ca. 0,3 entsprechend der einfachen, von 0,36 entsprechend der vier-
fachen Methylenblaumenge, während die Werte für Coli in dieser Bouillon
dieselben wie sonst, also nicht entsprechend erniedrigt waren.
Vollkommen andere Werte sind in Bouillon als Nährlösung zu erhalten,
wenn man die in derselben enthaltenen Nährstoffe dem Abbau durch Bak-
terien einmal in Sauerstoffatmosphäre, ein zweites Mal unter anaeroben
Verhältnissen aussetzt. Einen Versuch der ersten Art lasse ich folgen.
Tabelle XVII.
Staph. aur. auf Agar, 16 Std. alt, mit physiol. Kochsalzlösung abgeschwemmit.
Nährlösung: 1. Filtrat von Staph.-Bouillonkultur, die 9 Tage in Sauerstoffatmo-
sphäre bebrütet wurde, wobei der Sauerstoff wiederholt erneuert wurde; 2. Filtrat
von 9 Tage alter, ebenfalls in Sauerstoffatmosphäre bebrüteter Colibouillon;
3. unbeimpfte Bouillon. Die zu verwendenden Mengen Staph. aur.-Abschwem-
mung wurden in einem Vorversuch bestimmt. Die Methylenblauröhrchen ent-
halten die einfache Neisser-Wechsbergmenge pro cm,
Menge der
Methylenblau-Röhr-
Abschwemmung
chen entfärbt nach
Nitroreduktionsgröße
in der gleichen Zeit
Nährlösung
1—4 0,1 cm? Staph. filtrat. 45 Min.
5 Jabgetöt. Kontr. 3 i nicht entfärbt —
6—9 0,3 cm? Coli-Filtrat 25 Min. 0,07
10 į abgeıöt. Kontr. = | nicht entfärbt —
11-13 0,06 cın® Bouillon 37 Min. 0,41
14 Jabgetót. Kontr. em nicht entfärbt Sen
Bei dem Abbau in Sauerstoffatmospháre sind also jedenfalls sauerstoff-
reiche Abbauprodukte gebildet worden, infolgedessen überwiegt in einer
solchen Bouillon der mit einer gesteigerten Reduktion des sauerstofflosen
Methylenblau einhergehende Abbau. Umgekehrt müßte dann nach
anaerober Bebrütung das Bouillonfiltrat eine geringere Verwendbar-
keit von Methylenblau und dementsprechend eine gesteigerte relative
Nitroreduktionsgröße zeigen. Das ist in der Tat der Fall, wenn auch
die Differenzen hier geringer sind. Im Filtrat einer 5 Tage anaerob
bebrüteten Staph. aur.-Bouillon war die der einfachen Methylenblaumenge
Von Dr. med. O. Kirchner. 223
entsprechende Reduktion 0,71 gegenüber 0,44 für die unbeimpfte Bouillon.
Für B. coli in aeroben und anaeroben Bouillonkulturfiltraten ergaben sich
ähnliche Unterschiede. Bei dem schon von Cathcart und Hahn festge-
stellten Unterschiede im Reduktionsvermögen aerob und anaerob ge-
wachsener Bouillonkulturen ist also eine wesentliche Ursache in der Ver-
schiedenheit der während der Bebrütung abgelaufenen Umsetzungen zu
sehen. Darin, daß bei Bebrütung in Sauerstoffatmosphäre sauerstoffreiche
Abbauprodukte ın großer Menge auftreten, liegt kein Widerspruch gegen
die Wielandsche Dehydrierungstheorie, die besagt, daß der in die ver-
brennende Substanz eintretende Sauerstoff aus einer Anlagerung von
Wasser mit darauffolgender Abspaltung von Wasserstoff stammt. Solch-
Umsetzungen werden bei reichlicher Anwesenheit eines geeigneten Wassere
stoffacceptors, wie das der molekulare Sauerstoff ist, in großem Umfang
mit dem Resultat der Anhäufung höherer Oxydationsstufen ablaufen
können, wobei Wasser als Hydrierungsprodukt entsteht. Bei Luftabschluß
dagegen ist die Dehydrierung eines Teiles der Nährstoffe nur durch Hy-
drierung eines äquivalenten anderen Teiles möglich, nicht durch Abschieben
abgespaltenen Wasserstoffs auf molekularen Sauerstoff, womit eine Stei-
gerung der durchschnittlichen Oxydationsstufe ausgeschlossen ist.
Zusammenfassung.
Die biologische Farbreduktion ist, wie das Wieland und Thunberg
festgelegt haben, an das dreigliedrige System: verbrennende Substanz —
Zellferment — Wasserstoffacceptor gebunden. Was zunächst die Fermente
betrifft, so verfügt die lebende Zelle nach Thunberg über einen Komplex
solcher dehydrierender Fermente, die in der Kette der aufeinanderfolgenden
dissimilatorischen Vorgänge wirksam werden. Es ist anzunehmen, daß
dieser Fermentkomplex bei den einzelnen Bakterienarten verschieden ist.
Eine Verallgemeinerung von Ergebnissen, die an einer Bakterienart
gewonnen sind, ist also nicht angängig; die mannigfachen Verschieden-
heiten der Reduktion in den Versuchen mit Staph. aureus einerseits, mit
B. colı anderseits, sowie die qualitativen Differenzen im Nitroreduktions-
produkt verschiedener Bakterienarten bestätigen das.
Von den beiden hier behandelten Wasserstoffacceptoren ist das
Methylenblau Gegenstand mannigfacher und exakter physiologischer
Untersuchungen gewesen, die ergaben, daß die Methylenblau-Reduktion
durch gewisse Faktoren in anderer Weise beeinflußt wird wie die Sauerstoff-
zehrung lebender bzw. in besonderer Weise abgetöteter Zellen. Solche
Abweichungen sind u.a. die relative Blausäureunempfindlichkeit der Me-
thylenblaureduktion, ferner daß das Methylenblau durch gewisse Substan-
zen, z. B. Cystein auch ohne Gegenwart eines Zellfermentes reduziert wird.
Im übrigen ist die Stellung der Methylenblau-Reduktion von Thunberg,
der sie zur Aufsuchung von Zwischengliedern des Abbaus der Nahrungs-
substanzen verwandt hat, genau umschrieben worden; sie dient zur Fest-
stellung, ob die ausgewaschene, von Nährstoffen befreite Muskelzelle eine
ihr angebotene theoretisch als Zwischenglied mögliche Substanz zu de-
hydrieren vermag unter entsprechender Hydrierung des Methylenblaus.
224 Bioskopische Reduktionsmethoden II.
Wenig scharf umrissen ist dagegen die Stellung der von Lipschitz
eingeführten Nitroreduktion. Lipschitz bezeichnet sie als eine im Gegen-
satz zur Methylenblau-Reduktion eng mit dem Atmungsvorgang verknüpfte
Reaktion; sie gäbe quantitative Werte und stehe neben den Methoden der
direkten Messung des Sauerstoffverbrauches, anderseits bestimme sie
außer den atmungsartigen auch Gärungsvorgänge quantitativ mit. Als
atmungsartige Nitroreduktion konkurriere sie mit der Sauerstoffatmung,
sel also vom Sauerstoffpartialdruck abhängig, als gärungsartigc Nitroreduk-
tion bleibe sie vom Sauerstoffpartialdruck unbeeinflußt. Die ganz erheblichen
Fehlerquellen, die der Nitroreduktionsmethode mit Verwendung des m-
Dinitrobenzols anhaften, sind in der vorangegangenen Arbeit dargelegt.
Der Beweis für die unbedingte Parallelität der Nitroreduktion mit der
Sauerstoffatmung kann also keineswegs als erbracht gelten, im Gegenteil
gibt Lipschitz hinsichtlich der Blausäureempfindlichkeit, deren Mangel
er zunächst als einen der Hauptgründe gegen die Methylenblau-Reduktion
ins Feld geführt hatte, selbst an, daß die Nitroreduktion sich in diesem
Punkte ähnlich wie die Methylenblau-Reduktion, also abweichend von der
Sauerstoffatmung, verhalte. Falls die übrigen für die Methylenblau-
Reduktion von Meyerhof, Hopkins u.a. festgestellten Divergenzen
von der Sauerstoffzehrung in gleichartigen Versuchen mit Verwendung des
m-Dinitribenzols nicht festzustellen sein sollten — Versuche, die meines
Wissens nicht vorliegen — so wäre zu bedenken, daß die m-Dinitribenzol-
Reduktion weit weniger empfindlich ist als die Methylenblau-Reduktion
entsprechend der gegenüber dem Methylenblau geringen Färbekraft des
gelbbraunen Reduktionsproduktes aus dem m-Dinitrobenzol.
Aber ganz abgesehen von den Mängeln der Beweisführung erscheint
prinzipiell die Lipschitzsche Wertung des m-Dinitrobenzols als eines
„Atmungs“indikators par excellence, dessen Reduktion ein Maß der
atmungsartigen und der gärungsartigen Prozesse in der lebenden Zelle
darstelle, bei praktischer Außerachtlassung der verbrennenden Substanz
als recht umfassend und widerspruchsvoll; sie steht mit den Tatsachen
nicht ın Einklang. Nach der Definition von Lipschitz würde z.B. die
durch Staph. aureus in Bouillon bewirkte Nitroreduktion als gärungs-
artig anzusehen sein, denn sie ist unabhängig vom Sauerstoffdruck; die
Nitroreduktion des Staph. aureus in Traubenzuckerlösung dagegen, die
bei Sauerstoffmangel eine größere ist als bei Sauerstoffzutritt, würde
als atmungsartig zu gelten haben. Demgegenüber scheint die nichts
präjudizierende Auffassung Thunbergs von der Bedeutung der Methylen-
blau-Reduktion, und seine analytische Methode, die das Hauptaugenmerk
auf die verbrennende Substanz richtet, als Grundlage für das weitere
Studium der Erscheinungen der bioskopischen Reduktion allein in Frage
- zu kommen. Und eine gründliche Klärung dieser recht komplizierten Er-
scheinungen ist nötig, ehe es möglich sein wird, ein Urteil über die
praktische Verwendbarkeit der bioskopischen Reduktionsmethoden ab-
zugeben.
Die Ergebnisse unserer vergleichenden Untersuchungen mit der
Nitro- und der Methylenblau-Reduktionsmethode lassen sich nun dahin
zusammenfassen:
Von Dr. med. O, Kirchner. 225
- 4. Die biologische Reduktion farbiger Stoffe durch die lebende Zelle
bzw. durch Mikroorganismen in Nährlösungen von unbekannter Zusammen-
setzung — und das trifft zu sowohl auf die Reduktion der Bakterien ın
Bouillon wie auf die der nicht ausgewaschenen nährstoffhaltigen Muskel-
zelle in physiol. Kochsalzlösung — ist in ihrer Eigenschaft als den verschie-
denartigen dissimilatorischen Umsetzungen gemeinsame Teilerscheinung
nichts Selbständiges mit einheitlichen optimalen Ablaufsbedingungen.
Diese Bedingungen wechseln vielmehr, und können nach den zugrunde
liegenden Umsetzungen ganz verschieden sein; so sistiert die Nitro-
reduktion des B. coli in Kochsalzlösung, sobald die Reaktion mäßig sauer
wird, während in Traubenzuckerlösung die Reduktion auch bei stark saurer
Reaktion vonstatten geht, und anderseits wieder die Nitroreduktion des
Staph. aureus in Traubenzuckerlösung an neutrale Reaktion gebunden ist.
Ein weiterer Ausdruck der Verschiedenheit der hier zugrunde liegenden
Umsetzungen liegt in der Abhängigkeit der Reduktionsgröße von Sauer-
stoffpartialdruck bei Staph. aureus, während die des B. coli in Trauben-
zuckerlösung davon abhängig ist.
2. Die bioskopischen Methoden zeigen durch die augenfällige Reduk-
tion der verwendeten farbigen Indikatoren nur an, daß in der Kette der
dissimilatorischen Prozesse auch solche ablaufen, in welche diese Stoffe
als Wasserstoffacceptoren, ev. auch als Sauerstoffspender, eintreten können,
ohne daß sich sagen ließe, welchen Bruchteil der gesamten ablaufenden
dissimilatorischen Vorgänge diese Prozesse darstellen. Es ist also wohl
nicht angängig, die Größe der bioskopischen Reduktion allgemein und für
jede Zellart als Maß der atmungsartigen und gärungsartigen Vorgänge an-
zusehen. Dem widerspricht z. B. auch, daß Traubenzucker die Nitro-
reduktion des Staph. aureus beträchtlich steigert, die Nitroreduktion des
B. coli dagegen, das den Traubenzucker bekanntlich bis zum Endprodukt
CO, abzubauen vermag, gegenüber der in Kochsalzlösung nicht nur nicht
steigert, sondern sogar hemmt. Im übrigen zeigt auch die Analyse des zeit-
lichen Ablaufs der Nitroreduktion in bestimmten Nährlösungen, die Ver-
suche mit Filtraten -aerob und anaerob gehaltener Bouillonkulturen,
wie kompliziert die Verhältnisse bei der bioskopischen Reduktionsmethode
liegen, und daß, ehe sie nicht geklärt sind, es schwierig sein wird, aus einer
Förderung oder Hemmung der Reduktion durch Nährlösungen unbekannter
Zusammensetzung einigermaßen sichere Rückschlüsse auf bestimmte
Stoffe als Ursache zu machen, wie es Bieling versucht hat, indem er die
vitaminartige Natur solcher fördernden und hemmenden Substanzen
diskutierte.
3. Vergleichend-quantitative Versuche mit dem Methylenblau und
dem Nitroanthrachinon, das gegenüber dem m-Dinitrobenzol die Vorzüge
viel größerer Empfindlichkeit und bequemerer Handhabung hat, ergaben
eine verschiedene biologische Wertigkeit dieser beiden Wasser-
stoffacceptoren, wie das aus ihrer chemischen Zusammensetzung sowohl
— das Methylenblau enthält keinen Sauerstoff, das Nitroanthrachinon
ist reich daran — wie aus energetischen Erwägungen verständlich ist.
So sind die der gleichen reduzierten Methylenblaumenge entsprechenden
Nitroreduktionsgrößen in gleicher Nährlösung bei verschiedenen Bakterien-
226 Bioskopische Reduktionsmethoden II.
arten verschieden, ebenso wechseln sie bei derselben Bakterienart mit der
verwendeten Nährlösung.
Rein chemisch betrachtet würde die Reduktion des Nitroanthrachinon
mit seinem reichen Gehalt an atomarem Sauerstoff in der Mitte stehen
zwischen der Reduktion des sauerstofflosen Methylenblaus einerseits und
der Luftsauerstoffzehrung anderseits. Methylenblau- und Nitroreduktion
ergänzen sich also, und es scheint für das weitere Studium von Nutzen,
die Abbaufähigkeit einer bestimmten Substanz durch die lebende Zelle
bzw. durch Mikroorganismen in der von Thunberg angegebenen Weise
nicht nur gegenüber Methylenblau, sondern in vergleichender Unter-
suchung mit dem Methylenblau und dem Nitroanthrachinon als Wasser-
stoffacceptoren zu prüfen. Die Heranziehung der bioskopischen Reduktion
in dieser Form für vergleichende Stoffwechseluntersuchungen an Bak-
terien erscheint aussichtsreich.
4. Als Nachteile traten hervor bei der Methylenblau-Reduktion die
durch die Eigenart des Methylenblaus bedingten ungünstigen Konzentra-
tionsverhältnisse, die einen direkten Vergleich nicht zulassen, ferner die
Abscheidung des Leukomethylenblau in Kristallform; bei der Nitro-
anthrachinon-Reduktion die Möglichkeit der Entstehung mehrerer Re-
duktionsstufen, dementsprechend qualitative Differenzen im Reduktions-
produkt, die aber praktisch nicht allzu sehr stören.
Literaturverzeichnis.
1. R. Bieling, Eine Methode zur quantitativen Bestimmung der Atmung von
Mikroorganismen und Zellen. Zbl. f. Bakt. 1923, I. Orig., Bd. 90, S. 49.
. R. Bieling, Untersuchungen über die intramolekulare Atmung von Mikro-
organismen. Zeitschr. f. Hyg. 1923, Bd. 100, S. 270.
. Ed. Cathcart und M. Hahn, Über die reduzierenden Wirkungen der Bak-
terien. Archiv f. Hyg. 1902, Bd. 44, S. 295.
4. O. Kirchner, Zur Technik der Anaerobenzüchtung II. Zbl. f. Bakt. 1924,
I. Orig., Bd. 91, S. 340.
5. O. Kirchner, Bioskopische Reduktionsmethoden I. Der Wert der Nitro-
reduktionsmethode als absolut-quantitative Methode. Arch. f. Hyg., 1925,
- Bd. 95, Heft 5 und 6, $. 280.
6. W. Lipschitz, Siehe Literaturverzeichnis zu „Bioskopische Reduktions-
methoden I“.
7. A. Meyer, Zbl: f. Bakt. Il, 1906, Bd. 15, S 337.
8. Meyerhof, Über scheinbare Atmung abgetóteter Zellen durch Farbstoff-
reduktion. Pflügers Archiv f. Physiol. 1913, Bd. 149, S. 250.
9, Neisser u. Wechsberg. Über eine einfache Methode zur Beobachtung von
Schädigungen lebender Zellen und Organismen (Bioskopie). Münch. m.
W. 1900, S. 1261.
10. Neuberg, Von der Chemie der Gärungserscheinungen. Ber. d. deutsch.
Chem.-Ges. 1922, Nr. 11, S. 3624.
11. A. Schnabel, Über die Bestimmung zell- und keimschädigender Substanzen
auf biologischem Wege. Biochemische Zeitschr. 1920, Bd. 108, 8. 258.
12. Scholl u. Eberle, Chem. Zentralblatt 1912 1., S. 662.
13. Th. Thunberg, Zur Kenntnis der Einwirkung tierischer Gewebe auf Me-
thylenblau. Skand. Archiv f. Physiol. 1918, Bd. 35, S. 163.
44. Th. Thunberg, Zur Kenntnis des intermediären Stoffwechsels und der dabei
wirksamen Encyme. Skand. Archiv f. Physiol. 1920, Bd. 40, 8.1.
15. H. Wieland, Über den Verlauf der Oxydationsvorgänge. Ber. d. deutsch.
Chem.-Ges. 1922, Nr. 11, S. 3639. i
Dä »N
Zur Technik der Schimmelpilzuntersuchung.
j Von |
Professor K. v. Angerer und Professor A. Hartmann.
(Mit 3 Abbildungen.) |
(Aus dem Hygienischen Institut und der histologischen Abteilung des Anatomi-
schen Instituts München.) (
(Bel der Redaktion eingegangen am 2. August 1925.)
Gewóhnlich werden Schimmelpilze in den medizinischen Kursen
in Form von Zupfpräparaten untersucht. Diese Präparate fallen häufig
wenig instruktiv aus, namentlich wenn sie von Ungeübten angefertigt
werden, und es mag deshalb erlaubt sein, auf eine Technik hinzuweisen,
welche sehr anschauliche und außerdem haltbare Präparate ergibt. Der
eine von uns hatte früher»Versuche gemacht, die Struktur von Bakterien-
kolonien an Mikrotomschnitten zu untersuchen (Arch. f. Hyg. Bd. 93,
S. 24) und so lag der Gedanke nahe, diese Methode auch auf Hyphomyceten
anzuwenden. Diese Technik ist nicht völlig neu (vgl. P. Klausen, Z.f.
Bot., Bd. 4, S. 58), verdient aber größere Verbreitung.
1. Fruchtkörper von Aspergillus niger,
Mallorylärbung. Vergrößerung 300fach.
228 Zur Technik der Schimmelpilzuntersuchung.
Man hat zunáchst die Wahl zwischen der Zelloidin- und Paraffin-
einbettung. Nach früheren Erfahrungen lassen sich Agar und Gelatine
nur bei Zelloidineinbettung schneiden; ferner schien diese Einbettung
den Vorteil zu bieten, daß die Sporen wenigstens nach der Einbettung
nicht mehr fortgeschwemmt werden können; anderseits läßt sich Zelloidin
nicht sehr dünn sehneiden.
Die ersten Versuche wurden angestellt mit Penicillium glaucum,
Aspergillus niger und fumigatus, sowie zwei Mukorarten, und zwar wurden
Agrarkulturen dieser Stämme in Zelloidin eingebettet, ganz ebenso, wie
man sonst Organe zur histologischen Untersuchung einbettet. Die Prä-
parate von Penicillium waren gut, dagegen war bei den beiden Asper-
gillusarten die Schnittdicke zu groß, um Einblick in die Struktur der Frucht-
träger zu geben, und beı den Mukorarten waren die Sporangien kaum als
2. Fruchtkörper von Aspergillus fumigatus,
Malloryfärbung. Vergrößerung 300 fach.
solche zu erkennen. Deshalb wurden die Versuche mit Paraffineinbettung
wiederholt. Da Blöcke, welche Nährbodengallerte enthielten, unschneid-
bar waren, mußte die Gallerte entfernt werden. Die Stämme wurden
deshalb auf Gelatine gezogen (3 bis 5% Zuckergelatine mit Essigsäure
bis zu schwach lackmussaurer Reaktion versetzt); auch die Stämme, welche
ihr Optimum bei 37% haben, konnten auf diesem Nährboden gezüchtet
werden, da sie auch auf der flüssigen Gelatine an der Oberfläche wachsen.
Wenn die Kulturen sich genügend weit entwickelt hatten, wurde die Gela-
tine durch leichtes Erwärmen geschmolzen, die Schimmelpilzhaut abge-
zogen und in der üblichen Weise eingebettet. Die Fixation geschah an-
fangs durch Einwirkung von starken Formalindämpfen; man kann aber
darauf überhaupt verzichten und die Häute ohne weiteres ın absoluten
Alkohol bringen.
Auch bei dieser Behandlung zeigten sich bei den Mukorarten an
Stelle der Sporangien nur undefinierbare Massen, von denen keinerlei
Von Prof. K. v. Angerer und Prof. A. Hartmann. 229
Details erkennbar waren. Sehr schön dagegen wurden die Präparate von
Penicillium und namentlich von den beiden Aspergillusarten.
Am ungefärbten Präparat ın Wasser oder Glyzerin kann man bereits
viele Einzelheiten an diesen Schnitten unterscheiden. Will man Dauer-
präparate anfertigen, so empfiehlt sich die Malloryfärbung. Bei Asper-
gillus niger sieht man an dem die Fruchtkörper tragenden Stiel eine gelb-
liche Membran, in deren Innerem rotes Protoplasma liegt, das sich in die
gleichfalls rotgefärbte Basidiumzelle erstreckt; die Basidiumzelle ist von
einer dünnen gelben Membran überzogen und enthält viele Granulationen.
= MINS
3. Mycel und Fruchtkörper von Aspergillus fumigatus,
Malloryfärbung. Vergrößerung 100fach.
Die innere Reihe der Sterigmen färbt sich vorwiegend blau, die äußere
rot, doch enthalten alle viele andersfarbige Granula. Das schwarze Pig-
ment der Sporen ist deutlich sichtbar. Analoge Bilder ergibt Aspergillus
fumigatus. Nur ist hier die Basidiumzelle meist ungefárbt, und die reifen
Sporen sind gelb. Bei Penicillium färben sich Sterigmen und reife Sporen
gelb, die unreifen Sporen blau. Unterhalb der Fruchtkörper sieht man
auf Quer- und Lánesschnitten das Gewirr der Myzelfäden. Deutlicher als
durch die Beschreibung werden die Vorzüge dieser Technik dureh die bei-
gegebenen Photographien veranschaulichtt); allerdings fehlt diesen die
4) Bild 1 und 2 verdanken wir der Güte von Herrn Geheimrat L. Heim.
Erlangen; Bild 3 wurde im Anatomischen Institut aufgenommen.
230 Zur Technik der Schimmelpilzuntersuchnng.
Farbenwirkung, sowie der, namentlich bei Aspergillus fumigatus wün-
schenswerte plastische Eindruck, der nur durch Bewegung der Mikro-
meterschraube erzielt werden kann.
Die einzige Schwierigkeit liegt darin, den richtigen Entwicklungs-
zustand der Kulturen zu treffen. Bei Penicillium empfiehlt sich ein ziem-
lich junges Stadium, etwa eine Kolonie, die erst im Zentrum grún ge-
worden ist, da man sonst nur eine nicht unterscheidbare Masse von Sporen
zu Gesicht bekommt. Bei Aspergillus niger, dessen Kópfe meistens nicht
so dicht stehen, muß eine reichliche Entwicklung der Fruchtträger abge-
wartet werden. Bei Aspergillus fumigatus kommt ein mittlerer Entwick-
lungszustand in Betracht.
Uber die Bedingungen der Entwicklung von Oberfláchen-
kolonien.
Von
Professor Karl v. Angerer.
(Aus dem Hygienischen Institut Múnchen.)
(Bei der Redaktion eingegangen am 2. August 1925.)
Bekanntlich sind von denjenigen Kolonien, die sich auf Gelatine ent-
wickeln, nur die sogen. oberflächlichen diagnostisch von Wichtigkeit. In-
folgedessen habe ich Untersuchungen angestellt, unter welchen Bedingungen
eine Kolonie sich zum oberflächlichen Wachstum entwickelt.
So lange die Zahl der eingesäten Keime nicht unbegrenzt groß ist,
ist es unwahrscheinlich, daß mehrere Keime tatsächlich in die
Oberfläche zu liegen kommen, etwa wie ein Öltropfen an der Oberfläche
einer Flüssigkeit liegt, außer man wollte annehmen, daß irgend welche
Kräfte die Bakterien in die Grenzschicht zwischen Luft und Gelatine
führen. Solche Kräfte könnten sein: die Adsorption in der Grenzfläche,
oder ein hydrostatischer Auftrieb, bewirkt durch ein geringeres spezifisches’
Gewicht. Solche Kräfte könnten bestenfalls nur klein sein und würden
. In der kurzen Zeit, während welcher die Gelatine flüssig ist, keine wesent-
liche Bewegung herbeiführen, zumal in Anbetracht der hohen Viskosität
der Gelatine. Verzichtet man auf die Annahme solcher richtunggebender
Einflüsse, so würde die Verteilung der Keime in der Gelatine vollkommen
gleichmäßig sein, und da erfahrungsgemäß ein bestimmter Prozentsatz
der Kolonien sich oberflächlich entwickelt, muß angenommen werden,
daß auch diejenigen Bakterien, welche sich zunächst in einiger Entfernung
unter der Grenzfläche befinden, diese Gelatineschicht durchbrechen
können. Tatsächlich sieht man auch bei der Mehrzahl der transparenten
oberflächlichen Kolonien die erste Anlage als tiefliegende Kolonie im op-
tischen Querschnitt als Kreis im oder nahe beim Zentrum, z. B. bei Typhus-
und Koli-Kolonien. Dergleichen ist nicht zu sehen, wenn man Gelatine-
platten mit Koli-Aufschwemmungen aufsprüht.
232 Uber die Bedingungen der Entwicklung von Oberflächenkolonien.
Die Dicke dieser Schicht, welche beim Wachstum durchbrochen
werden kann, wurde in folgender Weise bestimmt:
Ist H die Dicke der Gelatineschicht in der Petrischale, h diejenige
Schicht, innerhalb derer die Kolonien sich noch zu oberflächlichen ent-
wickeln können, ferner A die Summe aller Kolonien, 7 die Zahl der ober-
flächlichen, so besteht die Gleichung:
EE E Tr
F
h=H + y
Ist H die Gelatinemenge in cem pro Platte, D deren Durchmesser, so
wird
Beträgt die Zahl der oberflächlichen Kolonien a% der Gesamteinsaat,
so geht die Formel über in:
Ap a
D?x- 100
Wenn h eine konstante Größe ist, muß demnach bei konstanter Ein-
saat F größer werden, sobald 7 abnimmt, d.h. je weniger Gelatine in der
Platte ist, um so mehr Oberflächenkolonien sind zu erwarten.
Um diese Anschauung zu prüfen, wurden verschiedene Mengen von
Gelatine mit einer konstanten Menge von Bacterium coli beimpft und zu
Platten ausgegossen. Nach 48 Stunden wurden die Keime gezählt; es ergab
sich folgendes Resultat:
h=
Versuch 4.
Gesamteinsaat pro Platte: 1900 Koli.
Gelatine-
volumen
Kolonie-
durchmeaser
in mm
F in %
F in %,
beobachtet berechnet
7,8 -102 7,3 7,30 5,7 - 10 0,23
7 19 - 104 5,7 5,65 6,1 -10> 0,23
10 1,57 - 102 47 4g5 6,8 - 10 0,26
15 2,35 - 101 3,1 3,24 7,6 - 10 0,32 -
20 3,14-10- | (43) 260 ` 82-10* 0,34
30 470-102 1 190 | 91-10? 0,39
Aus diesen Versuchen ergibt sich, wie zu erwarten, daß die Zunahme
des Gelatine-Volumens eine Abnahme der Oberflächenkolonien bewirkt,
und zwar entspricht jeder Verdopplung des Volumens eine Abnahme der
Koloniezahl um das 0,59fache. Trägt man Gelatine-Volumen und Kolonie-
zahl als Ordinate und Abszisse in logarithmischen Transformationen ein,
so entsteht eine Gerade. Die in Spalte „berechnet“ angeführten Zahlen
sind durch diese graphische Interpolation gewonnen. Man beobachtet
eine genaue Übereinstimmung der beiden Werte.
Wäre die Abnahme der Prozentzahl bei Verdoppelung des Volumens
gleich 0,50, so wäre h konstant, denn es wären dann:
Von Prof. Karl v. Angerer. 233
die Volumina: v Zo Wo 8v usw.
S d 1 d
die Prozentzahlen: Z 5z 7z 5; usw.
Anderseits ist H direkt proportional zu V und infolgedessen würde h
konstant.
Die Inkonstanz von h ist schwerlich anders zu erklären als durch bio-
logische Gründe: Je größer V, desto größer werden die Kolonien, und es
ist naheliegend, daß eine Kolonie, die sich zu größeren Dimensionen ent-
wickelt, auch eine dickere Gelatineschicht zu durchbrechen vermag. Dem-
entsprechend beobachtet man auch eine Zunahme von A mit dem Kolonie-
Durchmesser. Für eine Berechnung sind die Ausschläge zu klein, immer-
hin ist h annähernd proportional zur Koloniegröße.
Auffallend ist die geringe Größe von h, absolut betrachtet. Sie entspricht
annähernd nur der Breite von 10 roten Blutkörperchen.
Um eine eventuelle Änderung von h mit der Zeit zu verfolgen, wurde
der Versuch wiederholt, und zwar wurden die Oberfláchenkolonien bis
zum sechsten Tage ausgezählt. Es ergab sich:
Versuch 2.
Mittlere Gesamteinsaat: 5300 Koli pro Platte.
Gelatine-
volumen
1,39 1,08
|
7,5 2,35 2,75 2,38 | 2,78
10 2,02 !: 3,16 2,06 3,23
15 1,78 4,18 1,78 | 4,18 1,78 4,18
20 1,07 3,36 1,16 3,64 1,23 3,86 1,24 3,90
30 0,67 3,15 | 0,96 4,50 0,96 | 4,50 0,96 4,50
Man bemerkt die geringfügige Zunahme von Ah mit der Zeit. Die
Proportion V:F ist weniger deutlich als beim ersten Versuch.
Es schien wahrscheinlich, daß diese Undeutlichkeit auf einer Unvoll-
ständigkeit der Mischung beruht, welche namentlich bei den 30-cem-
Platten leicht vorkommen kann. Es wurden deshalb beim folgenden Ver-
such je drei Kolben mit Gelatine im ganzen mit der erforderlichen Ein-
saat (Koli) infiziert. Die drei Kolben waren verschieden vorbehandelt
worden. Der eine war von der Verwendung nur eben bis zum Schmelz-
punkt der Gelatine erwärmt worden, die Platten wurden sofort nach dem
Gießen mit Eis gekühlt und längere Zeit bei tiefer Temperatur be-
lassen. Diese Serie wurde als „kalt‘“ bezeichnet. Der andere Kolben wurde
vor dem Plattengießen eine Stunde gekocht und bei Zimmertemperatur
zum Erstarren gebracht („warm“). Der dritte Kolben hatte einen Zusatz
von 25%, Bouillon erhalten (‚verdünnt‘). Dieser Versuch war angesetzt,
weil erwartet wurde, daß A mit den physikalischen Eigenschaften der
Gallerte sich ändern würde. Diese Eigenschaften werden bekanntlich
durch vorausgehende Erhitzung und Verdünnung wesentlich modifiziert.
Archiv für Hygiene. Bd. 96. 18
234 Über die Bedingungen der Entwicklung von Oberflächenkolonien.
Versuch 3.
Einsaat: 350 Koli pro ccm Gelatine.
Gelatine- a SS
volumen IKeimzahl-10— verdünnt
h.10++cm| F in °% |h-10+’cm| F in 9%, |h-10+°cm
Die Differenzen sınd kleiner als erwartet wurde. Die höchsten Werte
weist durchschnittlich die Probe „Warm“ auf. Überraschend niedrig sind
die h-Werte bei der Probe „verdünnt“. Es mag sein, daß die Gallerte durch
die Verdünnung elastischer wird. |
Da die Eigenschaften der Gallerte durch die Reaktion stark beein-
flußt werden, wurde ein weiterer Versuch mit Bacterium coli und Zucker-
gelatine angestellt. Es ergab sich:
Versuch 4.
Einsaat: 4300 Kolı pro Platte.
Gelatinevolumen F in %, h -10° cm
10 em 0,96 1,6
20 cm 0,30 0,94
30 cm 0,023 0,11
Die Werte für h sind hier überraschend klein und sinken bei der
letzten Platte auf 1 u herab. Diese Kleinheit ist auf die durch die Säue-
rung bewirkte Veränderung in der Härte der Gelatine zurückzuführen,
daneben wohl auch auf die Größe der Einsaat, welche die Kolonien nicht
zu voller Größe auswachsen läßt.
Zum Schluß wurden noch einige Versuche mit anderen Bakterien-
arten angestellt, nämlich mit Pneumo-Bazillen als Vertreter einer sehr
üppig wachsenden Gruppe, und mit Vibrio Metschnikoff und Bakt.
pyocyaneum als verflüssigende Arten. Es ergab sich:
Versuch 5.
Pneumobazillen. Einsaat 11200 Bact. pro Platte.
Gelatinevolumen F in t/o h 108 cm
10 cem 0,51 0,85
20 com 0,42 1,3
30 ccm 0,36 1,7
Auch hier sind die h-Werte klein, zum Teil wiederum infolge der
Größe der Einsaat.
Versuch 6.
Bacterium pyocyaneum. Einsaat 7500 Bact. pro Platte.
Gelatinevolumen F in Y, h 10° cm
10 cem 18,0 28,0
20 ccm 11,0 34,0
30 com 10,5 47,0
Von Prof. Karl v. Angerer. 235
Versuch 7. ,
Vibrio Metschnikoff.' Einsaat 6500 Vibr. pro Platte.
Gelatinevolumen F in % h - 103 em
10 ccm - 18,4 29,0
20 ccm 9,4 29,0
30 ccm 4,7 22,0
Wie zu erwarten, sind bei diesen verflüssigenden Arten die h-Werte
rund zehnmal größer als bei den bisher untersuchten nicht verflüssigenden.
Sodann wurden noch einige Versuche mit Agar angestellt, in denen
je 15 ccm Agar mit je 2 Verdünnungen von Bact. coli, Pneumobakterien,
Vibrio Dunbar beimpft wurden.
Versuch 8.
1. Koli.
f Keimzahl Fin h h in mm
4800 4,9 0,11
324 16,0 0,37
2. Pneumobazillen:
5230 6,15 0,145
336 16,0 0,375
3. Vibrio Dunbar:
12200 2,13 0,050
187 9,6 0,226
Wie man sieht, sind diese Werte größer als bei Gelatine. Das liegt
daran, daß Agrargallerte leichter zerreißlich ist als Gelatine; wenn man
eine Agarsäule horizontal hält und seitlich anschneidet, so reißt sie ge- `
wöhnlich vollends durch, während Gelatine viel zäher ist.
Überblickt man alle diese Versuche, so findet man mancherlei Unregel-
mäßigkeiten in den Prozentzahlen der Oberflächenkolonien und den Werten
von h. Es mag sein, daß die Zahl der eingesäten Bakterien oder auch die
Anzahl der Versuche überhaupt zu klein war, so daß das Gesetz der großen
Zahl nicht gegeben war. Immerhin erkennt man, daß bm erster Linie von
der Einsaat pro ccm abhängt; dies zeigt sich am deutlichsten bei den
20-ccm-Platten der Versuche:
Versuch-Nr. Stamm Nährboden Einsaaat pro Platte hin u
1 Koli Gelatine 1900 80
2 A > 5300 40
3 E . 7000 20
4 o Zuckergelatine 4300 9
5 Pneumobazillen Gelatine 11000 13
In Anbetracht dieser Abhängigkeit erscheint h im 5. Versuch (bei
großer Einsaat) doch relativ groß; anderseits fällt der Zuckerzusatz im
4. Versuch bei mittlerer Einsaat ziemlich ins Gewicht, insofern, als h be-
deutend kleiner ist als der Einsaat entspricht. Ferner wırd verständlich,
daß h im 3. Versuch, wo die Einsaat pro ccm konstant war, keinen ausge-
18*
236 Über die Bedingungen der Entwicklung von Oberflächenkolonien.
sprochenen Gang zeigt, sondern ohne Abhängigkeit vom Plattenvolumen
um einen Mittelwert schwankt.
Diese Abhängigkeit von der Einsaat pro ccm beruht vermutlich vor-
wiegend auf der Koloniegröße, welche durch dieses Verhältnis bestimmt
wird. Ich habe an anderer Stelle gezeigt, daß die Koloniegröße den Loga-
rithmen der zur Verfügung stehenden Nährbodenmenge proportional ist.
Wollte man diesen Umstand berücksichtigen, so müßte man eigentlich
die auf Seite 232 angeführte Formel für h abändern in
An a
h = Jan ` 100 8 PE»
worin K eine von Stamm und Nährboden abhängige Konstante wäre.
Tatsächlich scheint in denjenigen Versuchen, wo A einen deutlichen Gang
aufweist, eine Proportionalitát von h und log v zu bestehen; jedoch ist der
Wert von K Schwankungen unterworfen. Immerhin ist es vielleicht mög-
lich, auf Grund umfangreicher Zählungen zu einem konstanten Wert von
K, d.h. zu einer zahlenmäßigen Definition für die Güte des Nährbodens
und der Wachstumsenergie des Stammes zu kommen.
Zusammenfassung.
Die Dicke der Schicht, innerhalb deren Kolonien auf Agar und Gela-
tine oberflächlich sich entwickeln, wurde bestimmt. Sie schwankte für
Gelatine zwischen rund 1 # und 90 y bei Coli und Pneumobakterien,
zwischen 470 und 220 u bei Vibrio Metschnikoff und Bacterium pyocyaneum.
Sie hängt ab von der Koloniegröße, also indirekt von der Größe der Ein-
saät, ferner von den physikalischen Eigenschaften der Gallerte. Bei Agar
ist die Dicke dieser Schicht um ein vielfaches größer.
Über die Bedeutung der Diffusionsvorgänge für das
Koloniewachstum.
Von
Prof. Dr. H. Ilzhöfer und Prof. Dr. K. v. Angerer.
(Mit 4 Abbildungen.)
(Aus dem Hygienischen Institut München.)
(Bei der Redaktion eingegangen am 2. August 1925.)
Bekanntlich ist die Züchtung der Bakterien auf festen Nährböden
der Ausgangspunkt für die moderne Bakteriologie geworden. Es scheint
jedoch noch nicht quantitativ untersucht zu sein, von welchen Bedin-
gungen dieses Wachstum auf festen Nährböden abhängt.
Vor einiger Zeit hat R.O. Liesegang darauf hingewiesen, daß die
Diffusionsvorgänge das Bakterienwachstum wesentlich beeinflussen (C. f.
Bakt. II. Abt.,Bd.51S.85). In der Tat werden diejenigen Nährstoffe, welche
in der Gallerte unmittelbar neben der Kolonie gelegen sind, schnell ver-
braucht sein, wenigstens soweit Bakterien überhaupt den Nährboden er-
schöpfen. An die Stelle dieser verbrauchten Nährstoffe werden auf dem
Wege der Diffusion neue nachrücken, und ebenso werden eventuelle Hem-
mungskörper (z. B. Säuren, die aus Zuckern gebildet worden sind), auf dem.
Diffusionsweg sich in die Umgebung verbreiten. Infolgedessen entsteht
zunächst die Frage nach der Diffusionsgeschwindigkeit in Gallerten über-
haupt. Nach E. Voigtländer (Z.f. physik. Ch. 3, S.329) und Hüfner
(ibid. 27, S. 227) ist in niedrigprozentigen Gallerten die Diffusionsge-
schwindigkeit fast gleich derjenigen in reinem Wasser; in höherprozentigen
Gallerten dagegen treten wesentliche Verzögerungen auf. So beobachteten
Ziegler und Bechhold (Z. f. physik. Ch. 56, S. 108), daß die Diffusion
in Aproz. Agar und in 20proz. Gelatine bis zu 60%, verzögert war gegen-
über der Bewegung in 1proz. Agar und 5proz. Gelatine. Ähnliches be-
obachteten H. O. Vries (Fitticas Jahresber. d. Ch. 1, S. 144), Noll (Drudes
Ann. 18, S. 323), Walpole (Bioch. Journ. 9, S. 132), vgl. auch Fürth
und Bubanowitsch (Bioch. Zt. 90, S. 255; 92, S. 139; Fürth, Bauer,
Pietsch (ibid. 100, S. 29). Auf dieser Erschwerung der Diffusion mag es
beruhen, daß nach Olsen (C. f. Bakt. I, Orig. 84, S. 504) Influenzabazillen
auf 2,5proz. Agar nur schlecht, auf 3proz. überhaupt nicht wachsen.
238 Über die Bedeutung der Diffusionsvorgánge für das Koloniewachstum.
Analoge Beobachtungen hat der eine von uns (A) seinerzeit an Meningo-
kokken gemacht.
Nach der Diffusionsgeschwindigkeit unterscheidet man die Kolloide
und Krystalloide; wir können diese mit den Eiweißkörpern und Zuckern
des Nährbodens gleichsetzen. Wenn z.B. eine Kolonie von Bacterium
colı auf zuckerhaltigem Agar sich entwickelt, so wird in der Umgebung
der Kolonie eine Verringerung der Zuckerkonzentration eintreten. Die Ge-
schwindigkeit, mit welcher diese Verringerung ausgeglichen wird, wird
abhängig sein von der Konzentration des Zuckers im Nährboden, von
seiner Diffusionskonstante und allenfalls von der Dichte der Gallerte, also
von sämtlich bekannten Daten, so daß die Zuckermenge, welche in be-
stimmten Zeiten in die Kolonie eindiffundiert, berechnet werden könnte.
Das Wegdiffundieren der entstehenden Säure kann ohne weiteres mit
freiem Auge beobachtet werden. Versetzt man z. B. die Gallerte mit zwei
Indikatoren, welche bei verschiedenen Wasserstoffionenkonzentrationen
umschlagen, so kann man sich ein Bild von dem Konzentrationsgefälle
der Säuren machen. Setzt man einem alkalischen Agar Phenolphthalein
und Methylrot zu, so wird die Gallerte rotgelb gefärbt, da sie für beide
Indikatoren alkalisch ist. Überschichtet man eine Säule dieses Agars
mit verdünnter Säure, so entsteht, zunächst der Säure, eine hochrote
Zone, innerhalb derer der Agar sauer für Phenophthalein und Methylrot
ist. Daran schließt sich ein gelbgefärbtes Band, welches alkalische Reaktion
für Methylrot, saure für Phenophthalein anzeigt. Diese letztere Zone wandert
mit abnehmender Geschwindigkeit und unter Zunahme ihrer Breite von
der Überschichtungsflüssigkeit weg. Die gleichen Bilder erhält man, wenn
man auf eine Platte einen Tropfen verdünnte Säure bringt. Die Breite
und Wanderungsgeschwindigkeit des Ringes hängt von der Pufferung,
der Säurekonzentration, der Dichte der Gallerte usw. ab. In analoger
Weise kann man auch bei säurebildenden Bakterienkolonien das Säure-
gefälle beobachten.
Was die quantitative Seite dieser Vorgänge betrifft, so läßt sich die-
jenige Zuckermenge, welche in eine Kolonie eindiffundiert, nach den Diffu-
"sionsgesetzen berechnen. Diese Formel, deren Ableitung wir Herrn Prof.
Herzfeld, München, verdanken, lautet:
worin M die einströmende Zuckermenge in Gramm, C die Ausgangskonzen-
tration des Zuckers in Gramm pro ccm, R den Radius der Kolonie, D die
Diffusionskonstante, 7 die Zeit in Tagen bedeutet. Der erste Summand
enthält 7 als Faktor und sein Wert ist demnach der Zeit direkt propor-
tional. Der zweite enthält außerdem 7 im Nenner unter der Wurzel.
Infolgedessen nimmt der Wert dieses zweiten Summanden mit zu-
nehmender Zeit ab. Bezeichnet man in der obigen Formel den Ausdruck
2R
23 CRD mit K, ee p "it k, so ergeben sich folgende Zahlen:
HC
Von Prot. Dr. H. Ilzhöfer und Prof. Dr. K. v. Angerer. 239
1. Tag: M = K (1 +k)
2. Tag: M =2 K (1 +0,71 k)
3. Tag: M =3 K (1 +0,58 k)
4. Tag: M =4 K (1 +0,50 k).
Da die Werte von k an und für sich klein sind, da ferner die Agar-
schicht nicht tief ist, so daß die Diffusionszone bald den Boden erreichen
wird und die Diffusion im wesentlichen in der Horizontalen erfolgen muß,
kann, mit großer Annäherung, die eindiffundierende Mange als direkt pro-
portional zur Zeit betrachtet werden.
Allerdings mußten für diese Frage zwei Annahmen gemacht werden,
welche nicht vollkommen zutreffen. Die eine ist, daß innerhalb der Ko-
lonie der diffundierende Stoff die Konzentration O habe. Diese Annahme
mag für Zucker vielleicht näherungsweise zutreffen, dagegen sicher nicht
für das später zu besprechende Pepton. Die zweite Annahme ist, daß der
Nährboden nach "allen Dimensionen unendlich ausgedehnt ist. Beide An-
nahmen sind demnach maximal und die Zahl, die sich bei ihrer Anwendung
ergibt, ist der maximale Grenzwert.
Wendet man die obige Formel auf Zucker an, indem man für C 0,01
(= 1%), für D 0,4, für R 0,05 einsetzt, so ergibt sich als Zuckermenge,
die im Laufe des ersten Tages in eine Kolonie von 1 mm Durchmesser ein-
strömt, der Betrag von 1,3 mg; er ist wegen der maximalen Annahmen
auf alle Fälle zu groß. Diese Zuckermenge, von Bacterium coli nach der
Hardenschen Formel vergoren, würde 1,2 x 1075 Mol Gesamtsäure liefern,
davon zwei Drittel Milch- und ein Drittel Essigsäure. Nun braucht 1 ccm
Agar bis zur Lakmusrötung etwa 0,03 com Normalessigsäure = 3 X 1075
Mol Säure. Die von einer Kolonie an einem Tag gebildete Säure würde
also hinreichen, um etwa 0,4 ccm Agar zu säuern. Würde die Platte mit
10 ccm Agar gegossen (Schichtdicke 0,15 cm), so würden diese gesäuerten
0,4 ccm eine Scheibe vom Radius 1 cm bilden, d. h. es würde jede Kolonie
von einem roten Hof mit 2 cm Durchmesser umgeben sein. Daß das nicht
der Fall ist, weist darauf hin, daß die eindiffundierte Menge geringer ist,
als die Rechnung ergibt, und daß die Vergärung unvollständig ist. Die
Genauigkeit der Rechnung wird dadurch beeinträchtigt, daß ein Konzen-
trationsgefälle der Säure besteht, das indessen, in Anbetracht der großen
Diffusionskonstante der Säure, nicht steil sein kann; ferner dadurch,
daß Alkali in entgegengesetzter Richtung diffundiert. Auch dieser letztere
Vorgang ist nicht sehr wesentlich, weil die Konzentration des freien
Alkalis gering ist.
Was die entsprechenden Verhältnisse bei den stickstoffhaltigen
Nährstoffen betrifft, so mußte erst die Diffusionskonstante des Peptons
bestimmt werden. Diese Bestimmung erfolgte in der Weise, daß Wasser-
agargallerte, bestehend aus 1,5% Agar und 0,8%, Kochsalz, in einen Glas-
zylinder von 25 mm Durchmesser gegossen wurde. Nach dem Erstarren
wurde die Agarsäule bis ans Ende des Zylinders vorgeschoben, gerade
abgeschnitten und in ein Becherglas mit Peptonlösung getaucht. Der
Stickstoffgehalt des Peptons sowie der Lösung wurde zuvor bestimmt.
Nach ein oder zwei Tagen wurde die Agarsäule mit Hilfe einer Mikrometer-
240 Über die Bedeutung der Diffusionsvorgänge für das Koloniewachstum.
schraube um bestimmte Längen aus dem Zylinder vorgeschoben und die
vorstehenden Stücke abgeschnitten. Diese Scheiben wurden gewogen
und auf diese Weise ihre Dicke kontrolliert. Dann wurde der Stickstoff-
gehalt der einzelnen Scheibchen nach Kjeldahl bestimmt. Von den zahl-
reichen Versuchen sollen die folgenden drei angeführt werden. Anschau-
licher als diese Zahlen sind die Kurven, umgerechnet auf 1%, Ausgangs-
konzentration (siehe nächste Seite).
1. Versuch.
24stündige Diffusion von Witte-Pepton (1,26%) in Kochsalzagar.
Gewicht Dicke mg N mg Pepton J Pepton
. 1,737 g 3,18 mm 1,335 12,32 0,71
1,672 „, 3,06 ,, 0,555 5,123 0,31
1,730 ,, 3,16 ,, 0,243 2,243 0,13
1,682 ,, 3,08 „ 0,162 1,495 0,09
1,807 ,, 3,93 4 0,126 1,163 0,06
1,563 ,, 2,86 ,, 0,031 0,286 0,02
2. Versuch.
48stündige Diffusion von Witte-Pepton (1,26%) in Kochsalzagar:
Gewicht Dicke mg N mg Pepton H Pepton
1,539 g 2,92 mm 1,46 13,47 0,87
1,749 ,, 3,32 „, 0,86 7,94 0,45
1,744 ,, 331. a 0,38 3,52 0,20
1,615 ,, 3,06 ,, 0,25 2,32 0,14
1,804 ,, 3,42 ,, — — —
.1,624 ,, 3,08 „ 0,11 1,00 0,07
1,740 ,, 3130 ,, 0,02 0,17 0,01
3. Versuch.
24stündige Diffusion von Knoll-Pepton (0,97%) in Kochsalzagar:
Gewicht A Dicke mg N mg Pepton Dia Pepton
1,588 g 2,92 mm 1,34 9,56 0,60
1,603 „, 2,95 „ 0,70 4,99 0,31
1,681 „, 3,09 ,, 0,34 2,45 0,14
1,618 „, 2,98 „, 0,17 1,19 0,07
1,657 ,, 3,05 „ 0,19 1,37 0,07
1,729 ,, 3,18 ` 2 0,07 0,053 0,03
1,803 ,, 3.92: 5 0,07 0,050 0,02
Aus diesen Versuchen berechnet sich die Diffusionskonstante nach
einer von Professor Herzfeld angegebenen Methode zu 0,10 bis 0,12.
Dann wurde die Versuchsanordnung etwas modifiziert. Es schien
möglich, daß der Dispersionsgrad und die Diffusionskonstante des Peptons
sich verändert mit einigen anderen Faktoren, z. B. Salzgehalt, Reaktion
usw. Es wurden deshalb Versuche angesetzt mit Peptonlösungen, die für
Phenolphthalein alkalisch waren. Ein ewsentliche Änderung der Konstante
war nicht nachweisbar.
E yi Al df LA E en SEA N 2
K u A 4 N d PLT -AR vi 2 ch b G wa N A e ei hs ex ad s di NA? d í
y EM DS N et) Von Prof. D ne ter ` anc d ol. D: K, v.A J erer. >, e L e ER
la Ze A A | dée e beste ST Aë E TERN KERNE >
= Diese Versuche sind in mehrfacher Richtung von Bedeutung. Da die —
Geschwindigkeit des Wachstums der Kolonie unter anderem abhángen ` —
wird von der Geschwindigkeit, mit welcher neue Nährstoffe nachdiffun- ———
4. Versuch. 2.Versuch.
DiFFusionsweg in cm —
J.Versuch.
dieren, so würde man dem Peptonpräparat und den Bedingungen, unter
denen die Diffusion am raschesten verláuft, den Vorzug geben. Fernerhin
erfolgt nach den herrschenden Anschauungen die Aufnahme der Nährstoffe
in das Bakterieninnere auf dem Wege der Osmose. Auch hier würde das
am raschesten diffundierende Präparat zu bevorzugen sein, falls diese
242 Uber die Bedeutung der Diffusionsvorgánge für das Koloniewachstum.
Anschauung richtig ist. Es ist bemerkenswert, das Witte- und Knoll-
pepton unter verschiedenen Bedingungen nicht meßbar verschieden dif-
fundieren.
Setzt man in die oben angeführte Diffusionsformel für D den Wert
0,12 ein, so ergibt sich als diejenige Menge, welche im Laufe eines Tages
in eine Kolonie von 1 mm Durchmesser eindiffundiert, der Betrag von rund
0,4 mg Pepton. Es entsteht die Frage, wieviele Bakterien diese Pepton-
menge zu ernähren vermag. Um diese Bakterienzahl zu bestimmen, wurde
das Pepton in flüssiger Lösung, wo sozusagen jedes einzelne Teilchen den
Bakterien zugänglich ist, als Nährstoff dargeboten. Leider bestand hier
die Schwierigkeit, daß Bacterium coli, welches als Repräsentant einer
mittelmäßig anspruchsvollen Gruppe betrachtet werden kann, in Pepton-
wasser sehr schlecht wächst. Es wurde deshalb zunächst ein Stamm
von Vibrio Metschnikoff verwendet. Von diesem wuchsen aus möglichst
kleiner Einsaat in 1 ccm Aproz. Peptonwassers (in flacher Schicht unter
häufigem Schütteln bei 37% gezüchtet) in 24 Stunden durchschnittlich
20 Millionen. Ein Gramm Pepton vermochte also rund 2-10° Zellen zu
ernähren, somit 0,4 mg rund 8-10° Individuen. — Etwas anders liegen die
Verhältnisse bei Bouillon. Das Fleischwasser hat zwar einen sehr geringen
Kalorienwert, dagegen starken wachstumfördernden Einfluß. Die Keim-
zahlen von Coli in Bouillon, unter gleichen Bedingungen betrugen hier
bei mikroskopischer Zählung 2,1:108 bzw. in einem anderen Versuch 4,5-10®.
Die kulturelle Zählung ergab für den ersteren Wert den Betrag von 6,0-10*.
Ein Gramm Pepton, in Form von Bouillon dargeboten, vermöchte also
rund 4,2:1010 Bakterien zu ernähren, 0,4 mg also wiederum ungefähr 10°
Bakterien.
Dann wurde auch der Keimgehalt einzelner Kolonien bestimmt.
Zu diesem Zweck wurden zunächst Platten mit 10 bzw. 20 ccm Pepton-
wasseragar gegossen und mit vereinzelten Vibrionen besäet. Nach ein-
tägigem Wachstum wurde das die Kolonie umgebende Agarstückchen
herausgestochen und so in ein mit 1 eem Kochsalzlósung. beschicktes
Reagenzglas gebracht, daß die Kolonie der Glaswand anlag. In dieser
Stellung wurde dann die Kolonie zwischen Agar und Glas verrieben und
schließlich gründlich zerschüttelt. Die Auszählung erfolgte kulturell und
ergab 1 bis 3-10” Vibrionen pro Kolonie. Auch die Verwendung von 20
ccm Agar ergab keine wesentliche Vermehrung der Keimzahl. Bei Bacte-
rium coli, auf Bouillonagar gezüchtet, ergab sich durchschnittlich eine
Keimzahl von 1,7:10% Keimen pro Kolonie.
Vergleicht man die Bakterienmenge, welche in einer Kolonie enthalten
ist, mit derjenigen, welche von der laut Rechnung eindiffundierenden
Peptonmenge ernährt werden kann, so ergibt sich, daß die Keimzahl der
Kolonien um einen vielfachen, wesentlich oberhalb der Fehlergrenze lie-
genden Betrag größer ist als die berechnete Menge. Dabei ist zu berück-
sichtigen, daß die berechnete Peptonmenge auf jeden Fall ein Maximum
darstellt. Schon was die Peptonkonzentration in der Kolonie betrifft,
so mag darauf hingewiesen werden, daß die Gesamtausnützung der Nähr-
böden sich gewöhnlich auf wenige Prozente beschränkt (vgl. Kruse Allg.
Mikrobiologie, Leipzig, 1910, S. 721, sowie Handbuch der Hygiene von
Von Prof, Dr. H. llzhófer und Prof. Dr, K, v. Angerer. 243
Rubner, Gruber, Ficker Bd. III, I. Abt., S. 113). Somit geht auf
Agar das Wachstum unverhältnismäßig viel weiter als in Bouillon.
Die gleiche Tatsache kann man anschaulicher, aber weniger genau
feststellen, wenn man die Wachstumsgrößen in flüssigen und festen Nähr-
mitteln vergleicht. Zu diesem Zweck wurde Peptonwasser teils ohne Zu-
satz, teils mit 1,5%, Agar verwendet. Die Röhrchen (1 ccm Flüssigkeit,
schräg gelegt und häufig geschüttelt) und die Platten (10 bzw. 20 ccm)
Peptonwasseragar wurden mit möglichst kleiner Einsaat von Vibrio
Metschnikoff beschickt. Darnach wurde die Keimzahl der Kolonien und
des Peptonwassers bestimmt ; der verwendete Stamm hatte die Eigenschaft,
als Oberflächenhäutchen zu wachsen, verloren. Der Nährwert des Pepton-
wassers wird durch den Agarzusatz nicht verändert; nimmt man an, daß
1 ccm Peptonwasser ebensoviele Vibrionen ernährt wie 1 ccm Agar, so
läßt sich diejenige Agarmenge berechnen, welche zur Ernährung der
Kolonie nötig zu sein scheint. Da der Agar in dünner Schicht ausge-
gossen ist und die Diffusion also hauptsächlich von den Seiten her er-
folgt, kann man dieses tributäre Gebiet als Scheibe betrachten und deren
Durchmesser berechnen:
I. Versuch.
Vibrio Metschnikoff, Peptonwasser und Peptonwasseragar.
1 ccm Peptonwasser = 1,1-10° Vibrionen, 1 Vibrio = 9,1:1078 com Pepton-
wasser.
Agarvolumen pro Platte: 10 ccm, Zahl der Kolonien: 80, mittlere
Größe der Kolonien: 1,6 mm.
Berechnete Menge des Radius des
erforderliehen Agars tributären Gebietes
ccm
Keimzahl der Kolonie a: 1,2 - 107 1,12 4,6
S i „ b: 23,0 -10° 1,8 1,9
Agarvolumen pro Platte: 20 cem, Zahl der Kolonien: 111, mittlere
Größe: 1,75 mm.
Berechnete Menge des Radius des
erforderlichen Agars tributáren Gebietes
ccm cm
Keimzahl der Kolonie a: 1,1 - 107 1,00 4,03
S 2 » bb: 17-10 1,55 1,26
II. Versuch.
Leem Peptonwasser = 2,8-10° Vibrionen, 1 Vibrio = 3,6:1078 ccm Agar-
volumen pro Platte: 10 ccm, Zahl der Kolonien: 60, mittl. Größe 1,8 mm.
Berechnete Menge des Radius des
erforderlichen Agars tributären Gebietes
ccm cm
Keimzahl der Kolonie a: 1,9 - 107 0,68 1,2
nn LE „ b: 2,0 -107 0,72 1,25
Agarvolumen pro Platte: 20 ccm, Zahl der Kolonien: 260, mittlere
Größe: 1,9 mm.
Berechnete Menge des Radius des
erforderlichen Agars tributären Gebietes
ccm
Keimzahl der Kolonie a: 1,7 - 10” 0,61 0,81
II » nm b: 3,0 «10? 1,3 1,17
244 Über die Bedeutung der Diffusionsvorgänge für das Koloniewachstum.
111. Versuch.
Bact. coli, Bouillon und Bouillon-Agar, 1 cem Bouillon = 2,1-108 Coli
(mikr.):6,0-108 Coli (kult.).
Agarvolumen pro Platte: 10 eem, Zahl der Kolonien: 340, mittlere
Größe: 2,5 mm.
Berechnete Menge des Radius des
verbrauchten Agars tributären Gebietes
ccm cm
Keimzahl der Kolonie a:
5,4 - 10° (mikr.), 1,7 - 10° (kult.) 0,26 ` 0,74
Keimzahl der Kolonie b:
8,1 -107 (mikr.), 2,4 - 10° (kult). 0,39 0,91
Agarvolumen pro Platte: 20 eem, Zahl der Kolonien: 400, mittlere
Größe 4,0 mm.
Berechnete Menge des Radius des
verbrauchten Agars tributären Gebietes
ccm cm
Keimzahl der Kolonie a:
3,2 - 108 (mikr.), 4,0 - 10? (kult.) 1,5 1,2
Keimzahl der Kolonie b:
1,8 - 108 (mikr.), 2,8 - 10° (kult.) 0,86 0,96
Diese Tabelle ergibt gleichfalls, daß auf Agar das Wachstum be-
deutend weitergeht als in Bouillon. Bei gleicher Ausnützung müßte um
jede Kolonie herum der Nährboden 1 bis 2 cm weit völlig erschöpft sein.
