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Full text of "Archiv für Hygiene 96.1926"

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Wim 


B 2 902 000 











ARCHIV FÜR HYGIENE 


BEGRÜNDET VON MAX VON PETTENKOFER 
FORTGEFÜHRT VON MAX RUBNER 


UNTER MITWIRKUNG VON Én ee 


Prof. Dr. R. ABEL, Jena; Prof. Dr. O. BAIL, Prag; Prof. Dr. BONHOFF, Marburg a. L.; Prof, 
Dr. R. DOERR, Basel; Prof. M. FICKER, Berlin-Dahlem; Prof. Dr. R. GRASSBERGER, Wien; 
Prof. Dr. M. HAHN, Berlin; Prof. Dr. L, HEIM, Erlangen; Prof. Dr, R. KISSKALT, München; 
Prof. Dr.W. KRUSE, Leipzig; Prof. Dr. Ph. KUHN, Dresden; Prof. Dr. A. LODE, Innsbruck; Prof. 
Dr.R.O.NEUMANN, Hamburg; Prof. Dr. L. PFEIFFER, Schwerin; Prof. Dr. W. PRAUSNITZ, 
Graz; Prof. Dr. Fr. RENK, Dresden; Prof. Dr. P.SCHMIDT, Halle a.S.; Prof. Dr. W. SILBER- 
SCHMIDT, Ziirich; Prof. Dr. K. SÚPFLE, Miinchen; Prof. Dr. W. WEICHARDT, Erlangen 


HERAUSGEGEBEN VON | 
M.v.GRÜBER - K.B. LEHMANN - P. UHLENHUTH 


96. Band 





MÜNCHEN UND BERLIN 
DRUCK UND VERLAG VON R. OLDENBOURG 
1926 


- $ 


Inhalt. 


Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik mit spezieller Berúcksichti- 
gung der Kata-Thermometrie zur Bestimmung der Entwärmungsverhält- 
nisse. (Aus der Prüfungsanstalt für Heizung mit Lüftung in GC 
Von Dr. Paul Weiß. (Eingegangen am 2. März 1925) . í 


Untersuchungen zur Klärung der Bleiverflüchtigung beim hömögenen Ver- 
bleien und Bleilóten unter Verwendung verschiedener Gebläseflammen. 
Von Reg.-Rat Dr. Hans Engel, Mitglied im Reichsgesundheitsamt, und 
Reg.-Rat Dr. Victor Froboese. (Aus dem Gewerbehygienischen Labora- 
torinm des Reichsgesundheitsamts.) (Eingegangen am 20. April 1925) . 


Versuche über Ernährung mit vegetabilischer Rohkost bei geistiger und kör- 
perlicher Arbeit. Von Professor Dr. Hermann Ilzhöfer, Assistent am 
Institut. (Aus dem Hygienischen Institut der Universität München. ) u 
gegangen am 16. Mai 1925) . . . . . e CN 


Bakteriologische Stuhluntersuchungen bei einer - Ernährung mit rohen Vege- 
tabilien. Von med. pract. Friedrich Potz. (Aus dem Hygienischen Institut 
der Universität München.) (Eingegangen am 16. Mai 1925) 


Über die Bedeutung der Sexualdisposition bei den Infektionskrankheiten. 


Seite 


69 


. 102 


. 122 


Von Prof. Dr. Hans Günther, Leipzig. (Eingegangen am 23. Mai 1925) . 125 


Die Chinin-Idiosynkrasie der Haut bei gewerblichen Arbeitern. Von Prof. H. 
Dold, Marburg a. d. Lahn. (Eingegangen am 22. Juni 1925) A 


Stndien zur Kenntnis der Eigenschaften von Diphtherie-Toxin-Antitoxin- 
Gemischen. 111. Die Beziehung der direkten Giftwirkung des Diphtherie- 
toxins zu seiner Bindungsfähigkeit mit Antitoxin. Zugleich ein Beitrag 
zur Vorstellung über die Natur des Diphtherietoxins. Von Privatdorent 
Dr. Hans Schmidt und Dr. Wilhelm Scholz. (Aus dem Institut für 
experimentelle Therapie , Emil v. Behring“, Marburg a. d. Lahn ae 
Prof. Dr. H. Dold].) (Eingegangen am 25. Juni 1925) . 


Qualitative Untersuchung der Luftbakterien. Von Univ ereitätadorent: Dr. J. 
v. Daränyi. (Aus dem staatl. bakteriologischen Institut in Budapest. 
Direktor: Prof. Aujeszky.) (Eingegangen am 4. Juli 1925) . 


Studien zur Kenntnis der Eigenschaften von Diphtherie- Toxin - Antitoxin- 
Gemischen. IV. Die Bedeutung der Zone bei der Ausflockung von 
Di- AT - Gemischen. Von Privatdozent Dr. Hans Schmidt und Dr. Wil- 
helm Scholz. (Aus dem Institut für experimentelle Therapie „Emil von 
Behring“, Marburg a d Lahn. Direktor: Prof. Dr. H. Bon) (Binge- 
gangen am 9. Juli 1925) . . . . : 


Bioskopische Reduktionsmethoden. II. Vereleicnende Untstsuchubgen mit 
der Nitro- und der Methylenblau-Reduktionsmethode und ihre Verwend- 
barkeit für Stoffwechseluntersuchungen an Bakterien. Von Dr. med. O. 
Kirchner. (Mit Unterstützung der Rockefeller-Stiftung.) (Aus dem Hygie- 
nischen Institut der Universität Rostock [Direktor: Professor Dr. von 
Wasielewski].) (Eingegangen am 23. Juli 1925). 


Zur Technik der Schimmelpilzuntersuchung. Von Professor K. v. S GE 
und Professor A. Hartmann. (Mit 2 Abbildungen.) (Aus dem Hygie- 
nischen Institut und der histologischen Abteilung des Anatomischen 
Instituts München.) (Fingegangen am 2. August 1925) . 


34966 


. 167 


. 172 


. 182 


. 185 


. 195 


227 


[V Inhalt. 
Seite 
Über die Bedingungen der Entwicklung von Oberflächenkolonien. Von Prof. 
Dr. Karl v. Angerer. (Aus dem SEN Institut Mönchen.) (Ein- 
gegangen am 2. August 1925). . . . . e ll 


Über die Bedeutung der Diffusionsvorgänge für das Koloniowachatusn: Von 
Professor Dr. H. Ilzhöfer und Dr.K.v. Angerer. (Mit 4 Abbildungen.) 
(Aus dem syelenlechen Institut es, (Eingegangen am 2. August 
1925). . . 237 

Studien zur Kenntnis der Eigenschaften. von Diphtherie-Toxin- age 
Gemischen. V. Die immunisierende Wirkung der bei der Diphtherie- 
Toxin-Antitoxinbindung auftretenden Flocken. Von Privatdozent Dr. Hans 
Schmidt und Dr. Wilhelm Scholz. (Aus dem Institut für experimen- 
telle Therapie „Emil v. Behring“, Marburg a d. Lahn Prof. Dr. 
H.Dold).) (Eingegangen am 21. August 1925) . . . . . 251 


Eine vereinfachte Methode der Bestimmung des Koli-Titers eines Wassers, 
Von Prof. Dr. L. Horowitz-Wlassowa. (Aus dem Chemiko-Bakterio- 
logischen Institut in Orenburg.) (Eingegangen am 12. September 1925) . 262 


Wird die Ausnutzung des Nahrungseiweißes durch Saccharin beeinflußt? Von 
Professor R. O. Neumann. (Aus dem Hygienischen Staatsinstitut zu 
Hamburg. Direktor: Geh. Rat Prof. Dr. R. Neumann EE am 
17. September 1925) . . . . . ne . 265 

Untersuchungen über o end im Tierkórper. y on Dr. Shinnosuke 
Kimura. (Aus dem Hygienischen Institut der deutschen Universität in 
Prag. Vorstand: Professor Oskar Kee di did am 16. Oktober 
1925) . . . . 277 

Beitrag zur Bestimmung von \ Blei in SE Gutts: besonders in 
Kot und Harn. Von Reg -Rat Dr. phil. Victor Froboese. (Aus dem Gewerbe- 
hygienischen Laboratorium des nv) Ge EE 
am 28. August 1925) . . . . . . . SECHS . 289 

Studien zur Kenntnis der Figenschaften von Diphtherie-Toxin- Ana 
Gemischen. VI. Zur Kenntnis des Flockungsvorganges in Di-T.A.-Ge- 
mischen. Von Privatdozent Dr. Hans Schmidt und Dr. Wilhelm 
Scholz. (Aus dem Institut für experimentelle Therapie „Emil v. Behring“, 
Marburg a. d. Lahn. Direktor: Prof. Dr. H. Son (Eingegangen am 
11. November 1925) . . . . . 294 

Klinische Beobachtungen an Bleikranken. KE Dr. J. G. Celman (Aus 
dem Obuch-Institut für das Studium der Berufskrankheiten in E 
(Eingegangen am 17. Oktober 1925) . . . . . 301 

Zur Chemie des Leichenwachses unter besonderer Berücksichtigung der Anas 
phylaxie. Von Dr. E. Remy. (Aus dem Hygienischen Institut der 
Universität Freiburg i. B. Direktor: Geheimrat Prof. Dr. P. SC EE 
(Eingegangen am 31. Oktober 1925) . . . . 311 


Neue tierexperimentelle Untersuchungen úber den Wert der Kassett -granu- 
lierten Erythrozyten für die Frühdiagnose der Bleivergiftung. Von Privat- 
dozent Dr. Hans Lehmann, Assistent am Institut. (Aus dem Hygieni- 
schen Institut der Universität Jena.) (Eingegangen am 29. Nov. 1925) . 321 


Untersuchungen zur Epidemiologie des Typhus. Von Carl Prausnitz. 
(Mit 2 Abbildungen.) (Aus dem Hygienischen Institut der Universität 
Greifswald. Stellvertretender Direktor: Prof. Dr. Carl A van 
gegangen am 12. Oktober 1925) . . . . . 362 

Die Mono- und Dinitrophenole als co werbliche Gifte: ES? Eintrittswege in 
den Organismus und die paradoxe Totenstarre bei fehlender Säurebil- 
dung. Von Prof. Dr. K.B. Lehmann und Dr. Ludwig Schmidt-Kehl 
(unter Mitwirkung von Dr. Eduard Keibel, Dr. Fritz Levy, Dr. Kaspar 
Niggenicier, Dr. Karl Smitmans und Dr. Hasegawa). (Aus dem 
llygienischen Institut der Universität une) (Eingegangen am 
T. September 192) . . . nn a ke o ee 000 


Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik mit 
spezieller Berücksichtigung der Kata-Thermometrie zur 
Bestimmung der Entwärmungsverhältnisse. 


Von 
Paul We, 


Diplom-Ingenieur aus Zürich. 


(Bei der Redaktion eingegangen am 2. März 1925.) = 


I. Kapitel. 


Die hygienischen ‘Grundlagen der Lüftungstechnik im Lichte der neueren 
Forschung. 


Um die Mitte des letzten Jahrhunderts erhielt v. Pettenkofer den 
Auftrag, die Schwerkrafts-Lüftungsanlage der Münchener Frauenklinik 
zu begutachten. Als erster deutscher Wissenschaftler hat er sich in das 
Problem der künstlichen Raumlüftung vertieft und die ihm gestellte Auf- 
gabe direkt geistreich gelöst. Es war für ihn als Nichtfachmann keine 
Kleinigkeit, die Fülle der ungelösten technischen Fragen zu bewältigen, 
um so mehr, als die damalige Zeit unsere heutigen handlichen MeBinstru- 
mente noch nicht kannte. Das Anemometer lernte er erst später anläßlich 
einer Informationsreise nach Paris kennen, mußte sich also vorerst bei 
seinen Versuchen auf rein qualitative Messungen stützen. Pettenkofer 
hat es zwar nirgends ausgesprochen; aber ich vermute stark, daß das 
Bewußtsein der Unzulänglichkeit dieser qualitativen Untersuchungen ihn 
auf den Gedanken brachte, den Luftwechsel eines Raumes durch die meß- 
bare Verdünnung eines im Luftgemisch enthaltenen typischen Gases zu 
berechnen, eines Gases, das in meßbarer Menge auf irgendeine Weise der 
Raumluft beigemischt wird, und dessen prozentualer Gehalt in der Raum- 
luft jederzeit chemisch ermittelt werden kann. Es lag auf der Hand, eine 
Verunreinigung, die der menschliche Körper durch Atmung resp. Aus- 
dünstung selbst der Umgebung mitteilt, als Maßstab zu benutzen. Dafür 
kamen die Wasserdampfabgabe, die organischen Verunreinigungen sowie 
die Kohlensäureentwicklung des Körpers in Frage. Pettenkofer ent- 
schied sich nach reiflicher Überlegung, wonach er den Wasserdampf aus 
Gründen der hygroskopischen Beschaffenheit unserer Baumaterialien, die 
zahlreiche Quellen zur Veränderung des Wassergehaltes ergeben, die or- 
ganischen Verunreinigungen jedoch wegen der meßtechnischen Schwierig- 
keiten verurteilte, für die Kohlensäure. 

Es ist nicht unwichtig, die Gedankengänge Pettenkofers in dieser 
Richtung genau zu verfolgen. Denn sein CO,-Maßstab hat viel zu oft zu 
anderen Vorstellungen verführt, als sie Pettenkofer selbst hatte. In seinem 
prächtigen Schriftchen „Über den Luftwechsel in Wohngebäuden“ (1), 

Archiv f. Hygiene. Bd. 96. 1 


2 Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik usw. 


das ein schönes Bild seines reichen Schaffens gibt, hat er seine Erfahrungen 
und Anschauungen drastisch genug skizziert. An verschiedenen Stellen 
betont er, „daß der CO,-Gehalt allein die Luftverderbnis nicht ausmacht, 
daß wir ihn bloß als Maßstab benutzen“. ‚Wir haben kein Recht, anzu- 
nehmen, daß die Schädlichkeit der Luft überfüllter Räume lediglich von 
der Vermehrung der CO, herrühre, sondern sie hängt sicher auch von an- 
deren Veränderungen der Atmosphäre, und wesentlich von der Beimischung 
organischer Stoffe durch Respiration und Perspiration ab; aber wir können 
nicht fehlen, wenn wir annehmen, daß die übrigen Schädlichkeiten aus 
dergelben Quelle mit der CO, proportional gehen.“ 

Das Kernproblem der Lüftung ist ein hygienisches. Die Frage, ob die 


o > themischèn ‘oder physikalischen Veränderungen der Raumluft die Schuld 
“tragen an deren üblen Wirkung, hat in den Jahren nach Pettenkofer 


viele Köpfe beschäftigt und verschiedene Theorien gezeitigt. 

Man hat sich bemüht, entgegen Pettenkofers Ansicht, die Kohlen- 
säure als den schädlichsten Faktor der Luftverderbnis zu erklären. Und 
es ist sicher, daß diese Ansicht in Laienkreisen, zu denen auch vielfach 
mangelhaft geschulte Lüftungstechniker zählen, heute noch stark ver- 
breitet ist. Das führt zu Konsequenzen, die die vielen ungenügenden Lüf- 
tungsanlagen begreiflich machen. Es ist dieser Auffassung nicht scharf 
genug gegenüberzutreten; denn eine große Zahl von Versuchen in den ver- 
schiedensten hygienischen Instituten der Welt hat bewiesen, daß nicht 
nur Promille-, sondern sogar Prozentgehalte an CO, in der Atmungsluft 
ohne weiteres ertragen werden (2). Der CO,-Gehalt steigt in den schlech- 
test ventilierten Räumen selten über 19% und im Freien nicht über 1%/5. 
L. Hill (3) weist nach, daß es unmöglich ist, daß durch CO,-Anreicherung 
in der Luft eine solche im Körper eintreten würde; denn wie immer der 
CO,-Gehalt der Luft ist, in der Lunge wird er infolge der Tätigkeit der 
Atmungsorgane konstant auf ca. 5%, gehalten. Das Atmungszentrum hat 
die Aufgabe, die CO,-Konzentration in Lunge und Blut konstant zu 
halten. Eine Steigerung des CO,-Gehaltes der Raumluft auf 5%, wird 
sich also in einer Steigerung der Atmungsschnelligkeit geltend machen. 
Haldane und Priestley fanden, daß bei 2%, CO,-Gehalt die Lungen- 
tätigkeit um 50%, 3% — 100%, 4% — 200%, 5% — 300%, gesteigert 
wurde, wobei eine Steigerung um 200%, nicht bemerkt wurde. Hey- 
mann (4) stellt fest, daB der ruhig atmende Mensch die Luft aus seiner 
Umgebung einatmet, die unter Umstánden eine CO,-Konzentration von 
59/99) erreicht, während der eigentliche CO,-Gehalt 0,3%% beträgt. In den 
Kompressor-Maschinenräumen von Brauereien arbeiten die Maschinisten 
stundenlang in einer sehr CO,-reichen Atmosphäre, worüber Messungen bis 
2,5% vorliegen. 

Auch die Anschauung, daß eine Sauerstoffverminderung der Atemluft 
dem Körper schädlich werden könnte, kann sich nicht behaupten. Solange 
der O,-Partialdruck genügt, um den Großteil des Hämoglobins des venósen 
Blutes beim Durchgang durch die Lunge in Oxyhämoglobin zu verwandeln, 
ist von Sauerstoffmangel nicht zu reden. Nach L. Hill (3) hat eine Ver- 
minderung des Partialdruckes von 1%, auf Meereshöhe nicht den gering- 
sten Einfluß auf die Gesundheit, ein Defizit, wie es schlecht ventilierte 


Von Paúl Weiß. 3 


Räume kaum aufweisen. Die alpine Luft der Schweizerberge, die unserem 
Körper und unserer Lunge erfahrungsgemäß ausgezeichnet bekommt, 
hat in großen Höhen O,-Konzentrationen, die um vieles kleiner sind als 
diejenigen schlechtest ventilierter Räume. 


Eine weitere Theorie, die in den organischen Exspirationsprodukten 
den Grund der auffälligen Gesundheitsstörungen suchte, konnte sich nicht 
halten. 1888 veröffentlichten Brown-Sequard (5) und d’Arsonval 
Experimentaluntersuchungen, die sich mit dem Nachweis dieser „An- 
thropotoxine'* befaßten. Sie hatten Tiere mit konzentriertem Kondens- 
wasser der Ausatmungsluft tierischer und menschlicher Individuen geimpft 
und dadurch Vergiftungserscheinungen nachgewiesen. Tiere, die zur 
Atmung die Exspirationsgase anderer Tiere erhielten, erkrankten nach 
kurzer Zeit und gingen zugrunde. Zu ähnlichen Ansichten ist auf Grund 
seiner Versuche Weichhardt gekommen (6). J. Rosenau und L. Amoß 
weisen in einer Veröffentlichung (7) darauf hin, daß in der Ausatmungsluft 
Stoffe organischer Natur seien, deren Ermittelung noch nicht gelang, und 
die möglicherweise einen bedeutenden Einfluß auf die Gesundheit haben 
könnten. 

Es mag sein, daß diese organischen Stoffe vor allem es sind, die wir 
unter Umständen mit unserem Geruchsorgan unangenehm empfinden, 
und die ein flaches Atmen verursachen. Die mit diesen Produkten be- 
ladene Luft wird landläufig als „schlechte Luft“ bezeichnet, und die 
Idee liegt nahe, ihr die Gesundheitsstörungen zuzuschreiben. Doch wissen 
wir alle aus Erfahrung, daß die Geruchsempfindung, auf die es hier an- 
kommt, ein sehr relativer Begriff ist. Es scheint, daß unser Geruchsinn 
nur auf bedeutende Differenzen reagiert und sich mit der Zeit an Gerüche 
gewöhnt, die im ersten Moment starkes Ekelgefühl erzeugten. Auf die 
Gerüche selber reagieren verschiedene Individuen verschieden. „Dem 
einen ist das ein selten feines Gericht, was der andere nicht riechen kann“ 
(Flügge). 

Die Ekelstoffe sind zur Hauptsache Produkte der Zersetzung auf Haut 
und Schleimhäuten, schlechter Zähne, abnormaler Schweißbildung usw. 
Daß ihnen jedoch eine Giftwirkung nicht zugeschrieben werden kann, 
beweisen eine große Reihe sorgfältig durchgeführter Versuche, die die 
Anthropotoxintheorien sachlich widerlegen. L. Paul (8) hat auf Anregung 
Flügges in einem hermetisch schließenden Glaskasten Versuche mit ver- 
schieden disponierten Menschen gemacht, Kinder, Erwachsenen, Gesunden 
und Kranken, und kein einziges positives Resultat erzielt. L. Hill (3) 
hat die Tierversuche von Brown-Séquard ebenfalls resultatlos wiederholt. 


So müssen wir die Auffassung verlassen, daß die Lüftung vorzugs- 
weise gegen die Folgen der chemischen Verunreinigungen zu richten sei. 
Diese haben nicht die schädliche Wirkung auf den Organismus, die man 
ihnen zugeschrieben hat, und die bekannte Erscheinung von Übelkeit, 
von Kopfschmerz und Ohnmacht hat wohl andere Ursachen. 

Hermans!) hat als erster bereits im Jahre 1883 die Vermutung aus- 
gesprochen, daß die bekannten Erscheinungen eher auf den Mangel einer 


1) Archiv für Hygiene 1883, Bd. 1. 
4? 


A Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik usw. 


richtigen Wärmeökonomie des Körpers bei steigender Lufttemperatur und 
Luftfeuchtigkeit zurückzuführen seien. Die ausgezeichneten Veröffent- 
lichungen von Flügge (2) und seinen Schülern Heymann, L. Paul und 
Ercklentz haben diese Vermutung voll zu bestätigen vermocht. 


Die oben angedeuteten Versuche von Paul, wobei verschiedene Per- 
sonen in einem Glaskasten von 3 m? Inhalt längere Zeit sich aufhielten, 
so daß die Kastenluft praktisch nie erreichte chemische Verunreinigungen 

erlitt, haben gezeigt, daß die Versuchspersonen unter keinerlei Beeinträch- 
- tigungen des Wohlbefindens litten, solange die Temperatur und Feuch- 
tigkeit niedrig gehalten wurden. Prüfungen der geistigen Ermüdung er- 
: gaben durchaus negative Resultate. 


Sobald jedoch Temperatur und Feuchtigkeit im Kasten stiegen, 
fielen die Resultate anders aus. Bei 26° und mäßiger Feuchtigkeit oder 
bei 21° bis 230 und hoher Feuchtigkeit begannen bei fast allen Versuchs- 
personen Unbehagen, Kopfdruck, Beklemmung, Schwindel. Schulkinder 
reagierten relativ wenig, am empfindlichsten waren Herzkranke. Ähnliche 
Versuche hat L. Hill unternommen, über die er folgendermaßen be- 
richtet: (3) 

Hill ließ 7 Studenten in einem dichten Glaskasten Y, Stunde ver- 
weilen. Inzwischen stieg der CO,-Gehalt auf 3% —4%, der O,-Gehalt 
sank auf 16%, (normal 21%), die Temperatur des feuchten Thermometers 
stieg auf 29%, die des trockenen auf 30,5% Die Studenten, die fröhlich 
lachend den Kasten betraten, wurden stiller und stiller, fühlten sich all- 
gemein unwohl. — Sobald jedoch ein im Kasten befindlicher Fächer- 
ventilator in Bewegung gesetzt wurde, fühlten sie sich erleichtert und 
verlangten sofort danach, sobald er abgestellt wurde. 


Diese Versuche erinnern wohl jeden an eigene Erfahrungen, die den 
geschilderten nicht unähnlich sind. In überfüllten. Versammlungsräumen 
stagniert die Luft zwischen Körpern und Kleidern, wird unerträglich warm 
und treibt den Schweiß aus allen Poren. Der Körper hört auf, durch Strah- 
lung und Leitung Wärme der Umgebung mitzuteilen. Durch Schweiß- 
bildung und Wasserverdampfung muß die Haut aktiv zur Erhaltung des 
Wärmegleichgewichts beitragen. Ist dann die den Körper umgebende 
Luft feucht gesättigt und fehlt eine mäßige Erneuerung, so melden sich 
bald die gefürchteten Symptome, die der „schlechten Luft“ allgemein 
zugeschrieben werden. 


„Diese Symptome, welche in solch sog. schlechter Wohnungsluft 
zur Beobachtung gelangen, beruhen also auf nichts anderem, als auf einer 
gewissen Wärmestauung, und die thermischen Einflüsse der Umgebung, 
die Temperatur der Luft und der Gegenstände, die Luftfeuchtigkeit und 
die Luftbewegung sind allein für das Zustandekommen dieser Symptome 
maßgebend“ (Flügge). 

Die Anspannung des Wärmeregulierapparates wirkt in erster Linie 
auf das Herz zurück. Der Pulsschlag nimmt zu, das Blut fließt in ver- 
größertem Volumen zur Haut und in verkleinertem zum Hirn. Die Haut- 
gefäße dehnen sich, die Venen füllen sich mit Blut, die Hauttemperatur 
steigt. Die Arterien aber werden enger, es steigt der Blutdruck und das 


Von Paul Weiß. 5 


Herz wird durch die erhöhte Arbeitssteigerung ermüdet. Unter dieser 
Ermüdung leiden besonders Herzkranke, bei denen sich die üblen Sym- 
ptome sehr schnell einstellen. 


Hıll bezeichnet als sekundäre Erscheinungen mangelhafter Ent- 
wärmung verminderte Arbeitslust, körperlich und geistig, sowie Beein- 
trächtigung des Stoffwechsels. Zugleich werden in solch feuchtwarmet 
Atmosphäre alle äußern Bedingungen für die Entwicklung pathogener 
Keime begünstigt, in einem Moment, wo der Körper an Widerstands- 
fähigkeit einbüßt. 


Diese eminenten Feststellungen geben eine unzweideutige Antwort 
auf die Frage, was hygienisch unter schlechter Luft zu verstehen ist. 
Nicht gegen die chemischen, sondern gegen die physikalischen Veränderun- 
gen der Raumluft hat der Lüftungstechniker in erster Linie zu kämpfen, 
wobei zu betonen bleibt, daß auf chemisch reine Luft sekundär auch ein 
gewisses Gewicht gelegt werden darf. Hauptsache bleibt, in Versamm- 
lungsräumen für eine angemessene Entwärmung der Insassen zu sorgen, 
entweder durch Einhalten einer angenehmen Temperatur und Feuchtig- 
keit oder, wo dies im Sommer nicht möglich sein sollte, durch Unter- 
stützung der Entwärmung durch leichte Bewegung der Raumluft. 


Altmeister Rietschel war der erste Techniker, der durch die Be- 
gründung des Wärmemaßstabes zur Berechnung des Luftwechsels die 
Konsequenzen aus diesen hygienischen Gesichtspunkten zog!). 


Für den Lüftungstechniker bedeuten diese Feststellungen keineswegs 
eine Erleichterung des Problems. Denn es kommt nicht mehr darauf an, 
durch einen angemessenen Luftwechsel die Ausatmungsprodukte der In- 
sassen quasi zu verdünnen oder auszuwaschen, wie sich Pettenk »ler 
ausdrückt. Rietschel hat erkannt, daß es von großer Wichtigkeit ist, 
die kühle, frische Luft jedem einzelnen so schnell wie möglich zuzuführen. 
um dessen Entwärmungsbedürfnis zu unterstützen. Und wo gar die For- 
derung auf Bewegung der Raumluft hinzukommt, ist mit Schwierigkeiten 
zu kämpfen, die den erfahrenen Lüftungsmann sehr zaghaft und ängstlich 
gemacht haben. 

Es hat in den letzten Jahren an praktischen Winken tüchtiger Hy- 
gieniker nicht gefehlt, die darauf hingewiesen haben, daß die Luftbewegung 
im geschlossenen Raum erheblich gesteigert werden kann, ohne das Wohl- 
befinden zu beeinträchtigen. Ich erinnere an die Veröffentlichungen von 
Rubner (9), Lange (10) und insbesondere von Prof. Nußbaum (11). 
Nußbaum bemerkt richtig, daß das von Pettenkofer berechnete 
Mindestmaß eines 5fachen Luftwechsels mit der Zeit zum Normalmaß 
wurde, das nicht überschritten werden dürfe. Er empfiehlt bei hoher 
Raumtemperatur Steigerung der Lüftung auf das Höchstmaß, um die 
Entwármung zu begünstigen. In solchen Fällen können bei normaler 
Bekleidung der Rauminsassen Luftgeschwindigkeiten von 1 m/sek ge- 
stattet, ja unter gewissen Bedingungen noch überschritten werden. Bet 
25°C wurden z. B. 1,5 m/sek noch angenehm empfunden. Er warnt nur 


1) Siehe sein Vorwort zur 4. Auflage des Leitfadens für Heizung und 
Lüftung. 


6 Die hygienischen Grundlagen der Lúftungstechnik usw. 


vor den feinen kalten Luftstrómen, den sensiblen Luftstrómen, wie Rubner 
sie nennt. Diese werden zwar durch künstliche Lüftung nicht hervor- 
gerufen, sondern entstehen durch Winddruck auf Fugen und Spalten, 
durch hochgradige Abkühlung der Zimmerluft an Fenstern und Außen- 
wänden, durch Eindringen von Kaltluft in Räume, aus denen Luft ab- 
gesaugt wird, ohne der Frischluft einen Weg zu weisen oder sie vorzu- 
wärmen. 


Nach meinen Beobachtungen und Erfahrungen hat die Praxis von 
diesen Feststellungen nicht gebührenden Gebrauch gemacht. Weil Mittel 
fehlten, durch objektive Messung in jedem Raumpunkt die Entwärmungs- 
bedingungen in jeder Hinsicht und nach rein hygienischen Gesichts- 
punkten zu prüfen, hat man sich auf diese Ratschläge nicht zu weit ein- 
lassen dürfen. Es ist ja bekannt, daß bei Abnahmeversuchen von Lüftungs- 
anlagen neben den Leistungsbedingungen der Apparatur vorzüglich auf 
„Zugfreiheit‘‘ der Lüftung bedacht genommen wird. Und so wurde denn 
ganz logischerweise der Lüftungsingenieur gezwungen, auf eine aufs Min- 
 destmaß beschränkte Luftbewegung zu achten. 


Daß dadurch dem ausführenden Ingenieur Beschränkungen auferlegt 
wurden, die der Entwicklung der Lüftungstechnik nur schaden konnten, 
ist nicht ganz seine Schuld. Bekanntlich klagen empfindliche Personen 
beim geringsten Lufthauch über „Zug“, und das Urteil.über die Lüftung 
ist dann rasch gefällt. Es tut deshalb not, diesen wichtigen Fragenkomplex 
einmal vom objektiv wissenschaftlichen Standpunkt aus zu beleuchten 
und dem Lüftungsingenieur Unterlagen und Instrumente in die Hand zu 
geben, mit denen er ein unzweideutiges Urteil zu liefern vermag über die 
Güte und Zweckmäßigkeit seiner Anlage. 


Bereits im Jahre 1876 hat ein Straßburger Arzt, Dr. Krieger (12), 
für seine Untersuchungen über den Wärmeschutz von Kleiderstoffen ein 
Instrument gebaut, bestehend aus einem wassergefiillten Kupferzylinder 
von bekannter Oberflächen- und Volumengröße, mit dem er den Abküh- 
lungseffekt bei Körpertemperatur des Menschen durch den meßbaren 
Kalorieverlust pro Zeit- und Flächeneinheit ausdrückte. Krieger hat 
auch in einer späteren Schrift (13) zu den hier besprochenen Fragen der 
Schädlichkeit verdorbener Raumluft Stellung genommen und sich in 
ganz ähnlicher Weise wie Flügge über das Problem geäußert. 


Frankenhäuser (14) hat dann später unter dem Namen Homöo- 
therm ein etwas modifiziertes Kriegersches Instrument zur Anwendung 
im Dienste der Klimatologie empfohlen. (Abb. 1, a.) Das etwas plumpe 
Instrument, das zweifellos bedeutende Fehlerquellen besitzt und einer 
gewissen Handlichkeit entbehrt, hat sich nach Prof. Dorno (15) nicht 
sehr bewährt und hat heute nur noch historisches Interesse. 


Seit einigen Jahren wird besonders in England und seinen Kolonien 
zu solchen hygienischen Untersuchungen ein Instrument verwendet, das 
von Leonhard Hill (16) unter dem Namen Katathermometer eingeführt 
wurde. (Abb. 1, b,c.) Im Prinzip verfolgt es die Idee des Kriegerschen 
Instrumentes, hat jedoch den Vorzug eminenter Einfachheit und Hand- 
lichkeit sowohl in seiner Konstruktion als seiner Anwendbarkeit. 


Von Paul Weiß. Fi 


Es ist ein einfaches Alkoholthermometer mit etwas erweitertem 
zylindrischen Gefäß, dessen weite Skala die beiden Endpunkte 38°C 
resp. 35°C (mittlere Körpertemperatur = 36,5°C) trägt. Ein kleines 
Reservoir über dem oberen Skalenpunkt gestattet ein Erwärmen des 
Thermometers über 38% ohne daß das Instrument beim Aufwärmen in 
warmem Wasser Gefahr läuft, zu platzen. Beim Abkühlen von 38° auf 
35° gibt das Thermometer immer dieselbe Wärmemenge an die Umgebung 
ab. Die Zeit jedoch, in der dieses Herunterkühlen erfolgt, hängt ab von 
den äußeren Bedingungen, von der Temperatur der Umgebung und von 





Abb. 1. 


der Stärke der Konvektion, der Luftbewegung. Wird das Thermometer- 
gefäß mit einer feuchten Musselinehülle bedeckt, so reagiert das Instru- 
ment auf alle drei Faktoren, die die Entwärmung des Körpers bedingen, 
auf Temperatur, Feuchtigkeit und Luftgeschwindigkeit. Jeder Kombi- 
nation dieser drei äußeren Faktoren ist ein eindeutiger ‚„Kata-Index“ 
zugeordnet, der definiert ist als die Wärmemenge in Grammkalorien, die 
pro Zeiteinheit durch die Flächeneinheit des Alkoholgefäßes entweicht. 
Der Kata-Index wird dadurch ermittelt, daß man die Instrumenten- 
konstante (für jedes Instrument ca. 500), das ist die Wärmemenge in 
La cal, die bei der Abkühlung von 38% auf 35% durch die Flächeneinheit 
des Alkoholgefäßes entweicht (F = cal - em”? - 1000), durch die Zeit in 
Sekunden dividiert, die bei Abkühlung des Instrumentes von 38° auf 35° 


8 Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik usw. 


verstreicht. Auf die weitere Theorie des interessanten Instrumentes wird 
im folgenden Kapitel eingegangen werden. 

Der Kata-Index H ist also von der Dimension H = cal - cm”? - sec) 
- 1000 und charakterisiert einen Abkühlungseffekt. Der trockene Kata- 
Index umfaßt die beiden Komponenten Lufttemperatur und Luftgeschwin- 
digkeit in einer Größe, während der feuchte Index durch das Maß der 
Verdunstung an der feuchten Musselinehülle noch die Luftfeuchtigkeit in 
sich schließt. 

So haben wir also mit dem Instrument die Möglichkeit, eine physi- 
kalische Größe zu messen, die uns Rückschlüsse auf die Entwärmungs- 
verhältnisse des Körpers zu ziehen gestattet. Haben wir durch das wissen- 
schaftliche Experiment die Grenzen festgestellt, innerhalb denen der 
normal bekleidete Körper einwandfrei sich zu entwärmen vermag, so 
kennen wir die Beziehung zwischen dem Abkühlungseffekt des Körpers 
und demjenigen des Instrumentes. 

Diese Erkenntnisse kann die Lüftungstechnik sehr vorteilhaft ver- 
werten. Der Hygieniker beurteilt die Güte einer Lüftungsanlage nach 
den herrschenden Entwärmungsverhältnissen. Er will in erster Linie hohe 
Temperaturen vermeiden; aber, wo dies nicht möglich ist, läßt er in ge- 
wissen Grenzen, die im folgenden festgelegt werden sollen, eine Bewegung 
der Raumluft zu. Nach meinen Beobachtungen genügen die wenigsten 
Lüftungen der ersten Forderung, weil meist mit zu kleinem Luftwechsel 
gelüftet wird. Hier kann mit Vorteil die zweite Forderung unterstützend 
einspringen, ohne daß der Luftwechsel weiter gesteigert werden muß. 

Dazu braucht es aber technische Lösungen, die es gestatten, die 
Luftverhältnisse des ganzen Raumes nach diesen Gesichtspunkten zu 
beeinflussen. Diese Problemstellung rückt also die technischen Fragen in 
ein neues Licht, und der alte Streit, ob von unten oder von oben her besser 
zu lüften sei, gewinnt neue Gesichtspunkte. Entscheidend wird aber die 
Lösung sein, die es gestattet, nicht nur die Temperatur- und’ Feuchtig- 
keitsverhältnisse zu beeinflußen, sondern die gesamte Bewegung der 
Raumluft zu beherrschen. Es scheint mir, als ob in dieser Richtung viele 
Vorteile liegen. 


2. Kapitel. 
Die Theorie des Kata-Thermometers. 


1. Bestimmung der Konstanten F und Entwicklung der 
Eichgleichung. 

Das Katathermometer besitzt unten ein Abkühlungsgefäß, bestehend 
aus einem 2,2 cm langen Zylinder von 1,8cm Durchmesser, von je einer 
Halbkugel begrenzt. An der oberen Halbkugel ist das von 38° bis 35°C 
(resp. 100° bis 95° F) graduierte Stabthermometer angeschlossen mit einer 
srweiterung am oberen Ende zur Aufnahme der Alkoholflüssigkeit bei 
Überwärmung über 38°. 

Bei Abkühlung von 35° auf 35° ist der Wärmeverlust immer derselbe, 
die Geschwindigkeit jedoch hängt ab von den atmosphärischen Bedin- 
gungen. Dieser Wármeverlust, dividiert durch die Oberfläche in em?, ist 


Von Paul Weiß. 9 


die Konstante F des Instrumentes. F dim = cal - cm? 1000 hängt ab 
von der Masse, der Gestalt und spezifischen Wärme des Gefäßes und des 
Inhalts. Da Masse und Gestalt vom Glasbläser nur angenähert den oben 
gegebenen Dimensionen entsprechend gemacht werden können, ist für 
jedes Instrument die Konstante F durch Eichung zu bestimmen. 

Nach den Gesetzen des Wärmeüberganges kann mit genügender 
Genauigkeit angenommen werden, daß der Wärmeverlust F pro cm? bei 
Abkühlung über den engen Temperaturbereich von 3° mit der mittleren 
Temperatur ® = 36,5% bei einer Umgebungstemperatur von °, der Tem- 
peraturdifferenz (P—t) sowie der Abkühlungszeit T direkt proportional 
sei, also: 

F=a(®—-ı)T.....2.0..641) 


Dividieren wir diese Gleichung beiderseits durch T, so erscheint auf 
der linken Seite der bereits definierte Kata-Index. 
F 


H=3=0« (0D... .... 2 


Da a eine Konstante ist, bleibt H als Quotient A für alle Instrumente 


derselbe, sofern die Lufttemperatur t konstant ist. 


In der Doppelgleichung (2) zur Bestimmung von A sind F und a 
unbekannt. 


Da die. physikalische Bestimmung von a ganz erhebliche Schwierig- 
keiten bereitet, haben Hill und seine Mitarbeiter es vorgezogen, für einige 
Instrumente F nach rein physikalischen Gesichtspunkten zu gewinnen, 
um daraus dann a zu berechnen (16a). 


Die Ermittelung von F geschah nach zwei Methoden: 


l. Im Elektrokalorimeter. 


Das Katathermometer wurde in ein Kalorimeter gebracht und die 
Wärmemenge gemessen, die zum Aufwärmen von 95° F auf 100% F durch 
eine Widerstandsspule abgegeben wurde. Die Wasserwerte wurden mit 
Sorgfalt bestimmt und die Strahlungsverluste berücksichtigt. 


II. Durch Vergleichsversuch. 


Die Abkühlungszeit des Katathermometers in ruhender Luft wurde 
verglichen mit der eines Kupfergefäßes derselben Gestalt und Größe. 
Die Emissionsfähigkeit des Kupfergefäßes wurde durch matten dunkeln 
Firnisüberstrich der Kata-Emission gleichgemacht. Die Temperatur des 
Kupfergefäßes wurde thermoelektrisch gemessen. 


Sind Emission und Gestalt beider Gefäße dieselben, so wird der totale 
Wärmeverlust gemessen über denselben Temperaturbereich je proportional 
der Abkühlungszeit. 

Ist 7, = Kühlzeit Kata (1000—959) F, 

Ta = Kühlzeit Kupfer (1000—9509) F, 
i Kataoberfläche, 
A = Kupferoberfläche (7,04), 


MAA 


10 Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik usw. 


h, = Katawärmeverlust, 

ha = Kupferwärmeverlust m * ce © (100 — 95) - 5/, - 1000 Mi/cal, 
m = Masse des Cu-Gefäßes, 

Co = Spezifische Wärme des Kupfers im betreffenden Tempe- 


raturbereich, 
5/, = Umrechnungsquotient Fahrenheit-Celsius. 
so gilt: 

F 

AT Ach, 
Fa ha 

® Tg AT: 
hy har Tr _ | 
ARA A 


Nachdem auf diese Weise für verschiedene Instrumente F genau 
bestimmt war, wurden in einem speziell konstruierten Kasten von an- 
gemessener Größe (so, daß die Temperatursteigerung der Kastenluft durch 
die Wärmeabgabe des Katathermometers nicht meßbar in Erscheinung 
trat) und einem Wassermantel zur präzisen Einregulierung jeder ge- 
wünschten Lufttemperatur, Abkühlungsmessungen T vorgenommen und 
aus einer Folge solcher Messungen a = 0,27 empirisch ermittelt. . 

Danach schreibt sich nun die vereinfachte Eichgleichung: 


F = 0,27 (D—t)- T; 


(OD — t)= 0 
EOI OT es a a e ee A) 
und | H=0217:-®© . . . 2 2 D 


Diese fundamentalen Ergebnisse der Mitarbeiter Hills sind meinen 
weiteren Untersuchungen zugrunde gelegt; danach ergibt sich die In- 
strumentenkonstante F, indem man in ruhender Luft die Abkühlungszeit T 
sowie die Lufttemperatur 2 mißt und das Produkt der mittleren Tempe- 
raturdifferenz (36,5 —t) und der Kühlzeit T mit dem Eichfaktor 0,27 
multipliziert. Anderseits erhält man den Abkühlungseffekt, den Kata- 
Index, A, indem diese Konstante durch die Kühlzeit T dividiert wird. 


2. Instrumenteneichung und Kata-Indexin ruhender Luft. 

Die Eichung meiner Instrumente habe ich in einem Glaskasten von 
30x40x40 cm vorgenommen. In Tabelle I sind die Eichresultate des- 
jenigen Instrumentes zusammengestellt, das ich zu meinen sämtlichen 
späteren Untersuchungen verwendet habe. Als Mittelwert der 14 Mes- 
sungen resultiert eine Konstante F = 510. Die mit dieser Konstanten 
berechneten Kata-Indizes in ruhender Luft sind in Abb. 2 zusammen- 
gestellt. 


3. Trockener Kata-Index in bewegter Luft. 
Für die Abkühlung des trockenen Katathermometers in bewegter Luft 
gilt die Gleichung: | 
F=«(®—ı.T (6) 


Von Paul Weiß. 11 


tr hata-IndexH = 





JO 
SS Lufttemperatur — 
Abb. 2. 
worin: 
a = Waármeiibergangskoeffizient, 
® = mittlere Katatemperatur, 
t =. Lufttemperatur, 
= Abkühlungszeit 
bedeuten. 


Für viele technische Zwecke haben verschiedene Forscher (17) für a' 
den empirischen Ansatz 
a =a +b. . . ...... 7) 
empfohlen, der, ohne die physikalischen Zusammenhänge zu offenbaren, 
das Problem auf die Bestimmung der Konstanten a, b und m durch den 
Versuch zurückführt. 
Somit lautet Gleichung (6): 


F=(a+b-vr).(®—ı-T 


oder 
H=(a+b-0”)- (0 — t). 
womit 
H H 
o rod D . . . . . . e 8) 


In dieser Gleichung sind a, b und der Exponent m als Konstanten zu 


bestimmen. 
Bringen wir a auf die linke Seite und logarithmieren die Gleichung, 


so gibt: 
Jgn ($ — a) =10 + migo b Ac a de 19) 
Wäre a bekannt, so könnte zu jedem v der zugehörige Funktionswert 


O 


(6 — a) berechnet und im logarithmischen System aufgetragen werden, 
wodurch bei genügender Punktzahl b als Konstante für den Spezialfall 


12 Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik usw. 


v= 0 und m als Tangentenwert des Neigungswinkels der Geraden 
(lg b + m lg 0) ermittelt werden. 


Zur Bestimmung von a führt folgende Überlegung (27): 
Sind 3 Punkte X,, Yi; Xə Yo; Xz, Y durch den Versuch bestimmt, 
die der Gleichung 


y=aw+b:. r 
genúgen, so gelten die Beziehungen: 
yy — a =b. Xy 
. Y — a =b. X,” 
Ys — a = b. Xy” 





¿cmd RR dy 

Ya — a Xy" 

Ya — a Xp" 

Yz — a Xa" 
und wenn 

X, Ka 

X, SS A, 








Yı * Ya — Mei ) 
goe, 10) 
Yı + Ya — Ate 
Der Versuch ist somit so durchzuführen, daß Messungen hauptsäch- 
lich am Anfang (z,) und am Ende (x,) des Versuchsbereiches gemacht 


werden, worauf dann auf Grund der Bedingungsgleichung i Dees -2 der 
f A 3 
Bereich um z, durch eine Anzahl Versuchswerte festgelegt wird, um Y, 
möglichst genau durch Interpolation zu ermitteln. 
Zur Durchführung der Versuche benutzte ich zwei Versuchsanlagen 

mit den Geschwindigkeits-Meßbereichen: 

Anlage l: v = 0,15 bis 1,5 m/sek. 

Anlage Il: v = 1,5 bis 18 m/sek. 


Versuchsanlage I (Abb. 3). 
Temperaturregulierung. Die Luft kann sowohl aus dem Freien 
als aus dem Versuchsraum angesaugt werden. Ein Heizkörper H, der aus 
drei elektrisch geheizten Stäben besteht, erlaubt durch zweckmäßiges 
Parallel- resp. Hintereinanderschalten einerseits, sowie durch einen Regu- 
lierwiderstand IV anderseits ein weitgehendes Regulieren der Lufttem- 
peratur. Spannung 220 V. Stromstärke bis 30 A. 
Geschwindigkeitsregulierung. Der Ventilator ist mit einem 
Gleichstrommotor direkt gekuppelt. Zwei dem Motor vorgeschaltete 
Regulierwiderstände gestatten, jede beliebige Tourenzahl und damit jede 
beliebige Luftgeschwindigkeit zwischen 0,15 bis 1,5 m/sek im Querschnitt 
des Versuchsrohres A einzuregulieren. 





Von Paul Weiß. 13 


Feuchtigkeitsregulierung. Dadurch, daß die Luft sowohl aus 
dem Freien als aus dem Versuchsraum gesaugt werden kann, ist bei kalter 
Witterung eine weitgehende Feuchtigkeitsregulierung möglich. Die an- 
gesaugte kalte Außenluft wird hochgeheizt und dadurch getrocknet. 
Durch ein Dampfrohr kann nun so viel Dampf dieser Luft beigemischt 
werden, als zur Erzeugung einer gewünschten Feuchtigkeit nötig ist. 

Temperaturmessung. Die Haupttemperatur wird im Querschnitt II 
gemessen, der ca. 25 cm vor dem Querschnitt I liegt, in dem die Kata- 
messungen gemacht werden. Das Quecksilbergefäß des Thermometers 


N Bez, EN, 


Dn, Ze 





d WI 







N 

N 

$ 

EA 
i | l 

S Ai N aan A. 

vE ai 





liegt ungefähr im selben Stromfaden wie das Katagefäß. Zwei Kontroll- 
meßstellen liegen im Querschnitt I resp. im Druckstutzen des Ventilators. 
Das Versuchsrohr A ist gegen Wärmeabgabe mit dicken Filzbelägen isoliert. 
Sämtliche Thermometer sind von der Phys.-Techn. Reichsanstalt geprüft. 
Feuchtigkeitsmessung. Die Feuchtigkeit wird mit einem ge- 
prüften Aßmannschen Psychrometer im Querschnitt III gemessen. 
Geschwindigkeitsmessung. Da Geschwindigkeiten zwischen 0,15 
bis 1,5 m/sek nicht oder ungenau mit dem Staurohr zu messen sind, ist 
nach dem Ventilator ein Rohr von bedeutend engerem Durchmesser als 


14 Die hygienischen Grundlagen der Lúftungstechnik usw. 


das Versuchsrohr eingebaut. Zwischen Reduktionsstutzen und engem Rohr 
sorgt ein doppelter Drahtsiebwiderstand b fiir Egalisierung der turbu- 
lenten Strómung. Um die Strómung im Versuchsrohr zu richten, sind 
Gleichrichtungsróhren a und dahinter Drahtsiebe b eingebaut. Die Quer- 
schnittsverhältnisse von engem Rohr zu weitem Rohr sind so, daß den 
Geschwindigkeiten von 0,15 bis 1,5 m/sek solche von ca. 1 bis 10 m/sek 
entsprechen. 

Enges Rohr 0, = 67 mm = d 

Versuchsrohr ®, = 180 mm = /) 


Nach der Kontinuitätsgleichung gilt: 


i fev =F. V 
0,0672 
K er O= On 


Versuchsanlage II. 


Die Versuchsanstalt für Heizung und Lüftung der Technischen Hoch- 
schule Charlottenburg besitzt eine technisch musterhaft ausgerüstete 
stationäre Versuchsanlage, mit der in einem Rohr von 80 cm Durchm. 
Windgeschwindigkeiten von 1 bis 18 m/sek bei gleichzeitiger Regulierung 
der Temperaturverhältnisse erzielt werden können. Die Anlage besteht 
aus den folgenden Hauptelementen: 

1. Einem Doppelradventilator, direkt gekuppelt mit Gleichstrom- 
motor, 

2. einem Umformeraggregat zur Transformation des Erregerstromes 
des Triebmotors, 

3. aus 4 eingebauten dampfgeheizten Luftröhrenkesseln zur Er- 
wärmung der aus der Filterkammer angesaugten Luft. 


Gleichrichter Messingnetz 





Abb. 4. 


Der Querschnitt der Rohrbündel kann durch Schieber nach Bedürfnis 
teilweise oder völlig freigelegt werden. Zur Erzielung einer gleichmäßigen 
Luftbewegung sind in der Rohrleitung Gleichrichtungsröhren und Messing- 
netze eingebaut (Abh. 4). 

Die Katamessungen sowie Temperaturmessungen wurden im Quer- 
schnitt I, Geschwindigkeitsmessungen im Querschnitt II gemacht. Die 
Staurohröffnung lag im selben Stromfaden wie das Katathermometer. 


Von Paul Weiß. 45 


Die Messungen an diesen Versuchseinrichtungen wurden jeweils erst 
gemacht, wenn vollständiger Beharrungszustand insbesondere der Tem- 
peraturverhältnisse herrschte. Es sei hier besonders hervorgehoben, daß 
Geschwindigkeitsschwankungen einzig an der Anlage I in der Gegend 
von 1 m/sek beobachtet wurden, daß alle andern Mikromanometerable- 
sungen im Beharrungszustand gemacht werden konnten. 


Die Eichung des Mikromanometers ergab für die drei Stellungen der 
Kapillare bei (LAN 3%, 5% folgende Eichfaktoren: 


y 








SCH GO2 003 00% 005 QOG Im JE 
aa elers 


Abb. 5. 
10g Petr _ 
n 2QgPetr+nan 2 = ce  Nullstellung 
10, 20. A 
1 a == 
1%, 41,5 171,5 130 10 15071 ~ 0,0196 no = 161 
a en 123 on 19:20:% 00005 m= 61 
127,0 187 60 102.60. ap 
10 . 20.4 
0 — See — 
9% 60 96 36 10° 36. 0,071 no 23 


Die zu diesen Stellungen der Kapillare berechneten RL c 
sind in Abb. 5 zusammengestellt. 


Wird am Mikromanometer ein Ausschlag An beobachtet, so berechnet 
sich daraus v wie bekannt: 


C- AR = Payn = mm WS = kg m”? 
R = Päyn y = y Payn _ pote pet. 

Abb. 6 gibt dazu für die drei Kapillarenstellungen die Yp-Werte und 
Abb. 7 den Faktor d 


Tabelle II (Anhang) enthält sämtliche Messungen ny, n, t, T und die 


Berechnungen der Geschwindigkeiten V, Kata-Indexe H und der g Werte. 


16 Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik usw. 


Abb. 8 gibt eine graphische Übersicht über die Lage dieser Punkte, 


H 
indem O als Funktion von v aufgetragen ist. 





5° 


ee El E DEE 
SSTT Vleded) ž 7 WA 
| y Gene DE Gg 





185 


I IH Tell Y A | 
IVl led TE 7 
El EA 


g 
S 





N 
(EEREIUNERF 
KEE 
IAE 


n- Mikromanometer ausschla 


Q1 02 03 Q4 05 Gë 07 Ge 1 
Abb. 6. 


Zur Ermittelung von a werden nun zwei möglichst extreme Punkte 
gewählt und X, und Y, wie folgt berechnet: 
X, = 0,195 A, 7,18 
Y, = 0,356 Ye == 1,92 


a 
Xo Se X3 
Xa = YX, X =}0,19 - 7,78 = 1,23 
Y, = durch Interpolation = 0,69 
Yi: AO 0,356 - 1,52 — 0,69? 


LY, + Y,-2Y, 0,356 + 1,52 — 2. 0,69 EE 





Von Paul Weiß. 17 





| 0 1 2 3 
v-Luftgeschwindigkeit in "ls 


Abb. 8. 


Indem wir die Werte (H/O— a) als Funktion von v im logarithmischen 
System auftragen (Abb. 9), erhalten wir die Gerade 
Jon (4/0 — a) = lgn b + m lgn v 
und somit 
= 0,49 
m = 0,50 
Die endgültige Gleichung zur Berechnung des Abkühlungseffektes 
des trockenen Katathermometers in bewegter Luft erhält somit die Form: 












H = (0,14 + 0,49 Yo) (365— 1) . . . . . 41) 
de e SE E LO AAA A E EA A O 
e Hr A 
$ IO A A AAA 
oal KKK a a TER? E 2% 44 
A ES TAO LA ds OS 
EE rE 
06 
. Se E 
45 
o 
e HERA AE ZAG HHE 
IE ge Log DE ni (e, 25 T E a 
stil MEA HERE 
| TTT HA 
Ea 11-4 ES HHHH 






Pe A EA 

Zei: I HE ERT Ges Eeer ege SS 

) o RS PRS a ed Be 

ar | 02 025 03 03504 1. 05 06 0708091 12 1416182 25 3 354455 6 7 8 
Abb. 9. 

Archiv f. Hygiene. Bd. 96. 2 


18 Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik usw. 


Deg E = 0,14 + 0,49 fo . e de de a GE 


Abb. 10 gibt H/O nach Gleichung (18) in Funktion von yo. 
Vergleichen wir dieses Resultat mit demjenigen der Mitarbeiter Hills, 
so finden wir nach zwei Richtungen abweichende Ergebnisse. 
Hill stellt Gleichung (8) für zwei Meßbereiche auf: 
für Geschwindigkeiten über 1 m/sek: 
H 


g (0,13 + 0,47 Yo) ar Zei. RN 
für Geschwindigkeiten bis 1 m/sek: 
Z = (0,20 + 0.40 Yo) gp echt Ae EE 





U: UE EE GE: TER e, ër WE 2D. Le 20 26 28 3 
W - Wurzelaus Geschwind) ¡gkelt N 


Abb. 10. 


Hills Mitarbeiter haben Gleichung (13) nach áhnlichen Methoden 
gewonnen wie hier Gleichung (12). Die Katamessungen wurden in einem 
Luftstrom gemacht, der in Kanálen von quadratischem Querschnitt von 
7, 4 resp. 3 englischen Fuß Seitenlánge erzeugt wurde. 2 Kanäle waren aus 
Holz, der 4 englische Fuß breite aus Blech. Die Geschwindigkeiten wurden 
mit Staurohr gemessen. 

Die Abweichung der beiden Gleichungen in den Absolutwerten der 
Konstanten habe ich auf den Eichfaktor F zurückgeführt. Denn wird 
Gleichung (12) durch 1,04 dividiert, so ergibt dies: 

H d 
SE 0,134 + 0,47 yo 

Wäre F statt 510 etwa 490, so würden die beiden Gleichungen (12) 

und (13) identisch. Leider sind die Messungen der Engländer nicht näher 














Von Paul Weiß. 19 


zu kontrollieren, da über die Geschwindigkeitsmessungen keine Daten 
vorliegen. Ebenso fehlen die genauen Eichdaten der Kata-Instrumente, 
die zu diesen Messungen Verwendung fanden. 

Ich habe meine Eichung streng nach den Gesichtspunkten der Eng- 
lánder, die ohne Zweifel richtig sind, vorgenommen, und bin trotz allen 
Bemühungen immer wieder auf die Konstante 510 gekommen. Dabei 
habe ich besonders auf die Strahlungseinflüsse, die in ruhender Luft eine 
erste Rolle spielen und auf die vorliegenden Abweichungen sicher von 
Einfluß sind, ein großes Gewicht gelegt. Weitere Versuche mit anderen 
Instrumenten bestätigten die Übereinstimmung der Eichwerte mit den 
beiden Gleichungen (5) und (12). 

In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, daß Eichungen 
in ruhender Luft nicht immer zuverlässig sind. Einerseits spielen die 
- Umstände, unter denen die Strahlung vor sich geht, eine bedeutende Rolle 
(beträgt doch der Anteil der Strahlung am Wärmeverlust in ruhender 
Luft ca. 50%,) und anderseits kann die geringste Luftbewegung das Re- 
sultat beeinflussen. Weiters ist es nicht ganz einfach, das Thermometer, 
das die Temperatur der Umgebung mißt, vor den Wärmestrahlen des 
Katathermometers zu schützen, so daß auch dadurch (zwar allerdings 
nur geringe) Fehler entstehen können. Ich möchte deshalb hier den Vor- 
schlag machen, die Eichung in einem Luftstrom von ca. 0,8 m/sek und 
18°C zu machen, da bei dieser Konvektion Abweichungen der Strahlungs- 
bedingungen kaum meßbar in Erscheinung treten können, und anderseits 
die Abkühlung langsam genug vor sich geht, um die Zeiten genau zu messen. 

Von einschneidender Bedeutung ist die zweite Abweichung von Hills 
Resultaten. Die vorliegenden Versuche bestätigen meine Vermutung, daß ` 
die Abkühlung auch im zweiten Meßbereich von 0,15 bis 1 m/sek dem 
Gesetz für den hohen Meßbereich genügt. Es ist kein Grund für eine Än- 
derung der Gesetzmäßigkeit vorhanden. Die Abweichung, die die Mit- 
arbeiter Hills gefunden haben, ist wohl ihrer Versuchsanordnung zuzu- 
schreiben, indem die Messungen im niederen Meßbereich so vorgenommen 
werden, daß das Katathermometer mit einer bestimmten Geschwindigkeit 
kreisförmig durch ruhende Luft geführt wird. Die Berücksichtignng des 
bei der Rotation entstehenden Wirbels kann nicht in befriedigender Weise 
erfolgen, besonders aber nicht in der Art, wie es geschehen ist. Das Messen 
der Geschwindigkeit verschiedener Wirbelstromfäden, indem die Beein- 
flussung eines stationären möglichst im Wirbel liegenden Katathermometers 
untersucht wird, um daraus die Gechwindigkeit des Wirbelkerns zu inter- 
polieren, kann deshalb nicht genügen, weil bei jedem Vorbeipassieren des 
rotierenden Instrumentes ein zusätzlicher Wirbel um das stationäre ent- 
stehen muß. Die interpolierte Wirbelgeschwindigkeit wird dadurch zu 
groß, zudem glaube ich, daß bei kleinen Geschwindigkeiten eine genaue 
Korrektur kaum möglich ist. Denn es ist zu beachten, daß nicht nur eine 
Rotation der Umluft, sondern ein gleichzeitiger Auftrieb infolge Erwär- 
mung durch das Thermometer erfolgt. Bei kleinen Geschwindigkeiten fällt 
diese Auftriebskomponente schon entscheidend ins Gewicht und stört 
deshalb die Voraussetzungen. Auf alle Fälle sind Geschwindigkeitsreduk- 
tionen von 6%, bis 9%, etwas hohe Schätzungen. 

9k 


20 Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik usw. 


Auf Grund dieser Erwägungen und Resultate kann der Bereich der 
Gleichung (12) in die Grenzen von 0,2 bis z m/sek gelegt werden. 


Die Abhängigkeit des trockenen Kata-Index vom Luftdruck. 

Zu der Entwicklung von Gleichung (12) ist zu bemerken, daß die Ab- 
hängigkeit o von y nicht genügend berücksichtigt wird, indem y eine Funk- 
tion nicht nur der Temperatur, sondern auch des Druckes ist. Die Glei- 
chung hat deshalb nur innerhalb einer bestimmten Barometergrenze voll 
Geltung und muß zum Gebrauch in anderen Höhenlagen eine Korrektur 
erfahren. 

O. W. Griffith hat deshalb zur Berechnung dieser Korrektur eine 
Gleichung abgeleitet (16a), wonach 


m=% (14 e cese 2 
gelten soll. | 


Danach sind für die verschiedenen Höhen 


-miM. =0 600 1500 3100 
oder Barometerdruck mm Hg = 762 706 632 500 
die Korrekturen 1 + Il — 10 0,96 0,91 0,84 


anzubringen, damit Gleichung (18) allgemeine Gültigkeit erhält. 


4. Feuchter Kata-Index in bewegter Luft. 


Verschiedene Experimente, wie sie Hill anführt (16a) und die ich 
bestätigen konnte, zeigen, daß das trockene Katathermometer auf die 
Feuchtigkeit nicht meßbar reagiert. Damit fällt seine Bedeutung als 
Vergleichsindex zur Charakterisierung der Entwärmungsbedingungen des 
Körpers dahin, sobald die Feuchtigkeit in dieser Hinsicht eine Rolle zu 
spielen beginnt. Dies ist in der Regel der Fall, wenn die Haut fühlbar 
feucht wird; wenn also die Verdunstung die Entwärmung in erheblichem 
Maße zu unterstützen hat. Speziell für diese Zwecke ist nun der feuchte 
Kata-Index geschaffen, der dadurch gemessen wird, daß die Instrumenten- 
konstante F durch die Kühlzeit des mit einer feuchten Musselinhülle um- 
gebenen Katagefäßes dividiert wird. Das Instrument verliert nun seine 
Wärme durch Strahlung, Leitung, Konvektion und Verdampfung. Dieser 
Wärmeverlust wird eine Funktion der Lufttemperatur, -Geschwindigkeit 
und -Feuchtigkeit sein, oder kurz, wie ich vermute, eine Funktion der 
Luftgeschwindigkeit v und des Gesamtwärmeinhaltes : der Umgebungsluft. 

Der Wärmeinhalt z ist diejenige Zustandsgröße, die von allen andern 
Zustandsgrößen der feuchten Umgebungsluft abhängt und diese in sich 
vereinigt. 

Die Wärmeabgabe wird nun nicht mehr lediglich durch die fühlbare 
Wärme, die sich in der absoluten Höhe der Temperatur ausdrückt, bedingt, 
sondern sie wird wahrscheinlich in einem bestimmten funktionellen Zu- 
sammenhang zum Gesamtwärmeinhalt : stehen, der sich darstellt als 
Summe der fühlbaren und latenten Wärme in Luft und Dampf. 


Von Paul WeiB. 21 


Es liegt deshalb die Vermutung nahe, daß der Gesamtwármeinhalt 
für den Wärmeübergang des feuchten Katathermometers eine analoge 
Rolle spielt, wie die Temperatur für den Wärmeverlust des trockenen 
Instrumentes. Dies kommt in Gleichung (16) sehr einfach folgendermaßen 
zum Ausdruck: 

ER E EE re ve + AO) 
T, 
worin: 
H' = feuchter Kata-Index, 
T, = Abkühlungszeit des feuchten Katathermometer, 
v = Luftgeschwindigkeit, 


ly = Gesamtwärmeinhalt der gesättigten Luft bei der Temperatur 
36,5% bezogen auf 1 kg trockene Luft, l 
i = absoluter Gesamtwärmeinhalt der Umgebungsluft bezogen 


auf 1 kg trockene Luft. 
Zur Bestimmung der Konstanten a, b und n wurden an den beiden 
beschriebenen Versuchsanlagen eine Großzahl von Messungen gemacht, 


die in den Tabellen III und IV (Anhang) zusammengestellt sind. 
Abb. 11 gibt einen Überblick über die Messungen, die speziell an der 


e 
pe 
ln 





IA 





q1 02 03 04 05 46 07 Gë 09 10 11 12 13 14 15 


Luftgeschwindigkeit vin ”% 
Abb. 11. 











Versuchsanlage I gemacht wurden, und Abb. 12 über die des ganzen 
Versuchsbereiches. 
Die Ermittlung eines solchen Kurvenpunktes geschieht wie folgt: 
An der Versuchsanlage wird, sobald Beharrungszustand in bezug auf 
Geschwindigkeit, Temperatur und Feuchtigkeit sich einstellt, eine Kata- 
messung T, gemacht. Die zugehörigen Messungen am Mikromanometer n, 
am Thermometer ¿ und am Aßmannschen Psychrometer t, t; werden 


22 Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik usw. 


während der Abkühlung des Katathermometers gemacht (sofern die Ab- 
kühlungszeit nicht zu kurz) und nur notiert, wenn über die Meßzeit keine 
Veränderung irgendeines Instrumentwertes eintritt. 





0 
ZS, Luftgeschwindigkeit vin”% 


Abb. 12. 


Aus n und ny wird die Geschwindigkeit, aus 2 und Aen die absolute und 
relative Feuchtigkeit, sowie der Wärmeinhalt ¿ wie folgt berechnet: 





== 0,5 ees Y ER mm ze 2 "Er 
worin: 
f = absolute Dampfspannung in mm Hg, 
f = der ť entsprechende Sättigungsdruck in mm Hg, 
b = Barometerstand in mm Hg, 
t = trockene Temperatur, 
t = feuchte Temperatur. 


b 

Zur Berechnung des Gliedes ff = 0,5- 755 
daß während der fraglichen Versuchstage vom 5. bis 18. Dezember 1923 
die meteorologische Anstalt in Berlin folgende Barometerdrücke notiert: 


(1 — 1) ist zu bemerken, 


Luftdruckbeobachtungen auf 0% und Normalschwere reduziert. 
Seehöhe des Barometers = 57,8 m. 
Zeitangabe nach mittlerer Ortszeit. 
Dezember 1923. 
qe 2P Um 7a 2P Un 

D TARO 746,1 74718 12. 769,3 767,4 767,4 
By. 502. DS 65 13. -66,0 646 09,4 
de 569: 568° 57,9 ké 613 672 652 


8. 56,1 541 53,8 15. 573 556 56,9 
9. 529 525 545 16. 57,9 563 48,4 
10. 593 61,8 67 17. 486 523 452 


11. 685 68,7 70,3 18. 498 478 486,6 








Von Paul Weiß. 23 


Die Hauptversuche wurden gemacht am 6., 7., 8. Dezember sowie in 
der Woche vom 10. bis 16. Für diese Versuchstage 'weicht der Barometer- 
stand von 755 mm Hg nur unbedeutend ab. Für die größte Abweichung 
am 12. Dezember wurde f* genau berechnet und die sich ergebenden 

H' 
33 — 
korrektur verglichen (siehe Tabelle IV, Rubriken — , H'*). Die Ab- 
weichungen übersteigen 1% nie und liegen meist im Bereich von 0,5%. 
Somit kann für den vorliegenden Fall mit der angenäherten Methode 
genügend genau gerechnet werden. 

Ist die absolute Dampfspannung nach Gleichung (17) berechnet, so 
gewinnt man ¿ aus folgenden Überlegungen: | 

i = a tei ...... . 18) 
worin x die in 1 kg Luft (trocken) enthaltene Dampfmenge und G deren 
Wärmeinhalt bedeuten. 

Cp * t stellt den Anteil an fühlbarer Wärme, 

x'ia den Anteil an latenter Wärme dar. 

Die Dampfmenge x = G; errechnet sich wie folgt: 

Ist b = Gemischdruck, 

V = Gemischvolumen, 


`f = Partialdruck des Wasserdampfes, 
F = Sättigungsdruck des Dampfes bei o, 





z- Werte mit denen der angenäherten Methode ohne Barometer- 





so gilt, wenn t- q = relative Feuchtigkeit, 
für Luft: 
(b— q: F) V = 2,153 G, : T, 
für Dampf: 
p: F- V = 3,46 G¿: T. 
Da x = D die in 1 kg Luft enthaltene Dampfmenge, so gilt: 


2153 pF ` f 
Denen 


und somit der Wärmeinhalt, bezogen auf 0°C: 


i = cp + t + 0,622 L 





L 
EZ 
Ge: t + 0,622 y (0,451: — 595) . 19) 
Nach Mollier (Z. d. V. d. I. 1923) kann diese Gleichung graphisch 
dargestellt werden. Kurvenblatt I gibt diese Darstellung für unseren 
Versuchsbereich. 





a ; H’ 
Ist ¿ dieser Tafel entnommen und der Quotient 35; berechnet, so 


ermitteln wir die Konstante a der Gleichung 24 wie früher gezeigt wurde. 


24 Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik usw. 






EN RT ee CS A 


e E SE SH TH 
— ER, | E E = 
AE: IDA Ze N 









85 GA A 
d PAI 2 HH 
75 EQ LY HIT 
E MAGO! 
NE 





VAN) AX) 

7 Wan SA (ALA CA AC KG RE 5% WW 

OË, I a NN 
PR, d ER SS w 






UN \/ 
SA 







dd ES 





DL 
asi ¿080 BE BE 
D E 7 HE | sa 





gu 
25 HORN 















































IO 
2 


A D 2 
xgr rr Wasserbez auf ho Si E 
760 "mn Barometer 


Kurvenblatt I. 





H | f 
Lalin g ai erer A A N 


u 
ign (57 — a) = Ign b + n Ign v un os A 


e ee A 
Yo Y, eg SE 
X, = 0,195 X; = 7,5 X, = YX, X, = 1,21 
ı = 0,84 Y, = 2,94 Y, = 1,53 
a= 018 


a == 














Von Paul Weiß. 25 


Werden die Punkte von Gleichung (20) im logarithmischen System 
aufgetragen, so liegen sie auf einer Geraden von der Form 


lgn (y) =lgnb + n-lgnv. . . . . . 22) 
worin 


b laut Abb. 13 = 1,24, 
n laut Abb. 13 = 0,4. 








18 ORI 
RES e DE EES RG A ER 
5 EE SU YE Y E E EEE 
EES RE SS 
Soll E 
A DE SS E E 
98 EEE | 
IECH 
Sie 
BE EN LE 


05 
0160802 025 03 035 NE 06 0798 
donk 


Mit diesen Konstanten a, b und n schreibt sich nun die Gleichung (16) 
für das feuchte Katathermometer: 


H’ = (0,18 + 1,24 00%) (330). . . . . 2) 


Diese Gleichung läßt sich in übersichtlicher Weise graphisch dar- 
stellen, indem H’ in Funktion von ¿į mit w als Parameter aufgezeichnet 
wird. 

Abb. 14 erlaubt — in gewissen Grenzen der Genauigkeit, die aber 
für praktische Untersuchungen des Lüftungstechnikers genügen — einer- 
seits Bestimmung des Wärmeinhaltes der Raumluft aus dem trockenen 
und feuchten Index (/7’, v) resp. die Ermittlung der Luftgeschwindigkeit, 
wenn z und H’ bekannt sind. 

Beispiel: T= 32 Sek. T,= 14,4 Sek. 

PERO" sach DES 
Aus Abb. 10 v = 0,6 m/sek H’ = 35,4 
Aus Abb. 14 ı = 3,8 und aus Tafel I y = 75%. 


5. Feuchter Kata-Index in ruhender Luft. 


Nachdem die Vermutung, daß der feuchte Kata-Index in bewegter 
Luft dem „physiologischen Wármedefizit** (1, — i) proportional sei, wo- 
bei der Proportionalitätsfaktor seinerseits eine Potenzfunktion der Ge- 
schwindigkeit bedeutet, sich begründen ließ, mag mit einiger Berechtigung 


26 Die hygienischen Grundlagen der Lúftungstechnik usw. 


ò 


LA 
Q 


H= Feucht 


r Kata Index 
O e 


El 


e 


d 





Q 





ES ENEE 15 20 
i- wWarmeinhalt der Luft bez. auf 1ko trockeneLuft. 
Abb. 14. 


der weitere Schritt getan werden und die zur Gleichung (5) für trockenen 
Kata-Index in ruhender Luft analoge Gleichung 
N EME VE a a A e 


aufgestellt werden. 
Die in Tabelle V und Abb. 15 zusammengestellten Messungen lassen 


trotz aller Schwierigkeiten, die besonders das Messen der Luftfeuchtigkeit 


Feuchter Kata-Index inruhender Luft Re 
e? 







Ae J 

N =0634! Ze 
2 Zë aer 

y y 
So Pr 
N | 

O 

$ 

25 

Ç 

2 


Von Paul Weiß. FAR 


der Umgebungsluft des Katathermometers, ohne diese Luft in Bewegung 
zu bringen, bereitet, eine Gesetzmäßigkeit in der vermuteten Richtung 
erkennen. Danach ergibt sich: 


o” = 0,53 
A E we be e 32 


6. Vergleich mit den Resultaten der Mitarbeiter Hills. 


Die entsprechenden Gleichungen der Mitarbeiter. Hills zu den hier 
für das feuchte Katathermometer entwickelten Gleichungen lauten: 
a) für SESEe? Luft: 


v über 1 m/s H =(0,1 +11 f) O . dt 26) 
v bis 1 m/s H’ = (0,35 + 0,85 /0) 0 . . . 27) 


worin © = 36,5 — t, die Temperaturdifferenz zwischen Katathermometer 


und feuchtem Luftthermometer bedeutet. 
b) für ruhende Luft: 
H—-H=005(F—-N43 s . . . . 28) 
worin: H = trockener Kata-Index, 
F = Sättigungsdampfdruck bei 36,50, 
f = absoluter Dampfdruck 
bedeuten. 
Die Gleichungen unter a) versuchen, den feuchten Kata-Index mit 
der Temperatur des feuchten Luftthermometers in Beziehung zu bringen. 











ye Q7 02 03 04 05 96 07 08 09 10 31 12 13 14 15 
Geschwindigkeit v in "4. 
Abb. 16. 


Doch haben meine Messungen, wie Abb. 16 zeigt, eine Gesetzmäßig- 
keit in dieser Hinsicht nicht bestätigen können. Die Streuung der Punkte, 
die nach den Gleichungen unter a) berechnet werden, ist besonders für 
Extremwerte groß; so ergibt z. B. eine Messung bei t = 37,7% und t; = 34,7% 
ein T, = 146” bei v = 0,46 m/s. 


28 Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik usw. 


Nach Gleichung (23) ergibt (H’/33 — 1) — 4,10 

und durch Rechnung aus obigen Werten = 1,03 
Nach Gleichung (30) hingegen ist Hie = 0,35 + 0,85 Y0,46 

= 1,006 

während durch Rechnung ein HO" = 1,9 


also ein Fehler von ca. 100%, entsteht. 

Der genaue Zusammenhang der einzelnen physikalischen Faktoren 
und das Maß ihrer Beteiligung an der Entwärmung ist von äußerst ver- 
wickelter Natur. Es existieren in der Literatur über dieses Problem der 
Abkühlung eines feuchten Körpers in bewegter Luft nur spärliche An- 
` gaben. Den wahren Verhältnissen kommt m. E. der von v. Bezold 
geprägte Begriff der Äquivalenztemperatur (18), der auch durch Prof. 
Linke unter dem Namen Prött-Temperatur eingeführt wurde (19), am 
nächsten. Denkt man sich die latente Wärme durch Kondensation des 
Wasserdampfes frei geworden und zur Erwärmung der Luft verwandt, 
so ergibt sich mit diesem Zuwachs zur tatsächlichen Lufttemperatyr die 
Äquivalenztemperatur. Auf den physikalischen Wert dieses neuen Be- 
griffes hat die Meteorologie schon längst hingewiesen, und in seiner Disser- 
tation hat W. Knoche (20) festgestellt, daß die Verdunstung der Dif- 
ferenz zwischen äquivalenter Maximaltemperatur und Äquivalenztem- 
peratur annähernd proportional sei . (Für unseren Fall ist die äquivalente 
Maximaltemperatur die, die der feuchtgesättigten Luft von 36,5% ent- 
spricht.) Daß diese Temperaturdifferenz dieser Äquivalenztemperaturen 
mit dem Wärmefluß aus dem Katathermometer in einer physikalischen 
Beziehung steht, leuchtet eher ein, als die Darstellung von Gleichung (23), 
die den Wärmeverlust mit dem Wärmeinhalt in Zusammenhang bringt. 
Tatsächlich ist die Äquivalenztemperatur dem Wärmeinhalt direkt pro- 





portional, indem des g ee 29) 
D 
Wird námlich Gleichung (18) a Cp dividiert, so entsteht: 
SE a E po es y 30) 
Cp 


was eine Temperatur bedeutet. 
Setzen wir für x und z¿ die oben gegebenen Ausdrücke, so wird, wenn 


c, = 0,239 lili 
z ? 5 BL 
nee g 6B tun, . - 20 
Geste (022 (595 + 0,46 d e 
E 0,239 (b — f) 
0 2,10 2,07 2,05 2,02 4,60 
10 2,14 2,11 2,08 2,05 9,16 
20 2,18 2,15 2,12 2,09 17,39 
30 2,23 2,20 2,23 2,14 31,55 


36,5 2,29 2,26 2,23 2,20 45,4 


Von Paul WeiB. | 29 


Diese kleine Tabelle gibt eine Übersicht über den Wert des Faktors 
von f und zeigt, daß dieser nur geringen Schwankungen unterworfen ist. 
Für rohe Rechnung kann annähernd gesetzt werden: 


Asta e a 2.2 2. 82) 
Da weiter: 
b : 
¡=P —05 z 49) Ae, ie 189) 
so gilt: 
A=1+21f—21:.05.575(—t) . . . . 34) 
und wenn 
b [4 € 
2,1 055 > GC kend est | 
A =ť 2.2: a a "og 35) 
somit 


i = c(t + 2,1 f) 
lo = Cp (36,5 + 2,1 + 45,4) ~ 33 
ly — i =33—C, t +2,1 f) 
= Cp (36,5 — 1) + 2,1 c, (45,4 — f') 
Dies in Gleichung (16) eingesetzt, ergibt: 
H' = (a + b- vr). c,-[(36,5 — 1) +21(45,4—f)] . . 36) 


Gleichung (36) zeigt, daß H’ als Funktion von t' und f sich darstellen 
läßt, wenn meine und die Feststellungen von W. Knoche richtig sind. 
f ist zwar selber eine Funktion von t', aber keine lineare, wie das in den 
Gleichungen (26) und (27) stillschweigend vorausgesetzt wurde. 


7) Das Kata-Thermometer als Mebinstrument. 


Über die praktischen Konsequenzen, die sich aus diesen rein empiri- 
schen Gleichungen folgern lassen, sei noch ein Wort gesprochen. 

Als reines Meßinstrument für die Lüftungstechnik wird das trockene 
Katathermometer von grundlegender Bedeutung. Bis heute besitzen wir 
kein Instrument, von solcher Einfachheit, das feine, beliebig gerichtete 
Luftströme zu messen gestattet. Die feine Zugluft, die unter Umständen 
0,25 m/sek nicht zu übersteigen braucht, war nur mit den Hautnerven 
zu konstatieren. Aber gerade diese Zugerscheinungen, von denen man 
weiter nichts weiß, als daß sie existieren und daß sie unangenehm und 
möglicherweise gesundheitsschädlich sind, sind der eigentliche Feind des 
konstruierenden Ingenieurs. Eine Katamessung, gleichzeitig verbunden 
mit einer Temperaturmessung, gibt darüber Aufschluß, wie groß diese 
Zuggeschwindigkeit v ist und überdies, wie wir später sehen werden, dar- 
über, ob dieser Zug auf den Körper eine schädigende Wirkung ausübt. 

Aus der großen Zahl der Versuche, die ich mit dem Instrument zu 
machen Gelegenheit hatte, habe ich mich über dessen Brauchbarkeit in 
dieser Hinsicht voll überzeugt. Wird die Messung der Abkühlungszeit 7 
mit einer Stoppuhr auf !/,” sek. genau gemacht; wird das Instrument so 
aufgehängt, daß es nicht pendelt, und die Temperatur mit einem zuver- 


30 Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik usw. 


lässig geeichten Thermometer auf 1/1? genau gemessen, so erlaubt der 
daraus zu errechnende Kata-Index sehr genau die Bestimmung der Luft- 
geschwindigkeit und die Einschätzung des Abkühlungseffektes nach der 
Gleichung 


H — (0,14 + 0,49 Yo) (36,5 — 1) 


3. Kapitel. 


Kata-Thermometrische Untersuehungen über die Entwärmung des mensch- 
lichen Körpers unter verschiedenen atmosphärischen Bedingungen. 


1. Die Wärmeproduktion und Regulation des Körpers in 
ihrer Beziehung zu den atmosphärischen Verhältnissen. 


Die Bluttemperatur des gesunden Menschen beträgt rund 37° und 
schwankt, falls keine Gesundheitsstörungen vorliegen, unter dem Einfluß 
äußerer Temperaturverhältnisse nur um wenige Zehntelgrade. Die Körper- 
temperatur, durch das Blut nach dem Prinzip einer Zentralpumpenheizung 
konstant gehalten, ist der einzige Fixpunkt bei dem komplizierten Vor- 
gang, den die Wärmeökonomie unseres Körpers zur Folge hat. Daraus 
folgt unmittelbar, daß der menschliche Körper die Fähigkeit hat, die 
durch die energetische Umsetzung in unseren Organen, insbesondere bei 
der Tätigkeit der Muskulatur entstehende freie Wärme abzuführen. Dies 
geschieht zur Hauptsache durch Lunge und Haut vermittelst Wärme- 
leitung, Wärmestrahlung und Wasserverdampfung. 

Das Problem der Wärmeökonomie unseres Körpers — und desjenigen 
sämtlicher Warmblüter — bringt eine stattliche Anzahl variabler Fak- 
toren miteinander in Beziehung. Den Vorgängen im Körper stehen gegen- 
über die äußeren atmosphärischen Bedingungen und eine in ihrer Funktion 
ans Wunderbare grenzende Wärmeregulation besorgt die Anpassung der 
inneren Verhältnisse an die äußeren. Zwei Sphären, die klimatische äußere 
und die physiologische innere, die nebeneinander sich bilden, werden 
durch diese Regulation miteinander so in Beziehung gebracht, daß dieser 
Fixpunkt, diese konstante Körpertemperatur resultiert. 

Die ganz unabhängige Sphäre ist die klimatische, bedingt durch 
Temperatur, Feuchtigkeit und Bewegung der Umgebungsluft. Soweit es 
die Wärmeregulation gestattet, ist die innere, die physiologische Sphäre 
von der äußern ebenfalls unabhängig. D. h. der Körper darf durch for- 
cierte Arbeit Wärme erzeugen, soviel er will und vermag, solange der 
Wärmeüberschuß an die Umgebung abgeleitet werden kann. Die Wärme- 
regulation besteht zur Hauptsache darin, daß wärmeempfindende Nerven 
die Blutgefäßmuskeln der Hautgefäße so beherrschen, daß sich je nach 
dem Entwärmungsbedürfnis die erweiterten Hautgefäße mit Blut anfüllen 
oder aber durch Kontraktion der Gefäßmuskeln eine Verminderung der 
Blutfülle erzielt wird. Sind jedoch die äußeren Bedingungen so, daß 
diese Wärmeregulation nicht mehr ausreicht, um für eine genügende 
Entwärmung zu sorgen, so bewirkt dies eine Wärmestauung und eine 
Erhöhung der Körpertemperatur. Daraufhin diktieren die empfindenden 
Nerven eine Einschränkung der Wärmeproduktion, der Muskelapparat 


Von Paul Weiß. 31 


reduziert seine Tätigkeit. Umgekehrt ist seine Tätigkeit verstärkt und 
ausgiebiger bei erhöhtem Wärmeentzug. Subjektiv empfinden wir be- 
kanntermaßen diese Vorgänge als Müdigkeit und Schlaffheit bei gehemmter 
Wärmeabgabe, schwüler Luft und fühlen wir uns angeregt zu intensiver 
Muskelbetätigung (bis zu unwillkürlichem Schlottern) bei starker Wärme- 
abgabe. o 

Wir sehen: die Arbeitsfáhigkeit des Menschen ist wesentlich eine 
Funktion der klimatischen Faktoren. Dabei ist unter Arbeitsfähigkeit 
nicht nur die Betätigung der willkürlichen Muskeln zu verstehen. Auch 
der ruhende Körper arbeitet und produziert Wärme, die an die Umgebung 
abgeleitet werden muß. 

Für die Gesundheit und das Wohlbefinden des Menschen ist es von 
größter Bedeutung, daß diese geschilderten Vorgänge in einem bestimmten 
Gleichgewicht sind. Es hat deshalb besonders in Arztekreisen und unter 
Hygienikern die Frage interessiert, unter welchen Bedingungen dieses - 
Gleichgewicht gestört wird und welche Konsequenzen sich daraus gesund- 
heitlich ergeben. 

Wie bereits im ersten Kapitel dargelegt wurde, hat man die Zu- 
sammenhänge lange nicht erkannt und die typischen Krankheitserschei- 
nungen, die häufig in überfüllten Versammlungsräumen zu beobachten 
sind — herabgesetzte geistige Leistungsfähigkeit, Übelkeit, Schwindel, 
Ohnmacht — anderen Ursachen als der mangelhaften Entwärmungs- 
möglichkeit zugeschrieben. 

Die Erforschung der inneren Zusammenhänge des Entwärmungs- 
problems stößt jedoch auf ganz erhebliche Widerstände. Die Kompliziert- 
heit des Problems liegt in der Fülle der voneinander abhängigen Faktoren. 
In der Tat ist nur durch strengste Systematik und mühsame Arbeit zum 
Ziele zu kommen; und dieses Ziel muß erreicht werden angesichts der 
überragenden Wichtigkeit der Frage für die Gewerbehygiene, für die öffent- 
liche Wohlfahrt und für medizinische Therapie. 


2. Beziehungen zwischen Haut- und Lufttemperatur in 
ruhender Luft. 


Nach den ersten sondierenden Arbeiten von Rubner (9) und seinen 
Schülern, sowie von Vincent (21) und Flügge (22) ist Heymann zu- 
sammen mit Reichenbach {23) zuerst systematisch an das Problem 
herangetreten. Der Gedanke Vincents, die Wärmeabgabe des Körpers 
analog der eines toten Körpers mathematisch zu formulieren, wurde von 
ihnen wieder aufgegriffen. 

Die Versuche wurden so angelegt wie alle Untersuchungen über 
Gesetzmäßigkeiten von physikalischen Vorgängen, bei denen mehrere 
Variabeln miteinander in Beziehung treten, indem der Einfluß nur einer 
Variabeln untersucht wird, während die andern nach Möglichkeit kon- 
stant gehalten werden. 

In erster Linie interessierte die Frage, welche meßbare Größe als 
Indikator für das thermische Befinden des Körpers geeignet sei. 

Der Wärmeaustausch geschieht in der Hauptsache an der Körper- 
oberfläche und durch die Lunge. In der Lunge durch Verdampfung und 


32 Die hygienischen Grundlagen der Lúftungstechnik usw. 


Leitung, an der Haut durch Verdampfung, Leitung und Strahlung. Die 
Temperatur der Haut wird durch die Funktion des Vasomotorenapparates 
so einreguliert, daß der Wärmeverlust, der einerseits eine Funktion der 
kombinierten thermischen Wirkung der umgebenden Luft ist, dem Wärme- 
überschuß im Körper entspricht. Es lag deshalb auf der Hand, als ob- 
jektives Maß für die Temperaturempfindung die Hauttemperatur zu be- 
‚trachten. Sie ist jedoch keineswegs ein allgemein gültiges Maß für die 
Gesamtwärmeabgabe, sondern nur ein Indikator. 


. Anderseits ist der Wärmeverlust abhängig von der Wärmeproduktion 
des Körpers. Es ist deshalb erste Versuchsbedingung, die Wärmeproduk- 
‚tion in gewissen Grenzen konstant zu halten. Die Versuche wurden aus 
diesem Grunde an der: ruhenden Versuchsperson gemacht. Soweit als 
möglich wurde auch darauf geachtet, die Stoffwechselbedingungen, die 
auf die Wärmeproduktion nicht unbedeutenden Einfluß haben, durch 
geeignete zeitliche Versuchsansetzung zu berücksichtigen, sowie weitere 
physiologische Momente möglichst auszuschließen. 


Von den klimatischen Faktoren hat Heymann nur die Temperatur 
variieren lassen, und Feuchtigkeit und Luftbewegung möglichst. konstant 
gelassen oder ganz ausgeschaltet. 

Damit ist das Problem auf ein einfaches Wärmeaustauschproblem 
zurückgeführt, bei dem die Abhängigkeit des Wärmeverlustes von der 
. Umgebungstemperatur zur Untersuchung steht und die sich dabei ein- 
stellende Oberflächentemperatur beobachtet wird. 

Die Oberflächentemperatur resp. Hauttemperatur ist aber ihrerseits 
wieder abhängig von äußeren Faktoren, Kleidung, Oberflächengestal- 
tung usw. Die Kleidung muß die für die betreffende Person gewohnte 
und während der Versuchsfolge möglichst die gleiche sein. 


Durch ausgedehnte Versuche haben Heymann und Reichenbach 
Temperaturmessungen an verschiedenen Stellen des Körpers gemacht, 
um die günstigste Hautstelle zu eruieren. Sie sind dadurch zum Ergebnis 
gekommen, daß die Stirntemperatur sich für diese Messungen am besten 
eignet, denn diese entspricht am ehesten den physikalischen Vorbedin- 
gungen. Die an der Stirn aufgenommenen Termperaturkurven sind von 
großer Regelmäßigkeit und zeigen, daß die Stirntemperatur auf die 
äußeren Einflüsse empfindlich reagiert (s. Abb. 23, S. 39). Weitere Schwie- 
rigkeiten lagen in einer einwandfreien Temperaturmessung. Ein Thermo- 
element Eisenkonstantan mit einer brückenförmigen Lötstelle von geringer 
Masse wurde mit leisem Druck, so daß keine örtliche Blutstauung und 
damit verbundene Temperaturerhöhung entstehen konnte, auf eine mar- 
kierte Stirnstelle (meist oberhalb der Nasenwurzel) aufgesetzt und der 
Thermostrom mit Spiegelgalvanometer gemessen. 


Diese umsichtigen Vorbereitungen des Versuchs und die systema- 
tischen Begrenzungen der Versuchsbedingungen führten zu dem Resultat, 
daß zwischen Stirntemperatur 7, und Lufttemperatur tz, für den ruhenden 
Körper in ruhender Luft die einfache lineare Beziehung festgestellt werden 
konnte: 

T,=a-+tb-t, 


Von Paul Weiß. 33 


Die Gleichung hat natürlich nur einen beschränkten Geltungsbereich. 
Die beste Übereinstimmung der Messungen mit der Gleichung ist im Be- 
reich 15% bis 25% vorhanden. Nach oben und unten nehmen die Abwei- 
chungen zu. Dies erklärt sich durch die Tatsache, daß in dem genannten 
Bereich ein Wärmegleichgewicht des Körpers sich einstellt, während in 
den Grenzgebieten unterhalb 15° und oberhalb 25° das Gleichgewicht 
gestört ist. Zur Diskussion der Absolutwerte a und b, die für jedes Indi- 
viduum durch Versuch bestimmt werden müssen, ist zu bemerken, daß 
besonders 5 interessante Schlüsse über die Empfindlichkeit gegen Tem- 
peraturen zuläßt, wie wir später sehen werden. 


3. Die Entwärmungsverhältnisse in bewegter Luft. 


Diese eben erwähnten Resultate haben zu weiteren Versuchen er- 
mutigt. Auf Grund der gesammelten Erfahrungen hat Heymann den. 
weiteren Schritt zur Untersuchung des Einflusses insbesondere des Windes 
auf die Entwärmung angestrebt, und sodann den kombinierten Einfluß 
von Wind und Temperatur zu formulieren versucht. In vorbereitenden 
Arbeiten hat er diese Entwärmungsgesetze, die hier zur Frage stehen, am 
toten Körper abgeleitet (24). Die praktischen Experimente am Menschen 
wurden jedoch durch den Krieg unterbrochen, ohne daß ein abschließendes 
Resultat erreicht worden wäre. 

Nach dem Kriege hat Lange (10) die Arbeiten Heymanns wieder 

aufgenommen, aber ohne die alte Systematik durchgeführt. Seine Arbeit 
ist nicht ganz durchsichtig. 

Uns Lüftungstechnikern sind besonders die Arbeiten Nußbaums (11) 
bekannt, die in ihren Schlußfolgerungen das Problem zwar praktisch aus- 
gezeichnet beleuchten, aber von der Lüftungstechnik aus bereits angegebe- 
nen Gründen nicht gebührend berücksichtigt werden konnten. 

Hill hat nun die Aufgabe von einer ganz andern Seite angefaßt. 
Mit seinem Katathermometer, das ihm in Form des Kata-Indexes den 
Abkühlungseffekt der klimatischen Faktoren auf die Kataoberfläche ganz 
eindeutig mißt, hat er versucht, eine Vergleichsbasis zu schaffen, die es 
ermöglichen soll, den Abkühlungseffekt des toten Körpers mit demjenigen 
des lebenden in Beziehung zu bringen. Der Kata-Index ist in diesem Falle 
ein ähnlicher Indikator, wie die Hauttemperatur der Heymannschen 
Versuche. 

Hill sagt sich: Den äußeren Verhältnissen, z. B. Windstille und 18°C 
Lufttemperatur, die anerkannt angenehm empfunden werden, entspricht 
laut Gleichung (5) ein Kata-Index H = 0,27 © = 0,27 (36,5 — 18) = 5. 

Nimmt die Raumtemperatur zu, so kann durch entsprechende Bewe- 
gung der Luft der Abkühlungseffekt nach Gleichung 


= (a + b p) © 
konstant gehalten werden. Aus £ und A ist dann das zugehörige v zu be- 
rechnen. Jeder Temperatur ist danach eine bestimmte Geschwindigkeit 
so zugeordnet, daß aus ihrer kombinierten Wirkung ein gewünschter 
Abkühlungseffekt H resultiert. 
Archiv f. Hygiene. Bd. 96. 3 


34 Die hygienischen Grundlagen der Lúftungstechnik usw. 


Das Problem wáre damit gelóst, wenn fúr alle Verháltnisse H = 5 
Geltung hätte. Die Sache liegt nun aber so, daß sowohl beim Katathermo- 
meter als beim Körper ein gegebenes Volumen seine Wärme durch eine 
gegebene Oberfläche abgibt. Das Verhältnis Volumen : Oberfläche ist 
nun in den beiden Fällen sehr verschieden, und eine Verschiebung der 
äußeren Bedingungen beeinflußt die Entwärmung der beiden Massen in 
verschiedener Stärke. Mit steigender Lufttemperatur braucht das Kata- 
thermometer nur mäßige Steigerung der Konvektion, um denselben Ab- 
kühlungseffekt H = 5 zu erzielen, wie er den Grundbedingungen ent- 





Y, 
o EN w — TA er 
| — (een 
EZ a E oM en l 
| — 
Windschutz 
Kä N 


Abb. 17. 


spricht. Der Körper aber braucht entsprechend seiner kleineren Ober- 
fläche bezüglich des Volumens eine höhere Konvektion. Außerdem spielt 
die Bekleidung noch eine Rolle. 

Das Problem stellt sich deshalb so, zu jeder Lufttemperatur den 
Kata-Index zu bestimmen, der einer idealen Entwärmung des Körpers 
entspricht. 

In diesem Sinne habe ich zusammen mit Hrn. Prof. Heymann und 
Hrn. Prof. Korff-Petersen die Versuche wieder aufgenommen. 

Bevor ich auf die Resultate unserer Arbeit eingehe, möchte ich einiges 
über unsere Versuchsanlage und Versuchsdurchführung äußern. 

Zur Winderzeugung eignete sich die zu solchen Windversuchen von 
Rietschel und Brabbée eigens erstellte Veruchsanlage in der großen 
Halle des Institutes für Heizung und Lüftung vorzüglich. Eine Beschrei- 
bung der Anlage habe ich schon im zweiten Kapitel gegeben und eine 
solche findet sich außerdem in der ersten Mitteilung der Versuchsanstalt 
für Heizung und Lüftung. 

Die Versuchsperson nimmt ca. 8m vor der Mündung des großen 
Rohres (0,8 m Durchmesser) Aufstellung, und zwar so, daß Kopf und 
Rumpf im Kern des freien Luftstrahles sich befinden, während Stirn und 
Brust dem Luftstrom zugekehrt sind. Auf diese Weise erreichen wir die 


Von Paul Weiß. 35 


durch die Abkühlung ungünstigsten Temperaturwerte an der Stirn (Disp. 
der Versuchsanordnung Abb. 17). Die Versuchsperson steht erhöht, so 
daß selbst die Füße im Stromfeld sich befinden. Über die Entwicklung 
des Geschwindigkeitsfeldes über den fraglichen Querschnitt bei verschie- 
denen Windgeschwindigkeiten siehe Forschungsheft d. V. d. I. Nr. 9. 
Wir können annehmen, daß bei mittleren und kleinen Geschwindigkeiten 
(und Anemometermessungen haben dies auch bestätigt) der Windanfall 
auf die ganze vordere Körperseite gleichmäßig sei, während bei höheren 
Geschwindigkeiten Kopf und Brust im Kernstrahl von höherer Geschwin- 
digkeit und die Beine in einer Zone geringerer Geschwindigkeit sich be- 
finden. Doch zeigen die Versuche keinen störenden Einfluß. Die Luft 
wird aus der Halle gesaugt, die dieselbe Temperatur wie der Luftstrahl 
haben muß; denn sonst steigt oder fällt der Strahl, je nachdem er wärmer 
oder kälter als die Hallenluft ist. Die Halle selbst liegt im Keller und läßt 
sich gut heizen. 

‚Die Erfahrungen, die Heymann in seinen früheren Versuchen mit 
der Messung der Stirntemperatur gemacht hat, konnten wir uns nutzbar 


| A 
m ER- 
Th. 
d 
A 
R .G 
Abb. 18. 


machen. Vor allem haben wir mit denselben Thermoelementen Fe-Const. 
gearbeitet, die sich in dieser Form als die empfindlichsten erwiesen haben. 
An Stelle des Spiegelgalvanometers, dessen schwingungsfreie Aufstellung 
resp. Aufhängung in der Halle ohne Kardan nicht möglich war, gab uns 
die bekannte Kompensationsschaltung von Grote-Lindeck ebenso gute 
Resultate. (Abb. 18.) Das Prinzip dieser Schaltung ist kurz folgendes: 


Die zu messende Spannung e des Thermoelementes schließt man durch 
einen konstanten und bekannten Widerstand w. Auf denselben Wider- 
stand wird eine zweite EMK so geschaltet, daß die gleichnamigen Pole 
der Elemente auf derselben Seite liegen, so daß sie im Thermoelement 
einander entgegenwirken. Wird nun im Stromkreis der Kompensations- 
batterie ein Widerstand A so einreguliert, daß zwischen den Klemmen 
des Widerstandes w eine Spannung herrscht, die der des Thermoelementes 
gleich ist, so geht kein Strom durch das Galvanometer G, sein Ausschlag 
ist Null. Nun wird der Ausschlag des im anderen Stromkreis eingebauten 
Spannungsmessers abgelesen. Im vorliegenden Falle war der Widerstand w 
gerade so, daß einem Skalenteil des Meßinstrumentes 0,05 Millivolt ent- 
sprachen. Nach den Tabellen der Phys.-Techn. Reichsanstalt gilt für 
Fe-Const.-Elemente für die Temperaturdifferenz 0—100° eine EMK von 
9,2 Millivolt. Ist deshalb der Ausschlag am Spannungsmesser nach erfolgter 

Eh 


36 Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik usw. 


Kompensation = x Skalenteile, so berechnet sich die Temperaturdifferenz 
der beiden Lötstellen des Fe-Konst.-Elementes 


9,2 

Die eine Lótstelle mißt die Stirntemperatur i, die andere steckt in 
einem Ölbad von bekannter Temperatur t, Von diesen Lötstellen führen 
die beiden Fe-Drähte zur Schaltung, wo sie an gleich temperierte Kupfer- 
klemmen angeschlossen werden, so daß Sekundärströme nicht zu fürchten 
sind. 

Die Stirntemperatur ergibt sich aus: 

ty = ty + dt 

Die Geschwindigkeitsmessungen wurden anfangs neben dem Kata- 
thermometer noch mit Anemometern — gleichzeitig in Rumpf- und Kopf- 
höhe — gemacht. Später erwies es sich, daß die Katamessungen allein 
genügten. 

An dieser Versuchsanlage und unter Beachtung der beschriebenen 
Vorsichtsmaßregeln haben wir nun an uns selbst zwei größere Versuchs- 










Kai | 
a a a a 





10 15 20 25 JO 


Abb. 19 


serien durchgeführt. Der ursprüngliche Plan, die Versuche an allen drei 
Personen durchzuführen, mußte aus Zeitmangel bald aufgegeben werden. 
Wir zogen es vor, an den beiden thermisch ziemlich extrem empfindenden 
Personen P. und H. möglichst gründliche Versuche zu machen; denn eine 
Gesetzmäßigkeit, die wir vermuteten, konnte nur aus einer Fülle von 
Versuchspunkten gefolgert werden. Außerdem ist es von Wichtigkeit, 
bei den mannigfachen Störungen, die äußere und innere Faktoren auf die 
Beziehung zwischen Haut- und Lufttemperatur auszuüben vermögen, 
daß die Versuchspersonen mit dem größten Verständnis für die Aufgabe 
bemüht sind, solche Störungen nach Möglichkeit durch angepaßte Lebens- 
weise usw. fernzuhalten. 

Zunächst sind in Tabelle VII und VIII (Anhang) die Messungen in 
ruhender Luft zusammengestellt. Abb. 19 gibt die Resultate in graphischer 
Darstellung. 

Danach ergeben sich die Konstantenwerte a und b in der Heymann- 
schen Gleichung: 


Von Paul Weiß. 37 


a) für Versuchsperson H.: t, = 25,6 + 0,32 £, 
b) für Versuchsperson P.: 1, = 24,5 +0,43 t 
Der steilere Anstieg der Geraden P. ist wohl eine Folge der Konsti- 
tution der Versuchsperson P., indem diese im Gegensatz zu H. ein Fett- 
polster hat. P. ist infolgedessen gegen hohe Temperaturen merklich 
empfindlicher als H. und schwitzt eher und stärker. Dafür aber erträgt 
sie tiefere Temperaturen bis zu einem gewissen Grade leichter als H. 


Zur Darstellung des exakten Verlaufes eines Versuchesin bewegter 
Luft greifen wir zweckmäßig auf ein Protokoll zurück, z. B. den Ver- 
such vom 30. X. 23 (S. 57), durchgeführt an Versuchsperson H. 


Vor Beginn des Versuches hat die Versuchsperson ca. 20 Min. aus- 
geruht; um 9.55 h wird die erste Stirntemperaturmessung im Windschutz 
gemacht. Die Versuchsperson hält die vorstehend beschriebene Lötstelle 
über der Nasenwurzel an die Stirn. Das Galvanometer reagiert sofort 
und wird durch Einregulieren des Kompensationsstromes in Nullstellung 
gebracht. Der Ausschlag des Amperemeters e im Kompensationsstrom- 
kreis wird abgelesen und zugleich die Ölbadtemperatur t, der zweiten 
Lötstelle notiert. Diese Messungen gestatten nach S. 36 die Berechnung 
der Stirntemperatur unter Zuhilfenahme der Eichkurve Abb. 20. Wie das 
Protokoll zeigt, werden gleichzeitig Temperatur, Feuchtigkeit und Kata- 
Index mitgemessen. uno 

` Nachdem im Windschutz eine konstante Stirntemperatur festgestellt 
worden ist, begibt sich die Versuchsperson in den Wind, dessen Tem- 
peratur und Geschwindigkeit vorher gemessen wird. Nun werden in 
rascher Aufeinanderfolge (alle 2 bis 3 Min.) Stirntemperaturmessungen 
wiederholt, so lange, bis mindestens drei Messungen vorliegen, die über- 
einstimmen oder unbedeutend voneinander abweichen. In der Regel ist 
dies nach 20 Min. Bewindung erreicht. Inzwischen macht die Versuchs- 
person je eine trockene und feuchte Katamessung an einem Stativ, das 
ca. 50 cm vor ihr steht. Die Messungen müssen in einiger Übereinstimmung 
sein mit den vorhergehenden oder werden dann nochmals. wiederholt. 
Zur Kontrolle des Geschwindigkeitsfeldes werden am selben Stativ in 
Kopf- und Brusthöhe Anemometermessungen mit im Freilauf geeichten 
Anemometern gemacht, deren Zählwerk elektromagnetisch ein- und aus- 
geschaltet werden kann. 

Von Zeit zu Zeit gibt die Versuchsperson Angaben über ihr physisches 
Befinden und Empfinden. Ist die Stirntemperatur nahezu konstant, so 
begibt sich die Versuchsperson wieder in den Windschutz, wo die Stirn- 
temperaturmessungen so lange fortgesetzt werden, bis sich der Ausgangs- 
wert wieder einstellt. Inzwischen wird der Ventilator auf-eine höhere 
Tourenzahl gestellt und im veränderten Geschwindigkeitsfeld Temperatur-, 
Anemometer- und Katamessungen gemacht, bevor die Versuchsperson 
ihren Platz vor dem Stativ wieder einnimmt. 


Hat die Versuchsperson wieder ihre ursprüngliche Stirntemperatur, 
die natürlich der Lufttemperatur im Windschutz entspricht, erreicht, und 
sind im Wind die vorbereitenden Messungen beendet, so beginnt der Ver- 
such wieder in der oben geschilderten Weise. 


38 Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik usw. 


Die Protokolle der Versuche in bewegter Luft sind sämtliche im 
Anhang aufgeführt. Für die Werte der Stirntemperaturen sind für die 
Versuche bis zum 6. Nov. Korrekturen nach Eichkurve Abb. 20 vor- 
genommen, da das Galvanometer erst von diesem Zeitpunkt an in einer 


Eichkurve des Amperemeters 
Grote-Lindeck-Schaltung für 
Wullstellung des Voltmeters in 


2 +Skalenteile nach KA 


vers 


avs den Instrumentwerten berechnete Temp, —= «$ 





wirkliche Temperaturen —. e 
Abb. 20. 


Ruhestellung war, die nach erfolgter Kompensation sogleich den richtigen 
e-Wert abzulesen gestattete. 

Uber den zeitlichen Verlauf eines solchen Versuches wie úberhaupt 
über die inneren Zusammenhänge zwischen Lufttemperatur, Wind- 
geschwindigkeit und Stirntemperatur gibt diese Zahlenflut in dieser Form 
wenig Aufschluß. Es ist deshalb zweckmäßig, zur Erhöhung der Über- 
sichtlichkeit die Stirntemperatur graphisch in Funktion der Zeit aufzu- 
tragen, wie dies in Abb. 21 u. 22 für je einen Versuch an H. und P. ge- 
schehen ist. 









N - 











L 

S37 

d 39 

E EEN 1-196 H-T] 
829 i —:—V-08 ı 1:20 H-95 
S Zeit 1195 H-1% 
28 — | -—-Y- SC  Zeië?i H=18B2 

27 P 


15 20 2 JO J5 40 


5 
Zelt in Min. 








Von Paul Weiß. 39 


Durch diese Darstellung erhalten wir ungefähr ein Bild davon, wie die 
Haut auf die äußeren Einwirkungen — Wind und Temperatur — reagiert, 
und zugleich erleichtert diese Darstellung vergleichende Betrachtung 
unter verschiedenen Bedingungen. 


a 
N 


era 
re Lv, 









4 


ll % t-20°H-63 
———V.07 e 1[=20°H°90 
—-— V-20 " t-196°H-143 
Se V-34 e 1=196°%4-18 


Stirmte 
8 


Abb. 22. 


Diese Charakteristik des Temperaturregulators des Körpers zeigt 
folgende Hauptmerkmale: 
1. Rasches Fallen der Hauttemperatur mit einsetzendem Wind; 
2. allmähliches Fallen bis zu einer gewissen Minimaltemperatur, 
die in den meisten Fällen nach 20 Min. Bewindung erreicht ist; 
3. nach Aussetzen des Windes zuerst rasches, dann langsames 
Steigen bis zur Ausgangstemperatur. 
Sehr oft sind typische Schwingungserscheinungen zu beobachten 
(Abb. 23), indem die Temperatur rasch fällt, um kurz zu steigen und dann 
wieder zu fallen. 






S 


Stirntemperatur 
Ù 


10 15 20 25 JO 35 40 


5 
Zeitinmin. 


40 Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik usw. 


Diese Charakteristiken haben interessante Analogien zu den dem 
Techniker bekannten Reguliervorgängen an Maschinen, die ebenfalls 
beim Übergang von einem Beharrungszustand in den andern von solchen 
Reaktionsschwingungen begleitet sind. Nach Aufhóren der Bewindung 
ist hier und da zu beobachten, daß die Temperatur über die Ausgangs- 
temperatur anfänglich hinaussteigt, um dann langsam wieder zu fallen. 

Aus der Überlegung heraus, daß einerseits mit sich ändernder Luft- 
temperatur die Stirntemperatur (dieselben physiologischen Bedingungen 
vorausgesetzt) sich gesetzmäßig ändert, daß überdies bei einer konstanten 
Lufttemperatur und wachsender Windgeschwindigkeit mit jeder kleinen 
Zunahme von v eine kleine stetige Abnahme von t, erfolgen muß und dieser 
- Vorgang je nach der Ausgangstemperatur sich von einer andern absoluten 
Höhe aus wiederholt, kann man von dem Gedanken nicht abkommen, 
daß jeder Lufttemperatur und Luftgeschwindigkeit eine eindeutige Stirn- 
temperatur zugeordnet sein muß. Die ganzen Vorgänge, so wie sie die 
Charakteristiken darstellen, verlaufen mit einer Stetigkeit, die eine be- 
stimmte Gesetzmäßigkeit zur Grundlage haben müssen. 

Dieser Gedanke beherrschte mich bei der Zusammenstellung der 
Diagramme I und II, die sich bei unsern Versuchen so bewährt haben, 
daß ich aus Kata-Index und Lufttemperatur der Versuchsperson jeweils 
zum voraus sagen konnte, welche Stirntemperatur sie am Ende der Be- 
windung (nach 20 Min.) erreichen werde. 

Die Grundlage der Diagramme bilden die sämtlichen Endwerte der 
Bewindungsversuche, wie sie in Tabelle IX und X im Anhang zusammen- 
gestellt sind. Die Diagramme seien an einem kleinen Beispiel erläutert: 

Greift man irgendeinen Punkt A aus Diagramm I heraus, so zeigt dies, 
daß bei einer Lufttemperatur 18° (stark gestrichelt ausgezogene Isotherme) 
und gleichzeitiger Windgeschwindigkeit v = 1 m/sek (dünne Linie) die 
Versuchsperson P. eine Stirntemperatur von 29,3% C erreicht, während 
der Kata-Index 12 beträgt. Abweichungen von diesen Werten, die ein- 
mal ein Maximum von 1,5° erreichen, sonst aber meist innerhalb 0,5° 
liegen, sind auf physiologische Einwirkungen und auf Meßfehler zurück- 
zuführen. Der leitende Gedanke für den Entwurf des Schemas war fol- 
gender: 

Sowohl der Kata-Index als die Stirntemperatur sind abhängig von 
Lufttemperatur und Windgeschwindigkeit. Verläuft die Änderung der 
Stirntemperatur bei stetig veränderten äußeren Bedingungen stetig und 
gesetzmäßig, wie diejenige des Kata-Index, dann muß dies dann zum Aus- 
druck kommen, wenn wir den Kata-Index in Funktion der Stirntempe- 
ratur auftragen. Z. B. entspricht einer bestimmten Temperatur in ruhen- 
der Luft ein Kata-Index und eine Stirntemperatur eindeutig. Wird nun 
die Luft ganz allmählich bewegt, so daß sie stetig an Geschwindigkeit 
zunimmt, ohne jedoch die Temperatur zu verändern, dann müssen auch 
Kata-Index und Stirntemperatur sich stetig so ändern, daß jedem Zu- 
stand der äußern Faktoren je ein eindeutiger Wert sich zuordnet. Diese 
sämtlich einander zugeordnete Werte liegen auf der betreffenden Isotherme. 
Die Form dieser Isothermen ist charakteristisch und nicht ohne Interesse. 
Der Anstieg von der Basis v = 0 m/sek ist beinahe rechtwinklig, d.h. 


Von Paul Weiß. 41 


daß das Katathermometer auf die feinen Luftbewegungen schneller reagiert 
als der Körper, was meiner Ansicht nach eine Folge der Bekleidung und 
des Verhältnisses Oberfläche : Volumen ist. Der nackte Körper wird 
sich in dieser Hinsicht anders verhalten. Luftgeschwindigkeiten von 





Diagramm I. 


0,1 m/sek haben nach unseren Beobachtungen (sofern die Luft nicht kälter 
als 18°) gar keinen Einfluß auf den normal gekleideten Körper. 0,25 m/sek 
vermag jedoch bei 18° die Stirntemperatur schon um ca. 1°C zu senken. 
Der Einfluß nimmt jedoch mit wachsender Temperatur rasch ab. Mit 






6 35 4 
SNirntemperatur °C 


Diagramm II. 


wachsender Geschwindigkeit ändert sich schließlich die Stirntemperatur 
ungefähr parabolisch mit dem Katawert. 

Der Aufbau und die Struktur der Diagramme ist für die beiden Ver- 
suchspersonen ganz ähnlich. Abweichungen treten wie in den Konstanten 
der Heymannschen Gleichungen nur in den Absolutwerten auf. So hat 
H. z. B. bei 18° eine Stirntemperatur, die P. schon bei 16° hat, was die 


42 Die hygienischen Grundlagen der Lúftungstechnik usw. 


Tatsache erneut erklärt, daß P. gegen kühlere Luft einigermaßen wider- 
standsfähiger ist als H. Umgekehrt hat dann H. bei 30° erst Temperaturen, 
die P. schon bei 28° hatte, was wiederum erklärt, weshalb H. hohe Tem- 
peraturen leichter erträgt. Diese Erscheinung entspricht den Tatsachen 
vollkommen. Denn die Menschen sind Temperatureinflüssen gegenüber 
sehr verschieden empfindlich. Nur ein gewisses Training kann den Körper 
an Verhältnisse gewöhnen, die unter normalen Umständen lästig empfunden 
werden. 

Ob das absolute Maß der Stirntemperatur tatsächlich derjenige In- 
dikator ist, der mit der Temperaturempfindung parallel geht, ist genau 
noch nicht erwiesen. Man kann das aber aus der Beobachtung ableiten, 
daß 32% im allgemeinen sehr gut, 33% und 31% noch gerade leidlich ertragen 
werden. Dies zeigt in deutlicher Weise die Rubrik: Bemerkungen in 
Tafel IX und X. Ob durch ein systematisches Training, das auf die Ge- 
wöhnung an noch höhere und noch tiefere Temperaturen abzielt, einfach 
eine nervöse Umwertung der Empfindung — ein gewisses Abstumpfen — 
erreicht oder ob durch ein Training der Gefäßmuskeln eine direkte Beein- 
flussung der Hauttemperatur erzielt wird, bleibt weiteren Versuchen vor- 
behalten. 

Aber wir können nicht fehlen, wenn wir, wie das Flügge, Hill und 
andere namhafte Hygieniker schon getan haben, 32° Stirntemperatur 
dem normalen Empfinden angenehmer Temperaturverhältnisse koordi- 
nieren. Dies gilt für ruhende Luft. 

In bewegter Luft sind die Verhältnisse komplizierter. Hier ist ledig- 
lich durch den systematischen Versuch festzustellen, welche Luftgeschwin- 
digkeit den hohen Temperaturen jeweils zugeordnet werden muß, um 
günstigste Entwärmungsbedingungen zu schaffen. So wurde die stark 
ausgezogene strichpunktierte Linie in den Diagrammen gewonnen, die 
auf Grund unserer Beobachtungen diejenigen Punkte verbindet, die den 
jeweils herrschenden Temperaturen die günstigsten Windgeschwindig- 
keiten zuordnet. Die Linie gibt so ziemlich die Grenze zwischen Wohl- 
und Mißbehagen, denn es ist darauf Bedacht genommen, keine zu hohen 
Geschwindigkeiten zugrunde zu legen, die ev. leichter gekleideten schäd- 
lich werden könnten. 

Diese Linie gibt nun zugleich — und darin liegt ihr praktischer Wert 
— eine Beziehung der Entwärmungsbedingungen zum trockenen Kata- 
Index. Danach sind wir in der Lage, durch Messung des Katawertes und 
der Lufttemperatur zu entscheiden, ob die klimatischen Verhältnisse 
(Feuchtigkeit vorläufig noch ausgeschlossen) dem Körper bekömmlich 
oder schädlich sind. Wird bei einer Lüftungsanlage über ‚Zug‘ geklagt, 
so kann der Lüftungsingenieur durch eine Katamessung ganz einwandfrei 
entscheiden, ob die Klage objektiv berechtigt ist. Tatsächlich ist eine 
Schädigung der Gesundheit durch Wärmeentzug unter diesen Bedingungen 
unmöglich. Uns kommt es aber nur darauf an, solche Schädigungen zu 
verhüten, und wir können nicht darauf Rücksicht nehmen, ob besonders 
reizbare Nerven diese Luftbewegung lästig oder angenehm empfinden. 
Von diesem Standpunkte aus haben die Amerikaner das Lüftungsproblem 
schon längst behandelt. 


Von Paul WeiB. 43 


Auf Grund dieser Betrachtungen sind in Abb. 24 die zusammen- 
gehórigen Werte Kata-Index und Lufttemperatur aufgetragen, die an- 
genähert den einwandfreiesten Entwärmungsverhältnissen für den normal 






9 |- Beziehung zwischen Lufttemperatur u trockenem 





/Uraten Fal, 
2e 
8 8 
4 
, 3 
Sr 
$ 
d 
X= 
5 h 
| 18 20 24 26 28 ES 
Lufttemperaturt°C 
Abb. 24. 


bekleideten Körper entsprechen. Abb. 25 gibt in diesem Zusammenhang 
die einander entsprechenden Temperaturen und Windgeschwindigkeiten. 

Es ist selbstverständlich, daß diese gefundenen Beziehungen je nach 
der Bekleidung wechseln. Wir werden andere Isothermen nach Lage und 


D 


Loftgeschwindigkeit A: 


~ 





0 > j 
18 20 Ll 26 28 30 
es Lufttemperatur tC 
Abb. 25. 


Form erhalten; aber wir werden diese Beziehung ganz analog aus dem 
neuen Schema herauskonstruieren können. Es ist nicht möglich, wie dies 
Hill und Vernon versucht haben, durch entsprechende Umkleidung des 
Katathermometers die Abkühlungsverhältnisse desselben so zu gestalten, 


44 Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik usw. 


daß ein Index für alle Verhältnisse die günstigsten Bedingungen kenn- 
zeichnet; denn es sind dadurch andere Faktoren, die bei der Abkühlung 
der beiden ganz verschiedenen Körper mitreden, noch nicht ausgeschaltet. 
Wenn es also nicht möglich ist, einen Kata-Index zu erhalten, der alle die 
günstigsten klimatischen Verhältnisse umfaßt, dann ist die eingige und 
beste Lösung die, durch systematische Forschung alle günstig- 
sten Katawerte für die wichtigsten technischen Betriebe ein 
für allemal zu ermitteln. Dann braucht ein jeder mit dem Kata- 


imtemperatur ° 
& 
A 


Sti 
X R 


N 





MAL 


gë 15 30 45 għ 15 30 46 
Zeit mmn. —= i 
Abb. 26. 


thermometer, das mit Garantie mißt, was gemessen werden soll, nur noch 
nachzuprüfen, ob die hygienisch zulässigen Grenzen überschritten oder 
eingehalten werden. 


4. Der Einfluß der Luftfeuchtigkeit auf die Entwärmung 
und das allgemeine Wohlbefinden. 


Nach diesen eben besprochenen Gesichtspunkten wird der trockene 
Kata-Index in Verbindung mit der Lufttemperatur für viele Zwecke der 
Praxis die Entwärmungsbedingungen des ruhenden sowie des arbeitenden 
Körpers zu kennzeichnen gestatten. Wenn aber die Haut fühlbar feucht, 
die Entwärmung also in erheblichem Maße durch Verdunstung unterstützt 


Von Paul Weiß. 45 


wird, kann der trockene Kata-Index nicht mehr genügen, denn dieser 
reagiert nicht auf die Luftfeuchtigkeit. 

Wir haben deshalb versucht, in ganz analoger Weise, wie wir die 
Abkühlung der trockenen Haut mit der des trockenen Katathermometers 
in Beziehung brachten, die Abkühlung der feuchten Haut und die des 
feuchten Katathermometers zu vergleichen. 

Die Frage war die, wie sich die Hauttemperatur mit der Feuchtig- 
keit ändern werde; ob überhaupt die Hauttemperatur auf die Feuchtig- 
keitsänderungen reagiert. 


Stirntemperalur 
o $ 


N 


N E e e 





Abb. 26 a. 


Die Versuche zur Klárung dieser Frage wurden in einem Glaskasten 
von 8 m3 Inhalt gemacht. Die Feuchtigkeit konnte durch Einblasen von 
Wasserdampf bis an die Grenze der Sättigung reguliert werden. Der 
Raum, in dem der Kasten stand, wurde auf dieselbe Temperatur geheizt; 
denn es war nicht möglich, den Kasten für sich zu heizen, ohne daß ganz 
erhebliche Temperaturdifferenzen darin entstanden. 


Es ist uns unter diesen Verhältnissen nur schwer gelungen, zwei 
Versuche so zu erhalten, daß ein einwandfreier Vergleich der Stirntem- 
peratur für den Fall von trockener und feuchter Luft bei derselben Tem- 
peratur möglich war. So ist in Abb. 26 in Versuch I der Beharrungs- 
zustand vielleicht noch nicht ganz erreicht, und zudem ist die Temperatur 
um mehr als 14°C höher als in Versuch II. Wir können deshalb nicht 


46 Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik usw. 


ohne weiteres die Behauptung aufstellen, daß die Stirntemperatur in 
feuchter Luft anders sei als in trockener. 

Die Abweichung in diesem Falle ist so minimal — auch wenn wir 
annehmen, die Temperatur wäre bis zum Beharrungszustand noch 0,2° 
gestiegen — daß sie innerhalb der üblichen Fehlergrenze liegt. Und wenn 
eine Abweichung auch tatsächlich vorhanden wäre, dann läßt ihre Klein- 
heit keine weitgehenden Schlüsse ziehen. 

Dies ist in der Tat eigenartig. Denn wir wissen doch aus Erfahrung, 
wie drückend und lähmend ein feuchter heißer Sommertag wirkt. Die 
Feuchtigkeit hat entschieden Einfluß auf unseren Organismus, auch wenn 
dies in der Hauttemperatur nicht zum Ausdruck kommen sollte. 
| Noch interessanter ist aber die Feststellung von Vernon (25), daß 
auch die Körpertemperatur (rektal gemessen) und der Puls von der Feuch- 
tigkeit unbeeinflußt bleiben. Dadurch ist eine sehr weitgehende Erklärung 
für unsere Resultate gegeben, denn besonders der Puls geht beim Vergleich 
mit den Versuchen Vernons mit der Stirntemperatur in gewissen Grenzen 
parallel. Das Drückende, Depressive einer schwülen Luft ist deshalb 
möglicherweise keine durch rein thermische Reize ausgelöste Empfindung. 
Wie Vernon bemerkt, leiden die an die erhöhte Tätigkeit der Schweiß- 
drüsen nicht gewohnten Personen hauptsächlich unter diesem Unbehagen, 
das wir kurz vor Schweißausbruch fühlen. Das Schwitzen selber emp- 
finden wir eher als Erleichterung. Zur Stütze dieser Vermutung führt 
Vernon an, daß eine Gewöhnung an schwüle Luft parallel geht mit er- 
höhter und erleichterter Schweißabsonderung, was von anderer Seite an 
Bergarbeitern, die vor Ort unter besonders ungünstigen Entwärmungs- 
bedingungen arbeiten, bestätigt wurde. Wer leicht schwitzen kann, ist 
demnach dem bedrückenden Gefühl in schwüler Luft weniger ausgesetzt. 

Diese Überlegungen und Feststellungen führen zum Schlusse, daß in 
schwüler Luft die Stirntemperatur kein genügender Indikator für das 
Befinden sein kann, daß überhaupt ein ,,Registrieren“ des Befindens 
durch die Messung irgendeiner Größe, die am Wärmeaustausch beteiligt 
ist, sei es die Stirntemperatur, die Körpertemperatur oder der Puls, nicht 
möglich ist. Der Moment des Schweißausbruches, der sich ganz typisch 
von der früheren Tätigkeit der Schweißdrüsen abhebt, läßt einen ganzen 
Apparat in erhöhte Funktion treten, der sich von diesem Moment an 
entscheidend für die Entwärmung einsetzt. 

Diese Vorgänge sind noch zu wenig abgeklärt, als daß man schon 
nach Gesetzmäßigkeiten suchen könnte. Um aber trotzdem gewisse 
Grenzen zu legen, hat Vernon — und vor ihm schon Haldane — durch 
eine Reihe von Versuchen festgestellt, daß die Temperatur des feuchten 
Thermometers unter gewissen Einschränkungen sich sehr gut zur Charak- 
terisierung der Entwärmungsverhältnisse in ruhender feuchter Luft eignet. 
Er macht in einer Tabelle 4 Abstufungen: 

von t, = 21° und höher an gilt folgendes: 
1.1,= 21° t, = 21—22,2° sehr drückend = 90% 
2. l, = 22,2 —23,3° drückend = 80%, 
3. 1, = 23,3—24,5% eher drückend 70% 
4, Le = 24, 5—..? gut = 709% —6 


- Von Paul Weiß. 47 


Ist t, also 21% und höher, so sind die thermischen Verhältnisse annehm- 
bar, wenn die psychrometrische Differenz (t,— ty) mindestens 3,5°, 


noch drückend zwischen (,—1,) = 2,3 + 3,5, 
drückend ai = 1,2 + 2,3, 
sehr drückend 2 = kleiner 1,2. 


Ich habe zwar im II. Kapitel gezeigt, daß der Abkühlungseffekt am 
feuchten Katathermometer, und deshalb der der Haut, nicht allein von 
der Temperatur des feuchten Thermometers abhängt, und es wäre viel- 
leicht richtiger, den Gesamtwärmeinhalt oder die Aquivalenztemperatur 
als Maßstab zugrunde zu legen. Es wird jedoch weiteren Versuchen vor- 
behalten bleiben, die genauen Zusammenhänge zu klären. 


In feuchter bewegter Luft liegt es nahe, das feuchte Katathermometer 
zur Messung der Entwärmungsverhältnisse heranzuziehen. Tatsächlich 
gibt es für den nackten Körper nach Feststellungen Vernons ausgezeich- 
nete Werte und ist deshalb in Bergwerken und anderen Betrieben, wo die 
Arbeiter mit entblößtem Oberkörper unter sehr schwierigen Verhältnissen 
in thermischer Hinsicht arbeiten müssen, als Meßinstrument am Platze. 
Für den bekleideten Körper müßte eine analoge Beziehung zwischen 
feuchtem Kata-Index, Lufttemperatur und Feuchtigkeit sowie Wind- 
geschwindigkeit, wie für das trockene Katathermometer, durch den Ver- 
such gefunden werden. Doch wird bei der Durchführung dieser Versuche 
sehr darauf zu achten sein, Akklimatisationserscheinungen auszuschließen, 
indem die Versuche nicht in gedrängter Reihenfolge gemacht werden. 


5. Zusammenfassung und praktischer Ausblick. 


a) Die Forschungen der Hygiene haben gezeigt, daß das körperliche 
Wohlbefinden und damit die geistige und körperliche Leistungsfähigkeit 
des Menschen in erster Linie davon abhängt, in welchem Maß der Körper 
seine Wärme der Umgebungsluft mitteilen kann. Danach hat die Raum- 
lüftung. vor allem für günstigste Entwärmungsbedingungen zu sorgen. 

b) Zur Messung der kombinierten thermischen Wirkung der klima- 
tischen Faktoren hat Leonhard Hill das Katathermometer eingeführt, 
das im trockenen Kata-Index die beiden Komponenten Temperatur und 
Windgeschwindigkeit, im feuchten Index Temperatur, Wind und Feuch- 
tigkeit vereinigt, und zwar gilt für das trockene Katathermometer: 


H = (0,14 + 0,49 - yo) (36,5 —t) cal 1000 - cm”? » sec”! 
für das feuchte Katathermometer: 
H' = (0,18 + 1,24 - v9.4) (33 — i) cal 1000 - cm”? . sec”! 
Eine wichtige Verwendungsmöglichkeit des Katathermometers liegt 


außerdem darin, daß es beliebig gerichtete Luftströme bis zu sehr kleinen 
Geschwindigkeiten zu messen gestattet. 


c) Systematisch durchgeführte Versuche ergaben eine Beziehung, die 
jeder Temperatur die günstigste Luftgeschwindigkeit zuordnet, so, daß 


48 Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik usw. 


der ruhende Körper unter diesen Verhältnissen ungefähr entwärmt wird, 
wie in einer ruhenden Luft von 18°C. Eine ähnliche Beziehung besteht 
zwischen Lufttemperatur und Kata-Index, so daß für jede Lufttemperatur 
der Kata-Index gegeben ist, der den günstigsten Entwärmungsbedingungen 
entspricht. 

H = 0,38 - t — 1,8 189 < t < 30° 


d) Analoge Versuche zur Feststellung einer Beziehung in feuchter 
Luft scheiterten daran, daß zwar das feuchte Katathermometer auf Feuch- 
tigkeitsänderungen reagiert, aber die Hauttemperatur nicht in zuverlässig 
meßbarer Weise. 


Die Resultate unter a, b und c geben für die Bedürfnisse der Raum- 
lüftung eine umfassende Lösung des Entwärmungsproblems. Halten wir 
die Bedingungsgleichung unter c ein, so verhindern wir auch in sehr feuchter 
Luft gesundheitliche Beschwerden. Die Frage ist nun aber die, inwieweit 
diese Erkenntnisse praktisch zu verwerten sind. Dem Konstrukteur, man 
sei sich dessen voll bewußt, sind hier Probleme gestellt, die zähe Arbeit 
verlangen, bis eine einwandfreie brauchbare Lösung gefunden ist. Man hat, 
wie schon früher bemerkt, bis heute ängstlich darauf geachtet, Luftbewe- 
gungen in gelüfteten Räumen zu vermeiden und nur die Temperatur durch 
Einführen kühlerer Luftmassen in annehmbaren Grenzen zu halten ge- 
trachtet. Und es ist auch ganz richtig, in erster Linie angenehme Tem- 
peraturverhältnisse anzustreben. Aber wo diese Bemühungen ins Über- 
triebene führen oder überhaupt, nicht mehr zum Ziele kommen, da ist 
wohl am Platze, die Entwärmungsverhältnisse durch mäßiges Bewegen 
der Raumluft zu verbessern. 


Die Schwierigkeiten des Problems liegen aber offenbar darin, diese 
Luftbewegung so zu gestalten, daß sie im ganzen Raum die Luftmasse 
in gleicher Stärke beherrscht, so daß sie die maximale Geschwindigkeit 
nirgends überschreitet oder einseitig lokal auftritt. Eine solche Luft- 
bewegung kann man z. B. so auslösen, daß man ganze Luftschichten in 
Bewegung setzt, indem man kühlere Luft fein verteilt über eine möglichst 
große horizontale Fläche durch den Raum hinunter sinken läßt und diese 
Fallgeschwindigkeit durch Regulieren der Frischluft-Eintrittstemperatur 
reguliert. Für diese Lösung kommt also lediglich eine Lüftung von oben 
nach unten in Frage. 


Es würde hier zu weit führen, auf alle praktischen Fragen noch ein- 
zutreten. Es sei nur noch kurz darauf hingewiesen, daß mit einer Lösung 
dieses Problems nicht nur praktische, sondern auch ökonomische Vorteile 
verbunden sind, da der Luftwechsel in gewissen Grenzen kleiner gehalten 
werden darf, als bei rücksichtslosem Einhalten bestimmter Temperatur- 
grenzen. 

Was das reine Entwärmungsproblem anbetrifft, so ist mit den Resul- 
taten unter c nur der Fall des ruhenden Körpers gelöst. Mit gesteigerter 
Muskeltätigkeit wächst die Wärmeproduktion und der an die Umgebung 






e 







> Lan 
- 25 
WV 


A) 
% 



























et a E EN, U ET er GE On O, AN 
A e a dE E 
abzuleitende Wärmeüberschuß. Damit verschiebe ben sich die Entwärmungs- | "E 
= bedürfnisse ganz erheblich. ` e | | A | 
Es wird jedoch immer schwieriger werden, Gesetzmäßigkeiten von GE 
einzelnen Versuchspersonen abzuleiten; denn je komplizierter die Zu- 03 
sammenhänge in physiölogischer Hinsicht werden, um so größer ist die AN 
Rolle, die die körperliche Eignung, das Training und die Akklimatisations- AL: 
fähigkeit spielen. Die Versuche sind hier, wie das Hill (16, 16a) und MS 
Vernon (16a Part. III) bereits getan haben, den einzelnen Berufsschichten _ Br) 
anzupassen und für jeden Beruf von Fall zu Fall die Grenzen des zulässigen WW 
Kata-Index zu bestimmen. Mit dem Laboratoriumsversuch sind ledig- ` ` a 
lieh die Richtlinien zu erfahren. E f 
Weitere Versuche müssen noch lehren, ob das trockene Katathermo- - a 
meter, wie ich vermute, für alle Fälle der Praxis genügen wird, so, daß das ga, j 
feuchte Katathermometer überhaupt ausgeschaltet oder nur in Fällen A 
wie sie unter 4 am Schluß angeführt sind, Verwendung finden wird. Dies ho: 
stütze ich auf die Beobachtung, daß die Windgeschwindigkeit, also die y 
| Konvektion, auf die das trockene Katathermometer sehr empfindlich ` Y 
reagiert, für die Entwármung die weit größere Rolle spielt als die Luft- E: 
feuchtigkeit, sowie auf die Feststellung, daß an feuchte Luft sehr weit- Ku 
gehende Akklimatisation möglich ist. bk 
Ko 
| Amhang. A 
Eichwerte des Versuchsinstrumentes. 
| Tabelle I. d 
72,2 7 s 
10,25 73,0 7 6,99 
| 10,5 73,4 7 6,95 
| 10,6 72,4 7 7,05 
| 17,6 | 97,7 5 5,22 
21,6 125,2 14,9 506 | 4 4,07 i 
22,3 132,0 | 14,2 506 | 3,84 3,86 
22,4 133,2 14,1 508 3,81 3,83 
24,0 149,4 12,5 505 3,38 3,41 
25 164,1 11,5 511 3,11 | 3,10 
27 195 9,5 | 500 | 2,56 | 2,62 
28,2 232,2 | 8,3 520 | 2,24 | 2,20 
28,8 | 250,6 7,7 | 522 | 208 2,03 
29,4 256,6 7,1 512 1,91 1,91 


7146 : 14 = rund 510 
Archiv für Hygiene. Bd. 96. 4 


50 Die hygienischen Grundlagen der Lúftungstechnik usw. 


Trockener Kata-Index in bewegter Luft. 
Tabelle II. 


1140 161 0,345 | 1,41 | 0,195 | 0,441 | 22,5 | 101,8 | 5,01 | 0,356. 
161 165,5 | 0,300 | 1,18 | 0,163 | 0,404 7,3 47,2 | 10,80 | 0,370 
171 0,440 | 1,73 | 0,240 | 0,490 7,5 46,5 | 10,95 | 0,378 
194 0,810 | 3,19 | 0,440 | 0,662 7,3 39,2 | 13,00 | 0,446 
168 0,395 | 1,57 | 0,217 | 0,465 | 13,9 64,6 | 7,90 | 0,350 
193,5 | 0,800 | 3,18 | 0,440 | 0,662 | 12,3 46,5 | 10,95 | 0,453 
194 0,810 | 3,22 | 0,446 | 0,668 | 12,6 46,6 | 10,90 | 0,446 
30 104 1,360 | 5,50 | 0,762 | 0,872 | 20,6 55,4 | 9,22 | 0,579 
61 105 1,360 | 5,50 | 0,762 | 0,872 | 20,7 56,0 | 9,13 | 0,577 
Ä 82 0,940 | 3,82 | 0,528 | 0,725 | 4,9 83,0 | 6,15 | 0,530 
155 2,000 | 8,03 | 1,110 | 1,055 | 16,8 39,3 | 13,00 | 0 660 
92 1,150 | 4,51 | 0,625 | 0,790 5,5 32,0 | 15,90 | 0,513 
113 1,490 | 5,85 | 0,810 | 0,900 5,2 29,0 | 17,60 | 0,564 
144 2,080 | 8,17 | 1,130 | 1,065 5,1 26,0 | 19,60 | 0,625 
181 2,260 | 8,90 | 1,230 | 1,110 4,8 23,8 | 21,40 | 0,676 
91 1,130 | 4,48 | 0,620 | 0,788 | 12,0 40,4 | 12,60 | 0,515 
108 1,420 | 5,64 | 0,782 | 0,883 | 12,9 38,3 | 13,10 | 0,555 
137 1,800 | 7,15 | 0,990 | 0,995 | 11,9 33,8 | 15,10 | 0,614 
185 2,300 | 9,15 | 1,260 | 1,125 | 11,2 29,4 | 27,40 | 0,689 
170 2,150 | 8,54 | 1,180 | 1,090 | 11,5 29,8 | 17,10 | 0,685 
108 1,420 | 5,70 | 0,790 | 0,888 | 15,8 43,3 | 11,80 | 0,570 
136 1,780 | 7,10 | 0,985 | 0,990 | 14,2 36,1 | 14,10 | 0,633 
134 1,760 | 7,20 | 1,000 | 1,000 | 26,3 76,7 | 6,65 | 0,652 
125 l 
114 l, 6,05 | 6,050 | 2,460 | 18,8 21,1 | 24,20 | 1,370 
114 1,760 | 6,050 | 6,050 | 2,460 | 18,8 21,2 | 24,00 | 1,360 


165,4 | 1,320 | 5,28 | 0,730 | 0,850 | 15,6 i 44,9 | 11,35 | 0,544 
199,5 | 1,780 | 7,10 | 0,985 | 0,990 | 15,8 : 40,5 | 12,60 | 0,610 
:46,5 66,5 | 0,651 | 2,60 | 2,600 | 1,610 | 11,3 21,5 | 23,70 | 0,440 
56,0 | 0,618 | 2,47 | 2,470 | 1,570 | 11,3 21,8 | 23,40 | 0,930 
59 0,727 | 2,90 | 2,900 | 1,700 | 11,9 20,8 | 24,50 | 0,997 
59 0,727 | 2,90 | 2,900 | 1,700 | 11,9 21,2 | 24,00 | 0,980 
63 0,835 | 3,33 | 3,330 | 1,820 | 12,2 19,4 | 26,30 | 1,080 
63 0,835 | 3,33 | 3,330 | 1,820 | 12,2 19,6 | 26,00 | 1,070 
75 1,085 | 4,33 | 4,330 | 2,080 | 12,7 18,2 | 28,00 | 1,175 
75 1,085 ¡ 4,33 | 4,330 | 2,080 | 12,7 18,0 | 28,30 | 1,190 
95 1,420 | 5,70 | 5,700 | 2,390 | 12,9 16,6 | 30,70 | 1,320 
94,5 | 1,420 | 5,42 | 5,420 | 2,330 | 12,9 16,3 | 31,30 | 1,320 
136 1,950 | 7,78 | 7,780 | 2,790 | 13,4 14,4 | 34,50 | 1,490 
136 1,950 | 7,78 | 7,780 | 2,790 | 13,5 14,4 | 35,40 | 1,540 
186 2,270 | 9,050 | 9,050 | 3,010 | 13,6 13,8 | 36,90 | 1,610 


go | 143 | 2,920 
23 139 | 2,880 


107 2,440 | 9,75 | 1,350 | 1,165 14,9 33,4 | 15,25 | 0,705 
139 2,880 | 11,30 | 1,570 1 1,255 5,1 21,5 | 23,70 | 0,755 
115 2,550 | 10,20 | 1,410 | 1,190 11,4 27,2 | 18,80 | 0,750 
114 2,540 | 10,10 | 1,400 | 1,180 | 11,9 28,1 | 18,20 | 0,740 


11,0 | 172 | 0,465 


23 
D 
aJ 
a 
© 
Gs 
Ai 
En 
© 
e] 
O 
(e) 
N» 
N 
þes 
a 
Ki 
O 
Ki 
© 


Von Paul Weiß. 51 


Feuchter Kata-Index in bewegter Luft. 
Tabelle III. 



















































7,73|1,06 12,12|11,12| 81 9,4 | 15,8 |32,3|1,455| 1,37 
= — |15,5 | 14,0 |11,88| 6,13| 46,5| 6,8 | 15,4 |33,1|1,47 |1,26 
180 9,0 11,23 | 14,1 | 12,6 |10,85|10,10| 84 8,4 | 14 |36,4|1,52 | 1,48 
180| — — |13,8 | 12,5 |10,78|10,13| 86 8,3 | 14,6 |34,9|1,455| 1,41 
¡140 | 7,3 [1,00 | 17,4 | 8,8 | 8,43| 4,13| 28 6,2 | 13,3 |38,3|1,38 | 1,43 
105 | 5,5 |0,755| 21,0 | 12,8 |10,99| 6,89| 37 8,4 | 15,8 |32,311,35 [1,31 
| 82| 3,82|0,525| 25.6 12,5 |10,78| 4,23| 17 8,2 | 18,7 |27,2|1,13 |1,10 
| 89| 4,35/0,596| 15,6 | 12,5 |10,78| 9,23| 14,5| 4,7 | 17,8 |28,6|1,19 | 1,02 
891 — — | 15,5 | 12,5 |10,78| 9,23| 14,5| 4,7 | 17,2 |29,6/1,23 | 1,045 
RON .— = 1147| 82| 8,10] 4,85| -39 5,9 | 16,0 |31,8|1,12 | 1,17 
86| — 10,56 | 15,8 | 15,8 |13,34| — |100 | 10,4 | 19,2 |26,5|1,28 | 1,17 
ı 79: 3,48/0,476| 16,3 | 16,3 |13,77| — |100 | 10,8 | 20,2 125,2|1,25 [1,13 
77| 3,3310,455| 17 |17 |14,39| — |100 [11,2 | 21,4 |23,8|1.22 | 1,09 
90| — |0,6 | 19,4 | 17,6 |14,95|14,05| 84 |11,8|20 |25,511,35 |1,2 
89| — |0,596| 20 | 17,8 |15,14|14,04| 81 |11,8|20 |25,5|1,37 |1,20 
89| = — 12 VII 9,77| 4,77| 26 7,4 | 17,3 |29,4|1,15 |1,15 
122 | 6,45|0,885| 19 9,6 | 8,90| 4,10| 25 6,6 | 14,5 |35,2|1,31 | 1,33 
123| — [|0,895| 19 9.6 | 8,90| 4,1 | 25 6,6 | 14,6 (35,0/1,30 |1,32 
121| — [0,875| 20,4 |16 |13,51/11,31| 63,5| 10,5 | 17 |30,011,46 [1,33 
122| — |0,885| 20,4 | 15,8 |13,34|11,04| 62 | 10,3 | 16,4 |31,3|1,50 |1,37 
117 | 6,20/0,85 | 20,8 | 18,5 |15,82|14,67| 81 | 12,4 | 18,5 |27,611,53 | 1,34 
119| — 10,86 | 20,8 | 18,5 |15,82|14,67| 81 | 12,4 | 18,7 |27,2|1,51 |1,32 
146 | 7,6 [1,04 | 19,1 | 16,5 |13,95/12,65| 77 |11 16,5 |30,9|1,54 |1,40 
Wäi — |1,01 | 19,0 | 16,5 [13,95|12,7 | 78 |10,9' 17 Ian |1,50 |1,36 
150 | — |1,06 | 18,0 | 14,0 |11,88| 9,88| 65 9,2 | 15,0 |34 |1,51 |1,43 
155 | 8,0 |1,10 | 17,8 | 13,8 |11,73| 9,73| 64 9,1 | 14,8 |34,4|1,51 | 1,44 
152| — |1,075| 17,2 | 11,2 | 9,90| 6,90| 47 7,5 | 13,6 |37,5|1,48 | 1,47 
152 | — = MILI IZ 9061-7061 48,51 7,71 137 ¡371147 11,46 
1521 — 16,6 | 9,2 | 8,66| 5,00| 35,4| 6,4 | 12,9 |39,5|1,45 | 1,48 
1850| — |1,23 | 17,4 | 17,1 |14,49|14,24| 95 | 11,3 | 15,5 |32,9|1,69 | 1,52 
182| — — | 17,5 | 17,2 |14,58|14,43| 97 | 11,3 | 15,5 |32,9/1,70 | 1,52 
182| — — [16,3 | 13,4 |11,43|10,00| 72,5| 8,9 | 13,7 |37,1|1,60 | F54 
182 | — — |16,3 | 13,5 |11,50|10,1 | 72,5| 8,9 | 13,1 [38,9 1,69 | 1,61 
ISA = — |15,9| 88| 8,43| 4,88| 36,5| 6,2 | 12,2 141,1|1,50 | 1,56 
1180) — |1,23 | 15,8 | 8,5 | 8,27| 4,62| 35 6,1 | 12,5 |40,8|1,46 | 1,52 
92! 4,5 |0,617| 5,11 | 3,5 | 5,86! 5,06| 77 3,8 | 14,4 (35,4 11,07 |1,21 
921 — lose | 511 351 586| 506| 77 | 38 | 14.4 1354 1,07 |121 
111| — [0,7961 5,0 | 3,2 | 5,74| 4,84| 74,5| 3,5 | 13,3 |38,3|1,15 |1,30 
141 | — |0,995| 49| 3,0 | 5,66| 4,71| 73 3,4 | 12,1 |42,1|1,26 |1,41 
1811 — 11211 461 201 5,021 4397175 3,4 | 10,9 |46,8|1,39 | 1,58 
=5|137| — |1,53 | 5,0 | 3,2 | 5,74| 4,84| 74,5| 3,5 | 9,9 |51,5/11,55 |1,74 
—30| 91 | 448/0,64 | 11,6 | 6,8 | 7,36| 4,94| 49 5,2 | 15,1 |33,7|1,13 | 1,22 
91| — 10,65 | 124 | 84 | 8,21| 6,21| 58 6,1 | 15,4 (33,111,18 |1,23 
Oil — 10,65 1126| 82] 8,1 | 5,9 | 55 6,0 | 15,2 |33,5|1,18 | L24 
106—| 109 | 5.5410,76 |129| s9| 849| 649| 59 | 6,3 | 14,3 |35,7|1,29 |1,34 
1101 5577:10,79 | 12,8.) -82.| 8,1 | 558.) 53 6,0 | 14,1 |36,1|1,28 | 1,36 
137 | 7,05|0,965| 11,6 | 7,0 | 7,47| 5,17| 51 5,3 | 12,7 |38,6[1,38 | 1,46 
168 | 8451116 |11 | 85| 827| 7,02| 71,6| 6,1 | 11,7 (43,511,55 | 1,63 
1097| — [0,774| 15,3 | 12,4 [10,43| 8,78| 68 381115 143 11,39 | 1,36 
106, — (0,76 | 15,1 | 11,8 110,3 | 8,65| 68 8,0 | 14,7 (34.611,40 11,38 
pl — 110% 11891 10109771 8.391 70 751.186 13751147. 11:47 
133 | 7,1 10,975| 26,8 | 26,2 [25,25 25,0 | 95,5| 19,2 | 25,9 [19,8/1,91 1,44 
128 | 6,85/10,94 274 26,8 126,16, 25,86| 95,51 20 28 18,211,88 1,40 
1109. — 10,75 30,4 29,8 |31,15/30,85| 96 | 23,4 | 41,2 12,4|1,85 | 1,29 











| 
| | i i 4 











52 Die hygienischen Grundlagen der Lúftungstechnik usw. 
Tabelle 111 (Fortsetzung) 
H 

No n V EN Le f f p i Ty Hr 334 
3° | 106 | 0,760 | 25,5 | 15,3 | 12,92 | 7,83 | 32,0|10,0| 16,7 | 30,50 | 1,330 
134 1,000 | 27,2 | 22,1 | 19,75 | 17,25 | 64,0 |15,3| 19,0 | 26,80 | 1,510 
132 0,990 | 27,5 | 22,9 | 20,75 | 18,43 | 67,0 | 15,8 | 21,2 | 25,20 | 1,450 
177 1,250 | 26,3 | 25,1 | 23,66 | 23,06 |91,0|18,2| 22,6 | 22,60 | 1,520 
177 1,250 | 26,2 | 25,2 | 23,80 | 23,30 | 92,0 | 18,2 | 23,2 | 22,00 | 1,490 
176 1,250 | 24,7 | 15,1 | 12,76 | 7,96 |344,5|10,0| 13,8 | 37,00 | 1,540 
11/22 | 195 [0,470 | 36,4 | 18,5 | 15,82 | 6,82 [15,0 |12,2| 23,2 | 22,00 | 1,060 
193 0,460 | 37,4 | 31,5 | 34,33 | 31,40 | 66,0 | 25,6| 87,2 | 6,52 | 0,880 
195 0,470 | 36,7 | 31,2 | 33,75 | 31,00 | 67,5 125,0| 61,6 | 8,26 | 1,030 
194 0,460 | 36,9 | 31,2 | 33,75 | 31,00 | 67,5 125,0| 62,8 | 8,11 | 1,010 
194 0,460 | 37,7 | 34,7 | 41,09 | 30,59 | 81,5 | 29,6 | 146,0 | 3,50 | 1,030 
194 0,440 7,2 5,0 6,51 | 5,41 |715| 4,5| 16,4 | 31,10 | 1,090 
186 0,390 | 22,5 | 14,5 | 12,27 | 8,27 |41,0| 9,5| 20,2 | 25,20 | 1,070 
186 | 0,390 | 23,5 | 22,3 | 19,99 | 19,39 | 90,0 | 15,5] 29,2 | 17,50 | 1,020 
191 0,430 | 29,4 | 15,2 | 12,84 | 5,74 |19,0|10,0| 20,5 | 24,90 | 1,080 
190 0,420 | 29,6 | 14,4 | 12,19 | 6,80 ¡220 /10,4| 20,5 | 24,90 | 1,100 
191 0,430 | 30,8 | 24,1 | 22,29 | 18,94 | 57,0 | 16,8 | 27,0 | 18,80 | 1,160 
193 0,446 ¡ 29,8 ¡ 26,0 | 24,96 | 23,06 | 74,0 ¡18,9| 33,4 | 15,30 | 1,150 
193 | 0,446 | 26,0 | 23,5 | 21,50 | 20,25 | 81,0 | 16,5 | 27,4 | 18,60 | 1,130 
194 0,450 | 24,3 | 22,8 | 20,61 | 19,86 | 88,0 | 15,9 | 28,2 | 18,10 | 1,060 
194 |0,450 , 23,2 | 22,7 | 20,46 | 20,23 | 96,0 | 15,9 | 28,0 | 18,20 | 1,060 
195 0,452 | 22,6 | 21,5 | 19,04 | 18,50 |91,0|15,8| 26,9 | 18,90 | 1,040 
195 | 0,452 | 22,3 | 22,0 | 19,63 | 19,48 | 97,5 | 15,2| 27,3 | 18,60 | 1,050 
195 0,452 | 18,3 9,5 8,84 | 4,44 |28,0| 6,7| 18,4 | 27,70 ! 1,050 
195 0,452 | 18,4 | 12,0 | 10,43 | 7,23 |46,0| 8,0] 18,2 | 28,00 | 1,120 
195 0,452 | 19,1 | 17,0 | 14,39 | 13,34 [82,0 | 21,6| 21,6 | 23,60 | 1,090 
167 0,190 | 24,2 | 13,2 | 11,28 | 5,78 |26,0| 8,7| 25,4 | 20,10 | 0,790 
167 0,190 | 25,0 | 13,4 | 11,43 | 5,63 |24,0| 8,5| 26,2 | 19,40 | 0,760 
168 0,210 | 25,8 | 21,5 | 19,04 | 16,89 | 68,5 | 14,8 | 33,0 | 15,40 | 0,850 
168 0,210 | 25,8 | 21,5 | 19,04 | 16,89 | 68,5 | 14,8| 32,8 | 15,50 | 0,850 
169 0,225 | 27,2 | 27,1 | 26,63 | 26,58 | 99,0 | 20,2 | 42,8 | 11,85 | 0,925 
168 | 0,207 | 26,8 | 25,8 | 24,66 | 24,16 [92,5|18,8| 42,4 | 11,95 | 0,840 
169 | 0,220 | 26,2 | 25,3 | 23,94 | 23,44 |93,0|18,4| 40,5 | 12,60 | 0,865 
171,5 | 0,245 ‚4 5,0 6,51 | 5,31 |69,0| 4,5 | 19,4 | 26,20 | 0,920 
191 0,440 6,8 5,3 6,64 | 5,89 180,0] 4,6| 17,3 | 29,40 | 1,035 
171 0,238 7,5 5,2 6,60 | 5,45 |70,0| 4,5| 19,6 | 26,00 | 0,915 
194 0,440 7,2 5,0 6,51 | 5,41 171,5! 4,5| 16,4 | 31,00 | 1,085 
186,5 | 0,210 | 14,0 8,2 8,10 | 5,20 144,0| 5,9| 22,6 | 22,60 | 0,835 
195 0,447 | 12,0 8,4 8,21 | 6,41 |61,5| 6,1| 17,3 | 29,40 | 1,090 
195 0,447 | 12,2 8,4 8,15 | 6,20 158,5 | 6,0| 17,0 | 30,00 | 1,110 
146 0,142 | 20,0 | 14,5 | 12,27 | 9,52 |55,0| 9,5| 27,4 | 18,60 | 0,790 
165,5 | 0,165 | 20,9 | 14,8 | 12,51 | 9,36 |51,0| 9,6| 27,6 | 18,40 | 0,785 
167 0,187 | 21,0 | 14,9 | 12,59 | 9,54 |51,5| 9,6| 26,0 | 19,50 | 0,835 
167 0,187 | 21,0 | 14,9 | 12,59 | 9,54 |51,5| 9,6| 26,0 | 19,50 | 0,835 
167 0,187 | 21,2 | 14,8 | 12,51 | 9,31 |49,5| 9,6| 27,6 | 18,50 | 0,790 
169,5 | 0,225 | 21,8 | 16,3 | 13,77 | 11,02 | 57,0 | 10,7 | 25,9 | 19,60 | 0,880 
169,5 | 0,225 | 21,8 | 15,8 | 13,77 | 11,02 | 57,0 | 10,7 | 26,7 | 19,00 | 0,855 
173 |0,267 | 22,0 | 15,1 | 12,76 | 9,31 [47,5/10,0¡ 25,4 | 20,10 | 0,875 
173 0,267 |. 22,0 | 15,1 | 12,76 | 9,31 |47,5|10,0| 24,8 | 20,50 | 0,895 
177,2 | 0,308 | 22,1 | 17,0 | 14,39 | 11,84 |60,0 | 11,3 | 24,8 | 20,50 | 0,945 


53 


Von Paul Weiß. 


