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FUR |
LARYNGOLOGIE
UND
RHINOLOGIE.
BEGRÜNDET VON BERNHARD FRÄNKEL.
HERAUSGEGEBEN VON |
Pror. Dr. 0. CHIARI, ProF. Dr. GEORG FINDER, Pror. Dr. PAUL GERBER,
A.O. PROF., DIREKTOR DER POLI-
K. K. HOFRAT. ORD. PROF., VOR- BERLIN.
STAND DER KLINIK FÜR KEHL- KLINIK FÜR HALS- UND NASEN-
KOPF- UND NASENKRANKHEITEN KRANKE AN DER UNIVERSITÄT
AN DER UNIVERSITÄT WIEN. KONIGSBERG I. PR.
Pror. Dr. 0. KAHLER, Pror. Dr. G. KILLIAN, Pror. Dr. H. NEUMAYER,
AO. PROF. DIREKTOR DER UNI- GEH. MED.-RAT, ORD. PROF., A.O. PROF., VORSTAND D. LARYNGO-
RHINOLOGISCHEN POLIKLINIK AN
VERSITATS-KLINIK UND POLI- DIREKTOR D.KLINIKU. POLI-
KLINIK FÜR HALS- UND NASEN- KLINIK FÜR HALS- U. NASEN- DER UNIVERSITÄT MÜNCHEN.
KRANKE IN FREIBURG I. B. KRANKE AN D. UNIV. BERLIN.
Pror. Dr. 0. SEIFERT, Prop. Dr. G. SPIESS,
A.O. PROF., VORSTAND DER UNIV.- GEH. SAN.-RAT, DIREKTOR D. HALS-
POLIKLINIK FÜRNASEN-U.KEHL- UND NASEN - KLINIK AM STÄDT.
KOPFKRANKE IN WÜRZBURG. KRANKENHAUSE FRANKFURT A./M.
REDIGIERT VON G. FINDER.
Achtundzwanzigster Band.
Mit 9 Tafeln und Textfiguren.
BERLIN 1914.
VERLAG VON AUGUST HIRSCHWALD. -
NW. 7. UNTER DEN LINDEN 68.
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IV.
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XIV.
N.
Inhalt.
Die Bedeutung der Schwebelaryngoskopie für das Kindesalter.
Von Privatdozent Dr. W. Albrecht (Berlin) .
Die Operation des ra ia Von Dr. F. Neumann
(Wien). (Hierzu Tafel I.) ;
Die akut-infektiösen Halsentzändungen. Von Prof. A. Kuttn er
(Berlin)
Ueber Arthritis crico- ärvtaenbiden rheumatica acuta and mit der
selben klinisch verwandte Larynxleiden. Von S. H. Mygind
(Kopenhagen). (Mit 1 Textfigur.) ee ee e
Die Nebenhöhlenerkrankungen im Kindesalter. Von Dr. med.
Fritz Schlemmer (Wien) . í ;
Ein Fall von multiplem Plasmazytom der oberen Lufiwege. Yon
Dr. Hans Wachter (Erlangen)
Zur Frage der Kehlkopf- und Luftröhren- Verlagerung bei Ver-
änderungen der Thoraxorgane. Von Dr. K. M. Menzel (Wiea).
(Mit 1 Textfigur.) . ;
Ueber ein transitorisches Faltensystem ir im Se Dale posterior
und im rückwärtigsten Teil des Nasenbodens nebst Beiträgen zur
Histologie des weichen Gaumens. Von Privatdoz. Dr. W. Anton
(Prag). (Hierzu Tafel II.) ;
Die chronische Entzündung der Speicheldrüsen. Von Dr. 0. Heine-
mann (Berlin) ‘
Ueber Tonsillitis chronica fossulatié ee Seitensirangs; (Pharyngitis
lateralis chronica fossularis.) Von Dr. O. Levinstein (Berlin)
Experimentelle Untersuchungen über das Eindringen von Gasen,
Dämpfen und zerstäubten wässerigen Lösungen in die Nasen-
nebenhöhlen. Von Dr. Ciro Caldera (Turin). (Mit 2 Textfiguren.)
Weitere Beobachtungen über einige anatomische und klinische Be-
ziehungen zwischen Keilbeinhöhle und Sinus cavernosus und dem
IIL, 1IV., V. und VI. Hirnnerven, sowie dem N. Vidianus. Von
Greenfield Sluder, M. D. (St. Louis)
Kasuistik des Krankenmaterials der Kgl. ane arisenen oe
gologischen Universitatsklinik in den Jahren 1910— 1912. Nebst Be-
sprechung der interessanten Fälle. Von Dr. Desiderius Dörner
(Budapest)
Ueber Totalexstirpation atrophischer Tonsillen. Von Dr. 0. Heino-
mann (Berlin)
Die Häufigkeit der Gaumen: and Rachenmandeliyperplasie nach
Untersuchungen an 500 Knaben einer Besserungsanstalt. Von
Dr. Max Toeplitz (New York).
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130
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139
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XVI.
XVII.
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XIX.
XX.
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XXIV.
XXV.
XXVI.
XXVII.
XXVIII.
XXIX.
XXX.
XXXI.
XXXII.
XXXII.
ANALY,
XXXV.
XXXVI.
Inhalt.
Bemerkung. Von Dr. Schoetz (Berlin)
Die typischen Varianten der Gaumenmandeln ind der Mandel-
gegend. Deskriptive, vergleichend-anatomische und entwicklungs-
geschichtliche Studie. Von L. Grünwald (München). (Hierzu
Tafel Ill und 41 Textfiguren.)
Neue experimentelle Feststellungen ope die ahysiolowischie: Be-
deutung der Tonsillen. Von Privatdozent Dr. Fritz Henke
(Königsberg i. Pr.). (Hierzu Tafel IV.) a E E E
Zur intranasalen Operation am Tränensack. Von Dr. Halle
(Charlottenburg). (Mit 8 Textfiguren.) . rt
Zur Kenntnis des metastatischen Tonsillerdateinene: Von Dr.
Adolf Stoll (Freiburg i. Br.) . . .
Experimentelle Untersuchungen zur Mechanik det inltakraniellen
und zerebralen Komplikationen der Stirnhöhlenentzündungen.
Von Dr. Hugo Zwillinger (Budapest). (Hierzu Tafel V.) .
Beiträge zur Pathologie und Therapie der Kieferhöhleneiterungen.
Von Oskar Radzwill, Medizinalpraktikant Bi
Zur Lehre von den Bronchialfremdkörpern. Von Dr. A. Rethi
(Budapest). (Mit 2 Textfiguren.)
Beitrag zur endobronchialen Behandlung fics Kea Poua
Von Dr. Ernst Schlesinger (Wiesbaden)
Ueber die Halscysten. (Eine anatomische Studie.) Von Privat-
dozent Dr. Ettore Greggio (Padua) .
„ Dysphonien nach Chloroformgebrauch. Von Dr. c. Canes
° (Genua) oe te He
Neue Nasen- und Kénikop(hnsteamente: Won Dr. E. Ts völgyi.
(Mit 8 Textfiguren.) :
Erklärung. Von Prof. A. Ka etwer oe. vse
Bemerkung. Von Dr. R. [mhofer (Pr rag) .
Berichtigung. Von S. H. Mygind .
Ueber die Degeneration funktionell gelähmter Kehlkopfmuskeln
und die „Inaktivitätsatrophie“. Von Grabower (Berlin). en
Tafel VI.) .
Die perkanalikuläre Pränensschäufchätechang als Einlekusg zur
intranasalen Tränensackeröffnung und als selbständige Operation.
Von Dr. med. Borys Choronshitzky sen. (Warschau). om
10 Textfiguren.)
Ueber die anatomischen Tarebesehingen. dies Tränensacks zur
Nase, sowie über eine Methode zur Bestimmung der Lage des
Tränensacks an der seitlichen Nasenwand. Von Regimentsarzt
Dr. W. Zemann (Wien). (Mit 3 Textfiguren.)
Untersuchungen über den elastischen ApparatdesTr acheobronéhial
baumes, seine physiologische und pathologische Bedeutung. Von
Dr. Yugo Yokoyama aus Japan a
Ueber Reimplantation von Zähnen aus Kiefareyalen. Von Dr.
E. Lautenschläger (Frankfurt a. M.). (Mit 3 Textfiguren.)
Ueber die Anwendung von Arsenobenzol (606) in Fällen von
Sklerom der oberen Luftwege, in Fällen von Lues und Tuberkulose,
wie auch in einigen Fällen von zweifelhafter Diagnose. Von
Primararzt Dr. Leopold Lubliner (Warschau) .
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XXXVIII.
XXXIX.
XL.
XLII.
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XLIV.
XLV.
XLVI.
XLVII.
NXNLVIII.
XLIX.
Inhalt.
Eine neue Methode der Allgemeinnarkose. (Vorläufige Mitteilung).
Von Dr. W. Freudenthal (New York) :
Beitrag zur Kenntnis der Speiseröhrenverletzung bèi der Ose:
phagoskopie. Von Dr. Karl Amersbach (Freiburg i. Br.).
(Hierzu Tafel VII.) ;
Ueber Ursachen der Hypertrophie and Atrophie der Nasenschlein:
haut. Von Dr. med. F. Diebold (Zürich) .
Klinischer Beitrag zu den Knorpelgeschwülsten des Kehlkopfs.
Von Knud Salomonsen (Kopenhagen)
Amöbenbefund in einer Kiefercyste. Von Privatdozent Dr. Viktor
Guttmann (Prag). (Hierzu Tafel VIIL und IX.) . . .
Die Behandlung der multiplen Kehlkopfpapillome mittels Radium.
Von Th. J. Harris, A.M.,M.D. (New York). (Mit 7 Textfiguren.)
Ein Fall von Rachenteratoid. Von Dr. Casimir Dombrowski
(Warschau). (Mit 2 Textfiguren.) .
Ein verkalktes an Von Dr. julian Chöronshitzky
(Warschau)
Eine neue Gesichiariaske zum Schutz Wegen Tröpfcheninfektion
für Rhino-Laryngologen. Von Dr. E. Lautenschläger (Frank-
fart a. M.). (Mit 2 Textfiguren.) :
„Der eitersaugende Nasenhöhlenspiegel“ oder Zein Sieglescher
Trichter für dieNase“. Bemerkungen vonDr. Levinger (München)
Bemerkung. Von Prof. J. Aug. Hammar (Upsala)
Erwiderung. Von L. Grünwald (München) :
Nachtragliche Bemerkung. Von Dr. Oskar Radzwill
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I.
Aus der Universitäts-Klinik und -Poliklinik für Hals- und Nasenkranke
zu Berlin.
Die Bedeutung der Schwebelaryngoskopie fiir das
Kindesalter.
Privatdozent Dr. W. Albrecht.
Das Wesen und der Zweck der Schwebelaryngoskopie ist von Killian
genau beschrieben worden. Etwas Grundsätzliches hat sich an der
Methode seit seiner Publikation nicht geändert, nur das Instrumentarium ist in
mancher Hinsicht verbessert worden. Die Verbesserungen wurden von mir
in der Berliner klinischen Wochenschrift 1912 No. 28 und 44 und von
Killian in seiner Demonstration im Verein Deutscher Laryngologen 1913
veröffentlicht.
Es ist hier nicht der Ort, auf die allgemeine Technik der Methode
einzugehen. Es sei nur erwähnt, dass im wesentlichen dieselben Regeln
und Grundsätze gelten dürfen, wie sie für jede direkte Untersuchung zu
Recht bestehen. Wir können daraus im speziellen entnehmen, dass sich
das Verfahren für die Einstellung des kindlichen Kehlkopfes besonders
gut eignet, da hier so gut wie immer günstige Bedingungen vorliegen:
Der Hals ist schlank, leicht beweglich, die Muskulatur durch die tiefe
Narkose schlaff und der Kehlkopf selbst noch nicht nach vorn gelagert.
In den ersten Lebensjahren neigt zudem die Epiglottis nur wenig nach
hintenüber, sodass meist schon ein Druck auf den Zungengrund die
Stimmbänder erkennen lässt. Das einzig Unangenehme ist die Narkose,
die sehr tief sein muss und deshalb leicht zu Störungen führt.
Unsere klinischen Erfahrungen beim Kinde erstrecken sich in aller-
erster Linie auf die Behandlung der Papillome, seltener der Tuber-
kulose.
Papillome.
Zu der Behandlung der kindlichen Kehlkopfpapillome geben wir zu-
nächst kleine Jodkaliumgaben, die den Zweck haben, nach der Operation
die Ausheilung zu begünstigen. Gegen die Papillome selbst hat die
Medikation nach meinen Erfahrungen keine nennenswerte Wirkung. Hier
Archiv für Laryngologie. 28. Bd. 1. Heft. 1
2 W. Albrecht, Die Schwebelaryngoskopie im Kindesalter.
hilft nur die Operation, die so gründlich wie möglich alle Geschwülste
entfernen muss. Wir gehen dabei so vor, dass wir nach Einstellung des
Kehlkopflumens zunächst mit der schneidenden Doppellöffelzange die
Papillome im groben entfernen. Erscheint das Lumen frei, so kratzen
wir mit einer einfachen Kürette über die Schleimhaut unter mässig starkem
Drucke weg. Es lässt sich dabei beobachten, dass das kranke Gewebe
abgeschabt wird, während das gesunde dem Instrument Widerstand leistet
und zurückbleibt. Speziell die Gegend unterhalb der vorderen Kommissur,
wo leicht kleine Papillomreste übersehen werden, wird mit besonderer
Sorgfalt gereinigt. Die Blutung, die dabei eintritt, stört das Operieren
kaum in nennenswerter Weise, da wir zweihändig operieren können und
die linke Hand abtupft, während die rechte das Instrument führt. Auch
pflegt die Blutung so gering zu sein, dass sie auf Betupfen mit Adrenalin
sofort steht. Zum Schluss erfolgt eine gründliche Revision des Kehlkopfs:
Es werden die Taschenbänder und Stimmbänder mit einer Sonde beiseite
gedrängt und der Morgagnische Ventrikel sowie der subglottische Raum
nach Papillomen abgesucht. Finden sich noch irgend welche Reste, so
müssen sie mit Zange und Kürette entfernt werden. Um später eine
brauchbare Stimme zu bekommen, pflegen wir ausserdem noch die Stimm-
bänder mit einer feinen Doppelkürette zu „polieren“, d. h. alle irgend-
wie vorspringende Zacken und Unebenheiten abzutragen.
Krankengeschichten (im Auszug).
Fall ı. Elli K., 9 Jahre alt, schwächliches Kind. Seit 2 Jahren Heiserkeit
und Atemnot, die allmählich zunahm und vor 1!/, Jahren zur Tracheotomie
führte. Es wurde bisher verschiedentlich versucht, auf indirektem und direktem
Wege die Papillome zu entfernen, doch nur mit geringem Erfolg.
Kehlkopfbefund am 10. Oktober 1911. Die Spiegeluntersuchung gelingt nach
Kokainisierung des Rachens. Man sieht dabei das Kehlkopflumen vollkommen von
papillomatösen Wucherungen verlegt, die von den Taschenbändern, der vorderen
Kommissur und der Hinterwand ausgehen. Die Stimmbänder sind nicht zu er-
kennen. Es macht den Eindruck, dass der Kehlkopf an der Atmung überhaupt
nicht beteiligt ist; schliesst das Kind die Tracheotomiekanüle mit dem Finger,
so hört die Atmung völlig auf.
Der Versuch, auf indirektem Wege die Papillome zu entfernen, scheitert an
der Empfindlichkeit der kleinen Patientin, die trotz Pinselns mit 20 proz. Kokain-
lösung beim Eingehen mit der Zange stark hustet. Jodkali innerlich.
20. Oktober Operation. Direkte Laryngoskopie in Chloroform - Narkose.
Pinseln des Kehlkopfs mit 10 proz. Kokain-Adrenalinlésung unter Leitung des
Fingers. Einführung des Brüningsschen Kinderspatels gelingt bei Seitenlage
des Kindes leicht. Man sieht das oben beschriebene Bild: Das ganze Kehlkopf-
lumen ist mit Papillomen ausgefüllt. Abtragen mit der schneidenden Doppellöffel-
zange. Eine mässige Blutung, die den Einblick stört, lässt sich mit Adrenalin-
tupfern stillen. Nach Reinigung des Gesichtsfelds sieht man subglottisch noch
einige Papillome, die mit der Zange entfernt werden. Das Lumen scheint frei
zu sein.
W. Albrecht, Die Schwebelaryngoskopie im Kindesalter. 3
21. Oktober. Der Eingriff wurde gut vertragen. Kein Fieber. Patientin
steht auf.
8. Dezember. Kehlkopfbefund im Spiegelbild: Das Lumen wird von Pa-
pillomen vollkommen verlegt, die blumenkohlartig aus der Tiefe kommen.
10. Dezember. Direkte Laryngoskopie in Chloroformuarkose bei Seitenlage
des Kindes. Ausräumung der Papillome mit der Doppellöffelzange,
11. Dezember. Operation gut vertragen.
20. Dezember. Die Spiegeluntersuchung zeigt im Kehlkopf an verschiedenen
Stellen kleine Rauhigkeiten und höckerige Exkreszenzen: an der vorderen Kom-
missur, an den Stimmbändern und Taschenbändern wie auch in der Arygegend.
1. Februar 1912. Kehlkopflumen wieder vollkommen mit Papillomen aus-
gefüllt. Direkte Laryngoskopie in Seitenlage mit Chloroformnarkose. Ausräumung
mit der Zange.
5. April. Der Kehlkopf wieder mit Papillomen übersät. Schwebelaryn-
goskopie in Chloroformnarkose. Nach Pinseln der Kehlkopfschleimhaut mit
10 proz. Kokainlösung gelingt die Einführung des Spatels leicht. Lumen deutlich
zu übersehen. Entfernung der Papillome mit der Doppellöffelzange und der
Doppelkürette. Austupfen des Kehlkopfs mit Wasserstoffsuperoxyd.
6. April. Eingriff gut vertragen.
8. Mai. Am linken Stimmband unebene Höcker, die sich indirekt abtragen
lassen, sonst Kehlkopf frei.
15. Juli. An beiden Stimmbändern und an der Hinterwand kleine Höcker
und Wärzchen. Auch subglottisch Rauhigkeiten. Stimme vorhanden, doch heiser.
Erneute Schwebelaryngoskopie. (Technik wie oben.) Gründliche Abtragung der
einzelnen Papillome. Zur Einstellung des Morgagnischen Ventrikels und des
subglottischen Raumes werden die Stimm- und Taschenbänder mit einer Sonde
beiseite gedrängt. Es finden sich hier ebenfalls kleine Papillomreste, die entfernt
werden, |
25. Juli. Kehlkopflumen frei. Kaniile bleibt weg.
20. September. Kehlkopf gesund. Stimmo klar. Tracheotomiewunde ge-
schlossen.
20. Dezember. Kehlkopf gesund. Stimme klar. Tracheotomiewunde ge-
schlossen.
1. Mai 1913. Gesunder Kehlkopf. Klare Stimme. Die Patientin wird mit
dem Bescheid entlassen, bei der geringsten Heiserkeit sofort wieder zu kommen.
Sie ist bis jetzt nicht mehr erschienen.
Fall 2. Th. T., 4 Jahre alt. Das Kind stammt aus Russland und wird
von einer Pflegerin gebracht, die schlecht deutsch spricht und anamnestisch
keinerlei Auskunft weiss. Das Kind trägt eine Trachealkanüle und scheint stumm
zu sein. Spiegeluntersuchung unmöglich.
30. Oktober 1911. Direkte Kehlkopfuntersuchung in Chloroformnarkose.
Seitenlage. Bei Druck auf den Zungengrund sieht man aus dem Kehlkopf einen
Strauss von Papillomen hervorkommen. Abtragung mit der Doppellöffelzange: es
lassen sich dabei grosse Stücke blumenkohlartiger Form abtrennen. Die Blutung
ist gering und lässt sich mit wenig Adrenalin stillen. Nach Säuberung der
Taschenbänder sieht man, dass von der Papillombildung beide Stimmbänder und
die subglottische Gegend ergriffen sind und der subglottische Raum von Papillo-
men angefillt ist. Bei ihrer Entfornung blutet es stärker, so dass das Gesichts-
feld nicht mehr klar erscheint, dooh macht es den Eindruck, dass das Lumen frei
1*
4 W. Albrecht, Die Schwebelaryngoskopie im Kindesalter.
sei. Während der Kehlkopf nochmals gründlich gereinigt wird, hört das Kind
plötzlich auf zu atmen, es wird blass und zeigt schlechten Puls. Kampher und
künstliche Atmung bringen Puls und Respiration zurück, doch bleibt die Atmung
ungenügend: krampfhaftes Pumpen mit der Hilfsmuskulatur bei Sauerstoffmangel.
Untere Tracheoskopie: Man sieht im oberen Drittel der Trachea ein grosses-
Papillom, das sich mit der Atmung hin und her bewegt. Nach seiner Entfernung
wird die Atmung frei, doch zeigt die Tracheoskopie, dass die Trachealschleim-
haut von kleinen Papillomen bis zur Bifurkationsgegend besetzt ist. In der Gegend
der Bifurkation selbst kommt von rechts her ein grösseres Papillom, das die At-
mung noch nicht verlegt. Es wird ebenfalls mit der Zange abgetragen, sonst wird
abgewartet, da das Kind aus der Narkose erwacht.
In der nächsten Zeit bleibt die Atmung durch die Kanüle frei, doch schon
nach 14 Tagen treten wieder Symptome der behinderten Atmung auf: Stridor und
Atemnot bei raschem Gehen. Der Junge ist vernünftig genug, sich nach Kokaini-
sieren der Trachealschleimhaut den Tubus in Lokalanästhesie durch die Tracheo-
tomiewunde einführen zu lassen: man sieht im oberen Trachealdrittel, speziell
in der Gegend, wo das untere Kanülenende der Schleimhaut anliegt, papilläre
Exkreszenzen, die nur einen schmalen Spalt offen lassen. In der Tiefe lässt sich
im Vergleich zur letzten Untersuchung keine Verschlimmerung erkennen. Ab-
tragung der Papillome. Einlegen einer längeren Kanüle. Kleine Gaben von Jod-
kali innerlich.
Im weiteren Verlauf wird der Plan verfolgt, zunächst, als das Dringendere,
die Trachealpapillome zur Ausheilung zu bringen, und später erst die Behandlung
der Kehlkopfpapillome in Angriff zu nehmen. Es erweist sich dabei als nötig, dass
durchschnittlich alle 10— 14 Tage die Trachea gesäubert wird. Die Schleimhaut
zeigt sich dabei mehr oder weniger von Papillomen besetzt, am stärksten war stets
das obere Drittel, die Gegend der Kanüle ergriffen, doch wurden auch in den
tieferen Partieen mitunter grössere Exkreszenzen abgetragen.
Eine Besserung liess sich im Laufe der nächsten 3 Monate auf diesem Wege
nicht erzielen, der Gedanke lag nahe, dass ein Zusammenhang zwischen der Affek-
tion im Kehlkopf und der in der Trachea bestehe und eine isolierte Ausheilung
der Trachealpapillome nicht u sei. Es wurde deshalb gleichzeitig wieder
der Kehlkopf behandelt.
15. Januar 1912. Direkte Laryngoskopie in Chloroformnarkose. Einführung
des Kinderspatels in Seitenlage. Das Bild ist dasselbe wie bei der ersten Unter-
suchung. Ausräumung des Kehlkopfs mit der Doppellöffelzange. Es blutet dabei
mehr als gewöhnlich, so dass die Uebersicht gestört ist. Soweit eine Beurteilung
nach Reinigung des Gesichtsfelds möglich, erscheint das Lumen frei. Der Kehl-
kopfoperation wird eine Säuberung der Trachea in Narkose angeschlossen.
In den folgenden Wochen liess die Rezidivbildung in der Trachea sichtlich
nach, doch mussten immer noch von Zeit zu Zeit kleine Papillomreste abgetragen
werden: Da der Junge sich sehr vernünftig zeigte und allmählich auch die
deutsche Sprache etwas verstand, wurde der Versuch gemacht, mit dem Kehlkopf-
spiegel zu untersuchen. Nach einiger Uebung gelang es mitunter einen Blick in
den Larynx zu tun. Es zeigte sich dabei, dass wieder das ganze Lumen mit Pa-
pillomen ausgefüllt war.
Am 26. Februar wurde abermals in Narkose auf direktem Wege der Kehl-
kopf gesäubert. Die Blutung war geringer, so dass der Einblick kaum gestört
W. Albrecht, Die Schwebelaryngoskopie im Kindesalter. 5
wurde. Die Papillome mussten wieder bis in den subglottischen Raum abgetragen
werden, besonders die Hinterwand zeigte reichlich Papillombildung.
15. März. Spiegeluntersuchung: Stimmbänder von Papillomen besetzt, an
der Hinterwand pendelt ein grösseres Stück. Subglottisch unter der vorderen
Kommissur ebenfalls bewegliche Papillome.
In der Trachea sind die Papillome zurückgegangen, nur unterhalb der
Tracheotomiewunde lassen sich noch einzelne bewegliche Geschwülste wahr-
nehmen.
1. April. Schwebelaryngoskopie in Aether-Chloroform-Narkose (Aether
und Chloroform zu gleichen Teilen). Einführung des Spatels gelingt leicht, Kehl-
kopf sehr übersichtlich. Es zeigt sich wieder das ganze Lumen von Papillomen
ausgefüllt, die z. T. über den Kehlkopfeingang hinausragen. Die Geschwülste
lassen sich mit der Zange in grossen Stücken entfernen. Nachdem das Lumen frei
geworden war, werden die Papillomreste mit der Doppelkürette genau abgetragen
und die Gesichtsfeld mit Wattepinsel, Adrenalintupfer und Speichelpumpe gereinigt.
Kleinere Unebenheiten an der vorderen Kommissur trägt noch die Zange ab.
Pinseln der Kehlkopfschleimhaut mit Wasserstoffsuperoxyd.
20. April. Spiegeluntersuchung: Der Kehlkopf zeigt keine Papillome mehr.
An der Hinterwand erscheint die Schleimhaut etwas rauh, höckerig. In der
Trachea nur wenig Papillome, Abtragung.
In den folgenden Monaten wird die Behandlung wegen einer ausgedehnten
Bronchitis, die zu beschränkten Bronchopneumonien geführt hatte, unterbrochen.
In dieser Zeit musste der Trachea besondere Sorgfalt gewidmet werden, da die
Trachealpapillome bis zur Bifurkation wieder in reichlicher Zahl auftraten und
haufige Entfernung verlangten. Zeitweise stellte sich so heftige Atemnot ein, dass
ein perforierter Nelatonkatheter in die Trachea eingelegt werden musste.
Auch im Kehlkopf hatten sich wieder Papillome gebildet. Die Spiegelunter-
suchung liess an beiden Stimmbändern und besonders in der Arygegend Ge-
schwülste erkennen, die zwischen sich noch einen schmalen Lumenspalt freiliessen.
5. Juli. Schwebelaryngoskopie. Entfernung der Papillome mit Zange und
Doppelkürette. Abkratzen der Gegend unterhalb der vorderen Kommissur mit der
einfachen Kürette, da hier die Schleimhaut höckerig uneben erscheint. Pinseln
mit Wasserstoffsuperoxyd.
31. Juli. An der Hinterwand wieder ein grösseres Papillom. Sonst Kehlkopf
anscheinend frei.
15. September. Schwebelaryngoskopie. Grosses Papillom an der Hinter-
wand, in der Gegend der vorderen Kommissur rauhe Schleimhaut, sonst Kehlkopf
frei. Abtragung, Auskratzung.
1. Oktober. Kehlkopf frei. Auch die Trachea zeigt bis auf kleine Höckerchen
keine Papillome mehr. Da sioh derRand der Tracheotomiewunde epithelisiert hat, so
besteht eine Art Tracheostoma. Es erscheint deshalb ungefährlich, die Tracheal-
kanüle wegzulassen, da der schmale Spalt jederzeit leicht erweitert werden kann.
Das Kind atmet durch den Kehlkopf.
31. Oktober. Kehlkopf frei. Aus der Trachea wird ein kleines Papillomstück
entfernt. Entlassen mit dem Bescheid, den Jungen wöchentlich einmal zur Kontrolle
in die Sprechstunde zu bringen.
15. November. Kehlkopf und Trachea frei.
15. Januar 1913, Kehlkopf und Trachoa frei,
6 W. Albrecht, Die Sohwebelaryngoskopie im Kindesalter.
3. Mai. Kehlkopf und Trachea frei. Das Kind spricht, wenn auch noch mit
heiserer Stimme. Es wird von den Eltern gegen den Willen des Arztes nach Russ-
land heimgeholt.
Fall 3. P. G., 5 Jahre alt. Seit 1/, Jahr heiser bei allmählich zunehmender
Atemnot. Bei der Aufnahme so starker Stridor und schwere Cyanose, dass sofort
tracheotomiert wird. Spiegeluntersuchung nicht möglich.
5. Oktober 1912. Schwebelaryngoskopie in Aether-Chloroform-Narkose.
Von beiden Stimmbändern ausgehende Papillome, die besonders stark im
vorderen Drittel entwickelt sind und nach hinten zu nur ein schmales Lumen übrig
lassen. Abtragung mit der Zange, Auskratzen mit der Kürette und Glattpolieren
mit der Doppelkiirette. Geringe Blutung. Morgagnischer Ventrikel frei. Kleine
Jodkaligaben.
2. November. Spiegeluntersuchung versucht, dooh kein Erfolg. Das Kind
atmet unbehindert durch den Kehlkopf, es wird deshalb die Kanüle weggelassen.
1. Mai 1913. Die Mutter kommt mit der Angabe, dass das Kind etwas schwerer
atme. Tracheotomiewunde geschlossen. Atmung unbehindert, doch wird nochmals
in Schwebelaryngoskopie untersucht. Man sieht dabei am rechten Stimmband kleine
Unebenheiten, die abgetragen werden, jedoch makroskopisch und mikroskopisch
als gesunde Schleimhaut erscheinen.
1. Juli. Die Atmung hat sich in letzter Zeit verschlechtert, es besteht mässiger
Stridor. Schwebelaryngoskopie: am vorderen Ende des rechten Stimmbandes, wo
die Exzision vorgenommen wurde, hat sich ein umschriebenes, gestieltes Papillom
entwickelt, das abgetragen wird.
Seither Atmung normal.
Fall 4. H.S., 8 Jahre alt. Seit 3/, Jahren Heiserkeit und allmählich zu-
nehmende Atemnot. Mit dem Kehlkopfspiegel sieht man beide Stimmbänder mit
Papillomen besetzt, die nach hinten einen schmalen Spalt für die Atmung frei lassen.
10. September 1912. Schwebelaryngoskopie. Bei der Narkose wird das
Kind plötzlich cyanotisch, heftiger Stridor, Atmung mit krampfhafter Anstrengung
der Hilfsmuskulatur ungenügend. — Tracheotomie. — Darauf in tiefer Narkose
Schwebelaryngoskopie, die bei Druck auf den Zungengrund gelingt. Entfernung
der Papillome mit Zange und Doppelkürstte. Jodkali innerlich.
30. September. Kehlkopf frei. Kanüle bleibt weg.
5. November. Kleine Zacke am linken Stimmband, die sich indirekt ie
tragen lasst.
28. April 1913. Kehlkopf frei.
15. Juli. Am linken Stimmband, an der vorderen Kommissur gelegen, kleine
Vorragung, die vielleicht ein Rezidiv vorbereitet. Doch ist die Stimme klar, so dass
von den Eltern ein Eingriff nicht erlaubt wird.
Fall 5. M. P., 8 Jahre alt. Spiegeluntersuchung am 2. Oktober 1911. An
beiden Stimmbändern im vorderen Drittel Papillome. Atmung nicht behindert. Der
Versuch, die Geschwülste indirekt mit der Schmidtschen Zange zu entfernen,
misslingt.
Schwebelaryngoskopie in Narkose. Die Papillome werden mit der
Zange und Doppelkürette abgetragen, die vordere Kommissur und die Morgagnischen
Ventrikel ausserdem mit der einfachen Kürette ausgekratzt. Jodkali innerlich.
9. November. Kehlkopf frei.
3. Dezember. Am linken Stimmband kleine Zacke, die sich indirekt entfernen
lässt. Seither Kehlkopf frei.
W. Albrecht, Die Schwebelaryngoskopie im Kindesalter. 7
Fall 6. S. P., 9 Jahre alt. Spiegeluntersuohung am 5. November 1911. In
der vorderen Kommissur gestieltes Papillom, das die Atmung nicht behindert. Die
indirekte Operation scheitert an dem törichten Benehmen des Knaben. Jodkali.
Schwebelaryngoskopie gelingt leicht. Nach Tieferdrücken des Kehlkopf-
gerustes von aussen her lässt sich die Geschwulst deutlich einstellen und an ihrer
Basis abtragen.
Seither Keblkopf o. B.
Fall 7. G.K., 3 Jahre alt. Heiseres Kind, gennger: Stridor bei der Atmung.
Spiegeluntersuchung erfolglos.
10. Januar 1913. Direkte Laryngoskopie in Narkose bei Seitenlage des Patienten
zeigt im vorderen Kehlkopfdrittel Papillome.
Schwebelaryngoskopie: sie gelingt leicht vom Zungengrund aus. Ab-
tragung mit der Zange und Doppelkiirette. Jodkali.
11. Januar. Befinden gut.
1. April. Normale Atmung und klare Stimme. Seither wurde nichts mehr
von dem Kinde gehört.
Fall 8. K. K., 5 Jahre alt. Das Kind ist ausserhalb schon tracheotomiert
und mehrmals an Kehlkopfpapillomen operiert worden.
Die Spiegeluntersuchung anfang Dezember 1912 ergibt, dass das ganze Kehl-
kopflumen von Papillomen ausgefüllt wird.
10. Dezember. Schwebelaryngoskopie in Narkose. Abtragen mit der Zange,
Auskratzen der vorderen Kommissur und der Morgagnischen Ventrikel mit der ein-
fachen Kürette, Polieren der Schleimhaut mit der Doppelkürette.
11. Dezember. Eingriff gut überstanden. Jodkali innerlich. In der folgenden
Zeit Pinseln der Kehlkopfschleimhaut mit Wasserstoffsuperoxyd, 2—3 mal
wöchentlich.
10. Januar an beiden Stimmbändern wieder Papillome, ebenso an den Taschen-
bändern und der Epiglottis. Die Pinselungen werden fortgesetzt.
20. Februar. Der ganze Kehlkopf ist wieder voll von Papillomen, die nun
auch auf die Trachea übergehen und Atembeschwerden veranlassen. Gründliche
Ausräumung in Schwebelaryngoskopie und mit Hilfe der unteren Tracheoskopie.
Fortsetzung der Pinselungen.
30. Mai. Die Papillome in der Trachea sind nicht wiedergekommen. Im Kehl-
kopf sind beide Stimmbänder an ihrem freien Rand mit kleinen Papillomen besetzt,
auch an der Hinterwand sind kleine Geschwülste zu sehen, doch lässt sioh noch
ein Lumen wahrnehmen und das Kind kann, wenn auch mit heiserer Stimme,
sprechen. Abtragung in Schwebelaryngoskopie. Mikroskopische Untersuchung der
entfernten Stücke: Papilläre Wucherung des Epithels. Das submuköse Gewebe
infiltriert; nach der Tiefe zn diffuse Rundzelleninfiltration, in derselben einige
Riesenzellen. Das Kind wird zur Erholung ins Seebad entlassen.
28. Juli. An der vorderen Kommissur einige kleine Wärzchen, desgleichen am
linken Taschenband und an der Hinterwand. Abtragung in Schwebelaryngoskopie.
Fall 9. W.G., 9 Jahre alt. Das Kind kommt von auswärts und wurde uns
im Oktober 1912 überwiesen. Da starke Atemnot bestand, wurde zunächst tracheo-
tomiert. Die Kehlkopfuntersuchung zeigte das Lumen mit Papillomen nahezu an-
gefüllt. Abtragung in Schwebelaryngoskopie. Das Kind wird mit Kanüle
entlassen. Jodkalium.
Es wird erst wieder am 10. April gebracht: Kehlkopf voll mit Papillomen,
die auf die Trachoa übergegangen sind und auch das Tracheallumen verschliessen,
8 W. Albrecht, Die Schwebelaryngoskopie im Kindesalter.
sowie die Kanüle entfernt wird. Es wird zunächst die Trachea gesäubert, darauf
in Schwebelaryngoskopie der Kehlkopf von den Papillomen befreit. Es zeigt sich
dabei besonders auch die subglottische Gegend und der Morgagnische Ventrikel
mit Papillomen besetzt: Auskratzen mit der einfachen Kürette, Polieren mit der
Doppelkirette.
20. Mai. Kehlkopflumen und Trachea frei.
24. Juni. Im Kehlkopf wieder an Stimmbändern und Taschenbändern zahl-
reiche Papillome. Entfernung in Schwebelaryngoskopie. |
30. Juli. Der freie Rand der Stimmbänder von rauhen, kleinen Hervor-
ragungen besetzt, die wahrscheinlich als beginnende Papillome aufzufassen sind,
doch wird zunächst abgewartet.
Von 9 Kindern ist somit bis jetzt eins über ein Jahr geheilt geblieben
und bei dreien lässt sich eine Heilung seit 8—10 Monaten beobachten.
Ein Kind blieb nach 7 rezidivfreien Monaten, ein weiteres nach 3 Monaten
aus der Beobachtung. Bei einem Knaben musste nach 8 Monaten ein
kleines rezidiviertes Papillom entfernt werden, und bei zwei Kindern war
trotz häufigen Operierens keine Heilung, nur eine wesentliche Besserung
zu erreichen.
Die Frage ist berechtigt, wie lange bei den beschriebenen Fällen von
„Heilung“ der Erfolg anhalten wird, denn die grosse Neigung der Papillome
zu Rezidiven ist bekannt. Es wäre zu hoffen, dass die Heilung dauernd
sei, doch glaube ich auch, dass bei einem Teil der Fälle noch Nach-
operationen nötig sein werden. Aber trotzdem bin ich der Ansicht, dass
wir mit dem erzielten Resultat zufrieden sein können. Die Tatsache, dass
schwere Fälle 8, 10 und 12 Monate rezidivfrei geblieben sind, ist ein sehr
erfreuliches Resultat, und die Behandlung erscheint um so aussichtsreicher,
da wir hoffen dürfen, auch in Zukunft, falls sich etwa Rezidive entwickeln
sollten, in einer Sitzung für längere Zeit wieder gesunde Kehlkopfver-
hältnisse schaffen zu können.
Besonderes Interesse verdienen die Fälle 1 und 2, da es sich hier um
selten schwere Formen handelte: vollkommener Verschluss des Lumens
durch Papillome, die überall, an der Epiglottis, den Taschenbändern,
Stimmbändern, der Arygegend, dem subglottischen Raume aufgesprosst
waren, eine Neigung zu Rezidiven, die schon wenige Wochen nach der
Ausräumung die alten Verhältnisse wieder erstehen liess, und bei dem
einen Fall noch die Komplikation, dass auch die Trachealschleimhaut mit
Papillomen besetzt war — Verhältnisse, wie sie schwerer nicht gedacht
werden können. Die direkte Laryngoskopie mit Hilfe des Röhrenspatels
zeigte sich machtlos. Die Schwebelaryngoskopie dagegen schuf gesunde
Verhältnisse, bei guter Funktion der Stimme!
Nur zwei Fälle zeigten bis jetzt noch keine Neigung zur Heilung.
Woran das liegt, ist schwer zu sagen. Bei dem einen Kind ergab die
histologische Untersuchung der exstirpierten Papillome, dass sich in der
Tiefe des Gewebes eine Rundzelleninfiltration mit Riesenzellen befand. Die
Möglichkeit, auf die von anderer Seite schon wiederholt hingewiesen wurde,
W. Albrecht, Die Schwebelaryngoskopie im Kindesalter. 9
dass ein Zusammenhang zwischen Kehlkopfpapillomen und Tuberkulose
bestehe, ist hier also nicht von der Hand zu weisen, und vielleicht liesse
sich hierauf die Malignität des Prozesses zurückführen. Die Allgemein-
untersuchung des Kindes ergibt allerdings keinerlei Symptome, die auf
Tuberkulose hinweisen könnten. Bei dem anderen Kind ist wohl der elende
Allgemeinzustand daran schuld, dass die Papillome nicht heilen wollen:
es ist ein schwächliches sehr blasses Kind, das wenig Kräfte abgeben kann.
Doch lässt die ganz erhebliche Besserung auch in diesen verzweifelten
Fällen hoffen, dass wir in absehbarer Zeit zum Ziele kommen werden.
Tuberkulose.
Die chirurgische Behandlung der kindlichen Kehlkopftuberkulose
erschien uns in den Fällen berechtigt, in welchem Atemnot bestand. Die
Operation hatte den Zweck, die Tracheotomie zu vermeiden.
Fall 1. L.M., 13 Jahre alt. Blasses, im Wachstum zurückgebliebenes
Madchen mit starkem Gibbus der Brustwirbelsiule. Ueber der linken Spitze
Dämpfung, Bronchialatmen und reichlich klingende, feuchte Rasselgeräusche; rechts
verscharftes Inspirium.
Kehlkopfbefund am 10. Oktober 1912. Infiltrat beider Taschenbänder, Oedem
der Arygegend in mässigem Grade; soweit die Stimmbänder sichtbar, zeigt ihr
Rand Granulationen. Es besteht bei raschem Gehen deutlicher Stridor, auch im
Schlafe ist die Atmung nicht frei. Ein ausgesprochener Erstickungsanfall wurde
nie beobachtet.
Nachdem alles zur Tracheotomie vorbereitet war, wird die Schwebelaryn-
goskopie in Narkose ausgeführt. Sie gestaltet sich technisch trotz der Verbiegung
des Rückgrats sehr einfach. Man sieht die Taschenbänder infiltriert und das linke
am vorderen Ende ulzeriert, das Oedem der Aryknorpel ist nahezu verschwunden,
dagegen werden nach Abdrängen der Taschenbänder die Stimmbänder sichtbar,
die sich ulzeriert und zum Teil mit Granulationen besetzt zeigen. Atemnot besteht
nicht, doch wird aus prophylaktischen Gründen versucht, ein Killian sches Kinder-
rohr zwischen den geschwollenen Taschenfalten in die Trachea vorzuschieben, was
mühelos gelingt. Die infiltrierten Partien der Taschenbänder und die Granulationen
an den Stimmbändern werden abgetragen und die Wundflächen mit 60 proz. Milch-
säurelösung gepinselt.
11. Oktober. Kein Stridor mehr.
25. Oktober. Es ist seither kein Stridor mehr aufgetreten, die Wundflächen
zeigen frische Granulationen. Pinseln mit 60 proz. Milchsäurelösung. Entlassen.
25. November. Defekte übernarbt, Kehlkopf weit.
30. Januar. Status idem.
Fall 2. G.R., 9 Jahre alt. Bleiohes Mädchen, akute Spitzenaffektion links.
Deutlicher Stridor, der sich bei der Spiegeluntersuchung steigert. Soweit der
Kehlkopf übersichtlich, sind beide Taschenbänder infiltriert und ulzeriert, auch
sieht man von beiden Seiten Granulationen ausgehen, die das Lumen bis auf einen
schmalen Spalt verschliessen. Nach Angaben der Eltern war in der vergangenen
Nacht ein Anfall von schwerer Atemnot aufgetreten.
Operation am 15. Dezember. Zur Tracheotomie wird vorken Schwebe-
laryngoskopie in Narkose. Die Einstellung des Kehlkopfs gelingt leicht, keine
10 W. Albrecht, Die Schwebelaryngoskopie im Kindesalter.
beängstigende Atemnot. Zur Sicherheit wird auch hier das Kinderrohr zwischen
den geschwollenen Taschenbändern in die Trachea vorgeschoben, was keine
Schwierigkeiten macht. Die Granulationen und Infiltrate werden mit der Doppel-
kürette abgetragen, die Wundflächen mit 60 proz. Milchsäurelösung gepinselt.
16. Dezember. Atmung gut.
30. Januar. Atmung frei. Die Wundflächen zum Teil übernarbt, zum Teil
granulierend. è
15. April. Im wesentlichen derselbe Befund. Kein Stridor.
In diesen beiden Fällen war die Schwebelaryngoskopie in der Lage,
in einer Sitzung so gründlich alle beengenden Infiltrate und Granulationen
zu entfernen, dass seither keine zweite Operation mehr nötig war. Gleich-
zeitig zeigen diese Fälle, dass wir von dem Moment ab, da der Kehlkopf
eingestellt ist, eine schwere Asphyxie kaum mehr zu fürchten haben, denn
sowie die Atmung irgend behindert erscheint, können wir durch Vorschieben
eines dünnen Rohres in die Trachea jede Gefahr beseitigen. Diese Art
direkter Intubation lässt sich bei der Schwebelaryngoskopie deshalb be-
sonders leicht ausführen, weil der Kopf maximal nach rückwärts gebeugt
ist und der Kehlkopfspatel mit der vorderen Trachealwand eine gerade
Strecke bildet. Durch Einlegen eines Mandrins lassen sich auch stärkere
Schwellungen beiseite schieben.
Diesen mit der Schwebelaryngoskopie erzielten Erfolgen möchte ich
kurz noch einige Beobachtungen hinzufügen, die wir mit der Schwebe-
pharyngoskopie machen konnten. Sie lässt sich sehr leicht ausführen,
wenn man an Stelle des Kelılkopfspatels einen kleinen Türkschen Zungen-
spatel nimmt und mit ihm einen Druck auf den Zungengrund ausübt. Es
lässt sich dabei der ganze Rachen klar übersehen und vor allem die
Tonsillengegend auf das genaueste einstellen. Wir benutzten deshalb die
Methode in erster Linie zur Enukleation der Tonsillen: in Allgemein-
narkose wird am hängenden Kopf der vordere Gaumenbogen von der
Mandel scharf abgetrennt, die Tonsille darauf stumpf aus ihrer Umgebung
gelöst und am unteren Pol mit der kalten Schlinge durchtrennt.
Es würde mich zu weit führen, an dieser Stelle auf die Indikation für die
Mandelexstirpation genauer einzugehen. Ich möchte nur in aller Kürze hier er-
wähnen, dass wir nur bei rezidivierender Angina und nach Mandelabszess die
totale Ausschälung vornehmen und uns sonst speziell bei Kindern mit der Tonsillo-
tomie begnügen. Die Entfernung des Mandelgewebes lässt sich ja auch mit dem
Tonsillotom meist sehr gründlich durchführen, wenn wir die Weichteile des Halses
von aussen her gegen das Instrument drücken lassen.
Krankengeschichten.
Fallı. E. F., Knabe von 4 Jahren. Häufig rezidivierende Anginen.
Schwebepharyngoskopie in Mischnarkose. Tonsillen mittelgross, sie scheinen
mit dem vorderen Gaumenboden verwachsen. Die scharfe Ablösung gelingt jedoch
beiderseits leicht, Stumpfe Ausschälung mit einem halbstumpfen, gekanteten
W. Albrecht, Die Schwebelaryngoskopie im Kindesalter. 11
Elevatorium. Vorziehen der Mandel mit der Pinzette, Abschnüren des unteren
Pols mit der kalten Schlinge. Keine nennenswerte Blutung.
Keine Nachblutung; kein Fieber.
Fall 2. P. R., Mädchen von 7 Jahren. Es litt im letzten Jahr häufig an
Mandelentzündung. Tonsillen klein, mit einzelnen Pfröpfen, vielleicht am oberen
Pol verwachsen.
Schwebepharyngoskopie in Mischnarkose.
Rechte Tonsille: Abtrennen des vorderen Gaumenbogens durch Verwachsungen
erschwert, auch am oberen Pol und nach dem hinteren Gaumenbogen zu sind
narbige Adhäsionen vorhanden, die scharf (mit dem Sichelmesser) durchtrennt
werden müssen. Es blutet dabei aus der Gegend des oberen Pols eine Arterie, die
mit der Klemme gefasst und mit einem Seidenfaden unterbunden wird. Nach
Durchtrennung der Verwachsungen lässt sich das Mandelgewebe leicht ausschälen
und am anderen Pol mit der Schlinge durohschneiden.
Linke Tonsille: Scharfe Ablösung des vorderen Gaumenbogens. Darauf
stampfe Ausschälung möglich. Durchtrennung mit der Schlinge. Keine Blutung.
Keine Nachblutung.
Fall 3. H.S., 8 Jahre alt. Der Junge hat mehrere Mandelentzündungen
überstanden, das letztemal vor 4 Monaten kombiniert mit leichten Gelenkschmerzen.
Schwebepharyngoskopie in Mischnarkose.
Tonsillen vergrössert, wenig verwachsen.
Die scharfe und stumpfe Ablösung gelingt beiderseits sehr leicht. Durch-
schneidung des unteren Pols mit der Schlinge. Keine Blutung. Keine Nachblutung.
In diesen Fällen hat die Schwebepharyngoskopie das Operieren wesent-
lich erleichtert. Das Operationsfeld lag ruhig und übersichtlich vor den
Augen des Operateurs, so dass sich im Falle 2 sogar das Anlegen einer
Klemme und das Abbinden eines Gefässes ohne erhebliche Schwierigkeiten
ermöglichen liess. Es lässt sich dadurch jede stärkere Blutung vermeiden.
Für gewöhnlich werden wir ja während der Operation kaum zur Blut-
stillung gezwungen sein, denn es ist geradezu auffallend, wie wenig das
Gewebe trotz der hängenden Kopfhaltung blutete.
Im Kindesalter hat sich somit die Aufhängemethode bei Papillomen,
bei stenosierender Tuberkulose und zur Tonsillektomie aufs beste bewährt.
Besonders verdienen die Erfolge bei der Papillombehandlung hervorgehoben
zu werden, bei der sich die Schwebelaryngoskopie den bisherigen Methoden
weit überlegen zeigte. Erfahrungen bei anderen Kehlkopfaffektionen haben
wir zunächst noch nicht, doch lassen sich mit der neuen Methode nach
einer Mitteilung Briegers!) auch Kehlkopffremdkörper auf einfache Weise
extrahieren.
1) Verein deutsoher Laryngologen 1913.
II.
Aus der K. K. Universitätsklinik für Hals- und Nasenkrankheiten in Wien.
(Hofrat Prof. Chiari.) ,
Die Operation des Oesophagusdivertikels.
Dr. Friedrich Neumann,
Assistent an der Klinik.
(Hierzu Tafel I.)
Die Operation des Oesophagusdivertikels galt mit Recht als gefährliche
Operation, da durch die Eröffnung der Speisewege leicht eine Infektion
des Mediastinums zu stande kommt. Goldmann hat nun eine Methode
angegeben, die dieser Gefahr ausweicht. Im wesentlichen besteht diese
Methode darin, dass man das Divertikel freilegt, an seiner Basis ligiert
und die Wunde nach aussen drainiert. Im Laufe einiger Tage wird das
ligierte Divertikel nekrotisch und stösst sich durch die bereits granulierende
und drainierte Wunde ab. Wenn sich dieser Vorgang auch nicht immer
so programmmässig abspielt, so birgt die Methode trotz alledem sehr viele
Vorteile, deren grösster der ist, dass die frisch geschaffene Wunde nicht
mit dem Oesophagus kommuniziert und daher eine Mediastinitis so gut
wie ausgeschlossen ist. Kommt nach einigen Tagen doch eine Kommuni-
kation mit dem Oesophagus zu stande, so ist die Halswunde bereits im
Granulationstadium und für eine Infektion nicht mehr so empfänglich wie
eine frische Wunde. Ein zweiter nicht zu unterschätzender Vorteil ist der,
dass der Patient sehr bald nach der Operation normale Kost zu sich
nehmen kann; das ist deshalb von grossem Wert, weil die meisten Patienten
bereits im unterernährten Zustand zur Operation kommen.
An obiger Klinik wurde diese Divertikel-Operation nach Goldmann
bereits zweimal ausgeführt und zwar mit so gutem Erfolge, dass im
folgenden die Krankengeschichten dieser beiden Fälle publiziert werden
sollen.
l. J. Z., 69jähriger Pensionär, aufgenommen am 1. Juli 1912. Die Ana-
mnese besagt, dass Patient seit IOJahren bei der Nahrungsaufnahme ein Hindernis
in der Höhe des Kehlkopfs verspüre. Seit 2 Jahren ist das Schlucken von grösseren
Bissen unmöglich. In den letzten Monaten häufiges Regurgitieren der Speisen und
zeitweilig ist die Nahrungsaufnahme nach den ersten Bissen, die scheinbar stecken
bleiben, unmöglich. Nach einer Wismut - Mahlzeit wird ein Röntgenbild von der
Halsgegend des Patienten augefertigt und dieses ergibt ein wallnussgrosses Diver-
Archiv f. Laryngologie. 28. Bd.
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Lichtdruck von Albert Frisch, Berlin W. Fig. 1
F. Neumann, Die Operation des Oesophagusdivertikels. 13
tikel, welches nach unten in eine Spitze ausläuft (s. Röntgenbild Fall I auf Taf. I).
Bei einer gewissen Drehung des Halses kann man aber den Oesophagus vom Diver-
tikel genau differenzieren und so eine Stenose des Oesophagus durch Carcinom aus-
schliessen. Von der Oesophagoskopie wird wegen Entzündungsgefahr abgesehen.
Operation am 4. Juli 1912, Dr. Marschik. Eine halbe Stunde vor der
Operation 0,01 Morphium und 0,0005 Skopolameum subkutan. Lokalanästhesie
mit 1 proz. Novokain. Typische Freilegung des Hypopharynx von links her, worauf
das Divertikel in Form eines weichen eindrückbaren Sackes zu Tage tritt. Die
Basis des Divertikels wird von den Adhäsionen mit der Umgebung freipräpariert.
Das Divertikel wird ausgedrückt und bei maximaler Vorziehung mit einer starken
Seidenligatur am Hypopharynx unterbunden. Das ligierte Divertikulum wird voll-
ständig in Jodoformgaze eingehüllt, die Enden der Jodoformgaze und die Ligatur-
fäden werden zur Wunde herausgeleitet. Die äussere Wunde wird durch einige
Nähte verkleinert.
4. Juli. 2 Stunden nach der Operation nimmt Patient aus Versehen einen
Teller Suppe zu sich ohne nachteilige Folgen. Temperatur 38 0.
5. Juli. Ernährung per rectum; Temperatur 38°, ebenso am 6. Juli.
Am 7. Juli weiche Kost per os, afebril; Oedem im Rachen mit Schluok-
beschwerden.
8. Juli. Rückgang des Oedems und der Schlackbeschwerden, normale Kost.
9. Juli. Wunde sezerniert stark. |
10. Juli. Starke Sekretion, Entfernung der Nähte, Wunde sehr eingeengt.
11. Juli. Kürzung des Divertikelstreifens.. Von nun an 2tägiger Verband-
wechsel. 14 Tage post. op. Abgang der Ligatur. Entfernung des Streifens. Das
Divertikel ist teils wegen Kleinheit der äusseren Wunde, teils wegen frischer Ad-
häsionen nicht zu entfernen, 4 Wochen nach der Operation ist die äussere Fistel
am Halse geschlossen. Form des Halses an der Operationsstelle mit Ausnahme
der leicht eingezogenen Narbe normal. Schluckakt geht leicht ‘ohne Hindernis
vor sich.
Ein Jahr später, im Juni 1913, wird Patient in der Gesellschaft der Aerzte
zu Wien demonstriert, die vorher vorgenommene Oesophagoskopie ergibt eine flache
trichterförmige Einziehung der Oesophagushinterwand. Die Röntgenuntersuchung
ergibt ein normales Bild. Keine subjektiven Beschwerden. Deglutination normal.
2. A.M., 64jähriger, pensionierterOberlehrer, Aufnahme am 26. März 1913.
Der Patient gibt an, dass er seit ungefähr 6 Monaten oft viele Stunden nach dem
Essen einzelne Bissen wieder heraufwürgt und zwar sind es gewöhnlich die zuerst
genossenen Speisen.
Die Röntgenuntersuchung nach Wismut-Mahlzeit ergibt ein kindsfaust-
grosses, von der Mittellinie etwas mehr rechts gelegenes Divertikel (siehe Röntgen-
bild II auf Taf. I). Von Bongierung und Oesophagoskopie wird wegen Entziindungs-
gefahr ahgesehen.
Operation am 28. März 1913, Dr. Neumann. Eine halbe Stunde vor
der Operation 0,01 Morphium und 0,0005 Skopolamin subkutan. Lokalanästhesie
mit 1 proz. Novokain. Das Divertikel wird von rechts her freigelegt. Die Verhält-
nisse entsprechen dem Röntgenbilde. Das Divertikel sitzt breitbasig am Hypo-
pharynx bzw. Oesophagus auf. Die Basis des Divertikels wird freigelegt.
Um ein Abgleiten der Ligatur von der breiten Basis zu verhindern, wird
eine Tabaksbeutelnaht ausgeführt. Das Divertikel wird in Jodoformgaze eingehüllt,
die Jodoformgaze mit den Ligaturenden zur Wunde herausgeleitet.
14 F. Neumann, Die Operation des Oesophagusdivertikels.
Am Abend Nährklysma. Temperatur 38°.
29. März. Temperatur 38%. Wegen Verschleimung Adrenalininhalation.
Verband miassig durchblutet. Nabrklysma.
30. März. Subfebril. Verbandwechsel, mässige Sekretion, Naht reaktionslos.
Patient verlässt das Bett.
31. März. Weiche Kost per os, Sekretion nimmt zu, afebril, täglicher Ver-
bandwechsel.
3. April. Entfernung der Streifen. Wunde mit Granulationen bedeckt, blutet
nicht. Einführung eines neuen Streifens. Normale Kost.
10. April. Da der Ligaturfaden nicht abgeht und ebensowenig das Divertikel
wird im Aetherrausch die Wunde mit stumpfen Haken auseinander gehalten und
das Divertikel mit einem Scherenschlag abgetrennt. Es zeigt sich dabei, dass das
Divertikel durch die kleinen Gewebsbrücken, die bei der Tabaksbeutelligatur be-
lassen wurden, genügend ernährt war, um nicht nekrotisch zu werden. Nach Ab-
tragung desDivertikels sieht man keineOeffnung in derOesophaguswand, Drainage
der Wunde. Das abgetragene Divertikel ist ungefähr kleinapfelgross.
11. April. Afebril; normale Kost.
12. April. Flüssige Nahrung, wie Milch, Kaffee usw. sickern durch die
Wunde in kleinen Mengen durch. Feste Bestandteile finden sich in der Wunde
nicht. Afebril. Täglicher Verbandwechel.
15. April. Patient wird zur ambulanten Behandlung entlassen.
27. April. Definitive Heilung der äusseren Halswunde. Keine subjektiven
Beschwerden, normale Deglutination. Im Juni 1913 wurde der Patient in der
Gesellschaft der Aerzte zu Wien vorgestellt. Die Röntgenuntersuchung ergibt jetzt
normale Verhältnisse. Die Oesophagoskopie ergibt unmittelbar oberhalb des
Oesophagusmundes an der Hinterwand eine 3 cm lange und 1 cm breite glatte
nicht vorspringende Narbe.
Bei dem zweiten Patienten kam am 14. Tage nach der Operation eine
Kommunikation der Wunde mit dem Oesophagus zustande; da aber die-
selbe bereits mit Granulationen bedeckt war, trat keine Infektion ein, der
Patient blieb afebril. |
Wir nahmen bei dem Patienten Abstand von der Oesophagoskopie,
weil uns die Erfahrung gelehrt hat, dass häufig nach den ösophagos-
kopischen Untersuchungen von Divertikeln eine Perioesophagitis zustande
kam. Die Ursache hierfür dürfte wohl darin liegen, dass sich im Diver-
tikel zersetzte Speisereste aufhalten, die als Bazillenträger bei der gering-
fügigsten Verletzung der Schleimhaut eine periösophagitische Entzündung
verursachen können. In beiden Fällen hat es sich gezeigt, dass die
Röntgenuntersuchung zur Feststellung der Diagnose ausreichte.
Was die Lokalisation dieser beiden Divertikel betrifft, so war ihre
Abgangsstelle an dem Punkt, den Killian als den typischen Punkt be-
zeichnet. Man konnte nach der Operation, an der Narbe im Oesophagus
mit dem Oesophagokop ganz sicher feststellen, dass die Divertikel un-
mittelbar oberhalb des Oesophagusmundes, das ist über der Pars fundi-
formis des M. cricopharyngeus ausgetreten waren.
I.
Die akut-infektiösen Halsentzündungen.’)
Von
Prof. A. Kuttner (Berlin).
Jahrhunderte lang sind die allerverschiedensten Erkrankungen des
Rachens, des Schlundes und des Kehlkopfes unter dem Sammelbegriff der
Synanche (Angina) zusammengefasst worden. Die Untersuchungsmethoden
waren noch nicht genügend ausgebildet, um in der Mannigfaltigkeit der
Erscheinungen das Wesentliche vom Unwesentlichen zu scheiden und danach
die verschiedenen Krankheitsformen zu gruppieren und einzurangieren. So
hielt man sich an das nächstliegende, an das am meisten in die Augen
fallende Symptom, an die Schmerzhaftigkeit, und fasste alle Affektionen,
die Schmerzen in der Halsgegend auslösten, unter dem Sammelbegriff
„Synanche, Angina“ (oöv ayyew — zusammenpressen) zusammen.
Als man später, dank der Verbesserung der Untersuchungsmethoden
und dank vor allem der Kontrolle der Leichenuntersuchung erkannte, dass
es doch recht verschiedenartige Affektionen sind, die man so kurzerhand
zusammengeworfen hatte, da ging man daran, die einzelnen Krankheits-
bilder zu trennen und von einander zu scheiden. Aber in dem Bestreben,
den früheren Fehler gut zu machen, fiel man in das andere Extrem: man
trennte und schied so gründlich, dass jede noch so geringe Verschiebung
des Ausgangspunktes oder des Sitzes der Erkrankung, jede klinische und
anatomische Begleiterscheinung, mochte sie noch so nebensächlich sein, als
essentielles Unterscheidungsmerkmal angesehen wurde. Bald gab es un-
zezählte Arten und Unterarten von Halsaffektionen, und da jede von ihnen
einen besonderen, möglichst klangvollen Namen erhielt, so war das Ende
wieder eine heillose Verwirrung: Die kritiklose Scheidung hatte zu dem-
selben Effekt geführt wie die kritiklose Zusammenfassung ?).
1) Naoh einem Referat in der Laryngo-Rhinolog. Sektion des XVII. Internat.
Medizin. Kongresses zu London, August 1913. Korreferent: Dr. Ph. de Santi,
London.
2) Näheres hierüber siehe in meiner Monographie „Larynxödem und submuköse
Laryngitis“, Georg Reimer, Berlin 1895.
Geschichtliches.
16 A. Kuttner, Die akut-infektiösen Halsentzündungen.
Erst als das vorige Jahrhundert, dank der Errungenschaften der patho-
logischen Anatomie und Bakteriologie, den Boden für ein besseres Ver-
ständnis pathologischer Vorgänge genügend vorbereitet hatte, war auch für
unsere Disziplin die Möglichkeit zu einer Neuordnung dieses so verworrenen
Kapitels gegeben. Und so habe ich im Jahre 1895, gestützt auf zahlreiche
klinische, pathologische, histologische und bakteriologische Untersuchungen
und Tierversuche in einer eingehenden Monographie zeigen können, dass
eine Reihe von Halserkrankungen, die bis dahin als grundverschieden auf-
gefasst worden waren — das entzündliche Oedem, das Erysipel, die
Phlegmone und der Abszess — ätiologisch, pathologisch-anatomisch
und klinisch zusammengehören.
Diese ganze Gruppe hatte ich damals zusammengefasst unter der
Bezeichnung:
Laryngitis bez. Pharyngitis submucosa
und sie je nach ihrer pathologischen Besonderheit geschieden in ein:
1. Stadium oedematosum (Erysipelas),
: fadin oe akut-infektiöse Phlegmone und Abszess.
3. Stadium suppuratium S
Drei Viertel Jahre nach dem Erscheinen meiner Monographie hielt Felix
Semon vor der Royal Medical und Chirurgical Society in London einen Vor-
trag!), in dem er, gestützt auf 14 klinische Beobachtungen, für die von mir
vertretene Auffassung eintrat und diese dahin erweiterte, dass die „akut
septischen Entzündungen des inneren und äusseren Halses, die bisher als
akutes Kehlkopfödem, ödematöse Laryngitis, Erysipelas des Pharynx und
Larynx, Phlegmone des Pharynx und Larynx und Angina Ludovici beschrieben
worden sind, pathologisch identisch seien“.
Diese Ansichten wurden, wie Semon später in seinen gesammelten
Abhandlungen erzählt?), in der an seinen Vortrag sich anschliessenden
Diskussion „von der grossen Mehrzahl der Redner, teilweise mit einer in
dieser hochakademischen Gesellschaft ganz ungewöhnlichen Heftigkeit
bekämpft.“ Hauptsächlich war es wohl der Ausdruck „pathologische
Identität“, an dem man Anstoss nahm.
7—8 Jahre später aber, im Jahre 1902, so berichtet Semon weiter,
als Philipp de Santi in derselben Gesellschaft, mit ausgesprochener
Anlehnung an die Semonsche Arbeit, einen Vortrag über dasselbe
Thema hielt und in diesem genau dieselben Anschauungen zum Ausdruck
brachte, da fanden die Diskussionsredner seine Ansichten fast ausnahmslos
ganz selbstverständlich.
Dass aber Semons erste Anregung in der Zeit, die zwischen seinem
eigenen und Philipp de Santis Vortrag lag, auch in England doch nicht
1) Felix Semon, Forschungen und Erfahrungen. Bd. II. S. 375.
Berlin 1912.
2) S. 421/22.
A. Kuttner, Die akut-infektiösen Halsentzündungen. 17
wirkungslos geblieben ist, dafür zeugt die im Jahre 1901 erschienene
3. Auflage des vortreffllichen Watson Williamschen Lehrbuches, die sich
die Semonschen Ansichten in allen wesentlichen Punkten zu eigen ge-
macht hatte.
In Frankreich, wo sich schon in der vorlaryngoskopischen Zeit eine
ganze Reihe hervorragender Aerzte (Bayle, Bouillaud, Brichetau,
Cruveilhier, Sestier, Trousseau u. a.) in hervorragender Weise mit
dieser Frage beschäftigt -hatten, fand die moderne Auffassung ziemlich
schnell Anerkennung und ging in alle besseren Lehrbücher über!). Ebenso
in Italien und in den Vereinigten Staaten Amerikas.
In Deutschland war meine Auffassung der akut-infektiösen submukösen
Halsentzündungen sehr schnell Allgemeingut geworden. In zahlreichen
Aufsätzen und in fast allen Lehrbüchern (Bruck, Chiari, Gerber,
Hajek, P. Heymann und A. Meyer, Kronenberg, Edmund Meyer,
Moritz Schmidt, Rupprecht, Schech usw.) wurde sie glatt und fast
ohne Vorbehalt akzeptiert.
Nicht ganz so rückhaltlos war man mit der von Semon gewählten
Fassung einverstanden: man nahm Anstoss an der Einbeziehung der Angina
Ludovici und an der Bezeichnung „pathologische Identität“.
So standen die Dinge, als mir ca. 18 Jahre nach der Veröffentlichung
meiner ersten Anregung von Seiten des Präsidiums der Rhino-Laryngo-
logischen Sektion des XVII. Internationalen Medizinischen Kongresses in
London der Wunsch ausgesprochen wurde, ich sollte noch einmal hier in
einem offiziellen Referat zu diesem Thema Stellung nehmen. Dieser ehren-
vollen Aufforderung habe ich gern Folge geleistet, denn seit dem Erscheinen
meiner ersten Arbeit war meine Aufmerksamkeit unausgesetzt auf diese
Fragen gerichtet, und neue eigene Beobachtungen, ebenso wie die inzwischen
erfolgten Fortschritte auf bakteriologischem Gebiet, haben mich überzeugt,
dass der damals gelegte Grund sich in allen wesentlichen Punkten gut
und tragkräftig bewährt hat, so dass wir auf den alten Fundamenten getrost
weiter bauen können. So hat sich denn in logischer Weiterentwicklung
meiner Ideen von 1895 nachfolgende Auffassung der akut-infektiösen
Halsentzündung allmählich bei mir herangebildet:
Alle akut-entzündlichen Erkrankungen des Rachens, des
Schlundes und Kehlkopfes sind zurückzuführen entweder auf:
1. mechanische, chemische, thermische Verletzungen oder auf
2. infektiöse Prozesse, d. h. auf die Einwirkung pathogener Mikro-
organismen.
Diese infektiösen Halserkrankungen zerfallen wieder in verschiedene
Unterabteilungen.
1) Eine besonders klare und überzeugende Darstellung lese ich in dem Sammel-
werk von P. Brouardel und A. Gilbert (Paris 1906), in dem von G. Roque
und L. Galliard bearbeiteten Band XV (Malad. da la bouche, du pharynx usw.).
Archiv für Laryngologie. 28. Bd. 1. Heft. 2
Spezifität.
18 A. Kuttner, Die akut-infektiösen Halsentzündungen.
Sie treten auf als Vorläufer oder Teilerscheinungen:
a) bei konstitutionellen Infektionskrankheiten, wie Lues, Tuber-
kulose usw.
bh) bei allgemeinen Infektionskrankheiten (Masern, Scharlach, Typhus,
Pneumonie, Influenza usw.) oder
c) als selbständige Erkrankungsformen der einzelnen in Rachen,
Schlund oder Kehlkopf gelegenen Gebilde.
Hierher gehören alle die verschiedenen Halsaffektionen, die man je
nach ihrem Sitz, ihren klinischen und pathologischen Erscheinungen oder
auch nach ihrem Entdecker bezeichnet hat als Angina, Angina Ludovici,
Angina Plaut-Vincenti, Tonsillitis (erythematosa, lacunaris, fossularis, follicu-
laris, parenchymatosa, exulcerans benigna, oedematosa, erysipelatosa,
phlegmonosa, abscedens), Peritonsillitis, Pharyngitis et Laryngitis acuta,
erysipelatosa, Laryngitis submucosa acuta, akut-entziindliches Larynxédem usw.
und die pseudomembranöse Beläge bildenden Affektionen, die genuine
Diphtherie und die verschiedenen Arten der pseudodiphtherischen Er-
krankungen.
Alle die unter diesen und ähnlichen Namen laufenden,
früher als essentiell verschiedenartig angesehenen Erkran-
kungen sind zusammenzufassen unter der Bezeichnung:
Akut-infektiöse Entzündung der Halsorgane!)
und gehören ätiologisch, pathologisch und klinisch eng zu-
sammen.
Unter den diese Erkrankung hervorrufenden Mikroorganismen sind
einige wenige spezifische, d. h. solche, deren Einwirkung jedesmal die-
selben typischen Krankheitserscheinungen auslöst: der Loefflersche
Bazillus, der die genuine Diphtherie, und die Spirochaete, welche die
Plaut-Vincentische Angina hervorruft. Bei all den anderen Hals-
affektionen, die eben aufgezählt wurden — und nur diese sind Gegenstand
unserer Betrachtungen —, hat sich bisher eine Spezifität nicht nachweisen
lassen. Wohl wissen wir, dass diesem oder jenem Infektionskeim in der
1) Es besteht zwischen der deutschen und englischen Terminologie eine
Differenz, die leicht zu Missverständnissen führen kann. In England bezeichnet
man Prozesse, die in Deutschland „akut-infektiös* genannt werden, als “acut
septic’ und weist damit auf die mit den akut-infektiösen Prozessen gewöhnlich
verbundenen Allgemeinerscheinungen hin. Wir dagegen verbinden mit der Be-
zeichnung ‚‚septisch‘‘ einen ganz besonderen Begriff. Wir scheiden die akut-
infektiösen Prozesse in solche, die vorwiegend lokale Veränderungen auslösen, und
in solche, bei denen neben den örtlichen mehr oder weniger sohwere Allgemein-
erscheinungen auftreten, die unter Umständen das ganze Krankheitsbild beherrschen.
Aber durchaus nicht jede, sondern nur eine ganz bestimmte, später noch näher zu
charakterisierende Form dieser Allgemeinerkrankung wird bei uns ,,septisch‘’ ge-
nannt. Das englische „septic“ deckt sich also ungefähr mit dem deutschen Begriff
„infektiös", ist aber wesentlich weiter gefasst als unser „septisch“.
A. Kuttner, Die akut-infektiösen Halsentzündungen. 19
Aetiologie dieser oder jener Erkrankungsform eine besonders wichtige
Rolle zukommt, aber eine wirkliche Spezifität in dem Sinne, dass dieser
Mikroorganismus immer dieselbe Affektion auslöst, und dass diese Affektion
von keinem anderen Mikroorganismus ausgelöst werden kann, konnte bisher
nicht erwiesen werden.
In der Mund-Rachenhöhle eines jeden gesunden Menschen finden sich Bakteriologische
zahlreiche Mikroorganismen verschiedenster Art. Bei ganz normalen Hals- ale
organen hat man hier nachweisen können: Streptokokken, Staphylokokken,
Diploukokken, Diphtheriebazillen, Pneumokokken, Meningokokken, das
Bacterium coli, Schimmelpilze usw. Meist finden sich 2, 3, oder noch
mehr verschiedene Arten nebeneinander. Diese Keime können avirulent
sein, sie sind aber, wie wiederholentlich gezeigt wurde, oft’ genug auch
hochvirulent. Wir stehen also vor der auffallenden Tatsache, dass Keime, Virulente Keime
die bei ihrem Träger auch nicht die geringsten Krankheitserscheinungen re
auslösten, bei der Ueberimpfung auf Tiere schwere und schwerste Erkran-
kungen hervorrufen. Zur Erklärung für dieses überraschende Verhalten
nimmt man an, dass in diesen Fällen die pathogenen Kräfte der Mikro- Aggressine.
organismen, die Toxine und Endotoxine (Aggressine-Kruse, Bail) von den
natürlichen bakterienfeindlichen Widerstandskräften des Organismus (Alexine- Alexine.
Buchner) in Schach gehalten werden.
Unter gewissen Umständen aber, infolge von mancherlei Gelegenheits- celegenheits-
ursachen, reicht die Kraft der natürlichen Abwehrmittel nicht mehr aus, "er
um die Giftwirkung der Mikroorganismen zu parallelisieren. Mechanische,
chemische, thermische Verletzungen zerstören die schützende Decke und
ermöglichen den Infektionskeimen, die bis dahin harmlos in der Mund-
und Rachenhöhle lagerten, das Eindringen in die Tiefe der Gewebe, wo
sie dann ihre verderbliche Wirkung entfalten. Oder aber es haben Unter-
ernährung, Blutverluste, interkurrierende Erkrankungen und ähnliche
Zwischenfälle die allgemeine Widerstandskraft des Organismus, Erkäl-
tungen auf reflektorischem Wege die lokale Widerstandskraft der Hals-
organe so weit geschwächt, dass die Gewebe nun nicht mehr imstande sind,
die Lebensenergie der bereits an Ort und Stelle lagernden oder frisch ein-
dringenden Infektionskeime zu parallelisieren. Nun erst ist der Weg in
die nicht mehr genügend verteidigten Organe frei, und durch die Lymph-
und Gewebsspalten, die sogenannten physiologischen Wunden, dringen die Physiologische
pathogenen Keime in das Innere der Gewebe und entwickeln dort ihre END
„Virulenz‘“, d. h. die Gesamtheit ihrer organfeindlichen Kräfte.
Die Folgen dieser Schädigungen können sein: 1. lokaler, 2. regionärer,
3. allgemeiner Art.
1. Lokale Schädigungen.
Das Eindringen der pathogenen Mikroorganismen in die Gewebe selbst
ist die unerlässliche Vorbedingung für die Entfaltung ihrer Giftwirkung.
Hier entwickeln und vermehren sie sich manchmal so stark, dass sie wie Mechanische
Fremdkörper schon durch ihre Masse die Gewebe rein mechanisch schädigen, “
2*
Toxine.
Endotoxine.
Physiologische
Wunden.
Lokale
Schiidigung.
Inkubationszeit.
Primärentzänd-
liche Reaktion.
Abwehrreaktion.
Erythem.
20 A. Kuttner, Die akut-infektidsen Halsentziindungen.
wie beim Erysipel und bei der tropischen Malaria, oder sie wirken, was weit
verhängnisvoller ist, durch die von ihnen produzierten Stoffe; das sind
entweder Stoffwechselprodukte des lebenden Mikroorganismus, Toxine ge-
nannt, z. B. beim Tetanus, oder durch ihre Endotoxine, das sind Giftstoffe,
die erst beim Zerfall der Bakterien frei werden, z. B. beim Typhusbazillus
und bei den Choleravibrionen.
Nicht jeder Infektionskeim kann an jedem beliebigen Ort in den
Organismus eindringen, aber die Schleimhaut der oberen Luftwege ist so
reich an „physiologischen Wunden“, dass jede Abart der ganzen Fauna
hier eine passende Einfallspforte findet. Diese Vulnerabilität der Hals-
schleimhaut ist gewiss mit Schuld daran, dass ausser den typischen
Infektionskrankheiten noch so viele andere, zufällige Schmarotzer der Mund-
und Rachenhöhle in den Halsorganen ihre Wirksamkeit entfalten und von
hier aus tiefer in den Organismus eindringen.
Nicht jeder Infektionserreger ruft gleich an der Eintrittspforte nach-
weisbare pathologische Veränderungen hervor; der Tuberkelbazillus z. B.
kann die Schleimhaut des Rachens und der Tonsille, ja selbst weite Strecken
des Organparenchyms und der Lymphwege durchwandern, ohne erkennbare
Krankheitserscheinungen zu veranlassen. Aber das ist nur eine Ausnahme;
die meisten Infektionsträger rufen bereits an der Stelle, wo sie in das
Gewebe eintreten, eine mehr oder weniger energische Reaktion hervor,
gewöhnlich nicht sofort, meist erst nach einer gewissen Frist, in der sie
durch die immer lebhafter werdende Produktion von Giftstoffen den Wider-
stand der natürlichen bakteriziden Schutzkräfte überwinden. (Inkubations-
zeit.) Die erste Reaktion auf den Angriff körperfeindlicher Bakterien,
welcher Art sie auch sein mögen, ist immer und überall, in allen Hals-
organen dieselbe, ist im vollen Sinne des Semonschen Wortes „identisch“:
immer sind es die typischen klassischen Symptome der Entzündung — Er-
weiterung der Gefässe, vorübergehende Beschleunigung und darauf folgende
Verlangsamung des Blutstromes, Randstellung der weissen Blutkörperchen,
Austritt seröser Flüssigkeit und zelliger Elemente aus den Gefässen,
Wucherungsvorgänge an den Grewebszellen —, durch die sich die ange-
griffenen Organe dieser Invasion zu erwehren suchen.
In diesem Anfangsstadium ist die Erkrankung klinisch schwer zu er-
kennen, wenn sie sich in der Tiefe der Gewebe entwickelt, aber wohl-
bekannt und gut charakterisiert, wenn sie sich über die Oberfläche hin
ausbreitet: es ist das Schleimhaut-Erythem mit seiner Rötung,
Schwellung und Auflockerung der obersten Zellschichten, das zuweilen als
selbständiges Krankheitsbild, viel häufiger aber noch als Anfangsstadium
tiefer greifender Prozesse auftritt.
Aus dieser einheitlichen, identischen Primärreaktion ent-
wickeln sich bei weiterem Fortschreiten des Krankheits-
prozesses recht verschiedenartige pathologisch-anatomische
Bilder, indem bald dieses, bald jenes der ursprünglichen
Symptome so in den Vordergrund tritt, dass die übrigen fast
11C989
ie + T> 5)
A. Kuttner, Die akut-infektiösen Halsentzündungen. 21
ganz dagegen verschwinden. So entstehen aus der Primärreaktion,
wie aus einer gemeinsamen Wurzel die verschiedenartigsten Formen der
Entzündung, von denen wir hier nur die uns interessierenden Varietäten
anführen wollen:
1. Die hämorrhagische Entzündung. Wenn die Blutgefässe durch
die Noxe besonders stark in Mitleidenschaft gezogen werden, wenn sie
durch Tromben oder Embolien verlegt werden oder schon vorher erkrankt
sind (Arteriosklerose), dann treten oft neben den Leukozyten grössere
Mengen von roten Blutkörperchen aus der Blutbahn aus. Die hierdurch
bedingte Rotfärbung der Entzündungsprodukte gibt dem Krankheitsbild ein
besonderes Gepräge.
2. Die katarrhalische Entzündung. Wenn die Entzündung sich
in den obersten Schleimhautschichten abspielt, so wird die Schleim-
produktion alteriert: die Absonderung ist meist vermehrt, die chemische
Zusammensetzung des Sekretes verändert. Zahlreiche verschleimte Deck-
epithelien, Leukozyten und Lymphozyten sind ihm beigemengt. Je nach
seiner chemischen Beschaffenheit und nach seinem Gehalt an zelligen
Elementen bezeichnet man diese Form der Oberflächenentzündung als serösen,
als schleimigen oder als schleimig-eitrigen Katarrh.
3. Die pseudomembranöse (fibrinöse, croupöse) Entzündung.
Bei sehr vielen Entzündungsvorgängen, die sich in oder dicht unter der
Schleimhautoberfläche der Halsorgane abspielen, zeigt das Exsudat eine
Neigung zur Gerinnung, ganz besonders wenn das Deckepithel an einzelnen
Stellen zugrunde gegangen ist. Dann tritt die Ausschwitzungsflüssigkeit
durch diese Wunden an die Oberfläche, und unter dem Einfluss des nekro-
tisierenden Gewebes bilden sich Fibrinmassen, deren Form und Ausdehnung
von der Heftigkeit des Entzündungsprozesses und von dem Umfang der
Nekrotisierung abhängt.
Bei leichten Verletzungen, bei denen nur die obersten Deckzellen in
geringer Ausdehnung geschädigt sind, ist die Wundfläche nur mit einem Fibrinöse
zarten, leicht abziehbaren Fibringerinnsel bedeckt. (Fibrinöse oder croupöse N
Entzündung.) Ist der Substanzdefekt grösser, so dass die ganze Epithel-
decke, die subepitheliale Schicht und womöglich noch das tiefer liegende
Bindegewebe in weiterem Umfange nekrotisch geworden sind, dann bildet
die Pseudomembran ein netzartiges Gefüge aus derberen und feineren
Fibrinfasern und hyalinen Balken und Schollen, denen sich Leukozyten,
rote Blutkörperchen und nekrotische Massen eingelagert finden. Diese
Massen haften der Unterlage fest an, so dass sie oft nur mit Gewalt ab-
gezogen werden können. Diese Form der Entzündung hat man, je nach
dem Umfang und der Schwere der Erscheinungen als diphtheroide (pseudo- ae >
diphtherische) oder als diphtherische bezeichnet. Da diese Namen vielfach E Ent-
zu Missverständnissen geführt haben, hat Aschoff vorgeschlagen, sie als
„verschorfende“ zu bezeichnen.
4. Die seröse-exsudative Entzündung. ‚Der -Austrjtt seröser
Blutbestandteile überwiegt alle anderen Entzündungsersöheirtungen, > Die. © Sur
22 A. Kuttner, Die akut-infektiösen Halsentzündungen.
Beimischung zelliger Elemente, die Wucherungsvorgänge an den fixen
Gewebselementen treten so zurück, dass die Flüssigkeitansammlung im
Gewebe die Szene beherrscht. Erfolgt diese in eine vorgebildete Höhle,
lee so spricht man von „entzündlichem Hydrops“, erfolgt sie diffus in das
Entzündliches Gewebe hinein, so bildet sich ein „entzündliches Oedem.“ Verbreitet sich
Oedem das Oedem dicht unter der Oberfläche, so wird die Schleimhaut an den
Stellen, wo sie locker an ihre Unterlage angeheftet ist, in glasig durch-
scheinenden, hellgrauen oder goldgelben Blasen abgehoben, Entwickelt
sich das Oedem mehr in die Tiefe, so quellen die einzelnen Gewebselemente
auf und das ganze Organ erscheint gequollen und vergrössert, die Ober-
flächenschleimhaut glasig durchscheinend.
5. Die zellig-exsudative oder infiltrierende Entzündung.
Diese Form der Entzündung besteht in einem ausgesprochenen Gegensatz
zu der serös-exsudativen Entzündung. Ueberwiegt dort die Flüssigkeits-
ausscheidung, so beherrscht hier dieDurchsetzung des erkrankten Gewebes
mit körperlichen Elementen die Szene.
Plastisches Leukozyten, Lymphozyten, histogene Wanderzellen, von der positiv
innit. chemotaktischen Kraft der Infektionserreger angezogen, erfüllen alle
Maschen des Entzündungsgebietes, das sich je nach der Masse des Infil-
trationsmaterials derb oder bretthart anfühlt. Unter dem fermentativen
Einfluss der Infektionsgifte (Lysin, Leukocidin-van de Velde) kommt es zu
einer Erweichung des Infiltrationsmaterials.
Phlegmone. Die harte Masse wird teigig und allmählich von einer rahmigen un-
| durchsichtigen Flüssigkeit durchsetzt. Diese breitet sich in den Gewebs-
spalten aus und bewirkt durch ihre eigene fermentative Kraft selbst wieder
eine Einschmelzung und Nektrotisierung der Interzellularsubstanz und der
fixen Gewebszellen (Eiterbildung).
Abszess. Ist diese Eiterbildung eine zirkumskripte, so dass sich der Eiter nicht
diffus im Gewebe, sondern in einer abgeschlossenen Höhle findet, so liegt
ein Abszess vor.
6. Bei der parenchymatösen oder alterativ-degenerativen
Form der Entzündung überwiegen die alterativ-degenerativen Veränderungen
der Gewebszellen den exsudativen Vorgängen gegenüber (Lubarsch).
Dieses sind die verschiedenen Formen der entzündlichen Reaktion, die
in den Halsorganen durch den Angriff pathogener, akut-wirkender Infektions-
keime hervorgerufen werden. Aus einer einheitlichen Primärreaktion, wie
aus einer gemeinsamen Wurzel hervorgegangen und dann nach verschiedenen
Richtungen sich entwickelnd, bietet jede von ihnen das pathologisch-ana-
tomische Substrat für eines oder auch für mehrere der bis dahin streng
geschiedenen Krankheitsbilder.
Den ursprünglichen Typus der Entzündung sehen wir beim Erythem.
Seröse, schleimig-seröse, schleimige und schleimig-eitrige Katarrhe, die
diphtherischen und .psevdodiphtherischen Erkrankungen im Schlund, im
ee + Rathen and: Kehtkopf, -rbenso die hämorrhagische Laryngitis und Pharyn-
fos
m iR
A. Kuttner, Die akut-infektiösen Halsentzündungen. 23
gitis sind bekannt; es decken sich diese Krankheitsbilder mit den ent-
sprechenden Entzündungsformen. Die serös-exsudative Form der Entzün-
dung sehen wir beim typischen Erysipel, die verschiedenen Typen der
phlegmonösen Entzündung bei der Angina Ludovici, bei der eitrigen
Phlegmone und beim Abszess des Rachens und Kehlkopfes. Die alterativ-
degenerativen Veränderungen des Parenchyms sind bei den akut-infektiösen
Halserkrankungen kaum je so heftig, dass sie dem ganzen Krankheitsbild
ihren Stempel aufdrücken. Oefters aber bilden sie die Grundlage gewisser,
besonders auffallender Erscheinungen in der Oberflächenschicht: sie sihd
es, die die häufigen Trübungen und Fleckenbildungen im Epithel, die
Desquamation des Epithels beim Katarrh und bei der Angina lacunaris
hervorrufen oder wenigstens vorbereiten helfen.
2. Die regionäre Erkrankung.
Bei all diesen Krankheitsprozessen pflegen die Entzündungsvorgänge
nicht nur auf den ursprünglichen Angriffspunkt des Infektionskeimes be-
schränkt zu bleiben. Meist ziehen sie auch die Umgebung in Mitleiden-
schaft, indem sie entweder von Punkt zu Punkt kontinuierlich fort-
kriechen oder indem Infektionsmaterial auf dem Lymphwege bis zur
nächsten oder übernächsten Drüsenstation verschleppt wird und hier neue
Krankheitserscheinungen hervorruft.
Sehr wesentlich für unsere Betrachtung ist die Tatsache, dass die
einzelnen Erkrankungsformen bei ihrem kontinuierlichen Fort-
schreiten ihren ursprünglichen pathologisch-anatomischen
Charakter durchaus nicht immer festhalten. Im Gegenteil, häufig
sehen wir, dass eine Erkrankung, die ursprünglich als erytliematöser oder
katarrhalischer Prozess einsetzt, in der Umgebung des primären Herdes
Phlegmonen und Abszesse hervorruft — und dass umgekehrt die primäre
Phlegmone beim Uebergreifen auf die Nachbarorgane Oedeme, also serös-
exsudative Entzündungsvorgänge veranlasst. Dieser unmittelbare Uebergang
des einen Entzindungstypus in den anderen beweist unwiderleglich die
Einheitlichkeit dieser pathologisch - anatomischen Veränderungen, zwischen
denen eine essentielle Verschiedenheit nicht besteht und nicht be-
stehen kann.
3. Allgemeinerscheinungen.
Neben der generellen Uebereinstimmung der lokalen Vorgänge, die
durch die Entwicklung aus einer gemeinsamen Wurzel, und der generellen
Uebereinstimmung der regionären Vorgänge, die durch das Uebergehen
des einen Entzündungstypus in den anderen dargetan wird, gibt es noch
ein drittes Moment, welches die Zusammengehörigkeit all der verschiedenen
Formen der akut-infektiösen Halsentzündungen verbürgt, und das ist die
Gleichartigkeit der von ihnen ausgelösten Allgemeinerschei-
nungen. Nicht etwa, dass diese nun immer ein und dieselbe Form an-
nehmen, im Gegenteil, die Formen, in der die konstitutionelle Erkrankung
24 A. Kuttner, Die akut-infektiösen Halsentzündungen.
‚ ihren Ausdruck findet, sind recht mannigfach und wechselnd. Aber ihre
Hyper-
leukozytose.
Hypo-
leukozytose.
Zusammengehörigkeit, die prinzipielle Einheitlichkeit in der Vielheit der
Erscheinungen ist trotzdem zweifellos; sie wird bewiesen durch zwei
Momente: erstens durch die Gleichartigkeit des Entstehungmodus — immer
sind es dieselben Infektionskeime oder deren Giftstoffe, die erst den Primär-
herd und dann von hier aus nach ihrer Verschleppung durch den ganzen
Organismus die Allgemeinerscheinungen auslösen — und zweitens durch
die Tatsache, dass jede akut-infektiöse Halsaffektion, in welcher
Gestalt sie auch auftreten mag, diese oder jene oder auch
das ganze Heer der konstitutionellen Begleit- und Folge-
erscheinungen auslösen kann.
Als solche konstitutionelle Begleit- und Folgeerscheinungen kommen
in Betracht:
1. Das Fieber,
Das Fieber, der Ausdruck einer Störung in der Wärmeregulierung des
Körpers, fehlt fast nie bei akuten Infektionskrankheiten, Es beruht auf
einer Schädigung des Wärmezentrums durch die im Blute kreisenden Gifte
der Infektionserreger. Die hierdurch gesteigerte Wärmeproduktion kann
durch die Wärmeabgabe des Körpers nicht genügend ausgeglichen werden.
2. Die entzündliche Leukozytose.
Im Verlauf der allermeisten Infektionskrankheiten — eine Ausnahme
bilden nur Typhus, Masern, Malaria und nicht lokalisierte Sepsis — beobachtet
man eine auffallende Vermehrung der Leukozyten im Blut (Hyperleukozy-
tose). Diese wird durch chemotaktische Einflüsse des Infektionsvirus her-
vorgerufen, indem die in den blutbildenden Organen befindlichen Leukozyten
in die Blutbahn gelockt werden (positive Chemotaxis). Ihr gegenüber
steht bei den erwähnten Erkrankungen die Hypoleukozytose, bei der die
im Blut kreisenden Leukozytenmengen von dem Infektionsgift abgestossen,
vermindert sind (negative Chemotaxis, Kolle und Hetsch).
3. Anämie und 4. Milztumor,
die sich mit sehr vielen Infektionskrankheiten vergesellschaften, sind
zurückzuführen auf die von. vielen Infektionserregern erzeugten hämoly-
tischen Gifte (Hämolysine), die eine starke Zerstörung der roten Blut-
körperchen bewirken. Ihr Zerfall bedeutet eine entsprechende Herabsetzung
des Hämoglobingehaltes (Anämie). Die Aufspeicherung ihrer Zerfallsprodukte
in der Milz und die damit Hand in Hand gehende vermehrte Neubildung
von Erythrozyten in diesem Organ gibt sich als Milztumor zu erkennen.
5. Nierenschädigung und 6. Nervenschädigung.
Sehr häufig werden durch die im Blutkreislauf zirkulierenden Gift-
stoffe Schädigungen der Nieren- und Nervensubstanz ausgelöst. Diese
treten gewöhnlich in der Form einer parenchymatösen Degeneration auf
A. Kuttner, Die akut-infektiösen Halsentzündungen. 25
‘auf die durch Verschleppung von Bakterien in der Nierensubstanz ent-
stehenden metastatischen Herde kommen wir noch bei Besprechung der
Pyämie zurück), die bei Lokalisation in der Niere zu Albuminurie und
Hämaturie, bei Lokalisation im Gehirn, im Rückenmark und in den
peripheren Nerven zu Krampf- (Tetanus, Lyssa) oder zu Lähmungser-
scheinungen führt. Diese auch sonst recht oft bei akuten Infektionskrank-
heiten auftretenden Schädigungen der Nieren und des Nervensystems sind
bei den akut-infektiösen Erkrankungen der Halsorgane besonders häufig
und besonders gefürchtet. Die Geringfügigkeit der primären Halsaffektion
steht oft in schreiendem Missverhältnis zu den schweren Störungen, die
durch sie in den Nieren und im Nervenapparat, besonders in dem nervösen
Apparat des Herzens ausgelöst werden. So mag mancher unaufgeklärte
Herztod auf eine vorhergegangene, garnicht beachtete Infektion der
Halsorgane zurückzuführen sein: ähnlich wie man auch oft bei chronischen
Kinder-Nephritiden beobachtet, dass übersehene Anginen erst auf dem Um-
weze über die Urinuntersuchung durch die Vermehrung des Eiweiss- und
Blutgehaltes im Urin entdeckt werden.
7. Bakteriämie, 8. Pyämie, 9. Septikämie.
Wenn die Bakterien in die Blutbahn gelangen, sei es durch Einbruch Bakteriamie.
eines Krankheitsherdes in die Gefässbahn oder von Thromben oder Embolien
aus oder auch durch Vermittlung der Lymphbahnen, so spricht man von einer
Bakteriämie. Dieser Zustand braucht sich in keiner Weise durch Krank-
heitserscheinungen zu erkennen zu geben: es können zahlreiche Mikroor-
ganismen in der Blutbahn kreisen, ohne dass der Organismus mit einer
für uns irgend wie erkennbaren Reaktion darauf antwortet. Erst wenn
sich die Infektionsträger innerhalb des Gefässsystems selbst vermehren und
entwickeln oder von hier aus neue Krankheitsherde etablieren, kommt es
zu den schweren Allgemeinerscheinungen, die wir als Pyämie und Sep-
tikämie bezeichnen. Diese beide Krankheitsbilder lassen sich ganz gut
in der Theorie, in der Praxis aber oft nur schwer, manchmal auch garnicht
auseinanderhalten.
Von Pyämie sprechen wir, wenn Infektionskeime vom primären Herd Pyimie.
aus durch die Blut- oder Lymphbahn in entfernte Körperregionen ver-
schleppt werden und überall da, wo sie günstige Entwicklungsbedingungen
antreffen, neue Krankheitsherde entstehen lassen. Auf diese Weise bilden
sich Metastasen in den Gelenken, in den Nieren, im Knochen, in den
Lungen, im Herzmuskel usw. Jeder dieser neu auftretenden Entzündungs-
und Eiterherde ruft neben den lokalen Schädigungen eine frische Intoxi-
kation durch die sich immer wieder neubildenden Giftstoffe hervor, die
durch Schüttelfröste, Temperatursteigerungen usw. den Verfall des Orga-
nısmus beschleunigen.
Die Septikämie unterscheidet sich im Prinzip von der Pyämie da- Septikämie.
durch, dass sich bei ihr die Infektionsträger vom primären Herd aus durch
das ganze Gefässsystem verbreiten, sich in ihm, das kreisende Blut
Krankheitsbilder.
26 A. Kuttner, Die akut-infektiöson Halsentzündungen.
gleichsam als Kulturmedium benutzend, weiter entwickeln und,
besonders in den Kapillaren, enorm vermehren. Hier sind es vor allem
die Bakteriengifte, welche die schweren Allgemeinerscheinungen, Fieber,
Coma, Lähmungen usw. hervorrufen.
Diese theoretische Scheidung, nach der die Pyämie hauptsächlich
durch Metastasenbildung, die Septikämie durch die rein toxische All-
gemeinerkrankung charakterisiert wird, ist, wie gesagt, in der Praxis oft
nur schwer durchzuführen. Denn auch bei der Pyämie können die toxi-
schen Erscheinungen stark in den Vordergrund treten, wenn die Nach-
schübe von Eiterdepots ins Blut sehr stark sind, und bei der Septikämie
wieder sind metastatische Herde durchaus nicht ausgeschlossen.
Im Rahmen dieser verschiedenartigen Krankheitstypen spielen sich
nun all die zahlreichen Formen von akuten Halsaffektionen ab, in ihrer
bunten Vielgestaltigkeit doch eine bestimmte Einheitlichkeit bewahrend:
immer handelt es sich ätiologisch um akut-infektiöse Prozesse,
pathologisch um wohl charakterisierte Entzündungsvorgänge in den
lokalen und regionären Krankheitsherden, und das unübersehbare, an-
scheinend jeder Ordnung spottende Heer der Komplikationen!) rangiert
sich lückenlos in die Reihe der konstitutionellen Symptome, wie sie uns
als Begleit- und Folgeerscheinungen anderer akuter Infektionskrankheiten
längst vertraut sind So lösen sich in dieser Einheitlichkeit restlos all
die ungezählten Halsaffektionen, von denen man jeder einen besonderen
Namen zuzubilligen für notwendig hielt.
Die einzelnen Krankheitsbilder und ihre Therapie.
Auf eine eingehende Erörterung der einzelnen Krankheitsbilder, die
ja hinlänglich bekannt sind, darf ich verzichten: verschiedene eigene Be-
obachtungen und die zahlreichen einschlägigen Krankheitsfälle der chirur-
gischen Abteilung des Städtischen Krankenhauses am Urban zu Berlin, die
1) Einen Fingerzeig für ein besseres Verständnis der in so mannigfaohen
Formen auftetenden Generalisierung dieser Erkrankungen geben vielleicht die
später noch zu erwähnenden Versuche von Abrami u. Richet fils (Compt. rend.
d. l. soc. d. biolog. 1909. II. p. 562). Diese Autoren spritzten Kaninchen eine
Streptokokken-Aufschwemmung in eine Körpervene und bewirkten gleichzeitig durch
mechanischo Belastung oder durch einen Tropfen Krotonöl eine geringfügige
Störung in der Zirkulation des Ohres. Bei jedem dieser Versuche stellte sich
prompt an der geschädigten Stelle eine erysipelatöse Entzündung ein: es waren
also immer die Infektionserroger auf hämotogenem Wege zu allererst dorthin
verschleppt worden, wo ein Locus minoris resistentiae geschaffen worden
war. Dieser Versuch, dessen Ergebnisse ich aus eigener Erfahrung bestätigen
kann, könnte zum Ausgangspunkt weiterer Untersuchungen dienen, ob vielleicht
auch sonst beim Einbruch von Infektionsherden in den Kreislauf diejenigen Organe
zunächst geschädigt werden, deren Widerstandsfähigkeit aus irgend einem Grunde
herabgesetzt ist,
A. Kuttnor, Die akut-infektidsen Halsentziindungen. 27
mir Herr Direktor K oerte gütigst zur Verfügung stellte — wofür ich ihm auch
an dieser Stelle gern meinen Dank ausspreche — haben seit dem Erscheinen
meiner früheren Arbeit neue Gesichtspunkte nicht ergeben. Ich begnüge
mich mit einigen generellen Bemerkungen.
Die erythemartigen Erkrankungen (Pharyngitis, Tonsillitis, Uvulitis, Erythem.
Laryngitis simplex usw.) sind unkomplizierte Entzündungen der Oberfläche,
bei denen die vier Kardinalsymptome der Entzündung ungefähr gleich-
mässig entwickelt sind.
Beim Katarrh tritt hierzu eine lebhaftere Betätigung der schleim- Katarrh.
bildenden Organe und eine stärkere Betonung der alterativ-degenerativen
Vorgänge, die zu einer Abstossung der obersten Epithelschichten (Rachen-
Kehlkopfkatarrh) führt. Die katarrhalischen Prozesse pflegen meist aber
auch noch etwas tiefer zu greifen und im submukösen Gewebe und im
Parenchym exsudative Vorgänge auszulösen, die eine Volumenzunahme der
erkrankten Organe veranlassen. So ist beim Rachen- und Kehlkopfkatarrh
oft die ganze Schleimhaut leicht verdickt, der Umriss der Epiglottis, der
Arvknorpel, der ary-epiglottischen Falten weniger scharf als unter normalen
Verhältnissen. Auf derselben Basis beruht die Vergrösserung der Tonsillen
bei katarrhalischen Erkrankungen. Die gelben Punkte und Flecken in Angina lacunaris.
den Lakunen verdanken ihr Entstehen den Sekretmassen, die aus der Tiefe
der Krypten herausquellen und durch die Beimischung grösserer oder geringerer
Mengen von Leuko- und Lymphozyten, von degenerierten und abgestossenen
Epithelien, von Spalt- und Schimmelpilzen ihre jeweilige Farbe und Konsistenz
erhalten. Die fibrinösen Ausscheidungen, die das in ihr Netzwerk ein-
zelagerte Sekret festhalten, bilden sich zumeist bei Oberflächenläsionen.
Bei der Pharyngitis und Laryngitis haemorrhagica tritt die Alte- Pharyngitis,
ration der Gefässwände besonders in den Vordergrund. as
Die echte Diphtherie und all die anderen mit pseudomembranösen
Auflagerungen einhergehenden Erkrankungen dokumentieren sich als Ent- rFibrinöse
ziindungsvorgange, bei denen die Nekrotisierung der Oberfläche und die E"=tndungen.
Ausscheidung fibrinogener Substanzen in den Vordergrund tritt.
Bläschenbildung entsteht durch zirkumskripte Oberflächenentzündung Biäschenbildung.
bei lebhafter Exsudation seröser oder eitriger Massen.
Erosions- und Geschwürsbildung tritt ein, wenn die Entzündungs- Frosionen.
erscheinungen einen mehr alterativ-degenerativen Charakter annehmen, der ee
schliesslich zu oberflächlichen oder tiefer greifenden Sustanzverlusten führt.
Das Erysipel zeigt in seiner charakteristischen Form den Typus der Erysipel.
rein serösen, das harte Infiltrat, die Phlegmone und der Abszess! nusmone.
den Typus der infiltrierenden und erweichenden Entzündung!).
1) Der Meinung Rupprechts, dass Semon nicht berechtigt war, die Angina
Ladorici in den Kreis der akut-infektiösen Halserkrankungen mit einzubeziehen,
kann ich nicht zustimmen. Wenn auch die Einfallspforte hier gewöhnlich eine
andere ist, als bei den übrigen akut-infektiösen Halsentzündungen, so gehört dieses
Krankheitsbild doch durch seine Aetiologie, durch seine pathologisch-anatomischen
Veränderungen und seinen klinischen Verlauf zweifellos hierher.
Therapie.
28 A. Kuttner, Die akut-infektiösen Halsentzündungen.
Dass zwischen diesen Grundtypen zahlreiche Uebergänge und Kom-
binationen vorkommen, dass die Heftigkeit der lokalen und regionären
Erscheinungen, die Tendenz zur Generalisierung von den verschiedensten
Umständen — Menge und Virulenz des Infektionsstoffes, allgemeine und lokale
Widerstandsfähigkeit des Patienten ‚Lokalisation des primären Herdes usw. —
abhängig sind, bedarf ja keiner weiteren Erörterung.
Auch die Therapie hat in der Zwischenzeit nennenswerte Veränderungen
nicht erfahren, bis auf die Serotherapie, über deren Wirksamkeit eine
weitere Klärung recht erwünscht wäre. Der augenblickliche Stand der
Dinge ist ungefähr folgender:
Bei Staphylo- und Pneumokokken-Affektionen hat man durch Serum-
behandlung bisher nirgends einen Erfolg erzielt.
Ueber die Wirkung des Streptokokkenserums bei Streptokokken-
erkrankungen sind die Meinungen geteilt. Zahlreiche Autoren melden,
dass sie bei wiederholentlichen Versuchen niemals einen Erfolg zu ver-
zeichnen hatten. Andere, darunter Semon und Ph. de Santi haben
durch Seruminjektionen in manchen Fällen einen ganz überraschenden Um-
schwung erzielt. Einen derartig verblüffenden Erfolg habe ich auch erlebt.
Am 7. Mai 1910, vormittags, wurde ich zu einem 17jährigen Patienten
gerufen, der seit ca. 8 Tagen an einer sehr schweren Phlegmone des
Rachens und Kehlkopfes erkrankt war. Die Tonsillen und die Pharynx-
schleimhaut waren mit übelriechenden, schmutziggelben Belägen bedeckt,
die vielfach ulzerierte Schleimhaut des ganzen Pharynx und Larynx war in
eine derbe, rötliche, graue Infiltrationsmasse verwandelt. Temperatur
39,8—40.1°, Puls 120—130, Urin enthält Blutkörperchen, Albumen, Zylinder,
Bewusstsein benommen.
Das ganze Krankheitsbild war ein so schweres, dass mir der Patient,
sonst ein überaus kräftiger, ganz gesunder Bursche, verloren schien. An
demselben Tage noch wurde eine Seruminjektion (polyvalentes Strepto-
kokkenserum) gemacht, bei der aber nur eine halbe Dosis verabreicht
wurde. Am nächsten Morgen war die Temperatur auf 39° gesunken gegen
39,80 Tags vorher. Abends stieg die Temperatur nur bis 39,2 gegen 40,1°
Tags zuvor. Jetzt nochmals Injektion einer vollen Dosis; am nächsten Tage
war die Temperatur 38,4%, abends 38,5%, Puls 110, am zweiten Tage
Temperatur 37,6—37,8°%, am dritten Tage 36,9—37,5° vom vierten Tage
an Temperatur dauernd normal. Der lokale Befund, Puls und Urin zeigten
vom Tage der Injektion an eine geradezu verblüffende Besserung. Voll-
kommene Heilung.
Ein derartiger Fall würde natürlich wenig oder garnichts besagen.
Da solche Fälle aber doch wiederholentlich beobachtet worden sind — auch
Herr Kollege Ed. Meyer-Berlin war so freundlich, mir einige ähnliche
Erfahrungen zur Verfügung zu stellen —, so scheint mir das zu beweisen,
dass doch unter gewissen Bedingungen das Streptokokkenserum auf die
Streptokokkeninfektion von entscheidendem Einfluss ist. Leider wissen wir
A. Kuttner, Die akut-infektiösen Halsentzündungen. 29
noch gar zu wenig darüber, welcher Art diese Bedingungen sind. Man
nimmt an, und wohl nicht mit Unrecht, dass der Erfolg der Seruminjektion
davon abhängt, ob die für die Serumbeschaffung verwandte Kultur dem
Infektionsstamm nahe stand.
Von Interesse dürften noch therapeutische Mitteilungen aus der jüngsten
Zeit sein. Henke!) teilt mit, dass er durch lokale Injektion von 2—3 ccm
Höchster Streptokokkenserum das Weiterfortschreiten von phlegmonösen
Peritonsillitiden in 20 Fällen verhindern konnte, und Pfeiffer?) berichtet
über gute Erfolge bei Behandlung der Angina Vincenti durch lokale
Salvarsanpinselung.
Können wir auch die Zusammenhänge, auf die es hier ankommt, noch
nicht klar überblicken, so halte ich doch diesen Weg für aussichtsreich,
und ich würde es bei so schweren Fällen immer’ für angezeigt halten, die
Injektion eines polyvalenten oder autogenen Serums zu versuchen.
Bakteriologie.
Nachdem die Zusammengehörigkeit der akut-infektiösen Halsentzün-
dungen aus der generellen Einheitlichkeit ihrer pathologisch-anatomischen
und ihrer klinischen Erscheinungen erwiesen worden ist, gilt es noch, die
ätiologischen Bedingungen der einzelnen Krankheitsformen zu unter-
suchen — möglich, dass sich hier ein Fingerzeig für die aus einer so ein-
heitlichen Wurzel sich entwickelnde Mannigfaltigkeit der Krankheitsbilder
ergibt.
Zwei Fragen sind es hier, von deren Beantwortung vor allem die
fernere Gestaltung der Lehre von den akut-infektiösen Erkrankungen der
Halsorgane abhängt:
1. Wann und wo sind es spezifisch wirksame Keime, die für eine
bestimmte Erkrankungsform verantwortlich zu machen sind, und
2. lassen sich bei Erkrankungen, die nicht durch spezifische, sondern
durch andere Infektionserreger hervorgerufen werden, die Bedingungen fest-
stellen, die das eine Mal zu der einen, das andere Mal zu einer anderen
Erkrankungsform führen?
Die Beantwortung dieser Fragen, die auch an anderen Körperregionen
nicht leicht ist, ist bei den Halsorganen mit ganz besonderen Schwierig-
keiten verknüpft. Durch den dauernden, unmittelbaren Kontakt mit der
atmosphärischen Luft, durch die Nahrungsaufnahme, durch die im Munde
zurückbleibenden Speisereste, durch gelegentliche Zahnerkrankungen, durch
die krypten- und buchtenreiche Gestalt des lymphatischen Rachenringes
wird die Mundrachenhéhle zu einem Sammelplatz zahlloser Mikroben.
Unter diesen finden sich, wie die Untersuchungen der verschiedensten
Autoren ergeben haben, selbst unter ganz normalen Verhältnissen neben
harmlosen Saprophyten auch hochvirulente Bakterien. Diese Fauna des
1) F. Henke, Arch. f. Laryngol. u. Rhinol. Bd. 27. H. 2.
2) W. Pfeiffer, Arch. f. Laryngol. u. Rhinol. Bd. 27. H. 2.
Schwierigkeit
der bakteriolog.
Untersuchung
der Halsorgane.
30 A. Kuttner, Die akut-infektiösen Halsentzündungen.
Fauna des ge- gesunden Halses macht das Studium des kranken Halses zu einem ganz
sunden Halses-) esonders schwierigen, so dass nur eine grosse Erfahrung und allersorg-
samste Technik vor Trugschliissen schiitzt. Von den früheren Unter-
suchungen, bei denen man weniger skrupulös zu Werke ging, ist deshalb
vieles wertlos geworden.
Schon eine brauchbare Materialentnahme ist, wie Rupprecht in einer
sehr gründlichen Arbeit!) gezeigt hat, mit grossen Schwierigkeiten ver-
knüpft. Dieser Autor hat eine grössere Reihe von Untersuchungen in der
Weise angestellt, dass er bei einem vorher gut geschulten Material einen
leicht zugänglichen Punkt der ganz gesunden Halsorgane mit einer aus-
geglühten Platinnadel beriihrte. Der Platindraht wurde dann auf Bouillon
abgeimpft, und ausnahmslos wurde auf diese Weise die Anwesenheit
zahlreicher Mikroorganismen (Pneumokokken, Staphylokokken, Strepto-
kokken, Stäbchen, Hefe, Sarzine) meist 2—3 Arten kombiniert, festgestellt.
Wenn die subtilste Technik unter so günstigen Untersuchungsbedingungen
eine so vielgestaltige Zufallsfauna ergibt, dann kann ein aus einem kranken
Halse gewonnenes Abstrichpräparat nur dann Bedeutung haben, wenn es
irgend einen Mikroorganismus in Reinkultur oder doch wenigstens nahezu
in Reinkultur zeigt. Aber selbst ein derartiger Befund ist durchaus noch
nicht ohne weiteres als bündiger Beweis anzusehen, muss man döch auch
jetzt noch mit der Möglichkeit rechnen, dass der primäre Infektionserreger
von einem sekundären überwuchert worden ist.
Etwas günstiger liegen die Chancen, wenn man bei serösen oder eitrigen
Prozessen das Untersuchungsmaterial durch Punktion aus der Tiefe der
Gewebe gewinnt. Bei diesem Vorgehen ist die Wahrscheinlichkeit, den
Erreger der Erkrankung in Reinkultur zu erhalten, wesentlich grösser, eine
ganz sichere Gewähr gibt aber auch dieses Verfahren nicht. Zwar halte
Mischinfektion. ich die Gefahr einer Mischinfektion, d. h. einer Infektion, bei der von
vornherein mehrere Infektionskeime in die Gewebe eindringen und dort in
Wirksamkeit treten, nicht für so gross, wie sie gewöhnlich angenommen
wird. Dagegen muss man meines Erachtens gerade bei Halserkrankungen
ne mit Sekundärinfektionen, d. h. mit der Infizierung des bereits er-
krankten Gewebes durch das Hinzutreten eines zweiten wirksämen Infektions-
keimes desto häufiger rechnen. Die Aggressivkraft der verschiedenen
Bakterienarten ist ja nicht immer die gleiche; individuelle Unterschiede
und die Besonderheiten der jeweiligen Situation spielen hierbei gewiss eine
wesentliche Rolle. So überwindet der eine Krankheitserreger die lokalen
wie die allgemeinen Widerstände schneller als der andere. Sind diese
aber erst einmal durch einen besonders energischen Infektionskeim über-
wunden, dann gelingt es wohl auch den weniger aktiven Keimen ge-
legentlich, in die Tiefe des Gewebes vorzudringen und dort ihre verhäng-
nisvolle Wirksamkeit zu entfalten.
1) Zur Kenntnis der Laryngitis submucosa. Monatsschr. f. Ohrenheilkunde,
1905, Nr. 2.
A. Kuttner, Die akut-infektidsen Halsentziindungen. 31
Diese kann dann unter Umständen so stark werden, dass der primäre d.
Infektionserreger vollständig in den Hintergrund gedrängt wird. Sehr schön E
wird diese Tatsache durch eine Beobachtung von Henke!) illustriert.
Die Punktion eines peritonsillären Abszesses am vierten Tage der
Erkrankung ergab Reinkultur von Streptokokken. Eine zweite Punktion
24 Stunden später ergab „fast nur Staphylokokken“. Ein Zeitraum von
24 Stunden hatte also genügt, um den primären Infektionserreger, den
Streptokokkus, durch die Sekundärinfektion des Staphylokokkus nahezu
vollständig zu verdrängen. Gewiss mag in diesem Fall der Stichkanal der
ersten Punktion die Chancen für die Sekundärinfektion besonders günstig
gestaltet haben, es unterliegt aber keinem Zweifel und ist überdies durch
zahlreiche Versuche bewiesen, dass es einer Verletzung hierzu nicht erst
bedarf, die „physiologischen Wunden“ der normalen und noch mehr die
der bereits erkrankten Schleimhaut genügen vollauf.
Die Erfahrung Henkes, die durch ähnliche Beobachtungen an anderen
Organen bestätigt wird, beweist also, dass die Mikroorganismen, die man
bei längerem Bestehen einer Erkrankung durch Punktion, Exzision oder
auch durch Autopsie in der Tiefe der Gewebe findet, nicht ohne weiteres
als das die vorliegende Erkrankung auslösende Agens anzusehen sind,
selbst dann nicht, wenn sie in Reinkultur vorhanden sind und ihre Virulenz
durch den Tierversuch erwiesen ist.
Weitere Anhaltspunkte für die Pathogenität der einzelnen Infektions-
erreger können sich aus der Blutuntersuchung ergeben; oft lässt aber Re
auch diese im Stich. Zuvörderst ist zu bedenken, dass die Bakterien nur
bei besonders schweren Erkrankungen im kreisenden Blute nachgewiesen
werden können. So hatte beispielsweise P. Lehmann?) bei 75 Blut-
entnahmen von schweren Erysipelfällen nur 3 mal einen positiven Befund;
und in 2 von diesen 3 Fällen war dieser Befund noch dazu durch eine
Komplikation (Pneumonie), nicht durch die primäre Erysipelerkrankung
tedingt. Ob es die Gefässwand des Lebenden ist, die, so lange sie durch
die Erkrankung nicht allzu schweren Schaden genommen hat, durch ihre
hakteriziden Kräfte die Entwicklung der Keime hemmt (Bertelsmann,
P. Lehmann), oder ob die bei der Blutentnahme sich bildenden Kom-
plemente zu viele Bakterienleiber zerstören, oder ob nur unter bestimmten
Vorausbedingungen genügend grosse Bakterienmengen in die Blutbahn ge-
langen, das mag dahingestellt sein — jedenfalls müssen wir uns damit
abfinden, dass mit unseren heutigen Hilfsmitteln im Blut des Lebenden
nur unter gewissen Bedingungen pathogene Keime nachzuweisen sind.
Weseptlich anders liegen die Verhältnisse bei postmortalen Blutunter-
1) Ueber die phlegmonösen Entzündungen derGaumenmandeln. B. Fränkels
Arch. Bd. 27. S. 308.
2) Beiträge zur Klinik des Erysipels mit besonderer Berücksichtigung des
tak:eriologischen Blutbefundes. Jahrb. d. Hamb. Staatskrankenanstalten Bd. 15.
1910. S. 28.
32 A. Kuttner, Die akut-infektiösen Halsentzündungen.
suchungen. Diese ergaben demselben Autor bei 11 Proben 8 positive und
nur 3 negative Befunde.
Die Immunitätsforschung, die anderweitig durch die Untersuchung der
jeweilig sich bildenden Antitoxine, Bakteriolysine, Agglutine und Präzipitine
die Lehre von der Spezifität der einzelnen Krankheitserreger vielfach sehr
geklärt hat, hat unsere Untersuchungen bisher noch nicht sehr gefördert.
Wir dürfen aber wohl hoffen, dass die modernen Bestrebungen, welche
durch das Studium der Fermentwirkungen in das Wesen und Wirken der
Bakterien einen besseren Einblick zu gewinnen suchen, auch uns noch zu
gute kommen werden.
Es schien mir unerlässlich, in dem Augenblick, wo wir unsere Er-
kenntnis von dem Wesen dieser Erkrankungen mit den Ergebnissen der
modernen Forschung in Einklang zu bringen versuchen, auf all die Schwierig-
keiten hinzuweisen, mit denen eine Neuordnung dieser Materie auf Grund
ihrer ätiologischen Faktoren zu rechnen hat. Haben sich doch von den
früheren Untersuchungsergebnissen viele als unbrauchbar erwiesen, weil die
Kautelen, die man damals für ausreichend hielt, sich im Laufe der Zeiten
als ungenügend erwiesen haben, und es hat mühevolle Arbeit genug ge-
kostet, die Trugschlüsse, die auf diesen irrtümlichen Voraussetzungen auf-
gebaut waren, wieder auszuschalten.
Von den bisher bekannten Mikroorganismen kommen als Erreger von
akut-entzündlichen Halserkrankungen folgende in Betracht:
1. Der Loefflersche Diphtheriebazillus,
2. Der Bacillus fusiformis (eventuell in seinem Zusammenwirken mit
Spirochaeten),
3. Der Bacillus mucosus,
. Das Bacterium coli,
Der Pneumokokkus,
. Der Staphylokokkus,
. Der Streptokokkus,
. Der Bacillus tetragenus und megaterium.
DP I OU
1. Der Loefflersche Diphtheriebazillus.
Dieser ist der einzige von den eben aufgezählten Krankheitserregern,
der nach dem Stand unseres heutigen Wissens mit Sicherheit als ein
„spezifischer“ zu bezeichnen ist. Denn immer löst er dasselbe Krankheits-
bild aus, und dieses wird von keinem anderen Infektionserreger ausgelöst.
Diese Spezifizität der Krankheitserscheinung findet aber nicht, wie man
früher allgemein annahm, ihren Ausdruck in der Bildung der pseudo-
membranösen, diphtherischen Beläge. Wir wissen heut vielmehr, dass die
Halsorgane durchaus nicht immer nur durch die pseudomembranösen,
sondern auch durch andere Entzündungsformen auf den Angriff des Diphtherie-
bazillus reagieren, und dass andererseits pseudomembranöse Beläge, die
von den echt-diphtherischen weder makroskopisch noch mikroskopisch zu
A. Kuttner, Die akut-infektiösen Halsentzündungen. 33
unterscheiden sind, auch durch andere Infektionserreger hervorgerufen
werden Können.
Es gehört also der pseudomembranöse Belag. der früher als Charakteristi-
kum der Diphtherie angesehen wurde, nicht zu ihren „wesentlichen“ Merkmalen.
2. Bacillus fusiformis.
Ob die Plaut-Vincentische Angina als eine spezifische Erkrankung
anzusehen ist, die durch den Bacillus fusiformis mit oder ohne Beihilfe
von Spirochaeten hervorgerufen wird, ist heute noch nicht sicher erwiesen.
Gerade diese Erkrankung legt Zeugnis ab fiir die grossen Schwierigkeiten,
mit denen diese Untersuchungen zu kämpfen haben. Durchaus nicht selten,
von vielen sorgsamen Autoren bearbeitet, kann man doch nicht recht
dahinterkommen, ob es sich hier wirklich um eine spezifische Erkrankung
im engeren Sinne handelt und ob das Plautsche Bakteriengemisch oder
der Bacillus fusiformis allein Träger dieser Spezifität sind!) 2).
Dass aber die Plaut-Vincentische Angina hierher gehört, dafür
sprechen neben der Uniformität der lokalen und regionären Prozesse und
die in ihrem Verlauf auftretenden Allgemeinerscheinungen, auf die besonders
Reiche in seiner letzten Arbeit hinweist: Temperatursteigerung, Leukozytose,
Milzschwellung, gelegentlich auch Nephritiden, Lähmungen und myokardi-
tische Störungen.
3. Der Bacillus mucosus.
Unsere Kenntnisse über die Pathogenität des Bacillus mucosus sind
gering und nicht sehr zuverlässig. Man hat ihn nur bei leichten ober-
flachlichen Schleimhauterkrankungen erythematöser und katarrhalischer
Natur gefunden. Ob ihm bei diesen Erkrankungen eine ursächliche Wirkung
zukommt, oder ob er nur ein harmloser Saprophyt ist, ist zurzeit noch
nicht ganz sichergestellt.
4. Das Bacterium coli.
Die verschiedenen Typen dieser Bakteriengruppen gehören zwar nicht
zu den regelmässigen Bewohnern der Mund- und Rachenhöhle, werden aber
hier auch unter normalen Verhältnissen des öfteren als unschuldige
Schmarotzer gefunden.
Aber nicht immer ist die Rolle, die sie spielen, eine so harmlose.
Unter gewissen Bedingungen entfalten sie eine energische organfeindliche
Tatigkeit und rufen dann entweder durch Verschleppung von Bakterien
sekundäre oder auch ohne solche Vorläufer direkte primäre Affektionen
der Halsorgane hervor. Von den diesbezüglichen Mitteilungen?) mögen
1) Arth. Meyer, Samnl. klin. Vortr. Serie 12. H. 26, 27. 1908.
2) F. Reiche, Jahrb. d. Hamb. Staatskrank. 1905. 1910.
3) Lermoyez, Helme et Barbier, Un cas d’amygd. chron. coli bacill.
Ann. des mal. de Vor. 1894. No. 8. p. 787. — Chaillon et Martin, Nouv.
ctudes sur la diphtbh. Ann. de l'Institut Pasteur. 1894. No. 7. — Widal, Sur
Archiv für Laryngologic. 28. Bd. 1. Heft. 3
34 A. Kuttner, Die akut-infektiösen Halsentzündungen.
einige, die zeitlich ziemlich weit zurückliegen, nicht ganz einwandfrei
sein. Es bleiben aber doch noch eine ganze Reihe zuverlässiger Beob-
achtungen übrig, die an der pathogenen Bedeutung des Bacterium coli
keinen Zweifel lassen.
So berichten Lermoyez, Helme und Barbier über einen Angina-
fall, bei dem das Coli-Bakterium nicht nur durch Abstrich in Reinkultur
gewonnen wurde, sondern sich auch in der Tiefe des Gewebes in grossen
Mengen nachweisen liess. Ist es auch nicht ganz sicher, dass die Affektion
in diesem Falle von Anfang an eine typische Coli-Erkrankung war — der
Patient litt häufig an Anginen und war diesmal schon 2 Monate krank,
als die bakteriologische Untersuchung vorgenommen wurde —, so ist es
doch angesichts des Befundes höchst wahrscheinlich, dass zur Zeit der
bakteriologischen Untersuchung das Bacterium coli für das Krankheitsbild
verantwortlich zu machen war. Wenn nun aber die Autoren aus dem
Verlauf dieses Falles eine Reihe von Erscheinungen herausheben, die sie
als charakteristisch für die Coli-Angina bezeichnen: chronischer Verlauf,
Hartnäckigkeit, Geringfügigkeit der lokalen Erscheinungen, die in keinem
rechten Verhältnis zu den schweren Allgemeinerscheinungen stehen, die
etwas abweichende Form des lokalen Exsudates, so zeigen andere Beobach-
tungen, dass die hier gesehene Form der Reaktion nicht die einzige ist,
durch die der Organismus auf den Angriff des Kolibakterium antwortet.
So sah Widal z. B. eine eitrige Phlegmone, aus der er das Bacterium
coli in Reinkultur gewann; nach Bourges und Houdelo dürfte das
Bacterium coli gelegentlich auch bei der Bildung pseudomembranöser
Beläge beteiligt sein, andere Autoren sahen anginaartige Zustände, die sich
von Streptokokkenanginen klinisch nicht unterscheiden liessen.
Nach alledem besteht kein Zweifel, dass das’ Bacterium coli akut-
entzündliche Affektionen der Halsorgane auslöst, die lokal und kon-
stitutionell die verschiedenartigsten Formen annehmen können und klinisch
von Halsaffektionen anderer Provenienz garnicht zu unterscheiden sind.
d. Der Pneumokokkus!).
Der Pneumokokkus gehört zu den gewöhnlichen Bewohnern der Mund-
rachenhöhlle. Rupprecht fand ihn bei 22 gesunden Individuen 21 mal,
un cas d’ang. phleg. a coli bacille. Bull. et mém. de la soo. méd. des höpit. Paris.
1894. 15. Feb. — Maurel, De l’infect. et de la contag. de l’amygd. aig. Thèse
de Paris. 1895. — Bourges, Les angines de la scarlatine. These de Paris 1898.
— Houdelo et Bourges, Société de biologie. Séance du 27. Janvier 1894. —
Macaigne, Le bactérium coli commun. Thèse de Paris 1892. — Lemoine,
Contribut. a l'étude bactériol. des angines sur diphth. Annal. de l’Institut Pasteur.
T. IX. No. 12.
1) Ich fasste den Diplococcus lanceolatus, den A. Fraenkelschen und
Weichselbaumschen Kokkus unter diesem Namen zusammen, da eine prazise
Scheidung dieser Arten bakteriologischerseits noch nicht durchgeführt ist.
A. Kuttner, Die akut-infektiösen Halsentzündungen. 39
Ruediger in 90 pCt. seiner Untersuchungen. In all diesen Fällen ein
harmloser Schmarotzer, wandelt er recht oft seine Natur und wird zu einem
höchst gefährlichen Feinde des Organismus. Aber da er auch unter
normalen Verhältnissen ein fast ständiger Gast in diesen Regionen ist, so
ist man, nur wenn er im Blut, im Gewebe oder in Reinkultur
im Abstrich gefunden wird, berechtigt, ihn als den tatsächlichen
Erreger der vorliegenden Krankheitserscheinungen anzusehen. Und auch
dann ist immer noch zu bedenken, dass der Pneumokokkus gewiss oft
Sekundärinfektionen veranlasst, bei denen er dank seiner Wachstums- und
Wucherungsenergie die primären Krankheitserreger leicht überwuchert.
Ueber solche Fälle berichtet P. Lehmann’).
Erfolgreiche Agglutinationsversuche wurden angestellt von F. Bezancon
und V. Griffon?).
Die Zahl der primären Pneumokokkenanginen, über die in der Literatur
berichtet wird, ist überaus gross. Sie wurde angeblich zuerst beschrieben
im Jahre 1891 von Jacoud?3); seitdem haben die verschiedensten Autoren
versucht, das Typische aus dem Krankheitsbild der Pneumokokkenangina
herauszuheben. Ich muss mich darauf beschränken, einige wenige Namen
zu nennen, denen wir auf diesem Gebiet Fortschritte oder wenigstens gewisse
Sicherstellungen verdanken.
Mad. Sophie Weinberg) stellte schon im Jahre 1895 9 Fälle von
Pneumokokkenangina zusammen, auf Grund deren sie zu dem Schlusse
kommt, dass der Pneumokokkus ungefähr dieselben Veränderungen hervor-
ruft wie der Diphtheriebazillus: feste Pseudomembranen, Drüsenschwellung,
Fieber. schwere Allgemeinerscheinungen — charakteristisch sei nur der
Beginn der Pneumokokkenangina, sie setze plötzlich mit Schüttelfrost und
hohem Fieber ein, ähnlich wie Pneumonie.
Fünf Jahre später veröffentlichte Emil Mayer5) eine Reihe eigener
und fremder Beobachtungen und kommt zu der Schlussfolgerung, dass die
durch den Friedländerschen Pneumokokkus bedingten Anginen subakuter
«ler chronischer Natur seien, dass sie in membranöser Form abblätternd
und rezidivierend auftreten und fast gar keine Störung verursachen, ausser
vielleicht zur Zeit der Bildung des Belages.
Im Jahre 1905 schreibt Pasteur®), dass die akute Pneumokokken-
angina bald als membranise, Diphtherie-ähnliche Angina, bald als erythe-
matöse Scharlach-ähnliche Erkrankung auftritt.
Im Jahre 1907 erschien eine sehr sorgsame Abhandlung von F. Reiche
1) |. c.
Le pneumocoque dans les angines. Presse méd. 1900. 24. Oct.
3) Journ. de méd. et chir. prat. 1891. Marz.
4) De l’angine & pneumococcus. Thöse de Paris. 18%.
5) Anginen desFriedländerschen Bazillus. B.Fraenkels Archiv. Bd. 11. S.247.
6; Un pneumococcal throat etc. Lancet 1905. No. 27.
3°
36 A. Kuttner, Die akut-infektiösen Halsentzündungen.
und Schomerus!) mit zahlreichen genauen Eigenbeobachtungen und
Literaturangaben. Danach tritt die Pneumokokkenangina auf unter folgenden
Erscheinungsformen:
1. als akut entztindliche Pharyngitis s. Angina erythematosa,
2. als Angina pseudomembranacea, exsudativa oder membrano-ulcerosa,
3. als Angina follicularis,
4. als Angina apostematosa.
Am Kehlkopf treten die Pneumokokkenerkrankungen unter folgenden
Erscheinungsformen auf:
1. als erythematöse Entzündungen,
2. als pseudomembranöse Entzündungen,
3. als phlegmonöse und erysipelatöse Entzündungen.
Also beinahe in allen nur möglichen Erscheinungsformen.?)
Ein besonderes Interesse verdienen die erysipelatösen Fälle. Nach
dieser Feststellung typischer erysipelatöser Erkrankungen des Kehlkopfes
durch Pneumokokken, nach dem v. Leubeschen Fall3), nach den höchst
interessanten Versuchen vor Neufeld®), der auf hämatogenen Wege durch
Pneumokokken beim Kaninchen Erysipel erzeugte, kann es keinem Zweifel
unterliegen, dass auch der Pneumokokkus ebenso wie der Streptokokkus,
typisches Erysipel hervorrufen kann, dass dieses also nicht eine
spezifische Streptokokkenerkrankung ist.
Eine gewisse Aehnlichkeit mit einigen von den früher veröffentlichten
pseudomembranösen Erkrankungen, aber doch auch wieder recht wesent-
liche Unterschiede weisen die Fälle auf, die Semon) im Jahre 1907 als
„Pneumokokkeninvasion des Halses“ bezeichnete. Bei diesen nicht eben
häufigen Erkrankungen — auch ich hatte einen solchen Fall zu beobachten
Gelegenheit — ist der Verlauf ein ausserordentlich chronischer: in meinem
Falle dauerte die Erkrankung viele Monate, die Schleimhaut des Rachens
und der Mundhöhle war meist mit inselartigen, weiss-glasigen Belägen
bedeckt, die aber zeitweise ganz verschwanden. Gelegentlich kommt es zu
oberflächlichen, manchmal, aber selten, auch zu tieferen Substanzverlusten.
Die Temperatur ist schwankend, meist nur wenig erhöht, gelegentlich aber
auch bis zu 39° und darüber ansteigend. Das Allgemeinbefinden ist zeit-
weise beträchtlich gestört. Meine Patientin behauptete aber recht oft, dass
1) Die durch den Diploc. lanceol. hervorgerufenen Rachen- und Kehlkopf-
erkrankungen nebst Bemerkungen iiber d. Erysipelas cutis pneumococc. Jahrb. d.
Hamb. Staatskrankenh. 1907. S. 289.
2) Verschiedene hierher gehörige Fälle mit schweren Komplikationen sind
in d. Aufsatz v. Liebe über eine Endemie v. Tonsillitis m. Sepsis (Med. Klinik.
1910. S. 62) erwähnt.
3) Ueber einen seltenen Fall von Pneumokokkenerysipel. Münch. med. Wochen-
schrift. 1906. S. 1789.
4) Ueber die Erzeugung von Erysipel am Kaninchenohr durch Pneumokokken.
Zeitschr. f. Hyg. 1901. Bd. 36. S. 254.
5) .l. c. Bd. Il. S. 425 u. f. Weiteres hierüber im Nachtrag Seite 43.
A. Kuttner, Die akut-infektiösen Halsentzündungen. 37
sie sich ganz wohl fühle. Die bakteriologische Untersuchung ergab immer
unzweideutig, dass eine Pneumokokkenerkrankung vorlag.
Weitere drei ähnliche, aber doch wieder etwas mehr an die aphthöse
Form der Stomatitis erinnernde Fälle sind von Mann!) beschrieben worden.
Auch hier war zweifelsohne der Pneumokokkus als Krankheitserreger an-
zusehen. und auch hier handelte es sich neben der eigenartigen entzünd-
lichen Lokalinfektion um eine schwere Allgemeinerkrankung.
Das Gesamtergebnis der bisherigen Untersuchungen über die ätiologische
Bedeutung des Pneumokokkus für Halserkrankungen lautet also demnach:
Der Pneumokokkus verursacht recht häufig akut-infektiöse Erkrankungen
der Halsorgane, die an den verschiedensten Stellen der Mund--Rachen-
Kehlkopfschleimhaut, an den Tonsillen usw. lokalisiert sein können. Die
Erscheinungsform dieser Pneumokokkenaffektionen ist sehr verschiedenartig.
Sie treten auf:
1. als erythematöse Erkrankungen,
2. als pseudomembranöse, aphthöse und ulzero-membranöse Erkran-
kungen,
3. als lakunäre und follikuläre Erkrankungen an den Tonsillen,
als phlegmonöse und abszedierende Erkrankungen,
als erysipelatöse Erkrankungen.
Ot
6. Staphylokokkus.
Dieser Allerweltsschmarotzer fehlt auch in der gesunden Mund- und
Rachenhöhle fast nie. Hier wie auch sonst ist und bleibt er für gewöhn-
lich unbegrenzte Zeit über ganz harmlos, dringt er aber in die Tiefe der
Gewebe ein, so richtet er, sowohl örtlich wie durch Allgemeininfektion
schwersten Schaden an, obgleich die Schleimhäute augenscheinlich einen
weniger günstigen Boden für seine Entwicklung bilden, als die äussere
Haut. die eigentliche Domäne der Staphylokokkenaffektionen.
Eine Abgrenzung der verschiedenen Staphylokokkenarten (Staphylococcus
albus, aureus, citreus) nach ihrer Wirkungsweise ist zurzeit noch nicht
durchführbar.
Die Lebensenergie der Staphylokokken ist eine sehr grosse; sie wachsen
und vermehren sich ungeheuer schnell und überwuchern andere Infektions-
erreger oft schon in wenigen Stunden so energisch, dass diese kulturell
dann zar nicht mehr nachweisbar sind [Sendziak?), Goldscheider®),
P. Lehmannt)].
Nach der übereinstimmenden Ansicht aller Autoren, die sich mit dieser
Frage beschäftigt haben [Sendziak?), Goldscheider?), P. Lehmann’),
1) Minch. med. Wochenschr. 1909. S. 73.
2) Sendziak, B. Fränkels Archiv f. Laryngol. Bd. 2. S. 180.
3) Goldscheider, Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 22. S. 534.
4) P. Lehmann l. c.
38 A. Kuttner, Die akut-infektiösen Halsentzündungen.
B. Fränkel!), Ritter?) Ed. Meyer’). M. Stoost), Fürbringer°)] kommt
dder Staphylokokkus nur selten als Erreger erythematöser oder katarrhalischer
srkrankungen der oberen Luftwege, insbesondere der lakunären Angina in
Betracht. Ebenso scheint er bei aphthösen®) und bei pseudomembranösen ‘)
Entzündungslormen nur selten eiue Rolle zu spielen.
Wesentlich bedeutsamer, wenn auch nicht zahlenmässig, so doch durch
die Schwere der von ihm ausgelösten lokalen und allgemeinen Erscheinungen,
ist die Rolle, die der Staphylokokkus in der Aetiologie der infiltrierenden,
phlegmonösen, abszedierenden und erysipelatösen Prozesse spielt. Solche
Fälle werden berichtet von Kocher, Tavel und Roos), Bonome-
Uffreduzzi®), M. Jordan!®), Felsenthal!!).
All diese Veröffentlichungen bestätigen den Eindruck, dem Lennhartz!?)
schon Ausdruck gegeben hat, als er die Staphylokokken-Schleimhaut-
affektionen für relativ seltene, dafür aber recht bösartige Erkrankungen
bezeichnete. Der Grund für die besondere Bösartigkeit der Staphylokokken-
infektion liegt in der Eigenart ihrer biologischen Verhältnisse:
„Der Staphylokokkus ist der Typus der Entzündungserreger“, und „die
Entzündungen, welche er hervorruft, können vom Standpunkt des Pathologen
als Typus der Entzündung betrachtet werden.“
„Sind auch bei ‚jeder lokalen Staphylokokkenerkrankung die vier
Kardinalsymptome der Entzündung deutlich ausgeprägt, so tritt doch bei
weiterem Fortschreiten des Entzündungsprozesses die Auswanderung der
weissen Blutkörperchen, bedingt durch die chemotaktische Wirkung der
Staphylokokken in den Vordergrund“13). Die schnelle Erweichung dieses
Infiltrates, die wieder durch Toxine der Staphylokokken veranlasst wird
und die Einwirkung ihrer verhängnisvollen Fermente, des Hämolysins und
des Leukozidins, sind es, die den Staphylokokkenerkrankungen der Hals-
organe einen so bösartigen Charakter verleihen.
Noch nicht ganz geklärt scheint mir die Frage, ob der Staphylokokkus
auch typisches Erysipel hervorrufen kann. In meiner früheren Publikation
hatte ich auf Grund einiger älterer literarischer Angaben von Bonome
und Uffreduzzi, M. Jordan, Felsenthal besonders aber auf Grund
eigener Tierversuche und eigener klinischer Beobachtungen diese Frage
1) B. Fränkel, Angina lacunaris et diphtherica. 1886.
2) Ritter, Berl. klin. Wochenschr. 1592. Nr. 4 u. 10. Disk. zu Baginskys
Vortrag.
3) Ed. Meyer, B. Fränkels Archiv. Bd. 4.
4) M. Stoos, Zur Aetiologie und Pathologie d. Angina usw. 1895.
5) Fürbringer, Verhandl. d. Ver. f. inn. Med. z. Berlin. 1888.
6) Jadassohn-Baumgarten, Jahresber. 1895. `
1) Kolle und Wassermann. Bd. IV. S. 389.
8) Siehe Kolle und Wassermann l. c.
9-—11), S. meine Monographie über Larynxödem usw.
12) Nothnagel, Spez. Pathol. u. Therap. Bd. HI. S, 3—4.
13) Kolle und Hetsch, S. 283/4.
A. Kuttner, Die akut-infektiösen Halsentzündungen. 39
bejaht. Heute stehe ich ihr etwas skeptischer gegenüber. Es lassen sich
gegen diese früheren Beobachtungen (meine eigenen mit einbegriffen) doch
mancherlei Einwände erheben, und auch der neue von Jochmann mit-
geteilte Fall!) scheint mir noch nicht ganz überzeugend. Wenn auch
die Infiltration in dem Jochmannschen Falle weit mehr im Corium als
im subkutanen Gewebe gesessen hat, so vermisse ich doch die für das
Erysipel charakteristische Tendenz, sich schnell über weite Strecken hin
auszudehnen: am 13. September zeigte sich an der Nase der Patientin die
primäre Pustel, am 20. bereits wurde die Diagnose „Rose“ gestellt, und
bis zum Tode am 24., d. h. innerhalb von 5 Tagen hatte sich die Erkrankung
in schweren, hart infiltrierten Nachschüben im Ganzen nur bis zur behaarten
Kupfhaut derselben Seite ausgedehnt, während am Ausgangspunkt der Er-
krankung die Entzündungserscheinungen unverändert geblieben waren.
Dieses ganze Krankheitsbild scheint mir, trotzdem es seinen hauptsächlichen
Sitz im Corium hatte, doch mehr einer langsam sich ausbreitenden Phlegmone
als einem typischen Erysipel zu entsprechen.
Nun ist ja, wie ich schon im Jahre 1895 betont habe, die pathologisch-
anatomische Definition des Erysipels eine sehr schwankende. Kompli-
kationen durch tief greifende Infiltrate und phlegmonöse Prozesse sind so
häufig. dass viele Autoren sie als zum Wesen des Erysipels zugehörig be-
trachten. Nun trete ich heute wie damals voll und ganz für die Zusammen-
cehérigkeit der Phlegmone und des Erysipels ein, aber es scheint mir doch
wichtig. in der Theorie wenigstens die beiden Prozesse auseinanderzuhalten.
Dax Typische beim Erysipel sehe ich nach wie vor darin, dass 1. die Haupt-
erkrankung in der Mukosa, beziehungsweise in der Kutis sitzt, während
die Phlegmone sich hauptsächlich in den tieferen Gewebsschichten abspielt,
und 2. in der Flüchtigkeit seines Kommens und Gehens, während die
Phlesmone nur langsam weiterkriecht und ebenso langsam verschwindet.
Dass in der Praxis diese Grenzlinien unzählige Male verwischt werden, so
dass man sehr oft nicht weiss, ob man den vorliegenden Krankheitsfall
als „Phlegmone erysipelatosum“ oder als „Erysipelas phlegmonosum“ be-
zeichnen soll, ist ja hinreichend bekannt. Aber die Flüchtigkeit der Er-
scheinungen dürfte doch meist einen Anhaltspunkt für die Entscheidung
reben. Diesen Kriterien aber scheinen mir die bisher veröffentlichten
Staphylokokkenerysipele — auch die von mir seinerzeit experimentell er-
zeusten — doch nicht ganz gerecht zu werden. Deshalb meine ich, dass
die Staphylokokken für erysipelatöse Erkrankungen der Haut und der
Schleimhaut, wenn überhaupt, dann nur recht selten in Frage kommen,
jedenfalls weit seltener als die Pneumo- und Streptokokken. Dafür sprechen
neben diesen eben erörterten klinischen Beobachtungen auch die Ergebnisse
vieler experimenteller Untersuchungen. Während Schurmayer, Eugen
Fränkel. V. Lingelsheim, Fehleisen, A. Fränkel, ich selbst u. a.
1) Zur Frage des Staphylokokkenerysipels. Mitteilungen a. d. Grenzgeb. d.
Med. u. Chir. 1906. S. 16.
40 A. Kuttner, Die akut-infektiösen Halsentzündungen.
dureh Verreibung von Streptokokken am Kaninchenohr erysipelatöse Prozesse
jederzeit hervorgerufen konnten, während Abrami und Richet fils!) und
ich selbst auch auf hämatogenem Wege durch Streptokokken, F. Neufeld?)
durch Pneumokokken Erysipel erzeugen konnten, blieben alle entsprechenden
Versuche mit Staphylokokken bisher resultatlos.
Es veranlassen also die Staphylokokken verhältnismässig selten anginöse,
aphthöse oder pseudomembranöse Entzündungen im Hals und Rachen. Da-
gegen bewirken sie öfters schwere infiltrierende, phlegmonöse und absze-
dierende Entzündungen mit ernsten Allgemeinerscheinungen. Typisches
Erysipel aber dürften sie, wenn überhaupt, nur äusserst selten hervorrufen.
‘. Der Streptokokkus.
Der Streptokokkus, dessen verschiedene Typen betreffs ihrer Pathogenität
noch nicht genügend studiert sind, soll hier als eine einheitliche Spezies
betrachtet werden. Auch er findet sich fast ausnahmslos in der gesunden
Mund- und Rachenhöhle, ohne hier irgendwelche Krankheitserscheinung
auszulösen. Dabei ist er, wenn seine Virulenz die Abwehrkräfte des
Organismus überwindet, der häufigste und gefährlichste, der typische
Infektionserreger für die Schleimhäute der oberen Luftwege. Bei jeder
Form der Erkrankung, beim Erythem und beim Katarrh, bei der hämorr-
hagischen wie bei der pseudomembranösen Entzündung, bei der Phlegmone,
beim Abszess, beim typischen Erysipel — bei all diesen Erkrankungsformen
hat man den Streptokokkus als unzweifelhaften Krankheitserreger so oft
nachgewiesen, dass ich betreffs dieser von keiner Seite mehr bestrittenen
Tatsache wohl auf die Anführung literarischer Beläge verzichten darf. Die
Streptokokkeninfektion überwiegt bei den genannten Affektionen ganz be-
sonders aber beim Erysipel, zahlenmässig die Infektion durch alle anderen
Mikroorganismen zusammengenommen.
Hervorheben möchte ich nur, dass es auch 4 Streptokokkenfälle waren,
durch die mein Korreferent, Herr Dr. Ph. de Santi?), den von mir und
Felix Semon seit 1895 vertretenen Ansichten .über die Zusammengehörig-
keit der akut-infektiösen submukösen Entzündungen auch in England zu
endgiltiger Anerkennung verhalf.
Ebenso besteht heute nirgends mehr ein Zweifel darüber, dass die
schwersten Komplikationen und Allgemeinerscheinungen — Perikarditis,
Nephritis, Orchitis, Appendizitis, rheumatische Affektionen, Meningitis,
Osteomyelitis, Pyämie, Sepsis usw. — im Verlauf von Streptokokken-
erkrankungen der Halsorgane besonders häufig auftreten, und dass es durch-
aus nicht immer besonders schwerer Lokalaffektionen bedarf, um diese ge-
fährlichen Folgeerscheinungen auszulösen. Im Gegenteil, oft genug sind
die Reaktionserscheinungen an der Einfallspforte so geringfügig, dass sie
1) L’erysipele haematog. Compt. rend. de l. soc. de biol. 1909. T.II. p. 562,
2) l. c.
3) Loc.
A. Kuttner, Die akut-infektiösen Halsentzündungen. 41
ganz übersehen werden, bis die weit empfindlicheren Folgeerscheinungen,
eine Polyarthritis, eine Nephritis oder Endokarditis, die Aufmerksamkeit auf
die Primäraffektion im Halse hinlenken.
Ueber die besonderen Bedingungen der Giftwirkung der Streptokokken
ind wir noch nicht genügend aufgeklärt. Der Hämolysinwirkung, die ge-
wissen Arten unzweifelhaft anhaftet, wird von den meisten Bakteriologen
eine besondere Bedeutung nicht zugesprochen. Ob noch andere, zurzeit
noch unbekannte Fermente in Frage kommen, ob es Toxine oder Endotoxine
sind. auf denen die Giftwirkung der Streptokokken beruht, ist ebenfalls
noch nicht sicher gestellt.
8. Weitere Mikroorganismen.
Ausser den genannten Mikroorganismen habe ich in der Literatur noch
einige andere Arten verzeichnet gefunden, die als Infektionsträger bei Hals-
entzündungen gelegentlich genannt werden, so der Micrococcus tetragenus, von
F. Bezancon und V. Griffon!), Carriére?), Monnier?) und Guillain
und Rendut), ferner ein „Bacillus megaterium“ von H. Vincent). Viel-
leicht kommen noch einige andere in Betracht, die mir entgangen sein mögen.
Aus dieser Betrachtung ergibt sich, dass von den Infektionserregern
der akut-entzündlichen Halserkrankungen jeder einzelne verschiedenartige,
der Streptokokkus und Pneumokokkus sogar alle überhaupt in Betracht
kommenden Formen lokaler und allgemeiner Reaktionserscheinungen aus-
losen kann. Kaum bei einem einzigen von all diesen Krankheitsbildern
kann man aus dem lokalen Befunde oder dem klinischen Verlauf allein
die Art des Krankheitserregers mit Sicherheit erkennen, — also auch
in der Vielheit der Infektionserreger eine Einheitlichkeit ihrer
Wirkung.
Zusammenfassung.
Die primären akut-entzündlichen Affektionen des Schlundes, Rachens
und Kehlkopfes. soweit sie nicht mechanischen, chemischen oder thermischen
Ursprunges oder Teilerscheinungen konstitutioneller Erkrankungen sind,
wurden bisher in zahlreiche Arten und Unterarten geschieden.
Alle diese Krankheitsformen bilden eine grosse einheitliche, ätio-
lorisch, pathologisch-anatomisch und klinisch engzusammen-
gehérige Gruppe.
1) Presse médicale. 1900. 24. octob.
2) Revue de Médecine. 1902. Juni.
3) Arch. internat. de Laryngol. 1904.
4) Société méd. des Hôpitaux de Paris. 1907. 22. Febr.
5) Presse méd. 1902. Juli 26.
42 A. Kuttner, Die akut-infektiösen Halsentzündungen.
1. Aetiologisch.
Sie alle werden hervorgerufen durch pathogene Mikroorganismen. Nur
die Diphtherie und vielleicht auch die Angina Plaut-Vincenti sind spezi-
fischer Natur. Jede von den anderen Affektionen kann durch verschiedene
Mikroorganismen — Bacterium coli, Pneumokokkus, Staphylokokkus, Strepto-
kokkus usw. — veranlasst werden, ohne dass durch die besondere Eigenart
des Infektionserregers irgendwelche Besonderheiten des Krankheitsbildes
bedingt würden.
2. Pathologisch-anatomisch.
Die durch die Einwirkung dieser Infektionskeime hervorgerufenen ört-
lichen Veränderungen zeigen im Anfang der Erkrankung stets und überall
die vier Kardinalsymptome der Entzündung. Bei weiterem Fortschreiten
des Prozesses pflegt dann bald das eine, bald das andere dieser Symptome
in den Vordergrund zu treten, oft so stark, dass die anderen Symptome in
den Hintergrund gedrängt werden. Diese Differenzierung in der Entwick-
lung der Entzündungsvorgänge ist es, die neben den Besonderheiten, die
sich aus der Lokalisation des jeweiligen Angriffspunktes, aus der Virulenz
und Menge des jeweiligen Infektionsgiftes, aus der jeweiligen örtlichen und
allgemeinen Widerstandskraft ergeben, die Verschiedenartigkeit des klinischen
Verlaufes der ganzen Erkrankung bedingt.
So verschieden aber auch das pathologisch-anatomische Bild eines
Erythems, einer pseudomembranösen Entzündung, einer Phlegmone und
eines Erysipels sein mag — die zahlreichen Uebergänge von der einen
Erkrankungsform zur anderen, ihr bald stadienartiges Nacheinander, bald
räumlich und zeitliches Nebeneinander beweist ihre Zusammengehörigkeit,
die Einheitlichkeit ihrer Wesensart!).
3. Klinisch.
Trotz all der unendlich grossen Unterschiedlichkeiten im klinischen
Verlauf der verschiedenen akut-infektiösen Halserkrankungen — man ver-
gegenwärtige sich nur den Verlauf einer einfachen Angina und vergleiche
damit das Krankheitsbild einer schweren Halsphlegmone — gehören diese
doch alle zusammen in ein und dieselbe Kategorie. Denn ihnen allen
liegen die prinzipiell gleichartigen Gewebsentzündungen zugrunde, und sie
1) In meiner früheren Arbeit habe ich die verschiedenen Erscheinungsformen
als „Stadien“ — Stadium oedematosum, plasticum, suppurativam — bezeichnet.
Man hat an dem Wort „Stadium“ Anstoss genommen, weil es sich, worauf ich
seinerzeit schon selbst hingewiesen habe, nicht nur um zeitlich aufeinanderfolgende
Phasen einer Erkrankung handelt, sondern weil diese verschiedenen Krankheits-
bilder oft auch als selbständige Krankheitsformen unabhängig voneinander vor-
kommen. Ich bin gern damit einverstanden, wenn das Wort „Stadium“ durch
„Form“ ersetzt wird.
A. Kuttner, Die akut-infektiösen Halsentzündungen. 43
e
alle führen zu prinzipiell gleichartigen regionären und allgemeinen Krank-
heitserscheinungen — die leichteste Angina, so harmlos in ihren lokalen
Symptomen, kann ebenso zu einer tödlichen Septikämie führen, wie eine
schwere Halsphlegmone. Deshalb sind die klinischen Differenzen zwischen
all diesen Erkrankungsformen — selbst die spezifischen Erkrankungen
machen in dieser Beziehung keine Ausnahme — niemals prinzipieller Natur,
sondern immer nur auf graduelle und örtliche Besonderheiten zurückzuführen.
Von diesen kennen wir manche: die Menge des Infektionsstoffes und seine
Virulenz. die örtliche und allgemeine Widerstandsfähigkeit des Organismus
sind von wesentlichster Bedeutung. Die Lokalisation des ersten Angriffs-
punktes kann bestimmend sein für den ganzen Verlauf der Erkrankung,
denn es macht einen Unterschied, ob die Infektionskeime sich im lympha-
tischen Rachenring, in der Schleimhaut des Kehlkopfes oder im Boden der
Mundhöhle zuerst festsetzen. Ebenso ob der Infektionserreger in den
obersten Schichten der Schleimhaut bleibt, oder ob er seinen Weg in die
Tiefe der Gewebe findet. Weshalb aber derselbe Krankheitserreger das
eine Mal ein Erythem oder einen Katarrh, das andere Mal eine Phlegmone
oder ein Erysipel auslöst, das wissen wir nicht. Aber welchen Grad und
welche Form die Entzündung, der Schmerz, das Fieber, die Komplikationen
auch annehmen mögen, es sind und bleiben immer nur wechselnde Er-
scheinungsformen eines ätiologisch, pathologisch-anatomisch und klinisch
"inheitlichen Prozesses.
Demnach möchte ich vorschlagen, das Kapitel
„die akut-infektiösen Entzündungen der Halsorgane“
folzendermassen zu ordnen:
A. Erkrankungen, welche sich hauptsächlich in der Mukosa abspielen.
1. Erythematése Form.
2. Katarrhalische Form — serös, schleimig, schleimig-eitrig, hämor-
rhagisch.
3. Degenerative Form. Fettige, hyaline Degeneration der Epithel-
schicht, Substanzverlust, Erosion, Ulzerationen.
4. Fibrinöse Form, ohne und mit gleichzeitigen nekrotischen Prozessen.
Aphthöse, pseudomembranöse, verschorfende Prozesse.
B. Erkrankungen, die sich hauptsächlich in der Submukosa abspielen.
1. Oedematöse Form — entzündliches Oedem, Erysipel.
>. Plastisch-infiltrierende Form.
3. Phlegmonöse und abszedierende Form.
Nachtrag: In der an diesen Vortrag sich anschliessenden Diskussion
hat Felix Semon der Ansicht Ausdruck gegeben. dass die von ihm als
_Pneumokokkeninvasion des Halses“ bezeichnete Halsaffektion doch an-
‚cheinend eine spezifische Erkrankung sei. Diese Ansicht hat mancherlei
44 A. Kuttner, Die akut-infektiösen Halsentzündungen.
für sich: Die Erkrankung ist in der Tat eine durchaus eigenartige, nuch
nie ist bisher ein Fall beobachtet worden, bei dem ein anderer Infektions-
keim als der Pneumokokkus ätiologisch wirksam gewesen ist. Aber die
Definition der Spezifität verlangt nicht nur, dass die in Frage stehende
Erkrankungsform durch keinen anderen Mikroorganismus ausgelöst werde,
sondern auch, dass dieses Bakterium immer nur diese und sonst keine
andere Alfektion auslöst, und das trifft, wie wir gesehen haben, nicht
zu, da der Pneumokokkus die allerverschiedensten Formen der Schleim-
hautentzündung hervorrufen kann. Ob das eigenartige Krankheitsbild der
Pneumokokkeninvasion des Halses durch eine besondere, noch nicht näher
zu charakterisierende Pneumokokkenart bedingt wird, wie Semon vermutet,
darüber weiss man zur Zeit noch nichts, möglich ware es ganz gewiss.
IV.
Aus der Ohren- und Halsklinik des Kommunehospitals zu Kopenhagen.
(Chefarzt: Prof. Dr. Holger Mygind.)
Ueber Arthritis crico-arytaenoidea rheumatica acuta
und mit derselben klinisch verwandte Larynxleiden.
S. H. Mygind,
Assistenten der Klinik.
(Mit 1 Textfigur.)
Wahrend meines Dienstes im Jahre 1908 in der Ohren- und Halsklinik
des hiesigen Kommunehospitals hatte ich Gelegenheit, einen mit einer Affektion
der Articulatio crico-arytaenoidea komplizierten Fall von Febris rheumatica
zu beobachten, den ich im folgenden näher beschreiben möchte. Bei einer
späteren Durchsicht der Literatur fand ich, dass nur auffallend wenige
Fälle dieser Art vorliegen — im ganzen etwa 25, zum Teil aber zweifel-
hafte oder mangelhaft beschriebene Fälle.
Es stellte sich ferner heraus, dass mit der akuten rheumatischen
Arthritis crico-arytaenoidea sehr häufig andere Larynxleiden verwechselt
worden sind, die gewisse klinische, grösstenteils auch ätiologische und
pathologisch-anatomische Aehnlichkeiten dargeboten haben. Weil nun die
einzelnen Fälle sehr zerstreut in der Literatur vorkommen, und weil sich
ferner mehrere Ungenauigkeiten bei der Bezugnahme auf die Literatur
einzeschlichen und von einer Arbeit in die andere übernommen
wurden, habe ich eine kritische Durchsicht der Literatur unternommen
und versucht, im Anschluss an die Differientialdiagnose, die mit der
Arthritis crico-arytaenoidea rheumatica klinisch verwandten Larynxleiden
zu gruppieren.
Meine Diagnose Arthritis crico-arytaenoidea acuta habe ich mit folgen-
den Forderungen unterstützt: erstens müssen andere, extralaryngeale
Symptome einer akuten rheumatischen Infektion vorhanden sein, was im
wesentlichen wieder sowohl Gelenkleiden als auch Fieber voraussetzt,
zweitens müssen laryngoskopische Symptome einer primären serösen
Synovitis in der Articulatio crico-arytaenoidea d. h. eine auf den Umfang
des Gelenks lokalisierte Geschwulst, sowie herabgesetzte Bewegungsfähigkeit
der Stiimmlippen, vorliegen.
46 S.H. Mygind, Ueber Arthritis crico-arytaenoidea rheumatica acuta.
Es finden sich indessen ähnliche Fälle, die den genannten Forderungen
zwar nicht völlig entsprechen, und in denen deshalb die Diagnose: Arthritis
crico-arytaenoidea acuta mit absoluter Sicherheit nicht festzustellen ist,
obgleich sie wahrscheinlich genannt werden muss, nämlich solche, wo nur
andere rheumatische Symptome fehlen, und wo das Leiden von einer anti-
rheumatischen Behandlung günstig beeinflusst wird. Denn selbst wenn die
Febris rheumatica beinahe konstant polyartikulär genannt werden muss, so
wird doch mitunter nur ein Gelenk affiziert sein, und mir scheint a priori die
Annahme nicht unberechtigt, dass dies eine Gelenk gerade die Articulatio
crico-arytaenoidea sein könnte. |
Die erste Mitteilung rührt von Debrousses (10) im Jahre 1860 her:
ein Patient mit verschiedenen „rheumatischen“ Affektionen bekommt am
4. Tag plötzlich Dyspnoe und Aphonie; er stirbt an Pericarditis; bei der
Sektion werden die Cartilagines arytaenoideae entblösst, aber ohne Nekrose vor-
gefunden. In der linken Articulatio crico-arytaenoidea findet sich eine
seröse rötliche Flüssigkeit, „was das Vorhandensein einer rheumatischen
Arthritis feststellte“. Laryngoskopie wird nicht erwähnt. Soweit man aus
der Beschreibung urteilen kann, lässt sich das Krankheitsbild ebensogut
als eine Sepsis deuten, und der Sektionsbefund spricht entschieden wider
die Annahme, dass es sich um eine einfache rheumatische Affektion ge-
handelt hat.
Im Jahre 1871 berichtet Fritsch (13) über einen Fall von „fievre inter-
mittente quotidienne reguliere, prodröme d’un rhumatisme articulaire aigu“,
wo — nach dem mir zugänglichen Referat neben den grossen Artiku-
lationen auch die Gelenke des Kehlkopfes affiziert wurden.
Im Jahre 1893 hat Archambault (2) neue Beobachtungen hinzu-
gefügt, die jedoch von Ruault (32) als etwas zweifelhaft bezeichnet
werden. Im Jahre 1886 teilt Ramon de la Sota y Lastra (30) einen
Fall von Arthritis crico-arytaenoidea rheumatischer Natur mit. Das
laryngoskopische Bild war allerdings ziemlich typisch; weil aber erstens
keine anderen rheumatischen Affektionen, sowie auch kein Fieber vorhanden
war, und weil zweitens das Leiden ganz plötzlich nach einem Trunk kalten
Wassers entstanden war, gehört dieser Fall den von direkt thermischen
Ursachen hervorgerufenen Affektionen („a frigore“) rechtmässig an.
Im Jahre 1886 berichtet Raymond (31) über einen Patienten mit
einer schweren Febris rheumatica, wo, nachdem die Gelenkaffektionen ge-
schwunden waren, im Verlaufe von wenigen Stunden eine so starke Larynx-
stenose sich entwickelte, dass man schleunigst Tracheotomie unternehmen
musste. R. selbst meint, dass die Ursache eher in einer diffusen Schwellung
der Schleimhaut zu suchen gewesen sei und keine Arthritis crico-arytaenoidea
sein könnte, weil die charakteristischen Symptome fehlten: äussere Druck-
empfindlichkeit dem Gelenk entsprechend, und heftige Schmerzen beim
Schlucken. Es ist deshalb unrichtig, wenn Muorrut (27) in seiner Disser-
tation diesen Fall als eine Arthritis bezeichnet. Weil erst aus einem
späteren Stadium der Krankheit der laryngoskopische Befund vorliegt (er
S. H. Mygind, Ueber Arthritis crico-arytaenoidea rheumatica acuta. 47
zeixte dann nur eine diffuse Rétung), scheint es mir zwecklos, zu dis-
kutieren, unter welche Gruppe dieser Fall einzureihen sei.
Der von G. v. Major (1887) (21) beschriebene Fall scheint ein echter
Fall (ausserdem noch ein Fall nach Morbilli und ein „a frigore“, s. unten).
Im Jahre 1890 teilt Schmiegelow (40) einen ganz typischen Fall mit.
Lacoarret (17) (1891) gibt selbst keine neuen Fälle an, zitiert von nicht
oben erwähnten Fällen einen Fall von Martino (24), der jedoch wegen
mangelhafter Beschreibung nicht mitgerechnet werden kann. Er teilt die
akuten Arthritiden der Articulatio crico-arytaenoidea folgendermassen ein:
l. l’arthrite spontanee (a frigore), 2. l’arthrite par propagation (secondaire),
>. traumatique, 4. rhumatismale, 5. blennorrhagique, 6. infectieuse.
In demselben Jahre führt Windelschmidt (43) einen gut charakteri-
sierten Fall an, wie auch Luc (19) gleichzeitig erwähnt, dass er einen
ähnlichen Fall früher beobachtet habe, und im Anschluss hierzu teilt
Ruault (32) eine interessante Krankengeschichte mit, in der eine Frau, die
an Erythema nodosum, von Fieber und Gelenkaffektion begleitet, litt, später
ein Larvnxleiden mit subjektiven Symptomen bekam, und wo die Laryngo-
skopie einen ganz ähnlichen Befund wie unten beschrieben ergab.
Ausserdem erschien von Grünwald (16) eine Arbeit, eine Reihe von
Fällen enthaltend, die jedoch einer speziellen Gruppe angehören. Sima-
nowski (37) schildert 3 Fälle, die dem Referate von Baurowicez (3)
cemass als genuin aufzufassen sind. Im Jahre 1893 teilt Compaired (9)
3 Fälle mit (2 akute und einen subakuten), die wegen mangelhaften laryngos-
kopischen Befundes ziemlich wertlos sind. In demselben Jahr gibt Newcomb
‘25° eine allgemeine Uebersicht über „die rheumatischen Affektionen im
Larynx”. die er folgendermassen einteilt: 1. akute rheumatische Katarrhe.
2. artikuläre Leiden mit verschiedener Lokalisation, 3. chondrale und
perichondrale Affektionen (die jedoch nie genuin rheumatisch sind}, 4. mus-
kuläre. 5. nervöse Erkrankungen. Unter den fiir die Arthritis charakte-
rixtischen klinischen Symptomen wird Krepitation im Gelenke, durch Druck
vegen die Cartilago cricoidea von aussen hervorgerufen, erwähnt. Jedoch be-
schreibt er keine von ihm selbst beobachteten Fälle. — Der von W. E.
‘Casselberry (7) behandelte Patient hat eine Arthritis deformans. — Im
Jahre 1894 führt Georg Mayer (23) 2 Fälle an, die indessen nicht
laryngoskopiert und also wertlos sind. Die 4 von Abate (1) beschriebenen
Fälle sind Laryngitis mit gichtischen Noduli, die Harnsäure enthielten und
in klinischer Hinsicht Papillomen ähnlich ware. Es handelte sich also
nicht um eine Gelenkaffektion, wie es von Mourrut (27) angeführt wird.
Auch der von Mackenzie (20) behandelte Patient gehört unserer Gruppe
nicht an: es fanden sich keine anderen Gelenkaffektionen oder Fieber,
und da die Parese über ein Jahr dauerte, vermutet M. selbst, dass ausser
dm Rheumatismus eine spezielle Ursache vorhanden war.
Im Jahr 1%96 erscheint ein typischer Fall, von Sendziak (35) be-
schrieben.
43 5. H. Mygind, Ueber Arthritis crico-arytaenoidea rheumatica acuta.
Im Jahre 1897 berichtet Uchermann (42) iiber eine Laryngitis acuta
rheumatica (nodosa), die aber einer besonderen Gruppe angehört.
Baurowicz (3), der im Jahre 1899 einen typischen Fall mitteilt, gibt
zugleich eine Uebersicht, in der er die meisten der oben besprochenen
Arbeiten erwähnt; er ist der Meinung, dass die Entzündung im Gelenk
öfters als konsekutiv nach einer Entzündung im submukösen Gewebe, durch
Erkältung hervorgerufen, betrachtet werden muss. Er hält es für zweifel-
haft, dass eine Febris rheumatica der Articulatio crico-arytaenoidea isoliert
auftreten könne. Der von Potain (29) beschriebene Fall ist mir nur in
einem Referat bei Mourrut zugänglich gewesen, in bezug auf den Kehl-
kopfbefund ist nur angeführt, dass „eine Arthritis crico-arytaenoidea kon-
statiert wurde“. Uebrigens scheint der Fall typisch. P. nennt ihn aller-
dings ,grippale*, nach der Beschreibung scheint aber die Diagnose Febris
rheumatica eher berechtigt. ... — In einem Uebersichtsartikel über
rheumatische Affektionen des Pharynx und Larynx erwähnt Sendziak (36)
nur „en passant“, dass er 2 Fälle von Arthritis crico-arytaenoidea rheu-
matica beobachtet hat, gibt aber keine nähere Beschreibung derselben. —
In demselben Jahr wird von Grabower (15) in der „Berliner laryngologischen
Gesellschaft“ Bericht erstattet über einen Fall von Ankylosis der Articu-
latio crico-arytaenoidea, die vermutlich infektiösen Ursprungs war. Die
Stimmlippe war in Adduktion unweit der Mittellinie befestigt; bei Phonation
ging die gesunde Stimmlippe nicht wie bei Rekurrensparalyse über die
Mitte heraus, ein Symptom, dem Escat und Mourrut später grosse Be-
deutung beimassen.
Ein von Monnier (26) im Jahre 1901 unter dem Namen „Arthrite
crico-arytaenoidienne double, d’origine grippale“ beschriebener Fall lässt
sich schwer rubrizieren. Nachdem die Erkrankung mit Schüttelfrost, hohem
Fieber und Angina begonnen hatte, wurde schon am 2. Tag eine so starke
Larynxstenose nachgewiesen, dass man erwartete, die Tracheotomie vor-
nehmen zu müssen. Das laryngoskopische Bild war ungefähr wie das als
typisch unten beschriebene. Die Symptome schwanden aber bald, auch die
laryngoskopischen: später entwickelte sich eine Bronchopneumonie und
eine Perikarditis, aber keine Gelenkaffektion. Die Salizylbehandlung schien
wirksam. Obgleich sich die Méglichkeit einer rheumatischen Infektion nicht
ausschliessen lässt, scheint es mir doch wahrscheinlicher, anzunehmen, dass
es sich um einen deszendierenden, z. T. submukösen Katarrh, vielleicht auf
Basis einer Influenza entstanden, gehandelt habe.
Im Jahre 1901 teilt Escat (12) 3 Beobachtungen mit, die in Ver-
bindung mit 2 späteren die Grundlagen einer Dissertation seines Schülers
Mourrut (27) im Jahre 1902 bilden. Unter den von Escat und Mourrut
beschriebenen Fällen sind allerdings 3 als durch „grippe“ hervorgerufen
gekennzeichnet; 2 dieser 3 waren aber mit Gelenkaffektionen kompliziert,
und es scheint mir weit natürlicher, alle 3 als Febris rheumatica zu
betrachten, was auch ganz entschieden mit den ziemlich ausführlich
`S. H. Mygind, Ueber Arthritis crico-arytaenoidea rheumatica acuta. 49
referierten Krankengeschichten iibereinstimmt.!) M. gibt eine ziemlich aus-
führliches Literaturverzeichnis, dagegen sind die einzelnen Arbeiten mit zu
wenig Kritik benutzt.
Bryson Delavan (11) (1903) berichtet über einen Fall von akuter
Pharyngitis undlakunärer Tonsillitis mit Schwellung derlinken Regio crico-aryt.
Die linke Stimmlippe war in der Mittellinie fixiert. Heilung. Wird vom
Verfasser selbst als „Anchylosis of the crico-aryt. articul. due to inflammetory
process“ diagnostiziert. Z
Der von Urbano Melzi (25) beschriebene Fall bietet ein durchaus
tvpisches Bild dar; es fehlen aber andere rheumatische Affektionen.
Emil Mayer (22) gibt im Jahre 1908 eine Uebersicht iiber rheu-
matische Affektionen im Larynx, teilt aber keine neuen Fälle mit.
Alfred Bruck (5) (1909) schildert einen Fall, wo ganz sicher eine
primäre Arthritis crico-arytaenoidea vorliegt, und wọ die Krankheit nach
ihrem Verlauf, trotzdem andere rheumatische Lokalisationen fehlen, sich
am wahrscheinlichsten als rheumatisch deuten lässt, d. h. als eine Febris
rheumatica auf das Crico-arytaenoidal-Gelenk lokalisiert.
Schliesslich sind im Jahre 1911 von Calamida (6) 2 Fälle von
-rheumatischer Arthritis crico-arytaenoidea* mitgeteilt worden, beide in
Verbindung mit Gelenkaffektionen; das mir zugänglich gewesene Referat
dieser Fälle war aber so kurzgefasst, dass sich kein definitiver Schluss
ziehen lässt.
Hierzu kommt noch der Fall, den ich im Jahre 1908 in der hiesigen Klinik
zu beobachten Gelegenheit hatte, dessen Krankengeschichte aber erst jetzt
veröffentlicht wird. Meinem Chef, Prof. Dr. Mygind, spreche ich hierdurch
für die Erlaubnis, diesen Fall mitzuteilen, meinen besten Dank aus.
Die Patientin, die am 4. September 1908 in die Klinik aufgenommen wurde,
war eine 32jährige Frau, die früher stets gesund gewesen war. Abortus 2 Jahre
vor derAufnahme. Patientin hat im übrigen fünf gesunde Kinder. Verneint Lues.
Keine Disposition für „Arthritis“ in der Familie. Sie hat öfters Angina gehabt.
Etwa 14 Tage vor der Aufnahme bekam sie Schmerzen und Geschwulst an
der linken Hand, hauptsächlich auf der ersten Phalanx des zweiten und vierten
Fingers lokalisiert, ein wenig auf dasDorsum manus hinaufreichend. Die Haut war
gerötet und die Geschwulst ziemlich ausgesprochen. Im Verlaufe von acht Tagen
schwand die Geschwulst, es stellten sich jetzt aber Schluckbeschwerden ein,
zuerst bei fester Nahrung, später auch bei flüssiger, und während der letzten Tage
hat sie überhaupt nichts schlucken können. In den letzten Tagen ist ihr das
Atmen auch schwierig geworden. Sie erwacht des Nachts und muss sich im Bette
aufrecht setzen, um Luft zu bekommen. Ausgesprochene Erstickungsfälle scheinen
iadoch nicht vorhanden gewesen zu sein. Letzte Nacht hat sie ziemlich starke
S-hmerzen im Halse gehabt, und ihr Allgemeinbefinden ist entschieden schlecht.
Die letzten zwei Tage ist sie heiser gewesen.
1) Einer der „rheumatischen“ darf aber nicht hier mitgezählt werden, weil
sowohl die Larynxaffektion als auch die Gelenkaffektionen einen chronischen und
rezidivierenden Verlauf hatten.
Archiv für I.aryngologie. 28. Bd. 1. Heft. 4
50 S.H. Mygind, Ueber Arthritis crico-arytaenoidea rheumatica acuta.
Sie ist sehr blass und abgemagert, ziemlich kurzatmig, wenn sie sich bewegt,
atmet aber ganz gut, wenn sie ruhig im Bette liegt. Es findet sich kein
Stridor oder Cyanose. Keine Schwellung oder Rigidität der Finger, oder andere
Gelenkleiden. Bei Stethoskopie des Herzens und der Lungen wird nichts Abnormes
nachgewiesen.
Aeussere Untersuchung des Halses: Bei Druck an der Seite des
Larynx ist sie stark empfindlich, und besonders an der linken Seite wird ein ge-
schwollener fingerdicker Strang palpiert, vom Angulus mandibulae ungefähr bis
zur Höhe der Cartilago thyreoidea reichend. Gl. thyreoidea etwas geschwollen.
Larynx wird fixiert gehalten.
Pharynx: starke akute Rötung.
Larynx: starke ödematöse Geschwulst um beide Cartilagines arytaenoideae,
wodurch der Einblick in den Larynx erschwert wird. Die Stimmlippen anscheinend
normal, die Bewegungen derselben sehr eingeschränkt, besonders während der
Inspiration, so dass die grösste Entfernung auf etwa 4 mm geschätzt werden muss;
bei Phonation berühren sich die Stimmlippen nicht ganz. Die N&latonsche weiche
Magensonde bleibt auf der Höhe der Cartilago thyreoidea stehen.
Es werden jetzt warme Umschläge am Halse, wollener Mantel und Natrium
salicylatum verordnet. Die Atemnot sowie die Schluckbeschwerden nehmen in
den folgenden Tagen allmählich ab. Am ersten Tag klagt sie über einen merk-
würdig krachenden Laut beim Schlucken. Die Temperatur, die bei der Aufnahme
38,8 zeigte, fällt bald auf etwa 37,9 des Abends, um nach einigen Tagen völlig
normal zu werden.
5 Tage nach der Aufnahme sind die Schluckbeschwerden ganz geschwun-
den, und die Stimme ist jetzt nur etwas rauh.
Im Larynx ist die Schwellung der Regg. aryt. jetzt weniger, aber noch deut-
lich ödematös, und an der linken Seite etwas stärker als an der rechten, die
Mobilität ist besser, indem die rechte Stimmlippe bei Phonation fast ganz bis zur
Mittellinie reicht, während die linke mit ihrem hinteren Teil nur bis zu einer
S. H. Mygind, Ueber Arthritis crico-arytaenoidea rheumatica acuta. 91
Entiernung von etwa | mm von der Mittellinie reicht; auch die Abduktion ist an
der rechten Seite besser als an der linken, obwohl sich die Stimmlippen noch
nicht bis zu einer Weite von mehr als 5 mm zwischon den Proc. vocal. öffnen.
Die Schwellung am Halse lässt sich jetzt als eine Perlenschnur von kleinen
Drüsen besser differenzieren; auch an der Membrana thyreo-hyoidea werden ge-
schwollene kleine Drüsen palpiert.
Am 9. Tago ist das Allgemeinbefinden vollständig gut. Larynx: Es
findet sich noch diffuse Anschwellung der Stimmlippen, deren vordere Drittel sich
bei Phonation berühren, während nach hinten zu noch etwa 2 mm restieren. Bei
Inspiration wird nur bis zur „Kadaverstellung‘“ abduziert. Die Geschwulst der
Regio arytaenoidea ist nur geringfügig und an beiden Seiten die gleiche. Die
Konsistenz ist weich. Die Patientin steht auf und wird am folgenden Tage den
14. September aus dem Hospital entlassen, um inderPoliklinik behandelt zu werden.
Während dieser Behandlung nimmt die Geschwulst ab, und die Beweglichkeit
kehrt nach und nach zurück; nach 8 Tagen bekommt die Patientin einen Rückfall,
wird mehr heiser, wie auch gleichzeitig die Geschwulst der Regg. aryt. zunimmt,
und die Beweglichkeit der Stimmlippen wieder schwindet. Sie wird wieder bett-
lärerie, bekommt Aspirin, und bessert sich wieder. Am 24. Oktober stellt
sie sich zum letzten Male in der Poliklinik ein. Die Stimme ist jetzt hell
und klar, es restiert aber noch eine kleine Schwellung der Regg. aryt., und die
Atduktion der Stimnlippen ist noch etwas mangelhaft. Die Adduktion dagegen
beinahe vollständig.
Wenn wir die Krankengeschichte kurz rekapitulieren, so sind wir
hier einem Fall von Febris rheumatica bei einer früher gesunden Frau
xzezenübergestellt, wo zuerst leichte, multiple Gelenkaffektionen vorkommen,
wo aber gleichzeitig mit dem Abnehmen und Verschwinden derselben eine
Larvnxkomplikation eintritt, deren subjektive Symptome Heiserkeit, Dysphagie
und Dyspnoe sind. während die objektiven Symptome äusserlich als Druck-
empfindlichkeit und Drüsengeschwulst, laryngoskopisch starkes Oedem der
Rezg. aryt. festzustellen sind. Die Adduktion — und zwar noch mehr —
die Abduktion der Stimmlippen ist stark beschränkt. Die linke Seite ist
etwas mehr affiziert als die rechte. Die Symptome schwinden bei anti-
rheumatischer Behandlung (Natr. salicyl.), später tritt ein kleiner Rückfall
ein, der jedoch bald ausheilt, nur durch Laryngoskopie lässt sich ein kleiner
Rest der Geschwulst. sowie eine etwas herabgesetzte Mobilität der Stimm-
lippen nachweisen.
Wenn wir versuchen, auf Grundlage der in der Literatur beschriebenen Fälle
uns eine allgemeine Vorstellung von diesem Leiden zu bilden, werden wir finden,
dass die Krankengeschichte im grossen und ganżen mit dem oben beschriebenen
Bild übereinstimmt. Nur 17 Fälle im ganzen entsprechen den früher aufge-
stellten Forderungen und sind hinlänglich beschrieben worden, nämlich: G.W.
Major. Windelschmidt, Schmiegelow, Simanowski (38 Fälle), Luc,
Ruault, Sendziak, Baurowicz, Escat und Mourrut (3 Fälle), sowie
Potain {etwas mangelhaft beschrieben) und Urbano Melzi und Bruck
(wo jedoch andere rheumatische Symptome fehlen); hierzu kommt der oben
‚on mir beschriebene Fall. Wir werden finden, dass es sich in der weit
überwiegenden Mehrzahl der Fälle um Frauen handelt, und dass die Alters-
4”
52 S.H. Mygind, Ueber Arthritis crico-arytaenoidea rheumatica acuta.
stufen von 18—45 Jahre vertreten sind. Nur ein einziges Mal wurde ein
früherer Anfall von Febris rheumatica, und nur ganz ausnahmsweise initiale
Angina beobachtet.
Die subjektiven Symptome sind Dysphagie, die immer vorhanden ist;
dies gilt selbstredend auch von der Heiserkeit, die ziemlich oft (5 mal) bis zu
Aphonie steigt. Dyspnoe wird in ungefähr der Hälfte von den Kranken-
geschichten erwähnt, — sie hat aber nie die Tracheotomie notwendig gemacht.
Die objektiven Symptome sind: äussere Druckempfindlichkeit, die
in den meisten Fällen beobachtet wurde, besonders dem hinteren Rand der
Cartilago thyreoidea entsprechend, ferner sehr häufig äussere Schwel-
lung. Drüsengeschwulst wurde — soweit ich sehen kann — nur in meinem
Fall beschrieben. Nach Casselberry (7) soll Krepitation im Gelenke auch
vorhanden sein können, was jedoch bei unserer Patientin nicht direkt nach-
zuweisen war, dagegen war das krachende Gefühl in der Kehle beim
Schlucken vielleicht als eine verwandte Erscheinung aufzufassen. Uebrigens
muss dieses Symptom mit gewisser Reserve behandelt werden, und zwar
weil man, wenn der Larynx mittels eines Fingers von Seite zu Seite geführt
wird, bekanntlich auch bei normalen Menschen eine gewisse Krepitation
hervorrufen kann.
Wenn wir hiernach das laryngoskopische Bild näher betrachten,
dann stellt sich heraus, dass die Entzündungserscheinungen im wesentlichen
auf die regio arytaenoidea beschränkt sind; hier findet sich Rötung und oft
sehr beträchtliche Anschwellung, sehr häufig ödematöser Natur. Der
übrige Teil des Larynx wird in der Regel als normal beschrieben; bis-
weilen findet sich Rötung der Labia vocal., ein einziges Mal diffuse Hyperämie.
Die Stimmlippen sind fixiert oder so gut wie fixiert. Die Stellung wird
imal als „Adduktionsstellung“*, 3 mal als „Kadaverstellung*, 2mal als
„Rekurrensparese“ beschrieben. Einmal wird nur bemerkt, dass ihre
Beweglichkeit sehr eingeschränkt war, und viermal nur, dass eine Arthritis
crico-arytaenoidea vorhanden war. Im grossen und ganzen lässt sich die
Fixationsstellung der Stimmlippen eher eine Adduktions- als eine Abduktions-
stellung nennen. — Viermal waren beide Gelenke affiziert, und die Symp-
tome demnach mehr ausgesprochen, und in allen Fällen war Dyspnoe vor-
handen. In zwei dieser Fälle war die Affektion vorwiegend auf die linke
Seite lokalisiert, und unter den einseitigen treffen wir wieder eine Mehrzahl
von linksseitigen Affektionen (6 gegen 4). 3 Fälle (Simanowski) ent-
halten keine nähere Angabe in bezug auf die Seite, die von der Affektion
getroffen war. Worauf diese Vorliebe für die linke Seite beruht, weiss ich
nicht; Rekurrensparesen lassen sich absolut ausschliessen, und wenn wir
eine Reihe von zweifelhaften, nicht hinlänglich beschriebenen Fällen hinzu-
nehmen, bleibt das Verhältnis ungeändert. — Es lässt sich vermuten, dass
die Erklärung in den Verschiedenheiten der Lymphbahnen an beiden Seiten,
sowie in hierdurch bedingten schlechten Resorptionsverhältnissen auf der
linken Seite zu suchen sei.
Nur in einem Fall war kein Fieber vorhanden, es handelte sich hier
S. H. Mygind, Ueber Arthritis crico-arytaenoidea rheumatica acuta. 53
um eine rezidivierende Febris rheumatica, welche nicht selten afebril
ist. Gelenkaffektionen fehlten nur — wie oben erwähnt — in Melzis
und Brucks Fällen. Von anderen rheumatischen Symptomen wird nur
Erythema nodosum (Ruault) erwähnt. Ueber die Beziehung des Larynx-
leidens zu den anderen Gelenkaffektionen sei bemerkt, dass es ebenso häufig
vor als nach den letzteren auftritt.
Der Verlauf war in allen Fällen ein günstiger, Heilung oder Besserung
trat beinahe immer schnell ein, in der Regel im Verlaufe von 3—7 Tagen;
ziemlich oft hielt sich die eingeschränkte Beweglichkeit, nachdem die
Schwellung verschwunden war, eine Erscheinung die besonders von Bau-
rowiez als ein Zeichen von wirklich vorhandener primärer Synovitis
hervorgehoben wird.
Ueber die Behandlung ist nichts Besonderes zu bemerken, es wurde
gewöhnlich Salicyl gegeben, und besonders die französischen Verfasser
haben Derivation an der Aussenseite des Halses angewendet.
Wir wollen jetzt zu einer näheren Besprechung solcher Affektionen
übergehen, die wegen ihrer klinischen Verwandtschaft teils in differentiell-
diagnostischer Beziehung, teils insofern von Interesse sind, also sie ver-
schiedene Verhältnisse bei der akuten rheumatischen Arthritis crico-
arvytaenoidea beleuchten. Die Verwandtschaft ist zugleich von patho-
logisch-anatomischer und von ätiologischer Art, indem die jetzt zu be-
sprechenden Leiden andere Formen von primärer Entzündung in der
Articulatio crico-arytaenoidea, sowie verschiedene rheumatische,
in deren unmittelbare Nähe lokalisierte Krankheitsprozesse darstellen.
Diese verschiedenen klinisch verwandten Leiden sind in dem Folgenden
nach ihrer Aetiologie gruppiert:
1. Primäre Arthritis crico-arytaenoidea, durch akute in-
fektiöse Krankheiten verursacht.
2. Primäre Arthritis crico-arytaenoidea, durch chronische
infektiöse (oder toxische) Krankheiten verursacht, und
3. Verschiedene „rheumatische“ Krankheitsformen an der
Articulatio crico-arytaenoidea oder in deren unmittelbarer
Nähe lokalisiert.
I. Primäre Arthritis crico-arytaenoidea, durch akute infektiöse Krank-
heiten verursacht.
Alle akuten Infektionskrankheiten werden infolge ihrer Natur
eine primäre Arthritis crico-arytaenoidea verursacheu können. Soweit ich
habe sehen können, sind sie aber ausser bei der Febris rheumatica nur bei
Inluenza, Morbilli und Gonorrhoe beschrieben worden. Die Zahl ist ziem-
lich klein.
Als Influenza (grippe) sind von französischen Verfassern mehrere
Falle aufgefasst worden, die von mir zu den genuinen Fällen gerechnet
sind. was ich oben motiviert habe; man darf jedoch nicht die Möglichkeit
von wirklichen Influenzafällen leugnen, obwohl man nach der gewöhnlichen
_katarrhalischen“ Neigung der Krankheit eher annehmen würde, dass es
54 S. H. Mygind, Ueber Arthritis crico-arytaenoidea rheumatica acuta.
sich um keine Synovitis, sondern um eine hauptsächlich auf die Regio
arytaenoidea lokalisierte submuköse Entzündung handelte, die ein ähnliches
Krankheitsbild aufweisen kann. Ich möchte in dieser Verbindung auf den
von Monnier (26) oben erwähnten Fall hinweisen.
George W. Major (21) erwähnt einen durch Morbilli verursachten
Fall bei einem zweijährigen Knaben, bei dem Aphonie ohne Atemnot beo-
bachtet wurde. Die linke Cartilago arytaenoida war in voller Exspirations-
stellung fixiert, und es fand sich Rötung am Gelenke und äussere
Druckempfindlichkeit. Die Stellung entspricht nicht der für die rheumatische
Arthritis charakteristischen.
Dahingegen weisen diedurch Gonorrhoeverursachten Fälle eine ziemlich
grosse Uebereinstimmung mit den rheumatischen auf. Es finden sich von
denselben 4 Fälle referiert. und zwar von Liebermann (18), Simpson (38),
Birkett (4) und Claus (8). Auch hier wird äussere Geschwulst
und Empfindlichkeit dem Gelenke entsprechend, laryngoskopisch
ödematöse Schwellung an der Regio arytaenoidea, in einem Fall (Claus)
auch an der Plica aryepiglottica und der einen Seite des Pharynx nach-
gewiesen. Ausserdem totale oder teilweise Fixation der Stimmlippen in
einer Stellung, die etwas variierend beschrieben wird: („etwas entfernt
von der Mittellinie“, „unbeweglich bei Phonation“, „sowohl Adduktion
als Abduktion eingeschränkt“, „Parese der Stimmlippe*). 2 Fälle waren
linksseitig, einer rechtsseitig, einer doppelseitig, aber auf der rechten Seite
am meisten ausgesprochen. In allen Fällen waren auch andere Gelenke
affiziert. Die subjektiven Symptome waren die gleichen wie die früher
beschriebenen, es wurde also auch hier bei der doppelseitigen Affektion
Dyspnoe vorgefunden. Die Fälle waren durchschnittlich von ernsterer
Natur, zweimal wurde eine Einschränkung der Beweglichkeit hinterlassen.
Die hier augeführten 4 Fälle zeigen also, dass die gonorrhoische Affektion
der Articulatio crico-arytaenoidea — in Verhältnis zu der rheumatischen —
nicht besonders selten genannt werden kann, so dass man immer an eine
Untersuchung von Urethra oder Vagina denken muss, wie übrigens immer
bei akuten Gelenkleiden.
II. Primäre Arthritiscrico-arytaenoidea; durch chronische, infektiöse (oder
toxische) Krankheiten verursacht, wird nur selten beobachtet, und es lässt
sich wohl am häufigsten darüber diskutieren, inwieweit sie in Beziehung
zu der Umgebung als primär oder sekundär aufgefasst werden soll.
So wird z. B. von Rueda (33) ein Fall von syphilitischer Arthritis
crico-arytaenoidea beschrieben, wo das laryngoskopische Bild mit dem-
jenigen einer rheumatischen Arthritis übereinstimmte. Die syphilitische
Natur scheint hier hinlänglich gesichert, dagegen ist es zweifelhaft, inwie-
weit es sich um eine exsudative Synovitis oder ein extraartikuläres
Gumma gehandelt hat, die letzte Möglichkeit ist aber die wahrscheinlichere.
Wenn wir jetzt zu den chronischen „rheumatischen“, „arthritischen“,
„giehtischen* Affektionen übergehen, so treten uns hier grosse Schwierigkeiten
entgegen, indem die Gruppierung und Benennung der internen Medizin
S. H. Mygind, Ueber Arthritis crico-arytaenoidea rheumatica acuta. 55
nicht nur mit den verschiedenen Zeiten, sondern auch mit jedem einzelnen
Verfasser gewechselt haben; und noch am heutigen Tage wird die Frage
des Rheumatismus — jedenfalls einem nicht speziell Sachverständigen —
am ehesten als ein Chaos vorkommen.
Indem wir jetzt von den gewöhnlichen diffusen Laryngitiden absehen,
die mit den akuten und chronischen „rheumatischen“ und „gichtischen“
Leiden einhergehen, wollen wir uns zuerst mit solchen ursprünglich akuten
rheumatischen Arthritiden beschäftigen, diein ein chronisches Stadium über-
gegangen sind und die eine eingeschränkte Beweglichkeit oder Ankylosis
in der Articulatio crico-arytaenoidea zufolge haben. Solche Fälle sind von
Escat (12) beschrieben worden, und es liessen sich wahrscheinlich mehrere
Fälle von unaufgeklärter Ankylosis oder „Rekurrensparalyse“* hierher
rechnen.
Fälle von Gicht („gout“, Arthritis urica), die auf die Articulatio
crico-arytaenoidea allein lokalisiert waren, habe ich in der Literatur nicht
getroffen. Dahingegen sind zerstreute Tophi, auf Knorpel und Stimmlippen
und in den Gelenken abgelagert, nicht so selten. Semon (34) hat sogar
einen Fall mit Sektion beobachtet, wo, trotzdem grosse Trophi in den
Artikulationen und Stimmlippen nachgewiesen wurden, die Beweglichkeit
derselben nichtsdestoweniger unbehindert war. Semon meint und zwar
mit Recht, dass ein Teil der als ,,gouty inflammation’ rubrizierten Fälle
~vphilitischen Ursprungs sind. Sokolowski (41) berichtet, dass bei
Patienten mit häufigen Podagraanfällen vorübergehendes Oedem der Arti-
culatio crico-arytaenoidea beobachtet worden ist. Auch die Arthritis de-
formans findet man in der Literatur vertreten. Casselberry (7) berichtet
über eine 58jährige Frau mit Dyspnoe, bei der die Stimmlippen wegen
Ankvlosis in der Articulatio crico-arytaenoidea sich nicht abduzieren liessen;
geringe Laryngitis. Es fand sich gewöhnliche Arthritis deformans, die
parallel mit den Larynxerscheinungen exazerbierte. In der Erörterung der
Casselberryschen Mitteilung referierte Simpson (39) einen ähnlichen
Fall. und unter dem Namen: „Rhumatisme noueux du larynx* hat Escat
(Mourrut S. 75) ebenfalls einen Fall beschrieben.
III. Verschiedene auf die Articulatio crico-arytaenoidea oder deren un-
mittelbare Nähe lokalisierte rheumatische Krankheitsformen.
Hierher gehört: L. Grünwalds (16) „akute primäre rheumatische
Arthritis“, bei der die Symptome die folgenden waren: 1. ein eigen-
tümliches Gefühl an der Seite des Halses beim Schlucken, 2. dasselbe lässt
sich mittels eines äusseren Druckes gegen die Articulatio crico-arytaenoidea
hervorrufen. wo man eine Krepitation fühlen oder bisweilen hören kann,
3. renanntes Gefühl tritt in Rückenlage am stärksten hervor, 4. laryn-
zuskopisch wird bei dem eben genannten äusseren schmerzauslösen-
den Druck ein nach innen gerichteter Ruck der erwähnten Cartilago
arstaenoidea beobachtet, 6. Empfindlichkeit bei Berührung der Artikulation
mittels einer Sonde von der Seite der Speiseröhre. Im Uebrigen ist die
Larynguskopie negativ. Grünwald ist der Ansicht, dass es sich bei ge-
56 S. H. Mygind, Ueber Arthritis crico-arytaenoidea rheumatica acuta.
nauerer Untersuchung der „Parästhesien“ herausstellen wird, dass nicht
wenige derselben hierher gehören. Das Leiden ist afebril und zu Rezidi-
vieren geneigt. — Ich habe keine anderen Mitteilungen dieser Art gesehen,
habe aber selbst neulich Gelegenheit gehabt, einen sehr ähnlichen Fall bei
einer Gesanglehrerin zu beobachten, die während ihrer immer rezidivierenden
Erkrankung sich selbst mit Massage geholfen hatte. Leider war das Leiden,
als ich es sah, stark zurückgegangen, und die objektiven Symptome demnach
nicht ganz überzeugend. Der Grünwaldsche Symptomkomplex scheint
mir überhaupt so schwierig zu kontrollieren, dass man sowohl der Aetiologie
als auch besonders der Frage vom pathologisch-anatomischen Substrate
gegenüber solange etwas zurückhaltend sein muss, bis noch mehrere
Mitteilungen vorliegen.
Eine sicherere Basis bietet uns das von Uchermann (42) im
Jahre 1897 gegebene Krankheitsbild: „Laryngitis acuta rheumatica nodosa“,
von der Uchermann selbst 3 Fälle mitgeteilt hat. Als charakteristische
Symptome werden bläulich-rote oder rote, begrenzte, ziemlich feste, sehr
empfindliche, ein- oder doppelseitige, bis „krachmandelgrosse“ Infiltrate
erwähnt. Werden dieselben in der Nähe der Articulatio erico-arytaenoidea
vorgefunden, so entsteht Pseudoankylosis der Stimmlippen, die permanent
werden kann. Es findet sich keine vermehrte Sekretion im Larynx. In
den Fällen des Verfassers wurde weder Fieber noch Gelenkaffektion vor-
gefunden; in dem einen Fall war die Stimmlippe in Kadaverstellung fixiert,
es trat aber eine vollständige Heilung nach 12tägiger Salizylbehandlung
ein; Gichtfieber war früher beobachtet worden. Merkwürdig genug sind
diese beiden Fälle linksseitig. Im dritten Fall wird der Sitz der Affektion
nicht näher angegeben. Aehnliche Infiltrate finden sich übrigens in anderen
Gebieten, z. B. im Gaumensegel, in der knorpeligen Nasenscheidewand, im
Gehörgang, Trommelfell und in der Konjunktiva. Die Affektion ist wahr-
scheinlich mit Erythema nodosum verwandt, und der Uebergang zu unserer
„genuinen“ akuten rheumatischen Arthritis ist somit gegeben. Es finden
sich anderseits jedenfalls klinische Aehnlichkeiten mit gewissen ziemlich
rätselhaften Infiltraten in der Regio arytaenoidea, mitunter in die Plica aryepi-
glottica hineinreichend, wechselnd an Intensität und Ausbreitung; sie dauern
oft lange und lassen sich nicht von Salizyl beeinflussen.
Noch eine „rheumatische“ Gruppe bilden Fälle, in denen plötz-
lich nach einer lokalen Kälteeinwirkung (ein Trunk kalten Wassers), Heiser-
keit, Schmerz beim Sprechen und Schlucken entstehen kann, und wo
Schwellung der Regio arytaenoidea, sowie herabgesetzte Beweglichkeit
der Stimmlippen nachzuweisen ist.
Die erste Mitteilung verdanken wir Ramon de la Sota y Lastra (30).
Es handelte sich hier um eine rechtsseitige Affektion, und die Stimmlippen
waren in Adduktionsstellung fixiert. Heilung trat im Verlaufe eines
Monats ein. In dem von G. W. Major (21) beobachteten Fall fand sich
gleichfalls Fixation in Adduktion, die Affektion war hier eine linksseitige.
die ödematöse Schwellung so ausgesprochen, dass sie geradezu Suffokations-
S. H. Mygind, Ueber Arthritis crico-arytaenoidea rheumatica acuta. 57
paroxysmen herbeiführte. Das Oedem schwand im Verlaufe von 2 Tagen,
die Beweglichkeit kehrte aber erst nach und nach zurück, und es unterliegt
somit keinem Zweifel, dass eben das Gelenk selbst affiziert gewesen ist.
Es braucht aber deshalb die Synovitis nicht das Primäre gewesen zu sein,
sondern kann ebensowohl als konsekutiv nach einer submukösen von
thermischen Ursachen hervorgerufenen Entzündung gedeutet werden. Diese
Fälle werden von Lacoarret (17) als „l’arthrite spontande a frigore“ be-
zeichnet.
Es würde zu weit führen, auf verschiedene andere Larynxleiden von
mehr oder weniger „rheumatischer* Natur einzugehen, nur soll hier er-
wähnt sein, dass auch unter dem Verlaufe einer Febris rheumatica ein
universelles, ja sogar sehr starkes Oedem entstehen kann, wie es aus einem
Bericht von Thomas J. Gallacher (14) hervorgeht; es musste hier sogar
Intubation vorgenommen werden.
Zum Schluss sei noch erwähnt, dass Escat (12) 2 Fälle von Febris
rheumatica, mit akuter Arthritis in der Articulatio crico-thyreoidea
kompliziert. mitgeteilt hat. Die subjektiven Symptome sind: totale Aphonie,
die objektiven: äussere Druckempfindlichkeit, dem Gelenke entsprechend,
larınzoskopisch war das Bild wie bei Internusparalyse. Beim Versuch der
Phonation lösen sich starke Schmerzen aus, und — was am wichtigsten ist
— man fühlt gleichzeitig Kontraktion der Mm. crico-thyreoidei. Dies
ist jedoch nur bei einigermassen mageren Menschen zu palpieren.
Mein obiger Versuch, die primären „rheumatischen“ Arthritiden in der
Articulatio crico-arytaenoida und die mit denselben verwandten Leiden zu
vruppieren, soll keinen Anspruch darauf machen, erschöpfend genannt zu
werden: auch habe ich es vermeiden wollen, auf Theorien und Details all-
zusehr einzugehen, habe dagegen gesucht, meine Beobachtungen möglichst
auf die vorliegenden Tatsachen zu stützen; denn nicht allein ist auf
diesem Gebiet, wo durchgehends von seltenen Larynxkomplikationen die
Rede ist, das vorliegende Material viel zu klein, es gibt auch in bezug
auf das Hauptleiden von seiten der inneren Klinik noch viele Fragen zu
lösen. und sowohl die allgemeine Gruppierung als auch die Diagnose jedes
einzelnen Falles ist hier sehr oft eine schwankende.
Die Zahl der referierten Fälle innerhalb der einzelnen Gruppen ist
erstaunlich klein; es ist kaum zu denken, dass die betreffenden Leiden
so ausserordentlich selten vorkommen sollten, wie es nach der Literatur
scheint.
Es wäre daher sehr wünschenswert, dass die Zukunft eine etwas
reichlichere und zugleich gründlichere Kasuistik bringen würde, damit sich
Umrisse und Einzelheiten schärfer markieren liessen, als es in dieser Arbeit
möglich gewesen ist.
He o Our
SI on
> 00
10.
S. H. Mygind, Ueber Arthritis crico-arytaenoidea rheumatica acuta.
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. Mourrut, These de Toulouse. 1902.
. Newcomb, Int. med. Mag. 1893, Aug.
. Potain, Journ. de med. int. 1899, Juni.
. Ramon de la Sota y Lastra, Revista di Lar., ref. Zentralbl. f. Laryngol.
Bd. 3. S. 346.
. Raymond, Gaz. med. de Paris. 1886. 17. Juli.