Eine solche völlige Ausnützung verträgt sich aber nicht mit der Lang-
samkeit der Diffusion. Auch liegt häufig innerhalb des scheinbar erschöpften
Gebietes eine andere voll entwickelte Kolonie. Wie stark hier die Aus-
nützung ist, zeigt schon eine einfache Rechnung. Die Gesamtzahl von
_ Colibakterien auf der 10-ccm-Platte des III. Versuchs würde ungefähr
7-4010 betragen haben (berechnet aus der Zahl der Kolonien und deren
durchschnittlichem kulturell bestimmten Keimgehalt); 10 eem Bouillon
würden rund zehnmal weniger Bakterien ergeben haben. Die entsprechen-
den Zahlen für die 20-ccm-Platte lauten 1:101! bzw. 1,2-101%; obwohl der
Agar nur mit vereinzelten Kolonien besät war, ergab er eine rund zehn-
mal größere Anzahl als die gleiche Menge Bouillon.
Man muß die Frage aufwerfen, worauf dieses überraschend starke
Wachstum beruht. Es liegt am nächsten, mit W. Kruse (Allg. Mikro-
biologie, S. 132) an Sauerstoffwirkung zu denken. Der Einfluß des Sauer-
stoffs wurde geprüft, indem Nährbouillon in Mengen von 7,0 bzw. 1,0 ccm
in Röhrchen abgefüllt, mit kleiner Einsaat von Coli beimpft und teils auf-
recht im Gestell stehend, teils schräg liegend, bebrütet wurde. Eine andere
Serie gleich behandelter Róhrchen wurde evakuiert und während des
Siedens, nach der Gruberschen Technik der Anaérobenzichtung, abge-
schmolzen. Sodann wurde aus derselben Bouillon ein 1,5proz. Agar her-
gestellt, zu 7,0 bzw.1,0ccm abgefüllt und schräg erstarrt, mit gleicher Ein-
saat möglichst gleichmäßig beimpft, und zwar aérob und anaérob. Die
Untersuchung erfolgte nach 24 Stunden durch kulturelle Keimzählung:
Von Prof. Dr. H. llzhófer und Prof. Dr. K. v. Angerer. 245
—— es
| Zahl der Keime
Sauerstoff pro ccm Nährboden
Art des
Nährbodens
Stellung
1 aufrecht + 1,9
2 schrág + 8,5
3 aufrecht + 6,2
4 schräg | + 11,0
5 aufrecht — =
6 schrä => ,
7 aufrecht — 1,0 x 10
8 schräg — 1,2
9 schräg + 20,0
10 „ = 0,9
11 » + 13,0
12 S — 2,0
Aus dieser Tabelle ergibt sich, daß der Luftsauerstoff das Wachstum
von Coli wesentlich fördert (cf. Proben 1 bis 4 und 5 bis 8); die Oberfläche
gegen Vacuum ist belanglos. Diese Förderung ist bei Agar noch stärker
und bewirkt eine rund 20fache Steigerung der Ernte. Der Nährboden
wird in Form von Agar absolut am besten ausgenützt, was daran liegen
mag, daß hier die Keime am innigsten mit der Luft in Kontakt kommen.
Aber auch in den anaöroben Agarröhrchen (Probe 10 und 12) sinkt die
Ernte nicht unter diejenige, welche bei der anaöroben Bouillon beobachtet
wird (Probe 5 bis 8), und übertrifft sie in Probe 12 um rund das Doppelte.
Diese Ernten von anaörobem Agar wurden erzielt, obwohl bei Probe 9
der Bakterienrasen von den tieferen Teilen des Nährbodens durch eine
immerhin nicht zu vernachlässigende Strecke Diffusionsweges entfernt
war, obwohl Pepton ein langsam diffundierender Körper ıst, und obwohl
nicht die ganze Fläche homogen bewachsen, also nicht völlig ausgenützt
war. Infolgedessen kann auch diese Tabelle die eingangs erörterte Ansicht,
daß das Wachstum auf Agar prinzipiell besser ist als in Bouillon, nicht um-
stoßen. Bestimmte Ursachen für diese Verbesserung des Wachstums zu
finden, gelang nicht; man mag an eine Adsorption von Hemmungsstoffen
an die Agargallerte denken. (Lit. über Hemmungsstoffe s. bei Kruse,
All. Mikrobiologie, S. 157, woselbst das Phänomen der Bakteriophagie
bereits angedeutet ist; S. 160).
Im Zusammenhang hiermit sollen einige Versuche erwähnt werden,
bei denen Schrägagar mit großer Einsaat beimpft wurde. Zu diesem Zweck
wurde jeweils 5 ccm Bouillon bzw. Agar, der aus dieser hergestellt wurde,
mit Bact. coli beimpft und schrägliegend bebrütet. Die Ernte betrug bei
Agar 1,5:1010, bei Bouillon 1,3-40° pro 5 cem. Ebensolche, nicht publi-
zierte Versuche hat Kruse (ibid. S. 132) angestellt.
Mit diesem Problem der Diffusion innerhalb des Agars steht ein anderes
in Berührung, nämlich das der Diffusion aus Agar in Flüssigkeit. Auch
hier sind wieder Kristalloide und Kolloide getrennt zu betrachten. Was
erstere betrifft, so kann man durch Überschichtungen verschiedenartigen
Agars sehr anschauliche Versuche machen. Man bringt z. B. in ein Rea-
genzglas einige ccm eines sehr stark alkalischen und sehr stark zucker-
haltigen Agars und überschichtet diesen mit gewöhnlichem, neutralem
246 Über die Bedeutung der Diffusionsvorgánge für das Koloniewachstum.
Zuckeragar. Beide Agararten müssen Phenolphthalein enthalten. Zu-
letzt wird das ganze mit gewöhnlicher Bouillon überschichtet und diese
mit Milchsäurestreptokokken beimpft. Auf diese Weise errichtet man zu-
unterst ein Depot von Zucker und Alkali; es diffundieren dann diese beiden
Stoffe nach oben und die Säure nach unten. Es hängt ganz von der Kon-
zentration von Zucker und Alkali, vom Diffusionsweg und der Gärtätigkeit
ab, wo die farblose Zone sich einstellt. So kann man mit Hilfe von Indi-
katoren verfolgen, ob zur Zeit der Gärungs- oder der Diffusionsprozeß die
Oberhand hat. Das Wachstum der Streptokokken in der Bouillon ist bei
dieser Anordnung gewöhnlich sehr stark. Verwendet man Bact. coli zu
diesen Versuchen, so wird der Prozeß durch die Bildung von Gasblasen
im Agar gestört. Die Entstehung dieser Blasen bedarf noch der Auf-
klärung. Bekanntlich geschieht die Zuckervergärung durch Endofermente,
also nur dort, wo Bakterien sind, somit nicht in der Tiefe des Agars. Das
in der Überschichtungsflüssigkeit gebildete Gas wird in der Hauptsache
in die Luft entweichen und nur ein kleiner Bruchteil wird in den Agar
diffundieren. Es ist schwer einzusehen, woher im Agar eine so große An-
häufung von gelóstem Gas kommen soll, daß sie ausreicht, um die Gallerte
zu zerreißen. Denn zur Entstehung der ersten Gasbläschen ist eine relativ
große Energie nötig (daher die Zweckmäßigkeit der „Siedekörper‘‘ beim
Kochen). Die Menge der Karbonate ist zu klein, als daß die aus ihnen durch
Säure freigemachte Kohlensäure zur Bildung von Gasblasen hinreichen
würde.
Über die Diffusion der stickstoffhaltigen Nährstoffe aus Agar in Flüssig-
keit liegen sozusagen unfreiwillige Beobachtungen vor, insofern als diese
Erscheinung beim ‚„Kondenswasser“ eintritt. Dieses Kondenswasser,
teils wirkliches Kondenswasser, das sich an der kälteren Reagenzglaswand
niedergeschlagen hat (also destilliertes Wasser), teils von der schrumpfen-
den Gallerte ausgepreßte Flüssigkeit, wird sich infolge seines geringen
Volumens rasch mit der Gallerte osmotisch ausgleichen, und in ihm zeigt
sich gewöhnlich ein sehr starkes Wachstum. Der eine von uns (A) hat
früher versucht, künstliches Kondenswasser herzustellen, indem gerade
erstarrter Agar mit geringen Mengen Bouillon überschichtet wurde. Auch
hier war das Wachstum meistens sehr üppig (L. Heim, Lehrbuch der
Bakteriologie, VI. und VII. Auflage, S. 116). Damals war das Wachstum
nur nach der Trübung geschätzt worden, jetzt wurde die quantitative
Bestimmung nachgeholt. Zu diesem Zweck wurden 0,5 oder 1,0 ccm
Bouillon auf 5 oder 10 ccm gerade erstarrten Agars geschichtet. Als Kon-
trollen wurden gleiche Volumina Bouillon ohne Agar verwendet, ferner
5 cem Bouillon auf 1 ccm Agargallerte geschichtet. Es ergab sich über-
raschenderweise, daß die Überschichtungsflüssigkeit nur etwa zwei- bis
viermal mehr Keime enthielt als die Bouillon alleın. Zusatz kleiner Mengen
Gallerte zu Bouillon hatte keinen nennenswerten Einfluß. Es werden also
offenbar nur die obersten Schichten des Agars für die Ernährung ausge-
nützt. Die starke Trübung der Überschichtungsflüssigkeit beruht darauf,
daß konzentrierte Aufschwemmungen relativ stärker trüben als dünnere.
(Arch. f. Hyg., Bd. 93, S. 23). Beim gewöhnlichen Kondenswasser kommt
noch die einengende Wirkung der Austrocknung hinzu.
Von Prof. Dr. H, Ilzhöfer und Prof. Dr. K. v. Angerer. 247
In den bisher beschriebenen Versuchen wurde ausschließlich Agar
verwendet. Die zweite für die Bakteriologie wichtige Gallerte, die Gela-
tine, mußte in anderer Weise untersucht werden. Überschichtungen sind
nicht angängig, da die Gelatinegallerte freie Flüssigkeit in großen Mengen
anzieht und auch die Berechnung des tributären Gebietes in der eingangs
beschriebenen Weise war nicht gut möglich, weil der Nährwert der Bouillon
durch den Gelatinezusatz und die Eiweißklärung verändert werden kann.
Infolgedessen wurden Versuche in der Richtung angestellt, daß verschie-
dene Volumina Gelatine mit einer kleinen Einsaat von Bact. coli (durch-
schnittlich dreißig Zellen) beimpft und dann zu Platten ausgegossen
wurden. Als Volumina wurden 5, 10, 20 und 30 ccm gewählt. Es stand
zu erwarten, daß die Größe der Kolonie mit der Menge des dargebotenen
Nährbodens in Beziehung stehen werde.
Die auf diese Weise angelegten Platten wurden bei 22° bebrütet und
vom zweiten Tage an fast täglich untersucht. Es wurden bestimmte tief-
liegende Kolonien signiert (pro Platte 10 Kolonien) und ihre Größe mittels
Okularmikrometer gemessen. Es ergab sich die überraschende Tatsache,
daß die Kolonien fast zwei Wochen lang an Größe zunahmen. Es war
günstig, daß der hier verwendete Colistamm (vor etwa zwei Jahren isoliert
und seitdem auf Nährböden weiter gezüchtet) mindestens während der
ersten 11 Tage in kugelrunden Kolonien wuchs. Späterhin deformierten
sich die Kolonien elliptisch, wodurch die Messungen unmöglich wurden,
‚auch brach die eine und andere nach der Oberfläche durch. Immerhin
konnte eine Größenzunahme bis in die dritte Woche hinein verfolgt werden.
War schon diese Beobachtung etwas Unerwartetes, so ergab sich
noch eine größere Überraschung bei der Ausrechnung des Kolonievolumens.
Die Zunahme des Durchmessers hat an und für sich wenig Interesse, viel
wichtiger ist das Volumen, das ein Ausdruck für die gesamte vorhandene
Bakterienmasse bildet. Wurden die Volumina einer einzelnen Kolonie
für die verschiedenen Tage berechnet, so ergab sich, daß vom zweiten
Tage an die Koloniegröße ziemlich genau proportional zur Zeit anwuchs.
Nahm man für jede der vier Platten den Durchschnitt aus dem Volumen
der zehn ausgewählten Kolonien, so ergab sich für jede einzelne Platte
eine Kurve, welche so genau eine Gerade ist, als man es von einer Meß-
methode verlangen kann, bei welcher auch die Meßfehler mit der dritten
Potenz in das Resultat eingehen. Nur die Werte für den neunten Tag
fallen sämtlich aus der Kurve heraus; es mag sein, daß um diese Zeit die
Temperatur des Brütschrankes etwas zu hoch war. Vom 11. Tage an
wurden die Messungen infolge der Deformation der Kolonien ungenau.
An Stelle der wenig übersichtlichen Zahlenmengen dieses Versuches
mag eine Wiedergabe der Kurven der Volumina für jede der vier Platten
genügen.
Es ist überraschend, daß die Volumina linear zur Zeit wachsen.
Denn wenigstens bei ungehemmtem Wachstum vermehren sich ja bekannt-
lich die Bakterien in geometrischer Progression, und eigentlich müßte
man demnach erwarten, daß die Kurve des Volumens zunächst steil und
immer steiler ansteigt; dann müßte, unter dem Einfluß der zu erwartenden
Hemmung, der Anstieg langsamer werden und schließlich gleich Null
248 Über die Bedeutung der Diffusionsvorgänge für das Koloniewachstum.
werden. Die hier beobachtete Kurve weicht erheblich von diesem Verlauf
ab. Immerhin könnte man versuchen, eine Hemmung herauszurechnen.
Unter der Annahme, daß alle in der Kolonie vorhandenen Bakterien
sich regelmäßig in geometrischer Progression vermehren, würden sich
auf Grund der bekannten Wachstumsformeln folgende Tabelle ergeben:
Zahl der
Generationen
+
72 EE
68 en e
77 DE EEE EEE EU ER ER ER ERBE FU EP
Ze DE A
56 A
52 UM en
AOL MS A
Aal l
| | N Zet
0123 #36 78 9 70 11 [Tage)
|
Während also am dritten Versuchstag 1,6 Generationen aufeinander
folgen, würde am 11. Tag nur der zehnte Teil davon eingetreten sein.
Es mag nun freilich unwahrschwinlich sein, daß auch die zentral
gelegenen Bakterien sich ebenso rasch vermehren wie die peripheren.
Man könnte deshalb eine Kugeloberfläche, oder eine Kugelschale von kon-
stanter Dicke annehmen, innerhalb derer die Bakterien mit konstanter
Generationsdauer in geometrischer Progression sich vermehren; aber es
liegt auf der Hand, daß es geometrisch unmöglich ist, ein lineares Wachs-
tum des Kugelvolumens zu finden, wenn die Oberfläche oder das Volumen
einer Kugelschale in geometrischer Progression wächst.
In Wirklichkeit liegen die Verhältnisse wohl anders. Im Anfang dieser
Arbeit wurde gezeigt, daß die Peptonmenge, welche in die Stellung des Ver-
Von Prof. Dr. H. Ilzhöfer und Prof. Dr. K. v. Angerer. 249
brauchs eindiffundiert, sehr nahe proportional der Zeit ist. Diese Propor-
tionalität wird noch strenger zutreffen, wenn die Diffusion nicht in einem
unendlich ausgedehnten Körper, sondern in einer dünnen Scheibe (Gela-
tineschicht) erfolgt. Somit ist das geradlinig fortschreitende Wachstum
nur ein Ausdruck für den ebenfalls konstanten Zustrom von Nährstoffen,
und bemerkenswerter Weise läßt sich wenigstens für das Versuchsintervall
keine Hemmung nachweisen.
Schließlich wurde noch versucht, den Keimgehalt der Gelatine-
kolonien zu bestimmen. Wir sind ja bei der Gelatine in der günstigeren Lage,
auch die tiefliegenden Kolonien durch Schmelzen des Nährbodens ver-
arbeiten zu können. Zugleich wurde versucht, wieweit das ausgemessene
Volumen der Kolonie mit demjenigen übereinstimmen würde, das sich aus
der Zahl der Bakterien mal Bakterienvolumen ergibt. Diese letztere Größe
ist nur sehr ungenau bekannt. Aus den maximalen (a), mittleren (b) und
minimalen (c) Dimensionen von Bact. coli, welche in Lehmann und
Neumanns Atlas zu finden sind, ergaben sich die sehr differenten Volu-
mina von 11,4 (a) bzw. 6,0 (b) bzw. 2,5 (c) x 10710 ccm proBacterium. Die
Rechnung wurde für alle drei Werte durchgeführt:
Durchm. Keimzahl
mm vol. (kult.)
Quotient am berechn.
Volumen berechnet und beob. Keimzahl
a) Lë b) 3110) 7,5| a) 2,2! b) 4,2c) 10,2
a) 2,2| b) 4,3|c) 10,2) a) 1,2 b) 2,31) 5,4
Die Kolonie besteht also zu einem großen, vielleicht sehr großen
Teil aus abgestorbenen Bakterien, aus Zwischensubstanz oder aus Nähr-
bodenresten. Der Radıus des tributären Gebietes ist, falls der Nährwert der
Bouillon durch Gelatinezusatz und Eiweißklärung nicht verändert wird,
ungefähr ebenso groß wie bei Agarplatten.
Die Gesamternte (= Summe der Kolonievolumina) nimmt mit steigen-
dem Gelatinevolumen zu, und zwar ziemlich genau proportional dem Loga-
rithmus des Nährbodenvolumens. Trägt man auf der Abszisse die Loga-
rithmen der Nährbodenvolumina, auf der Ordinate die Kolonievolumina,
etwa vom 11. Tage ein, so erhält man folgende Tabelle:
Keimzahl 10 -® aus
Nährbodenvolumen Kolonievolumen in cmm
ccm beobachtet graphisch intrapoliert
5 3,8 3,75
10 5,3 5,22
20 6,5 6,70
30 7.1 7,60
Bezeichnet man mit v,, Da, De usw. die Gelatinevolumina, mit eu, €z, €3
usw. die zugehörigen Kolonievolumina, so besteht die Beziehung:
e,:, = log v, : log vs (1) bzw., da die Höhe h der Gelatineschicht dem
Volumen v entspricht, e, : €, = log h, : log ha (2). Anderseits muß der Ernte e
die Menge des verbrauchten Nährbodens entsprechen, welche als Scheibe
mit der Höhe h und dem Radius r zu denken ist:
sen CH h e (3), aus 2 und 3
log h, : log ha = ri? hi : rÆ ba (4), woraus
Archiv für Hygiene. Bd. 96. 19
250 Uber die Bedeutung der Diffusionsvorgánge fúr das Koloniewachstum.
Pi fa = ha on
Yh - log A
Die zahlenmäßige Auswertung ergibt, daß r mit steigendem A nur
sehr langsam wächst, weil ja gleichzeitig die Dicke zunimmt.
Diese Untersuchungen zeigen, daf selbst die so häufig verwendete
und altbekannte Methode der Verwendung fester Nährböden noch zahl-
reiche Fragestellungen enthält. Wenn es beispielsweise gelänge, die gleiche
Wachstumsenergie, die wir auf Agarplatten beobachten, auch in flüssigen
Nährmedien zu bewirken, würde die Züchtung mancher Mikroorganismen
eine wesentliche Erleichterung erfahren.
Zusammenfassung.
Die Diffusion von Pepton in 1,5proz. Agargallerte wurde gemessen;
die Diffusion ist nicht wesentlich verschieden bei den verschiedenen
Wasserstoffzahlen, die biologisch in Betracht kommen.
Die Diffusionskonstante der Peptone Knoll und Witte in 1,5proz.
Agar beträgt 0,10 bis 0,12.
Es wurde diejenige Menge von Pepton berechnet, welche innerhalb
einer bestimmten Zeit in eine Kolonie von bestimmtem Durchmesser ein-
diffundiert. Selbst unter maximalen Annahmen ist diese Menge erheblich
kleiner als diejenige, welche zur Ernährung der Kolonie notwendig wäre,
wenn man den Nährwert des Peptons in flüssiger Lösung als Maßstab
nımmt.
Wenn man den Nährwert von Agar und Bouillon gleicher Herkunft
als gleich annimmt, berechnen sich aus dem Keimgehalt der Kolonien
Zonen völliger Ausnutzung um die Kolonie herum, deren Durchmesser
mehrere cm betragen kann. Da diese Längen zu groß sind für die Lang-
samkeit der Diffusion, muß angenommen werden, daß das Pepton in Agar
unverhältnismäßig besser ausgenützt wird als in Bouillon.
Die starke Trübung des Kondenswassers beruht nur zum großen Teil
auf einer Verstärkung des Wachstums, zum andern Teil auf der einengenden
Wirkung der Verdunstung, sowie darauf, daß konzentriertere Aufschwem-
mungen relativ stärker trüben als dünnere. Ebenso verhält sich Bouillon,
welche auf Agar geschichtet und dann beimpft wird.
Das Wachstum einzelner Kolonien in Gelatine kann über zwei Wochen
anhalten. Die Kolonien nehmen hiebei direkt proportional der Zeit an
Volumen zu.
Diese Proportionalität beruht darauf, daß in gleichen Zeiten ungefähr
gleiche Peptonmengen eindiffundieren, sobald die nächste Umgebung der
Kolonie erschöpft ist. Eine Hemmung ist in diesem Zeitintervall nicht
nachweisbar.
Die Gesamternte nimmt proportional zu den Logarithmen der zur Ver-
fügung stehenden Nährbodenmenge zu.
Studien zur Kenntnis der Eigenschaften von Diphtherie-
Toxin-Antitoxin-Gemischen.
V. Die immunisierende Wirkung der bei der Diphtherie-Toxin-
Antitoxinbindung auftretenden Flocken.
Von
Privatdozent Dr. Hans Schmidt und Dr. Wilhelm Scholz.
(Aus dem Institut für Run Therapie „Emil von Behring“, Marburg
a. d. Lahn [Direktor: Prof. H.Dold].)
(Bei der Redaktion eingegangen am 21. August 1925.)
Wir haben in früheren Mitteilungen!) die Flockung, die in mehr oder
weniger neutralen Di-Toxin-Antitoxingemischen stattfindet, im einzel-
nen besprochen. Bei vollständiger Neutralisierung bezeichnet Lf diejenige
Di-Giftmenge, die mit 1 AE gebunden ist. Eine solche T.A.-Mischung
flockt aus, und hinterläßt eine Flüssigkeit, die nachweisbar weder Gift noch
Antitoxin enthalten sollte. Da aber die Flockung nicht streng an eine be-
stimmte Mischung von Di-Gift und Di-Heilserum geknüpft ist, sondern
sich über eine gewisse Zone erstreckt, so ist es praktisch nicht leicht, den
Lf-Punkt ganz scharf einzustellen.
Es ist bekannt, daß eine T.A.-Bindung mit der Zeit fester wird. Es
sei hier nur auf das Beispiel in unserer IV. Mitteilung hingewiesen, dem-
zufolge es für die Bestimmung des L,-Wertes wesentlich ist, wie lange Zeit
die betr. T.A.-Mischung nach dem Ansetzen gestanden hat. Aus dieser
Tatsache geht aber auch hervor, daß eine T.A.-Bindung wieder lösbar ist.
Wie die Lösung der T.A.-Verbindung im Körper geschieht, und durch welche
Kräfte, wissen wir nicht. Aber jede Bestimmung des indirekten L,-Wertes
eines Di-Giftes rechnet mit der Umkehrbarkeit der Reaktion Toxin-Anti-
toxin, denn die beobachtete Wirkung auf das Meerschweinchen ist nicht
allein durch das noch freie Gift bedingt, sondern auch durch das im Körper
noch freiwerdende Gift.
4) Archiv für Hygiene 1925.
19*
252 Kenntnis der Eigenschaften von Diphtherie-Toxin-Antitoxin-Gemischen.
Man könnte hier einwenden, daß bei der Lösung der T.A.-Bindung
auch Antitoxin frei wird, aber ob dem so ist, oder welche Rolle dieses Anti-
toxin spielt, ob es vielleicht bei der Trennung der Bindung zerstört wird,
sind Fragen, die man zur Zeit noch nicht beantworten kann.
Sicher ist, daß jede aktive Immunisierung auf der Spaltung der T.A.-
Bindung ım Körper beruht; selbst wenn es sich um unterneutrales T.A.
handelt, also um ein T.A. mit Überschuß an freiem Gift. Denn die Tat-
sache, daß das Maximum der Immunität, gemessen an dem Antitoxin-
gehalt des Blutes, erst mehrere Monate nach der Einspritzung einzutreten
pflegt, läßt sich nicht durch die geringfügige Menge freien Giftes erklären,
dessen immunisierende Wirkung nach ‘2 Wochen erschöpft ist, sondern
nur durch das allmähliche Aufspalten der T.A.-Bindungen. Erst das aus
diesen in unterschwelligen Dosen frei werdende Gift ist das eigentliche
aktiv immunisierende Agens. Noch ausschließlicher ist dies der Fall, wenn
das T.A. kein freies Gift enthält, sondern sogar Antitoxin im Überschuß.
Busson!) zeigte, daß ein Meerschweinchen selbst dann noch durch T.A.
aktiv zu immunisieren war, wenn es 1—2 Tage vorher 500 AE eingespritzt
erhielt.
Je jünger ein T.A.-Gemisch ist, je leichter und schneller ist es im Körper
aufspaltbar. Die Aufspaltung vermag der eine Organismus schneller zu
bewerkstelligen als der andere, und wir haben kein Mittel, diese Fähigkeit
des Organismus vorher einzuschätzen. Daher ist es möglich, daß besonders
bei frisch hergestellten unterneutralisierten T.A.-Mischungen das freie
Gift zusammen mit dem schnell frei werdenden Gift eine gefahrdrohende
Wirkung ausüben kann.
Es ist deshalb wichtig, daß man T.A.-Gemische lagern läßt, um so die
Bindung zu festigen. Nun treten aber beim Lagern wieder Verschiebungen
in den Bindungen zwischen Antitoxin und den Giftteilchen ein, wie wir
sie in der 11. Mitteilung beschrieben, die dazu führen, das T.A.-Gemisch
giftiger zu machen, eine Erfahrung, die auch Löwenstein und Busson-
bereits 1918 machten*). Erneute Antitoxinzugabe und weiteres Lagern-
lassen ist notwendig, bis das T.A.-Gemisch stabil geworden ist. Für den Ab-
lauf dieser Vorgänge ist es unwesentlich, ob das T.A.-Gemisch schwach un-
ter- oder schwach überneutralisiert ist. Nur ist selbstverständlich bei unter-
neutralen T.A.-Gemischen die Gefahr, daß das Gemisch giftiger wird, größer.
Diese T.A.-Gemische haben nun alle die Neigung zu flocken. Wir konn-
ten in unserer IV. Mitteilung zeigen, daß, allerdings unter besonders gün-
stigen Bedingungen, wie langes Stehen bei höherer Temperatur, selbst ein
so toxisches Gemisch wie L, noch ausflocken kann. Diese Flockung be-
deutete bisher für ein T.A.-Präparat einen Nachteil, denn einmal sollte
wegen der Bildung von Bodensatz die exakte Dosierbarkeit leiden und ferner
ist die Wirksamkeit bezüglich der aktiven Immunisierung scheinbar herab-
gesetzt. Wir sagen „scheinbar“, denn in Wirklichkeit dauert die Immuni-
sierung nur länger. Man hat also bisher tunlichst die Flockung vermieden.
was sich durch geeignete Wahl der Gifte und Sera erreichen läßt.
1) Wiener mediz. Wochenschrift 1925, Nr. 7, 430.
2) Löwenstein: Deutsche mediz. Wochenschrift 1921, Nr. 29, 833.
Von Dr. Hans Schmidt und Dr. Wilhelm Scholz. 253
Wie aus dem Gesagten hervorgeht, hat man bel der aktiven Immuni-
sierung mit T.A. einmal die Hóhe des Antitoxintiters zu beriicksichtigen,
den man erreichen will, und dann die Zeitdauer bis zam Eintritt der maxi-
malen Immunität. Die Erfahrung hat gezeigt, daß diese Zeitdauer um so
größer ist, je fester die T.A.-Bindung ist, und daß die Höhe des erreichten
Antitoxintiters davon abhängt, wieviel Gifteinheiten in gebundener Form
einverleibt wurden. Daneben spielt der Umstand, ob das T.A.-Präparat
in einem neutralen oder in einem über- oder unterneutralem Flüssigkeits-
mittel ist, keine oder nur eine untergeordnete Rolle. Ist T.A. unterneutrali-
siert, dann wird das wenige freie Gift einen gewissen „ictus immunisatorius‘“
ausüben und damit den Eintritt der aktiven Immunität beschleunigen.
Ist Antitoxin im Überschuß vorhanden, so wird sich der Prozeß der aktiven
Immunisierung langsamer abspielen. Bei einem streng neutralen T.A. wird
man unterscheiden müssen, ob das T.A.-Gemisch durch geeignete Mab-
nahmen so angesetzt ist, daß es nicht flockt, oder ob das T.A.-Gemisch
völlig ausgeflockt ist. Im ersten Falle wird es sich verhalten wie ein ganz
schwach überneutrales T.A., und im zweiten Falle wurde dem Präparat
früher jede immunisierende Wirkung abgesprochen!) (Ramon).
Unsere Beobachtungen haben uns aber von der guten immunisierenden
Fähigkeit der T.A.-Flocken überzeugt. Und kürzlich haben auch Sordelli
und Serpa?) dadurch eine Immunität erzeugen können, daß sie das Flocken-
material auf die skarifizierte Haut von Pferden und Meerschweinchen
brachten. Sie empfahlen dieses Verfahren auch zur aktiven Immunisie-
rung des Menschen, erwähnen aber keine praktischen Ergebnisse.
Da die Ausflockung von T.A. gestattet, durch Abschleudern die T.A.-
Flocken von den bei der Einspritzung oft schmerzhaften und für die Immu-
nisierung unnötigen Ballaststoffen der Bouillon zu befreien, und es ferner
möglich ist, in Form der Flocken sehr viel größere Mengen gebundenes Gift
in einem kleinen Volumen einzuspritzen, so haben wir schon lange daran
gedacht, in dieser Flockenform ein ideales Präparat zur aktiven Immuni-
sierung zu haben. In der Tatsache, daß die Bindung sehr fest ist im Ver-
gleich mit den höher dispersen T.A.-Gemischen (T.A. I und T.A. II) sehen
wir keinen Nachteil, da es in der Praxis der prophylaktischen aktiven
Di-Immunisierung im allgemeinen keine Rolle spielt, ob die maximale
Immunität einige Wochen früher oder später erreicht ist.
Das Ziel, das uns bei der aktiven Di-Immunisierung beim Menschen
vorschwebte, war: mit einer nur einmaligen, dabeimöglichst schmerz-
losen Einspritzung mit Sicherheit in 2—3 Monaten einen Antitoxingehalt
von mindestens 1/1 AE im cc zu erreichen, und die Immunität möglichst
lange zu halten.
Bevor wir das Präparat am Menschen erproben ließen, galt es zunächst,
die Bedingungen seiner Haltbarkeit und die zulässige Dosierung im Tier-
versuch festzustellen.
4) Auch Löwenstein sagte in einer Diskussionsbemerkung auf der Natur-
forscher- und Arzte-Tagung in Innsbruck (1924), daß er von dem immunisie-
renden Wert der Flocken nicht viel halte.
2) C. rend. soc. Biol. 1925. 92. 824.
254 Kenntnis der Eigenschaften von Diphtherie-Toxin-Antitoxin-Gemischen.
Der im Vergleich mit der groBen Menge Giftbouillon sehr spárliche
Flockenniederschlag stellt nach mehrmaligem Waschen mit physiologischer
NaCl-Lösung eine lockere weißliche Masse dar, die sich durch geringes
Schütteln wieder so fein in der NaCl-Lösung verteilen läßt, daß eine je
nach der Konzentration trúbe bis opaleszierende Flüssigkeit entsteht. Nach
längerem Stehen entsteht erneut ein flockiger Bodensatz, der sich wieder
leicht verteilen läßt. Die Flocken sind in Na Cl-Lósung unlóslich. Wir fanden
sie im Gegensatz zu Ramon?) ebenfalls in aqua dest. unlöslich. Doch kón-
nen wir seine Beobachtung bestätigen, daß Zusatz von einer Spur Säure
die Flocken zur Lösung bringt. Durch vorsichtiges Erhitzen dieser Lösung
1 Stunde lang auf 58—60° nahm Ramon an, das Toxin zerstört zu haben.
Jedenfalls erhielt er auf diese Weise sehr hochwertige antitoxinhaltige
Präparate. In unseren Versuchen hatte das lange Erhitzen auch die Anti-
toxine beträchtlich geschwächt, denn wenn wir auch antitoxische Präpa-
rate erhielten, so waren sie lange nicht so hochwertig. Setzt man der an-
gesäuerten Flockenlösung wieder Alkali zu, so trübt sich die Lösung wieder
und wird bei weiterem Alkalizusatz wieder klar. Erneutes Ansäuren führt
wieder zur Flockung. Was bei diesem Prozeß mit dem T.A. geschieht, ob
die Bindung dissoziiert, und was dann mit dem Gift unter dem Einfluß
der Säure und des Alkali vor sich geht, darüber gedenken wir in einer spä-
teren Mitteilung zu berichten. Als die zweckmäßigste Form für die Immuni-
sierung fanden wir die Suspension der Flocken in einer 0,9proz. NaCl-
Lösung, der 0,5proz. Karbol zugesetzt war. In dieser Art der Aufbewahrung
scheint das T.A., soweit unsere bisherige Erfahrung dies zu sagen gestattet,
praktisch unbegrenzt haltbar zu sein, wenn es keimfrei gehalten und vor
starkem Licht geschützt bleibt. Verunreinigung mit Säure auch in Spuren
ist peinlichst zu vermeiden.
Wir haben unsere Versuche mit einem Pferd begonnen, um so bei einem
leicht gegen Di-Gift zu immunisierenden Tiere erst einmal ein Urteil dar-
über zu gewinnen, ob die Flocken überhaupt eine immunisierende Fähigkeit
haben. Die folgende Versuchsniederschrift zeigt, daß es in der Tat möglich
war, durch allerdings sehr vorsichtige Dosierung einen Antitoxintiter von
2 AE zu erzielen.
Pferd 1172.
21. V.1924 5ce T.A.-Flockensuspension = 10 G.E.
26. V.1924 410 ,, D = 320: 5;
31. V.194 20 ,, Mi = 40 ,
5. VI. 1924 A0. S Ss ¿00 er
10. VI 1924 80 ,, SS = 160 „,
16. VI. 1924 150 ,, de ss ét ss
24. VI. 1924 „ dichtere T.A.-Flockensusp. = 20 ,,
27. VI. 1924 pe 5 ; = 40 „
30. VI. 1924 e pa Re = 80 „
3. VII. 1924 e e Ss = 160 —
8. VII. 1924 15, m M = 300 ,
Summe 1210 G.E.
14. VII. 1924 Blutprobe: über 2 AE im ee,
4) C. rend. soc. Biol. 1923, 88, 167.
Von Dr. Hans Schmidt und Dr. Wilhelm Scholz. 255
Wenn auch 2 AE im cc nicht das Maximum der Immunität darstellt,
was erst nach längerer Zeit eintreten würde, so sind immerhin 1210 G.E.
in 71, Wochen nötig gewesen, um diesen geringen Effekt zu erzielen, wohin-
gegen 1/ der Gifteinheiten ohne Bindung an Antitoxin das Serum in der
gleichen Zeit über 40fach hätte machen können. Immerhin hat uns dieser
Versuch die Möglichkeit der Immunisierung mit Flocken gezeigt.
Unsere weiteren Versuche betrafen Kaninchen, einmal weil diese
erfahrungsgemäß relativ schwer aktiv zu immunisieren sind, und daher ein
positives Ergebnis um so größere Bedeutung beanspruchen darf, und zum
anderen weil in Anbetracht der langen Versuchsdauer von allen Klein-
tieren Kaninchen wegen der geringeren Anfälligkeit gegenüber Stallseuchen
besonders im Winter für unsere Zwecke besser geeignet waren.
Der Versuch gestaltete sich im einzelnen folgendermaßen: Die Kanin-
chen 3040, 1330 und 1343 erhielten T.A.-Flocken subkutan in langsam
steigenden Dosen. Zum Vergleich und zur Kontrolle erhielt Kaninchen 1332
gleichzeitig mit der steigenden Flockenmenge auch steigende Giftmengen,
also gewissermaßen ein unterneutralisiertes T.A., ferner erhielt Kaninchen
1328 das gleiche, aber so, daß die Injektionen der Flocken und des Bouillon-
giftes getrennt geschahen und schließlich erhielt Kaninchen 1341 nur das
Bouillongift allein. Alle Einspritzungen geschahen subkutan. Weitere
Einzelheiten sowie das Ergebnis der Immunisierung zeigt die folgende
Tabelle 1.
Die Immunisierung durch T.A.-Flocken hat in 2 Monaten nach Ende
der Behandlung die Bildung von Tele A-E. im cc bewirkt. Wurde die
Immunisierung jedoch kombiniert, sowohl mit Flocken als auch mit freiem
Gift vorgenommen, dann war das Ergebnis nur unwesentlich besser, wobei
der Unterschied, ob zusammen oder getrennt injiziert wurde, innerhalb der
Variationsbreite der Antitoxinbildung bei Kaninchen fällt. Die freien
Giftmengen allein haben bei Kaninchen 1341 nur Tun AE. zu bilden ver-
mocht. Von wesentlicher Bedeutung ist nun die Länge der Zeit, in der
sich der einmal erreichte Höchsttiter hält, und da sehen wir, daß bei dem
Kaninchen, das nur freies Gift erhalten hatte, der Titer ungleich schneller
abnahm, als bei allen anderen Tieren, welche Flockensuspension erhalten
hatten. Am längsten hielten diejenigen Kaninchen den Titer, die sich mit
Flockensuspension ohne freies Gift am besten immunisiert hatten. Das
Ergebnis ist verständlich, wenn man berücksichtigt, daß die injizierte
Flockenmenge 1130 G.E. in gebundener Form darstellten, gegenüber
nur 21%, G.E. in freier Form, und daher auch eine längere Zeit beanspruch-
ten, um vom Organismus aufgeschlossen und verarbeitet zu werden.
= Wenn damit also erwiesen sein dürfte, daß eine T.A.-Verbindung in
Form von Flocken Kaninchen zu immunisieren vermag, so ist doch eine
wiederholte Injektion kleiner Mengen über einen längeren Zeitraum ein
recht umständliches Verfahren.
Bei unseren weiteren Kaninchenversuchen haben wir daher eine
größere Flockenmenge auf einmal subkutan eingespritzt. Dem Kaninchen
2664 wurde die einmalig gegebene Flockenmenge intravenös gegeben.
Weitere Einzelheiten sowie die Versuchsergebnisse zeigt die folgende
Tabelle II.
256 Kenntnis der Eigenschaften von Diphtherie-Toxin-Antitoxin-Gemischen.
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Von Dr. Hans Schmidt und Dr. Wilhelm Scholz, 257
Tabelle II.
Ergebnis |Nach welcher
Kanin- Zeit
chen-Nr. | Gewicht| Datum, Dosis und Impfstoff G "nisierung | ee
2664 17. 2. 25. 3,5 ccm Flocken-
suspension intravenós
3075 8. 4. 25. 2,0 ccm Flocken-
suspension subkutan
-3090 8. A 25. 6,0 ccm Flocken-
suspension subkutan
3088 8. 4. 25. 12ccm Flocken-
suspension subkutan
Wir haben also mit einer einzigen subkutanen Einspritzung
von T.A.-Flocken ein Kaninchen so hoch immunisieren kón-
nen, daß das Serum 2A.E. im cc enthielt. Wenn dies auch der
von uns beobachtete Hóchsttiter war, so hatten doch alle Kaninchen min-
destens !/, A.E. erreicht. Es ist erstaunlich, welche ungeheuren Giftmengen
man in der Form von Flocken einverleiben kann, ohne daß allem Anschein
nach die Gesundheit der Tiere beeinträchtigt wird. Eine lokale Reaktion
war bei dem Kaninchen 3075 kaum bemerkbar, und bei den Tieren 3090
und 3088 gab es geringfügige Schwellungen, die 10—14 Tage später nicht
mehr wahrnehmbar waren. Selbst 3600 G.E. wurden von dem Kaninchen
3088 vertragen. Allerdings warf das trächtige Tier 14 Tage nach der Ein-
spritzung 5 tote Junge, und wir glauben, daß der intrauterine Tod der
Tiere auf das aus den Flocken frei werdende Gift zurückzuführen ist. An
Gewicht nahmen nur Kaninchen 2664 um 150 g ab, sowie das Kaninchen
3088 um 250 g, was aber wohl auf den Wurf von 5 Jungen zurückzuführen
ist. Sonst hielten sich die Tiere auf ihrem Anfangsgewicht und nahmen alle
später etwas zu. Das Bemerkenswerte dieses Ergebnisses wird erst klar,
wenn man die große Schwierigkeit bedenkt, die die aktive Immunisierung
bei Kaninchen mit reinem Gift bietet, denn trotz des größeren Körper-
gewichtes ist das Kaninchen empfindlicher gegenüber der Di-Giftwirkung
als das Meerschweinchen.
Die intravenöse Einspritzung hat trotz der großen Giftmenge von
2000 G.E. in der Flockensuspension nur zu dem sehr geringen Antitoxin-
gehalt von ca A-E. geführt.
Es ist für die immunisierende Wirkung von Di-Gift sehr interessant, daß
es auf subkutanem Wege so ungleich besser wirkt, als bei intravenöser Ein-
verleibung, eine Tatsache, die bereits v. Behring bei Pferden kannte, und
Madsen!) 1923 erwähnte. Kürzlich berichteten Glenny und Pope?) über
1) Journ. State med. 1923. 31. 55.
2) Journ. of Path. ano Bact. 1925. 28, 273.
258 Kenntnis der Eigenschaften von Diphtherie-Toxin-Antitoxin-Gemischen.
Versuche, nach denen es wohl gelingt, mit intravenóser Einspritzung von TA-
Gemischen oder von künstlich entgiftetem Di-Gift bei Kaninchen eine gewisse
Grundimmunität von etwa ?/,o AE zu erzeugen. Waren die Tiere aber vorher,
wenn auch in geringem Grade aktiv immunisiert, dann bewirkte eine erneute
intravenöse Injektion vyn Di-Gift eine deutlich nachweisbare Steigerung des
Antitoxingehaltes, z. B. bewirkte die intravenöse Injektion von 0,08 ccm Gift
(= 0,5 Lo) bei einem Kaninchen, das '/o AE im ccm vor der Einspritzung
hatte, die Bildung von 2,7 AE im ccm nach 7 Wochen.
Wir haben daraufhin einigen unserer mit TA-Flocken vorbehandelten
Kaninchen eine erneute Einspritzung von Flocken längere Zeit nach der zuletzt
erhaltenen gegeben: Die Kaninchen 3040, 1330 und 1343, die genau gleich-
mäßig vorbehandelt waren, bekamen etwa 5 Monate später (3. 7.) eine intra-
venöse Einspritzung von 5 ccm einer Flockensuspension, entsprechend 200 Gift-
Einheiten, Kaninchen 3075 und 3090, die mit einer einzigen Einspritzung vor-
behandelt waren, erhielten 3 Monate später (3. 7.) ebenfalls 200 Gift-Einheiten
in 5 ccm Flockensuspension, während dem intravenös vorbehandelten Tier
Nr. 2664 diese Menge subkutan eingespritzt wurde.
Das Ergebnis war bei allen Tieren eine bemerkenswert schnelle Titer-
steigerung, die bereits, wie' die folgende Tabelle zeigt, 10 Tage nach der Ein-
spritzung deutlich erkennbar war.
Titer nach der Reinjektion
nach 21 Tagen
Kaninchen Nr. 3040 Ae AE/ccm | ca,?/, AE/ccm
1
>) 99 1330 5 9 ; sn
99 > 1313 >! 99 = 2 ag
Sp , 3075 > 1), ,) 1—2 II
ò » 3090 > y ca.2 „
99 , 2664 > 1o MI ES »
Wir können somit Glennys und Popes Angaben bestätigen, wonach
eine an und für sich wenig wirksame intravenöse Immunisierung doch eine
genügende Zellbereitschaft gibt, um auf einen erneuten immunisierenden Reiz
reichlich Antikörper zu bilden. Ist einmal eine gewisse Grundimmunität vor-
handen, dann verursacht jede neue, einige Zeit später erfolgende spezifische
Reizung eine vermehrte Antikörperbildung, gleichgültig, ob es sich um eine
subkutane oder intravenöse Reininjektion handelt. Es ist demnach auch an-
zunehmen, daß eine spontane Erkrankung eine schnelle Neubildung im Blut-
kreisender Antitoxine veranlaßt.
Da aber die durch intravenöse Immunisierung erzeugte Immunität,
wenigstens bei einmaliger Einspritzung von Flocken, nicht hoch ist, ist
für die prophylaktische aktive Immunisierung die intravenöse Einspritzung
ungeeignet.
Auch die intrakutane Einspritzung ist bei Anwendung des Flocken-
materials ungeeignet, obwohl an und für sich, wie als erster v. Behring mit
unterneutralisiertem T.A. zeigte, der intrakutane Weg brauchbar ist. Wir
haben mit 0,2 cc Flockensuspension Kaninchen 60 G.E. intrakutan gegeben
mit dem Erfolg, daß nach 4 Wochen die erreichte Immunität erst 1/1% A E.
betrug. Es bildete sich unter mäßiger Rötung ein erbsengroßes Knötchen,
das nach etwa 14 Tagen verschwunden war. Es ist wahrscheinlich, daß die
unlösliche und schwer aufschließbare Form des T.A. als Flocken für den
schlechten Immunisierungserfolg bei intrakutaner Einspritzung verant-
wortlich ist.
Von Dr. Hans Schmidt und Dr. Wilhelm Scholz. 259
. Wenn nun, wie oben gesagt, die Höhe der erreichten aktiven Immuni-
tät davon abhängt, wie viel Di-Gift'in gebundener Form eingespritzt wird,
ist es dann gleichgültig, wie groß die gebundene Giftmenge ist, wenn sie
nur genügend groß ist, um den erstrebten Titer von mindestens 1/4 A-E.
zu erreichen, oder bringt die Einspritzung von größeren Mengen eines völlig
neutralen T.A.-Präparates eine Gefahr mit sich ?
Wenn wir auch nur über wenige Beobachtungen zur Beantwortung die-
ser Fragen verfügen, so können wir doch bestimmt sagen, daß die Menge
des gebundenen Di-Giftes, die auf einmal in Form der Flok-
ken eingespritzt wird, nicht gleichgültig ist.
Der Umstand, daß die T.A.-Menge in Form der Flocken so wenig volu-
minös ist und die Bindung als solche viel fester ist als in der mehr dispersen
* Form des T.A. in Lösung, gestattet es zwar ganz erstaunliche Mengen Di-
Gift (entsprechend etwa 1 Liter 4facher Di-Giftbouillon bei Kaninchen 3088)
auf einmal einzuverleiben unter der Voraussetzung, daß die Aufarbeitung
dieses Giftdepots im Körper mit seiner aktiven Immunisierung parallel
geht. Aber wenn dies nicht geschieht, wenn also der Organismus aus uns
unbekannten Gründen nicht in der Lage ist, sich schnell genug zu immuni-
sieren, dann droht entschieden Gefahr. Man darf sich vielleicht vor-
stellen, daß der Körper die T.A.-Verbindung im Laufe der Zeit schneller auf-
zuspalten vermag, so daß also im Anfang wenig, später aber relativ mehr
Gift aus der T.A.-Bindung frei wird. Tritt dies zu einer Zeit ein, in der die
aktive Immunisierung noch nicht genügend hoch ist, dann kann der Or-
ganismus durch Toxinwirkung schwer erkranken, ja unter Umständen der
Toxinwirkung erliegen. Diese Gefahr ist natürlich um so größer, je mehr
gebundenes Gift im eingespritzten Depot vorhanden ist. Je älter das Flok-
kenpräparat ist, je geringer ist die Gefahr, weil die Bindung im Lauf der
Zeit fester wird. Ganz allgemein ist diese Gefahr bei dem T.A. in Flocken-
form geringer, als bei dem T.A. in Lösung, obwohl in letzter Form schon
des Volumens halber viel weniger gebundes Gift eingespritzt wird, wohl
aber in einer leichter dissoziierbaren Form.
Daß eine Gefahr bei zu großer Injektion von Flocken tatsächlich be-
steht, zeigen die beiden folgenden Beobachtungen an einem Kaninchen und
an einem Hammel.
1. Kaninchen 2651 bekam am 17. II. 1925 3,5 cc Flockensuspension
subkutan entsprechend 2000 G.E. Nach 4 Wochen hatte das Tier erst
Lee A-E./cc gebildet (während Kaninchen 3090, das subkutan in Form
von T.A.-Flocken nur 1200 G.E. erhalten hatte, bereits */¿ A.E./cc nach
4 Wochen hatte). Das Gewicht von 3100 g änderte sich nicht. Aber am
29. ITI., also 40 Tage nach der Einspritzung, wurde das Tier tot gefunden,
und der Sektionsbefund sprach für eine Di-Giftwirkung.
2. Hammel 98, 26 kg schwer, erhielt am 2. VI. eine subkutane Injektion
von Flocken, entsprechend 5000 G.E. 15 Tage später (obwohl während
dieser Zeit Gewichtszunahme von 1 kg) Fieber bis 41%. Serumtiter war
Tan A-E./cc. Nach dreitägigem Fieber wurden subkutan 5 cc Di-Hammel-
serum = 500 A.E. gegeben, worauf sofort dauernde Entfieberung eintrat.
260 Kenntnis der Eigenschaften von Diphtherie-Toxin-Antitoxin-Gemischen.
Bei beiden Tieren hatte die aktive Immunisierung nicht mit der Di-
Giftabspaltung aus den Flocken Schritt gehalten. Wir glauben, daß der
Hammel ohne die rettende Serumeinspritzung der Giftwirkung erlegen
wäre.
Nun spricht der Mensch im allgemeinen leichter und schneller auf Di-
Gift mit Antitoxinbildung an, als es Kaninchen und Schafe tun. Aber wie
die vielfältigen Erfahrungen der aktiven Di-Immunisierung der letzten
. Jahre zeigten, ist ein gewisser, wenn auch kleiner Prozentsatz (etwa 10%)
in dieser Hinsicht refraktär. Für solche Menschen würde die Einspritzung
einer zu großen Flockenmasse eine Gefahr bedeuten, und wir haben daher
dieser Möglichkeit dadurch Rechnung getragen, daß wir die Menge gebun-
denen Toxins, die in Form einer Flockensuspension einem Menschen einmal
einzuspritzen ist, auf höchstens 15 Gift-Einheiten beschränkt wissen
möchten. l
Auf jeden Fall glauben wir, auf Grund unserer Tierversuche und
der am Menschen von Prof. Schreiber in Magdeburg gemachten Er-
fahrungen sagen zu können, daß wir in der Flockensuspension das
zurzeit beste Mittel haben, eine aktive Immunisierung des
Menschen durchzuführen. Die Einspritzung ist nicht schmerzhafter
als die einer physiologischen Kochsalzlösung und die lokale Reaktion
ist bei 0,3—0,4 cc obiger Suspension unbedeutend, ein Umstand, der
bei der Schutzimpfung von Kindern wesentlich ist. Bei größeren Flocken-
mengen sind lokale Reaktionen beobachtet. Bis jetzt hat sich die mehr-
malige Einspritzung kleinerer Mengen als schonender erwiesen bei sehr
guter immunisierender Wirkung. Versuche mit nur einmaliger Ein-
spritzung sind noch im Gange. Es ist zu hoffen, daß eine solche ge-
nügt. Die Immunität tritt dann in kürzerer oder längerer Zeit, auf
jeden Fall innerhalb von 3—4 Monaten, automatisch und mit Sicherheit
ein, so daß sich jede Nachprüfung mittels der Schickprobe erübrigt. Der
Impfstoff ist praktisch unbegrenzt haltbar und eine Gefahr kann unter
Berücksichtigung obiger Dosierung als ausgeschlossen gelten.
Wir hoffen, daß dieses Präparat der aktiven Di-Schutzimpfung zu
allgemeinster Anwendung verhilft.
Zusammenfassung.
Die aus einer auf völlige Neutralität optimal eingestellten Mischung
von Di-Toxin und Antitoxin entstehenden Flocken stellen nach gründlicher
Waschung und Aufschwemmung in physiologischer Kochsalzlósung ein
ideales T.A.-Práparat dar fiir die prophylaktische Schutzimpfung gegen
Diphtherie.
Tierversuche bei Pferden und Kaninchen ergaben, daß die Flocken-
aufschwemmung eine Di-Immunität erzeugen kann, und es gelang, bei
nur einmaliger subkutaner Einspritzung einer Flockenmenge Kaninchen
bis zu */¿—2 A.E./ec zu immunisieren. Wenn es auch mittels der Flocken
gelingt, ganz außerordentliche Giftmengen in fester Bindung mit Antitoxin
(entsprechend der Giftmenge von 1 und mehr Litern Di-Bouillongift) auf
einmal einzuspritzen, so ist es gefährlich, die Menge an gebundenem Gift
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a
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zu Ke zu nehmen, da dann die aktive EA A nicht dolina ec? d
erfolgt, um mit der Aufspaltung der T.A.-Bindung Schritt zu halten.
Für die Schutzimpfung beim Menschen darf 1 ce der Flockensuspension
höchstens 15 Gift-Einheiten enthalten.
Der Vorteil der Flockensuspension (T.A.F.) gegenüber allen P
T.A.-Präparaten liegt darin, daß die Einspritzung fast schmerzlos ist,
keine oder nur eine geringfügige lokale Reaktion erzeugt und vielleicht
nur einmal zu geschehen braucht, um mit Sicherheit eine Immunität von
mindestens Ti A.E./cc zu bewirken.
Eine vereinfachte Methode der Bestimmung des Koli-Titers
eines Wassers.
Von
Professor Dr. L. Horowitz-Wlassowa.
(Aus dem Chemiko-Bakteriologischen Institut in Orenburg.)
(Bei der Redaktion eingegangen am 12. September 1925.)
In unserem Artikel „Der heutige Stand der Frage der hygienischen
Bewertung des Wassers (russisch; Prophylaktische Medizin 1925, Nr. 6),
haben wir die Nachteile der Methoden, die nach der Meinung verschiedener
Verfasser ebensogut wie die Gärmethoden von Eykman und Bulir
für den Nachweis der Verunreinigung zuverlässig sein sollen (wie die Be-
stimmung des ‚thermophilen Titers“ des Wassers nach Petruschky,
die Aınmoniakmethode von Spat, die Bestimmung des Indoltiters nach
Gersbach, hervorgehoben und vorläufig auf die Methode von Salus
und Hirn (Centralbl. f. Bakt. 1923, Bd. 90, Heft 4) als die a priori ge-
eignetste hingewiesen. Die Bewertung dieser Methode, die zugleich die
Gas- und Indolbildung im mit den betreffenden Wasserproben geimpften
Nährmedium nachweist, läßt sich tatsächlich schon auf Grund unserer
zahlreichen Wasseruntersuchungen machen. Wir wissen ja, daß die Eigen-
schaft, die Glukose oder den Mannit unter Gasbildung zu vergären und
dabei Indol in peptonhaltigem Nährboden zu bilden — nur wenigen Wasser-
bakterienarten zukommt. Unter 200 aus Newawasser gezüchteten und
eingehend studierten Bakterienarten (Sonderauflage, Petersburg, 1912),
konnten wir nur sieben derartige herausfinden (B. coli, Paracolibacillus
Nr. 2,3, 4, Gilbert et Lion, B. cloacae Jordan, B. proteus vulgaris
Hauser und B. ruber balticus, s. B. kiliense Lehmann und Neu-
mann). Es sei bemerkt, daß die Zahl unserer acroben Arten, welche Glu-
kose vergärten (d.h. bei der Anwendung der Ejkmanschen oder Bulir-
schen Methode die positive Gärprobe ergaben) 22 betrug; die Zahl der
indolbildenden Arten (die also bei der Anwendung der Methode von Gers-
bach das B. coli c. vortäuschen können). 17. Wird nun nicht Glukose
oder Mannit, sondern Lakstose angewendet, die überhaupt von Wasser-
bakterien recht selten vergärt wird, so erweist sich die obige doppelte Probe
als für das B. colic. höchst charakteristisch, da B. coli allein unter unseren
200 aeroben Wasserbakterien die obigen beiden Eigenschaften, Lactose
Vereinfachte Methode der Bestimmung des Koli-Titers eines Wassers. 263
unter Gasbildung zu vergáren und Indol zu bilden — besitzt. Selbst-
redend kann man die Möglichkeit nicht von der Hand weisen, daß der
erwähnte Effekt nicht vom B. coli, sondern von zwei oder mehreren
nebeneinander vorhandenen Bakterienarten bedingt wird — deren einige
Indol bilden, ohne Laktose zu vergären, wie B. aquatilis communis
Flugge, B. cloacae Jordan, B. lucidus Lembre, B. superficialis
Jordan, B. proteus vulgaris Hauser, B. diffusus Frankland,
B. piscium pyogenes Mutzuchita, Paracolibacillus Nr.3, während
andere, umgekehrt Laktose unter Gasbildung vergären, ohne Indol zu
bilden, wie B. viscosus v. Laer, B. viscosus ochraceus Freund,
B. gasoformans Eisenberg, B. lactis aerogenes Escherich und
mehrere anaerobe Bakterienarten, die im Wasser nicht selten vorkommen
und die wir an anderem Orte ausführlich beschrieben haben (russisch;
Mikrobiolog. Zeitschrift 1916, Bd. III). Zwar sind solche Kombinationen,
wie die Praxis der bakteriologischen Wasseruntersuchungen lehrt, ziemlich
selten, doch müssen sie im Auge behalten werden. Es empfiehlt sich dem-
nach, auf die Aussaaten auf Drigalski- oder Endoplatten nicht zu
verzichten. — Wird die Entwicklung durchaus gleichartiger Kolonien
beobachtet, so ist damit jeder Zweifel beseitigt, da es sich in diesem Falle
nur um B. coli communis handeln kann; tritt aber das Wachstum ver-
schiedener Kolonien auf, so ist deren nähere Untersuchung unerläßlich,
da es sich um eine der erwähnten Kombinationen handeln kann. Es sei
hier betont, daß bei der Anwendung der Methoden von Ejkman und Bulir
eine solche eingehende Untersuchung immer unentbehrlich ist, insofern
mehrere Bakterienarten, wie B. viscosus ochraceus, Paracoli-
bacillus Nr.2, verschiedene Milchsäurebazillen und -Kokken das B.coli c.
auf Drigalski- oder Endoplatten vortäuschen können.
Um diese Voraussetzungen und Schlußfolgerungen experimentell
zu prüfen, haben wir 100 Wasserproben auf den Coli-Test mittels der
besprochenen Methode untersucht.
Der Nährboden wurde nach Salus angefertigt, wie folgt: 20 g Pepton
samt 1g Pankreatin werden in 800 g sterilisiertem Leitungswasser gelöst,
und die mit Na,CO, und Toluol versetzte Flüssigkeit 3 Tage im Thermo-
staten aufbewahrt, womit die partielle Zersetzung der Peptone bis zur
Tryptophanbildung erzielt wird. In der auf diese Weise hergestellten
Flüssigkeit wird die Indolbildung wesentlich beschleunigt. Dann wird der
Nährboden bis zum Auftreten der Jakmusneutralen Reaktion angesäuert
und filtriert, das Filtrat mit 1%, Laktose (anstatt der von Salus angewen-
deten Glukose) versetzt und schließlich sterile Kreide hinzugefügt, welche
die bei der Laktosegärung gebildeten Säuren neutralisieren soll. Ohne
diese Vorsicht bilden bekanntlich B. coli und andere indologene Bakterien-
arten in zuckerhaltigen Nährmedien, wie z. B. in Pferdefleischbouillon,
keın Indol, da die sich anhäufende Säure die tiefere Spaltung des Eiweißes
hemmt; eine Tatsache, welche die fäulnishemmende Wirkung des Lakto-
bazillius und anderer Säurebildner bedingt.)
Mittels dieser Methode haben wir verschiedene Fluß-, Grund- und
Teichwässer untersucht: verschiedene Mengen von Wasser wurden in den
oben besprochenen Nährboden ausgesäet, die Röhrchen 24 Stunden im
264 Vereinfachte Methode der Bestimmnug des Koli-Titers eines Wassers.
Thermostat bei 35% aufbewahrt. Nun wurden zuerst Aussaaten auf Endo-
platten gemacht und dann die Flüssigkeiten mit den Reagentien von Ehr-
lich auf Indol geprüft und auf Gasbildung beobachtet. Es sei betont, daß
es sich empfiehlt, die Proben, in denen die Gasbildung nach 24 Stunden
fehlt, noch weitere 24 Stunden im Thermostat aufzubewahren, da unter
unseren 100 Proben, von denen 60 gasbildende Arten enthielten, die Gas-
bildung in 33 Fällen erst am zweiten Tage zur Beobachtung kam. Dagegen
tritt die Indolreaktion in der Mehrzahl der positiven Fälle schon nach
24 Stunden ein. Unter unseren 60 Proben, in denen Indol nachweisbar
war, konnten wir nur 3 Fälle beobachten, wo die Indolreaktion erst am
zweiten Tag positiv ausfiel. In einem Falle handelte es sich um B. cloacae,
in zwei anderen um Paracolibacillus Nr.3.
Die Resultate der 100 Wasseruntersuchungen mittels der besprochenen
Methode können in folgender Weise zusammengefaßt werden.
Zahl der | Zahl der
Koli
Gas- | Indol-
bildung
Bakterienarten, die bei der Aussaat der Proben auf
Endpolatten zur Entwicklung kamen
B. coli communis
B. aquatilis 3ulcatus, B. sericeus, Mier, lactis,
. subtilis u. a.
7mal B. coli anindolicus.
1mal B. cloacae. 6mal B. aquatilis communis.
Es leuchtet aus dieser Tabelle hervor, daß alle Proben, wo Laktose
vergärt und Indol gebildet wurde, sich als coli-haltig, alle Proben dagegen,
wo diese beiden Merkmale oder die Gasbildung allein fehlten, sich als coli-
frei erwiesen. Die übrigbleibenden sieben Proben, wo die Gärprobe positiv,
die Indolprobe aber negativ ausfiel, enthielten eine Paracolibacillus-
Art, die, wie üblich, bei der Bestimmung des Coli-Titers, ebenso wie
andere Paracolibacilli vernachlässigt wird, obgleich diese Arten, ebenso
wie B. cloacae, Proteus vulgaris, Streptokokken ua bei der
allgemeinen Bewertung eines Wassers unseres Erchtens berücksichtigt
werden sollten.