Feuchter Kata-Index in bewegter Luft mit genauer Berücksichtigung der 


Barometerkorrektur bei der Berechnung von f*. 


Tabelle IV. 














GEET EE EE 
N N N 


A A A A A A A A A A A A A a a A a La a La e A A a A A 





A a A SG A A A A 


5 
26 
33 
25 


a a aA A A A A A A A A A A A A A n A A DA A A An AU A A A AUA 





aA A A A A A A A A A A A A A A A A A A A A A A A Ä A A A A mn 


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EE e e N AN GA N GA N Gi GA GA GM CA GA GA 
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3383229525304 NE 18 0 SS 09 09 tr NAND 0d 00 A 1 18 18 D 


GO A A A A A Ge A A A Gw A A Ä A A A A A A A A A A A A A A A A 


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fl sl pd Gel Gel pn pl fl Gerd Gi Gd fend gn fl pi fl pj gel pd pg 

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SES ee 

Ke Il 


Feuchter Kata-Index in ruhender Luft. 


Tabelle V. 


o gw A A A A A A A A A A Rh A sn Aa 


A Gw A A A A h A 


N 00 N 
ERES 


37 


La Lu kal 


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24 Qu. va 9 wi 
Xo ene CH GO wei CH E Gi ri H IEN E 
SS 19 10 + 00 «AS 
10 
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N = N ped pel putas 
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E a | MO | 0 +40 
O MIN rei A SS rd N o OA 
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CM gl fi N pel Fei Fei fei j j 


A A A A A â A Ä A Ä A A A A A A A a 


AA A A A A A A A 


54 


Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik usw. 


Tabelle V. (Fortsetzung.) 
28 25,2 | 23,8 | LA 22,4 80 18,3 | 54,4 9,4 
28,5 | 26,4 | 25,5 | 1,05 24,45 | 85 19,5 | 62,6 8,15 
i 27,9 | 26,0 | 25 0,95 | 24,05 | 86 19,0 | 59,6 8,55 
28,4 | 26,8 | 26,1 | 0,8 25,3 88 19,8 | 70,2 7,3 
22,8 | 20,2 | 17,6 | 1,3 16,3 79 13,7 | 39,9 | 12,8 
23,6 | 22,2 | 20 0,7 19,3 89 15,3 | 43,4 | 11,8 
22,1 | 15,6 | 18,2 | 3,25 14,95 | 76 12,9 | 35 14,5 
24,2 | 23,6 | 21,6 | 0,3 21,3 95 16,6 | 52,5 9,8 
26 25,8 | 24,7 | 0,1 24,6 98,5 | 18,7 | 65 7,85 
24,7 | 24 22,2 | 0,35 | 21,85 | 95 17,0 | 53,4 9,55 
24,5 | 23,5 | 21,5 | 0,5 21 92,5 | 16,5 | 35,4 | 14,4 
25,1 | 23,7 | 21,7 | 0,7 21 89 16,7 | 38,6 | 13,2 


Protokolle der Versuche in bewegter Luft. 
Bezeichnungen: 


t = Temperatur des Luftstromes. 

t* = Temperatur der Luft im Windschutz. 

tir = Temperatur des trockenen Thermometers. 

tf = Temperatur des feuchten Thermometers. 

tb = Temperatur des Ölbades. 

dt = Differenz Ölbad — Stirntemperatur. 

ts = Stirntemperatur. 

t's = Korrigierte Stirntemperatur. 

e = Millivolt. 

Tı = Abkühlungszeit des trockenen Katathermometers in Sekunden. 
Tf = Abkühlungszeit des feuchten Katathermometers in Sekunden. 
H = Trockener Kata-Index. 

H’ = Feuchter Kata-Index. 

no = Anemometerstellung am Anfang. 

n = Anemometerstellung am Ende. 

v = Luftgeschwindigkeit. 

va = Luftgeschwindigkeit gemessen mit Anemometer. 


Versuch vom 24. X. 











23. Versuchsperson H. 











| | | | | | | 
Zeit t l ir. | e dt | to | ls Pol Ti H v 








n 
| | | | | 
1104 18,8* 1188/145| 13,1| 12,6| 17,0! 29,6| 31,3 
05 | 13,8| 13,3 30,3 32,0 
| 13,8! 13,3 


| 
08 | 13,8| 13,: | 30,3 32,0 
| in den Wind : | | 


10 12,3 11,8 28,8| 30,3 
11 | 11,9 11,4 28,4 29,9 | 
I3- | | 11,5 111) 28,1 29.6 | 
15 11,1, 10,7 27,7| 29,1 
17 11,0! 10,6. 17,1) 27,7 29.1 
20 aus dem Wind! 11,1! 10,7| 17,1) 27,8 29,2 


l 
21% | 18,9 | 12,0 11,5 
23 | | 12,0! 11.5 
25 | 12,01 11,5 


déit "JL 19:0, | LE 
] 


28,6) 30,1 | 


28,6! 30,1 

j 30,1 | 
7| 31,3] 39,6) 12,9) 1,4 310 394 | 1,3 | 14,6 
313 | 939 048 1,5 | 


KA sf, We Je, 


Zeit 


11215 
25 
26%, 
28 








11h02 
07 


| aus dem Wind | 


Von. Paul Weiß. 


Versuch vom 25. X 


16,8*| 16,8) 13,5| 15,6 
16,8 





| 





e Ka 


15,5 14, o 15, i 







































DROE 












59 


23. Versuchsperson P. 
SEIHIEIEIEIE 


30,5| 32,2| 38,5 829 | 942 | 1,6 
30,4| 32,1 











777 | 827 1,0 



























in den Wind |13, o 13,3 28,8| 30,4 
13,5| 13,0 28,5| 30,0 
13,2| 12,7| 15,6| 28,31 29,8 
12,8| 12,3 27,9| 29,3 
12,6| 12,1 27,7| 29,1 
12,1! 11,6| 15,6| 27,2| 28,5 
12,1) 11,6 28,5 | 
16,6 12,1) 11,6 97,2 28,5 37,5| 13,6 1,2 
aus dem Wind 
| 13,2 12,7| 15,7| 28,4| 29,9 | 
| 13,9 13,4 29,1| 30,7 
16,5 14,8| 14,2 29,9 31,6 
15,0 14,4 30,1| 31,8 
15,4 14,8 30,5| 32,3 
| 15,9 15,7 31,0| 32,8 942 | 051 | 1,6 
115,9 15,3, ` 131,0 32,8 | 827 | 891 | 1,1 
Versuch vom 26. X. 23, Versuchsperson H 
18,0 | 15,9| 30, Za 
17,8* 14,8 14,2| 16,0 30,2 
17,2 14,1 16,0) 29,6 
17,5 |17,2| 13,2| 14,0] 13,5| 





11,1 
11,1 
11,2 
11,0 





17,1 
aus dem Wind 
| 13,0 
12,9 











‚| 12,0 
11,9 


| 17,8| 13,2) 10,9| 10,5 


114 


10,7 
10,7 
10,8 
10,6 





12,5 
12,4 


14,0 13,5 


| I ag 





13,4) 

















30,6 

28, 2 29,7 
27,6 28,5 
26,9| 28,2 
26,9| 28,2 
27,0| 28,3 
8| 28,1 

8| 28,1 














Versuch vom 26. X. 23. Versuchsperson P. 


M 





| 150 12,5 
| 13,8) 13,3 
18,0 13,6 14,0 13,4 16,7 

























30,2| 31,9 87,6 









29,2| 30,8 
23,4| 29,9 
27,3| 28,6 


29,2 30,8 
30,0, 31,7 
30,1| 31,8 





56 Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik usw. 


‚ Versuch vom 27. X. 28. Versuchsperson P. 








H pli N | da 
















































































































Zeit | t Pa tr e | dt to te Ea T; Tf 
9h46 |18,0*| 18,0 16,0 | 16,4 | 15,1 | 30,5 | 32,3 39,5 112,9 1.4 265 333 1,1 
47 | 16,2 | 15,6 | 15,1 | 30,7 | 32,5 | 729 815 1,4 
in den Wind | | 
50 | 14,8 | 14,3 204 31,0 | 
52 | 13,9 | 13,4 28,5 | 30,0 ka 
54 .|18,8 |19,0 | 15,0 | 13,1 | 12,6 | 15,2 | 27,8 | 29,2 333 496 1,3 
56 | 13,0 | 12,5 27,7 | 29,1 496579 1,3. 
58 13,0 | 12,5 27,7 | 29,1 
10602 | 12,9 | 12,4 | 15,3 | 27,7 
aus dem Wind | 
03 | 13,1 
04 Y, 14,1 
08 14,8 
10 115,5 | 
13 | 15,2 
18,6* | i 
in den Wind | 
181, | 13,8 13,3 | | 28,7 | 30,2 | | | 
20 |19,4 | 20,0 15,0 | 12,5 | 12,0 | 15,5 | 27,5 | 28,9 | | | 
22 12,0 | 11,5 15,5 | 27,0 | 28,3 
24 Y, 11,9/ 11,4 | 26,9 28,2 
27 "(187 | 11,1 110,7 26,2 27,3 | 30,3 116,512,5 | 
30 | | 10,6 10,2 25,7 | 26,9 | | 
32 10,6 10,2 | 15,6 | 25,8 | 27,0 | 
35 | | 10,6 10,2, 25,8 | 27,0 | 
aus dem Wind | | | 
3614 11,3 | 10,8 26,4 | 27,6 | 
38 12.2117 | 27,3 | 28,6 | 
401 12,1 | 11,6 | 15,7 | 27,3 | 28.6 | | 
431, |18,8* 13,2 | 12,7 | 15,8 | 28,5 | 30,1 | 
47 | 13,8 | 13,2 | 29,0 | 30,6 | | | 
52. | | 14,1 | 13,5 | 29,3 | 30,9 | | | 
56 |19,0*| | 14,0 | 13,4 | 15,9 | 29,3 | 30,9 | bk ko 


Versuch vom 27. X. 23. Versuchsperson H. 
11200 | | 13,9 | 13,4 | 16,3 | 29,7 | 31,4 | | Er | | 
31,4 | 
























































03 13,9 | 13,4 29,7 4 
in den Wind | | 

05 | | 12,8 l 

06 12,0 | 11,5 27,8 Gë 

08 11,7 11,3 27,6 | 29,0 

10 11,0 | 10,6 26,9 | 28,2 | 

12 20,0 11,0 | 10,6 | 16,5 | 27,1 | 28,4 | 32,6 | 15,6 3,0 010 /240 2,9 

15 10,8 | 10,4 | 26,9 | 28,1 | TOi 

19 10,8 | 10,4 | 26,9 | 28,1 | | a | 
aus dem Wind | | | 

201% | 11,8 | 11,4 | 16,6 | 28,0 | 29,5 | | 

221, | | 12,0 | 11,5 28,1 | 29,6 

24 Y, | 19,0 | 19,0 | 14,8 | 13,0 | 12,5 | 16,7 | 29,2 | 30,8 | 31,3 /16,3|2,6 

28 | | | 





2 
| 13,0 12,5 129,2 |30,8/956 | 5,3) | | | 






























































































































































































































Von Paul Weiß. 57 
Versuch vom 30. X. 23. Versuchsperson H. 
Zeit EJ t: | tr | e dt | lo l, t's T: H D | No n | Va 
oan  |18,8* 18,6 14,2 | 13,6 | 16,5 | 30,1 | 31,8 100,5 51 02 
58 |19,5 |19,6 14,2 | 13,6 | 30,1 | 31,8 | 78,6| 6,5 | 0,2 
6 | 
d. | | 
317 | 2 | 
10 "aus dem Wind | | | | | 
10 |19,0* 13,6 | 13,1 29,8 | 31,5 i | 
19 |20,0 13,8 | 13,3 | 16,8 | 30,1 | 31,8 | 55,6| 9,2 | 0,7 | 047 | 092 0,9 
ou \18.9% 14,2 13,6 | 4 321 CH Ri 
21 in den Wind | | | | | | 
22 13,4 | 12,9 | 16,8 | 2 | 
24 12,8 | 12,3 | 29,1 | 30,7 
26 | 12,9 12,4 | 16,9 | 29,3 | 30,9 
28 | 12,1 | 11,6 28,5 | 30,9 
304, 12,3 | 11,8 17,0 | 288 | 30,3 Pl 
341, | 20,0 12,1 | 11,6 | 17,0 | 28,6 | 30,1 | 57,2] 9,0 0,65 092 | 119 | 0,7 
37 12,1 | 11,6 | 17,1 | 28,7 | 30,2 | | 
aus dem Wind | | | 
381, | 19,0*| 12,8 | 12,3 29,4 | 31,0 | | | | 
40%, | 13,1 | 12,6 | 17,2 | 29,8 | 31,5 | 
42 13,1 | 12,6 29,8 | 31,5 | 
49 | 19,4* 13,2 | 12,7 | 17,3 | 30,0 | 31,7 {101 | 5,1 
54 |196 19,8 13,5 13,1 126 20.9 316 35,614,3 | 2,0 | 249 | 381 | 1,8 
58 | | | 13,1 | 12,6 | 29,9 | 31,6 DEN 
in den Wind |12,0 | 11,5 | 17,4 | 28,9 | 30,4 | | 
11501 11,0 | 10,6 28,0 | 29,4 | 
03 19,6 10,9 | 10,5 27,9 29,3 | 35,3 14,4 | 2,0 
05 9,6| 92 26,6 | 27,8 | 
06 10,1 | 9,7 | 17,5 | 27,2 | 28,5 222 | 338 | 1,7 
08 10,1 | 9,7 27,2 | 28,5 380 | 503 | 1,7 
13- | 110,1 | 9,7 | 27,2 | 28,5 I | | 
14 | 19,2* 11,0 10,6 EN 29,6 | | 
161, | 11.9 | 114 | 28,9 304 | 
19%, 12,4 | 11,9 | 17,7 | 29,6 | 31,3 | | 
31 hacia 19,8 | 13,4 | 12,6 | 12,1 | 17,8 | 29,9 | 31,6 | 28,218 |3,4 |338 | 649 | 3,9 
34 ue 11,7 | 29,5 | 31,1 | | | | 
36 in den Wind ,2 | 10,8 28,6 | 30,1 | | | 
37 Ee 9,5 | 17,9 | 27,4 | 28,8 | 
39 9,9 | 9,5 27,4 | 28,8 | | 
41 9,8| 9,4 27:31 28,7 
431, | 9,4 | 9,0 | 18,0 | 27,0 | 28,3 | 
46 19,6 9,2| 8,8 26,8 28,0 | | 
49 |19,4* 9,1| 8,7 | 26,7 | 27,9 | 
51 8,8| 8,5 18,1 | 26,6 27,8 
55 8,9 | 8,5|18,1 | 26,6 | 27,8 | 
56 |aus dem Wind | 9,8| 9,4 | 18,127 DO 28,9 | | 
58 10,5 | 10,1 | 28,2 | 29,7 | 
12:00 11,1 10,7 28,8 | 30,9 | | 
06 DESIL; SES 29,5 |31,2 | 28,4118 |3,4 | 
10 [19,8% 11,8 | 11,3 (29,5|31,2| 84,01 6,1 | 0,2 | | 
16 |194 | (a 113) 29,5 | 31,2 | 











12001 


02 
03 
D5 
07 
00 


OL, 








19,6 


Versuch vom 31. X. 23. 


t | lir | tr 


19,6 
19,6 


| 


im Windschutz 
18,4* 





19,6 
19,8 | 
18,6*| 
in den Wind 
19,5 


20,0 
20,0 





im Windschutz 


18,8* | 


| 


‚Ventilator umgestellt, in 


19,8 
19,0* 


' in den Wind 
‚19,6 | 





19,5 


im Windschutz 


19,2 2%] 

119, 6132 
Vent. umgest. 
19.4 


| in den Wind 
| 19,4 


19,3 











A 














ta 














mm Windsehulz 0 




















36,5 14 


e: et 
re ahh 


15,01 124 30.0 32,3 
14,9 29,9 32,2 
14,6 14,0 29,6. 31,8 
14,6 14,0 29,6 31,8 
14,6 14,0 29,6 31,8| 66,2 
14,8| 14,2 15,7| 29,9 32,2 
14,9| 14,3 30,0 32,3 
14,9 14,3 30,0 32,3 
15,8 71,4 
52,6 
14,9 14,3 15,9| 30,2| 39,5! 
14,2| 13,7 16,0 29,7, 31,8. 
13,9 13,3 29,3 31,5 
13,1/12,6 16,1| 28,7 30,9 
13,0| 12,5 28,6 30,8 
12,6| 12,1 16,2 28,3 30,5 
12,5 12,0 | 28,2| 30,3| 54,0 
12,41 11,9 16,3 28,2 30,3 
12,4 11,9 16,3 Ba oA 
12,9 12,4 28 
144 13,8| 16,4 30.2 325. 
| 14,8| 14,2) 30,6 32,9 54,2 
14,11 13,5 16,6! 30,1 294 37,0 
14,1 13.5 30,1 32,4 
12,1 11,6] 16,7 28,3 30,5] 
Ee 11,4 28.1302 
11,4 10,9 27,7 29,8 
| 10,5 10,1 16,8 26,9 28,9 
10,5 10,1 26,9 28,9 
10,1 9,7 16,9 26,6 28,6 
10,0. 9,6 17,0 26,6 28,6 
10.0 9.6 26,6 28.6 
10,0 96 26,6 28.6 
11,6 112 38.2303 
11.9 11.4 28,4 30,6 
11,9| 11,4 17,1 28,5) 30,7 
11,9 11,4 23:51.30,7 
13,4 12,8 17,2 30,0 32,3) 
13,6 13,0 30.2, 32,5 
13,1 12,5 17,3 29,8| 32,1) 
10,9| 10,4 17,3 27.7, 29,8 
10,2 9,8 ih 291 
9,5 9,1 26,4 28,4 
88: 8,4 17,4 25,8 27,8 
8,8 8,4 25,8 27,8 
Sol gz 95.7 97,7 
gë SA eier 
GR: Ra 33.7277 
3 81 110625725 
009 0517627, 29.1 
11.2 10,7 38.3305 
(Du 11,5 nl 31.3 
PR Ir 204 31.6 
12.3 ILS 205 SLT 


Versuchsperson P. 


7,7 0,41 


| 


94 0,72 
ı Windschutz etwas Luftbewegung 
| 13,8| 


1,9 





26,0/ 19,2 3,5 


SE 
E 


Fa 


,19 












278 | 337 
¡551 | LO 


| 


| 494 
707 





ı 627 | 


159 











23,8 
33,2 


12,4 





Versuch vom 2. XI 23. Versuchsperson H. 










































































































Da | Tf 
| | 
2h45 |25,0* 9,0 123,5 32,5 34,5 157,6 3,2 KH 
51 8,9 123,6/32,5/34,5 111,6| 4,6/0,35 | 
9,2 | 8,9 23,6 32,5134,5 | 
52 ED 131,5 |33,4 | | 
531, 8,1 | 7,8 31,4 133,3 | 
551, 7,9 | 7,6 31,2133,1 | | 
57 Y, | 7,5 | 7,2 |23,7|30,9|32,7 | | 
3201 26,4 | 7,2 | 6,9 23,8 30,7 32,5, Erleichterung SE erheblich 
04 |26,1 | | 7,1 | 6,8 | 30,6 32,4 Kein Schweiß 
071, 26,0 | 7,1 | 6,8 | 30,6 132,4 | | | | | | 
08 | | 7,1 | 6,8 | 30,6 32,4 | 
09 7,1 | 6,8 30,6 32,4 
11 7,1 | 6,8 |23,9130,7 | 32,5 | | 
131, 7,9175 31 4 33,3| Schweiß | 
181, 8,2 | 7,9 |24,0'31,9|33,9' | | 
22 e | 90 861 132,634, H 85,4 6,0|0,8 
28 | 8,8 18,5 | 13251346 | 
































| 
30 126,5 | | 7,5 | 7,2 |24,1|31,3|33,2 | 
32 e] 30 
331, 126,4 26,6 19,2 7,0 130,8 |32,6 | |750 | 792 |0,9|19,3 
38 | | 7,0 6,7 (24,2 30,9|32,7| Befinden gut | 
39 7,0 67| 30,9 132,7 SET 





41 | 8,1 17,8 | 32,0 | 34,0 | | 792 818 0,7, 
43 |24,8* | 8,1 7,8 24,3|32,1 34,1| Sehr schwül | | 
a ST | 9,0 8,6 32,9/35,0| 85,2| 6,0/0,8 |119|195 





l 
132,6/34,7| 55,7| 9,211,9 |197 | 35312, 
24.4 | 32,9 35,0 


"in den Wind | | | | | | 
| f 








4h00 














| | 

02 6,5 | 6,2 30,6 32,4 | 
0315 6,2 | 6,0 24,4 30,4 32,1 | | 
06 |25,2 253 17,5 585,6 30.031 T | | 14,4 
08 15,6 | 5,4 29,8 31,5 Angenehme Brise i 
09 24,6* (5,7 15,5 299 316 | | 
12 | GC Te AAA 245 29,9 31,8 | | 

aus den Wind | | | ep 
13 | 6,6 Gi 30,8 32,6 Bewegte Luft im Windschutz 
154, 2,6 | 6,8 65 31,0132,8 49,0 10,4/12,2 | 353 | 503 [2,0 
22 8,1 17,8 32,3 34,3 915 26013, 
30  24,2* | 8,0 7,7 24,6 32,3134,3| 37,6 13,413,7 15031755 |3,2 

| in de dr Wind | | | 
Sl ` Ä 6.0 | 5,8 130,4 32,1 | 
33 (24,8 | 5,8 5.6 24,6 30,2 31.9 | | 
An | 5,0 4,8 29,4 31,0 | 11,6 
37 4,8 | 4,6 29,2 30,8. Thermisch angenehm 
40 ra 4,3 28,9 30,4 Stärke des W indes unangene Jun 
43 24,6 4,2 4,0 /24,6'28.,6 30,1 | 260 535 | 3, Di 
46 4,2 | 4,0 128,6 30,1 | | 
481, | 3.8 36 28,2 29,8 | d? 
51 a 8 28,5 30,0 

aus dem Wind | | | | 
53 |23,6*] 15,8 | 5,6 30,2 31,9 | 
56 124,4 | 65 6,3 130,9.32,7| 34,4 14,8 4,6 | 
581, 124,4 | FEN OR 334. Ha 148146 

5h02  123,6* 81 N da a El 


60 Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik usw. 


Versuch vom 5. XI 23. Versuchsperson P. 














9 Erfrischende W irkung. 





¡110,71 4,6 | 0,13) | 















































| 
| 
aus dem Wind | | | 
36 22,0* | 11,1| 10,7! | 31,3| 34,2 
39 I 1 Let? 31,7| 34,7| 
45 |22,0* 114 11,0 20,7| 31.7 34.7 
51 11,5| 1 31,8 34,8| 83,0) 6,2 | 0,36 | 
| | 
52 | j 10,9 10,5 |31, Pr 34,1 | 
54 og sl 14,6 10,8 10,4 EUR) 33,9 Ganz angenehm erfrischend 23,4 
56 10,8 10,4 20,7 31,1 33,9 I | 
60 122,8 10,8 10,4 31,1 33,9 | | 
4h04 | | 10,8 10,4) „os 33, 9 | 
06 aus dem Wind | 
09 ` 22,3*| 10,8' 10,4 31 234 6) 834 611035 | | 
12 | Së 10,5 31,3 34,3 535 610. 1,3 
18 1234 Lë 20,9 31,5 34,5 53,8 9,5 | 1,37 943 062! 1,7 


























20 | inden Wind | 

20 123,0 | 10, 0 9,6 30,5| 33,2 | 

231, | 23,2 | 90 8,6 29,5| 32,1 | 14,3 
2715 | 8,21 7,9 28,8 31,3 Befinden gut. 

34 Y, | 8,1! 7,81 21,0 28,8| 31,3 | 1610 728 1,6 

37 aus dem Wind 9,0 8 6 21,0| 29,6| 32,2 | EE? | 

41 22,8 10,11 9,7 30,7| 33,5 | | | | | 

d? 226 10,0, 9,6| 21,1/30,7' 33,5) 30,8! 16,5 4,4 | 





in den Wind | 











A8 |22,6 1224| 14,5 3, 29,2| 31, | 2 

52 68 6,5 27,6) 29,9] | 

54 92,4 62. 60 | 27,1) 29,3) 31,0116,5 44 | 

59 Gu 5.8 21,2 27,0 29.1 | 
5h o4 HO DS 26,5 28,6 

07 SIE 551 53 26,5 28,6 

10) 50 4.8 5,0 28,0 

54 5,2 26.4 28,5 
aus dem Wind 

15 TAR 07 27.9 30,2 

AP 8,11 7,8 29,0 31,5 | 

26 KU: 83:23:25 30:0..32.7 001 082| 1 





Von Paul Weiß. ` ; 61 
Versuch vom 6. XI. 23. Versuchsperson P. 


zu Kwela 


3h30 |24,2* 148,4 3,4 37,0 
40  |26,8 9,0| 8,6| 23,6| 32,21 34,2] 78,4| 6,5 001 | 082 
49 10,0| 9,6| 23,7| 33,3] 35,5 382 | 431 
CH 9,0| 8,6 32,31 34,3| : 







W 
































53 9,0| 8,6 | 
56 8,6 8,3 17,4 
4h00 8,5 
04 8,0 
10 8,3 
211 8,6 
13 8,6 
17 8,9 
20 $ 8,9 
n den Wind 
22 126,2 | | ,2| 8,8 32,8 34, | 
25 8,9 8,6 32,6 34 | 
28 24,6 16,4 9,0 8,6 2,71 34 26,8 
32 :| 25,2 8,9 8,6 2,7| 34,8: 109,0| 4,7! 0,32 
34 aus dem Wind 9,0] 8,6. 24,2| 32,8| 34,9 
40 |26,2 9,5 9,1 33,31 35,5| 47,2 095 | 339 | 3,0 
48 9,0| 8,6 32,8| 34,9 
in den Wind 
50 126,2 8,0| 7,7 31,9| 33,9 | 
52 25,51 16,5; 7,51 7,2 31,4! 33,3 13,0 
55 7,01 6,7 32,1 
59 125,6 6,6! 6,3 32,3 
5h05 6,5| 6,2 32,1 
09 25,4 6,2| 5,9 31,8 
aus dem Wind 
11 23,2% 7,41 7,1 31,3| 33,2 
16 | + 8,21 7,9 32,1| 34,1 
20 8,8/ 8,5 32,7| 34,8 
27 I | I ssis] [327/348 





Versuch vom 8. XI. 23. Versuchsperson P. 


EE E a e A mn E EE EE 
CRREREEENEESEEDEREE 
ana [23,6 |  |11,8[11,3|23,534,8| 34,8| 155,4) 33 | | 


in den Wind 























| Ventilator umgestellt | 
37 124,1 | | 9,5' 23,6| 3: 


9,9 
15,4 9,9| 9,5, 23,6 

























entilator umgestellt 
23,8 | 9,8| 9,4 


, | 48,8 10,4 
23,7 
6 





23,6 33,0) 33,0 


23,4| 15,2 















9,0] 8,6 
entilator umgestellt | 
23,6 | | 


23,6 | 





23,6| 32,2| 32,2 








23,4 





15,2| 7,4 


7,0 


7,1 
6,7] 




















a a n p » e ? TE ée i 
A eh" e H e A Mi ke e ed VY - A E 
r ? Y we AS WE I T KLS ` - D To 4 Ai w stý "y e UTA 
y Lef | à bag JN A eee ert À A 
u. A ad N po y á j ` 
` , ` rä m H Ga A ei t f 
» de A4 Be P X o 


62 Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik usw. 


Versuch vom 9. XI. 23. Versuchsperson H. 


emm Se 

Zeit KACAPI L | IW Ts LS v Ty Bemerkungen 
27,0*| 27,01 18,0 35,01 35,0 1550 2,6 Sehr schwül 

3h 17 | 27,0* (ege 94] 35,0 35.0 | Kein Schweiß 

19 | Ventilator umgestellt: " den Ke 






















































26,0 |258 17,8 | 130,6) 3,9 0,20 29,5 
34 | 26,1 ‚11,0 10,0 24,3 24,9 34,9) 127,4! 4,0! 0,23 Schwül 
37 | 10,9 34,8 34,8 | 
Ventilator umgestellt s] | | | | 
42 | 26,4 10,6| 10,2 24,3) 34,5 34,5 119,0, 4,3) 0,34 
51 | 26,6 | 26,6 17,8| 10,0 9,6 24,4 34,0 34,0 103,5 4,9 0,52 24,0 Noch drückend 
26,6 10,2 9,8| 24,5 SN 34,3 107,8 4,7/0,45| | 




















































Ventilator umgestellt 
4107 72.1272 18,1 9,2| 8,8 24,6 33,4 33,4 73,01 7 18,0| Ganz gut 
274 | 9,2 8,9 24,6 33,5 33,5| 74, 
Ventilator umgestellt | | | | 
19 27,2 8,8| 8,5 24,7| 33,21 33,2] 61,6 8,3) 2,25 14,7 Frisch 
28 | 26,8 8,5| 8,2| 24,8| 33,0| 33,0| 59,8 8,5| 2,25 























Bemerkungen 








































10536 116,3* 17,6, 21,0 20,2 11,6 31,8 31,8 | 
40 (16,3 | | 9 20,1 "7. 31,7| 36,4| 14,0 1,25 
44 | in den Wind 119,01 18,3 11,71 30,01 30,0) | 
48 17,4| 8,6 18,9 18,2 11,8 30,0| 30,0 13,0 Recht kühl 
51 (17,2 18,01 17,3 11,8| 29,11 29,1 | 
54 17,21 16,5 28,3| 28,3 
57 (17,2 16.8 16,1 11,9 28,0 28,0 
11h00 168| 16,1 12,0 28,11 28,1) 
06 1172 16.8| 16,1 12,1) 28,2 28,2] 37,6 13,6 1,30 Unangenchm 
11/1174 16.7 16,0 98,2 28,2 kalt 
14 | 16,2) 15,6 12,3 27,9 27,9 | 
17 16,11 15,5 27,8| 27,8 
20 16.2| 15.6, 12,4| 28.0, 28,0 
93 |17,4| 9,21 16,5| 15,8 28,2/28,2 | | 











EEN vom 27. XI. 23. Versuchsperson’P. 


| 20.4 12.0 3 Dä 











gh 37 Wa 




















212 





32, a 32,4 
































| in den W ind | | | | 
48 18,4 | 37,7| 13,7| 1,34 
50%, | 90, 0i 19,2| 12,1! 31,3| 31, 3 Etwas kühl 
53 118,4 18,4 9,7 18,8 18,1) 12,1) 30,2) 30,2 2 | 13,4 
56 18,5 18,8 18,1 12,2 30,3 30,3 37,0 dni 1,60 Frostgefühl 
59 18,6 18,1 12.3 A SE | 
10h01 | Ventilator umgestellt | 
03 118,6 18,21 17,5 12,4| 29, d 29,9 | S , Etwas kühler 
06 188 (18,8 9,5 18.3 17.6 12,4 30.0| 30,0 
09 118,8 18,0 17,3 12,5 29,8| 29,8! 37,0. 13,8| 1,66 
16 | | 16,9 16,2 12,7 28,9| 28,9 
19 | | | 16,9 16,2 12,8| 29,0| 29,0) | 








Von Paul Weiß. 63 


Versuch vom 27. XI. 28. (Fortsetzung.) Versuchsperson P. 

















tr e dt bo u | ts T: H v Te | Bemerkungen 
| 
































16,3| 15,7| 12,9| 28,6] 28,6] 35,8| 14,2] 1,77 
16,3| 15,7| 13,0! 28,7| 28,7 'Erhebliches 
16,3 15,7| 13,0| 28,7| 28,7 | | Frostgefúhl 
Ventilator umgestellt | | | 

29 18,8] | | | 13,1 

31 | 27,8| 27,8 

33 [18,6 |18,5| 9,5 15,01 14.4 13,2) 27,6| 27,6 28,0| 18,2 3,10) [Sehr kühl 

36 15,0| 144| 13,3| 27,7) 27,7) 

















45 | ventilator umgestellt; zur Erhohlung von der Kälte Geet 
sich die Versuchsperson in den Heizraum 
49 | in den W ind | | | | 

| 15,1 























52 (18,2 14,5 13,9 28,4 2 28,4| 26,0 19,6 3,45 
55 (18,2 14,5 13,9 140| 27,9 27,9 27.0 18,9 3,20 
11h01 13,8| 13,3| 14,2| 27,5 27,5) | | |  |Kalt 
Versuch vom 27. XI. 23. Versuchsperson H. 
11h07 |18,6* 17,4] 16,7 14,3| 31,0| 31,0 | | 
10 | 189 17,3| 14,4| 31,7| 31,7 | 
12 17,5 14,4 31.9 31.9 
16 | 118,2 17,5 14,5 32.0 320 | 












in den Wind | 
























































































20 [19,4 |19,4| 9,7| 16,3| 15,7) | 1,10 
23 16,0 15,4 14,7 30,1 30,1 frósteln 
26 15,8| 15,2| 14,8| 30,0! 30,0 | 
29 119,6 | 15,2) 14,6 14,9 29,5 29,5 45,3! 11,2] 1,10 
37 | | 15,0| 14,4| 15,0| 29,4| 29,4 Ideen | 
11540 | Ventilator umgestellt | 
43 | 19,6) 19,8! 10,4| 13,9| 13,4, 15,2 28,6| 28,6! 37,0| 13,8! 1,84 11,8 
46 | 19,7 13,2| 12,7| 15,3 | 2g 
|13,2| 12,7] 15, Frostgefühl 
Ventilator umgestellt | | | 
53 | 19,3 | 13,0| 12,5) 15,4| 27,9| 27,9| 28,8 17,7 3,20 | 
12h01 19,2) 10,0, 12, 1) 11,6, 15,6| 27,21 27,2 | 9,6 
04 | 12,0 11,5 15,6| 27,1 | 27,1 ke d 
06 | 19,0 11, 114 15,7| 27,1) 27,1| 28,6| 17,8| 3,10) 
Versuch vom 3. XII. 23. Versuchsperson P. 
4107 |In den Wind 










18,0 | 17,9| 11,0) 16,6| 16,0 dl 32,5 32,5| 77,8| 6,6 0,18| 23,0 
5,5 












23 | 18,0 | 18,1! 11,2 16,7| 16,1| 16,5 32,6 32,6| 79,0| 6,5| 0,16| 25, 

28 16,2| 15,6| 16,6 32,2| 32,2 

34 16,5| 15,8 32,4 32,4| 81,8| 6,31 0,15 

43 16,4| 15,8 indifferent 






16,1) 15,5 








entilator umgestellt 
54 | 18,6 14,5 13,9 30,6 30,6 49,( 
5h00 14,1 13,5| 16,7| 30,2 30,2 55,0| 9,3 0, 
03 118,5 | 3,21 9,6 0,6: Zuggefúhl 
07 14,1 13,5 30,2) 30,2 ganz leicht 
11 | | 14,1| 13,5| 16,8, 30,3, 30,3 kühl 


64 Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik usw. 


Versuch vom 3. XII. 23. Versuchsperson P. (Fortsetzung.) 












Bemerkungen 





7,31 0,30 


indifferent 











Ventilator umgestellt 





282 18,1 


36 118,21 | 2,90 [kúhl 

40 178) |  l10,9l 10,5 17,027,527 " 

5 mol. on 9,5 17,11 26,6 26,6| 26,5 19,2 2,90, Sehr kalt 
50 99 95| 171 26,6 26,0| 19,6290) 


























Versuch vom 4. XII. 23. Versuchsperson P. 






























































4h37 |12,8 | | 24,2| 21,0| 2,25 
44 |12,6 | 12,6| 7,0 ol 9,0 116,4 25,4) 25,4 | Pröt 7,2 
48 | 12,2 8,8| 8,5| 16,4| 24,9| 24,9| 23,9| 21,3| 2,20 Empfinden 
52 | 12,0 I 8,2| 7,9! 16,3| 24,2] 24,2 | recht kühl 
57 |11,7 | | 8,1| 7,8 16,2) | | 
Ventilator umgestellt | 
5409 | 13,6 | | 43,0 11,9 0,59 | 
13 113,5 | | 13,2| 12,7| 16,0; 28,7| 28,7! | | 
19 Dë | 12,8 12,3| 15,9| 28,2] 28,2! | | ganz leicht 
22 | 13,5 | 12,8) 12,3 15,8] : | kühl 
Ventilator umgestellt | | 
34 [14,1 | | | 51,2 10,0 0,41 
39 | 14,2 15,2 14,6 15,5 30,1| 30,1 | | 
44 [14,0 | | | | 51,8. 9,9| 0,37 
54 |14,2|13,8| 7,8| 15,0! 14,4| 15,2 29,6| 29,6 | 
6h01 | 14,2 | | 14,9 | 14,3| 15,1 | 29,4| 29,4 
Versuch vom 5. XU. 23, Versuchsperson P. 
3h25 0,50| 17,8 
32| 15,4 
42|. 14,0 13,4 16,4 29,8 
47 | 15,4 X 





Ventilator umgestellt 


















16,3 15,3 
4h05 | 16,5 15,6 15,0 , 
14 | 16,0 15,8| 15,2| 16,1 E 313 | 
21 | 15,8 15,8! 15,2| 16,0 31,2 Zi 57,6 8,8, 0,36 Füße kalt, sonst 
27 | 15,6 | 55,8 2 0,38 indifferent 
33 | 15,6 15,8| 15.2| 15,9 31,1 31,1 





Am folgenden Tag bettlägerig wegen Farónkdl und Fieber. 


Versuch vom 12, XII. 23. Versuchsperson H. 





































2h5] 14,1| 13,5 19,6| 33,1| 33,1 
3h01 14,0| 13,4| 19,7| 33,1| 33,1 
21,8* 14,0| 13,4! 19,7| 33,1| 33,1| 129,8; 3,9 




















in den Wind | | | 
Ber ` | 13,8] 13,2 19,7 32,9| 32,9) | | 
20 | 21,8 13,3 128| | 32,5| 32,5| 93,0 5,5 0,19 
23| 21,6 | 21,4 13,4 13,2| 12,7| 19,7 32,4 32,4 26,1| Ganz normal 
30 | 21,6 13,1| 12,6 19,7 32,3 32,3 95,0| 5,4 0,20 
34 | 134 129 [32,6 32,6 | 
36 | 21,4 13,2127,  |32,4| 32,4 | 





Von Paul Weiß. 


Versuch vom 12. XII. 23. 























Zeit 






'entilator umgestellt 









42 | 21,8 12,9| 12,4| 19,8 
47 |21,6 | 21,5) 13,4 12,6 12,1! 19,8 









12,7| 12,2 
12,2 11,7 
12,2 11,7 


21,6 | 
21,5 | 








19,8] : 




































65 


Versuchsperson H. (Fortsetzung.) 





Bemerkungen 










59,2! 8,6 ea 





ji 
Í 

























08 | 21,3 | Ventilator umgestellt 7 5 
12 21,2 | 21,2] 13,2] 11,11 10,7 30,6 
17 | 21,3 | 11,6 11,2 31,1 31,1) 47,7, 10,7 Kein Nachteil 
21 | 21,1 | 11.0 10,6| 19,9| 30,5 30,5| 45.4 11,2 1,41. 
Ventilator umgestellt | | | | | 
gä) | [100 9,6 29,5, 29,5, 33,4| 15,2 2,80 
31 | 20,9 [20,8 13,1, 9,1 8,8 20,0 28,8 28,8 | ag 
35 | 20,8 9,1| 8,8 20,0 28,8 28,8 | GC ci 
40 | 20,8 | 9.0) 8,71 ` 128,728,7) 31,0 16,41 3,24 | Etwas kühl 








Zusammenstellung der Katawerte und Stirntemperaturen in ruhender Luft, 


Tabelle VII. 


Versuchsperson P. 















































Datum | t t: lr e dt H Bemerkungen 
27. X. |18,0 16,2| 15,6| 15,1| 30,7| 32,5 
31.2: 11489 15,2| 14,6| 15,6 30,2) 32,5 
6. XI. | 24,2| 24,0| 21,6| 10,0| 9,6| 23,7| 33,3 35,5| 148,4 | 3,45| Heiß 
8. XI. | 23,6 11,8 11,4 23,5| 34,9 34,9 155,4 3,28 
14. XI. | 11,6| 11,4| 9,2) 14,1) 13,5! 16,2| 29,7| 29,7| 66,4| 7,70 
11,6, 14,0 14,0) 13,5| 16,2 29,7| 29,7 | 
17,4 18,1| 17,4| 15,0) 32,4 32,4| 90,4 5,65 
17,6 181 17,4| 15,0 32,4 32,4| 97,7 5,22 
24. XI. 10,2 | 20,4| 19,6) 8,7 28,3| 29,31 59,2 8,60. Nach jeder Verlage- 
10,2 19,6| 18,8| 8,8 27,6 28,6| 61,1 8,35 rung d. lustrumente 
18,6 21,0| 20,2| 10,6 30,8 32,5| 98,2 5,18 wird neu geeicht 
18,6 20,8| 20,9| 10,8 30,8 32,5| 97,8 5,21 
22,4 21,11 20,3 12,4 32,7 34,0 pl 
22,5 | [|21,1|20,3| 12,9| 33,2| 34,5| 104,2| 4,80| 
| 22,6 20,0| 19,2| 13,7 32,9 34,3| 107,5| 4,65 
26. XI. | 16,3 20,9| 20,1| 11,7 31,8 31,8 eet, 
27. XL | 17,5 21,2  20,4| 11,8| 32,2 32,2 äi 
| | | | 
Tabelle VIII. Versuchsperson H. 
22. X. 1181 13,7| 13,2| 16,8| 2001 31,8] 96,0| 5,30 
24. X. |18,8 13,8 13,3| 17,0) 30,3| 32,0 
26. X. [17,5 17,2 13,2 14,0 13,5 16,2 29,7 31,4| 88,4| 5,76 
16,9 13,9: 13,4| 16,3 29,7) 31,3| 
30. X. |18,8 19,6 13,6 14,2 13,6| 16,5 30,1| 31,8| 100,5, 5,10 
2. XI. | 26,6 9,2, 8,8| 23,6 32,5 34,5| 157,6 3,24 
9. XI. | 27,0 27,0, 18,0) 11,3 10,8) 24,1| 35,0 34,7| 135,0 2,60 Sehr schwül 
14. XI. | 11,6 11,4| 9,2) 13,9 13,4| 16,2, 29,6| 29,6 
17,6 17,0 16,3 15,0 31,3 31,3 
17,4 17,0 16,3, 14,9| 31,2) 31,2 
27. XI. | 18,6 18,2; 17,5| 14,5 32,0 32,0 
12. XII. | 21,8; 14,0, 13,4| 19,7| 33,1) 33,1 





Archiy für Hygiene. Bd. 96. 


66 


Die hygienischen Grundlagen der Lúftungstechnik usw. 


Zusammenstellung der Kata-Werte und Stirntemperaturen in bewegter Luft. 


Datum 


Tabelle IX. Vers Uche person: * E 


A 
X. 
27. X. 
A 


3. XII. 


2. XI. 


9. XI. 


28,5| 37,5 | 13,6 | 1,20 
28,6 | 37,8 | 13,5 | 1,40 
29,1| 39,5 | 12,9 | 1,40 
27,0 | 30,3 | 16,5 | 2,50 
32,2| 66,2 | 7,7/0,41 
54,0 | 9,5 | 0,78 
28,6 | 36,5 | 14,0 | 1,90 
27,7 | 28,5 | 17,9 | 3,30 
33,9 | 97,7 
33,9 | 83,0 
31,3 | 53,8 
21,2 | 26,4 | 28,5 | 31,0 
1| 82,0 
8 | 109 

8| 45,9 
,3| 81,2 
1 

2 


16,6 | 12,1 | 11,6 | 15,6 
18,1 | 11,0] 10,6 | 16,7 


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62,1 
46,8 
23,5 | 30,2 | 30,2 | 32,6 
15,8 | 1274 | 28,2 | 28,2 | 37,6 
18,6 | 18,8 | 18,1 | 12,3 | 30,4 | 30,4| 37,0 | 13,8 
18,8 | 16,9 | 16,2 | 12,8 | 29,0 |29,0 | 37,0 | 13,8 
18,7 | 16,3 | 15,7 | 13,0 | 28,7 | 28,7 | 35,8 | 14,2 
18,6 | 15,0 | 14,4 | 13,3 | 27,7 | 27,7 | 28,0 | 18,2 
18,2 | 13,8 | 13,3 | 14,2 | 27,5 | 27,5| 27,0 | 18,9 
18,2 | 16,1 | 15,5 | 16,7 | 32,2 | 32,2 |. 81,8 | 6, 
18,5 | 14,1 | 13,5 | 16,8 | 30,3 |30,3 | 53,2 

18,6 15,1 | 145 | 16,8 | 31,3 | 31,3] 69,3 
oi 95/171 26,6|26,6| 26,0|1 
1 23,9 |2 
'8 | 123 | 15.8 | 28,1 | 28,1! 43,0 |1 
518| 9, 
51.0 | 10,0 0,45 
55,8 | 9,2 | 0,38 


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- 








Tabelle X. Versuchsperson H. 

| 
10,7 | 17,1 ' 27,8 | 29,2 
11,6 | 15,6 27,2 | 28,5 





39,6! 12,9 
37,5| 13,6 | 1,20 
32,6 | 15,6 | 3,00 
20,0 | 13,8 | 13,3 | 16,7 | 30,0 | 31,7 | 80,6| 6,3 | 0,20 | 
20,0 | 12,1 | 11,6 | 17,1 | 28,7 |30,2| 57,2| 9,0|0,65 
19,6 | 10,1 | 9,7 | 17,5 | 27,2 | 28,5 | 35,3 14,4 | 2,00 


























19,6| 8,9| 8,5 |18,1 | 26,6 | 27,8 28,4| 18,0 | 3,40 
26,0| 7,1 | 6,8 | 23,8 | 30,6 | 32,4 112 | 4,6, 0,35 
264 | 7,0 | 6,7 | 24,2 | 30,9 | 32,7 | 85,4| 6,0 | 0,80 
25,2 | 5,7 | 5,5 | 24,5 | 29,9 | 31,8 | 55,7] 9,2 | 1,90 
24,6 | 4,1 | 3,9 | 24,6 | 28,5 | 30,0 | 34,4| 14,8 , 4,60 
26,6 | 10,9 ; 10,5 | 24,3 | 34,8 34,8 '127 | 4,0 0,23 
26,6 | 10,2 | 9,8 | 24,5 | 34,3 | 34,3 |108 | 4,7 ,0,45 
27,41 9,2| SO 24,6 | 33,5 33,5 | 74,6| 6,8 1,50 
26,8| 8,5| 8,2 | 24,8 | 33,0 | 33,0 | 59,8| 8,5 ; 2,25 
26,5| 7,3; 6,9 | 24,9 | 31,8 | 31,8 | 40,6| 12,6 | 5, 











1,40 


Bemerkungen 





Mäßiges Kältegefühl 


kühl 
kühl 


ganz angenehm 
Beine kühl 


Erfrischende Wirkung 
angenehm erfrischend 
Befinden gut 


Noch etwas drückend 
drückend 

erfrischend 

drückend 


frisch 


unangenehm kalt 
Etwas kúhl 

Noch kühler l 
Erheblich. Frostgefühl 
Sehr kühl 

kalt. 

indifferent 

ganz leicht kühl 
indifferent 

sehr kalt 

recht kühl 

‚leicht kühl 


Kalte Füsse (Fieber.) 


kühl, Wind ungleich- 
mäßig 


ganz angenehm 
_frösteln 

kalt 

keine Erleichterung 
Befinden gut 
angenehme Brise 
thermisch angenehm 
schwül 

noch drückend 

ganz gut 


5 | frisch 
00 | Wind unangenehm 


Von Paul WeiB. 67 


Zusammenstellung der -Kata-Werte und Stirntemperaturen in bewegter Luft. 
Tabelle X. Veasuchsperson H. (Fortsetzung.) 














Datum EN e dt to le D, T: H v Bemerkungen 


27. XI. | 19,6 | 15,0 | 14,4 | 15,0 | 29,4 | 29,4 | 45,3| 11,2 | 1,10 | frósteln 
19,6 | 13,2 | 12,7 | 15,4 | 28,1 | 28,1 | 37,0| 13,8 | 1,84 | Frostgefühl 
19,0 | 11,9 | 11,4 | 15,7 | 27,1 | 27,1 | 28,6| 17,8 | 3,10 

12. XII. | 21,4 | 13,2 | 12,7 | 19,7 | 32,4 | 32,4 | 95,0| 5,4 | 0,20 | ganz normal 
21,3 | 12,2 | 11,7 | 19,8 | 31,5 | 31,5 | 59,2| 8,6 | 0,76 | gut 
21,1 | 11,0 | 10,6 | 19,9 | 30,5 | 30,5 | 45,4| 11,2 | 1,40 | kein Nachteil 
20,8 | 9,0 | 8,7 | 20,0 | 28,7 | 28,7 | 31,0] 16,4 | 3,24 | etwas kühl 


Im Glaskasten. 
8,4 | 0,72 | sehr angenehm 
67,0 | 7,6 | 0,66 | angenehm 











15,9 








bet ei 
o. » 





32,7 | 32,7 











9 
26,0 17,4 


Versuche in feuchter Luft. 
. Bezeichnungen wie früher. 
Weitere Bezeichnungen: 


= Galvanometerstellung am Anfang. 
a = Galvanometerstellung am Ende. 

= Galvanometerausschlag. 
Or = Korrigierte Ölbadtemperatur. 


Versuch vom 28. XII. 28. Versuchsperson H. 


EEE AZ A EEE En A EEE EEE EEE EEE EEE EE A A Ol 
Zeit t ong a da dt L T: Bemerkungen 

















































































1230 |23,9* 97,31. 
33 |24,0*| 24,5 | 23,5 35,4 
37 24,7123,9| 72,0 |41,7,30,3|14,0|13,4|19,1|32,5 
44 124,5* 114 
45 41,1 30,9|14,3|13,7|19,5| 33,2 
57 |24,9*|25,1 | 23,7 41,5/30,5|14,8|14,2|19,2|33,4|134 |38,6 
60 125,1* 41,6|30,4|15,0|14,4 | 19,2 | 33,6 Sehr roter Kopf 
Versuch vom 4. I. 24. Versuchsperson H. 
11h 122 
AP TE 114,2|13,6|19,9|33,5 
34 25,0* 
43 125,6* ,3/41,7|30,1/14,5/13,9|19,9|33,8 
Versuch vom 7. I. 23. Versuchsperson H. 
1h12 ¡24,8*| 24,7 31,6 | 
24 24,9*|24,9 ie miso: 13,2. 12,6 20,6 33,2 
38 24,8|16,2 30.8138 164 |37,3 
47 125, ‚0* 71, ‚6 a II, 









































68 Die hygienischen Grundlagen der Lüftungstechnik usw. 


Literaturverzeichnis. 
(1) v. Pettenkofer, „Über den Luftwechsel in Wohngebäuden“, München 
1858 


(2) Flügge, Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten (Z. f. H. u. I.) 
1905, Ausführliche Literaturangaben. 

(3) Leonard Hill, Smithonian Miscellaneous Collections, 1913: ‚The influence 
sl the atmosphere on our health and comfort in confined and crowded 
places.‘ 

(4) B. Heymann, Z. f. H. u. I. 1905: „Über den Einfluß wieder eingeatmeter 
Expirationsluft auf die CO,-Abgabe.“ 

(5) Brown-Séquard und d’Arsonval, Comptes rendus T. CV. 

(6) Vgl. die ausführlichen Literaturangaben Formäneks in seiner Arbeit: 
„Über die Giftigkeit der Ausatmungsluft.“ 

(7) J. Rosenau und L. Amoss, „Organic matter in expired breath“, Heating 
and Ventilating Magazine, Dez. 1911. 

(8) L. Paul, „Die Wirkung der Luft bewohnter Räume“, Z. f. H. u. I. 1905. 

(9) Rubner, Handbuch für Hygiene. 

(10) Lange, „Über den Einfluß bewegter Luft auf das therm. Verhalten des 
Menschen“, Z. f. H. u. I. 1921. 

(11) NuBbaum, Gesundheitsingenieur 1914, S. 441 und 1915, S. 294. 

(12) Krieger, Straßburg, 1876. 

(13) Derselbe, „Wert der Ventilation“, Straßburg 1899. 

(14) Frankenháuser, Med. Klin. 1911, Bd. 7. 

(15) C. Dorno, Zeitschr. f. phys. u. diätetische Therapie 1923, „Über geeignete 
Klimadarstellung**. 

(16) L. Hill, Revue internationale d'hygiène publique 1921, Nr. 3, „Les rela- 
tions entre la santé et l’atmosphere ambiante‘, sowie: The science of 
ee and open air treatment‘, H. M. Stationery Office London, 

art. I, 19. 

(16a) L. Hill, „The Katathermometer in studies of body heat and efficiency, 
H. M. St. Off. London 1923, sowie: „Health and ventilation“, Heating 
and Vent. Mag. Nov. 1912. 

(17) M. Wierz, 33. Mitteilung der Versuchsanstalt für Heizung und Lüftung. 

Hinlein, Vergleiche auch Literaturangaben von Hinlein, 99. Forschungs- 
heft des V.d. I. 

Gröber, sowie: Gröber, „Grundgesetze der Wärmeleitung und des Wärme- 
überganges‘“. 

(18) v. Bezold, Ztschr. f. Luftschiffahrt u. Phys. d. Atm. 1894. 

(19) F. Linke, „Das Prött-Theorem‘, Meteorolog. Ztschr. 1922, S. 267. 

(20) W. Knoche, Archiv der deutschen Seewarte 1905. 

(21) Vincent, „La determination de la temperature climatologique‘ Ciel et 
Terre, 1890, sowie: Nouvelles recherches sur la temp. clim., Brüssel 1906. 

(22) Flügge, Festschrift Rob. Koch, Jena 1903. 

(23) Heymann und Reichenbach, ‚Beziehungen zwischen Haut- und Luft- 
temperatur“, 2. f. H. u. I. 1907. 

(24 Heymann, „Über den Einfluß des Windes auf die Wärmeabgabe toter 

) Objekte‘, Z. f. H. u. I. Bd. XLVI, S. 196. 

(25) Vernon, ‚The index of comfort at high atmospheric temperatures“‘ in „The 
Katathermometer in studies of body heat and efficiency”, London H. M. 
St. Off. 1923. 

(26) R. Kimura, „Ermüdungsstudien bei genau bemessener körperlicher Ar- 
beit“, Z. f. H. u. I. . 98. 

(27) F. Bradtke, Meteorologische Zeitschrift 1918, S. 313. 


$ 


Untersuchungen zur Klärung der Bleiverftiichtigung beim 
homogenen Verbleien und Bleilöten unter Verwendung 
verschiedener Gebläseflammen. 


Von 


Reg.-Rat Dr. Hans Engel und Dr. phil. Victor Froboese, 


Mitglied i Regierungsrat 
im Reichsgesundheitsamt. 


(Aus dem gewerbe-hygienischen Laboratorium des Reichsgesundheitsamts.) 
(Bei der Redaktion eingegangen am 20. April 1925.) 


Erfahrungen, welche der eine von uns während seiner früheren Tätigkeit 
in der chemischen Industrie sammeln konnte und die sich später bei größer 
angelegten in den Jahren 1920—1922 vom Reichsgesundheitsamt vor- 
genommenen Erhebungen über die Gesundheitsgefährdung in Betrieben 
zur Verarbeitung von metallischem Blei bestätigt haben!), ließen es als 
erwiesen erscheinen, daß bei der Bleilóterei, und zwar vor allem bei der 
sogenannten Homogenverbleiung, die Arbeiter in einem gewissen Maß 
der Gefahr der Bleierkrankung ausgesetzt sind, und daß diese Gefährdung 
ganz hauptsächlich durch die Entstehung und Einatmung von Bleidämpfen 
bzw. von Bleirauch (Bleioxyd in feinster Verteilung) herbeigeführt wird. 
Diese Auffassung war zunächst aus dem Ergebnis der ärztlichen Unter- 
suchungen und Feststellungen an den Arbeitern in Betrieben zur Verar- 
beitung von metallischem Blei und aus dem Studium der Arbeitsvorgänge 
gewonnen, indem sich dabei immer wieder herausstellte, daß, wenn auch 
nicht ausschließlich, so doch ganz überwiegend Bleilöter, insbesondere die 
Homogenverbleier, Anzeichen der Bleiwirkung aufwiesen. Das ließ sich 
kaum anders als durch die Bleiverflüchtigung erklären, die mit besonders 
starker und ausgedehnter oberflächlicher Erhitzung der bearbeiteten Blei- 
fläche verbunden ist, da die Aufnahme von Blei auf anderem Wege, 
insbesondere durch äußere Beschmutzung, gerade bei diesen Arbeiten, 
nur in geringerem Maße stattfinden kann. Bei diesen Erhebungen wurde 
auch schon der Versuch gemacht, durch Luftuntersuchung an einer Arbeits- 


1) H. Engel, Über die Gesundheitsgefährdung bei der Verarbeitung von 
metallischem Blei mit besonderer Berücksichtigung der Bleilöter, Heft 13 der 
Schriften aus dem Gesamtgebiet der Gewerbehygiene, herausgegeben von der 
Deutschen Gesellschaft f. Gewerbehygiene, Verlag v. J. Springer. 


Archiv für Hygiene. Bd. 96. 6 


r 


70 Untersuchungen zur Klärung der Bleiverflüchtigung usw. 


stelle und durch Untersuchung an geeigneter Stelle entnommener Staub- 
proben die Entstehung von Bleirauch bei der homogenen Verbleiung 
nachzuweisen. (Näheres hierüber a. a. O.) 

Ähnliche Untersuchungen über den Bleigehalt der Luft an der Arbeits- 
stelle bei loser Verbleiung sind mit positivem Ergebnis in einer englischen 
Akkumulatorenfabrik ausgeführt worden (laut amtlicher Mitteilung an 
das Reichsgesundheitsamt). Ebenso haben ältere Untersuchungen des 
Reichsgesundheitsamtes!) bei der nämlichen Arbeit (lose Verbleiung bei 
der Herstellung von Akkumulatorenkästen und dem Zusammenlöten von 
Akkumulatorenplatten zu Sätzen) die „Bleiverdampfung‘‘ wahrscheinlich 
gemacht. Neuerdings ist die Frage der Bleiverflüchtigung bei der Blei- 
löterei durch Luftuntersuchungen im Betrieb und in einer die Bedingungen 
der Homogenverbleiung annähernd nachahmenden Versuchsanordnungen 
im Laboratorium in der Chemisch-Technischen Reichsanstalt?) geprüft 
und dabei die Möglichkeit der Einatmung von Bleidämpfen dargetan 
worden. 

Alle diese Untersuchungen haben übereinstimmend die Tatsache einer 
Bleiverflüchtigung bei dem Arbeitsvorgang der Bleilöterei festgestellt. 
Daß diese Bleiverflüchtigung in einem für die Gesundheit schädlichem 
Maße stattfinden kann, und daß sie wenigstens bei der Homogenverbleiung 
die Hauptquelle der Bleigefährdung bildet, wurde durch das Ergebnis 
der ärztlichen Untersuchung und zwar nur durch diese, erwiesen. (Die 
inzwischen erschienene Arbeit von Fischer?) läßt u. E. keine gegen- 
teiligen Schlußfolgerungen zu, da die gewählte Versuchsanordnung zur 
Entscheidung der Frage nicht geeignet ist.) Daraus ergab sich aber als 
wichtigster gewerbehygienischer Gesichtspunkt für die Verhütung der 
Bleigefährdung beim Homogenverbleien die Beseitigung oder Einschrän- 
kung der Entstehung und Einatmung des Bleirauchs. Die gegen die Ge- 
fährdung durch äußere Beschmutzung gerichtete rein persönliche Pro- 
phylaxe, allgemeine Sauberkeit, Händereinigung usw., konnte nicht ge- 
nügen. 

Im Verfolg dieser Frage war, wie schon in der früheren erwähnten 
Veröffentlichung dargelegt, zu prüfen, wie sich verschiedene in der Technik 
verwendete oder verwendbare Gebläseflammen hinsichtlich der Bleiver- 
dampfung bzw. Bleiverflüchtigung vergleichsweise verhalten, und ob in 
dieser Beziehung wesentliche Unterschiede von praktischer Bedeutung 
zwischen ihnen bestehen. Hierüber konnte aus den vorliegenden ärzt- 
lichen Untersuchungen nichts gefolgert werden. Diese Fragestellung war 
aber der experimentellen Lösung im Laboratoriumsmodellversuch zu- 
gänglich. Sie bildet den Gegenstand der im Folgenden mitgeteilten Unter- 
suchung, die also, wie ausdrücklich hervorgehoben werden soll, nach ihrer 
ganzen Anlage nicht dazu bestimmt war, die tatsächlich bei der Arbeit 
zur Einatmung gelangenden Bleimengen festzustellen, oder aus den ge- 
fundenen absoluten Bleimengen Schlußfolgerungen dieser Art zu ziehen. 


1) Wutzdorff, Arbeiten aus dem Reichsgesundheitsamt, Bd. 15. S. 166. 

2) Jahresbericht 111 der Chemisch-Technischen Reichsanstalt 1922—1923, 
S. 92. 

3) Archiv f. Hygiene Bd. 94, S. 342. 





Von Dr. Hans Engel und Dr. Victor Froboese. 11 


Der gewerbehygienische Kernpunkt unserer Fragestellung war vielmehr 
ausschließlich der, ob sich bei der vergleichenden Untersuchung ver- 
schiedener Gebläseflammen unter der praktischen Verwendung möglichst 
entsprechenden Bedingungen hinsichtlich der Bleiverflüchtigung so große 
Unterschiede feststellen ließen, daß es gerchtfertigt erschien, die Verwen- 
dung gewisser Gebläseflammen zu vermeiden oder zu verbieten und ihren 
Ersatz durch andere zu empfehlen. Tatsächlich verwendet werden in der 
Praxis neben der Wasserstoff-Sauerstoff-Flamme, die bei weitem am 
häufigsten Anwendung findet, die Wasserstoffdruckluftilamme, die 
Azetylen-Sauerstoffllamme und die Leuchtgasdruckluft- und Sauerstoff- 
flamme. 

Der Gedanke, der der ganzen Fragestellung und der danach zu wäh- 
lenden Versuchsanordnung zu Grunde lag, war, wie das nahe liegt, der, daß 
die Intensität der Bleiverflüchtigung unter den beim Arbeitsvorgang der 
Bleilöterei herrschenden Bedingungen, d. h. bei unmittelbarer Berührung 
der schmelzenden oder geschmolzenen Bleioberfläche mit der sehr heißen 
Gebläseflamme, hauptsächlich von der spezifischen Flammentemperatur 
abhängen muß. Wollte man diese Abhängigkeit einfach theoretisch aus 
der Dampfspannungskurve des Bleis ableiten, die relative Bleiverflüch- 
tigung also als Funktion der Bleidampfspannung und der spezifischen 
Flammentemperaturen betrachten, wo würde man entsprechend dem 
Verlauf der Dampfspannungskurve. im Bereich der in Betracht kommenden 
Flammentemperaturen zu ganz erheblichen Unterschieden gelangen. Die 
Bleiverflüchtigung wäre danach unter dem Einfluß der Azetylensauerstoff- 
Flamme auf das 4fache gegenüber der Wasserstoff-Sauerstoff-Flamme 
und etwa das 15fache gegenüber der Wasserstoff-Druckluftflamme anzu- 
nehmen, wenn man als spezifische Flammentemperaturen 3000, 2400 und 
1950° zu Grunde legt, wie das Diagramm der Bleidampfspannung in Ab- 
bildung 1 zeigt. Auf die praktischen Verhältnisse läßt sich das Ergebnis 
einer solchen Berechnung, abgesehen von der vermutlich verhältnismäßig 
geringeren thermischen Ausnutzung höherer Flammentemperaturen, u. a. 
schon deshalb nicht ohne weiteres übertragen, weil die Verwendung der 
Gebläseflammen nicht immer unter Speisung mit der optimalen Gas- 
mischung und voller Ausnutzung der thermisch optimalen Flammenzone 
erfolgt. Außerdem war mit dem Einfluß anderer, von vornherein nicht zu 
übersehender Faktoren auf die Bleierhitzung und auf die Bleiverflüchtigung 
zu rechnen. 

Einen erheblicheren Einfluß erwarteten wir insbesondere davon, ob 
die mit der Bleioberfläche in Berührung kommenden Flammenzonen mehr 
reduzierende oder oxydierende Eigenschaften besaßen, und nahmen uns 
vor, auch diese Frage in geeigneter Weise in den Bereich unserer Unter- 
suchungen zu ziehen. 

Gerade diese Unsicherheit der rein theoretischen Behandlung der Frage 
rechtfertigte ihre Inangrifínahme im Experiment. Immerhin sahen wir 
zunächst die Flammentemperatur als die hauptsächlich maßgebende 
Eigenschaft der verschiedenen Flammen an, so zwar, daß die spezifische 
Bleiverflüchtigung in Abhängigkeit von der spezifischen Flammentem- 
- peratur ungefähr in der Reihenfolge der Anwendung folgender Flammen 
6* 


72 Untersuchungen zur Klärung der Bleiverflüchtigung usw. 


ansteigen mußte: Leuchtgas-Druckluftflamme, Wasserstoff-Luftflamme, 
Wasserstoff-Sauerstofí-Flamme, Azetylen-Sauerstoff-Flamme. 

Unsere Arbeitshypothese war also die, daB der Umfang der Bleiver- 
flüchtigung bei der Erhitzung einer geschmolzenen Bleioberfläche mittels 
verschiedener Gebláseflammen, der unter sonst gleichen Bedingungen 
nach Maßgabe der Dampfspannungskurve des Bleis als abhängig von der 
spezifischen Flammentemperatur gedacht werden muß, außerdem aber 
auch durch andere Eigenschaften der verwendeten Flammen, insbesondere 
ihre reduzierenden oder oxydierenden Wirkungen (aber auch durch 
Unterschiede und Zufälligkeiten in der Art ihrer Anwendung) beeinflußt 
werden dürfte, auch unter geeigneten Versuchsbedingungen, die den 
praktischen Verhältnissen bei der Bleilóterei möglichst entsprechen, 
diese Abhängigkeit noch so deutlich erkennen läßt, daß daraus Nutzan- 
wendungen für die gewerbehygienische Beurteilung der verschiedenen 
gebräuchlichen Flammenarten gezogen werden können. 

An sich wäre es erwünscht gewesen, zur Lösung der gestellten Frage 
eine Versuchsanordnung zu finden, die es ermöglicht hätte, unter den ver- 
schiedenen Faktoren, deren Einfluß vorauszusetzen oder sicher zu erwarten 
war, jeden einzelnen, zunächst also die uns in erster Linie interessierende 
Flammentemperatur, für sich allein, d. h. unter sonst ganz gleichen Be- 
dingungen zu prüfen. Wir mußten uns aber von vornherein sagen, daß 
eine diesem Ziel entsprechende Versuchsanordnung kaum — und jedenfalls 
nicht mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln — zu verwirklichen war. 
Die Gesichtspunkte und Überlegungen, welche zur Wahl der unten näher 
beschriebenen Versuchsanordnung führten, waren folgende: Wollte man 
den Einfluß der spezifischen Flammentemperatur in den beobachteten 
Bleiverdampfungswerten möglichst rein in die Erscheinung treten lassen 
und ermitteln, so kam es in erster Linie darauf an, den wirksamen Be- 
rührungsquerschnitt der verwendeten Gebläseflamme, d. h. den von der 
Flamme unmittelbar getroffenen Teil der geschmolzenen Bleioberfläche 
in allen Versuchen möglichst gleich groß zu machen. Denn nur im Bereich 
dieser Berührungsfläche — und zwar in einer Oberflächengrenzschicht, 
die man sich beliebig dünn vorstellen mag — ist eine der spezifischen Flam- 
mentemperatur nahe kommende und in engerer Abhängigkeit von ihr 
stehende Temperatur anzunehmen. Außerhalb dieser Berührungsfläche 
nach der Tiefe und vor allem entlang der Oberfläche selbst, fällt diese 
Temperatur sehr rasch ab auf Werte, bei welchen eine nennenswerte Blei- 
verdampfung nicht mehr stattfinden dürfte. Im Bereich dieses Oberflächen- 
temperaturgefälles ist demnach die Bleiverdampfung — wenn überhaupt 
noch vorhanden — ganz geringfügig gegenüber dem Hauptanteil der Blei- 
verdampfung, welcher im Bereich des unmittelbaren Berührungsquer- 
schnittes stattfindet. Besteht demnach die gesuchte Beziehung zwischen 
Bleiverdampfung und spezifischer Flammentemperatur nur in dieser 
„Überhitzungszone‘, so läßt sie sich durch die Bestimmung der Gesamt- 
bleiverdampfung — in Wirklichkeit natürlich eines aliquoten Teils 
derselben — ermitteln, wenn die wirksame Berührungsfläche zwischen 
Flammenkegel und Bleioberfläche stets annähernd gleich oder doch ihrer 
Ausdehnung nach bekannt ist. — Diese räumliche Beschränkung der Blei- 


Von Dr. Hans Engel und Dr. Victor Froboese. 73 


verdampfung auf den Flammenberührungsbereich läßt sich unter Berück- 
sichtigung der innerhalb derselben und in seiner náchsten Umgebung 
herrschenden Temperaturverháltnisse erkennen, wenn man das Diagramm 
der Bleidampfspannung — bei steigenden Temperaturen in Abb. 1 be- 
trachtet, wonach die Bleidampfspannungskurve erst bei oberhalb 1600° 
(ungefährer Siedepunkt des Bleis) liegenden Temperaturen steil anzu- 
steigen beginnt. 

Aus diesem Verlauf der Bleidampfspannungskurve ergibt sich auch — 
und das war ein wichtiger Punkt in unseren Überlegungen, der deshalb 
hier kurz erwähnt werden soll —, daß die Bleiverdampfung durch Flammen, 
die an der Berührungsfläche nur Temperaturen unterhalb 1600° erzeugen, 
viel geringer sein wird, als diejenige bei Anwendung von Flammen, die 
hier wesentlich höhere Temperaturen entstehen lassen. Außerdem ent- 
sprechen den Temperaturintervallen im Bereich der zunehmenden Steilheit 
der Bleidampfspannungskurve oberhalb 1600% — wesentlich größere Unter- 
schiede in der Bleiverdampfungsgeschwindigkeit. Daraus ergibt sich, daß 
verschieden große Wärmezufuhr an sich einen viel geringeren Einfluß auf 
die Bleiverdampfung hat als die verschiedenen Temperaturen, unter denen 
die gleiche Wärmezufuhr stattfindet. Man kann also z. B. mit einer ent- 
sprechend großen Flamme niederer Temperatur die gleiche oder selbst höhere 
Wärmezufuhr und dementsprechend gleiche und selbst größere räumliche 
Ausdehnung der Schmelzwirkung erzielen, wie mit einer kleineren Flamme 
höherer Temperatur, ohne daß es dabei zu einer ebenso großen Blei- 
verdampfung zu kommen braucht. Diese kann sogar — trotz größerer 
Berührungsfläche — im ersteren Falle geringer ausfallen. Es hängt eben 
die spezifische Bleiverdampfung verschiedener Gebläseflammen ver- 
mutlich nach Maßgabe der nicht geradlinig, sondern mit zunehmender 
Steilheit verlaufenden Bleidampfspannungskurve von der spezifischen 
Flammentemperatur ab. Um sie im Versuch zu messen, hätten, wie oben 
gesagt, die Berührungsquerschnitte, in welchen die spezifische Flammen- 
temperatur wirksam ist, annähernd gleich oder ihrer Ausdehnung nach 
bekannt sein müssen. Diese Bedingung einzuhalten, war aber aus ver- 
schiedenen Gründen nicht möglich. Einerseits lassen sich Flammengröße 
und Flammenform, zumal bei Verwendung verschiedener Heizgase und der 
danach zu wählenden Arbeitsdrucke nicht so einstellen, daß der geomet- 
rische Berührungsquerschnitt mit der Bleioberfläche jedesmal der gleiche 
ist; denn Flammenstruktur und auch die von der Strömungsgeschwin- 
digkeit der Flammengase abhängige Deformation der Flamme an der 
Berührungsstelle ändern sich hierbei von Fall zu Fall in unübersehbarer 
Weise. Außerdem ist es aber auch unmöglich, das Mischungsverhältnis 
der speisenden Gase so zu ‚regulieren und mangels genauer Kenntnis der 
Temperaturverteilung jeder einzelnen Flamme diese so mit der Bleifläche 
in Berührung zu bringen, daß innerhalb der jeweiligen Berührungsfläche 
überhaupt eine bestimmte, der spezifischen nahekommende mittlere Flam- 
mentemperatur zur Wirkung gelangt. Besonders in den Versuchen mit 
mehr oxydierend oder reduzierend eingestellten Flammen mußten sich die 
hierbei auftretenden Änderungen der Flammenstruktur und Flammen- 
temperatur störend geltend machen. 


74 Untersuchungen zur Klärung der Bleiverflüchtigung usw. 


Aus allen diesen Gründen mußten wir von vornherein auf eine wissen- 
schaftlich exakte Beobachtung der Beziehungen zwischen spezifischer 
Flammentemperatur und Bleiverdampfung verzichten und uns auf eine 
Versuchsanordnung beschränken, welche grobe Fehler — durch die 
mangelhafte Beherrschung der zur Wirkung gebrachten Flammenquer- 
schnitte und Temperaturen selbst sowie der übrigen besonders zu prüfenden 
oder daneben in Betracht kommenden Einflüsse — soweit ausschloß, daß 
wenigstens große und regelmäßige Ausschläge der Versuchsresultate zur 
Beantwortung der gestellten Frage verwertet werden konnten. Bei der 
Wahl einer solchen Versuchsanordnung war zunächst eine mögliche An- 
näherung an die Bedingungen der praktischen Homogenverbleiung anzu- 
streben, und zwar sowohl hinsichtlich der Art der verwendeten Brenner 
und ihrer Anwendungsweise als auch hinsichtlich des Arbeitsvorganges 
selbst, der in seiner grundsätzlichen Eigenart nachzuahmen war. Hierzu 
gehörte zunächst, daß die Flamme und die zu erhitzende Bleioberfläche 
gegeneinander bewegt wurden, und daß die letztere stets in bereits ge- 
schmolzenem Zustand mit der Flamme in Berührung kam. Wir erreichten 
das durch Verwendung des weiter unten näher beschriebenen, um eine 
senkrechte Achse exzentrisch zur Flammenberührungsstelle rotierenden 
Bleibades. Die zu prüfenden Gebläseflammen wurden nach Möglichkeit 
in der bei der Bleilóterarbeit üblichen Art und Weise zur Wirkung ge- 
bracht, d. h. es wurde — abgesehen von den Versuchen, deren besonderer 
Zweck und Fragestellung eine Abweichung hiervon erforderlich machten — 
das Gasgemisch auf optimale Heizwirkung und ruhiges, gleichmäßiges 
Brennen eingestellt und ungefähr die geometrische Mitte des äußeren 
Flammenkegels mit der Bleioberfläche in Berührung gebracht. Daß hierbei 
nicht immer Flammen und Flammenzonen mit der größtmöglichen 
Heizwirkung bzw. die spezifische Flammentemperatur zur Wirkung kamen, 
ist bereits gesagt, entsprach aber dem wesentlich praktischen Zweck der 
Untersuchung. Auch konnten wir wenigstens bei normal eingestellten 
Flammen damit rechnen, daß sich die wirksamen Flammentemperaturen 
bei Flammen verschiedener Art so zu einander verhielten, wie die spezi- 
fischen Flammentemperaturen, also entsprechend der oben wiedergege- 
benen Reihenfolge. 

Es handelte sich nun weiter um die Frage, wie zu erreichen war, daß, 
wenn auch die Berührungsfläche zwischen Flamme und Bleioberfläche 
unbekannt und nicht stets annähernd gleich war, der Einfluß der unver- 
meidbaren Unterschiede das Ergebnis nicht in irreführender Weise fälschen 
konnte. Bei der oben dargelegten Unmöglichkeit, ersteres in zuverlässiger 
Weise zu erzielen, beschränkten wir uns darauf, die Flammengröße zunächst 
(beurteilt nach dem optischen Eindruck und unter Berücksichtigung der 
der Arbeitsdrucke) möglichst gleich einzustellen, und halfen uns im übrigen 
in folgender Weise: Die Gesamtheizwirkung der Flammen — in der Haupt- 
sache abhängig von der Flammentemperatur, der Flammengröße sowie 
dem Berührungsquerschnitt — ließ sich einigermaßen an Hand des Schmelz- 
effekts beurteilen. Dieser trat gerade bei dem rotierenden Bleibad dadurch 
sinnfällig in die Erscheinung, daß sich ein offener oder geschlossener Schmelz- 
rıng bildete, dessen Breite nach erreichtem Temperaturgleichgewicht von 


Von Dr. Hans Engel und Dr. Victor Froboese. 19 


der Gesamtheizwirkung der Flamme abhängig war. Wir versuchten nun 
diesen Schmelzring, insbesondere seine Breite in Flammennähe, durch 
entsprechende genauere Einregulierung der zunächst schätzungsweise 
eingestellten Gebläseflamme möglichst gleich zu halten, nachdem diese 
genügend lange eingewirkt hatte und das ganze System des rotierenden 
Bleibades einigermaßen temperaturstabil geworden war, oder, soweit wir 
dies nicht ganz erreichten, wenigstens aus der beobachteten Breite des 
Schmelzringes ein annäherndes Urteil über die Gesamtheizwirkung zu 
gewinnen. Wurde diese derart (was allerdings nicht in allen Versuchen 
gelang) einigermaßen gleichgehalten, so war eine gewisse Gewähr dafür 
gegeben, daß in den Versuchen mit Flammen höherer Temperatur der 
wirksame Flammenberührungsquerschnitt nicht größer sondern eher 
kleiner war als in denjenigen mit weniger heißen Flammen. Wenn, wie 
das von vornherein für notwendig gehalten wurde, fernerhin nur sehr 
erhebliche und in gleichen Versuchsreihen konstante Unterschiede in der 
Bleiverflüchtigung unseren Schlußfolgerungen zu Grunde gelegt wurden, 
so konnten mit gutem Recht die gefundenen Unterschiede, wenn sie in 
entsprechender Richtung lagen, als der Ausdruck der jeweiligen spezi- 
fischen Bleiverflüchtigung und, wie wir voraussetzten, in erster Linie des 
Einflusses der verschiedenen Flammentemperaturen angesehen werden. 
Wesentlich war, wie gesagt, die Einhaltung einer einigermaßen gleichen 
Gesamtheizwirkung, über deren Größe die Beobachtung der Schmelz- 
ringbreite Aufschluß gab. So war auch eine gewisse Kontrolle über andere 
nicht eindeutig zu regelnde, aber die Bleiverdampfung thermisch beein- 
flußende Faktoren möglich, sodaß bei ausschließlicher Berücksichtigung 
erheblicher und konstanter Unterschiede grobe Irrtümer vermieden 
wurden. Im Hinblick auf die praktische Nutzanwendung hatte dieses 
Vorgehen außerdem den Vorteil, daß der Umfang der Bleiverflüchtigung 
bei Flammen gleicher Heizwirkung und demnach gleicher technischer 
Verwendbarkeit verglichen wurde. 

Allerdings erwies sich bei einigen der ersten Versuche mit Flammen 
von geringer spezifischer Temperatur und mäßiger Heizkraft die Schmelz- 
wirkung nicht immer als ausreichend, um auf dem rotierenden Bleibade 
einen geschlossenen Schmelzring zu erzeugen oder wenigstens Gewähr 
dafür zu bieten, daß die Bleioberfläche stets in schon geschmolzenem Zu- 
stand in den Flammenbereich eintrat. Hierauf mußte aber im Interesse 
der Gleichmäßigkeit der Versuchstechnik und der Vergleichbarkeit der 
Versuchsergebnisse Wert gelegt werden. Wir halfen uns (es handelte sich 
nur um wenige Versuche, bei denen dies im Protokoll ausdrücklich vermerkt 
ist) dadurch, daß wir das Bleibad von unten an einer von dem Flammen- 
wirkungspunkt möglichst entfernten Stelle soweit -erhitzten und warm- 
hielten, daß das Blei schon in einiger Entfernung vor dem Eintritt in die 
Flammenzone zu schmelzen begann. Dieses Vorgehen sollte also im wesent- 
lichen eine Verminderung der Wärmeverluste durch die Abkühlung des 
Bleibades während der Rotation bewirken. Auf die Bleiverdampfung war 
ein Einfluß dieser Wärmezufuhr durch Hilfsheizung, abgesehen von der 
beabsichtigten Vermeidung einer möglichen Fehlerquelle, kaum zu erwarten. 
In den meisten Versuchen, insbesondere den wichtigen Versuchen mit 


76 Untersuchungen zur Klärung der Bleiverflüchtigung usw. 


heißeren Flammen (vor allem mit der Wasserstoff-Sauerstoff- und Aze- 
tylen-Sauerstoff-Flamme) hat sich eine derartige Hilfsheizung als ent- 
behrlich erwiesen. Sie wurde hier nur zur Vorwärmung des Bleibades 
bis zur genügenden Temperaturstabilität benutzt. 

Die praktische Durchführung der im Vorstehenden grundsätzlich -be- 
schriebenen Versuchsanordnung, die Art der Bestimmung der Bleiver- 
flüchtigung usw. sind im experimentellen Teil näher dargestellt. Dort 
sind auch die Versuchsergebnisse in einer Tabelle zusammengestellt und 
im einzelnen erläutert und besprochen. 

Zunächst mochte es immerhin bedenklich erscheinen, die Beziehungen 
zwischen der Bleiverflüchtigung und den spezifischen Flammentempe- 
raturen in Versuchen zu beobachten, in denen nicht einmal diese, geschweige 
denn die übrigen maBgebenden Bedingungen gemessen wurden. Doch zeigten 
die Versuche bald, daß bestimmte später näher zu beleuchtende Einflüsse 
anderer Art so große Unterschiede in der relativen Bleiverflüchtigung 
hervorriefen, daß hinter diesen die gesuchte thermisch bedingte Abhängigkeit 
und der Einfluß der nicht durch Messung festgestellten Faktoren ther- 
mischer Art an Bedeutung verloren. Das Bemerkenswerteste an dem Ge- 
samtergebnis war nämlich das unseren Voraussetzungen ganz wider- 
sprechende Ergebnis der Versuche mit der Wasserstoff-Sauerstoff-Flamme 
auf der einen und der Azetylen-Sauerstoff-Flamme auf der anderen Seite. 
Denn im vollen Gegensatz zu unseren Erwartungen wurde die Bleiver- 
flüchtigung vergleichsweise hier fast durchgehend erheblich geringer ge- 
funden als dort. Sieht man von einzelnen später zu besprechenden Ver- 
suchen ab, in. welchen mit besonderer Fragestellung abweichende Be- 
dingungen eingehalten wurden, so bewegte sich dieser Unterschied in einer 
Größenordnung, die keineswegs die Erklärung durch zufällige und unbe- 
absichtigte Abweichungen in bezug auf die für die thermische Wirkung 
maßgebenden Versuchsbedingungen zuläßt. Zudem liegt er in einer der 
vorauszusetzenden Abhängigkeit von der Flammentemperatur gerade 
entgegengesetzten Richtung. Er fand sich auch in Versuchen, die annähernd 
untereinander vergleichbar sind, mit einer Konstanz, die eine solche Er- 
klärung ausschließt. Eine Gegenüberstellung der Versuche 7 bis 9 mit 
den Versuchen 16 bis 19 läßt dies sehr deutlich erkennen. Die Bleiver- 
flüchtigung wurde bei Anwendung der normalen Azetylen-Sauerstoff- 
Flamme zum Teil als minimal und jedenfalls nur als ein Bruchteil der- 
jenigen gefunden, welche die Anwendung der normalen Wasserstoff- 
Sauerstoff-Flamme von sicherlich nicht höherer, vermutlich eher niedriger 
Temperatur und gleicher Schmelzwirkung hervorbrachte. Sie war ver- 
schwindend klein gegenüber den Werten, welche wir nach Maßgabe der 
angenommenen Abhängigkeit von der Flammentemperatur und bei Unter- 
stellung einer wesentlich höheren Flammentemperatur auf Grund der 
Ergebnisse der vorhergegangenen Versuche mit der Wasserstoff-Sauer- 
stoff-Flamme hätten erwarten müssen. Dieser Widerspruch gegen unsere 
Erwartungen hatte uns schon nach Ausführung der allerersten Versuche 
mit diesen beiden Flammenarten (Versuche 7 und 8 bzw. im Protokoll 
nicht aufgeführte Versuche mit der Azetylen-Sauerstoff-Flamme, deren 
Ergebnis dem der Versuche 16 und 17 entsprach) überrascht. Selbst 


Von Dr. Hans Engel und Dr. Victor Froboese. 77 


wenn wir den von uns unterstellten Temperaturunterschied der beiden 
Flammenarten außer Betracht ließen, war das Ergebnis dieser Versuche 
in keiner Weise mit der von uns vorausgesetzten Abhängigkeit der Blei- 
verflüchtigung von der spezifischen Flammentemperatur in Einklang zu 
bringen. Es mußte daran gedacht werden, daß hier unterschiedliche Wir- 
kungen chemischer Natur in den beiden verschiedenen Flammen zu 
den rein thermisch bedingten hinzutreten, welche die erwartete und auch 
sicher vorhandene Beziehung zwischen Flammentemperatur und Blei- 
verdampfung bezw Bleiverflüchtigung so stören, daß diese nicht mehr 
deutlich erkennbar bleibt. Fraglich war zunächst, durch welche von beiden 
Flammenarten die auf Grund der Bleidampfspannungskurve als irregulär zu 





Lewchtgos + Luß M r Lufi Ar Or OM O2 
paren 1| Joch 130) fach 60H foch 2200): fach 





Abb. 1. 


bezeichnende Bleiverflüchtigung entstanden ist. Dafür, daß in der Azetylen- 
flamme ein solcher stórender Einfluß wirksam sei, schien uns zunächst 
schon der Umstand zu sprechen, daß erst bei ihrer Prüfung eine sehr starke 
Abweichung von der bei den vorher angestellten Versuchen mit der 
Wasserstoff-Druckluft- und Wasserstoff-Sauerstoff-Flamme beobachteten 
unserer Erwartung entsprechenden Beziehung’ zwischen Bleiverflüch- 
tigung und Flammentemperatur aufgetreten war. Diese Abweichung war — 
wie aus der Tabelle hervorgeht — bei diesen ersten Versuchen (diese waren 
in der Reihenfolge 1 bis 3, 7 und 8, 16 und 17 angestellt) noch viel größer 
und auffallender, als bei den in das Diagramm (Abb. 1) eingetragenen 
Mittelwerten aller Versuche, bei welchen sich der nivellierende Einfluß 
der Versuche mit verschiedener Sauerstoffzufuhr geltend macht. Außerdem 
schien uns aber auch vom chemischen Gesichtspunkt aus ein störender 


78 Untersuchungen zur Klärung der Bleiverflüchtigung usw. 


Einfluß im Sinne einer Verminderung der Bleiverflüchtigung — also 
in der Azetylenflamme — leichter vorstellbar als ein umgekehrter Ein- 


fluß in der Wasserstoff-Flamme. Es lag nahe, die Entscheidung dadurch zu 
versuchen, daß man der Wasserstoff-Sauerstoff-Flamme eine kleine Menge . 
Azetylen zusetzte und fernerhin, da ein den Kohlenwasserstoffen allgemein 
zukommender Einfluß angenommen werden mußte, die Bleiverflüchtigung 
bei Anwendung der normalen Wasserstoff-Sauerstoff-Flamme und 
einer karburierten Wasserstoff-Sauerstoff-Flamme zu vergleichen. Das 
Ergebnis dieser Versuche bestätigt unsere Annahme und zeigt, daß in der 
Normal-Wasserstoff-Sauerstoff-Flamme die gleichzeitige Verbrennung 
von Azetylen oder Benzoldampf die Bleiverflüchtigung weitgehend unter- 
drückt, während z. B. die Beimischung von Kohlensäure keinen Einfluß 
erkennen ließ. Für den rein gewerbehygienischen Zweck unserer Unter- 
suchung scheint uns also die Feststellung von hohem Wert, daß die An- 
wendung der Azetylenflamme mit einer vergleichsweise sehr geringen Blei- 
verflüchtigung verknüpft ıst und daß die Karburierung der Wasserstoff- 
Sauerstoff-Flamme genügt, um die Bleiverflüchtigung auch bei dieser 
Flamme auf ein sehr geringes Maß herabzudrücken. Es ist ohne weiteres 
anzunehmen, daß diese Wirkung der Karburierung auch durch Zusatz 
anderer Kohlenwasserstoffverbindungen hätte erreicht werden können. Hie- 
rauf ist auch wohl die unter Berücksichtigung der Heizwirkung und der 
vermutlichen Flammentemperatur recht geringe Bleiverflüchtigung in den 
Versuchen 4, 5 und 6 mit dem Leuchtgas-Sauerstoff-Schweißbrenner zu- 
rückzuführen. 

In der Abb. 1 sind nun in das Diagramm der Bleidampfspannungen bei 
steigenden Temperaturen die Mittelwerte der bei den Versuchen mit der 
Wasserstolf-Luftfllamme, Wasserstoff-Sauerstoff-Flamme und Azetylen- 
Sauerstoff-Flamme pro cbm gefundene mg Blei bei deren spezifischen 
Flammentemperaturen eingetragen. Daraus wird nochmals ersichtlich, 
daß, während die Bleiverdampfungsgeschwindigkeit mit steigender Tem: 
peratur entsprechend der Bleiverdampfungskurve zunimmt, die Blei- 
verflüchtigung (bzw. der Bleigehalt der Abgase und damit der Raumluft) 
sich nicht ohne weiteres nach der Temperatur zu richten braucht, sondern 
auch von der chemischen Zusammensetzung der Flamme beeinflußt wird. 

Hinter diesem bemerkenswerten Ergebnis tritt, wie aus den Versuchen 
hervorgeht, die ursprünglich gesuchte Abhängigkeit von der Flammen- 
temperatur in den Hintergrund. Auch schien die Bedeutung der Versuche, 
welche in bezug auf die Wasserstoff-Sauerstoff- und die Azetylen-Sauer- 
stoff-Flamme den Einfluß einer mehr oxydierenden oder mehr reduzierenden 
Einstellung dieser beiden Flammen auf die Bleiverflüchtigung gemäß 
unserem ursprünglichen Arbeitsplan aufklären sollten, zunächst zurück- 
zutreten. Das Ergebnis dieser Versuche hat aber gerade im Hinblick auf 
den gefundenen grundsätzlichen Unterschied in der Wirkung beider Flam- 
menarten an Bedeutung gewonnen, insofern es vielleicht mit diesen in 
Beziehung zu bringen ist und sogar Anhaltspunkte zu dessen Erklärung 
bietet. Es zeigt sich nämlich, wie im experimentellen Teil näher dargelegt 
ist, daß wiederum im Widerspruch zu unseren anfänglichen Voraussetzungen 
die reduzierende Einstellung eine geringere Bleiverflüchtigung im Gefolge 


Von Dr. Hans Engel und Dr. Victor Froboese. 79 


hatte, als die mehr oxydierende Einstellung. Namentlich bei dem Versuche 
mit der Azetylenflamme trat dies deutlich hervor, wie ein Vergleich der 
Versuche 16 bis 20 mit denjenigen unter Nr. 21 bei 26 zeigt. Eine Steigerung 
der Sauerstofímenge in dem Mischungsverháltnis vergrößerte hier die 
Bleiverflüchtigung regelmäßig in einem Ausmaß, das in der gleichzeitigen 
Änderung der Flammentemperatur und damit der gesamten Heizwirkung 
keine Erklärung findet. Das Ergebnis dieser Versuche zeigt aber auch, 
daß der Azetylenflamme die Fähigkeit, Blei zu verflüchtigen, nicht unter 
allen Umständen abgeht, und daß die Gegenwart eines verbrennenden 
Kohlenwasserstoffes diese Fähigkeit an sich nicht ausschließt oder — in 
der karburierten Wasserstoff-Sauerstoff-Flamme — vernichten muß. 
Diese Wirkung und der Umfang der Bleiverflüchtigung überhaupt hängt 
vielmehr anscheinend in weiten Grenzen auch davon ab, ob nach Maß- 
gabe des Mischungsverhältnisses der Flamme mehr oder weniger reduzie- 
rende Eigenschaften erteilt werden. Letzteres gilt offenbar auch von der 
Wasserstoff-Sauerstoff-Flamme. Vergegenwärtigt man sich nun weiter, 
daß die Azetylenflamme in der Regel einen mehr reduzierenden Charakter 
besitzt, und daß die Gegenwart verbrennender Kohlenwasserstoffe bei 
Karburierung einer Wasserstoff-Sauerstoff-Flamme in derselben Richtung 
wirksam wird, so liegt der Gedanke nahe, daß der, der rein thermisch 
bedingten Abhängigkeit übergeordnete Einfluß chemischer Natur, welcher 
ın diesen Flammen im Sinne einer Verminderung der Bleiverflüchtigung 
wirkt, eben auf dieser reduzierenden Wirkung beruht. Ein Versuch, die 
gefundenen Tatsachen in diesem Sinne zu erklären, ist in dem Abschnitt 
„Iheoretisches über die Versuche“ unternommen. 


Experimenteller Teil. 


Zur Ausführung der Versuche diente die nachfolgend beschriebene 
Apparatur: 

Ein mit einem 70 mm hohen Rand umgebener Teller von 390 mm 
Durchmesser aus starkem Eisenblech war durch eine schwere Eisenplatte 
als Fuß mit Hilfe eines auf einer Spitze stehenden Rundeisens als Absatz so 
befestigt, daß der Teller sehr leicht wagerecht in Drehung versetzt werden 
konnte. Abb. (2) 

Eine auf seiner Achse angebrachte Schnurscheibe ermöglichte die 
Drehung durch einen kleinen Elektromotor mit Schneckenvorgelege. Der 
Motor war noch mit einem Regulierwiderstand versehen, sodaß eine sehr 
langsame Tourenzahl des Tellers, etwa 10 Umdrehungen in der Minute, 
erreicht wurde. Der Tellerboden war innen stark verbleit. Die Bleischicht 
betrug über 1cm. Mit Hilfe eines Stativs konnten nun verschiedenartige 
Brenner, wie sie in der Industrie zum Bleilöten und Verbleien benutzt 
werden, in der Weise angebracht werden, daß die Flamme exzentrisch 
senkrecht auf die Bleioberfläche gerichtet war, wobei der Teller in Drehung 
gesetzt wurde. Dieser Teil der Apparatur sollte ungefähr die Verhältnisse 
nachahmen, die bei der homogenen Verbleiung vorhanden sind. Durch 
Regulierung der Tourenzahl konnte der Teller so in Bewegung gesetzt 
werden, daß grundsätzlich der Arbeitsvorgang nachgeahmt wurde, bei 
dem der Arbeiter mit der Flamme zum Verbleien auf dem geschmolzenen 


80 Untersuchungen zur Klárung der Bleiverflúchtigung usw. 


Blei hin- und herfáhrt. Der Teller war ferner so hoch über dem Fußge- 
stell angebracht, daß es möglich war, ihn zeitweilig mit einem Leuchtgas- 
luftgebläse von unten her zu erwärmen. So konnten verhältnismäßig 
kleine Flammen zur Anwendung gelangen, die stets über geschmolzenes 
Blei strichen. Ferner konnte die Apparatur, ehe das Absaugen bei geschmol- 
zenem Blei und eingestellter Versuchsflamme begann, gut vorgewärmt 
und ein rasches Temperaturgleichgewicht hergestellt werden. 





Abb. 2. 


Die Absaugevorrichtung bestand aus einem mit bleifreier Glaswolle 
beschickten Vorstoß aus dünnem Glase von der Form, wie ihn Abb. 3 
zeigt. Diese wurde so gewählt, weil verschieden große Querschnitte in 
Röhren bei Abscheidung von Teilchen günstig wirken. Da bei der Tem- 
peratur, welcher der Verstoß während eines Versuches ausgesetzt ist, 
als Füllmaterial nur Glaswolle oder Asbest in Frage kommt, Vorversuche 
aber gezeigt hatten, daß Glaswolle selbst bei dichtem Hineinstopfen in 
Röhren große Gasdurchläßigkeit besitzt und dabei sehr gut Staubteilchen 
zurückhält, so wurde der Vorstoß mit letzterer angefüllt. Diese erste 
Füllung blieb, um Unregelmäßigkeiten durch dichteres oder lockeres 


Von Dr. Hans Engel und Dr. Victor Froboese. 81 


Füllen zu vermeiden, stets dieselbe. Die Abstände des Vorstoßes von der 
Brennerspitze über dem Teller waren mit einigen, besonders vermerkten 
Ausnahmen bei jedem Versuch diejenigen, wie Abb. 3 sie darstellt. 





Abb. 3. 


Die schräg gestellte Öffnung des Vorstoßes befand sich über der Mitte, 
dem Drehpunkt des Tellers. Durch eine Stativklemme war es möglich, 
den Vorstoß nach Abnehmen stets genau in seine frühere Lage zu bringen. 
An den Vorstoß war ein Glasrohr angeschmolzen, das durch einen Schliff 
mit dem Absorptions-U-Rohr verbunden werden konnte. Der Schliff war 
gemäß Abb. 4 angefertigt, so daB der Gässtrom mit dem leicht gefetteten 


a AA GERNE 
q it EE 


Abb. 4. 


en 


Schliff nicht direkt in Verbindung kam. Hieran schloß sich ein großes 
U-Rohr, das mit Glasscherben von zerbrochenem Biegerohr zum Teil ge- 
füllt war. 

Auf den Schenkel des U-Rohres, in den das Gas eintrat, war ein Hahn- 
trichter gesetzt, aus dem ab und zu ein Tropfen verdünnte Salpetersäure 
auf die Glasscherben tropfte. In diesem U-Rohr wurden dem Gasstrom 
die letzten Bleireste entzogen. Größtenteils blieb indessen das Blei, da es 
sich, wie weiter unten angeführt wird, um Bleioxyde handelt, schon in der 
Glaswolle sitzen. Um die zum Absaugen der Gase benutzte Pumpe vor Sal- 
petersäuredämpien zu schützen, wurde hinter das U-Rohr noch ein zweites 
mit festem Ätzkali geschaltet. Das Ätzkali befand sich indessen nur in 
dem stark erweiterten Verbindungsrohr der beiden Schenkel, um den Gas- 
strom nicht zu sehr zu hemmen. Die gesanıte, bisher beschriebene Appa- 
ratur zeigt Abb. 5. 

Zum Absaugen der Verbrennungsgase diente für den vorliegenden 
Zweck eine sehr brauchbare, elektrisch angetriebene Pumpe, die von der 
A.-G. für Maschinenfabrikation vorm. Freund & Co., Berlin, angefertigt 


82 Untersuchungen zur Klärung der Bleiverflüchtigung usw. 


wird und als sogenannter „fahrbarer Kleinkompressor‘‘ neben einer für 
andere Zwecke ausnutzbaren Druckleistung bis zu 6 Atm. eine gute Saug- 
wirkung von über 2 cbm pro Stunde ausübt. Um die geringen Stöße der 
Pumpe beim Ansaugen auszugleichen, wurde eine 3 1 fassende Woulff’sche 
Flasche mit unterem Tubus davorgeschaltet. Der untere Tubus war mit 
der Pumpe verbunden. Der obere Tubus trug ein Quecksilbermanometer, 
um den Unterdruck ablesen und die Dichtigkeit der Saugleistung stets 


— EAN | A 
e, SS Li f 





Abb. 5. 


kontrollieren zu können. An den anderen Tubus waren mittels Schlauch 
die U-Röhren angeschlossen. Es war durch Vorversuche festgestellt worden, 
daß bei der stets gleichen Beschickung des Vorstoßes mit Glaswolle die 
in der Stunde geförderte Luftmenge 2 cbm betrug, und daß diese sich im 
allgemeinen nicht merklich änderte, wenn der Vorstoß sich mit den hier 
in Betracht kommenden Mengen von Bleioxyd anreicherte. Eine stete 
Kontrolle war überdies für besondere Fälle durch den am Manometer 
abzulesenden Unterdruck und einen dazwischen geschalteten Strömungs- 
messer!) gegeben. Da ferner die Netzspannung von 220 Volt stets konstant 


1) Zeitschrift f. Angew. Chemie 35, 659 (1922). 


Von Dr. Hans Engel und Dr. Victor Froboese. 83 


war, war die Tourenzahl der Pumpe und damit auch die gefórderte Luft- 
menge stets die gleiche. Diese Absaugevorrichtung (Abb. 6) ıst auch bereits 
mit Erfolg von einem von uns zu Staubbestimmungen!) in der Industrie 
benutzt worden. 

Die benutzten Brenner entstammen der Industrie, und zwar wurden 
benutzt: ein einfacher Bleilötbrenner (Kupferrohr mit Düse), ein Wasser- 
stofflótbrenner?) mit selbsttätiger Luftansaugung, ein Leuchtgas-Sauerstoff- 
Schweißbrenner neuer Konstruktion?), ein Knallgas-Schweißbrenner und 
ein Azetylen-Schweißbrenner?). Die chemische Prüfung des Inhalts von 
Vorstoß und Salpetersäure-U-Rohr auf Blei nach jedem Versuch und 
dessen quantitative Bestimmung wurden folgendermaßen ausgeführt: 





Abb. 6. 


‚Zunächst wurde der Vorstoß abgenommen, gut mit 30proz. heißer 
Salpetersäure, zuweilen unter Zugabe von Wasserstoffsuperoxyd ausge- 
spült und das U-Rohr ebenso behandelt. Die gewonnenen Bleilösungen 
wurden in einer Porzellanschale vereinigt und zur Trockne gedampft. 
Nach dem Aufnehmen mit salpetersäurehaltigem Wasser wurde die Lösung 
mit Natronlauge alkalisch gemacht, dann mit Essigsäure schwach ange- 
säuert, filtriert und das Blei mit wenig 5proz. Kaliumchromatlósung heiß 
gefällt. Man läßt absitzen und bis zum anderen Tage stehen. Darauf 
wurde durch einen Goochtigel mit eingeschmolzenem Glaspulverfilter 
filtriert, mit 20proz. Natriumazetatlösung ausgewaschen und das Blei- 


4) Archiv f. Hygiene 95, Heft 3/4, S. 174. Froboese, der anorganische Staub. 
2) Fabrikate der Firma Dräger in Lübeck und Bremen. 
3) Fabrikat der Oeltank-Gesellschaft, Berlin W 57. 


84 Untersuchungen zur Klärung der Bleiverflüchtigung usw. 


chromat in verdünnter Salzsäure gelöst. Diese Lösung wurde in einen 
300 ccm fassenden Erlenmeyerkolben mit Glasstopfen gegeben, und die 
Luft durch Kohlensäure vertrieben, die aus einer Stahlflasche ohne vor- 
geschaltete Waschflasche entnommen wurde. Darauf wurden 2 g in wenig 
Wasser gelóstes Jodkalium hinzugefügt, die Lösung auf 200 ccm verdünnt 
und je nach den vorhandenen Bleimengen mit 1/10 oder 1/50 n. Natrium- 
thiosulfat unter Anwendung von Stärke als Indikator titriert. Um in 
den sehr verdünnten Lösungen die Oxydation des Jodwasserstoffes durch 
Luft zu vermeiden, ist vor der Endtitration der Stärkelösung nochmals 
Kohlensäure überzuleiten. Die Nahriumthiosulfatlösung wurde mit 
Kaliumbichromat eingestellt. Bekannte Lösungen, 10 mg Blei enthaltend, 
lieferten, auf diese Weise titrimetrisch bestimmt, den Sollwert. Die 1/50 
Natriumthiosulfatlösung hält sich auch in dunkler-Flasche bei normaler 
Aufbewahrung mit einer an der Flasche befestigten Bürette und auto- 
matischem Zulauf nicht gut. Sie wird immer schwächer und muß öfter 
kontrolliert werden, was mit eingestellter Bichromatlösung leicht geschehen 
kann. 

Um zu prüfen, ob die Absorptionseinrichtung der Absaugeleitung 
bleifrei war, wurde zunächst, ohne daß der Brenner in Tätigkeit gesetzt 
wurde, eine Stunde abgesaugt, wobei genau 2 ccm Luft gefördert wurden. 
Die Prüfung von Vorstoß und Salpetersäurerohr fiel negativ aus; somit war 
die Glasapparatur bleifrei. 

Ehe nunmehr die angestellten Versuche beschrieben werden, ist es 
notwendig, noch auf einige mehr technische Gesichtspunkte kurz hinzu- 
weisen, welche bei der Beurteilung der Versuchsergebnisse berücksichtigt 
werden müssen. Man kann sich bei Verwendung verschiedener Brenner- 
konstruktionen (aber auch bei verschiedener Einstellung des Gasgemisches) 
2 Flammen mit gleicher Heizkraft und Temperatur denken, von denen die 
eine aus weiter Brennerdüse mit geringem Gasdruck, die andere aus enger 
Düse mit entsprechend stärkerem Gasdruck brennt. Die sehr verschiedene 
Blaswirkung dieser beiden Flammen ruft einmal eine verschiedene De- 
formation an der Bleioberfläche hervor, welche den wirksamen Berührungs- 
querschnitt verändert, sie wirkt aber auch deshalb etwas verschieden auf 
die Bleiüberführung in die Luft, weil die Bleiverdampfung um so ergiebiger 
vor sich geht, je schneller etwaiger Bleidampf von der Bleioberfläche 
entfernt wird. Außerdem ist in dem soeben ausgeführten Beispiel bel 
vorausgesetzter gleicher Heizkraft die Erhitzung des Bleis pro qcm 
auch verschieden, in dem bei Flammen, die mit großer Strömungs- 
geschwindigkeit auf das Metall auftreffen, eine stärkere örtliche Über- 
hitzung gegeben ist. 

Weiter war die Frage zu erörtern, welche Flammenzone jeweils die 
Bleifläche berühren soll, der Endpunkt a des inneren blauen Kegels einer 

Knallgasflamme K oder die Mitte 5 der farblosen Flamme oder die Spitze c. 
(Abb. 7). Wählt man den Punkt a, so ergibt sich bei gleichen bei der Azety- 
lensauerstoff-Flamme A geschaffenen Verhältnissen, daß der Punkt a (der 
Schweißpunkt) so dicht über dem Blei liegt, wie es beim homogenen Ver- 
bleien in der Fabrik nie der Fall wäre, weil der Arbeiter sonst oft den Brenner 
in das Blei tauchen würde. Er benutzt tatsächlich den Punkt b}. 


Von Dr. Hans Engel und Dr. Victor Froboese. 85 


Wir wandten im allgemeinen wie weiter oben bereits ausgeführt, ent- 
sprechend dem Vorgehen in der Praxis den mittleren Teil des großen 
Flammenkegels an, soweit bei einzelnen Versuchen nicht Abweichungen 
hiervon notwendig waren, die in ihrer Beschreibung besonders vermerkt 
sind. Weitere Schwierigkeiten, den hier beabsichtigten Vergleich der 
Flammen durchzuführen, ergeben sich, wenn oxydierend, normal und 
reduzierend eingestellte Flammen auf die Überführung von Blei in die Luft 
verglichen werden sollen. Denn Abweichungen vom optimalen Mischungs- 
verhältnis einer normal brennenden Knallgasflamme setzen gleichzeitig die 
Temperatur herab. 





Abb. 7. 


Noch andere Unannehmlichkeiten, wie z. B. die verschiedenartige 
Konstruktion der in der Industrie benutzten Brenner, ließen von Fall zu 
Fall Zweifel aufkommen, ob es berechtigt war, z. B. einmal eine aus einem 
Azetylenschweißbrenner brennende Azetylensauerstoff-Flamme mit einer 
Knallgasflamme bei Benutzung desselben Azetylenschweißbrenners be- 
züglich der Bleiverdampfung zu vergleichen. Durch das weiter oben 
(im 1. Teil) näher begründete und für die einzelnen Versuche im folgenden 
erläuterte Vorgehen glauben wir, diese Schwierigkeiten so weit beseitigt zu 
haben, daß die für den praktisch gewerbehygienischen Teil der gestellten 
Aufgabe mit der gebotenen Vorsicht gezogenen Schlußfolgerungen als 
zutreffend angesehen werden können. 

Nach Vornahme einiger Vorprüfungen wurden nun die in der nach- 
stehenden Tabelle zusammengestellten Versuche ausgeführt. 


Beschreibung der Versuche. 


Zunächst ist unter Nr. 1 der Tabelle ein Versuch mit einer Wasser- 
stoff-Flamme wiedergegeben, der unter Anwendung eines Wasserstoff- 
lötbrenners aus der Technik ausgeführt wurde. Dieser saugt kurz vor der 
Düse selbst Luft an, wenn man durch Verstellen eines Gewinderinges 
seitliche Löcher freigibt. Da hierbei infolge unzureichender Heizkraft der 
Flamme eine genügende Schmelzwirkung nicht zu erzielen war, wurde durch 
Heizung des Tellers von unten ein für den Flammenbereich in Betracht 
kommender, stets gleich großer Teil Blei geschmolzen erhalten und die 

“Archiv für Hygiene. Bd. 96. 7 


25 


27 


33 


2./3. 


Angewendete 
Gase 


Wasserstoff und Luft 
dto. 
dto. 
Leuchtgas und Sauerstoff 


dto. 
dto. 
Wasserstoff und 
Sauerstoff 


dto. 
dto. 
dto. 


dto. 
dto. 


dto. 


dto. 
dto. 


Acetylen und Sauerstoff 
dto. 
dto. 


dto. 
dto. 
dto. 
dto. 
dto. 
dto. 


dto. 
dto. 
Wasserstoff mit etwas 
Acetylen versetzt und 
Sauerstoff 
Wasserstoff, über Benzol 
streichend u. Sauerstoff 
Wasserstoff u. Sauerstoff 
dto. 
Wasserstoff, über Benzol 
streichend u. Sauerstoff 
Wasserstoff u. Sauerstoff 
+ 501 Kohlensäure 
pro Stde. 
Wasserstoff u. Sauerstoff 
Acetylen und Sauerstoff. 


abgesaugte| erhaltene 
Hun menge Gesamt- 


t NNN VN vv GT Div 


NNN NNNNuN 


N NNN N 


= E 


DD 


Bleimenge 
in mg 


36 


6. 
mg Blei 
pro 
cbm 





Untersuchungen zur Klärung der Bleiverflüchtigung usw. 


SE 


benutzte 
Brennerart 


Wasserstoff-Lötbrenner 
151 H, pro Min. 
dto. 
dto. 
Leuchtgas-SchweiB- 
brenner „Assa“ Nr. 3 
dto. 
dto. 
Wasserstoff-Sauerstoff- 
Lötbrenner mit Mund- 
stück für 20—30 mm Blei 
dto. 
dto. 
Einfaches Brennerrohr 
4,5 mm Düse 
mit 3-Wegstück 
dto 


Wasserstoff-Sauerstoff- 
Lótbrenner 
Disenweite 1,5 mm 
Einfaches Brennerrohr 
1,5 mm Düse 
mit 3-Wegstúck 
dto. 
Acetylen-Schweißbrenner _ 
1,5 mm Düse 
Acetylen-Schweißbrenner 
dto. 
dto. 


dto. 
dto. 
dto. 
dto. 
dto. 
dto. 


dto. 
dto. 
dto. 
dto. 
dto. 
dto. 
dto. 
dto. 


dto. 
dto. 


| 8. 


Angaben úber den 
Arbeitsgasdruck 


Von Dr. Hans Engel und Dr. Victor Froboese. 87 


Bemerkungen 





1 Atm. Ha!) 


dto.) 
4 Atm. Ha?) 
2 Atm. 0,?) 


dto.5) 
dto.*) 
.etwa 151 H, pro Min.) 


dto.*) 
| a + 
| 1/, Atm. 
1/¿ Atm. 0,1) 


dto.*!) 
1 Atm. H+ sehr 
wenig O; !?) 


1 Atm. H¿+ etwas 
mehr O, !3) 


1 Atm.H,+/¿Atm.0,!*) 
1 Atm. H+ großer 
Oy-UberschuB 15) 

3/, Atm. O,-Druck !°) 
dto.!”) 
etwas mehr als ?*/, Atm. 
O,-Druck 18) 
dto.!?) 
do Si 
4 Atm. O,-Druck 2) 
3/, Atm O,-Druck ??) 
1 Atm. O,-Druck 23 
etwas mehr als 1 Atm. 
Oe- Druck *%) 

4,3 Atm. O,-Druck 2) 
1,5 Atm. O,-Druck *) 
4 Atm. O,-Druck ?”) 


0,8 Atm. 0?) 


1 e =) 


ı) Gelbgrúner Anflug in der Glaswolle sichtbar. Schmelzring 35 mm breit durch Er- 
wärmung vonuntenerhalten. Geringer gelber Beschlag auf ungeschmolzenen Blei. 

2) Wie Versuch 1. 

2) Keine Erwärmung von unten während des Versuchs. 
breit, jedoch nur Y% des Umfanges lang. 

t) In der Umgebung des Schmelzringes grauer Beschlag. Glaswolle vorn etwas grau. 

5) Auf fester Bleifläche grau-schwarzer Beschlag. Schmelzring 30 mm breit. 

t) Wie Versuch 5. : 

1) Schmelzringbreite kaum größer. Glaswolle bereits nach 10 Minuten deutlich hell- 
gelb. Gelbe Beschläge auf den festen Bleiflächen. 

+) Wie Versuch 7. 

®) Zu beiden Seiten des Schmelzringes gelbe und gelbbraune Beschläge. 

10) Schmelzwirkung geringer. Ringbreite etwa 2,5 cm. Glaswolle gelb. Gelbe Oxyd- 
beschläge auf den festen Bleiflächen. 

11) Wie Versuch 10. 

12) Knallgasflamme mit noch mehr H-Überschuß. O,-Zufuhr verringert. Schmelz 
wirkung kleiner als bei Versuch 10 und 11. Schmelzringbreite etwa 25 mm- 

12) Knallgasflamme mit H,-Überschuß eingestellt. Schmelzringbreite wenig geringer. 
als bei Versuch 10 und 11, größer als bei Versuch 12. 

14) Normale Knallgasflamme, hergestellt durch Verstärken der O,-Zufuhr. Gelbe 
SE zu beiden Seiten der geschmolzenen Zone. Schmelzringbreite 

mm. ; 

35) Da die Flamme durch die vermehrte O,-Zufuhr kürzer wurde, wurde der Brenner 
dichter an das Blei gebracht. Gelbbraune Beschläge. PbO, in der Glaswolle. 

16) Flamme nicht kohlend, aber weißbrennend eingestellt. Flammengröße wie bei 
Versuch 3, Schmelzwirkung etwas stärker, also etwa 25 mm breiter Schmelz- 
ring. Auf und seitlich der Schmelzfläche graue Beschläge, gelber Anflug. 

17) Wie Versuch 16, 

18) Or Druck etwas verstärkt. Bläulicher Kegel in der Flamme schwach sichtbar, 
Flamme sonst noch weiß. Auf der Bleifläche grau bis grau-grüner Beschlag 
Schmelzring —10 mm. 

19) Glaswolle wie bei früheren C,H,-Versuchen nicht gefärbt. Schmelzring 20 mm 
Kein gelber Beschlag. 

20) Wie Versuch 20. 

21) Q,-Druck vergrößert. Schmelzring 25 mm durchschnittlich; dauernd ganzer Um 
fang geschmolzen. Graugrüner Beschlag, gelblicher Anflug. Flamme noch weiß, 

22) Bei Versuch 22 Brennerspitze näher an das Blei gebracht. O,-Druck verkleinert. 
Desgl. C,H,-Zuführung bis die Flamme nur noch ganz schwach weißlich war. 
Schmelzwirkung blieb dieselbe wie bei Versuch 21. 

33) Brennerspitze noch etwas gesenkt. Schmelzring 35 mm breit rund herum. 
Flamme brennt normal. 

12) Flamme hat nur blauen Kegel, sonst farblos. Glaswolle vorne grau, graue Oxyd- 
ne gelblichweißer Beschlag außerhalb. Schmelzring 20 mm; tiefe Delle 
m Blei. 

ss) Flamme farblos nur mit grünem kleinem Kegel. Ende des Kegels aber noch 
mindestens 2 cm über der Bleifläche. Schmelzring 20 mm, gelblicher Ring. 

*) HeiBester Punkt der C,H,-Flamme, Ende des kleinen grünen Kegels auf der 
Flamme, tiefe Delle im geschmolzenen Blei. Schmelzwirkung geringer, etwa 
20 mm Schmelzringbreite. Außen grüngraue und gelbe Beschläge. Graue 
Haut auf dem geschmolzenen Blei. 

22) Flamme war etwas weißlich. Die Schmelzwirkung war etwa die von Versuch 21. 
Grauer Beschlag mit gelblichem Anflug. Schmelzring etwa 25 cm breit. 

ss), Während des Versuchs wurden etwa 50 ccm C,H, verdampft. Grauer Oxyd- 
beschlag. kein gelber Beschlag. Schmelzwirkung geringer wie bei 27. WeiBliche, 
nicht rußende Flamme. 

3) Die Flamme blieb von Versuch 28 ohne Änderung der Gaszufuhr brennen, nur 
strich durch Umschaltung der Wasserstoff jetzt nicht mehr über C, Ha 
Glaswolle, Beschläge wie bei Versuch 7. 

380) Versuch genau wie Nr. 29. 

22) Ohne die Flamme zunächst zu ändern, wurde zwecks Karburierung mit C,H. 
der II, wieder über Benzol geleitet. Dann wurde, um gleiche Schmelzwirkung 
zu erzielen, die Brenngaszufuhr etwas vergrößert. 

s)Die Flamme brannte mit etwas O,-Überschuß. Glaswolle stark gelb gefärbt. 

22) Staubbestimmungen 1 m seitlich der Apparatur 1,60 über Fußboden in ? cbm: 
a) 21,2 mg Staub — 3,2 mg Pb procbm; b) 24 mg Staub — 3,3 mg Pb pro cb m 

3) Staubbestimmungen wie bei 33. Gleiche Schmelzwirkung wie bei 33. 

a) 18 mg Staub — 0,6 mg Pb pro cbm; b) 16 mg Staub — 0,8 mg Pb pro cbm. 


Schmelzstreifen 25 mm 


7* 


88 Untersuchungen zur Klärung der Bleiverflüchtigung usw. 


Zusatzheizung so reguliert, daß dieser Zustand gleichmäßig erhalten 
blieb. Der Gang des Versuches war folgender: 

Nachdem eine Zeitlang der Teller in Drehung versetzt und von unten 
an einer von dem Ort der Gebläseflammen genügend entfernten Stelle 
erhitzt worden war, bis das System temperaturstabil erschien, wurde die 
Wasserstoff-Luft-Flamme angezündet und normal einreguliert. Sobald ein 
35 mm breiter Schmelzring entstanden war, wurde die Pumpe in Betrieb 
gesetzt. In 2 Stunden wurden genau 4 cbm Verbrennungsgase abgesaugt. 
Die Vorwärmung von unten wurde so eingestellt, daß der Schmelzring 
dauernd annähernd gleichblieb. Sie konnte aber nicht ganz eingestellt 
werden, wenn die erforderliche Breite des geschmolzenen Bleibandes er- 
halten bleiben sollte. Die Flamme wirkte so während des ganzen Versuches 
auf geschmolzenes Blei. Nach Beendigung des Versuches war die Glaswolle 
im Vorstoß schwach gelbgrün gefärbt, und auf der geschmolzen gebliebenen 
Bleifäche des Tellers war ein ebenso gefärbter Anflug sichtbar. Nach Aus- 
spülung der Absorptionsvorrichtung wurde das Blei nach dem oben an- 
gegebenen Verfahren bestimmt. Wir fanden 25 mg Blei in 4cbm oder 
auf 1cbm umgerechnet, 6,2 mg Blei. 

Unter der laufenden Nummer 2 der Tabelle (theoretische Betrach- 
tungen über die Versuche folgen weiter unten) sind die Ergebnisse eines 
völlig gleichartigen Versuchs verzeichnet. 

Versuch 3 unterscheidet sich nur dadurch von dem vorhergehenden, 
daß während des Versuches keine Erwärmung des Bleis von unten her 
erfolgte. Es war aber auch so ein Teil des Bleis in der Umgebung der 
Flamme geschmolzen. Abgesaugt wurden hier, wie auch bei den später 
folgenden Versuchen, nur 2cbm Luft, da für die Analyse genügend große 
Bleimengen erhalten wurden. Die bei den 3 Versuchen erhaltenen Blei- 
werte 6,2 6,7 und 6,6 mg für 1 cbm stimmten wider Erwarten gut überein. 
Es ist daraus zu folgern, daß wesentliche unbeabsichtigte und unberechen- 
bare Störungen während des Versuches und unvergleichbare Verhältnisse 
durch Abbau der Apparatur und Wiederaufstellung bei der betreffenden 
Anordnung nicht eintreten. Es sei hier gleich bemerkt, daß überhaupt 
die erhaltenen Bleiwerte bei gleichen Versuchen an verschiedenen Tagen 
stets gut übereinstimmten, wenn der Gasdruck, die Drehungsgeschwindig- 
keit des Tellers und die Absaugevorrichtungen völlig gleich waren. 

Nicht wesentlich andere, im Durchschnitt eher geringere Bleimengen 
lieferten die Versuche 4,5 und 6 mit einem neuen Leuchtgas-Sauerstoff- 
Schweißbrenner, obwohl die Heiz- und Schmelzwirkung der Flamme 
erheblich größer war als die der in Versuch 1, 2 und 3 benutzten Flamme, 
erkenntlich an dem breiteren oder längeren Schmelzring, der ohne Er- 
wärmung von unten zustande kam. Die einzelnen Bleiwerte weichen hier 
bedeutend mehr voneinander ab. Der Grund hierfür ist vermutlich in dem 
etwas schwankenden Gasdruck zu suchen. Aus dem Durchschnittsbleiwert 
der Wasserstoff-Luft-Flamme und dem niedrigeren Durchschnittsbleiwert 
der l.euchtgas-Sauerstoff-Flamme Schlüsse ziehen zu wollen, wäre in 
Anbetracht der Schwierigkeiten der Versuchsanstellungen innerhalb dieser 
unterschiedlichen Größenordnung nicht berechtigt. Immerhin ist im 
Hinblick auf das Ergebnis der späteren Versuche mit kohlenwasserstoff- 


Von Dr. Hans Engel und Dr. Victor Froboese. 89 


haltigen Flammen bemerkenswert, daß die Bleiverflüchtigung trotz der 
ganz erheblich höheren Temperatur und Schmelzwirkung dieser Flammen 
nicht größer befunden wurde als in den vorangehenden Versuchen mit der 
thermisch weniger ausgiebigen Wasserstoff-Luft-Flamme. 

Die Versuche 7 bis 15 sind mit der Knallgasflamme angestellt. Zur 
Verwendung gelangte zunächst bei den Versuchen 7 bis 9 ein Wasserstoff- 
Sauerstoff-Lötbrenner, dessen Wirkung nach „Angabe der herstellenden 
Firma für eine Blechstärke von 20 bis 39 mm Blei ausreicht. Der Brenner 
war so befestigt, daß sich der Mittelpunkt der normal eingestellten Flamme 
auf der Bleifläche befand. Der Endpunkt des blauen Kegels lag also noch 
ein wenig höher. Obwohl diese Flamme infolge ihrer zweifellos höheren 
Temperatur eine zwar örtlich eng begrenzte (im Bereich der unmittelbaren 
Berührungsfläche), dafür aber starke Wirkung erzeugt, war die Schmelz- 
ringbreite kaum größer als in den Versuchen 4 bis 6. Die erhaltenen Blei- 
werte für 1 cbm abgesaugter Luft aber waren, wie die Tabelle zeigt, von 
ganz anderer Größenordnung, und es können auch die innerhalb der unver- 
meidlichen Fehlergrenzen liegenden Schwankungen der Werte nicht darüber 
hinwegtäuschen, daß durch die Knallgasflamme weit mehr Blei in die Luft 
überführt wird, als durch die vorher untersuchten Flammen. Die rauschende 
Flamme übte allerdings auch eine stärkere Blaswirkung aus, die neben der 
hohen spezifischen Flammentemperatur — aber sicher in weit geringerem 
Maße — zu der größeren Bleiverflüchtigung beigetragen haben mag. 

Da in der Technik vielfach auch noch einfache kupferne Brennerrohre 
mit Düse angewendet werden, denen durch vorgeschaltete Dreiwegstücke 
Wasserstoff und Sauerstoff zugeführt wird, so verwendeten wir bei Versuch 
10 und 11 ein solches Rohr mit der gleichen Düsenweite wie die des 
Brenners, der bei Versuch 7 bis 9 benutzt wurde. Wohl infolge geringerer 
Flammentemperatur bei ungenügender Mischung der zur Verbrennung 
gelangenden Gase wurde weniger Blei im cbm abgesaugter Gase gefunden. 
Die Schmelzwirkung war allerdings auch etwas geringer. Die gefundenen 
Werte sind aber jedenfalls noch von einer wesentlich höheren Größenord- 
nung als die in den Versuchen 4 bis 6 gefundenen. 

Die Versuche 12 bis 15 sollten der Klärung der Frage dienen, ob und 
wie die Bleiverflüchtigung bei Anwendung der Wasserstoff-Sauerstoff- 
Flamme sich ändert, je nachdem dieser durch entsprechende Gasregu- 
lierung (Änderung der Sauerstoffmenge) mehr oder weniger reduzierende 
Eigenschaften erteilt werden. Selbstverständlich sind hierbei auch Än- 
derungen der Flammentemperatur gegenüber der normalen Flamme mit 
optimalem Mischungsverhältnis nicht zu vermeiden. 

Bei einem stets gleichbleibenden Wasserstoff-Arbeitsdruck wurde bei 
Versuch 12 zunächst sehr wenig Sauerstoff zugegeben. Es ist interessant, 
festzustellen, daß der gefundene Bleiwert dadurch unter die bei Versuch 
1 bis 3 erhaltenen Mengen sank, wo Wasserstoff mit ausreichender Luft- 
menge verbrannt wurde. Die Schmelzwirkung war ungefähr die bei Ver- 
such 3 beobachtete. 

Nun wurde bei Versuch 13 unter Anwendung des einfachen Brenner- 
rohres mit Dreiwegstück bei demselben Wasserstoffdruck wie bei Versuch 
12 die zugeführte Sauerstoffmenge etwas gesteigert, doch so, daß noch 


90 Untersuchungen zur Klärung der Bleiverflüchtigung usw. 


Wasserstoff im Überschuß vorhanden war. Hierdurch stieg bei etwas 
vermehrter Schmelzwirkung die im cbm gefundene Bleimenge auf 14 mg. 
Bei Versuch 14 wurde die Sauerstoffzufuhr so gesteigert, daß das optimale 
Mischungsverhältnis hergestellt war. Die nun erhaltene Bleimenge hatte 
wieder die Größenordnung der bei denVersuchen 7 bis 9 gefundenen Zahlen. 
Bei Versuch 15 wurde die Sauerstoffzufuhr noch mehr gesteigert, jedoch. 
so, daß die Flamme nicht zurückschlug. Es wurde allerdings, um Gefahren 
hierbei auszuschließen, bei diesem Versuch statt des einfachen Brenner- 
mischrohres ein Schweißbrenner von gleicher Düsenweite benutzt, der 
eigentlich für Azetylen-Sauerstoff bestimmt war. Infolge der verstärkten 
Sauerstoffzufuhr wurde die Gesamtlänge der Flamme kleiner, und es mußte 
die Brennerspitze näher an die Bleifläche herangebracht werden. Das 
Ergebnis des Versuchs war, daß ungefähr die doppelte Bleimenge, nämlich 
106 mg im cbm erhalten wurde, als bei normal eingestellter Knallgasflamme. 
Bemerkenswert ist noch, daß nach dem Behandeln der Glaswolle mit ver- 
dünnter Salpetersäure die Glaswolle vorn braunrot war. Die Färbung ver- 
schwand erst, und zwar sofort, beim Behandeln mit wasserstoffsuperoxyd- 
haltiger Salpetersäure. Man hatte es also hier höchstwahrscheinlich mit 
kleinen Mengen Bleisuperoxyd (PbO,) zu tun. Der hohe Rand des Tellers 
war mit weißlichem Rauch beschlagen, und die festen Bleiflächen zeigten 
gelbe bis gelbbraune Oxydbeschläge. Es schienen die gelben Beschläge 
durch weitere dauernde Einwirkung der Verbrennungsgase erst nachträglich 
braun zu werden. 

Ehe nun die Oberfläche des Bleis durch Abkratzen und Bürsten mit 
einer Stahlbürste für den nächsten Versuch gereinigt wurde (diese Reinigung 
wurde übrigens nach jedem Versuch vorgenommen), wurde der Versuch 
unter genau gleichen Verhältnissen wiederholt, nur mit dem Unterschied, 
daß das Brenngas nicht entzündet wurde. Es sollte auf diese Weise ge- 
prüft werden, ob etwa durch einen Luftstrom, wenn auch dessen Blaswir- 
kung derjenigen der Flamme nicht ganz entsprach, bereits auf der Blei- 
oberfläche abgesetzter Oxydbeschlag in die Glaswolle der Absaugevor- 
richtung gelangt. Nach Absaugung von 2 cbm konnte in den Absorptions- 
vorrichtungen kein Blei gefunden werden. Das spricht dafür, daß alles 
in die Auffangevorrichtungen gelangte Blei sich nicht etwa schon vorher 
einmal aus dem der Abgase abgesetzt hatte. Dies gilt für alle hier ange 
führten Versuche. 

Nunmehr wurde in den Versuchen 16 bis 26 die Azetylen-Sauerstoff- 
Flamme unter Anwendung des soeben benutzten Schweißbrenners unter- 
sucht. Das Prinzip war auch hier, einer stark reduzierenden (weißlich 
brennenden) Azetylen-Sauerstoff-Flamme in einer Versuchsreihe, Versuche 
16 bis 26, allmählich mehr Sauerstoff zuzuführen, bis sie mit geringem 
Sauerstoffüberschuß, so weit möglich, brannte, um dabei die verschiedenen 
erhaltenen Bleimengen festzustellen. Allmählich wurde der Brenner 
wegen der Verkürzung der Flamme der Bleifläche näher gebracht (während 
eines Versuchs verblieb der Brenner natürlich in seiner Lage). Überraschen- 
weise ergaben die beiden ersten Versuche Nr. 16 und 17, daß kaum nennens- 
werte Mengen Blei sich verflüchtigt hatten. Weitere Sauerstoffzufuhr 
vergrößerte die von der noch immer weißlichen Azetylenflamme gelieferte 


Von Dr. Hans Engel und Dr. Victor Froboese. 91 


Bleimenge auch nicht wesentlich, wie die Versuche Nr. 18, 19 und 20 zeigen. 
Die Bleimengen waren immer noch kleiner als die kleinsten bisher mit anderen 
Flammen erhaltenen, obwohl die Schmelzwirkung zweifellos größer war, 
als bei den Versuchen 1 bis 3. Auffällig war auch, daß sich die festen Blei- 
flächen nicht wie bei den Versuchen mit der Knallgasflamme mit gelbem 
oder gelbweißem Oxydbeschlag bedeckten, sondern daß dort ein grauer 
oder grauschwarzer Beschlag sichtbar wurde. Auch konnte beobachtet 
werden, daß sich schon auf dem geschmolzenen Blei am Flammenrand 
eine graue Haut bei der Rotation weiter schob und gleichsam aus der 
Flammenberührungsfläche hervorwuchs. Diese Ablagerungen konnten 
nicht als Bleioxyd angesprochen werden. Erst bei den folgenden Versuchen 
mit immer größerer Sauerstoffzufuhr bildete sich neben den grauen Be- 
schlägen auch ein geringer gelber Beschlag. Manchmal schienen auch gegen 
Ende des Versuchs Beschläge durch dauernde Einwirkung der heißen Ab- 
gase allmählich gelb zu werden. 

Die Versuche 21 und 22 ergaben keine größeren Bleimengen, als bei 
Versuch 1 bis 3 gefunden wurden, obwohl die Schmelzwirkung hier bedeu- 
tend größer war. Die Azetylen-Sauerstoff-Flamme war noch ganz schwach 
weißlich. 





"Abb. 8. 


Bei Versuch 23 wurde die Gas- und Sauerstoffzufuhr vergrößert, um 
noch größere Schmelzwirkung zu erhalten, was nur eine unwesentliche 
Steigerung der gefundenen Bleimenge mit sich brachte. 

Von Versuch 24 ab war die Flamme farblos; es war nur der bekannte 
kleine grüne Kegel sichtbar, d. h. die Azetylenflamme war wie zum Eisen- 
schweißen eingestellt. Die Schmelzwirkung erhöhte sich zunächst noch. 
Als aber der Brenner mit dem Schweißpunkt auf die Bleifläche gebracht 
wurde (Versuch 26), gab es im Blei eine tiefe Höhlung, so daß die heißen 
- Flammengase von der fast halbkugelig vertieften Bleifläche direkt unter 
dem Brenner reflektiert wurden und so für die Erhitzung der seitlichen 
Bleiteile verloren gingen, wie es Abb. 8 darstellt, während sonst die heißen 
Abgase noch über die Bleifläche hinstrichen. 

Die Deformation des auftreffenden Flammenkegels war also hier eine 
ganz andere als bei den übrigen Versuchen. Besonders war die horizontale 
Ausdehnung der Flammenberührungsfläche verkleinert, und die Verbre- 
nungsgase nahmen einen anderen Weg. Die sehr heißen Abgase werden 
hier auf kürzestem Wege mit dem Luftsauerstoff gemischt (in Richtung 
der Pfeile), während bei den früheren Versuchen die Gase zunächst noch 
über Bleiflächen strichen, ehe sie sich — bereits stark gekühlt — mit dem 


92 Untersuchungen zur Klärung der Bleiverflüchtigung usw. 


Luftsauerstoff völlig vermischten. Die geänderte Richtung der Abgase 
mag auch auf die Absaugung von Einfluß gewesen sein. Aus allen diesen 
Gründen ist das Ergebnis dieses Versuchs mit den übrigen nicht ver- 
gleichbar, ganz abgesehen davon, daß derartige Bedingungen bei der Blei- 
löterarbeit auch nicht vorliegen. Aber selbst dieser Versuch, welcher dazu 
unternommen war, bei einer für die Bleilöterarbeit anormalen Anwendung 
der Azetylenflamme eine recht große Bleiverflüchtigung zu erhalten, 
lieferte keineswegs die Bleimengen, welche mit der Wasserstoff-Sauerstoff- 
Flamme unter ähnlichen Bedingungen (siehe Versuch 15) zu erhalten waren. 

Die folgenden Versuche wurden, ausgehend von den im ersten Teil 
wiedergegebenen Überlegungen angestellt, um den Einfluß der Karbu- 
rierung der Wasserstoff-Sauerstoff-Flamme klarzustellen, nachdem die 
Versuche 7 und 8 bezw. 16 und 17 den auffälligen Unterschied in der Wir- 
kung der Wasserstoff-Sauerstoff-Flamme gegenüber der Azetylenflamme 
hatten erkennen lassen. y 

Bei Versuch 27 wurde dem Wasserstoff mittels eines Dreiwegstückes 
zunächst etwas Azetylen zugesetzt und diese Mischung mit Sauerstoff in 
dem vorher benutzten Azetylen-Schweißbrenner verbrannt. Die Flamme 
war etwas weißlich und lieferte einen geschlossenen Schmelzring von etwa 
25 mm Breite wie bei Versuch 21. Darauf wurde im Versuch 28 der Wasser- 
stoff mit Benzol karburiert. Abb. 9 zeigt die Anordnung, die es ermöglichte, 
entweder den Wasserstoff über das in einer Waschflasche befindliche 
Benzol streichen zu lassen oder ihn rein dem Brenner zuzuführen. Die mit 
Wasserstoff-Benzoldampf brennende Flamme war weißlich, rußte aber 
nicht. Die Schmelzwirkung war etwas geringer. Nach Absaugung von 
2 cbm innerhalb einer Stunde wurde durch Umschaltung der Wasser- 
stoff wieder der Flamme rein zugeführt, ohne daß die Gaszufuhr geändert 
wurde (Versuch 29). Die Flamme entfärbte sich völlig und brannte (viel- 
leicht mit etwas Sauerstoffüberschuß) als normale Knallgasflamme. Nun 
wurden die Absorptionsvorrichtungen wie üblich ausgespült, d. h. bleifrei 
gemacht, wieder an die Apparatur angesetzt und von neuem 2 cbm abge- 
saugt. Während die kohlenwasserstoffreie Flamme 1,6 mg lieferte, ergab 
die Knallgasflamme 43,5 mg Blei, eine Menge, wie sie die Versuche 7 bis 9 
auch geliefert hatten. Die Schmelzwirkung war bei Versuch 29 etwas größer 
als bei Nr. 28. e 

Als Wiederholung wurden nun die beiden Versuche in umgekehrter 
Reihenfolge gemacht. Versuch Nr. 30 wurde mit reiner Knallgasflamme wie 
Nr. 29 ausgeführt und ergab 35 mg Blei, während nach Umschaltung und 
Karburierung des Wasserstoffs mit Benzoldampf (Versuch 31) 9 mg . 
Blei gefunden wurden. Die Schmelzwirkung war im letzteren Falle wieder 
etwas geringer. 

Zum Schluß sei noch auf die ın der Tabelle unter Nr. 33 und 34 ange- 
führten Versuche hingewiesen. Die Bleiverflüchtigung konnte man, wenn 
sie eine bestimmte Größe erreicht hatte, jedesmal während der Versuche 
deutlich an einem metallischen Geruch wahrnehmen. Um zu erfahren, 
welche Bleimengen in dem Versuchsraume (Größe: 365x 420 x 920 cm) 
etwa 1 m seitlich der Apparatur bei 160 cm Höhe über dem Fußboden noch 
aufzufinden sind. wurden dort Staubbestimmungen nach der früher be- 


Von Dr. Hans Engel und Dr. Victor Froboese. 93 


schriebenen Methode!) unter Absaugung von je 2 cbm Luft, die durch ein 
gewogenes Papierfilter filtriert wurden, ausgeführt, während die Wasser- 
stoff-Sauerstoff-Flamme 100 mg Blei in 1 cbm in die Absaugevorrichtungen 
trieb (Versuch 33). Es wurde einmal in 21,2 mg Staub 6,3 mg Blei, dem- 
nach 3,2 Blei in 1 cbm Luft gefunden, ein anderes Mal in 24 mg Staub 
6,6 mg Blei, entsprechend 3,3 mg Blei in 1 cbm Luft, festgestellt. Die 
Schmelzwirkung, welche bei diesen Versuchen die Wasserstoff-Sauerstoff- 
Flamme erzeugt hatte, wurde nun mit der Azetylen-Sauerstoff-Flamme 
(Versuch Nr. 34) in gleichem Maße hervorgerufen, wobei 18 mg Blei in 
1cbm Luft in die Absaugevorrichtung gelangten. Es wurden wiederum an 
der gleichen Stelle wie vorher Staubbestimmungen bei 2 cbm Luftabsaugung 
gemacht. Die eine ergab bei 18 mg Staubgewicht 0,6 mg Blei in 1 com Luft; 
bei der zweiten Bestimmung wurde in 16 mg Staub 0,8 mg Blei in 1 cbm 
gefunden. 

Es zeigen somit auch diese Versuche, die an verschiedenen Tagen ge- 
macht sind, daß bei Anwendung der Knallgasflamme, der Bleigehalt der Luft 
auch im Arbeitsraum größer ist, als wenn die gleiche Schmelzwirkung mit 
der Azetylensauerstoff-Flamme hervorgebracht wird, daß also ein höherer 
Bleigehalt in den hier benutzten Absaugevorrichtungen auch auf einen 
höheren Bleigehalt in der staubigen Raumluft schließen läßt. 


Theoretisches über die Versuche. 


Wie im ersten Teil bereits betont ist, zeigt sich bei vergleichender 
Betrachtung, daß überall da, wo die Knallgasflamme zur Anwendung ge- 
langt ist, die Bleiwerte eine weit beträchtlichere Höhe erreichen, als bei den 
Versuchen mit allen anderen Flammenarten, daß auf der anderen Seite 
— als auffallendster Befund — die Versuche mit der Azetylen-Sauerstoff- 
Flamme und die in Verfolg dieses Befundes weiter angestellten Versuche 
mit der karburierten Wasserstoff-Sauerstoff-Flamme eine wider Erwarten 
niedrige Bleiverflüchtigung ergaben. Wenn Wasserstoff-Luft, Leuchtgas- 
Sauerstoff (unter Anwendung des „Assabrenners‘“), Azetylen-Sauerstoff 
und mit Kohlenwasserstoff karburierte Wasserstoff-Sauerstoff-Flammen 
Bleiwerte lieferten, die in ihrer Größenordnung nicht sehr verschieden 
und ganz erheblich kleiner sind als diejenigen in den Versuchen mit der 
Wasserstoff-Sauerstoff-Flamme, so fällt dieses Ergebnis jedenfalls hin- 
sichtlich der Azetylen-Sauerstoff-Flamme und vielleicht- auch hinsichtlich 
der Leuchtgas-Sauerstoff-Flamme ganz aus dem Rahmen der Erwartungen 
heraus, welche sich aus der rein von thermischen Einflüssen ausgehenden 
Betrachtung der Zusammenhänge ergaben. (Bei den Versuchen mit den 
karburierten Flammen war bereits von einer neuen Voraussetzung aus- 
gegangen.) 

Ganz wider diese Erwartungen haben die Versuche ergeben, daß die 
Azetylenflamme trotz ihrer höheren Flammentemperatur nicht die größte 
Bleimenge in die Luft treibt. Zu .beachten ist hierbei allerdings, daß die 
sehr hohe und auch für Bleiarbeiten gar nicht erforderliche Temperatur 
der Azetylen-Sauerstoff-Flamme für die Bleischmelze nicht voll ausge- 


4) Froboese: Arch. f. Hyg. 95, Heft 3/4, S. 174. 


94 Untersuchungen zur Klärung der Bleiverflüchtigung usw. 


nutzt werden kann, wie der Versuch 26 mit. Verwendung des heißesten 
Punktes der farblos brennenden Flammen zeigte. 

Bemerkenswert ist bei einem Vergleich der hier zur Anwendung 
gebrachten Flammen ferner, daß die normale Wasserstoff-Sauerstoff- 
Flamme am stärksten rauscht, was sich bei Zuführung überschüssigen 
Sauerstoffs noch steigert. Alle anderen hier benutzten Flammenarten, 
besonders aber die Leuchtgas-Sauerstoff-Flamme brennen ruhiger, und es 
spielt sicher wohl die Blaswirkung der Flamme ebenfalls eine gewisse 
Rolle, die zu erfassen wir mangels geeigneter Meßeinrichtungen uns ver- 
sagen mußten. 

Auffallend war eine Beobachtung, die es vielleicht ermöglicht, rein 
chemisch die mehr oder weniger starke Bleiverflüchtigung zu erklären. 
Es war nämlich merkwürdig, daß bei Anwendung von kohlenwasserstoff- 
haltigen Flammen sich auf oder in der nächsten Umgebung des geschmol- 
zenen Bleis nur graue, grauschwarze, zuweilen auch graugrüne Beschläge 


Abb. 9.. 


absetzten, abgesehen von einem leichten gelblichen Anflug gegen Ende 
des Versuchs. Solche grauen Beschläge fehlten bei Versuchen mit der 
Knallgasflamme. Hier waren jedesmal dicke gelbe Beschläge, zuweilen 
sogar mit rötlichem oder bräunlichem Ton auf den festen Bleiflächen 
festzustellen. Die Glaswolle selbst war je nach der Menge des aufgenom- 
menen Bleis weiß bis zitronengelb, aber bei Versuchen mit Kohlen- 
wasserstoff enthaltenden Gasen nur vorn grau. Selbst die Wasserstoff- 
Luft-Flamme färbte die Glaswolle vorn schwach gelblich-grün und lieferte 
schon einen geringen gelblichen Beschlag, während die Leuchtgas-Sauer- 
stoff-Flamme bei gleichem Bleiwert (Spalte 6) die Glaswolle vorn etwas 
grau färbte und keinen gelben, sondern einen grauen Beschlag bildete. 
Der Brenner war nach einem Knallgas-Flammenversuch stets stark weiß 
beschlagen, nicht aber bei Anwendung der Kohlenwasserstoff enthaltenden 
Flammen. Fragt man sich, woraus die hier aufgetretenen Beschläge be- 
stehen, so kommt man zu folgendem Schluß: Da die Kohlenwasserstoff 
enthaltenden Flammen so eingestellt waren, daß sie nicht rußten, also 
Kohlenstoffabscheidung nicht in Betracht kommt, ferner Bleikohlen- 
stoffverbindungen auch nach Art des Nickelkohlenoxyds, Ni(CO), bisher 
nicht bekannt sind, so ist mit einiger Wahrscheinlichkeit anzunehmen, 
daß die grauen bezw. grauschwarzen Beschläge, zunächst nur nach der 
Farbe zu schließen, fein verteiltes metallisches Blei oder Bleisuboxyd 
Pb,O sind. Es besteht nun wenig Wahrscheinlichkeit dafür, daß das Blei, 
welches durch die Flamme zunächst in Dampfform überführt worden ist, 


Von Dr. Hans Engel und Dr. Victor Froboese. 95 


bei der sehr großen Oxydierbarkeit des Bleis als solches den Abgasen, 
beigemischt bleibt, und ohne sich der hohen Temperatur zu oxydieren, 
entweder sofort auf kalten Bleiflichen niedergeschlagen oder weiter mit 
der Luft fortgeführt wird. Kommt also hier elementarer Bleidampf außer- 
halb der Flamme kaum in Frage und sieht man von einer Bildung 
von Verbindungen wie Bleiwasserstoff ab, so kónnen nur Bleioxyde in 
die Luft übergehen. Das Blei bildet folgende Oxyde: 


Pb O — Bleisuboxyd, schwarzes oder graues Pulver. 

PbO — Bleioxyd, gelb, in feinverteiltem Zustand weißlich. 
Pb,O, — Bleisesquioxyd, rotgelbes Pulver. 

PbO, — Bleisuperoxyd, braunes Pulver. 

Pb,0, — Mennige, lebhaft rotes Pulver. 


Unter diesen Oxyden nimmt für die Aufklärung der Bleiüberführung 
in die Luft das Bleioxyd (PbO) eine Sonderstellung ein, weil es anscheinend 
allein befähigt ist, sich in äußerst fein verteilter Form als weißer Nebel 
abzuscheiden, der in der Luft sehr lange schweben bleibt. Durch einen 
Versuch läßt sich diese Schwebefähigkeit leicht zeigen. Läßt man einen 
elektrischen Flammenbogen kurze Zeit zwischen Blei- und Kohleelek- 
troden brennen und saugt den entstehenden weißen Rauch in eine geräumige 
Flasche von etwa 20 1 Inhalt, so setzt sich dieser Nebel überaus schwer ab. 
Man hat es hier mit einem Luftkolloid zu tun, das durch die Luftströmung 
wie ein Gas mit fortgeführt wird. Von den übrigen Oxyden konnte nur 
noch Bleisuperoxyd (bei Versuch 15) in der Glaswolle festgestellt werden, 
dessen Menge aber gegenüber dem entstandenen Bleioxyd nur sehr klein war. 


l Auffällig war nun, daß die Glaswolle nach Beendigung eines jeden 
Versuchs, welcher ein hohen Bleiwert geliefert hatte, stets bis in den Glas- 
vorstoß hinein gelblich gefärbt war, während der Brenner, der eiserne Blei- 
badrand u. a. einen weißlichen Beschlag aufwiesen. Es ist daher zu schließen, 
daß hierbei wesentliche Mengen anderer Oxyde, die der Glaswolle eine an- 
dere Färbung erteilen würden, nicht in diese gelangen und ferner daß bei 
Anwendung kohlenwasserstoffhaltiger Flammen schon auf Grund der Farbe 
der Glaswolle nach einem normalen Versuch keine großen Mengen PbO 
entstehen, was ja auch die Analyse stets bestätigt. 


Soll also Blei durch eine Flamme in großer Menge in die Luft überführt 
werden, so müssen die Verhältnisse innerhalb der Flamme möglichst günstig 
für die Bildung von PbO sein, da dieses, mit den Abgasen in die Luft getrie- 
ben, sich, wie erwähnt, als Luftkolloid wie ein Nebel verhält und durch 
die Luftbewegung weiter geführt wird. Daß der Luftsauerstoff außerhalb 
der Flamme das eventuell in den schon stark gekühlten Flammenabgasen 
enthaltene Blei erst zu PbO oxydiert, ist unwahrscheinlich. So starke 
Bleiüberführungen können nur durch Verbrennung des Bleis innerhalb 
der Flamme dicht über der Berührungsfläche stattfinden. 


Die Versuchsreihen haben bewiesen, daß eine Steigerung der Sauer- 
stoffzufuhr sowohl bei der Knallgas- als auch bei der Azetylen-Sauerstoff- 
Flamme eine Verstärkung der Bleiverflüchtigung mit sich bringt. Dies 
steht mit obigen Ausführungen völlig im Einklang. Es muß also, damit in 
der Auffangsvorrichtung recht viel Blei gefunden wird, freier Sauerstoff 


96 Untersuchungen zur Klärung der Bleiverflüchtigung usw. 


in der Flamme sein. Andererseits muß hiernach die Bleiverflüchtigung 
stark unterdrückt werden, wenn innerhalb der Flamme gerade über der 
Bleiberührungsfläche eine Zone herrscht, die eine Oxydation des ent- 
standenen Bleidampfes nicht zuläßt, so daß diese nur unvollkommen durch 
den Luftsauerstoff bei inzwischen eingetretener starker Abkühlung er- 
folgen kann, und deshalb eben PbO in Form von feinstem Nebel nicht mehr 
entsteht. 

Es muß nochmals betont werden, daß zu der spezifischen Temperatur 
jeder Flamme eine bestimmte Bleiverdampfung gehört. Ist also die 
Azetylenflamme heißer als die Knallgasflamme, so verdampft auch not- 
gedrungen unter dem Einfluß der heißeren Flamme mehr Blei. Aber 
letzteres muß auf irgendeine Weise gehindert werden, als Bleioxyd in die 
Luft überzutreten. Warum die Verwandlung des Bleis in Bleioxyd und 
damit eine starke Verflüchtigung gerade in der Knallgasflamme leicht 
möglich erscheint, in der Azetylen-Sauerstoff-Flamme dagcgen sehr er- 
schwert ist, darüber geben die chemischen Flammenbilder dieser beiden 
Flammenarten Aufschluß. Die Knallgasflamme ist in Figur 10 dargestellt. 


2 Mo +05 #50 


Q 6 
Abb. 10. 


Der Kegel a enthält stets unverbranntes Gas. Bei normaler Ein- 
stellung befindet sich im Mittelpunkt b der Flamme vornehmlich Wasser- 
dampf. Die Dissoziationstemperatur des Wasserdampfes ist so hoch, daß 
für gewöhnlich in der Knallgasflamme nicht mit starker Dissoziation zu 
rechnen ist. Anders aber bei Einbringung von Metallen in die Knallgas- 
flamme. Schon weißglühendes Platin bewirkt erhebliche Dissoziation von 
Wasserdampf. Befindet sich also, wie das bei den früher beschriebenen 
Versuchen der Fall war, im Punkt b der Knallgasflamme glühender Blei- 
dampf, der nicht nur katalytisch die Zersetzung des Wasserdampfes in 
Wasserstoff und Sauerstoff fördert, sondern noch dazu den Sauerstoff 
aus dem Dissoziationsprodukt durch Bindung sofort herausreißt, so muß 
erstens 

die stete Neubildung von Sauerstoff durch die dauernde Gleich- 

gewichtsstörung ergiebiger werden 
und zweitens 

bei der fortgesetzten Neubildung von Bleidampf die Bildung von 

Bleioxyd unbegrenzt sein. l 

Das auf diese Weise entstandene Bleioxyd kommt auf seinem Weg ein 
die Luft allein mit noch nicht dissoziiertem kühlerem Wasserdampf zu-. 
sammen, wobei Umwandlungen nicht mehr stattfinden, und mischt sich 
dann der Luft als feinster Rauch bei. 

Es soll auch noch auf einen Umstand hingewiesen sein, der ohne Zweifel 
die Bleidampfoxvdation innerhalb der Knallgasflamme stark fördert. 


Von Dr. Hans Engel und Dr. Victor Froboese. 97 


E. H. Riesenfeld?) hat die Bildung von Ozon und Wasserstoffsuperoxyd 
in der Knallgasflamme nachgewiesen. Der Arbeit ist zu entnehmen, daß 
die Bildung von Ozon und Wasserstoffsuperoxyd in der Knallgasflamme 
um so stärker wird, je kleiner man unter sonst gleichen Umständen die 
Flamme macht. Bei Benutzung einer Mikroflamme kann die Ausbeute so 
gesteigert werden, daß Ozonkonzentrationen erhalten werden, die viele 
hundertmal größer sind als die nach dem Nernst’schen Wärmesatz 
berechneten oder als die durch Explosionsversuche experimentell bestätigten 
Gleichgewichtskonzentrationen. Die hierzu notwendige Energie soll der 
Strömungsenergie entnommen werden. 

Diese Feststellungen sind vielleicht besonders wertvoll, wenn man die 
Größe der Bleiverflüchtigung bei der Bleilöterarbeit (Kleinarbeit, insbe- 
sondere bei der „losen‘‘ Bleilóterei) unter Benutzung kleiner Knallgas- 
flammen beurteilen will. Jedenfalls ist eine Steigerung des Ozongehaltes in 
kleinen Knallgasflammen gleichbedeutend mit verstärkter Bleirauch- 
bildung, und es ist ohne eindeutiges Versuchsmaterial nicht angängig, zu 





400 e Ss 
Abb. 11. 


sagen, daß eine kleine Flamme überhaupt nur eine ganz untergeordnete 
Bleiverdampfung erzeugen kann. 

Die vorstehend geschilderten Bedingungen für die Bildung von Blei- 
oxyd in der Knallgasflamme treffen in dieser Weise nur für eine Flamme zu, 
die mit dem optimalen Gasmischungsverhältnis brennt. Es ist indessen 
klar, daß ein Wasserstoffüberschuß, ganz abgesehen von der hierdurch 
eintretenden Temperaturerniedrigung, die übrigens auch ein Sauerstoff- 
überschuß bewirken würde, hemmend auf die Bleioxydbildung wirken 
muß, während ein Sauerstoffüberschuß diese verstärken wird. Es wird 
also ein Gasmischungsverhältnis geben, bei dem die Bleiverflüchtigung 
ihr Maximum erreicht. Dieses machte sich während des Versuchs 15 daran 
kenntlich, daß die Knallgasflamme eine intensiv fahlblaue Farbe annahm, 
die sich ganz bedeutend abschwächte, sobald entweder die Wasserstoff- 
oder die Sauerstoffzufuhr vergrößert wurde. Die so erhaltenen Bleimengen 
waren bei diesem Versuch auch am größten. 

Es bleibt nun noch übrig, zu erklären, warum eine Verbrennung des 
Bleidampfes in der normal brennenden Azetylenflamme nicht so leicht 
stattfinden kann. Hierzu ist erforderlich, klarzustellen, wie man sich die 
Verbrennung des Azetylens aus einem Azetylen-Schweißbrenner, 
der bei den Versuchen angewendet wurde, vorzustellen hat. Abb. 11 stellt 


1) Zeitschr. f. Phys. Chem. 110, 801 (1924) u. Phys. Ber. 1924, 22, S. 1609. 