. Ruault, Ann. d. mal. de l’oreille. 1897. p. 209.
33. Rueda, Rev. hebd. 1894. p. 38.
. Semon, Med. Times and. Gaz. 1880. Bd. 2. p. 433.
. Sendziak, Archiv f. Laryngol. Bd.4. Heft 2, u. Gazeta lekarska 1896. No.2.
36. Derselbe, Rev. hebd. 1899. 2. Dez.
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38. Simpson, Journ. of Lar. 1889. p. 442.
39. Derselbe, New York Med. 1893, Okt.
. Schmiegelow, Hospitalstidende. 1889. p. 909, ref. Zentralblatt Bd. 6.
2. 049.
S. H. Mygind, Uober Arthritis crico-arytaenoidea rheumatica acuta. 59
41. Sokolowski, Heymanns Handbuch d. Rhin. u. Laryngol. 1898. S. 1422.
42. Uchermann, Deutsche med. Wochenschr. 1897. Nr. 47.
43. Windelschmidt, Monatsschr. f. Ohrenh. 1881. S. 169.
Anmerkung: Der von mehreren Autoren erwähnte Fall Schützenberger
st mit dem Fall Debrousses identisch. Derselbe ist auch von Senator in
Ziemssens Handbuch, XIII. 1, S. 36, zitiert und von Hirsch in seinem Referat
über Fritsch (s. oben).
Ausser den oben zitierten Fällen sind noch einzelne andere ohne nähere
Beschreibung in der Literatur erwähnt, so auch von Schech, Die Krankheiten
des Kehlkopfes usw., Leipzig und Wien, Il. Auflage, S. 203, der eine Uebersicht
uber die Krankheiten der Artikulationen des Larynx gibt.
V.
Aus der k. k. Universitätsklinik für Kehlkopf- und Nasenkrankheiten
in Wien. (Vorstand: Hofrat Prof. Dr. O. Chiari.)
Die Nebenhöhlenerkrankungen im Kindesalter.')
Von
Dr. med. Fritz Schlemmer,
Assistenten der Klinik.
Seitdem man weiss, dass bei einer Reihe von akuten Infektions-
krankheiten im Kindesalter die Nasennebenhöhlen teils gleichzeitig, teils
im Anschlusse an dieselben erkranken, finden sich in der Literatur häufiger
Mitteilungen über Antritiden in den ersten Lebensjahren.
So beobachtete Harke (1) gelegentlich seiner Sektionen meist doppel-
seitige akute Kieferhöhlenentzündung verschiedenen Grades bei Broncho-
pneumonien der Kinder bei gleichzeitig bestehender katarrhalischer Rhinitis.
Ebenso lehrten einige Sektionsfälle von M. Wolf (2) und Harke, dass
auch Skarlatina und Morbillen zu Nebenhöhlenaffektionen führen können,
und fand endlich Wolf bei 19 Diphtheriesektionen die Nebenhöhlen fast
immer krank, selbst wenn die Nase nur leicht affiziert war.
Der erste, der über eine Reihe klinisch beobachteter und operativ
geheilter Fälle berichtete, war Killian (3), und später brachte Onodi (4)
in seinem grossen anatomischen Werke eine übersichtliche Zusammenstellung
von 23 Fällen. Bei allen diesen Patienten bestand die Nebenhöhlen-
erkrankung während, oder im Anschluss an die Skarlatina, war also
eine Komplikation derselben.
Schlemmer (5) hat aus der Literatur 11 Fälle zusammengestellt, die
eine andere Aetiologie haben und berichtet über einen Fall von Panantritis
acuta dextra bei einem vierjährigen Knaben, bei dem ein akuter Nachschub
einer stets rezidivierenden Tonsillitis lacun. chron. zu dieser schweren
Komplikation führte.
Soweit Berichterstatter die Literatur überblicken konnte, war in
57 Fallen 24mal Scharlach (i. e. in 42°,,) die ursächliche Erkrankung,
während bei den übrigen folgende Infektionsmomente massgebend waren:
1) Nach einem auf dem 85. Naturforscher- und Aerztetage in Wien gehaltenen
Vortrage.
tine.
l
an
aa
1
d
4
' Kieferhöhle, Mastoiditis.
F. Schlemmer, Die Nebenhöhlenerkrankungen im Kindesalter. 61
Skarlalina. 2. a... ar Eee 24
Staph. pyogen. aur. plus bact. coli ....... 1
Staph. pyog. aur.. .... er Br ae ee a A l
Diplococc. pneum. -... 2.222 220000. l
Parotitis epidemica .............-. ]
Dipbthene , 2,8 sea. 8 2 ta l
Erysıpel. 2.2.00 ware ee we OS ewe ek bs l
Im Anschluss an akuten Nachschub einer chroni-
schen Tonsillitis. ....... de Er l
Bakteriengemenge: Gramposit.Elemente,Streptokokk.
und bazillareFormen vom Pseudodiphtherietypus 1
Ozaend, 43 ie rue BB. Don River ae N 2 à
Streplokökken „0... a ee er 2
Siebbeineiterung b. Nasenmissbildg., Typus,,Gundu'’ 3
Keine Skarlatina, Erreger nicht angegeben 7
Erreger unbekannt ... 2... 2220000. 11
57 Fälle.
— : — =
Fall ; Alter Erkrankte Nebenhöhlen | Behandlung | Ausgang Bemerkungen
|
|
Soy emmer 18 Tg. | Dacryocystitis acuta,Eth- gests Enuc- Heilung. | Staphylococe. pyoven.
rei moiditis acuta, Orbital- | leatio bulbi. | | aur. + bact. coli.
phlegmone. ,
Canestro 63 26 „ .Linkes Antrum, Seque- | Operation. | do. | Staphyloconus pyo-
stration eines Knochen- | genes aureus.
stückchens.
LA Foster (7) 26 „ ' Antrum beiderseits. | — Exitus. | —
L.A. Coffin «S) 6 Mon. Empyema antri Highm. | Operation. Unbekannt: —
Ki. ian 15 „ 'Stirnhöhle. | do. Letal. .Skarlat. Thrombo -
| phlebitis d. Blutleit.
Lanze wW 21 J. . Kieferhöhlen. do. Heilung. . Skarlatina.
si “mmertl2‘ 3 Jahre : Panantritis acuta dextra. | do. Exitus. | Diplococe. pneum.
E Mever ‘10: 31/2 J. | Panantritis. | do. Heilung. | Skarlatina.
lange . 4 Jahre | Fthmoiditis bilat. do. do. do.
Bape Lyn Ethmoiditis dextra. | do. do. Keine Skarlatina.
Marschik /1D) _ (endonasal). |
S-yemmer i5) - Panantritis acuta dextra. | Operation. do. Im Anschluss an ein.
- akut. Nachschub ein.
chron. Tonsillitis.
Prevsinz “13) 5 Stirnhöhlen u. Siebbein- | do. ı do. . Skarlatina.
` zellen. | | |
Bir 5 a Beide Stirnhöhlen und | do. | do. do.
| | Siebbeinzellen. | |
Base 5 ap | Ethmoiditis acuta. do. do. ‚Keine Skarlatina.
Nac cahiic | | (von aussen).
Schoemmer (Ld) 53/4 J. | Rechtes Siebbein Operation. do. Keine Skarlat.,auffall.
| Stirnhöhle. grosse Stirnhöhle.
Kan 6 Jahre | Panantritis. do. do. Skarlatina.
Sree sag 6 | Siebbeinzellen und Keil-. do. | do. do.
5 beinhöhle einer Seite. | :
Hessen 6 ı Siebbeinzellen und Keil- do. do. do.
are | beinhöhle einer Seite.
t thara Ior 6 ' Stirnhöhle, Siebbeinzell., , do. do. do.
62 F. Schlemmer, Die Nebenhöhlenerkrankungen im Kindesalter.
m i i
£ Fall Alter | Erkrankte Nebenhöhlen | Behandlung | Ausgang | Bemerkungen
= !
| | | |
20 | Lange ‚61/,J. : Stirnhöhle. Operation. Heilung. | Skarlatina.
21 |Haenel (16) | 61, „ | Panantritis. de. | do. do.
22 ILange 61/5 a Ethmoiditis dextra. do. do. do.
23 [Schlemmer | T Jahre Ethmoiditis bilat. endonasale do. do.
(neu) | | Üperation.
24 |Hinsbery (17) 7 „ Kieferhöhle, Siebbeinzell. Operation. do. do.
25 | Killian E Stirnhöhle. do. do. | do.
26 |Hoffmann (18) 7 . Panantritis. | do. do. do.
27 jvandenWilden- © „ Beide Stirnhöhlen. | do. do. ,Parotitis epidemica
berg (19) | Fiter in der rechte:
| Stirnhöhl.,Subdural
28 Ivan den | abszess.
Wildenberg ;8 , ‘Stirn- und Siebbeinhohle. do. do. Keine Skarlatina.
29 | Haike (20) 8 . Kieferhöhle. | endonasale | do. | —
| | © Operation. | |
30 [Friedrich Neu-,9 „ Ethmoiditis sinistra ‚ Operation. , do. Skarlatina, d.Siebben
mann (21) | stellt einen einzigen
| daumen glied grosse
| Abszess dar.
31 [Scholle 22) |9 , |Stirnhihle. Operation | Letal. . Skarlat.,Ohroperatio:
|
|
des Ohres. ' erfolglos. Sektion
Stirnhöhleneiterung
: ' Meningitis.
32 TH. Burger (23) 9, 10, Beide Siebbeinlabyrinthe Operation. Heilung. | Geschwister mit Sieh
| þeineiterung um
Nasenmissbildung.
ll J. | infolge Polyposis.
| ' Typus: „Gundu“.
83 [Tilley RH 9 Jahre . Stirnhöhle. do. do. | Skarlatina.
34 I L. A. Coffin 9 , Ethmoiditis bilat. — Letal. | KeineSkarlat. Heilun:
——- ein. Seit. ohn. Operat
6 Mon. später erkrankte die andere Seite. Exitus
35 J Onodi -914 J. ' Stirnhöhle. Operation | Heilung. | Skarlatina.
36 | Chiari- ' 10 J. Ethmoiditis acuta. do. do. Keine Skarlatina.
Marschik | (von aussen).
37 IScholle 10 „ 'Stirnhöhle. Operation Letal. | Skarlat. Oper. erfoly!
des Ohres. | ` Sekt.: Stirnhöhlen-
| eiterung, Meninyitis
38 |L. A. Coffin 10 „ , Ethmoiditis acuta. Operation. | Heilung. | —
39 | Chiari- | |
Marschik 11. ;Kieferhöhle undSiebbein. do. do. | Keine Skarlatina.
40 | Haike © IH „ ıKieferhöhle. endonasale do. —
| Operation.
4l [Schlemmer 12 „ | Ethmoiditis dextra do. do. Skarlatina.
(neu)
42 | Butzengeiger | 12 „ |Stirnhöhle. Operation. do. Diphtherie, Stirnhirn
(25) | abszess.
43 | Killian ' 12 „ :!stirnhöhle, Siebbeinzell., | Operation do. Skarlatina.
| | Kieferhöhle. (endonasal).
44 [van den \ 13 „ !Stirnhöhleneiterung. Operation. do. de
Wildenberg f 13 „ © Ostitis des Stirnbeins. do. do. en
45 |Schiemmer . 13 „ | Panantritis gangraenosa do. Letal. | Bakterien - Gemenge:
(neu) dextra e carie dentis _ Gramposit. Elemente.
| perorans in orbitam. | Streptokokk. u. bar
Formen vom pseudo-
diphtherie-Typus.
F. Schlemmer, Die Nebenhöhlenerkrankungen im Kindesalter. 63
| | |
45 |Haike ' 15 J. | Kieferhöhle,Siebbeinzell., | Operation. Heilung. =
Keilbeinhöhle.
Rırlesux,
treijenbere,
aArev Power,
bb. ırlas 8 Neu- | Durchwegs Kieferhöhlen- | Unbekannt. Unbekannt! Zitiert in der Arbeit
F f Castex., ? ge- | eiterungen. Canestros. Fränk.
W‘..smann u. borene | . Archiv. Bd. 25. H.3.
Ficere, 1911.
Boreili,
Waxrria. i
Beim Vergleich dieser 57 Fälle fällt hinsichtlich des Sitzes der Er-
krankung insbesondere auf, dass bei Neugeborenen und ganz jungen
Kindern in der übergrossen Mehrzahl ausschliesslich die Kieferhöhle
erkrankt, und dassätiologisch die für das Kindesalter nicht spezifischen
Infektionsmomente vorherrschen,
Wie Bourraqué (26), Canestro und andere betonen, entstehen
Antritiden bei Säuglingen gewöhnlich auf nasalem Wege und haben meist
eine phlegmonöse Form. Beim Durchtritt durch die weiblichen Geburts-
wege werden die Schleimhäute der Nase bezw. die Konjunktiva (mein
Fall. siehe später) durch die vielen anwesenden Mikroorganismen infiziert
und können gegebenenfalls Veranlassung zur Nebenhöhleneiterung geben.
d’Arcy Power teilt einen Fall mit, bei dem der Säugling von einem
progredienten Erysipel der Wange seine Highmorshöhleneiterung bekam.
Es handelte sich um einen Forceps, wobei die Wange verletzt wurde. Das
auf Basis dieser Wunde entstandene Erysipel griff dann auf die Nasen-
schleimhaut über.
Diesen: Infektionsmodus gegenüber kommt der dentale Weg — wenn
überhaupt — viel seltener in Betracht. Castex und Douglas berichten
über zwei hierher gehörige Fälle. Das eine Mal hatte die stillende Mutter
eiternde Rhagaden an der Mamilla, das andere Mal handelte es sich um
eine Mastitis. Jedenfalls gehören diese Beobachtungen zu den Seltenheiten.
Als hervorstechende Symptome dieser Affektionen seien genannt:
1. Eine deutliche Rötung und ödematöse Schwellung der Wange über
der erkrankten Seite, die sich natürlich auch wärmer und härter anfühlt,
als die gesunde, vorausgesetzt, dass es nicht schon zur Abszedierung ge-
kommen ist, in welchem Falle Fluktuation bei livid verfärbter, transparenter
Haut nachweisbar sein wird. Abszesse sitzen immer genau an der Stelle,
ın der die Knochenwand erkrankt gefunden wird (Killian).
> Eine starke Schwellung des Unterlides mit mehr oder weniger ausge-
pragter Chemosis und VerdrängungdesBulbus. Killianmacht aufmerksam, dass
Exophthalmus selten beobachtet werden dürfte. Er ist in der Regel nur
dann sichtbar, wenn auch das hintere Siebbein mitalfiziert ist, ein Um-
64 F. Schlemmer, Die Nebenhöhlenerkrankungen im Kindesalter.
stand, der aber bei dieser Gruppe von Antritiden wohl kaum in Betracht
kommt.
3. Fistelbildung, die sich in fortgeschrittenen Fällen über der Wange
oder in der Gegend der Tränengrube etabliert.
4. Schwellung und Fistelbildung der Gingiva oder des Gaumengewölbes.
5. Eiterige Sekretion aus der Nase oder in den Nasenrachenraum und
Borkenbildung.
Vom zweiten Lebensjahre an herrscht dann die Skarlatina als
Krankheitsursache vor. Nach den Beobachtungen Killians waren bei zwei
seiner Fälle am 5. Tage, bei drei weiteren am 6. Tage die Schleimhäute
der Nebenhöhlen affiziert, woraus man schliessen kann, dass dieselben
schon sehr bald erkranken, jedenfalls früher, als es zu einer Kompli-
kation kommen kann: denn es bedarf vom Zeitpunkte der ersten Schleim-
hautaffektion unter allen Umständen einiger Zeit — und seien es auch nur
wenige Stunden oder Tage, je nach der Virulenz des infizierenden Virus —
bis die Komplikation manifest wird.
In der Regel klingt wohl mit der Haupterkrankung auch der uns
speziell interessierende Herd in den Nebenhöhlen ab und liegt darin der
Grund, warum der Rhinologe so selten Gelegenheit hat, solche einfache
Entzündungsformen zu sehen. Daher kann er nichts Bestimmtes über den
Beginn einer Sinusaffektion beim Scharlach aussagen, noch weniger aber
über die Art und Weise des Fortschreitens des Krankheitsprozesses
und wie es kommt, dass bisweilen der festgefügte Knochen durchbrochen
und phlegmonöse Prozesse in den umgebenden Weichteilen verursacht
werden.
Hinsichtlich der Progredienz der Entzündungserscheinungen wäre es
aber, abgesehen von den skarlatinösen Formen, zuweilen gewiss wertvoll,
Aufschluss darüber zu haben, ob der Knochen oder die Schleimhaut
das primär Erkraukte ist. Exakte Beobachtungen und Untersuchungen be-
stehen nicht darüber, denn der Rhinologe sieht eine Antritis im Kindes-
alter nur als komplizierten Fall, bei welchem schon jene schweren
Symptome zu erheben sind, wie sie bereits oft beschrieben wurden.
Wir bewegen uns hier auf einem Grenzgebiete der Pädiatrie und der
in mächtigster Entwicklung begriffenen Rhino-Laryngologie, und es wäre
hierin im Interesse der kleinen Patienten ein innigeres Zusammenarbeiten
beider Fächer sehr wünschenswert.
Die Symptome, die wir bei einer Scharlach-Antritis beobachten, sind
bisweilen von dem früher beschriebenen Komplex deutlich verschieden,
weil auch das erkrankte Siebbein seinerseits deutliche Erscheinungen
macht. Bei Erkrankungen desselben kommt es zu einer Anschwellung des
oberen Lides innen und im inneren Augenwinkel, und, wie bereits erwähnt,
auch zu Exophthalmus, wenn das hintere Siebbein mit erkrankt ist.
In extremen Fällen besteht eine Chemosis von einer solchen Heftig-
keit, dass es nur schwer möglich ist, die Kornea zu Gesicht zu bekommen.
Ist bereits eine Stirnhéhle vorhanden, so macht sie, falls sie affiziert ist,
F. Schlemmer, Die Nebenhöhlenerkrankungen im Kindesalter. 65
auch Symptome: Spontane Schmerzhaltigkeit und Klopfempfindlichkeit inihrem
ganzen Ausmasse. Ueberdies besteht oft ein beträchtliches Weichteilödem, wie
dieses überhaupt einen stets regionären Charakter aufweist (Killian).
Im übrigen sind die Symptome dieselben wie die früher genannten
und herrscht bald das eine, bald das andere vor.
Von einigen Autoren wird zur Sicherstellung der Diagnose die Not-
wendiskeit einer Röntgenaufnahme betont bezw. eine solche empfohlen
(van den Wildenberg, Killian). Diesbezüglich müssen mir bemerken,
dass wir in keinem unserer komplizierten und terminalen Fälle eine
Röntgenaufnahme gemacht haben. Die klinischen Symptome waren so ein-
deutig, die Patienten so hinfällig, dass wir sie dieser bei Kindern immer-
hin schwierigeren Manipulation nicht auch noch aussetzen wollten. Ueber-
dies sagt Haike: „Ist nun schon bei Erwachsenen das Ergebnis dieses
Verfahrens nur sehr bedingt zu verwerten, so ist es bei Kindern völlig un-
zuverlässig.“
Wir haben es auch nachher niemals bedauern müssen, kein Röntgen-
bild amgefertigt zu haben.
Die Fälle wurden, wo nicht ausdrücklich bemerkt, in der bekannten
Weise nach Killian von aussen operiert. Dabei sind 41 Heilungen und
q Todesfälle zu verzeichnen, während bei 9 Fällen der Ausgang unbekannt
ist. Es entspricht dies einer Mortalität von etwa 15 pCt. Die Statistik
wäre sicher besser, würden die Rhinologen früher zugezogen worden sein.
Die Fälle 23 und 41 stammen aus der Ambulanz der Klinik von Pirquet.
Beide Male handelte es sich um postskarlatinöse, chronische Ethmoidi-
tiden. die auf den endonasalen Eingriff in kurzer Zeit ausheilten. Die
Fälle 1 und 45 bieten einiges Interessante, weshalb Berichterstatter nun-
mehr die Krankengeschichten folgen lässt.
Fall ı. AloisW., 18 Tage alt, operiert 11.Juni 1913 (feoit Dr. Schlemmer)
Heilung.
Diagnose: Dacryocystitis acuta sinistra purulenta, Antritis maxill. acuta,
Ethmoiditis acuta, Orbitalphlegmone, Pyamie.
1l. Juni. Anamnese: Knabe kam am normalen Schwangerschaftsende
gesund zur Welt. Beim Durchtritt durch die Geburtswege wurde er mit den miitter-
lichen Fazes vollkommen besudelt. In den ersten 10 Lebenstagen soll angeblich
keine Ophthalmoblennorrhoe bestanden haben. Am 11. Tage kam es zu einerleichten
Schwellung des linken Auges. Arzt verschrieb Augenwasser. Daraufhin sehr
heftiiges Anschwellen des linken Auges. Von der Klinik Dimmer, wohin das Kind
gestern zum ersten Malo kam, mit der Diagnose: Cellulitis oculi sinistri
an unsere Klinik gewiesen.
Status praesens: Schwächlicher Säugling, leise wimmernd, benommen.
Heftige Chemosis beider Lider linkerseits. Bulbus nach der Seite verdrängt.
Fluktuierender, hochroter, prall gespannter Tumor über dem linken Tränensack.
Zartes Ulcus corneae links. Hypopyon. Temperatur 38,2, eiterige Sekretion aus
der Nase. Somatischor Befund ohne Besonderheiten.
Operation im Aetherrausch: Killianschnitt. Reichlicher Eiterabfluss unter
Druck, Tränensack mächtig verdickt, livide verfärbt, wird in toto entfernt. Die
Arcbiv fur Laryngologie. 28. Bd, 1. Heft. 5
66 F. Schlemmer, Die Nebenhöhlenerkrankungen im Kindesalter.
Eiterung ist im Bereiche des Tränensackes bereits durch die Tenon’sche Kapsel
gebrochen, weshalb diese an 2 Stellen in der Richtung von rückwärts nach vorne
geschlitzt wird. Eiterabfluss. Drainage.
Das Siebbeinlabyrinth ist etwa erbsengross, lässt sich gut erkennen. Die
verdickte Schleimhaut wird entfernt. Stirnhöhle fehlt. Punktion der Kieferhöhle:
Es entleert sich etwas trübe Flüssigkeit und ein Tröpfchen Eiter. Drainage,
Verband.
Kind wird nach dem Eingriff, der nur wenige Minuten gedauert hat, mit
warmen Tüchern zu Bett gebracht, erhält etwas Kamillentee, in dem 1/ g Uro-
tropin aufgelöst wird. Abendtemperatur 37,7. Ruhiger Schlaf bis zum Morgen.
12. Juni: Fortschreiten der Orbitalphlegmone. Auf Vorschlag des
Ophthalmologen Enucleatio bulbi und Drainage der Orbita. Nachher rasches Ab-
klingen aller lokalen Erscheinungen. Mehrere metastatische Abszesse, darunter
ein präpatellarer am linken Knie müssen eröffnet werden. Kind wird nach Vor-
schrift der Klinik von Pirquet ernährt und gedeiht vortrefflich.
Nach sechswöchigem Spitalsaufenthalt geheilt entlassen, wurde nach
weiteren 4 Wochen gesund vorgestellt.
Histologischer und bakteriologischer Befund. (Prof. Stodrk.)
Histologisch: Die Schleimhaut des Tränensackes zeigt diffus-entzündliche
Infiltration der Submukosa und des submukösen Fett- und Bindegewebes. Die
Schleimhaut ist durch eine dicke diphtheritische Membran substituiert. Die kleinen
Schleimhautstückchen des Siebbeinlabyrinthes zeigen dieselben Veränderungen.
Die übrigen Gewebsstückchen lassen nur heftig entzündetes Fett und Bindegewebe
erkennen.
Bakteriologisch: Im Eiter fand sich mikroskopisch und kulturell ein
Gemenge von Staph. pyog. aur. und bacterium coli.
Fall 45. EdithO., 13Jahre alt, operiert 18. Juli 1913 (fecitDr. Schlemmer)
Exitus 21. Juli.
Diagnose: Panantritis gangraenosa dextra e carie dentis, perforans in
orbitam; Angina phlegmonosa dextra.
18. Juli. Anamnese: Patientin am normalen Schwangerschaftsende ge-
boren, Eltern gesund. Morbillen im 5. Lebensjahre. Im Anschlusse daran chorea-
tische Zustände. Später hysterische Anfälle. Vor 2 Jahren mit Diagnose: Hysterie
plus Imbezillität an der Klinik von Wagner in Pflege gestanden. Nachher im allge-
meinen Wohlbefinden, obzwar es ab und zu zu depressiven Zuständen kam.
Vor 9 Tagen (9. Juli) erkrankte Patientin an Periostitis mit leichter Schwel-
lung der rechten Wange. Antiphlogistische Behandlung. Verschlimmerung. Seit
4 Tagen floss Eiter aus dem Mund. Aufregungszustände. Daher abermalige In-
ternierung an der Klinik von Wagner, von wo Patientin am 18. Juli 5 Uhr nach-
mittags an die Klinik Chiari transferiert wurde.
Status praesens: Benommene, hoch fiebernde Patientin, schreit auf
leiseste Berührung. Puls 120, schwach fühlbar. Widerlicher Foetor ex ore. Pro-
fuser Eiterabfluss aus dem Munde und aus der rechten Nasenseite. Lebhafte
Schwellung und Rötung der rechten Wange, insbesondere der Gegend des rechten
Tränensackes. Die Haut dortselbst ist prall gespannt, livide verfärbt, und zeigt
ausgesprochene Fluktuation. Perforation unmittelbar bevorstehend. Oedem des
rechten Ober- und Unterlides, beginnendo Chemosis, deutliche Protrusio bulbi.
Starker Klopf- und Druckschmerz über der rechten Stirnhöhle, dem Siebbein und
F. Schlemmer, Die Nebenhöhlenerkrankungen im Kindesalter. 67
der Kieferhöhle. Rhinitis hypertrophica beiderseits, rechts massenhaft Eiter ab-
liessend. Rhinoscopia posterior undurchführbar. Angina phlegmonosa dextra.
Rechtsseitiger Periostalabszess im Bereiche 5, 4, 3 Zähne wacklig. Aus den
Alveolarbuchten fliesst kontinuierlich Eiter. Patient stöhnt fortwährend und stösst
anverständliche Laute aus. Der somatische Befund ergibt ausgesprochene Bronchitis
mit gross- und mittelblasigem Rasseln. Herztöne leise, Herztätigkeit sehr frequent,
Abdominalbefund ohne Besonderheiten. Im Harn deutlich Albumen, Augenspiegel-
befand normal. Eine zerebrale bezw. meningeale Komplikation wird von speziali-
stischer Seite mit Sicherheit ausgeschlossen.
Operation: in Kuhnscher Intubationsnarkose, eine halbe Stunde vorher
0.01 Morphium subcutan.
Extraktion der Zāhne 5, 4, 3 wobei massenhaft Eiter aus dem Antrum
abläuft. Spaltung der rechtsseitigen peritonsillaren Phlegmone. Eröffnung der Kiefer-
hohle nach Luc-Caldwell. Sie ist von stinkendem, käsigem Eiter erfüllt.
Gangrān der Schleimhaut und der fazialen Knochenwand, mehrere Perforationen
gegen die Orbita. Toilette der Kieferhöhle, Tamponade.
Killianschnitt rechts. Es fliesst reichlich Eiter ab. Drei Perforationen in der
l.amina papyracea, livide Verfärbung der Siebbeinschleimhaut mit zahlreichen
nekrotischen Herden. Die gesamte Schleimhaut ist mächtig verdickt und stinkt
aasartig. Ausräumung aller rechten Nebenhöhlen. Die Stirnhöhle bildet einen
gegen die Incisura orbitalis superior zu sanft bogenförmig verlaufenden, ein-
hammerigen Gang, von 21/, cm Höhe und etwa 1 cm Breite; ihre Schleimhaut ist
auffallend hypertrophisch.
Bei Entfernung des Stirnhöhlenbodens bricht ein Teil der Hinterwand in
Frbsengrösse ein, so dass nun die Dura in diesem Ausmasse freiliegt. Die Keil-
heinhöhle ist erbsengross und mit hypeıtrophischer Schleimhaut ausgefüllt. Toilette
der Nebenhöhlen. Drainage, Schluss der Wunde durch 2 Situationsnähte.
Dekursas: 19. Juli. Kritischer Temperaturabfall. Urotropin 4,0, intra-
muskulär unmittelbar nach der Operation, welche Gabe heute früh wiederholt
wurde. Patientin ist unruhig, verweigert jegliche Nahrungsaufnahme, erkennt aber
ihre Umgebung.
20. Juli: Normale Temperatur. Patientin sehr unruhig, bekommt auf
Anraten des Psychiaters Adalin. Abends Schüttelfrost, Temperatur 40,2, ausge-
sprochene Bronchitis über beiden Unterlappen, eitriger Auswurf.
2]. Juli: Nach der Adalingabe verfiel Patientin bald in einen tiefen Schlaf,
aus dem sie nicht mehr erwachte.
22, Juli: Obduktion (Prof. Stoerk). Eitrig-jauchige Entzündung der
Nase und Nebenhöhlen rechterseits ausgehend von einer odontogenen Periostitis
des rechten Oberkiefers in die Orbita an mehreren Stellen durchgebrochen mit
pblermonöser Eiterung am Boden desselben und in den umgebenden Weichteilen.
Tracheitis crouposa. Diffuse eiterige Bronchitis in die letzten Verzweigungen sich
erstreckend. Beginnende Lobulärpneumonie der Unterlappen. Hyperaemia cerebri,
Degeneration der Parenchyme.
Histologischer und bakteriologischer Befund. (Prof. Stoerk.)
Die Schleimhautstückchen aus den verschiedenen Abschnitten zeigen zum
Teil nekrotisierende, phlegmonöse Entzünduug, zum Teil entzündliches resp. ent-
zündlich-bämorrhagisches Oedem.
5*
68
F. Schlemmer, Die Nebenhöhlenerkrankungen im Kindesalter.
Bakteriologisch: Findet sich ein Bakteriengemenge vorwiegend grampositiver
Elemente, darunter Streptokokken und bazillärer Formen vom Pseudodiphtherie-
Typus.
=]
13.
14.
15.
16.
17.
18.
19.
24.
20.
20:
Literaturverzeichnis.
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baden 1895.
Wolf, M., Zeitschr. f. Hygiene. 1895. Bd. 19. S. 257.
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. Schlemmer, Ueber einen Fall von Panantritis acuta dextra bei einem
4jährigen Knaben. Monatsschr. f. Ohrenheilk. u. Laryngo-Rhinologie. 1912.
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Laryngol. 1911. Bd. 25. Heft 3.
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. Levis A. Coffin, A report of four operated cases of sinusitis in children.
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10.
11,
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Meyer, E., Zitiert unter Nr. 5.
Chiari-Marschik, Zitiert unter Nr. 5.
Schlemmer, Wiener laryng.-rhinol. Gesellsch., Sitzung vom 4. Dez. 1912.
Monatsschr, f. Ohrenheilk. u. Laryngo-Rhinol. 1913. Heft 4. S. 532 ff.
Preysing, Zitiert unter Nr. 5.
Schlemmer, Wiener laryng.-rhinol. Gesellsch., Sitzung v. 15. Jan. 1913.
Monatsschr. f. Ohrenheik. u. Laryngo-Rhinol. 1913. Heft 4. S. 535 ff.
Hubbard, J., Zitiert unter Nr. 5.
Haenel, Dasselbe.
Hinsberg, Zitiert unter Nr. 3.
Hoffmann, Zitiert unter Nr. 5.
van den Wildenberg, Les sinusites frontales et leurs complications chez
les enfants. Semons Zentralbl. 1913. S. 71.
Derselbe, Zitiert unter Nr. 5.
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. Neumann, Friedr., Wiener laryng.-rhinol. Gesellsch., Sitzung vom 7. Mai
1913. Monatsschr. f. Ohrenheilk. u. Laryngo-Rhinol. 1913. Heft 8. S. 1037.
2. Scholle, Zitiert unter Nr. 5.
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Tilley, Zitiert unter Nr. 5.
Butzengeiger, Dasselbe.
Bourraqgué, Des sinusites maxillaires chez les enfants. Thèse de Doctorat.
Bordeaux 1903. Semons Zentralbl. 1904. S. 510.
r
VI.
Aus der Kgl. Universitats-Ohrenklinik zu Erlangen.
(Direktor: Prof. Dr. A. Scheibe.)
Ein Fall
von multiplem Plasmazytom der oberen Luftwege.
Dr. Hans Wachter, Assistenzarzt.
Wenn Plasmazellen auch in normalem Gewebe gefunden werden, ferner
bei einfachen chronischen oder spezifischen Entzündungsprozessen, so kann
trotzdem das Ueberhandnehmen dieser Zellform zu einem eignen Krank-
heitsbild, dem der Plasmazytome, führen. Auffällig nun aber ist bei Durch-
sicht der Literatur über Plasmazytome das so überaus verschiedenartige
klinische Bild, unter dem diese auftreten können. Bald werden Fälle er-
wähnt, bei denen es sich um mehr oder minder lokalisierte gutartige
Prozesse handelt, die multipel oder herdförmig tumorartige Gebilde auf-
weisen, bald zeigen sie sich unter dem Bilde diffuser Infiltrationen. Dann
wiederum gibt es Plasmazytomformen, die unter Metastasenbildung in
anderen Organen den Sarkomen an Bösartigkeit gleichen oder die ihres
klinischen Verlaufs wegen zu den multiplen Myelomen zu rechnen sind.
Ebenso auffällig ist dabei das Verhalten des Blutbildes. Neben Fällen von
normalem Blutbefund finden sich hinwiederum andere, die unter der Er-
scheinung der akuten Leukämie und Pseudoleukämie — der sogenannten
plasmazellulären — verlaufen. Alle diese klinisch so differenten Krankheits-
bilder haben nur das eine gemeinsame: sie sind wegen der Vermehrung
der Plasmazellen pathologisch-anatomisch in die Gruppe der Plasmazytome
zu rechnen.
Fir den Laryngologen und Rhinologen wichtig sind die Plasmazytome
der oberen Luftwege. Ehe ich jedoch über einen solchen Fall aus unserer
Klinik berichte, möchte ich kurz zwei ganz ähnliche von Boit und
v. Werdt erwähnen: :
Boit: Ein 55jähriger kräftiger Mann litt seit 2 Jahren an zunehmen-
der Heiserkeit und ist angeblich 5 mal bereits deswegen operiert worden.
Befund: Das vordere Drittel der Glottis ist ausgefüllt von einem vom
vorderen Drittel der Taschenlippe ausgehenden blassroten Tumor von glatter
()berfläche und ziemlich derber Konsistenz. Die Stimmlippen reagierten
70 H. Wachter, Multiples Plasmazytom der oberen Luftwege.
normal, die Halsdrüsen waren nicht geschwollen. Die Geschwulst reichte
tief in den Morgagnischen Ventrikel, die entfernten Massen hatten die
Grésse einer Kirsche. Mikroskopisch fanden sich dichtliegende Zellmassen
in spärlichem, ziemlich engmaschigem Bindegewebe. Die Oberfläche zeigte
derbes zellarmes Bindegewebe und teilweise geschichtetes Flimmerepithel.
Die Zellform entsprach den Plasmazellen, auch fanden sich Degenerations-
zellen vor. Es bestand die Differentialdiagnose zwischen Tumor und
chronischer Entzündung.
v. Werdt: Bei einem 69jährigen Manne fand sich bei Inspektion der
Mundhöhle ein wallnussgrosser Tumor, derselbe war uneben, höckerig,
freibeweglich und von blauroter Farbe. Der Ursprung war wahrscheinlich
an der Hinterfläche der Uvula. Drüsenschwellungen am Halse sind nicht
bemerkt worden. Abtragung mit der Glühschlinge. Rasche Epithelisierung,
keine Rezidive. Der Tumor war überall mit Ausnahme der Operations-
fläche mit Schleimhaut bedeckt. Er bestand aus einer Anzahl von Höcker-
chen, dieselben waren dreieckig und von mässig derber Konsistenz. Im
mikroskopischen Präparate sind Plasmazellen nachgewiesen worden.
Nur durch ihre Lokalisation verschieden, im übrigen aber den Plasma-
zytomen der oberen Luftwege ähnlich, sind die drei Fälle von Plasmomen
der Bindehaut und Hornhaut, über die Pascheff in Gräfes Archiv für
Ophthalmologie berichtet. Auch sie werden als auf entzündlicher Ursache
hervorgerufen und als rein lokales Leiden betrachtet.
In vieler Beziehung den obigen Fällen ähnlich ist nun das in unserer
Klinik seit 20 Jahren beobachtete Plasmazytom. Nur insofern unterscheidet
es sich von den vorigen, als es sich um ein multiples Auftreten dieser
Tumorart in den oberen Luftwegen handelt und insofern die einzelnen
Geschwülste dauernd zu Rezidiven neigen.
Die Patientin Margarete Schn., 48 Jahre alt, aus Bruchberg bei Ansbach,
ist schon seit etwa 20 Jahren wegen eines chronischen Nasen- und Halsleidens in
‘der Behandlung der hiesigen Universitätsohrenklinik. Aus der früheren Kranken-
geschichte erfahren wir, dass die Patientin mit 1] Jahren nach überstandener
Genickstarre auf dem linken Ohre ertaubte, vor 4 Jahren erkrankte sie dann an
einer rechtsseitigen Mittelohreiterung mit nachfolgender Schwerhörigkeit. Die
funktionelle Gehörprüfung ergab 1912 linksseitige absolute Taubheit und chronische
nervöse Schwerhörigkeit rechts.
Die Anfänge des bestehenden Halsleidens liegen, wie schon erwähnt, etwa
20 Jahre zurück und begannen mit leicht auftretender Heiserkeit nach langem
Sprechen und mit Halsschmerzen. Im übrigen war die Patientin dauernd be-
schwerdefrei. Nach ihren Angaben wurden ihr bereits vor 18 Jahren von Herrn
Professor Kieselbach und dann später von Herrn Professor Denker Tumorstücke
aus Nase und Rachen entfernt, wobei die Entfernung immer besondere Sohwierig-
keiten bot und die Konstruktion eigner Instrumente erforderte. Da jedoch die zeit-
weilige Besserung nicht anhielt, kam sie im März 1912 wieder in die hiesige Klinik.
Damals am 14. März wurde nachfolgender Befund erhoben.
In der rechten Nase sieht man einen harten, leicht höckerigen Tumor, der
vom Nasenboden und der unteren Muschel ausgeht, während er sich vom Septum
H. Wachter, Multiples Plasmazytom der oberen Luftwege. {l
gut abgrenzen lässt. An der mittleren Muschel befindet sich in derselben Gegend
eine graurote Unebenheit. Der Tumor sieht rötlich aus und blutet bei Berührung
leicht: gleichfalls findet sich in der linken Nase am Boden eine kleine Verwölbung
von harter Konsistenz, die von gesunder Schleimhaut überzogen ist. Bei der post-
rhinoskopischen Untersuchung zeigt sich im Nasenrachenraum auf der Rückfläche
des Velums direkt oberhalb der Uvula ein kirschgrosser Tumor mit schmaler Basis
von normaler Schleimhaut bedeckt. Ausserdem findet sich am linken Taschenband
breitbasig aufsitzend eine rote granulierende Wucherung.
Nachdem am 15. März der Tumor in der rechten Nase mit der Schlinge und
dem geknöpften Messer grösstenteils abgetragen worden war, verlässt die Patientin
bei gutem Allgemeinbefinden die Klinik.
Am 31. August 1913 stellte sich die Patientin wieder vor. Die Untersuchung
ergab: Der Tumor in der rechten Nase ist rezidiviert. Während sich im übrigen der
Befund unverändert zeigt, findet sich ein grosser flacher roter Tumor in der Gegend
des linken Tubenostimus. DieGeschwulst am linken Taschenband ist nicht grösser
geworden. Der Tumor der rechten Nase wird mit dem scharfen Löffel entfernt.
2. September. Der Tumor aus der linken Nase wird mit dem scharfen Löffel
und von der Nase aus ein Teil des Tumors aus dem Nasenrachenraum mit der
Schlinge entfernt.
Die am 11. November durch Herrn Oberarzt Dr. Toenissen auf der
medizinischen Klinik vorgenommene Blutuntersuchung ergab vollkommen normale
Verhältnisse: Hämoglobin WM pCt., Erythrozyten 5 400 000, Leukozyten 7200.
Morphologisch fanden sich keine pathologischen Zellen. DieZusammensetzung war:
Polymorphkernige Leukozyten. . . .„ . 74 ptt.
Eosinophile . . . . .... .. 3 ¥y
Mastzellen . . . 2 2 2 22.2. 1 „
Mononukleäre a ee
Uebergangsformen . . 2 222. f 2 n
Lymphozyten . ....... . 20 y
Nachdem dann am 17. u. 18. Sept. 1912 der zweite Tumor an der Rücken-
tlache des Velums und am linken Taschenband entfernt worden war, wurde am
21. November 1912 folgender Befund erhoben: Nasenatmung frei, langes Sprechen
strengt nicht an, darnach entsteht Brennen im Halse. Am rechten Nasenboden
besteht noch eine Verdickung, links nicht. Beiderseits ist von der Nase aus die
hintere Rachenwand gut sichtbar. Bei Rhinoscopia posterior zeigt sich eine kaum
nennenswerte Verdickung an der Rückenfläche des Velums, ebenso am linken
Taschenband eine minimale rote Wucherung. Die Stimmbänder sind normal.
36. Juni 1913. Die Patientin hat sich in der Zwischenzeit wohl gefühlt, die
Nasenatmung ist frei geblieben. Die Untersuchung ergiebt: Der breitaufsitzende
Tumor am rechten Nasenboden ist grösser geworden, am linken Nasenboden eine
derbe Gewebsfalte sichtbar, unter der man mit der Sonde hindurchgleiten kann.
Die Hinterfläche des Velums und die Rückenfläche der Uvula sind frei, während
am linken Tubenostium ein kirschkerngrosser Tumor sichtbar ist. Das linke
Taschenband ist frei.
Die mikroskopische Untersuchung der einzelnen Tumorstücke, die nach
Unna-Pappenheim und mit Thionin und nach v. Gieson gefärbt wurden,
ergab in sämtlichen Präparaten massenhaftes Auftreten von Plasmazellen.
Einzelne Tumoren bestanden fast nur aus solchen. Dieselben erschienen
g
12 H. Wachter, Multiples Plasmazytom der oberen Luftwege.
als runde, zum Teil durch gegenseitige Pressung polyedrische Gebilde von
oft auffallender Grösse. Die fast immer exzentrisch gelegenen Kerne, deren
Grösse ziemlich konstant war, waren rund oder oval und fielen durch ihre
deutlich gezeichnete Radspeichenfigur auf, wenn auch in manchen Kernen
Zeichen von Pyknose bestand. Neben den überwiegend einkernigen Zellen
kamen auch solche vor mit 2 und ganz vereinzelt solche mit mehreren
Kernen, sogenannte Plasmariesenzellen. Der an Grösse ziemlich wechselnde
stark basophile, zum Teil granulierte Protoplasmaleib war vor allem am
Rande besonders intensiv gefärbt, während eine juxtanukleäre hellere Zone
oder auch Vakuole, die in manchen Zellen auch fehlen konnte, in der
Mitte des Zellleibes lag. Besonders reichlich war das Vorkommen von
Plasmazellen an der Wand der Gefässe, wo oft jedes Zwischengewebe ver-
misst wurde. In einer Schnittserie wurden die Plasmazellenhaufen von
einer überaus regelmässigen Bindegewebsstruktur in fast gleich grosse
Rechtecke geteilt. Dasselbe Präparat zeichnete sich auch noch insofern
vor den übrigen aus, als in einem den eigentlichen Plasmazellentumor um-
lagernden serös durchtränkten retikulären Gewebe neben vereinzelten
Rundzellen uud Plasmazellen eigenartige grosse stark tingierte Massen
lagen. In schwächer gefärbten Schnitten zeigten einige derselben sehr
stark gefärbte Granula neben einem blassen Kern. An manchen Stellen
lösten diese grossen Zellen — die das Mehrfache von Plasmazellen er-
reichten — sich auf. und zerflossen in eine grosse Menge von Granula, die
sich zwischen das retikuläre Gewebe wie Sandkörner hereindrängten. Be-
sonders grosse Formen dieser Granula schienen sogar eine Andeutung von
eigenem Kern zu haben. Auch Zellen nach Art von Mastzellen waren
nachweisbar. Leider enthielten alle Schnitte nur Tumormassen und nichts
von benachbartem Gewebe, so dass die Frage nach dem Verhalten des-
selben zu diesen nicht beantwortet werden konnte.
Es handelt sich also um ein multipel auftretendes Plasmazytom der
oberen Luftwege bei einer 48jährigen Patientin. Das Leiden, das in vor-
übergehender Heiserkeit und behinderter Nasenatmung besteht und durch
die Lage und die Grösse der einzelnen Tumoren bedingt ist und nach Ent-
fernung derselben wieder schwindet, hat im übrigen während einer fast
20jährigen Dauer .auf das sonstige Wohlbefinden der Patientin keinen Ein-
fluss gehabt. Bei normaler Beschaffenheit des übrigen lymphato-hamato-
poetischen Apparates ist es streng auf die Nase, den Nasenrachenraum und
den Larynx beschränkt geblieben, wie die normale Blutbeschaffenheit und
das Fehlen sonstiger Hyperplasie der umgebenden Lymphdrüsen ergeben
hat. Trotz der wiederholt vorgenommenen Operationen zwecks Entfernung
der Tumoren ist es fast an allen Stellen wieder zu Rezidiven gekommen,
die allerdings nie über kirschgross waren. Alle Tumoren sind von normaler
Schleimhaut bedeckt und zeigen keine Neigung zu Zerfall und zu Metastasen-
bildung in den benachbarten Lymphdrüsen. Unser Fall ist nach dem
klinischen Bilde in die Gruppe der lokalisierten benignen Tumoren zu
rechnen.
H. Wachter, Multiples Plasmazytom der oberen Luftwege. 13
Wenn in den übrigen erwähnten Fällen an einen chronischen entzünd-
lichen Prozess als Entstehungsursache der Plasmazytome gedacht wird, so
finden wir in unserem Falle nichts von alledem. Die Schleimhaut war
über den Tumoren vollkommen normal, wie das mikroskopische Präparat
bestätigte und ebenso — soweit makroskopisch erkennbar — auch die ge-
samte Schleimhaut der oberen Luftwege. Ob mikroskopische Veränderungen
in der Umgebung der Tumoren sich abgespielt haben, darüber lässt sich
aus den mikroskopischen Präparaten nichts sagen.
Wenn wir zum Schluss diese lokalisierten Plasmazytome mit den
übrigen plasmazellulären Erkrankungen vergleichen, so spricht manches,
wie z. B. die Gutartigkeit und der streng lokalisierte Prozess dafür, dass
wir es mit einem eigenen Krankheitsbild zu tun haben, das von. den
anderen Formen getrennt werden muss. Der ganze klinische Verlauf bei
dieser benignen Tumorart gibt, obwohl auch hier dieselben Plasmazellen-
fürmen wie bei den malignen Fällen gefunden werden, Veranlassung, diese
als gesonderte Gruppe der Plasmazytome zu betrachten, deren Aetiologie
zur Zeit in einzelnen Fällen als ein chronisch-entzündlicher Prozess des
Gewebes gedacht wird, in unserem Falle aber nicht mit Sicherheit zu
eruieren ist.
Zum Schluss ist es mir eine angenehme Pflicht, meinem verehrten
Chef, Herrn Professor Scheibe, für die Ueberlassung des Themas und die
gewährte Unterstützung und Herrn Professor Merkel für die Ratschläge
und geleistete Hilfe meinen besten Dank auszusprechen.
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logie. 1907. Bd. 1.
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Bd. 7.
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Plasmoms, zugleich ein Beitrag zur Plasmazellenfrage. Beitr.z. path. Anat.
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Ghon-Roman, Ueber pseudoleukämische und leukämische Plasmazellenhyper-
plasie. Aus Folia haematologica. 1913. Bd. 15.
Marchand, Ueber die Herkunft der Lymphorzyten und ihre Schicksale bei den
Entzündungen. Verhdig. d. deutschen pathol. Gesellschaft in Marburg.
15. Tag. 1913.
VIL.
Zur Frage der Kehlkopf- und Luftröhren-Verlagerung
bei Veränderungen der Thoraxorgane.
Dr. K. M. Menzel,
Spezialarzt für Hals- und Nasonkrankheiten des Verbandes
der Genossenschaftskrankenkassen Wiens.
(Mit 1 Textfigur.)
Curschmann!) hat durch seine im Jahre 1895 in der Miinchener
medizinischen Wochenschrift publizierte Arbeit über Lageveränderungen
des Kehlkopfes und der Luftröhre nicht jene grosse Reihe von Arbeiten
über den gleichen Gegenstand inauguriert, welche wünschenswert gewesen
wäre, um das von ihm angegebene so wichtige klinische Zeichen nach
allen Richtungen zu klären, und welche zur Häufigkeit der im Brustraum
sich entwickelnden, auf die Luftröhre lageverändernd wirkenden Prozesse
auch nur annähernd im richtigen Verhältnisse steht. Nach Curschmanns
Beobachtungen werden namentlich durch Aneurysmen der Aorta, aber auch
durch andere raumbeengende Veränderungen im Thorax, Kehlkopf und
Luftröhre, die als starr miteinander zusammenhängende Gebilde aufgefasst
werden, einfach in toto verschoben. „In der Weise, dass die Mitte des Schild-
und Ringknorpels nicht mehr direkt unter dem Kinn, sondern seitlich von
ihm stehen. Die Verschiebung teilt sich der Trachea unmittelbar mit, so
dass diese sowohl wie der Larynx dem inneren Rande des Sternokleido-
mastoideus dicht anliegen, während zwischen ihnen und dem inneren Rand
des Sternokleidomastoideus der anderen Seite eine erhebliche, schon von
weitem sicht- und fühlbare Lücke bleibt.“ Fast in allen Beobachtungen
Curschmanns bestand diese Form von Lageveränderung von Larynx und
Trachea. „Hier und da, besonders bei geringeren beginnenden Erweiterungen
(Aorten-Aneurysmen), blieb der Kehlkopf annähernd in der Mitte und nur
die Trachea wurde nach rechts verdrängt, so dass die Larynx-Luftröhren-
achse annähernd die Richtung vom Kinn nach dem rechten Sternoklavikular-
gelenke innehielt.* Nur in einem Falle, nämlich bei einem Patienten mit
Aneurysma des Truncus anonymus erfolgte eine Verschiebung des unteren
1) Miinchener med. Wochenschr. 1905. Nr. 48.
K. M. Menzel, Kehlkopf- und Luftröhren -Verlagerung. T5
Trachealteiles nach links und des Larynx „durch Hebelwirkung“ nach
rechts. Curschmann hat keinen Fall von Schrumpfung in der einen
Thoraxhälfte in bezug auf das in Rede stehende Zeichen untersucht, ver-
mutet jedoch auch bei diesem Prozesse eine gleichsinnige Verschiebung des
Larynzo-Trachealrobres wie in der Mehrzahl seiner Beobachtungen.
Seine Schüler Wichern und Löhning!) haben nun unter ihren 13 ein-
schlägigen Fällen, in denen Curschmanns Beobachtungen im wesentlichen
bestätigt werden, auch einen Fall von vermutlicher Schrumpfung der linken
Lungenseite gesehen, in welchem die Luftröhe nach der kranken Seite
gezogen war, der Larynx jedoch in der Mittellinie stehen blieb und nur
ein wenig geneigt war. Im übrigen bestand in neun ihrer Fälle der ver-
schiedenartigsten Thoraxprozesse gleichsinnige Verschiebung von
Larvnx und Trachea in dem eingangs erwähnten Sinne Curschmanns,
während in 4 Fällen trotz Verschiebung der Trachea der Larynx in der
Mittellinie blieb.
Weder aus dem Inhalte der beiden zitierten Arbeiten noch auch aus
der mehr die Frage der Röntgenaufnahme der Trachea beleuchtenden
Publikation Pfeiffers?) geht hervor, unter welchen Umständen die eine
oder die andere Art von Lageveränderungen des Kehlkopfes durch Thorax-
prozesse erfolgt. Aus diesem Grunde erschienen mir weitere Publikationen
über den in Rede stehenden Gegenstand nicht unerwünscht. Es darf aller-
dings hierbei nicht übersehen werden, dass fast ausschliesslich die An-
topsie imstande ist, die richtige Basis für die Aufklärung der in Frage
kommenden Punkte zu schaffen.
Wir sind nun in der Lage über einen klinisch gut beobachteten und
durch Antopsie gestützten Fall?) von ungewöhnlicher Verlagerung
des Kehlkopfes und der Trachea zu berichten, bei welchem
die Dislokation hervorgerufen wurde durch einen in der Lunge
vor sich gehenden karzinomatösen Schrumpfungsprozess, also
eine Kombination von Schrumpfung und Tumorbildung.
K. W., 48jähriger Hilfsarbeiter, aufgenommen anfangs Januar 1908, vordem
angeblich im wesentlichen gesund gewesen, leidet seit 3 Jahren an Herzklopfen,
Husten und Atemnot bei körperlichen Anstrengungen. Seit einem Jahre sehr
häufige Attaken von Hämoptoe. Seit dieser Zeit verschlimmerten sich dieBeschwerden,
namentlich die Kurzatmigkeit bei körperlicher Arbeit. Es traten Nachtschweisse
und Abmagerung auf. Vor etwa 3 Monaten wurde Patient ganz plötzlich heiser.
Da die Heiserkeit nicht weichen wollte, suchte er mein Ambulatorium auf.
Status praesens: Intensive Dämpfung und abgeschwächtes Atmen über der
zanzen linken Lunge. Ueber der rechten Spitze ebenfalls Dämpfung, ver-
schärftes Exspirium allentbalben. Herzdämpfung in die Lungendämpfung über-
gehend, nioht bestimmbar. Herztöne sehr leise aber rein. — Darnach musste eine
—
1) Münchener med. Wochenschr. 1906. Nr. 42.
2) Münchener med. Wochenschr. 1906. Nr. 8.
3) Der Fall wurde in der Sitzung der Wiener laryngologischen Gesellschaft
rom 5. Februar 1908 vorgestellt.
76 K. M. Menzel, Kehlkopf- und Luftröhren - Verlagerung.
tuberkulöse Affektion als Ursache der beiderseitigen Lungenveränderungen ange-
nommen werden, was durch eine Reihe von Internisten, welche den Fall unter-
suchten, bestätigt wurde. Bei der laryngoskopischen Untersuchung kann man
konstatieren, dass das linke Stimmband in Kadaverstellung unbeweglich bei
Respiration und Phonation steht. Bei Phonation scheint sich das rechte Stimm-
band über die Mittellinie hinaus zu bewegen um das gelähmte linke Stimmband zu
erreichen, so dass dieGlottis hierbei von rechts vorn nach links hinten beträchtlich
schief steht.
Bei genauerer Betrachtung des Falles ergibt sich aber der wahreGrund dieses
Schiefstandes. Es handelt sich nämlich von vornherein um eine unsymmetrische
Stellung des Larynx. Letzterer steht nämlich zunächst so, dass die Mittellinie
die linke Schildknorpelplatte etwa 1 om nach links von der Prominentia laryngea
schneidet, so dass also der Larynx mit seinem grösseren Anteile nach rechts von
der Medianlinie zu liegen kommt. Rechts liegt ferner der Kehlkopf dem inneren
Rande des Sternokleidomastoideus dicht an, während links ein beträchtlicher
Zwischenraum zwischen Larynx und dem genannten Muskel besteht. — Der obere
Rand des linken Schildknorpels steht um etwa 4 mm höher als der des rechten.
Die Distanz zwischen Zungenbein und oberem Schildknorpelrand beträgt rechter-
seits 9—6 mm, während links ein Zwischenraum zwischen den ge-
nannten beiden Teilen überhaupt nicht besteht. Es macht sogar den
Eindruck, als ob das Zungenbein linkerseits durch die Cartilago thyreoidea
nach aufwärts gedrängt wäre.
Ferner springt auch die vordere Fläche der rechten Schildknorpelplatte viel
stärker nach aussen vor als die linke, ibr hinterer Rand, namentlich das obere
Horn stülpt quasi die bedeokende Haut vor.
Die angeführten Momente beweisen, dass der Larynx nicht nur über die
Mittellinie nach rechts verschoben, sondern dass er auch gegen das Zungenbein
geneigt und emporgedrängt ist und zwar derart, dass seine Längsachse von rechts
oben nach links unten zieht.
Aus dem stärkeren Vorspringen des rechten Sohildknorpels, besonders seiner
hinteren Anteile, sowie aus der Schrägstellung derGlottis geht ferner hervor, dass
der Larynx in toto auch um seine senkrechte Achse ein wenig nach links gedreht
ist. Dreht man von aussen den Larynx ein wenig nach rechts, ohne ihn
dabei in seiner Gänze gegen die Mittellinie zu dislozieren, und lässt nunmehr
den Patienten phonieren, so sieht man, dass die Glottis, wenn auch in frontaler
Richtung verschoben, sagittal gerichtet ist. Hierin können wir einen Beweis für die
Tatsache erblicken, dass der Larynx, wie bereits oben erwähnt, u.a. auch um eine
senkrechte Achse gedreht erscheint.
Durch die äusssere Untersuchung lässt sich ferner auch konstatieren, dass
die Trachea eine schiefe Richtung von rechts oben nach links unten einhält und
zwar derart, dass ihre Längsachse das linke Sternoklavikulargelenk schneidet.
Dementsprechend findet sich auch nur rechterseits zwischen Trachea und innerem
Rand des Sternokleidomastoideus ein grösserer Zwischenraum, der linkerseits
vollständig fehlt. Am Halse selbst keine Drüsen, keine Gesch wülste
und auch keine Vergrösserung der Schilddrüse,
War schon durch Konstatierung der Stellungsanomalie des Larynx und
der Trachea die Annahme gerechtfertigt, dass es sich um einen besonderen
nicht gewöhnlichen Fall von linksseitiger Rekurrenslähmung handle, so
K. M. Menzel, Kehlkopf- und Luftröhren-Verlagerung. TT
wurde dieselbe durch die von Herrn Dr. Robinsohn vorgenommene
Röntgenuntersuchung vollends bestätigt.
Das Radiogramm zeigte nämlich zunächst beträchtliche Verdichtung
der ganzen linken Lunge mit Ausnahme ihrer Spitze; der obere Teil der
Mediastinalgebilde ist entsprechend den geringeren Veränderungen der
Lungenspitze sichtbar und es lässt sich eine deutliche Verziehung des
Mediastinums mit dem Aortenbogen nach links nachweisen. Dadurch ist
das ganze rechte Drittel des Sternums vollkommen freigelegt.
Wir stellten uns demnach mit Rücksicht auf die scheinbar charakte-
ristische Anamnese vor, dass eine tuberkulöse Schrumpfung der linken
Lunge bestehe, und dass durch die Verziehung des Aortenbogens und mit
ihm des Rekurrens eine Leitungsunterbrechung im Nerven eingetreten sei.
Aber selbstverständlich wird nicht nur der Aortenbogen, sondern auclı die
Trachea in ihrem unteren Anteile; wie gleichfalls aus dem Radiogramm
hervorgeht, nach links verzogen. Dadurch kam es, so nahmen wir zu-
nächst fälschlich an unter Bezug auf die in der Literatur niedergelegten
Fälle, namentlich den Curschmannschen Fall der Dislokation des Larynx
infolge eines Aneurysmas der A. anonyma, zu einer Drehung des als Ganzes
zu betrachtenden Laryngo-Trachealrohres um eine sagittal verlaufende
Achse, welche man sich unterhalb des Kehlkopfes durch die Trachea ge-
zogen denken müsse. Die Lage der Drehungsachse hätte dann nach
Analogie mit dem obenerwähnten Curschmannschen Fall dem Durch-
schnittspunkte der Medianlinie und der Längsachse des Laryngo-Tracheal-
rohres entsprechen müssen. Nur auf diese Weise hätte man sich das Zu-
standekommen einer „Hebelwirkung“ (Curschmann) erklären können,
welche imstande gewesen wäre, den unterhalb der Drehungsachse gelegenen
Anteil des Laryngo-Trachealrohres nach der einen, hingegen den oberhalb
derselben gelegenen nach der anderen Seite zu dislozieren.
Wie eingangs auseinandergesetzt, ist die Verlagerungsart, namentlich
des Kehlkopfes, in dem grössten Teile der Fälle Curschmanns und seiner
Schüler, eine von der geschilderten abweichende. Es lag demnach nahe,
die Ursache dieser Verschiedenheit in den Beobachtungen auch, wenn möglich,
experimentell festzustellen. Vorher sei es mir gestattet, theoretischen
Erwägungen anatomischer und physikalischer Natur Raum zu geben. Wir
haben uns Larynx und Trachea als ein zusammenhängendes halbstarres Rohr
vorzustellen, welches passiv ziemlich frei beweglich der Wirbelsäule ent-
lang ins Mediastinum zieht, und nur an seinem obersten Anteile, nämlich
am oberen Rande der beiden Schildknorpelplatten, einerseits durch die
Epiglottis mit dem Zungengrund, andererseits durch Vermittelung des Os
hyoideum und der an demselben inserierenden Bänder und Muskeln mit
dem Zungenkörper fest verbunden ist. Infolge dieser Fixation lässt sich
analog einem etwa halbstarr gedachten Pendel, an dessen unterem Ende
ein Druck oder Zug ausgeübt wird, hauptsächlich eine Drehung des Larynx
um eine sagittale, durch die Aufhängebänder und Muskeln,
also jedenfalls oberhalb des Kehlkopfes gelegene Achse denken,
18 K. M. Menzel, Kehlkopf- und Luftröhren -Verlagerung.
derart, dass die Längsachse des Kehlkopfes schief nach abwärts und die
durch den oberen Rand beider Schildknorpel gelegte Ebene mit der
Horizontalen einen grösseren oder kleineren Winkel einschliesst. Es würde
dann der Zwischenraum zwischen Schildknorpelrand und Zungenbein auf
der Seite der Dislokation kleiner sein als auf der anderen. Ferner wäre,
weil die Aufhängemittel keine ganz starren sind, eine geringfügige Ver-
schiebung des Kehlkopfes auch in frontaler Richtung möglich. Ich habe
nun im pathologisch-anatomischen Institut des Herrn Hofrates Weichselbaum
unter der liebenswürdigen Patronanz des Herrn Assistenten, Dozenten Dr.
Erdheim an Leichen die entsprechenden Versuche in der folgenden Weise
angestellt. Es wurden die Halsorgane ebenso wie der oberste Teil des
Manubrium sterni in situ gelassen, und nun der Thorax in der üblichen
Weise eröffnet. Die Lageveränderung der in Betracht kommenden Organe
habe ich durch in dieselben an verschiedenen Stellen eingestochene lange
Nadeln kontrolliert. Nunmehr wurde der Lungenhilus samt dem unteren
Trachealteile nach den verschiedenen Richtungen verschoben bezw. ver-
zogen. Es zeigten sich bei allen Versuchen fast die gleichen Resultate,
zu denen wir durch theoretische Erwägungen gelangten, ob dieselben nun
an Leichen jüngerer oder älterer Menschen angestellt wurden, Bei nur in
mässigem oder auch in etwas stärkerem Grade erfolgender Einwirkung
eines am untersten Trachealende angreifenden Zuges oder Verschiebung
nach einer Seite wird zunächst nur die Trachea selbst so disloziert,
dass ihre Längsachse mehr oder weniger schief nach abwärts verläuft,
während der Larynx ganz gerade in der Mittellinie, also an seinem
normalen Platze stehen bleibt. (Fig. 1a.) Es kommt infolgedessen zur
Ausbildung eines leichten Knickungswinkels an der Grenze von Larynx
und Trachea. Erreicht der Zug oder Druck eine beträchtliche
Stärke, dann erst wird der Kehlkopf ganz wenig aus seiner Lage
gebracht und zwar so, dass seine Längsachse nunmehr auch eine schiefe
Direktion nach abwärts einhält und die durch die oberen Schildknorpel-
Ränder gelegte Ebene gegen die Horizontale in einem grösseren oder
kleineren Winkel geneigt ist. (Fig. 1b.)
Wir trachteten auch, durch Setzung eines Hindernisses an
irgend einer Stelle im Verlaufe des Laryngotrachealrohres die Art der
Dislokation zu beeinflussen.
Ich vermutete, dass ein an der Seite der Trachea befindlicher Tumor
diese an einer Stelle fixieren und so aus dem Luftrohre, welches unter
normalen Verhältnissen bei der Verziehung einen einarmigen Hebel dar-
stellt, einen zweiarmigen Hebel machen würde. Der Drehungspunkt würde
sich dann in der Gegend des Tumors befinden. So könnte dann eine Dis-
lokation zustande kommen, wie in unserem Falle, nämlich Trachea dies-
seits und Larynx jenseits der Mittellinie. Ich habe mit den Fingern meiner
Hand bei Ausübung eines Zuges am Lungenhilus auf der Zugseite der Be-
wegung der Trachea ein Hindernis entgegengesetzt, bei Ausübung eines
Druckes auf der gegenüber liegenden Seite. Meine Erwartung erfüllte sich
K. M. Menzel, Kehlkopf- und Luftröhren - Verlagerung. 19
m IN
&
Schematische Darstellung der Larynx- und Trachealstellung bei gewissen
Thoraxveränderungen.
I. Laryvnı: Tr Trachea; m Mittellinie; P, in frontaler Richtung wirkender Zug oder
Druck: P,, schief nach aufwärts wirkender Druck; H, H,, H,, Halbierungspunkte
der Verbindungslinie zweier Punkte des oberen Schildknorpelrandes.
nicht: es kam nur zu einer Einbuchtung, zu einer Kompression des
Trachealrohres an der Stelle des Hindernisses, so zwar, dass nur unterhalb
desselben eine Dislokation stattfand, während oberhalb das künstlich ge-
setzte Hindernis eine Lageveränderung überhaupt nicht zustande kommen liess.
Dieses Experiment stimmt in .seinen Resultaten mit den auch am
Lebenden tatsächlich beobachteten Verhältnissen überein, indem ein an
der Seite der Trachea sich entwickelnder Tumor (Struma usw.) nur eine
Kumpression der betreffenden Stelle und eventuell eine Verdrängung des
unterhalb des Tumors liegenden Trachealteiles hervorruft.
Es war also in unseren Leichenversuchen unter gewissen Voraus-
setzungen nur möglich gewesen, den Larynx nach der Seite des Zuges oder
Druckes zu dislozieren. Eine Dislokation jedoch über die Mittel-
linie nach der dem Zuge oder Drucke entgegengesetzten Seite
ist mir niemals an der Leiche gelungen. Und eine derartige Dislo-
kation konnten wir ja in einer jeden Zweifel ausschliessenden Weise an
unserem Falle feststellen.
Wenn man jedoch ein am Zungenbein fixiertes, durch mässiges Trocknen
etwas starrer gemachtes Laryngotrachealrohr durch eine an der Bifurka-
tionsstelle oder noch etwas weiter peripher wirkende Kraft so beeinflussen will,
dass der Larynx jenseits der Mittellinie auf die der Kraftwirkung entgegen-
gesetzte Seite zu liegen kommt, so kann diese Art der Dislokation nur in
der Weise zustandegebracht werden, dass das Laryngo-Trachealrohr
von seiner durch Zug oder Druck hervorgerufenen Schief-
stellung aus nach aufwärts und in die entgegengesetzte Rich-
tung gedrängt wird. (Fig. 1c.)
80 K. M. Menzel, Kehlkopf- und Luftréhren-Verlagerung.
Nur so kann eine Larynx-Stellung resultieren, wie sie einerseits in
unserem, anderseits in Curschmanns mehrfach zitiertem Falle zur Be-
obachtung gelangte, nämlich Verschiebung des Kehlkopfes über die Mittel-
linie nach der gesunden Seite. Die Ursache, warum diese Art der Dis-
lozierung bei meinen Leichenversuchen nicht gelang, liegt offenbar in der
mangelnden Starrheit, in der zu grossen Weichheit der Leichentrachea.
Wir vermissen ja an der letzteren den Turgor des lebenden Gewebes, in-
dem ja an der Leiche alle Blutgefässe kollabiert sind, ferner ist der Tonus
der Muskulatur und des elastischen wie des Bindegewebes geschwunden,
Momente, welche der Trachea des Lebenden eine gewisse Starrheit ver-
leihen. Daher kam es, dass bei jedem Hebungsversuche das Trachealrohr
sich einfach einbog oder einknickte, und der Kehlkopf von dieser Ein-
wirkung völlig unbeeinflusst blieb. Ausserdem ist wohl auch nicht zu
übersehen, dass der Monate und Jahre lang stetig wirkende Druck oder
Zug beim Lebenden möglicherweise nicht ganz identisch ist mit den an
der Leiche momentweise angewendeten Kräften und ihren Wirkungen.
Die vorliegende Arbeit befriedigte mich nicht und zwar deshalb, weil
ich mir aus den Resultaten der Untersuchung meines Falles die Dislokation
des Kehlkopfes nicht erklären konnte. Ich wollte daher mit der Publikation
des Falles warten, bis ich über eine diesbezügliche Autopsie verfügte.
Nun starb der Patient ein halbes Jahr später und durch die Liebens-
würdigkeit des Herrn Prof. Pal, an dessen Abteilung ich den Patienten
untergebracht hatte, und seines Assistenten Herrn Dr. S. Bondi kam ich
in die Lage, der Obduktion beiwohnen zu dürfen, welche am pathologisch-
anatomischen Institut des Herrn Hofrats Weichselbaum von Herrn Do-
zenten Dr. Wiesner ausgeführt wurde. Der vom Öbduzenten erhobene
Leichenbefund lautete:
„Bronchialcarcinom der linken Lunge mit mächtiger
Tumorentwickelung im linken Oberlappen. Letzterer mit zentralem
Zerfall. Induratio, Pneumonie und Schwielenbildung in Sonder-
heit über dem linken Oberlappen mit straffer Fixation der Lunge
an der Thoraxwand in ihrer oberen Apertur. Tumor-Metastasen
in den linksseitigen bronchialen Lymphdriisen mit Verziehung des Oeso-
phagus und Fixierung des absteigenden Aortenrohres. Pericarditis
carcinomatosa. Tumor-Metastasen in den Lymphfollikeln des Diinndarmes.
Verlagerung des Larynx und der Trachea durch Narbenzug
ungefähr in der Höhe der Klavikula. Die Schildknorpel nach
der rechten Seite der Medianlinie verlagert, sodass Larynx und
Trachea von rechts oben nach links unten verlaufen. Schildknorpel
und Trachealringe verknöchert.“
Es zeigte sich also durch die Autopsie zunächst, dass die Grundkrank-
heit nicht, wie wir nach dem ganzen Verlaufe und den Untersuchungen
seitens der Internisten annehmen mussten, Tuberkulose, sondern eine
karzinomatöse Affektion darstellte.
Ferner liess sich bezüglich der uns besonders interessierenden Fragen
K. M. Menzel, Kelilkopf- un! Luftröhren - Verlagerung. 8l
feststellen, dass die Luftröhre in ihrer unteren Hälfte bis zur oberen Brust-
apertur in schrumpfendes karzinomatöses Gewebe eingebacken war. Da-
durch wurde die Trachea zunächst, wie wir es schon durch die klinischen
Untersuchungsmethoden gefunden hatten, auf die linke Seite gezogen.
Dieser Vorgang allein war jedoch noch nicht imstande, die oben des
näheren beschriebene Larynxstellung hervorzurufen oder zu erklären. Es
würde konform den Versuchen an der Leiche der Kehlkopf in seiner Lage
nur wenig verändert gewesen seine Aus dem Obduktionsbefunde wird
jedoch klar, dass durch die mächtige Entwickelung der Tumor-
massen im linken ÖOberlappen auch ein Empordrängen der
Trachea von links unten nach rechts oben, also quasi ein
Hinausdrängen derselben aus dem oberen Brustraum, statt-
gefunden haben muss. Nur so ist es erkliirlich, dass der Larynx jenseits
der Mittellinie zu liegen kam. Ohne die aufwärts drängende Kraft des
Tumors wäre, wie bereits oben bemerkt, eine Verlagerung des Kehlkopfes
analox unserem Falle schlechterdings unmöglich.
Sowohl unseren theoretischen Erwägungen als auch unseren Versuchen
entspricht auch der Umstand, dass der Larynx sowie die Trachea,
letztere durch Verknöcherung ihrer Ringe, zu einem starren
Gebilde geworden war, eine Tatsache, welche von Wichtigkeit
zu sein Scheint insofern, als es unter anderen Umständen, wie bei unseren
Leichenversuchen, durch ein Hinaufdrängen der Trachea vielleicht nur zu
einer Abknickung derselben gekommen wäre.
Wenn man also das Resultat der vorstehend geschilderten Beobachtung
einerseits, der Leichen- und Phantom-Versuche andererseits zusamnıenfasst,
Su muss man sagen:
Durch Zug oder Druck, welcher am peripheren Tracheal-
ende nach einer einzigen Richtung einwirkt, kann nur ent-
weder eine ausschliessliche Schiefstellung der Trachea nach
der Seite des Zuges oder Druckes stattfinden, während der
Larynx an seiner Stelle unverrückt stehen bleibt, oder aber es
kommt bei stark wirkenden Kräften ausser der Dislokation
der Trachea auch zu einer solchen des Larynx, derart, dass
seine Längsaxe schief steht und die durch die oberen Ränder
der beiden Schildknorpelplatten gelegte Ebene mit der
horizontalen einen grösseren oder kleinerenWinkel einschliesst.
Findet man aber, wie in unserem Falle, ausser der Schief-
stellung der Trachea auch eine Dislokation des Kehlkopfes
über die Mittellinie hinaus nach der der Zugrichtung entgegen-
zesetzten Seite, so hat man das Recht, ausser der primär dis-
Inzierenden Ursache noch einen raumbeengenden Prozess auf
der Seite der Trachealverziehung anzunehmen, welcher das
Laryngo-Trachealrohr nach aufwärts und nach der entgegen-
gesetzten Seite aus dem Thoraxraume zu drängen imstande ist.
Archiv far Laryngologie. 28. Bd. 1. Heft. 6
82 K. M. Menzel, Kehlkopf- und Luftröhren - Verlagerung.
Bei unkomplizierten Aortenaneurysmen (Curschmanns Fall)
scheint mir aus pathologisch-anatomischen bezw. anatomischen
Gründen eine Dislokation des Larynx über die Mittellinie hin-
aus auf die entgegengesetzte Seite unmöglich zu sein.
Im Uebrigen wäre es auch der Mühe wert, den Dislokationen von
Larynx und Trachea an der Hand von genauen Autopsien noch weiter
nachzugehen, um zu untersuchen, ob Lageveränderungen, wie sie
Curschmann und zum Teil seine Schüler beschrieben haben,
nimlich eine Verschiebung des Laryngo-Trachealrohres als
ganzes nach der Seite des Zuges oder Druckes, derart, dass seine
nunmehrige Achse mit der Mittellinie parallel verläuft, über-
haupt und unter welchen besonderen Umständen möglich sind.
Mir ist es selbst bei Anwendung von grossen Kraftanstren-
gungen niemals gelungen, eine der von Curschmann angegebenen
analoge Lageveränderung des Laryngo-Trachealrohres experimentell
zu erzeugen. Es scheint mir vielmehr eine solche den physi-
kalischen Gesetzen des einarmigen Hebels zu widersprechen;
und als solchen müssen wir doch das am obersten Ende fixierte
und um dasselbe als Hypomochlion drehbare Laryngo-Tracheal-
rohr ansehen, an dessen peripherem Ende eine Kraft einwirkt.
VII.
Aus dem histologischen Institut der K. K. deutschen Universität in Prag.
Ueber ein transitorisches Faltensystem im Sulcus
nasalis posterior und im rückwiirtigsten Teil des
Nasenbodens nebst Beiträgen zur Histologie des
weichen Gaumens.
Privatdozent M. U. Dr. Wilhelm Anton.
(Hierzu Tafel II.)
I. Einleitung.
Der zwischen Ostium pharyngeum tubae einerseits und den hinteren
Enden der unteren und mittleren Muschel andererseits gelegene Raum
(Suleus nasalis posterior Zuckerkandl), mit welchem die laterale Nasen-
wand nach rückwärts abschliesst, ist beim Erwachsenen von einer glatten
Schleimhaut ausgekleidet (Schwalbe). Anders verhält sich dies bei älteren
Feten, bei Neugeborenen und bei Kindern im frühen Lebensalter. Bei
diesen finden sich fast regelmässig Furchen- und Faltenbildungen
im Sulcus nasalis posterior, ebenso im hintersten Anteil des Nasen-
bodens. die fortlaufend in das Faltensystem an der Rückfläche des weichen
Gaumens übergehen.
Da diese Falten in der vorliegenden Literatur keine Berücksichtigung
finden. so hielt ich es nicht für überflüssig, diese Tatsache festzustellen
und diese Bildungen an einem, verschiedenen Altersstufen entnommenen
Material eingehender, auch in histologischer Hinsicht zu untersuchen, in
der Erwartung, über die Bedeutung dieser Gebilde einigen Aufschluss zu
erhalten. Bei dem engen Zusammenhang der Nasenfalten mit den Gaumen-
falten war es unerlässlich, auch letztere in den Kreis der Besprechung
mit einzubeziehen. Auch über diese liegen nur spärliche Angaben vor.
Il. Die Faltenbildungen.
Die erste zarte Andeutung einer Furchenbildung zeigte sich im 5. Foetal-
monate. Bei aufmerksamer Betrachtung sind sie dem Geübten schon mit
freiem Auge sichtbar, leichter bei Lupenvergrösserung, am deutlichsten bei
Untersuchung mit dlem binokularen Mikroskop. Der ganze Sulcus nasalis
6 *
54 W. Anton, Ein transitorisches Faltensystem im Sulcus nasalis posterior.
posterior ist durch feine, in die Schleimhaut gleichsam eingeritzte Furchen,
die fast parallel in sagittaler Richtung verlaufen, durchsetzt. Nach vorne
creifen sie auch auf das hinterste Ende der unteren Muschel, sowie des
unteren und mittleren Nasenganges über, nach rückwärts setzen sich die
im oberen Teile des Sulcus nasalis posterior befindlichen Furchen über
dem Ostium pharyngeum tubae in die seitliche Wand des Cavum pharyngo-
nasale fort, vom unteren Teile des Sulcus ziehen sie direkt in die Tuba
Eustachii hinein und zwar an die vordere Wand derselben (Taf. II, Fig. 1).
Am Nasenboden sind die Falten noch schwach entwickelt, ebenso anı
Gaumen und. an diesem derzeit nur auf die rückwärtigste, distale Partie
beschränkt. Demnach ist die später zur Beobachtung kommende Konti-
nuität der Gaumen- und Nasenfalten in diesem frühen Stadium noch nicht
vorhanden. Vom Gaumen aus strahlen die Furchen querabbiegend auf die
untere Wand der Tuba aus. Querschnitte durch die Tuba Eustachii zeigen,
dass in diesem Alter die Faltenbildung in dem an das Ostium pharyngeum
angrenzenden Anfangsteil das ganze Lumen gleichmässig betrifft, im weiteren
Verlauf sich auf den Tubenboden zurückzieht und noch vor der Tubenmitte
vollständig verstreicht.
Im 6. und 7. Foetalmonate wird die Faltenbildung im Sulcus
nasalis posterior dadurch ausgeprägter, dass die Furchen breiter und
die durch sie aus der Schleimhaut herausgeschnittenen Falten höher ge-
worden sind. Auch am Nasenboden und an der nasalen Fläche des
weichen Gaumens ist das Faltenwerk jetzt kräftiger ausgebildet. In
einigen Fällen reichen in diesem Alter (7. Fetalmonat) die Falten des
Nasenbodens nach vorn fast bis zur Mitte der unteren Muschel.
Bei Neugeborenen und Kindern in den ersten Lebensmonaten ist die
Faltenbildung in der Mehrzahl der Fälle vorhanden, doch in individuell
verschiedener Ausbildung. Unter 13 Kindern bis zu 4 Monaten zeigte sich
die Schleimhaut im Sulcus nasalis posterior und am Nasenboden
bei 10 Fällen gefaltet, nur bei 3 Fällen war sie glatt. In gut ausgebildeten
Fällen ist das hintere Ende der unteren und mittleren Muschel und der
rückwärtigste Teil des unteren und mittleren Nasenganges sowie das hintere
Ende des Nasenbodens in das Faltensystem mit einbezogen. In anderen
weniger ausgesprochenen Fällen zeigt sich Faltenbildung nur an dem
hinteren Ende des mittleren Nasenganges oder nur im Sulcus nasalis
posterior oder auch nur am Nasenboden. Die Falten sind auch nicht
immer beiderseits gleichmässig, sondern oft einseitig stärker entwickelt.
Vom 3. Lebensjahre an tritt allmählich ein Verstreichen der nasalen
Falten ein. Die Schleimhaut im Sulcus nasalis posterior zeigt nur eine
schwache Fältelung im hinteren Anteil oder sie ist schon vollkommen
glatt, während am Nasenboden und an der nasalen Fläche des Gaumens
die Faltenbildung noch deutlich und kräftig ausgebildet ist.
Bei älteren Kindern von 10—15 Jahren zeigt die seitliche Nasen-
wand eine glatte Schleimhaut. Am Nasenboden findet sich noch mitunter,
am Gaumen in der Regel Faltenbildung.
W. Anton, Ein transitorisches Faltensystem im Sulcus nasalis posterior. $5
Bei Erwachsenen ist die seitliche Nasenwand im Suleus nasalis
posterior durchgehends glatt; am Nasenboden fand sich nur bei einem
Falle unter 20 im hintersten Anteil eine leichte Fältelung. Am Gaumen
dagegen wird häufig Faltenbildung angetroffen; der älteste Fall, bei dem
ich sie noch sehen konnte, hetraf einen 68jährigen Mann.
Das Faltensystem an der nasalen Fläche des weichen Gaumens
zeigt in einigen Fällen eine gewisse Regelmässigkeit, indem es aus einer
medianen Hauptfalte und 4—5 Nebenfalten jederseits besteht. Letztere
verlaufen von der Hauptfalte aus nach vorn leicht divergierend und sind
cegen die Choanen zu zweigförmig verästelt, so dass das Faltenwerk gegen
die Nase zu dichter und feiner wird (Taf. II, Fig. 2).
In anderen Fällen lässt sich die Hauptfalte nicht durch die ganze
Länge des weichen Gaumens bis nach vorn verfolgen; in diesem Falle
stossen die nach hinten konvergierenden Enden der Nebenfalten in der
Mittellinie direkt aneinander. Endlich verlaufen die Falten auch mitunter
nur im vorderen Anteil des Gaumens konvergierend, während sie im rück-
wärticen Anteil fast parallel ziehen, oder es sind überhaupt nur parallel
verlaufende Falten vorhanden. Die Hauptfalte ist mit den Nebenfalten
und diese untereinander durch quer verlaufende, tertiäre Fältchen ver-
bunden: auch in den Furchen zwischen Haupt- und Nebenfalten und zwischen
diesen selbst verlaufen parallel mit diesen noch kleinere tertiäre Fältchen.
Das ganze Faltensystem zeigt einen geschlängelten Verlauf, die Falten sind
in ihrer ganzen Ausdehnung von ziemlich gleicher Höhe und flachen sich
erst kurz vor der Choane ab.
III. Histologische Beobachtungen.
Die folgende histologische Untersuchung soll sich in erster Linie mit
den Epithelverhältnissen, weiterhin mit der lymphoiden Infiltration der
Tunica propria und ihren Drüsen beschäftigen.
a) Das Epithel.
Die Falten in der Nasenhöhle tragen zurzeit ihrer besten Ent-
wickelung ein mehrreihiges hohes flimmerndes Zylinderepithel gleich dem
der Regio respiratoria nasi. Auffallend erscheint das vielfach zur Be-
vhachtung kommende gehäufte Auftreten von Schleimzellen in den Falten-
talem. das schon bei einem Foetus von 6 Monaten konstatiert werden konnte.
Bei Schleimfärbung (Fixierung in bichromsaurem Kali-Formalin nnd Alaun-
Hämatoxylinfärbung) liess sich nachweisen, dass die Schleimbildung in der
Ti-fe des Faltentales am stärksten ist, und nach oben hin an den Seiten-
rändern regelmässig und allmählich abnimmt. Die Schleimzellen in der
Tiefe waren fast vollständig von Schleim erfüllt, an den Seitenrändern nur
in ihrem oberflächlichen Anteil (Taf. II, Fig. 3); am Uebergang in die
Kuppen der Falten waren fast nur noch punktförmige Klümpchen von
Schleim an der freien Fläche der Zellen dunkelviolett gefärbt.
86 W. Anton, Ein transitorisches Faltensystem im Sulcus nasalis posterior.
Auch bei einem 25 Tage alten Kinde zeigte sich ein ähnlicher Befund
in den Falten des Nasenbodens. Die Menge der Schleimzellen ist aber
viel grösser; der Grund der Falten wird vielfach ausschliesslich von
Schleimzellen ausgekleidet, die aber auch noch an den Seitenwänden in
ziemlich grosser Zahl den Flimmerzellen beigemischt sind, während auf
der Höhe der Falten die Flimmerzellen weitaus überwiegen und nur ganz
vereinzelte Becherzellen zwischen ihnen auftreten, Nach vorne werden die
Falten niedriger, der Furchengrund erscheint gegen die Tunica propria nur
wenig ausgebaucht; dadurch geraten die sonst tiefer gelegenen Anhäufungen
der Schleimzellen fast in das gleiche Niveau mit dem Flimmerepithel und
gewinnen am Durchschnitt infolge ihrer gruppenförmigen Anordnung eine
gewisse Aehnlichkeit mit intraepithelialen Schleimdrüsen. (Taf. II, Fig. 4.)
Auch am hinteren Rande des Septum narium finden sich — wie
ich nicht unerwähnt lassen möchte — seichte sagittal verlaufende Fältchen,
die wegen ihrer Feinheit der makroskopischen Beobachtung leicht entgehen,
Auch am Grunde der von diesen Fältchen begrenzten Furchen ist das
Epithel überwiegend von Schleimzellen gebildet. (Taf. II, Fig. 5.)
Bezüglich der epithelialen Bekleidung der nasalen Fläche des
weichen Gaumens sind die Angaben der verschiedenen Autoren nicht
einheitlich. Nach Schaffer ist die nasale Fläche des weichen Gaumens
auf eine gewisse Entfernung vom freien Rande ebenfalls von Pflasterepithel
bedeckt, welches jedoch weiter hinauf auch beim Erwachsenen einem
mehrreihigem flimmernden Zylinderepithel Platz macht. Klein findet dieses
Verhalten nur beim neugeborenen Kinde, während er beim Erwachsenen
an der Oberfläche des weichen Gaumens geschichtetes, nicht flimmerndes
Pflasterepithel beschreibt. Auch nach Luschka soll die nasale Fläche
des Gaumensegels ein Plattenepithel tragen. Wie S. Kano angibt, erstreckt
sich beim Embryo und beim Neugeborenen das Plattenepithel nur bis zur
Umbiegung von der unteren zur nasalen Fläche des weichen Gaumens und
der Uvula, die ganze nasale Fläche dagegen trägt Zylinderepithel, während
beim Erwachsenen die nasale Fläche der Uvula und verschieden weit nach
vorn reichend, event. bis über die Mitte, der hintere Teil des weichen
Gaumens mit Plattenepithel, der Rest mit geschichtetem Flimmerepithel
bedeckt ist.
Bei unserm jugendlichen Materiale zeigt die Epithelbekleidung an der
nasalen Gaumenseite ein wechselndes Bild.
Im älteren foetalen Alter (6. Monat) ist die an die Nase anschliessende
proximale meist noch glatte Partie der Hinterfläche des Gaumens mit
einem mehrreihigen zylindrischen Flimmerepithel bekl&idet, während das
Epithel der Vorderfläche schon unverkennbar das Gepräge des geschichteten
Plattenepithels trägt. Nach rückwärts mit der besseren Ausbildung der
Furchen werden die Flimmerzellen und ihre Cilien höher, was sich be-
sonders in den Furchen am deutlichsten nachweisen lässt. Das mehr-
reihige Flimmerepithel bekleidet in diesem Stadium die nasale Gaumen-
fläche in ihrer ganzen Ausdehnung und fehlt nur in einem medianen
W. Anton, Ein transitorisches Faltensystem im Sulcus nasalis posterior. 87
streifenförmigen Bezirke, der ein geschichtetes flimmerloses Epithel
trägt, von dem später noch die Rede sein wird. Auffallend ist der Mangel
an Schleimzellen im vorderen Anteil; nach rückwärts treten im Epithel
der Furchen vereinzelte Becherzellen auf. Diese geringe Entwickelung der
Schleimzellen ist um so bemerkenswerter, als die in den distalen Partien
des Gaumens auftretenden Drüsen und ihre Ausführungsgänge zu derselben
Zeit schon sehr reich an Schleimzellen sind. Durch das Auftreten der
Schleimzellen wird der Unterschied zwischen dem flimmerlosen medianen
Bezirk und den flimmernden Seitenregionen noch verstärkt.
Bei einem 5 Jahre alten Kinde trug die ganze nasale Fläche des
Gaumens bis zum freien Rande durchaus geschichtetes Pflasterepithel, das
nach vorne bis zum Nasenboden reichte. Nahe der Nase ist die Epithel-
decke niedrig, nur von wenigen Zelllagen gebildet und sitzt einer papillen-
losen, stellenweise stark infiltrierten Tunica propria auf. Nur in der
Medianlinie wird die Epithellage mächtiger; hier sitzt ein typisches, ge-
schichtetes Plattenepithel niedrigen Papillen der Schleimhaut auf, welche
hier von einem zellenreichen Bindegewebe ohne lymphoide Infiltration ge-
bildet wird. Gegen den freien Rand zu wird die Epithellage im allge-
meinen höher, nimmt auch in den seitlichen Partien den Charakter eines
euschichteten Plattenepithels an, welches sich mit flachen muldenförmigen
Einbuchtungen zwischen die niedrigen Papillen einsenkt, zum Unterschiede
von der Mittellinie, wo die Papillen schlanker und höher sind und die kolbigen
Epithelzapfen dementsprechend tiefer hinabreichen. Auffallenderweise war
die nasale Fläche des Gaumens bei diesem Falle glatt und zeigte keine
Faltenbildung.
Bei einem 7jährigen Kinde, das an Diphtherie gestorben war und
dessen nasale Gaumenseite eine stark ausgeprägte Faltenbildung zeigte,
trägt die hintere Gaumenfläche eine sehr hohe Epitheldecke aus mehreren
übereinander geschichteten Zelllagen gebildet. In der Medianregion hat das
Epithel den Charakter eines hochgeschichteten Pflasterepithels, dessen ober-
flächlichste Zelllage nicht von abgeplatteten, sondern ziemlich grossen, an
der freien Fläche sich verbreiternden Zellen eingenommen wird, wodurch
es einigermassen an das Aussehen eines Uebergangsepithels erinnert. Als
Uebergangsepithel wollen wir hier kurz ein geschichtetes Epithel bezeichnen,
dessen oberflächlichsten Lagen nicht ausgesprochen zvlindrisch oder ab-
zeplattet erscheinen, sondern eine Mittelstellung einnehmen, indem sie von
diekeren, oft kolbenförmigen, am freien Ende verbreiterten Elementen dar-
zestellt werden. In den seitlichen Partien findet sich ein geschichtetes
Zylinderepithel mit zahlreich eingelagerten Becherzellen. Papillen fehlen
in der ganzen Ausdehnung. Weiter gegen den freien Rand des Gaumens
andert sich der Charakter des Epithels. Besonders deutlich ist dies in der
Mittellinie der Fall, wo an Stelle des Uebergangsepithels nunmehr ein
typisch geschichtetes Plattenepithel tritt, unter welchem die Tunica propria
iereinzelte Papillen zeigt. In deu seitlichen Partien zeigt die Epithel-
bekleidung auf den Faltenkuppen teilweise den Charakter des geschichteten
SS W. Anton, Ein transitorisches Faltensystem im Sulcus nasalis posterior.
Uebergangsepithels, zum Teil hat es noch den ursprünglichen Charakter
des geschichteten Zylinderepithels bewahrt, während der Grund der Furchen
jetzt von einem flimmertragenden Zylinderepithel ausgekleidet erscheint.
Die Zahl der Becherzellen ist wesentlich geringer als im Bereiche der
Nasenfalten.
Besonders am Grunde der Gaumenfalten fallt der Mangel an Schleim-
zellen auf, was gegeniiber dem hiufigen Vorkommen am Grunde der Nasen-
furchen besonders hervorgehoben werden soll. Zahlreicher traten sie nur
bei einem 25 Tage alten Kinde auf. bei dem die proximale Hinterflache des
Gaumens von einem mehrreihigen Flimmerepithel bekleidet war, wodurch
das gesamte Aussehen der Gaumenfalten dem der Nasenfalten sehr &hnlich
wurde. Bei einem 6Gmonatigen Foetus, der im Grunde der Nasenfalten
reichliche Schleimzellen besass, finden sich in den Faltentälern der Gaumen-
schleimhaut breitere hellere Zellen, in welchen keine Schleimproduktion
nachweisbar war, die aber doch in ihrem Habitus von den Nachbarzellen
abweichen und als sekretorische Zellen angesprochen werden dürften, die
aber kein schleimiges, sondern eher ein seröses Sekret liefern könnten.
Es scheint demnach das Epithel an der Rückfläche des weichen
Gaumens eine gewisse Vielgestaltigkeit und Variabilität zu besitzen, gegen-
über der Monotonie des Epithels der vorderen Fläche.
Als ein stets wiederkehrender Befund ist das besondere Verhalten
eines medianen Streifens der Schleimhaut der nasalen Fläche des weichen
Gaumens hervorzuheben, das besonders deutlich gegen den freien Rand
hin zum Ausdruck kommt. In den Fällen, wo der grösste Teil der nasalen
Gaumenfläche von Zylinderepithel bedeckt ist, ist im Bereich dieses
Streifens geschichtetes Pflaster- oder Plattenepithel anzutreffen. Am deut-
lichsten markiert sich diese Verschiedenheit im distalen Abschnitt, wo das
geschichtete Plattenepithel besonders mächtig erscheint und die darunter
liegende Schleimhaut gut entwickelte Papillen trägt; gegen die Nase hin
ist diese Abweichung des medianen Bezirkes weniger ausgesprochen. Aber
auch in den Fällen, wo die gesamte nasale Gaumenschleimhaut ganz oder
fast zur Gänze von geschichtetem Pflasterepithel bekleidet wird, bewahrt
der mediane Streif durch stärkere Entfaltung der Papillen und ansehn-
lichere Epitheldecke immer noch seine Besonderheit gegenüber der
Nachbarschaft.
Sehr deutlich war dieses merkwürdige Verhalten schon bei einem
6monatigen Foetus zu beobachten. Eine mediane, etwa das mittlere
Drittel der Gaumenbreite einnehmende den Musculus uvulae bedeckende
Falte, die sich nach vorne bis zur Gaumenmitte verfolgen lässt, trägt ein
geschichtetes flimmerloses Epithel vom Charakter eines Uebergangsepithels,
das sehr deutlich gegen die beiderseitige Nachbarschaft absticht, wo sich
durchwegs ein flimmerndes mehrreihiges Zylinderepithel befindet. Dieser
Streifen erstreckt sich an Breite abnehmend bis zum freien Rande des
weichen Gaumens.
Bei einem 13tägigen Knaben reichte ein medianer Streifen geschichteten
W. Anton, Ein transitorisches Faltensystem im Sulcus nasalis posterior. 89
Pllasterepithels bis unmittelbar an das Septum narium, während die übrige
Schleimhaut ein mehrreihiges flimmerndes Epithel vom Charakter des
Epithels der Regio respiratoria nasi trug.
Auch bei dem jährigen Kinde, dessen nasale Gaumenfläche durchaus
zeschichtetes Pflasterepithel trug, markierte sich das abweichende Verhalten
des medianen Streifens dadurch, dass er von einem typisch geschichteten
Plattenepithel bedeckt war, unter dem sich gegen den freien Rand hin
schöne, hohe Papillen fanden. l
Durch die Besonderheit dieses medianen Streifens — der beim Bestehen
einer medianen Falte ungefähr mit dieser zusammenfällt — wird auch auf
der Nasalfläche der paarig symmetrische Charakter des weichen Gaumens
wenigstens oberflächlich angedeutet, während er an der Mundfläche durch
das bindegewebige Septum veli (Luschka) sehr deutlich markiert ist.
Durch diese Befunde auf das merkwürdige Verhalten des Epithels in
der Mittelregion der Nasalfläche des weichen Gaumens aufmerksam gemacht,
wollte ich meine Befunde noch dahin ergänzen, ob nicht auch beim Er-
wachsenen etwas Aehnliches zu finden ware. Vielleicht liessen sich auf
diese Weise die vielfach widersprechenden Befunde über die Epithel-
bekleidung dieser Gegend einigermassen aufklären. Diese Erwartung hat
sich bis zu einem gewissen Grade tatsächlich erfüllt.
Auch beim Erwachsenen lässt sich noch eine deutliche Verschiedenheit
der mittleren und Seitenregion der epithelialen Bekleidung feststellen. Im
Allgemeinen steht das Epithel in der Medianregion der nasalen Fläche dem
xeschichteten Plattenepithel der Vorderfläche näher, ohne ihm jedoch voll-
ständig zu gleichen. In der proximalen Region (nahe der Nase) wird
der mittlere Abschnitt von einem geschichteten Plattenepithel bekleidet,
das aber weit niedriger ist, als das Epithel an der oralen Fläche. (Taf. II,
Fig. 6. m.f.) Die Tunica propria ist durch eine ziemlich breite Basalmembran
veren das Epithel abgegrenzt und ragt nur mit spärlichen sehr niedrigen
Papillen gegen das Epithel vor. (Taf.Il, Fig.7, m.f.) In den Seitenregionen,
wo die Faltenbildung stärker zum Ausdruck kommt, ist am Grunde der
Falten ein mehrreihiges flimmerndes Zylinderepithel mit eingestreuten
Becherzellen die Regel (Taf. II, Fig.7, e.f.).. Auf den Faltenkämmen dagegen
ist der Epithelcharakter weniger konstant. Im Allgemeinen ist seine Ge-
samtdicke geringer als in der Medianregion und häufig ist es auch unbe-
denklich als mehrzeiliges Flimmerepithel anzusprechen; nicht selten aber
fehlen auf den Faltenkämmen die Flimmern und es tritt strichweise das
üben gesehilderte geschichtete Uebergangsepithel (Taf. II, Fig.7,e.k.) oder
auch schon Plattenepithel auf, das einer papillenlosen Tunica propria glatt
aufliegt. Verfolgt man eine Querschnittsserie distalwärts, so zeigt sich
etwa im mittleren Drittel, dass das Epithel in der Medianregion dem der
Vorderfläche ähnlicher wird, dadurch, dass es an Höhe und Mächtigkeit
der Zelllagen zunimmt, die Papillen zahlreicher und höher werden, aber
auch jetzt erreicht es noch keineswegs die Mächtigkeit der Epithellagen
an der oralen Fläche. Beiderseits von dieser Medianregion bestehen die
% W. Anton, Ein transitorisches Faltensystem im Sulcus nasalis posterior.
früheren Verhältnisse fort. Die Furchen sind immer noch von mehrreihigem
Flimmerepithel ausgekleidet, die zwischen den Flimmerzellen eingelagerten
Becherzellen häufig zu Bildungen gruppiert, die an intraepitheliale Drüsen
erinnern (Taf. Il, Fig.8,s.). Auf den Faltenkämmen gewinnt das flimmer-
lose Epithel immer mehr an Ausdehnung und nimmt stellenweise den aus-
gesprochenen Charakter eines geschichteten Plattenepithels an, das aber
weit niedriger ist als in der Medianregion und der Tunica propria glatt
aufsitzt; Papillen fehlen. Im weiteren Verlauf dehnt sich mit der Ab-
flachung der Faltenbildungen das Gebiet des geschichteten Plattenepithels
von der Mittellinie auf die seitlichen Partien übergreifend immer weiter
aus, die Tunica propria bildet nun auch in den Seitenpartien vereinzelte
flache Papillen. Nahe dem freien Rande ist das Epithel der nasalen
Schleimhautfläche, wie auch Schaffer angibt, im Allgemeinen als ein
geschichtetes Plattenepithel zu bezeichneu; doch bleibt es trotzdem von
dem Epithel der oralen Fläche immer noch leicht unterschiedbar. Der
Unterschied kommt in mehrfacher Richtung zum Ausdruck. Die Epithel-
decke der nasalen Fläche ist niedriger als die der oralen (Taf.1I, Fig.6,c.o.),
Papillen sind stellenweise deutlich vorhanden, aber niedriger als an der
Vorderfläche und fehlen streckenweise ganz. Die Epithelzellen selbst sind
auch in den oberflächlichen Lagen protoplasmareicher und weniger abge-
plattet, so dass die ganze Epithellage dunkler erscheint; nur die ober-
flächlichsten Zellen sind wirklich platte Elemente, während an der oralen
Fläche mehrere Lagen platter und immer platter werdender protoplasma-
armer, scharf konturierter Zellen sich übereinanderschichten. An der Basis
der Uvula greift das Epithel der vorderen Fläche von den Seiten her auch
auf die nasale Fläche über, aber auch hier noch war in unserem Präparate
die Tunica propria in ansehnlichen Strecken papillenlos und in der Tiefe
der immer noch vorhandenen Furchen sind auch hier noch einzelne Strecken
des Epithels von einem mehrreihigem Flimmerepithel bedeckt.
b) Die lymphoide Infiltration.
Was den Zeitpunkt des ersten Auftretens einer reichlichen Einlagerung
von Lymphkörperchen betrifft, so zeichnet sich schon im 6. Foetalmonat
die subepitheliale Region der Schleimhaut der Nasen- und Gaumenfalten
durch ungewöhnlichen Zellreichtum aus. (Taf. II, Fig. 3.)
Die reichliche Einlagerung von Lymphkörperchen beschränkt sich im
foetalen Alter auf die Falten, während die übrige Schleimhaut der Nase
und des Gaumens nicht infiltriert erscheint. Auch bei Neugeborenen und
in den ersten Lebensmonaten finden sich hauptsächlich innerhalb der
lockeren Tunica propria der Falten zahlreiche Lymphkörperchen, während
das dichtere, fibrilläre Bindegewebe am Grunde der Faltentäler und die
übrige Schleimhaut ziemlich frei davon bleiben.
Während sich die Nasenfalten vom 3. Lebensjahre an zurückbilden,
nimmt die Durchsetzung des Gewebes mit Rundzellen in den Gaumenfalten
weiter zu; die Einlagerung beschränkt sich jetzt nicht mehr auf die Falten,
W. Anton, Ein transitorisches Faltensystem im Sulcus nasalis posterior. 91
sondern betrifft die gesamte Gaumenschleimhaut. Die Einlagerung ist eine
rleichmässig diffus verteilte, die nur in einigen Fällen gegen die übrige
Tunica propria scharf abgegrenzt ist. Mitunter finden sich in den tieferen
Lagen der Mukosa langgestreckte streifenförmige Herde von Lymphkörper-
chen. Follikel waren im Kindesalter nicht vorhanden. Bei älteren Kindern
umgibt die Iymphoide Infiltration besonders reichlich die Drüsen und ihre
Ausführungsgänge. Dieser Zusammenhang zwischen Drüsen und der An-
sammlung von Lymphkörperchen wurde auch von anderer Seite (Schaffer,
Levinstein) hervorgehoben. Bemerkenswert wäre noch der Umstand, dass
im Bereiche des medianen Streifens die Infiltration im allgemeinen weitaus
geringer ist, als in den Seitenpartien.
Auch beim Erwachsenen findet sich die subepitheliale Iymphoide Ein-
lagerung diffus über die ganze oberflächliche Tunica propria verteilt, jedoch
auch hier in der seitlichen Region besser entwickelt, wo auch unzweifelhaft
vereinzelte Follikel zur Beobachtung kamen. Gegen den freien Rand zu,
wo die Region des geschichteten Plattenepithels beginnt, nimmt die
Ivmphoide Infiltration ab. Im Gegensatz zu der reichlichen, ausgebreiteten
Ivmphozvtären Infiltration der nasalen Fläche sind an der oralen Fläche
der Gaumenschleimhaut nur kleine, diskontinuierliche, streifenförmige Herde
von Lymphkörperchen nachzuweisen.
c) Die Drüsen.
Bezüglich der Drüsen kamen einige Einzelheiten zur Beobachtung,
die ich hier kurz anfügen möchte.
Bei einem 6monatigen Foetus sind in dem vorderen Anteil der
Nasenfalten (seitliche Wand und Nasenboden) die Drüsen reichlicher
und ihre Anlage schon besser ausgebildet als weiter rückwärts. Das Epithel
der Endstücke ist hier noch undifferenziert, von dem der Gänge noch nicht
sehr abweichend, insbesondere sind noch keine Schleimzellen nachweisbar.
Die Drüsenausführungsgänge münden sowohl in den Furchen als auch auf
den Kuppen.
Bei einem 13 Tage alten und ebenso bei einem 7jährigen Kinde sind
die Drüsen im vorderen Bereich des Nasenbodens, da, wo die Falten ganz
flach und kaum noch angedeutet sind, sehr reichlich entwickelt, während
sie gegen den Gaumen hin an Zahl und Entwicklung sehr abnehmen und
am Uebergang in die Gaumenschleimhaut vollständig fehlen.
Ebenso fehlen an der nasalen Seite des weichen Gaumens in der an
die Nasenhöhle angrenzenden Partie bei älteren Foeten die Drüsen voll-
ständig, bei Neugeborenen und Kindern sind sie hier nur in geringer Zahl
vorhanden. Sie treten im weiteren Verlaufe regelmässig zuerst spärlich in
den seitlichen Partien auf und schieben sich allmählich, je weiter man
gegen den distalen Rand des Gaumens kommt, immer mehr bis gegen die
Mittellinie vor. Es findet sich demnach auf der nasalen Fläche des weichen
(jaumens bei dem untersuchten jugendlichen Material ein mittleres drei-
eckiges drüsenfreies Feld, dessen Basis an die Nase grenzt und sich hier
92 W. Anton, Kin transitorisches Faltensystem im Sulcus nasalis posterior.
in die driisenfreie Zone der Schleimhaut des hinteren Nasenbodens fortsetzt.
Nach Disse sollte die driisenfreie Zone nur einen medianen streifen-
förmigen Bezirk einnehmen. Es scheint im Laufe des Wachstums das
drüsenfreie Feld sich zu verkleinern, doch ist es bei Kindern von 7 Jahren
sicherlich noch in der oben beschriebenen Form und Ausdehnung nach-
weisbar.
Bei einem Foetus von 6 Monaten waren die Drüsen in den proximalen
Partien der Hinterfläche des weichen Gaumens mehr oberflächlich gelegen,
distalwärts nahmen sie an Menge zu, rückten weiter in die Tiefe und
reichten mit ihren mächtigen Körpern bis zwischen die Muskelbündel und
in der Mittellinie bis zwischen die Bündel des Musculus uvulae hinein.
Die im Gebiete der mit Flimmerepithel ausgekleideten seitlichen Region
liegenden Drüsen münden ähnlich wie die Drüsen der Regio respiratoria
nasi nicht selten in trichterförmige Vertiefungen des Oberflichenepithels,
welche gleich einem Vorraum den Drüsengang aufnehmen. Endlich sei
noch auf das reichliche Auftreten von Schleimzellen in den Ausführungs-
sängen der Drüsen hingewiesen. Sie treten gruppenweise zwischen den
protoplasmatischen Zylinderzellen des Ausführungsganges auf, nicht selten
ist das Epithel des Ausführungsganges auf grosse Strecken hin fast aus-
schliesslich von Schleimzellen gebildet. In einzelnen Fällen sind die
Schleimzellen grubenförmig gegen die Membrana propria vorgewölbt und
gewinnen in dieser Gruppierung eine grosse Aehnlichkeit mit intraepithe-
lialen Drüsen. (Kano.) (Taf. II, Fig. 9.) Aehnliche Verhältnisse fand
Schaffer an den Ausführungsgängen der kleinen Schleimdrüsen der Zunge
und der Uvula. Solche Befundebeweisenunzweideutig, dassder Ausführungsgang
nicht nur ein zur Fortleitung des Sekretes bestimmtes, indifferentes Gebilde
darstellt, sondern dass seine Zellen wesentlichen Anteil an der Bildung
des Sekretes nehmen.
Bei einem 5 Jahre alten Kinde nimmt die Zahl und Entwickelung der
Drüsen an der nasalen Gaumenfläche merklich zu und sie reichen distal-
wärts immer tiefer herab.
Auch bei einem 7 Jahre alten Kinde sind die Drüsen in der proximalen
Partie der hinteren Gaumenfläche besonders in den Seitenpartien gut ent-
wickelt und oberflächlich gelegen. Gegen den freien Rand nehmen sie an
Masse zu und senken sich tief in die Muskulatur des weichen Gaumens ein.
Die gleiche Anordnung der Drüsen ist auch noch beim Erwachsenen
zu beobachten. Auch hier ist der proximale an die Nase grenzende Ab-
schnitt der nasalen Gaumenfläche sehr drüsenarm. In dem medianen Be-
zirke fehlen die Drüsen gänzlich (Taf. II, Fig. 6); in den sgitlichen Partien
sind einzelne kleine Drüsen vorhanden, die im Gegensatze zu denen der
oralen Fläche sehr oberflächlich gelagert sind. Gegen den freien Rand
des Gaumens hin nimmt die Anzahl und die Mächtigkeit der Drüsen von
den Seiten her gegen die Mittellinie zu, sodass wir in den distalen Partien
eine fast zusammenhängende Lage von Drüsen auch an der nasalen Fläche
finden. Dabei werden die Drüsenkörper mächtiger, reichen tiefer bis
W. Anton, Ein transitorisohes Faltensystem im Sulcus nasalis posterior. 93
zwischen die Muskelbündel hinab und kommen so unmittelbar an und
zwischen die Läppchen der oralen Schleimdrüsen zu liegen. Die nasalen
Drüsen bewahren jedoch durchaus ihr eigenartiges, von den oralen ver-
schiedenes, Aussehen, welches hauptsächlich in der geringeren Schleim-
produktion und der grösseren Zahl protoplasmatischer, rundkerniger Drüsen-
zellen zum Ausdruck kommt. Die Bestimmung der Zugehörigkeit der
Driisenkomplexe macht daher auch bei ihrer nahe dem freien Rande er-
folgenden Vermengung keine Schwierigkeit, weil sie sich, wie schon
Schaffer hervorhob, schon bei einfacher Alaun-Hämatoxylin- und allen Arten
von Schleimfärbungen leicht von einander unterscheiden lassen. Die Schleim-
drüsen an der Vorderfläche erscheinen dabei viel intensiver gefärbt, als die
gemischten Drüsen an der nasalen Fläche. Ebenso deutlich tritt der Unter-
schied auch bei Protoplasmafärbungen (Eosin, Pikrinsäure) auf, durch
welche natürlich umgekehrt die an protoplasmatischen Zellen reicheren
Drüsen der Nasalfläche intensiver gefärbt werden.
IV. Allgemeines.
Wenn wir aus den bisherigen Beobachtungen einen Schluss auf die
Bedeutung des beschriebenen Faltensystems zu ziehen versuchen, so weist
der Reichtum an Schleimzellen in den Faltentälern des Nasen-
bodens und des Sulcus nasalis posterior jedenfalls daraufhin, dass
das nasale Faltenwerk in hohem Masse einer sekretorischen Funktion
dient. Bei der bedeutenden Oberflächenvergrösserung, welche die
Epithelbedeckung durch Ausbildung eines reichlichen Faltensystems erfährt,
ist naturgemäss auch die Zahl der eingelagerten schleimproduzierenden
Elemente eine viel grössere geworden. Durch die Verlagerung in die Tiefe
der Furchen wird gleichzeitig eine gewisse Annäherung an die Art einer
Drüsensekretion erzielt. Es wird hierdurch erreicht, dass eine grössere
Menge des Sekretes an gewissen lokalisierten Stellen angesammelt werden
kann. als dies bei diffuser Verteilung der sekretorischen Elemente an der
Oberfläche möglich wäre. Gleichzeitig bleiben die oberflächlichen an den
Firsten der Falten gelegenen flimmertragenden Elemente für die motosische
Funktion frei, da die flimmerlosen sekretorischen Elemente nach Art von
Drüsenelementen in die Tiefe gerückt sind. Hierdurch wird vermieden, dass
die Schleimzellen — was bei ihrer Einschaltung zwischen die Flimmer-
zellen an den Faltenkuppen geschehen müsste — den Platz der Flimmer-
zellen schmälern und so die Zahl der Flimmerzellen und die Stärke des
Flimmerstromes beeinträchtigen. Eine weitere günstige Folge der tieferen
Lave der Schleimzellen ist darin zu erblicken, dass es innerhalb der ge-
schützten Furchentäler zu einer ziemlichen Ansammlung von Sekret kommen
kann. welches nicht so leicht wie das Produkt vereinzelter Schleimzellen
an der Oberfläche durch den Flimmerstrom weggeschwemmt werden kann.
Im guten Einklang mit dieser Annahme steht die Tatsache, dass die
Entwicklung der Drüsen der Nasenhöhle in der hinteren faltenreichen
94 W. Anton, Kin transitorisches Faltensystem im Sulcus nasalis posterior.
Region gegeniiber dem vorderen glatten Schleimhautbezirke zuriickbleibt.
Bei einem 4monatigen Foetus waren in den vorderen Partien der Nase be-
reits deutliche Drüsenhohlräume vorhanden, während weiter nach rückwärts
nur solide zapfenförmige Drüsenanlagen gefunden wurden, welche gegen
den Gaumen hin (Septum, Boden und seitliche Wand) ganz spärlich werden.
Ebenso fand Kallius bei Neugeborenen die Drüsen namentlich am Nasen-
boden schwach entwickelt. Wir fanden ferner, dass noch in der Zeit, in
welcher dieses Faltensystem der Nasenschleimhaut am besten ausgebildet
ist (bei älteren Foeten, Neugeborenen und im frühen Kindesalter), im
vorderen glatten Bereich des Nasenbodens, mitunter auch noch im vordersten
seichten Anteil der Nasenfalten, die Drüsen gut und zahlreich vor-
handen sind, während sie gegen den Gaumen an Zahl und Entwicklung
abnehmen und am hintersten faltenreichen Anteil fast völlig fehlen. An
diese drüsenarme Zone schliesst sich der drüsenfreie proximale Abschnitt
des weichen Gaumens unmittelbar an. In dieser Region ersetzt der Reich-
tum des Epithels an sekretorischen Elementen bis zu einem gewissen Grade
die mangelnden Drüsen. Wir könnten demnach dieses reichlich sezernierende
Furchensystem gewissermassen als einen primitiven sekretorischen Apparat
ansehen.
Diese Annahme findet eine gewisse Rechtfertigung durch die ver-
gleichend anatomische Betrachtung. Bei den tiefstehenden Amphibien
(Cryptobranchiaten), bei denen die Nasenschleimhaut noch keine Drüsen
besitzt, begegnen wir einer ähnlichen, einfachen Einrichtung des sekre-
torischen Apparates. Das mehrschichtige zylindrische Epithel der Regio
respiratoria befindet sich bei diesen in einer tiefen rinnenförmigen Ein-
senkung des Nasensackes (Seitenrinne) mit zahlreichen eingestreuten Becher-
zellen, welche die sekretorische Tätigkeit ausschliesslich zu besorgen haben.
Das ist um so bemerkenswerter, als in der Riechregion die für diese
Gegend charakteristischen Drüsen bereits zur Ausbildung gekommen sind.
Es scheint überhaupt einer allgemeinen Regel zu entsprechen, dass in der
aufsteigenden Tierreihe vielfach das ursprünglich noch primitiv in Furchen
verlagerte diffuse, sekretorische Gewebe späterhin durch drüsige Einzel-
orgame ersetzt wird.
Eine gewisse Analogie mit dem geschilderten Befunde bietet auch das
Verhalten der Schleimhaut am hinteren Rande des Septum narium, wo
auch in einer verhältnismässig drüsenarmen Zone eine zarte Furchung sich
findet, in deren Grunde das Epithel vorwiegend von Schleimzellen ge-
bildet ist. (Taf. II, Fig. 5.)
Die Furchenbildung steht ferner offenbar auch in einer gewissen Be-
ziehung zu der lymphoiden Infiltration der Tunica propria. Wie an
anderen Stellen des lymphatischen Rachenringes ist auch hier das Vor-
kommen reichlicher Lymphkörperchen in der Schleimhaut an die Ausbildung
von Epitheleinsenkungen und Furchenbildungen geknüpft, und es trägt der
Reichtum der beschriebenen Faltenregion an Lymphkörperchen mit bei zu
jener merkwürdigen Ausbildung einer mächtigen Iymphoiden Zone, die wir
W. Anton, Ein transitorisches Faltensystem im Sulcus nasalis posterior. 95
im frühen Kindesalter am Ausgange des Mund- und Nasenraumes antreffen.
Wie aus anderen subepithelialen lymphoiden Einlagerungen findet auch
hier eine reichliche Durchwanderung von Lymphozyten durch das Epithel
auf die freie Oberfläche statt.
Schliesslich möchte ich mich noch kurz auf die Entwicklungs-
geschichte berufen, die uns das Auftreten dieser Bildungen im rückwärtigen
Teile der Nase verständlicher macht und es ermöglicht, diese Frage von
einem einheitlichen Standpunkt aus zu beurteilen.
Das Gebiet der Nase, in welchem die beschriebenen Falten auftreten,
entspricht zum grössten Teil dem Reste des Nasenrachenganges, der sich
beim Erwachsenen 1. aus dem hinter dem Canalis incisivus gelegenen
basalen Teile des unteren Nasenganges und 2. aus dem zwischen Ostium
pharyngeum tubae einerseits und den hintern Enden der mittleren und
unteren Muschel andrerseits gelegenen Raume zusammensetzt (Schwalbe).
Es gehört somit das Ausbreitungsgebiet der beschriebenen nasalen Falten
genetisch der primären Mundhöhle (Kopfdarm) an, also einem Organsystem,
in dem Faltenbildungen ein haufiges Vorkommnis darstellen. Die Schleim-
haut des Nasenrachenganges dokumentiert also gleichsam in dieser Falten-
bildung noch ihre genetische Zugehörigkeit zu dem vordersten Darmgebiet,
un später endgiltig in den Anfangsteil des Respirationssystemes einbezogen
zu werden.
V. Zusammenfassung.
Resumieren wir nochmals das Ergebnis unserer Untersuchung, so ergibt
sich folgendes:
1. Im hintersten Anteil der Nase (Sulcus nasalis posterior und Nasen-
boden) finden sich im foetalen und im frühen Kindesalter Falten-
bildungen, die fortlaufend in die nasalen Gaumenfalten übergehen, so
dass sie als Ausstrahlungen der letzteren nach vorne angesehen werden
können und mit diesen ein einheitliches Faltensystem darstellen.
Die erste Andeutung zeigt sich schon in früher Foetalzeit (5. Foetal-
monat). Am Ende des intrauterinen Lebens, bei Neugeborenen und im
ersten Kindesalter haben die Nasenfalten die Höhe ihrer Entwicklung
erreicht. Die Entwicklung der Gaumenfalten schreitet mit reichlicher
Iymphoider Einlagerung im Verlaufe des weiteren Wachstumes noch fort.
Vom 3. Lebensjahre an beginnt bereits die Rückbildung der nasalen
Falten; die Schleimhaut im Sulcus nasalis posterior zeigt nur noch eine
schwache Fältelung im hinteren Anteil oder sie ist schon vollkommen glatt,
während am Nasenboden und an der nasalen Fläche des Gaumens die
Faltenbildung deutlich und kräftig ausgesprochen ist.
Bei älteren Kindern (10—15 Jahre) zeigt die seitliche Nasenwand eine
glatte Schleimhaut, doch sind auch jetzt noch die Falten am Nasenboden
mitunter angedeutet, am Gaumen kommen sie fast regelmässig zur
Beobachtung.
Bei Erwachsenen ist die Schleimhaut im Sulcus nasalis posterior
96 W. Anton, Ein transitorisches Faltensystem im Sulcus nasalis posterior.
durchgehends glatt; ebenso die hintere Partie des Nasenbodens (mit Aus-
nahme vereinzelter Fälle). Der Gaumen dagegen zeigt häufig Falten-
bildung, die bis ins hohe Alter persistieren kann.
2. Die Falten in der Nasenhöhle tragen ein mehrreihiges hohes
flimmerndes Zylinderepithel; auffallend ist das gehäufte Auftreten von
Schleimzellen in den Faltentälern. Die Schleimbildung ist in der
Tiefe des Faltentales am stärksten und nimmt an den Seitenrändern nach
oben hin regelmässig und allmählich ab. In niedrigen Falten, in denen die
sonst tiefer gelegenen Anhäufungen von Schleimzellen fast in das gleiche
Niveau mit den Flimmerzellen geraten, gewinnen sie am Durchschnitt in-
folge ihrer gruppenförmigen Anordnung eine gewisse Aehnlichkeit mit
intraepithelialen Schleimdrüsen.
Die epitheliale Bekleidung der nasalen Fläche des weichen Gaumens
zeigte ein wechselndes Bild. Beim Foetus trug die Rückseite des weichen
Gaumens mit Ausnahme eines medianen streifenförmigen Bezirkes ein mehr-
reihiges zylindrisches Flimmerepithel; nach rückwärts wurden die Flimmer-
zellen und ihre Cilien höher, was sich besonders am Grunde der Falten
deutlich nachweisen liess. Bei einem 7jährigen Kinde fand sich in der
proximalen Region in den Seitenteilen des Gaumens ein geschichtetes
Zylinderepithel mit zahlreich eingelagerten Becherzellen. Weiter gegen
den freien Rand war die Epithelbekleidung des früheren Zylinderepithels
teilweise auf den Kuppen der Falten durch ein geschichtetes Uebergangs-
epithel ersetzt, zum Teil hatte es noch den ursprünglichen Charakter des
geschichteten Zylinderepithels bewahrt, während der Grund der Falten
jetzt von einem flimmertragenden Zylinderepithel ausgekleidet erschien.
Nur in einem Falle (5jähriges Kind) zeigte der weiche Gaumen von
den Choanen bis zum freien Rande als Bedeckung ein geschichtetes Pflaster-
epithel; auffallenderweise fehlten bei diesem Falle die Gaumenfalten.
Hervorzuheben ist als ein stets wiederkehrender Befund das Auftreten
eines medianen Streifens der Schleimhaut der nasalen Gaumenfläche,
in dessen Bereich regelmässig geschichtetes Pflaster- oder Plattenepithel vor-
handen ist. Auch in den Fällen, wo die Schleimhaut ganz oder fast zur
Gänze von geschichtetem Pflasterepithel bekleidet war, bewahrte der
mediane Streifen durch stärkere Entfaltung der Papillen und ansehnlichere
Epitheldicke immer noch seine Besonderheit gegenüber der Nachbarschaft.
Dieses besondere Verhalten des medianen Epithelstreifens kennzeichnet ihn
dauernd als die dorsale Verwachsungszone der paarigen Gaumenhälften.
Auch beim Erwachsenen lässt sich noch eine deutliche Verschiedenheit
der mittleren und Seitenregion der epithelialen Bekleidung feststellen. Im
Bereiche der Uvula ist die gesamte Oberfläche ringsum von einem hoch-
geschichteten Plattenepithel bedeckt. An der oralen Fläche bewahrt das
Epithel dasselbe Aussehen in seiner ganzen Ausdehnung. Auf der nasalen
Fläche reicht ein geschichtetes Plattenepithel — wie Schaffer angibt —
vom distalen freien Rande eine Strecke weit nach vorne. Aber wenn auch
das Epithel hier, wie auf der oralen Fläche als ein geschichtetes Platten-
W. Anton, Ein transitorisches Faltensystem im Sulcus nasalis posterior. 97
epithel bezeichnet werden muss. so bestehen doch deutliche Verschieden-
heiten, die eine Unterscheidung der beiden Flächen schon aus dem Epithel-
belag allein ermöglichen. Das geschichtete Epithel der Nasalfläche des
Gaumens ist im ganzen niedriger, die Zellen sind protoplasmatischer und
platten sich nur in den oberflächlichsten Schichten ab; die Papillen sind
spärlicher und seichter. Schaffer findet die proximale vordere Region
der nasalen Fläche von einem mehrreihigen flimmernden Epithel bekleidet,
doch gilt auch diese Angabe nicht ohne Einschränkung. In der Median-
region bleibt vielmehr ein geschichtetes Platten- oder Pflasterepithel bis
nach vorne bestehen
In den Seitenpartien, wo die Schleimhaut mehr gefaltet ist, tritt aller-
dings schon bald nahe dem freien Rande mehrreihiges Flimmerepithel auf
und dieses kleidet die Furchen auch ihrer ganzen Länge nach aus. Auf
der Oberfläche der Falten selbst aber herrscht bis gegen die Mitte des
Gaumens geschichtetes Plattenepithel oder eine Art Uebergangsepithel vor,
zwischen das sich je weiter nasalwärts, desto'mehr Streifen mehrreihigen
Flimmerepithels einschieben. Erst im proximalen — an die Nase an-
erenzenden Drittel — überwiegt weitaus das melrreihige Flimmerepithel.
Doch bleibt auch hier die Medianregion regelmässig und häufig einzelne
Partien der Seitenregion von geschichtetem flimmerlosen Epithel bedeckt.
Um die Epithelverhältnisse richtig beurteilen zu können, sind reihen-
weise (Juerschnitte zu empfehlen. An den meist abgebildeten medianen
Sagittalschnitten kommt man leicht zu irrigen Vorstellungen. Das liegt
daran, dass in der medianen Zone geschichtetes Pflasterepithel weit nach
vorne reicht, das infolge der grösseren Höhe der Epitheldecke und der
besseren Ausbildung der Papillen dem Epithel der oralen Fläche ähnlicher
ist, als dies für das übrige Epithel der Nasalfläche behauptet werden kann.
Die charakteristische Vielgestaltigkeit der Epithelbekleidung tritt erst in
der Seitenregion weit markanter hervor (Taf. II, Fig. 6 u. 7).
3. Die lymphoide Infiltration der subepithelialen Region der
Schleimhaut der Nasen- und Gaumenfalten beginnt im 6. Foetalmonat und
beschränkt sich im foetalen Alter auf die Falten, während die übrige
Schleimhaut der Nase und des Gaumens nicht infiltriert erscheint. Auch
bei Neugeborenen und in den ersten Lebensmonaten finden sich haupt-
sächlich innerhalb der lockeren Tunica propria der Falten zahlreiche
Lymphkörperchen, während das dichtere fibrilläre Bindegewebe am Grunde
der Faltentäler und die übrige Schleimhaut ziemlich frei davon bleiben.
Die Nasenfalten bilden sich vom 3. Lebensjahre an zurück; in den
Gaumenfalten nimmt die Durchsetzung des Gewebes mit Rundzellen weiter
zu und beschränkt sich jetzt nicht mehr auf die Falten, sondern betrifft
die gesamte Gaumenschleimhaut. Die Einlagerung ist eine gleichmässig
diffus verteilte; Follikel kamen im Kindesalter nicht zur Beobachtung.
Bei älteren Kindern umgibt die Iymphoide Infiltration besonders reichlich
die Drüsen und ihre Ausführungsgänge. Im Bereiche des medianen Streifens
ist die Infiltration im allgemeinen weitaus geringer als in den Seiten-
Archiv for Laryngologie. 28. Bd. 1. Heft. 7
98 W. Anton, Ein transitorisches Faltensystem im Sulcus nasalis posterior.
partien. Beim Erwachsenen fanden sich vereinzelte Follikel. Im Gegen-
satz zu der reichlichen, lymphozytären Infiltration der nasalen Fläche sind
an der oralen Fläche der Gaumenschleimhaut nur kleine, diskontinuierliche,
streifenförmige Herde von Lymphkörperchen nachzuweisen.
4. Bezüglich der Drüsen ist zu erwähnen, dass sie im rückwärtigsten
Teil der Nase gegen den Gaumen hin an Zahl und Entwicklung sehr ab-
nehmen und beim Uebergang in die Gaumenschleimhaut mitunter voll-
ständig fehlen. Ebenso fehlen an der nasalen Seite des weichen Gaumens
in der an die Nasenhöhle angrenzenden Partie bei älteren Foeten die Drüsen
vollständig, bei Neugeborenen und Kindern sind sie hier in geringer Zahl
vorhanden. Sie treten zuerst spärlich in den seitlichen Partien auf und
schieben sich allmählich, je weiter man gegen den distalen Rand kommt,
bis gegen die Mittellinie vor. Auch beim Erwachsenen ist noch die gleiche
Anordnung der Drüsen zu beobachten. Es findet sich demnach auf der
Fläche des weichen Gaumens ein dreieckiges, drüsenfreies Feld, dessen
Basis an die Nase grenzt. Im foetalen Alter finden sich reichlich Schleim-
zellen in den Ausführungsgängen der Drüsen. In einzelnen Fällen sind
Gruppen von Schleimzellen grubenförmig gegen die Membrana propria des
Ausführungsganges vorgewölbt und gewinnen in dieser Gruppierung eine
gewisse Aehnlichkeit mit intraepithelialen Drüsen (Taf. II, Fig. 8). Die
Drüsen an der nasalen Gaumenfläche bewahren ihr eigenartiges von denen
der oralen Fläche verschiedenes Aussehen, welches hauptsächlich in der
geringeren Schleimproduktion und in der grösseren Zahl protoplasmatischer.
rundkerniger Drüsenzellen zum Ausdruck kommt.
Es besteht demnach eine Reihe von Merkmalen, welche die nasale
Gaumenfläche von der oralen unterscheiden. In erster Linie ist die Model-
lierung der nasalen Fläche eine mannigfaltigere durch die in der Regel
auch beim Erwachsenen vorhandene Falten- und Furchenbildung (Taf. II, Fig. 6).
Dann wurde schon wiederholt auf die Verschiedenheit der Epithelbedeckung
hingewiesen, welche selbst dann, wenn die nasale Fläche grossenteils von
geschichtetem Pflasterepithel bedeckt ist, unverkennbar bleibt. Eine weitere
Besonderheit liegt in der oberflächlichen, reichlichen Infiltration der Tunica
propria der nasalen Gaumenfläche, welche zu einer Iymphozytären Durch-
wanderung der Membrana propria und des Epithels Veranlassung gibt.
Endlich soll noch eines auffallenden Umstandes Erwähnung geschehen:
einzelne quergestreilte Muskelfasern reichen, von ziemlich starken Binde-
gewebsscheiden umhüllt an der nasalen Gaumenschleimhaut sehr nahe an
die Oberfläche heran und besonders in den Falten sind einzelne querge-
streifte Muskelfäserchen dicht unter der Membrana propria zu finden
(Taf. II, Fig.7 u.8m.). Die bemerkenswerte Feinheit einzelner dieser ober-
flächlichen Muskelfasern legt die Vermutung nahe, dass sie sich vor ihrem
Ende teilen dürften, was auch an anderen quergestreiften Muskelfasern,
die sich an Weichteilen ansetzen, regelmässig geschieht (Lippen, Zunge).
Endlich wäre noch auf die mehrfach betonte Verschiedenheit der Drüsen
als unterscheidendes Merkmal hinzuweisen.
Archiv f. Laryngologie. 28. Bd.
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Lichtdruck von Albert Frisch, Berlin W.
W. Anton, Ein transitorisches Faltensystem im Sulcus nasalis posterior. 99
5. Das gehäufte Auftreten von Schleimzellen in den Tälern der Nasen-
falten berechtigt mit grösster Wahrscheinlichkeit zu dem Schlusse, dass
das nasale Faltenwerk jedenfalls in hohem Masse einer sekretorischen
Funktion dient. Diese Annahme erscheint auch dadurch gestützt, dass zur
Zeit der besten Entwicklung dieses Faltensystems in seinem Bereiche, das
ist im hintersten Anteil der Nase und in der angrenzenden Partie des
weichen Gaumens, echte Drüsen fast gänzlich fehlen. Eine weitere Stütze
findet diese Annahme durch die vergleichend-anatomische Betrachtung: bei
den tiefstehenden Amphibien (Cryptobranchiaten), bei denen die Nasen-
schleimhaut noch keine Drüsen besitzt, begegnen wir einer ähnlichen ein-
fachen Einrichtung eines sekretorischen Apparates.
Weiter steht die Faltenbildung in gewisser Beziehung zu der Iymphoiden
Infiltration der Tunica propria, wie an anderen Stellen des lymphatischen
Rachenringes.
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1SS7. Schwalbe, G., Lehrbuch der Anatomie der Sinnesorgane.
1x2. Zuckerkandl, E., Normale und pathologische Anatomie der Nasenhöhle.
Erklärung der Figuren auf Tafel II.
Seitliche Nasenwand von einem 5 monatigen Foetus. Vergr. 3. Furchen-
bildung (f) im Sulcus nasalis posterior; vom oberen Teil derselben in
die seitliche Wand des Nasenrachenraumes iibergehend, vom unteren
Teil in die Tuba Eustachii (t) einstrahlend.
Flächenansicht der nasalen Schleimhaut des weichen Gaumens von einem
25 Tage alten Kinde. Vergr. 1!/,. Falten vom freien Rande (r) nach
vorn hin divergierend, ziemlich symmetrisch zu beiden Seiten einer fast
geradlinig verlaufenden Mittelfalte (m.f.) angeordnet.
Frontalschnitt durch den Sulcus nasalis posterior und angrenzenden
Teil des Nasenbodens von einem 6 Monate alten Foetus. Vergr. 80.
ud
°
Figur
ty
Figur
ww
Fizur
~
+
í
100 W. Anton, Kin transitorisches Faltensystem im ‘Sulcus nasalis posterior.
Figur 4.
Figur 5.
Figur 6.
Figur 8.
Figur 9.
Deutlich ausgeprägte Furchenbildung; Schleimzellen (s.z.), deren Inhalt
tief schwarz gefärbt erscheint, besonders am Boden der Furchen; Schleim-
menge nach oben hin abnehmend. d Drüse.
Frontalschnitt durch den vorderen Abschnitt des hinteren Drittels des
Nasenbodens von einem 25 Tage alten Kinde. Vergr. 113. Quer-
schnitte durch die vordersten seichten Ausstrahlungen der Falten des
Nasenbodens. Die Faltenkämme tragen ein mehrreihiges Flimmerepithel
(e.f.), die Faltentäler werden vornehmlich von Schleimzellen (s.z.) aus-
gekleidet, wodurch sie im Querschnitt intraepithelialen Drüsen ähnlich
werden. k Knochen.
Frontalschnitt durch den hintersten Teil des Septum narium von
einem 25 Tage alten Kinde. Vergr. 23. Schleimhaut von Flimmerepithel
(e.f.) bedeckt; seichte, ein wenig in die subepitheliale Region ein-
schneidende Furchen, grossenteils von Schleimzellen (s.z.) ausgekleidet.
Aehnlichkeit mit Fig. 4.
Querschnitt durch die mittlere Partie des weichen Gaumens von einem
27 Jahre alten Mann. Proximale Region, nahe der Nase. Vergr. 11. Der
Unterschied zwischen nasaler und oraler Fläche sehr deutlich. Epithel
der oralen Fläche (e.o.) geschichtetes Plattenepithel über gut aus-
gebildeten Papillen; Epithel an der nasalen Fläche nur in der Median-
region (m.f. Mittelfalte) geschichtetes Plattenepithel von geringerer
Höhe auf einer papillenarmen Tunica propria. Die angrenzenden seit-
lichen Partien reich gefaltet, von zylindrischem Epithel bedeckt. d Drüsen
an der oralen Fläche. Die nasale Gaumenfläche in der mittleren Partie
hier drüsenfrei.
Querschnitt durch die nasale Fläche des weichen Gaumens eines er-
wachsenen Menschen (27 Jahre alt) im vorderen Drittel. Vergr. 34. Dar-
gestellt ist die halbe Medianfalte (m.f.) mit angrenzenden Falten. Epithel
der Medianregion (e.m.) geschichtetes Plattenepithel auf papillen-
tragender Tunica propria. Geschichtetes Uebergangsepithel (e:k.) auf
den Kuppen der Seitenfalten, welche in ihrem Grunde mehrreihiges
Flimmerepithel (e.f.) mit eingestreuten Becherzellen tragen. m Quer-
schnitte oberflächlich gelegener, quergestreifter Muskulatur.
Vergrösserte Partie aus Fig. 7. Vergr. 304. Dargestellt ist der Grund
einer Furche, von mehrreihigem Flimmerepithel ausgekleidet. s Gruppe
von Schleimzellen, ähnlich einer intraepithelialen Driise; | lymphoide
Infiltration; m Querschnitt oberflachlich gelegener, querstreifter Muskel-
fasern.
Ausfiihrungsgang einer Driise auf der Riickflache des weichen Gaumens
von einem 6 monatigen Foetus. Vergr. 520. Im Langsschnitt getroffen.
s Schleimzellen, in Form einer intraepithelialen Driise angeordnet.
IX.
Die chronische Entzündung der Speicheldrüsen.
Von
Dr. 0. Heinemann (Berlin).
Die Entzündungen der Speicheldrüsen sind keine häufigen Erkrankungen.
Es liegt dies offenbar daran, dass dieselben gegen Infektionen sich sehr
resistent verhalten. Franchetti und Menini haben bei Hunden und
Kaninchen nahezu negative Resultate bei künstlicher Infektion gehabt. Die
Erzeugung von Stomatitis bei Kaninchen beeinflusste die Speicheldrüsen
nicht. Die Einführung von Eitererregern in den Ductus Stenonianus des
Hundes war nicht imstande, eitrige Parotitis zu erzeugen. Desgleichen
setzte die Drüse einer Infektion mit Tuberkulose bedeutenden Widerstand
entgegen. Nur bei direkter Einimpfung von Eitererregern ins Parenchym
entstand Eiterung. Bei experimentell erzeugter Septikämie waren natürlich
auch in den Speicheldrüsen die Erreger nachweisbar.
Infolge dieser Resistenz treten entzündliche Prozesse nur unter beson-
deren Umständen auf. Bei den akuten metastatischen Eiterungen findet
nach den heutigen Anschauungen die Infektion gleichfalls in der Regel von
den Speichelgängen aus statt, in welche die Erreger vom Munde aus hinein-
gelangen. Wir müssen hier annehmen, dass die Grundkrankheit (es kommt
meist Abdominaltyphus in Betracht) die Körperkräfte dermassen geschwächt
hat. dass sie der sekundären Speicheldrüseninfektion nicht mehr den
normalen Widerstand entgegensetzen. Infolgedessen haben diese Eiterungen
eine ernste Prognose, was offenbar nicht der Fall wäre, wenn sie eine
primäre Krankheit darstellten. Denn es liegt kein Grund vor, weshalb
eine Eiterung in einem Organ nicht heilen sollte, welches zum Fortbestand
des Lebens nicht unbedingt nötig ist.
Bei der Parotitis epidemica haben die uns unbekannten Erreger offen-
bar eine sehr erhebliche Virulenz. Dies geht aus der eminenten Ansteckungs-
fähigkeit hervor. Es ist auch ein Fall in der Literatur bekannt, wo der
so schwer infizierbare Hund durch Verschlingen des Speichels seines an
Parotitis erkrankten Herrn sich infizierte. Sieht man von den beiden ge-
nannten Krankheiten ab, so gehören Entzündungen der Speicheldrüsen zu
den Seltenheiten.
In besonderem Masse ist dies bei den chronischen Entzündungen der
Fall. Ich habe in der gesamten mir zugänglichen Literatur nur 35 ein-
102 0. Heinemann, Die chronische Entzündung der Speicheldrüsen.
schlägliche Fälle entdeckt und denselben sieben!) eigne Fälle hinzugefügt.
Bei dreien derselben war ich in der seltenen Lage, einen histologischen
Befund erheben zu können. Eine einheitliche Darstellung der chronischen
Speicheldrüsenentzündung ist in der Literatur nicht zu finden. Die ge-
bräuchlichen Lehrbücher beschränken sich meist nur auf Andeutungen oder
sagen garnichts darüber. Einige Autoren haben Zusammenstellungen be-
stimmter Formen der chronischen Entzündung gemacht, welche somit das
Thema nicht erschöpfen.
Man teilt die chronischen Entzündungen zweckmässig in primäre und
sekundäre ein. Die sekundären Entzündungen entstehen in Anschluss an
vorausgegangene oder fortbestehende primäre Erkrankungen anderer Art.
1. Von primärer chronischer Entzündung sind bekannt:
a) primärer chronischer Katarrh; 4 eigne Fälle.
b) rezidivierender, fibrinöser Katarrh; 15 Fälle, und zwar:
je ein Fall: Kussmaul, Stiller, Viaud (zit. nach Lubarsch-
Ostertag 1898), Naegeli-Ackerblom (ebenda), Ipscher
(zitiert nach Stiller), Johnson, Duplay, Embden (sämtlich
zitiert nach Lubarsch-Ostertag 1898), Dührssen; je 2 Fälle:
Weber, Chassaignac (zitiert nach Dührssen), Lüders.
c) entzündliche Tumoren, 10 Fälle:
je 1 Fall: Jayle (zitiert nach Küttner), Reinbach (zitiert
nach Lubarsch-Ostertag 1898), Tietze (zit.nachThayssen),
3 Fälle: Steinhaus (zitiert nach Thayssen).
2. Von sekundärer, chronischer Entzündung sind bekannt 13 Fälle:
a) nach chronischem Verschluss des Ductus Wharton: 1 eigner Fall.
b) nach Steinbildung: 1 Fall Krönlein (zitiert nach Küttner),
1 Fall Langemak, 1 eigner Fall.
c) nach Parotitis epidemica: 1 Fall Thayssen, 1 eigner Fall.
d) nach Typhus abdominalis: 1 Fall Abadie.
e) nach Tabes dorsalis: 1 Fall Klippel et Lefas.
f) nach Zahnextraktion: 1 Fall Jayle (zitiert nach Kiittner),
1 Fall Küttner.
g) nach Luftgeschwulst der Parotis: 1 Fall Lange (?), 1 Fall
Narath, 1 Fall Jaccoud (zitiert nach Dührssen).
Bei vorstehender Zusammenstellung ist die Mikuliczsche Krankheit
nicht mitgezählt. Dieselbe besteht in symmetrischer Schwellung sämtlicher
Speichel- und Tränendrüsen. Man findet histologisch Neubildung
Iymphadenviden Gewebes mit Keimzentren und zahlreichen Kernteilungs-
figuren. Nach Ansicht sämtlicher Autoren mit Ausnahme von Hirsch
(zitiert nach Thayssen), handelt es sich hiernach nicht um einen ent-
zündlichen Prozess, sondern um eine Blutkrankheit. In der Tat waren von
den etwas über 30 Fällen Mikulicz’scher Krankheit, die bisher bekannt sind,
drei mit Pseudoleukämie kombiniert (Thayssen, Plate u. Lewandowsky).
1) Inzwischen ist ein achter, unten beschriebener Fall hinzugekommen,
O. Heinemann, Die chronische Entzündung der Speicheldrüsen. 103
Die chronischen Entzündungsprozesse der Speicheldrüsen bestehen dem
Wesen nach aus denselben pathologisch-anatomischen Veränderungen, wie
bei allen anderen drüsigen Organen, nämlich Rundzelleninfiltration und
Bindegewebsbildung in allen Stadien, verbunden mit sekundärem Untergang
der spezifischen Drüsenepithelien und Ersatz derselben durch Bindegewebe.
Ist gleichzeitig das System der Speichelgänge beteiligt, so sind Ent-
ziindungsprozesse derselben vorhanden, und wenn ein totaler Verschluss
des Ausführungsganges bestand, Erweiterung derselben. Namentlich ein
Vergleich mit der Leberpathologie liegt nahe. Wir werden sehen, dass
interstitielle Hepatitis, chronischer Gallengangsverschluss durch Steine oder
Narben, eitrige Entzündung der Gallengänge bei den entsprechenden Vor-
sängen in den Speicheldrüsen ihre Analoga finden. Sogar die sekundären
Wucherungen der Gallengänge bei chronischen Entzündungsprozessen finden
in den Veränderungen der Speichelgänge nach experimentellem Verschluss
des Ausführungsganges geeignete Vergleichsobjekte. Für die Deutung
histologischer Befunde von Bedeutung ist die Angabe einiger Autoren, dass
normaler Weise die Speicheldrüsen Iymphoides Gewebe enthalten sollen.
Tatsächlich hat Grawitz beim Affen Iymphoide Zellen gefunden. Neisse
(zitiert nach Virchows Archiv Bd. 201) fand bei 14 Neugeborenen und
Föten normalerweise 8—14 Lymphdriisen oder Follikel in der Parotis, und
ähnlich auch in der Submaxillaris. Dies beweist indes nichts für den
Erwachsenen, da ja bekanntlich lymphoide Organe der Säuglings- und gar
der Fötalzeit beim Erwachsenen vollkommen verschwinden können (Mark
der langen Röhrenknochen, Thymus, Rachenmandel). E. Lefas hat auch
beim Erwachsenen das normale Vorkommen Iymphoiden Gewebes in den
Speicheldrüsen behauptet. Er fand bei „Lymphadenie“* und bei „gewissen
infektiösen Krankheiten, welche mit Vergrösserung der regionären Lymph-
drüsen verbunden waren“, bald im Parenchym, bald in der Nachbarschaft
der intralobulären Ausführungsgänge kleine längsgestreckte Rundzellen-
haufen und versteigt sich zu der Behauptung, dass sie normal seien und
nichts mit der lymphoiden Erkrankung seiner Fälle zu tun haben. Welche
Erkrankungen Lefas vor sich gehabt hat, ist aus obiger Nomenklataur
nicht mit Sicherheit zu erkennen. Gemeint sind wohl vorzugsweise leu-
kimische und pseudoleukämische Prozesse. Namentlich bei Leukämie
besteht ja die Tendenz zur Ablagerung lIymphoider Zellen in allen Körper-
drüsen. Die Behauptung von Lefas muss daher zurückgewiesen werden.
Ribbert, Berlin, Tietze (zitiert nach Thayssen), sowie Thayssen selbst,
haben bei chronischen Entzündungsprozessen auch Iymphoide Umwandlung
des Bindegewebes konstatiert. Ich selbst habe dies in meinen Fällen nicht
ersehen und möchte mich daher zunächst etwas skeptisch zu diesen Angaben
verhalten. Am nächsten liegt es doch sicherlich, Randzellenanhäufungen
bei entzündlichen Prozessen als Entzündungsprodukte zu betrachten. Nur
das Vorhandensein von Keimzentren ist meiner Meinung nach in solchen
Fällen für die lymphoide Natur der Zellanhäufungen beweisend. Einige
Autoren geben allerdings an, solche Keimzentren konstatiert zu haben.
104 0. Heinemann, Die chronische Entzündung der Speicheldrüsen.
Auf der anderen Seite wird für die entzündliche Natur der Rundzellen
sprechen, wenn sie von dem interlobulären Bindegewebe aus in das Drüsen-
parenchym eindringen und wenn sich mehrkernige Zellen in grösserer Zahl
finden. Thayssen will noch die Plasmazellen zur Unterscheidung heran-
ziehen. Er sieht das Vorhandensein von Plasmazellen als Zeichen an,
dass sich aus dem Infiltrat Bindegewebe bilde, dass es sich also um kein
Iymphoides Gewebe, welches ja stationär bleibt, handeln könne. Diese
Schlussfolgerung ist trügerisch. Denn einmal sind nach Hannes in den
Tränendrüsen, und daher vermutlich auch in den anatomisch fast gleichen
Speicheldrüsen, normalerweise Plasmazellen vorhanden; dann aber ist der
Uebergang von Plasmazellen in Bindegewebe wohl vermutet, aber nicht mit
Sicherheit bewiesen. In der neuesten mir bekannten Arbeit über das Thema
von W. Ceelen, welche aus dem Berliner pathologischen Institut stammt
(zitiert nach Münchener med. Wochenschr. 1913. Nr. 11. S. 601), wird
dies ausdrücklich hervorgehoben.
Bei akuten Speicheldrüsenentzündungen sind von Virchow (zitiert
nach Nothnagel und König) feinere Veränderungen der Drüsenepithelien
beschrieben, bestehend in Degeneration, Trübung und fettigem Zerfall.
Ich habe in meinen chronischen Fällen kein grosses Gewicht auf die
Konstatierung derselben gelegt. Es ist zu vermuten, dass auch hier
leichtere derartige Veränderungen vorkommen, aber ich halte es für ausser-
ordentlich schwierig, wenn nicht unmöglich, dieselben von den normalen
Veränderungen, in Folge des Sekretionszustandes, zu unterscheiden. Das
Aussehen und die Körnung wechselt ja bekanntlich ausserordentlich hierbei.
Die verschiedenen Speicheldrüsen weisen ausserdem Verschiedenheiten des
Aussehens der Drüsenlumina auf, und auch die histologische Behandlung
der untersuchten Drüsen gibt je nachdem ganz verschiedene Bilder. Im
frischen Präparat sind die sekretgefüllten Zellen gross und enthalten zahl-
reiche Körnchen der verschiedensten chemischen Reaktion. An alkohol-
fixierten Präparaten hingegen sind dieselben Zellen hell und absolut
körnchenfrei. Bei Sublimatfixierung treten sie wiederum hervor. Die
sckretarmen Epithelien sind hingegen an frischen Präparaten klein und
arm an Körnchen; an Alkoholpräparaten ist es umgekehrt.
Ueberdie Funktionsstörungen bei chronischen Speicheldrüsenentzündungen
ist nichts bekannt. Bei Sekretverhaltung und totalem Untergang des
Parenchyms kann selbstverständlich von irgend einer Funktion nicht die
Rede sein. Aber auch bei leichteren Erkrankungen leidet anscheinend die
Funktion erheblich. In dem von mir weiter unten beschriebenen Fall von
primärem chronischem Katarrh ist mir aufgefallen, dass die absolut frisch
konservierte Submaxillaris nur sehr spärliche sekrethaltige Alveolar-
epithelien enthielt. Ganz besonders in die Augen fallend ist der Unter-
schied beim Vergleich mit der normalen Submaxillaris der Katze. Hier
sieht man die überwiegende Mehrzahl der Alveolen mit sekretstrotzenden
Zellen gefüllt. Aehnliche Armut an sekrethaltigen Zellen zeigte sich in
meinem Fall von sekundärer Entzündung nach Parotitis epidemica. In
O. Heinemann, Die chronische Entzündung der Speioheldrüsen. 105
beiden Fällen war das entzündliche Agens von den Speichelgängen aus
eingedrungen. Hingegen waren in der exstirpierten noch zu erwähnenden
Sublingualis ziemlich reichlich sekretgefüllte Zellen da. Hier lag indessen
keine Affektion der Speichelgänge vor. Die nicht spezifische Entzündung
war von der Kapsel aus eingedrungen.
Die allgemeinen Symptome chronischer Entzündung sind abnorme
Sekretion: schleimig, schleimig-eitrig oder rein eitrig, sowie Anschwellung
der erkrankten Drüse. Letztere ist das wichtigste Symptom, welches auf
die Krankheit hinleiten muss. Die subjektiven Beschwerden sind, abgesehen
von den mit rezidivierender Verstopfung des Ausführungsganges einher-
gehenden Fällen, auffallend gering oder fehlen ganz. Hierdurch erscheinen
diese Krankheiten seltener als sie in Wirklichkeit sind, da sie eben nicht
bemerkt werden.
Die leichteste Form der primären chronischen Entzündung ist der
chronische Katarrh der Speicheldrüsen. Ich habe diesen Namen gewählt,
weil er sich am besten mit den Symptomen und den histologischen Ver-
änderungen deckt. Diese Krankheit ist anscheinend in der Literatur un-
bekannt. Ich habe nirgends, trotz eifrigen Suchens, derartige Fälle ent-
deckt oder auch nur Andeutungen darüber gefunden. In dem Nothnagel-
schen Handbuch findet sich nur eine Bemerkung, die man allenfalls auf
die Krankheit beziehen könnte. Sie lautet: „Es gibt eine chronische Ent-
zündung der Speichelgänge (selten) mit konsekutiver Induration des Ge-
webes der Parotis ohne Speichelverhaltung.* Die Krankheit gibt ein
wohl charakterisiertes Krankheitsbild. Ich habe im ganzen 4 Fälle be-
obachtet, und verfüge auch über einen histologischen Befund von einer
exstirpierten Driise. Die Krankheit kann jede Speicheldrüse befallen, eine
oder mehrere zugleich oder hintereinander. Ueber die Aetiologie habe
ich nichts eruieren können. In einem Falle waren !/, Jahr vorher Masern
vorausgegangen. Das wesentlichste Symptom ist die abnorme Sekretion
aus dem Ausführungsgang. Dieselbe kann schleimig, schleimigeitrig oder
rein eitrig sein und kontrastiert somit auffallend mit dem normalen wasser-
hellen Speichel. Drückt man von aussen auf die Drüse, so kann man
einen oder eine ganze Anzahl Tropfen des Sekrets aus dem Ausführungs-
gang herausdrücken. Die Mündung des Duct. Whartonianus liegt bekanntlich
unter der Zungenspitze, auf der Spitze der Caruncula sublingualis. Der
Duct. Stenonian. miindet auf der Wange gegeniiber dem 2. Molaris. Diese
Miindungen des Ausführungsganges sind anscheinend regelmässig gerötet
und geschwollen. Ausserdem ist eine mässige, aber vollkommen deutliche
Schwellung der ganzen Drüse vorhanden, so dass man deren Konturen
durch die Haut wahrnehmen kann. Die Schwellung ist eine weiche. Eine
Anschwellung der Parotis ist als solche sofort mit Sicherheit zu erkennen.
Auch die geschwollene Sublingualis ist leicht zu identifizieren, da sie un-
mittelbar unter der Schleimhaut des Mundbodens liegt. Hingegen kann
man eine entsprechende Schwellung in der Submaxillarisgegend nicht ohne
weiteres auf die Drüse beziehen, da ja in derselben Gegend zahlreiche
106 O. Heinemann, Die chronische Entzündung der Speicheldrüsen.
Lymphdrüsen liegen. die aus den verschiedensten Ursachen schwellen
können. Die Schwellung gehört nur dann der Submaxillaris an, wenn bei
Druck auf dieselbe Sekret aus der Mündung des Whartonschen Ganges tritt.
Zur sicheren Diagnose ist ferner die Sondierung des Ausführungsganges
erforderlich, um sekundäre Eiterung infolge Steinbildung auszuschliessen.
Da in seltenen Fällen auch Steine in der Drüsensubstanz selbst liegen
können, so wird ausnahmsweise die Sonde dieselben nicht erreichen können.
In solchen Fällen sind dieselben nach dem Vorgange von Killian nur
durch das Röntgenbild zu erkennen.
Meine Fälle sind folgende:
1. 16jähriges Mädchen. Weiche Anschwellung der linken Parotisgegend,
schmerzlos. Bei Druck auf die Drüse entleert sich Eiter aus dem Stenonschen
Gang. Sondierung fand nicht statt, da die Erkrankung von mir ausserhalb und
gelegentlich einer anderen Erkrankung zufällig entdeckt wurde. Doch war in dem
bekanntlich gut abtastbaren Ductus Stenonian. und in der Drüsensubstanz selbst
nichts Hartes zu fühlen. Beschwerden bestanden nicht und eine Behandlung fand
nicht statt.
2. Offiziersfrau, 40 Jahre alt, hatte eine rundliche Anschwellung der linken
Submaxillarisgegend. Bei Druck auf die ziemlich weiche Geschwulst entleert sich
dicker Eiter in Menge von etwa 10 Tropfen aus dem Ductus Whartonian. Eine
Sondierung des Ganges wies keine Konkremente auf. Die vorgeschlagene Exstir-
pation der Driise wurde abgelehnt. Das weitere Schicksal des Falles ist mir
unbekannt.
3. Frau K., etwa 55 Jahre alt. Seit einigen Monaten ziehende Schmerzen
im Munde, erst rechts, dann links unter der Zunge. Heftigkeit derselben nicht
bedeutend. Beide Duct. Wharton. in ihrem Verlauf unter der Schleimhaut zu
erkennen und anscheinend verdickt. Leichte Schwellung der linken Sublingualis.
Bei Druck von aussen und innen zugleich auf die Drüse kommt weissliches Sekret
heraus. Rechts kein Sekret. Beide Gänge erwiesen sich bei Sondierung leer. Es
hatte vermutlich rechts gleichfalls Sekretion bestanden, die aber spontan versiegt
war. In den linken Gang wurden etwa 4 mal in 3tägigen Zwischenräumen
Injektionen von 2 proz. Arg. nitric.-Lösung gemacht und die Papillae sublinguales,
welche geschwollen waren und leicht bluteten, damit bepinselt. Danach ver-
schwanden Beschwerden und Sekretion. Es hat sich hier um eine sehr leichte
Form gehandelt.
4. A.L., 32 Jahre alt. Seit über 15 Jahren Beschwerden in der linken Sub-
maxillarisgegend. Vor !/, Jahr ein akut entzündlicher Nachschub, bestehend in
schmerzhafter Schwellung, welche allmählich zurückging. Zur Zeit bestehen noch
leicht ziehende Schmerzen. Patient ist sehr neurasthenisch und fürchtet, die
Krankheit könne krebsartig werden. Befund: Leichte Schwellung in der Sub-
maxillarisgegend, so dass die Konturen der Drüse sichtbar sind. Die Anschwellung
ist weich, leicht empfindlich. Die Mündung des Ausführungsganges ist im Gegen-
satz zur anderen Seite gerötet und geschwollen. Bei Druck auf die Geschwulst
entleert sich aus der Mündung des Ausführungsganges weissliches, schleimiges
Sekret, welches Patient auch spontan bemerkt hat. Sondierung negativ. Die vor-
geschlagene Exstirpation der Drüse wird akzeptiert. Operation in Chloroform-
narkose. Schnitt zwischen Kiefer und Zungenbein, parallel denselben. Die Drüse,
welche normalerweise locker zwischen zwei Faszienblättern (der Halsfaszie) ein-
0. Heinemann, Die chronische Entzündung der Speicheldrüsen. 107
gebettet liegt, ist mit denselben verwachsen und muss scharf ausgeschält werden.
Unterbindung der Maxill. externa. Die Heilung zog sich infolge Fadeneiterung
etwas in die Länge, erfolgte aber rasch nach Ausstossung des Unterbindungsfadens.
Die Sekretion aus dem Ductus Wharton. verschwand zunächst. Dann begann sie
von Neuem und gleichzeitig begann die Sublingualis derselben Seite zu schwellen.
Injektionsbehandlungmit 2 proz. Arg.nitric.-Lösung ohne Erfolg. Es wurde die Exstir-
pation auch der Sublingualis verabredet, doch kam es nicht dazu, da Patient weg-
blieb. Die entfernte Drüse war auf dem Durchschnitt gerötet und wies zahlreiche
Blutpunkte auf. Die gröberen Speichelgänge, soweit sie mittels feiner Schere dar-
stellbar waren, hatten gerötete Schleimhaut. Mikroskopisch!) zeigten sich alle
Speichelgänge (Vergleich mit normalem Präparat) leicht erweitert. Zahlreiche blut-
gefüllte Gefässlumina sichtbar. Die Wand und Umgebung der gröberen Speichel-
gänge und Gefässe, hier und da auch die feineren Speichelgänge, war kleinzellig
infiltriert, jedoch nur herdweise. Die Infiltration erstreckte sioh hier und da auch
auf das Bindegewebe der Drüsenläppchen, die Drüsenazini erwiesen sich aber im
allgemeinen ganz intakt. Nur an einer Stelle war die intralobuläre Rundzellen-
anhaufung so stark, dass ein oder zwei Drüsenazini zugrunde gingen. Hier und
da sieht man Rundzellen innerhalb der Drüsengangsepithelien, ein nicht patho-
logischer Befund. Die Drüsenepithelien zeigten auffallend starke Körnung. Holle,
sekretgefüllte Zellen sehr spärlich ?).
Eine zweite Form des primären chronischen Katarrhs der Speichel-
drüsen ist der rezidivierende, fibrinöse Katarrh. Einige Autoren nennen
denselben auch Sialodochitis fibrinosa und wollen damit sagen, dass es
sich lediglich um einen Katarrh des Ausführungsganges handelt. Diese
Auffassung ist jedoch nicht richtig. Denn in allen genauer beschriebenen
Fällen der Literatur bestand auch in der Ruhe eine mässige Schwellung
der Drüse, mit Ausnahme des ersten, durch Kussmaul bekannt ge-
wordenen Falles. Es ist zu vermuten, dass die Krankheit zunächst mit
einem Katarrh des Ausführungsganges beginnt und mit der Zeit auf die
feineren Gänge in der Drüsensubstanz übergeht. Ein pathologisch-ana-
tomischer Befund existiert nicht, da keiner der Fälle operiert wurde. Die
Zahl der bekannten Fälle ist eine relativ grosse, es sind 15 Fälle Von
diesen waren 11 Fälle (Weber, Stiller, Kussmaul, Ipscher, Dührssen,
Duplay, Embden, Naegeli-Ackerblom, Johnson, Viaud) voll-
kommen typisch. Meist war die Parotis befallen, mehrfach doppelseitig.
Im Falle von Ipscher war es die Submaxillaris. Es bestand in der Ruhe
1) Demonstration des Präparates in der Sitzung der Berliner Laryngolog.
Gesellschaft vom 11. Juli 1913.
2) Als zufälligen Nebenbefund ohne erhebliche pathologische Bedeutung
möchte ich noch das Vorkommen zahlreicher Mastzellen im Bindegewebe dor Drüse
erwähnen. Ausserdem fanden sich noch hyaline Degenerationsprodukte, die sich
namentlich mit Hämatoxylin stark färbten, teils in den Lumina der feineren
Speichelgänge, teils anscheinend frei im Bindegewebe. Letztere waren von regel-
mässiger, rundlicher Gestalt und zeigten deutliche Schichtung. Ich spreche sie als
Corpora amylacea an und stelle mir ihre Entstehung vor aus einem hyalin dege-
nerierten Driisenquerschnitt.
108 0. Heinemann, Die chronische Entzündung der Speicheldrüsen.
mässige Schwellung der Drüse. Diese Schwellung vergrösserte sich in
einzelnen Anfällen, welche mit Rötung und Schmerzhaftigkeit der Drüse
verbunden waren, und dadurch ein Ende fanden, dass fibrinöse Gerinnsel
sich aus der Oeffnung des Ausführungsganges spontan entleerten oder vom
Kranken durch instinktiv auf die Drüse ausgeübten Druck herausgepresst
wurden. Die Gerinnsel waren in einem Falle mehrere Zentimeter lang.
Solche Anfälle wurden bei demselben Kranken eine ganze Anzahl be-
obachtet. In einem Falle von Weber (die Beobachtung stammt aus
Senators Klinik) litt der Kranke ausserdem an Miliartuberkulose, und die
fibrinösen Pfröpfe mussten aus beiden Duct. Stenon. täglich entfernt werden.
Der Autor gibt an, schon Griesinger habe darauf aufmerksam gemacht,
dass die Bildung solcher Pfröpfe des Duct. Stenon. bei bewusstlosen
Typhösen keine Seltenheit sei. In einem Falle von Dührssen traten die
Anfälle gar alle 2—3 Stunden auf. Nach Entleerung des fibrinösen
Pfropfes folgte meist Speichel, zuweilen auch Eiter, und der Kranke hatte
eine gewisse Zeit Ruhe. Ueber den schliesslichen Ausgang ist nur von
2 Fällen etwas bekannt. Bei dem Falle von Kussmaul lernte der Kranke
schliesslich sich selbst mit einem feinen Platindraht sondieren und so die
Verstopfung beseitigen. Der Dührssensche Fall heilte unter Massage
radikal aus. Auch die in der Ruhe bestehende Parotisschwellung ver-
schwand. Das ist indes der einzige Fall von sicher konstatierter Heilung.
Die übrigen Fälle scheinen ungeheilt geblieben zu sein. Es restieren noch
4 Fälle dieser Rubrik, bei welchen fibrinöse Gerinnsel nicht konstatiert
sind. Sie scheinen hierher zu gehören, sind indessen nicht genau genug
beschrieben, um dies mit Sicherheit behaupten zu können. In dem einen
Fall von Chassaignac (zit. nach Dührssen) ist nur ein Anfall beobachtet.
Es kam zunächst auf Druck Eiter heraus, welchem Speichel folgte. Man
wird in ersterem wohl einen erweichten fibrinösen Pfropf vermuten können.
Im 2. Fall von Chassaignac handelt es sich um einen 22jährigen Mann,
welcher seit der Pubertät an anfallsweise auftretender Parotitis mit Eiter-
absonderung litt. In 2 Fällen von Lüders bestanden anfallsweise auf-
tretende Parotisschwellungen, welche jeder Behandlung trotzten.
Die dritte Form primärer chronischer Entzündung sind die entzünd-
lichen Tumoren. Hiervon sind 10 Fälle bekannt. . Acht Fälle waren voll-
kommen gleichartig. Betroffen waren einmal Submaxillaris, einmal Sub-
maxillaris und Sublingualis,in den übrigen Fällen die Parotis. Die Erkrankung
verlief unter dem Bilde langsam wachsender Tumoren, zum Teil verbunden
mit akut entzündlichen Nachschüben. Es wurde anscheinend immer ein
maligner oder auf Malignität verdächtiger Tumor diagnostiziert und die
Drüse exstirpiert. Ob dies bei der Parotis immer angebracht war, und ob
die Autoren bei Kenntnis der Gutartigkeit des Tumors die Operation vor-
genommen hätten, möchte ich in Anbetracht der Grösse des Eingriffs be-
zweifeln. Es wird wohl Fazialislähmung die regelmässige Folge gewesen
sein, obwohl dies vorsichtigerweise nicht gesagt wird. In 3 Fällen ist ein
mikroskopischer Befund erhoben worden. Derselbe war ein ganz gleich-
O. Heinemann, Die chronische Entzündung der Speicheldriisen. 109
artiger: Rundzelleninfiltration, Bindegewebsneubildung und Untergang von
Drüsengewebe. Genaue Beschreibungen hat Küttner in seinen beiden
Fällen geliefert. Die entzündlichen Veränderungen waren ungleichmissig
verteilt. Es fanden sich stark und schwach veränderte Partien. In den
schwach veränderten Partien war Rundzelleninfiltration um die grösseren
Gefasse und Speichelröhren. Sie ging von da auf das interacinöse Binde-
gewebe über, doch waren die Drüsenzellen gut erhalten. In den stärker
veränderten Partien nahm die Infiltration des interazinösen Bindegewebes
zu, sodass die Drüsenzellen dadurch verdeckt wurden und schliesslich zu
Grunde gingen. Gleichzeitig nahm das extralobuläre Bindegewebe zu. Auch
die Drüsenkapsel war bindegewebig verdickt und mit der Umgebung ver-
wachsen, sodass die Drüse bei der Operation schwer ausschälbar war.
Bakterienfärbungen waren negativ. In einer exstirpierten Sublingualis fand
sich ein akzessorischer kirschkerngrosser Stein. Küttner hält ihn nicht
für die Ursache der Erkrankung. Ich. schliesse mich seiner Meinung an.
Es sind ja analoge Tatsachen bei der Leber bekannt. So findet man bei
Carcinom der Gallenblase sehr häufig akzessorische Gallensteine. In allen
diesen geschilderten Fällen finden sich zu meiner Verwunderung keine An-
gaben über etwaiges pathologisches Sekret. Es ist zu vermuten, dass dies
in einer Anzahl von Fällen vorhanden war, aber übersehen wurde. Deni die
Krankheit stellt im Prinzip nur einen höheren Grad der von mir beim
chronischen Speicheldrüsenkatarrh beschriebenen Veränderungen dar. Es
ist möglich, dass sich die eine Erkrankung aus der anderen entwickeln
kann.
In dem Falle von Reinbach handelt es sich um einen chronisch ent-
zündlichen Tumor beider Sublinguales bei einem kleinen Kinde. Es waren
harte, höckerige Tumoren unter der Zunge. Sie wurden exstirpiert und
bestanden aus Granulationsgewebe, in welches Epithelzapfen von der Schleim-
hautoberfläche sich tief hinein erstreckten. Reinbach vermutet eine in-
fektiöse Ursache und gibt an, die Krankheit komme in Süditalien bei kleinen
Kindern ziemlich häufig vor und führe oft unter den Erscheinungen der
Kachexie zum Tode. In dem Fall von Tietze handelte es sich um einen
Parotistumor, der exstirpiert wurde. Ausser dem gewöhnlichen Befund der
kleinzelligen Infiltration des Bindegewebes, Untergang des Drüsengewebes
und Ersatz desselben durch Bindegewebe, fanden sich Protozoen in den
Ausführungsgängen. Dieser Befund ist einzigartig.
Die häufigste Ursache sekundärer Entzündungsprozesse der Speichel-
drüsen sind Verschluss der Speichelgänge, oder Steine in denselben oder
im Parenchym. Der Verschluss kann zu Stande kommen durch Ver-
klebungen, Narben und Steine. Die pathologisch-anatomischen Verände-
rungen sind unabhängig von der Ursache des Verschlusses. Bekannt sind
ja die akuten Schwellungen der Speicheldrüsen, besonders der Submaxillaris,
wenn ein kleiner Stein an der Mündung des Ausführungsganges, seiner
engsten Stelle, sitzt und nicht durch kann. Diese von Bruns so genannte
Speichelgeschwulst geht in die chronische Form über, wenn die verschliessende
110 0. Heinemann, Die chronische Entzündung der Speicheldrüsen.
Ursache nicht beseitigt wird. Der weitere Verlauf hängt davon ab, ob zu
den Symptomen des absoluten Verschlusses noch die der Infektion, also
der Eiterung, hinzutreten. In ersterem Falle verschwinden die anfänglichen
Schmerzen, es bleibt nur eine mehr oder weniger starke Schwellung zurück.
und auch diese kann schliesslich in Atrophie der Drüse übergehen. Ich
möchte hier bemerken, dass der Verschluss ausnahmslos an der äusseren
Mündung des Ausführungsganges sitzt. Strikturen im Verlaufe des Ganges
habe ich selbst nicht beobachtet. Mir ist auch aus der Literatur kein
solcher Fall bekannt; die Möglichkeit des Vorkommens soll natürlich nicht
bestritten werden. Am besten studiert sind die entzündlichen Veränderungen
des absoluten Verschlusses auf experimentellem Wege bei Tieren. Eine
scharfe Trennung dieser künstlich erzeugten entzündlichen Veränderungen
in akute oder chronische Formen ist richt möglich. Es bleibt dem Be-
lieben überlassen, zu welchem Zeitpunkt des Verschlusses man einen
chronischen Prozess annehmen will.
Viborg 1797 und Telschinsky 1876 (zit. nach Langemak) kon-
statierten bei Unterbindung der Gänge, dass zunächst Drüsenschwellung,
dann Atrophie eintrat. Dagegen hatte Rolando (ebenda) noch 3 Monate
nach Verschluss des Ganges keine Veränderungen. In neuerer Zeit haben
Marcochi und Bizzozero, sowie Langemak an Hunden, Brusis an
Kaninchen experimentiert. Brusis fand bis zu 4 Wochen nach Unter-
bindung des Ausführungsganges der Submaxillaris nichts Abnormes. Später
nach 8—14 Wochen fand er die Ausführungsgänge dilatiert, jedoch keine
Cystenbildung. Die Dilatation nahm zu mit der Dauer der Unterbindung
und war am stärksten in einem 14wéchigen Fall. Die Driisenacini ver-
schwanden allmählich ganz, an ihrer Stelle traten tubulöse Gänge auf.
Das Epithel der gröberen Ausführungsgänge erwies sich stark. gewuchert,
und hatte bis zu 16 Lagen. Das Bindegewebe nahm zu, namentlich um
die grösseren Gänge. Ebenso nahm die Rundzelleninfiltration des Binde-
gewebes mit der Unterbindungszeit zu.
Marcochi und Bizzozero (zit. nach Langemak) fanden bei Hunden
nach 2monatiger Unterbindung des Duct. Stenonian. die Ausführungsgänge
erweitert, wiederum ohne Zystenbildung. Das Parenchym war auch hier
in ein Gewirr von Tubuli verwandelt, von denen es ungewiss war, ob es
veränderte Acini oder gewucherte Speichelröhren waren. Das Epithel war
abgeplattet und zeigte Infiltration mit mehrkernigen Zellen.
Langemak unterband den Ausführungsgang der Submaxillaris bei
Hunden und exstirpierte die Drüse nach 1—25 Tagen. Er hat also nur
frischere Formen untersucht. Auch er fand die Ausführungsgänge erweitert,
bis auf das 5fache, und mit Speichel prall gefüllt. Auch die Acini waren
erweitert, in beiden das Epithel abgeplattet, Das Bindegewebe war im
Anfang nur ödematös, später vermehrt, mit geringer Rundzelleninfiltration.
Hauptsächlich war die Bindegewebsbildung um die grösseren Gefässe und
Gänge bemerkbar. Das Drüsenparenchym war reduziert, und die Drüse
daher geschrumpft.
O. Heinemann, Die ohronische Entzündung der Speicheldrüsen. 111
Die Resultate vorstehender Untersuchungen stimmen gut miteinander
überein. Es ist anzunehmen, dass auch beim Menschen die histologischen
Veränderungen dieselben sind. Was Sicheres lässt sich jedoch nicht sagen,
denn es existieren keine reinen Fälle von spontanem chronischem Verschluss
beim Menschen. Artefiziell ist jedoch früher öfter ein solcher absoluter
Verschluss herbeigeführt worden. Man hat zur Heilung von Speichelfisteln
die Unterbindung des Duct. Stenonian. vorgenommen. Danach trat zunächst
Anschwellung der Parotis auf, danach Atrophie. Histologische Befunde
hierüber fehlen jedoch. Es ist nur ein akuter Fall von Langemak be-
kannt, wo ein absoluter Verschluss durch einen erbsengrossen Stein seit
10 Tagen bestand. Es fand sich Vermehrung des Bindegewebes und stellen-
weise starke Rundzelleninfiltration. Erweiterung der Gänge ist nicht
erwähnt.
Die Drüsenatrophien infolge absoluten Verschlusses werden kaum zur
ärztlichen Kenntnis kommen, da sie keine Symptome machen. Eine atrophische
Submaxillaris ist nicht diagnostizierbar, bei der Sublingualis und Parotis
wird dies eher möglich sein.
Tritt nun zu den Symptomen des absoluten Verschlusses Infektion
hinzu, so wird sich statt des gestauten Speichels Eiter hinter dem Hindernis
ansammeln, und derselbe wird anfänglich die dilatierten Gänge erfüllen.
Ex ist denkbar, dass schliesslich auch eine chronische Vereiterung der
Drüsensubstanz eintritt Obwohl ich in der Literatur solche Fälle nicht
zefunden habe, ersehe ich doch aus kurzen Angaben einiger Lehrbücher,
dass sie öfter vorgekommen sind. Ich selbst habe eine derartige Beobachtung
gemacht, die ich zur Illustration mitteile:
Major M. hatte seit einigen Monaten eine Schwellung der linken Submaxillaris,
die allmablich zunahm. Bei der Untersuchung fand sich in der Driisengegend ein
steinharter, gut abgegrenzter Tumor von etwas über Taubeneigrösse. Der Duct.
Whartonianus im Munde war bleistiftdick geschwollen und mit dem Finger durch
die Mundschleimhaut gut fühlbar. Somit war es klar, dass der Tumor der Sub-
maxillaris angehörte. Die Mündung des Duct. Whartonianus war verklebt. Nach
Kokainisiernng wurde dieselbe mit einer feinen Augensonde durchstossen. Es
stürzte sofort Eiter hervor, unter Nachlass aller Beschwerden. Nach schriftlicher
Mitteilung, einige Wochen später, trat Heilung ein.
Etwas anders liegt die Sache, wenn die Steine kein absolutes Hindernis
für den Sekretabfluss bilden, sondern denselben nur mehr weniger behindern.
Alsdann treten Stauungserscheinungen und Dilatation der Gänge in den
Hintergrund. Es kann normaler Speichel entleert werden, welcher am
Steine vorbeifliesst, und die entzündlichen Erscheinungen sind lediglich
Folge des chronischen Reizes von Seiten des Steines; oder aber der Speichel
wird mit Eitererregern infiziert, er wird eitrig, und die entzündlichen Er-
scheinungen beruhen dann auf der Kombination von Stein und Eiter. Da
das Kanalsystem der Sublingualis ziemlich unabhängig vom Duct. Wharton.
sein kann, wenn nämlich die Drüse einen eignen Duct. Bartholini hat, so
kann die Drüse trotz Eiterausfluss aus dem Duct. Whartonianus von Eiterung
112 0. Heinemann, Die chronische Entzündung der Speicheldrüsen.
verschont bleiben, und lediglich von der Kapsel aus bindegewebig erkranken.
In der Literatur sind zwei solche Fälle bekannt, ich selbst habe einen
dritten beobachtet!).
Krönlein (zitiert nach Küttner) operierte einen Kranken, welcher
seit 10 Jahren eine Anschwellung der Submaxillaris hatte. Bei der Operation
zeigte sich ein Stein im Duct. Wharton. von 3,5 cm Länge und 2 cm Dicke.
Vom Munde aus war nichts wahrzunehmen, auch kein Eiterausfluss.
Langemak beobachtete folgenden Fall: Hühnereigrosse Geschwulst
der Submaxillaris. Früher hatten sich öfter Steine aus dem Duct. Whartonianus
entleert, seit 12 Jahren nicht mehr. Es bestand jedoch nur ein partieller
Verschluss. Das Leiden bestand seit 20 Jahren. Totalexstirpation. In
dem erweiterten Ausführungsgang lag ein dattelkerngrosser Stein, ein zweiter
im Parenchym. Die Drüse war auf dem Durchschnitt weiss, glänzend, die
Septen zwischen den Läppchen stark verbreitert. Mikroskopisch war das
Kapselbindegewebe verdickt, ebenso das extralobuläre Bindegewebe. Das-
selbe war zellarm und enthielt an einigen Stellen Rundzellen. Das intra-
lobuläre Bindegewebe war reich an einkernigen Rundzellen. Die Aus-
führungsgänge waren fast garnicht erweitert, das Bindegewebe um dieselben
vermehrt. Imı Bindegewebe fanden sich auch Fettzellen.
Ich selber habe gleichfalls einen einschlägigen Fall beobachtet. Der-
selbe stellt wegen der Begleiterscheinungen eine grosse Merkwürdigkeit
dar. Er hat nämlich anscheinend eine ganze Anzahl Kollegen zu einer
irrtümlichen Carcinomdiagnose veranlasst).
0.W., Zehdenick, leidet seit 1O Jahren an einer harten Geschwulst im Munde,
welche allmählich an Grösse zunahm und Perioden erhöhter Schmerzhaftigkeit zeigte,
während deren die Nahrungsaufnahme erschwert war. Er ist Besitzer eines Spree-
kahns, und hat auf seinen Fahrten eine ganzeReihe Aerzte konsultiert, meist wohl
in kleineren Orten. Einige erklärten die Krankheit direkt für Krebs. Andere
sagten garnichts und verschrieben Tropfen, vermutlich Jodkali oder Arsen. Den
Rat zur Operation gab keiner. Endlich beschloss Patient sich doch operieren zu
lassen. Er begab sich zu dem Zweck nach Berlin in ein sehr renommiertes
Universitätsinstitut. Er wurde jedoch abgewiesen mit der Begründung, er sei
nicht mehr operabel. Am folgenden Tage kam er mit vorstehender Anmnese zu
mir. Ich muss gestehen, dass ich zunächst auch glaabte, ein Schleimhautkarzinom
des Mundbodens vor mir zu haben. Denn eine frappantere Aehnlichkeit ist kaum
möglich. Es bestand ein grosser Tumor von ausserordentlicher Härte in der linken
Seite des Mundes, zwischen Zunge und Kiefer, und dieser Tumor war fest und
unbeweglich mit der Innenseite des Unterkiefers verwachsen.
Unter der Voraussetzung, dass ein Carcinom vorlag, war die Verweigerung
der Operation durchaus berechtigt. Schleimhautcarcinome geben an sich schon
eine schlechte Prognose. Bei Verwachsung mit dem Knochen ist vollends die
Möglichkeit radikaler Heilung durch Operation sehr gering. Der Fall liegt schon
einige Jahre zurück. Radium-, Mesothorium- und Röntgentherapie waren damals
1) Inzwischen ist ein vierter hinzugekommen, siehe Nachtrag.
2) Wegen des grossen allgemeinen Interesses habe ich den Fall im Jahrgang
1913 der Münchener med. Wochenschrift veröffentlicht. Ich wiederhole hier der
Einheitlichkeit der Darstellung wegen die Beschreibung in den wesentlichen Punkten.
O. Heinemann, Die chronische Entzündung der Speicheldrüsen. 113
noch nicht so in Mode wie heute. Technisch war indessen dieOperation sehr wohl
ausführbar, und ich überlegte, ob dies Zweck habe. Hierbei fiel mir einiges auf,
was mit der Carcinomdiagnose nicht so recht stimmen wollte. Zunächst die lange
Dauer der Krankheit. Ein Schleimhautcarcinom wird keine 10 Jahre ertragen,
sondern führt spätestens nach 2 Jahren zum Tode. Ferner waren unter den vor-
liegenden Umständen Drüsenmetastasen am Halse mit Sicherheit zu erwarten.
Diese fehlten aber auffallenderweise vollkommen. Endlich sah Patient garnicht
kachektisch aus, sondern war stets arbeitsfähig gewesen. Ich untersuchte noch
einmal kombiniert: eine Hand von aussen, die andere vom Munde aus, und kon-
statierte hierbei, dass Eiter aus einer Fistelöffnung im vorderen Drittel der Ge-
schwulst hervorkam. Ich führte eine Sonde in die Fistel ein und kam sofort auf
einen Stein. Die eigentliche Ooffnung des Duct. Whartonianus an der Caruncula
subling. war hingegen verschlossen. Am näohsten Tage exstirpierte ich die Ge-
schwulst vom Munde aus in Lokalanästhesie. Sie bestand aus dem stark er-
weiterten Duct. Whartonianus, in welchem ein sehr grosser Stein lag, und der fest
mit ihm verwachsenen Sublingualis. Die Verwachsungen mit dem Kiefer waren
lediglich bindegewebiger Natur. Ihre Lösung war nur mit Raspatorium möglich.
Die Innenfläche des Kiefers war normal, nicht arrodier. Das hintere Ende des
Steins ragte in eine kirschgrosse Abszesshöhle hinein, welche den Verlauf des
Duct. Whartonianus kurz vor seinem Eintritt in die Submaxillaris unterbrach. Die
Wundhöhle heilte unter Tamponade in etwa 3 Wochen. Der entfernte Stein ist
3.5 cm lang und etwa 1,5 cm dick. Er ragt mit seinem spitzen vorderen Ende bis
dicht an die verschlossene Mündung des Ausführungsganges. Die mitentfernte
Sublingualis sieht auf dem Durchschnitt weiss glänzend aus, wie in dem eben
beschriebenen Langemakschen Fall. Mikroskopisch!) findet man die Drüsen-
kapsel stark verdickt. Von ihr gehen weite Bindegewebszüge in das Innere der
Drüse hinein. An anderen Stellen sieht man starke Rundzellenanhäufung unter
der Kapsel und diese schickt gleichfalls ihre Ausläufer in das Innere der Drüse.
Diese ist in der Mitte des Parenchyms verhältnismässig wenig affiziert. Hieraus
ist zu schliessen, wie ja auch aus den makroskopischen Verhältnissen hervorging,
dass der entzündliche Reiz von aussen durch die Kapsel eindrang, nicht von den
Speichelgängen aus. Diese Art der Entzündung hat nichts Spezifisches. Jeder
beliebige entzündliche Reiz ist hierzu geeignet. Ich benutze die Gelegenheit, auf
eine physiologische Beobachtung aufmerksam zu machen. Bei derOperation wurde
der Duct. Whartonianus samt derSublingualis entfernt, und dieSubmaxillaris blieb
ohne Ausführungsgang zurück. Ich konnte beim Wechsel der Tamponade den Rest
desGanges noch eine Reihe von Tagen sondieren, ehe er dem Anblick entschwand.
Drückte man von aussen auf die Submaxillaris, so kam dicker, glasiger Speichel
heraus. Ich erwähne dies, weil in dem bekannten Lehrbuch der Physiologie von
Tigerstedt sich die Angabe findet, derSubmaxillarisspeichel sei zunächst dünn-
flüssig, werde aber erst an der Luft dick und zähe. Meine Beobachtung wider-
spricht dem. Zweitens trat in der desAusführungsganges beraubten Submaxillaris
keine Anschwellung auf. Ich habe den Patienten ein Vierteljahr darauf noch ein-
mal gesehen. Man muss also annehmen, dass die Drüse der einfachen Atrophie
verfallen ist, nachdem eine Zeitlang der aseptische Speichel ins Gewebe reaktions-
los eingeflossen ist.
1) Das Präparat wurde von mir in der Sitzung der Berliner Laryngologischen
Gesellschaft vom 11. Juli 1913 demonstriert. .
Archiv für Laryngologie. 28. Bd. 1. Heft. 8
114 0. Heinemann, Die chronische Entzündung der Speicheldrüsen.
Sekundäre Speicheldrüsenentzündung ist ferner nach Infektionskrank-
heiten beobachtet. Ziegler und Orth erwähnen nach Parotitis epidemica
auftretende knotenförmige Entzündungsprozesse in der Parotis. Dies ist
aber auch das einzige, was darüber zu finden ist. Thayssen hat einen
hier zu erwähnenden Fall beschrieben. Es fand sich ein entzündlicher
Parotistumor bei einem kleinen Kinde, welches kurz vorher eine nicht
spezifische Parotitis überstanden hatte. Es wurde, vermutlich wegen Ver-
dacht der Malignität, die Totalexstirpation gemacht. Der mikroskopische
Befund zeigte überall Infiltration des Bindegewebes, die auf Alveolen und
Ausführungsgänge überging. Das Infiltrat bestand jedoch aus adenoidem
Gewebe mit zahlreichen Keimzentren. Es fanden sich Leukozyten und
Lymphozyten, Plasmazellen und sparliche Mastzellen. Dieser Befund zeigte
eine gewisse Aehnlichkeit mit der Mikulicz’schen Krankheit und kann
daher nicht als reiner Entziindungsfall gelten.
Einen solchen habe ich indessen beobachtet.
Herr G., etwa 30 Jahre alt, hatte vor einem halben Jahre Ziegenpeter, welcher
nach seiner Angabe normal verlief. Indes zeigte sich nach einigen Monaten
höckerige Geschwülste der linken Parotisgegend. Sie waren schmerzlos, Patient
wollte sie aber aus kosmetischen Gründen entfernt haben. Es waren drei Tumoren
von etwas über Kirschgrösse, ziemlich weich, und nicht scharf vom normalen
Gewebe abgrenzbar. Es war daher möglich, bereits jetzt die richtige Diagnose zu
stellen und eine Verwechselung mit dem häufigsten Parotistumor, der Mischge-
schwulst, zu vermeiden. Diese macht auch höckerige Tumoren, diese sind jedoch
sehr hart anzufühlen, wenngleich sie im Innern bereits erweicht sein können.
Schnittführung parallel dem Facialisverlauf, Keilexzision aus dem Parotisgewebe,
keine Facialisparese oder -paralyse. Heilung. Nach einem Jahre rezidivfrei.
Ich habe mikroskopische Schnitte aus dem Zentrum und der Peripherie
eines solchen Knotens gemacht!). Im Zentrum des Knotens war jegliches
Drüsengewebe verschwunden. Es fand sich nur Bindegewebe in allen
Stadien der Entwicklung. An einigen Stellen sah man grosse Rundzellen-
haufen, an anderen breite, an anderen schmale Spindelzellen, ferner Binde-
gewebe aus langen, gestreckten Kernen, ähnlich glatter Muskulatur, endlich
zellarmes fibrilläres Bindegewebe. Alles dieses neugebildete Gewebe war
reichlich mit Rundzellen durchsetzt. An den Randpartien des Knotens sah
man breite Bindegewebszüge das Drüsengewebe durchsetzen. Daneben
waren Rundzellenhaufen, welche in das Drüsengewebe eindrangen, die
Driisenliippchen iiberfluteten, so dass dieselben an manchen Stellen gar
keine, an anderen nur wenig erhaltene Alveolen zeigten. Melhrkernige
Rundzellen waren nur spärlich. Die Infiltration war am stärksten um die
grossen Speichelgänge herum, deren Wand bedeutend verdickt erschien.
Danach ist das entzündliche Agens von den Speichelgängen aus einge-
drungen. Man nimmt dies ja bei der Parotitis epidemica auch allgemein an.
1) Demonstration in der Sitzung der Berliner Laryngologischen Gesellschaft
vom 11. Juli 1913.
O. Heinemann, Die chronische Entzündung der Speicheldrüsen. 115
Bei Abdominaltyphus und anderen Infektionskrankheiten kommen be-
kanntlich akute, sogenannte metastatische Eiterungen vor. Abadie hat
indessen auch einen Fall von chronischer Entzündung der Submaxillaris
und Vereiterung derselben beobachtet. Er betraf einen 24jährigen Soldaten,
welcher einige Zeit vorher Typhus abdominalis gehabt hatte.
Auch entzündliche Prozesse aus der Nachbarschaft können auf die
Speicheldrüsen übergehen. Akute derartige Speicheldrüsentumoren sind
öfter vorgekommen. Es sind indessen auch 2 Fälle chronischer Erkrankung
von Jayle (zit. nach Kiittner) und Kiittner beschrieben. Beide traten
nach Zahnextraktion am Oberkiefer auf und hatten tumorartigen Charakter.
Es wird also eine Oberkieferperiostitis die Parotis in Mitleidenschaft ge-
zogen haben. Eine solche Entzündung hat natürlich keinerlei spezifischen
Charakter und kann alle möglichen Ursachen haben. In dem einen Falle
fand sich an der Ausmündungsstelle des Stenonschen Ganges eine derbe
Infiltration des Ganges, welche dilatiert wurde. Im anderen Falle bestand
keinerlei Eiterausfluss aus der Drüse und kein Abszess, sondern nurSchwellung.
Ein pathologisch-anatomischer Befund fehlt.
Scheier hat eine ausführliche Monographie über die sogenannte Luft-
geschwulst der Parotis bei Glasbläsern veröffentlicht. Die Krankheit kommt
nach ihm bei 6 pCt. der Glasbläser vor, und zwar ausschliesslich solchen,
welche mit vollen Backen blasen. Die Schleimhaut des Stenonschen
Ganges ist hier gerötet, seine Mündung trichterförnig erweitert. Es sind
auch sporadische Fälle dieser Krankheit bei anderen Berufsarten bekannt.
Auch die Submaxillaris kann von der Erkrankung befallen sein. In der
kegel finden sich entzündliche Erscheinungen hierbei nicht. Die durch
den Stenonschen Gang bis in die feineren Verzweigungen eindringende
Luft bewirkt eine plötzliche Schwellung der Drüse. Durch Kompression
lässt sich die Luft ausdrücken, entweicht mit Knistern und die Schwellung
verschwindet. Ausnahmsweise können sich indessen auch entzündliche Er-
scheinungen hinzugesellen. Lange hat einen solchen Fall beschrieben.
Es bestand kein Eiterausfluss, aber die affizierten Drüsen waren auch in
der Ruhe schmerzhaft. Es traten hier 2mal wöchentlich nach Husten-
anfällen akute Schwellungen sämtlicher Speicheldrüsen auf, die nach
ı —!/, Stunde verschwanden. Auch Narath berichtet über einen Fall.
Er betraf eine Parotis. Narath nahm die künstliche Verengerung des
Ganges vor, doch kam es nachträglich zur Stenose des Ganges. Nach Son-
dierungen traten Entzündungserscheinungen auf, und Patient ward erwerbs-
unfähig. Narath entschloss sich daher zur Totalexstirpation der Parotis.
Er will jedoch trotzdem in ähnlichen Fällen die künstliche Verengerung
des Stenonschen Ganges wiederum versuchen. Denn die entstandene
Parotitis war anscheinend ein zufälliges Ereignis, veranlasst durch über-
mässige Verengerung des Ganges und Sekretstauung. Um einen reinen
Fall von sekundärer Entzündung der Luftgeschwulst handelte es sich aber
zweifellos bei Jaccoud (zit. nach Diihrssen). Der Patient litt an 7—S8mal
sich wiederholender Anschwellung der Parotisgegend mit lebhaftem Schmerz.
S*
116 0. Heinemann, Die chronische Entzündung der Speicheldrüsen.
Bei Druck von aussen entleerte sich unter Knistern Luft und Eiter aus dem
Duct. Stenon. Beim Aufblasen der Backen drang Luft in beide Gang-
miindungen ein. |
Endlich habe ich noch eine Kuriosität zu erwähnen. Klippel und
Lefas veröffentlichen den Fall eines Tabikers, welcher an jahrelangem
Speichelfluss von enormer Stärke litt. Es fanden sich zirkumskripte Ent-
zündungsherde, welche sowohl Bindegewebe als Acini umfassten und
katarrhalische Entzündung des Ausführungsganges. Es liegt hier also ein
leichter Entzündungsprozess vor, welchen man wohl als sekundären chro-
nischen Katarrh bezeichnen kann, veranlasst durch übermässige und an-
dauernde Sekretion.
Ueber die Diagnose und Therapie der chronischen Speicheldrüsen-
entzündung habe ich das Erforderliche eigentlich schon bei Beschreibung
der einzelnen Fälle gesagt. Es erübrigen sich noch einige zusammen-
fassende Bemerkungen. Zunächst das für die Behandlung dieser seltenen
Erkrankungen erforderliche besondere Instrumentarium. Bei dem Reichtum
an Instrumenten in unserer Disziplin, welcher weit über das Bedürfnis
hinaus zunimmt und jährlich eine ganze Anzahl unnützer oder überflüssiger
Instrumente neben zweifellos guten und notwendigen (ich erinnere nur an
die Bronchoskopie) zeitigt, habe ich auf die Erfindung neuer Speichel-
drüseninstrumente vollkommen verzichtet. Ich bediene micl ausschliesslich
des Instrumentariums, welches die Augenärzte zur Behandlung der Tränen-
wege seit Jahren besitzen. Dieses ist wie geschaffen für unseren Zweck.
Zunächst braucht man feine Sonden. Die gewöhnlichen chirurgischen
Sonden sind viel zu dick. Von Kussmaul sind Platinsonden, von Killian
Haarsonden empfohlen worden. Statt des heutzutage sehr teuren Platin-
drahtes wird es feiner Silber- oder Bronzedraht, wie er zur chirurgischen
Naht benutzt wird, auch tun. Killian scheint Sonden, aus einem Pferde-
haar bestehend, zu meinen, wie sie in der Osteologie zur Sondierung feiner
Knochenkanäle gebräuchlich sind. Diese dünnen Sonden sind entschieden
unbequem zu handhaben, sie sind jedoch unentbehrlich, wenn eine Striktur
im Verlauf eines Speichelganges sich findet. Nach meiner Erfahrung sitzen
diese jedoch immer an der Gangmündung. Ich bin daher stets ohne diese
dünnen Sonden ausgekommen, und habe mich ausschliesslich der Augen-
sonden bedient. Diese dienen bekanntlich zur Sondierung der Tränenwege,
haben in der Mitte ein Schild zum bequemen Anfassen, und können in be-
liebiger Dicke oder vielmehr Dünne geliefert werden. Schleift man sie am
Ende noch etwas spitz, so kann man bequem Verklebungen der Gang-
miindungen lösen. Gelingt es nicht, mit der Sonde genügend weit vorzu-
dringen, so stehe ich davon ab, und greife zu einem sogenannten Tränen-
fisttelmesser. Am zweckmässigsten ist das Bowmannsche. Dasselbe ist
bekanntlich ein sehr feines, schwach gekrümmtes Sichelmesser, dessen Spitze
in eine kurze, vollkommen starre, etwa 1/ cm lange Knopfsonde ausläuft.
Dasselbe wird nach Kokainisierung möglichst weit in die Gangmündung
hineingeschoben und dann aufgerichtet. Die Verengerung ist durchschnitten
O. Heinemann, Die chronische Entzündung der Speicheldrüsen. 117
und verwächst in der Folge nur unwesentlich. Man kann nunmehr sogleich
ziemlich dicke Augensonden einführen und überzeugt sich, dass hinter der
äusseren Mündung der Ausführungsgang durchaus nicht eng ist.
Zur Injektionsbehandlung kann man sich gleichfalls der zur Behand-
lung des Tränennasenkanals gebräuchlichen Spritzen bedienen, welche grade
und gebogene feine Kanülen besitzen. Indes, eine gewöhnliche Pravaz-
spritze ist ebenso gut, wenn man sich deren nicht zu dünne Kanülen auf
einem Schleifstein stumpf schleift, was sehr leicht gelingt. Meine Er-
fahrungen beschränken sich indes nur auf 2 behandelte Fälle, und nur auf
den Duct. Wharton. Die zu injizierende Menge betrage 0,5—1,0 cem.
Man injiziere langsam, bis der Patient anfängt, über Druck zu klagen, und
höre dann auf. Bei der Parotis wird bei deren viel erheblicheren Grösse
mehr Flüssigkeit injiziert werden müssen. Ich schätze die Quantität auf
etwa 2—3 ccm.
Die Behandlung der primären chronischen Katarrhe soll sich in erster
Linie gegen das krankhafte Sekret richten. Falls die von mir angewandten
Höllensteinlösungen nicht zum Ziele führen, steht nichts im Wege, andere
adstringirende oder desinfizierende Flüssigkeiten zu verwenden, z. B.
Protargol, Argentamin, kolloidales Silber, Jod-Jodkalilösung, Quecksilber-
uxyzyanid, Tannin. Handelt es sich um fibrinösen Katarrh, so sind alka-
lische Flüssigkeiten für die Gerinnsellösung vielleicht besser, wenngleich
bisher keinerlei Erfahrungen dariiber vorliegen, da meines Wissens vor mir
noch Niemand eine Injektionsbehandlung beschrieben hat, wenngleich sie
ziemlich nahe liegt. Auch regelmässige Sondierungen und Schlitzungen
der Gangmündung sind zweckmässig und praktisch geübt. Indes gehört
hierzu wenigstens einige Uebung, die man sich am besten durch Sondierung
normaler Fälle erwirbt. Wer diese Uebung noch nicht besitzt, dem rate
ich, zunächst sich am Duct. Wharton. zu versuchen. Die Caruncula sublin-
gualis unter der Zunge ist nicht zu übersehen. Auf ihrer Spitze liegt die
Gangmündung und ist, nötigenfalls mit Lupe, immer zu finden. Hingegen
lasse man sich nicht abschrecken, wenn die Sondierung des Duct. Stenon.
nicht gleich gelingen will. Die Mündung ist zuweilen leicht auf der Wange
gegenüber dem 2. Molaris zu sehen; zuweilen aber garnicht, anch nicht mit
Lupe, da jede papillenartige Erhebung fehlen kann, namentlich bei Kindern.
Ich bekenne offen, dass sowohl mir als auch anderen diese Sondierung nicht
immer gelungen ist.
Auch Massagebehandlung ist wegen ihrer sekretentleerenden Wirkung
zuweilen angezeigt. Wie schon erwähnt, wurde der einzig geheilte Fall
von rezidivierendem chronischem Katarrh hiermit geheilt.
Als ultimum refugium bleibt noch die Exstirpation der kranken Drüse.
Dieselbe unterliegt prinzipiellen Bedenken nicht, da bei dem Reichtum von
6 Speicheldrilsen eine oder zwei ohne Nachteil entbehrt werden können.
Hier ist auch der Ort, über Tierexperimente zu berichten, welche
unternommen wurden, um die Folgen der Drüsenexstirpation zu studieren.
C. Fehr fand, dass der Hund die Exstirpation sämtlicher Speicheldrüsen
118 0. Heinemann, Die chronische Entzündung der Speicheldrüsen.
ohne Schaden erträgt. In neuerer Zeit haben Pignatte-Morano an
Kaninchen experimentiert. Hier bewirkte die Exstirpation sämtlicher Drüsen
den Tod unter Symptomen von Seiten des Zentralnervensystems. Die
Transplantation in die Bauchhöhle konnte die Tiere in der Hälfte der
Fälle retten, in der anderen Hälfte den Tod um 2 Monate verzögern. Die
Autoren meinen, ihre Experimente sprächen für eine innere Sekretion der
Drüsen. Es würden demnach ähnliche Verhältnisse wie bei der Schilddrüse
vorliegen, von welcher ?', ohne Nachteil exstirpiert werden können.
Die Totalexstirpation der Parotis wegen chronischen Katarrhs ist nicht
erlaubt, da die leichte Erkrankung in keinem Verhältnisse zu der Grösse
des Eingriftes steht. Ausserdem hat sie fast unausbleiblich totale Facialis-
lähmung im Gefolge. Es mutet mich sonderbar an, wenn ich in dem
grossen Handbuch von Nothnagel die Bemerkung lese, bei Totalexstir-
pation der Parotis müsse auf den Fazialis Rücksicht genommen werden.
Ich habe nur einmal gelesen, dass ein Autor behauptete, den Fazialis er-
halten zu haben (bei malignem Tumor NB.) Ob dies bei normalem Fazialis-
verlauf überhaupt möglich ist, bleibe dahingestellt. Mir selbst ist die
Schonung des Nerven nicht gelungen, und ich habe sehr renommierte
Chirurgen sich vergeblich damit abmühen sehen. Er musste schliesslich
doch geopfert werden. Der Fazialis verläuft innerhalb der Drüsensubstanz.