Diese Resultate bestätigen unsere Voraussetzungen.
Wir meinen, daß die besprochene Methode nicht unbeträchtliche
Dienste, insbesondere bei Massenuntersuchungen von Wássern leisten
kann, da sie 1. recht genau arbeitet, 2. die Frage nach Coli-An- oder Ab-
wesenheit schon nach 48 Stunden beantwortet und 3. Zeit und Mühe er-
spart, insofern sie in der Mehrzahl der Fälle erlaubt auf die zeitraubende
Untersuchung der auf Endoplatten gewachsenen Kolonien zu verzichten.
Wird die Ausnutzung des Nahrungseiweißes durch
Saccharin beeinflußt?
Von
Professor R. O. Neumann.
(Aus dem Hygienischen Staatsinstitut zu Hamburg. Direktor: Geh. Rat
Prof. Dr. R. O. Neumann.)
(Bei der Redaktion eingegangen am 17. September 1925.)
In Band 92, Heft 8, dieser Zeitschrift (1924, S. 331) ist eine Arbeit von
Privatdozent Dr. W. A. Uglow aus Petersburg „Über die Wirkung des
Saccharins auf Bakterien, Plankton und Verdauungsfermente“
erschienen, in der er seine Studien über die bakterizide Wirkung des Sac-
charins auf Bakterien und Schimmelpilze, auf kleine Krebschen (Cyclops
quadricornis) ‘und auf Infusorien (Coleps hyrtus) niedergelegt hat. Außer-
dem versuchte er die Wirkung auf diastatische Fermente, auf die Magen-
saftverdauung und die biologische Wirkung auf die Wirksamkeit des Pan-
kreassaftes aufzuklären.
Die Ergebnisse, die zum Teil mit eigener neuer Methodik gewonnen
wurden, weichen von den Befunden anderer Autoren in mancher Beziehung
nicht unwesentlich ab. So ist z. B. für den Bakteriologen neu zu hören, daß
die bakterizide Kraft des Saccharins diejenige des Phenols erheblich über-
treffen soll, es wird auch davon gesprochen, daß eine Lösung von Saccharin
1:500 innerhalb 40 Tagen die Sporen von Bacillus subtilis abtöte. Wir
sind bei unseren gelegentlichen Untersuchungen!) über den Einfluß des
Saccharins auf Bakterienwachstum zu dem Resultat gekommen, daß das
Wachstum verschiedener sporenloser Bakterien, wie Micrococcus pyogenes
aureus, Bacterium coli, Bacterium pyocyaneum, Bacterium vulgare und des
Sporenträgers Bacillus mesentericus bis zu einer Konzentration von 3%
noch nicht unterbunden wurde. Auch Hefe war noch nicht geschädigt.
Was den Ernährungsphysiologen aber besonders interessieren mußte,
ist die Schlußfolgerung des Verfassers aus seinen Untersuchungen über
die Wirkung des Saccharins auf die Fermente und die Magensaftver-
dauung. Er sagt (S. 342): „Wenn es gestattet wäre, von den Versuchs-
bedingungen auf die Verhältnisse im Magen zu schließen, könnte die Be-
1) R. O. Neumann, Zucker und Süßstoff als Nahrungsmittel und Gewürz
Techn. Gemeindeblatt, Jahrg. 26, Nr. 17.
Archiv für Hygiene. Bd. 96. 20
266 Wird die Ausnutzung des NahrungseiweiBes durch Saccharin beeinflußt ?
deutung der oben erwähnten Defizite für den Menschen so ausgedrückt
werden: Nach Aufnahme von 100 g Eiweiß (so wertvoll heut-
zutage) werden nur 85—87 g durch den Magen ausgenutzt —
falls wir Saccharin gebrauchen, um den Geschmack der Spei-
sen zu verbessern. Wird dies nicht zur Verhungerung bei-
tragen ?
Seine Schlußfolgerungen basieren auf folgenden Feststellungen: Die
Hemmung der Stärkehydrolyse betrug bei einer Saccharinverdünnung von
1 : 1000 90%, bei 1 : 5000 16%, bei 1 : 10000 3%. Bei Verdauungsver-
suchen von geronnenem Hühnereiweiß mit künstlichem und auch mit
natürlichem vom Hunde entnommenen Magensaft ergab sich eine durch-
schnittliche Hemmung von 38% bei einer Verdünnung des Saccharins
1 : 1000, von 15% bei 1 : 5000, von 11% bei 1 : 10000. Die Mittelzahlen
“ergaben aber kein ganz klares Bild, da die Einzelversuche unter sich ziemlich
differieren. Vergleichsversuche mit Salicylsäure zeigten, daß Saccharin
auffallenderweise stärker hemmte wie Salicylsáure. Krystallose (Saccha-
rin Natrium) wirkte ähnlich wie Saccharin. Das Debat" betrug bei
1 : 1000 34%, bei 1 : 5000 17%, bei 1 : 10000 13%.
Unter der vom Verfasser gemachten Annahme, daß zum Versüßen der
Speisen Saccharinlösungen von 1 : 10000 benutzt werden, würde also bei
Saccharingenuß ein Ausnutzungsverlust von 13—415% eintreten.
Es haben nun in jüngster Zeit auch andere Forscher sich mit diesen und
ähnlichen Fragen beschäftigt 1)2)3) und sind zu wesentlich anderen Er-
gebnissen gekommen als der Verfasser. Jedenfalls sind sie sich darin einig,
daß die sekretorische und motorische Funktion des Verdauungsapparates —
und dazu würde ja auch die Ausnutzung der Nahrung gehören — in keiner
Weise geschädigt wird, jedenfalls niemals durch die Dosen, die für den prak-
tischen Gebrauch in Frage kommen. Besonders weist Dobreff darauf hin,
daß, wenn auch durch Saccharinzusatz zu einer Fermentlösung deren fer-
mentative Kraft in Mitleidenschaft gezogen würde, eine Ernährungsstörung
damit noch nicht erwiesen sei, denn diese könne nur durch den Stoffwechsel-
versuch entschieden werden.
Damit hat er zweifellos recht, denn es ist doch noch etwas anderes, ob
man im Reagenzglas koaguliertes Eiweiß von künstlich zubereitetem
Magensaft oder Hundemagensaft unter Zusatz von Saccharin verdauen
läßt oder ob eine gemischte Nahrung im Verdauungstraktus vom mensch-
lichen Organismus mit seinen komplizierten chemischen Einrichtungen ab-
gebaut wird. Der Reagenzglasversuch kann nur unter Vorbehalt auf den
natürlichen Vorgang im Menschen übertragen werden und gibt über den
letzteren keinen sicheren Aufschluß. Es scheint mir daher die weittragende
Frage, die Verfasser an seine Ermittelungen knüpft „Wird dies nicht
1) Katsumi Haramaki: Über den Einfluß des Sıccharins auf einige
Funktionen des Verdauungsapparates und der Nieren. Zeitschrift f. physikal.
u. diátet. Therapie 1922, B t. 26,
e ei K. Miyadera: Notiz über den Stoffwechsel bei groBen Saccharingaben.
ber, da.
3) Minko Dobreff: Uber den EinfluB chronischen Saccharingenusses auf
die Magensaftbildung. Archiv f. Hygiene 1925, Bd. 95.
r
Von Prof. R. O. Neumann. 267
zur Aushungerung führen ?‘ etwas sehr gewagt und auch überflüssig,
denn dann würde man in den letzten 40 Jahren, wo Millionen von Menschen
sich des Saccharins bedient haben und im Kriege bei der Zuckernot geradezu
ein Experiment allergrößten Stiles über das Verhalten des Saccharins im
Organismus gemacht wurde, wohl irgendwelche Beobachtungen gemacht
haben, die seine Besorgnis hätten rechtfertigen können. Aber davon be-
richtet die Literatur nichts. Es beweisen im Gegenteil die zahlreichen
Untersuchungen am Menschen mit kleinen und großen Dosen z. T. in lang-
dauernden Versuchen die absolute Unschädlichkeit dieses Gewürz-
stoffes. Es würde zu weit führen, sie hier alle zu reproduzieren. Ich er-
innere nur an folgende Tatsachen: Jessen gab 0,1—0,2g pro Tag dreiMonate
lang, Jaworski einer siebenköpfigen Familie sechs Monate lang Saccharin.
Hirschfeld nahm selbst 30 Tage lang Mengen von 0,1—2 g, und Debrun-
ner und Frosch teilen mit, daß bei 30 Kindern von 1—10 Jahren 12 bis
16 Wochen lang aller Zucker durch Saccharin ersetzt worden sei. Von
Stadelmann wurden innerhalb 43 Tagen täglich 3—5 g verabreicht.
Nirgendwo zeigten sich Unregelmäßigkeiten.
Den vollen Beweis der Unschädlichkeit ergeben aber erst die Ver-
suche mit großen Dosen. Nach Petschek und Zerner.erhielt eine große
Anzahl von Leuten 8—10 Wochen lang 5—10 g pro Tag; auch Diabetiker,
also Kranke vertrugen nach C. Paul Mengen von 5 g 5 Monate lang. Den
interessantesten Fall teilte aber Jaworski mit, bei dem einem 29jährigen
Manne am 1. Tage früh 15 g, nachmittags 20 g, am 2. Tage früh 25 und nach-
mittags 30 g, am 3. Tage zweimal 30 g, am 6. und 7. Tage wiederum zwei-
mal 30 g, am 8. Tage 2 mal 50 g und an einigen weiteren Tagen bald 50,
bald 100 g auf einmal gegeben wurden. Die Person verbrauchte innerhalb
9 Tagen 520 g Saccharin, d.i. eine Menge, die als süßes Gewürz etwa 4—5
Jahre ausgereicht haben würde! Die einzige Reaktion waren nach der-
artig großen Mengen diarrhöische Stühle. Spezielle Nachforschungen
haben auch ergeben, daß weder die Sinneswerkzeuge, noch das Nerven-
system, noch die Kreislauforgane, noch die Atem- und Harnorgane Schaden
leiden, selbst wenn mehr als 50 g Saccharin zur Wirkung gelangen.
Wenn demgegenüber auch einzelne Stimmen laut geworden sind, die
dem Saccharin Nachteiliges nachsagen, so ist das nichts Auffallendes, denn
wir wissen, daß bei empfindlichen Menschen auch ganz andere harmlose
Stoffe, wie Erdbeeren, Krebse, Käse, Medikamente oder Gewürze und
therapeutische Stoffe, wie Heilserum, Chloroform irgendwelche Sensationen
- auslösen können. Solche Fälle können aber dem Urteil über die Unschäd-
lichkeit des Saccharins keinen Abbruch tun.
Um nun aber auf die Frage des Ausnutzungsverlustes nach Saccharin-
gaben, wie ihn der Verfasser berechnet, zurückzukommen, so gewannen
seine Angaben insofern ein besonderes Interesse für mich, als ich bereits
im Jahre 1900 an mir selbst Stoffwechselversuche!) über die Wirkung des
Saccharins auf den Stickstoffumsatz angestellt habe, mit dem Ergebnis,
daß die Stickstoffbilanz unter dem Einfluß von Saccharin keineÄnderung
— e
1) R.O. Neumann: Die Wirkung des Saccharins auf den Stickstoffumsatz
beim Menschen. Münchn. Med. Wocn. 1901, Nr. 26. S. 1061.
20*
268 Wird die Ausnutzung des Nahrungseiweißes durch Saccharin beeinflußt ?
erfuhr und ein Ausnutzungsverlust nicht zu verzeichnen war.
Auch Jessen!) hatte schon vorher bei einem Ausnutzungsversuch mit
Milch mit einer täglichen Zugabe von 1 g Saccharin keine Verschlechterung
der Ausnutzung gefunden.
Mein Stoffwechselversuch erstreckte sich damals über 30 Tage. Ich
nahm zuerst 6 Saccharin-natrium-Pastillen (jede Pastille enthielt 0,0175 g
Saccharin), dann 10, 15, 20, 50 pro Tag, später 1g, 2g,3g, und zuletzt
2 Tage lang 3,5 g reines Saccharin. Bei einer angenommenen Süßigkeit
von 1 g Saccharin = 450 Zucker würden die am Ende des Versuches
aufgenommenen Mengen mehr als 1 kg Zucker an Süßkraft entsprochen
haben.
Wenn diese doch recht erheblichen Saccharingaben von 1, 2 oder 3 g,
die die zum Versüßen übliche Menge von Saccharin (man braucht für eine
große Tasse Kaffee oder Tee von 300 ccm etwa 0,0045 g Saccharin) um das
800—1000fache übertreffen, keine Verluste in der Ausnutzung gezeitigt
haben, so ist es schwer zu glauben, daß die Berechnungen aus den Ferment-
wirkungsversuchen, von denen der Verfasser auf die Ausnutzung schließt,
der Wirklichkeit entsprechen. Ich hätte auch davon Abstand genommen,
mich noch einmal mit der Frage zu beschäftigen, wenn ich nicht gern hätte
wissen wollen, bis zu welchen Gaben der Organismus Saccharin
täglich aufnehmen kann, ohne daß eine experimentell fest-
stellbare Beeinflussung der Ausnutzung erfolgte.
Es hat zwar K. Miyadera?) Stoffwechseluntersuchungen mit sehr
großen Dosen (0,4 g Saccharin pro kg Körpergewicht, während in meinem
ersten Versuch nur 0,001—0,05 g pro kg gegeben wurden) ausgeführt, aber
seine Versuche sind an Hunden angestellt und können deshalb nicht als
absolut maßgebend für den Menschen angesehen werden. Die Ergebnisse
lauteten dahin, „daß auch durch solche exorbitanten Saccharin-
gaben die Stickstoffbilanz nicht verändert würde.“
Um meinen Zweck zu erreichen, mußte ich mit den täglichen Saccha-
rinmengen über die früher gegebenen Mengen von 1—3,5 g noch hinausgehen,
da bei 3,5 g keine Bilanzänderung eingetreten war. Ich habe daher noch-
mals nach einer Stägigen Vorperiode mit 2 g begonnen, darauf A Tage 3 gr,
alsdann A Tage lang 4 g und endlich A Tage lang 5 greines Saccharin (Ben-
zoesäuresulfinid) zu mir genommen. Den Versuch schloß eine 3tägige Nach-
periode ab.
Das Saccharin führte ich mir in Gelatinekapseln zu 0,25 g zu, und zwar
so, daß die Gesamtmenge in der Zeit von früh 7 bis abends 7 Uhr in gleichen .
Zwischenräumen verbraucht wurde. Früh 7 Uhr begann nach Entleerung
des Kotes und des Urins und nach erfolgter Feststellung des Körpergewichts
der Versuchstag. Abends 7 Uhr wurde er mit Einnahme des letzten Nah-
rungsanteils beendet.
Die Nahrung war sehr einfach zusammengesetzt. Sie bestand nur aus
700g Graubrot ohne Rinde, aus 100 g ausgelassenem Schweine-
fett, aus 15 g Plasmon und einer etwa gleichbleibenden Menge Wasser,
AM Friedrich Jessen: Zur Wirkung des Saccharins. Archiv f. Hygiene
1890, Bd. 10, S. 64.
2) K. Miyadera, l.c.
Von Prof. R. O. Neumann. 269
die mir rund 1000—1200 g Urin garantierte. Diese Kost hatte den Vorzug,
daß sie analytisch leicht faßbar, und daß ich vor dem geplanten Saccharin-
versuch bereits längere Zeit, um andere Ernährungsfragen zu studieren,
auf sie eingestellt war. Es bot also keine Schwierigkeiten, mit ihr ins Stick-
stoffgleichgewicht zu kommen. Die Kalorienmenge war dem Körper zu-
stande und meiner Tätigkeit angepaßt und betrug 2609 Kalorien. Während
die Kohlehydrate einer mittleren Menge von 375 g entsprachen, war das
Eiweiß in der Nahrung mit nur 48 g relativ gering gemessen. Es wurde
jedoch durch 104 g Fett kalorisch kompensiert.
Der Grund für die niedrige Eiweißmenge lag im voraufgegangenen
Versuch, in dem ich sie notwendig brauchte, sie kam mir aber auch hier
sehr gelegen, da bekanntlich bei Einstellung des Körpers auf einen so
reduzierten N-Gehalt Substanzen, die geeignet sind, die Ausnutzung zu
beeinflussen — wie es vom Verfaser für Saccharin behauptet wird —, sich
umso nachhaltiger bemerkbar machen.
Die Tätigkeit während des Versuchs bestand in der gewohnten Labo:
ratoriumsarbeit. Alkohol, Tee, Kaffee wurden vermieden.
Die Brotversorgung war folgendermaßen geregelt: Zur Herstellung
des Brotes diente eine bestimmte Sorte Mehl, und zwar Roggenmehl, zu
80%, ausgemahlen. Da die Tagesmenge an Brot ohne Rinde 700 g be-
tragen sollte, die Rinde aber in dem Maße, wie ich sie entferne, ca. 26—30%
des Brotgewichtes ausmacht, so mußte ich etwa mit 1000 g Frischbrot, d. h.
für 21 Versuchstage mit 2141—22 kg (einschließlich der Mengen für die
Analysen) rechnen. Ich ließ daher nacheinander 5 Brote à 4—41 kg an-
fertigen. Nach dem Backprozeß lagerten sie in einem gleichmäßig tempe-
rierten Raum erst 36 Stunden ab und kamen dann, nach Analysierung
der Krume, zur Verwendung. Während des Versuches wurden die Brote in
einer Blechschachtel, um das Austrocknen zu verhüten, aufbewahrt.
Der Wassergehalt der Brotkrume betrug in %:
I. Brot ...... 38,3
Mo ay se 39,5
TL. creac 40,4 im Mittel 39,4
IV; ` a Sumate 40,0
Me g Sei 39,0
An Eiweiß ergab sich:
I. Brot ...... 5,22
H ge dias 5,36
HE, = oeren 5,50 im Mittel 5,37
IVe des as 5,43
Va. e era 5,37
Vom Fettgehalt und den Kohlehydraten ist der ermittelte Durch-
schnittswert (für Fett 0,65%, für die Kohlehydrate 53,58%) eingesetzt
worden.
Plasmon enthielt nach eigener Analyse: Eiweiß 72,3%, = 11,57% N
(Faktor 6,25), Fett 1,8%, Kohlehydrate 3,72%, Asche 7,90%, Wasser
13,15%.
970 Wird die Ausnutzung des Nahrungseiweißes durch Saccharin beeinflußt ?
Im Saccharin (Benzo&säuresulfinid) ergab die Stickstoffbestimmung
nach Kjeldahl 7,56%, N. Der Stickstoffgehalt für 2 g Saccharin betrug
also (auf die zweite Dezimale abgerundet) 0,15, für 3 g 0,23, für 4 g 0,3,
für 5 g 0,38.
Die Verteilung der Brote gestaltete sich so, daß das Brot I für die Vor-
periode, Brot II für die Saccharingaben von 2 und 3 g, Brot III für die Sac-
charingaben von 4 g, Brot IV für die Saccharingaben von 5 g und Brot V
für die Nachperiode verbraucht wurde.
Die Gesamteinnahme für die Vorperiode ohne Saccharin stellte
sich demnach (mit Brot I) auf:
een DCH
Kohle-
hydrate Asche | Kalorien
Nahrungsmittel
Menge ¡Wasser | Eiweiß
Graubrot
ohne Rinde . 5,88 4,55 | 375,0
Fett. ! — 100,0
Plasmon 1,74 0,27
7,62 | 104,82! 375,6
In der II. Periode (Brot II) betrug die Eiweißmenge 48,37 = 7,76 N.
Dazu 0,15 N aus 2 g Saccharin = 7,91 Gesamt-N. In der II. Periode (Brot II)
betrug die Eiweißmerge 48,37 = 7,76 N. Dazu 0,23 N aus 3 g Saccharin =
7.99 Gesamt-N. In der III. Periode (Brot 111) betrug die Eiweißmenge 49,35
= 7,90 N. Dazu 0,3 N aus 4 g Saccharin = 8,20 Gesamt-N. In der IV. Periode
(Brot IV) betrug die Eiweißmenge 48,86 = 7,83 N. Dazu 0,38 N aus 5g
Saccharin = 8,21 Gesamt-N. In der V. Periode (Brot V) betrug die Eiweiß-
menge 48,44 = 7,76 N. Nachperiode ohne Saccharin.
Der gesamte Versuch ist mit seinen Einnahmen und Ausgaben in der
Tabelle auf Seite 272 und 273 übersichtlich zusammengestellt.
Wenn wir zunächst die Einnahmen ins Auge fassen, so ist dabei
zu bemerken, daß die gewählte Nahrung von 700 g Brot, 100 g Fett und
15 g Plasmon, entsprechend 47,39 g Eiweiß = 7,62 N, 104 g Fett und 375 g
Kohlehydrate vollauf genügt hat, den Körper sowohl auf seinem Gewichts-
zustande, als auch auf seinem Stickstoffgleichgewicht zu erhalten.
Das Körpergewicht hat sich sogar noch von 72,4 kg auf 72,8 kg erhöht.
Die Stickstoffbilanz betrug in der Vorperiode —0,11, in der Nachperiode
+-0,25, ist also keinesfalls vermindert worden.
Aus diesen Tatsachen geht vor allem hervor, daß das Saccharin weder
in seiner gewaltigen Gesamtdosis — innerhalb von 13 Versuchstagen
wurden 50,0 g reines Saccharin genommen — noch in den hohen Einzeldosen
von 3, 4 und 5 g einen nachhaltigen Einfluß auf den Organismus ausgeübt
hat. Der Gesundheitszustand während des 21tágigen Versuches war dau-
ernd gut. Irgendwelche Erscheinungen von seiten des Magens, Darmes
oder Nervensystems, die das Wohlbefinden hätten beeinflussen können,
sind nicht aufgetreten. Die Substanz hat harmlos den Organismus durch-
laufen, ohne daß ein Gefühl des Unbehagens aufgetreten wäre.
Inwieweit die großen Mengen des Saccharins den physiologischen
Gang der Verdauung und die Ausnutzung der Nahrung beeinflußt haben,
ergibt sich aus der Zusammenstellung der „Ausgaben“.
Von Prof. R. O. Neumann. 271
Der Stoffwechselversuch ist ohne jede Störung verlaufen. Abgesehen
von den täglichen kleinen normalen Schwankungen in der Harn- und Kot-
abgabe sind Veränderungen, die etwa in der Methodik oder in dem Orga-
nismus der Versuchsperson hätten begründet sein können, nicht aufge-
treten. Daher können die Ausschläge in der einen oder anderen Richtung
nur auf das Untersuchungsmaterial bezogen werden.
Der wichtigste Faktor, der uns den Einfluß irgendeiner eingeführten
' Substanz anzeigt, ist die tägliche Stickstoffbilanz, d. h. die Differenz
der täglichen Ein- und Ausfuhr an N. Sie schwankt naturgemäß in engen
Grenzen, da sie abhängig ist von der Menge des ausgeschiedenen Harnes und
des Kotes. So betragen die Differenzen z. B. in der Vorperiode —0,15,
—+-0,20, — 0,06, — 0,2, +0,1. Die Summe der täglichen Minus- und Plus-
bilanzen ist hier —0,11, welches gleichzeitig die N-Bilanz der ganzen Pe-
riode angibt. Eine Minusbilanz von —0,11 wird bei der Herstellung des N-
Gleichgewichtes noch als ein sehr gutes Gleichgewicht angesehen, da es
im Stoffwechselversuch rein von Zufällen abhängig ist, ob man wirklich
+ oder — Null erreicht. Würde man die Bilanz aus dem Mittel der Gesamt-
N-Einfuhr während der ganzen Periode (7,62) und aus dem Mittel der Ge-
samt-N-Ausfuhr (7,64) ziehen, so wäre sie noch geringer als — 0,11 und be-
trüge nur 0,02. Ich halte es aber für richtiger, die Summe aus den täg-
lichen Bilanzen einzusetzen, als die Bilanz aus den Mitteln der Gesamt-
Aus- und Einfuhr.
Die Menge des ausgeschiedenen frischen Kotes beträgt in der Vorperiode
179 g, des bei 100° getrockneten 30,5 g, die Urinmenge 1235 g. Diese Zahlen
sind als normal anzusehen, ebenso auch das Verhältnis des Kot-N zum
Harn-N, das 21,08% entspricht.
Bei der Berechnung der Ausnutzung der Nahrung ergibt sich ein Verlust
von 17,45 %, sodaß das Eiweiß mit 82,55%, ausgenutzt wird. Da
ich bei meinen früheren Untersuchungen über Plasmon!) eine Ausnutzung
desselben von 84,72%, und bei Broten von 70—75%, Ausmahlung?) ca.
80%, Ausnutzung gefunden hatte, so deckt sich auch die Ausnutzung des
Nahrungseiweißes aus Plasmon plus Brot (1:3) mit den damaligen Befunden.
Es war nun interessant zu verfolgen, wie die Saccharingaben wirken
würden. Zunächst fügte ich der Kost 2 g, an den nächsten Tagen 3 g zu und
schloß damit die erste Saccharinperiode ab. Wie die Tabelle zeigt, haben
sich die Zahlen kaum verändert. Die Urinmenge blieb etwa dieselbe (Vor-
periode 1235 g, II. Periode 1215 g), auch die Kotmenge weicht nur ünbe-
deutend ab (179 g frisch, 30,5 g trocken) II. Periode: 185 g frisch, 31 g
trocken). Der Harn-N und der Kot-N haben eine geringe Erhöhung er-
fahren (Vorperiode: Harn-N 6,31, Kot-N 1,33 g; II. Periode: Harn-N 6,55 g,
Kot-N 1,38 g). Die geringe Vermehrung findet aber ihre Erklärung ein-
fach damit, daß auch die N-Zufuhr in der 2. Periode zugenommen hat (Vor-
1) R. O. Neumann: Beitrag zur Frage der Resorption und Assimilation
des Plasmons, im Vergleich zum Tropon, Soson und zur Nutrose. Archiv für
Hygiene, Bd. 41.
2) R. O, Neumann, Die im Kriege 1914—1918 verwendeten und zur
Verwendung empfohlenen Brote, Brotersatz- und Brotstreckmittel. Berlin,
Julius Springer, 1920.
272 Wird die Ausnutzung des Nahrungseiweißes durch Saccharin beeinflußt ?
Einnahmen.
| |
| |
| Versuchs- TAFE- Gesamt- R Kohle- | Saccha- | Ka- Körper
| tage Eiweiß N Fett hydrate| rin lorien | gewicht
I.
Periode | |
aD —
Summe
Mittel
6
1. | 1
Periode | j
10
Summe [241,85 | 39,8
7
524,0 | 1880 | 14,0 | 13570
Mittel | 48,37 ‚97 104.8 376 2.8 2714
11 49,35 | 820 | 1048 | 376 | 40 2718 | 72,5
HT. | 12 P 8,20 10458 376 4,0 2718 | 72,6
Periode || 13 4935 | 820 | 104,8 376 4,0 2728 | 72,5
| 14 4935 | 820 | 104,8 376 | 40 2718 | 72,55
Summe [197,40 | 32,80 | 4192 | 1504 | 160 | 10872
Mittel | 49,35 8,20 104,8 | 376 | 4,0 2718
| 15 48,86 8,21 | 104,8 376 50 | 2716 | 72,6
IV. 16 48,86 | 821 104,8 376 5,0 2716 | 72,65
Periode | 17 | 48,86 | 104,8 | 376 5,0 2716 | 72,65
18 48,86 104,8 2716
Summe | 195,44 32,84 | 419,2 10864
Mittel | 48,86 | 2716
= 10 1844 1 7,76 1 104,8 | 376 2714 | 7275
Paricda? 20 48,44 7,76 104,8 376 2714 12,1
zl a 1844 776 1048 376 p 2714 | 728
238 3144 =
76 104,8 | 376 | 2714 |
Summe [145,32 dee
7
Mittel | 18,44
periode 7,62 g, 2. Periode 7,97 g). Es mufte demnach auch mehr aus-
geschieden werden. Das Verháltnis des Kot-N zum Harn-N ist nicht ver-
ändert (21,07%).
Ob Saccharin einen Einfluß ausgeübt hat oder nicht, zeigt uns wieder
die Bilanz und die Ausnutzung. Das Produkt der täglichen N-Bilanz be-
trägt + 0,23. Es ist gegenüber der Vorperiode (—0,11) also keine Ver-
schlechterung eingetreten, im Gegenteil sogar eine kleine Verbesserung, auf
die aber kein Gewicht gelegt werden soll, jedenfalls nicht in dem Sinne, als
ob die Saccharinzufuhr die Ausnutzung gehoben hätte. Auch die Aus-
nutzung hat eine sehr geringe Verbesserung erfahren (82,69%, gegenüber
82,55% in der Vorperiode). Hierfür gilt aber auch das eben Gesagte.
Wir können aus den Ergebnissen dieser Periode folgern,
daß bis zu einer Einnahme von 3 g Saccharin pro Tag kein
Einfluß auf die Resorption und Ausnutzung der Nahrung
bemerkbar ist.
Von Prof. R. O. Neumann. 273
Ausgaben.
| ec? | | | Bilanz
KO Kot Harn- | Harn-| Kot- | Gesamt- dé e , N D
feucht | trocken | Bene N N | N N | Summe AUSRUFEUNG
| A der Tages-
pro die bilanzen
185 | 31,5 | 1160 | 6,36 | 1,41 | 7,77 | —0,15 9 E ENER
160 | 29,6 | 1370 | 6,16 | 1,26 | 7,42 | +0,20 lust in der Kot-
182 | 29,8 | 1240 | 6,30 | 1,38 | 7,68 | — 0,06 |)—0,11 ausfuhr
165 | 30,2 | 1085 | 6,54 | 1,28 | 7,82 | —02 EE
205 | 31,4 | 1320 | 6,18 | 1,34 | 7,52 0,1 | Kë `
897 | 152,5 | 6175 |31,54 | 6,67 | 38,21 | |
179 | 30,5 | 1235 | 6,31 | 1,33 | 7,64 | — 0,02
"| 195 | 29,5 | 1305 | 6,17 | 1,40 | 7,57 | +0,34 hen Ver
175 | 31,1 |1106 | 6,75 | 1,39 814 | — 0.15 lust in der Kot-
200 | 29,6 1200 | 6,45 | 1,36 7,81 + 0,18 |} 0,23 ausfuhr
180 | 315 | 1145 | 6,89 | 1,47 | 8,36 | — 0,37 | ee
175 | 313 | 1265 | 6,48 | 1,28 | 7,76 0,23 en
| 925 | 153,0 | 6075 | 32,74 | 6,90 | 39,6:
185 | 31,0 1215 | 6.55 | 1,38 7,93
>
193 | 30,5 | 1280 | 6.55 | 1,46 | 8,01 17,56 °/, N-Ver-
205 | 31,0 | 1225 | 6,68 | 1,68 | 836 | — 0,16 ota | lustin der Kot-
175 | 30,6 | 1195 | 7,05 | 1,32 | 8,37 | — 0,17 [7 bechte?
165 | 31,1 | 1260 |.6,61 | 1,31 | 7,92 | +0,28 Ausnützung
728 | 123,2 | 4960 |26,89 | 5,77 | 32,66 |
182 | 30,8 | 1240 | 6,72 | 144 | 8,16 | +0,04
204 | 31,0 [1310 | 6,73 | 1,32 | 8,05 | +0,16 | 18,39 9/, N-Ver-
195 31,4 1250 | 6,64 1,71 8,35 — 0,14 0.63 lust in der Kot-
225 | 31,6 | 1320| 6,98 | 1,54 | 852 | — 0,31 SS dee
188 30,9 1280 | 7,07 1,48 8,55 — 0,34 | Ausnützung
812 11249 | 5160 127,42 | 6,05 | 33,47
203 | 31,5 | 129 | 6,85 | 1.51 | 8,36 | — 0,15 |
190 | 31,0 11270 | 6,60 | 1,28 |] 7,88 | — 0,12 117,39%% 2
165 | 30,1 | 1210 | 6,13 145 | 7,58 | +0,18 Loss | Ee
170 30,7 1285 6,25 1.32 1,07 + 0,1 9 | Ausnützung
525 | 91,8 | 3765 18.98 | 4.05 | 23,03
175 : 30,6 | 1255 | 6,32 | 1,35 | 7,67 | + 0,09 |
In der folgenden Periode werden 4 Tage lang je 4 g Saccharin der Kost
hinzugefügt. Die Urinmenge ist gleich der Vorperiode (3. Periode: 1240 g,
Vorperiode: 1235 g). Auch in der Kotmenge ist fast kein Unterschied zu
verzeichnen (Vorperiode: Kot frisch 179 g, Kot trocken 30,5 g. 3. Periode:
Kot frisch 182 g, Kot trocken 30,8 g). Die im Harn und Kot ausgeschie-
dene N-Menge ist wiederum etwas erhöht (2. Periode: Harn-N 6,55 g,
Kot-N 1,38 g; 3. Periode: Harn-N 6,72 g, Kot-N 1,44 g), sie ist aber auch auf
die erhöhte N-Einfuhr zurückzuführen. Bemerkt muß allerdings werden,
daß sich das Verhältnis des Kot-N zum Harn-N ein wenig geändert hat.
Bisher war es in der Vorperiode 21,08%, in der 2. Periode 21,07%, und in der
3. Periode ist es 21,40%, d. h. im Kot ist relativ mehr N ausgeschieden wie
in den vorhergehenden Perioden.|
Worauf die vermehrte Ausscheidung zurückzuführen ist, liegt nicht
ganz klar. Es wäre möglich, daß von den großen Saccharinmengen ein
wenig mehr ım Kot direkt ausgeschieden worden wäre, ohne daß es zu einer
274 Wird die Ausnutzung des Nahrungseiweißes durch Saccharin beeinflußt?
Beeinflussung des Verdauungsmechanismus gekommen ist — und dafür
würde das Produkt der Tagesbilanz sprechen, was noch mit +-0,14 über
dem N-Gleichgewicht liegt, oder aber es liegt die Sache so, daß durch die
Wirkung des Saccharins bereits die Resorption des Nahrungseiweißes in
Mitleidenschaft gezogen worden ist. Dafür würde als Beweis die Ausnutzung
angeführt werden können, die in dieser Periode gegenüber der 2. Periode
eine geringe Verminderung erfahren hat (Vorperiode 82,55%, 2. Periode
82,69%, 3. Periode 82,44%). Freilich ist die Herabsetzung der Ausnutzung
von 82,55%, auf 82,44%, so minimal, daß sie für die Beurteilung der Sac-
charinwirkung garnicht in die Wagschale fallen kann, weil sich die Differenz
nicht einmal über tägliche Schwankungen erhebt.
Wir werden daher den Ausfall der 3. Periode so deuten
müssen, daß auch 4 g Saccharin pro Tag ohne sonderlichen
Einfluß auf den Verdauungsapparat gewesen sind.
Etwas mehr Beachtung verdient die 4. Periode, in der 4 Tage lang
5 g pro Tag gereicht werden. Hier bemerkt man zunächst eine Mehrausfuhr
von Kot (3. Periode: 182 g frisch, 30,8gtrocken, 4. Periode: 203 g frisch, 31,5
trocken). Außerdem ist die Menge des im Harn und Kot ausgeschiedenen
N gegenüber der 3. Periode und besonders der Vorperiode um ein gewisses
Maß gestiegen (Vorperiode: Harn-N 6,31 g, Kot-N 1,33 g, 3. Periode: Harn-
N 6,72 g, Kot-N 1,44 g; 4. Periode: Harn-N 6,85 g, Kot-N 1,51 g), wiewohl
kaum mehr N eingeführt wurde als in der vorhergehenden Periode. Infolge-
dessen ergab die Tagesbilanz an Stickstoff, berechnet aus der Summe der
täglichen Ein- und Ausfuhr —0,63 g, während sie in der Vorperiode nur
—0,11 g ausmachte. Auch die Bilanz aus den Tagesmitteln zeigt noch
eine kleine Minusbilanz von —0,15, im Gegensatz zur Vorperiode mit
—0,02. Ferner ist auch die Ausnutzung ein wenig gesunken. Der Verlust
an N in der Kotausfuhr beträgt 18,39 %, so daß sich daraus eine Aus-
nutzung des Eiweißes von 81,61%, ergibt, im Gegensatz zur 3. Periode mit
82,44%, und zur Vorperiode mit 82,55%.
Alle diese Zahlen, die über die Werte der vorausgehenden Periode oder
der Vorperiode etwas hinausgehen bezw. gegen diese zurücktreten, sind
nur klein und unerheblich und würden vielleicht bei einem beliebigen
anderen Stoffwechselversuch kaum beachtet werden. Da der Versuch aber
bisher ohne jede Störung verlaufen war und andere Einflüsse für die, wenn
auch geringen Veränderungen in der 4. Periode nicht mitgespielt haben,
so wird man in der Annahme nicht fehlgehen, daß das Saccharin
die Wirkung ausgeübt hat und daß der Organismus bei 5 g
pro Tag nicht mehr unbehelligt bleibt, wiewohl subjektiv
keinerlei Anzeichen von Störungen beobachtet werden konn-
ten. Die Nachperiode, die sich hieran anschloß, diente als Kontrolle. Das
Saccharin wurde weggelassen und da nun dessen Einfluß ausgeschaltet
war, mußten wieder ähnliche Zahlen wie in der Vorperiode zum Vorschein
kommen. Die Kotmengen gingen wieder auf 175 g zurück (Vorperiode
179 g) und auch das ausgeschiedene N im Harn und Kot stellte sich auf die
früheren Zahlen ein (Vorperiode: Harn 6,31 g N, Kot 1,33 g, Nachperiode:
Harn 6,32 g N, Kot 1,35 g). Die Bilanz der täglichen Ausscheidungen
wurde wieder positiv mit +0,25 g und der Verlust an N im Kot betrug nur
Von Prof. R. O. Neumann. 275
noch 17,39%, im Gegensatz zur 4. Periode mit 18,39 %,, woraus eine Aus-
nutzung von 82,61%, resultierte, ganz ähnlich, wie sie die Vorperiode auf-
wies (82,55 Y).
Schlußfolgerungen.
Überblicken wir den ganzen Versuch noch einmal, so muß festgestellt
werden, daß trotz der Einnahme der außerordentlich großen Mengen Sac-
charin, die mindestens das 100fache von dem betragen, was man pro Tag
zur Versüßung der Speisen gebrauchen würde, der Versuch für den Or-
ganismus sehr harmlos verlaufen ist. Bis zu3greinem Saccharin
pro Tag war experimentell überhaupt keine Wirkung nach-
zuweisen, ein Resultat, das mit den Ergebnissen meiner früheren Ver-
suche durchaus übereinstimmt. Auch bei Gaben von 4 g pro Tag war noch
nicht mit Sicherheit anzugeben, ob das Saccharin einen Einfluß ausübte.
Es wurde zwar konstatiert, daß die Ausnutzung des Nahrungseiweißes um
0,11% gegenüber der Vorperiode herabgesetzt war, der Ausschlag ist aber
so winzig, daß ihm eine Bedeutung kaum zukommt. Erst bei einer Zufuhr
von 5 g zeigen sich Veränderungen, die man wohl auf die Einwirkung des
Saccharins wird zurückführen müssen. Sie sind aber auch nicht erheblich.
Die Stickstoffbilanz ist zwar negativ, sie beträgt aber nur —0,63 g, also
nur 0,52 g weniger als in der Vorperiode. Auch die Ausnutzung ist etwas
geringer als in der Vorperiode. Die Differenz ist jedoch auch nur recht
klein. Vergleicht man sie mit der Vorperiode (82,55), so beträgt sie nur
0,06%, mit der Nachperiode (82,61) verglichen, stellt sie sich auf 1%, und
gegenüber der 4. Periode (82,44) beträgt die Differenz 0,83%, das ist im
Mittel 0,63%. Eine Verminderung der Ausnutzung um 1249, spielt in der
Praxis aber überhaupt keine Rolle.
Wenn man aber nun sieht, daß es erst einer so gewaltigen Menge wie
5 g Sacharin bedarf, um überhaupt eine nachweisbare Wirkung zu erzielen,
die nebenbei noch gering genug ist, so hält es schwer, die Schlüsse, die
Uglow aus seinen Ferment- und Magensaftverdauungsversuchen
zieht, als begründet anzusehen. Nach seinen oben bereits angedeudeten
Berechnungen sollten Saccharingaben, wie sie genommen werden, „um den
Geschmack zu verbessern‘ (also zweifellos nur sehr geringe Mengen) im
menschlichen Organismus so wirken, daß das Eiweiß nur zu 85—87% aus-
genützt würde. Wenn das richtig wäre, so hätten in unserem Versuch, in
dem die Ausnutzung der Nahrung ohne Saccharin 82,55%, betrug, solche
allerkleinsten Mengen die Ausnutzung schon auf 71,82% herabdrücken müs-
sen. Das hat aber nicht einmal eine 100mal so große Menge zu bewirken
vermocht, sondern die Ausnutzung ist höchstens auf 0,5%, vermindert wor-
den. Dain der Praxis derartige hohe Dosen niemals Verwen-
dung finden, so kann von irgendeiner Beeinflussung des Stoff-
wechsels oder der Verdauung bei normalen Saccharingaben
gar keine Rede sein.
Uglow hat sich dann noch weiter in seiner Arbeit dahin geäußert, daß
das Saccharin wie die Salizylsáure die Nieren reize. Dasselbe ersche man
heutzutage aus alltäglichen Beobachtungen“. Ich weiß nicht, auf welche
Unterlagen sich der Autor stützt. Aus der Literatur ist mir von Nieren-
276 Wird die Ausnutzung des Nahrungseiweißes durch Saccharin beeinfluBt ?
reizungen nichts bekannt geworden und ich selbst habe auch in dem Versuch
subjektiv nichts davon bemerkt.
Endlich wirft Uglow am Schlusse seiner Arbeit auch noch die Frage
der Schädlichkeit des Saccharins auf und wünscht, daß dasselbe im
freien Handel verboten würde und nur noch i in den Apotheken abgegeben
werden dürfe.
Hierzu kann ich nur folgendes a: Mir ist vollkommen unver-
ständlich, wie man nach Kenntnis der Saccharinliteratur und nach den tau-
sendfältigen Beobachtungen in der Praxis diese Frage überhaupt wieder zu
erörtern sich gemüßigt fühlt. Schon vor 25 Jahren hat K. B. Lehmann?)
auf Grund seiner eingehenden Studien ausgesprochen, daß ‚sich nicht
leicht irgendein Genußmittel oder Gewürz wird auch nur annähernd mit
dem Saccharin an absoluter Unschädlichkeit messen können“. Seit
dieser Zeit sind zahllose weitere Untersuchungen und mühevolle experi-
mentelle Versuche über diese Frage ausgeführt. Millionen von Menschen
haben besonders während der Kriegszeit Saccharin zu sich genommen und
nehmen es noch, in allen möglichen Nahrungsmittelbetrieben und im Haus-
halt wird dauernd Saccharin als Süßgewürz gebraucht und niemals hat man
über Schaden an der Gesundheit klagen hören. Besonders muß aber doch
dem Mediziner, wenn er ein objektiver Beobachter ist, nicht unbekannt
geblieben sein, daß schon seit Jahrzehnten unzählige Diabetiker an Stelle
des Zuckers auch Saccharin zu sich nehmen, ohne daß sie Schädigungen
erleiden, obwohl ihr Organismus schon geschwächt ist.
Mag auch das Saccharin in irgendeiner geringen Konzentration eine
Amöbe oder ein Infusorium abtöten, für den praktischen Hygieniker ent-
scheidet das der Praxis angepaßte Experiment und die praktische Er-
fahrung. Und beides spricht unbedingt zugunsten des Saccharins. Wir
begrüßen daher die Tatsache, daß in Deutschland für jedermann das
Saccharin zugänglich ist und sehen nicht den mindesten Grund dafür, daß
in dieser Beziehung eine Änderung eintritt. Jedenfalls ist es die allerhöchste
Zeit, daß das Märchen von der Schädlichkeit des Saccharins endlich zu
Grabe getragen wird.
1) K. B. Lehmann, Zur Saccharinfrage. Archiv für Hygiene, Bd. 10,
1890, S. 81.
Untersuchungen über Lysozymwirkungen im Tierkörper.
Von
Dr. Shinnosuke Kimura.
Aus dem hygienischen Institut der deutschen Universität in Prag, Vorstand
Prof. Oskar Bail.
(Bei der Redaktion eingegangen am 16. Oktober 1925.)
Die Versuche A. Flemmings (Proc. of the Royal Soc. Biol. Sciences
Vol. 93, 1922), hatten die Tatsache kennen gelernt, daß in menschlichen
Tränen, aber auch sonst im Körper, ferner weit verbreitet in der Welt
der Lebewesen, in Hühnereiweiß. Pflanzensäften und ä. Wirkungen auf-
zufinden seien, die mit einer unerhörten Stärke Bakterien zur Auflösung
bringen. Es war ihm dabei entgangen, daß diese, die er auf das Vorhanden-
sein eigener Stoffe, der Lysozyme zurückführte, bereits früher durch
Weil (Arch. f. Hyg. Bd. 74, S. 303) und Suzuki (ebenda S. 345) bei
Leukozytenversuchen aufgefunden, jedoch auf die bakteriziden Leuko-
zytenstoffe bezogen worden waren. Das auffallendste der in jeder Hinsicht
merkwürdigen Lysozyme ist, daB sie sich keineswegs gegen alle, sondern
nur gegen bestimmte Bakterien richten, namentlich solche, die in der Luft
häufig zu finden sind. Hier lassen sich ohne besondere Mühe Kokken,
Sarzinen, Stäbchen auffinden, die leicht erliegen, ohne daß aber deswegen
jeder Luftkeim oder jeder Saprophyt empfindlich sein müßte. Im Gegen-
teil ist die Zahl der so zu findenden Bakterienarten viel größer, die durch
Lysozyme nicht angegriffen werden und von pathogenen Bakterien ist
bisher keine unempfindliche Art angetroffen worden. Auch in der Empfind-
lichkeit gibt es Unterschiede, und Bakterien von so großer Labilität wie der
Micrococcus lysodeicticus von Flemming und das weiter unten benützte
Stäbchen scheinen nicht häufig zu sein.
Nakamura (Zeitschr. f. Immun. Bd. 38, S. 425) konnte die Angaben
Flemmings in den wesentlichen Punkten durchaus bestätigen. Die vor-
Jäufig als Stoffe betrachteten Lysozyme sind in hohem Grade hitzebeständig,
werden aber durch Kochen schließlich zerstört. Sie passieren Berkefeld-
filter, wirken sowohl auf tote wie lebende Bakterien auflösend, werden
darin aber durch höhere Konzentrationen von Kochsalz, Desinfizientien,
sowie freie Säure oder Alkali gehemmt. Von Interesse ist die Beobachtung
278 Untersuchungen über Lysozymwirkungen im Tierkórper.
Nakamuras, daß in Lysozymbakterienmischungen, die durch freie Säure
gehemmt sind, nach Zusatz von überschüssigem Alkali eine augenblick-
liche Lösung der Bakterien eintritt.
Wie bereits einleitend mitgeteilt wurde, hat Flemming die Lysozyme
weitverbreitet im Tierkörper aufgefunden. Diese Feststellung sollte zuerst
erweitert werden, da das Auffinden eines neuen, überaus für Lysozym-
wirkungen empfindlichen Mikroorganismus dazu eine günstige Gelegen-
heit bot. Zumeist haben sich bisher Kokken oder Luftsarzinen als empfind-
lich erwiesen und wurden meist benützt. Weil und Suzuki fanden so-
wohl Stäbchen als Kugelbakterien, die aus Luft und Wasser gezüchtet
waren, empfindlich; am besten eigneten sich einige Sarzinen.
Flemming benützte seinen Mikrococcus lysodeicticus, fand aber unter
der von ihm geprüften großen Zahl von Bakterien auch empfindliche
Stäbchen Nakamuras Versuchsobjekt, der Stamm 9, war ein großer,
gramnegativer Diplokokkus, der orangeroten Farbstoff bildete.
Der von Prof. Bail gefundene und zur Verfügung gestellte Organis-
mus stammt aus der Zimmerluft und stellt ein kurzes, plumpes, gram-
positives Stäbchen dar, mit recht ausgesprochen pleomorphen Neigungen,
die jedoch nie soweit gehen, daß seine Stäbchennatur zweifelhaft würde.
Öfter bildet er kurze Ketten, auch Scheinfäden. Er wächst auf Agar als
weißgrauer, zunächst feuchter Belag, der später trockener und so fest
zusammenhängend : wird, daß er schwer gleichmäßig in Flüssigkeiten zu
verteilen ist. Damit geht die Bildung von Sporen einher. Das Wachstum
in flüssigen Nährböden ist trübend, erreicht aber im Vergleich mit der guten
Entwicklung auf Agar nur eine geringe Mächtigkeit.
Die Wirkung von Lysozymen auf diesen, vorläufig einfach als Z,
bezeichneten Organismus ist eine erstaunliche. Das meist zur Prüfung ver-
wendete Iysozymhaltige Hühnereiweiß vermag dicht trübe Aufschwemmun-
gen, denen es im Verhältnis 1:1000 und darüber zugesetzt wird, binnen
etwa Y,h vollständig zu klären, wobei es nicht viel ausmacht, ob der
Versuch bei 37% Z.T. oder 43° stattfindet. Die mikroskopischen Verände-
rungen der Bakterien lassen sich dabei recht gut beobachten und bestehen
zunächst in einer zunehmenden Aufquellung der Bakterien. Gleichzeitig
läßt die Färbbarkeit (Karbolmethylenblau) nach, bis schließlich nur noch
Schatten übrig bleiben, in denen zunächst noch feinste, färbbare Körnchen
zu sehen sind. die aber schließlich mit dem sonstigen Bazillenrest völlig
verschwinden. In einer vollständig geklärten Aufschwemmung bleibt
nichts übrig, das mit dem gewöhnlichen Mikroskope, gefärbt oder un-
gefärbt, zu sehen wäre.
Dem Verschwinden der Bakterien entspricht das Ergebnis des Kultur-
versuches, bei dem es oft vorkommt, daß man unmittelbar nach Ansetzen
der Versuchsproben, also in der kurzen Zeit, die zur gleichmäßigenVerteilung
der Keime und der Anlage der Kulturen erforderlich ist, eine auffallend
geringe Keimzahl wiederfindet; selbst Sterilisierung kann in wenigen Augen-
blicken eintreten.
Einen Versuch über die Verteilung lysozymer Wirkungen im Meer-
schweinchenorganismus bringt Tabelle 1.
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Großes Meerschweinchen, dem 15 h vorher eine intraperitonale Einspritzung `
von steriler Fleischbrühe gemacht worden war, wird verblutet. Die Ausspúlung ` — — |
der Bauchhöhle liefert e Flüssigkeit, aus der sich durch Zentrifugieren reich- _ ¡E
licher Satz, weit überwiegend polynuklárer Leukozyten gewinnen läßt. Sie werden ër,
in 2 ccm, immer im Verhältnis 1:20 mit Brühe versetzter NaCl-Lósung wa , ZK
nommen. Die Organe werden in kleinen Stücken entnommen, auf einem Draht- HR
netz mit der gleichen a o zerrieben, die durchlaufende Flüssigkeit ES.
zentrifugiert und der Satz, der an Mächtigkejt ungefähr dem Leukozytensatz 28
entsprach, in 2 com aufgenommen. Ebenso wurde Gallenblase (nach Entleerung ER
der Galle) Netz, Hirn, Muskel und das Knochenmark eines Oberschenkels be- AS
handelt. Die röhrenförmigen Organe wurden in der erhältlichen Länge, für Dúnn- Kl.
darm und Rectum in der von etwa 4—5 cem, für Magen und Coccum in ungefähr =
entsprechender Stärke abgebunden, aufgeschnitten, wiederholt mit steriler Tr
NaCl-Lösung unter kräftigem Strahle abgespült und die Schleimhaut mit Skal- Ee"
pell abgeschabt. Das erhaltene Material (bei Trachea und Oesophagus sehr ge- We
ring) wurde nach Verreibung in der Reibschale ebenfalls in 2 ccm Brúhekochsalz-
lösung verteilt. Jede Probe wurde dann in 2 Teile zu je 1 ccm geteilt. Die eine
erhielt zur mikroskopischen Untersuchung eine so reichliche Einsaat von Z,,
daß im Präparate zahlreiche Bakterien zu finden waren, die andere erhielt eine
geringe Einsaat und diente zur kulturellen Untersuchung. Für beide wurde 1 Öse j
sofort nach der Einsaat und in verschiedenen Zeiten des Aufenthaltes der Proben Wu:
bei 37% entnommen. Die erste Reihe in jeder Kolumne gibt das Ergebnis der =
mikroskopischen Untersuchung, wobei — keine, + Aufquellung.mit Verblassung,
+ + stärkste Verblassung mit teilweiser Lösung, + + + vollständiges Verschwin-
den der Bakterien bedeutet. Die zweite Reihe gibt die Anzahl der aus je 1 Öse Eb
auf Agarplatten aufgegangenen Kolonien an. `
. NATY
Oesophagus — — 1000 — 870 UN
Magen `, `. `. — TRE 0 PER 0 Ge
Dünndarm . + -+ 0| + 0 d
Coccum — Gë — 820 — 600
Rectum — — = + 7 —£ 0
Trachea — — — + 0| ++ 0
age ` 2 es = ++ 350144401444 0
Leber = = > e DI ek /
Pancreas . : — = S eecht i en 0 1]
Mils... | — + 140 +++ ++ 04++ 0 |
Gallenblase . = — — SS — 1 i
Galle za — — -— — 730
Niere _ = SEE rt EF LR
Nebenniere . = — — Se — 1000
Knochen- r
Dark. e — — ++ ++ + 0
Leucozyten.| + +++ ol +++ ++ 04++p 0
y AA — —- am + bo O
Hoden . . . — = — 25 — 260
Hien A S — — — — — 660
Muskel. . . = — — — — 500
Blutserum . — -- — = = 0
Hühnerei-
weiß 1:400 ER +++ Ion | +++ nn 0
Fleisch- |
brühe 1:20 — — 960 - | ==. 560
Es bedarf kaum der Erwáhnung, daf der hier ausfúbrlicher mitgeteilte
Versuch über den Lysozymgehalt der verschiedenen Teile eines Tieres
280 Untersuchungen úber Lysozymwirkungen im Tierkórper.
mancherlei Einwendungen zuläßt. Die quantitativen Verhältnisse in den
einzelnen Proben sind nur wenig vergleichbar. Das was an Zellenmateria”
bei Trachea und Oesophagus gewonnen wurde, steht in gar keinem Ver-
hältnisse zu dem der anderen Proben, was die Netzverreibung enthielt,
war zum großen Teile Fett. Es wird überhaupt schwer sein, das richtige
Quantitätsverhältnis bei den verschiedenen Organen kleiner Tiere heraus-
zufinden. Daher kommt es wohl auch, daß in einem anderen Versuche
eine deutliche Wirkung beim Netz und eine viel stärkere beim Knochen-
mark gefunden wurde. Auch die Versuche mit einzelnen Darmabschnitten
verliefen insofern nicht gleichmäßig, als in anderen Versuchen das Coccum
etwas, hingegen das Rectum gar nicht wirkte. Auch die Wirkung der Leber
trat öfters viel auffälliger hervor.
Gleichwohl erlauben die angestellten Versuche mit Sicherheit den
Schluß, daß lysozyme Wirkungen im Meerschweinchenorganismus weit,
aber sehr ungleichmäßig verbreitet sind. Die stärksten treten auf bei
Exsudatleukozyten, Milz und Knochenmark. Ebenso stark sind sie in
der Schleimhaut des Dünndarms, dann folgen Magen, Lunge, Nieren,
Leber. Nachweisbar, aber jedenfalls viel schwächer als in den oberen
Darmabschnitten sind sie in den unteren. Nicht vorhanden sind sie in
Nebenniere, Pankreas, Hoden, Muskel und Hirn; ebenso fehlen sie oder sind
nur angedeutet im Blutserum, während die Flüssigkeit eines sterilen
Peritoncalexudates sehr stark wirkt. Der Vergleich mikroskopischer und
kultureller Ergebnisse spricht sofort dafür, daß dem ersteren eine viel
größere Wichtigkeit als dem letzteren zukommt, mindestens für die hier
anzuwendenden verhältnismäßig kurzen Beobachtungszeiten. Auch in
der verdünnten Fleischbriihe findet ein langsames Absinken statt, ent-
sprechend jedenfalls dem schlechten Wachstum, das der Bazillus in Flüssig-
keiten überhaupt zeigt. Selbst mikroskopisch läßt sich feststellen, daß
z. B. in NaCl-Lósung ein Verblassen einer Anzahl von Bakterien statt-
findet, das freilich mit Iysozymer Wirkung nicht verwechselt werden kann.
Gleichwohl ist zu erkennen, daß dort, wo Lysozyme zur Geltung Kommen,
auch die angelegten Kulturen steril werden, wo sie sich nicht verraten,
auch noch lebende Bakterien übrig bleiben. Nur gilt dies nicht ohne Aus-
nahme. So ist z. B. im Versuche in Serum und Pankreas bestimmt keine,
im Netz nur geringe Auflösung festzustelllen gewesen und gleichwohl
deuten die Kulturen auf starke Abtötung hin. Es muß hier also eine andere
Bakterizidie als die der reinen, z. B. im Hühnereiweiß 1:400 enthaltenen
Lysozyme in Frage kommen.
Am überraschendsten war das immer eintretende Versagen der Galle,
welches genauer verfolgt wurde. Denn gerade dieses Sekret hat für die
Infektionsforschung schon mehrfach Bedeutung erlangt, allerdings ohne
daß noch recht einzusehen ist, wohin dieselbe einzuordnen wäre. Es sei
hingewiesen auf das Verhalten von Galle und Gallenblase zur Typhus-
infektion des Menschen, auf die eigentümlich elektive Gallenwirkung
gegen Pneumokokken, die unerklärte Wirkung derselben auf das Virus
und die Immunität der Rinderpest und nicht zuletzt auf die Beobachtungen
Bosredkas u. a. über die begünstigende Wirkung der Gallenzufuhr bei
experimentellen Darminfektionen. Im gegebenen Falle mußte besonders
Von Dr. Shinnosuke Kimura.
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Archiv für Hygiene.
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Bd. 96.
282 - Untersuchungen úber Lysozymwirkungen im Tierkórper.
das abweichende Verhalten der Galle mit fehlender und der Diinndarm
schleimhaut mit stárkster Lysozymwirkung Aufmerksamkeit erwecken.
Die Untersuchung ergab sofort, daß außer der Galle von Meerschwein-
chen auch die von Kaninchen, Rind und Schwein keinerlei Lysozymwirkung
ausübte. Letztere beide Gallearten, die leicht in beliebiger Menge zu er-
halten sind, dienten zu weiteren Versuchen, bei denen sich sofort heraus-
stellte, daß beide imstande sınd, Lysozyme vollständig und bis zu ansehn-
licher Verdünnung herab, zu hemmen.
Die hier angewendete Hühnereiweißverdünnung ist als sehr gering
zu bezeichnen, da noch eine solche von 1:10000 sehr merkbar auflösende
Wirkungen besitzt. Dennoch wird sie sowohl durch Schweine, wie durch
Rindergalle vollständig gehemmt, wobei die erstere noch eine Verdünnung
von 1:4 bis 1:9, die letztere nur eine solche von 1:1 bis 1:2 verträgt.
Für eine genaue Berechnung müßten die Verdünnungsangaben verdoppelt
werden, da gleiche Teile von Galle und Lysozymverdünnung gemischt wur-
den. Die Ergebnisse der mikroskopischen und der kulturellen Untersuchung
stimmen vollständig überein, wobei, wie immer, zu bedenken ist, daß es sich
bei Bazillus Z, nur um ein Halten, nicht aber um eine Vermehrung in der
Versuchszeit handelt. Es sei auch darauf hingewiesen, daß Meerschwein-
chenserum, obwohl ebenso lysozymfrei wie die Gallen, die Wirkung des
Hühnereiweißlysozyms nicht behindert.
Erhitzung verändert die antilysozyme Gallenwirkung nicht, selbst.
wenn sie längere Zeit im kochenden Wasserbade erfolgt. (Tabelle III.)
Die Behinderung der Lysozymwirkung durch die Galle muß als eine
direkte bezeichnet werden. Es ist ganz gleichgültig, ob man Lysozym und
Galle vor der Bazilleneinsaat erst aufeinander einwirken läßt oder nicht.
(Tabelle IV.)
Eine noch vollständig ungelóste Frage ist es, ob die lysozymatischen
Wirkungen, die nicht nur im Körper so vieler verschiedener, wahrschein-
lich aller tierischen Lebewesen verbreitet sind, sondern durch Flemming
auch bei Pflanzen gefunden werden, einheitlich sind oder nicht.
Da die Lysozyme nicht unmittelbar, sondern nur an ihren Wirkungen
zu erkennen sind, ist die Frage schwer zu entscheiden. Die Tatsache, daß
immer nur bestimmte Mikroorganismen der Lysozymwirkung zugänglich
sind, diese dann aber für alle Lysozyme, gleichviel welcher Herkunft
spricht, soweit sie untersucht ist, für Einheitlichkeit. Ahnliches gilt für
die Behinderung der Lysozyme durch Galle, die auch quantitativ für Jedes
Lysozym gilt. (Tabelle V, VI, VI, VIII.)
Die Lysozyme aus Hühnereiweiß, verschiedenen Meerschweinchen-
organen und menschlicher Tränenflüssigkeit werden also nicht nur quali-
tativ, sondern auch quantitativ in fast genau gleicher Weise durch Galle
gehemmt. Ohne daß dieser Befund allein entscheidend sein kann, spricht
er vorläufig dafür, daß die in ganz verschiedenen Lebewesen nachweisbaren
Lysozyme gleichartig sind. (Tabelle IX.)
Die Galle ist, wie Tabelle I zeigt, nicht der einzige Anteil des Meer-
schweinchenkörpers, welcher der Lysozyme völlig entbehrt. Ebenso
beständig fehlen sie z.B. der Nebenniere und es lag nahe, zu untersuchen,
ob mit dem Fehlen der Lysozyme auch immer eine Behinderung einer
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Untersuchungen úber Lysozymwirkungen im Tierkórper.
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Untersuchungen über Lysozymwirkungen im Tierkórper.