98 Untersuchungen zur Klärung der Bleiverflüchtigung usw. 


das Bild der Azetylen-Sauerstoff-Flamme mit ihren chemisch verschieden 
wirkenden Zonen dar. Obwohl nach der Gleichung: 


2 CH; + 5 O = 4 CO, + 2 H,O 


für die vollstänige Verbrennung des Azetylens auf ein Volumen CH3 
2,5 Volumen O, nötig sind, so hat sich bei der Konstruktion der Azetylen- 
schweißbrenner bereits gezeigt, daß beste Wirkungen nur erzielt werden, 
wenn das Mischungsverhältnis von C,H, zu O, etwa 1:1 ist. Nun hat 
bereits Le Chatelier!) darauf hingewiesen, daß die Verbrennung des 
Azetylens mit Sauerstoff stufenweise vor sich geht und zunächst nach der 
Gleichung: 
| i I.: 2 CH; + 20, = 4 CO + 2 H, 

verläuft. Wird also wie es durch die Konstruktion des Brenners auch tat- 
sächlich geschieht, um ein ruhiges und wirkungsvolles Brennen der Flamme 
zu erzielen, daß Azetylen in den Azetylen-Schweißbrenner nur mit etwa 
gleichen Teilen Sauerstoff gemischt verbrannt, so müssen die Verbrennungs- 
produkte der Gleichung I. mit Hilfe des Luftsauerstoffs nach der Glei- 
chung II.: 

IT.: 4 CO +2 H, +3 0O, = 4 C O + 2 H,0 

weiter verbrannt werden. 


Hieraus ergibt sich die Zusammensetzung der in Abb. 11 gezeichneten 
einzelnen Zonen. 


Der Kegel a enthält größtenteils unverbranntes Mischgas. Die Zone b 
besteht aus Kohlenoxyd und Wasserstoff, die in dem übrigen äußeren 
Flammenraum durch den Luftsauerstoff weiter zu Kohlensäure und Wasser- 
dampf verbrennen. 


Entsteht nun an der Stelle b Bleidampf, wie es bei der verwendeter 
Versuchsanordnung tatsächlich der Fall ist, so ist keine Möglichkeit der 
Verbrennung zu Bleioxyd, PbO, durch freien Sauerstoff gegeben. Bläst 
diese Flamme bej b auf eine geschmolzene Bleifläche, so wird der entstehende 
Bleidampf zunächst unter dem Schutze einer Kohlenoxyd-Wasserstoff- 
Atmosphäre seitlich aus der Flamme herausbefördert, wobei starke Ab- 
kühlung durch kältere Bleiflächen eintritt. Die weitere Verbrennung der 
schützenden Gase sowie des Bleidampfs selbst kann nunmehr nur außer- 
halb der Flamme durch den Luftsauerstoff erfolgen. Hier steht für die 
Oxydation des Bleidampfs indessen theoretisch nur ein kleiner Teil zur Ver- 
fügung, da der vorhandene Luftsauerstoff zunächst für die Verbrennung 
von Kohlenoxyd und Wasserstoff verbraucht werden wird und der Rest 
erst für die Bleidampfoxydation in Frage kommt. Daß diese, wenn 
sie eintritt, unter den obwaltenden Umständen sehr wahrscheinlich unvoll- 
kommen ist und vielleicht nur, wie angenommen, zu dem Suboxyd PbO 
führt, das dem Augenschein nach sofort auf den geschmolzenen und den 
kalten Bleiflächen abgesetzt wird, ist auch wegen inzwischen eintretender 
weiterer Abkühlung zu vermuten. Eine Spaltung des auch bei hohen 
Temperaturen sehr stabilen Kohlenoxyds kommt nicht in Betracht. 


1) Comptes renders de l’ Acad. 1895, 121, 1144, siehe auch: Vogel „Das 
Acetylen“ 2. Aufl. 1923, S. 233. 


Von Dr. Hans Engel und Dr. Victor Froboese. 99 


Wird der normal brennenden Azetylenflamme (Gasmischungsver- 
háltnis 1 C,H,:1 O,) mehr Azetylen zugeführt, so werden beide Zonen a und 
b länger. Es kann sogar überschüssiges Azetylen bis an die Bleioberfläche 
gelangen. Hierdurch wird die Kohlenoxyd-Wasserstoff-Zone auch etwas 
vergrößert, also die Bleidampfoxydation noch mehr herabgedrückt. Umge- 
kehrt wird eine stärkere Sauerstoffzufuhr zu der normal brennenden 
Azetylenflamme die Kohlenoxyd-Wasserstoff-Zone verkleinern. Der gebil- 
dete Bleidampf kommt dann mit Kohlensäure und Wasserdampf zusammen. 
Letzterer dissoziiert durch den Bleidampf, wodurch die Bedingungen für 
die PbO-Bildung, wie im Falle der Knallgasflamme, gegeben sind. 


Das Karburieren der Knallgasflamme muß nun augenscheinlich auch 
dazu führen, daß in der Flamme eine Kohlenoxyd-Wasserstofí-Zone ent- 
steht, die die Bleiverbrennung hindert. Bekannt ist, daß bei Verbrennung 
von Leuchtgas mit ungenügender Luftmenge, sowie durch Zersetzung 
anderer Kohlenwasserstoffe bei hoher Temperatur Azetylen entsteht. 
So erklärt sich höchst wahrscheinlich die Verminderung der Bleiverflüch- 
tigung bei Anwendung von karburierten Wasserstoff-Flammen sowie von 
Leuchtgas-Sauerstoff-Flammen nur als sekundäre Azetylenwirkung. Nach 
obigen Ausführungen ist verständlich, warum eine Beimischung von 
Kohlensäure zur Knallgasflamme (Versuch 32) keine Herabdrückung der 
Bleiverflüchtigung herbeiführt, auch wenn man davon absieht, daß durch 
die Kohlensäure die Flammentemperatur erniedrigt wird und schon deshalb 
eine Verminderung erfolgen müßte. Selbst wenn Kohlenoxyd angewendet 
worden wäre, würde dadurch noch keine Kohlenoxyd-Wasserstoff-Zone 
bei b geschaffen werden, sondern am Endpunkt des Kegels a der Knallgas- 
flamme (Abb. 10) Kohlensäure, die eine Oxydation des Bleidampfs unter 
Bildung von Kohlenoxyd zuläßt. 


Soll die Frage erschöpfend behandelt werden, in welcher Form sich 
das Blei in der Luft unter den hier vorliegenden Umständen finden könnte, 
so darf eine etwaige Bildung von Bleiwasserstoff nicht außer acht gelassen 
werden, über dessen Existenz nach den Arbeiten von F. Paneth, Matthies 
und Schmidt-Hebel!) kein Zweifel mehr besteht, und dessen höchst 
giftige Wirkung hier auch in Betracht kommen könnte. Die genannten 
Verfasser zeigten’ überdies, daß die Bildung von Bleiwasserstoff durch bloße 
Vereinigung von Blei und Wasserstoff selbst in einer ionisierenden Funken- 
strecke so gut wie nicht erfolgt, daß sie aber durch Kohlenwasserstoffe 
als Katalysatoren ungemein gefördert wird. Es wäre nicht ausgeschlossen, 
daß z. B. in den Kohlenwasserstoff enthaltenden Flammen die geringen in 
Dampfform überführten Bleimengen teilweise in Bleiwasserstoff verwandelt 
würden. Obwohl dieser bei höherer Temperatur leicht zersetzlich ist, so 
wäre doch seine Bildung hier nicht unmöglich, da durch den Gasstrom 
dauernd Reaktionsprodukte aus dem Flammeninnern herausgerissen werden 
und durch die sofortige Kühlung auch unbeständige Verbindungen an den 

„verhältnismäßig kalten Metallflächen konserviert werden könnten. 


Folgende Versuchsanordnung gestattet, hier Klarheit zu schaffen: An 
den mit Glaswolle gefüllten Vorstoß schloß sich eine für alle Bleiverbin- 


1) Ber. d. Deutsch. Chem. Ges. 55 (1922) 775. 


400 Untersuchungen zur Klärung der Bleiverflüchtigung usw. 


dungen außer dem möglicherweise hier anwesenden gasförmigen Blei- 
wasserstoff undurchlässige Filterbüchse?). Von hier gelangte der Gasstrom 
in ein stark erhitztes, 60 cm langes böhmisches Rohr, worin sich etwa vor- 
handener Bleiwasserstoff zersetzen mußte, dessen Zersetzungsprodukt Blei 
nach der Abkühlung entweder im Glasrohr selbst oder indem nachfolgenden, 
Salpetersäure enthaltenden U-Rohr nachweisbar sein müßte. Bei Ab- 
saugung von 2 com Abgasen konnte aber weder bei Anwendung der Wasser- 
stoff-Sauerstofí-Flamme noch der Azetylen-Sauerstoff-Flamme Blei als 
Zersetzungsprodukt gasförmiger Bleiverbindungen nachgewiesen werden. 
Ob Bleiwasserstoff dennoch in kohlenstoffhaltigen Flammen entsteht, aber 
am Rande der Flamme oxydiert wird, konnte nicht entschieden werden und 
ist für diese Arbeit auch belanglos, da in den Abgasen jedenfalls kein Blei- 
wasserstoff vorhanden ist. 


Folgerungen aus den Versuchen für die Praxis. 


Aus den Ergebnissen dieser Arbeit lassen sich nun Folgerungen ziehen, 
auf Grund deren die Gefährdung der Arbeiter in den Werkstätten, wo 
homogen verbleit oder Blei gelötet wird, vielleicht erheblich vermindert 
werden kann. Zunächst ist wiederum gezeigt, daß bei allen hier untersuchten 
Flammenarten Blei in die Luft gelangt, und insofern der in einer früheren 
Arbeit des einen von uns vertretene Standpunkt gestützt und bestätigt, daß 
die Verhütung der Bleierkrankung in den Bleilötereien an diese Tatsache an- 
knüpfen und vor allem darauf gerichtet sein muß, die Entstehung von Blei- 
rauch und seine Einatmung nach Möglichkeit einzuschränken und zu ver- 
meiden. Vor allem aber wurde nachgewiesen, daß gerade die in der chemi- 
schen GroBindustrie am meisten für Bleilöterarbeiten benutzte Wasserstoff- 
Sauerstoff-Flamme (Wasserstoff ist dort Anfallprodukt) am stärksten Blei 
in die Luft überführt, während die Azetylen-Sauerstoff-Flamme und die 
in geeigneter Weise karburierte Wasserstoff-Sauerstoff-Flamme, sowie die 
Leuchtgas-Sauerstoff-Flamme in weit geringereí Maße hierzu befähigt 
sind. Das Ergebnis unserer Untersuchungen erlaubt daher eine bedeutsame 
Nutzanwendung insofern, als nunmehr ein Weg gegeben ist, durch Anwen- 
dung geeigneter, leicht herzustellender Wasserstoff-Kohlenwasserstoff- 
Gemische (Karburierung) oder reiner Kohlenwasserstoffe (Azetylen), die 
Überführung von Blei so gering zu machen, daß die Gefährdung der Arbeiter 
dadurch sich erheblich vermindern läßt. 


Zusammenfassung. 


1. Es wurde cine Apparatur zusammengestellt, um Flammen bei ihrer 
Wirkung auf Blei vergleichsweise in bezug auf ihre Überführung von Blei 
in die Luft prüfen zu können. 

2. Die Bleiverflüchtigung bei der dem Arbeitsvorgang der Bleilöterei 
entsprechenden Wirkung von Gebläseflammen auf Blei ist nochmals ein- 
wandfrei und als nicht unerheblich festgestellt worden. 


1) Von der Firma Auer, Berlin O hergestellt als bleidichter Gasmasken- 
filtereinsatz der nur. Nebel u. Rauch festhält, Gase aber durchläßt. 


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3. Die Überführung von Blei in die Luft ist am stärksten bei Anwendung 

einer mit Sauerstoffüberschuß brennenden Knallgasflamme und am 
schwächsten bei Kohlenwasserstoffe enthaltenden Flammen, z. B. bei der 
schwach weißlich brennenden, nicht rußenden Azetylenflamme. Sie läßt 
sich bei Anwendung der Wasserstoff-Sauerstoff-Flamme durch Karbu- 
rierung stark herabdrücken. Im Vergleich zur Knallgasflamme bewirkt 
auch die Leuchtgas-Sauerstoff-Flamme nur eine geringe spezifische Blei- 
verflüchtigung. 

4. Bleiwasserstoff konnte in den Verbrennungsgasen nicht nachgewiesen 
werden. Es wurde dargelegt, daß das Blei hauptsächlich als sehr feiner 
Bleioxydnebel der Atemluft beigemischt wird, und bestätigt, daß sich ein 
solcher Nebel lange Zeit in der Luft schwebend hält, ohne sich abzusetzen. 

5. Es wurde versucht, eine Erklärung zu geben, warum bei der Wirkung 
der Knallgasflamme auf Blei die Verflüchtigung leicht möglich ist, während 
sie bei Anwendung der Azetylen-Sauerstoff-Flamme oder verwandter 
Flammen trotz ihrer spezifisch höheren Temperatur vergleichsweise. sehr 
gering ist. 

6. Es werden Anregungen gegeben, wie die Arbeitergefährdung in den 
hier in Betracht kommenden Bleibetrieben auf Grund der angestellten 
Versuche vermindert werden kann. 


Archiv für Hygiene. Bd. 96. 8 


BR Von Dr. Hans Engel und Dr. Victor Froboese. — 101. 





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Versuche über Ernährung mit vegetabilischer Rohkost bei 
geistiger und körperlicher Arbeit. 


Von 


Professor Dr. Hermann Ilzhöfer, 
Assistent am Institut. 


(Aus dem Hygienischen Institut der Universität München.) 
(Bei der Redaktion eingegangen am 16. Mai 1925.) 


In einer unter diesem Titel kürzlich erschienenen Abhandlung teilte 
F.-Potz1) mn, daf, er unter dem Zwang äußerer Verhältnisse seit dem 
Jahre 1922 eine ganz einfache, vorwiegend aus frischem, konserviertem 
„Obst und Brot: :hestehende. und nur anfánglich auch etwas Molkereiprodukte 
enthaltende Kost aufnahm und dabei angestrengt geistig, 3 Monate lang 
auch als „Schwerstarbeiter‘‘ körperlich arbeiten konnte, ohne, von kleinen 
Schwankungen abgesehen, in Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit eine 
nennenswerte Einbuße zu bemerken. 

Die ohne Stoffwechseluntersuchungen nur auf Grund der 6 Monate 
lang täglich in annähernd gleichen Mengen aufgenommene, zeitweise durch 
Wägung kontrollierte Nahrung enthielt pro Tag in der 1.Versuchsperiode 
bei geistiger Arbeit (tägl. durchschnittlich 8 Stunden med. Kolleg und 
ca. 2 Stunden häusl. Studium) bei i. M. 55 kg Körpergewicht 2208 Rein- 
kalorien mit 32 g Eiweiß, in der 2. Versuchsperiode (als Hilfsarbeiter in 
einem Walzwerk) bei 53,6 kg mittl. Körpergewicht 1858 Reinkalorien mit 
22—40 g Eiweiß, das waren auf 70 kg Körpergewicht umgerechnet im 
ersten Fall 2823, im zweiten 2425 Kalorien pro Tag. Jenes KostmaB war 
also nicht ungewöhnlich nieder, dieses jedoch lag erheblich unter dem 
allgemeinen gültigen Normalwert. 

Da sich Herr Potz am Schlusse seiner Veröffentlichung zur Wieder- 
holung grundsätzlich gleicher Versuche bereit erklärte, forderte ich ihn auf 
Anregung von Herrn Geh. Rat von Gruber auf, sich mir nach Beendi- 
gung seines med. Staatsexamens zur Ausführung von Stoff- und Gas- 
wechselversuchen als Versuchsperson zur Verfügung zu stellen. Er erklärte 
sich dazu bereit und kam am 15.1. 25 hierher. 





1) Arch. f. Hyg. 94, 529; cf. auch Huntemüller, Münch. med. Wochen- 
schrift 71, 862. 


Versuche über Ernährung mit vegetabilischer Rohkost usw. 103 


Da er nach seiner Ankunft an einer äußerst schmerzhaften, stark 
eiternden und schlecht heilenden Zahnperiostitis erkrankte, konnten die 
Versuche erst am 31. I. beginnen. Sie dauerten mit kurzen Unterbrechungen 
bis 19. III. 

Herr Potz war auch nach Abschluß seiner mitgeteilten Versuche, 
ohne jedoch die Nahrung weiter abzuwiegen, im großen und ganzen bei 
dem letzten Kostmaß und der gleichen, einfachen, kalt verzehrten Nahrung 
geblieben; er erklärte übrigens ausdrücklich, sie keineswegs als die für ihn 
optimale anzusehen und hielt sich auch durchaus nicht sklavisch daran, 
so wenig wie an eine bestimmte Kalorienzahl. Er gestattete sich vielmehr 
nicht selten Ausnahmen, indem er, sei es zur Befriedigung von öfter auf- 
tretenden Gaumengelüsten, sei es, um bei Geselligkeiten nicht aufzufallen, 
auch warme Getränke (wie Kaffee, Tee, Kakao, Suppen), Butter, Eier, 
Käse, Fleisch- und Mehlspeisen, hin und wieder auch Alkoholika zu sich 
nahm. Selbstverständlich mußte er sich hier, da er nicht unter Klausur 
gehalten werden konnte, verpflichten, während der Versuchstage nur die 
festgelegte Kost aufzunehmen, deren Wahl ich ihm selbst überließ. 


Von den oben erwähnten Ausnahmen abgesehen, hatte er sich teils aus 
Ersparnisgründen, teils infolge von theoretisch anfechtbaren Vorstellungen, 
auf die ich hier nicht näher eingehen will, in letzter Zeit der absoluten 
Rohkost zugewandt und vermied jegliches zubereitete Nahrungsmittel; 
daher wollte er bei den beabsichtigten Versuchen auch kein Brot, das er 
früher, wie erwähnt, noch täglich gegessen hatte, zu sich nehmen. 


Zunächst sollte das für ihn gültige Minimum der Nahrungszufuhr 
bei leichter körperlicher, vorwiegend sitzender und mit geistiger Arbeit 
verbundener Beschäftigung (als Praktikant im bakteriologischen Labo- 
ratorium) festgestellt werden. Die Versuchsperson selbst glaubte dabei 
mit wesentlich weniger Nahrung, als sie bisher aufgenommen hatte, aus- 
kommen zu können und hoffte, daß ihr 4 Orangen, 2 Äpfel, 8 Datteln, je 30 g 
Korinthen, Rosinen, Hasel- und Erdnußkerne und 60 g geschälte Hafer- 
körner als Nahrung pro Tag genügen würden. Die in entsprechendem 
Vorrat eingekauften Nahrungsmittel wurden täglich abgewogen, bei den 
Orangen, Äpfeln und Datteln die ganze Frucht und der Abfall (bei ersteren 
Schalen und Kerne, bei den Äpfeln Kerngehäuse und Kerne und bei den 
Datteln nur die letzteren) und aus der Differenz beider Wägungen die ver- 
zehrte Menge berechnet. Da bei jeder dieser Obstarten im Verlauf der Ver- 
suchszeit über 70 derartige Wägungen gemacht wurden, ergaben sich gute 
Durchschnittswerte für den jeweiligen Abfall, die ich deshalb hier anführe: 


bei Orangen i. M. 30%, 
bei Äpfeln i. M. 13%, 
bei Datteln i. M. 11%. 

Von jedem Nahrungsmittel wurde in eßfertigem Zustand (bei den 
genannten 3 Obstarten also nach Abfallentfernung) in Doppelanalysen eine 
Bestimmung des N-Gehaltes gemacht und aus diesem durch Multiplikation 
mit 6,25 der Rohproteingehalt berechnet, der den sonst gefundenen Werten 
entsprach. Da die Anführung der täglich aufgenommenen Nahrungsmengen 
zu viel Raum beanspruchen würde und dieselben zudem nur bei den mit, 

g* 


104 Versuche úber Ernáhrung mit vegetabilischer Rohkost usw. 


Abfall verbundenen schwankten, habe ich in der nachfolgenden Tabelle I 
nur die in den einzelnen Versuchsperioden i.M. pro Tag aufgenommene 
Nahrung zusammengestellt. Die außer dem von mir bestimmten N-Gehalt 
dort noch eingetragenen Werte (Fett, Rohkalorien) wurden den König- 
schen Tabellen entnommen. 

Vor Beginn der 1. Versuchsperiode wurde am 2. II. im med. klinischen 
Institut von Herrn Prof. Kämmerer, dem ich auch an dieser Stelle 
bestens dafür danke, eine klinische Untersuchung der Versuchsperson, 
welche, 261, Jahre alt, bei 169 cm Länge 54,2 kg wog, vorgenommen, die 
folgendes ergab: Aussehen: gut, nicht anämisch; Körperbau: grazil; Mus- 
kulatur: mäßig; Ernährungszustand: mäßig, jedoch keine extreme Mager- 
keit; Puls: 60, mittelkräftig, regelmäßig; Blutdruck: ca. 120; klin. Unter- 
suchungsbefund: Herz, Lunge, Abdomen o. B.; Durchleuchtung: Zwerch- 
fell beiderseits ausgiebig beweglich, etwas tiefstehend, Herz o. B., eher 
etwas klein, Hilus bes. rechts starke kalkige Ablagerungen, Spitzenfelder 
und Lunge sonst völlig frei; Blutbefund: Hämoglobin 75%, Erythrocyten: 
5076000, Leukocyten: 5000, Färbeindex % = > 1, Blutzucker: 52 mg%, 
Blutharnsäure: 6 mg%, bei einer 2. Bestimmung am 9. II.: 4mg%. Das 
Ergebnis der klinischen Untersuchung wurde, abgesehen von dem an der 
untersten Grenze des normalen (60—110 mg%) stehenden Blutzucker- 
und des in Anbetracht der purinfreien Kost relativ recht hohen Blutharn- 
sáurewertes (2—4 mg%,) nomal) als in keiner Hinsicht auffallend bezeichnet 


Tabelle 1. 


Die in den einzelnen Versuchsperioden i. M. pro Tag aufgenommenen 
Nahrungsmittel in g 






























Vezsuchsperiode: SS kr II. IV. | 9 
Tag: 4.—8. II. | 9.—11. II. |12.—13.II. 24. 11.5. ITI. [9.—18. III. 
Orangen. 446 | 432 502 580 | 619 
Äpfel . 243 228 332 | 628 | 734 
Korinthen . 30 30 30 — — 
Rosinen . 30 30 | 30 — — 
Datteln 62 67 68 — 301) 
Feigen . D — — —- 122 205 
Haselnußkerne 30 30 45 | ui 50 
Erdnußkerne . aX 30 30 45 | 50 50 
Geschälte Haferkörner 60 60 60 160 160 
Honig . . A E _- | = — | 100 — 
MIC ho 0.2 Bee 500 750 e =n 
N. re te 3.99 | 6,14 8,4 7,57 10,03 
o COMEDIA = A uD 24,93 | 38,37 52,5 47,31 62,68 
a Rtl Ze dee A o 34 | WÉI | 19 65 65 
Kohlehydrat . - : » 220 248 290 420 475 
Rohkalorien . . . . | 1320 | 1675 2140 2520 2808 


Nach einer 4 Tage dauernden Vorperiode, wáhrend der die eingenom- 
menen Nahrungsmittel schon gewogen, auch Urin und Kot gesammelt 








1) Die Datteln wurden nur an den 3 ersten Tagen zu je 100 g verzehrt; obiger 
Wert wurde nur der Einfachheit halber in die Tabelle als Mittelwert pro Tag 
eingesetzt; die unten angegebenen N-Werte sind jedoch aus den jeweilig auf- 
genommenen Tagesmengen berechnet. 





Von Dr. Hermann Ilzhöfer. 105 


und zur Orientierung einigemal untersucht wurden, begann am 4. II. der 
eigentliche Stoffwechselversuch, während dessen Dauer täglich morgens 
nach Urin- und Kotentleerung eine Wägung des unbekleideten Körpers 
stattfand, und täglich der N-Gehalt von Kot und Urin, sowie in letzterem 
das NaCl und NH, bestimmt, außerdem häufig die aktuelle Reaktion, 
der Harnsäure- und Kreatiningehalt des Urins ermittelt wurde. Die dies- 
bezüglichen Untersuchungsergebnisse sind in Tab. II, die für die Aufstel- 
lung der Stoffwechselbilanz in Betracht kommenden in Tab. III und die 
mit dem Zuntz-Geppertschen Respirationsapparat ausgeführten Gaswech- 
selbestimmungen in Tab. IV zusammengestellt. 

- Da sich während der Vorperiode gezeigt hatte, daß die Versuchsperson, 
welche keinerlei Getränke zu sich nahm, innerhalb 24 Stunden nur 250 bis 
300 cem Harn von 1033 mittl. spez. Gewicht mit reichlich sich absetzendem 
Uratsediment entleerte, veranlaßte ich dieselbe, wenigstens Y, Liter Wasser 
am Tag zu trinken. Die Harnmenge nahm daraufhin etwas zu und betrug 
jetzt i. M. 470 ccm pro Tag, also immer noch recht wenig, von 1023 mittl. 
spez. Gewicht, der Harn setzte auch jetzt noch öfter reichlich Uratsediment 
ab. Die Werte der aktuellen Reaktion (i. M. p, = 7,12, also H: = 7,59 + 1078 

d NaH PO, 1 
und Nap HPO, 2,6 
gehalt (i. M. 0,7 g pro Tag) in Anbetracht der purinfreien Kost, und ebenso 
die Kreatininausscheidung (i. M. tägl. 1,53 g) relativ hoch. Der niedere 
NaCl- und NH,-Gehalt konnte im Hinblick auf die Art der Kost nicht auf- 
fallen. Den N-Gehalt bespreche ich nachher. 

Die Menge des einmal täglich geformt entleerten Kotes (i. M. 128 g 
frisch) war zwar absolut, aber nicht relativ gering, wenn man das bei Be- 
trachtung der abgewogenen Tagesration ersichtliche kleine Nahrungs- 
volum berücksichtigte. Der Wassergehalt des Kotes war recht konstant 
(i. M. 75%), aber verhältnismäßig hoch, so daß die täglich entleerte Trocken- 
kotmenge i. M. nur 31,3 g betrug. Der mit dem Kot ausgeschiedene N 
ging der abgegebenen Kotmenge nahezu ganz parallel und betrug durch- 
schnittlich 1,1 g pro Tag. Da nach Stab 3 der Tab. 111 i. M. 4 g N im Tag 
eingeführt wurden, gingen somit von ihm im Kot 27% zu Verlust, die Nah- 
rung wurde also recht schlecht ausgenutzt, was bei ihrer Zusammen- 
setzung mit tägl. 15 g Rohfasergehalt erklärlich war. Es fanden sich auch 
stets reichlich Zellulosereste aller Art von feinsten Teilchen bis zu ange- 
brochenen, ja selbst einzelnen ganzen Haferkörnchen im getrockneten 
Kot vor. 

Der unter Berücksichtigung des Darmverlustes für diese 1. Versuchs- 
periode sich ergebende Nettowert der aufgenommenen Nahrung ist in 
der folgenden Tab. V eingetragen. Bezüglich der Berechnung dieser Werte 
sei bemerkt, daß von den (dem betr. Eiweiß-, Fett- und Kohlehydratgehalt 
entsprechenden) Rohkalorienmengen (cf. Tab. I) für den Eiweißverlust im 
Darm die jeweils gefundene Zahl und für den Fett- und Kohlehydrat- 
verlust ein in Anbetracht der zellulosereichen Nahrung sicher nicht zu hoher 
Wert von 20 bzw. 30%, in Abzug gebracht wurde. Der nach Abzug des 
Kot-N vom eingeführten N erhaltene Wert x 6,25 wurde als Reineiweiß 
gerechnet. 


) boten nichts auffallendes, dagegen war der Harnsäure- 


106 Versuche úber Ernáhrung mit vegetabilischer Rohkost usw. 


Tabelle II. Harn- 





























Harn | 
dE A | d S Ar Haras | gesi 1 
suchs- Tag Aussehen Menge | "Per | Re | N er 
Periode path. Bestandteile we aktion skuro | atinin | 
wicht | | | 
ccm pa g g | g | 
trúb. | 
4. 11.25 Uratsedim. 440 | 1021 | 7,1 6,03 | 0,65 | 1,57 
S> H 3 463 | 1022 | 7,22 | 5,41 | 0,7 | 1,56 
I. klar. | 
6. Il. Azetonschw. + 532 | 1020 | 7,1 6,03 | 0,95 | 1,48 | 
klar. 
SP Azeton + 484 | 1023 | 7,22 | 8,73 | 0,6 | 151 | 
8. Il, klar. 430 | 1020 | daa 4,43 0,63 | 1,54 | 
9.. TE ZS 483 | 1021 —- 4,93 | — =- 
II. 10. II SS 504 | 1022 | 7,37 | 5,49 | 0,84 | 1,6 | 
E 1%: 11: D 462 | 1027 1.22 6,23 | 0,87 1,55 
II] LACE A 1146 | 1012 | 7,1 | 6,82 -— Ze A 
18: IK > LOGG 1.1011 ı TIT 16,12 1,0 | 1,47 





schw. trüb. 


























24. II. Uratsedim. >82 | 95 
25. Ek reichl. Uratsedim. 472 | 1022 | 4,52 o ti 
Sp, 21. wenig Uratsedim. | 618 | 1017 | — | 45 — 
27: TE, klar | 494 | 1024 | 7,19 | 4,42 | 0,98 | 1,6 
I\ 28. IE = | 642 1015 — 4,72 — e 
oi A | 524 | 1022 | 7,04 | 422 | 10 | 15 
22117, wenig Uratsedim. | 680 | 1011 | — | 4,57 = 
SL klar | 750 1016 | = 5,19 => = 
4.111. reichl. Uratsedim. 230 | 1029 | — 2,62 - — 
| reichl. Uratsedim. 1025 = 4,38 — =- 
V. a klar 682 | 1016 51 | — — 
| M TO AL 5,67 — -- 
| wenig Uratsedim. | 1031 E- 5,88 
V.b klar HET ı 1025 — 7,24 — —- 
| ' 619 | 1023 1,1 7,46 — l 






1016 





Der erste vor Beginn des eigentlichen Stoffwechselversuches am 2. II. 
morgens nüchtern ausgeführte Respirationsversuch ergab nach Tab. IV 
einen Grundumsatz von 1124 Kalorien (= 20,75 pro kg bzw. 703 pro qm). 
Dieser Wert lag 23%, unter der Norm (je 24%, berechnet nach der aus den 
Harris-Benediktschen Tabellen!) entnommenen Standardzahl und der 
nach Gruber?) auf 1 cm Körperlänge bezogenen Umsatzgröße und 
20%, berechnet pro Stunde und qm nach du Bois3). Die Versuchsperson 


1) el, Grafe, path. Phys. d. Gesamtstoff- u. Kraftwechsels, S. 488 u. ff. 


2) Sitzungsber. der b. Akad. d. Wissensch.; math.-phys. Kl., S. 341. 
3) cf. Grafe, a. a. O., 8. 35. 








Von Dr. Hermann llzhófer. | 107 


und Kotbefund. 


Harn Kot 
Menge g N 
NaCl | NH, Aussehen ‚frisch [bei 105° en im | Bemerkungen 
getr. | gehall [Mischen 
g g g g in °% | Kot 











0,5 0,18 [geformt, braungelb 75,5 | 0,9 
0,67 | 0,19 do viel Haferkórner 76,0 | 1,1 




























0,65 | 0,21 ; 75,8 | 1,4 
| 057 | 0,12 73,6 | 1,2 
_0,67 | 0,14 75,1 | 1,2 
0,56 
0,8 
0,7 
1,3 ` 
| 1,34 am 14. abends starker 
Durchfall, daher Ver- 
such abgebrochen.’ 
2,0 75,7 | 3,29 
1,24 | 0,19 e 79,6 | 2,43 
breiig; gelb; 
1,05 | 0,22 sáuerl. Geruch 81,4 | 2,54 
1,93 | 0,28 76,2 | 3,94 
0,5 0,36 79,0 | 2,66 
0,52 | 0,28 80,8 | 3,16 
0,44 | 0,21 78,4 | 3,0 
0,7 0,24 83,8 | 4,26 
0,46 | 0,82 A ag ES 3 
daher Kot nicht auf- 
zusammeln. 
2,86 | 0,3 breiig; gelb 55,4 | 77,5 | 2,62 
2,0 0,28 S 67,6 | 77,6 | 2,65 
1,93 | 0,24 me i 220 | 55,2 | 75,0 | 2,2 
1,04 | 0,18 e 61,1 | 75,5 | 2,62 
0:32 | 0,18 A 367 | 79,9 | 78,2 REN 
0,32 | 0,15 5 358 | 76,2 | 85,1 | 3,97 
_101 | 0,22 | geformt, gelb | 187 
0,49 | 0,18 breiig, gelb 224 | 54,8 | 76,4 | 2,48 
0,49 | 0,2 Ge 373 | 798 | 78.6 3,62 WÄER 
0,37 | 0,19 i 393 | 754 | 80,8 | 3,43 





befand sich also ohne Zweifel damals im Zustand der Unterernährung. Diese 
war sicher zum größten Teil auf die Begleitumstände der schon erwähnten 
heftigen Zahnperiostitis zurückzuführen. Denn dabei war die Rohkost, 
die an sich gutes Kauen verlangte, infolge des in den ersten Tagen ganz 
mangelnden und dann noch einige Zeit recht schlechten Kauvermögens 
natürlich wenig zweckmäßig — in den ersten Tagen nahm die Versuchs- 
person überhaupt nur Orangensaft zu sich — und qualitativ und quanti- 
tativ ungenügend, besonders da noch Schlaflosigkeit und heftige Schmerzen 
vorhanden waren. Es war daher begreiflich, daß die an sich magere Ver- 
suchsperson dabei in ihrem Ernährungszustand herunterkam. 





Versuche über Ernährung mit vegetabilischer Rohkost usw. 


108 


= = — — — Ss = LO CO “111 ol 





ES NG OU Ort 688% Gë CO “111 “ST J“ 
293 TTPI = FL zg SO Or $186 GK III A 
— Steg toI Ges Forge “111 at 
— 859 | 900r | 8617 | 9zes "LIST 
807 18'8 LLLZ Oe Co “HI “PT 
ste L083 Sgr “TIL Stied A 
— SGL v6'ES III ST 
Co 6981 = 0923 809 | ITU 
> £083 GE PO | "TIT OTI A 
— 8LL6 SEO “111 6 
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Von Dr. Hermann Ilzhöfer. 


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410 Versuche über Ernährung mit vegetabilischer Rohkost usw. 


Tabelle V. 


Brutto- und Nettowerte der!in den einzelnen Versuchsperioden durchschnittlich 
aufgenommenen Kalorien und Eiweißmengen. 








en. -e nn nn — 





Mittl. : i ` 
Ver- Kör- l Auf 1 kg Auf 70 Kg 
suchs- Tag Fa Körpergewicht | Körpergewicht 
Pe [weht Kto: | Roh- | kalo- | Rein- | kaio- kalo- | Rein- 
kg rien |eiweiß | ven | eiweiß rien | eiweiß 
I. | 4.—8. II. | 53,63 | 1320 | 25 1000 | 17,25 1300 | 22,5 
11. 19.—11.11. | 52,97 | 1680 | 38,61 | 1300 | 31 1700 | 40,6 
111. |12.—13.11. 52,97 | 2140 | 52,88 | 1700 | 44,8 2250 | 58,8 
IV. 124.11.—4.lll.| 54,54 | 2520 | 47,31 | 1800 | 27,62 2300 | 35,7 
V. [8.—18. I11.| 53,67 | 2808 | 62,7 | 2100 | 44,8 2750 | 58,1 


Trotz des sehr niederen Grundumsatzes (20,75 Cal pro kg) konnte 
jedoch schon vor Beginn des eigentlichen Stoffwechselversuches kein 
Zweifel darüber bestehen, daß die aufgenommene Nahrung kalorisch unge- 
nügend sein würde, denn der verwertbare Teil derselben (18,6 Cal pro kg) 
reichte nicht einmal hin, den Ruhebedarf zu decken, so daß zur Bestreitung 
des Verdauungs- und Leistungszuwachses der Körper sein eigenes Material 
heranziehen mußte. Trotzdem führte ich den Stoffwechselversuch durch, 
teils um die Versuchsperson durch ihre eigene Erfahrung von der Unmög- 
lichkeit einer qualitativ und quantitativ so ungenügenden Nahrungs- 
zufuhr zu überzeugen, teils um festzustellen, wie sich unter diesen Um- 
ständen der Eiweißumsatz gestalten würde. 

Was nun die Stoffwechselbilanz betrifft, so sieht man aus Stab 1 der 
Tab. III, daß das Körpergewicht bis zum 6. tägl. nahezu um denselben 
Betrag (i. M. 0,12 kg), vom 7. bis 9. (an dessen Vortag zum letzten Male 
die gleiche Nahrung genommen wurde) jedoch erheblich stärker sank; 
im Gesamtmittel dieser Versuchsperiode betrug die tägliche Gewichtsab- 
nahme 0,2 kg. Sie darf, da Schwankungen des Wasserhaushaltes bei der 
gleichmäßigen Flüssigkeitszufuhr und geringen körperlichen Betätigung 
kaum eine Rolle spielten, wohl nur auf den Verlust an Körpersubstanz 
bezogen werden. Inwieweit an diesem Gewichtsverlust die lebendige 
Zellsubstanz beteiligt war, sieht man aus Stab 3—5 der Tab. III. 

Daraus ist zu entnehmen, daß bei einer täglichen Zufuhr von durch- 
schnittlich 4g N im Urin i. M. 6,13 und im Kot i. M. 1,15, zusammen 
7,28 g N pro Tag ausgeschieden wurden, so daß der Körper also i. M. tägl. 
3,3 g N = 20,62 g Eiweiß von seinem Bestand hergeben mußte. Daß das 
N-Defizit nicht noch größer war, ist ohne Zweifel nur darauf zurückzuführen, 
daß die Versuchsperson schon unterernährt in den Versuch hineinging 
und sich, wie angegeben, schon auf einen sehr niederen Umsatz eingestellt 
hatte, der während der Versuchsperiode nicht wesentlich sank, denn der 
am 5. und 7. gefundene Grundumsatzwert (i. M. 1100 Cal) war nur um 
3%, niederer als der vom 2.11. 

Man sieht aus Stab 5 der Tab. III, daß das N-Defizit vom 4. bis 6. II. 
langsam zunahm, am 7. fast auf den doppelten Betrag des Vortages (= 36 g 
Körpereiweißverlust) anstieg, um am 8. jäh his unter den Anfangswert abzu- 


Von Dr. Hermann Ilzhöfer. 111 


fallen. Die letztere Tatsache läßt vermuten, daß der Körper auch mit der 
kleinen Menge des zugeführten resorbierbaren N (2,76 g = 17,25 g Eiweiß) 
sich weiterhin doch noch ins N-Gleichgewicht gesetzt hätte, allein ich 
getraute mich nicht, die Ernährung in der bisherigen Weise fortzusetzen, 
da schon im Urin vom 5. und 6. deutlich Azeton (mit der Liebenschen 
Reaktion) nachweisbar war und auch vom 6. ab bei der Versuchsperson 
selbst subjektive Empfindungen der unzureichenden Ernährung in Form 
von schneller Ermüdbarkeit bei geistigen Leistungen und körperlichen 
Bewegungen (wie auf dem Gang ins Institut oder beim Ausprobieren einer 
“ Schrotmühle) auftraten, sich außerdem starkes Hungergefühl und be- 
zeichnender Weise ein nur mit großer Energie zu bekämpfendes Verlangen 
nach Butterbrot bemerklich machte. 

Ich gab deshalb vom 9. ab als Zulage zu der bisherigen Kost pro Tag 
Y, Liter Milch, welche die Versuchsperson jeweils in 2 Portionen am Vór- 
und Nachmittag ungekocht trank. Aus den Tabellen II und IV ist zu ent- 
nahmen, daß daraufhin im Harn- und Kotbefund keine wesentliche Ände- 
rung, im Grundumsatz eine kleine Steigerung (um 39) gegenüber den Vor- 
tagen eintrat und aus Tab. Ill, daß von dem i.M. jetzt eingeführten N 
(6,14 g) mit dem Kot 1,18 g = 19%, also etwas weniger als an den Vortagen 
‚ausgeschieden wurde. Der N-Umsatz ergab, daß bei annähernder Kon- 
stanz des Körpergewichtes am 9. N-Gleichgewicht bestand, am 10. eine 
kleine, am 11. jedoch schon wieder eine doppelt so große N-Unterbilanz 
auftrat. Daß trotz der vorausgegangenen Reduzierung des Körpereiweiß- 
bestandes jetzt noch keine N-Retention eintrat (wie bei den Versuchen von 
v.Hößlin!) und Kestner?) war natürlich nur darauf zurückzuführen, 
daß die gegenüber den Vortagen eingetretene Steigerung der Kalorien- 
und Eiweißzufuhr noch zu gering war. 

Es wurden daher vom 12. ab zu der ursprünglichen Kost %, Liter 
Milch und je 15 g Hasel- und Erdnußkerne pro Tag zugelegt und dadurch 
(cf. Tab. V) rund 1700 Nettokalorien mit 45 g verdaulichem Eiweiß einge- 
führt. Nunmehr trat am 12. und 13. bei gleichbleibendem Körpergewicht 
eine deutlich positive N-Bilanz (+ 0,7 g) ein. Der Grundumsatz zeigte 
gegenüber der 1. Versuchsperiode wiederum eine kleine Steigerung (um 4%), 
die allerdings ebenfalls noch innerhalb der normalen Schwankungs- 
grenzen lag. 

Am Abend des 14. entleerte die Versuchsperson, sei es infolge des ihr 
ungewohnten reichlichen Milchgenusses an sich oder infolge der ungekocht 
getrunkenen Milch im Anschluß an erhebliche, schon am Nachmittag ein- 
getretene Blähungen mehreremal einen dünnbreiigen Stuhl, der natürlich 
nicht aufgesammelt werden konnte, sodaß der Versuch abgebrochen werden 
mußte. 

Er wurde erst am 24. II. wieder aufgenommen. Denn die Versuchs- 
person, welche 3) als Rheinländer die ihr bei vorübergehendem Aufenthalt 
in München gebotene Gelegenheit, den hiesigen Fasching kennen zu lernen, 
sich nicht entgehen lassen wollte, hatte in der Zwischenzeit verschiedene, 


4) Arch. f. Hyg.. 88, 147. 
2) Deutsche med. Wochenschr., 45, 235. 
3) Die Angaben erfolgen mit Genehmigung der Versuchsperson. 


112 Versuche über Ernährung mit vegetabilischer Rohkost usw. 


mit Tanz verbundene Geselligkeiten mitgemacht. Abgesehen davon, daß dies 
schon an sich die äußeren Versuchsbedingungen verändert hätte, konnte 
die Versuchsperson noch dazu aus verschiedenen Gründen die sonst einge- 
nommene Rohkost nicht einhalten und nahm daneben verschiedene andere 
Nahrungsmittel zu sich, die ich ara besten nach ihren eigenen Aufzeichnungen 
hier anführe. 


44.11. Kost wie bisher; abends 1 Tafel Schokolade, 1 kleiner Kuchen, Brot. 
mit Butter und Käse. 

15. Kost wie bisher; außerdem mittags Butterbrote; nachm. Kaffee, 
Torte, Wein; abends Suppe, Braten mit Spätzel und Salat. 

16. Kost wie bisher. 

17. Kost wie bisher; außerdem mittags Semmel mit Käse; abends Brot 
und Schinken, Bier, Wein. 

18. Frisches Obst wie sonst; statt Kor. und Ros. Honig, statt Datt. Feigen, 
abends Schweinskotelett mit Kart., kalt. Aufschn., Salat, Semmel. 

19. Kost wie bisher; -nur statt 60 100g Hafer; außerdem 60 g Honig; 
Kaffee. 

20. Kost wie bisher, abends Kalbsbrat. m. Sparg., Kartoffelsalat, Knödel, 
Semmel. 

21. Kost wie bisher; ohne Hafer, dafür mittags 4 Semmel m. Butt. u. Wurst, 
Kaffee m. Gebäck; abends Gebäck. 

22. Kost wie bisher; abends noch Suppe, Kalbskot. m. Gemüse, Semmel 

- und Aufschn., Bier, Wein, Schokolade, Kuchen. 
23. Kost wie bisher; ohne Hafer; abends Schokolade, Kuchen, Bier. 


Für die am 24. II. wieder aufgenommenen Versuche war auf Wunsch 
der Versuchsperson der tägliche Speisezettel abgeändert worden. Sie 
wollte die auf die Dauer zu kostspieligen Korinthen, Rosinen und Datteln 
und außerdem die Milch weglassen und dafür 10 getrocknete Feigen und 
100 g Bienenhonig pro Tag aufnehmen. Da die jetzt verzehrte Kost der 
zuletzt genommenen aber kalorisch mindestens gleichwertig sein sollte, 
mußten die Mengen der früher schon aufgenommenen Nahrungsmittel 
(Orangen, Äpfel, Hasel-, Erdnußkerne und Haferkörner) entsprechend 
erhöht werden (cf. Stab 4 der Tab. 1). 


Die Erdnußkerne wurden jeweils fein zermahlen, mit den nunmehr 
geschroteten Haferkörnern und dem Honig zu einem Teig vermengt und 
daraus etwa handtellergroße Wecken geformt, die als Brotersatz dienten 
und, in 3 Tagesportionen verteilt, gegessen wurden. Die Orangen, Äpfel, 
Feigen und Haselnußkerne wurden in der sonst üblichen Weise mittags und 
abends verzehrt und im ganzen 2—3 Schluck Wasser pro Tag getrunken. 


Infolge der geringeren Flüssigkeitszufuhr war die in dieser Versuchs- 
periode täglich entleerte Harnmenge (i. M. 595 ccm bei 1018 spez. Gew.) 
erheblich kleiner als in der 3. (i. M. 1056 ccm), dagegen etwas größer als 
in der 1. und 2. Versuchsperiode (i. M. 475 cem), was erklárlich war, weil 
damals weniger frisches Obst verzehrt wurde. 

Eine Nachwirkung der in den Vortagen aufgenommenen fleisch- 
und purinhaltigen Kost war am 24. II. noch an der Verschiebung der aktu- 
ellen Harnreaktion nach der sauren Seite und der gegenüber den früheren 


Von Dr. Hermann Ilzhöfer. 113 


Perioden deutlich hóheren Harnsáure- (1,3 g) und NaCl-Ausscheidung (2 g) 
unschwer zu erkennen. Alle diese Werte fielen, wie Tab. II erkennen läßt, 
weiterhin wieder ab, bei der NaCl-Ausscheidung konnte dies täglich ver- 
folgt werden, sie sank bis zum 26. langsam (auf 1 g), um nach einem vorüber- 
gehend (am 27.) und ohne ersichtlichen Grund aufgetretenen Anstieg 
(auf 1,9 g) wieder zu sinken und dann nahezu konstant zu bleiben. Der 
Gesamtmittelwert betrug 1g pro Tag. Die Kreatinin- (i. M. 1,5 g) und 
NH,-Ausscheidung (i. M. 0,27 g) — jene wieder relativ hoch, diese nieder — 
hatte sich gegenüber früher nicht wesentlich geändert. Die im einzelnen 
nachher zu besprechende N-Ausscheidung im Urin war, von den etwas 
größeren Schwankungen am 24. II. und 3. 4. III. abgesehen, recht konstant. 


Der regelmäßig zweimal am Tag (morgens und spätnachmittags) 
entleerte Kot war hellgelb und mit Ausnahme der zwei ersten Tage, stets 
breiig, also von hohem Wassergehalt (i. M. 79%) und hatte einen, speziell 
beim Trocknen hervortretenden säuerlichen Geruch (flüchtige Fettsäuren). 
Die Kotmenge betrug i. M. frisch 338 g, also 2Ymal soviel wie in den 
vorhergegangenen Versuchsperioden, bei 105° getrocknet i.M. 68g pro 
Tag. Während sie vom 24. II. bis 2. III. nur innerhalb mäßiger Grenzen 
schwankte, stieg sie am 3., wohl infolge einer beginnenden Darmreizung auf 
519 g und ihr Wassergehalt auf 84%, und am 4. abends setzte nach voraus- 
gegangenen erheblichen Blähungen und Leibschmerzen ein starker, nachts 
sich noch zweimal wiederholender Durchfall ein, der zum Abbruch des 
Versuches zwang. Infolge des starken Wasserverlustes durch den Darm 
wurde nach dem Auftreten der Diarrhoe nur mehr ganz wenig, hochkonzen- 
trierter Harn, der reichlich Uratsediment absetzte, entleert, so daß die 
gesamte Urinmenge vom 4. auf den 5. II., von der nichts verloren gegangen 
war, nur 230 ccm betrug. 


Der Kot-N, welcher der jeweils ausgeschiedenen Kotmenge wieder 
ganz parallel ging, war mit durchschnittlich 3,16 g pro Tag sehr hoch. 
Da nach Tab. I u. III i. M. nur 7,57 g N täglich eingeführt wurden, gingen 
somit im Kot 41,7% (1) N zu Verlust, die Ausnútzung der Nahrung war also 
noch wesentlich schlechter als in der 1. Versuchsperiode. Das war jedoch 
nicht verwunderlich, denn es wurden jetzt, ganz abgesehen von der nicht 
unerheblichen Steigerung des Rohfasergehaltes der Nahrung (der jetzt 
1. M. 25 g pro Tag betrug), mit letzterer auch täglich 10 Feigen und 100 g 
Bienenhonig zugeführt; erstere regen stets die Stuhlbeförderung an und 
letzterer kann, in größeren Mengen genossen, leicht zum Auftreten von 
sauren Gärungen im Darmkanal, die vermutlich auch in erster Linie das 
Auftreten der Diarrhoe verursachten, Anlaß geben. 


Der nach Abzug des Darmverlustes sich ergebende Nettowert der 
Nahrung betrug nach Tab. V i. M. 1800 Reinkalorien mit 27,6 g resorbier- 
barem Eiweiß. 


Der erste zu Beginn dieser Versuchsperiode (am 25. 11.) ausgeführte 
Respirationsversuch ergab nach Tab. IV einen Grundumsatz von 1363 Cal 
(= 24,8 pro kg bzw. 846 pro qm), der nach den weiteren, am 27. Il. und 
3. III. gemachten Gaswechselbestimmungen sich nicht wesentlich änderte; 
er betrug im Gesamtmittel dieser Versuchsperiode 1387 Cal (= 25,3 pro kg 


1144 Versuche úber Ernáhrung mit vegetabilischer Rohkost usw. 


und 864 pro qm) und lag jetzt nur mehr 6,5% unter der Norm (auf die oben 
angegebene Weise berechnet). 


Der am 25. II. gegenüber dem 13. gefundene Anstieg des Grundum- 

satzes (absolut um 19%, pro 1 kg und í qm um 15 bzw. 17%) kann nur 
durch die in der Zeit vom 14. bis 24. II. eingenommene reichlichere Er- 
nährung verursacht worden sein, er ist m. E. ein deutlicher Beweis dafür, 
daß der Umsatz in den Zellen sich entgegen dem Pflügerschen Grund- 
gesetz in verhältnismäßig kurzer Zeit den veränderten Ernährungs- 
bedingungen angepaßt hat. Es war übrigens, wie schon betont, auch in der 
2. und 3. Versuchsperiode mit der Steigerung der Kalorien- und Eiweiß- 
zufuhr eine gewisse Erhöhung des Grundumsatzes einhergegangen, sie 
lag zwar noch innerhalb der normalen Schwankungen, ist aber vielleicht 
doch nicht ganz zufällig gewesen, denn beim Vergleich der auf 1 kg Körper- 
gewicht, noch mehr der auf 1 qm bezogenen Umsatzgröße: 


in der Vorperiode. . ..... 20,75 Cal pro kg; 703 pro qm 
» own 1. Versuchsperiode . . . 2052 an n» DI „ y 
9) 9) 2. 23 RAR, 21,3 ” 9 A 713 9 9 
29 7? 3. = 9) SC E 21,6 33 1 "39 722 37 9) 


ist eine Tendenz zum allmáhlichen Ansteigen kaum zu verkennen, zumal 
da Gewicht und Oberfläche in der 2. und 3. Versuchsperiode konstant 
blieben. 

` Bei Betrachtung der in Tab. III gegebenen Bilanzaufstellung dieser 
Versuchsperiode fällt zunächst der seit dem 13. IT. eingetretene, nicht uner- 
hebliche Anstieg des Kórpergewichtes um insgesamt 2, also um täglich 
rd. 0,2 kg auf. Er war sicher auf die infolge der reichlicheren und besser 
ausnützbaren Nahrung eingetretene Verbesserung des Ernährungszustandes, 
bis zu einem gewissen Grad vielleicht auch auf Wasserretention zurück- 
zuführen, da aus den oben mitgeteilten Aufzeichnungen der Versuchsperson 
hervorgeht, daß mit der Veränderung der Nahrungszufuhr auch eine Ver- 
mehrung der Flüssigkeitsaufnahme einhergegangen war. 


Das Körpergewicht nahm in den ersten 3 Tagen relativ wenig, am 
4. und 5. Tag jedoch stärker ab (an beiden zusammen um 0,5 kg) und blieb 
darnach bis zum Auftreten des Durchfalls annähernd konstant. Im großen 
und ganzen bestand, auch abgesehen von der vorübergehenden stärkeren 
Gewichtseinbuße am 27. und 28. eine Neigung zu ganz allmählicher 
Gewichtsabnahme, welche aus der Gesamtabnahme vom 24. II. bis 4. II. 
(dem Morgen vor dem Auftreten des Durchfalls) berechnet, i. M. pro Tag 
0,1 kg betrug. Nach der Diarrhoe trat erklärlicherweise ein erheblicherer 
Gewichtsverlust ein. 

Die N-Bilanz war während der ersten 3 Tage deutlich, wenn auch in ab- 
nehmendem Grade, positiv (i. M. + 0,7 g N pro Tag wie in der 3, Versuchs- 
periode), wurde dann am 27.11. mit 0,8g N-Verlust deutlich negativ, 
was nur auf die vermutlich infolge vorübergehender Darmreizung an 
diesem Tage besonders schlechte Nahrungsresorption (cf. den erheblichen 
Anstieg des Kot-N) zurückzuführen war. Nachdem am 28. II. und 1. 111. 
nochmals ein schwach positiver Wert und am 2. II. N-Gleichgewicht 
bestanden hatte, trat am 3.111. infolge der wieder beginnenden Darm- 


Von Dr. Hermann llzhófer. 115 


reizung eine nahezu 21,mal so große N-Einbube wie am 27. II. ein. Ver- 
gleicht man die gesamte N-Ein- und Ausfuhr (60,55 bzw. 61,36 g N) in 
dieser Versuchsperiode, so ergibt sich, daß innerhalb von 8 Tagen ein Ge- 
samt-N-Verlust von 0,81 g, also pro Tag i.M. ein N-Verlust von 0,1 g 
auftrat, d.h. im Gesamtdurchschnitt dieser Versuchsperiode bestand N- 
Gleichgewicht. 

Die relativ kleine Eiweißmenge (27,6 g Reineiweiß = 0,51 pro kg = 
35,7 g pro 70 kg), mit der es erzielt wurde, wird verständlich, wenn man den 
Ernährungszustand der Versuchsperson, der auch jetzt noch (mit 54,5 
mittl. Körpergewicht bei 169 cm Körperlänge) als recht mäßig bezeichnet 
werden mußte, sowie die infolge der früheren Einbußen sicher nicht uner- 
hebliche Reduktion ihres Körpereiweißbestandes berücksichtigt. Letztere 
geht übrigens auch daraus hervor, daß schon von den kleinen Mengen 
des zugeführten resorbierbaren N (i. M. 4,42 g!) in den ersten Tagen deut- 
liche N-Ansätze gemacht wurden. Diese konnten weiterhin nur deshalb 
nicht mehr aufrechterhalten werden, weil ‘offenbar die Kalorienzufuhr 
nur gerade ausreichte, den täglichen Bedarf zu decken. Letztere Tatsache 
ergibt sich nicht nur aus dem oben geschilderten Verhalten des Körper-. 
gewichtes, sondern auch aus folgenden Überlegungen. 


Der Grundumsatz betrug in dieser Versuchsperiode i. M. 1380 Cal;. 
setzt man für den Verdauungszuwachs statt 12%, einen der Menge und Art, 
der aufgenommenen Nahrung — die statt der üblichen 159% nur 8%, EiweiB- 
kalorien enthielt — und einen dem mäßigen Ernährungszustand der Ver- 
suchsperson entsprechend niedereren Wert von 8%, = 110 Cal an, so erhält 
man für Grundumsatz + Verdaüungszuwachs rd. 1500 Nettokalorien, so 
paß für den Leistungszuwachs noch 300 Cal pro Tag übrig blieben, die zur 
Deckung des aus der Beschäftigung der Versuchsperson (s. oben) sich 
ergebenden Bedarfes ausreichen konnten. ` 


Es hat sich also aus dieser Versuchsperiode ergeben, daß die Versuchs- 
person bei 54,5 mittl. Körpergewicht bei leichter, vorwiegend sitzender 
und mit geistiger Arbeit verbundener Beschäftigung ihren Bedarf mit 
1800 Reinkalorien und 27,6g resorbierbarem Eiweiß (= 2300 Cal mit 
36 g Eiweiß pro 70 kg) decken konnte. Ihr unter den genannten äußeren 
Bedingungen gefundener Verbrauch lag also an der untersten Grenze des 
normalen. 


Es war in Aussicht genommen, am 5. II. mit stärkerer körperlicher 
Arbeit zu beginnen, als der Versuch, wie erwähnt, wegen Auftreten des 
Durchfalles abgebrochen werden mußte und natürlich erst fortgesetzt 
werden konnte, nachdem sich die Versuchsperson davon wieder erholt hatte. 
Da sie jedoch während der zu dem Zweck eingeschobenen 3tägigen Pause 
aus äußeren Gründen die bisherige Kost nicht einhalten konnte, führe ich 
die vom 6.—8. III. von der Versuchsperson eingenommenen Nahrungsmittel 
nach deren Angaben hier wieder an: 

6. III. mittags: wie bisher; abends: Matjeshering mit Butter und Kartoffeln 
Brot, Tee. 

7. 111. mittags: Semmeln mit Butter und Leberwurst, Obst, Kaffee mit 
Keks; abends: Schinken mit Bandnudeln und Salat, 11 Bier. 


116 Versuche über Ernährung mit vegetabilischer Rohkost usw. 


8. III. mittags: Semmeln mit Butter und Leberwurst, Obst, Kaffee mit 
Keks; abends: wie am Mittag, Kakao statt Kaffee. 


Für die nunmehr beginnende 5. Versuchsperiode wurde auf Wunsch 
der Versuchsperson die bisher aufgenommene Kost etwas abgeändert. 
Die Menge der Hasel-, Erdnußkerne, geschroteten Haferkörner und die Zahl 
der Feigen blieb gleich, dagegen sollte der Honig wegfallen und an seine Stelle 
100 g Datteln treten, außerdem wurde die Menge des noch reichlich vor- 
rätigen frischen Obstes etwas gesteigert. Vom 12. ab blieben jedoch die 
Datteln wegen ihres zu hohen Preises wieder weg und wurden durch 100 g 
Feigen ersetzt. Die Nahrung wurde in der gleichen Zurichtung — die 
geschroteten Haferkörner mit den gemahlenen Erdnußkernen und Feigen zu 
einem Teig verarbeitet — und zu denselben Tageszeiten wie in der voraus- 
gegangenen Versuchsperiode verzehrt, ihre pro Tag durchschnittliche 
Menge ist in Tab. I eingetragen. Man sieht daraus, daß sie mehr N und 
Kalorien enthielt wie in der 4. Versuchsperiode, das war aber im Hinblick 
auf die in Aussicht genommene stärkere Arbeitsleistung nicht unangebracht. 
Da sich inzwischen ergeben hatte, daß die Versuchsperson nur bis zum 
20. hier bleiben konnte, mußte diese letzte Versuchsperiode viel mehr zu- 
sammengedrängt werden als erwünscht und von vornherein beabsichtigt 
war. Es sollte daher die bisherige Art der Beschäftigung nur 3 Tage inne- 
gehalten, dann 3 Tage lang daneben schwerere körperliche Arbeit geleistet 
werden und nach einem Ruhetag (Sonntag) noch 3 Tage mit leichterer 
körperlicher Arbeit folgen. 


Die Arbeitsleistung wurde im gut, geheizten Zimmer vormittags 
nüchtern zwischen 10 und 11 Uhr, nachmittags von 4 Uhr ab am Ergostaten 
ausgeführt; der Körper der Versuchsperson war dabei nur mit einer Bade- 
hose bekleidet. | 


Um ohne allzulange Ausdehnung der eintönigen Dreharbeit eine 
entsprechende Arbeitsgröße zu erreichen, wurden auf Wunsch der Versuchs- 
person kürzere Arbeitszeiten bei stärkerer Belastung des Ergostaten 
gewählt. 


Die am Vormittag des ersten Tages (12. III.) innerhalb 1 Stunde aus- 
geführte Arbeitsleistung betrug 36000 mkg. Sie war in Anbetracht des 
plötzlichen Übergangs recht groß und konnte nur dank der ungewöhnlichen 
Energie der Versuchsperson ohne Unterbrechung durchgehalten werden, 
verursachte jedoch erhebliche Erschöpfung und starken Schweißverlust. 
Daher wurde nachmittags die gleiche Arbeit auf 2 hintereinander liegende 
Stunden mit je 18000 mkg verteilt und außerdem nach je halbstündiger 
Arbeit eine 10 Minuten dauernde Ruhepause eingelegt; die Arbeit konnte 
daraufhin ohne wesentliche Anstrengung und ohne nennenswerte Er- 
schöpfung bewältigt werden. Am 13. und 14. III. wurden ebenfalls je 
72000 mkg Arbeit — am Vor- und Nachmittag je 36000 pro Stunde mit 
10 Minuten Ruhepause — geleistet, deren Ausführung der Versuchsperson 
infolge des fortschreitenden Trainings zunehmend leichter fiel als am ersten 
Vormittag. Es sei noch erwähnt, daß die Versuchsperson in diesen 3 Tagen 
kein Verlangen nach vermehrter Nahrungszufuhr verspürte, wobei man 
allerdings berücksichtigen muß, daß sie schon früher ‚durch gutes Zureden 


Von Dr. Hermann llzhófer. 117 


und mit etwas zähem Willen“ die vom Magen ausgehenden Gefühle zu 
beherrschen gelernt hatte. Die vom 16. bis. 18. III. jeweils vor- und nach- 
mittags innerhalb 1 Stunde ohne Ruhepause ausgeführte Arbeitsleistung 
von je 18000 mkg = 36000 mkg pro Tag konnte, ohne Anstrengung oder 
Erschöpfung zu verursachen, bewältigt werden. Das nach Beendigung der 
betr. Arbeitsleistung jeweils durchschnittlich beobachtete Verhalten der 
Pulsfrequenz ergibt sich aus folgender Zusammenstellung: 

















nach Ablauf 









nach Ablauf 
von 15 Minuten | von 30 Minuten 


110 = 70°% | 90=-+40% | 75 = + 16%, 

96 = + 45%% | 85=-+30%, | 70=+ 6%, 
Die von der Versuchsperson ausgeführte Arbeit entsprach hinsichtlich 
der Stundenleistung bei 36000 mkg mindestens derjenigen eines Schwer- 
und bei 18000 mkg derjenigen eines mittleren Arbeiters, denn in den be- 
kannten Versuchen von Becker und Hämäläinen!) betrug die aus dem 
Energieverbrauch berechnete Arbeitsgröße pro Stunde bei den Holzsägern 
34—34000, bei den Metallarbeitern, Malern und Schreinern 12—414000 mkg. 
Dagegen entsprach die effektive Tagesleistung der Versuchsperson bei 
72000 mkg nicht ganz derjenigen eines mittleren Arbeitern bei 8stündiger 
Arbeitszeit, da von den genannten Autoren für diese Zeit beim Schuh- 
macher rund 61000 und beim Metallarbeiter 95000 mkg berechnet wurden, 
während die Tagesleistung mit 36000 mkg etwa zwischen derjenigen des 
Schneiders und Buchbinders (mit 29000 bzw. 54000 mkg pro 8 Stunden) lag. 
Was zunächst den Urin- und Kotbefund in dieser 5. Versuchsperiode 
betrifft, so sieht man aus Tab. II, daß hierin an den einzelnen Tagen 
stärkere Schwankungen auftraten wie in der 4. Periode. Das hing natürlich 
“mit der Änderung der äußeren Versuchsbedingungen zusammen, bezüglich 
derer noch erwähnt sei, daß die Versuchsperson an den Tagen mit körper- 
licher Arbeit jeweils Y, Liter angewärmtes Wasser trank, während sie an 
den ersten 3 Tagen wie bisher keine Flüssigkeit zu sich nahm. Bei Betrach- 
tung des Harnbefundes fällt, vom N zunächst abgesehen, wie zu Beginn 
der 4. Versuchsperiode die am 9. III. gesteigerte und in den nächsten 
Tagen wieder auffallend langsam absinkende NaCl-Ausfuhr als Nachwir- 
kung der angeführten Nahrungsänderung auf. Der mit der körperlichen 
Arbeit verbundene Schweißverlust machte sich in erster Linie an einer Ab- 
nahme der NaCl-Ausscheidung, zum Teil (am 12.—14.) auch an einer kleinen 
Verminderung des NH,-Gehaltes und der Menge des Harnes bemerklich. 
Die Menge des, vom 15. III. abgesehen, wieder zweimal täglich in 
Breiform entleerten hellgelben Kotes war in den 3 ersten Tagen etwas 
kleiner als in der letzten Versuchsperiode, stieg aber unter dem Einfluß der 
körperlichen Arbeit deutlich an. Ganz analog verhielt sich der Kot-N. 
Die in dieser Versuchsperiode am 11., 14. und 17. ausgeführten Respi- 
rationsversuche (cf. Tab. IV) ergaben, was den Grundumsatz betrifft, 
untereinander und mit denjenigen der 4. Periode innerhalb der Schwan- 
kungsgrenzen übereinstimmende Werte, dagegen war die Atemmechanik 
in den zwei letzten, ca. 14 Stunden nach Beendigung der jeweiligen Muskel- 


1) Skand. Arch. f. Phys., 31, 235. 
Archiv für Hygiene. Bd. 96. 9 


unmittelbar 
darnach 


Arbeitsleistung 
pro Stunde 






vorher 








118 Versuche über Ernährung mit vegetabilischer Rohkost usw. 


arbeit ausgeführten Respirationsversuchen insofern etwas anders, als bei bei- 
den die Atemfrequenz, beim einen auch die pro Minute geatmete Luftmenge. 
deutlich höher war als früher. Die betr. Änderungen sind zwar an sich nicht 
groß, aber doch nicht außer acht zu lassen, nachdem die Atemmechanik 
bei allen anderen Respirationsversuchen außerordentlich konstant war. 

Es bestand also in diesem Fall 14 Stunden nach Beendigung der Arbeit 
nur mehr diese kleine Nachwirkung der vorausgegangenen Muskeltätigkeit, 
während ich früher!) bei 2 unterernährten Studenten nach Ablauf der 
gleichen Zeit trotz kleinerer Arbeitsleistung eine weit erheblichere Stei- 
gerung der Lungenventilation und des Grundumsatzes (um rd. 50%) 
nachweisen konnte. Der Unterschied in diesen Beobachtungen dürfte 
darin seine Erklärung finden, daß die diesmalige Versuchsperson, die an sich 
nicht besser genährt war als jene, infolge ihrer wiederholten Betätigung als 
Werkstudent an körperliche Arbeitsleistungen mehr gewöhnt war. Außerdem 
spielen bei solchen Versuchen die individuellen Verhältnisse, die Muskel- 
disziplin, nicht zuletzt die Willensstärke, welche meiner diesmaligen Ver- 
suchsperson in reichem Maße zu Gebote stand, bekanntlich eine nicht un- 
wichtige Rolle. | 

Aus der Bilanzaufstellung in Tab. III ist zu entnehmen, daß vom ein- 
geführten N mit dem Kot an den 3 ersten Tagen annähernd gleich viel 
(i. M. 25%), an den 3 nächsten Tagen mit stärkerer Muskelarbeit von Tag 
zu Tag mehr (26, 33, 39 i. M. 33%), am darauffolgenden Ruhetag nur 16% 
und an den 3 letzten Tagen mit weniger Muskelarbeit wieder mehr (24, 36, 33, 
i.M. 31%) zu Verlust ging. Die Ausnutzung der Nahrung war also an sich 
zwar wieder recht schlecht, aber bei gleicher Beschäftigung doch besser als in 
der vorausgegangenen Versuchsperiode (mit i. M. 41%, N-Verlust), obwohl 
diesmal der Rohfasergehalt der Nahrung (i. M. 32 g pro Tag) noch etwas 
höher war als in jener; dieser Umstand war vermutlich nur auf das Weg- 
bleiben der Honigzufuhr zurückzuführen. Dagegen trat unter dem Einfluß 
der stärkeren Muskelbeanspruchung eine deutliche Verschlechterung der 
Nahrungsresorption auf, die vielleicht mit der Art der Arbeitsleistung inso- 
fern zusammenhing, als durch die Dreharbeit in vorgebeugter Stellung die 
Stuhlbeförderung angeregt wurde. 

Am Verhalten des Körpergewichtes in dieser Versuchsperiode fällt 
zunächst der am ersten Tag der letzten Wägung gegenüber konstatierte An- 
stieg um 0,6 kg (vom 5.—9.) auf, welcher offenbar nur wieder eine Folge 
der in den betr. Tagen vorgenommenen Änderung der Nahrungs- und 
Flüssigkeitsaufnahme war. Vom 9.—12. (dem Morgen vor Beginn der Mus- 
kelarbeit) sank das Körpergewicht wieder ab (um insgesamt 0,5 kg), was 
wohl in erster Linie durch die Einstellung auf einen anderen Wasserhaushalt 
bedingt war. Dafür spricht nicht nur das nachher zu besprechende Ver- 
halten der N-Bilanz, sondern auch der Umstand, daß gleichzeitig, ohne daß 
mehr Flüssigkeit getrunken wurde, die Harnmengen anstiegen. Vom 
12. bis 15. nahm das Gewicht um insgesamt 0,68 kg ab, stieg nach dem Ruhe- 
tag wieder um 0,28 kg an und nahm endlich vom 16. bis 19. wieder um 
0,53 kg ab. Daß dies (vom 12.—19.) mit der Veränderung der äußeren 
. Versuchsbedingungen wechselnde Verhalten des Körpergewichtes nicht nur 
= 1) Arch. f. Hyg., 88, 332. 





Von Dr. Hermann llzhófer. 119 


auf eine Veränderung des Wasserhaushaltes, sondern bis zu einem gewissen 
Grad auch auf eine solche des anderen Körpermaterials zurückzuführen 
war, ergibt sich aus der Verfolgung der N-Bilanz. 

Diese war vom 9. bis 11. deutlich positiv. Das konnte an sich nicht auf- 
fallen, nachdem schon in den zwei vorausgegangenen Versuchsperioden die 
große Neigung des Organismus zum N-Ansatz hervorgetreten war, allein 
die Tatsache, daß jetzt vom eingeführten resorbierbaren N (i.M. nur 
7,44 g pro Tag) durchschnitt]. 2,5 g, also ein ganzes Drittel retiniert wurde, 
ist doch sehr bemerkenswert und zeigt klar den großen N-Hunger des 
Körpers. Diese N-Ansätze konnten jedoch mit dem Einsetzen der stärkeren 
Muskelarbeit nicht mehr aufrecht erhalten werden. Am 12. wurde zwar 
trotz letzterer noch ein deutlich positiver Wert gefunden, der aber um 0,8 g 
N tiefer lag als der Mittelwert der drei Vortage, am 13. trat jedoch eine 
schwache und am 14. eine nahezu dreimal so große N-Einbusse (= 3,12 
bzw. 8,8 g Körpereiweißverlust) auf. Am darauffolgenden Ruhetag erfolgte 
‚sofort wieder eine N-Retention, wobei %, des an den zwei Vortagen einge- 
büßten Körper-N wieder angesetzt wurden. Die N-Retention hielt auch 
in den drei nächsten Tagen bei der auf die Hälfte reduzierten Muskelarbeit 
noch an; am ersten derselben (16.) war sie sogar noch (um 0,4 g) höher 
als am vorhergegangenen Ruhetag, so daß die gesamte am 13. und 14, 
eingetrene N-Einbusse wieder hereingebracht war, am 17. und 18. nahm sie 
wieder ab (um 0,7 bzw. 0,9 g dem jeweiligen Vortag gegenüber). Ob bei 
weiterer Fortsetzung des Versuches N-Gleichgewicht oder eine N-Unter- 
bilanz eingetreten wäre, läßt sich natürlich nicht sagen. 

Aus dem geschilderten Verhalten des Eiweißumsatzes in den leider nur 
kurzen einzelnen Stadien dieser Versuchsperiode geht einerseits das Bestre- 
ben des Körpers, mit seinem wertvollsten Material zu sparen, andererseits 
die Tatsache klar hervor, daß die zugeführte Nahrung zwar an den Tagen 
mit mäßiger Muskelarbeit (16.—18.) genügte, dagegen an denjenigen mit 
schwererer (12.—14.) nicht ausreichte, um den tatsächlichen Bedarf zu decken. 

Die Größe des letzteren kann man annähernd auf folgende Weise 
berechnen. Nach den Untersuchungen von Zuntz!) bedingt eine Arbeits- 
leistung von 30000 mkg pro Stunde beim 70 kg schweren Mann eine Stei- 
gerung des Bedarfes um 388 Cal pro Std., d. 1. 580%, des Grundumsatzes 
(65—70 Cal pro Std. bei 70 kg Körpergewicht); daher erfordert eine Arbeits- 
leistung von 36000 mkg unter den gleichen Voraussetzungen ein Mehr an 
466 Cal = 690%, des Grundumsatzes. Da letzterer bei meiner Versuchs- 
person (i. M. der 5. Versuchsperiode) nur 57,5 Cal pro Std. betrug, bean- 
spruchte bei ihm die (vom 12.—14.) täglich ausgeführte Arbeitsleistung von 
2 x 36000 mkg ein Mehr von 2 x 396 = rd. 800 Cal pro Tag. Rechnet ` 
man für den Verdauungszuwachs aus den früher angeführten Erwägungen 
wieder 8%, des Grundumsatzes (von 1380 Cal = 110 Cal, so erhält man für ` 
beide zusammen (1380 + 110 =) rd. 1500 Cal. Nachdem nur 2100 Cal mit 
der Nahrung zugeführt wurden, ergab sich somit nach Berücksichtigung des 
durch die Muskelarbeit bedingten Mehrbedarfes (von 800 Cal) schon ein 
Defizit von 200 Cal, das durch den übrigen Tagesbedarf infolge der leichten, 

1) Zitiert nach Rubner in Handb. der Hyg. von Rubner, Gruber, 
Ficker, Bd. I, 1. Abt., S. 66. N 

9 


120 Versuche über Ernährung mit vegetabilischer Rohkost usw. 


vorwiegend geistigen Beschäftigung noch um mindestens 200 Cal, also auf ins- 
gesamt 400Cal pro Tag vergrößert wurde. Die Deckung dieses Defizits mußte 
der Körper aus seinem eigenen Bestand bestreiten. Am 1. Tag reichte dazu 
offenbar sein Reservematerial noch aus, an den folgenden mußte, wie die 
N-Abgabe im Harn zeigt, schon das Körpereiweiß mit herangezogen werden. 

Die gleiche Berechnung ergibt für die Tage (16.—18.) mit auf die 
Hälfte reduzierter Muskelarbeit von je 36000 mkg pro Tag, daß nach 
Berücksichtigung des durch letztere bedingten Mehrbedarfes von den zu- 
geführten 2100 Cal noch (2100 — 1380 + 110 + 400) rd. 200 Cal übrig 
blieben, die zur Deckung des übrigen Tagesbedarfes genügen konnten. 

Es geht also aus dieser annähernden Berechnung ebenso wie aus dem 
früher besprochenen Verhalten des Eiweißumsatzes klar hervor, daß für 
die Versuchsperson eine Zufuhr von 2100 Nettokalorien (= 2800 Cal pro 
70 kg Körpergewicht) an denjenigen Tagen (16.—18.), wo sie außer ihrer 
leichten, vorwiegend geistigen Beschäftigung auch stärkere Muskelarbeit 
im Betrage von 36000 mkg pro Tag ausführte, genügte, dagegen an den 
Tagen (12.—14.) mit je 72000 mkg Arbeitsleistung nicht ausreichte, den 
jeweiligen Tagesverbrauch zu bestreiten. 

Da für die Arbeitskategorien, deren effektive Tagesleistung nach den 
früheren Ausführungen derjenigen der Versuchsperson an den genannten 
Tagen ungefähr gleichkommt (Schneider-, Buchbinder bzw: Schuhmacher, 
Metallarbeiter) von Becker und Hämäläinen!) ein mit den Nahrungs- 
bestimmungen Tigerstedts?) gehr gut übereinstimmender Energiebedarf 
von 2500—2700 bzw. 2800—3100 Reinkalorien pro 70 kg Körpergewicht 
berechnet wurde, so ergibt sich, daß der unter den genannten Bedingungen 
beobachtete Verbrauch der Versuchsperson zwar an der untersten Grenze 
des allgemein gültigen Normalwertes stand, jedoch keineswegs so nieder 
war, wie man nach den Angaben der Versuchsperson (cf. Einleitung), daß 
sie als „Schwerstarbeiter‘‘ mit 2400 Cal (pro 70 kg Körpergewicht ge- 
rechnet) ausgekommen sei, erwarten mußte. 

Nun waren allerdings bei der ganzen Art ihrer Darstellung — „ich 
galt in der Sprache des Volkes als Schwerstarbeiter‘‘ — und bei der regel- 
mäßigen Hervorhebung des letzteren Wortes durch Sperrdruck gewisse 
Zweifel berechtigt, ob die Versuchsperson die betr. Arbeit tatsächlich als 
Schwerstarbeit empfunden hatte. Das war auch nach ihrer späteren 
mündlichen Versicherung durchaus nicht der Fall, denn sie erklárte3), 
die betr. Arbeit habe zwar hin und wieder erhebliche Kraftleistungen bean- 
sprucht, sei aber im allgemeinen, übrigens auch nach Ansicht von objektiv 
denkenden Arbeitern keineswegs der dabei auszuführenden Muskelarbeit 
nach, sondern höchstens wegen der äußeren Umstände, der Gefahr, Hitze, 
schlechten Luft usw. als Schwerstarbeit anzusehen gewesen. Die Richtig- 
keit dieser Ansicht geht übrigens auch aus der Fassung des angeführten 
Zeugnisses (...,,es war nie zu bemerken, daß ihn die zeitweise?) harte 


1) cf. a. a. O. 

2) Skand. Arch. f. Phys., 34, 151. 

3) Die folgenden Ausführungen wurden von der Versuchsperson gelesen 
und gebilligt. 

4) Von mir hervorgehoben. 





Von Dr. Hermann llzhófer. 121 


und gefährliche Arbeit bei großer Hitze und teilweise sehr schlechter Luft 
irgendwie ermüdet hat“....) hervor. 

Daher war es auch verständlich, daB die Versuchsperson die zur Aus- 
führung jener Arbeit pro Stunde nötige Muskelbeanspruchung ım Ver- 
gleich zu der am Ergostaten bei einer stündl. Arbeitsleistung von 36000 mkg 
erforderlichen als Kinderspiel bezeichnete. 

Es kann also nach diesen Richtigstellungen nicht mehr die Rede davon 
sein, daß die Versuchsperson bei einer der Muskelleistung nach 
schwersten Arbeit mit durchschnittlich 2400 Cal pro 70 kg ausgekommen ist. 

Dazu kommt, daß es meiner Ansicht nach keineswegs zulässig war, zur 
Berechnung der letzteren Zahl alle in der Zeit vom 2. VIII.—26. IX. 23 
erfolgten Kalorienzufuhren heranzuziehen, denn aus der dauernden Ab- 
nahme des Körpergewichtes und aus den in der Veröffentlichung mitge- 
teilten Angaben und subjektiven Empfindungen der Versuchsperson geht 
deutlich hervor, daß sie mit der in der Zeit vom 2. VIII.—4. IX. 23 auf- 
genommenen Kalorienzahl eben nicht ausgekommen ist. Wenn man diese 
Perioden bei der Berechnung des Mittelwertes wegläßt, so ergibt sich, daß 
die Versuchsperson, nach dem Verhalten des Körpergewichtes und ihren 
subjektiven Empfindungen zu urteilen, in jener Zeit, deren tägliche Muskel- 
beanspruchung nicht viel größer war als die zu einer Arbeitsleistung von 
36000 mkg pro Tag erforderliche, mit einer durchschnittlichen Kalorien- 
zufuhr von 1950 Cal = 2550 pro 70 kg Körpergewicht ausgekommen ist. 
Es hat sich also bei Berücksichtigung aller angeführten Momente, die zuerst 
hinsichtlich der bei körperlicher Arbeit für die Versuchsperson erforder- 
lichen Kalorienzufuhr bestehende Divergenz der Beobachtungen nicht 
unwesentlich verkleinert. Man kann zugunsten des von der Versuchs- 
person s. Zt. beobachteten niedrigeren Verbrauches auch noch anführen, 
daß die Versuche i. J. 1923 im Hochsommer, die diesmaligen dagegen im 
Winter stattfanden und daß bei jenen die „zielbewußte Autosuggestion‘“ 
eine gewisse Rolle gespielt haben mag. 

Wie dem auch sei, jedenfalls geht aus den vorstehend beschriebenen 
Stoff- und Gaswechseluntersuchungen deutlich hervor, daß die Versuchs- 
person keinen erheblich unter dem allgemein gültigen Normalwert liegenden 
Kalorienverbrauch hatte. Es ist aber immerhin bemerkenswert, daß sie 
den letzteren nicht nur bei leichter, vorwiegend geistiger Beschäftigung, 
sondern auch bei gleichzeitiger mäßiger Muskelarbeit durch Aufnahme 
einer absoluten, im wesentlichen aus frischem und getrocknetem Obst be- 
stehenden und statt Brot nur geschrotete Haferkörner enthaltenden Roh- 
kost decken konnte. Daß es, auch vom ökonomischen Standpunkt aus, 
wenig zweckmäßig ist, eine so schlecht ausnutzbare, nach den Versuchs- 
ergebnissen u. U.sogar zu Durchfällen führende Nahrung aufzunehmen, 
brauche ich an dieser Stelle wohl nicht näher zu begründen. Über die Hin- 
dernisse, welche schon von vornherein der weiteren ‚Verbreitung einer so 
einfachen Kost, selbst wenn dabei statt Haferkörnern Brot verzehrt wird, 
entgegenstehen, hat sich die Versuchsperson selbst schon in ihrer eingangs 
erwähnten Veröffentlichung ausgesprochen. 


Bakteriologische Stuhluntersuchungen bei einer Ernährung 
mit rohen Vegetabilien. 


Von , 
med. pract. Friedrich Potz. 


(Aus dem Hygienischen Institut der Universität München.) 


(Bei der Redaktion cingegangen am 16. Mai 1925.) 


In der Zeit vom 31. Januar bis 20. März 1925 wurden im Hygienischen 
Institut München Stoff- und Gaswechselversuche an mir gemacht, deren 
Art und Ziel aus der vorstehenden Arbeit Herrn Prof. Dr. Ilzhöfers zu 
ersehen ist. Da ich während dieser Monate am Institut beschäftigt war, 
hatte ich Gelegenheit, im Verlauf der Ernährungsversuche die bakteriolo- 
gische Beschaffenheit der Fäzes zu beobachten. Das Resultat dieser Stuhl- 
untersuchungen bildet meines Erachtens eine erwähnenswerte Ergänzung 
zum Hauptversuch. 

Ich beschränke mich darauf, die wesentlichen Kennzeichen der in 
Frage kommenden Bakterien anzugeben; ihre ausführliche Beschreibung 
bitte ich gegebenenfalls in der einschlägigen Literatur nachzulesen. 

In den gefärbten Ausstrichpräparaten fanden sich durchweg: ein 
kurzes, plumpes, gramnegatives Stäbchen; ein schlankes, gramnegatives 
Stäbchen; grampositive Streptokokken; gramnegative Kokken oder 
Kurzstäbchen; Hefen; Sarzinen; endlich ein grampositives, plumpes, 
ziemlich großes Stäbchen. Bei den Züchtungsversuchen ist es mir nicht ge- 
lungen, Kolonien von diesem grampositiven Stäbchen zu erhalten. Sodann 
möchte ich die Tatsache hervorheben, daß innerhalb der Versuchs- 
perioden überhaupt sehr wenig Kolonien auf den Nährböden wuchsen 
gegenüber den Zwischenzeiten, in denen Abweichungen von der durch- 
geführten Ernährungsweise vorkamen. Selbstredend wurde das Mögliche 
getan, immer die gleiche Menge Aussaatmaterial zu verwenden. 

Während der 1. Versuchsperiode vom 31.1. bis 8.2.1925 — die 
Bedingungen bitte ich in Prof. Dr. Ilzhöfers Arbeit nachzulesen — 
fanden sich in den Kulturen konstant folgende Stämme: 

1. Ein gramnegatives, kurzes, plumpes, unbewegliches Stäbchen; 
aerob und anaerob; Säurebildung auf Drigalski; dasselbe und Gasbildung 
in Traubenzucker-Lackmusbouillon: Bacterium coli. 


Bakteriologische Stuhluntersuchungen usw. 123 


2. Im gleichen Mengenverhältnis wie 1. ein schlankes, lebhaft eigen- 
bewegliches, gramnegatives Stäbchen; aerob; alkalische Reaktion auf Dri- 
galski; in Traubenzucker-Lackmusbouillon: weder Säure- noch Gasbildung; 
dafür schwache Reduktion und Häutchenbildung: Bacterium alcaligenes. 


3. Ein grampositiver Streptokokkus; Säurebildung auf Milch- und 
Traubenzuckernährböden; Kolonien stecknadelkopfgroß, erhaben; dunkel- 
braun; granuliert. | 


4. Ein anderer Streptekokkus; morphologisch und chemisch gleich dem 
vorigen; nur viel kleinere, tautropfenartige, gelblich durchscheinende, vom 
vorhergehenden deutlich verschiedene Kolonien und geringeres Säure- 
bildungsvermögen. Beide Streptokokken waren fakultative Anaerobier. 

5. Hefen. 


6. Ein gramnegatives, sehr kleines, streng anaerobes Bacterium, Kokkus 
oder Kurzstäbchen. Tautropfenartige bis stecknadelkopfgroße Kolonien; 
im Zentrum braun; zum Rand hin aufhellend; keine Rötung auf Drigalski 
im Vakuum; wächst auf der Platte zusammen mit anderen Stämmen, 
z. B. Coli, besser und in größeren Kolonien. Bei 37% starkes Wachstum 
mit Gasbildung in Blutbouillon (nach Prof. M. Kitt); bleibt darin lange 
lebensfähig. Weniger gutes Wachstum und Gasbildung in Leber-Zucker- 
bouillon; wächst gut im überschichteten Agarstich, sowohl in gewöhn- 
lichem als in Zuckeragar; darin starke Gasbildung. In dem gleichen, 
gewöhnlichen Agar bildete Coli kein Gas. Unter Paraffin sehr schlechtes 
Wachstum; dagegen vorzüglich im Vakuum, und zwar auf allen Nährböden, 
am besten allerdings- auf den zuckerhaltigen. In Gelatine und bei 22° 
überhaupt wurde kein Wachstum beobachtet. Eine mit dem Bakterium ge- 
spritzte Maus starb nach 10 Tagen während der Nacht; in den Kulturen 
aus Leber, Milz und Lungen fanden sich Fäulniserreger und das einge- 
sprizte Virus. Es ist mir einmal gelungen, das Bakterium durch das 
Berkefeldfilter zu filtrieren; ein bekanntes Stäbchen wurde zur Kontrolle 
vorher zugemischt; dieses konnte aus dem Filtrat nicht gezüchtet werden. 


Während der 4. Versuchsperiode, vom 24.2. bis 5.3.25 — Bedin- 
gungen aus den Tabellen ersichtlich — trat zuerst keine Änderung in der 
Bakterienflora ein. Nach einigen Tagen aber waren auf Drigalski-Böden 
keine roten Kolonien mehr vorhanden. Statt der großen, roten Kolenien — 
Coli — fanden sich nur blaue, die sich durch ihre verschiedene Lichtdurch- 
lässigkeit schon makroskopisch in zwei Arten einteilen ließen. Nach ge- 
lungener Differenzierung auf Traubenzucker-Lackmusagar und in Trauben- 
zucker-Lackmusbouillon ließ sich feststellen, daß es sich handelte um: 

1. Ein schlankes, lebhaft eigenbewegliches, gramnegatives Stäbchen; 
Bläuung auf Drigalski; keine Säuerung auf Traubenzuckeragar; Reduktion 
und Háutchenbildung in Traubenzucker-Lackmusbouillon: Bacterium 
alcaligenes. 

2. Ein unbewegliches, kurzes, plumpes, gramnegatives Stäbchen; 
keine Säuerung auf Drigalski; Säuerung auf Traubenzucker-Lackmusagar; 
Säuerung und Gasbildung in Traubenzucker-Lackmusbouillon; Säurebildung 
auf Drigalski nicht anzüchtbar; coliähnliche Kolonien auf Gelatineplatten; 
Agglutinationsversuch mit Paratyphus negativ: (Coli mutatum ?). 


124 Bakteriologische Stuhluntersuchungen usw. 


Außerdem waren wie gewöhnlich die beiden Streptokokken, Helen 
und Sarzinen vorhanden. Anaerob hauptsächlich säurebildende Strepto- 
kokken und wie bisher das unbekannte Bakterium. 

Bei diesem Stuhlbefund, der einige Tage anhielt, hatte ich Durchfall. 
Die Ausscheidungen hatten einen intensiv sauren Geruch,‘ wohl zurückzu- 
führen auf die durch den reichlich aufgenommenen Honig verursachte 
saure Gärung im Darm. Vielleicht war dies auch die Ursache für das Ver- 
schwinden des sonst vorhandenen Bacterium Coli. Mit dem Absetzen des 
Honigs vom Kostzettel verschwand der Durchfall und der eigentümliche 
bakteriologische Befund im Stuhl. 

In der Zwischenzeit zur nächsten Versuchsperiode, also vom 6.3. 
abends bis zum 8.3.25 abends wurde mit anderen gekochten Speisen 
auch etwas Fleisch genossen: Hering, Leberwurst und Schinken. Am 
- 9.3. daraufhin Drigalski-Platten aus den Fäzes der vorhergehenden Tage. 
Es zeigte sich am 10. 3. 25 sowohl am Anfang wie am Schluß des breiigen 
Stuhles großer Bakterienreichtum, und darunter große Mengen von Säure- 
bildnern (Bact. coli). 

Am Schluß der Ernährungsversuche, also vom 9.3. bis 20. 3. 25, 
bei denen in Hinsicht der zugeführten Nahrung gegenüber der Anfangszeit 
nur ein quantitativer Unterschied war, fand sich auf den Platten das gleiche 
Bild wie in der ersten- Versuchsperiode; die Kolonien waren nicht so zahl- 
reich, doch fanden sich Coli und Alcaligenes zu gleichen Teilen; dazu die 
beiden Streptokokken-Arten. 


Zusammenfassung. 


Während der streng durchgeführten Ernährungsversuche zeigte sich 
eine starke Verminderung des Bakteriengehaltes in den Fäzes. Das säure- 
bildende Bacterium Coli und das alkalibildende Bacterium Alcaligenes 
wuchsen in ungefähr gleichem Mengenverhältnis. Während einer kurzen 
Zeit verschwand das Bacterium Coli vollständig. Es wurde ein bisher un- 
bekannter Anaerobier gefunden. 


Über die Bedeutung der Sexualdisposition bei den 
Infektionskrankheiten. 


Von | 
Professor Dr. Hans Günther, Leipzig. 


(Bei der Redaktion eingegangen am 23. Mai 1925.) 


Die konstitutionelle Krankheitsdisposition oder die Wahrscheinlich- 
keit des Eintrittes einer bestimmten Erkrankung auf Grund der konstitu- 
tionellen Veranlagung ist ein hóchst verwickelter, kaum analysierbarer 
Komplex, mag es sich nun um Individualkonstitution, Familienkonstitution 
oder Rassenkonstitution handeln ?). Die Bedeutung der letzteren bei Haus- 
tieren und Versuchstieren in bezug auf Infektionen ist ja längst bekannt, 
in der menschlichen Pathologie sind unsere Kenntnisse darüber noch 
recht gering. Um in die Bedeutung der konstitutioneHen Disposition 
beim Menschen etwas Einsicht zu gewinnen, sind erst einzelne Teilprobleme 
mit möglichst einfacher Fragestellung in Angriff zu nehmen. 

Ohne Zweifel ist der Sexualdualismus eine höchst bedeutsame 
konstitutionelle Eigenschaft, von der man annehmen kann, daß sie auch 
bei der Krankheitsdisposition eine Rolle spielt. Wenn wir aus den Krank- 
heiten wieder nur die Gruppe der Infektionskrankheiten herausgreifen, 
über die größeres statistisches Material vorliegt, so ergibt sich die zunächst 
.sehr einfach klingende Fragestellung, ob eine konstitutionelle Sexual- 
disposition zu bestimmten Infektionskrankheiten festgestellt 
werden kann. Lassen die ja meist getrennt nach Geschlechtern angelegten 
Seuchenstatistiken einen konstitutionellen Einfluß des Sexualdualismus 
erkennen? Es ist später darzulegen, wie eine kritische Sichtung des Ma- 
teriales zu erfolgen hat. Zunächst dürfen wir nicht verhehlen, daß der 
Bearbeitung große Schwierigkeiten dadurch entstehen, daß bei Infektions- 
krankheiten neben der konstitutionellen Disposition die Exposition 
eine solche Bedeutung haben kann, daß die konstitutionellen Momente, 
ganz verdeckt werden. Wenn hinsichtlich einer bestimmten Infektions- 
krankheit regelmäßige Geschlechtsdifferenzen in der Exposition bestehen, 
so liegt natürlich primär diesen Verhältnissen der konstitutipnelle Sexual- 
dualismus mit seinen funktionellen Unterschieden der Lebensweise zu- 
grunde. Wenn wir aber die konstitutionelle Sexualdisposition zu Er- 
krankungen kennen lernen wollen, muß das störende Moment der Ex- 
position möglichst ausgeschaltet oder wenigstens mit in Rechnung gezogen 
werden. Ergibt die Statistik außerhalb der Fehlergrenze liegende Unter- 

Archiv für Hygiene. Bd. 96. 10 


126 Über die Bedeutung der Sexualdisposition bei den Infektionskrankheiten. 


schiede in der Erkrankungsquote beider Geschlechter, so ist zunáchst zu 
fragen, ob Geschlechtsdifferenzen der Exposition allein dafür verantwortlich 
gemacht werden können. Diese Erwägung ist aber nicht mit der Kritik- 
losigkeit anzustellen, mit der mancherseits verfahren wurde, indem die 
Exposition jederzeit ein beliebter deus ex machina war. In den ersten Lebens- 
jahren fallen diese Unterschiede überhaupt weg, und die Ansichten über 
gesteigerte Exposition durch „Erkältung‘‘, mechanische Schädigungen 
usw. bedürfen noch in mancher Hinsicht einer ernsten Revision. 


Hier sollen die Infektionskrankheiten eingeteilt werden in diapho- 
rische, kontagiöse und traumatische. Bei ersteren werden die 
Krankheitserreger durch aggressive Zwischenwirte (Diaphoren) auf den 
Menschen übertragen, bei der 2. Gruppe wird das Kontagium direkt 
von Mensch zu Mensch oder indirekt unter Vermittelung von Nahrungs- 
und Gebrauchsgegenständen übertragen, bei der traumatischen Gruppe 
dringen zufällig vorhandene, ev. ubiquitäre Infektionserreger bei einer 
Verwundung in den Körper ein. 

Bei den Diaphoronosen haben Ungeziefer, Mücken und andere 
Zwischenwirte eine überragende Bedeutung als expositioneller Faktor. 
Über die durchschnittliche Behaftung einer Population mit Ungeziefer 
liegen keine bestimmten Erfahrungen vor. Exzessive Grade findet man 
bekanntlich bei Vagabunden (meist JH), welche aber doch bei zivilisierten 
Völkern nur einen kleinen Prozentsatz bilden. 

Anamnestische Erhebungen haben bezüglich Flöhe und Läuse keinen großen 
Wert, da ja die Träger individuell sehr verschieden reagieren, indem manche 
überhaupt das Ungeziefer nicht bemerken, andere dagegen, besonders Neurasthe- 
niker, stark gepeinigt werden. Die Belästigung durch Mücken und Fliegen ist 
bekanntlich individuell verschieden, die Expositionsgefahr ist um so größer, 
je länger der Aufenthalt im Freien (< d°‘) und je größer die nackte Körperfläche 
(< 2) ist. Bei Getreidemilben und Erntemilben wird behauptet (Bernstein), 
daß die zartere Haut der Frauen und Kinder öfter befallen wird. 

Die Ausbreitung kontagióser Krankheiten wird besonders durch 
Kongregationen, engeres Zusammenleben in Kasernen, Fabriken usw. 
gefördert. Da Kongregationen häufiger beim männlichen Geschlecht vor- 
kommen, müßten in der Regel Männer häufiger an Infektionskrankheiten 
erkranken. Um so mehr muß es dann aber auffallen, wenn eine Seuche 
bei Frauen öfters vorkommt. Neben der Morbiditát gibt uns die Statistik 
auch Aufschluß über die Mortalität an Seuchen, deren Zahlen denen der 
Morbidität nicht parallel gehen. Das sieht man besonders, wenn man die 
Letalitát bestimmt. (Der Ausdruck „Letalität‘ soll hier nur in dem bei 
Hvgienikern üblichen Sinne des Verhältnisses der Gestorbenen zu den 
Erkrankten gebraucht werden.) Auf diese Prozentzahl hat im allgemeinen 
die Exposition keinen wesentlichen Einfluß, höchstens zufällig dann, 
wenn z. B. zur Zeit der schwersten Fälle während einer Epidemie infolge 
besonderer Kongregationsverhältnisse mehr Individuen eines Geschlechts 
schwer erkranken; solche Zufälle werden aber durch andere Statistiken 
ausgeglichen. 

Besondere konstitutionelle Momente spielen offenbar beim Bazillen- 
trágertum eine Rolle, welches eine deutliche Sexualdisposition aufweist. 
Wir unterscheiden sekundäre Bazillenträger (Dauerausscheider), welche 





Von Dr. Hans Günther. 127 


nach Ablauf der Infektion die Erreger noch weiter als harmlose Parasiten 
im Kórper dulden, und primáre Bazillentráger, welche durch die Infektion 
úberhaupt nicht krank geworden sind. Man kann natúrlich die Existenz 
solcher primären Träger leugnen und behaupten, daß die Erkrankung 
nur leicht ohne erkennbare Symptome verlaufen ist. Damit würde aber 
der Begriff der Krankheit zu einer unbestimmten Phrase entstellt. Neuer- 
dings erklärt sie Neufeld als „ganz leichte allverbreitete Krankheits- 
zustände‘‘, spricht aber auch von „ubiquitären Mikroorganismen, die 
nur unter besonderen Umständen zu Krankheits- und Epidemieerregern 
werden.“ Es gibt wohl ubiquitäre Infektionserreger, die vom Organismus 
je nach seiner Disposition nicht oder ‚„saprophytär‘‘ (ohne Krankheits- 
erscheinungen auszulösen) geduldetet werden, oder schließlich infektiös 
wirken können. Es ist sehr wohl denkbar, daß einzelne Individuen durch 
das Wachstum ‚infektiöser‘‘ Bakterien in ihrem Körper keinen Schaden 
erleiden, während andere in kürzester Zeit unterliegen. Bekannt ist ja die 
Meinungsverschiedenheit bei Lepra, ob es hier primäre Bazillenträger gibt, 
oder ob diese als leichteste chronische Krankheitszustände anzusehen 
sind. 

Die statistische Bearbeitung hat besonders die Erfahrungen 
verschiedener Untersuchungsstellen zu vergleichen und ein genügend 
großes Material zu verwerten. Werden die Betroffenen nach Geschlecht 
in Prozentzahlen angegeben, so können bei zu kleinem Umfang des ge- 
samten Materials Entstellungen des wahrscheinlichen Prozentverhältnisses 
durch Zufallsschwankungen und gelegentliche besondere Einwirkungen 
eintreten. Der Umfang des Materiales ist daher anzugeben, um eine ober- 
flächliche Orientierung über den Grad der Wahrscheinlichkeit zu ermög- 
lichen. 


In unserer Zeit ist es auch in der Medizin Mode geworden, in solchen 
Fällen den mittleren Fehler anzugeben, ohne daß man sich oft über 
dessen Bedeutung im klaren ist. Für das gezählte Prozentverhältnis, 
also 2% d und (100—:)% 2 bei einem Gesamtumfang von n Personen 
wird der mittlere Fehler meist nach der Formel 
m = + y al 

n 
berechnet. Obwohl neuerdings ernste Zweifel über die Unfehlbarkeit der ` 
Fehlertheorie auftauchen, welche wohl nur als eine vorläufige Vereinbarung 
zu gelten hat, so soll doch auch hier der Mode entsprechend der mittlere 
Fehler angegeben werden. Es ist aber wohl zu beachten, daß dieser sich 
nur auf den „blinden Zufall‘ bezieht, und daß er gerade bei den Infektions- 
krankheiten im Verhältnis zu den durch Exposition und andere besondere 


Einflüsse bedingten Abweichungen nur eine untergeordnete Bedeutung 
hat. 


Neuerdings wurde wieder von Autoren eine alte Formel für den mittleren 
Bat 
18 -z (100—: 


Fehler m = t ]-- ap S hervorgeholt, welche auf Poisson zurückgehen 





soll und bisher mit Recht vergessen war. 
10* 


128 Über die Bedeutung der Sexualdisposition bei den Infektionskrankheiten- 


Die Einsicht in die konstitutionellen Beziehungen der Sexualdispo- 
sition wird gefördert durch die Einführung des Sexualquotienten, 
besonders wenn es sich um nach Altersklassen geordnete Reihenunter- 
suchungen handelt. Dieser wird immer so berechnet, daß die Anzahl 
der weiblichen Individuen durch die der männlichen dividiert wird, also 


` . Die logischen Beziehungen zum Dispositionsbegriff werden S. 146 ge- 


nauer erörtert. Der Sexualquotient kann sich auf verschiedenes Material 
beziehen und wird dementsprechend durch verschiedene Zeichen ausge- 
drückt, wie sich aus folgender Tabelle I ergibt. 


Tabelle I. 






Sexualquotient Zeichen 





der normalen Geschlechtsverteilung in einer Population 


(Populations-Sexualquotient) . ............ y 
der statistisch. erfaßten Erkrankten . ......... (q) 
der auf die Zahl der Nichterkrankten bezogenen Kranken (q):y =q 
der an einer bestimmten Krankheit Gestorbenen . (q) 
der auf die normale Altersverteilung der Gesunden 
bezogenen Gestorbenen . . » . 2 2 2220200. (q): y =q 
der auf die Zahl der Erkrankten bezogenen Gestorbenen 
(der Letalität) . . das soaa ea == 
mittlerer Sexualquotient der Erkrankten ....... Am 
mittlerer Sexualquotient der Gestorbenen . ...... Im 


Bei gleicher Beteiligung beider Geschlechter hat der Quotient den 
Wert 1. Sind doppelt so viele 2 erkrankt, so ist (q) = 2,0, sind von diesen 
Erkrankten aber doppelt so viel d — so ist 

b 


V 





bo a 

Besonders zu empfehlen ist auch die logarithmische Abbildung dieser 
Werte, bei welcher reziproke Werte Spiegelbilder zur Eins-Linie der Gleich- 
heit ergeben. (Auf die Vorteile graphisch-logarithmischer Darstellung 
gewóhnlicher statistischer Prozentzahlen haben besonders amerikanische 
Biometiker (Fisher, Pearl usw.) hingewiesen). 

Der mittlere Fehler des Sexualquotienten q läßt sich berechnen nach 


der Formel 
— \ijn:g—1 


Ferner werden hier noch mittlere Sexualquotienten eingeführt. 
Die Notwendigkeit ihrer Berechnung ergibt sich aus folgender Überlegung. 
Die aus einer früheren Arbeit (4) entnommene Tabelle II zeigt die auf 
die normale Altersklassenverteilung beider Geschlechter (y) in Leipzig 
berechneten Morbiditäts-Sexualquotienten. Für die Gesamtsumme ergibt 


Von Dr. Hans Gúnther. 129 


sich hier ein Quotient g = 0,835, welcher niedriger ist als alle Quotienten 
der einzelnen Altersklassen. Dieser offenbar unrichtige. Wert kommt da- 
durch zustande, daß bei der Berechnung des Gesamtresultates der Popu- 


Tabelle II (Diphtherie-Mortalität Leipzig 1915—1918). 


















112 | 186 
172 | 210 508 
0,89 | 0,925 | 1,03 | 1,20 0,97 





1,23 | 1,30 | 1,16 
0,98 | 0,88 


lationsfrequenz derjenigen Altersklassen, in welchen nur wenig Diphtherie- 
todesfälle vorkommen, die gleiche Bedeutung beigemessen wird, wie in 
den Klassen der häufigen Todesfälle, da ja bei der Berechnung der Quotient 
y der Gesamtpopulation (= 1,16) eingesetzt worden ist. Zur richtigen 
Berechnung dieses Quotienten muß aber den Teilquotienten der einzelnen 
Altersklassen je nach der Häufigkeit ihrer Todesfälle beider Geschlechter 
zusammen (m + w) eine verschiedene Bewertung (‚Gewicht‘) gegeben 
werden. Es müssen daher die Quotienten q jeder Altersklasse mit dem 
Faktor ( m+ w) der gleichen Klasse multipliziert werden. Aus der Summe 
dieser Produkte Xg: (m + w) wird nun der „mittlere Sexualquotient‘ 
qm durch Division mit der Gesamtzahl aller Todesfälle S(m + w) erhalten: 
Es ergibt sich also nach beistehender Rechnung (Tabelle III) qm 
= 1008,6:1032 = 0,9773. Der mittlere Fehler .. dieses Wertes beträgt 


Tabelle III. 








(m+w) | q-(m+w) 


nach obiger Formel 0,06, so daß also ein mittlerer Sexualquotient qm = 0,98 
+ 0,06 resultiert, der einen Schluß auf die Prädisposition des männlichen 
Geschlechts nicht zuläßt. Aus einer in der gleichen Arbeit (4) angeführten 
Berliner Statistik ergibt sich dagegen der Wert qm = 0,91 + 0,02, also 
eine auch durch andere Statistiken erhärtete Prädisposition des & Geschlech- 
tes zum Diphtherietod. Bei der Berechnung des mittleren Sexualquotienten 
der Letalität ga sind die Prozentzahlen der Letalität als Häufigkeits- 
faktoren einzusetzen, also X (m'% + w"%). 

Zur Feststellung des Morbiditáts-Sexualquotienten sind die statisti- 
schen Grundlagen noch nicht sehr befriedigend. Zu erstreben ist, die frag- 
lichen Verhältnisse in einer großen Population in möglichst großem Um- 


130 Uber die Bedeutung der Sexualdisposition bei den Infektionskrankheiten. 


fange zu erfassen und dies ist nur durch amtliche Statistiken móglich, 
welche andererseits die ja bekannten Nachteile haben. Als brauchbar gilt 
die offizielle norwegische Morbiditätsstatistik, deren auf die Nichterkrankten 
der gleichen Gruppen bezogenen Zahlen bereits für die Jahre 1913—1919 
von Schiff zusammengefaßt wurden. Nach diesen Angaben habe ich die 
Werte der Tabelle IV berechnet. 





Tabelle IV. (Norwegen 1913—1919). 









Krankheit Krankheit — 












EL RAR E AR 
(Morbiditit) | (Letalität) 
DE EEE 
0—15 über 15 0—15 über 15 





1,32 10,98 0,68 
0,53 Lut 1,20 


Pneumonie . 0,87| 0,72 | | Erysipel 
Grippe. . . 11,05. 0,68 |1,05 1,22 ] Sepsis 


Keuchhusten |1,12; 1,02 [1,13 | Meningit. | 
Diphtherie . [1,07 ' 1,25 (0,90 1,06 epid. E 0,52 1,26, 0,87 
Scharlach: . 11,15 1,41 10.77] Poliomyelit.. 0,65 0,85| 0,80 





Masern .. 11,13 
Róteln . . . |120| 1.10 
Varizellen . |1,09 
Typhus. . . [1,05 


1,37 | Dysenterie 

| Parotitis epid. 

0,72 Polyarthr. 
0,87] 0,84 rheum. acut. 


0,36 | 





(Der Umfang der Statistik ist allerdings fiir unsere Frage noch recht 
klein, beträgt z. B. für Grippe 2834, Meningitis epid. nur 620 Fälle.) Eine 
weitere beachtliche Morbiditätsstatistik ist die der Ortskrankenkasse 
Leipzig für die Jahre 1887—1904. Bei der vom Kaiserlichen statistischen 
Amte durchgeführten Bearbeitung wurde die Beziehung der Krankheitsfälle 
auf die Gesamtheit der Mitglieder in der Weise durchgeführt, daß nicht 
die Zahl der wirklich vorhandenen Kassenmitglieder, sondern die aus der 
Gesamtsumme der Beitragstage errechnete Anzahl der „Personenjahre‘* 
bestimmt und auf diese Weise der Durchschnitt der während der Dauer 
eines Jahres anwesenden Beitragspersonen nach Geschlecht und Jahres- 
klassen gesondert festgestellt wurde. Nach den auf 100000 Gesunde 
der gleichen Altersklassen bezogenen Werten dieser Statistik habe ich die 
q-Werte der Tabelle V berechnet. 


Tabelle V. (O.K.K. Leipzig.) q (Morbidität). 





15 Mu Ab ‚u 35 du 45 50 | 
Diagnose bis bis bis bis bis bis bis bis 99 DU 
14 IA Ai 34 3y h4 49 DA 





Pneumonie Jon Ans 0,52! 0,70, 0,52) 0,44! 0,61 0,73| 0,84 0,46| 0,50 0,58] 0,46 
Influenza. .|0,87 1,10 1,22 1,31) 1,40 1,54 1,46 1,50 1,20) 1,06| 1,11| 1,26] 1,575 1,00 
Tuberkulose | 1,01, 0,92 1,02 1,00| 0,76 0,91 1,02 0,49 0,87! 0,32. 0,84| 0,18 0.82 
Typhus. . .|0,69 0,97 0,77 1,03| 0,59| 1,03 0,70 1,01 1,84 | 0,88 
Sepsis (ohne | | 

puerperal.). 0,37 OAI 0,59 0,60, 0,55 DT e —— |—— 0,45 
Parotit. epid.| 1,10 1,19 1,33 1,36 2,66, 1,36 | 1,50 
Polyarthrit | | 

rheum. ac. .11,08 1,15 1,16 1,38 0,61 0,91 0,63 | 1,30 





lues (aller 
Organe . .[3,04 1,44 1,96 1,59 1,36 1,70 0,79 | 2,03 

















Von Dr. Hans Ginther. i 131 


Auch die Erfahrungen von Kliniken verdienen Berücksichtigung, 
da sie hinsichtlich der Richtigkeit der Diagnose eine größere Garäntie 
bieten, als die anderen Statistiken, wenn sie auch den Nachteil des zu ge- 
ringen Umfanges des Materiales haben und eine Beziehung der Werte 
auf den nicht erkrankten Teil einer bestimmten Population nicht zulassen. 
Außer den nach der Literatur bekannten Zahlen werden hier besonders 
die Erfahrungen der Leipziger medizinischen Klinik verwertet. 
(Der Sexualquotient der Gesamtzugänge schwankte vor 1914 zwischen 
0,76—0,87, Mittel 0,82. Eine Beziehung der Morbiditätssexualquotienten 
auf diese Quotienten erscheint nicht ratsam.) Durch den Krieg trat eine 
Verschiebung ein. Noch im Jahre 1922 betrug der Quotient der Zugänge 
1,12, zeigt dann wieder abnehmende Tendenz (1924 y = 0,90). 

Weit besser sind die statistischen Grundlagen der Mortalität, 
weil hier große amtliche Statistiken vorliegen. Bevor auf die speziellen 
Verhältnisse der Seuchensterblichkeit eingegangen wird, muß die Bedeutung 
der Sexualdisposition bei der allgemeinen Mortalität klargestellt 
werden. Ich habe bereits früher (3) an mehreren deutschen Statistiken 
eine gewisse Gesetzmäßigkeit im Kurvenverlaufe der für die einzelnen 
Altersklassen berechneten g-Werte hingewiesen; daß nämlich die in etwas 
verschiedenen Hauptlagen befindlichen g-Kurven alle unterhalb der 
Hauptabszisse (1-Linie) beginnen, bis zur Pubertät über diese hinaus an- 
steigen, dann bis etwa zum 22. Lebensjahre unter 1 absinken, bis zum 
Beginn des 4. Dezenniums wieder in geringem Grade ansteigen, bis in die 
6. Dekade hinein weiter sinken und schließlich in den letzten Dekaden 
wieder steigende Tendenz zeigen. Es sind also neben der lange bekannten 
Knabenübersterblichkeit die beiden Maxima weiblicher Prävalenz in der 
Pubertät und in der Hauptzeit der Kinderproduktion (um 25.—30. Jahr) 
hervorzuheben. Bei der Bearbeitung der Infektionskrankheiten ist zu 
bedenken, daß ein etwa analoger Kurvenverlauf entweder durch eine 
übergeordnete, allgemeinere konstitutionelle Gesetzmäßigkeit, oder daß 
umgekehrt die Lage der q-Werte der allgemeinen Mortalität im wesentlichen 
durch die Seuchensterblichkeit bedingt sein könnte. 

Für die Mortalität der Infektionskrankheiten dient hier als statistische 
Grundlage in erster Linie die Mortalitätsstatistik des Deutschen Reiches 
von 1913 nach den medizinisch-statistischen Mitteilungen des Reichs- 
Gesundheits-Amtes; die auf je 100000 Lebende jeder Altersklasse bezogenen 
Häufigkeitszahlen, sowie die zugehörigen Sexualquotienten finden sich 
in Tabelle VI. Zum Vergleich dient ferner die Mortalitätsstatistik der Ver- 
einigten Staaten von Nordamerika des Jahres 1910 (Tabelle VII, nach Pearl 
berechnet), deren Umfang allerdings für eine Einteilung nach 5jährigen 
Altersklassen zu gering ist. 

Wenn man auch bei solchen großen Statistiken im allgemeinen einen 
Ausgleich der zufälligen und besondern partiellen Faktoren vermuten 
kann, so gibt sich doch mitunter ein Einfluß besonderer örtlicher Faktoren 
auch in großen Statistiken kund, wie die Tabelle VIII der Mortalitäts- 
statistik des Deutschen Reiches, sowie einzelner Gruppen seiner Staaten 
(1911) für einige Infektionskrankheiten zeigt, da in den süddeutschen 
Staaten fast durchweg ein höherer Sexualquotient auftritt. Merkwürdiger- 





tion bei den Infektionskrankheiten. 


isposi 


132 Uber die Bedeutung der Sexuald 


= E EE VE 









































— — | — | — | — | —|210|€Z30¡P90 1680 |080| * * et ~ LL LE EA A 
TII TI) GT) eil get Kol Gol ZT) 90) ZT) +I) Si T| 60| ot Ttiëiolrenl : "rr" " aumaəyuəsíq 
ılgeolzs‘o| 011990 |6P0|S6'0| 0'11€£80|€8'0 660 |63'1 1060 |PL0|28%3|p9L0|860| — lr: ++ + " ellefeN 
— | — | — | — | — | — | — |80'T|020|08°0 |zeT | LEO: 160921 L0] 011840 veo] * : rer USMDOJ 

890 | LEO | P9'0|8€0 | Z€0 | Zeo | EP O | een | 0901040 | 390 | oL‘0 | s90) — | — I 11280] * : "rr" + *syudÁg 
LZ) sıl 90| PIÍ Do ZO0|E80| 790 Lëoltttlopo OT IE90|Z90 | TIT) 1111660 1680) * : + " “ulepida Zuu W 

2801230 | 290 | £9°0 | LL‘O | zL‘0 | EL‘0 | PO 1801980: ELO| O'T | 760 | 911 | 2311901 | L60 | L60 ; “ " DING *yi3ulu9 
— |970 | 96‘0 | ZLO | L30 | L30 | 60 | 89°0 | seta | 89°0 12380 | 160 | 011981 1083 | Lot) t60) Lo * : ` " 9SO[NAL9QN ABLA 
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et |29°0| T'I | 89‘0 | F90 | #9°0 | 09°0 | 39°0 | 290 | v9'0 | 870 | 890 | 99°O | 620 oe, LOʻT 86/0 | L60] ` * oso + + + + + snydAL 
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9601880 l6z'0 |EE‘0 |620 | 18°0 | Z001 | 290 9S7 [pe gl esto |8L'0 F60 FOT ¡seo O0'szs ol oor lg Jam: rer" edis 
F8‘0 | 78°0 ou |28°0 | eso |330| 930 | F20 |063 [vee |20 |99E |908 | OET OL'T TET [Eor 3LO|OLO] "rr: * “snydxg 
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Von Dr. Hans Günther. 133 


weise zeichneten sich in dieser Zeit auch gerade die süddeutschen Staaten 
durch eine (im Jahre 1912 einsetzende) höhere Knabengeburtsziffer im 
Verhältnis zu den norddeutschen Staaten aus, worauf Timerding hin- 
weist. 


Tabelle VIII Quotient (q) der Todesfälle 1911. 





" Keuch- |Diphtherie | <narıarh | Masern 
husten | Krupp | Scharlach | Roten | Typhus | Erysipel 


Deutsches Reich . | (q) | 117° | 091 ae | 005 | 083 | 0915 


g | 3839 5408 2623 | 2859 | 1359 | 787 

Preußen ..... | Ọ | 4391 4883 2491 | 2650 | 1103 | 688 
Ä (a) | 1,13 0,90 0,95 | 0,93 | 081 | 091 

Bayern, Württem- || g | 1173 1416 383 | 805 | 162 | 271 
berg, Baden, || Q | 1452 1339 388 | 923 | 166 | 243 
ElsaB-Lothr. || (g) | 1,24 0,95 1,01 | 1,03 | 102 | 0,90 





Auch zeitliche Verschiebungen der Sexualquotienten aus ihrer regu- 
lären Lage können vorkommen. Ich habe bereits früher (4) berichtet, 
daß in den Nachkriegsjahren eine Verschiebung der Sexualquotienten 
der Mortalität zulasten des weiblichen. Geschlechts beobachtet werden 
kann, wie sich aus der Mortalitätsstatistik der Tuberkulose und Diph- 
therie ergibt. 


I. Diaphorische Infektionskrankheiten. 


Unter allen Infektionskrankheiten tritt am meisten in der Gruppe 
der Diaphoronosen die Exposition als ein die Beteiligung der Geschlechter 
bestimmender Faktor in den Vordergrund des ätiologischen Denkens. Wie 
die folgende Zusammenstellung ergibt, ist aber damit eine hinreichende 
Klärung nicht gegeben, es bleiben vielmehr noch manche offenen Fragen. 


1. Febris recurrens (Rückfallfieber). Als Zwischenwirte des Er- 
regers Spirochaete Obermeieri werden Pediculi capitis et vestimenti (?), 
Argas persicus, Ornithodorus genannt. Nach zahlreichen Statistiken ist 
ein beträchtliches Überwiegen der männlichen Kranken nicht zu bezweifeln, 
meist sind über 80% der Erkrankten 2. Besonders wird die Krankheit 
in Asylen und bei Vagabunden angetroffen. Es liegt daher nahe, die Sexual- 
differenz durch Ungleichheit der Exposition zu erklären und einen Einfluß 
der konstitutionellen Disposition zu bestreiten (Eggebrecht). In einer 
allerdings kleinen Statistik von Murchison war die Sexualdifferenz 
wesentlich geringer (231 3 : 206 2), wobei sogar ein Überwiegen der 2 
nach dem 25. Lebensjahr angegeben wurde. 


2. Icterus infectiosus (Morbus Weil). Als Erreger dieser vorwiegend 
als Kriegsseuche und Kasernenepidemie bekannten Krankheit gilt Spiro- 
chaeta icterogenes, als Zwischenwirt Fliegen, Läuse, ev. Rattenflöhe. 
Die Prädisposition der Männer wird in der Literatur betont, Hoppe- 
Seyler gibt 90% d an. Schon Griesinger fand, daß das wohl identische ` 
„biliöse Typhoid“, welches allerdings von anderen Autoren als Rekurrens- 
fieber angesehen wird, in Ägypten ganz ausschließlich Männer betraf. 
Schürer bezeichnet das starke Überwiegen der Männer als sehr merk- 


434 Über die Bedeutung der Sexualdisposition bei den Infektionskrankheiten. 


würdig und betont, daß die in der älteren Literatur vor dem Kriege (Frey- 
han 1894) beschriebenen, nicht zahlreichen Fälle bei Frauen und Kindern 
.alle atypisch seien und zum Teil überhaupt als falsche Diagnose (Sepsis, 
Cholangitis) ausgeschaltet werden müßten. Einen wirklich charakteri- 
stischen Fall bei einer Frau oder einem kleinen Kinde konnte Schürer 
in der ganzen Literatur nicht finden. 


Beim gewöhnlichen „epidemischen Ikterus‘‘ ergeben sich andere 
Verhältnisse. Eine New Yorker Epidemie betraf nach Williams 353 & 
und 345 9, also (q) = 0,98 + 0,08. Berliner Kinder erkrankten an 
katarrhalischem Ikterus nach Ewer im Verhältnis 170 3: 171 2. 


3. Trypanosomiasis (Schlafkrankheit). Zwischenwirt des Erregers 
Trypanosoma gambiense ist die Fliege Glossina palp. Bei dieser Krankheit 
scheint einer Präponderanz der d, resp. in anderen Gegenden der 2 
eine entsprechende Exposition parallel zu gehen (bei einzelnen Negerstäm- 
men arbeiten mehr die Frauen). Doch ist vielleicht auch eine direkte geni- 
tale Übertragung möglich. 


4. Malaria (Wechselfieber). 


Als Zwischenwirt der Plasmodien ist Anopheles bekannt. Wie überhaupt 
bei vielen Dipteren sind nur die Anophelesweibchen blutsaugend und allein die 
Überträger der Malaria. Bekanntlich zeigen die Mundwerkzeuge erheblichen 
Sexualdimorphismus, das Q hat nach Leon eine viel größere am Hypopharvnx 
ansetzende Speichelpumpe. Als Erklärung wird angegeben, daß das Weibchen 
bei größerem Stoffwechsel mehr und stickstoffreichere Nahrung brauche und 
daß die Blutnahrung zur Eiablage erforderlich sei. Es ist nicht bekannt, daß 
Anopheles in der Wahl des Blutspenders Unterschiede zwischen den Geschlechtern 
macht, wohl aber Kë einzelne Menschenrassen, wie Neger, angeblich bevor- 
zugt. 

Zur Erklärung der Tatsache, daf nach der allgemeinen Erfahrung 
häufiger 3 erkranken, kann die erhöhte Exposition (Arbeit im Freien) 
herangezogen werden, doch ist hiermit noch nicht gesagt, daß eine konsti- 
tutionelle Sexualdisposition keine Rolle spiele. 

Eine Mortalitátskurve der g-Werte kann man nach der amerikanischen 
Statistik (Tabelle VII) berechnen, doch zeigt diese nur sehr ausgeprägt, 
— ähnlich wie bei der Lungentuberkulose —, die beiden weiblichen Maxima, 
aber auch sonst wegen zu geringen Umfanges recht unregelmäßige Schwan- 
kungen. 


5. Typhus exanthematicus (Fleckfieber). Als Erreger gelten Rickett- 
sia Prowazeki, als Zwischenwirte Kleiderläuse. Die Seuche hat in zivili- 
sierten Ländern ihre Bedeutung fast verloren und flammt nur zu Kriegs- 
zeiten hier und da stärker auf. Im allgemeinen sind 3 stärker betroffen. 
Frauen erkranken nach Mosler in geringerem Grade. Eine Statistik 
Reders über 3 Epidemien 1915—1917 sei erwähnt, welche das umgekehrte 
Verhältnis (526 2 : 439 2), bei der letzten dieser Epidemien sogar in 
stärkerem Grade (114:37) zeigte; es ist aber zu beachten, daß infolge 
des Kriegszustandes wesentliche Verschiebungen in der Population zu- 
gunsten der 2 eingetreten waren. Die aus dieser Statistik berechneten 
Werte seien aber in Tabelle IX angeführt, da sie über die Letalitát 
informieren. 


Von Dr. Hans Günther. ` 135 


Tabelle IX. 
I 15—19 | 20—29 | 30—39 | 40—49 | 50— ` 








Morbidität (q) | 1,37 1,57 1,27 1,06 0,55 |1,20 + 0,08 
Mortalität (g)| 1,67 2,0 1,13 0,78 042 10,78 + 0,13 
Letalitat | 122 | 127 0,89 0,73 0,76 [0,65 + 0,14 
Letalität Y | 62 | 51 | 156 | 28,9 | 505 | 168 


In dieser Tabelle fällt der niedrige Summenwert von d (= 0,65) auf, 
der niedriger ist als die entsprechenden Werte der Altersklassen. Es ist 
daher ein mittlerer Sexualquotient der Letalität zu berechnen, indem die 
einzelnen Klassenwerte nach der Höhe der Prozentzahlen der Letalität 
bewertet und daher mit diesem Gewicht versehen werden. Es ergibt sich 
gm = 0,82. Nach Angaben von Martini könnte man auch Rassenunter- 
schiede des Sexualquotienten der Letalität vermuten, wie Tabelle X der 
Letalitát der polnischen Bevölkerung während des Krieges zeigt, welche 
auch auf eine geringere Letalität. des Fleckfiebers bei den Juden über- 
haupt schließen läßt. (Auch ältere Statistiken weisen eine höhere Mor- 
talıtät der Y auf, so Breslau 1868 (Lebert).) 





Tabelle X. 
gd Y 
„Christen“. . . 31 22 0,71 
Juden. .... 22 13 0,59 


6. Febris periodica „quintana“ (Fünftagefieber, Trench-fever). 
Als Erreger dieser Kriegsseuche, die besser als febris ,sextana” (Gün- 
ther 6) zu bezeichnen wäre, da der Sextanatyp mit einem Intervall von 
vier fieberfreien Tagen überwiegt, wird Rickettsia wolhynica vermutet, 
die durch Kleiderläuse übertragen wird. Ich selbst habe mehrere hundert 
Fälle gesehen und kenne auch aus der Literatur nur männliche Erkrankun- 
gen, mit Ausnahme cines beschriebenen atypischen Falles (Kranken- 
sch wester). In der Etappe wäre doch immerhin die Infektion von 2 
durch Übertragung von Kleiderläusen möglich gewesen. 

7. Pestis (Bubonenpest). Als Zwischenwirt des Bacillus pestis 
kommt der Rattenfloh, ferner neben der Ratte noch die Maus und das 
Murmeltier in Betracht. Menschliche Bazillenträger wurden nachgewiesen. 
Über Sexualdisposition läßt sich vorläufig nichts Sicheres aussagen. 

8. Lyssa (Tollwut). Zwischenwirt des noch unbekannten Erregers 
ist bekanntlich der Hund, dessen BiB nach Teissier öfters Männer be- 
treffen soll; der gleiche Autor glaubt auch, daß Rabies nach Biß durch 
einen tollen Hund relativ öfters bei Männern zum Ausbruch komme. 
Man kann vielleicht annehmen, daß & eher geneigt sind, Hunde zu 
necken und zu reizen. Nach Hetsch erkranken weit mehr Männer. Ph. 
Bauer zählte 288 4 und 87 9. Von Kindern unter 15 Jahren wurden 
nach Gowers 89 Z und 33 2 betroffen, später ist die männliche Prádis- 
position nach Gowers noch größer. Der Schutzimpfung unterzogen sch 
in Wien 1913—-23 nach Schweinburg 5619 3 und 3281 9; über 50%, 
wurden sicher von wutkranken Tieren gebis:en. 


136 Über die Bedeutung der Sexualdisposition bei den Infektionskrankheiten. 


II. Kontagióse Infektionskrankheiten 
(und septische Erkrankungen). 


In diese Gruppe fallen im erweiterten Sinne auch bakteriologisch 
charakterisierte Krankheiten, bei denen die „Kontagiosität‘‘, resp. die 
Ubertragung der Bakterien von Mensch zu Mensch kaum fiir die Er- 
krankung entscheidend ist, wie z. B. bei der genuinen Pneumonie, immerhin 
muß sie stattgefunden haben, damit die Krankheit ins bakteriologische 
Schema paßt. Auch die septischen Erkrankungen und Polyarthritis 
rheumat. finden hier Platz. 


1. Genuine Pneumonie. Die Prädisposition des männlichen Geschlechts 
ist ja von jeher bekannt (Klose 1829 u. a.) und wurde meist lediglich 
durch Exposition erklärt. Es werden immer wieder Behauptungen ange- 
führt, daß in Arbeiterkreisen mit gleicher Verteilung der Geschlechter 
kein Unterschied der Pneumoniedisposition bestehe, doch umfaßt z.B. 
die Statistik von Rulf (cit. Aufrecht) nur 44 g und 502. Es ist besonders 
hervorzuheben, daß im Weltkrieg nach Jungmann die Pneumonie bei 
Etappenformationen besonders in größeren Städten „ungleich häufiger 
als bei den Fronttruppen” war, während doch der dem bequemen Denken 
geläufige Expositionsfaktor der Erkältung letzteren in weit höherem 
Maße zugesprochen werden muß. 

Die Prävalenz der Y bezieht sich hauptsächlich auf die Morbidität. 
Es sollen zunächst die Erfahrungen der Leipziger medizinischen Klinik 
in den Jahren 1896—1913 und 1919—1923 (also mit Ausschluß der Kriegs- 
jahre) mitgeteilt werden (Tabelle XI). 


Tabelle XI. 





Morbidität 

Alter d Q a) | Y 

0—9 107 | se | 0,83 | 10 | 
10—19 537 | 163 | 034 | 104 | 033 | 30 | 22 | 073 | 215 
20—29 809 | 303 | 0,375| 1,01 | 0,37 | 73 , 39 | 0,53 | 1,42 
30—39 564 | 172 | 031 | 101 | 0,30 | 142 | 51 |036 | L17 
40—59 712 | 206 | 029 | 109 | 027 | 258 | 88 | 034| 117 
60— 209 | 139 | 066 | 147 | 045 | 136 | 90 | 066 | 100 
T 2938 11072 | 0,37 ¡ 1,05 | 0,35 | 657 309 | 0,47 | 1,27 


Aus der gleichen Klinik liegen schon statistische Zahlen von 1900 
bis 1910 (Dissertation von Stutzer und Blumstein) vor, welche die 
Morbidität 405 9 : 1221 3=0,33 und die Mortalität 101 2 (25%) : 236 d 
(19,3%) ergaben, also q = 0,43 und q' = 1,30. 

Zum Vergleich mit den Werten der Leipziger Klinik seien die Berech- 
nung nach den von Aufrecht aus dem Magdeburger Krankenhaus be- 
richteten Zahlen gegeben (Tabelle XII). Die Morbidität betraf dort 1223 3 
und 2789. Wie man aus dieser Tabelle sieht, hat der Sexualquotient der 
Gesamtzugänge im Krankenhaus keinen wesentlichen Einfluß, da in 
Leipzig mehr g, in Magdeburg mehr $ Zugänge erfolgten. 


Von Dr. Hans Günther. 137 
Tabelle XII. 


0,83 0,34 0,37 0,31 0,29 0,66 | 
0,81 0,30 | 0,7 0,13 0,15 | 0,34 
1,27 2,15 1,42 1,17 1,17 1,00 
(0,34) | (4,0) 1,76 1,35 1,03 















0,37 


Leipzig (a) . . - - 
Magdeburg (q) . . 0,23 










Leipzig q 


Magdeburg q. SÉ 1,09 





Nach diesen Erfahrungen erkranken also fast dreimal so viel Männer. 
Nach der Statistik der Leipziger O.K.K. (vgl. Tabelle V) ist die Gesamt- 
lage der Quotientenwerte etwas höher trotz der Beziehung auf die nicht 
erkrankten Mitglieder; für die Gesamtzahl ist q = 0,465. Vor der Pubertät 
hat der Morbiditätsquotient einen relativ höheren Wert, ist also das weib- 
liche Geschlecht mehr beteiligt als später. Dies zeigt auch die norwegische 
Statistik (Tabelle IV), bei welcher aber auch nach der Pubertät der Quotient 
wesentlich höher ist, als bei unserer Statistik. Es scheint mir erwünscht, 
die Verhältnisse bei Stadt- und Landbevölkerung getrennt zu studieren. 


Die Mortalität betrifft auch stärker die Männer, wie schon aus den 
angeführten Statistiken zu ersehen ist. Der Sexualquotient der Pneumonie- 
Mortalität zeigt dieselben Schwankungen, wie bei der allgemeinen Mortalität 
nur ist die Gesamtlage der Kurve, resp. der Durchschnittswert von q 
nach dem 15. Lebensjahre niedriger als bei der allgemeinen Mortalität, 
Hieraus ergibt sich mit Sicherheit eine höhere Mortalität des 3 Geschlechts 
nach der Pubertätszeit, als sie der allgemeinen Sterblichkeit entspricht. 
Die großen amtlichen Statistiken sind insofern nicht ganz eindeutig zu 
verwerten, als sie besonders durch Bronchopneumonien und anderes, 
was unter der Flagge „Lungenentzündung“ segelt, verunreinigt sind. Der 
mittlere Quotient q,, beträgt (nach Tabelle VI) 0,81. 


Eine Quotientenreihe der Mortalität Preußens 1909 (auf 105 Lebende 
bezogen) sei hier angeführt (Tabelle XIII), weil in ihr das weibliche Puber- 
tätsmaximum deutlich zur Geltung kommt. Dies ist bei der amerikanischen 
Statistik (vgl. Tabelle VII) nicht der Fall, wohl aber zeigt dort die Broncho- 
pneumonie ein ähnliches Verhalten. 


Tabelle XIII. 


SEENEN 
DESEN EES 


q |0,81 [0,97 | 1,04: 1,02 | 1,06 | 1,23 ¡ 0,67 | 0,60 | 0,85 | 0,68 | 0,51 | 0,58 | 0,76 | 0,83 



























Bei der Leipziger O.K.K. betrágt der Mortalitátsquotient q 0,71. 
Nach Mortalitätsstatistik der deutschen Krankenhäuser 1907—1910 ist 
(q) = 0,50 (bei nicht kruppöser Lungenentzündung 0,56) Lehmann 
bezweifelt hier den Einfluß einer Sexualdisposition, da diese sich auf alle 
Altersklassen erstrecken müsse. Anders liegen die Verhältnisse bei der 
Letalität. Dies kann man schon aus den Zahlen vermuten, die v. Huß 1861 
gab (Tabelle XIV). Nach älteren französischen Autoren (Briquet, Gri- 
solle) ist die Letalität bei Frauen etwa doppelt so groß. Aus der Statistik 
der Leipziger Klinik ergibt sich, daß von den an genuiner Pneumonie 
Erkrankten in allen Altersklassen (bis zum 60. Jahre) relativ mehr 2 


438 Uber die Bedeutung der Sexualdisposition bei den Infektionskrankheiten- 


Tabelle XIV. 















Morbidität . . 
Mortalität . . 
Letalität . . . 


2187 | 429 | (q) = 0,195 
219 | 62 |(g) = 0,28 
10%, |14,5%| q =1,45 






sterben. Es müssen also viel mehr Männer erkranken, damit der Gesamt- 
effekt einer fast doppelt so hohen Pneumonie-Mortalität der Y erreicht 
wird. 

2. Pertussis (Keuchhusten). Bei dieser Kinderkrankheit ergibt sich 
eine Bedeutung der Sexualdisposition, "die aber noch weiterer Klärung 
bedarf. 

Bezüglich der Morbidität sind die statistischen Grundlagen noch zu 
gering, um die feststellbaren geringen Differenzen als gesetzmäßige an- 
erkennen zu können. Es gehen daher auch die Meinungen der Autoren 
über diese Frage noch sehr auseinander. Klose (1829) war der Ansicht, 
daß bei Keuchhustenkindern kein Sexualeinfluß bestehe, daß aber von ` 
Erwachsenen mehr Frauen infolge Exposition erkranken. Andererseits 
weisen aber doch schon Zahlen älterer Beobachter auf eine Prädisposition 
der Mädchen hin (bei Ranke (q) 1,05, bei Voit 1,37), und neuerdings 
wird auch von Apert (Paris) und Hermann und Bell (Ver. Staaten) 
ein Überwiegen der Mädchen angegeben. Diese Differenz wurde durch 
cine größere weibliche Disposition zu Krampfkrankheiten zu deuten 
versucht (Hagenbach). Neuerdings wird aber noch von Klotz eine ge- 
setzmäßige Sexualdisposition geleugnet. 

Von statistischem Material seien die Zahlen der Leipziger medizi- 
nischen Klinik angeführt (309 & und 342 9), deren geringer Umfang 
allerdings keinen sicheren Schluß zuläßt; es ergibt sich (q) = 1,1 + 0,09 
oder eine Beteiligung von 52,6 + 1,9% 2. Die norwegische Statistik 
(vgl. Tabelle IV) läßt ähnlich geringe Differenzen erkennen. Die Ergeb- 
nisse der Baseler Statistik 1870—1919 nach Jessen zeigt Tabelle XIVa. 


Tabelle XIVa. (Basel.) 














10—15 über 15 2 
















1017 | 3074 | 
1229 | 3686 ' 








Aus einer Wiener (1899—1901) Statistik von Neurath über 11793 Fälle 
ergibt sich (q) = 1,30 oder 56,5 — 0,14 % 2, vorher (1886—1899) ist nach 
Rosenfelds Angaben (q) = 1,16, für 1895—1914 (Peller) kann man 
feststellen, daß q im Alter von 11—145 Jahren 1,85 beträgt. Nach der 
Pubertätszeit nimmt der Quotient ab, und im Alter scheinen keuch- 
hustenähnliche Zustände hauptsächlich bei Männern vorzukommen. 





Von Dr. Hans Gúnther. 139 


Die Mortalität ist unzweifelhaft bei Mädchen größer, und zwar im 
1. Dezennium (vgl. Tabelle VI bis VIII). Im ersten Lebensjahre allerdings, 
wo die häufigsten Erkrankungen vorkommen, ist der Unterschied noch 
gering; daher ist auch für die Gesamtheit der mittlere Sexualquotient 
in Tabelle VI nur 1,04. Diese Prädisposition ergibt sich nicht nur in Deutsch- 
land, sondern auch in England (nach Aschers Zahlen q = 1,14) und an- 
deren europáischen Lándern, Japan, Australien (Neisser und Marcks), 
Amerika (Tabelle VII). Daß vor dem 4. Lebensjahr mehr & sterben 
(Oerum), entspricht nicht den allgemeinen Erfahrungen. Geringe zeit- 
liche Schwankungen können natürlich in einer Population vorkommen, 
so ergibt sich für Preußen 1879 (nach Ascher) q = 1,06, 1901—1906 
(q) = 1,10, 1907—1912 (q) = 1,14 (Neumann); auch in den Jahren 1911 
bis 1922 starben in allen Altersklassen mehr o (Schmidt). 


Über die Letalität ist noch wenig bekannt. Nach der norwegischen 
Statistik ist auch das weibliche Geschlecht stärker betroffen, indem vor 
der Pubertät q" = 1,13; ähnliches ergibt sich aus der Baseler Statistik 
(XIVa), in Wien ist 1896—1899 (Rosenfeld) g’= 1,10. Im vorigen 
Abschnitt ergab sich mit Sicherheit eine höhere weibliche Letalität bei 
Pneumonie. Wenn auch das Material wohl nicht ausschließlich ,,genuine** 
Pneumonie enthält, und es andererseits nicht ratsam erscheint, die ,,Bron- 
chopneumonie“ als einheitliche Krankheit statistisch zusammenzufassen, 
ist doch die Frage naheliegend, ob die Letalität der Bronchopneumonie 
analoge Beziehungen aufweist. Und gerade bei Keuchhusten ist doch 
die Mortalität vorwiegend durch Bronchopneumonie bedingt, so daß es 
vielleicht erlaubt ist, gewisse einheitliche Beziehungen anzunehmen. 


3. Influenza, Grippe. Die Diagnosestellung ist bekanntlich meist 
etwas und oft sehr unbestimmt. Es wird daher nicht gelingen, statistisch 
eine einheitliche Krankheit zu erfassen. Selbst wenn man nur den Pfeiffer- 
schen Bazillus als Erreger gelten lassen wollte, wäre die bakteriologische 
Abgrenzung der Krankheit schwierig, da 40—75%, der Gesunden nach 
Neufeld Bazillenträger sind (eine ähnliche Häufigkeit wird übrigens bei 
Rotlauf und Hühnercholera angegeben, wo aber die Infektiosität sicher 
gestellt sein soll). Nach v. Strümpell macht das Geschlecht ‚jedenfalls 
keinen Unterschied‘; Apert behauptet, daß die Erkrankung bei Mädchen 
häufiger vorkomme und schwerer verlaufe. 


Die Morbidität scheint nach der Leipziger O. K. K.-Statistik (Tabelle V) 
mehr Frauen zu betreffen (bemerkenswert ist hier der stetige Anstieg 
des Quotienten bis zum 45. Jahre). In Norwegen dagegen sind nach der 
Pubertät mehr Y heimgesucht (Tabelle IV). Die Leipziger medizinische 
Klinik hatte das Verhältnis von 326 8:818 $ Kranken ((q) = 2,5); davon 
starben 68 Y und 185 9; hieraus folgt der Letalitátsquotient q” = 1,09 
+ 0,26. Jamin und Stettner negieren Alters- und Geschlechtsdispo- 
sition. Sie fanden bei Kindern krank 194 2:181 3 = 1,07, tot 7 (= 3,9%) d 
und 12 (= 6,2%) 9, also q = 1,7 und g’ = 1,6, wiesen aber auf die höhere 
weibliche Letaldisposition hin (Tod erfolgt meist durch Bronchopneu- 
monie). Bei einer tschechischen Epidemie 1918 erkrankten 115 g : 106 2 
` Kinder. 


` 
440 Über die Bedeutung der Sexualdisposition bei den Infektionskrankheiten. 
Für die Mortalität ergeben sich nach Möllers Statistik aus verschie- 


denen Gegenden Deutschlands im Jahre 1918 und auf 100 Sterbefälle 
jeder Altersklasse berechnet die Prozentzahlen der Tabelle XV. 













Tabelle XV. 
g 3,4 | 16,8 | 21,3 | 21,7 4,9 12,6%, 
Q 6,8 | 19,7 | 25,6 | 32,1 4,6 15,9 ,, 
q* 2,0 1,17 1,2 1,48 0,94 1,26 











Man kann hiernach eine höhere weibliche Grippemortalität annehmen. 
Die amerikanische Statistik (Tabelle VII) zeigt nichts Charakteristisches. 

Die Letalität belastet nach der norwegischen Statistik mehr pubertäts- 
reife Frauen. 

4. Encephalitis epidemica und Grippe-encephalitis. Das statistische 
Material der epidemischen Encephalitis ist nochsehr gering. Nach Staehelin 
und Löffler erkranken mehr Männer, nach Reinhart besteht keine Sexual- 
differenz, auch nach der englischen amtlichen Statistik (Mac Nalty) 
mit 634 d und 639 € nicht. Dennig-Philippsburg zählte 117 <3 und 
65 2, Hunt 172 3 und 96 2, Tilney und Howe in Newyork 50 & und 49 9. 
Jaksch (Prag) berichtet über 19 & und 17 2 Fälle von Encephalitis coma- 
tosa (tot 38,42) und 553 : 45 9 Encephalopathia postgripposa (tot 4 2). 

Goldflam (Warschau) gibt eine Altersverteilung (Tabelle XVa). 


Tabelle XVa. 





In Pearls Studien findet sich eine statistische Bearbeitung einer 
New Yorker Epidemie (1920), der ich folgende Zahlen entnehme (Ta- 
belle XV b). 


Tabelle XVb. 
















131 
97 


7 


66 15 





233 
0,737 | 0,065 





0,62 


aal 21 
0,96 ¡ 0,62 
1,3 1,0 








1,14 
1,14 


Diese Zahlen sprechen für eine höhere männliche Morbidität und 
Mortalität. Pearl stellt folgende Rechnung an: Der Anteil der erkrankten 
g ist p = 316 : 549 = 0,5756 mit dem wahrscheinlichen Fehler 0,674 - 


a = + 0,0142. In der Bevólkerung ist der Anteil der nicht er- 


Von Dr. Hans Ginther. 141 


krankten 3 pı = 0,4994 + 0,00. Die Differenz beträgt p — p, = 0,0762 
+ 0,0142 und ist das 5,4fache ihres walirscheinlichen Fehlers. Also be- 
stehe eine männliche Prädisposition zur epidemischen Encephalitis. 


Duncan beobachtete an 136 Fällen im allgemeinen keine Sexual- 
disposition, doch betrafen schwere Fälle symptomatischer Paralysis 
agitans dreimal so oft Frauen. Im Gegensatz zum echten Parkinsonismus, 
der selten vor dem 45. Jahr eintritt und häufiger bei 3 vorkomme, wird 
die symptomatische Form bei Encephalitis viel häufiger vor dem 36. Jahr 
und bei 2 mindestens ebenso oft beobachtet. 


4a) Singultus epidemicus, der besonders bei Influenzaepidemien 
beobachtet wird, scheint nach Staehelin und Löffler nur g, besonders 
zwischen 20 und 55 Jahren zu befallen. Nach Kalischer findet sich 
während einer meist & ergreifenden Epidemie unter den $ oft Brech- 
neigung. In Winnipeg soll eine Epidemie von etwa 1000 Fällen mit über 
90% & vorgekommen sein (Cadham). 

4b) Vertigo paralysans (Morb. Gerlier), angeblich durch Mierer 
paralysans bedingt, hauptsächlich bei in Ställen beschäftigten Personen (mehr 3) 


beobachtet, aber auch Hausinfektionen ohne Bevorzugung eines Geschlechis 
(Rehsteiner). 


5. Tuberkulose. Wenn zunáchst die allgemeine Tuberkulosestatistik 
berücksichtigt wird, so ist hervorzuheben, daß ihre Zahlen doch im wesent- 
lichen durch die Häufigkeit der Lungentuberkulose bedingt sind, so daß 
also eine ziemliche Übereinstimmung des Ergebnisses mit dem spezielleren 
der Lungentuberkulose zu erwarten ist. 


Bezüglich Morbidität seien die Zahlen der Wiener Krankenanstalten 
1896—1905 (nach Bucura) über „Tuberkulose und Skrophulose'* ange- 
führt, wonach (q) = 23004 9 : 34686 d = 0,66. Bei der Leipziger Orts- 
krankenkasse kommen auf 10° Versicherungspflichtige an Tuberkulose 
(aller Organe) Erkrankte 771 g und 631 9, so daß q = 0,82, eine für 
Tuberkulose typische Altersbeziehung ist dabei (vgl. Tabelle V) nicht fest- 
stellbar. 

Daß die persönliche Disposition neben der Exposition eine gewichlige Be- 
deutung hat, ist hinlänglich bekannt und ergibt sich besonders eindrucksvoll 
aus der Tatsache, daß — auch nach eigenen Erfahrungen — bei Tuberkulose- 
erkrankung eines Ehegatten der andere Partner viel seltener erkrankt, als dem 
Grade der Exposition nach zu erwarten wäre. Neue statistische Feststellungen 
von Tecon über 482 tuberkulöse Verheiratete (welche in 90°/, mit ihrem Partner 
ein Bett teilten), ergaben, daß immerhin in 18,7°/, eine tuberkulöse Infektion 
des anderen Gatten nachweisbar war, und daß von diesen 90 Fällen 70%, die In- 
fektion der Frau durch den vorher erkrankten Mann betrafen. 


Die Mortalität der Tuberkulose belastet auch mehr das & Geschlecht. 
Die pathologisch-anatomische Feststellung der Tuberkulose als Todes- 
ursache hat zwar einen höheren Grad von Zuverlässigkeit, als die amtliche 
Statistik, doch ist der Umfang des Materiales für die Berechnung des Quo- 
tienten etwas klein. Bartel fand Tuberkulose als Todesursache bei 420 d 
und 318 9, resp. bei 35,5% der d und 25,3% der $ Sektionen, wobei 
q = 0,71. 

Eine besondere Auslese stellt das Sektiorsmaterial Bigland-Watson 
dar, welches vollständige Sektionen bei 324 g und 83 o Paralytikern betrifft. 

Archiv für Hygiene. Bd. op. 11 


142 Über die Bedeutung der Sexualdisposition bei den Infektionskrankheiten. 


Es ergab sich Tuberkulose in verschiedenen Organen bei 30 + 0,8%, Ch und 38,5 
+ 5,3%, Q, also sicher kein Überwiegen der g. 

Vgl. Literatur über Sexualdisposition bei Beitzke, über das Sexualver- 
hältnis nach dem Kriege bei Prinzing (Erklärungsversuche). 

Vergleichsweise seien Erfahrungen bei der Tuberkulose des Rindes nach Be- 
funden bei der Schlachtung (Tabelle XVI) angeführt. Die hier angeführten 
Prozentzahlen zeigen Verschiedenheiten, welche sowohl auf die Rasse, als auf 
Unterschiede der Exposition zurückzuführen sind. 


Tabelle XVI. 














Statistik 







Deutsches Reich . 
Budapest. ... . 


Nach Röckls Statistik erkrankten von 201570 Ochsen und Bullen 3,2%/,, 
von 178749 Kühen 6,9% an Tuberkulose, also q = 2,15. 


Über die Altersprogression des Sexualquotienten bis zur Pubertät 
gibt Tabelle XVII der Tuberkulosemortalität in Preußen Aufschluß. 





Steppenvieh 


Tabelle XVII. 








KS ? 0,6 
1918—20 |0,85|0,90|0,94|1,08 0,73/0,90;1,02 


Der Pubertätsanstieg ist hier und in noch höherem Grade in der fol- 
genden Statistik (Tabelle XVIII) der Kindersterblichkeit an Tuberkulose 
in Budapest 1911—1922 (nach Pach) stärker ausgeprägt als in der all- 
gemeinen Mortalitätsstatistik. 


Tabelle XVII. 





In einer früheren Arbeit (3) habe ich nachgewiesen, daß der Sexual- 
quotient q ebenso wie bei der allgemeinen Mortalität auch bei der Tuber- 
kulosesterblichkeit in der Hauptevolutionszeit (bis zur Pubertät) als 
Funktion des Lebensalters (x) sich berechnen läßt nach der Formel 

= ek(x—ae), wobei e die Basis des natürlichen Logarithmus ist. Nach 
den Le S. 47 und 48 angeführten Berechnungen haben die Konstanten a 
und k der Tuberkulosemortalität Preußens folgende Werte (Tabelle XIX). 


Tabelle XIX. 















In den Jahren 





1891—1895 
1876—1901 
1910 


0,92 | 0,0655 
1,00 | 0,0625 
1,21 | 0,0680 


Von Dr. Hans Günther. 143 
Als Beispiel seien die nach der Formel berechneten (q,) und nach der 
Statistik gefundenen (g,) Werte der Tuberkulosesterblichkeit Preußens in 
den Jahren 1876 bis 1901 in Tabelle XX zusammengestellt. 


Tabelle XX. 





qı | 0,87 093 | 0,99 | 113 | 1,35 | 1,84 


da | 0,86 | 0,97 | 1,01 | 1,15 | 1,36 | 1,83 

Die temporären Schwankungen des Geschlechtsverháltnisses der 
Tuberkulosemortalitát, auf die Dornedden neuerdings wieder hinweist,. 
sind besonders an Aschers Zusammenstellung zu ersehen, wonach in 
England 1849—1870 der Quotient q von 1,09 auf 1,00 sinkt, 1871—1880 aber 
0,92 beträgt. (In London selbst überwiegen in dieser Zeit stets die Männer, 
q bewegt sich sogar von 0,74 auf 0,69. Lokale Expositionsfaktoren haben 
also einen bedeutsamen, temporär wechselnden Einfluß). In Tabelle XVII 
fällt in den Nachkriegsjahren besonders eine Steigerung des weiblichen 
Pubertätsmaximums auf. Die Mortalität der Alterstuberkulose (über 
50 Jahre) habe nach Herzog bei beiden Geschlechtern gleichsinnigen 
Kurvenverlauf. 


a) Lungentuberkulose. Das Problem der Sexualdisposition wurde 
schon vor einem Säkulum in Angriff genommen. Coschwitz erklärte 
1820, die Lungentuberkulose sei für 3 verderblicher. Louis lehrte aber 
eine Prädisposition der Frauen, und eine Pariser Statistik von 1827 ergab 
eine höhere $ Mortalität. Auch der Bonner Kliniker Naumann gab 1829 
eine Prädisposition der $ an. Die neueren Statistiken sprechen aber für 
eine stärkere Beteiligung des 3 Geschlechts. Das geht schon aus den Zah- 
len des vorigen Abschnitts hervor, welche doch hauptsächlich durch 
Tuberkulose der Lungen bedingt sind. 

Haemoptoé ist zwar nicht immer, aber doch am häufigsten durch 
Tuberkulose bedingt. Galenus glaubte, daß sie bei 2 häufiger vorkomme, 
nach Naumann ist aber eher das Gegenteil der Fall. Für letzteres spricht 
auch die Statistik, denn die Leipziger O. K. K. hatte auf 10° Versicherte 
187 d und 1492 Haemoptoöfälle, daher q = 0,80. Tuberkulöse Spitzen- 
pleuritis „im Rahmen der chronischen rezidivierenden Pleuritis“ soll 
nach Neumann bei 2 viel häufiger vorkommen. Ähnliches beobachtete 
Hollö, doch ist eine Erklärung durch größere Sa der 2 
keine Erklärung, sondern nur eine Umschreibung. 

Die Statistik der Invalidenversicherung ergab, daß von sämtlichen 
Kranken, die ein im Berichtsjahre 1910 zum Abschluß gekommenes Heil- 
verfahren benötigten, die Lungentuberkulose bei den Y Kranken 58, 
bei 2 49%, ausmacht, woraus sich der Quotient of = 0,84 ergibt.: 

Nach der Statistik des Reichsversicherungsamtes von 1898 führt 
Tuberkulose der Lungen ebenso wie andere Lungenkrankheiten in ver- 
schiedenen Berufszweigen (Landwirtschaft, Industrie, Handel) in allen 
Altersklassen bei Y weit häufiger zur Invalidität (q = 0,51 bis 0,77). 
Auf die Gesamtzahl der Invalidenursachen 1896—1899 m Deutschland 

kb 


444 Uber die Bedeutung der Sexualdisposition bei den Infektionskrankheiten. 


(nach Geschlechtern getrennt) berechnet und in Promille ausgedrückt 
ergeben sich (Tabelle XXI): 


Tabelle XXI. 













Krankheiten der Lungen außer Tuberkulose 
Lungentuberkulose . ZE 
Tuberkulose außer Lungentuberkulose . Ce 


Die Mortalitátsquotienten zeichnen sich durch das besonders hohe 
weibliche Pubertátsmaximum aus, wie es auch die amerikanische Statistik 
erkennen läßt (Tabelle VII). Daß auf die durchschnittliche Lage der Quo- 
tienten die Exposition, u. a. der Unterschied zwischen Großstadt- und 
Landbevölkerung einen merkbaren Einfluß hat, wurde schon gelegentlich 
der Londoner Statistik hervorgehoben. Auch Sörensen fand in Däne- 
mark vom 20. Lebensjahre ab zwar stets ein Überwiegen der männlichen 
Todesfälle, aber in höherem Grade (q 0,70 bis 0,40) in Kopenhagen als in 
den Provinzstädten und noch mehr bei den niederen sozialen Ständen 
(q = 0,67—0,34). Anders allerdings klingt ein Satz von Grotjahn. 
„Es kann vorkommen, daß die Sterblichkeit des männlichen Geschlechts 
an Tuberkulose durch starke Industrialisierung und die damit verbunde- 
nen günstigen Erwerbsverhältnisse sinkt, während gleichzeitig diese 
Sterblichkeit bei den Frauen steigt, die zum Schaden ihrer Gesundheit 
in die industrielle Betätigung hineingezogen werden.“ Kayserling fand 
in Berlin nach 1907 eine größere Tuberkulosesterblichkeit der 2, welche 
er als „Reaktionserscheinung des weiblichen Organismus auf die erhöhte 
und vermehrte Berufstátigkcit'* auffaßt. Bei der Leipziger Lungenfürsorge 
traten (nach Leipz. Stat. Jahrb.) vor 1911 mehr g, 1911—1913 mehr 2 
in Beratung. 