Wenn diese pathologisch verändert ist, hier meist bindegewebig, so ist es
kaum möglich, am Lebenden die einzelnen Aeste, welche im Parenchym
selbst fächerförmig divergieren, herauszupräparieren. Hingegen hat bei
Sublingualis und Submaxillaris die Exstirpation keinerlei Bedenken. Sie
stellt hier einen ganz unerheblichen Eingriff dar. Die Sublingualis wird
am bequemsten vom Mund aus exstirpiert. Sie liegt zwischen Zunge und
Kieferrand, letzterem anliegend. Bei diinner Mundschleimhaut, meist bei
älteren Frauen, sieht man sie im ganzen Verlaufe häufig durch die Schleim-
haut durchschimmern. Erst kürzlich konnte ich durch die Schleimhaut
hindurch den Duct. Wharton. als weisslichen Strang an der medialen Seite
der Drüse erkennen. (Auch der Stenonsche Gang kann unter ähnlichen
Verhältnissen, aber auch bei kleinen Kindern, eine kurze Strecke als weiss-
licher Strang hin und wieder gesehen werden.) Zur Exstirpation der Drüse
führt man einen Längsschnitt durch die Mundschleimhaut, parallel dem
Kieferrand. Die Drüse kommt sofort zum Vorschein. Falls keine schwereren
Veränderungen oder Verwachsungen entstehen, kann man sie ohne Mühe
vom Duct. Wharton. abpräparieren, falls dieser erhalten werden soll. Allein
allzu grosse Rücksicht braucht man auf denselben nicht zu nehmen. Man
kann ihn ruhig mitentfernen und die normale Submaxillaris ohne Aus-
führungsgang im Körper zurücklassen. Ich habe dies in zwei Fällen getan,
in dem oben erwähnten Steinfall und in einem Fall von Cyste der Sub-
lingualis. In keinem Falle hat sich die Submaxillaris irgendwie bemerkbar
gemacht. Sie ist offenbar ohne Nebenerscheinungen atrophiert. Die Wund-
behandlung besteht in Tamponade, die Heilung erfolgt in etwa 14 Tagen.
Die Exstirpation der Submanillaris erfolgt rationell nur vom Halse
O. Heinemann, Die chronische Entzündung der Speicheldrüsen. 119
aus. Sie liegt in dem Winkel zwischen den beiden Bäuchen des Digastricus,
zwischen oberflächlichem und mittlerem Blatt der Halsfaszie. Nach vorn
von ihr liegt der Hypoglossus, der unbedingt geschont werden muss, nach
hinten die Maxillaris externa, die ich meist unterbunden habe. Die Schnitt-
führung geschieht zwischen Kiefer und Zungenbein, beiden parallel. Die
Wunde heilt in der Regel unter einem Verband.
Muss man beide Drüsen exstirpieren, so kann dies in einem Akt nur
vom Halse aus geschehen, durch äussere Operation. Oder man exstirpiert
zuerst die Submaxillaris von aussen und die Sublingualis vom Munde aus.
Ich würde jedoch ersteres vorziehen, da man dann streng aseptische Wunden
erzielen kann. Beide Drüsen vom Munde aus zu exstirpieren, hat meines
Wissens noch keiner versucht. Es würde durchaus fehlerhaft sein. Denn
die Entfernung des Mundwinkels von der Submaxillaris beträgt etwa 10 cm.
In dieser Entfernung kann man Hypoglossus und Maxillaris externa nicht
vermeiden. Sollte dies doch gelingen, so würde doch eine Gegeninzision
am Halse erforderlich sein, um einen Senkungsabszess am Halse zu ver-
meiden. Weshalb also sich eine solche Mühe machen?
Bei den entzündlichen Tumoren ist selbstverständlich die Exstirpation
bei Sublingualis und Submaxillaris das einzig Richtige. Bei der Parotis
wird zu erwägen sein, ob die Entstellung durch den Tumor oder die
Fazialislähmung das geringere Uebel ist. Doch wird vermutlich eine solche
Erörterung eine rein akademische sein. Denn in der Praxis wird ohne
weiteres wegen Verdachts eines malignen Tumors und aus Mangel einer
sicheren Diagnose die Totalexstirpation gemacht werden.
Die sekundären Entzündungen sind genau nach den obigen Prinzipien
zu behandeln. Nur wird man, falls es möglich ist, die primäre Ursache
vorher beseitigen. Bei Verengerungen und Verklebungen des Ausführungs-
ganges wird man diesen mit dem Tränenfistelmesser schlitzen. Zuweilen
genügt die einfache Durchstossung der Verklebung mit der Sonde. Steine
entfernt man, indem man auf dieselben inzidiert. Selbstverständlich macht
man bei der Parotis die Inzision von innen, um die sehr unangenehmen
Speichelfisteln zu vermeiden. Die von Narath ausgeführte Totalexstirpation
der Parotis wegen entzündlicher Luftgeschwulst wird wohl immer ein
eızeptionelles Mittel bleiben. Knotenförmige fibröse Wucherungen in der
von mir beschriebenen Art an der Parotis entfernt man durch Partial-
operationen. Führt man den Schnitt parallel dem Verlauf der betreffenden
Fazialisäste, so werden in Betracht fallende Paresen ausbleiben.
Nachtrag zu Seite 113.
Vor kurzem habe ich einen weiteren hierhergehörigen Fall sekundärer
Entzündung infolge Steinbildung beobachtet. Auch er bereitete der Diagnose
erhebliche Schwierigkeiten, da er unter dem Bilde einer akuten Lymph-
adenitis am Halse verlief.
120 0. Heinemann, Die chronische Entzündung der Speicheldrüsen.
Frau B., Friseursgebilfenfrau, erschien Sonntag, den 27. Juli d.J. in meiner
Sprechstunde wegen Anschwellung der rechten Seite des Halses und unerträglicher
Schmerzen. Befund: In der seitlichen Halsgegend, dicht am horizontalen Kiefer-
ast beginnend, und von ihm nicht scharf abgrenzbar, grosse, harte, entzündliche
Geschwulst, bis etwa in die Mitte des Halses hinabreichend und ohne scharfe
Abgrenzung in die normalen Teile übergehend. Also das typische Bild einer
Lymphadenitis, wie man sie nach Scharlach und Diphtherie, ferner nach Kiefer-
periostitis infolge Zahnkaries, so häufig beobachtet. Die Kranke gab jedoch an,
schon früher an solchen Entzündungen gelitten zu haben, und vor 6 Jahren sei
aus einer Oeffnung im Munde Eiter herausgekommen. Bei Inspektion der Mund-
höhle zeigte sich der Mundboden unter der Zunge stark vorgetrieben, so dass die
geschwollene Schleimhaut die obere Kante der unteren Schneidezähne berührte.
An der Berührungslinie zeigte die Schleimhaut einen schmalen Streifen croupösen
Belags, welcher zufällig so gelegen war, dass er über die rechte Caruncula sub-
lingualis hinwegzog und so die Mündung des Ductus Wharton. völlig verschloss.
Mittelst feiner Sonde entfernte ich an dieser Stelle den Belag und drang eine kurze
Strecke in die Gangmiindung ein. Es quoll sogleich reichlicher Eiter hervor,
namentlich, als ich von aussen auf die Geschwulst drückte, und Patientin fühlte
sich sehr erleichtert. Ich führte schliesslich noch einmal die Sonde ein und kam
in etwa d cm Tiefe auf einen Stein. Ich empfahl Exstirpation der Submaxillaris
nach Ablauf der akuten Entzündung, doch hat sich Pat. nicht mehr blicken lassen,
offenbar wegen Pauperismus. Sie gehörte dem Publikum an, welches die hiesigen
Polikliniken bevölkert, und da diese am Sonntag geschlossen sind, hatte sie sich
in der Not an mich gewandt.
Ein Irrtum in der Diagnose ist in diesem Falle wohl nicht möglich;
denn es gibt kaum ein charakteristischeres Gefühl, als wenn eine Metallsonde
auf Stein trifft. Ich stelle mir den Fall so vor, dass, ganz wie bei dem
vorigen Falle, der seit Jahren in der Submaxillaris oder im Anfang des
Ductus Wharton. liegende Stein einen chronischen Entzündungsprozess mit
eitrigem Ausfluss aus der Gangmündung veranlasst hat und dass yon Zeit
zu Zeit gleichfalls akute entzündliche Nachschübe kamen. Beim letzten
Male waren diese deshalb so stark, weil durch Verschluss des Ausführungs-
ganges durch croupöses Exsudet totale Eiterverhaltung eintrat.
Aus den beiden vorbeschriebenen Fällen geht hervor, dass die Dia-
snose der Speichelsteine zuweilen ausserordentliche Schwierigkeiten macht,
welche die Anwendung der Sonde unbedingt verlangen.
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X.
Ueber
Tonsillitis chronica fossularis des Seitenstrangs.
(Pharyngitis lateralis chronica fossularis.)
Von
Dr. Oswald Levinstein (Berlin).
Als Folge die Schleimhaut unseres Schlundes treffender chronischer
Reize mechanischer, chemischer, thermischer oder auch bakterieller Natur
können an solchen Stellen des Schlundes, die infolge ihrer histologischen
Struktur hierzu prädisponiert sind, neue Tonsillen entstehen, die Verfasser,
da sie normaliter nicht vorhanden sind, ihre Entstehung vielmehr einem
pathologischen Reizzustande der betreffenden Schleimhautpartie verdanken,
als „pathologische“ Tonsillen bezeichnet hat (vgl. Levinstein, Archiv f.
Laryngol. 1912. Bd. 26. Heft 3). Prädisponiert für die Entstehung solcher
„pathologischen“ Tonsillen sind nun alle diejenigen Stellen im Bereiche
des Schlundes, die schon unter normalen Verhältnissen sich durch einen
Reichtum an Lymphozyten im subepithelialen lockeren Bindegewebe aus-
zeichnen; der letztere wiederum findet sich in der Regel überall dort, wo
die Schleimhaut eine grössere Anzahl von Drüsen beherbergt, über denen
sich dann, und zwar wiederum mit Vorliebe um die Drüsenausführungs-
gänge herum, die Rundzellen ansammeln. Werden nun solche Stellen des
Schlundes von Insulten der oben erwähnten Art getroffen, so bilden sich
hier zunächst infolge einer ausserordentlichen Vermehrung der Iymphatischen
Elemente im lockeren Bindegewebe zirkumskripte Vorwölbungen, die alle
Eigenschaften zeigen, die Verfasser (Archiv f. Laryngol. Bd. 22. Heft 2)
für eine Tonsille fordert, und daher als solche anzusprechen sind. Nach
Untersuchungen des Verfassers (Archiv f. Laryngol. Bd. 21. Heft 2) sind die
Granula der hinteren Rachenwand bei der Pharyngitis granulosa und die
geschwollenen Seitenstränge (Plicae salpingo-pharyngeae) bei der Pharyn-
gitis lateralis als solche durch die Schleimhaut treffende Reize hervorgerufene
neue Tonsillen anzusprechen, ausserdem hat Verfasser jüngst (Archiv f.
Laryngol. Bd. 26. Heft 3) eine solche am seitlichen Zungenrande beschrieben.
In bezug auf das klinische Verhalten der normalen Tonsille wissen wir,
dass sie in charakteristischer Weise chronisch und akut erkranken kann:
im ersteren Falle sprechen wir von einer Tonsillitis chronica, im letzteren
von einer Angina. Verfasser hat ein Angina des Seitenstrangs beschrieben
O. Levinstein, Ueber Tonsillitis chronica fossularis des Seitenstrangs. 123
(Archiv f. Laryngol. Bd. 23. Heft 3), und auch die vom Verfasser beobachtete
Tonsille des Zungenrandes war an Angina erkrankt. Die akute Entziindung
des Granulum der hinteren Rachenwand wird häufig beobachtet. Was die
chronische Entzündung der „pathologischen Tonsillen“ anbelangt, so hat
Verfasser eine solche des Granulum beschrieben (vgl. Fig. „Granulum mit
Pfropf* der „Histologie der Seitenstränge*) und ebenso das Vorhanden-
sein von Pfröpfen in dem chronisch entzündeten Seitenstrang am histo-
logischen Präparate demonstriert (vgl. Fig. 3 in letztzitierter Arbeit). Es
ist ihm bisher jedoch nicht gelungen, die Bedeutung der fossularen
chronischen Seitenstrangentzündung in klinischer Beziehung ein-
wandfrei darzulegen und hierdurch zugleich in bezug auf die Therapie
dieser in anatomisch-histologischer Beziehung so interessanten Erkrankung
neue Fingerzeige zu geben. In jüngster Zeit hat nun Verfasser einen Fall
von Tonsillitis chronica fossularis des Seitenstrangs zu behandeln Gelegen-
heit gehabt, der ihm für die Klinik dieser Erkrankung so bedeutungsvoll
erscheint, dass er die Mitteilung desselben nicht unterlassen zu dürfen glaubt.
Es handelt sich um die l15jährige Arbeiterin Erna S., die zur Zeit des Auf-
suchens der Sprechstunde am 4. Februar 1913 seit etwa 1 Jahr über Kitzeln im
Halse und Hustenreiz, der zu starken, die Patientin sehr belästigenden Husten-
stüssen führt, klagt. Lunge gesund, Nase, Kehlkopf o. B. Bei der Inspektion
des Rachens entdeckt man das Vorhandensein leicht geschwollener und geröteter
Seitenstränge, an denen sich vereinzelte kleine, nicht über das Niveau der übrigen
Oberfläche herausragende grauliche Punkte vorfinden. Es wird die Diagnose
Pharyngitis lateralis chronica gestellt, und Patientin zunächst mit Pinselungen
mit Glyco-Thymoline längere Zeit hindurch behandelt. Sodann wird, als durch
diese Behandlung trotz Vermeidung aller die Rachenschleimhaut reizender Speisen
und Getränke vonseiten der Kranken nach einigen Wochen keine Besserung erzielt
ist, der Husten vielmehr völlig unverändert bestehen bleibt, diese Therapie auf-
gegeben, und jetzt die Aetzung der Seitenstränge mit Trichloressigsäure vorge-
nommen. Jedoch auch hiernach bleibt der Husten unverändert bestehen. Nun-
mehr wird eine Verschorfung der Fossulae der Seitenstränge, soweit diese die
Anwesenheit der erwähnten graulichen Punkte (Pfröpfe) zeigen, mittels des galvano-
kaustischen Spitzbrenners vorgenommen. Nach 4 Tagen ist das Kitzelgefühl im
Halse und der Husten verschwunden und in den nächsten Monaten, solange Pat.
in Beobachtung blieb, nicht wiedergekommen. Die Pfröpfe in den Fossulae bleiben
dauernd verschwunden.
Wie aus der kurz angeführten Krankengeschichte hervorgeht, wurde
die Patientin zunächst in der bei der Pharyngitis lateralis üblichen Weise
mit Pinselungen und, als diese versagten, mit Aetzungen der Seitenstränge
mit Trichloressigsäure behandelt. Uffenorde, dem wir eine ausführliche
Arbeit über die Klinik der Pharyngitis lateralis (Archiv f. Laryngol. Bd. 19.
Heft 1) verdanken, empfiehlt nun, wenn die Aetzung der Seitenstränge
keinen Erfolg hat oder auch infolge der Grösse der letzteren keinen solchen
verspricht, die Entfernung der geschwollenen Seitenstränge auf blutigem
Wege vorzunehmen. Hiervon glaubte Verfasser in diesem Falle jedoch
abselıen zu sollen: zunächst handelte es sich hier um ziemlich kleine
124 0. Levinstein, Ueber Tonsillitis chronica fossularis des Seitenstrangs.
Seitenstränge, die nur wenig über das Niveau der übrigen Schleimhaut-
oberfläche herausragten, deren Entfernung mithin ohne Verletzung von
gesundem Gewebe der Umgebung kaum gelingen konnte; der blutige Ein-
griff wäre mithin ein verhältnismässig schwererer gewesen, als wenn es
sich um zirkumskript vorgewölbte Seitenstränge, für die dies Verfahren
auch wohl hauptsächlich gedacht ist, gehandelt hätte. Ferner schien Ver-
fasser das blutige Vorgehen für den vorliegenden Fall deshalb nicht rationell,
weil es sich nicht ausschliesslich gegen jene Gebilde richtete, die Verfasser
nunmehr, nachdem Pinselungen und Aetzungen der gesamten Seitenstrang-
oberfläche erfolglos gewesen, für die Krankheitssymptome allein
verantwortlich machen zu müssen glaubte, die chronisch er-
krankten Fossulae der Seitenstrangtonsille. Verfasser hat in seiner
Arbeit über die Behandlung der Tonsillitis chronica (Archiv f. Laryngol.
Bd 24. Heft 2) auf die vorzüglichen Dienste hingewiesen, die ihm die
Galvanokaustik in der Behandlung des chronischen Katarrhs der Fossulae
der Gaumenmandel leistet, und steht nach seinen Erfahrungen mit dieser
Methode nicht an, die Glühhitze als das souveräne Mittel für die Beseitigung
der Mandelpfröpfe zu bezeichnen. Verfasser hat deshalb keine Bedenken
getragen, trotz der Warnungen, die von mancher Seite gegen die Galvano-
kaustik der Seitenstränge — hierbei handelt es sich stets um die Behand-
lung des ganzen Seitenstrangs, nicht aber, wie dies hier bei der vom
Verfasser geübten Methode der Fall ist, um die Einwirkung der Glühhitze
lediglich auf die Fossulae — ausgesprochen wurden (auch Uffenorde
glaubt die Glühhitze nicht empfehlen zu dürfen), diese Methode auch in dem
vorliegenden Falle einer chronischen fossulären Tonsillitis des Seitenstrangs
anzuwenden. Hierbei ist es natürlich, um unangenehmen, ja zuweilen ge-
fährlichen Komplikationen vorzubeugen, nötig, den anatomischen und topo-
graphischen Verhältnissen im Operationsgebiete Rechnung zu tragen. Führt
man nämlich den Brenner so rücksichtslos in die Tiefe, dass. man eine
Verschorfung des Gewebes weit über die Grenze des Seitenstrangs hinaus
bewirkt, so kann es leicht passieren, dass eine Infektion des retropharyn-
gealen Bindegewebes mit allen üblen Folgen resultiert, wie dies von
Chiari (zitiert in der Üffenordeschen Arbeit) in einem Falle von Galvano-
kaustik eines Granulum beobachtet wurde. Was insbesondere die Galvano-
kaustik der Fossulae des Seitenstrangs anbelangt, so müssen wir
uns zunächst über Gestalt und Grösse dieser Gebilde im klaren sein. In
den Arbeiten des Verfassers über die „Histologie der Seitenstränge“, sowie
über „Fossulac tonsillares* wird hierüber ausführlich gehandelt, und sei
deshalb auf diese Arbeiten verwiesen; an dieser Stelle sei nur angeführt,
dass Gestalt und Länge der Fossulae des Seitenstrangs sich
wesentlich von derjenigen der Gaumenmandelfossulae unter-
scheiden. Die letzteren zeigen nämlich zunächst meist eine erhebliche
Länge, indem sie häufig das Organ von seiner Oberfläche bis an seine
äusserste Grenze durchziehen, und sind ferner nicht selten durch einen
komplizierten Verlauf ausgezeichnet, indem buchtige Stellen mit engen
O. Levinstoin, Ueber Tonsillitis chronica fossularis des Seitenstrangs. 125
Passagen wechseln, und indem häufig von einer Hauptfossula an ver-
schiedenen Stellen Nebenfossulae von geringerer Grösse abgehen: da, wo
eine solche Nebenfossula oder gar deren mehrere in eine Hauptfossula
münden, findet naturgemäss eine erhebliche Erweiterung des Lumens der
letzteren statt. Die Fossulae des Seitenstrangs verhalten sich nun, wie
gesagt, in bezug auf Grösse und Gestalt ganz anders als die Gaumen-
mandelfossulae: sie pflegen kurz und in der Regel von einfach zylindrischer
Gestalt zu sein, ohne Buchten und Verengerungen des Lumens und ohne
Nebenfossulae. Handelt es sich um einen besonders starken Seitenstrang,
so sind die Fossulae, die hier meist nicht, wie dies von der Gaumenmandel
gesagt wurde, die ganze Substanz des Stranges durchsetzen, naturgemäss
länger als bei einer geringen Schwellung, die Gestalt derselben pflegt aber
auch dann meist eine einfache zylindrische zu sein (vgl. Fig. 3 in der
Arbeit des Verf. über die „Histologie der Seitenstränge“). Durch die
Berücksichtigung dieser anatomischen Eigentümlichkeiten der Seitenstrang-
fossulae ist unser Vorgehen bei der Galvanokaustik der letzteren gegeben.
Nach vorausgegangener Anästhesierung der Seitenstrang- und Fossulae-
oberfläche durch Bepinseln mit einer 20 proz. Cocainlösung, die auf einer
mit Watte armierten feinen Sonde auch in das Lumen der Fossulae ge-
bracht wird, fahren wir mit der Spitze des rotglühenden Brenners in das
Lumen der erkrankten Fossulae, ohne diese jedoch, da, wie erwähnt wurde,
die Fossulae den Seitenstrang meist nicht in seiner ganzen Stärke durch-
setzen, bis an die äusserste Grenze des letzteren zu führen. Die Glühhitze
lassen wir wenige Sekunden wirken und ziehen dann den Brenner, noch
rotglühend, zurück. In dieser Weise geht man in jede Fossula, die die
Anwesenbeit eines Pfropfes erkennen lässt, hinein, vermeidet aber streng,
irgend eine andere Stelle des Seitenstrangs oder auch der übrigen Schlund-
schleimbaut anzusengen; besonders sorgfältig schone man, was nicht immer
leicht ist, die hinteren Gaumenbögen, da sonst heftige Schluckschmerzen
auftreten. Zur Nachbehandlung bestreut man die Oberfläche des Seiten-
strangs mit Dermatol, Anaesthesin und ähnlichem und lässt den Patienten
bis zum Abklingen der ersten Reaktionserscheinungen, die übrigens bei
korrekter Ausführung dieser Methode verhältnismässig gering sind, nur
kühle, flüssige Nahrung zu sich nehmen.
Das Prinzip, das Verfasser bei der Behandlung der Tonsillitis chronica
fossularis des Seitenstranges in der angegebenen Weise leitet, ist, die Be-
seitigung einer dieser Mandel anhaftenden Erkrankung unter
möglichster Schonung der Tonsille selber zu erreichen. Wie
Verfasser dies Prinzip stets für die normalen Tonsillen vertreten hat, so
sieht er keine Veranlassung, bei dieser „pathologischen“ Tonsille hiervon ab-
zugehen: solange wir über die Funktion der normalen Mandel nicht unter-
richtet sind, ist es natürlich erst recht nicht möglich, etwas sicheres über
die Aufgabe der „pathologischen“ Tonsille auszusagen, die als Reaktion
auf die Schleimhaut treffende Noxen entsteht. Die von manchen Autoren
ız. B. von Schoenemann) aufgestellte Theorie, dass die Tonsillen die
126 O. Levinstein, Ueber Tonsillitis chronica fossularis des Seitenstrangs.
Funktion haben, als Schutz gegen das Eindringen von Schädlichkeiten vor
allem bakterieller Natur in den Körper zu dienen, scheint in dem Umstand,
dass an besonders gefährdeten Stellen des Schlundes, zu denen neben den
Gaumenmandeln auch die seitliche Rachengegend zu zählen ist, es oft zur
Bildung neuer Tonsillen kommt, eine Stütze zu finden. Auf keinen Fall
aber dürfen wir uns für berechtigt halten, die neu entstandenen Organe,
die sich weder prinzipiell in ihrer histologischen Struktur noch in ihrem
klinischen Verhalten von der normalen Tonsille unterscheiden, zu vernichten
oder auch nur intensiver therapeutisch zu beeinflussen, als dies im Interesse
der Beseitigung eines dem Organe anhaftenden Krankheitsprozesses not-
wendig erscheint: die neue Tonsille aber etwa zu vernichten, ohne dass sie
an sich dem Träger sich nachteilig bemerkbar macht, muss nach unseren
bisherigen Kenntnissen von der Funktion dieser Mandel als ebenso verfehlt
erscheinen, wie die Ausrottung einer normalen Gaumenmandel.
Wenn mithin die theoretischen Erwägungen des Verfassers diesen zur
Schonung der Seitenstrangtonsille unter Beseitigung einer der-
selben etwa anhaftenden Krankheit!) — selbstverständlich voraus-
gesetzt, dass das Organ nicht durch seine Grösse zu Beschwerden Ver-
anlassung gibt, die, ebenso, wie dies bei der hyperplastischen Gaumen-
mandel der Fall ist, die Indikation zur Verkleinerung des geschwollenen
Seitenstranges abgeben — geführt haben, so ist die mitgeteilte Kranken-
geschichte wohl geeignet, als Beweis für die praktische Brauch-
barkeit dieses Prinzips zu dienen: sowie nämlich durch die ein-
geschlagene Therapie die Beseitigung des Fossulakatarrhs der geschwollenen
Seitenstränge gelungen war, hörten, trotzdem doch die letzteren in unver-
änderter Grösse bestehen blieben, prompt die Beschwerden der Patientin
auf, während die Behandlung der Seitenstränge mit Pinselungen und
Aetzungen mit Trichloressigsäure, durch die eine direkte Beeinflussung der
Fossulaerkrankung aus anatomischen Gründen nicht möglich war, resultatlos
gewesen war. Hierdurch ist bewiesen, dass die Anwesenheit des ge-
schwollenen Seitenstranges an sich dem Träger keinerlei Be-
schwerden verursachte, dass mithin die radikale Beseitigung
desselben, sei es auf blutigem, sei es auf galvanokaustischem
Wege, als überflüssig und aus den oben angeführten Gründen
als irrationell und mithin als kontraindiziert erscheinen
musste. Uffenorde empfiehlt, wie bereits erwähnt wurde, die Beseitigung
der durch den geschwollenen Seitenstrang entstehenden Beschwerden durch
1) Ebenso wie dies bei der Gaumenmandel zuweilen der Fall ist, wird es
wohl auch beim geschwollenen Seitenstrang vorkommen können, dass die Heilung
einer dem Organ anhaftenden Krankheit nur durch Opferung der Tonsille selber
erreicht werden kann. Für diese — sicherlich recht seltenon — Fälle ist, wie
die Tonsillektomie bei der Gaumenmandel, die Ausrottung des, wenn auch nur
unerheblich geschwollenen Seitenstrangs auf blutigem oder galvanokaustischem
Wege indiziert. :
O. Levinstein, Ueber Tonsillitis chronica fossularis des Seitonstrangs. 127
Pinselungen bezw. durch Aetzung mit Trichloressigsäure oder schliesslich
durch die blutige Operation des Seitenstranges zu erstreben. Verfasser
glaubt durch diese Ausführungen dargetan zu haben, dass diese von
Uffenorde empfohlene Therapie doch nicht allen Indikationen gerecht zu
werden geeignet ist, dass wir vielmehr gut tun, in allen Fällen, in denen
wir Beschwerden eines Patienten auf die Anwesenheit eines geschwollenen
Seitenstranges beziehen zu müssen glauben, zunächst zu entscheiden, ob
der geschwollene Seitenstrang an sich zu Belästigungen des
Trägers führt, oder ob dessen Beschwerden die Folge einer
chronischen Erkrankung der Fossulae, also einer Tonsillitis
chronica fossularis seiner neuen Tonsille darstellen. Das erstere
wird hauptsächlich dann der Fall sein, wenn der Seitenstrang eine erheb-
liche Stärke erreicht, das letztere meist dann, wenn die geringe
Schwellung des Seitenstranges in keinem Verhältnis zu den
erheblichen Beschwerden des Patienten steht. Handelt es sich
um Beschwerden, die auf die Stärke des Seitenstranges an sich zu beziehen
sind, so ist es für die Therapie gleichgültig, ob der geschwollene Seiten-
strang auch an Tonsillitis chronica erkrankt ist oder nicht, denn durch die
in diesen Fällen indizierte Entfernung des Seitenstranges werden auch die
Fossulae, die, wie bereits erwähnt wurde, den Strang meist nicht in seiner
ganzen Stärke durchsetzen, mitbeseitigt. Verfasser glaubt, dass, wenn wir
uns mehr daran gewöhnen werden, bei jeder Pharyngitis lateralis auf das
Vorhandensein von Pfröpfen in den Fossulae der Seitenstränge zu achten,
die Fälle, in denen, wie Uffenorde behauptet, ganz geringe Schwellungen
des — nicht erkrankten — Seitenstranges zu sehr erheblichen Belästigungen
des Patienten führen, doch zu den Seltenheiten gehören dürften, dass viel-
mehr, wenn so schwere Symptome einem, was die Stärke des Seiten-
stranges anbelangt, so geringen Befunde entgegenstehen, wir es fast stets
mit einer chronischen fossulären Erkrankung des Seitenstranges
zu tun haben, auf die, nicht aber auf die Anwesenheit des
letzteren an sich, die Beschwerden des Kranken zu beziehen
sind. Richten wir uns in allen in Frage kommenden Fällen nach dieser
Vorschrift, so werden auch unsere therapeutischen Erfolge bessere, wie bis-
her, sein. Denn gegen die chronische fossuläre Seitenstrang-
entzündung ist die bisher allgemein übliche Behandlung der
Pharyngitis lateralis mit Pinselungen und Aetzungen des ge-
samten Seitenstranges wertlos, die Beseitigung des ganzen
Seitenstranges, wenn dieser nicht etwa durch seine Grösse Anlass zu
Beschwerden gibt, auf blutigem oder galvanokaustischem Wege
irrationell und mithin kontraindiziert: es können, wie dies Ver-
fasser an einigen Fällen von anscheinend zu heroischem Vorgehen gegen
die Schwellung der Seitenstränge beobachtet hat, langdauernde Parästhesien
und Trockenheitszustände im Halse, die eine besondere Behandlung not-
wendig machen, die Folge der infolge unrichtiger Diagnose ausgeführten
unrichtigen Behandlung sein. — Die rationelle Therapie der Pharyn-
128 ©. Levinstein, Ueber Tonsillitis chronica fossularis des Seitenstrangs.
gitis lateralis hat sich auf eine genaue Kenntnis des histolo-
gisch-anatomischen Charakters des geschwollenen Seiten-
stranges zu stützen: der letztere stellt nichts anderes als eine
Tonsille dar und darf deshalb auch nicht anders als eine
Tonsille behandelt werden. Für die Tonsille aber hat trotz des von
mancher Seite beliebten radikalen Vorgehens gegen dieses Organ nach wie
vor die Regel Geltung, die Verfasser in seiner Arbeit über die „Behandlung
der Tonsillitis chronica“ aufgestellt hat, dass wir bei Erkrankung der
Mandel eine Heilung der Krankheit unter möglichster Schonung
des Organs selber zu erstreben und in der Regel nur, wenn das letztere
infolge seiner Grösse zu Störungen Anlass gibt, eine Verkleinerung des-
selben auf blutigem oder galvanokaustischem Wege vorzunehmen haben.
Die Beseitigung eines mässig geschwollenen, mit chronischer
fossulärer Entzündung behafteten Seitenstranges durch Messer,
Zange oder Glühhitze ist mithin als genau so irrationell zu be-
zeichnen, wie die Ausführung des Morcellements oder der Ton-
sillektomie bei einfacher Tonsillitis chronica einer leicht
hyperplastischen Gaumenmandel.
Resume.
1. Bei der Tonsillitis chronica fossularis des Seitenstranges handelt
es sich um einen chronischen Katarrh der Fossulae der in eine
Tonsille umgewandelten Plica salpingo-pharyngea.
. Die Entstehung der Seitenstrangtonsille ist auf die seitliche
Pharynxwand treffende Reize mechanischer, chemischer, thermischer
oder bakterieller Natur zurückzuführen.
3. Leber die Funktion der Seitenstrangtonsille ist uns, ebenso wie
über diejenige der übrigen Tonsillen, nichts sicheres bekannt,
jedoch müssen wir nach der Art und Weise der Entstehung dieser
Mandel mit der Möglichkeit rechnen, dass ihr die Aufgabe zu-
fällt, den Organismus vor dem Eindringen von Schädlichkeiten zu
schützen, wie dies von manchen Autoren auch von den übrigen
Mandeln angenommen wird.
4. Der geschwollene Seitenstrang braucht keinerlei Beschwerden
hervorzurufen; in diesen Fällen ist eine Behandlung desselben zu
unterlassen.
5. Der geschwollene Seitenstrang kann, wie jede Tonsille, akut an
Angina und chronisch an Tonsillitis chronica fossularis erkranken.
. Gehen von einem geschwollenen Seitenstrang Beschwerden aus, so
können sich diese entweder auf die Schwellung an sich oder auf
eine Erkrankung desselben oder schliesslich auf beides gemeinsam
beziehen.
7. Die Entfernung bezw. Verkleinerung der Seitenstrangtonsille auf
blutigem oder galvanokaustischem Wege darf in der Regel nur
td
I
O. Levinstein, Ueber Tonsillitis chronica fossularis des Seitenstrangs. 129
geschehen, wenn die Beschwerden sich auf die Schwellung des
Seitenstranges an sich beziehen.
8. Ist der geschwollene Seitenstrang erkrankt, so ist in der Regel
die Beseitigung der Erkrankung unter möglichster Schonung des
Organs selber zu erstreben. Ausnahme s. unter 7.
4. Die chronische fossuläre Entzündung des geschwollenen Seiten-
stranges wird am zweckmässigsten mittels der Galvanokaustik der
Fossulae behandelt.
Literaturverzeichnis.
. Levinstein, Histologie der Seitenstränge und Granula bei der Pharyngitis
lateralis und granulosa. Archiv f. Laryngol. Bd. 21. Heft 2.
Levinstein, Ueber „Fossulae tonsillares“, „Noduli Iymphatici“ und „Ton-
sillen“. Archiv f. Laryngol. Bd. 22. Helft 2.
3. Levinstein, Ueber die Angina der Seitenstränge. Archiv f. Laryngologie.
Bd. 23. Heft 3.
4. Levinstein, Zur Behandlung der Tonsillitis chronica und Angina habitualis.
(Mit besonderer Berücksichtigung der Galvanokaustik der Tonsillen.) Archiv f.
Laryngol. Bd. 24. Heft 2.
9. Levinstein, Ueber eine neue „pathologische Tonsille“ des menschlichen
Schlundes, die „Tonsilla linguae lateralis“ und ihre Erkrankung an Angina.
Archiv f. Laryngol. Bd. 26. Heft 3.
6. Schoenemann, Zur Physiologie und Pathologie der Tonsillen. Archiv f.
=
Laryngol. Bd. 22. Heft 2.
Uffenorde, Pharyngitis lateralis. Archiv f. Laryngol. Bd. 19. Heft 1.
Archiv fur Laryngologie. 28. Bd. 1. Heft
ive)
XI.
Aus der Klinik für Ohren-, Nasen- und Kehlkopfkrankheiten der
Kgl. Universität Turin. (Leiter: Prof. Comm. G. Gradenigo.)
Experimentelle Untersuchungen über das Eindringen
von Gasen, Dämpfen und zerstäubten wässerigen
Lösungen in die Nasennebenhöhlen.
Von
Dr. Ciro Caldera, Assistent.
(Mit 2 Textfiguren.)
Seit vielen Jahrzehnten werden bei der medizinischen Behandlung der
akuten Eiterungen der Nasennebenhöhlen in weitem Umfange Mentholver-
dampfungen verwandt; in vielen Fällen verschaffte dieses Verfahren dem
Kranken auch wirklich eine Erleichterung. Bis heute war jedoch die Art
und Weise der Einwirkung solcher Verdampungen unerforscht geblieben.
Man war nicht klar darüber, ob sie mittelbar auf die Durchgängigkeit der
Nase bessernd einwirken oder aber die Schleimhaut der Nebenhöhlen un-
mittelbar zu beeinflussen vermögen, indem sie durch die zwischen ihnen und
den Nasenhöhlen bestehenden Ausführungsgänge hindurch in jene eindringen.
Ich habe es für angebracht gehalten, dieser Frage experimentell auf
den Grund zu gehen, und habe zu diesem Zwecke Hunde mittlerer Grösse
benutzt. Meine Versuche habe ich auf die Stirnhöhle beschränkt, die
am geräumigsten und am zweckmässigsten gelegen ist. Die Eröffnung der
Stirnhöhle habe ich auf folgende Weise vorgenommen: Längseinschnitt in
der Mittellinie des Hundekopfes, der durch die Haut, die Sehnenhaut und
die das Schädeldach bedeckende Knochenhaut hindurchging; Eröffnung der
Höhle vermittels eines gekrümmten, auf die Knochenoberfläche schief auf-
gesetzten Hohlmeissels, und zwar derart, dass dadurch eine Scheibe isoliert
wurde, deren Umriss auf Kosten der inneren Kortikalis schräg eingeschnitten
wurde. Will man in die Höhle sicher eindringen, so muss man sich ober-
halb einer durch den höchsten Punkt des Augenhöhlenkammes laufenden
Linie, ungefähr einen halben Zentimeter von der Mittellinie des Kopfes
entfernt, halten.
Meine Beobachtungen sollten dartun, ob Gase, Dämpfe und zerstäubte
wässerige Lösungen in die Nasennebenhöhlen einzudringen vermögen, denn
diese drei phykalischen Zustände sind gerade diejenigen, die uns zur Arznei-
= Caldera, Das Eindringen von Gasen usw. in die Nasennebenhöhlen. 131
behandlung der Nasennebenhöhlen befähigen. Es musste also eine be-
sondere und äusserst feine, chemische, makroskopisch nachweisbare Reaktion
aufgefunden werden, mittels deren das erfolgte oder nicht erfolgte Ein-
dringen der Gase, Dämpfe und zerstäubten Flüssigkeiten in die in Frage
stehende Höhle geprüft werden konnte.
Unter den verschiedenen zur Verfügung stehenden Gasen habe ich den
Schwefelwasserstoff auserwählt, der insofern leicht nachweisbar ist, als er
in die Höhle gebrachtes Silbernitrat zersetzt und das Silbersalz in
tiefschwarzes Schwefelsilber verwandelt. Zur Prüfung des Eindringens der
Dämpfe habe ich mich des Ammoniaks bedient, dessen Vorhandensein in
der Höhle bei Einführung roten Lackmuspapieres in dieselbe durch Blau-
firbung des Lackmuspapieres verraten wird. Zur Aufdeckung des Durch-
dringens der verschieden zerstäubten Flüssigkeiten habe ich: das Phenol-
phthaleinpapier verwandt, das in Berührung mit basischen Lösungen (z. B.
einer konzentrierten Lösung kohlensauren Natriums) eine lebhaft rote Farbe
annimmt, oder auch das rote Lackmuspapier, das blau wird.
Zur Ausführung dieser verschiedenen Proben führte ich in die Stirn-
höhle nach vorheriger Eröffnung (24 Stunden vorher zur Vermeidung der
Blutung der Sinusschleimhaut) verschiedene Male das Probepapier ein, und
zwar sowohl trocken, wie auch mit destilliertem Wasser getränkt. Darauf
brachte ich mit dem Hohlmeissel die präparierte Knochenscheibe wieder an
ihren Platz zurück, schob die darüberliegenden Weichteile aneinander
und schützte sie mit einer Schicht Watte. Auf diese Weise verhütete ich,
dass durch diese künstliche Oeffnung die zum Versuch stehenden Gase.
Dämpfe oder Lösungen eindringen konnten.
Bei solchem Vorgehen habe ich nach wiederholten Versuchen eindeutig
nachweisen können, dass der Schwefelwasserstoff und die Ammoniakdämpie
leicht und rasch (1—2 Minuten) in die Höhle eindringen und da zu der
ihnen eigentümlichen Reaktion führen.
In bezug auf das Eindringen der Flüssigkeiten sei hier bemerkt,
dass ich bei meinen Versuchen zu den verschiedenen Zerstäubungssystemen
gegriffen habe und dabei je nach dem System zu ganz verschiedenen
Resultaten gelangt bin. Wie bereits bemerkt, habe ich zu diesen Ver-
suchen eine konzentrierte kohlensaure Natriumlösung herangezogen, und
dann mit ihr und den roten Lackmus- und den weissen Phenolphthalein-
papierstückchen die Reaktion hervorgerufen. Den besten Erfolg gaben mir
die roten Lackmuspapierstücke insofern, als bei der Umwandlung ihrer
Farbe in Blau die Reaktion in keiner Weise durch das zuweilen bei der
Probe trotz aller Vorsicht aus der sehr dünnen Schleimhaut hervortretende
Blut gestört wurde. Weniger gute Dienste leisteten die Phenolphthalein-
papiere. da sie eine weinrote Farbe annahmen.
Wurde die Zerstäubung mit einem Richardsonschen Zerstäuber mit,
doppelter Birne an den Nasenlöchern desHundes auch ziemlich lange (ungefähr
10 Minuten) vorgenommen, so erhielt man mit den in den Hohlraum ein-
geführten Papierstücken trotz Wiederholung der Versuche keinerlei Reaktion.
g*
132 C. Caldera, Das Eindringen von Gasen usw. in die Nasennebenhöhlen. :
Bei Verwendung des Siegleschen Zerstäubers mit Dampfstrahl gelang
es nur ein einziges Mal, nach ungefähr zehnminutiger Inhalation, eine
leichte Blaufärbung der Lackmuspapierstücke gerade an der der Neben-
höhlenmündung entsprechenden Stelle wahrzunehmen. Bei den anderen der-
artigen vorher und nachher angestellten Versuchen habe ich dagegen gar
keine Reaktion festzustellen vermocht. Dieses ganz alleinstehende positive
Ergebnis könnte immerhin auf eine vom Hunde während des Versuchs ge-
machte Atmungsanstrengung zurückgeführt werden, derzufolge es einigen
Tröpfchen der zerstäubten Flüssigkeit gelungen sein mag, in den Hohlraum
einzudringen, was bei ruhiger Atmung nicht der Fall war.
Dem freundlichen Entgegenkommen des Herrn Professors Dr. Gradenigo
zufolge, dem ich an dieser Stelle meinen verbindlichsten Dank ausdrücke,
war es mir möglich, auch das Trockenzerstäubungsverfahren Stefanini-
Gradenigo erproben zu können. Die auf diese Weise eingestäubte alkalische
Lösung führte schon nach 5 Minuten auch dann eine deutliche Blaufärbung
der roten in den Hohlraum gebrachten Lackmuspapierstücke herbei, wenn
die Atmung des Tieres während des Versuchs vollständig ruhig geblieben
war. Auch bei Wiederholung der Versuche blieb das Ergebnis immer
positiv, aber der Stärke nach verschieden, ganz nach der Dauer der
Inhalation.
Aus dem bisher Festgestellten kann ich also schliessen, dass meine
Versuche dargetan haben, dass bei den Hunden, ebenso wie die Gase und
Dämpfe, auch die Flüssigkeiten bei der Atmung in die Stirnhöhle gelangen
können, wenn letztere in äusserst feinste Tröpfchen verwandelt sind, oder
besser noch, wenn sie zu einem trockenen Nebel geworden sind, wie dies
mit dem Stefanini-Gradenigoschen Verfahren erreicht wird,
Ein solches Vorkommnis bei den Hunden festgestellt zu haben, ge-
stattet uns jedoch noch lange nicht, ohne weiteres zu verallgemeinern und
daraus zu schliessen, dass dasselbe. auch bei der Stirnhöhle oder allgemeiner
bei den Nasennebenhöhlen des Menschen der Fall sein muss.
Die Herren Professoren U. Calamida und S. Citelli haben im
Archivio italiano di Otologia, 1903, Bd. 14, S. 231 äusserst interessante
Beobachtungen über die „Atmung der Stirnhöhle beim Menschen“ ver-
öffentlicht. Besagte Forscher hatten die vorteilhafte Gelegenheit, einen
Mann beobachten zu können, der infolge einer Verletzung am Kopfe einen
Schädelbruch mit ständiger Oeffnung der rechten Stirnhöhle davongetragen
hatte. Indem sie an der Oeffnung der Stirnhöhle eine Glasscheibe an-
brachten, konnten sie an deren innerer Oberfläche die Bildung eines Nebels
aus kondensierttem Dampf in Form eines umschriebenen Fleckens wahr-
nehmen. Dieser Flecken wurde rhythmisch und zeitlich genau mit der
Atmung zusammenfallend kleiner und grösser. Wurden in die Stirnhöhle
‚rote resp. blaue Lackmuspapierstücke verbracht und der Kranke gebeten,
Ammoniak- und Essigsäuredämpfe einzuziehen, so wurden damit leichte
Reaktionen erhalten. Als dann genannte Forscher mit Hilfe des Manometers
die Bewegungen der Luft in dem Hohlraum untersuchten, konnten sie auf
C. Caldera, Das Eindringen von Gasen usw. in die Nasennebenhöhlen. 133
e o
5 6 T 8 9
l Sinus frontalis; 2 Ostium frontale; 3 Hiatus semilunaris; 4 Processus uncinatus:
5 Meatus narium inferior; 6 Ostium maxill. accessor.; 7 Palatum; 8 Meatus narium
medius; 9 Concha inferior; 10 Concha media; 11 Bulla ethmoidalis; 12 Meatus
narium superior; 183 Sinus sphenoidalis; 14 Cellula ethmoidalis posterior; 15 Cellula
ethmoidales anterior.
Figur 2.
MEERE DE REN ae ee a NER IT OT
. < K = f °
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x coors.
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jeden Fall im Manometer deutliche Schwankungen der Flüssigkeit fest-
stellen und kamen auf Grund ihrer Beobachtungen zum Schluss, dass die
Luft der Nasennebenhöhlen auf jeden Fall an der Nasenatmung teilnimmt.
134 C. Caldera, Das Eindringen von Gasen usw. in die Nasennebenhöhlen.
Diese interessanten, am Menschen angestellten Beobachtungen erlauben
uns, bis zu einem gewissen Punkt zu folgern, dass auch beim Menschen
das von mir bei den Hunden nachgewiesene Eindringen der Gase, Dämpfe
und zerstäubten Flüssigkeiten stattfinden kann.
Der topographisch-anatomische Unterschied zwischen der Stirnhöhle
des Menschen und des Hundes ist nicht derart, dass er an und für sich
die Bedeutung eines gewichtigen Einwandes zu erlangen vermöchte.
Die Richtung Stirn-Nasenhöhle ist wenigstens in beiden Fällen sehr
ähnlich, und bei gleichen Schädelmassen lässt auch die Länge desselben
Kanals keine zu stark hervortretende Verschiedenheit erkennen, wie aus
den beiden Abbildungen hervorgeht. (Fig. 1 u. Fig. 2.)
Auf Grund dieser experimentellen Studien könnte man also zum
Schlusse gelangen, dass die alten, zur Behandlung der Nasennebenhöhlen-
entzündungen empfohlenen Mentholräucherungen und die neuesten Raum-
inhalationen mit den Trockensystemen ihren Zweck, den Zustand der von
Nasennebenhöhlenentzündungen befallenen Kranken zu bessern, dadurch
erreichen, dass sie direkt heilend auf die Schleimhaut der Nasenneben-
höhlen einwirken. Ist dies nicht sofort bei den ersten Sitzungen der Fall,
so hängt dies von der aussergewöhnlichen entzündlichen Schwellung der
Schleimhaut ab, die die Kanäle überzieht, welche die verschiedenen Nasen-
nebenhöhlen mit der Nase in Verbindung setzen. Mit dem Abklingen
der Reaktionserscheinungen können dann die Dämpfe oder der therapeutische
Nebel in die Höhlen eindringen, wo sie die Heilung der akuten Nasen-
nebenhöhlenentzündung dadurch zu Ende zu führen haben, dass sie den
Zustand der Schleimhaut der Nebenhöhle günstig beeinflussen.
Ich habe ferner einige experimentelle Untersuchungen an Hunden an-
gestellt, um den wirklichen Einfluss der therapeutischen Räucherungen bei
Bakterieninfektionen der Nasennebenhöhlen festzustellen. Zu diesem Zweck
infizierte ich die Stirnhöhle einiger Hunde mit Staphylokokkenreinkulturen,
und zwar vermittels einer äusserst feinen Verletzung der Vorderwand der
Höhle. Durch den so geschaffenen feinen Kanal führte ich in die
Knochenhöhle eine feine Nadelsonde ein, mit der ich die Schleimhaut der
Stirnhöhle verletzte, um sie so für die Infektion empfindlicher zu machen.
Daraufhin spritzte ich die reine Bouillonkultur ein. Nach 24 Stunden
schritt ich zur Vornahme therapeutisch verschieden dosierter (Alkohol mit
5proz. Gomenol, 1proz. Menthol, 10proz. Eukalvptol) Räucherungen, die
viermal täglich auf die Dauer von je 10 Minuten wiederholt wurden. Nach
4—Stägiger derartiger Behandlung wurden die Tiere getötet und mit dem
Inhalt der infizierten Hohlräume Kulturen hergestellt. Zumeist erschienen
diese makroskopisch normal, während sich bei der bakteriologischen
Prüfung in den meisten Fällen eine absolute Sterilität der Stirnhöhle ergab.
Bei den Kontrolltieren jedoch, die nach der Impfung keinerlei Kur durch-
gemacht hatten, waren .die Hohlräume auch 8 Tage nach erfolgter experi-
menteller Infektion immer infiziert.
UC. Caldera, Das Eindringen von Gasen usw. in die Nasennebenhöhlen. 135
Auch diese Ergebnisse beweisen die tatsächliche Einwirkung der, thera-
peutischen Räucherungen auf die Schleimhaut der künstlich infizierten
Nebenhöhlen. Ich will damit jedoch nicht behaupten, dass es sich hier nur
um eine antiseptische Wirksamkeit der therapeutischen Räucherungen, oder
um eine nebenhergehende hemmende oder bakterientötende Einwirkung des
Schleims und des Serums handelt, das während der Räucherung reichlich
von der Schleimhaut abgesondert wird. Auch ohne weiter auf den haupt-
sächlichen Faktor dieser Desinfektion der Nasennebenhöhlen einzugehen,
bleibt immer die Tatsache bestehen, dass sie wirklich unter der Einwirkung
von therapeutischen Räucherungen zustande kommt, die direkt in die
Nebenhöhlen eindringen und auf die sie überziehende Schleimhaut einwirken.
XI.
Weitere Beobachtungen tiber einige anatomische und
klinische Beziehungen zwischen Keilbeinhöhle und
Sinus cavernosus und dem III., IV., V. und VI. Hirn-
nerven, sowie dem N. Vidianus.’
Greenfield Sluder, M. D. (St. Louis).
In einer früheren Mitteilung?) habe ich diesen Gegenstand behandelt
und möchte jetzt einen Zusatz hinzufügen. Das Thema ist ein sehr umfang-
reiches und begreift eine Klasse klinisch sehr schwieriger Fälle in sich.
Es sei daran erinnert, dass in jener Arbeit die Frage nach der Aetiologie
und Behandlung der Migräne aufgeworfen und behauptet wurde, dass meines
Erachtens viele — jedoch nicht alle — Fälle von wiederkehrenden Kopf-
schmerzen, die man als Migräne bezeichnet, in Wirklichkeit Keilbeinempyeme
sind, bei denen die meisten, wenn nicht alle, lokalen Symptome verloren
gegangen sind oder dass sie als solche Empyeme begonnen haben und dass
die anliegenden Nervenstämme infolge Ausbreitung der Entzündung (oder
ihrer Toxine) durch die dünne sie von der Keilbeinhöhle trennende Wand
hindurch in Mitleidenschaft gezogen sind. Die Ergebnisse bei den bisher
von mir behandelten Fällen sind, obwohl es sich um eine recht beträchtliche
Zahl handelt, doch zu jung, als dass man daraus Folgerungen ziehen
dürfte. Ich bin mir bewusst, dass diese Ergebnisse eigentlich fünf Jahre
anstehen sollten, bevor man auf ihnen Schlussfolgerungen aufbauen dürfte.
Soweit sie aber reichen, stützen sie meinen Glauben an die Richtigkeit der
in jener Arbeit mitgeteilten Deduktionen.
Ich möchte nun eine anatomische Beobachtung registrieren und dann
auf ein Ergebnis hinweisen, zu dem wir auf Grund klinischer Beobachtung
gelangen.
In meiner vorigen Arbeit führte ich an, dass man aus den Abhand-
lungen über Anatomie gewöhnlich den Eindruck bekommt, als ob die
Stämme des IV., V., VI. Hirnnerven und des N. Vidianus von der Keilbein-
höhle räumlich weit getrennt sind. Während des seitdem verflossenen
1) Nach einem Vortrag in der American Laryngological Association am
5. Mai 1913.
2) Archiv f. Laryngol. Bd. 27. S. 369.
G. Sluder, Weitere Beobachtungen. 137
Jahres habe ich eine weitere Zahl vonBüchern um Rat gefragt; aber es fand sich
nirgends eine Ausnahme von der obigen Regel verzeichnet. Die Beobachtung,
dass der III., IV. und die drei Aeste des V., der VI. Hirnnerv und der
N. Vidianus häufig in enger Verbindung mit der Keilbeinhöhle stehen, war
eine Folgerung, die sich mir aus dem Studium von Querdurchschnitten
ergab. Zwei Monate, nachdem ich in der American Laryngological Association
meine Beobachtungen mitgeteilt hatte, erschien im Archiv f. Laryngol. eine
anatomische Studie aus demselben Gebiet von Ladislaus Onodi, der zu
entsprechenden Ergebnissen gelangte ausser für den N. Vidianus, auf den
sich seine Beobachtungen nicht erstreckten. Seine Methode bestand darin,
dass er die Nervenstämme in Präparaten verfolgte, bisweilen die Wand der
Keilbeinhöhle entfernte und dann die Beziehungen der so freigelegten Nerven
studierte. Er fand, dass sie in enger Verbindung mit der Keilbeinhöhle
stehen und zwar in einem Gebiet von verschiedener Länge, bis zu 20 mm.
Das Verhalten des Sinus cavernosus zog er nicht in seine Betrachtungen
mit ein. Jedoch bildet er Präparate ab, wo die Keilbeinhöhle solche Aus-
dehnung hat, dass sie ganz nahe an den Clivus Blumenbachii heranreicht,
so nahe, dass der trennende Knochen durchscheinend wird, und er zeigt,
was diese Tatsache für den VI. Hirnnerven bedeuten kann. Ich besitze
kein solches Präparat. Als ich vor fünf Jahren die Sammlung Dr. Moshers
in der Harvard Medical School durchmusterte, sah ich eine Anzahl von ihnen;
doch war in keinem Präparat die Wand so dünn, dass es mit dem Material
hätte gleichgestellt werden können, auf das ich meine Folgerungen auf-
baute. Es ist zwar von Interesse zu wissen, in welcher Länge die Be-
rührung zwischen Nervenstamm und Keilbeinhöhle erfolgt, jedoch glaube ich,
dass diese Frage von sekundärer Bedeutung ist gegenüber der Tatsache,
dass eine solche Berührung überhaupt stattfindet, sei es nun in geringerer
oder grösserer Länge. Letzten Februar war es mir zu meiner Freude ver-
gönnt, mit Dr. Warren B. Davis vom Jefferson Medical College, Phila-
delphia, dessen unvergleichliche Sammlung von 145 Kaukasierschädeln zu
besichtigen, die in ununterbrochener Folge Nase und Nebenhöhlen von der
achten Woche des Fötallebens bis zum 25. Lebensjahr zeigen und zwar in
mehreren Präparaten von jedem Jahr. Mit seiner Genehmigung registriere
ich die Beobachtung, dass die Keilbeinhöhle bereits im frühen Alter sich
nach der Seite zu ausdehnt und im Alter von 2!/, Jahren in nächste Nähe
des II. Trigeminusastes kommt und dass dieses Verhältnis fast konstant durch
die Serien hindurchgeht. Ihre Entwicklung (Davis) beginnt am vorderen
seitlichen Teil des Keilbeinkörpers und breitet sich langsam nach rückwärts
aus. Dagegen dehnt sie sich schnell nach der Seite zu aus, bis sie sich
dem Foramen rotundum nähert und schreitet dann nach rückwärts fort.
Mit dem 6. Lebensjahr kann sie sich dem Canalis Vidianus angenähert haben.
Diese Beobachtungen scheinen mir von grosser Bedeutung. Sie stellen
anatomische Befunde dar, die den klinischen Beobachtungen entsprechen,
dass nämlich die Neuralgien häufig in ganz frühem Lebensalter beginnen.
Wenn ich mich nämlich mit der Behauptung im Recht befinde, dass der
135 G. Sluder, Weitere Beobachtungen.
Entstehungsmodus dieser Kopfschmerzen in der engen Nachbarschaft der
Keilbeinhöhle zu jenen Nervenstämmen begründet ist und dass die ent-
zündlichen Prozesse durch den dünnen Knochen hindurch, der die Scheide-
wand bildet, zu den Nerven fortgeleitet wird, so müssen notwendigerweise
solche anatomischen Beziehungen bereits im frühen Lebensalter bestehen,
wenn sie als Erklärung für solche in dieser Zeit beginnenden Kopfschmerzen
gelten sollen
In meiner vorigen Publikation stellte ich die Behauptung auf, dass
nach meinem Dafürhalten der diesen Fällen zu Grunde liegende Krankheits-
prozess eine hyperplastische Sphenoiditis sei. Ein weiteres Jahr klinischer
Beobachtung hat mich in dieser Absicht bestärkt, obwohl manche Fälle
ihrem klinischen Verhalten nach sicher nicht hierher gehörten und der
entfernte Knochen bei einigen dieser Patienten von Dr. E. L. Opie für
gesund erklärt wurde.
Nach der Beobachtung an etwa 100 Patienten scheint der zweite
Trigeminusast und der N. Vidianus am häufigsten in Mitleidenschaft ge-
zogen (95 pÜt.), und zwar jeder einzeln oder beide zusammen. In letzterem
Fall machen sie dasselbe Krankheitsbild, wie es sonst von Ganglion spheno-
palatinum ausgeht. Die einjährige Beobachtung lässt mir eine Trennung
dieser Fälle von der Neuralgie des Ganglion spheno-palatinum schwerer
erscheinen, als ich früher glaubte, so dass ich meine, man muss in bezug
auf die Differentialdiagnose sorgfältig auf der Hut sein.
Der III. Hirnnerv ist recht oft in Mitleidenschaft gezogen, doch kann
ich zur Zeit keinen Prozentsatz angeben. Solche Patienten wissen ge-
wöhnlich nichts von einer Differenz ihrer Pupillen; sie zeigen jedoch, wenn
man darauf achtet, eine solche fast bei jedem Schnupfen. Beobachtungen
in bezug auf den IV. Hirnnerv werden nicht so häufig gemacht; auch habe
ich bisher noch keinen Fall von Befallensein des VI. Nerven gesehen, der
in diese Kategorie gehört.
Während des letzten Jahres habe ich für die intraspienoidale An-
wendung drei Medikamente gebraucht, die in der ersten Arbeit nicht er-
wähnt sind. Jodkali in 2—5 proz. wässriger Lösung zeigte nichts, was
seine Empfehlung rechtfertigen würde; es ist augenscheinlich wirkungslos.
1 proz. Chloreton in Wasser desgleichen und auch das „Cresatin“ erwies
sich in seiner Anwendung der Karbolsäure oder dem Gaultheriaöl für diese
Zwecke nicht überlegen.
Die Medikamente, die bisher sich am zufriedenstellendsten erwiesen
haben, sind 1 proz. ölige Karbolsäurelösung, 2—10 proz. Gaultberiaöl und
wässrige 2—5 proz. Lösung von salizylsaurem Natron. Mittels dieser gelang
es, die Schmerzen, lange nachdem der Sinus genügend eröffnet und die
Wunde geheilt war, zu mildern.
XI.
Aus der Kgl. ungarischen rhino-laryngologischen Universitätsklinik
zu Budapest. (Direktor: Prof. Dr. A. Onodi.)
Kasuistik des Krankenmaterials der Kgl. ungarischen
rhino-laryngologischen Universitätsklinik in den
Jahren 1910—1912.
Nebst Besprechung der interessanten Fälle.
Dr. Desiderius Dörner,
Assistenzarzt der Klinik.
Auf der Ambulanz der im September 1910 eröffneten rhino-laryngo-
logischen Klinik meldeten sich bis zum 31. Dezember 1912 7402 neue
Kranke: hingegen wurden von Februar 1912 bis Ende desselben Jahres
260 Patienten auf die Klinik aufgenommen. Unter den 7402 behandelten
Patienten fanden sich folgende der Mitteilung werte interessante Fälle:
I. Bildungsanomalien.
Unter den Kranken, die unsere Klinik aufsuchten, waren 434, bei
welchen eine Deformation der Nasenscheidewand vorhanden war.
In allen Fällen, die eine Operation zuliessen, unternahmen wir ‘eine sub-
muköse Resektion, mit welcher wir immer ein gutes Resultat erzielen
konnten. Zur Tamponade nach der Operation kann mit Mikuliczscher
Lapissalbe imprägnierte Sterilgaze empfohlen werden. Diese Tamponade
bewährt sich deshalb, weil sie längere Zeit in der Nase liegen kann, ohne
dass eine Fäulnis entstehen würde, und weil sie an der Schleimhaut nicht
anklebt und so bei ihrer Entfernung die leicht aneinander haftende Schleim-
haut nicht abhebt.
Wegen choanaler Atresie wurden zwei Kranke operiert.
Die eine Kranke war eine 56 Jahre alte Frau J. B., welche auf die Klinik
kam mit der Klage, dass sie immer mit offenem Munde schlafen müsse. Von vorn
scheinen beide Nasenbälften frei zu sein. Bei der Postrhinoskopie ist zu sehen,
dass beide Choanen durch gelbliche membranöse Gebilde verschlossen sind und nur
oben eine kleine Oeffnung vorhanden ist. In lokaler Anästhesie werden die die
Choanen verschliessenden narbigen Membranen lateral und medial von den Rändern
der Choanen abgetrennt und auf den Boden der Nasenhöhle angelegt, hierdurch
140 D. Dörner, Kasuistik.
wird in den beiden Choanen eine fingerbreite Oeffnung gebildet und mit in
Mikuliozscher Salbe imprägnierter Gaze tamponiert; die Kranke genas am
10. Tage, die Nasenatmung ist vollkommen frei.
Der zweite Fall bezieht sich auf einen Sjährigen Knaben, welcher eine an-
geborene Choanalatresie hatte. Linke Nase normal. Die rechte Nase lässt in ihrem
hinteren Teile keinen Durchgang zu, bei der Sondierung stossen wir auf einen
harten Widerstand. Bei der Postrhinoskopie sieht man, dass der Rhinopharynx
sich rechts verengt und die rechte Choane vollkommen verschlossen ist; in ihrem
mittleren Teile ist eine 2 mm grosse Vertiefung wahrnehmbar, Operation in Aether-
narkose; die rechte untere Muschel wird entfernt und die Atresie mit dom Meissel
eröffnet, wodurch eine I cm weite Oeffnung gewonnen wird.
Ein Kranker wurde wegen Faux lupina operiert.
J. K., 26jähriger Feldarbeiter, hat seit seiner Geburt eine näselnde Stimme.
Die vorderen zwei Drittel des Palatum durum zeigen keine Veränderungen, am
letzten Drittel und am Palatum molle ist eine gotisch gewölbte Spalte zu sehen,
welche die Uvula teilt. Die Ränder der Spalte werden aufgefrischt, in die Musku-
latur des Gaumens wird beiderseits ein längsführender Schnitt gemacht, um eine
Spannung zu vermeiden und die aufgefrischten Ränder mitSeidennähten zusammen-
genäht. Der Kranke verlässt die Klinik am achten Tage mit ziemlich reiner Sprache.
II. Fremdkörper.
Unter den in dem vorerwähnten Zeitraum auf der Ambulanz erschienenen
Kranken waren sechs, bei denen im Gebiete der oberen Luftwege und
im Oesophagus Fremdkörper zu finden waren. In drei Fällen handelte es
sich um 3—4jährige Kinder, wo der Fremdkörper in der Nasenhöhle zu
finden war. In einem Falle war ein Kukuruzkorn, in einem andern eine
Glasperle und in einem dritten ein Westenknopf in der Nase. Alle diese
konnten leicht entfernt werden. Viel seltener und interessanter waren die
folgenden Fälle:
Ein 42jähriger Mann erschien mit der Klage, dass er am Vortage Milchsuppe
gegessen und dass ihm die in der Suppe gekochte Mehlspeise im Halse stecken
geblieben sei; sein Arzt sondierte ihm die Speiseröhre, worauf er eine zusammen-
geklebte, etwa kindsfaustgrosse Mehlspeisemasse erbrochen hätte; bei abermaliger
Sondierung soll die Sonde angeblich in den Magen geglitten sein. Der Mann kann
wohl schlucken, doch sowohl beim Sohlucken wie auch sonst verspürt er Schmerzen
an einer Stelle des Schlundes. Am Röntgenbild zeigt sich in der Höhe des Jugulum
ein etwa ö Kronenstück grosser runder Fremdkörper. Mit dem Oesophagoskop ist
ein silberschimmernder, halbkreisförmig gebogener Fremdkörper mit glatter Ober-
fläche sichtbar, neben welchem der Tubus sehr leicht in die Tiefe gleitet, und
welchen aus seiner der Wand des Oesophagus fest anliegenden und fixierten Lage
fortzurücken und mit Fremdkörperpinzetten von oben zu erfassen nicht gelang;
schliesslich wurde er mit dem Gräfeschen Münzenfänger von unten eingehakt
und herausgehoben. Der Fremdkörper erwies sich als eine halbkreisförmig gebogene
Blechkapsel einer Milchflasche. Dieser Zustand der Kapsel macht es begreiflich,
dass daneben die Schlundsonde in die Tiefe gleiten konnte, aber es ist nicht ans-
geschlossen, dass eben bei der ersten Sondierung die Kapsel derart gebogen und
bis zum Jugulum hinabgestossen und hier fixiert wurde. Auch dieser Fall mahnt
D. Dörner, Kasuistik. 141
zur grössten Vorsicht bzw. Zurückhaltung hinsiohtlich der Anwendung der Oeso-
phagussonden bei Fremdkérpern.
Ein anderer Fall, den wir beobachten konnten, war A. Z., eine 68jährige
Feldarbeitersgattin, die vor etwa 8 Tagen eine Nähnadel verschluckte. Seit dieser
Zeit fühlt sie in ihrer Zunge einen fortwährenden Schmerz. In der Zunge ist kein
Fremdkörper zu fassen. Die rückwärtige Wand des Rachens ist stark hyperämisch
und vorgewölbt. Bei der Laryngoskopie ist zu sehen, dass aus dem Larynx durch
dessen hintere Wand eine Nadel in die hintere Pharynxwand eingedrungen ist und
dort festsitzt, und deswegen gelingt es nicht, die Nähnadel mit der Mackenzie-
schen Zange zu entfernen. Wir müssen deshalb die Nadel gegen den Larynx mit
der Spitze zu weiterschieben und nachdem die andere Spitze, welche in die hintere
Pharynxwand eingedrungen war, frei wurde, konnte man die Nadel, hier an der
Spitze fassend, entfernen. Die Nadel war 6 cm lang. Die Schwellung der hinteren
Rachenwand ging am nächsten Tage schon zurück.
Ein anderer Fall bezieht sich auf eine 26jährige Frau, deren falsches
Gebiss 2 Tage vorher beim Essen zerbrach, wobei ein Teil des Gebisses in den
Larynx gelangte. Sie bekam einen Erstickungsanfall, der sich aber naclı einigen
Minuten legte, und seit dieser Zeit fühlte sie ausser mässigen Atembeschwerden
und Schluckschmerzen keine grösseren Beschwerden. Das Atmen ist sehr erschwert,
stridorös. Bei der Laryngoskopie konnte man unter der linken Stimmlippe einen
braunrötlichen Fremdkörper sehen, der sich über die Glottis erhebt und beim An-
tasten mit der Sonde sich hart anfühlt. Am Röntgenbilde ist ein 5 cm langer und
1! cm breiter Fremdkörper zu sehen, der seiner ganzen Länge nach in der
Richtung der Trachea liegt. Die Extraktion erfolgt unter Führung des Kehlkopf-
spiegels mit der Mackenzieschen Zange. Der Fremdkörper ist 41/, cm lang, an
seiner breitesten Stelle 12 mm breit und besteht aus vulkanisiertem Gummi, am
Ende mit einer metallenen Klammer und ist ein Stück einer Gebissprothese. Es
ist bemerkenswert, dass der Fremdkörper, welcher wahrscheinlich mit seiner
Klammer an den obersten Trachealring sich eingehakt hat, ungefähr 48 Stunden
im Larynx sass, ohne eine grössere Reaktion in demselben hervorzurufen.
IH. Entzündungen.
Hierher kann ein interessanter Fall gerechnet werden, bei welchem
eine entzündliche Hypertrophie der Nasenscheidewand bestand:
E. S., ein 18jahriges Madchen bekommt ungefähr seit 6 Jahren durch ihre
Nase ungenügend Luft. Der untere Teil des Septums scheint in etwa 11/, cm
breitem Streifen gesund zu sein. Oberhalb dieser gesunden Partie ist das Septum
beiderseits stark verdiokt, so dass diese Verdiokung eine ungefähr nussgrosse Ge-
schwulst bildet. Diese Geschwulst ist bei Antasten schmerzlos, elastisch weich
und versperrt die Nasenhöhle so, dass die Kranke kaum Luft bekommt. Die histo-
logische Untersuchung ergiebt, dass die Geschwulst eine entzündliche Hypertrophie
der Mukosa ist. Die verdickte Mukosa ist vom Knorpel- und Knochenseptum sehr
leicht abschälbar. Nach der Operation wird die Nasenatmung normal.
Mit Tonsillitis lingualis, Abscessus hypopharyngis und
Epiglottitis phlegmonosa consecutiva nahmen wir einen 49jährigen Mann
auf, welcher angeblich seit einer Woche krank ist. Er führt seine Erkrankung auf
eine Erkältung zurück; in den ersten Tagen fieberte er, seit drei Tagen ist er
aber fieberfrei. Um Mitternacht vor dem Tage, wo er aufgenommen wurde, soll
142 D. Dörner, Kasuistik.
er mehrere Erstiokungsanfälle gehabt haben. Bei solch einem soll er das Bewusstsein
verloren haben. Status praesens: Innerlich ist nichts Krankhaftes nachzuweisen.
In der Nase ist keineVeriinderung am unteren Teile des Rachens, rechts oberhalb des
Kehlkopfeinganges ist eine nussgrosse entzündete Schwellung zu sehen. In der
Mitte dieser Schwellung ist eine Stelle zu sehen, wo sich Eiter entleert. Die An-
schwellung verdeckt einen grossen Teil des Kehlkopfseinganges. Die Epiglottis
ist ungefähr 1 cm verdickt, ödematös angeschwollen. Die Stimmlippen sind nicht
zu sehen und der Larynxeingang ist ausserordentlich eng. Die Zungentonsillen sind
angeschwollen und an diesen sind einige eitrige Pfröpfe zu sehen. Zwei Stunden
nach der Aufnahme bekommt der Patient plötzlich einen Erstickungsanfall, weshalb
sofort eine Tracheotomie gemacht wird. Die Suffokation wurde, wie man sehen
konnte, durch den aus dem sich eréffnenden Abszess ausfliessendem Eiter und durch
die kollabierende Wand des Abszesses verursacht. Am 12, Tage verlässt der Patient
die Klinik geheilt.
Mit Pem yhie us mucosae oris, yharyngis et lar "neis wurde
D 3 ] y oD D
ein Kranker aufgenommen:
N. F., 63jähriger Kaufmann, welcher angeblich seit Januar 1910 krank ist.
Patient leidet an Schluckbeschwerden und an brennenden Schmerzen im Rachen.
Im Mai 1912 besserte sich sein Zustand, nach kurzem Wohlsein verschlimmerte
er sich jedoch von neuem, es bildeten sich in seinem Munde und Rachen Blasen,
welche aufplatzten, dann heilten, doch kamen an anderen Stellen neue Blasen zum
Vorschein. Patient wurde in Lemberg, dann in Wien mit Lapis- und Korffin-
pinselungen behandelt, auch mit Chinin. Seit zwei Wochen hat er Augen-
schmerzen. Status praesens: In beiden Nasenhälften sind Polypen zu sehen.
An der Schleimhaut der rechten Wange ist eine, an der linken Wange mehrere
Stellen, wo das Epithel sich erhöht hat, und mehrere Stellen, wo oberfläch-
liche Geschwüre zu sehen sind, um welche das Epithel zerfranzt hängt. Diese
Geschwüre sind sehr oberflächlich, wenig blutend. Auf der Zunge links nahe
zur Mittellinie ist ein helles, grosses dem oben beschriebenen ähnliches Ge-
schwür zu sehen. Am Pharynx links und auf der Uvula ist je ein aufgeplatztes
Bläschen. Im Larynx an der Epiglottis und an der linken aryepiglottischen Falte
ist ein Geschwür, von dessen Rande ein langer Epithelstreifen hinunterhängt.
Unsere Diagnose war: Pemphigus vegetans. Patient bekommt täglich 3mal
1/, Gramm Chinin; die Geschwüre und die Bläschen werden mit Cykloform-Coryfin
bepinselt. Am 10. Tage bekam der Kranke ein Erysipel und wurde deshalb in
das Epidemiespital überführt. Sein weiteres Schicksal ist uns unbekannt.
Von den mit Entzündungen der Nasennebenhöhlen behandelten
Fällen wollen wir nur jene anführen, in welchen die Kranken in die Klinik
aufgenommen wurden, durch längere Zeit behandelt werden konnten, bzw.
operiert wurden.
Von den Empyemen lokalisierten sich zwei bloss auf die Hishmors-
höhle.
In einem derselben war nur der linke Sinus maxillaris erkrankt; aus der
Oeffnung des Antrums fliesst Eiter; das Röntgenbild ist an Stelle des linken
Antrums verschwommen; bei der Punktion entleert sich viel Eiter. Nachdem aber
durch tägliche Ausspülung keine Heilung erzielt wurde, musste zur typischen
Donkerschen Operation geschritten werden. Nach 14 Tagen war der Patient
D. Dörner, Kasuistik. 143
geheilt. Der zweite Fall bezieht sich auf einen 24jährigen Maschinisten, in welchem
beide Antra erkrankt waren. Vor einem Jahre wurden aus der Nase Polypen
entfernt. In dem mittleren Nasengange beiderseits ist viel übelriechender Eiter zu
sehen; am Röntgenbilde sind die Highmorsgegenden beiderseits verschwommen, bei
der Punktion entleerte sich aus beiden Höhlen übelriechender Eiter. Die tägliche
Ausspülung der Highmorshöhle ergab selbst nach drei Wochen keine Heilung,
weshalb wir erstens an der linken Seite, dann an der rechten Seite eine typische
Denkeroperation vornahmen in einem zweiwöchentlichen Zwischenraume. Die
Heilung lief glatt ab, nach 8 Tagen volle Genesung.
Drei Kranke wurden wegen isolierten Empyems des Siebbein-
labyrinthes behandelt. In diesen Fällen war die mittlere Muschel an
der Seite des Empyems vergrössert, es waren auch Polypen zu sehen.
Die Kranken lokalisierten die Schmerzen auf die Stirngegend und Augen.
Am Röntgenbilde war die pathologische Veränderung immer zu konstatieren.
Durch Resektion des vorderen Teiles der mittleren Muschel und Exkochleation
des Siebbeinlabyrinthes, die immer intranasal geschah, konnte Heilung er-
reicht werden.
In einem Falle war das Empyem der Highmorshöhle kombiniert
mit einer Eiterung der Siebbeinzellen derselben Seite. Der Fall
bezieht sich auf eine 58jährige Frau, welche nach der Resektion des
vorderen Teiles der mittleren Muschel und Eröffnung der Siebbein-
zellen und nach täglichem Ausspülen der Highmorshöhle in kurzer Zeit
ceheilt wurde.
Bloss wegen Eiterung des Sinus frontalis behandelten wir 7 Kranke.
In allen 7 Fällen war die Eiterung akut; in 2 Fällen erreichten wir
durch Kokain-TonogengSpray und Tampons und durch warme Umschläge,
die auf die frontale Gegend gelegt wurden, in kurzer Zeit Heilung. In
> Fällen mussten wir den vorderen Teil der mittleren Muschel resezieren
und erreichten durch Kokain-Tonogen-Tampons auf die nasale Oeffnung
des Ductus nasofrontalis in kurzer Zeit Heilung. |
In 3 Fällen war eine Eiterung des Siebbeinlabyrinths und des
Sinus frontalis an gleicher Stelle vorhanden; in all diesen Fällen war
die Eiterung chronisch. In 2 Fällen konnten wir Heilung durch Ent-
fernung der mittleren Muschel, Exkochleierung des Siebbeinlabyrinths und
durch Ausspülung des Sinus frontalis erzielen.
In einem Falle bei einem 28jährigen Schneider, welcher seit 5 Jahren zeit-
weise an äusserst heftigen Kopfschmerzen leidet, war bei der Untersuchung der
Nase zu sehen, dass die mittlere Muschel reseziert, im mittleren Nasengange viel
dickflüssiger grünlich gelber Eiter vorhanden ist, dessen Ausfluss aus dem Ductus
nasofrontalis gut wahrnehmbar ist. Die vorderen Siebbeinzellen bestehen nicht
mehr, an ihrer Stelle sind nur wenig Granulationen und kleine Polypen zu sehen
die von Eiter überschwemmt sind. Am Röntgenbilde ist der rechte Sinus frontalis
und die rechten Siebbeinzellen ganz verschwommen. Die Gegend oberhalb des
nedialen Augenwinkels und die des Sinus frontalis ist auf Druck und Anklopfen
ausserordentlich schmerzhaft. Augenbefund: Am rechten Auge ist der blinde
Fleck bis 450 vergrössert, das Gesichtsfeld stark verengt; das linke Auge normal.
144 D. Dörner, Kasuistik..
Temperatur 39,5. Operation nach Killian in lokaler Anästhesie mit 1 proz. Novo-
cainlösung und mit Tamponade des Nasopharynx: Typischer Bogenschnitt; der
Sinus frontalis wird unmittelbar oberhalb der Tränendrüse geöffnet; die Schleim-
haut ist dunkel, graulich blau, vorgewölbt, nach ihrer Eröffnung entleert sich sehr
viel grünlich-gelber übelriechender Eiter. Der Processus frontalis wird reseziert
und nach der Resektion des Tränenbeines und des vorderen Teiles der Lamina
papyracea wird das Siebbeinlabyrinth exkochleier. Die vordere und untere
knöcherne Wand des Sinus frontalis wird mit Bildung einer Killianschen Leiste
entfernt und die Schleimhaut ausgekratzt, die Tamponade des Nasopharynx ent-
ferot und nach Einsetzung einer Drainröhre die Haut durch Seidennähte vereinigt.
In das Augo bekam der Patient Atropin und wurde verbunden, in den ersten Tagen
bekam er 3mal täglich !/ Gramm Urotropin. Am 12. Tage verliess Patient geheilt
die Klinik.
In einem Falle vollzogen wir wegen Eiterung im linken Sinus frontalis
und im Sinus sphenoidalis eine Operation. Bei der öljährigen Frau wurde
der grösste Teil der mittleren Muschel entfernt und das Siebbeinlabyrinth exkoch-
leirt; die vordere Wand des Sinus sphenoidalis wurde breit eröffnet und nach täg-
lichem Ausspülen trat bald Heilung ein.
Ein interessanter Fall, eine Eiterung des Sinus frontalis und der
Siebbeinzellen, an welche sich eine purulente Meningitis als
Komplikation anschloss, war der folgende:
Zs. N., 37jährige Frau kam mit der Klage in die Klinik, dass sie ungefähr
vor 15 Jahren an Influenza erkrankt war und seit dieser Zeit an fortwährenden
Kopfschmerzen leidet, welche sich besonders auf die reohte Stirngegend und Nasen-
wurzel lokalisieren; angeblich hätte sie seit dieser Zeit auch einen eitrigen Aus-
fluss aus der rechten Nasenhälfte. Sie stand oft in ärztlicher Behandlung. Anfangs
wurden angeblich nur ihre Kopfschmerzen mit Pulver behandelt, dann aber auch
ihr Nasenausfluss. Ihre Kopfschmerzen verschwanden aber nicht, sie wurden im
Gegenteil immer heftiger, zu welchen Leiden in der letzten Zeit auch noch Schlaf-
losigkeit hinzu kam. Vor der Aufnahme in der Klinik wurde sie angeblich in der
Provinz durch Ausspülung der Highmorshöhle behandelt. Status praesens: Im
Munde, imRaohen und im Larynx sind pathologischeVeranderungen nicht zu sehen.
An der äusseren Nase sind Veränderungen nicht vorhanden; in der Nasenhöhle
links sind keine Veränderungen; rechts ist die Schleimhaut sehr hyperämisch,
die untere Muschel ein wenig vergrössert, und die mittlere Muschel polypös de-
generiert, im mittleren Nasengange ist ein Eiterstreifen zu sehen; auf Kokaini-
sierung vergrössert sich der in dem mittleren Nasengange vorhandene Eiterstreifen;
bei der Punktion entleert sich viel dickflüssiger mit brüchigon Massen vermengter
und übelriechender Eiter. Die Patientin leidet an sehr grossen Kopfschmerzen
und an Schlaflosigkeit. Am Röntgenogramm ist eine vollkommeneVerschwommen-
heit des rechtsseitigen Siebbeinlabyrinthes und Antrums zu sehen, der Sinus fron-
talis scheint gesund zu sein. Bei Kokain-Tonogen-Anästhesierung resezieren
wir die mittlere Muschel und eröffnen die vorderen Siebbeinzellen, da aber
viel Eiter hervorfliesst, werden sie exkochleiert; das Antrum eröffnen wir mit einem
Troikart in dem unteren Nasengange und vergrössern dieOeffnung mit einer Stanze.
Die Highmorshöhle wird täglich ausgespült. Die Kopfschmerzen verschwinden all-
mählich, der eitrige Ausfluss vermindert sich. Am 13. Tage verlässt die Patientin
bei allgemeinem Wohlbefinden und nur sehr geringfügigem eitrigen Ausflusse die
D. Dörner, Kasuistik. 145
Klinik und wird ambulant weiter behandelt. Das Wohlbefinden der Patientin
dauerte aber nur zwei Wochen. Die Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit traten
wieder auf und die Eiterung ward wiederum grösser. Wir nahmen die Patientin
von neuem in die Klinik auf um eine radikale Operation auszuführen. DieÖperation
wurde in lokaler Anästhesie ausgeführt. Vor der Operation bekam die Kranke
ein Zentigramm Morphinum. Operation nach Denker: Nach Eröffnung der vorderen
Wand des Antrums ist zu sehen, dass die Schleimhaut der Höhle stellenweise stark
verdickt, polypös ist, an anderen Stellen vollkommen nekrotisch; die ganze Schleim-
haut ist mit einem dicken schmutzigen Belage bedeckt. Die so pathologisch ver-
änderte Mukosa wird vollkommen entfernt, nachher wird das ganze Siebbein-
labyrinth ebenfalls entfernt; die laterale Nasenschleimhautwand wird auf denGrund
der Highmorshöhle antamponiert, die Weichteile im Munde mit Katgutnähten ver-
einigt. An der Stelle des exkochleierten Siebbeinlabyrinthes wird keine Tamponade
angewendet. Die Tamponade des Antrums wird am 4. Tage entfernt; die Schleim-
haut in der Uebergangsfalte der oheren Lippe ist an einer Stelle nekrotisch; die
rechte Gesichtsseite ist stark angeschwollen. Temperatur 39. Am sechsten Tage
ist die Temperatur 37,8; die Nekrose der Schleimhaut ist vorgeschritten. Auf
Inzision, welche vom Munde aus in die Wange gemacht wurde, entleerte sich un-
geführ 2 ccm blutiger Eiter. Abendtemperatur 38,9. Am 7. Tag ist die Tem-
peratur 35,1. Grosse Kopfschmerzen sind vorhanden. Die interne Untersuchung
war von negativem Erfolge. Im Harn ist ein wenig Eiter und Eiweis zu finden.
Abendtemperatur 38. Am achten Tage ist die Frühtemperatur 38,1, die Abend-
temperatur 38,6. Die Geschwulst des Gesichtes ist verkleinert. Die Schleimhaut
der Wange ist an einer ziemlich grossen Stelle nekrotisch. Beim Ausspülen des
Antrums entleert sich kein Sekret. Das Sensorium ist ein wenig getrübt, die
Pupillen sind mittelgross, gleich, reagieren gut, geringe Nackenstarre ist vor-
handen. Die Bewegung des Kopfes ist schmerzhaft, doch durch Beklopfen ist eine
grössere Schmerzhaftigkeit nirgends zu lokalisieren. Der Patellarreflex ist ein
wenig erhöht; der Puls entspricht der Temperatur, ziemlich voll und rhythmisch.
Darmentleerung auf Bitterwasser. Am neunten Tage ist die Frühtemperatur 37,9.
Temperatur in der Nacht un 12 Uhr: 41. Das Sensorium ist zeitweise getrübt.
Gegen das Fieber bekommt Patientin 2mal täglich Pyramidon und 2mal 1 cem
Digalen. Am zehnten Tage wird die Trübung des Sensoriums immer ausge-
sprochener, gleichfalls auch dieGenickstarre. Die Pupillen sind erweitert, reagieren
auf Licht nicht, der Puls ist 110—120, schwach. Frühtemperatur 39, Abend-
temperatur 39,6. Das Schlucken, die Aufnahme der Nahrung ist sehr erschwert.
Spontan kann die Patientin nicht urinieren, wird katheterisiort. Am elften Tage
ist die Pat. vollkommen apathisch, die Pupillen sind ganz erweitert, der Puls sehr
frejuent, klein. Trotz der angewendeten Exzitantien stellt sich der Exitus Nach-
mittag ein. Es ist schade, dass der so lehrreiche Fall durch Obduktion nicht noch
mehr aufgeklärt werden konnte.
IV. Chronische Infektionskrankheiten.
1, Tuberkulose (Lupus).
Weren Nasentuberkulose behandelten wir 34 Kranke. Von diesen
waren IS Männer und 16 Frauen. In allen Fällen war der Ausgangsort der
Erkrankung das Septum. 10 Fälle hatten wir, wo die Tuberkulose tumor-
artir auftrat, in den anderen Fällen zeigte sie sich in der Form eines
Archiv für Larynxologie. 28. Bd. 1. Heft. 10
146 D. Dörner, Kasuistik.
diffusen Infiltrats mit ausgebreiteten Ulzerationen. In drei Fällen waren
auch die unteren Muscheln erkrankt, das Septum perforiert und zwar nicht
nur an der Stelle der Knorpel, sondern auch in seinem knéchernen Teile.
Jeder Kranke. mit Ausnahme eines, bei dem die Nasentuberkulose als eine
primäre auftrat, hatte auch eine Lungenaffektion. Der Fall der primären
Nasentuberkulose ist’ der folgende:
L. T., Gjähriger Knabe, kam mit der Klage in die Klinik, dass er seit vier
Monaten keine Luft durch die Nase bekommt und dass seine Nase seit dieser Zeit
angeschwollen ist. Der Nasenrücken war ein wenig breiter als normal, die Haut
darüber ein wenig hyperämisch, auf Druck schmerzhaft. Bei der rhinoskopi-
schen Untersuchung war zu sehen, dass von der äusseren Nasenöffnung der
Naseneingang einige Zentimeter an beiden Seiten durch ein graulich-rötlich
höckeriges granulationsartiges Gewebe verengt ist, das beim Anrühren mit der Sonde
sich weich anfühlt, leicht blutet. Bei der histologischen Untersuchung eines durch
Probeexzision entnommenen Teiles erwies es sich als Tuberkulose. Riesen-
zellen, Epitheloidzellen, Granulationsgewebe wurden gefunden, KochscherBaazillus
aber nicht. Die Untersuchung der inneren Organe ergab nirgends eine Tuberkulose.
Die Röntgendurchleuchtung zeigte eine normale Lunge. Im Rachen und im Kehl-
kopfe waren keine krankhaften Veränderungen zu sehen. Die Anamnese und die
Untersuchung auf Lues war von negativem Erfolge. Auf Grund dessen stellten
wir die Diagnose auf eine primäre Nasentuberkulose. Operation in lokaler
Anästhesie. Nach Entfernung der erkrankten Teile entsteht ein zwei [eller grosser
Defekt am Septum. Seit anderthalb Jahren keine Rezidive.
Bei der Behandlung der Nasentuberkulose verfuhren wir immer operativ
und zwar in der radikalsten Weise. Die erkrankten Gewebe wurden ent-
fernt, so dass wir auch in das Gesunde eindrangen, um ein Rezidiv zu
verhüten. In zwei Fällen erreichten wir durch die erste Operation dieses
Ziel nicht, und es musste schon in kurzer Zeit eine zweite Operation vor-
genommen werden, die dann bis jetzt eine beständige Heilung ergab.
Mit Lupus nasi suchten 66 Kranke unsere Klinik auf und zwar
16 Männer und 50 Frauen. In allen Fällen war auch ein Lupus der
äusseren Haut der Nase vorhanden. In einzelnen Fällen beschränkte sich
die Erkrankung nur auf den Naseneingang; in anderen Fällen erstreckte
sie sich auch auf die Muscheln, so besonders auf die untere; in den meisten
Fällen aber war der Sitz des Prozesses das knorpelige Septum. Der Lupus
der äusseren Nase wurde mit Röntgenbestrahlung behandelt, der der inneren
Nase mit verschiedenen Behandlungsmethoden; in den meisten Fällen aber
wurde operativ vorgegangen, auch in jenen Fällen, in welchen wir durch
medikamentöse Behandlungen keine Heilung erreichen konnten. 18 Kranke
behandelten wir nach dem Pfannenstillschen Verfahren, modifiziert nach
Strandbergs Empfehlung: Die Kranken bekamen dreimal täglich 1 g
Jodnatrium innerlich, und an die lupöse Stelle wurden in schwach ge-
säuerte Lösung von Hydrogensuperoxyd (3 pCt. und 1,5 pCt.) getauchte
Tampons angelegt, welche der Patient mittels Pipette beständig befeuchtet
hielt. In einzelnen Fällen wurde diese Behandlung 8 Wochen angewendet;
in der Hälfte der Fälle führte diese Behandlung zur Heilung, in der anderen
D. Dörner, Kasuistik. 147
Hälfte aber nicht. Bei den meisten entstand eine Hyperämie, dann
kamen Epitheldefekte und Ulzeration der nicht exulzerierten Knötchen
zustande: im weiteren Verlaufe heilten die Ulzerationen, indem sie sich mit
kleinen Granulationen füllten, alsdann epithelisierten; inzwischen flachte
sich die infiltrierte Partie ab und nach Weglassung der Tampons hatten wir
nach einigen Tagen eine glatte, feste Schleimhautoberfläche von fast nor-
maler Farbe vor uns. So war der Verlauf bei der Hälfte der behandelten
Fälle; hingegen wich bei den übrigen das Irritationsstadium nicht, selbst
nicht nach Weglassung des Jodnatriums, wie dies Pfannenstill in solchen
Fällen empfiehlt, oder es entstanden mehr schlaffe Granulationen, die keine
Heilungstendenz zeigten, das Infiltrat blieb wie vorher prominent; einige
der Patienten wurden mittlerweile der für sie ziemlich kostspieligen und
umständlichen Behandlung überdrüssig und verlangten eine Behandlung, die
rascher zur Heilung führt. Zu bemerken ist noch, dass von den geheilten
Fällen der eine in 6, der andere in 8 Monaten rezidivierte. Einige Kranke
behandelten wir durch Aetzung mit Trichloressigsäure und Milchsäure; das
Resultat war aber nicht befriedigend. In den übrigen Fällen befolgten wir
die operative Behandlung, so auch bei denen, bei welchen wir durch
andere Verfahren kein gutes Resultat erzielten. Mit dieser gelangten wir
zu den besten Resultaten, und sie war auch die zweckmässigste, weil der
grösste Teil unserer Kranken, aus der armen Klasse bestehend, eine lange
und teure Behandlung nicht in Anspruch nehmen konnte. Die erkrankten
Teile entfernten wir mit dem Messer oder scharfen Löffel, nachher kauteri-
sierten oder ätzten wir die Wunde mit einer hochkonzentrierten Milchsäure.
Unter den an Nasenlupus leidenden Kranken waren ausser dem endo-
naxsalen Lupus auch solche Fälle, wo die Erkrankung an anderen Stellen
der oberen Luftwege sich zeigte. In zwei Fällen war sie im Rhinopharynx,
in 9 Fällen in der Mundhöhle, in 5 Fällen im Rachen, in 6 Fällen im
Kehlkopfe; ausser diesen hatten- wir noch 3 Fälle van primärem Kehlkopf-
lupus. Von letzteren wurde 1 Kranker in die Klinik aufgenommen, die
übrigen waren ambulante Patienten.
Ausser den bisher angeführten Lupusfällen wollen wir in Kürze die
Krankheitsgeschichte des in die Klinik aufgenommenen Lupuskranken geben:
I. R., ein 11 jahriges Mädchen ist seit einem Jahre heiser und bekommt eben-
falls seit einem Jabre keine Luft durch die Nase. Vor einem halben Jahre wurde
sie in der Provinz operiert, doch verstopfte sich die Nase von neuem. Status
praesens: In beiden Nasenhälften ist ein auf dieNasenscheidewand, auf den Nasen-
boden und auf beide untere Muscheln sich ausbreitendes graulich-blass-rötliches,
weiches, leicht blutendes, mit Tuberkeln bestreutesGewebe zu sehen, das den Fin-
anır bis auf eine einige Millimeter weite Oeffnung verengt; am Halse sind beider-
seits ein wenig schmerzhafte infiltrierte Drüsen; im Rhinopharynx und im Pharynx
ist eine Hyperamie zu sehen, im Kehlkopfe an der Epiglottis, an den aryepiglottischen
Falten und subglottisch sind einige verstreute graue blasse Tuberkeln wahrnehn:-
bar. Beide Lungenspitzen sind infiltriert. Das Blut normal. Am linken Ellen-
Loven ist ein kinderhandflachegrosses Skrophuloderma zu sehen. Die Nase wird
operiert, ein Teil des knorpeligen Septums reseziert und die in dem Kehlkopf
10*
148 D. Dörner, Kasuistik.
befindlichen Tuberkeln mit Milchsäure geätzt. Die Kranke verlässt die Klinik mit
freier Nasenatmung, der Larynx wird ambulant weiter behandelt.
Ein zweiter Fall betrifft eine 35jahrige Frau, welche ungefahr seit6 Jahren
an Nasenverstopfung leiden soll. Vor einem halben Jahre wurde sie in der Haut-
klinik behandelt, seit zwei Monaten hat sie geringfügige Schmerzen im Larynx.
Status praesens: An derNasenspitze, am Nasenriicken, an beiden Nasenflügeln,
besonders aber rechts ist die Haut an einer etwa 5Mark grossen Stelle hyperämisch,
stellenweise weiss, narbig, an der ganzen veränderten Stelle sind zerstreut grau-
liche Tuberkeln zu sehen. Am vorderen Teile der rechten Nasenöffnung sind kleine
Geschwüre zu sehen, welche einen ausgenagten Rand haben und mit gelblichen
Borken bedeckt sind. Der rechte Nasenflügel ist ein wenig eingesunken. In beiden
Nasenöffnungen ist die Schleimhaut von innen ringsum bis in eine Tiefe von
1—2 cm teilweise knotig infiltriert, teilweise exulzeriert und mit Borken bedeckt.
Am Septum, am knorpeligen Teile ist ein pfenniggrosser Defekt, die Ränder sind
infiltriert und mit typischen Tuberkeln bedeckt. An der Oberlippe, an der
Gingiva, am vorderen Teil des harten Gaumens ist die Schleimhaut knotig infiltriert,
stellenweise exulzeriert. In der Mittellinie des Velum an einer bohnengrossen
Stelle und an den Gaumenbögen ist eine knotige Infiltration zu sehen, die Uvula
ist zugrunde gegangen. Am linken hinteren Gaumenbogen und im Mesopharynx
sind typische Narben zu sehen. Die Epiglottis hat besonders an ihrer linken Seite
das dreifache der normalen Dicke. An ihren beiden Flächen und Rändern sind
exulzerierte Knötchen zu sehen. Die Knötcheninfiltration greift auf die linken ary-
epiglottischen Falten über. DieEpiglottis ist starr und zeigt in ihrer Mitte eine Ein-
buchtung. Beide Fossae supraclavicularessindeingesunken. BeiderInspiration bleibt
die linke Lunge ein wenig zurück. Beide Lungenspitzen sind infiltriert. Operation
mit lokaler Anästhesie, in der Nase und im Mund befindliche lupöse Veränderungen
werden mit Messer, scharfem Löffel und mit der Schere entfernt; die Epiglottis
wird amputiert. Die Kranke wird ambulant weiter behandelt und zwar so, dass
die in der Nase, im Kehlkopfe und im Munde befindlichen Veränderungen mit
Milchsäure geätzt werden. Die äussere Nase behandeln wir mit Röntgenstrahlen.
Wir erreichten eine Heilung.
Die dritte Kranke, L. L., eine 33jährige Frau ist angeblich seit 17 Jahren
heiser, ihr Nasenleiden begann angeblich vor drei Jahren. Seit 8 Tagen ist das
Atmenerschwertundsiekannauch Flüssigkeitennichtschlucken. Status praesens:
Die die Nasenflügel bedeckende Haut ist beiderseits mit typischen lupösen Tuberkeln
infiltriert. Die laterale Seite des Naseneinganges ist exulzeriert und mit lupösen
Knötchen bedeckt. Am Septum ist eine zwei Pfennig grosse Dehiszenz. Die ganze
Zunge ist angeschwollen, infiltriert, kaum beweglich, besonders infiltriert ist die
Zungenwurzel, wo auch ein kronengrosses Geschwür zu sehen ist. Der Kehlkopf ist
nicht zu sehen wegen der Anschwellung der Zunge. Vor der Nahrungsaufnahme
bekommt die Kranke einen Cykloformspray, doch auch so ist sie nicht imstande sich
zu ernähren. Auch mit dem Katheter sind wir kaun imstande, ein wenig Milch in
den Oesophagus hineinzubringen. Temperatur wechselt zwischen 39 und 39,4.
Die Kranke stirbt am dritten Tage nach der Aufnahme. Nach dem pathologisch-
anatomischen Befunde ist die Schleimhaut des Nasenvestibulums verdickt,
lebhaft rot, mit rötlich-bräunlichem Sekrete bedeckt. Am vordersten Teile des Septum
cartilagineum ist eine 3—4 mm grosse rundliche Perforation. Die Schleimhaut
der Nasennebenhöhlen ist glatt, blass, graulich-rötlich. Das Peritoneum ist überall
glatt und glänzend. Die Muskulatur des Herzens ist blass rotbraun. Die Lungen
D. Dörner, Kasuistik. 149
sind ziemlich schwer und massig. Auf ihrer Schnittlläche sind gleichmässig zer-
streute kleine, teilweise graulichweisse transparente, teilweise gelblichweisse, nicht-
transparente Knötchenvon derGrösse einer Nadelspitze bis eines Hirsekorns zu sehen.
In der rechten Lungenspitze isteine nussgrosse, von zerfetzten und graugrünen Wänden
umgebeneltlöhlezusehen, diemiteiner dünnen Flüssigkeit, teilweiseabermitbrüchigen
Massen ausgefüllt ist. Die Epiglottis ist als solche nicht zu erkennen. Ihre Stelle
nimmt ein höckeriges blass rosafarbiges, narbiges Gewebe ein, welchesdurch narbige
Bindegewebstränge stark an die oberen Ränder des Schildknorpels von innen fixiert
ist. Die den hinteren Teil der Plica ventricularis, sowie den hinteren Teil des unter
ıhr sich befindlichen Ventriculus laryngis bildende Schleimhaut ist an einer etwa
einer !;„ cm grossen runden Stelle nicht vorhanden; an ihrer Stelle befindet sich
die Veffnung einer ungefähr haselnussgrossen Höhle. Die Wand dieser Höhle ist
ungleich höckerig graugrün zerfetzt, mit der Sonde ist hier und da der nackte
Knorpel zu tasten. An der oberen Fläche der Zunge parallel mit dem Sulcus
medianus sind zwei Geschwüre zu sehen, die an der Zungenspitze ineinander-
liessen und hinunter auf die untere Zungenfläche und von bier nach rückwärts an
die Zungenseite sich ziehen. Die Ränder dieser Geschwüre sind ein wenig aufge-
worfen, knorpelartig. Die in ihr Gebiet fallenden Zungenpapillen sind warzen-
fürmig vergrössert. Der Grund des Geschwüres ist überall glatt und die Muskulatur
ıst überall dunkelrot durchscheinend. Diagnosis: Lupus nasi et linguae (Ulcus
perforans septi cartilaginei). Ulcus tuberculosum et perichondritis tuberculosa
cartilaginis thyreoideae in regione partis posterioris plicae ventricularis et ven-
triculi laryngis l. sin. Tuberculosis miliaris pulmonum cum caverna apicis pul-
monis l. d. Gastritis chronica catarrhalis. Degeneratio parenchymatosa organorum,
nominaliter myocardii et renum. Infiltratio adiposa hepatis.
Wegen Lupus der linken Tonsille und des Larynx wurde J. M. eine
27 jährige Beamtin in die Klinik aufgenommen, die angeblich aus belasteter Familie
stammt und seit Jahren hustet. Ihr Mann ist lungenleidend. Sie erzählt, dass
thr Leiden ungefähr vor 4 Wochen im Munde begann. Sie stand in ärztlicher Be-
handlung und wurde angeblich mit Paquelin behandelt. Status praesens: Pat.
ıst schlecht genährt. In beiden Lungenspitzen besonders rechts Infiltrationen. Die
eanze Schleimhaut des Gaumens ist hyperämisch, stellenweise narbig. stellenweise
von hirse- bis banfkorngrossen von ausgenagten Rändern umgebenen und mit gelb-
lichem Sekret bedeckten Geschwüren ausgenagt. Um diese Geschwiire sind kleine
grauweisse Knötchen zu sehen, an der linken Tonsille und am linken Gaumen-
bogen sind zerstreut gleichfalls ähnliche kleine Knötchen. Im Larynx rechts und
links an den aryepiglottischen Falten und an der Schleimhaut des Aryknorpels,
die hyperämisch und ein wenig aufgelockert ist, sind gleichfalls Knötchen zu sehen.
Wir exkochleieren die an den Gaumenböügen, an der Tonsille sich befindlichen
hnotchen und ätzen sie mit SO proz.Milchsäure. Die Knötchen des l,arynx werden
rleichfalls mit Milchsäure geätzt. Am nächsten Tag entsteht am Gaumen an der
Stelle derExkochleation eine arterielleBlutung, die wir nur mit dem Paquelinstifte
und fester Tamponade stillen können. Die Kranke verliess die Klinik noch vor
Beendigung der Behandlung. Von dem weiteren Verlaufe der Krankheit wissen
wir nichts.
Ein wegen primären Larynxlupus in die Klinik aufgenommener
Fall ist der folgende:
M. O., ein 33jähriger Schuhmacher gibt an, dass seine Erkrankung seit vier
Monaten besteht, seit dieser Zeit hat er ein trocknes Gefühl im Rachen, kann
150 D. Dörner, Kasuistik.
kompaktere Speisen kaum schlucken, hat aber nur geringfügige Schmerzen.
Lues stellt er in Abrede. Status praesens: In den inneren Organen des
mittelmässig genährten Patienten sind krankhafte Veränderungen nicht zu kon-
statieren. Die Schleimhaut der Nase, des Mundes und des Rachens ist normal,
blass. Die Epiglottis ist ungefähr auf das doppelte ihrer normalen Dicke verdickt
und in der Längslinie eingebogen, die sie bedeckende Schleimhaut ist knotig in-
filtriert, die Knötchen sind grauweiss, klein, teilweise exulzeriert. Die Erkrankung
greift auch auf die linke aryepiglottische Falte über, welche gleichfalls ein wenig
verdickt und mit einzelnen Knötchen bestreut ist. Patient hustet sehr viel. Eine
Tuberkulose konnte nirgends im Organismus gefunden werden. Die Epiglottis
amputierten wir in lokaler Anästhesie und exkochleierten dieKnötchen, die an den
aryepiglottischen Falten sassen, und ätzten sie dann mit Milchsäure. Patient
musste 2 Tage mit Katheter ernährt werden, doch am dritten Tage konnte er schon
spontan schlucken. Seit einem Jahre ist er rezidivfrei.
Wegen Larynxtuberkulose wurden in den verflossenen 2 Jahren
auf der Klinik 321 Kranke behandelt, hiervon waren 229 Männer und
92 Frauen. Alle an Larynxtuberkulose Erkrankten hatten zu gleicher Zeit
auch eine Affektion der Lunge. Die Larynxtuberkulose trat an verschiedenen
Teilen des Larynx auf, so an der Epiglottis, an den aryepiglottischen
Falten, an den Stimmlippen, aber am häufigsten an der Regio interary-
taenoidea, teils in Form eines Infiltrats, teils als Perichondritis, teils aber
in ulzeröser Form. Der grösste Teil dieser Kranken wurde ambulatorisch
behandelt. Bei der Behandlung wurde ein sehr grosses Gewicht auch auf
den Lungenprozess gelegt. Die Veränderungen am Larynx wurden bei den
meisten ambulanten Kranken mit Milchsäure und 10- oder 20 proz.
Mentholöllösung in Form von Eintröpfelungen behandelt und auf das
Einhalten der Larynxdiät und der allgemeinen hygienischen Diät geachtet.
Den grössten Teil der Kranken behandelten wir nur kurze Zeit, da die
meisten aus der Provinz waren und wir sie wegen Mangels an Kranken-
betten nicht auf die Klinik aufnehmen konnten. Die Behandlung in den
Fällen, wo der Lungenprozess nur geringgradig war, war teilweise von
gutem Erfolge, in den Fällen aber, wo er ausgebreitet und die Kranken
von schwacher Konstitution waren, zeigte die Behandlung kein Resultat.
In drei Fällen wurde eine endolaryngeale Operation vorgenommen, indem
wir die Granulationen und die Geschwüre der Stimmlippen auskratzten
oder ausschnitten oder aber kauterisierten. In drei Fällen, wo es sich um
eine tuberkulöse Granulation an der hinteren Wand des Larynx handelte.
machten wir galvanokaustische Tiefstiche. In diesen Fällen, wo die tuber-
kulöse Granulation sich bloss auf die hintere Wand des Larynx lokalisierte,
konnten wir durch Kauterisation sehr gute Resultate erzielen, in den Fällen
aber, wo der tuberkulöse Prozess sehr ausgebreitet war, war das Resultat
nicht befriedigend. In fünf Fällen mussten wir wegen Suffokationserschei-
nungen eine Tracheotomie machen. In einem Falle wurde wegen grosser
Dysphagie eine Alkoholinjektion gemacht, in zwei Fällen aber übten wir
einen beständigen schwachen Druck auf den Nervus laryngeus superior aus.
Die interessanteren Fälle sind die folgenden:
D. Dörner, Kasuistik. 151
S. O., 3öjähriger Musiker, der angeblich seit 2 Jahren in ambulanter Be-
handlung steht. Grosse Infiltration der Lungen. An der linken Stimmlippe ist eine
etwa erbsengrosse tumorartige Schwollung zu sehen. Beide subglottische Gegenden
sind stark intiltriert. Wegen der stridorösen Atmung ist Patient schwer zu unter-
suchen. Bei der Atmung zieht sich die Supraklavikulargegend stark ein. Der
kranke ist ein wenig zyanotisch. Da die Atmung sehr erschwert ist, schreiten wir
zur Operation: es soll in lokaler Anästhesie eine Traoheotomia superior ausgeführt
werden. Nach dem Hautschnitt hört plötzlich die Atmung auf. Wir können schichten-
weise nicht weiter dringen und sind gezwungen, mit einem spitzen Bistouri in
die Trachea sofort einzustechen und zwar durch die Cartilago cricoidea, da
die Glandula thyreoidea sehr hoch gelagert ist; die Trachealwunde wird mit Haken
auseinandergezogen und die Kanüle eingeführt. Der Patient atmet trotz der Kanüle
nicht, so dass wir zur künstlichen Atmung greifen müssen. Nach 10 Minuten be-
kommt der Kranke einen Diaphragmakrampf, dann wird sein Gesicht rot und der
Kranke fängt an, spontan zu atmen. Die Wunde wird dann wie üblich behandelt.
Patient wird nach 2 Wochen auf eigenes Verlangen aus der Klinik entlassen.
Ein Kranker, den wir wegen Kehlkopftuberkulose tracheotomieren
mussten. starb 6 Tage nach der Operation durch Verblutung in-
folge Arrosion der Arteria anonyma.
Es handelte sich um eine 35jährige Frau, die mit sehr grossen Atmungs-
beschwerden in die Klinik kam. Insofern wir durch die rasch vorgenommene
Larynzoskopie konstatieren konnten, war die Dyspnoe durch eine an der rechten
Plica ventricularis und rechter Stimmlippe befindliche, teilweise exulzerierte
Infiltration verursacht, die sich auf die vordere Kommissur und subchordal aus-
breitete; ie Gegend der Aryknorpel war ödematös, die Glottis selbst bei torcierter
Respiration sehr enge. Wegen der sich rapid steigernden Atemnot wurde sofort zur
Tracheotomie geschritten, und da, bei der in Eile vorgenommene Laryngo-
skopie, eine exakte Diagnose nicht gemacht werden konnte und dieNotwendigkeit
eines späteren Eingriffes nicht ausgeschlossen war, machten wir als preliminäre
Operation eine Tracheotomia inferior. Bei den späteren Untersuchungen konnte
nıan eine Tuberkulose feststellen; seit derAufnahme war die Patientin fortwährend
fiebernd, hustete viel und entleerte viel eitriges Sputum; die interne Untersuchung
konstatierte eine ausgebreitete Tuberkulose der Lungen. Am dritten Tage nach
der Operation zeigte sich um die Wunde eine Phlegmone, weshalb wir die
Nähte entfernten, dann eine Inzision machen mussten, damit der Abfluss des
Sekrets gesichert war; die Phlegmone schritt aber doch weiter, am 6. Tag
nach der UOperation gegen Mittag bekam die Patientin unter heftigem Husten eine
grosse Blutung, das Blut strömte durch Nase, Mund und durch die Kanüle in
dickem Strahle hervor und in einigen Sekunden verblutete die Kranke. Nach all
diesen kamen wir zur Konklusion, dass die durch das eitrige Sputum verursachte
Infektion in die Tiefe gedrungen war, ein grosses Halsgefäss arrodiert wurde und auf
diesem WegeeineVerblutung zustandekam.DieseunsereAnnahme wurdebei derSektion
bestätiet, in dem die Arteria anonyma unmittelbar nach der Verzweigung der Carotis
und Subclavia dextra an einer 6 mm langen und 2—3 mm breiten Stelle arrodiert
war. Die Intima bedeckte noch teilweise die Stelle der Arrosion und war wie ein
dünnes Ventil aufhebbar, bezw. hinabdrückbar; um die Arrosion war die Intima
uberall reaktionsfrei glatt, glanzend; von der Stelle der Arrosion konnte man in
eine haselnussgrosse Höhle gelangen, welche aus den unter der Tracheotomiewunde
152 D. Dörner, Kasuistik.
sich befindlichen zerfallenen, bzw. nekrotierten Weichteilen entstanden warund deren
erau rosafarbige Wände mit schwarzgrünen Gewebsfetzen bedeckt waren. Diese
Nekrose der Weichteile verursachte also die sekundäre Arrosion der Arteria anonyma
mit konsekutiver Verblutung.
Drei solche Fälle von Larynxtuberkulose hatten wir, bei welchen eine
ausserordentlich grosse Dyspnoe bestand, das Schlucken für die Patienten
fast unmöglich war. Da eine Menthol- und Cykloform-Coryfinbehandlung
nicht genügend wirkte, ging unser Streben, um die Nahrungsaufnahme
einigermassen zu ermöglichen, dahin, den Nervus laryngeus superior unem-
pfindlich zu machen.
Der eine Fall betrifft eine 26jährige Frau, die schon seit Jahren an
Lungentuberkulose und Larynxtuberkulose leidet. Status präsens: Nase, Mund,
Rachen normal, die Epiglottis, beide Aryknorpel, die Plicae epiglotticae und die
Plicae ventricularos sind stark hyperämisch, geschwollen und umgeben die Glottis
in Form eines Hufeisens, weshalb auch die Glottis stark verengt ist und die Stimm-
lippen beinahe garnicht zu sehen sind; die subglottische Gegend beiderseits ist
ebenfalls entzündlich geschwollen. Das Schlucken ist ausserordentlich schmerzhaft;
Pat. kann nur sehr wenig Flüssigkeit schlucken. In beiden Lungen ausgebreiteter
tuberkulöser Prozess, links eine Kaverne. Rechts machen wir in den oberen Ast
des Nervus laryngeus eine Alkoholinjektion, ausserdem bekommt die Pat. dreimal
täglich 20 proz. Mentholöl instilliert; täglich dreimal Maltocol. Den nächsten Tag
vermindern sich die Schmerzen und die Kranke kann ganz gut Milch trinken. Am
dritten Tage wird auch in der Gegend des linken Laryngeus superior Alkohol in-
jiziert. Am vierten Tage hat Pat.kaum Schmerzen und ist imstande, weiche Speisen
zu schlucken. Am 7. Tage verlässt Pat. auf eigenes Verlangen die Klinik.
An zwei Kranken, die wegen ihrer grossen Dysphagie die Klinik auf-
suchten, wurde statt der Alkoholinjektion die Rethische Pelotte an der
Austrittsgegend des Nervus laryngeus superior angewendet.
Der eine Kranke war W. R., ein 57jähriger Mann, der seit Jahren hustet,
heiser ist und abends Temperaturerhöhung hat. Seit 8 Tagen hat er selbst beim
Schlucken von Flüssigkeiten grosse Schmerzen. Angeblich regurgitiert die Flüssig-
keit beim Schlucken und kann nur nach wiederholten Anstrengungen unter grossen
Schmerzen geschluckt werden. Neben einer ausgebreiteten Lungentuberkulose ist
die Schleimhaut des Kehlkopfes mässig hyperämisch; die Epiglottis ist im ganzen
ein wenig angeschwollen, die Plicae ventriculares sind, besonders die linke, ange-
schwollen, an der linken Taschenfalte vorn ist ein halbpfenniggrosses, mit
unregelmässigen Rändern umgebenes und mit schmutzig graugelbem Sekrete be-
decktes Geschwür zu sehen. Die Gegend der Aryknorpel ist entzündlich in-
filtriert. Die Gegend des Kehlkopfes ist von aussen auf Tasten überall schmerz-
haft, am empfindlichsten ist die Gegend zwischen dem Zungenbeine und dem
Schildknorpel, besonders aber die Austrittsstelle des Nervus laryngeus links;
schmerzhaft ist aber auch die Gegend des Nervus superior rechts; die Angabe des
Kranken ist aber, was die Lokalisation der Schmerzen anbelangt, unzuverlässig.
An die Eintritisstelle des Nervus laryngeus superior wird die durch Rethi kon-
struierte Pelotte angelegt, die einen mässigen Druck auf den Nervus ungefähr
11/ Stunden ausübt. Nach der Anwendung dieser Pelotte lokalisiert der Kranke
das Maximum der Empfindlichkeit an dem Schildkncrpel. Seine Angabe ist aber
D. Dörner, Kasuistik. 153
schwankend, sogar widersprechend. Flüssigkeit konnte er aber gut schlucken.
Am dritten Tag sollen seine Schmerzen angeblich ganz verschwunden sein. Kom-
packte und flüssige Speisen ist er gleichmässg imstande zu schlucken. Den vierten
Tag verlässt er die Klinik.
Der zweite Kranke, den wir mit einer Pelotte behandelten, war eine 20jahrige
Frau, die angeblich seit 3/, Jahr besonders beim Schlucken grosse Schmerzen
hatte, so dass sie in der letztenWoche kaum Nahrung aufnehmen konnte. Die Epi-
zlottis war stark angeschwollen, etwa auf das Doppelte der normalen Dicke. Die
Plicae epiglotticae waren hyperämisch, angeschwollen, die Schleimhaut der Ary-
knorpel war gleichfalls angeschwollen, ein wenig ödematös. Der ganze Kehlkopf
war auf Druck schmerzhaft. Die Nase und der Rachen normal. In den Lungen
waren ausgebreitete Infiltrationen. Auf den Laryngeus.superior wird die Rethische
Pelotte 11/, Stunden angelegt. Die Anwendung der Pelotie verursacht der Patientin
gar keine Beschwerden. Am nächsten Tage fühlt sie sich besser, wir legen noch-
mals und zwar zweimal täglich die Pelotte auf die Gegend der Nerven, und zwar
vormittags und nachmittags eine Stunde lang. Am dritten Tage wird die Pelotte
auch für eine Stunde angelegt. Am vierten Tage soll das Schlucken vollkommen
schmerzlos sein. Am siebenten Tage verlässt die Patientin die Klinik.
Einen sehr seltenen Fall hatten wir noch Gelegenheit, an der Klinik
zu beobachten, und zwar eine Tuberkulose sämtlicher Nebenhöhlen
der linken Seite.
Es handelt sich um die 3ljährige Frau eines Fabrikarbeiters, die die Klinik
aufsuchte mit der Klage, dass sie seit etwa 11/, Jahren keine Luft durch die linke
Nase bekomme und an Kopfschmerzen leide, die sie besonders auf die frontale
Gegend lokalisiert. Bei der rhinoskopischen Untersuchung war zu sehen, dass die
rechte Nasenhälfte normal, die linke aber durch eine graurötliche höckerige Masse
beinahe ausgefüllt war und den weiteren Einblick in die Nase verhinderte. Der
Tumor war mit der Sonde am Nasengrunde und beim Septum zu umtasten, so dass
es den Anschein hatte, als ob er aus der lateralenWand stamme. Seine Konsistenz
war ziemlich weich. In der Gegend des Tränensackes war eine hellergrosse, ent-
zündete Hautpartie zu sehen, in deren Mitte man eine kleine Fistelöffnung wahr-
nehmen konnte, aus welcher dünnflüssiger, geruchloser Eiter herausfloss. Das
Rüntgenbild war an der Stelle der linken Nasenhälfte und der linken Nebenhöhlen
verschwommen. Bei der Punktion des linken Antrums konnte man die Punktions-
nadel sehr leicht in die Higlimorshöhle hineinführen, so dass vorauszusetzen war,
dass ein Teil der nasalen Wand des Antrums nicht bestand; Eiter war nicht zu
finden, es entleerten sich nur wenig käsige Massen. Die Anamnese auf Lues und
die Wassermannsche Reaktion war negativ. Die Untersuchung der Lungen ergab
in der linken Lungenspitze einen schon längst abgelaufenen geheilten Prozess.
Die histologische Untersuchung des Tumors erwies, dass es sich hier um eine
Tuberkulose handelt. Bei der Operation wurde die Mouresche Methode befolgt:
Schnitt durch die Augenbrauen, verlängert bis in die Nasenöffnung, von diesem
Schnitte aus wurde die entzündete Hautpartie und der Tränensack entfernt. Die
Weichteile der äusseren Nase wurden zur Seite geschoben, ein Teil des linken
Processus frontalis, des Os maxill. sup. und das linke Nasenbein wurde reseziert
und die aus Granulationsgewebe bestehenden und teilweise verkästen Massen
wurden exkochleiert. Es zeigte sich, dass der Prozess sich auf das Siebbeinlaby-
rinth und auf die Highmorshdhle, deren nasale Wand er an einer kronengrossen
154 D. Dörner, Kasuistik.
Stelle usuriert hatte, ausbreitete, weshalb wir dasSiebbeinlabyrinth entfernten, ferner
auch die nasale Wand der Highmorshöhle und die Schleimhaut des Antrums aus-
kratzten. Der Prozess ging auch in den Sinus sphenoidalis über, weshalb wir seine
vordere Wand entfernten und den Sinus auskratzten, dann, da die Erkrankung auch
durch die untere Wand in den Sinus frontalis eingedrungen war, entfernten
wir unter Zurücklassung einer Killianschen Leiste die vordere Wand des Sinus
frontalis und exkochleierten die Schleimhaut. Den grössten Teil des Septums
mussten wir gleichfalls entfernen. Die so zustande gekommene grosse Höhle wurde
mit Jodoformgaze tamponiert und die Hautwunde genäht. Die Operation wurde
vor 8 Monaten ausgeführt. Die Kranke ist bis jetzt rezidivfrei.
2. Lues.
Mit syphilitischen Veränderungen der oberen Luftwege meldeten sich
im genannten Zeitraume 188 Kranke, und zwar mit sekundären Erscheinungen
100 (68 Männer und 32 Frauen), mit tertiären 88 (47 Männer und +1 Frauen),
während eine primäre Sklerose sich nicht vorfand. Die allgemeine anti-
luetische Behandlung leiteten wir selbst nur in einem Teile der Fälle ein,
die übrigen Patienten wurden nach der Klinik für Dermatologie und Syphilis,
bezw. zu der I. medizinischen Klinik gewiesen, wo sie Gegenstand unserer
weiteren Beobachtungen waren. Aufgenommen wurden auf unsere Klinik
26 Patienten, von welchen 15 sekundäre, 11 tertiäre Veränderungen hatten:
alle wurden mit Salvarsan intravenös behandelt. Bei der Auswahl
der Fälle wurden die bekannten Kontraindikationen strengstens eingehalten
und diesem Umstande, sowie der sorgfältigen Zubereitung der Lösung
(schwach alkalisch) und der äussersten Sterilität ist vielleicht der günstige
Umstand zuzuschreiben, dass in keinem Falle ernstere Komplikationen sich
einstellten. Frösteln, kleinere Temperaturerhöhungen (bis 37,6—38°),
Brechreiz und 1—2maliger Durchfall 2—3 Stunden nach der Injektion
zeigten sich in 5 Fällen; diese Erscheinungen Klangen innerhalb der ersten
24 Stunden ab, am nächsten Tag war die Temperatur normal, das Allgemein-
befinden gut. Namentlich bei sekundären Erscheinungen zeigte sich inner-
halb 24 Stunden eine stärkere lokale Reaktion: Emporwölben der Rand-
partien und lebhafte Rötung derselben; dieselbe wurde zumeist auch von sub-
jektiven Erscheinungen begleitet: brennendes, stechendes Wundgefühl an
der Stelle des Affektes. Auf Grund der Erfahrungen, die wir bei den von
uns selbst behandelten und von uns beobachteten Fällen (mehr als 200)
machten, können wir das über den unmittelbaren Erfolg der Sal-
varsanbehandlung bereits in einer früheren Publikation!) Gesagte voll-
kommen aufrechterhalten: Das Salvarsan erwies sich als ein die gebräuch-
- lichen antiluetischen Mittel sowohl rücksichtlich der Intensität als Raschheit
der Wirkung weit übertreffendes Agens, indem die Symptome der Syphilis
in der grossen Mehrzahl der Fälle einen erstaunlich raschen Heilungsverlauf
zeigten; luetische Gewebsprodukte wurden nach der Injektion sehr rasch
1) S. Safranek, Ehrlich-Hatas Arsenobenzol bei syphilitischen Erkran-
kungen der oberen Luftwege. Zeitschr. f. Laryngol. 1911.
D. Dörner, Kasuistik. 155
resorbiert, Gewebszerstörungen namentlich Schleimhautulzerationen epitheli-
sierten und heilten auffallend rasch. Tertiäre Syphilide waren am 8. bis
10. Tage nach der Injektion resorbiert, der speckige Grund zerfallener
(Giummata reinigte sich innerhalb einiger Tage, das wallartige Infiltrat
Hachte innerhalb 3—4 Tagen ab, alsbald begann die Epithelisierung und
die Greschwüre verheilten innerhalb 6—12 Tagen: die oberflächlichen
Ulzerationen des sekundären Stadiums zeigten einen noch rascheren Heilungs-
verlauf, die papulösen Formen verschwanden innerhalb von 2—6 Tagen
spurlos, die Rückbildung der erythematösen Formen ging etwas langsamer,
duch auch bei diesen klangen die Erscheinungen innerhalb 10—14 Tagen ab.
Neuererzeit wurde in einigen Fällen das Neosalvarsan ebenfalls
intravenös mit ähnlicher Wirkung angewendet. Die Infusion wird in kürzeren
oder längeren Intervallen wiederholt und den Umständen gemäss werden
auch 3—4 Infusionen nacheinander gegeben.
„Versager“ waren in 2 pCt. der gesamten Fälle. Eine längere
Kontrolle konnte kaum in einem Drittel der Fälle vorgenommen werden.
Klinische Rezidive konnten bei 33 pÜt. der stetig Kontrollierten kon-
statiert werden, zumeist schon innerhalb 3—4 Monaten, und zwar fast
ausschliesslich bei sekundären Fällen. Dies waren zumeist Fälle, bei
welchen die Wassermannsche Reaktion (deren Verhalten auch genau
verfolgt wurde) nur schwächer, doch nicht negativ wurde; sonst wurde die
Reaktion zumeist in der 4.—8. Woche negativ, in einzelnen Fällen bereits
früher. Nach Ablauf von 2—3 Monaten, in einzelnen Fällen etwas später.
wurde die negative Reaktion von neuem wieder positiv, und gleichzeitig
konnten zumeist Rezidiverscheinungen konstatiert werden.
Zuletzt sei noch bemerkt, dass bei der Allgemeinbehandlung das
Salvarsan mit Hg und J kombiniert, bezw. die chronische intermittierende
Behandlung nach Fournier befolgt wird, mit dem Unterschiede, dass, wenn
möglich, als erste Kur intravenöse Infusion bzw. Infusionen gegeben werden
und später die Behandlung mit Hg-Inunktionen, mit intramuskulärer In-
jektion löslicher Quecksilberpräparate usw. fortgesetzt wird.
3. Sklerom.
Wegen Sklerom wurden 6 Kranke auf die Klinik aufgenommen,
5 Männer und eine Frau. Die skleromatösen Veränderungen waren in zwei
Fällen nur in der Nase, in den übrigen vier Fällen in der Nase, Rachen
und im Kehlkopfe zu sehen. In den Fällen, wo das Sklerom sich nur auf
die Nase beschränkte, zeigten sich die Veränderungen besonders am Nasen-
eingange, welcher dadurch stark verengt war, so dass die Kranken kaum
Luft durch die Nase bekamen. In diesen Fällen exkochleierten wir
möglichst die skleromatösen Teile und behandelten sie lange Zeit durch
fortwährende Tamponade. Das Resultat war bis zum Tage gut, ob es aber
auch weiter gut blieb, wissen wir nicht, da die Kranken nicht mehr
beobachtet werden konnten. In den vier Fällen, wo auch der Larynx vom
Sklerom befallen war und dort eine Stenose verursachte, wurde ausser der
156 D. Dörner, Kasuistik.
chirurgischen Behandlung der Nase auch der Kehlkopf mit Intubationen
behandelt. In zwei Fällen war diese Behandlung von gutem Resultat. in
zwei Fällen mussten wir aber operativ vorgehen.
Diese zwei letzteren Fälle sind die folgenden:
J. N., eine 35jährige Frau, kam mit der Klare zu uns, dass sie ungefähr
seit drei Nonaten heiser ist und schwer atınet, Schmerzen hat sie keine. Der Ein-
gang der Nase ist mässig verengt, die Nasenflügel sind ein wenig hart. Sub-
glottisch ist rechts und links ein graurosafarbiges hickeriges Infiltrat zu sehen,
welches das Lumen des Kehlkopfes stark verengt. Das Atmen ist sehr erschwert,
weshalb wir Pat. auch täglich mit einem ODwverschen Tubus intubieren. Ihr
Zustand wurde aber immer schlechter, so dass die Intubation aufgegeben werden
musste. Wegen der sich immer vererössernden Atemnot muss eine Tracheutomie
gemacht werden. Die Kranke verlässt die Klinik mit einer Kanüle.
Schr interessant und selten war der zweite Fall. D. B., ein 37jähriger
Arbeiter, klart über schweres Atmen und lleiserkeit, welche Beschwerden ungefähr
schon seit 5—6 Jahren bestehen; das Schlucken ist ebenfalls erschwert. Schmerzen
soll er nie gehabt haben. Der Naseneinrang ist beiderseits mässig cingeengt,
welche Einengung durch eine diffuse Infiltration hervorgerufen wird, die sieh be-
sonders auf die Nasenflüsel ausbreitet, im grossen ganzen aber weich ist und von
der Umgebung leicht verschiebbar ist. Von aussen ist an der Nase keine Ver-
änderung zu sehen, durch Tasten ist keine Verhärtung zu fühlen. Im Mundrachen
an der hinteren und an den Seitenwänden. so auch an den Gaumenbören sind
Narben zu sehen, welehe verstreut liegen und die (raumenbögen an die hintere
Wand und das Velum hinaufziehen. Postrhinoskopisch ist zu sehen, dass der
weiche (raumen mit der seitlichen und der hinteren Wand des Rachens narbig zu-
sammenhängt und dadurch die Choanen stark verengt, so dass nur der mittlere
Teil des Septums, das gleichfalls verdickt ist, und nur eine kleine schmale Partie
der Choanen zu schen ist. Der Kehlkopf zeigt eine interessante Veränderung: Die
Kpiglottis ist mässig zusammengebogen, die aryepiglottischen Falten und die
Schleimhaut der Aryknorpel sind verdiekt und ziehen sich lappenartig über den
Eingang des Kehlkopfs und verengen den Larynxeingang durch dieses diaphragma-
artire (iebilde, welche Verenzung durch den infiltrierten Petiolus epiglottidis noch
erhöht wird. Wegen dieser Verengung sind die Stimmlippen kaum zu schen, von
ihnen noch eher die linksseitige, da die rechte durch den grösseren Umfang des
die Verengung bildenden Lappens verdeckt wird. Aus dem sichtbaren kleinen
Teil der Stimmlippe folgernd, ist deren Bewegung sehr beeinträchtigt. Bei der
autoskopischen Untersuchung können wir in den Larynx wegen der sebr harten
und rigiden Lappen nicht eindringen und deswegen können wir auch keine nähere
Aufklärung über die Stimmlippen und über die subglottische Gegend gewinnen.
Die histologische Untersuchung eines aus der Nase entnommenen Stückchens zeigte
Sklerom. Interessant ist der Fall deswegen, weil nirgends die typischen Sklerom-
knötchen zu sehen und die grössten Larynxveränderungen am Eingang des Larynx
und besonders an der Schleimhaut der Aryknorpe! zu schen waren und weil der
meistens bestehende typische süssliche Skleromgeruch fehlte. Beim Patienten
wurde infolre der Atembeschwerden eine Tracheotomia inferior ausgeführt. Wegen
der sehr aussebreiteten und zirkulären und sehr rigiden Verengung, sowie auch
wegen der Fixation der Aryknorpel konnten wir ein wutes Resultat mit der Intu-
bation nicht erhoffen und auch von der Röntgentherapie nicht, welch letztere auch
aus anderen (iründen nicht ausgeführt werden konnte. Da der Kranke längere Zeit
D. Dörner, Kasuistik. 157
in der Klinik nicht bleiben wollte und wir gezwungen waren, seine Arbeitsfähigkeit
bald zu sichern, entschlossen wir uns zu einer radikalen Operation: Mit einer
Larynyofission wird der Kehlkopf geöffnet, und man sah, dass die Infiltration bis
zum obersten Trachealringe sich hinunterzieht, ein kaum einige Millimeter weites
Lumen freilässt und auch mit den Stimmlippen stark verwachsen ist. Die sklero-
matose Veränderung, welche so narbig war, dass wir sie ausschnitzeln mussten,
wurde mit den Stimmlippen zusammen entfernt; um auch zu den Veränderungen
des Larynxeingangs zu gelangen, mussten wir eine Pharyngotomie (Mediana trans-
hıyoidea! machen: nun gelang es uns, eine gute Uebersicht der Gebilde des Aditus
und Zugänglichkeit zu gewinnen, so dass wir die infiltrierten und veränderten
Teile des Aditus entfernen konnten. Oben und unten verengen wir durch Nähte
die Wunde, lassen sie aber frei entsprechend der Cartil. thyreoidea und tamponieren
die Höhle durch mit Mikuliezscher Salbe eingeschmierte Graze. Die Heilung verläuft
'att. der Kranke konnte bald von der Kanüle befreit werden und bald schloss
sieh aueh die Wunde der Laryngostonie. Das Resultat war überraschend gut
aueh in funktioneller Hinsicht: Es entstand an beiden Seiten der Taschenfalten
und Stimmlippen ein lappenartiges tebilde, welches bei der Phonation die weite
lertis vollkommen verschloss. Die Sprache des Kranken ist laut und verständlich
mit etwas heiserer Färbune.
V. Geschwälste.
1. Gutartige Geschwiilste.
Von den gutartigen Geschwülsten, welche wir in der Ambulanz der
Klinik beobachten konnten, wurden behufs Operation folgende aufgenommen:
Mit Fibroma choanale wurden 7 Kranken aufgenommen. Die Fibrome
waren verschieden von Nuss- bis Apfelgrösse. In vier Fällen erstreckten
sie sich auch in die Nase hinein, in den übrigen drei Fällen beschränkten
sie sich nur auf die Gegend der Choanen. In sechs Fällen konnten wir
den Ausgangsort nicht ganz genau bestimmen, da sie meist einen sehr
auscebreiteten Sitz hatten. Ihre Härte stand im Verhältnis zu ihrer
Grösse. die kleineren waren weich, mehr polypenartig, hingegen
bildeten die grossen eine ganz harte narbige sehnenartige Masse, welche
wir auch mit den stärksten Instrumenten kaum ablösen konnten. Der
interessanteste Fall war der folgende:
J. P., 17jähriger Tagelöhner, hat angeblich seit zwei Jahren beide Nasen-
Hälften verstopft und konnte seit dieser Zeit beobachten, dass in seinem Rachen
eine Greschwulst wächst. Die äussere Nase ist sehr breit, die linke Nasenhälfte
st mit einer grauroten, schmutzigen, übelriechenden Masse vollkommen ausgefüllt,
die rechte Nasenhälfte nur in ihrem rückseitigen Teile. Das Palatum molle und
der hintere Teil des Palatum durum ist hervorgewölbt und unter dem Velum ist
ein zwei Zentimeter breiter Streifen einer grauroten Greschwulst zu sehen. Bei der
Pestrhinoskopie ist zu sehen, dass der Rhinopharynx und auch ein Teil des Meso-
puarvnax durch eine apfelırosse (reschwulst ausgefüllt ist, die den weichen und
harten Gaumen hervorwölbt, hart und etwas elastisch ist, die Choanen vollkommen
verdeekt und besonders mit der hinteren und lateralen Pharynxwand zusammen-
hinget: die obere Wand ist wegen des Tumors nicht zu sehen. Ohrenbefund: Weber
wird links nicht Jateralisiert. Rinne beiderseits nesativ. Schwabach beiderseits
158 D. Dörner, Kasuistik.
verlängert. Die Konversationssprache wird rechts in 21%, links in 2 m gehört
Die Sprache ist näselnd. Die histologische Untersuchung zeigte Fibrom. Der
Tumor sollte in lokaler Anästhesie entfernt werden, da dies aber nicht aus-
führbar war, wurde die Operation in Chloroformnarkose mit peroraler Tubage aus-
geführt. Wir konnten die Geschwulst nur sehr schwer entfernen, mit grösster An-
strengung konnten wir nur in mehreren Teilen den Tumor sozusagen ausreissen
oder ausdrehen. Bei der Operation wurde es klar, dass der Tumor an der
oberen und an beiden lateralen Wänden (mehr an der linken) und an den Rändern
der Choanen haftete, in den Sinus spenoidalis eingedrungen und mit den weichen
Gaumen zusammensewachsen, in die linke Nasenhöhle eingedrungen war und diese
auch vollkommen ausgefüllt hatte und den harten Gaumen nach unten und nach
vorne vorwölbte. Nach der Entfernung des Tumors entstand eine riesige Höhle
mit zerfetzten Rändern, welehe ausserordentlich stark bluteten. Die Blutung konnten
wir nur mit Belloequetamponade stillen. Am zehnten Tage verliess der Kranke
geheilt die Klinik. |
Zwei Kranke wurden wegen einer nussgrossen Cyste an der Ton-
sille aufgenommen. In den Cysten war ungefähr 5 cem gelblich-schleimige
Flüssigkeit.
Wegen Fibroma chordae vocalis wurden 5 Kranke operiert,
4 Männer und 1 Frau. Bei allen 5 Kranken sass das Fibrom auf je
einer Stimmlippe. Die Fibrome wurden bei allen 5 Kranken in direkter
Laryngoskopie entfernt.
Papilloma laryngis hatten 14 Kranke, 11 Männer, 3 Frauen.
Beinahe in allen Fällen sassen die papillomatösen Exkreszenzen meistens
an den vorderen Teilen der Stimmlippen und an der vorderen Kommissur.
Von den 14 Kranken liess sich nur einer operieren, in welehem Falle wir
die Exkreszenzen mit der Doppelkurette in direkter Laryngoskopie ent-
fernten. Eine Radiumbehandlung konnten wir leider nicht anwenden,
weil uns Radium nicht zur Verfügung stand.
Wegen Vergrösserung der Glandula thyreoidea haben wir
+ Kranke behufs Operation aufgenommen, bei denen eine partielle
Strumektomie gemacht wurde.
Unter den operierten Fällen waren in einem Falle hochgradige Atembeschwerden
vorhanden. Der Fall ist folgender: K. F., 28jährige Beamtin, bemerkt, dass ihr
Hals ungefähr seit einem ‚Jahre sich stark verdickt, ihre Hände zittern, sie soll oft
Herzklopfen haben und bekommt in der letzteren Zeit kaum Luft. Stat. praes.: Der
Umfang des Halses ist an der Stelle der Glandula thyreoidea schr vergrössert; in
dieser Gegend ist eine faustgrosse Geschwulst zu sehen, von welcher die Haut
leicht abhebbar ist und die Geschwulst den Schluckbewegungen folgt. Bei der
Untersuchung des Kehlkopfes ist eine Verengung der Trachea zu sehen, die von
einer beiderseitigen Kompression hervorgerufen scheint. Die Operation wurde in
lokaler Anästhesie ausgeführt. Der rechte Lappen der Glandula thyreoidea wurde
ganz entfernt, auch zwei Drittel des linken Lappens, da wir bei der Aus-
schälung der Lappen sehen konnten, dass die Kompression der Traehea durch diese
hervorgerufen wurde. Nach der Operation wurde die Atmung der Patientin frei.
Die Heilung verlief glatt.
D. Dörner, Kasuistik. 159
In den vergangenen zwei Jahren hatten wir Gelegenheit, mehrere
Fälle von Blutgefässgeschwülsten der oberen Luftwege zu be-
obachten. welche wegen ihrer Multiplizität, Ausbreitung und Grösse be-
merkenswert waren.
B. K., ein 20jähriger Mann, hat seit Kindheit am Gesichte und am Halse
rechts eine Erweiterung der Blutvefiisse, sonst fühlt er sich wohl. Stat. praes.: An der
unteren Fläche der Zunge beiderseits sansfederkieldicke erweiterte Venen zu sehen:
vıc.che Veränderungen sind aueh auf dem Zungenrücken rechts zu sehen, hingegen
"alten die erweiterten (refässe an der Spitze der Zunge zwei ungefähr bohnengrosse
init Blut gefüllte Räume; rechts am weichen (raumen bildet das Netz der Ektasien
en kronenyrosses Lymphanziom; am rechten hinteren Gaumenbogen befindet sieh
eine kirschengrosse, dunkelblau-rötliche halbkugelformig sich erhebende, aus ıe-
wundenen Blutiefässen bestehende Geschwulst. Kine ähnliche, aber grüssere —
Geschwulst sitzt von der Plica aryepiglottica lateralwärts im
Sinus pyriformis und eine swansfederkieldieke Vene befindet sich am Rande des
Sinus pvriformis unter dem Ligamentum pharvngoepiglottieum. Die beschriebenen
tieschwülste vergrössern sich bei der Kompression des Halses oder beim Drücken
haseluussgrosse
dureh den Patienten.
Der zweite Fall bezieht sich auf A. G., eine 27 jährige Frau, die seit Kindheit
keiser ist. In der Nase, im Mund undim Rachen sind keine bemerkenswerten Ver-
änderungen zu sehen. Die Schleimhaut des Larynx zeigt cine diffuse Hyperämie.
B- ie Stimmlippen sind verdickt, besonders die linke. In der Mitte dieser, nahe
zu ihrem freien Rande, ist ein erbsengrosser hellroter sulzartiger glatter Tumor
wahrnehmbar, der von kleinen ektatischen Gefiisschen umringt ist.
Der dritte Fall ist K. S., eine 5ljährige Frau, die seit einem halben Jahre
ein trockenes Gefühl im Rachen hat, heiser ist und hustet. In der Nase ist der
bevinn einer Rhinitis atrophicans zu schen. Im Rachen ist ein trockener Katarrh,
iv rerhte Stimmlippe ist hyperämisch; über dem rechten Aryknorpel sitzt auf
'reitem Grunde eine brombeergrosse und -ähnliche dunkelblau sich erhebende
hoekerize Geschwulst, welche von einer massiy geschwollenen und hyperimisehen
Sejlieimhaut umgeben ist. Eine Vergrösserung des Umfanges dieser Geschwulst ist
auch bier zu beobachten.
Wegen eines Lymphangioms des Nasenrachens wurde ein
Kranker operiert.
tz. N., ein 17jähriger Arbeiter, suchte unsere Klinik wegen seiner Nasenver-
“opfung auf: der Kranke hatte eine Ithinolalia clausa, am = Gesichte war keine
Veränderung zu konstatieren. Bei der Rhinoscopia anterior konnte man in der
I ue des mittleren Nasenganges ein kleines Segment einer (Greschwulst schen. Bei
der Rhinoseopia posterior sah man, dass der Nasenrachen rechts von einem apfel-
<rossen crau-rot-briiunlichen ein wenig blutenden ungleichen Tumor ausgefüllt war.
Pe tieschwulst konnte man in ihrer ganzen Grösse mit der Heymannsehen Zange
‚die Nase entfernen. Die histologische Untersuchung ergab ein überraschen-
is Besultat, indem die ganze Geschwulst aus erweiterten Lymphräumen bestand.
2. Bösartige Geschwülste.
Mit bösartigen Geschwülsten standen 18 Kranke in unserer Be-
handlung. Darunter waren 2 Frauen, wo ein Epitheliom an der
Spitze der Nase sass. In beiden Fällen wurden die Epitheliome
160 D. Dörner, Kasuistik.
ringsum ausgeschnitten und die Wunde plastisch vereinigt. Ir 10 Fällen
breitete sich die bösartige Geschwulst auf die Nase oder auf die Nasen-
nebenhöhlen aus. Von diesen waren 3 Sarkome, die anderen Carci-
nome. Bei 2 Kranken sass das Carcinom am Palatum durum. Ein
Kranker hatte einen Zungenkrebs; einer ein Epiglottiscarcinom;
einer ein Larynxcarcinom und einer hatte einen Mandel- und
Zungenkrebs.
Wegen bösartiger Geschwülste wurden in zwei Fällen radikale
Operationen vorgenommen:
J. Z 4Sjähriger Maschinist, leidet angeblich seit anderthalb Jahren an fort-
während sich erneuerndem Nasenbluten und an auf die linke Kopfhälfte aus-
strahlenden Kopfschmerzen: in der letzten Zeit soll er durch die linke Nasenhälfte
immer weniger Luft bekommen. Vor drei Monaten wurde er wegen Polypen
operiert, nach der Operation verbesserte sich wohl auf eine kurze Zeit sein Zustand,
doch verschlimmerte er sich wieder bald. Die wanze linke Nasenhälfte war von
einem grossen Tumor vollkommen ausgefüllt, postrhinoskopisch sah man die linke
Choane auch von solch einem Tumor vollkommen verschlossen. Die histologische
Untersuchung der aus dem Tumor durch Probeexzision entnommenen Gewebe ergab
folgendes: .Das Gewebe besteht im ganzen aus Bindegewebe, welches partienweise
ödematös durchtränkt und rundzellig infiltriert ist, die Oberfläche ist mit Zylinder-
epithel bedeckt, hier und da bilden sie papillenartige Formen, welche aber in das
Bindegewebe nicht hineindringen. Diagnosis: Polypus fibrosus.“ Der Tumor schien
aber klinisch als eine maligne Geschwulst, weshalb wir, da der Kranke sich
einer radikalen Operation nicht unterziehen wollte, den Tumor nach Mösgliclikeit
exkochleierten, wie auch das Siebbeinlabyrinth; die histologische Untersuchung des
exkochleierten Tumors ergab, dass die Erkrankung ein papilläres Carcinom war.
Der Kranke kam nach 6 Monaten mit einem Rezidiv zurück, der Tumor breitete
sich nun bis an das Vestibulum aus, nach rückwärts bis in den Nasopharynx: das
Röntgenbild zeigte eine Verschwommenheit aller Nebenhöhlen der linken Seite.
Wegen unerträglicher Kopfschmerzen verlangte der Kranke eine radikale Operation. Ver-
grösserte Lymphdrüsen waren nirgends 7u tasten, der allgemeine Zustand des Kranken
war ziemlich gut. Operation: Radikale Methode nach Moure in Chloroformnarkose
mit peroraler Tubage. Bogenschnitt durch die Augenbrauen, welcher mit Umgehung
des Nasenflügels heruntergeht und im linken Nasenloch endet, von diesem aus
wird der Processus frontalis des Kieferknochens und das linke Os nasale, Os lacry-
male und die Lamina papyracea des Siebbeinlabyrinthes der Siebbeinzellen reseziert,
der Tumor, der wahrscheinlich aus den zurückgebliebenen Siebbeinzellen rezidivierte,
war in die Orbita eingedrungen, das Nasenbein, ein Teil der Lamina papyracea, die untere
knöcherne Wand der Stirnhöhle usurierend und nach rückwärts in die Keilbein-
höhle und im mittleren Nasengange in die Highmorhöhle, in die letztere nur an
einer kleinen Stelle. Die vordere Wand des Sinus frontalis wurde entfernt, die
Höhle aussekratzt, in der Höhle war schr viel übelriechender Eiter. Die Keilbein-
höhle wurde eröffnet und ausgeräumt, so auch das Antrum, wo wir auch die
mediale Wand resezierten. Die so entstandene grosse Höhle wurde mit Jodoform-
gaze tamponiert, mit welcher Tamponade wir auch die schr grosse Blutung stillten.
Am Tage der Operation war der Kranke verfallen, desgleichen auch am nächsten
Tage. Vom dritten Tage an besserte sich der Zustand des Patienten. Die Heilung
verlief glatt, die Nähte wurden am achten Taxe entfernt, die Hautwunde heilte per
D. Dörner, Kasuistik. 161
primam. Seit der Öperation sind 7 Monate verflossen ohne Rezidive. Dieser
Fall wurde am 19. Oktober 1912 im Aerzteverein demonstriert.
Der zweite Fall war folgender: F.(r., 6ljähriger Landarbeiter, ist angeblich
seit einem Jahre krank, soll heftige Nasenblutung aus der linken Nasenhälfte
halten, durch diese Nasenhälfte bekommt er keine Luft. Die linke Nasenhälfte ist
beinahe vollkommen durch eine bröckliche, stark blutende Masse ausgefüllt, die
scheinbar aus dem mittleren Nasengangz herauswächst; postrhinoskopisch ist zu
sehen, dass (ler Tumor blass, glatt und abgerundet ist und in den Nasopharynx
hineindringt, eine Infiltration der Lymphdrüsen ist am Halse nicht vorhanden, die
rechte Nasenhälfte ist normal, am Röntsenbilde scheinen die linksseitigen Neben-
hohlen alle erkrankt zu sein, der Zustand des Kranken ist ziemlich gut, durch
Prob@exzision wurde die Diagnose eines Rundzellensarkoms histologisch festgestellt.
Radikaloperation in lokaler Anästhesie (1 pCt. Novocain) mit paramedianer Auf-
sehiitzung des Nasenriickens, der Schnitt wird bis zur Basis des Nasenbeines ge-
führt und von hier in die Richtung der linken Augenbrauen. An der erkrankten
Seite wird das Os nasale und der Processus frontalis max. sup. reseziert. Nach _
Exkochleierung der in der Nase sich befindlichen Tumorteile ist zu sehen, dass
der Tumor die nasale Wand des Antrums usuriert hat; nach Resektion dieser
Wand und nach der Ausräumung des Antrnms wird es klar, dass auch die Super-
Avies orbitalis des Antrums an einer hellen grossen Stelle usuriert ist, das Os lacry-
male beinahe in seiner ganzen Grösse und ein grosser Teil der Lamina papyracea
“s-1s ethmoid. ist destruiert so, dass der Bulhus an der medialen nnd der unteren
Seite gut zu palpieren ist. Durch die untere Wand an der medialen Seite ist der
Tumor in die Stirnhöhle und rückwärts in die Keilheinhöhle eingedrungen. Der
Hautschnitt wird durch die Augenbrauen bogenförmig weitergeführt, die Stirn-
höhle geoffact und der Tumor, der die Stirnhöhle beinahe ganz ausfüllt, mit der
zanzen Schleimhaut der Höhle entfernt, die Keilbeinhöhle wird gleichfalls aus-
veräumt: nach der Entfernung aller kranken Teile tamponieren wir die entstandene
crosse Höhle mit Jodoformgaze und vernähen die Hautwunde Der Kranke hat
lie Operation sehr gut überstanden. Der entfernte Tumor war in seiner ganzen
Ausdehnung kinderfaustgros. Am achten Tage wurden die Nähte entfernt, die
Wunde heilte per primam. Der Fall wurde im Aerzteverein am 19. Oktober 1912
demonstriert. Die Operation geschah vor 14 Monaten, bis jetzt keine Rezidive.
Unter den Fallen, wo ein Sarkom in der Nase und in den Nasen-
nebenhöhlen vorhanden war, sahen wir in einem Falle die Erkrankung im
Antrum beginnen, in einem anderen Falle war der Ausgangsort des Tumors
nicht zu konstatieren, in dem letzteren Falle füllte der Tumor beide Seiten
der Nasenhöhle aus, vernichtete, mit Ausnahme des vorderen Teiles, bei-
nahe das ganze Septum, wölbte das Palatum durum hervor und ver-
sperrte die Choanen; der Nasenriicken, die Gegend des Sinus frontalis
und die linke Orbita wurde durch den Tumor hervorgewölbt, so dass
der Bulbus hervortrat und seitwärts disloziert wurde, vollkommen un-
beweglich war und ein Lagophthalmus, eine Keratitis und eine vollkommene
Amaurosis bestand.
Unter den Carcinomen, die wir auf der Klinik beobachten konnten,
waren zwei solche, wo die Erkrankung von der Nasenscheidewand, einer,
wo sie von der unteren Muschel ausging, und ein Fall, wo die Aus-
zangsstelle nicht bestimmt werden konnte Von diesen wurde nur in
Archiv für Laryngulogie. 28. Bd. 1. Heft. 11
162 D. Dörner, Kasuistik.
einem Falle eine Operation vorgenommen, und zwar in jenem, wo der Tumor
als eine nussgrosse Geschwulst, welche an einer 5 Heller-grossen Stelle am
Septum haftete, die Nase ausfiillte. Der Patient wollte sich einer extra-
nasalen Operation nicht unterwerfen und es konnte der Tumor nur intra-
nasal entfernt werden; mikroskopisch war der Tumor ein basozellulares
Careinom. In den anderen Fällen wollten die Patienten sich einer
radikalen Operation nicht unterwerfen und so konnten wir nur auf endona-
salem Wege palliativ vorgehen.
Wegen Carcinom des Palatum durum operierten wir zwei Kranke.
Der cine war ein 6ljähriger Dienstmann, dem ungefähr seit 3 Wochen eine
Gesehwulst am Palatum durum an Stelle eines kariösen Zahnes wuchs, die Ge-
schwulst wurde seit dieser Zeit immer grösser, so dass er nicht imstande war, zu
kauen. Status praesens: Patient ist vut genihrt, im Organismus ist sonst
niehts Krankhaftes zu konstatieren, am Halse rechts unter der Mandibula ein
haselnussgrosser Tumor zu tasten, am Palatum durum rechts und an Stelle des
ersten, Molarzalınes ist eine kraterartige Vertiefung, von welcher man mit der Sonde
in die Highmorshöhle hineinkommt, rings um die Vertiefung ist eine Zweikronen
grosse, mit dem Grunde fest zusammengewachsene Geschwulst zu sehen, welche
wallartige Ränder hat und mit einem schmutzig grauen Sekret bedeckt ist,
am Palatum durum und molle ist in der Mittellinie je eine linsengrosse mit er-
höhten Rändern umgebene Ulzeration. Die Operation geschah in Chloroformnarkose
mit Kuhnscher peroraler Intubation: Nach Entfernung der infiltrierten Lymph-
drüsen wird ein kreuzweise ziehender Schnitt vom rechten Mundwinkel aus durch
die Wange gemacht; den auf die Weichteile sich ausbreitenden Tumor exzidieren
wir, weit in das Gesunde eindringend, resezieren den Processus alveolaris des Ober-
kiefers vom Caninus aus, sowie auch das Palatum durum bis zur Mittellinie, die Schleim-
haut des Antrums wird ausgeräumt, nach dem Blutstillen tamponieren wir das
Antrum, die Schleimhaut der Wange wird mit Katgutnähte, die Haut mit Seiden-
nähte vereinigt. Nach Heilung wird eine Prothese, welche die Highmorshöhle schliesst,
angewendet.
Der zweite Kranke, ein 37jähriger Feldarbeiter, wurde mit der Klage in die
Klinik aufgenommen, dass er ungefähr seit einem halben Jahre einen kaum
schmerzhaften Tumor an seinem harten Gaumen wachsen fühlt. Bei dem sonst
gesunden Patienten sind die Halsdrüsen nirgends infiltriert. Am hinteren Teile
des harten (iaumens rechts, in der Nähe der Molarzähne, befindet sich ein kronen-
grosses, mit wallartigen Rändern umgebenes höckeriges, in der Mitte kraterartig
sich vertiefendes (reschwür, welches sich teilweise auch auf das Velum ausbreitet.
Operation in Chloroformnarkose in peroraler Tubage: Kreuzweise geführter Schnitt
durch die Wange, die Molarzähne werden extrahiert, die Geschwulst wird, einen
Zentimeter weit in das gesunde Gewebe eindringend, scharf rings umschnitten und
die Weichteile mit dem knöchernen Grunde entfernt. Am weichen (iaumen ent-
stand eine kronengrosse Perforation. Tamponade, Schleimhaut- und Hautnaht.
Die Wunde des Gaumens füllt sich durch (Granulation aus, die Perforation wird
durch eine Plastik gedeckt. Das Sprechen und Schlucken ist unbehindert.
Mit einem sublingualen Carcinom wurde ein Kranker behufs
Operation aufgenommen.
F. J., 37 jähriger Wirt akqnirierte vor 5 Jahren Lues, stand seit dieser Zeit
in ärztlicher Behandlung. Seit vier Jahren hat er Flecke an der Zunge, welche
D. Dörner, Kasuistik. 163
mit Pinselungen behandelt wurden. Die Flecke verschwanden aber nieht und ungefähr
seit drei Monaten bemerkt er, dass links unter der Zunge eine Geschwulst sich
bildet, die ihn beim Schlucken und Sprechen hindert. Drei Monate vor der Operation
kam er in die Klinik mit typischer Leukoplakia linguae und links unter der Zunirse
mit einer haselnussgrossen, teilweise zerfallenen und mit schmutzigem Sekrete be-
deckten Geschwulst, deren Ränder infiltriert waren und welche wir für ein zer-
fallenes Gumma hielten. Die Wassermannsche Reaktion war dreikreuzig positiv.
Die histologische Untersuchung, welche wir aus einem Teile machten, ergab, dass es
ein guinmoses (reschwür war. Während einer Woche bekam er zweimal 0,60 Gramm
Salvarsan intravenös, und innerlich Jodkali. Die Geschwulst unter der Zunge wurde
reiner, doch eine Heilung tritt nicht ein, im Gegenteil, sie wuchs in einigen Wochen
und wurde bald kronengross mit wallartigen Rändern umgeben, in der Mitte
kraterartig sich vertiefende Geschwulst, welche an dem Grunde fest haftete und
bei der Betastung wie ein kleiner Apfel gross schien. Unter der linken Mandibula konnte
man infiltrierte Lymphdrüsen tasten; heftige Kopfschmerzen, die sich auch an die
linke Seite des Halses ausbreiteten, waren vorhanden; die Aufnahme der Nahrung
und die Sprache war sehr erschwert, das Körpergewicht nahm ab und Pat. fühlte sich
sehr schwach. Operation in Chloroformnarkoso mit peroraler Tubage. Temporäre
Resektion zwischen den linken Prämolarzähnen, die ganze (ieschwulst wird tief in
das Gesunde eindringend in seiner ganzen Grösse exstirpiert, so dass ein grosser
Teil der linken Zungenhälfte fehlt; mit dem Tumor wird auch die vergrüsserte
Lymphdrüse entfernt, dieZungenwunde wird vernäht, die Mandibula wird mit Silber-
Jrähten, die Weichteile und Schleimhaut mit Catgut-, die Haut mit Seidennähten
vereinigt. Am untersten Teil der Wunde wird ein Drainrohr eingelegt. Der Pat.
wird durch die Nase mit einem Katheter ernährt. Am 5. Tage nach der Operation
kann der Kranke Flüssigkeiten spontan aufnehmen. Glatte Wundheilung. Der
Patient verlässt die Klinik am 18. Tage nach der Operation mit gutem Wohlbefinden;
das Sprechen und die Nahrungsaufnahme ist vollkommen unbehindert.
Einen Kranken operierten wir wegen linksseitigen tonsillaren Car-
cinoms, welches sich auch auf die Zunge ausbreitete.
J. W., 6öjähriger Landwirt klagt über stechende Schmerzen in der linken
Rachenhälfte, welche Schmerzen ungefähr seit 6 Monaten bestehen und immer
heftiger wurden, so dass er in letzter Zeit kaum schlucken kann. Status praesens:
Der mittelmässig ernährte Patient scheint innerlich gesund zu sein, pathologische
Veränderungen sind im Thorax und im Abdomen nicht zu konstatieren. Am Halse
sind keine infiltrierte Lymphdrüsen zu tasten. Im Rachen, an Stelle der linken
Mandel ist ein flach sich erhebendes, mit dem (irunde fest zusammenhängendes
Gebilde zu schen, welches wie cin flacher Schwamm sich auf die Schleimhaut des
Palatums ausbreitet, deren Ränder etwas überragend. Die Grösse der Geschwulst
entspricht einem 5 Kronenstücke, ihre Oberfläche ist höckerig, die Farbe blassrot;
vom Gewebe der Tonsille ist nur ein schmaler Streifen des rückwärtigen Teiles zu
sehen, der untere Teil der (reschwulst geht auf die Zunge über, die histologische
Untersuchung eines (eschwulstteiles ergab die Diagnose eines Carcinoms.
Operation mit peroraler Tubage in Chloroformnarkose: (Juer gefiihrter Wangenschnitt
bis zum Masseter und von hier rechtwinklig hinunter bis zum Rande der Mandi-
hula, nach Extraktion des ersten Molarzahnes wird die Mandibula temporär rese-
ziert; den Tumor zirkumeidieren wir lcm tief in das gesunde Gewebe eindringend
und entfernen so den ganzen Tumor, der an der Stelle der linken Tonsille und der
Zunge sitzt: nach Stillung der Blutung wird «die Gaumenbögen- und Zungenwunde
11*
164 D. Dörner, Kasuistik.
mit Seiden- und Katgutnähten vernäht, die Mandibula mit Silberdraht zusammen-
geheftet, die Schleimhaut mit Katerut-, die Hautwunde mit Seidennähten zugenäht.
Der Kranke wird durch die Nase mit. Katheter ernährt. Der Patient hustet am
dritten Tage sehr viel, verbringt die Nächte sehr unruhig und seine Temperatur
steigt bis 38,6. An den unteren Teilen beider Lungen zeigt die Perkussion eine
Dämpfung, bei der Auskultation über diesem ist bronchiales Atmen zu hören.
Digalen, Senega. Am nächsten Tage vergrössert sich die Dämpfung, oberhalb der
Lungen ist Sausen und V’feifgeräusche zu hören. Temperatur früh 38,4, abends 39,7.
Nach Mitternacht stellt sich Delirium ein. Den nächsten Tare kollabiert der
Kranke plötzlich und stirbt bald, trotz der angewendeten Fxzitantien. Die Sektion
zeigte, dass der Tod dureh eine Bronchopneumonia lob. inf. ]. u. verursacht wurde.
Wegen Epiglottiscarcinom wurde ein Kranker aufgenommen,
welcher ausserdem noch eine Infiltration beider Lungenspitzen und eine
Arteriosklerose hatte.
J.B., 64jähriger Kutscher, ist angeblich seit einem Jahre krank und hatte
seit dieser Zeit sehon öfters Hämoptoe, hustet viel und schwitzt in der Nacht.
Seit einem Monate atmet er schwer und das Schlucken ist erschwert. In der Nase
und im Rachen sind krankhafte Veränderungen nicht zu schen. Die Epiglottis ist
fingerdick, stark hyperämisch und an ihrer laryngealen Fläche sitzt ein Fisolen-
vrusses, mit aufgeworfenen Riindern umgebenes und in der Mitte kraterartig sich ver-
tiefendes (ieschwiir, welches mit einem schmutzigen Sekrete bedeckt ist; die Plicae
aryepiglottieae sind gleichfalls verdickt, weren der verdickten Falten und der Epig-
lottis sind die Stimmlippen nicht zu sehen und das Atmen sehr erschwert. Intil-
trierte Lymphdrüsen sind am Halse nicht zu tasten. Der Patient hat keine spon-
tanen Schmerzen, nur beim Schlucken. Die histologische Untersuchung des durch
Probeexcision entnommenen (Gewebestückchen zeigte, dass die Geschwulst ein
epitheliales Carcinom ist. In eine Operation willigte der Kranke nicht ein.
Wegen Carcinom des Larynx wurde ein Kranker aufgenommen.
J.B., 46jähriger Fleischer spürt seit drei Wochen Schmerzen in seinem Kkelıl-
kopfe, die besonders beim Schlucken sich stark erhöhen; in der letzten Zeit hat
er öfters Erstickungsanfälle welche besonders in der Nacht auftreten. Status
praesens: Im Organismus ist sonst nichts Krankhaftes zu sehen. Nase, Mund
und Rachen normal. Im Kehlkopfe rechts an der Plica aryepiglottica und ober-
halb des rechten Aryknorpel sitzt eine hyperämische höckerige Verdickung, welche
an ihrer medialen Fläche an einer linsengrossen Stelle exkoriiert ist. Diese tumor-
artige Verdickung verengt stark die Glottis, so dass das rechte Stimmband ganz
verdeckt ist. Die rechte Seite des Kehlkopfes bewert sich bei der Phonation nicht:
das Atmen ist sehr erschwert. Der mit Probeexzision entnommene Tumorteil
erwies sich histologisch als ein Careinom. Wegen der Dyspnoe wird eine Tracheo-
tomie gemacht in lokaler Anästhesie. In eine Larynxexstirpation wollte der Kranke
nicht einwilligen, und so verlies der Patient ungeheilt die Klinik.
VI. Erkrankungen des Nervensystems.
Ausser den Paresen und Paralysen, die durch lokale Erkrankungen
der oberen Luftwege verursacht wurden. konnten wir noch einige inter-
essante Fälle beobachten, wo eine Sensibilitäts- oder Funktionsstörung vor-
D. Dörner, Kasuistik. 165
handen war, welche durch die Erkrankung des Nervensystems hervor-
gerufen wurde:
Wegen Paralysis bulbaris acuta wurden 2 Kranke auf die Klinik
aufgenommen.
Der cine S. K., "20 jähriger Landwirt, wurde in schwerem Zustande auf die
Klinik gebracht; seine Angehörigen gaben an, (lass er vor 10 Tagen während der
Arbeit plötzlich erkrankte mit Schwindel und Erbrechen, nachher bekam er Schüttel-
frost, dann Fieber, am nächsten Tage konnte er nicht sprechen und nicht schlucken.
Stat. praes.: Die Sprache ist lautlos, näselnd, der rechte Mundwinkel hängt herab, die
rechte nasolabiale Falte ist verschwommen, die rechte Augenspalte ist weiter als
die linke und kann nicht ganz geschlossen werden: der Kranke ist nicht imstande,
aus der liegenden Stellung spontan sich zu erheben. Der Tonus der Muskeln ist
herabrresetzt, die Haut «des ganzen Körpers ist hyperästhetisch, ihr Schmerzgefühl
erhöht, das Temperaturgefühl aber normal. Reflexe sind auslösbar, ausgesprochener
Dermographismus; der Puls zwischen 100—120, das Atmen 24—28 in der Minute.
Das Gehör ist angeblich gut, das Sehen soll sich seit der Erkrankung verschlechtert
haben. Die Bewegung der Zunge ist vollkommen frei, beim Ausstrecken sind
fibrilläre Zuckungen zu beobachten. Die Muskulatur des Gaumens ist parctisch;
der Kehlkopf ist hyperimisch; die Stimmlippen sind bei ruhigem Atemholen in
mittelmässiger Abduktionsstellung; bei der Phonation nähern sie sich ein wenig,
es bleibt aber cine ziemlich weite dreieckige Spalte zwischen ihnen offen, deren
Spitze, die Commissura antcrivor, die Basis, die rückwärtige Wand der Glottis bildet;
die (ilottis schliesst sieh aber selbst bei Bemühung der Stimmlippen nicht voll-
kommen: das Husten ist kraftlos. Die Abduktion der Stimmlippen ist auch bei
tiefem Atemholen unvollkommen. Beim Trinken hustet Patient sofort; wegen un-
vollkommenen Schliessens der Glottis kann er die -Flüssigkeiten nur sehr schwer
aushusten. Am vierten Tage bessert sich der allgemeine Zustand des Kranken,
(die Stimme wird kräftiger und das Schlucken besser. Der Kranke wird der internen
Klinik überwiesen zur weiteren Behandlung, wo sein Zustand sich innerhalb einiger
Worhen wesentlich verbesserte; der Patient konnte feste Speisen und Flüssigkeiten
vollkommen vut schlucken und die Bewegung der Stimmlippen wurde fast ganz
normal.
Der zweite Fall von Paralysis bulbaris bezieht sich auf L. B., eine 34jahrige
Arbeitersfrau, die angeblich in ihrem siebenten Jahre an Typhus abdominalis und
im zwölften Jahre an einer exanthematösen Krankheit erkrankt war. Lues soll sie
nie gehabt haben; Kinder hat sie keine, in anderen Umständen soll sie nicht ge-
wesen sein. Ihr Vater starb an einem Schlaganfall. Acht Geschwister starben im
Siuglingsalter, eins lebt und ist gesund. Ihre Erkrankung soll angeblich vor
sieben Monaten begonnen haben, welche sie auf eine Erkältung zurückführt. Eine
Woche lang hatte sie Kopfschmerzen, dann bekam sie Halsschmerzen, wurde immer
heiserer und suchte wegen ihrer Heiserkeit die Klinik auf. Stat. pracs.: Rechts ge-
rinzrere, links stärkere Fazialislähmung. Am linken Auge eine Parese des Abducens, am
rechten Augenlid eine geringe Ptosis; der rechte Bulbus bleibt beim Aufwärts-
schauen zurück; die Bewegungen der Zunge sind nach allen Richtungen frei, sie
zittert beim Ausstrecken; die (raumenbögen bewegen sich gut; die Stimme ist
kraftlos, ein wenig näselnd; ‚bei der Phonation legen sich die Stimmlippen nicht
ranz aneinander, eine dreieckige Lücke bleibt zurück. Die Abduktion der Stimm-
lippen, die Sensibilität des Rachens und Kehlkopfes ist normal. Das Essen und
Trinken ist mit sichtbarer Anstrengung verbunden. Das (reschmacksgefühl ist
166 D. Dörner, Kasuistik.
beiderseits, besonders rechts vorne, herabgesetzt. Die Kranke wird der internen
Klinik zugewiesen.
Mit abnormalen Bewegungen der Stimmlippen konnten wir einen
söjährisen Mann beobachten, der angeblich seit drei Monaten beständig heiser ist;
auch früher soll er sehon öfters dureh eine kürzere Zeit heiser gewesen sein, klagt
über Schluckbeschwerden. Die Untersuchung der Nervenärzte konnte keine
Störungen des Nervensystems konstatieren. Beschwerden sind nur von seiten
des Kehlkopfes und der Trachea vorhanden. Bei der Sondierung des Kehl-
kopfes und der Trachea ist kein Reflex auslösbar. Es besteht eine Koordinations-
stöorung bei der Stimmbildung und beim Atmen. Bei der Inspiration nähern sich
die Stimmlippen, sie leren sich sogar auch manchmal aneinander, doch ein Laut
kommt nur «dann zustande, wenn der Patient inspiriert, bei der intendierten Stimm-
bildung aber weichen die Stimmlippen auseinander, so dass z. B. bei dem Versuch
der Intonation des Vokales „i“ die Glottis ihre maximale Weite erreicht. Rechts
bestand ein Exsudatum pleuritieum, das punktiert wurde. Der Kranke konnte nur
ambulatorisch beobachtet werden, da er schon vor der Aufnahme starb und so
war auch die Obduktion nicht ausführbar, von welcher allein wir eine richtige Er-
klärung der Innervationsstörung des Kehlkopfes hätten erhalten können.
Zum Schlusse erwähnen wir noch einen seltenen Fall von
Anosmie, welcher in unserer Beobachtung stand.
Der Fall bezieht sich auf ein l6jähriges Mädchen, das ein Leukoderma
acquisitum (Vitiligo) hatte und dessen (reruchsinn seit ungefähr 2 Jahren sich rapid
verschlechterte. Während «dieser Zeit entstand eine beiderseitige totale Anosmie,
zu welcher sich auch der Verlust des aromatischen (Greschmacksinnes gesellte.
Durch rhinologische und neurologische Untersuchungen konnte man die wahre Ur-
sache ihrer Anosmie nicht entdecken. Die rhinoskopische Untersuchung ergab
ausser einer linksseitisen in «der hinteren Hälfte des knorpeligen Septums ent-
sprinrenden kleinen Crista keine pathologische Veränderungen weder in der Nase,
noch im Nasenrachen, Rachen und Kehlkopfe. Bei der wiederholt vorgenommenen
olfaktometrischen Untersuchung stellte es sich heraus, dass die Patientin gar
keinen Geruch wahrnimmt, weder rechts noch links, obwohl eine ganze Anzahl
Repräsentanten sämtlicher Geruchsklassen Zwaardemakers wiederholt zur Prüfung
des (reruchssinnes verwendet wurde in verschiedenen Konzentrationen und in
Substanz. Ferner stellte es sich heraus, dass auch die Greschmacksempfindung des
Mädchens auffallend vermindert ist, indem sie im Geschmack der Speisen und (ic-
tränke fast keinen Unterschied findet, eigentlich blos salzig, süss, bitter und sauer
unterscheidet, während sie ein Aroma nicht herausspürt. Nachdem die Anosmie
konstatiert war, bildete deren nähere Bestimmung unsere Aufgabe. Obzwar links
eine kleine Crista septi vorhanden war, liess einerseits deren Geringfügigkeit und
das Vorhandensein der Anosmie auf der anderen Seite, andererseits der Mangel
sonstiger Difformitäten und anderweitiger, mittels der Rhinoskopie feststellbarer,
die Nasenatmung mechanisch hindernder Veränderungen, sowie die ungestörte Nasen-
atmung die Folgerung auf eine mechanische oder respiratorische Anosmie nicht zu;
die interne und neurologische Untersuchung (an der I. medizinischen Klinik) fand
bei dem Mädehen weder cin organisches noch ein funktionelles Leiden, namentlich
waren Stigmata der Hysterie oder sonstiger Neurosen nicht vorhanden, und so
konnte auch keine „funktionelle Anosmie* angenommen werden. Es erübrigte so-
nach, die Stelle einer eventuellen Läsion im Nervenapparat des Riechorgans zu
ermitteln; die neurologische Untersuchung ergab jedoch für die Annahme einer
D. Dörner, Kasuistik. 167
intrakraniellen „\ffektion gar keine Anhaltspunkte, auch waren keine itiologischen
Faktoren vorhanden, welche auf eine Erkrankung des peripheren Riechgebietes ge-
deutet hätten ıkeine Entzündung, Atrophie, Nebenhöhleneiterung, Lucs, Tuberkulose,
Tumor usw.). Auf (Grund der in der Literatur zu findenden zwei ähnlichen Fälle
wurde der Verdacht wach, dass das Zustandekommen der Anosmie mit der Pig-
mentatrophie im Zusammenhange stehe. In der dermatologischen Literatur ist keine
Frwähnung zu finden, dass die Anosmie als eine Begleiterscheinung oder als ein
Foizezustand des Vitiligo auftreten könnte; den eventuellen Zusammenhang werden
vielleicht die weiteren Untersuchungen entscheiden; bei dem gegenwärtigen Stand
der Sachen ist eine nähere Einteilung der Anosmie unserer Patientin wegen unserer
mangelhaften Kenntnisse über die Pathologie des Geruchsorganes nicht möglich.
Ueber das weitere Schicksal der Patientin wissen wir nichts, weil sie sich aufs Land
begab und wir danach keine Gelegenheit hatten, eine Behandlung zu versuchen.
AIV.
Ueber Totalexstirpation atrophischer Tonsillen.
Von
Dr. 0. Heinemann (Berlin).
Die Zahl der Publikationen über Totalexstirpation der Tonsillen hat zur Zeit
eine «das Bedürfnis übersteigende Höhe erreicht. Allein dieselben betreffen fast
ausschliesslich hypertrophische Tonsillen. Sucht man nach geeigneten Methoden
zur Entfernung atrophischer Tonsillen, so ist die literarische Ausbeute eine ziemlich
magere und beschränkt sich, soweit meine Kenntnisse reichen, auf zwei Arbeiten.
Auch bei atrophischer Tonsille kann die Totalexstirpation indiziert sein. Ein-
fache und follikuläre, rezidivierende Anrinen, eitrige Peritonsillitis und Allgemein-
infektionen, meiner Erfahrung nach meist rezidivierende Rheumatismen, können
dazu nötigen.
Manche Autoren, z. B. Rosenberg in seinem bekannten Lehrbuch, empfchlen,
in solchen Fällen sich mit Schlitzung, Werkneifen aller Leisten mit der scharfen
Zange, und mit der Galvanokaustik zu begnügen. Nach meiner Erfahrung ist die
Methode indes eine keineswegs sichere, und ich führe sie daher für gewöhnlich
nicht mehr aus. Eine Bestätigung bildet der unten beschriebene Fall, wo diese
Behandlung von hervorragender Seite durchgeführt wurde. Es hegt «dies wohl
daran, dass dem oberen Pol weven seiner versteckten Lage nicht immer mit
Sicherheit beizukommen ist. In den Fällen also, wo die Methode nicht vor Rezidiven
der Krankheit schützt, wegen deren sie entnommen wurde, muss man schliesslich
doch zur Totalexstirpation, und zwar jetzt unter schwierigeren Verhältnissen,
schreiten. Daher ist es besser, ganz auf «diese mühsame Arbeit zu verzichten und
sogleich zu der rascher und sicher wirkenden Exstirpation zu schreiten.
Was leisten nun die bekannten Methoden der Totalexstirpation für den vor-
liegenden Zweck? Oder lassen sie sich eventuell zweekentsprechend modifizieren?
Der Leser möge nicht erschrecken, ich will nicht alle möglichen oder unmöglichen
Methoden beschreiben, sondern lediglich die hauptsächlichsten Typen summarisch
beleuchten.
Die älteste Methode wird mit Pinzette oder Hakenzange und schmalem Knopf-
messer mit langem Stiel, dem bekannten Tonsillenmesser, ausgeführt. Die Tonsille
wird an ihrem oberen oder unteren Pol gefasst, möglichst stark vorgezogen und
das Messer langsam in säwenden Zügen den Gaumenbögen entlang geführt. Bei
einiger Uebung gelingt es fast stets, die Tonsille vollständig herauszubekommen.
Die Methode wird noch jetzt von vielen Chirurgen ausgeführt. Ich habe sie früher
oft mit gutem Erfolg geübt, aber zugunsten der neueren Methoden aufgegeben.
Sie hat «len Nachteil, dass Verletzungen der Gaumenbögen öfter vorkommen. Deren
O. Heinemann, Ueber Totalexstirpation atrophischer Tonsillen. 169
Bedeutung wird jeduchin neuererZeit meiner Meinung nach etwas übertrieben. Die zahl-
reichen Publikationen der letzten Jahre tibergehen diese Mcthode merkwiirdigerweise
mit Stillschweigen, obwohl sie das aus historischen Gründen nicht verdient. Allein
sie eignet sich nur für hypertrophische oder normalgrosse Tonsillen, da sie zur
Voraussetzung hat, dass die Tonsille über das Niveau der (raumenbügen vorgezogen
werden kann. Bei der atrophischen Tonsille, welche als mehr oder weniger zer-
klüfteter Körper am Grunde der tiefen Nische zwischen den (Graumenbögen liegt,
wird das nicht möglich sein. |
Die zweite ältere Methode bedient sich der zahlreichen Tonsillotome mit oder
„hne (rabel zum Anspiessen und Emporheben der Tonsille. Sie hat in ihrer
originalen Anwendung zur Voraussetzung, dass die Tonsillen über die Gaumenbögen
hervorragen. Liegt der Fall besonders günstig, ragen die Tonsillen breitbasig ge-
stielt aus ihrer Nische hervor, so kann man auch hiermit eine Totalexstirpation
zustande bringen. In neuerer Zeit hat man durch Modifikationen noch mehr er-
reicht, indem man die Tonsille nach Sluder gewissermassen in das Fenster des
Tonsillotoms hineinmassiert oder auch nach S. Willis (Deutsche Med. Wochen-
schrift, 1910, Nr. 40 S. 1850) erst den unteren Pol in das Fenster bringt und
dann durch Druck mit dem Zeigefinger auf den vorderen Gaumenbogen den Rest
der Tonsille hineinschiebt. Ich selbst bin öfter noch weitergegangen und habe
nach Anlegen des Tonsillotoms durch das Fenster derselben hindurch dic Tonsille
mit der Hakenzange vefasst und vorgezogen. Ich habe auch so meist eine Total-
exstirpation bewirkt. Allein auch diese Methode ist nur bei hypertrophischen Ton-
sillen anwendbar. Ich bezweifle sehr, dass es möglich ist, selbst mit meiner Modi-
fikation, eine atrophische Tonsille venügend weit vorzuziehen.
Fine dritte ältere Methode bedient sich der galvanokaustischen Schlinge. Sie
sehnürt einfach die über die Gaumenbögen vorragende Tonsillenpartie ab und brennt
sie durch. Sie ist also für den vorliegenden Zweck ganz unbrauchbar.
Die neueren Methoden der Totalexstirpation haben alle das (temeinsame, dass
sie zunächst in rationeller Weise die Tonsille vom vorderen und hinteren Gaumen-
bogen, sowie am oberen Pol in beliebiger Reihenfolge abtrennen und dann mittelst
Messer, Schere oder Schlinge am unteren Pol die Exstirpation vollenden. Sie be-
deuten insofern einen grossen Fortschritt, als es mit ihrer Hilfe gelingt, auch die
sögenannten versenkten Tonsillen radikal zu entfernen, das heisst hypertrophische
Tonsillen, welche statt über die Gaumenbögen vorzuragen, sich zwischen denselben
entwickelt haben und sie auseinanderdrängen. Ich will nicht die zahllosen Modi-
fikationen besprechen, sondern mich auf die beiden wesentlichen Typen beschränken.
Die Einen, z. B. West und Halle, bedienen sich zum Freimachen der Ton-
sillen scharfer, grader oder über die Kante oder über die Fläche gebogener Messer-
ehen. Mit ihnen gelingt es zweifellos, den erstrebten Zweck in sehr eleganter
Weise zu erreichen, aber die Methode eignet sich nur für den Spezialisten und nur
für Erwachsene. Der Ungeübte kann mit ihr bedenkliche Nebenverletzunen
machen. Bei Kindern möchte ich wegen ihrer Unruhe sie überhaupt nicht ver-
wenden. Bei atrophischer Tonsille ist die Gefahr einer Nebenverletzung noch
erösser, da man genötigt ist, am Grunde einer Grube mit scharfem Messer zu
arbeiten. Sie ist daher für diesen Zweck ungeeignet.
Man kann nun die Enukleation auch mit stumpfen Instrumenten bewirken,
und hier ist eine Nebenverletzung kaum möglich. Hierzu kann man sehr wohl die
gewöhnlichen chirurgischen, stumpfen Elevatorien oder halbscharfen breiten Raspa-
turien oder auch nach der Fläche gekrümmte lange Scheren verwenden. Es
170 QO. Heinemann, Leber Totalexstirpation atrophischer Tonsillen.
existieren selbstverständlich für den spezialistischen Gebrauch konstruierte recht
zweckmissive ähnliche Instrumente. Man schiebt mit diesen Instrumenten den
vorderen oder hinteren (iaumenbogen von der mit der Hakenzange vorgezogenen
Tonsille zurück, wie das Periost vom Knochen. Dies gelingt leicht, und man kann
dann mit demselben Instrument oder auch mit dem gummiumhüllten aseptischen
Finger die Abtrennung vollenden. Den als Stiel dienenden unteren Pol schneidet
man schliesslich mit Messer, Schere oder Schlinge durch. Auch diese Methode ist
in der geschilderten Form nur für hypertrophische oder normalgrosse Tonsillen
geeignet, atrophische kann man nicht wenürend vorziehen.
Indes gibt es eine Modifikation der Methode, welche auch hier oft zum Ziele
führt. Dieselbe ist von Hopmann jun. in der Münch. Med. Wochenschrift, 1912,
Nr. 12, beschrieben und als Methode seines Vaters bezeichnet. Sie hat anscheinend
nicht die Beachtung gefunden, die ihr gebührt, denn sie bedeutet eine wesentliche
Erleichterung der Arbeit, auch bei hypertrophischen Tonsillen. Die bisher be-
schriebenen Methoden, welche die Tonsille mit der Hakenzange fassen und vor-
ziehen, ergreifen dieselbe quer zu ihrer Längsrichtung. Dios hat den Uebelstand
zur Folge, den auch ich öfter beklagt habe, dass man nur feine doppeltgezähnte
J,angeu verwenden kann wegen des geringen Raumes, und diese reissen leicht aus.
Hopmann hingegen benutzt eine kräftige doppelte Hakenzange, welche er weit
öffnet und in der Längsrichtung der Tonsille in der Nähe des oberen und unteren
Teiles des Poles fest einhakt. Wenn er die Zange schliesst, so drängt sich die
Tonsille geradezu hinein, und die Zange reisst nicht aus. Sie ist dann sehr leicht
init einer gekriimmten Schere nach Hopmann, oder auch den anderen genannten
Instrumenten zu enukleieren. Eine atrophische Tonsille wird sich wegen ihrer
Dünnheit in der Mitte falten und vordrängen. Hopmann betont ausdrücklich die
leichte Exstirpierbarkeit atrophischer Tonsillen. Indes setzt die Methode voraus,
dass sich die Tonsille falten lässt. Sie darf also nicht durch Narbengewebe fest
mit der Unterlage verwachsen sein. Nicht allzustraffe Narben werden jedoch nicht
schaden.
Endlich hat Rosenberg (Hinsbergsche Klinik) eine Methode beschrieben,
um dem oberen Pol versenkter Tonsillen beizukommen (Fränkel Archiv 1913,
S. 349). Er schiebt das eine Blatt einer Schere tief in die Fossa supratonsillaris
hinein und durchschneidet den vorderen Gaumenbogen. Auf diese Weise gelingt
es dann, mit den bekannten Instrumenten den oberen Pol herauszubekommen, und
es wird voraussichtlich möglich sein, auch den Rest der Tonsille in toto zu ent-
fernen. Ich habe bisher noch keine Gelegenheit gehabt, die Methode zu versuchen,
halte sie aber für sehr zweckmässig.
Alle diese Methoden müssen aber versagen, wenn die Tonsille sehr dünn ist
und ausserdem mit der Unterlage fest verwachsen. Denn dann ist überhaupt nichts
da, was man mit der Zange vorziehen könnte. Man sollte meinen, dass derartige
Tonsillen unschädlich sein müssten, das unten angeführte Beispiel beweist jedoch
das Gegenteil.
In diesen seltenen Fällen sehe ich keine andere Möglichkeit, als den vorderen
(raumenbogen in toto zu resezieren. Man kann dann der Tonsille von der
schmalen Kante beikommen und sie mit Messer und Pinzette abpräparieren. Die
Resektion des (raumenbogens halte ich in solchen Fällen für unvermeidlich. Ein
Abziehen desselben mit scharfen Haken beengt das ohnehin ungünstig liegende
Operationsfeld noch mehr und erfordert eine weitere Assistentenhand, welche besser
zum Abtupfen verwandt wird. Man muss aber auf ein möglichst offen lierendes
O. Heinemann, Ueber Totalexstirpation atrophischer Tonsillen. 171
“perationsteld bedacht sein, da ja die Carotis interna im Durchschnitt nur 1,5 em
entfernt liegt und durch abnorme Lage oder Narbenbildung diese Distanz noch
wesentlich verringert sein kann.
Ich habe die vorgeschlagene Methode in folgendem Falle ausgeführt:
Es handelte sich um einen älteren Spezialkollegen in den 60er Jahren. Der-
selbe hatte seit langer Zeit an regelmässig wiederkehrenden Peritonsillitiden ge-
litten, welche ihn ein- bis zweimal jährlich befielen und viel Unbequemlichkeit in
{ier Ausübung der Praxis verursachten. Er wünschte hiervon befreit zu werden
und hatte sich zu diesem Zweck eine Zeitlang von Bernhard Fraenkel
behandeln lassen. Derselbe hatte mit ausserordentlicher Sorgfalt jede Grubo
und Leiste der rechten Tonsille beseitigt, so dass diese, der ausschliess-
iiche Herd der rezidivierenden Erkrankung, eine glatte, gleichmässige Fläche
darstellte, soweit sie sichtbar war. Allein der erwartete Erfolg blieb trotz
aufgewandter Mühe aus, und der Kollege bekam nach wie vor seine
Veritonsillitis, Als ultimum refugium blieb daher nichts anderes übrig, als
in den für beide Teile sauren Apfel der Totalexstirpation zu beissen. Denn infolge
der vielen Entzündungen und vielleicht auch der vorgenommenen langdauernden
Encheiresen, war die schr verdünnte Tonsille fest mit der Unterlage verwachsen
un‘! but keinen Angriffspunkt für die Hakenzange. Ich habe daher in Lokal-
anästhesie unter sachverständiger Assistenz einen etwa 3 mm breiten Streifen vom
vesamten (saumenbogen abgeschnitten, die Tonsillenplatte von der Kante her mit
einer langen Pinzette gefasst und mühsam abpräpariert und in mehreren Stücken
zu Tage gefördert. Besondere Schwierigkeiten machte der obere Pol, wo das
Narbengewebe besonders gut entwickelt war. Die mit grosser Geduld certragene
Operation lohnte sich indes, da seitdem — es sind mehrere Jahre verflossen —
keine Peritonsillitis mehr auftrat. Allerdings gab es am Operationsabend cine
leichte Nachblutung. Ich kann nicht sagen, woher sie kam, da sie in meiner .\b-
wesenheit von anderer Seite gestillt wurde.
Die Resektion des vorderen Graumenbogens ist bereits früher zur Totalexstir-
pation vorgeschlagen worden, wenn ich mich recht erinnere, von amerikanischer
Seite. Ich will dieselbe jedoch nicht allgemein, sondern nur für ähnliche seltene
Falle wie den vorliegenden, wo die anderen Methoden nicht zum Ziele führen,
empfehlen. Denn bei einer gewöhnlichen Tonsillektomie ist diese Voroperation
voikommen überflüssig, und ein normales Organ des Körpers soll man nicht ohne
Not opfern. Trotzdem kann ich die ausserordentliche Furcht vieler Autoren vor
einer etwaigen Verletzung der Gaumenbögen nicht recht verstehen. Sie geben an,
sie habe heftige Blutungen im Gefolge. Nach meiner Erfahrung ist dies durchaus
nicht der Fall. Ich habe früher, wie erwähnt, mit dem Messer tonsillektomiert
nach der alten Methode, und scheue mich nicht zu bekennen, dass mir hierbei
mehrfach Verletzungen der (raumenbögen passiert sind, doch sind hierbei niemals
Nachblutungen vorgekommen. Aus meiner chirurgischen Assistentenzeit erinnere
ich mich, dass dies auch Anderen passierte, aber auch hier ist mir von Nach-
hiutungen niehts erinnerlich. Wer besonders ängstlich ist, kann ja die resezierte
Fiache des (Graumenbogens fortlaufend nähen, um sicher zu gehen. Aus den ana-
{wmisehen Atlanten ist nicht zu ersehen, dass nennenswerte (iefässe im vorderen
saumenhbogen verlaufen, und es liegt daher kein Anlass vor, weshalb dieser zu
Blutungen geneigt sein soll. Die zur Tonsille führenden (Grefässe, welche ja bei
der Tonsillektomie durchschnitten werden, sind jedenfalls bedeutender. Halle
‘Deutsche Med. Wochenschr. 1913, Nr. 8) fürchtet bei Sängern und Rednern Stimm-
172 OÖ. Heinemann, Ueber Totalexstirpation atrophischer Tonsillen.
störungen von Verletzung dertaumenbögen. Rosenberg bestreitet dies bei seinen In-
zisionen des vorderen Gaumenbogens. Meiner Meinung nach werden etwaige solche
Störungen vorübergehender Art sein, bis Gewöhnung an die veränderten Verhalt-
nisse eingetreten ist. Die physiolorische Funktion des vorderen Gaumenliogens ist
eine geringe. Er ist in der Hauptsache eine Schleimhautduplikatur und enthält
nur schwache Muskulatur, so dass Schlingstörungen kaum durch sein Fehlen ver-
anlasst werden. Jr soll auch (reschmacksempfindung haben. Diese minimale
Ausfallserscheinung wird wohl ertiagen werden können.
Resume: Die Totalexstirpation atrophischer Tonsillen wird in den meisten
Fällen nach der Methode von Hopmann oder Rosenberg ausgeführt werden
können. Nur ausnahmsweise, bei diinner, fest verwachscner Tonsille ist nach meiner
Methode mit Resektion des vorderen Gaumenbogens zu verfahren.
XV.
Die Häufigkeit der Gaumen- und Rachenmandel-
hyperplasie nach Untersuchungen an 500 Knaben
einer Besserungsanstalt.
Von
Dr. Max Toeplitz (New York).
Die von einem Richter der Besserungsanstalt überwiesenen Knaben werden
von Spezialarzten auf Augen-, Ohren-, Nasen- und Halsaffektionen, vom Anstalts-
arzte auf ihren Allgemeinzustand vor ihrer Aufnahme in die Anstalt untersucht.
Bei der Untersuchung der Nase, des Halses und der Ohren, die mir anvertraut ist,
habe ich meine besondere Aufmerksamkeit auf die vorherrschendsten Affektionen:
Adenoide Vegetationen und hypertrophische Gaumenmandeln gerichtet. (Die ver-
haltnismässiee selten vorkommenden Zustände: Verbiegungen der Nasenscheidewand,
Hvpertrophien der Schwellkörper der Nase usw. habe ich unter der Bezeichnung
Vermischtes zusammengefasst.)
Ich habe die 500 Knaben in 5 Gruppen von je 100 Knaben geordnet:
Von 100 Knaben der
Gr.I Gr.lI Gr. II Gr IV Gr.V
1910 1911 1911 1911 1911/12
Schlundmandelhyperplasie . . 21 18 29 19 19=106 )
Rachenmandelhyperplasie . . 23 26 13 9 18= a} 205 jet
Schlund- u. Rachenmandelhyp. 8 21 31 32 24=116
Vermischtes © 2 . . . . . IB 10 _ 2 10= 40
Normal, > 2 = 2.08 ee - 30 25 27 38 29=149
100 100 100 100 100 500
(neration notig . . . . . 90 65 13 59 45=292
z ausgeführt aaa a 1 23 26 — 25= 15
a verweigert . . . 23
Gruppe I wies im Ganzen 52 Fille von vergrösserten (raumenmandeln (21),
Rachenmandeln (23) und beider Zustände kombiniert (8) auf, von denen 25 eine
Uperation dringend, die übrigen 25 jedenfalls auch zu ihrem Nutzen erheischten:
die Mandeln wurden jedoch nur in einem einzigen Falle entfernt. In dieser (Gruppe
befanden sich 30 normale und 18 gemischte Fälle.
Einem damals in der Anstalt herrschenden Herkommen zufolge, nach dem
man die Einwilligung der Eltern zu einer Operation, deren Wohltat von ihnen
meist nicht verstanden wird, erst abwartete, wurden nur vereinzelte Operationen
ausceführt. Darauf wurde ein anderes Verfahren eingeführt, wonach die Eltern
zwar von der Absicht der Operation in Kenntnis gesetzt werden, wenn aber von
174 M. Toeplitz, Die Häufigkeit der Gaumen- und Rachenmandelhyperplasie.
ihnen bis zu einem bestimmten Termin kein Einspruch erhoben wird, die Ein-
willigung nicht abgewartet und die Operation vorgenommen wird. Von Rechts-
wegen brauchte die Einwilligung nicht eingeholt zu werden, da die Knaben unter
der Vormundschaft der Anstalt stehen.
Gruppe If wics zusammen 65 Fille von Adenoiden (23), Mandelhypertrophien
(28) und ihrer Kombination (21) auf: ferner 10 wemischte und 25 normale Fälle.
23 der die Operation erheischenden Fälle wurden operiert und 5 verweigerten die
Operation.
In Gruppe III vermehrte sich die Anzahl der zu operierenden Fälle von
Mandelhypertrophien (29), Adenoiden (13) und ihrer Kombination (31) bis zu 73,
von denen 26 operiert wurden: 27 waren normal.
Der grosse Prozentsatz der eine Operation erheischenden Fälle 178 von 300
= 59!/ pCt. erweckte eine ziemlich lebhafte Kritik. Ich schaltete daher die
miissig affizierten Fille von Adenoiden und Mandelhypertrophien aus den Operationen
aus, was zur Folge hatte, dass
die (ruppe IV zusammen 60 Fälle von Mandelhypertrophien (19), Adenoiden
und ihrer Kombination (32) enthielt, von denen 59 einer Operation bedurften:;
die Zahl der normalen Fälle stieg auf 38.
In (iruppe V befanden sich 61 Fälle von Mandelhypertrophien (19), Adenoiden
(18) und ihrer Kombinationen (24), von denen 45 eine Operation nötig hatten.
Wenn wir nun alle 500 Untersuchungen zusammenfassen, so erhalten wir
311 = 62!/ pCt. Mandelhypertrophien (106), Adenoide (89) und ihre Kombination
(116), und von diesen erheischten 292 = 57?/; pCt., verweigerten 23, erfuhren 74
— 251/3 pCt. eine radikale Operation.
Die Adenoiden waren in ihrer Grösse und Erkrankung, in ihrer Form und
Konsistenz sehr verschieden, die Mandelhypertrophien zeisten ebenfalls grosse Ver-
schiedenheiten in ihrer Grösse und Konsistenz.
Um die Zahl der von mir für notwendig erachteten Operationen zu verringern,
wurde mir suggeriert, die diffusen, flachen und weichen Adenoiden, sowie die
weichen Schlundmandeln unberührt zu lassen und nur die grossen klumpigen und
harten Geschwülste zu entfernen. Die diffusen Schwellungen, welche kleiner er-
scheinen, sind über grössere Flächen ausgebreitet und gewöhnlich stärker erkrankt
als die grossen harten (reschwülste.. Man muss daher alle erkrankten Partien oder
gar keine entfernen.
Die Zahlen des Jahres 1912 geben darüber deutliche Auskunft, denn unter
169 ersten Untersuchungen waren
25 adenoide Vegetationen
29 vergrösserte Mandeln | 93 = 55,03 pCt.
39 Adenoide u. vergr. Mandeln
Unter diesen 93 derartig erkrankten Knaben hefanden sich
28 mässig erkrankte = 16,57 pCt.
65 Operation erheischende Fälle
19 3 verwcigernde „
34 wurden radikal operiert, 41 waren normal, 35 gemischte Fälle.
Im Jahre 1910 liess sich bei 40 pCt. aller 111 vom Anstaltsarzt behandelten
Fälle der Ursprung der Erkrankung auf Affektionen der Nase und des Halses
zurückführen, und alle vom Chirurgen berichteten Fälle befassen sich ausschliesslich
mit Erkrankungen des Halses.
r
M. Toeplitz, Die Haufigkeit der Gaumen- und Rachenmandelhyperplasie. 175
Allgemeinerkrankungen im Jahre 1910 auf Nase und Hals zurückzuführen.
ADSZESS o u w Arch a e a e D
Adenitis. . . 2 2 2 222.9
Bronchitis . . . 2 2 20202020. 15
Tonsillits . . . 2 2 2 20202. 11
Rheumatismus . ...... . 06
Influenza... ......~. l
Pleuritis . . . . ... . .. «1
Endocarditis maligna . . . . . . 1
43
Chirurgischer Bericht.
Tuberkulöser Abszess des Halses . 1
Tuberkulöse Drüsen . & l
Vergrösserte , 3 a Bar |
Caput obstipum . 1
4
Allgemeinerkrankungen im Jahre 1911.
Abszess (Ohr). l
Bronchitis 1
Rhinitis acuta . i
Influenza 2
Pleuritis l
Rheumatismus 2
Tonsillitis . 3
Pneumonie . l
Asthma . 1
19
Im Jahre 1911 liess sich bei 18 pCt. der 102 vom Anstaltsarzt behandelten
Falle der Ursprung der Erkrankung auf den Hals und die Nase zurückführen.
Die Operationen zur Entfernung der Adenoiden und Mandelhypertrophien
wurden alle im Hospital der Anstalt ausgeführt, alle waren radikal, das heisst, die
Mandeln wurden enukleirt und jede Spur von adenoiden Vegetationen beseitigt.
Die Operation geschah unter strengster Asepsis, jedoch ohne Narkose, die nur in
widerspenstigen Ausnahmefällen verabreicht wurde. In drei mit Herzfehlern be-
hafteten Fallen wurde die Operation unterlassen. In einem Falle, in dem der
Uperateur von dem vorhandenen Herzfehler keine Kenntnis hatte, fand nach der
Operation eine sehr starke Blutung statt, die jedoch allmälich zum Stehen kam.
Alle Operationen bewirkten eine gründliche Heilung, in keinem Falle wurde eine
Rückkehr der Schwellung beobachtet.
Die Schuluntersuchungen der Oeffentlichen Gesundheitsbehörde New Yorks
weisen Erkrankungen der Rachen- und Schlundmandel bei 15 pCt. aller kinder
auf, aber diese Untersuchungen werden nicht von Laryngologen ausgeführt, und die
Diarnose wird durch blosse Inspektion des Mundes und nicht mit dem Spiegel oder
Finrer gestellt; darum wird eine grosse Anzahl von Adenoiden übersehen. In
diesem Zusammenhange ist es interessant, zu erfahren, dass in Holland!) unter
1) Burger, H., Die Statistik der adenoiden Vegetationen. Archiv für Laryn-
gelovie und Rhinologie. 1906. Bd. 18. 8. 258.
176 M. Toeplitz, Die Haufigkeit der Gaumen- und Rachenmandelhyperplasie.
800 000 Schulkindern, von denen nur die Munda{mer und geistig Zuriickgebliebenen
auf Adenoide .verdichtigt” wurden, nur 6 pCt. das Ergebnis dieser Vermutung
bildeten. Der niedrige Prozentsatz bleibt unverändert, wo „tote Sprache“, nasale
Sprache oder Mutmassungen gebraucht wurden, um die Diagnose festzustellen.
Mit Hilfe des Fingers aber findet
Strandhysaard unter 568 Kindern der Dorfschule . . . 83 pCt.
Wilbert „n 875 . „ Öffentlichen Schulen 62 pCt. und
mit Hilfe des Spiegels (Rhinoscopia anterior und posterior), wenn die Palpation
nicht vestattet wurde, findet
Kafemann unter 905 Knaben 34 pCt.
927 Mädchen 39,2 pCt. Adenoide.
Die „delinquenten“ Knaben sind in der Mehrzahl nieht stark und gesund, da
ihre häuslichen Verhältnisse «die Konstitution untergraben helfen. Gerschell)
behauptet, dass „dependente“ Kinder fast immer vor ihrer Aufnahme in eine An-
stalt lange unter den schlimmsten hygienischen Bedingungen in Armut gelebt und
die Kintbehrungen gelitten haben, die die Armut mit sich bringt. Er hat es in
einer der grossten Kinderversorgunesanstalten New Yorks bemerkt, dass die Kinder
zur Zeit ihrer Ueberweisung an die Anstalt schlecht genährt sind, und dass ihr
physischer Zustand viel zu wünschen lässt.
Unter diesen Umständen darf man sich nieht darüber wundern, dass taub-
stumme Kinder ebenfalls einen hohen Prozentsatz von Adenoiden aufweisen.
Lemeke fand Läsionen im Nasenrachenraum bei 58 pCt., Aldrich bei 73 pCt.
Adenoide, Wróblewski bei 57,5 pCt, Peisson bei 50 pCt. und Franken-
berger?) bet 59,49 pCt. die Rachenmandel hypertrophiert, was mit meinen Zahlen
übereinstimmt.
Untersuchungen der Nase und des Halses in irgend einer Anstalt sind nutzlos,
wenn sie nieht systematisch ausgeführt werden und sich nicht die Operation der
Erkrankung daran anschliesst, und ich behaupte, dass die Entfernung krankhafter
Zustände der Nase und des Halses die Anstalt auf eine gesiündere, ja, auf eine
veschützte sanitäre Grundlage stellt. Tatsächlich hat sich der gesamte Gesundheits-
zustand der Anstalt nach der Ausführung der grossen Anzahl von Operationen im
Jahre 1911 so sehr gehoben, dass es am Ende des Jahres 1912 besonders auf-
gefallen ist.
1) Gershel, Milton A., Height and weight of dependent children. Published
by the Department of Clild-helping Russell Sage Foundation. New York 1911.
2) Frankenberger, Ottokar, Adenoide Vegetationen bei Taubstummen
nebst einigen Bemerkungen über die Aetiologie der Taubstummheit. Monatsschrift
für Ohrenheilkunde. Nr. 10. 1896.
XVI.
Bemerkung
zu der Mitteilung von Prof. Citelli (Catania) in Band 27, S. 620
dieses Archivs.
Von
Dr. Schoetz (Berlin).