286
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288 Untersuchungen úber Lysozymwirkungen im Tierkórper.
sonstigen lysozymen Wirkung einhergeht. Schon oben (Tab. Il) ist in
dieser Hinsicht gefunden worden, daß lysozymfreies Serum keine Hemmung-
wirkung ausübt.
Die sehr dichte Nebennierenverreibung hatte also keine Spur von
antilysozymer Wirkung entfalten können, die also unmöglich von dem
bloßen Mangel an Lysozymen herrühren kann. Da bisher nirgendwo anders
als in der Galle hemmende Wirkungen für Lysozymen nachgewiesen werden
konnten, so muß in deren Zusammensetzung der Grund dafür zu finden
sein. Das führte zu einer Untersuchung der Gallenbestandteile, die sogleich
in den Gallensäuren den entscheidenden Anteil der Hemmung erkennen
ließ. (Tabelle X, XI.)
Die Hemmungswirkung der Taurocholsäure ist nicht zu verkennen,
muß aber als schwach bezeichnet werden, da selbst die 10proz. Lösung (5%
bei der Anwendung) nach 5 h doch eine gewisse Lysozymwirkung zuläßt.
Glykocholsáure hemmt mit 1proz. Lösung, also bei 0,5% Gesamtgehalt
der Probe, noch vollständig, bei 0,25% sehr deutlich. Die Hemmungs-
wirkung mußte allerdings hier ausschließlich nach dem mikroskopischen
Befunde erkannt werden, da die Lösungen beider Gallensalze den Bazillus Z,
abtöteten, besonders glykocholsaures Natron fast augenblicklich. Der
tierischen Galle selbst kommt diese Bakterizidie, wie die früheren Versuche
zeigen, keineswegs zu. Das mikroskopische Bild war aber so vollkommen
deutlich, die durch die Gallensalze abgetöteten Bakterien zeigten so wenig
von einer Auflösung, daß die Lysozyme von einer andersartigen Bakterizidie
sofort zu unterscheiden ist.
Die Glykocholsáure ist der Taurocholsäure an Hemmungswirkung
weit überlegen. Damit läßt sich auch die bei der vergleichenden Unter-
suchung von Schweinsgalle und Rindsgalle gefundene Überlegenheit der
ersteren in bester Weise in Übereinstimmung bringen. Denn nach Hamar-
sten (Lehrb. d. physiol. Chemie, Aufl. 1922, S. 349), enthält Schweinegalle
fast ausschließlich Glykocholsäure.
Es ist heute noch nicht abzusehen, welche Bedeutung die Lysozyme
für die Infektionsforschung gewinnen werden. An der inneren Körperober-
fläche und in den Sekreten kommt ihnen ganz gewiß eine solche zu; J. und
M. Bordet (Compt. rend. Acad. Sciences Bd. 179, S. 1109) betonen neuer-
dings ihre Anwesenheit in der Kolostrummilch, Nakamura hat mit Recht
die Keimarmut der Konjunktiva auf Lysozyme zurückgeführt. Ohne
Zweifel spielen sie im Darm eine Rolle und die relative oder selbst absolute
Keimfreiheit des Dünndarms mit seiner starken Lysozymwirkung zu-
sammenzubringen liegt nahe. Die eigentümliche Gegenwirkung der Galle
scheint berufen, in diesem neuen Forschungsgebiete zur Bedeutung zu ge-
langen.
Beitrag zur Bestimmung von Blei in organischen Substanzen
besonders in Kot und Harn.
Von
Reg.-Rat Dr. phil. Victor Froboese.
(Aus dem Gewerbehygienischen Laboratorium des Reichsgesundheitsamts.)
(Bei der Redaktion eingegangen am 28. August 1925.)
Die Verfolgung des Bleis bei Ausführung von Blei-Tierversuchen ergibt
die Notwendigkeit des Nachweises von Blei im Kot und Harn. Obwohl
in der Literatur hierüber schon mehrere Angaben gemacht worden sind,
so genügen diese teilweise doch nicht, um schnell und sicher in biologischem
Material Blei mit hinreichender Genauigkeit zu bestimmen.
Ein brauchbares Verfahren, das zur Bestimmung von Blei in der-
artigen organischen Substanzen Anwendung finden soll, wird eindeutig
die Fragen behandeln müssen:
1. Wie stelle ich aus dem vorliegenden Material eine geeignete an-
organische Lösung her?
2. Wie bestimme ich in der anorganischen Lösung am einfachsten
das Blei?
Dabei ist zunächst die Frage zu klären, wie die großen Mengen or-
ganischer Substanz mit Rücksicht auf deren Bleigehalt zu zerstören
sind. Eine Zerstörung mit Kaliumchlorat und Salzsäure, wie sie z.B.
von P. Schmidt!) angewendet wurde, kommt nicht in Frage, weil die
Anwesenheit großer Mengen Chloride später die quantitative Fällung
des Bleis beeinträchtigt. Diese Methode hat sich, wie bereits O. Schumm?)
feststellen konnte, auch nicht für Harn bewährt. Ebenso ist eine Ver-
brennung mit Schwefelsäure und Salpetersäure nicht gut durchzuführen,
und so bleibt allein die Veraschung der festen scharf getrockneten Massen
übrig. E. Erlenmeyer) ist bereits so verfahren; indessen benutzt er zur
Veraschung große Porzellantiegel, wobei er feststellen mußte, daß Blei
in die Glasur überging. Das Blei mußte daher durch ein besonderes Schmelz-
verfahren aus der Glasur wieder entfernt werden. Diese Methode ist mit-
hin wenig verlockend. Ungeachtet dieser Feststellung Erlenmeyers wird
1) Archiv f. Hygiene 1907, 63, 14 und Schmidt, pharm. Chemie I. 697.
2) Zeitschrift f. physiol. Chemie 118 (1922) 189.
3) Biochem. Zeitschrift 56, 330 (1913).
Archiv für Hygiene. Bd. 96. 22
290 Beitrag zur Bestimmung von Blei in organischen Substanzen.
von Süßmann!) die Veraschung der mit Schwefelsäure vorbehandelten
organischen Massen wieder in Porzellan- oder Quarzschalen ausgeführt.
Der Befund Erlenmeyers, daß Blei in die Glasur geht, ist richtig. Wenn
aber Blei von Porzellan bzw. Quarzschalen, wie sie von Weitzel?) für
zink- und kupferhaltiges biologisches Material empfohlen werden, bei Ver-
aschung von bleihaltigen Stoffen aufgenommen wird, dann ist es zweck-
los, noch Untersuchungen darüber anzustellen, wieviel Blei zurückgehalten
wird; denn die Bleiaufnahme durch die Glasur wird im hier vorliegenden
Falle ohne Zweifel von der Stärke und der Art der Erhitzung der Por-
zellan- bzw. Quarzschale abhängen.
Man war sich bisher aber stets darüber einig, daß bei Analysen-
methoden die Verwendung von Gerätschaften möglichst vermieden werden
muß, die Verluste des zu bestimmenden Materials unter irgendwelchen
Umständen herbeiführen können. Anderseits braucht man nicht soweit
zu gehen, daß man einen dazu zu verwendenden Kjeldahlkolben, wie es
in einer Arbeit für nötig erachtet wird, zuvor auf Bleigehalt prüft!
Die besten Erfolge ließen sich erreichen, wenn festes, bleihaltiges
biologisches Material nach dem Zerkleinern gut getrocknet, darauf fein
pulverisiert und in einer Nickelschale (aus Reinnickel) zunächst bei An-
wendung geringer Hitze verglüht wird. Man stellt dazu die Schale schräg
auf einen mit Drahtnetz belegten Eisenring und erhitzt anfangs mit einer
Bunsenflamme an einer Stelle. Kot verascht sich so sehr gut bis auf einige
kleine Körnchen, die später besonders behandelt werden müssen. Schwerer
verbrennliches, getrocknetes und feingepulvertes Material tränkt man mit
einer schwachen Lösung von Natriumnitrat, trocknet und zerkleinert
eventuell nochmals gut und verglüht die Masse vorsichtig. Denis und
Minot) haben bereits geraten, die trockenen bleihaltigen organischen
Substanzen mit festem Salpeter zu vermischen und dann zu verglühen.
Doch wird diese Mischung nicht so innig wie bei Anwendung der Lösung,
was dazu führt, daß leicht verlustbringende Verpuffungen an einzelnen
Stellen entstehen.
Die in der Nickelschale erhaltene Asche, z. B. von bleihaltigem Kot,
wird nun, um ein Stauben zu verhindern, mit heißem Wasser durch-
feuchtet und in ein Becherglas gebracht, wobei festhaftende Teilchen
sich mit einer Gummifahne leicht loslösen lassen. Man gibt dann Salpeter-
säure hinzu, bis alles, abgesehen von Kohleteilchen, in Lösung gegangen
ist, kocht auf, läßt abkühlen und filtriert. Das Filter wird getrocknet und
in einem Platintiegel, dessen Boden mit einer Mischung von Kalium-
Natriumkarbonat und etwas Salpeter gedeckt ist, verbrannt und der
Tiegelinhalt gut durchgeschmolzen. Die Schmelze wird in Wasser gelöst,
etwaiges Eisen abfiltriert, zu der klaren Lösung soviel Salpetersäure ge-
geben, bis die Lösung gerade sauer reagiert, und diese mit dem ersten
Filtrat vereinigt. Dann wird anfangs starke, später schwache Natron-
lauge zugegeben, bis eine bleibende, ganz schwache Trübung entsteht, die
man mit sehr wenig Salzsäure wieder fortnimmt. Wenn man darauf
4) Archiv f. Hygiene 90, 197 (1922).
2) Arb. a. d. Reichsgesundheitsamt Bd. 51, S. 481 (1919).
3) Journ. Biol. Chem. 38, 449 und Chem. C. 1920, III, 680.
Von Dr. phil. Victor Froboese. 291
bedacht war, daß das Flüssigkeitsvolumen nicht unnütz groB wurde,
erhält man auf diese Weise eine Lösung, aus der das Blei gut quantitativ
mit Schwefelwasserstoff fällbar ist. Die anwesenden Nitrate wirken für
die Fällung geringer Bleimengen günstig, während die geringe Menge
freier Salzsäure auf das Bleisulfid nicht so lösend wirkt, wie es freie
Salpetersäure tun würde.
Was die Verarbeitung von bleihaltigem Harn anbetrifft, so machte
die bisher allgemein übliche Methode zunächst ein Eindampfen großer
Harnmengen nötig, woran sich alsdann die Veraschung schloß. Alles dies
wird umgangen, wenn man das Blei aus großen Harnmengen durch F äl -
lung gewinnt. L.T. Fairhall!) hat nun bereits darauf hingewiesen,
daß Blei bei Ausfällung der Mineralphosphate aus stark ammoniakalischem
Harn mitgerissen wird. Aber auch durch Fällung mit Sodalösung?) läßt
sich das Blei niederschlagen.
Ich habe zunächst nachgeprüft, ob tatsächlich alles Blei aus dem
Harn durch Sodalösung in der Hitze abgeschieden wird. Dazu wurden
ungefähr 81 Harn mit einem Gehalt von etwa 15 mg Blei pro Liter, liter-
weise mit je 15 ccm n-Sodalösung kurz vor dem Kochen versetzt, noch
5 Minuten, ohne zu kochen, erhitzt und absitzen gelassen. Die gesamte
klare abgeheberte Flüssigkeit wurde nun eingedampft verascht und auf
Blei geprüft. Blei konnte nicht nachgewiesen werden.
Die Verarbeitung von auf Blei zu prüfenden Harn geschah nunmehr
nach folgender Vorschrift:
Etwa 11 Harn wird fast zum Kochen gebracht, 1,5 ccm n-Sodalösung
auf 100 ccm zugesetzt und, ohne zu kochen, weiter erwärmt, bis sich der
Niederschlag gut zusammenballt3). Nach dem vollständigen Absetzen
wird soweit als möglich abgehebert und der Rest durch ein quantitatives
Filter gegossen, das Becherglas mit n-Sodalösung nachgespült, das Filter
ablaufen gelassen und getrocknet. Das fast trockene Filter wird vorsichtig
mit schwacher Natriumnitratlósung angefeuchtet, wieder getrocknet
und im Platintiegel über einem Gemisch von Sodasalpeter (5 : 1) ver-
ascht und gut durchgeschmolzen. Der Tiegelinhalt wird dann mit heißem
Wasser behandelt, die Lösung salpetersauer gemacht, die Salpetersäure
durch Natronlauge, wie oben, neutralisiert (beginnende Trübung!) und
endlich wieder g a n z s c h w a c h salzsauer gemacht. ;
Soll die Gesamtbleiausscheidung in Kot und Harn bestimmt werden,
so kann man jetzt die aus Harn erhaltene, schwach salzsaure Lösung mit
der vorher aus Kot erhaltenen vereinigen.
Die Bestimmung des Bleis in den so erhaltenen anorganischen Lösungen
geschieht nach seiner Isolierung am einfachsten durch Titration des Blei-
chromats in der üblichen Weise).
1) Journ. Biol. Chem. 60, 486.
2) The Analyst 49, 124; durch Chem. Zentralblatt 1924, I, 2724.
3) Diese Art der Bleiabscheidung aus Lösungen läßt sich wahrscheinlich
u as nel, analytisch anwenden, wenn es sich um geringe Bleimengen
handelt.
4) Siehe auch Beck, Löwe und Stegmüller: Arb. a. d. Kais. Ges.-Amt
1910 Bd. 33 S.239. Auerbach u. Pick, ebenda 44, 1912 (1913).
Za"
292 Beitrag zur Bestimmung von Blei in organischen Substanzen.
' Um zunächst das Blei mit Schwefelwasserstoff zu fällen, ist es nach
den Erfahrungen von Meillére1) zweckmäßig, der Lösung kleine Mengen
Kupfer zuzusetzen. Hierdurch werden die geringsten Bleimengen durch
Schwefelwasserstoff sicher gefällt. Man kommt indessen hier mit weniger
Kupfer aus, als Meillere anwendet und verfährt am besten unter Be-
nutzung der Erfahrungen früherer Autoren?) wie folgt:
Nach Zugabe von 10 mg Kupfer als Kupfersulfat zu der salzsauren
Lösung wird das Blei durch Schwefelwasserstoff gefällt. Der Nieder-
schlag wird nach dem Absetzen abfiltriert und mit Schwefelwasser-
stoffwasser gut ausgewaschen. Das Filter bringt man in ein Jenaer 300-cem-
Becherglas und erwärmt mit Salpetersäure, bis keine dunklen Teilchen
mehr sichtbar sind. Dann wird mit heißem Wasser etwas verdünnt, filtriert,
gut ausgewaschen, in einer gut glasierten Porzellanschale nach Zusatz
von Schwefelsäure abgedampft und auf dem Sandbade solange erhitzt,
bis dicke Schwefelsäurenebel fortgehen. Man verdünnt nach dem Er-
kalten mit Wasser, sodaß ca. 5proz. Schwefelsäure vorhanden ist (Zugabe
von Alkohol ist unnótig?), filtriert, wäscht mit 5proz. Schwefelsäure nach
und löst das Bleisulfat mit wenig NaOH-haltiger Natriumacetatlósung
vom Filter. Das Filter wird mit heißem Wasser bleifrei gewaschen und
die alkalische Bleilösung schwach essigsauer gemacht.
War die Lösung kieselsäurehaltig oder ist die Porzellanschale ange-
griffen, so entsteht hier ein feiner Niederschlag, der stets bleihaltig ist
und, wenn er abfiltriert und nicht berücksichtigt wird, den Bleiwert unter
Umständen stark vermindert. Man gibt auf das Filter Schwefelwasserstoff-
wasser (Braunfärbung) und löst nach dessen Ablaufen mit wenig heißer
verdünnter Salpetersäure vom Filter. Die zuerst alkalisch, dann essig-
sauer gemachte Lösung (möglichst kleines Volumen) gibt mit Kalium-
chromat noch eine Fëllung. Bei sorgsamer Arbeit bleibt indessen die
Hauptlösung bei Zugabe von Essigsäure klar.
Zu der heißen essigsauren Bleilösung gibt man nun etwas mehr als
die berechnete oder in Erfahrung gebrachte Menge 5proz. Kaliumchromat-
lösung und filtriert das Bleichromat nach dem Absitzen (bei ganz geringen
Mengen am nächsten Tage) mit Hilfe eines ,,Glasfiltertiegels***) (Poren-
weite < 7) ab. Nachdem man es mit 5proz. Natriumazetatlösung alkalı-
chromatfrei :gewaschen hat, löst man es mit 5proz. Salzsäure, wäscht mit
Wasser, das etwas Salzsäure enthält, nach, und titriert nun die Chromat-
lösung unter Zusatz von Jodkalium und Anwendung von Kohlensäure
als Luftabschluß mit Natriumthiosulfatlösung (1 ccm = 1 mg Blei). Es
genügt, die Luft vor Zusatz des Kaliumjodids durch bloßes Einblasen
von Kohlensäure aus einem durch Gummischlauch mit einer Stahlflasche
verbundenen Glasrohr zu vertreiben und dies vor Beendigung der Titration
nochmals zu wiederholen. |
4) Ann. Chim. Anal. appl. 20, 73 (1916); Ref. Zeitschr. f. anal. Chem. 57,
63 (1918).
2) Siehe auch Archiv f. Hygiene 90, 197 (1922).
3) Winkler: Zeitschrift f. angew. Chemie 35, 662 (1922).
4) Zeitschrift f. anal. Chemie 65. 320 (1925).
Von Dr. phil. Victor Froboese. 293
Von den 26 gleichwertigen Analysen seien folgende, die aus der Reihe
willkürlich herausgegriffen sind, als Beleg angeführt:
Se e ee ee e Ce ggg m — rn
o dl
als Bleiazetat- verbrauchte
KIT PP PP gb enger gg ragen
lösung ef. Pb-
Verarbeitete Na,S,0,-Lösung
Nr. Substanzmenge ee enge
1 1000 ccm Harn
2 1000 ccm Harn 13,3
3 1000 ccm Harn 13,3
4 1000 ccm Harn 0,84
5 | 40 g Trockenkot 4,2 | 4,0 0,998 4,0
6 | 40 g Trockenkot 0,9 | 0,92 0,901 0,83
Es sei noch auf die Arbeit von O. S c h u m m!) hingewiesen, wonach
kleine Mengen Blei nach Abscheidung als Sulfid sehr genau auch elektro-
lytisch bestimmt werden können. Jedem, der Erfahrungen auf dem Ge-
biete der Metallanalysen hat, ist ja bekannt, daß bei der elektrolytischen
Abscheidung von Kupfer die geringsten Mengen Blei bei geeigneter Span-
nung und Stromstärke an der Anode als feiner bräunlicher be Zum
Vorschein kommen. Indessen wird man vielfach von der elektrolytischen
Methode mangels der notwendigen Apparatur absehen müssen.
1) Zeitschrift f. physiolog. Chemie 118, 203 (1922).
‚Studien zur Kenntnis der Eigenschaften von Diphtherie-
Toxin-Antitoxin-Gemischen.
Vl. Zur Kenntnis des Flockungsvorganges in Di-T.A.-Gemischen.
Von
Privatdozent Dr. Hans Schmidt und Dr. Wilhelm Scholz.
(Aus dem Institut für experimentelle Therapie „Emil v. Behring‘‘, Marburg
a. d. Lahn. Direktor: Prof. Dr. H. Dold.)
(Bei der Redaktion eingegangen am 11. November 1925.)
Eine Mischung von Diphtherietoxin und -Antitoxin pflegt bei ge-
eigneten Mengenverháltnissen zu flocken!). Diese an und für sich spárliche
Flockung tritt erst nach einer gewissen Zeit ein, die bei Erwármen bis
zu 45—50% abgekürzt wird. Das Röhrchen, bei dem die Flockung zuerst
auftritt, enthält Toxin und Antitoxin in solchen Mengenverhältnissen,
daß die von den Flocken befreite Flüssigkeit weder Gift noch Antitoxin
enthält. Diejenige Menge Gift in cc, die 1AE in diesem Sinne völlig bindet,
wird als der Flockungswert (Lf) des Giftes bezeichnet. Dieser Wert ist
scharf einstellbar und kann nach Ramon für Wertbestimmung von Gift
und Serum benutzt werden, wie wir das im einzelnen in unserer I. und
IV. Mitteilung ausgeführt haben. Je länger der Flockungsversuch im
Wasserbade vor sich geht, je breiter wird nach beiden Seiten vom Lf-Wert
die Flockungszone, so daß selbst der L+-Wert noch in des Bereich der
selben fallen kann (siehe IV. Mitteilung).
Wenn wir uns nun fragen, wodurch überhaupt die Flockung zustande-
kommt, so müssen wir zunächst beachten, daß Flockung und Bindung nicht
notwendig Hand in Hand zu gehen brauchen, insofern eine Toxin-Anti-
toxin-Bindung cintreten kann, ohne daß es zur Flockung kommt. Dies ist
der Fall, wenn Toxin oder Antitoxin in genügendem Überschuß vorhanden
ist. Für das Zustandekommen einer Flockung sind noch andere im Serum
oder im Gift gelegene Faktoren maßgebend. Wir kennen Gifte, die mit
hochwertigem frischem Serum sehr schlecht oder überhaupt nicht flocken,
und umgekehrt gibt es Sera, die schlechte oder gar keine Flockung mit
einem sonst gut flockenden Gift geben.
1) Diese Flockung ist ein typischer Präzipitationsvorgang, wie ihn Kraus
zuerst beobachtete, der also nicht nur auf Eiweiß-Antieiweißserum beschränkt
ist, sondern auch, soweit bei Schlangengift, Tetanustoxin, Rizin usw. festgestellt,
bei allen Toxin- Antiloxingemischen vorkommt.
Kenntnis der Eigenschaften von Diphtherie-Toxin-Antitoxin-Gemischen. 295
Man wird bei der Herstellung von über- oder unterneutralen T.A.-
Gemischen, in denen man das Zustandekommen einer Flockung vermeiden
will, auf diese Umstände besonders zu achten haben. Das schwach über-
neutralisierte T.A. I und II der Behring-Werke flockt nicht, gibt aber
nach langer Erwärmung auf 48—50° eine Trübung. Das unterneutralisierte
T.A. VII v. Behrings gibt selbst unter optimalen Bedingungen nicht
einmal eine Trübung. Dabei erreicht der Grad der Unterneutralisierung
bei T.A. VII lange nicht den L+-Wert.
Nun ist durch Renaux 1) bekannt, daß auf 56° erhitztes Serum nicht
mehr flockt. Bei dieser Temperatur werden jedoch die Antikórper nicht
nachweisbar beeinträchtigt. Wir können Renauxs Angaben bestätigen.
Ein 370faches Di-Serum, das im Originalzustande mit dem .Gift 319
in ca. 6 Stunden bei 45° Flockung zeigte, flockte, wenn es 25 Stunden lang
bei 42° gehalten war, erst nach 36 Stunden und nach 25stündigem Er-
wärmen auf 50° überhaupt nicht mehr. Es trat nur am vierten Tage eine
Trübung auf. Wurde nun das 25 Stunden auf 50° erwärmte Serum mit
gleichen Teilen desselben, aber frischen Serums versetzt, so trat eine Flockung
ein, die aber nicht dem Titer 185, wie der Mischung nach zu erwarten war,
sondern dem Titer 370 entsprach.
Die Antikörper des erhitzten Serums haben sich also an der Bindung
mit Toxin beteiligt, konnten aber erst mit Hilfe des frischen Serums zur
Ausflockung gelangen. Es ist auf diese Weise möglich, durch das Flockungs-
verfahren auch bei einem erhitzten Serum den Antitoxintiter zu bestimmen,
wenn man das Serum mit einem bekannten frischen Serum mischt und mit
dem Gemisch die Flockungsprobe anstellt. Die Flockung ist aber zeitlich
verzögert, und zwar um so mehr, je mehr der Anteil des Gemisches an
erhitztem Serum beträgt und je höher die Temperatur der Erhitzung war.
War die Temperatur so hoch, daß eine Einbuße der antitoxischen Kraft
des Serums eintrat?), dann gab eine Mischung mit unerhitztem Serum je
nach dem Grade der Antitoxinzerstörung einen mehr der Verdünnung ent-
sprechenden Titer. Aber der Übergang ist nicht scharf.
Wir sehen also, daß das Zustandekommen der Flockung von etwas im
Serum abhängig ist, was nicht Antitoxin ist. Auch alte, lang gelagerte
Sera geben bekanntlich keine Flockung mehr. Wir prüften ein altes Serum,
das im Jahre 1901 500fach, jetzt aber im Tierversuch nur noch 100fach
war, mit dem Flockungsverfahren gegenüber dem Di-Gift 319. Selbst
nach 5 Tagen trat keine Flockung ein. Das alte Serum wurde nun zu
gleichen Teilen mit frischem 400fachen Serum versetzt. Nun trat zwar
auch keine richtige Flockung ein, wohl aber nach längerer Zeit im Wasserbad
bei 45° eine deutliche Trübung, die dem Titer 250 entsprach. Die ge-
samten in vivo nachweisbaren Antitoxine des alten Serums hatten dem-
nach an der Bindung teilgenommen.
Das Elo-Diphtherieserum der Höchster Farbwerke ist ein durch
Elektrodialyse von Euglobulin und Albumin befreites Serum, das nur noch
Pseudoglobulin (und vielleicht Spuren von Euglobulin) enthält. Der Titer
1) C. rend. soc. Biol. 1924, 90, 964.
2) Nach Ramon (C. rend. soc. Biol. 1922, 86, 813) verliert ein Di-Serum
nach listindigem Erhitzen auf 60% seine flockende Eigenschaft.
296 Kenntnis der Eigenschaften von Diphtherie-Toxin-Antitoxin-Gemischen.
dieses Serums war 400fach, bei einem EiweiBgehalt von 11%, (Alkohol-
fállungsprobe). Es ist nun interessant, daß auch dieses Eloserum mit dem
Di-Gift 319 keine Flockung gab. Wohl aber gab ein Gemisch von Elo-
serum zu gleichen Teilen mit einem anderen frischen 400fachen Serum
einen Titer, der dem Wert 400 des Eloserums genau entspricht.
Was ist nun die Ursache, daß ein Serum trotz nachweisbarer Anti-
toxine, wie es beim erhitzten, gealterten und Eloserum der Fall ist, keine
Flockung gibt?
Diese Frage läßt sich zurzeit noch nicht mit voller Sicherheit be-
antworten, aber es liegt nahe, anzunehmen, daß zum Zustandekommen
der Ausflockung zunächst natives Euglobulin vorhanden sein muß.
Euglobulin ist derjenige Teil der Globuline, der bei Salzverarmung
des Serums (Dialyse) zuerst ausfällt. Es hat von allen Eiweißkörpern im
Serum den niedersten Dispersitätsgrad. Euglobulin fällt aus dem Serum
auch spontan aus, wenn es altert. Dieser Alterungsprozeß beim Lagern
wird mit zunehmender Größe der gegen Luft grenzenden Oberfläche
befördert!). Dabei tritt beim Altern ein Antitoxinschwund ein. Wodurch
derselbe bedingt ist, ist noch unbekannt. Man kann vermuten, daß das
Antitoxin durch Adsorption an das ausgefallene Globulin gebunden ist,
aber Versuche unsererseits, die Antikörper aus dem ausgefallenen und mit
der Zeit unlöslich gewordenen Globulin zu gewinnen, schlugen bisher fehl.
Wird die Serum-Luftoberfläche durch Schütteln erheblich vermehrt, so
wird der Alterungsprozeß des Serums, das Ausfallen von Globulin, be-
fördert!). Den Toxin-Antitoxinflocken ist nach Untersuchungen von
FlóBner und Kutscher?) Eiweiß beigemengt. Wir vermuten Euglobulin.
Der Beweis dafiir steht noch aus. Stabilisieren wir das Euglobulin des
Serums, so daß es nicht mehr so leicht ausfällt, so bleibt die Toxin-Anti-
toxinflockung aus. Dieses ist der Fall nach Erhitzen des Serums. Erhitztes
Serum ist sehr viel stabiler, was eine alte Erfahrung ist. Wenn wir dem-
nach im Vorhandensein nativen Euglobulins im Serum einen wesentlichen
Faktor zum Zustandekommen der Flockung erblicken können — und Ver-
suche von Ramon?) deuten ebenfalls in der Richtung —, dann läßt sich
doch nicht einem durch Hitze inaktivierten Serum durch Zusatz von
Euglobulin seine ursprüngliche Flockungsfähigkeit wiedergeben. Von unsern
zahlreichen Versuchen sei der folgende hier wiedergegeben, um dies zu
veranschaulichen:
Versuch.
Es wurden einem 1:10 verdünnten 600fachen Diphtherie-Pferdeserum
soviel Euglobulin aus Rinderserum und Euglobulin aus Pferdeserum zu-
gefügt, daß nach Zentrifugieren eine klare Lösung blieb. Das gleiche ge-
1) H. Schmidt, Zeitschr. f. Hygiene u. Infektionskrankheiten, 88, 495.
2) Münch. Med. Woch. 1924, Nr. 18, 576.
3) Nach Ramon (C. rend. soc. Biol. 1922, 86, 813) gibt das Albumin des
Diphtherieserums allein keine Flockung. Die Globuline dagegen verhalten sich
wie das gesamte Serum. Pseudoglobulin allein, obwohl es die Hauptmenge der
Antikörper einschließt, gibt entweder eine sehr stark verzögerte oder überhaupt
keine Flockung, wenn die Trennung vom Euglobulin scharf genug durchgeführt
war. Zusatz von Euglobulin läßt die Flockung wieder schnell eintreten, und zwar
stets dem Antitoxingehalt des Gemisches entsprechend.
Von Dr. Hans Schmidt und Dr. Wilhelm Scholz. 297
schah mit Serum, nachdem es vorher 45 Min. bei 58° und 45 Min. bei 60°
gehalten war. Von diesen 1:10 Serumverdünnungen wurden steigende
Vengeni zu je 2 cem Di-Gift 361 gefügt une bei ld, im lia EE
—— eg
Serum ohne Euglobulin-
zusatz + Euglobulin (Pferd) + Euglobulin (Rind)
nicht
erhitzt dh 58° lh 60° erhitzt, */«h 58° NÉI 60* erhitzt ah DIN
SSER ccm
desu oso |e ¡lp &|- Side
FTE 0,28 |Z + = Fe
Sa? 0,32 |Z | + ed TAN E E E
II; I 00/1100] 1 ni 10 lia pipa pipa 1 11
— FIAR zë zs bedeuten zunehmende Stárke der Flockung.
I. Erste Ablesung nach 6% Stunden.
II. Zweite Ablesung nach 48 Stunden, wobei 24 Stunden Brutschrank-
aufenthalt.
Der Versuch zeigt, daß die Flockung bei 58° noch nicht völlig, bei 60°
aber völlig ausblieb. Wurde nun Pferde-Euglobulin zugefügt, so trat
nicht nur keine Verstärkung der Flockung auf, sondern zunächst eine Ver-
zögerung, die nach 48 Stunden bei dem auf 48° erhitzten Serum noch nicht
den gleichen Grad der Flockung zustandekommen ließ, den das gleiche
Serum ohne Euglobulinzusatz zeigte. Der Zusatz von Rindereuglobulin
hat sogar die Flockung des nicht erhitzten Serums fast völlig unterdrückt.
Eine Erklärung für diesen mehrfach beobachteten Einfluß des Euglo-
bulins auf die Flockung möchten wir darin sehen, daß der künstlich be-
wirkte Euglobulinüberschuß ähnlich wirkt, wie eine Eiweißvermehrung
überhaupt, d. h. im Sinne einer Schutzwirkung auf das Zustandekommen
der Flockung.
Wenn wir auch in der Gegenwart von labilem Euglobulin einen not-
wendigen Faktor für das Zustandekommen der T.A.-Flockung annehmen
können, dann sind aber doch auch noch andere Faktoren vorhanden, die
auf die Flockung Einfluß haben, und von diesen läßt sich zurzeit noch‘
wenig sagen. So ist die Zeitdauer bis zum Flockungseintritt bei Anwendung
des gleichen Giftes und gleicher Technik sehr verschieden bei Seren gleicher
Stärke (Ramon)!), aber auch sehr verschieden bei Prüfung gleicher Gifte
mit gleicher Toxizität und gleichem Flockungswert gegenüber demselben,
Serum (S. Schmidt)?). Ferner ist auffallend, daß Rinder-Di-Serum sich
trotz des hohen Euglobulingehaltes wenig zur Flockung eignet. Zwar ist
es meist nicht sehr hochwertig, aber dieser Umstand dürfte schwerlich der
alleinige Grund dafür sein.
Wir sehen demnach, daß auch die Beschaffenheit des Giftes für die
Flockung von Di-T.A. eine Rolle spielen kann. Auch hier beobachten wir,
daß erhitzte und alte Gifte schlecht oder gar nicht mehr flocken. Die Ver-
hältnisse liegen hier ähnlich, wie beim Serum. Mischt man zwei Gifte mit
1) C. rend. soc. Biol. 1922, 86, 813.
2) C. rend. soc. Biol. 1924, 90, 1178.
298. Kenntnis der Eigenschaften von Diphtherie-Toxin-Antitoxin-Gemischen.
verschiedenen Lf-Werten zu gleichen Teilen, so hat das Gemisch einen
Lf-Wert, der soweit die Beobachtung zu sagen erlaubt, dem Mittelwert
entspricht. Z. B. Gift I (Lf = 0,0858) und gleiche Teile Gift II (Lf = 0,2000)
ergaben ein Mischgift mit Lf = 0,12 statt des errechneten Wertes von 0,14.
Wird das Gift erwärmt, so wird seine Flockungsfähigkeit beeinträch-
tigt, und zwar in erster Linie verzögert. Wird das Gift höher erhitzt (50°),
dann kam es in unseren Flockungsversuchen nur noch zu Trübungen nach
vielstündigem Stehen bei 45°, und schließlich konnte man mit einem solchen
Gifte keine Flockungsprobe mit einem sonst gut flockenden Serum mehr
anstellen. Das Toxin soll in dieser Hinsicht nach Ramon hitzeempfind-
licher sein, als das Antitoxin.
Gerade so, wie einem erhitzten Serum, läßt sich auch bei einem er-
hitzten Gift, solange die Erhitzung die antitoxinbindenden Eigenschaften
nicht zerstört hat, der Lf-Wert dadurch bestimmen, daß man es zu gleichen
Teilen mit einem frischen bekannten Gift versetzt und das Gemisch mit
einem Prüfungsserum zur Flockung bringt. Die Flockung ist aber zeitlich
gegenüber der mit dem frischen Serum verzögert.
Das Alter spielt bei Giften nicht eine so große Rolle, wie beim Serum.
Mit dem Alter ändert sich auch, wie wir oben sahen, der Lf-Wert eines
Giftes, aber selbst das 20 Jahre alte Di-Gift 7 gibt noch eine kräftige
Flockung. Bei einem noch älteren Gift konnten wir allerdings keine
Flockung mehr erzielen, aber dies mag daran liegen, daß das Gift ursprüng-
lich auch nicht sehr hochwertig war. Sicher ist auf jeden Fall, daß unter
sonst gleichen Bedingungen bei älteren Giften die Flockung verzögert ist.
Den Entgiftungsprozeß durch Formol möchten wir nicht dem bei der
spontanen Entgiftung durch Lagern gleichsetzen*). Auch mit Formol
behandelte Gifte geben noch eine Flockung, selbst wenn sie für Meer-
schweinchen ihre toxische Wirkung verloren haben (Ramon)?).
Wir fanden auch bei diesen Giften die Flockung verzögert, und zwar
um so mehr, je stärker die Formoleinwirkung war, wie folgende Versuchs-
niederschrift zeigt, so daß wir glauben, daß nach genügend langer Ein-
wirkung keine Flockung mehr zu erzielen ist. Trotzdem kann auch dann
noch durch das Mischverfahren mit frischem Gift der Lf-Wert des formol-
behandelten noch festgestellt werden (Ramon).
1) Ramon, Annal. de l’Inst. Pasteur 1925, 39, Nr. 1 und C. rend. de l'Acad.
des sciences 1924, 179, 442.
2) Für unsere Annahme, daß die Entgiftung durch Formol ein anders-
artiger Prozeß ist, wie die spontane Abschwächung durch Altern, sprechen auch
die Beobachtungen Ramons bei der Erhitzung von gewöhnlichem Gift und mit
Formol behandeltem Gift. Gewöhnliches Gift, 1 Stunde lang auf 65—70° ge-
bracht, ist nicht mehr toxisch und bindet und flockt nicht mehr. Mit Formol
behandeltes Gift ist nach gleicher Erhitzung ebenfalls ungiftig und hat seine
bindenden und flockenden Eigenschaften verloren. Aber letztere Fähigkeiten
kommen mit der Zeit langsam wieder, so daß 30 Tage später die Flockung und
Bindung in gleichem Maße wie vor dem Erwärmen vorhanden ist. Dabei bleibt
das Gift nach wie vor atoxisch.
Nach Baecher, Kraus und Löwenstein (Zeilschr. f. Immunitätsforsch.
1925, 42, 350) geht bei mit Formol entgifteten D-Giften die Flockungsfähigkeit
nicht mit der Bindungsfähigkeit einher. Meist ist die flockende Eigenschaft gul
erhalten, aber die antigene (bindende) Eigenschaft sehr beeinträchtigt. (Ursache?)
Von Dr. Hans Schmidt und Dr. Wilhelm Scholz, 299
Di-Gift 344 wurde 14 Tage bei 37% gehalten mit einem Formolzusatz
von 0 0.2 0,4 > 1,0%
nach 5 Stunden 12 Stunden 2 Tagen 4 Tagen
Flockung Flockung Flockung Trübung
Der Lf-Wert blieb der gleiche.
Wir müssen also wie im Serum so auch im Gift für denjenigen Bestand-
teil, der sich an der Flockenbildung beteiligt, einen bestimmten physika-
lischen Zustand annehmen, der notwendig vorhanden sein muß, damit die
Giftkomponenten und Antitoxine, die sich binden, auch auszuflocken
imstande sind. Nun kennen wir einen dem Euglobulin des Serum ent-
sprechenden Bestandteil des Diphtheriegiftes nicht. Vielleicht sind es aus-
gelaugte Bakterienproteine, vielleicht aber auch die Giftbestandteile
selbst, soweit sie als Toxone, Toxine und Toxoide an der Flockung teil-
nehmen.
Da jedes Di-Bouillongift gelöste Bakterienproteine enthält, und anderer
seits bei der Immunisierung mit Bouillongift notwendigerweise auch Anti-
körper gegen die Bakterienproteine gebildet werden, so ist nicht ausge-
schlossen, daß bei der Toxin-Antitoxin-Flockung auch eine Bakterien-
proteinpräzipitation beteiligt ist. Es sind Versuche im Gange, um zu ent-
scheiden, inwieweit letzteres zutrifft.
Die Flockungszone ist nach beiden Seiten begrenzt. Man kann an-
nehmen, daß auf der antitoxischen Seite das Serumeiweiß, wenn es in
genügender Menge vorhanden ist, als Schutzkolloid wirkt, besonders als
Albumin, dessen Schutzwirkung auf das Euglobulin ja bekannt ist, und
daß auf der toxischen Seite die peptonartigen Bouillonstoffe den Schutz
vermitteln. Was die Zeitdauer bis zum Eintritt der Flockung betrifft, so
wird diese durch alle Faktoren verlängert, welche die fällende Wirkung
der Globuline verringern und die stabilisierende Wirkung der Albumine
erhöhen.
Wenn wir uns von dem Flockungsvorgang das Bild machen, daß sich
Gift mit Antitoxin bindet, und daß sich an diese Bindungen Euglobuline
anlagern und dadurch erst ein sichtbares Ausfallen in Flocken ermög-
lichen und uns dabei vorstellen, daß entweder Albumine des Serums oder
Bouillonstoffe des Di-Giftes, wenn in gewissem Maß vorhanden, die Eu-
globuline schützen und so die Agglomeration verhindern, dann dürfen wir
nicht vergessen, daß es zurzeit noch nicht möglich ist, die Flockung mit
reinem Antitoxin und mit reinem Gift anzustellen. Stets bleibt vorderhand
das Antitoxin mit Serumeiweiß (Pseudoglobulin) verbunden und das Gift
mit Bouillonstoffen. Ob mit den reinen Substanzen überhaupt eine Flok-
kung zustandekommt, muß dahingestellt bleiben. Immerhin gibt es Be-
obachtungen, die dafür zu sprechen scheinen. Wenn man nämlich die
Toxin-Antitoxin-Flocken gründlich in NaCl-Lösung, in der sie unlöslich
sind, von allen Begleitstoffen von Bouillon und Serum wäscht, und dann
in reiner NaCl-Lósung suspendiert, dann haben wir den gebundenen
Toxin-Antitoxin-Komplex in bisher reinster Form höchstens mit Spuren
von Eiweiß vor uns. Durch Zusatz von Na OH läßt sich eine klare Lösung
erzielen. Titriert man nun mit HCl zurück, so bleibt die Lösung noch
300 -Kenntnis der Eigenschaften von Diphtherie-Toxin-Antitoxin-Gemischen.
klar bei einer Ph = 8,4—8.0. In welcher Form die Toxin-Antitoxin-
Bindung in dieser Lösung ist, läßt sich noch nicht mit Sicherheit angeben.
Wäre die Bindung getrennt, dann wäre es erstaunlich, daß ein Meer-
schweinchen mehrere ccm einer solchen doch rel. viel Gift enthaltenden
Lösung verträgt, abgesehen von der durch die Alkaleszenz Ph = 8,4 her-
vorgerufenen Gewebsreizung. Nach einiger Zeit, ca. 10 Tagen, kommt es
in der vorher ganz klaren, durch Seitzfilter filtrierten Lósung zur Bildung
spärlicher Flocken. Bringt man nun die Lösung durch HCl-Zusatz an-
genähert zum Neutralpunkt, so bildet sich die ursprüngliche Flocken-
menge langsam wieder. War der T.A.Komplex dissoziiert, dann hätten
wir einen Flockungsvorgang, wobei Toxin und Antitoxin in zumindesten
sehr gereinigter Form beteiligt waren. Man kann aber auch annehmen,
daf die Flocken durch NaOH-Zusatz nur sehr fein dispergiert wurden,
ohne daß sich die T.A.-Bindung als solche trennte, dann würde die Flockung
einer Aggregation im isoelektrischen Punkte entsprechen, analog dem Ver-
halten von Casein.
Zusammenfassung.
Die Flockung einer neutralen Di-Toxin-Antitoxin-Mischung wird durch
Erwärmen begünstigt. Zum Zustandekommen der Flockung müssen sowohl
das Serum als auch das Gift bestimmte Eigenschaften haben, die uns aber
zum größten Teil noch unbekannt sind. Beide Komponenten der Reaktion
flocken am besten in möglichst frischem Zustande. Beim Serum ist wahr-
scheinlich ein gewisser Gehalt an labilem Euglobulin für das Auftreten
von Flocken maßgebend. Aber beim Serum müssen noch andere Faktoren
mitsprechen, da einmal Di-Rinderserum trotz seines Euglobulingehaltes
nur schlecht flockt und andererseits zwischen frischen Seren gleicher
Stärke bei der Flockung mit dem gleichen Gift beträchtliche zeitliche
. Unterschiede vorhanden sind. Sowohl beim Serum wie auch beim Gift
verzögern und verhinden unter Umständen Erhitzen und Altern den
Eintritt der Flockung. Auch Formolbehandlung des Giftes wirkt in glei-
chem Sinne. Welcher Faktor für das Zustandekommen der Flockung beim
Di-Gift nötig ist, ist noch unbekannt.
Bei Seren und bei Giften, die keine Flockung mehr geben, läßt sich
durch Mischen mit einem frischen Serum bzw. Gift eine Ausflockung des
Gemisches erzielen und eine Wertbestimmung durchführen. Die Größe
der Flockungszone hängt weder von der toxischen und bindenden Fähig-
keit des Di-Giftes noch von dem Antitoxingehalt des Serums ab, sondern
wird durch die Schutzwirkung sowohl der Serumalbumine als auch der
Peptonbouillonstoffe bestimmt.
Druckfehler-Berichtigung zur IVten Mitteilung.
Seite 189 Zeile 7 von oben muß heißen:
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in Zeile 21 statt 0,103 muß heißen: 0,0716;
in Zeile 22 statt 500 muß heißen: 340.
Klinische Beobachtungen an Bleikranken.
Von
Dr. J. G. Gelman.
(Aus dem Obuch-Institut fúr das Studium der Berufskrankheiten in Moskau.)
(Bei der Redaktion eingegangen am 17. Oktober 1925.)
Die vorliegende Arbeit gründet sich auf die Untersuchung von:
1. 74 Patienten, bei denen die Diagnose Bleivergiftung im Institut gestellt
worden ist; darunter waren 16 schwere mit Bleikolik, hochgradiger Anämie
- und Polyneuritis einhergehende. 2. Von 36 Arbeitern einer Gummischuh-
walzfabrik. 3. Von 45 Arbeitern einer Bleiweißfabrik (mit Unterstützung
der Gewerbehygieniker W. A. Lewitzky und B. Koyranska und des
Trusts „Lakokraska‘‘ durchgeführt). 4. Von 979 Setzern aus Moskauer
Druckereien.
I. Die Bleianämie. Der Hämoglobingehalt ist unserer Meinung nach
ein recht wertvoller Index der Bleieinwirkung auf das Blut. Seine Ver-
minderung verläuft im allgemeinen der Stärke der Bleieinwirkung ziemlich
parallel.
Eine häufige Hämoglobinbestimmung ist uns daher eine ausgezeichnete
Orientierungsmethode.
Resultate der Blutuntersuchung bei den verschiedenen Gruppen der Blei-
arbeiter. l
a) Hämoglobingehalt in Prozenten.
E
Gummi- |
ee | m Arbeiter
er | schub- 1. >
Bleiweiß-|Kreide-
“o arbeiter (Abt. | Abt.
26 45
Hb Sahli bis 60
80-70
70—80
80 und darüber
302 . Klinische Beobachtungen an Bleikranken.
b) Prozentzahl der Arbeiter, bei denen basophil gekórnte Erythro-
zyten beobachtet wurden.
Maschin.-| Hand- | Arbeiter | Stereo- | Blei- Keeser Arbeiter
|
Schrift- | setzer d. Se typ- ¡ löter | schuh- o.
setzer Abt. | Gießer | arbeiter 'Bleiweiß-Kreide-
B. E. überhaupt
beobachtet
B. E. mehr als
100 auf 1 Mill.
Eine Proportionalität zwischen Hb-Gehalt und Menge der basophilen
Erythrozyten im Blut ist demnach nicht festzustellen. Bei einem und dem-
selben Kranken können auch die basophilen Erythrozyten bald mit einem
hohen, bald mit einem niedrigen Hb-Gehalt des Blutes verbunden sein.
Die b. E. sind weder ein spezifisches noch ein pathognostisches Symptom
der Bleivergiftung. Sie werden bei den regenerativen Anämien verschie-
dener Herkunft (Arsenwasserstoff-, Anilin-, Zinkdampfvergiftung) bei
Arbeitern der verschiedensten Gewerbe getroffen, wie das die Metallgießer-
arbeiten des hämatologischen Laboratoriums unseres Instituts (Leiter
E. O. Freifeld) gezeigt haben. Immerhin werden die b. E. beim Eindringen
des Bleies in den Organismus öfter getroffen und treten früher auf als bei
anderen chronischen Vergiftungen.
Die Vermehrung der vitalen Erythrozytenkörnung (substantia reti-
culo-filamentosa) verläuft im allgemeinen der Verminderung des Hb-Ge-
halts und dem Auftreten der b. E. parallel, was klinisch als ein Beweis der
regenerativen Bedeutung der vitalen Körnung anzusehen ist (L. Bogo-
lepowa).
Der Zusammenhang zwischen den verschiedenen Erscheinungen der
Bleianämie ist aus der folgenden Tabelle zu ersehen:
Morphologie des Blutes bei 48 Arbeitern der Bieiweißfabrik.
(Der Haemoglobingehalt wurde nur bei 15 untersucht.)
A ne nn en PP ` ee um
Vitalkörnung
Basoph. Körnung
Polychromasie Akt. gr. Neutr.
30—40 13% | +44 18% HHH 7544441 +++ 2%
40—50 27, +++ Së, +++ 15.0%| +++ 27,5) ++ 5%
50—60 20%: 444% | 44 20,0%) ++ 27,5% + 25%,
60—70 409, | + 7% | + 50,0%, + 10,0%| abs. 68%,
ES | fehlt 7% | fehlt 1,5% N 27,0% | zz
Als Ursache der Bleianämie ist hämolytische Bleiwirkung anzunehmen
(K. Chartschenko). Außer den obengenannten anämischen Verände-
rungen konnte noch eine Vermehrung des Bilirubins im Blute, des Uro-
bilins und des Hämatoporphyrins im Harne, ferner eine Veränderung der
Resistenz der roten Blutkörperchen (Chartschenko) beobachtet werden.
Von Dr. J. G. Gelman. , 303
Bilirubin wurde im Blute fast bei allen Bleikranken in vermehrter
Menge (anstatt normal 6 mg 12,5 bis 50 mg in 100 ccm), und zwar stets
in der „dynamischen“ (nach Lepehn ,,funktionellen*) Modifikation an-
getroffen. Das beweist seine hämolytische und nichthepatogene Herkunft.
Im gleichen Sinne spricht die Tatsache, daß die in einer großen Zahl im
Institut durchgeführten Funktionsprüfungen der Leber (mit Galaktose)
negativ ausfielen (Chartschenko).
Bei allen Bleikranken (außer zwei) wurde Anwesenheit der Leber-
lipase nachgewiesen, was nach Rona, Schreiber und Meyer als Beweis
der gestörten Leberfunktion zu gelten hat (Omeljanowa—Pawlenko).
Hämatoporphyrin wurde sehr oft im Harne bei Bleikranken in einer `
die Norm übersteigenden Menge angetroffen. Wir bestimmten jeweils,
wie vielfach der Harn verdünnt werden mußte, um das Hämatoporphyrin-
spektrum zum Verschwinden zu bringen. Sechsfache Verdünnung kann
noch als normal gelten.
Bei 37 Bleikranken wurde als Verdünnungsfaktor festgestellt:
in 8 Fällen — — 0,
in 6 m — — bis 6,
in 15 ,„ — — bis 7—10,
in 8 „ == — bis 11—17.
Besonders interessant war die Verteilung des Hp bei den 16 schweren
Bleikranken:
in 1 Fall —- — 0,
in 3 Fällen - ~- -— 4—6,
in 6 da — — 9—12,
in 3 ,, -— — 13—15,
in 3 ,, — -— 16—17.
Einige Male erschien Hp erst nach Aufhören jeder Bleizufuhr (in der
Klinik); seine Menge stieg dann sogar noch an; meistens aber hat sich die
Hp-Menge nach Herausnahme aus dem Betrieb vermindert.
Bei der Mehrzahl der Bleikranken wird erhöhter Urobilingehalt des
Harns gefunden, der teilweise mit der Hämolyse, teilweise mit den Stö-
rungen der Leberfunktion zusammenhängt. Von den 14 Fällen schwerer
Bleivergiftung war Urobilin in 11 Fällen vermehrt. Bei den 3 negativen
Fällen wurde das Urobilin vielleicht als Urobilinogen ausgeschieden, das
mit den gewöhnlichen Methoden der Urobilinbestimmung nicht nach-
gewiesen werden kann.
Klinisch äußert sich die Bleianämie durch: 1. Blässe der Haut (nicht
zu verwechseln mit Bleikolorit). 2. Verschlechterung des Ernährungs-
standes (allgemeine Abmagerung, Verlust des Fettpolsters und Muskel-
schwund). Die von uns untersuchten Kranken hatten nach Pirquet
einen Index von 92—100, die Mehrzahl wies weniger als 95 auf. 3. Die
gewöhnlichen nervösen Symptome der Anämie (Schwindel, Kopfschmerzen,
Schwächegefühl). 4. Ikterische Sklerenverfärbung (Bleiikterus). Bei den
45 Arbeitern der Bleiweißfabriken wurde dieselbe in 60% festgestellt.
Die Erscheinungen der Anämie verschwinden nach der Entfernung
aus dem Bleibetrieb sehr langsam. Besonders hartnäckig bleiben die
Hb-Verminderung und die b. E. Das wird wahrscheinlich durch wieder.
304. Klinische Beobachtungen an Bleikranken.
mobilisierte Bleiablagerungen im Organismus bedingt (Leber und Knochen,
A. Minot und J. Aub)...
Was die Veränderungen des weißen. Blutbildes anbetrifft, so ist uns
etwas für die Bleivergiftung Charakteristisches nachzuweisen nicht ge-
lungen.
II. Der Bleisaum und die Alveolar-Pyorrhoe. Der Bleisaum
begleitet sehr oft die Bleivergiftung, stellt aber keinenfalls ein Früh-
symptom derselben dar. Bei vielen Fällen von zweifellosem Saturnismus
fehlt er vollkommen; bei den 45 Arbeitern der BleiweiBfabrik z. B. in 27%,
bei den 74 Kranken, die der Bleivergiftung verdächtig waren, in 21%, ja
sogar bei den 16 Schwerkranken in 30%.
Unserer Meinung nach erfolgt die Bleiausscheidung in die Mundhöhle
durch die Speicheldrüsen. Als Beweis dieser Herkunft des Bleisaums
dient uns das Auftreten von typischen graulilafarbenen Flecken um die
Ausführungsgänge der Speicheldrüsen herum und an anderen Stellen der
Schleimhaut der Wangen, was wir in 25°, der Fälle beobachten konnten.
Wir sehen keinen prinzipiellen Unterschied zwischen den Bleisäumen
I. und II. Grades (Legge).
Häufigkeit des Bleisaums bei verschiedenen Arbeitergruppen.
Fach
45 Arbeitern der Bleiweißfabrik .
74 Bleikranken der Klinik
737 Handschriftsetzer . e
46 Arbeiter der Schriftsetzerabteilung :
11 Schriftgießer e
40 Stereotypgießer
67 Maschinensetzer .
26 Arbeiter der Gummischuhwalzfabrik
Wir haben bei 64%, von den von uns untersuchten Bleiweißarbeitern
Alveolar-Pyorrhoe beobachtet. Ihr Auftreten hängt wahrscheinlich mit
der Bleiablagerung bei der schlechten Reinhaltung des Mundes zusammen.
Das wird durch die Tabelle wahrscheinlich gemacht, die die Verbreitung
derselben bei den von uns untersuchten Berufsgruppen veranschaulicht.
Verbreitung der Pyorrhoe.
—_— E y = e = 1202000 me ee e
Die untersuchten Fachgruppen e | an rar
Arbeiter der Bleiweißfabrik
Maschinensetzer ` .... ...... . . ..
Handsetzer ` e. 00: u ss... es E
Stereotypgieber . . a 2 2 2 2 2 nenne.
Schriftgieber . . ......... . .. ..
Arbeiter der Setzerabteilung
An Stelle der Pyorrhoe fanden wir bei den Bleikranken oft auch andere
Entzündungszustände des Zahnfleisches, die die gleiche Ursache haben.
Von Dr. J. G. Gelman. 305
IH. Die Bleieinwirkung auf Organsysteme. Im Blute kreisend,
übt das Blei seine Wirkung auf eine Reihe von Organsystemen aus. Ge-
fäße, Nervenapparat (zentraler und peripherer), Parenchym der Organe
und Epitelialelemente — alle zeigen mehr oder weniger die Spuren der
Bleiwirkung. Den Ort der Primäraffektion zu bestimmen, ist schwierig.
A. Magendarmtrakt (mit Bleikolik). Die Bleiwirkung auf den
Magen drückt sich zuerst durch Störung seiner sekretorischen Funktion
aus.
Untersuchung des Mageninhalts auf freie Salzsäure bei 86 Bleikranken nach
Probefrühstück.
0 bei 11 Fällen
5--15 bei 10 „, | 27%
15—40 bei 30 „, 28%
(d. h. ungefáhr normal)
44--50 bei 17 Fällen
51--70 bei 18 ,, } 45%
Desgleichen bei den 18 Sehwerbleikranken:
Freie Salzsäure von 0—15 bei 64%
Freie Salzsáure von 15—-40 bei 29%
Freie Salzsäure über 41 bei 79:
Obwohl die Zahlen für bindende Schlüsse zu klein sind, möchten
wir für wahrscheinlich halten, daß die Bleiwirkung auf die Magensaft-
sekretion zweiphasisch ist. Zunächst wird die Säuresekretion angeregt,
später gehemmt. |
Wir haben bei unseren 74 Kranken auch eine beträchtliche Menge
von Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüren beobachtet (10 bzw. 13%),
die wohl auf Sekretionsstörungen, Vasokonstriktion und damit auf Blei-
wirkung zu beziehen sind.
Die bei 6 von 74 Patienten beobachteten dyspeptischen Beschwerden
sind wohl funktioneller Natur. Dafür sprechen die Arbeiten des physio-
logischen Laboratoriums unseres Instituts (J. B. Razenkow) über Sekre-
tionsveränderungen beim Hund unter Einwirkung des Bleies.
Die Anamnese von 20 Arbeitern aus Bleiweißfabriken (stärkste Blei-
einwirkung!) ergab, daß Verstopfungen und Durchfälle verhältnismäßig
selten waren (ungefähr 20%), Bleikoliken dagegen häufiger (60%, und
höher)!). Die Bleikoliken und die sie begleitenden Verstopfungen gehören
demnach nicht in die Reihe der chronischen Enterokoliken (spastisch und
katarrhalisch), sondern sie treten plötzlich auf unter der Einwirkung
der kumulierenden Reizung der peripheren Nervenknoten und haben
mit den IFxazerbationen der chronischen pathologischen Zustände im
Darm der Bleikranken nichts zu tun, sondern sind Ausdruck einer all-
gemeinen Bleivergiftung. Es sind dazu verhältnismäßig große Mengen
von Blei notwendig. Solange in unserer Gummischuhwalzfabrik außer `
Bleioxyd auch Bleiweiß zur Verwendung gekommen war, beobachteten
wir massenhaft Bleikoliken. (Der Bleiweißstaub ist der feinste Bleistaub,
seine Teilchen sind kleiner als ein x.) Sobald jedoch das Bleiweiß aus
1) Ähnliche Beobachtungen machte kürzlich Dr. Bibikow.
Archiv f. Hygiene. Bd. 96. 23
306 . Klinische Beobachtungen an Bleikranken.
der Fabrikation ausgeschlossen und nur noch Bleioxyd verwendet wurde,
verschwanden die Bleikoliken. Andere Manifestationen der Bleivergiftung
(Anämie mit niedrigem Hb-Gehalt und b. E., Magensekretionsstörungen)
blieben dagegen bestehen.
Daß das Auftreten der Bleikoliken in erster Linie von der Einatmung
großer Bleimengen abhängig ist, zeigt die Monatsverteilung der Blei-
koliken ın einer Bleiweißfabrik (N. J. Bibikow). Die meisten Erkran-
kungen fielen auf November (9), Januar (14), Februar (8), März (8), d.h.
auf die Monate, in denen die Ventilation am schlechtesten und demnach
die Einatmung des BleiweiBes am stärksten war. In der Abteilung, wo
Bleiweiß hergestellt wird, machten von 12 Arbeitern binnen einem Jahr
8 die Krankheit durch, 3 weitere hatten Anfälle.
Der Alkoholismus erniedrigt wahrscheinlich die Resistenz des Organis-
mus gegen Blei, die Konstitution scheint überhaupt sehr wichtig.
Die Zeit der Bleieinwirkung schwankt in den bei uns untersuchten
Fällen von 5 Monaten bis zu 22 Jahren. In dieser Beziehung ist ein Fall
interessant: bei einem Meister der Bleiweißfabrik trat im 23: Arbeitsjahr
zum erstenmal Kolik auf. Auch nach Aufhören der Bleizufuhr konnten
wir noch Bleikolik sich einstellen sehen.
Die Häufigkeit der Rezidive von Bleikolik bei 25 Patienten.
Je 1 Anfall der Bleikolik haben 17 Arbeiter gehabt,
2: >) , > 313 2 > 39
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Die Dauer des Kolikantfalls.
Der Anfall dauerte von 3—4 Tage — 2mal,
sn „ an ” 9—7 IT Ke 16mal,
zi „ 3? nn 19 TI Kees 4mal,
,) H D H 18 „ SE 1 mal.
Die Prodrome der Bleikolik sind Pulsverlangsamung, Erhóhung des
Blutdrucks, schwerer benommener Kopf, schlechter Appetit und Apathie.
Manchmal wird zäher Speichel (sympathische Innervation) und starke
Zahnfleischschwellung (verstärkte Bleiausscheidung) beobachtet. Nicht
selten kommen vor oder während der Bleikolik Myalgie der Lendenmuskeln
und Verstärkung der Bauchreflexe vor. Während des Bleikolikanfalls ist
der Blutdruck stark erhöht.
Die Bleikolik gehört zu den verhältnismäßig häufigen Erscheinungen
der Bleivergiftung. Von den 74 Kranken, die die Klinik passierten, haben
16 Bleikolik gehabt. Eine annähernde Vorstellung von der Häufigkeit
dieses Symptoms können auch folgende Zahlen geben, die die Bleiweiß-
fabriken betreffen: unter den 350 Arbeitern der einen Fabrik wurden in
einem Jahre 62 Fälle und unter den 300 Arbeitern der anderen 48 Fälle
beobachtet. (Dr. Bibikow).
Von Dr. J. G. Gelman. 307
Blutdruek bei 19 Bleikranken der Institutsklinik während der Anfälle.
Nr. | Max. | Min. | Dirterenz | Nr. | Max. | Min. | Dirterenz
e | w e
9 150 10 80
10 151 81 70
11 143 ' 84 ` Sp
12 14 | 85 ' 5
13 137 | 8l 56
14 138 | 87 51
Die Hypertonie, die die Bleikolik begleitet, steigt während des ganzen
Anfalles an und fällt gegen das Ende steil ab. Dabei kehrt auch der Puls
zur Norm zurück. Auf der Höhe des Anfalles beobachtet man manchmal
Erbrechen und Aufstoßen. Manchmal wird die Bleikolik von Oligurie,
ja sogar vorübergehend von Anurie begleitet; dabei bestand in einem Falle
Harndrang.
Muskelkrämpfe (besonders der Waden) und Muskelschmerzen be-
gleiten häufig die Bleikolik; sie sind wahrscheinlich auch neuro-spastischer
(ischämischer) Herkunft. Die Temperatur bleibt oft während des ganzen
Anfalles normal, manchmal zeigt sie geringe Steigerungen bis 37,8.