Die Letalität belastet in jüngeren Jahren mehr die 9, später mehr d. 
So zählt die Leipziger Fürsorge, auf 100 Fälle berechnet und in Alters- 
klassen des Fürsorgebeginnes eingeteilt folgende Prozent Todesfälle (Ta- 
belle XXII): 

Tabelle XXI. 


Alter 

















Geschlecht a 





1,11 





0,84 


Die gleiche Fürsorgestelle hatte 1906—1919 die in Tabelle XXIII 
verzeichneten Kranken in Beobachtung. ‘Bei dem geringen Umfange des 


Tabelle XXIII. 










davon gestorben 
1577 | 479 30,4%, 
9 1669 + 486 | 29,2%, 

Quotient [1,06+.0,03 1,01 + 0,07| 0,96 + 0,1 











Von Dr. Hans Günther. 145 


Materiales sind aber die mittleren Fehler so groß, daß bezüglich des Le- 
talitätsquotienten keine sichere Aussage gemacht werden kann. 

b) Abdominaltuberkulose. Eine Prädisposition des weiblichen 
Geschlechts scheint sich hier durch die größte Häufigkeit in den jugend- 
lichen Jahren zu ergeben. Die Wiener Krankenanstalten behandelten 
1896—1905 (nach Bucura) an Tuberkulose des Peritoneums 480 § und 
672 9, also 58,2 + 1,45 % 2 oder q = 1,40. Bei der Abdominaltuberkulose 
des Kindes tritt nach Frank in der Zeit der größten Häufigkeit (3.—4. Le- 
bensjahr) ein Überwiegen der & (25:18), später der 2 hervor. Die geringe 
Gesamtzahl der in Tabelle XXIV verzeichneten Fälle Franks ergibt 52,5 + 
4,7% Q oder q = 1,11 + 0,2, also ein unbestimmtes Resultat. 


Tabelle XXIV. 


] Alter | 14 | 5-10 | 1144 | 3 ` 
d 29 18 6 53 
oz 24 26 9 59 


Barthey-Rilliet findet bei Kindern das Verhältnis 53 g : 33 9, 
Schmid (Basel) 23 3 : 182, Melchior bis zum 7. Lebensjahre 44:39, 
später 15 3 : 142. 

c) Miliartuberkulose. Das klinische Material ergibt ein Überwiegen 
der Männer. An der Leipziger Medizinischen Klinik wurden 1889—1909 
behandelt 147 d und 54 9, also 73,1 + 3,1% d oder q = 0,37. 

Die Sektionsstatistik des John Hopkins Hospital ergibt nach Pearl 
ein Überwiegen der g, aber keinen Rassenunterschied des Sexualquotien- 
ten (Tabelle XXV). Der Verlauf des Sexualquotienten in der amerika- 
nischen Statistik (Tabelle VII) ähnelt sehr demjenigen der Lungentuber- 
kulose. Auch die deutsche Statistik (Tabelle VI) zeigt einen ähnlichen 
Verlauf mit einem mittleren Sexualquotienten qm = 1,02. 


Tabelle XXV. 















Weiße. . 
Farbige . 


H 


0,58 + 0,16 
0,50 + 0,07 
235 | 123 | 0,52 + 0,06 | 358 





d) Meningitis tuberkulosa. Das männliche Geschlecht überwiegt 
deutlich. Die Leipziger Medizinische Klinik behandelt 1894—1913 und 
1919—1923 im ganzen 241 Y und 1432, also 62,8 + 2,5% g oder q = 0,59. 
Das Material der Leipziger Klinik 1889—1908 wurde bereits von O. 
Fischer verarbeitet, der 175 & und 85 2 zählte; (q) = 0,48 + 0,07. Er 
hebt dabei hervor, daß im Alter von 14—20 Jahren das weibliche Ge- 
schlecht überwog (8 3,2592). Huguenin (cit. Seitz) fand, daß die Männer 
vor dem 15. Jahre stark, später aber nur in geringerem Grade überwiegen. 
In England betrug 1849—1880 der Quotient 0,76—0,68, in London 0,62 
bis 0,67 (nach Ascher). In Amerika (Tabelle VII) ist der Verlauf sehr ähn- 
lich der Kurve der allgemeinen Mortalität. (Kaneko fand unter einem 
kleinen Material von 66 Fällen in Dairen mehr 9). 


446 Über die Bedeutung der Sexualdisposition bei den Infektionskrankheiten. 


e) Larynx tuberkulose betrifft mehr Männer. Gegen diese An- 
sicht wendet sich Thomson, der Unterschied sei durch Differenzen der 
Exposition völlig zu erklären ($ seien weniger der Ermüdung und In- 
fektion ausgesetzt! ?). 


f) Hauttuberkulose. Lupus der Nase bevorzugt nach Kaufmann 
jugendliche Frauen. 


9. Knochentuberkulose. Fürst zählt bei Kindern 90 g : 59 9, 
also 60,4 + 4% d oder q = 0,66. 
h) Nierentuberkulose. Nach Kapsammer 68 3:43 2. 


6. Diphtherie. Die Bearbeitung der Diphtherie nach gleichen Gesichts- 
punkten ist bereits in einer früheren Arbeit (4) erfolgt, auf die hier verwiesen 
wird. Dort habe ich auch die logischen Beziehungen des Begriffes der 
Sexualdisposition zu dem allgemeinen Dispositionsbegriff klarzustellen 
versucht. Hierauf sei noch einmal in etwas modifizierter Form einge- 
gangen. Die Krankheitsdisposition oder Wahrscheinlichkeit des Ein- 
trittes einer bestimmten Erkrankung wird bestimmt durch das Verhältnis 
der Erkrankten zu den überhaupt in einer Population vorhandenen Indivi- 
duen, nach Vereinbarung gültig für die Dauer eines Jahres. Dieser Disposi- 
tionsbegriff läßt sich wieder in einzelne Teilbegriffe spalten. Es läßt sich 
z. B.die Altersdisposition bestimmen, indem die gleiche Berechnung für 
einzelne Altersklassen durchgeführt wird. Die entsprechende Berechnung 
für einzelne Geschlechter ergibt die Sexualdisposition. Die maskuline 
Sexualdisposition (Dm) entspricht daher dem Verhältnis der männlichen 
Erkrankten (m) zu den überhaupt vorhandenen männlichen Individuen (a). 


Der Quotient z ist also der Ausdruck für die Wahrscheinlichkeit eines 


männlichen Individuums einer bestimmten Population, im Laufe eines 
Jahres an einer bestimmten Krankheit zu erkranken. Als Beispiel sei hier 
die Diphtheriemorbidität Leipzigs der Jahre 1920 bis 1923 gewählt, welche 
in Tabelle V der zitierten Arbeit (4) gegeben ist. Nach dieser Statistik 
können die Durchschnittswerte der Erkrankungen innerhalb eines Jahres 
nach Jahresklassen geordnet zunächst für das weibliche Geschlecht be- 
stimmt werden; die gefundenen Werte (w) sind in folgender Tabelle XXVI 
verzeichnet. Für die normale Altersklassenbesetzung wurden die Werte 


Tabelle XXVI. (Leipzig.) 





588,7 324000 | 0,182 | 


Von Dr. Hans Gúnther. 147 


für das 2 Geschlecht (f) der Leipziger Volkszählung von 1919 eingesetzt. 
Hiernach wird berechnet D y = (wo) Es ist also z. B. die Wahrscheinlich- 
keit für ein 12jähriges Mädchen, während der Dauer dieses Lebensjahres 
in Leipzig an Diphtherie zu erkranken Dw = 0,0033; es werden wahrschein- 
lich 0,3% Mädchen dieses Alters erkranken. In der gleichen Weise können 
die Werte für das männliche Geschlecht berechnet werden. Dies ist aber 
auch noch auf anderem Wege möglich. Die vorletzte Kolonne der Tab. XXVI 
enthält die Sexualquotienten, wie sie in der früheren Arbeit (4) berechnet 
wurden. Mittels dieser Quotienten läßt sich die maskuline Sexualdispo- 


sition berechnen, indem Dm = E Andererseits kann auch der Morbiditäts- 


Sexualquotient gefunden werden nach der Formel q = Ze Außer den 


Dm 
Le bearbeiteten Statistiken sei für die Morbiditát noch Tabellle XXVla 
gegeben, welche die Baseler Fälle 1870—1919 darstellt. 


Tabelle XXVIa. (Basel.) 


Beer A A es A El 
a EEE 


g | 2111244 761 | 316 | 5798 
O 151 | 2209 2309 1086 | 510 | 6265 
ai | 0,71 | 0,90 | 1,11 | 1,43 | 1,61 | 1,08 


Tg 104 ' 478 | 106 66 754 
Q Si | 410| 111) 29 | 631 
(q) | 0,78 | 0,86 | 1,04 | 0,44 | 0,84 
q’ 1,1 | 0,96 | 0,94 0,3 T 0,78 


Die Mortalitätsquotienten schwanken um den Wert 0,90 (vgl. Tabelle II 
und VI). Der mittlere Quotient beträgt nach Tabelle VI 0,87; außerdem 
scheint in dieser Tabelle eine fast kontinuierliche Altersprogression der 
Quotienten aufzutreten, welche aber in anderen Statistiken nicht existiert. 

In Preußen ergibt sich 1876—1915 in fünfjährigen Zeiträumen eine 
auffällige Konstanz, indem die g-Werte nur zwischen 0,88 und 0,92 schwan- 
ken und durchschnittlich 0,90 betragen. Auch für Berlin ergibt sich 1877 
bis 1914 ein Wert von etwa 0,89. Für Leipzig wies ich in den Nachkriegs- 
jahren eine beträchtliche Steigerung des Quotienten nach; bereits in den 
Jahren 1915—1918 ergibt sich ein mittlerer Quotient qm = 0, 97, 1919—1923 
aber beträgt qm 1,52. 

Die Letalitátswerte sind noch recht unsicher . In Berlin ist 1885 
bis 1894 g’ = 0,83 (bei q = 0,93), 1905—1914 q' = 0,79 (bei q = 0,84); 
in Basel o = 0,78, in Wien (1883—1899) nach Rosenfeld 0,85; sie sind 
also etwas niedriger als die Mortalitátsquotienten. Wenn man die Alters- 
schwankungen von g’ in Tabelle IV und XXVI vergleicht, so ergeben sich 
Widerspriiche. 

Für die Kindermortalitát an Diphtherie + Keuchhusten + Masern 
+ Scharlach zusammen ergibt sich in Preußen 1901—1912 (nach 
Tabellen bei Neumann) nur ein geringes jáhrliches Schwanken von 
q zwischen 0,98 und 1,04 (Mittel y = 0,995). Wenn also bei diesen 


148 Uber die Bedeutung der Sexualdisposition bei den Infektionskrankheiten. 


Erkrankungen verschiedene Sexualquotienten bestehen, so kommen die 
Differenzen bei einer derartigen Zusammenfassung nicht zum Vorschein. 
(Teissier meint, daß Frauen länger als Y zu Kinderinfektionskrankheiten 
disponiert sind und führt dies auf engeren Kontakt mit Kindern zurück; 
Eruptionsfieber seien bei d nach dem 20. Jahr sehr selten, bei 2 öfters 
zwischen 25. und 30. Jahre zu finden. 


7. Morbilli, Masern. Ohne Berücksichtigung des Lebensalters treten 
keine deutlichen Differenzen der Sexualdisposition hervor. In der Literatur 
finden sich viel Widersprüche. Die alte Angabe von Percival, daß Knaben 
eine größere Anlage zu Masern besitzen, wurde 1831 von Naumann be- 
stritten. Nach Jochmann spielen Geschlecht und Rasse keine Rolle. 
Eine Lübecker Morbiditätsstatistik (1908—1919) zählt 2998 g : 2989 9, 
also 50,08 + 0,65 % d (dabei dreimal in einzelnen Jahren mehr 2). 
Bei Beachtung des Alters können sich Differenzen ergeben, die aber nicht 
eindeutig sind. Roger (zit. Teissier) behauptet, daß im Alter von 15 
bis 20 Jahren mehr d, dann mehr 2 erkranken. Die norwegische Statistik 
(Tabelle IV) hat vor der Pubertät q = 1,13, später 0,79. Die Baseler 
Statistik 1870—1919 (Jessen) ergibt fast jedes Jahr ein geringes Über- 
wiegen der Mädchen; die Altersprogression ist in Tabelle XXVIb er- 
sichtlich. Die Wiener Statistik 1895—1904 (Peller) ergibt im 1. Lebens- 
jahre q = 0,95, in der Pubertätszeit 1,26. 


Tabelle XXVIb. (Basel) 























10-45 | 15—30 











0—1 | 1—2 | 2—5 | 5—10 über 30 | > 




















231! 54 | 17015 




















g | 963 | 1826 | 6752 | 6733 | 436 

Q 957 | 1752 | 6927 | 6823 | 588 | 321 8l | 17449 

(a) | 099. 0,96 | 102 101 | 1,35; 1,28; Lë 1,08 
td 146 | 185: 101 20 I| — | — | 453 

Q 165 202i 86 22 Il — | — 476 

(q) | 1,113. 1,09 | 0,85 | 1,1 li — -- i 1,05 











LD 14 "DÉI, 11 13; — Lë 


Die Mortalitátswerte ohne Berücksichtigung des Alters schwanken 
meist um 1,0. Die Werte betragen in Preußen (1879) q = 1,00, (1889 
bis 1914) q = 0,91 (dabei in jedem einzelnen Jahre § > 2), auch 1911 
bis 1922 bis zum 3. Lebensjahr (nach Schmidt) mehr d: Lübeck (1908 
bis 1919) q = 1,01 oder 49,7 +- 3,9%, d, Bayern (1871—1875) q = 1,00, 
England q = 0,91 bis 0,92. 

Mit Alterseinteilung ergeben sich die Quotienten der Tabellen VI, VIT, 
XXVII (Mortalität Preußen 1892-1914 einschließlich Róteln), XXVIII 
(Mortalität England 1881—1890 pro 100000 Gestorbene) und XXIX 
(Mortalität England 1861—1870) nach Angaben von Schütz. 


Tabelle XXVII. (Preußen.) 





alter | o— | 1 | 2 | 3-4 | 5-9 ¡10-14 | 15-19 | 20-39 1 40—80 

7, 30,9 11,3 | 4,69 1,29 0,17 | 0,03 | 0,01 | 0,01 

24,4 | 297 | 115 A8 | 14 , 0722 | 0/04 ' 002 | 0,01 
q | 0,89 | 0,91 | 1,01 | 1,02 | 1.09 | 1,29 | 1,30 | 2,0 | 1,0 






















Von Dr, Hans Günther. 449 
Tabelle XXVII (England). 


103 | 26 
103 | 28 





Es ergibt sich aus diesen Tabellen ebenso, wie aus Tabelle VI und VII 
eine ziemlich erhebliche Pubertätssteigerung, die in den folgenden Dekaden 
noch anhält, resp. zunimmt. 

Für die Letalität ergibt sich nach Tabelle IV vor Pubertät g’ = 0,85, 
später 1,37. In Basel ist g’ vor der Pubertät 1,01. Eine Wiener Statistik 
(Rosenfeld) gibt für alle Quotienten keine nachweisliche Geschlechts- 
differenz. | 

ta. Rubeola, Röteln. Die Erkrankung ist meist in der Masernstatistik 
mit enthalten. In Norwegen ist q nach Tabelle IV größer als 1. Peller 
. gibt für das Alter 0—10 Jahre den Wert q = 1,17. Die Leipziger Medi- 
zinische Klinik hat nur 28 3 und 32 2 aufzuweisen. 

8. Searlatina, Scharlach. Bei der Morbidität ergeben sich sichere 
Unterschiede, die schon ältere Kliniker ahnten. Naumann schreibt 
1831: „Kinder vom 1. bis 10. Lebensjahre sind der Krankheit am meisten 
unterworfen; aber bei den meisten erhält sich die Empfänglichkeit fast in 
gleichem Grade bis zum 20. Lebensjahre. Etwa von diesem Zeitpunkt 
an beginnt die Anlage bei Subjekten männlichen Geschlechts abzunehmen, 
ist aber bei weiblichen Individuen, besonders bei Personen von sehr zarter 
Konstitution, noch immer sehr ausgezeichnet.“ Einzelne kleine Epidemien 
lassen natürlich keine Gesetzmäßigkeit erkennen, es können daher in ein- 
zelnen Epidemien g, in anderen $ überwiegen (Thomas 1877). Roger 
behauptet, daß zunächst mehr & (15.—20. Jahr), dann mehr 2 betroffen 
werden. 

Die Erfahrungen der medizinischen Klinik zu Leipzig (1894—1923) 
in Tabelle XXX entsprechen etwa den Verhältnissen in Norwegen (Tabelle 


Tabelle XXX (Leipzig). 
= Morbidität 












Mortalität 
Alter 


A GES 
Letalitát 
y q’ 

















503 | 529 |1, 56 i 50 11,1 | 9,5 | 0,85 
10—19 | 478, 525 | 1,1 3,98 A0 | Lu 
20—29 | 196 : 267 | 1,36 56 122 | 04 
30-39 33 50] 151 5 ) | 015 
40—59 131 10| — 3 0,4 
60— ¡A E ] de 

E [12287 1381 |ı 113 | 95 ı 79 | 7,75 5711073 


- 450 Uber die Bedeutung der Sexualdisposition bei den Infektionskrankheiten. 


IV), wo der Quotient q vor Pubertät 1,15, später 1,14 beträgt. Bei Orts- 
krankenkassen Leipzig ergibt sich ein sehr hoher Quotient 1,60, da die Kin- 
derjahre wegfallen. Die Baseler Statistik 1870—1919 zeigt Tabelle XX Xa. 


2 XXXa. (Basel.) 





In Wien ist nach Rosenfelds Zahlen (q) vor der Pubertät 0,97—1,09, 
in Altersklassen 16—40 Jahre 1,27; nach Peller stieg der Quotient q 
von 0,78—0,84 im ersten Lebensjahre auf mehr als 1 in der Pubertäts- 
zeit und auf 1,87 im Alter. von 26—30 Jahren. Alabrese zählte bei 
einer Scharlachepidemie unter :100 Fällen 64 2. In Helsingfors ergeben 
sich nach den Zahlen Björkstens die in Tabelle XXXI verzeichneten 
Werte. | 

Tabelle XXXI. (Helsingfors.) 


0-4 | 5—9 [10-14 | 15-19 | 20—29 | 30-50 


0,78 | 121 















Die weibliche Prädisposition zur Scharlacherkrankung nimmt also 
nach der nicht immer ausgeprägten Pubertätsprädisposition in späteren 
Lebensjahren beträchtlich zu. 


Der Sexualquotient des Scharlachtodes liegt unter 1, weilin den Jahren 
der größten Häufigkeit der Erkrankung mehr Knaben sterben. Er beträgt 
nach bei Ascher angegebenen Zahlen 1879 in Preußen 0,89, 1871—1875 
in Bayern 0,89, in England 0,92—0,95. Bei O.K.K. Leipzig ist der Quotient 
trotz Ausfalls der Kinderjahre nur 0,95. Der mittlere Quotient beträgt 
im Deutschen Reich 0,97 (Tabelle VI). In dem Zeitraum 1911—-1922 
überwiegen in Preußen in der Summe der einzelnen Jahre meist Y, doch 
in den Jahren 1911, 1917 und 1921 die £ (Schmidt). Wenn man das Alter 
berücksichtigt, so findet man, daß z. B. nach Statistiken Preußen 1877, 
England 1859, Amerika 1910 der Quotient etwa nach dem 10. Lebensjahre 
die Einslinie überschritten hat und in der 3. Dekade hohe Werte (1,39 
bis 1,93) erreicht. 


Die Letalität belastet nach den Erfahrungen der Leipziger Klinik 
nach der Pubertät in auffallendem Maße das männliche Geschlecht (vgl. 
Tabelle XXX). Vor der Pubertät ist g’ auch in Norwegen unter 1 (Tabelle 
IV). Auch nach der Baseler Statistik ist og = 0,73 (vor der Pubertät 0,77, 
nachher 0,53), in Wien nach Rosenfelds Zahlen vor Pubertät 0,96, 
nachher 0,97. 


Von Dr. Hans Günther. 451 


Eine interessante Familienforschung wurde von Meyer-Burkhard 
«(Düsseldorfer Krankenhaus) durchgeführt. Singuläre Scharlachfälle kamen 
in 2059 Familien vor; es erkrankten unter 14 Jahren 655 2: 549 3 = 1,19, 
über 14 Jahren 443 : 414 = 1,07, in Summa 1098 : 963 = 1,14, davon 
starben 55 (= 5,7%) d und 57 (= 5,2%) 9, also (q) = 1,04 und e = 0,91. 
Ferner fanden sich 173 Scharlachfamilien (mit 969 Mitgliedern), in denen 
mehr als 4 Mitglied erkrankte; die Verteilung zeigt Tabelle XXXla. 


Tabelle XXXIa. 


we? fe E 
Alter Quot. 


unter 14 Jahren | 305 | 213 185 192 | 60,5 | 65,5 | 1,08 
über 14 Jahre 170 | 201 11| 39 6,5 | 19,4 | 2,98 
ephritis — — 1 11 8,7 | 4,77 | 0,55 
Gestorben — | — | 7 6 3,6 | 2,6 0,72 





9. Erysipel. Die Prädisposition des weiblichen Geschlechts ist in hohem 
Grade ausgeprägt. Bereits J. P. Frank zählte unter 20 gleichzeitig be- 
hafteten Kranken 16 weibliche, Naumann (1832) glaubt, daß 2 der Rose 
mehr unterworfen seien, v.Strümpell hält das Erysipel für „anscheinend 
bei Frauen etwa häufiger, auch Teissier betont die weibliche Prädisposition 
(besonders zwischen 15 und 30 Jahren). 

Von den einzelnen Morbiditätsstatistiken sind zu nennen O.K.K. 
Leipzig mit q = 2,02, Medizinische Klinik Leipzig (1892—1913) mit 
716 3 und 886 9, also 55, 4 + 1,2% 2 und (q) = 1,24, Münchener Klinik, 
(Frickhinger) mit 188 3 und 512 9, also (q) = 2 73, Wien (Samberger) 
mit 52 Y und 152 2, unter letzteren meist Dienstmádchen, Norwegen 
(Laache) mit 2340 2 und 3733 2, also 61,5 + 0,6% 2 und (q) = 1,6, 
dagegen Hamburg 1889—1908 (nach Lehmann) mit 1310 g und 1030 2, 
also 44 + 1% 2 und (q) = 0,79. 

Diese 2 Prädisposition zeigt sich in allen Lebensaltern. Sie ist nach 
der norwegischen offiziellen Statistik (Tabelle IV) vor (1,23) und nach der 
Pubertät (1,32) vorhanden, zeigt sich in dem sehr kleinen Material Sam- 
bergers, speziell zwischen 21.—95. Lebensjahr (q = 2,0) nach Peller, 
und ım Greisenalter nach Schlesinger (91 3: 133 9). 

Die Mortalität ist vielleicht auch in den Kinderjahren bei g größer 
(vgl. Tabelle VII), später aber bei Männern. Der mittlere Sexualquotient 
beträgt in Deutschland (Tabelle VI) 0,96. 

Auch die Letalität ist auf Grund der Norwegischen Statistik beim 
männlichen Geschlecht besonders nach der Pubertät (e = 0,68) größer. 


10. Sepsis, Pyaemie. Für die häufigeren Erkrankungen der Männer 
macht das „autistische Denken" gern die größere Exposition der Y zu 
Traumen verantwortlich. Aus der Statistik muß natürlich die Puer- 
peralsepsis ausgeschlossen werden. 

Dieses 43 Überwiegen zeigt sich am Material der Leipziger O. K. K. 
(Tabelle V) mit q = 0,45 (nach der Pubertät), und erstreckt sich auf alle 
Lebensalter. Das gleiche ergibt sich aus der norwegischen Statistik (Ta- 
belle IV) mit q = 0,79 vor und q = 0,53 nach der Pubertät. 


152 Über die Bedeutung der Sexualdisposition bei den Infektionskrankheiten. 


Die Mortalitátswerte, welche auch durchschnittlich das & Geschlecht 
mehr belasten, ergeben sich aus der amerikanischen Statistik (,,ohne** 
Puerperalsepsis), die vielleicht doch in der 3. Dekade durch Puerperal- 
sepsis verunreinigt ist; an ihr ist aber der auffällige Parallelismus mit den 
Erysipelwerten (die ersten Lebensjahre mit dem häufigen Nabelerysipel 

ausgenommen) hervorzuheben. 

Die Letalitát ist nach der norwegischen Statistik beim 2 Geschlecht 
nach der Pubertät (1,20) größer. 

Anhangsweise sei bei den septischen Erkrankungen die Endocarditis 
lenta besprochen, welche ja in der Mehrzahl der Fälle (60—809,) durch 
Streptococcus viridans bedingt ist und häufiger das männliche Geschlecht 
heimsueht. Das Material der Leipziger Klinik ließ ich in einer Dissertation 
von H. Bona (1924) verarbeiten. 1903—1923 fanden sich 69 Fälle, die 
größerenteils nach Kriegsbeginn (1921—1922 allein: 22 Fälle) beobachtet 
wurden. Bei der kleinen Zahl ist immerhin auffällig, daß vor dem Kriege 
das Verhältnis 10 3:17 2, nach S EIEBSD BUNG aber 293 : 139 betrug, 
daß also das Überwiegen der g mit (q) = 0,45 sich erst nach 1914 bemerk- 
bar macht. 


11. Polyarthritis rheumatica acuta (ac. Gelenkrheumatismus). Nach 


Jochmann spielt das Geschlecht keine Rolle. Das Material der Leipziger 
Klinik (1900—1923) läßt aber (in Tabelle XXXVI) nach dem 40. Jahre 


Tabelle XXXVL. 


0,92 


0,96 
0,40 
ı 0,56 
0,72 





38787 2646 | 0,92 


ein wesentliches Überwiegen der männlichen Erkrankungen erkennen. 
Temporäre Schwankungen kommen natürlich vor. Rolly bearbeitete 
die Statistik der gleichen Klinik 1900—1909; er fand in dieser Zeit keine 
wesentliche Geschlechtsdifferenz, dabei aber im Jahre 1903 ein auffälliges 
Überwiegen der Frauen (266 d : 121 2); ohne dieses Jahr würde sich für 
die übrigen Jahre ein geringes Plus der g ergeben. Die Statistik der 
Leipziger Ortskrankenkasse (1887—1904) zeigt aber ein Überwiegen der 
Frauen an (q = 1,30); es tritt aber bei der Alterseinteilung auch eine be- 
trächtliche männliche Prädisposition nach dem 35. Jahre auf. 

Bei Rindern erkranken nach Hutyra-Marek „viel seltener Ochsen‘ 
an akutem Gelenkrheumatismus. 

Bei der mit dieser Infektionskrankheit oft in Zusammenhang stehenden 
Chorea erkranken mehr als doppelt so viele Y (q = 2,5). 

12. Typhus. Ältere Angaben sind entsprechend der damaligen Un- 
sicherheit der Diagnose zu bewerten. Nach Klose (1829) erkranken mehr 
Frauen, ebenso in englischen großen Fabrikstádten nach Percival. 


Von Dr, Hans Günther, 153 


. Naumann betont dann, daß bei einzelnen Epidemien mehr d, bei anderen 
mehr o erkrankten. Hildebrand bemerkte schon, daß die Mortalität bel 
Frauen geringer ist. Daß in der Gravität eine geringere Disposition be- 
stehe (Klose), wird von Naumann bestritten; Potain meinte aber auch, 
daß Typhus in der Gravidität leichter verlaufe. Gerhardt (1877) berichtete, 
daß der Typhus nach mehreren Autoren bei Knaben häufiger sei, im Alter 
von 10—15 Jahren aber nach Murchison bei Mädchen. 

In neuerer Zeit wurde der Frage weniger Bedeutung beigemessen. 
Nach v. Strümpell ist ein Einfluß des Geschlechts nicht mit Sicherheit 
festzustellen. Schottmüller stellt die Exposition in den Vordergrund; 
in Hamburg seien mehr & erkrankt, weil die dort zahlreichen Flößer, 
Schiffer und Seeleute an der Elbe der Infektion mehr ausgesetzt seien, 
von den erkrankten Frauen andererseits sei die Mehrzahl im Haushalt 
beschäftigt. Im neuesten französischen Handbuch gibt Widal an, daß 
Typhus bei g 5mal so häufig sei! 

Bezüglich Morbidität sollen zunächst die klinischen Erfahrungen 
berücksichtigt werden. Das Material der Leipziger medizinischen Klinik 
1891—1923 ist in Tabelle XXXII zusammengestellt. 


Tabelle XXXII (Leipzig). 


Morbidität Mortalität 
Alter | 


| Letalitat ` 






0—9 89 
10—19 | 339 | 337 
20—29 | 392 | 604 
30-39 | 177 ' 220 
40—80 | 112 | 16 


E [1107| 1414 , 128 | 1,05 


Das Material der Klinik 1893 bis 1907 wurde von Piorkowsky 
(Dissert.) zusammengestellt und ergab krank 651 2 : 578 3 = 1,13, tot 
129 : 102 = 1,26, q” = 1,12. 

Zum Vergleich seien die Zahlen der Wiener Krankenanstalten 1902 
bis 1911 (nach Peller) angeführt in Tabelle XXXIII; das Material um- 


Tabelle XXXIII. (Wien.) 


6—10 1115 | 16—20 21— 30 31—40 | 41—70, > 





























wa | 0,62) 127 | 1,24 | 1,17 Ä 1,22 | 123 , 1,45 | Lë 
1.0 | (a7) | 1,78 | 0,97 | 092: 145 | 1,26 
1,51 : 0,791 0,75 1,0, 1,03 


faßt 1471 d und 1803 2 Typhuskranke. Die femininen Maxima der (q) 
und (g)-Werte sind hier gegenüber der vorhergehenden Statistik etwas 
verschoben. Sehr ähnlich ist aber der Verlauf der Letalitätswerte (oi, 
nur mit einem noch ausgeprägteren Pubertätsmaximum. Auffälligerweise 
tritt in der Statistik der Leipziger Ortskrankenkasse (Tabelle V) ein Über- 


1) y bedeutet die durchschnittliche Sexualproportion der Leipziger Be- 
völkerung. 


454 Über die Bedeutung der Sexualdisposition bei den Infektionskrankheiten. 


wiegen der weiblichen Morbidität nicht hervor. (Bei einer allerdings sehr 
kleinen Schulepidemie (Peller) waren mehr Mädchen, besonders von 
11—14 Jahren, betroffen (26:11)). Auch in den Tropen erkranken nach 
Castellani mehr Frauen an Typhus und Paratyphus. Die Morbidität 
überwiegt also nach der Pubertät beim weiblichen Geschlecht. 

Die Mortalität betrifft im ganzen etwas mehr Männer. Nach Aschers 
Zahlen ergibt sich für Preußen (1879) q = 0,94, Bayern (1871—1875) 
q = 0,88, England q= 0,97—1,01. Ascher betont, daß nicht „erheblich 
mehr‘ d sterben, wie es Hospitäler angeben, und weist auf die Ähnlichkeit 
des Quotientenverlaufes mit der Tuberkulose hin. Der mittlere Quotient 
beträgt im Deutschen Reich 0,84. Der Altersverlauf der Quotienten ist 
in der deutschen und amerikanischen Statistik (Tabelle VI und VII) sehr 
ähnlich; beide Kurven zeichnen sich durch ein beträchtliches $ Pubertäts- 
maximum und ein ziemlich starkes Überwiegen der 3 nach dem 15. Le- 
bensjahr aus. Besonders deutlich ergibt sich das Pubertätsmaximum 
an der preußischen Statistik von 1877, deren Mortalitäts-Sexualquotienten 
in Tabelle XXXIV verzeichnet sind. | 


Tabelle XXXIV. 


— — ee PP e Genen m 





2 ¡34 5-9 10- |15— 20— 25—|30- 39 40- |50—|60— 10—|80— 


0,84! 0,93| 0,93 | 0,78| 0,73| 0,78! 0,95| 1,0 





1,41 1, 








Temporáre Schwankungen kommen vor. Abel hebt hervor, daß nach 
der deutschen Statistik 1917—1922 mehr Frauen an Typhus gestorben 
sind, vor 1917 dagegen mehr 2: es wird dies als Erfolg der Schutzimpfung 
bei 3 gedeutet. Sehr anschaulich sind Abels Tabellen mit 5jährigen. 
Altersklassen nach einzelnen Jahren; während 1908—1914 im Alter von 
5—15 Jahren meist mehr 9. und nach dem 15. Jahre stets mehr 2 starben, 
überwiegen 1915—1922 auch nach der Pubertät fast stets die Frauen. 
Die Jahresdurchschnitte auf 10% Lebende berechnet betrugen 1905—1914 
in Preußen 0,657 & und 0,486 9 (q = 0,74), 1917—4922 aber 0,72 8 
und 0,85 2 (q = 1,19). 

Eine französische Statistik Juli 1919 bis Februar 1924 (Courtois- 
Suffit) ergibt unter 328 Fällen 224 2 (q = 2,15); auch hier wird die Nicht- 
impfung der Frauen zur Erklärung herangezogen. 

Nebenbei sei erwähnt, daß nach Torellis Versuchen kastrierte Hunde 
bei der Typhusinfektion früher sterben sollen, als die Kontrollen. 

Die Letalität zeigt nach den klinischen Erfahrungen (Tabelle XXXII 
und XXXIII) bei allerdings hohem mittleren Fehler ein starkes 2 Puber- 
un Murchison hob schon 1884 hervor. daß ım Alter von 
eimal so viel g sterben. Die norwegische Statistik zeigt 
nur ein Überwiegen der & an (0,84—0,87). Nach Rosenfelds Wiener 
Statistik ergibt sich ql = 0,90. Die so verhängnisvollen Darmperforationen 
sollen nach v. Strümpell bei & häufiger vorkommen. 

Allbekannt ist die Tatsache, daß bei Typhus die weiblichen Dauer- 
ausscheider wesentlich überwiegen. Die Ursache ist unbekannt. Es 
wird der durch Schnüren erschwerte Gallenabfluß, die wagrechte Stellung 





Von Dr. Hans Günther. 155 


.der Gallenblase (Loeb), häufigere Anwesenheit von Gallensteinen zur 
Erklärung angeführt. Die weiblichen Dauerträger sind, wie sich aus 
Tabelle XXXV (teils nach Weichardt) ergibt, etwa dreimal so häufig 
als die 3. Kinder bis zum 14. Lebensjahre sind nach Gaehtgens viel 
seltener Dauerausscheider. Bei Paratyphus finden sich widersprechende 
Angaben bezüglich des Geschlechtsverhältnisses der Bazillenträger (Loele). 


Tabelle XXXV. 












Mayer ... 


Forster. . . 4,9 
Klinger. . 4,8 
Fornet... 2,5 


Prigge Em 


ER) 






13. Parotitis epidemica. Mumps. Die háufige Komplikation mit 
Orchitis weist schon auf einen Zusammenhang mit den Sexualdrüsen 
hin. Es wurde daher die Frage einer Sexualdisposition oft diskutiert. 
Nach Naumann (1834) erkranken Frauen seltener und dann meist in 
jüngeren Jahren, Hamerley zählte (1822) 79 3 und 1 $. Ältere Autoren 
erwähnen aber schon Epidemien mit Überwiegen der Mädchen. 

Nach v. Strümpell hat das männliche Geschlecht entschieden eine 
größere Disposition, Teissier meint, daß die Krankheit bei Y häufiger 
sei und schwerer verlaufe, Feer erwähnt in seinem Lehrbuch nichts 
darüber. Nach Barnewitz besteht keine gesetzmäßige Prädisposition. 

Neuerdings versucht man wieder die Exposition in den Vordergrund 
zu schieben. Die Literaturbearbeitung hat natürlich immer das Bezugs- 
material:zu berücksichtigen (Kasernenepidemien usw. sind auszuschalten). 
Schottmüller erklärt die Annahme einer besonderen Disposition der 
Knaben überhaupt als unbegründet; es sei die erhöhte Exposition maß- 
gebend, da es mehr Sammelplätze für männliche Personen gebe. Auch 
Citron negiert eine Sexualdisposition; er sah bei einer Epidemie in einem 
Mädchenwaisenhaus prozentual ebensoviel 9 erkranken, als sonst Knaben 
erkranken. 

Bei einer norwegischen Epidemie (1900) fand Arnesen unter Kindern 
ein Verhältnis 159 g : 114 9, unter Erwachsenen aber 34 8:47 9. Damit 
würde die Statistik der O. K. K. Leipzig übereinstimmen, welche ein 
deutliches Überwiegen der 2 nach der Pubertät anzeigt (q = 1,50). 
Schottmüller sah bei einer Hamburger Epidemie mehr 2 erkranken. 
Bei einer Epidemie in einer Taubstummenanstalt (Joseph 1864) erkrankten 
18 d und 16 9. 

l Nach der norwegischen offiziellen Statistik überwiegt das männliche 
Geschlecht, besonders nach der Pubertät (0,36). In Wien ist nach Rosen- 
f elds Angaben vor der Pubertät q 0,66—0,85, später 0,89—0,84, in Summa 
2045 2: 2471 2 = 0,83. Nach Statistik der preußischen Krankenhäuser 
1909—1914 ergibt sich (q) = 0,65 = 702 2:1073 g. 


456 Über die Bedeutung der Sexualdisposition bei den. Infektionskrankheiten. 


14. Meningitis cerebrospinalis epidemica (Genickstarre). Nach 
v. Strümpell läßt sich ein durchgreifender Unterschied des Geschlechtes 
nicht feststellen. Emminghaus (1877) meint, daß bei Kindern keine 
Sexualdifferenz bestehe. Nach Westenhöfer seien Individuen mit lym- 
phatischer Konstitution prädisponiert. Die Bedeutung der Exposition 
wurde mancherseits gewürdigt. Jehle stellte die Hypothese der Kohlen- 
grubeninfektion auf (zit. Jochmann). Auch Bazillentráger haben eine 
expositionelle Bedeutung, welche zu 2—20% in der Bevölkerung vorkom- 
men sollen (Flack, Glover, cit. Neufeld). Eine Feststellung der Sexual- 
proportion der Bazillenträger wäre daher erwünscht. 

Zur Feststellung der Morbiditätsverhältnisse sind die statistischen 
Unterlagen noch gering. An der Leipziger Medizinischen Klinik wurden 
1889—1923 beobachtet 103 Z und 41 2, also 71,5 + 38 % d oder 
(q) = 0,40. Eine Epidemie in Texas (1912) ergriff nach Mac Nalty 
1598 & und 977 $. Der Umfang der norwegischen Statistik (Tabelle IV) 
ist ebenfalls gering (620); der Quotient beträgt vor der Pubertät 0,82, 
nachher 0,52. Eine Prädisposition des & Geschlechts scheint aber gesichert. 

Die Mortalität belastet wohl auch mehr das g Geschlecht. Im Deut- 
schen Reich war 1912 und 1913 das Geschlechtsverhältnis der an epi- 
demischer Genickstarre Gestorbenen 240 & und 181 2, (g) = 0,75. 
Die Kurve der amerikanischen Statistik (Tabelle VII) zeigt sehr starke 
stationäre Schwankungen wohl wegen zu geringen Umfanges. 

Der Letalitätsquotient beträgt nach der norwegischen Statistik vor 
der Pubertät 1,26, nachher 0,87. 

15. Poliomyelitis anterior acuta („Kinderlähmung“). Morbiditäts- 
statistiken ergaben ein Überwiegen der männlichen Patienten. „Es muß 
in der männlichen Konstitution an sich eine gewisse Prädisposition für die 
Krankheit liegen“ (Wernstedt). Nach Wickmans Zusammenstellung 
überwiegen in 11 von 13 kleinen bis größeren Epidemien die Männer, die 
Summe dieser Epidemien ergibt 1624 d und 1210 9, also (q) = 0,74. 
Leegaard zählt unter 3290 Fällen 55,4 — 0,8% 3, (q) = 0,80. . Eine Ep:- ` 
demie 1908 in Wien und Niederösterreich ergriff nach Zeppert 130 & 
und 97 9 Kinder, 1916 erkrankten von New Yorker Kindern 56% d 
(Mac Nalty), Caverly zählte 57—60% d. In England und Wales be- 
trug 1918 die Morbidität nach Mac Nalty 118 und 110 $: Nach einer 
italienischen Statistik (Simonini) erkrankten auch mehr Knaben. Aus 
Kansas wird eine kleine Epidemie 93 3:53 9 berichtet (Direley). Nach der 
offiziellen norwegischen Statistik ist vor der Pubertät q = 0,87, nachher 0,65. 

Die Letalitát hat nach Tabelle IV etwa den Quotienten 0,8. Nach 
Rühräh-Maver verläuft die Krankheit bei Knaben schwerer und mit 
höherer Letalität. 

16. Variola, Pocken. Vorláufig zeigen sich noch keine sicheren 
Gesetzmäßigkeiten. Bei einer Schweizer Epidemie (1921—1923) ergibt 
sich ohne Beachtung der normalen Altersverteilung die nach Stirners 
Zahlen erfolgte Berechnung der Tabelle XXXVII. Es ergibt sich also für 
die Gesamıtmorbidität keine deutliche Sexualdisposition, dagegen ım 2. 
und 3. Dezennium, der Zeit der häufigsten Geburten, ein Überwiegen der 
EEN Mairinger nimmi eme erhöhte Disposition schwangerer Frauen 


Von Dr. Hans Günther. 157- 


Tabelle XXXVII. 





an, da er allein unter 88 9 Patienten 10% gravide fand. Dieser Schluß 
ist aber nicht richtig, da jederzeit nach meinen Berechnungen etwa 16%, 
aller im gebärfähigen Alter befindlichen Frauen gravid sind. Schutzimpfung 
oder Nichtschutzimpfung hatte bei der Schweizer Epidemie auf die Ge- 
schlechtsverteilung keinen wesentlichen Einfluß, nur war bei den Ge- 
impften die Frequenz für beide Geschlechter nach höheren Altersklassen 
zu verschoben. Nach Teissier befällt die Variola im Alter von 15—20 
Jahren (bei vakzinierten Individuen) häufiger das männliche Geschlecht, 
-dann läßt diese Prädisposition angeblich unter dem Einfluß der zweiten 
Vakzination beim Militär nach, so daß im Alter von 40 Jahren die Fre- 
quenz bei beiden Geschlechtern die gleiche sei. 

- Für die Mortalität ergeben sich (nach Aschers Zahlen) für Preußen 
(1871) der Quotient 0,97, Bayern (1871—75) q = 0,87, England q = 0,81 
bis 0,78. Unter Berücksichtigung der Altersverteilung ergibt sich aus einer 
englischen Statistik (Tabelle XXXVIII) nach dem 20. Jahr ein dauerndes 


Tabelle XXXVIII. 



















—4 | 5—9 |10-14| 15— , 20— 
0,98 | 0,93 1,0 | 0,88 | 0,52 ` 0,51 





0,51 | 0,47 | 0,52 | 0,39 


Überwiegen der 3. Die amerikanische Statistik (Tabelle VII) zeigt ein 
sehr unregelmäßiges Schwanken. Der Letalitätsquotient würde in Wien 
(1885—1899) nach Rosenfelds Zahlen 0,97 betragen (bei 5550 Fällen, 
(q) = 0,99 und (q) = 0,96). 

17. Varicellae, Spitzpocken. Die spárlichen Morbiditátsstatistiken 
lassen kein sicheres Ergebnis zu. An der Leipziger Klinik fand sich das 
Verhältnis 141 3 : 117 2, also 54,6 + 3,1% d oder (q) = 0,83 + 0,1. 
Die Altersverteilung zeigt Tabelle XXXIX. Die norwegische Statistik 
(Tabelle IV) ergibt vor der Pubertät q = 1,09, nachher 0,72. In Wien 
beträgt 1896—1899 nach Rosenfelds Angaben (q) = 0,98, es bewegt sich 


Tabelle XXXIX. 



















6—10 [1144] 15 — 
4 | 2 10 | 15 | 141 
91 18 5 3 |117 

(q) | 0,97 | 0,82 0,5 | 0,2 | 0,83 
Archiv für Hygiene. Bd. 96. 12 





458 Über die Bedeutung der Sexualdisposition bei den Infektionskrankheiten. 


in einzelnen Altersklassen von 0,98—0,90. Von Säuglingen Berliner Heim- 
stätten erkrankten nach Bosse 18 Y und 19 9. 

Nach Pellers Zahlen ergibt sich vor der Pubertät 0,95, speziell im 
Alter von 6—15 Jahren 1,02. Also recht weitgehende Differenzen. 

Der Herpeszoster sei hier wegen seiner neuerdings genannten Be- 
ziehungen zu den Varizellen erwähnt. Naumann behauptete, daß er 
ähnlich wie das Erysipel am häufigsten bei 2? vorkomme, vorzugsweise 
zwischen 25. und 50. Jahre. In der Leipziger medizin. Klinik wurden 
aber 1889—1913 behandelt im Alter von 0—25 Jahren 15 3, 7 2, bis 
50 Jahre 6 8,5 9, bis 80 Jahre 7 3, 5 2, also (q) = 17:28 = 0,6. Auch 
die Statistik der Leipziger O. K. K. ergibt weit mehr d (Tabelle XL). 


Tabelle XL. 
























0,33. 
1,21 


0,25 
0,57 


0,17 | 0,08 


0,02 
0,51 | 0,68 


0,16 


0,25 
1,8 


0,16 
0,59 








18. Dysenterie (Bazillen-Ruhr). Über Sexualdisposition nichts be- 
kannt. (Die Quotienten der Tabelle VII zeigen ein sehr unregelmäßiges 
Schwanken. Nach der Wiener Statistik Rosenfelds mit auffällig kleinen 
Zahlen und sehr hoher Letalitát würden (q) = 0,68, (q) = 0,59 und g’ 
= 0,87 sein). .Amoebiasis betraf nach Garin-Lépine 191 & und 17 2. 

19. Cholera. Deutliche Sexualdifferenzen sind wohl nicht vorhanden. 
Gavarret hat bereits 1844 anläßlich einer Pariser Mortalitätsstatistik 
(21616 Z und 22033 2 auf je 10° Lebende) die Möglichkeit des Nach- 
weises einer Geschlechtsdifferenz zurückgewiesen, da die möglichen Schwan- 
kungen größer seien. (Es ergibt sich q = 1,02.) Bei der Petersburger Epi- 
demie 1909 ist nach den Zahlen von Tschistowitsch (q) = 0,58 + 0,01, 
der Letalitátsquotient q" = 1,06. Nach Eichhorst ist die Letalitát der 
Männer größer. In Italien ergab sich 1865 nach Aschers Zahlen q = 0,98 
bis 0,90 in den einzelnen Altersklassen. (Nach Pellers Angaben sollen 
die Quotienten bis zum 20. Jahr einen ähnlichen Verlauf wie beim Schar- 
lach haben). Bazillenträger wurden schon von Koch nachgewiesen, deren 
Sexualquotient noch festzustellen ist. 

20. Febris miliaris (Schweißfriesel). Nach Jochmann scheint das 
weibliche Geschlecht besonders disponiert zu sein; nach Teissier sollen 
Frauen zweimal so häufig betroffen werden als 3. Bei einer Krainer 
Epidemie (1873) erkrankten 174 g und 495 e ((q) = 2,8); die Mortalität 
betrifft in einzelnen Epidemien teils mehr d oder 9 (Immermann). 

21. Febris melitensis (Maltafieber). Nach Teissier besteht kein 
Geschlechtsunterschied. 

22. Aktinomykosis der Mundhóhle betrifft nach Kaufmann ófters 
Männer. Das Myzetoma (Madurafuß), eine der Aktionsmykose ähnliche 
Erkrankung kommt nach Carter (10 3: 1 2) und Plehn weit häufiger 
bei 4, vorwiegend bei Landarbeitern vor; Exposition zu Traumen spielt 
wohl eine Rolle. 


Von Dr. Hans Günther. 459 


23. Anthrax (Milzbrand). Im Deutschen Reich kamen 1921—22 vor 
178 d und 20 2 Fälle. Die Differenz ist auf Unterschiede der Exposition 
zurückzuführen. 

24. Lepra. Der Übertragungsmodus ist noch unbekannt. Bazillen- 
träger sollen vorkommen. Nach Neißer erkranken in allen Ländern und 
an allen Formen der Lepra mehr Männer. In Neusüdwales soll nach 
Westergaard das Verhältnis 7,4 3:2,5 9 Leprösen bestehen. In Schweden 
fanden sich 1923 nach Reenstierna nur 14 d und 23 9. 

25. Venerische Infektionen. Während die übrigen Infektionskrank- 
heiten bei beiden Geschlechtern in ähnlicher Weise sich manifestieren, 
und daher die Wahrscheinlichkeit der richtigen Diagnose durch den Sexual- 
dualismus so gut wie gar nicht beeinflußt wird, liegen die Verhältnisse 
bei den venerischen Infektionen ganz anders. Hier bedingt der Sexual- 
dimorphismus bezüglich der primären Affektion eine solche Verschiedenheit 
des Krankheitsbildes, daß die Schwierigkeit der Diagnosestellung bei beiden 
Geschlechtern weitgehende Differenzen bietet. Nach der allgemeinen 
Ansicht und landläufigen Statistik erkranken Männer viel häufiger an 
Luesund Gonorrhoeals Frauen. Die deutsche Statistik über die in der 
Zeit vom 15. XI. bis 14. XII. 1919 gemeldeten Fälle läßt keineswegs einen 
Schluß auf die Häufigkeit der Geschlechtskrankheiten zu, gibt aber ver- 
mutlich ein richtiges Bild von der Geschlechtsverteilung der statistisch 
erfaßbaren Fälle, welche in Tabelle XLa verzeichnet sind. 


Tabelle XLa. 











Geschlechtskrankheiten . 
sonorrhoe, acut Bee 
e chron.. . . . 
3 acut u. chron. 












Ulcus molle ...... 670 |0,12 
Lues I ........ 10 652 | 0,69 
Tabes ... gr e a. 731 1035 
Paralyse ........ 565 ¡0,35 
Aortenaneurysma . 139 | 0,30 
Lues congenita. - . . . 1124 |1,03 + 0,05 





Aus diesen Zahlen kann man wohl nicht schließen, daß Gonorrhoe 
bei Frauen relativ häufiger chronisch verläuft, sondern eher annehmen, 
daß akute Gonorrhoe bei 2 relativ seltener erkannt wird. Wenn man 
das Alter berücksichtigt, so ergibt die deutsche Statistik unter Beziehung 
auf den Bevölkerungsstand gleichen Alters, daß Tripper im Alter von 
15—19 Jahren in München, Frankfurt a. M., den ländlichen Regierungs- 
bezirken Niederbayern und Köslin häufiger das weibliche Geschlecht be- 
trifft. Das gleiche ergibt sich für Lues in Berlin, Hamburg, Dresden, 
Breslau, Stuttgart, nicht in ländlichen Bezirken. In Großstädten erkrankten 
1919—1921 nach Statistik der städtischen Beratungs- und Fürsorgestellen 
der Hansestádte (Sieveking) an Lues 10623 9 :14417 3 = 0,74, Gonor- 
rhoe 3442 2:9359 3 = 0,37, Lues + Gonorrhoe 202 9:109 4 = 1,85. Es sei 
ferner eine Statistik der letzten Jahre aus Nürnberg (Voigt) erwähnt, nach 

12* 


-460 Uber die Bedeutung der Sexualdisposition bei den Infektionskrankheiten. 


welcher der Morbiditätsquotient (q) bei Lues etwa 0,35, bei Gonorrhoe 0,54 
beträgt. Es ist aber zu beachten, daß primäre Affektionen bei Frauen viel 
schwerer und daher seltener erkannt werden. Wenn ich meine internistischen 
Erfahrungen bei Männern und Frauen vergleiche und dabei die so zahlreichen 
Befunde genitaler Erkrankungen bei Frauen in Erwägung ziehe, die eine 
venerische Infektion (Go.) vermuten, aber bakteriologisch nicht sicher nach- 
weisen lassen, so glaube ich, daß das weibliche Geschlecht in einem weit 
höheren Prozentsatz beteiligt ist, als der hier z. B. genannte Quotient an- 
nehmen läßt. — Besondere Verhältnisse, nämlich ein beträchtliches Über- 
wiegen der syphiliskranken Frauen weist die Statistik der Leipziger Orts- 
krankenkasse (Tab. V) auf, wobei die Prostituierten ausgeschlossen sind. 

Zur Feststellung des Morbiditäts-Sexualquotienten bei Lues können 
auch die Ergebnisse der Wassermannschen Reaktion mit herangezogen 
werden, soweit sie wahllos eine große Population umfassen, da ja die Mög- 
lichkeit, daß die Untersuchung gerade in die negative Phase eines luetisch 
Affizierten fällt, bezüglich des Geschlechts keine Differenzen erwarten läßt. 
Ich habe mangels geeigneteren Materials die Ergebnisse der Wasser- 
mannreaktion an der Leipziger Medizinischen Klinik in den Jahren 1922 
bis 1924 auszählen lassen. (Die Zählung wurde von Herrn cand. med. 
Schmidt vorgenommen; die mehrmalige Ausführung der Probe bei der- 
selben Person konnte bei der Zählung nicht ausgeschaltet werden, der da- 
durch entstandene Fehler dürfte aber für die Berechnung der Quotienten 
keine wesentliche Bedeutung haben.) 


Tabelle XLI. 








mittlere 
Febler + 







Gesamt-Zugänge - .......... 











Blutuntersuchung nach Wassermann bei | 4921 4128 | 0,05 
°% aller Zugänge . ......... +. 67,3 | 564 . 0,84 
Wassermann positiv . . . . .. . +... 851 : 868 : 1,02 0,02 
Din der Untersuchten positiv. . . . . . 17,3 | 21 Lä 0,1 
Liquoruntersuchung nach Wassermann. 744 | 429 0,58 0,03 
Hi, aller Zugänge . . ......... 10,2 5,9 0,58 
Wassermann posiliv. . . 2 2 20.20... 112 75 | 0,67 : 0,11 
°/, der Untersuchten positiv. . . . . . 15,1 ; .175 | 116 ` 0,26 


Wie aus Tabelle XLI ersichtlich ist, überwiegen auch unter Berücksich- 
tigung des mittleren Fehlers die weiblichen Träger einer positiven Wasser- 
mannreaktion in der Leipziger Bevölkerung, indem der Wert für q 
über 1,1 beträgt. Das Resultat der Liquoruntersuchungen kann in demsel- 
ben Sinne gedeutet werden, wenn auch das Material für sich allein wegen 
zu geringen Umfanges keine Entscheidung zuläßt, da q = 1,16 + 0,26. 
(Die Prozentzahlen der Positiven sind sicher zu hoch, doch wird der Ver- 
hältniswert dadurch nicht beeinträchtigt). 

Bei dem dermatologischen Material von Bruhns, welches Patienten mit 
negativer Lues-anamnese unter Ausschaltung der Prostituierten (1234 g und 
540 Q mit Hautleiden oder Gonorrhoe) enthält, dürfte aber eine Auslese zur 
Geltung kommen; hier ist WR. bei 1,5 t 0,3% g und 7,2 + 1,1% GO positiv, 
q also 4,8 + 2,2! 


Von Dr. Hans Günther. 161 


Am hygienischen Institut Gießen fand sich nach Engelhardt fol- 
gende Verteilung (Tabelle XLla), welche wegen des geringen Umfanges 
für eine Sexualdifferenz nicht beweisend ist. 


Tabelle XLla. 












Untersucht WR + 








"ie 


24,6 
486 | 110 22,6 


0,77 + 0,05 | 0,71 + 0,09 | 0,92 + 0,2 














Kongenitale Lues zeigt kaum Geschlechtsdifferenz der Morbidität. 
In Graz stellt Bartusch-Marrain 1914—-1924 in den einzelnen Jahren 
meist ein Überwiegen der / Fälle fest; es ergaben das Material der Kinder- 
klinik 76 9 : 118 g = 0,64, die amtlich gemeldeten Fälle 97 9 : 144 q = 
0,67 + 0,1. Bei dem geringen Umfang des Materials läßt sich ein sicherer 
Schluß nicht ziehen. Bucura zählte 120 3 und 12692, Kirsch 48 3 und 
772. Die deutsche Reichsstatistik (Tabelle XLa) läßt jedenfalls keine 
sichere Differenz erkennen. 

Die Mortalität an gonorrhoischer Sepsis ist selten und daher die Be- 
stimmung des Sexualquotienten zu unsicher. Bei der Syphilis ist der 
letale Ausgang je nach der Art der Organschädigung sehr verschieden. Bei 
summarischer Betrachtung ergibt sich aber nach der amerikanischen 
Statistik (Tabelle VII) in den ersten Lebensjahren (Lues congenita) keine 
deutliche Abweichung von den s&llgemeinen Mortalitätsverhältnissen, 
dagegen im späteren Alter sicher eine höhere Zahl der männlichen Lues- 
todesfälle, als der allgemeinen Mortalität entspricht. 

Ob bei gleicher Exposition, d.h. bei der Kohabitation mit einem In- 
fektionsträger das eine Geschlecht eine größere Disposition besitzt, ist 
nicht bekannt. Besonderer Erwähnung bedürfen aber die durch zufällige 
Übertragung zustande kommenden, aber relativ häufigen gonorrhoischen 
Infektionen kleiner Kinder, und zwar fast ausschließlich kleiner¿Mádchen. 
Dieser eklatante Unterschied ist wohl auf den Sexualdimorphismus der 
einer asexuellen Übertragung ausgesetzten Organe zurückzuführen. 
(Übrigens kommt nach Sachs beim weiblichen Geschlecht auch häufig 
eine durch blaurote Verfärbung und Verhärtung der Urethralmündung 
charakterisierte Pseudodiphtherie vor.) 


MI. Traumatische Infektionskrankheiten. 


Dem Eindringen von lebenden Krankheitserregern durch Verwundun- 
gen sind nach der allgemeinen Annahme Männer mehr ausgesetzt. Um so 
mehr müßte es auffallen, wenn sich für gewisse Krankheitsspezies eine 
weibliche Prädisposition ergibt. Wundscharlach, manche Formen von 
Erysipelund Sepsis sind traumatischer Art. Sie fallen mit in die bereits 
bearbeitete Statistik, welche jedenfalls für Scharlach und Erysipel keine 
höhere Morbidität des männlichen Geschlechtes anzeigt. Vielleicht ist 
ihr Anteil zu gering, um einen entscheidenden Ausschlag zu geben. Die 
Frage bedarf einer besonderen Bearbeitung. Aktinomykose (mehr g) 


162 Über die Bedeutung der Sexualdisposition bei den Infektionskrankheiten. 


soll auch mitunter auf dem Wege des Traumas (Getreidegrannen usw.) 
in den menschlichen Körper gelangen, und das ähnliche, bereits erwähnte 
Myzetoma soll vorwiegend bei Landarbeitern vorkommen. 

Tetanus (Starrkrampf) mag zuweilen „idiopathisch“ vorkommen, 
meist handelt es sich aber um Tetanus traumaticus. Eine Häufung 
des Leidens tritt im Kriege auf. Sonst sind die Morbiditätsstatistiken 
gewöhnlich zu klein, als daß bindende Schlüsse gezogen werden könnten. 
Immerhin seien einige Zahlen genannt. Curling 112 3:16 2 (0,14), 
Poland 227 3:479 9 (0,21), Leipziger Klinik 46 8g: 24 2 (0,52). ,,Idio- 
pathischer‘‘ Tetanus nach Gowers 37 Z und 9 2. 

Mit Beriicksichtigung des Alters geben sich nach einer alten kleinen 
Statistik Polands und nach Zahlen von Gowers (traumat. + idiopath. 
Tetanus) die Werte der Tabelle XLII. 


Tabelle XLII. 








Die Konstitutionsforschung interessiert besonders der Tetanus 
neonatorum und Tetanus der Kinder, bei welchen der exogene Einfluß 
der geschlechtsverschiedenen Lebensweise noch nicht zur Geltung kommt. 
Das Material ist auch hier sehr gering. Nach einigen kleinen von Solt- 
mann zitierten Statistiken ergibt sich zusammengefaßt 96 Z: 74 2, also 
(q) = 0,77. Nach der amerikanischen Mortalitätsstatistik ist gegenüber 
den wesentlich niedrigeren Werten des späteren Alters im 1. Lebensjahre 
q = 0,80; dieser Wert entspricht aber dem der allgemeinen Mortalität 
(vgl. Tabelle VII). 


Zusammenfassung. Das Tatsachenmaterial unter Abschnitt I 
und III läßt vorläufig keine weiteren Schlüsse zu, dagegen verdient die 
Gruppe II eine zusammenfassende Betrachtung. Hier ist der Umfang 
des mir zugänglichen Materiales zwar wesentlich größer, doch möge er 
bald von berufener, besonders hygienischer Seite eine Erweiterung erfahren. 
Trotz der Mängel der Statistik und mancher Widersprüche ergeben sich 
immerhin einwandfreie Gesetzmäßigkeiten, die durch bestimmte Werte der 
Sexualquotienten charakterisiert werden. Wenn auch diese Werte keine 
absolute Genauigkeit haben und sogar beträchtliche temporäre Schwan- 
kungen zeigen können, sobald besondere Störungen in einer Population 
(soziale Verschiebung, Krieg, Ernährungskrisen) eintreten, so pendeln 
sie doch unter ‚normalen‘ Verhältnissen um gewisse Lagen, deren Fest- 
stellung unter Berücksichtigung verschiedenartiger statistischer Quellen 
Zweck vorliegender Arbeit ist. Durch Vergleich der so gewonnenen Werte 
wurden durch Kalkül Richtwerte bestimmt, welche nach den bisherigen 
Erfahrungen als vorläufig brauchbares Maß dienen können. Diese Werte 
für die Sexualquotienten q (der Morbiditát), q (der Mortalität) und d 
(der Letalität) ohne Berücksichtigung des Alters sind in Tabelle XLIII 
verzeichnet. Es besteht zwischen diesen Werten die Relation o = q:0. 


Von Dr. Hans Günther. 163 


Tabelle XLIII. 

















Diagnose 


Keuchhusten , , : 
Influenza. .... | 1 | 2 1,2 


Meningitis tuberc. . 
Miliartuberculose . 








II 





0,4 







Sepsis . 2»... . 
Meningit. epidem. . ` 0,6 
Pneumonie . . . .| 0,5 


III 








IV Scharlach Ea 
j Diphtherie . . . . 
Erysipel . ... . 


In Klasse I dieser Tabelle finden sich nur geringe gesetzmäßige Unter- 
schiede. In der folgenden Klasse tritt die & Prädisposition äußerst stark 
hervor, die eingeklammerten Letalitätswerte unterscheiden sich von den 
übrigen dadurch, daß ihr Wert durch die im praktischen Sinne absolute 
Letalität des Leidens bedingt ist, daher gleich 1 sein muß; wenn eine we- 
sentliche Zahl von Fällen zur Heilung käme, würden sich vermutlich auch 
Geschlechtsdifferenzen der Letalität ergeben. In die gleiche Klasse können 
wir auch die Endocarditis lenta ordnen, deren statistische Unterlagen 
aber noch sehr gering sind. Klasse III ist der vorhergehenden verwandt, 
nur ergeben sich hier Letalitätsquotienten, welche das weibliche Geschlecht 
stärker belasten. Der scharfe Gegensatz der Werte für Morbidität und 
Letalität findet sich auch in Klasse IV, aber in umgekehrtem Sinne. 


Bei Berücksichtigung der Altersklassen treten die Verschiedenheiten 
der Sexualquotienten noch viel schärfer hervor. Bei einer groben Alters- 
einteilung in die Pubertätszeit, die vor und nach dieser liegende Lebenszeit 
ergeben sich Besonderheiten, welche in der obigen Tabelle nicht zum Aus- 
druck kommen. In Tabelle XLIV soll nach diesem Prinzip nur die Fest- 
stellung stärkerer Abweichungen von der Gleichheit eingeordnet werden, 
sofern die Werte der Sexualquotienten über 1,25 und unter 0,80 liegen. 
Es ergibt sich aus dieser Zusammenstellung, daß die Wertebeziehungen 
der Klasse III und IV der Tabelle XLIII im wesentlichen durch die Ge- 
schlechtsunterschiede nach der Pubertät bedingt sind, also wohl mit der 
Funktion der Sexualdrüsen ın irgendeinem Zusammenhang stehen. Wäh- 
rend der Pubertät zeigt offenbar das weibliche Geschlecht bei verschie- 
denen Krankheiten eine höhere Letalität. Vor der Pubertät ist nur das 
kontráre: Verhalten von Keuchhusten und Diphtherie hervorzuheben. 


Welche Folgerungen ergeben sich hieraus für die Konstitutions- 
forschung ? Soweit können wir in das Dunkel der Konstitution auf diesem 
Wege eindringen, daß wir das Walten von irgendwelchen mit dem Ge- 
schlechte zusammenhängenden Gesetzmäßigkeiten in diesem hochkompli- 
zierten „biologischen Ordnungskomplexe‘ (6) ahnen können. Der Versuch 
einer Deutung der hier gegebenen Tatsachen ist aber gefährlich, da er leicht 


464 Über die Bedeutung der Sexualdisposition bei den Infektio nskrankheiten. 


Tabelle LXIV. 


Maximale 
Prädisposition Lebensalter Morbidität | Mortalität Letalität 
vor Pubertät | Keuchhusten 





Pneumonie Pneumonie 
2 Tuberkulose 
weibliche Pubertat Miliartuberc. 
(Quotienten Typhus Typhus 
über 1,25) asern ( y asern Sepsis 
Da 


nach Pubertät Scharlach Scharlach 
| Typhus _ 
| Er sipa 






Pneumonie 

























, Pneumonie Scharlach 
, nach Pubertät Sepsis Typhus Erysipel 
männliche Endocardit.ienta | Erysipel (Diphtherie ?) 
(Quotienten (Polyarth.rheum.) 
Pubertät 





| Diphtherie | 
auf Irrwege führen kann. Die Tatsache, daß auf die größere Erkrankungs- 
ziffer männlicher Säuglinge für Masern, Scharlach und Diphtherie eine 
kleinere Knabenziffer der älteren Kinder (6—10 Jahre) folgt, suchte 
schon Rosenfeld in dem Sinne zu deuten, daß bei einer stärkeren Durch- 
seuchung einer Altersklasse des einen Geschlechts in den folgenden Jahren 
der relative Anteil des anderen Geschlechts bezüglich der Möglichkeit 
der gleichen Erkrankung dadurch eine Zunahme erfahren muß, wenn auch 
der Wortlaut nicht eindeutig ist. („Wo im allgemeinen die parasitäre 
Widerstandskraft beider Geschlechter gleich anzunehmen ist, werden wir 
auch nach einer stärkeren Erkrankung des einen Geschlechts im Säug- 
lingsalter eine stärkere Immunisierung desselben Geschlechtes in den späte- 
ren Kinderjahren als Antwort auf die frühzeitigere Durchseuchung vor- 
finden müssen‘). 

Bereits 1888 erwähnt Henniker den Altersumschwung des Morta- 
litátsquotienten bei verschiedenen Infektionskrankheiten (z. B. Masern, 
Diphtherie, Typhus, Blattern, Diarrhoe), indem in der ersten Kindheit 
mehr Knaben und später mehr Mädchen sterben. ‚These first years 
of life over; the two sexes for the rest of early childhood stand more on 
an equality; and more of the weakly males having already succumbed, 
there may perhaps now be even some slight inferiority on the side 
of the girls.“ 

Seitdem wir die Bedeutung der konstitutionellen Disposition zu 
Infektionskrankheiten kennen, ist es klar, daß auf eine stärkere Morbidität 
des einen Geschlechtes in einem bestimmten Lebensalter (besonders durch 


vor Pubertät | 


Von Dr. Hans Günther. 165 


den letalen Ausfall der am stärksten Disponierten) eine spätere Altersgruppe 
mit relativ geringerem Anteil der Disponierten folgen muß. Und daß 
auch dabei die Immunisierung des Körpers eine bedeutsame Rolle spielt, 
kann man daraus ersehen, daß bei den von Rosenfeld betrachteten, 
mit Immunisierungsvorgängen verbundenen ,,Kinderkrankheiten“ das 
genannte Phänomen der Altersverschiebung des Sexualquotienten deutlich 
hervortritt, während z. B. bei Pneumonie oder Erysipel derartiges nicht 
beobachtet wird. - 

Es ist aber wohl zu beachten, daß die ‚„Morbidität“ in Wirklichkeit 
nur die vom Arzt festgestellten Krankheitsfälle bedeutet, und daß es völlig 
ungewiß ist, wie viele wirklichen Erkrankungen unterhalb der diagnosti- 
schen Erkenntnisschwelle verlaufen und vielleicht bei Vorhandensein 
eines ,nosologischen Sexualdualismus‘ bei einem Geschlechte 
häufiger vorkommen. An Pneumonie z. B. erkranken nach der Statistik 
viel mehr Männer, die Letalität ist aber bei Frauen größer, die Pneumonie 
verläuft also bei Frauen schwerer. Es könnte aber die Umkehrung möglich 
“sein, daß die Pneumonie bei Frauen leichter verläuft, und daß daher ein 
großer Prozentsatz diagnostisch nicht manifest wird, daß also der Morbi- 
ditätsquotient in Wirklichkeit etwa 1 beträgt und der allein sichere Mor- 
talitätsquotient auf eine wesentlich höhere Letalität der Pneumonie beim 
männlichen Geschlecht hinweist. 

Bei Beobachtung der Altersverschiebung der Letalitätsziffer ergibt 
sich ein neuer konstitutioneller Faktor, welcher den genannten Täuschungs- 
möglichkeiten weniger unterworfen ist und daher eine Spur wirklich be- 
stehender konstitutioneller Beziehungen bildet. (Bei logarithmographischer 
Darstellung bedeutet dies, daß zwar die Gesamthöhenlage der Kurve zur 
Einheitslinie ungewiß, ihre Richtung aber ungefähr bekannt ist.) Zum 
Beispiel zeigt Tabelle XXXII aus der Leipziger Klinik ein einwandfreies 
stetiges Ansteigen der Letalitätsziffer (%,) des Typhus, und er wird ja auch 
in Lehrbüchern (v. Strümpell) der leichtere Verlauf des Typhus bei 
Kindern betont. (Die Werte der Letalitätsquotienten haben aber in dieser 
Tabelle wegen des hohen mittleren Fehlers gar keine Bedeutung. — Ein 
etwaiger Immunisierungseinfluß im obigen Sinne macht sich hier nicht 
bemerkbar.) Umgekehrt ist bei Scharlach und Masern die Letalität in 
den ersten Kinderjahren am größten, wie auch aus hier angeführten Ta- 
bellen hervorgeht; man kann daher nach den statistischen Feststellungen 
nicht sagen, daß Masern und Scharlach „bei Erwachsenen relativ schwer“ 
verlaufen. 

Eindeutige Beziehungen der Quotientenwerte zu allgemeinen kon- 
stitutionellen Gesetzmäßigkeiten lassen sich noch nicht geben, auch ver- 
erbungstheoretische Erklärungsversuche!) der Sexualdisposition sind vor- 
läufig noch wertlos. Man kann nur ganz allgemein sagen, daß der konsti- 
tutionelle Sexualdualismus sowohl vor dem Einsetzen, als auch während 
des Bestehens der Sexualdrüsentätigkeit auf die konstitutionelle Dispo- 


4) Schiff meint, daß die Disposition zu Infektionskrankheiten durch be- 
stimmte, für einzelne Krankheiten spezifische, in den x-Chromosomen lokalisierte 
Erbanlagen mit bestimmt werde, so daß bei dominanter Anlage Überwiegen der 
Q, bei rezessiver der d resultiere. 


466 Uber die Bedeutung der Sexualdisposition bei den Infektionskrankheiten. 


sition zu bestimmten Krankheiten und auf den Krankheitsverlauf einen 
je nach der Krankheitsart verschiedenen Einfluß hat. 


Literatur. 


Das statistische Material stammt aus den bekannten statistischen Quellen, 
ferner auch aus den Handbüchern der inneren Medizin von Nothnagel, 
v.Bergmann-Stähelin und Kraus-Brugsch. Besonders zu nennen sind: 


SO 10 Sn LN Wi N bës 


mha 
pa 


. Bucura, K. Geschl. untersch. b. Mensch. Leipzig 1913. 
. Günther, H., Grundlagen der biologischen Konstitutionslehre. Leipzig 


1922. 


. Derselbe, Letaldisposition und Sexualdisposition. Naturwiss. Korre- 


spondenz 1923. I. 


. Derselbe, Sexualdisposition bei der Diphtherie. Zentralbl. inn. Med. 


1924. Nr. 16. 


. Derselbe, Biol. Zentralbl. 1924, Bd. 44. 

. Derselbe, Ergeb. inn. Med. und Kinderhk. Bd. 15, S. 697. 

. Jessen, Schweiz. med. Wochenschr. 1924. S. 1166. 

. Pearl, Medical Biometry. London 1923. 

. Rosenfeld, Zentralbl. allg. Gesundheitspflege 1902. Bd. 21. 

. Schiff, F., Ungleiche numerische Beteiligung der Geschl. an ak. In- 


fektionskrankheiten. Mediz. Klinik 1924. 


. Timerding, Analyse des Zufalls. 1915, S. 141. 


Die Chinin-Idiosynkrasie der Haut bei gewerblichen 
Arbeitern. 


Von 
Professor H. Dold, Marburg, Lahn. 


(Bei der Redaktion eingegangen am 22. Juni 1923.) 


Bekanntlich besitzen manche Personen eine sehr gesteigerte Empfind- 
lichkeit gegen Chinin bei medikamentöser Verabreichung. Diese Über- 
empfindlichkeit äußert sich teils darin, daß schon bei den üblichen thera- 
peutischen Dosen die bekannten toxischen Chininwirkungen (Ohrensausen, 
Schwerhörigkeit bis Taubheit, Zittern der Hände, Herzklopfen, Schwindel, 
Angstzustände, Kollaps, bitterer Geschmack im Munde, Übelkeit, Durch- 
fälle, schmerzhafte Koliken des Uterus usw.) sich zeigen, teils darin, daß 
Asthma, Erytheme und Urticaria auftreten. Verschiedentlich wird berichtet, 
daß schon nach geringen Dosen Chinin (0,1 g) Tränenfluß, Nießen, Ge- 
sichtsschwellungen und Urticaria sich entwickelten. A. Plehn!) sah bei 
einer noch nie an Malaria erkrankten Dame wenige Minuten nach Ein- 
nahme von 1,g Chinin lebhaftes Hautjucken, erythematöse Rötung 
von Hals und Brust und Schüttelfrost mit Temperaturen bis 38,7 und höher. 
Auch Ziemann?) beobachtete bereits nach 0,2 g Chinin Urticara bzw. 
Temperatursteigerung. Diese Chininidiosynkrasie scheint sich auch zu 
vererben. So konnte Harrison?) in seiner eigenen Familie das Bestehen 
einer Chininidiosynkrasie durch drei Generationen hindurch verfolgen, 
indem bei allen Mitgliedern der Familie nach Einnahme geringer Dosen 
von Chinin, bis herunter zu !/,, g, Urticaria auftrat. 

Bei allen diesen medikamentösen Formen der Chininidiosynkrasie 
entwickeln sich die Krankheitserscheinungen im Anschluß an perorale 
oder parenterale Aufnahme des Chinins, wobei nicht selten die Beobach- 
tung gemacht wird, daß die Einverleibungsart von Bedeutung ist. So 
wird berichtet (Montel*), Hauer°), daß die Idiosynkrasie nur nach Ein- 
nahme per os, nicht per injektionem auftrat. 

Nun gibt es aber noch eine besondere Form der Chininidiosynkrasie 
der Haut, die bei gewerblichen Arbeitern vorkommt und die außerhalb 
der Kreise der Chininindustrie nur wenig bekannt zu sein scheint. Einige 


1), 2), 3), 4), 5) Siehe Ziemann, Malaria und Schwarzwasserfieber, Menses 
Handbuch der Tropenkrankheiten. 3. Aufl. 1924, Bd. III, S. 334—335. 


168 Die Chinin-Idiosynkrasie der Haut bei gewerblichen Arbeitern. 


. derartige Fälle, die wir in den Behringwerken gelegentlich der fabrikatori- 
schen Gewinnung von gewissen Chininpräparaten sahen, lenkten unsere 
Aufmerksamkeit auf diese Erscheinung. In der Literatur ist darüber 
kaum etwas zu finden. Nur in Hagers Handbuch der pharmazeu- 
tischen Praxis, Bd. 1, 9. Abdruck, S. 764 findet sich eine kurze Notiz. 
Es heißt dort: „Nach dem Gebrauche von Chinin bemerkt man häufig 
Schweiße und Hautausschläge. Solche Ausschläge zeigen sich besonders 
häufig bei Arbeitern, welche mit chinaalkoidhaltigen Dämpfen, Lösungen 
oder Staub in Berührung kommen. Diese Exantheme beginnen gewöhn- 
lich mit einer Knötchenbildung im Gesicht und an den Armen und einer 
Anschwellung der Augenlider und Genitalien. Bei der Weiterentwicklung 
solcher oft langwieriger Ausschläge bilden sich Krusten oder Schrunden‘“. 
Da diese Hautidiosynkrasie bei Chininarbeitern in ärztlichen Kreisen noch 
wenig bekannt ist und da die oben zitierten Angaben nicht ganz richtig 
sind, dürfte die Mitteilung unserer eigenen Beobachtungen und Ermitte- 
lungen Interesse bieten. 


Fall 4: Dr. K. Im Anschluß an das Arbeiten mit dem mehlfeinen Pulver 
gewisser Chininverbindungen trat bei ihm an den von Kleidern unbedeckten 
Körperteilen, also im Gesicht bis zum Hals, an den Händen und dem freien Teil 
der Arme ein teils trockenes, teils nässendes Ekzem auf. Das Gesicht, insbesondere 
die Augenlider, die Ränder der Naseneingänge und die Mundpartie sind stark 
angeschwollen. Der Juckreiz ist in allen befallenen Teilen stark. Beim Kratzen 
oder bei anderer Reizung springen die Schwellungen auf und scheiden eine seröse 
Flüssigkeit aus. Die Fingernägel zeigen eine an der Nagelwurzel beginnende, 
allmählich fortschreitende Nekrose. Diese Erscheinung trat nicht an allen 10, 
sondern nur an 6 Fingern, nämlich am Zeige-, Mittel- und Ringfinger beider- 
seits auf. Allgemeinerscheinungen, wie Übelkeit, Kopfschmerzen, erhöhte Tem- 
peraturen u. dgl. waren nicht vorhanden, auch kein Asthma. 


Nach Entfernung aus dem Betrieb gingen die Erscheinungen mit Ausnahme 
der Nagelnekrose in 3—4 Tagen völlig zurück. 


Nach Rückkehr in den Betrieb und nachdem Dr. K. mit den oben erwähnten. 
pulverförmigen Chininverbindungen wieder in manuelle Berührung gekommen 
war, erfolgte rasch ein neuer Anfall, der nach Entfernung aus dem Betrieb und 
Aufenthalt in frischer Luft wieder zurückging. Durch nochmalige Berührung 
mit den pulverförmigen Chininsalzen kam ein dritter Anfall zum Ausbruch. 
Auch dieser verschwand nach Verlassen der Arbeitsstätte und Aufenthalt in 
frischer Luft allmählich wieder. Es zeigte sich, daß nach der zweiten Attacke 
der Rückgang der Krankheitserscheinungen längere Zeit in Anspruch nahm 
als nach dem crsten Anfall; nach dem dritten Anfall längere Zeit als nach dem 
zweiten. 

Seit Dr. K. jede körperliche Berührung mit den pulverigen Chininsalzen 
peinlichst vermeidet, ist kein Anfall mehr aufgetreten. Für die Frage der Ätiologie 
dieser Hautidiosynkrasie gegen Chinin ist die Tatsache von Interesse und Be- 
deutung, daß Dr. K. ohne Schaden mit Lösungen der Chininsalze arbeiten kann. 
Auch das Einatmen von Dämpfen und das Einatmen von Luft. die Chininstaub: 
enthält, ruft bei ihm keine Erscheinungen hervor. 


Fall 2. Bei einem Arbeiter stellten sich dieselben Erscheinungen ein, nur 
nicht in so akuter Form. Außer den im Fall 1 genannten Körperpartien wurden’ 
bei diesem sekundär auch die Geschlechtsteile befallen (starkes Skrotalódem). 
In der oben zitierten Literaturstelle ist das Vorkommen von Anschwel- 
lung der Genitalien ebenfalls erwähnt. Bei unserem Falle ist das Auftreten der 
Affektion an den Genitalien mit größter Wahrscheinlichkeit auf die Berührung 
der Genitalien beim Urinieren zurückzuführen und es liegt nahe, anzunehmen, 
daß die Dinge bei den anderen beobachteten Fällen von Genitalekzem als Teil- 
erscheinung der Hautidiosynkrasie gegen Chinin ebenso liegen. 


Von Professor H. Dold. 169 


Im ganzen kamen 9 Fälle von Chininidiosynkrasie der Haut zur Be- 
obachtung, Asthma fehlte stets. 5 Fälle betrafen Frauen, 4 Fälle 
Männer. Von diesen 9 Fällen waren 2 schwerer, 7 leichterer Art. Die 
schwereren Fälle ereigneten sich am Anfang, da die Leute aus Unkenntnis 
des Zusammenhangs nach Ausbruch der Krankheit noch weiter arbeiteten. 
Bei 7 der Fälle kommt als auslösendes Agens nur Chininpulver in Be- 
tracht, bei 2 Fällen lagen die Dinge anders. Diese Personen reinigten 
mit Lauge Flaschen, die eine ölige Suspension des chininhaltigen Bismut- 
Yatrens enthielten. Es ist möglich, daß die Lauge die Haut der Chinin- 
wirkung zugänglich machte. 

Die von uns beobachteten Fälle von Hautidiosynkrasie gegen Chinin 
bei gewerblichen Arbeitern veranlaßten uns, auch bei den Chininfabriken 
über die dort gemachten Erfahrungen Erkundigungen einzuziehen, deren 
Ergebnis ich im folgenden mitteile. 

1. Häufigkeit des Vorkommens. Unsere eigenen Erfahrungen 
ließen uns vermuten. daß diese Idiosynkrasien verhältnismäßig häufig vor- 
kommen. Nach Mitteilung der Vereinigten Chininfabriken Zimmer & Co., 
Frankfurt a.M., ist jedoch der Prozentsatz der Erkrankungen an Chinin- 
ekzemen nicht groß; er wird von dieser Seite auf 2—3% geschätzt. Eine 
genaue Statistik über Chininekzeme wird allerdings nicht geführt. 
Andere Chininfabriken, die wir befragten, konnten auch keine genaueren 
Angaben über die Häufigkeit der Hautidiosynkrasie machen. Die Möglich- 
keit besteht, daß die verschiedenen Chininverbindungen in verschiedenem 
Grade zur Entwicklung der Hauterscheinungen Veranlassung geben und 
daß die Chinin-Yatrensalze (Chinin-Jodoxychinolin-Sulfosäure-Verbin- 
dungen), mit denen wir es zu tun hatten, besonders leicht zur Auslösung 
der Hauterscheinungen führen. 

2. Einfluß des Pigmentgehaltes de Haut. Wir hatten den 
Eindruck gewonnen, daß blonde Menschen etwas empfindlicher sind als 
schwarze. Dahingehende Anfragen bei den Chininfabriken brachten jedoch 
keine Bestätigung dieser Vermutung. 

3. Einfluß des Geschlechtes. Bei unseren Fällen überwogen die 
weiblichen Personen, so daß uns eine größere Empfindlichkeit des weib- 
lichen Geschlechtes vorzuliegen schien. Die Frage nach der Häufigkeit des 
Auftretens der Chininekzeme bzw. der Chinin-Hautidiosynkrasie beim 
männlichen und weiblichen Geschlechte konnte von den Chininfabriken 
ebenfalls nicht beantwortet werden, da eine getrennte Statistik der Fälle 
nicht geführt wird. Nach Meinung der Vereinigten Chininfabriken Zimmer 
& Co., Frankfurt a. M., ist das weibliche Geschlecht keinesfallsempfindlicher 
gegen das Chinin. Fälle von Chininkrankheit bei weiblichen Personen 
sind dort kaum vermerkt worden, was aber vielleicht darauf zurückzu- 
führen ist, daß dort die Arbeiterinnen nur bei der Verpackung, nicht aber 
im eigentlichen Produktionsbetrieb beschäftigt sind. 

4. Art und Grad der Idiosynkrasie. Der Grad der Hautüber- 
empfindlichkeit gegenüber Chinin ist außerordentlich verschieden. Nach 
Mitteilungen der Chininfabriken gibt es einerseits „Leute, die so empfind- 
lich sind, daß sie gewissermaßen nur die Nase in die Fabrik zu stecken 
brauchen, um zu erkranken“. Es ist selbstverständlich, daß solche Per- 


. 470 Die Chinin-Idiosynkrasie der Haut bei gewerblichen Arbeitern. 


sonen nicht eingestellt werden können bzw. aus dem Betrieb wieder ent- 
fernt werden müssen. Andererseits gibt es Fälle von Idiosynkrasie gegen 
-Chinin, die „dauernd, aber so gelinde auftreten, daß sie nicht störend 
empfunden werden.“ Es soll auch vorkommen, daß „Leute, die 20 Jahre 
und mehr in der Fabrik beschäftigt waren, ohne irgendwelche Erscheinungen 
zu zeigen, plötzlich erkrankten.‘ Eine Ursache für diese plötzliche An- 
derung im Verhalten gegenüber Chinin ließ sich in solchen Fällen nicht 
ermitteln; die Betreffenden hatten während der ganzen Zeit ihren Arbeits- 
platz nicht gewechselt und eine Änderung ihrer Tätigkeit lag anscheinend 
nicht vor. 


5. Rezidive. Personen mit einer Idiosynkrasie gegen Chinin zeigen 
das gleiche Verhalten wie die mit anderen Idiosynkrasien Behafteten. 
Sie werden in der Regel die Idiosynkrasie während ihres ganzen Lebens 
nicht los. Die Berührung mit der causa nocens hat unweigerlich die Aus- 
lösung der Krankheitserscheinungen zur Folge. Bemerkenswert scheint 
mir die oben mitgeteilte Beobachtung zu sein, daß der Rückgang der Er- 
scheinungen mit zunehmender Zahl der Rezidive sich verlangsamt. 


6. Welche physikalische Zustandsform des Chinins be- 
wirkt die Hauterscheinungen. Nach der oben zitierten Angabe aus 
Hagers Handbuch der pharmazeutischen Praxis werden die 
Erscheinungen durch chinaalkaloidhaltige Dämpfe, Lösungen oder Staub 
hervorgerufen. Wir haben gesehen, daß bei unseren Fällen, besonders deut- 
lich bei Fall 1, nur die Berührung mit den Chininsalzpulvern einen Anfall 
zur Folge hat, währerid das Arbeiten in Lösungen und das Einatmen von 
Dämpfen reaktionslos vertragen wird. Unsere diesbezüglichen Ermitt- 
lungen bei den Chininfabriken führten zu einem gleichsinnigen Ergebnis. 
Nach den Erfahrungen der Vereinigten Chininfabriken Zimmer & Co., 
Frankfurt a. M., treten Chininekzeme beim Mahlen und Sieben der China- 
rinde fast nie auf, eigentlich ausschließlich beim Pulverisieren 
der Chininsalze und beim Lösen derselben. Beim letzteren Akt ist natürlich 
auch reichlich Gelegenheit gegeben, mit dem Chininpulver in Berührung 
zu kommen. Auch die Braunschweiger Chininfabrik spricht die Vermutung 
aus, daß der Chininstaub die Hauterscheinungen hervorrufe. 


Es deutet also alles darauf hin, daß der Chininstaub bzw. die 
Pulverform der Chininsalze hauptsächlich, wenn auch nicht aus- 
schließlich!), diese Hauterscheinungen hervorruft. Und hier sind drei 
Möglichkeiten: 1. Der Chininstaub wird inhaliert und von den Luftwegen 
aus resorbiert. 2. Der Chininstaub wird verschluckt und vom Darmtraktus 
aus resorbiert. In beiden Fällen könnte es dann zu einem Ausbruch der 
Erscheinungen vom Blutwege aus kommen. 3. Der Chininstaub dringt 
unmittelbar in die Haut ein und löst direkt die geschilderten Erscheinun- 
gen aus. In Wirklichkeit wird beim Hantieren mit den pulverförmigen 
Substanzen auf allen drei Wegen Chinin in den Körper dringen. Aber ich 
glaube doch aus unseren eigenen Beobachtungen und den Erfahrungen 
der Chininfabriken schließen zu müssen, daß in erster Linie die direkte 
Berührung des Chininstaubes mit der Haut die Krankheitserscheinungen 


1) cfr. unsere obigen 2 Fälle. 


Von Professor H. Dold. 1471 


‚hervorruft. Dafür spricht das Auftreten der Schwellungen und Ekzeme 
an allen unbedeckten, gegen den Chininstaub nicht geschützten Körper- 
teilen, obgleich dieser Umstand nicht als ein sicherer Beweis für die Rich- 
tigkeit der Annahme einer direkten Staubreizwirkung betrachtet werden 
kann. Sah man doch auch nach parenteraler Einverleibung von Chinin 
nicht — wie zu erwarten wäre — eine allgemeine Urticaria auf dem 
ganzen Körper auftreten, sondern auf die Partien beschränkt, die mit 
kaltem Wasser benetzt worden waren!), die also einem äußeren Reiz aus- 
gesetzt waren. Trotzdem glaube ich, daß unsere Annahme einer direkten 
Reizwirkung auf die Haut richtig sein wird. Dafür spricht m. E. auch die 
Beobachtung, daß bei einem unserer männlichen Fälle die Erscheinungen 
außer an den unbedeckten Körperteilen sekundär auch noch an den Ge- 
schlechtsteilen auftraten. Hier ist doch die einfachste und natürlichste An- 
nahme die, daß gelegentlich des Urinierens die chininstaubhaltigen Finger 
den Chininstaub auf die Haut des Genitale übertrugen. 

7. Therapie. Eine Heilung der betroffenen Personen durch irgendein 
Medikament scheint es nicht zu geben. Das einzige Heilmittel ist sofortige 
Entfernung aus dem Betriebe und für die Zukunft peinlichste Vermeidung 
der causa nocens. Aufenthalt in frischer Luft scheint den Rückgang der 
Erscheinung zu begünstigen. Umschläge mit Borwasser oder essigsaurer 
Tonerde auf die erkrankten Hautpartien lindern den Juckreiz. Gros?) 
sah nach Kalziumchlorür, in Dosen von je 1g an drei Tagen gegeben, 
eine schwere Chininidiosynkrasie verschwinden. Wenn man aber bedenkt, 
daß die Hauterscheinungen auch ohne jede Therapie nach Beseitigung 
der Krankheitsursache innerhalb von 3—4 Tagen zurückzugehen pflegen, 
so erscheint die Heilwirkung des Kalziumchlorürs unbewiesen. 


Zusammenfassung. 


Bei einzelnen Personen, die mit der Herstellung von Chinin und Chinin- 
präparaten beschäftigt sind, treten Hauterscheinungen (Urticaria, Ekzeme) 
auf, und zwar meist an den unbedeckten Körperteilen, gelegentlich auch 
(sekundär) an den Geschlechtsteilen. Diese Hauterscheinungen werden 
hauptsächlich durch den Chininstaub und die pulverförmigen 
Chininpräparate hervorgerufen. Aller Wahrscheinlichkeit nach liegt eine 
unmittelbare Reizwirkung des Chinins auf die Haut vor. Ein Schutz- 
oder Heilmittel scheint es nicht zu geben. Empfindliche Personen haben 
jede Berührung mit den pulverförmigen Chininpräparaten peinlichst zu 
vermeiden und sind ev. ganz aus dem Betrieb zu entfernen. 


4) Ziemann, Le S. 335. 
2) Ziemann, Malaria und Schwarzwasserfieber, Menses Handbuch der 
Tropenkrankheiten. 3. Aufl. 1924, Bd. III. S. 334—335. 


Studien zur Kenntnis der Eigenschaften von Diphtherie- 
Toxin-Antitoxin-Gemischen. 


HI. Die Beziehung der direkten Giftwirkung des Diphtherietoxins zu 
seiner Bindungsfähigkeit mit Antitoxin. Zugleich ein Beitrag zur Vor- 
stellung über die Natur des Diphtherietoxins. 


Von 


Privatdozent Dr. Hans Schmidt und Dr. Wilhelm Scholz. 


(Aus dem Institut für experimentelle Therapie „Emil von Behring“, Marburg 
a. d. Lahn (Direktor: Prof. H. Dol d].) 


(Bei der Redaktion eingegangen am 17. April 1925.) 


Es ist durch vielfache Erfahrung bestätigt, daß die immunisierende 
Fähigkeit eines Di-toxins durchaus nicht mit seiner am Meerschwein- 
chen gemessenen direkten Giftwirkung parallel geht. Wie wir in unserer 
ersten Mitteilung!) ausgeführt haben, ist das beste Maß für die immuni- 
sierende Wirkung eines Di-toxins sein Lf-Wert, d. h. der Wert, der die 
Menge Gift angibt, die mit 1 AE unter optimaler Flockung so vollkommen 
gebunden ist, daß keinerlei erkennbare Wirkung weder von Toxin noch 
von Antitoxin übrig bleibt. Für die immunisierende Fähigkeit eines Toxins 
ist eben nur seine Bindungsfähigkeit maßgebend. Daher eignet sich ein 
Gift zur Antitoxinerzeugung um so mehr, je weniger davon nötig ist, 
um 1 AE völlig zu binden, d. h. je geringer zahlenmäßig der Lf-Wert ist. 
Zwei Di-Gifte können die gleiche direkte Giftwirkung für Meerschwein- 
chen haben, also die gleiche D.]. m., aber trotzdem verschiedene Lf- 
Werte, und die Erfahrung zeigt, daß das Gift mit dem kleinsten Lf-Wert 
auch am besten immunisiert; und umgekehrt können zwei Gifte mit dem 
gleichen Lf-Wert Meerschweinchen gegenüber sehr verschieden giftig sein. 

Am deutlichsten zeigt sich der Unterschied zwischen der direkten 
Giftwirkung und der immunisierenden Fähigkeit bei den mit Formol 
in der Wärme entgifteten Di-toxinen. Diese sind für Meerschweinchen 
ungiftig geworden, haben aber dabei ihre immunisierende Wirkung be- 
halten sowie auch die Fähigkeit, mit Antitoxin in vitro zu flocken. Während 
nach Ramon?) die antigene Wirksamkeit des mit Formol behandelten 


4) Archiv für Hygiene 1925. 95, 308. 
2) Ramon, Annal. de "Inst. Pasteur 1925, 39, Nr. 1. 


Kenntnis der Eigenschaften von Diphtherie-Toxin-Antitoxin-Gemischen. 173 


Toxins eng an seine Flockungsfähigkeit gebunden ist, behaupten Kraus, 
Löwenstein und Baecher!), daß dies nach Formolbehandlung nicht 
mehr der Fall ist. Wir haben mit Formol-behandelten Di-Giften keine 
große Erfahrung, können aber sagen, daß wir mit gewöhnlichen Di-toxinen 
niemals eine Beobachtung machten, die der Ramonschen Auffassung 
widerspricht 2). 

Da nun kein Grund vorliegt, der zu der Annahme zwingt, daß in 
einem Di-Gift zwei verschiedene Substanzen vorkommen, von denen die 
eine nur toxisch ist, die andere nur Antitoxin zu binden vermag, so haben 
wir entweder anzunehmen, daß in dem Di-Gift nur ein antigener 
Stoff vorkommt, der Antitoxin bindet und der unter gewissen Bedingungen, 
die chemisch-konstitutioneller oder vielleicht nur physikalisch-chemischer 
Natur sein können, toxisch ist. Oder wir setzen in dem Di-Gift das Vor- 
handensein mehrerer verschiedener Stoffe voraus, die zwar alle antigen 
sind und Antitoxin binden, aber nicht alle toxisch sind. 


Zu der letzteren Annahme sah sich Ehrlich genötigt, um einige Er- 
scheinungen zu erklären, die bei der Bindung von Toxin und Antitoxin auf- 
traten, vor allem die folgenden Beobachtungen: 1. Die Abnahme der direkten 
toxischen Wirkung (D. 1. M.), während der indirekt gemessene L-+-Wert 
beständiger bleibt, und 2. die Beobachtung, daß zu einer Lo-Mischung 
sehr viel mehr Gift zugegeben werden muß, um zu L+ zu gelangen, als 
1 D.1. m. entspricht. Ehrlich?) nahm an, daß ein Di-Gift neben Toxin 
Toxoid enthält, das die gleiche (oder noch größere) antitoxinbindende 
Fähigkeit hat wie Toxin, aber ungiftig ist, und ferner Toxon, das Anti- 
toxin schwächer bindet und dessen Giftwirkung im Gegensatz zu der des 
Toxins eine langsamere und mehr neurotrope ist. Toxin geht allmählich 
in Toxoid über und das Toxon in Toxonoid, welches für Meerschweinchen 
ungiftig und nur noch geringgradig giftig für Kaninchen sein soll. Weiter 
sah sich Ehrlich genötigt, auch im Toxin selbst noch Pro-, Deutero- und 
Tritoxine anzunehmen mit verschiedener Bindungsfähigkeit für Anti- 
toxin. Dabei hielt Ehrlich an der durch Experimente (scheinbar) gut 
gestützten Annahme fest, daß die Bindung mit Antitoxin dem chemischen 
Gesetz der multiplen Proportionen folgt, und daß das Antitoxin eine ein- 
heitliche Substanz ist. 


Ehrlichs Theorie der Konstitution des Diphtheriegiftes ist durch 
die Annahme einer großen Vielheit von Giftkomponenten — so wurden 
noch a-, ß-, y-Modifikationen jeder Komponente angenommen — so ver- 
wickelt worden, daß ihr praktischer Wert für das Arbeiten mit Di-Gift 
darunter litt. Dazu kam, daß das Gesetz der multiplen Proportionen für 
die Bindung von Toxin und Antitoxin nur in erster Annäherung gilt, aber 
hier immerhin so gut, daß es die Grundlage für die noch jetzt gültige Wert- 
bestimmung der Heilsera bildet. Man hat sich in der Folgezeit bemüht, 
die Vorstellungen von Ehrlich durch andere zu ersetzen. 


4) Wiener klin. Wochenschr. 1924, S. 561. 

2) Auf die Rolle des Antitoxins bei der Flockung kommen wir in einer 
späteren Mitteilung zu sprechen. | 

3) Klin. Jahrbuch 1897, 6, 299. 


Archiv für Hygiene. Bd. 96. 13 


`- 474 Kenntnis der Eigenschaften von Diphtherie-Toxin-Antitoxin-Gemischen. 


So haben Arrhenius und Madsen!) eine Theorie entwickelt, die 
das Zusammenwirken von Toxin und Antitoxin auf Grund des Massen- 
wirkungsgesetzes von Guldberg und Waage erklärt. Aber hier ist die 
Annäherung zwischen Rechnung und Beobachtung nur in beschränktem 
Grade vorhanden, weniger jedenfalls als bei der Ehrlichschen Annahme 
der Bindung nach multiplen Proportionen. Die von A.u.M. aus der 
Theorie geforderte Reversibilität der Toxin-Antitoxinbindung ist tatsäch- 
lich vorhanden und von Morgenroth und Willanen?) und später von 
Ramon?) experimentell bewiesen. Auf einer solchen Reversibili- 
tät beruht ja jede aktive Immunisierung mit T.A.-Gemischen. 
Aber die experimentell (Dissociation durch schwache Säure) erwiesene 
Reversibilität ist doch verschieden von der in der Theorie von A. u. M. 
verlangten. Letztere fordert, daß jede T.A.-Verbindung noch freies Toxin 
enthält, während die von Morgenroth und Ramon bewiesene Reversi- 
bilität bei T.A.-Verbindungen stattfand, die sicher frei von Toxin waren, 
und heute wissen wir, daß selbst beträchtlicher Antitoxinüberschuß die 
‚Reversibilität der T.A.-Bindung und damit eine aktive Immunisierung 
zuläßt. 

Dagegen wird die Theorie von Bordet*), der die Bindung von Toxin 
mit Antitoxin auf Adsorption zurückführt, unseren gegenwärtigen Anschau- 
ungen mehr gerecht, obwohl es vorderhand unmöglich ist, mit dieser Theorie 
die Bindung mathematisch genau quantitativ zu verfolgen. 


Die Adsorption ist der Ausdruck schwacher chemischer Affinitáten 
(vielleicht auf Nebenvalenzen beruhend), und es ist mit dieser Vorstellung 
der Adsorption gut vereinbar, wenn die Bindung zwischen Adsorbens 
und adsorbiertem Stoff im Laufe der Zeit immer fester, auch in chemischem 
Sinne, wird, was Erfahrungen mit T.A.-Gemischen reichlich bestätigen. 
Von Krogh*) nahm an, daß bei jeder Toxin-Antitoxinbindung die Reaktion 
in zwei Stadien verläuft: Erst findet Adsorption statt, die relativ schnell 
abläuft und dann kommt es zu chemischer Bindung. 


Im Gegensatz zu Ehrlich faßt Bordet das Di-Gift als ein einheit- 
liches Toxin auf und, um nun zu, erklären, daß trotz Abnahme der Giftig- 
keit die Bindungsfähigkeit mit Antitoxin "erhalten bleibt, genügt ihm die 
Annahme geringer Änderungen des Toxinmoleküls entweder i in rein physi- 
kalischem Sinne oder in der Form geringer chemischer Umlagerungen. 


Uns scheinen, wie Bordet, Änderungen in physikalischem Sinne 
näher liegend zu sein, wobei aber nicht ausgeschlossen ist, daß auch 
rein chemische Änderungen in gleichem Sinne der Entgiftung wirksam 
sein können, wie z. B. ein fermentativer Abbau des Toxinmoleküls im Sinne 
Dernbys. Jedenfalls aber muß der Vorgang der spontanen Entgiftung 
reversibel sein, wie wir weiter unten gezeigt zu haben glauben. Die Ent- 
giftung durch Formol ist höchstwahrscheinlich ein anderer Prozeß, als der 


1) Arrhenius, Immunochemie 1907. 

2) Virchows, Arch. Path. 1907, 190, 371. 

3) C. rend. d. l’acad. d. sciences 1923, 176, 267. 

4) Annal. de l”Inst. Pasteur 1903, 17, 161. 

5) Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten 1911, 68, 251. 
6) C. rend. Soc. Biol. 1923, 88, 109. 


Von Dr. Hans Schmidt und Dr. Wilhelm Scholz. 475 


mit der Zeit spontan auftretende Vorgang und für diesen letzteren halten 
wir physikalische Änderungen für wahrscheinlich. 


Da nun aber die Tatsache, daß zwei Gifte bei gleicher Bindungs- 
fähigkeit (Lf) verschiedene Giftwirkung (D. 1. m.) haben können, es prak- 
tisch erscheinen läßt, von Toxinen und Toxoiden zu sprechen, so möchten 
wir diese Begriffe ebenso beibehalten, wie den des Toxons, da sich im 
letzteren Begriffe die Tatsache ausdrückt, daß die Giftwirkung mehr neuro- 
tropen Charakter hat. Nur verstehen wir unter diesen Begriffen nicht 
streng verschiedene Komponenten des Di-Giftes, sondern Stadien ein 
und desselben Giftes, die sich mit fließendem Übergang nur graduell 
voneinander unterscheiden. So ließe sich vieles von der Ehrlichschen 
Annahme mit der von Bordet zum folgenden Bild von der Konstitution 
des Di-Giftes vereinigen. 

Das Diphtheriegift wird durch einen fermentativen Prozeß während 
des Wachstums der Di-Bazillen aus den Albumosen der peptonhaltigen 
Bouillon gebildet (Walbum, Dernby). Vom Augenblicke seiner Bildung 
an erleidet das Gift eine mit der Zeit erst schnell, dann immer langsamer 
verlaufende Umwandlung, wobei einmal seine Affinität zu Antitoxin zu- 
nimmt, und dann im weiteren Verlauf derselben seine Toxizität abnimmt. 
Die Art der Umwandlung kann man sich chemisch oder mehr physikalisch 
vorstellen. Wir neigen zur Annahme einer Dispersitätsabnahme, oder einer 
Polymerisation, wobei wir uns im einzelnen folgendes Bild machen: Zu- 
nächst entsteht hochdisperses Toxon, das zwar auch schon eine Affinität 
zu Antitoxin hat, aber diese ist noch nicht voll entwickelt, daher auch die 
Bindung eine lockere bleibt. Die Affinität zu Antitoxin nimmt in dem 
Maße zu, als sich das Toxon weiter polymerisiert. Hat das Di-Gift so eine 
gewisse Stufe der Dispersität erreicht, tritt die typische Toxinwirkung 
auf. Hat die Dispersitätsabnahme einen gewissen Grad überschritten, 
dann verliert der Molekülkomplex allmählich seine giftige Eigenschaft; 
dagegen bleibt die Affinität zum Antitoxin bestehen, dessen Haftung eher 
noch größer wird. Das Toxin ist dadurch zum Toxoid geworden. 


Dieser Alterungsprozeß des Di-Giftes wird durch Einwirkung von 
Licht, Wärme und Schütteln beschleunigt. 

Läßt sich dieser Prozeß auch umkehren? d. h. ist es möglich, das 
Toxoid wieder in Toxin zu verwandeln und Toxin in Toxon ? Diese Frage 
läßt sich zurzeit noch nicht mit aller Entschiedenheit beantworten, aber 
es gibt tatsächlich Beobachtungen, die man in diesem Sinne deuten kann. 


Walbum!) hatte schon früher festgestellt, daß Peptonzusatz bis zu 
5%, die hämolysierende Wirkung verschiedener Bakterien steigert, was 
später J. Hammerschmidt?) für das Hämotoxin der Di-Bazillen be- 
stätigen konnte. 

Walbum?) hat nun ferner beobachtet, daß beim Versetzen einer 
keimfrei filtrierten Di-Bouillonkultur mit gleichem Teil einer Witte- 


4) Zeitschrift für Immunitätsforschung 1908, 8. 
2) Zentralblatt für Bakt. 1924, I, 98, 443. 
3) C. rend. Soc. Biol. 1922, 87, 1224. 
13* 


476 Kenntnis der Eigenschaften von Diphtherie-Toxin-Antitoxin-Gemischen. 


Peptonbouillon und Bebrüten dieser Mischung bei 37° für 5 Stunden!) 
die Dosis letalis minima sich erheblich verringert hatte, daß sich also mehr 
Gift gebildet hatte, und zwar ein Gift, das quantitativ durch Antitoxin 
neutralisierbar war. 


Wir haben diese Versuche nachgeprüft, und zwar mit besonderer 
Rücksicht auf die Frage, ob die auftretende Giftsteigerung auf einer Neu- 
bildung von Toxin beruht, oder ob es sich nur um ein Wiedergiftigwerden 
bereits vorhandener ungiftiger Giftbestandteile handelt. 


Walbum hat ganz bedeutende Steigerung der Giftigkeit beobachtet. 
In seinen Versuchen wurde die D.l.m. 3—4mal kleiner. Solch eine 
erhebliche Giftsteigerung konnten wir nicht feststellen, doch glauben 
wir aus Versuchen mit verschiedenen Di-Bazillenstämmen schließen zu 
können, daß sich in dieser Hinsicht verschiedene Di-Stämme verschieden 
verhalten 21. 


Zunächst hätte man ja erwarten sollen, daß bei der Verdünnung 
eines Di-Giftes zu gleichen Teilen mit Peptonbouillon, die D. 1. m. doppelt 
so groß entsprechend der Verdünnung würde. Wir haben jedoch fast durch- 
weg in zahlreichen Versuchen gesehen, daß bei einer solchen Verdünnung 
und Stehenlassen der Mischung bei 37° für 5 Stunden, die D. 1. m. unver- 
ändert blieb. In einigen Fällen war sie sogar etwas geringer geworden. 
Es handelt sich also zweifellos um eine Zunahme der in vivo direkt ge- 
messenen Giftwirkung. 


Bei der Erklärung dieser Erscheinung ist zunächst zu beachten, daß 
das Di-Gift durch Filtration (Seitzscher Filter) keimfrei gemacht war. 
Ein durch Wachstum von Di-Bazillen in der neuzugefügten Pepton- 
bouillon frisch entstandenes Gift ist also von vornherein auszuschließen. 


Es kommen also zur Erklärung für die Giftzunahme dieses Di-Gift- 
Peptonbouillongemisches nur folgende Möglichkeiten in Betracht: 


1. Es hat sich zu dem vorhandenen Toxin neues Toxin hinzugebildet. 
Dieses neue Toxin kann 


a) ganz neu und unabhängig von den bereits vorhandenen Giftstoffen 
aus der Peptonbouillon entstanden sein, oder 


b) durch Umwandlung nicht giftiger bereits vorhandener Giftbe- 
standteile in giftige gebildet worden sein. 


Träfe die erstere Möglichkeit zu, so wäre nicht nur die D. 1. m. erhöht, 
sondern die Mischung müßte auch an Bindungsfähigkeit mit Antitoxin 
gewonnen haben. Dies müßte sich in einer Steigerung der L + -, Lo- und 
Lf-Werte im Vergleich zu den durch die Verdünnung zu gleichen Teilen 
bedingten halben Werten des Originalgiftes äußern. Im zweiten Falle wäre 


1) Bei noch längerem Brutschrankaufenthalt fand Walbum wieder eine 
Abnahme der Giftigkeit. 

2) Di-Stämme aus dem dänischen Staatsinstitut, Kopenhagen, scheinen 
besonders toxoidarme Di-Gifte zu erzeugen (sehr kleine D.1. m. bei mittlerem 
Lf-Wert), wie aus der Tatsache hervorgeht, daß Madsen das bis dahin bekannte 
toxoidärmste Gift mit 160 nachweisbaren Bindungseinheiten für 1 AE in der 
Lo-Mischung hatte, und wie ferner die von S. Schmidt (C. rend. Soc. Biol. 1924, 
90, 1178) angegebenen Zahlenwerte zeigen. 


Von Dr. Hans Schmidt und Dr. Wilhelm Scholz. 177 


nur eine Steigerung der D. l. m. zu erwarten, während die anderen Werte, 
die auf der Bindungsfähigkeit beruhen, auf den halben Originalwert ent- 
sprechend der Verdünnung sinken. 


2. Es hat sich ein neuer Stoff gebildet, der von dem Diphtherietoxin 
als solchem verschieden ist, aber entweder 


a) selbst toxisch ist und dadurch die Erhöhung der Giftigkeit bedingt, 
oder | 

b) selbst nicht giftig ist, aber in irgendeiner Weise die Di-Toxin- 
wirkung aktiviert. 


Gegen die erstere Möglichkeit spricht schon die von Walbum ge- 
machte Beobachtung, daß das neu entstandene Toxin völlig durch Anti- 
toxin neutralisierbar ist. Ferner müßte es möglich sein, bei Eintreten 
der optimalen Flockung mit Antitoxin, dieses neue Gift in der übrig- 
bleibenden Flüssigkeit nachzuweisen. Die zweite Möglichkeit ist schwer 
von der als 1b bezeichneten experimentell zu trennen. Denn bezüglich 
der D. l. m. sowie aller indirekt bestimmten Giftwerte würde das Ergebnis 
das gleiche sein. Wenn man aber den Prozeß der Verdünnung mit Pepton- 
bouillon zu gleichen Teilen mit anschließender fünfstündiger Bebrütung 
nicht einmal, sondern mehreremal hintereinander ausführt, so wird 
man bei ib sehr bald eine Mischung erhalten, bei der alles bereits vorhan- 
dene nichttoxische Di-Gift umgewandelt ist, so daß weitere Behandlung 
in obigem Sinne nur eine Herabsetzung der Giftwirkung auf die Hälfte 
bedingen wird. Bei der unter 2b gemachten Voraussetzung scheint jedoch 
kein Grund vorzuliegen, daß sich nicht wieder neue das Toxin aktivierende 
Substanz bildet. Wenn auch die Bildung derselben anfangs schnell und 
später viel langsamer erfolgen wird, so wird doch stets eine D.1.m. zu 
beobachten sein, die größer ist, als die durch die Verdünnung bewirkte 
Verringerung um die Hälfte. 


Zwischen diesen Möglichkeiten hat das Experiment zu entscheiden. 
Wir geben .im folgenden ein typisches Protokoll eines unserer Versuche 
wieder. 


Die durch Seitzfilter keimfrei filtrierte neuntägige Diphtheriebouillonkultur 
(355b) wurde zu gleichen Teilen mit der gleichen Peptonbouillon (P, = 7,2) ver- 
setzt, mit der die Kultur hergestellt worden war. Darauf wurde ein Teil derselben 
mit 0,5proz. Karbol versetzt und zur Wertbestimmung verwendet, der andere Teil 
wieder mit Peptonbouillon zu gleichen Teilen versetzt und 5 Stunden lang be- 
brütet. Dieser Vorgang wurde dreimal hintereinander vorgenommen mit folgen- 
dem Ergebnis: 















I. Ver- II. Ver- 


| III. Ver- 
dünnung  dúnnun | 


Original dünnung 











0,0009 | 0,00083| 0,00133| 0 
0,100 0,200 0,400 H 
0,071 0,143 0,28 O, 
0,071 0,143 .| 0,28 0 


178 Kenntnis der Eigenschaften von Diphtherie-Toxin-Antitoxin-Gemischen. 


Diese Zahlen besagen folgendes: 

Die indirekt durch Bindung mit Antitoxin erhaltenen Giftwerte 
L+, Lo und Lf nehmen in dem Maße zu, der der Verdünnung entspricht, 
also jeweils um die Hälfte. 


Bei der D. l. m. ist es aber anders. Der Verdünnung entsprechend 
hätten die Werte lauten müssen 0,0009, 0,0018, 0,0036 und 0,0072. Wir 
sehen jedoch, daß die erste Verdünnung eine Giftzunahme um mehr als 
das doppelte des durch die Verdünnung allein veränderten Giftwertes 
bewirkte. Auch die zweite Verdünnung hatte nicht eine Giftabschwächung 
um die Hälfte der Werte bei I. zur Folge, sondern die D. 1. m. blieb noch 
etwas kleiner als 0,0016. Die III. Verdünnung brachte praktisch die Giftig- 
keit auf die Hälfte des Wertes der II. Verdünnung. Nun kommt noch hin- 
zu, daß die überstehende Flüssigkeit, welche bei der mit der I. Verdünnung 
gemachten Flockungsprobe sich bildete, ganz frei von jeder erkennbaren 
Giftwirkung war. 

Wir glauben demnach berechtigt zu sein, die unter Ib beschriebene 
Möglichkeit als Ursache für die beobachtete Giftzunahme anzunehmen. 
Bei der weiteren Erklärung dieser Erscheinung berühren wir die Frage 
nach der Bildung des Di-Toxins. 

Nach Walbum!) wird ein von den Di-Bazillen während ihres Wachs- 
tums ausgeschiedenes an sich ungiftiges ‚„Protoxin‘“ extrazellulär durch die 
Albumosen des Peptons als Folge eines enzymatischen Prozesses aktiviert. 
Nach Walbum durchläuft also die Bouillonkultur, die filtriert die Toxin- 
lösung vorstellt, ein Stadium der Ungiftigkeit, bevor sie giftig wird. R. 
Kraus?) hat dies bei Untersuchung einer Di-Boullion in 24stündigen 
Zwischenpausen nicht feststellen können. Nach unseren eigenen Versuchen 
(siehe Kurvenfigur unserer I. Mitteilung) scheint dieser Nachweis, wenn 
überhaupt ausführbar, nur innerhalb der ersten 24 Stunden möglich zu 
sein. In den meisten Fällen dürfte bei gut giftbildenden Stämmen das 
Toxin bereits 1-fach sein nach Ablauf der ersten 24 Stunden. 


K. G. Dernby?) kam gestützt auf eigene Untersuchungen sowie auf 
die Versuche Walbums zu der Auffassung, daß sich aus den Di-Bazillen, 
während sie wachsen, sterben und autolysieren, proteolytische Fermente 
bilden, die nun ihrerseits die Albumosen und Peptone der Bouillon angreifen. 
So entständen als Zwischenprodukte die Toxine, die beim weiteren Abbau 
ihre Giftigkeit verlieren. Die Hauptstütze für diese Ansicht von Wal- 
bum und Dernby, daß das Di-Toxin erst sekundär aus den Albumosen 
und Peptonen entsteht, ist die Tatsache, daß die Di-Bazillen zur Gift- 
bildung Albumosen benötigen. Und zwar sind es die dem Eiweiß am näch- 
sten stehenden Abbaustufen, die nötig sind. Daher die guten Erfahrungen 
der Engländer mit dem Douglas-Náhrboden*) (mit Pankreasfermenten 
angedautes Fleisch) wie auch die Beobachtung von Chiari und Silber- 
stein), wonach die Di-Bazillen auf Bouillon, die aus angedautem Fleisch 


1) C. rend. Soc. Biol. 1922, 87, 1224; Biochem. Ztschr. 1923, 184, 601. 
2) Wiener klin. Wochenschr. 1925, Nr. 14, 822. 

3) C. rend. soc. Biol. 1923, 88, 109; Hygiea 1923, 85, 165. 

4) P. Hartley, Journ. of Path. and Bact. 1922, 25, 479. 

5) Zeitschr. für die ges. exper. Medizin 1923, 88, 337. 


Von Dr. Hans Schmidt und Dr. Wilhelm Scholz. 179 


hergestellt ist, besser wachsen als auf gewöhnlicher Fleischbriihe. Kurz- 
dauernde Trypsinwirkung auf das Fleisch fördert die Giftbildung, während 
längere Einwirkung und damit verbundene weitere Aufspaltung des Ei- 
weißes schädlich zu sein scheint.- Die Ansicht Dernbys, daß das Toxin 
weiter abgebaut wird und dadurch ungiftig wird, lassen wir dahin gestellt. 
Wir vermuten, daß es nicht allein chemische Einflüsse sind, die das Toxin 
entgiften, um so mehr als wir den spontanen Entgiftungsvorgang bis zu 
einem gewissen Grade für umkehrbar halten. Auch die Untersuchungen 
von v. Groer!) bezüglich der Rolle der H-Ionenkonzentration bei der Gift- 
bildung möchten wir nicht im gleichen Sinne deuten, wie v. Groer es 
tut, der u. a. annimmt, daß die Toxinmoleküle durch die wachsende Al- 
kaleszenz der Kultur aktiviert werden. 


Wir haben bei unserem obigen Versuch eine zweifellose Giftsteigerung 
festgestellt, ohne daß das Milieu alkalischer wurde. Im Gegenteil: z. B. 
hatte das Di-Gift Nr. 358 p„= 7,7. Nach Versetzen zu gleichen Teilen 
mit einer Peptonbouillon, die p, = 7,2 hatte, und Bebrütung der Mischung 
5 Stunden lang hatte die Flüssigkeit p, = 7,4 und die D. 1. m. war unver- 
ändert auf 0,00166 geblieben. 


Wir machen uns von der Giftzunahme durch den Peptonbouillon- 
zusatz — auch Bouillon ohne Pepton bewirkt eine Steigerung der Giftig- 
keit — folgendes Bild, das natürlich bei der Unkenntnis, die wir von der 
chemischen Natur des Di-Giftes haben, nur als eine vorläufige Hypothese 
‚bewertet werden darf. 


Das Di-Gift enthält hochdisperses Toxon, relativ mitteldisperses 
Toxin und relativ niedrigdisperses Toxoid in fließenden Übergängen. 
Die Bildung des Toxons, aus dem sich erst Toxin und Toxoid bildet, aus 
den Albumosen der Bouillon ist an das Wachsen und die Gegenwart der 
Di-Bazillen gebunden und ferner, wie alle enzymatischen Vorgänge, an 
eine gewisse H-Ionenkonzentration. Die Giftbildung hört auf mit dem 
Abfiltrieren der Di-Bazillen, aber die Umwandlung von Toxon zu Toxin 
zu Toxoid schreitet noch fort, und zwar anfangs schnell, später langsamer. 
Wird nun die gifthaltige Bouillon mit frischer Peptonbouillon versetzt, ` 
so wird kein neues Gift gebildet, insofern die Bindungsfähigkeit der Gift- 
menge mit Antitoxin in keiner Weise geändert wird (alle Werte, die sich 
auf die Bindungsfähigkeit beziehen, nehmen der Verdünnung entsprechend 
gleichmäßig ab). Vielmehr ist die Giftsteigerung darauf zurückzuführen, 
daß ein großer Teil der Toxoide wieder Toxincharakter angenommen hat, 
wie wir annehmen möchten durch Dispersitätserhöhung (peptisierende 
Wirkung der Bouillon). Dasselbe gilt bis zu einem gewissen Grade auch 
für die Toxine, von denen ein Teil der den Toxonen bz. deren Dispersität 
nahestand, wieder Toxoncharakter angenommen hat. Eine zweite weitere 
Verdünnungsmaßnahme verwandelt den Rest oder fast alles noch vorhan- 
dene Toxoid in Toxin zurück und wenn, wie in obigem Beispiel, bei der 
II. Verdünnung kein Toxoid mehr übrig geblieben ist, läßt eine III. Ver- 
dünnungsmaßnahme die direkte Giftwirkung auf den der Verdünnung 
entsprechenden halben Wert sinken. Wir hätten dann ein Gift gewonnen, 


1) Biochem. Ztschr. 1923, 138, 13 und 34. 


480 Kenntnis der Eigenschaften von Diphtherie-Toxin-Antitoxin-Gemischen. 


das kein Toxoid mehr enthält. Alles vorhandene Gift besteht aus Toxin 
und überwiegend aus Toxon. Dies geht für uns auch daraus hervor, daß 
die Meerschweinchen bei der direkten Giftprüfung nicht mehr den üblichen 
charakteristischen Befund aufweisen, sondern im Vordergrunde des Krank- 
heitsbildes stehen starke Gewichtsabnahmen und nervöse Erscheinungen. 
Ähnliches ist auch bei der Bestimmung der L+-Werte der 111. Verdünnung 
zu beobachten. Daher ist es besonders schwierig, die verschiedenen Gift- 
werte am Tier bei dieser letzten Mischung festzustellen. 

Wenn wir nun so tatsächlich eine Giftmischung gewonnen haben, 
die kein Toxoid enthält, dann müßte die von Ehrlich theoretisch aus seinen 
Versuchen gefolgerte Tatsache zutreffen, daß in einem solchen Gift die 
D. l. m. gleich der Bindungseinheit (vgl. I. Mitteilung) = 1/2% Lo (genau 
= Lann Lf) ist. Bei frischen Giften liegen aber die Lo und Lf-Werte so nahe 
beieinander, daß sie sogar öfters, wie in unserem Beispiel praktisch zu- 
sammenfallen. 

Berechnen wir nun Lf/200 aus den Daten des obigen Protokolls so 
finden wir: 


(beobachtet) 
D.1.m. 
L,/200 Original 0,071 : 200 = 0,00035 0,0009 
E I. Verdünnung 0,143 : 200 = 0,00071 0,00083 
P II. = 0,28 : 200 = 0,0014 0,00133 
S 111. Ge 0,50 : 200 = 0,0025 0,0025 


Wir sehen also, daß schon bei der 11. Verdünnung die D. 1. m. praktisch 
gleich Lf/200 geworden ist, und bei der III. Verdünnung waren die Werte 
genau gleich. 

Wir erblicken hierin nicht nur eine gute Stütze für unsere Annahme 
der Umwandlung von Toxoid in Toxin, sondern glauben auch hiermit 
die Annahme Ehrlichs, daß in 1 Lo-Dosis Gift 200 Bindungseinheiten 
mit 1 AE abgesättigt sein müssen, experimentell bestätigt zu haben. 


Wenn wir bedenken, daß Ehrlich nur den Lo-Wert als Neutrali- 
sationswert eines Giftes kannte, von dem wir heute wissen, daß er unter 
Umständen beträchtlich von dem wahren Neutralisationswert Lf abweicht, 
und ferner bedenken, daß damals ın dem reinsten, d. h. toxoidärmsten 
Gift, das sein Schüler Madsen untersuchte, 160 Bindungseinheiten in 
1 Lo Dosis nachgewiesen werden konnten, so können wir nicht umhin, 
seinem genialen Scharfblick, mit dem er aus rein theoretischen Erwägungen 
und auf Grund zahlreicher sehr mühsamer Giftanalysen die Zahl der Bin- 
dungseinheiten in einer völlig neutralen Giftmischung mit 1 AE als 200 
voraussagte, die größte Bewunderung zu zollen. 


Zusammenfassung. 


Wir fassen das Diphtheriegift als einen einheitlichen Stoff auf, der aber 
infolge stetiger Dispersitätsänderungen in verschiedenem physikalischem 
Zustand vorkommt. Zunächst bildet sich durch einen enzymatischen 
Prozeß aus den Albumosen des Nährbodens hochdisperses Toxon, das dann 
unter Dispersitätsabnahme in Toxin und schließlich in Toxoid übergeht. 


Von Dr. Hans Schmidt und Dr. Wilhelm Scholz. 484 


.Die typische Di-Giftwirkung ist an eine gewisse Dispersität gebunden 
gedacht. Die unter Dispersitätsabnahme spontan eintretende Giftab- 
schwächung ist reversibel. Die Angaben Walbums, daß eine keimfreie 
filtrierte Di-bouillonkultur durch Verdünnung mit frischer Bouillon zu 
gleichen Teilen nach fünfstündigem Brutschrankaufenthalt giftiger wird, 
konnten bestätigt werden. Für diese Giftzunahme wird eine Rückver- 
wandlung der Toxoide in Toxin mit gleichzeitiger Vermehrung der Toxone 
angenommen. Durch wiederholte Verdünnung desselben Giftes mit Bouillon 
und nachfolgendem Brutschrankaufenthalt konnte ein Gift erhalten werden, 
das frei von Toxoiden war. Bei diesem Gift erwies sich die D. 1. m. genau 
gleich TG des Lf-Wertes. Dies ist eine experimentelle Bestätigung der 
Annahme: Ehrlichs, daß in einer mit 1 AE völlig neutralisierten Gift- 
menge genau 200 Bindungseinheiten mit .Antitoxin abgesättigt sind. 


Archiv für Hygiene, Bd. 96. 14 


Qualitative Untersuchung der Luftbakterien. 


Von 
Universitätsdozent Dr. J. v. Darányi. 


(Aus dem staatl. bakteriologischen Institut in Budapest. Direktor: Professor 
Ä Aujeszky.) 


(Bei der Redaktion eingegangen am 4. Juli 1925.) 


Die bisherigen Untersuchungen der Luftbakterien waren fast ausschließ- 
lich quantitativer Art. Zur Beurteilung der Keimzahl sind die Verfahren 
von Petri, Fodor, Ficker und Hesse am meisten im Gebrauch. Quali- 
tative Untersuchungen wurden meistens nur insoferne ausgeführt, um zu 
bestimmen, inwieweit die Luft als Überträgerin von pathogenen Keimen 
eine Rolle spielt. Dieses Thema über Vorkommen von pathogenen Keimen 
in der Luft ist aber von verschiedenen Seiten schon so ausführlich behandelt 
worden, daß ich mich dabei nicht weiter aufzuhalten brauche. 


Die Bakterienflora der Luft ist, wenn ich mich so ausdrücken darf, 
meistens nur insoweit studiert, ob bestimmte Bakterien in der Luft zu- 
fälligerweise vorkommen können oder nicht. Es ist z. B. nachgewiesen, 
daß Cholera-, Pest-, Diphtherie-, Influenzabazillen, Pneumo-, Meningo- 
kokken in der Luft nicht vorkommen, ausgenommen in der unmittelbaren 
Nähe von Kranken in ausgehusteten Tröpfchen, während der Austrock- 
nung trotzende Tuberkelbazillen, nach Untersuchungen von Cornet 
manchmal mit dem Staub des Krankenzimmers in die Luft gelangen 
können. 

Genauere qualitative Untersuchungen wurden noch am meisten be- 
züglich der Schimmelpilze angestellt. ` So ist aus den diesbezüglichen 
Untersuchungen des meteorologischen Observatoriums in Montsouris zu 
entnehmen, daß die Schimmelpilze 10—60% aller Luftbakterien ausmachen 
können. Während der Prozentsatz der Schimmelpilze in den Sommer- 
monaten kleiner ist: 10—30% , ist derselbe in den Wintermonaten 30—60%. 
Dieser günstigere Prozentsatz im Winter ist vielleicht mit ihrer verhältnis- 
mäßig größeren Widerstandsfähigkeit zu erklären!). In eigenen Versuchen 
in den Monaten April und Mai habe ich im Freien 14—25% Schimmelpilze 
gefunden. Diese Untersuchungen habe ich mit einfachem- und Kaninchen- 
blutagar in Petrischalen angestellt, welche ich verschieden lange Zeit 
der Luft aussetzte. Nach Entwicklung der Kolonien bestimmte ich diese 
qualitativ, im ganzen mehr als 20000. 

Nach Untersuchungen von Neißer und Flügge?), wonach nur ganz 
eingetrocknete Bakterien durch Luftbewegung aufgehoben und schwebend 
erhalten bleiben, ist es verständlich, daß ich bei meinen Unter- 


‚Quantitative Untersuchung von Luftbakterien. Von Dr.J.v.Darányi. 183 


suchungen nur solche Bakterien in größerer Menge in der Luft antraf, die ` 
eine große Widerstandsfähigkeit besitzen. So sind in großer Zahl, besonders 
im Freien manchmal bis zu 50%, sporentragende saprophytische Bazillen 
zu finden, die meistens mit den Heubazillen verwandt sind. Weiterhin 
kommen oft verschiedene Mesentericusarten und viele fäulniserregende, 
sporentragende Bakterien vor, welche meistens aus dem Darminhalt ver- 
schiedener Tiere herrühren. So fand ich im Hofe der Tierärztlichen Hoch- 
schule, wo immer viele Tiere ein und ausgetrieben werden, 50%, auf der 
‚Hungariastraße in Budapest, wo viel Vieh getrieben wird, 42%, sporentragen- 
de Bazillen, während ihre relative Menge in nur von Menschen bewohnten 
Räumen immer kleiner war. 

Mit den Dungstoffen wächst auch die Zahl der säurefesten Bakterien 
im allgemeinen. So fand ich im Hofe der Tierärztlichen Hochschule 6%, 
während sonst 0—1% zu finden sind. — Verhältnismäßig klein ist die Zahl 
der Kolibazillen und anderer nicht sporentragender, nicht säurefester 
Bazillen. Sie erreichen auch an Orten mit viel Dungstoffen kaum 1%. 
Dieses ist mit ihrer, im Vergleich zu den Sporen und säurefesten Bazillen 
relativ kleineren Widerstandsfähigkeit zu erklären Sie können ein so 
starkes Eintrocknen, welches das Hineingelangen in die Luft mit dem Staub 
ermöglicht, nicht überleben. — Sarzinen sind auch in ziemlich großer Zahl 
in der Luft, nach meinen Untersuchungen 3—129%. 

Eine große Gruppe der Luftbakterien bilden die Kokken, und zwar 
in überwiegender Mehrzahl der Staphylococcus albus. Die Resistenz des- 
selben steht ungefähr zwischen der der Sporen und des Kolibazillus und 
entspricht im großen und ganzen der Resistenz der säurefesten Bakterien. 
Staphylokokken habe ich in größter Zahl in geschlossenen, von Menschen 
bewohnten oder besuchten Räumen gefunden. Die meisten Staphylo- 
kokken waren bei meinen Untersuchungen, in der Luft eines Dampfbades, 
dann in einem Schlafzimmer, am wenigsten im Freien zu finden. — Dieser 
merkwürdige Befund weist auf die Herkunft dieser Bakterien hin. — Der 
Staphylokokkus albus kommt nämlich als ständiger Bewohner auf der 
menschlichen Haut vor, ungefähr so, wie der Kolibazillus im Darme. Er 
ist in sehr großer Zahl in den Ausführungsgängen der Talg- und Schweiß- . 
drüsen und in der äußeren Hornschicht vorhanden. Durch Abschieferung 
und Austrocknung von Epidermisschuppen gelangen die Staphylokokken 
in die Luft. Wo zur Epidermisabschilferung die meiste Gelegenheit ge- 
boten ist (Bad, Schlafzimmer), sind sie demzufolge in größter Zahl vor- 
handen, bis zu 93%. Aber auch im Freien habe ich 18%, gefunden. Diese 
Luftstaphylokokken können nur ganz ausnahmsweise pathogen sein. 
Nur 1% aller Staphylokokken bewirkten in meinen Versuchen Haemolyse. 
Aber auch die haemolytischen Kokken zeigten nach anderen Prüfungs- 
methoden (Tierversuch, Agglutination, Plasmagerinnung) keine Patho- 
genität. Selbst im Operationszimmer der Ambulanz auf der chirurgischen 
Klinik überstieg ihre Zahl nicht 19%, und auch diese erwiesen sich im Tier- 
‘versuch nicht pathogen. Ich kann somit die früheren Untersuchungen 
von Parascandolo, Sanfelice und Pereira über häufiges Vorkommen 
von Staphylococcus pyogenes aureus in der Luft (in schwebender Form) 
nicht bestätigen. Die Befunde dieser Autoren und besonders ihre Prüfungs- 


184 Quantitative Untersuchung von Luftbakterien. Von Dr. J. v. Darányi. 


technik auf Virulenz hat auch Concornotti?) beanstandet. Es scheint 
also, daß die pathogenen Staphylokokken, wenn sie bis zu dem Grade ein- 
trocknen, um in der Luft schweben zu können, ihre Virulenz größtenteils 
einbüßen. 

In kleinerer Zahl nicht einmal bis zu 1% kommen Blastomyzeten (Sac- 
charomyces cerevisiae usw.) vor. Außerdem fand ich in kleinerer Menge 
schöne farbige Bakterien. Nach Flemming) sind schöne farbstoffbildende 
sog. chromogene Bakterien besonders in höheren Luftschichten in größerer 
Zahl zu finden. 

Zur Veranschaulichung der gewonnenen Resultate schließe ich die 
untenstehende Tabelle an, welche die besprochenen Bakteriengruppen 
nach ihrem Vorkommen an den verschiedenen Orten prozentuell angibt: 






















. Gewinnung der Luft- 
proben: 


999/, albus) 
Sporen- 
tragende Bak- 
terien 
Sarzinen 
Säurefeste 
Bakterien 
myzeten) 
Hefepilze, 
chromogene 
Bakterien) 





Staphyloco- 
ccus (in 95 bis 
Schimmelpilz- 
arten (Hypho 
Andere Bak- 

terien (Coll, 








Freie Luft,. Hungaria- | | 

straße in Budapest . . 18 43 IG" Ti 25 | 2h 
Hof des bakteriol. In- | 

stitutes (in der Náhe von 

Stallungen) . .. . ... 30 41 8 2. 18. d l 
Hof der tierärztl. Hoch- | | 

schule. ........ 18 50 10 6 | 14 | 2 
In der elektr. StraBen- | ! 

bahn... 22.2.2 en % 26 38 12 , 0 23 | l 
Im Laboratorium . . 51 25 | 10 | l 12 1 
Ambulanz, Operations- | | | | 

zimmer der Chirurg. Uni- | | 

versitätsklinik . . . . . 69 12 6% 0 | 11 | 1, 
Wohnzimmer . ... 62 26 | 2 | 0 9 | 1 
Schlafzimmer . . . . 76 9 1 3 0 | 11 | 1 
Dampfbad. ... . . 93 2), | 2 0 | 2 dé 

| | 


Bemerkung. Die Zahlen bedeuten Prozente. | 


Bei diesen Untersuchungen war mir Herr Asistent Buzna mit 
großem Eifer behilflich, dem ich an dieser Stelle für seine Hilfe meinen 
Dank ausspreche. 


Literatur. 


. Arnold, Traite d’hygiene (1895) und Rigler Kózegeszségtan (ungarisch). 
. Reichenbach im Friedberger-Pfeiffers Lehrbuch der Mikrobiologie 1919. 
. Zentralbl. f. Bakter. R. Bd. 26, S. 492. 

. Zeitschr. f. Hyg. Bd. 58, S. 345. 


Wes Ge N mb 


Studien zur Kenntnis der Eigenschaften von Diphtherie- 
Toxin-Antitoxin-Gemischen. 


IV. Die Bedeutung der Zone bei der Ausflockung von Di-T.A.-Gemischen. 


Von 


Privatdozent Dr. Hans Schmidt und Dr. Wilhelm Scholz. 


(Aus dem Institut für experimentelle Therapie , Emil v. Behring“, Marburg 
a. d. Lahn (Direktor: Prof. Dr. H. Dold.) 


(Bei der Redaktion eingegangen am 16. Mal 1925.) 


Wir haben in unserer ersten Mitteilung!) über die Eigenschaften von 
Diphtherie-Toxin-Antitoxin-Gemischen (T.A.) gezeigt, daß der Lf-Wert 
eines Giftes nicht mit dem Lo-Wert?) übereinzustimmen braucht. Vom 
L+-Wert an nimmt der Toxinüberschuß nach Lf zu stetig ab. Er wird 
schließlich so gering, daß nur eine eben noch erkennbare Reaktion am 
Meerschweinchen zu bemerken ist, wenn man das Tier am zweiten Tage 
nach der Einspritzung tötet. Eine solche T.A.-Mischung entspricht dem 
Lo-Wert. Eine noch weitere Abnahme des Toxinüberschusses entzieht 
sich dem Nachweis beim Meerschweinchen, insofern die Toxinmenge unter- 
schwellig wird, d.h. vom Tier ohne erkennbare Symptome vertragen wird, 
es sei denn die Bildung einer aktiven Immunität. Um so geringe Gift- 
mengen im Tierversuch nachzuweisen, müßte man Vielfache derselben 
einspritzen. Aber auch dann könnte man, wenn es sich, wie hier, nur um 
Spuren noch freien Di-Toxins in T.A.-Gemischen und nicht um Di-Gifte 
allein (ohne Antitoxin) handelt, die direkte Giftwirkung nicht von der- 
jenigen trennen, die durch die Zerlegung der T.A.-Verbindung im Tier- 
körper verursacht wird. Ist nun der Giftüberschuß in einem T.A.-Gemisch 
so gering geworden, daß er sich des direkten Nachweises entzieht, dann 
pflegt das Gemisch auszuflocken. Wir hätten dann nur die von den Flocken 
befreite Flüssigkeit zu untersuchen. Ist diese, selbst in großen Dosen, 
völlig frei von Toxinwirkung und auch nicht imstande, zu immunisieren, 
dann entspricht das betreffende T.A.-Gemisch dem Lf-Wert des Giftes. 
Es ist demnach klar, daß der Lf-Wert zahlenmäßig stets kleiner sein muß 


1) Arch. f. Hygiene 1925. 95. 308. - 

2) Lf ist diejenige Giftmenge, die mit 1 AE optimal flockt und in vitro 
genau neutralisiert ist. Lo ist die mit 1 AE im Tierversuch neutrale Giftmenge, 
und L+ ist die Giftmenge, die mit 1 AE ein Meerschweichen in vier Tagen tötet. 

Archiv für Hygiene. Bd. 96. 15 


186 Kenntnis der Eigenschaften von Diphtherie-Toxin-Antitoxin-Gemischen. 


als der Lo-Wert. Unter Umständen, bei frischen Giften, können beide 
den gleichen Wert haben, was aber wohl mehr auf unserem unvollkommenen 
Verfahren beruht, den Lf-Wert und mehr noch den Lo-Wert wirklich scharf 
zu bestimmen. Mit anderen Worten: das Verhältnis Lo/Lf ist entweder 
gleich oder meistens größer als 1, eine Tatsache, der auch, Sordelli!) zu- 
stimmt. Wovon hängt die Größe dieses Verhältnisses im Einzelfalle ab ? 
Wir wollen unter Zugrundelegung unserer Auffassung von der Zusammen- 
setzung des Di-Giftes, wie wir sie in unserer zweiten Mitteilung?) kurz 
skizziert und in der dritten?) ausführlicher dargelegt haben, den Vorgang 
untersuchen, der stattfindet, wenn eine gegebene Di-Giftmenge durch 
Steigerung des Antitoxinzusatzes bis zur Vollständigkeit neutralisiert 
wird, oder, was auf das gleiche hinauskommt, wenn zu 1 AE immer 
weniger Di-Gift zugesetzt wird. 

Wir nehmen ein frisches 8- bis 10tägiges Di-Gift an, von dem zu 1 AE 
soviel zugesetzt ist, daß die Mischung = 1 L + Dosis ist. Das Gift enthält 
Toxone, Toxine und Toxoide. Alle diese haben zunächst gleichmäßig Anti- 
toxin gebunden. Es bleibt nur soviel von Toxon, Toxin und Toxoid frei, 
als etwa der Giftmenge entspricht, die ein Meerschweinchen ın 4 Tagen 
töten kann. Genau ist diese Giftmenge nicht feststellbar, da ja in vivo 
eine Trennung der Bindung stattfindet, und die Wirkung, die man beob- 
achtet, in Wirklichkeit die Folge beider Einwirkungen auf das Tier ist, 
sowohl des von vorneherein freien Toxins als auch des im Tiere aus der 
Bindung frei werdenden Toxins!). 

Denn wenn man die L+-Mischung längere Zeit stehen läßt, wird die 
Bindung fester und der anfänglich am 4. Tage eintretende Tod wird hinaus- 
geschoben. Z. B.: Ein T.A.-Gemisch, das nach dem Ansetzen und vor der 
Einspritzung 1 Stunde lang bei 37% stand, tötete ein Meerschweinchen 
in 60 Stunden. Dasselbe Gemisch brauchte nach 24stündigem Stehen 
bei 37° 132 Stunden und nach 1stindigem Stehen bei 45% 96 Stunden, 
um ein genau gleich schweres Meerschweinchen zu töten. Diese Verhält- 
nisse waren bereits Ehrlich gut bekannt. Auch erhöhte Temperatur 
bedingt das Festerwerden der Bindung. (Daher vielleicht auch der be- 
schleunigende Einfluß der Wärme auf den Flockungsvorgang.) 

Wäre die Wirkung eines L+-Gemisches auf ein Meerschweinchen 
nur durch die Menge freien Toxins bedingt, mit anderen Worten, würde 
das gebundene Toxin sich völlig neutral verhalten, dann müßte der zahlen- 
mäßige Unterschied zwischen einer neutralen T.A.-Mischung (= Lf) 
und einer L+-Mischung nur 1 D.l.m. betragen, was aber bekanntlich nicht 
der Fall ist. Deswegen hat ja Ehrlich, um zu erklären, daß man einer 
Lo-Mischung mehr als 1 D.l.m. von Gift hinzufügen muß, um den L+- 
Wert zu erhalten, zu der Annahme einer Vielheit von Di-Giftkomponenten 
mit verschiedener Affinität zu Antitoxin greifen müssen. Läßt man ein 
solches unterneutrales T.A.-Gemisch, wie es eine L+-Mischung darstellt, 


1) A. Sordelli u. R. Serpa. C. rend., Soc. Biol. 1925, 92. 824. 

2) Arch. f. Hyg. 1925. 95. 339. - 

3) Arch. f. Hyg. 1925. 96. 172. 

4) In Übereinstimmung mit Glenny, Pope und Waddington. Journ. 
of exp. Path. and Bact. 1925, 28. 279. 


Von Dr. Hans Schmidt und Dr. Wilhelm Scholz. 187 


sehr lange Zeit stehen, so kann das Gemisch, wie in unserer zweiten Mit- 
teilung erörtert wurde, eine geringe Zunahme an freiem Gift erfahren. 
Es wird sich wahrscheinlich — mit Gewißheit läßt sich das noch nicht 
sagen — um eine Umlagerung in dem Sinne handeln, daß das Antitoxin 
von den Toxonen und höherdispersen Toxinen, die das Antitoxin weniger 
fest binden, zu den niederdispersen Toxinen und Toxoiden übergegangen 
ist!) (vgl. Mitteilg. III). 

Wird 1 AE mit immer weniger Gift als zur Erreichung der L+- Dosis 
nötig ist, gemischt, dann erreichen wir bald die Lo-Mischung. Geht man 
noch etwas mit dem Giftzusatz herunter, dann erhält man die Lf- 
Mischung. Ist noch weniger Gift mit 1 AE verbunden, dann erhalten wir 
T.A.-Gemische mit graduell zunehmendem Antitoxinüberschuß. Doch 
lange bevor man den Lf-Wert erreicht, hat das T.A.-Gemisch die Nei- 
gung zu flocken. 

Da nun die Giftwirkung im Tier bei 1 L+-Dosis nur durch das noch 
freie resp. schnell frei werdende Toxin bedingt ist, so muß die Giftmenge, 
d.h. die Menge giftiger Bouillon, die mit 1 AE L+ gibt, naturgemäß 
zahlenmäßig um so kleiner sein, je toxinreicher oder je toxoidärmer das 
Gift, d.h. die Gift-Bouillon, ist im Vergleich zu einem anderen Gifte mit 
gleichem Lf-Wert. Daher ist der Unterschied L+—Lf um so größer, je 
mehr Toxoid in dem Gift vorhanden ist, demgemäß auch der Quotient 
L-+/Lf um so größer. In der Tat finden wir die höchsten Werte dieses 
Verhältnisses bei alten Giften (siehe die Tabellen I und 11 unserer I. Mit- 
teilung). Bei solchen alten Giften ist aber auch der Wert Lo/Lf um so 
größer als 1, je mehr man sie als toxoidreich anzunehmen berechtigt ist. 
Ein Lo-Gemisch enthält der Definition nach eine Spur freies Gift. Auch 
diese Spur ist bei einem toxinreichen Gift zahlenmäßig kleiner als beı 
einem toxoidreichen. Nur bringt der Unterschiedswert (Lo—Lf) die Be- 
ziehung zum Toxoidgehalt nicht so zum Ausdruck wie der Unterschieds- 
wert L+—Lf. 


Tabelle I. 






Datum der 


Gift Nr. Herstellung 


(Lo—Lf) 










16. 11. 1925 
7 0,067 1904 
281 0,171 23. VIII. 1921 
2823 0,156 2. V III. 19233) 
344 0,013 15. VIII. 1924 
3. XII. 1924 


350 | 0,008 


Diese Tabelle I soll das eben Gesagte zeigen. Aber wir müssen uns 
darüber klar bleiben, daß andere noch unbekannte Faktoren die zahlen- 
mäßigen Unterschiede zwischen L+, Lo und Lf beeinflussen. 


1) Glenny (loc. cit.) nimmt an, daß.Toxin eine viel größere Affinität zu 
Antitoxin hat als Toxoid. 

2) Vom 2. 8. 1923 an stand dieses Gift mit den Di-Bazillen unberührt 
1%/, Jahre lang bei Zimmertemperatur. 


15* 


188 Kenntnis der Eigenschaften von Diphtherie-Toxin-Antitoxin-Gem ischen. 


Wenn man eine Flockungsreihe ansetzt (fallende Mengen Serum zu 
1 oder 2 cem Gift), dann erhält man in der Regel Flockungen in einer An- 
zahl von Röhrchen. Man beobachtet eine Flockungszone. Die Mischung 
in dem zuerst’flockenden Röhrchen dient zur Bestimmung des Lf-Wertes. 
Die Zone erstreckt sich zu beiden Seiten dieses Röhrchens und nimmt 
mit der Zeit an Breite zu, bis schließlich der Überschuß an freiem Gift 
oder freiem Antitoxin-Serum so groß ist, daß keine Flockung mehr auftritt. 


Können wir nun aus der Breite der Zone Schlüsse auf gewisse Eigen- 
schaften des Giftes oder des Serums ziehen ? Fällt das Ende der Zone auf 
der toxischen Seite mit dem Lo-Wert oder mit dem L-+-Wert zusammen ? 
Oder fallen gar beide Werte noch innerhalb der Flockungszone ? 


Zur Beantwortung dieser Fragen haben wir mit verschiedenen Giften 
gegenüber einem und demselben als Prüfungsserum dienendem Serum, 
das 410fach war, Flockungsreihen angestellt. Doch bevor wir Niederschrif- 
ten derselben bringen, möchten wir an dieser Stelle einige Bemerkungen 
über die Brauchbarkeit der Flockungsprobe für die Wertbestimmung von 
Serum und Giften einflechten. 


Wir haben bereits wiederholt, besonders in unserer I. Mitteilung, darauf 
hingewiesen, daß der Lf-Wert eines Giftes, d. h. die Menge Gift, die mit 1 AE eine 
optimale Flockung gibt, mit keinem anderen im Tierexperiment gefundenen Gift- 
wert identisch ist. Da nun zur Zeit noch kein Maßsystem bekannt ist, das die 
Wertigkeit von Gift oder Serum nur auf Grund der gegenseitigen Flockbarkeit 
zu bestimmen erlaubte, so bleibt als allein zulässiges Grundmaß, auf das alle 
Bestimmungen zurückgeführt werden müssen, das Ehrlichsche Standard- 
Antitoxin in Frankfurt a. M. Diese Antitoxineinheit liegt ja bereits dem Flok- 
kungswert Lf eines Giftes zu Grunde. Trotzdem wir nun wissen, daß der in vitro 
erhaltene Flockungswert durch keinen in vivo darstellbaren Giftwert wieder- 
gegeben werden kann, müssen wir doch an irgendeiner Stelle eine Verbindung 
zwischen den beiden Maßsystemen herstellen. Z. B. das Di-Gift 319 ergibt mit 
einem Serum, das auf das genaueste im Tierversuch als 410fach bestimmt war, 
eine Ausflockung, deren Optimum bei der Verwendung von 1 ccm Gift bei 
0,0284 ccm Serum lag. In dieser Serummenge waren 11,65 AE, und 1 AE flockte 
daher mit 0,0858 ccm Gift, so daß letztere Zahl den Lf-Wert des Giftes darstellt. 


Es ist also zu beachten, daß dieser Berechnung des Lf-Wertes eine ‚in vivo‘ 
Bestimmung des Serums zu Grunde liegt. Dieser unzweifelhaft logische Fehler 
läßt sich nicht vermeiden, wenn man das Flockungsverfahren zur Wertbestim- 
mung von Giften und Seren in dem zur Zeit üblichen Maßsystem benutzen will. 
Auch Glenny nimmt ein besonderes Prüfungsserum, dessen antitoxischen Wert 
vorher in vivo bestimmt ist. Die Erfahrung hat aber gezeigt, daß dieses Ver- 
fahren sehr brauchbar ist. Nur ist es unbedingt nötig, immer wieder, wenn man 
verschiedene Gifte gegen ein gleiches Serum, oder wenn man mit einem 
Prüfungsgift verschiedene Sera bestimmen will, einen genauen Vergleich in vivo 
mit dem Standardantitoxin durchzuführen. Geschieht dies nicht, so können 
selbst anscheinend einwandfreie Versuche doch dazu führen, daß bei der Ein- 
stellung eines Serums gegen ein Prüfungsgift der ‚in vivo“ Wert des Serums 
über doppelt so hoch ausfallen kann, wie der durch dieFlockung in vitro bestimmte. 
Nur so können wir uns die überraschenden Zahlenangaben von Glenn y?) und 
Glenny und Wallace?) erklären, die u.a. ein Serum im Tierversuch 260fach 
und mit dem Flockungsverfahren nur 110fach fanden. Derartige Unterschiede, 
ja nicht einmal angenähert so große, haben wir niemals während der langen 
Zeit, in der wir das Flockungsverfahren benutzen, beobachten können. 


4) The Journal of Path. & Bact. 1925. 28. 130. 
2) Ebenda 1925. 28. 317 (besonders $. 324). 


Von Dr. Hans Schmidt und Dr. Wilhelm Scholz. 189 


. Wir haben also mit einem in vivo bekannten Serum den Flockungswert 
eines Giftes festgelegt. Nehmen wir dieses Gift als Prüfungsgift, um damit andere 
Sera zu prüfen, so finden wir bei gleicher Giftmenge eine andere Zahl ccm Serum, 
um das gleiche optimale Flockungsbild zu erhalten. Da wir wissen, daß von dem 
4140fachen Serum 0,0284 ccm mit 1 ccm des Prüfungsgiftes optimal flockte, 
und jetzt z. B. 0,034 ccm eines anderen Serums das gleiche tut, so schließen wir: 


0,0284:410 = 0,034: 2 


und finden daraus x = 500. Wir nehmen daher das unbekannte Serum als 500- 
fach an und vielfältige Erfahrung zeigte, daß die auf diese Weise gefundenen 
Serumwerte verläßlich waren, insofern sie sich mit dem gleichzeitig im Tier- 
versuch ermittelten deckten. 


Nehmen wir umgekehrt das bekannte 410fache Serum, das mit Di-Gift 
319 Lf = 0,0858 gab, als Prüfungsserum gegen andere Gifte, so würde man bei 
Zusatz fallender Serummengen zu je 1 ccm der zu untersuchenden Gifte finden, 
daß das Serum jedesmal scheinbar einen anderen Titer hat. Entsprechend obigem 
Beispiel würden wir also finden: 

4 ccm Di-Gift 319 gab mit 0,0284 ccm des 410fachen Serum Lf 

= 0,0858 

4 ccm Di-Gift Z gab mit 0,034 ccm des 410fachen Lf = zx 
woraus wir schließen: 0,0858:0,0284 = x2:0,034 und finden für das Di-Gift Z 
den Flockungswert z = 0,103. Das 410fache Serum hätte diesem Gift gegenüber 
den scheinbaren Wert 500fach. Im übrigen sei bezüglich der Technik der Aus- 
flockungsversuche auf die Arbeit von W. Scholz!), auf die zusammenfassende 
Darstellung der Wertbestimmungsverfahren von Di-Gift und Di-Serum von 
H. Schmidt?) und schließlich auf die Arbeit von A.T. Glenny und U. Wal- 
lace3) verwiesen, von denen letztere Autoren sehr beachtenswerte technische 
Winke zur Vermeidung von Fehlerquellen bei der Flockungsprobe geben. 


Die Zahlenangaben der folgenden Versuchsaufzeichnungen geben die 
durch Umrechnung erhaltenen ccm Gift an, die mit je 1 AE des 410- 
fachen Prüfungsserums gemischt waren. Die Zahlen sagen direkt nichts 
über die Technik der Flockungsproben aus, bei denen vielmehr fallende 
Mengen des Prüfungsserums zu konstanten Giftmengen gefügt waren. 
Die Mischungen standen in einem Wasserbad bei 45° bis 50°. 


Versuchsniederschriften der Di-toxin-Antitoxin-Flockung 
mit Berücksichtigung der Breite der Flockungszone. 


I. Di-Gift 352b. Lo = 0,075; L+ = 0,100; Lf = 0,071 geprüft gegen 
410faches Serum. 


2 Gil 0,020 | 0,041 | 0,062 | 0,083 | 0,104 | 0,125 , 0,146 | 0,167 
Ir.) -F LN ESTE mek Trn = — 





nach 1h bei 45°. 





„15h „45%... [++] ttt +++ u el 
Lf Lo L+ | | 
1. Tr. = leichte Trübung; — = Röhrchen klar; die Zahl der Kreuze 


bedeutet die Stärke der Flockung. 


1) Centralbl. f. Bact. I. 1923. 91. 24. 
2) Zeitschr. f. Kinderheilk. 1925. 89. 214. 
3) Journal of Path, and Bact. 1925. 28. 317. 


190 Kenntnis der Eigenschaften von Diphtherie-Toxin-Antitoxin-Gemischen. 


IL Di-Gift 281. Früher: Lo = 0,33; L+ = 0,44; Lf = 0,159 
Jetzt: Lo = 0,35; L+ = 0,45; Lf = 0,200 
geprüft gegen 410faches Serum. 


1AE-+-ccm Gift: o, 125|0, 146 0,16 167 0,188 | 0,209 |0,231/0,251¡0,272/0,292;0, eh 0,334 
nach 5*/¿h b. 45° |. Tr. L Tr.1.Tr.| Tr. = 








| 
III. Di-Gift 293. Lo = 0,35; L+ = 0,57; Lf = 0,26 
geprüft gegen 410faches Serum. 