Die Bedeutung, welehe Ilerr Professor Citelli dem im Bd. 26, S. 706, des
\rehivs dureh Dr. E. Lautenschlaerer veröffentlichten Falle von „Doppelbildung
Jer Stimmbänder” beimisst. veranlasst mieh, an eine Demonstration zu erinnern.
die ich am 14. 12. 1906 in der Berliner Laryngolorischen Gesellschaft gemacht
habe. Es handelte sieh da anscheinend auch um eine Verdoppelung der wahren
Stimmbänder, welehe noch dadurch besonders interessant erschien. dass das untere
Paar weradrandig verlief, während das obere nach Art einer Internuslähmung aus-
vehancht war. Teh zog damals zur Erklärung das Schleimhautfältchen heran,
welches dieht unterhalb des freien Stimmbandrandes und demselben parallel ge-
leven als normaler Befund schon 1871 von Luschka sehr gut beschrieben und in
sinem Werk: „Der Kehlkopf des Menschen”, Tübingen, dargestellt ist. Auf
Tare: [V sieht man dort zwischen genanntem Fältchen und eigentlichem Stimm-
band deutlich eine Furehe abgebildet, die m. E. venau dem entspricht, was
Professor Citelli in seiner interessanten anatomischen Arbeit aus dem Jahre 1906
it dem Namen „Soleo wlottideo” belegt hat.
Archiv für Laryngoloxie. 25. Bd. 1. Heft. 12
c @ & >
Druck von L. Sehumacher in Kerlin N. 4.
Ra nn
Archiv £ haryngologie. 78. Bd. Talli
E Laue Lil. Jast Berin
\VH.
Aus der anatomischen Anstalt und dem zoologischen Institut München.
Die typischen Varianten der Gaumenmandeln
und der Mandelgegend. |
Deskriptive, vergleichend anatomische und entwieklungs-
geschichtliche Studie.
Wit besonderer Rücksicht auf die Pathologie und Therapie.
Yon
L. Grünwald.
(Hierzu Tafel HI und 41 Textfiruren.)
Die Bereicherung unseres operativen Könnens durch die Einführung
der Tonsillektomie hat die Aufmerksamkeit erneut darauf gelenkt, wie
erhebliche Unterschiede in der äusseren Erscheinung der Gaumenmandeln
bestehen. Aber es liegt wohl an der Einnahme nur dieses einen Gesichts-
punk tes, dass auch neuere Betrachtungen, wie die J. S. Frasers (1), sich
lamit begnügen. „gestielte” Mandeln von „versenkten“ zu unterscheiden.
Abgesehen davon, dass der tatsächlich viel grössere Formenreichtum eine
“el grössere Differenzierung in der anatomischen Nomenklatur erfordert.
it es aber auch praktisch wichtig. die mannigfaltigen Varietäten der
Mandelmorphologie wenigstens in ihren Haupttypen zu kennen, denn es
handelt sich in unserem Tätigkeitsbereiche nicht nur um die Indikationen
and Möglichkeiten des operativen Vorgehens zur Entfernung der Mandeln,
sondern darum. die Bedingungen der öntstehung und andererseits der
Heilung bzw. Verhütung der akuten, chronischen und vor allem der latenten
Erkrankungen der Tonsillen zu kennen. Massgebend sind da, mehr noch
als die Beschaffenheit der Mandeln selber, ihre Einrahmung und sonstige
Nachbarschaft. Dies alles in seiner nicht unerheblichen Kompliziertheit zu
verstehen. gelingt aber nur, wenn man die Entwicklung der ganzen Gegend
vun Anfang an verfolgt.
I. Erste Entwicklungsvorgange.
Bereits im Anfange des dritten Intrauterinmonats scheidet sich von
der Substanz des zweiten Kiemenbogens eine nach hinten oben aufsteigende
Falte, der spätere Arcus palatoglossus ab (Fig. 1) und bildet die vordere
und obere Grenze jenes Teils des dorsalen Ausläufers der zweiten Kiemen-
furehe [Hammar (2)], welehe wir später als Mandelgrube ansprechen
Archiv Ir Laryngologie. 28. Bd. ?. Hofte. l:
>
=. »
IS0 1. Grünwald, Die typischen Varianten der Gaumenmandeln usw.
werden. Von dem bald zum definitiven Verschluss gelangenden zweiten
Kiemenspalt erhält sieh ausser dieser Vertiefung aber noch eine seichte,
darunter liegende Bucht, deren hintere Begrenzung durch den Processus
palatinus des Oberkieferteils des ersten Kiemenbogens gebildet wird, indem
dieser sich stark nach innen und hinten verlängert und leistenförmig nach
unten fortsetazt. Diese, den Arcus palatorlossus überkreuzende Leiste ist
der spätere Arcus palatopharvngeus,
Sehr bald nach Gestaltung dieser Verhältnisse setzt der erste Beginn
der Mandelbildung ein: im ventralen Anteil und zwar an verschiedenen
Stellen der gesamten Vertiefung. die wir als seitliche Gaumenbhucht
Fignr 1.
I—IV Kiemenbögen. la Unterzunvenfurche: Ib Tube; 2a Fossa tonsillaris:
2b Rosenmüllersche Tube: 3 Are. pal.-phar.; 4 Are. pal.-closs.
bezeichnen wollen, fängt das Epithel [und zwar handelt es sich hier nur
um das Plattenepithel der primitiven Mundbucht (3)| an, Sprossen in die
Tiefe zu treiben, deren Enden durch die Bildung konzentrisch geschichteter
Ablagerungen der Zellen charakterisiert sind. Diese Gebilde, ebenso wie
die Lage der ganzen Neuformation und die spätere Umgestaltung zu
Iymphoiden Körpern, sind völlig analog der Thymusbildung, wie ich
bereits vor 3 Jahren hervorgehoben habe (3), und ich nehme keinen An-
stand, die Gaumenmandel als eine unvollkommene, verkiimmerte Thymus
zu bezeichnen, um so mehr, als Tatsachen der vergleichenden Anatomie
diese Homologisierung ebenfalls stützen. Auch Mollier (4) ist auf Grund
der Vergleichung feinerer histologischer Verhältnisse, besonders der zweierlei
auch in Fig. 2 ersichtlichen Epithelarten. zu ähnlicher Auffassung gekommen.
L. Grünwald, Die typischen Varianten der Gaumenmandeln usw. 181
Figur 2.
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Dr.-G. Drüsengänge: Dr.-Pl. Drüsenplatte; Bl.-Ep. Blasenepithel:
Ep.-Pl. Epithelplatten.
Il. Gestaltung des Tonsillenkörpers.
Kehren wir zur Gestaltung der Mandeln zurück, so müssen wir jetzt
zwischen der Bildung der eigentlichen Iymphoiden Körper und ihrer
Lagerung sowie ihrer Umgebung unterscheiden.
Erstere wird histologisch sofort dadurch bestimmt, dass die Tiefen-
erstreekungen der Epithelzapfen sich zu spalten beginnen, hohl werden
und damit die späteren Krypten festlegen. Bekannt, wenigstens teilweise,
und hier nicht weiter zu erörtern sind die nun in rascher Folge ein-
setzenden Vorgänge der Iymphoiden Infiltration und Follikelbildung, die
im übrigen streng an die primäre Epithelwucherung gebunden sind. Später
allerdings können diese Lymphatisierungsvorgänge so hohe Selbständigkeit
zewinnen, dass die ursprünglichen, in der Kryptenformation sich noch
äussernden Verhältnisse ganz hinter ihnen verschwinden. Während die
zewöhnliche Erscheinungsform der Mandeln die, durch vielfache in der
13*
182 L. Grünwald, Die typischen Varianten der Gaumenmandeln usw.
Gehört zu Figur 2.
Tiefe sich verzweigende Einbuchtungen, gegliederter Körper ist, die schliess-
lich sogar auf dem Querschnitt direkt geblättert aussehen können (Fig. 3),
entsteht so andererseits, wenn auch selten, ein solides, lymphatisches
Elliptoid, dessen Ursprung nur etwa noch durch eine oder die andere
Héhlenbildung angedeutet wird (Fig. +).
Figur 3.
So gross die Zahl der Uebergänge zwischen diesen Extremen sein
kann, so sind das doch immer nur quantitative Unterschiede, und für das
Verständnis macht es nicht sehr viel aus, wieviel ursprüngliche Vertielungen
zur später reicheren Kryptenbildung führen. und ob „die Mandel“ in einen
oberen und unteren Teil geschieden werden kann (Hammar). Von ganz
l.. vrünwald, Die typischen Varianten der Gaumenmandeln usw. 153
anderer Bedeutung wird die Tatsache, die wir unten im Zusammenhange
ausführlicher schildern wollen, dass es zwei ganz differente Plätze
für die Anlage von Mandelkörpern gibt (5): eine Tatsache, die
bisher unbekannt, uns erst das volle Verständnis fiir die mannigfachen
Formvarietäten verschafft. Für dieses Verständnis sind ferner die qualitativ
höchst differenten Verhältnisse der Lagerung und Umgebung der Mandeln
heranzuziehen. Diese machen sich schon zu einer Zeit geltend. da von
den Mandeln selber an der Oberfläche noch gar nichts zu bemerken ist. ja
sogar noch, bevor die epitheliale Tiefenwucherung ordentlich eingesetzt hat.
Ill. Elemente der Morphologie der Mandelgegend.
Bereits am 75. Tage kann man mit Lupenvergrösserung die Grundzüze
der rasch sich weiter entwickelnden Verhältnisse in der Gaumenbucht
erkennen, die wir aber zunächst an einem weiteren Stadium, vom 5. Monat.
also etwa vom 130. Tage herrührend, betrachten wollen, wo alle Kompo-
nenten des Bildes sich klar unterscheiden lassen. Im grossen Ganzen
ähneln sie bereits den dauernden, die sich am besten in einem Vergleich
darstellen: Denken wir uns ein Szenarium, eine Bühne. die allerdings nur
im Vordergrunde einen Boden (den Zungengrund) hat, während er in der
hinteren Partie fehlt (offene Versenkung). so bildet den Hintergrund die
Rachenhinterwand und seitlich stehen zwei Paar Kulissen. Das hintere
Paar, die Arcus palatopharyngei, lehnt sich unten an die Hinterwand an,
das andere Paar besteht je aus einen festen, sozusagen eingerahmten Teil
Pars tensa). den eigentlichen vorderen Gaumenbögen nebst einer daran
und am Zungengrunde befestigten Schleimhautfläche. und einer daran an-
webrachten Pars libera, die eine gewisse Beweglichkeit. wie eine Gardine
oder der Brustilügel eines Rockes. besitzt und demgemäss in verschiedene
Formen und Lagen gebracht werden kann. Diese beiden Teile zusammen.
die Pars tensa und Pars libera, bilden die seit His’ (6) ersten Unter-
suchungen dem Namen nach bekannte, ihrem Wesen nach aber häufig miss-
verstandene sog. „Plica triangularis*. Dass diese Benennung. die durch-
aus nicht das Wesen der Sache trifft, die Missverständnisse verschuldet,
sei hier im Voraus bemerkt. Die geschilderten Verhältnisse ersieht man
am klarsten dort, wo sie noch nicht durch ihre später entstehenden
Beziehungen zur Mandel selbst kompliziert werden. In Fig. ö erblickt
man «die rechte Seitenwand der Bühne oder den Seitengrund, durch Auf-
klappen des Daches (Velum) weit freigelegt. zwischen dem hinteren Rande
des Flügels (Pars libera) der vorderen Kulisse und der hinteren Kulisse.
Diese Freilagre des Seitengrundes, der primitiven seitlichen Gaumenbucht,
entspricht allerdings nicht den natürlichen Verhältnissen, in denen der
Flügel “die Pars libera) den Eingang zur Bucht ganz überdeckt. während
sie hier durch starkes Vorziehen des Flügels freigelegt ist. Die Seiten-
bucht wird nun durch eine nahezu horizontale, von dem Rande der Pars
libera abzweigende Falte in eine obere, kleinere und tiefere, und in eine
IS4 L. Grünwald, Die typischen Varianten der Gaumenmandeln usw.
untere, grössere und flache Abteilung geschieden. Jene benennen wir nach
dieser Gestaltung als Fossa tonsillaris, diese als Sinus tonsillaris.
Bereits in diesem Stadium sehen wir nun etwas Weiteres, was die
Vorläufer der bereits oben angedeuteten (bisher unbekannten), später ganz
ausgeprägten Bildungen darstellt: Sowohl in der oberen Grube als in der
unteren Bucht zeigen sich plastische Gebilde: in jener eine länglich-rund-
liche, glatte, die ganze Grube einnehmende Vorwölbung, in dieser ein gabel-
oder Y-förmiger Wulst. Von ersterer können wir bereits mit aller Sicher-
heit aussprechen, dass sie die Anlage der bisher immer allein als Mandel-
körper angesprochenen Erscheinung bildet. Dieser letztere Wulst dagegen
Figur ñ.
u
_-P.ph-e
u Uvula; pl.tr. Planum triangulare; v.G. vorderer (raumenbogen; f.c. Foramen
eoeeum: Ep. Epiglottis; p.ph.-e. Pliea pharyngo-epiglottica; h.G. hinterer Gaumen-
bogen; f.t. Fossa tonsillaris.
darf mit hoher Wahrscheinlichkeit als Anlage der .Unter“-Mandel
betrachtet werden, die sich uns in ihrer vollen Gestalt erst an einem, von
einem 9 monatigen Kinde herstammenden Präparate darstellt (Fig. 6).
Zur vollen Kenntnis aller gestaltlichen Vorkommnisse ist weiter hinzu-
zufügen der Hinweis auf eine hinter dem gabelförmigen Wulst (in Fig. 5)
zur Anheftungsstelle der „Plica triangularis“ am Zungengrunde hinunter-
ziehende Falte, die der von Hammar (2) bereits als inkonstantes Gebilde
beschriebenen Plica retrotonsillaris entspricht; ferner die in Figg. 6,
15 und 20 ersichtliche Spaltung des oberen Mandelkörpers in zwei Wülste,
ein Ereignis. auf welches Hammar ein überaus grosses Gewicht legt.
L. Grünwald, Die typischen Varianten der Gaumenmandeln usw. 155
, YI
Diese grosse Wichtigkeit kann ich allerdings der Spaltung nicht
beilegen: erstens ist diese doppelte Anlage des oberen Mandelkörpers
durehaus nieht konstant, wie Hammar meint: sie findet sich bei meinen
Föten und Kindern nur 14 mal, d. h. in 25 pCt. der Fälle vor; zweitens
kann sie für die spätere Gestaltung der Tonsillenerscheinung so gut wie
gar keine Bedeutung beanspruchen; beim Erwachsenen ist so gut wie nie-
mals (ich kann unter meinen Beobachtungen nur eine einzige Ausnahme
zulassen) eine Erinnerung an diese primitive Doppelbildung zu bemerken:
und endlich ist die zu starke Betonung dieser nur gelegentlichen Tatsache
sehr geeignet, zu einer Verwechslung mit der Bildung einer unteren Mandel
im Sinus tonsillaris (inferior) zu führen. Die Spaltung der oberen Mandel
Figur 6.
in zwei Iymphoide Körper bzw. ihre frühe Anlage in zwei solchen Körpern
hat aber gar nichts mit der Bildung einer zweiten unteren Tonsille zu
tun: die obere Mandel liegt, ob einfach oder doppelt, immer in
der Fossa tonsillaris (superior), diese, die untere Mandel, im
Sinus tonsillaris (inferior).
Weitere Elemente der Mandelgegend bieten sich in der Abspaltung
der zur Fossa praeepiglottica ziehenden Plica pharyngo-epiglottica:
dann der oberen, nach hinten sich mit unterer Konvexität anlegenden Fort-
setzung der Pars libera, die als Plica (resp. margo) supratonsillaris
die obere Umgrenzung der Fossa tonsillaris bildet; endlich in drei relativ
selteneren Abspaltungen der konstanten Schleimhautfalten: einer wulst-
formigen, vom hinteren Gaumenbogen her, unterhalb der Plica supra-
tonsillaris. nach vorne hin die Fossa tonsillaris überquerenden Falte, der
Plica supratonsillaris inferior; ferner den gabelförmigen Spaltungen
156 IL. Grünwald, Die typischen Varianten der Gaumenmandeln usw.
der die untere Mandelbucht von der oberen Mandelgrube scheidenden
Plica transversa (s. Fig. 14) und der unteren Hälfte des als Margo
praetonsillaris zu bezeichnenden hinteren freien Randes der Pars libera.
Die Recessusbildungen.
Bis hierher umfasst die Schilderung nur alle unmittelbar oder doch
ohne Läsion des Gewebes sichtbar zu machenden Teile.
Hierzu kommen aber noch weitere Bestandteile in Form von Tiefen-
ausbuchtungen. die ohne Verletzung des Zusammenhanges nur mit der
Sonde erforscht werden können (vgl. Fig. 10, 11).
Zunächst erstreckt sich vom obersten Teile der Pars libera. etwa im
Winkel ihres Umschlagens zur Pliea (margo) supratonsillaris, beim Fötus
Firur 7.
und Kinde nach vorne, beim Erwachsenen mehr nach oben, eine mehr oder
weniger ausgedehnte Bucht, der Recessus palatinus (J. Killian). Geht
diese, statt unter der Plica supratonsillaris superior, unter der gleichnamigen
inferior hervor, so ist sie als Recessus palatinus inferior zu bezeichnen.
Dieses letztere Vorkommnis ist zwar selten, vereinzelt aber doch recht
ausgesprochen (s. Fig. 7). Der Recessus palatinus gehört zum konstanten
Eigentum aller niederen Säuger.
Zwischen oberer Mandel und Plica transversa klafft der Recessus
infratonsillaris.
Wölbt umgekehrt eine Untermandel die Querlalte empor, so ergibt
sich an dieser Stelle. d.h. seitlich von der Plica transversa, ein Recessus
(supratonsillaris) lateralis.
Der Recessus praetonsillaris erstreckt sieh hinter (lateral von)
dem unteren Teil der Pars libera, nach oben eveniuell von einer Unter-
mandel, sonst u. U. von der nach unten ausgebuchteten Plica transversa
begrenzt, Er ist regulär nach unten offen.
l. Grünwald, Die typischen Varianten der Gaumenmandeln usw. 187
IV. Zur Nomenklatur.
Bezüglich der Nomenklatur. soweit nicht überhaupt ganz neue Bezeich-
nınzen gebraucht werden müssen, sei folgendes bemerkt:
Im allgemeinen ist bisher zu wenig Gewicht auf die der Gestalt ent-
sprechende richtige Bezeichnung gelegt worden: wir dürfen die Benennung
„Plica. Falte” nur dmt anwenden, wo eine Schleimhautduplikatur sich frei
erstreekt: die nicht frei liegende Schleimhauffläche dagegen ist nur als
solehe. als Planum“ zu bezeichnen; endlich darf der Rand einer Falte
[mit J. Killian (| nicht anders denn als „Margo“ benannt werden.
Die wleichmässige Anwendung des Wortes „Falte” auf alle diese so ver-
schiedenartigen Bildungen hat gerade in unserer Frage zu den verwirrendsten
Ergebnissen geführt.
Im einzelnen: Die von mir bereits in der ersten kompendiösen Dar-
stellung dieses Gegenstandes (S) als Pliea transversa bezeichnete Falte
ist identisch mit dem oberen Teile dessen, was J. Killian (7) Plica infra-
tonsillaris benannt hat. Diese Benennung ist schon deswegen, weil wir
das sehr häufige Vorkommen eines zweiten Mandelkörpers unterhalb dieser
Falten festgestellt haben, nicht verwendbar. Es würde naheliegen, da sie
die beiden. je einer Mandelanlage Raum gebenden Flächen scheidet. die
Falte intertonsillar zu nennen; doch träfe diese Bezeichnung dann wieder
nicht zu, wenn nur eine Mandel, die obere oder die untere, zur Entwicklung
kommt. Ich habe daher die von der queren Lage entnommene Bezeichnung
als transversa vorgezogen. Ebenso musste J. Killians Bezeichnung
der unterhalb der Querfalte sich erstreckenden, leicht lateralwärts aus-
zebuchteten Schleimhautwand als Fossa triangularis fallen, da diese Wand
Nach. nicht grubenförmig ist und durchaus nicht immer einem Dreieck
entspricht (vel. Fig. 20, 21). Da sie der unteren Mandel als Wohnort
dient. wählte ich die Bezeichnung Sinus tonsillaris (inferior). Dagegen
konnte die Bezeichnung Margo bzw. Plica praetonsillaris für den Rand
des unteren Teils der Pars libera Verwendung finden, da dieser Teil entweder
der Mandelbucht oder einer Mandelbildung vorgelagert bleibt. Soweit die
Vorderkulisse nicht frei liegt, kann dieser Teil, also die Pars tensa, nur
auf den Namen „Planum triangulare“ Anspruch erheben (vgl. Fig. 5).
Der freie Teil dagegen kann wohl als Plica. aber nicht als Plica triangu-
laris bezeichnet werden: sie bzw. ihr Rand ist nicht dreieckig, sundern
halbmondförmig; daher ist nur die Benennung Plica (bzw. Margo) semi-
lunaris zulässig. Dass His sich das alles seinerzeit nicht vorgehalten
hat. hat die sonderbaren Vorstellungen, die man oft über die dreieckige
„Falter vorlindet. verschuldet.
Auch die Bezeichnung der Recessus wir nicht leicht und ich verkenne
nieht. dass hier eine gewisse Willkür Platz greifen musste. Zunächst ist
es durchaus notwendig, den von J. Killian (7) eingeführten Ausdruck
„Recessus palatinus” wieder oder vielmehr endlich zur Geltung zu bringen.
da diese Bucht sich eben in den weichen Gaumen hineinerstreckt, ganz
155 I. Grünwald, Die typischen Varianten der Gaumenmandeln usw.
unabhängig davon. ob darunter eine Mandel zur Ausbildung gekommen ist
oder nicht. |
Eine „Fossa supratonsillaris” gibt es überhaupt nicht,
sondern nur eine Fossa tonsillaris (s. Abschnitt HI u. VI).
Die Bezeichnungen der anderen Recessus als infra- bzw. supratonsilläre
erscheinen nur solange ungeeignet. als man sie im Rahmen des allgemeinen
Schemas betrachtet. sie werden aber wohl dadurch gerechtfertigt, dass der
erstere Recessus nur beim Fehlen oder doch höchstens rudimentären Vor-
kommen einer Untermandel. der zweite nur oberhalb einer Untermandel.
d. h. beim Mangel oder mangelhafter Ausbildung einer Obermandel beob-
achtet wird. Da in solchen Fällen klinisch überhaupt nur von einer
Mandel die Rede sein kann, so rechtfertigt sich wohl der in dieser Namen-
sebung enthaltene Verzicht auf absolute, der Genese gerecht werdende.
Genauigkeit zugunsten der Deutlichkeit. Die immerhin nicht einfachen
Verhältnisse und neuen Namensvorschläge rechtfertigen eine Rekapitulation
an der Hand einer schematischen bildlichen Darstellung:
V. Die Komponenten des Bildes der Mandelgegend.
In den Figuren S—11 sehen wir die konstanten. fast immer wieder-
kehrenden Gestaltelemente mit ausgezogenen Strichen, die inkonstanten,
selteneren, ebenso wie die in variabler Anordnung anzutreffenden Erschei-
nungen der Tonsillenkörper mit gestrichelten Linien dargestellt; letztere
sind ausserdem schraffiert. Die Umrisse der in die Tiefe verlaufenden
Recessus sind nur punktiert. Es stellen sich Konstant dar:
1. Als Umrahmung der Mandelgegend:
Vorn: Die Plica (bzw. der Margo) semilunaris des Planum triangulare;
ihr oberer Teil: Plica supratonsillaris (superior);
ihr unterer Teil: Plica praetonsillaris bzw. Margo practonsillaris.
Figur 8.
plicu uliwe tons
l. Grunwald, Die typischen Varianten der waumenmandeln usw. 1&9
ae 4
Fiırur 9.
Firur 10.
Fisur 11.
190 L. Grünwald,.Die typischen Varianten der Gaumenmandeln usw.
Hinten: Der hintere Gaumenbogen oben:
die Pliea pharyngo-epiglottiea unten (vgl. Fig. 5).
2. Innerhalb der Gaumenbucht, und zwar dureh die Plica transversa
vetrennt:
die (obere) Mandelgrube (Fig. S) mit der oberen Mandel (Fig. 9):
die (untere) Mandelbucht (Fig. S) mit der unteren Mandel (Fig. 9).
Inkunstante Erscheinungen sind:
Die Gabelungen der Plica praetonsillaris und transversa (Fig. S):
die Plica supratonsillaris inferior (Fig. S);
die Plica retrotonsillaris (Fig. S).
Recessusbildungen:
Oberhalb der Plica supratonsillaris superior (unter ihr hervor-
gehend) der Recessus palatinus superior (Fig. 10):
oberhalb der Plica supratonsillaris inferior (unter ihr hervor-
gehend) der Recessus palatinus inferior (Fig. 10):
hinter der Plica praetonsillaris der Recessus praetonsillaris
(Fig. 10);
unterhalb der (konkav gewölbten) Plica transversa der Recessus
infratonsillaris (Fig. 10): eventuell
seitlich von der konvex gewölbten Plica transversa der Recessus
(supratonsillaris) lateralis (Fig. 11).
VI. Die genetischen Stadien der Gestaltung der Mandelgegend.
Wir mussten zunächst die morphologischen Elemente in ihrer vollen
Ausbildung kennen lernen. um, zur Entwicklung zurückkehrend, die Erschei-
nungen dieser richtig benennen und damit die Entwicklung im ganzen dar-
stellen zu können. Es muss aber gleich von vornherein bemerkt werden,
dass die verschiedenen Entwicklungsstadien durchaus nicht eine
sleichmässige Folge darstellen, weil in ihnen bereits von vorn-
herein die durch Vorkommen oder Fehlen inkonstanter oder variabler
Bildungen sich ergebenden verschiedenen Typen, wie wir sie später
im einzelnen kennen lernen werden, sich markieren.
I. Beim Fötus von 52 mm Gesamtlänge (Scheitel bis Steiss), also vun
der 10.—11. Woche [Fig. 12')]|, verläuft ein schmaler, ziemlich tiefer
Schlitz von oben vorn nach hinten unten, in einer Neigung von etwa 20°
zum Zungenrücken, direkt auf die Spitze der Epiglottis zu. Der obere,
ziemlich scharf ausgesprochene, in seiner Mitte vom Kontur der Epiglottis
überschnittene Rand entspricht dem hinteren Gaumenbogen, die vorn spitz
mit ihm zusammenstossende, nach hinten flach verlaufende Falte ist die
spätere Plica transversa: demnach reicht die dureh den ganzen schmalen
Schlitz repräsentierte Fossa tonsillaris bis zur Epiglottis hinunter. Inner-
halb dieses Schlitzes ist ein vorderer glatter, etwas versenkter Teil von
1) Fig. 12—15, 20 und 21 sind in achtfacher Vergrösserung gezeichnet.
L. Grünwald, Die typischen Varianten der Gaumenmandeln usw. 19]
einem hinteren. etwas mehr vorspringenden und durch eine flache Ein-
furchung zweigeteilten flachen Wulst zu unterscheiden. Wahrscheinlich
gehen aus diesem Doppelwulst die Anfänge der später im bzw. am Sinus
tonsillaris (inferior) liegenden Falten hervor, wie dies in den nächsten
Stadien (s. u.) bereits deutlicher wird.
Unterhalb der Pliea transversa zieht vom Zungengrund eine ziemlich
scharf ausgesprochene Falte nach vorn bis zur halben Höhe des Zwischen-
raums zwischen Zunge und Mandelgrube empor: die Plica praetonsillaris.
Wahrscheinlich handelt es sich bei dieser, scheinbar rudimentären, Bildung
nicht urn eine (unvollkommene) Anlage jener Form der Plica, wie wir sie
in Fig. 5 in voller Ausdehnung sahen, sondern um die bereits deutliche
Ausbild ung jenes anderen Typus dieser Plica, wie wir ihm in späteren voll
ausgebildeten Stadien (s. Fig. 20, 21) wieder begegnen werden.
Figur 13.
II. Das nächste Stadium (Fig. 13) rührt von einem Fötus von 70 mm
Gesamtlänge (Scheitel bis Steiss), etwa aus der 12. Woche her. Der
hintere, bereits voll zum Margo praetonsillaris ausgebildete Rand der
(späteren) Plica semilunaris läuft bis vor die Epiglottis, die bereits bedeutend
tiefer steht, hinunter, und Jässt hoch oben die Pliea transversa, lateral
vom freien Rand, spitz abzweigen. Diese verläuft nahezu parallel dem
192 I. Grünwald, Die typischen Varianten der Gaumenmandeln usw.
Rande des hinteren Gaumenbogens. so dass die hier eingeschlossene (obere)
Mandelgrube immer noch eine schmale, ziemlich tiefe Furche bildet. die
an ihrem unteren Ende aber bereits einen gewissen Abschluss dadurch
gewinnt, dass sich ihr Boden zu einer, wenn auch noch recht flachen
Schwelle aufrichtet. Hierdurch wird bereits der Sinus tonsillaris (inferior)
deutlich abgegrenzt: nach unten allerdings noch ohne feste Linien in die
Schlundwand übergehend. erstreckt er sich in Form eines schiefwandigen
Vierecks mit einem vorn aufgesetztien schmalen Dreieck unter bzw. vor
der Mandelgrube. In dieser sind noch keine Niveaudifferenzen bemerkbar.
Eine stärkere und längere. vom hinteren Gaumenbogen nach unten
abzweigende und eine wieder vor dieser liegende schwächere Falte sind
wir berechtigt, als Anfänge der Plica pharyngo-epiglottica bzw. retro-
tonsillaris anzusprechen. Einen davor liegenden flachen Wulst können
wir noch nicht benennen.
Figur 14.
III. Bei einem Fötus von 88.5 mm Gesamtlänge, also aus der 13. Woche
(Fig. 14), ist die (obere) Mandelgrube bereits ganz abgeschlossen und er-
scheint in Spindelform. noch ohne sichtbare Differenzierung am Grund.
Wiederum (wie in Fig. 12) erstreckt sich die prätonsillare Falte nur bis
zu ? des Abstandes der Plica transversa vom Zungengrunde empor. Im
übrigen wird das Bild zunächst sehr unklar, und zwar dadurch, dass die
Plica transversa noch unterhalb ihrer, den Abschluss der Mandelgrube
bedingenden, Anlehnung an den hinteren Gaumenbogen sich, genau wie in
Fig. 12, noch bis an die präepiglottische Furche hinunterzieht und sich in
dieser Verlaufstrecke ausserdem gabelt: eine im übrigen, wenn auch seltene,
doch typische Variante, der ich auch späterhin (vor der Reife) noch mehr-
‚mals begegnet bin. Demnach ist der Sinus tonsillaris (inferior) nur durch
den vierkantigen, zwischen der vorderen Zinke der Gabel und der prä-
tonsillaren Falte verlaufenden schmalen Graben repräsentiert.
Auf dieser Abbildung ist auch die ganze Breite des Planum triangulare
bis zur Kante des vorderen Gaumenbogens hin sichtbar gemacht.
IV. In dem von einem 93 mm langen, etwa 15 Wochen alten Fötus
stammenden Präparat (Fig. 15) wird zum erstenmal in der voll abge-
L. Grünwald, Die typischen Varianten der Gaumenmandeln usw. 19
schlossenen oberen Mandelgrube der obere Mandelkörper in Gestalt von
zwei Wülsten ersichtlich. Plica transversa und praetonsillaris stossen
nahezu zusammen. Die dreieckige Falte selbst (hier ist einmal ausnahns-
weise wirklich eine Plica triangularis anstatt eines Planum ersichtlich) ist
überaus schmal, ihr vorderer (Gaumenbogen-) Rand erhebt sich. nahezu
gleichmässig winkelnd mit dem prätonsillaren, zum Abgang der queren
Faite hin. Im Sinus tonsillaris (inferior) erheben sich einige flachwellige
Erhabenheiten, vielleicht die Andeutung einer unteren Mandelbildung (s. n.).
Figur 15.
V. Mit den Verhältnissen beim etwa 5 Monate alten Fötus, die wir
oben im einzelnen geschildert haben (s. Fig. 5), ist dann die Entwicklung
bereits auf jener Stufe angelangt, auf der alle Elemente in ihrer haupt-
sächliehen Anordnung anzutreffen sind, und es ist nunmehr möglich. sich
jenen Bildern zuzuwenden, die durch Kombination verschiedener Arten der
elementaren Gebilde zu Stande kommen.
VIL Die Varianten der morphologischen Elemente.
A. Die primitiven Tonsillenkörper und ihre Varianten.
Es ist bisher, in allen gebräuchlichen Darstellungen, immer nur von
„der“, d. h. von einer Gaumenmandel die Rede gewesen, die in „der“
Mandelbucht liege. Abgesehen von den Ausdehnungen der Lymphoid-
bildungen auf die Nachbarschaft, von denen weiter unten die Rede sein
wird, war mir aber schon bei denjenigen Untersuchungen, die der im
vorigen Jahre in meinem Lehrbuch (7) (S. 21—26) niedergelegten Dar-
stellung dieses Gebietes zugrunde lagen, das Vorhandensein eines zweiten
Mandelkörpers in manchen Fällen aufgefallen. Ich erwähnte dort weiter
das Vorhandensein einer die „supratonsilläre* Bucht auskleidenden „Pars
palatina“ (S. 24, Fig. 16) und die gesonderte Ausmündung der „supra-
tonsillären* Furchen; ebenso schilderte ich dort das Verhältnis der Lym-
phoidbildungen in der „Fossa supratonsillaris" gegenüber denjenigen in
194 L. Grünwald, Die typischen Varianten der Gaumenmandeln usw.
der „Mandelgrube* an Hand einer Reihe von Befunden in den schemati-
sierten Bildern der Fig. 14, 1. e.
Diese Befunde decken sich insofern nicht mit den gleichnamigen J. Killians,
als dieser Autor alle diese Vorgänge in „die“ Mandelbucht verweist; die „Pars
palatina“ ist ihm nur der im Gaumensegel steckende Teil „der Mandel“, der
„untere Mandelwulst“ „späterhin die Hauptmasse des in die Rachenhöhle vor-
springenden Teils der Gaumenmandel“: Bezeichnungen und Vorstellungen, mit
denen der wahre Sachverhalt bereits geahnt, aber, mangels lückenloser genetischer
und umfangreicher anatomischer Untersuchungen, nicht richtig getroffen ist. Wie
nahe Killian aber bereits der Wahrheit gekommen ist, zeigt sein Vermerk, dass
die lymphoide Wucherung nicht selten auch auf der medialen Seite der Plica infra-
tonsillaris einsetze. Dies alles führe ich zur Würdigung der bisher nirgends
genügend berücksichtigten Arbeit J. Killians an, will aber auf einen Vergleich
bzw. eine Richtigstellung seiner Bezeichnungen im einzelnen nicht näher eingehen,
um nicht in der an sich so schwer entwirrbaren Materie neuen Stoll zur Unklarheit
zu geben. Aehnliche, wenn auch nicht ganz übereinstimmende Feststellungen
haben später und gleichzeitig mit mir Nett und Butterfield (9) gemacht. Auch
diese hier zu kritisieren, unterlasse ich aus denselben Griinden.
Alle diese Tatsachen haben sich auch in meiner neuerlichen Unter-
suchungsreihe bestätigt gefunden. Aber ihre Deutung musste eine andere
werden mit dem Momente. als die meiner heutigen Darstellung zugrunde
liegende Aufrollung der ganzen genetischen Reihe enthüllte, dass das, was
ich im Einklange mit der bisher gültigen Auffassung als akzidentellen
supratonsillären Raum ansah, tatsächlich nur einer von zwei an-
nähernd gleichwertigen Stellen der Mandelbildung entspricht, während
eine zweite ebenso wichtige und ebenso selbständige Stelle sich in der
darunter befindlichen flachen Ausbuchtung vorfindet; dass es also über-
haupt keinen „supratonsillaren* Raum gibt, sondern dass wir
von vornherein zwei Mandelräume zu unterscheiden haben, eine obere
tiefere Grube und eine untere flachere Bucht (5); beide gleichwertig. wenn
auch nicht gleich häufig, zur Ausbildung Iymphoiden Gewebes benutzt.
Denn, um dies gleich vorauszuschicken, bei 71 Mandeln von 38 Föten,
Neugeborenen und Kindern habe ich, soweit überhaupt schon Lymphoid-
bildungen festgestellt werden konnten, die (untere) Mandelbucht nur 7 mal
von einer deutlichen unteren Mandelbildung besetzt gesehen, also in 10 pCt..
während eine Anlage zu diesem Gebilde in unzweifelhafter Form 5 mal,
also in 7pCt., in zweifelhafter ausserdem 13 mal, also in 18 pCt. sich
vorfand. Bei histologischer Kontrolle würde sich die Zahl sicherer unterer
Mandelanlage allerdings erheblich steigern lassen; das geht aus dem Be-
funde, den ich in dem Plattenmodell (Tafel IIT) abbilden lasse, deutlich
hervor: Die gefärbten Stellen entsprechen den, die erste Tonsillenanlage
darstellenden, bereits von leichter Lymphoidzone umgebenen, Tiefenwuche-
rungen des Epithels, und wir sehen sie an drei Stellen: die beiden untersten
(dunkelrot und gelb) entsprechen den Wülsten der (unteren) Mandelbucht.
die obere (violette) der Bildung in der (oberen) Mandelgrube. durch ihre
strikte Scheidung ein deutliches Zeugnis für die Selbständigkeit jedes dieser
I,. Grünwald, Die typischen Varianten der Gaumenmandeln usw. 19
Gebilde. Dem stehen bei Erwachsenen die Zahlen von 62 pCt. sicheren
und 8 pCt. zweifelhaften Vorkommnissen gegenüber. Umgekehrt wird die
(obere) Mandelgrube während der Entwicklung regelmässig, d. h. in 100 pCt.
zum Sitze einer Mandel, während das gleiche Verhalten bei Erwachsenen
nur in 60 pCt. feststellbar ist. Es stehen sich also im Laufe der Spätreife
und Reife eine, natürlich auf dem Wege der Gewebsinvolution vor sich
szehende Reduktion des oberen Mandelkörpers und zugleich eine
Neubildung der unteren Mandel gegenüber, welch’ letztere wohl noch
in höherem Masse anzusprechen ist, als das die rein zahlenmässige Betrachtung
erscheinen lässt; denn ein Teil der neu hinzugekommenen unteren Mandeln
ist wohl bis zur Beobachtungszeit wieder jener Involution verfallen, die
wir im ganzen menschlichen Körper bei allen Lymphbildungen beobachten.
Ein anderer Teil wird der richtigen Deutung dadurch entzogen, dass die
Plica transversa durch Verstreichen oder lymphoides Infiltrat keiner scharfen
Scheidung der (oberen und unteren) Räume bzw. der in ihnen sitzenden
Lymphoidkérper mehr dient. (In dem Präparat von einem 10Ojährigen
Kinde ist bezeichnenderweise die Grenze zwischen oberer und unterer
Mandel gerade noch, an einer Knickung, erkennbar, aber durch Verschwinden
der Plica transversa bereits verschwommen.) Bilder vom Erwachsenen, in
denen die Trennung noch besteht, wie in Fig. 22 (s. auch Fig. 23), sind
daher sehr selten; wo man sie aber wirklich antrifft, erklären sie, im
Einklang mit den in .Fig. 6 ersichtlichen Verhältnissen, mehr als Worte
den wahren Sachverhalt.
Diese ganzen Verhältnisse ontogenetischer Umformung legen die
Frage nahe, ob es sich hier nicht um eine im Flusse befindliche phylo-
genetische Verschiebung handle. Um dies zu entscheiden, sind in
erster Linie die Tatsachen der vergleichenden Anatomie heranzuziehen.
B. Die Tonsillenkörper der Säugetiere.
Die frühesten und sehr umfangreichen Untersuchungen der Tonsillen-
gegend von Säugern hat W. v. Rapp (10) angestellt; leider sind sie für
uns beim Mangel bildlicher Darstellung nur wenig verwertbar. Dagegen
hat Asverus (11) Abbildungen einer Anzahl seiner Befunde gebracht,
allerdings nur an Schnitten, nicht in Profilen, während beiderlei Arten von
Zeichnungen die Untersuchungen von Hett und Butterfield (9) illustrieren.
Diese Abbildungen erlauben uns bereits das Vorkommen einer unteren
Mandel auch bei einigen Tiergattungen zu behaupten; unter allen
Umständen aber weisen sie, auch die Rappschen, schon darauf hin, dass
Ort und Art der Bildung von Mandelkörpern innerhalb der Säugerreihe
durchaus nicht einheitlich sind. Das hat bereits Rapp selbst hervor-
gehoben, in dessen Schilderung die in Säcken (der Mandelgrube) befind-
lichen Lymphoidbildungen von solchen, die in Wülsten oberflächlich ange-
ordnet sind, unterschieden werden. Auch schildert er beim Wolf das
gleichzeitige Bestehen von zweierlei ungleichartigen Erscheinungen, nämlich
einer vorragenden längsgefurchten Lippe und eines darüber befindlichen
Archiv für Laryngologie. 28. Bd. 2. Heft. 14
196 L. Grünwald, Die typischen Varianten der Gaumenmandeln usw.
kürzeren, elliptischen, aus mehreren kleineren Lappen bestehenden Körpers.
Allerdings ist es nicht möglich, diese Gebilde sowie jene, welche an den
Abbildungen von Cercopithecus Mona, Lutra vulgaris, Meles vulgaris usw.
bei Asverus ersichtlich werden, von den (weiter unten zu erörternden)
Lymphatisierungen der Plica transversa abzuscheiden. Auch Hett und
Butterfield haben denn auch ihre entsprechenden Befunde beim Grün-
affen (?) und Gorilla, ebenso wie einige ähnliche beim Menschen nur als
„linguale Fortsetzung“ des Mandelkörpers aufgefasst, ähnlich wie J. Killian
von einem „gefurchten Anteil des unteren Mandelwulstes“ und von adenoider
Wucherung der medialen Seite seiner „Plica infratonsillaris* spricht. Dies
alles mag immerhin schon als genügend erscheinen, um die Vermutung
des Vorkommens nicht einheitlicher primärer Mandelbildung auch bei
Säugern zu verschärfen. Doch bedurfte es eigener. daraufhin gerichteter
Nachuntersuchungen, um dieser Vermutung zur Gewissheit zu verhelfen:
umsomehr, als das Uebergreifen Iymphoider Wucherung von der Lateral-
seite der Plica transversa, also aus der Mandelgrube heraus, auf ihre
Medialseite bei den Gattungen Mustela, Canis und Meles bereits bekannt,
aber, wie wir unten sehen werden, anders zu bewerten ist. Vor allem
aber war es notwendig, die vorliegenden Tieruntersuchungen, soweit nur
das Material es zuliess, dadurch zu ergänzen, dass, wo möglich, noch
mehrere Exemplare einer Spezies und solche verschiedenen Alters zum
Vergleich herangezogen werden. Denn auch hier zeigte es sich wieder,
wie überall, dass der Befund an einem einzelnen Exemplar nicht ohne
Weiteres für die Gattung massgebend zu sein braucht. Beim Fuchs fanden
sich so (u. a.) die lebhaftesten Differenzen, nicht nur an den einzelnen
Individuen, sondern bereits an den beiden Seiten eines Exemplars.
So wurde denn vorläufig folgendes Material, das aber behufs breiterer
Darstellung der tierischen Verhältnisse weiterhin ergänzt werden soll, von
mir untersucht !):
I. Zahnarme.
1. Giirteltier.
ll. Zweihufer.
2. Lamm (6 Föten von 10—12 em Länge),
Rind (Kalb),
Maralhirsch (erwachsen),
Damhirsch (neugeboren),
Tragulus (erwachsen),
Tragulus (neugeboren),
Reh (2 erwachsene, männlich und weiblich),
Reh (Kitz),
gI
S
~l
1) Eine histologische Untersuchung hat nicht stattgefunden. Gerade, wo sie
nötig gewesen wäre, reichte die mangelhafte Konservierung des gewöhnlich erst
lange post mortem fixierten Materials dazu nicht aus.
L. Grünwald, Die typischen Varianten der Gaumenmandeln usw. 197
s. Mähnenschaf (alt),
9. Gemse (erwachsen),
10. Bezoarziege (alt).
Il. Vielhufer.
11. Dendrohyrax dorsalis (jung),
12. Hausschwein (6 neugeborene und 10 Föten),
13. Bartschwein (2 neugeborene),
14. Babirussa (neugeboren).
IV. Sohlengänger.
15. Dachs (2 neugeborene),
Dachs (erwachsen),
16. Malayenbär (alt).
V. Nager.
17. Dasyprocta aguti (2 junge),
IS. Meerschweinchen (2 alte, 6 halbwüchsige),
19%. Kaninchen (4 junge),
20. Hase (2 alte),
21. Capybara (alt).
22. Paka (alt).
VI. Katzen.
23. Hauskatze (3 erwachsene),
24. Tiger (alt),
Tiger (neugeboren),
Tiger (2 neugeborene),
25. Löwe (2 neugeborene),
Löwe (Säugling),
26. Indischer Leopard (fast reifer Fötus).
Indischer Leopard (neugeboren).
VII Schleichkatzen.
27. Vivera genetta (erwachsen).
2s. Ichneumon (erwachsen).
VIH. Hyänen.
29. Hyaena striata (erwachsen).
IX. Flattertiere.
30. Pteropus edulis.
31. Vesperugo noctula.
X. Caniden.
32. Haushund (erwachsen),
33. Fuchs (5 erwachsene).
XI. Nachtaffen.
34. Hapale jachus (2 erwachsene).
14*
198 L. Grünwald, Die typischen Varianten der Gaumenmandeln usw.
XII. Prosimier.
35. Chake-Chake (erwachsen),
36. Indris Babakota (erwachsen),
Indris Babakota (jung).
37. Stenops tardigradus (jung).
XIH. Schwanzaffen.
38. Cercopithecus (Mona?) (erwachsen),
39. Bärenpavian (erwachsen),
40. Macacus nemestrinus (erwachsen),
41. Mohrenaffe (erwachsen),
42. Husarenaffe (jung),
43. Meerkatze (erwachsen),
44. Semnopithecus nasicus (jung).
XIV. Anthropoiden.
45. Hylobates syndactylus (erwachsen),
46. Orang-Utan (erwachsen ?),
47. Schimpanse (halbwüchsig).
48. Gorilla (halbwüchsig).
Auf die Einzelheiten der Befunde an diesen Säugergattungen will ich
hier nur insoweit eingehen, als die Frage zweifacher Tonsillenbildung zu
entscheiden ist.
I. Beim Maralhirsch finden sich tiefe Mandelgruben mit wohl aus-
gestalteten, reich gegitterten flachen Mandelwülsten und mit trichterförmigem
Recessus palatinus. Schlundwärts davon (dorsal) sieht man auf der dem
Sinus tonsillaris inferior entsprechenden Fläche mehrere, auf der linken
Seite in einer dem Zungengrund parallel laufenden Reihe angeordnete,
Löcher, welche wahrscheinlich Krypten entsprechen.
Il. Die infolge ihrer stark geneigten Lage zunächst schwer erklärbare
Gaumenbucht des jungen Indris (Babakota), eines Halbaffen, ist überaus reich
differenziert. Ein nach vorne kolbenförmig zulaufender schmaler Wulst
(Fig. 16) entspricht dem „supratonsillären* Teil des Margo semilunaris;
ein daran nach hinten anstossender annähernd eiförmiger, im übrigen aber
einer länglichen Kartoffel ähnelnder Knollen sitzt beweglich dem hinteren
Verlauf einer, in ihrem vorderen Teil durch den vorderen Wulst repräsen-
tierten Falte auf, dem Analogon unserer Plica transversa. Ueber dem
Winkel, den der hintere Knollen mit der vorderen wulstförmigen Falte ein-
schliesst, verläuft von unten vorne nach hinten oben ein spindelförmiger
Wulst unter einer gleichgerichteten Falte. Ersterer ist als (oberer) in der
flachen Mandelgrube gelegener Mandelkörper anzusprechen, letztere als
Plica retrotonsillaris. Wir haben hier also drei deutliche und voneinander
gesonderte Mandelkörper vor uns: einen in der (oberen) Mandelgrube ge-
legenen, unserer Obermandel analogen, einen vorderen, und einen hinteren,
von der Plica transversa ausgehenden. Letzterer ähnelt, besonders wenn die
L. Grünwald, Die typischen Varianten der Gaumenmandeln usw. 199
Grübchen seiner Oberfläche tiefer und reichlicher als beim jungen Tier ver-
treten sind (s. Fig. 17), noch mehr der Gestalt einer menschlichen Gaumen
mandel. Hierzu gesellen sich aber noch dicke Wülste, sowohl in dem
schmalen, zwischen dem Zungengrund und der Pars „supratonsillaris* (hier
infratonsillaris!) hinziehenden Planum triangulare, als unterhalb des dicken
Knollens, also im Sinus tonsillaris; beide Wulstkomplexe trennt ein dickerer,
wohl der Plica praetonsillaris gleichzusetzender Wulst.
Figur 16.
[Diese Wulstfalten finden sich nun als einziges deutbares Gebilde der
Mandelgegend bei Ursus aretos vor: v. Rapp beschreibt vier bis fünf dicke,
der Zunge gleichlaufende Falten von verschiedener Länge, während jeder
andere glatte oder zerklüftete Körper fehlt. Das spricht doch mit aller
Wahrscheinlichkeit für die Identität dieser Falten mit den anders ge-
stalteten Lymphoidkörpern. beim Bären sowohl als bei unseren Prosimiern
und Affen. Diese Vermutung wird noch verstärkt, wenn man das Vorkommen
ganz gleich gelagerter Wülste beim Menschenfötus beachtet (Fig. 15), wie ich
ihnen in meiner Beobachtungsreihe auch weiterhin in ähnlicher Form
(Prip. XXII in Tabelle I) und in Form eines gegabelten Wulstes
(Präp. XXVIII der Tabelle I, vgl. Fig. 5) begegnet bin. Aehnliche leichte
Wulstungen sah ich beim Schimpansen und beim Orang im Sinus ton-
sillaris, beim Gorilla auch am Planum triangulare. |
200 L. Grünwald, Die typischen Varianten der Gaumenmandeln usw.
Wenn wir nun auch diese Wulstreihen nicht mit Sicherheit als Mandel-
äquivalente ansehen können, so bleiben doch die anderen drei unzweifel-
haften Mandelkörper gerade bei der Gattung Indris als Zeugnis dafür, dass
eine exquisit mehrfache und teilweise von der Mandelgrube unabhängige
Mandelbildung Platz greifen kann; besonders bemerkenswert bei Indris
scheint noch die Entwicklung gerade des hauptsächlichsten, ja zunächst
allein imponierenden unteren Mandelkörpers, der auch allein Grubenanlagen
analog den Krypten trägt.
Letztere Erscheinung tritt noch stärker an dem von einem erwachsenen
Exemplar derselben Gattung herrührenden Präparate (Fig. 17) zutage. Dass
bei diesem der vordere Mandelkörper ausserdem zweigeteilt erscheint. ist
ja weniger auffallend, als die Tatsache, dass hier die Mandelgrube so gut
wie verstrichen, unter dem (hinteren) unteren Mandelkörper gänzlich ver-
borgen ist und, auch nach Lüpfen des letzteren, keine Spur eines (oberen)
Mandelkörpers trägt: ein Entwicklungsvorgang — soweit man aus dem
Befund an nur je einem Jungen und Alten entwicklungsgeschichtliche
Schlüsse ziehen darf —, der durchaus dem beim Menschen gleicht.
Im übrigen treffen wir auch an dem erwachsenen Exemplar ähnliche,
nur noch etwas reichere Faltenwülste im Bereiche des Planum triangulare
und des Sinus tonsillaris an, vermissen dagegen jene Faltenzüge, die wir
bei dem jungen Tier als Plica praetonsillaris und retrotonsillaris be-
zeichnen konnten.
III. Der Malayenbär hat eine längliche schlitzförmige Mandelgrube,
die nach unten durch eine lange schmale Plica tranversa von einem eben-
falls seitlich vertieften Sinus tonsillaris abgegrenzt wird. Beide Räume
werden von einer Art Klappe (der reich entwickelten Plica retrotonsillaris)
überdeckt. Aus dem Tiefenteil des Sinus tonsillaris gehen in einen frei-
liegenden flacheren Teil desselben Raumes eine Anzahl von Längswülsten
über und erreichen den Zungengrund. Im ganzen also das Bild, wie es
W.v. Rapp vom braunen Bären gibt; doch hat man entschieden den Ein-
druck, dass in der Tonsillengrube differentes Gewebe sitzt; sie ist braunrot
verfärbt. Dagegen erscheint die Bedeutung der Längswülste durchaus
zweifelhaft.
IV. Beim „Bärenpavian“ ist die rechtsseitige Gaumenbucht vom
Planum triangulare durch einen ziemlich scharf markierten Margo semi-
lunaris abgegrenzt; sie enthält zahlreiche wulstige Falten, von denen
einzelne, wenn auch nicht sehr deutlich, die Lage einer unteren Tonsillen-
bucht und den Verlauf einer Plica transversa ansprechen lassen. Unter-
halb der letzteren zeigen die zwischen ihr, dem Zungengrund und der
Epiglottis verlaufenden Falten eine stärkere Füllung, so dass die Deutung
gerade dieser Partie als untere Mandel, wenn auch nicht zweifelsfrei, doch
naheliegt. (Die linke Seite zeigt keine klaren Verhältnisse.)
V. Mohrenaffe. Die obere Mandelgrube, mit Spaltung in zwei seichte
Krypten und nach vorn verlaufendem Recessus palatinus, die leicht (lymphoid)
verdickte Plica transversa und das Planum triangulare sind sehr deutlich
L. Grünwald, Die typischen Varianten der Gaumenmandeln usw. 201
ausgeprägt. An der hinteren Grenze des letzteren (die durch keinen Margo
semilunaris bezeichnet wird) liegen zwei grössere rundliche Löcher und
einige flachere Vertiefungen (Fig. 18); beide zusammen dürfen unbedenklich
als Krypten, das ganze als Untermandel gedeutet werden.
VI. Hylobates syndactylus weist ähnliche Faltenwulstungen sowohl
in der Fossa und im Sinus tonsillaris, als auch auf dem Planum triangu-
lare auf. Die Grenzen zwischen diesen Flächen sind durch Plica trans-
versa und Margo semilunaris gut bestimmt. Ein ausgedehnter Recessus
(Saccus) palatinus bildet die vorderen Ausläufer der Mandelgrube. Sehr
Figur 18.
3
Fr
ô -
1 Obere Mandel in der Fossa tonsill.; 2 untere Mandel im Sinus tonsill.;
3 Epiglottis.
bemerkenswert ist nun eine Krönung der Plica transversa mit kleinen,
halbrunden, offenbar Iymphoiden Knötchen, die knopfartig den dorthin ver-
laufenden Wülsten des Planum triangulare aufsitzen.
Auch hier also wieder eine mehr oberflächliche, von der Mandel-
grube unabhängige Lage dessen, was man etwa als Mandelkörper be-
zeichnen kann.
Fassen wir zusammen, so finden wir nur beim Mohrenaffen eine völlige
Parallele zu menschlichen Verhältnissen: obere Gruben- und untere Flächen-
mandel. Wenn aber kein weiterer aus der Reihe der erhobenen Tier-
befunde eine völlige Deckung mit dem, was beim erwachsenen Menschen
als untere Mandel erscheint, ergibt, so bleiben doch ganz erhebliche Aehn-
lichkeiten mit fötalen menschlichen Verhältnissen (s. oben); jedenfalls aber
202 L. Grünwald, Die typischen Varianten der Gaumenmandeln usw.
das eine, dass auch bei verschiedensten Spezies der Säuger entweder neben
oder an Stelle von oberen (Gruben-) Mandeln — untere (oberflächlich
gelegene) Mandeln zu beobachten sind.
C. Die Erscheinung der beiden Mandelkörper im Präparat und
am Lebenden.
Obere und untere Mandel treten je nach Vorkommen und Ausbildung
in ein Gegenseitigkeitsverhältnis, wie wir es zunächst an schematischen
Zeichnungen (Fig. 19), die an Befunde an Präparaten sich anlehnen, über-
sehen können.
Figur 19.
Typ 1. Typ 2. Typ 3. Typ 4. Typ 5.
Typ 1 und 2 zeigen ausschliessliche Entwicklung der unteren, 3 und 4
gleichzeitige Anlage der oberen und unteren, 5 ausschliessliche Bildung
der oberen Mandel, alle ungefähr in den Verhältnissen, wie sie beim Er-
wachsenen bestehen. Die Unterschiede zwischen 1 und 2 sowie 3 und 4
untereinander interessieren uns zunächst nicht.
Aus dem Anblick des Typ 1, noch mehr aber 2 (vgl. Fig. 22 rechts)
wird verständlich, wie die Vorstellung von einer nicht zur Mandel ge-
hörigen „Fossa supratonsillaris* zustande gekommen ist: die leer gebliebene
(oder gewordene) (obere) Mandelgrube ist zum bedeutungslosen, über der
unteren, wohl abgegrenzten Mandel mitunter kaum klaffenden Schlitz re-
duziert. In derselben Weise prävaliert wieder in Typ 5 die obere Mandel;
und es ist sehr begreiflich, dass angesichts dieser Bildung, ebenso wie bei
dem einheitlichen, aus der Konfluenz von oberer und unterer Mandel sich
ergebenden Anblick von Typ 3, niemand auf den Gedanken kommen kann,
dass es überhaupt etwas anderes als „die“ Mandel gebe. Da noch dazu
die Summe des Vorkommens all dieser einheitlichen Erscheinungen (beim
Erwachsenen) nicht weniger als 84 pCt. ausmacht, so erklärt es sich wohl,
wenn am Lebenden (an der Leiche wird nicht gerade häufig auf die Gestalt
L. Grünwald, Die typischen Varianten der Gaumenmandeln usw. 203
der Tonsillen geachtet) die abweichenden, das Doppelbild zeigenden, dem
Typ + angehörenden Bilder übersehen oder als pathologische Zerreissungen
des Zusammenhanges gedeutet werden.
Ein Wort zur Begründung der Deutung der jeweiligen Befunde: Nach
dem, was am Anfange schon über die Zusammensetzung der Bilder der
Mandelgegend gesagt wurde, versteht sich von selbst, dass jede Unter-
scheidung von Mandelgrube und Mandelbucht und damit von oberer und
unterer Mandel aus dem Verhältnis zur Plica transversa zu be-
gründen ist. So ist auch Typ 3, bei dem eben diese Falte nur minimale
Ausbildung besitzt, wohl gar völlig in der Tiefe verschwindet und daher
nicht mehr als Trennung beider Gruben erscheint, von Typ 5 zu unter-
scheiden, bei dem ebenfalls nur ein einheitlicher Mandelkörper sich dar-
stellt. Bei jenem ist überhaupt keine Querfalte oder nur die leichteste
Figur 20.
Andeutung einer Vorwölbung im Mandelkörper bemerkbar — bei diesem
markiert sie sich zwar deutlich, aber nur unterhalb des sichtbaren Mandel-
körpers, der im übrigen den ganzen Bereich der Mangelgegend einnimmt;
vom Sinus tonsillaris (inferior) ist überhaupt nichts zu bemerken.
Den Anfang dieser letzteren Gestaltung sehen wir aufs deutlichste in
Fig. 20, aus dem 4. Monat, wo die (obere) Mandelgrube nahezu das ganze
Profil erfüllt und dementsprechend der (doppelt angelegte) obere Mandel-
körper die alleinige Lymphoidbildung repräsentiert — im auffallendsten
Gegensatz zu der Gestaltung bei einem Neugeborenen (Fig. 21). Bei beiden
erreicht die selbständig vom Planum triangulare abgesetzte Plica prae-
tonsillaris die unmittelbar aus jenem abbiegende Plica transversa nicht;
aber das ist weniger wichtig. Wesentlich ist das in Fig. 20 angedeutete
völlige Verschwinden der (unteren) Mandelbucht gegenüber der (oberen)
Mandelgrube, während in Fig. 21 die untere Bucht offenbar für weitere
Lymphoidbildung vorbehalten bleibt, ihr wenigstens Raum bietet.
Das Grössenverhältnis der beiden Räume in Fig. 21 ähnelt denn auch
sehr demjenigen in Fig. 6, wo die Untermandel voll entwickelt ist. Ein
204 L. Grünwald, Die typischen Varianten der Gaumenmandeln usw.
Vergleich der drei Bilder zeigt übrigens ein Weiteres: wie die Mandel-
grube entweder nur nach vorne (lig. 20) oder auch nach unten (Fig. 21)
oder schliesslich allseitig scharf begrenzt sein kann (Fig. 6). Letzteren-
falls wird der Mandelkörper in jener bereits von J. S. Fraser als Prä-
putialbildung bezeichneten Weise umschlossen, die, wie wir also gleich
Figur 21.
aussprechen können, immer nur eine Mandel betrifft. Im späteren Leben,
speziell am Lebenden, sind aber diese Verhältnisse, d. h. die Zugehörigkeit
zu dem einen oder’ anderen Typ, nicht immer einwandfrei festzustellen,
weil die Falten, die uns ja den einzigen sicheren Anhaltspunkt für die
Figur 22.
Unterscheidung von oberen und unteren Räumen und Mandelkörpern bieten,
später teils durch Atrophie, teils durch Iymphoide Infiltration mehr oder
weniger verstreichen. Bilder, wie das der Fig. 22, das dem kindlichen
der Fig. 6 geradezu frappant ähnlich sieht, sind ja sehr selten.
L. Grünwald, Die typischen Varianten der Gaumenmandeln usw. 205
Immerhin sieht man auch sonst sehr klare Bilder, wie das in Fig. 23
mit dem Spiegel aufgenommene. Rechts ist obere und untere Mandel
ausgebildet, links nur die untere, die (obere) Mandelgrube ist leer; beider-
seits hebt sich die Plica transversa scharfrandig ab.
Figur 23.
In Fig. 24 ragt die rechte Mandel ziemlich weit vor, der unmittelbare
Uebergang der Pliea supratonsillaris auf den Mandelkörper lässt erkennen,
dass die Plica transversa, wenn auch verstrichen, doch oberhalb des
Tonsillenkörpers zu suchen, dieser daher als unterer anzusprechen ist: die
Figur 24.
Hi pii iy HE a '
Mi 1193
7
TUE «
1 Vorderer Gaumenbogen; 2 Umschlagfalte.
prätonsillare Falte ist durch die seitliche Entwickelung der Mandel
vorgebaucht. Links ist der Mandelkörper als unterer ohne weiteres an
seinem kontinuierlichen Uebergang auf den Zungengrund anzusprechen
(vgl. Fig. 6 und 22).
Figur 25.
`
1 Untere Mandel; 2 Plica transversa.
206 NL. Grünwald, Die typischen Varianten der Gaumenmandeln usw.
Der linke Mandelkörper der Fig. 25 weist sich wieder durch seine
Lage oberhalb der flach auf ihn verlaufenden Querfalte als oberer aus;
den rechten dagegen zu bestimmen. gelingt erst, nachdem der Zungengrund
kräftig niedergedrückt und der vordere Gaumenbogen seitwärts gezogen ist.
Dann enthüllt sieh das, was bisher als Gesamtmandel imponierte. nur als
oberer Mandelkörper, unterlialb dessen, mit der Querfalte verschmolzen,
die untere Mandel sich scharf absetzt.
Figur 26.
Letzteres Verhalten. nur in umgekehrtem quantitativem Verhältnis der
oberen zur unteren Mandel, bietet sich auch in Fig. 26 dar. Wenn die in
ihrem vorderen Ansatz sich scharf abhebende Plica transversa im weiteren
Verlauf nach rückwärts auch hier mit dem unteren Mandelkörper ver-
schmilzt, so haben wir damit bereits eine Andeutung jener Schwierig-
keiten, die sich sehr häufig der Deutung überhaupt entgegenstellen. So
muss in Fig. 27 die linke Mandel wohl als einheitlich bezeichnet werden,
aber welche genetische Bedeutung ihr zukommt, bleibt dahingestellt.
Rechts allerdings hebt sich der sichtbare Mandelkörper so präzis von der
leeren, unter der (nach ihrem Verlauf einwandfrei als Plica supratonsillaris
erscheinenden) Falte liegenden (oberen) Mandelgrube ab, dass seiner Be-
zeichnung als untere Mandel kaum etwas entgegensteht.
In dem Präparat zu Fig. 25 endlich ist es infolge der alles durch-
setzenden Iymphoiden Wucherung wiederum durchaus unmöglich, die ur-
sprünglichen Verhältnisse festzustellen. Eine minimale Mandelgrube mit
einer ebensolchen Andeutung einer Plica supratonsillaris (superior) sind
alles, was man noch an dem diffusen, glatten Mandelkörper nnterscheiden
kann. Solche Bilder kann man nur mit einem Fragezeichen versehen.
D. Atypische Mandeln.
Die primären Mandelbildungen beim Menschen gehen, wie wir im
Eingange sahen, von Tiefenwucherungen des Epithels aus, sind demnach
später an Krypten gebunden. Die auch hier sekundär eintretende
Lymphoidinfiltration kann nun aber ausserdem an sämtlichen Stellen der
L. Grünwald, Die typischen Varianten der Gaumenmandeln usw. 207
Figur 27.
f.t. Fossa tonsillaris.
Gaumenbucht bzw. Mandelgegend eintreten und befällt vorzugsweise, ja
fast ausschliesslich die verschiedenen Falten, die sie dann aus dünnen
Platten oder Strängen zu dicken Strängen und Wülsten umformt.
Figur 28.
Am häufigsten geschieht das bekanntermassen mit der Plica salpingo-
pharyngea, dem Substrat der sog. Seitenstränge. Aber auch die Plica
pharyngo-epiglottica wird gelegentlich, wenn auch relativ selten, in dieser
Weise verändert.
208 L. Grünwald, Die typischen Varianten der Gaumenmandeln usw.
An beiden Stellen habe ich nun, teils neben den regulären Gaumen-
mandeln. teils vikariierend für solche (nach der Exstirpation), nicht nur
entzündliche Schwellungen, sondern auch Bildung von Pfröpfen in Ver-
tiefungen, also lakunärer Natur, mehrmals beobachtet; und so ist die
Möglichkeit anzuerkennen, dass in solchen Fällen nicht nur eine einfache
Lymphoidinfiltration eingesetzt habe, sondern dass es sich von vornherein
um dislozierte bzw. überzählige echte Mandelanlagen auf der
Basis primärer Epitheltiefenwucherung mit Kryptenbildung handle.
Sicher ist diese Erklärung auf den bisher einzigartigen, von Levin-
stein (12) beobachteten Fall „pathologischer* Tonsillenbildung, die er
als „Tonsilla linguae lateralis* bezeichnet, anzuwenden. Dass eine origi-
näre Mandel vorliegt, erweist der histologische Befund von Krypten mit
anliegendem follikulärem und diffusem Iymphatischem Gewebe. Seiner
Lage nach ist das Gebilde dem Planum triangulare zuzuweisen und bildet
somit ein Analogon zu den oben (S. 198ff.) geschilderten Befunden bei
Indris und Hylobates syndactylus, wohl auch beim Gorilla.
Schliesslich besteht ja kein prinzipieller Einwand dagegen, dass,
ebenso wie phyletisch die verschiedensten Stellen in und an der seitlichen
Gaumenbucht der Mandelbildung dienen, diese Stellen auch gelegentlich
innerhalb einer einzelnen Spezies in gleicher Weise ausgenützt werden,
auch wenn sie im allgemeinen sonst brach liegen. Jedenfalls gewinnen
wir erst durch die Kenntnis der mannigfaltigen Vorkommnisse in der
Säugerreihe das richtige Verständnis für die aussergewöhnlich auch beim
Menschen einsetzenden atypischen Mandelbildungen. Als solche
natürlich, nicht als „pathologisch“, ist jedes derartige Vorkommnis zu
bezeichnen.
E. Sekundäre Lymphoidbildungen.
An den eben geschilderten 3 Stellen sowohl, besonders an den beiden
ersten, der Plica salpingo-pharyngea und pharyngo-epiglottica, als auch an
den übrigen Falten der Mandelgegend ist viel häufiger die reine, „sekundär“
im Laufe der zweiten Kindheit oder noch später einsetzende Lymphoid-
infiltration zu beobachten.
Am wichtigsten ist das Infiltrat des Margo (bzw. der Plica) prae-
tonsillaris. Allerdings ist es nicht entfernt so häufig, als das nach der
Auffassung von J. Killian und neuerlich von Hett und Butterfield er-
scheinen würde; denn der grösste Teil dessen, was diesen Beobachtern so
vorgekommen ist, betrifft tatsächlich die echten unteren Mandelbildungen
im Sinus tonsillaris, die sich auch beim Verschmelzen mit der Plica
transversa noch dadurch kennzeichnen, dass die Plica praetonsillaris scharf
abgehoben erscheint (vgl. Fig. 27). Ausserdem fehlt der sekundären
Infiltration naturgemäss jede Art von Kryptenbildung, das wahre
Charakteristikum jeder primären Mandel; die Vorwölbungen und Wülste
sind glatt, höchstens durch Vorragen einzelner Oberflächenteile leicht
höckerig. Den Unterschied zeigt der Vergleich von Fig. 26 mit Fig. 29;
L. Grünwald, Die typischen Varianten der Gaumenmandeln usw. 209
in letzterer geht die Plica transversa zwar auch auf die kolbige Vorwölbung
über, aber diese verschwimmt sowohl nach oben, in die Mandelgrube hinein,
als nach vorn, gegen das Planum triangulare, ganz mit der Nachbarschaft.
Zuzugeben ist allerdings, dass eine strikte Unterscheidung zwischen
echter (unterer) Mandelbildung und sekundärem Infiltrat der Falten in vivo nicht
durchweg mit Sicherheit zu treffen ist, besonders wo eine Verschmelzung
der Falte, gerade durch die sekundäre Lymphoidbildung, mit dem seiner-
seits durch das Infiltrat undeutlich gewordenen Mandelkörper in Frage
kommt.
1 Plica supratons.; 2 untere Mandel; 3 Mandelkörper;
4 lymphoide Plica semilunaris.
Einzelne Bilder bleiben daher auch am Lebenden deutlich, wie das
in Fig. 30: rechts eine stark vorspringende Untermandel, links eine zwar
gewellte, aber doch glatte, dick infiltrierte Plica semilunaris, über der
der Rand eines Mandelkörpers (dessen Ursprung aus dem Anblick aller-
dings nicht ohne weiteres entnehmbar ist), vorspringt. Durch Abziehen
der vorderen glatten Falte kann man in diesem, wie in ähnlichen (wenn
auch nicht gerade häufigen) Fällen, den (unteren) Mandelkörper mit seinen
charakteristischen Kryptenmündungen voll sichtbar machen. Aber andere
Bilder sind wieder zweideutig: In Fig. 31 kann man die vorn und unter
dem nur schmal sichtbaren unzweifelhaften Mandelkörper sich breit dar-
bietenden dicken Wülste sowohl als Untermandel wie als dick infiltrierte
Pliea semilunaris auffassen; und auch das nach Abziehen dieser vorderen
210 L. Grünwald, Die typischen Varianten der Gaumenmandeln usw.
Wülste sich darbietende Bild der zweifellos als Mandelkörper anzu-
sprechenden hinteren Gebilde klärt nicht auf. Alles, was man an diesem
Bilde ersehen kann, ist daher anatomisch unklar, praktisch dagegen von
hoher Bedeutung, insofern es die Selbständigkeit der beiden sichtbaren
Gebilde gegeneinander dartut (s. unten S. 224).
Figur 31.
1 Lymphoide Plica supratons. super.; 2 Mandelkörper; 3 lymphoide Plica semi-
lunaris (7); 4 lymphoide Plica supratons. inf.; 5 lymphoide Plica semilunaris.
Wie berechtigt es ist, nur sekundäre Lymphatisierungen dort anzu-
nehmen. wo keine Einsenkungen auffällig sind, zeigt das Verhalten der
übrigen hier vorkommenden Falten, speziell der Plicae supratonsillaris
superior und inferior, die stets nur die Form glatter, dicker Wülste an-
nehmen, im Einklange damit. dass auch in der Tierreihe an dieser Stelle
niemals echte Mandelkörper beobachtet werden.
Figur 32.
u
37%
N
1 Lymphoide Plica supratons. inf.; 2 vorderer Gaumenbogen; 3 Iymphoide
Plica practonsill.; 4 Plica transv.; 5 verhüllte Untermandel.
Beispiele dieser letzteren sekundären Wulstformen sind in Fig. 31 er-
sichtlich, auf der rechten Seite an der Plica supratonsillaris superior, auf
der linken an der inferior, letzteres Vorkommnis ferner auf der rechten
Seite in Fig. 32. Der Umstand, dass die Plica supratonsillaris inferior von
vornherein eine grössere Breite besitzt, (vgl. Fig. 7), hat J. Killian dazu
verleitet, in dieser Falte einen Teil der Mandelbildung selbst zu sehen; daher
kommt es, dass er der ersten Mandelanlage bereits eine Dreiteilung zuschiebt
L. Grünwald, Die typischen Varianten der Gaumenmandeln usw. 211
und diese Falte als „Randwulst* bezeichnet. Es handelt sich bei alledem
übrigens immer nur um die ÖObermandel, und die irrige Auffassung
Killians erleidet sowohl durch Hammars, als meine histologischen Be-
funde ihre Korrektur, da diese bezeugen, dass in der Mandelgrube von
vornherein nur (höchstens) an 2 Stellen epitheliale Tiefenwucherung mit
sekundärer Lymphoidbildung einsetzt. Dagegen hat Hammar den regu-
lären Bestand dieser kleinen Falte ganz ebenso übersehen, wie er merk-
würdigerweise auch J. Killians Arbeit garnicht kennt. Beides stelle ich
demnach dahin richtig: Es gibt einen konstanten „Randwulst“, dieser ist
aber kein originärer Mandelbestandteil, sondern wird nur sekundär, und
zwar selten, lymphoid infiltriert.
Immerhin sind diese sekundären Bildungen relativ selten. An der
Plica retrotonsillaris sind sie mir bisher überhaupt noch nicht zu Gesicht
gekommen, entsprechend der hohen Inkonstanz und baldigen Rückbildung
dieser Falte überhaupt. Dagegen kommen Infiltrate der Plica transversa,
wenn auch sehr selten, vor (s. Tabelle I u. II). Sie entsprechen dem
regulären Befunde gleicher Art bei Säugern: Tragulus, Fuchs, Dachs,
Indris (s. Fig. 16 u. 17), Hylobates und Schimpanse u.v.a. in meiner
Beobachtungsreihe.
Die Lymphatisierung, welche sich dem untersten Verlauf der Plica
transversa auf der linken Seite meines Gorilla-Exemplars anschliesst,
lässt im Zusammenhange damit, dass diese Falte auf der rechten Seite
nur kurzen Verlauf zeigt, die Frage offen, ob hier eine sekundäre
Infiltration oder nicht vielmehr die Bildung einer Untermandel vorliegt;
die Öberflächenmazeration des Präparates lässt leider keine nähere Ent-
scheidung zu; das Bild ähnelt überaus dem der Fig. 29.
F. Zweifelhafte Mandelbildungen.
Hierher möchte ich die sog. Balgdrüsen rechnen. Wenn man einen
einzelnen Balg betrachtet, so ist es eigentlich nicht möglich, in seinem
histologischen Verhalten einen prinzipiellen Unterschied gegenüber dem
einzelnen Kryptenteil einer Gaumenmandel zu finden: beide von Platten-
epithel ausgekleidet, das, je weiter zum Grunde hin, desto mehr infolge
Durchsetzung der Basalmembran mit Lymphozyten seine feste Abgrenzung
geren das Parenchym verliert; und dieses besteht in beiden Fällen aus
diffusem Lymphgewebe mit eingelagerten Follikeln. Denken wir uns aber
ein festes Konglomerat von Bälgen, so wird es überhaupt nicht mehr von
„Mandeln“ zu unterscheiden sein.
Nun sind solche Konglomerate nichts Seltenes, besonders am Ueber-
gange der seitlichen Gaumenbucht zum Zungengrunde hin, also am
untersten Abhange, des Sinus tonsillaris (inferior), und sie unterscheiden
sich von einer typischen unteren Mandel, deren Sitz ja hier ist, nur da-
durch, dass die Bälge noch vereinzelt, wenn auch sehr eng benachbart
stehen und daher noch den kreisförmigen Durchschnitt, die Kuppelform
des einzelnen Balges erkennen lassen. Diese Form würde natürlich beim
Archiv fiir Laryngologie. 28. Bd. 2. Heft. 15
212 L. Grünwald, Die typischen Varianten der Gaumenmandeln usw.
Tabelle 1.
Präparate von Föten, Neugeborenen und Kindern.
= Lymphoidbildung
Präparat- Alter in der (oberen) in „ade [ms an der Ps
7 era (unteren Plica gi.
Nummer | bzw. Grösse Mandelgrube a an Fig. 19)
einfach 0000| einfach | doppelt | bucht | vera | doppelt bucht versa
LVIII 52 mm beiderseits ? 2 — f — 5?
LI 76 mm beiderseits | — rechts? = r.4? 1.5
LII 76 mm beiderseits ? — — — 5?
LVI 88,5 mm | beiderseits | — = — 5
XVI 93 mm = | beiderscits | Anlage = 4
XV r. 97 mm rechts — rechts — 4
LHI 120 mm Anlage — — — 5
beiderseits
LIV 125 mm — beiderseits — — 5
LV 128 mm beiderseits — — — 5
LXVII 168 mm beiderseits —- — — 5
LXV 175 mm beiderseits — links — r. 5, 1.4
LXIX 180 mm links rechts — — 5
LXVI 195 mm rechts links — — 5
XXXIX 215 mm rechts links — — 5
ll 215 mm beiderseits — Anlage? — r.4? L5
l 220 mm rechts links — — 5
XXII ca. 5 Mon. links — Anlage = 4?
XXVIII 250 mm beiderseits — Anlage — 4
LXIII 1. | ca. 6—7 Mon. links — — — 5
42 4? cm beiderseits — — — 5
IV Neugeboren links rechts rechts? — 4, 4?
links
deutlich
30 a beiderseits — — — 5
X ‘ links — beiders. — r.1, 1.4
rechts leer Anlage
XVa " links rechts links? — 475
XVIa á links — —- — D
XXIV = beiderseits — — — 5
XXVI 5 beiderseits — — — 5
LXX = beiderseits — ? — { 4?
14 5 beiderseits — p — 5?
26 > beiderseits — — — 5
29 ` rechts — — — ð
14 ee beiderseits — ? — 5?
? 2 Monate beiderseits — — — 5
28 9 g — beiderseits | beiderseits — 4
148 10 j — beiderseits — — 5
149 3 Jahre beiderseits — beiderseits — rechts 3
links 4
151 4!/, Jahre | beiderseits — — links 5
LXXI | 41/, Jahre — [beiderseits?}) — links 5
150 10 Jahre zusammenhängende Mandel — 3?
Zusammenrücken der Einzelbälge ebenfalls verschwinden und dann würde
sich gerade die eigentümliche Form der unteren Mandel in ihrer extremen
Ausbildung (s. Fig. 6 und 22) ergeben. Da diese höchst ausgeprägte Form
später durch lymphoides Infiltrat verschwimmen kann (tatsächlich beob-
L. Grünwald, Die typischen Varianten der Gaumenmandeln usw. 213
Tabelle II.
Präparate von Erwachsenen.
Lymphoidbildung
Präparat- der | Recessus Andere Typen
i der (oberen) der | Plica (vgl.
Nummer Mandel- palatinus Recessus
Mandelgrube bucht | trans- Fig. 19)
versa
|
I beiderseits — +- | l
lI beiderseits + — Bursa prae- 5
tonsillaris
IH beiderseits — + 1
IV beiderseits — — rechts Rec. | 3a, 3b
praetonsill.
V beiderseits — + beider- 1
seits tief
VI beiderseits — + 1
VH beiderseits + |rechts + r. 2?
links — l. 5
VIII links — + + 1
IX rechts + + r. 4
links? + l. 3? 5?
X rechts — + r. 1
links + + 1. 4 So 3
XI beiderseits — | + l
XII beiderseits — + l
XIII beiderseits ++ + 3
XIV beiderseits + + 3
XV beiderseits + |rechts + rechts links Rec. 4,5
links — lateralis
XVI beiderseits + Balg- 4?
drüsen |
XVII beiderseits + | rechts +| 3,5
links — .
XVII | beiderseits + ? +? | 22
XIX beiderseits + + | 4
XX links + — | links R. infratons. 5
XXI links + + | R. lateralis 4
XXII links — + | 1
XXIII rechts + + 4
XXIV rechts + — | R. lateralis 5
XXV rechts — ? ? 5?
XXVI rechts + + | rechts 4
XXVII | beiderseits + |rechts + beider- 5?, 8
links — ; seits
XXVIII rechts + rechts + | links? links Rec. 3, 2?
links? | praetonsill.
XXIX links + + | 3
XXX links + — 5
XXAI links + — | R. infratons. 5
XXXH links + 5
achten wir sie ja auch höchst selten beim Erwachsenen), so ist die Mög-
lichkeit gelegentlicher Zusammensetzung einer ausgeprägten Untermandel
aus Bälgen umsomehr in Erwägung zu ziehen, als eines meiner Präparate
vom Neugeborenen (Nr. 15 der Tabelle I) auf der linken Seite im Sinus
15*
214 NL. Grünwald, Die typischen Varianten der Gaumenmandeln usw.
tonsillaris, isoliert von den Zungengrundbälgen, eine Ansammlung von
Bälgen aufweist, und in ganz ähnlicher Weise die rechte Seite eines
meiner Präparate von einem erwachsenen Tiger unmittelbar hinter der
Mandelgrube eine kurze Reihe von 3 flachen Bälgen weit über dem
Zungengrund erkennen lässt. Auch die Präparate von einem jungen
Gorilla und einem Schwanzaffen (,,vervet monkey“) bei Hett und
Butterfield lassen ebensolche Balgansammlungen (,,mucous glands inter-
spersed with lymphoid follicles‘) an der typischen Stelle bemerken und
diese Autoren selber sprechen die Gebilde als „lingual prolongations of
the palatine tonsil“ an. Bei meinem Exemplar von Gorilla war allerdings
auch neben der Mandel eine einzelne Balgdriise zu sehen, aber hinter jener,
in der Projektion der Mandelgrube.
Füge ich dem bei, dass meine Präparate von je einem alten und
einem fötalen Exemplar von Tragulus (Zwerchmoschustier) als einzigen
Repräsentanten eines oberen Mandelkörpers (also einer ganz unzweifel-
haften Bildung) nichts weiter als einen runden, in der Mitte durchbohrten
Wall offenbar lymphoiden Gewebes, also einen einzelnen Balg, erkennen
lassen, so spricht das alles doch sehr dafür, dass auch die Anhäufungen
von Bälgen im Sinus tonsillaris bereits echten (unteren) Mandeln ent-
sprechen.
G. Ausbreitungsbereich der Mandeln beim Erwachsenen.
Die ursprüngliche Trennung der Fossa tonsillaris (superior) vom Sinus
tonsillaris (inferior) bleibt im Laufe der Entwicklung meist nicht aufrecht
erhalten.
Ihr Verhältnis wird in der Folge zunächst durch weitere Ausbildung
oder wenigstens Persistenz bzw. andererseits Schwund der Plica transversa
bestimmt; sie können dauernd mehr oder weniger scharf getrennt bleiben
oder ineinander übergehen. Nur die Kenntnis dieser Eventualitäten kann
vor starken Missdeutungen bzw. völligem Mangel an Orientierung bewahren;
vor allem aber ist es die, bei stärkerer Ausbildung der Plica transversa,
unterhalb von ihr erfolgende Gestaltung eines Hohlraumes, die sehr irre-
führen kann. Am leichtesten erfolgt eine solche Hohlraumbildung durch
gleichzeitige Ausbildung des Iymphoiden Gewebes unter die Falte hinein
(Fig. 19b), aber gelegentlich auch ohne solche. Wir haben dann zwei
übereinander liegende Buchten zu unterscheiden: diejenige unterhalb der
Plica supratonsillaris (superior oder inferior) von derjenigen unterhalb der
Plica transversa, die sicher gelegentlich irrig als Mandelkrypte an-
gesprochen wird.
Eine weitere Variante ergibt sich aus dem Verhältnis des Mandel-
gewebes zum Recessus palatinus; es kann diesen auskleiden („Pars pala-
tina“ der Mandel, s. Seite 193) oder leer lassen. Beide Eventualitäten sind
in der Säugerreihe durch, für einzelne Spezies charakteristische, Vorkomm-
nisse ebenso, wie beim Menschen als Repräsentanten zweier Typen, ver-
treten. Ein prinzipieller Unterschied liegt in der Verschiedenheit dieser
L. Grünwald, Die typischen Varianten der Gaumenmandeln usw. 215
Verhältnisse nicht vor, das zeigt am besten das gleichzeitige Auftreten
beider Bildungen auf je einer Seite eines Falles (Fig. 23). Schematisch
habe ich das Verhalten in Fig. 19 a—d darstellen lassen!). Eine eigene
Nomenklatur (wie J. Killian sie vorgeschlagen hat) jeder der beiden
Formen zu erteilen, besteht daher kein Anlass. Es genügt, von leerem bzw.
ausgekleidetem Recessus palatinus zu sprechen.
Dagegen ist die Möglichkeit von Verwechslungen des leeren Recessus
palatinus mit einer zwar sehr seltenen aber doch regelmässig in dieser
Gegend vorkommenden Missbildung hervorzuheben.
In Fig. 6 sieht man oberhalb von der Mandelgrube an der Grenze des hinteren
Gaumenbogens, aber noch innerhalb der Gaumennische einen länglichen Schlitz.
Diesem entspricht eine ziemlich tiefe, in die Substanz des Velum nach oben blind
verlaufende Grube. Es handelt sich hier um einen, seiner Natur nach bis vor
kurzem unbekannten kongenitalen Defekt. Auf Seite 541 der 3. Auflage meines
Lebrbuches (8) habe ich die entwicklungsgemässe Schwäche dieser Stelle durch
die Benennung als hintere Gaumenlücke gekennzeichnet. Es ist der Ort, an
dem der (erst sekundär von der Schädelbasis herabwachsende), sphenoidale Anteil
der Nasenscheidewand mit den, ebenfalls erst spät nach innen und hinten ver-
wachsenden Processus palatini der Oberkieferfortsätze vorne, den Arcus palato-
pharyngei derselben Fortsätze hinten und den, aus dem zweiten Kiemenbogen auf-
steigenden Arcus palatoglossus vorne zu einer kompakten Gewebsmasse verwächst.
Der Vereinigungspunkt all dieser Teile liegt nun gerade in der Gaumennische,
und bier konnte ich in einem Falle ein persistentes Loch, in einem anderen eine
zu einer blinden Grube sich vertiefende Gewebslücke des Velum selber heob-
achten [vgl. Fig. 179 und 180 auf Seite 729 ibid. (8)]. Die Verschiedenartigkeit
der sich darbietenden Formen erklärt sich aus der immerhin komplizierten Zu-
sammensetzung dieser Gewebspartie, deren einzelne Komponenten, je nach ihrem
Versagen, die verschiedensten Bilder liefern müssen. So kommt es denn auch zu
der in Fig. 6 ersichtlichen Halbfistelbildung; ein ganz analoges Exemplar besitze
ich an einem Erwachsenenschädel.
Wenn ich hier etwas näher auf diese Missbildung eingehe, so geschieht es
deswegen, weil in der einleitenden Schilderung J. Killians im Zusammenhange
mit der „Fossa supratonsillaris“ alle ähnlichen Gruben- und Fistelbildungen an
dieser Stelle erwähnt werden, ohne dass jedoch der Versuch einer scharferen
Sonderung der bis dahin bekannten Vorkommnisse erfolgte; im Gegenteil werden
sie alle dem Begriff der leeren oder Iymphoid ausgefüllten „Fossa supratonsillaris‘
anzupassen versucht und nur die Ausmündung von Kiemenfisteln in dieser Grube
als unerwiesen betrachtet.
Gerade letzteres ist, wie hier beiläufig bemerkt werden soll, nicht richtig
[s. Seite 737, 1. c. (8)]. Die einzelnen in der Literatur berichteten Tatsachen
richtig zu deuten, ist andererseits meist nicht möglich, weil die Beschreibungen
nicht genügend präzis zu sein pflegen, gewöhnlich ist gar nichts über das Ver-
halten der beschriebenen Gruben oder Löcher zu ihrer Umgebung bemerkt, und
1) Der Einfachheit wegen ist in diesen schematischen Bildern nur die laterale
Entwicklung der Mandeln im Recessus palatinus gezeichnet, die häufig vorkommende
Auskleidung auch des medialen Wandteils, ebenso wie andere kleinere Varianten
und Details sind nicht berücksichtigt.
216 I. Grünwald, Die typischen Varianten der Gaumenmandeln usw.
doch ist es nur die scharfe Abgrenzung der Defekte gegenüber der Mandelgrube,
welche in unseren Fällen die angeführte Deutung gestattete. In Zukunft wird auf
eine genaue Beschreibung, womöglich mit Zeichnung, der fraglichen Erscheinungen
Wert zu legen sein. In Ermangelung solcher können wir nur einen einzigen Fall
der Literatur als wahrscheinlich hierher gehörig betrachten, den von Land-
graf (13), wo bei einem 45jährigen Manne „dicht nach aussen von der Basis der
Uvula, da, wo die beiden Gaumenbögen auseinandergehen, ein kleines, von einem
wallartigen Rande umgebenes Loch zu sehen war von der Grösse eines Stecknadel-
kopfes. Eine in dieses Loch eingeführte Sonde konnte in der Richtung nach median-
warts ein wenig, nach hinten oben aussen dagegen etwas über 1 cm einge-
führt werden“,
Falls der Recessus palatinus von Iymphoidem Gewebe ausgekleidet
ist, kann dieses letztere, die Pars palatina, Sekretionsprodukte, Pfröpfe,
beherbergen. Ueber all dies kann am Lebenden bereits die Spiegelunter-
suchung (die bisher allerdings nirgends ausgeführt zu werden scheint)
Aufschluss geben, wie dies Fig. 23 zeigt. Blosslegen der Grube mittels
in die Plica supratonsillaris eingesetzten Hakens ist im Zweifelsfalle nötig,
unter Umständen auch Sondierung. Die Tiefe der Grube schwankt von
wenigen Millimetern bis zu 1 cm. Ob letzteres pathologisch disponierend
wirkt, steht noch dahin.
Wir müssen hier wiederum konstatieren, dass die typischen supra-
tonsillären Phlegmonen, die mindestens 90 pCt. sämtlicher Rachen-
phlegmonen ausmachen, fast ausschliesslich von jenem Teil der Mandelgrube
ausgehen, welcher sich unter der einen oder anderen der beiden oberen
Falten in das Gewebe des Gaumensegels hinein erstreckt (vgl. Fig. 10).
Hierzu kommen die seltenen Fälle Iymphoider Ausbreitung unterhalb
der Plica transversa, im Recessus supratonsillaris (vgl. Fig. 11). Da die
von diesen Stellen ausgehenden Entzündungen auch nur von hier aus
leicht erreicht werden können, so ergibt sich ohne weiteres die Bedeutung
der Kenntnis davon, dass es eben drei solcher Ursprungsstellen gibt: Im
Falle die Phlegmone vom unteren Recessus palatinus inferior oder gar
vom Recessus lateralis ausgeht, wird der Versuch, mit einer Sonde das
infiltrierte intramurale Gewebe im Recessus palatinus superior zu eröffnen,
ebenso vergeblich sein, wie beim umgekehrten Verhalten vom Recessus
„lateralis“ aus (s. Fig. 11). In der schematischen Fig. 33 habe ich diese
Verhältnisse darstellen lassen: auf der linken Seite ist die Lage der Sonde
je in einem Recessus palatinus superior und inferior ersichtlich, auf der
rechten klafft der nicht lymphoid ausgefüllte Recessus (supratonsillaris)
lateralis, oberhalb einer unteren Mandel und unterhalb der Plica trans-
versa, weit.
Ebenso ist es auch nicht gerade haufig, wohl nur bei der Bildung
nach Fig. 19b, zu erwarten, dass sich unter der Plica transversa, also im
Recessus supratonsillaris, Retentionen bilden. Immerhin sah ich gerade
hier eine solche in einem der schlimmsten Fälle sekundärer Serositis.
Rosenberger hat neuerlich vorgeschlagen, die „Fossa supratonsillaris“
durch einen Schnitt im vorderen Gaumenbogen zu spalten, sowohl zur
L. Grünwald, Die typischen Varianten der Gaumenmandeln usw. 217
Entleerung von Rachenphlegmonen, als um den oberen Mandelpol leicht
der Exstirpation zugängig zu machen. Letzteres trifft zu und ist von uns,
ebenso wie die Spaltung der anderen paratonsillaren Falten im gegebenen
Falle von jeher geübt worden. Anders bei den Abszessen. Abgesehen von
der Ueberflüssigkeit dieses Eingriffes in diesem Fall — ist er doch mit
( x
Figur 33.
\
ganz seltenen Ausnahmen (s. unten) durch die Sondenentleerung voll-
kommen ersetzbar — wäre diese Massregel nur imstande, einen Recessus
palatinus, nicht aber einen Recessus lateralis zu erreichen. —
Die Involutionsvorgänge beherrschen das Bild der Mandelgegend
in weitestem Masse; zunächst schon durch den mehrfach (s. oben) er-
örterten Vorgang der Reduktion der oberen Mandel (bis zu völligem Ver-
schwinden) noch innerhalb der Entwicklung; dann an sämtlichen noch
e
|
Figur 34.
nach der Reife übrig gebliebenen Mandelteilen während der Volljährigkeit.
Es kann unter Umständen von dem gesamten reichen Aufbau der Mandel-
gegend nichts übrig bleiben, als nur eine, je nachdem tiefe oder seichte,
Grube mit ganz flacher oder faltiger Umrandung (Fig. 34) oder innerhalb
eines Walles von lymphoidem Infiltrat, oder es deuten nur einige, viel-
218 IL. Grünwald, Die typischen Varianten der Gaumenmandeln usw.
leicht in Siebform sich darstellende Oeffnungen das Vorhandensein von
Krypten, aber kaum mehr von Mandelgewebe an. Andermal kann eine
flache, spärliche Lymphoidplatte nur nach scharfem Abziehen des vorderen
Figur 35.
Gaumenbogens ansichtig gemacht werden (Fig. 35) oder es bleibt überhaupt
nur mehr eine gähnend leere Gaumenbucht übrig.
H. Die Varianten der Faltenbildung.
Entsprechend der Tatsache, dass die (obere) Mandeggrube das in der
Säugerreihe konstante und daher phylogenetisch, wie auch beim Menschen
ontogenetisch primitive Element bildet, finden sich bei letzterem die diese
Grube umrahmenden oder doch begrenzenden Falten immer vor: die Plica
supratonsillaris und transversa, zunächst noch, da in gleicher Linie ver-
laufend, zu einer einzigen Falte vereinigt (s. Fig. 13), später die letztere
von der ersteren in stumpferem oder mehr rechtem Winkel abbiegend
(Fig. 20 u. 21). Die prätonsillare, die (untere) Mandelbucht nach vorne
begrenzende Falte kommt phylogenetisch erst später hinzu. Ich finde
Bildungen, die dieser Falte entsprechen, nur bei Hyaena striata und
vielleicht beim Bärenpavian, gar nicht dagegen bei den Anthropoiden.
Demgemäss findet sie sich auch beim Menschen häufiger nur in geringer
Ausdehnung am Fusse der dreieckigen Fläche ohne Zusammenhang mit
der supratonsillaren und infolgedessen auch mit der Querfalte (Fig. 12, 14,
15, 20, 21), als dass sie durch höhere Erstreckung von vornherein mit
diesen Falten Fühlung gewinnt und sogar nur als unterer Teil des Hinter-
randes der dreieckigen Falte auftritt (Fig. 5, 13). Auch beim Erwachsenen
trifft man nicht selten solche rudimentäre Ausbildung der prätonsillaren,
aber auch der transversalen Falte an: Letzteres mitunter wohl als Rück-
bildung (Involution) anzusprechen, während das erstere durchgehend dem
vorbestimmten Typ minderer Entwicklung entsprechen dürfte.
L. Grünwald, Die typischen Varianten der Gaumenmandeln usw. 219
Von vornherein erstreckt sich die Plica transversa im allgemeinen
erheblich weiter nach hinten, bis zur Plica retrotonsillaris bzw. palato-
pharyngea; dadurch wird die Mandelgrube ganz oder fast ganz nach unten
und hinten abgeschlossen (Fig. 5, 6, 14, 15, 20). Dieser, dem Verhalten
fast aller Säuger entsprechende Zustand findet sich bei Erwachsenen ver-
hältnismässig selten in Gestalt fensterartiger Umrahmung (Fig. 22) wohl
auch, bei lymphoidem Infiltrat der Grenzfalten, in Form eines rundlichen
Walles um eine mitunter ganz kleine Grube, wie bei Tragulus (s. oben).
J. Weitere Beziehungen zwischen den Mandelkörpern und den
Falten.
Bereits die ersten Epitheleinwüchse zeigen eine Wachstumstendenz
nach vorn hin. Mit Eintritt der Lymphatisierung erfolgt ein weiteres
Wachstum, das zwar hauptsächlich zur Oberfläche drängt und an Stelle
der primitiven Mandelplatte einen bzw. mehrere sich vorwölbende Mandel-
körper ergibt, gleichzeitig jedoch dehnt sich die Follikelanhäufung in die
Tiefe, peripher von den Epitheleinwüchsen aus und gelangt, der Richtung
nach vorn aussen folgend, auf die Aussenseite des Planum triangulare
(untere Mandel) bzw. der Plica transversa (obere Mandel). Bei Vereinigung
beider Mandeln (erkennbar am Verlauf der Plica transversa auf die freie
Mandelfläche, vgl. Fig. 32, linke Seite) erfolgt die laterale Infiltration
natürlich gänzlich seitwärts vom Planum triangulare. In allen Fällen
wird eine dieser Schleimhautplatten mitsamt dem Margo semilunaris (bzw.
transversus) wie ein Rockflügel eng um die Mandelsubstanz herum-
geschlagen. Die weitere Gestaltung hängt davon ab, ob die hintere Kante
der jeweilig vorliegenden Schleimhautplatte frei verläuft (vgl. Fig. 26) oder
nur einen mit dem Planum kontinuierlichen Rand bildet (vgl. Fig. 7 u. 36).
Letzterenfalls verläuft der die Mandel bedeckende Teil des Planum bzw.
der Plica transversa in Form einer ,Umschlagfalte* in unmittelbarem
Zusammenhange mit dem Parenchym und setzt sich nur mit mehr oder
weniger scharfem Rande von dem übrigen unbedeckten Teil ab. Da
Krypten nur von der freien Fläche her entstehen, zeichnet sich die von
der Umschlagfalte bedeckte Partie durch ihre Glätte gegenüber dem von
Krypten eingekerbten freien Teile ab (Fig. 36).
220 L. Grünwald, Die typischen Varianten der Gaumenmandeln usw.
Durch mangelhafte Entwickelung des Mandelparenchyms nach der
Medianseite oder sehr reichliche Ausdehnung der Plica semilunaris kann
es kommen, dass nur der von der Umschlagfalte bedeckte Teil in die Er-
scheinung tritt, d. h. eigentlich der ganze Mandelkörper unsichtbar bleibt
und nur die Vorwölbung der Umschlagfalte sein Vorhandensein in der
Tiefe verrät.
Figur 37.
Dabei kann die Umschlagfalte soviel Stoff enthalten, dass sie gegen-
über dem bedeckten Mandelkörper noch überschüssig wird. Dann springt
ein kragenförmiger Rand (oder zwei) vor und die ganze Bildung ähnelt
etwas einem vorgezogenen Präputium (Fig. 37). Noch seltener, als diese
schon nicht häufige Varietät, kommt es vor, dass eine (bzw. zwei) solche
„Kragenfalten“ dem freien Mandelkörper dicht anliegen.
Es ist sehr bemerkenswert, dass diese, sonst in der ganzen Säuger-
reihe vermissten Gestaltungen an meinem Exemplar von Orang ersichtlich
sind: beiderseits ist die Plica transversa zu einer, den Mandelkörper
ziemlich hoch umhüllenden Umschlagfalte angewachsen und bildet im
vorderen Teil sogar eine leichte Kragenfalte.
Es darf im Hinblick auf diese Verhältnisse ausgesprochen
werden, dass im ganzen genommen die Tonsillargegend des
Orang den am meisten „anthropoiden“ Eindruck macht.
Die gleichen Verhältnisse liegen wahrscheinlich den häufiger zu beob-
achtenden strangförmigen „Verwachsungen“ der im übrigen gut ausgebildeten
„Umschlagfalte* mit dem Mandelkörper zugrunde Die „Kragenfalte* ist
hierbei, wahrscheinlich sekundär, mit dem Mandelepithel verlötet worden.
Dass dabei unter Umständen kleine, dem infratonsillären gleichgelagerte
Rezessus für Retentionen Raum bieten können, ist klar (vgl. Fig. 7).
Im übrigen weisen all diese Beziehungen zwischen Mandelkörper und
halbmondförmiger bzw. Querfalte, besonders aber das Vorkommen von
Lymphatisierung dieser Falten daraufhin, dass von einer Entfernung der
Mandeln ohne Verletzung bzw. direktes Mitnehmen der Plica semilunaris
bzw. transversa in all diesen Fällen (der Anheftung der Falte an den
Mandelkörper) keine Rede sein kann; sogar frei über die Nische vorragende
Mandeln unterliegen, wo eine Umschlagfalte sie teilweise überzieht, dem-
selben Gesetz. Dabei ist es immer nur die Falte selbst, nicht (wie man
vielfach als Ursache von Blutungen angegeben hört) der vordere Gaumen-
bogen, der angeschnitten würde.
Seltener bleibt die hintere Partie des Planum triangulare gänzlich
frei. es besteht eine Plica semilunaris, hinter der verborgen, erst nach
-A
L. Grünwald, Die typischen Varianten der Gaumenmandeln usw. 221
Abziehen der Falte mit einem Häkchen, seltener sofort sichtbar, der
Mandelkörper, und zwar der untere, sich präsentiert (Fig. 25b, 26,
Fig. 30 rechte Seite, Fig. 33 rechts). Eine analoge Bildung habe ich bei
Säugern ausschliesslich bei meinem Exemplar von Schimpanse, und
hier nur einseitig, angetroffen.
Figur 38.
1 Plica transv.
Eine seltene Kombination ist das Ausbleiben einer uuteren Mandel-
bildung (nach dem Typ 5) zusammen mit freier Entfaltung einer Plica
semilunaris. Dann sieht man zwischen dieser letzteren Falte und dem
untersten Teil der Obermandel (rechte Seite der Fig. 38) oder der unteren
1 Hinterer Gaumenbogen; 2 Recessus praetonsill.; 3 Plica transv.;
4 Plica praetonsill.
bzw. vorderen Fläche der Plica transversa (Fig. 39) eine weitere nach
unten offene Spalte, den Recessus praetonsillaris. Da dieser Rezessus
(vgl. Fig. 10) keinen Abschluss nach unten besitzt, so pflegt er keine
Unterlage für pathologische Vorgänge abzugeben; immerhin konnte ich
aber seitlich von einer isolierten Plica praetonsillaris, in dem in Fig. 21 ab-
gebildeten Falle, eine blinde Verlängerung des Rezessus nach vorn hin zu
einer Bursa praetonsillaris beobachten, die gegebenenfalls patho-
logischen Retentionen Raum bieten könnte.
Die Plica transversa tritt, wie bereits bemerkt, als Umschlagfalte,
mitunter auch durch völliges Verschmelzen bis zur Unmerkbarkeit, mit der
oberen Mandel in Zusammenhang. Seltener bleibt auch sie, teilweise oder
gänzlich, frei. Ersterenfalls bildet sich ein kleiner Spalt, wohl auch ein
tiefer Saccus infratonsillaris, wie ich einen solchen mehrmals als Herberge
einer Eiteransammlung feststellen konnte; bei gänzlichem Freibleiben klafft
222 NL. Grünwald, Die typischen Varianten der Gaumenmandeln usw.
zwischen der Querfalte und dem (oberen) Mandelkörper eine weite Kluft,
der Recessus infratonsillaris (rechte Seite der Fig. 39). Es kann
diese Kluft nach unten durch eine spangenartige Anlehnung der Falte an
den Mandelkörper abgegrenzt werden (Fig. 38 rechts); noch häufiger findet
diese Anlehnung in grösserem Umfange und enger oder in Form multipler
strangförmiger „Verwachsungen“ statt (Fig. 7). Das ergibt pathologisch
sehr bedeutsame, enge und gelegentlich recht tiefe Buchten, in denen
Infektionsträger sowohl die gefährlichsten Latenzherde errichten können,
als gerade hier bei akutem Aufflackern Gelegenheit zu ungehemmter Ver-
breitung auf die Umgebung finden: in einem Falle sah ich von hier aus
retropharyngeales Infiltrat bis ins hintere Mediastinum hinunter auftreten.
Die Tiefe der sich hier darbietenden Bucht erklärt dies, sowie auch
die Tatsache, dass ich gerade diese Stelle sowohl den Ausgangspunkt
tödlicher Endokarditis bilden, als zweimal von hier Erysipel ausgehen
sah, welches durch schleunige Ausräumung der Grube beidemal coupiert
werden konnte).
Das Verhältnis der Mandel zum hinteren Gaumenbogen ist im
allgemeinen ein recht oberflächliches: sie liegt ihm auf, ohne dass die
Beziehungen beider sich in besonderen Formveränderungen ausdrückten.
Mitunter, doch relativ selten, stülpt sich auch hier der Mandelkörper
etwas in die Falte hinein, so dass ihr freier Rand Gelegenheit findet,
sekundär mit der Oberfläche der Mandel zu verwachsen; auch hier können
dann Retentionen stattfinden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass jene Vor-
kommnisse von Operationsblutungen aus dem hinteren Gaumenbogen, über
die Heuking (14) berichtet, auf ähnlichen anatomischen Verhältnissen
beruhen.
K. Die praktische Wichtigkeit
der mannigfachen Variationen, wie wir sie in obigen Ausführungen dar-
gestellt haben, liegt in mehreren Richtungen. Zunächst lehren sie uns,
1) An dieser Stelle möchte ich erneut die bereits a. a. O. [(8), S. 489] an-
geführte wichtige Beobachtung hervorheben, dass Latenzherde der Mandeln ihre
Gefährlichkeit durch, auf Druck schmerzhafte, Anschwellung einer Drüse an der
Mitte des inneren Randes des horizontalen Unterkieferastes verraten.
L. Grünwald, Die typischen Varianten der Gaumenmandeln usw. 223
dass die Mandeln auch ansserhalb des zunächst sichtbaren Bereiches
liegen können, ja dass sekundäre Lymphoidbildungen überhaupt allein als
Mandel imponieren können, während der primitive Mandelkörper überhaupt
noch nicht im Bild erscheint. So kann dieser unter Umständen erst dann
sichtbar werden, wenn die sichtbare, glatte oder mandelartig aussehende
Falte mit einem stumpfen Häkchen seitlich gezogen wird (Fig. 25a, b,
3la, b, 33, 35). Die Verwendung dieses Mittels der Untersuchung darf
überhaupt in keinem einzigen, nicht sofort auf den ersten Anblick klaren
Falle der Mandelbesichtigung, unterlassen werden und es sind wohl nur
die breit kugelig sich vorwölbenden Hyperplasien, die — und das nicht
immer! — von seiner Anwendung dispensieren können. Sonst zeigt bereits
der Vergleich der verschleierten und freigelegten Bilder der Fig. 25 und 31,
wie notwendig das Verfahren ist. Ebenso unentbehrlich ist es zur Auf-
deckung von Latenzherden, die der grössten Mehrzahl nach nicht in
Krypten, sondern in den präformierten Recessus sitzen und zwar,
wie wir sahen, hauptsächlich im Recessus infratonsillaris. Der Nachweis
des Vorhandenseins eines Recessus, seiner Ausdehnung und seines Inhaltes
gelingt ebenfalls mit Sicherheit nur durch die Erforschung mit dem Häkchen.
Der aus meinen Beobachtungen sich ergebende physiologische Vorgang
der Involution der oberen Mandel bei gleichzeitigem Beginn der Spät-
entwickelung der unteren Mandel erklärt es, dass auch die pathologischen,
operative Hilfe beanspruchenden Veränderungen im allgemeinen und mit
geringen Ausnahmen sich beim Kind gegenüber dem Erwachsenen ebenso
häufig unterscheiden, wie die in beiden Alters- oder vielmehr Entwickelungs-
stufen erforderlichen Massnahmen: bei jenen handelt es sich vorwiegend
um Hyperplasien des Mandelparenchyms, etwa noch mit seitlichen Krypten-
bildungen, und die Indikation zur Entfernung besteht meist in mechanisch
verursachten Beschwerden oder Neigung zu rezidivierender parenchymatöser
Tonsillitis; bei diesen kommt wohl auch letzteres in Betracht, häufiger
aber sind es Retentionen in Krypten, vor allem aber in den „para-
tonsillären“ Buchten, die als latente Infektionsherde wirken. Da ferner
beim Kinde die Formveränderungen der Falten zwar häufig auch schon
zu beobachten sind, aber noch nie jene Ausbildung erreichen, um den
Tonsillenkörper ganz in sich einzubeziehen, vor allem aber die Falten
mangels ausgiebiger Lymphatisierung meist noch zu keiner hohen morpho-
logischen Selbständigkeit gekommen sind, gelingt die Entfernung der
Mandeln im Kindesalter meistens in ganz genügender Weise mit dem
ringförmigen Tonsillotom, ja die völlig isolierbare Mandel kann sogar
maschinell mitsamt der Kapsel ausgerottet, also eine Tonsillektomie
gemacht werden, wie dies Whillis und Pybus, Sluder und Klapp gezeigt
haben.
Beim Erwachsenen sind es dagegen einerseits die regressiven
(Involutions-) und pathologischen Veränderungen, die die Mandel weniger
isolierbar gestalten, andererseits, und vorwiegend wieder, die Entwickelungs-
differenzen, und endlich die, wie wir gesehen haben, unter Umständen
224 L. Grünwald, Die typischen Varianten der Gaumenmandeln usw.
ganz in den Vordergrund tretenden sekundären Lymphatisierungen der
Falten, die keine völlige Isolierung des Mandelkörpers gestatten. Wenn
wir unter Isolierbarkeit die Möglichkeit verstehen, das Mandelparenchym
an der Oberfläche von seiner Nachbarschaft zu trennen, so sind es im
einzelnen folgende Momente, die die Isolierbarkeit der Mandel
aufheben:
1. Die völlige Einrahmung der oberen Mandel, womöglich mit seit-
licher Entwickelung des Mandelkörpers (Fig. 6, 22).
2. Breites Einwachsen des Mandelparenchyms hinter das Planum
triangulare, sei es im oberen (Fig. 25) oder unteren (prätonsillaren)
Teil (Fig. 32 rechts); letzteres kommt häufiger vor.
3. Bildung einer sekundären „Mandel“ aus der Plica semilunaris.
speziell aus ihrer Pars praetonsillaris (Fig. 30 links, 31).
4. Verschmelzung der unteren Mandel mit einer, ganz oder teilweise,
lymphoid infiltrierten Plica praetonsillaris (Fig. 24 rechts, 25 links,
27 rechts, 29, 32 rechts, 38 links) oder Plica transversa (Fig. 26).
». Gesondertbleiben von oberer und unterer Mandel (Fig. 6, 22.
23 rechts, 25b rechts, 26).
6. Ausbreitung der unteren Mandel bis zum Zungengrund hinunter
(Fig. 24 links), so dass zwischen beiden überhaupt keine feste
Grenze mehr zu finden ist.
Flaches Aufsitzen der Mandel (es handelt sich hier wahrscheinlich
vorwiegend um die untere) oder des (involvierten) Mandelrestes
(Fig. 22, 27, 28, 35 rechts, 36, 40).
In all solchen Fällen kann die Basis der Mandel nicht mit einem
ringförmigen Instrument, welcher Art immer, von ihrer Umgebung ab-
gehoben werden, sondern man muss sie erst von dieser los- oder aus ihr
herauslösen; diese Mandeln entziehen sich also von selbst der maschinellen
Entfernung.
Ausserdem aber handelt es sich häufig weniger darum, das lymphoide
Gewebe zu beseitigen, als um die dauernde Freilegung aller Buchten. Das
zu leisten, ist die maschinelle Tonsillotomie bei Erwachsenen sehr selten
imstande; nur diesorgfältige, die Verhältnisse des Einzelfallesberücksichtigende
Exzision sämtlicher vorspringenden oder deckenden Wülste und Falten unter
völliger Freilegung des Operationsgebietes durch Abziehen deckender Teile
mit stumpfen Haken, also die intrakapsuläre Ausschälung — oder die
extrakapsuläre — das ganze Gebiet umfassende Tonsillektomie sind
dann indiziert. Letztere kommt, unı das hier zu streifen, nur dort in Betracht,
wo das erste Verfahren nicht ausreichen würde: wenn Kryptenbildungen
oder sekundäre Zerstörungen bis auf oder gar in die Kapsel reichen (chro-
nischer Mandelabszess), die ganze Mandel in ihrem Parenchym erkrankt ist,
oder die Mandel so flach der Kapsel aufsitzt, dass sie nur mit dieser zu-
gleich entfernt werden kann.
L. Grünwald, Die typischen Varianten der Gaumenmandeln usw. 225
VIII. Die laterale Nachbarschaft der Gaumenmandeln.
Die Frage der Tonsillektomie ist anatomisch die Frage nach der
Mandelkapsel.
Es ist noch nicht lange her, dass überhaupt die Existenz einer
solchen in Abrede gestellt worden ist. In dieser Beziehung besteht wohl
kein Zweifel mehr; wohl aber herrscht heute noch vielfache Unklarheit
über Lage und Ausdehnung der Kapsel, vor allem spielt hier wieder die
„Plica triangularis“ hinein, deren unklarer Begriff bei vielen sich sogar
zur Vorstellung einer Identität mit der Kapsel verdichtet hat. Da ist zur
Klärung zu bemerken: Das Planum triangulare bzw. die Plica semilunaris
Figur 41.
sind Schleimhautplatten bzw. -Falten, d. h. Oberflächenteile, die
Kapsel dagegen ist ein Tiefengebilde; erstere gehen daher in die
von innen sichtbare Umgebung der Mandelgegend über, letztere ist nur
nach Trennung der Oberfläche zugängig und hat mit der Schleimhaut gar
nichts zu tun. Die Betrachtung der Fig. 41 macht den Unterschied voll-
kommen klar, zeigt auch in deutlicher Weise, wie die Kapsel hinten so-
wohl als vorne in der Tiefe verläuft, also nicht sich etwa an der Ober-
fläche umschlägt.
Der Beginn der Mandelkapselbildung ist schon im 7. Fötalmonat er-
kennbar (Fig. 2), wo man konzentrisch gelagerte Bindegewebsfasern inner-
halb von den Muskeln (vgl. Fig. 41) die ganze Mandelanlage umgeben und
genau, wie dies nachher am voll ausgebildeten Organ stattfinden wird, um
226 L. Grünwald, Die typischen Varianten der Gaumenmandeln usw.
die Oberflächeneinsenkungen seitlich ausstrahlen sieht. Die Kapsel ist in-
folge letzterer Einrichtung völlig mit dem Parenchym verwachsen, daher
kann die intrakapsuläre Ausschälung auch niemals das lym-
phoide Gewebe des Mandelkörpers völlig beseitigen, es bleibt
immer etwas davon an der Schale hängen, etwa wie bei einem harten,
nach dem Kochen nicht rasch abgekühlten Ei. Dagegen kann die Kapsel
(wenn auch nicht immer) auf ihrer Aussenseite ganz rein abgetrennt
werden; vielfach allerdings steht sie in so intimer Verbindung mit Fasern
der Musc. palato-pharyngei, palatoglossi und glossopharyggei (Constrictor
pharyngis superior), dass Teile dieser mit ihr entnommen werden müssen,
wie das ein Blick auf Fig. 41 verständlich macht. Um auf die Aussen-
seite der Kapsel zu gelangen, muss man so gut wie immer sie quer
durchschneiden, auf dem Querschnitt der herausgenommenen Mandel sieht
man demnach vorn nur Mandelparenchym, keine Kapsel mehr, wie ich
ausdrücklich (unter Hinweis auf die richtige Abbildung, aber irreführende
Bezeichnung in der Fig. 5 bei Fraser) hervorheben möchte.
Im übrigen ist die Kapsel schon sehr frühzeitig voll ausgebildet; ich
sah sie und sogar in erheblicher Dicke bereits beim Kind von 10 Monaten.
Immer umfasst sie — und das ist sehr wichtig zu wissen — auch
den Recessus palatinus, so dass man wohl versteht, wie unter Umständen
palatinales Mandelgewebe nur durch extrakapsuläres Eingehen entfernt
werden kann, dass aber auf alle Fälle bei diesem Vorgehen der palatinale
Anteil der Mandel mit ausgelöst wird.
Die Verbreitung von Entzündungen aus der (oberen) Mandelgrube oder
dem Recessus palatinus wird dadurch erheblich beeinflusst, dass dieser
oberste Anteil der Mandelkapsel, der die genannten Partien umgibt, von
sehr verschiedener Dichtigkeit und Feste ist. Meine an der Leiche
gewonnenen Beobachtungen in dieser Richtung, die lockeres gegenüber
festem Gewebe im ungefähren Verhältnis von 3:2 aufzeigten, können aller-
dings eine brauchbare Beurteilung des wirklichen Verhaltens nicht ergeben,
da das Gewebe immer mehr oder weniger mazeriert war.
Sehr bemerkenswert und für die Pathogenese hochwichtig ist, dass
ich zweimal im intramuralen, an den Recessus palatinus angrenzenden
Gewebe eine kleine wohlabgegrenzte Lymphdrüse und einmal ein Fett-
konvolut, wahrscheinlich ein Rückbildungsprodukt von lymphatischem Ge-
webe auffand. In diesen Vorkommnissen liegt nun die, soweit ich sehen
kann, einzige Möglichkeit einer Abweichung von der oben dargelegten
Regel der Entstehung supratonsillärer Phlegmone; wenn nämlich eine von
diesen Drüsen infiziert wird, was von der Nase her auf lymphatischem
Wege möglich erscheint. Diese Abzessform wäre als Lymphadenitis supra-
tonsillaris oder extratonsillaris zu bezeichnen [s. S. 259, 1. c. (8)]. Viel-
leicht liegt auch dem von Herzog (15) beschriebenen Fall ein solches
Vorkommnis zugrunde. Natürlich entziehen sich derartige Abszesse der
Sondeneröffnung, am besten werden sie nach Spaltung der Mandelkapsel
zugängig.
L. Grünwald, Die typischen Varianten der Gaumenmandeln usw. 227
Am Lebenden könnte die Ausbildung einer solchen Drüse sich sehr
wohl in genau der gleichen Form bemerklich machen, wie die Pars pala-
tina der Mandel selber. Die Lage dieser letzteren innerhalb des Recessus
palatinus ist für die Unterscheidung massgebend; im Zweifelsfalle kann
dieser oberste bzw. isolierte Mandelteil (vgl. Fig. 19) durch Spiegel-
besichtigung, eventuell nach Abziehen der Plica supratonsillaris mittels des
stumpfen Häkchens ansichtig gemacht werden.
Zum Schlusse ist das Vorkommen von Knorpel- und Knocheninseln,
wie es nachgerade recht häufig beobachtet wird, zu beleuchten [(8), S. 26
und 565 und Theodore (16)|. Die irrige frühere Auffassung, als handle
es sich hier um echte Gewebsneubildung oder um Metaplasie entzündlicher
Art aus dem Bindegewebe, ist bereits von Deichert (17) dahin berichtigt
worden, dass hier Reste aus dem Fötalleben vorliegen; speziell, meinte er,
des kleinen Zungenbeinhorns und seiner Anhänge, die sich oft noch als
Verknöcherungen des Lig. stylohyoideum konservieren. Letzteres trifft aller-
dings nur teilweise zu.
Tatsächlich reicht bei verschiedenen Tieren das Zungenbein in auf-
fallend hoher Ausdehnung empor; Retterer stellte das beim Pferd,
Schwein, Hund und Katze fest, bei denen er das kleine Horn seitlich die
Schlundwand stützen und die Mandel in einer Krümmung des Knorpels ruhen
sah. Beim Rind und den von mir untersuchten Cerviden konnte ich die An-
lehnung des grossen, einen überaus langen Knochenstab bildenden Horns
direkt an der Halswirbelsäule, dicht unterhalb der Schädelbasis beobachten,
und zwar hinter dem Processus styloideus. Diese Beobachtung gewinnt an
Bedeutung, wenn man damit die Verhältnisse in dem seltenen Falle
Riedels (18) vergleicht, in dem eine accessorische Knochenbildung am
Halse ebenfalls hinter dem Stielfortsatz verlief. Es braucht also schon auf
Grund dieser Beobachtungen die Quelle überschüssiger Knochen- oder
Knorpelinseln nicht im Ligamentum stylo-hyoideum allein gesucht zu werden ;
sind sie ein Rest des Körpers des zweiten Urknorpels, so müssen sie
hinter diesem Ligament liegen.
Meine Befunde über die fötale Ausdehnung des Kehlkopf-Zungen-
skeletts (3) haben aber ausserdem erkennen lassen, dass die Möglichkeiten
der partiellen Skelettpersistenzen weit reichere sind und diese, soweit die
Mandelgegend in Betracht kommt, anderen Partien entstammen; auch
machen sie die Multiplizität und verschiedene Qualität der Skelettinseln ver-
ständlich, wie deren auch in dem erwähnten Falle Riedels zu beobachten
waren: neben dem accessorischen Knochenstab und darüber ein bohnen-
grosses „mit der Gaumenmuskulatur zusammenhängendes“ Knorpelstück.
Schon die Betrachtung der gegenseitigen Lage der Epiglottis und der
Mandelbucht beim dreimonatigen Fötus (Fig. 12 u. 13) zeigt, wie hoch der
Kehlkopf liegt und wie unmittelbar demnach um diese Zeit das Zungenbein
mit der Mandelgegend in Beziehung treten muss.
Archiv für Laryngologie. 28. Bd. 2. Heft. 16
228 L. Grünwald, Die typischen Varianten der Gaumenmandeln usw.
In vollen Einzelheiten treten diese Beziehungen aber erst in den Ab-
bildungen zutage, die ich von dem Serienmodell der Mandelgegend eines
Fötus von 5 Monaten habe anfertigen lassen.
Tafel III, Fig. 2 zeigt die Aussenseite des Modells, das von der linken
Seite herrührt, in aufrechter Stellung. Oben ist der Seitenausschnitt des
Rachens in tief ausladenden Konturen zu sehen, der vorderste Teil dieses
Ausschnitts ist die seitliche Gaumenbucht, und die violett gefärbte Partie
entspricht den obersten Teilen der Schleimhaut, an dem die ersten Mandel-
anlagen in Form von Epitheleinsenkungen mit lymphoidem Randinfiltrat
mikroskopisch sichtbar werden. Wie man sieht, befinden sich diese obersten,
dem oberen Ende des oberen Mandelkörpers entsprechenden Anlagen in
gleicher Höhe mit dem obersten Ende des höchsten, gelb gefärbten
Knorpelausläufers; im Zusammenhalt mit dem sich von unten seitlich her
ergebenden Anblick in Tafel III, Fig. 3 ergibt sich, dass die gesamte
Tonsillenanlage im Höhenbereiche der primordialen Halsknorpel und ihnen
sehr eng benachbart liegt. Denn der kleine gelbbraun gefärbte Ausschnitt
in Fig. 3 (vgl. Fig. 1 auf Tafel III) entspricht dem untersten Teil der
Untermandel
Zur Erklärung dafür, dass von dem hier abgebildeten Teil des Pri-
mordialknorpelskeletts Teile besonders leicht persistieren bzw. sich weiter-
hin in die Nachbarschaft verirren können, bedarf es aber näherer Er-
läuterung der Bilder.
Diese entsprechen einem horizontalen Ausschnitt. Ueberall ist das
Lumen der Mund-Rachenhöhle und des Kehlkopfes ebenso wie die Gestalt
der Knorpel modelliert, die zwischenliegenden Gewebspartien aber sind,
teilweise in vollem Umfange, teilweise unter Belassung breiterer oder
schmilerer Gewebsbriicken ausgeschnitten.
Der vorn, ganz isoliert verlaufende hellrote Strang M ist der Meckel-
sche Knorpel, blau ist der oberste Rand der Schildknorpelplatte.
Durch eine minimale, auf der Zeichnung nicht sichtbare Lücke von ihr
abgesetzt, erhebt sich die gelbgefärbte Säule des Hyoid, an dem noch
nichts von der späteren Gliederung des Zungenbeins bemerkbar ist. Seine
riickkonvexe Ausladung entsprfcht ungefähr dem späteren Körper, die
vordere Konvexität dem Ansatz des kleinen Hornes und die allmählich
horizontal sich nach hinten umbiegende Partie dem grossen Horn. Die
hier sowie im unteren senkrechten Verlauf sichtbaren grünen Teile ent-
sprechen ganz isolierten Knorpelpartien, d. h. Ausläufern des Knorpels, die
bereits von der Hauptsäule abgegrenzt, der Resorption anheimfallen
werden, oder dazu bestimmt sind, im Falle abnormer Persistenz
die bekannten Knorpel- oder Knocheninseln der Mandelgegend
zu bilden. Wie nahe sie der primitiven Mandelanlage liegen, ist aus
Tafel III, Fig. 3 ersichtlich, wo man die untersten, braungelb ausgekleideten
Mandelepithelausstülpungen eben noch nahezu auf demselben Horizont mit
der kleinen grünen Säule erblicken kann. Etwas entfernter vom obersten
(violettgefärbten) Mandelteil liegt eine dicke grüne Absprengung zwischen
L. Grünwald, Die typischen Varianten der Gaumenmandeln usw. 229
dem hintersten Rande des Hyoid und einer dunkelroten kurzen Säule
(Tafel III, Fig. 2).
Die schmale und hohe hellrote, hinter dem blauen Thyroidteil sich -
erhebende, gewundene Platte entspricht dem obersten Ausläufer der
primitiven hinteren Thyroidanlage, ist aber nichts anderes als das spätere
obere Schildknorpelhorn. Von ihm durch einen schmalen, auf der
Zeichnung nicht sichtbaren Zwischenraum getrennt und auch der Gestalt
nach deutlich selbständig, liegt eine kurze dunkelrote Säule, offenbar
mehr zum Horn des Thyroid als zu dem etwas entfernter darüber ver-
laufenden Hyoid gehörig. Es handelt sich jedenfalls um den häufig an
dieser Stelle persistierenden Sesamknorpel bzw. -Knochen des Lig. thyr.
hyoid. laterale. |
Es sind also im vorliegenden Präparat zwei Ausläufer des Ver-
hindungsstiickes zwischen Hyoid und Thyroid, das man ebensogut noch als
Thyroid selber bezeichnen könnte, und ein Ausläufer des späteren Cornu
majus, die persistierende Skelettreste liefern können. In einem meiner
ersten Mitteilung (3) zugrunde liegenden anderen Präparate aus dem 7. bis
S. Monat waren es drei Abzweigungen der obersten Thyroid- (untersten
Hyoid-) Partie und die Substanz des kleinen Horns, die die gleichen Er-
gebnisse liefern konnten; wie von vornherein nach der auch phylogenetisch
begründeten hohen Variabilität dieser Teile des Viszeralskeletts zu er-
warten, sind es also die starken, hier eintretenden Differenzierungen, aus
denen sich die relative Häufigkeit und verschiedenartige Lage der Skelett-
inseln der Mandelgegend und ihrer weiteren Umgebung erklärt. Jeden-
falls aber handelt es sich im wesentlichen um Derivate der primitiven
Thyrohyoidverbindung, seltener des horizontalen Hyoidteils selber, erst in
dritter Linie um Reste des Stylohyoidteils (Lig. stylohyoid.), denen die
Skelettinseln entstammen. —
Zum Schlusse dieser Mitteilungen bleibt mir noch die Pflicht, Herrn
Prof. Rückert und Herrn Geheimrat Prof. Hertwig für die bereitwillige
Gewährung des hier verarbeiteten Materials herzlichst zu danken. Ebenso
spreche ich Herrn Prof. Voeltzkow-Berlin, der mir einen Teil seines Pro-
simiermaterials durch Herrn Dr. Bender zur Verfügung stellen liess,
meinen besten Dank hierfür aus.
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NX VIII.
Aus der Universitäts-Poliklinik für Hals- und Nasenkranke (Direktor: Prof.
Dr. Gerber) und dem Anatomischen Institut der Universität Königsberg i. Pr.
(Direktor: Prof. Dr. Gaupp.)
Neue experimentelle Feststellungen
über die physiologische Bedeutung der Tonsillen.')
Von
Privatdozent Dr. Fritz Henke (Königsberg i. Pr.).
(Hierzu Tafel IV.)
Der lymphatische Waldeyersche Rachenring, dessen Hauptkomponenten
die beiden Gaumenmandeln, die Rachenmandel und die Zungenmandel sind,
bildet zweifellos eine anatomische sowie physiologische Einheit. Die
anatomisch-histologische Beschaffenheit dieser Organe ist heute durch zahl-
lose einschlägige Arbeiten einwandfrei sichergestellt und hinreichend be-
kannt. Anders verhält es sich mit der Frage nach der physiologischen
Funktion der Tonsillen. |
Es sind im Laufe der Zeit die verschiedensten, bald mehr, bald weniger
begründeten Hypothesen über die Bedeutung der Mandeln aufgestellt worden.
Wir sind aber in der endgültigen Entscheidung der Frage über Hypothesen
nicht weit hinausgekommen. Die Ansichten der einzelnen Forscher stehen
sich eigentlich in den Hauptpunkten geradezu diametral entgegen.
Die einen halten die Mandeln für wichtige Schutzapparate, die anderen
sehen in ihnen Organe, die wegen ihrer Neigung zur Ansiedelung von
Infektionserregern für Leben und Gesundheit höchst gefährlich sind, wieder
andere sprechen sie für ganz indifferente Elemente an.
In einer Flut von Arbeiten ist die Tonsillenfrage in der Literatur ganz
besonders in den letzten Jahren immer wieder aufgerollt worden. Ganz
kurz will ich die wichtigsten Punkte dieses Chaos von Arbeiten, welche
sich mit der Bedeutung der Tonsillen für den Organismus beschäftigen, hier
Revue passieren lassen.
Kölliker sah in den Mandeln lediglich ein indifferentes Füllgewebe,
ohne irgendeine spezifische Funktion.
Flak behauptet, sie wären Organe von atavistischem Charakter, ohne
jeden Nutzen.
1) Die erste Mitteilung erfolgte im Verein für wissenschaftliche Heilkunde zu
Königsberg. Ref. Deutsche med. Wochenschr. 1913. Nr. 33.
232 F. Henke, Die physiologische Bedeutung der Tonsillen.
Eine Reihe anderer Autoren hat die Tonsillen für das Kapitel „Ver-
dauung* in Anspruch genommen. Das Tonsillensekret sollte den Bissen
schlüpfrig machen, es sollte ein saccharifizierendes Ferment analog dem
Ptyalin liefern, die Tränen und der überflüssige Speichel sollten von den
Tonsillen aufgesaugt und dem Kreislauf wieder zugeführt werden.
Diese und ähnliche phantastischen Hypothesen entbehren der wissen-
schaftlichen Begründung und sind durchweg wieder verlassen worden.
Unbewiesen ist auch die Theorie von einer inneren Sekretion der Tonsillen,
wie die Nachprüfungen Calderas ergeben, die er in einer kürzlich er-
schienenen Monographie niederlegte. Man hatte bald eingesehen, dass man
mit Theoretisieren nicht weiter kam und war dazu übergegangen, exaktere
Untersuchungen anzustellen.
| Stöhr, Flemming und andere erkannten, dass das adenoide Gewebe
der wichtigste Bestandteil der Tonsillen sei. Sie stellten das Vorhandensein
von Keimzentren in den Follikeln fest, in denen eine lebhafte Vermehrung
der weissen Blutzellen vor sich geht.
Diese Befunde und eigene histologische Untersuchungen führten
Harrison Allen, Kayser, Pluder und eine Reihe anderer Autoren
dazu, die Aufgabe der Tonsillen in einer hämatopoetischen Funktion, in
der Neubildung lymphozytärer Elemente zu sehen. Die einen schätzen
diese Bedeutung der Tonsille für die Blutbildung sehr hoch ein, die anderen
sehen in ihnen nur einen unbedeutenden Teil der blutbildenden Organe,
deren Lokalisation im Rachen eine rein zufällige ist. Heute können wir
bezüglich dieser hämatopoetischen Funktion, wie Levinstein betont, mit
Sicherheit wenigstens soviel sagen: „Es steht ausser Zweifel, dass in den
normalen Tonsillen junge weisse Blutzellen gebildet werden“.
Ausser dieser sicheren Funktion zeigen aber die Tonsillen eine Eigen-
tümlichkeit, welche ihnen unter der Reihe der blutbildenden Organe eine
Sonderstellung einräumt. Stöhr zeigte nämlich bereits im Jahre 1882,
dass durch das Epithel der Tonsillen ein beständiger Leukozytenstrom
auswandert. Diese Erscheinung ist in der Tat so auffallend, dass es nur
zu nahe liegt, sie mit der Frage nach der Bedeutung der Tonsillen in
Zusammenhang zu bringen. Das ist denn auch wiederholt geschehen,
wiederum mit einander durchaus widersprechenden Resultaten. Die hämato-
poetische Funktion wurde als nebensächlich betrachtet, dem Emigrations-
vorgang jedoch das lebhafteste Interesse entgegengebracht.
Stöhr hatte sich dahin ausgesprochen, dass die Epitheldecke der
Mandeln durch die sie passierenden Leukozytenschwärme lädiert würde
und dadurch „Epithellücken“, „physiologische Wunden“ entstehen. Fussend
auf dieser Aeusserung Stöhrs, sind eine Reihe Autoren aufgetreten,
welche die Gefährlichkeit der Mandeln für den Organismus darin zu sehen
glaubten, dasss diese Lücken für Infektionserreger geeignete Eingangspforten
darstellen. Den Anhängern dieser Theorie, Infektionstheorie, erscheinen
also die Mandeln auf den ersten Blick als schädliche Gebilde, als ein Locus
minoris resistentiae, deren Entfernung im Interesse des Organismus läge.
F. Henke, Die physiologische Bedeutung der Tonsillen. 233
Immer zahlreicher erscheinen jetzt Publikationen, welche die Auf-
merksamkeit auf die Tonsillen als Eingangspforte für die verschiedensten
Krankheiten hinlenken. Man könnte nach diesen Veröffentlichungen fast
zu der Ansicht kommen, als gäbe es kaum noch eine auf infektiöser
Basis beruhende allgemeine oder Organerkrankung, welche nicht durch
die Tonsillen als primäre Infektionsstätte entstehen könne. So glaubt
z. B. Pässler folgende Erkrankungen in vielen Fällen auf die Tonsillen
zurückführen zu können: „Rheumatismus, Ischias, Erythema nodosum,
Peliosis rheumatica, Chorea minor, Sepsis, Osteomyelitis, Schädigungen des
Herzens und des Zirkulationsapparates, vasomotorische Uebererregbarkeit,
subjektive Herzunruhe, Oppressionsgefühl, Endokarditis, Perikarditis, Myo-
karditis, Thrombophlebitis, Nephritis, Nephrolithiasis, Dysurie mit Pollakis-
urie, Tenesmus, rezidivierende Appendizitis, Dyspepsie, chronische Obsti-
pation, rundes Magengeschwür, Ernährungsstörungen, Bronchitis, Pneumonie,
Pleuritis, habitueller Kopfschmerz, Schlaflosigkeit, Neurasthenie, Polio-
myelitis anterior u. a.“.
Was Wunder, wenn man daher heute allerorts immer wieder die Frage
aufwirft: „Ist es nicht am zweckmässigsten, Organe, die so viele und so
grosse Gefahren für Leben und Gesundheit in sich bergen, total auszurotten?“
Bei genauer Nachprüfung jedoch hat es sich gezeigt, dass es mit dem
sicheren Nachweis der primären Infektionsstätte in den Tonsillen doch nicht
ganz so ist, wie es auf den ersten Blick bei jenen Arbeiten scheinen könnte.
Ich will hier nur auf die in diesem Zusammenhang am häufigsten
diskutierte Frage über die Entstehung des Gelenkrheumatismus eingehen.
Anfangs schien es nach den Veröffentlichungen Gürichs und
Schichholds, als wären alle oder fast alle Fälle von Gelenkrheuma-
tismus auf Tonsillenerkrankungen zurückzuführen. Die Nachprüfungen
anderer Forscher der verschiedensten Nationen ergaben aber sehr differente
Zahlen. So führt z. B. Ries 5 pCt., Gerhardt 21 pCt., Kieffer 21,3 pCt.,
Faerber 80 pCt., Pibram aber, in seinem bekannten griindlichen Werk
über diesen Gegenstand, nur 1,4 pCt. von Rheumatismen auf Angina als
Ursache zurück. Der letzte Forscher sammelte seine Erfahrung an
677 Fallen von Gelenkrheumatismus, unter denen nur 8 mal eine sichere
Tonsillitis vorangegangen war. Aus diesen so ganz verschiedenen Resultaten
kann man mit Recht den Schluss ziehen, dass eine exakte Feststellung
dieser Frage auf grosse Schwierigkeiten stösst.
Aehnlich verhält es sich mit den anderen im Vorhergehenden angeführten
Erkrankungen, bei denen man einen unbedingten Kausalzusammenhang mit
Tonsillarerkrankungen zu konstruieren suchte. Man hat, was auch Görke
vor kurzem (Stuttgarter Laryngologen-Kongress 1913) mit vollem Recht
hervorhob, „offenbar vielfach weit über das Ziel hinausgeschossen“, wenn
man die Mandeln in so vielen Fällen als den „schuldigen Störenfried“ ansieht.
Noch dürfte es nicht an der Zeit sein, diese Fragen nach der einen
oder anderen Seite mit Sicherheit entscheiden zu wollen, kommt doch,
wie wir aus dem Nachfolgenden sehen werden, noch die Tatsache hinzu,
234 F. Henke, Die physiologische Bedeutung der Tonsillen.
dass es durchaus fraglich ist, ob die von uns am Krankenbett beobachtete
Tonsillarerkrankung, z. B. eine Tonsillitis acuta, in Wirklichkeit die primäre
Erkrankung ist, oder aber, ob sie nicht selbst bereits die Sekundär-
lokalisation einer anderswo erfolgten Infektion darstellt.
Zu ebenso unsicheren, ja noch zu widersprechenderen Resultaten kamen
die Forscher, welche auf experimentellem Wege das Problem der Bedeutung
der Tonsillen für das Zustandekommen oder das Verhüten von Infektionen
zu lösen versuchten. Ich muss hier vor allem auf die experimentellen
Untersuchungen von Goodale, Hendelsohn, Brieger, Görke, Hodenpyl
und Lexer hinweisen.
Goodale injizierte mittels stumpfer Spritze Karminaufschwemmungen
in die Krypten der Mandel. Hendelsohn blies staubförmige Substanzen
auf die Oberfläche der Tonsillen in dicker Schicht auf. Beide fanden dann
in den exstirpierten Tonsillen die Fremdkörper im subepithelialen Ge-
webe wieder und schliessen daraus, dass die Tonsille korpuskuläre Elemente,
welche auf ihre Oberfläche gelangen, zu absorbieren vermag.
Dem ist jedoch von Brieger, Görke und Levinstein mit Recht
entgegengehalten worden, diese Absorption geschah hier unter Bedingungen,
welche in Wirklichkeit nicht vorkommen. Durch die Einspritzung einer
Emulsion in eine Krypte werden Druckverhältnisse geschaffen, welche den
normalen Bedingungen nicht gerecht werden. Dasselbe gilt von der Auf-
tragung einer dicken Schicht staubförmiger Fremdkörper auf die Tonsillen.
Derartige Massnahmen entsprechen den natürlichen Verhältnissen in keiner
Weise. Ausserdem aber kamen Brieger, Görke und Hodenpyl bei
der Nachprüfung dieser Versuche zu ganz entgegengesetzten Resultaten.
Sie fanden nämlich niemals, trotz energischer Aufblasung, auch nur die
geringsten Mengen korpuskulärer Elemente in den Tonsillen wieder.
Ich selbst habe an unserer Klinik, um den natürlichen Bedingungen
einer möglichen Infektion der Tonsillen von der Oberfläche her Rechnung
zu tragen und eventuelle Absorptionsvorgänge an den Tonsillen zu studieren,
folgenden Versuch gemacht:
Einer Reihe von Kaninchen wurden eine Woche hindurch grosse Mengen
Russ und chinesische Tusche unter die Nahrung, welche sie täglich zu sich
nahmen, gemengt. Zu verschiedenen Zeiten wurden die Tiere getötet und
die Tonsillen mikroskopisch untersucht. Niemals konnten wir, trotz zahl-
reicher mikroskopischer Präparate, die geringsten Anhaltspunkte finden,
welche für irgendwelche Absorptionsvorgänge in den Tonsillen gesprochen
hätten. Wir fanden weder Russ- noch Chinatuschepartikelchen in den
Tonsillen, wohl aber konnten wir interessante Resorptionsvorgänge im
Darm studieren. Diese meine den natürlichen Bedingungen zum guten Teil
recht nahe kommenden experimentellen Feststellungen machen es durchaus
nicht sehr wahrscheinlich, dass Fremdkörper, die auf die Oberfläche der
Mandeln kommen, unter normalen Verhältnissen ohne weiteres in das Innere
des Tonsillargewebes und von da aus weiter in den Körper gelangen.
Gegenüber diesen Versuchen mit indifferenten korpuskulären Stoffen
F. Henke, Die physiologische Bedeutung der Tonsillen. 235
benutzte Lexer zur Entscheidung der strittigen Frage lebendes Material,
Bakterienkulturen verschiedener Art.
Bei seinen ersten Versuchen verwandte Lexer die gewöhnlichen Eiter-
erreger, Staphylokokken und Streptokokken, die aus Abszessen irgendwelcher
Art stammten. Er bepinselte damit den Rachenring junger und alter Kaninchen
oder tropfte das infektiöse Material in die Mundhöhle der Versuchstiere ein.
Es gelang ihm aber mit diesen Eitererregern in keinem Falle, die Tiere zu
infizieren, im Gegenteil, nach einigen Stunden war in der Mundhöhle nichts
mehr von den eingebrachten Bakterien nachweisbar, sie gingen zugrunde.
Da diese Versuche, die Kaninchen von der Mundhöhle aus zu infizieren,
mit gewöhnlichen Eitererregern keinerlei Resultate ergeben hatten, so setzte
Lexer seineExperimente mit hochvirulenten Staphylokokken und Pneumo-
kokken fort. Die kleinsten Mengen dieser Bakterien hatten bei Injektion in die
Blutbahnen den unfehlbaren Tod der Versuchstiere zur Folge. Ganz anders
war das Resultat, wenn dieselben Bakterien, selbst in grösserer Menge, in
die Mundhöhle eingebracht wurden. Ein Eindringen von Pneumokokken
war niemals und nirgends nachweisbar, nicht einmal, wenn vorher künst-
liche Verletzungen der Mund- oder Rachenschleimhaut gesetzt worden
waren. Aber auch durch die hochvirulenten Staphylokokken wurde bei
dieser Art der Applikation nur in ganz vereinzelten Fällen eine
geringfügige Infektion herbeigeführt.
Erst die Verwendung des von Schimmelbusch aus spontanen Eiterungen
beim Kaninchen gezüchteten Bazillus führte zu dem gewünschten Ziele. Nach
2 Tagen starben die Versuchstiere gewöhnlich, wenn der Rachenring mit dem
infektiösen Material bestrichen wurde. Die Versuche wurden aber nicht fort-
gesetzt, weil, wie Lexer sagt, die mikroskopischen Untersuchungen sehr
durch den Umstand erschwert wurden, dass dem Bazillus eine vom Gewebe
verschiedene Färbung nicht zu geben war. Bindende Schlüsse will daher Lexer
bezüglich des Infektionsweges aus diesen Versuchen auch selbst nicht ziehen.
Er ging dann dazu über, hochvirulente, für Kaninchen extra an-
gezüchtete Streptokokkenkulturen zu seinen Untersuchungen zu benutzen.
Wurden diese in die Mundhöhle von Kaninchen eingebracht, so hatte
das stets den Tod der Tiere zur Folge.
In den mikroskopischen Schnitten fanden sich gewöhnlich schon
24 Stunden post infectionem überall, auch in der Rachenschleimhaut,
Kokken. Lexer kommt bei diesen Experimenten zu der Annahme, dass
die Bakterien durch die Tonsillen eindringen und sucht dafür durch histo-
logische Untersuchungen der Tonsillen den Beweis zu erbringen.
Ein Blick auf die Abbildungen, welche die Lexersche Ansicht
illustrieren sollen, lässt allerdings keinen Zweifel darüber aufkommen,
dass im Gewebe der untersuchten Tonsillen die Infektionserreger an-
getroffen worden sind.
Der unumstössliche Beweis aber, dass die Kokken gerade hier und
zwar nur hier einwandern, dürfte durch diese histologischen Unter-
suchungen doch nicht ohne weiteres als erbracht anzusehen sein.
236 F. Henke, Die physiologische Bedeutung der Tonsillen.
Vielleicht hätte Lexer die Kokken um dieselbe Zeit ebenso auch in
den übrigen Abschnitten der Rachenschleimhaut gefunden, wenn er sie
dort nur ebenso systematisch gesucht hätte.
Auch dürfte es vielleicht. abgesehen von den bereits früher von
Görke!) erhobenen Bedenken, auffallen, dass so selten im frühen
Stadium post infectionem die Infektionserreger in den Tonsillen gefunden
wurden. Lexer schreibt selbst, dass schon 31!/, Stunden nach der In-
fektion „massenhaft“ Kokken im Blut waren, bereits nach !/ Stunde
gelang der allerdings kulturelle Nachweis der Bakterien aus den inneren
Organen, aber nur einmal konnten bei den 40 Versuchstieren 1 Stunde
(der früheste Zeitpunkt) nach der Einbringung der Kokken in die Mundhöhle
dieselben in den Tonsillen nachgewiesen werden.
Dies ist in Anbetracht der Annahme, dass die Einwanderung in
allen Fällen durch die Tonsillen erfolgen soll, immerhin etwas verwunder-
lich und wohl doch nicht ganz hinreichend erklärt.
Aber nicht nur das, sondern die Erwägung, dass die hier in den
Mandeln mikroskopisch nachgewiesenen Kokken sich nicht auf dem Wege
hinein, sondern vielmehr hinaus befunden haben können, ist keineswegs
von der Hand zu weisen. Diese Möglichkeit findet sogar durch die Er-
gebnisse meiner im Nachfolgenden näher zu schildernden experimentellen
Feststellungen eine zum guten Teil ausreichende Begründung.
Was sodann die beobachtete frühzeitige Schwellung der Drüsen am
Kieferwinkel der infizierten Tiere anlangt, — eine Tatsache, welche Lexer
für seine Annahme, die Infektion erfolge in der Regel durch die Mandeln,
mit anführt, — so ist dabei zu bemerken, dass diese Drüsen nicht nur
von der Lymphe, welche aus den Tonsillen kommt, durchströmt werden,
sondern dass die Lymphflüssigkeit aus den verschiedensten Teilen des
Mundes und des Rachens diese Drüsen passiert.
Die Schwellung dieser Lymphdrüsen also könnte ebenso gut infolge
Eindringens der Kokken an einer anderen Stelle der Schleimhaut ent-
standen sein.
Ferner gibt die von Lexer selbst beobachtete und ausgesprochene
Tatsache zum Nachdenken Veranlassung, dass die Kokken gewöhnlich
weit zahlreicher in der Peripherie der Tonsillen, also in der
Kapsel und in dem umgebenden Muskel- und Drüsengewebe waren als in
den Mandeln selbst.
Die von Lexer hierzu gegebene Erklärung: „wahrscheinlich werden die
ins Tonsillargewebe geratenen Streptokokken schnell hinweggeführt“, dürfte
kaum ausreichen, um alle Bedenken in dieser Hinsicht völlig zu zerstreuen.
Ganz besonders beachtenswert ist diese Tatsache nämlich auch des-
halb, weil experimentelle Untersuchungen ähnlicher Art, ausgeführt aller-
dings zu anderen Zwecken, ganz ähnliche Resultate gezeitigt haben.
1) Görke, Kritisches zur Physiologie der Tonsillen. Archiv f. Laryngol.
Bd, 19.
F. Henke, Die physiologische Bedeutung der Tonsillen. 237
Angelis z. B., der den Entstehungsmodus der peritonsillären Abszesse
studierte, fand bei seinen in ähnlicher Weise vorgenommenen experimentellen
und histologischen Untersuchungen, dass die Ansammlung der Mikroorga-
nismen, welche nachträglich zur Bildung des peritonsillären Abszesses
führten, niemals, wie wohl vielfach irrtümlich angenommen wird, inner-
halb der eigentlichen Tonsille erfolgt, sondern er sah die Infektions-
erreger stets zuerst in dem die Mandeln umgebenden Gewebe auftreten
und sich dort vermehren.
Ferner fand Menzer bei Patienten, die im Anschluss an Angina an
Gelenkrheumatismus, Endokarditis usw. erkrankten, Streptokokken nur
vereinzelt in den Mandeln und zwar nur in der Epithelschicht, nicht aber
im Inneren des Tonsillargewebes, während dieselben Mikroorganismen in
dem den Mandeln benachbarten peritonsillären Gewebe von der Oberfläche
bis zu den Blutkapillaren zahlreich nachweisbar waren. |
Menzer spricht daher die auch mir sehr wohl berechtigt erscheinende
Ueberzeugung aus, dass von hier aus und nicht von der eigentlichen
Tonsille das weitere Vordringen der Infektionserreger und die Generalisierung
der Erkrankung erfolge.
Zu den gegen die Lexersche Annahme geltend gemachten Bedenken
kommt noch die Tatsache, dass, soweit mir bekannt, es weder Lexer
noch irgend einem anderen Forscher bisher am Tier gelungen ist, durch
direkte Aufbringung von Infektionserregern auf die Oberfläche der Mandeln
als Einleitung einer Allgemeininfektion das klinische und pathologisch-
anatomische Bild einer akuten eitrigen Tonsillitis, wie wir sie am
Krankenbett unserer Patienten so häufig sehen, hervorzurufen.
Die Ansicht von der unbedingten Schädlichkeit der normalen
Tonsillen scheint mir daher keineswegs auf so sicheren Füssen zu
stehen, wie in einer Reihe von Artikeln einiger Autoren behauptet wird,
im Gegenteil, man könnte eher sagen, dass es dieser Theorie an exakten,
unbestreitbaren Beweisen sogar gänzlich fehlt.
Als scharfer Gegner der hier dargelegten Infektionstheorie steht
die Abwehrtheorie.
Sehen wir, was ihre Anhänger zugunsten ihrer Ansicht ins Feld führen.
Auch sie gehen von der wichtigen, von Stöhr gemachten Entdeckung
der permanenten Emigration von weissen Blutkörperchen aus. In diesem
Vorgang sehen sie aber nicht die Schaffung eines Locus minoris resistentiae,
sondern einen Schutzmechanismus. Sie betrachten die Mandeln daher auch
als Schutzorgane, Wächter und Verteidiger, die vor den Zugang zu den
Luft- und Speisewegen gestellt sind. Ihre Hauptaufgabe bestehe in der
Abwehr von allerlei Schädlichkeiten, vorzüglich von solchen infektiöser
Natur.
Wie nun aber sollen die Mandeln diese Aufgabe erfüllen?
Die Erklärungen lauteten bisher verschieden.
Gulland sah in der Phagozytose der in den Tonsillen gebildeten
Leukozyten die Schutzfunktion. Er nahm an, dass Bakterien, welche von
238 F. Henke, Die physiologische Bedeutung der Tonsillen.
der Oberfläche der Mandeln in die Tiefe zu wandern im Begriff sind, von
den Leukozyten infolge ihres phagozytären Vermögens aufgenommen und
zerstört werden können.
Dieser Ansicht Gullands widersprach Brieger. Er stellte fest,
dass nicht Leukozyten es sind, welche aus der Tonsille auswandern,
sondern Lymphozyten. Diesen aber gehe, was schon Metschnikoff
ausgesprochen habe, die Fähigkeit ab, fremde korpuskuläre Elemente
in sich aufzunehmen, ebenso wie das Vermögen selbständiger Orts-
veränderung.
„Wir sind also genötigt anzunehmen“, sagt Görke, der die Theorie
Briegers weiter ausbaute, „dass die weissen Blutzellen passiv aus dem
Gewebe der Tonsillen nach der Oberfläche transportiert werden“. Als
Transportmittel nehmen Brieger und Görke einen kontinuierlich von
innen nach aussen fliessenden Lymphstrom an. Brieger und Görke be-
streiten auch die Ansicht Stöhrs, dass die Leukozytendurchwanderung
gefährliche Epitheldefekte setze; Epithellücken, die etwa wirklich einmal
entständen, würden sogleich von der nachströmenden Lymphe ausgefüllt.
Dieses kontinuierliche Berieseln der Oberfläche der Tonsillen mit dem
Gewebssaft verhindert nach Brieger und Görke das Einwandern von
Mikroorganismen von aussen in die Tonsillen und in den Körper,
wenigstens unter normalen Verhältnissen.
Gegenüber dieser Abwehrtheorie ist stets ein nur zu begreiflicher
Einwand gemacht worden. Es fehlt für diese Theorie der Beweis, das
histologische Bild, „den Saftstrom“, sagt Levinstein, „hat noch
keiner zu Gesicht bekommen“.
Eine ganz andere Auffassung von der Bedeutung der Tonsillen hat
Schoenemann. Er erblickt in ihnen nichts anderes, als submuköse, also
gleichsam auf den dussersten Posten vorgeschobene Halslymphdriisen. Nach
Schoenemann ist die Hauptfunktion der Tonsillen analog derjenigen der
Lymphknoten in der internen Zelltätigkeit des adenoiden Gewebes selbst
zu suchen. Die transepitheliale Diapedese der Leukozyten dagegen ist als
eine mehr oder weniger nebensächliche Begleiterscheinung dieser Zelltätig-
keit anzusehen. Auf Grund seiner Hypothese kommt denn auch Schoene-
mann zu der hierfür durchaus logischen Folgerung „Wenn die Tonsillen
identisch sind mit Lymphdrüsen, dann ist die akute Tonsillitis (Angina)
als eine vom Quellgebiet dieser Lymphknoten aus induzierte Entzündung
aufzufassen. “
Vergleichen wir mit dieser Ansicht Schoenemanns die tägliche
klinische Erfahrung.
Wie verhält es sich damit?
In der Tat sprechen eine Reihe klinischer Beobachtungen sehr zu-
gunsten der Annahme, dass das ätiologische Moment vieler Anginen nicht
in einer primären Infektion der Tonsille selbst zu suchen ist, sondern dass
die Invasionspforte des die Tonsillitis bedingenden Virus an einer ganz
anderen Stelle liegt.
F. Henke, Die physiologische Bedeutung der Tonsillen. 239
Vor vielen Jahren schon hat Fränkel bekanntlich darauf aufmerksam
gemacht, dass nach operativen Eingriffen in der Nase nicht selten eine
deutliche auf die Mandeln allein lokalisierte Angina auftritt.
Welcher Rhinologe hätte diese „Angina traumatica postoperativa“
noch nicht gesehen ?
Ferner, wie häufig folgt nicht einem eitrigen Schnupfen eine eitrige
Mandelentzündung auf dem Fusse nach. Dass in derartigen Fällen die
Angina eine Sekundärlokalisation der Infektion darstellt, dürfte wohl kaum
irgend jemandem zweifelhaft erscheinen.
Bereits Fränkel sprach seinerzeit als erster die durchaus plausible
Vermutung aus, dass diese Tonsillitiden auf dem Wege der Lymphbahnen
entstehen.
Demgegenüber ist eingewendet worden, es handle sich in solchen
Fällen um Infektionen von der Oberfläche der Mandeln aus, um Infektionen
gleichsam per continuitatem, indem die Bakterien auf der Schleimhaut
durch das Cavum pharyngonasale abwärts nach dem Rachen wandern.
Zur Klärung der Frage wurden experimentelle Untersuchungen an-
gestellt.
Schoenemann spritzte bei Patienten, welche zur Tonsillotomie be-
stimmt waren, Jodlösungen in die Schleimhaut der Nase. Nach Heraus-
nahme der Mandeln liess sich das Jod in den veraschten Tonsillen stets
nachweisen.
Lenart injizierte an Stelle der löslichen Jodsalze bei den Versuchen,
welche er ebenfalls zum Zwecke des Studiums des Zusammenhanges des
Lymphgefässystems der Nasenhöhle und der Tonsillen anstellte, körnige,
in Wasser und Gewebsflüssigkeit unlösliche Stoffe in die Schleimhaut der
Nase von lebenden Kaninchen, Hunden und Ferkeln. Er konnte diese
Körnchen bereits 24 Stunden nachher im Gewebe der Tonsillen nach-
weisen, und zwar bei einseitiger Injektion in beiden Mandeln und auch
in den adenoidartigen Schleimhautpartien, welche ihrer Lage nach der
Luschkaschen Drüse beim Menschen entsprechen.
Lenart sah bei seinen mikroskopischen Präparaten massenhaft Pig-
mentkörnchen hauptsächlich in den tieferen Partien der Tonsillen liegen,
vereinzelt auch in Epithel, zum Teil zwischen den Epithelzellen in Leuko-
zyten eingebettet.
Auf Grund seiner Versuche kam Lenart zu der Ueberzeugung, dass
die Körnchen von der Nase auf dem Lymphwege nach den Tonsillen ge-
langt waren.
Da in seinen Präparaten vereinzelte Körnchen auch im Epithel sich .
vorfanden, kommt Lenart bereits zu dem, wie wir später sehen werden,
äusserst beachtenswerten Schluss — dem er allerdings selbst nicht die
hohe Bedeutung beizumessen scheint, welche dieser Frage in der Tat zu-
kommt —, nämlich, dass Fremdkörper, die in die Tonsillen gelangen, zum
Teil gegen die Oberfläche derselben ausgeschaltet werden.
Die Lenartschen Experimente schienen also, wenn auch nicht ohne
240 F. Henke, Die physiologische Bedeutung der Tonsillen.
jeden Einwand, dafür zu sprechen, dass direkte Lymphbahnen von der
Nase nach der Tonsille führen, zum mindesten bei den Tieren, welche
Lenart zu seinen Versuchen benutzte.
Gegen die von Schoenemann am Menschen angestellten, oben
berichteten Versuche, welche die strittige Frage entscheiden sollten, sind
wohl nicht mit Unrecht erhebliche Bedenken geltend gemacht worden.
Die löslichen Jodsalze verteilen sich im Körper ausserordentlich
schnell, und Schoenemann hätte vielleicht zu derselben Zeit nicht nur
in den Tonsillen, sondern auch in anderen Organen Jod nachweisen können.
Es war also noch durch exaktere experimentelle Versuche die Frage
zu beantworten: „Wie gestaltet sich der Zusammenhang des Lymph-
systems der Nase und der Tonsillen beim Menschen?“
Bevor ich an die Entscheidung dieser Frage herantrat, habe ich die
Resultate Lenarts im Tierversuch nachgeprüft und bestätigt gefunden.
Dann ging ich dazu über, die, wie festgestellt war, durchaus harmlosen
und ungefährlichen Versuche auf den Menschen zu übertragen.
Es geschah dieses in folgender Weise:
Einer Reihe Patienten, die zur Entfernung der Gaumen- und Rachen-
mandeln bestimmt waren, wurden einige Zeit vor dem Eingriff, mit ihrer
Einwilligung, kleinste Mengen feinster sterilisierter Russaufschwemmungen
in die verschiedensten Teile der Nase, nämlich unter die Schleimhaut
der unteren und mittleren Muschel, des Septums und des Nasenbodens
injiziert. Ich will vorausschicken, dass ich bisher bei den so behandelten
Patienten auch nicht ein einziges Mal unerwünschte Nebenerscheinungen,
sei es an der Injektionsstelle, sei es anderswo gesehen habe. In ver-
schiedenen Zeiträumen nun, von 6 Stunden bis zu 6 Tagen, wurden die
Mandeln dieser Patienten entfernt und darin nach dem Verbleib der in
die Nasenschleimhaut injizierten Russaufschwemmungen gesucht. Aus der
Injektionsstelle verschwanden sie meistens bald, fanden sich aber in der
Regel in grösster Menge meistens schon nach 24 Stunden in den Tonsillen
wieder, und zwar nach Injektion in die rechte Nasenhälfte nicht nur in
der rechten, sondern auch in der linken Tonsille, gewöhnlich fast
gleichzeitig, ebenso auch in der Rachenmandel.
Die Lagerung der schwarzen Körnchen in den mikroskopischen Prä-
paraten sprach in überzeugender Weise dafür, dass die Russteilchen aus
der Nase auf dem Lymphwege nach den Tonsillen gelangt waren. Niemals
fanden wir in den Blutgefässen der Tonsillen diese korpuskulären Elemente,
wohl aber waren in zahllosen Präparaten die perivaskulären Lymphräume
dicht angefüllt.
Auf diese Weise war also der Beweis geliefert, dass auch beim
Menschen direkte Lymphverbindungen von der Nase nach den Tonsillen
führen, und dass zwischen den Lymphgefässen der drei Tonsillen ein inniger
Zusammenhang besteht.
Bei diesen Versuchen fiel es auf, dass sich bei einer ganzen Reihe
von Serienschnitten häufig auch nicht die geringsten Spuren von Russ
m 2 am
F. Henke, Die physiologische Bedeutung der Tonsillen. 241
fanden, während plötzlich im weiteren Verfolg der Schnittserie derselben
Tonsille Präparate entstanden, die grosse Mengen der in die Nase
eingespritzten Russteilchen enthielten, die gleichsam über und über mit
Russ besät erschienen. Daraus geht hervor, dass nicht die gesamte
Tonsille, sondern immer nur einzelne Abschnitte die von der Nase nach
hier transportierten Fremdkörperchen enthalten, oder aber anders aus-
gedrückt, der von den einzelnen Nasenabschnitten kommende Lymphstrom
passiert nur bestimmte Abschnitte der Tonsille.
Derartige Befunde sind um so weniger befremdend, als sie bei Lymph-
drüsen, z. B. in der Nähe von Tätowierungsherden der Haut eine bekannte
Erscheinung sind. Auch hier lässt sich nämlich der zur Tätowierung benutzte
Farbstoff immer nur in einzelnen Abschnitten der regionären Lymphdrüsen,
deren Quellgebiet der Tätowierungsherd ist, nachweisen. Die mikroskopischen
Präparate dieser häufig schon makroskopisch kenntlichen Drüsenabschnitte
enthalten stets zahlreiche Farbstoffpartikelchen; ganz analog enthielten die
Tonsillen der von uns behandelten Patienten auch nur in gewissen Bezirken
die Russkörnchen. Hinzufügen möchte ich jedoch, dass makroskopisch sicht-
bare Färbungen der Tonsillen auf den verschiedensten Querschnitten bei
unseren Untersuchungen niemals vorhanden waren. Die Körnchen liessen
sich aber mikroskopisch in allen Schichten der Tonsille, besonders in den
ersten Tagen nach der Injektion nachweisen, im Epithel, im subepithelialen
Gewebe, in den Lymphräumen und Lymphgefässen der Bindegewebsbalken,
in den die Tonsillen durchziehenden Lymphsinus, in den perivaskulären
Lymphräumen, rund um die, Follikel herum, aber vereinzelt auch im
Inneren der Follikel, kurz eigentlich überall, nur nicht im Lumen der
Blutgefässe (Fig 2).
Wir haben dann das Schicksal der Russpartikelchen in den Tonsillen
weiter verfolgt. Dabei zeigte es sich, dass dieselben meist schon nach
einigen Tagen aus der Tonsille verschwunden waren. Wenn wir nämlich
längere Zeit nach der Injektion die Tonsillen entfernten und untersuchten,
so fanden wir sie stets frei von Russ.
Es war jetzt die Frage zu beantworten, auf welchem Wege diese Ab-
wanderung stattfindet.
Zahlreiche mikroskopische Untersuchungen zeigten nun, dass grosse
Massen der Russpartikelchen durch das Epithel hindurch nach der Ober-
fläche der Tonsillen, also nach dem Lumen des Rachens herausbefördert
werden. Diese Wanderung der Russpartikelchen mit der Richtung nach
der Oberfläche der Tonsille liess sich gleichsam wie die Richtung eines
Stromes auch gewöhnlich schon in den tieferen Partien der Mandeln mit
Sicherheit nachweisen (Fig. 2).
Es drängte sich uns nun weiter die interessante Frage auf, ob die
Tonsille nur diejenigen Fremdkörper auf diesem Wege eliminiert, die ihr
von der Nase zugeführt werden, oder ob auch dergleichen Fremdkörper,
die an anderen Stellen in das Gewebe Eingang gefunden haben, durch die
Tonsillen herausbefördert werden können. Wir spritzten zu diesem Zwecke
242 F. Henke, Die physiologische Bedeutung der Tonsillen.
kleine Mengen Russaufschwemmungen ins Zahnfleisch des Oberkiefers ein.
Wiederum fanden sich die Russpartikelchen, diesmal etwas später, d. h. erst
nach 36—48 Stunden in den Tonsillen wieder, und zwar jetzt nur in den beiden
Gaumentonsillen, nicht aber in der Rachentonsille, bei einseitiger Einspritzung
auch in der andersseitigen Tonsille. Wiederum zeigten die mikroskopischen
Bilder deutlich und unverkennbar den bereits erwähnten Eliminationsvorgang.
Dieses Ergebnis ist um so interessanter, als bisher überhaupt noch
nicht festgestellt war, dass direkte Lymphwege vom Zahnfleisch nach den
Tonsillen führen.
Ich habe die Literatur über die Lymphgefässe des Zahnfleisches noch
einmal daraufhin durchgesehen. Die älteren Werke enthalten keine ein-
gehenden Studien und Angaben darüber. Der einzige ältere Autor, bei
dem ich bezügliche Aeusserungen fand, ist Cruikshank; er gibt an, dass
die Lymphgefässe „des Zahnfleisches, des Alveolarrandes und der Tonsillen“
der Arteria maxillaris externa folgen und nach Ueberschreiten des unteren
Kieferrandes sich der Vena jugularis externa anschliessen.
Später haben sich eine Reihe Autoren eingehender mit den Lymph-
gefässen des Zahnfleisches und den regionären Lymphdrüsen beschäftigt.
Ich nenne die Arbeiten von Sappey, Dorendorf, Poirier und Cunéo,
Pölya und Navratil, Most, Stahr, Gussenbauer, Partsch, Ollen-
dorf und vor allem auch Schweitzer.
Der letztere Autor, der sich in einer recht guten und ausführlichen
Arbeit mit den Lymphgefässen des Zahnfleisches beschäftigt, kommt nach
eingehendem Studium der Literatur und auf Grund zahlreicher eigener
Untersuchungen zu dem Schluss:
„Das gesamte Zahnfleisch der beiden Kiefer ist von einem äusserst
zarten und engmaschigen, für das Auge nur mit Lupenvergrösserung deut-
lich erkennbaren Lymphgefässnetz durchzogen, aus welchem die Lymphe
hauptsächlich nach aussen, also nach der Wange zu, aber auch nach
innen, nach dem Gaumen zu, bzw. an der lingualen Fläche des Unter-
kiefers herab und entlang fast ausschliesslich zu den submaxillaren und
tieferen Zervikallymphdrüsen hin abfliesst.*
Bei keinem einzigen der erwähnten Autoren aber fand ich die Tat-
sache verzeichnet, dass zwischen Zahnfleisch und Tonsillen Lymphver-
bindungen existieren; offenbar hatten alle diese Forscher nicht daran ge-
dacht, die Tonsillen mikroskopisch daraufhin zu untersuchen.
Es muss diese Feststellung daher als „neu“ bezeichnet werden.
Die Invasionspforte der Fremdkörper, welche nach der Tonsille ge-
langen, in derselben zurückgehalten und durch dieselbe eliminiert werden,
ist also keineswegs immer nur in der Nase zu suchen. Auch an anderen
Stellen bei meinen Versuchen, z. B. vom Munde aus in den Organismus ein-
gedrungene fremde Elemente können, wenn sie von dem Lymphstrom nach
den Tonsillen transportiert werden, durch dieselben ausgeschaltet werden.
Wie nun aber, muss die weitere Frage lauten, geht dieser Aus-
schaltungsmechanismus vor sich?
an. rg
F. Henke, Die physiologische Bedeutung der Tonsillen. 245
Die Antwort auf diese Frage ist zweifellos von hoher Bedeutung. da
sie uns zugleich über andere noch nicht hinreichend geklärte Fragen
manchen Aufschluss zu geben geeignet sein dürfte, nämlich über den
Emigrationsmechanismus der weissen Blutkörperchen aus den Tonsillen,
über den hypothetischen Lymphstrom und über die von Stöhr ange-
nommenen, von Brieger und seiner Sehule in Abrede gestellten Epithel-
lücken, sog. physiologischen Wunden.
Nach meinen mikroskopischen Präparaten zu urteilen, schien es an-
fangs so, als würde der Russ an der Injektionsstelle, nämlich in der Nase
oder im Munde in kleinste Teilchen zerlegt, von den Leukozyten aufge-
nommen, weitergeschleppt und durch die Tonsillen herausbefördert.
Je mehr Versuche ich aber anstellte, und je genauer ich allmählich
die Präparate beurteilen lernte, desto klarer wurde es, dass bei dem ge-
schilderten Eliminationsvorgang die Leukozyten eine nur ganz unter-
geordnete Rolle spielen müssen. Die Hauptmasse des Russes nämlich wird
nicht von den Leukozyten durch das Epithel der Tonsille nach dem
Lumen heraustransportiert. sondern in Form feinster Partikelchen
sehwemmt ein von innen nach aussen gerichteter Lymphstrom den Russ
aus dem Körper durch die Tonsille nach dem Rachen heraus. Es gelang,
diesen Lymphstrom in durchaus überzeugender Weise zu Gesicht zu bringen.
Man konnte ganz besonders im Epithel den Saftstrom in zweifacher
Weise beobachten.
Auf sehr dünnen Schnitten bei stärkster Vergrösserung sah man ge-
wöhnlich ein gleichsam schleierartiges schwarzes Fasernetz, welches das
gesamte Tonsillenepithel durchzog. Bei genauem Zusehen und beim Be-
wegen der Mikrometerschraube konnte man feststellen, dass diese netz-
förmige Figur genau die Grenzen der einzelnen Epithelzellen nachahmte.
Der Flüssigkeitsstrom, in dem die kleinsten Partikelchen schwimmen, umfliesst
also gewissermassen die einzelnen Zellen, die wie Inseln in der Mitte liegen,
drängt die die Zellen verbindende Kittsubstanz auseinander und füllt so
die interzellulären Räume scheinbar völlig aus (Fig. 2 u. 3). Die Strom-
richtung ist nach der freien Oberfläche der Tonsille, auf der sich die
bereits hier angeschwemmten Russpartikelchen bei vielen Präparaten gut
differenzieren liessen.
Neben dieser feinen, gleichsam netzförmigen Figur, die von den kleinsten
Russpartikelehen gebildet wurde, konnte man als zweiten Ausschaltungsmodtus
vrössere Pigmentschollen im Epithel nachweisen. Sie hatten meistens. jedoch
nicht immer, die Form der um sie herumlagernden Epithelzellen und wurden
gewöhnlich flacher, je mehr sie sich der Oberfläche näherten (Fig. 3). Wir
hielten anfangs diese Elemente für Leukozyten, die sich mit Russpartikelchen
vollgefressen hatten, konnten jedoch kaum in einem Falle einen Kern wahr-
nehmen. Sodann fiel es auf. dass sie an Grösse vielfach selbst die aller-
grössten weissen Blutkörperchen manchmal nicht unerheblich tibertrafen.
Wir gelangten daher alsbald zu der Ueberzeugung, dass die Lagerung
dieser Pigmentschollen keine intra-. sondern eine interzelluläre sein
Archiv tir Larynyologie, 28. Bd. 2. Heft. 17
244 F. Henke, Die physiologische Bedeutung der Tonsillen.
musste, diese Annahme fand dann auch eine Stütze durch weitere Experi-
mente.
Ich hatte. wie bereits gesagt. durch Untersuchungen am lebenden
Menschen festgestellt, dass direkte Lymphverbindungen nicht nur von der
Nase, sondern auch vom Zahnfleisch zu den Tonsillen führen.
Die ins Zahnfleisch eingespritzten Russaufschwenmmungen waren in den
Tonsillen wieder gefunden worden. An Leichenversuchen war bisher das
Vorhandensein von direkten Lymphverbindungen der letztgeschilderten Art
noch nicht festgestellt worden.
Trotz der beweiskräftigen mikroskopischen Befunde hätte man immer
noch einwenden Können, der Transport der in das Zahnfleisch eingespritzten
feinen Russteilchen erfolgt doch durch die Leukozyten, welche die Körnchen
in sich aufnehmen und nach den Tonsillen weiter tragen.
Um nun diese Frage auch experimentell noch sicherer zu entscheiden.
ving ich auf Rat des Herrn Prof. Bartels vom hiesigen anatomischen
Institut zu weiteren Versuchen über.
In derselben Weise wie am Menschen in vivo. nahm ich am Kadaver
eines Tieres ganz entsprechende Untersuchungen vor, d. h. ich spritzte einer
Katze 1! Stunden nach dem durch Chloroform herbeigeführten Tode kleinste
Mengen Russaufschwemmungen in das Zahnfleisch ein. Hier haftet das Gewebe
so fest auf der Unterlage, dass man gute Chancen hat, bei wiederholten In-
jektionen den einen oder anderen nach abwärts führenden Lymphweg zu füllen.
Die Einspritzung wurde an drei versehiedenen Stellen des Zahnfleisches
des Oberkiefers vorgenommen. Gegen das Eindringen der Injektionsflüssigkeit
macht sich am Zahnfleisch meist ein stärkerer Widerstand geltend, der
durch die Spannung des Gewebes vor der Kanülenspitze hervorgerufen wird.
Es ist daher zweckmässig, nach erfolgtem Einstich die Kanüle etwas
zurückzuziehen, dadurch tritt eine Entspannung des Gewebes vor der
Kaniilenspitze ein und die Injektion geht leichter und besser vor sich.
Der Russ musste also bei diesen Versuchen, wenn unsere für den
Menschen in vivo festgestellten Iymphatischen Verbindungswege auch beim
Tier (hier Katze) bestehen, in den Tonsillen des Versuchstieres frei, d.h.
nicht intraleukozytär gelagert, nachweisbar sein.
Das gelang auch in der Tat. Genau wie bei den am lebenden Menschen
angestellten Untersuchungen fanden sich die Tonsillen der Katze makro-
skopisch unverändert, mikroskopisch aber zeigten sich massenhaft
Russpartikelchen in den Tonsillen der injizierten Seite, und zwar wiederum
in allen Schichten des Tonsillargewehes (Fig. 1).
Die Lagerung der schwarzen Körnchen in den mikroskopischen Prä-
paraten war genau dieselbe, wie in den früher von Menschen in vivo
gewonnenen Tonsillen. Trotz des positiven Ausfalls dieser Untersuchung
am Katzenkadaver schien es erforderlich, diese Versuche noch einmal an
einer menschlichen Leiche vorzunehmen. die vorausgegangenen Unter-
suchungen am Menschen waren ja, um dies noch einmal zu betonen. stets
in vivo gemacht worden.
F. Henke, Die physiologische Bedeutung der Tonsillen. 245
Dabei kam mir ein Zufall ausserordentlich zu Hilfe. Ein Patient war
infolge eines ausgedehnten Furunkels der Oberlippe ad exitum gekommen.
Infolge der Nähe des primären Eiterherdes war das gesamte Zahnfleisch
des Oberkiefers in Form des kollateralen Oedems an der Entzündung
beteiligt. Die Schleimhaut war aufgelockert und stark ödematös durch-
tränkt, Blut- und Lymphgefässe waren ad maximum naturgemäss erweitert.
Der Fall eignete sich also zu unseren Versuchen ganz ausserordentlich:
bei der starken Erweiterung der Lymphgefässe. die ja in derartigen Fällen
eine allgemein bekannte Regel ist, waren die Chancen des guten Gelingens
einer Lymphgefässinjektion die denkbar besten.
Es wurde daher zwei Stunden nach erfolgtem Exitus eine Chinatusche-
injektion ins Zahnfleisch des Oberkiefers vorgenommen, wiederum wurde
an drei verschiedenen Stellen eingestochen. Zwei Stunden nach der Injektion
wurden bei der Sektion die Tonsillen sorgfältig herausgenommen, in der
üblichen Weise gehärtet und in Paraffin eingebettet.
Die mikroskopischen Untersuchungsergebnisse waren ausserordentlich
interessant.
Die Blutgefässlumina, die sonst bei den mikroskopischen Tonsillen-
bildern nicht besonders in den Vordergrund treten, waren so ausser-
ordentlich zahlreich und meist so gross, dass fast in jedem Gesichtsfeld
sich ein Blutgefäss vorfand, während unter normalen Verhältnissen sich
nur hin und wieder ein Gefäss zeigt. d. h. die Tonsillen bei diesem
an einer allgemeinen Staphylomykose verstorbenen Manne waren ganz
auffallend blutreich, die Gefässe waren alle ad maximum erweitert und
gefüllt, selbst dicht unter dem Epithel fanden sich ausserordentlich zahl-
reiche Blutgefässlumina von einer Weite, die wir trotz vieler Hunderter
von Untersuchungen noch nicht beobachtet hatten.
In allen Schichten der Tonsille konnte ich bei einer Reihe von
Schnitten massenhaft Tuschkörnchen nachweisen. Nicht ein einziges der
zahlreichen Blutgefässe aber enthielt auch nur ein sehwarzes Körnchen, viel-
fach hingegen waren wieder die perivaskulären Lymphräume dicht an-
gefüllt. Auch das Epithel war an einzelnen Abschnitten über und über
mit den schwarzen Pigmentkörnchen angefüllt, welche zum Teil an der
Aussenseite des Epithels bereits angelangt waren und noch an der Oher-
fläche der Tonsille hafteten (Fig. +4).
Abgesehen davon, dass die schwarzen Pigmentschollen zum Teil er-
heblich grösser waren als die grössten weissen Blutkörperchen, ist es wohl
kaum denkbar, dass auch hier beim toten Menschen und Tier die Russ-
teilehen von den Leukozyten aufgenommen und weitergeschleppt worden
sind. Der Vorgang ist wohl lediglich als ein rein mechanischer aufzufassen.
Der Injektionsdruck ahmt gleichsam die natürlichen Verhältnisse nach.
indem er zum guten Teil die vis a tergo, welche den Lymphstrom am
lebenden Organismus bewegt, ersetzte. Das Auseinanderweichen der Zellen.
in deren Zwischenräume sich der die Russpartikelcehen tragende Lymph-
strom drängte, wurde hier wie dort beobachtet. ganz gleiche Bilder. jedoch
17*
246 F. Henke, Die physiologische Bedeutung der Tonsillen.
sahen wir bei dieser Durchwanderung der Russ- und Farbkörnchen durch
das Epithel niemals direkte Epithellücken entstehen.
Wie sehon gesagt, sprachen alle mikroskopischen Bilder deutlich
dafiir, dass der Transport der Russ- und Chinatuschepartikelchen
sowohl von der Nase als auch vom Zahnfleisch nur auf dem
Lymphwege nach der Tonsille erfolgt sein konnte.
Um aber jeden Irrtum und jeden Zweifel auszuschliessen. und der
solchen Untersuchungen gegenüber dringend gebotenen Skepsis, sowohl des
Untersuchers als auch des Beurteilers gerecht zu werden, war noch eine
notwendige Forderung zu erfüllen.
Man hätte immer noch einwenden können, die Farb- und Russ-
partikelchen könnten möglicherweise dadurch von der Injektionsstelle nach
den Tonsillen gelangt sein, dass bei dem Einstich ein nach der Tonsille
führendes Blutgefäss getroffen wurde, welches später zerplatzte. |
Allerdings ist dem gegenüber noch einmal zu betonen, dass trotz der
ausserordentlich zahlreichen mikroskopischen Präparate auch nicht ein
einziges Mal ein Blutgefässlumen sich fand, in dem sich die schwarzen
Körnchen nachweisen liessen. Um nun auch derartigen Einwürfen erfolg-
reich zu begegnen, war es nötig, an einem Kadaver neben der Injektion
der Lymphgefässe gleichzeitig eine allen Anforderungen entsprechende gute
Blutgefässinjektion vorzunehmen. Zu diesem Zwecke wurde eine aus-
gewachsene Katze durch Chloroform getötet.
Eine Stunde post mortem, vor Eintritt der Starre, wurde in der bereits
früher beschriebenen Weise eine Injektion in das Zahnfleisch des Oberkiefers
mit Chinatusche vorgenommen.
Die Injektion erfolgte mit besonderer Vorsicht, langsam und ohne
starken Druck, um möglichst Zerreissungen und Extravasatbildungen zu
vermeiden. Die Injektion wurde an drei verschiedenen Stellen des Zahn-
Neisches des Oberkiefers vorgenommen.
Wir wählten zu diesen Versuchen das Zahnfleisch, weil dieses namentlich
wegen des sehnigen Baues der Submukosa fest auf der Unterlage aufliegt.
Die Chancen. den einen oder anderen nach der Tonsille eventuell führenden
l,ymphweg zu füllen, sind daher erheblich grösser als in der Nase.
Die teils parallel, teils senkrecht, teils schräg zur Oberfläche verlaufenden.
fest aneinandergefügten und sich direkt mit den Bündeln des Periostes ver-
bindenden Faserzüge der Submukosa verleihen nach den Untersuchungen
Ellenbergers dem Zahnfleisch aller Tiere ein filziges, festes Gepräge.
Gemäss dem Vorschlage des Herrn Prof. Bartels wurde die Injektion
der Lymphgefässe vor derjenigen der Blutgefässe vorgenommen.
Nach der Erfahrung der Anatomen, die sich gerade mit der Dar-
stellung und Erforschung des Lymphsystems am eingehendsten beschäftigt
haben, ist es bei Lymphgefässuntersuchungen in straffem und hartem Gewebe
zweckmässig, die Injektion der Lymphgefässe vor derjenigen der Blutgefässe
vorzunehmen, besonders wenn es sich um eine gute Darstellung gerade des
Lymphsvstems handelt.
F. Henke, Die physiologische Bedeutung der Tonsillen. 24
Nach vorausgegangener Blutgefässinjektion gelingt gewöhnlich in-
folge der durch die pralle Füllung der Gefässe entstandenen Gewebs-
spannung die Injektion der Lyimphwege erheblich schlechter.
Ausserdem wird durch die starke Anwärmung des Tieres. welche
während einer Blutgefässinjektion nötig ist, das Gewebe und damit natürlich
auch das Lymphsystem stets mehr oder minder stark geschädigt.
Es erfolgte also die Chinatuscheinjektion ins Zahnfleisch zuerst. !, Stunde
nach der Tuscheinjektion wurde die Blutgefässinjektion vorgenommen.
‚Möglichst ohne Blutverlust wurde die Carotis communis freigelegt und
darauf die Injektionskanüle in das eröffnete Gefäss eingebunden. Alsdann
fand eine Anwärmung des Tieres im Wasserbade auf die Verflüssigungs-
temperatur der Berliner Blau-Leimlösung statt, welche zur Injektion des
Blutgefässsystems benutzt werden sollte.
Nachdem die Injektion gut und vollständig gelungen und eine totale
Blaufärbung des Tieres eingetreten war, wurde eine Abkühlung der ganzen
Katze in kaltem fliessendem Wasser vorgenommen.
Nach vollkommener Erstarrung der Leimmassen wurde der Kopf vom
Rumpf abgetrennt und in 96 proz. Alkohol fixiert.
Nach einigen Tagen wurden beide Tonsillen sorgfältig isoliert. heraus-
präpariert und in der üblichen Weise in Paraffin eingebettet.
Die mikroskopischen Bilder zeigten klar und deutlich, dass sich das
gesamte Blutgefässsystem, auch die Kapillaren der Tonsillen, überall hin-
reichend mit der injizierten Berliner Blau-Leimlösung gefüllt hatten. Daneben
aber enthielt ganz besonders die eine Mandel massenhaft Chinafarbstoff-
partikelchen, und zwar liessen sich wiederum in allen Schichten des
Tonsillargewebes die Farbelemente nachweisen, nur die Blutgefässe und
Kapillaren enthielten auch nicht ein einziges Mal auch nur Spuren von
Chinatusche.
Im übrigen aber ziehen sich in den Präparaten die schwarzen Körnchen
gleichsam in langen Reihen dicht aneinander gedrängt durch die ganze
Substanz der Tonsille hin, durchwandern das Epithel und gelangen, genau
wie bei unseren früheren experimentellen Feststellungen, nach der freien
Oberfläche der Tonsille: dicht angefüllt mit den schwarzen Körnchen
ist vor allem das interfollikuläre Gewebe, besonders um die Follikel
herum. Mit dem Bilde eines Ameisenhaufens, den gerade Hunderte und
Tausende von Tierchen auf wohl ausgebauten Strassen verlassen, könnte
man die Bilder dieser und der bereits früher gewonnenen Präparate ver-
gleichen (Fig. 5).
Ganz besonders interessant ist es auch, wie häufig die Lymphscheiden
der blau injizierten Blutgefässe mit schwarzen Farbstoffelementen an-
zefüllt sind (Fig. 6).
Die Lagerung der Körnchen im Gewebe der Tonsille war genau die-
selbe wie in den früher von Menschen in vivo gewonnenen Mandeln.
Diese Bilder lassen einen Zweifel darüber. dass die in das Zahnfleisch
injizierte Chinatusche auf dem Lymphwege nach den Tonsillen gelangt ist,
248 t. Henke, Die physiologische Bedeutung der Tonsillen.
nieht mehr zu, auch der grösste Skeptiker dürfte nicht mehr umhin
können, diese Beweise als überzeugend anzuerkennen.
Durch die Versuche dürfte es also als nachgewiesen anzusehen sein.
dass direkte Lymphwege nicht nur von der Nase, sondern auch vom Munde
aus (Zahnfleisch) nach den Tonsillen führen, welche den Transport der
verschiedensten dort in das Gewebe eingedrungenen Elemente nach den
Mandeln bewerkstelligen.
Ferner ist festgestellt. dass ein kontinuierlicher Lymph-
strom die Tonsillen von innen nach aussen durehströmt.
Dieser Lymphstrom muss Infektionen von aussen. d.h. von der Ober-
fläche der Tonsillen, verhindern oder aber zum mindesten erheblich er-
schweren können. müssten doch die Bakterien hier gegen den Strom
sehwimmen, ausserdem aber besitzt dieser Flüssigkeitsstrom, wie wir ge-
sehen haben, die Fähigkeit, eingedrungene fremde Elemente. also natur-
gemäss auch Bakterien, durch die intakte Tonsille herauszuschwemmen
und nach aussen zu eliminieren: gerade diese Tatsache aber scheint einen
besonders wichtigen Schutzmechanismus darzustellen.
Damit fällt die Theorie von der unbedingten Schädlichkeit und
dem angeborenen Locus minoris resistentiae der Tonsillen.
Auch diese Organe sind von Natur aus nicht dazu geschaffen. um
Schädlinge für Leben und Gesundheit des Menschen darzustellen. wie un-
zählige Arbeiten in der Literatur uns glauben machen wollten.
Wie alle Organe, so haben auch die Mandeln Aufgaben zu erfüllen
im Haushalte des Organismus, auch sie haben, wie aus den soeben dar-
gelegten Feststellungen hervorgeht, eine physiologische Bedeutung.
Es ist dabei sehr wohl denkbar und möglich, dass die Mandeln nicht
für alle Altersstufen die gleiche physiologische Rolle spielen, vielleicht
ist die Funktion dieser Organe für das Kindesalter besonders zu bewerten,
da ja in dieser Zeit bekanntlich der Iymphatische Waldeversche Rachen-
ring auf der Höhe seiner Entwicklung steht.
Je merklicher mit dem fortschreitenden Alter die an den Tonsillen unter
normalen Verhältnissen beobachteten Rückbildungsvorgänge auftreten, desto
geringer wird wahrscheinlich ihre physiologische Tätigkeit und Bedeutung.
Genauere Aufschlüsse über diese Fragen werden uns hoffentlich bald
weitere Untersuchungen und Nachforschungen bringen.
In diesem Zusanmmenhange will ich nicht verfehlen, die Experimente
zu erwähnen. welche Federici vor kurzem anstellte, um die physiologische
Bedeutung der Tonsillen zu studieren.
Federiei injizierte fein verriebenes. in phvsiologischer Kochsalzlösung
suspendiertes Farbpulver (Karmin, Cochenille) in das venöse System
von Hunden und Konnte die Farbkörnchen stets bereits nach einem Tage
in Leukozyten eingebettet und zum Teil auch frei in den Tonsillen nach-
weisen, auch sah er einige dieser Fremdkörper durch das Epithel der
Mandeln hindurchwandern. Gleiche Resultate erzielte er, wenn statt der
Farbkörnchen eine Aufschwemmung von Kochschen Tuberkelbazillen ver-
F. Henke, Die physiologische Bedeutung der Tonsillen. 249
wendet wurde. Auch bei Injektion dieser Bakterien in den Pleura- oder
Peritonealraum fand Federici jene bereits nach 24 Stunden in den Ton-
sillen und einige auch bereits im Epithel.
Auf Grund dieser Experimente kommt Federici zu dem Schluss:
Die Tonsillen sind zum mindesten teilweise dazu bestimmt. das Blut von
"remdkörpern, von korpuskulären Elementen und von Bakterien. die sich
im Blutkreislauf und im Organismus befinden, zu reinigen.
Gegen Federiei und seine Ansicht hat sich eine Reihe Autoren. vor
allem Görke. ganz entschieden ausgesprochen.
Görke hat eine Nachprüfung dieser Experimente vorgenommen und
injizierte bei zwei Kaninchen ebenfalls eine Karminaufschwemmung (zwei
Pravazspritzen zu 1,0) in das venése System. Er fand hierauf die Lungen
stark angefüllt mit den Körnchen, konstatierte dieselben aber auch in
anderen Organen, z. B. den Nieren, wohin sie nach Passierung der Lungen-
kapillaren gelangt waren. „Ich sah auch schliesslich‘. fährt Görke fort.
„einige spärliche Körnchen in den Tonsillen“. „Dabei ist*. fügt er hinzu,
„nichts Wunderbares, denn bei der Masse der injizierten Körnchen wird der
Zufall sie ebenso nach der Tonsille, wie wo andershin führen können; des-
gleichen ist es möglich, dass die in die Tonsillen geratenen Körnchen
später mit dem Emigrationsstrom an die Oberfläche gerissen werden.”
Leider ist mir der Originalvortrag Federicis nicht zugänglich ge-
wesen, aber der Inhalt des Referates konnte mich ebensowenig wie Lörke
davon überzeugen, dass Federici den Beweis für die von ihm ausge-
xprochene Ansicht, die Tonsillen bilden als Exkretionsorgane für den
Organismus einen wichtigen Schutzmechanismus, erbracht hat.
Uebrigens schon im Jahre 1586 konnte Siebel bei seinen experimen-
tellen Studien über das Schicksal von Fremdkörpern in der Blutbahn ähn-
liche mikroskopische Befunde feststellen.
Bei einem Hunde nämlich, der 24 Stunden nach einer Injektion von
Indigo in die Vena jugularis getötet wurde, fand Siebel einen nicht un-
bedeutenden Teil des injizierten Indigo in den Tonsillen wieder.
„Es fand sieh”, schreibt Siebel. „an dünnen Schnitten nicht bloss
Indigo in den Lymphfollikeln der Tonsillen, sondern auch im Epithel in
durchwandernden Iymphoiden Zellen enthalten. Ausserhalb des Epithels
fand sich ebenfalls bereits Farbstoff vor, und zwar sowohl in sogenannten
Schleimkörpern eingeschlossen als auch frei.”
Diese Befunde sind interessant und beachtenswert, so weitgehende
Schlüsse aber allein aus derartigen Experimenten zu ziehen. wie Federici
es tat, ist doch wohl nicht angängig.
Fassen wir noch einmal das zusammen, was bisher über die physio-
logische Bedeutung der Tonsillen als feststehende Tatsache bekannt war
und fügen wir ganz kurz das Ergebnis der hier ausführlich dargelegten
experimentellen Untersuchungen hinzu, so kommt man zu folgendem Resultat:
Die Funktion der Tonsillen gleicht derjenigen der gewöhnlichen Lymph-
drüsen.
250 F. Henke, Die physiologische Bedeutung der Tonsillen.
Sie dienen zur Bildung neuer weisser Blutzellen und stellen Filter tür
die durchströmende Lymphe dar. Fremdkörper, Bakterien usw. können in
den Tonsillen aufgehalten und unschädlich gemacht werden wie in den
Lymphdriisen. Von letzteren jedoch unterscheidet sich die Tonsille in
einem scheinbar äusserst wiehtigen Punkt, der noch dazu in der ana-
tomischen Verschiedenheit dieser Organe eine durchaus plausible Erklärung
zu finden scheint. Die Lymphdrüsen nämlich sind stets von einer binde-
gewebigen Kapsel total umschlossen. die Tonsillen aber ragen an einer
Seite, nämlich an der Oberfläche frei in die Rachenhöhle hinein.
Durch diese freie Oberfläche nun, deren Ausdehnung durch die
ins (Gewebe tief einschneidenden Buchten oder Krypten zweck-
entsprechend vergrössert ist, befördert der Organismus fremde
Elemente, oder sicher wenigstens einen Teil derselben, welche auf
dem Lymphwege in die Tonsille gelangten, nach dem Lumen des
Rachens heraus, um sich ihrer auf diesem Wege zu entledigen.
Ein längerer Aufenthalt fremder Elemente in den Tonsillen scheint im
Gegensatz zu den Lymphdrüsen nicht stattzufinden.
An diese experimentellen Feststellungen möchte ich kurz noch einige
praktische Betrachtungen knüpfen.
Wie die Russpartikelehen, so können auch Bakterien, welche von der
Nase oder dem Munde aus in die Lymphbahnen gelangen, die Tonsillen
passieren. Denn auch die Bakterien wird der Organismus als fremdartige
Elemente zu eliminieren versuchen, und was liegt näher als die Annahme,
dass er dazu dieselben Wege wählt.
Bei geeigneter Virulenz der Bakterien kann es natürlich nur zu leicht
zu entzündlichen Gewebsveränderungen der Tonsillen kommen. Diese Vor-
gänge manifestieren sich unter dem klinischen Bilde der Tonsillitis. der
Angina.
Derartige Vorkommnisse sind uns ja bei den Lymphdrüsen als Lymph-
adenitis längst bekannt. Nach Analogie dieser Tatsache sind die Mandel-
entzündungen nicht immer, wie gewöhnlich angenommen wird, im Gegenteil
wohl nur sehr selten die Folge einer Infektion von der Oberfläche der
Mandel aus, sondern entstehen sicher viel häufiger durch sekundäre,
auf dem Lymphwege zugeleitete Infektionserreger. Weiter in den Fällen
von Gelenkrheumatismus, Endokarditis, Sepsis usw, denen eine klinisch
nachgewiesene Angina voranging, sind nicht ohne weiteres die Tonsillen
als Kingangspforte für das Virus verantwortlich zu machen, sondern die
Angina stellt wahrscheinlich sehr häufig bereits eine sekundäre Lokalisation
der Infektionserreger dar, gleich zu setzen der akuten Lymphadenitis.
Die Eintrittspforte fiir das Virus aber ist zweifellos in vielen Fällen
an einer ganz anderen Stelle zu suchen. und zwar höchst wahrscheinlich
in der weitaus grössten Mehrzahl der Fälle in der Nase und ihren Neben-
höhlen oder auf der Schleimhaut der Mundrachenhöhle.
Durch diese Feststellungen über die physiologische Funktion der
Tonsillen eröffnen sich uns übrigens auch neue interessante Fragen über
F. Henke, Die physiologische Bedeutung der Tonsillen. 201
(lie Funktion der ähnlich wie die Tonsillen gebauten und örtlich gelagerten
zahlreichen Lymphapparate des Darmrohres, deren physiologische Funktion
auch heute noch nicht erschöpfend geklärt ist.
Zum Vergleich habe ich bereits mit entsprechenden experimentellen
Arbeiten begonnen, kann aber jetzt nicht näher darauf eingehen.
Die hier ausgesprochene Ansicht über die physiologische Bedeutung
der Tonsillen steht keineswegs im Widerspruch zu der einwandfrei erwiesenen
Tatsache, dass Allgemeininfektionen selbst schwerster Art von Erkrankungen
der Tonsille ihren Ausgang genommen haben. l
Wir müssen streng unterscheiden zwischen gesunden und erkrankten
Tonsillen.
Als Schutzorgan kann nur die gesunde Tonsille gelten. Nur solange
ungestörte Abflussbedingungen durch das Epithel naeh aussen, also nach
dem Lumen des Rachens vorhanden sind, kann die Tonsille ihre Aufgabe.
die wir in einer Abwehrfunktion erblicken müssen, erfüllen.
Anders die erkrankte Tonsille, sie kann für den Träger in der Tat
eine Quelle der Gefahr für Gesundheit und Leben werden. Besondere
pathologische Verhältnisse nämlich sind imstande, den beschriebenen Schutz-
mechanismus der Tonsille nicht nur erbeblich zu schädigen, sondern auch
völlig illusorisch zu machen. ja es können die Tonsillen sogar zu gefährlichen
Organen umgewandelt werden, so dass sie unter Umständen, wie König
einmal sagte, geradezu „ein Reservoir für entzündliche Noxen“ darstellen.
Ich habe diese Frage bereits in einer meiner früheren Arbeiten:
„Leber die phlegmonösen Entzündungen der Gaumenmandeln, insbesondere
ihre Aetiologie usw.“, Archiv f. Laryngol., Bd. 27, gestreift. An anderer
Stelle und in einem anderen Zusammenhang möchte ich noch einmal näher
darauf eingehen. Um mich aber hier ganz kurz zu fassen, wiederhole ich eine
treffende Bezeichnung Hopmanns sen., der die pathologisch veränderten,
chronisch erkrankten Tonsillen einmal .verschlammte Filter“ nannte.
Wenn die Tonsillen ausgedehnt pathologisch verändert sind und
gleichsam wie verschlammte Filter ihren Aufgaben nicht mehr gerecht
werden. so dürfen wir auf ihre physiologische Bedeutung keine Rücksicht
nehmen. Wir haben vielmehr die Pflicht, unter Umständen sogar für
radikale Entfernung derselben Sorge zu tragen, opfern wir doch aus thera-
peutischen Gründen mitunter Organe. deren Bedeutung eine unvergleichlich
grössere ist, als diejenige der Mandeln, wenn es das Wohl des übrigen
Organismus erfordert.
Am Schluss dieser Arbeit sei es mir gestattet, meinem hochverehrten
Chef, Herrn Prof. Dr. Gerber, sowie dem Direktor des anatomischen
Instituts, Herrn Prof. Dr. Gaupp, für Ueberlassung des Materials und
vielfache Anregung ganz ergebenst zu danken. Ganz besonderen Dank
schulde ich sodann Herrn Prof. Dr. Bartels für seinen mir in weit-
gehendstem Masse zuteil gewordenen Rat und seine ausserordentlich
freundliche Unterstützung bei Fertigstellung vorstehender Arbeit.
he
e
ee
.
l1.
Tz:
13.
14.
16.
lv.
IS.
19.
WH tH
St, -~l
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Figur 1.
Figur ?,
Figur 3.
Figur 4.
F. Henke, Die physiologische Bedeutung der Tonsillen.
Erklärung der Figuren auf Tafel IV.
Katzentonsille. 1!/, Stunde nach dem Tode durch Chloroform fand
eine Injektion einer feinsten Russaufschwemmung mittelst Pravazspritze
ins Zahnfleisch des Oberkiefers statt. Die feinen Russkörnchen (k)
fanden sich in allen Schichten der Tonsille wieder und zwar reichlich
im interfollikulären, adenoiden Gewebe, vereinzelt in den Follikeln (f).
Man sieht ferner die Körnchen an manchen Stellen in Massen durch das
intakte Epithel (ep) der Mandel hindurchwandern. (Leitz, Obj. 3. Oc. 3.
9:1.)
Tonsille eines I4jährigen Knaben durch Tonsillotomie gewonnen und
zwar 30 Stunden nach submuköser Einspritzung einer feinsten Russ-
aufschwemmung in die untere Muschel. Auf dem mikroskopischen
Bilde sieht man die peripheren Abschnitte zweier Follikel (f), die ver-
einzelte Russkörnchen enthalten. In dem dazwischenliegenden adenoiden,
interfollikulären Gewebe (intf) finden sich zahlreiche Russkörnchen vor.
Dicht hintereinander in langen Reihen wandern hier die schwarzen
Körnchen in der Richtung nach der von geschichtetem, intaktem
Pflasterepithel bedeckten Mandeloberfläche zu. Im Epithel (ep) .an-
gelangt sind schon einzelne schwarze Russkörnchen (k), daneben sieht
man angedeutet ein feines schwarzes Fasernetz (n), die Grenzen der
einzelnen Epithelzellen gleichsam nachahmend; es sind die in dem
interzellulären I,ymphstrom schwimmenden feinsten Russteilchen. Auf
der Aussenfläche der Mandel angekommen sind bereits einzelne kleine
Kussatome, die dort noch haften. (Leitz, Obj. 3. Oc. 4. 110:1.)
Durchschnitt durch die Oberfläche einer menschlichen Tonsille, die
43 Stunden nach Injektion einer Russaufschwemmung unter die
Schleimhaut des Septums durch Tonsillotomie gewonnen wurde. Das
Präparat stellt einen (Querschnitt durch das Epithel und das dicht
daruntergelegene subepitheliale Gewebe dar. Die oberste Deckschicht
des Epithels ist in dem Präparat etwas aufgelockert, die Kerne der
. Epithelzellen sind in dieser Schicht nicht mehr recht sichtbar, hin-
gegen sieht man grössere und kleinere Farbkörnchen zwischen den ein-
zelnen Zellagen liegen und sich ausbreiten. Zusammengedrängter und
breiter ausgezogen sind die Russkörperchen in der dicht darunter be-
findlichen, ebenfalls stark abgeplatteten, aber nicht aufgelockerten
Epithelschicht. Zellkerne sind auch in dieser Schicht nur hin und
wieder differenzierbar. In den tiefergelegenen Schichten des Epithels,
in denen auch die Zellkerne gut hervortreten, sieht man deutlich den
interzellulären Lymphstrom, in welchem die kleinsten Russpartikelchen
schwimmen. Auf der Oberfläche des Epithels, also an der Aussenseite
der Mandel, sind wiederum bereits einzelne Russteilchen angelangt. Im
subepithelialen Gewebe befinden sich ebenfalls viele schwarze Körnchen,
die Blutgefässlumina (bgf) aber sind frei, während in den perivaskulären
lıymphräumen (sch) der Russ deutlich nachweisbar ist. (Leitz, Obj. 6.