Die Bleikolik beruht auf Neurospasmus des Darms, bedingt durch
die kumulierende Wirkung des im Blut kreisenden Bleies auf die Bauch-
nervengeflechte und -knoten, und zwar hauptsächlich auf die sympathi-
schen vasokonstriktorischen. Dieser Gefäßkrampf der EES ruft
ischámische Kontrakturen des Darms hervor.
C. Harnausscheidungs-Apparat. Bei einem Teil der Kranken
(ca. 20) der Klinik wurde eine Priifung der Nieren vorgenommen (nach
Volhard und Fahr).
Die Konzentrationsprobe fiel bei 18 d.h. 90% negativ aus,
die Konzentrationsprobe fiel bei 2 d. h. 10% genügend aus,
die Wasserprobe fiel bei 11 d.h. 61% negativ aus,
die Wasserprobe fiel bei 7 d.h. 39% genügend aus.
Eme so häufige Funktionsstórung der Nieren, besonders in der Rich-
tung der Konzentration des Harns ist kein Zufall; sie geht jedoch nicht
der Zahl der Nephritiden respektive Nephrosen parallel. Von den 74 Kranken
konnten bloß bei drei Erscheinungen von Nephritis oder Nephrose nach-
gewiesen werden. Eiweiß fand sich bei den Bleiarbeitern nicht häufiger
als bei anderen Arbeitern im Harn.
D. Herz- und Gefäßsystem. Auch Blutdrucksteigerungen trafen
wir bei den Bleiarbeitern nicht häufiger als bei anderen Berufsarbeitern.
Im Gegenteil erwecken unsere klinischen Erfahrungen den Eindruck, als
ob eine gewisse Neigung zu Hypotonie bestehe. Wenn von den Bleikoliken
abgesehen wird, so wurde unter den 74 Kranken ein Blutdruckmaximum
von 131—140 nur in einem Fall, ein solches von über 140 in fünf Fällen
beobachtet. Von 20 Arbeitern der Bleiweißfabrik hatten ein Blutdruck-
maximum von 131- 140 ein Arbeiter, ein solches von über 140 drei Ar-
beiter. Von 236 Handsetzern hatten 131- -140 7%, über 140 7,2%...
308 Klinische Beobachtungen an Bleikranken.
Die Hypertonie bei der Bleikolik ist nur eine Episode, die nach SchluB
des Anfalles wieder verschwindet. Die Blutdruckuntersuchungen, die bei
1200 vergleichsweise herangezogenen Arbeitern verschiedenster Berufs-
arten durchgeführt wurden, haben ein Maximum von 131—140 bei 15%,
und ein solches von über 140 bei 7,6%, ergeben. Dafür daß kein dauernder
spastischer Zustand der Gefäße besteht, spricht auch das normale Blut-
druckminimum der Kranken unserer Klinik, das zwischen 41 und 80
schwankte.
E. Leber. Das vom Magendarmtrakt resorbierte Blei passiert die
Leber, wird von dieser teilweise mit der Galle ausgeschieden, teilweise
zurückgehalten; nur ein unbedeutender Teil dringt in den allgemeinen
Blutstrom. A. Kabanow zeigte im physiologischen Laboratorium des
Instituts an der isolierten Kaninchenleber, daß dieses Organ das Blei
zurückhält; hierdurch wird die Leber zweifellos in ihrer Funktion beein-
trächtigt; außerdem sind ja die Kupfferschen Sternzellen der Leber
bei der erhöhten Hämolyse stark belastet. Von den 20 von uns unter-
suchten Bleiweißarbeitern hatten 5 vergrößerte schmerzhafte Leber; bei
den 16 an schwerer Bleivergiftung leidenden Personen war die Leber in
vier Fällen vergrößert. Die Untersuchung des Blutes der Arbeiter, die der
Bleivergiftung verdächtig waren, auf Vorhandensein von Leberlipase fiel,
wie schon erwähnt, in allen Fällen (außer zwei) positiv aus; die Galaktose-
probe war in allen Fällen negativ. Die Milz wurde in fünf Fällen vergrößert
gefunden (13%).
F. Nervensystem. Außerordentlich häufig trifft man in der Sympto-
matologie der Bleivergiftung verschiedenartige nervöse Beschwerden,
Kopfschmerz, Schwindel, erniedrigte Arbeitsfähigkeit, pathologische Er-
müdbarkeit usw. Einige dieser Symptome dürften auf den anämischen
Zustand des Gehirns zurückzuführen sein, manche aber, wie z. B. die Kopf-
schmerzen, sind so hartnäckig, daß cs wohl erlaubt ist, an eine direkte
Bleiwirkung auf das Zentralnervensystem oder seine Gefäße zu denken.
Die experimentellen Arbeiten aus dem Laboratorium von K.B. Lehmann
haben ja auch gezeigt, daß langdauernde Zuführung von Blei bei Tieren
organische Veränderungen in den Nervenzellen hervorruft.
Oft zu beobachtende Funktionsstörungen der verschiedenen Organe
(Magen, Darm, Nieren usw.), ohne erkennbare anatomische Veränderungen,
legen nahe, daß wir es auch hier mit der Wirkung des Bleis auf die Inner-
vation dieser Organe, in erster Linie auf deren Ganglienapparat zu tun
haben (vgl. das oben über Bleikolik Gesagte!). Als cine andere für Blei
spezifische Nervenerkrankung ist die Polyneuritis zu betrachten (Nerven
der Hand- und Fingerextensoren). Diese Komplikation der Bleivergiftung
wird jedoch seltener als andere getroffen. So haben wir bei den 350 Ar-
beitern der Bleiweißfabrik, von denen binnen einem Jahr 62 Bleikoliken
und fast alle Anämien hatten, bloß in drei Fällen Bleilähmung beobachtet
(zwei am Vorderarm und einer an der Schulter). Die Nervenschädigungen
bei Bleivergiftung können sich aber nicht nur in Polyneuritis mit den
scharf ausgeprägten Erscheinungen der Parese ausdrücken, sondern auch
in Neuritis, die nur Schmerzen im Verlauf des Nervenstammes hervor-
ruft, ohne motorische Schädigungen zu machen. Das Symptom der sog.
Von Dr. J. G. Gelman. | 309
Extensorenschwäche, welcher manche Autoren (Legge, Teleky) die Be-
deutung eines kardinalen und frühen Symptoms der Bleivergiftungen zu-
zuschreiben geneigt sind, haben wir bloß in den Fällen von scharf ausge-
prägter Polyneuritis, und zwar außerordentlich selten beobachtet. Wir
können kein Frühzeichen der Bleierkrankung im Sinne von Teleky darin
sehen. Dasselbe gilt für die Atrophie der Interossei und der Extensoren
der Hand. Diese Erscheinung haben wir auch nur entweder bei der all-
gemeinen Muskelschwäche oder bei stark ausgesprochener Polyneuritis
angetroffen. |
Die Kraft der Hand war bei der überwiegenden Mehrzahl der Arbeiter
normal; in keinem einzigen Fall eine pathologische Herabsetzung der
Muskelkraft der Hände.
Kraft der Hände, mit dem Dynamometer von Kollin ge-
messen, bei 14 Bleiweißarbeitern.
(Rechts/links.)
39/39, 38/33, 52/48, 45/39, 30/33, 40/30, 42/40, 40/35, 26/24, 30/35,
34/28, 45/46, 40/45, 30/36.
G. Physikalisch-Chemische Blutveränderungen. Wir haben
zunächst die Blutviskosität mit dem Apparat von Heß an 15 Kranken
bestimmt.
(Normal für Männer 4,6, für Frauen 4,2.)
1. 5,0, 6. 49, 1. 47,
2. 47, 2 46, 12. 44,
3. “ha, 8. 48, 13. 48,
l A 6,2, 92.37 14. 42,
5. 5,8, 10. Ah, 15. 70.
Es ergibt sich also nichts für Bleivergiftung Charakteristisches. 9 Pa-
tienten haben eine gewisse Erhöhung, 5 eine gewisse Erniedrigung der
Blutviskosität ergeben. — Die Senkungsgeschwindigkeit der roten
Blutkörperchen (nach Westergreuz) blieb in den normalen Grenzen (2 bis
6 mm), und nur einmal während eines schweren Bleikolikanfalles zeigte
sich eine Erhöhung bis zu 12mm. — Die Resistenz der roten Blut-
körperchen (nach Schustrow) wurde bei 15 Kranken untersucht. Die
maximale und die minimale Resistenz war sehr oft von der Norm (34 bis
48) verschieden, und zwar die minimale bis auf 24 erniedrigt und die maxi-
male bis auf 56 erhöht IR Chartschenko). — Der Kalziumgehalt
wurde nach Kramer bei vier Kranken bestimmt. In zwei Fällen konnte
eine beträchtliche Erhöhung desselben nachgewiesen werden; während
9,2—10,8 mg in 100 ccm als normal zu gelten haben, fanden wir in einem
Fall von schwerer Bleikolik 14,85, in einem Fall von schwerer Bleianämie
13,3. — Im Kaliumgehalt ergaben sechs Untersuchungen, im Zucker-
gchalt 11, im Cholesteringehalt 13 ziemlich normale Werte; immer-
hin war der Cholesteringehalt in 9 Fällen etwas erniedrigt.
Es ıst also bis jetzt nicht gelungen, etwaige gesetzmäßige Veränderungen
der physikalisch-chemischen Bluteigenschaften bei Bleikranken, die für
die Bleivergiftung charakteristisch wären, festzustellen. Eine gewisse
310 Klinische Beobachtungen an Bleikranken.
Neigung zur Viskositátserhóhung, Cholesteringehalterniedrigung und
Kalziumgehalterhöhung ist das einzige, was aus diesen ersten Unter-
suchungen zu entnehmen ist. Sie sollen fortgeführt werden.
Zusammenfassung.
Die klinische Analyse unserer nicht sehr zahlreichen Beobachtungen
führt zu folgenden Schlüssen:
1. Die toxische Bleiwirkung erstreckt sich auf eine Reihe von Or-
ganen, indem sie in den einen anatomische, in den andern nur funktio-
nelle Veränderungen hervorruft.
2. Am stärksten ist die Wirkung des Bleis auf das Blut. Die Blei-
anämie ist der häufigste und früheste Ausdruck der Bleiwirkung.
3. Nur wenig geringer geschädigt wird das Nervensystem, sowohl
das zentrale als auch das periphere (Ganglien). Die sich daraus ent-
wickelnden Innervationsstörungen führen zu Störungen der Magensekretion,
der Nierentätigkeit, zu akuten Gefäßstörungen und zu akuten neuro-
spastischen Krisen (Bleikolik).
4. Das Gefäßsystem wird sowohl funktionell (neurospastisch), als
auch anatomisch (Endarteritiden, Hämorrhagien) geschädigt. Hypertonie
wird bei Bleiarbeitern nicht häufiger als bei anderen Berufsarten ange-
troffen.
5. Weiter schädigt Blei die Zellen der parenchymatösen Organe
(Leber, Nieren, Herzmuskeln usw.) und führt zu trophischen Verände-
rungen des Herzmuskels und zum Schwund des Fettpolsters.
6. Die „Kardinalsymptome“ der Bleivergiftung sind weder beständig
noch unausbleiblich. Sie erscheinen bloß als Episoden in der Kette der
pathologischen Zustände der Bleivergiftung.
7. Die physikalisch-chemischen Blutveränderungen bei Bleivergif-
tung erfordern weiteres Studium.
Zur Chemie des Leichenwachses unter besonderer Berück-
sichtigung der Anaphylaxie.
Von
Dr. E. Remy.
(Aus dem Hygienischen Institut der Universität Freiburg i. B. Direktor: Ge-
heimrat Prof. Dr. P. Uhlenhuth.)
(Bei der Redaktion eingegangen am 31. Oktober 1925.)
Die ersten authentischen Berichte úber Leichenwachs stammen von dem
Franzosen Foucroy, der bei seinen Ausgrabungen auf dem Friedhofe
der Unschuldigen in Paris Fettwachsleichen in großer Zahl antraf. Das
bei diesen Leichen vorgefundene Leichenwachs (Adipocire) beschrieb er
als eine weißgraue, teils weiche, teils trockene, fettartige Substanz, die
sich in poröse Stücke zerbrechen ließ. Im Innern dieser Fettmassen konnte
er weder Reste von Haut, Muskeln, Sehnen, Gefäßen oder Nerven unter-
scheiden. Thouret, der gleichzeitig mit Foucroy Untersuchungen über
Leichenwachs anstellte, kam zu dem Schlusse, daß die Bildung dieses
Wachses lediglich eine Umwandlung des Körperfettes sei, die in der Weise
vor sich ginge, daß zuerst die Haut verseift würde, dann die daranliegenden
Fleischteile. Aber weder über die Umlagerung bzw. Zersetzung der in
der Haut noch im Fleische stets vorhandenen Eiweißstoffe, soweit sie
für die Adipocire-Bildung in Betracht kamen, sprach sich Thouret näher
aus. Auch Chevreul schloß sich bezüglich der Entstehung des Leichen-
wachses den beiden genannten Forschern an, untersuchte dasselbe aber
eingehender, wobei er feststellte, daß Adipocire entweder ein Gemenge
von freien Fettsäuren oder ein Gemenge der Ammonium- resp. Kalkseifen
dieser Fettsäuren darstelle. Spätere Untersuchungen von Wetherill be-
stätigen die Angaben Chevreuls 1).
Eine größere Anzahl von Forschern, so unter anderem Gibbs, Vir-
chow, Kühne, Voit, Kratter, Salkowsky sowie Rubner sprachen
sich dagegen für die Mitwirkung von Eiweißstoffen bei der Leichenwachs-
bildung aus, wobei unter anderem die Beobachtung einer Metamorphose
von Eiweißkörpern aus parenchymatös entzündeten Geweben in Betracht
gezogen wurde. Corin führte die Entstehung des Adipocire auf Autolyse
1) Real-Enzyklopädie der gesamten Heilkunde, Wien und Leipzig 1881,
Bd. 8, S. 209.
312 Zur Chemie des Leichenwachses usw.
Bevor der Prozeß der Fettwachsbildung einsetzt, soll demselben eine
kurze Periode der Fäulnis vorangehen, worauf die Saponifikation in Haut
und Unterhautgeweben beginnt und von hier aus allmählich in die Tiefen
fortschreitet. Damit aber die Saponifikation ermöglicht wird; müssen
große Mengen Feuchtigkeit vorhanden sein, sowie Mangel an Luftzutritt?).
Ferner sollen nach Angaben von M. Rubner bei der Leichenwachsbildung
geeignete Bakterien mitwirken, auch muß die Beschaffenheit des sich
zersetzenden Materials eine bestimmte sein, vor allem soll sie reichlich
Fett enthalten®). Zillner, der sich ebenfalls eingehend mit dem Problem
der Leichenwachsbildung befaßte, verwirft die Möglichkeit einer Bildung
dieser Substanz aus Eiweißstoffen und führt ihre Entstehung auf eine
reine Zersetzung aus Neutralfetten zurück. Hierbei wird das Neutralfett
unter Wasseraufnahme zunächst in Glyzerin und Fettsäuren gespalten,
von den dabei entstehenden freien Fettsäuren werden die ungesättigten
Säuren durch Hydrierung in die entsprechend gesättigten Verbindungen
übergeführt, so daß dadurch ein Gemisch reiner gesättigter Fettsäuren
entsteht mit einer verhältnismäßig nur sehr geringen Menge ungesättigter
Säure. Ein Teil der Fettsäure soll dann durch Einwirkung von Kalzium-,
Magnesium- oder Ammoniumverbindungen in die entsprechenden Seifen
übergeführt werden!). Auch hiernach würde, wie bereits oben erwähnt,
Leichenwachs lediglich ein Gemisch hochmolekularer Fettsäuren und deren
Salze (Seifen) darstellen, wobei an Basen, Kalzium, Magnesium, Kalium,
Natrium und Ammonium auftreten?).
Bei den bisher ausgeführten Analysen von Leichenwachs, soweit sie
uns aus der Literatur zugänglich waren, und die in nachstehender Tabelle 1
aufgeführt sind, ersieht man ohne weiteres, daß die chemische Zusammen-
setzung niemals eine einheitliche ist oder sich innerhalb enger Grenzen
bewegt.
Es ist das auch nicht zu erwarten, da die Faktoren der Leichenwachs-
bildung außerordentlich variable Größen sind, und die biochemische Syn-
these dieser Substanz sich nie nach bestimmten Gesetzen vollzieht, wie
wir dieses für die Synthese der organischen Verbindungen kennen. Ferner
zeigen die bisher ausgeführten Analysen von Leichenwachs eine gewisse
Unvollständigkeit, indem vor allen Dingen dem nahezu in jedem Leichen-
wachs vorkommenden Element Stickstoff bezüglich seines Formauftretens
scheinbar kein Wert beigemessen wurde, trotzdem in dieser Beziehung
den Untersuchungsbefunden weit mehr Bedeutung hätte zugesprochen
werden müssen. Gerade für die Beweisführung der Bildung von Leichen-
wachs aus eiweißartigen Substanzen wäre nicht allein der qualitative
Nachweis organischen Stickstoffs ein ziemlich sicherer Anhaltspunkt ge-
wesen, sondern vor allem müßte auf die quantitative Stickstoffbestimmung
in seinen verschiedenen Verbindungsformen der Hauptwert gelegt werden.
i 4) Handbuch der Hygiene von M. Rubner, von Gruber, Ficker. Bd. IV,
S. 183—187.
2) Archiv für Hygiene, Bd. 38, S. 90.
3) R. Kobert, Lehrbuch der Intoxikationen, Bd. I, S. 90, 1902. — C. v.
Hofmann, Über einige Leichenerscheinungen, Hygienische Rundschau 1891,
5. 388. ;
4) Weyl, Handbuch der Hygiene, Bd. II, S. 159, Leipzig 1919.
an Dr. E. R
Von Dr. E. Remy. 313
Tabelle I.
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1) E. Abderhalden, Biochemisches Handlexikon, Bd. III, S. 176, 1911.
2) W. Müller, Postmortale Dekomposition und Ce Mea Zürich 1913.
3) Biochemische Zeitschrift 1923, Bd. 131 S. 8.
Überhaupt geben die meisten bisher erschienenen Abhandlungen, selbst
größere Werke wie die von Minovici und Müller, einen verhältnismäßig
nur geringen Aufschluß über den Chemismus des Leichenwachsest).
Bei unseren Untersuchungen kam es vornehmlich darauf an, fest-
zustellen, ob in dieser oder jener Leichenwachsart sich mit Hilfe der Ana-
ohylaxie noch menschliches Eiweiß nachweisen ließ, nachdem durch
die chemische Untersuchung in einwandfreier Weise gezeigt wurde, daß
außer dem Ammoniakstickstoff stets noch eine bei weitem größere Menge
Stickstoff vorhanden sei, die nur mit Hilfe des Verfahrens nach Kjeldahl
bestimmt werden konnte. Wie aus Tabelle II hervorgeht, ist diese Stick-
stoffmenge, die wir als Reststickstoff bezeichneten, bei einigen Leichen-
wachsproben ziemlich erheblich, es wäre jedoch nicht richtig, dieselbe
mit 6,25 zu multiplizieren, um die entsprechende Menge Rohprotein zu
erhalten, da, wie Tabelle III zeigt, die zum Nachweis der Eiweıßstoffe be-
kannten Reaktionen nur zum geringsten Teile positiv ausfielen. Auf
Grund dieses Befundes mußte daher wenig Aussicht vorhanden sein, daß
die Anaphylaxie zu einem positiven Resultate führen würde, da die Dena-
turierung bzw. der Abbau der reaktionsfáhigen Eiweifsubstanz zu weit
vorgeschritten war. Immerhin konnte es möglich sein, daß noch unver-
ändertes oder nur wenig verändertes menschliches Eiweiß zugegen war,
jedoch in so geringer Menge, daß durch den chemischen Nachweis kein
„positiver Ausfall beigegracht werden konnte. Ähnliche Verhältnisse liegen
"bei Mumienmaterial vor, wobei Uhlenhuth und Weidanz feststellten,
daß es nur in seltenen Fällen gelingt, die Herkunft dieses Materials mittels
der Anaphylaxıe zu bestimmen. Bei der Mehrzahl solcher Objekte scheint
die biologische Bestimmung schon bei hundert Jahre altem Material zu
versagen infolge zu starker Denaturierung des Kiweiß. Und damit stimmte
1) M. Minovici, Putrefacia, Bukarest 1899. - - W. Müller, Postmortale
Dekomposition und Fettwachsbildung, Zürich 1913.
93%
Zur Chemie des Leichenwachses usw.
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Von Dr. E. Remy. E 315
Tabelle III. Reaktion der 2proz. wässerigen Auszüge der Leichenwachsarten
mit Eiweißreagentien.
T
1
+
Ma
+
Biuret-Reaktion
Eßbach-Reagens i
Essigsäure + GE
Glyoxalsáure-Lósung .
Millons-Reagens
Neßler-Reagens
Ninhydrin-Reagens
Xanthoprotein-Reaktion
Sulfosalizylsäure-Reagens
Reaktion nach Lassaigne
ee
+=
er
—
IA HH
HI IH +1
WE
+I+1++
TEE HEH
S
+
+
+
+
die Tatsache überein, daß auch auf künstlichem Wege denaturiertes Ei-
weiß seine präzipitogene und anaphylaktogene Wirkung allmählich ein-
büßt!). In Anlehnung an die Arbeit von Uhlenhuth und Haendel
über die praktische Verwertbarkeit der Anaphylaxie wurde bei unseren
diesbezüglichen Versuchen wie folgt verfahren?):
3 g der fein gepulverten Leichenwachsprobe I wurden mit Äther
extrahiert, um sie von dem größten Teil des Rohfettes zu befreien. Den
Rückstand verrieb man mit 20 ccm physiologischer Kochsalzlösung und
spritzte von dieser Aufschwemmung Meerschweinchen sechsmal hinter-
einander in Abständen von je 48 Stunden 0,5 ccm intraperitoneal ein,
so daß die gesamte Menge 3 ccm betrug. In diesen 3 ccm waren enthalten
0,522 mg Stickstoff, was 3,26 mg Eiweißsubstanz entspricht. Nachdem
die Tiere nach der letzten Einspritzung 32 Tage gestanden haben, wurden
jedem Tiere 1 ccm inaktiviertes Menschenserum in die Carotis eingespritzt.
Bei allen Tieren war, wie Tabelle IV zeigt, der Ausfall der Anaphylaxie
negativ.
Tabelle IV.
Gewicht Gesamtmenge | Milli- Milli- Dauer der |
TU a T gamme aao a a EE
Sensibili- : wachsauf- | Nei | substanz letzten Befund
sierung schwemmung N x 6,25 Injektion
*) Tier Nr. 507 ging infolge Seuche nach 14 Tagen ein.
4) P. Uhlenhuth und O. Weidanz, Die biologischen Methoden im Dienste
der anthropologischen RUE Zeitschrift für Morphologie und Anthro-
pologie, Bd. XVIII,
2) Uhlenhuth and Haendel, Untersuchungen über die praktische Ver-
wertbarkeit der Anaphylaxie zur Erkennung und Unterscheidung verschiedener
Eiweißarten. Zeitschrift für Immunitätsforschung und experimentelle Therapie.
Bd. IV, Heft 6, 1910.
6 ` Zur Chemie des Leichenwachses usw.
d
In genau gleicher Weise wurden sechs Tiere mit Leichenwachsprobe 11
(Pathologisches Institut Freiburg) sensibilisiert. Auch bei diesen verlief
die Anaphylaxie-Reaktion negativ, wie Tabelle V zeigt. Infolge der zur
Verfügung stehenden verhältnismäßig geringen Menge l.eichenwachs
konnten nur 2g der Substanz zur Anwendung gelangen.
"Tabelle V.
Gewicht | Gesamtmenge Milli- Milli- Dauer der
des Tieres | derinjizierten gramme `: gramme Einwirkung ¡| Anaphy-
Nr. vor der Leichen- ` ` stiekstorr , Stickstoff- : nach der la xie-
Sensibili- wachsauf- N-44 » Substanz , _letzten Befund
sierung . | schwemmung N Xx 6,25 Injektion
0,37 | 2,286 33 Tage |
501 290 g 3 ccm 0
502 240 g 3 ccm 0,37 | 2286 33 „ 0
5031) | 2208 | 3 ccm 0,37 2,286 3. =
504 260 g 3 ccm 0,37 | 2,286 33 „ 0
505 200 g | 3 ccm | 0,37 ! 2286 33 „ 0
506 !) 215 g 3 ccm 0,37 2,286 3 0» —
1) Tiere Nr. 503 und 506 gingen infolge Seuche ein.
Ferner wurden 5,32 g der fein gepulverten Leichenwachsprobe V (Ge-
richtlich-medizinisches Institut Zürich) mit Trichloräthylen vollkommen
entfettet und der Rückstand mit 40 cem physiologischer Kochsalzlósung
verrieben. In 10 ccm dieser Aufschwemmung wurde nach dem Verfahren
von Kjeldahl der Gesamtstickstoff bestimmt und zu 6,384 mg gefunden
(N = 14). Somit war die Gesamtmenge Stickstoff wie sie in der ursprüng-
lichen Substanz vorlag, auch noch nach dem Entfettungsprozeß vor-
handen, mithin waren keine stickstoffhaltigen Substanzen in die Fett-
lösung übergegangen. Fünf Tiere wurden nun zur Anaphylaxie wie folgt
behandelt: Jedes Tier erhielt in Zeitabständen von 48 Stunden viermal
hintereinander je 1 ccm der Aufschwemmung, sodann je 0,5 ccm, sodaß
die Gesamtmenge der Aufschwemmung 4,5 cem betrug. In dieser Anzahl
Kubikzentimeter waren mithin enthalten 2,87 mg Stickstoff. Trotz dieser
verhältnismäßig großen Menge stickstoffhaltiger Substanz verlief auch bei
diesen Tieren die Anaphylaxie negativ, wie nachstehende Tabelle zeigt.
Tabelle VI.
Gewicht | Gesamtmenge Milli- i Milli- | Dauer der |
des Tieres |! der injizierten | gramme gramme Einwirkung | Anaphy-
Nr. vor der ' Leichen- Stiekstor |; Nickstoff- nach der a xiebefund
Sensibili- | wachsauf- N=t4 substanz letzten
sierung schwemmung Seck Nx6,25 ; Injektion
| 3 e S |
4,5 cc. 2,87 17,94 34 Tage | 0
4,5 cc. 2,87 17,94 34 do. —.
| 4,5 cc. 2,87 17,94 34 do | 0
4,5 cc. 2,87 17,94 34 do. 0
4,5 cc. 2,87 17,94 34 do. ` 0
*) Tier Nr. 595 ging an Seuche ein.
Von Dr, E. Remy. 317
Sowohl die Anaphylaxie wie auch der in Tabelle 111 aufgezeichnete
Reaktionsbefund ergaben somit die Tatsache, daß die ursprünglich vor-
handen gewesenen Eiweißstoffe sehr stark abgebaut sein mußten. Dieser
Abbau kann sich aber unter anderem auf hydrolytischem Wege vollziehen,
da Fermentwirkung ausgeschlossen, die, wie bekannt, nur an lebende
J,elltätigkeit gebunden ist!).
Unter Zugrundelegung der Arbeiten von H. Wieland und F. Bergel
über den „Mechanismus der Oxydationsvorgánge“ dürfen wir unter anderem
bei der Bildung der Fettsäuren im Leichenwachs aus Eiweißstoffen an-
nehmen, daß die hochmolekularen Aminosäuren zunächst Wasserstoff
abspalten, der von einem Wasserstoffakzeptor gebunden wird unter Bil-
dung des hydrierten Produktes. Die Rolle des Wasserstoffakzeptors kann
hierbei Sauerstoff übernehmen, wobei primär Wasserstoffsuperoxyd ent-
steht, aus dem sich unter Sauerstoffabspaltung Wasser bildet. Aber auch
Stoffe mit Doppelbindungen, vielleicht Ölsäure oder Disulfidverbindungen
(—S—S5S-—) können den Aminosäuren unter geeigneten Umständen ihren
Wasserstoff entziehen. Ehe dann die eigentliche Desaminierung erfolgt,
d.h. die Abspaltung von Ammoniak, geht dieser noch die der Kohlen-
säure voraus, so daß sich das Schema der Bildung von Fettsäuren aus Ei-
weißstoffen wie folgt gestalten wúrde :?)
R—GH-—COOH a R—G—COOH i R—CH -+H,0
NH, = NH > NH NH;
O
RC +0 R-COOH
NH , >
Bezüglich der Disulfidverbindungen sei noch erwähnt, daß gerade dem
Glutathion, eine Substanz, die Hopkins aus Muskelgewebe isolierte, und
die als eine peptidartige Kombination von Cystein mit Glutaminsäure
angesehen wird, ein besonderes Hydrierungsvermögen auf Grund der bis-
herigen Erfahrungen über die Reduktionsprozesse in der Zelle zugesprochen
werden muß).
Ferner kann, wie bereits oben erwähnt, eine Umwandlung von Eiweiß-
stoffen ın Fettsäuren auf dem Wege der hydrolytischen Desaminierung
vor sich gehen, wobei zunächst Oxysäuren entstehen, die dann durch
Reduktion in die entsprechenden Karbonsäuren übergeführt werden.?)
R—CH,—CH—COOH Hai R-CH,—CH -COOH
ch
| +H,
NH, —NH, OH ES
Und da bei der Leichenwachsbildung die Grundbedingungen für das
- Zustandekommen hydrolytischer Vorgänge zur Genüge gegeben sind, so
1) C. Oppenheimer, Die Fermente und ihre Wirkungen, S.13, Leipzig
1924.
2) H. Wieland und F. Bergel, Zum oxydativen Abbau der Aminosäuren.
Liebigs Annalen. Bd. 439, S. 196.
3) H. Wieland, Die Reduktionsprozesse in der Zelle. Handbuch der Bio-
chemie von C. Oppenheimer. 1923, Bd. H, S. 266.
4) E. Abderhalden, Physiologische Chemie. 1924, Bd. I, S. 460.
318 | Zur Chemie des Leiehenwachses usw.
muß dieser Art der Fettsäurebildung besondere Beachtung geschenkt
werden. Überhaupt wird man dem Vorgang der Umwandlung von Eiweiß-
stoffen in Fettsäuren niemals ein feststehendes Schema zusprechen dürfen,
sondern es müssen dabei stets mehrere Bildungsmöglichkeiten in Betracht
gezogen werden, die nebeneinander herlaufen, denen ein gewisser gene-
tischer Zusammenhang im Reaktionsmechanismus nicht abzusprechen ist.
Es hat selbstverständlich nicht an Gegenäußerungen gefehlt, die eine
Entstehung von Leichenwachs aus Eiweiß vollkommen in Abrede stellten,
und doch haben experimentelle Versuche von K. B. Lehmann sowie die
Mumienuntersuchungen von W. A. Schmidt bewiesen, daß auch Proteine
an der postmortalen Umwandlung beteiligt sind!).
Bezüglich der Bildung des Adipocire aus Menschenfett dürfte es sich
hierbei vornehmlich um eine Reduktion der zu etwa 65,6 bis 86,7 vH vor-
handenen Menge Ölsäure handeln, indem diese durch Wasserstoffaufnahme
entweder in die Stearinsäure übergeht, oder durch Oxydation in die um
zwei Kohlenstoffatome ärmere Palmitinsäure?). Daß hierbei nicht eine
Säure der Formel C,¿H33C00H entsteht, beruht auf den bisher gemachten
Erfahrungen über den oxydativen Abbau der Fettsäuren, wonach eine
Fettsäure stets so abgebaut wird, daß zunächst die um zwei Kohlenstoff-
atome ärmere homologe Säure sich bildet*). Unsere Untersuchungen lassen
auf Grund der berechneten mittleren Molekulargewichte der Fettsäuren
deutlich erkennen, daß es sich bei den Leichenwachsarten bis auf Nr. II
im wesentlichen um ein Gemisch von Palmitin- und Stearinsäure handelt.
Für den erheblichen Rückgang der Ölsäure bzw. ihre Umwandlung in eine
gesättigte Verbindung sprechen vor allen Dingen auch die Befunde der
Jodzahlen, die sich ja in verhältnismäßig sehr niedrigen Grenzen bewegen.
Für die Ermittlung der in Tabelle II aufgeführten analytischen Daten
der Rohfette wurden die einzelnen Leichenwachsproben mit verdünnter
Schwefelsäure behandelt und die so abgeschiedenen Fettsäuren mit Ather
mehrere Male ausgeschüttelt. Die flüssig gemachten Fettsäuren wurden
filtriert und nach den bekannten Verfahren die angegebenen Konstanten
bestimmt. Da der anal.ytische Befund bei Probe II erheblich von den
übrigen Befunden abweicht, so müssen bei diesem Leichenwachs besondere
Verhältnisse vorliegen, die sich nicht ohne weiteres aufklären lassen. Es
fragt sich überhaupt, inwieweit diese Substanz als Leichenwachs anzu-
sprechen ist.
Was nun die Entstehung von Fettseifen im Leichenwachs anbelangt,
so nehmen diese einen erheblichen Teil der Fettsäuren in Anspruch unter
der Voraussetzung, daß die vorhandenen Mengen an Kalzium-, Magnesium-
und Ammonuimjon mit dem Wasserstoffjon der Säuren in Reaktion ge-
treten sind. Nimmt man an, daß, wie bereits oben erwähnt, das Leichen-
‚wachs ausschließlich nur Palmitin- und Stearinsáure enthält, und zwar
zu gleichen Teilen, so würde sich auf Grund unseres analytischen Befundes
4) Weyl, Handbuch der Hygiene, Bd. II, S. 159.
2) E. Abderhalden, Biochemisches Handlexikon, Bd. III, S. 174.
3) F. Knoop, Wie werden unsere Hauptnährstoffe im Organismus ver-
anne und wechselseitig ineinander übergeführt ? Klinische Wochenschrift 1923,
IN. 2, S. 60,
Von Dr. E. Remy. 319
die Menge an gebundenen und freien Fettsáuren bei den einzelnen Leichen-
wachsproben wie folgt verhalten:
18,73%,
76,949,
28,520
Gebundene Fettsäuremengen
61,21%,
Nicht gebundene Fettsäuremenge
Ein konstantes Verhältnis zwischen der Menge gebundener und nicht
gebundener Fettsäure besteht demnach nicht.
Stellt man ferner von verschiedenen Leichenwachssorten mikrosko-
pische Schnitte her, so findet man, daß ein Teil derselben im Mikroskope
eine vollkommen homogene, fast kristallinische Struktur zeigt, wobei
die Kristalle schichtweise übereinander gelagert sind, so daß ein Bild, wie
es Figur 1 darstellt, entsteht.
Fig, 2.
320 Zur Chemie des Leichenwachses usw.
Vielfach jedoch trifft man im Leichenwachs braune Verfárbungen an,
die einen faserartigen Verlauf nehmen, und wie wir bei unseren Unter-
suchungen nachweisen konnten, den Hauptteil der nach Mstündigem
Kochen mit je 1,25%, Schwefelsäure und Kalilauge im AufschlieBungs-
Apparate nach Remy nicht lösbaren Stoffe ausmachen.!) (Fig. 2 und 3.)
Besonders morphologische Kennzeichen ließen sich hieran nicht fest-
stellen, wodurch ein Rückschluß auf bestimmte Gewebs- oder sonstige
Organteile hätte gezogen werden können. Zellstruktur war ın keinem
Falle nachzuweisen. Während Leichenwachs ohne derartige Einlagerungen
im Mikropolarisationsapparate keine optisch aktiven Anteile erkennen
ließen, war solches der Fall bei denjenigen Proben, die von oben beschrie-
benen Fasersträngen durchsetzt waren. Die Drehung dieser in geringer
Menge auftretenden Teilchen war nach links gerichtet.
Auf Grund unserer Befunde kommen wir somit zu dem Schlusse, daß
das Leichenwachs ein Gemisch der freien Fettsäuren, der Palmitin- und
Stearinsäure sowie deren Kalzium-, Magnesium- und Ammoniaksalzen dar-
stellt. Seine Entstehung ist nicht allein auf eine Metamorphose von
Menschenfett zurückzuführen, sondern auch Eiweißstoffe sind an seiner
Bildung beteiligt.
Die Bezeichnung Leichenwachs ist unseres Erachtens unrichtig, da
wir, streng wissenschaftlich genommen, unter Wachsarten Fettsäureester
höherer einwertiger Alkohole wie Cetylalkohol (Goal), ferner Myricyl-
alkohol (Gales) verstehen, die außerdem noch freie höhere Fettsäuren
enthalten?).
Wie aus unseren Untersuchungen ersichtlich und auch aus der Lite-
ratur zu entnehmen ist, treffen diese Voraussetzungen für die bisher ana-
lysierten Leichenwachsproben in keiner Weise zu. Auch die Auffassung
von Thouret, der mit dem Ausdruck Adipocire den bestimmten genetischen
Zusammenhang des Fettwachses mit dem fertig gebildeten Körperfett
verband, ist auf Grund vorstehender Anschauungen nicht haltbar. Die
exakte wissenschaftliche Bezeichnung für diese Substanz
wäre Leichenfett, das in keiner Weise mit Menschenfett zu
identifizieren ist, da sowohl unser Befund (s. Tabelle II) wie
auch der anderer Autoren von dem des Leichenfettes ein
analytisch abweichendes Bild gibt’).
e m %
An dieser Stelle móchte ich den Herren Geh.-Rat Aschoff- Freiburg,
Geh.-Rat Borst-München, Geh.-Rat Lubarsch- Berlin, Geh.-Rat Straß-
mann-Berlin und Prof. Zangger-7Zürich für die liebenswürdige Über-
lassung der Leichenwachsproben meinen verbindlichsten Dank aussprechen.
1) E.Remy, Über die Anwendbarkeit eines neuen Aufschließungs- Apparates.
Ghemiker-Zeitung Nr. 55, 1925, 8.392.
2) V. Meyer und P. Jakobsen, Organische Chemie, Bd. I, S. 592.
3) E. Abderhalden, Biochemisches Handlexikon, Bd. IHI, S. 174, Berlin
1911.
Neue tierexperimentelle Untersuchungen über den Wert der
basophil-granulierten Erythrozyten für die Frühdiagnose
der Bleivergiftung.
Von
Privatdozent Dr. Hans Lehmann,
Assistent am Institut.
(Aus dem Hygienischen Institut der Universität Jena.)
(Bei der Redaktion eingegangen am 29. November 1925.)
Die frühzeitige Erkennung der Bleivergiftung spielt auch heute, ob-
gleich durch ständige ärztliche Überwachung und Auslese der Arbeiter
in bleigefährdeten Betrieben die Zahl der Erkrankungsfälle wesentlich
zurückgegangen ist, noch eine erhebliche Rolle. Als das Dreigestirn auf
dem Gebiete der Frühdiagnostik dieser Gewerbekrankheit durch die
mikroskopische Blutuntersuchung Hamel-Grawitz-P. Schmidt die
Möglichkeit derselben mittels der basophil gekörnten Erythrozyten ver-
öffentlichte, war berechtigter Grund vorhanden, die Frage der Bleischädi-
gung der Arbeiter bei genügender ärztlicher Kontrolle praktisch als be-
seitigt anzusehen. |
Hamel redete von einem ,,typischen, geradezu klassischen Beispiel für das
Auftreten der basophil gekörnten Erythrozyten, in welchen wir das erste diagnosti-
sche Zeichen der begonnenen Bleiintoxikation des Menschen besitzen, indem wir
die Körnelung der roten Blutkörperchen als den Ausdruck der bereits einge-
tretenen Schädigung des Blutes zu betrachten haben“. Der Nachweis gelingt
nach seiner damaligen Meinung bereits zu einer Zeit, wo subjektiv noch keinerlei
Störungen des Wohlbefindens zu bestehen brauchen. Grawitz sagte, daß alle
Bleivergiftungen in auffallender Regelmäßigkeit und in großer Zahl punktierte
Erythrozyten aufweisen und, anderenorts, reichliche p. E. bei jedem Bleikranken
vorkommen, mithin eine sehr wichtige diagnostische Bedeutung haben. P.
Schmidt schließlich stellte bei Beachtung seiner Grenzzahl fest, daß die Blut-
untersuchung ein segensreiches Hilfsmittel sei, da es uns die Krankheit in einem
Stadium erkennen läßt, wo überhaupt noch keine Erscheinungen derselben vor-
zuliegen brauchen. |
Der diagnostische Wert der p. E. für: die Bleiblutuntersuchung galt
nun längere Zeit als absoluter und die Literatur darüber stieg sehr bald
ins UnermeBliche. Das Institut für Gewerbehygiene in Frankfurt a. M.
hat sich der dankenswerten Aufgabe unterzogen, die gesamte Bleiliteratur
in einem besonderen Hefte zusammenzustellen. Wir können uns daher
darauf beschränken, die Richtungspunkte in der Bearbeitung der Blei-
frage anzugeben.
Archiv f. Hygiene. Bd. 96. 24
322 - Neue tierexperimentelle Untersuchungen usw.
Die Frühdiagnostik der Bleivergiftung mit Hilfe der p. E. galt als so sicher,
daß Schoenfeld sagte, die Blutuntersuchung im Frühstadium der Krankheit
lasse uns nie im Stich und es sei ein Triumph derselben, den Nachweis geringster
Bleieinwirkung sicher zu einer Zeit zu erbringen, da andere Symptome sich noch
nicht kenntlich machen. Auch Leo Münz kommt in seiner Dissertation zu dem
Schluß, daß die p. E. als erstes Symptom der Bleivergiftung auftreten, bevor noch
Zeichen irgendwelcher anderen Art zur Beobachtung gekommen sind, also das
feinste Kriterium für die beginnende Bleivergiftung bedeuten. Schnitter be-
hauptet im Gegensatz zu Goetzl mit Bestimmtheit, daß es klinisch erkennbare
Bleivergiftung ohne p. E. im strömenden Blute nicht gibt, woraus aber nicht
hervorgeht, daß die p. E. stets vorhanden sind, wenn die klinischen Symptome
eine Bleiintoxikation noch nicht vermuten lassen.
Erst einer langen Erfahrung hat es bedurft, um die Ansicht, daß die
p. E. ein sicheres Frühdiagnostikum für Bleieinwirkung seien, zu er-
schüttern.
Naegeli machte schen frühzeitig darauf aufmerksam, daß selten bei Blei-
kranken massenhaft p. E. vorkommen, und daß letzteres nur der Fall ist, wenn
starke oder doch erhebliche Anämie besteht. Er beobachtete ferner ein Fehlen
dieser Blutkörperchen in Fällen, bei denen die Urinanalyse mit Sicherheit Blei
ergab. Mithin sei es höchste Zeit, den für zahlreiche Fälle leider recht beschränkten
Wert der basophilen Tüpfelung auf das richtige Maß zurückzuführen. Engels-
mann kommt gelegentlich seiner Untersuchungen in Abwrackbetrieben zu dem
Erfahrungsschlusse, daß die Folgerungen Schoenfelds nicht richtig sind und
stimmt Böttrich zu, der sich mehr für die Bewertung der klinischen Symptome
einsetzt, wobei natürlich die Blutuntersuchung nicht entbehrt werden soll.
Maßgebend für den Wert der Blutuntersuchung waren in den letzten
Jahren die Beobachtungen und Erfahrungen der Gewerbeärzte, die an
dem ihnen zur Verfügung stehenden Arbeitermaterial systematische Durch-
untersuchungen auf das Vorkommen der einzelnen Symptome der Blei-
vergiftung veranlassen und die gewonnenen Resultate statistisch ver-
werten konnten.
Koelsch kommt daraufhin im Bericht des bayerischen Landesgewerbearztes
zu der Erkenntnis, daß die Ergebnisse der mikroskopischen Blutuntersuchung
auf p. E. nicht befriedigten und zum mindesten nicht im Verhältnis zur aufge-
wendeten Mühe standen. Thiele fordert die Einbeziehung des Gesamtblut-
bildes, insbesondere das Verhalten der Leuko- und Lymphozyten, da die Be-
obachtung der p. E. allem Anschein nach nicht genügt. Seitz meint, daß die
Nachforschung nach Basophilie allein bei gewerbehygienischen Untersuchungen
im Schriftgießereiberufe kein richtiges Bild des Gesundheitszustandes der Ar-
beiter gäbe. Schließlich wurde in einer Umfrage des Frankfurter Instituts für
Gewerbehygiene die vorliegende Frage nach der praktischen Seite wenigstens
dahin geklärt, daß die Diagnose und insbesondere der Ausschluß von der Blei-
arbeit nur auf Grund der Betrachtung des Gesamtindividuums unter Berück-
sichtigung des ganzen Symptomenkomplexes erfolgen darf (Teleky, Gerbis,
P. Schmidt). Teleky fordert nunmehr, daß alle, die einen Symptomen-
komplex darbieten, in dem neben der Veränderung der Gesichtsfarbe auch p. E.
in stärkeren Mengen vorhanden sind, von der Bleiarbeit auszuschließen sind.
Der sofortige Ausschluß ist jedoch nicht nötig, wenn nur p. E. vorhanden sind,
Entfernung von der Bleiarbeit aber, wenn auch zu etwas späterem Zeitpunkte,
zu empfehlen. Bei Zuverlässigkeit der klinischen Symptome bedeutet die Blut-
untersuchung nur ein wertvolles Hilfsmittel, dessen man sich in zweifelhaften
Fällen bedienen muß.
Eine sichere und entscheidende Diagnose der Bleivergiftung durch
das Blutbild ist also nach den praktischen Erfahrungen dieser Autoren an
einem großen Untersuchungsmaterial kaum möglich.
Von Dr. Hans Lehmann. 323
Aber noch in anderer Beziehung ist es äußerst wertvoll, die Zuver-
lässigkeit dieser Frühdiagnostik sicher zu entscheiden. Das ist die Frage,
ob es angängig ist, auf Grund des Blutbildes die Einreihung der Blei-
vergiftung in die „Betriebsunfälle‘‘ zu fordern. Bekanntlich rechneten
nach dem Gesetzbuche zu diesen bis vor kurzem nur solche Körperschädi-
gungen, die in einem Betriebe auf ein plötzliches, d. h. zeitlich bestimm-
bares, in einen verhältnismäßig kurzen Zeitraum eingeschlossenes Ereignis
zurúekfúhrbar sind, nicht aber chronisch verlaufende Betriebsschädigungen.
Das war selbstverständlich eine Ungerechtigkeit der sozialen Gesetzgebung,
auf die schon mehrfach hingewiesen worden ist. Es hat auch nicht an
Versuchen gefehlt, diese zu überbrücken. Das Reichsversicherungsamt
erkannte seinerzeit an, daß im Interesse der Rechtspreehung der Begriff
„plötzlich“ nicht allzu eng zu fassen ist. In anderen Fällen von chronischer
Bleivergiftung legte man eine Summe von einzelnen Betriebsunfällen zu-
grunde, um dadurch die Geschädigten in den Genuß der Unfallrente zu
setzen. All das konnte aber auf die Dauer nicht befriedigen, da eine gleich-
mäßige Behandlung der Frage in diesem Sinne nicht zu erwarten war.
Es blieb jedoch bis zum Frühjahre 1925 bei den verschiedenen Forderungen
und Vorschlägen (Betke, Ewald und F. Curschmann), ohne daß ein
praktischer Erfolg zu verzeichnen gewesen wäre. `
Durch Verordnung des Reichsministers über ‚Ausdehnung der Unfall-
versicherung auf gewerbliche Berufskrankheiten‘‘ vom 12. Mai 1925 wurde
die Unfallversicherung auf einige gewerbliche Berufskrankheiten, unter
denen sich die Erkrankungen durch Blei oder seine Verbindungen befinden,
ausgedehnt und dementsprechend meldepflichtig gemacht. Dadurch ist
die Frage der Frühdiagnostik der Bleivergiftung mittels der basophil ge-
körnten Erythrozyten wieder in den Vordergrund gerückt.
Unter den Autoren, welche das Auftreten der p. E. als untrügliches
Zeichen für stattgehabte Bleieinwirkung betrachten, geht Schoenfeld
am weitesten. Er erkennt in der Unfallfrage das Mikroskop als Schieds-
richter zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer an. Mit anderen Worten
heißt das, daß ihm das Auffinden von p. E. im Blute genügt, bei Beachtung
der bekannten Grenzzahlen, um den Betroffenen als bleikrank in den Genuß
der Unfallrente zu bringen. Lediglich bei der Unterscheidung von mani-
fester und latenter Bleivergiftung soll der klinische Befund den Ausschlag
geben, und zwar in dem Sinne, daß sich der Unterschied zwischen diesen
beiden Formen nicht an irgendeine Zahl der gefunden p. E. bindet, weil
eine Person mit vielen gekörnten Roten sich völlig gesund fühlen, also eine
latente Bleieinwirkung zeigen, während eine andere mit wenig gekörnten
Elementen schon schwere Krankheitssymptome haben, also an manifester
Vergiftung leiden kann.
So sehr es zu begrüßen ist, daß nunmehr den bleikranken Arbeitern
der Schutz des Unfallgesetzes, welches sie nach zwangsweiser Entfernung
aus der Arbeitsstätte der nächsten Not enthebt, zuteil wird, so groß ist
für sie und die Volksgemeinschaft der Nachteil, wenn sich die auf Grund
des Blutbefundes gestellte Diagnose „Bleivergiftung‘‘ als unsicher oder
gar falsch erweist. Für den Arbeiter deshalb, weil er seines Lohnes, welcher
in jedem Falle größer als die ihm gewährte Unfallrente ist, verlustig geht.
hh
324 Neue tierexperimentelle Untersuchungen 7sw.
und ihm die Unannehmlichkeiten eines Berufswechsels drohen, für die
Volksgemeinschaft, weil ihr diese ohne Grund der Rentenzahlung oder
allgemeinen Unterstützung anheimfallenden Arbeitskräfte wieder zur
Last liegen.
Neuerdings hat Koch die Frage der Bleifrühdiagnostik noch einmal
aufgerollt und gerade für die Reihenuntersuchung der Arbeiter in den blei-
gefährdeten Betrieben als einfaches Verfahren, von dem ,,unter allen Um-
ständen Gebrauch gemacht werden muß“, die Untersuchung des Blutes
auf basophile Granulationen empfohlen, in der er mit Schoenfeld ein
„geradezu unentbehrliches Mittel sieht, eine beginnende Bleierkrankung
frühzeitig zu erkennen‘. Ganz richtig fordert er die Verhütung eines Aus-
bruches der wirklichen Bleivergiftung und hebt diese ‚soziale Einstellung“
besonders hervor. Es ist aber nach den obigen Darlegungen gleichfalls
unsozial, Personen als bleigefährdet zu betrachten, die es wirklich nicht
sind, und nur, weil sich in ihrem Blute eine bestimmte Zahl basophil ge-
körnter Erythrozyten fand.
Diese Auffassung ist, wie gesagt, schon durch die Erfahrungstatsache
erschüttert worden, daß das Blutbild eine sichere Diagnose für Bleiwirkung
nicht bietet. Zur Unterstützung und zur exakten Beweisführung jener
Erkenntnis bedarf es aber nicht allein der Erfahrung und der Schluß-
folgerungen aus den mehr oder weniger großen Fehlerquellen ausgesetzten
statistischen Aufzeichnungen der Gewerbeärzte, sondern des Experimental-
nachweises, daß das Vorkommen von p. E. nicht für Bleieinwirkung
spezifisch ist. Dieser Beweis ist bisher noch nicht geführt worden. Gelingt
er in dem Sinne, daß auch andere chemische Verbindungen in Mengen, die
einen schwer toxischen Einfluß auf den Körper nicht haben, p. E. hervor-
zurufen vermögen, so muß die Theorie Schoenfelds und seiner An-
hänger endgültig fallen und der Richtung unter den Gewerbehygienikern
zum Siege verhelfen, welche in den p. E. im Übermaß der üblichen Grenz-
zahlen nicht den sicheren Beweis für eine stattgehabte Bleiintoxikation des
Menschen sehen. `
In den Laboratorien steht uns zur Prüfung dieser Frage, welche für
die Praxis so wichtig ist, natürlich nur der Tierversuch, der wiederum auf
den Menschen nicht restlos und ohne weiteres angewendet werden kann,
zur Verfügung. Jede wissenschaftliche Erkenntnis dieser Art aber geht
über das Tierexperiment; sind mit seiner Hilfe die Grundpfeiler gelegt, so
bieten sich auch Mittel und Wege, zu prüfen, ob die am Versuchstier ge-
wonnenen Erfahrungen auch auf den Menschen anwendbar sind, ein
Arbeitsgebiet, welches wiederum in das Reich des praktischen Gewerbe-
hygienikers fällt. Die Auffassung Telekys, der einmal Versuche dieser
Art am Meerschweinchen als leichtsinnigen Mißbrauch des Tierexperiments
bezeichnet hat, wird wohl kaum gutgeheißen werden können. Auch K. B.
Lehmann kommt auf Grund seiner langjährigen Erfahrungen auf diesem
Gebiete zu dem Schlusse, daß das Meerschweinchen als ausgezeichnet
geeignet zum Studium der fraglichen Blutveränderung zu gelten hat.
Der Grundgedanke zu der vorliegenden Arbeit ist also der, zu ver-
suchen, ob es auf tierexperimentellem Wege möglich ist, durch Einwirkung
anderer chemischen Stoffe in nichttoxischen Dosen das Blutbild der Blei-
Von Dr. Hans Lehmann. 325
vergiftung im Frúhstadium in bezug auf das Auftreten basophil getüpfelter
Erythrozyten hervorzurufen und damit die experimentell begriindete Er-
gánzung zu der Erfahrungstatsache zu erbringen, daB das Auftreten der
p. E. allein nicht beweisend für Bleivergiftung ist.
An Versuchen, Blutgifte in toxischen Dosen zum Studium am Tierblut
zu benutzen, hat es nicht gefehlt. Es sind damit mancherlei Veránderungen an
den festen Bestandteilen desselben erreicht worden, die in bezug auf ihr Auftreten
und ihre färberischen Eigenschaften von vielen Autoren studiert und eingehend
beschrieben wurden. Bloch fand solche nach Einwirkung von chlorsaurem Kali,
Pyrogallol, Toluylendiamin und Pyridin als körnige, lichtbrechende Gebilde,
welche nach Art von Höckerchen im Zelleib gelagert sind, oder aber als helle,
vakuolenartige Lücken im Protoplasma erscheinen, neben denen noch
kleinste, abgeschnürte Protoplasmamassen frei im Serum schwimmen.
Nach Einwirkung von Pyridin erhielt er außerdem noch über eigentümliche
„Körner“ hinweg (sogenannte ‚„Blaukörper‘‘), die er für identisch mit den von
Schmauch bei pyridinvergifteten Katzen gefundenen hält, hämoglobinämische
Innenkörper im Sinne Ehrlichs, welche er als Degenerationsvorgänge im Proto-
plasma deutet. Ähnliche Gebilde erhielten Schwalbe und Solley nach Ein-
wirkung von Toluylendiamin. Heinz prüfte in längeren Versuchsreihen die
Wirkung des Phenylhydrazins und Phenylhydroxylamins als stärkste Blutgifte
auf das Blut der Warmblüter und erreichte eine charakteristische Veränderung
der roten Blutkörperchen in Gestalt: von stark lichtbrechenden Kugeln, die
den roten Blutkörperchen meist knopfförmig aufsitzen, mit dünnem oder dickem
Stiele noch mit ihnen zusammenhängen oder oft, völlig losgetrennt, frei im Blut.
serum herumschwimmen. Die gleichen Resultate erzielte er mit Toluylendiamin,
Anilin, Nitrobenzol, Dinitrobenzol und Natriumnitrat, wogegen ohne Einfluß
chlorsaures Kali, Phenol, Pyrogallol und die Arzneistoffe Antifebrin, Phenazetin,
Antipyrin usw. blieben. Huber beschreibt die gleichen Erscheinungen nach
(Gaben von Dinitrobenzol, Christomonas nach Glyzerineinspritzungen. In
keiner dieser Arbeiten jedoch, noch in den Untersuchungen Bettmanns über
den Einfluß des Arseniks auf das Blut von Versuchstieren ist das Vorkommen
basophil granulierter Erythrozyten erwähnt. Da nicht anzunehmen ist, daß
bei den exakten Untersuchungen dieser Autoren solche Veränderungen der
roten Blutkörperchen übersehen worden sind, erscheint es als sicher, daß p. E.
bei Anwendung der genannten Blutgifte im Tierblut nicht aufgetreten sind.
Dagegen sind von Löwenthal p. E. bei Anwendung von Zinnchlorid und Zer-
sulfat, allerdings mit zweifelhaftem Erfolge, gefunden worden. Ferner sah
Naegeli nach Anwendung von Jodkali beim Menschen massenhaft p. E. und
Lange beschrieb einen Fall von Kaliumchlorikumvergiftung mit tödlichem
Ausgange, der als Haupterscheinung das starke Auftreten solcher Körperchen
aufwies.
L Technik der Versuche.
Sämtliche dieser Arbeit zugrunde liegenden Untersuchungen wurden
an Meerschweinchen von kräftiger Konstitution, welche vorher nicht zu
anderen Versuchen gedient hatten oder irgendwelche bestehende Krank-
heiten vermuten ließen, ausgeführt und erstrecken sich, da mancherlei
Schwierigkeiten bei der etwa zweimonatlichen Beobachtung jedes Tieres
zu überwinden waren, auf annähernd 14, Jahre. Es wurde ferner
versucht, die Tiere Sommer und Winter hindurch unter möglichst gleich-
mäßigen biologischen Bedingungen zu halten, insbesondere geschah ihre
Ernährung gleichmäßig nur mit Rüben, um mögliche Schwankungen im
Auftreten der p. E. durch die Art der Nahrung zu vermeiden.
Eine große Anzahl von Tieren, welche vor dem Abschluß des Ver-
suches standen und die im großen und ganzen die gleichen Resultate
326 >` Neue tierexperimentelle Untersuchungen usw.
ergaben, wie die in den folgenden Tabellen aufgezeichneten, gingen an
einer immer wieder aufflackernden Pneumokokken-Hausseuche, ehe die
gesetzte Beobachtungszeit abgelaufen war, zugrunde. Sie wurden nicht
mitverwertet, um allen Móglichkeiten des Einwandes gegen unsere Ver-
suche vorzubeugen. Wir sind jedoch überzeugt, daß auch bei diesen Tieren,
sowie bei einer weiteren Anzahl von Meerschweinchen, die auf die ver-
abreichten Stoffe im Prinzip ebenso reagierten, deren Beobachtungszeit
aber aus äußeren Gründen nicht restlos durchgeführt werden konnte, das
Auftreten der p. E. eine Folgeerscheinung der ihnen einverleibten Sub-
stanzen war. Die in den Tabellen dieser Arbeit angeführten Versuchs-
serien stellen also nur den Typus, nicht aber alle an Meerschweinchen ge-
machten Beobachtungen dieser Art dar.
Die Frage, ob im normalen Meerschweinchenblut pathologische Formen
der roten Blutkörperchen vorkommen, haben Klieneberger und Carl
dahingehend beantwortet, daß p. E. nur vereinzelt festgestellt wurden,
Anisozytose erheblich ist und polychromatophile Rote recht häufig, ım
Verhältnis 1:80 normalen Blutscheiben, zu finden sind. In dem Meer-
schweinchenbestand des Hygienischen Instituts fand ich, wie in einer
früheren Arbeit von mir angeführt ist, die Angaben der genannten Autoren
bestätigt. Obgleich zu verschiedenen Jahres- und Tageszeiten Blut-
ausstriche von normalen Tieren gemacht wurden, fanden sich in keinem
Falle mehr als drei p. E. in 100 durchgesehenen Gesichtsfeldern. Andere
pathologische Formen der Erythrozyten, insbesondere polychromatophile,
wurden bei der Auszählung der Präparate nicht verwertet, da einmal diese
Formen im normalen Meerschweinchenblut häufiger vorzukommen scheinen,
also keinen Anhaltspunkt zur Klärung der vorliegenden Frage bieten, und
zum anderen, weil der Übergang des polychromatophilen zum basophil
getüpfelten Erythrozyten oder umgekehrt offenbar ein fließender ist, so-
daß Beurteilungen der Zwischenformen sehr den individuellen Schwan-
kungen des Beschauers unterworfen sind. Schließlich ist das zeitraubende
und mühsame Auszählen der p. E. in 100 Gesichtsfeldern eines jeden
Präparates von einer starken Ermüdung des Auges gefolgt, sodaß bei
Einbeziehung weiterer pathologischer Blutkörperchenformen Ungenauig-
keiten im Resultate der Auszählung zu befürchten waren.
Es sind aus diesen Gründen daher nur die typischen, grob und gröber
granulierten Zellen (nicht also Granulierung in Verbindung mit Poly-
chromasie!) als positiv gewertet worden. Der jüngste Vorschlag Kochs,
alle Formen veränderter Erythrozyten vom polychromatophilen bis zum
grob basophil gekórnten als ,,granulopolychromate* auszuwerten und dafür
die diagnostische Grenzzahl höher.zu setzen, ist entschieden wertvoll und
für die Zukunft, um ein einheitliches System zu schaffen, zu empfehlen,
kam aber für meine Untersuchungen zu spät.
Nach einer neueren Arbeit K. B. Lehmanns fanden sich im normalen
Meerschweinchenblut in keinem Falle mehr als 20 p. E. in 100 durch-
eeschenen Gesichtsfeldern des Blutausstrichpräparates. Diese Zahl wurde
für die ausgeführten Versuche als äußerste Grenzzahl angenommen und
erst Resultate, welehe dieselbe überschritten, als einwandfrei positiv ge-
wertet. So ist in dieser Hinsicht ausreichend Sicherheit gegeben, daß eine
Von Dr. Hans Lehmann. 327
Beeinträchtigung der Gesamtresultate durch Zufallsbefunde oder Schwan-
kungen in der Auszáhlung der p. E. nicht erfolgen konnte.
Die Blutuntersuchungen (Entnahme eines Tropfens aus dem Ohre der
Tiere) wurden in Zwischenráumen von einem bis drei Tagen vorgenommen.
Tägliche Blutentziehung verbot sich, da früher das Auftreten von p. E.
bei Anämien beschrieben worden ist und zu befürchten war, daß durch
tägliche Vornahme der Tiere eine zu Störungen im Versuchsablauf führende
posthämorrhagische Blutarmut derselben hervorgerufen werden könnte.