1 AE +cem Gift: | 0,251 


| 0,292 lo,334| 0,376 lo,418/0,463|0,503/0,542] 0,585 10,627 
nach 201/;h bei 45° | +-+ || 44444481444 ti + | - |] — | = 
am a ans a EE un 


„ 68h „45° | 444 
| Lf Lo L, 


IV. Di-Gift 344. Lo = 0,2; L+ = 0,36; Lf = 0,187 
geprüft gegen 410faches Serum. 


1 AE + ccm Gift: Lo, 
nach 70h bei 450 











Die angegebenen Versuchsbeispiele genügen, um zu zeigen, daß die 
Flockung sich mit der Zeit erstaunlich weit in das Gebiet des Toxinüber 
schusses, erstreckt. Wie weit die Flockungszone auch in das Gebiet des 
Antitoxinüberschusses reicht, lassen wir dahingestellt. Da es uns weniger 
interessierte, haben wir diesem Gebiet geringere Beachtung geschenkt. 
Sicher ist aber, daß auch auf der antitoxischen Seite eine Grenze der 
Flockungszone vorhanden ist, jenseits welcher der Antitoxinüberschuß 
eine Flockung verhindert. 

Aus unseren Versuchen ersehen wir also, daß das Ende der Flok- 
kungszone weder mit dem Lo-, noch mit dem L+-Wert zu- 
sammen zu fallen braucht. In der Tat befanden sich bei der Mehr- 
zahl der von uns untersuchten Gifte beide Werte innerhalb 
der Flockungszone. Es ist bemerkenswert, daß ein so toxisches Ge- 
misch wie L+ bei höherer Temperatur und nach längerer Zeit doch noch 
zur Ausflockung gelangt. 

Was nun die Bedeutung der Zonengröße anbetrifft, so sind wir nicht 
in der Lage, sie in irgendeine Beziehung zur toxischen oder immunisierenden 
Eigenschaft des Di-Giftes zu bringen. Es macht uns eher den Eindruck, 
als hinge die Ausdehnung der Zone mit solchen Eigenschaften eines Diph- 
therie-Giftes zusammen, die überhaupt seine Flockbarkeit bedingen. 
Außerdem sind die besonderen Eigenschaften des Serums nicht nur 
für die Flockung überhaupt, sondern wohl auch für die Breite der Zone 
mit verantwortlich zu machen?). 


4) In einer späteren Mitteilung werden wir versuchen, zu zeigen, daß die 
Breite der Zone einmal auf der Schutzwirkung des Serumalbumins auf die für 


Von Dr. Hans Schmidt und Dr. Wilhelm Scholz. 491 


Von ganz besonderem theoretischen Interesse ist nun der Befund bei 
dem alten Di-Gift Nr. 7, den die folgende Versuchsniederschrift zeigt: 
Di-Gift 7, geprüft gegen 410faches Serum. 


0,16/0,18| 0,20 | 0,23 | 0,25 
Tr.| + + +H | + 





1AE Leem Gitt|0,04'0,05[0,0610,07'0,08]. . . .. 











Lo 1 LIT y LEI L-+11>0,3 


ur Lo 11 


Das Gift Nr. 7 war 1904 hergestellt worden und hat seitdem, wie die fol- 
genden Zahlenwerte angeben, eine beträchtliche Abschwächung erfahren. 
Giftwerte des Di-Giftes Nr. 7: 





Bezeichnet 






0,00083 


0,0166 Beim Versuch mit I 


39 3) H 






Bei den Flockungsproben mit diesem alten Gift konnten wir nun 
wiederholt beobachten, daß sich zwei Flockungszonen bildeten, die durch 
eine nichtflockende Zone getrennt waren. Es fanden sich zwei Optima. 
Das eine gab bei 0,20 ccm Giftbouillon zu 1 AE eine kräftige Flockung, 
die dem Lf-Wert entspricht, den das Gift jetzt hat; das andere Optimum 
war dagegen weniger scharf ausgeprägt, trotzdem aber deutlich bemerkbar. 
Dieses zweite Optimum entsprach dem Lf-Wert 0,058, den das Gift früher 
. hatte, und bei dem vor 2 Jahren noch eine kräftigere Flockung zu beob- 
achten war. Die gleichen Zahlenwerte für beide Optima liessen sich auch bei 
Benutzung eines anderen Prüfungsserums feststellen, so daß klar ist, 
daß wir es hier mit einer Eigentümlichkeit zu tun haben, deren Ursache 
im Gift und nicht im Serum zu suchen ist. Hand in Hand mit dieser 
Verschiebung des Lf-Wertes ist auch eine solche des Lo- und L+-Wertes 
eingetreten. 

Daraus läßt sich zunächst folgern, daß der Lf-Wert eines Giftes, wenn 
er auch von allen Giftwerten der beständigste ist, doch selbst mit der Zeit 
veränderlich ist. Bei dem ebenfalls schon älteren Gift 281 (Beispiel II 
der Versuche) scheint sich auch eine solche Änderung zu vollziehen, inso- 
fern der früher (vgl. I. Mitteilung) erhaltene Lf-Wert 0,159 sich nach 0,20 
verschoben hat. Auch der L+-Wert dieses Giftes ist von 0,44 auf 0,45 
gestiegen. Es ist eine Erfahrungstatsache, daß Diphtheriegifte, die bekannt- 
lich alle nach ihrer Herstellung sich in ihren direkten und indirekten Gift- 
werten spontan abschwächen, um dann längere Zeit praktisch konstant zu 
bleiben, ganz plötzlich eine erneute weitere Abschwächung erfahren, deren 
Werte nun wieder für einige Zeit konstant sind, bis ein neuer Schub er- 
folgt. Was die Ursache für diese stufenförmige Abschwächung ist, lassen 


das Zustandekommen der Flockung nötigen Euglobuline beruht sowie auf der 
Schutzwirkung der Peptonbouillonstoffe; das Ende der Zone ist erreicht, wenn 
sowohl das antitoxinhaltige Serum, wie auch die gifthaltige Bouillon in genügen- 
dem Überschuß vorhanden ist. 


192 Kenntnis der Eigenschaften von Diphtherie-Toxin-Antitoxin-Gemischen. 


wir dahingestellt1). Wir vermuten, daß nach langem Stehen irgendeine 
Handhabung, z. B. Öffnen der Flasche, Entnahme einer Probe, Um- 
füllen usw. die auslösende Ursache ist. Während die Bestimmung des Lo- 
und L+-Wertes eines abgeschwächten Di-Giftes beim Tier nur die Abnahme 
der Bindungsfähigkeit und den Verlust der Giftigkeit untrennbar voneinan- 
der feststellt, gibt uns die Flockungsprobe durch die doppelten Optima 
noch einen Einblick in die Vergangenheit des Giftes. Mischt man nämlich 
gleiche Teile des Di-Giftes Nr.7 (Lf = 0,20) und des frischen und gut 
flockenden Di-Giftes 358 (Lf = 0,070), so würde man bei dem Gemisch 
einen Lf-Wert — 0,130 entsprechend dem Mittelwert erwarten. Tatsäch- 
lich beobachtet man aber Lf = 0,119. 


Es hat den Anschein, als beträfe die Abschwächung nur einen Teil, 
und zwar den größeren Teil des Giftes, der den Lf-Wert 0,20 angenommen 
hat, während der kleinere Teil noch den alten Lf-Wert behielt. Die zuletzt 
im Tierversuch beobachteten Lo- und L-+-Werte sind wahrscheinlich 
auch nur Resultanten der beiden Giftanteile. Wird das Gift 7 nun mit 
einem frischeren Gift versetzt, so wirkt dieses ähnlich wie der Zusatz von 
Peptonbouillon zu frischem Gift, wie wir in unserer dritten Mitteilung be- 
schrieben. Der spontane Abschwächungsvorgang ist bis zu einem gewissen 
Grade umkehrbar, was sich im obigen Beispiel dadurch ausdrückt, daß der 
Lf-Wert des Gemisches kleiner war, als er der Berechnung nach hätte sein 
dürfen. 


Das Auftreten einer doppelten Zone wurde bereits von Glenny und 
Wallace?) beschrieben. Aber diese Autoren fanden die Erscheinung 
meistens durch das Serum bedingt, insofern ein Serum, das sich z. B. bei 
der Flockung mit verschiedenen Giften stets als 290fach erwies, nebenbei 
Flockungsmaxima zeigte, die den Werten 30, 55 und 60 entsprachen. Diese 
zweite Flockung nennen Glenny und Wallace unspezifisch. Sie kann 
aber manchmal zeitlich früher eintreten als die spezifische und dadurch 
Irrtümer veranlassen, weswegen nur solche Sera zur Prüfung von Giften 
dienen sollten, welche diese Erscheinung nicht zeigen. Wir selbst haben 
dieselbe niemals mit Serum beobachtet, sondern nur mit älteren Giften, 
und können in unserem Falle das zweite Flockungsmaximum nicht un- 
spezifisch nennen, weil es ebenso wie das erste auf Toxin-Antitoxinbindung 
beruht. Anderseits geht aus der Darstellung von Glenny und Wallace 
nicht hervor, warum sie das zweite Maximum unspezifisch nennen. Ver- 
suche, dasselbe auch bei Prüfung mit nicht Di-Gift enthaltender Bouillon 
zu erhalten, sind nicht angegeben. Auch fehlen Angaben, ob solche Sera 
besonders frisch oder besonders alt waren. Es ist nicht unwahrscheinlich, 
daß solche Sera Di-Antikörper verschiedener Art besitzen 3). 


1) Di-Gifte verhalten sich in dieser Hinsicht sehr verschieden, was vielleicht 
an Eigentümlichkeiten der Bouillon liegt. 

2) loc. cit. = 

3) Daß das Antitoxin als solches Änderungen erfahren kann, hat Glenn y 
(Journal of Hygiene 1913. 8. Nr. 1) gezeigt. Antitoxisches Di-Serum, das lange 
Jahre bei 37° stand, ist danach in der Lage, wenn mit Gift gemischt und einge- 
spritzt, beim Meerschweinchen wohl alle lokalen Reaktionen (Ödem) zu ver- 
hindern, nicht aber den Di-Tod. 


Von Dr. Hans Schmidt und Dr. Wilhelm Scholz. 193 


Auch bei manchen Giften geben Glenn y und Wallace an, eine dop- 
pelte Flockungszone beobachtet zu haben. Ob es besonders alte Gifte 
waren, läßt sich aus der Darstellung nicht entnehmen. Hier wird das 
zweite Maximum als nicht spezifisch bezeichnet, weil es sehr schnell ın 
Mischungen mit großem Antitoxinüberschuß eintritt. So beschreiben die 
Autoren ein Di-Gift, bei dem die Umrechnung ihrer Flockungskurve!) : 
folgendes Flockungsbild gibt: 


1 AE-+ ccm Gift: .... [0,016 | 0,018 |0,020 [0,0225 | 0,025 [0,0275 | 0,030 | 0,033 
Flockung nach 3Std... | +++ | +++1+44+| ++ | ++ ña 
1 AE 4+ ccm Gift:... 0,16 | 0,18 | 0,2 


0,04 | 0,09 | 0,1 | 0,12 
Flockung nach 3 Std. . | — en 4 dëck ee g de 


0,16 wird als der spezifische Lf-Wert angesprochen, während die andere 
Flockung, die bereits nach 1%, Stunden in die Erscheinung trat, als un- 
spezifisch gelten soll. Diese letztere Flockung hat eine sehr breite Zone, 
dessen Ende auf der antitoxischen Seite nicht in die Beobachtungsreihe 
kam. Das Bild hat zwar eine gewisse Ähnlichkeit mit unserem Flockungs- 
bild bei Di-Gift 7, aber auch hier ähnliche Ursachen für das doppelte 
Flockungsmaximum anzunehmen, hindert uns der Umstand, daß wir bis 
jetzt kein natives (nicht künstlich konzentriertes) Di-Gift beobachteten, 
das einen so niedrigen Flockungswert von 0,02 hatte, der also einem 50- 
fachen Di-Gift entspräche. Welche Art von Di-Gift aber die englischen 
Autoren benutzten, läßt sich aus ihrer Mitteilung nicht entnehmen. 

Wie die Flockung überhaupt zustande kommt und durch welche 
Faktoren sie beeinflußt wird, werden wir in einer späteren Mitteilung zu 
zeigen versuchen. 


t. 














0,14 

















Zusammenfassung. 


1. Bei allen indirekten Di-Giftwertbestimmungen ist die am Tier 
beobachtete Wirkung nicht nur die Folge des freien Toxins, sondern auch 
wesentlich mitbedingt durch das aus der Bindung mit Antitoxin im 
Tierkórper frei werdende Toxin. Die Toxin-Antitoxinbindung wird im 
Laufe der Zeit fester. 

2. Bei jedem Di-Gift ist Lo:Lf> 1. Der Wert dieses Verhältnisses 
ist um so größer, je mehr das Di-Gift Toxoide enthält. Diese Abhängigkeit 
vom Toxoidgehalt kommt bei dem Verhältnis L+:Lf noch mehr zum 
Ausdruck. 

3. Bei der Wertbestimmung von Di-Serum und Di-Giften durch das 
Flockungsverfahren ist eine einmalige willkürliche Gleichsetzung des in 
vitro erhaltenen Serumwertes mit dem in vivo erhaltenen notwendig, um 
die Messung auf das Ehrlichsche Standardantitoxin zu beziehen. Die 
Berechtigung dieser Gleichsetzung ist durch die Erfahrung erwiesen, 
aber fortgesetzte Vergleichsproben mit dem Standardantitoxin sind nötig, 
um grobe Abweichungen der in vivo Werte von den in vitro erhaltenen 
trotz scheinbar einwandfreier Technik zu vermeiden. 


= 4) Auf Seite 330 im Journ. of Path. & Bact. 1925. 28. 


194 Kenntnis der Eigenschaften von Diphtherie-Toxin-Antitoxin-Gemischen. 


4. Die Flockung von Di-Gift und Antitoxin erstreckt sich über eine 
von Fall zu Fall verschieden weite Zone, die mit der Dauer des Versuches 
an Ausdehnung zunimmt. Meistens liegt der Lo-Wert innerhalb der 
Zone und in vielen Fällen kommt es sogar bei LE noch zur Flockung. 


5. Der.Lf-Wert eines Giftes ist zwar von allen Giftwerten der bestän- 
digste, aber auch er verändert sich, wenn auch erst nach längerer Zeit. 


6. Bei einem alten Gifte (Nr. 7) konnten 2 Flockungsmaxima unter- 
schieden werden. Diese Erscheinung kann durch die Annahme erklärt 
werden, daß ein Teil des Giftes sich abgeschwächt und einen neuen nied- 
rigeren Lf-Wert angenommen hat. Dem entspricht auch eine Abnahme in 
den Lo- und L+-Werten; diese Werte sind Resultanten der 2 Giftanteile, 
aber während sich bei diesen Werten die Spaltung des ursprünglichen 
Giftes nicht mehr nachweisen läßt, ist sie bei der Flockung durch das Auf- 
treten zweier Maxima noch zu erkennen. Bei Di-Serum wurde die Eigen- 
tümlichkeit, zwei Maxima bei der Flockung zu bilden, von uns im Gegen- 
satz zu Glenny, bisher nicht beobachtet. 


Bioskopische Reduktionsmethoden II. 


Vergleichende Untersuchungen mit der Nitro- und der Methylenblan- 
Reduktionsmethode und ihre Verwendbarkeit für Stoffwechselunter- 
( suchungen an Bakterien. 


Von 
Dr. med. O. Kirchner. 


(Aus dem Hygienischen Institut der Universität Rostock (Direktor: Prof. Dr. 
v. Wasielewski). 


(Mit Unterstútzung der Rockefeller-Stiftung.) 
(Bel der Redaktion eingegangen am 23. Juli 1925.) 


Die vorangegangene kritische Untersuchung (Arch.f. Hyg. 1925, 
Nr. 5—6, S. 280) führte zu dem Ergebnis, daß der Chemismus der Nitro- 
reduktion ein außerordentlich komplizierter ist und bei der definitiven 
Lipschitzschen Methodik die Fehlerquellen so groß sind, daß die mit 
dieser Methodik gewonnenen Ergebnisse, soweit sie quantitativ sind, keine 
strikte Beweiskraft beanspruchen können, insbesondere auch nicht die 
Schlußfolgerung, daß der Nitroreduktion die prinzipielle Sonderstellung 
einer im Gegensatz zu anderen Reduktionen aufs engste mit dem Atmungs- 
prozeß verknüpften Reaktion zukomme. 

Im folgenden sei nun über die eigenen Versuchsergebnisse mit der 
Nitro- und mit der Methylenblau-Reduktionsmethode sowie über ver- 
gleichende Untersuchungen mit Verwendung beider Farbstoffe berichtet. 


A. Versuche mit der Nitro-Reduktion. 


Der Anlaß zu der Untersuchung des Chemismus der Nitroreduktion 
war die Feststellung, daß der durch bakterielle Reduktion aus dem Nitro- 
anthrachinon entstehende rote Farbstoff durchweg nicht, wie von Bieling 
(1) angegeben, das Aminoanthrachinon ist, sondern sich von diesem durch 
eine schwächere Färbekraft und die Eigenschaft unterscheidet, daß seine 
rote Farbe in alkalischer Lösung in Grün umschlägt; dieser Tatsache ist 
hinzuzufügen, daß bei den verschiedenen Bakterienarten bedeutende 
Unterschiede qualitativer Art im Reduktionsprodukt festzustellen sind, 
neben den starken quantitativen Differenzen im Reduktionsvermögen. 
In qualitativer Hinsicht scheinen sich von den untersuchten Bakterien- 
arten der Staphylococcus aureus und der Bac. subtilis am gegensätzlichsten 


196 Bioskopische Reduktionsmethoden II. 


zu verhalten: Der Staphylococcus aureus, der sehr kräftig reduziert, liefert 
ein mehr rosafarbenes Reduktionsprodukt, das in alkalischer Lósung eine 
kräftige, saftgrúne Farbe annimmt; der Bac. subtilis, der sehr mäßig redu- 
ziert, liefert (in 1proz. Peptonlösung) ein lachsrotes Reduktionsprodukt, 
das in alkalischer Lösung seine Farbe behält. Hier ist also bis zum End- 
produkt, dem Aminoanthrachinon C,¿H¿0,HN,, reduziert worden, während 
der Staphylococcus aureus überwiegend nur bis zum Hydroxylamino- 
anthrachinon C,,H„O,NHOH reduziert. Die meisten Bakterienarten stehen, 
was die Zusammensetzung des Reduktionsproduktes anbelangt, zwischen 
diesen beiden Extremen. Ihr Reduktionsprodukt enthält beide Reduktions- 
stufen in wechselndem Verhältnis und zeigt demgemäß bei Zusatz von 
KOH eine schmutziggrüne bis olivfarbene Mischfarbe. Auch bei ein und 
derselben Bakterienart zeigen sich qualitative Unterschiede geringeren 
Grades in Abhängigkeit von dem verbrennenden Substrat; Bac. subtilis 
z. B. gibt in 1proz. mit NaCl isotonisch gemachter Traubenzuckerlósung 
ein Reduktionsprodukt, das in alkalischer Lósung olivfarben wird, also 
vermutlich ein Gemisch von Amin und Hydroxylamin darstellt. Auf die 
Bedeutung des verbrennenden Substrates wird noch später zurückzu- 
kommen sein. Die Ursache dieser qualitativen Differenzen ist vielleicht 
in der Eigenart der Stoffwechselvorgänge der verschiedenen Bakterien- 
arten bzw. in der Verschiedenheit der dabei statthabenden energetischen 
Verhältnisse zu suchen; dafür spricht besonders die Abhängigkeit auch vom 
verbrennenden Substrat.‘ Die Bildungswärmen des Hydroxylaminoanthra- 
chinons und des Aminoanthrachinons sind nicht bekannt; es wäre vielleicht 
möglich, daß gewisse Umsetzungen, z. B. die des Bac. subtilis in Pepton- 
lösung mit einem solchen Energieverbrauch verlaufen, daß dazu die 
Bildungswärme des Hydroxylaminoanthrachinons nicht genügte, vielmehr 
eine eventuelle größere, bei Bildung des Aminoanthrachinons verfügbar 
werdende Energiemenge erforderlich wäre. Für das Methylenblau hat 
Meyerhof (8) die Bildungswärmen bestimmt; für die Umwandlung des 
Methylalkohols in Formaldehyd ergibt sich nach Meyerhof für Sauerstoff 
als Wasserstoffacceptor: 


CHOH +0 > HCOH + Hai 
63,4 40,4 68,4 


aus der Differenz der Bildungswármen eine freiwerdende Wärmemenge von 
54,4 cal; für Methylenblau als Wasserstoffacceptor dagegen: 


CH¿OH +M (Meth.-blau) > HCOH + MH, (Meth.-blau-Base) 
63,4 40,4 25,7 


eine verfügbare Wärmemenge von nur 2,7 cal. — Erwähnt sei ferner noch, 
daß nach Scholl und Eberle (12) bei der Reduktion des Nitroanthrachi- 
nons in alkalischer Lösung von Traubenzucker als Nebenprodukt die 
Azoxyverbindung des Anthrachinons entsteht, welche Verbindung also 
wohl auch in dem bakteriellen Reduktionsprodukt anzunehmen ist, so daß 
hinsichtlich der Zusammensetzung des bakteriellen Reduktionsproduktes 
des Nitroanthrachinons das gleiche gilt wie für dasjenige des m-Dini- 
trobenzols. 


Von Dr. med. O. Kirchner. 197 


Was die Versuchsanordnung betrifft, so machte die gegen- 
über dem Aminoanthrachinon schwächere Färbekraft des bakteriellen 
Reduktionsproduktes ein Abweichen von der ursprünglichen Vorschrift 
Bielings notwendig. Diese sah als Vergleichsröhrchen eine Skala von 14 
Teströhrchen gleichen Durchmessers vor, die in je 10 cm? Wasser von 0,1 
bis 4,0 mg steigende Mengen Aminoanthrachinon enthielten. Da die 
Lösungen des Aminoanthrachinons sehr beständig und in ihrem Farbton 
den durch bakterielle Reduktion entstandenen Lösungen im allgemeinen 
bei einiger Übung im Ablesen recht vergleichbar sind, so wurde die Amino- 
` anthrachinonlósung wegen des großen Vorteils, eine konstante Testskala 
zu haben, beibehalten. Der Bereich der Testskala wurde jedoch sehr ein- 
geschränkt, und nur 8 Röhrchen, die 0,05, 0,1, 0,15, 0,2, 0,25, 0,3, 0,35 
0,4 mg in je 10 cm® Wasser enthielten, zur Ablesung verwandt, wobei 
die Röhrchen eines Versuches eventuell mit der ein- oder vielfachen Menge 
Wasser so verdünnt wurden, daß alle Röhrchen in einem möglichst engen 
Bereich dieser Skala abgelesen werden konnten. Die Ablesung geschah mit 
dem Walpoleschen Komparator unter Verwendung besonderer Röhrchen, 
die denselben Durchmesser wie die Röhrchen der Testskala haben. Zur 
Ablesung wurden die sofort bei Beendigung des Versuches in Eiswasser 
gestellten Röhrchen mit der entsprechenden Wassermenge verdünnt und 
in die Ableseröhrchen umgegossen; hinter das abzulesende Röhrchen wurde 
ein Röhrchen mit Wasser, hinter das Teströhrchen ein anderes geschaltet, 
welches abgetötete Bakterienabschwemmung, Nährflüssigkeit und Nitro- 
anthrachinon in gleichen Mengen bzw. in gleicher Verdünnung enthielt 
wie das abzulesende Röhrchen. Bei den niedrigen Werten um 0,2 ist der 
Farbton von Reduktionsprodukt und Aminoanthrachinon ziemlich gleich, 
so daß bei einiger Übung auch Intervalle zwischen zwei Teströhrchen gut 
abzuschätzen sind. Wo das Ablesen etwas schwieriger war, wie besonders 
bei dem vorzugsweise Hydroxylaminoanthrachinon bildenden Staph. aur., 
wurden die einzelnen Röhrchen einer Versuchsreihe an der Testskala ge- 
messen und die erhaltenen Werte kontrolliert, indem jedes Röhrchen mit 
einem bestimmten Röhrchen der Reihe verglichen und die Differenz im 
Farbton durch Hinterschalten von Aminorotröhrchen hinter das schwächer 
gefärbte Röhrchen bestimmt wurde. So wurden feste Werte erhalten, 
deren durch die Ablesung bedingte Fehler sicher innerhalb der der Nitro- 
reduktion an sich zukommenden Fehlergrenzen liegen, Werte, die verglei- 
chend-quantitativ verwandt werden können. In einer späteren Arbeit, 
die mir erst kürzlich zu Gesicht gekommen ist, ist übrigens auch Bieling 
(2) von seiner ursprünglichen Methodik ohne Angabe der Gründe abge- 
gangen und geht nun so vor, daß er alle Röhrchen eines Versuches auf 
den Farbton des am schwächsten gefärbten Röhrchens bringt, und die bei 
den einzelnen Röhrchen dazu nötige Wassermenge angibt. — Die Mengen 
in den Versuchsröhrchen betrugen 4,0cm3; 3,6cm’ davon entfielen auf die 
Bakterienaufschwemmung plus Nährflüssigkeit, dazu wurden 0,4 cm? 
1proz. Nitroanthrachinonlösung gesetzt. Die Menge 4,0 cm? wurde ge- 
wählt, weil sie die zum Ablesen erforderliche Mindestmenge ist und ander- 
seits noch ohne weiteres eine Verdünnung mit dem drei- bis vierfachen 
Volumen-Wasser zur Ablesung gestattet. Zweckmäßig für ein möglichst 


. 198 Bioskopische Reduktionsmethoden II. 


rasches Ablesen nach Beendigung eines Versuches ist die Verwendung 
einer 50 em? Dürette, aus der man die zur Verdünnung erforderlichen 
Wassermengen zulaufen läßt. Die für den Versuch nötige Bakterienmenge 
pro Röhrchen wurde in einem Vorversuch bestimmt und die Menge ge- 
wählt, welche in einer bestimmten Zeit eine Reduktionsgröße von etwa 
0,5 bis 1,0 zeigte. Im Hauptversuch wurden gewöhnlich je drei Parallel- 
röhrchen angesetzt, die bei sorgsamem Ansetzen übereinstimmende Werte 
gaben, wie Tabelle I zeigt. Dieser Versuch wurde in der Weise abgelesen, 
daß der Farbton des Röhrchens 1 mit der doppelten Menge Wasser verdünnt, 
mit den Teströhrchen, denen ein entsprechend verdünntes Coli-Bouillon- 
Nitroanthrachinonröhrchen hintergeschaltet war, verglichen wurde. Der 
Farbton wurde auf etwa 0,26 geschätzt, berechnete sich also für das unver- 
dünnte Röhrchen auf 0,78. Mit diesem Versuchsröhrchen 4 wurden dann 
die übrigen Versuchsróhrchen in entsprechender Verdünnung verglichen, 
die Differenz im Farbton bestimmt und daraus der Wert berechnet. 


Die Nitroreduktion, überhaupt wohl jede biologische Farbreduktion, 
ist von einer Reihe von Faktoren abhängig und außerordentlich empfind- 
lich. Eine geringe Verschiedenheit eines dieser Faktoren in den einzelnen 
Röhrchen einer Versuchsreihe bewirkt schon erhebliche Differenzen in den 
abgelesenen Werten. | 


So scheinen Unterschiede ın der Bakterienzahl nicht vermeidbar, 
wenn man z.B. bei der Beschickung von 5 Parallelröhrchen mit je 0,2 cm? 
einer mäßig dichten homogenen Bakterienabschwemmung plus 3,4 cm? 
Nährlösung plus 0,4 cm? Nitroanthrachinon so vorgeht, daß man die fünf 
Röhrchen aus einer 1-cm8-Pipette unter sorgsamstem Abmessen direkt 
mit der Bakterienabschwemmung beschickt; die nach Beendigung des 
Versuches abgelesenen Werte bilden dann meist eine fallende oder steigende 
Reihe. Mischt man dagegen die Gesamtmengen von Nährlösung und 
Bakterienabschwemmung und beschickt die Röhrchen mit je 3,6 cm? 
dieser Aufschwemmung, so erhält man ziemlich gleiche Werte. 


Eine sehr wichtige Rolle spielen bei der bakteriellen Reduktion die 
Temperaturverhältnisse, worauf für die Methylenblaureduktion schon 
Cathcart und Hahn hingewiesen haben, und zwar sind die Unterschiede 
in der Größe der Reduktion schon bei geringen Schwankungen in dem. 
für die Versuche in Frage kommenden Temperaturbereich recht beträcht- 
lich, wie die nachstehende Tabelle zeigt: 


Tabelle 1. 


B. coli, auf Schrägagar, 16 Std. alt; mit je 5 cm? 
physiol. Kochsalzlösung abgeschwemmt. 


















Vorversuch. 
o Coliab- Nitr. anthr. | Ablesung 
1 3,5 cm? | 0,4 cm? 0,05 
2 3,4 3. 0,4 an ,1 
3 32 n 04 ,, 0,35 
4 28 ,, , De „ 0,6 


Von Dr. med. O. Kirchner: | 199 


Hauptversuch. | 


Abschwemmung von B. coli 8,0 cm? + Bouillon 28,0 cm? gemischt; 9 Röhrchen 
mit je 3,6 cm? davon beschickt; sofort nach Einsetzen in die Wasserbäder Zusatz 
von je 0,4 cm? Nitroanthr. 1:100. Nach 50 Minuten in Eiswasser und abgelesen. 


Redukt.-Größe 

Tempe- Ablesung der mit 200°/, Wasser |für das unver- 
ratur verdünnten Röhrchen dünnte Röhr- 
chen berechnet 















l 0,26 

2 par wie 1 0,26 Gi 0,78 | 100%, 
3 wie 1 0,26 | 0,78 

4 um 0,05 kleiner als 1:0,21 | 0,63 

5 (e „003 ,, „ 1:0,23 0.9) 0,65 | 83% 
6 „ 005 ,, „ 1:0,21 0,63 

7 um 0,08 gróber als 1:0,34 | 1,02 

8 p 40 „œ 008,  „ 1:0,34 102) 1,02 |130% 
9 0,08 ,, „ 1:0,34 | 1,02 


Unter sonst gleichen Verhältnissen ist die Reduktionsgröße des B. coli 
also bei 34° um 17% kleiner, bei 40° um 30% größer als bei 37°; für Staph. 
aur. sind die entsprechenden Werte 0,53 bzw. 0,65 bzw. 0,94, also ebenfalls 
bei 34° um 18%, kleiner, bei 40° um 44%, größer als bei 37°. Es ergibt sich 
daraus die Notwendigkeit genauester Temperaturregulierung bei ver- 
gleichenden Untersuchungen, bei denen, wie z. B. bei Versuchen über die 
Abhängigkeit der Reduktion vom Sauerstoffpartialdruck, verschiedene 
Wasserbäder benutzt werden müssen. 

Ein wesentlicher Faktor, von dem die Reduktionsgröße, d.i. die 
Menge des aus dem Nitroanthrachinon gebildeten Reduktionsproduktes 
abhängt, ist in der Reduktionsdauer gegeben. Doch ist die Abhängigkeit 
nicht so, daß die Reduktionsgröße der Reduktionsdauer stets proportional 
wäre. Vielmehr wechselt dies Abhängigkeitsverhältnis einmal mit der 
verwendeten Nährlösung; ferner ist es ein anderes beim Staph. aur., ein 


Tabelle IlI. 


Staph. aur., 16 Stunden alt, auf Schrägagar, abgeschwemmt mit je 5 cm? phys. 
Kochsalzlösung. Nährlösung Peptonbouillon. Im Vorversuch wurde die pro 
Röhrchen zu verwendende Menge mit 0,05 cm? der Abschwemmung bestimmt. 
Die Röhrchen des Hauptversuchs wurden mit je 3,6 cm? einer Mischung von Bouil- 
lon und Bakterienabschwemmung im Verhältnis 3,55:0,05 beschickt, ins Wasser- 
bad von 37° gebracht und erhielten nach 5 Minuten je 0,4 cm? Nitroanthrachinon 
1:100. 15,30... Min. nach dem Nitroanthrachinonzusatz wurden je 3 Röhrchen 
in Eiswasser gestellt und sofort die Werte bestimmt, die gut übereinstimmten. 
Einfachheitshalber ist in den Tabellen nur je ein.Röhrchen angeführt. 












Zur Ver- 
dünn. nötige 
Wassermenge 





Für das unver- 
Abgelesen. (Junnt. Röhrch. 
berechnet 


Redukt.- | 












-200 Bioskopische Reduktionsmethoden 11. 


anderes beim Bact. coli; auch bei demselben Mikroorganismus, z. B. dem 
Staph. aur., ist es davon abhängig, ob man eine Abschwemmung von Agar- 
kulturen oder aber eine Bouillonkultur verwendet, welche Produkte des 
bakteriellen Abbaus enthált und dadurch die Zusammensetzung der 
Versuchslósung ändert. Die Tabelle II zeigt das Fortschreiten der Reduk- 
tionsgröße für Staph. aur. bei Verwendung einer Abschwemmung von 
Agarkulturen. 

Die Reduktionsgröße steigt hier also keineswegs proportional der 
Reduktionsdauer, sondern bedeutend stärker. Kurvenmäßig dargestellt 
ergibt sich folgendes Bild (Fig. 1 Kurve a). 





20 20 30 2 so 60 70 O 90 
— Minulen —» 


Fig. 1. Staphyloc. aureus in Boulllon. 
Fortschreiten der Nitroreduktionsgröße. 


02 





Ähnlichen Verlauf zeigt die entsprechende Kurve (Fig. 4, Kurve a) 
für Abschwemmungen von Diphtheriebazillen von Loefflerserumkulturen 
in 1proz. Peptonlösung als Nährflüssigkeit. Zur Erklärung des zunehmenden 
Ansteigens der Reduktionsgröße namentlich in der dritten Halbstunde 
wären verschiedene Ursachen denkbar. Einmal könnte die anfänglich 
geringere Reduktion irgendwie im Zusammenhang stehen mit der Über- 
tragung von festem in flüssigen Nährboden, die ja die Oberflächenverhält- 
nisse und damit die Stoffwechselvorgänge beeinflussen könnte. Daß dem 
nicht so ist, zeigt die Kurve b, Fig. 1, die das Fortschreiten der Reduktion 
in einem Bouillonversuch unter Benutzung derselben Staph.-Kochsalz- 
abschwemmung wie in Versuch II darstellt, nachdem sie 24 Stunden bei 
Zimmertemperatur gestanden hatte. Ihr Verlauf ist im wesentlichen der 
gleiche wie der der Kurve a. — Auch die Möglichkeit, daß das anfängliche 
Zurückbleiben der Nitroreduktion seine Ursache in dem zunächst genügenden 
Vorhandensein gelösten Sauerstoffs hätte und mit dessen Abnahme das 


Von Dr. med. O. Kirchner. 201 


Verhältnis Nitroatmung zu Sauerstoffatmung sich zugunsten der Nitro- 
reduktion verschöbe, scheint für den Staph. aur. bei Bouillon als Nähr- 
lösung nicht zuzutreffen. Es wird hierauf im Zusammenhang noch aus- 
führlich eingegangen. — Eine katalytische Wirkung des aus dem Nitro- 
anthrachinon entstehenden Reduktionsproduktes läßt sich ebenfalls aus- 
schließen, denn der Versuch III, in dem die Reduktionsgrößen aufeinander 
folgender gleicher Zeiträume für sich bestimmt werden, wo also eine ev. 
katalytische Wirkung von in den vorangegangenen Zeiträumen gebildetem 
Reduktionsprodukt ausgeschlossen ist, zeigt eine analoge Steigerung. 


Tabelle III. 


Staph. aur., auf Schrägagar, 16 Stunden alt; mit physiol. Kochsalzlösung abge- 
schwemmt; Nährlösung Peptonbouillon. Die zu verwendende Menge Bakterien- 
abschwemmung mit 0,1 cm? pro Röhrchen im Vorversuch bestimmt; Haupt- 
versuch: Röhrchen beschickt mit je 3,6 cm3 einer Mischung von Bouillon und 
Bakterienabschwemmung im Verhältnis 3,5:0,1; in 37%; nach 5 min erhalten 
die ersten drei Röhrchen je 0,4 cm? Nitroanthrachinonlösung 1 :100, nach weiteren 
15 min die zweite Serie usw. Nach je 15 min Reduktionsdauer Herausnahme 
der Versuchsröhrchen, Einstellen in Eiswasser und sofortiges Ablesen. 
























Für unver- 
dünnt. Röhrch. 
berechnet 


Zur Ver- 
dünn. nötige 
Wassermenge 


Nitroanthr.-Zusatz Redukt. da er 
L 








1 sofort 15 Min. ` 100 Zi, 0,1 0,2 

4 nach 15 Min. 19: us | 200 %/ 0,2 0,4 

7 , 30, 15 „ 300 %, 0,16 0,64 
10 oo 45 15 „ 400 %. 0,17 0,85 
13 „60 „ 15 „ 600 %, 0,14 « 0,98 
16 o Je Se 15 „ 600 0,16 1,12 
19 „ op 15 „ 700 %/, 0,16 1,28 
22 „ 105 „ 15 „ 700 %. 0,16 1,28 
25 , 120 „ 15 „ 700%, 0,16 1,28 * 
28 3 Std. 15 Min. 15 ,, 700 % 0,17 1,36 
3 |4, 15, 45 p 700 %, 0,18 1,4 

aale, 15 „ 700 %, 0,19 1,52 
37 8 „ 15 „ 700° 0,2 1,84 
40 |12 „ 15 700%, 0,28 2,24 
43 | 24 ,, 15 , 1000 %, 0,17 1,87 


Aus diesem Versuch, in Fig. 2, Kurve a graphisch dargestellt, geht hervor, 
daß die Größe der Nitroreduktion pro Viertelstunde für Staph. aur. in 
Bouillon in den ersten zwei Stunden rapide, in den nächsten vier langsamer 
steigt und nach 12 Stunden einen maximalen Wert erreicht, um dann sehr 
langsam abzusinken. Dies läßt keine andere Deutung zu als die, daß die 
Bakterien bei ihrer Tätigkeit Stoffe bilden, welche die Nitroreduktion 
fördern. Bieling (2) sieht in solchen, in gewissen alten Bouillonkulturen 
vorhandenen Fördersubstanzen von den Bakterien aufgebaute vitamin- 
artige, den Gesamtstoffwechsel anregende Eiweißstoffe; ebenso hält 
Bieling die in gewissen anderen Bouillonkulturzentrifugaten verminderte 
Reduktionsgröße für durch ähnliche den Gesamtstoffwechsel hemmende 
Substanzen bedingt. Mehr Wahrscheinlichkeit scheint mir eine andere 
Annahme zu haben, nämlich die, daß es sich bei den Fördersubstanzen um 
Zwischenstufen des bakteriellen Abbaus der in der Bouillon vorhandenen 
Archiv für Hygiene. Bd. 96, 16 


202 Bioskopische Reduktionsmethoden II. 


Nahrungsstoffe handelt, die einer Umsetzung unter Verwendung des Nitro- 
sauerstoffs zugänglicher sind. Gegen die Annahme spezifischer Förder- 
und Hemmungssubstanzen spricht offenbar der in Fig.2 Kurve b darge- 
stellte Parallelversuch zu Versuch 111, der mit der gleichen Staphylococcen- 
aufschwemmung und in genau derselben Weise, aber 3 Stunden später, 
angesetzt wurde; er unterschied sich von Versuch III nur dadurch, daß 
jedes Röhrchen statt 3,5 cm? nur 2,9 cm? unbeimpfte Bouillon enthielt, 





— S/UMEen —» 


Fig. 2. Nitroreduktionsgröße in aufeinanderfolgenden gleichen Zeiträumen, 
Staphyloc. aur. in Bouillon. 


dafür aber einen Zusatz von 0,6 cm? Filtrat einer 14 Tage aerob bebrüteten 
Staph. aur.-Bouillonkultur. Sind die von Bieling in vier Tage alten Staph.- 
Bouillon-Kulturen festgestellten hemmenden Substanzen vitaminartige 
Aufbaustoffe, so würden sie wohl auch in 14 Tage alten Kulturen noch vor- 
handen sein; um anderseits sicher zu sein, daß alle in der Bouillon vorhan- 
denen Stoffe, die vom Staph. aur. abgebaut werden können, aufgebraucht 
sind, wurde eine 14 Tage alte Kultur gewählt. Die Kurve b gleicht nun 
in ihrem Verlauf ganz der des Versuches 111; es scheint keinerlei Wirkung 
einer spezifisch hemmenden Substanz erkennbar, die doch wohl in einer 
Herabsetzung des Unterschiedes zwischen Anfangs- und maximalem Wert 
zum Ausdruck kommen würde. 

Übrigens sind nicht nur die ReduktionsgrófBen aufeinanderfolgender 
Zeiträume verschieden, sondern sie weichen auch bei den einzelnen Bak- 
terienarten in anderer Weise ab; B. coli z. B. zeigt in den ersten Phasen 
ebenfalls eın starkes Ansteigen der Reduktionsgröße pro Viertelstunde, 
aber beim B. coli ist der scharfe Anstieg nach einer Stunde beendet, beim 


Von Dr. med. O. Kirchner. 203 


Staph. aur. erst nach zwei Stunden; beim B. coli ist die Reduktionsgró Be 
auf der Höhe der Reduktion nur etwa 21, mal so groß als der Anfangswert, 
beim Staph. aur. dagegen siebenmal so groß. In Fig. 3 sind die Reduktions- 
größen für B. coli in den aufeinanderfolgenden Viertelstunden dargestellt. 
Die Versuche entsprechen denen mit Staph. aur., doch waren hier 0,6 cm? 
einer dichten Coliabschwemmung nötig; Kurve a ist ein Versuch mit Bouil- 
lon als Nährlösung, ebenso gibt Kurve b die Resultate eines Versuches, 
bei welchem als Nährlösung eine Mischung von 5 Teilen Bouillon mit 1 Teil 
einer filtrierten 14 Tage bebrüteten Colibouillon, die nach Bieling Förder- 
substanzen enthält, verwandt wurde. 


70 
08 





— Stunden — 


Fig. 3. Nitroreduktionsgröße in aufeinanderfolgenden gleichen Zeiträumen. 
B. coli in Bouillon, 


- Zwei Versuche mit Diphtheriebazillen zur Feststellung der Reduktions- 
größen in aufeinanderfolgenden gleichen Zeiträumen lassen sich ebenfalls 
mit der Bielingschen Hypothese kaum erklären. Kurve a, Figur 4 stellt 
das Ergebnis des ersten Versuches dar, in welchem eine Abschwemmung 
mit Peptonlösung von 16 Stunden alten Diphtheriebaz.-Kulturen auf 
Loefflerserum benutzt wurde; Kurve b des zweiten Versuches, in welchem 
zur Herstellung der Bakterienabschwemmung ebenfalls 16 Stunden alte, 
aber sofort nach der Beimpfung mit Peptonlösung überschichtete Loeffler- 
serumröhrchen dienten. Als Nährlösung wurde in beiden Versuchen 
Peptonlósung (1%, Pepton, 0,7% NaCl) verwendet, und zwar enthielten 
die Röhrchen des zweiten Versuches auf 1 Teil der Abschwemmung 31% 
Teile frischer Peptonlösung, so daß ein Mangel an Nährstoffen hier nicht 
in Frage kommen kann. Die Bakterienkonzentrationen waren in Versuch a 
75 Millionen pro cm, in Versuch b 107 Millionen; sie differierten also nicht 
sehr stark. 

Würde man die unzweifelhafte Steigerung der Nitroreduktion in b als 
Teilerscheinung einer Förderung des gesamten Stoffwechsels auffassen, so 
ist der Abfall, das Aufhören der fördernden Wirkung nach der kurzen Zeit 
von 2 Stunden, nicht verständlich — eine Erschöpfung der Nährflüssigkeit 
ın dieser kurzen Zeit ist wohl kaum anzunehmen — zumal in a etwa nach 

16* 


-204 Bioskopische Reduktionsmethoden II. 


eben derselben Zeit die Fórderwirkung dieser hypothetischen Substanz 
deutlich wird. Sieht man dagegen in der gesteigerten Nitroreduktion eine 
Erscheinung für sich, die ihre Ursache in dem Vorhandensein gewisser 





V-1 RN 2 Ve 3 TR Y RPS 


Stunden — 


Fig. A Reduktiousgröße in aufeinanderfolgenden Zeiträumen bei B. diphth.: 
a) in frischer Pepton-Nährlösung (Keimzahl 75 Millionen), 
b) in teilweise alter Nährlösung (Keimzahl 107 Millionen). 





mit dem Mittel der Dehydrierung leicht abzubauender Substanzen hat, 
so sind damit die beiden Kurven besser zu erklären. In Versuch a findet 
mit dem allmählichen Entstehen solcher Abbaustufen ein langsamer An- 
stieg der Nitroreduktion statt; in Versuch b dagegen würde das reichliche 
Vorhandensein solcher Substanzen in der alten Nährflüssigkeit die Nitro- 
reduktion in den ersten Phasen stark steigern, worauf die Reduktionsgröße 
absinkt auf ähnliche Werte, wie sie Versuch a zeigt. 


Ein Versuch durch Verwendung eiweißfreier Nährlösung, und zwar 
1 proz. Traubenzuckerlösung mit 0,7% NaCl, die Frage zu entscheiden, 
ob es sich bei den die Nitroreduktion steigernden Substanzen um eiweiß- 
artige Stoffe handelt oder nicht, ergab für Staph. aur. ebenfalls, daß bei 
Verlängerung der Reduktionsdauer die Nitroreduktion nicht proportional, 
sondern stärker anstieg. Beim Traubenzucker als verbrennender Substanz 
ist aber der Sauerstoffpartialdruck von erheblichem Einfluß auf die Größe 
der Nitroreduktion, wie weiterhin gezeigt werden wird, so daß die ge- 
steigerte Nitroreduktion hier ausschließlich oder zum Teil durch den in der 
Tiefe der Versuchsröhrchen bald auftretenden Sauerstoffmangel bedingt 
sein kann; ım Gegensatz zur Bouillon, wo eine solche Abhängigkeit jeden- 
falls nicht nachweisbar ist. 


Besteht nun eine Abhängigkeit der Nitro-Reduktion vom Sauer- 
stoffpartialdruck? In diesem Punkt stehen sich die Anschauungen 
von Lipschitz und Bieling gegenüber. Lipschitz bezeichnete zunächst 
die Nitro- und die Sauerstoffatmung als konkurrierende Reaktionen, also 


Von Dr. med. O. Kirchner, 205 


weitgehend gleichwertig und das Verháltnis der einen zur anderen als im 
wesentlichen von dem des Angebotes an Sauerstoff bzw. Nitrokórper ab- 
hängig in der Weise, daß die Nitroreduktion bei Sauerstoffausschluß 
höchste Werte habe, bei hohem Sauerstoffangebot dagegen auf verschwin- 
dende Werte zurückgehe. Er erweiterte das später dahin, daß die Nitro- 
atmung außer den atmungsartigen auch gärungsartige Stoffwechselprozesse 
erfasse. Bieling trennt dagegen die Nitroatmung als chemische Atmung 
streng von der Sauerstoffatmung; beide verliefen nebeneinander, ohne 
sich gegenseitig zu beeinflussen. Der Auffassung von Lipschitz liegen 
im wesentlichen die Ergebnisse von Reduktionsversuchen am überlebenden 
Muskel in physiologischer Kochsalzlösung zugrunde; diejenige von 
Bieling stützt sich auf Versuchsergebnisse an Bakterien, speziell an Staph. 
aureus in Bouillon. 


Die Empfindlichkeit der Nitroreduktion und ihre Abhängigkeit von 
einer Reihe Faktoren macht es bei vergleichenden Untersuchungen not- 
wendig, alle übrigen Bedingungen, .insbesondere die Temperaturverhált- 
nisse in den Parallelversuchen genau gleich zu gestalten. Es wurden also 
sämtliche Versuchsröhrchen mit je 3,6 cm3 der gleichen Mischung von 
Bakterienabschwemmung und Nährlösung beschickt, die eine Hälfte der 
Röhrchen wurde für den Versuch bei Sauerstoffabwesenheit, die andere 
für den Kontrollversuch bei Luftzutritt verwendet. Als Wasserbad für 
den anaeroben Versuch diente ein starkwandiges zylindrisches Glasgefäß 
mit aufgeschliffenem Deckel, wie es von A.Meyer (7) als sog. Kulturvakuum 
angegeben ist. Die Versuchsröhrchen wurden, in einem Gestell befestigt, 
in das mit Wasser von 37° zur Hälfte gefüllte Kulturgefäß hineingesetzt; 
sofort nach der Beschickung der Röhrchen mit je 0,4 cm? 1proz. Nitro- 
anthrachinonlösung wurde der Deckel aufgesetzt und das Gefäß an der 
Wasserstrahlpumpe evakuiert. Das Sieden des Wassers und der Röhrchen 
im Kulturvakuum beginnt nach 1 bis 2 Minuten; das Auspumpen wurde 
während weiterer 3 bis 5 Minuten fortgesetzt, so daß durch die fortgesetzte 
Dampfblasenentwicklung. der gelöste Sauerstoff so gründlich wie es bei 
biologischen Versuchen nur möglich ist, entfernt wird. Zur Abdichtung 
des Vakuums wurde der leicht zu handhabende und zuverlässig schließende 
Gummiabschluß verwendet, wie er anderen Ortes (4) beschrieben ist.!) 
Eine sichere Kontrolle des unbedingten Abschlusses ist in dem Kondens- 
wasser gegeben, das sich in dem Spalt zwischen dem inneren Rand der 
Gummiringe und den beiden Schlifflächen des Vakuums ansammelt und 
jedes Eindringen von Luftblasen anzeigen würde. Da beim Sieden die 
Temperatur im Innern des Vakuums absinkt, so wurde die Anfangstempera- 
tur in demselben auf etwa 40° gebracht, an einem kleinen im Vakuum 
befindlichen Thermometer die Temperatur dauernd beobachtet und die 
Temperatur des für den Kontrollversuch dienenden Wasserbades danach 


4) Zur Herstellung des Abschlusses empfiehlt es sich, die den Drahtring 
zwischen sich schließenden Gummiflächen einmalig mit möglichst zähklebendem 
Lanolin oder ähnlichem zu bestreichen. Die Ringe verkleben dann und braucht 
man weiterhin nur die Gummidichtung als ganzes zwischen die zweckmäßig 
mit (nichtklebendem) Vaselin eingefetteten Schlifflächen zu legen. Gebrauchs- 
fertige Ringe sind von der Firma Ernst Leitz, Berlin zu beziehen. 


206 Bioskopische Reduktionsmethoden II. 


reguliert. In dieser Weise wurde eine große Anzahl Versuche an verschie- 
denen Bakterien unter Verwendung verschiedener Nährlösungen durch- 
geführt. Für Staph. aureus ergab sich, daß in Bouillon, also bei eiweiB- 
artigen Stoffen als verbrennender Substanz eine einwandfreie Beeinflussung 
der Nitroreduktion durch Sauerstoffmangel nicht festzustellen ist. Tabelle 
IV gibt die Resultate eines derartigen Versuches, der zugleich Aufschluß 
darüber geben soll, ob die sog. Fördersubstanzen in ihrer Entstehung von 
Sauerstoffanwesenheit abhängig sind oder nicht. 


Tabelle IV. 


Staph. aur., auf Schrägagar, 16 Std. alt, mit physiol. Kochsalzlósung abge- 
schwemmt; Náhrlósung Peptonbouillon. Menge der Staph. Abschwemmung pro 
Róhrchen im Vorversuch mit 0,1 cm? bestimmt. Hauptversuch: Róhrchen be- 
schickt mit je 3,6 cm? einer Mischung von Bouillon und Bakterienabschwemmung 
3,5:0,1. Die Róhrchen des Versuchs b werden zunächst A Stunden aerob bei 370, 
die des Versuches c anaerob bei 37% gehalten; die Róhrchen des Versuches a 
werden nicht sofort zum Versuch verwendet, sondern nach 4 Std. in Eiswasser 
gemeinsam mit denen von b und c. Nach 4 Std. werden alle Röhrchen für 15 min 
in Eiswasser gebracht, kommen dann in das aerobe bzw. das anaerobe Wasserbad 
und erhalten nach 5 min je 0,4 cm? Nitroanthrachinonlösung 1:100; nach 30 min 
Reduktionsdauer kommen die Röhrchen in Eiswasser und werden EES 


! Bei Luftzutritt 














Im \ Vakuum 






















= S | Fürun- = & Für un- 

3 eduk- | 3 

ERE abgeı. | VETA: are] | © LESE Mittel- 
338 | ROhr- tions- (3535 

o Y Q 

> S > E 








a) geg 4 Stunden in Eiswasser. 


























1 | 30 Min. | 200%, 0,14 | 2 |) 5130 Min. | 200 9 0,15 | 0,45 | 
2130 „ |2009%,1 0,15 | es 0,42 | 6130 , [200% 0,13 | 0,39 Vo ¿y 
3|30 ,, |200%, 0,13 | 0,39 f” : D „ 1200% 0,16 | 0,48 |( ° 
4130 .. |200%,| 0,13 | 0,39 „200%, 0,15 | 0,45 

b) zuvor 4 Stunden in SC bei Luftzutritt. 
9130 Min. |1000%,| 016 | 1,76 13 | 30 Min. ¡1000%,| 0,16 | 1,76 | 
10[30 ,, Wou 0,17 | 1,87 |l; -g [14|30 ,, ¡1000%,| 0,17 , 1,87 [ly g7 
11130 ,, [1000%,)j 0,15 | 1,65 (> Jis|30 ,, |1000%, T 1,98 Í ' 
12130 ,, ¡1000%,| 0,16 ' 1,76 16130 ,, |1000%,| 0,17 | 1,87 

c) zuvor 4 Stunden in 37° im Vakuum. 
17 | 30 Min. | 700 %/,| 1,44 21 | 30 Min. 700 %, ech 1,28 
18130 ,, [700% 0,16 | 1,28 ||, 34 122130 „ [|700%o 0,16 | 1,28 |, 
19|30 ,, [|700%, 0,15 | 1,20 f” 23:30 ,, 100 S/o! 0,18 | 1,44 Í > 
20130 ` |700%, 0,18 : 1,44 24130 ,, |700%,| 0,15 | 1,20 


Aus dem Versuch geht hervor, daß die sog. Fórdersubstanzen unter anaero- 
ben Verhältnissen ebenso wie bel Luftzutritt, aber in etwas geringerer Menge 
entstehen. Die Differenz zwischen den Reduktionsgrößen der anaeroben 
Versuche und denen der aeroben Parallelversuche ıst dagegen so gering, 
daß eine Abhängigkeit der Nitroreduktion vom Sauerstoff beı Verwendung 
von Peptonbouillon, wenn überhaupt vorhanden, so doch nur sehr gering 
sein kann. Ähnlich war auch bei anderen Bakterien, so B. coli und B. 


Von Dr. med. O. Kirchner. - 207 


diphtheriae, eine Abhängigkeit der Reduktionsgröße vom Sauerstoff bei 
Verwendung von Peptonbouillon nicht festzustellen. 

Ganz anders liegen die Verhältnisse aber bei Verwendung von Trauben- 
zuckerlösung als Nährflüssigkeit; hier ist bei den meisten untersuchten 
Bakterienarten eine mehr oder weniger ausgesprochene Abhängigkeit 
der Größe der Nitroreduktion von dem Sauerstoffangebot vorhanden. 
Tabelle V zeigt das für Staph. aureus. 


Tabelle V. 


Staph. aur., auf Schrägagar, 16 Std. alt, mit physiol. Kochsalzlósung abge- 
schwemmt. Nährflüssigkeit 1proz. Traubenzuckerlösung mit 0,7% NaCl; Menge der 
Staph.-Abschwemmung pro Röhrchen im Vorversuch mit 0,5 cm? bestimmt. 
Hauptversuch: Röhrchen mit je 3,6 cm? einer Mischung von Traubenzucker- 
lösung und Staph.-Abschwemmung im Verhältnis 3,1:0,5 beschickt ; wie im vorigen 
Versuch werden die Röhrchen des Versuches a zunächst 4 Std. in Eiswasser, 
des Versuches b 4 Std. aerob bei 37°, des Versuches c anaerob bei 37° gehalten. 
Nach 4 Std. werden alle Röhrchen für 15 min in Eiswasser gebracht, kommen dann 
in das aerobe bzw. anaerobe Wasserbad und erhalten nach 5 min je 0,4 cm? 
Nitroanthrachinonlösung 1:100. Nach 60 min Reduktionsdauer Einstellen in 
Eiswasser und Ablesen. 





Bei Luf tzutritt 





Im Vakuum 











= S Für un- 2 S Für un- 
-| 386% verd. SE verd. 
o i Sa E| abgel. Mittel- SEWE| abgel. Mittel- 
= > d = he = 
tions- |3335 Röhr SSSS| Wert Röhr ; 
dauer | E a S Wert chen wert GE 3 er chen | wer 
> S ber. 2 > ber. 










a) zuvor 4 Stunden in Eiswasser. 











1160 Min. |400°,,| 0,23 ¡ 1,15 5 [60 Min. |100°%,| 0,24 | 0,48 | 
2160 ,, 1400°/,| 0,21 | 1,05 1.14 | 6)60 , 1100 Dél 0,22 | 0,44 0.48 
3160 ,, |400%, 0,25 | 1,25 i 7|60 „ |100%,| 0,2 | 0,4 | , 
4|60 ,, |400%/,: 0,22 | 1,10 8/60 ,, 1200%,| 0,2 0,6 

b) zuvor 4 Stunden in 37° bei Luftzutritt. 
9 o — Eeer | 13 60 Min. | — "äs | 
10 60 „ zo sp 0,15; 14 | 60 nm TT D 0,2 
11160 ,, — i, 0,15 c2a.0,15 15 | 60 SEA be | ıca.0,17 
12160 ,, A 0,17| 16160 , ` — !,,0,12 

c) zuvor 4 Stunden bei 37% im Vakuum. 
17160 Min | — [ca 0,15 | 21 |60 Min.| — ES 0,2] 
18160 ,, — |,,0,15 | 22160 ,, — |, 0,2 
19160 ` — 1702 ca.0,17 23160 ` Bu les 0,2 ca.0,17 
20 60 , SA ir 0,2 | 24 60 an "Ian 0,1 





d Kontrollróhrchen mit physiol. Kochsalz- statt Traubenzuckerlösung zuvor 
4 Stunden in Eiswasser. 











1|60 Min.) — |ca.0,15 4|60 Min.| — |ca.0,05 
2160 ,, — len DAD ca.0,08] 5|60 „ — Ia DA ca.0,08 
3/60 „ — 1»,,0,15 | 6160 „ „0,1 























Die Reduktionsgröße bei Sauerstoffabwesenheit hat also mehr als den 
doppelten Wert gegenüber der bei Luftzutritt; die Unterschiede werden 
übrigens im allgemeinen umso ausgesprochener, je größer die Reduktions- 
dauer ist. Der Kontrollversuch d, welcher mit gleichen Bakterienmengen, 


208 Bioskopische Reduktionsmethoden II. 


aber mit physiol. Kochsalz- statt mit Traubenzuckerlösung angesetzt ist, 
zeigt eine minimale Reduktionsgró Be, ein Beweis, daß die hohen Werte von a 
durch den Traubenzucker bedingt sind. Auffällig sind die ganz geringen 
Werte der Röhrchen b und c, während im Bouillonversuch IV die 4 Stunden 
bei 37% gehaltenen Röhrchen den drei- bis vierfachen Wert der Röhrchen a 
zeigen. Das hat seine Ursache offenbar in einer Verschiebung der Re- 
aktion nach der sauren Seite, wie aus dem folgenden Versuch hervorgeht: 


Tabelle VI. 


Staph. aur. Abschwemmung 0,6 cm? + 3,0 cm3: a) 1proz. Traubenzuckerlösung 
(mit 0,5% NaCl und 0,5% Na,HPO,), b) bei 1proz. Traubenzuckerlösung (mit 
0,7% NaCl); Reduktionsdauer 30 min. 


1) Sofort angesetzter Versuch; im Vakuum: Reduktionsdauer 30 min. 














Trbz.-LOs. | Trbz LOs. 
m. Phosphat¡o.Phosphat 







py zu Beginn des Nitrored.-Versuches . . . . . . +. 
pu zu Ende des Nitrored.-Versuches . .......... 


Reduktionsgröße, Mittelwert aus je 3 Versuchsröhrchen 0,61 


2) zuvor 4 Stdn. bei 37° gehalten; Reduktionsdauer 30 Min.; im Vakuum. 


Trbz.-Lös. | Trbz.-Lös. 
m. Phosphat 0.Phosphat 












pp zu Beginn des Nitrored.-Versuches . . . . . . . . 7,5 6,5 
pp zu Ende des Nitrored.-Versuches . . .. 2.2... 7,3 6,5 
. Reduktionsgröße, Mittelwert aus je 3 Versuchsröhrchen 0,83 0,16 


Die Nitroreduktion ist hier, also für Staph. aur. in Traubenzuckerlösung 
in hohem Maße von der Reaktion abhängig; schon bei der nach 4 Stunden. 
erreichten pH von 6,5 ist sie nur noch recht gering. Wird die Säurewirkung 
durch Zusatz von Dinatriumphosphat ausgeschaltet, so ergeben sich für 
die 4 Stunden bei 37% gehaltenen Röhrchen zwar keine höheren Werte 
wie im Bouillonversuch, aber doch die gleichen wie für die frischenRöhrchen: 


Tabelle VII. 


Angesetzt wie Versuch V, aber mit 0,6 cm? Staph. aur. Abschwemmung und 1 proz. 
Traubenzuckerlösung mit Phosphatzusatz D 5% | Na NO 0,5% NaCl). 











Bei Luftzutritt 


Zur Ver- 
Redukt.- Mittel- 
Dauer | 4ünn. nötige | wert 


Wassermenge 






Im n Vakuum o 

Zur Ver- 
dünn. nötige | Mittel- 
Wassermenge 






Redukt.- 
Dauer 








a) Zuvor 4 Std. in Eiswasser. 
1—3 |45 Min.| 500% | LI | 4—6 | 45 Min | 300%, | 0,65 
b) Zuvor 4 Std. in 37% bei Luftzutritt. 
7—9 | 45 Min. | 500% ' 11 | 10—12 | 45 Min | 300%, | 0,65 
c) Zuvor 4 Std. in 37% im Vakuum. 
13—15 | 45 Min. | 500%, ! 10 | 16-18] 45 Min. | 300%, ; 0,75 


Bei Traubenzucker als verbrennendem Substrat und Staph.aur. als 
reduzierendem Agens besteht also eine Abhängigkeit vom molekularen 


Von Dr. med. O. Kirchner. 209 


Luftsauerstoff. Anderseits ist hier ein Entstehen reduktionsfórdernder 
Substanzen nicht festzustellen, beides im Gegensatz zur Bouillon. 

Es verhalten sich aber keineswegs alle Bakterien dem Traubenzucker 
gegenüber wie der Staph. aureus. B. coli bewirkt nur in erheblich größeren 
Konzentrationen in Traubenzuckerlösung als Nährflüssigkeit eine deutliche 
Reduktion, die sich als vom Vorhandensein molekularen Sauerstoffes un- 
abhängig erweist. 


Tabelle VIII. 


Menge der Coliabschwemmung pro Röhrchen im Vorversuch mit 1,8 cm? be- 
stimmt; Hauptversuch: 1,8 cm? Coliabschwemmung + 1,8 cm? 1proz. Trauben- 
zuckerlósung (mit 0,7% NaCl); Reduktionsdauer 60 min, sonst genau wie V’ 
angesetzt. 





Im Vakuum Bel Luftzutritt 
Zur Ver- 
dünn. nötige 
Wassermenge 






Redukt.- 


Mittel- 
Dauer wert 


Zur Ver- 
dünn. nötige 
Wassermenge 











a) Zuvor 4 Std. in Eiswasser. 
1—3 | 60 Min. | 400%, | 0,83 | 4-6 |60 Min. | 400% | 0,83 
b) Zuvor 4 Std. in 37° bei Luftzutritt. 
7—9 [60 Min.) 400% | 10 | 10-12 | 60 Min. ! 400%, | 0,95 
c) Zuvor 4 Std. in 37° im Vakuum. 

13—15 | 60 Min. ' 400%, | 10 | 16—18 | 60 Min. | 400%, | 10 
d) Kontrollversuch mit physiol. Kochsalz- statt mit Trbz.-Lösung; 
zunächst 4 Std. in Eiswasser gehalten. 

1—3 | 60 Min. | 400%, | 155 | 4—6 |60 Min. | 400%, | 1,45 


Die Verhältnisse bei der von B. coli in Traubenzuckerlösung bewirkten 
Nitroreduktion liegen recht kompliziert. Außer der Unabhängigkeit vom 
molekularen Luftsauerstoff fällt vor allem auf, daß der Kontrollversuch d 
mit gleichen Bakterienmengen, aber physiol. Kochsalz- statt Trauben- 
zuckerlösung fast den doppelten Wert zeigt wie Versuch a. Es sind also 
in der mit physiol. Kochsalzlösung hergestellten Abschwemmung von 
46 Stunden alten Colikulturen auf: Schrägagar Nährstoffe vorhanden, 
mittels deren das B. coli die Nitroreduktion zu unterhalten vermag. Man 
könnte nun zunächst annehmen, daß diese Reduktion durch sehr bald ent- 
stehende, aus dem Traubenzucker gebildete schädigende Stoffe, vor allem 
Säuren, gehemmt wird. 


Tabelle IX. 


Coliabschwemmung 1,8 cm? + 1,8 cm?: a) 1proz. Traubenzuckerlösung (mit 
0,5% NaCl und 0,5% Na¿HPO,); b) 1proz. Traubenzuckerlósung (mit 0,7% NaCl, 
- Ohne Phosphat); c) 0,85proz. NaCl-Lösung. 


1) Sofort angesetzter Nitroreduktionsversuch; Reduktionsdauer 35 min. 


Trbz.-Lös. | Trbz.-Lös. |. Nacl- 
m. Phosphat|o.Phosphat Lösung 









py zu Beginn des Nitrored.-Versuches . . . . 
py zu Ende des Nitrored.-Versuches. . . . . 
Reduktionsgröße, Mittelwert aus je 3 Röhrchen 


210 Bioskopische Reduktionsmethoden II. 


2) 3 Std. bei 37° gehalten, dann Nitroreduktionsversuch angesetzt; Reduk- 
tionsdauer 35 min; drei der NaCl-Röhrchen wurden durch Zusatz von 0,15 cm? 
La n-HCl-Lösung auf eine pH von 6,6 gebracht. 


















Trbz.-Lös.| Trbz.-Lös. NaCl.- 


Lösung 


NaCl.-Lös. 
| angesäuert 
















pH zu Beginn des Nitrored.-Versuches 5,6 5,1 
pH zu Ende des Nitrored.-Versuches 5,4 5,1 6,6 
Reduktionsgröße, Mittelwert aus je 3 | 

Röhrchen ........... 0,75 | 0,85 0,0 


Aus dem Versuch IX 1) scheint hervorzugehen, daß die Veränderung der 
Wasserstoffionenkonzentration eine Rolle spielt, denn der Versuch mit 
NaCl-Lósung zeigt bei einer konstanten pp von 7,6 den höchsten Wert 
mit 0,88; der mit Traubenzuckerphosphatlösung bei einer pp von 7,7 bis 
7,0 den Wert 0,5; der Versuch mit Traubenzuckerlösung ohne Phosphat 
bei einer py von 7,5 am Anfang und 5,6 zu Ende des Versuches den Wert 
0,4. Der Parallelversuch IX 2) ergibt aber nun, daß, ähnlich wie die Röhr- 
chen b und c des Versuches VIII, die durch B. coli in Traubenzucker be- 
wirkte Nitroreduktion bei einer py von 5,6 bzw. 5,1 ungehemmt verläuft, 
im Gegensatz zum Staph. aureus, wo die Nitroreduktion in Traubenzucker 
schon bei einer pg von 6,5 fast aufgehoben ist. Auf der anderen Seite 
erweist sich die Nitroreduktion des B. coli in physiol. Kochsalzlösung, 
welche wohl durch in der Abschwemmung vorhandene Nährstoffe irgend- 
welcher Art unterhalten wird, als an neutrale Reaktion gebunden. Säuert 
man nämlich einen Teil derselben NaCl-Röhrchen, die bei einer py von 
7,6 eine Reduktionsgröße von 0,8 zeigen, durch Zusatz einer entsprechenden 
Menge HCl bis zu einer pp von 6,6 an, so wird die Nitroreduktion voll- 
kommen aufgehoben. 

Es scheinen hier beim B. coli also, N betrachtet, zwei ver- 
schiedene Arten von Nitroreduktion mit verschiedenen Eigenschaften sich 
zu kombinieren. Auf der einen Seite wäre das die mit dem Abbau von 
Traubenzucker einhergehende Nitroreduktion, die, vom molekularen 
Sauerstoff unabhängig, auch bei saurer Reaktion verläuft; anderseits eine 
mit in der Bakterienabschwemmung vorhandenen Stoffen unterhaltene 
Nitroreduktion, welche, ebenfalls unabhängig vom Sauerstoff, nur bei neu- 
traler Reaktion vonstatten geht. Eine dritte Art der Nitroreduktion mit 
wieder anderen Eigenschaften ist die durch Staph. aur. in Traubenzucker 
bewirkte, welche vom molekularen Sauerstoff abhängig ist, also mit der 
Sauerstoffatmung konkurriert und für ihren Ablauf auf eine neutrale Re- 
aktion angewiesen ist. 

Was nun speziell den Traubenzucker betrifft, so ist also die mit seinem 
Abbau verknüpfte Nitroreduktion eine andere beim Staph. aur., eine 
andere beim B. coli. Zur Erklärung dieser verschiedenen Arten von Nitro- 
reduktion ist es nötig, sich dessen bewußt zu bleiben, daß die Nitroreduktion 
nichts Selbständiges ist, sondern Teilerscheinung einer chemischen Um- 
setzung innerhalb eines aus drei Faktoren bestehenden Systems: 1. der 
abbaufähigen Substanz, die dehydriert bzw. oxydiert wird, dt. der Nähr- 
substanz; 2. des hydrierbaren bzw. desoxydierbaren Wasserstoffaccep- 
tors bzw. Sauerstofflieferanten; 3. der lebenden Zelle, deren Fermente 


Von Dr. med. O. Kirchner. 211 


die Umsetzung katalysieren. Der Abbau der Nahrungsstoffe geschieht mit 
den Mitteln der Dehydrierung, d.i. Abspaltung von Wasserstoff, der An- 
lagerung von Wasser und vielleicht der Oxydierung, d.i. Anlagerung von 
Sauerstoff in wechselnder Aufeinanderfolge. 

Ob der Traubenzuckerabbau bis zu den Endprodukten, CO, und H,O 
geht, wie beim B. coli, oder ob er auf einer Zwischenstufe stehen bleibt, 
wie beim Staph. aur., ferner welcher von den vielen möglichen Wegen 
beschritten wird, ist von der Eigenart der lebenden Zclle abhängig. Als 
Wasserstoffacceptoren kommen physiologischerweise vor allem, wie 
Wieland betont hat, der molekulare Luftsauerstoff, daneben aber auch 
beim Abbau der Nahrungssubstanzen entstehende Stoffe in Frage; ım 
Experiment können andere Wasserstoffacceptoren an deren Stelle treten, 
wie Methylenblau, Chinon, Nitrokörper. 

Es ist nun wahrscheinlich, daß in der Kette aufeinanderfolgender 
chemischer Umsetzungen, wie sie beim Traubenzuckerabbau durch B. coli 
z. B. sicher statthaben, der Nitrokörper nicht in jedem, sondern nur in 
dem einen oder anderen Gliede dieser Reihe den physiologischerweise in ` 
diesem Gliede als Wasserstoffacceptor dienenden Stoff ganz oder teilweise 
vertreten kann; wobei vielleicht anzunehmen ist, daß die Fähigkeit der 
Zelle zur Verwendung des Nitrokörpers abhängig ist von den bei der be- 
treffenden Umsetzung stattfindenden energetischen Verhältnissen, in der 
Weise, daß die bei der Hydrierung des Nitrokörpers verfügbar werdende 
Energie genügen müßte, um die Umsetzung zu unterhalten. 


Nach dieser Annahme würde der höhere Nitroreduktionswert der 
drei Stunden bei 37% gehaltenen Röhrchen in Tabelle IX durch eine An- 
sammlung solcher Abbaustufen bedingt sein, welche einer weiteren Um- 
setzung mit dem Nitrokörper als Wasserstoffacceptor zugänglich sind. 
Ähnlich, nämlich als für den Abbau mit Hilfe der Nitroreduktion besonders 
geeignete Dessimilationspunkte würden auch die sog. Fördersubstanzen 
vielleicht zu beurteilen sein, wie sie sich in Bouillon in den ersten Stunden 
nach Beimpfung mit Staph. aureus z. B. bilden (Tabelle IV). 


Betrachtet man die Nitroreduktion als Teilerscheinung, so wird es 
verständlich, daß, wie die zugrunde liegenden chemischen Umsetzungen 
verschiedener Art sein, also auch bei verschiedener Reaktion die optimalen 
Bedingungen ihres Ablaufs haben können, ebenso auch die diesen Um- 
setzungen gemeinsame Teilerscheinung der Nitroreduktion bei ganz gegen- 
sätzlichen Bedingungen statthaben kann, wie das bei Staph. aur. und 
B. coli in Traubenzuckerlösung der Fall ist. 


Dieselbe Substanz, der Traubenzucker, steigert im Fall des Staph. aure- 
us die Nitroreduktion gegenüber physiol. Kochsalzlösung erheblich, im 
Fall des B. coli setzt sie die Nitroreduktion gegenüber der in Kochsalz- 
lösung nicht unbeträchtlich herab, trotzdem das B. coli zweifellos den 
Traubenzucker energisch abbaut. Es ist also nicht angängig, ganz allge- 
mein in der Größe der Nitroreduktion ein Maß des Umfanges der ab- 
laufenden Stoffwechselprozesse zu sehen. In Übereinstimmung damit 
bezeichnet übrigens Thunberg die von ihm angegebene Methode der Auf- 
suchung physiologischer Zwischenstufen des Traubenzuckerabbaus des 


Kik Bioskopische Reduktionsmethoden 11. 


Muskels, die als Indikator eine Steigerung der Methylenblaureduktion 
durch solche Substanzen benutzt, als zur Feststellung nur derjenigen 
Zwischenstufen geeignet, die dehydrierenden Abbaues fähig sind. 


B. Versuche mit der Methylenblau-Reduktion. 


Das Nitroanthrachinon und das Methylenblau unterscheiden sich 
wesentlich: 1. das Nitroanthrachinon selbst ist schwach gefärbt, sein Re- 
duktionsprodukt kräftig rot; beim Methylenblau ist umgekehrt der Indi- 
kator kräftig gefärbt, sein Reduktionsprodukt, die Leukobase, farblos; 
2. die Leukobase des Methylenblau geht bei Luftzutritt sofort wieder in 
Methylenblau über, während das Reduktionsprodukt des Nitroanthrachinon 
luftbeständig ist, sich nicht wieder in den Ausgangsstoff zurückverwandelt; 
3. das Nitroanthrachinon ist verhältnismäßig sauerstoffreich, das Methylen- 
blau dagegen enthält keinen Sauerstoff. | 

Die Reversibilität der Methylenblaureduktion ist für die Versuchs- 
technik insofern von Bedeutung, als sie es nötig macht, bei den Versuchen 
den Luftsauerstoff auszuschließen. Schnabel (11) verwandte zu diesem 
Zweck die Überschichtung der einzelnen Versuchsröhrchen mit flüssigem 
Paraffin, während Thunberg (13) sich für seine Methylenblau-Reduktions- 
versuche am Muskel besonderer, mit eingeschliffenem Glasstöpsel versehener 
Röhrchen bedient, die evakuiert und zur Sicherung gegen jedes Eindringen 
von Luft unter Wasser gehalten werden. Für die eigenen Versuche wurde 
das oben beschriebene zylindrische Vakuumgefäß mit Gummiabdichtung 
verwandt, in welchem die Versuchsröhrchen, in einem Gestell befestigt, 
in einfacher Reihe der Innenwand entlang angeordnet wurden. Ver- 
gleichende Untersuchungen mit diesem Vakuum- und dem Paraffinüber- 
schichtungsverfahren zeigten, daß das Methylenblau im ersten Fall regel- 
mäßiger, schneller und vollkommen entfärbt wird, während bei der Pa- 
raffinüberschichtung, wie das auch Schnabel angibt, stets an der Pa- 
raffingrenze eine schmale blaue Schicht bestehen bleibt, die bei auftretenden 
Strömungen nach unten sinken und sich in der Nährlösung verteilen kann. 
Die Bestimmung des Zeitpunktes der vollkommenen Methylenblauent- 
färbung ist hier also unsicher, weil das Paraffin keinen unbedingten Ab- 
schluß darstellt und dauernd geringe Mengen Sauerstoff aus dem Paraffin 
in die Nährlösung übertreten läßt. Am deutlichsten geht das daraus hervor, 
daß im Vakuum einmal entfärbte Röhrchen bis zur Öffnung des Vakuums 
“entfärbt bleiben, während bei Paraffinüberschichtung entfärbte Röhrchen 
nach Stunden oder Tagen, wenn die Reduktionsfähigkeit abnimmt und die 
durch den nachdringenden Sauerstoff bewirkte Reoxydation nicht mehr aus- 
gleichen kann, sich wieder kräftig blau färben. 

Da die Herstellung anaerober Verhältnisse in der angegebenen Weise 
keine Schwierigkeiten bereitet, so liegt in der Notwendigkeit anaeroben 
Arbeitens allein kein erheblicher Einwand gegen die Verwendung der 
Methylenblau-Reduktionsmethode. Wesentlicher ist es, daß infolge der 
Reoxydation der Methylenblau-Leukobase nur eine Art der Ablesung mög- 
lich ist, nämlich die Bestimmung der Zeitdauer, in welcher eine bestimmte 
Menge Methylenblau vollkommen entfärbt wird. Die Reduktionsgeschwin- 
digkeit nämlich, d.i. die im Zeitraum reduzierte Menge, ist außer von 


Von Dr. med. O. Kirchner. 213 


anderen Faktoren abhángig von der Konzentration des Methylenblaus, 
sie wird also besonders in den letzten Phasen, wo nur wenig nicht reduzierte 
Methylenblaumoleküle noch vorhanden sind, bedeutend geringer sein als 
in den ersten Phasen bei reichlicher Gegenwart derselben. Diese starke 
Abnahme der Reduktionsgeschwindigkeit läßt sich, natürlich SE schät- 
zungsweise, beobachten, wenn man sich Vergleichróhrchen mit Y, Ya, t/s 
der Methylenblaumenge der Versuchsróhrchen herstellt und durch Ver- 
gleich damit das Fortschreiten der Entfärbung der im Vakuum befindlichen 
Versuchsröhrchen verfolgt. Insofern liegen die Verhältnisse bei der Me- 
thylenblau- also anders als bei der Nitroreduktionsmethode, bei welcher 
während der Versuchsdauer nur ein Bruchteil der reichlich vorhandenen 
Indikatormoleküle reduziert wird, man also die Reduktionsgeschwindigkeit 
als gleichbleibend annehmen kann. Unter sich sind aber die bei der Me- 
thylenblau- -Reduktion erhaltenen Entfärbungszeiten durchaus vergleich- 
bar, da ja diese durch das allmähliche Verschwinden unreduzierten Methylen- 
blaus bedingten Änderungen der Reduktionsgeschwindigkeit in den ein- 
zelnen Röhrchen sich immer entsprechend verhalten. 


Die Versuche wurden in den gleichen Mengenverhältnissen angesetzt 
wie die Nitroreduktionsversuche. Die Gesamtmenge war 4,0 cm; davon 
entfielen 3,6 cm? auf Bakterienabschwemmung und Nährflüssigkeit. Als 
zu entfärbende Methylenblaumenge wurde teils die von Neisser und 
Wechsberg (9) angegebene Menge pro 1 cm? beibehalten, teils die 4fache 
Menge verwandt; nur geschah das Zugeben in der Weise, daß z. B. statt 
4 Tropfen der Neisser-Wechsbergschen Gebrauchslösung 0,4 cm? 
einer aufs Doppelte verdünnten Lösung zugesetzt wurden!). Im ersten 
Fall wurde die Gebrauchslösung hergestellt durch Verdünnen von 0,5 cm? 
der Stammlósung mit 49,5 cm? physiol. Kochsalzlósung; im zweiten Fall 
durch Verdiinnen von 2,0 cm? Stammlösung mit 48,0 cm? physiol. Koch- 
salzlösung. Analog wie ın den Nitroanthrachinonversuchen wurde durch 
einen Vorversuch diejenige Menge Bakterienabschwemmung bestimmt, 
welche zur Entfärbung der verwandten Methylenblaumenge in dem ge- 
wählten Zeitraum nötig war. 


Die Methylenblaureduktion durch Bakterien und ihre Bedingungen 
sind von Cathcart und Hahn (3) eingehend studiert worden. Hier inter- 
essiert von ihren Ergebnissen der recht erhebliche Einfluß der Temperatur, 
den die eigenen Versuche bestätigten. 


Versuche darüber, ob die zur Entfärbung wechselnder Mengen von 
Methylenblau erforderlichen Zeiten diesen Mengen proportional sind, er- 
gaben, daß dies ebensowenig der Fall ist wie bei der Nitroreduktion. Wenn 
sich aber bei der Nitroreduktion das zwar unverhältnismäßige, aber doch 
gleichförmige Ansteigen der Reduktionsgrößen durch die Annahme er- 


1) Die Vorschrift von Neisser und Wechsberg ist: 


1. Herstellung der Stammlösung: Methylenblau 1,0; Alkohl.abs. 20,0; 
Aqu. dest. 29,0 g; 
2. frisch zu bereitende Gebrauchslósung: 4 cm? Stammlösung + 49 cm? 
physiol. Kochsalzlósung. 
Zum Gebrauch wird 1 Tropfen von Lösung 2 auf 1,0 cm? Kulturflüssigkeit zu- 
gesetzt. 


- 214 Bioskopische Reduktionsmethoden II. 


klären ließ, daß mit dem Fortschreiten der Abbauprozesse Stufen erreicht 
werden, die dem dehydrierbaren Abbau zugänglicher sind, so liegen die 
Verhältnisse bei der Methylenblaureduktion undurchsichtiger und die 
Versuchsergebnisse erscheinen mitunter paradox. 


Tabelle X. 


Staph. aur., auf Agar, 16 Std. alt, mit physiol. Kochsalzlósung abgeschwemmlt. 

Hauptversuch: Staph. aur.-Abschwemmung 0,1 cm? + 3,5 cm? Bouillon pro 

Róhrchen. Nach Einsetzen ins Vakuumwasserbad Zusatz von je 0,4 cm? ver- 
schieden konzentrierter Methylenblaulósung und sofortiges Evakuieren. 









enthalten pro cm* Neißer- 
Wechsberg-Methylenblaumenge 


erechnei a 
d. Zeitraum Y. 






einfach ` 1 
4—6 zweifach 22 „ 1,1 
7—9 vierfach 32. 5 1,6 
10—12 achtfach 65 ,„ 3,3 
13—15 zwölffach 190 ,, 9,5 
16—18 sechzehnfach nach 31%, Std. i 


noch kräf t. blau 


Es verhalten sich hier die Entfärbungszeiten für die 1-, 2-, 4-, 8-, 12-fache 
Methylenblaumenge wie 1:1,1:1,6:3,3:9,5; bei einem zweiten ebensolchen 
Versuch wie 1:1,2:1,9:3,8:6,3. Die doppelte Methylenblaumenge wird 
also fast in derselben Zeit entfärbt wie die einfache; die Entfärbungszeiten 
der vier- und der achtfachen Methylenblaumenge sind proportional; jen- 
seits der achtfachen Menge wird das Verhältnis umgekehrt wie bei den 
kleinen Mengen, die zur Entfärbung nötigen Zeiten wachsen stark an. 
Bei Verwendung von Traubenzuckerlösung statt Bouillon sind die Be- 
ziehungen zwischen Mengen und Entfärbungszeiten ähnlich. Die zur Ent- 
färbung der 1-, 2-, 4-, 8-, 12-fachen Methylenblaumenge nötigen Zeiten 
verhalten sich in einem Versuch wie 1:1,3:2,3:6,4:25; in einem zweiten 
mit etwas größerer Staphylococcenmenge wie 1:1,2:1,5:3,1:6,8. 

Eine recht wesentliche Ursache für die Jenseits der achtfachen Menge 
eintretende auffällige Verlangsamung der Reduktion scheint darin zu liegene 
daß, je mehr Methylenblau die Versuchsröhrchen enthalten, ein umso, 
deutlicherer Niederschlag sich am Boden der Röhrchen zeigt. Dieser Nieder- 
schlag ist farblos, wird aber bei Luftzutritt grünlich; unter dem Mikroskop 
stellt er sich als aus büschelförmigen Kristallen bestehend dar, die sich 
in Alkohol-Wasserstoffsuperoxyd langsam mit blauer Farbe lösen. Es 
handelt sich jedenfalls um Leukomethylenblau, das in Kristallen abge- 
schieden, einen großen Teil der Bakterien einschließt und sie so an der 
weiteren Reduktion hindert. 

Für das zu Anfang bestehende Mißverhältnis dagegen zwischen redu- 
zierten Mengen und Entfärbungszeiten zugunsten der ersteren kommt wohl 
die oben dargelegte Beeinflussung der Reduktionsgeschwindigkeit durch die 
Änderung der Methylenblaukonzentration ausschlaggebend in Frage. 

Direkt paradox erscheinen die Ergebnisse von entsprechenden Ver- 
suchen an B. coli. 


_ Von Dr. med. O. Kirchner. 215 
Tabelle XI. 


Hauptversuch 0,3 cm? ziemlich dichte B. coli-Abschwemmung + 3,3 cm? Bouillon 
pro Röhrchen. Nach Einsetzen ins Vakuumwasserbad Beschicken mit Methylen- 
blau und sofortiges Evakuieren. 


E z erechnet auf den 












Enthalten pro cm? 

entfárbt Zeitraum von 
Neißer-Wechsberg- | nach 19 Minuten als 
Methylenblaumenge Einheit 













1—3 einfach 1 

4—6 zweifach 16 ,, 0,84 

7—9 vierfach de de 0,37 
10—12 achtfach 13 ,, 0,68 
13—15 sechzehnfach 24 ,, 1,3 





Die zur Entfärbung der 1-, 4-, 8-, 16-fachen Methylenblaumenge nötigen 
Zeiten verhalten sich also wie 1:0,84:0,37:0,68:1,3; in einem zweiten ähn- 
lichen Versuch mit etwas größerer Colimenge wie 1:0,75:0,4:0,65:1,9. 
Zur Entfärbung der vierfachen Menge ist also nur die Hälfte der Ent- 
färbungszeit der zweifachen, nur !/, der für die Entfárbung der einfachen 
Menge nötigen Zeit erforderlich. Daß das Substrat, die Bouillon, für dieses 
Ergebnis ohne Belang ist, zeigt der folgende Versuch mit Traubenzucker- 
lösung, bei welchem für die Colimenge 1,0 ein ähnlisches Resultat er- 
scheint. 
Tabelle XII. 
B. coli auf Agar, 16 Std. alt, mit physiol. NaCl-Lösung abgeschwemmt. Nähr- 
lösung 1 proz. Traubenzuckerlósung mit 0,7% Kochsalz. 


Berechnet auf die 
Entfärbungszeit d. 
einfachen Menge 
als Einheit 






Enthalten pro cm? 
Neißer-Wechsberg- 
Methylenblaumenge 







1—2 einfach 8 Min. 1 
3—4 zweifach T a 0,88 
5—6 vierfach Ds 0,63 
7—8 achtfach Bla» | 0,81 
9—10 sechzehnfach » | 1,1 
b) 0,5 cm? B. coli-Abschwemmung + 3,1 cm? 1 proz. Trbz.-Lósung. 
1—2 einfach 11 Min. : 1 
3—4 zweifach b y 0,63 
5—6 vierfach 91/3 ,, 0,86 
7-8 achtfach Ä DE o> 1,5 
9—10 sechzehnfach 29 ,, | 2.6 
c) 0,2 cm? B. coli-Abschwemmung + 3,4 cm? 1 proz. Trbz.-Lósung. 
1—2 einfach 20 Min. 1 
3—4 zweifach 13 , 0,65 
5—6 vierfach  18*/,, 0,93 
7—8 achtfach | 33l/, 1,7 
9—10 sechzehnfach E Ol y 3,4 


So widersinnig dies Ergebnis scheint; daß es sich nicht um eine Unstimmig- 
keit in der Versuchsanordnung handeln kann, sondern um etwas Gesetz- 
mäßiges, geht aus dem guten Übereinstimmen der Parallelróhrchen her- 
vor. Wie der Reihenversuch XII mit abnehmenden Bakterienmengen 


216 Bioskopische Reduktionsmethoden 1I. 


deutlich zeigt, verschiebt sich mit der Abnahme der Bakterienkonzentration 
die kürzeste Entfärbungszeit nach den niedrigeren Methylenblaumengen hin, 
ohne sie allerdings zu erreichen; entsprechend steigt die Entfärbungszeit 
für die sechzehnfache Methylenblaumenge, die bei der Colimenge 1,0 fast 
dieselbe ist wie die für die einfache Methylenblaumenge, bei der Colimenge 
0,2 auf das Dreifache an. Es ist anzunehmen, daß bei weiterer Verminde- 
rung der Bakterienzahl ein Punkt erreicht wird, wo die einfache Methylen- 
blaumenge die kiirzeste Entfirbungszeit beansprucht; es ist dazu schein- 
bar aber ein starkes Herabgehen mit der Bakterienmenge nötig, und bei 
der damit verbundenen Verlángerung der Reduktionsdauer werden die 
Ergebnisse ungenau. So eindeutig úbrigens die Bedeutung der Konzen- 
trationsverhältnisse erscheint, sie erklärt nur, weshalb die Entfärbungszeit 
der einfachen Methylenblaumenge nicht kleiner als die für die zwei-, vier- 
und achtfache Menge ist, nicht aber, weshalb sie größer ist als diese. Eine 
stichhaltige Erklärung hierfür ist einstweilen nicht möglich. 


Bei der Nitroreduktion von Staph. aur. in Bouillon wurde ein starkes 
Ansteigen der Reduktionsgröße in aufeinanderfolgenden Zeiträumen fest- 
gestellt; es interessierte, ob bei der Methylenblau-Reduktion die gleiche Er- 
scheinung auftritt. Ein strikter Vergleich ist bei der Art der Ablesung, 
welche die Zeit mißt, in der eine bestimmte Menge Methylenblau entfärbt 
wird, nicht durchführbar. Es wurde nun so vorgegangen, daß die Versuchs- 
röhrchen 2, 11%, 1 bzw. 1, Stunde in 37° und dann in Eiswasser gehalten 
wurden; nach etwa 21, Stunden wurden sie gemeinsam mit solchen, die 
die ganze Zeit in Eiswasser gehalten waren, im selben Vakuumgefäß, also 
unter gleichen äußeren Bedingungen, zum Methylenblauversuch verwandt. 


Tabelle XIII. 


0,1 cm? Staph. aur.-Abschwemmung + 3,5 cm? Bouillon pro Röhrchen. 5 min 
vor Zusatz von Methylenblau in Wasserbad von 38% gestellt; nach Zusatz sofort 
evakuiert. 





Enthalten pro cm? j i 
Neisser-Wechsberg- SH 
Methylenblaumenge 












a) zuvor 2 Stdn. in 37%, dann 20 Min. in Eiswasser. 


1-3 | vierfach | 6 Min. 
b) zuvor 1'/, Sídn. in 37°, dann 50 Min. in Eiswasser. 
46 | vierfach 7 Min. l 
c) zuvor 1 St. in 37°, dann 1 St. 20 Min. in Eiswasser. 
7—9 | vierfach | 9Min. 
d) zuvor !/, St. in 37°, dann 1 St. 50 Min. in Eiswasser. 
10—12 | vierfach | 12 Min. 
e) 2 St. 20 Min. in Eiswasser. 
13—16 | vierfach : 23 Min. 


Es findet also, ebenso wie bei der Nitroreduktion, eine Steigerung der 
Methylenblaureduktion statt, die sich in einer Herabsetzung der Entfär- 
bungszeiten der bebrüteten Röhrchen auf Y, bis 1% der zur Entfärbung 


Von Dr. med. O. Kirchner. 217 


der dauernd in Eiswasser gehaltenen Röhrchen nötigen Zeit ausdrückt. 
Bei B. coli waren die Entfärbungszeiten der 2, (Lé, 1, 1, Stunde bebrüteten 
Röhrchen 3, 3, 3, 4 Minuten, gegenüber einer Entfärbungszeit der unbe- 
brüteten Röhrchen von 8 Minuten; die Steigerung hier ist also in Überein- 
stimmung mit dem Ergebnis bei der Nitroreduktion, weniger stark als beim 
Staph. aureus. 


Endlich wurde noch untersucht, ob Staph. aureus und B.coli bei 
Verwendung von Methylenblau ein gleiches Verhalten gegenüber den ver- 
schiedenen Versuchslösungen zeigten, wie in den Nitroanthrachinonver- 
suchen. Um nach Möglichkeit die in den Abschwemmungen von Agar- 
kulturen vorhandenen Stoffwechselprodukte auszuschalten, wurden die 
Bakterien zweimal mit physiol. Kochsalzlösung gewaschen. 


Tabelle XIV. 


Staph. aureus bzw. B. coli, auf Agar, 16 Std. alt, mit Spatel abgenommen, zwei- 
mal mit physiol. Kochsalzlösung gewaschen und wieder aufgeschwemmt. 













Art und Menge 


Methylen- | Entfärbungs- 
der Abschwemmung zeit 


blaumenge 





- Nährlösung 
























1a Staph. aur. 0,3 cm? NaCl-Lösg. einfach 50 Min 
b SS ES Trbz.-Lósg. 10 ,, 
2a Staph. aur. Bouillon | vierfach 19 ,, 
b 2 e: DE 5 Pepton-Lösg. | 102 , 
c Ge se. Ek j Trbz.-Pept.-Lösg. | 24 ,, 
3a B.-coli 0,3 cm? NaCl-Lösg. einfach | 24 , 
b e 0,3 - Trbz.-Lósg. | AA „ 
4a B.-coli 0,2 cm? Bouillon | vierfach jp 1 ,„ 
b E 0,2 ,, Pepton-Lósg. | ge 20 ,, 
c Ds 02 ,, Trbz.-Pept.-Lósg. e E ` SE »,; 


Für die Traubenzuckerlösung ist das Ergebnis also ein ähnliches wie in 
den Nitroanthrachinonversuchen: Während Staph. aur. in Traubenzucker- 
lösung sehr viel kräftiger reduziert, ist die Reduktion bei B. coli in Trauben- 
zuckerlösung eine geringere als in Kochsalzlösung. Dementsprechend ist 
auch die Entfärbungszeit in Traubenzucker-Peptonlösung bei Staph. 
aureus eine bedeutend kürzere, bei B. coli aber eine längere als in Pepton- 
lösung. Auffällig ist ferner, wie verschieden Staph. aureus und B. coli sich 
in Bouillon und in Peptonlösung verhalten: bei Staph. aureus ist die Ent- 
färbungszeit in Peptonlösung die fünffache der in Bouillon nötigen Zeit; 
bei B. coli dagegen nur das Doppelte seiner Entfärbungszeit in Bouillon. 


C. Vergleichende Untersuchungen mit der Nitro- und der 
Methylenblau-Reduktionsmethode. 


Die derzeitigen Anschauungen über den Abbau der Nahrungssub- 
stanzen, speziell des Traubenzuckers, gehen dahin, daß die lebende Zelle 
diesen Abbau mit den Mitteln der Wasserstoffabspaltung aus dem Molekül 
und der Anlagerung von Wasser an dasselbe in wechselnder Aufeinander- 
folge vollzieht. Der Wasserstoffabspaltung aus der verbrennenden Sub- 
stanz entspricht eine Anlagerung desselben an einen Wasserstoffacceptor; 
denn es gibt nur wenige Zellarten, die den Wasserstoff direkt in molekularer 

Archiv für Hygiene. Bd. 96. 17 


218 Bioskopische Reduktionsmethoden II, 


Form abspalten könnten, wie es die Erreger der Buttersäuregärung ver- 
mögen (Neuberg). Im normalen Zellgeschehen dient als solcher Wasser- 
stoffacceptor ganz überwiegend der molekulare Sauerstoff, der sich in dem 
einen Produkt der Atmung, dem Wasser findet, während das Kohlen- 
dioxyd seinen Sauerstoffbedarf aus intermediär angelagertem Wasser 
bestreitet (Wieland). Die von den bioskopischen Reduktionsmethoden 
als solche Wasserstoffacceptoren der Zelle gebotenen Farbstoffe, das Nitro- 
anthrachinon und das Methylenblau, sind nun chemisch nicht gleich- 
wertig, sondern stellen entgegengesetzte Typen dar: das Methylenblau 
enthält keinen Sauerstoff, den es an die Zelle abgeben könnte, seine Ent- 
färbung kommt also nur durch Anlagerung von aus den Nahrungsstoffen 
abgespaltenem Wasserstoff zustande; die Nitrogruppe des Nitroanthra- 
chinons, die für die Umsetzung allein in Frage kommt, ist dagegen reich 
an Sauerstoff. Theoretisch sind damit zwei Möglichkeiten gegeben: die 
Nitroreduktion kann einmal durch rein dehydrierende Prozesse zustande 
kommen, dann dient der Sauerstoff der Nitrogruppe ebenfalls als Wasser- 
stoffacceptor und wird zu Wasser hydriert: 
— NO, + 6 H —> — NH, + 2 Hy0; 
— NO, + 4 H > — NHOH +H;0; 

oder aber der Sauerstoff wird nicht an von der Nahrungssubstanz ange- 
spaltenen Wasserstoff angelagert, sondern tritt in das verbrennende Mole- 
kül selbst ein, oxydiert es; die Reduktion’ der Nitrokórper vermag dann 
dehydrierende und oxydative Abbauvorgänge zu unterbalten. 


Es ist ferner als sicher anzunehmen, daß die Differenz der Bildungs- 
wärmen, die für Methylenblau und seine Leukobase von Meyerhof mit 
25,7 Cal. bestimmt ist, für das Nitroanthrachinon und seine Reduktions- 
produkte eine andere ist; es ist also auch vom energetischen Standpunkt 
aus möglich und wahrscheinlich, daß die Umsetzungen, die unter Reduk- 
tion der aromatischen Nitrogruppe abzulaufen vermögen, teilweise andere 
sind als die durch die Methylenblaureduktion unterhaltenen. 

Es wurde deshalb versucht, festzustellen, ob der chemischen Ver- 
schiedenwertigkeit von Methylenblau und Nitroanthrachinon auch eine 
biologische entspricht, oder aber ob beide biologisch gleichwertig sind. 


Tabelle XV. 








Konzentration| Aminoanthrachinon Methylenblau 














5 mol | rosa | stark blau 
ndo mol | blaBrosa kráftig blau 
i e mol noch deutlich himmelblau 
BH mol | Spur | blaßblau 
166 000 mol | ge noch deutlich 
mol = Spur 


320000 


Von Dr. med. O. Kirchner. 219 


Dazu war zunächst ein Vergleich der Färbekraft des Methylenblau und des 
Reduktionsproduktes des Nitroanthrachinons notwendig. Anstelle des 
letzteren, welches, wie eingangs besprochen, ein wechselndes Gemisch 
verschiedener Reduktionsstufen des Nitroanthrachinons ist, wurde Amino- 
anthrachinon verwandt und festgestellt, bis zu welchen Verdünnungen 
molarer Lösungen noch eine deutliche Färbung vorhanden ist. Das Mole- 
kulargewicht des Methylenblau ist 319, das des Aminoanthrachinons 223. 


Das Methylenblau hat also gegenüber dem Aminoanthrachinon eine 
etwa viermal so große Färbekraft. 


Sind Nitroanthrachinon und Methylenblau biologisch gleichwertige 
Wasserstoffacceptoren, so wird die gleiche Menge aktivierten Wasserstoffs, 
die 1 Molekül Nitroanthrachinon in Anthrachinonhydroxylamin bzw. Amino- 
anthrachinon verwandelt, 2 bzw. 3 Moleküle Methylenblau hydrieren: 


Ce Ha—N GH, ` Cs H,—N (CH,), 
N S +2 H> N S 
bA N 
Ce H¿—N (CH,), Cl C, H,—NH (CH,), Cl 
Methylenweiß 
Methylenblau 


Cu H, O, 2 NO, + A H ——y Ca H, O, . NHOH + H, O; 
| Hydroxylaminoanthrachinon 
Cu H,0,-NO, + 6 H => Cu H, O02- NH, +2H,O. 


Aminoanthrachinon 


10 cm3 der nach Vorschrift von Neisser und Wechsberg hergestellten 
gesättigten Methylenblau-Stammlösung enthalten, wie durch Eindampfen 
und Wägen festgestellt wurde, 0,155 g Methylenblau; die Lösung ist also 
1,55proz. Daraus berechnet sich eine, die einfache Neisser-Wechsberg- 
sche Methylenblaumenge (0,0155 mg in 1 cm?) enthaltende Nährflüssigkeit 


1 M 
20580 mol. Wiirde das Re- 


duktionsprodukt des Nitroanthrachinons ausschließlich Anthrachinon- 
hydroxylamin sein, so würde die gleiche Menge abgespaltenen Wasserstoffs, 


d 


als Methylenblaulösung der Konzentration 


mol Methylenblau reduziert, nur mol Nitroanthrachinon 


1 

30580 41160 
reduzieren; das entspráche einem abgelesenen Wert von ca. 0,06 fir das 
unverdünnte Röhrchen. Für Aminoanthrachinon als ausschließliches 


Reduktionsprodukt wären dieZahlen: mol Nitroanthrachinon würde 


Der. 
61 740 
reduziert, dem Wert von etwa 0,04 der Vergleichsskala entsprechend. Das 
sind bei der Nitroreduktion in beiden Fällen Werte, die an der Grenze des 





1 en 
20000 mol Methylenblaulósung erst 


bei 8 bis 16facher Verdünnung an diese Grenze kommt. Die Empfindlichkeit 
der Methylenblaureduktionsmethode würde also der Nitroreduktions- 
methode gegenüber etwa 10mal so groß sein. 


noch Erkennbaren liegen, während die 


17* 


220 Bioskopische Reduktionsmethoden II. 


Bei der Durchführung derartiger vergleichender Versuche ergaben 
sich nun aber Nitroreduktionswerte, welche wechselten, stets höher waren 
und das 2- bis 10fache der obigen Werte von 0,04 bis 0,06 betrugen. Diese 
höheren Werte sind jedoch nicht auf eine biologische Höherwertigkeit 
des Nitroanthrachinons gegenüber dem Methylenblau zurückzuführen, 
sondern zunächst — und das macht eine Gleichsetzung der ın gleichen Ver- 
suchsröhrchen während der gleichen Zeit reduzierten Nitroanthrachinon- 
und Methylenblaumengen unmöglich — auf die Verschiedenheit der Kon- 
zentration, in welcher Nitroanthrachinon und Methylenblau ın den Ver- 
suchsröhrchen zugegen sind. 


Bei Verwendung der einfachen Neisser-Wechsberg-Menge beträgt 
diese Konzentration in den Methylenblauröhrchen wie oben angegeben, 


an. mol. In den Nitroanthrachinonversuchen dagegen berechnet sich 
die Konzentration des Nitroanthrachinons aus der Menge 0,01 g/cm? mit 


SE mol; hiervon wird während der Reduktionsdauer, bei einem durch- 
schnittlichen Reduktionswert von 1,0 für das unverdünnte Röhrchen, 


2530 mol, also */,y der vorhandenen Menge, reduziert, so daß zu Versuchs- 


; , KOUPI . 9 
ende das Nitroanthrachinon noch in einer Konzentration von —— vor- 


2530 
handen ist. Die Reduktionsgröße wird also bei der Nitroreduktion wegen 
der ganz anderen Konzentrationsverhältnisse — hohe Anfangskonzen- 


tration des Nitroanthrachinons, ganz geringe Abnahme derselben während 
der Versuchsdauer — eine größere sein müssen als bei der Methylenblau- 
Reduktion, wo die Konzentration des Indikators schon anfangs nur 1/100 
der Konzentration des Nitroanthrachinons beträgt und im Laufe des Ver- 
suches auf O absinkt. 

Es ist also bei der Verschiedenheit der Konzentrationsverhältnisse 
nicht angängig, aus der Abweichung der gefundenen Nitroreduktions- 
größen von der theoretischen Menge Rückschlüsse auf eine verschiedene 
biologische Wertigkeit von Methylenblau und Nitroanthrachinon zu machen. 
Dagegen ist es wohl möglich, die Nitroreduktionswerte, die immer der- 
selben Menge reduzierten Methylenblaus entsprechen, unter sich zu ver- 
gleichen; wobei nicht zu verkennen ist, daß auch hier in den verschiedenen 
Konzentrationsverhältnissen eine gewisse Fehlerquelle gegeben ist ınso- 
fern, als beim Methylenblau bei dem Absinken der Reduktionsgeschwindig- 
keit in den Phasen vor der vollkommenen Entfärbung innerhalb verhältnis- 
mäßig großer Zeiträume nur noch geringe Mengen Methylenblau reduziert 
werden, während z. B. bei Staph. aureus in Bouillon, wie ein Blick auf 
Tabelle II und III zeigt, gerade umgekehrt die Reduktionsgeschwindigkeit 
in den späteren Zeiträumen erheblich größer ist wie anfangs; schon ein 
geringes Abweichen von dem Zeitpunkt der vollkommenen Entfärbung, 
der schwer ganz genau, zu bestimmen ist, wird in solchem Falle Fehler 
bedingen können. Immerhin zeigen die folgenden Versuche, bei denen 
wechselnde Mengen von Staph. aureus-Abschwemmung verwandt wurden, 


Von Dr. med. O. Kirchner. 221 


die in verschiedenen Zeiten entfärbten, für Staph. aureus in Bouillon nicht 
allzu sehr auseinandergehende Reduktionswerte. 


Tabelle XVI. 


Nährflüssigkeit Bouillon: Bakterienabschwemmung + Nährlösung 3,6 cm?; dazu 
0,4 cm? a) einer Methylenblaulösung (0,1 cm? Stammlósung + 99,0 cm? physiol. 
Kochsalzlósung), d.i. einfache Neisser-Wechsberg-Menge pro cm?, bzw. 
einer Methylenblaulósung (1,0 cm? Stammlósung + 24,0 cm? physiol. Kochsalz- 
lösung, d.i. die vierfache Neisser- Wechsberg- Menge pro cm?; b) einer A proz. 
Nitroanthrachinonlösung. Jeder Versuch bestand aus 6 Röhrchen, 3 Methylen- 
blau- und 3 Nitroröhrchen, die im Vakuum-Wasserbad bei 38° gehalten wurden 
bis zur Entfärbung der drei Methylenblau-Parallelröhrchen, die meist zur selben 
Zeit entfärbt waren, oder aber nur geringe Differenzen zeigten. Gleichzeitig 
wurden die Nitroröhrchen in Eiswasser gebracht und ihre Werte bestimmt, die 
ebenfalls vollkommen übereinstimmten. 










Art und Menge der 
Bakterien- 
abschwemmung 


~  Methylenblauröhrchen | 


Methylenblau- 
menge pro cm? 






-  [Nitroanthr.-Röhrchen. 


ea Há Reduktionsgröße 
in der gleichen Zeit 


Ver- 

























la | Staph. aur. 0,2 cm? einfach 9 Min. ` 0,4 
b 0 3 12 ` 0,44 
c „ 22 „ 0,4 
d vierfach 15 „ | 0,5 

2a einfach az ,, 0,4 
b „ 005, | vierfach 29 , | 0,53 

3a einfach 18 ,, 0,2 
b e 35 „ | 0,19 
c D 46 ,, 0,21 
d vierfach 8 ,, | 0,13 

4a|l , „ Ls einfach 422 ,, 0,18 
b vierfach 23 ,, 0,12 
c S ll ,„ 0,14 

5 einfach 37 Ae | 0,41 

6 70 ,, 0,44 


In allen Versuchen mit Ausnahme von 5 und 6 wurde die gleiche Bouillon 
verwandt. Die der Entfärbung immer derselben Menge Methylenblau ent- 
sprechende Nitroreduktionsgröße ist nun, wie aus der Tabelle hervorgeht, 
einmal abhängig von der Bakterienart; und zwar ist die der einfachen 
Methylenblaumenge entsprechende Nitroreduktionsgröße für Staph. aureus 
in Bouillon ca. 0,4, für Coli in Bouillon dagegen mit 0,2 nur die Hälfte dieses 
Wertes. Bei Verwendung der vierfachen Methylenblaumenge wird der 
Unterschied noch sehr viel deutlicher: einer Nitroreduktionsgröße von 
0,52 für Staph. aureus steht dann eine solche von 0,13 für B. coli gegenüber. 
Es tritt hier wieder das eigenartige in Tabelle XII dargestellte Verhalten 
des B. coli hervor, daß nämlich die vierfache Methylenblaumenge in kür- 
zerer Zeit entfärbt wird wie die einfache. Unabhängig davon, wie das zu 
erklären sein mag, ist man wohl berechtigt, in diesen recht verschiedenen 
Werten den Ausdruck einer biologischen Verschiedenwertigkeit der beiden 
Wasserstoffacceptoren Methylenblau und Nitroanthrachinon zu sehen. 
Die dissimilatorischen Prozesse beim B. coli verlaufen offenbar so, daß sie 
in weit höherem Maße das Methylenblau nutzbar zu machen vermögen, 
als das beim Staph. aureus der Fall ist, dessen Umsetzungen bei Anwesen- 
heit des sauerstoffhaltigen Nitroanthrachinon bedeutend besser ablaufen, 


222 Bioskopische Reduktionsmethoden II. 


sei es wegen der günstigeren energetischen Verhältnisse bei der Hydrierung 
des atomaren Nitrosauerstoffs, sei es, daB dieser direkt zur Oxydation der 
verbrennenden Substanz dient. 

Die relative Nitroreduktionsgröße wechselt ferner für dieselbe Bak- 
terienart mit der Nährlösung. So wurde die der vierfachen Methylenblau- 
menge entsprechende Nitroreduktionsgröße für Staph. aureus in Bouillon 
mit ca. 0,5, in 1 proz. Peptonlósung mit ca. 0,2, in 1proz. Traubenzucker- 
lösung mit ca. 0,12, in Traubenzucker- -Peptonlösung mit ca. 0,25 gefunden; 
für Coli waren die Werte i in Bouillon 0,14, in 1 proz. Peptonlösung ca. 0,25, 
in 1proz. Traubenzuckerlósung ca. 0,4, in Traubenzucker-Peptonlösung 
ca. 0,2. 

Übrigens wechseln die relativen Nitroreduktionsgrößen in Bouillon 
entsprechend der Zusammensetzung derselben, die ja keineswegs konstant 
‚Ist; so zeigte eine Bouillon, die mehrmals, insgesamt etwa 5 bis 6 Stunden, 
sterilisiert worden war, in einer Reihe von Versuchen für Staph. aur. Werte 
von ca. 0,3 entsprechend der einfachen, von 0,36 entsprechend der vier- 
fachen Methylenblaumenge, während die Werte für Coli in dieser Bouillon 
dieselben wie sonst, also nicht entsprechend erniedrigt waren. 


Vollkommen andere Werte sind in Bouillon als Nährlösung zu erhalten, 
wenn man die in derselben enthaltenen Nährstoffe dem Abbau durch Bak- 
terien einmal in Sauerstoffatmosphäre, ein zweites Mal unter anaeroben 
Verhältnissen aussetzt. Einen Versuch der ersten Art lasse ich folgen. 


Tabelle XVII. 


Staph. aur. auf Agar, 16 Std. alt, mit physiol. Kochsalzlösung abgeschwemmit. 

Nährlösung: 1. Filtrat von Staph.-Bouillonkultur, die 9 Tage in Sauerstoffatmo- 

sphäre bebrütet wurde, wobei der Sauerstoff wiederholt erneuert wurde; 2. Filtrat 

von 9 Tage alter, ebenfalls in Sauerstoffatmosphäre bebrüteter Colibouillon; 

3. unbeimpfte Bouillon. Die zu verwendenden Mengen Staph. aur.-Abschwem- 

mung wurden in einem Vorversuch bestimmt. Die Methylenblauröhrchen ent- 
halten die einfache Neisser-Wechsbergmenge pro cm, 


















Menge der 


Methylenblau-Röhr- 
Abschwemmung 


chen entfärbt nach 


Nitroreduktionsgröße 
in der gleichen Zeit 








Nährlösung 

































1—4 0,1 cm? Staph. filtrat. 45 Min. 
5 Jabgetöt. Kontr. 3 i nicht entfärbt — 
6—9 0,3 cm? Coli-Filtrat 25 Min. 0,07 
10 į abgeıöt. Kontr. = | nicht entfärbt — 
11-13 0,06 cın® Bouillon 37 Min. 0,41 
14 Jabgetót. Kontr. em nicht entfärbt Sen 


Bei dem Abbau in Sauerstoffatmospháre sind also jedenfalls sauerstoff- 
reiche Abbauprodukte gebildet worden, infolgedessen überwiegt in einer 
solchen Bouillon der mit einer gesteigerten Reduktion des sauerstofflosen 
Methylenblau einhergehende Abbau. Umgekehrt müßte dann nach 
anaerober Bebrütung das Bouillonfiltrat eine geringere Verwendbar- 
keit von Methylenblau und dementsprechend eine gesteigerte relative 
Nitroreduktionsgröße zeigen. Das ist in der Tat der Fall, wenn auch 
die Differenzen hier geringer sind. Im Filtrat einer 5 Tage anaerob 
bebrüteten Staph. aur.-Bouillon war die der einfachen Methylenblaumenge 


Von Dr. med. O. Kirchner. 223 


entsprechende Reduktion 0,71 gegenüber 0,44 für die unbeimpfte Bouillon. 
Für B. coli in aeroben und anaeroben Bouillonkulturfiltraten ergaben sich 
ähnliche Unterschiede. Bei dem schon von Cathcart und Hahn festge- 
stellten Unterschiede im Reduktionsvermögen aerob und anaerob ge- 
wachsener Bouillonkulturen ist also eine wesentliche Ursache in der Ver- 
schiedenheit der während der Bebrütung abgelaufenen Umsetzungen zu 
sehen. Darin, daß bei Bebrütung in Sauerstoffatmosphäre sauerstoffreiche 
Abbauprodukte ın großer Menge auftreten, liegt kein Widerspruch gegen 
die Wielandsche Dehydrierungstheorie, die besagt, daß der in die ver- 
brennende Substanz eintretende Sauerstoff aus einer Anlagerung von 
Wasser mit darauffolgender Abspaltung von Wasserstoff stammt. Solch- 
Umsetzungen werden bei reichlicher Anwesenheit eines geeigneten Wassere 
stoffacceptors, wie das der molekulare Sauerstoff ist, in großem Umfang 
mit dem Resultat der Anhäufung höherer Oxydationsstufen ablaufen 
können, wobei Wasser als Hydrierungsprodukt entsteht. Bei Luftabschluß 
dagegen ist die Dehydrierung eines Teiles der Nährstoffe nur durch Hy- 
drierung eines äquivalenten anderen Teiles möglich, nicht durch Abschieben 
abgespaltenen Wasserstoffs auf molekularen Sauerstoff, womit eine Stei- 
gerung der durchschnittlichen Oxydationsstufe ausgeschlossen ist. 


Zusammenfassung. 


Die biologische Farbreduktion ist, wie das Wieland und Thunberg 
festgelegt haben, an das dreigliedrige System: verbrennende Substanz — 
Zellferment — Wasserstoffacceptor gebunden. Was zunächst die Fermente 
betrifft, so verfügt die lebende Zelle nach Thunberg über einen Komplex 
solcher dehydrierender Fermente, die in der Kette der aufeinanderfolgenden 
dissimilatorischen Vorgänge wirksam werden. Es ist anzunehmen, daß 
dieser Fermentkomplex bei den einzelnen Bakterienarten verschieden ist. 
Eine Verallgemeinerung von Ergebnissen, die an einer Bakterienart 
gewonnen sind, ist also nicht angängig; die mannigfachen Verschieden- 
heiten der Reduktion in den Versuchen mit Staph. aureus einerseits, mit 
B. colı anderseits, sowie die qualitativen Differenzen im Nitroreduktions- 
produkt verschiedener Bakterienarten bestätigen das. 


Von den beiden hier behandelten Wasserstoffacceptoren ist das 
Methylenblau Gegenstand mannigfacher und exakter physiologischer 
Untersuchungen gewesen, die ergaben, daß die Methylenblau-Reduktion 
durch gewisse Faktoren in anderer Weise beeinflußt wird wie die Sauerstoff- 
zehrung lebender bzw. in besonderer Weise abgetöteter Zellen. Solche 
Abweichungen sind u.a. die relative Blausäureunempfindlichkeit der Me- 
thylenblaureduktion, ferner daß das Methylenblau durch gewisse Substan- 
zen, z. B. Cystein auch ohne Gegenwart eines Zellfermentes reduziert wird. 
Im übrigen ist die Stellung der Methylenblau-Reduktion von Thunberg, 
der sie zur Aufsuchung von Zwischengliedern des Abbaus der Nahrungs- 
substanzen verwandt hat, genau umschrieben worden; sie dient zur Fest- 
stellung, ob die ausgewaschene, von Nährstoffen befreite Muskelzelle eine 
ihr angebotene theoretisch als Zwischenglied mögliche Substanz zu de- 
hydrieren vermag unter entsprechender Hydrierung des Methylenblaus. 


224 Bioskopische Reduktionsmethoden II. 


Wenig scharf umrissen ist dagegen die Stellung der von Lipschitz 
eingeführten Nitroreduktion. Lipschitz bezeichnet sie als eine im Gegen- 
satz zur Methylenblau-Reduktion eng mit dem Atmungsvorgang verknüpfte 
Reaktion; sie gäbe quantitative Werte und stehe neben den Methoden der 
direkten Messung des Sauerstoffverbrauches, anderseits bestimme sie 
außer den atmungsartigen auch Gärungsvorgänge quantitativ mit. Als 
atmungsartige Nitroreduktion konkurriere sie mit der Sauerstoffatmung, 
sel also vom Sauerstoffpartialdruck abhängig, als gärungsartigc Nitroreduk- 
tion bleibe sie vom Sauerstoffpartialdruck unbeeinflußt. Die ganz erheblichen 
Fehlerquellen, die der Nitroreduktionsmethode mit Verwendung des m- 
Dinitrobenzols anhaften, sind in der vorangegangenen Arbeit dargelegt. 
Der Beweis für die unbedingte Parallelität der Nitroreduktion mit der 
Sauerstoffatmung kann also keineswegs als erbracht gelten, im Gegenteil 
gibt Lipschitz hinsichtlich der Blausäureempfindlichkeit, deren Mangel 
er zunächst als einen der Hauptgründe gegen die Methylenblau-Reduktion 
ins Feld geführt hatte, selbst an, daß die Nitroreduktion sich in diesem 
Punkte ähnlich wie die Methylenblau-Reduktion, also abweichend von der 
Sauerstoffatmung, verhalte. Falls die übrigen für die Methylenblau- 
Reduktion von Meyerhof, Hopkins u.a. festgestellten Divergenzen 
von der Sauerstoffzehrung in gleichartigen Versuchen mit Verwendung des 
m-Dinitribenzols nicht festzustellen sein sollten — Versuche, die meines 
Wissens nicht vorliegen — so wäre zu bedenken, daß die m-Dinitribenzol- 
Reduktion weit weniger empfindlich ist als die Methylenblau-Reduktion 
entsprechend der gegenüber dem Methylenblau geringen Färbekraft des 
gelbbraunen Reduktionsproduktes aus dem m-Dinitrobenzol. 

Aber ganz abgesehen von den Mängeln der Beweisführung erscheint 
prinzipiell die Lipschitzsche Wertung des m-Dinitrobenzols als eines 
„Atmungs“indikators par excellence, dessen Reduktion ein Maß der 
atmungsartigen und der gärungsartigen Prozesse in der lebenden Zelle 
darstelle, bei praktischer Außerachtlassung der verbrennenden Substanz 
als recht umfassend und widerspruchsvoll; sie steht mit den Tatsachen 
nicht ın Einklang. Nach der Definition von Lipschitz würde z.B. die 
durch Staph. aureus in Bouillon bewirkte Nitroreduktion als gärungs- 
artig anzusehen sein, denn sie ist unabhängig vom Sauerstoffdruck; die 
Nitroreduktion des Staph. aureus in Traubenzuckerlösung dagegen, die 
bei Sauerstoffmangel eine größere ist als bei Sauerstoffzutritt, würde 
als atmungsartig zu gelten haben. Demgegenüber scheint die nichts 
präjudizierende Auffassung Thunbergs von der Bedeutung der Methylen- 
blau-Reduktion, und seine analytische Methode, die das Hauptaugenmerk 
auf die verbrennende Substanz richtet, als Grundlage für das weitere 
Studium der Erscheinungen der bioskopischen Reduktion allein in Frage 
- zu kommen. Und eine gründliche Klärung dieser recht komplizierten Er- 
scheinungen ist nötig, ehe es möglich sein wird, ein Urteil über die 
praktische Verwendbarkeit der bioskopischen Reduktionsmethoden ab- 
zugeben. 

Die Ergebnisse unserer vergleichenden Untersuchungen mit der 
Nitro- und der Methylenblau-Reduktionsmethode lassen sich nun dahin 
zusammenfassen: 


Von Dr. med. O, Kirchner. 225 


- 4. Die biologische Reduktion farbiger Stoffe durch die lebende Zelle 
bzw. durch Mikroorganismen in Nährlösungen von unbekannter Zusammen- 
setzung — und das trifft zu sowohl auf die Reduktion der Bakterien ın 
Bouillon wie auf die der nicht ausgewaschenen nährstoffhaltigen Muskel- 
zelle in physiol. Kochsalzlösung — ist in ihrer Eigenschaft als den verschie- 
denartigen dissimilatorischen Umsetzungen gemeinsame Teilerscheinung 
nichts Selbständiges mit einheitlichen optimalen Ablaufsbedingungen. 
Diese Bedingungen wechseln vielmehr, und können nach den zugrunde 
liegenden Umsetzungen ganz verschieden sein; so sistiert die Nitro- 
reduktion des B. coli in Kochsalzlösung, sobald die Reaktion mäßig sauer 
wird, während in Traubenzuckerlösung die Reduktion auch bei stark saurer 
Reaktion vonstatten geht, und anderseits wieder die Nitroreduktion des 
Staph. aureus in Traubenzuckerlösung an neutrale Reaktion gebunden ist. 
Ein weiterer Ausdruck der Verschiedenheit der hier zugrunde liegenden 
Umsetzungen liegt in der Abhängigkeit der Reduktionsgröße von Sauer- 
stoffpartialdruck bei Staph. aureus, während die des B. coli in Trauben- 
zuckerlösung davon abhängig ist. 

2. Die bioskopischen Methoden zeigen durch die augenfällige Reduk- 
tion der verwendeten farbigen Indikatoren nur an, daß in der Kette der 
dissimilatorischen Prozesse auch solche ablaufen, in welche diese Stoffe 
als Wasserstoffacceptoren, ev. auch als Sauerstoffspender, eintreten können, 
ohne daß sich sagen ließe, welchen Bruchteil der gesamten ablaufenden 
dissimilatorischen Vorgänge diese Prozesse darstellen. Es ist also wohl 
nicht angängig, die Größe der bioskopischen Reduktion allgemein und für 
jede Zellart als Maß der atmungsartigen und gärungsartigen Vorgänge an- 
zusehen. Dem widerspricht z. B. auch, daß Traubenzucker die Nitro- 
reduktion des Staph. aureus beträchtlich steigert, die Nitroreduktion des 
B. coli dagegen, das den Traubenzucker bekanntlich bis zum Endprodukt 
CO, abzubauen vermag, gegenüber der in Kochsalzlösung nicht nur nicht 
steigert, sondern sogar hemmt. Im übrigen zeigt auch die Analyse des zeit- 
lichen Ablaufs der Nitroreduktion in bestimmten Nährlösungen, die Ver- 
suche mit Filtraten -aerob und anaerob gehaltener Bouillonkulturen, 
wie kompliziert die Verhältnisse bei der bioskopischen Reduktionsmethode 
liegen, und daß, ehe sie nicht geklärt sind, es schwierig sein wird, aus einer 
Förderung oder Hemmung der Reduktion durch Nährlösungen unbekannter 
Zusammensetzung einigermaßen sichere Rückschlüsse auf bestimmte 
Stoffe als Ursache zu machen, wie es Bieling versucht hat, indem er die 
vitaminartige Natur solcher fördernden und hemmenden Substanzen 
diskutierte. 

3. Vergleichend-quantitative Versuche mit dem Methylenblau und 
dem Nitroanthrachinon, das gegenüber dem m-Dinitrobenzol die Vorzüge 
viel größerer Empfindlichkeit und bequemerer Handhabung hat, ergaben 
eine verschiedene biologische Wertigkeit dieser beiden Wasser- 
stoffacceptoren, wie das aus ihrer chemischen Zusammensetzung sowohl 
— das Methylenblau enthält keinen Sauerstoff, das Nitroanthrachinon 
ist reich daran — wie aus energetischen Erwägungen verständlich ist. 
So sind die der gleichen reduzierten Methylenblaumenge entsprechenden 
Nitroreduktionsgrößen in gleicher Nährlösung bei verschiedenen Bakterien- 


226 Bioskopische Reduktionsmethoden II. 


arten verschieden, ebenso wechseln sie bei derselben Bakterienart mit der 
verwendeten Nährlösung. 

Rein chemisch betrachtet würde die Reduktion des Nitroanthrachinon 
mit seinem reichen Gehalt an atomarem Sauerstoff in der Mitte stehen 
zwischen der Reduktion des sauerstofflosen Methylenblaus einerseits und 
der Luftsauerstoffzehrung anderseits. Methylenblau- und Nitroreduktion 
ergänzen sich also, und es scheint für das weitere Studium von Nutzen, 
die Abbaufähigkeit einer bestimmten Substanz durch die lebende Zelle 
bzw. durch Mikroorganismen in der von Thunberg angegebenen Weise 
nicht nur gegenüber Methylenblau, sondern in vergleichender Unter- 
suchung mit dem Methylenblau und dem Nitroanthrachinon als Wasser- 
stoffacceptoren zu prüfen. Die Heranziehung der bioskopischen Reduktion 
in dieser Form für vergleichende Stoffwechseluntersuchungen an Bak- 
terien erscheint aussichtsreich. 

4. Als Nachteile traten hervor bei der Methylenblau-Reduktion die 
durch die Eigenart des Methylenblaus bedingten ungünstigen Konzentra- 
tionsverhältnisse, die einen direkten Vergleich nicht zulassen, ferner die 
Abscheidung des Leukomethylenblau in Kristallform; bei der Nitro- 
anthrachinon-Reduktion die Möglichkeit der Entstehung mehrerer Re- 
duktionsstufen, dementsprechend qualitative Differenzen im Reduktions- 
produkt, die aber praktisch nicht allzu sehr stören. 


Literaturverzeichnis. 


1. R. Bieling, Eine Methode zur quantitativen Bestimmung der Atmung von 
Mikroorganismen und Zellen. Zbl. f. Bakt. 1923, I. Orig., Bd. 90, S. 49. 
. R. Bieling, Untersuchungen über die intramolekulare Atmung von Mikro- 
organismen. Zeitschr. f. Hyg. 1923, Bd. 100, S. 270. 
. Ed. Cathcart und M. Hahn, Über die reduzierenden Wirkungen der Bak- 
terien. Archiv f. Hyg. 1902, Bd. 44, S. 295. 
4. O. Kirchner, Zur Technik der Anaerobenzüchtung II. Zbl. f. Bakt. 1924, 
I. Orig., Bd. 91, S. 340. 
5. O. Kirchner, Bioskopische Reduktionsmethoden I. Der Wert der Nitro- 
reduktionsmethode als absolut-quantitative Methode. Arch. f. Hyg., 1925, 
- Bd. 95, Heft 5 und 6, $. 280. 
6. W. Lipschitz, Siehe Literaturverzeichnis zu „Bioskopische Reduktions- 
methoden I“. 
7. A. Meyer, Zbl: f. Bakt. Il, 1906, Bd. 15, S 337. 
8. Meyerhof, Über scheinbare Atmung abgetóteter Zellen durch Farbstoff- 
reduktion. Pflügers Archiv f. Physiol. 1913, Bd. 149, S. 250. 
9, Neisser u. Wechsberg. Über eine einfache Methode zur Beobachtung von 
Schädigungen lebender Zellen und Organismen (Bioskopie). Münch. m. 
W. 1900, S. 1261. 
10. Neuberg, Von der Chemie der Gärungserscheinungen. Ber. d. deutsch. 
Chem.-Ges. 1922, Nr. 11, S. 3624. 
11. A. Schnabel, Über die Bestimmung zell- und keimschädigender Substanzen 
auf biologischem Wege. Biochemische Zeitschr. 1920, Bd. 108, 8. 258. 
12. Scholl u. Eberle, Chem. Zentralblatt 1912 1., S. 662. 
13. Th. Thunberg, Zur Kenntnis der Einwirkung tierischer Gewebe auf Me- 
thylenblau. Skand. Archiv f. Physiol. 1918, Bd. 35, S. 163. 
44. Th. Thunberg, Zur Kenntnis des intermediären Stoffwechsels und der dabei 
wirksamen Encyme. Skand. Archiv f. Physiol. 1920, Bd. 40, 8.1. 
15. H. Wieland, Über den Verlauf der Oxydationsvorgänge. Ber. d. deutsch. 
Chem.-Ges. 1922, Nr. 11, S. 3639. i 


Dä »N 





Zur Technik der Schimmelpilzuntersuchung. 
j Von | 
Professor K. v. Angerer und Professor A. Hartmann. 
(Mit 3 Abbildungen.) | 


(Aus dem Hygienischen Institut und der histologischen Abteilung des Anatomi- 
schen Instituts München.) ( 


(Bel der Redaktion eingegangen am 2. August 1925.) 


Gewóhnlich werden Schimmelpilze in den medizinischen Kursen 
in Form von Zupfpräparaten untersucht. Diese Präparate fallen häufig 
wenig instruktiv aus, namentlich wenn sie von Ungeübten angefertigt 
werden, und es mag deshalb erlaubt sein, auf eine Technik hinzuweisen, 
welche sehr anschauliche und außerdem haltbare Präparate ergibt. Der 
eine von uns hatte früher»Versuche gemacht, die Struktur von Bakterien- 
kolonien an Mikrotomschnitten zu untersuchen (Arch. f. Hyg. Bd. 93, 
S. 24) und so lag der Gedanke nahe, diese Methode auch auf Hyphomyceten 
anzuwenden. Diese Technik ist nicht völlig neu (vgl. P. Klausen, Z.f. 
Bot., Bd. 4, S. 58), verdient aber größere Verbreitung. 





1. Fruchtkörper von Aspergillus niger, 
Mallorylärbung. Vergrößerung 300fach. 


228 Zur Technik der Schimmelpilzuntersuchung. 


Man hat zunáchst die Wahl zwischen der Zelloidin- und Paraffin- 
einbettung. Nach früheren Erfahrungen lassen sich Agar und Gelatine 
nur bei Zelloidineinbettung schneiden; ferner schien diese Einbettung 
den Vorteil zu bieten, daß die Sporen wenigstens nach der Einbettung 
nicht mehr fortgeschwemmt werden können; anderseits läßt sich Zelloidin 
nicht sehr dünn sehneiden. 

Die ersten Versuche wurden angestellt mit Penicillium glaucum, 
Aspergillus niger und fumigatus, sowie zwei Mukorarten, und zwar wurden 
Agrarkulturen dieser Stämme in Zelloidin eingebettet, ganz ebenso, wie 
man sonst Organe zur histologischen Untersuchung einbettet. Die Prä- 
parate von Penicillium waren gut, dagegen war bei den beiden Asper- 
gillusarten die Schnittdicke zu groß, um Einblick in die Struktur der Frucht- 
träger zu geben, und beı den Mukorarten waren die Sporangien kaum als 











2. Fruchtkörper von Aspergillus fumigatus, 
Malloryfärbung. Vergrößerung 300 fach. 


solche zu erkennen. Deshalb wurden die Versuche mit Paraffineinbettung 
wiederholt. Da Blöcke, welche Nährbodengallerte enthielten, unschneid- 
bar waren, mußte die Gallerte entfernt werden. Die Stämme wurden 
deshalb auf Gelatine gezogen (3 bis 5% Zuckergelatine mit Essigsäure 
bis zu schwach lackmussaurer Reaktion versetzt); auch die Stämme, welche 
ihr Optimum bei 37% haben, konnten auf diesem Nährboden gezüchtet 
werden, da sie auch auf der flüssigen Gelatine an der Oberfläche wachsen. 
Wenn die Kulturen sich genügend weit entwickelt hatten, wurde die Gela- 
tine durch leichtes Erwärmen geschmolzen, die Schimmelpilzhaut abge- 
zogen und in der üblichen Weise eingebettet. Die Fixation geschah an- 
fangs durch Einwirkung von starken Formalindämpfen; man kann aber 
darauf überhaupt verzichten und die Häute ohne weiteres ın absoluten 
Alkohol bringen. 

Auch bei dieser Behandlung zeigten sich bei den Mukorarten an 
Stelle der Sporangien nur undefinierbare Massen, von denen keinerlei 











Von Prof. K. v. Angerer und Prof. A. Hartmann. 229 


Details erkennbar waren. Sehr schön dagegen wurden die Präparate von 
Penicillium und namentlich von den beiden Aspergillusarten. 


Am ungefärbten Präparat ın Wasser oder Glyzerin kann man bereits 
viele Einzelheiten an diesen Schnitten unterscheiden. Will man Dauer- 
präparate anfertigen, so empfiehlt sich die Malloryfärbung. Bei Asper- 
gillus niger sieht man an dem die Fruchtkörper tragenden Stiel eine gelb- 
liche Membran, in deren Innerem rotes Protoplasma liegt, das sich in die 
gleichfalls rotgefärbte Basidiumzelle erstreckt; die Basidiumzelle ist von 
einer dünnen gelben Membran überzogen und enthält viele Granulationen. 








= MINS 


3. Mycel und Fruchtkörper von Aspergillus fumigatus, 
Malloryfärbung. Vergrößerung 100fach. 


Die innere Reihe der Sterigmen färbt sich vorwiegend blau, die äußere 
rot, doch enthalten alle viele andersfarbige Granula. Das schwarze Pig- 
ment der Sporen ist deutlich sichtbar. Analoge Bilder ergibt Aspergillus 
fumigatus. Nur ist hier die Basidiumzelle meist ungefárbt, und die reifen 
Sporen sind gelb. Bei Penicillium färben sich Sterigmen und reife Sporen 
gelb, die unreifen Sporen blau. Unterhalb der Fruchtkörper sieht man 
auf Quer- und Lánesschnitten das Gewirr der Myzelfäden. Deutlicher als 
durch die Beschreibung werden die Vorzüge dieser Technik dureh die bei- 
gegebenen Photographien veranschaulichtt); allerdings fehlt diesen die 
4) Bild 1 und 2 verdanken wir der Güte von Herrn Geheimrat L. Heim. 
Erlangen; Bild 3 wurde im Anatomischen Institut aufgenommen. 


230 Zur Technik der Schimmelpilzuntersuchnng. 


Farbenwirkung, sowie der, namentlich bei Aspergillus fumigatus wün- 
schenswerte plastische Eindruck, der nur durch Bewegung der Mikro- 
meterschraube erzielt werden kann. 

Die einzige Schwierigkeit liegt darin, den richtigen Entwicklungs- 
zustand der Kulturen zu treffen. Bei Penicillium empfiehlt sich ein ziem- 
lich junges Stadium, etwa eine Kolonie, die erst im Zentrum grún ge- 
worden ist, da man sonst nur eine nicht unterscheidbare Masse von Sporen 
zu Gesicht bekommt. Bei Aspergillus niger, dessen Kópfe meistens nicht 
so dicht stehen, muß eine reichliche Entwicklung der Fruchtträger abge- 
wartet werden. Bei Aspergillus fumigatus kommt ein mittlerer Entwick- 
lungszustand in Betracht. 


Uber die Bedingungen der Entwicklung von Oberfláchen- 
kolonien. 


Von 
Professor Karl v. Angerer. 


(Aus dem Hygienischen Institut Múnchen.) 


(Bei der Redaktion eingegangen am 2. August 1925.) 


Bekanntlich sind von denjenigen Kolonien, die sich auf Gelatine ent- 
wickeln, nur die sogen. oberflächlichen diagnostisch von Wichtigkeit. In- 
folgedessen habe ich Untersuchungen angestellt, unter welchen Bedingungen 
eine Kolonie sich zum oberflächlichen Wachstum entwickelt. 


So lange die Zahl der eingesäten Keime nicht unbegrenzt groß ist, 
ist es unwahrscheinlich, daß mehrere Keime tatsächlich in die 
Oberfläche zu liegen kommen, etwa wie ein Öltropfen an der Oberfläche 
einer Flüssigkeit liegt, außer man wollte annehmen, daß irgend welche 
Kräfte die Bakterien in die Grenzschicht zwischen Luft und Gelatine 
führen. Solche Kräfte könnten sein: die Adsorption in der Grenzfläche, 
oder ein hydrostatischer Auftrieb, bewirkt durch ein geringeres spezifisches’ 
Gewicht. Solche Kräfte könnten bestenfalls nur klein sein und würden 
. In der kurzen Zeit, während welcher die Gelatine flüssig ist, keine wesent- 
liche Bewegung herbeiführen, zumal in Anbetracht der hohen Viskosität 
der Gelatine. Verzichtet man auf die Annahme solcher richtunggebender 
Einflüsse, so würde die Verteilung der Keime in der Gelatine vollkommen 
gleichmäßig sein, und da erfahrungsgemäß ein bestimmter Prozentsatz 
der Kolonien sich oberflächlich entwickelt, muß angenommen werden, 
daß auch diejenigen Bakterien, welche sich zunächst in einiger Entfernung 
unter der Grenzfläche befinden, diese Gelatineschicht durchbrechen 
können. Tatsächlich sieht man auch bei der Mehrzahl der transparenten 
oberflächlichen Kolonien die erste Anlage als tiefliegende Kolonie im op- 
tischen Querschnitt als Kreis im oder nahe beim Zentrum, z. B. bei Typhus- 
und Koli-Kolonien. Dergleichen ist nicht zu sehen, wenn man Gelatine- 
platten mit Koli-Aufschwemmungen aufsprüht. 


232 Uber die Bedingungen der Entwicklung von Oberflächenkolonien. 


Die Dicke dieser Schicht, welche beim Wachstum durchbrochen 
werden kann, wurde in folgender Weise bestimmt: 

Ist H die Dicke der Gelatineschicht in der Petrischale, h diejenige 
Schicht, innerhalb derer die Kolonien sich noch zu oberflächlichen ent- 
wickeln können, ferner A die Summe aller Kolonien, 7 die Zahl der ober- 
flächlichen, so besteht die Gleichung: 


EE E Tr 
F 
h=H + y 


Ist H die Gelatinemenge in cem pro Platte, D deren Durchmesser, so 
wird 


Beträgt die Zahl der oberflächlichen Kolonien a% der Gesamteinsaat, 
so geht die Formel über in: 
Ap a 
D?x- 100 


Wenn h eine konstante Größe ist, muß demnach bei konstanter Ein- 
saat F größer werden, sobald 7 abnimmt, d.h. je weniger Gelatine in der 
Platte ist, um so mehr Oberflächenkolonien sind zu erwarten. 

Um diese Anschauung zu prüfen, wurden verschiedene Mengen von 
Gelatine mit einer konstanten Menge von Bacterium coli beimpft und zu 
Platten ausgegossen. Nach 48 Stunden wurden die Keime gezählt; es ergab 
sich folgendes Resultat: 


h= 


Versuch 4. 
Gesamteinsaat pro Platte: 1900 Koli. 
















Gelatine- 
volumen 







Kolonie- 
 durchmeaser 
in mm 










F in % 


F in %, 
beobachtet berechnet 







7,8 -102 7,3 7,30 5,7 - 10 0,23 
7 19 - 104 5,7 5,65 6,1 -10> 0,23 
10 1,57 - 102 47  4g5 6,8 - 10 0,26 
15 2,35 - 101 3,1 3,24 7,6 - 10 0,32 - 
20 3,14-10- | (43) 260 ` 82-10* 0,34 
30 470-102 1 190 | 91-10? 0,39 





Aus diesen Versuchen ergibt sich, wie zu erwarten, daß die Zunahme 
des Gelatine-Volumens eine Abnahme der Oberflächenkolonien bewirkt, 
und zwar entspricht jeder Verdopplung des Volumens eine Abnahme der 
Koloniezahl um das 0,59fache. Trägt man Gelatine-Volumen und Kolonie- 
zahl als Ordinate und Abszisse in logarithmischen Transformationen ein, 
so entsteht eine Gerade. Die in Spalte „berechnet“ angeführten Zahlen 
sind durch diese graphische Interpolation gewonnen. Man beobachtet 
eine genaue Übereinstimmung der beiden Werte. 

Wäre die Abnahme der Prozentzahl bei Verdoppelung des Volumens 
gleich 0,50, so wäre h konstant, denn es wären dann: 


Von Prof. Karl v. Angerer. 233 


die Volumina: v Zo Wo 8v usw. 
S d 1 d 
die Prozentzahlen: Z 5z 7z 5; usw. 


Anderseits ist H direkt proportional zu V und infolgedessen würde h 
konstant. 


Die Inkonstanz von h ist schwerlich anders zu erklären als durch bio- 
logische Gründe: Je größer V, desto größer werden die Kolonien, und es 
ist naheliegend, daß eine Kolonie, die sich zu größeren Dimensionen ent- 
wickelt, auch eine dickere Gelatineschicht zu durchbrechen vermag. Dem- 
entsprechend beobachtet man auch eine Zunahme von A mit dem Kolonie- 
Durchmesser. Für eine Berechnung sind die Ausschläge zu klein, immer- 
hin ist h annähernd proportional zur Koloniegröße. 

Auffallend ist die geringe Größe von h, absolut betrachtet. Sie entspricht 
annähernd nur der Breite von 10 roten Blutkörperchen. 

Um eine eventuelle Änderung von h mit der Zeit zu verfolgen, wurde 
der Versuch wiederholt, und zwar wurden die Oberfláchenkolonien bis 
zum sechsten Tage ausgezählt. Es ergab sich: 


Versuch 2. 
Mittlere Gesamteinsaat: 5300 Koli pro Platte. 























Gelatine- 
volumen 

















1,39 1,08 





| 
7,5 2,35 2,75 2,38 | 2,78 
10 2,02 !: 3,16 2,06 3,23 
15 1,78 4,18 1,78 | 4,18 1,78 4,18 
20 1,07 3,36 1,16 3,64 1,23 3,86 1,24 3,90 
30 0,67 3,15 | 0,96 4,50 0,96 | 4,50 0,96 4,50 


Man bemerkt die geringfügige Zunahme von Ah mit der Zeit. Die 
Proportion V:F ist weniger deutlich als beim ersten Versuch. 


Es schien wahrscheinlich, daß diese Undeutlichkeit auf einer Unvoll- 
ständigkeit der Mischung beruht, welche namentlich bei den 30-cem- 
Platten leicht vorkommen kann. Es wurden deshalb beim folgenden Ver- 
such je drei Kolben mit Gelatine im ganzen mit der erforderlichen Ein- 
saat (Koli) infiziert. Die drei Kolben waren verschieden vorbehandelt 
worden. Der eine war von der Verwendung nur eben bis zum Schmelz- 
punkt der Gelatine erwärmt worden, die Platten wurden sofort nach dem 
Gießen mit Eis gekühlt und längere Zeit bei tiefer Temperatur be- 
lassen. Diese Serie wurde als „kalt‘“ bezeichnet. Der andere Kolben wurde 
vor dem Plattengießen eine Stunde gekocht und bei Zimmertemperatur 
zum Erstarren gebracht („warm“). Der dritte Kolben hatte einen Zusatz 
von 25%, Bouillon erhalten (‚verdünnt‘). Dieser Versuch war angesetzt, 
weil erwartet wurde, daß A mit den physikalischen Eigenschaften der 
Gallerte sich ändern würde. Diese Eigenschaften werden bekanntlich 
durch vorausgehende Erhitzung und Verdünnung wesentlich modifiziert. 

Archiv für Hygiene. Bd. 96. 18 


234 Über die Bedingungen der Entwicklung von Oberflächenkolonien. 


Versuch 3. 
Einsaat: 350 Koli pro ccm Gelatine. 


Gelatine- a SS 
volumen IKeimzahl-10— verdünnt 
h.10++cm| F in °% |h-10+’cm| F in 9%, |h-10+°cm 











Die Differenzen sınd kleiner als erwartet wurde. Die höchsten Werte 
weist durchschnittlich die Probe „Warm“ auf. Überraschend niedrig sind 
die h-Werte bei der Probe „verdünnt“. Es mag sein, daß die Gallerte durch 
die Verdünnung elastischer wird. | 

Da die Eigenschaften der Gallerte durch die Reaktion stark beein- 
flußt werden, wurde ein weiterer Versuch mit Bacterium coli und Zucker- 
gelatine angestellt. Es ergab sich: 


Versuch 4. 

Einsaat: 4300 Kolı pro Platte. 
Gelatinevolumen F in %, h -10° cm 
10 em 0,96 1,6 
20 cm 0,30 0,94 
30 cm 0,023 0,11 


Die Werte für h sind hier überraschend klein und sinken bei der 
letzten Platte auf 1 u herab. Diese Kleinheit ist auf die durch die Säue- 
rung bewirkte Veränderung in der Härte der Gelatine zurückzuführen, 
daneben wohl auch auf die Größe der Einsaat, welche die Kolonien nicht 
zu voller Größe auswachsen läßt. 

Zum Schluß wurden noch einige Versuche mit anderen Bakterien- 
arten angestellt, nämlich mit Pneumo-Bazillen als Vertreter einer sehr 
üppig wachsenden Gruppe, und mit Vibrio Metschnikoff und Bakt. 
pyocyaneum als verflüssigende Arten. Es ergab sich: 


Versuch 5. 
Pneumobazillen. Einsaat 11200 Bact. pro Platte. 


Gelatinevolumen F in t/o h 108 cm 
10 cem 0,51 0,85 
20 com 0,42 1,3 
30 ccm 0,36 1,7 


Auch hier sind die h-Werte klein, zum Teil wiederum infolge der 
Größe der Einsaat. 
Versuch 6. 


Bacterium pyocyaneum. Einsaat 7500 Bact. pro Platte. 


Gelatinevolumen F in Y, h 10° cm 
10 cem 18,0 28,0 
20 ccm 11,0 34,0 


30 com 10,5 47,0 


Von Prof. Karl v. Angerer. 235 


Versuch 7. , 
Vibrio Metschnikoff.' Einsaat 6500 Vibr. pro Platte. 
Gelatinevolumen F in % h - 103 em 
10 ccm - 18,4 29,0 
20 ccm 9,4 29,0 
30 ccm 4,7 22,0 


Wie zu erwarten, sind bei diesen verflüssigenden Arten die h-Werte 
rund zehnmal größer als bei den bisher untersuchten nicht verflüssigenden. 

Sodann wurden noch einige Versuche mit Agar angestellt, in denen 
je 15 ccm Agar mit je 2 Verdünnungen von Bact. coli, Pneumobakterien, 
Vibrio Dunbar beimpft wurden. 


Versuch 8. 
1. Koli. 
f Keimzahl Fin h h in mm 
4800 4,9 0,11 
324 16,0 0,37 
2. Pneumobazillen: 
5230 6,15 0,145 
336 16,0 0,375 
3. Vibrio Dunbar: 
12200 2,13 0,050 
187 9,6 0,226 


Wie man sieht, sind diese Werte größer als bei Gelatine. Das liegt 
daran, daß Agrargallerte leichter zerreißlich ist als Gelatine; wenn man 
eine Agarsäule horizontal hält und seitlich anschneidet, so reißt sie ge- ` 
wöhnlich vollends durch, während Gelatine viel zäher ist. 

Überblickt man alle diese Versuche, so findet man mancherlei Unregel- 
mäßigkeiten in den Prozentzahlen der Oberflächenkolonien und den Werten 
von h. Es mag sein, daß die Zahl der eingesäten Bakterien oder auch die 
Anzahl der Versuche überhaupt zu klein war, so daß das Gesetz der großen 
Zahl nicht gegeben war. Immerhin erkennt man, daß bm erster Linie von 
der Einsaat pro ccm abhängt; dies zeigt sich am deutlichsten bei den 
20-ccm-Platten der Versuche: 


Versuch-Nr. Stamm Nährboden Einsaaat pro Platte hin u 
1 Koli Gelatine 1900 80 
2 A > 5300 40 
3 E . 7000 20 
4 o Zuckergelatine 4300 9 
5 Pneumobazillen Gelatine 11000 13 


In Anbetracht dieser Abhängigkeit erscheint h im 5. Versuch (bei 
großer Einsaat) doch relativ groß; anderseits fällt der Zuckerzusatz im 
4. Versuch bei mittlerer Einsaat ziemlich ins Gewicht, insofern, als h be- 
deutend kleiner ist als der Einsaat entspricht. Ferner wırd verständlich, 
daß h im 3. Versuch, wo die Einsaat pro ccm konstant war, keinen ausge- 

18* 


236 Über die Bedingungen der Entwicklung von Oberflächenkolonien. 


sprochenen Gang zeigt, sondern ohne Abhängigkeit vom Plattenvolumen 
um einen Mittelwert schwankt. 

Diese Abhängigkeit von der Einsaat pro ccm beruht vermutlich vor- 
wiegend auf der Koloniegröße, welche durch dieses Verhältnis bestimmt 
wird. Ich habe an anderer Stelle gezeigt, daß die Koloniegröße den Loga- 
rithmen der zur Verfügung stehenden Nährbodenmenge proportional ist. 
Wollte man diesen Umstand berücksichtigen, so müßte man eigentlich 
die auf Seite 232 angeführte Formel für h abändern in 

An a 
h = Jan ` 100 8 PE» 
worin K eine von Stamm und Nährboden abhängige Konstante wäre. 
Tatsächlich scheint in denjenigen Versuchen, wo A einen deutlichen Gang 
aufweist, eine Proportionalitát von h und log v zu bestehen; jedoch ist der 
Wert von K Schwankungen unterworfen. Immerhin ist es vielleicht mög- 
lich, auf Grund umfangreicher Zählungen zu einem konstanten Wert von 
K, d.h. zu einer zahlenmäßigen Definition für die Güte des Nährbodens 
und der Wachstumsenergie des Stammes zu kommen. 


Zusammenfassung. 


Die Dicke der Schicht, innerhalb deren Kolonien auf Agar und Gela- 
tine oberflächlich sich entwickeln, wurde bestimmt. Sie schwankte für 
Gelatine zwischen rund 1 # und 90 y bei Coli und Pneumobakterien, 
zwischen 470 und 220 u bei Vibrio Metschnikoff und Bacterium pyocyaneum. 
Sie hängt ab von der Koloniegröße, also indirekt von der Größe der Ein- 
saät, ferner von den physikalischen Eigenschaften der Gallerte. Bei Agar 
ist die Dicke dieser Schicht um ein vielfaches größer. 


Über die Bedeutung der Diffusionsvorgänge für das 
Koloniewachstum. 


Von 


Prof. Dr. H. Ilzhöfer und Prof. Dr. K. v. Angerer. 
(Mit 4 Abbildungen.) 


(Aus dem Hygienischen Institut München.) 
(Bei der Redaktion eingegangen am 2. August 1925.) 


Bekanntlich ist die Züchtung der Bakterien auf festen Nährböden 
der Ausgangspunkt für die moderne Bakteriologie geworden. Es scheint 
jedoch noch nicht quantitativ untersucht zu sein, von welchen Bedin- 
gungen dieses Wachstum auf festen Nährböden abhängt. 


Vor einiger Zeit hat R.O. Liesegang darauf hingewiesen, daß die 
Diffusionsvorgänge das Bakterienwachstum wesentlich beeinflussen (C. f. 
Bakt. II. Abt.,Bd.51S.85). In der Tat werden diejenigen Nährstoffe, welche 
in der Gallerte unmittelbar neben der Kolonie gelegen sind, schnell ver- 
braucht sein, wenigstens soweit Bakterien überhaupt den Nährboden er- 
schöpfen. An die Stelle dieser verbrauchten Nährstoffe werden auf dem 
Wege der Diffusion neue nachrücken, und ebenso werden eventuelle Hem- 
mungskörper (z. B. Säuren, die aus Zuckern gebildet worden sind), auf dem. 
Diffusionsweg sich in die Umgebung verbreiten. Infolgedessen entsteht 
zunächst die Frage nach der Diffusionsgeschwindigkeit in Gallerten über- 
haupt. Nach E. Voigtländer (Z.f. physik. Ch. 3, S.329) und Hüfner 
(ibid. 27, S. 227) ist in niedrigprozentigen Gallerten die Diffusionsge- 
schwindigkeit fast gleich derjenigen in reinem Wasser; in höherprozentigen 
Gallerten dagegen treten wesentliche Verzögerungen auf. So beobachteten 
Ziegler und Bechhold (Z. f. physik. Ch. 56, S. 108), daß die Diffusion 
in Aproz. Agar und in 20proz. Gelatine bis zu 60%, verzögert war gegen- 
über der Bewegung in 1proz. Agar und 5proz. Gelatine. Ähnliches be- 
obachteten H. O. Vries (Fitticas Jahresber. d. Ch. 1, S. 144), Noll (Drudes 
Ann. 18, S. 323), Walpole (Bioch. Journ. 9, S. 132), vgl. auch Fürth 
und Bubanowitsch (Bioch. Zt. 90, S. 255; 92, S. 139; Fürth, Bauer, 
Pietsch (ibid. 100, S. 29). Auf dieser Erschwerung der Diffusion mag es 
beruhen, daß nach Olsen (C. f. Bakt. I, Orig. 84, S. 504) Influenzabazillen 
auf 2,5proz. Agar nur schlecht, auf 3proz. überhaupt nicht wachsen. 


238 Über die Bedeutung der Diffusionsvorgánge für das Koloniewachstum. 


Analoge Beobachtungen hat der eine von uns (A) seinerzeit an Meningo- 
kokken gemacht. 


Nach der Diffusionsgeschwindigkeit unterscheidet man die Kolloide 
und Krystalloide; wir können diese mit den Eiweißkörpern und Zuckern 
des Nährbodens gleichsetzen. Wenn z.B. eine Kolonie von Bacterium 
colı auf zuckerhaltigem Agar sich entwickelt, so wird in der Umgebung 
der Kolonie eine Verringerung der Zuckerkonzentration eintreten. Die Ge- 
schwindigkeit, mit welcher diese Verringerung ausgeglichen wird, wird 
abhängig sein von der Konzentration des Zuckers im Nährboden, von 
seiner Diffusionskonstante und allenfalls von der Dichte der Gallerte, also 
von sämtlich bekannten Daten, so daß die Zuckermenge, welche in be- 
stimmten Zeiten in die Kolonie eindiffundiert, berechnet werden könnte. 
Das Wegdiffundieren der entstehenden Säure kann ohne weiteres mit 
freiem Auge beobachtet werden. Versetzt man z. B. die Gallerte mit zwei 
Indikatoren, welche bei verschiedenen Wasserstoffionenkonzentrationen 
umschlagen, so kann man sich ein Bild von dem Konzentrationsgefälle 
der Säuren machen. Setzt man einem alkalischen Agar Phenolphthalein 
und Methylrot zu, so wird die Gallerte rotgelb gefärbt, da sie für beide 
Indikatoren alkalisch ist. Überschichtet man eine Säule dieses Agars 
mit verdünnter Säure, so entsteht, zunächst der Säure, eine hochrote 
Zone, innerhalb derer der Agar sauer für Phenophthalein und Methylrot 
ist. Daran schließt sich ein gelbgefärbtes Band, welches alkalische Reaktion 
für Methylrot, saure für Phenophthalein anzeigt. Diese letztere Zone wandert 
mit abnehmender Geschwindigkeit und unter Zunahme ihrer Breite von 
der Überschichtungsflüssigkeit weg. Die gleichen Bilder erhält man, wenn 
man auf eine Platte einen Tropfen verdünnte Säure bringt. Die Breite 
und Wanderungsgeschwindigkeit des Ringes hängt von der Pufferung, 
der Säurekonzentration, der Dichte der Gallerte usw. ab. In analoger 
Weise kann man auch bei säurebildenden Bakterienkolonien das Säure- 
gefälle beobachten. 