Oc. 1. 230:1.
Schnitt durch die Tonsille eines 1vjihrigen Mannes, welcher an akuter
Staphylomykose verstorben war. Zwei Stunden post mortem war eine
Injektion von verdünnter Chinatusche ins Zahnfleisch des Oberkiefers
Figur 5.
Figur 6,
F. Henke, Die physiologische Bedeutung der Tonsillen. 3255
gemacht worden. Zwei Stunden später wurde die Mandel bei der Ob-
duktion entfernt. Das Epithel ist stellenweise ausserordentlich stark
mit grösseren Farbschollen und kleineren Kornchen angefullt. Dicht
unter dem Epithel, im subepithelialen Gewebe, 2 ad maximum erweiterte
Blutgefässe. A Querschnitt eines sich gabelnden Gefässes, B Schräg-
schnitt. Die perivaskulären Lymphräume sind zum Teil vollgepfropft
mit Chinatusche. (Leitz, Obj. 6. Oc. 2. 250:1.
Katzentonsille. 1 Stunde nach dem durch Chloroform erzielten Tode
wurde eine Chinatuschlösung ins Zahnfleisch des Oberkiefers in-
jiziert. 1/, Stunde später Injektion der Blutgefässe mit Berlinerblau-
leimlösung. Zu beiden Seiten der Mandeltasche (T) sieht man je
3 Follikel. In den Follikeln (f) sind vereinzelte schwarze Chinatusch-
körnchen sichtbar, im interfollikulären Gewebe jedoch, besonders dicht
an der Follikelperipherie, finden sich ausserordentlich viele schwarze
Tuschkörnchen vor, die auch bereits durch das Epithel (ep) hindurch-
wandern. An einer Stelle (E) ist das Epithel ganz durchsetzt mit den
schwarzen Farbkörperchen. Die Blutgefässe sind überall blau injiziert,
auch die Kapillaren. Nirgends sieht man in einem dieser Gefässlumina
auch nur Spuren der schwarzen Tuschkörnchen, es sind vielmehr die
Gefässe von Tusche ganz und gar frei. (Leitz, Obj. 1. Oc. 4. 50:1.)
Teil eines besonders gefässreichen Abschnittes der vorhergehenden Figur
bei stärkerer Vergrösserung gezeichnet, Auch hier erweisen sich Blut-
gefässe und Kapillaren gänzlich frei von Tuschkörnchen. Dieselben
finden sich jedoch wiederum besonders zahlreich in den verivaskulären
Lymphraumen. (Leitz, Obj. 3. Oc. 4. 110:1.)
NIN.
Zur intranasalen Operation am Triinensack.
Von
Dr. Halle (Charlottenburg,
(Mit 8 Textfiguren.)
Im Archiv für Laryngologie!) sind vor kurzem zwei Publikationen er-
schienen, die sich eingehend mit der intranasalen Dakryocystostomie be-
schaftigen, die von Polyak und die von West. In beiden werden Methoden
besprochen, die ich im Laufe der letzten Jahre in der Beriiner laryngo-
logischen Gesellschaft?) vorgetragen habe. die ich aber nicht ausführlich
veröffentlichte, weil ich meine Erfahrungen an damals 10 Fällen mit
12 Operationen nicht für ausreichend hielt, um eine Darstellung in extenso
zu rechtfertigen. Hieraus erklärt sich wohl, dass Polyák., wie schon
vorher Onodi3), mich teilweise missverstanden hat, obgleich er sich in
korrektester Weise bemüht hat. meinen gelegentlichen Darlegungen gerecht
zu werden.
Weniger verständlich ist mir das Vorgehen von West. Er erwähnt
und bekämpft nur kurz die von mir am Ductus und Saccus vorgeschlagene
Ventilbildung, vergisst aber völlig zu bemerken, dass die Bildung des
Schleimhautperiostlappens, die er in dieser letzten Publikation zum
ersten Male beschreibt, von mir schon am 12. Mai 1911 und genauer
am 26. Januar 1912°) angegeben worden ist. Später nahm West zwar
den Gedanken einer Lappenbildung auf, bemängelte aber die von mir vor-
xeschlagene Form, da man hierbei „im Dunkeln operiere“, trotzdem er
verschiedentlich Gelegenheit hatte, sich von der guten Uebersichtlichkeit
und Ausführbarkeit der Methode zu überzeugen, während ich sie meinen
Kursteilnehmern in vivo demonstrierte. die ohne die Westschen Erfahrungen
jede Phase der Operation genau verfolgen konnten.
In seiner letzten Publikation beschreibt nun West selber die Ge-
staltung eines Lappens, erwähnt (S. 510) verschiedene Versuche, die er
angestellt habe. um die zweckmässigste Form zu finden. und beschreibt
1) Bd. 27. H. 3.
2) Sitzung vom 12. Mai 1911, 26. Januar 1912, 14. März 1915,
3) Monatssehr, f. Ohrenheilk. 1912. IE. 1.
Halle, Zur intranasalen Operation am Tranensack. 207
als beste eine Methode, die fast Zug um Zug der von mir publizierten
entspricht (vgl. auch Fig. 1). Nur vergisst er völlig, meine Anregungen
zu erwähnen. wogegen Polyák ausdrücklich betont (8. 501). „die Idee des
Schleimhautperiostlappens gehört Halle“.
Bei dieser Sachlage bin ich genötigt, eingehender meine Versuche zu
besprechen. die intranasale Tränensackoperation zu einer möglichst voll-
kommenen zu gestalten. Ich darf es heute um so cher, als ich die Ope-
ration bisher an 42 Patienten ausgeführt habe, davon bei vieren doppel-
seitig. Ich verdanke diese Fälle der Freundlichkeit der Ophthalmelogen
Prof. Gutmann, Dr. Schweigger und Dr. Türk. Der älteste Patient
war 71 Jahre alt, der jüngste 2!;, Jahre. Bei diesem hatte ich einige Be-
denken, ob bei der Kleinheit der anatomischen Verhältnisse die Operation
intranasal erfolgreich durchgeführt werden könnte, und bat den behandeln-
den Kollegen Türk, bei Misslingen der Operation die indizierte Sack-
exstirpation in derselben Sitzung von aussen vorzunehmen. Jedoch gelang
die in peroraler Narkose ausgeführte Operation vollkommen, und Herr
Kollege Türk berichtete, dass der Erfolg ein einwandsfreier geblieben ist.
Reichen meine Zahlen auch bei weitem nicht an die von West heran, so
dürften sie doch ausreichend sein, um ein Urteil über die von mir vor-
zeschlagene Methodik zu gestatten, deren Entsiehung ich kurz referiere:
Am 14. Oktober 1910 trug West in der Berliner laryngologischen
Gesellschaft seine Methode der „Fensterresektion des Ductus naso-laeri-
malis* vor und inaugurierte damit einen neuen Abschnitt in den Be-
mühungen, bei Erkrankung der ableitenden Tränenwege einen sicheren
Abfluss nach der Nase zu schaffen. Er gab damals an, dass infolge von
Narbenbildung zwei Fälle nur gebessert, nicht geheilt seien, und dass sich
als Unannehmlichkeit bei einigen Patienten der Austritt der Luft nach
dem Auge beim Schneuzen gezeigt hätte. Der Zufall führte mir bald
darauf meinen ersten derartigen Fall zu, den ich Herrn Kollegen
Schweigger verdanke. Ich versuchte hier, die von West beschriebenen
Zufälle durch eine Aenderung der Methodik zu vermeiden. Wenn man
den Tränensack, auf den ich schon damals einging, ohne prin-
zipielles Gewicht darauf zu legen, intranasal freilegen will, so muss
man den aufsteigenden Oberkieferast durchmeisseln. Die Lage des Sackes
entspricht meist genau dem vorderen Ansatz der mittleren Muschel. Es ist
aber unmöglich, ihn ganz exakt vorher zu lokalisieren. Ausserdem ist das
Operationsfeld ziemlich eng. Infolgedessen ist man gezwungen, ein erheb-
liches Stück des Knochens auszumeisseln, das schräg von unten und medial
nach oben und lateral geht (vgl. auch ab Fig. 3). Dabei muss man aber ein
grosses Stück der Schleimhaut unnütz opfern mit dem Erfolg, dass die
notwendig entstehenden Granulationen und Narbenzüge die Heilung be-
einträchtigen müssen. Schon bei diesem ersten Fall habe ich deswegen
die Schleimhaut und das Periost in derselben Weise breit vorher abgelöst,
wie wir es bei der submukösen Septumresektion gewohnt sind. Nach Frei-
leeune des Saekes habe ich dann einfach die Mukosa wieder angelegt.
258 Halle, Zur intranasalen Operation am 'Tränensack.
nachdem ein Stück aus dem oberen Teil des Lappens ausgeschnitten war,
genügend um die Sackwand frei in die Nase sehen zu lassen (vgl. Fig. 1,
siehe auch Fig. 1 und 3 in Wests Arbeit).
Die von Wests Patienten beklagte Unannehmlichkeit des Austretens
von Luft aus dem Auge suchte ich durch eine Art Ventilbildung am Sack
zu vermeiden. Ich durchschnitt nach Freilegung des Sackes und des
"ırur 1.
Der zuerst gebildete Schleimhautperiostlappen entspricht abed in der Figur. Die
laterale Nasenwand ist dicht am vorderen Ansatz «der mittleren Muschel durch-
meisselt in dem Sinne der Fig. 5. Der Sack ist freigelegt. Zum Schluss wird
der obere Teil des Lappens entsprechend edef abgetragen, «damit der 'Sack frei
in die Nase blicken kann.
oberen Teils des Ductus den letzteren in der Richtung a d (Fig. 2a) und
be und exstirpierte das Stück a bed, indem ich mit einer bajonett-
förmigen Hakenpinzette in das Duetusloch a d einging und mittels meines
schmalen Elevatoriums das Stück ab ed heraushebelte. Alsdann ging ich
mit der Pinzette in die Oeffnung des Sackes b e, zog den Sack medial-
wärts, löste ihn stumpf aus seinem durch e g angedeuteten Bett bis an-
nähernd zur Höhe des inneren Triinenpunktes. Der Sack wurde nun
Halle, Zur intranasalen Operation am T'ränensack. 259
sagittal in der Richtung ef halbiert und die laterale Hälfte entsprechend
cefg abgetragen, wobei die eingeführte Tränensonde zeigte, wo der innere
Tränenpunkt lag. Um hier Narbenzug zu vermeiden, muss ein Stück der
unteren angrenzenden Sackwand stehen bleiben.
Die Skizze b zeigt die ausgeführte Operation. Das Sekret des Sackes
kann durch die breite Oeffnung, die durch efg markiert ist, bequem ab-
fliessen, eine etwaige Stenose am Uebergang zum Ductus ist durch Ex-
stirpation des Ductusstückes ab cd beseitigt, wodurch gleichzeitig die
Gefahr eines Wiederanheilens vermieden wird. Endlich bildet die mediale
Sackwand, markiert durch die Linie b e f eine Art Ventil. Beim Schnauben
wird dies durch die Luft gegen die Seitenwand und auf die innere Oeffnung
der Canaliculi gepresst und verhindert den Luftaustritt. Selbst wenn die
laterale Sackwand etwas schrumpft, wozu wenig Veranlassung vorliegt,
muss sie ihre Funktion als Ventil gut erfüllen.
Figur 2.
Mit kurzen Worten habe ich dies Verfahren skizziert, als ich die ge-
heilte Patientin am 12. Mai 1911 in der Berliner laryngologischen Gesell-
schaft vorstellte. Weiterhin habe ich dieselbe Methodik noch zweimal
ausgeführt, beide Male mit dem gleichen guten Erfolg. Ihre Ablehnung
durch West auf Grund theoretischer Ueberlegung ist durch die Praxis
widerlegt. Ich habe West selbst einen Fall vorgestellt, der nach dieser
Methodik operiert worden war, alle diese Fälle habe ich auch in der
laryngologischen Gesellschaft vorgestellt. West zitiert mein Verfahren
nach Onodi und Polyák, obgleich er es vorher bei mir gesehen
und in der Berliner laryngologischen Gesellschaft bekämpft
hat! Wenn ich später von diesem Verfähren abgesehen habe, so geschah
es deswegen, weil mir West versicherte, dass die Patienten sich kaum
über das Durchblasen der Luft beklagten. Hiervon konnte ich mich bei
den ferneren Operationen selber überzeugen. Die Ventilbildung ist über-
Archiv für Laryngologie. 28. Bd. 2. Heft. 18
260 Halle, Zur intranasalen Operation am Tränensack.
dies in dem oft engen Operationsfeld technisch nicht ganz einfach. Kann
man sie daher umgehen, so ist das oft angenehm, doch glaube ich, dass
sie bei sensiblen Patienten immer ihre Berechtigung haben kann. West
selbst hat sie überdies als „sehr gut“ bezeichnet, falls es nicht gelingen
sollte, das Austreten von Luft durch die Puncta lacrymalia zu vermeiden,
wenn man von der Schlitzung der Canaliculi absähe!). Auf welche Tat-
sachen sich sein jetziger absprechender Standpunkt stützt, ist aus seiner
Publikation nicht ersichtlich.
Die Methodik der von mir vorgeschlagenen Modifikation des West-
schen Verfahrens habe ich in einer Diskussionsbemerkung in der Berliner
laryngologischen Gesellschaft!) eingehender vorgetragen. Damals führte ich
etwa folgendes aus!): „Ich habe die Methode von West in folgender
Weise modifiziert: Ich habe einen Schleimhautschniit angelegt (Fig. 1), der
am vorderen Ansatz der unteren und mittleren Muschel etwa 11/,---2 em
Figur 3.
lalera/e NISE
WAI
Schematische Skizze.
nach vorn geht. Die vorderen Enden werden durch einen Schnitt ver-
bunden (abcd) und dann Schleimhaut und Periost abgelöst und nach
hinten hinübergeklappt. Dadurch vermeide ich, wie es West tun muss, die
ganze Schleimhaut mit dem Knochen wegzumeisseln. Das halte ich für
einen Vorzug, weil man die Knochenwunde dann mit der Schleimhaut
sofort decken kann. Man muss den Lappen gross bilden, weil man sonst
nicht genügend Uebersicht gewinnt. Wenn man aber die ganze Schleim-
haut mit wegmeisselt, so erhält man eine überflüssig grosse Narbe.“ Es
folgt die Beschreibung der Ventilbildung. Zum Schluss führte ich aus,
dass man ein Stück des Lappens oben fortnimmt, gross genug, um den
oben freigelegten Ductus bzw. Sack freizumachen (Fig. 1cdef). Die untere
Schleimhaut wird locker antamponiert und ist am nächten Tage angeheilt.
1) Sitzung der Berliner laryngologischen Gesellschaft vom 26, Januar 1912.
fw OO
Minen M
Halle, Zur intranasalen Operation am T'ränensack. 261
Man sieht, dass hier schon alles Wesentliche dargestellt ist, was West
über die Lappenbildung gesagt hat. Auch dürfte ein irgendwie nennenswerter
Unterschied zwischen der jetzt von ihm vorgeschlagenen Methodik und meiner
damals beschriebenen und in Fig. 1 abgebildeten nicht zu finden sein.
Meine weiteren Versuche aber haben mich davon überzeugt, dass es
möglich ist, den Lappen noch vorteilhafter zu gestalten. Nicht selten ist
es nämlich nötig, durch eine ziemlich dicke Knochenwand zu gehen, um
an den Sack heranzukommen (vgl. Skizze 3). In anderen Fällen lagern
sich, wie Polyák mit grossem Recht betont, Siebbeinzellen medialwärts
auf den Sack und müssen mit abgetragen werden. Zuweilen muss man
Figur 4.
Erste Schnittführung. Kreisförmiger Ausschnitt K und rhomboider Lappen abced.
das vordere Ende der mittleren Muschel entfernen. Bei solchen anato-
mischen Verhältnissen kommt es leicht vor, dass unterhalb des Sackes
der Knochen gut abgeschrägt ist (Fig. 3a b), während er oben als dicke
Masse vorspringt (c d) oder etwa Siebbeinzellen fortgenommen werden
müssen.
Dadurch ist aber auf der Knochenfläche e d wieder Gelegenheit zu
störender Granulations- und Narbenbildung gegeben. Man tut deswegen
besser, auch oben den Knochen in der Form von etwa c e abzuschrägen.
Will man hier genügend Schleimhaut zur Deckung gewinnen, so kommt
man zur folgenden
18*
262 Halle, Zur intranasalen Operation am Tränensack.
Operationsmethode.
Die Schleimhaut wird am vorderen Ansatz der mittleren Muschel ent-
sprechend dem an dieser Stelle meist sichtbaren Wulst [den Kopsch
empfiehlt, Torus lacrymalis zu nennen !)] kreisförmig durchschnitten. Der
Kreis (s. K, Fig. 4) wird etwa so gross gemacht, wie er dem Durchmesser
des normalen Sackes entspricht. Die umschnittene Schleimhaut und das
Periost werden mittels schmalen KElevatoriums abgelöst und entfernt.
Hierauf wird die Schleimhaut am vorderen Ansatz der unteren Muschel
inzidiert, der Schnitt so weit wie möglich nach vorn geführt. In gleicher
Figur 5.
Der Knochen ist freigelegt, der Lappen nach hinten unten geklappt.
Weise wird oben die Schleimhaut so hoch wie möglich eingeschnitten, der
Schnitt nach vorn verlängert und die vordersten Punkte b und e durch
einen Schnitt verbunden. Der Lappen abced wird abgehebelt und nach
hinten geklappt (entsprechend a b, cı d, Fig. 5). Hierdurch gewinnt man
eine sehr gute Uebersicht über das Operationsfeld.
Der Knochen wird nun durchmeisselt, so dass die tiefste Stelle der
Operationshéhle, i. e. der am weitesten lateral gelegene Punkt, etwa
dem Torus lacrymalis entspricht, während sich der Knochendefekt unten
und oben trichterförmig abflacht (vgl. Skizze 3ab ce). Man nimmt hierzu
einfache schmale Meissel. Sehr zweckmässig erscheinen mir auch die von
1) Zitiert nach West, l.c. S. 508.
ne
—
— — ER
=
Halle, Zur intranasalen Operation am Tränensack. 263
West angegebenen Meissel. Zuweilen (bei eburniertem Knochen) leistet
eine kleine Kugelfraise noch bessere Dienste. Ist der Sack genügend frei-
gelegt (Fig. 6, s), so führt man durch den oberen Canaliculus lacrymalis
eine Sonde ein. Meist bekommen wir die Patienten mit unzweckmässig
breit gespaltenem Canaliculus. Ist das Punctum lacrymale unversehrt,
dann versuche man mit feiner Sonde hindurchzukommen. Andernfalls ge-
nügt meist eine vorsichtige Ditatation, um Raum für die Sonde zu ge-
winnen. Mit dieser drängt man den unteren Teil der medialen Sackwand
nach innen vor und schneidet hart an dem unteren Pol ein. Etwaiges
Figur 6.
Sackfreilegung. Der Sack springt heraus.
schleimiges oder eitriges Sekret fliesst ab. Dann geht man in den
Sack mit einer Branche einer langen bajonettförmigen Hakenpinzette ein,
fasst die mediale Sackwand und umschneidet mit einem langen schmalen
Messer den Sack dicht an seinem Durchtritt durch den Knochen. Die
Sonde ragt jetzt frei in die Nase (Fig. 7).
Der Lappen wird nunmehr zurückgeschlagen und sorgfältig geprüft,
ob der Kreisausschnitt genügend gross ist, um die laterale Sackwand voll-
kommen hindurchblicken zu lassen. Nötigenfalls wird er etwas erweitert.
Dann wird der Lappen angelegt (Fig. 8) und mit einem kleinen Streifchen
Gaze festgehalten. Dieses kann in 1—2 Tagen entfernt werden, und die
Heilung ist fast völlig beendet.
Halle, Zur intranasalen Operation am Tränensack.
Vorteile der beschriebenen Methodik sehe ich darin:
Man gewinnt in dem relativ engen Raum ein klares und über-
sichtliches Operationsfeld.
Es wird nicht überflüssigerweise funktionstüchtige Schleimhaut
geopfert. :
In die ausgemeisselte Knochenwunde schmiegt sich der grosse
Schleimhautperiostlappen gut hinein.
Granulations- und Narbenbildung werden so gut wie ausge-
schlossen.
Figur 7.
Die innere Sackwand ist fortgenommen. Der Sack erscheint vertieft.
D.
Durch den Kreisausschnitt sieht die laterale Sackwand, deren
Mukosa in ideal getroffenen Fällen genau den Kreis, i. e. den ge-
schaffenen Schleimhautdefekt ausfüllt. Hierdurch werden für die
Heilung die denkbar günstigsten Bedingungen geschaffen und
spätere Störungen vermieden.
Diese Methodik habe ich einer grossen Anzahl von Kollegen in etwa
35 Fällen demonstriert und sie gelegentlich der Diskussion zu dem Vor-
trag von Polyäk auf dem Internationalen medizinischen Kongress zu
London,
1913, eingehend beschrieben. Der Erfolg war immer einwandfrei.
Halle, Zur intranasalen Operation am Tränensack. 265
Wird das Operationsfeld durch eine Septumdeviation erheblich ein-
geengt, so muss diese vorher beseitigt werden.
Wenn Polyak zwar meinen rhomboiden Lappen bildet (der bei seiner
Abbildung unrichtig gezeichnet ist), ihn dann aber abschneidet, so schafft i
er sich dadurch zwar ein übersichtlicheres Operationsfeld, begibt sich aber
aller anderen geschilderten Vorteile,
Liegen grosse Siebbeinzellen auf dem Sack (wie in Abbildung 6—8),
so kann es zweckmässig werden, die Schleimhautbrücke von dem Kreis k
nach d zu durchschneiden, weil sonst der Lappen hier über einem Hohl-
Schleimhautlappen ist glatt zurückgeklappt.
raum liegen kann! Der durchtrennte obere Zipfel legt sich dann der
tiefsten Stelle der Wunde an. Medialwärts münden vordere obere Sieb-
beinzellen oder die Stirnhöhle.
Ob die Eröffnung des Ductus und Saccus mit den Instrumenten nach
Polyák grosse Vorzüge hat, vermag ich nicht zu sagen, da ich sie nicht
probiert habe. Sie erscheinen mir etwas kompliziert, da ich bisher immer
mit den einfachsten ausgekommen bin. An sich dürfte es gleichgültig sein,
wie man den Sack eröffnet, doch können die definitiven Erfolge wenigstens
theoretisch nur dann einwandfreie sein, wenn der Schleimhautlappen nicht
fortgenommen, sondern erhalten wird. Die Bedenken Polyäks gegen Ein-
266 Halle, Zur intranasalen Operation am Tränensack.
führung einer dünnen Sonde durch die intakten, nötigenfalls etwas dila-
tierten Puncta lacrymalia kann ich nicht teilen. Bei vorsichtigem Vor-
gehen erscheint es kaum denkbar, dass man Schaden anrichtet, ganz ab-
gesehen davon, dass wohl schon immer der Ophthalmologe behufs exakter
Diagnosenstellung sondiert hat. Meist sehen wir überdies die Patienten
mit schon geschlitzten Canaliculis. Gewiss kann man aber den Sack auch
ohne Sonde intranasal richtig erkennen und öffnen, wobei der von Polyak
empfohlene Druck von aussen auf den Knochendefekt von Nutzen sein
kann. Leichter aber geschieht das unter der Leitung der Sonde in
jedem Fall.
Bezüglich der Indikationsstellung wird man mit den Ausführungen
von West übereinstimmen können. Im allgemeinen werden wir die Fälle
zu operieren haben, wo der Ophthalmologe die Indikation gestellt hat.
Es ist fraglos ein grosses Verdienst von West und Polyäk, die intra-
nasale Eröffnung des Ductus bzw. Saccus lacrymalis wieder in den Vorder-
grund des Interesses gerückt zu haben, nachdem die Frage prinzipiell
durch Totis gleichartige externe Operation gelöst war. In die Prioritäts-
streitigkeiten will ich nicht eingreifen. Sicher ist, dass ich schon bei
meiner ersten Patientin den Saccus freigelegt habe (l. c.), also wohl der
erste war, der den Tränensack intranasal eröffnet hat. Doch legte ich,
wie gesagt, damals darauf keinen grossen Wert, weil ich längere Zeit
keine Gelegenheit zur Wiederholung der Operation hatte. Und als ich
über eine Reihe operierter Fälle berichten konnte, lagen schon die Ver-
öffentlichungen Polyaks vor.
Jedoch glaube ich, durch die weitere Ausarbeitung der Methodik zur
möglichsten Vollkommenheit der Operation beigetragen zu haben.
t
NX.
Aus der Universitätsklinik für Hals- und Nasenkranke zu Freiburg i. Br.
(Direktor: Prof. Dr. Otto Kahler.)
Zur Kenntnis des metastatischen Tonsillarcarcinoms.
Von
Dr. Adolf Stoll, Assistenzarzt.
Geschwulstmetastasen werden in den Tonsillen äusserst selten beob-
achtet: Als Zahn im Jahre 1889 eine entsprechende Uebersicht anstellte,
fand er in der Literatur einen einzigen derartigen Fall veröffentlicht. Es
handelte sich um einen von A. Förster (1) im Jahre 1858 mitgeteilten
Fall von Markschwamm mit ungewöhnlich vielfacher metastatischer Ver-
breitung, bei dem beide Tonsillen angeschwollen waren und sich mit
kleinen, sehr weichen Krebsknoten durchsetzt vorfanden.
Zahn (2) seinerseits berichtet, dass unter den im Genfer Institut
obduzierten Fällen sich bis zum Jahre 1889 einmal ein sekundäres
Carcinom der beiden Tonsillen fand, das nach einem Mammacarcinom auf-
getreten war. Die 41jährige Patientin kam am 22. Januar 1886 zur
Obduktion. Diese ergab an der Stelle der linken Brustdrüse eine grosse,
harte, mit der Brustwand fest verwachsene Geschwulst, die, wie die nähere
Untersuchung zeigte, sich an Stelle einer Narbe entwickelt hatte (lokales
Rezidiv). In der Umgebung der Geschwulst zahlreiche harte Knoten in
der. Haut. Beide Mandeln stark vergrössert, in weiche Geschwülste mit
drüsigem Aussehen verwandelt. Die zervikalen Lymphdrüsen stark ver-
grössert und krebsig entartet. Die mikroskopische Untersuchung erwies,
dass alle Geschwülste einen gleichen alveolären Bau hatten, der auch den
übrigen Metastasen im Peritoneum, Herz, Leber und Magenlymphdrüsen
eigen war.
Einen weiteren Fall von Carcinommetastase in die Tonsillen beschreibt
Krönlein (3) ausführlich, und dieser Fall verdient besonderes Interesse,
da die Metastase zunächst ganz allein in die linke Tonsille erfolgt war.
Es handelte sich um eine Patientin von 62 Jahren, die Anfang Dezember
1891 ihrem Hausarzte mitteilte, dass sie seit 21/, Monaten eine Geschwulst in der
linken Mamma verspüre. Es zeigte sich ein hühnereigrosser, tiefsitzender, gegen
Druck wenig empfindlicher Tumor. Die Kranke meldete sich dann nicht mehr bis
Anfang April 1892. Inzwischen hatte das Volumen der kranken Brust erheblich
zugenommen, jedoch ohne wesentlichen Schmerz zu verursachen, vielmehr rief die
Patientin diesmal den Arzt wegen Schlingbeschwerden.
268 A. Stoll, Zur Kenntnis des metastatischen Tonsillencarcinoms.
Die linke Tonsille war taubeneigross, schmutziggrau, übelriechend. Ex-
stirpation der Tonsille wird zugestanden; es wird dieselbe Ende April entfernt:
krebsige Beschaffenheit. Schon nach 10 Tagen. war an der Stelle ein ebenso grosser
Tumor nachgewachsen. Von da ab nahm der Umfang der linken Brust rasch zu,
und die zunehmenden Schlingbeschwerden und Atemnot veranlassten am 21. Mai
Beiziehung von Prof. Krönlein. Die Untersuchung ergab an Stelle der linken
Tonsille einen runden, kleinpfirsichgrossen, an der Oberfläche ulzerierten,
stinkenden Tumor, der den Aditus ad fauces fast ganz verlegte. 24. Mai Ex-
stirpation des Tonsillencarcinoms; sehr glatter Verlauf bei seitlicher Durchsägung
des Unterkiefers.
4. Juni. Exstirpation des über mannskopfgrossen Mammatumors. Es ent-
wickelt sich bald in der carcinomatös infiltrierten Thoraxwand ein neuer Knoten
und Metastase in der Halswirbelsäule. Exitus 7. August. Sektion konnte nicht
vorgenommen werden.
Die mikroskopische Untersuchung ergab ein Mammacarcinom von
alveolärem Bau. Die Präparate aus der exstirpierten Rachengeschwulst
zeigen denselben alveolären Bau, nur gleichmässiger.
Krönlein (3) hatte diesen Fall gelegentlich einer Arbeit „Ueber
Pharynxcarcinom und Pharynsexstirpation“ im Jahre 1897 bekannt ge-
geben, und seither scheint kein weiterer Fall von solitärer Metastase in
die Tonsillen veröffentlicht worden zu sein. Somit ist von Interesse, dass
eine solche, äusserst seltene Metastase im April vorigen Jahres in der
hiesigen Universitäts-Halsklinik zur Beobachtung kam. Die 50jährige
Patientin suchte unsere Klinik am 22. April wegen Schluckbeschwerden
auf, die in zunehmendem Masse seit Anfang April 1912 auftraten. In der
Anamnese gibt Patientin an, im Dezember 1910 in der hiesigen chir-
urgischen Klinik an der rechten Brust operiert worden zu sein. Unter
Einsicht in das zur Verfügung gestellte Journal der chirurgischen Klinik
vom Dezember 1910 ergibt sich folgender Krankheitsverlauf.
Seit etwa März 1910 bemerkt die damals 47jährige Patientin eine langsam
wachsende Geschwulst der rechten Mamma. Diese ist fast schmerzlos grösser ge-
worden, nur in den letzten Wochen verspürt Patientin manchmal durchziehende
Schmerzen darin. Palpation der rechten Brust ergibt mehrere zusammenhängende,
mit der Haut teilweise verwachsene, auch auf der Unterlage nicht völlig verschieb-
liche Knoten. Nach der Achsethéhle zu, und zwar noch im Bereich des axillaren
Fortsatzes der Mamma, einige verwachsene Drüsen tastbar. Achselhöhle selbst
völlig frei. Nach diesem, am 8. Dezember erhobenen Befunde erfolgte am
10. Dezember die Amputatio mammae in typischer Weise. Der Pectoralis major
wird teilweise mitentfernt. Bei der Ausräumung der Achselhöhle lassen sich keine
sicheren Drüsenmetastasen nachweisen. Nach mikroskopischer Untersuchung, die
von Herrn Geheimrat Aschoff mitgeteilt wurde, handelt es sich um ein gewöhn-
liches Mammacarcinom von tubulärem Bau. In den Lymphknoten wurden
Carcinommetastasen festgestellt.
Am 30. Dezember 1910 wird die Patientin beschwerdefrei, in gutem Allgemein-
zustande und mit glatter Narbe entlassen. Seitdem fühlte sich Patientin wohl bis
zum Frühjahr 1912, wo sie eine Rippenfellentziindung durchgemacht habe. Sie
will jedoch bemerkt haben, dass sie im Winter 1911/12 und auch im Frühjahr
BER
er
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-4%
A. Stoll, Zur Kenntnis des metastatischen Tonsillencarcinoms. 269
1912 magerer geworden sei. Im allgemeinen habe sie sich bis Anfang April wohl-
befunden. In den ersten Tagen des April seien jedoch Schluckbeschwerden, an-
fänglich in geringem Masse, aufgetreten. Etwa am 7. April wurde von ihrem
Hausarzte ein weisser Fleck auf der linken Gaumentonsille festgestellt; in den
folgenden Tagen bemerkte man zunehmendes Wachstum dieser Tonsille sowie
Vermehrung der weisslichen Flecke. Schmerzen habe Patientin dabei nicht ge-
habt, sie sei auch während der letzten 5—6 Wochen nicht weiter abgemagert,
doch wird sie am 22. April wegen starker Behinderung beim Schlucken von dem
behandelnden Arzte in die Halsklinik eingewiesen, da alle angewandten Mittel
erfolglos blieben. Hier wurde an Stelle der linken Tonsille ein die Medianlinie
überragender, an mehreren Stellen ulzerierter Tumor festgestellt, auch sonst er-
scheint die Tonsille nicht gleiohmässig glatt, sondern an einigen Stellen wie
höckerig. Die Lakunen sind erheblich erweitert, von weisslichen nekrotischen
Massen ausgefüllt. Es besteht erheblicher Foetor ex ore. Nase und Larynx ohne
Besonderheiten. Dagegen findet sich am Unterkiefer links, im linken Drittel des-
selben, eine stark verdickte Stelle, die sich knochenhart anfühlt. Längs der sich
hart eingebettet anfühlenden linken Karotis sind eine Reihe Drüsen palpabel.
Die Öperationsnarbe an Stelle der rechten Mamma erweist sich als breit,
glatt und über den Rippen verschieblich; diese Narbe erstreckt sich bis in die
Achselböhle; hier sind nirgends suspekte Drüsen fühlbar. (Im übrigen wird bei
der stark abgemagerten Patientin eine pleuritische Verdichtung rechts hinten unten
festgestellt. Auf dem Röntgenschirm bier keine Verschieblichkeit; ausgeprägte
Hiluszeichnung beiderseits.)
Bei der Inspektion des Tonsillentumors wurde sogleich der Verdacht auf
Carcinom geäussert. Differentialdiagnostisch wäre vielleicht Angina lacunaris in
Betracht gekommen, auch an die übrigen entzündlichen Schwellungen der Ton-
sillen musste gedacht werden, doch sprach die Härte des Tumors, sein Aussehen,
sowie die Tatsache eines Mammacarcinoms bei der Patientin (im Jahre 1910) so-
gleich für Krebs. Am 29. April wurde von der Patientin die palliative Tonsillek-
tomie zugestanden; nach Vornahme derselben verbleibt vom unteren Pol der Ton-
sille ein kleiner Rest in situ. Am 2. Mai musste die Patientin auf Ansuchen
entlassen werden. Weiterhin wurde uns dann nichts mehr über die Patientin mit-
geteilt. Einige Monate später konnte nur der inzwischen eingetretene Exitus in
Erfahrung gebracht werden; eine Sektion war nicht zugestanden worden.
Der mikroskopische Befund des pathologischen Instituts in der ex-
stirpierten Tonsille lautete auf ein tubulär-alveoläres, mit reichlichen zen-
tralen Nekrosen der Krebsstränge verbundenes Carcinom. Herr Geheimrat
Aschoff, dem auch diese Präparate vorgelegt wurden, erklärte, dass es
sich um eine Metastase des im Dezember 1910 operierten Mammacarcinoms
handle.
Es ist nicht uninteressant, Betrachtungen über den Weg einer solchen
Metastase anzustellen. Hinsichtlich der beiden zuerst erwähnten Fälle
von Förster und Zahn verlohnt sich dies wenig, da es sich in beiden
Fällen um eine multiple Aussaat handelt, wobei unter vielen anderen
Organen auch die beiden Tonsillen als betroffen befunden wurden. Da-
gegen lässt der Krönleinsche und der vorliegende Fall wohl die Ver-
mutung zu, dass es sich in diesen letzteren Fällen um eine retrograde
Metastase handle. und zwar auf dem Wege des Ductus thoracicus. Das
270 A. Stoll, Zur Kenntnis des metastatischen Tonsillencarcinoms.
Wesen der retrograden Metastase überhaupt ist am besten bekannt auf
dem Gebiete des Venensystems; die seltsamsten Wege von Verschleppung
korpuskulärer Elemente liegen hier in dem Bereich der Möglichkeit. (In
der Arbeit von Goldmann (4) finden sich zahlreiche Hinweise dafür
unter der von diesem Autor angegebenen Literatur.) Aber auch auf dem
Gebiete des Lymphsystems, das uns hier ja besonders angeht, sind merk-
würdige Fälle von retrograder Metastase bekannt geworden. Arnold (5)
berichtet, dass es im Verlauf eines Mammacarceinoms zunächst zu einer
sekundären Erkrankung der Lymphdrüsen des Halses und der Bronchial-
drüsen gekommen war, welche beträchtlich vergrössert und markig in-
filtriert waren. Von den letzteren aus verliefen weissliche Stränge nach
der Pleura pulmonalis beider Lungen, welche ihrer ganzen Anordnung
nach sich wie Lymphgefässe verhielten und in kleineren, in der Pleura
velegenen Krebsknötchen endigten. Die Lungen selbst waren ganz normal,
auch eine Injektion von der Pleura parietalis und der Thoraxwand her
konnte ausgeschlossen werden.
Vogel (6) erwähnt, dass es in einem Falle, den v. Reckling-
hausen veröffentlichte, gelang, nachzuweisen, dass auch ins Innere der
Niere Krebs in retrograder Richtung auf dem Wege der Lymphbahn trans-
portiert war, und er gibt selbst u. a. einen weiteren Fall von retrogradem
Transport in die linke Niere bekannt. Hier handelte es sich um ein
Carcinom der Gallenblase, dessen Metastase in die linke Niere das
Lymphgelässsystem derselben klarlegte.
Angesichts solcher Feststellungen über retrograde Metastasen in der
Lymphbahn kann wohl in dem Krönleinschen und in dem hier mitgeteilten
Falle eine retrograde Metastase auf dem Wege des Ductus thoracicus an-
genommen werden, zumal wenn man sich erinnert, dass iu beiden Fällen
die linke Tonsille betroffen war, und der Ductus thoracicus die Lymphe
der ganzen unteren Körperhälfte und der linken Kopfseite sammelt.
Literaturverzeichnis.
l. A. Förster, Ein Fall von Markschwamm mit ungewöhnlich vielfacher meta-
statischer Verbreitung. Virchows Archiv. 1858. Bd. 13.
2. Wilh. Zahn (Genf), Ueber einige Fälle seltener Geschwulstmetastasen.
Virchows Archiv. 1889. Bd. 117.
3. Krönlein (Zürich), Ueber Pharynxcarcinom und Pharynxexstirpation. Beiträge
z. klin. Chir. 1887. Bd. 19.
4. Goldmann (Freiburg), Anatomische Untersuchungen über die Verbreitungs-
wege bösartiger Geschwülste. Beiträge z. klin. Chir. 1897. Bd. 18.
5. Jul. Arnold (Heidelberg), Ueber rückläufigen Transport. Virchows Archiv.
1891. Bd. 124,
6. Ludwig Vogel (Strassburg), Ueber die Bedeutung der retrograden Metastase
innerhalb der Lymphbahnen für die Kenntnisse des Lymphgefässsystems der
parenchymatösen Organe. Virchows Archiv. 1891. Bd. 124.
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Archiv f Laryngologie. 28 Lid.
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XXI.
Aus dem I. anatomischen Institut der Universität in Budapest.
(Direktor: Hofrat Prof. Dr. M. v. Lenhossék.)
Experimentelle Untersuchungen zur Mechanik der
intrakraniellen und zerebralen Komplikationen der
Stirnhöhlenentzündungen.
Dr. Hago Zwillinger (Budapest).
(Hierzu Tafel V.)
Im Anschluss an meine Untersuchungen über „Die Lymphbahnen des
oberen Nasenabschnittes und deren Beziehungen zu den perimeningealen
Lymphbahnen“ hatten sich die Fragen ergeben, ob es Verbindungen der
Lymphbahnen der Stirnhöhlenschleimhaut mit den genannten Räumen auch
beim Menschen gibt, welcher Art dieselben sind und welche Rolle den-
selben in der Mechanik der von der erkrankten Stirnhöhle verursachten
oder postoperativen intrakraniellen und zerebralen Komplikationen zu-
kommt. Der experimentellen Lösung dieser Fragen hatten sich die
Schwierigkeiten der Beschaffung entsprechenden Materials in den Weg ge-
stellt, meine angeführten Injektionsversuche hatten es auch mit klar dar-
getan, dass dieselben an jugendlichen Individuen mit reichlichem und
wegsamem Lymphgefässnetz bessere Aussicht auf Erfolg darbieten, ein ab-
schliessendes Urteil jedoch nur durch am Erwachsenen ausgeführte Unter-
suchungen zu gewinnen sein würde.
Die Lehre über die Entwicklung und das Wachstum der Nebenhöhlen
der Nase hat uns bezüglich der Stirnhöhle neue Erkenntnisse gebracht; die
früher divergierenden Angaben sind der Erkenntnis gewichen, dass die
Entwicklung der Stirnhöhle am Ende des ersten und Anfang des zweiten
Lebensjahres beginnt. Die Untersuchungen hauptsächlich Killians, Haikes,
Onodis u. a., welch letzterer in tabellarischer Uebersicht genaue Masse
der kindlichen Stirnhöhle angibt, belehren uns darüber, wie das für ge-
nannte Untersuchungen verwendbare Material beschaffen sein müsste. Das
Bestreben, frisches, unserem Zwecke entsprechendes Material zu erhalten,
erklärt die lange Dauer und die Spärlichkeit der Versuche.
Die topographisch-anatomischen Verhältnisse der Stirnhöhle, der
Schädelhöhle, des Gehirns und deren genaue Kenntnis wird uns bezüglich
272 H. Zwillinger, Experimentelle Untersuchungen zur Mechanik usw.
der zu behandelnden Frage der Erklärung des Entstehens intrakranieller
und zerebraler Komplikationen auf dem Wege der Lymphbahnen näher
bringen. Die Ausdehnung, Grösse der Stirnhöhle, ihr Verhältnis zur
Schädelhöhle und zum Gehirn, die Dicke ihrer Wandungen, die Konfiguration
und Dicke der zerebralen Wand, ihre Dehiszenzen, Blut und Lymphbahnen
sind von Wichtigkeit. Nach Onodi hat die Stirnhöhle im Schuppenteil
des Stirnbeins im Durchschnitt eine mittlere Grösse und Ausdehnung, so
dass sie meist nur dem Gyrus front. med. entspricht. Die Grenze der
horizontalen Platie des Stirnbeins entspricht dem Gebiete des Sulcus fronto-
marginalis, dem Üebergange zur unteren Fläche des Stirnlappens. Bei
besonders grosser Ausdehnung kann die Stirnhöhle die ganze vordere
Schädelgrube begrenzen, sie kann sich zwischen die Fissura orbit. sup.
und die Schläfengrube erstrecken. In diesen Fällen entspricht die Stirn-
höhle der unteren Fläche des Stirnlappens und den vordersten Anteilen
des Schläfenlappens. Nach oben reicht sie in das Gebiet des Gyrus front.
sup. und med. Bei Asymmetrie der Stirnhöhle kann sich dieselbe auf das
Gebiet des Stirnlappens der Gegenseite ausdehnen. Wie erwähnt, besitzt die
Dicke der einzelnen Stirnhöhlenwände in bezug auf die Fortleitung krank-
hafter Prozesse grosse Wichtigkeit. Je dicker die zerebrale Hinterwand
der Stirnhöhle, um so mehr schützt sie und verhindert sie in gewissen
Beziehungen das Zustandekommen intrakranieller Komplikationen. Je dünner
dieselbe ist, um so mehr bildet dieser Umstand ein begünstigendes Moment
für das Zustandekommen genannter Komplikationen, sowie dies auch bei
diploereicherer, von zahlreichen Gefässen durchzogener Wand der Fall ist.
Am dicksten ist die vordere, dünner die zerebrale und am dünnsten ge-
wöhnlich die orbitale Wand der Stirnhöhle Die Dicke der hinteren
zerebralen Stirnhöhlenwand beträgt 1 bis 5 mm, zumeist ist die dieselbe
1 bis 3 mm diek, eine besondere Dicke, bis 5 mm, oder besondere Dünn-
heit der Hinterwand ist selten. Von eben solcher Bedeutung sind die
Dehiszenzen der zerebralen Stirnhéhlenwand, wie einen solchen angeborenen
Defekt Cisneros und einen eben solchen, beiderseitigen, Jaques beob-
achten konnte, ebenso wie Mouret, Lindt und Castex, dessen Fall letal
endete. Hierher gehören die öfters beobachteten Gefässlücken, welchen an
der hinteren Wand ebenfalls eine besondere Bedeutung zukommt. In der
Aetiologie der Komplikationen der Stirnhöhlenentzündungen kommt den
Gefässbahnen, den perivaskulären Lymphbahnen, sowohl bei den direkten
als den indirekten Infektionen, eine sehr wichtige Rolle zu; die die hintere
Stirnhöhlenwand durchsetzenden Venen stehen mit den Venen der Dura
in Verbindung. Zuckerkandl bestätigte das Vorhandensein von Venen-
anastomosen zwischen der Stirnhöhlenschleimhaut und der Dura, ferner
stehen nach Kuhnt die Venae perforantes der Stirnhöhle mit dem Venen-
netze der Dura in Verbindung. Auch ist es nachgewiesen, dass die Venen
der Stirnhöhlenschleimhaut mit dem Sinus longitudinalis superior zusammen-
hängen. Bei der Injektion desselben wurde beobachtet, dass sich diese
Venen mit der Injektionsmasse füllten. Die Bedeutung der Lymphbahnen
H. Zwillinger, Experimentelle Untersuchungen zur Mechanik usw. 273
als Vermittler und Wege für das infektiöse Material von der Stirnhöhle
zum Schädelinhalt ist noch nicht genügend bekannt. Die Lymphbahnen
der Nase sind schon seit längerer Zeit gründlich erforscht, bezüglich der
Lymphbahnen der Nebenhöhlen weisen unsere Kenntnisse noch grosse
Mängel auf, am schlechtesten steht es mit der Stirnhöhle, während Kiefer-
höhle und Siebbeinlabyrinth, von verschiedenen Forschern studiert, dies-
bezüglich viel besser bekannt sind.
Bartels erwähnt, die Lymphgefässe der Nebenhöhlen in seinem be-
kannten Buche behandelnd, bloss kurz, dass dieselben bisher wegen der
technischen Schwierigkeiten der Untersuchung beim Erwachsenen und der
geringen Entwicklung der Höhlen beim Neugeborenen noch wenig bekannt
sind. Most habe von der Gegend des Sinus frontalis aus eine Injektion
der Lgl. retropharyngealis, ausserdem öfters eine Injektion der Lgl. cervi-
cales prof. erhalten. Most, der die Lymphbahnen der Nasennebenhöhlen
beschreibt, sagt in seiner jüngsten, dieses Thema behandelnden Arbeit, dass
dieselben im wesentlichen zu jenen des Naseninnern hin steuern und mit
diesen nach hinten zu den Choanen gelangen, wie auch von der Gegend
des Sinus front. zu der Lgl. retropharyng. lat. Diese scheint, wenigstens
beim Neugeborenen, die wichtigste Etappe darzustellen. Weiter ziehen
die Lymphgefässe zu den tieferen Halsdrüsen hin. „Ein Teil der Lymph-
bahnen der Nasennebenhöhlen scheint aber, und dieser besonders vom
Sinus maxillaris aus, vermittelst perforierender Lymphbahnen durch das
Gesichtsskelett hindurchzudringen und so mit dem äusseren Hautlymph-
gebiet, welches zu den submaxillaren Drüsen zieht, zu kommunizieren“
(Andre, Bartels, Schweitzer).
Mare Andrés Untersuchungen der Lymphbahnen der Nasenneben-
höhlen beziehen sich bloss auf die Oberkieferhéhle und das Siebbein-
labyrinth, diese Untersuchungen sollen vervollständigt werden. Bezüglich
der Lymphgefässe des Siebbeinlabyrinths fand er, - dass sich dieselben
füllten im Anschluss an die Injektion der Lymphgefässe des Sinus maxillaris,
des mittleren Nasenganges und der unteren Fläche der mittleren Nasen-
muschel.
An dieser Stelle muss nun der Untersuchungen Grünwalds gedacht
werden. Derselbe injizierte mittelst gläserner Kapillarröhre Gerotas Masse
rechts am Grunde der eröffneten Kieferhöhle, links in die Verschluss-
membran der vorderen Nasenfontanelle.e Nur links war das Ergebnis der
Injektion befriedigend und zeigte vom hinteren Ende des Hiatus semi-
lunaris als dem Mittelpunkt der Injektionsmasse sich erstreckende, zarte,
durch feine Seitenarme in für Lymphgefässe typischer Weise sich ver-
bindende Aestchen über Flächen und Räume, welche genau angeführt
werden, ausserdem zieht ein feiner Verästelungsstreifen von hier an der
Hinterwand der Stirnhöhlenauskleidung empor. An seinem Präparat sieht
man keine Verbindungsäste zu den Alvcolen oder zur Orbita gehen, trotz
einer Dehiszenz in der Lamina papyracea. Ferner zeigt das Präparat, ent-
gegen Andre, der annimmt, dass eine Injektion der Ethmoidalgefässe durch
274 NH. Zwillinger, Experimentelle Untersuchungen zur Mechanik usw.
kleine perforierende Kanäle, durch die papierdünnen Knochenwände hin-
durch stattfindet, mit absoluter Sicherheit, dass ein Zusammenhang des
Lymphgefässnetzes der Nase und ihrer Nebenhöhlen nirgends durch Wände
hindurch besteht. Grünwald zieht aus diesen Befunden den Schluss der
Möglichkeit direkter Verbreitung einer Infektion auf die Nachbarschaft,
ferner folgert er daraus die Hinfälligkeit hypothetischer Vorstellungen von
Zusammenhängen zwischen Schleimhaut und Knochenmarksräumen.
Nach Onodi steht neben den angeführten Untersuchungsresultaten von
Schwalbe, Key und Retzius u. a. die Tatsache fest, dass die peri-
vaskulären Lymphbahnen der Gefässe der Nebenhöhlen nicht nur mit-
einander zusammenhängen, sondern auch jenen Venenanastomosen ent-
sprechen, welche die Verbindung zwischen den Nebenhöhlen und der Dura
und Pia mater vermitteln. Den Lymphgefässen fällt daher nicht nur bei
der direkten, sondern auch bei der indirekten Infektion des Schädelinhalts
eine Rolle zu.
Killian, dem wir die erste moderne, zusammenfassende, auf eigenen
Untersuchungen beruhende Schrift über die Erkrankungen der Stirnhöhle
und deren Komplikationen verdanken, erwähnt, dass in der Mehrzahl der
angeführten Beobachtungen akuter Fälle mit rapidem Verlauf keine Per-
foration stattgefunden hat, da keine Zeit zur Ausbildung einer solchen
vorhanden war, die Infektionskeime offenbar durch thrombosierte Venae
perforantes in das Cavum cranii verschleppt wurden. Am Knochen fiel
makroskopisch nichts auf. Weiterhin, das der inneren Stirnhöhlenwand
zunächst gelegene Gebilde ist die Dura mater, ihr Venennetz hängt durch
Venae perforantes mit der Stirnhöhlenschleimhaut zusammen, die Dura
muss in erster Linie erkranken, wie dies tatsächlich auch der Fall ist.
Ferner sagt er bei Besprechung der Sinusitis exulcerans atque abscedens,
bei Veränderungen an der hinteren Stirnhöhlenwand sei es Regel, dass die
Entzündung sehr bald nach der Schädelhöhle fortgeleitet werde. In späteren
Schriften und Vorträgen betont er wiederholt die Bedeutung der Lymph-
bahnen als Infektionsvermittler, so in einer Diskussion (XVI. Internat.
med. Kongress) und einem klinischen Vortrage (Deutsche med. Wochen-
schrift. 1911).
Hajek findet, nachdem er die Rolle der perforierenden Venen
beim Zustandekommen der rlinogenen Gehirnkomplikationen gewürdigt
hat, dass in einer nicht unerheblichen Anzahl von Fällen, in welchen
zwar an dem rhinogenen Ursprung der Zerebralaffektion nach vor-
handener Lage der Verhältnisse kein Zweifel obwalten kann, nichts-
destoweniger aber der Infektionsweg nicht klargestellt werden konnte.
Es seien dies diejenigen Fälle von Zerebralkomplikationen infolge
von Erkrankung der Stirnhöhle, bei welchen ausdrücklich verzeichnet
ist, dass die zerebrale Wand keinerlei makroskopisch sichtbare Ver-
änderungen aufzuweisen hat. Bei all diesen Fällen sind wir bezüglich
des Infektionsweges nur auf Vermutungen angewiesen. Der möglichen
Infektionswege gibt es ausser der Gewebskontinuität und den Blut-
H. Zwillinger, Experimentelle Untersuchungen zur Mechanik usw. 275
gefässen noch längs der Lymphgefässe und längs der Lymphscheiden des
N. olfactorius. Ob Infektion entlang den Lymphgefässen überhaupt vor-
kommt. könne schliesslich nur durch mikroskopische Untersuchung des
Knochendurchschnitts nachgewiesen bzw. entschieden werden. An anderer
Stelle sagt derselbe Autor, ohne die Möglichkeit der Infektion auf dem
Lympliwege zu bezweifeln, müsse doch hervorgehoben werden, dass dieser
Vorgang bisher bei den Nebenhöhlen noch nicht erwiesen worden ist.
Gerber führt bei Besprechung der Mechanik der Infektion die
Möglichkeit des Zustandekommens letzterer durch die Lymphbahnen an
letzter Stelle an. In den Fällen, in welchen weder eine direkte Fortleitung
durch den Knochen, noch eine Infektion durch die Blutbahnen nachweisbar
ist. muss an eine Uebertragung durch die Lymphgefässe gedacht werden,
welche in dieser Beziehung noch wenig beachtet wurden. Nach Gerber
ist auch von Poirier, Zuckerkandl, Lombard u. a. auf diese Lymph-
gefässverbindungen hingewiesen worden. In der angeführten Kasuistik ist,
wenn auch in einer geringen Zahl von Fällen, das Zustandekommen der
Komplikationen direkt auf diese Verbindungen zurückgeführt worden, so
sind von Hoppe, Pagenstecher und P&chin diese Bahnen für den
Transport infektiösen Materials verantwortlich gemacht worden. Unter den
von Gerber angeführten 28 Fällen von Extraduralabszess ist nur in einem,
dem von Gyselinck und Mayer veröffentlichten Falle, die Wahrschein-
lichkeit der auf dem Wege der Lymphbalınen entstandenen Infektion
angenommen; Operation, Ausgang in Heilung, Untersuchung fehlt. In den
angeführten 66 Fällen von Gehirnabszess ist ebenfalls nur einer, jener von
Hoffmann, als auf dem Wege der Lymphbahnen entstanden angenommen;
als Infektionsweg ist Perforation der Hinterwand rechts, Lymphwege links
anzegeben. In den Bemerkungen heisst es: „Im linken Frontallappen drei
Abszesse auf dem Lymphwege entstanden“. Untersuchung fehlt ebenfalls.
Poli, der über eigene Untersuchungen ebenfalls nicht verfügt, meint,
dass man annehmen kann, dass auch in den Stirnhöhlen ein Lymphnetz
vorhanden ist, wenn der Nachweis dafür auch noch fehlt, ein Lymphnetz,
welches mit dem der Nase in Verbindung steht. Die Schwierigkeiten des
Nachweises beruhen darauf, dass beim Neugeborenen, wo ein solcher mög-
lich wäre, die Stirnhöhlen kaum ausgebildet sind, beim Erwachsenen die
Schleimhautauskleidung sehr dünn wird, sich den Höhlenwandungen an-
passt, wodurch die Darstellung des Lymphnetzes sehr erschwert wird.
In dem gründlichen Referate Logan Turners und Jules Broek-
kaerts wird der Stirnhöhle wenig gedacht, da sich die Referate nur mit
dem Lymphapparate der Nase und des Nasenrachenraums in seinen Be-
ziehungen zum übrigen Körper beschäftigen; doch werden auch hier, soweit
wie möglich, die bisher bekannten anatomischen Daten angeführt, die An-
nahme der Fortpflanzung der Stirnhöhlenentzündungen auf das Gehirn und
die Hirnhäute auf dem Wege der Lymphbahnen vom klinischen Stand-
punkte erwähnt.
Nachdem in Kürze der Anatomie der Stirnhöhle. soweit sie für
Archiv für Laryngologie. 28. Bd. 2. Heft. 19
276 H. Zwillinger, Experimentelle Untersuchungen zur Mechanik usw.
die zu lösenden Fragen von Belang ist, ihrer Grösse, Ausdehnung, Dicke
ihrer Wände, ihrer topographischen Beziehungen zum Gehirn und seinen
lTäuten gedacht, unsere bisherigen Kenntnisse über die Lymphgefässe, der
Stirnhöhlenschleimhaut und die Bedeutung, welche denselben bei dem Zu-
standekommen intrakranieller und zerebraler Komplikationen zuzukommen
scheint, angeführt sind, nachdem wir auch die Autoren, die der Infektion
auf dem Wege der Lymphbahnen gedenken und diesen Infektions-
wegen auf Grund eigener klinischer Beobachtungen die entsprechende
Wichtirkeit zuerkennen, erwähnt haben, soll es in folgenden nun unsere
Aufgabe sein, die experimentellen Untersuchungen, welche wir ausgeführt,
zu beschreiben. Bevor dies geschieht. müssen die grundlegenden Unter-
suchungen, die Injektionsversuche und die Resultate, welche Key und
Retzius an Tieren (Hunden und Kaninchen), und das Tatsachenmaterial,
welches die Versuche Falcones bezüglich des Zusammenhangs des Lymph-
netzes. der Stirnhöhlenschleimhaut mit den perimeningealen Lymphräumen
ergaben, einer Erörterung unterzogen werden.
Axel Key und Gustav Retzius waren nach Schwalbe die ersten,
welche in grundlegender und ausführlicher Weise die Lymph- und Saft-
bahnen der Nasenschleimhaut und ihre Verbindung mit den serösen Räumen
(des nervösen Zentralorgans zum Gegenstande ihrer Untersuchungen machten
und auf Grund dieser sorgfältigen Untersuchungen sich über diesen Gegen-
stand äusserten. Sie fanden bei ihren Injektionsversuchen vom Subarach-
noidealraum eines getöteten Tieres, eines Hundes oder Kaninchens aus ein
Netz feiner in verschiedener Richtung verlaufender Gänge. welche mannig-
lach anastomosierten. Dieses Netz durchwebte die Schleimhaut und er-
streckte sich nicht nur weit in die Membrana olfactoria, sondern auch in
den übrigen Teil der Nasenschleimhaut, nicht selten war dasselbe nicht
nur in der Schleimhaut der Nasenmuscheln, sogar bis an die äussere Nasen-
öffnung sichtbar. Oft fand sich auch in der Schleimhaut der Sinus fron-
tales eine reichliche Injektion von Gefässen, welche mit dem Netze der
Regio olfactoria in Verbindung standen. Der Beweis, dass es sich tatsäch-
lich um Lymphgefässe handelt, wurde dadurch erbracht, dass nachher noch
die Blutgefässe des Kopfes injiziert wurden, es wurde dadurch mit Gewiss-
heit erkannt, dass die vom Subduralraum aus injizierten Gefässe von den
Blutgefässen ganz unabhängig waren, die Möglichkeit, dass es sich um ein
Venennetz handeln könnte, dadurch vollkommen ausgeschlossen, ausserdem
zeigten die Bilder die charakteristischen Gestalten von Lymphgefässen,
wodurch sie sich als zum Lymphgefässsystem gehörig erwiesen. Nach
diesen Befunden konnten die Netze daher nur Lympligefässnetze sein, sie
sammelten sich in grösseren Stämmen, welche in wirkliche Lymphdrüsen
des Halses sich einsenkten.
Falcone hat in einer vorläufigen Mitteilung, betitelt „Direkte lym-
phatische Verbindungen zwischen den perienzephalischen Räumen und der
Stirnhöhlenschleimhaut*, auf Grund seiner Untersuchungen gefunden, dass
in der Stimhöhlenschleimhaut. wenigstens beim Hunde, ein vollkommen
H. Zwillinger, Experimentelle Untersuchungen zur Mechanik usw. 27%
darstellbares Lymphgefiissnetz vorhanden sei. welches vom Subdural- oder
Subarachnoidealraum aus mittels Injektion zu füllen ist; diese Injektion
gelang immer besser vom Subduralraum aus. Die Injektionsflüssigkeit ge-
langt von den perimeningealen Räumen aus direkt in das genannte Lymph-
refässnetz und zwar durch eigene Verbindungen und nicht auf dem Wege des
Lymphnetzes der Nasenschleimhaut, welches die Lamina cribrosa passiert
und von Key und Retzius dargestellt wurde. Es können in der Substanz
ler Knochenwand, welche die hintere Wand der Stirnhöhle bildet, Lymph-
wege mit Injektionsmasse gefüllt nachgewiesen werden, welcher Umstand
den Nachweis für den durch den Knochen hindurchgehenden Ivmphatischen
Zusammenhang der Schädelhöhle mit der Stirnhöhle bildet. Er hat diese
Untersuchungen an Tieren und Menschen gemacht, jedoch in seiner Mit-
teilung nicht ausdrücklich gesagt, ob sich obige Schlussfolgerungen auch
auf den Menschen beziehen.
In seiner im Jahre 1908 erschienenen Monographie sagt genannter
Autor in dem die intrakraniellen Komplikationen behandelnden Kapitel
unter „Infektion auf dem Wege der Lymphbahnen“, die Infektion auf dem
I,ymphwege sei bisher angenommen, aber noch nicht nachgewiesen worden.
So meinen Sieur und Jacob und Cuneo und Andre, dass die infolge
von Stirnhöhlenentzündungen entstehenden meningealen und enzephalischen
Komplikationen durch die wahrscheinlich vorhandenen Verbindungen, welche
zwischen dem subarachnoidealen Raum und dem Lymphnetz der Stirn-
höhlenschleimhaut vorhandeu sind, erklärt werden können. Im Anschluss
an diese anatomische Möglichkeit bemerken Sieur und Jacob weiter, dass
die endokraniellen Komplikationen infolge von Stirnhöhlenerkrankung bei-
nahe konstant in dem Stirnlappen und dessen angrenzenden Teilen lokali-
siert sind. Poirier schreibt den Lymphwegen ebenfalls eine besondere
Bedeutung zu. Molly bemerkt, dass nur auf diese Weise die Fälle mit
akutem Verlauf zu erklären sind, andererseits die Abwesenheit von Thromben
die metastatischen Erscheinungen, die Veränderungen am Knochen diese
Hypothese bestätigen. Nach seinen Untersuchungen scheint es Falcone,
dass diese Hypothese nun als Tatsache betrachtet werden kann, er hat die
direkten Verbindungen der Lymphwege der beiden benachbarten Höhlen,
der Stirn- und der Schädelhöhle nachgewiesen, seine anatomischen Beob-
achtungen müssten nun durch klinische Erfahrungen bestätigt werden. Die
Resultate seiner Untersuchungen sind bezüglich der Frage, ob es in der
Schleimhaut der Stirnhöhle ein Lymphgefässnetz gibt, positive. Beim
Hunde ist es ihm gelungen, absolut beweisende Bilder zu erhalten. Beim
Menschen hingegen konnte er kein wirkliches Netz beobachten, sondern
nur Kanäle, welche an einigen Stellen geteilt, an anderen verzweigt, mehr
weniger unregelmässig verliefen. Das Lymphnetz, die Beschreibung bezieht
sich auf den Hund, besteht aus zahlreichen länglichen, miteinander ana-
stomosierenden Maschen feinster Gefässe, das Kaliber derselben ist unregel-
mässig und zeigt ampullenförmig aufgetriebene und engere Stellen. An
den Stellen des Zusammenflusses sind die Ampullen beinahe immer vor-
19^
278 H. Zwillinger, Experimentelle Untersuchungen zur Mechanik usw.
handen. Die Lage dieses Netzes ist in Anbetracht der Dicke der Schleim-
haut eine relativ oberflächliche. In einer tieferen Schicht konnte eine
zweite Serie von blau injizierten Gefässen beobachtet werden, grösser als
die ersteren, auch anastomosierend und ein aus weiten Maschen bestehendes
Netz bildend. In der Abbildung, in welcher die tiefere Schicht nicht
sichtbar ist, sind bloss drei Maschen des erwähnten Netzes dargestellt,
über die Natur desselben kann kein Zweifel obwalten: die Form seiner
Kanäle, ihre Unregelmässigkeit, die ampullenförmigen Erweiterungen, ihr
regelmässiges Vorkommen an den Stellen der Anastomosen sind Charaktere der
Lymphgefässe. Die Art des Verhältnisses dieses Netzes zu den meningealen
Lymphräumen erhellt aus dem Umstande, dass dasselbe durch Injektion in
die meningealen Höhlen gefüllt werden kann. Es wurde keine direkte
Injektion in die Schleimhaut ausgeführt, die Färbemasse wurde nur in die
perienzephalischen Höhlen gebracht. Die Konstatierung des auf diese Art
injizierten Netzes löst implicite die gestellte Frage. Die Injektion in den
Subduralraum ergab immer bessere Resultate als diejenige in den Sub-
arachnoidealraum, auch konnte beim Hunde nicht immer mit Sicherheit
festgestellt werden, in welchen der beiden Räume die Injektion erfolgt war.
Welchen Weg passiert nun die Injektionsmasse. welche aus den perimenin-
gealen Höhlen in die Schleimhaut der Stirnhöhle gelangt? Der anatomische
Nachweis dieses Weges würde jeden diesbezüglichen Zweifel ausschliessen.
wie dies Falcone zeigt, der an Serienschnitten der entkalkten zerebralen
Stirnhöhlenwand in der Dicke dieser Wand mit blauer Injektionsmasse
gefüllte Wege nachweisen konnte. Manche dieser Wege sind sehr fein, kaum
sichtbar und kaum gefärbt, netzartig angeordnet, von geringer Länge, sie
vertiefen sich dann in eine andere Schicht oder gehen in einen anderen
Schnitt über, andere sind von grösserem Kaliber, besser gefärbt, verzweigt,
an bestimmten Stellen zweigeteilt. Beinahe alle verfolgen einen mit der
Oberfläche des Knochens parallelen Weg oder sind ein wenig schief zu der-
selben gelagert; in einem einzigen Falle konnte ein querverlaufendes Gefäss
beobachtet werden, welches perpendikulär quasi von einer Oberfläche des
Knochens zur anderen verlief. In einigen Präparaten konnten einzelne feine
Lymphgefässzweige durch die Dicke der Schleimhaut des Sinus verlaufend
gesehen werden.'
Die Tafel V zeigt ein Beispiel, wie solche Zweige beim Hunde sich
in der Dicke des Knochens verhalten. Es ist kein Zweifel über deren
Bedeutung zulässig, sei es durch ihre Fortsetzung in das Schleimhautnetz,
sei es durch die vorherige Füllung der Blutgefässe. Die Schlüsse, welche
Falcone aus seinen Untersuchungen zieht, sind, dass in der Schleimhaut
der Stirnhöhle, wenigstens beim Hunde, ein mit eigenen Wänden versehenes
Lymphgefässnetz vorhanden ist, welches vom Subdural- oder vom Sub-
arachnoidealraum aus füllbar ist, die Injektion gelinge besser vom ersteren,
als aus dem letzteren. Die Injektion von den meningealen Räumen aus
in das genannte Lymphgefässnetz findet durch eigene Verbindungen statt,
und nicht auf dem Wege von Zweigen des Lymphgefässnetzes. der Nasen-
NH. Zwillinger, Experimentelle Untersuchungen zur Mechanik usw. 279
schleimhaut oder auf den Wegen, welche die Lamina cribrosa durchziehen
und von Key und Retzius nachgewiesen sind. Sie können in der Dicke
der Knochenplatte nachgewiesen werden, welche die hintere Wand der
Stirnhöhle bildet, indem sie von den Lymphräumen aus mit Injektionsmasse
gefüllt werden, was den sichersten Nachweis der Iymphatischen Verbindung
der Schädelhöhle mit dem Sinus durch den Knochen hindurch bildet.
Das Vorhandensein einer Verbindung der perimeningealen Lymphräume
mit dem Lymphnetz der Stirnhöhle auf dem Wege der perivaskulären
Lymphbahnen ist bisher noch nicht nachgewiesen worden.
Key und Retzius fanden bei Tieren, dass in der Stirnhöhlenschleim-
haut vom Subduralraum aus auf dem Wege der Lymphbahnen der Regio
ulfactoria ein reichliches Netz von Gefässen injizierbar war, welches nichts
anderes als ein Lymphgefässnetz sein konnte. Grünwald zieht aus seinen
eigenen Untersuchungen den Schluss auf die Hinfälligkeit der Vorstellungen
von Zusammenhängen zwischen Schleimhaut und Knochenmarkräumen.
Falcone wiederum weist nach, dass die Injektion von den perimeningealen
Räumen in das Lymphnetz der Schleimhaut der Stirnhöhle durch eigene
Verbindungen stattfindet, nicht auf dem Wege des Lymphnetzes der Nasen-
schleimhaut, sondern durch die in der Dicke der zerebralen Knochenwand
der Stirnhöhle nachweisbaren Lymphgefässe, welche von den perimenin-
xealen Räumen aus injiziert werden können. Die Existenz eines Lymph-
sefässnetzes der Stirnhöhlenschleimhaut beim Tiere, Hund und Kaninchen.
ist bereits von Key und Retzius sichergestellt, ein solches Netz beim
Menschen durch die Untersuchungen von Bartels. Most und Grünwald
nachgewiesen worden; dieses Netz ist durch Injektion in die perimeningealen
Lymphraéume beim Tiere durch Key und Retzius auf dem Wege der In-
jektion des Lymplınetzes der Riechschleimhaut dargestellt, von Grünwald
aber beim Menschen auf dem Wege der direkten Injektion in die Schleimhaut
der Nasenhöhle auf dem Wege der Injektion der Lymphgefässe der Nasen-
schleimhaut nachgewiesen worden Ebenfalls beim Tiere, nämlich beim Hund,
ist dies Netz auf dem Wege der Injektion in die perimeningealen Räume von
Faleone dargestellt. Direkte Wege durch den Knochen der zerebralen
Hinterwand der Stirnhéhle beim Tiere fand Falcone. Nachdem er beim
Tiere nachweisbare Resultate erhalten hatte, hat er Kontrollbeobachtungen
am Menschen ausgeführt: so beschreibt er die beim Menschen angewandte
Technik, welche sich von der beim Tiere, dem Hund, angewandten kaum
wesentlich unterscheidet. Hier konnte er kein Netz beobachten, hingegen
Kanäle. welche an einigen Stellen geteilt, an anderen verzweigt waren und
mehr weniger unregelmässig verliefen. Diesen Befund erhielt er durch indirekte
Injektion. Dass die Füllung nicht sekundär war, war dadurch erwiesen,
dass kein Gefäss der Schleimhaut der Stirnhöhle gefüllt war und dass in
keinem Falle eine Verbindung des Lymphgefässnetzes der Nasenschleimhaut
gegen den Sinus hin beobachtet werden konnte. Ebenso wurden die an-
deren Nebenhöhlen untersucht, die Injektion weder in den Siebbeinzellen
noch im Sinus maxillaris gefunden. Diese Untersuchungen ergaben, wie
250 HH. Zwillinger, Experimentelle Untersuchungen zur Mechanik usw.
“aleone meint, keine sicheren Beweise der Verbindung der meningealen
llohlräume und der Schleimhaut der Stirnhöhle, präsumieren nicht einmal
deren Existenz.
Um sich Gewissheit über diese Verbindungen zu verschaffen, hat er
vom entkalkten Knochen der Stirnhöhle des Hundes und des Menschen
Serienschnitte verfertigt, und ist dabei zu den oben (S. 278) angegebenen
Resultaten gelangt. Leider aber gibt Falcone weder das Alter noch die
Anzahl der untersuchten Fälle an, ebenso fehlen sonstige nähere Angaben.
Auch wäre die Reproduktion von Bildern beim Menschen von viel grösserer
Wichtigkeit gewesen, als die beiden Abbildungen, welche er vom Lymph-
gefässnetze in der Schleimhaut und den Lymphwegen des Knochens beim
Hunde bringt.
Die Methode, welche wir bei unseren ausschliesslich am Menschen aus-
geführten Untersuchungen befolgten, ist die Methode der indirekten Injektion,
der Injektion von den perimeningealen Räumen, hauptsächlich vom Sub-
duralraume aus. Sie bestand darin, dass am frischen Präparate, welches
in bekannter Weise in erhöhte Temperatur gebracht wurde, die ent-
sprechend hergestellte Karmingelatinelösung in die Blutgefässe eingebracht
wurde, um vorerst eine Injektion derselben zu erhalten, oder es wurde in
anderen Fällen, ohne erst die Blutgefässe zu füllen, gleich die Gerota-
sche Preussischblau-Terpentin-Aetherlösung in eine der perimeningealen
Höhlen injiziert, und zwar so. dass vorher ein grösseres Stück des
Knochens in der parietalen Region entfernt wurde. In den ersten Fällen
hatten wir bei der Entfernung des Knochens mit Meissel und Hammer,
wie es sich nachher bei der Injektion herausstellte, die Dura verletzt, so
dass in den späteren Fällen ein kleineres Stück des Knochens entfernt
und eine kleinere Oeffnung gemacht wurde, um die Verletzung der Dura
zu vermeiden. Es wurde hierauf die mit Schlauch und Glastrichter ver-
bundene Pravaznadel. später eine fein ausgezogene Glaskaniile bei Auf-
heben der Dura mit leingeriefter Pinzette in die harte Hirnhaut vorsichtig
eingestochen, die Kanülenspitze drang so in den Subduralraum, bei lang-
samem Heben des Trichters sank die Flüssigkeit durch eigene Schwere in
den Subdural- oder in den Subarachnoidealraum. Man sah die Dura sich
langsam emporheben und blähen; indem nun der Trichter bis über 1!/;, m
vorsichtig hochgehoben wurde, drang die Flüssigkeit unter entsprechendem
Drucke bei mehrfacher Unterbrechung in den Subduralraum ein. Bei der
Injektion in den Subarachnoidealraum wurde die Dura in der Gegend der
Fossa Sylvii gespalten, die Arachnoidea mit feiner Pinzette vorsichtig in
die Höhe gehoben und die konische Glaskanüle dann eingestochen. Wenn
keine Verletzung stattgefunden hatte und der Druck kein zu hoher war.
erfolgte keine Extravasation der Injektionsflüssigkeit. Es wurde hierauf
das Präparat in der Weise verkleinert. dass Nasenhöhle und Nebenhöhlen
in einem Stücke belassen wurden, das ganze dann in 5 proz. alkoholische
Formalinlösung gebracht: diese Fixation hat den Vorteil, dass sowohl die
Karmingelatine als auch die Gerotamasse rasch präzipitiert werden. Nach
I. Zwillinger, Experimentelle Untersuchungen zur Mechanik usw. 251
I 2 Tagen wurde dann das Präparat in der Mitte oder auch seitlich
xeteilt. behufs Untersuchung der Schleimhaut der Stirnhöhle dieselbe vom
Knochen losgelöst und in grösseren oder kleineren Lappen entfernt. welche
dann, in Kanadabalsam eingelegt, untersucht werden konnten. In den
Fällen, in welchen der Knochen untersucht werden sollte wurde in der
Weise verfahren, dass derselbe erst entkalkt, das Präparat in Alkohol ge-
legt und Schnitte verfertigt wurden, welche nach entsprechenden Verfahren
eingeschlossen, untersucht wurden. Die Anfertigung mikroskopischer Prä-
parate war deshalb notwendig, weil das Gelingen der Injektion sich mit
freiem Auge oder geringer Vergrösserung nur selten beurteilen, und nur
die mikroskopische Untersuchung mit Sicherheit das Gelingen der Injektion
erkennen lässt.
Versuchsreihe.
l. Durchspülung der Gefässe des Kopfes mit sterilem Wasser, nachher In-
jektion von der linken Arteria carotis aus, mit Abklommung aller sichtbaren Ge-
fässmündungen. Ausiluss von Karmingelatine aus den Rückenmarksgefässen.
Trepanation der Seitenwandbeine; es wird ein über fünfkronenstückgrosser Teil
des Knochens entfernt, die Dura mit Hilfe einer Pinzette aufgehoben und Gerota-
masse mittels fein ausgezogener Glaskanüle in der Gegend der Fossa Sylvii in den
Subduralraum injiziert. Die Injektion geschah mit Hilfe von Glastrichter und
Schlauch aus der Höhe von 11/ m. Man sah in der Umgebung der Kanüle den
waum sich füllen, die Lösung schien bläulich duroh; als sich der Trichter lang-
sam entleerte, spannte sich die Dura immer mehr und trat ein wenig hervor.
keine Extravasation. Hierauf wurde die Kanüle zurückgezogen, das Präparat für
45 Stunden zum Zwecke des besseren Eindringens der Masse konserviert. Nach
dieser Zeit, welche, wie erwähnt, dazu dient, um die Injektionsmasse in die
feinsten Gefässverzweigungen dringen zu lassen, wurde das Präparat in der Weise
verkleinert, dass Stirnhöhle, Nasenhöhle und die übrigen Nebenhöhlen in einem
zusammenhängenden Stücke gelassen wurden, welches dann in die Fixations-
Nüssigkeit, alkoholische Formalinlösung, gebracht wurde. Bei dem Verkleinern
wurde die Stirnhöhle, welche sich hoch nach oben erstreckte, eröffnet; man sah
mit freiem Auge einige bläuliche, streifenförmig gefärbte Stellen.
2. Durchspülung, Injektion von der Karotis aus unter den erwähnten
Kautelen, Karmingelatine. Entfernung des oberen Teiles der rechten Stirnbein-
schuppe; die Dura wird vorsichtig mittels gezähnter Pinzette aufgehoben und mit
Kanüle erst rechts eingestochen, die Injektionsflüssigkeit hebt die Dura empor,
durch eine kleine Lücke Extravasation, hierauf wird links eingestochen, die In-
Jjektionsflüssigkeit spannt und hebt die Dura auch hier, doch nicht so vollkommen
wie rechts, auch an dieser Stelle geringer Auslluss von Gerotamasse. Nach
24 Stunden Heraussägen des aus Stirn, Nase und übrigen Nebenhöhlen bestehen-
den Knochenstückes und Einlegen in alkoholische Formalinlösung. Nach ent-
sprechendem Zuwarten, Durchsägen des Knochenstückes in sagittaler Richtung
wurde eine mittelgrosse Stirnhöhle gefunden, vordere Wand von bedeutender
Dicke, Spongiosa des Knochens sehr entwickelt, hintere Wand dünn. Masse: Höhe
der Stirnhöhle 20 mm, sagittaler Durchmesser 6 mm, Dicke der hinteren Wand
2 mm. Makroskopischer Befund des Knochens der Hinterwand: Von beiden
282 MH. Zwillinger, Experimentelle Untersuchungen zur Mechanik usw.
Seiten blau, streifenförmige blasse Verfärbung. Ebenso blau verschwommene
Flecke an der Schleimhaut der Hinterwand.
3. Präparat in erhöhte Temperatur gebracht, Durchspülung, Injektion durch
die Karotis, nach Unterbindung sämtlicher Gefässmündungen Injektion dünner
Karmingelatinelösung; die Flüssigkeit kommt an einer Stelle zurück, weshalb
dieselbe tamponiert wird. Das Präparat wird in Eis gelegt, um rasches Erstarren
herbeizuführen, dann subarachnoideale Injektion mit Gerotamasse in der Gegend
des aufsteigenden Astes der Fossa Sylvii. Untersuchung sowohl der hinteren Wand
als auch der Schleimhaut makroskopisch negativ.
4. Aelteres Präparat, beschriebene Behandlung, Konservierung der hinteren
und vorderen Wand der Stirnböhle und der Stirnhöhlenschleimhaut in Alkohol.
ð. Ebenfalls subdurale Injektion mit Gerotas Preussischblau. Unter-
suchung ergibt makroskopisch negatives Resultat. Hinterwand und Schleimhaut
werden konserviert.
6. Subdural injiziert, Untersuchung ergibt Mangel der Stirnböble.
7. 31 Jahre alt. Subdurale Injektion. Untersuchung zeigt weite gefächerte
Stirnhöhle mit dünner Hinterwand, welche entfernt wird, Hinterwand und Stirn-
höhlenschleimhaut, welche abgelöst wird, werden fixiert.
Das untersuchte Material beläuft sich auf sieben Erwachsene im Alter
von zumindest 31 Jahren. Es würden bei jugendlichen Individuen mit
günstigeren Bedingungen wahrscheinlich bessere Ergebnisse zutage gefördert
werden, doch konnte entsprechenderes Material nicht beschafft werden.
Die Untersuchung geschah in jedem Falle in möglichst frischem Zustande.
ausschliesslich auf dem Wege indirekter Injektion, meist vom Subdural-
raume aus in der beschriebenen Weise.
Die grossen Schwierigkeiten der Untersuchung Erwachsener, die
Schwierigkeiten der befolgten Technik machen es erklärlich, dass positive
Resultate so selten sind.
Es ist mir in einem Falle gelungen, nach der Injektion in der Schleim-
haut der Hinterwand der Stirnhöhle eine nicht vollkommene Blaufärbung
zu finden. Im Schnitte stellt sich die Färbung als aus einzelnen blauen
Strichen und Punkten bestehend dar. Wir finden eine mit der Oberfläche
der Schleimhaut parallel verlaufende, nicht zusammenhängende Färbung
vor. Dle fragliche Partie, mit starker Vergrösserung genau betrachtet
(siehe Taf. V), tritt in der Verbindungslinie der einzelnen blauen Massen
und schollenförmigen Anhäufungen als ein sich vertiefender, ziemlich
scharf konturierter Kanal hervor, welcher sich an drei Stellen verzweigend,
an mehreren Stellen unregelmässiges Kaliber zeigt in der Weise, dass den
ampullenförmigen Ausweitungen Einschnürungen folgen. Zwei der Zweige.
der obere und einer der Endzweige. verlieren sich in tiefere Schichten.
Dieser Befund muss dahin gedeutet werden, dass es sich um eine,
wenn auch unvollkommen injizierte Lymplgefässverbindung handelt. Dass
diese Lymphgefässverbindung mit den perimeningealen Räumen, speziell
mit dem Subduralraume zusammenhängt, beweist der Umstand, dass ihre
Füllung durch Injektion in den Subduralraum zustande kam. Auf welchem
Wege dies geschah, ob auf dem Wege eigener. durch den Knochen hindurch-
H. Zwillinger, Experimentelle Untersuchungen zur Mechanik usw. 285
xehender selbständiger Wege, wie dies bereits nachgewiesen wurde, konnte
in unserem Falle nicht entschieden werden. Die Untersuchung einer grossen
Anzahl von Schnitten, angefertigt aus der entkalkten Hinterwand der Stirn-
höhle. führte zu keinem positiven Resultat. Hingegen kann darauf hingewiesen
werden, dass Lymphgefässe der Nasenschleimhaut nicht injiziert waren.
Wir können somit auf die Frage, ob es in der Stirnhöhlenschleimhaut
beim Menschen Lymphwege gibt, gestützt auf das Ergebnis unserer Unter-
suchungen, bestätigend antworten: auch wir konnten beim Menschen kein
wirkliches Netz, sondern nur mit blauer Injektionsmasse gefüllte, unregel-
mässige, an einzelnen Stellen verzweigte und ampullenförmig erweiterte
Kanäle beobachten, welche, wie num nachgewiesen, mit den perimeningealen
Räumen des Gehirns zusammenhängen. Es sind somit nicht nur für das
Tier, sondern auch für den Menschen die von den perimeningealen Lymph-
räumen des Gehirns führenden Lymphbahnen der Stirnhöhlenschleimhaut
nachgewiesen, Wege, welche für den Transport des infektiösen Materials
ebenfalls verantwortlich gemacht werden müssen. Ob nur eine kleine
Anzahl von Komplikationen als direkt auf diesem Wege entstanden an-
genommen werden muss, dafür wird der klinische und anatomische Beweis
in den Fällen von infolge Stirnhöhlenentzündung entstandener intra-
kranieller und zerebraler Komplikationen durch entsprechend genau aus-
geführte Untersuchungen erbracht werden müssen.
Wir kommen auf Grund der angeführten und unserer eigenen Unter-
suchungen, welche wir im I. anatomischen Institute der Königl. ungarischen
Universität in Budapest machen konnten, wofür wir dessen Direktor, Herrn
Hofrat Prof. Dr. M. v. Lenhossek, und dem Adjunkten an diesem In-
stitute, Herrn Doz. Dr. L. v. Nagy, für dessen Hilfe besten Dank sagen, zu
folgenden Schliissen:
1. Der Zusammenhang der perimeningealen Räume, des Subdural-
und des Subarachnoidealraumes mit dem Lymphgefässnetze der Stirnhöhlen-
schleimhaut auf dem Wege der Lymphbahnen der Nasenschleimhaut beim
Tiere (Kaninchen) ist bekannt.
2. Der direkte Zusammenhang der perimeningealen Lymphräume mit
dem Lymphnetze der Stirnhéhlenschleimhaut ist festgestellt.
3. Der Zusammenhang der perimeningealen Lymphräume mit dem
Lymphnetze der Stirnhöhlenschleimhaut auf selbständigen, den Knochen
passierenden Wegen. ist sichergestellt.
4. Der anatomische Nachweis des Zusammenhanges der Lymphwege.
der Stirnhöhlenschleimhaut mit den Lymphräumen des zentralen Nerven-
systews beim Menschen ist erbracht.
5. Die Wege, auf welchen intrakranielle und zerebrale Komplikationen
von der Stirnhöhle aus stattfinden können, sind, ausser den bekannten,
die in direktem Zusammenhange mit den perimeningealen Lymphräumen
stehenden Lymphwege der Stirnhöhlenschleimhaut.
234
wo —
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tO
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4.
H. Zwillinger, Experimentelle Untersuchungen zur Mechanik usw.
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Aus der Kgl. Universitäts-Poliklinik für Hals- und Nasenkranke
in Königsberg i. Pr. (Direktor: Prof. Dr. Gerber.)
Beitriige zur Pathologie und Therapie der Kiefer-
höhleneiterungen.
Oskar Radzwill, Medizinalpraktikant.
Was die Häufigkeit der entzündlichen Erkrankungen der einzelnen
Nasennebenhöhlen betrifft, so steht nach den bisherigen Untersuchungen
die Kieferhöhle an erster Stelle. dann folgen die Keilbeinhöhle, die Sieb-
beinzellen und zuletzt die Stirnhöhle (Wertheim, Lapalle, Nakata u.a.).
Wertheim (zitiert nach Zarniko) sah z. B. bei 95 von 360 untersuchten
Leichen 159 Empyeme, die sich auf die einzelnen Höhlen folgendermassen
verteilten:
Kieferhöhlle . . 65 Empyeme bei 45 Leichen (19 mal doppelseitig),
Keilbeinhöhle . 46 a „935 s (Vx é Js
Siebbeinzellen . 34 2 m (12%: 43 Ji
Stirnhöhle . . 27 2 « 22 | (3d N
Nach dieser Statistik erkranken also von 100 Menschen:
an Kieferhéhlenentziindung . . . 18,05
Keilbeinhöhlenentzündung. . . 12,78
„ Siebbeinzellenentzündung . . . 9,44
„ otirnhéhlenentziindung. . . . 7,50.
Das Häufigkeitsverhältnis der Erkrankungen der einzelnen Nebenhöhlen
zueinander aber ist folgendes:
Kieferhéhle . . . . . 40,88 pl.
Keilbeinhéhle . . . . 28,983
Siebbeinzellen . . . . 21,38
Stirnhöhlle . . . 16.98
Aehnlich sind die Resultate Lapalles (unter 169 Sektionen: 48 Kiefer-
höhlen-, 19 Keilbeinhöhlen-, 6 Siebbeinzellen- und 5 Stirnhöhlenempyeme:;
zitiert nach Schmidt-Meyer) und die Schönemanns (zitiert nach
Zarniko), welch letzterer allerdings nur über eine Statistik von 31 Fällen
verfügt. Somit leiden nach Lapalle von 100 Menschen:
an Kieferhöhleneiterung . . . . 28,40
„ Keilbeinhöhleneiterung. . . . 11,24
Siebbeinzelleneiterung . . . . 3,55
Stirnhöhleneiterung. . . ... 296.
286 0. Radzwill, Zur Pathologie und Therapie der Kieferhöhleneiterungen.
Vergleicht man wieder die Häufigkeit der einzelnen Empyeme mit-
einander, so ergeben sich folgende Werte:
für die Kieferhöhle . . . . 6154 plit.
„ Keilbeinhöhle . . . . 2436
. « Siebbeinzellen . . . 7,69
» « Stirnhöhle . . . . . 641
Auch P. Junis fand gelegentlich einer Sektion von 100 Köpfen in
37 pCt. der Fälle die Kieferhöhle erkrankt und kam weiter zu dem
Schluss, dass intra vitam sehr häufig Nebenhöhleneiterungen übersehen
werden.
Mit diesen Angaben stimmen auch gut überein die Ergebnisse Nakatas,
der bei 121 Leichen 57 mal (= +7,10 pCt.) Eiterungen der Kieferhöhle
und Smal unter 57 Fällen (= 14,03 pCt.) solche aller übrigen Höhlen
zusammengerechnet, feststellte.
Nakamura allerdings bezweifelt auf Grund seiner Erfahrungen die
Häufigkeit der Antritiden, wie sie Nakata beobachtet haben will, auch
Edmund Meyer und A. Alexander haben trotz Untersuchung einer
grösseren Anzahl plötzlich Verstorbener (Unglücksfall oder Selbstmord!)
auffallend wenig Nebenhöhlenaffektionen zu Gesicht bekommen. Offenbar
hängt dies, wie Edmund Meyer vermutet, mit dem Allgemeinzustand
und der Todesursache der sezierten Fälle zusammen.
Wie bereits oben erwähnt, erkrankt unter allen Höhlen das Antrum
maxillare am häufigsten. Diese Tatsache findet ihre Erklärung zum Teil
in der ungünstigen Lage seiner Abflussöffnung, die man boch über dem
Boden des Antrum zu suchen hat. So kann denn bei aufrechter Haltung
des Kopfes der Sekretabfluss nur dann erfolgen, wenn die Höhle bis zum
Ueberlaufen gefüllt ist. Zwar ist, wie Zuckerkandl nachgewiesen bat,
fast in jedem zehnten Falle ausser dem Ostium maxillare noch ein Ostium
accessorium vorhanden, das tiefer gelegen ist als das erstere; doch kommt
dieses wegen seiner äusserst variablen Grösse im allgemeinen für die Ab-
leitung der entzündlichen Produkte nicht in Betracht. Die so entstandene
Sekretverhaltung verhindert nun die Ausheilung der akuten Entzündung,
die dann allmählich in einen chronischen Zustand übergeht.
Begünstigend für das häufige Auftreten der Kieferhöhlenentzündung
ist ferner der Umstand, dass das Antrum unter allen Nebenhöhlen die
tiefste Stelle einnimmt. Kein Wunder also, wenn durch Hineinträufeln
infektiösen Sekrets aus einer bereits früher erkrankten, höher gelegenen
Höhle (Siebbein-, Stirnhéhle) die Highmorshéble in Mitleidenschaft ge-
zogen wird!
Von nicht unerheblicher Bedeutung fiir das Ueberwiegen der Kiefer-
höhlenentzündungen ist auch die Nachbarschaft der Mundhöhle und der
Zähne. von denen aus entzündliche Prozesse auf die Highmorshöhle über-
greifen können, von geringerer Bedeutung endlich die exponierte Lage des
Antrums, das äusseren Gewalteinwirkungen bedeutend mehr ausgesetzt ist
O0. Radzwill, Zur Pathologie und Therapie der Kieferhöhleneiterungen. 28°
als die mehr versteckt gelegenen übrigen Nebenhöhlen. der Sinus frontalis
natürlich ausgenommen.
Die Frage, ob das Antrum mehr als die übrigen Nebenhöhlen dazu
neigt, doppelseitig zu erkranken, bejaht Nakata. ohne nähere Zahlen-
angaben darüber zu machen. Wertheim dagegen kommt zu einem anderen
Resultat, denn er findet doppelseitige Affektion
der Siebbeinzellen . . . . in 54,54 pCt
„ Kieferhöhlle. . . . ...4130 „
. Keilbeinhöhlle . . . . 2 81.42
der Stirnhöhle. . . ..2.22.72 „
seiner Fälle.
Die häufigste Kombination ist nach Wertheim eitrige Erkrankung
der Kieferhöhle und solche der Keilbeinhöhle derselben Seite. nach Nakata
Kieferhöhlen- und Siebbeinzelleneiterung.
Frauen und Männer werden nach den bisherigen Untersuchungen
(Wertheim) gleichmässig von Nebenhöhlenaffektionen betroffen, während
das Lebensalter eine wichtigere Rolle spielt: denn es finden sich — für
alle Antra zusammengerechnet (Wertheim. Nakata) -- im zweiten
Dezennium die häufigsten Fälle (= 37,5 pCt.), in der ersten Lebens-
dekade aber die wenigsten (= 4,1 pCt.). in der siebenten und achten
rund 34.5 pCt., in den dazwischen liegenden Dekaden 18.8 bis 28,8 p(t.
Die Ergebnisse unserer eigenen Untersuchungen decken sich nur teil-
weise mit den oben geschilderten Zahlenangaben.
Unter den vom 1. Januar 1907 bis 1. Januar 1913 in unserer Poli-
klinik behandelten 24487 Patienten litten im ganzen 829 an zusammen
1005 Nebenhöhleneiterungen. (In 176 Fällen war also die Krankheit
doppelseitig aufgetreten.) Mithin erkrankte jeder 30. Patient an einer
Nebenhöhlenaffektion. Die Gesamtzahl der
Kieferhöhlenkranken. . . . betrug 319,
Stirnhöhlenkranken . . . . u 23,
Siebbeinzellenkranken . . . „2%,
Keilbeinhöhlenkranken . . . à 65.
Vergleichen wir diese Zahlen mit den von Wertheim und Lapalle
angegebenen, so finden wir, dass die Kieferhöhle gleichfalls an erster
Stelle steht, die Keilbeinhöhle dagegen zugunsten der Stirnhöhle ganz in
den Hintergrund tritt, und dass das Siebbeinlabyrinth mit der Stirnhöhle
nahezu auf gleicher Stufe steht. Drücken wir die Häufigkeit der Eiterungen
der einzelnen Nebenhöhlen in Prozenten aus, so erhalten wir folgende Werte:
für die Kieferhöhle . . . . 3848 pCt.
. « Stirnhöhle. . . . . 2786 „
das Siebbein . . . . . 258l
« « Keillbein . . . . T84 „
Das auffallende Ueberwiegen der Siebbeinerkrankungen gegenüber den
Keilbeinempyemen lässt sich vielleicht so erklären. dass bei der Schwierig-
288 0. Radzwill, Zur Pathologie und Therapie der kieferhöhleneiterungen.
keit der Diagnose möglicherweise hier und da eine Keilbeinaffektion bei
gleichzeitig bestehender Siebbeinzellenentzündung übersehen worden ist.
176 mal im ganzen (= 21,23 pCt.) war auch die korrespondierende
Höhle der anderen Kopfhälfte affiziert, und zwar das Keilbein in 20 Fällen
= 80,77 pCt., das Siebbein in 56 Fallen = 26,17 pCt.. die Kieferhéhle in
66 Fällen = 20,69 pCt. und die Stirnhöhle in 34 Fallen = 14.72 pCt.
Mithin weichen unsere Ergebnisse erheblich von den Resultaten Nakatas
und Wertheims ab.
Auch können wir Wertheims Angaben hinsichtlich der Verteilung
der Erkrankung auf die beiden Geschlechter nicht bestätigen, denn wir
fanden (ganz allgemein berechnet) Eiterungen häufiger bei Frauen
(59,35 pCt.) als bei Männern (40,65 pCt.). Allerdings ist dabei zu berück-
sichtigen, dass überhaupt mehr weibliche als männliche Patienten die Poli-
klinik aufsuchen, was aber doch wohl für alle Polikliniken zutreffen wird.
Auch bei Betrachtung der einzelnen Höhlen machten sich diese Unter-
schiede im grossen und ganzen bemerkbar.
An Kieferhöhleneiterungen. . litten 66,46 pCt. Frauen. 33.54 pCt. Männer,
. nDiebbeinzelleneiterungen . „6108. “38,32
Stirnhöhleneiterungen . . . aloo, ~ . 8,05 „
Keilbeinhöhleneiterungen . „43.08 ,, 2. 02
An Kieferhöhlenentzündungen waren also Frauen doppelt so stark he-
teiligt als Männer.
Sehr interessante Verhältnisse ergaben sich bei der Untersuchung des
Zusammenhangs zwischen Alter der Patienten und Häufigkeit der Neben-
höhlenaffektion.
Der Uebersichtlichkeit wegen mögen zunächst zwei Tabellen folgen:
Tabelle I.
Anzahl der Eiterungen Anzahl aller
Alter 7 | 00 | Sinuitiden | In Pro-
der | der ; des _ des zusammen
des Patienten | Kiefer- | Stirn- © Sieb- | Keil- | in diesem | zenten
höhle | höhle | beins | beins Zeitraum
1—10 Jahre 3 2 | 3 | 1 9 1,09
11—20 , 62 49 5 | Dl 177 21,35
21—380 . 108 85 3 | 29 295 35,59
31-40 . 64 40 | 36 | 8 148 17,85
41-50. 45 36 2 7 110 13,27
51—60 . 20 1110383 4 48 5,79
61-70 . 14 7 | R2 5 38 4,58
71—80 , 3 110 0 4 0,48
Summa | 319 | 231 : 24 | 65 | 829 100,—
a
0. Radzwill, Zur Pathologie und Therapie der Kieferhöhleneiterungen. 289
Tabelle II
p
5
Nd
S,
wW
N
&
Ns
o de,
g
SVOZNSE,
Y
Lebesisal/er
Aus diesen Aufstellungen geht ohne weiteres hervor, dass nach ziem-
lich plötzlichem Ansteigen im zweiten Dezennium die Nebenhöhleneiterung
im dritten ihren Höhepunkt erreicht, um in der folgenden Lebensdekade
schnell, in der sechsten bis achten aber langsam wieder abzufallen. Da
diese Beobachtung sich nicht allein auf das Antrum maxillare beschränkt.
sondern auch bei den anderen Nebenhöhlen zutrifft. so kann es sich nicht
um einen Zufall. sondern nur um eine Gesetzmässigkeit handeln. Wie
diese Tatsache zu erklären ist, ob etwa durch eine besondere Prädisposition
der dritten Altersstufe für die Nebenhöhlenentzündungen oder durch andere
noch unbekannte Momente, ist schwer zu sagen.
Jedenfalls genügt aber das von anderen Autoren zur Erklärung heran-
zezogene Abhängigkeitsverhältnis zwischen Infektionskrankheit und Antritis
nicht, denn die Infektionskrankheiten befallen doch mit Vorliebe Menschen
im Alter bis zu 20 Jahren. Dass die Antritis maxillaris (ebenso wie alle
übrigen Nebenhöhlenerkrankungen) in der ersten Lebensdekade aber eine
so untergeordnete Rolle spielt, beruht wohl auf den anatomischen Eigen-
heiten des Antrums in diesem Zeitraum. Nach Schürich (zitiert nach
J,arniko) ist nämlich die Kieferhöhle beim Neugeborenen „eine sehr enge
Tasche, die sieh lateralwärts bis zum Canalis infraorbitalis erstreckt“, den
2% O. Radzwill, Zur Pathologie und Therapie der Kieferhéhleneiterungen.
übrigen Raum füllen Zahnkeime und spongiöser Knochen aus. Aber auch
nach dem Durchbruch der Milchzähne ist infolge der Zahnkeime der
bleibenden Zähne die Highmorshöhle noch wenig geräumig- Erst mit dem
1. Lebensjahre, dem Beginn der zweiten Dentition, wird sie auffallend
‘grösser und erreicht, während die Backenzähne sichtbar werden und der
(iesichtsschädel an Höhe zunimmt, ziemlich schnell eine ansehnliche Grösse.
Seine endgültige Tiefe (nach dem Alveolarfortsatz zu) zeigt das Antrum
maxillare aber erst etwa im 12. Lebensjahre (Haike). Wegen dieser
anatomischen Verhältnisse, bei denen von einem eigentlichen Oberkiefer-
kavum kaum die Rede sein kann, dürfte es also nicht verwunderlich sein,
dass die in der Literatur mitgeteilten Fälle von Kieferhöhlenentzündung
hei Neugeborenen (Greidenberg [zitiert nach Moritz Schmidt-Meyer],
3 Wochen altes Kind; Killian [Heimanns Handbuch], Kieferhöhlen-
eiterung nach akuter Osteomyelitis des Oberkiefers bei Säuglingen und
kleinen Kindern) und bei jüngeren Kindern (Königsberger Universitäts-
Poliklinik fiir Hals- und Nasenkrankheiten, 5 jähriger Knabe [doppelseitig],
Edmund Meyer, 4jähriges Kind) zu den Seltenheiten zu rechnen sind.
Relativ häufiger dagegen kommen schwere komplizierte Nebenhöhlen-
erkrankungen, besonders der Stirnhöhle und des Siebbeins, bei Kindern
nach Scharlach und Masern vor (Killian. Gerber u.a.) Betreffs der
Aetiologie möchte ich noch mitteilen, dass von unseren 319 Kieferhöhlen-
eiterungen, soweit notiert, 4 durch kariöse Prozesse an den Zähnen. 1 durch
Splitterung des Kiefers und Eröffnung des Sinus maxillaris bei Zahn-
extraktion bedingt waren. Bei dem Rest handelte es sich um gewöhnliche
naso-katarrhalische Antritis.
Wie bereits früher erwähnt, fand Wertheim als häufigste Kombination
eitrige Erkrankung der Kieferhöhle und solche der Keilbeinhöhle derselben
Seite, Nakata dagegen Oberkieferhöhlen- und Siebbeinzellenempyem.
Wir selbst haben folgende Beobachtungen gemacht:
Kieferhöhlen- und Stirnhöhleneiterung derselben Seite 36 mal, Sieh-
beinzellen- und Stirnhöhleneiterung derselben Seite 20 mal, Kiefer-, Keil-
bein-, Siebbein- und Stirnhöhleneiterung derselben Seite 33 mal, Kiefer-
höhlen- und Siebbeineiterung derselben Seite 17 mal, doppelseitige Pan-
antritis 19 mal, Kieferhöhlen-, Siebbeinzellen- und Stirnhöhleneiterung auf
einer Seite 11 mal, gleichseitige Keilbeinhöhlen- und Siebbeinentzündung
6 mal, beiderseitige Kieferhöhlen- und Stirnhöhlenaffektion 4 mal, beider-
seitige Antritis maxillaris und einseitige Ethmopiditis 3 mal, doppelseitige
Highmorshöhlen- und doppelseitige Siebbeinzellenentzündung 3 mal, beider-
seitige Kieferhöhlen- und einseitige Stirnhöhlenentzündung 2 mal, einseitige
Antritis maxillaris und doppelseitige Antritis frontalis 1 mal, Kieferhöhlen-,
Keilbein- und Stirnhöhleneiterung der gleichen Seite 1 mal, einseitige Keil-
bein- und doppelseitige Siebbeinaffektion 2 mal, doppelseitige Keilbein-
und doppelseitige Siebbeineiterung 1 mal, einseitige Keilbein- und einseitige
Stirnhöhlenaffektion 1 mal, einseitige Siebbein-, Keilbein- und Stirnhöhlen-
entzündung 1 mal, doppelseitige Siebbeinzellenerkrankung und Stirnhöhlen-
O. Radzwill, Zur Pathologie und Therapie der Kieferhöhleneiterungen. 291
eiterung nur auf einer Seite I mal und endlich eitrire Siebbeinzellen-
erkrankung auf einer Seite und Stirnhöhlenentzündung auf beiden Seiten
1 mal.
Was nun unsere Therapie betrifft, so haben wir in den letzten Jahren
überall da. wo wir mit konservativen Verfahren und weiterhin mit ein-
fachen Spülungen vom mittleren und unteren Nasengang nicht auskamen
und zu einem grösseren chirurgischen Eingriff gezwungen waren, die lange
Zeit fast ausschliesslich geübte Gerbersche Methode trotz sehr guter
Resultate in den meisten Fällen zugunsten der Denkerschen aufgegeben.
weil diese noch sicherer und schneller zum Ziele führt.
Ueber die Ergebnisse, die andere Autoren mit diesem Verfahren er-
zielt haben, fand ich in der mir zugänglichen Literatur nur spärliche. zum
Teil sich sehr widersprechende Angaben. Während z. B. Oppikofer,
Pape, Reusch und Zarniko das Luc-Caldwellsche Verfahren dem
Denkerschen vorziehen, sind Operateure wie Herczog und Hajek warme
Fiirsprecher dieser Methode.
Wir haben diese Operation in der Zeit vom 1. Januar 1907 bis 1. Mai
1913 im ganzen in 60 Fällen angewandt, und zwar 36 mal bei Frauen,
24 mal bei Männern. Was das Alter der weiblichen Kranken betrifft. so
handelt es sich
11 mal um die 2.,
18 ş qs Vs
5 o4,
304, « «= D, und
1, , « 6 Lebensdekade.
Unter den männlichen Kranken war das
2. Lebensdezennium 3 mal.
3. i 10
4. z 6
vertreten.
Bei den Männern beobachteten wir:
I+ mal einseitige Kieferhöhleneiterungen,
2 „ doppelseitige Kieferhöhleneiterungen,
3 „ Kiefer- und Siebbeineiterung derselben Seite,
| . Kiefer- und Stirnhöhleneiterung derselben Seite,
l doppelseitige Kieferhöhlenentzündung mit doppelseitiger
Stirnhöhleneiterung und rechtsseitiger Otitis media acuta,
3, Panantritis einer Seite.
Die Frauen litten
27 mal an einseitiger Kieferhéhleneiterung,
lL . , doppelseitiger Kieferhéhleneiterung,
4+4 „ „ Kiefer- und Siebbeineiterung derselben Seite,
Arehiv für Laryngologie, 28. Bd. 2. Heft. 90
292 0. Radzwill, Zur Pathologie und Therapie der Kieferhöhleneiterungen.
1 mal an rechtsseitiger Panantritis!),
1 „ „ Kiefer- und Stirnhöhleneiterung derselben Seite.
1 , . doppelseitigem Kiefer- und beiderseitigem Siebbein-
empyem und
| . , doppelseitiger Kiefer-, doppelseitiger Siebbein- und
doppelseitiger Keilbeineiterung.
Ueber die Aetiologie der Erkrankungen ist nicht viel zu sagen. In
dem einen Falle (43jähriger Patient) handelte es sich mit grosser Wahr-
scheinlichkeit um ein dentales Empyem. Dafür sprach eine Zahnfleisch-
fistel zwischen dem zweiten Inzisivus und dem ersten Pramolaris der rechten
Seite und ferner das operativ festgestellte Fehlen jeglicher Veränderungen,
die auf spezifische Erkrankungen der Knochenwand oder auf eine „Antritis
exulcerans atque abscedens* hindeuteten. Diese letztere Form der Ent-
zündung glaubten wir allerdings bei zwei anderen, einer 40jährigen und
einer 28 Jahre alten Kranken diagnostizieren zu müssen auf Grund des
operativ erhobenen Befundes einer erbsengrossen Fistel in der Mitte der
vorderen Antrumwand. Das Periost war in der Gegend der Perforation
noch völlig intakt. Die bei zwei Patientinnen im Alter von 14 bzw.
17 Jahren diagnostizierte Albuminurie bzw. hämorrhagische Nephritis war
wohl als Folge der Antrumeiterung, dagegen die bei einer 19jährigen
Kranken nur anamnestisch festgestellte, augenblicklich aber erscheinungslos
verlaufende Lues wahrscheinlich als zufälliger Nebenbefund aufzufassen.
Alle übrigen Fälle stellten einfache genuine Eiterungen dar.
Die Kieferhöhleneiterung äusserte sich bei den meisten unserer Pa-
tienten durch starke Kopfschmerzen und eitrige Sekretion aus der Nase.
Die Kopfschmerzen, gewöhnlich in Form eines dumpfen Gefühls, wurden
am häufigsten in der Stirngegend verspürt. Bei einigen Kranken {rat eine
Verschlimmerung der Beschwerden nach körperlichen Anstrengungen und
bei gewissen Bewegungen, gewöhnlich beim Bücken, ein. Ein älterer Mann,
bei dem eine akute Exazerbation seines chronischen Empyens vorlag,
klagte über neuralgische Schmerzen in der Stirn, ein anderer 15jähriger
Knabe über Blutandrang nach dem Kopf, besonders nach den Mahlzeiten.
Schmerzen im Oberkiefer haben wir aber nicht ein einziges Mal konsta-
tieren können, höchstens bestand ein Gefühl von Druck und Spannung in
dieser Gegend.
Was die Sekretion aus der Nase betrifft, so wurde sie entsprechend
der grösseren Häufigkeit der einseitigen Erkrankung gewöhnlich auch nur
auf einer Seite beobachtet. Das Sekret war in den meisten Fällen von
schleimig-eitriger, in vielen unkomplizierten von konstant fötider, in einigen
wenigen aber von blutiger Beschaffenheit. Jedenfalls konnten wir uns
nicht von der Richtigkeit der Behauptung Hajeks überzeugen, dass kon-
stant fötider Geruch fast pathognomonisch für Empyeme dentalen Ursprungs
l) Ueber die fast noch überall übliche falsche Nomenklatur vgl. Gerber (26).
O. Radzwill, Zur Pathologie und Therapie der Kieferhöhleneiterungen. 203
sei. Das die Nasenschleimhaut ständig reizende Höhlensekret hatte bei
einer grossen Zahl von Kranken zu Polypen bzw. Hypertrophien geführt,
einem Zustand, der im Verein mit gleichzeitig bestehender Septumverbiegung
in einigen Fällen eine ganz unerträgliche Nasenstenose bedingte. Bei einer
Reihe von Patienten sahen wir durch Hinabfliessen des Eiters in den
Nasenrachenraum sekundär eine Pharyngitis entstehen, die sich durch
Kratzen und Brennen im Halse bemerkbar machte. Schwerere Erschei-
nungen, namentlich von seiten des Magens, wie sie von Kuhnt, Scherer,
Treitel, Freese und Tilley beschrieben worden sind, haben wir nicht
beobachten können. Dagegen konnten wir wohl in der Hälfte der Fälle
Störungen der Geruchsempfindung feststellen. Die Aufhebung des Geruchs-
sinnes war meistens mechanisch bedingt, und zwar entweder durch eine
die Fissura olfactoria verlegende Eiterschicht oder seltener durch die
hochgradig polypös entartete mittlere Muschel, welche die Riechspalte
von der Aussenwelt völlig abschloss. Störungen der Geruchsempfindung
auf entzündlicher Basis sahen wir recht selten.
Das als Kakosmia subjectiva bekannte Symptom, welches auf dem
plötzlichen Uebertritt von übelriechenden Kieferinhalt in die Nase beruht.
wies etwa der zehnte Teil unserer Patienten auf.
Die Dauer des Leidens schwankte zwischen 6 Monaten und 7 Jahren,
die meisten Eiterungen bestanden mindestens seit einem Jahr.
21 von den 60 Patienten hatten, ehe sie unsere Klinik aufsuchten,
sich bereits einer Kieferhöhlenbehandlung unterzogen, und zwar bestand
diese:
3 mal in Spülungen,
„ Polypenentfernungen,
„ Geraderichtung des Septums,
. « Anbohrung vom Alveolarfortsatz,
„ doppelseitiger Anbohrung von der Fossa canina aus,
, Siebbeinausräumung,
. ~ Siebbein- und Stirnhéhleneréffnung,
» « Siebbein- und Keilbeineröffnung,
» 9 Sturmannscher Operation und
, » Eröffnung vom unteren Nasengang aus (1 Patient
dieser letzten Gruppe war im ganzen 3 mal intra-
nasal operiert worden).
re meme
3
Zur Ergänzung der üblichen Untersuchungsmethoden wenden wir seit
einer Reihe von Jahren das Röntgenverfahren an.
Dass dieses im allgemeinen ein geradezu unersetzliches und bis-
weilen das einzige Hilfsmittel ist, welches die Diagnose ermöglicht, darin
müssen wir Haike zustimmen. Dass das Röntgenbild aber auch öfters zu
einem Fehlschluss verleiten kann, zeigt neben vielen anderen Erfahrungen
folgender Fall unserer Beobachtung:
20*
294 0. Radzwill, Zur Pathologie und Therapie der Kieferhéhleneiterungen.
J.-Nr. 134/1912. Jadwiga W., 30 Jahre alt, leidet seit langer Zeit an
Schmerzen in der Stirn und chronischem Schnupfen.
Untersuchungsbefund: Linke mittlere Muschel glasig degeneriert.
Nach Zurückdrängen derselben mit der Sonde fliesst viel Eiter von oben herab.
Nach partieller Resektion der mittleren Muschel werden mit einem Male Polypen
und dicke Eitermassen sichtbar. Probepunktion der linken Kieferhöhle positiv.
Die Durchleuchtung mit Vohsenscher Lampe ergibt Verdunkelung der linken
Kieferhöhlengegend. Das Röntgenbild zeigt eine deutliche Verschleierung der
linken Kiefer- und auch der linken Stirnhöhlengegend. Es wird infolgedessen die
Diagnose auf Empyema sinus frontalis et sinus maxillaris lateris sinistri ge-
stellt und links die Killianscbe Radikaloperation der Stirnhöhle ausgeführt.
Dabei erweist sich letztere aber als vollständig gesund. Die im Anschluss daran
vorgenommene Denkersche Operation bestätigt das Vorhandensein eines links-
seitigen Kieferhöhlenempyems.
Hatte auch die Patientin bei dem Stirnhöhleneingriff keinen Schaden
genommen, so war diese Operation zum mindesten überflüssig.
Wie erwähnt, hatten bereits 21 von unseren 60 Patienten ihres Kiefer-
leidens wegen ärztliche Hilfe in Anspruch genommen. Diese wie die
übrigen unbehandelten Kranken willigten, da eine Besserung ihres Leidens
nicht eintrat, in einen grösseren Eingriff, in diesem Falle also in die
Denkersche Operation ein.
Im grossen und ganzen sind wir den Angaben Denkers gefolgt und
nur in einigen Punkten von ihnen abgewichen.
Zur Vermeidung grösserer Blutverluste machten wir, ebenso wie
Denker, Zarniko, v. Eicken und Sturmann, die Schleimhaut durch
Eusemininjektionen (Lösung von Cocain. mur. 0,0075 und Adrenalin. hydro-
chlor. 0,0005 in 1 cem physiologischer Kochsalzlösung) anämisch. Wenn
wir auch in der Mehrzahl der Fälle damit unseren Zweck erreichten, so
hatten wir doch Gelegenheit, zwölfmal recht starke, darunter viermal so
intensive Blutungen zu sehen, dass die Operation erst nach längerer Kom-
pression weiter fortgesetzt werden konnte. Es handelte sich dabei wohl
um dieselben Zustände, die Spiess erwähnt. Dieser fand, dass bei gleich-
zeitiger Anwendung von Narkose und Lokalanästhesie mit Zusatz anämi-
sierender Substanzen die Blutung sehr viel stärker war, als wenn er nur
in Lokalanästhesie allein operierte. Seit einiger Zeit hat er die Blutung
in der Narkose dadurch auf ein Minimum beschränken können, dass er die
Schleimhautinfiltration vor dem völligen Einschlafen des Patienten vorge-
nommen hat. Unsere Klinik hat hierüber augenblicklich noch keine Er-
fahrung.
Um eine grössere postoperative Schwellung des Gesichts zu verhüten,
meisseltlen wir aus der vorderen Wand gewöhnlich nur ein so grosses Stück
heraus, dass wir das Innere der Höhle bequem und genau übersehen und
abtasten konnten. Es trat dann in der Regel nur eine ganz geringe
Schwellung der Wange auf, die nach kurzer Zeit von selbst verschwand.
Waren wir genötigt, die ganze Vorderwand zu entfernen, so bestand die
Reaktion bisweilen in Oedem der Wange und des unteren, manchmal auch
O. Radzwill, Zur Pathologie und Therapie der Kieferhöhleneiterungen. 295
des oberen Augenlides, dem wir mit der Eisblase aber erfolgreich be-
segneten. Die Antrumschleimhaut war in unseren Fällen durchweg stark
verändert, und zwar bot sich unserem Auge bei der Operation stets das
sogenannte ödematöse Stadium dar, für welches Schwellungszustände cha-
rakteristisch sind, die zu polypöser Degeneration der Mukosa führen und
das Lumen der Höhle fast aufheben. Die mikroskopische Untersuchung
einer derartig degenerierten Membran ergibt, wie Zuckerkandl sich aus-
drückt, „Exsudation vornehmlich in die Substanz der inneren Schichte der
Kieferhöhlenschleimhaut. Nicht nur die den peripheren Schleimhaut-
charakter tragende, sondern auch die tiefere als Beinhaut fungierende
Schichte erfährt eine Lockerung ihres Gefüges, so dass die gesamte Schleim-
hautmembran in den höheren Graden der Affektion auf das 10- bis 15fache
der normalen Dicke anschwillt, einer Sulze ähnlich ist und wie mit grossen
weingelben hydropischen Höckern versehen ist.“ Mit letzteren identisch
sind wohl jene „ödematösen Wülste, die in geringerer oder grösserer Zahl
— in mehr zirkumskripter oder mehr diffuser Form die ganze Schleimhaut
einnehmen und die Höhle gänzlich erfüllen können“ (Gerber).
Bei einem 18jährigen Mann hatten wir Gelegenheit, einen Polypen
der Kieferhöhle zu sehen, der durch das Ostium maxillare hindurch in die
rechte Nasenhöhle hineingewuchert war, was, nebenbei bemerkt, als grosse
Seltenheit zu betrachten ist (Zuckerkandl, Baginsky, Hajek).
Wenn auf der einen Seite Caldwell, Dahmer, Denker, Hajek,
Lue, Kretschmann, Sarai und Sturmann fiir partielle Entfernung der
Antrumschleimhaut plädieren, so sind auf der andern Seite wir gleich
Jansen, Mahu, Ohno und Oppikofer Anhänger der radikalen Aus-
kratzung der Mukosa, erstens weil bei dem zarten und lockeren Bau der
Schleimhaut die Auslöffelung der erkrankten Partien unter Schonung der
xesunden Stellen, namentlich an den Ostien und Rezessus, technisch ge-
radezu unmöglich ist, und ferner deshalb, weil das unbewafinete Auge bei
geringgradigeren Veränderungen Pathologisches von Gesundem nicht zu
unterscheiden vermag.
Während wir verhältnismässig häufig einen Teil der mittleren Muschel
wegen polypöser Degeneration bzw. wegen gleichzeitig bestehenden Empyems
höher gelegener Nebenhöhlen derselben Seite entfernten, waren wir mit
diesem Eingriff bei der unteren Muschel bedeutend zurückhaltender und
richteten uns nach den von Denker dafür aufgestellten Indikationen.
Im allgemeinen gehen die Ansichten der Operateure, ob man die untere
Muschel schonen oder resezieren soll, weit auseinander. Löwe. Bönning-
haus, Réthi, Grant, Pegler, Claoué, Dahmer. Mahu, Caldwell,
Zarniko, Lange, Lermoyez und Friedrich halten zwar die Resektion
der Muschel für einen unschädlichen Eingriff, die meisten Rhinologen aber
(Sluder, Choronshitzky, Ruttin, Gerber, Hirsch, Richter, Wor-
thington, Sarai, Sturmann, Hajek, Reusch, Denker, Cordes,
Kuttner, Halle, Wagener, Heermann, Börger, Kretschmann,
Siebenmann, Luc, Mouret) sind Gegner der totalen oder partiellen
296 O. Radzwill, Zur Pathologie und Therapie der Kieferhöhleneiterungen.
Entfernung der Muschel, in der sie ein für die Atmung wichtiges Organ
erblicken, nach dessen Entfernung, wenn auch nicht regelmässig, so doch
häufig Trockenheitszustände und Borkenbildung mit ihren die Patienten
höchst belästigenden Erscheinungen auftreten. Es folgen also heute die
meisten Rhinologen dem Prinzip, das Gerber seinerzeit bei der von ihm
angegebenen Methode zur absoluten Schonung der unteren Muschel be-
stimmte. Ueberall da, wo bereits atrophische Pharyngitis oder doppel-
seitige Nebenhöhlenaffektion besteht, soll man der Indikation zur Ent-
fernung dieses Organs möglichst enge Grenzen stecken. Schädigungen
durch verunreinigte Luft sind bei partiellem Fehlen der unteren Muschel
nicht allzu hoch anzuschlagen, da, wie die Experimente Burchardts er-
geben haben, die Reinigung der Atmungsluft auch dann ungestört bleibt.
Verletzungen des Tränennasengangs, auf die Fein hinweist, haben wiı
weder bei der Aufmeisselung der Fazialwand, noch bei der Auskratzung
der Mukosa gesehen, da wir bei der Abschabung der medialsten Partie
der Infraorbitalbucht im Recessus praelacrymalis wegen der dünnen Be-
schaffenheit des Knochens uns ganz besonderer Vorsicht befleissigten.
Ueberall da, wo es sich um eine Eiterung mehrerer Nebenhöhlen
handelte, haben wir die Eröffnung und Ausräumung der anderen kranken
Höhlen entweder einige Tage vor der Kieferhöhlenoperation vorgenommen
oder diesem Eingriff unmittelbar folgen lassen. In je 3 Fällen mit
doppelseitigem Antrumempyem wurde die eine Seite nach Denker, die
andere nach Luc-Caldwell bzw. Gerber, in einem vierten Fall die
rechte Highmorshöhle nach Denker, die linke nach Cowper (mit gleich-
zeitiger Herstellung einer Oeffnung im mittleren Nasengang) operiert. Bei
den drei ersten Kranken trat die Heilung beider Höhlen gleich schnell
ein, auch war der Enderfolg bei beiden Operationsarten gleich gut; im
vierten Falle heilte das nach Denker freigelegte Antrum schneller aus
als das korrespondierende, aber auch dieses wurde nach längerem Spülen
wieder eiterfrei. Als Komplikation während der Nachbehandlung wurde
in einem Falle ein Gesichtserysipel, in einem anderen ein Wangenabszess
beobachtet. Beide kamen zur Heilung. Die eigentliche Nachbehandlung
bestand darin, dass am 4. Tage post operationem die Tamponade, am
6. bis 7. die Nähte entfernt wurden, die übrigens in 8 Fällen durch-
geschnitten hatten. Die orale Schleimhautwunde heilte stets per primam
intentionem. Nie haben wir eine die Heilung störende Wirkung des
Kokain- oder des Novokain-Adrenalingemisches feststellen können (Sieben-
mann), nie Schädigungen der Zahnpulpa durch Suprarenininjektionen in
die Mundschleimhaut. Regelmässige Spülungen der Kieferhöhle wurden in
der allerersten Zeit zu therapeutischen Zwecken, jetzt nur noch als so-
genannte Kontrollspülungen in grösseren Zwischenräumen ausgeführt. Im
übrigen lassen wir die Kieferhöhle gewöhnlich ganz in Ruhe oder blasen
hin und wieder Pulver (Jodoform usw.) ein. Im allgemeinen waren die
Kranken nach 10—14 Tagen soweit hergestellt, dass sie die Klinik ver-
lassen konnten. Das subjektive Wohlbefinden blieb nach der Operation
O. Radzwill, Zur Pathologie und Therapie der Kieferhöhleneiterungen. 297
fast regelmässig ungestört. Einige wenige Operierte klagten über Spannung
und Druck in der Wange. In ca. SO pCt. der Fälle konnten wir Tempe-
raturen zwischen 37,50 bis 38,50 am Tage nach der Operation konstatieren,
meist verschwand das Fieber aber bereits am 2. oder 3. Tage.
Zum Schluss noch einige Worte über die Anästhesie!
Die Schleimhautinfiltration, die Denker, Zarniko, Siebenmann u. a.
empfehlen, haben wir recht selten, im ganzen nur 10 mal ausgeführt.
Nicht etwa Misserfolge mit dieser Methode waren es, die uns vor ihrer
häufigeren Anwendung zurückhielten — im Gegenteil, alle so operierten
Kranken verspürten kaum nennenswerte Schmerzen —, sondern die Ab-
sicht, unseren Patienten ausser den Schmerzen auch alle die Aufregungen
und unangenehmen Empfindungen zu ersparen, die das Arbeiten am Knochen
mit sich bringt. Dieses lässt sich aber nur durch die Allgemeinnarkose
erreichen, welche bei Operationen an den Nebenhöhlen des Kopfes leider
die grosse Gefahr der Aspiration von Blut, Eiter und Schleim in sich
birgt. Um letzteres zu vermeiden, operierten wir am tiefhängenden Kopf
bei gleichzeitiger, gründlicher Tamponade der Backentaschen; das bei der
Operation nach dem Rachen zu fliessende Blut und Sekret wurde mit
Tupfern schnell aufgefangen. Jahre hindurch gingen wir in dieser Art
vor, die uns recht zweckmässig und gefahrlos erschien, und erst ein im
Mai 1911 von uns beobachteter Todesfall nach Kieferhöhlenoperation in
Narkose, den Henke im Archiv f. Laryngol., 1911, veröffentlicht hat und
den ich hier nur noch kurz rekapitulieren möchte, veranlasste uns, dieses
Verfahren ganz aufzugeben.
Es handelte sich um eine 28jährige Fran, die am 25. April 1911 wegen
einer seit mehreren Monaten bestehenden linksseitigen Kieferhöhleneiterung — die
übrigen Nebenhöhlen waren gesund — unter den eben mitgeteilten Vorsichtsmass-
regeln in Chloroformnarkose nach Denker operiert wurde.
Die Narkose verlief glatt; Zeichen einer Aspiration von Blut, Eiter oder
Schleim wurden nicht beobachtet.
Am Tage nach der Operation treten unter starkem Erbrechen und Fieber
(39,2%), welches vor dem Eingriff sicher nicht bestand, heftige Leibschmerzen
auf, die sich weiter am 3. Tage post operationem bis zur Unerträglichkeit steigern;
ferner besteht deutlicher Meteorismus, der aber nach künstlich herbeigeführter
reichlicher Stuhlentleerung etwas nachlässt. Am Abend des 3. Tages steigt das
Fieber auf 40,2°, und gleichzeitig stellen sich unter intensiven krampfartigen
Schmerzen im Unterleib die Menses ein, die 2 Tage andauern. In den folgenden
3 Tagen sinkt zwar die Temperatur allmählich bis auf 38,40, die Schmerzen im
Leib aber halten weiter an; auch ist die Urinentleerung besonders schmerzhaft.
Im Abdomen links unten ist jetzt eine Resistenz nachweisbar. Am 2. Mai, also
eine Woche nach der Operation, sind bei der wieder vorgenommenen allgemeinen
Untersuchung an Herz und Lungen keine pathologischen Veränderungen nach-
weisbar; dagegen schwankt die von dem Gynäkologen gestellte Diagnose zwischen
Douglasabszess und linksseitigem Ovarialabszess (?).
Unter T'hermophorbehandlung bessert sich vorübergehend das Befinden der
Kranken. Doch am 4. Mai steigt wieder das Fieber auf 39,20, und Patientin be-
kommt nun viel übelriechenden Auswurf. In den folgenden 2 Wochen gehen unter
235 QO. Radzwill, Zur Pathologie und Therapie der Kieferhöhleneiterungen.
konservativer Behandlung die Erscheinungen am Genitalapparat zurück, während
das äusserst fötide Sputum (anhämolytische Staphylo- und Streptokokken) täglich
an Menge zunimmt. Es sind stets Temperaturen zwischen 38° und 38,5 zu ver-
zeichnen.
Im Anfang der nunmehr (17. Mai) von den Internisten übernommenen Be-
handlung kann in Ermangelung ausgesprochener Symptome keine absolut ein-
deutige Diagnose hinsichtlich der Lungenaffektion gestellt werden, erst im weiteren
Verlauf der Beobachtung zeigt es sich, dass ein lungenabszess im rechten Ober-
lappen besteht.
Am 24. und 25. Mai ist das entleerte Sputum sehr stark bluthaltig, am
29. Mai wird die Kranke der chirurgischen Universitätsklinik zur Operation über-
wiesen, die am folgenden Tage vorgenommen werden soll; doch noch in der Nacht
zum 30. Mai kommt sie plötzlich ad exitum.
Die Sektion (Pathologisches Institut, Königsberg) ergab folgenden Befund
(gekürzt):
„Lungen: Links ist die Lunge stark gebläht und sinkt schlecht zurück. Es
findet sich hier in den grossen und kleinen Bronchien reichlich Blut. Lunge
überall lufthaltig. Rechts sind die beiden Pieurablätter im Bereich der ersten bis
dritten Rippe fest miteinander verwachsen. Mit einer scharfen Linie schneidet
diese unten fast schwartige Verwachsung am unteren Rande der dritten Rippe ab.
Die dicht binter der Pleuraverwachsung liegenden Lungenpartien werden ein-
genommen von einer ca. faustgrossen mit Blutkoagula und übelriechenden Eiter-
massen erfüllten, buchtenreichen Höhle, welche nur durch eine wenige Millimeter
dicke, eitrig infiltrierte Lungengewebsschicht von der vorderen Brustwand getrennt
ist. Mit den Bronchien bestehen an verschiedenen Stellen deutliche Kommuni-
kationen. Der linke Hauptbronchus ist mit einem festen Blutpfropf gänzlich ver-
stopft. Die übrige Lunge ist lufthaltig und gebläht. Herz ohne Besonderheiten.
Bauchhöhle: Leber überragt in der Mammillarlinie den Rippenbogen um
Handbreite. Milz ist auf das Doppelte der Norm vergrössert, ausserordentlich
weich, Kapsel schlecht abziehbar.
Nieren ohne Besonderheiten.
Der Uterus ist nach links verlagert und durch Adhäsionen fixiert. Das linke
Ovarium und die linke Tube sind in dicke, derbe Verwachsungen eingebettet.
Mitten in diesen Verwachsungen findet sich ein ca. walnussgrosser, mit dickem,
gelblichgrünem Eiter (anhämolytische Staphylo- und Streptokokken: Hygienisches
Institut Königsberg) erfüllter Abszess. Auch die rechten Adnexe sind in binde-
gewebige Verwachsungen eingehüllt.“ (Zitiert nach Henke.)
Wenn auch die Aetiologie dieses von tidlicher Blutung in die Abszess-
höhle begleiteten Lungenabszesses bei der eigenartigen zeitlichen Aufein-
anderfolge der einzelnen Krankheitserscheinungen sich nicht mit absoluter
Sicherheit feststellen lässt. so spricht doch die Wahrscheinlichkeit dafür,
dass er durch Aspiration von Kieferhöhleneiter während der Chloroform-
narkose bedingt war.
Um gegen ähnliche üble Zufälle in Zukunft geschützt zu sein, wandten
wir uns der von so vielen Operateuren warm empfohlenen Kuhnschen
Intubage zu, und wir freuen uns, die von Reimer, Habs, Finder,
Köhler, Mahler, Dirk, Sagebiel, Lotsch und Kölle (in einem seiner
Fälle lag das Intubationsrohr zwecks Blutstillung nach Gaumenspaltoperation
O. Radzwill, Zur Pathologie und Therapie der Kieferhéhleneiterungen. 29%
20 Stunden im Larynx, ohne irgendwelche Störungen zu hinterlassen) ge-
machten Angaben über die Vorzüge der Methode durchaus be-
stätigen zu können. Bis jetzt haben wir etwa 70 mal intubiert, darunter
ca. 30 mal bei Kieferhöhlenoperationen. In zwei Fällen misslang die
Einführung des Rohres wegen Glottiskrampfes; bei einer 25jährigen Patientin
bestand 3 Stunden nach der Intubation geringer Stridor. Diese Beob-
achtungen machten wir aber nur in der allerersten Zeit der Anwendung;
später, als unsere Technik vollkommener war, bekamen wir dergleichen
nicht mehr zu sehen. Sehr selten klagten unsere Operierten über Heiser-
keit oder Schluckschmerzen nach dem Eingriff. (Unsere Erfahrungen über
die pulmonale Narkose nach Kuhn sollen an anderer Stelle ausführlicher
mitgeteilt werden.)
Sehe ich nun unsere 60 Krankengeschichten auf das Endresultat der
Denkerschen Operation hin durch, so finde ich den Vermerk:
geheilt . . . 56 mal
ungeheilt: . . 8
gestorben. . . 1
(Wir orientierten uns über den Zustand unserer Patienten in der Weise,
dass wir sie entweder nach geraumer Zeit — 3 Jahren bis 3 Monaten —
nachuntersuchten oder diejenigen, die wir von längerer Beobachtung her
genauer kannten. um schriftliche Auskunft über ihre Beschwerden ersuchten. )
Unter den ungeheilten Fällen handelte es sich zunächst um eine 17jährige
Kranke, die an rechtsseitiger Kiefer-, Siebbein- und Keilbeineiterung litt. Nach
der kombinierten Nebenhöhlenoperation waren zwar die Kopfschmerzen ver-
schwunden, die Eiterung bestand aber noch am 7. Tage post operationem weiter
fort. Da die Kranke sich jedoch der weiteren Nachbehandlung entzog, hat sie sich
wohl selbst den Misserfolg zuzuschreiben.
Der zweite Fall betrifft ein anderes 17jähriges Mädchen, bei dem eine links-
seitige Kiefer-, Siebbein- und Stirnhöhleneiterung bestand. Wie diese Patientin
uns schriftlich mitteilt, haben nach vorübergehender Besserung ihre alten Be-
schwerden (Kopfschmerzen, eitrige Sekretion aus der Nase) wieder von neuem ein-
gesetzt. Worauf diese Erscheinungen zurückzuführen sind, vermag ich nicht an-
zugeben, da die Kranke nicht zur Nachuntersuchung erschien.
Auch der letzte ungeheilte Fall war eine Kombination von linksseitiger
Kieferhöhleneiterung mit gleichseitiger Siebbeinaffektion. Es bestand hier eine
2 Jahre alte, sehr weite Cowpersche Oeflnung im Alveolarfortsatz. Wahrschein-
lich ist das Ausbleiben der Heilung darauf zurückzuführen, dass die Highmors-
höhle von der weiten Alveolaröffnung aus immer von neuem infiziert wurde, sowie
darauf, dass die Nachbehandlung aus äusseren Gründen (Patient ist Ausländer)
nicht zu Ende geführt werden konnte.
Interessant ist noch die Tatsache, dass bei der ad exitum gekommenen
Kranken das operierte Antrum sich als vollkommen eiterfrei erwies.
Von den 44 unkomplizierten Fällen wurden also
43 geheilt = 97,72 pCt.,
1 starb.
300 0. Radzwill, Zur Pathologie und Therapie der Kieferhöhleneiterungen.
Von den 16 komplizierten Fällen wurden
13 geheilt = 81,25 pCt.
3 behielten ihre alten Beschwerden.
Wir haben somit in 93,33 pCt., und wenn wir noch die durch Lungen-
abszess zugrunde gegangene Patientin mitrechnen, in rund 95 pCt. der
Giesamtfälle Heilung erzielt. Das ist ein sehr schöner und selbst die Resul-
tate Denkers (75 pCt., zit. nach Pape) bei weitem übertreffender, aber
immer noch nicht idealer Erfolg. Diesen dürfte man vielleicht von einer
Methode erwarten, die die Kieferhöhle ähnlich der Stirnhöhle total zur
Verödung bringt. Die ersten Versuche in dieser Richtung sind bereits ge-
macht worden (Dreesmann). Inwieweit aber derartige Hoffnungen be-
rechtigt sind, kann nur die Zukunft entscheiden.
An dieser Stelle erlaube ich mir, meinem verehrten Lehrer und ehe-
maligen Chef, Herrn Prof. Dr. Gerber und dem ersten Assistenten der
Poliklinik, Herrn Privatdozenten Dr. Henke für die freundliche Anregung
zu dieser Arbeit und die jederzeit bereite Unterstützung, sowie dem Direktor
der Königl. Universitäts-Ohrenklinik, Herrn Prof. Dr. Stenger, für sein
äusserst liebenswürdiges Entgegenkommen bei Benutzung der dortigen
Bibliothek meinen verbindlichsten Dank auszusprechen.
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XANTI.
Aus der Universitätsklinik für Nasen- und Kehlkopfkrankheiten
zu Budapest. (Direktor: Prof. Dr. Onodi.)
Zur Lehre von den Bronchialfremdkörpern.
Von
Dr. Aurelius Rethi.
(Mit 2 Textfiruren.)
In den akuten Fremdkörperfällen ist die Entfernung meistens sehr
leicht; der Fremdkörper kann auch durch das eingeführte Bronchoskop-
rohr infolge eines kräftigen Hustenanfalls hinausgeworfen werden, also
ohne dass ein richtiger Eingriff nötig gewesen wäre. Es ist aber zweifel-
los, dass diejenigen Fremdkörper, welche leicht sind, viel ausgesprochenere
Symptome hervorrufen können, da sie sich mit dem Luftstrom bewegen
und bei dem Husten event. die untere Fläche der Stimmbänder irritieren.
Sehr eft kommt es vor, dass Fremdkörper von schwererem spezifischen
Gewicht und minderer Grösse nach einem ganz kurzen Hustenanfall
symptomlos an einem Platze stehen bleiben, dass sie dann den Organismus
langsam, aber desto schwerer angreifen.
Der Fremdkörper, wenn er chronisch wird, löst früher oder später
Veränderungen aus, welche meistens eine grosse Schädigung des Körpers
bedingen. Als Seltenheiten muss ich diejenigen Fälle betrachten,
welche diese nachteiligen Eigenschaften nicht aufweisen. In der chir-
urgischen Sektion des Königl. Budapester Aerztevereins erwähnte Dozent
Alapy einen Fall, bei welchem während der Intubation das letzte
Glied eines amerikanischen Mandrins abriss und in einen drittgradigen
Bronchus fiel, wie es auch die Röntgenaufnahme zeigte. Ein ganz kleines
Bronchoskop hatte er nicht, auch war das Kind sehr schwächlich, so
dass er vorläufig den Fremdkörper liegen liess. Das Kind hustete
eine Woche lang, dann aber wurde es ruhig. Eine mässige Atelek-
tase ist zwar vorhanden, aber dem Kinde geht es nach 6 Monaten
ganz wohl. Alapy wirft die Frage auf, ob es vielleicht nicht immer
nötig ist, den Fremdkörper zu entfernen. Nun, meine Ansicht ist,
dass jeder Fremdkörper entfernt werden muss; wenn ein Fremdkörper
auch anfangs keine wesentlichen Veränderungen verursacht, allmählich,
304 A. Rethi, Zur Lehre von den Bronchialfremdkörpern.
hier und da aber auch plötzlich treten diese doch auf. Wir müssen
ja bedenken, dass die dauernde Irritation zu Granulationen führen
kann, wodurch das Bronchuslumen versperrt oder aber wesentlich
verengt wird; was dann die Folgen sind, ist genügend bekannt. Es
kann aber auch eine gewisse Destruktion der Bronchuswand eintreten,
hervorgerufen durch den dauernden Druck, welchen der Fremdkörper
hervorruft. Alles in allem, wir müssen jeden Bronchialfremdkörper ent-
fernen.
Natürlich ist die Situation bei den chronischen Fremdkörpern be-
deutend schwieriger als bei den akuten Fällen. Selbst wenn wir nur
die Schwierigkeiten der Entfernung in Betracht ziehen und die Kompli-
kationen eventuell von seiten beider Lungen, die Pleuritis, Bronchitis
putrida, Lungenatelektase, Lungengangrän, Emphysem, chronische Pneu-
monie, sekundäre Lungentuberkulose usw. ausser acht lassen, sehen wir,
dass die Luftwege meistens chronisch entzündet sind und, wie schon
oben erwähnt, die dauernde Irritation des Fremdkörpers zu Granulationen
führt, welche oft so massenhaft sind, dass der Untersucher erst die
Granulationen entfernen muss, wenn er weiter kommen will. Natürlich
wird in diesen Fällen das Auffinden des Fremdkörpers sehr erschwert.
Die Extraktion gestaltet sich natürlich auch bedeutend schwieriger, die
Sekretion ist intensiv vermehrt, die Granulationen bluten leicht, wodurch
die Orientierung bedeutend herabgesetzt wird.
Wenn die Granulationen so massenhaft sind, dann können wir bei
der Bronchoskopie sehr leicht entscheiden, in welcher Lungenhälfte der
Fremdkörper sitzt, aber seinen genauen Sitz aufzusuchen, ist bedeutend
erschwert. Die Röntgenaufnahme wird uns hier sehr vorteilhaft sein in
denjenigen Fällen, in welchen der Fremdkörper röntgenologisch darstell-
bar ist. Aber genaues wird diese auch nicht ergeben. Wenn wir das
Röntgenogramm (Fig. 2) betrachten, so fällt es auf, dass der Schatten des
Fremdkörpers sehr medialwärts und bedeutend hoch liegt. Aus dem Bilde
könnte man es kaum folgern, dass der Kragenknopf ziemlich tief, in dem
linken II. Bronchus sitz. Wenn wir nun Schwierigkeiten haben bei dem
Auffinden und der Fremdkörper röntgenologisch darstellbar ist, so empfehle
ich folgendes Verfahren: Die Bronchoskopie wird am Röntgentisch ausge-
führt, der verdächtige, mit Granulationen ausgefüllte Bronchus eingestellt
und ein an einem Seidenfaden befestigter Schrott eingeführt. Das Rohr
wird jetzt langsam zurückgezogen. während der Faden mit einem Haken
zurückgehalten wird. Wenn wir nun jetzt eine Aufnahme machen und
achtgeben, dass die Röntgenstrahlen senkrecht auf die entsprechende Stelle
fallen, so werden wir zwei Fremdkörper am Bilde sehen. Aus dem rela-
tiven Verhältnis können wir auf den genauen Sitz des eigentlichen
Fremdkörpers schliessen. Man könnte natürlich auch so vorgehen, däss
man das Bronchoskoprohr während der Röntgenaufnahme im Bronchus
unbeweglich liegen lässt, wodurch wir auch die Bronchusrichtung projiziert
bekommen. Es kann aber vorkommen, dass wir den mit Granulationen
A. Rethi, Zur Lehre von den Bronchialfremdkörpern. 305
bedeckten Fremdkörper mit dem Rohre passieren, und dann wird der
Fremdkörper im Bilde event. nicht dargestellt sein (Fig. 1). Die Skizze
verdanke ich Herrn Kollegen Dr. med. et jur. E. Gyulai.
Was die Entfernung selbst anbetrifft, so muss sie immer in liegender
Position geschehen. Die Bronchoskopie in sitzender Position ist bei der
einfachen Untersuchung ganz ausreichend, sogar, da die Einführung des Rohres
hedeutend leichter ist, mehr empfehlenswert; aber bei der Fremdkörper-
entfernung muss ich sie als äusserst gefährlich bezeichnen. Wir müssen
also immer die liegende Position wählen. Denken wir nur daran, dass
Figur 1.
die entsprechende Lungenhälfte, wo der chronische Fremdkörper sitzt, meistens
schwer erkrankt ist; es ist nun nichts leichter, als dass durch einen unglück-
lichen Zufall der angefasste Fremdkörper aus der ihn fassenden Zange
fällt, und das kann besonders unterhalb der vorspringenden Glottis
geschehen, der Fremdkörper fällt in die intakte Lungenhälfte hinein, wo-
durch der sofortige Erstickungstod hervorgerufen werden kann. Das kann
aber auch bei akuten Fremdkörpern vorkommen. So publizierte letzthin
Hinsberg!) einen Fall, bei welchem in der Krankengeschichte nicht direkt
angegeben wurde, dass die 36jährige Patientin, die vor vier Tagen einen
Pflaumenkern aspiriert hatte, in sitzender Position untersucht wurde, doch
wir können aus der Krankengeschichte darauf schliessen. In dem rechten
1) Zeitschr. f. Ohrenheilk. Bd. 68. S. 150,
306 A. Rethi, Zur Lehre von den Bronchialfremdkörpern.
Hauptbronchus wurde der Pflaumenkern angefasst und an der Glottis ab-
gestreift. Die Patientin wurde plötzlich - hochgradig dyspnöisch und zya-
notisch. „Sie springt vom Stuhl auf.“ Der Fremdkörper geriet in den
linken Oberlappenbronchus und versperrte diesen. Die Entfernung war nicht
ausführbar. 24 Stunden später Exitus. Die Ursache des Todes war, dass
die rechte Lunge infolge von in der frühesten Jugend durchgemachten
entzündlichen Prozessen hochgradig geschrumpft war, während der wiederum
hineingeratene Fremdkörper einen Teil der rechten Lunge ganz versperrte.
Einen fatalen Fall hat Pieniazek!) durchgemacht. Bei einem 13 Monate
alten Kinde, welches vor 2 Tagen eine Fiesohlenbohne aspirierte, entfernte
er die Hülse und einen Teil der Bohne; nach weiterem Zufassen fiel ein
Stück der Bohne in den bis dahin freien Bronchus der linken Lunge und
führte den plötzlichen Erstickungstod herbei.
Aber abgesehen von dem Gesagten, das Arbeiten in der liegenden
Position ist unvergleichbar leichter. Wenn wir die Schwierigkeiten der
Röhreneinführung, welche bei der liegenden Position auftreten, bekämpfen,
so werden unsere Bemühungen glänzend belohnt. Uebrigens wird die Sache
erleichtert, wenn wir das Rohr in der linken Seitenlage einführen und
nachher den Patienten wieder auf den Rücken drehen (Brünings). Wir
können aber auch so vorgehen, und so gestaltet sich die Sache am leich-
testen, dass wir den Patienten auf den Operationstisch aufsetzen lassen, so
dass seine Füsse in der Länge des Tisches auf diesem liegen. Die Rücken-
lehne wird aufgestützt, wodurch der Patient eine sichere Stütze bekommt.
Das Rohr wird nun in sitzender Position eingeführt, danach wird die
Rückenlehne langsam heruntergelassen und der Patient gerät so in die
liegende Lage. Dieses Verfahren ist absolut ungefährlich, wenn die
Lageveränderung des Patienten mit Hilfe der Rückenlehne und
nicht mit blossen Händen geschieht.
Während wir uns bei der Untersuchung in sitzender Position oft
äusserst anstrengen müssen, können wir bei der liegenden Position olıne
Anstrengung, mit der grössten Bequemlichkeit arbeiten. Auch der Patient
wird nicht so schnell müde. Das Einstellen der einzelnen tiefen Partien
gelingt sehr leicht. Die Ursache ist leicht begreiflich, wenn wir be-
denken, dass der Körper des Patienten sich absolut passiv verhält. Wenn
der Patient sitzt, so üben seine Muskeln eine gewisse Zusammenwirkung
aus, welche auch dann nicht ausgeschaltet wird, wenn der Untersuchte
ein gut eingeübtes Phantom ist. Wenn aber in liegender Position unter-
sucht wird, so entspannen sich seine Muskeln, da sie in keiner Richtung
Funktion ausüben müssen. Der Körper kann leicht während der Unter-
suchung in einer Seitenrichtung zugeschoben werden und bleibt
auch so, solange wir es für nötig halten. Vorzüge sind noch, dass
Blut und Sekret sich in der Tiefe nicht ansammeln, das Gesichtsfeld
bleibt rein; Speichelpumpe brauchen wir kaun, ein einfaches Abtupfen der
1) Monatsschr. f. Ohrenheilk. 1903.
A. Rethi, Zur Lehre von den Bronchialfremdkörpern. 307
blutenden Partie mit Adrenalin und danach Reinigung mit einem trockenen
Wattebausch genügt vollständig.
Neumayer macht auch die diagnostische Bronchoskopie in liegender
Position; ich glaube aber, dass bei rein diagnostischer Untersuchung die
sitzende Position ausreichend ist, da die nachteiligen Seiten sich hierbei
nicht geltend machen. Die Untersuchung dauert nicht lange, und die Unter-
suchung in sitzender Position gestaltet sich doch einfacher. Wenn wir aber
einen operativen Eingriff machen, wobei es wichtig ist, dass wir nicht
müde werden, dann ist es immer ratsam, die liegende Position zu wählen.
Was die Röhren anbelangt. so benutze ich bei Erwachsenen immer
die Brüningsschen verlängerbaren Röhren, beim Kinde sind aber diese
nicht praktisch, da bei diesem die Röhren sowieso zu eng gewählt werden
müssen, und dadurch ist die genaue Orientierung beschränkt. Die
Brüningsschen Bronchialröhren sind aber mit dem Röhrenspatel umgeben,
wodurch das eigentliche Untersuchungsrohr viel enger gemacht werden
muss. Die Schwierigkeiten bei der Fremdkörperentfernung werden dadurch
sehr erheblich erhöht. Natürlich sind für den Erwachsenen die verlänger-
baren Röhren ideal. Bei dem Kinde sind die neuen Killianschen Röhren
zu benutzen, deren Form ungefähr der Natur entspricht und die so breit
sind, wie sie ohne Schaden sein können.
Wenn wir nun betrachten, welche Fremdkörper die gefährlichsten
sind, so werden wir mit Mann sagen müssen, dass speziell „die Kragen-
knöpfe zu den gefährlichsten von allen beschriebenen Freimdkörpern im
Trachealbronchialbaum gehören“. Wie Mann in seiner eingehenden Arbeit
im „Handbuch der speziellen Chirurgie des Ohres usw.“ ausführte, sind
in der Literatur sieben Fälle bekannt, bei denen nur in drei die obere
Bronchoskopie zum Ziele führte. Vier Patienten starben. Letzthin teilte
Hinsberg!) einen letalen Fall mit. Ein 14 jähriger Knabe verschluckte
vor einem Monat einen Kragenknopf. Die Entfernung des Knopfes gelingt
trotz der grössten Bemühungen nicht, weil die Ränder der Knopfplatte in
einer rinnenförmigen Vertiefung der Bronchialwand quasi eingebettet waren.
Nun wurde während der Manipulation mit dem Haken eine Vene be-
schädigt, und in kürzester Zeit trat der Exitus durch Verblutung ein.
Ich habe letztens einen Kragenknopf bei einem Kinde entfernt, welcher
schon vor 6 Monaten aspiriert worden war.
G. S., Iljähıiger Knabe, meldete sich am 17. Februar 1913 in unserer Klinik.
Vor 6 Monaten nahm er einen Kragenknopf in den Mund; dieser ruschte während
des Spielens hinunter und löste einen Hustenkrampf aus. Danach fühlte er keine
wesentlichen Beschwerden mehr. Später trat aber bei ihm eine Pleuritis auf mit
exsudativem Charakter. Damit die genaue Lage des Exsudats richtig bestimmt
würde, machte Herr Primarius Gönczy eine Röntgenaufnahme, welche in der
linken Lungenhälfte den Schatten eines Fremdkörpers zeigte. Danach wurde der
Knabe uns überwiesen. Unsere Aufnahme (Dr. Dörner) bestätigte diesen Befund
(s. Fig. 2).
1) Zeitschr. f. Ohrenheilk. Bd. 6S.
Archiv für Laryngologie. 28. Bd. 2. Heft. 91
308 A. Rethi, Zur Lehre von den Bronchialfremdkörpern.
Bei dem schwächlichen Kinde machte ich dreimal. Bronchoscopia sup. Die
Entfernung in einer Sitzung hätte das Kind nicht aushalten können. Bei der
ersten Untersuchung betrachtete ich nur die Situation. Rechts war der Haupt-
bronchus und seine Verzweigungen ganz normal. Der Eingang des linken Haupt-
bronchus war bedeutend verengt, die Schleimhaut entzündlich verdickt. Selbst
das Bronchiallumen war mit Granulationen beinahe ganz ausgefüllt. Drei Tage
später entfernte ich die massenhaften Granulationen, so dass ich endlich den
schwärzlichen Fremdkörper in der Tiefe erblickte. Da aber das Kind schon sehr
müde war, so machte ich die eigentliche Entfernung nach 4 Tagen. Ein ent-
sprechendes Killiansches Rohr wurde ziemlich tief in den Unterlappenbronchus,
Figur 2.
ganz in der Nähe des Fremdkörpers eingeführt. Der Knopf sass so, dass seine
breite Platte nach aussen sah; sie versperrte beinahe das ganze Bronchiallumen.
Mit einer Brüningsschen Kragenknopfzange den Knopf zu fassen, war ganz un-
möglich, da er mit Granulationen umgeben war und so kein seitlicher Raum übrig
blieb. Mit dem Haken wollte ich nicht die Extraktion versuchen, deshalb ging ich
so vor, dass ich eine starke Killiansche Pinzette einführte, mit der ich auf den
unteren Rand der Knopfplatte einen Stoss gab, wodurch der obere Rand sich nach
vorn drehte. Dieser wurde gefasst und der Fremdkörper auf diese Weise ganz leicht
entfernt.
Der Knabe wurde vor und nach der Extraktion innerlich genau untersucht
(Dr. T. Kern). Vor der Extraktion wurde Retractio thoracis post exsudatum pleu-
A. Rethi, Zur Lehre von den Bronchialfremdkörpern. 309
riticum gefunden. An der linken Lungenspitze war Luftschall vorhanden; hinten
vom 3. Wirbel nach unten zu zeigte die Perkussion eine ausgedehnte Dämpfung;
hier waren Atemgeräusche nicht hörbar. Probepunktion war negativ. Nach der Ex-
traktion war an der ganzen linken Lunge diffuse, rauhe Atmung zu hören mit
schnurrendem und pfeifendem Geräusche, hier und da mit zirkumskriptem Rasseln.
Der Patient hatte also eine diffuse Bronchitis mit einigen zirkumskripten broncho-
pneumonischen Herden. Nach 2 Wochen war links ein etwas schwaches vesikuläres
Atemgeräusch zu hören, ohne Rasseln. Der Patient wird geheilt entlassen.
Der Fall demonstriert die lebensrettende Wirkung der Bronchoskopie.
Ich habe noch einen Fall gehabt, welcher dem Arzte vor der broncho-
skopischen Zeit viel Unannehmlichkeiten verursacht hätte. An der Königs-
berger Poliklinik für Hals- und Nasenkrankheiten (Direktor: Prof. Gerber),
an der ich als Assistent arbeitete, wollte ich bei einem alien Herrn, der
sehr unruhig war, einen Polypen entfernen. Ich ging mit einer Kehlkopf-
zange hinein, fasste den Polypen und zog die Zange heraus. Zu meinem
grössten Erstaunen kam aber nur der Griff heraus, während der Kopf, wie
ich noch beobachten konnte, in die Trachea hinabrutschte. Ich liess
gleich die Bronchoskopieinstrumente auskochen, und währenddessen durch-
leuchtete ich den Patienten. Man konnte aber keinen Fremdkörperschatten
beobachten, trotzdem das Metallstück 3 cm lang war. Zu einer Röntgen-
aufnahme hatte ich keine Zeit. Bei der Bronchoskopie fand ich den
ziemlich langen Fremdkörper an der Carina liegen. Er wurde gefasst und
mit Leichtigkeit entfernt. Den Polypen habe ich gleich auf direktem Wege
entfernt.
Ich erfülle eine angenehme Pflicht, indem ich meinem geehrten Chef,
Herrn Prof. Onodi, meinen innigsten Dank für die Unterstützung und
die gütige Ueberlassung des Krankenmaterials ausspreche.
no
pet.
A
NNIV.
Aus der Universitäts-Poliklinik für Hals- und Nasenkranke in Königsberg i. Pr.
(Direktor: Prof. Dr. Gerber.)
Beitrag zur endobronchialen Behandlung des Asthma
bronchiale.
Von
Dr. Ernst Schlesinger,
Spezialarzt für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten in Wiesbaden,
früher Assistent der Poliklinik.
Die ausserordentlich günstigen, teilweise überraschenden Erfolge, die
Ephraim mit der endobronchialen Behandlung des Asthma bronchiale
erzielte, ermutigten uns, wie auch andere Institute, uns derselben Therapie
zuzuwenden. Es erscheint auch durchaus gerechtfertigt bei einem Leiden,
das sich bisher jeder Therapie gegenüber refraktär verhielt, das in seinen
hohen Graden die Kranken völlig invalide macht. bis zum Selbstmord
treibt, ein neues Mittel zu versuchen, wenn es auch im ersten Moment
etwas heroisch zu sein scheint.
Die Behandlung des Bronchialasthmas konnte bisher nur rein empirisch
sein, für eine den ätiologischen Faktoren Rechnung tragende Therapie fehlt
die Grundbedingung: Wir wissen nichts Sicheres über die Natur des Asthma
bronchiale, wir wissen nicht einmal, ob die gleichen Krankheitserschei-
nungen stets dieselbe Aetiologie haben. Die von Ephraim, anderen und
uns bei der Behandlung erhobenen Befunde scheinen im Gegenteil dafür
zu sprechen, dass ganz verschiedene Krankheitszustinde den Symptomen-
komplex, den wir als Asthma bronchiale zu bezeichnen gewohnt sind, her-
vorrufen können. Ephraim fand bei einer Anzahl von Patienten völlig
normale Befunde, bei einigen nur geringe kongestive Rötung der Bronchial-
schleimhaut, Schwellung der Bronchialdrüsen. Bei anderen hingegen recht
erhebliche Affektion der Schleimhaut, in Form livider Verfärbung, Schwel-
lung, Verwischung der Ringzeichnung, Verengerung der Lumina der Unter-
lappenzweige, Wulstung der Karinen, Schleimmassen. Diese Befunde ent-
sprechen den von uns erhobenen fast völlig, auch wir konnten bei schweren
Asthmatikern völlig normal erscheinende bronchoskopische Befunde er-
heben, und sahen anderseits bei einer ganzen Reihe die oben erwähnten
mehr oder weniger schweren Veränderungen. Ephraim glaubt einen
ursächlichen Zusammenhang der pathologischen Veränderungen in den
E. Schlesinger, Endobronchiale Behandlung des Asthma bronchiale. 311
grossen Bronchien mit den asthmatischen Erscheinungen ausschliessen zu
können. Auffällig ist in der Tat, dass die Schwere der pathologischen
Veränderungen keinen Massstab für die Intensität des Asthma gibt, dass
in vielen Fällen schwerster Art fast normaler Befund zu erheben ist, dass
andererseits Fälle, die nur seltene und kurze, wenn auch typische Anfälle
haben, eine Summe schwerer pathologischer Veränderungen darbieten, doch
dürfte es meines Erachtens zu weit gehen, jeden Zusammenhang ablehnen
zu wollen. Unsere Fälle sind im Laufe der Behandlung regelmässig von
interner Seite kontrolliert worden. Eine ganze Reihe — wenn auch nicht
alle — zeigten eine nicht zu bestreitende Korrespondenz zwischen dem
Rückgange der subjektiven und dem der auskultatorischen Erscheinungen,
ein erhebliches Nachlassen des Hustens, der Sekretion. Andere wiederum
verloren ihre Anfälle und behielten ihre bronchitischen Erscheinungen. Bei
wenigen besserte sich die Bronchitis, doch behielten sie ihr Asthma, wenn
auch wesentlich gegen den früheren Zustand gemildert. Wir kommen so
auf die Annahme zurück, dass die Aetiologie des Asthma keine einheit-
liche ist, wenn wir auch bis heute den Beweis noch schuldig bleiben
miissen.
Ich habe nicht die Absicht, näher auf die verschiedenen Entstehungs-
theorien des Asthma einzugehen. Die allerverschiedensten sind veröffent-
licht worden, so von Kössler (Hlin. med. Journal. January. 1913).
Chelmonski (Deutsches Archiv für klin. Med. No. und 6), Ebstein
(Deutsche med. Wochenschr. 17. Oktober 1911), Parker (New York State.
Journal med. January 1911). Auf die Theorie von Weiss komme ich
weiter unten zu sprechen. Hier möchte ich etwas näher auf die Arbeit
von Stäubli (Münchener med. Wochenschr, Nr. 3) eingehen: Er hält
Asthma für das Resultat eines Spasmus der Bronchien und einer vasomo-
torischen Sekretion, die die Lumina der feineren Bronchien verengt und
verschliesst. Die Bronchialmuskulatur und die Nervenzentren, die die
Mukosa innervieren und die Atmung regeln, reagieren ungewöhnlich prompt
auf Reizreflexe, die von dem Respirations- oder Gastrointestinaltrakt, dem
Genitalapparat oder der Haut zu ihnen gelangen, ebenso wie auf klima-
tische Einflüsse, Staub usw. Das Resultat ist dann eine spastische und
sekretorische Kontraktur und ein Verschluss der feineren Bronchien. Die
Residual- und die Reserveluft sind infolgedessen in so grosser Menge vor-
handen, dass die Atmungs- sowie die Komplementärluft auf ein Minimum
reduziert sind. Stäubli zeigt an Diagrammen die schweren Erscheinungen,
die entstehen, wenn die Lunge mit Residual- und Reserveluft überfüllt ist,
und kein Platz für frische Luft bleibt. Es entsteht so ein Circulus vitio-
sus. den zu unterbrechen die Aufgabe der Therapie sein muss. Es lag
nahe, dazu in erster Linie die anästhesierenden, anämisierenden und gefäss-
verengernden Mittel zu verwenden, das Kokain und seine Derivate bzw.
Ersatzpräparate, ferner das Adrenalin und zuletzt die Hypophysenpräparate,
Hypophysin. Pituglandol bzw. mehrere dieser Mittel in geeigneter Kom-
bination. Ephraim kam im Laufe seiner langen Erfahrung zu einer Novo-
312 E. Schlesinger, Endobronchiale Behandlung des Asthma bronchiale.
kain-Adrenalin-Lösung, die ihm die besten Resultate gab und wohl auch
von den meisten, die nach seiner Methode arbeiteten, adoptiert wurde.
Heilskov und Mahler (Monatsschr. f. Ohrenheilkde. und Laryngo-Rhino-
logie. 1913. 47. Jahrg. 1. Heft) sahen auch gute Erfolge von der Instilla-
tion einer Kokain-Adrenalin-Lösung. Wir können dies nicht bestätigen.
Auch wir verwandten bei unseren ersten Fällen die Kokain-Adrenalin-
Lösung (10 g 1proz. Kokain und 1 g 1proz. Adrenalin) mit recht ungün-
stigem Resultat und erheblichen recht störenden Nebenerscheinungen. Un-
sere Resultate besserten sich erst als wir zur Novokain-Adrenalin-Lösung
übergingen, allerdings nicht in der von Ephraim angegebenen Zusammen-
setzung. Wir verwandten 1/,proz. Novokain, steigerten aber dafür die
Adrenalindosis. Wir verwandten zu einer Behandlung 15 ccm einer Lösung
von 13 cem '/,proz. Novokain 4- 2 cem Adrenalin (1:1000). Später
verwandten wir dann, besonders auf Rat von Dr. Borchard Hypophysin
bzw. Pituglandol und zwar 1 cem auf 14 cem Novokain, kombinierfen dann
mit Adrenalin, so dass die Lösung, die wir zur Zeit verwenden, aus
13 ccm !/,proz. Novokain + 1 ccm Adrenalin + 1 ccm Hypophysin besteht.
Die subkutane Anwendung des Hypophysenextraktes bei Asthma bron-
chiale wurde zuerst von S. S. Cohen (The Journal, 1910. May 28.), später
von O. Weiss (Deutsche med. Wochenschr. 1912. Nr. 38), und zwar von
diesem in Form des Asthmolysins (eine Ampulle a 1,1 cenı enthielt 1,0008
Nebennierenextrakt — 0,04 Hypophysenextrakt) empfohlen. Weiss geht
von der Theorie aus,” dass die Asthmadisposition auf eine Veränderung im
Nervensystem (Vagus, Sympathicus) oder auf eine Veränderung der Blut-
beschaffenheit zurückzuführen sei. Für die letztere käme ein vermindertes
Funktionieren der Drüsen mit innerer Sekretion in Betracht. Bei 3000 facher
Anwendung Asthmalysins sah er nur 10 Versager. Die Wirkung soll dem
Nebennierenextrakt allein erheblich überlegen sein. Seine Ausführungen
werden von Krause (Therapie der Gegenwart. Juli 1913) in vollem
Umfange bestätigt. Krause hofft, aus den bisher nur palliativen Erfolgen
mit dem Asthmolysin durch Anwendung in der anfallsfreien Zeit und
Kombination mit geeigneter Allgemeinbehandlung radikale Erfolge zu er-
zielen. Es lag somit nahe, die direkte Einbringung des Hypophysen-
extraktes in die Bronchien zu versuchen, nach Analogie des Adrenalins,
dessen bei subkutaner Verwendung bekannte, aber schnell vorübergehende
Wirkung bei endobronchialer Applikation wesentlich gesteigert und häufig
zu einer dauernden gestaltet wird. |
Unsere Technik schliesst sich der von Ephraim beschriebenen an,
mit dem Unterschiede, dass wir bei nur einigermassen bronchoskopierbaren
und nicht zu empfindlichen Patienten zu der ersten Behandlung das
Bronchoskop empfehlen, die eventuell folgenden werden dann mit dem
biegsamen Spray ausgeführt, dessen Verwendung bei genügender Technik
des Operateurs für den Kranken völlig schmerzlos, kaum unbequem zu
nennen ist. Wir teilen keineswegs die Ansicht Nowotnys, der sich auch
Heilskov und Mahler anschliessen, die in der mechanischen Irritation
E. Sohlesinger, Endobronchiale Behandlung des Asthma bronchiale. 313
die Hauptwirkung der Behandlung sehen. Wir sehen wie Ephraim die
Hauptwirkung im Medikamente selbst. Fälle, die sich gegen die Be-
handlung refraktär verhielten, blieben es, ob man Bronchoskop oder bieg-
samen Spray verwandte, die günstigen Fälle heilten nach jeder der
beiden Methoden. Der Grund, weshalb wir für das Bronchoskop bei der
ersten Behandlung plädieren, ist zunächst der, dass man so die Möglich-
keit erhält, sich von dem Zustand der Schleimhaut zu überzeugen, dann
aber — und das scheint uns noch wichtiger — um sich vor unangenehmen
Ueberraschungen zu schützen, vor dem Uebersehen von Erkrankungen, vor
allem Tumoren, die auch einmal ein Asthma vortäuschen können. So
sahen wir vor einigen Wochen bei einem Patienten, der uns zur Asthma-
behandlung überwiesen wurde, einen Tumor, der den linken Unterlappen-
bronchus fast völlig verschloss. Er wurde dann réntgenologisch als Hilus-
tumor diagnostiziert.
Die von mancher Seite geäusserten Bedenken, ob man mit Sicherheit
darauf rechnen könne, mit dem biegsamen Spray überhaupt in die Bronchien
beider Seiten zu kommen, können wir nach unseren bisherigen Erfahrungen
nicht teilen, geben jedoch zu, dass dies wohl bei manchen Patienten einmal
Schwierigkeiten machen könnte. Als Indikator für den jeweiligen Aul-
enthalt des Sprays diente uns, wie Ephraim, die Auskultation; doch
fanden wir, dass die Patienten stets prompt und mit solcher Sicherheit
angaben, in welche Lungenseite die Instillation erfolgte, dass ein Irrtum
ausgeschlossen erschien. Die Auskultation bestätigte stets die Richtigkeit
der Patientenangaben.
Noch einiges zur Lokalanästhesie.e. Wir haben uns von den Vorteilen
der von Ephraim angewandten Lokalanästhetika nicht ganz überzeugen
können. Weder das Alypin im Larynx und Pharynx, noch der chininsaure
Harnstoff für die Trachea gaben uns zufriedenstellende Resultate. Wir ver-
wandten für Rachen und Kehlkopf eine Lösung gleicher Teile 10 proz.
Kokains und Adrenalins (1:1000), die mittels mässig damit befeuchteter
Watteträger aufgetragen wird. Für die meist zeitraubende Kokainisierung
der hinteren Rachenwand zur Ausschaltung der Würgreflexe wenden wir
mit gutem Erfolge die unter zuverlässiger Kontrolle ausgeführte Selbst-
anästhesierung durch die Patienten an. Henke, an unserer Klinik, gab
die Selbstbehandlung zunächst für die Pfannenstielsche Kur der Larynx-
tuberkulose an und wird demnächst ausführlicher über seine Beobachtungen
und Erfolge berichten. Jedenfalls gingen die Patienten stets gern auf unsere
Anregung ein und zogen in Wiederholungsfällen die Selbstkokainisierung
der durch den Arzt vor. Der Larynx wird dann ganz und wie zu einem endo-
laryngealen Eingriff unter Leitung des Spiegels mittels Pinsels anästhesiert,
die Trachea durch einen gut arbeitenden Spray, mittels 1—1!/, ccm einer
Lösung von 2 proz. Kokain und Adrenalin 1: 1000 zu gleichen Teilen. Von
üblen Zufällen sind wir bei unserer Methode bisher verschont geblieben.
Ehe ich zu unseren Resultaten übergehe, will ich kurz unsere Kranken-
geschichten mitteilen, und zwar in chronologischer Reihenfolge:
314. E. Schlesinger, Mndobronchiale Behandlung des Asthma bronchiale.
1. E. H., 52 Jahre alt, Landwirtsfrau. Polypi narium. 15. September 1912
Entfernung der Polypen, Asthma bronchiale seit ea. 4 Jahren, besonders stark im
Herbst und Winter. 1911 angeblich starke Erstickungsanfälle, Patientin konnte
keine Nacht im Bett bleiben, sass stundenlang auf, war gänzlich arbeitsunfähig.
Da die Entfernung der Polypen zu keiner Besserung führte, am 5. November
Instillation von Novokain-Adrenalinlösung mittels Bronchoskops. Die Schleim-
haut der Bronchien ohne wesentliche Veränderungen. Am 22. November berichtet
Patientin, dass die Anfälle zunächst vanz aufechort hatten, nachdem in den
ersten Tagen starke Schleimexpektoration aufgetreten war. Patientin konnte
nachts schlafen. Seit dem 20. November wieder Anfälle, wenn auch wesentlich
leichter als früher. Auf Anraten kommt Patientin am 28. November zur erneuten
Behandlung (Bronchoskopie, Novokain, Adrenalin).
Am 13. Dezember berichtet Patientin, dass sie nach der Behandlung 14 Tage
lang von Anfällen verschont blieb. Seit dem 11. Dezember wieder Anfälle, doch
wesentlich milder als früher, nur einmal nachts, und bald vorübergehend. Nachher
ruhiger Schlaf bis zum Morgen. Patientin scheut die Reise im Winter und kommt
nicht wieder zur Behandlune.
Kontrolle am 29. September 1913: Die Besserung hielt noch 4 Wochen an,
in dieser Zeit nur leichte vereinzelte Anfälle, dann allmählich Rückfall in den
alten Zustand. Zurzeit dieselben Beschwerden wie vor der Behandlung.
2. HM. S., 44 Jahre alt, Gierichtsbote, Asthma bronchiale, Anfälle seit ca. 1 Jahre
täglich ca. 2—3 mal besonders stark. Auskultatorisches (riemen und Pfeifen über
der ganzen Lunge.
19. November 1912. Instillation von XNovokain-Adrenalinlösung mittels
Bronchoskops, Schleimhaut etwas injiziert ohne stärkere Veränderungen. Wieder-
vorstellung am 21. November, ca. 6 Stunden nach der Behandlung Expektoration
grosser Mengen glasigen Sekretes, Asthmakristalle werden nicht gefunden. Seither
keine Anfälle mehr. Wiedervorstellune am 25. Dezember. .Es sind keine Anfälle
mehr aufgetreten, seitdem ist Patient ausgeblieben. Kontrolle am 11. September
1913. Seit Februar 1913 sind wieder Anfälle aufgetreten, jedoch angeblich gce-
wöhnlich nur einmal nachts nach 4—5 stündigem Schlaf und nie wieder so heftig
wie vor der Behandlung, nochmalige endobronchiale Behandlungs vorgeschlagen.
+
3. G.N., 49 Jahre alt, Sehiffszimmermann. Bronchitis und Asthma bronchiale
seit ca. 1 Jahre. Bronchitische (Geräusche, besonders der rechten Seite, rechts
hinten reichliches (riemen, besonders unten, doch auch Rasseln, viel Husten,
zäher, etwas fötider Auswurf. Anfälle fast täglich, dazu Klagen über Luft-
mangel. — 28. Januar 1915. Instillation von Novokain-Adrenalinlösung mittels
Bronchoskups. Schleimhaut der Trachea und Bronchien geschwollen, livide ver-
färbt, Rinezeichnung undeutlich, reichlich zäher Schleim. — 29. Januar. Einige
Stunden nach der Behandlung entleeren sich sehr reichliche Mengen schleimig-
eitrigen Sekrets, auch am 30. Januar noch andauernd starke Expektoration. Am
31. Januar fühlt sieh Patient wesentlich wohler, keine Atemnot, keine Anfälle.
Auch im auskultatorischen Befunde unverkennbare Besserung. Patient geht wieder
auf See, seither keine Nachricht.
4. P. G., 53 Jahre alt, Lehrer (Grajewo, Russland). Asthma bronchiale,
Bronchitis chronica seit ca. 5 Jahren. Seit 3 Monaten starke Anfälle, fast
dauernder Luftmangel, besonders nachts, Expektoration sehr erschwert, Sekret
sehr zäh und glasig. Völlig arbeitsunfähig, kaum imstande, die kurze Entfernung
von seiner Wohnung bis zur Klinik zu Fuss zurückzulegen, auskultatorisch brummende
E. Schlesinger, Endobronchiale Behandlung des Asthma bronchiale. 515
Geräusche und grossblasiges Rasseln über beiden Lungen. — 22. Januar 1913. In-
stillation von Novokain-Adrenalin mittels Bronchoskops. Schleimhaut gerötet und
geschwollen, reichlich zähes Sekret. Patient ist zunächst durch die Behandlung
stark angegriffen, Expektoration vrosser Mengen zähen Sekretes. Anfälle milder.
— 50. Januar. Wiederholung der Behandlung. Wiederum Expektoration reich-
licher Sekretmassen. Seither wesentliche Besserung. Anfälle nicht wieder auf-
vetreten, Atemnot geschwunden. Patient ist imstande, ohne Beschwerden zu gehen,
auch Treppen zu steigen. — 7. Februar. Anfälle nicht wieder aufgetreten, aus-
kultatorischer Befund: über beiden Lungen noch etwas Brummen, doch keine
Irasselgeräusche mehr. Patient kehrt in seine lleimat zurück und nimmt seinen
Beruf wieder auf. Seither ohne direkte Nachricht, nach Aussage eines Russen aus
derselben Stadt: gesund und arbeitsfähig.
5. F. H., 39 Jahre alt, Kastellan. Vom Internen wegen Asthma bronchiale
überwiesen nach Versagen der medikamentösen Therapie. Anfälle seit Oktober 1912,
2 mal innerhalb 24 Stunden, gewöhnlich 6 Uhr nachmittags. besonders stark naclı
4 Uhr, Dauer ca. 1 Stunde. Treppen- und Bergsteigen sehr erschwert. Aus-
kultatorisch leichte Bronchitis. 22. Januar 1913. Instillation von Novokain-
Adrenalin mittels Bronchoskops, Schleimhaut leicht injiziert, geringe Schleim-
mengen. — 24. Januar. Die Anfälle sind ausgeblieben, Luftmangel geringer,
Treppensteigen kaum merklich erschwert. — 1. Februar. Patient von Anfällen
freigeblieben, geht und steigt ohne Beschwerden. Kontrolle am 9. September.
Patient völlig gesund und frei von Anfällen und Luftmangel.
6. A. J., 33 Jahre alt, Arbeiterfrau. Asthma bronchiale seit ca. 2 Jahren,
intern erfolglos behandelt. Anfälle nachts, besonders stark nach Erkältungen auf-
tretend. Auskultatorisch Tiefstand der Lungengrenzen, Schachtelton, viel Giemen
und Brummen. 4. Januar 1913. Instillation von Novokain-Adrenalin mittels
Bronchoskops. Schleimhaut etwas geröütet, ohne schwerere Veränderungen.
6. Januar. Anfälle etwas weniger intensiv und seltener. Patient ist durch (die
Behandlung stark angegriffen und lehnt eine Wiederholung ab. Kontrolle am
11. September. Die Anfälle angeblich ebenso häufig und schwer wie vor der
Behandlung.
‘. G..K., 26 Jahre alt, Verkäuferin. Von der medizinischen Klinik wegen
Asthma bronchiale überwiesen. Anfälle seit ca. 10 Jahren, früher monatlich
einmal, ca. 2—3 Stunden anhaltend, in letzter Zeit ca. 2—3 mal wöchentlich.
Atmung erschwert. — 16. Januar 1913. Instillation von Novokain-Adrenalin
mittels Bronchoskops. Schleimhaut ohne wesentliche Veränderungen. Einige
Stunden später starker IHusten, sehr reichlicher Auswurf, der sich nachts noch
einmal wiederholt. (Im Sekret Asthmakristalle.) — 17. Januar. Wohlbefinden,
Atmung leichter. — 20. Januar. Seit der Behandlung anfallsfrei. — 28. Januar.
Patient dauernd frei von Anfällen, die interne Untersuchung ergibt völlig normalen
Befund. — 5. Februar. Patientin hat einen leichten Anfall gehabt, am 14. Februar
einen stärkeren. Deshalb Wiederholung der endobronchialen Behandlung. Seitdem
frei von Anfällen. Kontrolle am 10. September. Patientin hat nie wieder einen
Anfall gehabt.
8. R. W., 64 Jahre alt, Gärtnersfrau. Asthma bronchiale, Bronchitis chronica.
Anfälle und Atembeschwerden seit ca. 14 Jahren, starker Husten, Expektoration
reichlichen, schleimigen Sekretes. Auskultatorisch stark verlängertes Exspirium,
sehr zahlreiche in- und exspiratorische Rasselscräusche, pfeifende und giemende
treräusehe. — 20. Januar 1913. Instillation von Novokain-Adrenalinlösung mittels
316 E. Schlesinger, Endobronchiale Behandlung des Asthma bronchiale.
Bronchoskops. Schleimhaut der Trachea und der Bronchien gerötet und geschwollen,
aus den Unterlappenbronchien entleert sich dauernd zähes Sekret. 24. Januar.
Wiederholung der Behandlung. Nach derselben sehr reichlich Expektoration.
Atemnot wesentlich gebessert, Anfälle seltener und von kurzer Dauer. 6. Februar.
Die interne Untersuchung ergibt noch immer das Bestehen einer recht schweren
Bronchitis, doch ist rechts wesentliche Besserung gegenüber dem Befunde links zu
konstatieren. Patientin entzieht sich der Weiterbehandlune.
9. E. W., 51 Jahre alt, Vorarbeiter. Asthma bronchiale. Anfälle nur selten,
dagegen Atemnot, besonders bei schnellerem Gehen und Treppensteigen. Aus-
kultatorisch: Vol. pulm. auct., etwas Brummen und Giemen. — 8. Februar. In-
stillation von Novokain-Adrenalinlösung mittels Bronchoskops. Schleimhaut ohne
wesentliche Veränderungen. — 10. Februar. Patient fühlt sich wohler, Atmung
erheblich freier. — 19. Februar. Patient anfalls- und beschwerdefrei. Kontrolle am
15. September. Nach einigen Wochen Wohlbefinden allmähliche Wiederkehr der
alten Beschwerden. Wiederholung der Behandlung empfohlen. |
10. G. P., 32 Jahre alt, Strassenbahnführer. Asthma bronchiale. Patient
erkrankte 1902 an Bronchialkatarrh infolge einer Erkältung. Seither Atem-
beschwerden, dauernd in ärztlicher Behandlung. Trotzdem dauernde Ver-
schlechterung, häufig Anfälle. Von der medizinischen Klinik zur endobronchialen
Behandlung überwiesen. Die Untersuchung der Nase ergab links Polypen, die am
28. Februar 1913 entfernt wurden. Da keine Besserung der asthmatischen Be-
schwerden auftrat, wird am 7. März die Instillation einer Lösung von !/ə proz.
Novokain +- 1 cem Piturlandol vorgenommen. Schleimhaut mässig gerötet, leicht
ceschwollen, 5—6 Stunden nach der Behandlung Entleerung von reichlichen
Sekretmengen. — 8. März. Die Nacht verlief anfallsfrei, Atmung freier. —
10. März. Bisher anfallsfrei, Patient hat nachts 10 Stunden ununterbrochen
geschlafen, das erste Mal seit 10 Jahren. Interner Befund: Rückgang der
katarrhalischen Erscheinungen noch nicht zu konstatieren. — 16. März. Wieder-
holung der endobronchialen Behandlung. — 19. März. Nachts 3 Uhr nach vor-
hergehendem völligem Wohlbefinden mässig schwerer Anfall. — 22. März. Wieder-
holung der endobronchialen Behandlung. — 3. April. Anfälle nicht wieder
aufgetreten, es besteht sehr reichlicher, etwas eitriger Auswurf. Befund bei der
internen Untersuchung: Ueber beiden Lungen, besonders den unteren Partien,
mässig reichliche, langgezogene, giemende Geräusche, verlängertes Exspirium,
keine Rasselgeräusche. — 8. April. Nachts erneuter Anfall. — 9. April. Endo-
bronchiale Behandlung mittels Bronchoskops. Instillation von t/ə proz. Novokain-
lösung + lecm Hypophysin. — 16. April. Endobronchiale Behandlung mittels
biegsamen Sprays. 13 ccm !/, proz. Novokain + 1!/, cem Hypophysin + 3/, cem
Adrenalin. — 18. April. Patient anfallsfrei. Interne Untersuchung: Befund ohne
Veränderungen gegen die letzte Untersuchung. — 3. Mai. Patient anfallsfrei ge-
blieben, an Regentagen leichte Atemerschwerung. — 22. Mai. Patient angeblich
völlig beschwerdefrei, Husten und Auswurf verschwunden. Interner Befund: Auf
den Lungen nichts Pathologisches mehr. — 8. Juli. Seit einigen Tagen wieder
Anfälle. — 10. Juli. Endobronchiale Behandlung mit biegsamem Spray (13 ecm
1 proz. Novokain + 1,0 Hypophysin + 1 ccm Adrenalin). — 3. August. Patient
ist nach der letzten Behandlung ca. 14 Tage beschwerdefrei geblieben, seither
wieder allmähliche Rückkehr der alten Beschwerden. — 4. August. Endobronchiale
Behandlung mit derselben Lösung wie am 10. Juli. — 6. August. Angeblich keine
Besserung, daher nochmalige Behandlung mit derselben Lösung. — 7. August.
E. Schlesinger, Endobronchiale Behandlung des Asthma bronchiale. 317
Behandlung ebenfalls obne Einfluss, daher nochmalige Wiederholung. Im September
nach 4maliger Wiederholung der endobronchialen Behandlung, Erfolg stets nur
wenige Tage, dann wieder Anfälle, besonders nachts. Indessen ist Patient dienstfühig.
11. W. B., 60 Jahre alt, Postschaffner. Asthma bronchiale. Anfälle seit
ca. 18 Jahren, seit einem Jahre starke Verschlechterung. Patient klagt über Er-
stickungsgefühl, starken Husten, Auswurf, kann kaum je eine Nacht schlafen. Von
der medizinischen Klinik zur Behandlung überwiesen. Auskultatorisch: über beiden
Lungen reichlich pfeifende und giemende (ieräusche. — 14. April 1913. Endo-
bronchiale Behandlung mittels biegsamen Sprays (13 ccm !/, proz. Novokain + 1 ccm
Hypophysin + 1 ccm Adrenalin). — 15. April. Die Nacht verlief anfallsfrei, sub-
jektive Besserung. — 17. April. Wiederholung der Behandlung mit derselben
Lösung. — 24. April. Nach 4 völlig beschwerdefreien Tagen wieder asthmatische
Anfälle. — 28. April. Endobronchiale Behandlung mittels Bronchoskops unter
Verwendung derselben Lösung. — 29. April. Patient hat keine Anfälle gehabt,
wird aber stark durch Husten gequält. — 3. Mai. Patient war anfallsfrei, doch
starker Husten. — 15. und 21. Mai. Endobronchiale Behandlung mittels bieg-
samen Sprays unter Verwendung derselben Lösung. — 28. Mai. Patient dauernd
frei von Anfällen, klagt jedoeh über starken Husten und Auswurf. Interne Unter-
suchung: Lungenbefund ohne Besserung. Patient seither ausgeblieben.
12. C. K., 60 Jahre alt, Besitzer. Asthma bronchiale. Asihmatische Anfälle
seit ca. 12 Jahren, Husten, reichlicher Auswurf. Auskultatorisch: brummende und
ciemende (reräusche. — 30. April 1913. Endobronchiale Behandlung mittels
Bronchoskops (13 ccm 1/ proz. Novokain + 1 cem Hypophysin + 1 cem Adrenalin).
— 1. Mai. Nach der Behandlung ist Patient ca. 6 Stunden frei von Beschwerden,
nachdem wieder der alte Zustand. Am 6., 7., 15. und 24. Mai wird Patient auf
dic gleiche Weise behandelt. Stets der Erfolg nur für ca. 5—6 Stunden. Patient
bleibt dann aus der Behandlung fort. Kontrolle am 13. September. Patient gibt
an, durch die Behandlung in keiner Weise gebessert zu sein.
18. H. Sp., 56 Jahre alt, Schuhmacher. Asthma bronchiale. Asthmatische
Anfälle seit ca. 10 Jahren, starker Husten, reichlicher Auswurf, fast täglich
Erstickungsanfälle. Trotz dauernder ärztlicher Behandlung zunehmende Ver-
schlechterung. Auskultatorisch: Lautes Giemen und Pfeifen über beiden Lungen,
deutlicher Stridor. — 5. April 1913. Endobronchiale Behandlung mittels bieg-
samen Sprays (1/5 proz. Novokain + 1 cem Hypophysin). — 9. April. Wieder-
vorstellung. Husten und Auswurf geringer, Anfälle seltener. — 16. April. Endo-
bronchiale Behandlung mit biegsamem Spray (13 cem !/» proz. Novokain + 1 ccm
Hypophysin + 1 cem Adrenalin). Der Patient bleibt einige Tage von Anfallen
verschont, dann wieder alter Zustand. Wiederholung der Behandlung und zwar
abwechselnd mit dem Bronchoskop und dem biegsamen Spray und derselben
Lösung am 26. April, 21. Mai, 2. und 25. Juni. Erfolg stets nur für wenige
Tage, zuletzt nur wenige Stunden, dann stets Wiederkehr der alten Beschwerden
mit derselben Intensität. Patient bleibt aus der Behandlung fort.
14. L. Str, 51 Jahre alt, Monteursfrau. Asthma bronchiale. Anfälle seit
ca. 20 Jahren, seit 4 Jahren starke Zunahme der Beschwerden, besonders stark
nachts. Husten, Auswurf. Interne Untersuchung: etwas lauter Lungenschall,
normale verschiebliche Grenzen, verlängertes Exspirium, diffuse giemende Ge-
räusche. Keine Erscheinungen von Emphysem. — 24. April. Endobronchiale Be-
handlung mittels biegsamen Sprays (Novokain-Hypophysin-Adrenalinlösung). An-
fallsfrei bis zum 26. April, dann wieder alte Beschwerden. Wiederholung der
318 E. Schlesinger, Endobronchiale Behandlung des Asthma bronchiale.
endobronchialen Behandlung und zwar abwechselnd mittels biegsamen Sprays und
Bronchoskops bei Verwendung derselben Lösung am 28. April, 5, 9., 28. Mai,
4. Juni. Wirkung stets nur für ea. 1 bis höchstens 2 Tage, dann treten stets
wieder dieselben Beschwerden auf. Kontrolle am 20. September. Patientin gibt an,
durch die Behandlung nicht gebessert zu sein.
15. E. A., 34 Jahre alt, Besitzersfrau (Gerdoken, Russland). Asthma bronchiale.
Asthmatische Anfälle seit ea. 7 ‚Jahren. Ausserdem Nasenpolypen rechts, Septum-
skoliose. Nach operativer Beseitigung dieser Affektionen ist die Nase weit,
trotzdem bleiben die sehr häufigen und intensiven Anfälle bestehen. Während
der Anfälle subkutane Injektionen von 0,5 Adrenalin 1:1000 mit gutem, doch
schnell vorübergehenden Erfolge. Interner Befund: Links hinten unten ganz ver-
einzelte trockene Rasselgeräusche, sonst völlig normaler Lungenbefund. Endo-
bronchiale Behandlung mittels Bronchoskops am 12. März 1913 (1 proz. Novokain +
l cem Adrenalin). Schleimhaut ohne Veränderungen. — 14. März. Patientin an-
eeblich wesentlieh gebessert, nachts anfallsfrei. — 18. März. In der Nacht wieder
l Anfall, daher am 19. März Wiederholung der Behandlung, und zwar mit !/> proz.
Novokain + 1 cem Pituglandol. — 22. März. Deseleichen. Patient danach frei
von Anfällen, kehrte am 15. April nach Russland zurück, seither ohne Nachricht.
16. H. A., 21 Jahre alt, Handelsmann. Asthma bronchiale. Anfälle seit
ca. 21/, Jahren, in letzter Zeit fast täglich auftretend. Auskultatorisch: vereinzelte
brummende (reräusche. — 21. Mai 1913. Endobronchiale Behandlung mittels
Bronchoskops (!/s proz. Novokain + 1 cem Hypophysin + I1cem Adrenalin).
Schleimhaut ohne wesentliche Veränderunren. — 27. Mai. Patient ist einige Tage
anfallsfrei geblieben, in der Nacht zum 27. Mai wieder leichter Asthmaanfall.
2). Mai. Endobronchiale Behandlung mittels biegsamen Sprays unter Verwendung
derselben Lösung. — 5. Juni. Patient bisher anfallsfrei, seitdem nicht wieder
erschienen, auf Anfrage erfolgte keine Nachricht.
17. A. N., 27 Jahre alt, Besitzersfrau. Asthma bronchiale. Asthmaanfälle
seit ca. 4 Monaten, besonders heftig nachts. Von der medizinischen Klinik zur
endobronchialen Behandlung überwiesen. Interner Befund: Leichte diffuse Bronchitis,
verlängertes Exspirium, etwas Giemen. — 2. Mai 1913. Endobronchiale Behandlung
mittels bieysamen Sprays (Lösung 1’, proz. Novokain + 1,0 ecm Hypophysin +
1,0 cem Adrenalin). — 3. Mai. Patient fühlte sich heute wesentlich wohler,
Nacht verlief ohne Anfall. Patientin blieb auch beschwerdefrei bis zum 10. Mai,
in der Nacht zum 11. wieder ein Anfall. — 14. Mai. Erneute Behandlung mit
biegsamem Spray und derselben Lösung. -— 18. Mai. Patientin reist beschwerde-
und anfallsfrei in die Heimat. — S. Juli. Wiedervorstellung mit der Angabe, dass
seit ca. 3 Wochen die alten Beschwerden wieder aufgetreten sind. Deshalb am
9. Juli endobronchiale Behandlung mit biegsamem Spray und derselben Lösung
wie am 2. Mai. — 12. Mai. Patientin wird beschwerdefrei entlassen. Kontrolle
am 16. September. 4 Wochen nach der Behandlung sind die Anfälle wieder auf-
getreten, nach Angabe der Patientin sind sie seltener, aber nicht weniger intensiv
als vor der Behandlung. Patientin sagt sich zur Wiederholung der Behandlung an.
18. W. K., 55 Jahre alt, Restaurateur. Asthma bronchiale. Asthmatische
Anfälle seit November 1912, dauernde Zunahme der Anfälle an Häufigkeit und
Intensität. Interner Befund: Verlängertes und verschärftes Exspirium, Giemen
und Brummen. Arteriosklerose, Diabetes. — 7. Mai. Endobronchiale Behandlung
mittels Bronchoskops (!’s proz. Novokain 4- 1 eem Adrenalin). Schleimhaut ge-
rötet, geschwollen, glasiges Sekret. — 9. Mai. Patient seit der Behandlung be-
E. Schlesinger, Endobronchiale Behandlung des Asthma bronchiale. 319
schwerdefrei. — 8. Juni. Patient teilt schriftlich mit, dass er seit der Behandlung
keinen Asthmaanfall gehabt habe, auch sein Allgemeinbefinden sei erheblich ge-
bessert. — 9. Juni. Auf besonderen Wunsch des Patienten trotz Fehlens asthma-
tischer Anfälle endobronchiale Behandlung mit biegsamem Spray (Lösung !/ə proz.
Novokain + l cem Hypophysin -+ 1 ccm Adrenalin). Kontrolle am 9. September.
Patient ist dauernd frei von Asthmaanfällen geblieben.
19. B. S., 21 Jahre alt, Schlosser. Asthma bronchiale. Asthmaanfälle seit
ca. 4 Jahren, sehr häufig, jede Nacht, oft auch am Tare. Auskultatorisch: Ganz
leichte bronchitische (reräusche nur hinten, keine Emphysemsymptome. — 21. Mai.
Endobronchiale Behandlung mittels biegsamen Sprays (!/, proz. Novokain + 1 cem
Iiypophysin + 1 cem Adrenalin). — 22. Mai. Patient ist die Nacht anfallsfrei
geblieben. — 24. Mai. In der Nacht zum 24. Mai wieder ein leichter Anfall,
daher Wiederholung der endobronchialen Behandlung. Dieselbe Behandlung wird
am 29. Mai, 2. Juni und 9. Juni wiederholt. Nach der letzten Behandlung blieb
Patient anfallsfrei bis Anfang September, seither wieder Asthma, doch wesentlich
milder als vor der Behandlung. Erneute endobronchiale Behandlung diesmal
mittels Bronchoskops unter Verwendung der gleichen Lösung am 9. September,
am 15. und 25. September. Schleimhaut stark werötet und geschwollen. Die
Besserung hält stets ca. 8—10 Tage an, dann allmählich eintretende Ver-
schlechterune. Die Behandlung wird noch fortgesetzt.
20. A. B. 25 Jahre alt, Verkäuferin. Asthma bronchiale. Asthmatische
Anfälle seit ea. 2 Jahren, besonders stark nach jeder Erkältung. In der letzten
Zeit langdauernde, quälende Anfälle Auskultatorisch: nur geringer Befund. —
17. und 21. Mai 1913 endobronchiale Behandlung mit biegsamem Spray (!/s proz.
Novokain + leem Hypophysin + 1,0 cem Adrenalin). — 26. Mai. Patientin
gibt an, leichte Besserung zu empfinden, jedoch treten noch Anfälle auf, wenn
auch seltener und von geringerer Dauer. Nochmalige Wiederholung der Behandlung
verweigert. Wiedervorstellung am 9. Juni. Patient angeblich seit ca. 14 Tagen
frei von Anfällen. Kontrolle am 12. September. Die Anfallsfreiheit hielt
ca. 4—5 Wochen an, dann allmählich wieder zunehmende asthmatische Anfälle.
Keine wesentliche Besserung gegen die Zeit vor der Behandlung.
21. W. M., 30 Jahre alt, Handlungsgehilfe. Asthma bronchiale. Asthma seit
2 Jahren. Nächtlich starke Eirstiekungsanfäülle mit starkem Husten und Auswurf.
Auskultatorisch: Giemen und Pfeifen über der wanzen Lunge. — 7. Mai. Endo-
bronchiale Behandlung mittels Bronchoskops (12 proz. Novokain + 1,0 cem
Adrenalin). Schleimhaut ohne wesentliche Veränderungen. — 8. Mai. In der
Nacht ist Patient beschwerdefrei geblieben. — 9. Mai. Wiederholung der Be-
handlung mittels biessamen Sprays (lə proz. Novokain + I cem Hypophysin +
l cem Adrenalin). — 21. Mai. Bis zum 19. Mai ist Patient anfallsfrei geblieben,
nachts guter Schlaf. In der Nacht zum 20. und am 20. selbst je ein Anfall. —
29. Juli. Patient stellt sich wieder zur Behandlung ein, da die Beschwerden
wieder die alten geworden sind. Endobronchiale Behandlung mittels Brorchoskops.
dieselbe Lösung wie am 9. Mai. Er wird am 30. Juli beschwerdefrei entlassen.
Kontrolle am 11. September. Zwei Tage nach seiner Rückkehr Wiederkehr der
Anfälle, zurzeit fast täglich, am Tage und bei der Nacht. Die Anfälle etwas
seltener und kürzer als vor der Behandlung.
22. S. G., 62 Jahre alt, Lehrer, Wilna in Russland. Asthma bronchiale.
Astlhmatische Anfälle seit ca. 2 Jahren. seit t'a Jahre zunehmende Verschlimmerung,
zurzeit dauernde Atemnot. Interner Befund: Vol. pulm. auct. Schachtelton, ver-
320 K. Schlesinger, Endobronchiale Behandlung des Asthma bronchiale.
längertes Exspirium, brummende Geräusche. — 12. Juni 1913. Endobronchiale
Behandlung mittels biegsamen Sprays (!/, proz. Novokain + 1 cem Hvpophysin +
1,0 cem Adrenalin). — 13. Juni. Patient hat seit der Behandlung keinen Anfall
gehabt, Atemnot verschwunden. Wohlbefinden. — 23. Juni. Patient wird auf
seinen Wunsch, frei von Anfällen oder Atembeschwerden, entlassen. Seither ohne
Nachricht.
28. E. Gn., 72 Jahre, Witwe, könirsberg. Asthma bronchiale. Asthmatische
Anfälle und Atemnot seit ca. 6 Jahren. Starker Husten mit eitrigem Auswurf.
Auskultatorisch: Brummende und giemende Geräusche über der ganzen Lunge. —
10. Juli 1913. Endobronchiale Behandlung mittels biegsamen Sprays (1/5 proz.
Novokain + 1 cem Hypophysin + 1 cem Adrenalin). — 14. Juli. Wiedervorstellung.
Asthmaanfälle angeblich seltener, Atemnot wesentlich geringer. Pat. war von der
Behandlung stark angegriffen und lehnt eine Wiederholung ab. Kontrolle am
13. September. Die Besserung hielt ca. 14 Tage an, dann Wiederkehr der alten
Beschwerden. Keine Besserung gegen die Zeit vor der Behandlung.
24. 1. P., 32 Jahre. Stawisken, Russland. Asthma bronchiale. Asthmatische
Anfälle seit ca. 2 Jahren. Seit 4 Monaten starke Verschlimmerung, sehr starke
Atemnot. Auskultatorischer Befund: GeringesGiemen und Pfeifen, besonders rechts. —
5. August 1913. Endobronchiale Behandlung mittels Bronchoskops (!/ proz. Novokain
+ 1 cem Hypophysin + 1 cem Adrenalin). Schleimhaut ohne Veränderungen. —
8. August. Subjektive Besserung, seit der Behandlung keine Anfälle. Wieder-
holung der Behandlung mittels biegsamen Sprays am 16. August und am 27. August.
‚Interne Untersuchung: Keine Erscheinungen von Bronchitis. — 30. August. Pat.
wird anfalls- und beschwerdefrei entlassen.
25. J. N., 59 Jahre, Besitzer, Tapiau. Asthma bronchiale. Asthmatische
Anfälle seit März 1913. Dauernde Zunahme der Anfälle an Zahl und Intensität.
Lufimangel bei jeder Anstrengung. Interner Befund: Vol. pulm. auct., überall
verlängertes Exspirium, reichlich pfeifende und giemende Geräusche. — 4. September.
Endobronchiale Behandlung mittels biegsamen Sprays (!/s proz. Novokain + 1 cem
Adrenalin + 1 ccm Hypophysin). — 6. September. In der Nacht zum 5. anfalls-
frei, in der Nacht zum 6. wieder ein Anfall, daher Wiederholung der Behandlung,
desgleichen am 12. September und ain 19. September.
26. A.Sp.. 56 Jahre, Hilfsweichensteller, (ir. Schimanen. Asthma bronchiale.
Asthmatische Anfälle seit einem Jahre, Atemnot bei schnellerem (iehen, An-
strengungen, besonders bei Witterungsumschlag. Interner Befund: Vol. pulm. auct.,
verlängertes Exspirium, überall Pfeifen und Giemen. — 2. September 1913. Endo-
bronchiale Behandlung mit biegsamem Spray (1/s proz. Novokain + 1 cem Hypo-
physin + 1 cem Adrenalin). Deutliche Besserung, Atemnot geringer, doch noch
vereinzelte Anfälle. Wiederholung der Behandlung am 7%. September. Pat. wird
auf Wunsch am 10. September beschwerdefrei entlassen.
27. v. T., Dr. phil., 26 Jahre, Berlin. Asthma bronchiale. Pat. leidet seit
frühester Jugend an asthmatischen Anfällen, die jedoch nur auftreten, wenn er sich
in Ostpreussen aufhält, und zwar auch hier nur, wenn er sich eine gewisse Strecke
von der Küste entfernt. Ausserhalb dieser Gegend ist Pat. völlig asthmafrei. Die
Anfälle sind, wenn sie auftreten, so schwer und anhaltend, dass er seit Jahren
die Gegend meiden muss. Das Asthma vererbt sich angeblich in seiner Familie
seit langen Generationen. — 8. September 1913. Endobronchiale Behandlung mittels
biegsamen Sprays (1/2 proz. Novokain +- 1 cem Hypophysin -+ 1 ccm Adrenalin).
Pat. ist von der Behandlung stark angegriffen. — Am 19. September fahrt Pat. auf
E. Schlesinger, Endobronchiale Behandlung des Asthma bronchiale. 321
ein im Inneren gelegenes Gut. Die Anfalle treten sofort nach sciner Ankunft mit
grosser Intensität auf. Kontrolle am 16. Oktober. Pat. hat äusserst heftise An-
fälle an Orten gehabt, an denen er früher verschont war, z. B. in Berlin und in Kiel.
28. Frl. E. Gr., 17 Jahre, Allenstein. Asthma bronchiale. Pat. leidet seit
ihrem 6. Lebensjahre an Asthma, das besonders stark in Ostpreussen auftritt.