Um diese Fehlerquelle, auch bei Blutentnahme in den erwähnten Inter-
vallen, auszuschalten, lief in einigen Versuchsreihen je ein unbehandeltes
Tier mit, welchem zu denselben Zeiten und in den gleichen Mengen Blut
entnommen wurde. Ebenfalls wurden Kontrolltiere laufend beobachtet,
denen lediglich physiologische Kochsalzlösung verabreicht war, um einen
eventuellen Einfluß dieser in unseren Versuchen als Lösungs- oder Auf-
schwemmungsmittel dienenden Flüssigkeit auf das Blutbild auszuschalten.
Bei keinem dieser Kontrolltiere konnten auch nur annähernd 20 p. E. in
100 Gesichtsfeldern gefunden werden; sie blieben also praktisch negativ.
Die Verwendung von Ohrmarken aus Metall zur Kennzeichnung der Meer-
schweinchen wurde vermieden, um der Möglichkeit der Resorption von
geringen Mengen desselben und somit eventuellen Fehlresultaten aus dem
Wege zu gehen. Die Tiere wurden daher lediglich durch Farbanstriche
unterschieden.
Sämtliche Präparate wurden unter einheitlichen Gesichtspunkten be-
handelt, um abwegige Resultate, die auf verschiedenen Behandlungs- und
Färbemethoden zurückgeführt werden könnten, zu vermeiden. Die An-
fertigung der Blutausstriche geschah so, daß die festen Blutbestandteile `
dicht nebeneinander, aber nicht übereinander lagerten. Nach Lufttrock-
nung derselben wurden sie 4 Minuten in Methylalkohol fixiert, in kohlen-
säurefreiem Wasser abgespült, A Minuten in gewöhnlicher Loeffler-Blau-
lösung gefärbt und in der üblichen Weise weiterbehandelt. Zu bemerken
ist hierbei, daß die nach der Originalvorschrift hergestellte Loeffler-Blau-
lösung offenbar nach ihrem Alter schwankt. Nach unseren Erfahrungen ist
es unbedingt nötig, daß sie nicht eher als drei bis vier Tage nach ihrer
Bereitung zur Anwendung kommt und ein zweites Mal zur Färbung nicht
benutzt wird. Die bequeme Methode der Verwendung von Färbewannen,
in denen die Loeffler-Lösung zur Färbung mehrerer Serien von Blut-
ausstrichen dienen kann, ist aus diesem Grunde zu verwerfen. Es soll
also jedes Präparat einzeln durch Aufgießen ven Farblösung, die dann
wieder abgespült wird, behandelt werden. Auf jeden Fall aber sei die
Loeffler-l,ösung so beschaffen, daß die Erythrozyten nach der Färbung
hellgrün, Kerne und Kernprodukte intensiv blau erscheinen. Wir haben
diese Färbemethode angewandt, weil sie einfach durchzuführen ist und
man den Präparaten schon mit bloßem Auge ansehen kann, ob sie richtig
gefärbt sind. Dem jüngsten Vorschlag Telekys, bei einem einheitlichen
Vorgehen bei der Bleiblutuntersuchung dieser Methode den Vorzug zu
geben, können wir demnach voll und ganz zustimmen. Die vorliegenden
literarischen Erfahrungen über sonstige Fehlerquellen bei der Färbung,
wie sie von Schwarz und Hefke, Seiffert u. a. beschrieben worden
328 . Neue tierexperimentelle Untersuchungen usw.
sind, wurden selbstredend beachtet. Bei Einhaltung aller dieser Vorsichts-
maßregeln, die Tierhaltung und die Methode der Färbung betreffend,
glauben wir, einwandfreie Versuchsbedingungen geschaffen zu haben.
Um einen Anhaltspunkt zu gewinnen, wie stark das Auftreten der
p. E. sich erwies, wurden in jedem Präparat 100 Immersionsgesichtsfelder
(das Gesichtsfeld zu etwa 200 roten Blutkörperchen gerechnet) durch-
mustert und die Zahl der darin gefundenen granulierten Roten in einem
Bruch ausgedrückt, in welchem diese den Zähler darstellt und die Zahl 100
den Nenner abgibt. Nach dem bereits Gesagten wurden in den Tabellen
dieser Arbeit Brüche von weniger als (fl als einwandfrei negativ be-
zeichnet, die Werte von Wlan bis ?°/io als zweifelhaft (+), solche von
21/00 bis Bil als sicher positiv (+), von Bilon bis 1°°/io als ++, von
101/79 bis 150/00 als +4, über 259/79) als +++ vermerkt.
Il. Vorversuche.
Bei Beginn unserer Versuche lag es nahe, im Tierexperiment solche
Verbindungen anzuwenden, die als Verunreinigungen des Bleis und ins-
besondere als Bestandteile des Letternmetalls in Druckereibetrieben vor-
kommen, um festzustellen, ob vielleicht diese Substanzen die Ursache
der in Frage stehenden Veränderung der Erythrozyten sind oder wenigstens
an dieser mehr oder weniger beteiligt wären. Diese Stoffe sind das Antimon
und Arsen. Ersteres kommt im Schriftgießermetall zu etwa 17 bis 20%,
vor, letzteres kann als Verunreinigung des Bleies oder Antimons auftreten.
Meerschweinchen, denen im Abstand von 10 Tagen steigende Dosen
(0,3, 0,5 und 0,7 g) von Antimonsulfid (Goldschwefel) und in anderen
Fällen je 20 Tropfen Fowlersche Lösung zu denselben Zeiten verfüttert
wurden, zeigten in einem Beobachtungsraum von vier Wochen weder
irgendwelche Krankheitserscheinungen noch das Auftreten von p. E. im
Blute. Früher haben Schrumpf und Zabel, in neuester Zeit Seitz ver-
sucht, die Antimonvergiftung der Schriftgießer experimentell zu studieren.
Auch sie haben das Auftreten von p. E. im Tierversuch nach Gaben von
Antimonverbindungen nicht beobachtet. Die Mitwirkung dieser Stoffe
an dem Auftreten des Bleiblutbildes konnte somit für unsere Versuche
ausgeschlossen werden.
Wesentlich anders verliefen Versuche mit Schweinfurter-Grün,
einer Verbindung von essigsaurem mit arsenigsaurem Kupfer. Den fol-
genden drei Versuchstieren wurden, um schwer toxische Wırkungen zu
vermeiden, geringste Mengen einer Aufschwemmung von Schweinfurter-
Grün subkutan injiziert. Und zwar erhielten zwei Tiere je 1 ccm und ein
Tier 2 cem einer Aufschwemmung von 0,25 g in 5 ccm phys. Kochsalz-
lösung. Die nachstehende Tabelle I zeigt den Verkauf der, um Zufällig-
keiten zu vermeiden, in verschiedenen Jahreszeiten (Februar, August,
November) durchgeführten Versuche (Meerschweinchen Nr. 171, 88
und 88a).
Die Tiere blieben während der Dauer der Beobachtung gesund, wofür
ein Beweis schon das Verhalten ihres Körpergewichtes vor und nach dem
Versuch ıst. Es können die Gaben von Schweinfurter-Grün demnach
Von Dr. Hans Lehmann. 329
Tabelle I (Schweinfurter-Grún, subkutan).
Tier 171 Tier 88. Tier 88a.
Dosis: 0,25/5,0 NaCl 1 ccm Dosis: 0,25/5,0 NaCl 1 cem Dosis: 0,25/5,0 NaCl 2 cem
Korpergew.: | SE GH Körpergew.: Ende are Körpergew.: | Erde: e
"ët Resultat SN ee Resultat TE er- yer Resultat ' eto
1 ¡Kontr.—' 9%, Kontr.— | tte "Laag
3. 0 "ee Sek ve 100 % 100
5. | e % 100 ++ 125/00 1/100
T. + oo +++ ı oo °/ 100
10. | 4+++ 200) 100 + WI 10/100
13." +++ "` Vila E Tee 109
16. EIS wf? SES Ta | 200/00
19. . Se 3/ 100 sË o 100 e] 100
22. . si 100 ES el 100 gl 100
25. + i ei 100 Ce 100 Si 100
28. pan "Lee == "Lee 5/100
31. >= 1/100 PS °/ 100 °/ 100
35. == 9100 SS °/100 !/100
38. e 2/100 T %100 2/ 100
?/ 100
nicht schwer toxisch gewirkt haben. Andererseits aber haben sie genügt,
die Erscheinung der basophilen Granulierung der roten Blutkörperchen,
welche bisher als. charakteristisch für Blei befunden wurde, zu erzeugen.
Daß die erhaltenen Veränderungen der Erythrozyten identisch mit den
durch Bleieinwirkung hervorgerufenen p. E. sind, bewies der Vergleich
mit Blutbildern künstlich bleiinfizierter Meerschweinchen. Über den posi-
tiven Ausfall des Versuches ist kein Zweifel, da nach Verlauf einer gewissen
Zeit die p. E. in sehr großen Mengen auftraten, sodaß sie während des
Höhepunktes der Wirkung des Fremdstoffes stets die Zahl !00/, über-
schritten. Aus dem Zeitpunkte des erstmaligen Auftretens derselben, der
Höhe ihrer Zahl an den einzelnen Untersuchungstagen und der Dauer ihres
Vorkommens im strömenden Blute lassen sich sichere Schlüsse zunächst
nicht ziehen. Wir wollen uns vor der Hand mit der Tatsache begnügen,
daß der Versuch mit Schweinfurter-Grün einwandfrei positiv verlief.
Das Experiment gelang ebenfalls im positiven Sinne, wenn man Meer-
schweinchen geringe Mengen von Zinnober subkutan verabreichte. Es
erhielten die Tiere Nr. 77 und 172 je 1 ccm einer Aufschwemmung von
0,1 g in 1 ccm phys. Kochsalzlósung.
Auch hier konnte eine toxische Schádigung der Meerschweinchen nicht
beobachtet werden. Dagegen traten am 7. Tage nach der Injektion p. E.
in Höhe von 1%/, ¿y auf, die vom 12. Versuchstage an wieder aus dem Blut-
bilde verschwanden und in einem weiteren Beobachtungszeitraum von
14 Tagen nicht wieder erschienen.
Weitere Versuche, auch Teerfarbstoffe zur Erzeugung von basophil
gekörnten Erythrozyten zu verwenden und somit einen möglichen Zu-
sammenhang mit der Anilinindustrie aufzuklären, blieben erfolglos. Mit
Injektionen von I cem 1proz. Safranin-, Erythrosin- und Aurantialósung
war es in keinem Falle möglich, p. E. im Blutausstrich der Tiere zu
erhalten.
330 i Neue tierexperimentelle Untersuchungen usw.
Chronische Vergiftungserscheinungen mit den bisher genannten chemi-
schen Verbindungen sind im großen und ganzen auch selten. Die Ver-
arbeitung von Schweinfurter-Grün ist in allen Kulturstaaten, nachdem
seine Verwendung als gesundheitsschädlich erkannt wurde, durch Ver-
ordnungen stark eingeschränkt worden. Immerhin werden Arsenfarben
noch in der Farbdruckerei, bei der Fabrikation von buntem Papier und
Kreiden verwendet. Zinnober spielt bei der hüttenmännischen Gewinnung
des Quecksilbers noch eine gewisse Rolle, Quecksilberverbindungen über-
haupt führen hin und wieder in der chemischen Industrie und den Spiegel-
fabriken zu chronischen Vergiftungserscheinungen, deren Verlauf unter
dem Namen Merkurialismus hinreichend bekannt ist. Ein zufälliges Zu-
sammentreffen dieser Vergiftungen mit solchen von Arbeitern in blei-
gefährdeten Betrieben dürfte jedoch selten sein. Eine falsche Diagnose
auf Grund von p. E. im Blutausstrich, welche dann möglicherweise nicht
auf Blei, sondern auf der Einwirkung der genannten Verbindungen be-
ruhen könnte, wird also so selten vorkommen, daß ein solcher Fehler zu-
gunsten der rechtzeitigen Erkennung beginnender Bleierkrankung zu ver-
schmerzen wäre.
Ill. Hauptversuche.
In mannigfaltigen, tastenden Vorversuchen gelang es ferner, daß Blut-
bild der Bleierkrankung im Meerschweinchenexperiment auch durch Ein-
wirkung von Substanzen zu erhalten, die allen Arbeitern leicht zugängig
sind, bzw. denen dieselben im täglichen Leben und an ihren Arbeitsstätten
mehr oder weniger ausgesetzt sind. Das ist der Alkohol, der kohlensaure
Kalk, der Kohlen- und Zementstaub. Die Wirkung dieser Stoffe auf das
Blutbild der Meerschweinchen soll daher näher betrachtet werden.
Die Versuchstiere erhielten die genannten Substanzen auf dreierlei
Art und Weise einverleibt. Zunächst wurden Lösungen bzw. Aufschwem-
mungen derselben subkutan injiziert, dann verfüttert und schließlich ließen
wir die staubförmigen Stoffe (Kreide, Kohlen- und Zementstaub) in einem
besonders dazu konstruierten Apparate einatmen.
A) Injektionsversuche.
Die Tabellen IIa und IIb geben Auskunft über die Erfolge an sieben
Versuchstieren, denen je 1 ccm Alkohol in fallenden Konzentrationen
von 50 bis 10%, unter die Rückenhaut verabreicht wurde. Die Tiere ver-
trugen diese Einspritzungen, ohne Krankheitserscheinungen, insbesondere
Abszesse oder gangränöse Veränderungen an den Injektionsstellen, zu
zeigen. Ferner nahm ihr Körpergewicht nicht ab, sondern in den meisten
Fällen etwas zu.
Die Versuche mit Alkohol haben den Vorzug, daß infolge der Ver-
dünnungsmöglichkeit desselben mit Wasser die den Tieren verabreichten
Dosen genau bestimmt werden können, was leider bei den folgenden
wasserunlöslichen Körpern nicht der Fall ist. Wir sehen demzufolge bei
Betrachtung der genannten Tabellen, daß hei den mit 50-, 40- und 30 proz.
Alkohol vorbehandelten Tieren die Wirkung auf die roten Blutkörperchen
ın bezug auf das erstmalige Auftreten von p. E. bereits-in der Zeit vom
Von Dr. Hans Lehmann. 331
3. bis 5. Versuchstage einsetzt und unter Wahrung eines bestimmten Ab-
laufes, von dem hier nicht näher die Rede sein soll, 24 bis 31 Tage anhält.
Von da an wurden bis zum Ende des Versuches (40. bis 47. Tag) p. E.,
welche die sichernde Grenzzahl von 2°/ œo überschritten, nicht mehr be-
obachtet. Es ist also mit größter Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß
diese auch nach Ablauf dieser Zeit nicht mehr auftraten.
Im Gegensatz hierzu tritt die Reaktion auf die viel geringeren Alkohol-
gaben der anderen, mit 15- und 10proz. Alkohol behandelten Tiere, erst
in der Zeit zwischen 8. und 14. Versuchstag ein. Gleichermaßen bleibt
die Zahl der an den verschiedenen Untersuchungsterminen ausgewerteten
p. E. bei den mit 15- und 10 proz. Alkohol behandelten Tieren wesentlich
hinter derjenigen der ersten Meerschweinchen, die den Stoff in 50- und
40proz. Konzentration erhalten haben, zurück. Beide Momente — der
beobachtete Zeitpunkt des Beginnes der Reaktion und die Höhe der an
den verschiedenen Untersuchungstagen im Blutausstich gezählten p. E.
— sind also abhängig von der Menge des verabreichten Alkohols. Das
spricht dafür, daß auch wirklich das einverleibte Mittel die Ursache für
das Auftreten der p. E. im strömenden Blute der Versuchstiere ist. Selbst-
verständlich ist dabei, daß die gefundenen Zahlen der in diesem Sinne ver-
änderten roten Blutkörperchen nicht Anspruch auf mathematische Ge-
nauigkeit machen sollen, sondern nur Annäherungswerte sein können, daß
andererseits geringfügige Abweichungen im zeitlichen Ablauf der Er-
scheinungen dadurch einzutreten vermögen, daß nicht täglich, sondern
mit Einlegung von Zwischenräumen Blutbilder angefertigt wurden. Das
ändert aber an der Tatsache nichts, daß es gelang, mittels Alkoholinjektionen
in kleinen Mengen eine die bekannte Grenzzahl für Bleivergiftung weit über-
Tier 99
Dosis: 1 ccm 50 proz. Alkoho! Dosis: 1 ccm 40 proz. Alkohol
Körpergewicht { SC GE A Körpergewicht { ne rg
Vers.- ' Zahl der Vers ' ' Zahl der
332 Neue tierexperimentelle Untersuchungen usw.
Tabelle lla (Fortsetzung).
Tier 97
Tier 98
Dosis: 1 ccm 30 proz. Alkohol Dosis: 1 ccm 10 proz. Alkohol
JA: 4108 A.: 380 g
Körpergewicht | E.: 400 g Körpergewicht d E.: 420 g
Ar u |
er Resultat | ng ar ' Resultat ` "4 oi
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3. | +++ . = NI
6. ++ . "eg
9. | + . + "be
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40. i e Kë 100 40 i a gi 100
42. ' — Ze 42. ' > 00
45. == os 45. TR % 100
47 . = Vë 100 47 . = wO)
schreitende Menge von p. E. zu erhalten, also das friihdiagnostische Blut-
bild für diese Erkrankung einwandfrei nachzuahmen.
Weitere Injektionsversuche mit Glyzerin, also ebenfalls einem
Alkohol, das zu je 1 ccm einer 20- und 40proz. Lösung subkutan ver-
Tabelle IIb (1 ccm Alkohol in Konzentration von 50, 15 und 10%, subkutan).
Tier 11
Tier 10 Tier 12
Dosis: 1 cem 50°;, Alkohol Dosis: 1 cem 15%, Alkohol Dosis: 1 cem 10°’, Alkohol
f A.. 543 g e A.:'607 g A.: 520 g
Körpergewicht d E.: 520 g Körpergewicht l E.: 6508 Körpergewicht d E.: 550 g
Vers.- Zahl der |Vers.-. Zahl der | Vers.- ns | Zahl der
p.E. Tag Resultat p.E. Tag Resultat p. E.
l. - 1, ¡Kontr. = gë?
4. | 4. — Ge
S ++ e — El
++ 8 + Y
1. +++ 0. +H "Wie
12. + 12. HA ` eo
H HHHH. 14 +++ Die
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28. + nd 28. + 20/
30. Sg 100 SR
32. = "gg
34. te SC
36. == NO?
38. — "ads pi :
40. CS | Jus 40. we ; 00 40.
Von Dr. Hans Lehmann. 333
abreicht wurde, verliefen ebenfalls positiv und sind in der Tabelle III
zahlenmäßig aufgezeichnet.
Auch bei diesem Stoff traten vom 3. Versuchstag an p. E. in Zahlen,
welche den Grenzwert "leg weit überschritten, auf. Die Wirkung hielt
jedoch nicht so lange an als beim Äthylalkohol und war nach Gaben von
20proz. Glyzerin bereits am 11., nach 40proz. am 29. Versuchstage an
den roten Blutkörperchen nicht mehr nachweisbar. Der zeitliche Ablauf
ähnelte im großen und ganzen dem der Alkoholversuche. Ein weiteres
Verfolgen dieser Experimente wurde zunächst als zwecklos aufgegeben, da
eine chronische Einwirkung von Glyzerin auf den menschlichen Körper,
die von Vergiftungserscheinungen gefolgt ist, praktisch wohl kaum vor-
kommen wird.
Tabelle III (Glyzerin, subkutan).
Tier 90 Tier 93
Dosis: 1 ccm 20 proz. Glyzerin Dosis: 1 ccm 40 proz. Glyzerin
_ Körpergewicht { ES Ee Körpergewicht ! nn Sue
Kä Resultat | Zal ter Kä Resultat Ee Ke
1. | Konte — BE 1 | Kontr. — y
2. f100 3 Tr WË
4. Sch WË b ttt IA
| HE |= 18 |%
. 100 . 100
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19. == 100 22.1 +++ «< 100/00
2| = owo | 26. | HHHH | mie
26. SC 2/00 29. ++ | 00
29. — 00 31. + oo
31. = Le | 34. 2 dë
| 38. = */100
| 42. — o
45. u 00
48. == "ee
50. Se 0
Die nächste Versuchsserie sollte klären, ob es auch durch subkutane
Gaben von Kohlenstaub möglich wäre, p. E. in größeren Mengen zu
erhalten. Zu diesem Zwecke wurden Stücke von Braunkohlenbriketts
im Mörser zu feinstem Staub verrieben, mit physiologischer Kochsalzlösung
aufgeschwemmt und den Tieren unter die Rückenhaut gespritzt, so daß
gewissermaßen ein Kohledepot entstand. Den Meerschweinchen Nr. 78
und 83 wurde auf diesem Wege je 1 ccm, dem Tiere Nr. 91 dagegen 2 ccm
einer Aufschwemmung von 1,3 g Kohlenstaub in 10 ccm phys. Kochsalz-
lösung injiziert. Dabei sei bemerkt, daß die wirklich einverleibten Gewichts-
mengen an Kohle bei den einzelnen Tieren nicht ganz konstant sein können,
weil ein wasserunlöslicher Körper sich nie gleichmäßig in der Aufschwem-
mungsflüssigkeit verteilt und ein wenig des Stoffes stets an den Glas-
wänden des Bereitungsgefäßes und der Spritze hängen bleiben wird. Diese
der Injektion verlorengehenden Mengen von Kohlenstaub betrugen, wie
334 Neue tierexperimentelle Untersuchungen usw.
mehrmals dadurch festgestellt wurde, daß eine solche Aufschwemmung
von 1 g Kohlenstaub in 10 ccm phys. NaCl-Lösung bereitet und mit einer
Spritze aufgezogen, die Rückstände an fester Substanz danach getrocknet
und gewogen wurden, ungefähr 0,3 g. Dieser Materialverlust wurde da-
durch ausgeglichen, daß 1,3g Kohlenstaub aufgeschwemmt wurden;
praktisch wären den Tieren Nr. 78 und 83 also 0,1 g, dem Meerschweinchen
Nr. 91 dagegen 0,2 g Kohle einverleibt worden. Wie gesagt, sind aber
auch diese Gewichtsmengen nicht ganz konstant; sie sind nur angegeben,
um einen Anhaltspunkt über die Größe der Gaben zu haben, und um zu
zeigen, daß schon geringste Mengen derselben zur Erzeugung positiver
Resultate ausreichend waren.
Tabelle IV (Kohlenstaub, subkutan).
Tier 83
| Tier 78
` Tier 91
Dosis: 1,3 g/10,0 NaCl 1 cem | Dosis: 1,3 g;10,0 NaCl 1 cem | Dosis: 1,3 g/10,0 NaCl 2 ccm
Körpergewicht { Se DoS Körpergewicht d SE 290: Körpergewicht { E See
Kan Resultat | re yoe Resultat fani Aer Tag | Resultat s e
1. ¡Kontr. == SCHT 1. ¡Kontr. er er l. Kontr. == De
4. SSES 100 PS 100 2. Ki 100
1. Ee 100 8 e 100 4. es %/ 100
9. | == °/100 12 ee / 100 8. | TIPA weg 100
12. | + hioo 15. ++ lan 9. | + RW
RK Cl Se |18) FE | Ge |12. tt 1 Ze
21. ++ Lo 20. + 100 14 SES J100
26. | +++ 100/00 22. | vereinz. + 100 17. T | Ta
30. + d" 100 24. = 100 19. ++ i "es
37. — vereinz. | 26. — VER 22. — 8/00
38. ` Kg | 100 29. = II? 26. Ä + '2/ 100
40, | — on 32 = 100 29. Ra 2/ 100
a7.) — D | 35. | — De | 3. + 20/100
Al" — 100 38. =R /100 35. T WI?
M. E | WE? 40. EA idn 38. | E 3/100
43. = oo 40. | Ze */ 100
48. SE /100 43. SKS */100
51 Eai Za 100 47. Sg 900
| 54. — We 51. — os
| | 54. — oo
Die Tabelle IV erläutert den zahlenmäßigen Erfolg dieser Versuchs-
serie. Zeitlich traten die p. E. im strömenden Blut im Übermaß der Grenz-
zahl bei Verwendung von 1 ccm der genannten Kohleaufschwemmung
vom 12. bis 15. Tage an, bei 2 com derselben bereits am 8. Versuchstage
auf. Die Wirkung der Injektion hörte nach geraumer Zeit, vermutlich
nach Resorption des angelegten Kohledepots, auf. Von da an zeigten sich
die Tiere bis zu 54 Beobachtungstagen praktisch negativ. Die Zahl der
an den einzelnen Untersuchungstagen festgestellten p. E. überstieg bei
den Tieren, welche 0,1 g der Substanz erhalten hatten, in keinem Falle die
Zahl von 100/09, während sie bei dem Meerschweinchen Nr. 91, entsprechend
der größeren Dosis des Mittels, durchschnittlich wesentlich höher war.
Auch hier besteht also, wenn auch nicht so deutlich wie bei den Alkohol-
Von Dr. Hans Lehmann. 335
injektionsversuchen, ein Zusammenhang zwischen der Menge der den
Tieren gegebenen Substanz und der Zahl der basophil granulierten roten
Blutkörperchen bzw. dem Zeitpunkt des erstmaligen Auftretens derselben
im strömenden Blute.
Sichtbare pathologische Veränderungen traten bei diesen Meer-
schweinchen ebenfalls nicht ein; es sei jedoch erwähnt, daß die Körper-
gewichte während des Versuches etwas zurückgingen, was, da der Gewichts-
verlust sich in mäßigen Grenzen bewegte (10, 40 und 20 g) nicht eine Folge
der Fremdkörperwirkung zu sein braucht.
Nicht so beweisend wie bei den vorigen Versuchen gestalteten sich die
Resultate, wenn man den Tieren kohlensauren Kalk subkutan ein-
verleibte. Von dieser Substanz erhielten die Meerschweinchen Nr. 163
und 82 je 1 ccm, das Tier Nr. 173 dagegen 2 ccm einer Aufschwemmung
von 1,3 g ın 10 ccm physiol. Kochsalzlösung unter die Rückenhaut. Auch
hier wurde aus den gleichen Gründen wie bei den Versuchen mit Kohlen-
staub zur Herstellung der Aufschwemmung ein Gewichtszuschlag von
0,3 g der Substanz gemacht, so daß man annehmen kann, daß die beiden
ersten Tiere in Wirklichkeit je 0,1 g, das dritte Meerschweinchen hingegen
0,2 g kohlensauren Kalk erhalten hat.
Irgendwelche krankhafte Erscheinungen während der Beobachtungs-
dauer wurden bei diesen Tieren ebenfalls nicht bemerkt, das Körpergewicht
derselben stieg im Verlaufe des Versuches ein wenig an.
Tabelle V (Kohlensaurer Kalk, subkutan).
Tier 173, Tier 163 Tier 82
Dosis: 1,3 g/10,0 NaCl 2 ccm Dosis: 1,3 £/10,0 NaCl i ccm | Dosis: 1,3 g/10,0 NaCl 1 ccm
Körpergewicht { 2 580 S Körpergewicht { A AiO A Körpergewicht { A.: 365 g
"ët Resultat | g E er Vag” Resultat da Ke Ka Resultat | dra i
1. ¡Kontr. —; WE 1. Pr — Dag 1. 'Kontr — y
4, == i wë 100 3 = | S 100 3 | Zee o 100
Y. H 9/100 5 = | Ei 100 5 | eg j wi 100
10. | Gs 10) 00 9 SS % 500 8 | = | °/ 00
12. t 20) 00 11 Ss % 100 13 | SR Tag
ML FF l Who III LE | Sie |15.: JE | Wie
17.: ++ i io 16. | +++ 120/100 18 + 00
19. ++ | oo 18 ++ wf? 21 ++ 89/00
a Os [al + | | di
22. = 9/100 25 = 9/300 26 SCH | °/ 100
25. => | 100 27 == 9/100 29. — 9/100
28. | — Yo | 30.1 + a 158. e o
y 32. — ' vereinz. | 32, — % oo 33 _ wv?
36. + 0/100 35. = 100 36 == Tee
| 38. = 100
Die Tabelle V gibt zahlenmäßig die Resultate des Experiments an.
Wir sehen, daß die Menge der auftretenden p. E. selbst an den Tagen
größter Wirkung in keinem Falle sehr hoch ist und wesentlich hinter der-
jenigen der früheren Injektionsversuche zurückbleibt. Sie übersteigt nur
bei einem Tiere an einem einzigen Untersuchungstage die Zahl DL und
bewegt sich sonst nur im Zwischenraum von 29,0 bis 8°/ioo bzw. 9/00.
336 À Neue tierexperimentelle Untersuchungen usw.
Des weiteren treten in dieser Versuchsserie die p. E. viel später, durch-
schnittlich erst nach 13 bis 15 Tagen auf und verschwinden nach kurzer
Zeit wieder aus dem Blutbilde. Eine Ausnahme in dieser Hinsicht macht
lediglich das Tier Nr. 173, welches die doppelte Menge kohlensauren Kalk
erhalten hat und schon am 10. und 12. Tage die Andeutung eines positiven
Resultates aufweist. Die Wirkung des kohlensauren Kalkes ist also offenbar
eine schwächere und flüchtigere. Das mag seinen Grund darin haben, daß
derselbe eine dem Körper nicht fremde Substanz ist, deren größten Teil
der Organismus physiologisch verwerten oder ausscheiden zu können
scheint, ehe eine stärkere Reizwirkung auf die Blutbildungsstätten bzw.
gar eine Schädigung der freiströmenden roten Blutkörperchen eingetreten ist.
Trotzdem war auch hier noch ein Erscheinen von p. E. im Übermaß
der für Bleivergiftung üblichen Grenzen die Folge der Injektionen. Die
Versuche müssen also noch als einwandfrei positiv im Sinne dieser Arbeit
gewertet werden.
In der nächsten Versuċhsserie wurde zwei Meerschweinchen feinster
Zementstaub, der aus der Entstaubungsanlage einer großen Portland-
zementmühle (Göschwitz) stammte, subkutan gegeben. Jedes Tier,
welches sich vor Ingangsetzung des Versuches frei von p. E. zeigte, erhielt,
entsprechend den früheren Darlegungen über die quantitative Beschaffen-
heit der zu verwendenden Aufschwemmung, 1 ccm einer solchen von 1,3 g
des Staubes in 10 ccm physiol. Kochsalzlösung unter die Rückenhaut
gespritzt. Da bei Vorversuchen mit unsterilem Zement so, wie er aus der
Entstaubungsanlage der Mühle entnommen wurde, starke, allerdings
örtlich bleibende und gutartig verlaufende Eiterungen. die Folge der
Injektionen waren, also Komplikationen eintraten, welche einwandfreien
Versuchsbedingungen zuwiderliefen, wurde derselbe vorher stark geglüht.
Krankheitserscheinungen seitens der Tiere traten sodann, abgesehen von
einer leichten Entzündung des Unterhautbindegewebes der Injektionsstelle
bei einem der Meerschweinchen, im Verlauf der vierwöchentlichen Be-
obachtungszeit nicht mehr zutage.
Punktierte Erythrozyten erschienen im Blutbilde, wie die Tabelle VI
zahlenmäßig zeigt, am 8. Beobachtungstage innerhalb der angenommenen
Grenzzahl, am 10. Tage im Übermaß derselben. Dabei stieg die Zahl der
. E. im Verlaufe des Versuches bis zu 150/10 bzw. (Blue an und fiel nach
Überschreitung dieses Höhepunktes der: zur Nullinie ab, sodaß vom
26. Versuchstage an keine in diesem Sinne veränderten Formen derselben
im Blutausstrich der Tiere nachweisbar waren. Das Meerschweinchen
Nr. 10a blieb daraufhin bis zum 39. Beobachtungstage, an welchem der
Versuch abgebrochen wurde, da ein Wiederauftreten der granulierten roten
Blutkörperchen nun nicht mehr zu erwarten war, negativ.
Dagegen bot das Tier Nr. 9a einen lehrreichen Nebenbefund, der auch
in dieser, andere Ziele verfolgenden Arbeit nicht verschwiegen werden soll.
Nachdem die p. E.-Zahl am 26. Tage bei demselben wieder auf Blo an-
gelangt war, stieg sie bei der Blutuntersuchung am 29. Tage ganz plötzlich
auf über 300), ., an. Daneben zeigten sich im Blutausstrich polychromato-
phile Rote in überraschend großer Menge. Das Tier selbst bot äußerlich
keine Krankheitssymptome, sodaß uns dieser merkwürdige, aus dem
Von Dr. Hans Lehmann. 337
Tabelle VI (Zementstaub, súbkutan).
Tier 9a Tier 10a
Dosis: 1,3 Zement in 10,0 NaCl Dosis: 1,3 Zement in 10,0 NaCl
davon 1 ccm davon i ccm
A.: 400 ; A.: 460
Körpergewicht { E.: 370 A (tot) Körpergewicht { E.: 470 S
LÉI") Resultat "dn | Resultats | Tier
1. | Kontr.— | % 100 1. | Kontr. — WË
6. ER °/ 100 6 SC 0/100
8. ER 100 8 — vereinz
wi Eo | 10 + De
14. F 78/100 14 ++ 100
16. | EL | ho | 16 | +++ | gie
18. ++ oo 18 ++ 100/00
21 SE ge 100 21 + 00
24 /100 24 + 40/100
26 Beet o/ 100 26 = St 100
29. + < SE 100 29. Te DI 100
31. | gestorben. 31. Ä — WEST
| Sektion: Verblutung | 35. ` = MË
¡in die Brusthóhle. 37. | == Jm
| 39. ` = /100
Rahmen unserer bisherigen Versuche herausfallende Blutbefund zunächst
unerklärlich erschien. Am 31. Tage wurde das Tier tot in seinem Käfig
gefunden. Die Sektion ergab eine Verblutung in die Brusthöhle, welche
mangels anderer Gründe nur dadurch erklärt werden konnte, daß ein
heftiger Kampf mit dem zweiten, in demselben Käfig vorhandenen Tiere
vor sich gegangen ist, der zu einer inneren Verletzung mit tödlichem Aus-
gange geführt hat. Nach dem pathologisch-anatomischen Befunde wurde
das Alter dieser Blutung auf etwa drei bis vier Tage geschätzt, da bereits
stärkere Verklebungen der Blutgerinnsel mit der Brustwand nachweisbar
waren.
Dieser abwegige Fall ist ein neuer Beweis dafür, daß nach starken
Blutverlusten p.E. in größeren Mengen auftreten können, wie es experimen-
tell bereits von Blumenthal und Morawitz, sowie von Boelke be-
schrieben worden ist. Ob dabei die reine Blutungsanämie oder eine Gift-
wirkung durch Zersetzung der in einer Körperhöhle eingeschlossenen Blut-
masse als Ursache für die Bildung dieser Erythrozytenformen in Frage
kommt, soll hier nicht weiter erörtert werden. Für uns ist der Zwischenfall
insofern lehrreich, als durch ihn bewiesen ist, daß einmal die Technik der
angewandten Färbung usw. richtig war, und zum anderen, daß die statt-
gehabten, öfteren Blutentnahmen bei unseren Versuchstieren nicht die
Ursache für das Auftreten der basophil granulierten roten Blutkörperchen
waren.
Auf Grund der ausgeführten Versuche können wir behaupten, daß
auch der Zementstaub, in geringen Dosen subkutan verabreicht, vermag,
die Erscheinung der getüpfelten Ervthrozyten in größeren Mengen her-
vorzurufen. |
Archiv für Hygiene. Bd. 96. 25
338 Neue tierexperimentelle Untersuchungen usw.
Sämtliche Versuche, die im vorstehenden Abschnitt IIIA besprochen
wurden, fielen, wenn wir zusammenfassen, positiv aus und zwar in Grenzen,
beziehentlich des zahlenmäßigen Auftretens der p. E., die einen Zweifel
nicht aufkommen lassen. Im großen und ganzen ist dabei der Ablauf des
Versuchs so, daß die im strömenden Blute erscheinende Zahl der p. E.
langsam bis zu einem gewissen Höhepunkt ansteigt und nach Überschrei-
tung desselben ebenso wieder zum Nullpunkte zurückgeht. Doch braucht,
wenn wir uns die Zahlen der an den einzelnen Untersuchungstagen ge-
fundenen p. E. durch eine Kurve verbunden denken, diese nicht immer glatt
zu verlaufen, sondern kann hin und wieder Zacken zeigen. Im zeitlichen
Erscheinen der genannten Blutkörperchenformen traten, besonders bei
den Injektionsversuchen, in denen wasserunlösliche Stoffe in Form von
Aufschwemmungen verwendet wurden, Verschiebungen ein, die einmal auf
die Schwankungen der den Tieren einverleibten Gewichtsmengen der be-
treffenden Substanz zurückzuführen sind, zum anderen aber in der indivi-
duellen Disposition der einzelnen Meerschweinchen begründet sein mögen.
Die Erfolge mit den Injektionsversuchen ermutigten uns, die im fol-
genden Abschnitt näher betrachteten Experimente, in denen die genannten
Stoffe an Meerschweinchen verfüttert wurden, durchzuführen.
B) Fütterungsversuche.
Wenn die bisher gewonnenen Resultate in bezug ihrer Nutzanwendung
auf den Menschen praktisch nur wenig Wert haben, da es wohl selten vor-
kommen wird, daß die genannten Stoffe durch offene Wunden, kleinste
Hautverletzungen usw. direkt in die Blutbahn der Arbeiter eindringen,
so rückt das Interesse sofort in den Vordergrund, wenn wir an die Aufnahme
solcher Substanzen durch den Magendarmkanal denken. Wir wissen, daß
der größte Teil von Vergiftungen mit chemischen Verbindungen, ins-
besondere aber die Schädigung durch Blei und andere Metalle, dadurch
zustandekommt, daß feinste Teilchen derselben mittels beschmutzter
Hände in den Mund gelangen und zum Teil schon da oder nach Verschlucken
im übrigen Abschnitt des Speiseweges zur Resorption kommen. Verbote
des Essens und Rauchens bei der Arbeit sowie strenge Waschvorschriften
sind deshalb den Angestellten, Bereitstellung genügender und bequemer
Säuberungsgelegenheiten neben anderen Schutzmaßnahmen den Arbeit-
gebern solcher Betriebe auferlegt worden.
Aber auch die Wirkung des Alkohols, der heutigentags mehr denn je
wieder eine Rolle in Deutschland spielt, darf hier nicht unberücksichtigt
bleiben, wenn auch gerade bei der Anwendung dieser Tierversuche auf
den Menschen sich insofern Schwierigkeiten ergeben werden, als es wohl
selten oder gar nicht gelingen dürfte, von den Arbeitern wahrheitsgetreue
Angaben über ihren Alkoholgenuß zu erhalten.
Die Tabelle VII zeigt das zahlenmäßige Auftreten p. E. beim Meer-
schweinchen nach Einverleibung von 40proz. Alkohol, von welchem
die Tiere Nr. 67 5 cem, Nr. 68 3 ccm und Nr. 69 1 ccm erhalten haben.
Es wurde technisch dabei so verfahren, daß den Tieren ein Magenschlauch
eingeführt wurde, durch den mittels einer an seinem freien Ende an-
Von Dr. Hans Lehmann. 339
Tabelle VII (Verfútterung von Alkohol in fallenden Mengen).
EE —
Tier 67 Tier 68 Tier 69
Dosis: 5 ccm 40°/, Alkohol Dosis: 3ccm 40°/. Alkohol Dosis: 1 ccm 40°/, Alkohol
Körpergewicht { p dn 5 Körpergewicht q a > d Körpergewicht ! SE 500 v
KA Resultat a = MA Resultat | er a ar Resultat ge e
> Kontr. — dëi l Kontr. —. di 1. ‚\Kontr. — yoo
. E ! 100 i = 100 e» BS 100
5. pena NT E Bi — | vereinz 4. t wë
6 | Sho f T| <= | el il E | Sie
8. a l S 10 + we 100 9. + 15/ 100
10. Se Za | 12. | +++ ww? 11. t 50/100
12. + 100 14. | en mm pm | <?9%/ 100 14. SS 12/100
P E ajer EIERE
° Sa 100 100 . ez 100
19. | +++ 1000 21 ++ oo 21. | y 00
22. | ++ oo | 24 ++ 75] 100 23. 50/100
lm | — fæ |25. ++ | mi
26. Je | 28 => 100 28. E 10/100
29. ++ 7] 100 31 == “100 31. — 100
31. — wë? 33 — vereinz. | 33. — io
33. + wi 100 35 — 0/ 100 36. > wi 100
8) — | Yo | 38.| — oo | 38. | — 9/100
38. Gg / 100 41 GG o/ 100 40. | == 9/ 100
40. SS oo | 43 = Ta 42. | — 100
43. Se 00 | 45 => 9/100 45. Se Ta
46. | — y |
geschlossenen Spritze der Alkohol ganz langsam unter leichtem Druck
direkt in den Magen befórdert wurde. Das hatte den Nachteil, daB die
Resorption desselben durch die Mundschleimhaut und Speisewege, welche
beim Alkoholgenuß des Menschen bekanntlich eine große Rolle spielt,
wegfiel. Es mußte jedoch die Einverleibung des Alkohols auf diese Weise
vorgenommen werden, um Substanzverlusten durch Versprudeln und
Herausfließen aus der Mundhöhle der Tiere, die bei Verfütterung in dieselbe
wohl unvermeidlich gewesen wären, zu verhindern, denn der Alkohol ist
unter unsern Versuchsstoffen eben der einzige, bei dem sich die den Tieren
gegebene Menge quantitativ genau bestimmen läßt. Ferner wurde der
Magenschlauch angewendet, um bei den Fütterungsversuchen mit den
staubförmigen Verbindungen ein Eindringen der fremden Substanz in
die Atemwege, was weiteren Versuchen vorbehalten bleiben sollte, zu ver-
hindern. | |
Ein Blick auf die Auszählungsangaben der Tabelle VII lehrt, daß das
zeitliche Auftreten von p. E. im strömenden Blute sich nach der Stärke
der verabreichten Alkoholgabe richtete, und daß diese Fütterungsversuche
in jedem Falle positiv verliefen. Die Wirkung setzte parallel den fallenden
Alkoholdosen am 5., 10. und 11. Tage des Beobachtungszeitraumes ein,
wobei sich dieselbe bei dem Tiere Nr. 69, welches die geringste Menge
Alkohol erhalten hatte, wohl bereits vom 4. Tage an durch eine geringe
Zahl von p. E. ankündigte, die jedoch nicht als positiver Befund betrachtet
werden konnte, da die Werte unter der für uns gültigen Grenzzahl lagen.
In gleichem Maße schwanden auch die granulierten Erythrozyten aus dem
252
340 Neue tierexperimentelle Untersuchungen usw.
Blutbilde der Tiere, welche die geringeren Alkoholgaben erhalten hatten,
am 26. und 28. Tage,. während sie bei dem Meerschweinchen mit der
höchsten Dosis mindestens bis zum 33. Versuchstage, also ca. 5 bis 7 Tage
länger, im Übermaß der Grenzzahl nachweisbar waren. Ferner sank die
Zahl der nach unserem System ausgewerteten p. E. durchschnittlich und
auffallend mit der Abnahme der gegebenen Alkoholmengen. Auch hierfür
gilt das im Abschnitt IIIA. Gesagte, daß unsere Versuchsresultate im
Einklange mit der Größe der verabreichten Alkoholmenge stehen und
somit nicht auf Zufälligkeiten beruhen können, sondern tatsächlich der
Wirkung des Alkohols zuzuschreiben sind. Dies wiederum läßt den Schluß
zu, daß auch die Experimente mit den anderen Substanzen, bei denen eine
so exakte Gewichtsbestimmung der wirklich verabreichten Menge wegen
ihrer Wasserunlöslichkeit nicht möglich war, im Prinzip einwandfrei sind.
Die Tiere vertrugen auch die Verfütterung des Alkohols, ohne irgend-
welche pathologische Erscheinungen unmittelbar nach der Einverleibung
oder während der Beobachtungszeit zu zeigen. Ebenso wurde ihr Körper-
gewicht durch die Versuche nicht nachteilig beeinflußt. Da andere Gründe
für das Auftreten der basophil granulierten Erythrozyten im Blute der
Versuchstiere nicht vorliegen, ist also sicher, daß es selbst mit diesen
kleinen und einmaligen Alkoholgaben in den Magen der Tiere gelang, das
Blutbild der Bleivergiftung zu erhalten.
Wenn wir — rein theoretisch — diese Versuche auf den Menschen
anwenden wollen, so könnte bei einem im Bleigewerbe beschäftigten Ar-
beiter von 75 kg Gewicht und unter Zugrundelegung des Tieres Nr. 69
von 400 g Schwere der Genuß von 187 ccm eines 40proz. Schnapses ge-
nügen, um ihn gelegentlich einer gewerbeärztlichen Reihenuntersuchung
auf Grund seines Blutbildes als bleigefährdet oder gar bleikrank anzu-
sehen, obwohl das Auftreten der zur Frühdiagnose dienenden p E. nur
die Folge des Alkoholgenusses zu sein braucht. Die Menge des genossenen
Schnapses entspräche etwa t/l, was durchaus im Bereich der Möglich-
keit liegt, zumal Arbeiter, die an ständigen Alkoholgenuß gewöhnt sind,
fast täglich solchen zu sich nehmen, also die Dosis unseres Rechenbeispiels
noch weit überschreiten würden. Wie gesagt, ist die geschilderte Über-
legung rein theoretischer Natur und die Nutzanwendung unserer Tier-
versuche auf den Menschen nicht ohne weiteres statthaft; die Möglichkeit
des gleichen Erfolges aber ist nicht zu leugnen.
Auf dem gleichen Wege wie der Alkohol wurde den folgenden Tieren
(Nr. 70 und 76) je 2 g kohlensaurer Kalk in 10 ccm physiol. Kochsalz-
lösung aufgeschwemmt gegeben. Die Wasserunlóslichkeit desselben und
der nächsten Versuchsstoffe hatte zur Folge, daß die in Wirklichkeit ein-
verleibten Mengen dieser gewichtsmäßig nicht genau bestimmt werden
konnten, weil ein Teil der Substanz naturgemäß stets an den Glaswänden
der Spritze, dem Magenschlauch und dem Gefäß, in welchem die Auf-
schwemmung bereitet wurde, hängen blieb. Um diesen Fehler auszu-
gleichen, wurden in jedem Falle 0,3 g der Substanz mehr aufgeschwemmt,
was ungefähr der zurückbleibenden Menge derselben, wie sie in mehrfachen
Versuchen durch Trocknung und nachfolgende Wägung bestimmt wurde,
entsprach.
Von Dr. Hans Lehmann. 341
Tabelle VIII (Verfütterung von kohlensaurem Kalk).
Tier 70 Tier 76
Dosis: 2,3 g/10.0 NaCl Dosis: 2,3 g/10,0 NaCl
A.: 400 e A.: 280
Körpergewicht { E: 390 E Körpergewicht 1 S 34 0%
rage | Resultat | Zander | Ves | resultat | Zahl der
1 Kontr. — | wë? 1. | Kontr. — ob
3. Ee °/100 E a 100
9. TT Si 100 5. F /100
E | Ele
. < /100 . + 100
10. A 1. | +++ | he
12, + 00 13. TF 100
14. a | Te 15. E 10/00
15. + "lee 17. = °/100
18. — 0/00 19. — vereinz.
20. = Jee 21. SS | °/100
23. Es 0/100 23 = i 0/100
26. T °/100 25 Be °/ 100
29. — vereinz. 27 — oo
321 — %0 | 29. — dëi
35. = 100 32. sE °/100
Die an dieser Tierserie gewonnenen Resultate sind zahlenmäßig in
der Tabelle VIII aufgezeichnet. Am 5. Tage nach der Fütterung waren
bereits die Blutpräparate der Tiere reich an basophil granulierten Ery-
throzyten. Es fanden sich an diesem Tage 50 bzw. 80 p. E. in 100 durch-
gesehenen Immersionsgesichtsfeldern, ein Zeichen dafür, daß die geringe
Menge des den Meerschweinchen einverleibten kohlensauren Kalkes schon
genügt hat, das für Bleivergiftung als charakteristisch gepriesene Früh-
symptom an den roten Blutkörperchen hervorzurufen. Aber auch hier
vergingen ebenso wie bei den Experimenten mit subkutan verabreichten
CaCO, die genannten pathologischen Veränderungen an den Erythrozyten
rascher als bei den anderen Verbindungen, sodaß bereits 7 bzw. 8 Tage
nach Auftreten der ersten p. E. solche nicht mehr in Werten beobachtet
wurden, welche die gesetzte Grenzzahl überschritten. Dafür kann auch
hier das im Abschnitt über die subkutane Injektion des kohlensauren
Kalkes Gesagte als Erklärung herangezogen werden. Während der Ver-
suchsdauer stieg die Zahl der im strömenden Blute gefundenen p. E. auf
über 200) .,) an, eine Zahl, die jeden Zweifel über den positiven Ausfall
dieser Versuche ausschließt.
Weiteren Versuchstieren wurde Zementstaub in den Magen ein-
geführt, und zwar kam auf Grund der vorangeganen Überlegungen über
den Substanzverlust beim Arbeiten mit wasserunlöslichen Stoffen eine
Aufschwemmung von 1,3 g desselben in 10 ccm physiol. Kochsalzlósung zur
Anwendung, sodaß angenommen werden kann, daß jedem Tiere praktisch
etwa 1 g des Staubes einverleibt worden ist. Der Erfolg war, wie die
Tabelle IX lehrt, bei beiden Tieren, obwohl sie annähernd gleiches Körper-
gwicht besaßen (550 und 520 g), nicht einheitlich.
Das Tier Nr. 11a reagierte in bezug auf das Auftreten der p. E. merklich
schwächer; die Wirkung setzte erst am 17. Versuchstage ein und war
342 Neue tierexperimentelle Untersuchungen usw.
Tabelle 1X (Verfútterung von Zementstaub).
Tier 11a Tier 12a
Dosis: 1,3/10,0 NaCl Dosis: 1,3/10,0 NaCl
Körpergewicht | m S Körpergewicht E A.: Geen E
Ta | Resultat gr eg Kär Resultat Ze a
1. | Kontr. — wël 1. | Kontr. — vi
5. — d | 5 + wë
9. — vereinz. 9. — y
12. = °/ 100 12. | + 35/100
15. Ee 00 15. ++ Til
17. . + 0 17. + He
19. | ++ gi 100 19. + wei 100
22. ++ SW 100 22. | + 22 100
| — Vin | 26.1 + wë
28. | — oo 28. | t e
30. | — vereinz. | 30. t | 10) io
32. = Tag 32. | + 19/100
34. | e El 100 34. | SS i o 100
36. — oo 36. — iso
38. | SS °/100 38. | Ke Te
40. an akuter Pneumonie 40. — O i
gestorben bis
52. — | Van
zwischen 23. und 25. Tage bereits wieder erloschen. Ferner überschritt
die Höhe der gefundenen p. E.-Zahl nicht den Wert von Billa, Dagegen
zeitigte das Tier Nr. 12a einen vollen Erfolg. Bei Einsetzen des positiven
Befundes am 12. Tage hielt dieser sicher bis zum 28. Tage an, und zwar so,
daß die Zahl der p. E. langsam bis zur Höhe von ??0/, ¿y anstieg und von
da an rasch abfiel. Immerhin sind aber die aufgetretenen Werte für die
basophil granulierten Roten bei dem Tiere Nr. 11a noch so hoch, daß der
positive Ausfall des Versuches auch hier nicht zweifelhaft ist, jedoch ist
die Ursache für die unterschiedliche Art des Experiments bei diesen Tieren
nicht recht erkennbar. Ein möglicher Grund dafür wäre, daß die einzelnen
Meerschweinchen verschieden widerstandsfähig gegen die fremden Sub-
stanzen sind, bzw. von Seiten ihres hämopoetischen Systems unterschiedlich
stark darauf reagieren. Das wäre eine Parallele zu der Erfahrungstatsache,
daß es auch unter den Menschen solche gibt, die auf Blei nur in gering-
fügigem Maße oder gar nicht mit Bildung von p. E. antworten.
Eine Überraschung boten die Versuche, in denen Kohlenstaub in
steigenden Gaben an Meerschweinchen verfüttert wurde. Es gelang merk-
würdigerweise in keinem Falle, auf diesem Wege granulierte Erythrozyten
bei den Tieren hervorzurufen, obwohl dies wiederholt versucht wurde.
Die Tabelle X schildert den Gang des Versuches an drei,Tieren (Nr. 75,
15 und 16), denen auf dem bisher beschrittenen Wege 2, 3 und 4 g Braun-
kohlenbrikettstaub in je 10 ccm physiol. Kochsalzlösung aufgeschwemmt
und mit dem Substanzverlustzuschlag von 0,3 g versehen, verabreicht
wurde. Über die Dosis von 4 g Kohlenstaub meinten wir nicht hinaus-
gchen zu sollen, weil dann den Tieren Mengen desselben einverleibt worden
wären, die, auf das Körpergewicht des Menschen umgerechnet, praktisch
Von Dr. Hans Lehmann. 343
Tabelle X (Verfütterung von Kohlenstaub).
Tier 75 Tler 16 Tier 15
Dosis: 2 g/10,0 NaCl Dosis: 3 g/10,0 NaCl Dosis: 4 g/10,0 NaCl
Körpergewicht d Se 0 S Körpergewicht | SC en = Körpergewicht E E: SE E
TÉL) Resultat | ee ag | Resultat | Zab der [VEIE] Resuttat | TTT
l. ¡Kontr. — le 1. ¡Kontr. — 1100 1. [Kontr. — ioo
3. | — /100 4. SE | / 100 4. e 0
5. SES 9/100 6. | E °/ 100 6. ` Da
T| — Yo | 8. — dn | 8| — | Hw
8. t 15/100 11. ES 0/00 11. | ER | °/ 100
10. SE 0/100 14. —= 00 14. Ben oo
GES = | m Tel =; cm
14. ge) °/ 100 19. e Te 19. B | El 100
15. — 100 22. | — yaa 22. — Zoe
18. EA 0 100 25. A “ion 25. = 100
20. pa 0 100 27. = en 27. Anz 9100
23. — Ao 29. — Ain 29. — Ain
24. genge ` 33. | = | ho [33| — Ges
10,0 NaCl | | |
27. — “oo |
| — 00 | |
31. | Kam: Aen |
33. | — Ta Ä
35.. — %/100 |
38. | =; Ao |
selbst fiir Arbeiter in kohlenstaubreichen Gegenden nicht mehr oder
wenigstens selten in Frage kommen. Die Erklärung dafür, daß es nur durch
Verfütterung von Kohle nicht möglich ist, basophil getüpfelte Erythrozyten
im Tierversuche zu erzeugen, trotzdem dies durch subkutane Injektion
und, wie wir im nächsten Abschnitt dieser Arbeit sehen werden, auch durch
Einatmung von Kohlenstaub einwandfrei gelingt, müssen wir schuldig
bleiben, da ein umfassender Grund für diese Merkwürdigkeit sich nicht
finden läßt.
C) Einatmungsversuche.
Für die Gewerbehygiene ist schließlich die Frage am EE ob
das Einatmen von kalk-, kohlen- oder zementstaubhaltiger Luft, wozu
die Arbeiter nicht nur an den Orten, wo diese Stoffe gewonnen oder ver-
arbeitet werden, sondern úberhaupt in den Industriezentren reichlich Ge-
legenheit haben, bereits die Ursache für die Bildung von basophil granu-
lierten Erythrozyten im Blute sein kann und somit zur Verwechslung mit
dem für Bleieinwirkung bekannten Blutbilde führen könnte. Die Ein-
atmung von Alkoholdämpfen spielt praktisch eine sehr untergeordnete
Rolle und dürfte in Mengen, welche pathologische Veränderungen an den
roten Blutkörperchen hervorzurufen imstande sind, nur in vereinzelten
chemischen Betrieben, Brauereien oder Brennereien in Frage kommen.
Aus diesem Grunde wurde auf solche Versuche an Meerschweinchen ver-
zichtet,
344 Neue tierexperimentelle Untersuchungen usw.
Wenn man Einatmungsversuche am Tiere mit staubfórmigen Stoffen
ganz exakt machen wollte, müßte das Verschlucken des beim Atmen sich
in den oberen Luftwegen absetzenden Staubes und somit eine eventuelle
Resorption desselben vom Magendarmkanal aus verhindert werden. Das
ist aber sicher nur zu erreichen, wenn man die Speiseröhre der Tiere unter-
bindet. Von diesem rigorosen Verfahren, welches dem Leben der Meer-
schweinchen trotz Anwendung von Ernährungsklistieren usw. in kurzer
Zeit ein Ziel setzt, mußte abgesehen werden, weil einmal das dazugehörige
Tiermaterial zu teuer ist, zum anderen aber die Meerschweinchen nach
Anlegung der Unterbindung den zu einer abgeschlossenen Untersuchung
nötigen Beobachtungszeitraum von 4 bis 6 Wochen nicht überleben dürften.
Da wir diese exakte Methode aus den angeführten Gründen nicht
wählten, ist somit anzunehmen, daß die folgenden positiven Resultate zu
einem, wenn auch kleinem Teile mit auf der Wirkung der bei der Atmung
verschluckten Fremdstoffe vom Magendarmkanal aus beruhen. Jedoch
kann man auch bei dem Studium der Einwirkung industrieller Gifte auf
den menschlichen Körper niemals streng auseinanderhalten, ob diese
lediglich auf dem Atemwege oder zu einem Teile durch den Speisekanal
zur Resorption gekommen sind. Das spielt letzten Endes bei der Entschei-
dung der Frage, ob durch Einverleibung von Stoffen, welche den Arbeitern
leicht zugängig sind, die Frühsymptome der Bleivergiftung in Form der
p. E. auch auftreten können, keine wesentliche Rolle.
Zur Durchführung der Einatmungsversuche am Meerschweinchen
wurde der in Abb. 1 dargestellte Apparat konstruiert und verwendet.
In einem Holzkasten A (42:42:22 cm), dessen Fugen gut abgedichtet
sind, ist ein elektrischer Ventilator, wie er zum Entlüften von Arbeits-
stätten, Gasthausstuben usw. dient, in wagerechter Lage, die Flügel nach
oben gerichtet, eingebaut. Das Gehäuse des treibenden Motors ist, um
letzteren vor starker Verstaubung zu schützen, von den Flügeln durch
eine Pappscheibe abgetrennt, welche nur eine Öffnung für die Flügelwelle
aufweist. Dem Kasten A sitzt ein Glastrichter B mit seinem größten
Durchmesser von 30 cm auf. Der Holzdeckel des Kastens ist im Bereich
der kreisförmigen Fläche der Trichteröffnung durch feinlöchrige Drahtgaze
ersetzt, ein guter Abschluß der Berührungsstelle von Trichter und Kasten
durch Plastilin erreicht. Die durch den Ventilator erzeugte starke Luft-
bewegung kann sich also ohne wesentliche Störung auf den Inhalt des
Trichters übertragen. Um ein gleichmäßiges Zirkulieren der Luft und mit
ihr des durch ein oben konisch erweitertes Glasrohr c in den Trichter ge-
brachten Staubes zu erreichen, insbesondere aber, um beim Betriebe des
Apparates ein Ansetzen desselben in der Trichterspitze zu verhindern, ist
in demselben eine trennende Papierscheibe d so angebracht, daß den auf
der Drahtgaze b unter dem Glastrichter B sitzenden Versuchstieren ein
Atmungsraum zur Verfügung stand, der dem Inhalt eines Kegelabschnittes
von der Höhe 12 und den Durchmessern 30 und 15 cm entspricht.
Erfahrungsgemäß bildete sich beim Gange des Ventilators in der Achse
des Trichters eine unbewegte TLuftzone, in welche die Tiere sofort ihre
Köpfe zu stecken pflegten, um so dem Flugstaube zu entgehen. Es wurde
deshalb ein keilförmig gebautes Trennungsgitter e aus Draht angebracht,
Von Dr. Hans Lehmann. 345
welches den Atmungsraum in zwei gleiche Teile zerlegte und so die Tiere
zwang, den Kopf in der Fluglinie des Staubes zu belassen, da der jedem
Meerschweinchen nunmehr zur Verfügung stehende Raum nicht viel größer
als sein Umfang war und somit Bewegungen der Tiere verhinderte. Über
dem oberen Ende des staubzuführenden Glasrohres c ist mittels eines
Stativs ein Vorratsbehälter / für die zu verwendende Staubart angebracht,
der mit seinem nach unten verjüngten und von der Senkrechten etwas ab-
gebogenen Ende frei in das konisch erweiterte Zuflußrohr c hineinragt.
Das Pendel eines auf einem Stativ seitlich aufgestellten Metronoms g
schlägt während des Versuches alle Sekunden an das Vorratsgefäß f,
was jedesmal ein Abbröckeln von etwas Staub zur Folge hat. Dieser
rutscht durch das trockene Glasrohr in den Atemraum und wird dort durch
die vom Ventilator erzeugte Luftbewegung längere Zeit herumgewirbelt.
Auf diese Weise wurde erreicht, daß wenige Gramm der Substanz ganz
allmählich in den Trichter befördert und dort einige Zeit in Bewegung
gehalten wurden. Ä
Die Quantität der in jedem Versuche verstäubten Substanz wurde
nach dem Gewicht bestimmt, das Experiment im übrigen so durchgeführt,
daß an drei aufeinanderfolgenden Tagen eine bestimmte Grammenge des
jeweiligen Staubes verarbeitet wurde. Selbstverständlich atmeten die Tiere
nur wieder einen Teil des Staubes ein, während die größere Menge desselben
sich zu Boden senkte, in dem Haarkleid der Meerschweinchen haften blieb
oder anderweitig für den Versuch verloren ging. Mit der verwendeten
Apparatur war also eine genaue Gewichtsbestimmung der von den Tieren
wirklich eingeatmeten Substanz noch weniger möglich, als bei den Fütte-
rungsversuchen. Der Zweck dieser Ex perimente sollte eben zunächst ledig-
346 Neue tierexperimentelle Untersuchungen usw.
lich der sein, festzustellen, ob es auf dem eingeschlagenen Wege überhaupt
gelänge, p. E. in größeren Mengen zu erhalten. Die exakte Feststellung
der Gewichtsmengen der verwendeten Stoffe, die eben noch ausreichen,
um basophil granulierte Erythrozyten beim Meerschweinchen in Mengen,
welche die üblichen Grenzzahlen überschreiten, zu erhalten, soll späteren
Versuchen vorbehalten bleiben.