Was die quantitative Seite dieser Vorgänge betrifft, so läßt sich die- 
jenige Zuckermenge, welche in eine Kolonie eindiffundiert, nach den Diffu- 
"sionsgesetzen berechnen. Diese Formel, deren Ableitung wir Herrn Prof. 
Herzfeld, München, verdanken, lautet: 


worin M die einströmende Zuckermenge in Gramm, C die Ausgangskonzen- 
tration des Zuckers in Gramm pro ccm, R den Radius der Kolonie, D die 
Diffusionskonstante, 7 die Zeit in Tagen bedeutet. Der erste Summand 
enthält 7 als Faktor und sein Wert ist demnach der Zeit direkt propor- 
tional. Der zweite enthält außerdem 7 im Nenner unter der Wurzel. 
Infolgedessen nimmt der Wert dieses zweiten Summanden mit zu- 
nehmender Zeit ab. Bezeichnet man in der obigen Formel den Ausdruck 


2R 
23 CRD mit K, ee p "it k, so ergeben sich folgende Zahlen: 
HC 


Von Prot. Dr. H. Ilzhöfer und Prof. Dr. K. v. Angerer. 239 


1. Tag: M = K (1 +k) 

2. Tag: M =2 K (1 +0,71 k) 
3. Tag: M =3 K (1 +0,58 k) 
4. Tag: M =4 K (1 +0,50 k). 


Da die Werte von k an und für sich klein sind, da ferner die Agar- 
schicht nicht tief ist, so daß die Diffusionszone bald den Boden erreichen 
wird und die Diffusion im wesentlichen in der Horizontalen erfolgen muß, 
kann, mit großer Annäherung, die eindiffundierende Mange als direkt pro- 
portional zur Zeit betrachtet werden. 


Allerdings mußten für diese Frage zwei Annahmen gemacht werden, 
welche nicht vollkommen zutreffen. Die eine ist, daß innerhalb der Ko- 
lonie der diffundierende Stoff die Konzentration O habe. Diese Annahme 
mag für Zucker vielleicht näherungsweise zutreffen, dagegen sicher nicht 
für das später zu besprechende Pepton. Die zweite Annahme ist, daß der 
Nährboden nach "allen Dimensionen unendlich ausgedehnt ist. Beide An- 
nahmen sind demnach maximal und die Zahl, die sich bei ihrer Anwendung 
ergibt, ist der maximale Grenzwert. 


Wendet man die obige Formel auf Zucker an, indem man für C 0,01 
(= 1%), für D 0,4, für R 0,05 einsetzt, so ergibt sich als Zuckermenge, 
die im Laufe des ersten Tages in eine Kolonie von 1 mm Durchmesser ein- 
strömt, der Betrag von 1,3 mg; er ist wegen der maximalen Annahmen 
auf alle Fälle zu groß. Diese Zuckermenge, von Bacterium coli nach der 
Hardenschen Formel vergoren, würde 1,2 x 1075 Mol Gesamtsäure liefern, 
davon zwei Drittel Milch- und ein Drittel Essigsäure. Nun braucht 1 ccm 
Agar bis zur Lakmusrötung etwa 0,03 com Normalessigsäure = 3 X 1075 
Mol Säure. Die von einer Kolonie an einem Tag gebildete Säure würde 
also hinreichen, um etwa 0,4 ccm Agar zu säuern. Würde die Platte mit 
10 ccm Agar gegossen (Schichtdicke 0,15 cm), so würden diese gesäuerten 
0,4 ccm eine Scheibe vom Radius 1 cm bilden, d. h. es würde jede Kolonie 
von einem roten Hof mit 2 cm Durchmesser umgeben sein. Daß das nicht 
der Fall ist, weist darauf hin, daß die eindiffundierte Menge geringer ist, 
als die Rechnung ergibt, und daß die Vergärung unvollständig ist. Die 
Genauigkeit der Rechnung wird dadurch beeinträchtigt, daß ein Konzen- 
trationsgefälle der Säure besteht, das indessen, in Anbetracht der großen 
Diffusionskonstante der Säure, nicht steil sein kann; ferner dadurch, 
daß Alkali in entgegengesetzter Richtung diffundiert. Auch dieser letztere 
Vorgang ist nicht sehr wesentlich, weil die Konzentration des freien 
Alkalis gering ist. 

Was die entsprechenden Verhältnisse bei den stickstoffhaltigen 
Nährstoffen betrifft, so mußte erst die Diffusionskonstante des Peptons 
bestimmt werden. Diese Bestimmung erfolgte in der Weise, daß Wasser- 
agargallerte, bestehend aus 1,5% Agar und 0,8%, Kochsalz, in einen Glas- 
zylinder von 25 mm Durchmesser gegossen wurde. Nach dem Erstarren 
wurde die Agarsäule bis ans Ende des Zylinders vorgeschoben, gerade 
abgeschnitten und in ein Becherglas mit Peptonlösung getaucht. Der 
Stickstoffgehalt des Peptons sowie der Lösung wurde zuvor bestimmt. 
Nach ein oder zwei Tagen wurde die Agarsäule mit Hilfe einer Mikrometer- 


240 Über die Bedeutung der Diffusionsvorgänge für das Koloniewachstum. 


schraube um bestimmte Längen aus dem Zylinder vorgeschoben und die 
vorstehenden Stücke abgeschnitten. Diese Scheiben wurden gewogen 
und auf diese Weise ihre Dicke kontrolliert. Dann wurde der Stickstoff- 
gehalt der einzelnen Scheibchen nach Kjeldahl bestimmt. Von den zahl- 
reichen Versuchen sollen die folgenden drei angeführt werden. Anschau- 
licher als diese Zahlen sind die Kurven, umgerechnet auf 1%, Ausgangs- 
konzentration (siehe nächste Seite). 


1. Versuch. 
24stündige Diffusion von Witte-Pepton (1,26%) in Kochsalzagar. 
Gewicht Dicke mg N mg Pepton J Pepton 
. 1,737 g 3,18 mm 1,335 12,32 0,71 
1,672 „, 3,06 ,, 0,555 5,123 0,31 
1,730 ,, 3,16 ,, 0,243 2,243 0,13 
1,682 ,, 3,08 „ 0,162 1,495 0,09 
1,807 ,, 3,93 4 0,126 1,163 0,06 
1,563 ,, 2,86 ,, 0,031 0,286 0,02 
2. Versuch. 
48stündige Diffusion von Witte-Pepton (1,26%) in Kochsalzagar: 
Gewicht Dicke mg N mg Pepton H Pepton 
1,539 g 2,92 mm 1,46 13,47 0,87 
1,749 ,, 3,32 „, 0,86 7,94 0,45 
1,744 ,, 331. a 0,38 3,52 0,20 
1,615 ,, 3,06 ,, 0,25 2,32 0,14 
1,804 ,, 3,42 ,, — — — 
.1,624 ,, 3,08 „ 0,11 1,00 0,07 
1,740 ,, 3130 ,, 0,02 0,17 0,01 
3. Versuch. 
24stündige Diffusion von Knoll-Pepton (0,97%) in Kochsalzagar: 
Gewicht A Dicke mg N mg Pepton Dia Pepton 
1,588 g 2,92 mm 1,34 9,56 0,60 
1,603 „, 2,95 „ 0,70 4,99 0,31 
1,681 „, 3,09 ,, 0,34 2,45 0,14 
1,618 „, 2,98 „, 0,17 1,19 0,07 
1,657 ,, 3,05 „ 0,19 1,37 0,07 
1,729 ,, 3,18 ` 2 0,07 0,053 0,03 
1,803 ,, 3.92: 5 0,07 0,050 0,02 


Aus diesen Versuchen berechnet sich die Diffusionskonstante nach 
einer von Professor Herzfeld angegebenen Methode zu 0,10 bis 0,12. 

Dann wurde die Versuchsanordnung etwas modifiziert. Es schien 
möglich, daß der Dispersionsgrad und die Diffusionskonstante des Peptons 
sich verändert mit einigen anderen Faktoren, z. B. Salzgehalt, Reaktion 
usw. Es wurden deshalb Versuche angesetzt mit Peptonlösungen, die für 
Phenolphthalein alkalisch waren. Ein ewsentliche Änderung der Konstante 
war nicht nachweisbar. 


E yi Al df LA E en SEA N 2 
K u A 4 N d PLT -AR vi 2 ch b G wa N A e ei hs ex ad s di NA? d í 
y EM DS N et) Von Prof. D ne ter ` anc d ol. D: K, v.A J erer. >, e L e ER 
la Ze A A | dée e beste ST Aë E TERN KERNE > 
= Diese Versuche sind in mehrfacher Richtung von Bedeutung. Da die — 
Geschwindigkeit des Wachstums der Kolonie unter anderem abhángen ` — 
wird von der Geschwindigkeit, mit welcher neue Nährstoffe nachdiffun- ——— 








4. Versuch. 2.Versuch. 





DiFFusionsweg in cm — 
J.Versuch. 


dieren, so würde man dem Peptonpräparat und den Bedingungen, unter 
denen die Diffusion am raschesten verláuft, den Vorzug geben. Fernerhin 
erfolgt nach den herrschenden Anschauungen die Aufnahme der Nährstoffe 
in das Bakterieninnere auf dem Wege der Osmose. Auch hier würde das 
am raschesten diffundierende Präparat zu bevorzugen sein, falls diese 


242 Uber die Bedeutung der Diffusionsvorgánge für das Koloniewachstum. 


Anschauung richtig ist. Es ist bemerkenswert, das Witte- und Knoll- 
pepton unter verschiedenen Bedingungen nicht meßbar verschieden dif- 
fundieren. 

Setzt man in die oben angeführte Diffusionsformel für D den Wert 
0,12 ein, so ergibt sich als diejenige Menge, welche im Laufe eines Tages 
in eine Kolonie von 1 mm Durchmesser eindiffundiert, der Betrag von rund 
0,4 mg Pepton. Es entsteht die Frage, wieviele Bakterien diese Pepton- 
menge zu ernähren vermag. Um diese Bakterienzahl zu bestimmen, wurde 
das Pepton in flüssiger Lösung, wo sozusagen jedes einzelne Teilchen den 
Bakterien zugänglich ist, als Nährstoff dargeboten. Leider bestand hier 
die Schwierigkeit, daß Bacterium coli, welches als Repräsentant einer 
mittelmäßig anspruchsvollen Gruppe betrachtet werden kann, in Pepton- 
wasser sehr schlecht wächst. Es wurde deshalb zunächst ein Stamm 
von Vibrio Metschnikoff verwendet. Von diesem wuchsen aus möglichst 
kleiner Einsaat in 1 ccm Aproz. Peptonwassers (in flacher Schicht unter 
häufigem Schütteln bei 37% gezüchtet) in 24 Stunden durchschnittlich 
20 Millionen. Ein Gramm Pepton vermochte also rund 2-10° Zellen zu 
ernähren, somit 0,4 mg rund 8-10° Individuen. — Etwas anders liegen die 
Verhältnisse bei Bouillon. Das Fleischwasser hat zwar einen sehr geringen 
Kalorienwert, dagegen starken wachstumfördernden Einfluß. Die Keim- 
zahlen von Coli in Bouillon, unter gleichen Bedingungen betrugen hier 
bei mikroskopischer Zählung 2,1:108 bzw. in einem anderen Versuch 4,5-10®. 
Die kulturelle Zählung ergab für den ersteren Wert den Betrag von 6,0-10*. 
Ein Gramm Pepton, in Form von Bouillon dargeboten, vermöchte also 
rund 4,2:1010 Bakterien zu ernähren, 0,4 mg also wiederum ungefähr 10° 
Bakterien. 

Dann wurde auch der Keimgehalt einzelner Kolonien bestimmt. 
Zu diesem Zweck wurden zunächst Platten mit 10 bzw. 20 ccm Pepton- 
wasseragar gegossen und mit vereinzelten Vibrionen besäet. Nach ein- 
tägigem Wachstum wurde das die Kolonie umgebende Agarstückchen 
herausgestochen und so in ein mit 1 eem Kochsalzlósung. beschicktes 
Reagenzglas gebracht, daß die Kolonie der Glaswand anlag. In dieser 
Stellung wurde dann die Kolonie zwischen Agar und Glas verrieben und 
schließlich gründlich zerschüttelt. Die Auszählung erfolgte kulturell und 
ergab 1 bis 3-10” Vibrionen pro Kolonie. Auch die Verwendung von 20 
ccm Agar ergab keine wesentliche Vermehrung der Keimzahl. Bei Bacte- 
rium coli, auf Bouillonagar gezüchtet, ergab sich durchschnittlich eine 
Keimzahl von 1,7:10% Keimen pro Kolonie. 

Vergleicht man die Bakterienmenge, welche in einer Kolonie enthalten 
ist, mit derjenigen, welche von der laut Rechnung eindiffundierenden 
Peptonmenge ernährt werden kann, so ergibt sich, daß die Keimzahl der 
Kolonien um einen vielfachen, wesentlich oberhalb der Fehlergrenze lie- 
genden Betrag größer ist als die berechnete Menge. Dabei ist zu berück- 
sichtigen, daß die berechnete Peptonmenge auf jeden Fall ein Maximum 
darstellt. Schon was die Peptonkonzentration in der Kolonie betrifft, 
so mag darauf hingewiesen werden, daß die Gesamtausnützung der Nähr- 
böden sich gewöhnlich auf wenige Prozente beschränkt (vgl. Kruse Allg. 
Mikrobiologie, Leipzig, 1910, S. 721, sowie Handbuch der Hygiene von 


Von Prof, Dr. H. llzhófer und Prof. Dr, K, v. Angerer. 243 


Rubner, Gruber, Ficker Bd. III, I. Abt., S. 113). Somit geht auf 
Agar das Wachstum unverhältnismäßig viel weiter als in Bouillon. 

Die gleiche Tatsache kann man anschaulicher, aber weniger genau 
feststellen, wenn man die Wachstumsgrößen in flüssigen und festen Nähr- 
mitteln vergleicht. Zu diesem Zweck wurde Peptonwasser teils ohne Zu- 
satz, teils mit 1,5%, Agar verwendet. Die Röhrchen (1 ccm Flüssigkeit, 
schräg gelegt und häufig geschüttelt) und die Platten (10 bzw. 20 ccm) 
Peptonwasseragar wurden mit möglichst kleiner Einsaat von Vibrio 
Metschnikoff beschickt. Darnach wurde die Keimzahl der Kolonien und 
des Peptonwassers bestimmt ; der verwendete Stamm hatte die Eigenschaft, 
als Oberflächenhäutchen zu wachsen, verloren. Der Nährwert des Pepton- 
wassers wird durch den Agarzusatz nicht verändert; nimmt man an, daß 
1 ccm Peptonwasser ebensoviele Vibrionen ernährt wie 1 ccm Agar, so 
läßt sich diejenige Agarmenge berechnen, welche zur Ernährung der 
Kolonie nötig zu sein scheint. Da der Agar in dünner Schicht ausge- 
gossen ist und die Diffusion also hauptsächlich von den Seiten her er- 
folgt, kann man dieses tributäre Gebiet als Scheibe betrachten und deren 
Durchmesser berechnen: 


I. Versuch. 
Vibrio Metschnikoff, Peptonwasser und Peptonwasseragar. 
1 ccm Peptonwasser = 1,1-10° Vibrionen, 1 Vibrio = 9,1:1078 com Pepton- 
wasser. 


Agarvolumen pro Platte: 10 ccm, Zahl der Kolonien: 80, mittlere 
Größe der Kolonien: 1,6 mm. 


Berechnete Menge des Radius des 
erforderliehen Agars tributären Gebietes 
ccm 
Keimzahl der Kolonie a: 1,2 - 107 1,12 4,6 
S i „ b: 23,0 -10° 1,8 1,9 


Agarvolumen pro Platte: 20 cem, Zahl der Kolonien: 111, mittlere 
Größe: 1,75 mm. 


Berechnete Menge des Radius des 
erforderlichen Agars tributáren Gebietes 
ccm cm 
Keimzahl der Kolonie a: 1,1 - 107 1,00 4,03 
S 2 » bb: 17-10 1,55 1,26 
II. Versuch. 


Leem Peptonwasser = 2,8-10° Vibrionen, 1 Vibrio = 3,6:1078 ccm Agar- 
volumen pro Platte: 10 ccm, Zahl der Kolonien: 60, mittl. Größe 1,8 mm. 


Berechnete Menge des Radius des 


erforderlichen Agars tributären Gebietes 
ccm cm 
Keimzahl der Kolonie a: 1,9 - 107 0,68 1,2 
nn LE „ b: 2,0 -107 0,72 1,25 


Agarvolumen pro Platte: 20 ccm, Zahl der Kolonien: 260, mittlere 
Größe: 1,9 mm. 


Berechnete Menge des Radius des 
erforderlichen Agars tributären Gebietes 
ccm 
Keimzahl der Kolonie a: 1,7 - 10” 0,61 0,81 


II » nm b: 3,0 «10? 1,3 1,17 


244 Über die Bedeutung der Diffusionsvorgänge für das Koloniewachstum. 


111. Versuch. 


Bact. coli, Bouillon und Bouillon-Agar, 1 cem Bouillon = 2,1-108 Coli 
(mikr.):6,0-108 Coli (kult.). 

Agarvolumen pro Platte: 10 eem, Zahl der Kolonien: 340, mittlere 
Größe: 2,5 mm. 


Berechnete Menge des Radius des 
verbrauchten Agars tributären Gebietes 
ccm cm 
Keimzahl der Kolonie a: 
5,4 - 10° (mikr.), 1,7 - 10° (kult.) 0,26 ` 0,74 
Keimzahl der Kolonie b: 
8,1 -107 (mikr.), 2,4 - 10° (kult). 0,39 0,91 


Agarvolumen pro Platte: 20 eem, Zahl der Kolonien: 400, mittlere 
Größe 4,0 mm. 


Berechnete Menge des Radius des 
verbrauchten Agars tributären Gebietes 
ccm cm 
Keimzahl der Kolonie a: 
3,2 - 108 (mikr.), 4,0 - 10? (kult.) 1,5 1,2 
Keimzahl der Kolonie b: 
1,8 - 108 (mikr.), 2,8 - 10° (kult.) 0,86 0,96 


Diese Tabelle ergibt gleichfalls, daß auf Agar das Wachstum be- 
deutend weitergeht als in Bouillon. Bei gleicher Ausnützung müßte um 
jede Kolonie herum der Nährboden 1 bis 2 cm weit völlig erschöpft sein. 
Eine solche völlige Ausnützung verträgt sich aber nicht mit der Lang- 
samkeit der Diffusion. Auch liegt häufig innerhalb des scheinbar erschöpften 
Gebietes eine andere voll entwickelte Kolonie. Wie stark hier die Aus- 
nützung ist, zeigt schon eine einfache Rechnung. Die Gesamtzahl von 
_ Colibakterien auf der 10-ccm-Platte des III. Versuchs würde ungefähr 
7-4010 betragen haben (berechnet aus der Zahl der Kolonien und deren 
durchschnittlichem kulturell bestimmten Keimgehalt); 10 eem Bouillon 
würden rund zehnmal weniger Bakterien ergeben haben. Die entsprechen- 
den Zahlen für die 20-ccm-Platte lauten 1:101! bzw. 1,2-101%; obwohl der 
Agar nur mit vereinzelten Kolonien besät war, ergab er eine rund zehn- 
mal größere Anzahl als die gleiche Menge Bouillon. 


Man muß die Frage aufwerfen, worauf dieses überraschend starke 
Wachstum beruht. Es liegt am nächsten, mit W. Kruse (Allg. Mikro- 
biologie, S. 132) an Sauerstoffwirkung zu denken. Der Einfluß des Sauer- 
stoffs wurde geprüft, indem Nährbouillon in Mengen von 7,0 bzw. 1,0 ccm 
in Röhrchen abgefüllt, mit kleiner Einsaat von Coli beimpft und teils auf- 
recht im Gestell stehend, teils schräg liegend, bebrütet wurde. Eine andere 
Serie gleich behandelter Róhrchen wurde evakuiert und während des 
Siedens, nach der Gruberschen Technik der Anaérobenzichtung, abge- 
schmolzen. Sodann wurde aus derselben Bouillon ein 1,5proz. Agar her- 
gestellt, zu 7,0 bzw.1,0ccm abgefüllt und schräg erstarrt, mit gleicher Ein- 
saat möglichst gleichmäßig beimpft, und zwar aérob und anaérob. Die 
Untersuchung erfolgte nach 24 Stunden durch kulturelle Keimzählung: 


Von Prof. Dr. H. llzhófer und Prof. Dr. K. v. Angerer. 245 











—— es 


| Zahl der Keime 
Sauerstoff pro ccm Nährboden 












Art des 
Nährbodens 






Stellung 










1 aufrecht + 1,9 
2 schrág + 8,5 
3 aufrecht + 6,2 
4 schräg | + 11,0 
5 aufrecht — = 
6 schrä => , 
7 aufrecht — 1,0 x 10 
8 schräg — 1,2 
9 schräg + 20,0 
10 „ = 0,9 
11 » + 13,0 
12 S — 2,0 


Aus dieser Tabelle ergibt sich, daß der Luftsauerstoff das Wachstum 
von Coli wesentlich fördert (cf. Proben 1 bis 4 und 5 bis 8); die Oberfläche 
gegen Vacuum ist belanglos. Diese Förderung ist bei Agar noch stärker 
und bewirkt eine rund 20fache Steigerung der Ernte. Der Nährboden 
wird in Form von Agar absolut am besten ausgenützt, was daran liegen 
mag, daß hier die Keime am innigsten mit der Luft in Kontakt kommen. 
Aber auch in den anaöroben Agarröhrchen (Probe 10 und 12) sinkt die 
Ernte nicht unter diejenige, welche bei der anaöroben Bouillon beobachtet 
wird (Probe 5 bis 8), und übertrifft sie in Probe 12 um rund das Doppelte. 
Diese Ernten von anaörobem Agar wurden erzielt, obwohl bei Probe 9 
der Bakterienrasen von den tieferen Teilen des Nährbodens durch eine 
immerhin nicht zu vernachlässigende Strecke Diffusionsweges entfernt 
war, obwohl Pepton ein langsam diffundierender Körper ıst, und obwohl 
nicht die ganze Fläche homogen bewachsen, also nicht völlig ausgenützt 
war. Infolgedessen kann auch diese Tabelle die eingangs erörterte Ansicht, 
daß das Wachstum auf Agar prinzipiell besser ist als in Bouillon, nicht um- 
stoßen. Bestimmte Ursachen für diese Verbesserung des Wachstums zu 
finden, gelang nicht; man mag an eine Adsorption von Hemmungsstoffen 
an die Agargallerte denken. (Lit. über Hemmungsstoffe s. bei Kruse, 
All. Mikrobiologie, S. 157, woselbst das Phänomen der Bakteriophagie 
bereits angedeutet ist; S. 160). 


Im Zusammenhang hiermit sollen einige Versuche erwähnt werden, 
bei denen Schrägagar mit großer Einsaat beimpft wurde. Zu diesem Zweck 
wurde jeweils 5 ccm Bouillon bzw. Agar, der aus dieser hergestellt wurde, 
mit Bact. coli beimpft und schrägliegend bebrütet. Die Ernte betrug bei 
Agar 1,5:1010, bei Bouillon 1,3-40° pro 5 cem. Ebensolche, nicht publi- 
zierte Versuche hat Kruse (ibid. S. 132) angestellt. 


Mit diesem Problem der Diffusion innerhalb des Agars steht ein anderes 
in Berührung, nämlich das der Diffusion aus Agar in Flüssigkeit. Auch 
hier sind wieder Kristalloide und Kolloide getrennt zu betrachten. Was 
erstere betrifft, so kann man durch Überschichtungen verschiedenartigen 
Agars sehr anschauliche Versuche machen. Man bringt z. B. in ein Rea- 
genzglas einige ccm eines sehr stark alkalischen und sehr stark zucker- 
haltigen Agars und überschichtet diesen mit gewöhnlichem, neutralem 


246 Über die Bedeutung der Diffusionsvorgánge für das Koloniewachstum. 


Zuckeragar. Beide Agararten müssen Phenolphthalein enthalten. Zu- 
letzt wird das ganze mit gewöhnlicher Bouillon überschichtet und diese 
mit Milchsäurestreptokokken beimpft. Auf diese Weise errichtet man zu- 
unterst ein Depot von Zucker und Alkali; es diffundieren dann diese beiden 
Stoffe nach oben und die Säure nach unten. Es hängt ganz von der Kon- 
zentration von Zucker und Alkali, vom Diffusionsweg und der Gärtätigkeit 
ab, wo die farblose Zone sich einstellt. So kann man mit Hilfe von Indi- 
katoren verfolgen, ob zur Zeit der Gärungs- oder der Diffusionsprozeß die 
Oberhand hat. Das Wachstum der Streptokokken in der Bouillon ist bei 
dieser Anordnung gewöhnlich sehr stark. Verwendet man Bact. coli zu 
diesen Versuchen, so wird der Prozeß durch die Bildung von Gasblasen 
im Agar gestört. Die Entstehung dieser Blasen bedarf noch der Auf- 
klärung. Bekanntlich geschieht die Zuckervergärung durch Endofermente, 
also nur dort, wo Bakterien sind, somit nicht in der Tiefe des Agars. Das 
in der Überschichtungsflüssigkeit gebildete Gas wird in der Hauptsache 
in die Luft entweichen und nur ein kleiner Bruchteil wird in den Agar 
diffundieren. Es ist schwer einzusehen, woher im Agar eine so große An- 
häufung von gelóstem Gas kommen soll, daß sie ausreicht, um die Gallerte 
zu zerreißen. Denn zur Entstehung der ersten Gasbläschen ist eine relativ 
große Energie nötig (daher die Zweckmäßigkeit der „Siedekörper‘‘ beim 
Kochen). Die Menge der Karbonate ist zu klein, als daß die aus ihnen durch 
Säure freigemachte Kohlensäure zur Bildung von Gasblasen hinreichen 
würde. 

Über die Diffusion der stickstoffhaltigen Nährstoffe aus Agar in Flüssig- 
keit liegen sozusagen unfreiwillige Beobachtungen vor, insofern als diese 
Erscheinung beim ‚„Kondenswasser“ eintritt. Dieses Kondenswasser, 
teils wirkliches Kondenswasser, das sich an der kälteren Reagenzglaswand 
niedergeschlagen hat (also destilliertes Wasser), teils von der schrumpfen- 
den Gallerte ausgepreßte Flüssigkeit, wird sich infolge seines geringen 
Volumens rasch mit der Gallerte osmotisch ausgleichen, und in ihm zeigt 
sich gewöhnlich ein sehr starkes Wachstum. Der eine von uns (A) hat 
früher versucht, künstliches Kondenswasser herzustellen, indem gerade 
erstarrter Agar mit geringen Mengen Bouillon überschichtet wurde. Auch 
hier war das Wachstum meistens sehr üppig (L. Heim, Lehrbuch der 
Bakteriologie, VI. und VII. Auflage, S. 116). Damals war das Wachstum 
nur nach der Trübung geschätzt worden, jetzt wurde die quantitative 
Bestimmung nachgeholt. Zu diesem Zweck wurden 0,5 oder 1,0 ccm 
Bouillon auf 5 oder 10 ccm gerade erstarrten Agars geschichtet. Als Kon- 
trollen wurden gleiche Volumina Bouillon ohne Agar verwendet, ferner 
5 cem Bouillon auf 1 ccm Agargallerte geschichtet. Es ergab sich über- 
raschenderweise, daß die Überschichtungsflüssigkeit nur etwa zwei- bis 
viermal mehr Keime enthielt als die Bouillon alleın. Zusatz kleiner Mengen 
Gallerte zu Bouillon hatte keinen nennenswerten Einfluß. Es werden also 
offenbar nur die obersten Schichten des Agars für die Ernährung ausge- 
nützt. Die starke Trübung der Überschichtungsflüssigkeit beruht darauf, 
daß konzentrierte Aufschwemmungen relativ stärker trüben als dünnere. 
(Arch. f. Hyg., Bd. 93, S. 23). Beim gewöhnlichen Kondenswasser kommt 
noch die einengende Wirkung der Austrocknung hinzu. 


Von Prof. Dr. H, Ilzhöfer und Prof. Dr. K. v. Angerer. 247 


In den bisher beschriebenen Versuchen wurde ausschließlich Agar 
verwendet. Die zweite für die Bakteriologie wichtige Gallerte, die Gela- 
tine, mußte in anderer Weise untersucht werden. Überschichtungen sind 
nicht angängig, da die Gelatinegallerte freie Flüssigkeit in großen Mengen 
anzieht und auch die Berechnung des tributären Gebietes in der eingangs 
beschriebenen Weise war nicht gut möglich, weil der Nährwert der Bouillon 
durch den Gelatinezusatz und die Eiweißklärung verändert werden kann. 
Infolgedessen wurden Versuche in der Richtung angestellt, daß verschie- 
dene Volumina Gelatine mit einer kleinen Einsaat von Bact. coli (durch- 
schnittlich dreißig Zellen) beimpft und dann zu Platten ausgegossen 
wurden. Als Volumina wurden 5, 10, 20 und 30 ccm gewählt. Es stand 
zu erwarten, daß die Größe der Kolonie mit der Menge des dargebotenen 
Nährbodens in Beziehung stehen werde. 

Die auf diese Weise angelegten Platten wurden bei 22° bebrütet und 
vom zweiten Tage an fast täglich untersucht. Es wurden bestimmte tief- 
liegende Kolonien signiert (pro Platte 10 Kolonien) und ihre Größe mittels 
Okularmikrometer gemessen. Es ergab sich die überraschende Tatsache, 
daß die Kolonien fast zwei Wochen lang an Größe zunahmen. Es war 
günstig, daß der hier verwendete Colistamm (vor etwa zwei Jahren isoliert 
und seitdem auf Nährböden weiter gezüchtet) mindestens während der 
ersten 11 Tage in kugelrunden Kolonien wuchs. Späterhin deformierten 
sich die Kolonien elliptisch, wodurch die Messungen unmöglich wurden, 
‚auch brach die eine und andere nach der Oberfläche durch. Immerhin 
konnte eine Größenzunahme bis in die dritte Woche hinein verfolgt werden. 

War schon diese Beobachtung etwas Unerwartetes, so ergab sich 
noch eine größere Überraschung bei der Ausrechnung des Kolonievolumens. 
Die Zunahme des Durchmessers hat an und für sich wenig Interesse, viel 
wichtiger ist das Volumen, das ein Ausdruck für die gesamte vorhandene 
Bakterienmasse bildet. Wurden die Volumina einer einzelnen Kolonie 
für die verschiedenen Tage berechnet, so ergab sich, daß vom zweiten 
Tage an die Koloniegröße ziemlich genau proportional zur Zeit anwuchs. 
Nahm man für jede der vier Platten den Durchschnitt aus dem Volumen 
der zehn ausgewählten Kolonien, so ergab sich für jede einzelne Platte 
eine Kurve, welche so genau eine Gerade ist, als man es von einer Meß- 
methode verlangen kann, bei welcher auch die Meßfehler mit der dritten 
Potenz in das Resultat eingehen. Nur die Werte für den neunten Tag 
fallen sämtlich aus der Kurve heraus; es mag sein, daß um diese Zeit die 
Temperatur des Brütschrankes etwas zu hoch war. Vom 11. Tage an 
wurden die Messungen infolge der Deformation der Kolonien ungenau. 

An Stelle der wenig übersichtlichen Zahlenmengen dieses Versuches 
mag eine Wiedergabe der Kurven der Volumina für jede der vier Platten 
genügen. 

Es ist überraschend, daß die Volumina linear zur Zeit wachsen. 
Denn wenigstens bei ungehemmtem Wachstum vermehren sich ja bekannt- 
lich die Bakterien in geometrischer Progression, und eigentlich müßte 
man demnach erwarten, daß die Kurve des Volumens zunächst steil und 
immer steiler ansteigt; dann müßte, unter dem Einfluß der zu erwartenden 
Hemmung, der Anstieg langsamer werden und schließlich gleich Null 


248 Über die Bedeutung der Diffusionsvorgänge für das Koloniewachstum. 


werden. Die hier beobachtete Kurve weicht erheblich von diesem Verlauf 
ab. Immerhin könnte man versuchen, eine Hemmung herauszurechnen. 
Unter der Annahme, daß alle in der Kolonie vorhandenen Bakterien 
sich regelmäßig in geometrischer Progression vermehren, würden sich 
auf Grund der bekannten Wachstumsformeln folgende Tabelle ergeben: 










Zahl der 
Generationen 


+ 
72 EE 
68 en e 
77 DE EEE EEE EU ER ER ER ERBE FU EP 
Ze DE A 
56 A 
52 UM en 
AOL MS A 
Aal l 

















| | N Zet 
0123 #36 78 9 70 11 [Tage) 


| 


Während also am dritten Versuchstag 1,6 Generationen aufeinander 
folgen, würde am 11. Tag nur der zehnte Teil davon eingetreten sein. 

Es mag nun freilich unwahrschwinlich sein, daß auch die zentral 
gelegenen Bakterien sich ebenso rasch vermehren wie die peripheren. 
Man könnte deshalb eine Kugeloberfläche, oder eine Kugelschale von kon- 
stanter Dicke annehmen, innerhalb derer die Bakterien mit konstanter 
Generationsdauer in geometrischer Progression sich vermehren; aber es 
liegt auf der Hand, daß es geometrisch unmöglich ist, ein lineares Wachs- 
tum des Kugelvolumens zu finden, wenn die Oberfläche oder das Volumen 
einer Kugelschale in geometrischer Progression wächst. 

In Wirklichkeit liegen die Verhältnisse wohl anders. Im Anfang dieser 
Arbeit wurde gezeigt, daß die Peptonmenge, welche in die Stellung des Ver- 


Von Prof. Dr. H. Ilzhöfer und Prof. Dr. K. v. Angerer. 249 


brauchs eindiffundiert, sehr nahe proportional der Zeit ist. Diese Propor- 
tionalität wird noch strenger zutreffen, wenn die Diffusion nicht in einem 
unendlich ausgedehnten Körper, sondern in einer dünnen Scheibe (Gela- 
tineschicht) erfolgt. Somit ist das geradlinig fortschreitende Wachstum 
nur ein Ausdruck für den ebenfalls konstanten Zustrom von Nährstoffen, 
und bemerkenswerter Weise läßt sich wenigstens für das Versuchsintervall 
keine Hemmung nachweisen. 

Schließlich wurde noch versucht, den Keimgehalt der Gelatine- 
kolonien zu bestimmen. Wir sind ja bei der Gelatine in der günstigeren Lage, 
auch die tiefliegenden Kolonien durch Schmelzen des Nährbodens ver- 
arbeiten zu können. Zugleich wurde versucht, wieweit das ausgemessene 
Volumen der Kolonie mit demjenigen übereinstimmen würde, das sich aus 
der Zahl der Bakterien mal Bakterienvolumen ergibt. Diese letztere Größe 
ist nur sehr ungenau bekannt. Aus den maximalen (a), mittleren (b) und 
minimalen (c) Dimensionen von Bact. coli, welche in Lehmann und 
Neumanns Atlas zu finden sind, ergaben sich die sehr differenten Volu- 
mina von 11,4 (a) bzw. 6,0 (b) bzw. 2,5 (c) x 10710 ccm proBacterium. Die 
Rechnung wurde für alle drei Werte durchgeführt: 


Durchm. Keimzahl 
mm vol. (kult.) 











Quotient am berechn. 
Volumen berechnet und beob. Keimzahl 


a) Lë b) 3110) 7,5| a) 2,2! b) 4,2c) 10,2 
a) 2,2| b) 4,3|c) 10,2) a) 1,2 b) 2,31) 5,4 


Die Kolonie besteht also zu einem großen, vielleicht sehr großen 
Teil aus abgestorbenen Bakterien, aus Zwischensubstanz oder aus Nähr- 
bodenresten. Der Radıus des tributären Gebietes ist, falls der Nährwert der 
Bouillon durch Gelatinezusatz und Eiweißklärung nicht verändert wird, 
ungefähr ebenso groß wie bei Agarplatten. 

Die Gesamternte (= Summe der Kolonievolumina) nimmt mit steigen- 
dem Gelatinevolumen zu, und zwar ziemlich genau proportional dem Loga- 
rithmus des Nährbodenvolumens. Trägt man auf der Abszisse die Loga- 
rithmen der Nährbodenvolumina, auf der Ordinate die Kolonievolumina, 
etwa vom 11. Tage ein, so erhält man folgende Tabelle: 


Keimzahl 10 -® aus 















Nährbodenvolumen Kolonievolumen in cmm 
ccm beobachtet graphisch intrapoliert 
5 3,8 3,75 
10 5,3 5,22 
20 6,5 6,70 
30 7.1 7,60 


Bezeichnet man mit v,, Da, De usw. die Gelatinevolumina, mit eu, €z, €3 
usw. die zugehörigen Kolonievolumina, so besteht die Beziehung: 

e,:, = log v, : log vs (1) bzw., da die Höhe h der Gelatineschicht dem 
Volumen v entspricht, e, : €, = log h, : log ha (2). Anderseits muß der Ernte e 
die Menge des verbrauchten Nährbodens entsprechen, welche als Scheibe 
mit der Höhe h und dem Radius r zu denken ist: 


sen CH h e (3), aus 2 und 3 
log h, : log ha = ri? hi : rÆ ba (4), woraus 
Archiv für Hygiene. Bd. 96. 19 


250 Uber die Bedeutung der Diffusionsvorgánge fúr das Koloniewachstum. 


Pi fa = ha on 
Yh - log A 

Die zahlenmäßige Auswertung ergibt, daß r mit steigendem A nur 
sehr langsam wächst, weil ja gleichzeitig die Dicke zunimmt. 

Diese Untersuchungen zeigen, daf selbst die so häufig verwendete 
und altbekannte Methode der Verwendung fester Nährböden noch zahl- 
reiche Fragestellungen enthält. Wenn es beispielsweise gelänge, die gleiche 
Wachstumsenergie, die wir auf Agarplatten beobachten, auch in flüssigen 
Nährmedien zu bewirken, würde die Züchtung mancher Mikroorganismen 
eine wesentliche Erleichterung erfahren. 





Zusammenfassung. 


Die Diffusion von Pepton in 1,5proz. Agargallerte wurde gemessen; 
die Diffusion ist nicht wesentlich verschieden bei den verschiedenen 
Wasserstoffzahlen, die biologisch in Betracht kommen. 

Die Diffusionskonstante der Peptone Knoll und Witte in 1,5proz. 
Agar beträgt 0,10 bis 0,12. 

Es wurde diejenige Menge von Pepton berechnet, welche innerhalb 
einer bestimmten Zeit in eine Kolonie von bestimmtem Durchmesser ein- 
diffundiert. Selbst unter maximalen Annahmen ist diese Menge erheblich 
kleiner als diejenige, welche zur Ernährung der Kolonie notwendig wäre, 
wenn man den Nährwert des Peptons in flüssiger Lösung als Maßstab 
nımmt. 

Wenn man den Nährwert von Agar und Bouillon gleicher Herkunft 
als gleich annimmt, berechnen sich aus dem Keimgehalt der Kolonien 
Zonen völliger Ausnutzung um die Kolonie herum, deren Durchmesser 
mehrere cm betragen kann. Da diese Längen zu groß sind für die Lang- 
samkeit der Diffusion, muß angenommen werden, daß das Pepton in Agar 
unverhältnismäßig besser ausgenützt wird als in Bouillon. 

Die starke Trübung des Kondenswassers beruht nur zum großen Teil 
auf einer Verstärkung des Wachstums, zum andern Teil auf der einengenden 
Wirkung der Verdunstung, sowie darauf, daß konzentriertere Aufschwem- 
mungen relativ stärker trüben als dünnere. Ebenso verhält sich Bouillon, 
welche auf Agar geschichtet und dann beimpft wird. 

Das Wachstum einzelner Kolonien in Gelatine kann über zwei Wochen 
anhalten. Die Kolonien nehmen hiebei direkt proportional der Zeit an 
Volumen zu. 

Diese Proportionalität beruht darauf, daß in gleichen Zeiten ungefähr 
gleiche Peptonmengen eindiffundieren, sobald die nächste Umgebung der 
Kolonie erschöpft ist. Eine Hemmung ist in diesem Zeitintervall nicht 
nachweisbar. 

Die Gesamternte nimmt proportional zu den Logarithmen der zur Ver- 
fügung stehenden Nährbodenmenge zu. 


Studien zur Kenntnis der Eigenschaften von Diphtherie- 
Toxin-Antitoxin-Gemischen. 


V. Die immunisierende Wirkung der bei der Diphtherie-Toxin- 
Antitoxinbindung auftretenden Flocken. 


Von 
Privatdozent Dr. Hans Schmidt und Dr. Wilhelm Scholz. 


(Aus dem Institut für Run Therapie „Emil von Behring“, Marburg 
a. d. Lahn [Direktor: Prof. H.Dold].) 


(Bei der Redaktion eingegangen am 21. August 1925.) 


Wir haben in früheren Mitteilungen!) die Flockung, die in mehr oder 
weniger neutralen Di-Toxin-Antitoxingemischen stattfindet, im einzel- 
nen besprochen. Bei vollständiger Neutralisierung bezeichnet Lf diejenige 
Di-Giftmenge, die mit 1 AE gebunden ist. Eine solche T.A.-Mischung 
flockt aus, und hinterläßt eine Flüssigkeit, die nachweisbar weder Gift noch 
Antitoxin enthalten sollte. Da aber die Flockung nicht streng an eine be- 
stimmte Mischung von Di-Gift und Di-Heilserum geknüpft ist, sondern 
sich über eine gewisse Zone erstreckt, so ist es praktisch nicht leicht, den 
Lf-Punkt ganz scharf einzustellen. 


Es ist bekannt, daß eine T.A.-Bindung mit der Zeit fester wird. Es 
sei hier nur auf das Beispiel in unserer IV. Mitteilung hingewiesen, dem- 
zufolge es für die Bestimmung des L,-Wertes wesentlich ist, wie lange Zeit 
die betr. T.A.-Mischung nach dem Ansetzen gestanden hat. Aus dieser 
Tatsache geht aber auch hervor, daß eine T.A.-Bindung wieder lösbar ist. 
Wie die Lösung der T.A.-Verbindung im Körper geschieht, und durch welche 
Kräfte, wissen wir nicht. Aber jede Bestimmung des indirekten L,-Wertes 
eines Di-Giftes rechnet mit der Umkehrbarkeit der Reaktion Toxin-Anti- 
toxin, denn die beobachtete Wirkung auf das Meerschweinchen ist nicht 
allein durch das noch freie Gift bedingt, sondern auch durch das im Körper 
noch freiwerdende Gift. 

4) Archiv für Hygiene 1925. 
19* 


252 Kenntnis der Eigenschaften von Diphtherie-Toxin-Antitoxin-Gemischen. 


Man könnte hier einwenden, daß bei der Lösung der T.A.-Bindung 
auch Antitoxin frei wird, aber ob dem so ist, oder welche Rolle dieses Anti- 
toxin spielt, ob es vielleicht bei der Trennung der Bindung zerstört wird, 
sind Fragen, die man zur Zeit noch nicht beantworten kann. 


Sicher ist, daß jede aktive Immunisierung auf der Spaltung der T.A.- 
Bindung ım Körper beruht; selbst wenn es sich um unterneutrales T.A. 
handelt, also um ein T.A. mit Überschuß an freiem Gift. Denn die Tat- 
sache, daß das Maximum der Immunität, gemessen an dem Antitoxin- 
gehalt des Blutes, erst mehrere Monate nach der Einspritzung einzutreten 
pflegt, läßt sich nicht durch die geringfügige Menge freien Giftes erklären, 
dessen immunisierende Wirkung nach ‘2 Wochen erschöpft ist, sondern 
nur durch das allmähliche Aufspalten der T.A.-Bindungen. Erst das aus 
diesen in unterschwelligen Dosen frei werdende Gift ist das eigentliche 
aktiv immunisierende Agens. Noch ausschließlicher ist dies der Fall, wenn 
das T.A. kein freies Gift enthält, sondern sogar Antitoxin im Überschuß. 
Busson!) zeigte, daß ein Meerschweinchen selbst dann noch durch T.A. 
aktiv zu immunisieren war, wenn es 1—2 Tage vorher 500 AE eingespritzt 
erhielt. 


Je jünger ein T.A.-Gemisch ist, je leichter und schneller ist es im Körper 
aufspaltbar. Die Aufspaltung vermag der eine Organismus schneller zu 
bewerkstelligen als der andere, und wir haben kein Mittel, diese Fähigkeit 
des Organismus vorher einzuschätzen. Daher ist es möglich, daß besonders 
bei frisch hergestellten unterneutralisierten T.A.-Mischungen das freie 
Gift zusammen mit dem schnell frei werdenden Gift eine gefahrdrohende 
Wirkung ausüben kann. 


Es ist deshalb wichtig, daß man T.A.-Gemische lagern läßt, um so die 
Bindung zu festigen. Nun treten aber beim Lagern wieder Verschiebungen 
in den Bindungen zwischen Antitoxin und den Giftteilchen ein, wie wir 
sie in der 11. Mitteilung beschrieben, die dazu führen, das T.A.-Gemisch 
giftiger zu machen, eine Erfahrung, die auch Löwenstein und Busson- 
bereits 1918 machten*). Erneute Antitoxinzugabe und weiteres Lagern- 
lassen ist notwendig, bis das T.A.-Gemisch stabil geworden ist. Für den Ab- 
lauf dieser Vorgänge ist es unwesentlich, ob das T.A.-Gemisch schwach un- 
ter- oder schwach überneutralisiert ist. Nur ist selbstverständlich bei unter- 
neutralen T.A.-Gemischen die Gefahr, daß das Gemisch giftiger wird, größer. 


Diese T.A.-Gemische haben nun alle die Neigung zu flocken. Wir konn- 
ten in unserer IV. Mitteilung zeigen, daß, allerdings unter besonders gün- 
stigen Bedingungen, wie langes Stehen bei höherer Temperatur, selbst ein 
so toxisches Gemisch wie L, noch ausflocken kann. Diese Flockung be- 
deutete bisher für ein T.A.-Präparat einen Nachteil, denn einmal sollte 
wegen der Bildung von Bodensatz die exakte Dosierbarkeit leiden und ferner 
ist die Wirksamkeit bezüglich der aktiven Immunisierung scheinbar herab- 
gesetzt. Wir sagen „scheinbar“, denn in Wirklichkeit dauert die Immuni- 
sierung nur länger. Man hat also bisher tunlichst die Flockung vermieden. 
was sich durch geeignete Wahl der Gifte und Sera erreichen läßt. 

1) Wiener mediz. Wochenschrift 1925, Nr. 7, 430. 

2) Löwenstein: Deutsche mediz. Wochenschrift 1921, Nr. 29, 833. 














Von Dr. Hans Schmidt und Dr. Wilhelm Scholz. 253 


Wie aus dem Gesagten hervorgeht, hat man bel der aktiven Immuni- 
sierung mit T.A. einmal die Hóhe des Antitoxintiters zu beriicksichtigen, 
den man erreichen will, und dann die Zeitdauer bis zam Eintritt der maxi- 
malen Immunität. Die Erfahrung hat gezeigt, daß diese Zeitdauer um so 
größer ist, je fester die T.A.-Bindung ist, und daß die Höhe des erreichten 
Antitoxintiters davon abhängt, wieviel Gifteinheiten in gebundener Form 
einverleibt wurden. Daneben spielt der Umstand, ob das T.A.-Präparat 
in einem neutralen oder in einem über- oder unterneutralem Flüssigkeits- 
mittel ist, keine oder nur eine untergeordnete Rolle. Ist T.A. unterneutrali- 
siert, dann wird das wenige freie Gift einen gewissen „ictus immunisatorius‘“ 
ausüben und damit den Eintritt der aktiven Immunität beschleunigen. 
Ist Antitoxin im Überschuß vorhanden, so wird sich der Prozeß der aktiven 
Immunisierung langsamer abspielen. Bei einem streng neutralen T.A. wird 
man unterscheiden müssen, ob das T.A.-Gemisch durch geeignete Mab- 
nahmen so angesetzt ist, daß es nicht flockt, oder ob das T.A.-Gemisch 
völlig ausgeflockt ist. Im ersten Falle wird es sich verhalten wie ein ganz 
schwach überneutrales T.A., und im zweiten Falle wurde dem Präparat 
früher jede immunisierende Wirkung abgesprochen!) (Ramon). 


Unsere Beobachtungen haben uns aber von der guten immunisierenden 
Fähigkeit der T.A.-Flocken überzeugt. Und kürzlich haben auch Sordelli 
und Serpa?) dadurch eine Immunität erzeugen können, daß sie das Flocken- 
material auf die skarifizierte Haut von Pferden und Meerschweinchen 
brachten. Sie empfahlen dieses Verfahren auch zur aktiven Immunisie- 
rung des Menschen, erwähnen aber keine praktischen Ergebnisse. 


Da die Ausflockung von T.A. gestattet, durch Abschleudern die T.A.- 
Flocken von den bei der Einspritzung oft schmerzhaften und für die Immu- 
nisierung unnötigen Ballaststoffen der Bouillon zu befreien, und es ferner 
möglich ist, in Form der Flocken sehr viel größere Mengen gebundenes Gift 
in einem kleinen Volumen einzuspritzen, so haben wir schon lange daran 
gedacht, in dieser Flockenform ein ideales Präparat zur aktiven Immuni- 
sierung zu haben. In der Tatsache, daß die Bindung sehr fest ist im Ver- 
gleich mit den höher dispersen T.A.-Gemischen (T.A. I und T.A. II) sehen 
wir keinen Nachteil, da es in der Praxis der prophylaktischen aktiven 
Di-Immunisierung im allgemeinen keine Rolle spielt, ob die maximale 
Immunität einige Wochen früher oder später erreicht ist. 


Das Ziel, das uns bei der aktiven Di-Immunisierung beim Menschen 
vorschwebte, war: mit einer nur einmaligen, dabeimöglichst schmerz- 
losen Einspritzung mit Sicherheit in 2—3 Monaten einen Antitoxingehalt 
von mindestens 1/1 AE im cc zu erreichen, und die Immunität möglichst 
lange zu halten. 


Bevor wir das Präparat am Menschen erproben ließen, galt es zunächst, 
die Bedingungen seiner Haltbarkeit und die zulässige Dosierung im Tier- 
versuch festzustellen. 

4) Auch Löwenstein sagte in einer Diskussionsbemerkung auf der Natur- 
forscher- und Arzte-Tagung in Innsbruck (1924), daß er von dem immunisie- 
renden Wert der Flocken nicht viel halte. 

2) C. rend. soc. Biol. 1925. 92. 824. 


254 Kenntnis der Eigenschaften von Diphtherie-Toxin-Antitoxin-Gemischen. 


Der im Vergleich mit der groBen Menge Giftbouillon sehr spárliche 
Flockenniederschlag stellt nach mehrmaligem Waschen mit physiologischer 
NaCl-Lösung eine lockere weißliche Masse dar, die sich durch geringes 
Schütteln wieder so fein in der NaCl-Lösung verteilen läßt, daß eine je 
nach der Konzentration trúbe bis opaleszierende Flüssigkeit entsteht. Nach 
längerem Stehen entsteht erneut ein flockiger Bodensatz, der sich wieder 
leicht verteilen läßt. Die Flocken sind in Na Cl-Lósung unlóslich. Wir fanden 
sie im Gegensatz zu Ramon?) ebenfalls in aqua dest. unlöslich. Doch kón- 
nen wir seine Beobachtung bestätigen, daß Zusatz von einer Spur Säure 
die Flocken zur Lösung bringt. Durch vorsichtiges Erhitzen dieser Lösung 
1 Stunde lang auf 58—60° nahm Ramon an, das Toxin zerstört zu haben. 
Jedenfalls erhielt er auf diese Weise sehr hochwertige antitoxinhaltige 
Präparate. In unseren Versuchen hatte das lange Erhitzen auch die Anti- 
toxine beträchtlich geschwächt, denn wenn wir auch antitoxische Präpa- 
rate erhielten, so waren sie lange nicht so hochwertig. Setzt man der an- 
gesäuerten Flockenlösung wieder Alkali zu, so trübt sich die Lösung wieder 
und wird bei weiterem Alkalizusatz wieder klar. Erneutes Ansäuren führt 
wieder zur Flockung. Was bei diesem Prozeß mit dem T.A. geschieht, ob 
die Bindung dissoziiert, und was dann mit dem Gift unter dem Einfluß 
der Säure und des Alkali vor sich geht, darüber gedenken wir in einer spä- 
teren Mitteilung zu berichten. Als die zweckmäßigste Form für die Immuni- 
sierung fanden wir die Suspension der Flocken in einer 0,9proz. NaCl- 
Lösung, der 0,5proz. Karbol zugesetzt war. In dieser Art der Aufbewahrung 
scheint das T.A., soweit unsere bisherige Erfahrung dies zu sagen gestattet, 
praktisch unbegrenzt haltbar zu sein, wenn es keimfrei gehalten und vor 
starkem Licht geschützt bleibt. Verunreinigung mit Säure auch in Spuren 
ist peinlichst zu vermeiden. 

Wir haben unsere Versuche mit einem Pferd begonnen, um so bei einem 
leicht gegen Di-Gift zu immunisierenden Tiere erst einmal ein Urteil dar- 
über zu gewinnen, ob die Flocken überhaupt eine immunisierende Fähigkeit 
haben. Die folgende Versuchsniederschrift zeigt, daß es in der Tat möglich 
war, durch allerdings sehr vorsichtige Dosierung einen Antitoxintiter von 
2 AE zu erzielen. 


Pferd 1172. 

21. V.1924 5ce T.A.-Flockensuspension = 10 G.E. 
26. V.1924 410 ,, D = 320: 5; 
31. V.194 20 ,, Mi = 40 , 

5. VI. 1924 A0. S Ss ¿00 er 
10. VI 1924 80 ,, SS = 160 „, 
16. VI. 1924 150 ,, de ss ét ss 
24. VI. 1924 „ dichtere T.A.-Flockensusp. = 20 ,, 
27. VI. 1924 pe 5 ; = 40 „ 
30. VI. 1924 e pa Re = 80 „ 

3. VII. 1924 e e Ss = 160 — 

8. VII. 1924 15, m M = 300 , 


Summe 1210 G.E. 
14. VII. 1924 Blutprobe: über 2 AE im ee, 


4) C. rend. soc. Biol. 1923, 88, 167. 


Von Dr. Hans Schmidt und Dr. Wilhelm Scholz. 255 


Wenn auch 2 AE im cc nicht das Maximum der Immunität darstellt, 
was erst nach längerer Zeit eintreten würde, so sind immerhin 1210 G.E. 
in 71, Wochen nötig gewesen, um diesen geringen Effekt zu erzielen, wohin- 
gegen 1/ der Gifteinheiten ohne Bindung an Antitoxin das Serum in der 
gleichen Zeit über 40fach hätte machen können. Immerhin hat uns dieser 
Versuch die Möglichkeit der Immunisierung mit Flocken gezeigt. 

Unsere weiteren Versuche betrafen Kaninchen, einmal weil diese 
erfahrungsgemäß relativ schwer aktiv zu immunisieren sind, und daher ein 
positives Ergebnis um so größere Bedeutung beanspruchen darf, und zum 
anderen weil in Anbetracht der langen Versuchsdauer von allen Klein- 
tieren Kaninchen wegen der geringeren Anfälligkeit gegenüber Stallseuchen 
besonders im Winter für unsere Zwecke besser geeignet waren. 

Der Versuch gestaltete sich im einzelnen folgendermaßen: Die Kanin- 
chen 3040, 1330 und 1343 erhielten T.A.-Flocken subkutan in langsam 
steigenden Dosen. Zum Vergleich und zur Kontrolle erhielt Kaninchen 1332 
gleichzeitig mit der steigenden Flockenmenge auch steigende Giftmengen, 
also gewissermaßen ein unterneutralisiertes T.A., ferner erhielt Kaninchen 
1328 das gleiche, aber so, daß die Injektionen der Flocken und des Bouillon- 
giftes getrennt geschahen und schließlich erhielt Kaninchen 1341 nur das 
Bouillongift allein. Alle Einspritzungen geschahen subkutan. Weitere 
Einzelheiten sowie das Ergebnis der Immunisierung zeigt die folgende 
Tabelle 1. 

Die Immunisierung durch T.A.-Flocken hat in 2 Monaten nach Ende 
der Behandlung die Bildung von Tele A-E. im cc bewirkt. Wurde die 
Immunisierung jedoch kombiniert, sowohl mit Flocken als auch mit freiem 
Gift vorgenommen, dann war das Ergebnis nur unwesentlich besser, wobei 
der Unterschied, ob zusammen oder getrennt injiziert wurde, innerhalb der 
Variationsbreite der Antitoxinbildung bei Kaninchen fällt. Die freien 
Giftmengen allein haben bei Kaninchen 1341 nur Tun AE. zu bilden ver- 
mocht. Von wesentlicher Bedeutung ist nun die Länge der Zeit, in der 
sich der einmal erreichte Höchsttiter hält, und da sehen wir, daß bei dem 
Kaninchen, das nur freies Gift erhalten hatte, der Titer ungleich schneller 
abnahm, als bei allen anderen Tieren, welche Flockensuspension erhalten 
hatten. Am längsten hielten diejenigen Kaninchen den Titer, die sich mit 
Flockensuspension ohne freies Gift am besten immunisiert hatten. Das 
Ergebnis ist verständlich, wenn man berücksichtigt, daß die injizierte 
Flockenmenge 1130 G.E. in gebundener Form darstellten, gegenüber 
nur 21%, G.E. in freier Form, und daher auch eine längere Zeit beanspruch- 
ten, um vom Organismus aufgeschlossen und verarbeitet zu werden. 

= Wenn damit also erwiesen sein dürfte, daß eine T.A.-Verbindung in 
Form von Flocken Kaninchen zu immunisieren vermag, so ist doch eine 
wiederholte Injektion kleiner Mengen über einen längeren Zeitraum ein 
recht umständliches Verfahren. 

Bei unseren weiteren Kaninchenversuchen haben wir daher eine 
größere Flockenmenge auf einmal subkutan eingespritzt. Dem Kaninchen 
2664 wurde die einmalig gegebene Flockenmenge intravenös gegeben. 

Weitere Einzelheiten sowie die Versuchsergebnisse zeigt die folgende 
Tabelle II. 


256 Kenntnis der Eigenschaften von Diphtherie-Toxin-Antitoxin-Gemischen. 


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911948.L 


Von Dr. Hans Schmidt und Dr. Wilhelm Scholz, 257 
Tabelle II. 














Ergebnis |Nach welcher 
Kanin- Zeit 


chen-Nr. | Gewicht| Datum, Dosis und Impfstoff G "nisierung | ee 


2664 17. 2. 25. 3,5 ccm Flocken- 
suspension intravenós 


3075 8. 4. 25. 2,0 ccm Flocken- 


suspension subkutan 


-3090 8. A 25. 6,0 ccm Flocken- 
suspension subkutan 


3088 8. 4. 25. 12ccm Flocken- 
suspension subkutan 


Wir haben also mit einer einzigen subkutanen Einspritzung 
von T.A.-Flocken ein Kaninchen so hoch immunisieren kón- 
nen, daß das Serum 2A.E. im cc enthielt. Wenn dies auch der 
von uns beobachtete Hóchsttiter war, so hatten doch alle Kaninchen min- 
destens !/, A.E. erreicht. Es ist erstaunlich, welche ungeheuren Giftmengen 
man in der Form von Flocken einverleiben kann, ohne daß allem Anschein 
nach die Gesundheit der Tiere beeinträchtigt wird. Eine lokale Reaktion 
war bei dem Kaninchen 3075 kaum bemerkbar, und bei den Tieren 3090 
und 3088 gab es geringfügige Schwellungen, die 10—14 Tage später nicht 
mehr wahrnehmbar waren. Selbst 3600 G.E. wurden von dem Kaninchen 
3088 vertragen. Allerdings warf das trächtige Tier 14 Tage nach der Ein- 
spritzung 5 tote Junge, und wir glauben, daß der intrauterine Tod der 
Tiere auf das aus den Flocken frei werdende Gift zurückzuführen ist. An 
Gewicht nahmen nur Kaninchen 2664 um 150 g ab, sowie das Kaninchen 
3088 um 250 g, was aber wohl auf den Wurf von 5 Jungen zurückzuführen 
ist. Sonst hielten sich die Tiere auf ihrem Anfangsgewicht und nahmen alle 
später etwas zu. Das Bemerkenswerte dieses Ergebnisses wird erst klar, 
wenn man die große Schwierigkeit bedenkt, die die aktive Immunisierung 
bei Kaninchen mit reinem Gift bietet, denn trotz des größeren Körper- 
gewichtes ist das Kaninchen empfindlicher gegenüber der Di-Giftwirkung 
als das Meerschweinchen. 


Die intravenöse Einspritzung hat trotz der großen Giftmenge von 
2000 G.E. in der Flockensuspension nur zu dem sehr geringen Antitoxin- 
gehalt von ca A-E. geführt. 

Es ist für die immunisierende Wirkung von Di-Gift sehr interessant, daß 
es auf subkutanem Wege so ungleich besser wirkt, als bei intravenöser Ein- 


verleibung, eine Tatsache, die bereits v. Behring bei Pferden kannte, und 
Madsen!) 1923 erwähnte. Kürzlich berichteten Glenny und Pope?) über 


1) Journ. State med. 1923. 31. 55. 
2) Journ. of Path. ano Bact. 1925. 28, 273. 


258 Kenntnis der Eigenschaften von Diphtherie-Toxin-Antitoxin-Gemischen. 


Versuche, nach denen es wohl gelingt, mit intravenóser Einspritzung von TA- 
Gemischen oder von künstlich entgiftetem Di-Gift bei Kaninchen eine gewisse 
Grundimmunität von etwa ?/,o AE zu erzeugen. Waren die Tiere aber vorher, 
wenn auch in geringem Grade aktiv immunisiert, dann bewirkte eine erneute 
intravenöse Injektion vyn Di-Gift eine deutlich nachweisbare Steigerung des 
Antitoxingehaltes, z. B. bewirkte die intravenöse Injektion von 0,08 ccm Gift 
(= 0,5 Lo) bei einem Kaninchen, das '/o AE im ccm vor der Einspritzung 
hatte, die Bildung von 2,7 AE im ccm nach 7 Wochen. 


Wir haben daraufhin einigen unserer mit TA-Flocken vorbehandelten 
Kaninchen eine erneute Einspritzung von Flocken längere Zeit nach der zuletzt 
erhaltenen gegeben: Die Kaninchen 3040, 1330 und 1343, die genau gleich- 
mäßig vorbehandelt waren, bekamen etwa 5 Monate später (3. 7.) eine intra- 
venöse Einspritzung von 5 ccm einer Flockensuspension, entsprechend 200 Gift- 
Einheiten, Kaninchen 3075 und 3090, die mit einer einzigen Einspritzung vor- 
behandelt waren, erhielten 3 Monate später (3. 7.) ebenfalls 200 Gift-Einheiten 
in 5 ccm Flockensuspension, während dem intravenös vorbehandelten Tier 
Nr. 2664 diese Menge subkutan eingespritzt wurde. 

Das Ergebnis war bei allen Tieren eine bemerkenswert schnelle Titer- 
steigerung, die bereits, wie' die folgende Tabelle zeigt, 10 Tage nach der Ein- 
spritzung deutlich erkennbar war. 








Titer nach der Reinjektion 
nach 21 Tagen 






Kaninchen Nr. 3040 Ae AE/ccm | ca,?/, AE/ccm 
1 


>) 99 1330 5 9 ; sn 
99 > 1313 >! 99 = 2 ag 
Sp , 3075 > 1), ,) 1—2 II 
ò » 3090 > y ca.2 „ 
99 , 2664 > 1o MI ES » 


Wir können somit Glennys und Popes Angaben bestätigen, wonach 
eine an und für sich wenig wirksame intravenöse Immunisierung doch eine 
genügende Zellbereitschaft gibt, um auf einen erneuten immunisierenden Reiz 
reichlich Antikörper zu bilden. Ist einmal eine gewisse Grundimmunität vor- 
handen, dann verursacht jede neue, einige Zeit später erfolgende spezifische 
Reizung eine vermehrte Antikörperbildung, gleichgültig, ob es sich um eine 
subkutane oder intravenöse Reininjektion handelt. Es ist demnach auch an- 
zunehmen, daß eine spontane Erkrankung eine schnelle Neubildung im Blut- 
kreisender Antitoxine veranlaßt. 

Da aber die durch intravenöse Immunisierung erzeugte Immunität, 
wenigstens bei einmaliger Einspritzung von Flocken, nicht hoch ist, ist 
für die prophylaktische aktive Immunisierung die intravenöse Einspritzung 


ungeeignet. 


Auch die intrakutane Einspritzung ist bei Anwendung des Flocken- 
materials ungeeignet, obwohl an und für sich, wie als erster v. Behring mit 
unterneutralisiertem T.A. zeigte, der intrakutane Weg brauchbar ist. Wir 
haben mit 0,2 cc Flockensuspension Kaninchen 60 G.E. intrakutan gegeben 
mit dem Erfolg, daß nach 4 Wochen die erreichte Immunität erst 1/1% A E. 
betrug. Es bildete sich unter mäßiger Rötung ein erbsengroßes Knötchen, 
das nach etwa 14 Tagen verschwunden war. Es ist wahrscheinlich, daß die 
unlösliche und schwer aufschließbare Form des T.A. als Flocken für den 
schlechten Immunisierungserfolg bei intrakutaner Einspritzung verant- 
wortlich ist. 








Von Dr. Hans Schmidt und Dr. Wilhelm Scholz. 259 


. Wenn nun, wie oben gesagt, die Höhe der erreichten aktiven Immuni- 
tät davon abhängt, wie viel Di-Gift'in gebundener Form eingespritzt wird, 
ist es dann gleichgültig, wie groß die gebundene Giftmenge ist, wenn sie 
nur genügend groß ist, um den erstrebten Titer von mindestens 1/4 A-E. 
zu erreichen, oder bringt die Einspritzung von größeren Mengen eines völlig 
neutralen T.A.-Präparates eine Gefahr mit sich ? 


Wenn wir auch nur über wenige Beobachtungen zur Beantwortung die- 
ser Fragen verfügen, so können wir doch bestimmt sagen, daß die Menge 
des gebundenen Di-Giftes, die auf einmal in Form der Flok- 
ken eingespritzt wird, nicht gleichgültig ist. 


Der Umstand, daß die T.A.-Menge in Form der Flocken so wenig volu- 
minös ist und die Bindung als solche viel fester ist als in der mehr dispersen 
* Form des T.A. in Lösung, gestattet es zwar ganz erstaunliche Mengen Di- 
Gift (entsprechend etwa 1 Liter 4facher Di-Giftbouillon bei Kaninchen 3088) 
auf einmal einzuverleiben unter der Voraussetzung, daß die Aufarbeitung 
dieses Giftdepots im Körper mit seiner aktiven Immunisierung parallel 
geht. Aber wenn dies nicht geschieht, wenn also der Organismus aus uns 
unbekannten Gründen nicht in der Lage ist, sich schnell genug zu immuni- 
sieren, dann droht entschieden Gefahr. Man darf sich vielleicht vor- 
stellen, daß der Körper die T.A.-Verbindung im Laufe der Zeit schneller auf- 
zuspalten vermag, so daß also im Anfang wenig, später aber relativ mehr 
Gift aus der T.A.-Bindung frei wird. Tritt dies zu einer Zeit ein, in der die 
aktive Immunisierung noch nicht genügend hoch ist, dann kann der Or- 
ganismus durch Toxinwirkung schwer erkranken, ja unter Umständen der 
Toxinwirkung erliegen. Diese Gefahr ist natürlich um so größer, je mehr 
gebundenes Gift im eingespritzten Depot vorhanden ist. Je älter das Flok- 
kenpräparat ist, je geringer ist die Gefahr, weil die Bindung im Lauf der 
Zeit fester wird. Ganz allgemein ist diese Gefahr bei dem T.A. in Flocken- 
form geringer, als bei dem T.A. in Lösung, obwohl in letzter Form schon 
des Volumens halber viel weniger gebundes Gift eingespritzt wird, wohl 
aber in einer leichter dissoziierbaren Form. 


Daß eine Gefahr bei zu großer Injektion von Flocken tatsächlich be- 
steht, zeigen die beiden folgenden Beobachtungen an einem Kaninchen und 
an einem Hammel. 


1. Kaninchen 2651 bekam am 17. II. 1925 3,5 cc Flockensuspension 
subkutan entsprechend 2000 G.E. Nach 4 Wochen hatte das Tier erst 
Lee A-E./cc gebildet (während Kaninchen 3090, das subkutan in Form 
von T.A.-Flocken nur 1200 G.E. erhalten hatte, bereits */¿ A.E./cc nach 
4 Wochen hatte). Das Gewicht von 3100 g änderte sich nicht. Aber am 
29. ITI., also 40 Tage nach der Einspritzung, wurde das Tier tot gefunden, 
und der Sektionsbefund sprach für eine Di-Giftwirkung. 


2. Hammel 98, 26 kg schwer, erhielt am 2. VI. eine subkutane Injektion 
von Flocken, entsprechend 5000 G.E. 15 Tage später (obwohl während 
dieser Zeit Gewichtszunahme von 1 kg) Fieber bis 41%. Serumtiter war 
Tan A-E./cc. Nach dreitägigem Fieber wurden subkutan 5 cc Di-Hammel- 
serum = 500 A.E. gegeben, worauf sofort dauernde Entfieberung eintrat. 


260 Kenntnis der Eigenschaften von Diphtherie-Toxin-Antitoxin-Gemischen. 


Bei beiden Tieren hatte die aktive Immunisierung nicht mit der Di- 
Giftabspaltung aus den Flocken Schritt gehalten. Wir glauben, daß der 
Hammel ohne die rettende Serumeinspritzung der Giftwirkung erlegen 
wäre. 

Nun spricht der Mensch im allgemeinen leichter und schneller auf Di- 
Gift mit Antitoxinbildung an, als es Kaninchen und Schafe tun. Aber wie 
die vielfältigen Erfahrungen der aktiven Di-Immunisierung der letzten 
. Jahre zeigten, ist ein gewisser, wenn auch kleiner Prozentsatz (etwa 10%) 

in dieser Hinsicht refraktär. Für solche Menschen würde die Einspritzung 
einer zu großen Flockenmasse eine Gefahr bedeuten, und wir haben daher 
dieser Möglichkeit dadurch Rechnung getragen, daß wir die Menge gebun- 
denen Toxins, die in Form einer Flockensuspension einem Menschen einmal 
einzuspritzen ist, auf höchstens 15 Gift-Einheiten beschränkt wissen 
möchten. l 

Auf jeden Fall glauben wir, auf Grund unserer Tierversuche und 
der am Menschen von Prof. Schreiber in Magdeburg gemachten Er- 
fahrungen sagen zu können, daß wir in der Flockensuspension das 
zurzeit beste Mittel haben, eine aktive Immunisierung des 
Menschen durchzuführen. Die Einspritzung ist nicht schmerzhafter 
als die einer physiologischen Kochsalzlösung und die lokale Reaktion 
ist bei 0,3—0,4 cc obiger Suspension unbedeutend, ein Umstand, der 
bei der Schutzimpfung von Kindern wesentlich ist. Bei größeren Flocken- 
mengen sind lokale Reaktionen beobachtet. Bis jetzt hat sich die mehr- 
malige Einspritzung kleinerer Mengen als schonender erwiesen bei sehr 
guter immunisierender Wirkung. Versuche mit nur einmaliger Ein- 
spritzung sind noch im Gange. Es ist zu hoffen, daß eine solche ge- 
nügt. Die Immunität tritt dann in kürzerer oder längerer Zeit, auf 
jeden Fall innerhalb von 3—4 Monaten, automatisch und mit Sicherheit 
ein, so daß sich jede Nachprüfung mittels der Schickprobe erübrigt. Der 
Impfstoff ist praktisch unbegrenzt haltbar und eine Gefahr kann unter 
Berücksichtigung obiger Dosierung als ausgeschlossen gelten. 

Wir hoffen, daß dieses Präparat der aktiven Di-Schutzimpfung zu 
allgemeinster Anwendung verhilft. 


Zusammenfassung. 


Die aus einer auf völlige Neutralität optimal eingestellten Mischung 
von Di-Toxin und Antitoxin entstehenden Flocken stellen nach gründlicher 
Waschung und Aufschwemmung in physiologischer Kochsalzlósung ein 
ideales T.A.-Práparat dar fiir die prophylaktische Schutzimpfung gegen 
Diphtherie. 

Tierversuche bei Pferden und Kaninchen ergaben, daß die Flocken- 
aufschwemmung eine Di-Immunität erzeugen kann, und es gelang, bei 
nur einmaliger subkutaner Einspritzung einer Flockenmenge Kaninchen 
bis zu */¿—2 A.E./ec zu immunisieren. Wenn es auch mittels der Flocken 
gelingt, ganz außerordentliche Giftmengen in fester Bindung mit Antitoxin 
(entsprechend der Giftmenge von 1 und mehr Litern Di-Bouillongift) auf 
einmal einzuspritzen, so ist es gefährlich, die Menge an gebundenem Gift 





f D 
a 
a Le > 


zu Ke zu nehmen, da dann die aktive EA A nicht dolina ec? d 


erfolgt, um mit der Aufspaltung der T.A.-Bindung Schritt zu halten. 
Für die Schutzimpfung beim Menschen darf 1 ce der Flockensuspension 
höchstens 15 Gift-Einheiten enthalten. 


Der Vorteil der Flockensuspension (T.A.F.) gegenüber allen P 


T.A.-Präparaten liegt darin, daß die Einspritzung fast schmerzlos ist, 
keine oder nur eine geringfügige lokale Reaktion erzeugt und vielleicht 


nur einmal zu geschehen braucht, um mit Sicherheit eine Immunität von 


mindestens Ti A.E./cc zu bewirken. 


Eine vereinfachte Methode der Bestimmung des Koli-Titers 
eines Wassers. 


Von 
Professor Dr. L. Horowitz-Wlassowa. 


(Aus dem Chemiko-Bakteriologischen Institut in Orenburg.) 
(Bei der Redaktion eingegangen am 12. September 1925.) 


In unserem Artikel „Der heutige Stand der Frage der hygienischen 
Bewertung des Wassers (russisch; Prophylaktische Medizin 1925, Nr. 6), 
haben wir die Nachteile der Methoden, die nach der Meinung verschiedener 
Verfasser ebensogut wie die Gärmethoden von Eykman und Bulir 
für den Nachweis der Verunreinigung zuverlässig sein sollen (wie die Be- 
stimmung des ‚thermophilen Titers“ des Wassers nach Petruschky, 
die Aınmoniakmethode von Spat, die Bestimmung des Indoltiters nach 
Gersbach, hervorgehoben und vorläufig auf die Methode von Salus 
und Hirn (Centralbl. f. Bakt. 1923, Bd. 90, Heft 4) als die a priori ge- 
eignetste hingewiesen. Die Bewertung dieser Methode, die zugleich die 
Gas- und Indolbildung im mit den betreffenden Wasserproben geimpften 
Nährmedium nachweist, läßt sich tatsächlich schon auf Grund unserer 
zahlreichen Wasseruntersuchungen machen. Wir wissen ja, daß die Eigen- 
schaft, die Glukose oder den Mannit unter Gasbildung zu vergären und 
dabei Indol in peptonhaltigem Nährboden zu bilden — nur wenigen Wasser- 
bakterienarten zukommt. Unter 200 aus Newawasser gezüchteten und 
eingehend studierten Bakterienarten (Sonderauflage, Petersburg, 1912), 
konnten wir nur sieben derartige herausfinden (B. coli, Paracolibacillus 
Nr. 2,3, 4, Gilbert et Lion, B. cloacae Jordan, B. proteus vulgaris 
Hauser und B. ruber balticus, s. B. kiliense Lehmann und Neu- 
mann). Es sei bemerkt, daß die Zahl unserer acroben Arten, welche Glu- 
kose vergärten (d.h. bei der Anwendung der Ejkmanschen oder Bulir- 
schen Methode die positive Gärprobe ergaben) 22 betrug; die Zahl der 
indolbildenden Arten (die also bei der Anwendung der Methode von Gers- 
bach das B. coli c. vortäuschen können). 17. Wird nun nicht Glukose 
oder Mannit, sondern Lakstose angewendet, die überhaupt von Wasser- 
bakterien recht selten vergärt wird, so erweist sich die obige doppelte Probe 
als für das B. colic. höchst charakteristisch, da B. coli allein unter unseren 
200 aeroben Wasserbakterien die obigen beiden Eigenschaften, Lactose 


Vereinfachte Methode der Bestimmung des Koli-Titers eines Wassers. 263 


unter Gasbildung zu vergáren und Indol zu bilden — besitzt. Selbst- 
redend kann man die Möglichkeit nicht von der Hand weisen, daß der 
erwähnte Effekt nicht vom B. coli, sondern von zwei oder mehreren 
nebeneinander vorhandenen Bakterienarten bedingt wird — deren einige 
Indol bilden, ohne Laktose zu vergären, wie B. aquatilis communis 
Flugge, B. cloacae Jordan, B. lucidus Lembre, B. superficialis 
Jordan, B. proteus vulgaris Hauser, B. diffusus Frankland, 
B. piscium pyogenes Mutzuchita, Paracolibacillus Nr.3, während 
andere, umgekehrt Laktose unter Gasbildung vergären, ohne Indol zu 
bilden, wie B. viscosus v. Laer, B. viscosus ochraceus Freund, 
B. gasoformans Eisenberg, B. lactis aerogenes Escherich und 
mehrere anaerobe Bakterienarten, die im Wasser nicht selten vorkommen 
und die wir an anderem Orte ausführlich beschrieben haben (russisch; 
Mikrobiolog. Zeitschrift 1916, Bd. III). Zwar sind solche Kombinationen, 
wie die Praxis der bakteriologischen Wasseruntersuchungen lehrt, ziemlich 
selten, doch müssen sie im Auge behalten werden. Es empfiehlt sich dem- 
nach, auf die Aussaaten auf Drigalski- oder Endoplatten nicht zu 
verzichten. — Wird die Entwicklung durchaus gleichartiger Kolonien 
beobachtet, so ist damit jeder Zweifel beseitigt, da es sich in diesem Falle 
nur um B. coli communis handeln kann; tritt aber das Wachstum ver- 
schiedener Kolonien auf, so ist deren nähere Untersuchung unerläßlich, 
da es sich um eine der erwähnten Kombinationen handeln kann. Es sei 
hier betont, daß bei der Anwendung der Methoden von Ejkman und Bulir 
eine solche eingehende Untersuchung immer unentbehrlich ist, insofern 
mehrere Bakterienarten, wie B. viscosus ochraceus, Paracoli- 
bacillus Nr.2, verschiedene Milchsäurebazillen und -Kokken das B.coli c. 
auf Drigalski- oder Endoplatten vortäuschen können. 

Um diese Voraussetzungen und Schlußfolgerungen experimentell 
zu prüfen, haben wir 100 Wasserproben auf den Coli-Test mittels der 
besprochenen Methode untersucht. 

Der Nährboden wurde nach Salus angefertigt, wie folgt: 20 g Pepton 
samt 1g Pankreatin werden in 800 g sterilisiertem Leitungswasser gelöst, 
und die mit Na,CO, und Toluol versetzte Flüssigkeit 3 Tage im Thermo- 
staten aufbewahrt, womit die partielle Zersetzung der Peptone bis zur 
Tryptophanbildung erzielt wird. In der auf diese Weise hergestellten 
Flüssigkeit wird die Indolbildung wesentlich beschleunigt. Dann wird der 
Nährboden bis zum Auftreten der Jakmusneutralen Reaktion angesäuert 
und filtriert, das Filtrat mit 1%, Laktose (anstatt der von Salus angewen- 
deten Glukose) versetzt und schließlich sterile Kreide hinzugefügt, welche 
die bei der Laktosegärung gebildeten Säuren neutralisieren soll. Ohne 
diese Vorsicht bilden bekanntlich B. coli und andere indologene Bakterien- 
arten in zuckerhaltigen Nährmedien, wie z. B. in Pferdefleischbouillon, 
keın Indol, da die sich anhäufende Säure die tiefere Spaltung des Eiweißes 
hemmt; eine Tatsache, welche die fäulnishemmende Wirkung des Lakto- 
bazillius und anderer Säurebildner bedingt.) 

Mittels dieser Methode haben wir verschiedene Fluß-, Grund- und 
Teichwässer untersucht: verschiedene Mengen von Wasser wurden in den 
oben besprochenen Nährboden ausgesäet, die Röhrchen 24 Stunden im 


264 Vereinfachte Methode der Bestimmnug des Koli-Titers eines Wassers. 


Thermostat bei 35% aufbewahrt. Nun wurden zuerst Aussaaten auf Endo- 
platten gemacht und dann die Flüssigkeiten mit den Reagentien von Ehr- 
lich auf Indol geprüft und auf Gasbildung beobachtet. Es sei betont, daß 
es sich empfiehlt, die Proben, in denen die Gasbildung nach 24 Stunden 
fehlt, noch weitere 24 Stunden im Thermostat aufzubewahren, da unter 
unseren 100 Proben, von denen 60 gasbildende Arten enthielten, die Gas- 
bildung in 33 Fällen erst am zweiten Tage zur Beobachtung kam. Dagegen 
tritt die Indolreaktion in der Mehrzahl der positiven Fälle schon nach 
24 Stunden ein. Unter unseren 60 Proben, in denen Indol nachweisbar 
war, konnten wir nur 3 Fälle beobachten, wo die Indolreaktion erst am 
zweiten Tag positiv ausfiel. In einem Falle handelte es sich um B. cloacae, 
in zwei anderen um Paracolibacillus Nr.3. 

Die Resultate der 100 Wasseruntersuchungen mittels der besprochenen 
Methode können in folgender Weise zusammengefaßt werden. 











Zahl der | Zahl der 
Koli 











Gas- | Indol- 
bildung 


Bakterienarten, die bei der Aussaat der Proben auf 
Endpolatten zur Entwicklung kamen 







B. coli communis 

B. aquatilis 3ulcatus, B. sericeus, Mier, lactis, 
. subtilis u. a. 

7mal B. coli anindolicus. 

1mal B. cloacae. 6mal B. aquatilis communis. 


Es leuchtet aus dieser Tabelle hervor, daß alle Proben, wo Laktose 
vergärt und Indol gebildet wurde, sich als coli-haltig, alle Proben dagegen, 
wo diese beiden Merkmale oder die Gasbildung allein fehlten, sich als coli- 
frei erwiesen. Die übrigbleibenden sieben Proben, wo die Gärprobe positiv, 
die Indolprobe aber negativ ausfiel, enthielten eine Paracolibacillus- 
Art, die, wie üblich, bei der Bestimmung des Coli-Titers, ebenso wie 
andere Paracolibacilli vernachlässigt wird, obgleich diese Arten, ebenso 
wie B. cloacae, Proteus vulgaris, Streptokokken ua bei der 
allgemeinen Bewertung eines Wassers unseres Erchtens berücksichtigt 
werden sollten. 

Diese Resultate bestätigen unsere Voraussetzungen. 

Wir meinen, daß die besprochene Methode nicht unbeträchtliche 
Dienste, insbesondere bei Massenuntersuchungen von Wássern leisten 
kann, da sie 1. recht genau arbeitet, 2. die Frage nach Coli-An- oder Ab- 
wesenheit schon nach 48 Stunden beantwortet und 3. Zeit und Mühe er- 
spart, insofern sie in der Mehrzahl der Fälle erlaubt auf die zeitraubende 
Untersuchung der auf Endoplatten gewachsenen Kolonien zu verzichten. 


Wird die Ausnutzung des Nahrungseiweißes durch 
Saccharin beeinflußt? 


Von 
Professor R. O. Neumann. 


(Aus dem Hygienischen Staatsinstitut zu Hamburg. Direktor: Geh. Rat 
Prof. Dr. R. O. Neumann.) 


(Bei der Redaktion eingegangen am 17. September 1925.) 


In Band 92, Heft 8, dieser Zeitschrift (1924, S. 331) ist eine Arbeit von 
Privatdozent Dr. W. A. Uglow aus Petersburg „Über die Wirkung des 
Saccharins auf Bakterien, Plankton und Verdauungsfermente“ 
erschienen, in der er seine Studien über die bakterizide Wirkung des Sac- 
charins auf Bakterien und Schimmelpilze, auf kleine Krebschen (Cyclops 
quadricornis) ‘und auf Infusorien (Coleps hyrtus) niedergelegt hat. Außer- 
dem versuchte er die Wirkung auf diastatische Fermente, auf die Magen- 
saftverdauung und die biologische Wirkung auf die Wirksamkeit des Pan- 
kreassaftes aufzuklären. 

Die Ergebnisse, die zum Teil mit eigener neuer Methodik gewonnen 
wurden, weichen von den Befunden anderer Autoren in mancher Beziehung 
nicht unwesentlich ab. So ist z. B. für den Bakteriologen neu zu hören, daß 
die bakterizide Kraft des Saccharins diejenige des Phenols erheblich über- 
treffen soll, es wird auch davon gesprochen, daß eine Lösung von Saccharin 
1:500 innerhalb 40 Tagen die Sporen von Bacillus subtilis abtöte. Wir 
sind bei unseren gelegentlichen Untersuchungen!) über den Einfluß des 
Saccharins auf Bakterienwachstum zu dem Resultat gekommen, daß das 
Wachstum verschiedener sporenloser Bakterien, wie Micrococcus pyogenes 
aureus, Bacterium coli, Bacterium pyocyaneum, Bacterium vulgare und des 
Sporenträgers Bacillus mesentericus bis zu einer Konzentration von 3% 
noch nicht unterbunden wurde. Auch Hefe war noch nicht geschädigt. 

Was den Ernährungsphysiologen aber besonders interessieren mußte, 
ist die Schlußfolgerung des Verfassers aus seinen Untersuchungen über 
die Wirkung des Saccharins auf die Fermente und die Magensaftver- 
dauung. Er sagt (S. 342): „Wenn es gestattet wäre, von den Versuchs- 
bedingungen auf die Verhältnisse im Magen zu schließen, könnte die Be- 


1) R. O. Neumann, Zucker und Süßstoff als Nahrungsmittel und Gewürz 
Techn. Gemeindeblatt, Jahrg. 26, Nr. 17. 


Archiv für Hygiene. Bd. 96. 20 


266 Wird die Ausnutzung des NahrungseiweiBes durch Saccharin beeinflußt ? 


deutung der oben erwähnten Defizite für den Menschen so ausgedrückt 
werden: Nach Aufnahme von 100 g Eiweiß (so wertvoll heut- 
zutage) werden nur 85—87 g durch den Magen ausgenutzt — 
falls wir Saccharin gebrauchen, um den Geschmack der Spei- 
sen zu verbessern. Wird dies nicht zur Verhungerung bei- 
tragen ? 


Seine Schlußfolgerungen basieren auf folgenden Feststellungen: Die 
Hemmung der Stärkehydrolyse betrug bei einer Saccharinverdünnung von 
1 : 1000 90%, bei 1 : 5000 16%, bei 1 : 10000 3%. Bei Verdauungsver- 
suchen von geronnenem Hühnereiweiß mit künstlichem und auch mit 
natürlichem vom Hunde entnommenen Magensaft ergab sich eine durch- 
schnittliche Hemmung von 38% bei einer Verdünnung des Saccharins 
1 : 1000, von 15% bei 1 : 5000, von 11% bei 1 : 10000. Die Mittelzahlen 
“ergaben aber kein ganz klares Bild, da die Einzelversuche unter sich ziemlich 
differieren. Vergleichsversuche mit Salicylsäure zeigten, daß Saccharin 
auffallenderweise stärker hemmte wie Salicylsáure. Krystallose (Saccha- 
rin Natrium) wirkte ähnlich wie Saccharin. Das Debat" betrug bei 
1 : 1000 34%, bei 1 : 5000 17%, bei 1 : 10000 13%. 


Unter der vom Verfasser gemachten Annahme, daß zum Versüßen der 
Speisen Saccharinlösungen von 1 : 10000 benutzt werden, würde also bei 
Saccharingenuß ein Ausnutzungsverlust von 13—415% eintreten. 


Es haben nun in jüngster Zeit auch andere Forscher sich mit diesen und 
ähnlichen Fragen beschäftigt 1)2)3) und sind zu wesentlich anderen Er- 
gebnissen gekommen als der Verfasser. Jedenfalls sind sie sich darin einig, 
daß die sekretorische und motorische Funktion des Verdauungsapparates — 
und dazu würde ja auch die Ausnutzung der Nahrung gehören — in keiner 
Weise geschädigt wird, jedenfalls niemals durch die Dosen, die für den prak- 
tischen Gebrauch in Frage kommen. Besonders weist Dobreff darauf hin, 
daß, wenn auch durch Saccharinzusatz zu einer Fermentlösung deren fer- 
mentative Kraft in Mitleidenschaft gezogen würde, eine Ernährungsstörung 
damit noch nicht erwiesen sei, denn diese könne nur durch den Stoffwechsel- 
versuch entschieden werden. 


Damit hat er zweifellos recht, denn es ist doch noch etwas anderes, ob 
man im Reagenzglas koaguliertes Eiweiß von künstlich zubereitetem 
Magensaft oder Hundemagensaft unter Zusatz von Saccharin verdauen 
läßt oder ob eine gemischte Nahrung im Verdauungstraktus vom mensch- 
lichen Organismus mit seinen komplizierten chemischen Einrichtungen ab- 
gebaut wird. Der Reagenzglasversuch kann nur unter Vorbehalt auf den 
natürlichen Vorgang im Menschen übertragen werden und gibt über den 
letzteren keinen sicheren Aufschluß. Es scheint mir daher die weittragende 
Frage, die Verfasser an seine Ermittelungen knüpft „Wird dies nicht 





1) Katsumi Haramaki: Über den Einfluß des Sıccharins auf einige 
Funktionen des Verdauungsapparates und der Nieren. Zeitschrift f. physikal. 
u. diátet. Therapie 1922, B t. 26, 
e ei K. Miyadera: Notiz über den Stoffwechsel bei groBen Saccharingaben. 
ber, da. 

3) Minko Dobreff: Uber den EinfluB chronischen Saccharingenusses auf 
die Magensaftbildung. Archiv f. Hygiene 1925, Bd. 95. 


r 


Von Prof. R. O. Neumann. 267 


zur Aushungerung führen ?‘ etwas sehr gewagt und auch überflüssig, 
denn dann würde man in den letzten 40 Jahren, wo Millionen von Menschen 
sich des Saccharins bedient haben und im Kriege bei der Zuckernot geradezu 
ein Experiment allergrößten Stiles über das Verhalten des Saccharins im 
Organismus gemacht wurde, wohl irgendwelche Beobachtungen gemacht 
haben, die seine Besorgnis hätten rechtfertigen können. Aber davon be- 
richtet die Literatur nichts. Es beweisen im Gegenteil die zahlreichen 
Untersuchungen am Menschen mit kleinen und großen Dosen z. T. in lang- 
dauernden Versuchen die absolute Unschädlichkeit dieses Gewürz- 
stoffes. Es würde zu weit führen, sie hier alle zu reproduzieren. Ich er- 
innere nur an folgende Tatsachen: Jessen gab 0,1—0,2g pro Tag dreiMonate 
lang, Jaworski einer siebenköpfigen Familie sechs Monate lang Saccharin. 
Hirschfeld nahm selbst 30 Tage lang Mengen von 0,1—2 g, und Debrun- 
ner und Frosch teilen mit, daß bei 30 Kindern von 1—10 Jahren 12 bis 
16 Wochen lang aller Zucker durch Saccharin ersetzt worden sei. Von 
Stadelmann wurden innerhalb 43 Tagen täglich 3—5 g verabreicht. 
Nirgendwo zeigten sich Unregelmäßigkeiten. 


Den vollen Beweis der Unschädlichkeit ergeben aber erst die Ver- 
suche mit großen Dosen. Nach Petschek und Zerner.erhielt eine große 
Anzahl von Leuten 8—10 Wochen lang 5—10 g pro Tag; auch Diabetiker, 
also Kranke vertrugen nach C. Paul Mengen von 5 g 5 Monate lang. Den 
interessantesten Fall teilte aber Jaworski mit, bei dem einem 29jährigen 
Manne am 1. Tage früh 15 g, nachmittags 20 g, am 2. Tage früh 25 und nach- 
mittags 30 g, am 3. Tage zweimal 30 g, am 6. und 7. Tage wiederum zwei- 
mal 30 g, am 8. Tage 2 mal 50 g und an einigen weiteren Tagen bald 50, 
bald 100 g auf einmal gegeben wurden. Die Person verbrauchte innerhalb 
9 Tagen 520 g Saccharin, d.i. eine Menge, die als süßes Gewürz etwa 4—5 
Jahre ausgereicht haben würde! Die einzige Reaktion waren nach der- 
artig großen Mengen diarrhöische Stühle. Spezielle Nachforschungen 
haben auch ergeben, daß weder die Sinneswerkzeuge, noch das Nerven- 
system, noch die Kreislauforgane, noch die Atem- und Harnorgane Schaden 
leiden, selbst wenn mehr als 50 g Saccharin zur Wirkung gelangen. 


Wenn demgegenüber auch einzelne Stimmen laut geworden sind, die 
dem Saccharin Nachteiliges nachsagen, so ist das nichts Auffallendes, denn 
wir wissen, daß bei empfindlichen Menschen auch ganz andere harmlose 
Stoffe, wie Erdbeeren, Krebse, Käse, Medikamente oder Gewürze und 
therapeutische Stoffe, wie Heilserum, Chloroform irgendwelche Sensationen 
- auslösen können. Solche Fälle können aber dem Urteil über die Unschäd- 
lichkeit des Saccharins keinen Abbruch tun. 


Um nun aber auf die Frage des Ausnutzungsverlustes nach Saccharin- 
gaben, wie ihn der Verfasser berechnet, zurückzukommen, so gewannen 
seine Angaben insofern ein besonderes Interesse für mich, als ich bereits 
im Jahre 1900 an mir selbst Stoffwechselversuche!) über die Wirkung des 
Saccharins auf den Stickstoffumsatz angestellt habe, mit dem Ergebnis, 
daß die Stickstoffbilanz unter dem Einfluß von Saccharin keineÄnderung 


— e 





1) R.O. Neumann: Die Wirkung des Saccharins auf den Stickstoffumsatz 
beim Menschen. Münchn. Med. Wocn. 1901, Nr. 26. S. 1061. 
20* 


268 Wird die Ausnutzung des Nahrungseiweißes durch Saccharin beeinflußt ? 


erfuhr und ein Ausnutzungsverlust nicht zu verzeichnen war. 
Auch Jessen!) hatte schon vorher bei einem Ausnutzungsversuch mit 
Milch mit einer täglichen Zugabe von 1 g Saccharin keine Verschlechterung 
der Ausnutzung gefunden. 

Mein Stoffwechselversuch erstreckte sich damals über 30 Tage. Ich 
nahm zuerst 6 Saccharin-natrium-Pastillen (jede Pastille enthielt 0,0175 g 
Saccharin), dann 10, 15, 20, 50 pro Tag, später 1g, 2g,3g, und zuletzt 
2 Tage lang 3,5 g reines Saccharin. Bei einer angenommenen Süßigkeit 
von 1 g Saccharin = 450 Zucker würden die am Ende des Versuches 
aufgenommenen Mengen mehr als 1 kg Zucker an Süßkraft entsprochen 
haben. 

Wenn diese doch recht erheblichen Saccharingaben von 1, 2 oder 3 g, 
die die zum Versüßen übliche Menge von Saccharin (man braucht für eine 
große Tasse Kaffee oder Tee von 300 ccm etwa 0,0045 g Saccharin) um das 
800—1000fache übertreffen, keine Verluste in der Ausnutzung gezeitigt 
haben, so ist es schwer zu glauben, daß die Berechnungen aus den Ferment- 
wirkungsversuchen, von denen der Verfasser auf die Ausnutzung schließt, 
der Wirklichkeit entsprechen. Ich hätte auch davon Abstand genommen, 
mich noch einmal mit der Frage zu beschäftigen, wenn ich nicht gern hätte 
wissen wollen, bis zu welchen Gaben der Organismus Saccharin 
täglich aufnehmen kann, ohne daß eine experimentell fest- 
stellbare Beeinflussung der Ausnutzung erfolgte. 

Es hat zwar K. Miyadera?) Stoffwechseluntersuchungen mit sehr 
großen Dosen (0,4 g Saccharin pro kg Körpergewicht, während in meinem 
ersten Versuch nur 0,001—0,05 g pro kg gegeben wurden) ausgeführt, aber 
seine Versuche sind an Hunden angestellt und können deshalb nicht als 
absolut maßgebend für den Menschen angesehen werden. Die Ergebnisse 
lauteten dahin, „daß auch durch solche exorbitanten Saccharin- 
gaben die Stickstoffbilanz nicht verändert würde.“ 

Um meinen Zweck zu erreichen, mußte ich mit den täglichen Saccha- 
rinmengen über die früher gegebenen Mengen von 1—3,5 g noch hinausgehen, 
da bei 3,5 g keine Bilanzänderung eingetreten war. Ich habe daher noch- 
mals nach einer Stägigen Vorperiode mit 2 g begonnen, darauf A Tage 3 gr, 
alsdann A Tage lang 4 g und endlich A Tage lang 5 greines Saccharin (Ben- 
zoesäuresulfinid) zu mir genommen. Den Versuch schloß eine 3tägige Nach- 
periode ab. 

Das Saccharin führte ich mir in Gelatinekapseln zu 0,25 g zu, und zwar 
so, daß die Gesamtmenge in der Zeit von früh 7 bis abends 7 Uhr in gleichen . 
Zwischenräumen verbraucht wurde. Früh 7 Uhr begann nach Entleerung 
des Kotes und des Urins und nach erfolgter Feststellung des Körpergewichts 
der Versuchstag. Abends 7 Uhr wurde er mit Einnahme des letzten Nah- 
rungsanteils beendet. 

Die Nahrung war sehr einfach zusammengesetzt. Sie bestand nur aus 
700g Graubrot ohne Rinde, aus 100 g ausgelassenem Schweine- 
fett, aus 15 g Plasmon und einer etwa gleichbleibenden Menge Wasser, 


AM Friedrich Jessen: Zur Wirkung des Saccharins. Archiv f. Hygiene 
1890, Bd. 10, S. 64. 
2) K. Miyadera, l.c. 


Von Prof. R. O. Neumann. 269 


die mir rund 1000—1200 g Urin garantierte. Diese Kost hatte den Vorzug, 
daß sie analytisch leicht faßbar, und daß ich vor dem geplanten Saccharin- 
versuch bereits längere Zeit, um andere Ernährungsfragen zu studieren, 
auf sie eingestellt war. Es bot also keine Schwierigkeiten, mit ihr ins Stick- 
stoffgleichgewicht zu kommen. Die Kalorienmenge war dem Körper zu- 
stande und meiner Tätigkeit angepaßt und betrug 2609 Kalorien. Während 
die Kohlehydrate einer mittleren Menge von 375 g entsprachen, war das 
Eiweiß in der Nahrung mit nur 48 g relativ gering gemessen. Es wurde 
jedoch durch 104 g Fett kalorisch kompensiert. 


Der Grund für die niedrige Eiweißmenge lag im voraufgegangenen 
Versuch, in dem ich sie notwendig brauchte, sie kam mir aber auch hier 
sehr gelegen, da bekanntlich bei Einstellung des Körpers auf einen so 
reduzierten N-Gehalt Substanzen, die geeignet sind, die Ausnutzung zu 
beeinflussen — wie es vom Verfaser für Saccharin behauptet wird —, sich 
umso nachhaltiger bemerkbar machen. 


Die Tätigkeit während des Versuchs bestand in der gewohnten Labo: 
ratoriumsarbeit. Alkohol, Tee, Kaffee wurden vermieden. 


Die Brotversorgung war folgendermaßen geregelt: Zur Herstellung 
des Brotes diente eine bestimmte Sorte Mehl, und zwar Roggenmehl, zu 
80%, ausgemahlen. Da die Tagesmenge an Brot ohne Rinde 700 g be- 
tragen sollte, die Rinde aber in dem Maße, wie ich sie entferne, ca. 26—30% 
des Brotgewichtes ausmacht, so mußte ich etwa mit 1000 g Frischbrot, d. h. 
für 21 Versuchstage mit 2141—22 kg (einschließlich der Mengen für die 
Analysen) rechnen. Ich ließ daher nacheinander 5 Brote à 4—41 kg an- 
fertigen. Nach dem Backprozeß lagerten sie in einem gleichmäßig tempe- 
rierten Raum erst 36 Stunden ab und kamen dann, nach Analysierung 
der Krume, zur Verwendung. Während des Versuches wurden die Brote in 
einer Blechschachtel, um das Austrocknen zu verhüten, aufbewahrt. 


Der Wassergehalt der Brotkrume betrug in %: 


I. Brot ...... 38,3 
Mo ay se 39,5 
TL. creac 40,4 im Mittel 39,4 
IV; ` a Sumate 40,0 
Me g Sei 39,0 
An Eiweiß ergab sich: 
I. Brot ...... 5,22 
H ge dias 5,36 
HE, = oeren 5,50 im Mittel 5,37 
IVe des as 5,43 
Va. e era 5,37 


Vom Fettgehalt und den Kohlehydraten ist der ermittelte Durch- 
schnittswert (für Fett 0,65%, für die Kohlehydrate 53,58%) eingesetzt 
worden. 

Plasmon enthielt nach eigener Analyse: Eiweiß 72,3%, = 11,57% N 
(Faktor 6,25), Fett 1,8%, Kohlehydrate 3,72%, Asche 7,90%, Wasser 
13,15%. 


970 Wird die Ausnutzung des Nahrungseiweißes durch Saccharin beeinflußt ? 


Im Saccharin (Benzo&säuresulfinid) ergab die Stickstoffbestimmung 
nach Kjeldahl 7,56%, N. Der Stickstoffgehalt für 2 g Saccharin betrug 
also (auf die zweite Dezimale abgerundet) 0,15, für 3 g 0,23, für 4 g 0,3, 
für 5 g 0,38. 

Die Verteilung der Brote gestaltete sich so, daß das Brot I für die Vor- 
periode, Brot II für die Saccharingaben von 2 und 3 g, Brot III für die Sac- 
charingaben von 4 g, Brot IV für die Saccharingaben von 5 g und Brot V 
für die Nachperiode verbraucht wurde. 


Die Gesamteinnahme für die Vorperiode ohne Saccharin stellte 


sich demnach (mit Brot I) auf: 
een DCH 





















Kohle- 


hydrate Asche | Kalorien 


Nahrungsmittel 


Menge ¡Wasser | Eiweiß 
















Graubrot 

ohne Rinde . 5,88 4,55 | 375,0 
Fett. ! — 100,0 
Plasmon 1,74 0,27 


7,62 | 104,82! 375,6 


In der II. Periode (Brot II) betrug die Eiweißmenge 48,37 = 7,76 N. 
Dazu 0,15 N aus 2 g Saccharin = 7,91 Gesamt-N. In der II. Periode (Brot II) 
betrug die Eiweißmerge 48,37 = 7,76 N. Dazu 0,23 N aus 3 g Saccharin = 
7.99 Gesamt-N. In der III. Periode (Brot 111) betrug die Eiweißmenge 49,35 
= 7,90 N. Dazu 0,3 N aus 4 g Saccharin = 8,20 Gesamt-N. In der IV. Periode 
(Brot IV) betrug die Eiweißmenge 48,86 = 7,83 N. Dazu 0,38 N aus 5g 
Saccharin = 8,21 Gesamt-N. In der V. Periode (Brot V) betrug die Eiweiß- 
menge 48,44 = 7,76 N. Nachperiode ohne Saccharin. 


Der gesamte Versuch ist mit seinen Einnahmen und Ausgaben in der 
Tabelle auf Seite 272 und 273 übersichtlich zusammengestellt. 


Wenn wir zunächst die Einnahmen ins Auge fassen, so ist dabei 
zu bemerken, daß die gewählte Nahrung von 700 g Brot, 100 g Fett und 
15 g Plasmon, entsprechend 47,39 g Eiweiß = 7,62 N, 104 g Fett und 375 g 
Kohlehydrate vollauf genügt hat, den Körper sowohl auf seinem Gewichts- 
zustande, als auch auf seinem Stickstoffgleichgewicht zu erhalten. 
Das Körpergewicht hat sich sogar noch von 72,4 kg auf 72,8 kg erhöht. 
Die Stickstoffbilanz betrug in der Vorperiode —0,11, in der Nachperiode 
+-0,25, ist also keinesfalls vermindert worden. 


Aus diesen Tatsachen geht vor allem hervor, daß das Saccharin weder 
in seiner gewaltigen Gesamtdosis — innerhalb von 13 Versuchstagen 
wurden 50,0 g reines Saccharin genommen — noch in den hohen Einzeldosen 
von 3, 4 und 5 g einen nachhaltigen Einfluß auf den Organismus ausgeübt 
hat. Der Gesundheitszustand während des 21tágigen Versuches war dau- 
ernd gut. Irgendwelche Erscheinungen von seiten des Magens, Darmes 
oder Nervensystems, die das Wohlbefinden hätten beeinflussen können, 
sind nicht aufgetreten. Die Substanz hat harmlos den Organismus durch- 
laufen, ohne daß ein Gefühl des Unbehagens aufgetreten wäre. 

Inwieweit die großen Mengen des Saccharins den physiologischen 
Gang der Verdauung und die Ausnutzung der Nahrung beeinflußt haben, 
ergibt sich aus der Zusammenstellung der „Ausgaben“. 


Von Prof. R. O. Neumann. 271 


Der Stoffwechselversuch ist ohne jede Störung verlaufen. Abgesehen 
von den täglichen kleinen normalen Schwankungen in der Harn- und Kot- 
abgabe sind Veränderungen, die etwa in der Methodik oder in dem Orga- 
nismus der Versuchsperson hätten begründet sein können, nicht aufge- 
treten. Daher können die Ausschläge in der einen oder anderen Richtung 
nur auf das Untersuchungsmaterial bezogen werden. 


Der wichtigste Faktor, der uns den Einfluß irgendeiner eingeführten 
' Substanz anzeigt, ist die tägliche Stickstoffbilanz, d. h. die Differenz 
der täglichen Ein- und Ausfuhr an N. Sie schwankt naturgemäß in engen 
Grenzen, da sie abhängig ist von der Menge des ausgeschiedenen Harnes und 
des Kotes. So betragen die Differenzen z. B. in der Vorperiode —0,15, 
—+-0,20, — 0,06, — 0,2, +0,1. Die Summe der täglichen Minus- und Plus- 
bilanzen ist hier —0,11, welches gleichzeitig die N-Bilanz der ganzen Pe- 
riode angibt. Eine Minusbilanz von —0,11 wird bei der Herstellung des N- 
Gleichgewichtes noch als ein sehr gutes Gleichgewicht angesehen, da es 
im Stoffwechselversuch rein von Zufällen abhängig ist, ob man wirklich 
+ oder — Null erreicht. Würde man die Bilanz aus dem Mittel der Gesamt- 
N-Einfuhr während der ganzen Periode (7,62) und aus dem Mittel der Ge- 
samt-N-Ausfuhr (7,64) ziehen, so wäre sie noch geringer als — 0,11 und be- 
trüge nur 0,02. Ich halte es aber für richtiger, die Summe aus den täg- 
lichen Bilanzen einzusetzen, als die Bilanz aus den Mitteln der Gesamt- 
Aus- und Einfuhr. 

Die Menge des ausgeschiedenen frischen Kotes beträgt in der Vorperiode 
179 g, des bei 100° getrockneten 30,5 g, die Urinmenge 1235 g. Diese Zahlen 
sind als normal anzusehen, ebenso auch das Verhältnis des Kot-N zum 
Harn-N, das 21,08% entspricht. 

Bei der Berechnung der Ausnutzung der Nahrung ergibt sich ein Verlust 
von 17,45 %, sodaß das Eiweiß mit 82,55%, ausgenutzt wird. Da 
ich bei meinen früheren Untersuchungen über Plasmon!) eine Ausnutzung 
desselben von 84,72%, und bei Broten von 70—75%, Ausmahlung?) ca. 
80%, Ausnutzung gefunden hatte, so deckt sich auch die Ausnutzung des 
Nahrungseiweißes aus Plasmon plus Brot (1:3) mit den damaligen Befunden. 


Es war nun interessant zu verfolgen, wie die Saccharingaben wirken 
würden. Zunächst fügte ich der Kost 2 g, an den nächsten Tagen 3 g zu und 
schloß damit die erste Saccharinperiode ab. Wie die Tabelle zeigt, haben 
sich die Zahlen kaum verändert. Die Urinmenge blieb etwa dieselbe (Vor- 
periode 1235 g, II. Periode 1215 g), auch die Kotmenge weicht nur ünbe- 
deutend ab (179 g frisch, 30,5 g trocken) II. Periode: 185 g frisch, 31 g 
trocken). Der Harn-N und der Kot-N haben eine geringe Erhöhung er- 
fahren (Vorperiode: Harn-N 6,31, Kot-N 1,33 g; II. Periode: Harn-N 6,55 g, 
Kot-N 1,38 g). Die geringe Vermehrung findet aber ihre Erklärung ein- 
fach damit, daß auch die N-Zufuhr in der 2. Periode zugenommen hat (Vor- 


1) R. O. Neumann: Beitrag zur Frage der Resorption und Assimilation 
des Plasmons, im Vergleich zum Tropon, Soson und zur Nutrose. Archiv für 
Hygiene, Bd. 41. 

2) R. O, Neumann, Die im Kriege 1914—1918 verwendeten und zur 
Verwendung empfohlenen Brote, Brotersatz- und Brotstreckmittel. Berlin, 
Julius Springer, 1920. 


272 Wird die Ausnutzung des Nahrungseiweißes durch Saccharin beeinflußt ? 


Einnahmen. 
| | 


| | 
| Versuchs- TAFE- Gesamt- R Kohle- | Saccha- | Ka- Körper 
| tage Eiweiß N Fett hydrate| rin lorien | gewicht 

















I. 
Periode | | 





aD — 


Summe 
Mittel 
6 


1. | 1 


Periode | j 


10 
Summe [241,85 | 39,8 
7 





524,0 | 1880 | 14,0 | 13570 















Mittel | 48,37 ‚97 104.8 376 2.8 2714 
11 49,35 | 820 | 1048 | 376 | 40 2718 | 72,5 
HT. | 12 P 8,20 10458 376 4,0 2718 | 72,6 
Periode || 13 4935 | 820 | 104,8 376 4,0 2728 | 72,5 
| 14 4935 | 820 | 104,8 376 | 40 2718 | 72,55 
Summe [197,40 | 32,80 | 4192 | 1504 | 160 | 10872 
Mittel | 49,35 8,20 104,8 | 376 | 4,0 2718 
| 15 48,86 8,21 | 104,8 376 50 | 2716 | 72,6 
IV. 16 48,86 | 821 104,8 376 5,0 2716 | 72,65 
Periode | 17 | 48,86 | 104,8 | 376 5,0 2716 | 72,65 
18 48,86 104,8 2716 
Summe | 195,44 32,84 | 419,2 10864 
Mittel | 48,86 | 2716 














= 10 1844 1 7,76 1 104,8 | 376 2714 | 7275 
Paricda? 20 48,44 7,76 104,8 376 2714 12,1 
zl a 1844 776 1048 376 p 2714 | 728 





238 3144 = 
76 104,8 | 376 | 2714 | 


Summe [145,32 dee 
7 


Mittel | 18,44 


periode 7,62 g, 2. Periode 7,97 g). Es mufte demnach auch mehr aus- 
geschieden werden. Das Verháltnis des Kot-N zum Harn-N ist nicht ver- 
ändert (21,07%). 

Ob Saccharin einen Einfluß ausgeübt hat oder nicht, zeigt uns wieder 
die Bilanz und die Ausnutzung. Das Produkt der täglichen N-Bilanz be- 
trägt + 0,23. Es ist gegenüber der Vorperiode (—0,11) also keine Ver- 
schlechterung eingetreten, im Gegenteil sogar eine kleine Verbesserung, auf 
die aber kein Gewicht gelegt werden soll, jedenfalls nicht in dem Sinne, als 
ob die Saccharinzufuhr die Ausnutzung gehoben hätte. Auch die Aus- 
nutzung hat eine sehr geringe Verbesserung erfahren (82,69%, gegenüber 
82,55% in der Vorperiode). Hierfür gilt aber auch das eben Gesagte. 

Wir können aus den Ergebnissen dieser Periode folgern, 
daß bis zu einer Einnahme von 3 g Saccharin pro Tag kein 
Einfluß auf die Resorption und Ausnutzung der Nahrung 
bemerkbar ist. 














Von Prof. R. O. Neumann. 273 














Ausgaben. 
| ec? | | | Bilanz 
KO Kot Harn- | Harn-| Kot- | Gesamt- dé e , N D 
feucht | trocken | Bene N N | N N | Summe AUSRUFEUNG 
| A der Tages- 
pro die bilanzen 

























185 | 31,5 | 1160 | 6,36 | 1,41 | 7,77 | —0,15 9 E ENER 
160 | 29,6 | 1370 | 6,16 | 1,26 | 7,42 | +0,20 lust in der Kot- 
182 | 29,8 | 1240 | 6,30 | 1,38 | 7,68 | — 0,06 |)—0,11 ausfuhr 
165 | 30,2 | 1085 | 6,54 | 1,28 | 7,82 | —02 EE 
205 | 31,4 | 1320 | 6,18 | 1,34 | 7,52 0,1 | Kë ` 
897 | 152,5 | 6175 |31,54 | 6,67 | 38,21 | | 
179 | 30,5 | 1235 | 6,31 | 1,33 | 7,64 | — 0,02 

"| 195 | 29,5 | 1305 | 6,17 | 1,40 | 7,57 | +0,34 hen Ver 
175 | 31,1 |1106 | 6,75 | 1,39 814 | — 0.15 lust in der Kot- 
200 | 29,6 1200 | 6,45 | 1,36 7,81 + 0,18 |} 0,23 ausfuhr 
180 | 315 | 1145 | 6,89 | 1,47 | 8,36 | — 0,37 | ee 
175 | 313 | 1265 | 6,48 | 1,28 | 7,76 0,23 en 
















| 925 | 153,0 | 6075 | 32,74 | 6,90 | 39,6: 
185 | 31,0 1215 | 6.55 | 1,38 7,93 


> 

























































193 | 30,5 | 1280 | 6.55 | 1,46 | 8,01 17,56 °/, N-Ver- 
205 | 31,0 | 1225 | 6,68 | 1,68 | 836 | — 0,16 ota | lustin der Kot- 
175 | 30,6 | 1195 | 7,05 | 1,32 | 8,37 | — 0,17 [7 bechte? 
165 | 31,1 | 1260 |.6,61 | 1,31 | 7,92 | +0,28 Ausnützung 
728 | 123,2 | 4960 |26,89 | 5,77 | 32,66 | 
182 | 30,8 | 1240 | 6,72 | 144 | 8,16 | +0,04 
204 | 31,0 [1310 | 6,73 | 1,32 | 8,05 | +0,16 | 18,39 9/, N-Ver- 
195 31,4 1250 | 6,64 1,71 8,35 — 0,14 0.63 lust in der Kot- 
225 | 31,6 | 1320| 6,98 | 1,54 | 852 | — 0,31 SS dee 
188 30,9 1280 | 7,07 1,48 8,55 — 0,34 | Ausnützung 
812 11249 | 5160 127,42 | 6,05 | 33,47 
203 | 31,5 | 129 | 6,85 | 1.51 | 8,36 | — 0,15 | 
190 | 31,0 11270 | 6,60 | 1,28 |] 7,88 | — 0,12 117,39%% 2 
165 | 30,1 | 1210 | 6,13 145 | 7,58 | +0,18 Loss | Ee 
170 30,7 1285 6,25 1.32 1,07 + 0,1 9 | Ausnützung 
525 | 91,8 | 3765 18.98 | 4.05 | 23,03 
175 : 30,6 | 1255 | 6,32 | 1,35 | 7,67 | + 0,09 | 


In der folgenden Periode werden 4 Tage lang je 4 g Saccharin der Kost 
hinzugefügt. Die Urinmenge ist gleich der Vorperiode (3. Periode: 1240 g, 
Vorperiode: 1235 g). Auch in der Kotmenge ist fast kein Unterschied zu 
verzeichnen (Vorperiode: Kot frisch 179 g, Kot trocken 30,5 g. 3. Periode: 
Kot frisch 182 g, Kot trocken 30,8 g). Die im Harn und Kot ausgeschie- 
dene N-Menge ist wiederum etwas erhöht (2. Periode: Harn-N 6,55 g, 
Kot-N 1,38 g; 3. Periode: Harn-N 6,72 g, Kot-N 1,44 g), sie ist aber auch auf 
die erhöhte N-Einfuhr zurückzuführen. Bemerkt muß allerdings werden, 
daß sich das Verhältnis des Kot-N zum Harn-N ein wenig geändert hat. 
Bisher war es in der Vorperiode 21,08%, in der 2. Periode 21,07%, und in der 
3. Periode ist es 21,40%, d. h. im Kot ist relativ mehr N ausgeschieden wie 
in den vorhergehenden Perioden.| 

Worauf die vermehrte Ausscheidung zurückzuführen ist, liegt nicht 
ganz klar. Es wäre möglich, daß von den großen Saccharinmengen ein 
wenig mehr ım Kot direkt ausgeschieden worden wäre, ohne daß es zu einer 


274 Wird die Ausnutzung des Nahrungseiweißes durch Saccharin beeinflußt? 


Beeinflussung des Verdauungsmechanismus gekommen ist — und dafür 
würde das Produkt der Tagesbilanz sprechen, was noch mit +-0,14 über 
dem N-Gleichgewicht liegt, oder aber es liegt die Sache so, daß durch die 
Wirkung des Saccharins bereits die Resorption des Nahrungseiweißes in 
Mitleidenschaft gezogen worden ist. Dafür würde als Beweis die Ausnutzung 
angeführt werden können, die in dieser Periode gegenüber der 2. Periode 
eine geringe Verminderung erfahren hat (Vorperiode 82,55%, 2. Periode 
82,69%, 3. Periode 82,44%). Freilich ist die Herabsetzung der Ausnutzung 
von 82,55%, auf 82,44%, so minimal, daß sie für die Beurteilung der Sac- 
charinwirkung garnicht in die Wagschale fallen kann, weil sich die Differenz 
nicht einmal über tägliche Schwankungen erhebt. 

Wir werden daher den Ausfall der 3. Periode so deuten 
müssen, daß auch 4 g Saccharin pro Tag ohne sonderlichen 
Einfluß auf den Verdauungsapparat gewesen sind. 

Etwas mehr Beachtung verdient die 4. Periode, in der 4 Tage lang 
5 g pro Tag gereicht werden. Hier bemerkt man zunächst eine Mehrausfuhr 
von Kot (3. Periode: 182 g frisch, 30,8gtrocken, 4. Periode: 203 g frisch, 31,5 
trocken). Außerdem ist die Menge des im Harn und Kot ausgeschiedenen 
N gegenüber der 3. Periode und besonders der Vorperiode um ein gewisses 
Maß gestiegen (Vorperiode: Harn-N 6,31 g, Kot-N 1,33 g, 3. Periode: Harn- 
N 6,72 g, Kot-N 1,44 g; 4. Periode: Harn-N 6,85 g, Kot-N 1,51 g), wiewohl 
kaum mehr N eingeführt wurde als in der vorhergehenden Periode. Infolge- 
dessen ergab die Tagesbilanz an Stickstoff, berechnet aus der Summe der 
täglichen Ein- und Ausfuhr —0,63 g, während sie in der Vorperiode nur 
—0,11 g ausmachte. Auch die Bilanz aus den Tagesmitteln zeigt noch 
eine kleine Minusbilanz von —0,15, im Gegensatz zur Vorperiode mit 
—0,02. Ferner ist auch die Ausnutzung ein wenig gesunken. Der Verlust 
an N in der Kotausfuhr beträgt 18,39 %, so daß sich daraus eine Aus- 
nutzung des Eiweißes von 81,61%, ergibt, im Gegensatz zur 3. Periode mit 
82,44%, und zur Vorperiode mit 82,55%. 

Alle diese Zahlen, die über die Werte der vorausgehenden Periode oder 
der Vorperiode etwas hinausgehen bezw. gegen diese zurücktreten, sind 
nur klein und unerheblich und würden vielleicht bei einem beliebigen 
anderen Stoffwechselversuch kaum beachtet werden. Da der Versuch aber 
bisher ohne jede Störung verlaufen war und andere Einflüsse für die, wenn 
auch geringen Veränderungen in der 4. Periode nicht mitgespielt haben, 
so wird man in der Annahme nicht fehlgehen, daß das Saccharin 
die Wirkung ausgeübt hat und daß der Organismus bei 5 g 
pro Tag nicht mehr unbehelligt bleibt, wiewohl subjektiv 
keinerlei Anzeichen von Störungen beobachtet werden konn- 
ten. Die Nachperiode, die sich hieran anschloß, diente als Kontrolle. Das 
Saccharin wurde weggelassen und da nun dessen Einfluß ausgeschaltet 
war, mußten wieder ähnliche Zahlen wie in der Vorperiode zum Vorschein 
kommen. Die Kotmengen gingen wieder auf 175 g zurück (Vorperiode 
179 g) und auch das ausgeschiedene N im Harn und Kot stellte sich auf die 
früheren Zahlen ein (Vorperiode: Harn 6,31 g N, Kot 1,33 g, Nachperiode: 
Harn 6,32 g N, Kot 1,35 g). Die Bilanz der täglichen Ausscheidungen 
wurde wieder positiv mit +0,25 g und der Verlust an N im Kot betrug nur 


Von Prof. R. O. Neumann. 275 


noch 17,39%, im Gegensatz zur 4. Periode mit 18,39 %,, woraus eine Aus- 
nutzung von 82,61%, resultierte, ganz ähnlich, wie sie die Vorperiode auf- 
wies (82,55 Y). 


Schlußfolgerungen. 


Überblicken wir den ganzen Versuch noch einmal, so muß festgestellt 
werden, daß trotz der Einnahme der außerordentlich großen Mengen Sac- 
charin, die mindestens das 100fache von dem betragen, was man pro Tag 
zur Versüßung der Speisen gebrauchen würde, der Versuch für den Or- 
ganismus sehr harmlos verlaufen ist. Bis zu3greinem Saccharin 
pro Tag war experimentell überhaupt keine Wirkung nach- 
zuweisen, ein Resultat, das mit den Ergebnissen meiner früheren Ver- 
suche durchaus übereinstimmt. Auch bei Gaben von 4 g pro Tag war noch 
nicht mit Sicherheit anzugeben, ob das Saccharin einen Einfluß ausübte. 
Es wurde zwar konstatiert, daß die Ausnutzung des Nahrungseiweißes um 
0,11% gegenüber der Vorperiode herabgesetzt war, der Ausschlag ist aber 
so winzig, daß ihm eine Bedeutung kaum zukommt. Erst bei einer Zufuhr 
von 5 g zeigen sich Veränderungen, die man wohl auf die Einwirkung des 
Saccharins wird zurückführen müssen. Sie sind aber auch nicht erheblich. 
Die Stickstoffbilanz ist zwar negativ, sie beträgt aber nur —0,63 g, also 
nur 0,52 g weniger als in der Vorperiode. Auch die Ausnutzung ist etwas 
geringer als in der Vorperiode. Die Differenz ist jedoch auch nur recht 
klein. Vergleicht man sie mit der Vorperiode (82,55), so beträgt sie nur 
0,06%, mit der Nachperiode (82,61) verglichen, stellt sie sich auf 1%, und 
gegenüber der 4. Periode (82,44) beträgt die Differenz 0,83%, das ist im 
Mittel 0,63%. Eine Verminderung der Ausnutzung um 1249, spielt in der 
Praxis aber überhaupt keine Rolle. 

Wenn man aber nun sieht, daß es erst einer so gewaltigen Menge wie 
5 g Sacharin bedarf, um überhaupt eine nachweisbare Wirkung zu erzielen, 
die nebenbei noch gering genug ist, so hält es schwer, die Schlüsse, die 
Uglow aus seinen Ferment- und Magensaftverdauungsversuchen 
zieht, als begründet anzusehen. Nach seinen oben bereits angedeudeten 
Berechnungen sollten Saccharingaben, wie sie genommen werden, „um den 
Geschmack zu verbessern‘ (also zweifellos nur sehr geringe Mengen) im 
menschlichen Organismus so wirken, daß das Eiweiß nur zu 85—87% aus- 
genützt würde. Wenn das richtig wäre, so hätten in unserem Versuch, in 
dem die Ausnutzung der Nahrung ohne Saccharin 82,55%, betrug, solche 
allerkleinsten Mengen die Ausnutzung schon auf 71,82% herabdrücken müs- 
sen. Das hat aber nicht einmal eine 100mal so große Menge zu bewirken 
vermocht, sondern die Ausnutzung ist höchstens auf 0,5%, vermindert wor- 
den. Dain der Praxis derartige hohe Dosen niemals Verwen- 
dung finden, so kann von irgendeiner Beeinflussung des Stoff- 
wechsels oder der Verdauung bei normalen Saccharingaben 
gar keine Rede sein. 

Uglow hat sich dann noch weiter in seiner Arbeit dahin geäußert, daß 
das Saccharin wie die Salizylsáure die Nieren reize. Dasselbe ersche man 
heutzutage aus alltäglichen Beobachtungen“. Ich weiß nicht, auf welche 
Unterlagen sich der Autor stützt. Aus der Literatur ist mir von Nieren- 


276 Wird die Ausnutzung des Nahrungseiweißes durch Saccharin beeinfluBt ? 


reizungen nichts bekannt geworden und ich selbst habe auch in dem Versuch 
subjektiv nichts davon bemerkt. 

Endlich wirft Uglow am Schlusse seiner Arbeit auch noch die Frage 
der Schädlichkeit des Saccharins auf und wünscht, daß dasselbe im 
freien Handel verboten würde und nur noch i in den Apotheken abgegeben 
werden dürfe. 

Hierzu kann ich nur folgendes a: Mir ist vollkommen unver- 
ständlich, wie man nach Kenntnis der Saccharinliteratur und nach den tau- 
sendfältigen Beobachtungen in der Praxis diese Frage überhaupt wieder zu 
erörtern sich gemüßigt fühlt. Schon vor 25 Jahren hat K. B. Lehmann?) 
auf Grund seiner eingehenden Studien ausgesprochen, daß ‚sich nicht 
leicht irgendein Genußmittel oder Gewürz wird auch nur annähernd mit 
dem Saccharin an absoluter Unschädlichkeit messen können“. Seit 
dieser Zeit sind zahllose weitere Untersuchungen und mühevolle experi- 
mentelle Versuche über diese Frage ausgeführt. Millionen von Menschen 
haben besonders während der Kriegszeit Saccharin zu sich genommen und 
nehmen es noch, in allen möglichen Nahrungsmittelbetrieben und im Haus- 
halt wird dauernd Saccharin als Süßgewürz gebraucht und niemals hat man 
über Schaden an der Gesundheit klagen hören. Besonders muß aber doch 
dem Mediziner, wenn er ein objektiver Beobachter ist, nicht unbekannt 
geblieben sein, daß schon seit Jahrzehnten unzählige Diabetiker an Stelle 
des Zuckers auch Saccharin zu sich nehmen, ohne daß sie Schädigungen 
erleiden, obwohl ihr Organismus schon geschwächt ist. 

Mag auch das Saccharin in irgendeiner geringen Konzentration eine 
Amöbe oder ein Infusorium abtöten, für den praktischen Hygieniker ent- 
scheidet das der Praxis angepaßte Experiment und die praktische Er- 
fahrung. Und beides spricht unbedingt zugunsten des Saccharins. Wir 
begrüßen daher die Tatsache, daß in Deutschland für jedermann das 
Saccharin zugänglich ist und sehen nicht den mindesten Grund dafür, daß 
in dieser Beziehung eine Änderung eintritt. Jedenfalls ist es die allerhöchste 
Zeit, daß das Märchen von der Schädlichkeit des Saccharins endlich zu 
Grabe getragen wird. 





1) K. B. Lehmann, Zur Saccharinfrage. Archiv für Hygiene, Bd. 10, 
1890, S. 81. 


Untersuchungen über Lysozymwirkungen im Tierkörper. 


Von 
Dr. Shinnosuke Kimura. 


Aus dem hygienischen Institut der deutschen Universität in Prag, Vorstand 
Prof. Oskar Bail. 


(Bei der Redaktion eingegangen am 16. Oktober 1925.) 


Die Versuche A. Flemmings (Proc. of the Royal Soc. Biol. Sciences 
Vol. 93, 1922), hatten die Tatsache kennen gelernt, daß in menschlichen 
Tränen, aber auch sonst im Körper, ferner weit verbreitet in der Welt 
der Lebewesen, in Hühnereiweiß. Pflanzensäften und ä. Wirkungen auf- 
zufinden seien, die mit einer unerhörten Stärke Bakterien zur Auflösung 
bringen. Es war ihm dabei entgangen, daß diese, die er auf das Vorhanden- 
sein eigener Stoffe, der Lysozyme zurückführte, bereits früher durch 
Weil (Arch. f. Hyg. Bd. 74, S. 303) und Suzuki (ebenda S. 345) bei 
Leukozytenversuchen aufgefunden, jedoch auf die bakteriziden Leuko- 
zytenstoffe bezogen worden waren. Das auffallendste der in jeder Hinsicht 
merkwürdigen Lysozyme ist, daB sie sich keineswegs gegen alle, sondern 
nur gegen bestimmte Bakterien richten, namentlich solche, die in der Luft 
häufig zu finden sind. Hier lassen sich ohne besondere Mühe Kokken, 
Sarzinen, Stäbchen auffinden, die leicht erliegen, ohne daß aber deswegen 
jeder Luftkeim oder jeder Saprophyt empfindlich sein müßte. Im Gegen- 
teil ist die Zahl der so zu findenden Bakterienarten viel größer, die durch 
Lysozyme nicht angegriffen werden und von pathogenen Bakterien ist 
bisher keine unempfindliche Art angetroffen worden. Auch in der Empfind- 
lichkeit gibt es Unterschiede, und Bakterien von so großer Labilität wie der 
Micrococcus lysodeicticus von Flemming und das weiter unten benützte 
Stäbchen scheinen nicht häufig zu sein. 


Nakamura (Zeitschr. f. Immun. Bd. 38, S. 425) konnte die Angaben 
Flemmings in den wesentlichen Punkten durchaus bestätigen. Die vor- 
Jäufig als Stoffe betrachteten Lysozyme sind in hohem Grade hitzebeständig, 
werden aber durch Kochen schließlich zerstört. Sie passieren Berkefeld- 
filter, wirken sowohl auf tote wie lebende Bakterien auflösend, werden 
darin aber durch höhere Konzentrationen von Kochsalz, Desinfizientien, 
sowie freie Säure oder Alkali gehemmt. Von Interesse ist die Beobachtung 


278 Untersuchungen über Lysozymwirkungen im Tierkórper. 


Nakamuras, daß in Lysozymbakterienmischungen, die durch freie Säure 
gehemmt sind, nach Zusatz von überschüssigem Alkali eine augenblick- 
liche Lösung der Bakterien eintritt. 

Wie bereits einleitend mitgeteilt wurde, hat Flemming die Lysozyme 
weitverbreitet im Tierkörper aufgefunden. Diese Feststellung sollte zuerst 
erweitert werden, da das Auffinden eines neuen, überaus für Lysozym- 
wirkungen empfindlichen Mikroorganismus dazu eine günstige Gelegen- 
heit bot. Zumeist haben sich bisher Kokken oder Luftsarzinen als empfind- 
lich erwiesen und wurden meist benützt. Weil und Suzuki fanden so- 
wohl Stäbchen als Kugelbakterien, die aus Luft und Wasser gezüchtet 
waren, empfindlich; am besten eigneten sich einige Sarzinen. 

Flemming benützte seinen Mikrococcus lysodeicticus, fand aber unter 
der von ihm geprüften großen Zahl von Bakterien auch empfindliche 
Stäbchen Nakamuras Versuchsobjekt, der Stamm 9, war ein großer, 
gramnegativer Diplokokkus, der orangeroten Farbstoff bildete. 


Der von Prof. Bail gefundene und zur Verfügung gestellte Organis- 
mus stammt aus der Zimmerluft und stellt ein kurzes, plumpes, gram- 
positives Stäbchen dar, mit recht ausgesprochen pleomorphen Neigungen, 
die jedoch nie soweit gehen, daß seine Stäbchennatur zweifelhaft würde. 
Öfter bildet er kurze Ketten, auch Scheinfäden. Er wächst auf Agar als 
weißgrauer, zunächst feuchter Belag, der später trockener und so fest 
zusammenhängend : wird, daß er schwer gleichmäßig in Flüssigkeiten zu 
verteilen ist. Damit geht die Bildung von Sporen einher. Das Wachstum 
in flüssigen Nährböden ist trübend, erreicht aber im Vergleich mit der guten 
Entwicklung auf Agar nur eine geringe Mächtigkeit. 

Die Wirkung von Lysozymen auf diesen, vorläufig einfach als Z, 
bezeichneten Organismus ist eine erstaunliche. Das meist zur Prüfung ver- 
wendete Iysozymhaltige Hühnereiweiß vermag dicht trübe Aufschwemmun- 
gen, denen es im Verhältnis 1:1000 und darüber zugesetzt wird, binnen 
etwa Y,h vollständig zu klären, wobei es nicht viel ausmacht, ob der 
Versuch bei 37% Z.T. oder 43° stattfindet. Die mikroskopischen Verände- 
rungen der Bakterien lassen sich dabei recht gut beobachten und bestehen 
zunächst in einer zunehmenden Aufquellung der Bakterien. Gleichzeitig 
läßt die Färbbarkeit (Karbolmethylenblau) nach, bis schließlich nur noch 
Schatten übrig bleiben, in denen zunächst noch feinste, färbbare Körnchen 
zu sehen sind. die aber schließlich mit dem sonstigen Bazillenrest völlig 
verschwinden. In einer vollständig geklärten Aufschwemmung bleibt 
nichts übrig, das mit dem gewöhnlichen Mikroskope, gefärbt oder un- 
gefärbt, zu sehen wäre. 

Dem Verschwinden der Bakterien entspricht das Ergebnis des Kultur- 
versuches, bei dem es oft vorkommt, daß man unmittelbar nach Ansetzen 
der Versuchsproben, also in der kurzen Zeit, die zur gleichmäßigenVerteilung 
der Keime und der Anlage der Kulturen erforderlich ist, eine auffallend 
geringe Keimzahl wiederfindet; selbst Sterilisierung kann in wenigen Augen- 
blicken eintreten. 

Einen Versuch über die Verteilung lysozymer Wirkungen im Meer- 
schweinchenorganismus bringt Tabelle 1. 


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d TE DU A D 


dé | ebe LAA AAA TRA ` GA FR 3 
Großes Meerschweinchen, dem 15 h vorher eine intraperitonale Einspritzung ` 
von steriler Fleischbrühe gemacht worden war, wird verblutet. Die Ausspúlung `  —  — | 
der Bauchhöhle liefert e Flüssigkeit, aus der sich durch Zentrifugieren reich- _ ¡E 
licher Satz, weit überwiegend polynuklárer Leukozyten gewinnen läßt. Sie werden ër, 
in 2 ccm, immer im Verhältnis 1:20 mit Brühe versetzter NaCl-Lósung wa , ZK 
nommen. Die Organe werden in kleinen Stücken entnommen, auf einem Draht- HR 
netz mit der gleichen a o zerrieben, die durchlaufende Flüssigkeit ES. 
zentrifugiert und der Satz, der an Mächtigkejt ungefähr dem Leukozytensatz 28 
entsprach, in 2 com aufgenommen. Ebenso wurde Gallenblase (nach Entleerung ER 
der Galle) Netz, Hirn, Muskel und das Knochenmark eines Oberschenkels be- AS 
handelt. Die röhrenförmigen Organe wurden in der erhältlichen Länge, für Dúnn- Kl. 
darm und Rectum in der von etwa 4—5 cem, für Magen und Coccum in ungefähr = 
entsprechender Stärke abgebunden, aufgeschnitten, wiederholt mit steriler Tr 
NaCl-Lösung unter kräftigem Strahle abgespült und die Schleimhaut mit Skal- Ee" 
pell abgeschabt. Das erhaltene Material (bei Trachea und Oesophagus sehr ge- We 
ring) wurde nach Verreibung in der Reibschale ebenfalls in 2 ccm Brúhekochsalz- 
lösung verteilt. Jede Probe wurde dann in 2 Teile zu je 1 ccm geteilt. Die eine 
erhielt zur mikroskopischen Untersuchung eine so reichliche Einsaat von Z,, 
daß im Präparate zahlreiche Bakterien zu finden waren, die andere erhielt eine 
geringe Einsaat und diente zur kulturellen Untersuchung. Für beide wurde 1 Öse j 
sofort nach der Einsaat und in verschiedenen Zeiten des Aufenthaltes der Proben Wu: 
bei 37% entnommen. Die erste Reihe in jeder Kolumne gibt das Ergebnis der = 
mikroskopischen Untersuchung, wobei — keine, + Aufquellung.mit Verblassung, 
+ + stärkste Verblassung mit teilweiser Lösung, + + + vollständiges Verschwin- 
den der Bakterien bedeutet. Die zweite Reihe gibt die Anzahl der aus je 1 Öse Eb 
auf Agarplatten aufgegangenen Kolonien an. ` 





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Hühnerei- 
weiß 1:400 ER +++ Ion | +++ nn 0 
Fleisch- | 
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Es bedarf kaum der Erwáhnung, daf der hier ausfúbrlicher mitgeteilte 
Versuch über den Lysozymgehalt der verschiedenen Teile eines Tieres 





280 Untersuchungen úber Lysozymwirkungen im Tierkórper. 


mancherlei Einwendungen zuläßt. Die quantitativen Verhältnisse in den 
einzelnen Proben sind nur wenig vergleichbar. Das was an Zellenmateria” 
bei Trachea und Oesophagus gewonnen wurde, steht in gar keinem Ver- 
hältnisse zu dem der anderen Proben, was die Netzverreibung enthielt, 
war zum großen Teile Fett. Es wird überhaupt schwer sein, das richtige 
Quantitätsverhältnis bei den verschiedenen Organen kleiner Tiere heraus- 
zufinden. Daher kommt es wohl auch, daß in einem anderen Versuche 
eine deutliche Wirkung beim Netz und eine viel stärkere beim Knochen- 
mark gefunden wurde. Auch die Versuche mit einzelnen Darmabschnitten 
verliefen insofern nicht gleichmäßig, als in anderen Versuchen das Coccum 
etwas, hingegen das Rectum gar nicht wirkte. Auch die Wirkung der Leber 
trat öfters viel auffälliger hervor. 

Gleichwohl erlauben die angestellten Versuche mit Sicherheit den 
Schluß, daß lysozyme Wirkungen im Meerschweinchenorganismus weit, 
aber sehr ungleichmäßig verbreitet sind. Die stärksten treten auf bei 
Exsudatleukozyten, Milz und Knochenmark. Ebenso stark sind sie in 
der Schleimhaut des Dünndarms, dann folgen Magen, Lunge, Nieren, 
Leber. Nachweisbar, aber jedenfalls viel schwächer als in den oberen 
Darmabschnitten sind sie in den unteren. Nicht vorhanden sind sie in 
Nebenniere, Pankreas, Hoden, Muskel und Hirn; ebenso fehlen sie oder sind 
nur angedeutet im Blutserum, während die Flüssigkeit eines sterilen 
Peritoncalexudates sehr stark wirkt. Der Vergleich mikroskopischer und 
kultureller Ergebnisse spricht sofort dafür, daß dem ersteren eine viel 
größere Wichtigkeit als dem letzteren zukommt, mindestens für die hier 
anzuwendenden verhältnismäßig kurzen Beobachtungszeiten. Auch in 
der verdünnten Fleischbriihe findet ein langsames Absinken statt, ent- 
sprechend jedenfalls dem schlechten Wachstum, das der Bazillus in Flüssig- 
keiten überhaupt zeigt. Selbst mikroskopisch läßt sich feststellen, daß 
z. B. in NaCl-Lósung ein Verblassen einer Anzahl von Bakterien statt- 
findet, das freilich mit Iysozymer Wirkung nicht verwechselt werden kann. 
Gleichwohl ist zu erkennen, daß dort, wo Lysozyme zur Geltung Kommen, 
auch die angelegten Kulturen steril werden, wo sie sich nicht verraten, 
auch noch lebende Bakterien übrig bleiben. Nur gilt dies nicht ohne Aus- 
nahme. So ist z. B. im Versuche in Serum und Pankreas bestimmt keine, 
im Netz nur geringe Auflösung festzustelllen gewesen und gleichwohl 
deuten die Kulturen auf starke Abtötung hin. Es muß hier also eine andere 
Bakterizidie als die der reinen, z. B. im Hühnereiweiß 1:400 enthaltenen 
Lysozyme in Frage kommen. 

Am überraschendsten war das immer eintretende Versagen der Galle, 
welches genauer verfolgt wurde. Denn gerade dieses Sekret hat für die 
Infektionsforschung schon mehrfach Bedeutung erlangt, allerdings ohne 
daß noch recht einzusehen ist, wohin dieselbe einzuordnen wäre. Es sei 
hingewiesen auf das Verhalten von Galle und Gallenblase zur Typhus- 
infektion des Menschen, auf die eigentümlich elektive Gallenwirkung 
gegen Pneumokokken, die unerklärte Wirkung derselben auf das Virus 
und die Immunität der Rinderpest und nicht zuletzt auf die Beobachtungen 
Bosredkas u. a. über die begünstigende Wirkung der Gallenzufuhr bei 
experimentellen Darminfektionen. Im gegebenen Falle mußte besonders 





Von Dr. Shinnosuke Kimura. 





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Archiv für Hygiene. 


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Bd. 96. 


282 - Untersuchungen úber Lysozymwirkungen im Tierkórper. 


das abweichende Verhalten der Galle mit fehlender und der Diinndarm 
schleimhaut mit stárkster Lysozymwirkung Aufmerksamkeit erwecken. 

Die Untersuchung ergab sofort, daß außer der Galle von Meerschwein- 
chen auch die von Kaninchen, Rind und Schwein keinerlei Lysozymwirkung 
ausübte. Letztere beide Gallearten, die leicht in beliebiger Menge zu er- 
halten sind, dienten zu weiteren Versuchen, bei denen sich sofort heraus- 
stellte, daß beide imstande sınd, Lysozyme vollständig und bis zu ansehn- 
licher Verdünnung herab, zu hemmen. 

Die hier angewendete Hühnereiweißverdünnung ist als sehr gering 
zu bezeichnen, da noch eine solche von 1:10000 sehr merkbar auflösende 
Wirkungen besitzt. Dennoch wird sie sowohl durch Schweine, wie durch 
Rindergalle vollständig gehemmt, wobei die erstere noch eine Verdünnung 
von 1:4 bis 1:9, die letztere nur eine solche von 1:1 bis 1:2 verträgt. 
Für eine genaue Berechnung müßten die Verdünnungsangaben verdoppelt 
werden, da gleiche Teile von Galle und Lysozymverdünnung gemischt wur- 
den. Die Ergebnisse der mikroskopischen und der kulturellen Untersuchung 
stimmen vollständig überein, wobei, wie immer, zu bedenken ist, daß es sich 
bei Bazillus Z, nur um ein Halten, nicht aber um eine Vermehrung in der 
Versuchszeit handelt. Es sei auch darauf hingewiesen, daß Meerschwein- 
chenserum, obwohl ebenso lysozymfrei wie die Gallen, die Wirkung des 
Hühnereiweißlysozyms nicht behindert. 

Erhitzung verändert die antilysozyme Gallenwirkung nicht, selbst. 
wenn sie längere Zeit im kochenden Wasserbade erfolgt. (Tabelle III.) 

Die Behinderung der Lysozymwirkung durch die Galle muß als eine 
direkte bezeichnet werden. Es ist ganz gleichgültig, ob man Lysozym und 
Galle vor der Bazilleneinsaat erst aufeinander einwirken läßt oder nicht. 
(Tabelle IV.) 

Eine noch vollständig ungelóste Frage ist es, ob die lysozymatischen 
Wirkungen, die nicht nur im Körper so vieler verschiedener, wahrschein- 
lich aller tierischen Lebewesen verbreitet sind, sondern durch Flemming 
auch bei Pflanzen gefunden werden, einheitlich sind oder nicht. 

Da die Lysozyme nicht unmittelbar, sondern nur an ihren Wirkungen 
zu erkennen sind, ist die Frage schwer zu entscheiden. Die Tatsache, daß 
immer nur bestimmte Mikroorganismen der Lysozymwirkung zugänglich 
sind, diese dann aber für alle Lysozyme, gleichviel welcher Herkunft 
spricht, soweit sie untersucht ist, für Einheitlichkeit. Ahnliches gilt für 
die Behinderung der Lysozyme durch Galle, die auch quantitativ für Jedes 
Lysozym gilt. (Tabelle V, VI, VI, VIII.) 

Die Lysozyme aus Hühnereiweiß, verschiedenen Meerschweinchen- 
organen und menschlicher Tränenflüssigkeit werden also nicht nur quali- 
tativ, sondern auch quantitativ in fast genau gleicher Weise durch Galle 
gehemmt. Ohne daß dieser Befund allein entscheidend sein kann, spricht 
er vorläufig dafür, daß die in ganz verschiedenen Lebewesen nachweisbaren 
Lysozyme gleichartig sind. (Tabelle IX.) 

Die Galle ist, wie Tabelle I zeigt, nicht der einzige Anteil des Meer- 
schweinchenkörpers, welcher der Lysozyme völlig entbehrt. Ebenso 
beständig fehlen sie z.B. der Nebenniere und es lag nahe, zu untersuchen, 
ob mit dem Fehlen der Lysozyme auch immer eine Behinderung einer 


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Untersuchungen úber Lysozymwirkungen im Tierkórper. 


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Untersuchungen über Lysozymwirkungen im Tierkórper. 


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288 Untersuchungen úber Lysozymwirkungen im Tierkórper. 


sonstigen lysozymen Wirkung einhergeht. Schon oben (Tab. Il) ist in 
dieser Hinsicht gefunden worden, daß lysozymfreies Serum keine Hemmung- 
wirkung ausübt. 

Die sehr dichte Nebennierenverreibung hatte also keine Spur von 
antilysozymer Wirkung entfalten können, die also unmöglich von dem 
bloßen Mangel an Lysozymen herrühren kann. Da bisher nirgendwo anders 
als in der Galle hemmende Wirkungen für Lysozymen nachgewiesen werden 
konnten, so muß in deren Zusammensetzung der Grund dafür zu finden 
sein. Das führte zu einer Untersuchung der Gallenbestandteile, die sogleich 
in den Gallensäuren den entscheidenden Anteil der Hemmung erkennen 
ließ. (Tabelle X, XI.) 

Die Hemmungswirkung der Taurocholsäure ist nicht zu verkennen, 
muß aber als schwach bezeichnet werden, da selbst die 10proz. Lösung (5% 
bei der Anwendung) nach 5 h doch eine gewisse Lysozymwirkung zuläßt. 

Glykocholsáure hemmt mit 1proz. Lösung, also bei 0,5% Gesamtgehalt 
der Probe, noch vollständig, bei 0,25% sehr deutlich. Die Hemmungs- 
wirkung mußte allerdings hier ausschließlich nach dem mikroskopischen 
Befunde erkannt werden, da die Lösungen beider Gallensalze den Bazillus Z, 
abtöteten, besonders glykocholsaures Natron fast augenblicklich. Der 
tierischen Galle selbst kommt diese Bakterizidie, wie die früheren Versuche 
zeigen, keineswegs zu. Das mikroskopische Bild war aber so vollkommen 
deutlich, die durch die Gallensalze abgetöteten Bakterien zeigten so wenig 
von einer Auflösung, daß die Lysozyme von einer andersartigen Bakterizidie 
sofort zu unterscheiden ist. 

Die Glykocholsáure ist der Taurocholsäure an Hemmungswirkung 
weit überlegen. Damit läßt sich auch die bei der vergleichenden Unter- 
suchung von Schweinsgalle und Rindsgalle gefundene Überlegenheit der 
ersteren in bester Weise in Übereinstimmung bringen. Denn nach Hamar- 
sten (Lehrb. d. physiol. Chemie, Aufl. 1922, S. 349), enthält Schweinegalle 
fast ausschließlich Glykocholsäure. 

Es ist heute noch nicht abzusehen, welche Bedeutung die Lysozyme 
für die Infektionsforschung gewinnen werden. An der inneren Körperober- 
fläche und in den Sekreten kommt ihnen ganz gewiß eine solche zu; J. und 
M. Bordet (Compt. rend. Acad. Sciences Bd. 179, S. 1109) betonen neuer- 
dings ihre Anwesenheit in der Kolostrummilch, Nakamura hat mit Recht 
die Keimarmut der Konjunktiva auf Lysozyme zurückgeführt. Ohne 
Zweifel spielen sie im Darm eine Rolle und die relative oder selbst absolute 
Keimfreiheit des Dünndarms mit seiner starken Lysozymwirkung zu- 
sammenzubringen liegt nahe. Die eigentümliche Gegenwirkung der Galle 
scheint berufen, in diesem neuen Forschungsgebiete zur Bedeutung zu ge- 
langen. 


Beitrag zur Bestimmung von Blei in organischen Substanzen 
besonders in Kot und Harn. 


Von 
Reg.-Rat Dr. phil. Victor Froboese. 


(Aus dem Gewerbehygienischen Laboratorium des Reichsgesundheitsamts.) 
(Bei der Redaktion eingegangen am 28. August 1925.) 


Die Verfolgung des Bleis bei Ausführung von Blei-Tierversuchen ergibt 
die Notwendigkeit des Nachweises von Blei im Kot und Harn. Obwohl 
in der Literatur hierüber schon mehrere Angaben gemacht worden sind, 
so genügen diese teilweise doch nicht, um schnell und sicher in biologischem 
Material Blei mit hinreichender Genauigkeit zu bestimmen. 

Ein brauchbares Verfahren, das zur Bestimmung von Blei in der- 
artigen organischen Substanzen Anwendung finden soll, wird eindeutig 
die Fragen behandeln müssen: 

1. Wie stelle ich aus dem vorliegenden Material eine geeignete an- 
organische Lösung her? 

2. Wie bestimme ich in der anorganischen Lösung am einfachsten 
das Blei? 

Dabei ist zunächst die Frage zu klären, wie die großen Mengen or- 
ganischer Substanz mit Rücksicht auf deren Bleigehalt zu zerstören 
sind. Eine Zerstörung mit Kaliumchlorat und Salzsäure, wie sie z.B. 
von P. Schmidt!) angewendet wurde, kommt nicht in Frage, weil die 
Anwesenheit großer Mengen Chloride später die quantitative Fällung 
des Bleis beeinträchtigt. Diese Methode hat sich, wie bereits O. Schumm?) 
feststellen konnte, auch nicht für Harn bewährt. Ebenso ist eine Ver- 
brennung mit Schwefelsäure und Salpetersäure nicht gut durchzuführen, 
und so bleibt allein die Veraschung der festen scharf getrockneten Massen 
übrig. E. Erlenmeyer) ist bereits so verfahren; indessen benutzt er zur 
Veraschung große Porzellantiegel, wobei er feststellen mußte, daß Blei 
in die Glasur überging. Das Blei mußte daher durch ein besonderes Schmelz- 
verfahren aus der Glasur wieder entfernt werden. Diese Methode ist mit- 
hin wenig verlockend. Ungeachtet dieser Feststellung Erlenmeyers wird 


1) Archiv f. Hygiene 1907, 63, 14 und Schmidt, pharm. Chemie I. 697. 
2) Zeitschrift f. physiol. Chemie 118 (1922) 189. 
3) Biochem. Zeitschrift 56, 330 (1913). 


Archiv für Hygiene. Bd. 96. 22 


290 Beitrag zur Bestimmung von Blei in organischen Substanzen. 


von Süßmann!) die Veraschung der mit Schwefelsäure vorbehandelten 
organischen Massen wieder in Porzellan- oder Quarzschalen ausgeführt. 
Der Befund Erlenmeyers, daß Blei in die Glasur geht, ist richtig. Wenn 
aber Blei von Porzellan bzw. Quarzschalen, wie sie von Weitzel?) für 
zink- und kupferhaltiges biologisches Material empfohlen werden, bei Ver- 
aschung von bleihaltigen Stoffen aufgenommen wird, dann ist es zweck- 
los, noch Untersuchungen darüber anzustellen, wieviel Blei zurückgehalten 
wird; denn die Bleiaufnahme durch die Glasur wird im hier vorliegenden 
Falle ohne Zweifel von der Stärke und der Art der Erhitzung der Por- 
zellan- bzw. Quarzschale abhängen. 

Man war sich bisher aber stets darüber einig, daß bei Analysen- 
methoden die Verwendung von Gerätschaften möglichst vermieden werden 
muß, die Verluste des zu bestimmenden Materials unter irgendwelchen 
Umständen herbeiführen können. Anderseits braucht man nicht soweit 
zu gehen, daß man einen dazu zu verwendenden Kjeldahlkolben, wie es 
in einer Arbeit für nötig erachtet wird, zuvor auf Bleigehalt prüft! 

Die besten Erfolge ließen sich erreichen, wenn festes, bleihaltiges 
biologisches Material nach dem Zerkleinern gut getrocknet, darauf fein 
pulverisiert und in einer Nickelschale (aus Reinnickel) zunächst bei An- 
wendung geringer Hitze verglüht wird. Man stellt dazu die Schale schräg 
auf einen mit Drahtnetz belegten Eisenring und erhitzt anfangs mit einer 
Bunsenflamme an einer Stelle. Kot verascht sich so sehr gut bis auf einige 
kleine Körnchen, die später besonders behandelt werden müssen. Schwerer 
verbrennliches, getrocknetes und feingepulvertes Material tränkt man mit 
einer schwachen Lösung von Natriumnitrat, trocknet und zerkleinert 
eventuell nochmals gut und verglüht die Masse vorsichtig. Denis und 
Minot) haben bereits geraten, die trockenen bleihaltigen organischen 
Substanzen mit festem Salpeter zu vermischen und dann zu verglühen. 
Doch wird diese Mischung nicht so innig wie bei Anwendung der Lösung, 
was dazu führt, daß leicht verlustbringende Verpuffungen an einzelnen 
Stellen entstehen. 

Die in der Nickelschale erhaltene Asche, z. B. von bleihaltigem Kot, 
wird nun, um ein Stauben zu verhindern, mit heißem Wasser durch- 
feuchtet und in ein Becherglas gebracht, wobei festhaftende Teilchen 
sich mit einer Gummifahne leicht loslösen lassen. Man gibt dann Salpeter- 
säure hinzu, bis alles, abgesehen von Kohleteilchen, in Lösung gegangen 
ist, kocht auf, läßt abkühlen und filtriert. Das Filter wird getrocknet und 
in einem Platintiegel, dessen Boden mit einer Mischung von Kalium- 
Natriumkarbonat und etwas Salpeter gedeckt ist, verbrannt und der 
Tiegelinhalt gut durchgeschmolzen. Die Schmelze wird in Wasser gelöst, 
etwaiges Eisen abfiltriert, zu der klaren Lösung soviel Salpetersäure ge- 
geben, bis die Lösung gerade sauer reagiert, und diese mit dem ersten 
Filtrat vereinigt. Dann wird anfangs starke, später schwache Natron- 
lauge zugegeben, bis eine bleibende, ganz schwache Trübung entsteht, die 
man mit sehr wenig Salzsäure wieder fortnimmt. Wenn man darauf 


4) Archiv f. Hygiene 90, 197 (1922). 
2) Arb. a. d. Reichsgesundheitsamt Bd. 51, S. 481 (1919). 
3) Journ. Biol. Chem. 38, 449 und Chem. C. 1920, III, 680. 