Bei ihrem Aufenthalt in Westfalen und Tirol war sie völlig asthmafrei. Lungen
ohne Befund. Sehr enge Nase infolge von Muschelschwellung, die operativ be-
seitigt wurde. Da dies auf das Asthma keinen Einfluss hatte, wurde am 10. September,
14. September und 18. September 1913 die endobronchiale Behandlung mittels bieg-
samen Sprays (4/. proz. Novokain + 1 cem Adrenalin + 1 ccm Hypophysin) vor-
genommen. Pat. blieb anfallsfrei, solange sie sich an der Küste aufhielt. Die An-
fälle traten sofort nach Rückkehr aufs Land wieder auf, angeblich eher heftiger,
als vor der Behandlung.
Unsere Beobachtungszeit ist eine relativ kurze. Trotzdem fällt es auf,
dass wir unter 28 Beobachtungen nur über 5 Fälle verfügen (Fall 4, 5, 7.
15, 18), die in dieser kurzen Spanne rezidivfrei geblieben, die man also
wohl vorläufig als Dauerheilungen bezeichnen darf. Das ist wenig, ver-
glichen mit den Resultaten Ephraims, der schon 1911 (Archiv für Laryn-
gologie, Bd. 24) unter 58 Fällen 37 Dauerheilungen zu verzeichnen hatte
und nach seiner letzten Mitteilung (Deutsche med. Wochenschr., 1911,
Nr. 45) ein günstiges Resultat bei 72 von 103 Patienten mit Asthma bron-
chiale erzielte. Auch die Resultate Wolff Freudenthals (Transact. of
the seventeenth annual meeting of the American laryng. Society, 1911)
(8 Heilungen und 13 Asthmafälle), Sobernheims (10 Heilungen bei
12 Asthmafällen) sind besser als die, die wir erzielten. Immerhin ist
das Resultat im Vergleich zu den Resultaten der bisherigen Therapie
nicht schlecht zu nennen. Unsere Resultate entsprechen im übrigen
völlig denen, die Heilstov und Mahler erzielten: Unter 30 Fällen von
Bronchitis und Asthma 6 Heilungen (darunter 5 Asthmafälle). Dabei ist
zu bemerken, dass von unseren geheilten Fällen Fall 4, 5 und 7 im Januar
bzw. Februar, d. h. zu unseren ersten Fällen gehören, die mittels Bron-
choskops und der Novokain-Adrenalin-Lösung behandelt wurden. Unsere
Dauerresultate mehrten sich nicht, als wir zum biegsamen Spray über-
gegangen waren, unsere späteren Resultate entsprachen auch nicht den
Erwartungen, die wir an die Fortschritte unserer Technik geknüpft hatten.
Auch die Einführung des Hypophysins in unsere Therapie ist von keinem
klar erkennbaren Einfluss gewesen, die Zahl der Fälle ist ja wohl auch
zu gering, um bereits ein sicheres Urteil dahin abgeben zu können, ob
die Verwendung des Hypophysins mit Adrenalin zusammen wirksamer ist,
als der Nebennierenextrakt allein. Dass das Hypophysin zweifellos wirk-
sam ist, hat schon Henke gelegentlich einer Mitteilung im Königsberger
Verein für wissenschaftliche Heilkunde betont und wurde auch von
Borchard und Krause bestätigt. Doch habe ich bisher den Eindruck,
dass Hypophysin allein (d.h. in der !/,proz. Novokainlösung) dem Adrenalin
nicht ganz ebenbürtig, in Verbindung mit dem Adrenalin aber recht wirk-
sam ist und zweifellos zu weiteren Versuchen ermutigt. Ephraim hat
322 E. Schlesinger, Endobronchiale Behandlung des Asthma bronchiale.
allerdings, wie er uns brieflich mitteilt, von einem Zusatz von Pituitrin zu
der Novokain-Adrenalin-Lösung keine Effektmehrung gesehen.
Temporäre Erfolge, d.h. Ausbleiben der Anfälle für eine Zeitlang.
schwankend von mehreren Tagen bis zu etwa 9 Wochen (Fall 2), Besserung
der Atembeschwerden, Verringerung der bronchitischen Beschwerden, Milde-
rung der Anfälle, auch wenn sie wiederkehrten, erzielten wir allerdings
in der grössten Mehrzahl der Fälle. Trotz der geringen Zahl von Dauer-
heilungen haben wir doch den bestimmten Eindruck, dass die endobron-
chiale Behandlung des Asthma bronchiale als Palliativmittel an Nachhaltig-
keit der Wirkung allen anderen bisher verwandten Mitteln überlegen ist,
sowohl den Inhalationen von Dämpfen oder zerstäubten Medikamenten, als
auch den subkutanen Injektionen von Adrenalin, Asthmolysin usw. usw.
Wir haben bei unseren Patienten eine grosse Zahl von subkutanen Injektionen
mit den genannten Mitteln gemacht, nie haben wir mehr als eine stunden-,
höchstens einen Tag lang anhaltende Wirkung gesehen.
Gänzlich refraktär verhielten sich 6 Fälle, und zwar Fall 6, 10, beim
zweiten Behandlungsturnus Fall 12 und 14, Fall 27 und 28, d. h. es wurde
bei diesen Fällen durch die endobronchiale Behandlung nicht mehr er-
reicht, als durch interne Medikation oder subkutane Einspritzungen. Be-
merkenswert ist, dass die beiden Fälle, bei denen die Auslösung der
Asthmaanfälle durch klimatische Einflüsse bedingt zu sein scheint, durch
die Behandlung völlig unbeeinflusst blieben. Fall 27 scheint eher eine
Verschlechterung erfahren zu haben, ob infolge der Behandlung oder des
Fortschreitens der Erkrankung lasse ich dahingestellt.
Warum heilen einige, bessern sich andere und verhält sich eine dritte
Gruppe refraktir? Und damit kommen wir zur Frage der Prognosen-
stellung und im engen Zusammenhange zu der der Indikationsstellung:
Welche Fälle geben günstige Aussichten, welche sollte man von der endo-
bronchialen Behandlung ausschliessen? — Ich setze als bekannt voraus,
dass Fälle von Asthma, die mit Herzaffektionen einhergehen, oder bei denen
Tuberkulose besteht, von vornherein ausscheiden.
Wir müssen leider zugeben, dass es uns bisher nicht gelungen ist, nur
einigermassen sichere Anhaltspunkte für die Prognose zu finden. Fälle
mit schwerster chronischer Bronchitis (Fall 14, 17, 23), die wir für pro-
gnostisch durchaus ungünstig hielten, heilten oder zeigten überraschende
Besserung. Und zwar ging bei einigen Fällen Besserung der Bronchitis mit
dem Aufhören der Anfälle Hand in Hand, bei anderen wiederum blieb der
Lungenbefund unverändert. Und wieder andere mit frischem, erst monate-
lang bestehendem Asthma, fast negativem Lungenbefund, waren völlige
Versager. Besonders charakteristisch ist in dieser Beziehung Fall 14, der
uns von der medizinischen Klinik mit der Erwartung überwiesen wurde,
wir würden wohl mit wenigen Sitzungen zum Ziele kommen.
Das Alter scheint bei der Prognosenstellung keine Rolle zu spielen,
weder bei unserem Material, noch auch, wenn wir die Fälle von Ephraim
und Leivskow und Mahler in Betracht ziehen. Auch die Dauer der
E. Schlesinger, Endobronchiale Bohandlung des Asthma bronchiale. 323
Erkrankung an Asthma lässt sich nicht verwerten. Wir hatten unter
unseren Dauerheilungen sowohl Fälle, bei denen das Astlıma schon lange
Jahre, als solche, bei denen es erst wenige Monate bestand. Das Gleiche
gilt von unseren Versagern.
Zweifellos ist das zurzeit vorliegende Material noch bei weitem zu
klein, um eine Lösung der angeregten Fragen zu ermöglichen. Erst aus
den grossen Zahlen werden sich vielleicht bindende Schlüsse ziehen lassen.
Mit Sicherheit aber wohl erst, wenn es gelungen ist, tiefer in die Aetiologie
des Asthma bronchiale einzudringen. Wir glauben heute mit vielen über-
einzustimmen, wenn wir das Asthma bronchiale als den gleichaussehenden
Symptomenkomplex mehrerer ganz verschiedenartiger Krankheitsprozesse
ansehen. Wir können jedenfalls nicht glauben, dass das Asthma einher-
gehend mit Emphysem, Bronchiektasien, schwerster Bronchitis das Gleiche
sein soll, wie ein Asthma mit fehlenden oder fast fehlenden Lungenver-
änderungen; dass das Asthma, das seinen Träger stets und überallhin be-
gleitet, dieselbe Aetiologie haben soll, wie das Asthma, das nur auftritt.
wenn der Patient in ein bestimmtes Klima eintritt bzw. dasselbe verlässt.
Es erscheint auch zweifellus, dass in vielen Fällen dem Nervensystem bei
der Auslösung von Anfällen eine grosse Rolle zuerkannt werden muss, es
ist bekannt, dass nicht wenig Asthmatiker auf jede seelische Erregung mit
einem Anfall reagieren und Krause (l. c.) hat zweifellos recht, wenn er
sagt, dass jeder Asthmatiker zugleich Neurastheniker sei. Aber die Frage
nach Ursache oder Wirkung hält auch er für eine offene. Neuropathische
Veranlagung wird in einigen Fällen als Ursache des Astlımas gelten müssen,
in anderen aber das Nervensystem erst sekundär affiziert werden. Ehe
diese Fragen und damit die Indikationsstellung auf eine sichere Basis ge-
stellt ist, empfehlen wir — das wollen wir am Schlusse nochmals wieder-
holen — die endobronchiale Behandlung als das zurzeit wirksamste
Palliativmittel, das in einer Anzahl von Fällen zum Heilmittel wird; nur
vergesse man darüber nicht, auch andere bewährte Mittel zur Unterstützung
heranzuziehen. — Unsere persönlichen Erfahrungen mit der endobronchialen
Behandlung hartnäckiger chronischer Bronchitiden erlauben uns noch kein
abschliessendes Urteil, doch waren einige Fälle sehr ermutigend.
Archivs für Laryngologie. 28. Bd. 2. Heft
IX
IS
NXV.
Aus dem Institut für spezielle chirurgische Pathologie und der propädeutischen
chirurgischen Klinik der Universität Padna. (Direktor: Prof. Dr. B. Roncali.)
Ueber die Halscysten.
(Eine anatomische Studie.)
Von
Privatdozent Dr. Ettore Greggio.
Am Halse können Cysten in der vorderen seitlichen, wie in der hin-
teren Region auftreten. Die ersteren, welche uns am meisten interessieren,
können mediane oder laterale sein. Bisweilen können Cysten, die primär
auf einer Seite des Halses sich entwickelt haben, sich sekundär nach der
Mittellinie ausbreiten. Eine Einteilung der Halscysten ist von vielen Seiten
versucht worden. Früher wurde eine solche gemacht nach dem Inhalt der
(Cysten und man sprach von serösen, Blut-, Schleimeysten usw. Natürlich
konnte eine solche Einteilung nur einen relativen Wert haben. Fassen wir
z. B. die Bluteysten ins Auge, von denen in der Klinik noch oft die Rede
ist, so kann bei ihnen Ursprung, Aussehen usw. verschieden sein: es können
wahre Bluteysten sein, beruhend auf mangelhafter Entwicklung oder Bil-
dung des Venensystems oder es kann sich um falsche Bluteysten handeln.
d. h. Cysten verschiedenartigen Ursprungs, in denen sich blutiger Inhalt
findet (Lexer, Spannaus, Tichoff). Logischer ist die Einteilung, nach
der die Cysten überhaupt daraufhin betrachtet werden, ob sie erworben
oder angeboren sind.
Unter die ersteren sind — ausser den möglicherweise vorkommenden
Talgeysten — die Hydatidencysten zu rechnen und das eventuelle Hygrom
der Schleimbeutel des Halses; von diesen wurden noch neuerdings zwei
Typen unterschieden, je nachdem das Hygrom von der Bursa subhyoidea
(Boyer) oder der Bursa praelaryngea Brocas ausgeht (Tretröp).
Viel häufiger sind die angeborenen Cysten, die man in multilokuläre
und unilokuläre eingeteilt hat. Unter die ersteren zählt die seröse multi-
lokuläre Cyste oder Lymphangioma cysticum, ferner gewisse branchiogene
multilokuläre Cysten, die wahre cystische Embryome darstellen und Ab-
kömmlinge aller drei Keimblätter enthalten, und schliesslich die Para-
thyreoidevsten (Epithelioma parathyreoideum von Berger).
Zu den unilokulären Cysten gehören die Dermoideysten, Schleim- oder
Schilddrüseneysten und die Epithelio - Lymphoideysten (Estor und
E. Greggio, Ueber die Halscysten. 325
Massabuau) oder Mandelcysten (Terrier und Lécene) oder Pharvnxeysten
(Chevassu).
Eine andere Einteilung trennt die angeborenen Cysten in seröse (Lymph-
angioma cysticum) und in Branchialcysten. Diese wieder wurden ihrerseits
eingeteilt in Suprahyoideysten (des Mundbodens), meist median gelegen.
Thyreohyoidcysten (immer median), sublaryngeale und seitliche subhyoideale
Cysten (Bourgeois und Lenormant).
Es folgen nun die Klassifizierungen auf Grund der anatomisch-histo-
logischen Merkmale. Nach diesem Gesichtspunkt hatte man bereits zwei
Typen der unilokuliren angeborenen Cyste betrachtet: den dermoiden Typus
mit mehrschichtigem Plattenepithel und den mukoiden Typus mit ein-
schichtigem Zylinderepithel. Eingehendere Untersuchungen zeigten jedoch
die Unzulänglichkeit einer solchen Einteilung, und man schlug eine andere
vor, indem man unterschied: die Dermoideysten, deren Wandung das Aus-
sehen der äusseren Haut hat und die meistens im Mundboden gelegen sind,
die Mandel- oder Pharynx- oder Epithelio-Lymphoideysten, deren Wandung
aus einem dem Epithel der Mundrachenschleimhaut gleichenden Epithel
mit Lymphgewebe besteht und die meist subhyoideal und lateral gelegen
sind, ferner die Thyreoidcysten mit einschichtigem, oft mit Flimmern ver-
sehenem Zylinderepithel, die den sog. Mukoideysten (Terrier und Lecene)
entsprechen. Die ersten dieser Cysten würden aus einem Einschluss von
Kutis entstehen, die zweiten aus einem Einschluss von Mund-Rachenschleim-
haut, die dritten aus Resten des Ductus thyreo-glossus, daher ihr Name
und ihre Struktur.
Vom pathogenetischen Standpunkte aus kann man die Halscysten ein-
teilen in Cysten, die von angeborenen Veränderungen der Gefässe herzu-
leiten sind (wahre Venome Tichoff), Cysten, die durch Veränderungen der
Lymphgefässe entstehen (Lymphangioma cysticum), Branchialeysten. Nach
einigen Autoren gehören zur letztgenannten Kategorie die Dermoideysten
(Verneuil, Roser, Gignozzi usw.), die Mandel- oder Pharynxeysten und
die Thyreoideysten (Ardou, Fredet und Desmarest usw.).
Heutzutage jedoch ist die Branchialhypothese etwas erschüttert. Die
embryologischen Untersuchungen von Viallaton gehen dahin, festzustellen,
dass der Branchialapparat an der Bildung des Halses beim Menschen nur
einen unbedeutenden Anteil hat. Nach den Anschauungen von Viallaton
würde der Einschluss von Gewebe zwischen zwei Kiemenbögen in der
Parotis-, Karotiden- und Submaxillarregion eine Unmöglichkeit sein.
Corone seinerseits hat beobachtet, dass die Dermoideysten des Halses
analog sind gewissen Ovarialeysten, dass die Epithelio-Lymphoidcysten in
der Regio praesternalis, in der Mittellinie des Thorax, auf dem Oberkiefer-
knochen vorkommen; für sie kann ein Ursprung von den Kiemenbögen nicht
angenommen werden. Andererseits hatten Forgue und Massabuau die
Analogie zwischen den angeborenen Cysten des Halses und den Misch-
geschwülsten an anderen Organen nachgewiesen.
326 E. Greggio, Ueber die Halscysten.
Zukünftig wird man, falls sich die Anschauungen Viallatons über
die Bildung des Halses beim Menschen bestäligen sollten, wenigstens für
einige der oben angeführten Cysten die Bezeichnung Branchialeysten auf-
geben müssen. Man wird dann vielleicht von Cysten sprechen, die durch
Invagination oder Einschlüsse der Haut entstehen (Dermoide), von Cysten
infolge pharyngo-bukkaler Invagination oder Kinschliessung (Mandel-,
Rachen- oder Epitheliolymphoideysten und solehen, die aus dem Canalis
thyreoglossus entstehen [Thyreoideysten]).
Ich will bei dieser Frage nicht länger verweilen. Es genügt mir, ge-
zeigt zu haben, dass die Pathogenese von einigen der sogen. Kiemencysten
noch durchaus strittig ist.
Ausser den bisher in Betracht gezogenen Cysten können am Halse
noch andere cystische Bildungen vorkommen, solche, die aus Neubildungen
entstehen, aus Drüsenveränderungen, Echinokokkuseysten usw.; mit ihnen
glaube ich mich hier nicht beschäftigen zu müssen.
Die modernen Untersuchungen haben das Gebiet, das dem Hygrom der
in der Halsgegend bestehenden Schleimbeutel, speziell der Bursa thyreo-
hyoidea, eingeräumt war, immer mehr eingeschränkt. \Wenn man auch die
Möglichkeit nicht ausschliessen kann, dass in dieser wie in anderen der-
artigen Schleimbeuteln sich unter bestimmten Umständen ein Prozess ent-
wickelt, der zur Bildung einer Flüssigkeitsansammlung (Hygrom) führt, so
fehlt doch nach Brockaert der klinische Fall, der dieses Vorkommnis
als sicher erweist.
Das Interesse der Frage richtet sich auch auf gewisse Fälle, in denen
in der medianen subhyoidealen Cyste ein Eiterungsprozess eingetreten ist,
auf solche nämlich, bei denen infolge der Eiterung eine so tiefgreifende Ver-
änderung der Wandung Platz gegriffen hat, dass man deren ursprüngliche
Struktur nicht mehr erkennen kann.
Nach dem heutigen Stand unserer Kenntnisse muss man also bein
klinischen Studium der medianen Halscysten auch das Hygrom und die
Bursitis der Schleimbeutel, mit in Betracht ziehen. Diese Zustände ge-
winnen sogar wegen der spärlichen sicheren Berichte, die wir über ihr
Vorkommen besitzen, ein besonderes Interesse.
In der vorliegenden Mitteilung berichte ich über anatomische Unter-
suchungen, die von mir an der Bursa thyreo-hyoidea angestellt wurden und
die weiteren anatomisch-pathologischen und klinischen Erwägungen zum
Ausgang dienen sollen.
Monro war der erste. der deutlich auf die Bursa mucosa tlıyreo-
hyoidea hingewiesen hat; Boyer erwähnt beim Studium der Halscysten
auch die von diesem Schleimbeutel ausgehenden. Malgaigne hat ihre
Topographie festgestellt.
Verneuil fand bei zwölf Erwachsenen, dass die Bursa konstant drei-
eckig war mit oben gelegener Basis, er behauptete, dass sie eine virtuelle
Höhle darstelle, indem ihre Wandungen sich berühren, dass sie jedoch
E. Greggio, Ueber dic Halscysten. 327
durch eine, nicht immer vollständige, Scheidewand geteilt sei. Er beschreibt
ferner ihre Grenzen, ihre Beziehungen zur Umgebung und schildert einige
Variationen.
Calori beschäftigt sich mit ihr in zwei Arbeiten über Schleim-
beutel. In der ersten beschreibt er sie nur kurz, in der zweiten konstatiert
er, dass sie doppelt vorkomme in dem Fall, wo entweder der Lobus pyra-
midalis der Schilddrüse oder ein aponeurotischer Fortsatz desselben sich
auf die Vorderwand der Bursa hinaufschiebt. Auch er berichtet über einige
Variationen.
Im allgemeinen beschränken sich die modernen Anatomen darauf, auf
die Bursa bei Erwähnung des Schildknorpels und der Muskeln der Regio
subhvoidea hinzuweisen.
In neuerer Zeit beschäftigte sich Clermont mit ihr; seine Schluss-
folgerungen decken sich zum Teil mit meinen Untersuchungsergebnissen,
in anderen Punkten weichen sie von ihnen ab. Abgesehen davon habe ich
meine Untersuchungen auf Tiere und auf das histologische Gebiet ausge-
dehnt. Nach Clermont handelt es sich um einen Schleimbeutel, der
bereits beim Fötus von 33 cm Länge und vielleicht auch bei dem 2!/, Mo-
nate alten Fötus besteht. Beim Erwachsenen ist er dreieckig mit abge-
rundeten Winkeln, die Basis entspricht dem hinteren Rand des Zungenbeins.
Sein Umfang beträgt beim Manne 23 mm Höhe und 17 mm Breite, bei der
Frau 18 mm : 13 mm. Seine Ränder entsprechen den Innenrändern der
M. thyreo-hyoidei. Die Spitze liegt !/ cm unter der Spitze des Schild-
drüsen-V. Eine mediane Scheidewand besteht nicht, dagegen beobachtet
man in 16 pCt. der Fälle seitliche und inkomplette Septen.
Ausserhalb der Bursa bestehen immer zwischen der tiefen Faszie der
M. thyreo-hyoidei und der Membrana thyreo-hyoidea im Zellgewebe zwei
Hohlräume, welche nach Clermont nicht die Bedeutung von Schleim-
beuteln haben.
Ich selbst habe morphologische Untersuchungen an 50 menschlichen
l,eichen verschiedenen Alters und Geschlechts gemacht (22 Männer, 12 Weiber
und 12 Kinder unter 10 Jahren).
Nachdem ich ohne befriedigendes Ergebnis versucht hatte, die Bursa
mittels Injektionen von Hg, Alkohol oder Wasser zu studieren, nahm ich
meine Zuflucht zu einfachen Luftinsufflationen, die mir sehr gute Resultate
gaben und die ich in allen 50 Fällen, die mir zum Studium dienten, an-
wandte.
Ich ging so vor, dass ich die Mm. sterno-hyoidei in ihrer unteren
Hälfte bis ungefähr 1!/, cm unter der Spitze der Incisura thyreoidea frei-
legte, dann die Muskeln emporhob und die feine Kanüle einer Pravazspritze
in den Zwischenraum zwischen der Unterfläche der Muskeln und der Vorder-
fläche des Schildknorpels einführte, indem ich sie auf der Membrana thy-
reoidea entlangführte, und dann vorsichtig insufflierte.
Auf diese Weise hatte ich den Schleimbeutel deutlich gemacht, pri-
parierte ihn dann sorgfältig heraus und konnte nun seine Form, Lage und
S25 : E. Greggio, Ueber die Halseysten.
Beziehungen studieren. Schliesslich eröffnete ich ihn, um die Höhlung
studieren zu können.
Ich beschreibe nun zunächst die normale Lage, wie sie sich aus meinen
Untersuchungen ergibt; dann werde ich die Unterschiede nach Alter und
Geschlecht, sowie die Variationen in der Lage auseinanderseizen.
Die Bursa hyo-thyreoidea entspricht dem Lig. hyo-thyreoideum medium:
sie springt in geringer Ausdehnung seitlich von diesem auf die Vorderfläche
des Schildknorpels hervor. Sie stellt sich als ein Dreieck dar mit oben
gelegener Basis, die hinter dem Zungenbein liegt, und mit in der Mittellinie
gelegener. nach unten gerichteter Spitze, die etwas tiefer reicht als die
Spitze der Incisura thyreoidea. Von den Seiten der Bursa jedoch gehen
vier Divertikel ab: zwei obere, nahe der Basis, etwa !/, cm von dieser und
zwei untere, erheblich grössere, die seitlich von einer halbkreisförmigen
Linie begrenzt sind und an ihrer Basis mehr oder weniger weit mit der
Bursa kommunizieren.
Im allgemeinen ist die Bursa beim Erwachsenen nur einfach vorhanden.
Oft jedoch kommuniziert einer der beiden unteren Divertikel oder auch
beide nicht mit der medianen Höhle und dann ist sie doppelt oder dreifach.
Die Bursa misst beim Erwachsenen im Mittel 2—3 cm in der Höhe
und 2—21/ cm an der Stelle ihrer grössten Breite. Von einer Tiefe kann
man nicht sprechen, weil in der Norm ihre Wände aneinander liegen. Je-
doch ist ihre Ausdehnung bei den verschiedenen Individuen variabel, und
zwar in besonderem Masse entsprechend dem Alter und Geschlecht; ihre
Höhe kann sich bis auf 1 cm reduzieren und ebenso ihre Breite. In einigen
Fällen, in denen die seitlichen und unteren Divertikel gut entwickelt sind,
kann sie im transversalen Durchmesser bis 4 und +41/, cm messen.
Man unterscheidet in der Bursa zwei Wände: die vordere und hintere.
sowie drei Ränder, nämlich zwei seitliche und einen oberen. Die vordere
Wand ist, wenn man von oben nach unten geht, zuerst in Kontakt mit
der Hinterfläche des Zungenbeinkörpers, weiterhin mit einem dichten fibrösen
Streifen, der bisweilen ein wirkliches Ligament bildet und sich von dem
unteren Rand des Zungenbeinkörpers nach unten etwas über die Spitze der
Incisura thyreoidea hinaus erstreckt. Dieser fibröse Streifen ist insofern
von Wichtigkeit, als er die schwache Vorderwand der Bursa verstärkt: er
wird folgendermassen gebildet: die beiden Blätter, das oberflächliche und
tiefe, der mittleren Halsfaszie, welche den M. sterno-hyoideus umhüllt,
verschmelzen, wenn sie an den medialen Rand des Muskels gelangt sind,
zu einem Blatt, das den Raum zwischen den beiden Muskeln einnimmt:
wenn es den medialen Rand des M. sterno-hyoideus der anderen Seite er-
reicht hat, so spaltet es sich wieder in die beiden den Muskel umhüllenden
Blätter. Dieser aponeurotische Streifen, der eine Portion der Fascia cervi-
calis media ist, heftet sich oben an den unteren Zungenbeinrand in dem
Zwischenraum zwischen den Insertionen der beiden Sterno-hyoidei.
Seitlich steht die Vorderwand der Bursa in einer Ausdehnung, die je
nach ihrer Grösse variiert, in Beziehung zu der Hinterfläche der M. sterno-
E. Greggio, Ueber die Halseysten. 329
hyoidei, bisweilen auch zu der Hinterfläche der M. thyreo-hyoidei, und
zwar zu dem an den medialen Rand angrenzenden Teil derselben. Die
Hinterwand steht nach oben in einer je nach der Entwicklung der Bursa
und ihrer Divertikel variierenden Ausdehnung mit der Membrana hyo-
thyreoidea und nach unten mit der Vorderfläche des Schildknorpels in
Verbindung. Der obere Rand der Bursa ist in dem Winkel enthalten, der
von der Hinterfläche des Zungenbeins und der Membrana thyreoidea xe-
bildet wird, welch letztere sich am hinteren Teil des oberen Zungenbein-
randes anheftet.
Die Seitenriinder entsprechen zum grossen Teil den oberen und unteren
Divertikeln der Bursa. Nur nach der Spitze zu verlaufen sie geradlinig
und konvergent und vereinigen sich ungefähr 1!/, cm unterhalb der Inzisura
des Schildknorpels. Die beiden oberen Winkel hingegen entsprechen dem
Blindsack der oberen Divertikel.
Wenn die Bursa eröffnet ist, so zeigt sie in der Norm folgenden Bau:
Sie ist von einem medianen dreieckigen Teil, der auch die zwischen der
Hinterfläche des Zungenbeinkörpers und der Membrana thyreoidea gelegenen
oberen Divertikel in sich begreift, und zwei seitlichen Teilen gebildet.
Letztere sind von den beiden unteren, kugeligen, zwischen der Vorder-
fläche des Schildknorpels und den M. sterno-hyoidei gelegenen unteren
Divertikeln gebildet. Sie kommunizieren mehr oder minder weit mit dem
mittleren Teil und sind teilweise von diesem durch eine dünne, glatte und
durchscheinende Membran getrennt, die entweder an einer Stelle, gewöhn-
lich im Zentrum, oder an mehreren Stellen perforiert ist und bisweilen
sich zu einem einfachen Wulst reduziert.
Unterhalb der Hinterfläche des Zungenbeins und in der Mittellinie
findet sich in fast allen Fällen eine dreieckige Membran, die in der
Sagittalebene zwischen den beiden Wandungen der Bursa ausgespannt ist
mit nach unten gerichteter freier Basis. Sie stellt vielleicht den Rest
eines totalen medianen Septums dar, das ursprünglich die Bursa hyo-
thyreoidea in zwei Teile teilte. Auf diese Weise scheint die Höhlung in
ihrem oberen Abschnitt doppelt. Ausser diesen stets vorhandenen Scheide-
wänden gibt es bei den einzelnen Individuen noch solche von verschiedener
Anzahl, Dicke und Vollständigkeit, die in verschiedener Richtung ver-
laufen. Von ihnen kann man keine genaue und allgemein gültige Be-
schreibung geben, ebenso wenig von gewissen fibrösen Strängen, die von
den Wänden, besonders der hinteren, vorspringen oder zum Teil frei sind
und nur mit ihren Enden an jene angeheftet sind.
Fast alle Autoren behaupten, die Bursa enthalte Schleim oder eine
der Synovia sehr ähnliche Substanz. Ich kann dies in der absolutesten
Weise ausschliessen. Die Bursa enthält normalerweise niemals Flüssigkeit
oder irgendeine dünne oder dicke Substanz.
Dem bisher beschriebenen Typus lasse ich nun die Variationen folgen,
die sich beim Studium meiner Fälle ergaben. Es fanden sich ausser den
durch Alter und Geschlecht bedingten Differenzen die folgenden:
330 E. Greggio, Ueber die Halscysten.
Bisweilen fehlen die grossen kugeligen Divertikel auf einer oder beiden
Seiten und unter den Muskeln findet sich ein lockeres Bindegewebe. Häufiger
ist dies bei der Frau der Fall. In anderen Fällen sind die beiden unteren
Divertikel von dem medianen Hohlraum völlig getrennt und bilden zur
Seite zwei isolierte Schleimbeutel.
In einem Fall fand ich das oben als typisch beschriebene dreieckige
Septum derart entwickelt, dass die Bursa in zwei Hohlräume geteilt wurde,
in einem anderen fanden sich an Stelle eines medianen Hohlraums zwei
übereinander. Schliesslich beobachtete ich eine Bursa, die durch ein ihren
Wänden paralleles Septum in einen vorderen und in einen hinteren Hohl-
raum geteilt war.
Konstant war ein Unterschied zwischen dem Schleimbeutel beim Mann
und beim Weib. Bei diesem fehlen fast immer die beiden unteren kugeligen
Divertikel oder sind kaum angedeutet. Nur in einem Fall waren sie ebenso
entwickelt wie beim Mann.
Auch in bezug auf das Alter ergaben sich interessante Untersuchungs-
resultate, die noch durch histologische Untersuchungen ergänzt werden
sollen. Bei ganz jungen Kindern (von 10 Tagen bis 1!/, Monaten) findet
sich die Bursa noch nicht und an ihrer Stelle ist ein lockeres Bindegewebe
vorhanden, nicht immer mit Spuren von kleinen Hohlräumen. Erst gegen
den 4. oder 5. Monat zeichnet sich ein wirklicher Hohlraum ab, ohne
Divertikel und meist durch ein medianes Septum geteilt. Allmählich
gegen das 1. Jahr und darüber hinaus nimmt die Bursa an Deutlichkeit
zu und bisweilen treten im 6. Lebensjahr die ersten Andeutungen der
seitlichen Divertikel auf.
Wiederholte Untersuchungen an Säugetieren, um die vergleichende
Anatomie dieser Bursa zu studieren, fielen hinsichtlich ihres Vorhandenseins
negativ aus. Beim Kaninchen, Schwein, Hund, Pferd, Ochsen findet sich
unter einer dichten Fettschicht in dieser Region, die doch anatomisch der
des Menschen so ähnlich ist, ein ausserordentlich lockeres, feinfaseriges,
alveoläres Gewebe, welches die ausgedehnteste Bewegung der Muskeln auf
der Trachea und dem Larynx gestattet. Nur beim Hund und Pferd finden
sich auf dem Durchschnitt grössere Alveolen mit glatter und glänzender
Innenfläche, die ungefähr die Grösse einer Haselnuss haben. Es ist der
Schluss berechtigt, dass bei allen diesen Säugetieren eine der beim Menschen
vorhandenen ähnliche Bursa nicht existiert. |
Vor den Untersuchungen von Rotterer und Domeny wusste man
über die Struktur und Entwicklung der Schleimbeutel nur wenig. Die
alten Autoren betrachteten sie ihrem Bau nach als den serösen Häuten
und der Synovialmembran ähnlich und nahmen in ihrer Wandung eine
äussere fibröse und eine innere endotheliale Schicht an (Bichat, Luschka,
Zoia, Calori u. a.). Andere beschreiben sie — und nähern sich damit
der Wahrheit — als Hohlräume, die sich im Bindegewebe bilden und die
eine ausgesprochene. deutliche Wandung bekommen, deren Innenfläche aber
nur teilweise von Endothel bedeckt ist und deren Höhlung durch Scheide-
E. Greggio, Ueber die Halscysten. 231
wände geteilt ist (Köllicker, Sappey u. a.). Alle diese Autoren be-
haupten, dass sich in den sogenannten Schleimbeuteln eine Flüssigkeit
findet, die sie als Schleim oder Synovia bezeichnen.
Mit Domény tritt eine neue Auffassung zutage: nach diesem Autor
sind die Schleimbeutel aufzufassen als nicht mit Endothel ausgekleidete
Spalten oder Lakunen in den Bindegewebsmaschen. Die histologische
Untersuchung der Bursa thyreo-hyoidea ist von mir an zahlreichen Kinder-
leichen ausgeführt worden, sowie an Leichen von jungen Leuten und
Erwachsenen; es wurden Serienschnitte in transversaler Richtung durch
die von der Bursa eingenommene Gegend angelegt, nachdem bei den Er-
wachsenen und jungen Leuten sorgfältig alle Fragmente des Schildknorpels
entfernt waren, während seine perichondrale Bekleidung in situ belassen
wurde.
Ich beginne mit der Beschreibung des histologischen Befundes bei
Kindern von der Geburt bis zum Alter von einem Jahr, denn bei ihnen
ist die Struktur der Region im Grunde gleich, und zwar will ich zunächst
mit der Anordnung der verschiedenen Schichten beginnen.
Nach hinten findet sich die Membrana thyreo-hyoidea, welche die
beiden Knorpelabschnitte verbindet, die die Incisura thyreoidea bilden.
Vorn finden wir: an den Seiten die Muskeln mit der sie umhüllenden
Membran, die dem Perichondrium aufliegt und von ihm nur durch eine
ganz dünne Bindegewebsschicht getrennt ist, auf welche wir nachher noch
unsere Aufmerksamkeit näher werden lenken müssen.
In der Mitte befindet sich die mittlere Halsfaszie, die um so deutlicher
wird, je mehr man sich dem Zungenbein nähert und je mehr die Muskeln
sich voneinander entfernen. Die beiden Muskeln, die seitlich dem Peri-
chondrium anliegen, entfernen sich dann von ihm, um ihren inneren Rand
zu bilden und umschreiben so mit dem Schildknorpel, der Membran und
der mittleren Halsfaszie einen viereckigen Raum, der für unsere Unter-
suchung ganz besonderes Interesse bietet.
Wir wissen, dass der Muskel nebst seiner umhüllenden Membran vom
Perichondrium durch eine feine Bindegewebsschicht getrennt ist, die sich
sehr deutlich von den beiden blassen und kernarmen fibrösen Schichten
— dem Perichondrium und der Faszie —, zwischen denen sie sich be-
findet, infolge ihres Zellenreichtums abhebt. Schreitet man nun nach der
Mitte zu, immer unterhalb der Muskeln, aber wenig von ihrem inneren
Rand entfernt, fort, so verdickt sich diese Schicht fast unvermittelt und
an der äusseren Grenze dieser Verdickung erscheinen kleine, transversal
durchschnittene Gefässe. Je mehr man sich der Mittellinie nähert, desto
mehr macht sich die Schicht infolge ihrer Dicke und der Eigentümlich-
keiten, die sie darbietet, bemerkbar. Während sie anfangs deutlich aus
Zellen und transversal angeordneten Bündeln bestand — ausser in dem
hinteren Teil dicht vor der Membrana thyreo-hyoidea —, geht allmählich
die regelmässige Anordnung verloren und sie erscheint schliesslich als
eine Anhäufung von Zellen ohne jede typische Anordnung, inmitten derer
332 E. Greggio, Ueber die Halsevsten.
einige längs verlaufende und geschlängelte Fasern verlaufen, deren Quer-
durchschnitte man sieht. In den Schnitten, welche der Basis des Schleim-
beutels am nächsten liegen, d. h. je grösser die von diesem Gewebe ein-
genommene Oberfläche ist, werden diese Tatsachen immer deutlicher und
typischer.
Dann beginnen sich in den seitlichen Partien, zuerst in der Nähe der
Knorpelschnitte, dann auch medialwärts, im Gewebe Spalten zu zeigen.
Sie sind transversal gerichtet, variieren nach Länge und Grösse; einige
erscheinen als einfache Abstände zwischen zwei Bindegewebsbündeln, andere,
und zwar gilt dies besonders für die im Niveau der Knorpelabschnitte ge-
legenen, haben eine leicht nach hinten gekrümmte Form, sind weniger
lang, zahlreicher und von kleinsten Bindegewebsbündelchen durch-
schnitten.
So erscheint das Gewebe von solchen Spalten durchsetzt und nimmt
ein in charakteristischer Weise mehr lockeres Aussehen an.
Wir haben oben darauf hingewiesen, dass ein Teil des Gewebes, welcher
unmittelbar vor der Membrana thyreo-hyoidea gelegen ist, seine Anordnung
in quer verlaufenden Bündeln bewahrt: in gleicher Höhe zeigt sich in der
Mittellinie zwischen diesem und der Membrana thyreo-hyoidea ein kleiner
elliptischer Gewebsblock von blasserer Farbe, der von in verschiedenster
Richtung verlaufenden Spalten durchschnitten wird. Diese teilen den Gewebs-
block in ebenso viele getrennte Bündel.
Je mehr wir uns mit unseren Schnitten der Basis der Bursa nähern,
desto deutlicher erscheint zwischen dem Gewebe, das die Spalten enthält,
und der mittleren Halsfaszie eine zellreiche Schicht, welche von längs
verlaufenden Bündeln durchzogen wird. Indessen nehmen die Spalten an
Weite und allmählich auch an Zahl ab; dagegen tritt jetzt ein Binde-
gewebe von immer mehr fibröser Art auf, je mehr wir uns dem Zungen-
bein nähern. Bei den verschiedenen Individuen bestehen jedoch Differenzen,
welche besonders die Zahl der Spalten betreffen. Diese können bei Individuen,
die fast das erste Lebensjahr erreicht haben, wenig entwickelt sein, während
sie bei Jüngeren zahlreicher sein können.
Mit vorschreitendem Alter ordnen sich die Spalten in zwei Reihen an.
Gegen das 5. Lebensjahr nämlich beobachtet man. dass die eine Reihe
von Spalten zwischen der Membrana thyreo-hyoidea und dem zellreichen
Gewebe angeordnet ist, das jenes von der mittleren Halsfaszie trennt, die
zweite Reihe zwischen den letzteren beiden. Im ganzen haben wir zwei
srosse Spalten, die zuerst auf den mittleren Teil beschränkt und leicht
gekrümmt sind, mit der Konkavität nach vorn. Nähern wir uns der Basis
der Bursa, so bleibt, während die beiden Knorpelschnitte der Incisura
thyreoidea sich immer mehr voneinander entfernen, von den beiden parallelen
Spalten nur die eine übrig, die sehr bald sich in zwei laterale Hälften
teilt. Diese sind sehr gross und umgeben die beiden Knorpelvorsprünge
und haben daher eine nach hinten gerichtete Konkavität. Dann ver-
schwinden auch sie allmählich im subhyoidealen Binde-Fettgewebe. Bei
E. Greggio, Ueber die Halscysten. 333
jungen Leuten gegen das 15. Lebensjahr sind die Spalten allmählich breiter
geworden. Sie sind nicht mehr multipel, sondern beschränken sich darauf,
die Knorpelvorsprünge zu umgeben oder, noch häufiger, sie bilden eine
einzige Spalte, indem die lateralen medialen Enden der lateralen sich ver-
einigen. So kommt man allmählich der Bildung eines Hohlraums nahe,
wie er sich beim Erwachsenen findet. Bei diesem wurde die Bursa thyreoidea
nun nicht nur mittels Querschnitte, sondern auch durch Längsschnitte
studiert.
Auf Querschnitten nimmt die Bursa das Aussehen einer weiten Spalte
an, die leicht gekrümmt ist mit nach hinten gerichteter Konkavität, und
die zwischen der Halsfaszie und den Muskeln vorn und der Membrana
thyreoidea und den Durchschnitten des gleichnamigen Knorpels hinten
gelegen ist. Die Weite der Spalte. die den Querschnitt der Bursa darstellt,
wird um so grösser, je mehr man sich den Durschschnitten durch das
Zungenbein nähert. Im Niveau der Membrana thyreohyoidea ist die Hinter-
wand des gleichnamigen Schleimbeutels von dem (Gewebe der Membran
selbst gebildet. Die Membran besteht aus einem dichten, blassen, kern-
armen Bindegewebe. An den Seiten über dem Knorpel ist die Hinterwand
der Bursa begrenzt von einer ziemlich dichten zellreichen Bindegewebs-
schicht, die sich von dem darunterliegenden Perichondrium deutlich ab-
hebt; sie enthält einige Gefässe. Gegen die Mitte der Hinterwand der
Bursa zu wird diese Schicht allmählich dünner und verschwindet oberhalb
der Membrana thyreoidea.
An der seitlichen Grenze der Hinterwand entfernt sich die eben be-
schriebene Gewebschicht vom Perichondrium, beschreibt eine Kurve mit in
der Mitte gelegener Konkavität, indem sie den Rand der Bursa thyreo-
hoidea bildet und geht auf deren vordere Wand über. Hier geht dann die
in Rede stehende Schicht, deren Unabhängigkeit von den Nachbarschichten
immer undeutlicher wird, indem sie allmählich dünner wird, schliesslich
fast ganz in die die Muskeln umhüllende Membran über. Sie erscheint
auf der mittleren Partie der Vorderwand der Bursa wieder, d. h. ent-
sprechend der mittleren Halsfaszie. Diese Beschreibung entspricht dem
schematischen Typus der Bursa. So gehen von der Vorderwand dicke
Bindegewebsstränge oder Septen aus, deren eines Ende frei in die Höhlung
hineinragt, oder deren beide Enden den Wandungen aufsitzen können, oft
derselben Wandung, von der sie ausgehen. Ihr Bau ist verschieden: bis-
weilen sind sie dünn, blass und arm an Zellelementen, andernfalls sind
sie dicker und aus zellreichem Bindegewebe gebildet; die ersteren stehen
im allgemeinen mit der vorderen, die letzteren mit der hinteren Bursa-
wand in Verbindung. Ausser diesen sieht man ferner auf dem Durch-
schnitt noch die Querschnitte von ganz feinen Septen, die bei der Prä-
paration kaum sichtbar waren. Diese Septen, die mehr oder minder voll-
ständig von der vorderen zur hinteren Wand ziehen, beobachtet man am
häufigsten nahe den lateralen Rändern der Bursa; sie sind etwas dick an
334 E. Greggio, Ueber die Halscysten.
ihrer Wurzel, werden in ihrem Verlauf dann dünner, und zwischen ihnen
verlaufen oft sekundäre Septen, die von einem zum anderen ziehen.
Die Bindegewebsfasern innerhalb der Bursawand verhalten sich in
bezug auf Verlauf, Dicke und Zahl in den verschiedenen umgrenzenden
Bezirken verschieden; sie sind dick, spärlich und verlaufen in der Längs-
richtung in der Membrana thyreoidea: sie werden zahlreicher, dünner und
nehmen eine fast senkrechte Richtung an in dem Teil der hinteren Bursa-
wand, welcher über dem Perichondrium liegt. Dasselbe sieht man an den
lateralen Rändern der Bursa, und auf einer kurzen Strecke an der Hinter-
wand, dem Teil der Wand, welcher der mittleren Halsfaszie entspricht.
werden sie spärlicher und nehmen einen mehr regelmässigen Verlauf an.
Eine wirkliche Endothelschicht, welche die Innenfläche der Bursa
auskleidet. existiert nicht, ebenso wenig wie in der Norm ein flüssiger
Inhalt in ihr enthalten ist
Die Untersuchung der Bursa thyreo-hyoidea in Schnitten, die zu ihrer
Hauptachse längsgerichtet sind, bestätigt die obige Beschreibung.
Gegen die Seitenrainder zu ist der Hohlraum der Bursa durch mehr
oder minder dicke Septen geteilt. die in verschiedenem Sinne verlaufen
und ihrerseits von einem netzartigen, weitmaschigen Gewebe eingenommen
sind. Gegen die Basis der Bursa zu vertieft sich der Hohlraum hinter
dem Zungenbein und sie teilt sich hier in viele kleine Hohlräume, die
das Aussehen von in das Binde-Fettgewebe der Umgebung eingefügte
Spalten annehmen. Im Niveau der mittleren Partie der Bursa sieht man
auf Längsschnitien, die der Hauptachse parallel gerichtet sind, dass die
vordere Wand gebildet ist von einem reinen zellreichen Bindegewebe,
während die hintere Wand gebildet ist von der Membrana thyreo-hyoidea,
d. h. einem blassen Gewebe mit spärlichen Kernen mit unregelmässiger
innerer Begrenzung.
Es bleibt uns nun noch einiges zu sagen über die Verschiedenartigkeit
der Bursen in den verschiedenen Lebensaltern des Erwachsenen. Beim
zwanzigjährigen Jüngling ist die Bursa, wenngleich sie typisch die Form
und die Charaktere der von uns beschriebenen bewahrt, von geringerem
Umfange als beim alten Individuum, besonders in ihrem Längsdurchmesser.
Die Septen sind beim Jüngling zahlreicher als beim Erwachsenen und bei
diesem zahlreicher als beim alten Individuum.
Speziell in der seitlichen Umrandung der Bursa und an ihrer Spitze
ist die von uns beschriebene areoläre Anordnung bemerkenswert. Sie ist
serade beim jungen Individuum charakteristisch und derartig entwickelt.
dass sie fast ganz die Stelle der Höhle einnimmt, während beim alten
dieses Gewebe auf ein Geringes reduziert ist.
Mit dem Alter werden also die Septen weniger, die Stränge werden
dieker, blass, fibrös; die multiplen seitlichen Hohlräume verschwinden.
AI dies vollzieht sich in charakteristischer Weise progressiv, ebenso wie
sich in einer charakteristisch progressiven Weise der Uebergang vollzieht
E. Greggio, Ueber die Halscysten. 335
von multiplen, mikroskopisch kleinen Spalten zu immer grösseren und
spärlicheren Spalten, bis man schliesslich bei Kindern und jungen Leuten
zwei solche parallele und dann nur eine einzige grosse hat, die den
Hohlraum der Bursa beim Erwachsenen darstellt.
Die von mir ausgeführten Untersuchungen scheinen mir zu folgenden
Schlussfolgerungen zu führen:
Die Bursa thyreo-hyoidea beim Menschen ist konstant, einfach und
median gelegen. Sie wird vorn begrenzt von der Membrana thyreo-hyoidea
und hinten von dem Zungenbein und den Musculi sterno-hyoidei und
thyreoidei.
Die Masse der Bursa betragen im Mittel 3 cm in der Höhe und 2!/, cm
in der grössten Breite. Sie hat zwei seitliche obere, subhyoideal gelegene
und sehr kleine Divertikel und zwei untere, erheblich grössere und kugelix
gestaltete Divertikel, welch letztere jederseits auf der Vorderfläche des
Schildknorpels gelegen sind.
Der Hohlraum der Bursa ist durch verschieden angeordnete Binde.
gewebslamellen geteilt: unter diesen Scheidewänden sind fast konstant
eine mediane, dreieckige, subhyoideale, welche von vorn nach hinten ver-
läuft und zwei seitliche ovale, die ebenfalls von vorn nach hinten ver-
laufen und den beiden unteren Divertikeln entsprechen.
Bei vielen Säugetieren fehlt die Bursa und es findet sich an der ent-
sprechenden Stelle ein sehr lockeres Bindegewebe.
Die Bursa hyo-thyreoidea hat beim Menschen keine wirkliche sie be-
srenzende Wandung: sie ist vielmehr beim Kinde nur angedeutet durch
eine Zone von lockerem Bindegewebe, das reich ist an elastischen Fasern
und das von Spalten durchsetzt ist. die mit zunehmendem Alter immer
grösser werden und an Zahl abnehmen. Beim Erwachsenen besteht die
Bursa aus einem einfachen Hohlraum, der begrenzt wird von den benach-
barten Geweben und der durch bindegewebige Bündel und Scheidewände
von wechselnder Zahl und Stärke durchzogen wird.
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XXVI.
Aus dem Institut für spezielle chirurgische Pathologie
der Universität Genua. (Direktor: Prof. E. Bozzi.)
Dysphonien nach Chloroformgebrauch.
Dr. Corrado Canestro, Assistent.
Der Kehlkopf in Beziehung zur Chloroformnarkose war meines Wissens
bisher noch niemals Gegenstand spezieller Untersuchungen, noch kennt
man dahingehörige klinische Beobachtungen. Ein recht merkwürdiger
laryngoskopischer Befund, den wir bei einem Patienten nach der Chloro-
formnarkose erhoben, lenkte unsere Aufmerksamkeit auf diesen Gegenstand
und führte uns auf die nachfolgenden klinischen Untersuchungen.
B. S., ein 43jähriger Mann von kräftiger Konstitution, aus dessen Anamnese
sich nur ergab, dass er als Kind an Pocken erkrankt war, wurde wegen einer
akuten Mastoiditis aufgenommen und in Chloroformnarkose operiert. Es wurde
Duncansches Chloroform verabreicht und zwar mittels des Junkerschen
Apparates; die Menge betrue 40 ¢ in 45 Minuten. Die Operation war etwas
miihselig, da der Sinus lateralis freigelegt werden musste. Patient hatte den Tax
über etwas Brechreiz. Bei der Nachmittagsvisite konstatierte ich cine leichte
Rauhirkeit der Stimme, legte aber dieser Tatsache keine Bedeutung bei. Am
darauffolgenden Tage war jedoch die Rauhigkeit der Stimme noch ausgesprochener
und am dritten Tage war Patient vollkommen aphonisch. Im übrigen war der
postoperative Verlauf durchaus regelmässig. Die laryngoskopische Untersuchung
ergab mir eine grosse Ueberraschung, Während ich darauf gefasst gewesen war,
einen einfachen Katarrh zu finden, vielleicht bedingt durch eine am Operationstage
erlittene Erkältung infolge des Temperaturunterschiedes zwischen dem Operations-
saal und dem Korridor, fand ich dagegen den Kehlkopf frei von allen entzündlichen
Erscheinungen und von vollkommen normalem Aussehen. Nur konstatierte man
deutlich, dass die Ränder der Stimmlippen sich nicht genügend während der
Phonation spannten, so dass sie besonders in der Mitte sich nicht genau anein-
anderlegten und einen schmalen ovalen Spalt liessen, der von der vorderen
Iommissur bis fast zu den Processus vocales reichte. Es handelte sich also
augenscheinlich nur um eine Parese der Thyreo-arytaenoidei interni. Es bestand
keine Sensibilitätsstörung im Larynx.
Am 4. Tage blieb der Zustand fast unverändert, am 5. und besonders am
6. Tage wurde die Stimme allmählich besser und am 7. Tage war sie fast normal.
Mittels der daryngoskopischen Untersuehung konnte man das allmählich fort-
338 C. Canestro, Dysphonien nach Chloroformgebrauch.
sehreitende Verschwinden der paretischen Erscheinungen kontrollieren, in der
Folge waren keinerlei Störungen von seiten des Kehlkopfes mehr vorhanden.
Wie gesagt lenkte diese klinische Beobachtung meine Aufmerksamkeit
auf den Einfluss, den die Chloroformnarkose auf den Larynx ausiibt. Seit-
dem habe ich 230 Patienten nach Chloroformnarkose untersucht und mit
einem dem oben beschriebenen analogen Fall schliesse ich diese Serie von
Beobachtungen, un deren Resultate mitzuteilen und daran einige Be-
trachtungen zu knüpfen.
In diesem letzten Falle handelte es sich um einen ödjährigen Mann, aus
dessen Anamnese sich nichts von Bedeutung ergab und der wegen eines entziünd-
lichen Tumors in der Coecalgegend operiert wurde. Zu bemerken ist, dass der
Allgemeinzustand ein sehr schlechter war. Die Operation dauerte 45 Minuten; es
wurde, wie gewöhnlich, das Duncansche Chloroform angewandt und mittels des
Junkerschen Apparates gegeben. Schon nach Erwachen aus der Narkose kon-
statierte ich eine ausgesprochene Rauhigkeit der Stimme, am folgenden Tage war
eine schr starke Heiserkeit vorhanden. Die laryngoskopische Untersuchung ergab
auch in diesem Falle eine reine Parese der Thyreo-arytaenoidei intern. Am Tage
darauf war die Phonation gebessert und am 4. Tage war jede paretische Erscheinung
verschwunden.
Ausser diesen beiden Fällen konnte ich im Laufe meiner Beobachtungen
noch dreimal das Auftreten von Heiserkeit unmittelbar nach Chloroform-
narkose konstatieren; diese Dysphonien waren jedoch bedingt durch eine
leichte akute katarrhalische Laryngitis.
Fassen wir also zusammen, so haben wir klinisch in 5 Fallen un-
mittelbar nach der Chloroformnarkose das Auftreten einer Dysphonie
konstatiert, welche in 3 davon bedingt war durch eine leichte akute
katarrhalische Laryngitis und in 2 durch eine typische Parese der Thyreo-
arytaenoidei interni.
Besteht nun möglicherweise ein kausaler Zusammenhang zwischen
jenen Störungen von seiten des Kellkopfes, und der Chloroformnarkose?
Vom pharmakologischen Standpunkte würde die Tatsache nicht wunder-
nehmen, da wir die reizende, wasserentziehende und eiweisskoagulierende
Eigenschaft des Chloroforns kennen. Wir wissen, dass ein auf die Haut
applizierter Umschlag mit Chloroform ein ausgezeichnetes Mittel darstellt,
um ein blasenziehendes Pflaster zu ersetzen. Was die Wirkung des
Chloroforms auf die Schleimhaut der Atmungswege betrifft, so gibt es
darüber nur spärliche Untersuchungen, wenn auch Fälle von schwerer
Pneumonie, die von verschiedenen Beobachtern mitgeteilt wurden und als
Folge direkter Wirkung des Narkotikums auf das Lungenparenchym auf-
gefasst wurden (Calcar, Hildebrandt, Orlowski, Lichtenberg,
Engelhard) heute nicht mehr selten sind. i
Ferner ist durch Untersuchungen von Snell und Bunge nachgewiesen
worden, dass das Chloroform einen schädlichen Einfluss auf die broncho-
pulmonären Zellelemente ausübt, obwohl es nicht immer möglich ist,
den Nachweis dafür mittels der histopathologischen Untersuchung zu
führen. Sie konstatierten eine Abnahme der bakteriziden Kraft der
C. Canestro, Dysphonien nach Chloroformgebrauch. 339
Lunge und eine Verminderung der Resistenzfähigkeit des Organismus gegen
Infektionen während der Narkose. Zancarini!) hat am pathologischen
Institut des Ospedale Maggiore in Mailand eine Reihe von Versuchen am
Tier und Untersuchungen am Menschen angestellt, um zu erfahren, ob
Chloroformdämpfe, bei Berührung mit der Nasenschleimhaut, Veränderungen
auf derselben herbeiführen, die imstande sind, die Resistenz gegenüber
bakteriellen Infektionen herabzusetzen. Er hat nachweisen können, dass
die Chloroformnarkose in konstanter Weise eine ausgesprochene Reizung,
bisweilen eine wirkliche Entzündung der Nasenschleimhaut bewirkt, die mit
den subjektiven und objektiven Erscheinungen des gewöhnlichen Schnupfens
einhergeht, wie Juckgefühl, reichliche Absonderung, bisweilen mit Blutspuren,
Stirnkopfschmerzen, augenscheinlich zurückzuführen auf eine Kongestion
der Stirnhöhlenschleimhaut. Mittels der direkten Untersuchung konnte er
nachweisen, dass es sich um eine wahre Rhinitis handelt, die man als
»Chloroformrhinitis* bezeichnen könnte, durch die die Schleimhaut mehr
oder weniger geschwollen, runzlig, stark injiziert und von roter Farbe
wird, ein Zustand, der die Tendenz hat, recht lange Zeit anzuhalten.
Ungeachtet aber dessen, was wir über die pharmakologischen Eigen-
schaften des Chloroforms und über dessen lokale Wirkung auf die oberen
wie die tieferen Luftwege wissen, müssen wir uns sehr reserviert ver-
halten, bevor wir bezüglich der oben beschriebenen 3 Fälle von akuter
katarrhalischer Laryngitis zu einem Schluss gelangen. Es gibt noch einige
andere Ursachen, durch die sie bedingt sein können und die wir nicht
ausschliessen können; es ist sogar unsere Pflicht, auf den schroffen Ueber-
gang (zumal im Winter) von dem feuchtwarmen Operationssaal zu dem
völlig ungeheizten Korridor hinzuweisen. Unterziehen wir die oben er-
wähnten 3 Fälle einer genaueren Prüfung, so sehen wir, dass es sich im
ersten Falle um eine Urano-Staphylorraphie handelte, also ganz besonders
günstige Bedingungen dafür vorlagen, dass die Chloroformdämpfe zu dem
Kehlkopfe gelangten, ohne das Nasenfilter zu passieren. Wenn aber der
Kehlkopf unter jenen Bedingungen in höherem Grade der direkten Ein-
wirkung des Chloroforms ausgesetzt war, so dürfen wir auch nicht ver-
kennen, dass dies ebenso für alle anderen Einwirkungen von aussen
zutraf. Ausserdem war jenes Kind gerade wegen seiner angeborenen
Missbildung häufig von Bronchialkatarrh befallen und war davon auch im
Momente der Operation nicht ganz frei, so dass es gewiss nicht leicht
war, zu entscheiden, welches die wahre Ursache für den entzündlichen
Prozess‘ im Kehlkopf war oder ob nicht vielmehr verschiedene Ursachen
dabei mitgewirkt haben.
Im zweiten Falle handelte es sich um ein Individuum, bei dem eine
gewisse Prädisposition für Laryngitiden bestanden zu haben scheint, denn
es waren bereits früher mehrere Anfälle von Heiserkeit vorausgegangen.
1) G. Zancarini, Contributo allo studio dell’azione esercitata dai vapori di
chloroformio sulla mucosa delle fosse nasali. Il Morgagni. Nov. 1909.
Archiv für Laryngologie. 28. Bd. 2. Heft. 23
as
340 C. Canestro, Dysphonien nach Chloroformgebrauch.
Der dritte Fall bot nichts Besonderes, abgesehen von einem gewissen
Grade von Alkoholismus, der bei der Narkose ein ziemlich langes
Exzitationsstadium bedingte, und von einer leichten und voriibergehenden
ikterischen Farbung der Sklera nach der Operation.
Wir müssen also sehr vorsichtig sein, bevor wir eine derartige
Reaktion des Larynx gegenüber den Chloroformdämpfen annehmen, dass
wir von einer „Chloroformlaryngitis* sprechen können. In Anbetracht der
Seltenheit, mit der diese Erscheinungen auftreten, müssen wir vielmehr
denken, dass das Chloroform einen Zustand von verminderter Widerstands-
fähigkeit schafft oder als Gelegenheitsursache wirkt, wenn besonders prä-
disponierende Momente bestehen.
Mehr aber als durch diese leichten entzündlichen Erscheinungen wird
unsere Aufmerksamkeit gefesselt durch die beiden oben beschriebenen
Fälle von Parese der Thyreo-arytaenoidei. Tatsächlich ist das Auftreten von
paretischen und paralytischen Erscheinungen nach Chloroformnarkose
nichts Neues in der Pathologie. Gewiss wollen wir hier nicht hinweisen
auf jene Lähmungsformen, die an einer oder bisweilen auch an beiden
Extremitäten oder aber an einer Muskelgruppe zur Beobachtung kommen
und nach dem Erwachen aus der Narkose entweder plötzlich auftreten
oder sich allmählich entwickeln und die früher unter der Bezeichnung
der Narkosenlähmungen gingen, während man sie heute als auf mecha-
nischem Wege, d. h. durch eine Kompression der Nervenstämme infolge
prolongierter ungewöhnlicher Stellung während der Narkose, entstanden
betrachtet. So kann, wenn man nicht genügend aufpasst, ein Arm herab-
hängen und gegen eine Ecke des ÖOperationstisches gedrückt werden und
auf diese Weise eine Lähmung des Radialis entstehen oder es kann da-
durch, dass der Arm in die Höhe und stark abduziert gehalten wird, eine
Parese des Plexus brachialis infolge von Druck gegen den Humeruskopf
und die Klavikula entstehen.
Es werden jedoch andere Lähmungsformen, wenn auch erheblich
seltener, beobachtet, die mit grösserem Recht den Namen Narkoselähmungen
führen können. Es sind das die Lähmungen, die plötzlich nach dem Er-
wachen auftreten und die nicht eine einzige Muskelgruppe oder eine einzelne
Extremität befallen, sondern die sich unter der Form einer kompletten
oder inkompletten Hemiplegie zeigen und die fast ausschliesslich bei
Individuen mit krankhaften Zuständen, hysterischer Neurose, Arterio-
sklerose usw. zur Beobachtung kommen. Bei ihnen ist eine mechanische
Ursache nicht anzunehmen, sie haben vielmehr einen zentralen Ursprung
und sind zurückzuführen auf die toxische Wirkung des Anästhetikums auf
die Nervenzentren.
Ferner können die Chloroformdämpfe eine direkte Wirkung auf die
peripheren Nervenendigungen haben und als Hauptbeispiel dafür finden
wir die wohl bekannte und gefürchtete reflektorische Kehlkopfsynkope von
Duret. Diese primäre Synkope, die im Beginn der Chloroformdarreichung
auftritt, wird hervorgerufen durch die irritative Wirkung, welche die
C. Canestro, Dysphonien nach Chloroformgebrauch. 341
Chloroformdämpfe auf die peripheren ’Endigungen des Trigeminus und des
N. laryngeus superior ausüben, eine Reizung, die bis zum Bulbus gelangt
und durch Vermittelung der Vagi reflektorisch auf das Herz wirkt. Wenn
man einem Kaninchen, dessen Herzbewegungen man mittels einer ins Herz
gesteckten Nadel kontrollieren kann, einen mit Chloroform getränkten
Schwamm nähert, so bemerkt man, dass die Herzbewegungen schnell sich
verlangsamen und aufhören. Dies tritt jedoch nicht ein, wenn dem Tier
vorher die Vagi durchschnitten sind.
Wenn wir also eine ausgesprochen neurotrope Wirkung des Chloro-
forms nicht nur auf die Nervenzentren, sondern auch auf die peripheren
Nervenendigungen annehmen, so scheint das plötzliche Auftreten einer
Parese der M. thyreo-arytaenoidei interni nach einer Narkose in jener Eigen-
schaft die natürlichste Erklärung zu finden. Dies ist um so mehr der
Fall, als keinerlei entzündliche Erscheinungen diesen Motilitätsstörungen
des Kehlkopfs vorausgehen oder sie begleiten, noch bei unseren Patienten
irgendwelche Symptome von Hysterie bestanden, die, wie wir wissen, der-
artige Erscheinungen veranlassen können. In Wirklichkeit bestand in dem
zweiten von uns beschriebenen Falle eine ausgesprochene allgemeine
Schwäche und Anämie, das plötzliche Auftreten der Heiserkeit jedoch
unmittelbar nach der Narkose und ihr allmähliches und schnelles Ver-
schwinden trotz der fortschreitenden Verschlechterung des Allgemeinzustandes
führen uns zu der Annahme, dass jener schlechte Allgemeinzustand höchstens
als prädisponierendes Moment habe wirken können.
Ferner findet unsere ätiologische Annahme ihr Gegenstück in einer
anderen in der chirurgischen Pathologie schon lange bekannten und
studierten Hypothese, nämlich der von der postoperativen Gastroplegie,
die nicht nur nach intraperitonealen Eingriffen, sondern auch nach extra-
peritonealen und extraabdominalen auftreten kann, und in einem Fall
nach einer blossen Darreichung von Chloroform ohne jede nachfolgende
Operation zur Beobachtung kam. Man hat viel über diese Lähmungsform
gestritten, die wahrscheinlich nicht immer denselben Ursprung und die-
selbe Pathogenese hat, die aber sicher in vielen Fällen, wie es Dialti,
Delanginiere und Payr behauptet haben, als eine wirkliche Paralysis
gastrica postnarcotica betrachtet werden muss („postnarkotische Magen-
lähmungen“). Der letztgenannte Autor hat bei 300 Operierten Unter-
suchungen über das Verhalten des Magens vor und nach der Narkose
angestellt und hat fast bei allen seinen Beobachtungen konstatieren
können, dass der Magen, der sich mehr oder minder ektatisch erwies,
sich in einem gewissen Grade von Atonie befand. Die Chloroformdämpfe
sollen direkt auf die Nervenendigungen in der Magenschleimhaut wirken,
indem sie auf derselben eine atonische Ektasie hervorrufen, die begleitet
wird von einer kurze Zeit anhaltenden Hypersekretion.
Wir haben diese beiden Lähmungsformen, die in gleicher Weise plötz-
lich nach der Chloroformnarkose auftreten und unserer Ansicht nach die-
selbe Ursache und denselben Entstehungsmechanismus haben, in Parallele
238
342 C. Canestro, Dysphonien nach Chloroformgebrauch.
gebracht. Beiden gemeinsam ist aìch der Verlauf; denn abgesehen von
den schweren tödlich verlaufenden Gastroplegien, bei denen aller Wahr-
scheinlichkeit nach noch andere wichtige Faktoren ausser dem Narkotikum
mit in Betracht kommen, zeigen sie einen gutartigen und vorübergehenden
Charakter, eine nicht länger als wenige Tage währende Dauer.
Ich glaube sogar, dass die Paresen der M. thyreo-arytaenoidei interni
nach Chloroformnarkose nicht selten gerade wegen dieses gutartigen und
transitorischen Verlaufes unbemerkt bleiben. Es ist ganz natürlich, dass, wenn
bei einem Patienten unmittelbar nach einem operativen Eingriff eine geringe
Heiserkeit der Stimme auftritt, diese Tatsache weder von ihm selbst noch
von dem behandelnden Arzt beachtet wird. Die laryngoskopische Unter-
suchung, die bei einem eben chloroformierten Individuum immer wenig
angenehm ist, ergibt schon nach wenigen Tagen nichts Anormales mehr
und so entgingen diese Heiserkeiten vielleicht in dem grössten Teile der
leichten Fälle der Untersuchung. All dies würde uns aber nicht erklären
können, wie es möglich ist, dass in Anbetracht der ungeheuren Zahl von
"Chloroformnarkosen jene Lähmungen stets unbeobachtet bleiben, wenn sie
nicht gleichzeitig sehr selten wären. Vielleicht hängt diese Seltenheit von
einer speziellen Prädisposition ab, über die wir erst Rechenschaft geben
können, wenn eine grössere Anzahl von Beobachtungen vorliegt. In dieser
Hinsicht können wir nur sagen, dass bei dem einen unserer Patienten eine
schwere Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens vorlag, während bei dem
anderen weder lokal noch allgemein etwas als prädisponierende Ursache
anzusprechen war. In diesen Fällen müsste man auf die immer bequeme
Annahme einer Chloroformidiosynkrasie rekurrieren.
Wir glauben also, dass gerade in der Gutartigkeit, der kurzen Dauer
und Seltenheit dieser Motilitätsstörungen des Kehlkopfes die Ursache liegt,
warum sie, trotzdem sie theoretisch so interessant sind, in der laryngo-
logischen Literatur bisher keine Berücksichtigung gefunden haben.
XXVIL
Neue Nasen- und Kehlkopf-Instrumente. ')
Von
Dr. Elemér von Tovölgyi.
(Mit 8 Textfiguren.)
Der modifizierte Killiansche Nasenspiegel.
(Figur 1 und 2.)
Meine Modifikation des Killianschen, bei Rhinoscopia media zur
Anwendung gelangenden und deshalb mit langen Armen versehenen Nasen-
spiegels dient in erster Linie der Vereinfachung des Instrumentes, weil
man an dem gleichen Griff ausser dem einfachen Nasenflügel- auch eine
ganze Reihe der Killianschen langen Arme anwenden kann, also stets
jenen, der dem Zweck am besten entspricht. Da auch die grazileren
Killianschen Nasenspiegel verhältnismässig überaus breite Arme haben,
fertigte ich insgesamt 1 mm breite Arme, sowohl in der ursprünglichen,
als auch in kleinerer Länge an. Dadurch kann der Spiegel auch bei
Kindern und bei Individuen mit engeren Nasenhöhlen angewendet werden,
und man kann mit Hilfe der dünnen Arme die engen Breschen zwischen
der mittleren Muschel und der Seitenwand der Nase oder der überwucherten
Bulla ethmoidalis und der mittleren Muschel, oder auch den hinteren Teil
der oberen Nasenhöhle gründlich prüfen. Man kann in den Schaft des
Nasenspiegels gegebenenfalls auch zwei verschieden lange Arme einfügen,
z. B. wenn die Krümmung der Nasenscheidewand bei der Operation der
Muscheln hindert. In diesem Fall führt man den längeren Flügel neben
der Nasenscheidewand ein und schiebt die Krümmungen für die Dauer der
Operation beiseite. Ebenso geht man in Fällen von Muschelhypertrophie
vor, wenn eine Operation an der Nasenscheidewand vorzunehmen ist. In
diesem Fall führt man den längeren Flügel die Muscheln entlang.
Mein neues Stimmbandmesser
(Figur 3)
dient dem Zweck, kleine Geschwiilste, z. B. Stimmbandknétchen von der
Oberfläche des Stimmbandes ohne jede Lädierung der Stimmbandschleim-
1) Demonstriert auf dem XVII. internationalen medizin. Kongress in London.
344 E.v. Tuvölgyi, Neue Nasen- und hehlkopf-Instrumente.
haut zu entfernen. Deshalb liegt das sichelformige Messer wagerecht zur
Platte. so dass von der Fläche des Stimmbandes nur das entfernt werden
kann, was sich darüber erhebt. Dieses Instrument ist hauptsächlich dann
zweckmiissig, wenn das Stimmbandknötchen sehr klein ist. so dass man es
mit der Zange überhaupt nicht fassen kann, ohne die Schleimhaut des
Stimmbandes zu lädieren. Die Operation hat. wie ich bereits in 4 Fällen
Figur 1. Figur 2.
Firur 9. Firur 4.
feststellen konnte, überhaupt keine Reaktion zur Folge, dermassen, dass
in 2 Fällen, es handelte sich um die Entfernung von Stimmbandknötchen
bei Sängerinnen, die Operierten schon am nächsten Tage tätig sein konnten.
Ich habe auch ein vertikal stehendes Sichelmesser angefertigt für an der
freien Seite des Stimmbandes vorkommende kleine Knötchen.
Uebrigens ist bei diesem Instrument, wie dies Fig. 4 zeigt, auch der
Schaft modifiziert. indem ich an der Spitze des einfachen Schaftes zu
E. v. Tóvölgyi, Neue Nasen- und Kehlkopf-Instrumente. 345
beiden Seiten je einen Halbring anbrachte, in deren Ausbuchtung bei Vor-
nahme der Operation Zeige- und Mittelfinger zu liegen kommen, während
der Daumen an der rinnenartigen Vertiefung am Ende des Schaftes eine
Stütze findet. Infolge der hierdurch hervorgebrachten klauenartigen Haltung
ist die Operation viel leichter und zarter vornehmbar als beim alten
Schaft, der in die Faust genommen werden musste und der Hand nirgends
einen sicheren Halt bot.
Der eitersaugende Nasennebenhöhlenspiegel
(Figur 5)
dient dazu. in Fällen von Sinusempyem die Ansaugung des Eiters aus
den Höhlen auch mit dem Auge zu kontrollieren und in einzelnen Fällen
die Diagnose zu erleichtern. Das Instrument ist ganz nach dem Muster
Figur 5.
des pneumatischen Halbtrichters hergestellt. nur mit dem Unterschied, dass
sich das in die Nasenhöhle einzuführende Rohr den Dimensionen der Höhle
anpasst. weshalb ich dieses Instrument auch mit Rücksicht auf die ver-
schieden grossen Nasenlöcher in drei Grössen herstellte. Mit Hilfe dieses
eitersaugenden Nasenspiegels kann man auch während des Eitersaugens die
Nasenhöhle überblieken und aus der Richtung des hervorströmenden Eiters
auch dessen Ursprungsort genau feststellen.
Bei diesem Prozess hat man folgendermassen zu verfahren: Man er-
wärmt die Glasplatte des Nasenspiegels genügend über einer Flamme oder
übergiesst sie mit einer das Beschlagen hindernden Flüssigkeit, schiebt den
Nasenspiegel mit der linken Hand so weit in die Nasenhöhle, dass diese
hermetisch verschlossen ist und drückt dann mit der rechten Hand den
mit dem Trichter durch ein langes Gummirohr verbundenen Politzerschen
346 E.v. Tovölgyi, Neue Nasen- und Kehlkopf-Instrumente.
Ballon zusammen. Gleichzeitig greift man mit den drei freien Fingern der
den Trichter haltenden linken Hand über den Nasenrücken, presst den
Nasenflügel der anderen Seite an die Nasenscheidewand und verschliesst
derart auch das freigebliebene Nasenloch. In dieser Situation kann man
mittels des Politzerschen Ballons die Absaugung des Eiters auch einige-
mal hintereinander wiederholen.
Mein Instrument für äusserliche vibratorische Kehlkopfmassage
ist schon seit mehr als drei Jahren in Verwendung. Ich besprach dieses
Instrument bereits im 18. Band des Fränkelschen Archivs für Laryngologie
und habe es bereits beim Budapester Aerztekongress vorgezeigt. Von den
zur äusserlichen Vibrationsmassage der Kehle dienenden Instrumenten sind
Figur 6. Figur 7.
zumeist jene von M. Schmidt und Spiess in Verwendung, doch kommen
diese Massagevorrichtungen bloss mit dem vordersten Teil der Kehle in
Kontakt und man kann damit keine eigentliche Massage ausführen.
Bei der Konstruktion meines Instrumentes leitete mich der Gedanke,
dass man bei der mittels Hand verrichteten Kehlkopfmassage die vi-
brierenden streichenden Bewegungen an den beiden Seitenwänden der
Wand hauptsächlich mit zwei Fingern, nämlich mit Daumen und Zeige-
finger ausführt. Mein neu konstruiertes Instrument hat dementsprechend
zwei Arme (Fig. 6 u. 7), deren knopfartige und mit Hirschleder über-
zogene Enden an beiden Seiten der Kehle sitzen, während der aus der
Mitte des die beiden Armıe verbindenden, aus elastischem Stahl angefertigten
Bogens ragende Metallstab in die pistolenförmige, die Vibration vermittelnde
Zange des Elektromotors einfügbar ist. Die beiden die Kehle umarmenden
Metallarme sind den verschiedenen Kehlkopfdimensionen entsprechend enger
und weiter auseinander schraubbar. Um die Vibrationsmassage in ver-
schiedenen Richtungen vornehmen zu können, fertigte ich zweierlei Instru-
E.v. Tövölgyi, Neue Nasen- und Kehlkopf-Instrumente. 347
mente an. Bei dem einen bewegen sich die Metallarme von vorne nach
hinten, bei dem anderen von rechts nach links.
Dadurch, dass dieses Instrument den Kehlkopf umarmt und nicht (wie
das Schmidtsche) drückt und es gerade auf jene Muskelgruppen anwend-
bar ist, die am häufigsten unter Schwächezuständen leiden, weiter durch
den Umstand, dass die beiden Metallarme die Vibration gleichmässig auf
den ganzen Kehlkopf übertragen, ist die Wirkung besser und vollkommener
als bei ähnlichen, dem gleichen Zweck dienenden Instrumenten, das in
letzter Zeit von Flatau konstruierte, dem meinen vollkommen ähnliche,
aber sehr komplizierte nicht ausgenommen. Dieser Vibrationsapparat lässt
sich auch mit Elektrizität verbinden, wodurch man die Wirkung der Massage
steigern kann.
Zum Schluss will ich die Aufmerksamkeit der Kollegen auf mein
neues Mandelschneideinstrument lenken. Dieses neue Tonsillotom
Figur 8.
(Fig. 8) ist dann anzuwenden, wenn die vergrösserten Mandeln nicht die
Form einer Kugel, sondern mehr eines Zylinders oder nach aussen blicken-
den Kegels aufweisen. Zu diesem Zweck wurden auch schon früher ver-
schiedene Mandelzangen konstruiert, doch haben sie den gemeinsamen
Fehler, dass sich die halbkreisförmigen Schnittflächen in vertikaler und
nicht in wagerechter Richtung bewegen und die Funktion dieser Instru-
mente deshalb zumeist vom Gaumenbogen behindert wird, andererseits
aber die Mandel meistens aus den ineinander schneidenden Schneideflächen
rutscht.
Bei meiner Mandelzange sind diese Nachteile durch den Umstand.
dass sich die Schneideflächen in wagerechter Richtung, von vorne nach
hinten bewegen und die Zange nicht halbkreis-, sondern eiförmig ist, aus-
gemerzt.
Der eitersaugende Nasentrichter wird bei Wilhelm Walbs Nachf.
(Heidelberg), die anderen Instrumente bei Windler (Berlin) hergestellt.
X XVIU.
Erklärung.
Yon
Prof. A. Kuttner.
Um Missverständnissen vorzubeugen, möchte ich betonen, dass die in meiner
Arbeit (Archiv f. Laryngol. Bd. 28. Heft 1) auf die Semonsche Publikation
(Forschung und Erfahrung. Bd. 2. S. 325) bezüglichen Worte: „indem er, ge-
stützt auf 14 klinische Beobachtungen, für die von mir vertretene Auffassung ein-
trat und dieselbe dahin erweiterte, dass usw.“ nicht etwa besagen sollten, dass
Semon die Anregung zu seinem Vortrag aus meiner, 9 Monate früher erschienenen
Monographie geschöpft habe. Semon hat vielmehr schon vor dem Erscheinen
dieser zweimal in kurzen gelegentlichen Bemerkungen — das erste Mal in der
Diskussion zu einer Mitteilung von Moritz Schmidt (1891), das zweite Mal in
der Besprechung des Schrötterschen Lehrbuches (1893) — dieselben Ansichten
zum Ausdruck gebracht, die er nachträglich in jenem Vortrag ausführlich be-
gründete.
War somit auch meine, eigener Initiative entsprungene, im Jahre 1891 be-
gonnene, im Frühjahr 1894 dem Virchowschen Archiv übergebene und im Anfang
des Jahres 1895 dort veröffentlichte Abhandlung die erste, welche die damals neue
Auffassung der Dinge ausführlich erörterte und historisch, klinisch, histologisch,
bakteriologisch und experimentell begründete, und war meine Arbeit es auch, von
der — in Deutschland wenigstens — die Neuordnung dieses Kapitels ihren Aus-
gang nahm, so ist doch ebenso zweifelsohne die Semonsche Publikation als
Ausfluss eigener Ideen und selbstgewonnener Ueberzeugungen ihres Verfassers
anzusehen.
a nn tars
ANIN:
Bemerkung
zu dem Artikel: „Arthritis erico-arytaenoidea rheumatica acuta und
mit derselben klinisch verwandte Larynxleiden‘ von S. H. Mygind.
Von
Dr. R. Imhofer (Prag).
H. Mygind sagt auf Seite 54 seiner Arbeit, dass von durch Gonorrhöe be-
dingten Affektionen der Articulatio cricoarytaenoidea vier Fälle bekannt seien
(Liebermann, Simpson, Birkett, Claus). Ich möchte hierzu bemerken,
dass auch ich einen derartigen Fall beobachtet habe, der von dem seither ver-
storbenen Dr. R. Bloch in der Prager medizinischen Wochenschrift, 1908, Nr. 16,
publiziert wurde. Ein Referat dieser Publikation findet sich in der Zeitschrift für
Laryngologie, Bd. 1, S. 262. Da diese Publikation anscheinend auch Claus ent-
gangen ist und bei der ausserordentlichen Seltenheit der in Rede stehenden
Affektion jede diesbezügliche Mitteilung von Wert ist, möchte ich als Ergänzung
zu den Angaben Myginds diesen Fall als fünften vor der Arbeit von Claus
publizierten, feststellen.
NNN.
Berichtigung
zu meiner Arbeit: „Ueber Arthritis cricoarytaenoidea
rheumatica acuta usw.“
Von
S. H. Mygind.
Prof. Sir Felix Semon ist so freundlich, mich darauf aufmerksam zu
machen, dass ich ihm einen Fall von Gicht mit Tophi im Cricoarytaenoidalgelenke
unrichtig zugeschrieben habe, während er in seiner Arbeit nur einen Fall von
Litten zitiert (Virchows Archiv, Bd. 66, S. 132). Für diese Berichtigung sage
ich Prof. Sir Felix Semon meinen besten Dank.
Weiter habe ich noch einen Fall von typischer Arthritis cricoarytaenoidea
rheumatica zuzufügen von Neumayer (Experimentelles zur Pathologie des Crico-
arytaenoidalgelenkes. Monatsschr. f. Ohrenheilk. 1901. Nr. 4). Die kranke rechte
Stimmlippe war in einer Stellung zwischen Inspiration und Phonation fixiert.
Redaktionelle Notiz.
Dr. Caldera ersucht, davon Kenntnis zu nehmen, dass bei der Figur 1
seiner in Bd. 28, Heft 1 veröffentlichten Arbeit (S. 133) irrtümlicherweise ein Hin-
weis fortgelassen ist, dass diese Figur dem Onodischen Atlas entnommen ist.
Druck von L. Schumacher in Berlin N, 4.
XXXI.
Ueber die Degeneration funktionell gelähmter
Kehlkopfmuskeln und die „Inaktivitätsatrophie“.')
(irabower (Berlin).
(Hierzu Tafel VI.)
Wenn man eine grössere Anzahl funktionell gelähmt gewesener Muskeln
histologisch untersucht, so gewinnt man die Ueberzeugung, dass die Bezeich-
nung „Inaktivitätsatrophie“ nicht zutreffend ist. Die Kehlkopfmuskeln ins-
besondere zeigen nach mehrjährigem Bestande der funktionellen Lähmung so
mässige Veränderungen, dass der Begriff der Atrophie auf sie nicht passt,
während allerdings der zuführende Nerv schon nach kurzer Lähmungsdauer
die hochgradigsten Schädigungen aufweist. Diese festgewurzelte Vorstellung
von dem hervorragenden Einfluss der Inaktivität hat den Nachteil, dass
darüber nicht selten nervöse Schädigungen, insbesondere zentrale, über-
sehen werden. Aber selbst bei stärkeren Schädigungen in gelähmten
Muskeln ist die Annahme ihrer Entstehung durch Inaktivität eine willkür-
liche und entbehrt zur Zeit fast jeder Begründung, zumal wir über die
Genese dieser Schädigungen und ihre Deutung noch keine Sicherheit erlangt
haben. Wir sind in dieser Hinsicht nicht weiter gekommen. Es existieren
zwar in der Literatur sehr viele zerstreute Angaben über Schädigungen
gelähmter Muskeln, wie Fibrillenzerfall, fettige Durchwachsung, Fettdege-
neration u. a. Allein abgesehen davon, dass hier nicht selten verschiedene
Vorgänge durcheinander geworfen sind, nämlich die degenerative Atrophie,
wie sie z. B. bei entzündlichen und eitrigen Prozessen im Muskel, meist
auf infektiöser Basis, angetroffen wird mit dem einfachen Funktionsausfall
des Muskels, veranlasst durch Leitungsunterbrechung des zugehörigen
Nerven, sind wir über die Schwere gewisser Veränderungen ungenügend
unterrichtet deshalb, weil wir den Hergang des Degenerationsprozesses, das
Nacheinander der Veränderungen nicht kennen und auch, wenigstens beim
1) Nach einem im Dezember 1913 in der Berliner laryngologischen Gesell-
schaft gehaltenen Vortrag. Diese letzte Arbeit des inzwischen verstorbenen Autors
war von ibm noch vor seinem Toda zur Veröffentlichung an dieser Stelle bestimmt
worden. Red.
Archiv fiir Laryngologie. 28. Bd. 3. Heft. 24
352 Grabower, Degeneration funktionell gelähmter Kehlkopfmuskeln usw.
Menschen, noch nicht wissen, ob gewisse Schädigungen bleibende und
bis zur völligen Zerstörung des Muskels fortschreitende sind, oder ob sie
im Verlaufe des Degenerationsprozesses wieder rückgängig werden, wie
dies z. B. bei der Fettinfiltration in den Muskeln sicher angenommen
werden muss.
Die Ursache dieser Unkenntnis ist, dass uns bis jetzt nicht Unter-
suchungen funktionell gelähmt gewesener Muskeln in genügender Anzahl
zu Gebote stehen, deren Lähmungsdauer uns annähernd genau bekannt ist.
Es ist daher wünschenswert, dass derartige Fälle gründlich untersucht und
publiziert werden. Wenn wir die Schädigungen nach sehr kurzer und
sehr langer Lähmungsdauer und eine Anzahl Befunde von Fällen, deren
Lähmungsdauer zwischen jenen Extremen liegt, gründlich kennen, dann
werden wir mit Zuhilfenahme der Ergebnisse des Tierexperiments den
gesamten Degenerationsvorgang klar zu übersehen imstande sein.
Vor einiger Zeit habe ich meine Untersuchungen über einen Fall von
funktioneller Muskellähmung mitgeteilt!), dessen Lähmungsdauer nach-
weislich 4 Monate betragen hat. Ich bin jetzt in der Lage, den Befund
eines Falles von extrem langer und zwar 21jähriger Dauer einer links-
seitigen Rekurrenslähmung infolge eines Aneurysma des Arcus aortae mit-
zuteilen. Ich verdanke das Präparat und die zugehörige kurze Kranken-
geschichte Herrn Dorendorf, dem leitenden Arzte der inneren Abteilung des
Krankenhauses Bethanien. Der Fall betrifft einen im Alter von 61 Jahren
infolge einer Pleuritis verstorbenen Mann, der seit Jahrzehnten an Aneurysma
des Aortenbogens litt und bei welchem im 40. Lebensjahre, also 21 Jahre
vor seinem Tode, eine linksseitige Rekurrenslähmung festgestellt worden
war. Diese Diagnose wurde im Laufe der Jahre zu oft wiederholten Malen,
zuletzt kurz vor seinem Tode, bestätigt. In den letzten Monaten seines
Lebens stellte sich auch eine Parese des rechten M. posticus ein: die
rechte Stimmlippe konnte nur etwas über die Kadaverstellung hinaus nach
aussen bewegt, konnte aber anstandslos zur Mittellinie adduziert werden.
Das Präparat, das seit dem Tode des Patienten 23/, Jahre lang in
Kaiserlingscher Flüssigkeit gelegen hat, wurde mir alsdann zur Unter-
suchung überlassen. Nachdem ich dasselbe für die Untersuchung brauchbar
gemacht, habe ich die Muskeln teils in Paraffin, teils in Zelloidin ein-
gebettet, in einer Dicke von 10—15 uw geschnitten und nach van Gieson
gefärbt. Die Nerven habe ich der Weigertschen Markscheidenfärbungs-
methode unterzogen. Die Untersuchungsresultate sind im wesentlichen
folgende: Im linken M. posticus treten hauptsächlich vier Kategorien von
Veränderungen auf. Zunächst Wucherung des Bindegewebes, sowohl des
perimuskulären wie des interstitiellen. Jedoch ist dieselbe nicht so abun-
dant, wie wir sie im M. vocalis antreffen. Die Bindegewebswucherung im
Postikus ist keine gleichmässige durch alle Teile des Muskels hindurch.
In den Interstitien zwischen den Muskelfibrillen ist sie spärlich und
@
1) Archiv f. Laryngol. Bd. 21.
Grabower, Degeneration funktionell gelähmter Kehlkopfmuskeln usw. 353
erscheint hier meist in Form von schmalen, festen, sklerosierten Bindegewebs-
bündeln. An anderen Stellen des Muskels hat das Bindegewebe ein lockeres
Gefüge und zeigt sich in Form locker aneinander gereihter welliger Fasern,
auch ist es in reichlicherem Masse vorhanden. Diese Verschiedenheit in
der Reichlichkeit und Form des gewucherten Bindegewebes stellt, wie wir
sehen werden, verschiedene Stadien des Degenerationsprozesses dar. — Man
sieht ferner im Bindegewebe wie in den Muskelfibrillen eine starke Kern-
vermehrung derart, dass die Kerne in Reihen und Häufchen sich anordnen,
was im normalen Muskel niemals angetroffen wird. Man sieht oft dem
Rande der Fibrille entlang oder im Innern derselben in regellosen Ab-
ständen S—10 und mehr Kerne reihenweise oder auch in Häufchen ange-
ordnet. Die Häufchenform ist mehr im Bindegewebe, die reihenweise An-
ordnung mehr in der Muskelfaser anzutreffen. Die hier geschilderte Kern-
wucherung beginnt schon in ausgedehntem Masse im frühen Stadium der
Lähmung. Ich habe sie in meinem vorher zitierten Falle von 4 monatiger
Lähmungsdauer sehr hochgradig angetroffen. Wie der vorliegende Fall
beweist, ist sie also eine konstante Begleiterin des degenerativen Prozesses
bis in seine spätesten Stadien; nur ist hervorzuheben, dass in unserm vor-
geschrittenen Falle die Kerne in der Abnahme begriffen sind und sich
bereits meist in Schrumpfung befinden. Im M. vocalis ist, wie wir sehen
werden, in der Mehrzahl der Kerne eine Schrumpfung noch nicht vor-
handen. Das Endschicksal der Kerne, nämlich ihr Zerfall in Fragmente
und die Ausstreuung der in ihnen enthaltenen Chromatinkörnchen auf die
Muskelsubstanz ist in unserem Postikus nur erst an wenigen Stellen nach-
weisbar.
Ein zweites Zeichen der Degeneration im Postikus ist eine Ver-
schmälerung der Muskelfasern. Auch dieser Vorgang gehört schon dem
Frühstadium der Lähmung an und schreitet allmählich, aber stetig bis
zum Ende des Degenerationsprozesses vor. Aber auch dann sind neben
den verschmälerten noch eine grosse Zahl normal breiter vorhanden. In
unserm Falle von 21jähriger Lähmungsdauer ist — wie man sieht, wenn
man alle Schichten des Muskels durchmustert — noch nicht die Hälfte
aller Fibrillen verschmächtigt und in der überwiegenden Zahl dieser ver-
schmächtigten ist die Querstreifung und teilweise auch die Längsstreifung
deutlich sichtbar. Bisweilen sieht man eine stark verbreiterte Faser, welche
jedoch nicht normal ist, sondern, wie aus ihrem gedunsenen Aussehen
hervorgeht, einem Oedem, auf welches wir noch zu sprechen kommen,
ihre Entstehung verdankt.
Eine dritte Kategorie von Veränderungen, welche sich im Postikus
nur erst über eine beschränkte Zahl von Fasern zeigen und welche die
beginnende Zerstörung des Muskels andeuten, ist der Schwund des Sarko-
plasmas und der Verlust der Tinktionsfähigkeit der Muskelfibrillen. Hier
und da sieht man an einer Muskelfaser entweder in ihrer ganzen Aus-
dehnung oder nur über eine Strecke ihres Verlaufes eine ganz auffallende
Blässe, verbunden mit einem gewissen trockenen Aussehen. Die ungefärbten
24*
354 Grabower, Degeneration funktionell gelähmter Kehlkopfmuskeln usw.
Querstäbchen treten noch viel schärfer hervor als sonst, weil sie ganz
unbedeckt dem Blick entgegentreten, während man sie sonst durch das
sie bedeckende Sarkoplasma hindurchsieht. Dieser Schwund des Sarko-
plasma stellt einen ausgesprochen regressiven Vorgang dar, er deutet an,
dass dem Muskel der Farbstoff und andere ihn ernährende eiweisshaltige
Stoffe entzogen sind und leitet über zu der vierten Kategorie von Schädigungen,
welche sich in der Zerstörung der Struktur der Muskelfaser bis zur Un-
kenntlichkeit manifestiert. In einer beträchtlichen Anzahl von Fibrillen
sieht man nämlich, dass ihre Sarkolemmschläuche in ihrem ganzen Verlaufe
oder streckenweise von einem fädigen, völlig amorphen, zum Teil detritus-
ähnlichen Gewebe, untermischt mit geschrumpften Kernen, angefüllt sind.
Es bedeutet dies den Tod der Muskelfaser durch Untergang ihrer kontrak-
tilen Substanz.
Die vorstehend beschriebenen Schädigungen sind nicht alle zugleich
in den verschiedenen Schichten des Postikus anzutreffen, sondern man sieht
leichtere neben schwereren in den verschiedensten Abstufungen. Auf vielen
Gesichtsfeldern treten wesentlich nur verschmälerte Fasern mit gerundeten,
auf anderen mit geschrumpften Kernen zutage, wieder andere zeigen Sar-
kolemmschläuche mit fädigem, strukturlosem Gewebe, daneben Fibrillen mit
normaler Zeichnung usw. Der Prozess ist eben ein langsam und allmählich
durch alle Muskelschichten fortschreitender.
Neben diesen mehr oder weniger schweren Veränderungen sieht man
auf einer grossen Zahl von Gesichtsfeldern Muskelfasern, welche kaum
eine Abnormität zeigen. Fasern von normaler Breite mit tadelloser Zeich-
nung, nur mässiger Bindegewebs- und Kernwucherung, ohne Unterbrechung
im Faserverlauf, ohne Verlust der Tinktionsfähigkeit, kurz solche, welche
alle Attribute der Arbeitsfähigkeit zu besitzen scheinen. Wie sich, als
ich mein Augenmerk darauf richtete, herausgestellt hat, sind dies Muskel-
fasern, welche um den Processus muscularis herum gelegen sind. Es
scheint hiernach, dass dieser Teil des Postikus lange Zeit von der Dege-
neration verschont bleibt und gewissermassen nach Analogie des M. cucul-
laris das Ultimum moriens des Muskels darstellt.
Was den M. vocalis betrifft, so lehrt eine Durchsicht von Präparaten
aus den verschiedensten Schichten des Muskels, dass die Schädigung des-
selben in einigen wesentlichen Punkten die des M. posticus noch übertrifft,
und zwar in der Verschmächtigung der Muskelfasern und bezüglich der
Zahl der zerstörten Fibrillen. Weit über die Hälfte der Gesamtzahl der
Muskelfasern im Vokalis ist stark verschmälert und sehr viele Sarkolemm-
schläuche sind sichtbar, welche in ihrem ganzen Verlaufe gefüllt sind mit
fädigen, detritusähnlichen Massen. Auch teilweiser Schwund des Sarkoplasma
fehlt nicht. Wenn hiernach die genannten Schädigungen im Vokalis stärker
auftreten als im Postikus, so zeigt doch eine Reihe anderer Erscheinungen,
dass die Degeneration im Vokalis später eingesetzt hat. Zunächst betrifft
dies die Form des gewucherten Bindegewebes. Dasselbe erscheint nicht
Grabower, Degeneration funktionell gelähmter Kehlkopfmuskeln usw. 355
wie im Postikus spärlich und zum grossen Teil geschrumpft und sklerosiert,
sondern in lockerem, welligem, sich in grössere Ausdehnung erstreckendem
Gewebe. Ferner sind die Kerne nicht wie im Postikus meist geschrumpft,
sondern zeigen im Muskel sowohl wie im Bindegewebe meist die runde,
gequollene Form. Da aber die beiden letztgenannten Zustände — wie
wir sehen werden — einem viel früheren Degenerationsstadium angehören,
so müssen wir annehmen, dass die Degeneration im Vokalis zwar später
eingesetzt hat als im Postikus, aber alsdann die Muskelfibrillen in ersterem
schneller und eingreifender geschädigt hat. Die Ursache hiervon ist schwer
zu erkennen und dürfte vielleicht begründet sein in einer Verschiedenheit
der Gefässausbreitung in beiden Muskeln und einer hierdurch bedingten
Verschiedenheit des bei Zirkulationsstörungen auftretenden Oedems, von
welchem weiter unten die Rede sein wird. —
Im M. lateralis finden sich dieselben degenerativen Zeichen wie im
Vokalis, nur sind dieselben in weit geringerer Zahl und geringerer Stärke
vorhanden. Die weit überwiegende Zahl der Muskelfasern zeigt keine auf-
fallende Verschmälerung und die Füllung der Sarkolemmschläuche mit
fädigen Massen betrifft weit weniger Fibrillen als dort, und dann auch
selten die ganze Länge der Faser, sondern nur Teile derselben. —
Der M. transversus befindet sich- zum grössten Teil in einem sehr
frühen Stadium der Degeneration. Die Schädigungen und Veränderungen
in ihm können nur als ganz leichte bezeichnet werden. Es besteht eine
Vermehrung des Bindegewebes, dieses ist jedoch fast durchweg ein
lockeres und welliges. Es besteht auch eine Vermehrung der Kerne, die-
selben erscheinen meist kreisrund, und ein beträchtlicher Teil von ihnen
besitzt sogar noch die schmal ovale, zierliche Form normaler Muskelkerne.
Die Verschmälerung der Muskelfasern hat nur einen kleineren Teil der-
selben ergriffen, der bei weitem grösste Teil erscheint von normaler Breite.
Nur wenige Fibrillen zeigen in ihrem Innern einen Schwund ihrer kontrak-
tilen Substanz durch Einlagerung fädiger Massen, fast alle zeigen normale
Zeichnung. Eine nicht ganz kleine Zahl der Fibrillen sieht man strecken-
weise der Tinktionsfähigkeit und des Sarkolemms beraubt, dabei ist aber
die Querzeichnung besonders deutlich ausgesprochen. — Der Gesamt-
eindruck der Transversusfasern ist, dass die kontraktile Substanz in ihm
gut erhalten und voll leistungsfähig sein dürfte, wenn ihr der nervöse
Reiz zugeführt würde.
Ein Ueberblick über die Degenerationen der linksseitigen Muskeln zeigt,
dass die oben geschilderten vier Kategorien von Schädigungen im Postikus
in allen Muskeln sich wiederfinden, nur in sehr verschiedener Stärke. Am
stärksten degeneriert ist der M. vocalis, ihm zunächst der posticus, weniger
der lateralis und am wenigsten der transversus.
Die Muskeln der rechten Seite sind intakt, auch der rechte M. posticus,
von dem oben mitgeteilt wurde, dass er sub finem vitae paretisch gewesen
ist, er weist sowohl im Längsschnitt wie im Querschnitt normale Verhält-
nisse auf.
356 Grabower, Degeneration funktionell gelahmter Kehlkopfmuskeln usw.
Was die Nerven anlangt, so sieht man im linken Rekurrens, und zwar
in dem dem Aneurysma anliegenden Abschnitt desselben, welcher schon
makroskopisch ein verschmächtigtes Aussehen zeigte, einen sehr ausge-
dehnten Schwund der Markscheide und Achsenzylinder. Reichlich 4/5 des
gesamten Nervenquerschnittes ist degeneriert und z. T. durch Bindege-
webe ersetzt, während etwa 1/, noch geschwärzte, wenn auch z. T. ge-
schrumpfte Achsenzylinder sichtbar sind. Wenn auch diese kleine Zahl
nervöser Elemente selbstverständlich zur Erhaltung der Funktion nicht
ausgereicht hat, so ist es doch auffallend, dass in diesem seit 21 Jahren
bestehenden alten Lähmungsfall noch immer ein gewisser Anteil der ner-
vösen Substanz erhalten war, während in meinem oben zitierten Falle von
nur viermonatiger Lebensdauer eine so kolosale Degeneration des Rekurrens
vorhanden war, dass kaum ein gesunder Achsenzylinder im Nervenquer-
schnitt sichtbar gewesen ist. Ich kann diesen Unterschied nur durch die
verschiedene Entstehungsursache der Lähmung erklären. Dort ein Carcinom,
welches den Nerv umwachsen hat. hier ein Aneurysma. Es scheint, dass
die stetig wachsenden Carcinomzellen viel inniger den Nerv umschnüren
und zur Verödung bringen als der immerhin mehr oder weniger elastische
aneurysmatische Sack, welcher vielleicht seine Druckwirkung auf den Nerv
nur intermittierend, jedenfalls allmählicher vollzieht.
Der rechte Rekurrens interessiert uns insofern als in der letzten Lebens-
zeit des Patienten eine rechtsseitige Postikuslähmung aufgetreten war. In
diesem Betracht ist der Befund bemerkenswert. Der Nerv zeigt nämlich eine
partielle totale Degeneration neben einer strichweisen diffusen. Auf gelungenen
Querschnitten sieht man am Rande eine Anzahl völlig zerstörter Mark-
scheiden; es ist der Ort, an welchem der M. posticus im Recurrens nervös
vertreten ist, das sogenannte Postikusbündel des Rekurrens. Ausserdem aber
sieht man zerstreut durch den ganzen Querschnitt strichweise nach ver-
schiedenen Richtungen ziehende Degenerationen einer Anzahl der den übrigen
Kehlkopfmuskeln angehörigen Achsenzylinder. Jedoch ist die weit über-
wiegende Mehrzahl der Achsenzylinder des Querschnittes intakt. Dieser
Befund zeigt, dass ein diffus durch den Rekurrens einsetzender Degenera-
tionsprozess zur selben Zeit sämtliche dem Postikus angehörende Nerven-
elemente zerstört, jedoch in den, den übrigen Muskeln angehörigen nur
partielle Schädigungen verursacht hat, so dass die bei weitem grösste Zahl
der Achsenzylinder dieser übrigen Muskel ungeschädigt blieb. Die Folge
davon war Lähmung des Postikus und normale Beweglichkeit der Adduk-
toren. Ich glaube, dass die Richtigkeit meiner Erklärung der grösseren
Vulnerabilität des Postikus (Rosenbach-Semonsche Gesetz) nicht besser
bewiesen werden kann als durch diesen Befund. Meine Erklärung hat ge-
lautet: Bei Schädigung des Rekurrens werden trotzdem die Schädigung
durch den ganzen Stamm des Nerven diffus und gleichzeitig einsetzt,
zuerst die dem Postikus angehörenden Achsenzylinder in ihrer Totalität
zerstört. Die Ursache ist die von mir festgestellte absolut und relativ weit
Grabower, Degeneration funktionell gelähmter Kehlkopfmuskeln usw. 357
zeringere Zahl der Nervenelemente im Postikus verglichen mit der Zahl
der Nervenelelemente in jedem anderen Kehlkopfmuskel.
Die vorstehenden Mitteilungen würden nichts Anderes als eine Reihe
nebeneinander stehender, aus der Untersuchung sich ergebender Tatsachen
bedeuten und würden für das Verständnis des Degenerationsprozesses wenig
Wert haben, wenn wir nicht versuchten, dieselben je nach ihrer Bedeutung
zu würdigen und jeder Veränderung ihre Stellung im Rahmen der degene-
rativen Vorgänge anzuweisen. Wenn wir aber in dieser Weise den Degene-
rationsvorgang in einem seines Nerven beraubten Muskel verstehen wollen,
so gibt es hierfiir kein anderes Mittel, als aus dem Tierexperiment zu lernen.
Denn nur hier kann der Versuch beliebig unterbrochen und der zeitliche
Ablauf der Veränderungen mit Sicherheit erkannt werden. Von den viel-
fachen Nervendurchschneidungen, welche experimentell am Tiere ausgeführt
worden sind, scheint mir die Versuchsreihe von Ricker und Ellenbeck
weitaus die beste. Denn sie umfasst eine sehr grosse Anzahl von Tieren
und erstreckt sich über einen langen Zeitraum — 125 Tage — und weist
eine durch das Mikroskop gelieferte lückenlose Beweisführung der Muskel-
schädigungen innerhalb kurzer Zeiträume nach. Die Durchschneidungen
erfolgten am M. ischiadicus des Kaninchens und die Ergebnisse wurden
am M. gastrocnemius und soleus geprüft. Ich möchte die wesentlichen
Ergebnisse dieser Versuche hier kurz anführen:
Schon am 10. Tage nach der Neurotomie tritt eine Vermehrung der
Bindegewebs- und Muskelkerne ein, welche sich in unregelmässigen Reihen
von ungleichmässigen Abständen sowie auch in einzelnen Häufchen prä-
sentieren, eine Anordnung wie sie im normalen Muskel nie vorkommt.
Alsdann vollzieht sich eine Formveränderung der Kerne der Art, dass die
sonst ovalen schlanken Kerne durch Quellung eine runde Gestalt annehmen.
Vom 23. Tage ab reissen die Membranen dieser gequollenen Kerne ein,
die letzteren zerfallen in Fragmente und diese sowie die in den Kernen
enthaltenen feinen Chromatinkörnchen zerstreuen sich über die Muskelfasern.
Schon 2 Wochen nach der Neurotomie beginnt die Verschmächtigung der
Muskelfasern, welche sich allmählich durch den ganzen Degenerations-
prozess fortsetzt. Am 25. Tage treten zuerst in wenigen Fasern Unter-
brechungen im Faserverlauf ein, sodass ausser den Kernen nur fädiges und
körniges Material im Sarkolemmschlauch eingeschlossen ist. Die Schädigungen
nehmen sehr langsam zu, sodass am 125. Tage — dem Ende der Ver-
suche — noch zahlreiche normale Muskelfasern vorhanden sind. Inzwischen
sind schon vom 11. Tage ab Lücken und Abblassung im Sarkoplasma auf-
getreten, und vom 28. Tage ab hat ein Teil der Fasern seine Färbbarkeit
(für van Gieson) eingebüsst, ein Vorgang, der sich langsam durch den
Degenerationsprozess hindurchzieht. Fett zeigt sich erst am 20. Tage in
geringer Menge in den Muskel infiltriert, dasselbe erreicht am 33. Tage
sein Maximum, halt sich bis zum 99. Tage und zeigt dann eine starke Ab-
nahme, so dass es am 125. Tage beinahe gänzlich wieder verschwunden ist.
308 Grabower, Degeneration funktionell gelähmter Kehlkopfmuskeln usw.
Vergleichen wir hiermit die Veränderungen, welche beim Menschen
in den beiden Fällen von kurzer und sehr langer Lähmungsdauer beob-
achtet sind, so zeigt sich, dass die Kernvermehrung und ihre Anordnung
in Reihen und Häufchen auch beim Menschen zu den Frühsymptomen der
Degeneration gehört, dass ferner auch die Bindegewebswucherung und die
Rundung der ovalen Kerne Veränderungen der ersten Monate darstellen.
Der Verlust des Sarkoplasma und der Tinktionsfähigkeit, welche nach
viermonatiger Lähmungsdauer eben angedeutet waren, treten in dem
Falle von 21jähriger Lähmungsdauer zwar wesentlich stärker hervor, aber,
absolut betrachtet, nicht gerade besonders stark. Dies ist also bei Mensch
wie Tier ein degenerativer Vorgang, der sehr langsam fortschreitet. Da-
gegen ist in letzterem Falle die Ausfüllung der Sarkolemmschläuche mit
fädiger, strukturloser Masse und geschrumpften Kernen in recht vielen
Fasern des Postikus und noch mehr des Vokalis deutlich ausgesprochen.
Bezüglich der Beschaffenheit des gewucherten Bindegewebes bestehen in
meinem ersten und in diesem Falle von sehr langer Lähmungsdauer deut-
liche Unterschiede: dort ist dasselbe reichlich und locker angeordnet, hier
spärlich und in Form fester sklerotischer Bündel. Die Verschmächtigung
der Muskelfibrillen ist ein Vorgang, welcher auch beim Menschen
schon in den ersten Monaten der Lähmung auftritt und stetig bis in das
späteste Stadium sich fortsetzt. Uebereinstimmend mit dem Tierexperi-
ment endlich ist die Feststellung, dass auch beim Menschen in den
spätesten Stadien der Lähmung neben schweren Veränderungen der Fi-
brillen immer noch eine nicht unbeträchtliche Zahl derselben vorhanden
ist, welche keinerlei Abnormität, auch nicht eine Verschmälerung auf-
weisen, und dass eine grosse Zahl verschmälerter noch eine deutliche
Querstreifung erkennen lässt.
Was das Fett anlangt, so scheint es, wenn es überhaupt bei einfacher
funktioneller Lähmung im menschlichen Muskel vorkommt, wohl in einer
vorgerückteren Periode der Lähmung aufzutreten, jedenfalls später als nach -
viermonatiger Dauer. Denn hier wurde es trotz genauester Untersuchung
nicht angetroffen. Bei dem hier besprochenen alten Lähmungsfall hat sich leider
aus äusseren Gründen die Untersuchung auf Fett nicht ausführen lassen.
Denn das Präparat erhielt ich, nachdem es 23/, Jahre in Kaiserlingscher
Flüssigkeit gelegen hatte. Ich musste dasselbe, um es für die Unter-
suchung brauchbar zu machen, in starken Alkohol legen, und letzterer zieht
das Fett aus. So viel aber muss nachdrücklich betont werden, dass es
bei der rein funktionellen Lähmung eine fettige Entartung nicht gibt,
sondern nur eine Fettinfiltration der Fibrillen und dass das infiltrierte Fett
allmählich wieder aus dem Muskel verschwindet. Dies ist experimentell
und auch durch vielfache zerstreute Mitteilungen aus der menschlichen
Pathologie festgestellt.
Wenn wir nunmehr versuchen, die einzelnen Vorgänge des degenerativen
Prozesses unter einen einheitlichen ätiologischen Gesichtspunkt zu bringen
Grabower, Degeneration funktionell gelabmter Kehlkopfmuskeln usw. 359
und so das Wesen des Gesamtvorganges zu verstehen, so glaube ich, dass
Rickers Anschauung, welche sich eng an die experimentellen Ergebnisse an-
lehnt, wohl auch mutatis mutandis fiir die degenerativen Muskelveränderungen
beim Menschen Anwendung finden darf, zumal, wie sich aus Vorstehendem
ergibt, prinzipiell und auch der Reihe ihres Auftretens nach die Veränderungen
im menschlichen Muskel mit den im tierischen eine gute Uebereinstimmung
zeigen. Schon vor längerer Zeit hat eine Reihe von Autoren, wie Schiff,
Mantegazza. Steinert, Marpurgo u. a., betont, dass als nächste Folge
der Neurotomie eine Hyperaemia neuroparalytica eintritt. Einige haben
auch in Folge der letzteren ein Oedem konstatieren können. Dasselbe
haben Ricker und Ellenbeck bei ihren Versuchen schrittweise verfolgt:
Es tritt nach der Neurotomie sofort eine Erweiterung der Arterien auf. Die
Folge davon ist eine Zirkulationsstörung mit venöser Hyperämie. Hiermit
stimmen die Präparate jener Autoren überein. Sowohl makroskopisch, wie
besonders mikroskopisch konnten sie eine grosse Zahl klaffender Kapillaren
nachweisen. Diese ganz sicher vorhandene venöse Hyperämie bewirkt nun
eine grössere Durchlässigkeit der strotzend gefüllten Kapillaren und ruft
ein Oedem hervor. Dieses Oedem konnte schon am 5. Tage durch einen
ungewöhnlich weiten Abstand zwischen Bindegewebs- und Muskelfasern
nachgewiesen werden. Das Oedem nimmt allmählich ab und war gegen
Ende der Versuche verschwunden. Das Oedem nun liefert die Elemente
für die Neubildung des Bindegewebes und Vermehrung der Kerne und
bringt die Kerne zum Quellen. Letzteres geschieht durch Osmose. Denn
die diinnere Transsudatfliissigkeit des Oedems diffundiert in den Kernleib,
welcher eine stärkere Konzentration gelöster Stoffe enthält. Hierdurch
wird der bisher schmale Kern oval und schliesslich kreisrund. Nach
längerer Zeit treten Veränderungen im Kern auf dadurch, dass die prall
gespannte Membran platzt, die Kerne in Fragmente zerfallen oder schrumpfen,
nachdem sie die in ihnen enthaltenen feinen Chromatinkörnchen auf die
Muskelsubstanz ausgeschüttet haben. Die ersten Degenerationserscheinungen
sind also Bindegewebswucherung, Vermehrung der Kerne, Anhäufung der-
selben in Reihen und Häufchen und Gestaltsveränderungen der Kerne.
Diese proliferativen Vorgänge kommen durch das im Oedem enthaltene
Nährmaterial zustande. Nunmehr setzt in der 3. Woche die Verschmächtigung
der Muskelfibrillen ein, welche sich bis zum Ende des Degenerations-
prozesses fortsetzt, aber selbst dann noch nicht alle Fasern ergriffen hat.
Dieses leitet Ricker davon ab, dass den Muskelfasern durch die Zirkulations-
störung vermindertes Nährmaterial zufliesst, zum Teil auch dadurch, dass
das Sarkoplasma durch den vermehrten Lymphstrom fortgeschwemmt wird.
Im weiteren Verlauf bildet sich eine Verdickung der Kapillarwände aus
durch eine dem Kollagen ähnliche Substanz. Die Kapillaren werden hier-
durch undurchlässig. Das Oedem, der Nährboden für die produktiven
Veränderungen, versiegt und nunmehr treten die regressiven Veränderungen
auf: die Bindegewebswucherung und Kernvermehrung hören auf, das vor-
360 Grabower, Degeneration funktionell gelähmter Kehlkopfmuskeln usw.
handene Bindegewebe schrumpft und sklerosiert, die Kerne schrumpfen,
die Muskelsubstanz zerfällt in amorphe Schollen und die Atrophie wird
komplett.
Wenn auch diese Vorgänge sich nicht ohne Weiteres auf den Menschen
übertragen lassen und vor allem das Tempo derselben beim Menschen ein
viel langsameres ist, so muss doch anerkannt werden, dass im Prinzip der
Degenerationsvorgang denselben ursächlichen Zusammenhang haben muss.
Denn auch beim Menschen besteht der Gesamtprozess aus zwei Gruppen
von Erscheinungen: aus proliferativen und regressiven. Woher anders sollten
die ersteren — die Bindegewebs- und Kernvermehrung sowie die Gestalts-
veränderung oder Kerne — ihr Nährmaterial beziehen als aus dem Blute
und auch die letzteren können doch nur im Wesentlichen auf Entziehung
dieses Nährmaterials beruhen. Dass der Prozess im menschlichen Muskel
ein viel langsamerer sein muss, ist durch die Art der Schädigung bedingt;
es sind Druckwirkungen, welche im Gegensatz zur Durchtrennung des
Nerven diesen mehr allmählich schädigen. Von den beim Menschen zu-
gleich mit dem Rekurrens geschädigten Gefässnerven kommen vorzugsweise
diejenigen in Betracht, welche von dem oberen Halsganglion des Sympathikus
auf dem Wege der Ansa Galeni dem Rekurrens zugeführt werden. Wie
unsere beiden Beobachtungen am Menschen zeigen, gehören auch hier die
Bindegewebs- und Kernvermehrung sowie deren Anordnung und Rundung
zu den primären Veränderungen und können kaum anders denn als Folge
eines Oedems aufgefasst werden. Auch die allmählich fortschreitende Ver-
schmälerung der Muskelfasern tritt früh auf und lässt sich bis in die
spätesten Stadien verfolgen. Dieser Vorgang lässt sich sehr ungezwungen,
abgesehen von der durch die Zirkulationsstörung bedingten geringeren Er-
nährung des Muskels, auch dadurch erklären, dass die Oedemflüssigkeit
das Sarkoplasma und andere den Muskel ernährende Eiweissstoffe hinweg-
schwemmt. Die Abnahme der Muskelkerne und ihre Schrumpfung, wie sie
sich im Postikus unseres vorgeschrittenen Falles zeigten, deuten an, dass
das Oedem im Schwinden ist. Nach Versiegen des Oedems treten die
regressiven Veränderungen auf, welche bestehen im Verlust des Sarkoplasma
und der Tinktionsfähigkeit sowie in der Durchsetzung der Sarkolemmschläuche
mit fädigen amorphen Massen, welche zum Schwund der kontraktilen Sub-
stanz führt.
Zum Schluss einige Worte über die viel ventilierte Frage, ob die
fehlende Muskelkontraktion von Einfluss auf die Degeneration funktionell
untätiger Muskeln ist. Die Mehrzahl der Autoren verneint dies aus Mangel
an Beweisen. Ricker geht sogar so weit, die Annahme einer Atrophie
durch Inaktivität für ganz unverständlich zu halten. Dem gegenüber
möchte ich einige Ergebnisse meiner Untersuchung wenigstens ins Gesichts-
feld rücken. Ich will kein sehr grosses Gewicht legen auf die Befunde,
wonach in dem um den Processus muscularis hefum gelegenen Anteil des
Postikus normale Fibrillen in grösserer Zahl vorhanden sind, auch nicht
Grabower, Degeneration funktionell gelähmter Kehlkopfmuskeln usw. 361
auf die oben mitgeteilten sehr geringen Schädigungen im Transversus. Man
könnte nämlich diese Zustände dahin auffassen, dass der Postikus an der
bezeichneten Stelle seiner Unterlage lockerer aufliegt und hierdurch mehr
Bewegungsfreiheit hat und andererseits der Transversus mit seinen seitlichen
Ansätzen ganz unmittelbar an die Pharynxmuskeln grenzt und die häufigen
Kontraktionen der letzteren Zerrungen und Bewegungen in den beiden ge-
nannten Nachbarmuskeln hervorrufe und sie dadurch vor Atrophie schütze.
Ich will, wie gesagt, auf diese Deutung kein besonders grosses Gewicht
legen, weil man die relative Unversehrtheit jenes Postikusabschnittes und
des M. transversus wohl auch anders erklären könnte z. B. durch bessere
Zirkulationsverhältnisse in ihnen. Aber einen Befund im M. thyreo-cricoi-
deus darf ich nicht unerwähnt lassen, weil er m. E. einen gewissen Anteil
der Kontraktionen zu beweisen scheint. Ich hatte ursprünglich angenommen,
dass dieser Muskel völlig normal sei, da ja sein Nerv, der Lar. super., keinerlei
Schädigung durch das Aneurysma erlitten hatte und intakt war. Bei der
Untersuchung fand ich jedoch in einer nicht geringen Zahl von Muskelfasern
deutlich ausgesprochene degenerative Veränderungen, und zwar streckenweise
Verlust der Färbbarkeit und besonders Schwund der kontraktilen Substanz
durch Einlagerung fädiger amorpher Massen in die Sarkolemmschläuche. Dies
kann nicht anders gedeutet werden als durch die physiologische Stellung
des Thyreocricoideus. Wie wir wissen, ist dieser nur ein Hilfsmuskel des
Vokalis. Hört die Funktion des letzteren auf, dann erlahmt auch jener
sehr bald. Diese Tatsache habe ich durch zahlreiche Tierexperimente
sowie auch durch drei publizierte Beobachtungen am Menschen, bei denen
versehentlich anlässlich der Thyreodektomie der rechte Rekurrens durch-
schnitten worden war, nachgewiesen. Ich mache hierbei darauf aufmerksam,
dass, wer nach der Rekurrensdurchschneidung die einzelnen Veränderungen
im Spiele der Stimmlippen — zunächst die Erweiterung bis zur sogen.
Kadaverstellung, alsdann die Annäherung der Stimmlippe zur Mittellinie und
nach einiger Zeit die äusserste Abduktionsstellung der völlig entspannten
Stimmlippe — verfolgen will vom Tage der Operation ab, mindestens
zweimal täglich den Larynx besichtigen muss und dass es nicht genügt,
zu irgend einer beliebigen Zeit einmal in den Larynx zu sehen. In unserem
Falle also ist der Thyreocricoideus. trotzdem sein Nerv unbeschädigt war,
lediglich deshalb teilweise atrophiert, weil er durch Lahmlegung seines
Synergisten seine eigene Funktion aufgegeben hat. Die atrophischen Ver-
änderungen in ihm sind auch rein regressiver Art, nicht proliferativer, wie
sie den obigen Ausführungen gemäss nach Schädigung des Nerven auf-
treten; es bestand keine Bindegewebs- und Kernvermehrung und keine
Gestaltsveränderung der Kerne in oben besprochenem Sinne. Wir haben
es hier also nachgewiesenermassen mit einer reinen, durch Kontraktions-
mangel bedingten Gewebsschädigung des Muskels zu tun.
Ich möchte mich demnach dahin resolvieren, dass zwar die bei weitem
bedeutendste Ursache für die Muskeldegeneration funktionell gelähmter
362 Grabower, Degeneration funktionell gelähmter Kehlkopfmuskeln usw.
Muskeln durch die oben ausführlich dargelegten Zirkulationsstörungen
bedingt wird, dass aber ein gewisser Anteil hieran auch dem Ausbleiben
der Kontraktionen zukommt.
Erklärung der Figuren auf Tafel VI.
Figur 1. M. vocalis. Viel Gewebe, zum Teil blasse Kerne, fädige Massen, erhaltene
Querstreifung. Leitz Oc. 3, Obj. 6.
Figur 2. Fast normale Muskelfasern. Leitz Oc. 3, Obj. 6.
Figur 3. M. transversus. Normale Muskelfasern. Leitz Oc. 3, Obj. 6.
Figur 4. M. posticus. Verschmälerte Fasern mit nur teilweiser Querstreifung,
blasse degenerierte Kerne, Reihen von Kernen, viel Bindegewebe. Leitz
Oc. 3, Obj. 3.
Archiv f.baryngologie.28.bd. Lal ll
F Helbig ges
XXXII.
Die perkanalikuläre Tränensackdurchstechung als
Einleitung zur intranasalen Tränensackeröffnung
und als selbständige Operation.')
Von
Dr. med. Borys Choronshitzky sen. (Warschau).
(Mit 10 Textfiguren.)
Die Chirurgie der Tränenwege hat in den letzten paar Jahren einen
grossen Schritt vorwärts getan. Seitdem das Interesse der Rhinologen für
dieses Gebiet erweckt wurde, sind neue Gesichtspunkte ans Licht getreten,
deren Befolgung für das Gelingen verschiedener chirurgischer Eingriffe an
den Tränenwegen von Bedeutung ist. Der Totischen Dakryocystorhino-
stomie droht jetzt die Gefahr, von der viel einfacheren intranasalen Tränen-
sackeröffnung verdrängt zu werden. Aber auch auf dem Gebiet der intra-
nasalen Tränensackchirurgie ist das letzte Wort noch lange nicht gesagt
worden. Wir übergehen den allerdings sehr milden Prioritätsstreit zwischen
Polyák und West und wollen hier nur die von uns gesammelten Erfahrungen
über den in Frage stehenden Gegenstand mitteilen.
Wenn man die anatomischen Verhältnisse des uns interessierenden
Gebietes in Betracht zieht, so sieht man, dass das knöcherne Gerüst der
Tränenwege einen annähernd in der Mitte sanduhrförmig eingeschnürten
Kanal darstellt. Der obere Teil dieses Kanals ist die lateralwärts offene
Fossa lacrymalis, der untere Teil ist der am unteren inneren Orbitalrande
beginnende trichterförmige knöcherne Ductus nasolacrymalis. Wird die
untere Muschel vom Oberkieferbein (Fig. 1) entfernt, so sieht man auf
letzterem den sogen. Sulcus lacrymalis, der durch Anlegen des Processus
lacrymalis der unteren Muschel eben zum trichterförmigen Ductus naso-
lacrymalis vervollständigt wird. Der Processus lacrymalis der unteren
Muschel reicht fast bis zur Einschnürungsstelle des Tränenkanals, wie man
auf Fig. 2 sieht. Weiter oben wird der Tränenkanal intranasal teilweise
durch das zarte Os lacrymale, teilweise durch den ausgeschweiften Rand
1) Vorgetragen am 31. Januar 1914 in der Warschauer ophthalmologischen
Gesellschaft, mit Demonstration von 5 geheilten Fällen (nach intranasaler Tränen-
sackeröffnung).
364 B. Choronshitzky, Die perkanalikuläre Tränensackdurchstechung usw.
des derben Stirnfortsatzes des Öberkiefers begrenzt. Die von aussen sicht-
bare Tränengrube besitzt daher in der Mitte eine mehr weniger vertikal
verlaufende Naht (Fig. 3, Sutura), die den starken vorderen vom zarten
hinteren Teil der Grubenwand trennt. Der häutige Tränenschlauch (Fig. 4)
füllt den beschriebenen knöchernen Kanal nicht vollständig aus. Er ist
vielmehr in letzterem suspendiert und zwar so, dass seine obere Hälfte,
der Tränensack, die Fossa lacrymalis ausfüllt, während seine untere Hälfte,
der häutige Tränennasengang, im knöchernen Trichter herunterhängt und
Figur 1.
Oberkieferbein (nach Ifajek). Man sieht den Sulcus lacrymalis, der durch Anlegen
des Processus lacrymalis der unteren Muschel zum trichterférmigen Canalis naso-
lacrymalis vervollstandigt wird.
1 Sinus maxillaris: 2 Sulcus Jacrymalis; 3 Processus frontalis.
vermittels zarten Bindegewebes allseitig locker befestigt ist. In der Tränen-
grube ist die Befestigung des Tränensacks eine innigere, besonders am
Boden derselben, während an der Aussenseite, d. h. zwischen Tränensack
und Fascia lacrymalis (= Operculum fossae lacrymalis), ein ansehnliches
Quantum lockeren Bindegewebes vorhanden ist. Der ganze häutige Tränen-
schlauch, von der Kuppel des Sackes bis zum Ostium lacrymale im unteren
Nasengang, ist ungefähr 25—30 mm lang und in der Mitte, d. h. am
Uebergang des Sackes in den Gang, schmäler als oben und unten (kaum
B. Choronshitzky, Die perkanalikuläre Tränensackdurchstechung usw. 365
3 mm breit!). Diese Uebergangsstelle (Isthmus) entspricht auch mehr
weniger der engsten Stelle des knöchernen Kanals, d. h. der Stelle, wo
die Fossa laerymalis in den knöchernen Ductus nasolacrymalis übergeht.
Auf Fig. 2 sieht man diese Stelle: sie befindet sich ungefähr dort, wo der
Processus lacrymalis der unteren Muschel aufhört und das Os lacrymale
beginnt. Bei normal entwickelter mittlerer Muschel ist vom mittleren
Nasengang aus ein ansehnliches Stück des Tränenbeins dem Auge zugäng-
lich (auf Fig. 2 ganz weiss gelassen). Im oberen Teil ist das Tränenbein
zwar vom Ansatz des Processus uncinatus überdeckt, wodurch die Gruben-
Figur 2.
1 9
~
e o
gr
6
Oberkieferbein mit aufgelagertem Siebbein und unterer Muschel (nach Hajek, ein
wenig verkleinert). Der obere Abschnitt des Tränenbeins ist durch Auflagerung
des vorderen Ansatzes der mittleren Muschel und des Processus uncinatus verdickt.
Der Uebergang vom Os lacrymale zum Processus lacrymalis der unteren Muschel
entspricht dem oberen Teil des Canalis naso-lacrymalis.
1 Bulla; 2 Processus uneinatus; 3 Processus frontalis; 4 Os lacrymale; 5 Processus
lacrym. conch. inferioris; 6 untere Grenze der unteren Muschel; 7 untere Grenze
der mittleren Muschel.
wand hier stark verdickt ist; bei normalen Verhältnissen jedoch ist der
unbedeckte Teil des Tränenbeins gross genug, um leichten Zutritt zum
Tränensack von der Nase aus zu gestatten. Diese Stelle ist gewöhnlich
ein wenig hervorgewölbt und fällt dem Auge leicht auf (Fig. 5, innerer
oder oberer Lakrymalwulst —= Torus lacrymalis internus s. superior; vgl.
Archiv für Laryngologie. Bd. 27. S. 508; zum Unterschied vom äusseren
und unteren Lakrymalwulst, der in die Kieferhöhle hineinragt; vgl. Zucker-
kandl, Atlas der topographischen Anatomie des Menschen, Kopf und Hals,
S. 121), besonders wenn im vorderen Teil des mittleren Nasenganges keine
366 B. Choronshitzky, Die perkanalikuläre Tränensackdurchstechung usw.
pathologischen Prozesse stattgefunden haben. In solchen Fällen ist die
Eröffnung des Tränensacks vom mittleren Nasengang aus sehr leicht. Man
legt den gebogenen Hohlmeissel ein wenig (etwa 2—3 mm) vor der Hervor-
wölbung an und sucht mit einem kräftigen Hammerschlag den hinteren
ausgeschweiften Rand des Processus frontalis des Oberkiefers und einen
Teil des Tränenbeins abzuschlagen. Oft fällt das abgeschlagene Stück von
selbst ab und bleibt an einem schmalen Streifen der Schleimhaut hängen.
Man entfernt es dann am besten mit einer schlanken bajonettförmigen
Nasenpinzette. Manchmal bleibt aber das abgeschlagene Stück an seiner
Stelle liegen und die durch den Schlag entstandene Knochenspalte ist dem
Figur 3.
N mm
\
5 4
Nach Zuckerkandl (ein wenig verkleinert). Am Boden der Tränengrube ist die
Naht zwischen Tränenbein und Processus frontalis des Oberkiefers sichtbar.
1 Sutura; 2 Crista lacrymalis anterior; 3 Saccus lacrymalis; 4 Crista lacrymalis
posterior; 5 Os lacrymale.
Auge nicht zugiinglich, besonders bei eng gebauten Nasen. Das wieder-
holte Draufschlagen verbessert oft die Situation nicht: Das abgespaltene
Knochenstiick springt nach dem Entfernen des Meissels in seine urspriing-
liche Lage zurück. Man kann dann mit einem kleinen scharfen Häkchen
(Fig. 6, a und b) den Knochensplitter abzuheben versuchen. Gelingt das
nicht, so tut man am besten, wenn man durch das untere Tränenkanälchen
eine Sonde in den Sack einführt und von aussen den Knochensplitter ab-
hebt. Man übergibt dann die Sonde dem Assistenten und lässt auf die-
selbe einen Druck ausüben. Der Knochensplitter wird auf solche Weise
abgehoben und der Operateur kann ihn mit einem starken Zängchen ab-
brechen oder abreissen. Wenn man vorsichtig die Sonde andrückt, so
B. Choronshitzky, Die perkanalikuläre Tränensackdurchstechung usw. 367
reisst der Tränensack gewöhnlich nicht ein. Zur Resektion der Tränen-
sackwand ist das Einführen einer Sonde von oben ebenfalls von Vorteil:
Man wölbt mit dem Sondenknopf die Sackwand hervor, greift sie mit dem
scharfen Häkchen und schneidet sie mit einem schlanken Messer oder einer
Nasenschere ab. Je weniger bei dieser Operation gerissen und gezerrt
wird, je glatter die Wunde ist, desto besser und schneller ist der Erfolg.
Man soll immer bemüht sein, vor dem Ansetzen des Meissels ein Schleim-
hautperiostfenster anzulegen und den Schleimhautperiostlappen abzutragen.
So leicht gelingt die Operation nur dann, wenn im vorderen Teil des
mittleren Nasenganges normale anatomische Verhältnisse vorhanden sind.
Sehr oft finden wir aber hier Veränderungen, die die Operation ungemein
schwierig gestalten können. Zu den häufigsten Komplikationen gehört die
Vergrösserung des vorderen Endes der mittleren Muschel, welche ver-
schiedene Grade erreichen kann, von einer kleinen Verdickung bis zur
riesigen blasigen Aufschwellung der ganzen Muschel. In solchen Fällen
muss das Hindernis aus dem Wege geschafft werden, und zwar am besten
mit der kalten Schlinge, wobei man bestrebt sein muss, die ganze
Knochenblase mit einem Schlage abzutragen. Die partielle Amputation
solch einer Riesenblase kann unangenehme Folgen nach sich ziehen, weil
danach keine glatte Vernarbung stattfinden kann. Aus der Innenwand
einer teilweise abgetragenen Knochenblase wachsen ungemein rasch
Schleimpolypen aus und um die scharfen Wandränder bilden sich nicht
selten Granulationen, besonders bei Vorhandensein eines Empyems einer
Nebenhöhle, einer Siebbeinzelle oder sogar der eröffneten Muschelblase.
Eine zweite, nicht seltene Komplikation stellt die starke Entwicklung der
vorderen Processus uncinatus-Zellen dar, die entweder von einem Empyem
abhängig oder mit einer chronischen Verdickung der knöchernen Tränen-
sackwand verbunden ist. In letzteren Fällen kann die intranasale Tränen-
sackeröffnung mit einem einzigen Meisselschlag nicht ausgeführt werden.
Aber auch wiederholte Schläge führen gewöhnlich nicht zum Ziel, da
man keine sicheren topographischen Anhaltspunkte hat und man sich sehr
schwer orientieren kann, besonders bei eng gebauten Nasen. In solchen
schwierigen Fällen pflege ich gewöhnlich einen Kunstgriff anzuwenden,
der die Operation ungemein erleichtert und den ich meinen Kollegen
wärmstens empfehlen möchte. Dieser Kunstgriff, den ich mit dem Namen
„perkanalikuläre Tränensackdurchstechung“ bezeichnen möchte,
besteht in folgendem:
In das untere Tränenkanälchen, ohne dasselbe aufzuschlitzen, wird
eine schlanke, aber kräftige stachelförmige Sonde eingeführt (Fig. 7). Die
Spitze des Instruments ist im stumpfen Konus abgeschliffen und besitzt im
Durchmesser kaum ?/ mm. Ganz allmählich geht diese Spitze in den
kräftigen Handgriff über. Man kann sich sehr leicht solch einen Stachel
aus einem zahnärztlichen Instrument herstellen, indem man das haken-
förmige Ende abbricht und die nachgebliebene Spitze entsprechend her-
richtet. Der Stachel lässt sich selbst in das engste Punctum lacrymale
Archiv für Laryngologie. 28. Bd. 3. Heft. 25
368 B. Choronshitzky, Die perkanalikuläre Tränensackdurchstechung usw.
einführen. Erleichtert wird diese Einführung in der Weise, dass man den
Tränenpunkt mit 10—15 proz. Kokainlösung betupft. Nun kommt es
darauf an, den Stachel in den Tränensack einzuschieben und die Gruben-
wand zu durchstechen, wie es Fig. 5 zeigt. Bei unempfindlichen Patienten
Figur 4.
= = ant
A I 9: AVY
"
A
Nach Rauber. Der Pfeil zeigt die Richtung des Stachels bei der
Tränensackdurchstechung.
3 r
Figur 5.
Nach Zuekerkandl (ein wenig verkleinert). Tränensackdurchstechung.
Das Stachelende dicht am vorderen Ende der mittleren Muschel.
1 Torus lacrymalis internus s. superior.
kann man es sogar ohne örtliche Anästhesie ausführen. Sonst wird zuerst
von der Nase aus unter das Periost des Torus lacrymalis internus
s. superior eine 1 proz. Novokainlésung mit Hinzugabe von Adrenalin
injiziert. Man kann auch gleichzeitig durch das Punctum lacrymale mit
B. Choronshitzky, Die perkanalikuläre Tränensaokdurchstechung usw. 369
einer stumpf abgeschliffenen Nadel einer Pravazspritze dieselbe Lösung
einführen, wobei man die Nadel in die Innenwand des Sackes einzu-
stechen sucht. Die auf solche Weise unempfindlich gemachte Grubenwand
lässt sich dann schmerzlos durchstechen. Es ist klar, dass man bemüht
sein muss, nicht auf den derben Rand des Stirnfortsatzes, sondern auf das
Tränenbein anzudrücken, und zwar auf den unteren Teil desselben, in den
Grenzen des auf Fig. 2 gezeichneten weissen Feldes. Man darf also das
Stachelende nicht nach vorn richten, sondern man hält das Instrument in
Figur 6.
a und b: Scharfe Häkchen (ein wenig verkleinert).
einer Frontalebene und sticht nach unten und innen ein, in der Richtung
des Pfeiles auf Fig. 4, d. h. in einem Winkel von etwa 30—40° zur
Horizontalebene. Richtet man das Stachelende nach hinten, so kann man
nach dem Durchstechen des Tränenbeins auf das Vorderende der mittleren
Muschel treffen, was schliesslich auch kein Unglück ist. Die geübte
Hand fühlt sofort heraus, ob man das Muschelende oder das Septum an-
gestochen hat. Das erstere lässt sich gewöhnlich mehr verdrängen als das
letztere. Ausserdem ist die Entfernung der beiden vom Tränenbein eine
ganz andere, wenigstens dort, wo das Septum nicht stark nach der zu
operierenden Seite verbogen ist.
Der Stachel zur Tränensackdurchstechung (3/, normaler Grösse).
Das Durchbohren des Tränenbeins gelingt gewöhnlich leicht, aber
nicht immer so spielend leicht, wie man sich das theoretisch vorstellen
könnte. Am getrockneten Schädel ist das Tränenbein wirklich papierdünn
und besitzt im unteren Teile der Tränengrube nicht selten Dehiscenzen,
doch haben wir in unseren Fällen oft mit chronisch verdickten Tränen-
beinen zu tun, die sich nicht so leicht durchstechen lassen, wie sich das
Bruno Cohn (Archiv f. Laryngol. Bd. 26. S. 523) vorstellt, der mit
einem stumpfen Häkchen von der Nase aus „durch das dünne Tränenbein
25°
370 B. Choronshitzky, Die perkanalikulare Triinensackdurchstechung usw.
einbrechen“ will. Es ist klar, dass man von aussen, den Stachelgriff in
voller Faust haltend und mehr weniger senkrecht auf die Grubenwand
aufdriickend, eine unvergleichlich stärkere Kraft ausüben kann, als wenn
man mit einem durch das Nasenloch eingeführten Häkchen tangential
draufdriickte. Ich halte daher den Vorschlag von Bruno Cohn für
praktisch unausführbar, und wenn er behauptet, dass man sogar „unter
Leitung des Gefühls mit Sicherheit den Einbruch ins Tränenbein* vom
Nasenloch aus durchführen könnte (d. h. ohne Kontrolle des Auges!), so
glaube ich, auf solche Weise in 99 Fällen von 100 eher ein künstliches
Ostium accessorium im Hiatus semilunaris anlegen als das von Cohn
beabsichtigte Ziel erreichen zu können.
Der zur Tränensackdurchstechung gebrauchte Stachel muss schlank
genug sein, damit das Tränenkanälchen im Moment des Durchstechens
nicht einreisst. Der dabei anzuwendende Druck muss mässig sein und der
Stachel darf nicht allzu heftig in die Nase eingejagt werden. Der Zeige-
finger kann bei dieser Manipulation auf den Nasenrücken gestützt werden,
um einem zu schnellen Eindringen des Stachels in die Nase vorzubeugen.
Ist das Tränenbein durchstochen, so sieht man beim Rhinoskopieren
das Stachelende dicht am vorderen Ende der mittleren Muschel (Fig. 5).
Dadurch ist das Operationsfeld festgestellt. Der gebogene Hohlmeissel
wird 5—6 mm vor der Stichöffnung angelegt. Vor dem Anschlagen mit
denn Hammer wird der Stachel vom Assistenten zurückgezogen, damit der
Meissel nicht auf ihn trifft. Man muss immer bemüht sein, dass man die
Grubenwand mehr oberhalb als unterhalb der Stichöffnung aufmeisselt, und
dass vom hinteren Rand des Stirnfortsatzes genügend viel abgetragen wird.
Wenn man nach den oben angegebenen Regeln einsticht, so trifft der
Stachel das Tränenbein ganz nahe der Kante des Stirnfortsatzes oder sogar
in der Naht, die zwischen Tränenbein und Stirnfortsatz sich befindet
(Fig. 3, Sutura). Der 5—6 mm vor der Stichöffnung angelegte Meissel
schlägt daher gewöhnlich das entsprechende Stück vom Stimnfortsatz ab.
Davon überzeugt man sich am besten, wenn man abermals den Stachel
oder eine kleine geknöpfte Sonde von oben (d. h. durch das Tränen-
kanälchen) einführt und die ausgemeisselte Oeffnung abtastet. Findet man,
dass noch viel vom hinteren Rand des Stirnfortsatzes nachgeblieben ist, so
wird ein wenig nachgemeisselt. Mit dem Sondenknopf wird nun der
Tränensack in die Nasenhöhle hineingestülpt und in der oben geschilderten
Weise reseziert. Die vorangegangene Durchstechung erschwert die Hinein-
stülpung des Sackes gewöhnlich nicht. — |
Die Tränensackdurchstechung ist für den Erfolg der Operation von
grösster Bedeutung, und zwar durch das genaue Bestimmen des Operations-
feldes. Man vermeidet dadurch ein überflüssiges Abtragen von Knochen-
teilen und kürzt die Operationsdauer ungemein ab. Aus demselben Grunde
ist beim Abtragen des Knochensplitters und bei der Resektion des Sackes
die Einführung einer Sonde von oben von Nutzen, und es ist wirklich
unverständlich, warum Polyák (Arch. f. Laryngol. Bd. 27. S. 498 unten)
B. Choronshitzky, Die perkanalikuläre Tränensackdurchstechung usw. 371
den besonderen Vorzug seiner Methode in dem Weglassen der Sonde sicht.
Besonders wichtig für das Gelingen der Operation ist es, dass man beim
Abtragen des Knochens nicht zu weit nach oben find nach hinten geht,
damit man nicht unnötiger Weise in das Gebiet der Processus uncinatus-
Zellen gerät und somit eine zu dicke Fensterwand erhält, wodurch ge-
wissermassen ein tiefer Knochenkanal geschaffen werden könnte, der die
glatte Vernarbung vereiteln würde. Bei eng gebauter Nase und wenig
ausgeprägtem Torus lacrymalis (internus s. superior) lässt sich ohne Tränen-
sackdurchstechung kaum operieren. Um in solchen Fällen bessere Ueber-
sicht des Operationsfeldes zu haben, pflege ich das Hefermansche Spe-
kulum zu gebrauchen (Fig. 8), wobei der hinter dem Patienten stehende
Assistent die freie Drahtspitze an die Oberlippe andrückt, wodurch das
knorpelige Septum auf die andere Seite hinübergebogen wird. Derselbe
Assistent kann nötigenfalls die von oben eingeführte Sonde halten und
andrücken.
Hefermansches Nasenspekulum.
Die Tränensackdurchstechung ist vollständig gefahrlos und schliesst
jegliche ernste Nebenverletzung aus. Das Anstechen des vorderen Endes
der mittleren Muschel ist bedeutungslos und kann gewissermassen als In-
dikation zur Amputation dieses Endes dienen. Das in der Nase sichtbare
Stachelende fixiert die Aufmerksamkeit des Öperateurs an das Operations-
feld und schützt vor Irrtümern.
Wir kommen nun zu der Frage, ob die Tränensackdurchstechung nicht
als selbständige Operation angewandt werden könnte. Einige Beob-
achtungen aus meiner Praxis scheinen diese Frage bejahend zu beantworten.
Ein Fall von Dacryocystitis suppurativa chronica, dem der Durchbruch
nach aussen schon drohte, wurde nach Tränensackdurchstechung und
wiederholter Sondierung (vom Tränenpunkt aus durch die Stichöffnung) als
fast geheilt entlassen, selbstverständlich mit Hinterlassung einer Dauerfistel
im vorderen Teil des mittleren Nasenganges. Ein zweiter Fall von Dacryo-
cystitis suppurativa chronica, der jahrelang ohne Erfolg sondiert wurde,
hat sich bedeutend gebessert, nachdem die Tränensackdurchstechung aus-
geführt und nachträglich im Laufe von 7 Tagen ein doppelter Seidenfaden
im geschaffenen Kanal (Tränenpunkt—Stichöffnung) getragen wurde. In
einem dritten Fall von Dacryocystitis suppurativa chronica exacerbata, dem
ebenfalls der Durchbruch nach aussen drolite, trat ganz unverhofft eine
312 B. Choronshitzky, Die perkanalikuläre Tränensackdurchstechung usw.
bedeutende Besserung ein und der Eiter begann vom Nasenloch auszu-
fliessen. Die Rhinoskopie ergab, dass am Torus lacrymalis (internus s.
superior) eine Eiterfistel vorhanden, und dass die von oben eingeführte
Sonde leicht durch diese Fistelöffnung in die Nasenhöhle gleitet. Die
Stelle dieser Oeffnung entsprach unserer Durchstichöffnung. Diese Stelle
scheint also der Locus minoris resistentiae zu sein. Sie befindet sich
oberhalb der engsten Stelle im Tränenkanal, d. h. oberhalb der Stelle, wo
am häufigsten Stenosen vorkommen (Isthmus). Unsere Durchstichöffnung
am Torus lacrymalis internus scheint also die geeignetste Stelle zur Ent-
lastung des Tränensacks zu sein. Letztere Behauptung wird noch durch
folgenden (vierten) Fall bestätigt. Bei einer Patientin mit Dacryocystitis
suppurativa chronica wurde eine sehr grosse mittlere Muschel und Eiter
im vorderen Teil des mittleren Nasenganges festgestellt. Nach Abtragung
der mittleren Muschel fand ich in letzterer eine riesige Zelle voll Eiter
und Polypen. Der Torus lacrymalis war an einer winzigen Stelle offen,
der Tränensack aber unverletzt. Letzterer wurde durchstochen. Es trat
bedeutende Besserung ein, wonach Patientin sich der weiteren Beobachtung
entzog.
Die angeführten Fälle, von denen in der Sitzung keiner vorgestellt
werden konnte, bestärkten mich in dem Gedanken, die Tränensackdurch-
stechung zur selbständigen Operation auszuarbeiten. Die Beobachtung von
Fällen mit ganz kleinen kaum sichtbaren äusseren Tränenfisteln lehrt, dass
eine ähnliche kleine Fistel am Torus lacrymalis internus für den Patienten
in jedem Falle viel vorteilhafter wäre. Und da man solch eine kleine
Fistel mit Hilfe meiner ganz leichten Tränensackdurchstechung anlegen
kann, so steht nichts im Wege, in geeigneten Fällen diese Operation aus-
zuführen. Man kann sie ausführen, ohne rhinoskopieren zu können, d.h.
blindlings, und nachträglich einige Zeit von oben, d. h. durch den Tränen-
punkt, die Stichöffnung sondieren. Die sonst schwierige Kostersche per-
manente Drainage kann in geeigneten Fällen meiner Durchstechung ange-
schlossen werden, und zwar aus dem Grunde, weil man doch einen kurzen
Kanal eher mit Erfolg drainieren kann als einen langen. In den wenigen
Fällen, wo ich das getan habe, wurde die Drainage in folgender Weise
hergestellt: Es wurde ein doppelter Seidenfaden in eine gewöhnliche Näh-
nadel eingefädelt. Die Spitze der Nadel wurde in eine Arterienklemme
so eingeklemmt, dass die Nadel gewissermassen die Verlängerung der
Klemme darstellte (Fig. 9). Die Nadel wurde dann, die Oese voran, durch
das Punctum lacrymale eingeführt und durch die Stichöffnung in den mitt-
leren Nasengang hinausgeschoben. Der Faden wurde mit dem durch das
Nasenloch eingeführten Häkchen herausgeholt, die Nadel durch den Tränen-
punkt zurückgezogen und beide Fadenenden an der Wange geknotet.
Da die Tränensackdurchstechung ohne spezielle rhinoskopische Kennt-
nisse ausgeführt werden kann, so könnte auch die Dauerdrainage vom
Augenarzt hergestellt werden, wenn man blindlings den Faden aus der
Nase herausholen könnte. In dieser Frage wandte ich mich an meinen
B. Choronshitzky, Die perkanalikuläre Tränensackdurchstechung usw. 378
Kollegen, den Okulisten Dr. L. Endelmann, dem ich auch die meisten
Patienten mit Dakryostenose verdanke. Er machte mir den Vorschlag,
gleich nach der Durchstechung an Stelle des Stachels eine dünne Hohl-
sonde (Fig. 10) einzuführen und durch dieselbe Katgut in die Nase einzu-
schieben, was uns auch glänzend gelang: die Patienten schnaubten nach
einigen Minuten das Katgutende aus der Nase heraus. Auf solche Weise
konnte ein an das Katgut angebundener doppelter Seidenfaden durch das
Figur 9.
Arterienklemme mit Nadel und Faden, zur Dauerdrainage des Tränensacks
nach der Durchstechung des letzteren.
Tränenkanälchen, durch die Stichöffnung und durch das Nasenloch durch-
gezogen und an der Wange geknotet werden. Durch den Vorschlag von
Dr. Endelmann wurde also die von mir angegebene und ausprobierte
Dauerdrainage des Stichkanals zur augenärztlichen Operation gestempelt.
Dr. Endelmann ist augenblicklich mit der Konstruktion eines kleinen
Trepans beschäftigt, mit dem man meine Tränensackdurchstechung aus-
führen und gleichzeitig eine etwas grössere Oeffnung in der Grubenwand
Figur 10.
Hohlsonde für denselben Zweck.
erhalten könnte. Er glaubt auf solche Weise eher eine Daueröffnung an-
legen zu können. Die permanente Drainage durch solch eine Daueröffnung
wäre auch wirksamer als durch eine kleine Stichöffnung. Diese Idee ist
nicht neu. In der Geschichte der Augenheilkunde finden wir Angaben von
älteren Aerzten über ähnliche Operationen mit nachfolgendem Durchziehen
von Fäden, Pferdehaaren usw. Alle diese Operationen haben sich jedoch
nicht bewährt und „im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts befreite sich
die Augenheilkunde zunächst von der Bildung einer künstlichen Oeffnung
nach der Nasenhöhle* (Hirschberg, zitiert von A. Onodi, Monatsschr.
f. Ohrenheilk. 1912. S. 423). Man muss aber bedenken, dass alle diese
374. B. Choronshitzky, Die perkanalikuläre Tränensackdurchstechung usw.
Versuche in der vorrhinoskopischen Zeit ausgeführt wurden, in einer Zeit,
in der man gar nicht imstande war, die Wunde von der Nase aus zu kon-
trollieren, nicht einmal ihre topographischen Verhältnisse mehr oder weniger
annähernd zu bestimmen. Kein Wunder, dass diese Versuche misslingen
mussten. Nur ein Zusammenarbeiten mit dem Nasenarzt, eventuell gründ-
liche rhinologische Kenntnisse können die obigen Versuche aus dem Be-
reich des Herumtastens im Dunklen ins richtige wissenschaftliche Licht
übertragen.
Die obigen Angaben übergebe ich hiermit der Oeffentlichkeit als
vorläufige Mitteilung meiner Arbeiten auf dem Gebiete der intranasalen
Eröffnung der Tränenwege. Der Gegenstand ist neu und eine jede Er-
fahrung auf diesem Gebiete muss objektiv dargestellt werden. In der
diesbezüglichen Literatur finde ich fast nichts über den postoperativen
Verlauf und die Nachbehandlung der an den Tränenwegen intranasal
operierten Patienten. Ich kann mich auf Grund meiner eigenen Erfahrung
vorläufig in bezug auf manche wichtige Punkte nicht endgültig äussern.
Von grosser Bedeutung ist z. B. die Frage, ob man den Tränensack von
der Nase aus breit oder nur mässig weit eröffnen soll. Soll man wirklich
bei der intranasalen Tränensackeröffnung das Totische Prinzip der breiten
Aufmeisselung verfolgen, wie es Polyäk haben will? Ich habe z. B. bei
einigen von mir operierten Patienten mit sogar wenig ausgesprochener
Ozaena sehr lange Zeit täglich den eröffneten Sack vom schmierigen
Belag reinigen müssen, während ein anderer ÖOzaenakranker mit ver-
hältnismässig kleiner ÖOeffnung am Torus lacrymalis an den guten Folgen
der Operation Freude hatte. Die ausgiebige Zerstörung von Processus
uncinatus-Zellen und das Wegmeisseln des vorderen Ansatzes der mittleren
Muschel schien mir in vielen Fällen gerade vom Totischen Standpunkt
aus verwerflich zu sein („kein Knochenkanal“! Torrigiani. Dakryocysto-
rhinostomie nach Toti. Verhandl. des III. internat. Laryngo-Rhinologen-
Kongresses 1911, Berlin, T. II), während eine mässig weite Aufmeisselung
im Bereich des auf Fig. 2 gezeichneten weissen Feldes eine ganz dünne
Fensterwand zustande bringt. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass es
West und Halle gerade zum Verdienst gereicht, dass sie „nie so hoch
nach oben“, wie Polyäk, vorgedrungen sind (Archiv f. Laryngol. Bd. 27.
S. 501). Andererseits haben künstliche Oeffnungen in der Nase die
Tendenz, sich schnell zu schliessen. So z. B. nach Durchstanzung von
Choanalatresien oder nach Antrumsoperationen schliessen sich sogar be-
deutende Oeffnungen, die augenscheinlich vollständig glatte und ver-
narbte Ränder hatten, mit einer auffallenden Schnelligkeit. Desto un-
sicherer sind kleine Resektionsfenster im Tränenkanal. deren Ränder von
einer vielleicht nicht ganz indifferenten Flüssigkeit umspült werden. Erst
auf Grund längerer Beobachtung von verschiedenartigen Operationsfällen
kann man die obigen Fragen beantworten. Eines steht fiir mich fest: die
B. Choronshitzky, Die perkanalikuläre Tränensackdurchstechung usw. 375
gleich nach der Operation eintretende Besserung des Zustandes ist noch
keine Bürgschaft für den endgültigen Erfolg der Operation.
Das Verlegen des Operationsfeldes vom Duktus auf den Sakkus ist
unzweifelhaft ein bedeutender Fortschritt auf dem Gebiete der intranasalen
Chirurgie der Tränenwege, aus dem einfachen Grunde, weil die meisten
Stenosen an der Grenze zwischen Sack und Tränennasengang sich befinden.
Ob das uns aber berechtigt, die Eröffnung des letzteren „ganz und gar
aufzugeben“, wie es West tut (Archiv f. Laryngol., Bd. 27, S. 508 oben),
ist noch fraglich. Es gibt ja eine ganze Reihe von Stenosen, die weiter
unten liegen, und wenn sie richtig diagnostiziert sind, warum soll man
sie nicht durch die Eröffnung des Duktus unschädlich machen? West
selbst hat ja gute Resultate mit der Fensterresektion des Duktus gehabt.
Wozu denn in solchen Fällen unnötigerweise den Sack eröffnen! Je länger
der funktionierende Tränenschlauch ist, desto mehr sind die normalen
anatomischen und physiologischen Verhältnisse beibehalten. Die Zukunft
wird noch vielleicht so manche Gefahr der Eröffnung des Sackes ent-
decken! Es muss schliesslich noch darauf hingewiesen werden, dass die
Grenze zwischen Sack und Duktus von der Nase aus, vor der Aufmeisselung,
nicht genau festgestellt werden kann. Meine Tränensackdurchstechung ist
in dieser Beziehung von grossem Wert, da die Stichöffnung doch immer
dem Sack entspricht. Man darf allerdings den Stachel beim Durchstechen
nicht vertikal halten und vor der Operation muss immer eine sorgfältige
Sondenuntersuchung vom Tränenkanälchen aus unternommen werden. Ich
verstehe nicht, warum Polyäk so hartnäckig die Sonde verpönt, dass er
in einem engen Operationsraum auf dieselbe „prinzipiell verzichten“ muss
(l. c. 5S. 489), während ich gerade in einer eng gebauten Nase von
ihr den grössten Nutzen sah. Warum soll eigentlich die von unten
eingeführte Sonde (l. c. S. 494) nicht ebenso verwerflich sein, wie die
von oben eingeführte? — Das Stachelende befindet sich ausnahmslos
oberhalb der Ausmündung des Sackes, wenn auch nur ein paar
Millimeter von ihr entfernt, und kann daher immer zur genauen
Präzisierung der Öperationsstelle dienen (vgl. Fig. 4). Man kann
daher, die Stichöffnung als Wegweiser benutzend, entweder den Sack
oder den Duktus oder endlich die Uebergangsstelle beider ineinander er-
öffnen. Je nach der Lage der Stenose wird man höher oder niedriger auf-
meisseln müssen. Ein vor der Operation entdeckter falscher Weg kann
ebenfalls in dieser Beziehung massgebend sein. Die meisten Fistelöffnungen
scheinen allerdings direkt über der Ausmündung des Sackes zu liegen; sie
entsprechen also mehr oder weniger meiner Stichöffnung. Okuneff (Russ.
Monatsschr. f. Ohrenheilk. Bd. 3. S. 12 unten) eröffnete mit speziellen
von ihm geistreich konstruierten Zangen den Duktus in einem Falle, wo
„ein falscher Weg oberhalb der unteren Muschel“ vorhanden war. Er
entfernte den vorderen Teil der unteren Muschel und ging vom Ostium
lacrymale aus längs des Duktus nach oben. Aber wie weit, das gibt er
376 B. Choronshitzky, Die perkanalikulare Tranensackdurchstechung usw.
nicht an. Die Operation war erfolglos, wenigstens in den ersten „einigen
Tagen“. Und warum? Weil der Angriffspunkt der Operation ein falscher
war. Die Stenose lag wahrscheinlich gleich unter der Fistelöffnung. Die
Operation sollte eben hier beginnen, d. h. der Tränenschlauch sollte von
der Fistelöffnung aus nach oben eröffnet und die untere Muschel sowie der
untere Teil des Duktus verschont werden. Dann wäre wahrscheinlich die
Operation gelungen. Aber weiter oben, sagt Okuneff (l. c., S. 10), liegt
der Tränenkanal „nicht so oberflächlich wie unten, und nur mit Hilfe des
Meissels könnte man dorthin gelangen, wenn es nötig wäre“. Die Angst
vor dem Meissel oder das unbewusste Bedürfnis, vom Ostium lacrymale
aus die Operation zu beginnen, scheint also die Ursache der verkehrten
Operationsweise gewesen zu sein, obgleich im „falschen Weg“ ein Finger-
zeig für den Angriffspunkt der Operation vorhanden war!
Vor der Eröffnung des Tränenschlauchs muss selbstverständlich alles
Pathologische in der Nase behandelt werden: Empyemata, Hypertrophien,
Polypen, papillomatöse Wucherungen der unteren Muschel, blasige Schwel-
lungen der mittleren Muschel, Septumdeviationen und Kristen, ödematöse
Schwellungen und Wucherungen des Septums usw. Mit besonderer Sorg-
falt muss die Ozaena behandelt werden, bei der der Erfolg der Operation
oft kurzdauernd ist, da der eröffnete Tränenschlauch leicht vom schmierigen
Belag bedeckt wird. Oedematöse Schwellungen des Septums gegenüber
dem eröffneten Tränenschlauch sind ebenfalls für den endlichen Erfolg der
Operation sehr ungünstig. Im allgemeinen kann man mit voller Berechti-
gung sagen, der Erfolg der Operation hänge mehr vom Zustande der Nase
als von demjenigen des Tränenschlauches ab. Bei einer Stenose der Tränen-
kanälchen oder des Sammelröhrchens findet selbstverständlich die Eröffnung
des Tränensacks weder von der Nase aus noch von aussen Verwendung
(vgl. Archiv f. Laryngol. Bd. 27. S. 514).
Ueber die v. Eickenschen Operationen an den Tränenwegen (von der
Kieferhöhle und dem Munde aus) habe ich keine Erfahrung. Doch scheint
auch ihnen derselbe Mangel anzuhaften, wie der Okuneffschen Operation:
der Angriffspunkt seiner Operationen ist der untere Nasengang, unabhängig
von der Lage der Stenose.. Man könnte ebensogut, wie vom Vorhofe des
Mundes aus, auch durch eine Zahnalveole in den unteren Nasengang ein-
dringen und von hier aus den Tränenschlauch operativ angreifen. Zu
diesem Zweck könnte man sehr gut meine Kieferhöhlenoperation ausnutzen
(s. Archiv f. Laryngol. Bd. 22. S. 498), besonders wenn man durch die
Alveole des ersten Bikuspidaten oder sogar des Eckzahns eindringen wollte.
Die Operation nach meiner Methode würde sich in diesem Falle noch ein-
facher gestalten als die v. Eickensche Vorhofoperation. Besonders eignen
sich für solche Operationen die sehr seltenen Fälle mit membranösem
Verschluss des Ostium lacrymale, mit dichter Anlagerung der unteren
Muschel an die Kieferhöhlenwand und starker Verengerung des unteren
Nasengangs usw.
B. Choronshitzky, Die perkanalikuläre Tränensackdurchstechung usw. 377
Zum Schluss möchte ich noch auf folgenden Punkt aufmerksam
machen: bei Kieferhöhlenoperationen kann die mediale Kieferhöhlenwand
im unteren Nasengang ungestraft entfernt werden, nur muss man die Tam-
ponade sorgfältig ausführen, damit in der Gegend des Ostium lacrymale
keine Verwachsungen oder Stenosen entstehen. Ich pflege gewöhnlich die
herunterhängende Schleimhaut des unteren Nasenganges, unter dem Ostium
lacrymale, in die Kieferhöhle nach oben hinüberzuklappen und hier mit
dem Tampon anzudrücken. Man darf aber nicht dabei den hinübergeklappten
Schleimhautlappen stark zerren, damit das Ostium lacrymale nicht in die
Lange gezogen und verengt wird. Ich habe mich auf diese Weise bis jetzt
vor postoperativen Dakryostenosen nach Kieferhöhleneröffnungen schützen
können.
Der Stachel zur Tränensackdurchstechung ist von der Firma H. Pfau,
Berlin, zu beziehen.
XNNII.
Aus der Abteilung fiir Ohren-, Nasen- und Halskrankheiten
des K. u. K. Garnisonspitals Nr. 1 in Wien.
(Vorstand: Stabsarzt Professor Dr. C. Biehl.)
Ueber die anatomischen Lagebeziehungen des
Tränensacks zur Nase, sowie über eine Methode
zur Bestimmung der Lage des Tränensacks an
der seitlichen Nasenwand.
Von
Rerimentsarzt Dr. W. Zemann.
(Mit 3 Textfiguren.)
Der Tränensack liegt am medialen Orbitalwinkel in der Tränensack-
grube. Diese Fossa sacci lacrymalis wird von einer Fläche des Os lacry-
male im Vereine mit einem Teile des Processus frontalis des Oberkiefer-
knochens gebildet und ist nach vorn durch die Crista lacrymalis anterior
des Stirnfortsatzes des Oberkieferknochens, nach hinten durch die Crista
lacrymalis posterior des Os lacrymale abgegrenzt.
Lateralwärts wird die Tränensackgrube vom Hamulus lacrymalis um-
geben, welcher bis zum unteren Örbitalrande reicht und gleichzeitig die
Grenzlinie zwischen der Fossa lacrymalis und dem Canalis nasolacrymalis
abgibt.
An seiner medialen und hinteren Wand ist der Tränensack in binde-
gewebigem Zusammenhang mit dem Periost der Fossa lacrymalis.
Die vordere Wand wird vom Ligamentum palpebrale mediale gekreuzt.
Oberhalb dieses Ligamentes liegt der Fornix des Tränensackes, dem unterhalb
des Ligamentes befindlichen Teile der vorderen Tränensackwand sind
Faserzüge des Musculus palpebralis aufgelagert, während die hintere Wand
von dem an der Crista lacrymalis posterior inserierendem Hornerschen
Muskel (Pars lacrymalis des M. palpebralis) umfasst wird.
Von praktischer Bedeutung ist die Tatsache, dass der Saccus lacry-
malis vor dem an der Crista lacrymalis posterior inserierenden Septum
orbitae — also präseptal gelegen ist [Corning (1)].
Die Einmündungsstelle der Tränenröhrchen befindet sich an der
lateralen Seite des Tränensackes etwas mehr nach hinten, unter dem
Ligamentum palpebrale mediale, 2 mm vom Fornix entfernt [Onodi (2)].
(and
Zemann, Die anatomischen Lagebeziehungen des Tränensacks zur Nase. 379
Die Höhe des Sakkus beträgt nach Corning (1) zwischen 1 und
15 em, nach Onodi (2) hat der Tränensack eine Länge von 12 mm und
eine Breite von 2—3 mm.
Für die Palpation ist im medialen Orbitalwinkel die Crista lacrymalis
anterior fühlbar, das Ligamentum palpebrale mediale kann durch seitlichen
Zug an den geschlossenen Lidern als Wulst deutlich gesehen und gefühlt
werden.
Die knöcherne Wand der Tränengrube bildet die Scheidewand zwischen
Nasenwand und Tränensackgrube Sie ist an ihrer medialen Seite von
Schleimhaut überzogen und bildet so einen Teil der seitlichen Nasen-
höhlenwandung. In dieser aus Knochen und Schleimhaut bestehenden
Zwischenschicht sind jedoch in verschiedener Ausbreitung Teile der
Nebenhöhlen der Nase (vordere Siebbeinzellen und die Stirnhöble) der
Tränensackgrube medial vorgelagert. |
Ueber das Lageverhältnis der vorderen Siebbeinzellen zur Tränensack-
grube finden sich bei Onodi (2) folgende Literaturangaben: „Rhinologischer-
seits wurde eine im Nachbarverhältnis stehende vordere Siebbeinzelle als
Cellula lacrymalis bezeichnet.
Bei Testut und Jacob zeigt ein Frontalschnitt an der medialen
Wand des Tränensackes eine vordere Siebbeinzelle, welche bis zum Dach
des mittleren Nasenganges reicht.
In dem Killianschen Atlas grenzt eine Cellula infundibularis an
den Tränensack von hintenher und auf einem anderen Bilde reicht eine
Cellula infundibularis bis an den Tränennasengang.
Aubaret und Bonnefon behaupten, dass der Tränensack nie voll-
ständig von den Nebenhöhlen umgeben werden kann. „Es können 1, 2
oder auch 3 vordere Siebbeinzellen ein Nachbarverhältnis bilden. Die
Siebbeinzellen können zum Processus uncinatus, zum Agger nasi oder zum
Infundibulum gehören.“
Onodis (2) eigene Untersuchungen ergeben, dass am häufigsten Sieb-
beinzellen median und hinten den Tränensack begrenzen, dass jedoch auch
oberhalb des Tränensackes sich Siebbeinzellen gelagert finden.
Thorsch (3) untersuchte 82 Nasenhöhlen von erwachsenen, meist
älteren Individuen. Als Hauptresultat seiner Untersuchungen ergab sich,
dass der untere Teil der medialen Wand der Fossa sacci lacrymalis in
den meisten Fallen nichts mit den Siebbeinzellen zu tun hat; dieses Ver-
halten fand sich in 65 der untersuchten Fälle, also fast 80 pCt.
Bei 17 Fällen (20,7 pCt.) stand die Tränensackgrube in Beziehung zu
den Siebbeinzellen, und zwar war in einem Falle fast die ganze Wand
pneumatisiert, in 16 Fällen nur der hintere Abschnitt, und zwar in ver-
schiedenem Umfange.
Ich untersuchte 50 Nasenhöhlen erwachsener 21—24 jähriger Männer.
Nur in 10 Fällen war das ganze Gebiet des Tränensackes frei von Sieb-
beinzellen. Am häufigsten (in 37 Fällen) fanden sich Siebbeinzellen dem
350 Zemann, Die anatomischen Lagebeziehungen des Tränensacks zur Nase.
hinteren Anteil der Tränensackgrubenwand, sowie der Uebergangsstelle der
Tränensackgrube in den Tränensackkanal vorgelagert; in 3 Fällen war fast
das ganze Gebiet des Tränensackes medial von Siebbeinzellen begrenzt,
doch blieb auch in diesen Fällen das dem vorderen Anteil des Processus
frontalis des Os maxillae superioris entsprechende Gebiet des Tränensackes
Instrument in situ.
von Siebbeinzellen frei. Die Gestaltung der äusseren Nase fand ich in ge-
wisser Beziehung zur Ausdehnung des der Tränensackgrube benachbarten
Teiles des Siebbeinlabyrinthes stehend. Bei Nasen mit sehr hoher und
schmaler Nasenwurzel, bei welchen die Flächen der Nasenbeine sehr steil
stehen, fanden sich keine oder nur sehr wenige Siebbeinzellen vorgelagert.
Bei breiter und niedriger Nasenwurzel war das Gebiet der vorgelagerten
Siebbeinzellen sehr gross und breit.
Bei grosser Ausdehnung der Stirnhöhle kann auch diese sich in das
Zemann, Die anatomischen Lagebeziehungen des Tränensacks zur Nase. 381
Gebiet des Tränenbeins erstrecken und mit dem Tränensack in ein engeres
Nachbarverhältnis treten.
Die Abbildung Fig. 23 in Onodis (2) Arbeit zeigt an einem Frontal-
schnitt den 4mm breiten Tränensack in einer Länge von 8 mm von der
Stirnhöhle medial begrenzt.
Figur 2.
ee
Zur besseren Uebersichtlichkeit ist die vordere Hälfte der Tränensackgrube und
des Tränensackes entfernt. Die Kugel liegt direkt im Tränensaek. Medial wird
die Tränensackgrube in grosser Ausdehnung von der tiefreichenden Stirnhöhle
begrenzt. Der „Orientierungspunkt“ liegt vor und unter der vorderen Ansatzstelle
der mittleren Muschel. — Würde in diesem Falle diese als „Eingangspunkt“ für
die Eröffnung des Tränensackes benutzt worden sein, so wäre eine Eröffnung der
Stirnhöhle unvermeidlich.
Ebenso fand Ritter (4) die Tränensackgrube einmal (Fig. 17) von
der medialen Seite her, ein anderes Mal (Fig. 18) in ihrem hinteren Ab-
schnitt in ausgedehntem Masse von der tief reichenden Stirnhöhle bedeckt.
Auch mein Präparat (Fig. 2) bietet einen ähnlichen Befund.
382 Zemann, Die anatomischen Lagebeziehungen des Tränensacks zur Nase.
Zu verwerten sind in dieser Beziehung auch die bei der Dakryocysto-
rhinostomie gemachten Beobachtungen.
Toti (5) findet in einer grossen Zahl der von ihm operierten Fälle
Siebbeinzellen in der Umgebung der Tränengrube, besonders hinter ihrem
hinteren, oberen Segment.
Die gleichen Erfahrungen machten L. Polyak (6), West (7), Halle
(8) und Salus, letzterer bei 29 Fällen 18 mal [zitiert nach Ritter (4)].
Im allgemeinen sind also vordere Siebbeinzellen — bisweilen bei sehr
grosser Ausdehnung der Stirnhöhle auch diese — medialwärts der Tränen-
sackgrube vorgelagert, doch ist die Ausdehnung dieses Nachbargebietes
äusserst wechselnd und inkonstant.
Zur topographischen Bestimmung der Lage des Tränensackes von der
seitlichen Nasenwand aus kommen als „natürliche Orientierungspunkte“ in
Betracht: 1. das Tuberculum lacrymale und 2. die vordere Ansatzstelle der
mittleren Muschel.
ad 1. Corning (1) beschreibt unter Tuberculum lacrymale einen an
der lateralen Wand des mittleren Nasenganges (im vordersten Anteil des-
selben) senkrecht oder schräg verlaufenden, durch den knöchernen Ductus
nasolaerymalis hergestellten Wulst.
Dieses Tuberculum lacrymale, welches also dem knöchernen Canalis
naso-lacrymalis entspricht und welches West (7) nach einem Vorschlag
von Kopsch besser als Torus lacrymalis!) bezeichnen möchte, bildet nach
West (7) ein „bequemes anatomisches Merkmal“ zur Eröffnung der Fossa
lacrymalis. Er beschreibt die topographischen Verhältnisse folgender-
massen: „. . .. dass der Teil des aufsteigenden Kieferastes, der die Fossa
lacrymalis und den oberen Abschnitt des Tränennasengangs bildet, in den
meisten Fällen genügend in die Nase hineinragt, so dass man gewöhnlich
eine Vorwölbung der nasalen Schleimhaut in dieser Gegend durch die
rhinoskopische Untersuchung konstatieren kann.“
Dieses Tuberculum oder Torus lacrymalis ist aber, wie aus
meinen später, mitzuteilenden Untersuchungen hervorgeht, ein durchaus
inkonstantes Gebilde.
- ad 2. Nach Halle (S) entspricht die Lage des Sackes meist genau
dem vorderen Ansatz der mittleren Muschel. Es ist aber unmöglich, ihn
ganz exakt vorher zu lokalisieren.
Ueber die Beziehungen der vorderen Ansatzstelle der mittleren Muschel
zur Tränensackgrube fand Thorsch (3) bei 65 diesbezüglichen Unter-
suchungen in 42 Fällen den Tränensack vor dem vorderen Ende der mitt-
leren Muschel; in 13 Fällen fand eine teilweise, in 10 Fällen eine voll-
ständige Deckung durch die mittlere Nasenmuschel statt.
Meine an 50 Nasenhöhlen vorgenommenen Untersuchungen ergaben
folgende Resultate: Da das Projektionsgebiet der Tränensackgrube auf die
1) Zuckerkandl bezeichnet als Torus lacrymalis den bisweilen an der
nasalen Kieferhöhlenwand durch den Canalis nasolacrymalis gebildeten Wulst.
Zemann, Die anatomischen Lagebeziehungen des Tränensacks zur Nase. 383
laterale Nasenwand eine immerhin grosse Fläche bildet (durchschnittlich
12:3 mm), so untersuchte ich die Beziehungen eines bestimmten Punktes
dieser Projektionsebene zur vorderen Ansatzstelle der mittleren Muschel,
und zwar wählte ich hierzu die Mitte der medialen Uebergangslinie zwischen
Sack und Tränennasenkanal: Ein konstantes Verhältnis liess sich nicht
nachweisen, vielmehr ergaben sich die verschiedensten Möglichkeiten. Nur
in 3 der 50 Fälle entsprach der Tränensack (vielmehr der von mir ge-
wählte Punkt desselben) dem vorderen Ansatzpunkt der mittleren Muschel.
Sehr häufig (23 mal) war er zwar in dessen Höhe, aber vor ihm gelegen
— die Entfernung betrug bis 2 mm —, 5 mal vor und über der vorderen
Ansatzstelle, 8 mal hinter und unter derselben (also Vorlagerung der
Muschel), 5 mal über derselben und 6 mal über und ein wenig hinter der-
selben.
Der Wert der vorderen Ansatzstelle der mittleren Muschel als Orien-
tierungspunkt für die Topographie des Tränensackes lässt sich weiter
auch aus den Erfahrungen bemessen, welche diesbezüglich bei Operationen
am Tränensack gemacht wurden.
West (7) verlegt das Operationsterrain für die intranasale Eröffnung
des Tränensackes, wie aus seinen Abbildungen 1 und 3 ersichtlich ist, vor
und über die Ansatzstelle der mittleren Muschel und macht hierbei die
Erfahrung, dass „manchmal“ das vordere Ende der mittleren Muschel so
weit nach vorn ragt, dass es im Wege steht und in einer Voroperation
abgetragen werden muss.
Polyák (6) betont auf Grund seiner anatomischen ÖOperationsstudien
an der Leiche, dass die vordere Ansatzstelle der mittleren Muschel sehr
oft dem Tränensacke vorgelagert ist, und hebt auch weiter hervor, dass
sehr häufig der Tränensack „sichtbar höher“ liegt als die Ansatzstelle der
entsprechenden mittleren Muschel. Zufolge einer späteren Mitteilung
Polyäks [zitiert nach Ritter (4)] war unter 42 Fällen 18 mal die vordere
Ansatzstelle der mittleren Muschel der Tränensackgrube vorgelagert.
Ebenso erwähnt Toti (5), dass bei dem vierten Teil der in letzter
Zeit operierten Fälle die vordere Ansatzstelle der mittleren Muschel dem
Tränensack vorgelagert war und die Resektion des vorderen Endes der
mittleren Muschel vorgenommen werden musste.
Die Ansatzstelle der mittleren Muschel steht in keinem
konstanten Lagerungsverhältnis zum Tränensack.
Es ist also an der lateralen Nasenwand kein anatomisch
scharf präzisierter natürlicher Orientierungspunkt vorhanden,
von welchem aus die Lage des Tränensackes an der seitlichen
Nasenwand verlässlich zu bestimmen wäre.
Die inkonstanten topographischen Verhältnisse und variablen Be-
ziehungen der Nebenhöhlen zur Tränensackgrube bilden neben der Technik
die Schwierigkeiten für die intranasale Eröffnung des Tränensackes. Sie
bestimmten Polyäk (6), die direkte Freilegung des Tränensackes aufzu-
Archiv far Laryngologie. 28. Bd. 3. Heft. 96
384 Zemann, Die anatomischen Lagebeziehungen des Tränensacks zur Nase.
geben und veranlassten ihn, den Sack indirekt vom oberen Anteil des
eröffneten Tränennasenganges zu erreichen.
Ich habe mich nun bemüht, einen Weg zu finden, welcher es er-
möglicht, unabhängig von den inkonstanten und variablen Verhältnissen
dieser Gegend die Lage des Tränensackes von der Nase aus genau zu
bestimmen.
Das Prinzip der Methode ist folgendes: Gelingt es, einen bestimmten
Punkt der lateralen Tränensackwand zu fixieren, so ist es mit Hilfe eines
Tastzirkels ohne weiteres möglich, die diesem fixierten Punkt korrespon-
dierende Stelle der lateralen Nasenwand zu finden.
Hierzu benutze ich das abgebildete Instrument!) (Fig. 3): Das
kugelige Ende des gebogenen Schenkels „Kugelschenkel* wird unterhalb
Figur 3.
1/ der natürlichen Grösse.
des sicht- und tastbaren Wulstes des Ligamentum palpebrale mediale hinter
der gleichfalls palpierbaren Crista lacrymalis anterior in die Tränensack-
grube gebracht.
Hier findet die Kugel nach vorn und hinten durch die Cristae lacry-
males anterior und posterior, medianwärts in der knöchernen Wand der
Tränensackgrube einen Halt, ein Abweichen nach unten ist durch den
Hamulus lacrymalis gehemmt. Die noch einzige Möglichkeit der Kugel
nach oben auszuweichen, wird durch Zug an dem Instrument in der
Richtung nach unten aufgehoben.
In dieser Lage wäre die Kugel um ihren Mittelpunkt drehbar. Diese
Beweglichkeit der Kugel wird dadurch verhindert, dass der starr mit ihr
verbundene Bogenteil des ,Kugelschenkels* gegen die Kante des unteren
Orbitalrandes gedriickt wird. Die jetzt noch erforderliche, bestimmte, fiir
1) Fabrikant: H. Reiner, Wien IX, van Swietengasse.
Zemann, Die anatomischen Lagebeziehungen des Tränensacks zur Nase. 385
alle Untersuchungen gleiche Lage der Kugel in der Tränensackgrube wird
dadurch erzielt, dass der gerade Teil des ,Kugelschenkels* in eine zur
Medianebene des Kopfes parallele Ebene gebracht wird, also bei aufrechter
Kopfhaltung vertikal steht. In dieser Ebene kann der Kugelschenkel —
um eine Verschiebung desselben beim Gebrauche zu verhüten — durch
einen kleinen, an der oberen Begrenzungsfläche des unteren Orbitalrandes
aufruhenden Dorn erhalten werden. Der kleine Dorn ist am „Kugel-
schenkel“ verschiebbar und drehbar — zur Benutzung für beide Seiten —
angebracht und kann durch eine Stellschraube in jeder Stellung festgehalten
werden.
Für die Einstellung des „Kugelschenkels“ sind also 3 Stützpunkte
vorhanden, und zwar für die Kugel die Tränensackgrube, für den Bogen
der untere Orbitalrand und für die Einstellung des geraden Teiles in die
der Medianfläche parallele Ebene die obere Begrenzungsfläche des unteren
Orbitalrandes (fiir den Dorn).
Zum Gebrauche wird das Instrument zunächst auseinandergelegt, der
„Kugelschenkel* in die vorher angegebene Stellung gebracht und nach
Feststellen des Dornes für den späteren Gebrauch vorbereitet. Dann
werden die beiden Teile wieder ineinandergelegt, der mit einer lateral
nach aussen gerichteten Spitze versehene „Spitzenschenkel* unter Leitung
des Auges und Benutzung eines Nasenspiegels in die Nasenhöhle ein-
geführt. Hierbei ist zu beachten, dass der „Spitzenschenkel“ längs des
Septums in die Nase gebracht wird, damit nicht beim Einführen die
Schleimhaut der äusseren Nasenwand verletzt wird und durch die hierbei
auftretende Blutung die Deutlichkeit des „Orientierungspunktes“ leide.
Der Kugelschenkel wird in die bereits vorbereitete Stellung gebracht
und der Zirkel an den Handhaben zusammengedrückt. Hierbei soll nur
die Handhabe des „Spitzenschenkels* gegen den auf den Stützpunkten
ruhenden „Kugelschenkel* gepresst werden (Fig. 1: Instrument in situ).
Wurde vorher die Nasenschleimhaut im Bereiche des vorderen
Muschelendes leicht anästhesiert, so wird der von der Spitze markierte
„Orientierungspunkt“ als Blutpunkt deutlich sichtbar werden.
Bevor der Zirkel aus der Nase entfernt wird, ist an dem an den
Handhaben angebrachten Massstabe die Breite der zwischen Tränensack-
gruben und äusserer Nasenwand gelegenen „Zwischenschicht* in Milli-
metern abzulesen.
Ich habe zunächst an 50 Leichenpräparaten den „Orientierungspunkt“
auf diese Weise bestimmt und festgestellt, dass dieser Punkt dem tiefsten
Teil der Tränennasengrube entspricht und etwas über der Mitte der
medialen Uebergangslinie der Tränensackgrube in den Tränennasengang
gelegen ist. Es erstreckt sich also das Projektionsgebiet des Tränensackes
an der lateralen Nasenwand vom Orientierungspunkte nach oben und
etwas nach vorn und hinten. Nach Messungen, welche ich an der Leiche
vorgenommen habe, beträgt die Höhe dieses Gebietes 9—12 mm, die
Breite desselben 2—3 mm.
26*
336 Zemann, Die anatomischen Lagebeziehungen des Tränensacks zur Nase.
Bei diesen Untersuchungen ging ich so vor, dass vom ,,Orientierungs-
punkte“ aus in genau frontal-horizontaler Richtung nach aussen eine
Nadel in die laterale Nasenwand getrieben wurde.
Die Stelle, an welcher die Nadel an der Tränensackgrube bzw. Tränen-
sackwand zum Vorschein kanı, lokalisierte mir die Lage des „Orientierungs-
punktes“ an der Tränensackgrubenwand.
Mit Hilfe dieser Methode ist es also möglich, genaue An-
haltspunkte für die Lage des Tränensackes von der lateralen
Nasenwand aus zu gewinnen, weiter kann man von vornherein
bestimmen, ob die vordere Ansatzstelle der mittleren Muschel
dem Tränensack vorgelagert ist und deren Abtragung in einer Vor-
operation notwendig ist.
Schliesslich ist man durch die messbare Dicke der „Zwischenschicht“
über die Tiefe des Operationsgebietes, d.i. über die Entfernung des
Tränensackes von der lateralen Nasenwand orientiert.
Nachdem ich mich von der Brauchbarkeit der Methode überzeugt
habe, ging ich daran, den „Orientierungspunkt“ an 50 Nasenhöhlen von
Lebenden zu bestimmen und will nun im folgenden kurz über die ge-
wonnenen Resultate berichten.
Um die durch Geschlecht und Alter bedingten Differenzen von vorn-
herein auszuschalten, habe ich 50 Nasenhöhlen 21—23jähriger Männer
untersucht. Meine Untersuchungen erstrecken sich
1. auf die Ausbildung des Tuberculum (Torus) lacrymalis,
2. auf die Lagebeziehung des Orientierungspunktes zur vorderen
Ansatzstelle der mittleren Muschel und
3. auf die Breite der „Zwischenschicht“.
Ad 1. Zunächst möchte ich noch nachtragen, dass ich einen deut-
lichen Torus lacrymalis bei meinen 50 Leichenuntersuchungen nur in
12 Fällen nachweisen konnte. In 7 Fällen war er angedeutet.
Die Untersuchungen am Lebenden ergaben:
Torus lacrymalis deutlich ausgeprägt. . . . 10 mal,
angedeutet . . . 2 2 . ....... 8
Es geht aus diesen Untersuchungen hervor, dass mit dem Tuberculum
lacrymale als natürlichem Orientierungspunkt nur selten zu rechnen ist.
Ad 2. Am häufigsten war der „Orientierungspunkt“
vor dem vorderen Ansatzpunkt der mittleren Muschel 19 mal,
das vordere Ende der mittleren Muschel war vor-
gelagert, d. i. der „Orientierungspunkt“ war etwas
unterhalb und hinter der vorderen Ansatzstelle 18 „
vor und etwas über ihr . . .......2. 7~,4
oberhalb derselben . . . 2. 2 mn m nn nnd y
und NDEs s. Gosi e a oaei o am oa ee 1B
war er am vorderen Ende der mittleren Muschel.
Zemann, Die anatomischen Lagebeziehungen des Tränensacks zur Nase. 387
Diese sowie die bereits früher mitgeteilten Resultate der Unter-
suchungen an der Leiche ergeben, dass nur in den seltensten Fällen die
Lage des Tränensackes durch die vordere Ansatzstelle der mittleren
Muschel bestimmt ist.
Ad 3. Resultate der Leichenuntersuchung. Die Breite der „Zwischen-
schicht“ variierte zwischen den Grenzwerten von 2—8 mm.
Am häufigsten betrug sie 4mm. . . . 18mal,
dann folgen De ee OS
3, 6,
8 5
7 ” I
6 4
2 +
Summa 50
Auch am Lebenden fand ich die Grenzwerte von 2—8 mm.
Am häufigsten betrug die „Zwischenschicht“ wiederum
imm. . . . 15 mal,
dann folgen . . . . Dopa’. 10
3 T
GG. 6
8 ,, 6
zZ 3.
2 3
Summa 50
Aus den Untersuchungen an der Leiche geht hervor, dass bei einer
Breite der Zwischenschicht von 2—3 mm Siebbeinzellen der Tränennasen-
grube nicht vorgelagert sind.
Eine „Zwischenschicht“ von mehr als 3 mm Breite ist auf vorgelagerte
Siebbeinzellen oder das vorgelagerte vordere Ende der mittleren Muschel
zurückzuführen.
Die Maximalbreite von 8 mm fand sich 2 mal bei gleichzeitiger Vor-
lagerung von Siebbeinzellen und der mittleren Muschel, 3 mal jedoch wurde
sie nur durch Siebbeinzellen verursacht.
Zum Schlusse möchte ich noch erwähnen, dass ich mich bereits von
dem Werte der von mir angegebenen Methode bei der intranasalen Er-
öffnung des Tränensackes überzeugen konnte.
Literaturverzeichnis.
1. H.K. Corning, Lehrbuch der topographischen Anatomie. 4. Aufl.
2. A.Onodi, Beziehungen der Tränenorgane zur Nasenhöhle und deren Neben-
höhlen. Monatsschr. f. Ohrenbeilk. usw. Jahrg. 46. H. 4.
388
3.
Zemann, Die anatomischen T,agebeziehungen des Tränensacks zur Nase.
E. Thorsch, Beziehungen der Tränensackgrube zur Nase und ihren Neben-
hoblen. Klin. Monatsbl. f. Augenheilk. Bd. 8.
G. Ritter, „Die Chirurgie der Tränenwege“ im Handbuch d. spez. Chir. d.
Ohres usw. von Katz-Preysing und Blumenfeld. 1914. Bd. 3.
. A. Toti, Die Resultate der Rhinostomie des Tränensackes (Dakryocystorhino-
stomie) nach meiner siebenjährigen Erfahrung. Zeitschr. f. Augenheilk. 1912.
. L. Polyak, Ueber die Technik der intranasalen Dakryocystostomie. Archiv f.
Laryngol. usw. Bd. 27.
. J.M. West, Die Technik der Eröffnung des Tränensackes von der Nase aus.
Archiv f. Laryngol. usw. Bd. 27.
Halle, Zur intranasalen Operation am Tränensack. Archiv f. Laryngol. usw.
Bd. 28.
XXAIV.
Aus dem pathologischen Institut des Auguste Viktoria-Krankenhauses
zu Berlin-Schéneberg. (Prosektor: Dr. Hart.)
Untersuchungen tiber den elastischen Apparat des
Tracheobronchialbaumes, seine physiologische und
pathologische Bedeutung.
Dr. Yugo Yokoyama aus Japan.
Obwohl man sich im allgemeinen mit den elastischen Fasersystemen
des Organismus, bzw. seiner einzelnen Organe, lebhaft beschäftigt hat, ist
den elastischen Fasern des Tracheobronchialbaumes verhältnismässig wenig
Aufmerksamkeit geschenkt worden. Zwar finden sich in den Lehrbüchern
der deskriptiven und teilweise auch der pathologischen Anatomie kurze
Schilderungen des elastischen Fasersystems des Tracheobronchialbaumes,
aber nirgends begegnen wir systematischen Untersuchungen, die Bezug
nehmen auf die physiologische Funktion und pathologischen Zustände.
Die Erklärung ist wohl die: Man hat bisher die Trachea und die grossen
Bronchien viel zu sehr als starre luftzuführende Röhren aufgefasst, während
doch schon seit längerer Zeit bekannt ist, dass Trachea und Bronchien
respiratorische Bewegungen ausführen, die freilich passive sind und von
den Atemexkursionen des Brustkorbes bzw. der Lungen abhängen. So
kommt es, dass die Untersuchungen über den Tracheobronchialbau sich
teils auf die Lage der Trachea unter physiologischen und pathologischen
Verhältnissen beziehen, wie z. B. die jüngste Mitteilung Oppikofers, oder
auf den Bau und die Verzweigung sowie die Kompressionserscheinungen
des Bronchialbaumes, wofür die bekannten Untersuchungen Birch-Hirsch-
felds ein gutes Beispiel sind. Dass die Bewegungen der Trachea und der
Bronchien während der Respiration keine einfachen sind, ist bereits bekannt,
die Streckung und spiralige Drehung wird schon von Birch-Hirschfeld
und von Hart erwähnt. Erst in neuerer Zeit aber hat uns die Broncho-
skopie näher bekannt gemacht mit dem Grade dieser respiratorischen Be-
wegungen der Trachea und der grossen Bronchien und uns zum Bewusst-
sein gebracht, dass diese doch nicht die verhältnismässig starren Röhren
sind, als die man sie bisher aufzufassen geneigt war.
Denkt man über die respiratorische Bewegung der Lunge nach, so
erscheint es fast selbstverständlich, dass auch die Bronchien Bewegungen
390 Y. Yokoyama, Der elastische Apparat des Tracheobronchialbaumes.
ausführen müssen, da sie ja innerhalb des Lungengewebes verlaufen und
den Bewegungen des Parenchyms folgen müssen. Aber auch die Trachea
und die grossen extrapulmonalen Bronchien können nicht in Starrheit
verharren, sondern müssen sich den respiratorischen Verschiebungen
anpassen. Nach theoretischer Erwägung kann die Dehnung der luft-
zuführenden Röhren nur bedingt sein durch die Elastizität der Wandung,
also ihren Gehalt an dehnbaren elastischen Elementen. Und die Rückkehr
in die Ruhelage ist sogar ausschliesslich denkbar durch die Retraktion
der elastischen Fasern, die in einen Beharrungszustand zurückstreben.
Diese Vorgänge näher zu untersuchen und aus dem Verlauf und der
Entwicklung der elastischen Fasersysteme zu erklären, muss reizvoll sein.
Es ist das Verdienst Aschoffs, zuerst darauf mit Nachdruck hingewiesen
und der Untersuchung den Weg gezeigt zu haben. Sein Vortrag auf dem
ersten internationalen Pathologenkongress in Turin hat die Anregung zu
dieser Arbeit gegeben, die versuchen soll, die Bedeutung des elastischen
Fasersystems unter physiologischen und pathologischen Bedingungen zu
beleuchten.
Mein Material umfasst 66 Fälle, in denen alle Lebensalter in etwa
gleicher Verteilung enthalten sind und das sowohl lungengesunde als auch
lungenkranke Individuen betrifft. Unter letzteren finden sich besonders
solche mit chronischer tuberkulöser Lungenphthise, mit Emphysem und
chronischer Bronchitis. Die Untersuchung wurde derart vorgenommen,
dass von jedem Falle 7 Stücke in üblicher Weise in Paraffin eingebettet
und dann mit Hämatoxylin-Eosin nach van Gieson und nach Weigerts
elastischer Fasermethode in der Hartschen Modifikation gefärbt wurden.
Die Stücke entnahm ich dem oberen, mittleren und dem der Bifurkation
entsprechenden Teile der Trachea, den Hauptbronchien und der Teilungs-
stelle dieser. Die Teilungsstelle sowohl der Trachea als auch der Haupt-
bronchien wurde teilweise in Serien geschnitten. Die Schnittrichtung lag
teils senkrecht zur Achse der Röhren, so dass also im Mikroskop sich die
Wandringe zeigten, teils entsprach sie der Längsrichtung und wurde dann
nicht nur durch die Vorderwand, sondern auch durch die Hinterwand,
seltener durch mehr seitliche Abschnitte geführt.
Wie ich bereits erwähnt habe, findet man in den gebräuchlichen
Lehrbüchern nur sehr kurze Angaben über das elastische Fasersystem des
Tracheobronchialbaumes. Ich möchte nur 2 Angaben hier änführen. So
sagt Gegenbaur, die Trachealschleimhaut sei „sehr reich an elastischen
Faserzügen, welche Netze bilden und durchschimmernd sichtbar sind“. In
einer allerdings schematisierten Abbildung erkennt man ein äusseres
elastisches Längsfaserband und perichondrale Faserzüge, aber kein
elastisches Faserband unter der Schleimhaut. Auch Hyrtl, der die
elastischen Bänder zwischen den Trachealknorpeln noch besonders er-
wähnt, schreibt: „Die hintere, glatte, knorpellose Wand der Luftröhre und
ihrer Aeste bildet eine dichte elastische Membran, deren lange Faser-
stränge netzartig untereinander zusammenhängen“. In dem wohl am
Y. Yokoyama, Der elastische Apparat des Tracheobronchialbaumes. 391
meisten verbreiteten Stöhrschen Lehrbuch der Histologie begegnet man
folgendem Satze: „Die flimmernde Schleimhaut der Luftröhre ist ebenso
gebaut wie diejenige des Kehlkopfes, ein Unterschied besteht nur insofern,
als die elastischen Fasern sich zu einem dichten Netzwerk mit vorwiegend
longitudinaler Faserrichtung ausbilden. Dieses Netz ist dicht unter dem
Epithel über den alveolär-tubulösen, gemischten Drüsen gelegen.“ In einer
Anmerkung fügt Stöhr hinzu, die glatte Muskulatur der Luftröhre und
ihrer Aeste sei ebenso reichlich mit elastischen Fasern versehen wie die
des Darmes.
Eingehender finden wir über die elastischen Fasern der Trachea nur
von wenigen Autoren berichtet, die pathologische Wandveränderungen
beschrieben und dabei Kontrolluntersuchungen an normalen Tracheen vor-
genommen haben. Das sind einmal von Gzyhlarz und Przewoski, die
die Divertikelbildung der Trachea studiert haben, und dann Brückmann
und 1shio-Haga, welche nähere Untersuchungen über die sogenannte
Tracheopathia osteoplastica vorgenommen haben. Dieses letztere seltene
Leiden scheint sich, nachdem Aschoff zuerst darauf hingewiesen hat, als
eine Entwicklungsstörung des elastischen Fasersystems der Trachea heraus-
zustellen.
Am eingehendsten scheint mir die Schilderung von Czyhlarz zu
sein, die ich mit seinen eigenen Worten schildern will.
„Wenn wir vom Epithel nach aussen gehen — die Anordnung der
elastischen Fasern ist bei der Trachea wie beim Bronchus im Wesen die
gleiche —, so haben wir zuerst einer ganz dünnen, übrigens sich nicht
konstant vorfindenden Schicht zarter, wenig gewellter, elastischer Fasern
zu gedenken, die mit der Schnittrichtung — ich habe auch hier zur
Verlaufsrichtung der Organe senkrechte Schnitte benutzt — parallel ver-
laufen und sich den Konturen des Epithels, von denen sie wenig entfernt
in der Mukosa liegen, in ihrer Richtung anpassen.
Abseits, etwas darunter, in der Mukosa oft durch feine Fasern mit
der ersten Schicht verbunden, findet sich eine starke kontinuierliche
Schicht dicker, längsverlaufender, also auf unserem Schnitte im Quer-
schnitt erscheinender Fasern, die sich dann nach aussen in zerstreute,
ziemlich dicke Fasern auflöst. Die kompakte zweite Schicht hat an der
Trachea eine Dicke von 30—40 n, in den Bronchien ist sie entsprechend
dünner. |
Die kompakte zweite Schicht ist nur -durchbrochen von den Aus-
führungsgängen der Drüsen und dem diese begleitenden Bindegewebe.
Interessant scheint es, dass die Ausführungsgänge der Drüsen von
einer fast unmittelbar unter der Basalmembran der Epithelien liegenden
dünnen Schicht elastischer Fasern, die zum Teil der Richtung des Aus-
führungsganges parallel verlaufen, zum Teil aber zirkulär angeordnet,
umgeben sind. (Ebenso sind die Drüsenschläuche selbst von unmittelbar
unter der Basalmembran liegenden zarten, elastischen Fasern umgeben.)
392. Y. Yokoyama, Der elastische Apparat des Tracheobronchialbaumes.
In der Muskelschicht finden sich sehr zahlreiche feine, in der Richtung
der Muskelfasern verlaufende elastische Fasern, die am Rande der Muskularis
meist eine Verdichtung zeigen. |
Dicht am Rande des Knorpels liegen in dem ihn umgebenden Binde-
gewebe teilweise längs-, teilweise quergetroffene elastische Fasern von
mittlerer Dicke.“
Am Rande sollen die elastischen Fasern und die Knorpelsubstanz
einstrahlen.
„Nach aussen an dem Knorpel — an den Bronchien sind dessen
Spangen untereinander durch zahlreiche dicke, elastische Fasern verbunden
— finden sich noch dicke, weit auseinanderstehende, bald längs-, bald
«uergetroffene elastische Fasern.“
Die Schilderung ist bei den anderen Autoren eine ähnliche, aber nur
bei Przeweski findet die zarte subepitheliale Ringfaserschicht einige Be-
achtung, während Brückmann und Ishio-Haga das Hauptgewicht auf
die kräftiger entwickelten, mehr nach aussen gelegenen elastischen Faser-
züge legen. In deren Beschreibung stimmen sie zwar nahe überein, aber
sie treffen eine verschiedene Gruppierung. Darauf werde ich noch zurück-
kommen.
Was ergaben nun meine eigenen Untersuchungen? Bei makroskopischer
Betrachtung kann man in der Trachea dicht unter dem Oberflächenepithel
verlaufende und durch dieses durchscheinende Lingsstreifen erkennen, die
nur selten deutlich in der ganzen Zirkumferenz, immer aber an der Pars
membranacea gut zu erkennen sind. Diese Längsstreifen entsprechen
offenbar den Faserzügen, welche Hyrtl und Gegenbaur beschrieben
haben und von denen sie behaupten, dass sie longitudinale Netze bilden.
Ich fand folgendes: Die weissgrau durchscheinenden Streifen verlaufen der
Achse der Trachea parallel bis zur Bifurkation, wo sie fächerartig
divergieren und teils in den linken, teils in den rechten Hauptbronchus
übertreten. Die Lage der Trachea, die, wie man in Röntgenbildern gut
erkennen kann —, ich verweise z. B. auf den Atlas von Hart und
Harras —, nach unten etwas nach rechts abweicht, hat keinen be-
stimmten Einfluss auf den Verlauf jener Streifen, wie man aus der Arbeit
Przewoskis entnehmen könnte. Die Streifenbildung ist in den unteren
Abschnitten der Trachea deutlicher ausgeprägt als in den oberen, wo sie
unter dem Kehlkopf vielfach nicht gut zu erkennen ist. Die Streifen
nehmen nach abwärts an Dicke zu, und ich fand in manchen Fällen eine
Breite von 2 mm. Ausserdem aber lässt sich leicht feststellen, dass die
Zahl der Streifen von oben nach unten zunimmt, dadurch, dass in ganz
spitzem Winkel neue Faserbündel sich abzweigen und nach abwärts an
Stärke zunehmen.
Abgesehen von diesem offenbar ganz physiologischen Verhalten muss
ich aber betonen, dass die Zahl an Streifen individuellen Schwankungen
unterworfen ist. Man kann manchmal nur 5—7, manchmal 9 Streifen er-
kennen und auch in den grossen Bronchien, wo ihre Zahl erheblich zu-
Y. Yokoyama, Der elastische Apparat des Tracheobronchialbaumes. 393
genommen hat, kann die Zahl eine sehr wechselnde sein. Ebenso scheint
es mir wichtig, zu betonen. dass die Stärke der Streifen eine sehr
wechselnde sein kann. Bald sind sie sehr zart, bald treten sie in auf-
fälliger Weise hervor. Als Gesamteindruck muss ich demnach schon hier
hervorheben, dass die Entwicklung der Längsstreifen der Trachea eine
variable, individuell schwankende ist, die möglicherweise funktionell zum
Ausdruck kommen kann.
Die Längsstreifenbildung in den grossen Bronchien setzt sich auch
weiterhin in die Bronchialverzweigungen fort, und man kann mühelos er-
kennen, dass diese Streifen in der ganzen Zirkumferenz unter deren
Epithel bis in die kleinen Verzweigungen hineinlaufen. Man kann diese
Streifen des Bronchialbaumes als die kontinuierliche Fortsetzung jener der
Trachea auffassen, bemerkt aber, dass immer an den Teilungsstellen von
dem Kamm neue Züge zu entspringen scheinen. So kommt es wohl vor
allem, dass die Zahl der Streifen in den Teilungsästen immer die der in
dem entsprechenden Hauptstamm übertrifft. Bei der mikroskopischen Be-
trachtung kann man, wie das die bisherigen Beschreiber ja auch getan
haben, verschiedene Fasersysteme unterscheiden. Jedoch muss man sich
bewusst bleiben, dass die Gruppierung der elastischen Faserzüge zu
Systemen nicht etwa scharf isolierten Bündeln entspricht, sondern im
wesentlichen nur der Verlaufsrichtung der Fasern gerecht wird. Alle
stehen untereinander teils durch Abzweigen der Fasern, teils durch netz-
förmig sich verflechtende Maschen miteinander in Verbindung.