Tabelle XI (Einatmung von kohlensaurem Kalk).
Tier 1. Tier 2
Dosis: An 3 Tagen je 2g Dosis: An 3 Tagen je 2 g
Körpergewicht d Es oe Korpergewicht í a 210%
Ve |
Ka | Resultat ` ` ee Resultat | TE er
1. % 100
5. = The
8. sun 9/100
10. = % 100
12. Kam KÉ
14. (viel Poly.)
16. ; + E 100
18. ++ / -| ++++ 170) 700
20. T a ew REET = 200) 00
25. = o/ 100 «| +++ i we 100
28. ES 0, 00 25. eme 00
32. — De 28. — o/ 100
36. ES o 32. ES | SECH
38. — el 100 36. — o 100
40. tee, 07 100 38. en | y
40. Ke | Tee
saurem Kalk an. In der beschriebenen Weise wurden an drei aufeiander-
folgenden Tagen je 2 g des fein pulverisierten Stoffes verstäubt, wozu an
jedem Versuchstage eine Zeitspanne von ungefähr einer Stunde nötig war.
Nachdem sich die erste, durch das Geräusch des Motors und die stark
bewegte Luft bedingte Unruhe der Tiere gelegt hatte, verhielten sie sich
im weiteren Verlauf des Versuches ruhig und fühlten sich durch die staub-
haltige Atmosphäre offenbar nicht behindert.
Die Wirkung des durch Einatmung in den Körper gelangten kohlen-
sauren Kalkes auf das Blutbild trat bei dem Meerschweinchen Nr. 1 am 12.,
bei dem Tiere Nr. 2 am 14. Tage ein. Die Zahl der p. E. stieg während der
Beobachtungszeit rasch bis zur Höhe von 200/ am 16. bzw. 18. Tage an
und fiel ebenso schnell wieder zum Nullpunkte ab, so daß beide Tiere vom
25. Versuchstage an praktisch frei von granulierten Roten blieben. Das
körperliche Befinden der Meerschweinchen zeigte während des gesamten
Versuchsverlaufes nichts Absonderliches, zum mindesten waren erkennbare
Schäden, starke Abmagerungen usw. als Zeichen toxischer Vorgänge im
Tierkörper nicht zu verzeichnen. Vor dem Versuche von den Tieren an-
gefertigte Blutpräparate erwiesen sich als frei von p. E.
Das einmalige Auftreten von p. E. in einem geschlossenen Beobach-
tungszeitraum, das zahlenmäßige Anschwellen derselben zu einem ge-
Von Dr. Hans Lehmann. 347
wissen Höhepunkt während dieser Zeit und die unmittelbar anschließende
Rückkehr zum normalen Standpunkt sprechen dafür, daß die Einatmung
der — wie wir auf Grund der Versuchsanordnung bestimmt annehmen
können — geringen Mengen von kohlensaurem Kalk genügten, um diese
veränderten Formen der Erythrozyten in pathologischen Mengen im
Blutbild der Tiere zu erzeugen. Auch im Einatmungsversuch jedoch war
die Wirkung des kohlensauren Kalkes in bezug auf Dauer und Höhe der
Zahl der gefundenen p. E. an den Tagen größter Wirkung, ähnlich den
Resultaten bei der subkutanen Verabreichung und Verfütterung desselben,
ohne Zweifel schwächer, als bei den im folgenden beschriebenen Experi-
menten mit Kohlen- und Zementstaub.
Von den drei zur Einatmung verwendeten Stoffen übte unzweifelhaft
der Kohlenstaub die stärkste Wirkung auf das Blutbild der Versuchs-
tiere aus, was um so verwunderlicher ist, als, wie wir im vorigen Abschnitt
sahen, die Verfütterung desselben nicht vermochte, p. E. im strömenden
Blute der Meerschweinchen hervorzurufen. Die Tiere Nr. 3, 4 und 5 wurden
in dem angegebenen Apparat an drei aufeinanderfolgenden Tagen dem
Staub von im Achatmörser feinst gepulverten Stückchen von Braun-
kohlenbriketts in Mengen von je 8 g (was gewichtsmäßig ungefähr dem
Volumen von 2 g Kreide entsprach) ausgesetzt. Die Dauer des Versuches
währte dabei an jedem Tage etwa 11, Stunden.
Tabelle XII (Einatmung von Kohlenstaub).
Tier 3 Tier 4 Tier 5
Dosis: 3 Tage je 8 g Dosis: 3 Tage je 8 g Dosis: 3 Tage je 8 g
Körpergewicht | A S Se a Korpergewicht f a ; Nä S Körpergewicht f A ; Se E
ne) Resultat | re er Resultat | ga e Ka Resultat | et
1. |Kontr. — ` Die 1. Kontr. — oo 1. ¡Kontr. —| vereinz.
9. ECH 100 H, Weg o/ 100 5. RE 100
12. | + Li 12. ` + 50/100 10 + #0 / 100
15.° ++ | “yw 15 98/100 14 Tr 70/100
19. | + o 19 +++ | 779/100 16 +++ oo
2. + 09 | 22. | ++ | Wie
25. am 7100 25. ++ , "o 24. | +++ 108/00
29. ++ "ien 29. ++ WI 281 + Ti
33. + WI 33. + 15/100 29. ++ wf
36.1 -— Yo 136 + o, 32. | +48 |<"
40. | SS 100 40. + wf? 36. ++ 98/100
42. => °/ 100 42. | + wf 42. ++ 0) 00
47. gk 100 47. ı T wf? 44. ++ 00
51. — in 51. — WOCH 47. +t a 6
54. = 100 54. SS 100 49. + 25/100
| 56. | — do 54. — cs
58. ı — /100 58. — wO?
60. ' = Fiv 60. — Vë
62. — /100 62. — oo
Bereits am 10. und 12. Beobachtungstage traten in den Blutbildern
der Tiere, welche vor Ansetzen des Versuches als frei von granulierten
Erythrozyten erkannt waren, solche veränderten Formen der Roten im
348 . Neue tierexperimentelle Untersuchungen usw.
Übermaß der Grenzzahl von Säi, auf (s. Tabelle XII). Während das Ein-
setzen des in unserem Sinne positiven Befundes ziemlich zum gleichen
Zeitpunkte erfolgte, fiel: der weitere Ablauf der Reaktion während der
Beobachtungszeit aus dem Rahmen der bisherigen Versuche merklich
heraus. Einmal überstieg nämlich die Zahl der an den einzelnen Unter-
suchungstagen gefundenen p. E. nur zweimal die Zahl 1%/, o, bewegte sich
also größtenteils in der Höhe von nur ?°/,00 bis 8°/iop, wofür die positive
Wirkung im Gegensatz zu den übrigen Einatmungsversuchen auffallend
lange anhielt. Ja, unter den drei Tieren dieser Versuchsserie selbst ver-
schwanden die p. E., obwohl die Meerschweinchen gleichen Mengen
Kohlenstaub ausgesetzt waren, nicht gleichmäßig wieder aus dem Blut-
bild, sodaß die Rückkehr zum normalen Zustand unter den Tieren Dif-
ferenzen bis zu 16 Tagen zeigte. Zum anderen lief der Versuch, entsprechend
den früheren Erfahrungen, nicht so ab, daß einem Anschwellen der Menge
der an den einzelnen Untersuchungstagen ausgewerteten p. E. nach Über-
schreitung ihrer Höchstzahl ein Abklingen zum normalen Blutbilde er-
folgte, sondern es sind deutlich zwei Schübe des Auftretens p. E. zu er-
kennen. Stellten wir die in der Tabelle XII aufgezeichneten Resultate
graphisch dar, so würde demnach eine Kurve mit zwei Gipfeln entstehen.
Es erscheint uns jedoch verfrüht zu sein, aus diesen Sonderheiten weit-
gehendere Schlüsse zu ziehen, da sie ebenso gut durch Zufälligkeiten be-
dingt sein können. Über solche oder ähnliche Erscheinungen kann man
erst urteilen, wenn es mit Hilfe einer verbesserten Apparatur möglich ist,
die Menge der von den Tieren eingeatmeten Substanz genauer zu be-
stimmen. Wir begnügen uns hier mit der Feststellung, daß es gelang, durch
Einatmung von kleinen Mengen von Kohlenstaub beim Meerschweinchen
das Blutbild der Bleivergiftung hervorzurufen. Erwähnt sei noch, daß
auch während dieser Versuche und dem sich anschließenden Beobachtungs-
zeitraum die Tiere gesund blieben und keinerlei Zeichen des Unbehagens
aufwiesen. Es trat bei ihnen lediglich eine leichte Entzündung der Kon-
junktiven ein, die wohl auf einer mechanischen Reizung derselben durch
die fliegenden, mikroskopisch zum Teil spitzen und kantigen Kohleteilchen
beruhen dürfte.
Die letzte Serie von Tieren setzten wir unter Einhaltung der geschil-
derten Versuchsanordnung zementstaubhaltiger Luft aus. An drei auf-
einanderfolgenden Tagen wurden je 6g des Stoffes (entsprechend dem
Volumen der vorhergehenden Versuchsmengen) in dem beschriebenen
Apparat verstäubt. Auch diese Versuche zeitigten einen vollen Erfolg
in bezug auf das Auftreten von p. E. im strómenden Blute der Tiere.
Die Tabelle XIII besagt, daß alle Meerschweinchen am 18. Versuchs-
tage anfingen, mit basophil granulierten Erythrozyten auf den eingeatmeten
Zementstaub zu antworten. Wie in der Mehrzahl der übrigen Versuche
stellte sich diese Wirkung in einem Anstieg der Zahl der gefundenen p. E.,
welche den Vergleichswert von 1%%/,. in keinem Falle überschritt, und
anschließendem Abfall derselben zum Nullpunkt dar, worauf im Verlaufe
der weiteren Beobachtungszeit kein erneutes Auftreten dieser veränderten
Formen der roten Blutkörperchen mehr zu verzeichnen war. Dieses zu
verschiedenen Jahreszeiten und an Tieren mit sehr unterschiedlichem
Von Dr. Hans Lehmann. 349
Tabelle XIII (Einatmung von Zementstaub).
See DA nn == —
Tier 7 Tier 13a Tier 14a
Dosis: je 6 g an 3 Tagen Dosis: je 6g an 3 Tagen Dosis: je 6 g an 3 Tagen
Körpergewicht d a en A Körpergewicht d Kë Du S Körpergewicht 1 eg GP d
Kä Resultat a Ke Kier Resultat ` ne Kacg Resultat ul
l. IKontr. al Wë 1. |Kontr. — a 1. Kontr. — od
6. DS y 100 6. Se E 100 6. — p 100
10. SE 9100 10 Z5 %100 10. SC 100
DL wë ff ll = Kn | 1. — dëi
15. = f 100 16. E 100 16. Ka 100
18. ++ "Leg 18. + 15/100 18. | + 2 100
21. ++ 3/0 | 21. RER wf 21. ++ 75/100
25. | HHH | o Jl HE 1 Sho | 2E) HHH | o
3l. | + o 26.. +++ o 26., + 18/100
36. | = °/100 29. + 35/100 29. T 10/00
38. + | 06 33. t 15/100 33. | — 100
40. == °/100 36.: — "ig 36. SES 100
43. Se | 100 38. | + 00 38. | = 100
46. — EE 40. — wë? 40. — Dao
50. zu | o 100 43. = | of 106 43. di Pl 100
52. SS | e 100 46. | EE E 100
Körpergewicht gewonnene Bild des Versuchsablaufes spricht abermals für
eine ‚spezifische Reaktion im Tierkörper.
Es gelang also einwandfrei, durch Einwirkung von den als in dieser
Beziehung bisher harmlos. angesehenen Stoffen kohlensaurer Kalk, Kohlen-
und Zementstaub auf dem Atemwege das frühdiagnostische Bild der Blei-
vergiftung im Tierexperiment zu erhalten.
Nachdem die in dieser Arbeit geschilderten Erkenntnisse am Tier-
körper gewonnen sind, liegt es nahe, Versuche am Menschen anzustellen,
die prüfen sollen, ob die erhaltenen Resultate auch für diesen Geltung
haben. Die Durchführung solcher Experimente ist, wenn alle nötigen Vor-
bedingungen dazu eingehalten werden sollen, nicht so einfach, wie es auf
den ersten Blick scheint. Bei Versuchen dieser Art mit Alkohol z. B. müßte
man eine Reihe von Leuten haben, die sich — der Tragweite der zu er-
wartenden Resultate bewußt — streng an die gegebenen Vorschriften in
bezug auf den Alkoholgenuß usw. halten. Für laboratoriumsmäßige Ein-
atmungsversuche am Menschen mit den im Tierexperiment zur An-
wendung gekommenen Staubarten aber ergeben sich Schwierigkeiten, die
unüberwindlich erscheinen.
Als einziger gangbarer Weg, diese für die Gewehrbehygiene so wichtige
Frage zu prüfen, bleibt nur übrig, an einer größeren und einsichtigen Ar-
beiterzahl, unter Ausschließung der Bleiätiologie mittels der anderen für
diese spezifischen diagnostischen Hilfsmittel, Reihenuntersuchungen an-
zustellen, ob ein einzelner oder eine Summe mehrerer der besprochenen
Stoffe vermag, p. E. in Werten, welche die übliche Grenzzahl überschreiten,
hervorzubringen. Dieses Menschenmaterial steht nur den Gewerbe-
hygienikern der Praxis zur Verfügung, die auf dem ihnen gezeigten Wege
fortzufahren berufen sind.
350 Neue tierexperimentelle Untersuchungen usw.
Schlußwort.
Mittels der beschriebenen Versuche ist es zum ersten Male gelungen,
das Blutbild der Bleieinwirkung bezüglich des Auftretens basophil gra-
nulierter Erythrezyten im strömenden Blute tierexperimentell durch Stoffe
hervorzurufen, die dem Körper der Arbeiter jederzeit bewußt oder un-
bewußt zugängig sind. Es ist damit der Experimentalbeweis erbracht,
daß die Erscheinung der p. E. nicht spezifisch für die Einwirkung von
Blei ist, sondern ebenfalls die Folge der Einverleibung der beschriebenen
Versuchsstoffe auf den angegebenen Eingangswegen zum Körper sein kann.
Dadurch wird die auf statistischer Grundlage gewonnene Erfahrungs-
erkenntnis vieler Gewerbeärzte, daß nämlich das Auftreten von p. E. im
Blute nicht genüge, um eine sichere Diagnose Bleigefährdung oder -ver-
giftung zu stellen, durch das Tierexperiment als richtig erkannt.
Da das Meerschweinchen im allgemeinen als ein für das experimentelle
Studium des Auftretens von basophil granulierten Erythrozyten nach Ein-
verleibung von Bleiverbindungen geeignetes Tier gehalten wird und somit
die an ihm gewonnenen Erfahrungen auf den Menschen übertragbar er-
scheinen, ist mit Sicherheit anzunehmen, daß auch unsere Versuche für
denselben anwendbar sind.
Aufgabe der parktischen Gewerbehygieniker ist es, an dem ihnen reich-
lich zur Verfügung stehenden Arbeitermaterial der Frage, ob auch die
genannten, in dieser Beziehung bisher als harmlos geltenden Stoffe p. E.
hervorzurufen vermögen, zur Entscheidung zu verhelfen, wozu die vor-
liegende Arbeit eine Anregung sein soll. Bis dahin aber ist es rätlich, die
Ansicht Schoenfelds und seiner Anhänger, die Erscheinung der p. E.
im Übermaß der üblichen Grenzzahlen als Kriterium für und wider die
Diagnose Bleivergiftung anzusehen, insbesondere jedoch in der Entschei-
dung der Unfallfrage das Mikroskop als alleinigen Schiedsrichter heran-
zuziehen, in der gewerbeärztlichen Praxis nicht zu teilen.
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Von
Carl Prausnitz.
(Mit 2 Abbildungen.)
(Aus dem Hygienischen Institut der Universitát Greifswald.
StellvertretenderDirektor: Prof. Dr. Carl Prausnitz.)
(Bei der Redaktion eingegangen am 12. Oktober 1925.)
Die zahlreichen Typhusausbrüche, die sich in der Nachkriegszeit bei
uns und in anderen Kulturländern, besonders auch in diesem Jalıre 1925
ereignet haben, rufen erneut bei manchen Forschern Zweifel hervor, ob
solche Häufung von Epidemien allein durch die Zufälligkeiten der Kon-
tagion erklärbar ist. Im Hinblick auf die Eigenartigkeit des Verlaufes
anderer Seuchen, wie Grippe, Diphtherie, Scharlach, wird von manchen
Forschern die Erklärung hierfür in Schwankungen im Verhältnis zwischen
der Virulenz der Erreger einerseits und der allgemeinen oder spezifischen
Widerstandskraft der Bevölkerung andererseits gesucht; hierfür spräche
beim Typhus vielleicht die besonders hohe Bösartigkeit mancher, z. B. der
Anklamer Epidemie!). Doch ist zuzugeben, daß diese Erklärung noch nicht
alle Möglichkeiten zu erfassen scheint, wie denn unzweifelhaft die epidemio-
logischen Tatsachen bei den meisten Seuchen noch viel zu wenig erforscht,
sind. So ist es verständlich, daß andere in diesen Tatsachen den Beweis
zu finden glauben für die Pettenkofersche Lehre von der primären
Rolle der Bodendisposition. So hat der bekannte Epidemiologe
Wolter?) eine Art Tochterhypothese jener Lehre aufgestellt, die besagt,
daß „die Emanationen eines örtlich disponierten Bodens zu einer gewissen
Zeit die primären Krankheitsursachen darstellen, die zu einer Boden-
gasintoxikation des Blutes führen, worauf sekundär die Entwicklung der
bei den betreffenden Seuchen vorkommenden Mikroorganismen aus
anderen Bazillen in unserem Körper erfolgt“. Ich habe an anderer Stelle’)
auf die zahlreichen Unzulänglichkeiten seiner Auffassung und vor allem
seiner Beweismittel hingewiesen. Da aber seine Arbeit, von einem Vorwort
des Präsidenten des Hamburger Gesundheitsamtes und einem kritischen
1) Straub, Deutsche med. Wochenschrift 1926, Nr, 6.
2) Wolter, Aufgaben und Ziele der epidemiologischen Forschung, Hamburg
1925, und Münchner med. Wochenschrift, 1925, Nr. 33.
3) Deutsche med. Wochenschrift, 1925, Nr. 44.
Untersuchungen zur Epidemiologie des Typhus. 353
Nachtrag aus der Feder von Sauerbruch flankiert, mit Unterstútzung
des Hamburger Gesundheitsamtes gedruckt ist, besteht die Gefahr, daß
seine Ausführungen bei vielen Forschern auf fruchtbaren Boden fallen.
Daher hielt ich es für angebracht, sie an der Hand der von mir genauer
studierten Anklamer Typhusepidemie zu untersuchen, da diese Epidemie
für die vorliegende Frage besonders lehrreich ist.
Schon in früheren Jahren waren dort vereinzelt Typhusfälle vor-
gekommen, und auch in mehreren ländlichen Kreisen jener Gegend stirbt
die Krankheit fast nicht aus. 1925 erkrankten in Anklam im Mai und
in der ersten Junihálfte je eine Person, dann erfolgte eine sehr ragche
Zunahme der Seuche; innerhalb von drei Wochen wurde die Höhe er-
reicht, nach weiteren zwei Wochen trat ein langsamerer Abfall ein.
Tabelle 4.
Erkrankungs- Erkrankungs-
Woche vom
l. 12.—18. 6. 7 Fällen 7 24.—30. 7. ; 14 Fällen
2. į 19—25.6. |! 13 do. 8. | 31.76.8. | 11 do.
3. 26. 6.—2. 7. | 71 do. 9 718.8 7 do.
4. 3.9. 7. 61 do 10 14.—20. 8. 9 do.
5. 10.—16. 7. 45 do. 11. | 21.—27. 8. 4 do.
6. 17.—23, 7. 21 do. 12. | 28.8,—3. 9, | 3 do.
Die Tabelle 1 und Kurve (Fig. 1) zeigen die Verteilung nach Krank-
heitswochen und ergeben das typische Bild der ,,explosiven'* Epidemie.
Im ganzen sind an klinisch und in den meisten Fällen bakteriologisch
sichergestelltem Typhus erkrankt 266 Personen, davon sind gestorben 39.
Zurzeit, Ende September, scheint die Epidemie im wesentlichen erloschen
zu sein.
Betrachtet man die hygienischen Verhältnisse der Stadt, so
muß zugegeben werden, daß sie in vielen Beziehungen der Pettenkofer-
schen Beschreibung eines disponierten Bodens entsprechen würde: Ein
Teil der Stadt liegt auf porösem, ein anderer auf undurchlässigem Boden;
ein Teil liegt hoch, ein anderer in einer Mulde, ein dritter in der Niederung
des Peeneflusses; die ganze Stadt besitzt auch heute noch keine Kana- .
lisation. Die innere Stadt ist reich an schmalen, winkligen Straßen mit
zum Teil sehr armseligen und schmutzigen Häusern; auf den Höfen finden
sich noch vielfach Misthaufen; in die Versitzgruben der bei den kleineren
Häusern auf den Höfen gelegenen Aborte wird häufig auch der Müll ein-
geworfen; viele Gruben waren, wie in solchen Verhältnissen üblich, zur
Zeit des Epidemiebeginns bereits übervoll. Die Aborte der ärmeren Woh-
nungen sind zum Teil sehr verwahrlost und schmutzig. Die Regen- und
häuslichen Schmutzwässer, Küchen- und Waschwässer, sowie oft genug
trotz des behördlichen Verbots Nachttopfinhalt, manchmal sogar Fäkalien
fließen in offene Rinnen, die meist auf den Höfen beginnen und zwischen
den eng benachbarten Häusern oder sogar, nur mangelhaft mit Bohlen
abgedeckt, durch die Hausflure in die Straßenrinnsteine führen. Diese
sind so beschaffen, daß ein Teil der Abwässer in ihnen stagniert und im
Archiv für Hygiene. Bd. 96. 26
354 . Untersuchungen zur Epidemiologie des Typhus.
Boden versickert; ein anderer Teil gelangt durch meist offene Schmutz-
gräben schließlich in die träg fließende Peene und wird bei ungünstigen
Wind- und Vorflutbedingungen wieder in die Gräben zurückgestaut. Die
geschilderten Verhältnisse treffen besonders für die Nordvorstadt und
einen großen Teil der Altstadt, besonders deren tiefer gelegenen Teil zu. —
In den neueren Stadtteilen, vor allem in der Südvorstadt (Leipziger Allee
und der auf dem Schülerberg gelegenen Villenkolonie), sowie in der öst-
lichen Vorstadt, wo neuere Häuser, einige größere Villen und Siedelungs-
häuser vorherrschen, werden MiBstánde dieser Art wesentlich seltener
angetroffen. Hier finden sich meist gut gehaltene Abortgruben, zum Teil
sogar mit musterhaften Kläranlagen, getrennte Müllgruben, auch sind
die Abflußgelegenheiten für die häuslichen Abwässer von diesen höher
liegenden Stadtteilen wegen des stärkeren Gefälles wesentlich günstiger.
Die räumliche Verteilung des Typhus in der Stadt ergibt sich
aus der näheren Betrachtung des Stadtplanes (Fig. 2) und «der Tabelle 2.
Nirgends ist eine besondere Häufung von Fällen in einem Haus vor-
gekommen: 195 Typhushäuser (Stab 4 der Tabelle 2) hatten 266 Fälle
(Stab 5); die Zahl der Krankheitsfälle in einem Haus erreichte nur 4 mal 4,
10mal 3 und betrug sonst 1—2; durchschnittlich war sie 1,36.
2 J 4 5 6 7 $ Lë
Woche 1 Y 10 11
Fig. 1. Typhuserkrankungen in Anklam 1915,
nach Wochen geordnet.
355
Sa
a A ~
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Ke == q
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356 : Untersuchungen zur Epidemiologie des Typhus.
Tabelle 2.
1 8 ¡y 9
Stab 6
Stab 5
Ty- ` Typhusfalle | Stab 4| Stab 5
hus-
häuser | Gesamt | Frúh*) Stab 2 | Stab 3
Stadtteil
Altstadt . . 16,73| 4,97: 33,64
Nordvorstadt . . .! 10,96| 4,43: 8,33
Súdwestvorstadt . . 89 10,11: 3,17' 9,09
Sidvorstadt . . . 80 88,75 | 10,79 | 42,86
Ostvorstadt 22,15: 5,07| 38,27
*) Frühfälle = Fälle, deren Krankheitsbeginn in den ersten drei Epidemie-
wochen, vom 12. Juni bis 2. Juli, erfolgte.
Die absolut größte Zahl von Fällen ereignete sich in der Altstadt, die
kleinste in der Nord- und der Südwestvorstadt. Vergleicht man aber
die Zahl der Typhushäuser mit der Gesamtzahl der bewohnten Häuser
(Stab 7) oder die Zahl der Typhusfälle mit der Gesamtzahl der Haus-
haltungen in den betreffenden Stadtteilen (Stab 8), so findet man nur
die Südvorstadt besonders stark befallen; hierauf wird auf S. 359 näher
eingegangen werden. Beschränkt man aber die Betrachtung auf die Fälle,
deren Erkrankungszeit in die ersten drei Wochen fällt (,Frühfälle‘‘ der
Tabelle 2, Stab 6), in welcher Zeit die Entwicklung der Epidemie erfolgte,
so werden doch gewisse Unterschiede deutlich (Stab 9): danach hat die
Epidemie in der Süd-, Ostvorstadt und Altstadt wesentlich eher begonnen
als in der Nord- und der Südwestvorstadt; auch dieser Punkt wird später
(S. 359) zu besprechen sein. Man kann aber schon jetzt sagen, daß der
Typhus sich nicht auf die Stadtteile beschränkt hat, deren Untergrund
jahrhundertelang verschmutzt war (Altstadt), noch hat er in den Straßen-
zügen der Flußniederung vorgeherrscht, die nahe am Grundwasserspiegel
liegen und deren Keller alljährlich überschwemmt werden; sondern er hat
besonders den höher gelegenen, zentralen Teil der Altstadt und die hoch
gelegenen Teile der Südostvorstadt, hauptsächlich aber die auf reinstem
Grund in jüngster Zeit erbauten Teile der Südvorstadt befallen. Es liegt
daher die Frage nahe, ob zwischen der Höhenlage und dem Typhus
bestimmte Beziehungen nachweisbar sind.
In der Tat steht Anklam auf hügeligem und geologisch nicht einheit-
lichem Gelände. Die am linken Peeneufer gelegene Nordvorstadt und der
etwa 80 m breite, am rechten Peeneufer gelegene Streifen der Altstadt
liegen nur etwa 0,50—2,00 m hoch); hier steht unter einer dünnen Schicht
lehmigen Tons eine mindestens 7—8 m mächtige Moorschicht an. Nach
Süden steigt die Altstadt zu dem 7—8 m hohen Zentrum der Stadt (Markt
und dessen Umgebung) empor; hier besteht der Boden aus einer mehrere
Meter mächtigen Schicht von sandigem Lehm, der von Aufschüttboden
überlagert ist. Nach Osten zu bleibt das Gelände hoch; ein schmaler
Streifen von über 5,50 m Höhe zieht vom Markt ostwärts und verbreitert
1) Alle Höhen sind auf den ‚normalen Nullpunkt“ bezogen,
Von Dr. Carl Prausnitz. 357
sich in der Ostvorstadt auf 240 m und mehr Breite, um in das Hochplateau
auszumünden, das den ganzen Süden, Südwesten und Südosten der Stadt
einrahmt; in der Ostvorstadt besteht der Boden aus 2—3 m mächtigem
sandigem Lehm, unter welchem Moor liegt. Geht man in der Altstadt
vom Zentrum nach Süden und Westen, so gelangt man wieder in tieferes
Gelände bis auf etwa 2,50 m. Jenseits von einem etwa 300 m breiten
Parkgürtel liegt zunächst, gewissermaßen in einer Mulde, die durch-
schnittlich 4—5 m hohe Leipziger Allee, deren Boden ebenfalls aus meh-
rere Meter mächtigen Schichten von sandigem Lehm besteht und hie
und da von Aufschüttboden überlagert ist; in größerer Tiefe steht hier
Ton an. Unmittelbar südlich von dieser Straße liegt am steilen Nord-
rand des oben erwähnten Plateaus die Villenkolonie Schülerberg in 12 bis
14 m Höhe; zu Füßen dieser Häuser fällt der Boden steil zur Leipziger
Allee ab; der Schülerberg liegt auf 0,75 m mächtiger Sandschicht, darunter
folgen 2m Lehm, dann mehrere Meter Flugsand. Also sowohl nach der
Höhe, wie der Bodenbeschaffenheit finden sich ausgeprägte Unterschiede
in den verschiedenen Stadtteilen.
Um zunáchst einen etwaigen Einflub der Hóhe auf die Typhus-
erkrankungen zu untersuchen, wurden sämtliche bewohnten Häuser der
Stadt nach ihrer Höhenlage in 50-cm-Stufen geordnet (Tabelle 3).
Tabelle 3.
ea Zahl der a der Zon, qer EURT mi Zahl der Typhusfálle
ZE Häuser tigen i E re Gesamt vu. 3. Woche)
0,50—1,00 22 78 15 7 1 0
1,00—1,50 13 46 8 5 2 1
1,50—2,00 60 230 ' 40 20 13 4
2,00—2,50 55 187 | 39 16 11 2
2,50—3,00 81 359 !' 49 32 15 6
3,00—3,50 83 391 | 50 33 8 3
3,50—4,00 71 362 ; 34 37 15 4
4,00—4,50 108 538 53 55 30 14
4,50—5,00 99 517 49 50 38 11
5,00—5,50 112 701 43 69 43 17
5,50—6,00 93 452 | 46 47 13 6
6,00—6,50 102 500 53 49 35 14
6,50—7,00 46 193 ' 30 16 7 2
7,00—7,50 36 135 24 12 8 2
7,50—8,00 40 155 ' 25 45 15 8
8,00— 8,50 2 D ° 2 0 0 0
8,50—9,00 3 24 2 d 1 0
9,00—1 4,00 22 67 17 5 14 3
i
Die in Tabelle 3 aufgeführten Ergebnisse sprechen nicht überzeugend
für das vorwiegende Befallensein einer bestimmten Höhenlage, wenn wir
von der weniger beteiligten Peeneniederung absehen; die meisten Häuser
r
358 | Untersuchungen zur Epidemiologie des Typhus.
dieser Gegend liegen jedoch in der Nordvorstadt, über deren besondere
Verhältnisse auf S. 359 näher berichtet werden soll. Eine bessere Vor-
stellung von der Verteilung der Typhushäuser und Typhusfälle auf die
verschiedenen Höhenlagen gestattet die durch Zusammenfassung der
Tabelle 3 gewonnene Tabelle 4; hier sind außerdem die Infektionszahlen
Tabelle 4.
a UA Di a Ch O SS deg ge Le | "ME 10
E E E : | — > R e | e E
| 33 FE | Typhusfälle |
| zanı | Zahl der) 23835 | Stab 5 | Stab 5 | Stab 6 | Stab 6
Höhenlage| der |Haushal- 5 F2 3% Frühfälle| Stab 2 | Stab 3 | Stab 2 | Stab 3
Häuser | tungen | set, | Gesamt | (1.—3.
| ESO Woche)
ESST % % % %
|
2 11684! 452 | 2,11| 0,56
8 119,12] 4,77 |
unter 2
95
2-3 | 136 26 5,88| 1,47
3-4 145% | | d 7 |14,94| 3,05 | 4,55| 0,93
4—5 |207 | 1053 | 50,7 68 22 132,85| 6,46 |10,63| 2,09
5—6 | 205 1152 | 56,6 RS 123 A ,32| 4.86 11,22| 2,00
6—7 1448 .693 | 43,9 42 | 16 28,38| 6,06 | 10,81| 2,31
7—14 | 103 386 | 32,0 5 | 13 |33,98! 9,06 |22,33| 5,96
1048 | 4936
mit den Gesamtzahlen der in gleicher Hóhenlage befindlichen Háuser
bzw. der dort wohnenden Haushaltungen verglichen worden. Unterschiede
sind wohl da, aber sie sind nicht so ausgesprochen, daß man hieraus auf
die überwiegende Höhendisposition einer bestimmten Lage schließen
könnte. Höchstens könnte es auffallen, daß gerade die höchstgelegenen
Stadtteile, vor allem die 12—414m hohe Villenkolonie Schülerberg be-
sonders befallen ist. Und gerade hier ist besonders deutlich das Fehlen
jeder Beziehung zwischen dem Typhus und der Qualität des Bodens
nachweisbar: die beiden parallelen Straßenzüge der Leipziger Allee und
des Schülerberges sind in der Horizontalen nur etwa 100 m voneinander
entfernt, aber der Schülerberg liegt am Rand eines sandigen Plateaus,
H Am über der unter einem lehmigen Abhang befindlichen Leipziger
Allee. Und trotz dieser Unterschiede sind beide Straßen im Verhältnis
zu ihrer Häuserzahl fast gleich, im Verhältnis zu ihrer Bewohnerzahl sogar
zu ungunsten der Villenkolonie befallen (Tabelle 5):
Tabelle 5.
u
Häuser | Haushaltungen Typhushāuser Ts ephnstatie
|
9
| 40
Schúlerberg
Leipziger Allee
(Juotient L. A./S.
Daß auch die Ubervólkerung einer Wohnungsgruppe in Anklam
keinen Einfluß auf die Typhushäufigkeit gehabt hat, scheint schon aus
Von Dr. Carl Prausnitz. 359
der erwähnten Tatsache hervorzugehen, daß in jedem Typhushaus durch-
schnittlich nur 1,36 Fälle vorgekommen sind. In der Tat zeigt ein Blick
auf Stab 4 der Tabelle 4, daß in den beiden am dünnsten besiedelten
Höhenlagen „unter 2“ und „7—14“ der Typhusbefall um 100%, differiert :
dort mit 16,8% fast das Minimum, hier mit 33,98%, das Maximum.
So hat diese Untersuchung ergeben, daß in Anklam ein Zusammenhang
zwischen den Bodenverhältnissen und dem Typhus nicht vorliegt; mit
anderen Worten ist eine Disposition des Bodens für den Typhus
nicht nachweisbar, obwohl, wenn eine solche bestände, ge-
rade hier die Bedingungen für ihre Erkennung ungewöhnlich
günstig gewesen wären.
Fragen wir uns nun, wo in Wirklichkeit die Quelle der Epidemie zu
suchen ist, so weist ihr explosives Einsetzen mit großer Wahrscheinlich-
keit auf die Einwirkung einer für viele Einwohner gemeinsamen Ursache
hin, des Wassers oder der Milch. Die von mir ausgeführte eingehende Be-
sichtigung und bakteriologisch-chemische Untersuchung der Wasser-
versorgung ergab einwandfreie Verhältnisse: in reinem Boden, mehrere
Kilometer von der Stadt entfernt, sind Bohrbrunnen von 20—40 m Tiefe
angelegt; das Wasser ist chemisch gut, fast steril und frei von B. coli.
Daher richtete sich der Verdacht auf die Milch. Die Anklamer Genossen-
schaftsmolkerei bezieht ihre Milch von etwa 100 Gütern aus der näheren
und weiteren Umgebung der Stadt. Es ist durch die im Medizinalunter-
suchungsamt Stettin und in diesem Institut ausgeführten Untersuchungen,
über die an anderer Stelle berichtet werden wird, gelungen, unter dem
Personal von zwei dieser Güter drei Typhusbazillenträger festzu-
stellen. Die Milch wurde vor der Epidemie von der Molkerei in rohem
Zustand, d.h. unpasteurisiert, an die verschiedenen Verkaufsstellen in
der Stadt geliefert.
Die relativ geringe Beteiligung der Südwestvorstadt dürfte sich mit
ihrer weitläufigeren Besiedelung erklären, die zum Teil eigene Viehhaltung
erlaubt; so ist dieser Stadtteil weniger auf die Molkerei angewiesen gewesen
als die anderen. Daß anderseits gerade in den wohlhabenderen Stadtteilen
(Schülerberg und Südostvorstadt) besonders viele Fälle vorkamen, kann
man mit dem dort üblichen reichlicheren Genuß von Milch, Butter, Sahne
und Schlagsahne wohl erklären; in der Tat haben fast sämtliche Anklamer
Typhuskranken für die fragliche Zeit den Genuß roher Molkereiprodukte
zugegeben. Die verhältnismäßig starke Beteiligung der Leipziger Allee
und des Schülerbergs erklärt sich im übrigen ungezwungen aus dem Um-
stand, daß zu Beginn der Epidemie ein Typhusfall in der dort gelegenen
Bäckerei (auf dem Stadtplan — Fig.2 — mit B bezeichnet) auftrat,
welche diesen Stadtteil fast ausschließlich versorgt; dieser Fall wurde
erst viele Wochen später gemeldet!
Es war eingangs erwähnt worden, daß die Nordvorstadt verhältnis-
mäßig wenig und erst in den späteren Wochen in nennenswertem Grade
vom Typhus befallen war. Dies erklärt sich auf Grund der Milchätiologie
in einfachster Weise dadurch, daß in diesem Stadtteil eine kleine Molkerei
liegt, die in ihren Bezugsquellen und ihrem Vertrieb von der Genossen-
schaftsmolkerei unabhängig ist.
360 | Untersuchungen zur Epidemiologie des Typhus.
Ich hoffe, hiermit bewiesen zu haben, daß bei dieser, der größten der
diesjährigen Typhusepidemien die Bodendisposition im Sinne der Petten-
koferschen Hypothese auszuschließen ist, und daß hier eine einwandfreie
Kontagion durch die Vermittlung infizierter Milch vorgelegen hat; hieran
haben sich im weiteren Verlauf unter dem Einfluß der mangelhaften
sanitären Zustände noch einige Übertragungen angeschlossen. Die Unter. `
lagen für diese Untersuchung sind mir, soweit es sich um die geologischen
und Höhenverhältnisse der Stadt handelt, von Herrn Stadtbaumeister
Herrendorff mitgeteilt worden; die Angaben über die Erkrankungszeiten
der Patienten hat mir der Kreisarzt, Herr Med.-Rat Dr. Neuhaus mit
großer Liebenswürdigkeit zur. Verfügung gestellt. Beiden Herren spreche
ich meinen aufrichtigen Dank für ihre Hilfe auch an dieser Stelle aus.
Daß die Epidemie, die so rasch aufgeflammt war, verhältnismäßig
schnell zum Stillstand gekommen ist und nur spärliche Fälle weiterer Ver-
schleppung der Infektion sich ereignet haben (vgl. Fig. 1), muß dem ener-
gischen Vorgehen des Kreisarztes und der verständnisvollen Mitwirkung
der Stadtverwaltung, des Beigeordneten Herrn Bauer und des Kämmerers
Herrn Falke zugeschrieben werden. Die beste Schule der Stadt, die be-
reits eine große Küche hatte, wurde in wenigen Tagen zu einem muster-
gültigen Seuchenlazarett umgewandelt, das von Ärzten der hiesigen Uni-
versitätsklinik geleitet wurde. Die Molkerei wurde, trotz erheblicher
Schwierigkeiten, saniert, die Milch pasteurisiert. Desinfektionskolonnen
durchzogen die Straßen und desinfizierten die Typhushäuser und sämtliche
Abortgruben und Rinnsteine, die letzteren täglich. Die Bevölkerung wurde
durch Anschläge und Zeitungsartikel vor dem Genuß roher Milch und
rohen Obstes gewarnt und aufgefordert, bei allen Erkrankungen alsbald
ärztliche Behandlung aufzusuchen. Etwa drei Viertel der Einwohner-
schaft ließen sich freiwillig impfen. Es steht zu hoffen, daß diese Maß-
nahmen weiterhin Erfolg haben und vor allem, daß die schwergeprüfte
Stadt bald in der Lage sein wird, durch Anlage einer Kanalisation ihre
allgemein hygienischen Verhältnisse zu bessern.
Außer in Anklam sind in mehreren anderen Orten Deutschlands (vgl.
Lentz, Volkswohlfahrt, 1925, Nr. 18) und in Aberdeen in diesem Jahre
größere Typhusausbrüche vorgekommen, die in erster Linie auf den
Genuß typhusinfizierter Milch zurückzuführen sind; auch in mehreren
dieser Epidemien konnten Typhusbazillenträger als Infektionsquelle er-
mittelt werden. Man braucht nur zu bedenken, unter welchen geradezu
unbeschreiblich schmutzigen und widerwärtigen Bedingungen dieses wich-
tige Nahrungsmittel vielfach gewonnen und verarbeitet wird; man sollte
sich vergegenwärtigen, daß die zahlreichen in der Milch vorhandenen
Colibakterien keineswegs nur aus dem Kuhkot, sondern oft genug vom
Melker selbst stammen und durch seine ungewaschenen Hände in die Milch
gelangen. Dann wird es klar, daß die für den Landwirt so vorteilhaften
Genossenschaftsmolkereien bei nicht einwandfreiem Betrieb für die Be-
völkerung eine große Gefahr darstellen, we hier die Infektion von einem
Gemelk auf die ganze Tagesproduktion übertragen werden kann. So-
lange sich die Verhältnisse an der Produktionsstelle nicht bessern, kann
auf die einwandfreie Pasteurisierung der Milch und aller anderen Molkerei-
Von Dr. Carl Prausnitz. 361
produkte nicht verzichtet werden. Fúr den Bongertschen!) Vorschlag,
an ihre Stelle die saubere Gewinnung und anschließende Tiefkühlung zu
setzen, ist die überwiegende Mehrzahl der Landwirte von heute nicht reif.
Wenn aber pasteurisiert wird, so muß dies so geschehen, daß auch alle
in der Milch vorhandenen B.coli abgetótet werden und eine
Neuinfektion der Milch in mangelhaft ausgewaschenen und
ausgebrúhten Kannen vermieden wird. Durch häufige, unver-
mutete bakteriologische Kontrollen ist die Durchführung dieser Maß-
nahmen zu überwachen; das gleiche Interesse, wie die Landwirtschaft
für die Tuberkulose- und Maul- und Klauenseuchebekämpfung an der
Pasteurisierung der Magermilch, haben wir an der Pasteurisierung sämt-
licher Molkereiprodukte.
Von einigen Forschern ist die Befürchtung ausgesprochen worden,
daß die Pasteurisierung der Milch ihren Vitamingehalt beeinträchtigen
würde. Dem ist jedoch entgegenzuhalten: 1. Eine zweckmäßige Pasteu-
risierung (5 Minuten 85° oder besser % Stunde 63°) wird schwerlich diese
Wirkung haben; 2. im übrigen besitzen wir im Zitronensaft u. a. Stoffen
vitaminreiche Mittel, die eine solche Schädigung ausgleichen könnten;
3. demnach ist jene hypothetische und vorläufig unbewiesene Gefahr
eines geringen Vitaminverlustes bei der Pasteurisierug niedriger einzu-
schätzen als die der gesamten Bevölkerung dauernd drohende
Gefahr der Übertragung von Typhus und anderen Infek-
tionskrankheiten, wenn wir nicht pasteurisieren.
Auf der anderen Seite muß unbedingt die Gefahr der Milchinfektion
nach Möglichkeit eingeschränkt werden, indem das gesamte Melkerpersonal
der Güter und das Betriebspersonal der Molkereien und Verkaufsstellen
regelmäßig planvoll auf Typhusbazillenträger durchuntersucht wird. Diese
Arbeit wird sicher eine erhebliche Mehrbelastung auch für die Medizinal-
untersuchungsämter bedingen, aber sie ist nicht mehr aufschiebbar.
Es hat verhältnismäßig wenig Zweck, solche Untersuchungen auf die Fälle
zu beschränken, wo bereits eine Epidemie ausgebrochen ist; sie muß pro-
phylaktisch erfolgen. Die Kosten dieser allerdings mühsamen Arbeit
stehen in keinem Verhältnis zu den Millionen, die jeder solche Seuchen-
ausbruch verschlingt.
Ferner sei nachdrücklich darauf hingewiesen, daß die Beaufsich-
tigung der Molkerei, da sie in erster Linie für den Menschen be-
stimmte Nahrungsmittelliefert,in erster Linie Sache des Kreis-
arztes ist; richtig wäre, daß nicht wie bisher der Kreistierarzt Haupt-,
sondern daß er neben dem Kreisarzt Korreferent wäre. Der Kreisarzt
muß mit weitgehenden Befugnissen ausgerüstet werden, um gemeinsam
mit dem Kreistierarzt die Milchproduzenten und Molkereien oft und
unvermutet zu kontrollieren; dazu gehört natürlich auch in der Zeit der
billigen Kraftwagen die Ausrüstung jedes Medizinalbeamten mit einem
Kleinauto?). Mit den schärfsten Strafen müssen nicht nur die Milch-
1) Bongert, Zeitschrift für Fleisch- und Milchhygiene, 1925, 35, S. 193.
2) Die Betriebs- und Amortisationskosten eines Kleinauto sind in der glei-
chen Größenordnung wie die für Landfahrten vom Staat gezahlten Kilometer-
gebühren. Die hier vorgeschlagene Ausrüstung der Medizinalbeamten stellt
26*
362 . Untersuchungen zur Epidemiologie des Typhus.
fälscher, sondern weit mehr die gewissenlosen Personen belegt werden,
welche dies Hauptnahrungsmittel der Kinder und Kranken zu einer ge-
sundheitsgefährlichen Brühe, einem Vehikel pathogener Keime machen.
Endlich sei auf einen weiteren Übelstand in der Typhusbekämpfung
hingewiesen, der sowohl in Anklam wie anderen Orten bestanden hat, und
der die planvolle Typhusbekämpfung überaus erschwert: ich meine die
Bestimmung, daß.nur der festgestellte Typhusfall vom Arzt zu melden
ist: Viele Ärzte können sich erfahrungsgemäß nicht rechtzeitig entschließen,
eine solche Diagnose zu stellen, und versäumen die Einsendung von bak-
teriologischem Untersuchungsmaterial; anstatt in zweifelhaften Fällen die
Frühdiagnose durch die Blutkultur zu sichern, die ihnen besonders durch
die Einführung der mit Galle beschickten Venülen!) möglichst erleichtert
wird, verschanzen sie sich hinter den unseligen Diagnosen „Grippe“,
„Magengrippe‘‘ oder ,Darmgrippe“. Daher muß als letzte Forderung
aufgestellt werden, daß, wie es in England seit Jahrzehnten gesetzlich
vorgeschrieben ist, jede fieberhafte Erkrankung meldepflichtig
ist, soweit nicht die Sicherheit besteht, daß es sich bei ihr
um keine Infektionskrankheit handelt.
also eine Erhöhung ihrer Leistungsfähigkeit bei EEE Kosten für den
Staat dar.
1) Behring-Werke, Marburg (Lahn).
Die Mono- und Dinitrophenole als gewerbliche Gifte; ihre
Eintrittswege in den Organismus und die paradoxe Toten-
starre bei fehlender Säurebildung.
Von
Professor Dr. K. B. Lehmann und Dr. Ludwig Schmidt-Kehl
(unter Mitwirkung von Dr. Eduard Keibel, Dr. Fritz Levy, Dr. Kaspar
Niggemeier, Dr. Karl Smitmans und Dr. Hasegawa).
(Aus dem Hygienischen Institut der Universität Würzburg.)
(Bei der Redaktion eingegangen am 7. September 1925.)
Vorbemerkung.
Die folgende Arbeit reicht in ihren Anfängen ins Jahr 1901 zurück.
Vier Dissertationen liegen zu dem Thema vor!); im Jahre 1906 hat Herr
Hasegawa in einer noch nicht publizierten Arbeit Studien über die Wir-
kung des Paranitrophenols von der Haut aus gemacht. Seit Januar 1925
haben wir es gemeinsam unternommen, die Lücken auszufüllen und das
ganze Material einer neuen kritischen Bearbeitung zu unterziehen.
Chemisch-technologische Vorbemerkungen.
| Die zur Untersuchung stehenden aromatischen Nitroverbindungen
sind wichtige Zwischenprodukte in verschiedenen Zweigen der Anilinfarb-
stoffabrikation. Auf zwei Wegen kann man zu den Nitrophenolen gelangen:
1. Durch Chlorieren von Benzol erhält man Chlorbenzol, aus dem
durch Nitrieren je nach Menge und Temperatur der angewandten Salpeter-
Schwefelsäuremischung die ortho-, die para- oder die ortho-para-Verbin-
dung des Nitrochlorbenzols entsteht. Durch aufeinanderfolgende Behand-
Jung mit Natronlauge und Schwefelsäure wird in den gewonnenen Substan-
1) Dr. Eduard Keibel: Ein Beitrag zur Kenntnis der nitrierten Phenole.
Würzburg 1901. Dr. Fritz Levy: Weitere Beiträge zur Kenntnis der Nitro-
phenole. Würzburg 1902. Dr. Kaspar Niggemeier: Über die Beeinflussung
der Vergiftungen mit Nitrotoluol, Dinitrotoluol, Nitrophenol, Dinitrophenol,
Orthonitranisol und Anilin durch Alkohol. Würzburg 1903. Dr. Karl Smit-
mans: Beiträge zur Kenntnis der Totenstarre. Würzburg 190%.
364 - Die Mono- und Dinitrophenole als gewerbliche Gifte.
zen das Chlor durch Hydroxyl ausgetauscht, wodurch die Nitrophenole ent-
stehen.
2. Zu den gleichen Produkten kann man auch direkt durch Nitrieren
von Phenol gelangen. Das Endprodukt dieser Operation ist Trinitrophenol
(Pikrinsáure), das in vorliegender Arbeit nicht interessiert.
Die Trocknung der Nitrophenole erfolgt im Vakuum in emaillierten
Eisengefäßen; es stáubt dabei, jedoch tragen die Arbeiter keine Respira-
toren. Aus den Nitrophenolen werden heute im größten Maßstabe die
sogenannten Schwefelfarbstoffe (Sulfinfarben) hergestellt, meist schwarze,
aber auch blaue, braune, gelbe und grüne Töne, die die Baumwollfaser ohne
Beizen echt zu färben imstande sind.
Unsere bisherigen Kenntnisse über die Giftigkeit der Nitrophenole und
ihrer Homologen.
Über Mono- und Dinitrophenol enthält die Literatur folgende An-
gaben. Kunkel!) berichtet von physiologischen Studien von Baumann
und Herter über die Ausscheidung von Nitrophenol im Harn von Hun-
den, ohne von der Giftigkeit etwas zu erwähnen. Eine zweite Stelle bei
Kunkel lautet nur: „nach einer anderen Angabe sollen sie Herzgifte sein,
die schon in Dezigrammen töten“. Gibbs und Hare?) fanden im Tier-
Ee folgende tötliche Dosen pro kg Körpergewicht:
Orthonitrophenol . . .......01 g
Metanitrophenol . . ........008g
Paranitrophenol `, . . ...... . 0,01 g.
Sie erklären die beobachteten Erscheinungen durch Wirkung aufs
Zentralnervensystem. Gibbs und Reichert?) sahen beim Hund nach
intravenöser Verabreichung von 0,05 g ,,Dinitrophenol* den Tod eintreten;
sie beobachteten schon die erhöhte Atemfrequenz bei erhaltenem Sen-
sorium, die Pupillenerweiterung und die sofortige Totenstarre.
Walko*) fand 80 mg Paraorthonitrophenol bei subkutaner Verab-
reichung tótlich für Kaninchen innerhalb weniger Minuten; er beobachtete
dabei plötzlich auftretende tonisch klonische Krämpfe durch Lähmung des
Atemzentrums. — Von 1901—1904 erschienen die beim Titel zitierten ein-
gehenden Würzburger Dissertationen über den Gegenstand.
In England wurden 1913 nach den vorliegenden Gewerbeaufsichts-
berichten®) zahlreiche Erkrankungen in Dinitrophenolbetrieben beobachtet,
die zur Entfernung der Arbeiter aus dem Betrieb Veranlassung gaben.
Aus der Zeit des letzten Krieges liegen mehrere ausländische Unter-
1) Kunkel: Handbuch der Toxikologie, S. 569.
2) Gibbs und Jlare: Archiv für Physiologie (Supplement) 1889, S. 271.
3) Gibbs und Reichert: Ebenda (Supplement) 1892, S. 259. (Die Arbeiten
von Gibbs und seinen Mitarbeitern sind auch veröffentlicht im American Che-
mical Journal, Bd. 11, S. 437; Bd. 13, S. 294; Bd. 16, S. 448.)
4) Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie. Bd. 46 (1901).
5) Zitiert nach Brezina: Internationale Übersicht über Gewerbekrank-
heiten nach den Berichten der Gewerbeinspektionen der Kulturländer über das
Jahr 1913.
Von Dr. K. B. Lehmann und Dr. Ludwig Schmidt-Kehl. 365
suchungen +) zu dem Thema vor. Die Franzosen ?) beobachteten von 660 mg
Diorthonitrophenol pro kg Meerschweinchen nur vorúbergehende Krank-
heitserscheinungen. Für den Menschen betrachten sie den Körper als sehr
giftig. Die Gewerbeaufsichtsberichte?) melden bis August 1916 aus sieben
Betrieben 27 Todesfälle, 17 davon beim Wägen und Schmelzen, 8 beim
Extrahieren, 1 beim Erwärmen, 1 beim Fertigmachen.
Als Aufnahmewege werden die Atmungsorgane und die Haut, als
Krankheitssymptome Funktionsstörungen der Leber, Schweiße, erhöhte
und erniedrigte Temperatur bezeichnet. Im Haare fand Derrien Amino-
nitrophenol, für dessen Nachweis er au nach ihm benannte Reaktion
angibt:
10cem Harn +1 cem 10% Schwefelsäure + 1 ccm 0,5% Natrium:
nitrit werden 15 Min. im Dunkeln stehen gelassen und darauf mit 10 cem
Äther ausgeschüttelt. Violette Farbe zeigt Meta-, weinrote Para-, gold-
gelbe Orthoaminonitrophenol an.
Auch über Mononitrophenole liegen französische Beobachtungen 4)
vor. Als toxische Dosis pro kg Hund intravenös werden bezeichnet:
Paranitrophenol . ... ........001g8
Metanitrophenol . ......... Oig
Orthonitrophenol . : ...... . . 01 g.
Angaben, die sehr gut zu Gibbs und Hare stimmen!
Während des Krieges befaßte sich das englische Medical research Com-
mittee®) mit Tierversuchen über Dinitrophenol.
Beim Kaninchen erwiesen sich 160 mg pro kg Tier bei Verabreichung
in den Magen, 90 mg bei subkutaner Verabreichung als tödlich. Wurden
70 mg Substanz pro kgTier, mit Lanolin vermischt, in die geschorene Haut
der Katze eingerieben, so trat bei diesem Tier der Tod ein. Die Autoren
sprechen sich daher für eine rasche und möglicherweise verhängnisvolle
Aufnahme des Dinitrophenols durch die unverletzte Haut aus. In den
Fabriken wurden daher umfassende Schutzmaßnahmen getroffen (lokale
Staubabsaugung, Arbeitskleidung, Bäder, tägliche Harnuntersuchung).
Von der gesamten neueren Literatur waren uns bis November 1925
nur die Brezinaschen Berichte bekannt gewesen.
Über Trinitrophenol (Pikrinsäure) liegen besonders aus dem Kriege
Erfahrungen vor, die es als einen Körper von recht geringer Giftigkeit
erscheinen lassen. Gleichzeitig mit den Nitrophenolen sind die Nitroverbin-
dungen der höheren Homologen des Phenols (Kresol, Toluol) studiert.
1) Die Beschaffung der Literatur war schwierig; wir erhielten sie in Auszügen
erst während der Korrektur durch die freundliche Vermittlung von Herrn Professor
Carozzi vom Internationalen Arbeitsamt in Genf.
2) Zitiert nach Ogier et Kohn Abrest, Traité de Chimie Toxilogique. Vol. II,
pag. 76. :
3) Zitiert nach Brezina: Internationale Übersicht über Gewerbekrank-
heiten nach den Berichten der Gewerbeinspektionen der Kulturländer über die
Jahre 1914—1918.
A) Zitiert nach Pouchet et Lewin: Traité de Toxicologie, pag. 509.
5) The Causation and Prevention of Tri-nitro-toluene (TNT) Poisoning.
London 1918.
- 366 Die Mono- und Dinitrophenole als gewerbliche Gifte.
Weyl!) fand Dinitrokresol, das eine Zeitlang als „Saffranersatz‘‘ empfoh-
len wurde, in Mengen von 250 mg pro kg vom Magen aus, von 110 mg sub-
kutan beim Kaninchen tödlich. Er berichtet auch über einen Todesfall
beim Menschen nach Einnehmen von 45 g. Der gleiche Autor berichtet über
die mäßige Giftigkeit von Dinitronaphthol.
Eigene Fabrikerfahrung über die Giftigkeit der nitrierten Phenole.
Unser Fall war folgender: Der am 28. Dezember 1900 verstorbene
Arbeiter W. arbeitete seit dem 19. Dezember im Dinitrophenolbetrieb ;
er hatte das feuchte Produkt in den Trockenschrank zu füllen, diesen
wieder zu entleeren und das getrocknete Produkt in Fässer zu packen.
Bei der Arbeit war ihm das Tragen eines Respirators vorgeschrieben.
Am 27. Dezember (3. Weihnachtsfeiertag) war er noch ganz wohl ge-
wesen; jedoch ist starker Alkoholgenuß an den vorangegangenen Tagen
wahrscheinlich. Beim Arbeitsantritt am Morgen des 28. Dezember klagte
er einem Mitarbeiter gegenüber über Kopfschmerz, nachmittags 2 Uhr
meldete er sich krank mit Klagen über Schwäche und Mattigkeit. Obwohl
ihm ein warmes Bad guttat, legte er sich wegen eintretender Atemnot mit
deutlicher Beschleunigung der Atmung zu Bett.” Um 5 Uhr stellte der
Fabrikarzt fest: Hin- und Herwerfen in starker Unruhe, Ruf nach Luft,
starken Schweiß, Schmerz in der Lebergegend, vollen weichen Puls (140),
Temperatur 38,8%, etwas Lungenrasseln, Erweiterung und Starre der Pu-
pillen.
Eine Magenausspülung förderte einen Inhalt zutage, dessen Geruch
verschiedenen Personen „teerartig‘‘, „harzartig‘‘, „punschartig‘‘ erschien
(an Punschgenuß zu denken liegt nahe). Trotz Eisblase auf Kopf und Brust
wurde um 7 Uhr der Puls schwach und sehr frequent. Ein Aderlaß wurde
vorgenommen, gegen 8 Uhr fanden Krämpfe statt, Arm-, Bein- und Ge-
sichtsmuskeln kontrahierten sich und unter Inspirationskrampf mit drei
schnappenden Atemzügen starb der Patient.
Über den Eintritt der Totenstarre erwähnt der Bericht nichts, doch
läßt er vermuten, daß die „kurz vor dem Tode‘ beobachtete „starke
Kontraktion der Muskulatur‘ auch im Tode angehalten, bzw. daß die
Totenstarre schon in den letzten Augenblicken des Lebens begonnen
habe.
Die Sektion ergab eigentümlich flüssiges rubinrotes Blut, frischrote
Farbe der Muskeln (wie wenn Salpeter eingewirkt hätte)?), blutreiche
Lungen, ziemlich blutleeres Herz, Kontraktion des linken Ventrikels,
Schlaffheit des rechten, stark kontrahierte Därme, geblähten Magen, blut-
reiches Gehirn.
Die chemische Untersuchung des Harns auf Dinitrophenol verlief
negativ, obwohl sie lege artis von einem tüchtigen Chemiker der Fabrik
angestellt wurde. Mikroskopische Untersuchungen unterblieben, ebenso
fehlen Beobachtungen über Fárbungen der Haut und über Inhalt des
1) Th. Weyvl: Die Teerfarben, S. 63. Berlin 1889.
2) Es sei gleich hier bemerkt, daB wir in den Tierversuchen nichts davon
beobachteten,
Von Dr. K. B. Lehmann und Dr. Ludwig Schmidt-Kehl. 367
äußeren Gehörganges (diese Dinge pflegen allerdings in Farbenfabriken
wenig beachtet zu werden). Bei kritischer Betrachtung des Falles liegen
mehrfache Möglichkeiten der Giftaufnahme vor: Erstens durch den Ver-
dauungsweg (Verschlucken von eingeatmeten Staubteilchen, Einbringen
beschmutzter Hände in den Mund, Nachlässigkeit bei der Nahrungsauf-
nahme), zweitens durch den Atmungsweg (in Dampf- oder Staubform),
endlich durch die verletzte oder unverletzte Haut. Immerhin erscheint
die Aufnahme groBer Giftmengen auf all diesen Wegen a priori schwierig,
denn wenn die Nitrophenole auch nur einen schwachen Geruch und
einen geringfügig bitterlichen Geschmack haben, so besitzen sie doch eine
intensive Färbkraft (Haut, Speichel, Nasensekret).
Eigene Versuche.
Die in den älteren Dissertationen ausführlich mitgeteilten zahlreichen
Versuche geben wir hier nur in kurzem Überblick. Eingehender teilen
wir neue, von uns zur Ergänzung ausgeführte Untersuchungen mit.
In Tierorganen, Sekreten und Exkreten wurde der Nachweis der Nitro-
phenole durch Ausschütteln des angesäuerten Materials mit Äther geführt;
der nach Verjagen des Äthers bleibende Rückstand färbt sich mit Alkali
gelb (Ammoniakdampf genügt), die EE Reaktion war uns leider
unbekannt.
A. Versuche mit Para-Nitrophenol.
Beilstein sagt von diesem Körper: „Farblose Nadeln oder mono- >
kline Säulen, dimorph. Geruchlos, schmeckt erst süßlich, dann brennend,
Schmelzpunkt 114°. Sublimiert unterhalb des Schmelzpunkts und siedet
fast unzersetzt; mit Wasserdämpfen im Gegensatz zu Orthonitrophenol nur
wenig flüchtig. Sehr leicht löslich in heißem Wasser, nicht unbeträchtlich
in kaltem. Äußerst leicht löslich in Alkohol und Äther. ge
Wir verwendeten stets Lösungen in Wasser mit möglichst wenig
Alkalizusatz.