Von Dr. phil. Victor Froboese. 291 


bedacht war, daß das Flüssigkeitsvolumen nicht unnütz groB wurde, 
erhält man auf diese Weise eine Lösung, aus der das Blei gut quantitativ 
mit Schwefelwasserstoff fällbar ist. Die anwesenden Nitrate wirken für 
die Fällung geringer Bleimengen günstig, während die geringe Menge 
freier Salzsäure auf das Bleisulfid nicht so lösend wirkt, wie es freie 
Salpetersäure tun würde. 


Was die Verarbeitung von bleihaltigem Harn anbetrifft, so machte 
die bisher allgemein übliche Methode zunächst ein Eindampfen großer 
Harnmengen nötig, woran sich alsdann die Veraschung schloß. Alles dies 
wird umgangen, wenn man das Blei aus großen Harnmengen durch F äl - 
lung gewinnt. L.T. Fairhall!) hat nun bereits darauf hingewiesen, 
daß Blei bei Ausfällung der Mineralphosphate aus stark ammoniakalischem 
Harn mitgerissen wird. Aber auch durch Fällung mit Sodalösung?) läßt 
sich das Blei niederschlagen. 

Ich habe zunächst nachgeprüft, ob tatsächlich alles Blei aus dem 
Harn durch Sodalösung in der Hitze abgeschieden wird. Dazu wurden 
ungefähr 81 Harn mit einem Gehalt von etwa 15 mg Blei pro Liter, liter- 
weise mit je 15 ccm n-Sodalösung kurz vor dem Kochen versetzt, noch 
5 Minuten, ohne zu kochen, erhitzt und absitzen gelassen. Die gesamte 
klare abgeheberte Flüssigkeit wurde nun eingedampft verascht und auf 
Blei geprüft. Blei konnte nicht nachgewiesen werden. 


Die Verarbeitung von auf Blei zu prüfenden Harn geschah nunmehr 
nach folgender Vorschrift: 

Etwa 11 Harn wird fast zum Kochen gebracht, 1,5 ccm n-Sodalösung 
auf 100 ccm zugesetzt und, ohne zu kochen, weiter erwärmt, bis sich der 
Niederschlag gut zusammenballt3). Nach dem vollständigen Absetzen 
wird soweit als möglich abgehebert und der Rest durch ein quantitatives 
Filter gegossen, das Becherglas mit n-Sodalösung nachgespült, das Filter 
ablaufen gelassen und getrocknet. Das fast trockene Filter wird vorsichtig 
mit schwacher Natriumnitratlósung angefeuchtet, wieder getrocknet 
und im Platintiegel über einem Gemisch von Sodasalpeter (5 : 1) ver- 
ascht und gut durchgeschmolzen. Der Tiegelinhalt wird dann mit heißem 
Wasser behandelt, die Lösung salpetersauer gemacht, die Salpetersäure 
durch Natronlauge, wie oben, neutralisiert (beginnende Trübung!) und 
endlich wieder g a n z s c h w a c h salzsauer gemacht. ; 


Soll die Gesamtbleiausscheidung in Kot und Harn bestimmt werden, 
so kann man jetzt die aus Harn erhaltene, schwach salzsaure Lösung mit 
der vorher aus Kot erhaltenen vereinigen. 


Die Bestimmung des Bleis in den so erhaltenen anorganischen Lösungen 
geschieht nach seiner Isolierung am einfachsten durch Titration des Blei- 
chromats in der üblichen Weise). 


1) Journ. Biol. Chem. 60, 486. 

2) The Analyst 49, 124; durch Chem. Zentralblatt 1924, I, 2724. 

3) Diese Art der Bleiabscheidung aus Lösungen läßt sich wahrscheinlich 
u as nel, analytisch anwenden, wenn es sich um geringe Bleimengen 
handelt. 

4) Siehe auch Beck, Löwe und Stegmüller: Arb. a. d. Kais. Ges.-Amt 
1910 Bd. 33 S.239. Auerbach u. Pick, ebenda 44, 1912 (1913). 


Za" 


292 Beitrag zur Bestimmung von Blei in organischen Substanzen. 


' Um zunächst das Blei mit Schwefelwasserstoff zu fällen, ist es nach 
den Erfahrungen von Meillére1) zweckmäßig, der Lösung kleine Mengen 
Kupfer zuzusetzen. Hierdurch werden die geringsten Bleimengen durch 
Schwefelwasserstoff sicher gefällt. Man kommt indessen hier mit weniger 
Kupfer aus, als Meillere anwendet und verfährt am besten unter Be- 
nutzung der Erfahrungen früherer Autoren?) wie folgt: 


Nach Zugabe von 10 mg Kupfer als Kupfersulfat zu der salzsauren 
Lösung wird das Blei durch Schwefelwasserstoff gefällt. Der Nieder- 
schlag wird nach dem Absetzen abfiltriert und mit Schwefelwasser- 
stoffwasser gut ausgewaschen. Das Filter bringt man in ein Jenaer 300-cem- 
Becherglas und erwärmt mit Salpetersäure, bis keine dunklen Teilchen 
mehr sichtbar sind. Dann wird mit heißem Wasser etwas verdünnt, filtriert, 
gut ausgewaschen, in einer gut glasierten Porzellanschale nach Zusatz 
von Schwefelsäure abgedampft und auf dem Sandbade solange erhitzt, 
bis dicke Schwefelsäurenebel fortgehen. Man verdünnt nach dem Er- 
kalten mit Wasser, sodaß ca. 5proz. Schwefelsäure vorhanden ist (Zugabe 
von Alkohol ist unnótig?), filtriert, wäscht mit 5proz. Schwefelsäure nach 
und löst das Bleisulfat mit wenig NaOH-haltiger Natriumacetatlósung 
vom Filter. Das Filter wird mit heißem Wasser bleifrei gewaschen und 
die alkalische Bleilösung schwach essigsauer gemacht. 


War die Lösung kieselsäurehaltig oder ist die Porzellanschale ange- 
griffen, so entsteht hier ein feiner Niederschlag, der stets bleihaltig ist 
und, wenn er abfiltriert und nicht berücksichtigt wird, den Bleiwert unter 
Umständen stark vermindert. Man gibt auf das Filter Schwefelwasserstoff- 
wasser (Braunfärbung) und löst nach dessen Ablaufen mit wenig heißer 
verdünnter Salpetersäure vom Filter. Die zuerst alkalisch, dann essig- 
sauer gemachte Lösung (möglichst kleines Volumen) gibt mit Kalium- 
chromat noch eine Fëllung. Bei sorgsamer Arbeit bleibt indessen die 
Hauptlösung bei Zugabe von Essigsäure klar. 


Zu der heißen essigsauren Bleilösung gibt man nun etwas mehr als 
die berechnete oder in Erfahrung gebrachte Menge 5proz. Kaliumchromat- 
lösung und filtriert das Bleichromat nach dem Absitzen (bei ganz geringen 
Mengen am nächsten Tage) mit Hilfe eines ,,Glasfiltertiegels***) (Poren- 
weite < 7) ab. Nachdem man es mit 5proz. Natriumazetatlösung alkalı- 
chromatfrei :gewaschen hat, löst man es mit 5proz. Salzsäure, wäscht mit 
Wasser, das etwas Salzsäure enthält, nach, und titriert nun die Chromat- 
lösung unter Zusatz von Jodkalium und Anwendung von Kohlensäure 
als Luftabschluß mit Natriumthiosulfatlösung (1 ccm = 1 mg Blei). Es 
genügt, die Luft vor Zusatz des Kaliumjodids durch bloßes Einblasen 
von Kohlensäure aus einem durch Gummischlauch mit einer Stahlflasche 
verbundenen Glasrohr zu vertreiben und dies vor Beendigung der Titration 
nochmals zu wiederholen. | 


4) Ann. Chim. Anal. appl. 20, 73 (1916); Ref. Zeitschr. f. anal. Chem. 57, 
63 (1918). 

2) Siehe auch Archiv f. Hygiene 90, 197 (1922). 

3) Winkler: Zeitschrift f. angew. Chemie 35, 662 (1922). 

4) Zeitschrift f. anal. Chemie 65. 320 (1925). 








Von Dr. phil. Victor Froboese. 293 


Von den 26 gleichwertigen Analysen seien folgende, die aus der Reihe 
willkürlich herausgegriffen sind, als Beleg angeführt: 


Se e ee ee e Ce ggg m — rn 


o dl 
als Bleiazetat- verbrauchte 








KIT PP PP gb enger gg ragen 










lösung ef. Pb- 
Verarbeitete Na,S,0,-Lösung 
Nr. Substanzmenge ee enge 














1 1000 ccm Harn 

2 1000 ccm Harn 13,3 
3 1000 ccm Harn 13,3 
4 1000 ccm Harn 0,84 
5 | 40 g Trockenkot 4,2 | 4,0 0,998 4,0 
6 | 40 g Trockenkot 0,9 | 0,92 0,901 0,83 





Es sei noch auf die Arbeit von O. S c h u m m!) hingewiesen, wonach 
kleine Mengen Blei nach Abscheidung als Sulfid sehr genau auch elektro- 
lytisch bestimmt werden können. Jedem, der Erfahrungen auf dem Ge- 
biete der Metallanalysen hat, ist ja bekannt, daß bei der elektrolytischen 
Abscheidung von Kupfer die geringsten Mengen Blei bei geeigneter Span- 
nung und Stromstärke an der Anode als feiner bräunlicher be Zum 
Vorschein kommen. Indessen wird man vielfach von der elektrolytischen 
Methode mangels der notwendigen Apparatur absehen müssen. 


1) Zeitschrift f. physiolog. Chemie 118, 203 (1922). 


‚Studien zur Kenntnis der Eigenschaften von Diphtherie- 
Toxin-Antitoxin-Gemischen. 


Vl. Zur Kenntnis des Flockungsvorganges in Di-T.A.-Gemischen. 


Von 
Privatdozent Dr. Hans Schmidt und Dr. Wilhelm Scholz. 


(Aus dem Institut für experimentelle Therapie „Emil v. Behring‘‘, Marburg 
a. d. Lahn. Direktor: Prof. Dr. H. Dold.) 


(Bei der Redaktion eingegangen am 11. November 1925.) 


Eine Mischung von Diphtherietoxin und -Antitoxin pflegt bei ge- 
eigneten Mengenverháltnissen zu flocken!). Diese an und für sich spárliche 
Flockung tritt erst nach einer gewissen Zeit ein, die bei Erwármen bis 
zu 45—50% abgekürzt wird. Das Röhrchen, bei dem die Flockung zuerst 
auftritt, enthält Toxin und Antitoxin in solchen Mengenverhältnissen, 
daß die von den Flocken befreite Flüssigkeit weder Gift noch Antitoxin 
enthält. Diejenige Menge Gift in cc, die 1AE in diesem Sinne völlig bindet, 
wird als der Flockungswert (Lf) des Giftes bezeichnet. Dieser Wert ist 
scharf einstellbar und kann nach Ramon für Wertbestimmung von Gift 
und Serum benutzt werden, wie wir das im einzelnen in unserer I. und 
IV. Mitteilung ausgeführt haben. Je länger der Flockungsversuch im 
Wasserbade vor sich geht, je breiter wird nach beiden Seiten vom Lf-Wert 
die Flockungszone, so daß selbst der L+-Wert noch in des Bereich der 
selben fallen kann (siehe IV. Mitteilung). 

Wenn wir uns nun fragen, wodurch überhaupt die Flockung zustande- 
kommt, so müssen wir zunächst beachten, daß Flockung und Bindung nicht 
notwendig Hand in Hand zu gehen brauchen, insofern eine Toxin-Anti- 
toxin-Bindung cintreten kann, ohne daß es zur Flockung kommt. Dies ist 
der Fall, wenn Toxin oder Antitoxin in genügendem Überschuß vorhanden 
ist. Für das Zustandekommen einer Flockung sind noch andere im Serum 
oder im Gift gelegene Faktoren maßgebend. Wir kennen Gifte, die mit 
hochwertigem frischem Serum sehr schlecht oder überhaupt nicht flocken, 
und umgekehrt gibt es Sera, die schlechte oder gar keine Flockung mit 
einem sonst gut flockenden Gift geben. 

1) Diese Flockung ist ein typischer Präzipitationsvorgang, wie ihn Kraus 
zuerst beobachtete, der also nicht nur auf Eiweiß-Antieiweißserum beschränkt 


ist, sondern auch, soweit bei Schlangengift, Tetanustoxin, Rizin usw. festgestellt, 
bei allen Toxin- Antiloxingemischen vorkommt. 











Kenntnis der Eigenschaften von Diphtherie-Toxin-Antitoxin-Gemischen. 295 


Man wird bei der Herstellung von über- oder unterneutralen T.A.- 
Gemischen, in denen man das Zustandekommen einer Flockung vermeiden 
will, auf diese Umstände besonders zu achten haben. Das schwach über- 
neutralisierte T.A. I und II der Behring-Werke flockt nicht, gibt aber 
nach langer Erwärmung auf 48—50° eine Trübung. Das unterneutralisierte 
T.A. VII v. Behrings gibt selbst unter optimalen Bedingungen nicht 
einmal eine Trübung. Dabei erreicht der Grad der Unterneutralisierung 
bei T.A. VII lange nicht den L+-Wert. 

Nun ist durch Renaux 1) bekannt, daß auf 56° erhitztes Serum nicht 
mehr flockt. Bei dieser Temperatur werden jedoch die Antikórper nicht 
nachweisbar beeinträchtigt. Wir können Renauxs Angaben bestätigen. 

Ein 370faches Di-Serum, das im Originalzustande mit dem .Gift 319 
in ca. 6 Stunden bei 45° Flockung zeigte, flockte, wenn es 25 Stunden lang 
bei 42° gehalten war, erst nach 36 Stunden und nach 25stündigem Er- 
wärmen auf 50° überhaupt nicht mehr. Es trat nur am vierten Tage eine 
Trübung auf. Wurde nun das 25 Stunden auf 50° erwärmte Serum mit 
gleichen Teilen desselben, aber frischen Serums versetzt, so trat eine Flockung 
ein, die aber nicht dem Titer 185, wie der Mischung nach zu erwarten war, 
sondern dem Titer 370 entsprach. 

Die Antikörper des erhitzten Serums haben sich also an der Bindung 
mit Toxin beteiligt, konnten aber erst mit Hilfe des frischen Serums zur 
Ausflockung gelangen. Es ist auf diese Weise möglich, durch das Flockungs- 
verfahren auch bei einem erhitzten Serum den Antitoxintiter zu bestimmen, 
wenn man das Serum mit einem bekannten frischen Serum mischt und mit 
dem Gemisch die Flockungsprobe anstellt. Die Flockung ist aber zeitlich 
verzögert, und zwar um so mehr, je mehr der Anteil des Gemisches an 
erhitztem Serum beträgt und je höher die Temperatur der Erhitzung war. 
War die Temperatur so hoch, daß eine Einbuße der antitoxischen Kraft 
des Serums eintrat?), dann gab eine Mischung mit unerhitztem Serum je 
nach dem Grade der Antitoxinzerstörung einen mehr der Verdünnung ent- 
sprechenden Titer. Aber der Übergang ist nicht scharf. 

Wir sehen also, daß das Zustandekommen der Flockung von etwas im 
Serum abhängig ist, was nicht Antitoxin ist. Auch alte, lang gelagerte 
Sera geben bekanntlich keine Flockung mehr. Wir prüften ein altes Serum, 
das im Jahre 1901 500fach, jetzt aber im Tierversuch nur noch 100fach 
war, mit dem Flockungsverfahren gegenüber dem Di-Gift 319. Selbst 
nach 5 Tagen trat keine Flockung ein. Das alte Serum wurde nun zu 
gleichen Teilen mit frischem 400fachen Serum versetzt. Nun trat zwar 
auch keine richtige Flockung ein, wohl aber nach längerer Zeit im Wasserbad 
bei 45° eine deutliche Trübung, die dem Titer 250 entsprach. Die ge- 
samten in vivo nachweisbaren Antitoxine des alten Serums hatten dem- 
nach an der Bindung teilgenommen. 

Das Elo-Diphtherieserum der Höchster Farbwerke ist ein durch 
Elektrodialyse von Euglobulin und Albumin befreites Serum, das nur noch 
Pseudoglobulin (und vielleicht Spuren von Euglobulin) enthält. Der Titer 


1) C. rend. soc. Biol. 1924, 90, 964. 
2) Nach Ramon (C. rend. soc. Biol. 1922, 86, 813) verliert ein Di-Serum 
nach listindigem Erhitzen auf 60% seine flockende Eigenschaft. 


296 Kenntnis der Eigenschaften von Diphtherie-Toxin-Antitoxin-Gemischen. 


dieses Serums war 400fach, bei einem EiweiBgehalt von 11%, (Alkohol- 
fállungsprobe). Es ist nun interessant, daß auch dieses Eloserum mit dem 
Di-Gift 319 keine Flockung gab. Wohl aber gab ein Gemisch von Elo- 
serum zu gleichen Teilen mit einem anderen frischen 400fachen Serum 
einen Titer, der dem Wert 400 des Eloserums genau entspricht. 

Was ist nun die Ursache, daß ein Serum trotz nachweisbarer Anti- 
toxine, wie es beim erhitzten, gealterten und Eloserum der Fall ist, keine 
Flockung gibt? 

Diese Frage läßt sich zurzeit noch nicht mit voller Sicherheit be- 
antworten, aber es liegt nahe, anzunehmen, daß zum Zustandekommen 
der Ausflockung zunächst natives Euglobulin vorhanden sein muß. 

Euglobulin ist derjenige Teil der Globuline, der bei Salzverarmung 
des Serums (Dialyse) zuerst ausfällt. Es hat von allen Eiweißkörpern im 
Serum den niedersten Dispersitätsgrad. Euglobulin fällt aus dem Serum 
auch spontan aus, wenn es altert. Dieser Alterungsprozeß beim Lagern 
wird mit zunehmender Größe der gegen Luft grenzenden Oberfläche 
befördert!). Dabei tritt beim Altern ein Antitoxinschwund ein. Wodurch 
derselbe bedingt ist, ist noch unbekannt. Man kann vermuten, daß das 
Antitoxin durch Adsorption an das ausgefallene Globulin gebunden ist, 
aber Versuche unsererseits, die Antikörper aus dem ausgefallenen und mit 
der Zeit unlöslich gewordenen Globulin zu gewinnen, schlugen bisher fehl. 
Wird die Serum-Luftoberfläche durch Schütteln erheblich vermehrt, so 
wird der Alterungsprozeß des Serums, das Ausfallen von Globulin, be- 
fördert!). Den Toxin-Antitoxinflocken ist nach Untersuchungen von 
FlóBner und Kutscher?) Eiweiß beigemengt. Wir vermuten Euglobulin. 
Der Beweis dafiir steht noch aus. Stabilisieren wir das Euglobulin des 
Serums, so daß es nicht mehr so leicht ausfällt, so bleibt die Toxin-Anti- 
toxinflockung aus. Dieses ist der Fall nach Erhitzen des Serums. Erhitztes 
Serum ist sehr viel stabiler, was eine alte Erfahrung ist. Wenn wir dem- 
nach im Vorhandensein nativen Euglobulins im Serum einen wesentlichen 
Faktor zum Zustandekommen der Flockung erblicken können — und Ver- 
suche von Ramon?) deuten ebenfalls in der Richtung —, dann läßt sich 
doch nicht einem durch Hitze inaktivierten Serum durch Zusatz von 
Euglobulin seine ursprüngliche Flockungsfähigkeit wiedergeben. Von unsern 
zahlreichen Versuchen sei der folgende hier wiedergegeben, um dies zu 
veranschaulichen: 

Versuch. 


Es wurden einem 1:10 verdünnten 600fachen Diphtherie-Pferdeserum 
soviel Euglobulin aus Rinderserum und Euglobulin aus Pferdeserum zu- 
gefügt, daß nach Zentrifugieren eine klare Lösung blieb. Das gleiche ge- 


1) H. Schmidt, Zeitschr. f. Hygiene u. Infektionskrankheiten, 88, 495. 

2) Münch. Med. Woch. 1924, Nr. 18, 576. 

3) Nach Ramon (C. rend. soc. Biol. 1922, 86, 813) gibt das Albumin des 
Diphtherieserums allein keine Flockung. Die Globuline dagegen verhalten sich 
wie das gesamte Serum. Pseudoglobulin allein, obwohl es die Hauptmenge der 
Antikörper einschließt, gibt entweder eine sehr stark verzögerte oder überhaupt 
keine Flockung, wenn die Trennung vom Euglobulin scharf genug durchgeführt 
war. Zusatz von Euglobulin läßt die Flockung wieder schnell eintreten, und zwar 
stets dem Antitoxingehalt des Gemisches entsprechend. 











Von Dr. Hans Schmidt und Dr. Wilhelm Scholz. 297 


schah mit Serum, nachdem es vorher 45 Min. bei 58° und 45 Min. bei 60° 
gehalten war. Von diesen 1:10 Serumverdünnungen wurden steigende 
Vengeni zu je 2 cem Di-Gift 361 gefügt une bei ld, im lia EE 


—— eg 














Serum ohne Euglobulin- 


zusatz + Euglobulin (Pferd) + Euglobulin (Rind) 


nicht 
erhitzt dh 58° lh 60° erhitzt, */«h 58° NÉI 60* erhitzt ah DIN 





SSER ccm 

desu oso |e ¡lp &|- Side 

FTE 0,28 |Z + = Fe 

Sa? 0,32 |Z | + ed TAN E E E 
II; I 00/1100] 1 ni 10 lia pipa pipa 1 11 


— FIAR zë zs bedeuten zunehmende Stárke der Flockung. 

I. Erste Ablesung nach 6% Stunden. 

II. Zweite Ablesung nach 48 Stunden, wobei 24 Stunden Brutschrank- 
aufenthalt. 


Der Versuch zeigt, daß die Flockung bei 58° noch nicht völlig, bei 60° 
aber völlig ausblieb. Wurde nun Pferde-Euglobulin zugefügt, so trat 
nicht nur keine Verstärkung der Flockung auf, sondern zunächst eine Ver- 
zögerung, die nach 48 Stunden bei dem auf 48° erhitzten Serum noch nicht 
den gleichen Grad der Flockung zustandekommen ließ, den das gleiche 
Serum ohne Euglobulinzusatz zeigte. Der Zusatz von Rindereuglobulin 
hat sogar die Flockung des nicht erhitzten Serums fast völlig unterdrückt. 

Eine Erklärung für diesen mehrfach beobachteten Einfluß des Euglo- 
bulins auf die Flockung möchten wir darin sehen, daß der künstlich be- 
wirkte Euglobulinüberschuß ähnlich wirkt, wie eine Eiweißvermehrung 
überhaupt, d. h. im Sinne einer Schutzwirkung auf das Zustandekommen 
der Flockung. 

Wenn wir auch in der Gegenwart von labilem Euglobulin einen not- 
wendigen Faktor für das Zustandekommen der T.A.-Flockung annehmen 
können, dann sind aber doch auch noch andere Faktoren vorhanden, die 
auf die Flockung Einfluß haben, und von diesen läßt sich zurzeit noch‘ 
wenig sagen. So ist die Zeitdauer bis zum Flockungseintritt bei Anwendung 
des gleichen Giftes und gleicher Technik sehr verschieden bei Seren gleicher 
Stärke (Ramon)!), aber auch sehr verschieden bei Prüfung gleicher Gifte 
mit gleicher Toxizität und gleichem Flockungswert gegenüber demselben, 
Serum (S. Schmidt)?). Ferner ist auffallend, daß Rinder-Di-Serum sich 
trotz des hohen Euglobulingehaltes wenig zur Flockung eignet. Zwar ist 
es meist nicht sehr hochwertig, aber dieser Umstand dürfte schwerlich der 
alleinige Grund dafür sein. 

Wir sehen demnach, daß auch die Beschaffenheit des Giftes für die 
Flockung von Di-T.A. eine Rolle spielen kann. Auch hier beobachten wir, 
daß erhitzte und alte Gifte schlecht oder gar nicht mehr flocken. Die Ver- 
hältnisse liegen hier ähnlich, wie beim Serum. Mischt man zwei Gifte mit 


1) C. rend. soc. Biol. 1922, 86, 813. 
2) C. rend. soc. Biol. 1924, 90, 1178. 


298. Kenntnis der Eigenschaften von Diphtherie-Toxin-Antitoxin-Gemischen. 


verschiedenen Lf-Werten zu gleichen Teilen, so hat das Gemisch einen 
Lf-Wert, der soweit die Beobachtung zu sagen erlaubt, dem Mittelwert 
entspricht. Z. B. Gift I (Lf = 0,0858) und gleiche Teile Gift II (Lf = 0,2000) 
ergaben ein Mischgift mit Lf = 0,12 statt des errechneten Wertes von 0,14. 

Wird das Gift erwärmt, so wird seine Flockungsfähigkeit beeinträch- 
tigt, und zwar in erster Linie verzögert. Wird das Gift höher erhitzt (50°), 
dann kam es in unseren Flockungsversuchen nur noch zu Trübungen nach 
vielstündigem Stehen bei 45°, und schließlich konnte man mit einem solchen 
Gifte keine Flockungsprobe mit einem sonst gut flockenden Serum mehr 
anstellen. Das Toxin soll in dieser Hinsicht nach Ramon hitzeempfind- 
licher sein, als das Antitoxin. 

Gerade so, wie einem erhitzten Serum, läßt sich auch bei einem er- 
hitzten Gift, solange die Erhitzung die antitoxinbindenden Eigenschaften 
nicht zerstört hat, der Lf-Wert dadurch bestimmen, daß man es zu gleichen 
Teilen mit einem frischen bekannten Gift versetzt und das Gemisch mit 
einem Prüfungsserum zur Flockung bringt. Die Flockung ist aber zeitlich 
gegenüber der mit dem frischen Serum verzögert. 

Das Alter spielt bei Giften nicht eine so große Rolle, wie beim Serum. 
Mit dem Alter ändert sich auch, wie wir oben sahen, der Lf-Wert eines 
Giftes, aber selbst das 20 Jahre alte Di-Gift 7 gibt noch eine kräftige 
Flockung. Bei einem noch älteren Gift konnten wir allerdings keine 
Flockung mehr erzielen, aber dies mag daran liegen, daß das Gift ursprüng- 
lich auch nicht sehr hochwertig war. Sicher ist auf jeden Fall, daß unter 
sonst gleichen Bedingungen bei älteren Giften die Flockung verzögert ist. 


Den Entgiftungsprozeß durch Formol möchten wir nicht dem bei der 
spontanen Entgiftung durch Lagern gleichsetzen*). Auch mit Formol 
behandelte Gifte geben noch eine Flockung, selbst wenn sie für Meer- 
schweinchen ihre toxische Wirkung verloren haben (Ramon)?). 

Wir fanden auch bei diesen Giften die Flockung verzögert, und zwar 
um so mehr, je stärker die Formoleinwirkung war, wie folgende Versuchs- 
niederschrift zeigt, so daß wir glauben, daß nach genügend langer Ein- 
wirkung keine Flockung mehr zu erzielen ist. Trotzdem kann auch dann 
noch durch das Mischverfahren mit frischem Gift der Lf-Wert des formol- 
behandelten noch festgestellt werden (Ramon). 


1) Ramon, Annal. de l’Inst. Pasteur 1925, 39, Nr. 1 und C. rend. de l'Acad. 

des sciences 1924, 179, 442. 
2) Für unsere Annahme, daß die Entgiftung durch Formol ein anders- 
artiger Prozeß ist, wie die spontane Abschwächung durch Altern, sprechen auch 
die Beobachtungen Ramons bei der Erhitzung von gewöhnlichem Gift und mit 
Formol behandeltem Gift. Gewöhnliches Gift, 1 Stunde lang auf 65—70° ge- 
bracht, ist nicht mehr toxisch und bindet und flockt nicht mehr. Mit Formol 
behandeltes Gift ist nach gleicher Erhitzung ebenfalls ungiftig und hat seine 
bindenden und flockenden Eigenschaften verloren. Aber letztere Fähigkeiten 
kommen mit der Zeit langsam wieder, so daß 30 Tage später die Flockung und 
Bindung in gleichem Maße wie vor dem Erwärmen vorhanden ist. Dabei bleibt 
das Gift nach wie vor atoxisch. 

Nach Baecher, Kraus und Löwenstein (Zeilschr. f. Immunitätsforsch. 
1925, 42, 350) geht bei mit Formol entgifteten D-Giften die Flockungsfähigkeit 
nicht mit der Bindungsfähigkeit einher. Meist ist die flockende Eigenschaft gul 
erhalten, aber die antigene (bindende) Eigenschaft sehr beeinträchtigt. (Ursache?) 


Von Dr. Hans Schmidt und Dr. Wilhelm Scholz, 299 


Di-Gift 344 wurde 14 Tage bei 37% gehalten mit einem Formolzusatz 


von 0 0.2 0,4 > 1,0% 
nach 5 Stunden 12 Stunden 2 Tagen 4 Tagen 
Flockung Flockung Flockung Trübung 


Der Lf-Wert blieb der gleiche. 


Wir müssen also wie im Serum so auch im Gift für denjenigen Bestand- 
teil, der sich an der Flockenbildung beteiligt, einen bestimmten physika- 
lischen Zustand annehmen, der notwendig vorhanden sein muß, damit die 
Giftkomponenten und Antitoxine, die sich binden, auch auszuflocken 
imstande sind. Nun kennen wir einen dem Euglobulin des Serum ent- 
sprechenden Bestandteil des Diphtheriegiftes nicht. Vielleicht sind es aus- 
gelaugte Bakterienproteine, vielleicht aber auch die Giftbestandteile 
selbst, soweit sie als Toxone, Toxine und Toxoide an der Flockung teil- 
nehmen. 

Da jedes Di-Bouillongift gelöste Bakterienproteine enthält, und anderer 
seits bei der Immunisierung mit Bouillongift notwendigerweise auch Anti- 
körper gegen die Bakterienproteine gebildet werden, so ist nicht ausge- 
schlossen, daß bei der Toxin-Antitoxin-Flockung auch eine Bakterien- 
proteinpräzipitation beteiligt ist. Es sind Versuche im Gange, um zu ent- 
scheiden, inwieweit letzteres zutrifft. 


Die Flockungszone ist nach beiden Seiten begrenzt. Man kann an- 
nehmen, daß auf der antitoxischen Seite das Serumeiweiß, wenn es in 
genügender Menge vorhanden ist, als Schutzkolloid wirkt, besonders als 
Albumin, dessen Schutzwirkung auf das Euglobulin ja bekannt ist, und 
daß auf der toxischen Seite die peptonartigen Bouillonstoffe den Schutz 
vermitteln. Was die Zeitdauer bis zum Eintritt der Flockung betrifft, so 
wird diese durch alle Faktoren verlängert, welche die fällende Wirkung 
der Globuline verringern und die stabilisierende Wirkung der Albumine 
erhöhen. 

Wenn wir uns von dem Flockungsvorgang das Bild machen, daß sich 
Gift mit Antitoxin bindet, und daß sich an diese Bindungen Euglobuline 
anlagern und dadurch erst ein sichtbares Ausfallen in Flocken ermög- 
lichen und uns dabei vorstellen, daß entweder Albumine des Serums oder 
Bouillonstoffe des Di-Giftes, wenn in gewissem Maß vorhanden, die Eu- 
globuline schützen und so die Agglomeration verhindern, dann dürfen wir 
nicht vergessen, daß es zurzeit noch nicht möglich ist, die Flockung mit 
reinem Antitoxin und mit reinem Gift anzustellen. Stets bleibt vorderhand 
das Antitoxin mit Serumeiweiß (Pseudoglobulin) verbunden und das Gift 
mit Bouillonstoffen. Ob mit den reinen Substanzen überhaupt eine Flok- 
kung zustandekommt, muß dahingestellt bleiben. Immerhin gibt es Be- 
obachtungen, die dafür zu sprechen scheinen. Wenn man nämlich die 
Toxin-Antitoxin-Flocken gründlich in NaCl-Lösung, in der sie unlöslich 
sind, von allen Begleitstoffen von Bouillon und Serum wäscht, und dann 
in reiner NaCl-Lósung suspendiert, dann haben wir den gebundenen 
Toxin-Antitoxin-Komplex in bisher reinster Form höchstens mit Spuren 
von Eiweiß vor uns. Durch Zusatz von Na OH läßt sich eine klare Lösung 
erzielen. Titriert man nun mit HCl zurück, so bleibt die Lösung noch 


300 -Kenntnis der Eigenschaften von Diphtherie-Toxin-Antitoxin-Gemischen. 


klar bei einer Ph = 8,4—8.0. In welcher Form die Toxin-Antitoxin- 
Bindung in dieser Lösung ist, läßt sich noch nicht mit Sicherheit angeben. 
Wäre die Bindung getrennt, dann wäre es erstaunlich, daß ein Meer- 
schweinchen mehrere ccm einer solchen doch rel. viel Gift enthaltenden 
Lösung verträgt, abgesehen von der durch die Alkaleszenz Ph = 8,4 her- 
vorgerufenen Gewebsreizung. Nach einiger Zeit, ca. 10 Tagen, kommt es 
in der vorher ganz klaren, durch Seitzfilter filtrierten Lósung zur Bildung 
spärlicher Flocken. Bringt man nun die Lösung durch HCl-Zusatz an- 
genähert zum Neutralpunkt, so bildet sich die ursprüngliche Flocken- 
menge langsam wieder. War der T.A.Komplex dissoziiert, dann hätten 
wir einen Flockungsvorgang, wobei Toxin und Antitoxin in zumindesten 
sehr gereinigter Form beteiligt waren. Man kann aber auch annehmen, 
daf die Flocken durch NaOH-Zusatz nur sehr fein dispergiert wurden, 
ohne daß sich die T.A.-Bindung als solche trennte, dann würde die Flockung 
einer Aggregation im isoelektrischen Punkte entsprechen, analog dem Ver- 
halten von Casein. 


Zusammenfassung. 


Die Flockung einer neutralen Di-Toxin-Antitoxin-Mischung wird durch 
Erwärmen begünstigt. Zum Zustandekommen der Flockung müssen sowohl 
das Serum als auch das Gift bestimmte Eigenschaften haben, die uns aber 
zum größten Teil noch unbekannt sind. Beide Komponenten der Reaktion 
flocken am besten in möglichst frischem Zustande. Beim Serum ist wahr- 
scheinlich ein gewisser Gehalt an labilem Euglobulin für das Auftreten 
von Flocken maßgebend. Aber beim Serum müssen noch andere Faktoren 
mitsprechen, da einmal Di-Rinderserum trotz seines Euglobulingehaltes 
nur schlecht flockt und andererseits zwischen frischen Seren gleicher 
Stärke bei der Flockung mit dem gleichen Gift beträchtliche zeitliche 


. Unterschiede vorhanden sind. Sowohl beim Serum wie auch beim Gift 


verzögern und verhinden unter Umständen Erhitzen und Altern den 
Eintritt der Flockung. Auch Formolbehandlung des Giftes wirkt in glei- 
chem Sinne. Welcher Faktor für das Zustandekommen der Flockung beim 
Di-Gift nötig ist, ist noch unbekannt. 

Bei Seren und bei Giften, die keine Flockung mehr geben, läßt sich 
durch Mischen mit einem frischen Serum bzw. Gift eine Ausflockung des 
Gemisches erzielen und eine Wertbestimmung durchführen. Die Größe 
der Flockungszone hängt weder von der toxischen und bindenden Fähig- 
keit des Di-Giftes noch von dem Antitoxingehalt des Serums ab, sondern 
wird durch die Schutzwirkung sowohl der Serumalbumine als auch der 
Peptonbouillonstoffe bestimmt. 


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Klinische Beobachtungen an Bleikranken. 


Von 
Dr. J. G. Gelman. 


(Aus dem Obuch-Institut fúr das Studium der Berufskrankheiten in Moskau.) 


(Bei der Redaktion eingegangen am 17. Oktober 1925.) 


Die vorliegende Arbeit gründet sich auf die Untersuchung von: 
1. 74 Patienten, bei denen die Diagnose Bleivergiftung im Institut gestellt 
worden ist; darunter waren 16 schwere mit Bleikolik, hochgradiger Anämie 
- und Polyneuritis einhergehende. 2. Von 36 Arbeitern einer Gummischuh- 
walzfabrik. 3. Von 45 Arbeitern einer Bleiweißfabrik (mit Unterstützung 
der Gewerbehygieniker W. A. Lewitzky und B. Koyranska und des 
Trusts „Lakokraska‘‘ durchgeführt). 4. Von 979 Setzern aus Moskauer 
Druckereien. 

I. Die Bleianämie. Der Hämoglobingehalt ist unserer Meinung nach 
ein recht wertvoller Index der Bleieinwirkung auf das Blut. Seine Ver- 
minderung verläuft im allgemeinen der Stärke der Bleieinwirkung ziemlich 
parallel. 

Eine häufige Hämoglobinbestimmung ist uns daher eine ausgezeichnete 
Orientierungsmethode. 


Resultate der Blutuntersuchung bei den verschiedenen Gruppen der Blei- 
arbeiter. l 


a) Hämoglobingehalt in Prozenten. 








E 






Gummi- | 







ee | m Arbeiter 

er | schub- 1. > 
Bleiweiß-|Kreide- 

“o arbeiter (Abt. | Abt. 





26 45 


Hb Sahli bis 60 
80-70 
70—80 

80 und darüber 


302 . Klinische Beobachtungen an Bleikranken. 


b) Prozentzahl der Arbeiter, bei denen basophil gekórnte Erythro- 
zyten beobachtet wurden. 


Maschin.-| Hand- | Arbeiter | Stereo- | Blei- Keeser Arbeiter 


| 
Schrift- | setzer d. Se typ- ¡ löter | schuh- o. 
setzer Abt. | Gießer | arbeiter 'Bleiweiß-Kreide- 






















B. E. überhaupt 
beobachtet 


B. E. mehr als 
100 auf 1 Mill. 


Eine Proportionalität zwischen Hb-Gehalt und Menge der basophilen 
Erythrozyten im Blut ist demnach nicht festzustellen. Bei einem und dem- 
selben Kranken können auch die basophilen Erythrozyten bald mit einem 
hohen, bald mit einem niedrigen Hb-Gehalt des Blutes verbunden sein. 
Die b. E. sind weder ein spezifisches noch ein pathognostisches Symptom 
der Bleivergiftung. Sie werden bei den regenerativen Anämien verschie- 
dener Herkunft (Arsenwasserstoff-, Anilin-, Zinkdampfvergiftung) bei 
Arbeitern der verschiedensten Gewerbe getroffen, wie das die Metallgießer- 
arbeiten des hämatologischen Laboratoriums unseres Instituts (Leiter 
E. O. Freifeld) gezeigt haben. Immerhin werden die b. E. beim Eindringen 
des Bleies in den Organismus öfter getroffen und treten früher auf als bei 
anderen chronischen Vergiftungen. 

Die Vermehrung der vitalen Erythrozytenkörnung (substantia reti- 
culo-filamentosa) verläuft im allgemeinen der Verminderung des Hb-Ge- 
halts und dem Auftreten der b. E. parallel, was klinisch als ein Beweis der 
regenerativen Bedeutung der vitalen Körnung anzusehen ist (L. Bogo- 
lepowa). 

Der Zusammenhang zwischen den verschiedenen Erscheinungen der 
Bleianämie ist aus der folgenden Tabelle zu ersehen: 


Morphologie des Blutes bei 48 Arbeitern der Bieiweißfabrik. 
(Der Haemoglobingehalt wurde nur bei 15 untersucht.) 








A ne nn en PP ` ee um 








Vitalkörnung 





Basoph. Körnung 





Polychromasie Akt. gr. Neutr. 











30—40 13% | +44 18% HHH 7544441 +++ 2% 

40—50 27, +++ Së, +++ 15.0%| +++ 27,5) ++ 5% 

50—60 20%: 444% | 44 20,0%) ++ 27,5% + 25%, 

60—70 409, | + 7% | + 50,0%, + 10,0%| abs. 68%, 
ES | fehlt 7% | fehlt 1,5% N 27,0% | zz 


Als Ursache der Bleianämie ist hämolytische Bleiwirkung anzunehmen 
(K. Chartschenko). Außer den obengenannten anämischen Verände- 
rungen konnte noch eine Vermehrung des Bilirubins im Blute, des Uro- 
bilins und des Hämatoporphyrins im Harne, ferner eine Veränderung der 
Resistenz der roten Blutkörperchen (Chartschenko) beobachtet werden. 

















Von Dr. J. G. Gelman. , 303 


Bilirubin wurde im Blute fast bei allen Bleikranken in vermehrter 
Menge (anstatt normal 6 mg 12,5 bis 50 mg in 100 ccm), und zwar stets 
in der „dynamischen“ (nach Lepehn ,,funktionellen*) Modifikation an- 
getroffen. Das beweist seine hämolytische und nichthepatogene Herkunft. 
Im gleichen Sinne spricht die Tatsache, daß die in einer großen Zahl im 
Institut durchgeführten Funktionsprüfungen der Leber (mit Galaktose) 
negativ ausfielen (Chartschenko). 

Bei allen Bleikranken (außer zwei) wurde Anwesenheit der Leber- 
lipase nachgewiesen, was nach Rona, Schreiber und Meyer als Beweis 
der gestörten Leberfunktion zu gelten hat (Omeljanowa—Pawlenko). 

Hämatoporphyrin wurde sehr oft im Harne bei Bleikranken in einer ` 
die Norm übersteigenden Menge angetroffen. Wir bestimmten jeweils, 
wie vielfach der Harn verdünnt werden mußte, um das Hämatoporphyrin- 
spektrum zum Verschwinden zu bringen. Sechsfache Verdünnung kann 
noch als normal gelten. 


Bei 37 Bleikranken wurde als Verdünnungsfaktor festgestellt: 


in 8 Fällen — — 0, 
in 6 m — — bis 6, 
in 15 ,„ — — bis 7—10, 
in 8 „ == — bis 11—17. 


Besonders interessant war die Verteilung des Hp bei den 16 schweren 
Bleikranken: 


in 1 Fall —- — 0, 

in 3 Fällen - ~- -— 4—6, 
in 6 da — — 9—12, 
in 3 ,, -— — 13—15, 
in 3 ,, — -— 16—17. 


Einige Male erschien Hp erst nach Aufhören jeder Bleizufuhr (in der 
Klinik); seine Menge stieg dann sogar noch an; meistens aber hat sich die 
Hp-Menge nach Herausnahme aus dem Betrieb vermindert. 

Bei der Mehrzahl der Bleikranken wird erhöhter Urobilingehalt des 
Harns gefunden, der teilweise mit der Hämolyse, teilweise mit den Stö- 
rungen der Leberfunktion zusammenhängt. Von den 14 Fällen schwerer 
Bleivergiftung war Urobilin in 11 Fällen vermehrt. Bei den 3 negativen 
Fällen wurde das Urobilin vielleicht als Urobilinogen ausgeschieden, das 
mit den gewöhnlichen Methoden der Urobilinbestimmung nicht nach- 
gewiesen werden kann. 

Klinisch äußert sich die Bleianämie durch: 1. Blässe der Haut (nicht 
zu verwechseln mit Bleikolorit). 2. Verschlechterung des Ernährungs- 
standes (allgemeine Abmagerung, Verlust des Fettpolsters und Muskel- 
schwund). Die von uns untersuchten Kranken hatten nach Pirquet 
einen Index von 92—100, die Mehrzahl wies weniger als 95 auf. 3. Die 
gewöhnlichen nervösen Symptome der Anämie (Schwindel, Kopfschmerzen, 
Schwächegefühl). 4. Ikterische Sklerenverfärbung (Bleiikterus). Bei den 
45 Arbeitern der Bleiweißfabriken wurde dieselbe in 60% festgestellt. 

Die Erscheinungen der Anämie verschwinden nach der Entfernung 
aus dem Bleibetrieb sehr langsam. Besonders hartnäckig bleiben die 
Hb-Verminderung und die b. E. Das wird wahrscheinlich durch wieder. 


304. Klinische Beobachtungen an Bleikranken. 


mobilisierte Bleiablagerungen im Organismus bedingt (Leber und Knochen, 
A. Minot und J. Aub)... 

Was die Veränderungen des weißen. Blutbildes anbetrifft, so ist uns 
etwas für die Bleivergiftung Charakteristisches nachzuweisen nicht ge- 
lungen. 

II. Der Bleisaum und die Alveolar-Pyorrhoe. Der Bleisaum 
begleitet sehr oft die Bleivergiftung, stellt aber keinenfalls ein Früh- 
symptom derselben dar. Bei vielen Fällen von zweifellosem Saturnismus 
fehlt er vollkommen; bei den 45 Arbeitern der BleiweiBfabrik z. B. in 27%, 
bei den 74 Kranken, die der Bleivergiftung verdächtig waren, in 21%, ja 
sogar bei den 16 Schwerkranken in 30%. 

Unserer Meinung nach erfolgt die Bleiausscheidung in die Mundhöhle 
durch die Speicheldrüsen. Als Beweis dieser Herkunft des Bleisaums 
dient uns das Auftreten von typischen graulilafarbenen Flecken um die 
Ausführungsgänge der Speicheldrüsen herum und an anderen Stellen der 
Schleimhaut der Wangen, was wir in 25°, der Fälle beobachten konnten. 
Wir sehen keinen prinzipiellen Unterschied zwischen den Bleisäumen 
I. und II. Grades (Legge). 


Häufigkeit des Bleisaums bei verschiedenen Arbeitergruppen. 


Fach 





45 Arbeitern der Bleiweißfabrik . 

74 Bleikranken der Klinik 

737 Handschriftsetzer . e 
46 Arbeiter der Schriftsetzerabteilung : 
11 Schriftgießer e 
40 Stereotypgießer 

67 Maschinensetzer . 

26 Arbeiter der Gummischuhwalzfabrik 





Wir haben bei 64%, von den von uns untersuchten Bleiweißarbeitern 
Alveolar-Pyorrhoe beobachtet. Ihr Auftreten hängt wahrscheinlich mit 
der Bleiablagerung bei der schlechten Reinhaltung des Mundes zusammen. 
Das wird durch die Tabelle wahrscheinlich gemacht, die die Verbreitung 
derselben bei den von uns untersuchten Berufsgruppen veranschaulicht. 


Verbreitung der Pyorrhoe. 





—_— E y = e = 1202000 me ee e 


Die untersuchten Fachgruppen e | an rar 


Arbeiter der Bleiweißfabrik 
Maschinensetzer ` .... ...... . . .. 
Handsetzer ` e. 00: u ss... es E 
Stereotypgieber . . a 2 2 2 2 2 nenne. 
Schriftgieber . . ......... . .. .. 
Arbeiter der Setzerabteilung 





An Stelle der Pyorrhoe fanden wir bei den Bleikranken oft auch andere 
Entzündungszustände des Zahnfleisches, die die gleiche Ursache haben. 











Von Dr. J. G. Gelman. 305 


IH. Die Bleieinwirkung auf Organsysteme. Im Blute kreisend, 
übt das Blei seine Wirkung auf eine Reihe von Organsystemen aus. Ge- 
fäße, Nervenapparat (zentraler und peripherer), Parenchym der Organe 
und Epitelialelemente — alle zeigen mehr oder weniger die Spuren der 
Bleiwirkung. Den Ort der Primäraffektion zu bestimmen, ist schwierig. 

A. Magendarmtrakt (mit Bleikolik). Die Bleiwirkung auf den 
Magen drückt sich zuerst durch Störung seiner sekretorischen Funktion 
aus. 


Untersuchung des Mageninhalts auf freie Salzsäure bei 86 Bleikranken nach 


Probefrühstück. 

0 bei 11 Fällen 
5--15 bei 10 „, | 27% 
15—40 bei 30 „, 28% 

(d. h. ungefáhr normal) 
44--50 bei 17 Fällen 
51--70 bei 18 ,, } 45% 

Desgleichen bei den 18 Sehwerbleikranken: 

Freie Salzsäure von 0—15 bei 64% 
Freie Salzsáure von 15—-40 bei 29% 
Freie Salzsäure über 41 bei 79: 


Obwohl die Zahlen für bindende Schlüsse zu klein sind, möchten 
wir für wahrscheinlich halten, daß die Bleiwirkung auf die Magensaft- 
sekretion zweiphasisch ist. Zunächst wird die Säuresekretion angeregt, 
später gehemmt. | 

Wir haben bei unseren 74 Kranken auch eine beträchtliche Menge 
von Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüren beobachtet (10 bzw. 13%), 
die wohl auf Sekretionsstörungen, Vasokonstriktion und damit auf Blei- 
wirkung zu beziehen sind. 

Die bei 6 von 74 Patienten beobachteten dyspeptischen Beschwerden 
sind wohl funktioneller Natur. Dafür sprechen die Arbeiten des physio- 
logischen Laboratoriums unseres Instituts (J. B. Razenkow) über Sekre- 
tionsveränderungen beim Hund unter Einwirkung des Bleies. 

Die Anamnese von 20 Arbeitern aus Bleiweißfabriken (stärkste Blei- 
einwirkung!) ergab, daß Verstopfungen und Durchfälle verhältnismäßig 
selten waren (ungefähr 20%), Bleikoliken dagegen häufiger (60%, und 
höher)!). Die Bleikoliken und die sie begleitenden Verstopfungen gehören 
demnach nicht in die Reihe der chronischen Enterokoliken (spastisch und 
katarrhalisch), sondern sie treten plötzlich auf unter der Einwirkung 
der kumulierenden Reizung der peripheren Nervenknoten und haben 
mit den IFxazerbationen der chronischen pathologischen Zustände im 
Darm der Bleikranken nichts zu tun, sondern sind Ausdruck einer all- 
gemeinen Bleivergiftung. Es sind dazu verhältnismäßig große Mengen 
von Blei notwendig. Solange in unserer Gummischuhwalzfabrik außer ` 
Bleioxyd auch Bleiweiß zur Verwendung gekommen war, beobachteten 
wir massenhaft Bleikoliken. (Der Bleiweißstaub ist der feinste Bleistaub, 
seine Teilchen sind kleiner als ein x.) Sobald jedoch das Bleiweiß aus 


1) Ähnliche Beobachtungen machte kürzlich Dr. Bibikow. 
Archiv f. Hygiene. Bd. 96. 23 


306 . Klinische Beobachtungen an Bleikranken. 


der Fabrikation ausgeschlossen und nur noch Bleioxyd verwendet wurde, 
verschwanden die Bleikoliken. Andere Manifestationen der Bleivergiftung 
(Anämie mit niedrigem Hb-Gehalt und b. E., Magensekretionsstörungen) 
blieben dagegen bestehen. 


Daß das Auftreten der Bleikoliken in erster Linie von der Einatmung 
großer Bleimengen abhängig ist, zeigt die Monatsverteilung der Blei- 
koliken ın einer Bleiweißfabrik (N. J. Bibikow). Die meisten Erkran- 
kungen fielen auf November (9), Januar (14), Februar (8), März (8), d.h. 
auf die Monate, in denen die Ventilation am schlechtesten und demnach 
die Einatmung des BleiweiBes am stärksten war. In der Abteilung, wo 
Bleiweiß hergestellt wird, machten von 12 Arbeitern binnen einem Jahr 
8 die Krankheit durch, 3 weitere hatten Anfälle. 


Der Alkoholismus erniedrigt wahrscheinlich die Resistenz des Organis- 
mus gegen Blei, die Konstitution scheint überhaupt sehr wichtig. 


Die Zeit der Bleieinwirkung schwankt in den bei uns untersuchten 
Fällen von 5 Monaten bis zu 22 Jahren. In dieser Beziehung ist ein Fall 
interessant: bei einem Meister der Bleiweißfabrik trat im 23: Arbeitsjahr 
zum erstenmal Kolik auf. Auch nach Aufhören der Bleizufuhr konnten 
wir noch Bleikolik sich einstellen sehen. 


Die Häufigkeit der Rezidive von Bleikolik bei 25 Patienten. 
Je 1 Anfall der Bleikolik haben 17 Arbeiter gehabt, 


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3. 


Die Dauer des Kolikantfalls. 


Der Anfall dauerte von 3—4 Tage — 2mal, 
sn „ an ” 9—7 IT Ke 16mal, 
zi „ 3? nn 19 TI Kees 4mal, 
,) H D H 18 „ SE 1 mal. 


Die Prodrome der Bleikolik sind Pulsverlangsamung, Erhóhung des 
Blutdrucks, schwerer benommener Kopf, schlechter Appetit und Apathie. 
Manchmal wird zäher Speichel (sympathische Innervation) und starke 
Zahnfleischschwellung (verstärkte Bleiausscheidung) beobachtet. Nicht 
selten kommen vor oder während der Bleikolik Myalgie der Lendenmuskeln 
und Verstärkung der Bauchreflexe vor. Während des Bleikolikanfalls ist 
der Blutdruck stark erhöht. 


Die Bleikolik gehört zu den verhältnismäßig häufigen Erscheinungen 
der Bleivergiftung. Von den 74 Kranken, die die Klinik passierten, haben 
16 Bleikolik gehabt. Eine annähernde Vorstellung von der Häufigkeit 
dieses Symptoms können auch folgende Zahlen geben, die die Bleiweiß- 
fabriken betreffen: unter den 350 Arbeitern der einen Fabrik wurden in 
einem Jahre 62 Fälle und unter den 300 Arbeitern der anderen 48 Fälle 
beobachtet. (Dr. Bibikow). 


Von Dr. J. G. Gelman. 307 


Blutdruek bei 19 Bleikranken der Institutsklinik während der Anfälle. 











Nr. | Max. | Min. | Dirterenz | Nr. | Max. | Min. | Dirterenz 
e | w e 
9 150 10 80 
10 151 81 70 
11 143 ' 84 ` Sp 
12 14 | 85 ' 5 
13 137 | 8l 56 
14 138 | 87 51 





Die Hypertonie, die die Bleikolik begleitet, steigt während des ganzen 
Anfalles an und fällt gegen das Ende steil ab. Dabei kehrt auch der Puls 
zur Norm zurück. Auf der Höhe des Anfalles beobachtet man manchmal 
Erbrechen und Aufstoßen. Manchmal wird die Bleikolik von Oligurie, 
ja sogar vorübergehend von Anurie begleitet; dabei bestand in einem Falle 
Harndrang. 

Muskelkrämpfe (besonders der Waden) und Muskelschmerzen be- 
gleiten häufig die Bleikolik; sie sind wahrscheinlich auch neuro-spastischer 
(ischämischer) Herkunft. Die Temperatur bleibt oft während des ganzen 
Anfalles normal, manchmal zeigt sie geringe Steigerungen bis 37,8. 


Die Bleikolik beruht auf Neurospasmus des Darms, bedingt durch 
die kumulierende Wirkung des im Blut kreisenden Bleies auf die Bauch- 
nervengeflechte und -knoten, und zwar hauptsächlich auf die sympathi- 
schen vasokonstriktorischen. Dieser Gefäßkrampf der EES ruft 
ischámische Kontrakturen des Darms hervor. 


C. Harnausscheidungs-Apparat. Bei einem Teil der Kranken 
(ca. 20) der Klinik wurde eine Priifung der Nieren vorgenommen (nach 
Volhard und Fahr). 


Die Konzentrationsprobe fiel bei 18 d.h. 90% negativ aus, 
die Konzentrationsprobe fiel bei 2 d. h. 10% genügend aus, 
die Wasserprobe fiel bei 11 d.h. 61% negativ aus, 

die Wasserprobe fiel bei 7 d.h. 39% genügend aus. 


Eme so häufige Funktionsstórung der Nieren, besonders in der Rich- 
tung der Konzentration des Harns ist kein Zufall; sie geht jedoch nicht 
der Zahl der Nephritiden respektive Nephrosen parallel. Von den 74 Kranken 
konnten bloß bei drei Erscheinungen von Nephritis oder Nephrose nach- 
gewiesen werden. Eiweiß fand sich bei den Bleiarbeitern nicht häufiger 
als bei anderen Arbeitern im Harn. 


D. Herz- und Gefäßsystem. Auch Blutdrucksteigerungen trafen 
wir bei den Bleiarbeitern nicht häufiger als bei anderen Berufsarbeitern. 
Im Gegenteil erwecken unsere klinischen Erfahrungen den Eindruck, als 
ob eine gewisse Neigung zu Hypotonie bestehe. Wenn von den Bleikoliken 
abgesehen wird, so wurde unter den 74 Kranken ein Blutdruckmaximum 
von 131—140 nur in einem Fall, ein solches von über 140 in fünf Fällen 
beobachtet. Von 20 Arbeitern der Bleiweißfabrik hatten ein Blutdruck- 
maximum von 131- 140 ein Arbeiter, ein solches von über 140 drei Ar- 
beiter. Von 236 Handsetzern hatten 131- -140 7%, über 140 7,2%... 


308 Klinische Beobachtungen an Bleikranken. 


Die Hypertonie bei der Bleikolik ist nur eine Episode, die nach SchluB 
des Anfalles wieder verschwindet. Die Blutdruckuntersuchungen, die bei 
1200 vergleichsweise herangezogenen Arbeitern verschiedenster Berufs- 
arten durchgeführt wurden, haben ein Maximum von 131—140 bei 15%, 
und ein solches von über 140 bei 7,6%, ergeben. Dafür daß kein dauernder 
spastischer Zustand der Gefäße besteht, spricht auch das normale Blut- 
druckminimum der Kranken unserer Klinik, das zwischen 41 und 80 
schwankte. 

E. Leber. Das vom Magendarmtrakt resorbierte Blei passiert die 
Leber, wird von dieser teilweise mit der Galle ausgeschieden, teilweise 
zurückgehalten; nur ein unbedeutender Teil dringt in den allgemeinen 
Blutstrom. A. Kabanow zeigte im physiologischen Laboratorium des 
Instituts an der isolierten Kaninchenleber, daß dieses Organ das Blei 
zurückhält; hierdurch wird die Leber zweifellos in ihrer Funktion beein- 
trächtigt; außerdem sind ja die Kupfferschen Sternzellen der Leber 
bei der erhöhten Hämolyse stark belastet. Von den 20 von uns unter- 
suchten Bleiweißarbeitern hatten 5 vergrößerte schmerzhafte Leber; bei 
den 16 an schwerer Bleivergiftung leidenden Personen war die Leber in 
vier Fällen vergrößert. Die Untersuchung des Blutes der Arbeiter, die der 
Bleivergiftung verdächtig waren, auf Vorhandensein von Leberlipase fiel, 
wie schon erwähnt, in allen Fällen (außer zwei) positiv aus; die Galaktose- 
probe war in allen Fällen negativ. Die Milz wurde in fünf Fällen vergrößert 
gefunden (13%). 

F. Nervensystem. Außerordentlich häufig trifft man in der Sympto- 
matologie der Bleivergiftung verschiedenartige nervöse Beschwerden, 
Kopfschmerz, Schwindel, erniedrigte Arbeitsfähigkeit, pathologische Er- 
müdbarkeit usw. Einige dieser Symptome dürften auf den anämischen 
Zustand des Gehirns zurückzuführen sein, manche aber, wie z. B. die Kopf- 
schmerzen, sind so hartnäckig, daß cs wohl erlaubt ist, an eine direkte 
Bleiwirkung auf das Zentralnervensystem oder seine Gefäße zu denken. 
Die experimentellen Arbeiten aus dem Laboratorium von K.B. Lehmann 
haben ja auch gezeigt, daß langdauernde Zuführung von Blei bei Tieren 
organische Veränderungen in den Nervenzellen hervorruft. 

Oft zu beobachtende Funktionsstörungen der verschiedenen Organe 
(Magen, Darm, Nieren usw.), ohne erkennbare anatomische Veränderungen, 
legen nahe, daß wir es auch hier mit der Wirkung des Bleis auf die Inner- 
vation dieser Organe, in erster Linie auf deren Ganglienapparat zu tun 
haben (vgl. das oben über Bleikolik Gesagte!). Als cine andere für Blei 
spezifische Nervenerkrankung ist die Polyneuritis zu betrachten (Nerven 
der Hand- und Fingerextensoren). Diese Komplikation der Bleivergiftung 
wird jedoch seltener als andere getroffen. So haben wir bei den 350 Ar- 
beitern der Bleiweißfabrik, von denen binnen einem Jahr 62 Bleikoliken 
und fast alle Anämien hatten, bloß in drei Fällen Bleilähmung beobachtet 
(zwei am Vorderarm und einer an der Schulter). Die Nervenschädigungen 
bei Bleivergiftung können sich aber nicht nur in Polyneuritis mit den 
scharf ausgeprägten Erscheinungen der Parese ausdrücken, sondern auch 
in Neuritis, die nur Schmerzen im Verlauf des Nervenstammes hervor- 
ruft, ohne motorische Schädigungen zu machen. Das Symptom der sog. 


Von Dr. J. G. Gelman. | 309 


Extensorenschwäche, welcher manche Autoren (Legge, Teleky) die Be- 
deutung eines kardinalen und frühen Symptoms der Bleivergiftungen zu- 
zuschreiben geneigt sind, haben wir bloß in den Fällen von scharf ausge- 
prägter Polyneuritis, und zwar außerordentlich selten beobachtet. Wir 
können kein Frühzeichen der Bleierkrankung im Sinne von Teleky darin 
sehen. Dasselbe gilt für die Atrophie der Interossei und der Extensoren 
der Hand. Diese Erscheinung haben wir auch nur entweder bei der all- 
gemeinen Muskelschwäche oder bei stark ausgesprochener Polyneuritis 
angetroffen. | 

Die Kraft der Hand war bei der überwiegenden Mehrzahl der Arbeiter 
normal; in keinem einzigen Fall eine pathologische Herabsetzung der 
Muskelkraft der Hände. 


Kraft der Hände, mit dem Dynamometer von Kollin ge- 
messen, bei 14 Bleiweißarbeitern. 


(Rechts/links.) 
39/39, 38/33, 52/48, 45/39, 30/33, 40/30, 42/40, 40/35, 26/24, 30/35, 
34/28, 45/46, 40/45, 30/36. 


G. Physikalisch-Chemische Blutveränderungen. Wir haben 
zunächst die Blutviskosität mit dem Apparat von Heß an 15 Kranken 
bestimmt. 

(Normal für Männer 4,6, für Frauen 4,2.) 


1. 5,0, 6. 49, 1. 47, 
2. 47, 2 46, 12. 44, 
3. “ha, 8. 48, 13. 48, 
l A 6,2, 92.37 14. 42, 
5. 5,8, 10. Ah, 15. 70. 


Es ergibt sich also nichts für Bleivergiftung Charakteristisches. 9 Pa- 
tienten haben eine gewisse Erhöhung, 5 eine gewisse Erniedrigung der 
Blutviskosität ergeben. — Die Senkungsgeschwindigkeit der roten 
Blutkörperchen (nach Westergreuz) blieb in den normalen Grenzen (2 bis 
6 mm), und nur einmal während eines schweren Bleikolikanfalles zeigte 
sich eine Erhöhung bis zu 12mm. — Die Resistenz der roten Blut- 
körperchen (nach Schustrow) wurde bei 15 Kranken untersucht. Die 
maximale und die minimale Resistenz war sehr oft von der Norm (34 bis 
48) verschieden, und zwar die minimale bis auf 24 erniedrigt und die maxi- 
male bis auf 56 erhöht IR Chartschenko). — Der Kalziumgehalt 
wurde nach Kramer bei vier Kranken bestimmt. In zwei Fällen konnte 
eine beträchtliche Erhöhung desselben nachgewiesen werden; während 
9,2—10,8 mg in 100 ccm als normal zu gelten haben, fanden wir in einem 
Fall von schwerer Bleikolik 14,85, in einem Fall von schwerer Bleianämie 
13,3. — Im Kaliumgehalt ergaben sechs Untersuchungen, im Zucker- 
gchalt 11, im Cholesteringehalt 13 ziemlich normale Werte; immer- 
hin war der Cholesteringehalt in 9 Fällen etwas erniedrigt. 

Es ıst also bis jetzt nicht gelungen, etwaige gesetzmäßige Veränderungen 
der physikalisch-chemischen Bluteigenschaften bei Bleikranken, die für 
die Bleivergiftung charakteristisch wären, festzustellen. Eine gewisse 


310 Klinische Beobachtungen an Bleikranken. 


Neigung zur Viskositátserhóhung, Cholesteringehalterniedrigung und 
Kalziumgehalterhöhung ist das einzige, was aus diesen ersten Unter- 
suchungen zu entnehmen ist. Sie sollen fortgeführt werden. 


Zusammenfassung. 

Die klinische Analyse unserer nicht sehr zahlreichen Beobachtungen 
führt zu folgenden Schlüssen: 

1. Die toxische Bleiwirkung erstreckt sich auf eine Reihe von Or- 
ganen, indem sie in den einen anatomische, in den andern nur funktio- 
nelle Veränderungen hervorruft. 

2. Am stärksten ist die Wirkung des Bleis auf das Blut. Die Blei- 
anämie ist der häufigste und früheste Ausdruck der Bleiwirkung. 

3. Nur wenig geringer geschädigt wird das Nervensystem, sowohl 
das zentrale als auch das periphere (Ganglien). Die sich daraus ent- 
wickelnden Innervationsstörungen führen zu Störungen der Magensekretion, 
der Nierentätigkeit, zu akuten Gefäßstörungen und zu akuten neuro- 
spastischen Krisen (Bleikolik). 

4. Das Gefäßsystem wird sowohl funktionell (neurospastisch), als 
auch anatomisch (Endarteritiden, Hämorrhagien) geschädigt. Hypertonie 
wird bei Bleiarbeitern nicht häufiger als bei anderen Berufsarten ange- 
troffen. 

5. Weiter schädigt Blei die Zellen der parenchymatösen Organe 
(Leber, Nieren, Herzmuskeln usw.) und führt zu trophischen Verände- 
rungen des Herzmuskels und zum Schwund des Fettpolsters. 

6. Die „Kardinalsymptome“ der Bleivergiftung sind weder beständig 
noch unausbleiblich. Sie erscheinen bloß als Episoden in der Kette der 
pathologischen Zustände der Bleivergiftung. 

7. Die physikalisch-chemischen Blutveränderungen bei Bleivergif- 
tung erfordern weiteres Studium. 


Zur Chemie des Leichenwachses unter besonderer Berück- 
sichtigung der Anaphylaxie. 
Von 
Dr. E. Remy. 


(Aus dem Hygienischen Institut der Universität Freiburg i. B. Direktor: Ge- 
heimrat Prof. Dr. P. Uhlenhuth.) 


(Bei der Redaktion eingegangen am 31. Oktober 1925.) 


Die ersten authentischen Berichte úber Leichenwachs stammen von dem 
Franzosen Foucroy, der bei seinen Ausgrabungen auf dem Friedhofe 
der Unschuldigen in Paris Fettwachsleichen in großer Zahl antraf. Das 
bei diesen Leichen vorgefundene Leichenwachs (Adipocire) beschrieb er 
als eine weißgraue, teils weiche, teils trockene, fettartige Substanz, die 
sich in poröse Stücke zerbrechen ließ. Im Innern dieser Fettmassen konnte 
er weder Reste von Haut, Muskeln, Sehnen, Gefäßen oder Nerven unter- 
scheiden. Thouret, der gleichzeitig mit Foucroy Untersuchungen über 
Leichenwachs anstellte, kam zu dem Schlusse, daß die Bildung dieses 
Wachses lediglich eine Umwandlung des Körperfettes sei, die in der Weise 
vor sich ginge, daß zuerst die Haut verseift würde, dann die daranliegenden 
Fleischteile. Aber weder über die Umlagerung bzw. Zersetzung der in 
der Haut noch im Fleische stets vorhandenen Eiweißstoffe, soweit sie 
für die Adipocire-Bildung in Betracht kamen, sprach sich Thouret näher 
aus. Auch Chevreul schloß sich bezüglich der Entstehung des Leichen- 
wachses den beiden genannten Forschern an, untersuchte dasselbe aber 
eingehender, wobei er feststellte, daß Adipocire entweder ein Gemenge 
von freien Fettsäuren oder ein Gemenge der Ammonium- resp. Kalkseifen 
dieser Fettsäuren darstelle. Spätere Untersuchungen von Wetherill be- 
stätigen die Angaben Chevreuls 1). 

Eine größere Anzahl von Forschern, so unter anderem Gibbs, Vir- 
chow, Kühne, Voit, Kratter, Salkowsky sowie Rubner sprachen 
sich dagegen für die Mitwirkung von Eiweißstoffen bei der Leichenwachs- 
bildung aus, wobei unter anderem die Beobachtung einer Metamorphose 
von Eiweißkörpern aus parenchymatös entzündeten Geweben in Betracht 
gezogen wurde. Corin führte die Entstehung des Adipocire auf Autolyse 





1) Real-Enzyklopädie der gesamten Heilkunde, Wien und Leipzig 1881, 
Bd. 8, S. 209. 


312 Zur Chemie des Leichenwachses usw. 


Bevor der Prozeß der Fettwachsbildung einsetzt, soll demselben eine 
kurze Periode der Fäulnis vorangehen, worauf die Saponifikation in Haut 
und Unterhautgeweben beginnt und von hier aus allmählich in die Tiefen 
fortschreitet. Damit aber die Saponifikation ermöglicht wird; müssen 
große Mengen Feuchtigkeit vorhanden sein, sowie Mangel an Luftzutritt?). 
Ferner sollen nach Angaben von M. Rubner bei der Leichenwachsbildung 
geeignete Bakterien mitwirken, auch muß die Beschaffenheit des sich 
zersetzenden Materials eine bestimmte sein, vor allem soll sie reichlich 
Fett enthalten®). Zillner, der sich ebenfalls eingehend mit dem Problem 
der Leichenwachsbildung befaßte, verwirft die Möglichkeit einer Bildung 
dieser Substanz aus Eiweißstoffen und führt ihre Entstehung auf eine 
reine Zersetzung aus Neutralfetten zurück. Hierbei wird das Neutralfett 
unter Wasseraufnahme zunächst in Glyzerin und Fettsäuren gespalten, 
von den dabei entstehenden freien Fettsäuren werden die ungesättigten 
Säuren durch Hydrierung in die entsprechend gesättigten Verbindungen 
übergeführt, so daß dadurch ein Gemisch reiner gesättigter Fettsäuren 
entsteht mit einer verhältnismäßig nur sehr geringen Menge ungesättigter 
Säure. Ein Teil der Fettsäure soll dann durch Einwirkung von Kalzium-, 
Magnesium- oder Ammoniumverbindungen in die entsprechenden Seifen 
übergeführt werden!). Auch hiernach würde, wie bereits oben erwähnt, 
Leichenwachs lediglich ein Gemisch hochmolekularer Fettsäuren und deren 
Salze (Seifen) darstellen, wobei an Basen, Kalzium, Magnesium, Kalium, 
Natrium und Ammonium auftreten?). 

Bei den bisher ausgeführten Analysen von Leichenwachs, soweit sie 
uns aus der Literatur zugänglich waren, und die in nachstehender Tabelle 1 
aufgeführt sind, ersieht man ohne weiteres, daß die chemische Zusammen- 
setzung niemals eine einheitliche ist oder sich innerhalb enger Grenzen 
bewegt. 

Es ist das auch nicht zu erwarten, da die Faktoren der Leichenwachs- 
bildung außerordentlich variable Größen sind, und die biochemische Syn- 
these dieser Substanz sich nie nach bestimmten Gesetzen vollzieht, wie 
wir dieses für die Synthese der organischen Verbindungen kennen. Ferner 
zeigen die bisher ausgeführten Analysen von Leichenwachs eine gewisse 
Unvollständigkeit, indem vor allen Dingen dem nahezu in jedem Leichen- 
wachs vorkommenden Element Stickstoff bezüglich seines Formauftretens 
scheinbar kein Wert beigemessen wurde, trotzdem in dieser Beziehung 
den Untersuchungsbefunden weit mehr Bedeutung hätte zugesprochen 
werden müssen. Gerade für die Beweisführung der Bildung von Leichen- 
wachs aus eiweißartigen Substanzen wäre nicht allein der qualitative 
Nachweis organischen Stickstoffs ein ziemlich sicherer Anhaltspunkt ge- 
wesen, sondern vor allem müßte auf die quantitative Stickstoffbestimmung 
in seinen verschiedenen Verbindungsformen der Hauptwert gelegt werden. 


i 4) Handbuch der Hygiene von M. Rubner, von Gruber, Ficker. Bd. IV, 
S. 183—187. 

2) Archiv für Hygiene, Bd. 38, S. 90. 

3) R. Kobert, Lehrbuch der Intoxikationen, Bd. I, S. 90, 1902. — C. v. 
Hofmann, Über einige Leichenerscheinungen, Hygienische Rundschau 1891, 
5. 388. ; 

4) Weyl, Handbuch der Hygiene, Bd. II, S. 159, Leipzig 1919. 














an Dr. E. R 
Von Dr. E. Remy. 313 
Tabelle I. 
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1) E. Abderhalden, Biochemisches Handlexikon, Bd. III, S. 176, 1911. 
2) W. Müller, Postmortale Dekomposition und Ce Mea Zürich 1913. 
3) Biochemische Zeitschrift 1923, Bd. 131 S. 8. 


Überhaupt geben die meisten bisher erschienenen Abhandlungen, selbst 
größere Werke wie die von Minovici und Müller, einen verhältnismäßig 
nur geringen Aufschluß über den Chemismus des Leichenwachsest). 
Bei unseren Untersuchungen kam es vornehmlich darauf an, fest- 
zustellen, ob in dieser oder jener Leichenwachsart sich mit Hilfe der Ana- 
ohylaxie noch menschliches Eiweiß nachweisen ließ, nachdem durch 
die chemische Untersuchung in einwandfreier Weise gezeigt wurde, daß 
außer dem Ammoniakstickstoff stets noch eine bei weitem größere Menge 
Stickstoff vorhanden sei, die nur mit Hilfe des Verfahrens nach Kjeldahl 
bestimmt werden konnte. Wie aus Tabelle II hervorgeht, ist diese Stick- 
stoffmenge, die wir als Reststickstoff bezeichneten, bei einigen Leichen- 
wachsproben ziemlich erheblich, es wäre jedoch nicht richtig, dieselbe 
mit 6,25 zu multiplizieren, um die entsprechende Menge Rohprotein zu 
erhalten, da, wie Tabelle III zeigt, die zum Nachweis der Eiweıßstoffe be- 
kannten Reaktionen nur zum geringsten Teile positiv ausfielen. Auf 
Grund dieses Befundes mußte daher wenig Aussicht vorhanden sein, daß 
die Anaphylaxie zu einem positiven Resultate führen würde, da die Dena- 
turierung bzw. der Abbau der reaktionsfáhigen Eiweifsubstanz zu weit 
vorgeschritten war. Immerhin konnte es möglich sein, daß noch unver- 
ändertes oder nur wenig verändertes menschliches Eiweiß zugegen war, 
jedoch in so geringer Menge, daß durch den chemischen Nachweis kein 
„positiver Ausfall beigegracht werden konnte. Ähnliche Verhältnisse liegen 
"bei Mumienmaterial vor, wobei Uhlenhuth und Weidanz feststellten, 
daß es nur in seltenen Fällen gelingt, die Herkunft dieses Materials mittels 
der Anaphylaxıe zu bestimmen. Bei der Mehrzahl solcher Objekte scheint 
die biologische Bestimmung schon bei hundert Jahre altem Material zu 
versagen infolge zu starker Denaturierung des Kiweiß. Und damit stimmte 

1) M. Minovici, Putrefacia, Bukarest 1899. - - W. Müller, Postmortale 
Dekomposition und Fettwachsbildung, Zürich 1913. 

93% 


Zur Chemie des Leichenwachses usw. 


314 


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Von Dr. E. Remy. E 315 


Tabelle III. Reaktion der 2proz. wässerigen Auszüge der Leichenwachsarten 
mit Eiweißreagentien. 









T 
1 


+ 
Ma 
+ 


Biuret-Reaktion 
Eßbach-Reagens i 
Essigsäure + GE 
Glyoxalsáure-Lósung . 
Millons-Reagens 
Neßler-Reagens 
Ninhydrin-Reagens 
Xanthoprotein-Reaktion 
Sulfosalizylsäure-Reagens 
Reaktion nach Lassaigne 





ee 


+= 
er 


— 


IA HH 


HI IH +1 
WE 
+I+1++ 
TEE HEH 


S 
+ 
+ 
+ 
+ 


die Tatsache überein, daß auch auf künstlichem Wege denaturiertes Ei- 
weiß seine präzipitogene und anaphylaktogene Wirkung allmählich ein- 
büßt!). In Anlehnung an die Arbeit von Uhlenhuth und Haendel 
über die praktische Verwertbarkeit der Anaphylaxie wurde bei unseren 
diesbezüglichen Versuchen wie folgt verfahren?): 

3 g der fein gepulverten Leichenwachsprobe I wurden mit Äther 
extrahiert, um sie von dem größten Teil des Rohfettes zu befreien. Den 
Rückstand verrieb man mit 20 ccm physiologischer Kochsalzlösung und 
spritzte von dieser Aufschwemmung Meerschweinchen sechsmal hinter- 
einander in Abständen von je 48 Stunden 0,5 ccm intraperitoneal ein, 
so daß die gesamte Menge 3 ccm betrug. In diesen 3 ccm waren enthalten 
0,522 mg Stickstoff, was 3,26 mg Eiweißsubstanz entspricht. Nachdem 
die Tiere nach der letzten Einspritzung 32 Tage gestanden haben, wurden 
jedem Tiere 1 ccm inaktiviertes Menschenserum in die Carotis eingespritzt. 
Bei allen Tieren war, wie Tabelle IV zeigt, der Ausfall der Anaphylaxie 
negativ. 

Tabelle IV. 






















































Gewicht Gesamtmenge | Milli- Milli- Dauer der | 

TU a T gamme aao a a EE 
Sensibili- : wachsauf- | Nei | substanz letzten Befund 
sierung schwemmung N x 6,25 Injektion 


*) Tier Nr. 507 ging infolge Seuche nach 14 Tagen ein. 


4) P. Uhlenhuth und O. Weidanz, Die biologischen Methoden im Dienste 
der anthropologischen RUE Zeitschrift für Morphologie und Anthro- 
pologie, Bd. XVIII, 

2) Uhlenhuth and Haendel, Untersuchungen über die praktische Ver- 
wertbarkeit der Anaphylaxie zur Erkennung und Unterscheidung verschiedener 
Eiweißarten. Zeitschrift für Immunitätsforschung und experimentelle Therapie. 
Bd. IV, Heft 6, 1910. 


6 ` Zur Chemie des Leichenwachses usw. 
d 


In genau gleicher Weise wurden sechs Tiere mit Leichenwachsprobe 11 
(Pathologisches Institut Freiburg) sensibilisiert. Auch bei diesen verlief 
die Anaphylaxie-Reaktion negativ, wie Tabelle V zeigt. Infolge der zur 
Verfügung stehenden verhältnismäßig geringen Menge l.eichenwachs 
konnten nur 2g der Substanz zur Anwendung gelangen. 


"Tabelle V. 






















Gewicht | Gesamtmenge Milli- Milli- Dauer der 
des Tieres | derinjizierten gramme `: gramme Einwirkung ¡| Anaphy- 
Nr. vor der Leichen- ` ` stiekstorr , Stickstoff- : nach der la xie- 
Sensibili- wachsauf- N-44 » Substanz , _letzten Befund 
sierung . | schwemmung N Xx 6,25 Injektion 










0,37 | 2,286 33 Tage | 










501 290 g 3 ccm 0 
502 240 g 3 ccm 0,37 | 2286 33 „ 0 
5031) | 2208 | 3 ccm 0,37 2,286 3. = 
504 260 g 3 ccm 0,37 | 2,286 33 „ 0 
505 200 g | 3 ccm | 0,37 ! 2286 33 „ 0 
506 !) 215 g 3 ccm 0,37 2,286 3 0» — 


1) Tiere Nr. 503 und 506 gingen infolge Seuche ein. 


Ferner wurden 5,32 g der fein gepulverten Leichenwachsprobe V (Ge- 
richtlich-medizinisches Institut Zürich) mit Trichloräthylen vollkommen 
entfettet und der Rückstand mit 40 cem physiologischer Kochsalzlósung 
verrieben. In 10 ccm dieser Aufschwemmung wurde nach dem Verfahren 
von Kjeldahl der Gesamtstickstoff bestimmt und zu 6,384 mg gefunden 
(N = 14). Somit war die Gesamtmenge Stickstoff wie sie in der ursprüng- 
lichen Substanz vorlag, auch noch nach dem Entfettungsprozeß vor- 
handen, mithin waren keine stickstoffhaltigen Substanzen in die Fett- 
lösung übergegangen. Fünf Tiere wurden nun zur Anaphylaxie wie folgt 
behandelt: Jedes Tier erhielt in Zeitabständen von 48 Stunden viermal 
hintereinander je 1 ccm der Aufschwemmung, sodann je 0,5 ccm, sodaß 
die Gesamtmenge der Aufschwemmung 4,5 cem betrug. In dieser Anzahl 
Kubikzentimeter waren mithin enthalten 2,87 mg Stickstoff. Trotz dieser 
verhältnismäßig großen Menge stickstoffhaltiger Substanz verlief auch bei 
diesen Tieren die Anaphylaxie negativ, wie nachstehende Tabelle zeigt. 


Tabelle VI. 




















Gewicht | Gesamtmenge Milli- i Milli- | Dauer der | 
des Tieres |! der injizierten | gramme gramme Einwirkung | Anaphy- 
Nr. vor der ' Leichen- Stiekstor |; Nickstoff- nach der a xiebefund 
Sensibili- | wachsauf- N=t4 substanz letzten 
sierung schwemmung Seck Nx6,25 ; Injektion 
| 3 e S | 
4,5 cc. 2,87 17,94 34 Tage | 0 
4,5 cc. 2,87 17,94 34 do. —. 
| 4,5 cc. 2,87 17,94 34 do | 0 
4,5 cc. 2,87 17,94 34 do. 0 
4,5 cc. 2,87 17,94 34 do. ` 0 





*) Tier Nr. 595 ging an Seuche ein. 


Von Dr, E. Remy. 317 


Sowohl die Anaphylaxie wie auch der in Tabelle 111 aufgezeichnete 
Reaktionsbefund ergaben somit die Tatsache, daß die ursprünglich vor- 
handen gewesenen Eiweißstoffe sehr stark abgebaut sein mußten. Dieser 
Abbau kann sich aber unter anderem auf hydrolytischem Wege vollziehen, 
da Fermentwirkung ausgeschlossen, die, wie bekannt, nur an lebende 
J,elltätigkeit gebunden ist!). 

Unter Zugrundelegung der Arbeiten von H. Wieland und F. Bergel 
über den „Mechanismus der Oxydationsvorgánge“ dürfen wir unter anderem 
bei der Bildung der Fettsäuren im Leichenwachs aus Eiweißstoffen an- 
nehmen, daß die hochmolekularen Aminosäuren zunächst Wasserstoff 
abspalten, der von einem Wasserstoffakzeptor gebunden wird unter Bil- 
dung des hydrierten Produktes. Die Rolle des Wasserstoffakzeptors kann 
hierbei Sauerstoff übernehmen, wobei primär Wasserstoffsuperoxyd ent- 
steht, aus dem sich unter Sauerstoffabspaltung Wasser bildet. Aber auch 
Stoffe mit Doppelbindungen, vielleicht Ölsäure oder Disulfidverbindungen 
(—S—S5S-—) können den Aminosäuren unter geeigneten Umständen ihren 
Wasserstoff entziehen. Ehe dann die eigentliche Desaminierung erfolgt, 
d.h. die Abspaltung von Ammoniak, geht dieser noch die der Kohlen- 
säure voraus, so daß sich das Schema der Bildung von Fettsäuren aus Ei- 
weißstoffen wie folgt gestalten wúrde :?) 

R—GH-—COOH a R—G—COOH i R—CH -+H,0 
NH, = NH > NH NH; 
O 
RC +0 R-COOH 
NH , > 


Bezüglich der Disulfidverbindungen sei noch erwähnt, daß gerade dem 
Glutathion, eine Substanz, die Hopkins aus Muskelgewebe isolierte, und 
die als eine peptidartige Kombination von Cystein mit Glutaminsäure 
angesehen wird, ein besonderes Hydrierungsvermögen auf Grund der bis- 
herigen Erfahrungen über die Reduktionsprozesse in der Zelle zugesprochen 
werden muß). 

Ferner kann, wie bereits oben erwähnt, eine Umwandlung von Eiweiß- 
stoffen ın Fettsäuren auf dem Wege der hydrolytischen Desaminierung 
vor sich gehen, wobei zunächst Oxysäuren entstehen, die dann durch 
Reduktion in die entsprechenden Karbonsäuren übergeführt werden.?) 

R—CH,—CH—COOH Hai R-CH,—CH -COOH 
ch 


| +H, 
NH, —NH, OH ES 


Und da bei der Leichenwachsbildung die Grundbedingungen für das 
- Zustandekommen hydrolytischer Vorgänge zur Genüge gegeben sind, so 


1) C. Oppenheimer, Die Fermente und ihre Wirkungen, S.13, Leipzig 
1924. 

2) H. Wieland und F. Bergel, Zum oxydativen Abbau der Aminosäuren. 
Liebigs Annalen. Bd. 439, S. 196. 

3) H. Wieland, Die Reduktionsprozesse in der Zelle. Handbuch der Bio- 
chemie von C. Oppenheimer. 1923, Bd. H, S. 266. 

4) E. Abderhalden, Physiologische Chemie. 1924, Bd. I, S. 460. 


318 | Zur Chemie des Leiehenwachses usw. 


muß dieser Art der Fettsäurebildung besondere Beachtung geschenkt 
werden. Überhaupt wird man dem Vorgang der Umwandlung von Eiweiß- 
stoffen in Fettsäuren niemals ein feststehendes Schema zusprechen dürfen, 
sondern es müssen dabei stets mehrere Bildungsmöglichkeiten in Betracht 
gezogen werden, die nebeneinander herlaufen, denen ein gewisser gene- 
tischer Zusammenhang im Reaktionsmechanismus nicht abzusprechen ist. 

Es hat selbstverständlich nicht an Gegenäußerungen gefehlt, die eine 
Entstehung von Leichenwachs aus Eiweiß vollkommen in Abrede stellten, 
und doch haben experimentelle Versuche von K. B. Lehmann sowie die 
Mumienuntersuchungen von W. A. Schmidt bewiesen, daß auch Proteine 
an der postmortalen Umwandlung beteiligt sind!). 

Bezüglich der Bildung des Adipocire aus Menschenfett dürfte es sich 
hierbei vornehmlich um eine Reduktion der zu etwa 65,6 bis 86,7 vH vor- 
handenen Menge Ölsäure handeln, indem diese durch Wasserstoffaufnahme 
entweder in die Stearinsäure übergeht, oder durch Oxydation in die um 
zwei Kohlenstoffatome ärmere Palmitinsäure?). Daß hierbei nicht eine 
Säure der Formel C,¿H33C00H entsteht, beruht auf den bisher gemachten 
Erfahrungen über den oxydativen Abbau der Fettsäuren, wonach eine 
Fettsäure stets so abgebaut wird, daß zunächst die um zwei Kohlenstoff- 
atome ärmere homologe Säure sich bildet*). Unsere Untersuchungen lassen 
auf Grund der berechneten mittleren Molekulargewichte der Fettsäuren 
deutlich erkennen, daß es sich bei den Leichenwachsarten bis auf Nr. II 
im wesentlichen um ein Gemisch von Palmitin- und Stearinsäure handelt. 
Für den erheblichen Rückgang der Ölsäure bzw. ihre Umwandlung in eine 
gesättigte Verbindung sprechen vor allen Dingen auch die Befunde der 
Jodzahlen, die sich ja in verhältnismäßig sehr niedrigen Grenzen bewegen. 

Für die Ermittlung der in Tabelle II aufgeführten analytischen Daten 
der Rohfette wurden die einzelnen Leichenwachsproben mit verdünnter 
Schwefelsäure behandelt und die so abgeschiedenen Fettsäuren mit Ather 
mehrere Male ausgeschüttelt. Die flüssig gemachten Fettsäuren wurden 
filtriert und nach den bekannten Verfahren die angegebenen Konstanten 
bestimmt. Da der anal.ytische Befund bei Probe II erheblich von den 
übrigen Befunden abweicht, so müssen bei diesem Leichenwachs besondere 
Verhältnisse vorliegen, die sich nicht ohne weiteres aufklären lassen. Es 
fragt sich überhaupt, inwieweit diese Substanz als Leichenwachs anzu- 
sprechen ist. 

Was nun die Entstehung von Fettseifen im Leichenwachs anbelangt, 
so nehmen diese einen erheblichen Teil der Fettsäuren in Anspruch unter 
der Voraussetzung, daß die vorhandenen Mengen an Kalzium-, Magnesium- 
und Ammonuimjon mit dem Wasserstoffjon der Säuren in Reaktion ge- 
treten sind. Nimmt man an, daß, wie bereits oben erwähnt, das Leichen- 
‚wachs ausschließlich nur Palmitin- und Stearinsáure enthält, und zwar 
zu gleichen Teilen, so würde sich auf Grund unseres analytischen Befundes 


4) Weyl, Handbuch der Hygiene, Bd. II, S. 159. 

2) E. Abderhalden, Biochemisches Handlexikon, Bd. III, S. 174. 

3) F. Knoop, Wie werden unsere Hauptnährstoffe im Organismus ver- 
anne und wechselseitig ineinander übergeführt ? Klinische Wochenschrift 1923, 
IN. 2, S. 60, 


Von Dr. E. Remy. 319 


die Menge an gebundenen und freien Fettsáuren bei den einzelnen Leichen- 
wachsproben wie folgt verhalten: 



















18,73%, 
76,949, 


28,520 


Gebundene Fettsäuremengen 
61,21%, 


Nicht gebundene Fettsäuremenge 





Ein konstantes Verhältnis zwischen der Menge gebundener und nicht 
gebundener Fettsäure besteht demnach nicht. 

Stellt man ferner von verschiedenen Leichenwachssorten mikrosko- 
pische Schnitte her, so findet man, daß ein Teil derselben im Mikroskope 
eine vollkommen homogene, fast kristallinische Struktur zeigt, wobei 
die Kristalle schichtweise übereinander gelagert sind, so daß ein Bild, wie 
es Figur 1 darstellt, entsteht. 





Fig, 2. 


320 Zur Chemie des Leichenwachses usw. 


Vielfach jedoch trifft man im Leichenwachs braune Verfárbungen an, 
die einen faserartigen Verlauf nehmen, und wie wir bei unseren Unter- 
suchungen nachweisen konnten, den Hauptteil der nach Mstündigem 
Kochen mit je 1,25%, Schwefelsäure und Kalilauge im AufschlieBungs- 
Apparate nach Remy nicht lösbaren Stoffe ausmachen.!) (Fig. 2 und 3.) 

Besonders morphologische Kennzeichen ließen sich hieran nicht fest- 
stellen, wodurch ein Rückschluß auf bestimmte Gewebs- oder sonstige 
Organteile hätte gezogen werden können. Zellstruktur war ın keinem 
Falle nachzuweisen. Während Leichenwachs ohne derartige Einlagerungen 
im Mikropolarisationsapparate keine optisch aktiven Anteile erkennen 
ließen, war solches der Fall bei denjenigen Proben, die von oben beschrie- 
benen Fasersträngen durchsetzt waren. Die Drehung dieser in geringer 
Menge auftretenden Teilchen war nach links gerichtet. 

Auf Grund unserer Befunde kommen wir somit zu dem Schlusse, daß 
das Leichenwachs ein Gemisch der freien Fettsäuren, der Palmitin- und 
Stearinsäure sowie deren Kalzium-, Magnesium- und Ammoniaksalzen dar- 
stellt. Seine Entstehung ist nicht allein auf eine Metamorphose von 
Menschenfett zurückzuführen, sondern auch Eiweißstoffe sind an seiner 
Bildung beteiligt. 

Die Bezeichnung Leichenwachs ist unseres Erachtens unrichtig, da 
wir, streng wissenschaftlich genommen, unter Wachsarten Fettsäureester 
höherer einwertiger Alkohole wie Cetylalkohol (Goal), ferner Myricyl- 
alkohol (Gales) verstehen, die außerdem noch freie höhere Fettsäuren 
enthalten?). 

Wie aus unseren Untersuchungen ersichtlich und auch aus der Lite- 
ratur zu entnehmen ist, treffen diese Voraussetzungen für die bisher ana- 
lysierten Leichenwachsproben in keiner Weise zu. Auch die Auffassung 
von Thouret, der mit dem Ausdruck Adipocire den bestimmten genetischen 
Zusammenhang des Fettwachses mit dem fertig gebildeten Körperfett 
verband, ist auf Grund vorstehender Anschauungen nicht haltbar. Die 
exakte wissenschaftliche Bezeichnung für diese Substanz 
wäre Leichenfett, das in keiner Weise mit Menschenfett zu 
identifizieren ist, da sowohl unser Befund (s. Tabelle II) wie 
auch der anderer Autoren von dem des Leichenfettes ein 
analytisch abweichendes Bild gibt’). 

e m % 

An dieser Stelle móchte ich den Herren Geh.-Rat Aschoff- Freiburg, 
Geh.-Rat Borst-München, Geh.-Rat Lubarsch- Berlin, Geh.-Rat Straß- 
mann-Berlin und Prof. Zangger-7Zürich für die liebenswürdige Über- 
lassung der Leichenwachsproben meinen verbindlichsten Dank aussprechen. 


1) E.Remy, Über die Anwendbarkeit eines neuen Aufschließungs- Apparates. 
Ghemiker-Zeitung Nr. 55, 1925, 8.392. 

2) V. Meyer und P. Jakobsen, Organische Chemie, Bd. I, S. 592. 

3) E. Abderhalden, Biochemisches Handlexikon, Bd. IHI, S. 174, Berlin 
1911. 


Neue tierexperimentelle Untersuchungen über den Wert der 
basophil-granulierten Erythrozyten für die Frühdiagnose 
der Bleivergiftung. 


Von 


Privatdozent Dr. Hans Lehmann, 
Assistent am Institut. 


(Aus dem Hygienischen Institut der Universität Jena.) 


(Bei der Redaktion eingegangen am 29. November 1925.) 


Die frühzeitige Erkennung der Bleivergiftung spielt auch heute, ob- 
gleich durch ständige ärztliche Überwachung und Auslese der Arbeiter 
in bleigefährdeten Betrieben die Zahl der Erkrankungsfälle wesentlich 
zurückgegangen ist, noch eine erhebliche Rolle. Als das Dreigestirn auf 
dem Gebiete der Frühdiagnostik dieser Gewerbekrankheit durch die 
mikroskopische Blutuntersuchung Hamel-Grawitz-P. Schmidt die 
Möglichkeit derselben mittels der basophil gekörnten Erythrozyten ver- 
öffentlichte, war berechtigter Grund vorhanden, die Frage der Bleischädi- 
gung der Arbeiter bei genügender ärztlicher Kontrolle praktisch als be- 
seitigt anzusehen. | 

Hamel redete von einem ,,typischen, geradezu klassischen Beispiel für das 
Auftreten der basophil gekörnten Erythrozyten, in welchen wir das erste diagnosti- 
sche Zeichen der begonnenen Bleiintoxikation des Menschen besitzen, indem wir 
die Körnelung der roten Blutkörperchen als den Ausdruck der bereits einge- 
tretenen Schädigung des Blutes zu betrachten haben“. Der Nachweis gelingt 
nach seiner damaligen Meinung bereits zu einer Zeit, wo subjektiv noch keinerlei 
Störungen des Wohlbefindens zu bestehen brauchen. Grawitz sagte, daß alle 
Bleivergiftungen in auffallender Regelmäßigkeit und in großer Zahl punktierte 
Erythrozyten aufweisen und, anderenorts, reichliche p. E. bei jedem Bleikranken 
vorkommen, mithin eine sehr wichtige diagnostische Bedeutung haben. P. 
Schmidt schließlich stellte bei Beachtung seiner Grenzzahl fest, daß die Blut- 
untersuchung ein segensreiches Hilfsmittel sei, da es uns die Krankheit in einem 
Stadium erkennen läßt, wo überhaupt noch keine Erscheinungen derselben vor- 
zuliegen brauchen. | 

Der diagnostische Wert der p. E. für: die Bleiblutuntersuchung galt 
nun längere Zeit als absoluter und die Literatur darüber stieg sehr bald 
ins UnermeBliche. Das Institut für Gewerbehygiene in Frankfurt a. M. 
hat sich der dankenswerten Aufgabe unterzogen, die gesamte Bleiliteratur 
in einem besonderen Hefte zusammenzustellen. Wir können uns daher 
darauf beschränken, die Richtungspunkte in der Bearbeitung der Blei- 
frage anzugeben. 


Archiv f. Hygiene. Bd. 96. 24 


322 - Neue tierexperimentelle Untersuchungen usw. 


Die Frühdiagnostik der Bleivergiftung mit Hilfe der p. E. galt als so sicher, 
daß Schoenfeld sagte, die Blutuntersuchung im Frühstadium der Krankheit 
lasse uns nie im Stich und es sei ein Triumph derselben, den Nachweis geringster 
Bleieinwirkung sicher zu einer Zeit zu erbringen, da andere Symptome sich noch 
nicht kenntlich machen. Auch Leo Münz kommt in seiner Dissertation zu dem 
Schluß, daß die p. E. als erstes Symptom der Bleivergiftung auftreten, bevor noch 
Zeichen irgendwelcher anderen Art zur Beobachtung gekommen sind, also das 
feinste Kriterium für die beginnende Bleivergiftung bedeuten. Schnitter be- 
hauptet im Gegensatz zu Goetzl mit Bestimmtheit, daß es klinisch erkennbare 
Bleivergiftung ohne p. E. im strömenden Blute nicht gibt, woraus aber nicht 
hervorgeht, daß die p. E. stets vorhanden sind, wenn die klinischen Symptome 
eine Bleiintoxikation noch nicht vermuten lassen. 


Erst einer langen Erfahrung hat es bedurft, um die Ansicht, daß die 
p. E. ein sicheres Frühdiagnostikum für Bleieinwirkung seien, zu er- 
schüttern. 


Naegeli machte schen frühzeitig darauf aufmerksam, daß selten bei Blei- 
kranken massenhaft p. E. vorkommen, und daß letzteres nur der Fall ist, wenn 
starke oder doch erhebliche Anämie besteht. Er beobachtete ferner ein Fehlen 
dieser Blutkörperchen in Fällen, bei denen die Urinanalyse mit Sicherheit Blei 
ergab. Mithin sei es höchste Zeit, den für zahlreiche Fälle leider recht beschränkten 
Wert der basophilen Tüpfelung auf das richtige Maß zurückzuführen. Engels- 
mann kommt gelegentlich seiner Untersuchungen in Abwrackbetrieben zu dem 
Erfahrungsschlusse, daß die Folgerungen Schoenfelds nicht richtig sind und 
stimmt Böttrich zu, der sich mehr für die Bewertung der klinischen Symptome 
einsetzt, wobei natürlich die Blutuntersuchung nicht entbehrt werden soll. 


Maßgebend für den Wert der Blutuntersuchung waren in den letzten 
Jahren die Beobachtungen und Erfahrungen der Gewerbeärzte, die an 
dem ihnen zur Verfügung stehenden Arbeitermaterial systematische Durch- 
untersuchungen auf das Vorkommen der einzelnen Symptome der Blei- 
vergiftung veranlassen und die gewonnenen Resultate statistisch ver- 
werten konnten. 


Koelsch kommt daraufhin im Bericht des bayerischen Landesgewerbearztes 
zu der Erkenntnis, daß die Ergebnisse der mikroskopischen Blutuntersuchung 
auf p. E. nicht befriedigten und zum mindesten nicht im Verhältnis zur aufge- 
wendeten Mühe standen. Thiele fordert die Einbeziehung des Gesamtblut- 
bildes, insbesondere das Verhalten der Leuko- und Lymphozyten, da die Be- 
obachtung der p. E. allem Anschein nach nicht genügt. Seitz meint, daß die 
Nachforschung nach Basophilie allein bei gewerbehygienischen Untersuchungen 
im Schriftgießereiberufe kein richtiges Bild des Gesundheitszustandes der Ar- 
beiter gäbe. Schließlich wurde in einer Umfrage des Frankfurter Instituts für 
Gewerbehygiene die vorliegende Frage nach der praktischen Seite wenigstens 
dahin geklärt, daß die Diagnose und insbesondere der Ausschluß von der Blei- 
arbeit nur auf Grund der Betrachtung des Gesamtindividuums unter Berück- 
sichtigung des ganzen Symptomenkomplexes erfolgen darf (Teleky, Gerbis, 
P. Schmidt). Teleky fordert nunmehr, daß alle, die einen Symptomen- 
komplex darbieten, in dem neben der Veränderung der Gesichtsfarbe auch p. E. 
in stärkeren Mengen vorhanden sind, von der Bleiarbeit auszuschließen sind. 
Der sofortige Ausschluß ist jedoch nicht nötig, wenn nur p. E. vorhanden sind, 
Entfernung von der Bleiarbeit aber, wenn auch zu etwas späterem Zeitpunkte, 
zu empfehlen. Bei Zuverlässigkeit der klinischen Symptome bedeutet die Blut- 
untersuchung nur ein wertvolles Hilfsmittel, dessen man sich in zweifelhaften 
Fällen bedienen muß. 


Eine sichere und entscheidende Diagnose der Bleivergiftung durch 
das Blutbild ist also nach den praktischen Erfahrungen dieser Autoren an 
einem großen Untersuchungsmaterial kaum möglich. 


Von Dr. Hans Lehmann. 323 


Aber noch in anderer Beziehung ist es äußerst wertvoll, die Zuver- 
lässigkeit dieser Frühdiagnostik sicher zu entscheiden. Das ist die Frage, 
ob es angängig ist, auf Grund des Blutbildes die Einreihung der Blei- 
vergiftung in die „Betriebsunfälle‘‘ zu fordern. Bekanntlich rechneten 
nach dem Gesetzbuche zu diesen bis vor kurzem nur solche Körperschädi- 
gungen, die in einem Betriebe auf ein plötzliches, d. h. zeitlich bestimm- 
bares, in einen verhältnismäßig kurzen Zeitraum eingeschlossenes Ereignis 
zurúekfúhrbar sind, nicht aber chronisch verlaufende Betriebsschädigungen. 
Das war selbstverständlich eine Ungerechtigkeit der sozialen Gesetzgebung, 
auf die schon mehrfach hingewiesen worden ist. Es hat auch nicht an 
Versuchen gefehlt, diese zu überbrücken. Das Reichsversicherungsamt 
erkannte seinerzeit an, daß im Interesse der Rechtspreehung der Begriff 
„plötzlich“ nicht allzu eng zu fassen ist. In anderen Fällen von chronischer 
Bleivergiftung legte man eine Summe von einzelnen Betriebsunfällen zu- 
grunde, um dadurch die Geschädigten in den Genuß der Unfallrente zu 
setzen. All das konnte aber auf die Dauer nicht befriedigen, da eine gleich- 
mäßige Behandlung der Frage in diesem Sinne nicht zu erwarten war. 
Es blieb jedoch bis zum Frühjahre 1925 bei den verschiedenen Forderungen 
und Vorschlägen (Betke, Ewald und F. Curschmann), ohne daß ein 
praktischer Erfolg zu verzeichnen gewesen wäre. ` 

Durch Verordnung des Reichsministers über ‚Ausdehnung der Unfall- 
versicherung auf gewerbliche Berufskrankheiten‘‘ vom 12. Mai 1925 wurde 
die Unfallversicherung auf einige gewerbliche Berufskrankheiten, unter 
denen sich die Erkrankungen durch Blei oder seine Verbindungen befinden, 
ausgedehnt und dementsprechend meldepflichtig gemacht. Dadurch ist 
die Frage der Frühdiagnostik der Bleivergiftung mittels der basophil ge- 
körnten Erythrozyten wieder in den Vordergrund gerückt. 

Unter den Autoren, welche das Auftreten der p. E. als untrügliches 
Zeichen für stattgehabte Bleieinwirkung betrachten, geht Schoenfeld 
am weitesten. Er erkennt in der Unfallfrage das Mikroskop als Schieds- 
richter zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer an. Mit anderen Worten 
heißt das, daß ihm das Auffinden von p. E. im Blute genügt, bei Beachtung 
der bekannten Grenzzahlen, um den Betroffenen als bleikrank in den Genuß 
der Unfallrente zu bringen. Lediglich bei der Unterscheidung von mani- 
fester und latenter Bleivergiftung soll der klinische Befund den Ausschlag 
geben, und zwar in dem Sinne, daß sich der Unterschied zwischen diesen 
beiden Formen nicht an irgendeine Zahl der gefunden p. E. bindet, weil 
eine Person mit vielen gekörnten Roten sich völlig gesund fühlen, also eine 
latente Bleieinwirkung zeigen, während eine andere mit wenig gekörnten 
Elementen schon schwere Krankheitssymptome haben, also an manifester 
Vergiftung leiden kann. 

So sehr es zu begrüßen ist, daß nunmehr den bleikranken Arbeitern 
der Schutz des Unfallgesetzes, welches sie nach zwangsweiser Entfernung 
aus der Arbeitsstätte der nächsten Not enthebt, zuteil wird, so groß ist 
für sie und die Volksgemeinschaft der Nachteil, wenn sich die auf Grund 
des Blutbefundes gestellte Diagnose „Bleivergiftung‘‘ als unsicher oder 
gar falsch erweist. Für den Arbeiter deshalb, weil er seines Lohnes, welcher 


in jedem Falle größer als die ihm gewährte Unfallrente ist, verlustig geht. 
hh 


324 Neue tierexperimentelle Untersuchungen 7sw. 


und ihm die Unannehmlichkeiten eines Berufswechsels drohen, für die 
Volksgemeinschaft, weil ihr diese ohne Grund der Rentenzahlung oder 
allgemeinen Unterstützung anheimfallenden Arbeitskräfte wieder zur 
Last liegen. 

Neuerdings hat Koch die Frage der Bleifrühdiagnostik noch einmal 
aufgerollt und gerade für die Reihenuntersuchung der Arbeiter in den blei- 
gefährdeten Betrieben als einfaches Verfahren, von dem ,,unter allen Um- 
ständen Gebrauch gemacht werden muß“, die Untersuchung des Blutes 
auf basophile Granulationen empfohlen, in der er mit Schoenfeld ein 
„geradezu unentbehrliches Mittel sieht, eine beginnende Bleierkrankung 
frühzeitig zu erkennen‘. Ganz richtig fordert er die Verhütung eines Aus- 
bruches der wirklichen Bleivergiftung und hebt diese ‚soziale Einstellung“ 
besonders hervor. Es ist aber nach den obigen Darlegungen gleichfalls 
unsozial, Personen als bleigefährdet zu betrachten, die es wirklich nicht 
sind, und nur, weil sich in ihrem Blute eine bestimmte Zahl basophil ge- 
körnter Erythrozyten fand. 

Diese Auffassung ist, wie gesagt, schon durch die Erfahrungstatsache 
erschüttert worden, daß das Blutbild eine sichere Diagnose für Bleiwirkung 
nicht bietet. Zur Unterstützung und zur exakten Beweisführung jener 
Erkenntnis bedarf es aber nicht allein der Erfahrung und der Schluß- 
folgerungen aus den mehr oder weniger großen Fehlerquellen ausgesetzten 
statistischen Aufzeichnungen der Gewerbeärzte, sondern des Experimental- 
nachweises, daß das Vorkommen von p. E. nicht für Bleieinwirkung 
spezifisch ist. Dieser Beweis ist bisher noch nicht geführt worden. Gelingt 
er in dem Sinne, daß auch andere chemische Verbindungen in Mengen, die 
einen schwer toxischen Einfluß auf den Körper nicht haben, p. E. hervor- 
zurufen vermögen, so muß die Theorie Schoenfelds und seiner An- 
hänger endgültig fallen und der Richtung unter den Gewerbehygienikern 
zum Siege verhelfen, welche in den p. E. im Übermaß der üblichen Grenz- 
zahlen nicht den sicheren Beweis für eine stattgehabte Bleiintoxikation des 
Menschen sehen. ` 

In den Laboratorien steht uns zur Prüfung dieser Frage, welche für 
die Praxis so wichtig ist, natürlich nur der Tierversuch, der wiederum auf 
den Menschen nicht restlos und ohne weiteres angewendet werden kann, 
zur Verfügung. Jede wissenschaftliche Erkenntnis dieser Art aber geht 
über das Tierexperiment; sind mit seiner Hilfe die Grundpfeiler gelegt, so 
bieten sich auch Mittel und Wege, zu prüfen, ob die am Versuchstier ge- 
wonnenen Erfahrungen auch auf den Menschen anwendbar sind, ein 
Arbeitsgebiet, welches wiederum in das Reich des praktischen Gewerbe- 
hygienikers fällt. Die Auffassung Telekys, der einmal Versuche dieser 
Art am Meerschweinchen als leichtsinnigen Mißbrauch des Tierexperiments 
bezeichnet hat, wird wohl kaum gutgeheißen werden können. Auch K. B. 
Lehmann kommt auf Grund seiner langjährigen Erfahrungen auf diesem 
Gebiete zu dem Schlusse, daß das Meerschweinchen als ausgezeichnet 
geeignet zum Studium der fraglichen Blutveränderung zu gelten hat. 

Der Grundgedanke zu der vorliegenden Arbeit ist also der, zu ver- 
suchen, ob es auf tierexperimentellem Wege möglich ist, durch Einwirkung 
anderer chemischen Stoffe in nichttoxischen Dosen das Blutbild der Blei- 


Von Dr. Hans Lehmann. 325 


vergiftung im Frúhstadium in bezug auf das Auftreten basophil getüpfelter 
Erythrozyten hervorzurufen und damit die experimentell begriindete Er- 
gánzung zu der Erfahrungstatsache zu erbringen, daB das Auftreten der 
p. E. allein nicht beweisend für Bleivergiftung ist. 


An Versuchen, Blutgifte in toxischen Dosen zum Studium am Tierblut 
zu benutzen, hat es nicht gefehlt. Es sind damit mancherlei Veránderungen an 
den festen Bestandteilen desselben erreicht worden, die in bezug auf ihr Auftreten 
und ihre färberischen Eigenschaften von vielen Autoren studiert und eingehend 
beschrieben wurden. Bloch fand solche nach Einwirkung von chlorsaurem Kali, 
Pyrogallol, Toluylendiamin und Pyridin als körnige, lichtbrechende Gebilde, 
welche nach Art von Höckerchen im Zelleib gelagert sind, oder aber als helle, 
vakuolenartige Lücken im Protoplasma erscheinen, neben denen noch 
kleinste, abgeschnürte Protoplasmamassen frei im Serum schwimmen. 
Nach Einwirkung von Pyridin erhielt er außerdem noch über eigentümliche 
„Körner“ hinweg (sogenannte ‚„Blaukörper‘‘), die er für identisch mit den von 
Schmauch bei pyridinvergifteten Katzen gefundenen hält, hämoglobinämische 
Innenkörper im Sinne Ehrlichs, welche er als Degenerationsvorgänge im Proto- 
plasma deutet. Ähnliche Gebilde erhielten Schwalbe und Solley nach Ein- 
wirkung von Toluylendiamin. Heinz prüfte in längeren Versuchsreihen die 
Wirkung des Phenylhydrazins und Phenylhydroxylamins als stärkste Blutgifte 
auf das Blut der Warmblüter und erreichte eine charakteristische Veränderung 
der roten Blutkörperchen in Gestalt: von stark lichtbrechenden Kugeln, die 
den roten Blutkörperchen meist knopfförmig aufsitzen, mit dünnem oder dickem 
Stiele noch mit ihnen zusammenhängen oder oft, völlig losgetrennt, frei im Blut. 
serum herumschwimmen. Die gleichen Resultate erzielte er mit Toluylendiamin, 
Anilin, Nitrobenzol, Dinitrobenzol und Natriumnitrat, wogegen ohne Einfluß 
chlorsaures Kali, Phenol, Pyrogallol und die Arzneistoffe Antifebrin, Phenazetin, 
Antipyrin usw. blieben. Huber beschreibt die gleichen Erscheinungen nach 
(Gaben von Dinitrobenzol, Christomonas nach Glyzerineinspritzungen. In 
keiner dieser Arbeiten jedoch, noch in den Untersuchungen Bettmanns über 
den Einfluß des Arseniks auf das Blut von Versuchstieren ist das Vorkommen 
basophil granulierter Erythrozyten erwähnt. Da nicht anzunehmen ist, daß 
bei den exakten Untersuchungen dieser Autoren solche Veränderungen der 
roten Blutkörperchen übersehen worden sind, erscheint es als sicher, daß p. E. 
bei Anwendung der genannten Blutgifte im Tierblut nicht aufgetreten sind. 
Dagegen sind von Löwenthal p. E. bei Anwendung von Zinnchlorid und Zer- 
sulfat, allerdings mit zweifelhaftem Erfolge, gefunden worden. Ferner sah 
Naegeli nach Anwendung von Jodkali beim Menschen massenhaft p. E. und 
Lange beschrieb einen Fall von Kaliumchlorikumvergiftung mit tödlichem 
Ausgange, der als Haupterscheinung das starke Auftreten solcher Körperchen 
aufwies. 


L Technik der Versuche. 


Sämtliche dieser Arbeit zugrunde liegenden Untersuchungen wurden 
an Meerschweinchen von kräftiger Konstitution, welche vorher nicht zu 
anderen Versuchen gedient hatten oder irgendwelche bestehende Krank- 
heiten vermuten ließen, ausgeführt und erstrecken sich, da mancherlei 
Schwierigkeiten bei der etwa zweimonatlichen Beobachtung jedes Tieres 
zu überwinden waren, auf annähernd 14, Jahre. Es wurde ferner 
versucht, die Tiere Sommer und Winter hindurch unter möglichst gleich- 
mäßigen biologischen Bedingungen zu halten, insbesondere geschah ihre 
Ernährung gleichmäßig nur mit Rüben, um mögliche Schwankungen im 
Auftreten der p. E. durch die Art der Nahrung zu vermeiden. 

Eine große Anzahl von Tieren, welche vor dem Abschluß des Ver- 
suches standen und die im großen und ganzen die gleichen Resultate 


326 >` Neue tierexperimentelle Untersuchungen usw. 


ergaben, wie die in den folgenden Tabellen aufgezeichneten, gingen an 
einer immer wieder aufflackernden Pneumokokken-Hausseuche, ehe die 
gesetzte Beobachtungszeit abgelaufen war, zugrunde. Sie wurden nicht 
mitverwertet, um allen Móglichkeiten des Einwandes gegen unsere Ver- 
suche vorzubeugen. Wir sind jedoch überzeugt, daß auch bei diesen Tieren, 
sowie bei einer weiteren Anzahl von Meerschweinchen, die auf die ver- 
abreichten Stoffe im Prinzip ebenso reagierten, deren Beobachtungszeit 
aber aus äußeren Gründen nicht restlos durchgeführt werden konnte, das 
Auftreten der p. E. eine Folgeerscheinung der ihnen einverleibten Sub- 
stanzen war. Die in den Tabellen dieser Arbeit angeführten Versuchs- 
serien stellen also nur den Typus, nicht aber alle an Meerschweinchen ge- 
machten Beobachtungen dieser Art dar. 

Die Frage, ob im normalen Meerschweinchenblut pathologische Formen 
der roten Blutkörperchen vorkommen, haben Klieneberger und Carl 
dahingehend beantwortet, daß p. E. nur vereinzelt festgestellt wurden, 
Anisozytose erheblich ist und polychromatophile Rote recht häufig, ım 
Verhältnis 1:80 normalen Blutscheiben, zu finden sind. In dem Meer- 
schweinchenbestand des Hygienischen Instituts fand ich, wie in einer 
früheren Arbeit von mir angeführt ist, die Angaben der genannten Autoren 
bestätigt. Obgleich zu verschiedenen Jahres- und Tageszeiten Blut- 
ausstriche von normalen Tieren gemacht wurden, fanden sich in keinem 
Falle mehr als drei p. E. in 100 durchgesehenen Gesichtsfeldern. Andere 
pathologische Formen der Erythrozyten, insbesondere polychromatophile, 
wurden bei der Auszählung der Präparate nicht verwertet, da einmal diese 
Formen im normalen Meerschweinchenblut häufiger vorzukommen scheinen, 
also keinen Anhaltspunkt zur Klärung der vorliegenden Frage bieten, und 
zum anderen, weil der Übergang des polychromatophilen zum basophil 
getüpfelten Erythrozyten oder umgekehrt offenbar ein fließender ist, so- 
daß Beurteilungen der Zwischenformen sehr den individuellen Schwan- 
kungen des Beschauers unterworfen sind. Schließlich ist das zeitraubende 
und mühsame Auszählen der p. E. in 100 Gesichtsfeldern eines jeden 
Präparates von einer starken Ermüdung des Auges gefolgt, sodaß bei 
Einbeziehung weiterer pathologischer Blutkörperchenformen Ungenauig- 
keiten im Resultate der Auszählung zu befürchten waren. 

Es sind aus diesen Gründen daher nur die typischen, grob und gröber 
granulierten Zellen (nicht also Granulierung in Verbindung mit Poly- 
chromasie!) als positiv gewertet worden. Der jüngste Vorschlag Kochs, 
alle Formen veränderter Erythrozyten vom polychromatophilen bis zum 
grob basophil gekórnten als ,,granulopolychromate* auszuwerten und dafür 
die diagnostische Grenzzahl höher.zu setzen, ist entschieden wertvoll und 
für die Zukunft, um ein einheitliches System zu schaffen, zu empfehlen, 
kam aber für meine Untersuchungen zu spät. 

Nach einer neueren Arbeit K. B. Lehmanns fanden sich im normalen 
Meerschweinchenblut in keinem Falle mehr als 20 p. E. in 100 durch- 
eeschenen Gesichtsfeldern des Blutausstrichpräparates. Diese Zahl wurde 
für die ausgeführten Versuche als äußerste Grenzzahl angenommen und 
erst Resultate, welehe dieselbe überschritten, als einwandfrei positiv ge- 
wertet. So ist in dieser Hinsicht ausreichend Sicherheit gegeben, daß eine 


Von Dr. Hans Lehmann. 327 


Beeinträchtigung der Gesamtresultate durch Zufallsbefunde oder Schwan- 
kungen in der Auszáhlung der p. E. nicht erfolgen konnte. 

Die Blutuntersuchungen (Entnahme eines Tropfens aus dem Ohre der 
Tiere) wurden in Zwischenráumen von einem bis drei Tagen vorgenommen. 
Tägliche Blutentziehung verbot sich, da früher das Auftreten von p. E. 
bei Anämien beschrieben worden ist und zu befürchten war, daß durch 
tägliche Vornahme der Tiere eine zu Störungen im Versuchsablauf führende 
posthämorrhagische Blutarmut derselben hervorgerufen werden könnte. 
Um diese Fehlerquelle, auch bei Blutentnahme in den erwähnten Inter- 
vallen, auszuschalten, lief in einigen Versuchsreihen je ein unbehandeltes 
Tier mit, welchem zu denselben Zeiten und in den gleichen Mengen Blut 
entnommen wurde. Ebenfalls wurden Kontrolltiere laufend beobachtet, 
denen lediglich physiologische Kochsalzlösung verabreicht war, um einen 
eventuellen Einfluß dieser in unseren Versuchen als Lösungs- oder Auf- 
schwemmungsmittel dienenden Flüssigkeit auf das Blutbild auszuschalten. 
Bei keinem dieser Kontrolltiere konnten auch nur annähernd 20 p. E. in 
100 Gesichtsfeldern gefunden werden; sie blieben also praktisch negativ. 
Die Verwendung von Ohrmarken aus Metall zur Kennzeichnung der Meer- 
schweinchen wurde vermieden, um der Möglichkeit der Resorption von 
geringen Mengen desselben und somit eventuellen Fehlresultaten aus dem 
Wege zu gehen. Die Tiere wurden daher lediglich durch Farbanstriche 
unterschieden. 

Sämtliche Präparate wurden unter einheitlichen Gesichtspunkten be- 
handelt, um abwegige Resultate, die auf verschiedenen Behandlungs- und 
Färbemethoden zurückgeführt werden könnten, zu vermeiden. Die An- 
fertigung der Blutausstriche geschah so, daß die festen Blutbestandteile ` 
dicht nebeneinander, aber nicht übereinander lagerten. Nach Lufttrock- 
nung derselben wurden sie 4 Minuten in Methylalkohol fixiert, in kohlen- 
säurefreiem Wasser abgespült, A Minuten in gewöhnlicher Loeffler-Blau- 
lösung gefärbt und in der üblichen Weise weiterbehandelt. Zu bemerken 
ist hierbei, daß die nach der Originalvorschrift hergestellte Loeffler-Blau- 
lösung offenbar nach ihrem Alter schwankt. Nach unseren Erfahrungen ist 
es unbedingt nötig, daß sie nicht eher als drei bis vier Tage nach ihrer 
Bereitung zur Anwendung kommt und ein zweites Mal zur Färbung nicht 
benutzt wird. Die bequeme Methode der Verwendung von Färbewannen, 
in denen die Loeffler-Lösung zur Färbung mehrerer Serien von Blut- 
ausstrichen dienen kann, ist aus diesem Grunde zu verwerfen. Es soll 
also jedes Präparat einzeln durch Aufgießen ven Farblösung, die dann 
wieder abgespült wird, behandelt werden. Auf jeden Fall aber sei die 
Loeffler-l,ösung so beschaffen, daß die Erythrozyten nach der Färbung 
hellgrün, Kerne und Kernprodukte intensiv blau erscheinen. Wir haben 
diese Färbemethode angewandt, weil sie einfach durchzuführen ist und 
man den Präparaten schon mit bloßem Auge ansehen kann, ob sie richtig 
gefärbt sind. Dem jüngsten Vorschlag Telekys, bei einem einheitlichen 
Vorgehen bei der Bleiblutuntersuchung dieser Methode den Vorzug zu 
geben, können wir demnach voll und ganz zustimmen. Die vorliegenden 
literarischen Erfahrungen über sonstige Fehlerquellen bei der Färbung, 
wie sie von Schwarz und Hefke, Seiffert u. a. beschrieben worden 


328 . Neue tierexperimentelle Untersuchungen usw. 


sind, wurden selbstredend beachtet. Bei Einhaltung aller dieser Vorsichts- 
maßregeln, die Tierhaltung und die Methode der Färbung betreffend, 
glauben wir, einwandfreie Versuchsbedingungen geschaffen zu haben. 
Um einen Anhaltspunkt zu gewinnen, wie stark das Auftreten der 
p. E. sich erwies, wurden in jedem Präparat 100 Immersionsgesichtsfelder 
(das Gesichtsfeld zu etwa 200 roten Blutkörperchen gerechnet) durch- 
mustert und die Zahl der darin gefundenen granulierten Roten in einem 
Bruch ausgedrückt, in welchem diese den Zähler darstellt und die Zahl 100 
den Nenner abgibt. Nach dem bereits Gesagten wurden in den Tabellen 
dieser Arbeit Brüche von weniger als (fl als einwandfrei negativ be- 
zeichnet, die Werte von Wlan bis ?°/io als zweifelhaft (+), solche von 
21/00 bis Bil als sicher positiv (+), von Bilon bis 1°°/io als ++, von 


101/79 bis 150/00 als +4, über 259/79) als +++ vermerkt. 


Il. Vorversuche. 


Bei Beginn unserer Versuche lag es nahe, im Tierexperiment solche 
Verbindungen anzuwenden, die als Verunreinigungen des Bleis und ins- 
besondere als Bestandteile des Letternmetalls in Druckereibetrieben vor- 
kommen, um festzustellen, ob vielleicht diese Substanzen die Ursache 
der in Frage stehenden Veränderung der Erythrozyten sind oder wenigstens 
an dieser mehr oder weniger beteiligt wären. Diese Stoffe sind das Antimon 
und Arsen. Ersteres kommt im Schriftgießermetall zu etwa 17 bis 20%, 
vor, letzteres kann als Verunreinigung des Bleies oder Antimons auftreten. 
Meerschweinchen, denen im Abstand von 10 Tagen steigende Dosen 
(0,3, 0,5 und 0,7 g) von Antimonsulfid (Goldschwefel) und in anderen 
Fällen je 20 Tropfen Fowlersche Lösung zu denselben Zeiten verfüttert 
wurden, zeigten in einem Beobachtungsraum von vier Wochen weder 
irgendwelche Krankheitserscheinungen noch das Auftreten von p. E. im 
Blute. Früher haben Schrumpf und Zabel, in neuester Zeit Seitz ver- 
sucht, die Antimonvergiftung der Schriftgießer experimentell zu studieren. 
Auch sie haben das Auftreten von p. E. im Tierversuch nach Gaben von 
Antimonverbindungen nicht beobachtet. Die Mitwirkung dieser Stoffe 
an dem Auftreten des Bleiblutbildes konnte somit für unsere Versuche 
ausgeschlossen werden. 

Wesentlich anders verliefen Versuche mit Schweinfurter-Grün, 
einer Verbindung von essigsaurem mit arsenigsaurem Kupfer. Den fol- 
genden drei Versuchstieren wurden, um schwer toxische Wırkungen zu 
vermeiden, geringste Mengen einer Aufschwemmung von Schweinfurter- 
Grün subkutan injiziert. Und zwar erhielten zwei Tiere je 1 ccm und ein 
Tier 2 cem einer Aufschwemmung von 0,25 g in 5 ccm phys. Kochsalz- 
lösung. Die nachstehende Tabelle I zeigt den Verkauf der, um Zufällig- 
keiten zu vermeiden, in verschiedenen Jahreszeiten (Februar, August, 
November) durchgeführten Versuche (Meerschweinchen Nr. 171, 88 
und 88a). 

Die Tiere blieben während der Dauer der Beobachtung gesund, wofür 
ein Beweis schon das Verhalten ihres Körpergewichtes vor und nach dem 
Versuch ıst. Es können die Gaben von Schweinfurter-Grün demnach 


Von Dr. Hans Lehmann. 329 





Tabelle I (Schweinfurter-Grún, subkutan). 


































Tier 171 Tier 88. Tier 88a. 

Dosis: 0,25/5,0 NaCl 1 ccm Dosis: 0,25/5,0 NaCl 1 cem Dosis: 0,25/5,0 NaCl 2 cem 
Korpergew.: | SE GH Körpergew.: Ende are Körpergew.: | Erde: e 
"ët Resultat SN ee Resultat TE er- yer Resultat ' eto 
1 ¡Kontr.—' 9%, Kontr.— | tte "Laag 
3. 0 "ee Sek ve 100 % 100 
5. | e % 100 ++ 125/00 1/100 
T. + oo +++ ı oo °/ 100 
10. | 4+++ 200) 100 + WI 10/100 
13." +++ "` Vila E Tee 109 
16. EIS wf? SES Ta | 200/00 
19. . Se 3/ 100 sË o 100 e] 100 
22. . si 100 ES el 100 gl 100 
25. + i ei 100 Ce 100 Si 100 
28. pan "Lee == "Lee 5/100 
31. >= 1/100 PS °/ 100 °/ 100 
35. == 9100 SS °/100 !/100 
38. e 2/100 T %100 2/ 100 

?/ 100 


nicht schwer toxisch gewirkt haben. Andererseits aber haben sie genügt, 
die Erscheinung der basophilen Granulierung der roten Blutkörperchen, 
welche bisher als. charakteristisch für Blei befunden wurde, zu erzeugen. 
Daß die erhaltenen Veränderungen der Erythrozyten identisch mit den 
durch Bleieinwirkung hervorgerufenen p. E. sind, bewies der Vergleich 
mit Blutbildern künstlich bleiinfizierter Meerschweinchen. Über den posi- 
tiven Ausfall des Versuches ist kein Zweifel, da nach Verlauf einer gewissen 
Zeit die p. E. in sehr großen Mengen auftraten, sodaß sie während des 
Höhepunktes der Wirkung des Fremdstoffes stets die Zahl !00/, über- 
schritten. Aus dem Zeitpunkte des erstmaligen Auftretens derselben, der 
Höhe ihrer Zahl an den einzelnen Untersuchungstagen und der Dauer ihres 
Vorkommens im strömenden Blute lassen sich sichere Schlüsse zunächst 
nicht ziehen. Wir wollen uns vor der Hand mit der Tatsache begnügen, 
daß der Versuch mit Schweinfurter-Grün einwandfrei positiv verlief. 

Das Experiment gelang ebenfalls im positiven Sinne, wenn man Meer- 
schweinchen geringe Mengen von Zinnober subkutan verabreichte. Es 
erhielten die Tiere Nr. 77 und 172 je 1 ccm einer Aufschwemmung von 
0,1 g in 1 ccm phys. Kochsalzlósung. 

Auch hier konnte eine toxische Schádigung der Meerschweinchen nicht 
beobachtet werden. Dagegen traten am 7. Tage nach der Injektion p. E. 
in Höhe von 1%/, ¿y auf, die vom 12. Versuchstage an wieder aus dem Blut- 
bilde verschwanden und in einem weiteren Beobachtungszeitraum von 
14 Tagen nicht wieder erschienen. 

Weitere Versuche, auch Teerfarbstoffe zur Erzeugung von basophil 
gekörnten Erythrozyten zu verwenden und somit einen möglichen Zu- 
sammenhang mit der Anilinindustrie aufzuklären, blieben erfolglos. Mit 
Injektionen von I cem 1proz. Safranin-, Erythrosin- und Aurantialósung 
war es in keinem Falle möglich, p. E. im Blutausstrich der Tiere zu 
erhalten. 


330 i Neue tierexperimentelle Untersuchungen usw. 


Chronische Vergiftungserscheinungen mit den bisher genannten chemi- 
schen Verbindungen sind im großen und ganzen auch selten. Die Ver- 
arbeitung von Schweinfurter-Grün ist in allen Kulturstaaten, nachdem 
seine Verwendung als gesundheitsschädlich erkannt wurde, durch Ver- 
ordnungen stark eingeschränkt worden. Immerhin werden Arsenfarben 
noch in der Farbdruckerei, bei der Fabrikation von buntem Papier und 
Kreiden verwendet. Zinnober spielt bei der hüttenmännischen Gewinnung 
des Quecksilbers noch eine gewisse Rolle, Quecksilberverbindungen über- 
haupt führen hin und wieder in der chemischen Industrie und den Spiegel- 
fabriken zu chronischen Vergiftungserscheinungen, deren Verlauf unter 
dem Namen Merkurialismus hinreichend bekannt ist. Ein zufälliges Zu- 
sammentreffen dieser Vergiftungen mit solchen von Arbeitern in blei- 
gefährdeten Betrieben dürfte jedoch selten sein. Eine falsche Diagnose 
auf Grund von p. E. im Blutausstrich, welche dann möglicherweise nicht 
auf Blei, sondern auf der Einwirkung der genannten Verbindungen be- 
ruhen könnte, wird also so selten vorkommen, daß ein solcher Fehler zu- 
gunsten der rechtzeitigen Erkennung beginnender Bleierkrankung zu ver- 
schmerzen wäre. 


Ill. Hauptversuche. 


In mannigfaltigen, tastenden Vorversuchen gelang es ferner, daß Blut- 
bild der Bleierkrankung im Meerschweinchenexperiment auch durch Ein- 
wirkung von Substanzen zu erhalten, die allen Arbeitern leicht zugängig 
sind, bzw. denen dieselben im täglichen Leben und an ihren Arbeitsstätten 
mehr oder weniger ausgesetzt sind. Das ist der Alkohol, der kohlensaure 
Kalk, der Kohlen- und Zementstaub. Die Wirkung dieser Stoffe auf das 
Blutbild der Meerschweinchen soll daher näher betrachtet werden. 

Die Versuchstiere erhielten die genannten Substanzen auf dreierlei 
Art und Weise einverleibt. Zunächst wurden Lösungen bzw. Aufschwem- 
mungen derselben subkutan injiziert, dann verfüttert und schließlich ließen 
wir die staubförmigen Stoffe (Kreide, Kohlen- und Zementstaub) in einem 
besonders dazu konstruierten Apparate einatmen. 


A) Injektionsversuche. 


Die Tabellen IIa und IIb geben Auskunft über die Erfolge an sieben 
Versuchstieren, denen je 1 ccm Alkohol in fallenden Konzentrationen 
von 50 bis 10%, unter die Rückenhaut verabreicht wurde. Die Tiere ver- 
trugen diese Einspritzungen, ohne Krankheitserscheinungen, insbesondere 
Abszesse oder gangränöse Veränderungen an den Injektionsstellen, zu 
zeigen. Ferner nahm ihr Körpergewicht nicht ab, sondern in den meisten 
Fällen etwas zu. 

Die Versuche mit Alkohol haben den Vorzug, daß infolge der Ver- 
dünnungsmöglichkeit desselben mit Wasser die den Tieren verabreichten 
Dosen genau bestimmt werden können, was leider bei den folgenden 
wasserunlöslichen Körpern nicht der Fall ist. Wir sehen demzufolge bei 
Betrachtung der genannten Tabellen, daß hei den mit 50-, 40- und 30 proz. 
Alkohol vorbehandelten Tieren die Wirkung auf die roten Blutkörperchen 
ın bezug auf das erstmalige Auftreten von p. E. bereits-in der Zeit vom 


Von Dr. Hans Lehmann. 331 


3. bis 5. Versuchstage einsetzt und unter Wahrung eines bestimmten Ab- 
laufes, von dem hier nicht näher die Rede sein soll, 24 bis 31 Tage anhält. 
Von da an wurden bis zum Ende des Versuches (40. bis 47. Tag) p. E., 
welche die sichernde Grenzzahl von 2°/ œo überschritten, nicht mehr be- 
obachtet. Es ist also mit größter Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß 
diese auch nach Ablauf dieser Zeit nicht mehr auftraten. 

Im Gegensatz hierzu tritt die Reaktion auf die viel geringeren Alkohol- 
gaben der anderen, mit 15- und 10proz. Alkohol behandelten Tiere, erst 
in der Zeit zwischen 8. und 14. Versuchstag ein. Gleichermaßen bleibt 
die Zahl der an den verschiedenen Untersuchungsterminen ausgewerteten 
p. E. bei den mit 15- und 10 proz. Alkohol behandelten Tieren wesentlich 
hinter derjenigen der ersten Meerschweinchen, die den Stoff in 50- und 
40proz. Konzentration erhalten haben, zurück. Beide Momente — der 
beobachtete Zeitpunkt des Beginnes der Reaktion und die Höhe der an 
den verschiedenen Untersuchungstagen im Blutausstich gezählten p. E. 
— sind also abhängig von der Menge des verabreichten Alkohols. Das 
spricht dafür, daß auch wirklich das einverleibte Mittel die Ursache für 
das Auftreten der p. E. im strömenden Blute der Versuchstiere ist. Selbst- 
verständlich ist dabei, daß die gefundenen Zahlen der in diesem Sinne ver- 
änderten roten Blutkörperchen nicht Anspruch auf mathematische Ge- 
nauigkeit machen sollen, sondern nur Annäherungswerte sein können, daß 
andererseits geringfügige Abweichungen im zeitlichen Ablauf der Er- 
scheinungen dadurch einzutreten vermögen, daß nicht täglich, sondern 
mit Einlegung von Zwischenräumen Blutbilder angefertigt wurden. Das 
ändert aber an der Tatsache nichts, daß es gelang, mittels Alkoholinjektionen 
in kleinen Mengen eine die bekannte Grenzzahl für Bleivergiftung weit über- 







Tier 99 


Dosis: 1 ccm 50 proz. Alkoho! Dosis: 1 ccm 40 proz. Alkohol 
Körpergewicht { SC GE A Körpergewicht { ne rg 
Vers.- ' Zahl der Vers ' ' Zahl der 








332 Neue tierexperimentelle Untersuchungen usw. 


Tabelle lla (Fortsetzung). 











Tier 97 






Tier 98 
Dosis: 1 ccm 30 proz. Alkohol Dosis: 1 ccm 10 proz. Alkohol 
JA: 4108 A.: 380 g 
Körpergewicht | E.: 400 g Körpergewicht d E.: 420 g 
Ar u | 
er Resultat | ng ar ' Resultat ` "4 oi 
















SN ) ) 

3. | +++ . = NI 

6. ++ . "eg 

9. | + . + "be 
1. | Feon 5 + so 100 
15. - i t oe 
18. ++ . Wéi 
0. ++ Tt Zb be 
23 | T . a 25/100 
mi E wi | Pl +++ | w 
31. | = ” 100 31. + el 100 
34. == °/ 100 34. +’ 10/100 
37. t 10/100 37. | = 9/100 
40. i e Kë 100 40 i a gi 100 
42. ' — Ze 42. ' > 00 
45. == os 45. TR % 100 
47 . = Vë 100 47 . = wO) 





schreitende Menge von p. E. zu erhalten, also das friihdiagnostische Blut- 
bild für diese Erkrankung einwandfrei nachzuahmen. 

Weitere Injektionsversuche mit Glyzerin, also ebenfalls einem 
Alkohol, das zu je 1 ccm einer 20- und 40proz. Lösung subkutan ver- 


Tabelle IIb (1 ccm Alkohol in Konzentration von 50, 15 und 10%, subkutan). 


















Tier 11 























Tier 10 Tier 12 
Dosis: 1 cem 50°;, Alkohol Dosis: 1 cem 15%, Alkohol Dosis: 1 cem 10°’, Alkohol 
f A.. 543 g e A.:'607 g A.: 520 g 
Körpergewicht d E.: 520 g Körpergewicht l E.: 6508 Körpergewicht d E.: 550 g 
Vers.- Zahl der |Vers.-. Zahl der | Vers.- ns | Zahl der 
p.E. Tag Resultat p.E. Tag Resultat p. E. 


















l. - 1, ¡Kontr. = gë? 

4. | 4. — Ge 

S ++ e — El 
++ 8 + Y 

1. +++ 0. +H "Wie 

12. + 12. HA ` eo 

H HHHH. 14 +++ Die 

16. ++ | 16: rt 10,00 

18. Litt äi | 18. + +++ Wie 

20. FEA | 20. tt Säiten 

22. ++4+ "ang 22. ESP Se 100 

25. ++ Ve 100 25. ++ | oo 

28. + nd 28. + 20/ 

30. Sg 100 SR 

32. = "gg 

34. te SC 

36. == NO? 

38. — "ads pi : 
40. CS | Jus 40. we ; 00 40. 


Von Dr. Hans Lehmann. 333 


abreicht wurde, verliefen ebenfalls positiv und sind in der Tabelle III 
zahlenmäßig aufgezeichnet. 

Auch bei diesem Stoff traten vom 3. Versuchstag an p. E. in Zahlen, 
welche den Grenzwert "leg weit überschritten, auf. Die Wirkung hielt 
jedoch nicht so lange an als beim Äthylalkohol und war nach Gaben von 
20proz. Glyzerin bereits am 11., nach 40proz. am 29. Versuchstage an 
den roten Blutkörperchen nicht mehr nachweisbar. Der zeitliche Ablauf 
ähnelte im großen und ganzen dem der Alkoholversuche. Ein weiteres 
Verfolgen dieser Experimente wurde zunächst als zwecklos aufgegeben, da 
eine chronische Einwirkung von Glyzerin auf den menschlichen Körper, 
die von Vergiftungserscheinungen gefolgt ist, praktisch wohl kaum vor- 
kommen wird. 


Tabelle III (Glyzerin, subkutan). 


Tier 90 Tier 93 

Dosis: 1 ccm 20 proz. Glyzerin Dosis: 1 ccm 40 proz. Glyzerin 

_ Körpergewicht { ES Ee Körpergewicht ! nn Sue 
Kä Resultat | Zal ter Kä Resultat Ee Ke 
1. | Konte — BE 1 | Kontr. — y 
2. f100 3 Tr WË 
4. Sch WË b ttt IA 
| HE |= 18 |% 
. 100 . 100 
12. + 100 13 Kee VI? 
14. -— 100 17 + wë? 
17. — 9/00 20 + oo 
19. == 100 22.1 +++ «< 100/00 
2| = owo | 26. | HHHH | mie 
26. SC 2/00 29. ++ | 00 
29. — 00 31. + oo 
31. = Le | 34. 2 dë 
| 38. = */100 

| 42. — o 

45. u 00 

48. == "ee 

50. Se 0 


Die nächste Versuchsserie sollte klären, ob es auch durch subkutane 
Gaben von Kohlenstaub möglich wäre, p. E. in größeren Mengen zu 
erhalten. Zu diesem Zwecke wurden Stücke von Braunkohlenbriketts 
im Mörser zu feinstem Staub verrieben, mit physiologischer Kochsalzlösung 
aufgeschwemmt und den Tieren unter die Rückenhaut gespritzt, so daß 
gewissermaßen ein Kohledepot entstand. Den Meerschweinchen Nr. 78 
und 83 wurde auf diesem Wege je 1 ccm, dem Tiere Nr. 91 dagegen 2 ccm 
einer Aufschwemmung von 1,3 g Kohlenstaub in 10 ccm phys. Kochsalz- 
lösung injiziert. Dabei sei bemerkt, daß die wirklich einverleibten Gewichts- 
mengen an Kohle bei den einzelnen Tieren nicht ganz konstant sein können, 
weil ein wasserunlöslicher Körper sich nie gleichmäßig in der Aufschwem- 
mungsflüssigkeit verteilt und ein wenig des Stoffes stets an den Glas- 
wänden des Bereitungsgefäßes und der Spritze hängen bleiben wird. Diese 
der Injektion verlorengehenden Mengen von Kohlenstaub betrugen, wie 


334 Neue tierexperimentelle Untersuchungen usw. 


mehrmals dadurch festgestellt wurde, daß eine solche Aufschwemmung 
von 1 g Kohlenstaub in 10 ccm phys. NaCl-Lösung bereitet und mit einer 
Spritze aufgezogen, die Rückstände an fester Substanz danach getrocknet 
und gewogen wurden, ungefähr 0,3 g. Dieser Materialverlust wurde da- 
durch ausgeglichen, daß 1,3g Kohlenstaub aufgeschwemmt wurden; 
praktisch wären den Tieren Nr. 78 und 83 also 0,1 g, dem Meerschweinchen 
Nr. 91 dagegen 0,2 g Kohle einverleibt worden. Wie gesagt, sind aber 
auch diese Gewichtsmengen nicht ganz konstant; sie sind nur angegeben, 
um einen Anhaltspunkt über die Größe der Gaben zu haben, und um zu 
zeigen, daß schon geringste Mengen derselben zur Erzeugung positiver 
Resultate ausreichend waren. 


Tabelle IV (Kohlenstaub, subkutan). 


Tier 83 


| Tier 78 











` Tier 91 








Dosis: 1,3 g/10,0 NaCl 1 cem | Dosis: 1,3 g;10,0 NaCl 1 cem | Dosis: 1,3 g/10,0 NaCl 2 ccm 
Körpergewicht { Se DoS Körpergewicht d SE 290: Körpergewicht { E See 
Kan Resultat | re yoe Resultat fani Aer Tag | Resultat s e 
1. ¡Kontr. == SCHT 1. ¡Kontr. er er l. Kontr. == De 
4. SSES 100 PS 100 2. Ki 100 
1. Ee 100 8 e 100 4. es %/ 100 
9. | == °/100 12 ee / 100 8. | TIPA weg 100 
12. | + hioo 15. ++ lan 9. | + RW 
RK Cl Se |18) FE | Ge |12. tt 1 Ze 
21. ++ Lo 20. + 100 14 SES J100 
26. | +++ 100/00 22. | vereinz. + 100 17. T | Ta 
30. + d" 100 24. = 100 19. ++ i "es 
37. — vereinz. | 26. — VER 22. — 8/00 
38. ` Kg | 100 29. = II? 26. Ä + '2/ 100 
40, | — on 32 = 100 29. Ra 2/ 100 
a7.) — D | 35. | — De | 3. + 20/100 
Al"  — 100 38. =R /100 35. T WI? 
M. E | WE? 40. EA idn 38. | E 3/100 
43. = oo 40. | Ze */ 100 
48. SE /100 43. SKS */100 
51 Eai Za 100 47. Sg 900 
| 54. — We 51. — os 
| | 54. — oo 


Die Tabelle IV erläutert den zahlenmäßigen Erfolg dieser Versuchs- 
serie. Zeitlich traten die p. E. im strömenden Blut im Übermaß der Grenz- 
zahl bei Verwendung von 1 ccm der genannten Kohleaufschwemmung 
vom 12. bis 15. Tage an, bei 2 com derselben bereits am 8. Versuchstage 
auf. Die Wirkung der Injektion hörte nach geraumer Zeit, vermutlich 
nach Resorption des angelegten Kohledepots, auf. Von da an zeigten sich 
die Tiere bis zu 54 Beobachtungstagen praktisch negativ. Die Zahl der 
an den einzelnen Untersuchungstagen festgestellten p. E. überstieg bei 
den Tieren, welche 0,1 g der Substanz erhalten hatten, in keinem Falle die 
Zahl von 100/09, während sie bei dem Meerschweinchen Nr. 91, entsprechend 
der größeren Dosis des Mittels, durchschnittlich wesentlich höher war. 
Auch hier besteht also, wenn auch nicht so deutlich wie bei den Alkohol- 


Von Dr. Hans Lehmann. 335 


injektionsversuchen, ein Zusammenhang zwischen der Menge der den 
Tieren gegebenen Substanz und der Zahl der basophil granulierten roten 
Blutkörperchen bzw. dem Zeitpunkt des erstmaligen Auftretens derselben 
im strömenden Blute. 

Sichtbare pathologische Veränderungen traten bei diesen Meer- 
schweinchen ebenfalls nicht ein; es sei jedoch erwähnt, daß die Körper- 
gewichte während des Versuches etwas zurückgingen, was, da der Gewichts- 
verlust sich in mäßigen Grenzen bewegte (10, 40 und 20 g) nicht eine Folge 
der Fremdkörperwirkung zu sein braucht. 

Nicht so beweisend wie bei den vorigen Versuchen gestalteten sich die 
Resultate, wenn man den Tieren kohlensauren Kalk subkutan ein- 
verleibte. Von dieser Substanz erhielten die Meerschweinchen Nr. 163 
und 82 je 1 ccm, das Tier Nr. 173 dagegen 2 ccm einer Aufschwemmung 
von 1,3 g ın 10 ccm physiol. Kochsalzlösung unter die Rückenhaut. Auch 
hier wurde aus den gleichen Gründen wie bei den Versuchen mit Kohlen- 
staub zur Herstellung der Aufschwemmung ein Gewichtszuschlag von 
0,3 g der Substanz gemacht, so daß man annehmen kann, daß die beiden 
ersten Tiere in Wirklichkeit je 0,1 g, das dritte Meerschweinchen hingegen 
0,2 g kohlensauren Kalk erhalten hat. 

Irgendwelche krankhafte Erscheinungen während der Beobachtungs- 
dauer wurden bei diesen Tieren ebenfalls nicht bemerkt, das Körpergewicht 
derselben stieg im Verlaufe des Versuches ein wenig an. 


Tabelle V (Kohlensaurer Kalk, subkutan). 





Tier 173, Tier 163 Tier 82 
Dosis: 1,3 g/10,0 NaCl 2 ccm Dosis: 1,3 £/10,0 NaCl i ccm | Dosis: 1,3 g/10,0 NaCl 1 ccm 


Körpergewicht { 2 580 S Körpergewicht { A AiO A Körpergewicht { A.: 365 g 


"ët Resultat | g E er Vag” Resultat da Ke Ka Resultat | dra i 
1. ¡Kontr. —; WE 1. Pr — Dag 1. 'Kontr — y 
4, == i wë 100 3 = | S 100 3 | Zee o 100 
Y. H 9/100 5 = | Ei 100 5 | eg j wi 100 
10. | Gs 10) 00 9 SS % 500 8 | = | °/ 00 
12. t 20) 00 11 Ss % 100 13 | SR Tag 
ML FF l Who III LE | Sie |15.: JE | Wie 
17.: ++ i io 16. | +++ 120/100 18 + 00 
19. ++ | oo 18 ++ wf? 21 ++ 89/00 
a Os [al + | | di 
22. = 9/100 25 = 9/300 26 SCH | °/ 100 
25. => | 100 27 == 9/100 29. — 9/100 
28. | — Yo | 30.1 + a 158. e o 

y 32. —  ' vereinz. | 32, — % oo 33 _ wv? 
36. + 0/100 35. = 100 36 == Tee 

| 38. = 100 


Die Tabelle V gibt zahlenmäßig die Resultate des Experiments an. 
Wir sehen, daß die Menge der auftretenden p. E. selbst an den Tagen 
größter Wirkung in keinem Falle sehr hoch ist und wesentlich hinter der- 
jenigen der früheren Injektionsversuche zurückbleibt. Sie übersteigt nur 
bei einem Tiere an einem einzigen Untersuchungstage die Zahl DL und 
bewegt sich sonst nur im Zwischenraum von 29,0 bis 8°/ioo bzw. 9/00. 


336 À Neue tierexperimentelle Untersuchungen usw. 


Des weiteren treten in dieser Versuchsserie die p. E. viel später, durch- 
schnittlich erst nach 13 bis 15 Tagen auf und verschwinden nach kurzer 
Zeit wieder aus dem Blutbilde. Eine Ausnahme in dieser Hinsicht macht 
lediglich das Tier Nr. 173, welches die doppelte Menge kohlensauren Kalk 
erhalten hat und schon am 10. und 12. Tage die Andeutung eines positiven 
Resultates aufweist. Die Wirkung des kohlensauren Kalkes ist also offenbar 
eine schwächere und flüchtigere. Das mag seinen Grund darin haben, daß 
derselbe eine dem Körper nicht fremde Substanz ist, deren größten Teil 
der Organismus physiologisch verwerten oder ausscheiden zu können 
scheint, ehe eine stärkere Reizwirkung auf die Blutbildungsstätten bzw. 
gar eine Schädigung der freiströmenden roten Blutkörperchen eingetreten ist. 

Trotzdem war auch hier noch ein Erscheinen von p. E. im Übermaß 
der für Bleivergiftung üblichen Grenzen die Folge der Injektionen. Die 
Versuche müssen also noch als einwandfrei positiv im Sinne dieser Arbeit 
gewertet werden. 

In der nächsten Versuċhsserie wurde zwei Meerschweinchen feinster 
Zementstaub, der aus der Entstaubungsanlage einer großen Portland- 
zementmühle (Göschwitz) stammte, subkutan gegeben. Jedes Tier, 
welches sich vor Ingangsetzung des Versuches frei von p. E. zeigte, erhielt, 
entsprechend den früheren Darlegungen über die quantitative Beschaffen- 
heit der zu verwendenden Aufschwemmung, 1 ccm einer solchen von 1,3 g 
des Staubes in 10 ccm physiol. Kochsalzlösung unter die Rückenhaut 
gespritzt. Da bei Vorversuchen mit unsterilem Zement so, wie er aus der 
Entstaubungsanlage der Mühle entnommen wurde, starke, allerdings 
örtlich bleibende und gutartig verlaufende Eiterungen. die Folge der 
Injektionen waren, also Komplikationen eintraten, welche einwandfreien 
Versuchsbedingungen zuwiderliefen, wurde derselbe vorher stark geglüht. 
Krankheitserscheinungen seitens der Tiere traten sodann, abgesehen von 
einer leichten Entzündung des Unterhautbindegewebes der Injektionsstelle 
bei einem der Meerschweinchen, im Verlauf der vierwöchentlichen Be- 
obachtungszeit nicht mehr zutage. 

Punktierte Erythrozyten erschienen im Blutbilde, wie die Tabelle VI 
zahlenmäßig zeigt, am 8. Beobachtungstage innerhalb der angenommenen 
Grenzzahl, am 10. Tage im Übermaß derselben. Dabei stieg die Zahl der 

. E. im Verlaufe des Versuches bis zu 150/10 bzw. (Blue an und fiel nach 
Überschreitung dieses Höhepunktes der: zur Nullinie ab, sodaß vom 
26. Versuchstage an keine in diesem Sinne veränderten Formen derselben 
im Blutausstrich der Tiere nachweisbar waren. Das Meerschweinchen 
Nr. 10a blieb daraufhin bis zum 39. Beobachtungstage, an welchem der 
Versuch abgebrochen wurde, da ein Wiederauftreten der granulierten roten 
Blutkörperchen nun nicht mehr zu erwarten war, negativ. 

Dagegen bot das Tier Nr. 9a einen lehrreichen Nebenbefund, der auch 
in dieser, andere Ziele verfolgenden Arbeit nicht verschwiegen werden soll. 
Nachdem die p. E.-Zahl am 26. Tage bei demselben wieder auf Blo an- 
gelangt war, stieg sie bei der Blutuntersuchung am 29. Tage ganz plötzlich 
auf über 300), ., an. Daneben zeigten sich im Blutausstrich polychromato- 
phile Rote in überraschend großer Menge. Das Tier selbst bot äußerlich 
keine Krankheitssymptome, sodaß uns dieser merkwürdige, aus dem 


Von Dr. Hans Lehmann. 337 
Tabelle VI (Zementstaub, súbkutan). 





Tier 9a Tier 10a 
Dosis: 1,3 Zement in 10,0 NaCl Dosis: 1,3 Zement in 10,0 NaCl 
davon 1 ccm davon i ccm 
A.: 400 ; A.: 460 

Körpergewicht { E.: 370 A (tot) Körpergewicht { E.: 470 S 

LÉI") Resultat "dn | Resultats | Tier 
1. | Kontr.— | % 100 1. | Kontr. — WË 
6. ER °/ 100 6 SC 0/100 
8. ER 100 8 — vereinz 
wi Eo | 10 + De 
14. F 78/100 14 ++ 100 
16. | EL | ho | 16 | +++ | gie 
18. ++ oo 18 ++ 100/00 
21 SE ge 100 21 + 00 
24 /100 24 + 40/100 
26 Beet o/ 100 26 = St 100 
29. + < SE 100 29. Te DI 100 
31. | gestorben. 31. Ä — WEST 
| Sektion: Verblutung | 35. ` = MË 
¡in die Brusthóhle. 37. | == Jm 
| 39. ` = /100 


Rahmen unserer bisherigen Versuche herausfallende Blutbefund zunächst 
unerklärlich erschien. Am 31. Tage wurde das Tier tot in seinem Käfig 
gefunden. Die Sektion ergab eine Verblutung in die Brusthöhle, welche 
mangels anderer Gründe nur dadurch erklärt werden konnte, daß ein 
heftiger Kampf mit dem zweiten, in demselben Käfig vorhandenen Tiere 
vor sich gegangen ist, der zu einer inneren Verletzung mit tödlichem Aus- 
gange geführt hat. Nach dem pathologisch-anatomischen Befunde wurde 
das Alter dieser Blutung auf etwa drei bis vier Tage geschätzt, da bereits 
stärkere Verklebungen der Blutgerinnsel mit der Brustwand nachweisbar 
waren. 


Dieser abwegige Fall ist ein neuer Beweis dafür, daß nach starken 
Blutverlusten p.E. in größeren Mengen auftreten können, wie es experimen- 
tell bereits von Blumenthal und Morawitz, sowie von Boelke be- 
schrieben worden ist. Ob dabei die reine Blutungsanämie oder eine Gift- 
wirkung durch Zersetzung der in einer Körperhöhle eingeschlossenen Blut- 
masse als Ursache für die Bildung dieser Erythrozytenformen in Frage 
kommt, soll hier nicht weiter erörtert werden. Für uns ist der Zwischenfall 
insofern lehrreich, als durch ihn bewiesen ist, daß einmal die Technik der 
angewandten Färbung usw. richtig war, und zum anderen, daß die statt- 
gehabten, öfteren Blutentnahmen bei unseren Versuchstieren nicht die 
Ursache für das Auftreten der basophil granulierten roten Blutkörperchen 
waren. 