Die erste Faserlage, die ich erwähnen muss, ist die zuerst von v. Czyhlarz
beschriebene innerste elastische Ringfaserschicht, die unmittelbar unterhalb
des Epithels gelegen ist. Von dieser Schicht, die im allgemeinen aus
sehr zarten, leicht gewellten Fäserchen besteht, habe ich dreierlei zu
betonen. Erstens scheint sie sich ganz allmählich zu entwickeln, bei
Neugeborenen und kleinen Kindern habe ich sie ganz vermisst, während
ich sie mit zunehmendem Alter der Individuen immer deutlicher hervor-
treten sah. Doch will ich bereits hier erwähnen, dass gerade diese
Schicht mir eine sehr verschiedenartige Entwicklung zu zeigen scheint,
worauf es vielleicht teilweise beruhen mag, dass man ihr bisher so wenig
Aufmerksamkeit geschenkt hat und dass ihrer beispielsweise auch in dem
vorzüglichen Lehrbuch Stöhrs keine Erwähnung getan wird. Dazu kommt
dann zweifens, dass sich diese zirkulär verlaufenden subepithelialen Fasern
nicht in der ganzen Zirkumferenz des Trachealrohres finden, sondern nahezu
ausschliesslich im Bereich des hinteren häutigen Wandteiles. Man erkennt,
wie die elastischen Fasern sich nach der Seitenwand der Trachea zu all-
mählich auflockern, eine feine, netzartige Anordnung bilden und auch
selbst immer dünner werden, bis sie sich schliesslich ganz verlieren. Im
Bereich der Vorderwand begegnet man einer wohlausgebildeten, deutlichen
Ringfaserschicht unter dem Epithel niemals, während sie selten wenigstens
in den an die Pars membranacea angrenzenden Seitenabschnitten ausgeprägt
sein kann. Drittens wurde ich noch auf folgendes aufmerksam: Die ring-
394 Y. Yokoyama, Der elastische Apparat des Tracheobronchialbaumes.
férmige, subepitheliale Faserschicht kann in ziemlicher Kompaktheit vor-
handen sein. Nicht selten aber sieht man auch, wie scheinbar mehrere
Ringe gebildet werden derart, dass einzelne feine Fäserchen unmittelbar
der Basis der Epithelien anliegen und der hyalinen Basalmembran zu ent-
sprechen scheinen, während erst etwas tiefer, durch feine Fäserchen ver-
bunden, die eigentliche zirkuläre Ringschicht verläuft. Die Bildung dieser
Ringschicht scheint mir hervorzugehen aus einer Verdichtung netzförmig
verlaufender Fasern, denen man begegnen kann, wenn noch keine zirkuläre
Schicht ausgebildet oder deutlich vorhanden ist.
In den Verzweigungen der Trachea kann man die subepitheliale
elastische Ringfaserschicht insofern besser als in der Trachea selbst aus-
geprägt finden, weil sie mit abnehmendem Kaliber der Bronchien un-
mittelbar unter dem Epithel immer deutlicher in zirkulärer, das ganze
Lumen umfassender Anordnung angetroffen wird und den Fältelungen der
Schleimhaut folgt. Natürlich sind die Fäserchen viel zarter und auch der
Faserring selbst, entsprechend der Grösse des Bronchus, ein weniger
kompakter.
Ich komme nun zu dem zweiten elastischen Fasersystem, das uns
bereits makroskopisch in der Form weissgrauer, durch das Epithel hin-
durchscheinender Streifen entgegengetreten ist.
Die soeben beschriebene zirkulär verlaufende, elastische Faserschicht
steht da, wo sie ausgebildet ist, durch netzförmig angeordnete Fasern mit
jenen elastischen Längsfaserzügen in Verbindung, die makroskopisch so
deutlich hervorzutreten pflegen. Diese Faserschicht ist die kräftigste der
ganzen Trachea und findet sich rings um das ganze Lumen, aber in
wechselnder Entwicklung und gewöhnlich am stärksten in der Pars
membranacea. Wenngleich dieses Fasersystem hauptsächlich zu flachen,
wechselnd breiten und kompakten Bündeln angeordnet ist, so finden sich
doch auch zwischen diesen elastische Fasern in reichlicher Menge. Am
stärksten . sind die longitudinalen Fasern, welche Aschoff als das Auf-
hängeband der Trachea bezeichnet hat, nahe der Bifurkation entwickelt.
Zuweilen aber findet man ihre stärkste Ausprägung auch in den mittleren
Abschnitten der Trachea, während unmittelbar unterhalb des Kehlkopfes
das Faserband weniger kräftig erscheint. Es mag dies daher rühren, dass
man eine Aufsplitterung und Versenkung gegen die Tiefe erkennen kann,
die die Mutmassung nahelegt, dass nur ein Teil der elastischen Längs-
fasern eine Fortsetzung der submukösen elastischen Lamellen des Kehl-
kopfes darstellt, während von dem unteren Knorpelrande des Kehlkopfes
neue Fasern entspringen, mehr unter die Oberfläche treten und die
elastischen Längsfaserzüge verstärken. Aschoff hat beim Pferde be-
obachten können, dass nach dem Kehlkopf zu eine allmähliche Auf-
splitterung und Versenkung der elastischen Längsbündel erfolgt, während
umgekehrt nach den Bronchien zu die elastischen Fasermassen immer
mehr zu kleinen geschlossenen Systemen reduziert werden.
Diese letztere Beobachtung Aschoffs kann ich gleichfalls bestătigen.
Y. Yokoyama, Der elastische Apparat des Tracheobronchialbaumes. 395
Dass man makroskopisch bereits die Zahl der Längsstreifen sich vermehren
und über die ganze Zirkumferenz ausbreiten sieht, habe ich bereits erwähnt.
Mikroskopisch sieht man dementsprechend die Bündel immer deutlicher,
natürlich unter Abnahme ihrer Breite und Dicke und unter Zarterwerden
der elastischen Fasern selbst entsprechend dem Kaliber des Bronchus Ich
möchte sagen, dass zwischen diesem und der Entwicklung der elastischen
Faserbündel eine Proportion besteht. Bei schwacher Vergrösserung scheinen
die Bündel scharf begrenzt, bei stärkerer erkennt man aber zwischen ihnen
elastische Fasern, welche die einzelnen Bündel mitunter zu verbinden
scheinen.
Auch in der Trachea stösst man nicht selten auf einzelne Fasern und
Züge solcher, welche nicht der Axe der Trachea parallel laufen, sondern
mehr schräg, und ich muss annehmen, dass es sich teils um Anastomosen
zwischen .den einzelnen Hauptfaserzügen handelt, teils um Abzweigungen,
aus denen sich neue, geschlossene Faserbündel entwickeln. In der Trachea
liegt das elastische Längsfasersystem unmittelbar nach innen von den
Schleimdrüsen, deren Ausführungsgänge von feinen elastischen Fäserchen
begleitet und manchmal ringförmig umsponnen, zwischen ihnen hindurch-
treten, während, wie ich bereits erwähnt habe, zwischen der Membrana
propria des Epithels und dem Fasersystem ein lockeres, viele Rundzellen
enthaltendes Gewebe mit netzförmigen Fäserchen liegt. Distalwärts aber
rücken die Längsfaserbündel immer näher an die Membrana propria
heran, und in den kleinen Bronchien verlaufen sie in den faltenförmigen
Erhebungen der Schleimhaut. In den respiratorischen Bronchiolen ist
nichts mehr von Längsfaserzügen wahrzunehmen, die sich vorher in
ständiger Verjüngung in den feinsten Bronchien verloren haben.
Nach aussen von den elastischen Längsfasern, die ich soeben be-
schrieben habe, begegnet man keiner so geschlossenen Bündelbildung
mehr, und es lässt sich sagen, dass wir jetzt sowohl ausserhalb als auch
innerhalb der Knorpelringe auf elastische Fasern stossen, deren Zentrum
gewissermassen das Perichondrium bildet. Zwischen den longitudinalen
Faserbündeln und den Knorpeln findet sich ein verhältnismässig breiter,
lockerer Raum, in dem die Schleimdrüsen gelegen sind. Hier lässt sich
zweierlei feststellen, einmal sieht man feine elastische Fäserchen, die,
netzförmig geordnet, die Schleimdrüsen umspinnen und auch Begleitfasern
an die Ausführungsgänge abgeben. Diese Fasern sind immer zart. Zum
anderen aber kann man auch kräftigere Fasern, die teilweise zu Biündeln
angeordnet sind, erkennen, die den Raum schräg durchziehen und in
wechselnder Höhe, also nicht gewöhnlich in einer Querschnittsebene, mit
jenen longitudinalen Fasern anastomosieren. Ich fasse diese kräftigen,
teilweise zu Bündeln geordneten Fasern als Ausstrahlungen des elastischen
Perichondriums auf, die dem longitudinalen System immer neue Verstärkung
zuführt, was ja auch damit übereinstimmt, dass man lungenwärts eine
immer grössere Zahl von Längsbündeln erkennen kann. Im allgemeinen
haben die netzförmig geordneten Fasern eine Neigung zu zirkulärem Ver-
396 Y. Yokoyama, Der elastische Apparat des Tracheobronchialbaumes.
laufe dicht ausserhalb der Längsfaserbündel und bilden geschlossenere
Züge als in dem weiter nach aussen gelegenen Gewebe.
Im Bereich der Pars membranacea fehlen häufig kräftigere Faser-
bündel, oft aber auch kann man hier dichtere zirkuläre Bündel erkennen,
die von Knorpelende zu Knorpelende zu verlaufen scheinen. Um den
Knorpel herum sind überall reichlich elastische Fasern nachzuweisen,
welche man als elastisches Perichondrium bezeichnen kann. Sie verlaufen
nicht nur in einer Richtung. Von ihnen gehen dichtere, sich überkreuzende
Fasermassen aus zu den nächstgelegenen Knorpeln und bilden somit eine
elastische Zwischenknorpelmembran, der Hyrtl eine besonders wichtige
funktionelle Aufgabe zuspricht. Diese Bänder zwischen den Knorpeln
kann man in wechselnd kräftiger Ausbildung bis in die kleineren
Bronchien hinein verfolgen, wo sie die einzelnen Knorpelplättchen mit-
einander verbinden, aber infolge deren regelloser Anordnung nicht leicht
zu erkennen sind.
In gleicher Weise nun wie nach dem inneren, von den Schleimdrüsen
eingenommenen Raume, findet sich auch ausserhalb des Knorpels ein Netz-
werk wechselnd kräftiger, in verschiedener Richtung verlaufender Fasern,
die an den Stellen, wo wir Muskulatur finden, die Muskelbündel umspinnen
und innig mit dem Perimysium externum verbunden zu sein scheinen.
Genau so wie in der Schleimdrüsenzone sieht man diese elastischen Fasern
sich auch um die Gefässe herumlegen und sie begleiten. Dieses ganze
Fasersystem scheint mir gleichfalls innig mit dem elastischen Perichondrium
zusammenzuhängen bzw. von ihm auszugehen. Die netzförmig angeordneten
Fasern verdichten sich auch hier vielfach zu Bündeln, welche namentlich
als längsverlaufende im Bereich der Pars membranacea sehr kräftig ent-
wickelt sein können. Diese Faserzüge könnte man nach der Aschoffschen
Nomenklatur als das äussere elastische Faserband der Trachea bezeichnen,
aber es finden sich auch noch andere Faserzüge, die besonders hervortreten
als zwischen den Knorpeln durchziehende, die äusseren und inneren elasti-
schen Fasermassen verbindende Züge, die man aber nicht immer gleich-
mässig entwickelt findet. Diese Faserzüge hat Brückmann als elastische
Pfeiler bezeichnet, die das elastische innere und äussere Längsfaserband
miteinander verbinden. Wie Brückmann, so habe auch ich gefunden,
dass diese Pfeiler mit dem elastischen Perichondrium in Verbindung stehen,
so dass unter dem Mikroskop sich Bilder zeigen, die man manchmal mit
einem X vergleichen kann. Die um die Knorpel sich gruppierenden
elastischen Fasermassen kann man bis in die kleinen Bronchien verfolgen,
aber natürlich auch in einer Entwicklung, welche etwa dem Kaliber
des Bronchus proportional geht. Innerhalb der Lungen gehen diese
elastischen Fasern nach aussen auf das perichondrale und periarterielle
Gewebe über.
Aus alledem geht hervor, dass die Wand der Trachea ausserordentlich
reich an elastischen Fasern ist, was sicherlich funktionelle Bedeutung hat.
Bei weiten am kräftigsten finden wir das innere elastische Längsfaserband
Y. Yokoyama, Der elastische Apparat des Tracheobronchialbaumes. 397
entwickelt, das Aschoff als Aufhängeband bezeichnet hat. Brückmann
und Ishio-Haga haben Systeme aufzustellen versucht, und zwar hat
ersterer nach Aschoffs Vorschlag ein inneres und äusseres Längsfaserhand
unterschieden, die durch zwischen den Knorpeln hindurchlaufende Pfeiler
aus elastischen Faserzügen miteinander in Verbindung stehen. Ishio-Haga
hat zu diesen Bändern noch die mehr ringförmig verlaufenden oder netz-
förmig angeordneten Fasern innerhalb bzw. ausserhalb der Knorpelringe
gerechnet. Diese letztere Auffassung vermag ich nicht zu teilen, wenn-
gleich ich habe feststellen können, dass diese Fasern mit den geschlossenen
Längsbündeln in vielfachem Zusammenhang stehen. Ich unterscheide an
der Pars membranacea der Trachea nachweisbare subepitheliale, ringförmige
Fasern, deren Bedeutung ich darin erblicke, dass sie die elastische Wider-
standskraft dieses Wandabschnittes verstärken sollen. Zweitens nenne ich
die longitudinale Längsfaserschicht, die an der Pars membranacea besonders
kräftig entwickelt ist und in den verschiedenen Höhen von den Knorpeln
aus neue, vielfach bereits in Bündeln laufende Verstärkungsfasern erhält.
Diese longitudinalen Faserbündel heben sich scharf aus der elastischen
Fasermasse der Trachealwand hervor und verdienen nach Aschoff und
Brückmann eine besondere Bezeichnung. Ihre Entwicklung, besonders
an der Pars membranacea, bedingt einen guten Schutz gegen die Ueber-
dehnung dieses weniger widerstandsfähigen Wandteiles. Während die
übrige Zirkumferenz des Trachealrohres durch die festen und doch etwas
elastischen Knorpelringe geschützt ist, muss die Pars membranacea nicht
allein gegen den respiratorischen, besonders den verstärkten Luftdruck,
der ja auf allen Wandteilen gleich stark lastet, besonders gut geschützt
werden, sondern sie muss auch einem von dem Oesophagus aus auf sie
wirkenden Drucke genügend starken Widerstand entgegensetzen können. Zu
letzterem Zwecke ist die Einrichtung eines kräftigen, elastischen Längsfaser-
bandes in erster Linie geeignet. Ausserdem aber muss natürlich berück-
sichtigt werden, dass die Trachea bei der Atmung, bei starker Zurück-
biegung des Kopfes eine Dehnung erfährt, die ebenso wie die Rückkehr
in die ursprüngliche Lage durch elastische Längsfaserzüge gewährleistet
wird. Ihre Aufgabe könnten aber diese nicht erfüllen, wenn sie sich nur
in den inneren subepithelialen Wandabschnitten und in der Pars membra-
nacea fänden. Deshalb wirken im gleichen Sinne einmal die elastischen
Zwischenknorpelmembranen, wie Hyrtl betont hat, und dann der von
Brückmann als äusseres Längsband bezeichnete elastische Faserzug, den
ich als äusserste Lage im Bereich der Pars membranacea beschrieben
habe. Er dient hier der gleichen Aufgabe wie das innere elastische Faser-
band, hinter dem er aber an geschlossener Ausbildung zurücksteht. Ich
trete aber doch der Anschauung Brückmanns, der die Meinung Aschoffs
wiedergibt, bei und nenne daher besonders
3. ein äusseres elastisches Längsfaserband. Die elastische Zwischen-
knorpelmembran besitzt eine geringere Selbständigkeit. Ich bin zu der
Auffassung gelangt, dass sich zwischen innerem und äusserem Längsfaser-
398 Y. Yokoyama, Der elastische Apparat des Tracheobronchialbaumes.
verband ein Netzwerk elastischer Fasern ausspannt, das seinen Mittelpunkt
in den Knorpelringen hat und von dem sehr faserreichen elastischen Peri-
chondrium ausstrahlt. Ich unterscheide daher
4. das perichondrale Fasernetzwerk, welches sich sowohl nach innen
von den Knorpeln zwischen den und um die Schleimdrüsen herum ent-
wickelt und sich vielfach zu dichten, zirkulär verlaufenden Faserbündeln
zusammenschliesst. In besonderer Ausprägung begegnet man solchen
. Fasern im Bereich der Pars membranacea, wo sie als kräftige Bündel, wie
die Sehne eines Bogens, sich zwischen den Knorpelenden ausspannen und
der Pars membranacea auch in seitlicher Richtung eine gute Dehnungs-
fähigkeit und Widerstandskraft verleihen. Ausserhalb der Knorpel finden
wir ein gleiches Netzwerk in verschiedensten Richtungen verlaufender
elastischer Fasern, die sich auch mehr zirkulär anordnen können. Nicht
richtig kann ich die oben erwähnte Zusammenfassung Ishio-Hagas finden.
Es bleiben nun noch
5. die von Brückmann beschriebenen, oftmals sehr kräftig ent-
wickelten, sogenannten elastischen Pfeiler, welche die innere und die
äussere Längsfaserschicht untereinander zu verbinden scheinen und dabei
mit dem Perichondrium in Berührung treten. Diese Pfeiler sehen im mikro-
skopischen Bilde wie selbständige Faserzüge aus, aber ich glaube, dass
man in ihnen doch wohl Abkömmlinge des Perichondriums zu erkennen hat.
Ueber die elastischen Fasern der grossen Bronchien habe ich bereits
nähere Angaben gemacht, aus denen hervorgeht, dass in allem wesent-
lichen eine Uebereinstimmung mit dem Bau der Trachealwand besteht.
Ich habe auch bemerkt, dass man die elastischen Fasern in einer dem
Kaliber proportionalen Entwicklung bis in die kleinen Bronchien hinein
verfolgen kann, woraus hervorgeht, dass der ganze Bronchialbaum sowohl
über ein elastisches Längsfasersystem als auch über ein elastisches Ring-
fasersystem verfügt!).
——
1) Inzwischen ist.nach Abschluss dieser Arbeit die von Aschoff ange-
kündigte Mitteilung Koikes erschienen, die ich nicht mehr habe berücksichtigen
‘können. Ich sehe aber, dass er genau so wie ich sich im wesentlichen auf den
Boden der sehr guten Beschreibung v. Czyhlarz’ gestellt hat, der alle die von
mir gefundenen elastischen Faserzüge beobachtet hat. Koike stellt 6 Systeme
auf, die er folgendermassen einteilt:
1. Das erste System besteht aus dicht unter der Basalmembran zirkulär
verlaufenden, nicht konstant vorkommenden elastischen Fasern.
2. Das ganze System besteht aus längsgerichteten, in gleichmässiger Dichte,
aber in wechselnder Dicke im ganzen Umkreise angeordneten elastischen
Fasern.
3. Das dritte System, direkt ausserhalb der zweiten, besteht aus zirkulär
verlaufenden Fasern.
4. Das vierte System besteht aus längs und zirkulär verlaufenden, ausser-
halb des Knorpelsystems liegenden Fasern.
Y. Yokoyama, Der elastische Apparat des Tracheobronchialbaumes. 399
Ich möchte nun einige Betrachtungen über die respiratorische Bewegung
des Tracheobronchialbaumes anstellen.
Schon seit langem weiss man, dass die Trachea eine Bewegung sowohl
bei der Respiration als auch beim Schluckakte macht, die man sowohl an
der Bewegung des Kehlkopfes, wie namentlich auch bei der réntgenographischen
Untersuchung erkennen kann und die in neuerer Zeit, worauf Aschoff
bereits hinweist, auch durch die Bronchoskopie hat festgestellt werden
können. Wahrscheinlich kann man eine Verschiebung der Bifurkation von
durchschnittlich 2 em annehmen, aber es ist wichtig, zu betonen, dass
individuelle Verschiedenheiten, wie namentlich der Bau des Brustkorbes
und die Länge der Trachea eine grosse Rolle spielen. Wie variabel die
letztere ist, geht aus den Angaben der anatomischen Lehrbücher hervor,
dass die Zahl der Knorpelringe eine recht wechselnde sein kann, und die
verschiedene Länge des Brustkorbes ist gerade für die Untersuchung von
Bedeutung, ob bei einem gewissen Habitus sich Besonderheiten an dem
elastischen Fasersystem des Tracheobronchialbaumes nachweisen lassen.
Der Stand der Bifurkation ist im wesentlichen von der Länge des Brust-
korbes abhängig. Auch Engel schreibt in seinen Untersuchungen über
Form, Lage und Lageveränderungen des Bronchialbaumes im Kindesalter,
dass die Bifurkation um so tiefer steht, je schlanker der Brustkorb und
je tiefer der Zwerchfellstand ist. So glaubt er, Differenzen in der Bifur-
kationshöhe um etwa einen halben Wirbelkörper erklären zu können. Wir
wissen nun, dass bei dem Habitus asthenicus das Zwerchfell tief steht,
was nach Wenkebach und Löschke die Bildung des sogen. Tropfen-
herzens erklärt, und können uns gut vorstellen, dass durch diesen Zwerch-
felltiefstand auch Einflüsse auf die Trachea ausgeübt werden. Zudem kann
ich auf die Abhandlung Murk Jansens verweisen, in der er darlegt,
dass die kaudal gerichteten Kräfte des Zwerchfells durch die Bronchien
teilweise auf die Trachea übermittelt werden und die Trachea nach abwärts
ziehen, wobei Bifurkation und Lungenhilus eine Verschiebung erleiden.
Die funktionelle Bewegung der Trachea wird also abhängig sein
1. von ihrer Länge und dem Verhältnis dieser zu der Form des
Brustkorbes, |
2. von den auf das Thoraxinnere wirkenden respiratorischen Kräften,
insbesondere dem Zwerchfell, die ihrerseits wohl in engen Be-
ziehungen zu der Form des Brustkorbes stehen.
Es sind das sehr variable Momente, denn einmal spielen in jedem
Lebensalter, namentlich aber bei Erwachsenen, individuelle Unterschiede
eine grosse Rolle, und dann kommen auch Altersdifferenzen physio-
5. Das fünfte System besteht aus Fasern, die das 3. und 4. System in
Zusammenhang bringen.
6. Das sechste System besteht aus Fasern, die die Knorpelringe oder die
Knorpelspangen des Tracheobronchialbaumes miteinander in Zusammen-
hang bringen.
Archiv für Laryngologie. 28. Bd. 3. Heft. 97
400 Y. Yokoyama, Der elastische Apparat des Tracheobronchialbaumes.
logischer Natur in Betracht, die ich später berücksichtigen muss. Mit
dieser letzten Frage haben sich besonders Mehnert und Engel beschäftigt.
wobei sich herausgestellt hat, dass die Bifurkation von den ersten Lebens-
monaten bis gegen die Zeit der Pubertät sich um mehrere Brustwirbel
nach abwärts verschiebt.
Dass die Trachea auch nach anderen Richtungen eine gute Beweglich-
keit in sich selbst besitzt, ist bekannt, so lässt sich bei der Bronchoskopie
eine leichte Drehung ihres unteren Abschnittes feststellen, und bei seitlich
gedrehtem Kopfe und gestrecktem Halse muss sie eine erhebliche Drehung
erfahren. Doch haben diese Punkte für meine Betrachtungen geringere
Bedeutung.
Was nun die Bewegung des Bronchialbaumes anbelangt, so weiss man,
dass sie in einer spiraligen Streckung bestehen, wie das namentlich von
Aeby, Birch-Hirschfeld und Hart betont worden ist. An Ausgüssen
des Bronchialbaumes, wie sie sich in Hyrtls Korrosionsanatomie, bei
Birch-Hirschfeld und Engel finden, kann man die spiralige Gestalt
der Bronchien im Ruhezustand erkennen, ganz besonders aber möchte ich
auf die prachtvollen Ausgüsse, die Orsös abgebildet hat, aufmerksam
machen, an denen man auch erkennen kann, wie sich bei der Exspiration
die spiralige Gestalt bei der Dehnung des Bronchus verliert. Die beiden
Hauptbronchien und ihre grossen Aeste erfahren wie die Trachea eine
Dehnung, die Resultante aus den auf sie wirkenden respiratorischen Zug-
kräften ist. Dabei erfährt der Bifurkationswinkel, wie gleichfalls an den
Abbildungen von Orsös gut zu erkennen ist, eine Veränderung derart,
dass er mehr spitz wird.
Nun ist es bekanntlich eine alte Feststellung, dass die einzelnen Ab-
schnitte der Lunge sich nicht gleichmässig ausdehnen, worüber in neuerer
Zeit besonders Tendeloo sehr sorgfältige Untersuchungen angestellt hat.
Ich will mich darauf beschränken, die von Murk Jansen gegebene Er-
klärung hier anzuführen, weil sie von grosser Bedeutung für meine Be-
{rachtungen zu sein scheint.
Murk Jansen bezeichnet die Bronchien und die mit ihnen verlaufenden
Gefässe als das Skelett der Lunge und nimmt an, dass die Fortpflanzung
einer örtlich an oder in der Lunge angreifenden Kraft von den Bronchien
gefördert wird, falls sie in der Längsrichtung angreift, aber beschränkt
wird, falls sie in der Richtung senkrecht zu ihrer Achse wirkt. Da die
Trachea der vom Zwerchfell aus auf die Spitzenbronchien wirkenden Kraft
entgegenwirkt, so ist in der Trachea ein Grund gelegen für die Dehnungs-
beschränkung der kranialen Lungenbläschen. Und was die Trachea mit
den Hauptbronchien für die kranialen Lungenbläschen ist in bezug auf die
Zwerchfellatmung, das ist der Hauptbronchus mit dem Stamm und Ober-
lappenbronchus für die paravertebralen Bläschen einer jeden Lunge in
bezug auf die kostale Atmung. Es würde sich aus alledem ergeben, dass
der Trachealbronchialbaum die Verteilung der Kräfte, welche an der Ober-
fläche der Lunge angreifen, in deren Innerem beherrscht. Wir müssen
Y. Yokoyama, Der elastische Apparat des Tracbeobronchialbaumes. 401
anerkennen, dass der anatomische Bau der Tracheal- und Bronchialwand
dieser Aufgabe gut entspricht. Denn die elastischen Längsfaserzüge gewähr-
leisten eine gute Dehnungsfähigkeit der luftzuführenden Röhren und ermög-
lichen ihre automatische Rückkehr in den exspiratorischen Beharrungs-
zustand. Die intrapulmonalen Bronchien zeigen Beziehungen ihres elasti-
schen Fasersystems zu dem des peribronchialen Gewebes bzw. zu dem
elastischen Alveolargerüst, und aus dem Zusammenwirken der elastischen
Längs- und Ringfaserschicht ergibt sich die Möglichkeit ausgiebiger Tor-
sionen, wie wir sie bei der inspiratorischen Dehnung der Bronchien wahr-
nehmen können.
Welche besonderen Schlüsse habe ich nun aus den Untersuchungen
über die elastischen Fasern des Tracheobronchialbaumes ziehen können’?
Von grosser Bedeutung scheint mir die bereits mehrfach betonte Fest-
stellung, dass nicht nur bei makroskopischer, sondern auch bei mikro-
skopischer Betrachtung erhebliche individuelle Unterschiede zu entdecken
sind. Ich habe die Tracheen von Kindern untersucht, bei denen namentlich
das elastische Längsfasersystem sehr schlecht entwickelt war, während es
doch gerade bei Kindern deutlich hervorzutreten pflegt. Ich muss es
dahin gestellt sein lassen, ob damit ein wichtiges konstitutionelles Merkmal
gegeben ist, welches auf geringere Leistungsfähigkeit des Tracheobronchial-
baumes und eine Beschränkung der ihm zukommenden Funktionen hinweist.
Es ist klar, dass ich dabei an die Prädisposition zur tuberkulösen Lungen-
phthise denke, worauf ich später noch eingehen werde. Ich will aber
hier feststellen, dass mangelhafte Entwicklung des elastischen Fasersystems,
insbesondere des inneren Längsfaserbandes, sich sowohl bei älteren Kindern,
wie auch bei Individuen jenseits ‘der Pubertät auffinden lässt, so dass die
Annahme berechtigt ist, dass kongenitale Anlage dabei eine Rolle spielt.
Wenn mein Eindruck richtig ist, so findet während der Kindheit eine
fortwährende Kräftigung und Weiterentwicklung des elastischen Apparates
der Trachea statt. Für die unmittelbar unter dem Epithel gelegenen ring-
förmigen Fasern der Pars membranacea ist das ganz sicher, denn sie fehlen
bei kleinen Kindern ganz und pflegen sich zu sehr verschiedener Zeit zu
deutlichen, geschlossenen Bündeln herauszubilden. Aber auch die Längs-
faserbänder lassen die allmähliche Kräftigung im allgemeinen wahrnehmen.
Ich habe ferner die Meinung gewonnen, als finde besonders um die Zeit
der Pubertät ein Kräftigerwerden des elastischen Fasersystems statt, wenn-
gleich ich betonen muss, dass ich keineswegs von einer stets deutlichen
Konstanz der Erscheinung sprechen kann. Sie liesse sich aber gut erklären
und stände im Einklang mit den am Brustkorb sich vollziehenden Wachs-
tumsänderungen und Verschiebungen. Diese bestehen darin, dass die Lungen
aufwärts steigen und in den ersten Rippenring eintreten, während umgekehrt
die Bifurkation eine tiefere Lage einnimmt, wie insbesondere aus den um-
fassenden Untersuchungen Engels iiber den Altersdeszensus der Trachea
hervorgeht. Von grosser Bedeutung ist diese Verschiebung der oberen
Lungenabschnitte in umgekehrter Richtung zu der der Trachea für die
Ur
402. Y. Yokoyama, Der elastische Apparat des Tracheobronchialbaumes.
Erhebungen Murk Jansens. Es wird die verlängerte Trachea im ver-
mehrten Masse die Fortleitung der vom Zwerchfell aus wirkenden inspira-
torischen Kräfte durch die aufwärtssteigenden Spitzenbronchien hemmen,
was eine verminderte Dehnung der kranialen Lungenbläschen zur Folge
haben muss. Hier tritt uns also ein Moment entgegen, welches die Lungen-
spitzen bei reifen Individuen in ungünstigere funktionelle Verhältnisse setzt
als bei Kindern. Und zwar handelt es sich um eine bei allen Individuen
in gleicher Weise sich geltend machende Erscheinung.
Bekanntlich spielt die Annahme einer Spitzendisposition zur Erklärung
der Entstehung einer tuberkulösen Phthise eine grosse Rolle, so dass es
wohl berechtigt erscheint, diesen Veränderungen weitere Aufmerksamkeit
zu widmen. Mehr als einmal ist schon die Vermutung ausgesprochen
worden, die zur Tuberkulose veranlagten Individuen verfügten über
weniger elastische Lungen als andere Individuen, noch niemals aber hat
man für diese Behauptungen sicheren Beweis erbringen können. Bei
meinen Untersuchungen ist mir nun in der Tat aufgefallen, dass bei
tuberkulösen Individuen insbesondere das innere elastische Längsfaserband
der Trachea sehr schwach entwickelt war. Die Bedeutung dieser Unter-
entwicklung könnte daran liegen, dass die Trachea als Ganzes starrer und
weniger verschieblich wäre und daher auch eine grössere Hemmung auf
die Dehnung der oberen Lungenabschnitte im Sinne Murk Jansens auf
die Lungen ausübte. Ich will aber hier mit Nachdruck darauf hinweisen,
dass ich einmal nicht bei allen tuberkulösen eine nach meinem Ermessen
geringere Entwicklung des elastischen Apparates der Trachea gefunden
habe, andererseits die gleiche Beobachtung auch bei anderen lungen-
kranken und lungengesunden Individuen gemacht habe. Teilweise ist das
zurückzuführen auf die oft erwähnten individuellen Verschiedenheiten.
Dass nun nicht bei allen Tuberkulösen das elastische Fasersystem wenig
kräftig ist, könnte man vielleicht mit den anatomischen Verhältnissen in
Zusammenhang bringen, auf die ich leider erst spät aufmerksam geworden
bin, so dass ihnen meine Untersuchungen nicht Rechnung tragen.
Je länger die Trachea etwa entsprechend der Länge des Brustkorbes
ist, um so weniger wird sie bei Zwerchfelltiefstand während der Inspiration
nach abwärts steigen. Die elastischen Längsfasern werden dann funktionell
weniger in Anspruch genommen, worauf eine geringere Entwicklung
zurückgeführt werden könnte. Handelt es sich aber um eine primäre
Erscheinung, so muss sich die ungenügende Elastizität der Trachea um so
mehr fühlbar machen, je länger die Trachea ist. Die antagonistische
Hemmung der Zwerchfellkräfte in den Lungenspitzen wird eine um so
grössere sein, je länger und unelastischer die Trachea ist. Gleiche Be-
trachtungen gelten für die Hauptbronchien und deren grossen Aeste,
namentlich könnte man den Längenunterschied zwischen linkem und
rechtem Hauptbronchus für bedeutungsvoll erachten, wie auch Murk
Jansen schreibt. „In der geringeren Dicke, dem mehr horizontal ge-
richteten Verlauf und der grösseren Länge des linken Hauptbronchus
Y. Yokoyama, Der elastische Apparat des Tracheobronchialbaumes. 403
finden wir somit drei Gründe, aus welchen — bei übrigens gleichen Ver-
hältnissen — der linke Hilus sich während der Inspiration mehr senken
wird als der rechte, und somit die Atemschwankungen in der linken
Lungenspitze grösser sind als in der rechten. Dass diese Tatsachen in
Zusammenhang stehen können mit der höheren Frequenz rechtsseitiger als
linksseitiger Spitzenkatarrhe, welche einige Kliniker beobachtet haben,
möge aus dem Obigen hervorgehen.“
Es ist also denkbar, dass der Entwicklungsgrad der elastischen Fasern
Bedeutung gewinnt in Zusammenhang mit der Länge der Trachea, worüber
genauere Untersuchungen anzustellen wären.
Die von Aschoff zuerst geäusserte Meinung, dass bei Tuberkulösen
die elastischen Fasern des Tracheobronchialbaumes unentwickelt seien,
kann man jedenfalls nicht für alle Fälle von Phthise gelten lassen. Aber
da, wo sie vorkommt, ist man berechtigt, an eine primäre Erscheinung zu
denken und eine Besonderheit der Konstitution anzunehmen.
Eine primäre Beeinflussung der Entwicklung des elastischen Faser-
systems der Trachea wird auch durch andere Beobachtungen wahrschein-
lich gemacht. So hat v. Czyhlarz nicht allein im Bereiche eines
Trachealdivertikels die elastischen Fasern reduziert gefunden, sondern sie
waren auch im übrigen Teile der Trachea selbst zwischen den Knorpel-
ringen fast ganz geschwunden und zeigten teilweise sogar eine Störung
ihrer Verlaufsrichtung. Dann darf man wohl auch daran erinnern, dass
die Tracheopathia osteoplastica nach Aschoff, Brückmann, Ishio-Haga
auf einer Entwicklungsstörung beruht.
Unter den Fällen, in welchen ausser bei tuberkulöser Lungenphthise
ein weniger kräftiger, elastischer Faserapparat des Tracheobronchialbaumes
gefunden wird, haben die besonderes Interesse, bei denen eine andersartige
Erkrankung der Respiratiunsorgane besteht. Jedoch ebenso wie bei Lungen-
gesunden müssen wir mit individuellen Verschiedenheiten rechnen, die ein
sicheres Urteil sehr erschweren. Wenn meine Beobachtungen richtig sind,
so habe ich sowohl in Fällen von Emphysem und chronischer Bronchitis
wiederholt schwache elastische Fasersysteme gesehen, was um so be-
merkenswerter ist, als bei diesen Krankheiten gerade das Gegenteil fest-
gestellt werden kann. Nun hatte ich den Eindruck, als ob in solchen
Fällen die Tracheen weiter als gewöhnlich und auch von schlafferer
Beschaffenheit als sonst wären. Diese schlaffe Beschaffenheit habe ich
besonders in einem Falle von Krebs der Trachea gesehen. Nun hat schon
Cruveilhier behauptet, es kämen bei alten Leuten besonders mit Husten
infolge geringeren Wandwiderstandes zylindrische und spindelige Tracheal-
erweiterungen vor. Aber es ist sicher nicht die Regel. Simmonds be-
streitet es, wohl aber hat er mit der Gipsmethode bei alten Leuten flache,
lokal begrenzte Ausbuchtungen der Trachea gefunden. :
Ich möchte hier nur gegen die Cruveilhiersche Auffassung daraul
hinweisen, dass man bei einer grossen Anzahl alter Bronchitiker und
Emphysematiker eine Erstarrung und säbelscheidenförmige Verengerung
404 Y. Yokoyama, Der elastische Apparat des Tracheobronchialbaumes.
der Trachea findet, wie sie uns Simmonds an seinen Ausgüssen so schön
vorgeführt hat. Und sogar bei Stenosen des Kehlkopfes infolge Carcinom
und syphilitischer Narbenbildung, oder bei starker Kompression der Trachea
durch Strumen habe ich keine Erweiterung der Trachea beobachtet, obwohl
während des Lebens Bronchitis und starker Hustenreiz bestanden hatte.
Wenn man sich nun fragt, wie eine geringere Entwicklung des
elastischen Apparates der Trachea insbesondere bei ihrer Erweiterung bei
lungenkranken Individuen zu denken ist, so muss man zwei Möglichkeiten
ins Auge fassen. Entweder könnte es sich um einen angeborenen Zustand
handeln, wie v. Czyhlarz für seinen Fall von Trachealdivertikel an-
genommen hat, oder es käme eine Inaktivitätsatrophie in Betracht. Man
kann sich vorstellen, dass die Trachea überdehnt wird, ihre Elastizität
verliert und die elastischen Fasern geschwächt werden. Solche Erscheinungen
kennen wir ja am Gefässsystem. Dass eine reine Altersatrophie der elastischen
Fasern des Tracheobronchialbaumes vorkommt, kann ich nicht behaupten.
Es fehlt nun noch eine kurze Bemerkung über die Bedeutung ent-
zündlicher Prozesse. Wie v. Czyhlarz schon hervorgehoben hat, reicht
das Bestehen eines chronischen Trachealkatarrhes kaum aus, um zu einer
Erweiterung der Trachea zu führen, während Bronchiektasenbildung, wie
Fischer ausgeführt hat, zumeist auf dem Boden einer chronischen Ent-
zündung entsteht. Ich habe feststellen können, dass einfache Rundzellen-
infiltration der Trachealschleimhaut zwar die oberfächlichsten elastischen
Faserzüge aufzulockern und zu verdrängen vermag, wie also in erster Linie
die inneren zirkulären Faserzüge der Pars membranacea, aber das innere
Längsfaserband bewahrt seine geschlossenen Bündel und erleidet somit
keine wesentliche Schädigung. Bei umfangreichen geschwürigen Prozessen,
namentlich bei schwerer Tuberkulose der Trachea, habe ich aber auch die
elastischen Längsfaserzüge gelockert und gestört gefunden und bemerkens-
werterweise bei solchen Individuen mehr als einmal eine Erweiterung der
Trachea beobachtet. Hier scheint also deutlich zu werden, dass die
Schädigung der wichtigsten elastischen Faserzüge die Widerstandskraft der
Wand herabsetzt.
Auffällige Verschiedenheiten in der Entwicklung der einzelnen
elastischen Faserlagen, etwa in dem Sinne, dass Kompensationsvorgänge
auftreten, habe ich nicht beobachtet. Wenigstens muss ich darauf hin-
weisen, dass man darüber nur mit grösster Vorsicht urteilen kann wegen
der grossen individuellen Verschiedenheiten. Am auffallendsten ist die
mangelhafte Entwicklung aber immer an den nach Aschoff als inneres
elastisches Band bezeichneten, zu Bündeln geordneten Faserzügen, nächst-
dem an der subepithelialen Ringfaserschicht, die naturgemäss am ersten
von Infiltrationen und Ulzerationen der Schleimhaut betroffen werden muss.
Ich will jetzt einige Worte über das Emphysem sagen, bei dem ich
gleichfalls kein einheitliches Verhalten des elastischen Apparates des
Tracheobronchialbaumes beobachtet habe. In einem Teil der Fälle waren
die elastischen Fasern wie bei lungengesunden Individuen nach meinem
Y. Yokoyama, Der elastische Apparat des Tracheobronchialbaumes. 405
Ermessen normal entwickelt, in anderen erschienen sie schwächlich, in
wieder anderen aber sehr kräftig, was bereits makroskopisch zu erkennen
war. Indem ich auch hier wieder auf individuelle Variationen Gewicht
lege, scheint es mir, als wäre vielleicht von massgebender Bedeutung die
Entstehungsursache des Emphysems. Primär soll es nach Freund infolge
einer Dilatation des Brustkorbes, nach Löschke infolge von Kyphose ent-
stehen. In beiden Fällen ist der Zwerchfelltiefstand wichtig. Sekundär
ist das Emphysem vor allen als eine Folge chronischer Bronchitis zu be-
trachten. Ich habe bei meinen Untersuchungen nicht von Anfang an auf
diese Momente geachtet und kann daher nur die Vermutung aussprechen,
dass sie beide in meinen Emphysemfällen eine Rolle spielen, die zum
Teil sehr ausgesprochen, aber immer mit mehr oder wenig schweren
katarrhalischen Veränderungen der Trachea und Bronchien verbunden
waren. Bei primärem Zwerchfelltiefstande muss eine Ueberdehnung der
elastischen Fasern infolge dauernder Streckung der Trachea und Bronchien
eintreten. Die Bronchitis aber führt, wie ich beobachtet zu haben glaube,
zu einer Verstärkung insbesondere der inneren elastischen Faserlagen. Die
Bedeutung, welche der Bronchialbaum für das Zustandekommen eines
Emphysems besitzt, geht vielleicht aus seiner Lokalisation in den Lungen-
abschnitten, die nicht vor Ueberdehnung geschützt sind, hervor, während
die zentralen, kranialen und paravertebralen Abschnitte durch die Bronchien
geschützt sind. Ich verweise auf die Ausführungen Tendeloos und Murk
Jansens.
Folgt man deren Betrachtungen, so kann man sich Ueberdehnung und
Atrophie der elastischen Fasern als einen sekundären Vorgang, als die Folge
des mit Streckung des Tracheobronchialbaumes einhergehenden Emphysems
vorstellen. Bei einer primären Bronchitis aber scheint wenigstens in einem
Teil der Fälle nach meinen Beobachtungen eine Verstärkung der elastischen
Fasern, und zwar der subepithelialen Ringfasern wie des elastischen Längs-
faserbandes aufzutreten. Leider habe ich keinen Fall von Asthma bron-
chiale untersuchen können, bei denen nach Aschoff und Askanazy eine
besonders auffällige Hypertrophie der inneren Längsfaserzüge schon makro-
skopisch zu erkennen sein soll. Ich habe eine solche in einem Falle von
Kompression der Trachea durch eine Struma mit chronischer Bronchitis
gesehen. In anderen Fällen von Bronchitis war sie viel weniger deutlich,
aber doch besonders nach dem mikroskopischen Befunde wahrzunehmen.
Ich habe dann nicht nur, abgesehen von kräftiger, zirkulärer Faserlage
der Pars membranacea, schön ausgeprägte dichte Bündel des Längsfaser-
bandes gefunden, sondern diese waren auch dichter zusammengerückt
und zeigten das Bild einer gleichmässig kräftigen geschlossenen Membran.
Auch die anderen elastischen Faserlagen waren kräftig entwickelt, was
aber nicht zu sehr in die Augen fiel.
Wenn also auch zu bestätigen ist, was Aschoff ausgesprochen hat,
dass bei Erwachsenen, welche an chronischer Bronchitis und Emphysem
leiden, die elastischen Fasern deutlich hervortreten, so ist das doch nicht
406 Y. Yokoyama, Der elastische Apparat des Tracheobronchialbaumes.
ausnahmslos der Fall. Bei der sehr häufigen Kombination von Emphysem
und Bronchitis, die wechselseitig ihre Entstehung begiinstigen, wird man
zu unterscheiden haben zwischen den fiir die Bronchitis und den fiir das
Emphysem eigentiimlichen Befunden.
Aschoff hat gesagt: ,Die Fasern treten bei Erwachsenen, welche
an chronischer Bronchitis, Emphysem usw. leiden, auffallend deutlich
hervor.“ Ferner: „Bei der eigenartigen Kombination von längsgerichteten
elastischen Fasersystemen und zirkulär verlaufenden Muskeln fällt natürlich
die Aehnlichkeit mit den Arterien, deren längsgerichteter elastischer Intima
und zirkulär angeordneter muskulöser Media in die Augen. Und die am
Arteriensystem gefundenen Gesetze der Arbeitshypertrophie und der Ab-
nutzung, der grossen Bedeutung der Media für die diffusen oder um-
schriebenen Erweiterungen werden auch auf das Bronchialsystem übertragen
werden können.“ Nach meinen Feststellungen glaube ich jedoch, dass
man Schlüsse in dieser Hinsicht nur mit grosser Vorsicht ziehen darf und
dass, wenn man die für das Gelässsystem geltenden Gesetze der Arbeits-
hypertrophie und der Abnutzung auf den Tracheobronchialbaum übertragen
will, man sorgfältig die Bedingungen ergründen muss. unter denen das
statthaft erscheint. Ich habe versucht, einige dieser Bedingungen näher
zu beleuchten.
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P
NNXV.
Aus der städtischen Hals- und Nasenklinik zu Frankfurt a. M. .
(Direktor: Geheimrat Prof. Dr. G. Spiess.)
Ueber Reimplantation von Zähnen aus Kiefercysten.
Dr. E. Lautenschläger,
I. Assistent der Klinik.
(Mit 3 Textfiguren.)
Nachdem bereits in früheren Jahren der meist vergebliche Versuch
gemacht worden, Zähne, die vollkommen aus jedem Konnex mit ihrer
Alveole gelöst waren, wieder einzusetzen, ist in den letzten Jahren dem
Bemühen der Zahnärzte, von denen hauptsächlich diese Versuche wieder
aufgenommen wurden, sowohl die Transplantation als auch Replantation
und Reimplantation von Zähnen gelungen. Man versteht darunter das
Einsetzen eines ganzen Zahnes von einem andern Platz und Individuum
in eine bestimmte Alveole bzw. das Einsetzen eines Zahnes im selben
Munde, jedoch von einer Stelle an eine andere und dasjenige ein und
desselben Zahnes an seinen alten Platz.
Die Hauptschwierigkeiten aller dieser Verfahren beruhen einerseits
auf der langen Dauer, die die betreffenden Zähne zu ihrer definitiven
Einheilung benötigen und andererseits darauf, dass gerade diejenige Stelle,
an der die Einheilung erfolgen soll, und die demzufolge absolut ruhig ge-
stellt werden müsste, durch das Kauen und Sprechen dauernden Insulten
ausgesetzt ist. Man hat sich dagegen in erster Linie dadurch zu helfen
verstanden, dass man den einzuheilenden Zahn wenigstens seiner Umgebung
gegenüber durch sogenannte Ligaturen fixierte, deren Prinzip das ist, dass
durch einen Metallbügel, welcher an geeigneten Nachbarzähnen unver-
schieblich angebracht ist, dem neuen Setzling ein absolut fester Halt bis
zu seiner definitiven Einheilung geboten wird. Dass es nun unter Zunutze-
machung der hierbei gewonnenen Erfahrungen sogar möglich ist, einen
versprengten Zahn aus einer Zahncyste desselben Individuums an seinen
richtigen natürlichen Platz zu versetzen, glaube ich durch folgendes Bei-
spiel bewiesen zu haben.
Von der hiesigen Schulzahnklinik wurde mir vor einiger Zeit ein 9jabriger
Junge überwiesen, der wegen einer sehr derben Auftreibung der linken Wange ins
Krankenhaus gekommen war.
E. Lautenschläger, Ueber Reimplantation von Zähnen aus Kiefercysten. 409
Bei der Untersuchung fand sich, dass es sich um einen sonst ganz normal
entwickelten Jungen handelte, der, abgesehen von dem folgenden Befunde, keinerlei
Merkmale einer fehlerhaften Entwicklung darbot.
Die linke Wange war ziemlich stark vorgewölbt, die Lippe ganz leicht nach
oben verzogen und der harte Gaumen war auf der betreffenden Seite zwischen
Mittellinie und oberer Zahnreihe nach der Mundhöhle zu vorgebuchtet, was
ziemlich deutlich an einem Kautschukabguss zutage trat, der im Verlauf der
Untersuchung angefertigt wurde. Die etwa haselnussgrosse Vorwölbung des
Gaumens federte auf Fingerdruck und machte den Eindruck, als ob der Knochen
daselbst papierdünn wäre. Beim Aufheben der Oberlippe links zeigte sich, dass
bereits die zwei mittleren Schneidezähne, ferner die ersten Backzähne nach-
geschoben waren, während an Stelle des zweiten Schneidezahnes und Eckzahnes
noch zwei etwas kariöse Milchzähne sassen — also ein dem Alter des Kindes
ganz entsprechender Befund. Ganz genaue Zeitangaben über den zu erwartenden
Durchbruch der zweiten Zähne lassen sich, obgleich hierfür verschiedene Tabellen
bestehen, eigentlich nicht maohen. Im allgemeinen dürfte es wohl so sein, dass
im Alter von 6 Jahren der VI., im 7.—9. Jahre die beiden Schneidezähne, im
9.—11. Jahre zunächst der IV., dann der Eckzahn, im 11.—12. Jahre der V. und
im 12. Jahre endlich der VII. Zahn durchbricht. Oberhalb des Alveolarfortsatzes
zeigte sich die Schleimhaut gerötet und die vordere Knochenwand des Oberkiefers
etwa nussgross vorgebuchtet. Auch diese Wand federte unter dem Finger und
machte wie die des Gaumens den Eindruck papierdünnen Knochens. Am unteren
Rande der Auftreibung, die übrigens bis zum unteren Orbitalrande reichte, befand
sich eine Fistelöffnung, aus welcher sich auf Druck von oben Eiter entleerte.
Rhinoskopisch fand sich ausserdem noch eine etwa bohnengrosse Vorwölbung
direkt hinter dem Naseneingang am Nasenboden unter der linken unteren Muschel.
Nach diesem Befunde wurde die Diagnose auf eine schon sehr grosse Kiefer-
cyste gestellt, welche bereits nach dem Munde durchzubrechen drohte, und es wurde
beschlossen, sie operativ zu entfernen. Vor der Operation wurden verschiedene
Röntgenbilder aufgenommen, auf denen sich ein sehr merkwürdiger Befund zeigte.
Die Gegend der ganzen linken Oberkieferhöhie — der Junge hatte fiir sein
Alter schon sehr grosse, gut ausgebildete Kieferhöhlen — war deutlich gegen
rechts verschleiert. In der verschleierten Höhle sah man deutlich sowohl den
Keim des zweiten Schneidezahnes als auch des Eokzahnes, und zwar sass der II.
an normaler Stelle in jener Reihe über den Milchzähnen, in welcher bei Kindern
die zweiten Zahnanlagen und auch bei Erwachsenen der nach oben sitzende
Weisheitszahn auf Röntgenbildern zu sehen ist. Der Ill. jedoch sass ganz hoch
oben und ragte mit seiner Wurzelspitze bis in den Boden der Orbita hinein. Wir
‚spritzten dann noch Wismutbrei durch die Fistelöffnung ein, um dadurch noch
besser über die Ausdehnung der Üyste orientiert zu sein. Dabei gelang es jedoch
nur ungefähr l1 ccm Wismutbrei zu injizieren, da die Fistel offenbar nicht mit der
ganzen Cyste, sondern nur mit einer kleinen Höhle an ihrem Boden in Verbindung
stand. Nachdem wir durch die Röntgenbilder genügend über den Befund orientiert
waren, um operativ an den Fall heranzugehen, wurde beschlossen, den Versuch zu
machen, den Ill, herabzuholen, freizupräparieren und nach Entfernung der beiden
Milchzähne an seinen richtigen Platz zu implantieren. Zu diesem Zwecke fertigten
wir uns schon tags zuvor eine Ligatur an, welche an I und IV befestigt werden
und dem eingesetzten III. bis zu seinem Anwachsen den nötigen Halt verleihen
sollte. Bei der Operation, die ganz in Lokalanästhesie mit Novokaintablettenlösung
410 E. Lautenschläger, Ueber Reimplantation von Zähnen aus Kieferoysten.
ausgeführt wurde, wobei der kleine Junge sich äusserst tapfer hielt), wurde zunächst
ein Querschnitt durch die, die Cyste deckende Schleimhaut parallel zu den Zähnen
angelegt, analog demjenigen bei der Killianschen Öberkieferhöhlenoperation. Die
Schleimhaut wurde nach oben und unten zurückpräpariert, wodurch 2 Lappen
entstanden, und nun die vordere Wand der Cyste weggestanzt. Nun konnte man
das Innere der Höhle genau übersehen, welche mit einer schleimig-serösen Flüssig-
keit erfüllt war, in welcher ein Blutgerinnsel wie eine Maulbeerkugel zusammen-
gebacken schwamm. Am Boden der Uyste sah man eine mit Wismutbrei angefüllte
Figur 1.
kleinere Höhle, in welcher der noch recht schlecht entwickelte Keim des Il. steckte.
Offenbar war von seiner Wurzel aus eine Eiterung erfolgt, die zur Bildung der
Fistel geführt hatte. Hoch oben sah man die weisse Krone des III. glänzen,
welcher mit seiner Wurzel tatsächlich im Orbitalboden sass. Es gelang nun die
ganze Cystenwand zusammenhangend mit dem Raspatorium loszupräparieren und
durch Druck mit dem Finger in toto zu entbinden. In dem runden Ball konnte
1) cf. Heermann, Ueber Septumresektion im Kindesalter usw. Zeitschr.
f. Laryngol. 1913. Bd. 6. Heft 2.
E. Lautenschläger, Ueber Reimplantation von Zähnen aus Kiefercysten. 411
man deutlich die beiden Zähne als harte Resistenzen durchfühlen. Die absolut
glattwandige Höhle, welche die Grösse eines Taubeneies zeigte und nach dem
Gaumen zu ebenso wie nach dem Orbitalboden, wo die Wurzel des III. gesteckt
hatte, je einen etwa erbsengrossen Defekt aufwies, wurde mit steriler Gaze aus-
tamponiert. Die beiden Zähne wurden aus dem Cystenbalg herauspräpariert. Dabei
zeigte sich, dass der III. vollkommen gut entwickelt war, während der JI. in seiner
Figur 2.
Nach 3 Wochen.
Ausbildung noch sehr zurück zu sein schien. Nun wurden die beiden Milchzähne
gezogen und in die noch frisch blutenden, durch Bohrer gemeinsam erweiterten
Alveolen der III. mittels der angefertigten Ligatur eingesetzt; am Mittag nach der
Operation wurde die Gaze entfernt und die beiden deckenden Schleimhautlappen
in die Höhle eingelegt. Die Ligatur wurde nach 2 Wochen abgenommen und durch
eine neue ersetzt; dabei zeigte sich, dass der Zahn absolut fest angewachsen war,
Figur 3.
Nach 4 Wochen. |
was auch aus einem von der Wurzel gemachten Röntgenbild hervorging, auf
welchem deutlich eine kallusartige Verwachsung derselben mit der Alveole zu
sehen war. Zur Anlegung einer zweiten Ligatur wurde nur aus besonderer Vor-
sicht geschritten, da es sich doch um ein relativ unvernünftiges Kind handelte,
welches dauernd auf den eingesetzten Zahn biss. Die Einheilung war ausserdem
in der absolut richtigen Lage erfolgt, so dass auch ein weiteres Richten des Zahnes
überflüssig erschien.
412 E. Lautenschläger, Ueber Reimplantation von Zähnen aus Kieferoysten.
Zur Erklärung des Falles seien hier ganz kurz einige entwicklungs-
geschichtliche Daten, soweit sie die Frage der Dentition betreffen, angeführt.
Bekanntlich geht die gesamte Zahnanlage aus einer Zahnleiste hervor,
jenem embryonalen Gebilde, welches durch ein Hineinwachsen des Kiefer-
randepithels in das darunterliegende Bindegewebe entsteht. Aus dieser
Zahnleiste entstehen dann später durch Abschnürung zunächst die Milch-
zähne und etwa in der 24. Fötalwoche!) durch eine abermalige tiefere
Abschnürung die Anlage zu den zweiten Zähnen, so zwar, dass der Schmelz
als von epithelialer Herkunft, das Zahnbein als von der bindegewebigen
Zahnpapille abstammend zu denken ist. Die Anlage der bleibenden Zähne,
welche in einer Reihe unmittelbar über den Milchzähnen ist, liegt anfangs
in der gleichen Alveole mit der Milchzahnanlage und wird erst später von
einer eigenen Alveole umgeben. Beim Zahnwechsel wird dann die Scheide-
wand zwischen den beiden Alveolen wieder resorbiert und Zahnbein sowie
Zement der Milchzahnwurzel verfallen der Resorption. In diesem Kanal
rückt der bleibende Zahn dann einfach nach unten, die noch restierende
Milchzahnkrone vor sich hertreibend.
Das Vorkommen von Zahncysten?) stellt ja im allgemeinen keinen
besonders seltenen Befund dar, zumal insoweit es sich um jene kleinen
Cysten handelt, die ihren Ursprung einer kranken Zahnwurzel verdanken,
und die wir sehr oft an. den Wurzelspitzen extrahierter Zähne finden
können. Diese anfangs ganz kleinen Cystchen können natürlich auch
weiter wachsen. Sie gehen dann vom Processus alveolaris aus und wachsen
zwischen die beiden Knochenblätter des Oberkiefers hinein. Diese werden
allmählich immer weiter auseinandergedrängt und durch Druckatrophie
zum Schwunde gebracht. Falls nun nicht eine Infektion vom Wurzelkanal
des betreffenden kranken Zahnes aus stattfindet, was natürlich schon früh-
zeitig zu einem Ende führen muss, so können derartige Cysten mit der
Zeit eine ganz ansehnliche Grösse erreichen, bis schliesslich ihre Wand
dem immer wachsenden Innendruck nicht mehr standhalten kann und
platzt, sei es nun nach der Nase, der Kieferhöhle oder gar nach dem
Gaumen zu, was natürlich hauptsächlich wieder von der Richtung abhängt,
in welcher sich die Cyste am leichtesten entwickeln und vorbuchten kann.
Weit seltener dagegen ist jene Art von Oysten, welche ihr Entstehen einer
fehlerhaften Zahnanlage verdankt. Sie gleichen natürlich den oben be-
schriebenen fast vollkommen, nur gehen sie statt von der Zahnwurzel von
einem versprengten Zahnkeim aus und machen sich natürlich in seiner
Umgebung dahin breit, wo sie den geringsten Widerstand für ihr Wachs-
tum finden. Dabei ist zu unterscheiden zwischen versprengt angelegten
Zahnkeimen und sekundär versprengten Zahnkeimen. Im ersten Falle
1) Nach Stöhr, Entwicklung der Zähne. Stöhrs Lehrbuch d. Histologie.
12, Aufl. 1906.
2) Boenninghaus, Die Operationen bei den Kiefercysten. Handbuch d.
spez. Chir. d. Ohres u. d. oberen Luftwege. 1913. Bd. 3. S. 22277.
E. Lautenschläger, Ueber Reimplantation von Zähnen aus Kiefercysten. 413
ist sowohl der Zahnkeim selbst sowie diejenigen Gewebsteile, aus denen
der epitheliale Belag der Cyste sich entwickelt, gemeinsam versprengt an-
gelegt. Im zweiten Fall handelt es sich um Retentionscysten infolge An-
sammlung von seröser Flüssigkeit, durch die erst sekundär der Zahnkeim
selbst wieder verschwemmt wird.
Dabei ist es möglich, dass eine solche Cyste auch die Wurzeln anderer
ursprünglich gar nicht dazugehöriger Zähne zunächst umbackt und dann
später in ihr Bereich vollkommen einbezieht.
Auf diese Weise können natürlich Teile von anderen Zähnen mit in
den Cystenbalg hineingelangen, die eigentlich mit der Cyste ursprünglich
gar nichts zu tun hatten.
Die hier geschilderten Arten von Cysten, auf deren Auseinanderhaltung
schon Magitot hingewiesen hat, teilt Gerber!) in zwei Hauptgruppen
ein. Jene erste Gruppe, die aus den sogenannten Mallasezschen Epithel-
resten (Masses épithéliaux) entsteht, hat er periostale bzw. peridontale
Kiefercysten im engeren Sinne genannt, während er die zweite vom Zahn-
follikel bzw. Zahnkeim ausgehende als follikuläre Cysten bezeichnet.
Beides sind ja Zahncysten, da sie entweder von den Zähnen, den
Zahnkeimen oder jenen epithelialen Elementen ausgehen, die bei der Ent-
wicklung der Zähne in enger Beziehung zu diesen stehen.
Und alle diese Cysten wieder gehören im weitesten Sinne zu den
Kiefercysten, zu denen wir auch jene von Giraldis und neuerdings von
Heymann?) u. a. beschriebenen Schleimhautcysten der Kieferhöhle — also
Kieferhöhleneysten — rechnen müssen.
Damit haben wir eine klare Einteilung aller drei Gruppen in:
Kiefereysten im allgemeinen,
unter die zu rechnen sind:
1. Kieferhöhlencysten,
2. follikuläre Zahncysten,
3. peridontale Kiefercysten im engeren Sinne.
Alle diese Cysten nun geben auf den Röntgenbildern meist nur un-
deutliche Schatten und bereiten oft differentialdiagnostische Schwierigkeiten
gegenüber Tumoren, Empyemen der Kieferhöhlen, sowie Paruliden usw., be-
sonders in ihren Anfangsstadien, wo sie oft ohne die geringsten Beschwer-
den zu verursachen verlaufen können. Etwas leichter schon und ein-
deutiger gestaltet sich die Diagnose, wenn die Cysten an Wachstum mehr
zugenommen haben. Dann erscheint gewöhnlich rein äusserlich eine an-
fangs harte, später eindrückbare und das Symptom des Pergamentknitterns
bietende, zuletzt sogar fluktuierende Auftreibung im Bereich der Wange,
über dem Zahnfleisch und nicht selten auch am harten Gaumen nach der
Zahngrenzzone’ zu.
1) Gerber, Diagnose und Behandlung der Kiefercysten. Archiy f. Laryngol.
Bd. 16. S. 502.
2) Virchows Archiv. 1892. Bd. 129.
414 E. Lautenschläger, Ueber Reimplantation von Zähnen aus Kiefercysten.
Sogar im Naseninnern kann es zu einer Vorwölbung der lateralen
Nasenwand im Bereich der unteren und mittleren Muschel, sowie zu einer
Hebung des Nasenbodens kommen, die nach Gerber oft das einzige Sym-
ptom solcher Cysten, besonders aber jener ganz kleinen der Wurzelspitze
aufsitzenden, bildet. Gerbers Verdienst ist es auch, zum erstenmal auf
dieses in der Tat sehr wichtige rhinoskopische Symptom hingewiesen zu
haben, auf das man jedesmal achten sollte.
Jedenfalls kann man sich bei Schwierigkeiten in der Diagnosestellung
so helfen, dass man bei Verdacht auf eine solche Cyste den Versuch macht,
den Cystenbalg zu punktieren und mit Wismutbrei zu füllen, was auf den
Röntgenbildern!) sehr deutliche Schatten gibt und eine sehr genaue Orien-
tierung über Grösse und Lage der ('yste zulässt. Vor allem, wenn es
darauf ankommt, Cysten, die sich in erster Linie in die Kieferhöhle hinein
ausbuchten, dieser gegenüber deutlich und scharf abzugrenzen.
Schmuckert?) hat vorgeschlagen, einen mit Wismutvaseline dünn be-
strichenen Gazestreifen, dessen Breite und Länge man je nach der Grösse
der Fistel bzw. einer künstlich angelegten Oeffnung zu bemessen hat, mit
einer Sonde oder Pinzette derart in das Kavum einzuführen, dass möglichst
alle Wandungen gleichmässig von dem Wismutstreifen bedeckt sind. Man
verwendet dazu eine Salbe aus Bismut. carbon. und Vaselin alb. zu gleichen
Teilen. Der Zweck ist derselbe wie der einer Injektion von Wismut: die
Methode ist umständlicher, hat aber vor der Injektion den Vorteil voraus,
dass man das Wismut leichter wieder entfernen kann.
Was die Therapie betrifft, so spielt natürlich der Ausgangspunkt der
Cyste eine grosse Rolle. Schlechte Zähne müssen gezogen werden. Dabei
ist zu beachten, dass danach, falls nicht der ganze Cystenbalg nebst In-
halt — was natürlich nur bei ganz kleinen Cysten möglich ist — an der
Zahnwurzel hängend mit herausgezogen werden konnte, dieser noch beson-
ders exzidiert werden muss, da die Höhle sonst monatelang zu ihrer Aus-
heilung benötigen kann.
Handelt es sich um grössere Cysten oder versprengte Zahnkeime als
Ursache, so ist es natürlich das Einfachste, den ganzen Cystensack nebst
Ursache durch sorgfältige Freipräparation von der Umgebung loszubekommen.
Es ist dies bei der meist scharfen Abgrenzung der Gebilde oft nicht so
schwierig als die nachherige Deckung und Ausfüllung des Defektes, zumal,
wenn es sich um sehr grosse Cysten gehandelt hat. Man muss dann meist
aus dem angrenzenden Gewebe, also der Wange oder dem Zahnfleisch,
Lappen bilden, die in die Höhle hineingeklappt und antamponiert werden
können.
1) Pallares, Ueber den Nachweis einer Kiefercyste mittels Röntgenstrahlen.
Zentralbl. f. Laryngol. 1910. S.113. — Haike, Zentralbl. f. Laryngol. 1910.
S. 329.
2) Schmuckert, Ein einfaches Verfahren der Wismutapplikation für Rönt-
xenographie offener Knochenhöhlen. Zeitschr. f. Laryngol. 1913. Bd. 5. S. 263.
E. Lautenschläger, Ueber Reimplantation von Zähnen aus Kiefercysten. 415
Partsch!) hat empfohlen, die Gysten nicht vollkommen auszuschälen,
sondern nur die vordere Wand abzutragen und einen Schleimhautlappen
hineinzuklappen. Er ging dabei von dem Gedanken aus, dass bei der
Aehnlichkeit der Cysten- und Mundschleimhaut durch ein Verwachsen der
beiden Schleimhäute ein dauerndes Offenbleiben der Cyste garantiert wird.
Partsch hat einen Lappen von oben mit der Basis nach der Wangen-
schleimhaut, der Spitze nach dem Alveolarfortsatz zu verwendet. Da bei
Bewegungen ein solcher Lappen leicht aus der Höhle wieder herausgezogen
wird, hat Gerber denselben umgekehrt mit der Basis dem Zahnfleisch zu
geschnitten. Bei sehr grossen Defekten dürften unter Umständen mehrere
Lappen das Richtige sein, von denen sicher einer anheilt, der dann das
übrige durch Granulation, die von ihm ausgeht, decken kann.
Bei kleinen Cysten, die sich auch in der Nase manifestieren, genügt
meist die Abtragung der nasalen Wand und Auslöffelung von der Nase aus.
Lässt man die Höhle allein durch Granulation sich schliessen, so be-
darf es oft einer sehr langen Nachbehandlung.
Dass in Fällen, wo Cysten in Nebenhöhlen bereits durchgebrochen
sind, möglichst eine Radikaloperation der betreffenden Höhlen anzuschliessen
ist, sei hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Ein derartiger Durch-
bruch lässt sich fast immer dadurch diagnostizieren, dass es danach zu
einer plötzlichen Entleerung von grösseren Flüssigkeitsmengen, welche je
nach dem Cysteninhalt bald mehr serös, bald mehr eitrig, unter Umständen
auch blutig sein können, aus der Nase kommt.
Was nun unseren Fall betrifft, so dürfte es sich wohl um Cysten-
bildung auf dem Boden einer Entwicklungsstörung im Sinne einer fehler-
haften Zahnanlage gehandelt haben, also um eine follikuläre Zahncyste.
Wie aus dem Röntgenbild ersichtlich, war der Keim des III. hoch
hinauf bis in -den Orbitalboden versprengt. Er hatte sich dort zu
einer Zeit, wo er bereits ziemlich fertig entwickelt war und von
seiner normalen Stelle aus, dem Alter des Kindes entsprechend, hätte in
Bälde unten durchbrechen müssen, vollkommen ausgebildet und zur Ent-
stehung der für ein Kind doch recht grossen Cyste geführt, an deren
Bildung ausserdem noch der II. beteiligt war. Die Rolle, die dieser
dabei gespielt hat, ist wohl so zu deuten, dass die ursprüngliche Cysten-
bildung nur von dem III. ausging und wie dies schon oben angedeutet,
wurde der Keim des II. erst nachträglich umbacken und schliesslich mit
hineinbezogen. Eine von seiner Wurzel ausgehende Eiterung hat dann im
besonderen noch zu einer Fistelbildung (cf. das oben Gesagte über Epithel-
einstülpung bei der Entwicklung), sowie zu einer cystösen Auftreibung
jenes Hohlraumes geführt. der bei der Operation allein mit Wismutbrei
angefüllt vorgefunden wurde. Dass zur Implantation der III. und
nicht der II. verwendet wurde, hat darin seinen Grund, dass der III.
bedeutend besser ausgebildet war, dass man an ihn also bezüglich der
1) Siehe Gerber, Archiv f. Laryngol. 1904. Bd. 12. S. 512.
Archiv für Laryngologie. 28. Bd. 3. Heft. 28
416 E. Lautenschläger, Ueber Reimplantation von Zähnen aus Kiefercysten.
Einheilungsvorgänge weit grössere Anforderungen stellen konnte, als an
den noch unfertigen II.
Zum Schluss sei hier noch das Ergebnis der mikroskopischen Unter-
suchung der Cystenwand wiedergegeben. Der Balg bestand aus einem
ziemlich derben Granulationsgewebe, das ausgedehnte chronisch-entzündliche
und auch leukozytäre Infiltrate zeigte. Dieses Granulationsgewebe war
überkleidet mit einer ziemlich dicken Schicht von Plattenepithel, welches
sich vielfach in die Spalten und Lücken des Gewebes einsenkte und da-
durch kleine verzweigte Netze bildete. Bakterien waren darin nicht zu
linden.
Auf Grund der an diesem Falle gemachten Erfahrungen möchte ich
auf die Möglichkeit einer solchen Implantation aufmerksam machen und
empfehlen, gegebenenfalls den hier gemachten Versuch zu wiederholen. Es
ist dabei nur darauf zu achten, dass der betreffende Zahn möglichst wenig
angefasst wird, und dass Milchzähne,. an deren Stelle der Zahn gesetzt
werden soll, womöglich erst unmittelbar vor dem Einsetzen gezogen werden
sollten. Man verschafft dann in der eventuell durch Bohren noch er-
weiterten, frisch blutenden Alveole dem eingesetzten Zahn, der ja an seiner
Wurzel ebenfalls noch frisch wund ist, die günstigsten Bedingungen zum
Anwachsen. Ausserdem muss der neu eingesetzte Zahn mindestens 4 Wochen
durch eine Ligatur, die schon vor der Operation fertig sein muss, in seiner
Lage absolut fixiert gehalten werden, um ein Lockern durch Spielen mit
der Zunge und Daraufbeissen möglichst zu verhindern. In welcher Lage
der Zahn anwächst, ist vollkommen gleichgültig, da er später durch ge-
eignete Vorrichtungen gerichtet werden kann
Soweit bei der Operation speziell zahnärztlich-technische Dinge in
Frage kamen, hatte Herr Hermann von der hiesigen Schulzahnklinik die
Liebenswürdigkeit, mich in hervorragender Weise zu unterstützen, wolür
ich ihm auch an dieser Stelle meinen verbindlichsten Dank aussprechen
möchte.
NXNVI.
Aus der oto-laryngologischen Abteilung des Israelitischen Krankenhauses
zu Warschau.
Ueber die Anwendung von Arsenobenzol (606) in
Fällen von Sklerom der oberen Luftwege, in Fällen
von Lues und Tuberkulose, wie auch in einigen
Fällen von zweifelhafter Diagnose.
Primararzt Dr. Leopold Lubliner,
Vorstand der Abteilung.
Das Salvarsan hat sich schnell das Bürgerrecht in der Behandlung
der Lues erworben. Tatsächlich wirkt es auf Fälle mit chronisch luetischen
Erscheinungen, wie Gummata, Ulzerationen und hartnäckige Infiltrate,
überraschend schnell. In Anbetracht dieser Tatsachen fing man an, das
Präparat 606 auch bei anderen chronischen Krankheitsfällen anzuwenden.
Es fehlten nicht enthusiastische Aeusserungen über diese Salvarsanbehand-
lungen, aber, wie manche nüchternen Kliniker richtig sagen, „werden sich
alsbald zahlreiche Kontraindikationen finden, welche den Triumphzug
des Arsenobenzol beschränken und sein eigentliches Anwendungsgebiet
zeigen werden“. Ich möchte an dieser Stelle einige Fälle zur Kenntnis
bringen, welche ich in meiner Abteilung mit Hilfe von intravenösen
Salvarsaninjektionen behandelt habe und kurz über die erzielten Resul-
tate berichten, weil jede klinische Beobachtung in dieser Frage eine
Bedeutung haben kann und manchmal den Arzt entweder von der
Anwendung dieses Mittels abhalten oder wiederum in anderen Fällen
ihm die Behandlung der Krankheit mit diesem Mittel ratsam erscheinen
lassen kann.
Es werden hier zwei Fälle von Sklerom der Nase, des Rachens und
des Kehlkopfes beschrieben, ein Fall von Rachentumor, ein Fall von Lues
und Tuberkulose der Mandel und des Rachens, ein Fall von Gaumen-
zerfall nach einer eitrigen Peritonsillitis kompliziert mit Blutvergiftung
(Septikämie), ein Fall von hereditärer Syphilis mit schweren Läsionen im
Rachen und Kehlkopf und schliesslich ein Fall von einem tief pene-
trierenden Ulkus des Rachens und des Gaumens.
28°
418 L. Lubliner, Anwendung von Arsenobenzol (606) bei Sklerom usw.
Fall 1. Nasen- und Rachensklerom.
J. K. aus Bobrujsk, 46 Jahre alt, aufgenommen am 21. Juni 1911. Vor
9 Jahren wurden bei dem Kranken ausgebreitete skleromatische Infiltrate von der
Schleimhaut der Muschel, der Scheidewand und vom Boden der Nasenhöhle ent-
fernt. Die Durchgängigkeit der Nasenhöhlen kehrte damals zur Norm zurück. Vor
3 Monaten, da neue Krankheitserscheinungen auftraten, begab sich der Patient in
die Klinik von Prof. B. Fränkel, wo er mit Röntgenstrahlen, jedoch ohne Erfolg,
behandelt wurde.
Status praesens: Die Haut der Nasenflügel ist mit Geschwüren bedeckt.
Die Nasen- und Rachenhöhle sind verlegt bzw. mit reichlichen Sklerommassen
gefüllt. Uvula ist zerstört, hintere Gaumenbögen narbig verwachsen.
Am 24. Juni wurde 0,5 Salvarsan in die Vene injiziert; schon am anderen
Morgen wurde eine Reaktion durch starke Blutfüllung der Gefässe an der Grenze
der Racheninfiltrate festgestellt. Da nach 5 Tagen jede weitere positive Wirkung
auf die Infiltrate selbst ausblieb, wurde nochmals 0,3 Salvarsan injiziert. Im Ver-
lauf von 5 folgenden Tagen konnte ich wiederum nur starke Blutfüllung der
Rachengefässe feststellen, habe aber keine unmittelbare Wirkung auf die Infil-
trate sehen können. Da jede positive Wirkung des Salvarsans auf die Krank-
heitserscheinungen fehlte, begann ich wieder die Sklerommassen aus den Nasen-
höblen und aus dem Rachen mit scharfem Löffel zu entfernen. Nach zweiwöchiger
Behandlung verliess der Kranke unsere Abteilung mit verhältnismässig guter Weg-
samkeit der oberen Luftwege.
Fall 2. Ein Fall von Sklerom der Luftröhre, des Kehlkopfes,
des Rachens und der Nase.
R. G. aus Krasnik, 18 Jahre alt. Am 10. November 1911 zum zweiten Mal
in das Krankenhaus aufgenommen. Es wurden vor 2 Jahren bei der Kranken
skleromatische Infiltrate entfernt, wobei eine bedeutende Besserung eintrat, da die
Wegsamkeit zurückkehrte. Damals wurden keine Veränderungen im Kehlkopf fest-
gestellt,
Status praesens: Am Boden der rechten Nasenhöhle kann man ein In-
filtrat in Form von geschwulstartigen Einlagerungen sehen, auf der linken Seite
sind die Infiltrate dagegen flach. Im Kehlkopf sieht man Infiltrate der wahren und
falschen Stimmbänder, auch bestehen solche unterhalb der Glottis. Sie verengern
den Glottisspalt ganz bedeutend. Die Atmung ist verhältnismässig frei, obwohl
manchmal Erstickungsanfälle vorkommen. Der allgemeine Status ist gut. Die
Temperatur normal.
Am 2. Dezember wurde intravenös 0,3 Salvarsan injiziert; die lokale Reaktion
unbedeutend; Erbrechen und Temperatur bis 37,4%. Allgemeinbefinden gut. Keine
Lokalveränderungen, keine Reaktion der Gewebe. Nach 10 Tagen wurden wieder
0,3 Salvarsan eingespritzt. Temperatur stieg am nächsten Morgen bis zu 40,1°.
An den Extremitäten, am Gesicht, am Kreuz und am Steiss trat ein etwas er-
habener Ausschlag von roter Farbe ein; hohe Temperatur dauerte 5 Tage lang,
dann sank sie zur Norm herab; gleichzeitig begann Hautjucken. Die Infiltrate im
Kehlkopf verminderten sich nur unbedeutend, das Atmen dagegen wurde etwas
freier. Nach einigen Tagen bekamen die Larynxinfiltrate wieder das alte Aussehen
(wie vor der Salvarsananwendung). Infolgedessen ging man zur Behandlung mit
L. Lubliner, Anwendung von Arsenobenzol (606) bei Sklerom usw. 419
Hilfe von Schrötterschen Röhren über, was die Larynxstenose bedeutend ver-
besserte. Die Behandlung mit dieser Methode dauerte fort; nur einmal machte
die Kranke nachts einen Erstickungsanfall durch, aber nach einer Morphium-
einspritzung ging der Anfall vorüber. Zuletzt hat sich die Stenose vermindert,
wurde rundlich, von 31/,—4 mm Grösse.
In den obengenannten beiden Fällen hat also die Anwendung von 606
keine Besserung gebracht.
Fall 3. Ulzerationen des Rachens (Tumor oder Lues).
M. W. J. aus Grodno, 64 Jahre alt, aufgenommen am 17. November 1911.
Fühlt sich krank seit 3 Monaten; war vorher nie leidend. Hatte nie Lues durch-
gemacht. Im ersten Stadium der Krankheit hatte er Halsschmerzen.
Status praesens: Im Rachen ein zerfallendes Geschwür auf der ganzen
Oberfläche der linken Tonsille mit Uebergang auf den oberen Pol des vorderen
Gaumenbogens. In der linken Trommelhöhle reichliche Granulationen, das
Trommelfell ist zerstört; geringe Sekretion. Halslymphdriisen etwas vergrössert.
Wassermannsche Reaktion schwach +.
Am 21. November wurden dem Kranken 0,4 Salvarsan intravenös eingeführt,
wobei bald Erbrechen und starke Kopfschmerzen auftraten; die Temperatur stieg
bis 37,40. Nach 3 Tagen deutliche Herxheimersche Reaktion. Das Geschwür
reinigte sich allmählich, einen tief in die Höhe penetrierenden Gewebedefekt von
6 cm Länge und 3 cm Breite zurücklassend. Am 1. Dezember trat bereits wieder
Verschlimmerung ein, die Ulzeration begann sich nämlich mit putridem grauem
Belag, immer tiefer schreitend, zu bedecken. Es wurde daher antiseptisches
Gurgelwasser verordnet und eine kombinierte 'Therapie eingeleitet; nach 3 Wochen
wurde der Kranke etwas gebessert entlassen. Das Geschwür hat sich nicht ver-
narbt, obwohl die putriden Ausscheidungen sich bedeutend verminderten. Status
afebrilis, nur allgemeine Schwäche sehr ausgeprägt.
In diesem Fall wurde keine Besserung erzielt.
Fall 4. Lues und Tuberkulose der Mandel und des Rachens,
H. R., 21 Jahre alt, leidet seit 2 Jahren an Halsschmerzen und Heiserkeit;
kein Blutspucken. Hereditär belastet mit Tuberkulose.
Status praesens: Der Kranke sehr entkräftet, sehr blass, Status sub-
febrilis. Im Rachen ein Geschwür der linken Tonsille, welches auf den vorderen
Gaumenbogen und auf die Hinterwand bis zur Höhe des Kehlkopfes übergeht.
Das Geschwür zeigt zackige nichterhabene Ränder, welche mitGranulationen bedeckt
sind. Leichte Infiltration der rechten Lungenspitze. Pirquetsche Reaktion +-. Im
Kehlkopf Infiltrate auf den wahren Stimmbändern, in der Umgebung der Ary-
knorpel, auch auf derHinterwand. Einleitende Behandlung mitHilfe von Kinreibung
der Geschwüre mit Milchsäure führte im Verlauf eines Monats eine geringe Besse-
rung herbei. Da in den Lungen nur unbedeutende krankhafte Veränderungen vor-
handen waren und da das Geschwür im Rachen und Kehlkopfinfiltrate nur langsanı
an Grösse zunahmen, wurde Salvarsan intravenös angewandt. Nach einer Dosis
von 0,2 begann das Geschwür sich zu reinigen; nach 2 Wochen habe ich, durch
die Besserung angeregt, nochmals 0,35 Salvarsan eingeführt. Schon nach einer
Woche heilte das Geschwür im Rachen ohne Lokalbehandlung vollständig, und
420 L. Lubliner, Anwendung von Arsenobenzol (606) bei Sklerom usw.
die Larynxinfiltrate haben sich gänzlich resorbiert. Nach einem Monat wurde der
Kranke, da das Geschwür vollständig verschwand, entlassen. Das Allgemein-
befinden besserte sich. Der Kranke hat 20 Pfund zugenommen. Es blieb nur in-
folge der Stimmbandverdickung eine leichte Heiserkeit zurück.
Wir hatten also hier mit einer Mischform von Lues und Tuberkulose zu tun.
Das Rachengeschwür ist unter Einfluss von Arsenobenzol vernarbt.
Fall 5. Eitrige Peritonsillitis. Blutvergiftung (Septioaemia).
Am 6. April 1911 wurde ich durch Kollegen Heiman jun. zur Konsultation
zu einem Kranken, St. T., 32 Jahre alt, gebeten, bei welchem nach Eröffnung
eines Peritonsillarabscesses eine gewaltige Blutung eintrat. Den Kranken habe ich
sofort in meine Abteilung ins Krankenhaus aufgenommen, wo die Blutung aus der
Schnittstelle noch 2 Tage dauerte. Man hat ferner grosse Auflagerungen im
Rachen, auf den Tonsillen und neben der Wunde festgestellt; aus der Wunde
sickerte eine unbeträchtliche Menge grauen flüssigen Eiters. Die Auflagerungen
bedeckten gleichfalls beide Gaumenbögen. Der linke Gaumenbogen war mit Blut
gefüllt, vorgebaucht, die Mandel geschwollen. Die Submaxillardrüsen waren ver-
grössert, bei Berührung schmerzhaft. Die Temperatur ständig bis 390 gesteigert.
Puls beschleunigt, Herztöne rein. Da verdächtige Beläge vorhanden waren, wurden
dem Kranken 2000 E Antidiphtherieserum injiziert, jedoch ohne jeglichen Ein-
fluss auf das Allgemeinbefinden und die örtlichen Erscheinungen. Die ent-
zündlichen Erscheinungen vermehrten sich dagegen, und auf der linken Seite
hinter dem Arcus palatopharyngeus kamen ebenfalls eitrige Abscheidungen zum
Vorschein. Das Geschwür und die Auflagerungen veränderten sich nicht. Harn
ohne Eiweiss. Temperatur zeigte bei geringen Schwankungen beständig 39° Als
nach l6tägiger Behandlung mit innerlichen und lokalen Mitteln (Ausspritzungen
und Gurgelungen) der Zustand des Kranken sich nicht besserte, sondern sich
immer verschlimmerte, und beunruhigende Erscheinungen auftraten (dikrotischer
Puls), habe ich beschlossen, Salvarsan anzuwenden, um auf die Blutzusammen-
setzung und den Infektionszustand zu wirken. Schon am nächsten Tage nach der
Salvarsaneinführung begannen die Beläge im Rachen zu verschwinden, der all-
gemeine Zustand des Kranken sich zu verbessern. Das Geschwür im Rachen
begann sich ebenfalls zu reinigen, und die Schleimhaut der Umgebung wurde
mehr feucht. Im Laufe einer Woche schritt die Besserung immer weiter, die
Temperatur, obwohl sie eine Zeit lang noch gesteigert war, stieg nicht über
37,80, und nach 10 Tagen kehrte sie zur Norm zurück. Der Allgemeinzustand des
Kranken besserte sich zusehends, das Geschwür wurde von Tag zu Tag kleiner,
die Beläge schwanden vollständig. Appetit kehrte zurück, und nach einem Monat
genas der Kranke vollkommen, so dass er am 8. Juni aus dem Krankenhause ent-
lassen wurde,
Fall 6. Hereditäre Lues. Infiltrate im Rachen. Narben im Kehl-
kopfe.
D. L., 15 Jahre alt, aufgenommen am 15. Januar 1911, klagt seit einigen
Wochen über starken Husten und Heiserkeit. Die Mutter des Kranken hat vor
seiner Geburt Lues durchgemacht. In der ersten Kindheit wurde der Kranke einer
spezifischen Behandlung unterworfen.
Status praesens: Blass, anämisch, entkräftet; geringer Husten, Heiser-
keit. Auf der Haut des Brustbeins, am linken Oberarm rundliche Keloide. Sub-
L. Lubliner, Anwendung von Arsenobenzol (606) bei Sklerom usw. 421
maxillar- und hintere Halsdrüsen etwas vergrössert. Der Kehlkopf ist auf der
linken Seite bei Berührung empfindlich. Längs der Medianlinie des weichen und
harten Gaumens eine Narbe. Uvula fehlt; an der entsprechenden Stelle ist Narben-
gewebe zu sehen.
Die Hinterwand des Kehlkopfes ist infiltriert, der linke Aryknorpel um das
dreifache vergréssert. Bei Inspiration und bei Phonation bewegt sich die linke
Kehlkopfhälfte garnicht. Die linken Stimmbänder, das falsche wie das wahre,
sind infiltriert.
Bei Perkussion sind in den Lungen keine Aenderungen zu konstatieren, die
Atmung ist jedoch verschärft, über der rechten Skapula trockene Rasselgeräusche.
Die obere Herzgrenze steht über der dritten Rippe, Töne rein, Puls 96, klein,
rhythmisch. Harn ohne Eiweiss. Während der ersten Woche werden Einreibungen
mit grauer Quecksilbersalbe gemacht (zu 2,0) und innerlich 3 proz. Lösung von
Jodkali angewandt. Da die Atembeschwerden immer mehr zunahmen, wurde von
Jodbehandlung Abstand genommen und 0,3 Salvarsan intravenös eingeführt. All-
gemeine Erscheinungen traten nicht auf; der Kehlkopfprozess begann sich zu
bessern. Die Stimmbandinfiltrate des Aryknorpels und der hinteren Larynxwand
verschwanden im Laufe von 2 Wochen fast vollkommen.
Am 8. Februar 1912 wurde der Knabe vollständig geheilt entlassen.
Fall 7. Gummata im Rachen, mit Temperatursteigerung ver-
laufend.
Dieser Fall ist wegen seines Verlaufes und seiner diagnostischen Schwierig-
keiten besonders interessant.
J. K. aus Lodz, 30 Jahre alt, wurde in die Infoktionsabteilung (Dr. Szenhak)
aufgenommen, wo festgestellt wurde, dass die Kranke seit 3 Wochen an Hals-
schmerzen mit Fieber litt. Nachdem die Schleimhaut der Tonsillen und der Gaumen-
bögen mit kaustischen Mitteln behandelt war, trat Verschlimmerung ein. Hals-
schmerzen beim Schlingen; Abendtemperatur bis 38°, morgens bis 37,2%. Sub-
maxillardrüsen geschwollen und schmerzempfindlich; die Zunge belegt. Die Ton-
sillen vergrössert, insbesondere auf der linken Seite, sind mit weisslichem Belag be-
deckt, welcher in die Tiefe der zerfetzten und geschwürigen Schleimhaut penetriert.
Auf den Gaumenbögen, der Zunge und einigen Stellen der Hinterwand des Rachens
befinden sich zahlreiche einzelne Geschwüre, welohe mit grau-weisslicher Auf-
lagerung bedeckt sind. Auf dem rechten vorderen Gaumenbogen ziemlich tiefe
Geschwüre. In den Bronchien zahlreiche trockene Rasselgeräusche; Husten. Nach
einer Woche wurde die Kranke in meine Abteilung transportiert, wo wir Folgendes
feststellten:
Status praesens: Auf der rechten Seite ein Geschwür auf der Mandel,
welches unmittelbar auf die vorderen Gaumenbogen und auf die Uvula übergeht.
Die ganze geschwürige Oberfläche ist hier mit grauem Belag bedeckt; das Geschwür
dringt in die Tiefe bis um oberen Pol der Tonsille. Auf der linken Seite greift das
Geschwür, welches viel breiter ist, fast auf den weiteren Gaumen über; sein Aus-
sehen ist kraterförmig, der Boden schmutzig, die Ränder sind scharf abgegrenzt.
Der Querdurchmesser des Geschwürs ist 4cm, der Längsdurchmesser 8om. Das
Geschwür geht im unteren Abschnitt durch den Gaumenbogen auf dieZungentonsille
über, wo es ein ähnliches Aussehen hat. Luetische Erscheinungen hat die Kranke
bei sich nie beobachtet. Vor einem Jahre wurde sie wegen eines Fibrosarkoms des
Uterus operiert. Obgleich der ungewöhnliche Beginn der Erkrankung, Ausdehnung
422 1. Lubliner, Anwendung von Arsenobenzol (606) bei Sklerom usw.
des Prozesses im Rachen, auf den Tonsillen, den Gaumenbögen und der Zungen-
mandel auf einen akuten infektiösen Prozess hinwiesen, musste doch das Aussehen
des Geschwürs auf der linken Mandel darauf hindeuten, dass wir es hier mit einer
seltenen Form der syphilitischen Infiltrate, welche mit Fieber verläuft, zu tun
haben.
Die Wassermannsche Probe hat vollkommene Komplementablenkung ge-
geben. Infolgedessen wurde 0,6 g Salvarsan injiziert. Der Zustand der Kranken
begann sich schnell zu bessern. Sämtliche oben genannte ausgebreitete Ulzerationen
begannen von Tag zu Tag sich zu reinigen und sich mit Granulationen zu füllen.
Ich konnte daher die kranke schon am 22. Februar als völlig gesund entlassen.
Sämtliche Ulzerationen verheilten vollkommen.
Während des Aufenthaltes der Kranken auf der Infektionsabteilung wurde
der Fall als eine schwere infektiöse Halsentzündung betrachtet. Erst die Unter-
suchung mit der Sonde hat den Befund ermöglicht, dass unter den Auflagerungen
ein tiefer Gewebszerfall vonstatten ging, was auch der weitere Verlauf bestätigt hat.
Indem ich nun die Resultate dieser Erfahrungen über die Salvarsan-
behandlung in meiner Abteilung kurz zusammenfasse, möchte ich noch
einige Einzelheiten in dieser so wichtigen Frage besprechen. In der Be-
handlung von skleromatischen Infiltraten hat das Mittel keine positiven
Resultate gezeigt und auf Verlauf und Entwickelung der Krankheit
keinen Einfluss gehabt. Die Infiltrate haben sich nicht rückgebildet. In
Bd. 25, Archiv f. Laryngol., gibt Hölscher eine Beobachtung an, welche
einen 25jährigen Schneider mit Rhinosklerom und skleromatischen In-
filtraten des Kehlkopfes mit Uebergang des Krankheitsprozesses auf die
Trachea bis zu ihrer Bifurkation betrifft. Dem Kranken wurde 0,41%
Salvarsan injiziert und nach 4 Wochen konnte man keine Spur von In-
filtraten ‚auf der Schleimhaut des Kehlkopfes und der Luftröhre sehen:
gleichfalls wurden keine narbige Stenosen nach der Behandlung beob-
achtet. In meinen beiden Fällen, welche ich längere Zeit beobachtet
habe, hat die Therapie, wie schon gesagt, absolut keinen Einfluss auf die
Krankheitserscheinungen gehabt. Das ist besonders an dem Verlauf des
ersten Falles zu sehen, wo wir trotz zweimaliger Salvarsaninjektion
absolut keinen Einfluss auf die Sklerominfiltrate gesehen haben.
Eine besondere Besprechung verdient der Fall 5, in welchem nach
der Eröffnung des Peritonsillarabszesses eine Infektion auftrat; die Wunde
heilte nach dem Einschnitt nicht. die Temperatur — 39° — unterlag nur
geringen Schwankungen. Als man erfolglos sämtliche innerlichen thera-
peutischen Mittel angewandt hatte, trat unter Einfluss einer einmaligen intra-
venösen Salvarsaninjektion von 0,5 g fast plötzlich eine Wendung im Ver-
lauf der septischen Erkrankung ein. Die jauchige Wunde begann sich zu
reinigen; die Körperwärme sank schnell zur Norm herab; der schwere
allgemeine Zustand des Kranken ging vorbei. Nach 10 Tagen konnte
man mit Sicherheit eine gute Prognose stellen. Wir können deshalb an-
nehmen, dass die Einführung von Arsenobenzol in den Blutkreislauf auf
die Fäulnisbakterien tödlich wirkte und dass dadurch die Bedingungen,
lL. Lubliner, Anwendung von Arsenobenzol (606) bei Sklerom usw. 423
welche vor der Salvarsananwendung den septischen Prozess bedingten,
verändert wurden.
Es war schwer anzunehmen, dass wir es in diesem Falle mit einer
Infektion bei einem an Lues leidenden Menschen zu tun hatten, da die
Anamnese dagegen sprach und auch etwaige organische Erscheinungen von
Syphilis fehlten. Die Anwendung von Salvarsan war daher im Kampfe
gegen die Blutinfektion sehr nützlich und wir erhielten in diesem Falle
das, was Ehrlich als „sterilisatio fere absoluta“ bezeichnete.
Auch die Beobachtung 6 betreffend den Einfluss des Salvarsans auf die
Erscheinungen einer hereditären Lues bei einem 15jährigen Jungen mit aus-
gebreiteten Aenderungen im Kehlkopfe sind nicht minder interessant. Das
traitement mixte, wie gesagt, hatte eine deutliche Verschlimmerung zur
Folge; man war sogar gezwungen, den Kranken wegen immer zunehmender
Atemnot zu tracheotomieren. Auch in diesem Falle hat die intravenöse
Einführung von Salvarsan sehr schnell überraschende Resultate zur Folge
gehabt; der Patient verliess das Krankenhaus vollständig geheilt.
Im Fall 4 mit der Ulzeration auf der Tonsille, Kehlkopfinfiltraten
und positiver Pirquetscher Reaktion verschlimmerte sich der Zustand
des Kranken trotz der Lokalbehandlung (Milchsäure, allgemeine Be-
handlung) zusehends. Auch hier hat die zweimalige intravenöse Ein-
führung von 606 bewunderungswert schnelle Ausheilung der Rachen- und
Kehlkopfulzerationen zur Folge gehabt, was uns gestattet, den Schluss
zu ziehen, dass die Syphilis hier das Uebergewicht über die Tuberkulose
hatte.
Der Krankheitsverlauf im Fall 7 (tiefe Ulzerationen im Rachen und
auf der Zungenbasis) war nicht minder interessant. Die Kranke fieberte.
das klinische Bild sprach eher für eine Angina necrotica oder Angina
Vincenti. Die positive Wassermannsche Reaktion hat jedoch die
Diagnose einer schweren Torm von luetischen Ulzerationen, welche nach
einer Salvarsaninjektion von 0,6 g im Laufe von 10 Tagen vollkommen
verschwanden, bestätigt.
Nebenbei möchte ich noch angeben, dass ich einen ähnlichen Fall mit
einem selten positiven Resultat gemeinsam mit Herrn Kollegen Markusfeld
bei einer anderen Kranken, einer 30jährigen Frau (Ulzeration der rechten
Mandel und der Uvula, welche an die zerfallende Form bei Diphtherie
erinnerte), beobachtet habe. Nach der Beratung am 15. Mai 1912 wurde
der Kranken Salvarsan intravenös injiziert. Die Genesung trat sofort nach
dem Eingriff ein und es wurde meine Annahme bestätigt, dass die Krank-
heit hier syphilitischer Natur war.
In dem 3. Falle endlich, bei einem chronischen Leiden mit tief
penetrierenden Ulzerationen, welche den Anschein erweckten, als ob man
es hier mit einer luetischen Erkrankung zu tun hätte (schwach positive
Wassermannsche Reaktion), hat die Anwendung von 606 mitsamt der
spezifischen Behandlung kein gutes Resultat gegeben. Der weitere Verlauf
424 1. Lubliner, Anwendung von Arsenobenzol (606) bei Sklerom usw.
des Leidens im Krankenhause und später hat zur Diagnose einer geschwürig
zerfallenen Geschwulst, welche infolge ihrer Lokalisation inoperabel war,
geführt. Der Tumor nämlich hatte seine Ausgangsstelle in der Seitenwand
des Rachens gehabt, wuchs in der Richtung nach der Wirbelsäule, ging
nach oben in das Mittelohr über und führte sehr rasch, wie ich später
erfahren habe, zum Exitus letalis.
Die Erfahrung, welche ich zurzeit erworben habe, lässt mich be-
haupten, dass die Anwendung von 606 in Fällen von Gummata des
Rachens und des Kehlkopfes wundervolle Resultate gibt, auf das Sklerom
aber absolut keinen Einfluss hat.
NAAVIL
Eine neue Methode der Allgemeinnarkose.
(Vorläufige Mitteilung.)
Von
Dr. W. Freudenthal (New York).
Die Schwierigkeiten, die jeder Laryngologe bei Operationen unter
allgemeiner Narkose erfahren hat und immer noch erfährt, sind so viel-
facher Art, dass ich sie hier nicht aufzuzählen brauche. Weiss doch ein
Jeder, wie störend es ist, bei einer Operation am Kopfe immer und immer
wieder durch die Narkose unterbrochen zu werden, und wie unangenehm
es, selbst bei kleineren Operationen, ist, wenn der Patient aus der Narkose
erwacht, ganz abgesehen von der erhöhten Gefahr einer Infektion durch
den Narkotiseur selbst.
Hier in Amerika hat man schon längst eingesehen, dass die allgemeine
Narkose nicht dem jüngsten Assistenten im Hospital zu überlassen ist,
sondern dass der Narkotiseur für seine gefährliche Arbeit ebenso geschult
sein muss wie andere auch. Es ist daher wohl erklärlich, dass die Nar-
kotiseure hier eine Spezialität für sich geschaffen haben, die auch allgemein
anerkannt wird. Hand in Hand damit ging eine Entwicklung der Methoden,
wie man sie vorher nicht gekannt hat.
Trotz alledem waren die Mängel einer jeden Narkose gross, und bei
vielen Operationen hingen wir sozusagen ganz von der Assistenz ab,
so dass ich es wenigstens immer vorzog, mit einem Assistenten zu arbeiten,
der an mich gewöhnt war und der demgemäss die beste Narkose für mich
gab. Fast alle Methoden habe ich in den letzten Jahren versucht, so die
von Kuhn angegebene perorale Intubation, ferner die intratracheale
Insufflationsmethode (Meltzer), schliesslich die in den Pharynx oder in
die Nase eingeführten Katheter und viele ähnliche Vorrichtungen, um
während der Operation beständig Aether einblasen zu können usw. usw.
Ich musste aber fast alle aufgeben bis auf eine, und das ist die intra-
tracheale Insufflationsmethode, die mit Hilfe des von Charles Elsberg
angegebenen Apparates in meiner Klinik ganz ausserordentliche Dienste
geleistet hat. Alle diese Narkosen wurden in sehr zufriedenstellender
Weise von Herrn Dr. S. D. Ehrlich gegeben. Hierbei sprang sofort ein
Vorteil in die Augen, dass nämlich der Narkotiseur ganz abseits sitzen
426 W. Freudenthal, Eine neue Methode der Allgemeinnarkose.
konnte, sobald einmal der Katheter in die Trachea eingeführt war. Das
war nicht allein bei Operationen an der Nase usw. zu bemerken, sondern
auch besonders bei der Oesophaguskopie. Ich stimme ganz mit meinem
verehrten Kollegen Chevalier Jackson aus Pittsburg überein, der sehr
richtig bemerkt (The Laryngoscope. Sept. 1913. p. 955): „Die Anzahl
von Todesfällen, die durch Stillstand der Atmung bei ungeschickt aus-
gefiihrter Oesophagoskopie unter allgemeiner Anästhesie eintreten, ist un-
erhért.“ Diese Unglücksfälle ereignen sich gewöhnlich, wenn das Oeso-
phagoskop einen in der Speiseröhre befindlichen Fremdkörper bei Seite
schiebt. und dann beide, Fremdkörper und Oesophagoskop, die Trachea
komprimieren und so die Luft abschneiden. Aus diesem Grunde, sagt
Jackson, hat die Aetherinsufflation mittels des Elsbergschen Apparates
ein Element der Sicherheit eingeführt, das man bisher bei der unter All-
gemeinnarkose ausgelührten Oesophagoskopie nicht kannte, höchstens allen-
falls, wenn dieselbe von einem ganz besonders erfahrenen Kollegen gegeben
wurde.
Aber bei allen ihren Vorzügen darf man sich nicht verhehlen, dass der
Elsbergschen Methode, die bisher die beste war, doch gewisse Fehler
anhaften. Erstens einmal ist der grosse Apparat schwer zu transportieren
und auch nicht billig. Er eignet sich sehr wohl für ein grösseres Hospital,
aber nicht für die Privatpraxis; zweitens setzt die Handhabung desselben
gewisse Kenntnisse und Erfahrungen voraus, die besonders auch für die
Einführung eines Katheters in die Trachea erforderlich sind.
Wir begrüssten es daher mit Freuden, als vor kurzem von einem
hiesigen Arzte, Herrn Dr. J. T. Gwathmey, eine ganz neue Methode an-
gegeben wurde, und nahmen auch sofort Versuche mit derselben auf unserer
Klinik vor. Die von Gwathmey so benannte Qel-Aether-Anisthesie ist
hervorgegangen aus der intravenösen Anästhesie, um die sich der hiesige
Arzt Francis Honan grosse Verdienste erworben hat, und entspringt
dem Wunsche, durch eine einzige Applikation den Patienten für die ganze
Dauer der Operation unempfindlich zu machen. Während die Honansche
Methode gleichfalls gewisse Kenntnisse voraussetzt und für manche nervöse
Patienten aufregend wirkt — es sollen in Deutschland auch Todesfälle bei
derselben beobachtet worden sein —, ist die Gwathmeysche Neuerung
so einfach, dass sie von einem Anfänger gemacht werden kann, und zwar
zuweilen auch ohne dass der Patient etwas von einer Narkose zu wissen
braucht. Gwathmey verfährt dabei auf folgende Weise: Nachdem der Darm
des Patienten in der gewöhnlichen Weise vorbereitet ist, gibt Gwathmey
l/a Stunde vor der Operation Chloreton 0,3 bis 0,6 per rectum, um eine
Reizung dieser Teile zu verhindern. 1 Stunde vor der Operation wird
eine subkutane Morphiuminjektion gegeben mit oder ohne Atropin. Dann
beginnt man mit der eigentlichen Narkose. Der dazu gehörige Apparat
besteht aus einem schmalen Katheter, an dem ein Trichter angebracht ist,
um die Flüssigkeit hineinzugiessen. Um das Abfliessen besser beobachten
zu können, nimmt man auch zwei Katheter. die durch ein Glasrohr ver-
W. Freudenthal, Eine neue Methode der Allgemeinnarkose. 42%
bunden sind. Die Flüssigkeit besteht aus 2 Unzen Olivenöl und 6 Unzen
Aether (etwa 60,0 Ol. olivar. zu 180,0 Aether). Sie wird langsam injiziert,
während Patient in der Simsschen Position (linke Seitenlage mit ange-
zogenen Knieen) im Bette liegt. Der gut gelettete Katheter wird etwa
8 bis 9 cm in das Rektum hineingeführt und die Mixtur langsam in den
Trichter gegossen, so dass bis zum völligen Einfliessen gut 5 Minuten ge-
braucht werden. Der Katlıeter bleibt so lange liegen, bis die Muskeln
relaxiert sind, d. h. bis Patient teilweise unter der Narkose ist, und wird
dann erst entfernt. Damit ist in günstigen Fällen die Narkose eigentlich
fertig.
Reflexe, besonders die Lidreflexe, verschwinden hierbei nicht. Wenn
also zu irgend einer Zeit während oder unmittelbar nach der Operation
die Lidreflexe nicht vorhanden sind oder die Respiration behindert scheint,
oder Patient zyanotisch wird, dann müssen durch ein 10 bis 12 cm in das
Rektum eingeführtes Rohr 60,0 der Flüssigkeit wieder abgelassen werden,
worauf Patient in der Regel schnell zur Norm zurückkehrt. Zu bemerken
ist, dass ohnedies nach jeder Operation der Ueberschuss von Aether aus
dem Rektum abgelassen werden muss, entweder durch ein einfaches Rohr
oder durch irgend eine Saugvorrichtung. Gewöhnlich genügt ein Rohr.
Sollte dies aber ausnahmsweise nicht genügen oder gefahrdrohende Sym-
ptome erscheinen, dann muss durch ein hohes Klysma von kaltem Wasser
abgeholfen werden.
Ich möchte hierbei hinzufügen, dass die Methode von Gwathmey
nichts mit der von Cunningham in der Berliner klinischen Wochenschrift
(20. Oktober 1913. S. 1934) beschriebenen „rektalen Aetherisation* zu
tun hat. Bei der letzteren, der ja gewisse Vorzüge nicht abzusprechen
sind, werden bekanntlich Aetherdämpfe während des ganzen Verlaufes der
Operation eingeblasen, es liegt ihr also eine ganz andere Idee zugrunde.
Die erste Narkose nach Gwathmey sah ich in der Klinik meines
verehrten Kollegen, Herrn Dr. H. Arrowsmith in Brooklyn. Die Patientin
war ein 9jähriges Kind, bei dem ein Fremdkörper aus einem Bronchus
entfernt werden sollte. Pneumonie war bereits eingetreten. Untere
Tracheotomie. Länger als 1!/, Stunden bemühte man sich den Fremd-
körper zu bekommen, ohne dass das Kind erwachte, und in Wirklichkeit
ohne dass sich jemand um die Anästhesie gekümmert hätte, nachdem die-
selbe einmal im Gange war. Es trat wiederholt Zyanose auf, aber die-
selbe war natürlich eine Folge der behinderten Atmung und wurde stets
beseitigt durch Entfernung des Bronchoskops und Insufflation von Sauer-
stoff. Der zweite Fall von Dr. Arrowsmith betraf einen kräftigen
jungen Mann mit Fibrom des Nasenrachenraums. Derselbe verlief glatt.
Nach privater Mitteilung gab Dr. Arrowsmith die rektale Anästhesie
noch in 6 Fällen, unter denen besonders hervorzuheben ist ein 20jähriges
Mädchen, das wegen Gaumenspalte operiert wurde Kaum 5 Minuten nach
Beginn der Narkose war Pat. schon in tiefen Schlaf verfallen. Sie war
vorher wegen Appendizitis operiert worden, und sagte dann freiwillig
423 W. Freudenthal, Eine neue Methode der Allgemeinnarkose.
dass die respiratorische Anästhesie sich in keiner Weise mit der rektalen
vergleichen lasse, da die letztere so bedeutend besser und angenehmer sei.
Was nun meine eigene Erfahrung betrifft, so ist die Anzahl der von
mir beobachteten Fälle zwar noch gering, sie sind aber doch hinreichend,
um bereits jetzt gewisse Schlüsse daraus ziehen zu können. Um einen
ideal verlaufenen Fall gleich hier mitzuteilen, sei der folgende erwähnt.
Frau X., 40 Jahre alt, wurde von mir wegen doppelseitigen Empyems nach
Dencker operiert. Herr Dr. Ehrlich sagte ihr, er müsse ihr einen Einlauf geben,
um sie für die Operation vorzubereiten. In Wirklichkeit gab er ihr in einem grossen
Krankensaal die Aether-Öelmischung, worauf Pat. in 10 Minuten in chirurgischer
Narkose sich befand. Sie wurde sodann in den Operationssaal gebracht, operiert,
und wieder in ihr Bett zurücktransportiert. Sie hatte beim Beginn der Operation
leichtes Erbrechen, was bei dieser Methode selten vorkommt, sonst aber schlief sie
absolut ruhig die ganze Zeit hindurch. Als ich sie etwa 11/, Stunden später sah,
wachte sie gerade auf, und wollte es kaum glauben, dass alles vorüber sei.
Fall 2. 23jähriges Mädchen, sehr ängstlich, wurde wegen chronischer
Sinusitis frontalis operiert. Sie hatte eine Stunde vorher Morphium und Atropin
bekommen und !/, Stunde später Chloreton (0,3). Darauf wurde ihr in 7 Minuten
die Mischung von Aether in Oel verabfolgt. 14 Minuten später befand sie sich
unter Narkose. Da sie mir während der Operation leicht zyanotisch zu sein schien,
wurden etwa 60,0 der Aethermischung abgezogen, worauf Pat. ruhig weiter atmete
(sie war natürlich während der Prozedur nicht erwacht). Sie hatte auch später
weder Erbrechen noch irgend einen Reiz vom Magen oder Darm aus.
Im nächsten Falle, einem 30jährigen Manne, ging es nicht so glatt ab. Er
musste noch etwas Chloroform nach der alten Methode bekonımen, worauf er fest
schlief. Aehnlich war ein Fall, der von Dr. T. Passmore Berens wegen rezidi-
vierender Mastoiditis operiert wurde, und bei dem Dr. Gwathmey selbst die
Narkose gab, zu der ich in liebenswürdiger Weise eingeladen worden war. In
diesem Falle hatte man gleichfalls keine genügende Zeit gehabt, um die not-
wendigen Vorbereitungen richtig zu treffen. So war die Morphiuminjektion erst
wenige Minuten vor Beginn der Operation gemacht worden. Die Folge davon war,
dass Pat. unruhig wurde, als Dr. Berens die erste Inzision machte. Dr. Gwathmey
half mit Chloroform nach, und als dann Pat. in einen ruhigen, tiefen Schlaf ver-
fallen war, konnte Dr. Berens die in diesem Falle schwierige Operation in
eleganter Weise zu Ende führen. Dauer der Operation 11/, Stunden.
Ich hatte gehofft, dass die rektale Anästhesie gerade bei Kindern
sehr wertvoll sein würde, aber gerade hier liess sie uns im Stich. Der
Grund hierfür liegt, wie mir scheint, nicht an der Methode, sondern an
uns selbst bzw. an unserer noch mangelnden Erfahrung. Nach den An-
gaben Gwathmeys geben wir bei Kindern eine viel kleinere Dosis
Aether als bei Erwachsenen. Bei Kindern unter 6 Jahren wird eine
50 proz. Lösung gegeben, bei solchen von 6—12 Jahren eine 55—65 proz.
Lösung, und zwar so, dass man eine Unze (30,0) auf je 20 Pfund des
Körpergewichts rechnet. Das ist wohl für manche nicht genügend, und
man wird wohl zu grösseren Gaben schreiten müssen. Natürlich ist Vor-
W. Freudenthal, Eine neue Methode der Allgemeinnarkose. 429
sicht geboten, aber durch langsames und gewissenhaftes Experimentieren
wird man hoffentlich bald das Richtige finden.
Eine andere Ursache des mangelnden Erfolges bei Kindern lag bei
meinen Fällen zweifellos daran, dass die Kinder die Aethermischung nicht
bei sich behielten, sondern sehr bald herauspressten.
Der dritte und vielleicht wichtigste Grund liegt in der Tatsache, dass
die kindliche Schleimhaut die Aethermischung viel langsamer zu absorbieren
scheint, als das bei Erwachsenen geschieht. So operierte ich vor kurzem
einen 12jährigen Knaben. Wir gaben ihm 150,0 der vollen Mischung,
d. h. der 75 proz. Lösung. Nach 20 Minuten war noch keine Narkose
vorhanden und wir mussten mit einer gehörigen Dosis Chloroform nach-
helfen. Nach Beendigung der Operation wurde der Ueberschuss an Aether
abgelassen, und es fand sich, dass nur 60,0 von den ursprünglich injizierten
150,0 absorbiert waren.
Alle diese Punkte bedürfen noch einer gründlichen Prüfung, es ist
aber nicht daran zu zweifeln, dass sehr bald eine Klärung dieser Fragen
gebracht werden wird.
Ausser den genannten operierte ich noch an 9 anderen erwachsenen
Patienten, alles grössere Eingriffe. Der Verlauf der Narkose war ähnlich
den oben beschriebenen. Manchmal ging es leicht und glatt ab, andere-
male waren leichte Störungen zu überwinden. Immer aber war die neue
Form besser als die reine Inhalationsnarkose.
Einen Fall möchte ich hier noch erwähnen, der mir passierte, nachdem
ich das Obige niedergeschrieben hatte.
Ein 19jähriger junger Mann wurde von mir wegen einer Deviatio septi und
hypertrophischer Tonsillen operiert. Um 11 Uhr 45 Minuten mittags bekam er
eine subkutane Injektion von Morphium und Atropin. Eine halbe Stunde später,
also um 12 Uhr 15 Minuten, ein Suppositorium von Chloreton 0,6. Um 12 Uhr
45 Minuten fing man mit der eigentlichen Narkose an. 12 Minuten später begann
ich mit der Operation, die 40 Minuten in Anspruch nahm. Patient schlief sodann
bis etwa 6 Uhr, also gut 5 Stunden. Dann erbrach er etwas Blut. Gleich nach
beendigter Operation waren etwa 70,0 überschüssigen Aethers aus dem Kolon
entfernt worden und dann mit Wasser und schliesslich Olivenöl nachgespült
worden.
Wenn man erwägt, dass bei dieser rektalen Methode zuweilen bereits
nach einigen wenigen Minuten chirurgische Anästhesie eintritt, und dass
damit gewissermassen die Aufgabe des Narkotiseurs beendet ist, wenn man
die angenehme Art und Weise in Rechnung zieht, in der man dann operieren
kann (ein Assistent weniger um sich, eine Gefahr der Infektion durch die
Maske usw. weniger), ferner der oft absolut ruhige Schlaf des Patienten,
so dürften dies schon allein Gründe genug sein, um diese Form der All-
gemeinnarkose einmal zu versuchen. Es kommt aber noch hinzu, dass
Patienten häufig mehrere Stunden nach überstandener Operation sich unter
dem Einfluss der Anästhesie befinden, dass sie also über die schlimmste
430 W. Freudenthal, Eine neue Methode der Allgemeinnarkose.
Zeit des Shocks leicht hinwegkommen, und dass sie die unangenehmen
Erscheinungen eines Aetherrausches garnicht bekommen.
Zum Schlusse möchte ich hervorheben, dass die bisher gemachten
Erfahrungen noch keineswegs ein definitives Urteil gestatten. Es ist
möglich und zu erwarten, dass Aenderungen mit der Zeit gemacht werden.
Die Methode Gwathmeys, so scheint es mir, wird aber einen bleibenden
Platz in der Chirurgie haben, und es ist zu erwarten, dass namentlich
unsere Spezialität durch dieselbe grosse Vorteile gewinnen wird, und
darum habe ich mir gestattet, schon jetzt diese vorläufige Mitteilung vor
die Oeffentlichkeit zu bringen.
AXAXVIL
Aus der Universitätsklinik für Hals- und Nasenkranke zu Freiburg i. Br.
(Direktor: Prof. Dr. Otto Kahler.)
Beitrag zur Kenntnis der Speiseröhrenverletzung
bei der Oesophagoskopie. |
Dr. Karl Amersbach,
Assistent der Klinik.
(Hierzu Tafel VII.)
Wenn es auch menschlich recht verständlich ist, dass ungünstig ver-
laufende Fälle zumeist nicht veröffentlicht werden, so ist man bei der
Durchsicht der Literatur doch erstaunt über die geringe Anzahl der bis
heute publizierten Fälle von Verletzungen der Oesophaguswand bei der
diagnostischen und therapeutischen Oesophagoskopie. Auf diese Tatsache
ist von verschiedenen Autoren hingewiesen worden. Meist wurde dann
auch die Wichtigkeit solcher Vorkommnisse für die Kenntnis der Gefahren
der Oesophagoskopie hervorgehoben, und zur Mitteilung auch, bzw. gerade
solcher Fälle aufgefordert. Gewiss mit Recht, denn es sind das oft besonders
lehrreiche Fälle, und zudem kann, worauf auch Jackson (7) hinweist, die
Statistik nur dann eine wissenschaftliche Bedeutung erlangen, wenn sie
alle, auch die ungünstig verlaufenen Fälle, umfasst.
Was von den auf Rechnung der Oesophagoskopie gehenden unglück-
lichen Zufällen gesagt werden muss, gilt auch für die Sondenverletzung
des Oesophagus. Dies beobachtete auch Schürmann (15), der 1907 in
einer Inaugural-Dissertation die während der vorhergegangenen 15 Jahre
am pathologischen Institut zu Giessen zur Beobachtung gelangten Fälle
nebst den in der Literatur erwähnten zusammenstellte.
Wir finden in der Literatur zunächst immer wieder die beiden von
v. Mikulicz (zitiert nach Gottstein), dem eigentlichen Begründer der öso-
phagoskopischen Methode, beobachteten Fälle von Perforation der Speise-
röhrenwand bei zwei im Halsteile sitzenden Carcinomen. In beiden Fällen
trat, wie ja bekannt, nach 48 bzw. 72 Stunden der Tod ein. Gottstein (2
fügt noch einen dritten Fall aus der v. Mikuliczschen Klinik hinzu, bei
dem nach der Oesophagoskopie durch das Auftreten eines Hautemphysems
die Perforation der Oesophaguswand manifest wurde. Er hebt hervor, dass
bedauerlicherweise in keinem der Falle die Todesursache durch die Sektion
mit Sicherheit habe festgestellt werden können.
Archiv für Laryngologie. 28. Bd. 3. Heft. I)
432 K. Amersbach, Speiseröhrenverletzung bei der Oesophagoskopie.
Zwei weitere Fälle, die Gottstein noch anführt, Bildung einer Mediasti-
nitis nach Punktion eines Abszesses im oberen Teil des Oesophagus, wobei
durch die Sektion der Nachweis erbracht wurde, dass tatsächlich die Phleg-
mone von der Punktionswunde ausging, sowie ein Fall von Peritonitis nach
Probeexzision aus einem unterhalb der Kardia sitzenden Careinom, zählen
streng genommen nicht zu den der Oesophagoskopie als solcher zur Last
fallenden Unglücksfällen; doch erwähne ich sie hier, weil mir besonders der
erste Fall interessant erscheint und ich auf ihn noch zurückgreifen muss.
Ueber je einen Todesfall berichten des weiteren Karewski (12) und
Rosenheim (14).
Der in der v. Hackerschen Klinik (6) beobachtete Fall von Perforation
der Speiseröhrenwand bei einem in Höhe der Bifurkation sitzenden Carci-
nom fällt wiederum der Oesophagoskopie als solcher nicht zur Last.
Anders der von Kahler (9) aus der Klinik Chiari angeführte Fall,
bei dem anscheinend bei dem Uebergang aus der sitzenden in die liegende
Position die Perforation der brüchigen Ae TEN durch das Instru-
ment herbeigeführt wurde.
Die beiden von Kümmel (11) mitgeteilten Fälle sind ebenfalls streng-
senommen Sondenverletzungen der Speiseröhrenwand, nicht Perforationen
derselben durch das Oesophagoskop. Bei dem zweiten Falle ist jedoch
sehr bemerkenswert, dass das Instrument etwa 20 em hinter der Zahnreihe
auf einen nicht zu überwindenden Widerstand stiess, der offenbar auf einen
durch eine tuberkulöse Schleimhautulzeration bedingten Spasmus zurück-
zuführen war, und der die Einführung einer dünnen Bougie zur Folge hatte.
Diese Bougie konnte auffallenderweise mehr als 20 cm im peri-ösophagealen
Gewebe vordringen, ohne dass ein nennenswerter Widerstand empfunden
wurde oder aber eine stärkere Blutung eintrat.
Perforationen der Speiseröhrenwand durch Fremdkörper, sowie selbst
die bei den Extraktionsversuchen artifiziell hervorgerufenen Wanddurch-
stossungen, wie sie von Rydygier und anderen beobachtet wurden.
gehören auch nicht zu den der Methode als solcher zur Last fallenden
Ungliicksfallen. Aus der amerikanischen Literatur wäre noch anzuführen,
dass Jackson die Zahl der Todesfälle bei einfacher Oesophagoskopie auf
1 pCt. berechnet, ohne indessen Detailangaben zu machen. In einer Dis-
kussionsbemerkung (zitiert nach Semons Zentralblatt. 1914. S. 121) erwähnt
er zwei in der Praxis ösophagoskopierte Fälle, die moribund in seine
Klinik eingeliefert wurden. Er bezeichnet daselbst die Ausführung der
Oesophagoskopie ohne ausreichende Uebung als ein Verbrechen.
E. Fletcher Ingals soll, wie ich aus einem Artikel des New York
Medical Record (13) entnehme, zwei Fälle mit üblem Ausgang infolge von
Vagusreizung durch das Instrument beobachtet haben. Eine Original-
mitteilung darüber konnte ich leider nicht finden, auf direkte Anfrage
erhielt ich keine Antwort.
Die in der französischen Literatur veröffentlichte Arbeit von Vayssiere
(16) enthält neben einer kasuistischen Mitteilung über einen Fremdkörper-
K. Amersbach, Speiseröhrenverletzung bei der Oesophagoskopie. 433
fall im Oesophagus lediglich allgemeine Bemerkungen über die Gefahren
der Oesophagoskopie. Anzuführen wären noch die Diskussionsbemerkungen
von Moure (18) und Escat (19) in der Société francaise de laryngologie ete.
Paris, 10. bis 13. Mai 1909.
Es darf wohl mit Recht behauptet werden, dass diese geringe Zahl
der bekanntgegebenen Fälle mit der Anzahl der tatsächlich beobachteten
nicht übereinstimmt. Und es muss bedauert werden, dass damit auch sicher
eine Reihe wichtiger und lehrreicher Momente verloren gegangen ist. Aus
solcher Erwägung heraus rechtfertigt sich wohl auch die Mitteilung eines
an der Freiburger Klinik zur Beobachtung gelangten, hierhergehörigen
Falles:
Am 15. November 1913 suchte der 35jährige Landwirt und Zigarrenarbeiter
J. H. aus Reuthe auf Rat seines Arztes die Klinik auf.
Aus seinen Angaben und den Berichten der Kollegen, in deren Behandlung
er gestanden hatte, ging hervor, dass er seit etwa 3—4 Monaten an zunehmenden
Schluckbeschwerden litt. 2 Monate vor seiner Aufnahme in die Klinik war zum
ersten Male eine Sondenuntersuchung vorgenommen worden, die eine leichte Ste-
nose (nicht angegeben, in welcher Höhe) hatte nachweisen lassen. Die Sondierung
hatte zunächst eine Besserung der Schluckbeschwerden zur Folge. Nach einiger
Zeit wurde dieselbe wiederholt; wiederum fand sich eine leichte Stenose. Auch
dieses Mal besserten sich die Beschwerden auf die Sondierung hin.
Aus nicht eruierten Gründen suchte der Patient später einen andern Arzt
auf, der ebenfalls sondierte, eine „ziemlich hochsitzende Stenose‘“ konstatierte und
uns den Patienten sofort in die Klinik schickte. Hier wurde ohne vorhergehende
Sondierung eine ösophagoskopische Untersuchung vorgenommen (Dr. H.); mit
einem Spatelrohr von 10 mm Weite wurde vorsichtig eingegangen unter steter
Kontrolle des Auges. 13 cm hinter der Zahnreihe stiess der Tubus auf ein in
keiner Weise zu überwindendes Hindernis. Nach Herausnahme des Tubus zeigte
sich an diesen etwas frisches Blut. Auch ein zweiter, in gleicher Weise vor-
genommener Versuch führte nicht zu einem weiteren Vordringen des Spatelrohres.
Es wurde nunmehr von weiteren ösophagoskopischen Versuchen abgesehen und
eine weiche Sonde eingeführt, die den Oesophaguseingang anstandslos passierte,
23 cm hinter der Zahnreihe jedoch ebenfalls auf ein unüberwindliches Hindernis
stiess. Auf Wunsch wurde der Patient nach Hause entlassen.
Nach 4 Tagen erschien er jedoch wieder und gab an, dass er gleich nach
dem Eingriff am Halse rechts eine Anschwellung bemerkt habe. Diese Schwellung
habe rasch zugenommen, seine Schluckbeschwerden bätten sich derartig gesteigert,
dass er erst heute Morgen wieder flüssige Nahrung habe zu sich nehmen können.
Seine Temperatur sei bis auf 37,8 gestiegen und besonders anfangs habe er leichten
Hustenreiz gehabt. Die Schwellung sei nun heute wieder etwas zurückgegangen.
Befund bei der Aufnahme (19. November 1913): An der rechten Halsseite
bis über die Mittellinie hinaus eine sich teigig anfühlende Schwellung. Die Haut
darüber gerötet. Starke Druckempfindlichkeit. An einzelnen Stellen, namentlich
am vorderen Rande des Sternocleidomastoideus, bei Druck deutliches Knistern.
Pharynx und Larynx ohne Besonderheiten.
Es wurde nun sofort in Lokalanästhesie am vorderen Rand des Sternocleido-
mastoideus eingegangen. Das subkutane Bindegewebe üdematös, Entleerung einiger
Jt) 4
454 K. Amersbach, Speiserdhrenverletzung bei der Oesophagoskopie.
Luftblasen, nirgends jedoch, auch in der Tiefe nach dem Oesophagus zu, ein
Abszess auffindbar. Drainage gegen das Mediastinum zu.
Während der nun folgenden 8 Tage zeigte der Patient subfebrile Tempera-
turen, aus der Wunde entleerte sich nur spärlich Sekret, doch nahmen die Schluck-
beschwerden täglich zu und das Allgemeinbefinden verschlechterte sich zusehends.
Erst am 25. November liess sich bei der indirekten Laryngoskopie eine leichte
Vorwölbung der hinteren Pbarynxwand feststellen. Die Temperatur stieg auch
jetzt nicht über 37,7. Es gelang nicht, durch Punktion der Prominenz im Pharynx
die Diagnose eines retropharyngealen Abszesses zu bestätigen. Trotzdem wurde
sofort in Lokalanasthesie von einem, parallel dem Rand des Sternocleidomastoideus
verlaufenden Schnitt aus eingegangen. Nach Freilegung der grossen Halsgefasse
stiess man beim stumpfen Abpräparieren des vergrösserten rechten Schilddrüsen-
lappens auf einen faustgrossen, retropharyngealen Abszess. Im Moment des Durch-
bruchs entleerte sich reichlich Gas, sodann folgte schmutzig graubrauner Eiter,
mit reichlich nekrotischen Gewebsfetzen untermischt. Der Abszess wird nach Mög-
lichkeit entleert, die Höhle drainiert. Von einer Kommunikation mit dem Pbarynx
oder Oesophagus wird nichts gemerkt.
Im Laufe des Tages fiel die Temperatur ab, die Schluckbeschwerden besserten
sich erheblich, es erfolgte reichliche Nahrungsaufname und eine deutliche Besserung
des Allgemeinbefindens.
Die Morgentemperatur des folgenden Tages betrug 36,9. Beim Verband-
wechsel fanden sich in den Verbandstoffen neben dem Fiter Bestandteile der auf-
genommenen flüssigen Nahrung (Milch, Ei usw.). Schon jetzt fiel das stark eitrige
Sputum des Patienten auf. Dasselbe war jedoch ganz anderer Art als der dem
Abszess entstammende Eiter. Ueber der rechten Lunge fand sich hinten unten
leichte Schallverkürzung und Knisterrasseln. Am Abend stieg die Temperatur auf
38,9, die Dämpfung über der rechten Lunge hatte sich erheblich ausgebreitet und
auch links war bereits eine leichte Schallverkürzung nachweisbar. Die Schluck-
beschwerden steigerten sich neuerdings, die Menge von Speiseteilen im Eiter des
Abszesses nahm zu. Noch an demselben Abend (30. November) trat unter zu-
nehmender Herzschwäche der Exitus letalis ein.
Die von Herrn Geheimrat Aschoff vorgenommene Sektion ergab folgenden
Befund:
Leiche eines mittelgrossen Mannes von 30--35 Jahren, ausgesprochene Toten-
starre. An der linken Seite eingetrocknete streifige Hautpartien (postmortale Epi-
theldefekte). An der rechten Halsseite, dem Sternocleidomastoideus entsprechend,
befindet sich eine 10 cm lange, klaffende Weichteilwunde, in welcher nach aussen
zu der oberflächlich eingetrocknete Muskelbauch des Sternocleido vorliegt. Ober-
halb desselben, im oberen Wundwinkel, quillt eine schmutzig-bräunliche, fast
gallig aussehende Flüssigkeit vor. In der Bauchhöhle kein fremder Inhalt.
Bei Eröffnung der Brusthöhle entleert sich kein fremder Inhalt. Rechte
Lunge im kaudalen Abschnitt frisch mit der Pleura costalis verklebt. Links be-
stehen ausgedehnte alte Verwachsungen. Beim Freilegen der Halsweichteile zeigt
sich beiderseits die Karotis unverändert. Beim Ablösen des rechten Sternocleido
quillt aus der Tiefe die erwähnte Flüssigkeit dauernd hervor. Mit der Sonde
gelangt man über die rechtsseitigen Gefässbündel hinweg unter den rechten Schild-
driisenlappen gegen den Oesophagus zu.
Thymuskorper klein, auffallend wenig in Fettgewebe umgewandelt. In den
Venae subclaviae Speckhautgerinnsel. Auch in der rechten Vena jugularis findet
kK. Amersbach, Speiserdhrenverletzung bei der Ocsophagoskopie. +49
sich nichts von Thrombose. Die Vena liegt direkt hinter dem mit schmierig-nekro-
tischen Massen bedeckten Wundspalt. Auch an der linken Karotis nichts Besonderes.
Intima glatt, glänzend.
Bei dem Versuch, den Pharynx von der Halswirbelsäule zu lösen, gelangt
man in eine retropharyngeale, mit dem Pharynx nicht sichtbar kommunizierende,
mit gallig gefärbter Flüssigkeit gefüllte Höhle. Die Rückwand derselben wird von
der Halsfaszie und dem Periost der Halswirbelsäule gebildet. Diese äusserst dünne
Wand reisst sehr leicht ein. Der retropharyngeale Abszess erstreckt sich rechts
bis zur Höhe des Ill. Brustwirbels, Verwachsungen der Lunge links nur mit par-
tieller Zerreissung des Lungengewebes lösbar. Beim Durchschneiden des Veso-
phagus oberhalb des Zwerchfells quillt reichlich der Abszessflüssigkeit ähnlich-
sehende Flüssigkeit vor.
Nach Eröffnung des Oesophagus an der linken Seite findet sich 14!/, em
unterhalb des Ringknorpels eine hochgradige Stenose. Durch ein hier fast ring-
förmig entwickeltes, vorwiegend der hinteren Wand angehörendes, in der Höhe der
Bifurkation gelegenes, 3cm nach oben und 3 cm nach unten von der Hauptstenoso
sich erstreckendes ..... .. von wallartig erhabenen Rändern umgebenes Geschwür.
In der Höhe des Ringknorpels findet sich rechts eine 3 mm lange, schlitzformige,
slattwandige Oeffnung ohne besondere Reaktionserscheinung. Durch die Oeffnung
gelangt man direkt in den Abszess. Oben an der hinteren Pharynxwand 2 punkt-
förmige Oeffnungen, von denen die untere ebenfalls eine Kommunikation mit dem
Abszess gestattet.
Diagnose: Ringförmiges Carcinom des Oesophagus mit Stenosebildung in
Höhe der Bifurkation. Grosser retropharyngealer Abszess, Perforation desselben
in den Oesophagus, Fistelbildung. Kontluierende Bronchopneumonie (Schluck-
pneumonie) im rechten Unter- und Mittellappen. Frische fibrinöse Pleuritis rechts,
Bronchopneumonien im rechten Unterlappen.
Mikroskopisch: Das Carcinom des Oesophagus hat typischen Platten-
epithelcharakter usw.
Einwandfrei liess sich auch bei der Sektion leider nicht nachweisen,
ob die Perforation vom Abszess nach dem Oesophagus oder umgekehrt
von diesem nach dem Abszess zu erfolgt war. Merkwürdig blieb jeden-
falls, dass zwar beim Schluckakt die Speisen vom Pharynx in den Abszess,
nicht aber der Eiter aus diesem in den Oesophagus gelangten. Es musste
somit hier ein allerdings bei der Autopsie nicht mehr nachweisbarer Ventil-
verschluss der Perforationsöffnung bestanden haben. Begreiflicherweise
besteht bei solchen bedauerlichen Vorkommnissen das Bestreben, zunächst
eine Erklärung zu finden, die Untersucher und Methoden entlastet, wenn
auch das sofortige Auftreten einer Schwellung am Halse nicht in der Klinik
selbst beobachtet wurde, so besteht kein Grund, an den Angaben des
Patienten zu zweifeln.
Bei der Schnelligkeit des Entstehens dieser Anschwellung kann es
sich nur um den Durchtritt von Luft in das Gewebe gehandelt haben. Es
spricht hierfür auch der nach +4 Tagen noch erhobene Nachweis von
Knistern im Bereiche der Schwellung, wenn auch natürlich nach +4 Tagen
die Anwesenheit von Gas im Gewebe ebenso gut durch eine Gasphlegmone
436 K. Amersbach, Speiseröhrenverletzung bei der Oesophagoskopie.
bedingt sein konnte. v. Hacker (6) erwähnt nun zwar, dass gelegentlich
nach Oesophagoskopie, bei der der Patient unruhig war, viel hustete und
presste, am Hals und auch Gesicht ein Emphysem ohne begleitendes Fieber
und entzündliche Erscheinungen beobachtet wurde. Er glaubt dieses Em-
physem auf ein Bersten von Lungenbläschen (analog dem Emphysem bei
Kreissenden) zurückführen zu müssen.
Kahler (9) hatte schon über zwei solche Fälle berichtet, die er Ver-
letzungen bei der Untersuchung zur Last legte. v. Hacker meint, dass
auch hier ein solches Bersten von Lungenalveolen wahrscheinlicher sei.
In unserem Falle lässt sich natürlich diese Möglichkeit mangels eigener
Beobachtung der ersten Erscheinungen nicht ausschliessen, indessen wird
sie durch den weiteren Verlauf äusserst unwahrscheinlich gemacht. Die
. Annahme, dass es bei dem heftigen Pressen des Patienten während der
. Vesophagoskopie etwa zu einer Spontanperforation gekommen wäre, muss
an sich schon, vor allem aber auch auf Grund aller bisher gemachten
Erfahrungen, als nahezu ausgeschlossen angesehen werden.
Nach den Zusammenstellungen von Weeny (17), Cohn (1) u. a.
wurden Spontanrupturen, die vorwiegend bei Potatoren nach reichlichen
Mahlzeiten beobachtet wurden, stets dicht über der Kardia gefunden. Im
Halsteil ebenso wie im Brustteil wurde Aehnliches nie beobachtet.
Es muss somit als ziemlich sicher angesehen werden, dass in unserm
Falle durch das Spatelrohr des Oesophagoskops eine, wenn auch nur ober-
flächliche Durchtrennung der Wand der Speiseröhre, vermutlich nur der
Mukosa, vielleicht sogar nur des Epithels verursacht wurde, wofür in erster
Linie der Befund frischen Blutes am Spatelrohre spricht.
Wenn ich nun oben die Vermutung aussprach, dass unglückliche Zu-
fälle bei der Oesophagoskopie nicht so selten sind, wie die geringe Zahl
der veröffentlichten Fälle vermuten lassen könnte, so möchte ich hier
behaupten, dass es ein bestimmt oft beobachtetes Vorkommnis ist, dass ins-
besondere in der Gegend des oft schwer passierbaren Oesophagusmundes
ein leichter Epitheldefekt oder eine oberflächliche Schleimhautverletzung
gesetzt wird. Wenn nun in der Mehrzahl der Fälle eine solche Verletzung
mit Recht als ziemlich harmlos angesehen wird (Kahler erwähnt eine
Reihe solcher Fälle), so dürfte das bei einem bereits bestehenden Prozess
im Oesophagus vielfach doch nicht der Fall sein. Es sei hier an den
oben erwähnten Fall aus der v. Mikuliczschen Klinik erinnert, bei dem
die periösophageale Phlegmone von der gewiss kleinen Punktionsöffnung
in einem bereits vorhandenen Abszess ausging.
Dass die Bakterienflora in einem Oesophagus, der ein ulzeriertes, steno-
sierendes Carcinom enthält, über dem sich ‘durch Stauung der Speisen usw.
ein chronischer Reizzustand ausgebildet hat, ihren saprophytischen Charakter
ablegt und pathogene invasive Eigenschaften erlangt, ist wohl recht nahe-
liegend.
K. Amersbach, Speiseréhrenverletzung bei der Oesophagoskopie. 437
Der Patient war vor seinem Eintritt in unsere Behandlung wiederholt,
auch am Tage ‚zuvor, mit der Sonde untersucht worden. Ob er jedoch in
der Gegend des Oesophagusmundes etwa schon eine Schleimhauterosion
hatte, die einen Spasmus an dieser Stelle bedingte, wissen wir nicht. Ob
ferner bei irgendwelchen pathologischen Prozessen in der Speiseröhre, ins-
besondere bei ulzerierten Carcinomen, etwa auch an anderen als den direkt
affizierten Abschnitten Spasmen auftreten können, ist ebenfalls nicht bekannt.
Jedenfalls findet sich darüber in der Literatur nirgends eine Angabe.
Wir müssen uns also den Verlauf des klinisch nicht in allen Phasen
ganz klaren Vorganges wohl so vorstellen, dass bei der Oesophagoskopie
zunächst eine oberflächliche, vielleicht auch etwas tiefergehende Verletzung
der Hinterwand der Speiseröhre im Bereich des Oesophagusmundes gesetzt
wurde. Von dieser Stelle drang zunächst Luft in das periösophageale
Gewebe ein, später wohl auch Schleim und Speichel und mit ihm die
Infektionserreger. Um eine sehr virulente Infektion kann es sich nicht
gehandelt haben, denn die Erscheinungen waren nicht stürmisch und
während seines Aufenthalts in der Klinik zeigte der Patient nur subfebrile
Temperaturen. In der Folge bildete sich ein retropharyngealer bzw. retro-
ösophagealer Abszess aus, der sicher mit Pharynx und Oesophagus nicht
kommunizierte, da sonst der Eiter ja hätte abfliessen müssen und die Bil-
dung eines so ausgedehnten Abszesses unmöglich gewesen wäre. Ob viel-
leicht ein Ventilverschluss bei bestehender Perforationsöffnung den Durch-
tritt des Pharynxinhalts in das retropharyngeale Gewebe gestattete, den
Abfluss des Eiters aber hinderte, lässt sich nicht entscheiden. Manifest
wurde die Kommunikation zwischen Abszess und Pharynx erst nach Er-
öffnung des Abszesses. Das Fehlen jeglicher Reaktionserscheinungen in
der Umgebung der scharfrandigen Perforationsöffnung war bei der Sektion
sehr auffallend. Ob die bei der Sektion gefundene Perforation in irgend
welcher Beziehung zu der bei der Oesophagoskopie gesetzten Verletzung
steht oder ihr etwa vollkommen entspricht, derart, dass hier zunächst eine
Verklebung eingetreten war, die erst bei der Abszessöffnung gelöst wurde
oder sich spontan löste, ist ebenfalls nicht mit Bestimmtheit zu sagen.
Die Uebersicht der wenigen Fälle aus der Literatur zeigt, dass in der
Regel die Verletzungen des Oesophagus bei der Oesophagoskopie am Ein-
gang desselben erfolgen, was ja bei der physiologischen Enge dieses Ab-
schnittes nicht merkwiirdig ist.
Spontanperforationen wurden bis heute nur im untersten Abschnitt,
dicht tiber der Kardia beobachtet. Die einzige artefizielle Perforation durch
das Öesophagoskop in Höhe der Bifurkation, also im Brustteil der Speise-
röhre, ist der von Kahler aus der Klinik Chiari publizierte Fall. Wenn
wir von der unbewiesenen Annahme v. Hackers absehen, dass das nach
Oesophagoskopie wiederholt beobachtete Emphysem der Haut am Halse
auf eine Ruptur von Lungenalveolen zurückzuführen ist, so scheint mir
gerade das Auftreten des Hautemphysems ein fast regelmässig und zwar
438 K. Amersbach, Speiseröhrenverletzung bei der Oesophagoskopie.
in kürzester Zeit nachweisbares Symptom einer Wandverletzung der Speise-
röhre zu sein. Es genügen zur Erzeugung eines Hautemphysems gewiss
ganz oberflächliche Erosionen. Ob weitere Folgen eintreten, hängt wohl
in erster Linie von der Virulenz der vorhandenen Saprophyten bzw. Para-
siten ab.
Eine Ausnahme macht hier wieder der von Kahler bekannt gegebene
Fall, bei dem von Emphysem nichts beobachtet wurde, woraus man wohl
schliessen darf, dass doch für das Zustandekommen des Hautemphysems
ganz bestimmte, bisher unbekannte Voraussetzungen notwendig sind. Viel-
leicht liesse sich diese Frage an Tieren experimentell lösen.
Die weiter beobachteten Symptome, wie an verschiedenen Teilen des
Halses und Thorax lokalisierte Schmerzen, Fieber u. dgl. pflegen dann ja
recht eindeutig zu sein. Erwähnenswert dürfte es noch erscheinen, dass
auffallend oft die Perforation während der Untersuchung selbst übersehen
wird (vgl. Literatur), wozu einerseits die meist überraschend geringe
Blutung, anderseits der ausserordentlich geringfügige Widerstand, den
dünne Instrumente im periösophagealen Gewebe zu finden scheinen, bei-
trägt. Der zweite, von Kümmel angeführte Fall ist hierfür cin klassisches
Beispiel.
Fragt man sich nun, wodurch solche Vorkommnisse, die leider auch
dem Geübten nicht immer erspart bleiben, am besten vermieden werden,
so dürfte, wenn ich von der Erörterung selbstverständlicher Voraussetzungen
wie der, dass ausschliesslich der Geübte solche Untersuchungen vornehmen
soll, absehe, in erster Linie die heute von der überwiegenden Mehrzahl
der Autoren befürwortete Einführung des Tubus unter steter Kontrolle des
Auges hierfür in Frage kommen. Dass auch sie nicht unbedingt schützt,
beweist nicht zum wenigsten unser Fall. Der Kollege, der die Oesophago-
skopie ausgeführt hatte, hatte bereits zahlreiche Oesophagoskopien vor-
genommen, auch Fremdkörper aus der Speiseröhre entfernt und kann somit
durchaus nicht als ungeübt angesehen werden. Sehr beachtenswert erscheint
mir hierbei auch ein Phänomen, dass gewiss schon mancher Oesophago-
skopiker beobachtet hat, das Erblassen der Schleimhaut unter dem die
erlaubten Grenzen überschreitenden Druck des Tubus. Dem Weisswerden
der Schleimhaut pflegt, wird der Druck nicht sofort vermindert, unmittelbar
die oberflächliche Ruptur und die gewöhnlich allein sichtbare Blutung zu
folgen. Wenn auch, wie erwähnt, diese Erscheinung gewiss schon des
öftern beobachtet wurde. so konnte ich doch nirgends einen Hinweis darauf
finden. Manche Wandverletzung wird bei plötzlich eintretenden Wider-
ständen durch geschickte Anpassung der Körperhaltung des Patienten leicht
vermieden werden können. Das für das Gleiten des Rohres so wichtige
Einfetten sollte nie unterbleiben. Als cine nicht ganz unbedeutende Neben-
sache sei hervorgehoben, dass oft die Enden der Röhrenspatel viel zu
scharf sind, so dass die Vermeidung einer Verletzung wirklich schwer ist.
Die eingehende Berücksichtigung aller Kontraindikationen, wie Tracheal-
stenose, schwere Herzfehler, Erschöpfungszustände, Verdacht auf Oesophagus-
K, Amersbach, Speiserdhrenverletzung bei der Oesophagoskopie. 439
varizen und dergleichen mehr, braucht wohl nicht besonders hervor-
gehoben zu werden. Wo, wie bei Fremdkörpern, die Röntgenuntersuchung
häufig imstande ist, den Sitz des Corpus alienum festzustellen, sollte diese
nie unterbleiben; wenn wir auch wissen, dass ihr negativer Ausfall nichts
beweist.
Stellt sich, wie bei unserm Falle, ein Widerstand insbesondere im
Anfangsteil des Oesophagus entgegen, so sollte, sofern nicht eine vitale
Indikation (Fremdkörper u. dgl.) besteht, in der Regel von weiteren Ver-
suchen Abstand genommen werden.
Dass die vorliegenden Ausführungen nicht dazu dienen sollen, die in
diagnostischer und therapeutischer Hinsicht so überaus wichtige und wert-
volle Methode zu diskreditieren, muss wohl nicht besonders hervorgehoben
werden. Lediglich darauf kam es mir an, auf einige interessante Einzel-
heiten hinzuweisen und dadurch die Bekanntgabe ähnlicher, gewiss eine
Reihe wichtiger und belehrender Momente aufweisender Fälle anzuregen.
Literaturverzeichnis.
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Rhino-Laryngologenkongresses 1911.
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internat. Zentralbl. 1913. Nr. 9.
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bo
©
Q
=~]
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21. Juli.
18. Moure, zitiert nach Semons Zentralblatt. 1910. S. 43.
19. Escat, zitiert nach Semons Zentralblatt. 1910. S. 43.
20. Stark, H., Die direkte Besichtigung der Speiseröhre. Oesophagoskopie. Würz-
burg 1900.
Erklärung der Figur auf Tafel VII.
Hals- und Brustorgane nach Entfernung aus der Leiche. Oesophagus seitlich,
Trachea von hinten aufgeschnitten. Oesophagus nach rechts entfaltet.
a) Strikturierendes ulzeriertes Carcinom.
b) Porforationsöffnung, durch die Oesophagus und Abszess kommunizieren.
Archiv f. Laryngologie. Bd. 23. Tafel VII.
Fılsimiledruck nach einer Lumiere-Aufnahme
von Albert Frisch, Berlır. W 335.
XXNIN,
Ueber Ursachen der Hypertrophie und Atrophie
der Nasenschleimhaut.
Von
Dr. med. F. Diebold (Ziirich).
In einem Aufsatze „Ueber das Wesen der Ozaena (Archiv f. Laryngol.
1909. Bd. 22. H. 2. S. 339) stellt Prof. Alexander wiederum die alte,
bis dahin unbeantwortete Frage: „Warum soll ein eitriger Katarrh einer
Nebenhöhlenschleimhaut in dem einen Falle weitgehende hyperplastische
Vorgänge und Polypenbildung bedingen und im anderen Falle zu Atrophie
der Schleimhaut führen?“ In der Tat bleiben uns sowohl die Anhänger
der Herdtheorie der Ozaena als auch die Vertreter der übrigen Theorien
dieser Krankheit eine passende Antwort schuldig, selbst Alexander ver-
zichtete darauf. Atrophie und Hypertrophie findet man jedoch nicht nur
bei Ozaena, sondern auch bei Rhinitiden sine foetore, nicht nur bei Neben-
höhlenaffektionen, sondern auch bei den Entzündungen der Mukosa in der
Haupthöhle allein und auch in diesen letzteren Fällen stehen wir vor der
unbeantworteten Frage: Warum geht eine Entzündung in dem einen Falle
oder sogar an der einen Stelle in Hypertrophie aus, während andernorts
Atrophie entsteht?
Wenn auch von den Autoren nach der eigentlichen biologischen Ur-
sache des erwähnten Vorkommens nicht gesucht worden ist, so haben die-
selben doch für unsere Ansicht betreffend die Ursache der Hypertrophie
oder der Atrophie der Schleimhaut der oberen Luftwege wertvolle Beol)-
achtungen gemacht.
Ich selbst habe seit bald 20 Jahren dem Zusammenhang zwischen der
Sekretbeschaffenheit und dem Zustande der Schleimhaut meine Aufmerk-
samkeit geschenkt und kann nun nicht nur die Beobachtungen einer grossen
Anzahl von Autoren vervollständigen, sondern ich glaube auch eine passende
Erklärung genannter Beziehungen gefunden zu haben.
Bayer schrieb im Jahre 1896 (Ozaena und ihre Genese, Monatsschr.
f. Ohrenheilk.), die Hypertrophie sei hervorgebracht durch die Produkte
der Krankheit, welche die Rolle von Fremdkörpern spielen. Aus dem-
selben Jahre datiert die erste Auflage des Grünwaldschen Buches „Die
Naseneiterungen“. S. 89 sagt der Autor: „Die Polypenbildung wird hervor-
442 F. Diebold, Hypertrophie und Atrophie der Nasenschleimhaut.
gerufen durch die chronische Eiterung. ebenso die Schleimhauthypertrophie.*
Zarniko äussert sich 1894: „Welche Reizungen es sind, die das Binde-
zewebe zur Proliferation angeregt haben, können wir nicht in jedem Falle
bestimmen. Sicherlich gehört "aber zu ihnen andauernde Berührung mit
entzündlichen Sekreten.“ Hajek (Pathologie der Nasennebenhöhlen. 1894)
sat auf S. 252: „Die sezernierenden Stellen haben immer ein leicht hyper-
trophisches zedunsenes Aussehen, ebenso ihre unmittelbare Umgebung”,
womit er wahrscheinlich die mit Sekret überflossenen Partien meint. Im
Jahre 1900 schrieb Killian (Erkrankungen der Nebenhöhlen der Nase, in
Heymanns Handbuch): „Ausserdem (ausser der direkten Fortsetzung der
Entzündung von der Nebenhöhle zur Haupthöhle) kummt wohl auch die
dauernde Bespiilung des den Ostien benachbarten Gebietes und bestimmter
Wege innerhalb der Nase mit sinuitischen Exsudaten als Reizmoment für
die Bildung von Hypertrophie und Polypen in Betracht.“ Noch deutlicher
spricht er sich aus bei den Erkrankungen der Stirnhöhle: „Hypertrophisch
wird nicht selten auch die Gegend des Tuberculum septi gefunden, inso-
fern die anatomische Konfiguration eine derartige ist, dass das Exsudat
diese Gegend direkt bespülen kann.“
Bemerkungen über einen Zusammenhang der Sekretbeschaffenheit mit
dem atrophischen Zustande der Schleimhäute machte 1888 zuerst Walb,
der sich äusserte: die Atrophie sei die Folge eines Druckes der Sekret-
borken auf die Schleimhaut. Jurasz sagt 1891: es sei eine bestimmte
Sekretanomalie. welche zu Schleimhautatrophie führen könne. Im Jahre
1596 lesen wir bei Grünwald, S. 44: „Kein einziger mikroskopischer
Befund widerstreitet der Möglichkeit, dass vielleicht nur die Ablagerung
des Sekretes an den befallenen Schleimhäuten sekundär jene Veränderung
hervorruft, welche wir Atrophie nennen.“ Weiter S. 97: „Die eigentüm-
liche Atrophie der Schleimhaut ist immer sekundär und Folgeerscheinung
der eitrigen Berieselung.“ Weiter geht dann wieder Hajek 1899: „Durch
die Beobachtung mehrerer beginnender Ozaenafälle bin ich zu der Annahme
genötigt, die Atrophie sei sekundär. Unter dem firnisähnlichen Ueberzug
zog sich der Schwellkörper der unteren Muschel zusammen, nach Beseiti-
gung des Eiterherdes entfalteten sich die kontrahierten Muscheln wieder.“
Andernorts braucht der Autor auch die Ausdrücke: „Atrophierende Ein-
wirkung des eitrigen Sekretes; Atrophie stellt das sekundäre Produkt der
Herdeiterung dar.“ Noch bestimmter drückt sich dann Grünwald 1902
(Archiv f. Laryngol. Bd. 13) aus: „Die andauernde Kompression des
Schwellkörpers mit seinen auch den Knochen ernährenden Gefässen durch
den wie ein Kollodiumverband wirkenden Borkenüberzug, sowie das ent-
zündliche, zu Schrumpfung führende Infiltrat der Submukosa, durch die
Infektion seitens des stagnierenden Sekretes, erklären im vollen Einklang
mit den gewöhnlichen Erfahrungen der pathologischen Anatomie den
ganzen Vorgang.“ Einer eigentlichen Erklärung nahe kommt dann
Schönemann: „Eine EKrnährungsstörung in der Gesamtheit der die
Muscheln zusammensetzenden Gebilde kommt dadurch zustande, dass Pro-
F. Diebold, Hypertrophie und Atrophie der Nasenschleimhaut. 443
dukte, die bei einem lange andauernden Katarrh sich auf der Oberfläche
der Schleimhaut bilden, gleichsam resorbiert und nicht geniigend eliminiert
werden.“ 1) Wie unerklärlich noch 1903 der Einfluss des Sekretes auf den
Zustand der Schleimhaut erschien, geht auch aus der Aeusserung Schechs
im Referat über die zweite Auflage von Hajeks Buch über Nebenhöhlen-
entzündungen hervor: „Da, wo der Sekretionsherd liegt, seien deutliche
Hypertrophien, da, wo die Borken antrocknen, entwickelt sich Atrophie*'
schreibe Hajek, was aber Schech nur als Hypothese ansieht, weil gar
nicht einzusehen sei, warum die Nasenschleimhaut auf ein und dieselbe
Noxe so verschieden reagiere.
Bevor auf das Thema eingegangen werden kann, müssen die Begriffe
und Bezeichnungen, welche zur Anwendung kommen, besser präzisiert
werden. Allzuhäufig leider existieren in der Medizin für ein und dieselben
Begriffe oder pathologisch-anatomischen Zustände verschiedene Benennungen,
was natürlich zu falschen Auffassungen oder zu Konfusion Veranlassung
gibt. Was wir schlechtweg mit Hypertrophie oder Atrophie der Nasen-
schleimhaut bezeichnen, ist nicht das Bild einer Ueber- oder Unterernäh-
rung, sondern dasjenige einer chronischen proliferierenden hyperplastischen
Entziindung bzw. einer chronischen regressiven Entziindung.
Mit seltenen Ausnahmen verstehen wir unter Hypertrophie und Atrophie
der Nasenschleimhaut genannten chronischen entziindlichen Zustand. Wir
brauchen das falsche Wort fiir einen Begriff, wie wir denselben aus den
histologischen Bildern richtig in Erinnerung haben. Aber leicht könnte
das histologische Erinnerungsbild durch den ständigen Gebrauch falscher
Namen verwischt werden. Die sogenannte Arbeitshypertrophie der Mukosa
dder unteren Muschel in Nasenhöhlen, welche durch Septumdeviation ab-
norm weit geworden sind, ist so wenig eine Hypertrophie in pathologisch-
anatomischem Sinne und im histologischen Bilde, so wenig, wie die sogenannte
Atrophie im Knochengerüst ebenso weiter Nasen eine Ernährungsstörung ist.
Bei der sogenannten Arbeitshypertrophie ist die Mukosa infolge der grösseren
Inanspruchnahme durch die grössere Luftmenge, welche durchpassiert, auch
mehr allen den Schädlichkeiten ausgesetzt, welche allmählich einen chro-
nisch entzündlichen Zustand bewirken; bei der Atrophie aber ist es die
angeborene oder erworbene Funktionsschwäche der Schleimhaut, welche
schon durch die alltäglichen normalen Anforderungen in einen chronisch
entzündlichen Zustand geraten ist. In beiden Fällen eine relative Schwäche
gegenüber den Anforderungen und Schädlichkeiten von aussen her, in
heiden Fällen reaktive Entzündung, im einen Falle aber progressiver Aus-
gang, im anderen regressiver Ausgang der Entzündung.
Das Gewebe, welches uns hier interessiert, die Nasenschleimhaut, haupt-
sächlich diejenige der unteren Muscheln, weist eine besondere Eigentümlich-
keit auf: Die ununterbrochene Kommunikation der Saftspalten, der Gewebs-
liicken, beginnend mit einer ÖOeffnung an der Oberfläche der Epithel-
1) Schénemann, Virchows Archiv. 1902. Bd. 168. S. 22.
444 F. Diebold, Hypertrophie und Atrophie der Nasenschleimhaut.
schieht (Stigma), durch Basalmembran, Bindegewebe, Periost und Knochen-
balken hindurehziehend bis in die Markräume hinein. Diese Spalträume
erweitern sich sowohl in der Epithelschicht, als auch besonders im Stroma
zu oft grossen Lücken. Die Unterbrechungen der Knochenlamellen gegen
das Periost zu gewähren Kommunikation zwischen Markgewebe und Stroma.
Wir wissen, dass in diesen Gewebslücken sowohl die Ernährungs-
flüssigkeit für die Zellen, wie auch das ausgeschiedene Zellmaterial liegt.
Infolge hydrodynamischer Druckdifferenzen wird ein sogenanntes Ernährungs-
transsudat durch die Blutgefässwände hindurch in die Gewebslücken aus-
geschieden. Da die Kapillarwände im normalen Zustande ebenfalls wie
die Zellwände kolloidale Membranen sind, so sind in den verschiedenen
Geweben die stofflichen Beschaffenheiten der Transsudate, je nach der die
Membran aussen unspülenden Flüssigkeit verschieden (Klemensziewicz).
Infolge osmotischer Vorgänge und vermöge der fein akkommodierten Durch-
lässigkeitseinstellung (der elektiven Absorption) der Zellmembran nehmen
die Gewebszellen vom Ernährungstranssudat, welche sie umspült, in sich
auf, was sie zum Leben nötig haben. In dieselben Gewebslücken geben
sie auch ihre Verbrauchsstoffe ab. Ernährungstranssudate plus Abfallstoffe
bilden die Gewebsflüssigkeit. Derjenige Teil der Gewebsflüssigkeit, welcher
in die blindendigenden Lymphschläuche eingesogen wird, heisst Lymphe.
In den Lymphschläuchen herrscht als Fortsetzung des negativen Drucks in
den Venen Aspiration. Niemals aber kommt es vor, wie von autoritativer
Seite behauptet worden ist und wie es biologisch gedacht sicherlich auch
unrichtig ist, dass die Gewebsflüssigkeit mit ihren Abfallstoffen von einer Ge-
websschicht in eine andere sickert und sogar auf langen Wegen vermöge
ihres Gehaltes an Abfallstoffen überall einen deletären oder wenigstens
atrophierenden Einfluss ausübt. Die Zellgewebe sind so reichlich von
Kapillaren durchzogen, dass sicherlich nirgends ein Mangel an Ernährungs-
stoffen eintritt, falls das Ernährungstranssudat solche überhaupt enthält
und die Zellmembran solche in das Innere durchlässt. Und andererseits
gerade infolge der elektiven Variabilität der Durchlässigkeit der Zell-
membranen können die Abfallstoffe der Zelle selbst nichts antun.
Abweichungen vom normalen Ernährungsbetrieb treten aber ein, so-
bald einer der drei Faktoren Blutdruck, Lymphabfluss und Gewebsdruck
wesentlich verändert erscheint, sobald diese drei Funktionen einander nicht
richtig koordiniert sind. Vorausgesetzt, das Blut enthalte in jedem Falle
senügend Ernährungsstoffe, so kommt es beim Stoffwechsel hauptsächlich
auf den Gewebsdruck an, dieser hängt seinerseits aber wieder vom Blut-
druck und dem Lymphabfluss ab. Qualitativ sind es allerdings die Ka-
pillarwände, die für das Ernährungstranssudat bestimmend sind, quantitativ
jedoch ist es der Blutdruck bzw. sein Verhältnis zu den beiden anderen
genannten Faktoren. Ist der Blutdruck erhöht, so kann nur dann eine
rege Durchtränkung des Gewebes mit Ernährungstranssudat stattfinden,
wenn der Gewebsdruck niedrig bzw. der Lymphabfluss ein guter ist. Wäre
der Lymphabfluss ein mangelhafter, dann würde der Gewebsdruck bald
r
F. Diebold, Hypertrophie und Atrophie der Nasenschleimhaut. 445
steigen und wegen Stauung ein mangelhafter Stoffwechsel stattfinden.
Ebenso wenn der Gewebsdruck aus histologischen oder aus anderen Griinden
ein hoher ist, dann besteht nicht geniigend Druckdifferenz zwischen Blut-
gefässinhalt und den Gewebslücken und infolgedessen leidet alsdann die
Ernährung. Bei niedrigem Blutdruck kann der Ernährungsbetrieb nur
dann ein normaler sein, wenn der Lymphabfluss sehr gut, der natürliche
Gewebsdruck relativ niedrig ist. Meist aber wird bei stark erniedrigtem
Blutdruck auch die Lymphaspiration gering sein, wodurch der Gewebs-
druck relativ zu hoch gehalten wird und daher Ernährungsstörungen ein-
treten müssen. Soll also der Ernährungsbetrieb tadellos und richtig funk-
tionieren, so müssen, ganz abgesehen von den osmotischen Verhältnissen,
in erster Linie diese Filtrationsverhältnisse einander richtig koordiniert sein.
Beständig gefährdet ist die richtige Koordination genannter drei Funk-
tionsfaktoren in der Schleimhaut der unteren Nasenmuschel. Die Gefässe
sind weit und zahlreich, zugleich der Gewebsdruck ein geringer, das Ge-
webe sehr nachgiebig, dilatationsfähig und der Lymphabfluss relativ gering.
Enorme Oedeme könnten hier entstehen, wäre nicht durch die Existenz
der Saftkanälchen und Stigmata ein Abflussweg für Gewebssaft oder Trans-
sudat beständig gegeben, wodurch die Lymphgefiisse in ihrer Arbeit des
inneren Abfuhrwesens entlastet werden. Bei Entzündungen könnte ohne
diese Notausgänge einer Exsudation aus den Blutgefässen in dem lockeren
zarten Schleimhautgewebe das Gleichgewicht nicht gehalten werden. Offen-
bar findet sogar nicht nur bei der Entzündung, sondern auch beim Normal-
zustand ein Saftstrom aus den Stigmata statt, ähnlich dem Lymphstrom
aus den Krypten der normalen Gaumentonsillen. Wäre dieses nicht der
Fall, bestände eine solches Ausschwemmsystem nicht, so wäre Gefahr, dass
Mikroorganismen durch die vorgezeichneten Strassen in das Gewebsinnere
vordringen. Die Funktion der Saftkanälchen ist also eine doppelte. Am
meisten immerhin kommt die Rolle der Saftkanälchen bei der Entzündung
der Mukosa zur Geltung. Hier wäre ein richtiges Zusammenwirken der
drei Faktoren Blutdruck, Lymphabfluss und Gewebsdruck vollständig aus-
geschlossen und einzig der Funktion der Saftkanälchen ist es zu ver-
danken, dass die Schleimhaut bei Entzündungen nicht bei erster Gelegen-
heit schon durch regressive Veränderungen vollständig zerstört wird.
Wachstum und Proliferation der Gewebszellen sind Lebenserscheinungen
wie Assimilation und Dissimilation und liegen jedem normal ernährten
Gewebe inne, die Tendenz ist immer da. Tatsächlich aber kann die Zelle
erst dann wachsen und sich vermehren, wenn sie den nötigen Raum dazu,
die nötige Freiheit bekommen hat. Das Gewebe muss also lockerer, die
Gewebsspalten müssen vorerst oder gleichzeitig weiter werden, wenn die
Proliferationsfähigkeit der Zellen zur Geltung kommen soll. Wo jedoch
Ernährungsstörungen vorliegen, da erlischt natürlich auch die Tendenz
zum Wachstum, und hier ist auch kein Reiz irgendwelcher Art imstande,
Wachstum, Proliferation zu bewirken. Ebenso ist ein Gewebe, das bc-
ständig unter hoher Spannung steht, sei es durch mangelhaften Lymph-
446 F. Diebold, Hypertrophie und Atrophie der Nasenschleimhaut.
abfluss, konstante Hyperämie, "konstanten Druck von aussen in seiner
Wachstumsfunktion dauernd gehemmt, es bleibt infantil. „Kein Wachstum
durch Reize“, sagt Ribbert, „denn ein Reiz kann nur funktionelle Pro-
zesse auslösen, welche in der Zelle schon vorgebildet sind, ein Reiz allein
kann aber niemals dazu führen, dass die Zelle nunmehr Plasma bildet
oder sich teilt.* Sind aber die Bedingungen Ernährung und Raum vor-
handen, dann jedoch können schwache Reize die Lebenstätigkeit der Zellen
steigern. Unter solchen Reizen kann es vorkommen, dass die Zellvermeh-
rung über das Ziel hinausschiesst, dass Wulstbildungen und bleibende Ver-
diekungen entstehen, was bei Wachstum ohne besondere Reizung nicht
vorkommt (Regeneration).
Zu diesen schwachen Reizen, die die Lebenstätigkeit der Zellen stei-
gern, gehört in erster Linie der mechanische mässige Druck. Opposition
gegen die in der Zelle liegende Wachstumstendenz scheint auch hier wie
anderwärts den gehemmten Teil zur Tätigkeit anzuregen. Der Druck darf
aber nicht zu intensiv sein, damit die Zelle durch zu hohen Druck in
ihrer Lebenstätigkeit nicht geschädigt wird, und darf auch nicht zu lange
andauern, wenn der zum Wachstum notwendige freie Raum gegeben werden
soll. Es nimmt also mässig gepresstes Gewebe nach der Pressung nicht
nur den vorherigen, sondern noch grösseren Raum ein als zuvor. Weiter-
hin soll auch Wärme zur Proliferation anregen, weil durch sie das Gewebe
dehnbar wird. Zu den proliferierenden Reizen chemischer Art zählt
Baumgarten schwache Lösungen von Argentum nitricum, Mineralsäuren,
Chlorzink, dann aber auch die stärkeren Lösungen von Jod, Osmiumsäure,
in einer Konzentration und Dauer angewendet, in welcher die erstgenannten
Mittel Nekrose hervorrufen würden (spezifisch chemische Wirkung). Ferner
soll auch feiner Staub, Tuberkelbazillen, Fibrin, Proliferation anregen,
während Staphylokokken, Streptokokken regressive Veränderungen hervor-
rufen. Das Gemeinsame aller Proliferationsreize ist kurze Dauer, geringe
Intensität der Einwirkung und öftere Wiederkehr. Wahrscheinlich sind viele
der genannten Arten der Proliferationsreize auf die mechanische Drucktlieorie
infolge Hyperämie zurückzuführen bzw. auf Druckabnahme und Raum-
gebung infolge Rückgangs der Blutstauung. Allerdings gibt es auch Pro-
liferationen bei entzündlichen Vorgängen, welche nicht auf dem nach-
lassenden Druck der Hyperämie beruhen, sondern ihre Erklärung in dem
primären Elastizitätsverluste des Gewebes finden, welcher ohnehin immer
die erste an einem entzündeten bzw. lädierten Gewebe bemerkbare Ver-
änderung ist, wie besonders an gefässarmen Stellen beobachtet werden
kann. Erst durch Uebergang des Elastizitätsverlustes auf die Gefässwände
und Aufhören jedes zentralen regulatorischen Einflusses auf die lädierte
Gegend tritt dann die Hyperämie ein.
Durch die mechanische Drucktheorie wird auch die am Ende einer
Entzündung starke Zunahme der Proliferation der Gewebszellen verständ-
lieh. Hatte doch während der Entzündung sowohl der Druck des Ex-
sudats, wenn er nicht allzu intensiv gewesen, sowie auch der Druck der
F. Diebold, Hypertrophie und Atrophie der Nasenschleimhaut. 447
prallgefüllten Blutgefässe die Gewebszellen zur Vermehrung ihrer Lebens-
tätigkeit angeregt, so wird nun andererseits mit dem Nachlasse des Infil-
trations- und Blutdrucks den Zellen Gelegenheit geboten, sich zu entfalten,
und jede noch gesunde Zelle wird dieses eo ipso tun, ausser, wenn be-
sondere Umstände sie daran hindern, z. B. natürliche Straffheit des Ge-
webes, Druck von aussen, mangelhafte Ernährung. Bleibt aber der Infil-
trations- und der Blutdruck im Gewebe bestehen, dann ist keine Proliferation
möglich, sondern es treten regressive Veränderungen ein (sekundäre Läsion).
Zwischen diesen beiden Extremen gibt es insofern Uebergänge, als
eben nicht alle Zellarten in demselben Grade druckempfindlich sind.
Während die einen Zellen z. B. die Bindegewebszellen relativ hohen Druck
noch als einen die Lebenstätigkeit anregenden Reiz empfinden, sterben die
elastischen Fasern, Epithelien und andere bei demselben Druck schon ab,
und so können die einen Zellen zur Proliferation kommen, andere aber
zum Untergang.
Da die Proliferation selbst wieder zur Auflockerung des (iewebes
führt, so ist beim geringsten Drucknachlasse ein Weitergehen, ein
Chronischwerden des proliferierenden Zustandes leicht möglich. Und
endlich kann ein Ueberwiegen der bindegewebigen Proliferation in seiner
Druckarbeit gegen das Parenchym dem Infiltrationsdruck zu Hilfe kommen,
ganz abgesehen davon, dass der geänderte bindegewebige Boden eine
Degeneration des Parenchyms begünstigt (Zerreissen feiner Kapillaren).
Einigermassen guter Ersatz der krankhalten Defekte ist somit nur dann
möglich, wenn das Stütz- und Ernährungsgewebe keine wesentliche
Alteration erfährt. So wird der anfängliche Infiltrationsdruck zu einem
Gewebsdruck, und was den Parenchymzellen immer mehr fehlt, ist nicht
nur die Ernährung, sondern hauptsächlich der Raum der freien Entfaltung.
Und so sehr der Raum bei proliferierenden Vorgängen vonnöten ist, so
sehr ist der mangelnde Raum, der Druck, bei regressiven Vorgängen die
verderbliche Ursache trotz guten Ernährungsverhältnissen.
Regressive Prozesse können begreiflicherweise schon zu Beginn einer
Entzündung überwiegen, überall da, wo die schädliche Noxe sehr intensiv
eingewirkt und gleich von vornherein eine grosse Menge Zellen zum Zer-
fall gebracht hatte. Bei der Nasenschleimhaut trifft allerdings solches nur
zu nach spezifischer Infektion, nach chemischen, ätzenden Einwirkungen
oder nach Trauma. Bei der häufigsten Nasenkrankheit, dem akuten oder
chronischen Katarrh, sind die gewebsschädigenden Noxen nicht so intensiv,
dass regressive Veränderungen sofort beginnen, sondern dieselben treten
erst später, unter gewissen Bedingungen, oder gar nicht auf.
Die Bedingungen zur Proliferation der Schleimhaut der unteren
Nasenmuschel sind reichlich gegeben. Das Gewebe ist zart und durch ein
System von Lücken, Spalten, Kanälen locker auseinandergehalten, der
Gewebsdruck ist gering im Gegensatze zu dem hohen Druck, den die
vom Blut strotzenden Gefässe zeitweise ausüben. Infolge der beständig
wechselnden Blutfülle der Nasenschleimhaut wird das Gewebe zwischen
Archiv für Laryngologie. 28. Bd. 3. Heft. 30
448 F. Diebold, Hypertrophie und Atrophie der Nasenschleimhaut.
den grösseren Gefässen abwechselungsweise gedrückt und wieder entlastet,
es ist also sowohl der mechanische Druck leichter Art, wie auch der
zur Proliferation nötige freie Raum gegeben. Dass unter diesen prä-
disponierenden Umständen Proliferation nicht noch häufiger als gewöhnlich
vorkommt, beruht jedenfalls nur auf der guten Funktion der elastischen
Fasern. Ferner ist durch die beständige Abflussmöglichkeit des Exsudates
durch die Saftkanälchen nach aussen die Entstehung eines allzu hohen
Infiltrationsdruckes auf das wichtigste Gewebe der Nase, die elastischen
Fasern und das Drüsenepithel, nicht möglich. Diese Notausgänge bei
Exsudatstauung sind entschieden eine wohlweisliche Einrichtung. Infolge
der Existenz dieser Saftkanälchen gehören auch eigentliche Oedeme der
Mukosa der Schleimhäute zu den Seltenheiten (Schönfeld, Hyperplastische
ödematöse Rhinitis [Seifert]. Zeitschr. f. Laryngol. usw. 1912. Bd. 5.)
Eine weitere Veranlassung zur Proliferation gibt die beständige
schwache physische Reizung, welcher die Nasenschleimhaut infolge ihrer
exponierten Lage täglich ausgesetzt ist: Staub, Rauch, Temperatur-
schwankungen, Bazillen. Wie schon bemerkt, ist die Folge solcher
Reizungen Hyperämie bzw. mechanischer Druckwechsel, welcher auf das
Gewebsinnere ausgeübt wird.
Ganz gleichen Reiz übt auch das Sekret aus, obwohl selbst ein
Produkt der Schleimhaut. In vielen Gebieten der Medizin finden wir An-
gaben über den schädigenden Einfluss des Schleimhautsekretes auf die
überflossene Stelle, erinnern wir uns nur an das Ektropium, die Folgen
der Salivation der Säuglinge, die Dermatitis bei vernachlässigter Otorrhoe,
die entzündeten Oberlippen bei Rhinitis skrofuléser Kinder. Lubarsch
schreibt in Aschoffs Lehrbuch der pathologischen Anatomie: „So kommt
es unter dem Reiz des beim gonorrhoischen Katarrh der Harnréhre fort-
während abgesonderten Sekretes zur Bildung papillärer Wucherungen der
Epidermiszellen; auf den Schleimhäuten der Nase, des Magens usw. ent-
stehen polypöse Verdickungen.* Wie die Schleimhaut, so werde auch die
äussere Haut, besonders an den fettarmen Stellen, durch ihre eigenen Produkte
geschädigt, sagt P. Unna. Geradezu typisch für eine Stirnhöhlenentzündung
ist z. B. der Schleimhautwulst, vorn oben am Septum, besonders in Nasen,
die durch Septumkonvexität etwas verengt sind, so dass das Stirnhöhlen-
sekret das Septum erreichen und überfliessen kann. Regelmässig bekommen
wir Wulstbildungen im mittleren Gange (nicht nur Schwellungen) bei
Siebbein- und Stirnhöhlenentzündungen zu sehen, enorme Verdickungen der
Lefze des Hiatus semilunaris bei Oberkieferhéhlenentziindung, wulstige
Verdickungen im Recessus sphenoidalis bei Siebbein- und Keilbein-
entzündungen. Infolge des beständigen Sekretabflusses nach hinten sehen
wir auch die hinteren Enden der unteren Muschel immer am stärksten
hypertrophiert (himbeerförmig). Im Rachen sind es die Seitenstränge,
welche von den herabfliessenden Sekreten am meisten betroffen werden,
vielmehr wie die Mitte; meistens ist auch derjenige Seitenstrang der
F. Diebold, Hypertrophie und Atrophie der Nasenschleimhaut. 449
dickere, welcher auf der stärker sezernierenden Nasenseite liegt (dieses
ist aber nicht immer derjenige, der am meisten Beschwerden macht).
Dieses alles trifft jedoch nur dann zu, wenn das Sekret
flüssig ist, ob schleimig oder eitrig spielt dabei keine Rolle,
aber flüssig muss es sein, fliessen muss es über die betreffenden
Stellen, nicht ankleben. Das ist der springende Punkt in der Sache.
der von den Autoren immer entweder übersehen oder doch zu wenig her-
vorgehoben worden ist. Ob hierbei eine sogenannte Mazeration mitspielt
oder ob es das Fliessen, die Bewegung des Sekretes, ist, die zur Hyperämie
reizt, kann man kaum beurteilen; ich glaube eher das letztere. Natürlich
ist es auch hier die Hyperämie nicht allein, welche zur Proliferation reizt,
sondern der Wechsel der Hyperämie mit der normalen Blutfülle. Vielleicht
sollte man noch weiter rückwärts suchen nach der Ursache einer leicht
entstehenden Hyperämie, ob dieselbe auf nervösen oder zirkulatorischen
Gründen beruht, oder auch ob die grosse Druckdifferenz zwischen Blut-
gefässen und Gewebe auf einer verminderten Elastizität der letzteren von
Hause aus oder einer reichlicher als normal vorhandenen Saftkanalisation
beruhe.
Oben genannte Beispiele betrafen die Proliferation von vorher nicht
entzündeten Partien in der Umgebung des Entziindungsherdes. Ohne
zuvor Sitz der Entzündung gewesen zu sein, hypertrophieren diese über-
flossenen Gewebsteile. Dass aber die Entzündung eines anfänglich gesunden
Schleimhautgewebes in Proliferation ausgeht, liegt ganz in der Natur des Ge-
webes und allen oben genannten Verhältnissen. Die Ursache der Entzündung
kann sein wie sie will; abgesehen von spezifischen, toxischen Infektionen, kann
sie auf immer wiederkehrenden äusseren Schädlichkeiten oder auf übernor-
maler, abundanter und prolongierter Sekretabsonderung beruhen, sie wird
immer eo ipso in Proliferation übergehen, solange nicht bestimmte Gegen-
gründe vorliegen.
Ist jedoch das Sekret so beschaffen, dass es bald zu einer Kruste
eindickt, welche auf ihrer Unterlage festzukleben kommt, dann tritt gerade
das Gegenteil von Proliferation ein, das Gewebe unter der Kruste verfällt
regressiven Veränderungen, es wird dünn und trocken. Es liegt hierbei
sicherlich keine Verwechselung von Ursache und Wirkung vor, wie man
anzunehmen leicht geneigt ist, und zwar verfällt sowohl bereits entzündetes
als noch ganz gesundes Schleimhautgewebe unter der Kruste regressiven
sog. atrophischen Zuständen.
Die Ursache der Eindickung des Sekretes zu Krusten beruht in erster
Linie in dessen Beschaffenheit selbst. Im Gegensatz zum Transsudat ent-
hält das seröse Exsudat bedeutend mehr Eiweiss, es gerinnt auch spontan,
wobei besonders Fibrin ausgeschieden wird, welches sich chemisch und
histologisch genau wie Blutfibrin verhält. Nach den Untersuchungen von
Doebeli (Archiv f. Laryngol. 1903. Bd. 15. S. 142) werden dem Nasen-
sekret oft massenhaft Leukozyten, eitriges Exsudat, beigemischt, welche
30*
450 F. Diebold, Hypertrophie und Atrophie der Nasenschleimhaut.
durch ihren Zerfall in Fibrinogen und Fibrinferment dazu beitragen, dass
das trübe Nasensekret noch bedeutend klebriger wird als das helle.
Sobald solches Exsudat aus den Saftkanälchen an die Oberfläche aus-
getreten ist, gerinnt es unter dem Einfluss der trocknenden Luft zu
einer Kruste Nur dann, wenn die Schleimdrüsen normalen Schleim
sezernieren, die Flimmerbewegung der Epithelien eine normale ist, dann
klebt solche Kruste auf ihrer Unterlage nicht fest an. Ist aber eine
Entzündung im eitrigen Endstadium, so sind die Drüsen und das Ober-
flächenepithel schon derart erschöpft, dass von einer Wegschaffung des
Exsudates keine Rede mehr ist. Ueberfliesst übrigens solch eitriges Ex-
sudat gesunde Schleimhautpartien, so entzünden sich diese bald unter
dem Einfluss des reizenden Sekretes und bald wird auch hier mehr oder
weniger der Zustand eintreten, wo die Schleimdrüsen ihren Dienst teilweise
versagen und weder das eigene Exsudat, noch das hergeflossene von dem
Ankleben an der Schleimhautoberfläche abhalten können. Ganz abgesehen
davon, dass solch anklebende Kruste noch mehr zu Entzündungen reizt als
fliessendes Sekret und auch abgesehen von dem Unterschlupf, den sie den
Bazillen gewährt, erachte ich als Hauptschaden solcher anklebenden Krusten
die Verstopfung der Saftkanälchen, welche sie bewirkt.
Die Saftkanälchen haben durchaus ihren Zweck und durch Verstopfung
derselben ist ihre von der Natur gegebene Funktion vereitelt. Die
erste Folge wird eine Störung der oben genannten Koordination der drei
Faktoren Blutdruck, Gewebsdruck, Abfluss der Gewebsflüssigkeit oder
Lymphe sein. Es tritt eine Stauung im Abfluss der Gewebsflüssigkeit auf,
Hand in Hand damit Erhöhung des Gewebsdruckes und verringerte Trans-
sudation von Ernährungsflüssigkeit aus den Kapillaren und damit Er-
nährungsstörung der einzelnen Zellen. Unter der Wirkung des Blutdruckes
wird nun dieser Exsudatdruck immer intensiver. (Man erinnere sich, wie
fest oft die Krusten auf ihrer Unterlage anhaften, welch starken Druck
von innen her es braucht, um sie allmählich abzuheben). Die‘ Folge
dieses hohen Exsudatdruckes ist das Absterben zahlreicher Leukozyten
(Leukozytenschatten nach Schäffer), Zerfall derselben und Bildung eines
Fermentes, welches fähig ist, die Kittsubstanz zwischen den Zellen zu
lösen. Dadurch und unter der gleichzeitigen Ernährungsstörnng (sekundäre
Läsion) kommen nun auch die Gewebszellen selbst zum Zerfall, in erster
Linie natürlich die zarten Epithelien und die elastischen Fasern. Später,
bei Nachlass des hohen Druckes, proliferiert das resistente Bindegewebe
und durch Entstehung eines fibrillären Stützgewebes, dicht untermischt
mit Lymphozyten, Leukozyten, epitheloiden Zellen usw. wird der Defekt
auszufüllen gesucht.
Grundbedingung zur Entstehung der Atrophie ist somit anhaltend er-
höhter Gewebsinnendruck, wie solcher eben durch beständiges Verlegtsein
des Abflusses der Saftkanälchen zustande kommt. Dieser Prozess kann
sich auf Jahre hinaus in die Länge ziehen und durch beständige Ent-
stehung von reizenden Proteinen und durch genannte Alteration des Ge-
F. Diebold, Hypertrophie und Atrophie der Nasenschleimhaut. 451
webes entsteht ein Zustand, durch den dann ein normaler Ablauf der
Stoffwechselvorgänge für immer ausgeschlossen bleibt.
Natürlich kann der Gewebsinnendruck auch aus andern Gründen als
wegen Verschluss der Saftkanälchen konstant zu hoch sein. Angeborener-
weise auch können das Bindegewebe der Submukosa überaus straff, die
Saftspalten sehr eng sein, mangelhafter Lymphabfluss kann bestehen,
kurzum es können Verhältnisse vorhanden sein, welche eine genügend
grosse Druckdifferenz zwischen Gefässinhalt und perivaskulärem Gewebe
nicht gestatten, so dass sehr leicht Ernährungsstörungen eintreten oder
leicht auch durch geringe Exsudation schon Druckschäden und regressive
Veränderungen an den zarten Gewebselementen auftreten können. Die
Annahme angeborener histologischer Konstruktionsfehler, leicht erworbener
Minderwertigkeiten oder Koordinationsstörungen der einzelnen Gewebsteile
zueinander, kann sicherlich so gut vorkommen, wie gröbere makro-
skopische Anomalien und Defekte. Uebernormale Druckempfindlichkeit
des Parenchymgewebes kann angeboren oder erworben sein, wie auch
Schwäche des Nervensystems und deshalb so promptes Eintreten der
Paraplegie der Vasomotoren und des Elastizitätsverlustes im Gewebe
schon nach relativ sehr geringfügigen entzündlich wirkenden Noxen.
Individuell ist natürlich auch die Beschaffenheit der Blutgefässwände und
der Blutdruck, welche beide so grossen Einfluss auf den Ablauf einer
Schleimhautentzündung haben. Individuell ist endlich, um wieder zum
Thema zurückzukehren, auch die Gerinnungsfähigkeit des Exsudates, die
Ausscheidung von Fibrin, der Gehalt an Leukozyten bzw. die entzündliche
Leukozytose, so gut wie z. B. die Gerinnungsfähigkeit des Blutes.
Ein äusserst wichtiger Faktor bei der Verkrustung des Sekretes ist
der Einfluss der Atmosphäre. Warme trockene Luft (Zentralheizung),
Zimmerluft, Höhenklima u. a. m. spielen eine sehr grosse Rolle, besonders
im eitrigen Endstadium eines akuten Katarrhs oder eines akuten Schubes
im chronischen Katarrh.
Auch die Menge des Sekretes bzw. Exsudates und die Temperatur
der Unterlage sind von Einfluss; eine dünne Sekretschicht klebt leichter
und fester an wie eine abundante, und auf relativ warmer, hyperämischer
Schleimhaut ist die trocknende Wirkung der Luft intensiver als auf blasser
Schleimhaut. Als individueller Faktor wiederum ist die Konfiguration der
Nase im allgemeinen und ihre Luftdurchgängigkeit mit in Rechnung zu
ziehen.
Die Stelle selbst, wo die Kruste gewöhnlich anklebt, hängt ganz von
der Richtung des trocknenden Luftstromes und somit auch von der Form
der lateralen und septalen Nasenwand ab. Sekret kann schon vorn am
Locus Kieselbachii oder höher oben in der Nase, oder erst im Kavum an-
kleben. Flüssig verlässt es aus verborgenen Spalten und Ostien, wo wenig
Luftzirkulation besteht und hauptsächlich nur die feuchte Exspirationsluft
hingelangt, den oberen Teil der Nase und sobald es tief genug herunter
in den Bereich der Luftströmung oder an eine prominente Stelle hin-
452 F. Diebold, Hypertrophie und Atrophie der Nasenschleimhaut.
geflossen ist, trocknet es daselbst zu einer Kruste an, falls es die
nötige Gerinnungsfähigkeit besitzt. So bekommen wir denn oft pro-
liferierende und regredierende Stellen unter- oder nebeneinander zu sehen.
Letzteres sind die Stellen, wo das Sekret immer wieder und
wieder angetrocknet ist, ersteres sind die Strassen, über die
das Sekret geflossen ist. Ist das Sekret recht klebrig, dann trocknet
es bei geniigendem Luftzutritt schon oben beim Austritt aus den Neben-
höhlen ein; wir finden alle die Stellen, welche bei flüssiger Sekretion
proliferieren, nun dünn, trocken, geschwunden, den mittleren Gang weit,
die wittlere Muschel klein usw. Bleibt das Sekret im oberen Nasenteil
kleben, dann leidet die untere Muschel nicht so stark unter regressiven
Veränderungen, anders allerdings, wenn sich die angetrocknete Sekret-
masse bis hinunter auf die untere Muschel erstreckt. Ebenso kann die
Rachenhinterwand bei alten Naseneiterungen, bei denen alles Sekret in
der Nasenhöhle eintrocknet, fast normale Oberfläche zeigen. Ist das
Sekret nicht ganz so klehrig, dass es sofort eintrocknet, ist es imstande,
noch den Weg nach dem Rachen zu machen, klebt aber dann dort an,
dann haben wir das äusserst schwere Bild des chronischen, trockenen,
eitrigen Rachenkatarrhs. Bleibt das Sekret aber auch im Rachen flüssig,
ist es zugleich abundant, dann finden wir den hypertrophischen Katarrh
im Rachen. Diese Stadien kann man oft verfolgen und sie während der
erfolgreichen Behandlung einer starken krustigen Naseneiterung beim
Patienten verlaufen sehen. Anfänglich ganz leidlicher oder sogar guter
Zustand im Rachen, dann Borkenbildung daselbst synchron mit dem
Fliissiger- und Weicherwerden des Nasensekretes und mit dem Heller-
werden des Nasensekretes allmähliches Verschwinden der Rachen-
beschwerden. In der Nasenhöhle hatte ich schon mehrmals gesehen, wie
bei alten Eiterungen mit Krustenbildung die Schleimhaut der atrophischen
unteren Muschel unter dem Einfluss des flüssiger gewordenen Sekretes
ganz allmählich proliferiert ist, in einem Falle sogar derart, dass sie
“ Atemhindernis geworden ist und teilweise entfernt werden musste Eben-
solchen Rückgang von sogenannten atrophischen Stellen zur natürlichen
Dicke (natürlich nicht zur normalen Konstruktion) habe ich schon oft ge-
sehen durch fortgesetzte reizende Behandlung des hinteren Siebbeines. Ob
es die Reizung als solche war, oder ob die durch die Reizung hervor-
gerufene Sekretion, welche die unterhalb der behandelten Stellen ge-
legenen Partien zur Quellung gebracht hatte, kann ich nicht entscheiden.
— Aehnliches kann man erleben bei Freilegung der Nasenwege auf ope-
rative Weise. Ist das Nasenlumen gleich in der ersten Sitzung genügend
freigemacht worden, so beginnt nach 8—10 Tagen die Krustenbildung, die
nach 3—4 Wochen ihr Ende crreicht hat. Hat man das Lumen jedoch
nicht frei genug gelegt, sei es wegen eines kleinen Septumdornes, der die
Luftpassage zu verhindern vermag, so tritt die Krustenbildung nicht ein
und man kann sicher sein, dass das Lumen von Tag zu Tag wieder
enger wird. Hält die Krustenbildung aber länger als 4—5 Wochen an,
F. Diebold, Hypertrophie und Atrophie der Nasenschleimhaut. 453
dann hat man einen Fehler gemacht und entweder einen schon bestehenden
regressiv entzündlichen Zustand oder eine eitrige Nebenhöhlenaffektion
übersehen, die Nase wird weiter und zu weit werden. Ebenso bei hyper-
plastischer Siebbeinentzündung. Gelingt es in einer Sitzung sämtliche
Polypen zu entfernen, und je nach der Konfiguration der mittleren Muschel
die Rima oder den mittleren Gang oder beide so breit zu legen, dass ge-
nügend Luft in den oberen Nasenteil streichen kann, so dass das eitrig-
flüssige Sekret nun zur Antrocknung kommen kann, so besorgen die so
sich bildenden Krusten die Regression des proliferierenden Gewebes ebenso
gut wie unser Löffel es getan hätte.
Wie aus alledem hervorgeht, lässt sich die explizierte Theorie sowohl
in therapeutischer, prognostischer und hauptsächlich diagnostischer Hin-
sicht verwerten. Zusammengefasst gipfeln meine Beobachtungen in den
beiden Sätzen:
1. Schleimhautsekrete, quantitativ oder qualitativ pathologisch ver-
ändert, wirken als Entzündungsursache.
2. Die Entzündung derjenigen Schleimhautpartien, welche vom Sekret
beständig „überflossen“ werden, geht fast regelmässig in Proliferation aus,
während an denjenigen Stellen, wo das Sekret immer und immer wieder
„festklebt“, die Entzündung der Schleimhaut regressiven Verlauf nimmt
und sogenannte Atrophie entsteht.
Endlich möchte ich noch den Satz von Hajek wiederholen: Wenn
auch Hypothesen im allgemeinen nicht viel Wert haben, so sind sie bei
verwickelten Fragen insofern von Nutzen, dass sie doch einiges Licht auf
den Zusammenhang der vielseitigen Symptome eines komplizierten Krank-
heitsbildes werfen.
Mir scheint nun die Erklärung des Fötors und somit der Ozaena
nicht mehr fern zu liegen.
N |;
Aus der oto-laryngulogischen Abteilung des Reichshospitals zu Kopenhagen.
(Prof. Dr. E. Schmiegelow.)
Klinischer Beitrag zu den Knorpelgeschwülsten
des Kehlkopfs.
Von
Knud Salomonsen,
klinischem Assistenten.
Die reinen Knorpelgeschwülste im Kehlkopfe sind so seltene patho-
logische Erscheinungen, dass ich mich für berechtigt halte, einen solchen
sehr interessanten Fall bei einem Patienten mitzuteilen, der Aufang 1913
auf der oto-laryngologischen Abteilung des hiesigen Reichshospitals behandelt
wurde. Ich werde mir erlauben, die Krankengeschichte — es handelte
sich um ein grosses Ekchondroma laryngis — hier mitzuteilen und daran
einige Bemerkungen über die Larynxknorpelgeschwülste im allgemeinen zu
knüpfen, wie sie sich in der Literatur beschrieben finden.
Am 27. März 1913 wurde in die oto-laryngologische Abteilung des Reichs-
hospitals ein 56 Jahre alter Mann aufgenommen, in dessen Familie keine Neigung
zu bösartigen Geschwülsten vorhanden und der stets gesund war. Das Leiden
hatte ungefähr !/, Jahr vor der-Aufnahme mit anbaltender Heiserkeit, Anfällen von
Atemnot bei Anstrengungen und mit Erkältung angefangen. Schluckbeschwerden,
Husten und Schmerzen traten nicht auf. Das Allgemeinbefinden war nicht in Mit-
leidenschaft gezogen, auch hatte Patient keinen Gewichtsverlust. Als die Heiser-
keit anhielt und die Respirationsbeschwerden zunahmen, kam er ins Krankenhaus.
Bei der Aufnahme wurde Folgendes festgestellt: Das Aussehen war normal, der
Ernährungszustand gut. Temperatur normal. Die Untersuchung der Brust und des
Unterleibes ergab nichts Besonderes.
Die Stimme zeigte sich etwas rauh und heiser, aber kräftig und klangvoll.
Wenn der Patient sich ruhig verhielt, war die Atmung völlig frei, bei angestrengter
Bewegung hörte man einen ganz leichten Stridor. Bei der äusseren Untersuchang
des Kehlkopfes fand sich eine ausgesprochene Asymmetrie; der Kehlkopf war sehr
breit — 8,2 cm, wovon 3,2 cm auf die rechte Cartilago thyreoidea und 5 cm auf
die linke kamen. Dagegen war der Kehlkopf nicht empfindlich gegen Palpation;
die Halsdrüsen waren nicht geschwollen. l
Die laryngoskopische Untersuchung hatte folgendes Ergebnis: Die Epiglottis
ist normal. Die Rima glottidis verläuft von rechts vorn nach links hinten. Die
weissen, scharfrandigen Stimmbänder bewegen sich ungehindert. In der rechten
K. Salomonsen, Beitrag zu den Knorpelgeschwülsten des Kehlkopfs. 459
Regio subglottica sitzt ein kirschgrosser, rundlicher Tumor mit breiter Basis un-
mittelbar unter dem rechten Stimmbande, das sich weder in der Form noch in der
Bewegung von der Gcschwulst beeinflusst zeigt. Bei der Intonation wird der
Tumor von den Stimmbändern völlig bedeckt. Die Schleimhaut über diesem
erscheint graugrün, dünn, gespannt, nicht ulzeriert und mit deutlicher Gefäss-
zeichnung. Die Luftröhre zeigt vor und hinter dem Tumor ein normales Aussehen.
Bei dem Versuche einer direkten Trracheoskopie in Lokalanästhesie gelingt
es jedoch nicht, die Tracheoskopieröhre an dem Tumor vorbeizuführen, ebenso
wenig glückte es wegen der festen Konsistenz der Geschwulst, etwas davon zur
mikroskopischen Untersuchung zu entfernen.
Am 17. März wird in Aethernarkose die Traoheotomia inferior vorgenommen.
Nach Einlegen einer Kanüle Fortsetzung in Chloroformnarkose. Nachdem über
der Kanüle mit Gaze tamponiert ist, werden die oberen Ringe der Trachea und
der Cartilago cricoidea gespalten, jetzt zeigt sich, dass die ganze Regio subglottica
mit einem walnussgrossen Tumor ausgefüllt ist. Dieser erscheint an der Oberfläche
etwas uneben, nimmt seinen Ausgang auf breiter Basis von der ganzen Lamina
die Cartilago cricoidea und erstreckt sich bis nach der rechten Seite. Mit einem
scharfen Löffel werden jetzt bald grössere, bald kleinere Stücke vom Tumor geradezu
abgehobelt, bis er im Niveau mit der natürlichen Oberfläche des Knorpels zu sein
scheint. Die Anheftung des Tumors hat ungefähr Zweipfennigstückgrösse.
Entfernung der Kanüle. Primäre Schliessung der Wunde.
Nach der Operation kann der Patient völlig frei atmen und befindet sich
wohl. Im Laufe der ersten 24 Stunden zeigt sich am Halse ein subkutanes Em-
physem, das sich über beide Backen ausbreitet, das aber nach einigen Tagen ver-
schwindot.
Bei der am 25. April vorgenommenen Laryngoskopio sind die Stimmbander
rot und geschwollen, ihre Abduktion ist ungeniigend. Unter dem rechten Stimm-
bande sieht man noch einen Rest des Tumors.
Bei der Entlassung am 29. Mai ist die Wunde vollstandig geheilt, die Stimme
recht klangvoll, wenn auch noch etwas heiser. Keine Respirationsbeschwerden.
Die Laryngoskopie zeigt dieselbe Asymmetrie wie bei der Aufnahme. Die Stimm-
bänder sind etwas rot. Die Beweglichkeit auf der rechten Seite etwas gehindert.
In der Regio subglottica ragen noch einige Reste des Tumors in die Lichtung
hinein.
Das Ergebnis der mikroskopischen Untersuchung (E. Hallas) ist folgendes:
Der dekalzinierte Tumor besteht aus einer hyalinen Grundsubstanz, worin
mehr oder weniger grosse Gruppen von Knorpelzellen eingelagert sind. An einigen
Stellen sieht man eine Entartung derselben und Cystenbildung, an anderen Stellen
Verkalkungen. Keine Anzeichen von Sarkom.
Der Patient erscheint am 30. August wieder in der Klinik. Er hat sich seit
der Operation vollkommen wohl befunden und seine Stimme ist klar und klangvoll.
Bei der Laryngoskopie sieht man nooh immer die erwähnte Asymmetrie.
Nirgends stösst man auf Spuren des Tumors. Die Stimmbänder bewegen sich
vollständig frei.
Epikrise: Der vorliegende Fall zeigte sich bei einem Manne zwischen
50 und 60 Jahren, der !/, Jahr lang heiser war und Anfälle von Respi-
rationsbeschwerden hatte, die immer häufiger und heftiger auftraten, wo-
gegen er keine Schwierigkeiten beim Schlucken spürte und sich sonst
456 K. Salomonsen, Beitrag zu den Knorpelgeschwiilsten des Kehlkopfs.
nicht krank gefühlt hatte. Unter seinem rechten Stimmbande findet sich
ein walnussgrosser, harter Tumor; der Kehlkopf zeigt sich deformiert; ob
diese Deformation die Wirkung des Tumors ist, lässt sich nicht feststellen.
Es findet sich weder eine Drüsenanschwellung am Halse, noch sind An-
zeichen eines bösartigen Leidens vorhanden. Da es wegen der harten
Konsistenz des Tumors nicht gelingt, ein Stückchen zur mikroskopischen
Untersuchung zu entfernen, und da zunehmende Respirationbeschwerden
vorhanden sind, wird eine Laryngofissur gemacht und die Geschwulst ent-
fernt. Die mikroskopische Untersuchung bestätigt die klinische Diagnose:
Knorpelgeschwulst. Als der Patient 5 Monate später untersucht wird,
zeigt es sich, dass die Geschwulst nicht nachgewachsen ist und dass die
Stimmbänder normal sind und gut fungieren.
In der Literatur habe ich 45 Fälle von Knorpelgeschwülsten im Kehl-
kopf beschrieben gefunden. Von diesen hatte Alexander (1) im Jahre 1900
30 Fälle gesammelt. Mansfeld (2) ergänzte diese Statistik um 9 Fälle;
ferner sind 2 Fälle von Durand und Garel (3), 1 Fall von Landwehr-
mann (13), 2 Fälle von Moure (4) und endlich 1 Fall von Roos (14)
veröffentlicht.
Virchow teilt die Knorpelgeschwülste in Ekchondrosen und Enchon-
drome ein. Zu jenen rechnet er alle diejenigen Knorpelgeschwülste, die
im Knorpel entstanden sind, während er unter diesem Namen diejenigen
Knorpelgeschwülste zusammenfasst, die sich im nicht knorpelhaltigen
Gewebe entwickelt haben.
Alexander, der eine Anzahl von Knorpelgeschwülsten im Kehlkopf
untersucht hatte, hielt diese Zweiteilung für nicht genügend. Nach
Virchows Ansicht hätten alle von ihm untersuchten Fälle zu den
Ekchondrosen gerechnet werden sollen, da sie alle ihren Ursprung von
den Kehlkopfknorpeln genommen hatten. Nach einer Beratung mit
Virchow teilte Alexander die Knorpelgeschwülste im Kehlkopf in
3 Hauptgruppen, nämlich in Ekehondrome, Chondrome und Misch-
geschwiilste. Ausserdem unterscheidet er 2 kleinere Gruppen, je nachdem
die Geschwülste nach Entzündungen oder nach diffusen Hypertrophien
entstanden sind. Diese beiden verwirft Mansfeld in seiner ' Arbeit.
Seiner Ansicht nach können die Entzündungsgeschwülste einer der drei
Hauptgruppen untergeordnet und die Hypertrophien gar nicht zu den
Tumoren gerechnet werden.
Unter einem Ekchondrom versteht man eine Knorpelgeschwulst, die
sich im Knorpelgewebe gebildet hat, ohne dass sich der eigentliche
Knorpel in der Form oder im histologischen Bau verändert. Das
Ekchondrom ist von harter fester Konsistenz, so dass man es in dieser
Beziehung mit einer rohen Kartoffel vergleichen könnte. Die Geschwulst
ist gelässarm, wächst langsam und zeigt sich stets gutartig. Histologisch
besteht sie aus einer hyalinen Grundsubstanz mit Gruppen von Knorpel-
zellen, die oft grösser sind als die Zellengruppen im gewöhnlichen
hyalinen Knorpel. Die Zellen sind leicht der Entartung ausgesetzt, und
K. Salomonsen, Beitrag zu den Knorpelgeschwülsten des Kehlkopfs. 457
es finden sich in der Geschwulst sehr oft Verknöcherungen und Ver-
kalkungen. Die Ekchondrome sind von geringem Umfange: sie werden
selten mehr als walnussgross.