4. Versuche am Frosch.
25—40 mg pro kg Frosch subkutan erzeugten nur leichte Vertiefung und
Beschleunigung der Atmung und Schädigung der Reflexe. In erhöhtem
Maße zeigten sich diese Veränderungen bei subkutaner Beibringung von
50—60 mg pro kg Frosch. Die Atemfrequenz war von normal 10 bis höch-
stens 40 auf 50—% pro Minute erhöht. Die Herzaktion war nicht beschleu-
nigt, jedoch wurde das Zentralnervensystem bald in Mitleidenschaft ge-
zogen. Die Tiere wurden schlaff, duldeten die Rückenlage, zeigten jedoch
nur Andeutungen von Krämpfen. Im Moment, wo die Atmung (10—20
Minuten nach Versuchsbeginn) stillstand, schlug das Herz entweder noch,
oder falls es stillstand, antwortete es noch auf mechanische -Reize mit einer
Reihe von Pulsationen. Im gleichen Zeitpunkt bewirkten Durchschneidung
und Zerstörung des Rückenmarks sowie Reizung der peripheren Nerven
noch gute oder leidliche Muskelzuckungen; jedoch blieben selbst starke
Reizungen peripherer Nerven nach 2—3 Stunden, Zerstörung des Rücken-
marks schon nach 30 Minuten ohne alle Wirkung. Normalerweise bleibt
368 Die Mono- und Dinitrophenole als gewerbliche Gifte.
die Erregbarkeit Stunden, ja Tage lang erhalten. Die Muskulatur selbst
erwies sich bei elektrischer Prüfung als nicht geschädigt, auch wurden
Veränderungen des Blutes nicht beobachtet.
2. Versuche am Warmblüter.
a) Kaninchen.
350—400 mg pro kg Tier erzeugten bei subkutaner Einverleibung am
Kaninchen vorübergehende, kaum merkliche Atemfrequenzsteigerung.
Vom Magen aus wurden noch 500 mg pro kg bei leichter Dyspnoe und
Erweiterung der Lidspalte ertragen, während schon 600 mg in 8 bzw. 17
Minuten, 714 mg in 6 Minuten zum Tode führten. Die Atemfrequenz war
dabei’ auf 60—70 gesteigert, Krämpfe, terminaler Tetanus beherrschten das
Bild kurz vor dem Tode. Bei der Sektion konnte im Magen- und im Blasen-
inhalt Nitrophenol nachgewiesen werden, Luftröhre und große Bronchien
waren hyperämisch, die spektroskopische Untersuchung des Blutes ergab
Oxyhämoglobin.
Die Totenstarre setzte früher als bei gewöhnlichen Todesfällen ein.
b) Katze.
1. Subkutan.
Von der Katze wurden 95.mg pro kg Körpergewicht, subkutan bei-
gebracht, ohne schwere Symptome vertragen, 145 mg tóteten in 23% Stun-
den, 200—-300 mg in etwa 1 Stunde. Die auftretenden Erscheinungen waren
die gleichen wie beim Kaninchen: Respirationssteigerung bis zur Unzähl-
barkeit, Pupillenerweiterung und Krämpfe. Speichelfluß und Erbrechen
traten hinzu.
Das Sektionsbild war wieder wenig charakteristisch, jedoch wurde in
einem Falle im Blut Methämoglobin gefunden.
2. Von der Haut aus.
Da bei den Nitrophenolen die Wirksamkeit von der Haut aus besonders
interessieren mußte, wurden von Dr. Hasegawa 1906 zahlreiche Versuche
hierüber angestellt: Nachdem sich in einigen Vorversuchen Kaninchen als
wenig geeignet erwiesen hatten, wurden Katzen herangezogen. Es mußte
am einfachsten sein, einer Katze die zu prüfende Substanz möglichst gleich-
mäßig in den Pelz einzustreuen und das Tier dann in einen möglichst
undurchlässigen Sack einzubinden, der nur den Kopf freiließ. Eine so mit
7,5 g Paranitrophenol behandelte Katze von 2200 g Gewicht blieb jedoch
völlig normal. Der Kontakt der Substanz mit der Haut schien zu gering zu
sein. Da nun der Mensch dieses schützenden Haarkleides entbehrt, wurden
in den folgenden Versuchen die Haare der Katzen zunächst auf verschie-
dene Weise in wechselnder Ausdehnung entfernt und erst dann die Sub-
stanz aufgebracht. Enthaart wurden verschiedene Stellen des Rumpfes;
die Substanz wurde alsdann durch Bindentouren um den Brustkorb und
durch ein eigens dazu angefertigtes „Katzenkorsett‘‘ aus Gummistoff auf
dem Körper fixiert.
Die Versuchsergebnisse mögen zunächst in Tabellenform hier folgen
und dann mit den genaueren Bedingungen, unter denen sie erzielt wurden,
Von Dr. K. B. Lehmann und Dr. Ludwig Schmidt-Kehl. 369
besprochen werden. In Tabelle I aufgenommen, jedoch nicht besprochen,
sind die Versuche, bei denen nur 40 und 50 gem Haut bestreut wurden.
Die Versuchsnummern 1—4 zeigen, daß Paranitrophenol selbst in
Mengen bis 5 g von der nur geschorenen Haut aus wirkungslos bleibt. Die
bis auf 2—3 mm gestutzten Haare verhindern offenbar den zum Ein-
dringen nötigen Kontakt von Gift und Haut.
Eine Wirkung ist jedoch erzielbar, wenn dem geschorenen Tier Ver-
letzungen beigebracht werden. Bei Nr. 5 wurden mit der Schere 6 kleine
Verletzungen gesetzt. Die Atmung ging am zweiten Tag auf 80, am dritten
Tag war noch Pupillenerweiterung vorhanden, dann ging das Bild in Hei-
lung über.
Fall 6, dem 10 größere Verletzungen zugefügt wurden, zeigte einen
rascheren Anstieg der Krankheitserscheinungen, die nach kurzer Zeit zum
Tod führten.
Um den Abstand zwischen Haut und Gift zu verringern, wurden Nr.
8—15 mit dem jüdischen Enthaarungsmittel Rhusma enthaart. 2 g Sub-
stanz auf eine kleine enthaarte Fläche von 40 gem blieben noch wirkungs-
los (Nr. 7).
Die gleiche Menge Gift, auf eine größere Fläche verteilt, führte nach
7 Tagen zum Tode (Nr.8). Wurden 4 g verwendet, so erkrankten alle Tiere
schwer unter den charakteristischen Zeichen, 4 von 5 starben (Nr. 9—13).
Um etwaigen kleinen Ätzungen der Epidermis Zeit zur Ausheilung zu ge- -
währen, wurde zwischen Enthaarung und Giftaufstreuung in den einzelnen
Versuchen wechselnde Zeitspannen von 1—5 Tagen eingeschoben; einen
deutlichen Einfluß auf das Versuchsergebnis hatte dies aber nicht.
In Versuch 14 wurde die auf 80 qcm enthaarte Haut nach 2 Tagen erst
mit 2,5 g 1—2 cm langen Haaren belegt und darauf 4 g Paranitrophenol ge-
streut. Die Haare verhinderten das Eindringen des Giftes in den Körper
nicht, nach 23 Stunden machten sich die ersten Vergiftungserscheinungen
bemerkbar, nach 51 Stunden verendete das Tier.
Wie ın den Versuchen 7 und 3 wurde auch im Versuch 15 die Menge
von 2 g auf die enthaarte Haut gebracht, nur wurden dieser noch 6 kleine
Verletzungen mit der Schere, 20 3 cm lange mit dem Messer beigebracht.
Innerhalb 3 Stunden ging die Atemfrequenz auf 180 in die Höhe, jedoch
reichte die Giftmenge nicht aus, um das Tier zu töten.
In einem weiteren Versuch (Nr. 18) wurde die Entfernung der Haare
noch vollständiger und die Berührung von Gift und Haut womöglich noch
inniger gestaltet, indem das Tier rasiert wurde. Das Resultat war das
‚gleiche (rascher Tod) wie bei Anwendung des Enthaarungsmittels.
In allen beschriebenen Hautversuchen blieben sehr beträchtliche An-
teile des aufgestreuten Nitrophenols sozusagen ungenutzt auf der Haut
liegen und drangen nicht in den Organismus ein; die aufgestreuten Dosen
waren etwa zehnmal so groß wie die eingespritzten! Es lag nun nahe, einen
neuen Weg zu beschreiten, um die Resorption zu fördern. Alle in dieser
Arbeit in Frage stehenden Substanzen sind in Wasser wenig bis äußerst
wenig, in Lipoiden dagegen leicht löslich. Diese Kategorie von Giften
dringt, in Fetten gelöst, inden Körper ein, und die Resorption muß verstärkt
werden, wenn das Gift, in irgendeinem Fett gelöst, vor den Ausführungs-
Archiv für Hygiene. Bd. 95. 27
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370
trophenole als gewerbliche Gifte.
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Von Dr. K. B. Lehmann und Dr. Ludwig Schmidt-Kehl. "371
offnungen der Talgdrüsen liegt und nunmehr leicht in deren fetthaltigen
Inhalt diffundieren kann.
In einigen Vorversuchen ergab sich Hasegawa denn auch in der Tat,
daß am Katzenkadaver das trocken aufgestreute Paranitrophenol durch
die nicht enthaarte und die nur geschorene Haut nicht einzudringen ver-
mochte, wohl aber ein Paranitrophenol-Schweinefettgemisch. War
die Haut mittels Enthaarungspulvers von Haaren befreit, so drang sowohl
das trockene wie das gefettete Gift durch Haut, Unterhautzellgewebe
und Muskel bis auf den Rippenknorpel durch. |
In der folgenden Tabelle II sind die Ergebnisse der Versuche, lebenden
Katzen das Giftfettgemisch in die Haut einzureiben, zusammengestellt.
Tabelle IL
Wirkung des Paranitrophenoles auf Katzen von: der Haut aus
bei Fettzugaben.
> pn ern pn e =a
Gewicht
Ver- Applika- | Methode der- Applizierte
suchs- [des Tieres |tionsfläche Haar- Giftmenge Wirkung auf die Katze
Nr. ing in gem entfernung in g
verendet nach 2 Tagen
0
verendetnach 2 % Std.
LK A 1% y
24 2770 80 nthaarungs- erkrankt,
mittel erholt nach 3 Tagen
In den Versuchen 19 und 22 wurden je 8 g Paranitrophenol innig mit
Schweinefett gemischt und, ohne daß dem Tier die Haare entfernt wurden,
eingerieben. Beim bloßen Einstreuen der Substanz in den Pelz war keine
Wirkung zu erzielen gewesen, jetzt abererkrankten beide Tiere und starben.
Die Erscheinungen traten, ähnlich wie bei Nr. 14, wo auch Haare zwischen
Gift und Haut eingeschaltet waren, etwas verzögert erst am 2. Tage auf.
Es stand zu erwarten, daß bei enthaarten Katzen verstärkte Wirkung
eintrete. In 3 Versuchen (Nr. 21--23) wurde nur 3g Gift, mit Schweinefett
gemischt, auf die geschorene Haut aufgebracht. Nr. 21 (Hasegawa) stellt
einen unaufgeklärten Versager dar!), die beiden andern Tiere (1925 von
uns vergiftet) starben aber in kürzester Zeit unter den Erscheinungen von
Speichelfluß, Durchfall und hochgradiger Atemnot. Wir haben dabei ver-
mieden, das Präparat etwa stark einzureiben, es wurde mit einem Spatel
leicht aufgestrichen.
Nicht so deutlich war die unterstützende Wirkung des Fettzusatzes
. bei Versuch 24 (Hasegawa). Hier wurde jedoch auch die enthaarte Haut
nur mit Olivenöl eingerieben und darauf das trockene Gift eingestreut.
Nach allen Versuchen scheint es, als ob die Größe des resorbierenden
Hautstückes für das Zustandekommen der Vergiftung wichtiger sei als die
4) Dieser Versuch war hauptsächlich Schuld an der verzögerten Publi-
kation der Arbeit.
Archiv für Hygiene. Bd. 96. 28
372: Die Mono- und Dinitrophenole als gewerbliche Gifte.
Menge des Giftes. Es wäre deshalb vielleicht besser gewesen, alle Ver-
suche mit gleich großer Resorptionsfläche und gleicher Giftmenge zu
machen und nur die Art der Enthaarung, einmal bei trockener Aufstreu-
ung, das andere Mal bei Fettzugabe zu wechseln. Trotzdem gestatten die
Resultate klare Schlüsse.
Das Sektionsbild war bei allen nach Hautapplikation gestorbenen
Tieren ähnlich: Haut und Unterhautzellgewebe waren intensiv gelb gefärbt,
einige Male konnte auch Gelbfärbung von Konjunktiva, Linse und Glas-
körper nachgewiesen werden. Zusatz von Natronlauge ließ die Farbe noch
deutlicher hervortreten: die Natriumverbindung der Nitrophenole ist in-
tensiver gefärbt. als die Nitrophenole selbst. Im Harn war nach der oben
(S. 367) angegebenen Methode Nitrophenol leicht nachweisbar.
Physiologische Zergliederung des Bildes der Vergiftung durch Paranitro-
phenol beim Warmblúter.
Bei den nicht tódlich vergifteten Kaninchen tritt als fast ein-
ziges Symptom eine vorübergehende Beschleunigung und Vertiefung der
Atmung auf. Bei Anwendung tödlicher Dosen zeigen die Kaninchen schon
unmittelbar nach der Einführung des Gifts eine sehr starke Dyspnoe, welche
sich rasch bis zu 140 Atemzügen in der Minute steigert. Unter Blähung der
Nüstern und Aktion sämtlicher Hilfsmuskeln dauert die Dyspnoe meist
unvermindert an bis zum plötzlichen Aufhören der Atmung beim Eintritt
der terminalen Krämpfe.
Nachdem sich wenige Minuten nach Beibringung des Giftes große
motorische Schwäche dadurch verraten hat, daß Tiere die Bauchlage ein-
nehmen, die Beine von sich strecken und sowohl Rücken- als Seitenlage
widerstandslos ertragen, treten allgemeine Streckkrämpfe..ein, während
welcher der Tod erfolgt.
Wie das Froschherz nach Aufhören der gesteigerten Atmung meist
weiter schlug, so pulsiert auch beim Kaninchen das Herz, nachdem im
Streckkrampf die Atmung mit einem Schlage aufgehört hat, noch etwa
Y, Minute langsam weiter — ungenügende Herztätigkeit ist also nicht
die Ursache des Todes. Bei der Katze nimmt die Vergiftung insofern
einen abweichenden Verlauf, als der Organismus dieses Tieres den Einwir-
kungen der tödlichen Giftdosis länger widersteht, sodaß die sich beim Kanin-
chen fast überstürzenden, meist in wenigen Minuten zum Tode führenden
Symptome langsamer und dadurch noch deutlicher zutage treten. Auch
bei der Katze zeigt sich alsbald Dyspnoe: Die Atmung wird immer müh-
samer und frequenter. Nach einem Höhepunkt, auf dem fast 200 Atem-
züge gezählt werden, nimmt die Frequenz allmählich wieder ab, während die
Atmung noch immer tiefer und angestrengter wird und dann plötzlich
erlischt, nachdem ihre Frequenz auf etwa 10 gesunken ist.
Auch bei der Katze zeigt sich bald nach dem Beginn der Dyspnoe teils
motorische Schwäche (Einnahme der Seitenlage, Unfähigkeit freier Be-
wegung), teils leichte Pendelbewegungen mit Abnahme aller Reflexe; nach
längerer Dauer der Dyspnoe tritt der Tod unter leichten Krampferschei-
nungen ein.
Von Dr. K. B. Lehmann und Dr. Ludwig Schmidt-Kehl. 373
Bei allen Tieren wurde beim Fortschreiten der Atemnot starke Pupillen-
erweiterung beobachtet; nimmt man die bei sonst uncharakteristischem
Sektionsbefund häufig beobachteten Kongestionen und Blutungen in der
Lunge hinzu, so entspricht das Bild genau dem einer protrahierten Er-
stickung mit ihrer gesteigerten Atemfrequenz und den terminalen Krämpfen.
Was die Ursache der Erstickung anbetrifft, so weist die in einem Falle
gemachte Beobachtung von Methaemoglobinbildung im Blut darauf hin,
daß eine chemische Blutschädigung mitzuspielen scheint.
Auf das Verhalten der Muskeln wurde in allen Fällen geachtet. Die
Muskelstarre begann sofort oder ganz kurz nach dem Tode und war nach
6 bis 8 Minuten fast überall soweit vorgeschritten, daß sich der Status
im wesentlichen nicht mehr änderte; maximale Starre trat nicht ein. Die
weitere Besprechung dieser sehr merkwürdigen Erscheinungen wird beim
Orthoparanitrophenol erfolgen, bei dem weitere Versuche zu ihrer Er-
gründung unternommen wurden.
B. Versuche mit Orthonitrophenol.
| Beilstein gibt an: ‚Orthonitrophenol, schwefelgelbe Nadeln oder
Prismen. Schmelzpunkt 44,27% Siedepunkt 214°. Aromatisch riechend.
In kaltem Wasser wenig löslich, sehr leicht in warmem Alkohol, Äther,
Schwefelkohlenstoff und Benzol.“
1. Versuche am Frosch.
Subkutan beigebrachte Mengen von 60—190 mg pro kg Frosch wurden
ohne wesentliche Erkrankung ertragen; erst 300 mg töteten in 17 Stunden,
380 und 533 mg in 5 bzw. 64, Stunden. Die auftretende Respirations-
beschleunigung und Pupillenerweiterung war die gleiche wie beim Para-
nitrophenol, wenn auch weniger prägnant ausgebildet.
Die Symptome von seiten des Nervensystems wichen von denen beim
Paranitrophenol erheblich ab. Zuerst trat auch hier eine Herabsetzung der
motorischen Kraft und Duldung der Rückenlage auf. Dann zeigte sich aber
eine Steigerung der Reflexe, die Reaktionsbewegungen wurden leicht
konvulsivisch und steigerten sich alsbald zu klonischen Krämpfen, welche
durch mechanische Reize (Druck, Lageveránderung, Erschütterung der
Unterlage) und durch elektrische Reize hervorgerufen wurden. Die Krämpfe
wurden dann sehr stark, traten schon bei der leisesten Berührung, schließ-
lich auchspontanauf. Dieses Höhestadium ging zwar bald vorüber, ein Sta-
dium erhöhter Reflexerregbarkeit blieb aber längere Zeit, ja Stunden lang
bestehen. Allmählich wurden dann die reflektorischen Krämpfe schwächer
und blieben bei leichten Reizen aus. Schließlich lag der Frosch regungslos
da, etwa gleichzeitig mit dem Erlöschen der Respiration erlosch auch die
Reflexerregbarkeit. Periphere Nerven und Muskeln wurden durch Ortho-
nitrophenol nicht geschädigt, wie die elektrische Prüfung bewies.
2. Versuche am Warmblúter.
a) Kaninchen.
455 und 630 mg pro kg Tier, subkutan eingespritzt, wurden ohne
ernstliche Schädigung ertragen, immerhin waren Atemfrequenzsteigerung
28*
374 l Die Mono- und Dinitrophenole als gewerbliche Gifte.
und Pupillenerweiterung deutlich. Einem Kaninchen wurden an vier
aufeinanderfolgenden Tagen 97, 210, 330 und:715 mg pro kg unter die
Haut gebracht.
Auf die erste schwache Dosis reagierte es mit ziemlich starker Atem-
beschleunigung, auf die größeren zweite und dritte Dosen nur noch mit
schwacher Atembeschleunigung, während die letzte Dosis, die 7—8 mal
größer war als die Anfangsdosis, ganz ohne Wirkung blieb. Es scheint
demnach eine Gewöhnung an das Gift stattzufinden. Ein Tier starb auf-
fallenderweise an 265 mg pro kg nach 10 Stunden; als mögliche Erklärung
dieser Empfindlichkeit ergab die Sektion hochgradige Tuberkulose.
1700 mg pro kg töteten ein gesundes Tier im Verlaufe von 14, Stunden.
Auch vom Magen aus konnten 950 mg pro kg die charakteristischen Krank-
heitserscheinungen erzeugen.
Wurde einem Kaninchen 1,---1 Stunde nach Eingeben des Giftes in
den Magen noch 3,5 ccm Alkohol pro kg Körpergewicht mit Schlundsonde
beigebracht, so zeigte sich regelmäßig Verstärkung der Erscheinungen.
Bei 0,5 g Nitrophenolgabe trat ohne Alkohol die Erholung in 5 Stunden,
mit Alkohol erst in 8 Stunden ein; ein Kaninchen, dem 0,6 g/kg des Giftes
in den Magen appliziert wurde, erholte sich nach 10 Stunden, ein anderes,
dem außerdem 3,5 ccm Alkohol appliziert wurde, starb nach 3 Stunden.
Bei 0,8 mg trat der Tod nach 2 Stunden bzw. 40 Minuten ein.
Offenbar wird die Resorption des Nitrophenols durch den Alkohol
beschleunigt, so daß das Konzentrationsgefälle und damit die Wirkung
erhöht wird.
b) Katze.
Wie vom Paranitrophenol kann auch vom Orthonitrophenol die Katze
nur kleinere Dosen vertragen als das Kaninchen.
Ein Versuchstier erholte sich bei einer Dosis von 210 mg pro kg nach
einstündiger Erkrankung; in anderen Fällen töteten 250 mg pro kg in
7% Stunden, 430 in 2%, 600 in 54.
Im ganzen erweist sich das Orthonitrophenol beim Tierversuch als das
schwáchere Gift von den beiden untersuchten Mononitrophenolen. Die
Krankheitserscheinungen sind jedoch bei beiden die gleichen;: nur wurde
das Auftreten von Methämoglobin im Blut mit größerer Regelmäßigkeit
beobachtet (bei allen gestorbenen Katzen).
Physiologische Zergliederung des Bildes der Vergiftung durch Orthonitro-
phenol.
Die Beeinflussung der Respiration ist bei weitem schwächer als beim
Paranitrophenol. Bevor sie auftritt, zeigt sich eine Wirkung des Giftes
auf das Zentralnervensystem in Form von motorischer Schwäche und
Lähmung zugleich mit Störung der Reflexe auf die gewöhnlichen mecha-
nischen Reize. Diese Affinität zum Zentralnervensystem, die bei allen in
dieser Arbeit untersuchten Nitrophenolen beobachtet wird, dürfte von
der geringen Wasser- und der hohen Lipoidlóslichkeit dieser Stoffe her-
rühren.
Ven Dr. K. B. Lehmann und Dr. Ludwig Schmidt-Kehl. 375
Neben den Lähmungserscheinungen kommt es auch ab und zu zu Reiz-
erscheinungen in Form von Steigerung der Patellarsehnenreflexe und von
leichten klonischen Zuckungen. Ja
Erst bei völliger Lähmung des Tieres wird die Respiration angestrengt \
und beschleunigt; diese Erscheinungen kommen bei der Katze relativ
früher als beim Kaninchen. Auf ein Stadium maximaler Atemfrequenz /
folgt ein solches kontinuierlich abnehmender. ;
Beim Kaninchen wurde in einem Falle eine enorme Tachykardie beob-
achtet (200—240 Pulse pro Minute); sie ist aber nicht als Todesursache an-
zusehen: der Herzpuls war nach Eintritt des Respirationstodes noch über
eine Minute zu fühlen.
Die Sektionsergebnisse (Hyperämie der Trachea, Blutungen in den
Lungen) sowie die im Leben beobachtete Pupillenerweiterung lassen das
Bild wieder wie beim Paranitrophenol als eine Erstickung erscheinen. Der
bei der Katze regelmäßige Befund von Methaemoglobin im Blut läßt deut-
licher als bei dem zuerst untersuchten Gift eine Ursache der Erstickung
in primärer Schädigung des Blutes erkennen.
Eine deutliche Beschleunigung der Totenstarre wurde nicht beobachtet.
Die schon beim Parahitrophenol gesehene Gelbfärbung der Haut und der
Schleimhäute war hier bedeutend intensiver. Der Kaninchenharn war von
schön roter Farbe und aromatischem Geruch; in ihm ließ sich wie in Harn
und Speichel der Katze Nitrophenol leicht nachweisen.
C. Versuche mit Orthoparanitropheno!.
Am eingehendsten ist dieser praktisch besonders wichtige Körper
untersucht worden. Beilstein sagt über unseren Körper: „Dünne, fast
farblose, rechtwinklige, gestreifte Tafeln oder Blättchen (aus Wasser);
farnkrautähnliche Blättchen (aus Salzsäure). Rhombisch. Schmeckt an- ,
fangs indifferent, dann bitter. Schmelzpunkt: 114—115% Läßt sich in
kleinen Mengen unzersetzt sublimieren. Verflüssigt sich mit Wasserdámpfen
leichter als 2,6 Dinitrophenol. Löslich in 21 Teilen siedendem Wasser; in
197 Teilen Wasser von 18°; in 7261 Teilen Wasser von 0°. In der Wärme
leicht löslich in Äther, Benzol, Chloroform.‘ Das uns vorliegende Prä-
parat stellt gelbliche Kristalle dar, die ein Pulver von der Konsistenz
von Traubenzucker bilden. 0,1 g lassen sich in 25 ccm Wasser nach Zusatz
von 3 Tropfen 10 prozentiger Natronlauge bei gelindem Erwärmen lösen.
Die Lösung ist klar, orangegelb, von schwachem, wenig charakteristischem
Geruch; sie reagiert schwach alkalisch bis annähernd neutral.
Die Flüchtigkeit des Orthoparanitrophenols nimmt mit steigender
Temperatur stark zu. 1 cbm trockener Luft vermag nach unseren Unter-
suchungen aufzunehmen
bei 16° 15 mg
22,50 Ao,
36% 10 ,,
250% 27 ,,
10 67
659 203,
376 ` Die Mono- und Dinitrophenole als gewerbliche Gifte.
Graphisch dargestellt, ergibt sich folgende Kurve:
mg
"WINRAR DAR
a A
MATAN A
Zë
50 d BE
n BIENEN
PER
ARAN 2 EE
0 5° éis 15° 20° 25 30° 35° 40° 45° 50° 55° 60° 65°
Abbildung 1.
1. Versuche am Frosch.
10 mg pro kg Tier erzeugten vorübergehend kräftige Respirations-
beschleunigung, 35 mg töteten in 50 Minuten, 50 in frühestens 15 Minuten.
Die Hauptsyptome waren wieder wie beim Paranitrophenol Vermehrung
der Frequenz der Respiration, die ziemlich früh und plötzlich einer schwachen
langsamen Respiration und endlich einem Stillstand in Inspirationsstel-
lung Platz machte. Die Lungen waren dann meist maximal aufgeblasen.
Die Herzaktion war längere Zeit kräftig, ließ aber mit der Lähmung der
Atmung auch nach.
Die Reflexe waren mit dem Einsetzen der Atmungsverlangsamung
stark herabgesetzt, es trat Lähmung des Rückenmarks auf, ohne daß eine
erhebliche Reizung vorherging, nur ganz leichte klonische und tonische
Krämpfe zeigten sich dann und wann vor dem Eintritt der Lähmung. e
kine Schädigung der peripheren Muskeln und Nerven schien — w nn
auch nur in geringem Maße —- zu bestehen,
Von Dr. K. B. Lehmann und Dr. Ludwig Schmidt-Kehl. 317
2. Versuche am Warmblüter.
a) Kaninchen.
Orthoparanitrophenol ist für das Kaninchen ein mittelstarkes Gift.
Dosen von 26—50 mg pro kg schädigten subkutan in 4 Versuchen nur
mäßig, die Erholung trat meist schon in einigen Stunden cin. 52, 56, 60, 62,
70 mg pro kg töteten dagegen die Tiere in allen Fällen in 23 Minuten bis
23/, Stunden; die Schnelligkeit der Wirkung stand jedoch nicht immer
mit der Größe der Dosis in direkter Proportion. Es müssen daher indivi- `
duelle Unterschiede in der Giftempfänglichkeit angenommen werden. ,
Die Symptome bestanden wieder in rasch eintretender Beschleunigung
und Vertiefung der Atmung, motorischer Schwäche, die sich in Bauch-
oder Seitenlage der Tiere ausdrückte, und in Pupillenerweiterung.
Der Tod trat stets unter raschem Übergang der frequenten Atmung
in eine sehr verlangsamte ein.
Auffallend war, wie sich die Totenstarre sofort oder in wenigen Minuten
nach dem Tode in maximaler Ausbildung einstellte. Die Sektion ergab stets
Blutüberfüllung der Luftröhrenschleimhaut, die Lungen waren bald
blut- und ödemreich, bald fast oder ganz normal. Im Harn der länger
dauernden Fälle war das Gift stets nachzuweisen, ebenso in den geringen
Transsudaten in Herzbeutel und Pleuraraum. Methämoglobin konnte in
keinem Falle festgestellt werden. Vom Magen aus verlief die Vergiftung
ganz ähnlich, nur war, wie zu erwarten stand, die letale Dosis größer —
60 mg pro kg wurden noch sehr gut vertragen, 130 töteten rasch, sodaß die
minimal letale Dosis bei 100 mg pro kg Kaninchen liegen dürfte.
Ähnlich wie bei Orthonitrophenol erhöht auch bei Dinitrophenol
gleichzeitige Verabreichung von Alkohol in den Magen die Giftigkeit.
Wir lassen die Versuchsergebnisse auszugsweise im Protokoll folgen:
Giftdosis
pro kg
Tier
mg
Erfolg ohne Alkohol | a a kg Tier
Erholung in 1 Stunde | Erholung in 2*/, Stdn.
Erholung in 1°/, Stdn. | Stirbt nach 21/, Stdn.
100 | Erholung in 1 Stunde Erholung nach 3 Stdn.
132 Stirbt nach 34 Min, - Stirbt nach 10 Min.
150 Stirbt nach 10 Stdn. ' Stirbt nach 50 Min.
300 Stirbt vech 30 Min. Stirht nach 16 Min.
b) Katze. Subkutan.
Für die Katze ist Orthoparanitrophenol ein noch etwas stärkeres Gift
als für das Kaninchen. Schon 25 mg pro kg töteten in einer Stunde, 30,
38, 62 mg in 43, 240 (!) bezw. 32 Minuten. Die Erscheinungen waren die
nun schon so oft beschriebenen. Bei der angestrengten Atmung (bis zu
300 Atemzügen in der Minute!) wurde das Maul weit offen gehalten, die
Zunge war stets auffällig rot. Der produzierte Speichel war blaßgelb, tonisch-
klonische Krämpfe wurden stets beobachtet. Die Totenstarre war sofort
nach dem letzten Atemzug oder in kürzester Zeit maximal. Die Sektion för-
378 . Die Mono- und Dinitrophenole als gewerbliche Gifte.
derte wieder die Erscheinungen der Erstickung zutage (Ekchymosen der
Lungen usw.). Hámoglobin konnte nicht nachgewiesen werden?).
Auf dem Verdauungswege.
. Die Versuche begegneten wegen des leichten Brechens der Katze großen
Schwierigkeiten. Ein Tier, dem 50 mg pro kg unter Fleisch vorgesetzt
wurden, erbrach 1 Stunde später 2mal und ließ viel dünnen Stuhl. Im
Harn konnte reichlich Nitrophenol nachgewiesen werden. Die Katze er-
holte sich jedoch rasch wieder. Das gleiche Tier bekam dann 51% Monate
lang täglich 12 mg Orthoparanitrophenol mit der Nahrung zu fressen,
das waren im ganzen 8%, e Es vertrug diese Menge ohne jedes äußerlich
sichtbare Symptom. Eine kumulative Wirkung kleiner Giftdosen konnte
demnach ausgeschlossen werden.
Auf dem Atmungswege.
Einatmung von Orthoparanitrophenol in Dampfform.
Es sollte zunächst versucht werden, Katzen durch Verweilen in einer
Luft zu vergiften, die sich durch Streichen über festes Orthoparanitro-
phenol mit Dampf dieses Stoffes gesättigt hatte. Seine Flüchtigkeit
ist, wie Seite 375 erwähnt wurde, nicht groß.
Zu den Versuchen eignete sich eine Anordnung, die aus beifolgender
Skizze klar hervorgeht.
Abbildung 2.
— 1 -- —
1) Anmerkung bei der Korrektur. Durch einen therapeutischen Eingriff,
über den in Kürze berichtet werden wird, ließ sich die Dyspnoe beseitigen. Die
Art des Eingriffes spricht dafür, daß beim dinitrophenolvergifteten Tier das
Blut nicht genügend Sauerstoff aufnimmt. Die Tiere ließen sich durch diesen
Eingriff jedoch nicht retten, sondern gingen an zercbralen Erscheinungen.
zugrunde.
Von Dr. K. B. Lehmann und Dr. Ludwig Schmidt-Kehl. 379
Die Reihenfolge der Zahlen gibt die Richtung des Luftstroms an:
1. Wasserstrahlgebläse (Luft drückend),
. Waschflasche zum Trocknen der Luft mit Schwefelsäure,
. Asbestfilter zum Zurückhalten von Schwefelsäuretröpfchen,
. Sandbad mit U-rohr; dieses halb mit Orthoparanitrophenol gefüllt.
. Tierraum, |
. Differentialmanometer zur Vermeidung von Druckdifferenzen
zwischen außen und innen.
7. U-röhren mit Watte zum Zurückhalten des Nitro-
8. Waschflasche mit ie! phenols
9. Gasuhr,
0. Wasserstrahlgebláse (Luft saugend).
MN Uy) be
1
Mehrmals wurden verschiedene Katzen für einige Stunden unter die
Glasglocke (5) der Versuchsanordnung gesetzt. Es zeigten sich keinerlei
Erscheinungen an den Tieren, auch dann nicht, wenn das Sandbad bis zum
Schmelzpunkt des Orthoparanitrophenols erwärmt wurde. In diesem Falle
sublimierte die Substanz im Tierraum, so daß die darin befindliche Katze
am Ende des Versuchs über und über mit feinen Kristallnadeln bedeckt war.
Nachdem stundenlange Einatmung des Dampfes der Substanz ohne
Wirkung geblieben war, wurde eine Katze von 2,020 kg Gewicht während
6 Wochen jeden Werktag 8 Stunden lang in den Tierraum gebracht. Sie
atmete auf diese Weise an 34 Tagen eine Luft ein, die sich bei einer Tempe-
ratur von 16—22% durch Streichen über Orthoparanitrophenol mit dem
Dampf dieser Substanz gesättigt hatte. Während der ganzen Versuchsdauer
zogen 37,946 cbm Luft durch den Tierraum und führten 42,2 mg der Sub-
stanz mit (durch Zurückwägen der Substanz in 4 bestimmt); 1 cbm der
Luft, die die Katze atmen mußte, enthielt also 1,1 mg Orthoparanitro-
phenol. Unter Zugrundelegung der Annahme, daß die Katze in der Stunde
30 1 Luft einatmet, könnte sie während der 34tägigen Versuchsdauer 9 mg
Gift aufgenommen haben. Wenn man die Dosen, die zur Erzielung von
Vergiftung auf subkutanem Weg nötig waren, bedenkt, erscheint es ver-
ständlich, daß die wochenlange Einatmung von Luft, die mit Orthoparanitro-
phenoldampf bei Zimmertemperatur gesättigt war, ohne jede Einwirkung
auf die Katze blieb. Das Gewicht der Katze nahm zuerst ein wenig ab und
betrug am 14. Versuchstag 1,950 kg. Im weiteren Verlauf wurde die an-
fangs etwas erhöhte Zahl der Atemzüge wieder normal; das nunmehr an den
Aufenthalt gewöhnte Tier lag fast die ganze Zeit zusammengerollt schlafend
ım Tierraum. Am letzten Versuchstag betrug sein Gewicht 2,220 kg.
8Wochen später, während welcher Zeit keine Versuche mit dem Tier ange-
stellt wurden, hatte es wieder auf 2,090 kg abgenommen, so daß das Gewicht
zu Beginn der Versuche fast genau wieder erreicht war.
Einatmung von Orthoparanitrophenolstaub.
Vermochte die bei gewöhnlicher Temperatur geringe Dampfmenge
des Orthoparanitrophenols die Katze nicht krank zu machen, so war zu
versuchen, ob dies mit dem Staub dieses Körpers gelang.
380 - Die Mono- und Dinitrophenole als gewerbliche Gifte.
Die Versuche wurden zunächst mit einem Apparat ausgeführt, dessen
Konstruktion aus beifolgender Skizze ersichtlich ist. Der Apparat ist im
hiesigen Institut vor Jahren von Lehmann und H. K. Lang zu andern
Zwecken konstruiert und ausprobiert worden, Dr. Hartmann aus Steck-
born hat die Staubzufuhr etwas verändert.
Abbildung 3.
Auf das Sieb A des Blechtrichters 7 wird die zu verstäubende Substanz
gebracht. Ein langsam rotierender Pinsel P kratzt kleine Mengen
Staub durch das Sieb, der von einem Gebläse kommende Luftstrom
im Rohr R erfaßt den aus dem Trichter fallenden Staub und bläst ihn in
den Einatmungsraum Æ. Dies ist ein mit Glastafeln versehener Blechkasten,
in den die Köpfe zweier außerhalb in Holzkäfigen // untergebrachten
Katzen hineinragen. Die dazu nötigen Öffnungen Ö sind maulkorbartig
mit Drahtgitter versehen. Durch geeignete Halskrausen der Tiere wird ein
dichter Abschluß zwischen Hals der Tiere und Kastenwand erzielt. An
mehreren Stellen # des Einatmungsraumes wurde Luft durch Wattefilter
abgesaugt, sie streicht dann noch durch Waschflaschen, die mit verdünnter
Natronlauge gefüllt sind.
Hinter W sind noch Gasuhren und Sauggebläse, vor /t Asbestfilter,
Schwefelsäurewaschflasche und Druckgebläse zu denken (siehe Abb. 2,
Nr.9 und 10 und Nr.3, 2 und 1). Der Apparat hatte sich bei früheren Ge-
legenheiten bewährt, bei den Versuchen mit Orthoparanitrophenol zeigte
sich bald, daß der allergrößte Teil des in den Einatmungsraum eingeblase-
nen Staubs sich sofort zu Boden senkt und durchaus nicht als ın der Luft
suspendiert aufzufassen ist. Der wirkliche Staubgehalt der Luft, der aus
der Menge der durchgesaugten Luft und der auf den Wattefiltern zurück-
gehaltenen Staubmengen berechnet werden konnte, war nur ein verschwin-
dender Bruchteil des zu erwartenden Staubgehalts. Dabei war dieser Bruch-
teil relativ um so kleiner, je mehr Staub auf das Sieb des Triehters aufge-
geben wurde.
Von Dr. K. B. Lehmann und Dr. Ludwig Schmidt-Kehl. 381
In einem Versuch wurde ein wirklicher Staubgehalt von 11,4 mg in
Kubikmeter Luft erzielt, der 81 fache wáre nach der zur Verwendung ge-
kommenen Staubmenge zu erwarten gewesen. Im 2. Versuch wurden weit
größere Mengen eingeblasen, aber nur Jaen erwies sich als in der Luft sus-
pendiert, was einen Staubgehalt von 24,8 mg/cbm ergab.
Die Katzen, die in diesen beiden Versuchen die schwach staubhaltige
Luft zu atmen gezwungen waren, wurden, soweit sie in den Einatmungskasten
hineinragten, gelb gefärbt und produzierten einen gelblich gefärbten Speichel
und ebensolches Nasensekret. Nach der Berechnung konnten die Tiere, die
2 bzw. 3 Stunden im Versuch standen, 0,7 und 2,2 mg Orthoparanitrophenol
mit der Atmungsluft aufgenommen haben. Größere Mengen Staubes mögen
auf ihrer Wurfbahn von dem den Staub zuführenden Rohre nach dem
Boden des Einatmungsraumes den Katzen in Maul und Nase geflogen sein
und dort Reizung der Schleimhäute hervorgerufen haben. Zu einer Allge-
meinwirkung kam es nicht.
Es wurde daher noch eine andere Versuchsanordnung herangezogen,
deren Wirkungsweise beifolgende Skizze klarmachen möge.
A
Abbildung 4.
In den großen Blechtrichter 7, der oben durch eine Glasplatte ver-
schlossen ist, werden von Zeit zu Zeit abgewogene Mengen Staub eingewor-
fen. Ein durch den Schlauch Sch gehender Strom trockener Luft tritt bei A
in den Trichter ein und wirbelt den darin befindlichen Staub, der infolge
der Schwerkraft die Tendenz hat, sich bei S zu sammeln, stets wieder auf.
Durch 2 wieder mit Maulkörben versehene Öffnungen Ö (nur eine sicht-
bar) schauen 2 außerhalb in Holzkásten 4 untergebrachte Katzen in den
Staubraum. Abgesaugt wird bei 7, wo sich je ein Wattefilter befindet; die
Luft passiert dann noch je eine Waschflasche IV, um sie sicher von allem
Staub zu befreien. Aber auch mit dieser Anordnung ließen sich in 2 Ver-
suchen nur die geringen Staubkonzentrationen von 18,9 und 26,2 mg im
Kubikmeter Luft erzielen. In 3- bezw. 6 stündigen Versuchen konnten dabei
382 Die Mono- und Dinitrophenole als gewerbliche Gifte.
die Katzen nur 1,7 bezw. 4,7 mg Orthoparanitrophenol aufnehmen und dem-
entsprechend war keine Wirkung an ihnen zu erzielen.
Der Gedanke lag nahe, daß die Verstäubbarkeit unseres Giftes
eine sehr geringe war. Es wurden daher zum Vergleich andere Staubarten
herangezogen. In dem zuletzt beschriebenen Apparat wurden blinde Ver-
suche ohne Katzen mit Zinkoxyd, Bleiweiß, Mennige und mit Orthopara-
nitrophenol angestellt. Alle Substanzen waren gleichmäßig getrocknet, im
Mörser zerrieben und durch mehrere Lagen Gaze gebeutelt. Bei den
3ersten Staubarten wurde sofort, nachdem der Apparat in Gang war, Sus-
pension des Staubes erzielt. Die Staubteilchen gelangten sozusagen mühe-
los bis in die höchsten Teile des Apparates und lagerten sich im Verlauf der
Versuche in den Filtern und in den Schalen unter den Maulkörben an;
Diese dienen in den Tierversuchen zum Auffangen von Speichel und Er-
brochenem. Am Schlusse der Versuche fanden sich in der Tiefe des Trichters
immer nur Spuren des Staubes. Bei einem Modell des Apparates, bei dem
die Schalen unter den Maulkörben weggelassen waren, erwies sich der wirk-
liche Staubgehalt der Luft zu 75,8%, von demjenigen, der sich aus der
überhaupt in den Apparat geworfenen Staubmenge berechnen ließ. Anders
bei den blinden Versuchen mit Orthoparanitrophenol. Der Staub ließ sich
nur bis zu ganz geringer Höhe aufwirbeln und wurde zu Ende des Versuchs
fast restlos in der Tiefe des Trichters wiedergefunden. Der wirkliche Staub-
gehalt der Luft in Höhe der Stelle, an der die Katzen atmen, verhielt sich
wie 1 : 1141. Mikrophotographische Aufnahmen, die bei 110facher Ver-
größerung ausgeführt wurden, ließen die geringe Verstäubbarkeit des
Orthoparanitrophenols im Vergleich zu den drei anderen Staubarten
verständlich erscheinen. Unser Nitrophenol ist ein kristallinischer Körper
mit großen Tafeln und zackigen Bruchflächen. Es hat im mikroskopischen
Bilde entfernte Ähnlichkeit mit übereinandergetürmten Eisschollen. Die
drei anderen Staubarten bestehen zum Teil aus winzigen kleinsten Körn-
chen, zum Teil aus größeren Klumpen, in denen die einzelnen Körnchen
aber offenbar nur einen losen Zusammenhalt miteinander haben, sodaß
sie sich bei der geringsten Kraft voneinander trennen. Diese Arten von
Staub könnten im mikroskopischen Bilde lockergefügten Schneemassen
(Pulverschnee) verglichen werden.
Von der Haut aus.
Die Versuche wurden in der. gleichen Weise angestellt wie beim Para-
nitrophenol, nur wurden bei den gestorbenen Tieren gleich nach dem Tode
die auf der Haut noch vorzufindenden Giftmengen bestimmt, sodaß ein
Anhaltspunkt für den wirklich in den Organismus eingedrungenen Anteil
gegeben war. Die Versuchsergebnisse sind in der folgenden Tabelle zusam-
mengestellt.
Aus der Tabelle 111 ist zu ersehen, daß Orthoparanitrophenol von der
Haut aus ein kräftig wirkendes Gift ist. Sein Verhalten unter den ver-
schiedenen Modifikationen der Versuchsbedingungen ist ganz analog dem
des weiter oben betrachteten Paranitrophenols, nur daß dieses im ganzen
das schwächer wirkende Gift ist.
Von Dr. K. B. Lehmann und Dr. Ludwig Schmidt-Kehl. 383
l Tabelle II.
Wirkung des Orthoparanitrophenoles auf Katzen von der Haul
aus. I. Gift trocken aufgestreut.
|
des |
A P Ll ap =
Dis bp = 3 y ES Sy "== E So
E = es Tan Bon SE Sfr
YE ta >g 932 - Ya Spa 30g SENTE
= E o” Sa vin Er SS ke „| ug“ Wirkung auf die Katze
GEI SE =2 DaS ass || SEE
Aa ae a= oc aa Il éi El wm
ai GE: = Se qe ac gl er
a së E dd? 205%
2320 80 |Geschoren 2 Tage krank
verendet nach 14 Stunden
0
1 Tag krank
4 Tage krank
verendet nach 3 Tagen
1 Tag krank
verendet nach 20 Stunden
0 -1 3 rg Sir
verendet nach 12 Stunden
3 Tage krank
verendet nach 4% Stdn.
In den vorliegenden Versuchen wurde bei den auf etwa 1 mm Haar-
länge geschorenen Tieren das Gift sofort nach der Haarentfernung aufge-
bracht, bei den rasierten nach 24 Stunden.
Zur Erzielung von den Erscheinungen an den Katzen war — roh ge-
schätzt — etwa zehnmal mehr Gift nötig als bei subkutaner Darreichung.
Die erforderlichen Giftmengen waren bei den geschorenen Tieren größer als
bei den rasierten. Die Vermischung des Giftes mit Schweinefett steigerte
seine Wirkung außerordentlich, sodaß auch die Unterschiede zwischen
geschorenen und rasierten Tieren verwischt erschienen. Diese steigernde
Wirkung des Fettzusatzes erklärt die den Gewerbeärzten längst bekannte
Tatsache, daß Vergiftungen mit lipoidlóslichen von der Haut aus wirkenden
Stoffen an heißen schwülen Tagen viel häufiger sind als an kühlen: Die
schwitzende Haut ist aufgelockert und feucht (was das Haften des Giftes
erleichtert), zudem auch fettreicher. Der Schweiß enthält etwas lipoidlös-
liche Anteile, auch dürften die Talgdrüsen beim Schwitzen stärker sezer-
nieren. Ä
In einem weiteren Versuch erwies sich das Orthoparanitrophenol von
zwei geschwürigen Granulationsflächen von etwa 2 qem Größe aus als
wenig wirksam. 300 mg trocken aufgestreutes Gift hatten wohl eine
lokale eitererregende und gewebezerstörende, aber keine allgemeine Wir-
kung. Die Sektion der verendeten Tiere ergab die nun mehrfach beschrie-
benen Veränderungen. In einem Falle (Katze Nr. 13) wurden in der
Haut selbst 30 mg Orthoparanitrophenol wiedergefunden, die also nicht
in den Kreislauf gelangt sind.
Es ist oben darauf hingewiesen worden, daß perkutan mehr Gift not-
wendig ist, als subkutan, ein auf den ersten Blick befremdendes Resultat.
384 > Die Mono- und Dinitrophenole als gewerbliche Gifte.
Es wird sich jedoch wohl so erklären, daß ein Teil des perkutan eindringenden
Giftes in der Haut stecken bleibt und daß die Eintrittsgeschwindigkeit so
gering ist, daß in der Zeiteinheit nur kleine bei gutem Funktionieren der
Ausscheidungsorgane zum großen Teil wieder aus dem Körper ent-
fernt werdende Mengen eindringen; bei subkutaner Injektion dagegen
findet eine rasche Überschwemmung des Körpers statt, der gegenüber die
Ausscheidungsorgane versagen.
Zur Totenstarre bei Nitrophenolvergiftung.
Im vorhergehenden wurde an verschiedenen Stellen bei den beobach-
teten Vergiftungen eines vom Normalen abweichenden Verlaufs der Toten-
starre gedacht. Am charakteristischsten zeigten sich die Erscheinungen
beim Orthoparanitrophenol. Die Totenstarre war hier wenige Minuten
nach dem Tode soweit vorgeschritten, daß die Versuchstiere, an den Hinter-
beinen gefaßt, steif wie ein Stock, wagrecht in den Raum gehalten werden
konnten, ohne sich durchzubiegen.
Ähnliche Beobachtungen hat Th. Weyl!) bei Dinitrokresolvergiftung
gemacht, ohne dem Befund jedoch genauer nachzugehen. Zunáchst wurden
Versuche an Kaninchen ausgeführt, denen Orthoparanitrophenol mit der
Magensonde eingegeben worden war.
Bei Kontrolltieren, die durch Schwefelwasserstoff oder durch Schlag
in den Nacken getötet worden waren, trat etwa 1, Stunde nach dem Tode
geringe Starre der Kaumuskulatur auf; sie griff dann auf Nacken, hintere
und zuletzt vordere Extremitäten über. Nach etwa 6 Stunden war die Starre
maximal. Von einer Lösung war nach 24 Stunden noch nichts zu konsta-
tieren, nach zweimal 24 Stunden begann sie an den Vorderbeinen und ging
dann in umgekehrter Reihenfolge wie die Erstarrung weiter. Die Reaktion
der starren Muskeln war, mit Lackmuspapier geprüft, stets mehr oder
weniger sauer.
Ganz anders bei den Orthoparanitrophenol-Tieren. Nach Y, Minute
war die Kaumuskulatur starr, nach wenigen Minuten der ganze Körper; die
Reihenfolge der Erstarrung war die gleiche wie bei den Kontrolltieren. Die
Reaktion der starren Muskeln war jedoch in allen Fällen alkalisch gegen
Lackmus. Es wurde dies 1904 in der Smitmansschen Dissertation be-
schrieben. Die Lösung der Starre stellte sich verhältnismäßig früh ein. Nach
24 Stunden war sie schon deutlich in den Vorderbeinen, weniger in den
Hinterbeinen und der Kaumuskulatur eingetreten. Ebenso wie bei der
gewöhnlichen Totenstarre erfolgte also die Lösung bei den verschiedenen
Muskelgruppen umgekehrt wie die Erstarrung.
Nervöse Momente konnten für das Zustandekommen der frühen Mus-
kelstarre bei Orthoparanitrophenol ausgeschlossen werden: Durchschnei-
dung des Nervus ischiadicus sub finem vitae oder unmittelbar post mortem
bewirkte keine Verspätung des Eintritts der Starre in dem zugehörigen
Gliede.
Dagegen versprach die auffállige alkalische Reaktion der Muskeln der
vergifteten Tiere Aufklárung zu bringen.
1) Th. Weyl, Die Teerfarben I. 62. 1889.
e Von Dr. K. B. Lehmann und Dr. Ludwig Schmidt-Kehl. 385
Du Bois Reymond stellte im Jahre 1859 in einer epochemachenden
Arbeit die saure Reaktion des erstarrten Muskels fest im Gegensatz zu der
neutralen oder alkalischen des frischen. Seitdem wurden verschiedene
Ursachen der Muskelstarre beobachtet; eine ganze Reihe chemischer Körper
vermag Muskelstarre zu erzeugen, die man in diesem Falle als „chemische
Muskelstarre‘ bezeichnet. Nach der neuesten zusammenfassenden Darstel-
lung O. v. Fürth’st) lassen sich die bisher beobachteten Erscheinungen
der chemischen Muskelstarre und ihrer Lösung aus dem Ineinandergreifen
dreier mannigfach kombinierten Faktoren erklären: Der Säurequellung
gewisser Elemente der Muskelfaser, der Fixation der dadurch hervor-
gerufenen Kontraktur durch Eiweißgerinnung, sowie der Dehydratation
der gequollenen Elemente bei fortschreitender Gerinnung, welche mit
einem Erschlaffungsvorgang einhergeht. Auch die sogenannte kataleptische
Starre des Schlachtfelds ist eine Milchsäurestarre.
Die Orthoparanitrophenolstarre mußte etwas anderes sein, denn es
fehlte die saure Reaktion des starren Muskels!
Zur weiteren Aufklärung wurden daher Versuche am Frosch und an
der Katze herangezogen. Tabelle 4 berichtet über die Froschversuche. Je
2 Versuche gehören zusammen, die ungraden Nummern betreffen Nitro-
phenolfrösche, die graden normale Frösche, die im Augenblicke des Todes
der andern getötet wurden. Bei Nr. 3 und 4 wurde den Fröschen tags zuvor
eine Säurefuchsinlösung, die an und für sich unschädlich ist, unter die
Rückenhaut gespritzt; an so vorbehandelten Tieren färben sich sauer rea-
gierende Körperstellen rot. Bei Nr.5 und 6 wurde im Kochsaft der Musku-
latur die Wasserstoffionenkonzentration festgestellt (je kleiner die Zahlen
für „PH“ sind, um so saurer ist die Reaktion!).
Tabelle IV.
Orthoparanitrophenolvergiftung beim Frosch.
Totenstarre und Reaktion des Muskelkochsaltes.
Beobachtete Erscheinungen
Nr. Todesursache
1—2 Stunden 6 Stunden 16—24 Stdn. | 42—48 Stdn.
nach dem Tod nachdem Tod nach dem Tod | nach dem Tod
I | Orthoparanitrophenol Totenstarre Totenstarre | Lösung der
| Totenstarre
2 Dekapitation und —- Totenstarre | teilweise
Rückenmark- Lösung der
Ausbohrung | Totenstarre
3 | Orthoparanitrophenol | Totenstarre | Totenstarre | Totenstarre
4 Dekapitation und | — | Totenstarre
túckenmark- | Rótung der
Ausbohrung | Muskulatur
5 | Orthoparanitrophenol | Totenstarre
PH 6,8
6 Dekapitation und PH 6,7 PH 6,5 Totenstarre
Rúckenmarkausbohr. PH 6,4
1) Ascher-Spiro, Ergebnisse der Physiologie. Jahrgang 17 (1919),
386 ` Die Mono- und Dinitrophenole als gewerbliche Gifte.
Die Totenstarre tritt beim Frosch in Abhängigkeit von der Außentem
peratur verschieden rasch auf. Nach den vorliegenden Versuchsergebnissen
wurden die vergifteten Frösche aber stets wesentlich früher starr als die getö-
teten. Bei den vergifteten Fröschen wurde Totenstarre beobachtet bei noch
fast neutralem Py von 6,8, bei den Kontrollfröschen erst bei Py 6,4, bei
welcher Wasserstoffionenkonzentration Säurefuchsin längst starke Säue-
rung der Gewebe anzeigte.
Ganz analog verliefen die Versuche bei Katzen, nur daß hier, wie ge-
schildert, die Totenstarre bei Orthoparanitrophenol stets in wenigen Minuten
maximal war. Im Muskelkochsaft zweier normaler Katzen fand sich,
sofort nach dem Tod bei Abwesenheit von Starre untersucht, eine Wasser-
stoffionenkonzentration von 7,1 bezw. 7,2. Die Totenstarre trat erst
20 Stunden nach dem Tode ein bei stark vorgeschrittener Säuerung der
Muskulatur von Py 6,5 bezw. 6,3. Bei zwei vergifteten Katzen dagegen,
die sofort nach dem Tod Starre aufwiesen, wurden noch 6 Stunden nach
dem Tod 6,9 bezw. 7,0 festgestellt. Einige Versuche, die den Säure-Alkali-
Index nach Wacker!) bestimmten, hatten die gleichen Resultate wie die
Ermittlung der Wasserstoffionenkonzentration.
Hierdurch ist gezeigt, daß die Orthoparanitrophenol-Starre keine
Milchsäurestarre ist und sich somit von den bisher bekannten Formen
der chemischen Muskelstarre als etwas prinzipiell Verschiedenes abhebt.
Orthoparanitrophenol und wahrscheinlich ebenso Paranitrophenol, das
gleich zu besprechende Diorthonitrophenol und das verwandte von Th.
Weyl beobachtete Dinitrokresol erzeugen Muskelstarre, ohne gleichzeitig
Veranlassung zu Milchsäurebildung zu geben.
D. Versuche mit Diorthonitrophenol. y
Beilstein gibt über unsern Körper an: ,,Hellgelbe, kurze, feine
Nädelchen (aus Wasser), derbe, lange Nadeln (aus Chloroform). ” Schmelz-
punkt: 61,78% Läßt sich bei vorsichtigem Erhitzen sublimieren. Löst
sich in kaltem Wasser etwas mehr, in kochendem weniger als Orthopara-
nitrophenol; sehr leicht löslich in Benzol, Chloroform, Äther, siedendem
Alkohol.“ =
Zu den vorliegenden Versuchen wurde ein Präparat verwendet, das
geringe Mengen Orthoparanitrophenol neben großen Mengen Diorthoni-
trophenol enthielt. Kaninchen vertrugen subkutan bis zu 50 und 60 mg
pro kg von dem Präparat, ohne schwerere Erkrankung; 80, 85, 87 und 90
mg töteten unter den gleichen Symptomen wie Orthoparanitrophenol
innerhalb Y, bis Si, Stunden. Die Totenstarre verlief genau wie bei den
Orthoparanitrophenol-Tieren.
Bei der Katze wurden 17 mg pro kg noch gut vertragen, 27 machten
schwere Vergiftungserscheinungen, die aber in Genesung übergingen, und
50 mg töteten unter den beschriebenen Erstickungssymptomen.
1) Virchows Archiv, Bd. 236, S. 225.
Von Dr. K. B. Lehmann und Dr. Ludwig Schmidt-Kehl. 387
Zusammenfassung.
Der Verlauf eines Falles von gewerblicher Orthoparanitrophenol-Ver-
giftung mit tötlichem Ausgang wird geschildert.
Aus den Tierversuchen ergibt sich:
Die Katze, das dem Menschen in seinem Verhalten gegen Gift ähn-
lichste Versuchstier verträgt ohne ernste Erkrankung pro kg Körpergewicht:
Paranitrophenol etwa 100 mg
Orthonitrophenol etwa 200 mg
Orthoparanitrophenol etwa 20 mg
Diorthonitrophenol etwa 20—25 mg
Bei den um Y, hóheren Dosen tritt im allgemeinen der Tod cin (125, 250, 25,
30—40 mg). Diese Zahlen sind durch subkutane Injektion der Gifte ge-
funden, vom Magen aus diirften die entsprechenden Dosen etwa 50%, hóher
sein; gleichzeitig aufgenommener Alkohol verstárkt die Wirkung.
Beim Orthoparanitrophenol als dem technisch und hygienisch wichtig-
sten der A Stoffe erwies sich die wochenlange Einatmung einer Luft, die bei
Zimmertemperatur mit dem Dinitrophenoldampf gesättigt war, als un-
schädlich. Mit derselben Verbindung wurden Staubinhalationsversuche
angestellt mit negativem Ergebnis. Besonders darauf gerichtete Unter-
suchungen erwiesen die geringe Verstäubbarkeit der Substanz im Vergleich
mit anderen gewerblichen Staubarten.
Die Wirkung von der Haut aus wurde bei Paranitrophenol und bei
Orthoparanitrophenol geprüft. Die erforderlichen Dosen waren etwa
zehnmal so groß wie bei subkutaner Darreichung. Bei rasierten und mit
Enthaarungsmitteln behandelten Tieren wurde weniger Gift als bei nur
geschorenen benótigt. Der Zusatz von Schweinefett zu den (in Wasser
schlecht, in Lipoiden gut löslichen) Substanzen steigerte ihre Wirksamkeit
beträchtlich. | |
Längere Verabreichung kleiner Dosen bringt keine kumulative Wirkung
hervor, vielmehr scheint die Möglichkeit einer Gewöhnung vorzuliegen.
Der Tod erfolgt an innerer Erstickung, deren Mechanismus zu ver-
folgen ist, Blutveränderungen (Methaemoglobinbildung) waren nicht über-
all nachzuweisen. In zweiter Reihe stehen Einwirkungen der (lipoidlös-
Tichen) Mono- und Dinitrophenole auf das Zentralnervensystem. Eine
spezifische Affinität zum Muskelsystem läßt die beobachteten Stoffe (mit
Ausnahme des Orthonitrophenols) eine äußerst rasch auftretende Toten-
starre erzeugen. Diese unterscheidet sich von den bisher bekannten For-
men der chemischen Muskelstarre dadurch, daß sie nicht auf dem Weg über
Milchsäurebildung, sondern bei nahezu neutraler Reaktion erfolgt.
Die Giftigkeit der Mononitrophenole ist nach dem Gesagten unbedeu-
tend, diejenige der Dinitrophenole erheblich größer, aber immerhin noch
bescheiden. Gewerblich kommt die Vergiftung durch Aufnahme auf dem
Atmungsweg infolge der äußerst geringen Verstäubbarkeit. für gewöhnlich
nicht ın Betracht. Nur ganz unachtsames Arbeiten könnte dem Arbeiter
wirksame Mengen in die Respirationsorgane schleudern. — Ob praktisch
die Aufnahme vom Verdauungskanal aus von Bedeutung ist, bleibt uns
388 : Die Mono- und Dinitrophenole als gewerbliche Gifte.
fraglich; daß eine gewisse Hautbeschaffenheit, verbunden mit nachlässigem
Fabrikbetrieb genügende Mengen aufzunehmen gestattet, ist wohl sicher.
Die Tatsache, daß nur vereinzelte Arbeiter erkranken, scheint darauf hin-
zudeuten, daß mehrere Umstände zur Erkrankung zusammentreffen müs-
sen: Arbeitsweise, Hautbeschaffenheit (Talg- und Schweißsekretion), Klei-
dung, Alkoholaufnahme usf. Ob auch eine konstitutionelle Disposition
besteht, bleibt fraglich; die einzelnen Tierindividuen reagierten meist recht
ähnlich. Prophylaktisch ist Bekämpfung des Fabrikstaubs, Reinlichkeit
der Haut und häufiger Wechsel der Arbeitskleidung notwendig.
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