Auf Grund der ausgeführten Versuche können wir behaupten, daß 
auch der Zementstaub, in geringen Dosen subkutan verabreicht, vermag, 
die Erscheinung der getüpfelten Ervthrozyten in größeren Mengen her- 
vorzurufen. | 

Archiv für Hygiene. Bd. 96. 25 


338 Neue tierexperimentelle Untersuchungen usw. 


Sämtliche Versuche, die im vorstehenden Abschnitt IIIA besprochen 
wurden, fielen, wenn wir zusammenfassen, positiv aus und zwar in Grenzen, 
beziehentlich des zahlenmäßigen Auftretens der p. E., die einen Zweifel 
nicht aufkommen lassen. Im großen und ganzen ist dabei der Ablauf des 
Versuchs so, daß die im strömenden Blute erscheinende Zahl der p. E. 
langsam bis zu einem gewissen Höhepunkt ansteigt und nach Überschrei- 
tung desselben ebenso wieder zum Nullpunkte zurückgeht. Doch braucht, 
wenn wir uns die Zahlen der an den einzelnen Untersuchungstagen ge- 
fundenen p. E. durch eine Kurve verbunden denken, diese nicht immer glatt 
zu verlaufen, sondern kann hin und wieder Zacken zeigen. Im zeitlichen 
Erscheinen der genannten Blutkörperchenformen traten, besonders bei 
den Injektionsversuchen, in denen wasserunlösliche Stoffe in Form von 
Aufschwemmungen verwendet wurden, Verschiebungen ein, die einmal auf 
die Schwankungen der den Tieren einverleibten Gewichtsmengen der be- 
treffenden Substanz zurückzuführen sind, zum anderen aber in der indivi- 
duellen Disposition der einzelnen Meerschweinchen begründet sein mögen. 


Die Erfolge mit den Injektionsversuchen ermutigten uns, die im fol- 
genden Abschnitt näher betrachteten Experimente, in denen die genannten 
Stoffe an Meerschweinchen verfüttert wurden, durchzuführen. 


B) Fütterungsversuche. 


Wenn die bisher gewonnenen Resultate in bezug ihrer Nutzanwendung 
auf den Menschen praktisch nur wenig Wert haben, da es wohl selten vor- 
kommen wird, daß die genannten Stoffe durch offene Wunden, kleinste 
Hautverletzungen usw. direkt in die Blutbahn der Arbeiter eindringen, 
so rückt das Interesse sofort in den Vordergrund, wenn wir an die Aufnahme 
solcher Substanzen durch den Magendarmkanal denken. Wir wissen, daß 
der größte Teil von Vergiftungen mit chemischen Verbindungen, ins- 
besondere aber die Schädigung durch Blei und andere Metalle, dadurch 
zustandekommt, daß feinste Teilchen derselben mittels beschmutzter 
Hände in den Mund gelangen und zum Teil schon da oder nach Verschlucken 
im übrigen Abschnitt des Speiseweges zur Resorption kommen. Verbote 
des Essens und Rauchens bei der Arbeit sowie strenge Waschvorschriften 
sind deshalb den Angestellten, Bereitstellung genügender und bequemer 
Säuberungsgelegenheiten neben anderen Schutzmaßnahmen den Arbeit- 
gebern solcher Betriebe auferlegt worden. 


Aber auch die Wirkung des Alkohols, der heutigentags mehr denn je 
wieder eine Rolle in Deutschland spielt, darf hier nicht unberücksichtigt 
bleiben, wenn auch gerade bei der Anwendung dieser Tierversuche auf 
den Menschen sich insofern Schwierigkeiten ergeben werden, als es wohl 
selten oder gar nicht gelingen dürfte, von den Arbeitern wahrheitsgetreue 
Angaben über ihren Alkoholgenuß zu erhalten. 

Die Tabelle VII zeigt das zahlenmäßige Auftreten p. E. beim Meer- 
schweinchen nach Einverleibung von 40proz. Alkohol, von welchem 
die Tiere Nr. 67 5 cem, Nr. 68 3 ccm und Nr. 69 1 ccm erhalten haben. 
Es wurde technisch dabei so verfahren, daß den Tieren ein Magenschlauch 
eingeführt wurde, durch den mittels einer an seinem freien Ende an- 


Von Dr. Hans Lehmann. 339 


Tabelle VII (Verfútterung von Alkohol in fallenden Mengen). 


EE — 
Tier 67 Tier 68 Tier 69 


Dosis: 5 ccm 40°/, Alkohol Dosis: 3ccm 40°/. Alkohol Dosis: 1 ccm 40°/, Alkohol 
Körpergewicht { p dn 5 Körpergewicht q a > d Körpergewicht ! SE 500 v 


KA Resultat a = MA Resultat | er a ar Resultat ge e 








> Kontr. — dëi l Kontr. —. di 1. ‚\Kontr. — yoo 
. E ! 100 i = 100 e» BS 100 
5. pena NT E Bi — | vereinz 4. t wë 
6 | Sho f T| <= | el il E | Sie 
8. a l S 10 + we 100 9. + 15/ 100 
10. Se Za | 12. | +++ ww? 11. t 50/100 
12. + 100 14. | en mm pm | <?9%/ 100 14. SS 12/100 
P E ajer EIERE 

° Sa 100 100 . ez 100 
19. | +++ 1000 21 ++ oo 21. | y 00 
22. | ++ oo | 24 ++ 75] 100 23. 50/100 
lm | — fæ |25. ++ | mi 
26. Je | 28 => 100 28. E 10/100 
29. ++ 7] 100 31 == “100 31. — 100 
31. — wë? 33 — vereinz. | 33. — io 
33. + wi 100 35 — 0/ 100 36. > wi 100 
8) — | Yo | 38.| — oo | 38. | — 9/100 
38. Gg / 100 41 GG o/ 100 40. | == 9/ 100 
40. SS oo | 43 = Ta 42. | — 100 
43. Se 00 | 45 => 9/100 45. Se Ta 
46. | — y | 


geschlossenen Spritze der Alkohol ganz langsam unter leichtem Druck 
direkt in den Magen befórdert wurde. Das hatte den Nachteil, daB die 
Resorption desselben durch die Mundschleimhaut und Speisewege, welche 
beim Alkoholgenuß des Menschen bekanntlich eine große Rolle spielt, 
wegfiel. Es mußte jedoch die Einverleibung des Alkohols auf diese Weise 
vorgenommen werden, um Substanzverlusten durch Versprudeln und 
Herausfließen aus der Mundhöhle der Tiere, die bei Verfütterung in dieselbe 
wohl unvermeidlich gewesen wären, zu verhindern, denn der Alkohol ist 
unter unsern Versuchsstoffen eben der einzige, bei dem sich die den Tieren 
gegebene Menge quantitativ genau bestimmen läßt. Ferner wurde der 
Magenschlauch angewendet, um bei den Fütterungsversuchen mit den 
staubförmigen Verbindungen ein Eindringen der fremden Substanz in 
die Atemwege, was weiteren Versuchen vorbehalten bleiben sollte, zu ver- 
hindern. | | 

Ein Blick auf die Auszählungsangaben der Tabelle VII lehrt, daß das 
zeitliche Auftreten von p. E. im strömenden Blute sich nach der Stärke 
der verabreichten Alkoholgabe richtete, und daß diese Fütterungsversuche 
in jedem Falle positiv verliefen. Die Wirkung setzte parallel den fallenden 
Alkoholdosen am 5., 10. und 11. Tage des Beobachtungszeitraumes ein, 
wobei sich dieselbe bei dem Tiere Nr. 69, welches die geringste Menge 
Alkohol erhalten hatte, wohl bereits vom 4. Tage an durch eine geringe 
Zahl von p. E. ankündigte, die jedoch nicht als positiver Befund betrachtet 
werden konnte, da die Werte unter der für uns gültigen Grenzzahl lagen. 
In gleichem Maße schwanden auch die granulierten Erythrozyten aus dem 

252 


340 Neue tierexperimentelle Untersuchungen usw. 


Blutbilde der Tiere, welche die geringeren Alkoholgaben erhalten hatten, 
am 26. und 28. Tage,. während sie bei dem Meerschweinchen mit der 
höchsten Dosis mindestens bis zum 33. Versuchstage, also ca. 5 bis 7 Tage 
länger, im Übermaß der Grenzzahl nachweisbar waren. Ferner sank die 
Zahl der nach unserem System ausgewerteten p. E. durchschnittlich und 
auffallend mit der Abnahme der gegebenen Alkoholmengen. Auch hierfür 
gilt das im Abschnitt IIIA. Gesagte, daß unsere Versuchsresultate im 
Einklange mit der Größe der verabreichten Alkoholmenge stehen und 
somit nicht auf Zufälligkeiten beruhen können, sondern tatsächlich der 
Wirkung des Alkohols zuzuschreiben sind. Dies wiederum läßt den Schluß 
zu, daß auch die Experimente mit den anderen Substanzen, bei denen eine 
so exakte Gewichtsbestimmung der wirklich verabreichten Menge wegen 
ihrer Wasserunlöslichkeit nicht möglich war, im Prinzip einwandfrei sind. 

Die Tiere vertrugen auch die Verfütterung des Alkohols, ohne irgend- 
welche pathologische Erscheinungen unmittelbar nach der Einverleibung 
oder während der Beobachtungszeit zu zeigen. Ebenso wurde ihr Körper- 
gewicht durch die Versuche nicht nachteilig beeinflußt. Da andere Gründe 
für das Auftreten der basophil granulierten Erythrozyten im Blute der 
Versuchstiere nicht vorliegen, ist also sicher, daß es selbst mit diesen 
kleinen und einmaligen Alkoholgaben in den Magen der Tiere gelang, das 
Blutbild der Bleivergiftung zu erhalten. 

Wenn wir — rein theoretisch — diese Versuche auf den Menschen 
anwenden wollen, so könnte bei einem im Bleigewerbe beschäftigten Ar- 
beiter von 75 kg Gewicht und unter Zugrundelegung des Tieres Nr. 69 
von 400 g Schwere der Genuß von 187 ccm eines 40proz. Schnapses ge- 
nügen, um ihn gelegentlich einer gewerbeärztlichen Reihenuntersuchung 
auf Grund seines Blutbildes als bleigefährdet oder gar bleikrank anzu- 
sehen, obwohl das Auftreten der zur Frühdiagnose dienenden p E. nur 
die Folge des Alkoholgenusses zu sein braucht. Die Menge des genossenen 
Schnapses entspräche etwa t/l, was durchaus im Bereich der Möglich- 
keit liegt, zumal Arbeiter, die an ständigen Alkoholgenuß gewöhnt sind, 
fast täglich solchen zu sich nehmen, also die Dosis unseres Rechenbeispiels 
noch weit überschreiten würden. Wie gesagt, ist die geschilderte Über- 
legung rein theoretischer Natur und die Nutzanwendung unserer Tier- 
versuche auf den Menschen nicht ohne weiteres statthaft; die Möglichkeit 
des gleichen Erfolges aber ist nicht zu leugnen. 

Auf dem gleichen Wege wie der Alkohol wurde den folgenden Tieren 
(Nr. 70 und 76) je 2 g kohlensaurer Kalk in 10 ccm physiol. Kochsalz- 
lösung aufgeschwemmt gegeben. Die Wasserunlóslichkeit desselben und 
der nächsten Versuchsstoffe hatte zur Folge, daß die in Wirklichkeit ein- 
verleibten Mengen dieser gewichtsmäßig nicht genau bestimmt werden 
konnten, weil ein Teil der Substanz naturgemäß stets an den Glaswänden 
der Spritze, dem Magenschlauch und dem Gefäß, in welchem die Auf- 
schwemmung bereitet wurde, hängen blieb. Um diesen Fehler auszu- 
gleichen, wurden in jedem Falle 0,3 g der Substanz mehr aufgeschwemmt, 
was ungefähr der zurückbleibenden Menge derselben, wie sie in mehrfachen 
Versuchen durch Trocknung und nachfolgende Wägung bestimmt wurde, 
entsprach. 


Von Dr. Hans Lehmann. 341 


Tabelle VIII (Verfütterung von kohlensaurem Kalk). 


Tier 70 Tier 76 
Dosis: 2,3 g/10.0 NaCl Dosis: 2,3 g/10,0 NaCl 
A.: 400 e A.: 280 
Körpergewicht { E: 390 E Körpergewicht 1 S 34 0% 
rage | Resultat | Zander | Ves | resultat | Zahl der 
1 Kontr. — | wë? 1. | Kontr. — ob 
3. Ee °/100 E a 100 
9. TT Si 100 5. F /100 
E | Ele 
. < /100 . + 100 
10. A 1. | +++ | he 
12, + 00 13. TF 100 
14. a | Te 15. E 10/00 
15. + "lee 17. = °/100 
18. — 0/00 19. — vereinz. 
20. = Jee 21. SS | °/100 
23. Es 0/100 23 = i 0/100 
26. T °/100 25 Be °/ 100 
29. — vereinz. 27 — oo 
321 — %0 | 29. — dëi 
35. = 100 32. sE °/100 


Die an dieser Tierserie gewonnenen Resultate sind zahlenmäßig in 
der Tabelle VIII aufgezeichnet. Am 5. Tage nach der Fütterung waren 
bereits die Blutpräparate der Tiere reich an basophil granulierten Ery- 
throzyten. Es fanden sich an diesem Tage 50 bzw. 80 p. E. in 100 durch- 
gesehenen Immersionsgesichtsfeldern, ein Zeichen dafür, daß die geringe 
Menge des den Meerschweinchen einverleibten kohlensauren Kalkes schon 
genügt hat, das für Bleivergiftung als charakteristisch gepriesene Früh- 
symptom an den roten Blutkörperchen hervorzurufen. Aber auch hier 
vergingen ebenso wie bei den Experimenten mit subkutan verabreichten 
CaCO, die genannten pathologischen Veränderungen an den Erythrozyten 
rascher als bei den anderen Verbindungen, sodaß bereits 7 bzw. 8 Tage 
nach Auftreten der ersten p. E. solche nicht mehr in Werten beobachtet 
wurden, welche die gesetzte Grenzzahl überschritten. Dafür kann auch 
hier das im Abschnitt über die subkutane Injektion des kohlensauren 
Kalkes Gesagte als Erklärung herangezogen werden. Während der Ver- 
suchsdauer stieg die Zahl der im strömenden Blute gefundenen p. E. auf 
über 200) .,) an, eine Zahl, die jeden Zweifel über den positiven Ausfall 
dieser Versuche ausschließt. 

Weiteren Versuchstieren wurde Zementstaub in den Magen ein- 
geführt, und zwar kam auf Grund der vorangeganen Überlegungen über 
den Substanzverlust beim Arbeiten mit wasserunlöslichen Stoffen eine 
Aufschwemmung von 1,3 g desselben in 10 ccm physiol. Kochsalzlósung zur 
Anwendung, sodaß angenommen werden kann, daß jedem Tiere praktisch 
etwa 1 g des Staubes einverleibt worden ist. Der Erfolg war, wie die 
Tabelle IX lehrt, bei beiden Tieren, obwohl sie annähernd gleiches Körper- 
gwicht besaßen (550 und 520 g), nicht einheitlich. 

Das Tier Nr. 11a reagierte in bezug auf das Auftreten der p. E. merklich 
schwächer; die Wirkung setzte erst am 17. Versuchstage ein und war 


342 Neue tierexperimentelle Untersuchungen usw. 


Tabelle 1X (Verfútterung von Zementstaub). 





Tier 11a Tier 12a 
Dosis: 1,3/10,0 NaCl Dosis: 1,3/10,0 NaCl 

Körpergewicht | m S Körpergewicht E A.: Geen E 
Ta | Resultat gr eg Kär Resultat Ze a 

1. | Kontr. — wël 1. | Kontr. — vi 
5. — d | 5 + wë 
9. — vereinz. 9. — y 
12. = °/ 100 12. | + 35/100 
15. Ee 00 15. ++ Til 
17. . + 0 17. + He 
19. | ++ gi 100 19. + wei 100 
22. ++ SW 100 22. | + 22 100 
|  — Vin | 26.1 + wë 
28. | — oo 28. | t e 
30. | — vereinz. | 30. t | 10) io 
32. = Tag 32. | + 19/100 
34. | e El 100 34. | SS i o 100 
36. — oo 36. — iso 
38. | SS °/100 38. | Ke Te 
40. an akuter Pneumonie 40. — O i 

gestorben bis 

52. — | Van 





zwischen 23. und 25. Tage bereits wieder erloschen. Ferner überschritt 
die Höhe der gefundenen p. E.-Zahl nicht den Wert von Billa, Dagegen 
zeitigte das Tier Nr. 12a einen vollen Erfolg. Bei Einsetzen des positiven 
Befundes am 12. Tage hielt dieser sicher bis zum 28. Tage an, und zwar so, 
daß die Zahl der p. E. langsam bis zur Höhe von ??0/, ¿y anstieg und von 
da an rasch abfiel. Immerhin sind aber die aufgetretenen Werte für die 
basophil granulierten Roten bei dem Tiere Nr. 11a noch so hoch, daß der 
positive Ausfall des Versuches auch hier nicht zweifelhaft ist, jedoch ist 
die Ursache für die unterschiedliche Art des Experiments bei diesen Tieren 
nicht recht erkennbar. Ein möglicher Grund dafür wäre, daß die einzelnen 
Meerschweinchen verschieden widerstandsfähig gegen die fremden Sub- 
stanzen sind, bzw. von Seiten ihres hämopoetischen Systems unterschiedlich 
stark darauf reagieren. Das wäre eine Parallele zu der Erfahrungstatsache, 
daß es auch unter den Menschen solche gibt, die auf Blei nur in gering- 
fügigem Maße oder gar nicht mit Bildung von p. E. antworten. 

Eine Überraschung boten die Versuche, in denen Kohlenstaub in 
steigenden Gaben an Meerschweinchen verfüttert wurde. Es gelang merk- 
würdigerweise in keinem Falle, auf diesem Wege granulierte Erythrozyten 
bei den Tieren hervorzurufen, obwohl dies wiederholt versucht wurde. 

Die Tabelle X schildert den Gang des Versuches an drei,Tieren (Nr. 75, 
15 und 16), denen auf dem bisher beschrittenen Wege 2, 3 und 4 g Braun- 
kohlenbrikettstaub in je 10 ccm physiol. Kochsalzlösung aufgeschwemmt 
und mit dem Substanzverlustzuschlag von 0,3 g versehen, verabreicht 
wurde. Über die Dosis von 4 g Kohlenstaub meinten wir nicht hinaus- 
gchen zu sollen, weil dann den Tieren Mengen desselben einverleibt worden 
wären, die, auf das Körpergewicht des Menschen umgerechnet, praktisch 


Von Dr. Hans Lehmann. 343 


Tabelle X (Verfütterung von Kohlenstaub). 













Tier 75 Tler 16 Tier 15 
Dosis: 2 g/10,0 NaCl Dosis: 3 g/10,0 NaCl Dosis: 4 g/10,0 NaCl 
Körpergewicht d Se 0 S Körpergewicht | SC en = Körpergewicht E E: SE E 
TÉL) Resultat | ee ag | Resultat | Zab der [VEIE] Resuttat | TTT 
l. ¡Kontr. — le 1. ¡Kontr. — 1100 1. [Kontr. — ioo 
3. | — /100 4. SE | / 100 4. e 0 
5. SES 9/100 6. | E °/ 100 6. ` Da 
T| — Yo | 8. — dn | 8| — | Hw 
8. t 15/100 11. ES 0/00 11. | ER | °/ 100 
10. SE 0/100 14. —= 00 14. Ben oo 
GES = | m Tel =; cm 
14. ge) °/ 100 19. e Te 19. B | El 100 
15. — 100 22. | — yaa 22. — Zoe 
18. EA 0 100 25. A “ion 25. = 100 
20. pa 0 100 27. = en 27. Anz 9100 
23. — Ao 29. — Ain 29. — Ain 
24. genge ` 33. | = | ho [33| — Ges 
10,0 NaCl | | | 
27. — “oo | 
| — 00 | | 
31. | Kam: Aen | 
33. | — Ta Ä 
35.. — %/100 | 
38. | =; Ao | 


selbst fiir Arbeiter in kohlenstaubreichen Gegenden nicht mehr oder 
wenigstens selten in Frage kommen. Die Erklärung dafür, daß es nur durch 
Verfütterung von Kohle nicht möglich ist, basophil getüpfelte Erythrozyten 
im Tierversuche zu erzeugen, trotzdem dies durch subkutane Injektion 
und, wie wir im nächsten Abschnitt dieser Arbeit sehen werden, auch durch 
Einatmung von Kohlenstaub einwandfrei gelingt, müssen wir schuldig 
bleiben, da ein umfassender Grund für diese Merkwürdigkeit sich nicht 
finden läßt. 


C) Einatmungsversuche. 


Für die Gewerbehygiene ist schließlich die Frage am EE ob 
das Einatmen von kalk-, kohlen- oder zementstaubhaltiger Luft, wozu 
die Arbeiter nicht nur an den Orten, wo diese Stoffe gewonnen oder ver- 
arbeitet werden, sondern úberhaupt in den Industriezentren reichlich Ge- 
legenheit haben, bereits die Ursache für die Bildung von basophil granu- 
lierten Erythrozyten im Blute sein kann und somit zur Verwechslung mit 
dem für Bleieinwirkung bekannten Blutbilde führen könnte. Die Ein- 
atmung von Alkoholdämpfen spielt praktisch eine sehr untergeordnete 
Rolle und dürfte in Mengen, welche pathologische Veränderungen an den 
roten Blutkörperchen hervorzurufen imstande sind, nur in vereinzelten 
chemischen Betrieben, Brauereien oder Brennereien in Frage kommen. 
Aus diesem Grunde wurde auf solche Versuche an Meerschweinchen ver- 
zichtet, 


344 Neue tierexperimentelle Untersuchungen usw. 


Wenn man Einatmungsversuche am Tiere mit staubfórmigen Stoffen 
ganz exakt machen wollte, müßte das Verschlucken des beim Atmen sich 
in den oberen Luftwegen absetzenden Staubes und somit eine eventuelle 
Resorption desselben vom Magendarmkanal aus verhindert werden. Das 
ist aber sicher nur zu erreichen, wenn man die Speiseröhre der Tiere unter- 
bindet. Von diesem rigorosen Verfahren, welches dem Leben der Meer- 
schweinchen trotz Anwendung von Ernährungsklistieren usw. in kurzer 
Zeit ein Ziel setzt, mußte abgesehen werden, weil einmal das dazugehörige 
Tiermaterial zu teuer ist, zum anderen aber die Meerschweinchen nach 
Anlegung der Unterbindung den zu einer abgeschlossenen Untersuchung 
nötigen Beobachtungszeitraum von 4 bis 6 Wochen nicht überleben dürften. 

Da wir diese exakte Methode aus den angeführten Gründen nicht 
wählten, ist somit anzunehmen, daß die folgenden positiven Resultate zu 
einem, wenn auch kleinem Teile mit auf der Wirkung der bei der Atmung 
verschluckten Fremdstoffe vom Magendarmkanal aus beruhen. Jedoch 
kann man auch bei dem Studium der Einwirkung industrieller Gifte auf 
den menschlichen Körper niemals streng auseinanderhalten, ob diese 
lediglich auf dem Atemwege oder zu einem Teile durch den Speisekanal 
zur Resorption gekommen sind. Das spielt letzten Endes bei der Entschei- 
dung der Frage, ob durch Einverleibung von Stoffen, welche den Arbeitern 
leicht zugängig sind, die Frühsymptome der Bleivergiftung in Form der 
p. E. auch auftreten können, keine wesentliche Rolle. 

Zur Durchführung der Einatmungsversuche am Meerschweinchen 
wurde der in Abb. 1 dargestellte Apparat konstruiert und verwendet. 

In einem Holzkasten A (42:42:22 cm), dessen Fugen gut abgedichtet 
sind, ist ein elektrischer Ventilator, wie er zum Entlüften von Arbeits- 
stätten, Gasthausstuben usw. dient, in wagerechter Lage, die Flügel nach 
oben gerichtet, eingebaut. Das Gehäuse des treibenden Motors ist, um 
letzteren vor starker Verstaubung zu schützen, von den Flügeln durch 
eine Pappscheibe abgetrennt, welche nur eine Öffnung für die Flügelwelle 
aufweist. Dem Kasten A sitzt ein Glastrichter B mit seinem größten 
Durchmesser von 30 cm auf. Der Holzdeckel des Kastens ist im Bereich 
der kreisförmigen Fläche der Trichteröffnung durch feinlöchrige Drahtgaze 
ersetzt, ein guter Abschluß der Berührungsstelle von Trichter und Kasten 
durch Plastilin erreicht. Die durch den Ventilator erzeugte starke Luft- 
bewegung kann sich also ohne wesentliche Störung auf den Inhalt des 
Trichters übertragen. Um ein gleichmäßiges Zirkulieren der Luft und mit 
ihr des durch ein oben konisch erweitertes Glasrohr c in den Trichter ge- 
brachten Staubes zu erreichen, insbesondere aber, um beim Betriebe des 
Apparates ein Ansetzen desselben in der Trichterspitze zu verhindern, ist 
in demselben eine trennende Papierscheibe d so angebracht, daß den auf 
der Drahtgaze b unter dem Glastrichter B sitzenden Versuchstieren ein 
Atmungsraum zur Verfügung stand, der dem Inhalt eines Kegelabschnittes 
von der Höhe 12 und den Durchmessern 30 und 15 cm entspricht. 

Erfahrungsgemäß bildete sich beim Gange des Ventilators in der Achse 
des Trichters eine unbewegte TLuftzone, in welche die Tiere sofort ihre 
Köpfe zu stecken pflegten, um so dem Flugstaube zu entgehen. Es wurde 
deshalb ein keilförmig gebautes Trennungsgitter e aus Draht angebracht, 


Von Dr. Hans Lehmann. 345 


welches den Atmungsraum in zwei gleiche Teile zerlegte und so die Tiere 
zwang, den Kopf in der Fluglinie des Staubes zu belassen, da der jedem 
Meerschweinchen nunmehr zur Verfügung stehende Raum nicht viel größer 
als sein Umfang war und somit Bewegungen der Tiere verhinderte. Über 
dem oberen Ende des staubzuführenden Glasrohres c ist mittels eines 
Stativs ein Vorratsbehälter / für die zu verwendende Staubart angebracht, 
der mit seinem nach unten verjüngten und von der Senkrechten etwas ab- 
gebogenen Ende frei in das konisch erweiterte Zuflußrohr c hineinragt. 
Das Pendel eines auf einem Stativ seitlich aufgestellten Metronoms g 
schlägt während des Versuches alle Sekunden an das Vorratsgefäß f, 
was jedesmal ein Abbröckeln von etwas Staub zur Folge hat. Dieser 





rutscht durch das trockene Glasrohr in den Atemraum und wird dort durch 
die vom Ventilator erzeugte Luftbewegung längere Zeit herumgewirbelt. 

Auf diese Weise wurde erreicht, daß wenige Gramm der Substanz ganz 
allmählich in den Trichter befördert und dort einige Zeit in Bewegung 
gehalten wurden. Ä 

Die Quantität der in jedem Versuche verstäubten Substanz wurde 
nach dem Gewicht bestimmt, das Experiment im übrigen so durchgeführt, 
daß an drei aufeinanderfolgenden Tagen eine bestimmte Grammenge des 
jeweiligen Staubes verarbeitet wurde. Selbstverständlich atmeten die Tiere 
nur wieder einen Teil des Staubes ein, während die größere Menge desselben 
sich zu Boden senkte, in dem Haarkleid der Meerschweinchen haften blieb 
oder anderweitig für den Versuch verloren ging. Mit der verwendeten 
Apparatur war also eine genaue Gewichtsbestimmung der von den Tieren 
wirklich eingeatmeten Substanz noch weniger möglich, als bei den Fütte- 
rungsversuchen. Der Zweck dieser Ex perimente sollte eben zunächst ledig- 


346 Neue tierexperimentelle Untersuchungen usw. 


lich der sein, festzustellen, ob es auf dem eingeschlagenen Wege überhaupt 
gelänge, p. E. in größeren Mengen zu erhalten. Die exakte Feststellung 
der Gewichtsmengen der verwendeten Stoffe, die eben noch ausreichen, 
um basophil granulierte Erythrozyten beim Meerschweinchen in Mengen, 
welche die üblichen Grenzzahlen überschreiten, zu erhalten, soll späteren 
Versuchen vorbehalten bleiben. 


Tabelle XI (Einatmung von kohlensaurem Kalk). 










Tier 1. Tier 2 


Dosis: An 3 Tagen je 2g Dosis: An 3 Tagen je 2 g 
Körpergewicht d Es oe Korpergewicht í a 210% 
Ve | 

Ka | Resultat ` ` ee Resultat | TE er 





















1. % 100 
5. = The 
8. sun 9/100 
10. = % 100 
12. Kam KÉ 
14. (viel Poly.) 
16. ; + E 100 
18. ++ / -| ++++ 170) 700 
20. T a ew REET = 200) 00 
25. = o/ 100 «| +++ i we 100 
28. ES 0, 00 25. eme 00 
32. — De 28. — o/ 100 
36. ES o 32. ES | SECH 
38. — el 100 36. — o 100 
40. tee, 07 100 38. en | y 
40. Ke | Tee 


saurem Kalk an. In der beschriebenen Weise wurden an drei aufeiander- 
folgenden Tagen je 2 g des fein pulverisierten Stoffes verstäubt, wozu an 
jedem Versuchstage eine Zeitspanne von ungefähr einer Stunde nötig war. 
Nachdem sich die erste, durch das Geräusch des Motors und die stark 
bewegte Luft bedingte Unruhe der Tiere gelegt hatte, verhielten sie sich 
im weiteren Verlauf des Versuches ruhig und fühlten sich durch die staub- 
haltige Atmosphäre offenbar nicht behindert. 

Die Wirkung des durch Einatmung in den Körper gelangten kohlen- 
sauren Kalkes auf das Blutbild trat bei dem Meerschweinchen Nr. 1 am 12., 
bei dem Tiere Nr. 2 am 14. Tage ein. Die Zahl der p. E. stieg während der 
Beobachtungszeit rasch bis zur Höhe von 200/ am 16. bzw. 18. Tage an 
und fiel ebenso schnell wieder zum Nullpunkte ab, so daß beide Tiere vom 
25. Versuchstage an praktisch frei von granulierten Roten blieben. Das 
körperliche Befinden der Meerschweinchen zeigte während des gesamten 
Versuchsverlaufes nichts Absonderliches, zum mindesten waren erkennbare 
Schäden, starke Abmagerungen usw. als Zeichen toxischer Vorgänge im 
Tierkörper nicht zu verzeichnen. Vor dem Versuche von den Tieren an- 
gefertigte Blutpräparate erwiesen sich als frei von p. E. 

Das einmalige Auftreten von p. E. in einem geschlossenen Beobach- 
tungszeitraum, das zahlenmäßige Anschwellen derselben zu einem ge- 


Von Dr. Hans Lehmann. 347 


wissen Höhepunkt während dieser Zeit und die unmittelbar anschließende 
Rückkehr zum normalen Standpunkt sprechen dafür, daß die Einatmung 
der — wie wir auf Grund der Versuchsanordnung bestimmt annehmen 
können — geringen Mengen von kohlensaurem Kalk genügten, um diese 
veränderten Formen der Erythrozyten in pathologischen Mengen im 
Blutbild der Tiere zu erzeugen. Auch im Einatmungsversuch jedoch war 
die Wirkung des kohlensauren Kalkes in bezug auf Dauer und Höhe der 
Zahl der gefundenen p. E. an den Tagen größter Wirkung, ähnlich den 
Resultaten bei der subkutanen Verabreichung und Verfütterung desselben, 
ohne Zweifel schwächer, als bei den im folgenden beschriebenen Experi- 
menten mit Kohlen- und Zementstaub. 

Von den drei zur Einatmung verwendeten Stoffen übte unzweifelhaft 
der Kohlenstaub die stärkste Wirkung auf das Blutbild der Versuchs- 
tiere aus, was um so verwunderlicher ist, als, wie wir im vorigen Abschnitt 
sahen, die Verfütterung desselben nicht vermochte, p. E. im strömenden 
Blute der Meerschweinchen hervorzurufen. Die Tiere Nr. 3, 4 und 5 wurden 
in dem angegebenen Apparat an drei aufeinanderfolgenden Tagen dem 
Staub von im Achatmörser feinst gepulverten Stückchen von Braun- 
kohlenbriketts in Mengen von je 8 g (was gewichtsmäßig ungefähr dem 
Volumen von 2 g Kreide entsprach) ausgesetzt. Die Dauer des Versuches 
währte dabei an jedem Tage etwa 11, Stunden. 


Tabelle XII (Einatmung von Kohlenstaub). 





Tier 3 Tier 4 Tier 5 
Dosis: 3 Tage je 8 g Dosis: 3 Tage je 8 g Dosis: 3 Tage je 8 g 
Körpergewicht | A S Se a Korpergewicht f a ; Nä S Körpergewicht f A ; Se E 
ne) Resultat | re er Resultat | ga e Ka Resultat | et 
1. |Kontr. — ` Die 1. Kontr. — oo 1. ¡Kontr. —| vereinz. 
9. ECH 100 H, Weg o/ 100 5. RE 100 
12. | + Li 12. ` + 50/100 10 + #0 / 100 
15.° ++ | “yw 15 98/100 14 Tr 70/100 
19. | + o 19 +++ | 779/100 16 +++ oo 
2. + 09 | 22. | ++ | Wie 
25. am 7100 25. ++ , "o 24. | +++ 108/00 
29. ++ "ien 29. ++ WI 281 + Ti 
33. + WI 33. + 15/100 29. ++ wf 
36.1  -— Yo 136 + o, 32. | +48 |<" 
40. | SS 100 40. + wf? 36. ++ 98/100 
42. => °/ 100 42. | + wf 42. ++ 0) 00 
47. gk 100 47. ı T wf? 44. ++ 00 
51. — in 51. — WOCH 47. +t a 6 
54. = 100 54. SS 100 49. + 25/100 
| 56. | — do 54. — cs 
58. ı — /100 58. — wO? 
60. ' = Fiv 60. — Vë 
62. — /100 62. — oo 


Bereits am 10. und 12. Beobachtungstage traten in den Blutbildern 
der Tiere, welche vor Ansetzen des Versuches als frei von granulierten 
Erythrozyten erkannt waren, solche veränderten Formen der Roten im 


348 . Neue tierexperimentelle Untersuchungen usw. 


Übermaß der Grenzzahl von Säi, auf (s. Tabelle XII). Während das Ein- 
setzen des in unserem Sinne positiven Befundes ziemlich zum gleichen 
Zeitpunkte erfolgte, fiel: der weitere Ablauf der Reaktion während der 
Beobachtungszeit aus dem Rahmen der bisherigen Versuche merklich 
heraus. Einmal überstieg nämlich die Zahl der an den einzelnen Unter- 
suchungstagen gefundenen p. E. nur zweimal die Zahl 1%/, o, bewegte sich 
also größtenteils in der Höhe von nur ?°/,00 bis 8°/iop, wofür die positive 
Wirkung im Gegensatz zu den übrigen Einatmungsversuchen auffallend 
lange anhielt. Ja, unter den drei Tieren dieser Versuchsserie selbst ver- 
schwanden die p. E., obwohl die Meerschweinchen gleichen Mengen 
Kohlenstaub ausgesetzt waren, nicht gleichmäßig wieder aus dem Blut- 
bild, sodaß die Rückkehr zum normalen Zustand unter den Tieren Dif- 
ferenzen bis zu 16 Tagen zeigte. Zum anderen lief der Versuch, entsprechend 
den früheren Erfahrungen, nicht so ab, daß einem Anschwellen der Menge 
der an den einzelnen Untersuchungstagen ausgewerteten p. E. nach Über- 
schreitung ihrer Höchstzahl ein Abklingen zum normalen Blutbilde er- 
folgte, sondern es sind deutlich zwei Schübe des Auftretens p. E. zu er- 
kennen. Stellten wir die in der Tabelle XII aufgezeichneten Resultate 
graphisch dar, so würde demnach eine Kurve mit zwei Gipfeln entstehen. 
Es erscheint uns jedoch verfrüht zu sein, aus diesen Sonderheiten weit- 
gehendere Schlüsse zu ziehen, da sie ebenso gut durch Zufälligkeiten be- 
dingt sein können. Über solche oder ähnliche Erscheinungen kann man 
erst urteilen, wenn es mit Hilfe einer verbesserten Apparatur möglich ist, 
die Menge der von den Tieren eingeatmeten Substanz genauer zu be- 
stimmen. Wir begnügen uns hier mit der Feststellung, daß es gelang, durch 
Einatmung von kleinen Mengen von Kohlenstaub beim Meerschweinchen 
das Blutbild der Bleivergiftung hervorzurufen. Erwähnt sei noch, daß 
auch während dieser Versuche und dem sich anschließenden Beobachtungs- 
zeitraum die Tiere gesund blieben und keinerlei Zeichen des Unbehagens 
aufwiesen. Es trat bei ihnen lediglich eine leichte Entzündung der Kon- 
junktiven ein, die wohl auf einer mechanischen Reizung derselben durch 
die fliegenden, mikroskopisch zum Teil spitzen und kantigen Kohleteilchen 
beruhen dürfte. 

Die letzte Serie von Tieren setzten wir unter Einhaltung der geschil- 
derten Versuchsanordnung zementstaubhaltiger Luft aus. An drei auf- 
einanderfolgenden Tagen wurden je 6g des Stoffes (entsprechend dem 
Volumen der vorhergehenden Versuchsmengen) in dem beschriebenen 
Apparat verstäubt. Auch diese Versuche zeitigten einen vollen Erfolg 
in bezug auf das Auftreten von p. E. im strómenden Blute der Tiere. 

Die Tabelle XIII besagt, daß alle Meerschweinchen am 18. Versuchs- 
tage anfingen, mit basophil granulierten Erythrozyten auf den eingeatmeten 
Zementstaub zu antworten. Wie in der Mehrzahl der übrigen Versuche 
stellte sich diese Wirkung in einem Anstieg der Zahl der gefundenen p. E., 
welche den Vergleichswert von 1%%/,. in keinem Falle überschritt, und 
anschließendem Abfall derselben zum Nullpunkt dar, worauf im Verlaufe 
der weiteren Beobachtungszeit kein erneutes Auftreten dieser veränderten 
Formen der roten Blutkörperchen mehr zu verzeichnen war. Dieses zu 
verschiedenen Jahreszeiten und an Tieren mit sehr unterschiedlichem 


Von Dr. Hans Lehmann. 349 


Tabelle XIII (Einatmung von Zementstaub). 











See DA nn == — 


Tier 7 Tier 13a Tier 14a 
Dosis: je 6 g an 3 Tagen Dosis: je 6g an 3 Tagen Dosis: je 6 g an 3 Tagen 
Körpergewicht d a en A Körpergewicht d Kë Du S Körpergewicht 1 eg GP d 
Kä Resultat a Ke Kier Resultat ` ne Kacg Resultat ul 
l. IKontr. al Wë 1. |Kontr. — a 1. Kontr. — od 
6. DS y 100 6. Se E 100 6. — p 100 
10. SE 9100 10 Z5 %100 10. SC 100 
DL wë ff ll = Kn | 1. — dëi 
15. = f 100 16. E 100 16. Ka 100 
18. ++ "Leg 18. + 15/100 18. | + 2 100 
21. ++ 3/0 | 21. RER wf 21. ++ 75/100 
25. | HHH | o Jl HE 1 Sho | 2E) HHH | o 
3l. | + o 26.. +++ o 26., + 18/100 
36. | = °/100 29. + 35/100 29. T 10/00 
38. + | 06 33. t 15/100 33. | — 100 
40. == °/100 36.: — "ig 36. SES 100 
43. Se | 100 38. | + 00 38. | = 100 
46. — EE 40. — wë? 40. — Dao 
50. zu | o 100 43. = | of 106 43. di Pl 100 
52. SS | e 100 46. | EE E 100 


Körpergewicht gewonnene Bild des Versuchsablaufes spricht abermals für 
eine ‚spezifische Reaktion im Tierkörper. 


Es gelang also einwandfrei, durch Einwirkung von den als in dieser 
Beziehung bisher harmlos. angesehenen Stoffen kohlensaurer Kalk, Kohlen- 
und Zementstaub auf dem Atemwege das frühdiagnostische Bild der Blei- 
vergiftung im Tierexperiment zu erhalten. 


Nachdem die in dieser Arbeit geschilderten Erkenntnisse am Tier- 
körper gewonnen sind, liegt es nahe, Versuche am Menschen anzustellen, 
die prüfen sollen, ob die erhaltenen Resultate auch für diesen Geltung 
haben. Die Durchführung solcher Experimente ist, wenn alle nötigen Vor- 
bedingungen dazu eingehalten werden sollen, nicht so einfach, wie es auf 
den ersten Blick scheint. Bei Versuchen dieser Art mit Alkohol z. B. müßte 
man eine Reihe von Leuten haben, die sich — der Tragweite der zu er- 
wartenden Resultate bewußt — streng an die gegebenen Vorschriften in 
bezug auf den Alkoholgenuß usw. halten. Für laboratoriumsmäßige Ein- 
atmungsversuche am Menschen mit den im Tierexperiment zur An- 
wendung gekommenen Staubarten aber ergeben sich Schwierigkeiten, die 
unüberwindlich erscheinen. 

Als einziger gangbarer Weg, diese für die Gewehrbehygiene so wichtige 
Frage zu prüfen, bleibt nur übrig, an einer größeren und einsichtigen Ar- 
beiterzahl, unter Ausschließung der Bleiätiologie mittels der anderen für 
diese spezifischen diagnostischen Hilfsmittel, Reihenuntersuchungen an- 
zustellen, ob ein einzelner oder eine Summe mehrerer der besprochenen 
Stoffe vermag, p. E. in Werten, welche die übliche Grenzzahl überschreiten, 
hervorzubringen. Dieses Menschenmaterial steht nur den Gewerbe- 
hygienikern der Praxis zur Verfügung, die auf dem ihnen gezeigten Wege 
fortzufahren berufen sind. 


350 Neue tierexperimentelle Untersuchungen usw. 


Schlußwort. 


Mittels der beschriebenen Versuche ist es zum ersten Male gelungen, 
das Blutbild der Bleieinwirkung bezüglich des Auftretens basophil gra- 
nulierter Erythrezyten im strömenden Blute tierexperimentell durch Stoffe 
hervorzurufen, die dem Körper der Arbeiter jederzeit bewußt oder un- 
bewußt zugängig sind. Es ist damit der Experimentalbeweis erbracht, 
daß die Erscheinung der p. E. nicht spezifisch für die Einwirkung von 
Blei ist, sondern ebenfalls die Folge der Einverleibung der beschriebenen 
Versuchsstoffe auf den angegebenen Eingangswegen zum Körper sein kann. 
Dadurch wird die auf statistischer Grundlage gewonnene Erfahrungs- 
erkenntnis vieler Gewerbeärzte, daß nämlich das Auftreten von p. E. im 
Blute nicht genüge, um eine sichere Diagnose Bleigefährdung oder -ver- 
giftung zu stellen, durch das Tierexperiment als richtig erkannt. 

Da das Meerschweinchen im allgemeinen als ein für das experimentelle 
Studium des Auftretens von basophil granulierten Erythrozyten nach Ein- 
verleibung von Bleiverbindungen geeignetes Tier gehalten wird und somit 
die an ihm gewonnenen Erfahrungen auf den Menschen übertragbar er- 
scheinen, ist mit Sicherheit anzunehmen, daß auch unsere Versuche für 
denselben anwendbar sind. 

Aufgabe der parktischen Gewerbehygieniker ist es, an dem ihnen reich- 
lich zur Verfügung stehenden Arbeitermaterial der Frage, ob auch die 
genannten, in dieser Beziehung bisher als harmlos geltenden Stoffe p. E. 
hervorzurufen vermögen, zur Entscheidung zu verhelfen, wozu die vor- 
liegende Arbeit eine Anregung sein soll. Bis dahin aber ist es rätlich, die 
Ansicht Schoenfelds und seiner Anhänger, die Erscheinung der p. E. 
im Übermaß der üblichen Grenzzahlen als Kriterium für und wider die 
Diagnose Bleivergiftung anzusehen, insbesondere jedoch in der Entschei- 
dung der Unfallfrage das Mikroskop als alleinigen Schiedsrichter heran- 
zuziehen, in der gewerbeärztlichen Praxis nicht zu teilen. 


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Untersuchungen zur Epidemiologie des Typhus. 


Von 
Carl Prausnitz. 


(Mit 2 Abbildungen.) 


(Aus dem Hygienischen Institut der Universitát Greifswald. 
StellvertretenderDirektor: Prof. Dr. Carl Prausnitz.) 


(Bei der Redaktion eingegangen am 12. Oktober 1925.) 


Die zahlreichen Typhusausbrüche, die sich in der Nachkriegszeit bei 
uns und in anderen Kulturländern, besonders auch in diesem Jalıre 1925 
ereignet haben, rufen erneut bei manchen Forschern Zweifel hervor, ob 
solche Häufung von Epidemien allein durch die Zufälligkeiten der Kon- 
tagion erklärbar ist. Im Hinblick auf die Eigenartigkeit des Verlaufes 
anderer Seuchen, wie Grippe, Diphtherie, Scharlach, wird von manchen 
Forschern die Erklärung hierfür in Schwankungen im Verhältnis zwischen 
der Virulenz der Erreger einerseits und der allgemeinen oder spezifischen 
Widerstandskraft der Bevölkerung andererseits gesucht; hierfür spräche 
beim Typhus vielleicht die besonders hohe Bösartigkeit mancher, z. B. der 
Anklamer Epidemie!). Doch ist zuzugeben, daß diese Erklärung noch nicht 
alle Möglichkeiten zu erfassen scheint, wie denn unzweifelhaft die epidemio- 
logischen Tatsachen bei den meisten Seuchen noch viel zu wenig erforscht, 
sind. So ist es verständlich, daß andere in diesen Tatsachen den Beweis 
zu finden glauben für die Pettenkofersche Lehre von der primären 
Rolle der Bodendisposition. So hat der bekannte Epidemiologe 
Wolter?) eine Art Tochterhypothese jener Lehre aufgestellt, die besagt, 
daß „die Emanationen eines örtlich disponierten Bodens zu einer gewissen 
Zeit die primären Krankheitsursachen darstellen, die zu einer Boden- 
gasintoxikation des Blutes führen, worauf sekundär die Entwicklung der 
bei den betreffenden Seuchen vorkommenden Mikroorganismen aus 
anderen Bazillen in unserem Körper erfolgt“. Ich habe an anderer Stelle’) 
auf die zahlreichen Unzulänglichkeiten seiner Auffassung und vor allem 
seiner Beweismittel hingewiesen. Da aber seine Arbeit, von einem Vorwort 
des Präsidenten des Hamburger Gesundheitsamtes und einem kritischen 


1) Straub, Deutsche med. Wochenschrift 1926, Nr, 6. 
2) Wolter, Aufgaben und Ziele der epidemiologischen Forschung, Hamburg 
1925, und Münchner med. Wochenschrift, 1925, Nr. 33. 

3) Deutsche med. Wochenschrift, 1925, Nr. 44. 


Untersuchungen zur Epidemiologie des Typhus. 353 


Nachtrag aus der Feder von Sauerbruch flankiert, mit Unterstútzung 
des Hamburger Gesundheitsamtes gedruckt ist, besteht die Gefahr, daß 
seine Ausführungen bei vielen Forschern auf fruchtbaren Boden fallen. 
Daher hielt ich es für angebracht, sie an der Hand der von mir genauer 
studierten Anklamer Typhusepidemie zu untersuchen, da diese Epidemie 
für die vorliegende Frage besonders lehrreich ist. 

Schon in früheren Jahren waren dort vereinzelt Typhusfälle vor- 
gekommen, und auch in mehreren ländlichen Kreisen jener Gegend stirbt 
die Krankheit fast nicht aus. 1925 erkrankten in Anklam im Mai und 
in der ersten Junihálfte je eine Person, dann erfolgte eine sehr ragche 
Zunahme der Seuche; innerhalb von drei Wochen wurde die Höhe er- 
reicht, nach weiteren zwei Wochen trat ein langsamerer Abfall ein. 


Tabelle 4. 


Erkrankungs- Erkrankungs- 











Woche vom 






l. 12.—18. 6. 7 Fällen 7 24.—30. 7. ; 14 Fällen 
2. į 19—25.6. |! 13 do. 8. | 31.76.8. | 11 do. 
3. 26. 6.—2. 7. | 71 do. 9 718.8 7 do. 
4. 3.9. 7. 61 do 10 14.—20. 8. 9 do. 
5. 10.—16. 7. 45 do. 11. |  21.—27. 8. 4 do. 
6. 17.—23, 7. 21 do. 12. | 28.8,—3. 9, | 3 do. 


Die Tabelle 1 und Kurve (Fig. 1) zeigen die Verteilung nach Krank- 
heitswochen und ergeben das typische Bild der ,,explosiven'* Epidemie. 
Im ganzen sind an klinisch und in den meisten Fällen bakteriologisch 
sichergestelltem Typhus erkrankt 266 Personen, davon sind gestorben 39. 
Zurzeit, Ende September, scheint die Epidemie im wesentlichen erloschen 
zu sein. 

Betrachtet man die hygienischen Verhältnisse der Stadt, so 
muß zugegeben werden, daß sie in vielen Beziehungen der Pettenkofer- 
schen Beschreibung eines disponierten Bodens entsprechen würde: Ein 
Teil der Stadt liegt auf porösem, ein anderer auf undurchlässigem Boden; 
ein Teil liegt hoch, ein anderer in einer Mulde, ein dritter in der Niederung 
des Peeneflusses; die ganze Stadt besitzt auch heute noch keine Kana- . 
lisation. Die innere Stadt ist reich an schmalen, winkligen Straßen mit 
zum Teil sehr armseligen und schmutzigen Häusern; auf den Höfen finden 
sich noch vielfach Misthaufen; in die Versitzgruben der bei den kleineren 
Häusern auf den Höfen gelegenen Aborte wird häufig auch der Müll ein- 
geworfen; viele Gruben waren, wie in solchen Verhältnissen üblich, zur 
Zeit des Epidemiebeginns bereits übervoll. Die Aborte der ärmeren Woh- 
nungen sind zum Teil sehr verwahrlost und schmutzig. Die Regen- und 
häuslichen Schmutzwässer, Küchen- und Waschwässer, sowie oft genug 
trotz des behördlichen Verbots Nachttopfinhalt, manchmal sogar Fäkalien 
fließen in offene Rinnen, die meist auf den Höfen beginnen und zwischen 
den eng benachbarten Häusern oder sogar, nur mangelhaft mit Bohlen 
abgedeckt, durch die Hausflure in die Straßenrinnsteine führen. Diese 
sind so beschaffen, daß ein Teil der Abwässer in ihnen stagniert und im 

Archiv für Hygiene. Bd. 96. 26 


354 . Untersuchungen zur Epidemiologie des Typhus. 


Boden versickert; ein anderer Teil gelangt durch meist offene Schmutz- 
gräben schließlich in die träg fließende Peene und wird bei ungünstigen 
Wind- und Vorflutbedingungen wieder in die Gräben zurückgestaut. Die 
geschilderten Verhältnisse treffen besonders für die Nordvorstadt und 
einen großen Teil der Altstadt, besonders deren tiefer gelegenen Teil zu. — 
In den neueren Stadtteilen, vor allem in der Südvorstadt (Leipziger Allee 
und der auf dem Schülerberg gelegenen Villenkolonie), sowie in der öst- 
lichen Vorstadt, wo neuere Häuser, einige größere Villen und Siedelungs- 
häuser vorherrschen, werden MiBstánde dieser Art wesentlich seltener 
angetroffen. Hier finden sich meist gut gehaltene Abortgruben, zum Teil 
sogar mit musterhaften Kläranlagen, getrennte Müllgruben, auch sind 
die Abflußgelegenheiten für die häuslichen Abwässer von diesen höher 
liegenden Stadtteilen wegen des stärkeren Gefälles wesentlich günstiger. 

Die räumliche Verteilung des Typhus in der Stadt ergibt sich 
aus der näheren Betrachtung des Stadtplanes (Fig. 2) und «der Tabelle 2. 
Nirgends ist eine besondere Häufung von Fällen in einem Haus vor- 
gekommen: 195 Typhushäuser (Stab 4 der Tabelle 2) hatten 266 Fälle 
(Stab 5); die Zahl der Krankheitsfälle in einem Haus erreichte nur 4 mal 4, 
10mal 3 und betrug sonst 1—2; durchschnittlich war sie 1,36. 


2 J 4 5 6 7 $ Lë 


Woche 1 Y 10 11 


Fig. 1. Typhuserkrankungen in Anklam 1915, 
nach Wochen geordnet. 


355 





Sa 
a A ~ 
AR d / | i r 
ES Dä eh ut eure | | 
Er dd IS ) ZU 


le FAA d ae 





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761 weIyuy anmuapidasnyaÁ y 


356 : Untersuchungen zur Epidemiologie des Typhus. 


Tabelle 2. 










1 8 ¡y 9 


Stab 6 
Stab 5 


Ty- ` Typhusfalle | Stab 4| Stab 5 


hus- 
häuser | Gesamt | Frúh*) Stab 2 | Stab 3 











Stadtteil 














Altstadt . . 16,73| 4,97: 33,64 
Nordvorstadt . . .! 10,96| 4,43: 8,33 
Súdwestvorstadt . . 89 10,11: 3,17' 9,09 
Sidvorstadt . . . 80 88,75 | 10,79 | 42,86 


Ostvorstadt 22,15: 5,07| 38,27 


*) Frühfälle = Fälle, deren Krankheitsbeginn in den ersten drei Epidemie- 
wochen, vom 12. Juni bis 2. Juli, erfolgte. 


Die absolut größte Zahl von Fällen ereignete sich in der Altstadt, die 
kleinste in der Nord- und der Südwestvorstadt. Vergleicht man aber 
die Zahl der Typhushäuser mit der Gesamtzahl der bewohnten Häuser 
(Stab 7) oder die Zahl der Typhusfälle mit der Gesamtzahl der Haus- 
haltungen in den betreffenden Stadtteilen (Stab 8), so findet man nur 
die Südvorstadt besonders stark befallen; hierauf wird auf S. 359 näher 
eingegangen werden. Beschränkt man aber die Betrachtung auf die Fälle, 
deren Erkrankungszeit in die ersten drei Wochen fällt (,Frühfälle‘‘ der 
Tabelle 2, Stab 6), in welcher Zeit die Entwicklung der Epidemie erfolgte, 
so werden doch gewisse Unterschiede deutlich (Stab 9): danach hat die 
Epidemie in der Süd-, Ostvorstadt und Altstadt wesentlich eher begonnen 
als in der Nord- und der Südwestvorstadt; auch dieser Punkt wird später 
(S. 359) zu besprechen sein. Man kann aber schon jetzt sagen, daß der 
Typhus sich nicht auf die Stadtteile beschränkt hat, deren Untergrund 
jahrhundertelang verschmutzt war (Altstadt), noch hat er in den Straßen- 
zügen der Flußniederung vorgeherrscht, die nahe am Grundwasserspiegel 
liegen und deren Keller alljährlich überschwemmt werden; sondern er hat 
besonders den höher gelegenen, zentralen Teil der Altstadt und die hoch 
gelegenen Teile der Südostvorstadt, hauptsächlich aber die auf reinstem 
Grund in jüngster Zeit erbauten Teile der Südvorstadt befallen. Es liegt 
daher die Frage nahe, ob zwischen der Höhenlage und dem Typhus 
bestimmte Beziehungen nachweisbar sind. 


In der Tat steht Anklam auf hügeligem und geologisch nicht einheit- 
lichem Gelände. Die am linken Peeneufer gelegene Nordvorstadt und der 
etwa 80 m breite, am rechten Peeneufer gelegene Streifen der Altstadt 
liegen nur etwa 0,50—2,00 m hoch); hier steht unter einer dünnen Schicht 
lehmigen Tons eine mindestens 7—8 m mächtige Moorschicht an. Nach 
Süden steigt die Altstadt zu dem 7—8 m hohen Zentrum der Stadt (Markt 
und dessen Umgebung) empor; hier besteht der Boden aus einer mehrere 
Meter mächtigen Schicht von sandigem Lehm, der von Aufschüttboden 
überlagert ist. Nach Osten zu bleibt das Gelände hoch; ein schmaler 
Streifen von über 5,50 m Höhe zieht vom Markt ostwärts und verbreitert 


1) Alle Höhen sind auf den ‚normalen Nullpunkt“ bezogen, 


Von Dr. Carl Prausnitz. 357 


sich in der Ostvorstadt auf 240 m und mehr Breite, um in das Hochplateau 
auszumünden, das den ganzen Süden, Südwesten und Südosten der Stadt 
einrahmt; in der Ostvorstadt besteht der Boden aus 2—3 m mächtigem 
sandigem Lehm, unter welchem Moor liegt. Geht man in der Altstadt 
vom Zentrum nach Süden und Westen, so gelangt man wieder in tieferes 
Gelände bis auf etwa 2,50 m. Jenseits von einem etwa 300 m breiten 
Parkgürtel liegt zunächst, gewissermaßen in einer Mulde, die durch- 
schnittlich 4—5 m hohe Leipziger Allee, deren Boden ebenfalls aus meh- 
rere Meter mächtigen Schichten von sandigem Lehm besteht und hie 
und da von Aufschüttboden überlagert ist; in größerer Tiefe steht hier 
Ton an. Unmittelbar südlich von dieser Straße liegt am steilen Nord- 
rand des oben erwähnten Plateaus die Villenkolonie Schülerberg in 12 bis 
14 m Höhe; zu Füßen dieser Häuser fällt der Boden steil zur Leipziger 
Allee ab; der Schülerberg liegt auf 0,75 m mächtiger Sandschicht, darunter 
folgen 2m Lehm, dann mehrere Meter Flugsand. Also sowohl nach der 
Höhe, wie der Bodenbeschaffenheit finden sich ausgeprägte Unterschiede 
in den verschiedenen Stadtteilen. 

Um zunáchst einen etwaigen Einflub der Hóhe auf die Typhus- 
erkrankungen zu untersuchen, wurden sämtliche bewohnten Häuser der 
Stadt nach ihrer Höhenlage in 50-cm-Stufen geordnet (Tabelle 3). 


Tabelle 3. 
ea Zahl der a der Zon, qer EURT mi Zahl der Typhusfálle 
ZE Häuser tigen i E re Gesamt vu. 3. Woche) 
0,50—1,00 22 78 15 7 1 0 
1,00—1,50 13 46 8 5 2 1 
1,50—2,00 60 230 ' 40 20 13 4 
2,00—2,50 55 187 | 39 16 11 2 
2,50—3,00 81 359 !' 49 32 15 6 
3,00—3,50 83 391 | 50 33 8 3 
3,50—4,00 71 362 ; 34 37 15 4 
4,00—4,50 108 538 53 55 30 14 
4,50—5,00 99 517 49 50 38 11 
5,00—5,50 112 701 43 69 43 17 
5,50—6,00 93 452 | 46 47 13 6 
6,00—6,50 102 500 53 49 35 14 
6,50—7,00 46 193 ' 30 16 7 2 
7,00—7,50 36 135 24 12 8 2 
7,50—8,00 40 155 ' 25 45 15 8 
8,00— 8,50 2 D ° 2 0 0 0 
8,50—9,00 3 24 2 d 1 0 
9,00—1 4,00 22 67 17 5 14 3 


i 


Die in Tabelle 3 aufgeführten Ergebnisse sprechen nicht überzeugend 
für das vorwiegende Befallensein einer bestimmten Höhenlage, wenn wir 
von der weniger beteiligten Peeneniederung absehen; die meisten Häuser 


r 


358 | Untersuchungen zur Epidemiologie des Typhus. 


dieser Gegend liegen jedoch in der Nordvorstadt, über deren besondere 
Verhältnisse auf S. 359 näher berichtet werden soll. Eine bessere Vor- 
stellung von der Verteilung der Typhushäuser und Typhusfälle auf die 
verschiedenen Höhenlagen gestattet die durch Zusammenfassung der 
Tabelle 3 gewonnene Tabelle 4; hier sind außerdem die Infektionszahlen 











Tabelle 4. 
a UA Di a Ch O SS deg ge Le | "ME 10 
E E E : | — > R e | e E 
| 33 FE | Typhusfälle | 
| zanı | Zahl der) 23835 | Stab 5 | Stab 5 | Stab 6 | Stab 6 
Höhenlage| der |Haushal- 5 F2 3% Frühfälle| Stab 2 | Stab 3 | Stab 2 | Stab 3 
Häuser | tungen | set, | Gesamt | (1.—3. 
| ESO Woche) 
ESST % % % % 












| 


2 11684! 452 | 2,11| 0,56 
8 119,12] 4,77 | 










unter 2 


95 











2-3 | 136 26 5,88| 1,47 

3-4 145% | | d 7 |14,94| 3,05 | 4,55| 0,93 

4—5 |207 | 1053 | 50,7 68 22 132,85| 6,46 |10,63| 2,09 

5—6 | 205 1152 | 56,6 RS 123 A ,32| 4.86 11,22| 2,00 

6—7 1448 .693 | 43,9 42 | 16 28,38| 6,06 | 10,81| 2,31 

7—14 | 103 386 | 32,0 5 | 13 |33,98! 9,06 |22,33| 5,96 
1048 | 4936 





mit den Gesamtzahlen der in gleicher Hóhenlage befindlichen Háuser 
bzw. der dort wohnenden Haushaltungen verglichen worden. Unterschiede 
sind wohl da, aber sie sind nicht so ausgesprochen, daß man hieraus auf 
die überwiegende Höhendisposition einer bestimmten Lage schließen 
könnte. Höchstens könnte es auffallen, daß gerade die höchstgelegenen 
Stadtteile, vor allem die 12—414m hohe Villenkolonie Schülerberg be- 
sonders befallen ist. Und gerade hier ist besonders deutlich das Fehlen 
jeder Beziehung zwischen dem Typhus und der Qualität des Bodens 
nachweisbar: die beiden parallelen Straßenzüge der Leipziger Allee und 
des Schülerberges sind in der Horizontalen nur etwa 100 m voneinander 
entfernt, aber der Schülerberg liegt am Rand eines sandigen Plateaus, 
H Am über der unter einem lehmigen Abhang befindlichen Leipziger 
Allee. Und trotz dieser Unterschiede sind beide Straßen im Verhältnis 
zu ihrer Häuserzahl fast gleich, im Verhältnis zu ihrer Bewohnerzahl sogar 
zu ungunsten der Villenkolonie befallen (Tabelle 5): 


Tabelle 5. 
u 
Häuser | Haushaltungen Typhushāuser Ts ephnstatie 
| 


9 
| 40 











Schúlerberg 
Leipziger Allee 





(Juotient L. A./S. 


Daß auch die Ubervólkerung einer Wohnungsgruppe in Anklam 
keinen Einfluß auf die Typhushäufigkeit gehabt hat, scheint schon aus 


Von Dr. Carl Prausnitz. 359 


der erwähnten Tatsache hervorzugehen, daß in jedem Typhushaus durch- 
schnittlich nur 1,36 Fälle vorgekommen sind. In der Tat zeigt ein Blick 
auf Stab 4 der Tabelle 4, daß in den beiden am dünnsten besiedelten 
Höhenlagen „unter 2“ und „7—14“ der Typhusbefall um 100%, differiert : 
dort mit 16,8% fast das Minimum, hier mit 33,98%, das Maximum. 

So hat diese Untersuchung ergeben, daß in Anklam ein Zusammenhang 
zwischen den Bodenverhältnissen und dem Typhus nicht vorliegt; mit 
anderen Worten ist eine Disposition des Bodens für den Typhus 
nicht nachweisbar, obwohl, wenn eine solche bestände, ge- 
rade hier die Bedingungen für ihre Erkennung ungewöhnlich 
günstig gewesen wären. 

Fragen wir uns nun, wo in Wirklichkeit die Quelle der Epidemie zu 
suchen ist, so weist ihr explosives Einsetzen mit großer Wahrscheinlich- 
keit auf die Einwirkung einer für viele Einwohner gemeinsamen Ursache 
hin, des Wassers oder der Milch. Die von mir ausgeführte eingehende Be- 
sichtigung und bakteriologisch-chemische Untersuchung der Wasser- 
versorgung ergab einwandfreie Verhältnisse: in reinem Boden, mehrere 
Kilometer von der Stadt entfernt, sind Bohrbrunnen von 20—40 m Tiefe 
angelegt; das Wasser ist chemisch gut, fast steril und frei von B. coli. 
Daher richtete sich der Verdacht auf die Milch. Die Anklamer Genossen- 
schaftsmolkerei bezieht ihre Milch von etwa 100 Gütern aus der näheren 
und weiteren Umgebung der Stadt. Es ist durch die im Medizinalunter- 
suchungsamt Stettin und in diesem Institut ausgeführten Untersuchungen, 
über die an anderer Stelle berichtet werden wird, gelungen, unter dem 
Personal von zwei dieser Güter drei Typhusbazillenträger festzu- 
stellen. Die Milch wurde vor der Epidemie von der Molkerei in rohem 
Zustand, d.h. unpasteurisiert, an die verschiedenen Verkaufsstellen in 
der Stadt geliefert. 

Die relativ geringe Beteiligung der Südwestvorstadt dürfte sich mit 
ihrer weitläufigeren Besiedelung erklären, die zum Teil eigene Viehhaltung 
erlaubt; so ist dieser Stadtteil weniger auf die Molkerei angewiesen gewesen 
als die anderen. Daß anderseits gerade in den wohlhabenderen Stadtteilen 
(Schülerberg und Südostvorstadt) besonders viele Fälle vorkamen, kann 
man mit dem dort üblichen reichlicheren Genuß von Milch, Butter, Sahne 
und Schlagsahne wohl erklären; in der Tat haben fast sämtliche Anklamer 
Typhuskranken für die fragliche Zeit den Genuß roher Molkereiprodukte 
zugegeben. Die verhältnismäßig starke Beteiligung der Leipziger Allee 
und des Schülerbergs erklärt sich im übrigen ungezwungen aus dem Um- 
stand, daß zu Beginn der Epidemie ein Typhusfall in der dort gelegenen 
Bäckerei (auf dem Stadtplan — Fig.2 — mit B bezeichnet) auftrat, 
welche diesen Stadtteil fast ausschließlich versorgt; dieser Fall wurde 
erst viele Wochen später gemeldet! 

Es war eingangs erwähnt worden, daß die Nordvorstadt verhältnis- 
mäßig wenig und erst in den späteren Wochen in nennenswertem Grade 
vom Typhus befallen war. Dies erklärt sich auf Grund der Milchätiologie 
in einfachster Weise dadurch, daß in diesem Stadtteil eine kleine Molkerei 
liegt, die in ihren Bezugsquellen und ihrem Vertrieb von der Genossen- 
schaftsmolkerei unabhängig ist. 


360 | Untersuchungen zur Epidemiologie des Typhus. 


Ich hoffe, hiermit bewiesen zu haben, daß bei dieser, der größten der 
diesjährigen Typhusepidemien die Bodendisposition im Sinne der Petten- 
koferschen Hypothese auszuschließen ist, und daß hier eine einwandfreie 
Kontagion durch die Vermittlung infizierter Milch vorgelegen hat; hieran 
haben sich im weiteren Verlauf unter dem Einfluß der mangelhaften 
sanitären Zustände noch einige Übertragungen angeschlossen. Die Unter. ` 
lagen für diese Untersuchung sind mir, soweit es sich um die geologischen 
und Höhenverhältnisse der Stadt handelt, von Herrn Stadtbaumeister 
Herrendorff mitgeteilt worden; die Angaben über die Erkrankungszeiten 
der Patienten hat mir der Kreisarzt, Herr Med.-Rat Dr. Neuhaus mit 
großer Liebenswürdigkeit zur. Verfügung gestellt. Beiden Herren spreche 
ich meinen aufrichtigen Dank für ihre Hilfe auch an dieser Stelle aus. 

Daß die Epidemie, die so rasch aufgeflammt war, verhältnismäßig 
schnell zum Stillstand gekommen ist und nur spärliche Fälle weiterer Ver- 
schleppung der Infektion sich ereignet haben (vgl. Fig. 1), muß dem ener- 
gischen Vorgehen des Kreisarztes und der verständnisvollen Mitwirkung 
der Stadtverwaltung, des Beigeordneten Herrn Bauer und des Kämmerers 
Herrn Falke zugeschrieben werden. Die beste Schule der Stadt, die be- 
reits eine große Küche hatte, wurde in wenigen Tagen zu einem muster- 
gültigen Seuchenlazarett umgewandelt, das von Ärzten der hiesigen Uni- 
versitätsklinik geleitet wurde. Die Molkerei wurde, trotz erheblicher 
Schwierigkeiten, saniert, die Milch pasteurisiert. Desinfektionskolonnen 
durchzogen die Straßen und desinfizierten die Typhushäuser und sämtliche 
Abortgruben und Rinnsteine, die letzteren täglich. Die Bevölkerung wurde 
durch Anschläge und Zeitungsartikel vor dem Genuß roher Milch und 
rohen Obstes gewarnt und aufgefordert, bei allen Erkrankungen alsbald 
ärztliche Behandlung aufzusuchen. Etwa drei Viertel der Einwohner- 
schaft ließen sich freiwillig impfen. Es steht zu hoffen, daß diese Maß- 
nahmen weiterhin Erfolg haben und vor allem, daß die schwergeprüfte 
Stadt bald in der Lage sein wird, durch Anlage einer Kanalisation ihre 
allgemein hygienischen Verhältnisse zu bessern. 

Außer in Anklam sind in mehreren anderen Orten Deutschlands (vgl. 
Lentz, Volkswohlfahrt, 1925, Nr. 18) und in Aberdeen in diesem Jahre 
größere Typhusausbrüche vorgekommen, die in erster Linie auf den 
Genuß typhusinfizierter Milch zurückzuführen sind; auch in mehreren 
dieser Epidemien konnten Typhusbazillenträger als Infektionsquelle er- 
mittelt werden. Man braucht nur zu bedenken, unter welchen geradezu 
unbeschreiblich schmutzigen und widerwärtigen Bedingungen dieses wich- 
tige Nahrungsmittel vielfach gewonnen und verarbeitet wird; man sollte 
sich vergegenwärtigen, daß die zahlreichen in der Milch vorhandenen 
Colibakterien keineswegs nur aus dem Kuhkot, sondern oft genug vom 
Melker selbst stammen und durch seine ungewaschenen Hände in die Milch 
gelangen. Dann wird es klar, daß die für den Landwirt so vorteilhaften 
Genossenschaftsmolkereien bei nicht einwandfreiem Betrieb für die Be- 
völkerung eine große Gefahr darstellen, we hier die Infektion von einem 
Gemelk auf die ganze Tagesproduktion übertragen werden kann. So- 
lange sich die Verhältnisse an der Produktionsstelle nicht bessern, kann 
auf die einwandfreie Pasteurisierung der Milch und aller anderen Molkerei- 


Von Dr. Carl Prausnitz. 361 


produkte nicht verzichtet werden. Fúr den Bongertschen!) Vorschlag, 
an ihre Stelle die saubere Gewinnung und anschließende Tiefkühlung zu 
setzen, ist die überwiegende Mehrzahl der Landwirte von heute nicht reif. 
Wenn aber pasteurisiert wird, so muß dies so geschehen, daß auch alle 
in der Milch vorhandenen B.coli abgetótet werden und eine 
Neuinfektion der Milch in mangelhaft ausgewaschenen und 
ausgebrúhten Kannen vermieden wird. Durch häufige, unver- 
mutete bakteriologische Kontrollen ist die Durchführung dieser Maß- 
nahmen zu überwachen; das gleiche Interesse, wie die Landwirtschaft 
für die Tuberkulose- und Maul- und Klauenseuchebekämpfung an der 
Pasteurisierung der Magermilch, haben wir an der Pasteurisierung sämt- 
licher Molkereiprodukte. 

Von einigen Forschern ist die Befürchtung ausgesprochen worden, 
daß die Pasteurisierung der Milch ihren Vitamingehalt beeinträchtigen 
würde. Dem ist jedoch entgegenzuhalten: 1. Eine zweckmäßige Pasteu- 
risierung (5 Minuten 85° oder besser % Stunde 63°) wird schwerlich diese 
Wirkung haben; 2. im übrigen besitzen wir im Zitronensaft u. a. Stoffen 
vitaminreiche Mittel, die eine solche Schädigung ausgleichen könnten; 
3. demnach ist jene hypothetische und vorläufig unbewiesene Gefahr 
eines geringen Vitaminverlustes bei der Pasteurisierug niedriger einzu- 
schätzen als die der gesamten Bevölkerung dauernd drohende 
Gefahr der Übertragung von Typhus und anderen Infek- 
tionskrankheiten, wenn wir nicht pasteurisieren. 

Auf der anderen Seite muß unbedingt die Gefahr der Milchinfektion 
nach Möglichkeit eingeschränkt werden, indem das gesamte Melkerpersonal 
der Güter und das Betriebspersonal der Molkereien und Verkaufsstellen 
regelmäßig planvoll auf Typhusbazillenträger durchuntersucht wird. Diese 
Arbeit wird sicher eine erhebliche Mehrbelastung auch für die Medizinal- 
untersuchungsämter bedingen, aber sie ist nicht mehr aufschiebbar. 
Es hat verhältnismäßig wenig Zweck, solche Untersuchungen auf die Fälle 
zu beschränken, wo bereits eine Epidemie ausgebrochen ist; sie muß pro- 
phylaktisch erfolgen. Die Kosten dieser allerdings mühsamen Arbeit 
stehen in keinem Verhältnis zu den Millionen, die jeder solche Seuchen- 
ausbruch verschlingt. 

Ferner sei nachdrücklich darauf hingewiesen, daß die Beaufsich- 
tigung der Molkerei, da sie in erster Linie für den Menschen be- 
stimmte Nahrungsmittelliefert,in erster Linie Sache des Kreis- 
arztes ist; richtig wäre, daß nicht wie bisher der Kreistierarzt Haupt-, 
sondern daß er neben dem Kreisarzt Korreferent wäre. Der Kreisarzt 
muß mit weitgehenden Befugnissen ausgerüstet werden, um gemeinsam 
mit dem Kreistierarzt die Milchproduzenten und Molkereien oft und 
unvermutet zu kontrollieren; dazu gehört natürlich auch in der Zeit der 
billigen Kraftwagen die Ausrüstung jedes Medizinalbeamten mit einem 
Kleinauto?). Mit den schärfsten Strafen müssen nicht nur die Milch- 


1) Bongert, Zeitschrift für Fleisch- und Milchhygiene, 1925, 35, S. 193. 
2) Die Betriebs- und Amortisationskosten eines Kleinauto sind in der glei- 
chen Größenordnung wie die für Landfahrten vom Staat gezahlten Kilometer- 
gebühren. Die hier vorgeschlagene Ausrüstung der Medizinalbeamten stellt 
26* 


362 . Untersuchungen zur Epidemiologie des Typhus. 


fälscher, sondern weit mehr die gewissenlosen Personen belegt werden, 
welche dies Hauptnahrungsmittel der Kinder und Kranken zu einer ge- 
sundheitsgefährlichen Brühe, einem Vehikel pathogener Keime machen. 

Endlich sei auf einen weiteren Übelstand in der Typhusbekämpfung 
hingewiesen, der sowohl in Anklam wie anderen Orten bestanden hat, und 
der die planvolle Typhusbekämpfung überaus erschwert: ich meine die 
Bestimmung, daß.nur der festgestellte Typhusfall vom Arzt zu melden 
ist: Viele Ärzte können sich erfahrungsgemäß nicht rechtzeitig entschließen, 
eine solche Diagnose zu stellen, und versäumen die Einsendung von bak- 
teriologischem Untersuchungsmaterial; anstatt in zweifelhaften Fällen die 
Frühdiagnose durch die Blutkultur zu sichern, die ihnen besonders durch 
die Einführung der mit Galle beschickten Venülen!) möglichst erleichtert 
wird, verschanzen sie sich hinter den unseligen Diagnosen „Grippe“, 
„Magengrippe‘‘ oder ,Darmgrippe“. Daher muß als letzte Forderung 
aufgestellt werden, daß, wie es in England seit Jahrzehnten gesetzlich 
vorgeschrieben ist, jede fieberhafte Erkrankung meldepflichtig 
ist, soweit nicht die Sicherheit besteht, daß es sich bei ihr 
um keine Infektionskrankheit handelt. 


also eine Erhöhung ihrer Leistungsfähigkeit bei EEE Kosten für den 
Staat dar. 
1) Behring-Werke, Marburg (Lahn). 


Die Mono- und Dinitrophenole als gewerbliche Gifte; ihre 
Eintrittswege in den Organismus und die paradoxe Toten- 
starre bei fehlender Säurebildung. 


Von 
Professor Dr. K. B. Lehmann und Dr. Ludwig Schmidt-Kehl 
(unter Mitwirkung von Dr. Eduard Keibel, Dr. Fritz Levy, Dr. Kaspar 
Niggemeier, Dr. Karl Smitmans und Dr. Hasegawa). 


(Aus dem Hygienischen Institut der Universität Würzburg.) 


(Bei der Redaktion eingegangen am 7. September 1925.) 


Vorbemerkung. 


Die folgende Arbeit reicht in ihren Anfängen ins Jahr 1901 zurück. 
Vier Dissertationen liegen zu dem Thema vor!); im Jahre 1906 hat Herr 
Hasegawa in einer noch nicht publizierten Arbeit Studien über die Wir- 
kung des Paranitrophenols von der Haut aus gemacht. Seit Januar 1925 
haben wir es gemeinsam unternommen, die Lücken auszufüllen und das 
ganze Material einer neuen kritischen Bearbeitung zu unterziehen. 


Chemisch-technologische Vorbemerkungen. 


| Die zur Untersuchung stehenden aromatischen Nitroverbindungen 
sind wichtige Zwischenprodukte in verschiedenen Zweigen der Anilinfarb- 
stoffabrikation. Auf zwei Wegen kann man zu den Nitrophenolen gelangen: 


1. Durch Chlorieren von Benzol erhält man Chlorbenzol, aus dem 
durch Nitrieren je nach Menge und Temperatur der angewandten Salpeter- 
Schwefelsäuremischung die ortho-, die para- oder die ortho-para-Verbin- 
dung des Nitrochlorbenzols entsteht. Durch aufeinanderfolgende Behand- 
Jung mit Natronlauge und Schwefelsäure wird in den gewonnenen Substan- 

1) Dr. Eduard Keibel: Ein Beitrag zur Kenntnis der nitrierten Phenole. 
Würzburg 1901. Dr. Fritz Levy: Weitere Beiträge zur Kenntnis der Nitro- 
phenole. Würzburg 1902. Dr. Kaspar Niggemeier: Über die Beeinflussung 
der Vergiftungen mit Nitrotoluol, Dinitrotoluol, Nitrophenol, Dinitrophenol, 
Orthonitranisol und Anilin durch Alkohol. Würzburg 1903. Dr. Karl Smit- 
mans: Beiträge zur Kenntnis der Totenstarre. Würzburg 190%. 


364  - Die Mono- und Dinitrophenole als gewerbliche Gifte. 


zen das Chlor durch Hydroxyl ausgetauscht, wodurch die Nitrophenole ent- 
stehen. 


2. Zu den gleichen Produkten kann man auch direkt durch Nitrieren 
von Phenol gelangen. Das Endprodukt dieser Operation ist Trinitrophenol 
(Pikrinsáure), das in vorliegender Arbeit nicht interessiert. 


Die Trocknung der Nitrophenole erfolgt im Vakuum in emaillierten 
Eisengefäßen; es stáubt dabei, jedoch tragen die Arbeiter keine Respira- 
toren. Aus den Nitrophenolen werden heute im größten Maßstabe die 
sogenannten Schwefelfarbstoffe (Sulfinfarben) hergestellt, meist schwarze, 
aber auch blaue, braune, gelbe und grüne Töne, die die Baumwollfaser ohne 
Beizen echt zu färben imstande sind. 


Unsere bisherigen Kenntnisse über die Giftigkeit der Nitrophenole und 
ihrer Homologen. 


Über Mono- und Dinitrophenol enthält die Literatur folgende An- 
gaben. Kunkel!) berichtet von physiologischen Studien von Baumann 
und Herter über die Ausscheidung von Nitrophenol im Harn von Hun- 
den, ohne von der Giftigkeit etwas zu erwähnen. Eine zweite Stelle bei 
Kunkel lautet nur: „nach einer anderen Angabe sollen sie Herzgifte sein, 
die schon in Dezigrammen töten“. Gibbs und Hare?) fanden im Tier- 
Ee folgende tötliche Dosen pro kg Körpergewicht: 


Orthonitrophenol . . .......01 g 
Metanitrophenol . . ........008g 
Paranitrophenol `, . . ...... . 0,01 g. 


Sie erklären die beobachteten Erscheinungen durch Wirkung aufs 
Zentralnervensystem. Gibbs und Reichert?) sahen beim Hund nach 
intravenöser Verabreichung von 0,05 g ,,Dinitrophenol* den Tod eintreten; 
sie beobachteten schon die erhöhte Atemfrequenz bei erhaltenem Sen- 
sorium, die Pupillenerweiterung und die sofortige Totenstarre. 

Walko*) fand 80 mg Paraorthonitrophenol bei subkutaner Verab- 
reichung tótlich für Kaninchen innerhalb weniger Minuten; er beobachtete 
dabei plötzlich auftretende tonisch klonische Krämpfe durch Lähmung des 
Atemzentrums. — Von 1901—1904 erschienen die beim Titel zitierten ein- 
gehenden Würzburger Dissertationen über den Gegenstand. 

In England wurden 1913 nach den vorliegenden Gewerbeaufsichts- 
berichten®) zahlreiche Erkrankungen in Dinitrophenolbetrieben beobachtet, 
die zur Entfernung der Arbeiter aus dem Betrieb Veranlassung gaben. 

Aus der Zeit des letzten Krieges liegen mehrere ausländische Unter- 


1) Kunkel: Handbuch der Toxikologie, S. 569. 

2) Gibbs und Jlare: Archiv für Physiologie (Supplement) 1889, S. 271. 

3) Gibbs und Reichert: Ebenda (Supplement) 1892, S. 259. (Die Arbeiten 
von Gibbs und seinen Mitarbeitern sind auch veröffentlicht im American Che- 
mical Journal, Bd. 11, S. 437; Bd. 13, S. 294; Bd. 16, S. 448.) 

4) Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie. Bd. 46 (1901). 

5) Zitiert nach Brezina: Internationale Übersicht über Gewerbekrank- 
heiten nach den Berichten der Gewerbeinspektionen der Kulturländer über das 
Jahr 1913. 


Von Dr. K. B. Lehmann und Dr. Ludwig Schmidt-Kehl. 365 


suchungen +) zu dem Thema vor. Die Franzosen ?) beobachteten von 660 mg 
Diorthonitrophenol pro kg Meerschweinchen nur vorúbergehende Krank- 
heitserscheinungen. Für den Menschen betrachten sie den Körper als sehr 
giftig. Die Gewerbeaufsichtsberichte?) melden bis August 1916 aus sieben 
Betrieben 27 Todesfälle, 17 davon beim Wägen und Schmelzen, 8 beim 
Extrahieren, 1 beim Erwärmen, 1 beim Fertigmachen. 


Als Aufnahmewege werden die Atmungsorgane und die Haut, als 
Krankheitssymptome Funktionsstörungen der Leber, Schweiße, erhöhte 
und erniedrigte Temperatur bezeichnet. Im Haare fand Derrien Amino- 
nitrophenol, für dessen Nachweis er au nach ihm benannte Reaktion 
angibt: 

10cem Harn +1 cem 10% Schwefelsäure + 1 ccm 0,5% Natrium: 
nitrit werden 15 Min. im Dunkeln stehen gelassen und darauf mit 10 cem 
Äther ausgeschüttelt. Violette Farbe zeigt Meta-, weinrote Para-, gold- 
gelbe Orthoaminonitrophenol an. 

Auch über Mononitrophenole liegen französische Beobachtungen 4) 
vor. Als toxische Dosis pro kg Hund intravenös werden bezeichnet: 


Paranitrophenol . ... ........001g8 
Metanitrophenol . ......... Oig 
Orthonitrophenol . : ...... . . 01 g. 


Angaben, die sehr gut zu Gibbs und Hare stimmen! 


Während des Krieges befaßte sich das englische Medical research Com- 
mittee®) mit Tierversuchen über Dinitrophenol. 


Beim Kaninchen erwiesen sich 160 mg pro kg Tier bei Verabreichung 
in den Magen, 90 mg bei subkutaner Verabreichung als tödlich. Wurden 
70 mg Substanz pro kgTier, mit Lanolin vermischt, in die geschorene Haut 
der Katze eingerieben, so trat bei diesem Tier der Tod ein. Die Autoren 
sprechen sich daher für eine rasche und möglicherweise verhängnisvolle 
Aufnahme des Dinitrophenols durch die unverletzte Haut aus. In den 
Fabriken wurden daher umfassende Schutzmaßnahmen getroffen (lokale 
Staubabsaugung, Arbeitskleidung, Bäder, tägliche Harnuntersuchung). 


Von der gesamten neueren Literatur waren uns bis November 1925 
nur die Brezinaschen Berichte bekannt gewesen. 


Über Trinitrophenol (Pikrinsäure) liegen besonders aus dem Kriege 
Erfahrungen vor, die es als einen Körper von recht geringer Giftigkeit 
erscheinen lassen. Gleichzeitig mit den Nitrophenolen sind die Nitroverbin- 
dungen der höheren Homologen des Phenols (Kresol, Toluol) studiert. 


1) Die Beschaffung der Literatur war schwierig; wir erhielten sie in Auszügen 
erst während der Korrektur durch die freundliche Vermittlung von Herrn Professor 
Carozzi vom Internationalen Arbeitsamt in Genf. 

2) Zitiert nach Ogier et Kohn Abrest, Traité de Chimie Toxilogique. Vol. II, 
pag. 76. : 

3) Zitiert nach Brezina: Internationale Übersicht über Gewerbekrank- 
heiten nach den Berichten der Gewerbeinspektionen der Kulturländer über die 
Jahre 1914—1918. 

A) Zitiert nach Pouchet et Lewin: Traité de Toxicologie, pag. 509. 

5) The Causation and Prevention of Tri-nitro-toluene (TNT) Poisoning. 
London 1918. 


- 366 Die Mono- und Dinitrophenole als gewerbliche Gifte. 


Weyl!) fand Dinitrokresol, das eine Zeitlang als „Saffranersatz‘‘ empfoh- 
len wurde, in Mengen von 250 mg pro kg vom Magen aus, von 110 mg sub- 
kutan beim Kaninchen tödlich. Er berichtet auch über einen Todesfall 
beim Menschen nach Einnehmen von 45 g. Der gleiche Autor berichtet über 
die mäßige Giftigkeit von Dinitronaphthol. 


Eigene Fabrikerfahrung über die Giftigkeit der nitrierten Phenole. 


Unser Fall war folgender: Der am 28. Dezember 1900 verstorbene 
Arbeiter W. arbeitete seit dem 19. Dezember im Dinitrophenolbetrieb ; 
er hatte das feuchte Produkt in den Trockenschrank zu füllen, diesen 
wieder zu entleeren und das getrocknete Produkt in Fässer zu packen. 
Bei der Arbeit war ihm das Tragen eines Respirators vorgeschrieben. 

Am 27. Dezember (3. Weihnachtsfeiertag) war er noch ganz wohl ge- 
wesen; jedoch ist starker Alkoholgenuß an den vorangegangenen Tagen 
wahrscheinlich. Beim Arbeitsantritt am Morgen des 28. Dezember klagte 
er einem Mitarbeiter gegenüber über Kopfschmerz, nachmittags 2 Uhr 
meldete er sich krank mit Klagen über Schwäche und Mattigkeit. Obwohl 
ihm ein warmes Bad guttat, legte er sich wegen eintretender Atemnot mit 
deutlicher Beschleunigung der Atmung zu Bett.” Um 5 Uhr stellte der 
Fabrikarzt fest: Hin- und Herwerfen in starker Unruhe, Ruf nach Luft, 
starken Schweiß, Schmerz in der Lebergegend, vollen weichen Puls (140), 
Temperatur 38,8%, etwas Lungenrasseln, Erweiterung und Starre der Pu- 
pillen. 

Eine Magenausspülung förderte einen Inhalt zutage, dessen Geruch 
verschiedenen Personen „teerartig‘‘, „harzartig‘‘, „punschartig‘‘ erschien 
(an Punschgenuß zu denken liegt nahe). Trotz Eisblase auf Kopf und Brust 
wurde um 7 Uhr der Puls schwach und sehr frequent. Ein Aderlaß wurde 
vorgenommen, gegen 8 Uhr fanden Krämpfe statt, Arm-, Bein- und Ge- 
sichtsmuskeln kontrahierten sich und unter Inspirationskrampf mit drei 
schnappenden Atemzügen starb der Patient. 

Über den Eintritt der Totenstarre erwähnt der Bericht nichts, doch 
läßt er vermuten, daß die „kurz vor dem Tode‘ beobachtete „starke 
Kontraktion der Muskulatur‘ auch im Tode angehalten, bzw. daß die 
Totenstarre schon in den letzten Augenblicken des Lebens begonnen 
habe. 

Die Sektion ergab eigentümlich flüssiges rubinrotes Blut, frischrote 
Farbe der Muskeln (wie wenn Salpeter eingewirkt hätte)?), blutreiche 
Lungen, ziemlich blutleeres Herz, Kontraktion des linken Ventrikels, 
Schlaffheit des rechten, stark kontrahierte Därme, geblähten Magen, blut- 
reiches Gehirn. 

Die chemische Untersuchung des Harns auf Dinitrophenol verlief 
negativ, obwohl sie lege artis von einem tüchtigen Chemiker der Fabrik 
angestellt wurde. Mikroskopische Untersuchungen unterblieben, ebenso 
fehlen Beobachtungen über Fárbungen der Haut und über Inhalt des 

1) Th. Weyvl: Die Teerfarben, S. 63. Berlin 1889. 

2) Es sei gleich hier bemerkt, daB wir in den Tierversuchen nichts davon 
beobachteten, 


Von Dr. K. B. Lehmann und Dr. Ludwig Schmidt-Kehl. 367 


äußeren Gehörganges (diese Dinge pflegen allerdings in Farbenfabriken 
wenig beachtet zu werden). Bei kritischer Betrachtung des Falles liegen 
mehrfache Möglichkeiten der Giftaufnahme vor: Erstens durch den Ver- 
dauungsweg (Verschlucken von eingeatmeten Staubteilchen, Einbringen 
beschmutzter Hände in den Mund, Nachlässigkeit bei der Nahrungsauf- 
nahme), zweitens durch den Atmungsweg (in Dampf- oder Staubform), 
endlich durch die verletzte oder unverletzte Haut. Immerhin erscheint 
die Aufnahme groBer Giftmengen auf all diesen Wegen a priori schwierig, 
denn wenn die Nitrophenole auch nur einen schwachen Geruch und 
einen geringfügig bitterlichen Geschmack haben, so besitzen sie doch eine 
intensive Färbkraft (Haut, Speichel, Nasensekret). 


Eigene Versuche. 


Die in den älteren Dissertationen ausführlich mitgeteilten zahlreichen 
Versuche geben wir hier nur in kurzem Überblick. Eingehender teilen 
wir neue, von uns zur Ergänzung ausgeführte Untersuchungen mit. 

In Tierorganen, Sekreten und Exkreten wurde der Nachweis der Nitro- 
phenole durch Ausschütteln des angesäuerten Materials mit Äther geführt; 
der nach Verjagen des Äthers bleibende Rückstand färbt sich mit Alkali 
gelb (Ammoniakdampf genügt), die EE Reaktion war uns leider 
unbekannt. 


A. Versuche mit Para-Nitrophenol. 


Beilstein sagt von diesem Körper: „Farblose Nadeln oder mono- > 
kline Säulen, dimorph. Geruchlos, schmeckt erst süßlich, dann brennend, 
Schmelzpunkt 114°. Sublimiert unterhalb des Schmelzpunkts und siedet 
fast unzersetzt; mit Wasserdämpfen im Gegensatz zu Orthonitrophenol nur 
wenig flüchtig. Sehr leicht löslich in heißem Wasser, nicht unbeträchtlich 
in kaltem. Äußerst leicht löslich in Alkohol und Äther. ge 

Wir verwendeten stets Lösungen in Wasser mit möglichst wenig 
Alkalizusatz. 


4. Versuche am Frosch. 


25—40 mg pro kg Frosch subkutan erzeugten nur leichte Vertiefung und 
Beschleunigung der Atmung und Schädigung der Reflexe. In erhöhtem 
Maße zeigten sich diese Veränderungen bei subkutaner Beibringung von 
50—60 mg pro kg Frosch. Die Atemfrequenz war von normal 10 bis höch- 
stens 40 auf 50—% pro Minute erhöht. Die Herzaktion war nicht beschleu- 
nigt, jedoch wurde das Zentralnervensystem bald in Mitleidenschaft ge- 
zogen. Die Tiere wurden schlaff, duldeten die Rückenlage, zeigten jedoch 
nur Andeutungen von Krämpfen. Im Moment, wo die Atmung (10—20 
Minuten nach Versuchsbeginn) stillstand, schlug das Herz entweder noch, 
oder falls es stillstand, antwortete es noch auf mechanische -Reize mit einer 
Reihe von Pulsationen. Im gleichen Zeitpunkt bewirkten Durchschneidung 
und Zerstörung des Rückenmarks sowie Reizung der peripheren Nerven 
noch gute oder leidliche Muskelzuckungen; jedoch blieben selbst starke 
Reizungen peripherer Nerven nach 2—3 Stunden, Zerstörung des Rücken- 
marks schon nach 30 Minuten ohne alle Wirkung. Normalerweise bleibt 


368 Die Mono- und Dinitrophenole als gewerbliche Gifte. 


die Erregbarkeit Stunden, ja Tage lang erhalten. Die Muskulatur selbst 
erwies sich bei elektrischer Prüfung als nicht geschädigt, auch wurden 
Veränderungen des Blutes nicht beobachtet. 


2. Versuche am Warmblüter. 


a) Kaninchen. 


350—400 mg pro kg Tier erzeugten bei subkutaner Einverleibung am 
Kaninchen vorübergehende, kaum merkliche Atemfrequenzsteigerung. 

Vom Magen aus wurden noch 500 mg pro kg bei leichter Dyspnoe und 
Erweiterung der Lidspalte ertragen, während schon 600 mg in 8 bzw. 17 
Minuten, 714 mg in 6 Minuten zum Tode führten. Die Atemfrequenz war 
dabei’ auf 60—70 gesteigert, Krämpfe, terminaler Tetanus beherrschten das 
Bild kurz vor dem Tode. Bei der Sektion konnte im Magen- und im Blasen- 
inhalt Nitrophenol nachgewiesen werden, Luftröhre und große Bronchien 
waren hyperämisch, die spektroskopische Untersuchung des Blutes ergab 


Oxyhämoglobin. 
Die Totenstarre setzte früher als bei gewöhnlichen Todesfällen ein. 
b) Katze. 
1. Subkutan. 


Von der Katze wurden 95.mg pro kg Körpergewicht, subkutan bei- 
gebracht, ohne schwere Symptome vertragen, 145 mg tóteten in 23% Stun- 
den, 200—-300 mg in etwa 1 Stunde. Die auftretenden Erscheinungen waren 
die gleichen wie beim Kaninchen: Respirationssteigerung bis zur Unzähl- 
barkeit, Pupillenerweiterung und Krämpfe. Speichelfluß und Erbrechen 
traten hinzu. 

Das Sektionsbild war wieder wenig charakteristisch, jedoch wurde in 
einem Falle im Blut Methämoglobin gefunden. 


2. Von der Haut aus. 


Da bei den Nitrophenolen die Wirksamkeit von der Haut aus besonders 
interessieren mußte, wurden von Dr. Hasegawa 1906 zahlreiche Versuche 
hierüber angestellt: Nachdem sich in einigen Vorversuchen Kaninchen als 
wenig geeignet erwiesen hatten, wurden Katzen herangezogen. Es mußte 
am einfachsten sein, einer Katze die zu prüfende Substanz möglichst gleich- 
mäßig in den Pelz einzustreuen und das Tier dann in einen möglichst 
undurchlässigen Sack einzubinden, der nur den Kopf freiließ. Eine so mit 
7,5 g Paranitrophenol behandelte Katze von 2200 g Gewicht blieb jedoch 
völlig normal. Der Kontakt der Substanz mit der Haut schien zu gering zu 
sein. Da nun der Mensch dieses schützenden Haarkleides entbehrt, wurden 
in den folgenden Versuchen die Haare der Katzen zunächst auf verschie- 
dene Weise in wechselnder Ausdehnung entfernt und erst dann die Sub- 
stanz aufgebracht. Enthaart wurden verschiedene Stellen des Rumpfes; 
die Substanz wurde alsdann durch Bindentouren um den Brustkorb und 
durch ein eigens dazu angefertigtes „Katzenkorsett‘‘ aus Gummistoff auf 
dem Körper fixiert. 

Die Versuchsergebnisse mögen zunächst in Tabellenform hier folgen 
und dann mit den genaueren Bedingungen, unter denen sie erzielt wurden, 


Von Dr. K. B. Lehmann und Dr. Ludwig Schmidt-Kehl. 369 


besprochen werden. In Tabelle I aufgenommen, jedoch nicht besprochen, 
sind die Versuche, bei denen nur 40 und 50 gem Haut bestreut wurden. 

Die Versuchsnummern 1—4 zeigen, daß Paranitrophenol selbst in 
Mengen bis 5 g von der nur geschorenen Haut aus wirkungslos bleibt. Die 
bis auf 2—3 mm gestutzten Haare verhindern offenbar den zum Ein- 
dringen nötigen Kontakt von Gift und Haut. 

Eine Wirkung ist jedoch erzielbar, wenn dem geschorenen Tier Ver- 
letzungen beigebracht werden. Bei Nr. 5 wurden mit der Schere 6 kleine 
Verletzungen gesetzt. Die Atmung ging am zweiten Tag auf 80, am dritten 
Tag war noch Pupillenerweiterung vorhanden, dann ging das Bild in Hei- 
lung über. 

Fall 6, dem 10 größere Verletzungen zugefügt wurden, zeigte einen 
rascheren Anstieg der Krankheitserscheinungen, die nach kurzer Zeit zum 
Tod führten. 

Um den Abstand zwischen Haut und Gift zu verringern, wurden Nr. 
8—15 mit dem jüdischen Enthaarungsmittel Rhusma enthaart. 2 g Sub- 
stanz auf eine kleine enthaarte Fläche von 40 gem blieben noch wirkungs- 
los (Nr. 7). 

Die gleiche Menge Gift, auf eine größere Fläche verteilt, führte nach 
7 Tagen zum Tode (Nr.8). Wurden 4 g verwendet, so erkrankten alle Tiere 
schwer unter den charakteristischen Zeichen, 4 von 5 starben (Nr. 9—13). 
Um etwaigen kleinen Ätzungen der Epidermis Zeit zur Ausheilung zu ge- - 
währen, wurde zwischen Enthaarung und Giftaufstreuung in den einzelnen 
Versuchen wechselnde Zeitspannen von 1—5 Tagen eingeschoben; einen 
deutlichen Einfluß auf das Versuchsergebnis hatte dies aber nicht. 

In Versuch 14 wurde die auf 80 qcm enthaarte Haut nach 2 Tagen erst 
mit 2,5 g 1—2 cm langen Haaren belegt und darauf 4 g Paranitrophenol ge- 
streut. Die Haare verhinderten das Eindringen des Giftes in den Körper 
nicht, nach 23 Stunden machten sich die ersten Vergiftungserscheinungen 
bemerkbar, nach 51 Stunden verendete das Tier. 

Wie ın den Versuchen 7 und 3 wurde auch im Versuch 15 die Menge 
von 2 g auf die enthaarte Haut gebracht, nur wurden dieser noch 6 kleine 
Verletzungen mit der Schere, 20 3 cm lange mit dem Messer beigebracht. 
Innerhalb 3 Stunden ging die Atemfrequenz auf 180 in die Höhe, jedoch 
reichte die Giftmenge nicht aus, um das Tier zu töten. 

In einem weiteren Versuch (Nr. 18) wurde die Entfernung der Haare 
noch vollständiger und die Berührung von Gift und Haut womöglich noch 
inniger gestaltet, indem das Tier rasiert wurde. Das Resultat war das 
‚gleiche (rascher Tod) wie bei Anwendung des Enthaarungsmittels. 

In allen beschriebenen Hautversuchen blieben sehr beträchtliche An- 
teile des aufgestreuten Nitrophenols sozusagen ungenutzt auf der Haut 
liegen und drangen nicht in den Organismus ein; die aufgestreuten Dosen 
waren etwa zehnmal so groß wie die eingespritzten! Es lag nun nahe, einen 
neuen Weg zu beschreiten, um die Resorption zu fördern. Alle in dieser 
Arbeit in Frage stehenden Substanzen sind in Wasser wenig bis äußerst 
wenig, in Lipoiden dagegen leicht löslich. Diese Kategorie von Giften 
dringt, in Fetten gelöst, inden Körper ein, und die Resorption muß verstärkt 
werden, wenn das Gift, in irgendeinem Fett gelöst, vor den Ausführungs- 

Archiv für Hygiene. Bd. 95. 27 


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Die Mono- und D 


370 


trophenole als gewerbliche Gifte. 



































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Von Dr. K. B. Lehmann und Dr. Ludwig Schmidt-Kehl. "371 


offnungen der Talgdrüsen liegt und nunmehr leicht in deren fetthaltigen 
Inhalt diffundieren kann. 

In einigen Vorversuchen ergab sich Hasegawa denn auch in der Tat, 
daß am Katzenkadaver das trocken aufgestreute Paranitrophenol durch 
die nicht enthaarte und die nur geschorene Haut nicht einzudringen ver- 
mochte, wohl aber ein Paranitrophenol-Schweinefettgemisch. War 
die Haut mittels Enthaarungspulvers von Haaren befreit, so drang sowohl 
das trockene wie das gefettete Gift durch Haut, Unterhautzellgewebe 
und Muskel bis auf den Rippenknorpel durch. | 


In der folgenden Tabelle II sind die Ergebnisse der Versuche, lebenden 
Katzen das Giftfettgemisch in die Haut einzureiben, zusammengestellt. 


Tabelle IL 


Wirkung des Paranitrophenoles auf Katzen von: der Haut aus 
bei Fettzugaben. 


> pn ern pn e =a 

























Gewicht 









Ver- Applika- | Methode der- Applizierte 
suchs- [des Tieres |tionsfläche Haar- Giftmenge Wirkung auf die Katze 
Nr. ing in gem entfernung in g 





verendet nach 2 Tagen 


0 
verendetnach 2 % Std. 


LK A 1% y 


24 2770 80 nthaarungs- erkrankt, 
mittel erholt nach 3 Tagen 


In den Versuchen 19 und 22 wurden je 8 g Paranitrophenol innig mit 
Schweinefett gemischt und, ohne daß dem Tier die Haare entfernt wurden, 
eingerieben. Beim bloßen Einstreuen der Substanz in den Pelz war keine 
Wirkung zu erzielen gewesen, jetzt abererkrankten beide Tiere und starben. 
Die Erscheinungen traten, ähnlich wie bei Nr. 14, wo auch Haare zwischen 
Gift und Haut eingeschaltet waren, etwas verzögert erst am 2. Tage auf. 

Es stand zu erwarten, daß bei enthaarten Katzen verstärkte Wirkung 
eintrete. In 3 Versuchen (Nr. 21--23) wurde nur 3g Gift, mit Schweinefett 
gemischt, auf die geschorene Haut aufgebracht. Nr. 21 (Hasegawa) stellt 
einen unaufgeklärten Versager dar!), die beiden andern Tiere (1925 von 
uns vergiftet) starben aber in kürzester Zeit unter den Erscheinungen von 
Speichelfluß, Durchfall und hochgradiger Atemnot. Wir haben dabei ver- 
mieden, das Präparat etwa stark einzureiben, es wurde mit einem Spatel 
leicht aufgestrichen. 

Nicht so deutlich war die unterstützende Wirkung des Fettzusatzes 
. bei Versuch 24 (Hasegawa). Hier wurde jedoch auch die enthaarte Haut 
nur mit Olivenöl eingerieben und darauf das trockene Gift eingestreut. 

Nach allen Versuchen scheint es, als ob die Größe des resorbierenden 
Hautstückes für das Zustandekommen der Vergiftung wichtiger sei als die 


4) Dieser Versuch war hauptsächlich Schuld an der verzögerten Publi- 
kation der Arbeit. 


Archiv für Hygiene. Bd. 96. 28 


372: Die Mono- und Dinitrophenole als gewerbliche Gifte. 


Menge des Giftes. Es wäre deshalb vielleicht besser gewesen, alle Ver- 
suche mit gleich großer Resorptionsfläche und gleicher Giftmenge zu 
machen und nur die Art der Enthaarung, einmal bei trockener Aufstreu- 
ung, das andere Mal bei Fettzugabe zu wechseln. Trotzdem gestatten die 
Resultate klare Schlüsse. 

Das Sektionsbild war bei allen nach Hautapplikation gestorbenen 
Tieren ähnlich: Haut und Unterhautzellgewebe waren intensiv gelb gefärbt, 
einige Male konnte auch Gelbfärbung von Konjunktiva, Linse und Glas- 
körper nachgewiesen werden. Zusatz von Natronlauge ließ die Farbe noch 
deutlicher hervortreten: die Natriumverbindung der Nitrophenole ist in- 
tensiver gefärbt. als die Nitrophenole selbst. Im Harn war nach der oben 
(S. 367) angegebenen Methode Nitrophenol leicht nachweisbar. 


Physiologische Zergliederung des Bildes der Vergiftung durch Paranitro- 
phenol beim Warmblúter. 


Bei den nicht tódlich vergifteten Kaninchen tritt als fast ein- 
ziges Symptom eine vorübergehende Beschleunigung und Vertiefung der 
Atmung auf. Bei Anwendung tödlicher Dosen zeigen die Kaninchen schon 
unmittelbar nach der Einführung des Gifts eine sehr starke Dyspnoe, welche 
sich rasch bis zu 140 Atemzügen in der Minute steigert. Unter Blähung der 
Nüstern und Aktion sämtlicher Hilfsmuskeln dauert die Dyspnoe meist 
unvermindert an bis zum plötzlichen Aufhören der Atmung beim Eintritt 
der terminalen Krämpfe. 

Nachdem sich wenige Minuten nach Beibringung des Giftes große 
motorische Schwäche dadurch verraten hat, daß Tiere die Bauchlage ein- 
nehmen, die Beine von sich strecken und sowohl Rücken- als Seitenlage 
widerstandslos ertragen, treten allgemeine Streckkrämpfe..ein, während 
welcher der Tod erfolgt. 

Wie das Froschherz nach Aufhören der gesteigerten Atmung meist 
weiter schlug, so pulsiert auch beim Kaninchen das Herz, nachdem im 
Streckkrampf die Atmung mit einem Schlage aufgehört hat, noch etwa 
Y, Minute langsam weiter — ungenügende Herztätigkeit ist also nicht 
die Ursache des Todes. Bei der Katze nimmt die Vergiftung insofern 
einen abweichenden Verlauf, als der Organismus dieses Tieres den Einwir- 
kungen der tödlichen Giftdosis länger widersteht, sodaß die sich beim Kanin- 
chen fast überstürzenden, meist in wenigen Minuten zum Tode führenden 
Symptome langsamer und dadurch noch deutlicher zutage treten. Auch 
bei der Katze zeigt sich alsbald Dyspnoe: Die Atmung wird immer müh- 
samer und frequenter. Nach einem Höhepunkt, auf dem fast 200 Atem- 
züge gezählt werden, nimmt die Frequenz allmählich wieder ab, während die 
Atmung noch immer tiefer und angestrengter wird und dann plötzlich 
erlischt, nachdem ihre Frequenz auf etwa 10 gesunken ist. 

Auch bei der Katze zeigt sich bald nach dem Beginn der Dyspnoe teils 
motorische Schwäche (Einnahme der Seitenlage, Unfähigkeit freier Be- 
wegung), teils leichte Pendelbewegungen mit Abnahme aller Reflexe; nach 
längerer Dauer der Dyspnoe tritt der Tod unter leichten Krampferschei- 
nungen ein. 


Von Dr. K. B. Lehmann und Dr. Ludwig Schmidt-Kehl. 373 


Bei allen Tieren wurde beim Fortschreiten der Atemnot starke Pupillen- 
erweiterung beobachtet; nimmt man die bei sonst uncharakteristischem 
Sektionsbefund häufig beobachteten Kongestionen und Blutungen in der 
Lunge hinzu, so entspricht das Bild genau dem einer protrahierten Er- 
stickung mit ihrer gesteigerten Atemfrequenz und den terminalen Krämpfen. 

Was die Ursache der Erstickung anbetrifft, so weist die in einem Falle 
gemachte Beobachtung von Methaemoglobinbildung im Blut darauf hin, 
daß eine chemische Blutschädigung mitzuspielen scheint. 

Auf das Verhalten der Muskeln wurde in allen Fällen geachtet. Die 
Muskelstarre begann sofort oder ganz kurz nach dem Tode und war nach 
6 bis 8 Minuten fast überall soweit vorgeschritten, daß sich der Status 
im wesentlichen nicht mehr änderte; maximale Starre trat nicht ein. Die 
weitere Besprechung dieser sehr merkwürdigen Erscheinungen wird beim 
Orthoparanitrophenol erfolgen, bei dem weitere Versuche zu ihrer Er- 
gründung unternommen wurden. 


B. Versuche mit Orthonitrophenol. 


| Beilstein gibt an: ‚Orthonitrophenol, schwefelgelbe Nadeln oder 

Prismen. Schmelzpunkt 44,27% Siedepunkt 214°. Aromatisch riechend. 
In kaltem Wasser wenig löslich, sehr leicht in warmem Alkohol, Äther, 
Schwefelkohlenstoff und Benzol.“ 


1. Versuche am Frosch. 


Subkutan beigebrachte Mengen von 60—190 mg pro kg Frosch wurden 
ohne wesentliche Erkrankung ertragen; erst 300 mg töteten in 17 Stunden, 
380 und 533 mg in 5 bzw. 64, Stunden. Die auftretende Respirations- 
beschleunigung und Pupillenerweiterung war die gleiche wie beim Para- 
nitrophenol, wenn auch weniger prägnant ausgebildet. 

Die Symptome von seiten des Nervensystems wichen von denen beim 
Paranitrophenol erheblich ab. Zuerst trat auch hier eine Herabsetzung der 
motorischen Kraft und Duldung der Rückenlage auf. Dann zeigte sich aber 
eine Steigerung der Reflexe, die Reaktionsbewegungen wurden leicht 
konvulsivisch und steigerten sich alsbald zu klonischen Krämpfen, welche 
durch mechanische Reize (Druck, Lageveránderung, Erschütterung der 
Unterlage) und durch elektrische Reize hervorgerufen wurden. Die Krämpfe 
wurden dann sehr stark, traten schon bei der leisesten Berührung, schließ- 
lich auchspontanauf. Dieses Höhestadium ging zwar bald vorüber, ein Sta- 
dium erhöhter Reflexerregbarkeit blieb aber längere Zeit, ja Stunden lang 
bestehen. Allmählich wurden dann die reflektorischen Krämpfe schwächer 
und blieben bei leichten Reizen aus. Schließlich lag der Frosch regungslos 
da, etwa gleichzeitig mit dem Erlöschen der Respiration erlosch auch die 
Reflexerregbarkeit. Periphere Nerven und Muskeln wurden durch Ortho- 
nitrophenol nicht geschädigt, wie die elektrische Prüfung bewies. 


2. Versuche am Warmblúter. 
a) Kaninchen. 


455 und 630 mg pro kg Tier, subkutan eingespritzt, wurden ohne 
ernstliche Schädigung ertragen, immerhin waren Atemfrequenzsteigerung 
28* 


374 l Die Mono- und Dinitrophenole als gewerbliche Gifte. 


und Pupillenerweiterung deutlich. Einem Kaninchen wurden an vier 
aufeinanderfolgenden Tagen 97, 210, 330 und:715 mg pro kg unter die 
Haut gebracht. 


Auf die erste schwache Dosis reagierte es mit ziemlich starker Atem- 
beschleunigung, auf die größeren zweite und dritte Dosen nur noch mit 
schwacher Atembeschleunigung, während die letzte Dosis, die 7—8 mal 
größer war als die Anfangsdosis, ganz ohne Wirkung blieb. Es scheint 
demnach eine Gewöhnung an das Gift stattzufinden. Ein Tier starb auf- 
fallenderweise an 265 mg pro kg nach 10 Stunden; als mögliche Erklärung 
dieser Empfindlichkeit ergab die Sektion hochgradige Tuberkulose. 


1700 mg pro kg töteten ein gesundes Tier im Verlaufe von 14, Stunden. 
Auch vom Magen aus konnten 950 mg pro kg die charakteristischen Krank- 
heitserscheinungen erzeugen. 


Wurde einem Kaninchen 1,---1 Stunde nach Eingeben des Giftes in 
den Magen noch 3,5 ccm Alkohol pro kg Körpergewicht mit Schlundsonde 
beigebracht, so zeigte sich regelmäßig Verstärkung der Erscheinungen. 
Bei 0,5 g Nitrophenolgabe trat ohne Alkohol die Erholung in 5 Stunden, 
mit Alkohol erst in 8 Stunden ein; ein Kaninchen, dem 0,6 g/kg des Giftes 
in den Magen appliziert wurde, erholte sich nach 10 Stunden, ein anderes, 
dem außerdem 3,5 ccm Alkohol appliziert wurde, starb nach 3 Stunden. 
Bei 0,8 mg trat der Tod nach 2 Stunden bzw. 40 Minuten ein. 


Offenbar wird die Resorption des Nitrophenols durch den Alkohol 
beschleunigt, so daß das Konzentrationsgefälle und damit die Wirkung 
erhöht wird. 


b) Katze. 


Wie vom Paranitrophenol kann auch vom Orthonitrophenol die Katze 
nur kleinere Dosen vertragen als das Kaninchen. 


Ein Versuchstier erholte sich bei einer Dosis von 210 mg pro kg nach 
einstündiger Erkrankung; in anderen Fällen töteten 250 mg pro kg in 
7% Stunden, 430 in 2%, 600 in 54. 


Im ganzen erweist sich das Orthonitrophenol beim Tierversuch als das 
schwáchere Gift von den beiden untersuchten Mononitrophenolen. Die 
Krankheitserscheinungen sind jedoch bei beiden die gleichen;: nur wurde 
das Auftreten von Methämoglobin im Blut mit größerer Regelmäßigkeit 
beobachtet (bei allen gestorbenen Katzen). 


Physiologische Zergliederung des Bildes der Vergiftung durch Orthonitro- 
phenol. 

Die Beeinflussung der Respiration ist bei weitem schwächer als beim 
Paranitrophenol. Bevor sie auftritt, zeigt sich eine Wirkung des Giftes 
auf das Zentralnervensystem in Form von motorischer Schwäche und 
Lähmung zugleich mit Störung der Reflexe auf die gewöhnlichen mecha- 
nischen Reize. Diese Affinität zum Zentralnervensystem, die bei allen in 
dieser Arbeit untersuchten Nitrophenolen beobachtet wird, dürfte von 
der geringen Wasser- und der hohen Lipoidlóslichkeit dieser Stoffe her- 
rühren. 


Ven Dr. K. B. Lehmann und Dr. Ludwig Schmidt-Kehl. 375 


Neben den Lähmungserscheinungen kommt es auch ab und zu zu Reiz- 
erscheinungen in Form von Steigerung der Patellarsehnenreflexe und von 
leichten klonischen Zuckungen. Ja 

Erst bei völliger Lähmung des Tieres wird die Respiration angestrengt \ 
und beschleunigt; diese Erscheinungen kommen bei der Katze relativ 
früher als beim Kaninchen. Auf ein Stadium maximaler Atemfrequenz / 
folgt ein solches kontinuierlich abnehmender. ; 

Beim Kaninchen wurde in einem Falle eine enorme Tachykardie beob- 
achtet (200—240 Pulse pro Minute); sie ist aber nicht als Todesursache an- 
zusehen: der Herzpuls war nach Eintritt des Respirationstodes noch über 
eine Minute zu fühlen. 

Die Sektionsergebnisse (Hyperämie der Trachea, Blutungen in den 
Lungen) sowie die im Leben beobachtete Pupillenerweiterung lassen das 
Bild wieder wie beim Paranitrophenol als eine Erstickung erscheinen. Der 
bei der Katze regelmäßige Befund von Methaemoglobin im Blut läßt deut- 
licher als bei dem zuerst untersuchten Gift eine Ursache der Erstickung 
in primärer Schädigung des Blutes erkennen. 

Eine deutliche Beschleunigung der Totenstarre wurde nicht beobachtet. 
Die schon beim Parahitrophenol gesehene Gelbfärbung der Haut und der 
Schleimhäute war hier bedeutend intensiver. Der Kaninchenharn war von 
schön roter Farbe und aromatischem Geruch; in ihm ließ sich wie in Harn 
und Speichel der Katze Nitrophenol leicht nachweisen. 


C. Versuche mit Orthoparanitropheno!. 


Am eingehendsten ist dieser praktisch besonders wichtige Körper 
untersucht worden. Beilstein sagt über unseren Körper: „Dünne, fast 
farblose, rechtwinklige, gestreifte Tafeln oder Blättchen (aus Wasser); 
farnkrautähnliche Blättchen (aus Salzsäure). Rhombisch. Schmeckt an- , 
fangs indifferent, dann bitter. Schmelzpunkt: 114—115% Läßt sich in 
kleinen Mengen unzersetzt sublimieren. Verflüssigt sich mit Wasserdámpfen 
leichter als 2,6 Dinitrophenol. Löslich in 21 Teilen siedendem Wasser; in 
197 Teilen Wasser von 18°; in 7261 Teilen Wasser von 0°. In der Wärme 
leicht löslich in Äther, Benzol, Chloroform.‘ Das uns vorliegende Prä- 
parat stellt gelbliche Kristalle dar, die ein Pulver von der Konsistenz 
von Traubenzucker bilden. 0,1 g lassen sich in 25 ccm Wasser nach Zusatz 
von 3 Tropfen 10 prozentiger Natronlauge bei gelindem Erwärmen lösen. 
Die Lösung ist klar, orangegelb, von schwachem, wenig charakteristischem 
Geruch; sie reagiert schwach alkalisch bis annähernd neutral. 

Die Flüchtigkeit des Orthoparanitrophenols nimmt mit steigender 
Temperatur stark zu. 1 cbm trockener Luft vermag nach unseren Unter- 
suchungen aufzunehmen 

bei 16° 15 mg 


22,50 Ao, 
36% 10 ,, 
250% 27 ,, 
10 67 


659 203, 


376 ` Die Mono- und Dinitrophenole als gewerbliche Gifte. 


Graphisch dargestellt, ergibt sich folgende Kurve: 
mg 


"WINRAR DAR 
a A 
MATAN A 


Zë 

50 d BE 
n BIENEN 
PER 
ARAN 2 EE 





0 5° éis 15° 20° 25 30° 35° 40° 45° 50° 55° 60° 65° 
Abbildung 1. 


1. Versuche am Frosch. 


10 mg pro kg Tier erzeugten vorübergehend kräftige Respirations- 
beschleunigung, 35 mg töteten in 50 Minuten, 50 in frühestens 15 Minuten. 
Die Hauptsyptome waren wieder wie beim Paranitrophenol Vermehrung 
der Frequenz der Respiration, die ziemlich früh und plötzlich einer schwachen 
langsamen Respiration und endlich einem Stillstand in Inspirationsstel- 
lung Platz machte. Die Lungen waren dann meist maximal aufgeblasen. 
Die Herzaktion war längere Zeit kräftig, ließ aber mit der Lähmung der 
Atmung auch nach. 

Die Reflexe waren mit dem Einsetzen der Atmungsverlangsamung 
stark herabgesetzt, es trat Lähmung des Rückenmarks auf, ohne daß eine 
erhebliche Reizung vorherging, nur ganz leichte klonische und tonische 
Krämpfe zeigten sich dann und wann vor dem Eintritt der Lähmung. e 

kine Schädigung der peripheren Muskeln und Nerven schien — w nn 
auch nur in geringem Maße —- zu bestehen, 


Von Dr. K. B. Lehmann und Dr. Ludwig Schmidt-Kehl. 317 


2. Versuche am Warmblüter. 
a) Kaninchen. 


Orthoparanitrophenol ist für das Kaninchen ein mittelstarkes Gift. 
Dosen von 26—50 mg pro kg schädigten subkutan in 4 Versuchen nur 
mäßig, die Erholung trat meist schon in einigen Stunden cin. 52, 56, 60, 62, 
70 mg pro kg töteten dagegen die Tiere in allen Fällen in 23 Minuten bis 
23/, Stunden; die Schnelligkeit der Wirkung stand jedoch nicht immer 
mit der Größe der Dosis in direkter Proportion. Es müssen daher indivi- ` 
duelle Unterschiede in der Giftempfänglichkeit angenommen werden. , 


Die Symptome bestanden wieder in rasch eintretender Beschleunigung 
und Vertiefung der Atmung, motorischer Schwäche, die sich in Bauch- 
oder Seitenlage der Tiere ausdrückte, und in Pupillenerweiterung. 


Der Tod trat stets unter raschem Übergang der frequenten Atmung 
in eine sehr verlangsamte ein. 


Auffallend war, wie sich die Totenstarre sofort oder in wenigen Minuten 
nach dem Tode in maximaler Ausbildung einstellte. Die Sektion ergab stets 
Blutüberfüllung der Luftröhrenschleimhaut, die Lungen waren bald 
blut- und ödemreich, bald fast oder ganz normal. Im Harn der länger 
dauernden Fälle war das Gift stets nachzuweisen, ebenso in den geringen 
Transsudaten in Herzbeutel und Pleuraraum. Methämoglobin konnte in 
keinem Falle festgestellt werden. Vom Magen aus verlief die Vergiftung 
ganz ähnlich, nur war, wie zu erwarten stand, die letale Dosis größer — 
60 mg pro kg wurden noch sehr gut vertragen, 130 töteten rasch, sodaß die 
minimal letale Dosis bei 100 mg pro kg Kaninchen liegen dürfte. 

Ähnlich wie bei Orthonitrophenol erhöht auch bei Dinitrophenol 
gleichzeitige Verabreichung von Alkohol in den Magen die Giftigkeit. 
Wir lassen die Versuchsergebnisse auszugsweise im Protokoll folgen: 










Giftdosis 
pro kg 
Tier 
mg 


Erfolg ohne Alkohol | a a kg Tier 






Erholung in 1 Stunde | Erholung in 2*/, Stdn. 
Erholung in 1°/, Stdn. | Stirbt nach 21/, Stdn. 


100 | Erholung in 1 Stunde Erholung nach 3 Stdn. 
132 Stirbt nach 34 Min, - Stirbt nach 10 Min. 
150 Stirbt nach 10 Stdn. ' Stirbt nach 50 Min. 
300 Stirbt vech 30 Min. Stirht nach 16 Min. 


b) Katze. Subkutan. 


Für die Katze ist Orthoparanitrophenol ein noch etwas stärkeres Gift 
als für das Kaninchen. Schon 25 mg pro kg töteten in einer Stunde, 30, 
38, 62 mg in 43, 240 (!) bezw. 32 Minuten. Die Erscheinungen waren die 
nun schon so oft beschriebenen. Bei der angestrengten Atmung (bis zu 
300 Atemzügen in der Minute!) wurde das Maul weit offen gehalten, die 
Zunge war stets auffällig rot. Der produzierte Speichel war blaßgelb, tonisch- 
klonische Krämpfe wurden stets beobachtet. Die Totenstarre war sofort 
nach dem letzten Atemzug oder in kürzester Zeit maximal. Die Sektion för- 


378 . Die Mono- und Dinitrophenole als gewerbliche Gifte. 


derte wieder die Erscheinungen der Erstickung zutage (Ekchymosen der 
Lungen usw.). Hámoglobin konnte nicht nachgewiesen werden?). 


Auf dem Verdauungswege. 


. Die Versuche begegneten wegen des leichten Brechens der Katze großen 
Schwierigkeiten. Ein Tier, dem 50 mg pro kg unter Fleisch vorgesetzt 
wurden, erbrach 1 Stunde später 2mal und ließ viel dünnen Stuhl. Im 
Harn konnte reichlich Nitrophenol nachgewiesen werden. Die Katze er- 
holte sich jedoch rasch wieder. Das gleiche Tier bekam dann 51% Monate 
lang täglich 12 mg Orthoparanitrophenol mit der Nahrung zu fressen, 
das waren im ganzen 8%, e Es vertrug diese Menge ohne jedes äußerlich 
sichtbare Symptom. Eine kumulative Wirkung kleiner Giftdosen konnte 
demnach ausgeschlossen werden. 


Auf dem Atmungswege. 
Einatmung von Orthoparanitrophenol in Dampfform. 


Es sollte zunächst versucht werden, Katzen durch Verweilen in einer 
Luft zu vergiften, die sich durch Streichen über festes Orthoparanitro- 
phenol mit Dampf dieses Stoffes gesättigt hatte. Seine Flüchtigkeit 
ist, wie Seite 375 erwähnt wurde, nicht groß. 

Zu den Versuchen eignete sich eine Anordnung, die aus beifolgender 
Skizze klar hervorgeht. 





Abbildung 2. 


— 1 -- — 


1) Anmerkung bei der Korrektur. Durch einen therapeutischen Eingriff, 
über den in Kürze berichtet werden wird, ließ sich die Dyspnoe beseitigen. Die 
Art des Eingriffes spricht dafür, daß beim dinitrophenolvergifteten Tier das 
Blut nicht genügend Sauerstoff aufnimmt. Die Tiere ließen sich durch diesen 
Eingriff jedoch nicht retten, sondern gingen an zercbralen Erscheinungen. 
zugrunde. 


Von Dr. K. B. Lehmann und Dr. Ludwig Schmidt-Kehl. 379 


Die Reihenfolge der Zahlen gibt die Richtung des Luftstroms an: 


1. Wasserstrahlgebläse (Luft drückend), 

. Waschflasche zum Trocknen der Luft mit Schwefelsäure, 

. Asbestfilter zum Zurückhalten von Schwefelsäuretröpfchen, 

. Sandbad mit U-rohr; dieses halb mit Orthoparanitrophenol gefüllt. 

. Tierraum, | 

. Differentialmanometer zur Vermeidung von Druckdifferenzen 
zwischen außen und innen. 

7. U-röhren mit Watte zum Zurückhalten des Nitro- 

8. Waschflasche mit ie! phenols 

9. Gasuhr, 

0. Wasserstrahlgebláse (Luft saugend). 


MN Uy) be 


1 


Mehrmals wurden verschiedene Katzen für einige Stunden unter die 
Glasglocke (5) der Versuchsanordnung gesetzt. Es zeigten sich keinerlei 
Erscheinungen an den Tieren, auch dann nicht, wenn das Sandbad bis zum 
Schmelzpunkt des Orthoparanitrophenols erwärmt wurde. In diesem Falle 
sublimierte die Substanz im Tierraum, so daß die darin befindliche Katze 
am Ende des Versuchs über und über mit feinen Kristallnadeln bedeckt war. 


Nachdem stundenlange Einatmung des Dampfes der Substanz ohne 
Wirkung geblieben war, wurde eine Katze von 2,020 kg Gewicht während 
6 Wochen jeden Werktag 8 Stunden lang in den Tierraum gebracht. Sie 
atmete auf diese Weise an 34 Tagen eine Luft ein, die sich bei einer Tempe- 
ratur von 16—22% durch Streichen über Orthoparanitrophenol mit dem 
Dampf dieser Substanz gesättigt hatte. Während der ganzen Versuchsdauer 
zogen 37,946 cbm Luft durch den Tierraum und führten 42,2 mg der Sub- 
stanz mit (durch Zurückwägen der Substanz in 4 bestimmt); 1 cbm der 
Luft, die die Katze atmen mußte, enthielt also 1,1 mg Orthoparanitro- 
phenol. Unter Zugrundelegung der Annahme, daß die Katze in der Stunde 
30 1 Luft einatmet, könnte sie während der 34tägigen Versuchsdauer 9 mg 
Gift aufgenommen haben. Wenn man die Dosen, die zur Erzielung von 
Vergiftung auf subkutanem Weg nötig waren, bedenkt, erscheint es ver- 
ständlich, daß die wochenlange Einatmung von Luft, die mit Orthoparanitro- 
phenoldampf bei Zimmertemperatur gesättigt war, ohne jede Einwirkung 
auf die Katze blieb. Das Gewicht der Katze nahm zuerst ein wenig ab und 
betrug am 14. Versuchstag 1,950 kg. Im weiteren Verlauf wurde die an- 
fangs etwas erhöhte Zahl der Atemzüge wieder normal; das nunmehr an den 
Aufenthalt gewöhnte Tier lag fast die ganze Zeit zusammengerollt schlafend 
ım Tierraum. Am letzten Versuchstag betrug sein Gewicht 2,220 kg. 
8Wochen später, während welcher Zeit keine Versuche mit dem Tier ange- 
stellt wurden, hatte es wieder auf 2,090 kg abgenommen, so daß das Gewicht 
zu Beginn der Versuche fast genau wieder erreicht war. 


Einatmung von Orthoparanitrophenolstaub. 


Vermochte die bei gewöhnlicher Temperatur geringe Dampfmenge 
des Orthoparanitrophenols die Katze nicht krank zu machen, so war zu 
versuchen, ob dies mit dem Staub dieses Körpers gelang. 


380 - Die Mono- und Dinitrophenole als gewerbliche Gifte. 


Die Versuche wurden zunächst mit einem Apparat ausgeführt, dessen 
Konstruktion aus beifolgender Skizze ersichtlich ist. Der Apparat ist im 
hiesigen Institut vor Jahren von Lehmann und H. K. Lang zu andern 
Zwecken konstruiert und ausprobiert worden, Dr. Hartmann aus Steck- 
born hat die Staubzufuhr etwas verändert. 





Abbildung 3. 


Auf das Sieb A des Blechtrichters 7 wird die zu verstäubende Substanz 
gebracht. Ein langsam rotierender Pinsel P kratzt kleine Mengen 
Staub durch das Sieb, der von einem Gebläse kommende Luftstrom 
im Rohr R erfaßt den aus dem Trichter fallenden Staub und bläst ihn in 
den Einatmungsraum Æ. Dies ist ein mit Glastafeln versehener Blechkasten, 
in den die Köpfe zweier außerhalb in Holzkäfigen // untergebrachten 
Katzen hineinragen. Die dazu nötigen Öffnungen Ö sind maulkorbartig 
mit Drahtgitter versehen. Durch geeignete Halskrausen der Tiere wird ein 
dichter Abschluß zwischen Hals der Tiere und Kastenwand erzielt. An 
mehreren Stellen # des Einatmungsraumes wurde Luft durch Wattefilter 
abgesaugt, sie streicht dann noch durch Waschflaschen, die mit verdünnter 
Natronlauge gefüllt sind. 

Hinter W sind noch Gasuhren und Sauggebläse, vor /t Asbestfilter, 
Schwefelsäurewaschflasche und Druckgebläse zu denken (siehe Abb. 2, 
Nr.9 und 10 und Nr.3, 2 und 1). Der Apparat hatte sich bei früheren Ge- 
legenheiten bewährt, bei den Versuchen mit Orthoparanitrophenol zeigte 
sich bald, daß der allergrößte Teil des in den Einatmungsraum eingeblase- 
nen Staubs sich sofort zu Boden senkt und durchaus nicht als ın der Luft 
suspendiert aufzufassen ist. Der wirkliche Staubgehalt der Luft, der aus 
der Menge der durchgesaugten Luft und der auf den Wattefiltern zurück- 
gehaltenen Staubmengen berechnet werden konnte, war nur ein verschwin- 
dender Bruchteil des zu erwartenden Staubgehalts. Dabei war dieser Bruch- 
teil relativ um so kleiner, je mehr Staub auf das Sieb des Triehters aufge- 
geben wurde. 


Von Dr. K. B. Lehmann und Dr. Ludwig Schmidt-Kehl. 381 


In einem Versuch wurde ein wirklicher Staubgehalt von 11,4 mg in 
Kubikmeter Luft erzielt, der 81 fache wáre nach der zur Verwendung ge- 
kommenen Staubmenge zu erwarten gewesen. Im 2. Versuch wurden weit 
größere Mengen eingeblasen, aber nur Jaen erwies sich als in der Luft sus- 
pendiert, was einen Staubgehalt von 24,8 mg/cbm ergab. 


Die Katzen, die in diesen beiden Versuchen die schwach staubhaltige 
Luft zu atmen gezwungen waren, wurden, soweit sie in den Einatmungskasten 
hineinragten, gelb gefärbt und produzierten einen gelblich gefärbten Speichel 
und ebensolches Nasensekret. Nach der Berechnung konnten die Tiere, die 
2 bzw. 3 Stunden im Versuch standen, 0,7 und 2,2 mg Orthoparanitrophenol 
mit der Atmungsluft aufgenommen haben. Größere Mengen Staubes mögen 
auf ihrer Wurfbahn von dem den Staub zuführenden Rohre nach dem 
Boden des Einatmungsraumes den Katzen in Maul und Nase geflogen sein 
und dort Reizung der Schleimhäute hervorgerufen haben. Zu einer Allge- 
meinwirkung kam es nicht. 


Es wurde daher noch eine andere Versuchsanordnung herangezogen, 
deren Wirkungsweise beifolgende Skizze klarmachen möge. 





A 


Abbildung 4. 


In den großen Blechtrichter 7, der oben durch eine Glasplatte ver- 
schlossen ist, werden von Zeit zu Zeit abgewogene Mengen Staub eingewor- 
fen. Ein durch den Schlauch Sch gehender Strom trockener Luft tritt bei A 
in den Trichter ein und wirbelt den darin befindlichen Staub, der infolge 
der Schwerkraft die Tendenz hat, sich bei S zu sammeln, stets wieder auf. 
Durch 2 wieder mit Maulkörben versehene Öffnungen Ö (nur eine sicht- 
bar) schauen 2 außerhalb in Holzkásten 4 untergebrachte Katzen in den 
Staubraum. Abgesaugt wird bei 7, wo sich je ein Wattefilter befindet; die 
Luft passiert dann noch je eine Waschflasche IV, um sie sicher von allem 
Staub zu befreien. Aber auch mit dieser Anordnung ließen sich in 2 Ver- 
suchen nur die geringen Staubkonzentrationen von 18,9 und 26,2 mg im 
Kubikmeter Luft erzielen. In 3- bezw. 6 stündigen Versuchen konnten dabei 


382 Die Mono- und Dinitrophenole als gewerbliche Gifte. 


die Katzen nur 1,7 bezw. 4,7 mg Orthoparanitrophenol aufnehmen und dem- 
entsprechend war keine Wirkung an ihnen zu erzielen. 


Der Gedanke lag nahe, daß die Verstäubbarkeit unseres Giftes 
eine sehr geringe war. Es wurden daher zum Vergleich andere Staubarten 
herangezogen. In dem zuletzt beschriebenen Apparat wurden blinde Ver- 
suche ohne Katzen mit Zinkoxyd, Bleiweiß, Mennige und mit Orthopara- 
nitrophenol angestellt. Alle Substanzen waren gleichmäßig getrocknet, im 
Mörser zerrieben und durch mehrere Lagen Gaze gebeutelt. Bei den 
3ersten Staubarten wurde sofort, nachdem der Apparat in Gang war, Sus- 
pension des Staubes erzielt. Die Staubteilchen gelangten sozusagen mühe- 
los bis in die höchsten Teile des Apparates und lagerten sich im Verlauf der 
Versuche in den Filtern und in den Schalen unter den Maulkörben an; 
Diese dienen in den Tierversuchen zum Auffangen von Speichel und Er- 
brochenem. Am Schlusse der Versuche fanden sich in der Tiefe des Trichters 
immer nur Spuren des Staubes. Bei einem Modell des Apparates, bei dem 
die Schalen unter den Maulkörben weggelassen waren, erwies sich der wirk- 
liche Staubgehalt der Luft zu 75,8%, von demjenigen, der sich aus der 
überhaupt in den Apparat geworfenen Staubmenge berechnen ließ. Anders 
bei den blinden Versuchen mit Orthoparanitrophenol. Der Staub ließ sich 
nur bis zu ganz geringer Höhe aufwirbeln und wurde zu Ende des Versuchs 
fast restlos in der Tiefe des Trichters wiedergefunden. Der wirkliche Staub- 
gehalt der Luft in Höhe der Stelle, an der die Katzen atmen, verhielt sich 
wie 1 : 1141. Mikrophotographische Aufnahmen, die bei 110facher Ver- 
größerung ausgeführt wurden, ließen die geringe Verstäubbarkeit des 
Orthoparanitrophenols im Vergleich zu den drei anderen Staubarten 
verständlich erscheinen. Unser Nitrophenol ist ein kristallinischer Körper 
mit großen Tafeln und zackigen Bruchflächen. Es hat im mikroskopischen 
Bilde entfernte Ähnlichkeit mit übereinandergetürmten Eisschollen. Die 
drei anderen Staubarten bestehen zum Teil aus winzigen kleinsten Körn- 
chen, zum Teil aus größeren Klumpen, in denen die einzelnen Körnchen 
aber offenbar nur einen losen Zusammenhalt miteinander haben, sodaß 
sie sich bei der geringsten Kraft voneinander trennen. Diese Arten von 
Staub könnten im mikroskopischen Bilde lockergefügten Schneemassen 
(Pulverschnee) verglichen werden. 


Von der Haut aus. 


Die Versuche wurden in der. gleichen Weise angestellt wie beim Para- 
nitrophenol, nur wurden bei den gestorbenen Tieren gleich nach dem Tode 
die auf der Haut noch vorzufindenden Giftmengen bestimmt, sodaß ein 
Anhaltspunkt für den wirklich in den Organismus eingedrungenen Anteil 
gegeben war. Die Versuchsergebnisse sind in der folgenden Tabelle zusam- 
mengestellt. 


Aus der Tabelle 111 ist zu ersehen, daß Orthoparanitrophenol von der 
Haut aus ein kräftig wirkendes Gift ist. Sein Verhalten unter den ver- 
schiedenen Modifikationen der Versuchsbedingungen ist ganz analog dem 
des weiter oben betrachteten Paranitrophenols, nur daß dieses im ganzen 
das schwächer wirkende Gift ist. 





Von Dr. K. B. Lehmann und Dr. Ludwig Schmidt-Kehl. 383 


l Tabelle II. 
Wirkung des Orthoparanitrophenoles auf Katzen von der Haul 
aus. I. Gift trocken aufgestreut. 





| 


des | 












A P Ll ap = 

Dis bp = 3 y ES Sy "== E So 
E = es Tan Bon SE Sfr 
YE ta >g 932 - Ya Spa 30g SENTE 
= E o” Sa vin Er SS ke „| ug“ Wirkung auf die Katze 
GEI SE =2 DaS ass || SEE 
Aa ae a= oc aa Il éi El wm 
ai GE: = Se qe ac gl er 

a së E dd? 205% 

2320 80 |Geschoren 2 Tage krank 

verendet nach 14 Stunden 
0 


1 Tag krank 

4 Tage krank 

verendet nach 3 Tagen 
1 Tag krank 

verendet nach 20 Stunden 


0 -1 3 rg Sir 


verendet nach 12 Stunden 
3 Tage krank 
verendet nach 4% Stdn. 


In den vorliegenden Versuchen wurde bei den auf etwa 1 mm Haar- 
länge geschorenen Tieren das Gift sofort nach der Haarentfernung aufge- 
bracht, bei den rasierten nach 24 Stunden. 

Zur Erzielung von den Erscheinungen an den Katzen war — roh ge- 
schätzt — etwa zehnmal mehr Gift nötig als bei subkutaner Darreichung. 
Die erforderlichen Giftmengen waren bei den geschorenen Tieren größer als 
bei den rasierten. Die Vermischung des Giftes mit Schweinefett steigerte 
seine Wirkung außerordentlich, sodaß auch die Unterschiede zwischen 
geschorenen und rasierten Tieren verwischt erschienen. Diese steigernde 
Wirkung des Fettzusatzes erklärt die den Gewerbeärzten längst bekannte 
Tatsache, daß Vergiftungen mit lipoidlóslichen von der Haut aus wirkenden 
Stoffen an heißen schwülen Tagen viel häufiger sind als an kühlen: Die 
schwitzende Haut ist aufgelockert und feucht (was das Haften des Giftes 
erleichtert), zudem auch fettreicher. Der Schweiß enthält etwas lipoidlös- 
liche Anteile, auch dürften die Talgdrüsen beim Schwitzen stärker sezer- 
nieren. Ä 

In einem weiteren Versuch erwies sich das Orthoparanitrophenol von 
zwei geschwürigen Granulationsflächen von etwa 2 qem Größe aus als 
wenig wirksam. 300 mg trocken aufgestreutes Gift hatten wohl eine 
lokale eitererregende und gewebezerstörende, aber keine allgemeine Wir- 
kung. Die Sektion der verendeten Tiere ergab die nun mehrfach beschrie- 
benen Veränderungen. In einem Falle (Katze Nr. 13) wurden in der 
Haut selbst 30 mg Orthoparanitrophenol wiedergefunden, die also nicht 
in den Kreislauf gelangt sind. 

Es ist oben darauf hingewiesen worden, daß perkutan mehr Gift not- 
wendig ist, als subkutan, ein auf den ersten Blick befremdendes Resultat. 


384 > Die Mono- und Dinitrophenole als gewerbliche Gifte. 


Es wird sich jedoch wohl so erklären, daß ein Teil des perkutan eindringenden 
Giftes in der Haut stecken bleibt und daß die Eintrittsgeschwindigkeit so 
gering ist, daß in der Zeiteinheit nur kleine bei gutem Funktionieren der 
Ausscheidungsorgane zum großen Teil wieder aus dem Körper ent- 
fernt werdende Mengen eindringen; bei subkutaner Injektion dagegen 
findet eine rasche Überschwemmung des Körpers statt, der gegenüber die 
Ausscheidungsorgane versagen. 


Zur Totenstarre bei Nitrophenolvergiftung. 


Im vorhergehenden wurde an verschiedenen Stellen bei den beobach- 
teten Vergiftungen eines vom Normalen abweichenden Verlaufs der Toten- 
starre gedacht. Am charakteristischsten zeigten sich die Erscheinungen 
beim Orthoparanitrophenol. Die Totenstarre war hier wenige Minuten 
nach dem Tode soweit vorgeschritten, daß die Versuchstiere, an den Hinter- 
beinen gefaßt, steif wie ein Stock, wagrecht in den Raum gehalten werden 
konnten, ohne sich durchzubiegen. 

Ähnliche Beobachtungen hat Th. Weyl!) bei Dinitrokresolvergiftung 
gemacht, ohne dem Befund jedoch genauer nachzugehen. Zunáchst wurden 
Versuche an Kaninchen ausgeführt, denen Orthoparanitrophenol mit der 
Magensonde eingegeben worden war. 

Bei Kontrolltieren, die durch Schwefelwasserstoff oder durch Schlag 
in den Nacken getötet worden waren, trat etwa 1, Stunde nach dem Tode 
geringe Starre der Kaumuskulatur auf; sie griff dann auf Nacken, hintere 
und zuletzt vordere Extremitäten über. Nach etwa 6 Stunden war die Starre 
maximal. Von einer Lösung war nach 24 Stunden noch nichts zu konsta- 
tieren, nach zweimal 24 Stunden begann sie an den Vorderbeinen und ging 
dann in umgekehrter Reihenfolge wie die Erstarrung weiter. Die Reaktion 
der starren Muskeln war, mit Lackmuspapier geprüft, stets mehr oder 
weniger sauer. 

Ganz anders bei den Orthoparanitrophenol-Tieren. Nach Y, Minute 
war die Kaumuskulatur starr, nach wenigen Minuten der ganze Körper; die 
Reihenfolge der Erstarrung war die gleiche wie bei den Kontrolltieren. Die 
Reaktion der starren Muskeln war jedoch in allen Fällen alkalisch gegen 
Lackmus. Es wurde dies 1904 in der Smitmansschen Dissertation be- 
schrieben. Die Lösung der Starre stellte sich verhältnismäßig früh ein. Nach 
24 Stunden war sie schon deutlich in den Vorderbeinen, weniger in den 
Hinterbeinen und der Kaumuskulatur eingetreten. Ebenso wie bei der 
gewöhnlichen Totenstarre erfolgte also die Lösung bei den verschiedenen 
Muskelgruppen umgekehrt wie die Erstarrung. 

Nervöse Momente konnten für das Zustandekommen der frühen Mus- 
kelstarre bei Orthoparanitrophenol ausgeschlossen werden: Durchschnei- 
dung des Nervus ischiadicus sub finem vitae oder unmittelbar post mortem 
bewirkte keine Verspätung des Eintritts der Starre in dem zugehörigen 
Gliede. 

Dagegen versprach die auffállige alkalische Reaktion der Muskeln der 
vergifteten Tiere Aufklárung zu bringen. 


1) Th. Weyl, Die Teerfarben I. 62. 1889. 


e Von Dr. K. B. Lehmann und Dr. Ludwig Schmidt-Kehl. 385 


Du Bois Reymond stellte im Jahre 1859 in einer epochemachenden 
Arbeit die saure Reaktion des erstarrten Muskels fest im Gegensatz zu der 
neutralen oder alkalischen des frischen. Seitdem wurden verschiedene 
Ursachen der Muskelstarre beobachtet; eine ganze Reihe chemischer Körper 
vermag Muskelstarre zu erzeugen, die man in diesem Falle als „chemische 
Muskelstarre‘ bezeichnet. Nach der neuesten zusammenfassenden Darstel- 
lung O. v. Fürth’st) lassen sich die bisher beobachteten Erscheinungen 
der chemischen Muskelstarre und ihrer Lösung aus dem Ineinandergreifen 
dreier mannigfach kombinierten Faktoren erklären: Der Säurequellung 
gewisser Elemente der Muskelfaser, der Fixation der dadurch hervor- 
gerufenen Kontraktur durch Eiweißgerinnung, sowie der Dehydratation 
der gequollenen Elemente bei fortschreitender Gerinnung, welche mit 
einem Erschlaffungsvorgang einhergeht. Auch die sogenannte kataleptische 
Starre des Schlachtfelds ist eine Milchsäurestarre. 

Die Orthoparanitrophenolstarre mußte etwas anderes sein, denn es 
fehlte die saure Reaktion des starren Muskels! 

Zur weiteren Aufklärung wurden daher Versuche am Frosch und an 
der Katze herangezogen. Tabelle 4 berichtet über die Froschversuche. Je 
2 Versuche gehören zusammen, die ungraden Nummern betreffen Nitro- 
phenolfrösche, die graden normale Frösche, die im Augenblicke des Todes 
der andern getötet wurden. Bei Nr. 3 und 4 wurde den Fröschen tags zuvor 
eine Säurefuchsinlösung, die an und für sich unschädlich ist, unter die 
Rückenhaut gespritzt; an so vorbehandelten Tieren färben sich sauer rea- 
gierende Körperstellen rot. Bei Nr.5 und 6 wurde im Kochsaft der Musku- 
latur die Wasserstoffionenkonzentration festgestellt (je kleiner die Zahlen 
für „PH“ sind, um so saurer ist die Reaktion!). 


Tabelle IV. 
Orthoparanitrophenolvergiftung beim Frosch. 
Totenstarre und Reaktion des Muskelkochsaltes. 








Beobachtete Erscheinungen 





Nr. Todesursache 
1—2 Stunden 6 Stunden 16—24 Stdn. | 42—48 Stdn. 
nach dem Tod nachdem Tod nach dem Tod | nach dem Tod 
I | Orthoparanitrophenol Totenstarre Totenstarre | Lösung der 
| Totenstarre 
2 Dekapitation und —- Totenstarre | teilweise 
Rückenmark- Lösung der 
Ausbohrung | Totenstarre 
3 | Orthoparanitrophenol | Totenstarre | Totenstarre | Totenstarre 
4 Dekapitation und | — | Totenstarre 
túckenmark- | Rótung der 
Ausbohrung | Muskulatur 
5 | Orthoparanitrophenol | Totenstarre 
PH 6,8 
6 Dekapitation und PH 6,7 PH 6,5 Totenstarre 
Rúckenmarkausbohr. PH 6,4 


1) Ascher-Spiro, Ergebnisse der Physiologie. Jahrgang 17 (1919), 


386 ` Die Mono- und Dinitrophenole als gewerbliche Gifte. 


Die Totenstarre tritt beim Frosch in Abhängigkeit von der Außentem 
peratur verschieden rasch auf. Nach den vorliegenden Versuchsergebnissen 
wurden die vergifteten Frösche aber stets wesentlich früher starr als die getö- 
teten. Bei den vergifteten Fröschen wurde Totenstarre beobachtet bei noch 
fast neutralem Py von 6,8, bei den Kontrollfröschen erst bei Py 6,4, bei 
welcher Wasserstoffionenkonzentration Säurefuchsin längst starke Säue- 
rung der Gewebe anzeigte. 


Ganz analog verliefen die Versuche bei Katzen, nur daß hier, wie ge- 
schildert, die Totenstarre bei Orthoparanitrophenol stets in wenigen Minuten 
maximal war. Im Muskelkochsaft zweier normaler Katzen fand sich, 
sofort nach dem Tod bei Abwesenheit von Starre untersucht, eine Wasser- 
stoffionenkonzentration von 7,1 bezw. 7,2. Die Totenstarre trat erst 
20 Stunden nach dem Tode ein bei stark vorgeschrittener Säuerung der 
Muskulatur von Py 6,5 bezw. 6,3. Bei zwei vergifteten Katzen dagegen, 
die sofort nach dem Tod Starre aufwiesen, wurden noch 6 Stunden nach 
dem Tod 6,9 bezw. 7,0 festgestellt. Einige Versuche, die den Säure-Alkali- 
Index nach Wacker!) bestimmten, hatten die gleichen Resultate wie die 
Ermittlung der Wasserstoffionenkonzentration. 


Hierdurch ist gezeigt, daß die Orthoparanitrophenol-Starre keine 
Milchsäurestarre ist und sich somit von den bisher bekannten Formen 
der chemischen Muskelstarre als etwas prinzipiell Verschiedenes abhebt. 
Orthoparanitrophenol und wahrscheinlich ebenso Paranitrophenol, das 
gleich zu besprechende Diorthonitrophenol und das verwandte von Th. 
Weyl beobachtete Dinitrokresol erzeugen Muskelstarre, ohne gleichzeitig 
Veranlassung zu Milchsäurebildung zu geben. 


D. Versuche mit Diorthonitrophenol. y 


Beilstein gibt über unsern Körper an: ,,Hellgelbe, kurze, feine 
Nädelchen (aus Wasser), derbe, lange Nadeln (aus Chloroform). ” Schmelz- 
punkt: 61,78% Läßt sich bei vorsichtigem Erhitzen sublimieren. Löst 
sich in kaltem Wasser etwas mehr, in kochendem weniger als Orthopara- 
nitrophenol; sehr leicht löslich in Benzol, Chloroform, Äther, siedendem 
Alkohol.“ = 


Zu den vorliegenden Versuchen wurde ein Präparat verwendet, das 
geringe Mengen Orthoparanitrophenol neben großen Mengen Diorthoni- 
trophenol enthielt. Kaninchen vertrugen subkutan bis zu 50 und 60 mg 
pro kg von dem Präparat, ohne schwerere Erkrankung; 80, 85, 87 und 90 
mg töteten unter den gleichen Symptomen wie Orthoparanitrophenol 
innerhalb Y, bis Si, Stunden. Die Totenstarre verlief genau wie bei den 
Orthoparanitrophenol-Tieren. 


Bei der Katze wurden 17 mg pro kg noch gut vertragen, 27 machten 
schwere Vergiftungserscheinungen, die aber in Genesung übergingen, und 
50 mg töteten unter den beschriebenen Erstickungssymptomen. 


1) Virchows Archiv, Bd. 236, S. 225. 


Von Dr. K. B. Lehmann und Dr. Ludwig Schmidt-Kehl. 387 


Zusammenfassung. 


Der Verlauf eines Falles von gewerblicher Orthoparanitrophenol-Ver- 
giftung mit tötlichem Ausgang wird geschildert. 

Aus den Tierversuchen ergibt sich: 

Die Katze, das dem Menschen in seinem Verhalten gegen Gift ähn- 
lichste Versuchstier verträgt ohne ernste Erkrankung pro kg Körpergewicht: 


Paranitrophenol etwa 100 mg 
Orthonitrophenol etwa 200 mg 
Orthoparanitrophenol etwa 20 mg 
Diorthonitrophenol etwa 20—25 mg 


Bei den um Y, hóheren Dosen tritt im allgemeinen der Tod cin (125, 250, 25, 
30—40 mg). Diese Zahlen sind durch subkutane Injektion der Gifte ge- 
funden, vom Magen aus diirften die entsprechenden Dosen etwa 50%, hóher 
sein; gleichzeitig aufgenommener Alkohol verstárkt die Wirkung. 


Beim Orthoparanitrophenol als dem technisch und hygienisch wichtig- 
sten der A Stoffe erwies sich die wochenlange Einatmung einer Luft, die bei 
Zimmertemperatur mit dem Dinitrophenoldampf gesättigt war, als un- 
schädlich. Mit derselben Verbindung wurden Staubinhalationsversuche 
angestellt mit negativem Ergebnis. Besonders darauf gerichtete Unter- 
suchungen erwiesen die geringe Verstäubbarkeit der Substanz im Vergleich 
mit anderen gewerblichen Staubarten. 


Die Wirkung von der Haut aus wurde bei Paranitrophenol und bei 
Orthoparanitrophenol geprüft. Die erforderlichen Dosen waren etwa 
zehnmal so groß wie bei subkutaner Darreichung. Bei rasierten und mit 
Enthaarungsmitteln behandelten Tieren wurde weniger Gift als bei nur 
geschorenen benótigt. Der Zusatz von Schweinefett zu den (in Wasser 
schlecht, in Lipoiden gut löslichen) Substanzen steigerte ihre Wirksamkeit 
beträchtlich. | | 

Längere Verabreichung kleiner Dosen bringt keine kumulative Wirkung 
hervor, vielmehr scheint die Möglichkeit einer Gewöhnung vorzuliegen. 

Der Tod erfolgt an innerer Erstickung, deren Mechanismus zu ver- 
folgen ist, Blutveränderungen (Methaemoglobinbildung) waren nicht über- 
all nachzuweisen. In zweiter Reihe stehen Einwirkungen der (lipoidlös- 
Tichen) Mono- und Dinitrophenole auf das Zentralnervensystem. Eine 
spezifische Affinität zum Muskelsystem läßt die beobachteten Stoffe (mit 
Ausnahme des Orthonitrophenols) eine äußerst rasch auftretende Toten- 
starre erzeugen. Diese unterscheidet sich von den bisher bekannten For- 
men der chemischen Muskelstarre dadurch, daß sie nicht auf dem Weg über 
Milchsäurebildung, sondern bei nahezu neutraler Reaktion erfolgt. 

Die Giftigkeit der Mononitrophenole ist nach dem Gesagten unbedeu- 
tend, diejenige der Dinitrophenole erheblich größer, aber immerhin noch 
bescheiden. Gewerblich kommt die Vergiftung durch Aufnahme auf dem 
Atmungsweg infolge der äußerst geringen Verstäubbarkeit. für gewöhnlich 
nicht ın Betracht. Nur ganz unachtsames Arbeiten könnte dem Arbeiter 
wirksame Mengen in die Respirationsorgane schleudern. — Ob praktisch 
die Aufnahme vom Verdauungskanal aus von Bedeutung ist, bleibt uns 


388 : Die Mono- und Dinitrophenole als gewerbliche Gifte. 


fraglich; daß eine gewisse Hautbeschaffenheit, verbunden mit nachlässigem 
Fabrikbetrieb genügende Mengen aufzunehmen gestattet, ist wohl sicher. 
Die Tatsache, daß nur vereinzelte Arbeiter erkranken, scheint darauf hin- 
zudeuten, daß mehrere Umstände zur Erkrankung zusammentreffen müs- 
sen: Arbeitsweise, Hautbeschaffenheit (Talg- und Schweißsekretion), Klei- 
dung, Alkoholaufnahme usf. Ob auch eine konstitutionelle Disposition 
besteht, bleibt fraglich; die einzelnen Tierindividuen reagierten meist recht 
ähnlich. Prophylaktisch ist Bekämpfung des Fabrikstaubs, Reinlichkeit 
der Haut und häufiger Wechsel der Arbeitskleidung notwendig. 


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