Das Chondrom ist eine Knorpelgeschwulst, die ebenso wie die
Ekchondrome von dem Knorpelgewebe ausgehen, die aber die Neigung
haben, sich verschiedenen degenerativen Prozessen und Veränderungen zu
unterwerfen, die ebenfalls den Mutterknorpel angreifen. Sie sind gefäss-
reicher und weniger fest als die Ekchondrome, wachsen schneller und
treten mitunter als bösartige Geschwülste auf.
Ihr Bau ist sehr verschieden; sie können aus allen 3 Arten von
Knorpel bestehen (aus Hyalin-, Netz-, fibrillärem Knorpel). Die sehr
labilen Zellen entarten leicht, wodurch sich Cysten und Ulzerationen
bilden können. Wie die Ekchondrome enthalten sie oft Verknöcherungen
und Verkalkungen. Die Entwicklung zu bösartigen Geschwülsten wird
histologisch folgendermassen beschrieben: Die interzelluläre Substanz
nimmt an Menge ab; die Knorpelzellen verlieren ihre Kapseln, und die
Geschwulst zeigt das Bild eines grosszelligen Sarkoms.
Die Mischgeschwiilste endlich sind stets sehr bésartig und müssen
als Chondrome in Verbindung mit anderem Gewebe aufgefasst werden.
Auf ihre Struktur, die sehr verschieden ist. werde ich hier nicht näher
eingehen.
Die Chondrome und die Mischgeschwülste können im Gegensatze zu
den Ekchendromen eine bedeutende Grösse erreichen, weshalb sie, da sie
noch dazu schnell wachsen, Anlass zu schweren Symptomen geben können
und bedeutende Eingriffe bedingen.
Nach obigem muss der vorliegende Fall zu der Gruppe der Ekchon-
drome gerechnet werden, da es sich hier um einen scharf begrenzten
Tumor handelt, der seinen Ausgangspunkt in der Cartilago cricoidea hat,
die selbst normal ist. Die Geschwulst besteht aus hyalinem Knorpel mit
Kalkablagerungen. Auch der Umstand, dass die Zellen an mehreren
Stellen entartet waren, entspricht dem Bilde eines Ekchondroms.
Von den 45 in der Literatur beschriebenen Geschwülsten müssen, so-
weit man nach den oft mangelhaften Untersuchungen und Beschreibungen
urteilen kann, 21 zu den Ekchondromen gerechnet werden, so dass es mit
dem vorliegenden Falle im ganzen 22 Fälle gibt.
Die folgenden 12 Fälle sind nicht mikroskopisch untersucht worden,
weshalb sie nicht als zweifellose Ekchondrome bezeichnet werden können.
Virchow (15) fand bei den Sektionen 2 knorpelharte 2 Linien hohe
Knoten, von denen der eine von der inneren Seite des rechten Schild-
knorpels, der andere von dem Ringknorpel ausging.
Birch-Hirschfeld (5) stellte bei der Sektion eines 46 Jahre alten
Mannes, de® an Erstickung starb, einen vom Ringknorpel ausgehenden
walnussgrossen, harten, knorpelartigen Tumor, fest.
Müsser (6) berichtet von einem im Ringknorpel entspringenden wal-
4508 K. Salomonsen, Beitrag zu den Knorpelgeschwülsten des Kohlkopfs.
nussgrossen, subglottischen harten Tumor bei einem 50 Jahre alten Manne.
Es wurde wegen einer Dyspnoe die Tracheotomie vorgenommen. Patient
starb infolge von Pneumonie.
Ingals (7) erwähnt einen 24 Jahre alten Mann, bei dem er einen
subglottischen knorpelharten Tumor mit Chromsäureätzung behandelte.
Die Geschwulst schwand nach wiederholten Behandlungen.
Flatau (8) fand zufällig bei einem Patienten, den er wegen eines
anderen Larynxleidens behandelte, einen haselnussgrossen Knoten auf der
spiglottis. Die Geschwulst zeigte sich bei der Inzision knorpelartig.
Gerhardt (9) entfernte bei einem 41jährigen Manne mit der
warmen Schlinge einen kleinen Teil eines knorpelharten erbsengrossen
Tumors, der sich grade unter der vorderen Kommissur gebildet hatte.
Witte (10) beobachtete bei 2 Patienten zufällig dornartige harle
Tumoren, die in den Gliedknorpeln sassen.
Eeckhoute (11) entfernte mit einer Zange bei einem 35jährigen Manne
einen im Ringknorpel sitzenden erbsengrossen harten und gestielten Tumor.
|
Ge-
Nr. Untersucher ' schlecht
Sitz Objektive Untersuchung
iu. Alter | |
|
1 | Porter, The Amer. | Mann, epiglottis. Ein 3 Linien breiter Knoten, der scharf
journ. of med. se.i 44 J. begrenzt auf der linken Seite der Epi-
1875. Vol. V. p.391. | glottis sitzt und 3, von deren freiem
| | ; Rande einnimmt. 1/, der Geschwulst
' ist ulzeriert. Der Rest glait und hart.
2 [Stoerk, Klinik der Mann, Glied- "/; em hoher harter Auswuchs von der
Krankh. des Kehl-i 7 | knorpel | Basis des linken Gliedknorpels und des
kopfes, der Nase Ä Proc. vocalis. Weiter nach vorn ein
und «des Rachens. : . ähnlicher, etwas kleinerer. Beide mit
1880. S. 417. | | natürlicher Schleimhaut bekleidet. Das
| linke Stimmband unbeweglich u. kürzer
| . als das rechte.
31Asch, New York |, Mann, | Schild- | Ungefähr 1 cm grosser konischer harter
med. journ. 1884. | 42 J.| knorpel' Tumor, bekleidet mit einer natürlichen
p. 562. | | Schleimhaut, sitzt im rechten Schild-
| | knorpel.
4 IBoccker, Deutsche | Mann, | Schild- Pe Tumor, bedeckt mit nor-
med. Wochenschr. | 25 J. ! knorpel | maler Schleimhaut, sitzt im rechten
1886. Nr. 43.
|
|
| Stimmband, nahe bei der vorderen Kom-
l
|
5 |Bestroye, Ann.des | Mann, . Ring-
mal. del’oreille ete. | 42 I knorpel
1886. p. 125.
| | Schildknorpel dicht unter dem rechten
| missur, treibt das rechte Stimmband
| in die Höhe.
‚ Mandelgrosser halbkugelförmiger Tumor,
| bedeckt mit glatt grauroter Schleim-
ı haut in der rechten Seite des Ring-
knorpels.
6 | Bruns, Beiträge 2. | Frl., Ring- |6—8 mm langer, rundlicher, flacher, mit
klin. Chirurgie. 17 J. | knorpel | natürlicher Schleimhaut bedeckter Tu-
| 1888. Bd.3. S. 347. mor in der hinteren Kehlkopfwand, ein
|
| ! | ähnlicher Tumor unte: dem rechten
| | Stimmbande.
|
| |
K. Salomonsen, Beitrag zu den Knorpelgeschwülsten des Kehlkopfs. 459
Garel (3) entfernte durch Thyreotomie bei einer 35jährigen Frau
einen grossen knorpelharten, subglottischen Tumor. Pat. starb an Pneumonie.
Landwehrmann (13) entfernte bei einer 28jährigen Frau einen
dornartigen knorpelartigen Tumor von dem rechten Proc. vocalis.
In allen diesen 12 Fallen ist die Wahrscheinlichkeit sehr gross, dass
es sich um Ekchondrome handelte. Es fehlte aber, wie gesagt, bei allen
die entscheidende mikroskopische Untersuchung.
Eppinger (12) sah bei der Sektion zufällig einen hanfsamengrossen
Knoten im linken Gliedknorpel, der bei der mikroskopischen Untersuchung
als ein Ekchondrom erkannt wurde. Nach seiner Ansicht machen diese
Geschwülste in der Regel keine Symptome; sie spielen auch keine klinische
Rolle und werden meistens erst bei der Sektion entdeckt. Die folgenden
9 Fälle, in denen die Diagnose durch die mikroskopische Untersuchung
zur Gewissheit wurde, werden jedoch zeigen, dass diese Auffassung irrig
ist. Es handelt sich hier um Geschwülste, die alle ausgesprochene
Symptome bewirkten und einen operativen Eingriff bedingten.
Symptome Behandlung | Verlauf Diagnose
Entfernung des Tinos 6 Wochen Mikroskopie:
und der einen Hälfte danach gute | (iruppen von
5 Monate Schluckbeschwer-
den, ir der letzten Zeit
Schmerzen im Larynx u. | der Epiglottis. ı Funktion der | Knorpelzellen
anhaltender Husten. | | Epiglottis. | in hyaliner
| | Substanz.
Seit 18 Jahren Heiserkeit; | Intralaryngeale Entfer- | Andauernde —
matte, klanglose, fast , nung mit schneidender Heiserkeit.
aphonische Stimme. | Zange. Linkes Stimm-
| band ständig
ı unbeweglich.
Bestindig Irritation im | Intralaryngeale Entfer-! Heilung. Mikroskopie.
Halse und oft Heiserkeit. | nung mit der Zange. | ı HyalinerKnorpel
| | und Verkalkung.
X Intralaryngeale Entfer- | Heilung. | Mikroskopie:
nung mit einer Hohl- | Hyaliner
| meisselzange (Boecker). | Knorpel.
Seit 7—8 Jahren rauhe: Tracheotomie wegen Er-| Starb an Mikroskopie:
Stimme, im Anschluss | stickungsanfälle. : Pneumonie Hyaliner
Bronchitis, Aphonie, Be- ı 7 Tage nach Knorpel.
schwerden b. Schlucken u. | d. Operation. |
Respirationsbeschwerden. | |
1 Jahr nach Anstrengungen | Laryngofissur. Tampon- | Heilung. Mikroskopie.
Atemnot und stridoröse | kanüle. Entfernung d.
Respiration. Tumors m. einer Schere | rezidivfrei. Knorpel, an
u. cinem scharfen Löffel cinzelnen Stellen
schleimnige
Entartung.
in kleinen Stücken. |
Entfernung der Kanüle |
|
!
|
4 Jahre | Hyaliner
|
' nach 3 Tagen. |
460 K. Salomonsen, Beitrag zu den Knorpelgeschwülsten des Kehlkopfs.
Ge-
sehlecht
u. Alter
Nr. Untersucher
Sitz Objektive Untersuchung
Mann, | Ring- | Nussgrosser, regelmässiger,runder, glatter,
DT d. | knorpel : harter Tumor mit normaler Schleimhaut
| | unter dem rechten Stimmbande, von der
| rechten Seite des Ringknorpels aus-
Garel, Ann. des
mal.de l’oreille ete.
1908. Bd. 34.5.6029.
~]
|
| gehend.
S Moure, Revue hebd. | Mann, Schild- | An der rechten Seite des Halses fühlt
de laryngologie et! 62 J. knorpel! man einen harten Tumor. Laryngo-
d'otologie. No. 34. | | ' skopisch sieht man einen Tumor in
p. 209. | | _ der Hohe der Plica ary-epiglottica. —
| | Aditus laryngis nach rechts gedrangt,
| bedeckt vom Tumor.
9 [Eigener Fall. Mann, Ring- RE des Kehlkopfes, walnuss-
57 J. koorpel | wrosser, breitbasiger, harter Tumor
| | unter dem rechten Stimmbande, vom
| | Rinerknorpel ausgehend.
In 8 von diesen Fällen fand sich das Leiden bei Männern, nur einmal
handelte es sich um eine weibliche Patientin. Drei der Kranken waren
zwischen 40 und 50, drei unter 40, zwei über 50 Jahre, und in einem
Falle war das Alter unbekannt. Viermal war der Ringknorpel der Sitz
der Geschwulst, dreimal der Schildknorpel, einmal die Epiglottis und ein-
mal die Gliedknorpel. Die Grösse der (Gieschwulst schwankte zwischen
der Grösse einer Linse und der einer Mandarine.
Die Symptome sind natürlich je nach dem Sitz und der Grösse des
Tumors sehr verschieden. Die ganz kleinen geben, wie erwähnt, gar keine
Symptome und werden zufällig beobachtet. Immerhin können selbst recht
kleine Geschwülste Heiserkeit bewirken, welches Symptom auch bei 7 von
obigen 9 Patienten erwähnt wird. Im Fall 1, wo das Ekchondrom auf der
Epiglottis sass, war keine Heiserkeit vorhanden, und im Fall 6 ist sie
nicht besonders erwähnt. Es heisst aber in dem Krankenbericht, dass die
Stimme nach der Operation natürlich wurde. Die Heiserkeit ist ein sehr
frühes Symptom und erklärt sich leicht durch die Einwirkung des Tumors
entweder auf die Stimmbänder direkt oder auf die Artikulationen im
Kehlkopf.
Später treten Respirationsbeschwerden auf (Fall 5—9). Die Geschwulst
wächst in der Regel langsam, und die Lichtung des Kelhlkopfes kann be-
kanntlich sehr bedeutend verengert werden, ohne dass Stenosefälle vor-
kommen, vorausgesetzt, dass die Verengerung allmählich vor sich geht.
Erst wenn bei Anstrengungen, oder wo der Durchgang durch Katarrhe
weiter verengert wird, grössere Ansprüche an die Respiration gestellt
werden, treten Respirationsschwierigkeiten auf, die so ernst sein können,
dass ein sofortiger Eingriff unabweisbar ist (Fall 5 u. 7).
K. Salomonsen, Beitrag zu den Knorpelgeschwülsten des Kehlkopfs. 461
an u OO eee eee m m = a a e
Symptome Behandlung Verlauf Diagnose
Mikroskopie:
Ekehondrom.
Tracheotomie wegen Er- | Heilung.
10 Monate Dyspnoe bei An-
stickungsanfälle. Drei | Rezidivfrei
strengungen, an Heftigkeit
zunehmend. — Stimme! Wochen später Laryn-! (1 Jahr).
heiser. gofissur. Entfernungd.
Tumors m.einem scharf.
Löffel. Kanüle nach
4 Tagen entfernt.
Seit 6 Jahren heiser u. An- | Tracheotomie. 3Wochen | Behält die Mikroskopie:
strengungen b. Sprechen. | später Jaryngofissur.! Kanüle. Ekcehondrom.
Laryngoskopisch wird ein| Entfernung des Tumors |
nussgrosser Tumor an der | mit Schere u. Lanzette.
linken Seite d. Kehlkopfes; — 1 Monat nachher
gefunden. — Seit 2!/, J.| werden endolaryngolo-
Beschwerden b.Schlucken, | gisch die Reste der (ie-
seit 2 Mon. Atemnot, ohne | schwulst entfernt.
eigentl.Erstickungsanfälle. |
Seit 1/3 Jahr ständige Heiser- | Tracheotomie. Laryngo- ' 5 Monate Mikroskopie:
keit u. zunehmende Atem- | fissur. Entfernung «des später rezidiv-, lÜkchondrom.
notanfälle b. Anstrengung. | Tumors mit einem , frei. Natür-
| scharfen Löffel. liche Stimme.
Schluckbeschwerden beobachtet man selten, da die Ekchondrome meist
in die Lichtung des Kehlkopfes und nicht in der Richtung nach der Speise-
röhre wachsen. Nur wenn die Geschwulst einen sehr bedeutenden Umfang
erreicht (Fall 8) oder wenn die Epiglottis angegriffen ist (Fall 1), wird
das Schlucken beeinflusst. Nur in einem Falle (1), wo die Geschwulst
ulzeriert war, waren Schmerzen vorhanden, wie der Patient auch Husten
hatte.
Laryngoskopisch bieten die Ekchondrome ein ganz charakteristisches
Bild dar. Sie treten als begrenzte Geschwülste mit einer glatten oder
geringelten Oberfläche auf und sind in der Regel halbkugel- oder kegel-
förmig. Die Schleimhaut über der Geschwulst ist dünn, blass, gespannt
und selten (Fall 1) ulzeriert. Bei einigen Patienten zeigt sich ausge-
sprochene Gefässzeichnung (Fall 9). Bei der Palpation mit dem Finger
oder mit einem Instrument findet man, dass der Tumor hart und fest ist.
Die laryngoskopische Untersuchung und die Palpation in Verbindung
mit der langsamen Entwicklung und dem Mangel an Drüsenanschwellung
am Halse berechtigen zu dem Schluss, dass man es mit einem Ekchondrom
zu tun hat. Man wird kaum Gefahr laufen, ein Ekchondrom mit einem
bösartigen Tumor oder mit einer infektiösen Neubildung zu verwechseln.
Allerdings kann ein submuköses Gumma ein ganz ähnliches laryngosko-
pisches Bild darbieten; hier aber werden die Wassermannsche Reaktion
und das Ergebnis einer antisyphilitischen Behandlung zur richtigen Dia-
gnose führen.
Die Behandlung war in allen 9 Fällen operativ. In 4 Fällen (1—4),
wo es sich um kleine Geschwülste handelte, gelang es, den Tumor auf
endolaryngealem Wege zu entfernen. Drei dieser Patienten (Fall 1, 3, 4)
462 K. Salomonsen, Beitrag zu den Knorpelgeschwülsten des Kehlkopfs.
wurden von ihrem Leiden vollständig befreit. Stoerks Patient blieb nach
dder Operation heiser, da das linke Stimmband sich fortgesetzt unbeweglich
zeigte. Die Heiserkeit und wahrscheinlich auch das Ekchondrom hatten
seit iiber 10 Jahren bestanden, und man stiess auf Veränderungen des
Stimmbandes und des Gelenkes, die durch die Entfernung des Tumors nicht
beeinflusst wurden.
Wo die Geschwulst gross oder auf endolaryngealem Wege schwer mit
einem Instrument zu fassen war, wurde eine äussere Operation vorge-
nommen.
Es wurde eine Laryngofissur und eine Spaltung der oberen Tracheal-
ringe gemacht, und dann wurde der Tumor, zuweilen nur mit grosser
Schwierigkeit, abgeschält oder weggeschnitten.
In 2 Fällen (7, 8) machte man etwa 3 Wochen vor der Exstirpation
eine Tracheotomie. Dies geschah das eine Mal (Fall 7) wegen Respirations-
beschwerden und das andere Mal als vorbereitende Operation (Fall 8).
Bruns (Fall 6) und Schmiegelow (Fall 9) führten die Tracheotomie und
Exstirpation unmittelbar nacheinander aus.
Moures Patient (Fall 8) musste die Kanüle später weitertragen. Bei
Bruns und Gauls Patienten wurde diese 3—4 Tage nach dem Eingriff
entfernt, und nur in Schmiegelows Fall konnte die Kanüle sofort ent-
fernt und die ganze Wunde primär geschlossen werden, was ja natürlich
stets erstrebenswert ist. Es zeigte sich in diesem Falle auch, dass keine
nachteiligen Wirkungen auftraten. Die Blutung war nur gering, und das
subkutane Emphysem, das einen Tag nach der Operation auftrat, schwand
bald. Die Heilung war bei den drei Patienten eine vollständige; der vierte
Patient, der einen sehr grossen Tumor hatte und bei dem der Eingriff
daher grösser war, musste seitdem eine Luftröhrenkanüle tragen.
Nur einer der neun Patienten starb (Fall 5). Hier hatte ein akuter
Katarrh plötzliche und heftige Erstickungsanfälle bewirkt, die eine Tracheo-
tomie notwendig machten. 7 Tage darauf starb der Patient, noch bevor
der Versuch gemacht worden war, das Ekchondrom zu entfernen.
Die Prognose quoad vitam ist, wenn man überhaupt auf Grund
eines so geringen Materials urteilen darf, gut, was ja auch wegen des
gutartigen Charakters der Geschwulst zu erwarten war. Die grösste Ge-
falır bei diesem Leiden sind die plötzlichen Erstickungsanfälle bei akuten
Katarrhen.
Die Prognose quoad sanationem war in allen operierten Fällen
insofern gut, als die Geschwülste nicht wiederkamen, jedoch muss die Be-
obachtungszeit in einigen Fällen als sehr kurz bezeichnet werden. Nur in
einem Falle (8) dauerte eine bedeutende Funktionsstörung an.
Zum Schluss möchte ich meinem Chef, Herrn Prof. Schmiegelow,
für die gütige Erlaubnis, die Krankengeschichte zu veröffentlichen. ver-
bindlichst danken.
K. Salomonsen, Beitrag zu den Knorpelgeschwülsten des Kehlkopfs. 463
Literaturverzeichnis.
. Alexander, Archiv f. Laryngol. 1900. Bd. 10. S. 181.
2. Mansfeld, Archiv f, Laryngol. 1909. Bd. 22. S. 508.
IN Or Oo
QO
. Durand et Garel, Annales des maladies du larynx et de l’oreille. 1908.
T. 34. p. 629.
. Moure, Revue hebdom. de laryngologie. 1910. No. 34. p. 209.
. Birch-Hirschfeld, Lehrbuch d. pathol. Anat. 2. Aufl. 1882—85. S. 367.
. Müsser, Philadelphia medical times. 1882. No. 377 (cf. Alexander).
. Ingals, Transactions of 12. annual meeting of the american laryng. assoc.
Baltimore. 1890. p. 52.
. Flatau, Verhandl. d. Berliner laryngol. Gesellsch. 1894. Bd.5. S. 33.
9. Gerhardt, Nothnagels Handb. d. spez. Pathol. u. Therapie. Wien 1896.
Bd. 13. S. 233.
. Witte, Archiv f. Laryngol. 1901. Bd. 11. S. 163.
. Eeckhoute, Annales de la société de médecine de Gand. 1902. Bd.4. p. 218.
. Eppinger, Klebs Handb. d. pathol. Anat. Bd. 7. S. 236.
. Landwehrmann, Zeitschr. f. Ohrenheilk. 1909. Bd. 59. S. 380.
. Roos, Zeitschr. f. Ohrenheilk. 1911. Bd. 62. S. 228.
. Virchow, Die krankhaften Geschwiilste. I. 1863. S. 442.
Archiv für Laryngologie. 28. Bd. 3. Heft. 31
XLI.
Aus dem Institut für allgemeine Biologie und experiment. Morphologie (Prof.
Dr. V. Rüzicka) und dem laryngol. Institut (Prof. Dr. O. Frankenberger)
an der böhmischen Universität in Prag.
Amöbenbefund in einer Kiefercyste.
Dr. Viktor Guttmann,
Privatdozent für Laryngologie.
(Hierzu Tafel VIII und IX.)
Im Falle einer Kiefercyste erwies sich die Cystenhöhle zum Teil von
Amöben bewohnt, zum Teil von amöbenähnlichen Gebilden erfüllt, die ich
zum Gegenstand der nachstehenden Untersuchung gemacht habe. Die
Cyste, die wahrscheinlich von der nach Extraktion eines hohlen Zahnes
übriggebliebenen Höhle ausging, wurde durch operativen Eingriff im k.k.
böhmischen laryngologischen Institut des Prof. Dr. O. Frankenberger
gewonnen und in Formol konserviert. Die Schnitte wurden hierauf teils
in Delafields Hämatoxylin gefärbt, teils mit Heidenhains Eisenhäma-
toxylin behandelt. Erst bei der Untersuchung des fixierten Materials wurde
der Amöbenbefund erhoben.
Trotzdem sich in den Schnitten mehrere Hundert amöbenähnliche
Zellbildungen vorfanden, und trotzdem ich viele Mühe darauf verwendet
habe, so gelang es mir doch nicht, alle zu erwartenden Entwicklungs-
stadien festzustellen. Daran mögen zum Teil die eigentümlichen Lebens-
verhältnisse der vorliegenden Amöbe, zum Teil die zu Amöbenstudien nicht
ganz geeignete Fixierungsmethode Schuld tragen. Es fanden sich sehr
viele Bilder vor, welche auch als in amöbenähnliche Bildungen umge-
wandelte Epithelzellen aufgefasst werden können. Vielleicht ist auch so
manches der zahlreichen Bilder, welche die Deutung als degenerative Ver-
änderung von Chromidialtieren zu unterstützen schienen, auf solche Epithel-
zellen zurückzuführen. Selbstverständlich schloss die Zufälligkeit des
ganzen Befundes auch eine Untersuchung der fraglichen Gebilde im lebenden
Zustande aus, was im Hinblick auf die Diagnosestellung und verschiedene
biologische Momente bedauerlich erscheint.
Wenngleich also die angeführten Umstände eine nur lückenhafte
Schilderung ermöglichten und die richtige Beurteilung der sich darbietenden
Archiv f. Laryngologie. 28. Bd. Taf. VIII.
r
Taf. IX
Archiv f. Laryngologie. 28. Bd.
Lichtdruck von W. Neumann & Co., Berlin 8 42.
A —— |»
V. Guttmann, Amöbenbefund in einer Kiefercyste. 469
Bilder sehr erschwerten, so glaubte ich trotzdem an die Veröffentlichung
schreiten zu sollen. Einerseits dürfte die Konstatierung einer Amöbe
in einem pathologischen Falle ja selbst dann von Interesse sein, wenn
sich eine pathogenetische Beziehung derselben nicht feststellen liesse.
Ausserdem ist auch die Seltenheit — wenn nicht Einzigartigkeit — des
Falles in Betracht zu ziehen.
Obschon die Frage der pathogenetischen Wirkung selbstverständlich
ohne Experiment nicht zu lösen ist und ein solches ja nicht möglich war,
so möchte ich doch hervorheben, dass ich die Amöben nicht bloss in der
Cystenhöhlung, sondern auch innerhalb und unterhalb des Cystenepithels,
ja ziemlich tief in dem Bindegewebe der Wandung vorgefunden habe. Der
Amöbenbefund dürfte jedoch einem noch grösseren Interesse begegnen, da
sich die Amöbe mit den in einem solchen Falle in Frage kommenden
Organismen nicht genau identifizieren lässt. Und diese Deutung träte dann
in Kraft, wenn sich eine Anzahl der von mir beobachteten Bilder tatsächlich
als einer Amöbe zugehörig erweisen sollte. Es wäre jedoch gewiss der
beschriebene Fall auch dann von Interesse, wenn es sich zeigen sollte,
dass ein Teil der in Sicht tretenden Bilder nicht von Amöben herrührt,
sondern einer pathologischen Umwandlung der Epithelien der Cysten-
wandung zugeschrieben werden müsste, da sich hieraus ein Fingerzeig zur
vorsichtigen Beurteilung derartiger Befunde ergeben würde.
Die Fundstelle liess die Voraussetzung zu, dass es sich wohl um
Entamoeba buccalis handeln dürfte, die vom Mund aus in die Cysten-
höhle gelangt sei und sich dort vermehrt habe.
Es sind jedoch in dem komplizierten Cysteninhalte viele Bilder vor-
handen, welche diese Deutung sehr unsicher machen, und ich will daher
auf eine Klassifizierung der vorliegenden Amöbenstadien, sofern sie über-
haupt verbürgt werden können, verzichten.
Da eine Beobachtung in vivo nicht möglich war, so kann natür-
lich die Aufstellung eines Entwicklungszyklus nur hypothetischen Wert
beanspruchen. Jedoch habe ich mich bei skeptischer Beurteilung der vor-
liegenden Bilder auf die beglaubigten Tatsachen der Literatur gestützt, so
dass die gezogenen Schlüsse wohl mit einiger Wahrscheinlichkeit aufge-
nommen werden dürften.
Die Grösse der in der Uyste befindlichen Amöbe ist im vegetativen
Zustande wie meistens sehr variabel, indem sie zwischen 13—66 a» schwankt,
wenn man die grossen Zellen auch zu den Amöben mitrechnet. Es ist
indessen nicht ausgeschlossen, dass die letzteren nur umgewandelte Epi-
thelien darstellen.
Die Form erinnert, soweit aus fixierten Präparaten ein solcher Schluss
gezogen werden kann, vielfach an die sogenannten Limaxamöben (Fig. 2,
10, 13, 31). Eine Unterscheidung zwischen Ektoplasma und Entoplasma
war nur an wenigen Exemplaren möglich (Fig. 1, diese erinnert auffallend
an Entamoeba buccalis); es ist ja bekannt, dass sie von äusseren Faktoren
im Sinne der Verwischung beeinflusst werden kann, und dass sie an
31*
466 V. Guttmann, Amöbenbefund in einer Kieferoyste.
fixierten Objekten überhaupt meistens schwindet. In den vegetativen Indi-
viduen fanden sich mitunter zahlreiche Vakuolen vor, die oft auch einen
näher nicht bestimmbaren Inhalt führten. Manchmal konnte ich in den-
selben rote Blutkörperchen bemerken (Fig. 13). Obschon die Cysten-
höhlung auch stellenweise recht zahlreiche Bakterien enthielt, so habe ich
trotzdem keine einzige derselben in einer Vakuole der Amöbe vorgefunden.
Die Protoplasmastruktur erschien keineswegs einheitlich. Es fand sich
typische Wabenstruktur mit kleinen und grösseren Waben; andere Exem-
plare wiesen eine fädige Filzstruktur auf, die entweder dicht oder locker
erschien; manchmal zeigten die Fäden Verzweigungen und einen strang-
förmigen Verlauf. Der Eindruck, den diese fädigen Strukturen machten,
war vorwiegend der von Plasmaströmungen und Plasmawirbeln. Die Faden
selbst erschienen entweder glatt und strukturlos oder aber sie enthielten
drehrunde sehr kleine Chromiolen, so dass sie das Aussehen von Chondro-
miten bekamen, oder in die Lange gezogener Chromatinbrocken.
Die eben beschriebenen Formen wecken oft entweder den Verdacht
auf Degeneration von Amöben, können aber auch zum Teil als veränderte
Epithelien aufgefasst werden; obschon die sogenannten Uebergangsbilder
sehr subjektiver Natur sind, so bemerke ich doch, dass sich von diesen
Formen zu den Epithelien der Cystenwand Uebergänge auffinden liessen.
Somit enthielt die Cyste wohl mit Amöben vermischte Epithelien in ver-
schiedenen Degenerationsstadien.
Auch das Aussehen des Kernes ist keineswegs einheitlich. Die vege-
tativen Individuen zeigen sehr oft einen scheinbaren Karyosomkern (Fig. 1),
dessen Centriol durch Vermittlung von Lininfäden mit der Aussengrenze
der Kernsaftzone in Zusammenhang steht; diese Fäden sind jedoch in
anderen Stadien nicht sichtbar, so dass dann das Centriol ganz frei in-
mitten der Kernsaftzone liegt (Fig. 4, 6). An der Peripherie der Kernsaft-
zone können (wie Fig. 1 zeigt) Chromatinkörnchen angesammelt sein, die
Kernsaftzone kann jedoch auch völlig frei von ihnen sein.
An einzelnen Exemplaren (Fig. 2) konnten Bilder konstatiert werden,
welche darauf hinwiesen, dass von dem Üentriol des scheinbaren Karyosom-
kerns sich Chromatinkörner ablösen, die dem Verlaufe der Lininfäden
folgend, den Weg zum peripheren Chromatinkranze nehmen. Diese Beob-
achtung scheint darauf hinzuweisen, dass das in Fig. 1, 4 und 6 abgebildete,
scheinbar einheitliche Centriol eigentlich das Karyosom darstellt, in welchem
es zu der Differenzierung eines Centriols und Aussenkerns noch nicht ge-
kommen ist. Diese Deutung wird durch das Aussehen der Kerne ganz
junger Amöben bekräftigt, die (Fig. 4, 31) nur das Uentriol und die chro-
matinfreie Kernsaftzone zeigen. Ist diese Deutung richtig, so würde Fig. 2
wohl als die erste Andeutung jener 2yklischen Vorgänge im Kerne zu
deuten sein, welche bei den Amöben zum ersten Male von Hartmann
beobachtet worden sind. Diese Vorgänge sind so aufzufassen, dass vom
Centriol aus eine Vermehrung des Chromatins ausgeht, das dann peripher-
wärts befördert wird.
V. Guttmann, Amöbenbefund in einer Kiefercyste. 467
Wir finden dann beispielsweise Bilder, wo das Centriol in einem
chromatinfreien Karyosom liegt, umgeben von einer radiäre Lininfäden
aufweisenden Kernsaftzone, welche von einem Kranze von Chromatin-
körnern umgürtet wird (Fig. 5), die also bereits im Cytoplasma liegen.
Doch ist dieses Bild ziemlich zweifelhaft und bezieht sich möglicherweise
auf eine umgewandelte Epithelzelle.
Eine zwischen dem Stadium der Fig. 5 und 2 gelegene Phase scheint
Fig. 6 und 3 darzustellen, die unzweifelhaften Amöben gehören. In Fig. 6
finden wir an der Grenze des Karyosoms noch einige wenige Chromatin-
körnchen, während die Aussenbegrenzung der Kernsaftzone stark mit Chro-
matin besetzt erscheint. Im Cytoplasma erscheinen bereits kleine radiär
in Gruppen zum Kern sich stellende Chromatinkörnchen. In Fig. 3 um-
gibt den Kern eine teilweise bereits ziemlich starke Schicht derselben.
Was die Teilung vegetativer Formen anbelangt, so konnte ich eine
Reihe von Bildern konstatieren, welche diesen Vorgang, wenn auch nicht
lückenlos, so doch wohl in wahrscheinlichem Lichte erscheinen lassen.
Wenn man die Fig. 1 oder 10 zum Ausgangspunkt nimmt, so könnte
man Fig. 9, 11, 13, 14 folgen lassen; hier sieht man bereits das Karyosom
eingeschnürt; Fig. 14 deutet wohl auch bereits die Einschnürung des Zell-
leibes an. Wenn man diese Stadien gemäss den sichtbaren Erscheinungen
deuten will, ohne in dieselben etwas hineinzulegen, was durch das Ge-
sehene nicht gerechtfertigt werden könnte, so kann man wohl nicht um-
hin, diesen Teilungsmodus als Amitose zu bezeichnen. Denn es gibt hier
keine Chromosomen-, keine Spindel- und keine Aequatorialplatten. Das
Centriol schnürt sich ein, das Karyosom und wahrscheinlich auch das
Cytoplasma folgt dieser Einschnürung mit analogem Vorgange.
Doch war dieser Teilungsmodus nicht der einzige, den ich in meinen
Präparaten konstatieren konnte. Fig. 15, 17, 18, 19, 20, 27 sprechen für
einen mitotischen Teilungsvorgang. Fig. 18, 19, 20 weisen eine in deut-
liche Chromosomen gesonderte Aequatorialplatte auf. Die Fig. 19 und 20
fasse ich als Teilung der Aequatorialplatte auf, an den Polen beider
Figuren können ziemlich deutlich die Centriolen konstatiert werden.
Ein doppelter Verlauf der Kernteilung, wie ich ihn bei der vorliegen-
den Amöbe soeben festgestellt habe, bildet bei Amöben nichts Absonder-
liches (siehe z. B. Prowazek, Arbeiten d. Kaiserl. Gesundheitamtes. 1905.
Bd. 22).
Während der Zeit, in welcher die Aequatorialplatte einheitlich erscheint,
habe ich die Zentralspindel nur homogen gesehen; dagegen erscheinen im
Stadium der Polwanderung der Chromosomen die Filaments r&unissants
vollkommen, die Polstrahlungen, wenigstens zum Teil (Fig. 18, 19, 20),
deutlich.
Die Chromosomen sind in einigen Exemplaren (z. B. Fig. 19 und 20)
aus verschiedenen Schnitten deutlich zählbar; es bilden sich diesen Figuren
gemäss vier Chromosomen aus. In den fertigen ruhenden Kernen junger
wie älterer Formen ist dagegen die Zahl der vorhandenen Chromatin-
468 V. Guttmann, Amöbenbefund in einer Kiefercyste.
brocken innerhalb weiter Grenzen variabel; junge Kerne enthalten an der
Peripherie des Karyosoms zumeist fünf Chromatinbrocken (Fig. 32). Der
beschriebene Kernteilungsvorgang ist nicht ganz identisch mit dem von
Prowazek (Arbeiten aus d. Kaiserl. Gesundheitsamt. 1909. Bd. 27) für
Entamoeba buccalis festgestellten.
Bilder, welche auf eine multiple Teilung hinweisen würden, habe ich
recht wenige gefunden. Fig. 22 zeigt scheinbar ein vegetatives Individuum
mit drei Kernen; Fig. 23 ein solches mit zwei. Diese Bilder gestatten
eine mehrfache Deutung; entweder könnte es sich in Fig. 23 um Bildung
sekundärer Kerne aus dem Chromidium oder aber um Degeneration eines
zweikernigen Tieres handeln oder aber um degenerierte Epithelzellen. Die
letztere Deutung erscheint mir angesichts der Zweifel, die in neuerer Zeit
dem obenzitierten Modus der Kernentstehung bei den Amöben entgegen-
gebracht werden und im Hinblick auf die eigentümlichen Verhältnisse der
besprochenen Cyste die wahrscheinlichere.
Auf Geschlechtsvorgänge scheint eine Reihe von Bildern hinzuweisen.
Die Cysten, welche in den Schnitten ziemlich häufig zu treffen waren,
sind klein, durchschnittlich ungefähr 22 « messend, rundlichh manchmal
mit deutlicher Doppelmembran (Fig. 25, 26, 27). Fig. 25, 26 zeigt eine
ruhende C'yste. Fig. 27 zeigt Teilung des Cystenkernes, Fig. 28 den ge-
teilten Kern (die Cyste scheint jedoch nicht mehr ganz normal zu sein).
In Fig. 29 ist multiple Kernvermehrung in der Cyste dargestellt. Fig. 30
könnte ein wichtiges Stadium darstellen, in dem sie als Beginn des
gametogonen Zerfalls der Cyste (Vakuole!) gedeutet werden könnte. Ob
ein Restkörper zurückbleibt, kann ich nicht angeben. In der Fig. 31 sind
die aus einem dem vorigen analogen Stadium ableitbaren und als Gamonten
deutbaren abgebildet.
Alle eben beschriebenen Stadien sind jedoch mit grosser Reserve zu
betrachten, da sie nur selten beobachtet worden sind und in dem Gewirre
von degenerierenden Epithelien, in welchem die Amöben enthalten sind,
Verwechslungen und Missdeutungen leicht möglich sind.
Ein sehr wichtiges Stadium gelang es mir, wie ich glaube, in der
Fig. 32 festzuhalten. Sie stellt, wie aus dem Vergleich mit den um-
liegenden Erythrozyten hervorgeht, ein kleines Gebilde dar, welches zwei
wohlausgebildete Karyosomkerne und daneben noch zwei in farblosen Halo
eingeschlossene Chromatinbrocken enthält. Sowohl die Grösse wie die
Kerngestaltung entsprechen, wie ein Vergleich mit Fig. 12 zeigt, der nach-
stehenden Deutung.
Das ganze Gebilde ist augenscheinlich sehr wohl erhalten, worauf
ich besonderes Gewicht lege. Denn ich glaube nicht zu weit zu gehen,
wenn ich das besprochene Bild als eben abgelaufene Reduktionsteilung
vor der Kopulation auffasse. Den Kopulationsvorgang selbst kann ich
aber leider durch kein Bild belegen. Ob Formen wie Fig. 21 als Kopula
angesehen werden können, wage ich aus den schon mehrfach angegebenen
Gründen nicht zu entscheiden.
V. Guttmann, Amöbenbefund in einer Kiefercyste. 469
Autogamievorgänge können, wie schon Hartmann (Archiv f. Pro-
tistenkde. 1912. Bd. 24) hervorgehoben hat, durch Degenerationserschei-
nungen innerhalb des Amöbenenergides vorgetäuscht werden. Solche aus
der kaum normalen Lebenslage der besprochenen Amöbe erklärlichen
Bilder habe ich sehr oft gesehen und bilde zwei auffallendere Fälle in
Fig. 16 und 33b ab, von welchen die letztere lebhaft an Hartmanns
Abbildung (Archiv f. Protistenkde. Bd. 24) Taf. 16, Fig. 31 (recte 32) er-
innert. Degenerationsbilder waren in meinem Falle überhaupt sehr zahl-
reich, was ja leicht erklärlich ist. Insbesondere traten die Degenerations-
symptome an Cysten und Chromidialtieren auf. Verklumpte Kerne, schlechte
Färbbarkeit derselben, welche bei ungenügender Berücksichtigung der Mög-
lichkeit von Degenerationen Vermutungen über physiologische Atrophie
von Kernen eventuell Entstehung derselben aus Chromidialnetzwerken
stützen könnten!), Pigmentbildung im Karyosom (Fig. 34) u. a. waren
häufige Erscheinungen. Als regelmässige Erscheinung konnte ich das
Fehlen von Kernen bei Chromidialtieren feststellen. Ich nehme an, dass
diese Kerne ausgestossen worden sind, da ihre Lage durch einen leeren
Raum gekennzeichnet wird (Fig. 35, 36, 37, 41).
Manchmal fanden sich jedoch in solchen Tieren verklumpte (Fig. 16,
42) oder schlecht färbbare (Fig. 38) oder aber selbst ganz normale, ja
sogar in Teilung befindliche Kerne (Fig. 39). Viele dieser Bilder können
als Degenerationen von Epithelgebilden aufgefasst werden.
Ich glaube, dass sich — unter Vorbehalt von späteren
Korrekturen, die bei Berücksichtigung der schon früher erwähnten
Mängel und Lücken der Beobachtung sowie von Verwechselungen mit
Epithelien möglich erscheinen — der Lebenszyklus der von mir ge-
fundenen Amöbe kurz folgendermassen zusammenfassen liesse: Die vege-
tativen Individuen vermehren sich durch einfache oder multiple Teilung.
Während des Ueberganges vom vegetativen zum Geschlechtsleben ist eine
ansehnliche Vermehrung des Zytoplasmachromatins zu verzeichnen. Es
folgt darauf die Encystierung; im Beginne dieses Vorganges und in den
jungen Cysten sind gleichfalls viele Chromidien vorhanden. In den Cysten
vermehren sich die Kerne, und es kommt, nachdem die Chromidien ge-
schwunden sind, schliesslich zu einem Zerfall derselben in kleine ein-
kernige Amöbchen, die als Isogamonten fungieren, indem wohl je zwei
zusammenfliessen und ihre Kerne unter Reduktionserscheinungen kopulieren
lassen.
Da das Bild, welches ich in diesem Sinne auffasse (Fig. 32), wohl
kaum eine andere Deutung zulässt, und wohl auch die Fig. 30 in anderer
1) Damit sollen selbstverständlich die Angaben von R. Hertwig, Popoff
u. a., welche diese wichtigen Vorgänge an anderen Objekten festgestellt haben,
keinesfalls in Zweifel gezogen werden. Der Satz soll nur bekunden, dass ich keine
sicheren Anhaltspunkte für die Annahme eines solchen Vorgangs bei meiner Amöbe
gewonnen habe.
470 V. Guttmann, Amöbenbefund in einer Kiefercyste.
Weise nicht gedeutet werden kann, als in der von mir gegebenen, so
dürfte wohl auch der Schluss auf die Kopulation nicht unzulässig er-
scheinen, obwohl es mir nicht gelungen ist, ein auf das Zusammenfliessen
der Isogamonten bezügliches Bild einwandfrei zu konstatieren. Ist diese
Schlussreihenfolge richtig, so würde meine Amöbe einen ähnlichen Sexual-
vorgang aufweisen, wie Entamoeba blattae nach Mercier (Archiv f.
Protistenkde. 1910. Bd. 20.) und Amoeba minuta nach Popoff (Archiv
f. Protistenkde. 1911. Bd. 22.).
Indes stehe ich nicht an, unter Hinweis auf die Schwierigkeiten der
Deutung in meinem Falle, zuzugeben, dass die Möglichkeit, dass es sich
in der vorliegenden Amöbe doch um eine unter den abnormen Lebens-
verhältnissen zum Teil veränderte Entamoeba buccalis handeln könnte,
nicht a limine abgewiesen werden kann. Als Merkmale, durch welche
sich meine Amöbe gegenüber der typischen Entamoeba buccalis unter-
scheidet, möchte ich anführen:
1. Meine Amöbe zeigt meistens keinen Unterschied zwischen Ekto-
und Entoplasma; freilich kam nur fixiertes Material zur Untersuchung.
2. Sie ist doppelt so gross; hier wäre jedoch die Möglichkeit von
Verwechselungen mit degenerierenden Epithelien zu berücksichtigen,
welche zum Teil eben die grossen Amöbenexemplare vortäuschen könnten.
3. Sie besitzt ziemlich viel Chromatin im Kern und eine dünne Kern-
hülle, während Entamoeba buccalis das entgegengesetzte Verhalten
zeigt.
4. Meine Amöbe weist sehr wenige Nahrungsvakuolen auf, die niemals
sichere Bakterien und niemals Leukozyten enthalten. Hier wären freilich
die abnormen Lebensverhältnisse der Amöbe in Betracht zu ziehen, obschon
andererseits die Cyste genug Bakterien enthielt.
5. Die Kernteilungs- und Vermehrungsverhältnisss meiner Amöbe
weichen von den bei Entamoeba buccalis bis jetzt beschriebenen ab.
Doch sind eben in den auf die Gametogonie beziiglichen Bildern
Verwechselungen eventuell Missdeutungen wegen der Degenerationen in
den Epithelien und der für Amöben unpassenden Fixierung nicht aus-
geschlossen.
Indes wage ich auf Grund des mir vorliegenden Materiales die Frage
der Identifizierung der von mir beobachteten Amöbe nicht zu entscheiden.
Allgemeinbiologisches.
Zum Schluss möchte ich einige theoretische Fragen der allgemeinen
Biologie berühren, wozu meine Beobachtungen mir Anlass geben.
Es ist vor allem das Verhältnis von Mitose zur Amitose, zu welchem
diejenigen Organismen, welche durch einen doppelten Verlauf der Kern-
teilung ausgezeichnet sind, einen wohl kaum misszuverstehenden Beitrag
liefern. Obschon noch immer hier und da die Behauptung auftritt, dass
V. Guttmann, Amöbenbefund in einer Kiefercyste. 471
die amitotische Teilung nicht den Wert der mitotischen erreicht, so kann
dieselbe doch bei einem Organismus, bei welchem beide Kernteilungsarten
einander vertreten oder miteinander abwechseln, ihre Geltung nicht be-
halten. Wenn man bedenkt, dass es Gurwitsch durch einen mechanischen
Eingriff (Zentrifugierung), Haecker, Natansohn u.a. durch chemische
Einflüses3 gelungen ist, Mitose in Amitose zu überführen, so ist es klar,
dass die Art der Kernteilung von äusseren und inneren Faktoren abhängt,
welche auf den Teilungsvorgang des Organismus selbst und die damit
verbundenen Umstände (z. B. die Vererbung) keinen Einfluss ausüben
müssen. Wenn wir uns des Umstandes erinnern, dass es durch Narkotika
gelingt die Mitose durch Amitose zu verdrängen, dass die Narkotika
wahrscheinlich die Zelllipoide beeinflussen, dass aber schliesslich nach
Prowazek (Zoolog. Anzeiger. 1909. Nr. 34. — Biolog. Zentralbl. 1909.
Nr. 29.) den letzteren eine hohe Bedeutung für die Morphologie der Zelle
zukommt — so wird man wohl die Vermutung, dass die Art der Kern-
teilung von den jeweiligen Verhältnissen der Zelllipoide abhängig sein
dürfte, nicht a priori von der Hand weisen können. Es sollen über diese
Frage nähere Untersuchungen angestellt werden.
Mit einigen Worten möchte ich der Chromidienbildung gedenken,
speziell der Frage des Ortes ihrer Entstehung. Werner und Hartmann
haben die Behauptung aufgestellt, dass bei Entamoeba histolytica der
erste Ursprung der Chromidien aus dem Karyosom abzuleiten sei. Als
dieser Deutung entsprechend können meine Fig. 3, 6 und 8 bezeichnet
werden. Hartmann hat (Archiv f. Protistenkde. 1910. Bd. 18. S. 215.)
die Vermutung ausgesprochen, dass die Chromidien durch heteropole
Teilung des Karyosoms zustande kommen und dass es sich überhaupt
möglicherweise um keine echten Chromidien handelt, sondern um die Ab-
schnürung kleiner totipotenter Kerne. Diese Vermutung hängt mit seiner
Theorie der polyenergiden Kerne zusammen. Es steht mir ferne diese
Theorie, deren Berechtigung für eine Reihe von Fällen nicht bestritten
werden soll, einer Kritik zu unterziehen; doch scheint es mir gewagt in
jedem vom Kerne abgeschnürten Chromatinfragment einen kleinen ganzen
Kern zu erblicken, wenn weitere Gründe nicht dazu zwingen. Im übrigen
stehen meine Bilder (Fig. 6, 8) in völliger Uebereinstimmung mit den
Angaben von Schaudinn, nach welchem die echten Chromidien aus dem
Aussenchromatin des Karyosoms entstehen.
Richtig ist, was Hartmann (Archiv f. Protistenkde. 1912. Bd. 24.
S. 177.) über den Umstand aussagt, dass der Kern nie soviel Chromatin
enthält als später im Zytoplasma vorhanden ist. Es müsse daher an-
genommen werden, dass sich dieses Chromatin vermehrt. Ob dies freilich
durch Teilung geschieht, kann nicht entschieden werden. Es könnte ja
auch daran gedacht werden, dass sich Substanzen des Zytoplasmas selbst
direkt in Chromatin verwandeln könnten, etwa in der Art, wie dies
Ruzicka für das erste Chromatinkorn der Bakteriensporen nachgewiesen
472 V. Guttmann, Amöbenbefund in einer Kiefercyste.
hat. Darauf würden bei meiner Amöbe zwei Umstände hinweisen. Erstens
die enorme Menge der Chromidien, welche schliesslich die Körper der
vegetativen Tiere füllt und welche deutlich als in Plastinfäden aneinander-
gereihte Chromiolen erscheinen, und in der lebhaftesten Weise an die von
anderen Objekten her bekannten Chondromiten erinnern. Zweitens der
Umstand, dass diese Form der Chromidienbildung manchmal zusammen
mit der karyosomalen bei demselben Tiere und zwar auf einer vom Kerne
weit entfernten Stelle festgestellt werden kann (Fig. 3), während nichts
auf eine genetische Beziehung der beiden hinweist.
Die karyosomalen Chromidien zeichnen sich durch Granulaform aus.
Im Zytoplasma finden sich jedoch oft auch längliche Chromatinbrocken
(Fig. 16, 17, 31, 34) oder Streifen (Fig. 15), ja selbst Stränge (Fig. 22, 42)
vor. Die letzteren befinden sich jedoch meistens in Zellen, die ich für in
Degeneration befindlich zu halten geneigt bin und deren Zugehörigkeit zu
Amöben nicht unzweifelhaft ist.
Mit wenigen Worten möchte ich noch auf die von Siedlecki bei
Caryotropha mesnili (Bull. acad. soc. Krakau 1905.) zuerst be-
schriebenen, von Hartmann in ihrer Bedeutung für die Amöben ge-
würdigten zyklischen Chromatinumwandlungen eingehen. Es handelt sich
dabei um Wachstum des Karyosoms und zentrifugalen Transport seines
Chromatins. Es ist dies eine Erscheinung von allgemeinerer Bedeutung,
da sie auch am Zentralkern der Heliozoen und an einigen Eizentrosomen
beobachtet worden ist.
Man könnte die Frage aufstellen, ob es nicht heute schon — wenn
auch nur vermutungsweise — möglich wäre, diese metabolische Struktur
kausal zu deuten. Wenn man diese Bilder nicht, besonders freilich die-
jenigen Stadien, wo das Centriol von 2 oder 3 konzentrischen Chromatin-
ringen umgeben erscheint, so wird man unwillkiirlich an die von Kiister
(Ueber Zonenbildung in kolloidalen Medien. Jena 1913.) unlängst studierten
Liesegangschen Diffusionsringe erinnert. Demnach würde es sich bei
jenen zyklischen Chromatinumwandlungen um Diffusionsvorgänge handeln,
deren Zentrum im Üentriol liegen würde. Die Rhythmik derselben liesse
sich auf Grund der von Ruzicka (Archiv f. Zellforschung. 1908. Bd. 1 u.
Festschrift zum 60. Geburtstage R. Hertwigs. 1910. I.) eruierten Tat-
sachen verstehen. Seinen Darlegungen gemäss stellt das Chromatin physi-
kalisch labilere Protoplasmaverbindungen vor, auch konnte er zeigen, dass
die Menge des Chromatins in direktem Verhältnisse steht zu der Eephallıp,
keit der Stoffwechselvorgänge.
Auf Grund dieser Ergebnisse ist es möglich, den zyklischen Chromatin-
wandel der Amöbenkerne als Ausdruck rhythmischer Stoffwechselvorgänge
aufzufassen. Mit Ruzickas Annahme lassen sich auch die Beobachtungen
über die Chromidienbildung in Zusammenhang bringen. Während der
vegetativen Periode häufen sich die Chromidien an, um im Ruhezustande
in der Cyste, während welcher keine Nahrungsaufnahnıe stattfindet, langsam
V. Guttmann, Amöbenbefund in einer Kiefercyste. 473
abzunehmen. So liesse sich sowohl die Bildung der karyosomalen wie
auch der zytoplasmatischen Chromidien, die Differenzierung des Karyosom-
aussenchromatins als auch der vegetativen Chromidien vom einheitlichen
Standpunkte aus verstehen, und in Fällen, wo sie vorkommen, beiderlei
Chromatinarten, die ja nach den Ausführungen Ruzickas (Struktur und
Plasma. Wiesbaden 1907), R. Hertwigs (1907) u. a. sich nur quantitativ
unterscheiden, auf einer — freilich der allerbreitesten — Basis vereinigen.
Zum Schlusse möchte ich noch hervorheben, dass in Bestätigung der
Funde und Postulate Hartmanns, das Centriol in allen beobachteten
normalen und sicheren Stadien des Lebenszyklus konstant festgestellt
werden konnte.
XLH.
Die Behandlung der multiplen Kehlkopfpapillome
mittels Radium.
Von
Thomas J. Harris, A.M., M.D. (New York City).
(Mit 7 Textfiguren.)
Auf dem III. internationalen Laryngo-Rhinologenkongress hielt Polyak
einen Vortrag über „Die Behandlung der multiplen Kehlkopfpapillome
mittels Radium“, in welchem er über 3 mittels dieser Methode behandelte
Fälle berichtete und 3 andere von Mazzochi behandelte Fälle erwähnte.
In der sich anschliessenden Diskussion berichtete Killian über einen
anderen nach dem gleichen Verfahren behandelten Fall, bei dem ein Rezidiv
eintrat und der später durch Röntgenstrahlen geheilt wurde.
In New York sind 6 Fälle von Larynxpapillom mit Radium behandelt
worden. Der erste war ein Fall von Dr. Robert Abbe, eine 30 Jahre
alte Frau P. Dieser Fall wird später ausführlich von Dr. Abbe berichtet
werden, der so freundlich war, mir die folgenden Notizen zu geben:
Fall ı. Dr. A. sah die Patientin zuerst im Februar 1898; sie litt damals
seit 5 Jahren an Aphonie und Hustenanfällen. Während dieser Zeit waren dreimal
Papillome entfernt worden. Es wurde nach vorausgeschickter Tracheotomie eine
Laryngotomie gemacht, die beide Stimmlippen vollständig bedeckenden Papillome
entfernt und die Stimmlippen sorgfältig kauterisiert. In den nächsten 9 Jahren
traten kontinuierlich Rezidive auf, die endolaryngealeEingriffe erforderlich machten.
Im Februar 1907 wurden 20 g Radium angewandt; die Geschwülste verschwanden
bis auf einen ganz kleinen Rest in der Kommissur. Wegen der Reizbarkeit des
Rachens konnte die Applikation immer nur 2—3 Minuten lang erfolgen, im ganzen
20 Minuten. Im Januar 1908 berichtete die Patientin, dass sie wieder mit lauter
Stimme sprechen konnte. 2 Jahre später konnte man eine kleine Geschwulst am
rechten Stimmband sehen. Gegenwärtig spricht die mit lauter Stimme. Der be-
handelnde Laryngologe hat einmal ein kleines Geschwulststückchen abgeknipst,
betrachtet den Fall jetzt aber praktisch für geheilt. Dies ist, soweit wir wissen,
der erste mit Radium behandelte Fall von Larynxpapillom.
Fall 2 war ein Patient von Dr. William Ledlie Culbert. Es handelt
sich um eine Frau in vorgeschrittenen Jahren, bei der der Kehlkopf während eines
Zeitraumes von 47 Jahren alle 6 Monate ausgeräumt worden war. Die Geschwülste
verengten den Larynx. Ein grosser Teil von ihnen verschwand nach Radium-
Harris, Behandlung der multiplen Kehlkopfpapillome mittels Radium. 475
Figur 2.
Fall 1. 1907. 2 Monate nach der Radiumanwendung.
Figur 3.
Fall 1. 1909. 2 Jahre später.
476 Harris, Behandlung der multiplen Kehlkopfpapillome mittels Radium.
applikation. Es war keine weitere Operation mehr nötig, und Dr. Culbert kon-
statiert in einem neulich erstatteten Bericht, dass „4 Jahre später, kurz vor ihrem
Tode die Stimmbänder fast frei von Papillomen waren und die Stimme der Pa-
tientin kräftiger war als ich sie je vorher gehört hatte“.
Fall 3 ist sehr bemerkenswert. Es handelt sich ebenfalls um eine Pa-
tientin von Dr. Culbert, die von Dr. Abbe behandelt wurde (dieser Fall ist
Figur 4.
Fall 3. Juni 1911. Es wird Radium angewendet.
Figur 5.
Fall 3. September 1911. 3 Monate nach der Radiumanwendung.
bereits berichtet worden in New York medical record. 13. April 1912), um ein
17jähriges Mädchen, das im Jahre 1910 heiser wurde. Sie wurde wegen eines
Fibroms am linken Stimmband von Dr. Culbert im September 1910 operiert. Es
trat sehr bald ein Rezidiv ein, und diesmal wurde nachgewiesen, dass es sich um
ein Papillom handelte. Eine zweite Operation hatte ebenfalls ein Rezidiv zur
Folge. Im Juni 1911, also 2 Jahre später, war Patientin völlig aphonisch und
die Atmung erschwert. Am 14. Juni wurde die Tracheotomie unter Aethernarkose
Harris, Behandlung der multiplen Kehlkopfpapillome mittels Radium. 477
gemacht und 100 g Radiumbromid in einer glatten kleinen Kapsel in den Kehlkopf
gelegt und daselbst 30 Minuten belassen. 3 Monate später war der Zustand so,
wie ihn die Abbildung zeigt. Ich untersuchte die Patientin letzten Juni, also
2 Jahre nach der Operation; die Stimmbänder erscheinen vollkommen gesund, es
besteht kein Anzeichen einer früheren Erkrankung, noch von Narbenbildung. Das
Mädohen hat eine vollkommen klare Stimme.
Fall 4 war ein Patient von Dr. Wolff Freudenthal, der ihn noch nicht
publiziert hat, aber so freundlich war, mir diese Notizen zu geben. Es handelt
sich um einen 34jährigen Mann, der seit einigen Monaten heiser war. Die Ge-
schwulst war mässig gross und sass in der vorderen Kommissur, ausgehend vom
linken Stimmband. Radium wurde in 15 Sitzungen appliziert von 9 Stunden Dauer.
Die Geschwulstmasse verschwand völlig und, wie Dr. Freudenthal berichtet,
wurde die Stimme so gut, wie sie je gewesen war.
Fall 5 war ebenfalls ein Fall von Dr. Freudenthal, ein 40jähriger Mann,
der seit 10 Jahren heiser war. 2 Monate, bevor er zu Dr. Freudenthal kam,
wurde seine Stimme ganz besonders schlecht. Die Untersuchung ergab eine Ge-
schwulstmasse im vorderen Teil des linken Stimmbands und ferner einen den
ganzen Larynx betreffenden Entzündungszustand. Nach im ganzen J4standiger
Anwendung von Radium war die Geschwulst verschwunden.
Fall 6, eine 45jahrige Frau S., stellte sich im Manhattan Eye, Ear, Nose
and Throat Hospital auf der Abteilung von Dr. Lewis A. Coffin vor und wurde
von diesem uns zur Behandlung überwiesen. Es bestand seit 3 Jahren vollständige
Aphonie. Die Untersuchung zeigte eine blumenkohlartige Geschwulst, welche beide
Stimmbänder, die Aryknorpel und die vordere wie hintere Kommissur bedeokte.
Ein Stück der Geschwulst wurde entfernt und untersucht; die Untersuchung ergab
ein einfaches Papillom. Auf Anraten von Dr. Coffin und dank der Liebens-
würdigkeit von Dr. Abbe wurden im März 1913 100 mg (180000 Radioaktivität)
35 Minuten lang angewandt. Nach 8 Wochen war das Papillom bis auf eine An-
zahl kleiner Reste völlig verschwunden. Zu dieser Zeit wurde Radium 15 Minuten
lang angewandt. Bei einer Untersuchung am 29. Mai war der Larynx völlig rein,
nur am rechten Aryknorpel sass noch eine kleine Geschwulst, und die Stimme war
kräftig und klar.
Figur 6.
Fall 6. Fall des Verfassers. März 1913. Vor Radiumanwendung.
478 Harris, Behandlung der multiplen Kehlkopfpapillome mittels Radium.
Figur 7.
Fall 6. Fall des Verfassers. Juni 1913. 3 Monate nach Radiumanwendung.
Zu dieser Serie von Fällen kommt noch ein Mädchen, das Dr. Abbe zurzeit
unter Beobachtung hat, und das mit dem Resultat einer deutlichen Besserung der
Stimme mit Radium behandelt worden ist. Eine Untersuchung des Kehlkopfes ist
fast unmöglich, so dass man nicht sagen kann, wie weit die Geschwulst ver-
schwunden ist; die Stimme ist jedenfalls bedeutend besser.
Wir behandelten vor kurzem auch ein 6jähriges Kind, welches vorher ope-
riert worden war, mit denselben Radiumdosen. In diesem Fall war das Kind so
tolerant, dass das Radium direkt durch den Mund appliziert werden konnte; da
jedoch dabei Atembeschwerden auftraten, so konnte das Radium nur 1—2 Minuten
an Ort und Stelle belassen werden, im ganzen 13 Minuten lang. Ueber den end-
gültigen Ausgang zu berichten, ist in diesem Falle noch zu früh.
Die Geschichte der Polyakschen Fälle ist kurz folgende:
Der erste Fall betraf eine 26 jährige Frau, die verschiedene Male
wegen rezidivierender Papillome operiert worden war. Es waren 15 mg
Radium per vias naturales in 16 Sitzungen appliziert worden; diese be-
trugen im ganzen 17 Stunden und 15 Minuten, das Radium war jedesmal
10—45 Minuten an Ort und Stelle gelassen worden. Die Papillome ver-
schwanden völlig und die Stimmbänder wurden glatt und weiss. Die
Stimme kehrte in ganzer Stärke wieder. Dies blieb so ein Jahr, dann trat
ein Rezidiv auf. Als Polyak den Fall veröffentlichte, war er im Begriff,
wieder Radium anzuwenden.
Fall 2 war ein 9jähriges Kind, bei dem wegen rezidivierender Pa-
pillome die Laryngofissur gemacht worden war. Es traten häufig Rezidive
auf. In 15 Sitzungen wurde eine reduzierte Menge Radium durch die
äussere ÖOefinung appliziert, im ganzen 21 Stunden lang. Der Kehlkopf
wurde völlig frei. 4 Monate später zeigte sich eine kleine Geschwulst in
der vorderen Kommissur. Eine Radiumanwendung von 81/, Stunden in
5 Sitzungen brachte sie zum Verschwinden. Von da an bis zur Zeit der
Publikation war kein Rezidiv mehr eingetreten.
Fall 3 betraf einen 35 jährigen Mann, der 11/, Jahre lang wegen aus-
gedehnter Papillome behandelt worden war. Radium war in 15 Sitzungen
Harris, Behandlung der multiplen Kehlkopfpapillome mittels Radium. 479
20 Stunden und 54 Minuten lang angewandt worden. Das Papillom ver-
schwand vollkommen, es blieb nur eine geringe Verdickung des rechten
Stimmbandes. Kein Rezidiv.
Polyak macht auf das Fehlen aller reaktiven Erscheinungen in allen
seinen Fällen aufmerksam. Wenn auch in 2 von seinen 3 Fällen ein
Rezidiv auftrat, so weist er darauf hin, dass eine erneuerte Radiumanwen-
dung dieselben guten Resultate gibt und erheblich einfacher ist als eine
zweite Operation. Die 3 Fälle von Mazzochi, welche mit Radium be-
handelt wurden, wurden alle geheilt, und zur Zeit seiner persönlichen
Mitteilung an Polyak hatte er kein Rezidiv zu verzeichnen. Der 7. Fall
war der von Killian. Das gibt also im ganzen 13 mit Radium behandelte
Papillomfälle.
Die Behandlung der Kehlkopfpapillome sowohl von aussen wie von
innen hat bis heute äusserst unbefriedigende Resultate gegeben. Wegen
der so häufigen Rezidive und der aus den oft nötig werdenden Operationen
resultierenden Verschlechterungen der Stimme kann ein Verfahren, durch
welches die Operation vermieden und die Neigung zu Rezidiven herab-
gesetzt wird, nicht ernst genug angestrebt und deren Vorzüge nicht oft
genug den Fachgenossen vor Augen geführt werden. Es ist viel über die
Wirkungen dieses wunderbaren Mittels auf andere krankhafte Zustände der
oberen Luftwege geschrieben worden, soviel ich aber weiss, war Ferreri
der erste, der auf dem zweiten internationalen Kongress für Rhino-Laryngo-
logie in Wien über seine Anwendung im Larynx sprach.
Die Erfahrungen aller Beobachter stimmen überein über den Mangel
‘an jeder Reaktion oder sonstigen unangenehmen Begleiterscheinungen. Die
Art der Wirkung ist eine geheimnisvolle. Ohne jeden sichtbaren Schorf
verschwindet die Geschwulst allmählich. Es ist keine unmittelbare Ver-
änderung zu sehen, ausser vielleicht einer geringen Veränderung in der
Farbe des Tumors. Die einzige Kritik, die an dem Verfahren geübt wurde,
ging von Killian aus, der auf dem Berliner Kongress über das Auftreten
von Rezidiven berichtete. Dies trifft ohne Zweifel für die früheren Fälle
zu, die berichtet wurden. Es sei darauf aufmerksam gemacht, dass bei
den in New York behandelten Fällen bis heute noch kein Rückfall zu ver-
zeichnen war. In 2 Fällen wurde die Beobachtung auf eine Zeit von 1 bis
3 Jahren ausgedehnt. Ohne Zweifel ist dieses auf die grosse Radioaktivität
des angewandten Radiums zurückzuführen. Statt der geringeren Kraft von
15—20 mg wurden von Dr. Abbe, Culbert und mir 100 mg genommen.
Mit einer einzigen Ausnahme erlaubten alle von uns in New York behan-
delten Fälle die Einführung des Radiums per vias naturales, nach ent-
sprechender Kokaineinspritzung. Ein Radiumträger von Zelluloid, an
welchem ein kupferner Griff befestigt war, wurde gebraucht. Der ge-
waltige Vorteil einer solchen Behandlung gegenüber der Schnittmethode
von aussen beweist sich von selbst.
Die Erfahrung scheint zu zeigen, dass das Geheimnis des Erfolges bei
Archiv für Laryngologie. 28. Bd. 3. Heft. 39
480 Harris, Behandlung der multiplen Kehikopfpapillome mittels Radium.
der Anwendung des Radiums bei der hier in Frage stehenden und auch
bei anderen Krankheiten auf der genauen Kenntnis der Kraft des an-
gewandten Radiums und auch auf der Dauer der Anwendung beruht. Zu
wenige Fälle sind bis jetzt behandelt worden, um diese Tatsachen end-
gültig zu entscheiden; aber unsere Erfahrungen in. New York be-
friedigen uns und die Anwendung einer hohen Radioaktivität vermindert
die Notwendigkeit fortwährender und längerer Anwendung, welche häufig
Schwierigkeiten bereitet und von Reizzuständen begleitet ist, die wahr-
scheinlich einen Rückfall verursachen.
XLIII.
Aus der Abteilung des Herrn Dr. A. v. Sokolowski im „Heiligen Geist-
Krankenhause“ und aus dem Laboratorium des Aerzte-Vereins zu Warschau.
Ein Fall von Rachenteratoid.
Dr. Casimir Dombrowski.
(Mit 2 Textfiguren.)
Im Oktober des vorigen Jahres wurde ein 5 Monate altes Kind auf
die Abteilung gebracht mit der Angabe, es leide an Atembeschwerden
und Zyanose, die während der Nahrungsaufnahme vom ersten Lebenstage
an hervortraten. Die Untersuchung ergab, dass die Ursache dieser Be-
schwerden in einer beweglichen, haselnussgrossen Geschwulst zu suchen
war, die an einem langen Stiel von der Regio supratonsillaris dextra
herabhing.
Um leichter atmen zu können, verschob das Kind die Geschwulst mit
einigen Schluckbewegungen in den Rachen, aus dem sie beim Oeffnen des
Mundes, sowie bei der Nahrungsaufnahme, herausgeschleudert wurde. Im
letzteren Fall füllte sie den grössten Teil des Isthmus ‘aus, welcher Um-
stand Dyspnoe und Zyanose zur Folge hatte.
Diese Geschwulst wurde mittels der kalten Schlinge entfernt, wobei
eine Nachblutung nicht eintrat.
Die Oberfläche der dunkelroten, elastischen Geschwulst war glatt, die
homogene Schnittfläche zeigte weder Höhlen noch Gänge.
Dem histologischen Bau nach ist die Geschwulst den teratologischen
Bildungen zuzurechnen. Die Aussenfläche war von Plattenepithel be-
kleidet, das der Lagerung zufolge die Epidermis vortäuschte. Die Ge-
schwulst bestand aus Bindegewebe, zwischen dessen Elementen die der
anderen Gewebsarten eingelagert waren, aus inselförmig angehäuftem Fett-
gewebe, zahlreichen Gefässen uud einigen Nerven. Von Drüsen waren
Schleim- und Schweissdrüsen, dagegen keine Talgdrüsen vorhanden. Da-
neben wurden einige quergestreifte, in verschiedenen Richtungen verlaufende
Muskelfasern, sehr wenige Haare, die aber die Oberfläche nicht überragten,
ein Knochen und eine kleine Höhle gefunden.
Es waren demnach die Abkömmlinge des Ektoderms, wie Haut, Haare,
Drüsen, Nerven; des Mesoderms, wie Muskelgewebe (Mesoblast) und Knochen
(Mesenchyme, O. und R. Hertwig) vertreten.
32°
482 C. Dombrowski, Ein Fall von Rachenteratoid.
Virchow hat für solche Geschwülste den Namen Teratom vorgeschlagen,
heutzutage werden dieselben Teratoide genannt und die Bezeichnung Tera-
tom für diejenigen Geschwülste reserviert, in denen organ- und system-
bildende Tendenzen hervortreten.
Die Teratoide werden von Forgue und Lexer in zwei Typen ein-
geteilt: 1. in die Dermoideysten des Ovariums und Hodens, die Embryo-
mata cystica (Wilms), und 2. in die Teratoide, die embryonalen Ge-
schwülste (Wilms). Die ersteren unterscheiden sich von den gewöhnlichen
Cysten dadurch, dass sie ausser Haut, Talg und Haaren noch Zähne,
a Haare; b Schweissdrüsen; e Cyste, gefüllt mit verhorntem Epithel;
d Epithelkonglomerate.
Knochen und andere Gewebe enthalten. Den Teratoiden wiederum fehlen
ausgebildete Organe — ein Unterscheidungsmerkmal den Teratomen gegen-
über; von den Dermoideysten unterscheiden sie sich dadurch, dass sie
Gewebe enthalten, welche von den drei Keimblättern (Tridermoma) ab-
stammen.
Die Dermoideysten treten am häufigsten im Hoden, seltener im Eier-
stock auf und wurden früher, je nachdem dieses oder jenes Gewebe präva-
lierte, als Cystosarkome, Chondroadenome, Adenomyosarkome, Cystocarci-
nome des Hodens beschrieben.
Um die Entstehung dieser Geschwülste zu erklären, hat man vier
Theorien aufgestellt. Während Verneuil und Remak eine Verlagerung
C. Dombrowski, Ein Fall von Rachenteratoid. 483
der Haut durch die Kiemenspalte in das Nachbargewebe für die Entstehung
der Embryomata annehmen, glauben Buffon, Waldeyer und Mathias
Duval in der Parthenogenesis die Erklärung zu finden. Geoffroy-
St. Hilaire glaubt an das Hineinwachsen der Embryome, und Roux,
Bonnet und Wilms haben die Blastomerentheorie angenommen. Jedoch
ist keine Theorie imstande, die Entstehung der Mischgeschwäülste zu erklären,
da noch die Seltenheit dieser Geschwülste das Studium sehr beeinträchtigt.
a Gefässe; b Querschnitt des quergestreiften Muskels; c Fettgewebe;
d Schleimdrüsen; e Arterie; f Nerv; g Knochen.
Die Rachenteratoide werden seltener vorgefunden als die des Hodens
und Ovariums; die Beschreibungen von Arnold, Bouilloud und Reuter
enthalten je einige Fille. Im ganzen wurden von Reuter bis 1905
15 Fälle zusammengestellt, davon waren 2 am vorderen Gaumenbogen,
7 an der hinteren Oberfläche des weichen Gaumens, 3 an der oberen, 2 an
der vorderen und 1 an der seitlichen Rachenwand vorgefunden worden.
Diese Geschwülste sind meistens angeboren, werden am häufigsten bei
Säuglingen angetroffen und führen infolge der Behinderung des Atmens
und der Nahrungsaufnahme zur Abmagerung und oft zur Zyanose.
484 C. Dombrowski, Ein Fall von Rachenteratoid.
Oft reisst beim Husten die Geschwulst ab, gewöhnlich wird die ope-
rative Entfernung nötig. Diese wird mit der Schere, der kalten oder
warmen Schlinge ausgeführt. Rezidive wurden nicht beobachtet.
Zum Schluss erlaube ich mir die Vermutung zu äussern, dass die
Zahl der vorgefundenen Rachenteratoide vielleicht höher sein würde, wenn
alle polypenartigen Gewächse des Rachens histologisch untersucht würden.
In der letzten Zeit mehren sich die Fälle von Rachenteratoiden.
ieee
CO ID OT OO DD
. Arnold, Ueber behaarte Polypen der Rachen-Mundhöhle und deren Stellung
. Aschoff, Pathologische Anatomie. Bd. I. S. 744.
. Bouilloud, Etudes sur les polypes du pharynx buccal. Thèse de Lyon. 1893.
. Hertwig, Embryologie.
Literaturverzeichnis.
zu den Teratomen. Virchows Archiv. 1888. Bd. 111. S. 177.
Forgue, Precis de Pathologie externe. I. p. 337.
Kaufmann, Pathologische Anatomie. S. 399.
Mikulicz, in Heymanns Handbuch der Laryngologie. Bd. II. S. 362.
. Reuter, Ueber behaarte Rachenpolypen und ihre Genese. Archiv f. Laryngol.
1905. S. 233.
. Vialleton, Embryologie in Testut, Traité d’Anatomie humaine. IV.
XLIV.
Aus der oto-laryngologischen Abteilung des Israelitischen Krankenhauses
zu Warschau. (Vorstand: Dr. Lubliner.)
Ein verkalktes Kehlkopffibrom.
Von
Dr. med. Julian Choronshitzky,
Assistent der Abteilung.
Unter den vielen Arten von gutartigen Tumoren, die man im Kehlkopfe findet,
ist noch nie, wie ich aus der einschlägigen Literatur ersehen konnte, eine echte
Geschwulst beschrieben worden, welche in ihrem Innern eine kalkige Einlagerung
beherbergte. Es sind allerdings in den Morgagnischen Taschen verschiedene
Kalkkonkremente gefunden worden, die durch den entzündlichen Reiz eine
Wucherung des sie umgebenden Gewebes hervorgerufen haben, — ein Fall aber
von einem Tumor, der seinen Ausgangspunkt nicht von den Morgagnischen
Ventrikeln nahm und seinem histologischen Bau nach eine Beschaffenheit zeigte,
auf welche ich jetzt näher eingehen werde, wurde noch nicht veröffentlicht.
Vor einigen Monaten liess sich auf unserer Abteilung ein 17jähriger Arbeiter
aufnehmen, der sehr an Heiserkeit und in der letzten Zeit an Erstickungsanfällen
litt. Die Krankheit, welche ca. 11/, Jahre dauerte, begann mit Veränderung der
Stimme, die zuerst nur leicht belegt war, dann aber allmählich in Heiserkeit,
welche immer an Stärke zunahm, überging. Husten bestand bei dem Patienten
gar nicht, nur ein leichtes Gefühl der Trockenheit und Kratzen im Halse. Atem-
beschwerden kamen erst in der allerletzten Zeit hinzu. Ausser der Atemnot bekam
der Patient ein Gefühl, als ob er einen Fremdkörper im Halse hätte, und das Be-
dürfnis zum Räuspern. Keine Schmerzen, keine Schlingbeschwerden.
Die laryngoskopische Untersuchung ergab folgendes: die vordere Hälfte der
Kehlkopfhöhle wird von einem weisslich-grauen Tumor ausgefüllt. Der Tumor
sitzt ziemlich breit dem vorderen Drittel des linken Stimmbandes auf, verläuft
sohräg nach hinten und ragt mit seinem freien Pol in den oberen Kehlkopfraum,
oberbalb der Glottis, hinein. Bei Berührung mit der Sonde stellt sich eine derbe
Konsistenz und eine leichte Beweglichkeit des Tumors heraus. Die Oberfläche des
Tumors zeigt an einigen Stellen leichte Einkerbungen, ist mit etwas eingedicktem
Schleim bedeckt, sonst ist sie glatt.
Die Entfernung der Gesohwulst wurde mittelst der Schlinge vorgenommen.
Das Zuziehen der Schlinge, obwohl sie eine galvanokaustische war, erforderte
grosse Kraft. Nach der Durohtrennung des Tumors stellte es sich heraus, dass
ungefähr 2 Drittel des Tumors entfernt waren, während der Rest der Geschwulst
486 J. Choronshitzky, Ein verkalktes Kehlkopffibrom.
mit ihrer breiten Basis noch dem Stimmbande angeheftet war. Die Schlinge
wurde nochmals angelegt und der übriggebliebene Teil wurde ohne Mühe glatt
abgeschnitten.
Schon bei der makroskopischen Betrachtung der exstirpierten Stücke konnte
man sehen, dass der Tumor in seiner Mitte eine harte kreidige Masse von schmutzig
weisslicher Farbe enthielt, welche aber nicht locker mit der Schale des Tumors,
etwa wie ein Kern in der Kirsche eingekapselt ist, verbunden war, sondern
welche allmählich in den mehr weicheren, äusseren, fleischigen Teil des Tumors
überging.
Ein kleiner Teil der kreidigen Masse wurde einer mikrochemischen Analyse
unterworfen. Bei Behandlung mit Salzsäure löste sich die Masse unter Bildung
von feinen Kohlensäurebläschen auf, während bei Schwefelsäurezusatz sich zier-
liche Gipskristalle bildeten. Es handelt sich also in unserem Falle um kohlen-
sauren Kalk. |
Die histologische Untersuchung des Tumors gab folgenden Befund: Die
Oberfläche des Tumors ist von einem an manchen Stellen ziemlich dicken mehr-
reihigen Plattenepithel bedeckt. An der Basis des Epithels ziehen an verschiedenen
Stellen einzelne Zapfen in das angrenzende Bindegewebe hinein, was an die
papilläre Struktur des Epithels erinnern kann. Die obersten Partieen des Epithels
scheinen verhornt zu sein.
Die Hauptmasse des Tumors besteht aus fibrillärem Bindegewebe, welches
in regelmässigen derben Zügen angeordnet ist. Insbesondere in der breiten Wurzel
des Tumors sind die Bindegewebsfasern regelmässig zu Bündeln vereinigt, während
sie in der Peripherie ein dichtes unregelmässiges "Netzwerk bilden. Hier und da
werden elastische Fasern, welche durch ihre scharfen Umrisse, dunklen Konturen,
sowie durch starkes Lichtbrechungsvermögen leicht ins Auge fallen, angetroffen
(Orceinfärbung und Behandlung mit Säuren). Gefässe finden sich in nicht grosser
Zahl vor. An der Grenze gegen die kalkige Einlagerung trägt das Gewebe des
Tumors deutliche Zeichen degenerativer Veränderung. Die Bindegewebsfasern
sind viel schwächer mit der Farbe imprägniert, viele Fasern färben sich garnicht,
die Zwisohenräume zwischen einzelnen Fasern sind entweder sehr weit oder sehr
eng, was vielleicht auf die Aufquellung der Fasern hinweisen könnte. Die Gefässe,
welche in dem Tumor in spärlioher Anzahl vorkommen, finden sich hier viel
häufiger und dichter beisammen vor, haben aber viel dünnere Wände und unregel-
mässige Lumina. Die Gefässwände sind an einigen Stellen hyalin entartet, was
bei van Gieson-Färbung besonders in die Augen fällt. Das ganze Gewebe setzt
sich nicht scharf gegen die Kalksubstanz ab, sondern verliert sich ganz allmählich.
Dem ganzen histologischen Bau nach handelt es sich in unserem Falle um
ein einfaches Kehlkopffibrom. Das Merkwürdige aber eben ist die kalkige Ein-
lagerung, deren Entstehung ich nur im Zusammenhang mit der Schilderung der
Degenerationsprozesse, deren Vorkommen in Kehlkopffibromen klar und ausführlich
von Arthur Alexander!) beschrieben wurde, zu erklären versuchen werde.
Es ist ja längst bekannt, dass in den Hohlräumen der Exkretions- und
Sekretionsorgane feste Abscheidungen sich bilden können, welche gewöhnlich bei
genügender Härte als Kalkkonkremente oder Steine bezeichnet werden. So z. B.
finden wir in den bronchiektatischen Höhlen, in den Ausführungsgängen von
1) Arthur Alexander, Histologische Beiträge zur Lehre von den gut-
artigen Neubildungen der Stimmlippen. Archiv f. Laryngol. Bd. 8.
J. Choronshitzky, Ein verkalktes Kehlkopffibrom. 487
Speicheldriisen, in den Lakunen der Tonsillen usw. solche mit verschiedenen
amorphen oder kristallinischen (kohlen- oder phosphorsauren) Salzen inkrustierte
Körper. Auch nekrotische Teile der Sohleimhaute, der Harnblase z. B., werden
mit Salzen aus dem entsprechenden Höhleninhalt imprägniert. Hätte unser Tumor
seinen Ausgang in den Morgagnischen Ventrikeln gehabt, so könnten wir die
Entstehung der Kalksubstanz in der eben geschilderten Weise erklären, da die
Morgagnischen Taschen nichts anderes als solchen Hohlraum darstellen. In
unserem Falle kann davon aber keine Rede sein, da das Fibrom breitbasig nur am
vorderen Drittel des wahren Stimmbandes inserierte und mit den Morgagnischen
Ventrikeln nichts zu tun hatte. Andererseits spricht schon der allmähliohe Ueber-
gang der Kalkmasse in das Parenchym des Tumors gegen die Annahme, dass wir
es hier mit einem Kalkkonkrement zu tun haben. Wir müssen deshalb eine andere
Erklärung suchen.
Wir wissen, dass bei allen Verkalkungen schon vorher verschiedene degene-
rative Veränderungen vorhanden waren. Selten werden die Zellen, die degoneriert
sind, solcher Verkalkung verfallen, gewöhnlich wird die Grundsubstanz, das
fibrilläre als auch elastisches Bindogewebe nach der Degeneration vom Kalk-
niederschlag ergriffen. Insbesondere disponiert zu Verkalkung das Bindegewebe,
das hyalin entartet ist.
Mit den degenerativen Vorgängen, welche sich in den Kehlkopfpolypen ab-
spielen, hat sich besonders A. Alexander befasst. Er hat darauf hingewiesen,
dass eine grosse Zahl von Kehlkopffiprromen — auf die Grösse der Neubildungen
kommt es nicht an — von so ausgedehnten degenerativen Veränderungen be-
fallen wird, dass man wirklich eine grosse Mannigfaltigkeit des histologischen
Bildes und eine sehr verschiedene Konsistenz der Kehlkopffibrome findet. Grosse
Bedeutung für die degenerative Veränderung der Fibrome schreibt Alexander
der Erkrankung der Blut- bzw. Lymphgefässe zu. Er spricht allerdings nur von
der Cystenbildung, ödematöser Durchtränkung des Gewebes usw., die durch die
krankhafte Durchlässigkeit der Gefässwandungen entstehen. Wir glauben aber die
Veränderungen des Gefässergusses noch weiter verfolgen zu können. Der Erguss
konnte sich nämlich vollständig resorbieren, das Gewebe aber, in welohes er aus-
getreten ist, musste zugrunde gehen, starb ab, und als solches hat es sich mit
Kalk inkrustiert, genau so wie abgestorbeno Föten, alter tuberkulöser Käse u. a. m.
Auf diese Weise, glauben wir, entstand die kalkige Einlagerung in unserem Tumor.
Meinem Chef, Herrn Dr. Lubliner, möchte ich an dieser Stelle für die
Ueberlassung des Falles meinen herzlichen Dank aussprechen.
XLV.
Aus der städtischen Hals- und Nasenklinik zu Frankfurt a. M.
(Direktor: Geheimrat Prof. Dr. G. Spiess.)
Eine neue Gesichtsmaske zum Schutz gegen
Tröpfcheninfektion für Rhino-Laryngologen.
Dr. E. Lautenschläger,
l. Assistent der Klinik.
(Mit 2 Textfiguren.)
Wohl in keinem Spezialfach ist der Arzt derart einer dauernden Infektions-
möglichkeit durch Angehustetwerden (sogen. Tröpfcheninfektion) ausgesetzt, wie
gerade in der Rhino- und Laryngologie. Wenngleich auch durch bakteriologische
Untersuchungen Ziesches!) nachgewiesen ist, dass diese Infektionsmögliohkeit
lange nicht so bedeutend ist, wie man sie früher anzunehmen gewohnt war, so
dürfte es doch immerhin ratsam sein, sich wenigstens in manchen Fällen nach
Möglichkeit zu schützen, und ganz besonders gilt dies bei der Tuberkulose des
Larynx und der tieferen Luftwege, wo mit jedem Hustenstoss Unmassen von
Bazillen dem Untersuchenden in Mund, Nase und Augen geschleudert werden können.
Aus diesem Grunde schon kann man es dem Arzt wohl kaum verdenken, wenn er sich
einem solchen Fall nur durch irgend welche Vorkehrungen geschützt gegenübersetzt.
Diese Vorkehrungen müssen so beschaffen sein, dass sie einerseits den Ope-
ratour möglichst wenig in seiner Tätigkeit behindern und anderseits doch genügend
Sohutz gegen das Angehustetwerden bieten. Endlich sollen sie — besonders in
der Praxis elegans — wenigstens noch einigermassen ästhetisch und gut aussehen.
Schon Moritz Schmidt hat einen solchen Schutz durch eine zwischen
Patienten und Arzt gehaltene Glasplatte zu bewirken gesucht. In der Killian-
schen Klinik?) ist für solche Fälle eine am Operationstisch frei hängende Glas-
platte angebracht. Körner?) arbeitet mit einer Halbmaske, die wenigstens den
unteren Teil des Gesichts schützt und am Verschieben durch Bleistückchen ver-
hindert wird, die in den unteren Rand eingenäht sind, und Hackenbrucht®)
endlich hat eine Schutzmaske aus Tüll für den oberen Teil des Gesichts angegeben.
1) Ziesche, Archiv f. Laryngol. 1907. Bd. 20. S. 381.
2) Killian, Verhandlungen des Vereins süddeutscher Laryngologen. Bd. I.
S. 485.
3) Körner, Lehrb. d. Erkrankungen d. Nase usw. Wiesbaden 1909. S. 50.
4) Hackenbruch, Zentralbl. f. Chirurgie. 1908. Nr. 42.
E. Lautenschläger, Eine neue Gesichtsmaske für Rhino-Laryngologen. 489
Demselben Zweck dienen Schutzbrillen mit Metallbügeln, an denen mehr
oder weniger grosse Stoffteile zum Schutz des Gesichts befestigt sind.
Die Glasplatten können, wenn sie gross sind und wirklich Schutz gewähren,
den Operateur leicht behindern, ausserdem ist ihre Anwendung wohl immer an
den Arbeitsplatz gebunden. Die Brillen sind durch ihre Bügel und die angenähten
Stoffteile meist sehr schwer.
Im Folgenden soll eine Gesichtsmaske beschrieben werden, welche nach
meinen Angaben durch die Firma F. & L. Fischer in Freiburg angefertigt wurde.
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Vergrösserte schematische Darstellung der Konstruktion.
Wie aus einer Abbildung der Maske selbst und aus einer vergrösserten sche-
matischen Darstellung der Konstruktion ersichtlich, handelt es sich dabei um ein
das ganze Gesicht maskenartig bedeckendes rechteckiges Stück Billrothbattist,
welches mittels eines angenähten Bändchens um den Kopf zu befestigen ist. In
diesem Billrothbattist befinden sich zwei Oeffnungen fiir die Augen, welche nach
Art einer Brille — hier jedoch ohne Biigel — mit Glas bedeckt sind. Die beiden
Brillengläser A, welche aus Fensterglas allein zum Schutz, natürlich aber auch in
490 E. Lautenschläger, Eine neue Gesichtsmaske für Rhino-Laryngologen.
allen Stärken für Brillenträger geliefert werden können, sind in einen Metallreif B
eingelassen, welcher mit drei Oesen an drei Metallzapfen C befestigt ist. Diese
Metallzapfen gehören einem Metallring D an, durch welchen jedes der beiden
Monokel an dem Billrothbattist befestigt wird. Der ganze Metallring D besteht aus
zwei Reifen 1 und 2, welche durch ein eintüriges Schraubengewinde aufeinander
aufschraubbar sind, so zwar, dass der Rand 3 des an dieser Stelle genau aus-
geschnittenen Billrothbattists zwischen diesen beiden Reifen fest eingeklemmt wird.
Diese Art der Konstruktion ermöglicht es, die Maske bis in ihre kleinsten
Teile zu zerlegen und so zu desinfizieren. Die Metall- und Glasteile kocht man
am besten aus, während das Stück Billrothbattist in Sublimatlösung gelegt wird.
Man kann natürlich auch die ganze Maske einfach eine Zeit lang in Sublimatlösung
legen, sofern man an der hierdurch entstehenden Verfärbung der Metallteile keinen
Anstoss nimmt.
Sobald der Billrothbattist schlecht geworden, kann man ihn jederzeit durch
ein neues Stück ersetzen, aus dem man nur, seinem Augenabstand und der Grösse
der Metallmonokel genau entsprechend, zwei Löcher auszuschneiden braucht.
Die einzelnen Teile lassen sich dann leicht wieder zusammensetzen. Die Maske
hat ausserdem noch den Vorzug, dass sie vollkommen zusammenfaltbar ist und so
in der kleinsten Tasche mitgetragen werden kann. |
XLVI.
„Der eitersaugende Nasenhöhlenspiegel“
oder „ein Sieglescher Trichter für die Nase“.
Bemerkungen zu dem Aufsatz: „Neue Nasen- und Kehlkopf-Instrumente*
von Tövölgyi in Bd. 28, Heft 2 dieses Archivs.
Von
Dr. Levinger (München).
Bereits im Jahre 1905 habe ich mir einen pneumatischen Nasenspiegel kon-
struiert, der damals auch durch Musterschutz geschützt wurde.
Er bestand aus einem der Nase angepassten Siegleschen Trichter, der jedoch,
um ihn zur Abdrängung der Schleimhaut der unteren Muschel möglichst lang ge-
stalten zu können, am vorderen Ende einen breiten, senkrecht stehenden Schlitz
trug, d. h. also, der eigentliche Trichter war noch mit zwei senkrecht stehenden,
zur Abdrängung der Muschelschleimhaut dienenden Fortsätzen versehen, ähnlich
dem von Fr. Müller-Heilbronn in Heft 4 des 6. Bandes der Zeitschrift für Laryn-
gologie abgebildeten Instrument.
Veröffentlicht babe ich dies Untersuchungsverfahren nie, weil sich bald
herausstellte, dass es in den meisten Fallen wertlos ist. Darum glaube ich doch,
meine damaligen Erfahrungen jetzt nicht unterdrücken zu sollen, da nun ähnliche
Instrumente empfohlen werden.
Wird richtig gesaugt, so schützt auch der die untere Muschel auf die Seite
drängende Fortsatz des Instruments, da er doch nicht so konstruiert und immer
so eingeführt werden kann, dass er die Muschel in allen Fällen gut deckt, nicht
davor, dass sofort die Schleimhaut der ganzen Nase so anschwillt, dass ein Ein-
blick unmöglich ist. Das Verfahren wird also nur in so vereinzelten Fällen dazu
dienen können, die Eiterquelle festzustellen, dass es sich nicht lohnt, mit dem
Instrament Versuche zu machen. Es hat nur selten Vorzüge vor dem einfachen
Ansaugeverfahren und ist daher in Anbetracht dessen, dass wir ja nun das Hilfs-
mittel der Röntgenaufnahme haben, nach meinen Erfahrungen überflüssig. Vor
der rhinologischen Röntgenaera lag allerdings das Bedürfnis nach Beschaffung
solcher Untersuchungsinstrumente vor und so konnte ich auch nachträglich finden,
dass bereits 1900 ein Russe, namens Schneerson, einen Siegleschen Trichter
für die Nase konstruiert hat, freilich, wie der von Tövölgyi ohne die Verlängerung
für die Verdrängung der unteren Muschel, also wohl noch weniger verwendbar,
wie der von mir versuchte und nunmehr von Müller empfohlene.
Dies Instrament von Tovölgyi ist also weder neu, noch empfehlenswert.
XLVI.
Bemerkung
zu dem Aufsatze von Dr. L. Grünwald: „Die typischen Varianten
der Gaumenmandeln und der Mandelgegend.“
(Dieses Archiv. Bd. 28. Heft 2.)
Von
J. Aug. Hammar,
0.6. Professor an der Universitat Upsala.
’ Der Verfasser hat in seinem interessanten Aufsatze u. a. hervorgehoben, dass
es beim Mensohen zwei Gaumentonsillen, eine obere und eine untere, an jeder
Seite gibt, „eine Tatsache, die bisher unbekannt, uns erst das volle Verständnis
für die mannigfachen Formvarietäten verschafft.“ Dagegen soll die schon früh in
der Anlage stattfindende Zweiteilung der Tonsille, welche ich als eine während
der Entwicklung früh entstandene und konstante Erscheinung beschrieben habe
(Archiv f. mikroskop. Anatomie. Bd. 61. S. 404), durchaus nicht konstant sein,
„und für das Verständnis macht es nicht sehr viel aus, wieviel ursprüngliche Ver-
tiefungen zur späteren reicheren Kryptenbildung führen und ob ‚die Mandel‘ in
einen oberen und einen unteren Teil geschieden werden kann“. Ich denke, dass
hier ein Missverständnis seitens des geehrten Autors vorliegt. Wenigstens habe
ich mich aus seiner Darstellung nicht überzeugen können, dass das, was er gesehen
hat, etwas anderes ist, als eben die beiden Tonsillenlappen, die ich beschrieben
habe. „Die obere Mandelgrube“ und „die untere Mandelbucht“ des Verfassers sind
von mir als bzw. oberer vorderer und unterer hinterer Tonsillenrecessus, seine
Plica transversa als Intratonsillarfalte beschrieben worden. Auch beim Schafe
und Rinde habe ich prinzipiell gleichartige Verhältnisse angegeben.
Dass nur „die obere Tonsille“ von mir gesehen und zweigespalten gefunden
worden wäre, wie der Autor meint, ist schon deshalb ausgeschlossen, weil ich die
Tonsillengegend an kompletten Schnittserien rekonstruktiv untersuchte. Das Vor-
kommen sekundärer Zerklüftungen wechselnder Umfangs der primären Tonsillen-
lappen geht auch aus meiner Darstellung hervor.
Ich habe mit diesen Zeilen keinerlei Prioritätsansprüche scheben, sondern
nur die Verwirrung vermeiden wollen, welche die Vorstellung, dass hier zwei
differente Strukturverhältnisse vorliegen, leicht veranlassen kann.
XLVIII.
Erwiderung
zu den Bemerkungen von J. A. Hammar.
Von
L. Grünwald (München).
Hammar hat die Entwickelung der Tonsille in aufeinanderfolgenden Stadien
an je einem Individuum untersucht; eine riesige Arbeit, da sie sich durchweg
auf Rekonstruktionen stützte, aber unzulänglich, weil die Untersuchung nur je
eines Falles die Gleichwertigkeit aller voraussetzte. Meine Untersuchungen, vor-
genommen an möglichst vielen Parallelfällen jeder Entwickelungsstufe
(s. meine Tabellen I und II), haben die Unhaltbarkeit dieser so vielfach noch in
der Anatomie unbewusst herrschenden Voraussetzung und die Tatsache des Vor-
handenseins mehrerer Typen anstatt einer konstanten erwiesen. Typisch
allerdings, aber inkonstant sind demgemäss sowohl die Spaltung der oberen
Mandel als das Vorkommen der unteren Mandel; ausserdem einiges andere.
Das allein schon unterscheidet prinzipiell meine Untersuchungen und ihr
Ergebnis von denen Hammars und verhindert, beide unmittelbar zu vergleichen.
Letztere können heute nur retrospektiv von dem Standpunkt meiner Ergebnisse aus
gewürdigt werden: wir werden, da sie nur Einzelfälle darstellen, in ihnen jeweils
nur einzelne der bei mir als typisch beschriebenen Vorkommnisse wiederfinden
können. Selbstverständlich, schon nach der angewandten Methode, hat Hammar
alles, was jedesmal am Tonsillenkörper vorhanden war, gesehen; in der Mehrzahl
der Fälle spreche ich aber das, was er gesehen hat, ausschliesslich als obere
Mandel an; gespalten, wie sie meine Figuren 6, 15 und 20 zeigen (seine Föten
von 145, 190 und 235 mm), oder einfach (sein Fötus von 110 mm); nur bei seinem
Fötus von 260 mm habe ich den Eindruck, dass auch die untere Mandel ausgebildet
war. Nur für den letzteren Fall könnte ich die Identität seines „unteren Recossus“
mit meiner „Mandelbucht“ zulassen; sonst trifft diese, von Hammar bean-
spruchte Identität seiner beiden Mandelrecessus mit meiner „Mandel-
grube“ und „Mandelbucht“ eben nicht zu. Diese Identifikation wie jene
Ablehnung bewusst und berechtigt zu vollziehen, gestattet aber erst die, durch
meine Untersuchungen gewonnene Erkenntnis des Vorhandenseins und später
eventuellen „Fruchtbarwerdens“ einer unteren flachen Mandelbucht und zweier zu-
nächst ganz getrennter Mandelkörper. Beides fehlt bei Hammar: in seiner Fig. 12
sieht man ganz breit eine flache („sterile‘“) Mandelbucht und eine Plica transversa
— aber beide unbezeichnet und im Text nicht beschrieben; ebensowenig handelt
es sich bei ihm um zwei (gesondert liegende und morphologisch differente) Ton-
sillen, sondern nur um eine, durch eine „intratonsillare“ (nicht intertonsillare!)
494 L. Grünwald, Erwiderung.
Falte gelappte Tonsille; ebenso kennt er nur eine einzige solche Falte, während
es deren tatsächlich u. U. zwei gibt: die u.U. intertonsillar gelegene Plica transversa
und die m. E. ganz unbeachtliche intratonsillare zwischen den beiden Lappen des
eventuell gespaltenen oberen Mandelkörpers. Hammar, der nur einen konstanten
Typ kennt, war gezwungen, unbewusst beiderlei Vorkommnisse miteinander zu
identifizieren. Darum konnte auch seine Darstellung nicht klärend wirken. Mich
hat sie seinerzeit nur verwirrt. Gerade die durch meine Befunde gewonnene (nicht
Vorstellung, sondern) Tatsache, dass hier jeweils zwei differente Strukturverhält-
nisse vorliegen können, hat diese Verwirrung beseitigt, in die wir nicht zurück-
verfallen wollen.
Zum Schluss noch eine Bemerkung: Sowohl das ganz andere, höckerige,
Aussehen der Untermandel gegenüber der mehr glatten und nur gefurchten Ober-
mandel (vgl. Fig. 6 und 22 bei mir und Fig. 15 bei Hammar), als histologische
Tatsachen, die mir seinerzeit bei der Durchmusterung von 7 Schnittserien der
Mandelgegend (vgl. Anat. Anzeiger. 1910. S. 150) auffielen, lassen daran denken,
ob nicht von vornherein starke strukturelle Verschiedenheiten im inneren Bau der
beiden Mandeln vorliegen. Für meine bisherige Arbeit, die nur morphologische
Klärung beabsichtigte, war diese Frage, ebenso wie die der Tiefenverbreitung der
Mandelbildungen, unerheblich. Dass ihro Lösung noch nötig ist, um das Mandel-
problem, vorläufig wenigstens, zu erschöpfen, ist mir klar; ob ich selbst ihr noch
näher treten werde, weiss ich nicht.
XLIX.
Nachträgliche Bemerkung
zu meiner Arbeit: „Beiträge zur Pathologie und Therapie der
Kieferhöhleneiterungen“ in Band 28, Heft 2 dieses Archivs.
Von
Dr. Oskar Radzwill.
Herr Geheimrat Denker macht mich freundlichst darauf aufmerksam, dass
er selbst mit seiner Methode der Kieferböhlenoperation nicht, wie Pape fälschlich
angibt, 75pCt., sondern 100pCt. Heilungen erzielt, — ein Resultat, dem das
der Gerberschen Klinik mit 97,72pCt. ja nahe steht. Fortbestehende schleimige
Nasenabsonderungen oder Eiterungen aus andern Nebenhöhlen, die trotz der Heilung
der Kieferhöhlenaffektion fortdauern, müssen natürlich bei der Heilungsstatistik
ausgeschaltet werden. Das aber hat Pape nicht getan. Schalten wir aus unsern
Fällen die komplizierten aus, so haben auch wir eigentlich 100 pCt. Heilungen,
worüber die Aufstellung auf S. 15 meiner Arbeit ja Aufschluss gibt.
Archiv für Laryngologie. 28. Bd. 3. Heft. 33
Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4.
mean
Se
ARCHIV
FÜR
LARYNGOLOGIE
UND
RHINOLOGIE.
BEGRUNDET VON BERNHARD FRANKEL.
HERAUSGEGEBEN VON
Pror. Dr. 0. CHIARI, Prop. Dr. GEORG FINDER, Pror. Dr. PAUL GERBER,
K. K. HOFRAT. ORD. PROF., VOR- BERLIN. A.O. PROF., DIREKTOR DER POLI-
STAND DER KLINIK FÜR KEHI.- KLINIK FÜR HALS- UND NASEN-
KOPF- UND NASENKRANKHEITEN KRANKE AN DER UNIVERSITÄT
AN DER UNIVERSITÄT WIEN. KÖNIGSBERU I. PR.
Pror. DR. 0. KAHLER, Pror. Dr. G. KILLIAN, Pror. Dr. H. NEUMAYER,
A.O. PROF., DIREKTOR DER UNI- GEH. MED.-RAT, ORD. PROF., &.O. PROF., VORSTAND D.LARYNGO-
VERSITÄTS-KLINIK UND POLI- DIREKTOR D.KLINIK U. POLI- RHINOLOGISCHEN POLIKLINIK AN
KLINIK FÜR HALS- UND NASEN- KLINIK FÜR HALS- U. NASEN- DER UNIVERSITÄT MÜNCHEN.
KRANKE IN FREIBURG I. B. KRANKE AND. UNIV. BERLIN,
Pror. Dr. 0. SEIFERT, Pror. Dr. G. SPIESS,
A.O. PROF., VORSTAND DER UNIV.- GEH. SAN.-RAT. DIREKTOR D. HALS-
POLIKLINIK FÜR NASEN- U. KEHL- UND NASEN - KLINIK AM STÄDT.
KOPFKRANKE IN WÜRZBURG. KRANKENHAUSE FRANKFURT A.’M.
REDIGIERT VON G. FINDER.
=“ - — —
Neunundzwanzigster Band.
Mit 41 Tafeln und Textfiguren.
BERLIN 1915.
VERLAG VON AUGUST HIRSCHWALD.
NW. 7. UNTER DEN LINDEN 68,
Il.
HI.
IV.
VI.
VIL.
VII.
XIV.
XV.
XVI.
Inhalt.
. Weitere Mitteilungen tiber die Ergebnisse der Vakzinationstherapie
bei genuiner Ozaena mit einer aus dem Coccobacillus foetidus
ozaenae Perez hergestellten Vakzine. Von Dr. Gustav Hofer
und Dr. Karl Kofler (Wien)
Kongenitale teratoide Geschwiilste der Nasenscheidewandä in einem
Falle von Cheilognatopalatoschizis. Von Ladislaus Onodi
(Budapest). (Hierzu Tafel I und 5 Textfiguren.) .
Experimentelle Untersuchungen über die Wirkung ulieavioletler
Lichtstrahlen und ihre therapeutische Verwendung in der Laryn-
gologie. Von Dr. E. Lautenschläger und Dr. S. Adler (Frank-
furt a. M.). (Mit 4 Textfiguren.) ae ae es eee ee
Zur Histologie des Schleimhautlupus. Von P. Gerber (Königs-
berg i. Pr.). (Hierzu Tafeln II und HI und 5 Textfiguren.) .
. Zur Frage der physiologischen Bedeutung der Tonsillen. Von
Dr. Karl Amersbach (Freiburg i. Br.). (Hierzu Tafel IV.)
Die intranasalen Operationen bei eitrigen Erkrankungen der Neben-
höhlen der Nase. Von Dr. Halle en (Hierzu
Tafeln V und VI und 42 Textfiguren.) . Zu a ee ee ee’
Ueber Therapie der Sürnhöhlenerktankungen. Von Dr. Ernst
Winckler (Bremen).
Ueber die beruflichen Erkrankungen in den, oberen Eufiwepen
der Stockdrechsler. Von Dr. K. M. Menzel (Wien). (Mit 2 Text-
figuren.)
. Ueber die klinisch- anatomische Untersuchung des Ostium maxillae
bei Sinuitis maxillaris chronica. Von Dr. H.Kosokabe(Wakayama,
Japan) . poi
. Erwiderung. Von Dr. Hans Pape (Nordhausen) .
. Schlussbemerkung. Von Dr. Radzwill (Königsberg i. Pr.) .
. Bemerkungen. Von Dr. Irén Markbreiter
XIII.
Zur Pathologie und Therapie des Recessus sphenosthmoidlis
Von Dr. P.J. Mink (Utrecht). (Mit 3 Textfiguren.) .
Ein universeller Apparat zur Kompressionsbehandlung bei
Störungen im Larynx. Von Dr. Hans Röhr en) en 6 Text-
figuren.)
nn Fälle von Totalexstirpation der Trachea wegen Garendi.
Von J. Soerensen. (Hierzu Tafel VII.)
Ueber die Mitbeteiligung des Gesichtsschädels bei Lues hereditaria
tarda mit besonderer Beriicksichtigung der Kiefer. Von Heinrich
Burkhardt, prakt. Arzt und Zahnarzt. (Mit 7 Textfiguren.)
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IV
XV.
XV.
XIX.
XX.
XXI.
XXII.
XXII.
“XXIV,
XXV,
XXVI.
XXVII.
AXVIL,
NX XIX,
XXX.
XXXI.
Inhalt.
Regio latero-pharyngea. Topographie ihrer Arterien im Zusammen-
hang mit der Frage über gefährliche Blutungen bei operativen
Eingriffen in der Regio tonsillaris. Von Dr. Th. J. Bulatnikow
(Charkow). (Hierzu Tafeln VIII—XI und 14 Textfiguren.)
Ueber die Behandlung des Skleroms der oberen Luftwege mittels
der Autovakzine. Von Dr. J. Brunner und Dr. Cz. Jakubowski
(Warschau) ;
Die Röntgenstereoskopie And ihre Anwendang‘i in der Rhino-
Laryngologie. Von Dr. M. Weingaertner ae (Hierzu
Tafeln XII—XXIII und 12 Textfiguren.) .
Grosses. Knochenstück im Kehlkopf. Von Prof. De Otto Seifert
(Würzburg). (Mit 2 Textfiguren.)
Ueber Schussverletzungen der oberen N und benschbarler
Teile. Von Prof. Gerber (Königsberg i.Pr.) (Hierzu Tafeln XXIV
bis XLI und 9 Textfiguren.) .
Zur Geschichte der Endoskopie von den ältesten Zeiten BR Bozzini.
Von Gustav Killian (Berlin). (Mit 56 Textfiguren.)
Berafliche Erkrankungen an der Schleimhaut der oberen Infiwegs
der Bäcker. Von Dr. Karl M. Menzel (Wien)
Pathologie und Therapie der Pharyngitis lateralis.
Oswald Levinstein (Berlin) . ;
Ueber die Lehre von den Augenleiden nasslen nee
Prof. A. Onodi (Budapest) .
Ueber Hypopharyngoskopie.
pest). (Mit 3 Textfiguren.) .
Ueber die direkte Applikation des elektrischen Stromes sowie
nn Mittel bei der Behandlung des Bronchialasthmas.
Von Dr. W. Freudenthal (New York) .
Ueber die Funktion der Nebenhöhlen der Nase. Von Dr. P, J. Mi i nk
(Utrecht). (Mit 2 Textfiguren.) .
Zu Winoklers Arbeit: „Ueber Therapie der Stirmhöhlenerkran-
Von. Dr.
Von
Von Dr. Aurelius Rethi (Buda-
kungen“. (Dieses Archiv. Bd. 29. Heft 1). Von Dr. Halle
(Charlottenburg) . Bs 4B. oe ee a A
Bemerkungen zu Halles Einwiirfen. Von Dr. Ernst Winckler
(Bremen)
Soblusebemerkunaen auf Wincklers Enigegnong. Vor Dr. Halle
(Charlottenburg) . te oh Si fee um. SS oa
Seito
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I.
Aus demK.K. Universitätsinstitut für allgemeine u. experimentelle Pathologie
und der K.K. Universitätsklinik für Kehlkopf- und Nasenkrankheiten in Wien.
(Vorstände: Hofrat Prof. Dr. R. Paltauf und Hofrat Prof. Dr. O. Chiari.)
Weitere Mitteilungen
über die Ergebnisse der Vakzinationstherapie bei
genuiner: Ozaena mit einer aus dem Coccobacillus
foetidus ozaenae Perez hergestellten Vakzine.
Dr. Gustav Hofer und Dr. Karl Kofler,
Assistent. Assistent.
Seit unserer letzten Veröffentlichung in der Wiener klinischen Wochen-
schrift, Heft Nr. 42, 1913, welche in Form eines Vortrages anlässlich der
letzten Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte erfolgte, haben
wir die Behandlung der genuinen Ozaena in obigem Sinne fortgeführt und
sind nunmehr imstande, an einem grösseren Krankenmaterial unsere Beob-
achtungen niederlegen zu können. Schon in der erwähnten ersten Ver-
öffentlichung und weiterhin in einem von Hofer gehaltenen Vortrage in
der Berliner laryngologischen Gesellschaft haben wir über die günstigen
Ergebnisse unserer Vakzinetherapie berichten können. Um es gleich vor-
wegzunehmen, können wir mitteilen, dass diese günstigen Ergebnisse sich
auch in der Folge erhalten haben. Es ist nun Gegenstand vorliegender
Arbeit, die genaue Behandlungsweise sowie die Summe aller bisherigen
Erfahrungen bekannt zu geben.
Die Herstellung der Vakzine wurde so vorgenommen, dass eine Anzahl
von Stämmen des fötiden Ozaenabazillus (Perez) mit steriler physiologischer
Kochsalzlösung emulgiert und vorsichtig in der Wärme abgetötet wurde.
Entgegen der Herstellungsweise, die wir anfangs beobachteten, wobei wir
jeweils die Kulturaufschwemmungen einer höheren Temperatur ausgesetzt
haben, bewogen uns Beobachtungen über die Wirksamkeit dieser Vakzine,
die Abtötung bei höchstens 680—70°, eventuell fraktioniert, vorzunehmen.
Ein Zusatz von 0,5 pCt. konzentrierter Karbolsäure hat sich als unschädlich
erwiesen. Unsere Vakzine ist polyvalent. Die verarbeiteten Stämme sind aus
verschiedenen typischen Fällen genuiner Ozaena isoliert. Dazu kommen
Kulturen, welche aus dem Nasenschleim gesunder Hunde stammen, und
Archiv für Laryngologie. 29. Bd. 1. Hoft. E 1
2 G. Hofer und K. Kofler, Vakzinationstherapie bei genuiner Ozaena.
alle typischen kulturellen und biologischen Charaktere der menschlichen
aufweisen !).
Das Bestreben bei der Herstellung von Vakzinen geht bekannterweise
dahin, in allen jenen Fällen, in welchen die Autovakzination aus irgend
welchen Gründen schwer durchführbar ist (rasches Einsetzen der Therapie
schwierige Züchtungsverhältnisse usw.), ein polyvalentes Vakzin anzuwenden
und dies um so mehr in allen jenen Fällen, in welchen die kulturellen
und biologischen Merkmale gewisse Differenzen der sonst identischen Er-
reger aufweisen. (Staphylokokkenkrankheiten und Koliinfektionen). Wenn-
gleich vorläufig solche Beobachtungen über die verschiedenen Stämme des
Coccobacillus foetidus nicht vorhanden sind, so halten wir dennoch die
Anwendung eines polyvalenten Vakzins für empfehlenswert, denn auch die
antigenen Eigenschaften verschiedener Stämme variieren bekanntlich ausser-
ordentlich. Die Haltbarkeit dieser Vakzine ist eine beschränkte. Die Auf-
bewahrung muss bei absolutem Fernhalten von Licht und Wärme vor-
genommen werden. Wir sahen in mehreren Fällen, bei denen wir Vakzine
älteren Datums verwendeten, eine bedeutende Verstärkung der lokalen
Reaktionen am Einstich, und auch die Allgemeinerscheinungen post
injectionem waren heftiger, als dies zu Beginn der Verwendung des gleichen
Vakzins festgestellt worden war. Aus diesen Gründen erneuern wir unseren
Vakzinevorrat- mindestens alle 3 Monate.
Der Injektionsmodus gestaltet sich folgendermassen: Ort der Appli-
kation der Vakzine ist entweder die abhebbare Bauchhaut oder aber die
Haut des Oberarms. Besonders die ersten Injektionen, welche, sobald die
Grenzschwelle der Reaktion erreicht ist, mehr minder starke Lokal-
erscheinungen zeitigen, werden besser in der Bauchhaut vertragen und
haben so niemals auch nur kürzere Berufsstörungen zur Folge, so dass sie
im Rahmen einer .ambulatorisch durchgeführten Behandlung ohne weiteres
möglich sind. Für die Folge ist natürlich die Applikation am Oberarm
in der Regio deltoidea weniger zeitraubend.
Eine ausserordentlich minutiöse und exakte Behandlungsweise ist die
Vorbedingung für eine Vakzinetherapie. In einer im Jahre 1913 er-
schienenen umfangreicheren Arbeit, betitelt „Vakzinetherapie und Vakzine-
diagnostik* hat Reiter in ausgezeichneter Weise den derzeitigen Stand
der Lehre von der Vakzination überhaupt erläutert und das richtige Ver-
ständnis für das notwendige individuelle Vorgehen bei der Vakzinations-
therapie dargestellt. Reiter zeigt, was wir auf Grund unserer Erfahrungen
im besonderen nur vollauf bestätigen können, dass ein verständnisloses
Hantieren mit der Vakzine den Effekt der Vakzination vollständig beein-
trächtigen kann und so die ganze Methode zu disqualifizieren imstande ist.
Ueber den Mechanismus der aktiven Immunisierung sowie die wirk-
1) In einer folgenden Publikation wird über das Vorkommen des Cocco-
bacillus foetidus ozaenae bei gesunden und kranken Hunden berichtet werden.
Die Untersuchungen wurden von Hofer gemeinsam mit stud. med. Keckeis im
Institut für experimentelle Pathologie vorgenommen.
G. Hofer und K. Kofler, Vakzinationstherapie bei genuiner Özaena. 3
samen Stoffe, welche den Effekt derselben auslösen, gehen die Ansichten
weit auseinander. Während die Mehrzahl der Forscher mit Wright,
dem Begründer der wissenschaftlichen Vakzinetherapie an der Spitze,
die Opsonine als die wirksamen Stoffe ansehen und den anderen Immun-
körpern, wie den Präzipitinen, Agglutininen und Bakteriolysinen nur
untergeordnete Bedeutung beimessen, fehlt es nicht an Stimmen, welche
die QOpsonine wohl als einen wirksamen Indikator für die erreichte
Immunität anerkennen, ihnen aber keine Sonderstellung einräumen; auf
der anderen Seite stehen wieder Forscher wie Detre, welche den Immun-
körpergehalt der Körpersäfte überhaupt in keinen Zusammenhang bringen
mit einer im Verlaufe der Vakzination etwa erzielten Heilung von Krank-
heitsprozessen, sondern lediglich eine solche als Effekt der Reaktion des
erkrankten Gewebes ansehen. Von Wright und seiner Schule wurde ur-
sprünglich der Injektionsmodus bei der Vakzination durch eine während
derBehandlung genau gleichzeitig einhergehende Beobachtung des opsonischen
Index bestimmt. Später aber, als man die Schwankungen in der Reaktions-
fähigkeit des Organismus, die von Wright als negative Phase bezeichnet
wurde, durch klinische Beobachtung und Bewertung erkennen lernte, ist
praktisch vielfach diese klinische Bewertung an Stelle der exakten biolo-
gischen Untersuchung getreten. Nun ist es gerade diese klinische Beob-
achtung, welche eine Vakzinebehandlung ausschliesslich in der Hand des
Erfahrenen zu einer erfolgreichen gestalten kann und welche es verbietet,
dem Nichterfahrenen die Beurteilung zu überlassen.
Wir haben in dem vorerwähnten Sinne unsere Behandlungsweise
darnach eingerichtet, dass wir von der biologischeu Kontrolle Abstand
nahmen und gleichsinnig die genaue klinische Kontrolle an ihre Stelle
setzten. Wir konnten nur zu oft besonders im Anfange unserer Behandlung
beobachten, dass das Fehlen einerseits jeglicher Reaktion nach der In-
jektion, sei sie nun eine örtliche, eine Herd- oder eine allgemeine Reaktion,
sich in der Folge in bezug auf den therapeutischen Effekt ebenso unwirk-
sam erwiesen hat, wie eine protrahierte Reaktion, welche nicht im Verlaufe
von 24—36 Stunden abgeklungen war. Wir haben in einem Falle bei
einem 6jährigen Knaben durch die anfänglichen Injektionen sehr rasch ein
günstiges Resultat erzielen können, das aber bei oftmaligen weiteren In-
jektionen höherer Dosen sofort zunichte wurde, als diese höheren Dosen,
welche stets mit einer sehr starken Gesamtreaktion einhergingen, öfters
wiederholt wurden. Das endliche Zurückkehren zu kleineren Injektions-
dosen hatte erst wieder Erfolg. Die Beobachtung über den negativen thera-
peutischen Effekt bei Unterreaktion wird im folgenden noch erläutert
werden und betrifft hauptsächlich solche Personen, welche glücklicherweise
im kleinen Prozentsatz sich als vollständig refraktär gegenüber der Be-
handlung erwiesen haben.
Als Zeitraum zwischen zwei aufeinanderfolgenden Injektionen wählten
wir grundsätzlich einen solchen von einer Woche für die regelmässige Be-
handlung. Auf diese Weise konnte man sicher sein, auch einer länger
1*
4 G. Hofer und K. Kofler, Vakzinationstherapie bei genuiner Ozaena.
andauernden negativen Phase ausgewichen zu sein. Wir bemassen auch
im folgenden für alle jene Fälle, in welchen wir das Intervall vergrössert
haben, das Mehrfache dieser Einheitszeit.
Ueber die Konzentration der angewendeten Dosen können wir allgemein
folgendes aussagen: Wir stellen uns einen Vakzinesatz mit folgenden Ab-
stufungen her: 30 Millionen Keime im Kubikzentimeter, 100, 150, 200,
250, 300, 350 Millionen usw. bis zu 500 Millionen Keimen. Im speziellen
ist die Höhe der Dosis bei der Injektion nach den früher beschriebenen
Gesichtspunkten gewählt worden, wobei die erste, die Tastdosis, nach dem
Alter, Geschlecht und Allgemeinzustand des Patienten höher oder niedriger
angesetzt wird. Es wird nun die Dosis jeweils so weit vergrössert oder
verringert, bis allgemein die mittelstarke, in kürzerer Zeit abgeklungene
Gesamtreaktion erreicht ist. Eine solche wird dann bei jeder folgenden
Zufuhr zu erzielen gesucht. Auf diese Weise gestaltet sich die Kurve der
Injektionsdosen im allgemeinen wohl individuell verschieden. Bei An-
wendung einer mit anderen Stämmen hergestellten Vakzine beobachteten
wir wohl ausserdem noch Schwankungen, die aber gewöhnlich eine Differenz
von 50 Millionen Keimen in der Skala unserer Konzentrationen nicht über-
schritten haben.
Vielfach wird die Autovakzination, d. h. die Einverleibung körper-
eigener Keime als die wirksamste und verlässlichste Art der Vakzination
bewertet. Im besonderen Hinweise auf das früher über diesen Punkt
Gesagte stehen in unserem Falle derzeit einer solchen noch zu grosse
Schwierigkeiten im Wege und zwar aus dem Grunde, weil die Züchtung
allein schon ausserordentlich schwierig, zeitraubend, gleichzeitig aber auch
kostspielig ist (Isolierung und eventuelle mehrmalige Passage durch den
Tierkörper zum Zwecke der Reinzüchtung).
Die Erfahrungen, welche wir in therapeutischer Hinsicht bei der Vak-
zination beobachteten und welche wir teilweise in den vorangegangenen
Mitteilungen bereits niedergelegt haben, erfahren im wesentlichen insofern
keine Veränderung, als wir von einer absolut günstigen Wirkung der Vakzine
berichten können. Die Gesichtspunkte, welche wir in unserer ersten Mit-
teilung über die Vakzinationsbehandlung zur Beurteilung des Gesamteffektes
der Vakzineinjektionen aufgestellt haben, behalten wir im folgenden dem
Wesen nach bei. Wir sprechen demgemäss 1. von einer Allgemeinreaktion
und verstehen darunter alle jene Symptome, welche sich in Temperatur-
erhöhung, Schwankungen im Körpergewicht, Abgeschlagenheit, Erbrechen
usw. äussern, 2. von einer lokalen Reaktion am Einstich, sich beziehend
auf Rötung, Schwellung, Schmerzhaftigkeit dieser Einstichstelle und Ver-
halten der regionären Drüsen, 3. von einer Herdreaktion, unter welcher
wir zusammenfassend die Summe der Erscheinungen am Orte der eigent-
lichen Erkrankung, also in der Nase, und jene in den unmittelbar benach-
barten Organen, Nasopharynx, Ohr, Pharynx, Larynx und Trachea ver-
stehen. Diese letztere Reaktion äussert sich, wie wir schon in unserer
ersten Publikation mitgeteilt haben, in Symptomen der akuten Coryza.
G. Hofer und K. Kofler, Vakzinationstherapie bei genuiner Ozaena. ð
Es fliesst reichlich Sekret aus der Nase, die Patienten haben ein Gefühl
von Verstopftsein in der Nase, sehr häufig ein Pochen oder Hämmern und
Schmerzen über beiden Processus frontales. Der objektive Befund ergibt
gewöhnlich eine starke, blutige Anschoppung der Schleimhaut, flüssiges
Sekret in der Nase, kurz das Bild der akuten Coryza. Sehr häufig aller-
dings ist der objektive Befund nicht merklich verschieden, trotzdem die
Patienten einzelne der genannten Symptome angeben.
Die Beurteilung des Ganges der Behandlung, also der Injektionsmodus,
richtet sich nach der Beschaffenheit sämtlicher erwähnten Arten der Reaktion
des Organismus, und demgemäss müssen diese Phänomene exakt bewertet
werden. Der Verlauf zeigt wohl eine Koordination der verschiedenen
Reaktionsphänomene, sei es nun der allgemeinen oder der lokalen oder
der Herdreaktion. Es ist nun das Fehlen einer der Reaktionsformen oder
aber das Zurücktreten einer gegenüber den anderen nicht bestimmend
dafür, etwa die Dosis zu verstärken. Trotzdem glauben wir, dass der
Herdreaktion insofern eine besondere Bedeutung zukommt, weil sie in allen
unseren Fällen, welche auf die Behandlung prompt reagierten, sich sehr
empfindlich erwiesen hat und gewöhnlich sehr rasch zu einer Besserung
des Krankheitsbildes führte. Diese Beobachtung steht ja mit der herr-
schenden Ansicht im Einklang und findet darin ihre Erklärung, dass die
durch das Antigen gebildeten Antikörper es sind, welche am Orte der
Erkrankung auf das daselbst befindliche Herdantigen treffen und so eine
Reaktion auslösen. Nach der Ansicht von Detre ist die Herdreaktion
überhaupt das einzig Massgebende, weil nach seiner Meinung das Antigen,
das eingeführt wurde, überhaupt erst dem Gewebe an Ort und Stelle den
Reiz zur Abwehr mitteilt.
Wenn wir auf das Ergebnis unserer Beobachtung über Vakzination
näher eingehen, müssen wir feststellen, dass zur Erzielung eines nennens-
werten Effektes doch eine längere Behandlungsdauer notwendig ist, so
zwar, dass wir vielleicht mehr als bei vielen anderen durch Vakzination
behandelten Krankheitsprozessen eine längere Dauer der Behandlung als
notwendig erachten. Wir haben unsere Kranken ohne jegliche andere
Therapie gelassen; wir nahmen vollständig davon Abstand, die Erleichterung
verschaffenden Spülungen der Nase durchzuführen, sondern hielten die
Patienten lediglich dazu an, ihre gewohnten Spülungen dann vorzunehmen,
sobald die Beschwerden einen unerträglichen Grad erreicht hatten. Dadurch
gestaltet sich diese einfachste Form der konservativen Therapie zu einem
wertvollen Indikator für die Beurteilung eingetretener Schwankungen des
jeweiligen Zustandes der Erkrankung.
Wenn wir von längerer Dauer der Behandlung sprachen, so haben wir
bei Beurteilung des therapeutischen Effektes jeweils folgendes im Auge:
1. Grad der Krustenbildung, 2. Intensität des Fötors, 3. Grad der Ver-
änderung der Affektion der mitbeteiligten benachbarten Organe, und 4. Be-
urteilung der atrophischen Prozesse der betroffenen Organe. Was diesen
letzteren Punkt betrifft, so muss gleich hier darauf hingewiesen werden, dass
6 G. Hofer und K. Kofler, Vakzinationstherapie bei genuiner Ozaena.
ein Effekt in dieser Hinsicht schwer messbar ist und es können lediglich
ausgesprochene Veränderungen auffällig werden. Als 5. Punkt nehmen
wir Rücksicht auf die etwa aufgetretenen subjektiven Besserungen.
Unsere Beobachtungen bezüglich der Veränderung der Krustenbildung
lassen sich dahin zusammenfassen, dass bei unseren Kranken eine Vermin-
derung der Krustenbildung ganz allgemein ist. Diese Verminderung geht
so weit, dass man füglich von einer Krustenlosigkeit sprechen kann. Unsere
Annahme ist nun die, dass man bei einem auch völlig geheilten Prozess
eine leichte Krustenbildung immer noch wird gewärtigen müssen. Dies
resultiert aus folgender Vorstellung: die Krustenbildung hat zweifelsohne
ihre Ursache darin, dass das gelieferte Sekret seine flüssige Konsistenz
augenscheinlich infolge frühzeitiger Atrophie der schleimbildenden Drüsen
verloren hat, während dagegen die serösen und eitrigen Anteile bedeutend
im Uebermasse vorhanden sind. Das hauptsächlich aus Serum und Eiter
bestehende Sekret trocknet viel leichter aus und haftet fest auf der Schleim-
haut; diese Austrocknung wird noch unterstützt durch die grosse Weite
der Nase, welche die Herausbeförderung des Sekretes durch den Exspirations-
strom erschwert. Zudem ist die Umwandlung des Flimmerepithels in ge-
schichtetes Plattenepithel eingetreten, und es fällt hiermit die Flimmer-
bewegung fort. Diese Vorstellung vorausgesetzt, kann also ein völliges
Aufhören der Krustenbildung niemals erwartet werden, hingegen wohl
eine bedeutendere oder geringere Abnahme der Krustenbildung und eine
Veränderung der Qualität der Krusten, weil nach Paralysierung des
entzündungserregenden Agens die Vermehrung des Sekretes weichen muss,
freilich ist auch die Rolle der bei dieser Erkrankung ganz bedeutend
vermehrten und vielgestaltigeren Nasenflora in bezug auf ihre Rück-
wirkung auf die Krustenbildung und Sekretion überhaupt nicht geklärt.
Die Vorstellung, dass auch eine Veränderung der Krusten in bezug auf
ihre Qualität nachweisbar sein müsste, ist nicht nur nicht von der Hand
zu weisen, sondern muss im vorhinein unbedingt angenommen werden,
wenn mit der Behandlung das krankheitserregende Moment tatsächlich ge-
troffen wurde. Freilich wird sie vielleicht nicht in allen Fällen so sinn-
fällig in Erscheinung treten, dass sie ohne weiteres zu erkennen wäre. In
einzelnen unserer Fälle war diese Veränderung der Qualität allerdings eine
sehr ausgesprochene. Die Krusten erschienen kleiner, zarter, an der Unter-
fläche schleimig, durchsichtiger und überhaupt weniger missfirbig. Man
muss also in diesen Fällen von nicht ozaenösen Krusten sprechen und zur
Beurteilung vornehmlich die Geruchlosigkeit, die Grössen- und Beschaffen-
heitsdifferenzen heranziehen. Ein vollständiges Verschwinden der Krusten-
bildung nach der Behandlung wäre endlich nur in jenen Fällen möglich,
in welchen die Destruktion der erkrankten Teile einen solchen Grad er-
reicht hätte, dass jegliche normale Sekretion verschwunden ist. Diese
Vorstellung würde sich decken mit der Erfahrung, dass bei Ozaenakranken,
welche lange Zeit an ihrer Krankheit leiden, endlich auch die Sekretion
nach Destruktion aller Teile, d. i. vorgeschrittenster Atrophie, mitunter
G. Hofer und K. Kofler, Vakzinationstherapie bei genuiner Ozaena. T
gleichsam von selber versiegen kann (O. Chiari). In diesem Sinne er-
ledigen sich auch unsere Beobachtungen in jenen Fällen, die als geheilt
oder als bedeutend gebessert angesehen werden können. Es restieren einige
kleine Krusten von veränderter Qualität und vollständiger Geruchlosigkeit.
Hierher gehört wohl auch das Verschwinden der Krustenbildung bei initialen
Fällen, bei welchen es noch zu keinerlei Atrophie gekommen ist, also im
ersten Stadium post infectionem. In bezug auf die Krustenbildung be-
obachtet man im Verlaufe der Behandlung förmlich schrittweise, dass die
Patienten, die sich täglich mehrmals ausspülen mussten, ihre Spülungen
seltener vornehmen, dass der anfänglichen Verflüssigung des Sekretes als
erstes Stadium ein zweites der langsameren Krustenbildung folgt, und dass
endlich die Abnahme der Krustenbildung und die Veränderung der Qualität
derselben resultieren. Besonders erwähnenswert ist das Aussehen der Nasen-
schleimhaut in diesen Fällen, indem die früher blasse, dünne Schleimhaut
schön rot und feucht erscheint.
Wir gelangen nun zum zweiten Punkt unserer Erörterungen und zwar
dem des spezifischen Ozaenafötors. In diesem Punkte ist es von besonderer
Wichtigkeit, darauf hinzuweisen, dass dieser Ozaenafötor ein absolutes
Spezifikum der Erkrankung bildet. Alle Kenner der Ozaena sind sich
darüber einig, dass dieser Geruch als ein absolut spezifischer zu bezeichnen
ist, und dass es gelingt, bei normal gutem Geruchsinn denselben gegenüber
anderen bei Nasenerkrankungen vorkommenden Gerüchen deutlich abzu-
grenzen. Die bakteriologischen Untersuchungen zeitigten die Erkenntnis,
dass dieser Geruch als ein spezifisches Produkt des ätiologischen Agens
anzusehen ist. Denn es gelingt, diesen Geruch in der künstlichen Rein-
und Mischkultur des Coccobacillus foetidus auf viele Generationen hinaus
nachzuweisen. Erst durch langes Fortzüchten auf künstlichen Nährböden
verliert sich der Fötor; trotzdem gelingt es, durch Aussaat auf geeignete
Nährböden bei solchen Kulturen den Fötor wieder wahrnehmbar zu machen.
Neuere Untersuchungen (Hofer) bestimmen zu der Annahme, dass die
Intensität des Fötors mit der Virulenz im Tierversuch (Kaninchen) im
geraden Verhältnisse stehen. Es nimmt nach dem Gesagten nicht Wunder,
dass im Verlaufe der Behandlung eine Abnahme bzw. ein Verschwinden
des Fötors sich kundgibt. Wir können auf Grund unserer Erfahrungen
sagen, dass die Abnahme des Geruches im Verlaufe der Behandlung sich
meist sehr bald einstellt. Die Beobachtung wurde uns schon gewöhnlich
spontan von der Umgebung der Patienten selbst mitgeteilt. Zur Erklärung
dieser Erscheinungen müssen wir uns wohl vor, Augen halten, dass, wie
allgemein anerkannt, die Eintrocknung des gebildeten Ozaenasekretes wohl
erst den Geruch zur Folge hat, dass also offenbar dieses Eintrocknen das
Flüchtigwerden der gestankerregenden Substanzen bedingt (Kuttner,
Siebenmann). Gleichsinnig sind die Beobachtungen auch beim kulturellen
Fötor (Perez, Hofer). Nun liesse sich die Abnahme der Geruchsintensität
bei den Behandelten durch die Verflüssigung des Sekretes, welche im ersten
Stadium sehr evident in Erscheinung tritt, wenigstens in vielen Fällen er-
S G. Hofer und K. Kofler, Vakzinationsthorapie bei genuiner Ozacna.
klären, wollte man eben diese Abnahme als rein symptomatisch hinstellen.
Demgegenüber steht aber die von uns beobachtete Tatsache, welche sich
auf Fälle bezieht, bei denen wir keine merkliche Veränderung der Krusten-
bildung nachweisen konnten, der Fötor aber nahezu geschwunden war.
Wir sehen den vom spezifischen Agens (Coccobacillus foetidus) produzierten
Fötor als eines der empfindlichsten Krankheitssymptome an, das im Ver-
laufe der Behandlung als erstes die Gegenaktion anzeigt.
Ob die Erkrankung der benachbarten Organe, also des Epipharynx,
des Pharynx, der Eustachischen Röhre, eventuell des Mittelohres, des Larynx
und der Trachea in Form von Atrophie und bis zur Krustenbildung gehenden
trockenen Katarrhen spezifisch ozaenöser oder aber sekundärer Natur ist,
lassen wir dahingestellt. Zweifellos lässt sich aber feststellen, dass in den
meisten Fällen durch die Behandlung die Schleimhaut dieser Organe
sukkulenter geworden ist, ihr trockenes Aussehen vollständig verloren hat
und dafür feucht glänzend, also fast normal geworden ist. Hand in Hand
damit gehen Besserungen der Stimme, des Trockenheitsgefühls und der
reflektorischen Beklemmungsgefühle. Selbst in einem Falle hochgradiger
Krustenbildung in der Trachea waren nach längerer Zeit der Behandlung
keine Krusten mehr zu sehen. In den meisten Fällen überhaupt trat die
Besserung der genannten Begleiterscheinungen zu allererst nach wenigen
Injektionen schon in den Vordergrund. Betreffend das Mitbeteiligtsein der
Eustachischen Röhre und des Mittelohres konnten wir in einem Falle als
Form einer starken allergischen Reaktion eine gleichzeitig einhergehende
Exazerbation einer bereits vor 10 Jahren abgeheilten Otitis media be-
obachten und therapeutisch besserte sich in einem anderen Falle der Tuben-
katarrh konform den Veränderungen im Nasopharynx.
Es erhellt aus der Natur der Sache, dass eine einmal ausgeprägte
Atrophie der Muscheln durch ein therapeutisches Vorgehen nicht beeinflusst
werden kann. Was wir aber von einer wirksamen Therapie erwarten
können, ist ein Nichtfortschreiten des atrophischen Prozesses. Es muss
daher das Bestreben immer dahingehen, möglichst initiale Fälle der Be-
handlung zuzuführen, weil sich gerade hei einer einmal ausgeprägten
Atrophie therapeutisch nichts mehr leisten lässt. Wohl stehen dem klinischen
Erkennen eines initialen ozaenösen Prozesses gerade wegen der noch nicht
vorhandenen Atrophie ausserordentliche Schwierigkeiten entgegen, weil
gerade die Atrophie eines der drei Kardinalsymptome der Ozaena darstellt.
An die Stelle dieser für die Klinik nicht zu lösenden Aufgabe muss die
exakte bakteriologische Diagnose treten, oder aber es können anamnestische
Daten eine Wahrscheinlichkeitsdiagnose ermöglichen. Als solche wären
anzusehen das Vorhandensein Ozaenakranker in der Familie oder in der
nächsten Umgebung. Auf einen wesentlichen Punkt muss allerdings noch
hingewiesen werden und dieser betrifft die Volumschwankungen der Muschel,
die nicht auf Kosten einer fortschreitenden Atrophie des Massivs basieren.
sondern vielmehr durch den momentanen Zustand der Schleimhaut bedingt
sind. Bei einem 14jährigen Kinde beobachteten wir im Verlaufe der Vak-
G. Hofer und K. Kofler, Vakzinationstherapie bei genuiner Ozaena. 9
zination, trotzdem der Fötor vollständig, die Krustenbildung aber bis auf
ein Minimum herabgesunken war, an der vorher stark geröteten, rechten,
mittleren Muschel von normaler Grösse eine Veränderung in Form von
Blasswerden und Abnahme des Volumens, ein Zustand, der jetzt als ein
absolut atrophischer zu bezeichnen ist.
Die Besserung des Allgemeinbefindens der Patienten bezieht sich vor-
nehmlich auf die Zunahme des Körpergewichtes, Hebung des Appetits,
besseres Aussehen und das psychische Gehobensein. Wir haben in vielen
Fällen Beweise von Freude einzelner Kranker über die Besserung ihres
Zustandes miterlebt in einer Art und Weise, wie sie nur darin ihre Er-
klärung findet, dass der Zustand des Ozaenakranken eine Form sozialen
Unglücks darstellt, wie es augenscheinlicher nicht genannt werden kann.
Wenn im nachfolgenden an der Hand der ausführlichen Kranken-
geschichten der detaillierte Bericht über die Behandlung und den Verlauf
der einzelnen Krankheitsbilder mitgeteilt wird, so müssen wir folgendes
vorausschicken. Eine Anzahl von Patienten ist bald nach Beginn der Be-
handlung dieser ferngeblieben. Weiter steht noch eine grosse Anzahl
Kranker ganz im Beginne der Behandlung. Diese Fälle wollen wir von
der Publikation selbstverständlich ausschliessen. Wir haben im ganzen
über 50 Patienten in Behandlung gehabt oder derzeit noch in Behandlung.
Der Bericht enthält jedoch nur die genaue Krankengeschichte von
15 Patienten, die längere Zeit in Behandlung stehen und deren Krankheits-
verlauf unseren früher gemachten Auseinandersetzungen zur Unterlage dient.
Von diesen 15 Patienten können 3 als mehr minder refraktär gegenüber
der Behandlung angesehen werden. Diese 3 Patienten bilden einen Prozent-
satz von 20 pCt. refraktärer Fälle, eine Anzahl, wie sie die durchschnitt-
lichen Vakzinationen überhaupt zeitigen, und die keinesfalls als hoch an-
gesehen werden muss. Alle übrigen behandelten Patienten weisen ganz
auffallende Besserungen auf. 2 Patienten, welche wegen eines bereits
erzielten günstigen Erfolges aus der Behandlung für längere Zeit ent-
lassen waren, kamen plötzlich mit Rezidiven wieder in die Klinik;
diese konnten nach einigen Injektionen rasch beseitigt werden. Endlich
erscheint erwähnenswert, dass die Prognose der Behandlung jugendlicher
Individuen von vornherein günstiger zu stellen ist, zunindest was die
Dauer der Behandlung anlangt.
1. Stephanie K., 19 Jahre alt, Schülerin.
Anamnestische Daten: Geruch nach Aussage der Umgebung sehr stark;
vollständiges Verstopftsein der Nase, Kopfschmerzen. Anamnestisch lässt sich
sagen, dass Patientin oft mit Hunden gespielt hat.
Befund: Atrophie der unteren Muschel, starke, harte, grün-gelbe Krusten,
Fötor, Pharyngitis sicca, Wassermann negativ.
4. September 1913. Erste Injektion von 60 Millionen Keimen.
5. September. Lokale Schmerzen, in der Nase keine Reaktion.
18. September. Sehr wenig Krusten und etwas Eiter am Nasenboden, seit
der letzten Injektion trat Schnupfen mit stärkerem Geruch auf. Pharyngitis sicca,
10 G. Hofer und K. Kofler, Vakzinationstherapie bei genuiner Ozaena.
besonders rechts. Kopfschmerzen nach der Injektion. Patientin hat mehr Luft
durch die Nase und schneuzt mehr flüssig.
20. September. Griin-gelbe Krusten am Nasenboden, Fotor, Pharyngitis sicca.
Zweite Injektion von 200 Mill.
25. September. Dritte Injektion von 200 Mill. Starke griinlich-gelbe Krusten
am Nasenboden rechts hinten. Keine Krusten links, Epipharyngitis sicca, wenig
Fotor.
2. Oktober. Angeblich keine Reaktion, nur lokal. Krusten rechts und links
hinten, deutliche Epipharyngitis sicca, Fötor. Die Nase wurde am Nachmittage
ausgespült. Vierte Injektion von 200 Mill.
10. Oktober. Schmerzen am Einstich. Kopfschmerzen entschieden besser als
früher, weniger Krusten; gestern wieder etwas Fötor. Objektiv: Sekret am Nasen-
boden beiderseits, keine Krusten. Patientin spülte heute die Nase aus. Pharyngitis
sicca. Injektion von 300 Mill.
17. Oktober. Etwas Kopfschmerzen und Krusten. Nach Aussage der Um-
gebung hat sich der Fötor deutlich vermindert. Objektiv: Deutlicher Fötor, Krusten
rechts am Nasenboden und im mittleren Nasengang, geringe Borkenbildung links.
Pharynx nicht mehr so trocken, aber auch nicht feucht. Injektion von 300 Mill.
24. Oktober. Ausspülung vor 2 Tagen; subjektiv kein Fötor mehr. Krusten-
bildung noch stark. Die Nase verlegt. Objektiv: Krusten nur rechts am Nasen-
boden, mässiger Fötor, Pharynx feucht. Injektion von 400 Mill.
7. November. Kopfschmerzen. Viel Geruch vorhanden, viele Krusten subjektiv.
Objektiv: Keine Krusten, kein Fötor. Pharynx feucht. Injektion von 400 Mill.
21. November. Schleimig-eitriges Sekret beiderseits. Epi- bzw. Mesopharyn-
gitis sicca. Subjektiver Befund: Derselbe. Larynx und Trachea normal. Fotor
angeblich gering. |
28. November. Subjektiv: Etwas Kopfschmerzen und Verstopftsein in der
Nase. Griinlich-gelbe Krusten im hinteren Nasenabschnitt beiderseits; heftige
Pharyngitis sicca. Larynx frei. In der Trachea Krusten. Fötor subjektiv und ob-
jektiv abgenommen. Injektion von 500 Mill.
18. Dezember. Nur einige Krusten im Epipharynx, starke Pharyngitis sicca.
Subjektiv sollen Fötor und Krusten noch vorhanden sein. Patientin spült sich
nicht mehr die Nase aus. Injektion von 500 Mill.
15. Januar 1914. Wenig Krusten in der Nase, nur im hinteren Abschnitte
derselben und zwar rechts. Epipharyngitis sicca. Injektion von 500 Mill.
22. Januar. Keine Krusten, trotzdem sich Patientin die Nase nicht ausspült.
Pharyngitis sicca. Larynx und Trachea frei. Injektion von 550 Mill.
5. Februar. Sehr starke Pharyngitis sicca, keine Krusten in der Nase, etwas
Fötor. Injektion von 550 Mill.
19. Februar. Befinden subjektiv wohl; keine Krusten in der Nase, Pharyn-
gitis sicca, die sich von unten nach oben hin bessert. Injektion von 450 Mill.
Patientin wird alle drei Wochen wiederbestellt.
12. März. Keine Ausspülung der Nase seit 3 Wochen; subjektiv wenig Fötor,
Krusten noch vorhanden; objektiv beide Nasenhöhlen vollständig rein, Eviphatyn.
gitis sicca.
2. April. Beiderseits Krusten in der Choanalgegend, Pharyngitis sicca hat
sich gebessert. Keine Ausspülung seit 3 Wochen. Kein Fötor.
Résumé: Die Patientin war also vom 4. September 1913 bis zum
28, November 1913 in kontinuierlicher Behandlung; wöchentlich empfing
G. Hofer und K. Kofler, Vakzinationstherapie bei genuiner Ozaena. Il
sie eine Injektion von 60 Mill. bis zu 500 Mill. Keimen im Kubikzentimeter.
Zu dieser Zeit wurde wegen starker Krustenabnahme und Verschwinden
des Fötors nur mehr alle 3 Wochen mit hohen Dosen eine Injektion ver-
abreicht. Derzeit sind die Krusten in der Nase verschwunden bis auf
einzelne kleine in der Choanalgegend. Die Pharyngitis sicca ist noch
persistent, trotzdem sie einmal schon völlig verschwunden war. Die
Patientin spült sich derzeit nur mehr alle 3 Wochen aus, entgegen den
täglich zweimaligen Ausspülungen der Nase vor der Behandlung. Fötor
ist keiner mehr vorhanden.
2. Adele W., 16 Jahre alt, Schneiderin.
Befund: Sehr starke Krustenbildung beiderseits, starke Pharyngitis sicca,
intensivster Fötor, hochgradige Atrophie sämtlicher Nasenmuscheln. Wassermann
negativ.
4. September 1913. Erste Injektion von 60 Millionen.
5. September. Lokal starke Schmerzen beim Bücken und auf Druck, Rötung;
in der Nase nichts Besonderes.
ll. September. Seit der ersten Injektion immer Schnupfen, starke Krusten-
bildung links, leichte Krustenbildung rechts, ganz minimale Pharyngitis sicca.
Zweite Injektion von 100 Mill.
12. September. Etwas Schmerzen lokal; kein Fieber, keine Kopfschmerzen,
Schnupfen, sonst keine subjektiven Veränderungen; objektiv Status idem.
18. September. Grosse, grünlich-gelbe Krusten, starker Schnupfen mit Rötung
der Naseneingänge, Pharynx fast normal, hie und da Kopfschmerzen abends nach
der Injektion, sonst nichts Besonderes. Der Appetit hat zugenommen. Kein Fötor.
Gewicht am 13. September: 50 kg 90 dkg.
20. September. Dritte Injektion von 300 Mill. Grosse, grüne Krusten, links
mehr als rechts, Fötor, noch immer Schnupfen.
25. September. Vierte Injektion von 200 Mill. Borkenbildung rechts die-
selbe, links weniger. Pharyngitis chronica, kein Fötor.
26. September. Kopfschmerz, Schnupfen, Schwindel, etwas Fieber, Schmerzen
am Einstich (subjektiv).
2. Oktober. Schnupfen und etwas Fieber. 15 dkg abgenommen; starke
Krustenbildung links, leichte rechts; Pharynx normal. Patientin hatte gestern
Halsschmerzen, Injektion von 300 Mill.
3. Oktober. Fieber und Kopfschmerz, einige Tage Halsschmerzen, Schnupfen
durch 3 Tage, viel wässeriges Sekret entleert sich aus der Nase, bedeutende sub-
jektive Besserung, kein Fötor mehr, weniger Krusten, Patientin fühlt sich be-
deutend leichter in der Nase. Nach Ausspülung heute früh konnten abends links
einige Borken, rechts mehrere nachgewiesen werden. Injektion von 300 Mill.
17. Oktober. Schmerzen am Einstich 12 Stunden post injectionem, Fieber,
etwas Schwellung und Infiltration lokal; subjektiv: kein Fötor; gestern viele
Krusten abgegangen ; letzte Spülung gestern mittags; objektiv: Krusten beiderseits,
namentlich rechts, Pharynx feucht, kein Fötor. Injektion von 300 Mill.
24. Oktober. Subjektiv: besseres Befinden, bedeutend besseres Aussehen,
viel weniger Krusten als früher, kein Fötor. Letzte Ausspülung Mittwoch früh.
Injektion von 400 Mill. Objektiv: viele Krusten rechts, wenige links, kein Fötor,
Pharynx feucht.
12 G. Hofer und K. Kofler, Vakzinationstherapie bei genuiner Ozaena.
30. Oktober. Etwas Schnupfen. Subjektiv besseres Befinden. Nach Aussage
der Umgebung kein Geruch mehr, wenig Krusten, Ausspülung gestern früh. Zu-
nahme von 2!/, kg an Gewicht. Objektiv: spärliche Krusten beiderseits, Pharynx
feucht. Die Farbe der Krusten ist verändert. Injektion von 400 Mill.
7.November. Subjektiv: Status idem, angeblich kein Gerueh, weniger Krusten.
Objektiv: reichlich Krusten beiderseits, Pharynx feucht, kein Fötor. Injektion von
500 Mill.
21. November. Grünlichgelbe, feste Borken im oberen Nasengang und am
Boden rechts und links. Etwas eitriges Sekret beiderseits. Pharyngitis chronica.
Subjektiv: Deutliche Geruchsbesserung, Larynx und Trachea normal. Injektion
von 900 Mill.
28. November. Subjektiv: Der Geruch sehr stark abgenommen, Krusten noch
vorhanden. Appetit gut. Objektiv: Wenig Krusten im mittleren und oberen Nasen-
gange im mittleren Nasengange etwas eitriges Sekret; Epipharynx feucht, glanzend.
Ausspiilung gestern friih. Injektion von 500 Mill.
7. Januar. Wenig Krusten rechts, fast keine links. Pharynx normal, kein
Fötor, letzte Spülung vor 8 Tagen. Injektion von 550 Mill. einer neuen Vakzine.
22. Januar. Rötung uud leichtes Ekzem des linken Naseneinganges, etwas
Eiter im mittleren Nasengange links, Pharynx und Epipharynx feucht. Injektion
von 500 Mill.
5. Februar. Subjektiv: Wenig Krusten. Objektiv: Nur rechts etwas Krusten,
links keine, leichteste Paryngitis sicca. Injektion von 550 Mill.
19. Februar. Subjektiv: Bedeutende Besserung, wenig eitrige Krusten am
Rachendach rechts, etwas mehr links; Parynx feucht, pranane kein Fötor. In-
jektion von 550 Mill,
26. März. Vor 4 Tagen die Nase ausgespült. Patientin fühlt sich wohl, kein
Fötor, einige kleine Krusten. Pharyngitis chronica. Injektion von 500 Mill.
24. April. Mässige, eher leichte Krustenbildung. Pharynx normal, spontaner
Krustenabgang selten, kein Fötor. Ausspülung durchschnittlich alle 5 Tage. In-
jektion von 400 Mill.
Resume: Bei der Patientin wurde am 4. September 1913 mit der
Behandlung begonnen und bis zum 28. November die Behandlung. fort-
gesetzt. Die erreichte Dosis zu dieser Zeit waren 500 Mill. Keime. Von
diesem Zeitpunkte an wurde mit hoher Dosis alle 14 Tage, später alle
4 Wochen eine Injektion gegeben. Die letzte Injektion hat Patientin der-
zeit vor 6 Wochen bekommen. Das Ergebnis ist: Krustenbildung minimal,
absolute Geruchlosigkeit, objektiv und subjektiv. Pharynx normal, All-
gemeinbefinden sehr gut.
3. Wilhelmine B., 16 Jahre alt, Schneiderin:
Befund: Typische Ozaena. Rechts: Grosse Deviation, sonst normaler Nasen-
befund. Links: Starke Atrophie, Krustenbildung, starker Fötor, Pharyngitis sioca,
Wassermann negativ.
26. Juni 1913. Erste Injektion von 20 Millionen Vaccine Bacilli Perez subkutan.
27. Juni. Lokale Schmerzen durch wenige Stunden, kein Fieber.
3. Juli. Zweite Injektion von 60 Mill. Vakzine.
4. Juli. Kein Fieber, keine lokalen Schmerzen, leichte Schmerzen auf Druck,
in der Nase keine Veränderung objektiv nachweisbar.
G. Hofer und K. Kofler, Vakzinationstherapie bei genuiner Ozaena. 13
9. Juli. Vor 4Tagen leichter Nasenfluss, drittelnjektion von 100Mill.Vakzine.
10. Juli. Einstichstelle stark schmerzhaft, kein Fieber, einmal aus der Nase
geblutet, gegen Abend des Vortages. Nach Aussage der Umgebung deutliche
Geruchsabnahme.
17.Juli. Vierte Injektion von 150Mill. Vakzine. Subjektiv: Keine Veränderung
seit der letzten Injektion. Objektiv: Grosse schwarzbraune Krusten links, rechts
normale Verhältnisse (Deviation), trockene Pharyngitis in feuchte übergegangen.
18. Juli. Schmerzen am Einstich, koine nasale Veränderung, kleine Krusten
auf der mittleren Muschel links, Abnahme der Krustenbildung, Pharyn-
gitis sicca verschwunden, allgemeine subjektive Besserung, Abnahme des
Fötors.
24. Juli. Fünfte Injektion von 200 Mill. Vakzine, zwei Tage Kopfschmerzen,
seit drei Tagen der Geruch stärker. Objektiv: Grosse blutige Kruste links, rechts
frei, Pharynx feucht glänzend.
25. Juli. Nasal keine Veränderung gegenüber dem Vortage, lokal starke
Schmerzen am Einstich und Rötung anderthalb Stunden während (in drei Tagen
verschwunden).
29. Juli. Leichtes Nasenbluten.
31. Juli. Sechste Injektion von 300 Mill. Vakzine; subjektive Besserung.
Objektiv: Abnahme der Krustenbildung, Pharyngitis sioca nur angedeutet.
1. August. In der Nase keine Schmerzen, heftige Kopfschmerzen, gegen
Mittag erbrochen, Epistaxis. Schmerzen an der Einstichstelle (einen Tag dauernd).
2. August. Früh und naohmittags Erbrechen, Epistaxis, Fieber, lokale
Schmerzen, weniger Krusten, Pharyngitis ohronica.
7. August. Siebente Injektion von 300 Mill. Vakzine; Schleimhaut rechts
normal, links Krustenabnahme. Subjektiv: Keine Veränderung.
8. August. Seit gestern leichte Epistaxis, lokal starke Schmerzen, sonst keine
Veränderung.
21. August. Achte Injektion von 400 Mill. Vakzine; keine Symptome nach
der letzten Injektion, deutliche Geruchsabnahme, minimale Pharyngitis sicoa.
28. August. Neunte Injektion von 400 Mill. Vakzine; seit drei Tagen leichter
Nasenfluss. Objektiv: Wenig Krusten nach Ausspülungen vormittags, fast keine
Pharyngitis sicca.
29. August. Subjektiv: Ohrensanken, eine bei der Patientin vor zwei Jahren
bestandene Otitis media suppurativa chronica rezidiviert, Epistaxis. Objektiv:
Geruch seit der dritten Injektion gering.
4. September. Befund: Rochts und links fast keine Krusten mehr. Kein
Fötor, minimale Pharyngitis sicca, starke Besserung. Patientin hat sich die Nase
am heutigen Tage nicht ausgespült.
18. September. Kein Geruch, Ekzem des linken Introitus; leichter Krusten-
überzug der Nase, jedoch viel weniger als zu Beginn der Behandlung. Pharyngitis
sicca im minimalsten Grade, otwas Nasenbluten. Wohlbefinden, besseres Aussehen,
das Ohr geheilt.
25. September. Erste Injektion von 300 Mill. nach dem Aussetzen der Be-
handlung, sehr wenig Krusten, kein Fötor, Pharyngitis chronica.
26. September. Kopfschmerzen, leichtes Fieber, Schmerzen an der Einstichstelle.
2. Oktober. Die letzten zwei Tage leichter Nasenfluss, sonst nichts Be-
sonderes. Wohlbefinden, kein Fötor. Links eine grosse harte und grünlich gelbe
14 G. Hofer und K. Kofler, Vakzinationstherapie bei genuiner Ozaena.
Kruste nach Ausspülung der Nase am gestrigen Tage. Pharynx normal und feucht.
Injektion von 400 Mill.
10. Oktober. Nach der letzten Injektion Schmerzen am Einstich, Kopf-
schmerzen undFieber. Befinden subjektiv gut. Gestern abends starkes Nasenbluten.
Subjektiv: Sehr wenig Krusten, bedeutend weniger als ehedem. Objektiv: Rechts
grosse Deviation, keine Borken; links Eiter, wenig Krusten. Injektion von 500Mill.
17. Oktober. Am Dienstag Nasenbluten, etwas Kopfschmerzen von 24 Stunden
Dauer. Subjektiv: Kein Fötor, Abgang von bloss 3 Krusten in dieser Woche.
Objektiv: Links am Septum Andeutung von Krusten, rechte Nase frei, Nase und
Pharynx feucbt. Injektion von 500 Mill.
24. Oktober. Vor 6 Tagen starke Kopfschmerzen, seit der letzten Injektion
keine Krusten mehr, durch 3 Tage etwas Nasenfluss von seröser Beschaffenheit.
Der Geruch nach Angabe der Umgebung verschwunden. Patientin besucht das
gleiche Geschäft wie früher, ohne wie früher der Umgebung durch den Geruch
lästig zu fallen. Injektion von 500 Mill. Objektiv: Krusten links am Septum und
an den Muscheln. Pharynx feucht, kein Fötor.
21. November. Im linken oberen Anteil der Nase grünlich-gelbe Krusten,
solche auch am Septum und Nasenboden nur links, Pharynx fast normal, absolut
kein Fötor mehr. Ausspülung vorgestern. Patientin gibt an, dass minimaler Geruch
auftritt, wenn sie sich durch eine Woche nicht ausspült. Sie gibt zu, dass gegen-
über dem Zustande vor derBehandlung eine vollständige Besserung aufgetreten ist.
28. November. Seit 5 Tagen plötzlich starker Geruch. Rechte Nase normal,
linke voll von harten, grünlich-gelben, trockenen Borken. Im Hals fühlt sich
Patientin wohl. Eitriger Fluss aus der Nase. Die Umgebung der Patientin teilt
mit, dass vor zwei Tagen entfernte Krusten äusserst übel gerochen haben. Rötung
des Filtrums der Oberlippe. Injektion von 400 Mill.
6. Dezember. Grünlich-gelbe, zum Teil blutige Krusten an der lateralen
Nasenwand links. Pharynx normal. Ausspülung zweimal wöchentlich, die letzte
gestern. Injektion von 400 Mill.
4. Januar 1914. Nasenbefund viel besser. Subjektiv: Weniger Krusten,
Pharynx normal. Injektion von 300 Mill.
8. Januar. Kein Fötor trotz Nichtausspülens der Nase. Eine lookere Kruste
links. Injektion von 400 Mill.
22. Januar. Subjektives Befinden: Sehr gut. Eine grosse Kruste links hinten
oben, sonst ist die Nase frei. Alle 14 Tage bildet sich eine Kruste. Pharynx feucht.
5. Februar. Leichteste Pharyngitis sicca, links eine grosse geibe Kruste hinten
in der Nase, kein Fötor. Subjektiv: Seit 2 Tagen Trockenheit im Hals. Injektion
von 550 Mill.
26. Februar. Lange nicht ausgespült. Etwas eitrige Krusten links, kein
Fötor, leichte Pharyngitis sicca, keine Injektion.
5. März. Eine ringförmige Kruste links, sonst alles rein, kein Fötor, Pharyn-
gitis sicca. Patientin befindet sich subjektiv sehr wohl, keine Ausspülung mehr.
Injektion von 450 Mill.
Resume: Die Behandlung wurde im Juli 1913 begonnen. Mit den
Dosen konnte rasch gestiegen werden. Bis Ende November war die Be-
handlung kontinuierlich. Von da an wurde wegen vollständigen Ver-
schwundenseins des Geruches, minimalster Krustenbildung, normalem Pharynx
und vollständiger Sistierung der früher notwendigen Ausspülungen die Be-
G. Hofer und K. Kofler, Vakzinationstherapie bei genuiner Uzaena. 15
handlung unterbrochen. Nach einem Monat aber trat plötzlich ein heftiges
Rezidiv mit starkem Fötor, intensiver Krustenbildung und eitrigem Nasen-
fluss auf. Der Pharynx blieb vom Rezidiv verschont. Nach weiteren 3 In-
jektionen konnten die Erscheinungen zum Schwinden gebracht werden, so
dass die Patientin derzeit alle 6 Wochen einmal eine Injektion mit einer
hohen Dosis bekommt; die Ausspülungen hat die Patientin vollständig
unterlassen.
4. Eva F., 50 Jahre alt, Handarbeiterin.
Befund: Typische Ozaena: Atrophie, grünlich-gelbe Krusten, starker Fötor.
Pharyngitis sicca. Keine Kopfschmerzen, Wassermann negativ.
25. September 1913. Erste Injektion von 60 Millionen.
26. September. Fieber mit Schüttelfrost, etwas Schnupfen.
2. Oktober. Etwas Fieber durch kurze Zeit, Schnupfen und Husten. keine
Krusten rechts, starke Krusten links, sehr starker Fötor, Pharynx normal, Aus-
spülung heute vormittags. Zweite Injektion von 100 Mill.
10. Oktober. Etwas Fieber, schwaches Ohrensausen. Subjektiv: Weniger
Geruch, weniger Krusten. Patientin fühlt sich bedeutend besser, Ausspülung heute
früh. Objektiver Befund: Ausgesprochener Fötor. Vorwiegend links Borken am
Septum, an der mittleren Muschel und am Nasenboden, rechts geringer Belag an
der mittleren Muschel. Pharyngitis sicca. Injektion von 100 Mill.
17, Oktober. Etwas Fieber; Patientin bezeichnet die Krustenbildung ent-
schieden als sehr zurückgegangen. Fötor subjektiv vorhanden, etwas Schwellung
an der Einstichstelle.. Objektiv: Borkenbildung links im unteren Nasengang,
mässiger Fötor, Pharynx feucht. Injektion von 200 Mill.
27. Oktober. Reaktion subjektiv genommen weder lokal noch nasal, heute
keine Ausspülung, Geruch angeblich etwas besser, Krusten seit einigen Tagen fast
nicht mehr, dieselben riechen fast nicht mehr. Injektion von 300 Mill. Objektiv:
Krusten nur links, sohleimiges Sekret amNasenboden rechts, Pharynx etwas foucht,
wenig Fötor.
30. Oktober. Subjektiv: Etwas Fieber, keine Krusten, kein Fötor. Injektion
von 300 Mill. Objektiv: Starke Krusten beiderseits, Fötor, Pharynx feucht.
7. November. Etwas Fieber mit Ekzem der Naseneingänge. Subjektiv: Der
Geruch hat sich vermindert, ebenso die Krustenbildung. Injektion von 300 Mill.
21. November. Augentränen, Conjunctivitis rechts und links beginnend,
trockene Borke an der mittleren Muschel rechts und an der mittleren und unteren
Muschel iinks. Pharyngitis sicca und viele grünlich-gelbe, harte Krusten im Epi-
pharynx. Ausspülung heute früh. Krusten in der Trachea. Larynx frei. Subjektive
Angabe einer geringeren Krustenbildung als früher, unangenehmes Gefühl in der
Gegend des Jochbeines. Tränensackeiterung lange bestehend, daher erklärt sich
die Conjunctivitis. Objektiv: Fötor noch nachweisbar. Injektion von 400 Mill.
28. November. Subjektiv: Keine Krusten. Patientin fühlt sich besser, der
Geruch soll bedeutend abgenommen haben. Objektiv: Wenig Krusten auf der
mittleren Muschel beiderseits. Im unteren Nasengange rechts etwas schleimiges
Sekret, Fötor objektiv geringer. Im linken unteren Nasengang Krusten. Etwas
Krusten in der Trachea. Pharynx normal. Epipharyngitis sicca mit vielen Krusten
am Rachendach. Injektion von 500 Mill.
6. Dezember. Minimale Krustenbildung, Fötor bedeutend besser, Epipharyn-
gitis sicca. Injektion von 400 Mill.
16 G. Hofer und K. Kofler, Vakzinationstherapie bei genuiner Ozaena.
11. Dezember. Leichte Krustenbildung rechts, mässige Krustenbildung links,
Fötor vor 2 Tagen. Epipharyngitis sicca. Injektion von 400 Mill.
18. Dezember. Fieber in der Nacht nach der Injektion. Fötor manchmal noch
vorhanden, leichte Krustenbildung beiderseits. Epipharyngitis sioca. Injektion
von 400 Mill.
7. Januar 1914. Etwas eitriges Sekret am Nasenboden, Pharyngitis chronica.
Subjektiv fühlt sich Patientin bedeutend besser, Spülungen seltener, keine Krusten
mehr, angeblich weniger Geruch. Injektion von 400 Mill.
15. Januar. Subjektive Besserung, wenig Geruch, eine kleine schleimige
Kruste links (keine typische Ozaenakruste), Pharynx feucht, ebenso der Epipharynx.
Injektion von 400 Mill.
ð. Februar. Ausspülung heute Morgen, keine Krusten, kein Fötor. Injektion
von 400 Mill.
26. März. Fast keine Krusten, etwas eitriges Sekret fliesst aus dem mittleren
Nasengange, Pharynx feucht, kein Fötor, Ausspülung vor 2 Tagen.
2. April. Ausspülung vor 3 Tagen, kleine Kruste an der mittleren Muschel
beiderseits, Epipharyngitis sicca, Pharynx ganz normal, kein Fötor.
Resume: 25. September 1913 Beginn der Behandlung. Nach 3 In-
jektionen schwindet die Pharyngitis sicca; anfänglich tritt schon eine
Besserung des Fötors auf und schon nach 5 Injektionen ist die Krusten-
bildung stark zurückgegangen. Vom 18. Dezember an wird die Patientin
nur mehr alle 14 Tage injiziert und zwar mit etwas reduzierter Dosis, weil
die jeweiligen Reaktionen immer sehr heftig auftreten. Am 26. März 1914
lässt sich folgender Endbefund erheben: Krustenabnahme bedeutend, ein
klein wenig eitriges Sekret fliesst aus dem rechten mittleren Nasengang;
kein Fötor, Pharynx feucht, fast kein spontaner Krustenabgang mehr.
5. Ingroid H., 29 Jahre alt, aus Sund Wall (Schweden).
18. September 1913. Befund: Eiter- und Krustenbildung beiderseits,
wechselnder Fötor, manchmal sehr stark, Atrophie der Muschel, Pharyngitis sicca.
Wassermann negativ. Rechtes Siebbein operiert.
20. September. Erste Injektion von 60 Millionen.
25. September. Zweite Injektion von 100 Mill. Grünlich-gelbe, mehr eitrige
Krusten im oberen Teile der Nase beiderseits, Pharyngitis chronica. Nach der
letzten Injektion starke Kopfschmerzen, Schnupfen, Fieber (37,60), Halsschmerzen,
rechter Processus frontalis seit heute schmerzhaft. Schmerzen an der Einstichstelle
und im Kreuz. |
26. September. Normales Befinden nach der ersten Injektion, nach der
zweiten Injektion erhöhte Temperatur und Beschwerden im linken Arm und Fuss.
Krusten und Schnupfen.
2. Oktober. Seit der letzten Injektion Schmerzen in der linken Hand, im
Bein und in der Nase. Eitriger Schnupfen mit Blut, Brechreiz, Fieber bis zu 37,8°,
Halsschmerzen, Brennen im linken Auge, Öhrenreissen, Heiserkeit und Husten.
Die Schmerzen dauerten 2 Tage, der Schnupfen die ganze Woche. Rötung der
Naseneingänge, wenig flüssiges und trockenesSekret rechts, kein Sekret im mittleren
Nasengang links, wo früher immer viel Sekret vorhanden war. Pharyngitis chro-
nica. Laryngitis, Tracheitis acuta mit etwas eitriger Sekretion, deshalb heute
keine Injektion.
G. Hofer und K. Kofler, Vakzinationsitherapie bei genuiner Özaena. 17
16. Oktober. Subjektiv etwas Katarrh. Patientin hat viele Borken, deutlicher
Fötor. Objektiv: Borken nur links im mittleren Nasengang, rechts keine. Derzeit
kein Fötor, keine Pharyngitis sicca. Injektion von 100 Mill.
17, Oktober. Beinschmerzen und Schmerzen im linken inneren Augenwinkel.
Injektion links, Ekzem links unter der Nase. Schmerzen im Processus frontalis
rechts. Subjektiv: Weniger Krusten. Letzte Ausspülung gestern. Schmerzen und
Schwellung am Einstich, Objektiv: Wenig Borken links, wenig rechts. Pharynx
feucht. Injektion von 200 Mill.
24. Oktober. Etwas Schnupfen nach der letzten Injektion, desgleichen etwas
Fötor. Wenig Krustenabgang. Objektiv: Ganz geringe Krusten, feuchter Pharynx,
kein Fötor. Injektion von 200 Mill.
30. Oktober. Subjektiv: Etwas Krusten und Fötor, wenig Appetit, wenig
Schlaf, etwas Kopfschmerzen nach der letzten Injektion. Objektiv: Vereinzelte
Krusten, feuchter Pharynx, kein Fötor. Injektion von 250 Mill. Vakzine.
7. November. Subjektiv: Geruch vorhanden, Abgang einiger Krusten, etwas
Uebelkeit, wenig Appetit. Injektion von 300 Mill. Vakzine.
21. November. Zwei Krusten, eine vorn, eine in der Gegend der Keilbein-
höhle. Links etwas Eiter und Krüstchen am Boden, mit Blut vermengt. Pharynx
normal. Objektiv: Gar kein Fötor. Injektion von 300 Mill. Vakzine.
28. November. Etwas Kopfschmerz nach der letzten Injektion. Reaktion
mässig. Objektiv: Eine kleine eitrige Kruste am Nasendach. Rechts einzelne
Krusten im mittleren Nasengang. Linke Nase rein, einzelne Krusten am Dach des
Epipharynx. Pharynx normal. Injektion von 300 Mill. Vakzine.
6. Dezember. Fötor geschwunden, Pharynx normal, minimale Krustenbildung.
Resume: Beginn der Behandlung 18. September 1913. Mit den Dosen
wird langsamer gestiegen, weil die Patientin jeweils sehr starke Reaktionen
aufweist. Am 6. Dezember 1913 wird die Behandlung wegen Verreisens
der Patientin unterbrochen mit folgenden Befunde: Nase nahezu rein, kein
Fötor, Pharynx normal.
6. Marie Sch., 18 Jahre alt, wohnhaft Wien.
Starke Atrophie sämtlicher Muscheln, starker Fötor, viele grün-gelbe Krusten,
Epi- und Pharyngitis sicca, Sattelnase mit Basisverbreiterung, Gewicht 49 kg,
Wassermannsche Reaktion nogativ.
20. September 1913. Injektion von 60 Millionen.
25. September. Etwas Kopfschmerzen, leichter Schnupfen, Schmerzen nach
Einstich nach der letzten Injektion. Etwas flüssig-eitriges Sekret, Epipharyngitis
sicca und Pharyngitis sicca. Ausspülung vor 2Stunden. Objektiv: Dementsprechend
wenig Krusten, aber starker Fötor.
2. Oktober. Etwas Kopfschmerzen, leichter Schnupfen nach der letzten In-
jektion. Grün-gelbe Borken am Nasendach und Boden, weniger im oberen Teil
und mittleren Teil der Nase. Geruch deutlich. Injektion von 200 Mill.
10. Oktober. Allgemeinreaktion mässigen Grades, Herdreaktion deutlich.
Gefühl von Erleichterung in der Nase. Angeblich schwächerer Geruch. Objektiv:
Entsprechend der eben vollführten Ausspülung wenig Borken. Pharyngitis sicca.
17.Oktober. Ausspülung vor 2Tagen. Objektiv: Deutlicher Geruch. Krusten-
bildung noch stark. Pharynx mässig feucht. Injektion von 300 Mill.
24. Oktober. Schwache Allgemeinreaktion. Subjektiv: Verflüssigung des
Sekretes. Borkenabgang noch vorhanden. Injektion von 300 Mill. Vakzine. Ob-
Archiv für Laryngologie. 29. Bd. 1. Heft. 2
IN G. Hofer und K. Kofler, Vakzinationstherapie bei genuiner Ozaena.
jektiv: Wenig Krusten in beiden mittleren Nasengängen und im Bereiche der
Choanen links. Pharynx feucht, kein Fötor.
30. Oktober. Ausspülung vor 2 Tagen, Geruch soll noch vorhanden sein,
jedoch schwächer als früher. Gefühl von freierer Nase. Objektiv: Rechts fast keine
Krusten, feuchter Pharynx, links eine grössere Kruste, derzeit kein Fötor. Injektion
von 400 Mill. Vakzine.
7. November. Etwas stärkere Reaktion nach der letzten Injektion. Subjektiv:
Kein Geruch mehr, keine Krusten, aber etwas Ausfluss von Sekret. Objektiv:
Pharynx mässig feucht, einige Krusten beiderseits, etwas Fötor. Injektion von
400 Mill.
2]. November. Grün-gelbe Krusten in sehr geringer Anzahl rechts, an der
mittleren Muschel links eine grössere Borke, vereinzelte am Nasenboden. Pharyn-
gitis sicca, Fötor noch vorhanden, einzelne Krusten in der Trachea.
28. November. Mässige Allgemeinreaktion. Die Umgebung gibt eine be-
deutende Geruchsabnahme an. Einzelne Krusten am Nasenboden und im oberen
Nasenabschnitt beiderseits. Pharyngitis sicca. Eine grössere Kruste an der Larynx-
hinterwand. Injektion von 500 Mill.
6. Dezember. Entschiedene Krustenabnahme, keine Ausspülungen mehr,
selten spontaner Krustenabgang, Fötor manchmal noch vorhanden. Injektion von
500 Mill. Vakzine.
Resume: Am 20. September 1913 wurde die Behandlung begonnen
und kontinuierlich bis zum 6. Dezember 1913 weitergeführt. Der objektive
Befund an diesem Tage ergab eine bedeutende Krustenabnahme, so dass
die Nasenspülungen nur mehr äussert selten notwendig waren. Geruch
war noch selten, aber von Zeit zu Zeit vorhanden. Der Fall muss nach
dem Gesamtbefunde als deutlich, aber nicht als eklatant gebessert be-
trachtet werden.
7. Leopoldine E., 91/2 Jahre alt,
Atrophie, insbesondere des oberen Nasenabschnittes, mit grünlich-gelben
Krusten, untereMuschel weniger atropisch, Fötor, Pharyngitis sicca leichten Grades.
26. Juni 1913. Erste Injektion von 20 Millionen Vakzine.
27. Juni. Lokale Schmerzhaftigkeit.
3. Juli. Zweite Injektion von 60 Mill. Vakzine.
4. Juli. Schmerzen und Rötung am Einstich nach 24Stunden verschwunden;
in der Nase nichts Besonderes.
9. Juli. Dritte Injektion von 100 Mill. Vakzine.
10. Juli. Lokale Reaktion am Einstich, kein Fieber. Absonderung geringer
als gewöhnlich.
16. Juli. Vor zwei Tagen Schmerzen über beiden Processus frontales, Röte
im Gesicht.
17. Juli. Vierte Injektion von 150 Mill. Vakzine. Nasenbefund besser, beider-
seits Eiter, lateral von der mittleren Muschel rechts. Pharyngitis sicca verschwunden.
18. Juli. Empfindlichkeit am Einstich. Objektiv: Etwas Krusten links, rechts
die mittlere Muschel mit einer dünnen Kruste bedeckt.
24. Juli. Fünfte Injektion von 200 Mill. Vakzine. Keine auffallenden Ver-
änderungen, weniger Krusten, kein Geruch der Krusten gegenüber dən vor und
bei den ersten Injektionen entfernten.
G. Hofer und K. Kofler, Vakzinationstherapie bei genuiner Ozaena. 19
25. Juli. Leichte lokale Schmerzen und Rötung in der Nase.
29. Juli. Etwas Geruch.
31. Juli. Objektiv: Krusten rechts, links weniger, schleimig-eitriges Sekret
im Pharynx. Aussetzen der Behandlung bis zum 21. August.
21. August. Keine subjektive Veränderung, Nase feucht, feuchter Katarrh
des Pharynx, Ekzema introitus nasi und Krustenbildung abgenommen. Sechste
Injektion von 300 Mill. Vakzine.
28. August. Siebente Injektion von 400 Mill. Vakzine. Keine Reaktion am
Einstioh, wässerig-seröse Sekretion in der Nase täglich. Objektiv: Links keine
Krusten und rechts eitriges Sekret, flüssiges Sekret im Pharynx.
29. August. Leichte Empfindlichkeit am Einstich, keine nasale Reaktion,
Status idem wie am Vortage, Geruch nachgelassen.
Il. September. Kein Fötor, Krustenbildung stark abgenommen, Pharynx
feucht, Appetit und Aussehen besser. Gewichtszunahme.
18. September. Links eine Kruste an der mittleren Nasenwand, Spontan-
abgang von Krusten, alle 8Tage durchschnittlich eine. Pharynx feucht, kein Fötor.
20. September. Injektion von 300 Mill. Status idem.
25. September. Linke Nase rein, rechts einzelne Krusten an der mittleren
Muschel, kein Fötor, Pharynx ganz leicht trocken, etwas eitriges Sekret an der
Pharynxhinterwand. Injektion von 300 Mill.
26. September. Status idem.
2. Oktober. Keine Reaktion nach der letzten Injektion. Ekzem des Nasen-
einganges, eitrige Krusten rechts hinten und im mittleren Nasengang links. Pharynx
normal. Injektion von 400 Mill.
10. Oktober. 2 Tage nach der Injektion hindurch etwas Schmerzen am Ein-
stich, etwas Schnupfen, Kopfschmerz, letzter Krustenabgang: vorige Woche eine.
Keine Spulungen mehr. Objektiv: Kein Fötor, einzelne Borken beiderseits im
mittleren Nasengang, Pharynx mässig feucht. Injektion von 500 Mill.
17. Oktober. Stärkere Gesamtreaktion über 4 Tage sich erstreckend. Kein
Krustenabgang seit der letzten Injektion. Kein Geruch. Objektiv: Andeutung von
Krustenbildung links, rechts Nase rein. Pharynx normal. Injektion von 400 Mill.
Vakzine.
24. Oktober. Montag, Samstag, Mittwoch je eine Kruste abgegangen, die an-
geblich Geruch erkennen liess. Derzeit kein Fötor. Injektion von S00Mill.Vakzine.
Objektiv: Wie am 17. Oktober.
30. Oktober. Etwas Krusten am Septum, sonst Nase rein, Pharynx normal,
kein Fötor. Injektion von 500 Mill.
7. November. Wenig Krusten, kein Geruch, etwas Flüssigkeitssekretion aus
der Nase. Objektiv: Ganz spärliche Krusten, kein Fötor, Pharynx normal.
21. November. Eine grün-gelbe Kruste links, eine rechts. Die mittlere
Muschel rechts ist deutlich atrophisch im Vergleich zu vor der Behandlung,
Pharynx normal, kein Fötor. Keine Injektion.
6. Dezember. Wohlbefinden bis vor 2 Tagen. Plötzlich Verstopfung in der
Nase, starker Geruch, starker Krustenabgang. Objektiv: Viele grün-gelbe Borken
beiderseits über die ganze Nase verteilt. Fötor. Starke Rötung der Naseneingänge.
Injektion von 400 Mill.
ll. Dezember. Links keine Krusten, rechts ziemlich viele. Pharynx feucht.
Injektion von 400 Mill.
2°
20 G. Hofer und k. Kofler, Vakzinationstherapie bei genuiner Ozaena.
18. Dezember. Deutliche Besserung allgemein, wenig Krusten beiderseits,
kein Fötor. Injektion von 400 Mill.
2. Januar 1914. Wenig Krusten, wenig Geruch, Pharynx normal. Injektion
von 400 Mill.
8. Januar. Wenig Krusten rechts, keine links, keine Ausspülung, kein Geruch,
Pharynx normal. Injektion von 450 Mill. Vakzine.
22. Januar. Epistaxis nach der letzten Injektion. Gesamtreaktion mittelstark.
Eine Kruste an der mittleren Muschel rechts, links Nase rein, Pharynx normal.
Injektion von 500 Mill.
5. Februar. Grössere Kruste rechts, eine kleine links. Pharynx normal, kein
Fötor. Injektion von 500 Mill.
19. Februar. Keine Ausspülung, keineKrusten, Pharynx normal, kein Geruch.
Injektion von 590 Mill. Vakzine.
12. Marz. Eine kleine Kruste beiderseits an der mittleren Muschel, Pharynx
normal, kein Fötor, keine Ausspülung seit 4 Wochen. Injektion von 500 Mill.
Vakzine.
24. April. Keine Ausspülung seit mehreren Wochen, kein Fötor, Pharynx
normal, rechts Nase ganz rein, links eine kleine Kruste an der mittleren Muschel.
Injektion von 200 Mill. Vakzine prophylaktisch.
Resume: Beginn der Behandlung Juli 1913. Dieselbe wird kontinuier-
lich bis zum 20. Oktober 1913 fortgeführt. Zu dieser Zeit ist die Krusten-
bildung minimal, der Pharynx normal und kein Geruch vorhanden. 5 Wochen
später, während welcher Zeit die Behandlung ausgesetzt wurde, trat ein
Rezidiv unter dem gleichen Bilde wie bei Fall 3 auf. Schon nach einer
Injektion einer Dosis von 400 Mill. Keimen war eine bedeutende Besserung
vorhanden, die auch in der Folge bis zum heutigen Tage anhält, so dass
die Patientin derzeit alle 2 Monate einmal eine Injektion bekommt. Die
Ausspülungen sind vollständig sistiert, das Allgemeinbefinden ein sehr gutes.
8. Marianne E., wohnhaft Wien.
Grün-gelbe Krusten zahlreich in beiden Nasenhälften. Pharyngitis sicca,
Atrophie sämtlicher Muscheln, starker Fötor, Wassermannsche Reaktion negativ.
25. September 1913. Injektion von 60 Millionen.
26. September. Geringe Reaktion.
2. Oktober. Injektion von 100 Mill. Status idem.
10. Oktober. Krusten beiderseits, Pharynx etwas feuchter. Gesamtreaktion
ausgesprochen, etwas Schnupfen, Kopfschmerz. Injektion von 200 Mill.
17. Oktober. Herdreaktion deutlich nach der letzten Injektion. Ausspülung
vor 2 Tagen. Reichlich Krusten, Fötor vorhanden. Injektion von 200 Mill.Vakzine.
Reaktion keine. Pharynx etwas gebessert, sonstStatus idem. Injektion von 300Mill.
Viele Krusten beiderseits, angeblich Geruchsabnahme. Objektiv: mässiger Fötor.
Reaktion keine. Injektion von 300 Mill.
7. November. Ausspülung vor l Tag. Pharynx feucht, Krusten links abge-
nommen, rechts noch vorhanden. Gesamtreaktion keine. Injektion von 400 Mill.
21. November. Krusten beiderseits. Pharyngitis sicca leichteren Grades.
Pharynx und Trachea krustenfrei. Angeblich Krustenabnahme. Injektion von
400 Mill. ;
28. November. Subjektiv: Angeblich weniger Krusten, Geruch soll stark ab-
genommen haben. Objektiv: Viele grün-gelbe Krusten in beiden Nasenböhlen,
G. Hofer und K. Kofler, Vakzinationstherapie bei genuiner Ozaena. 21
Pharynx mässig trocken, etwas flüssig-eitriges Sekret am Nasendach. Injektion
von 500 Mill.
6. Dezember. Oberer Teil der Nase mit Borke ausgekleidet, Pharynx feucht.
ll. Dezember. Patientin macht nur mehr alle 4 Tage Ausspülungen. Krusten
rechts weniger, linke Nase frei. Derzeit kein Fötor, Allgemeinbefinden gut. Ge-
wichtszunahme. Injektion von 500 Mill. |
18. Dezember. Allgemeinbefinden weniger gut. Gefühl von stärkerem Ver-
stopftsein in der Nase. Objektiv: Wenige Krusten links, mehr rechts. Ausspülung
heute. Pharyngitis sicca leichteren Grades. Injektion von 500 Mill.
2. Januar 1914. Krustenbildung ziemlich stark, Fötor vorhanden, Pharyn-
gitis sicca. Injektion von 500 Mill. |
8. Januar. Ausspülungen müssen wieder täglich vorgenommen werden. Eine
grosse Kruste links, rechts weniger. Pharyngitis sicca. Injektion von 500 Mill.
Krustenbildung schwächer, am Nasendach beiderseits. Spülungen alle 2 Tage.
Injektion von 550 Mill.
29. Januar. Krustenbildung im hinteren Teile der Nase beiderseits. Etwas
Kopfschmerzen und Fieber nach der letzten Injektion. Injiziert 500 Mill.
5. Februar. Grosse grün-gelbe Krusten beiderseits, Fötor, Pharyngitis sicca.
Injektion von 550 Mill. Vakzine. Status idem.
19. Februar. Krustenbildung noch stark, Fötor in geringem Grade noch vor-
handen, Spülungen alle 2 Tage.
26. Februar. Leichte Pharyngitis sicca, mässige Krustenbildung beiderseits.
Ausspülung gestern, etwas Fötor. Injektion von 550 Mill.
5. März. Ausspülung alle 2 Tage. Krustenbildung im oberen Nasemanteil.
Pharyngitis sicca leichteren Grades. Subjektiv: Etwas Fötor. Injektion von
500 Mill. Vakzine.
12. März. Ausspülung heute. Leichte Krustenbildung im oberen Nasenanteil,
neben einer leichten Epipbaryngitis sicca.
2. April. Krustenbildung beiderseits sehr ausgesprochen, Geruch soll ge-
ringer geworden sein. Pharyngitis sicca. Injektion von 200 Mill.
19. April. Rechts schwache Krustenbildung, stärkere links. Fötor hat be-
deutend abgenommen. Epipharyngitis sicca. Injektion von 300 Mill.
24. April. Ausspülung gestern. Fötor noch vorhanden. Krustenbildung
ziemlich stark beiderseits im oberen Teil der Nase, leichte Pharyngitis sicca. In-
jektion von 350 Mill. Vakzine.
Resume: Beginn der Behandlung am 25. September 1913. Schon
nach kurzer Zeit eine deutliche Besserung in toto, die aber nicht anhält,
so dass derzeit, trotzdem der Geruch bedeutend abgenommen hat, die
Krustenbildung aber noch stark vorhanden ist, der Fall mehr weniger als
refraktär bezeichnet werden muss. Ausgesprochene Gesamtreaktionen liessen
sich bei der Patientin niemals erzielen.
9. Ghittel B., 20 Jahre alt, Dienstmädchen, wohnhaft in Galizien.
Befund: Hochgradigste Atrophie sämtlicher Muscheln, grün-gelbe Borken
in grosser Menge, starker Fötor, Pharyngitis sicca. Wassermann negativ.
9. Juli 1913. Injektion von 100 Millionen Vakzine.
10. Juli. Keine subjektive und objektive Veränderung.
17. Juli. Viele trockene Borken links, wenige rechts; starke Pharyngitis sicca.
Injektion von 150 Mill. Vakzine.
22. G. Hofer und K. Kofler, Vakzinationstherapie bei genuiner Ozaena.
15. Juli. Lokal(nasal) etwasSchmerzen, Reaktion am Einstich, starke Krusten-
bildung neben flüssigem Sekret in der Nase, starke Pharyngitis sicca, Fötor.
24. Juli. Einige Male Zahnschmerzen im Anschluss an die Injektion, Hitze
im Kopf; in der Nase selbst keine Veränderung, Pharyngitis sicca, grün-gelbo
Krusten. Injektion von 200 Mill. Vakzine.
25. Juli. Keine besondere Reaktion.
7.August. Keine Veränderung. Objektiv: Status idem. Injektion von 300 Mill.
Vakzine.
8. August. Status idem.
21. August. Geruch nach Angabe der Umgebung nachgelassen. Subjektiv:
Keine Veränderung. Objektiv: Krustenbildung im hinteren Teil der Nase und im
Epipharynx; Pharyngitis sioca; Krustenbildung im ganzen geringer. Injektion von
400 Mill. Vakzine.
4. September. Krustenbildung beiderseits weniger als früher, kein Fötor,
starke Pharyngitis sicca.
11. September. Keine Krusten links, rechts Krusten. Kein Fötor. Pharyn-
gitis sicca. Trockenheit im Halse, welche früher vorhanden gewesen, ist jetzt ver-
schwunden (subjektiv). Allgemeines Wohlbefinden. Appetit und Aussehen besser.
18. September. Status idem. Ausspülung vor der Behandlung vorgenommen,
derzeit keine Krusten, kein Fötor, Pharyngitis sicca. Injektion von 500 Mill.
2.Oktober. Nase rechts und links mit Krusten ausgekleidet, die aber qualitativ
verändert sind, sie sind kleiner, dünner, mehr durchsichtig und geruchlos. Pharyn-
gitis sicca, minimaler Fötor. Injektion von 450 Mill. Vakzine.
16. Oktober. Derzeit kein Fötor, sonst Status idem.
17. Oktober. 2 Tage nach der Injektion Ohrensausen, kein Fötor mehr.
Pharyngitis sicca, kein Fötor (subjektiv), Krusten am Nasenboden und Pharynx-
hinterwand. Injektion von 500 Mill.
24. Oktober. Objektiv: Wenig Krusten beiderseits, insbesondere am Septum,
an der mittleren Muschel beiderseits und einige am Dach. Fötor hie und da wahr-
nehmbar. Injektion von 500 Mill. Gesamtreaktion gering, von der Umgebung wird
kein Geruch bemerkt. Einzelne Krusten in der Nase, einzelne im Pharynx, Pharyn-
gitis sicca, kein Fötor, die Krusten können nicht als Ozaenakrusten bezeichnet
werden.
7. November. Subjektiv: Status idem. Objektiv: Einzelne Krusten rechts,
sparliche links, kein Fétor, Pharyngitis sicca. Keine Injektion.
21. November. Starke Pharyngitis sicca, leichter, dünner Krustenüberzug
über die Nase. Allgemein bedeutende Krustenabnahme, gar kein Fötor mehr, weder
objektiv noch subjektiv. Keine Ausspülungen mehr.
Resume: Patientin stand seit Juli 1913 in Behandlung und wurde
bis September 1913 kontinuierlich vakziniert. Die Kranke war auf der
Klinik aufgenommen, so dass die Beobachtung täglich aus eigener Kontrolle
gemacht werden konnte. Zu erwähnen ist hier aus dem Anfangsstatus,
dass eine hochgradigste Atrophie aller Muscheln vorhanden war. Patientin
konnte mit wenigen qualitativ veränderten Krusten und ohne jeglichen
Geruch entlassen werden. Ein vor wenigen Wochen eingelangtes Schreiben
der fernab wohnenden Patientin bestätigt das andauernde Wohlbefinden.
10. Alfons H., 8 Jahre alt, aus Stadlau.
Befund: Atrophie sämtlicher Muscheln mit sehr vielen grün-gelben Krusten
G. Hofer und K. Kofler, Vakzinationstherapie bei genuiner Ozaena.. 23
beiderseits, sehr starker Fötor, Pharyngitis sicca. Injektion von 100 Millionen
Vakzine.
28. November 1913. Gesamtreaktion ziemlich stark. Viele Krusten beider-
seits, Pharyngitis sicca. Injektion von 100 Mill.
6. Dezember. Epistaxis nach der letzten Injektion, Ausspülungen täglich,
geringere Krustenbildung in der Nase, etwas stärkere im Pharynx. Pharyngitis
sicca. Injektion von 200 Mill.
ll. Dezember. Starke Krustenbildung beiderseits, Geruch noch stark, Pharynx
feucht. Injektion von 300 Mill.
18. Dezember. Etwas Krusten hinten, Epipharyngitis sicca, Mesopharynx
feucht. Injektion von 300 Mill.
2. Januar 1914. Viele Krusten, Pharynx mässig feucht, deutliche Geruchs-
abnahme. Injektion von 350 Mill. Viele Krusten beiderseits, Fötor vorhanden.
Gesamtreaktion mittleren Grades. Injektion von 400 Mill,
15. Januar. Eine grosse Kruste hinten beiderseits. Pharynx feucht, Fötor
noch vorhanden, Ausspülung noch täglich. Injektion von 400 Mill. Subjektiv:
Besseres Befinden. Geruchsabnahme. Krusten und Eiter im Nasenraum beiderseits.
Pharyngitis sicca. Injektion von 400 Mill.
5. Januar. Fötor sehr gering. Nach der Injektion einen Tag stärker. Aus-
spülungen noch täglich, letzte Ausspülung vor 2 Tagen. Objektiv: Sehr wenig
Krusten, Pharynx fast normal. Injektion von 400 Mill.
12. Februar. Status idem. |
19. Februar. Fötor verschwunden. Ausspülung alle 2—3 Tage, etwas
Krusten im Epipharynx, in der Nase keine. Pharynx mässig feucht. Injektion
von 450 Mill. Keimen.
12. März. Eine grosse Kruste beiderseits hinten, Pharyngitis sicca, Fötor
hat etwas zugenommen. Injektion von 500 Mill.
19. März. Gesamtreaktion sehr stark. Uebelkeit, Erbreohen, schlechtes Aus-
sehen, Fieber nach der letzten Injektion, Ausspülungen alle 3 Tage. Grünlich
gelbe Krusten im Nasenrachenraum, Epipharyngitis sicca, Pharynx feucht, kein
Fötor. Injektion von 300 Mill.
26. März. Eine grosse Kruste rechts, eine kleine links. Ekzem des Nasen-
eingangs. Pharynx mehr trocken. Injektion von 400 Mill.
2. April. Status idem. Injektion von 450 Mill.
9, April. Starke Gesamtreaktion. Krustenbildung stark beiderseits, Fötor
hat aber abgenommen, Injektion von 450 Mill.
16. April. Besseres Aussehen, Reaktion mittelstark. Ausspülung gestern.
Eine kleine Kruste rechts, eine grössere im Nasenrachenraum. Geruch keiner.
Injektion von 200 Mill.
24. April. Pharyngitis und Epipharyngitis sicca leichten Grades, Ausspülung
Vormittag. Keine Krusten, Fötor war erst heute wieder leicht bemerkbar. Injektion
von 250 Mill.
Resume: Beginn der Behandlung am 21. September 1913; bis zum
19. Februar 1914 wird kontinuierlich injiziert. Zu dieser Zeit ist der
Fötor verschwunden und in der Nase sind keine Krusten zu sehen, einzelne
jedoch im Epipharynx, die Pharyngitis sicca ist im leichteren Grade per-
sistent. Die Behandlung soll nunmehr monatlich vorgenommen werden;
doch schon nach einem Zeitraum von 3 Wochen lässt eine ausgesprochene
24 G. Hofer und K. Kofler, Vakzinationstherapie bei genuiner Ozacna.
Rezidivierung eine Wiederaufnahme der Behandlung notwendig erscheinen,
Es wird gleich mit höheren Dosen eingesetzt, da nach Angabe der den
Knaben begleitenden Eltern die Injektionen vom Patienten gut vertragen
werden. Auffälliger Weise verschlimmert sich aber der Zustand noch
mehr durch Zunahme der Krusten und Zunahme des Geruches. Ein ein-
dringliches Befragen ergibt das Vorhandensein stärkerer Gesamtreaktionen,
so dass wieder mit kleineren Dosen vorgegangen werden muss. Nach
Verabreichung dieser lässt sich schliesslich folgender Befund festlegen:
eine kleine Kruste rechts, eine etwas grössere im Nasenrachenraum, linke
Nase rein. Allgemeinbefinden bedeutend besser, Geruch nahezu ver-
schwunden.
11. Karoline K., 15 Jahre alt, aus Wien.
Objektiver Befund am 24. Oktober 1913: Rechte Nasenseite mit Krusten
ausgegossen, links etwas geringere Krustenbildung. Sehr starker Fötor, Pharynx
feucht.
17. Oktober. Injektion von 100 Millionen.
24. Oktober. Status idem. Gesamtreaktion mässig.
30. Oktober. Ausspülung gestern, objektiv links spärliche Krusten, rechts
stärkere Krustenbildung. Fötor, Pharynx feucht.
7. November. Krustenbildung beiderseits mässig. Pharynx feucht. Injektion
von 200 Mill.
21. November. Verflüssigung des Sekretes rechts und links. Krustenbildung
beiderseits. Pharynx feucht.
28. November. Etwas Fieber nach der letzten Injektion. Halskratzen und
Trockenheit im Rachen, Nasenbluten. Objektiv: Teils trockenes, teils flüssiges,
eitriges Sekret in der ganzen Nase und auch im .Epipharynx. Injektion von
300 Mill.
6. Dezember. Leichteste Krustenbildung. Injektion von 400 Mill.
ll. Dezember. Wenig Krusten, etwas flüssiges Sekret, Fötor noch vorhanden,
nach Aussage der Umgebung. Injektion von 400 Mill.
18. Dezember. Wenig kleine Krusten beiderseits. Fötorabnahme. Injektion
von 450 Mill.
2. Januar 1914. Fast keine Krusten in der Nase. Epipharyngitis sicca.
Injektion von 500 Mill.
8. Januar. Rechts Nase rein, links etwas Krusten auf der mittleren Muschel,
Pharynx mässig feucht, subjektiv Geruchsabnahme. Injektion von 500 Mill.
15. Januar. Wenig Krusten, links gar keine. Keine Ausspülungen, hie und
da noch etwas Geruch. Gesamtreaktion nach der letzten Injektion sehr deutlich.
Injektion von 450 Mill. Subjektive Besserung deutlich.
22. Januar. Mehrere Krusten beiderseits hinten, Pharynx mehr trocken.
Injektion von 500 Mill.
29. Januar. Wenig Krusten hinten rechts, wenig flüssiges Sekret links.
Pharyngitis sicca leichtesten Grades. Injektion von 500 Mill.
5. Februar. Status idem. Injektion von 550 Mill.
19. Februar. Keine Ausspülung. Keine Krusten in der Nase, Pharyngitis
sicca, etwas eitriges Sekret in der linken Keilbeinhöhle. Injektion von 500 Mill.
26. Februar. Status idem. Injektion von 450 Mill.
12. Februar. Ausspülung vor 4 Tagen. Eine grössere Kruste rechts hinten,
G. Hofer und K. Kofler, Vakzinationstherapie bei genuiner Ozaena.. 25
eine kleinere links hinten. Epipharyngitis sicca. Injektion von 400 Mill. wegen
Kopfschmerzen und etwas Fieber nach der Injektion 3 Tage andauernd.
19. März. Seit 5 Tagen keine Ausspülung, eine kleine Kruste am Septum
rechts, linke Nase frei. Leichte Epipharyngitis sicca. Keine Injektion.
4. April. Ausspülung gestern. Eine Kruste rechts hinten, eine kleine im
mittleren Nasengang links. Pharynx mässig feucht, Spontanabgang einiger Krusten
in dieser Woche. Injektion von 500 Mill. Keimen.
Resume: Die Behandlung wird am 24. September 1913 begonnen
und kontinuierlich fortgeführt bis zum 26. Februar 1914. Zu dieser Zeit
sind die Krusten in der Nase bis auf ein Minimum geschwunden, Geruch
ist äusserst selten eben noch wahrnehmbar. Es wird nun alle 3 Wochen
eine Injektion verabreicht. Der am 4. April erhobene Endbefund ergibt
bedeutende Krustenabnahme, keinen Geruch mehr, Pharyngitis sicca jedoch
persistent.
12. Ida Sch., 16 Jahre alt, aus Wien.
Objektiver Befund: Mittelstarke Krustenbildung beiderseits, trockener
Pharynx, mässiger Fötor. Spülungen 2—3 mal täglich, Krustenabgang etwa alle
2 Tage mehrere. Injektion von 60 Millionen Vakzine am 24, Oktober 1913.
Am 30. Oktober subjektiv keine Besserung. Stärkerer Kopfschmerz, Geruch
noch stark. Objektiv: Krusten stark beiderseits, etwas weniger rechts, Pharynx
feucht. Injektion von 200 Mill. Vakzine.
T. November. Etwas flüssiges Sekret, sonst Status idem.
21. November. Trockenes und flüssiges Sekret in beiden Nasenhöhlen.
Pharyngitis sicca. Kehlkopf normal. Etwas eitriges grünlich-gelbes Sekret im
Pharynx. Subjektiv: Besserung der Atembeschwerden, Fötor noch stark. Gesamt-
reaktion mässig. Injektion von 300 Mill.
28. November. Etwas Kopfschmerzen nach der letzten Injektion. Die ab-
gehenden Krusten sind öfters blutig, sonst Status idem. Injektion von 300 Mill.
Vakzine.
6. Dezember. Subjektiv angeblich Krusten- und Geruchsabnahme. Objektiv
beides noch vorhanden. Injektion von 400 Mill.
12. Dezember. Starke Krustenbildung beiderseits, Geruch, Pharyngitis sicca.
Injektion von 350 Mill.
18. Dezember. Starker Fötor und Krustenbildung beiderseits mit etwas
eitrigem Sekret. Pharynx mehr feucht. Keine Reaktion nach der letzten Injektion.
Injektion von 400 Mill.
2. Januar 1914. Nase voll Krusten. Pharyngitis sicca. Seit 3 Wochen kon-
stant anhaltender starker Fötor, keine Gesamtreaktion nach der letzten Injektion.
Injektion von 450 Mill.
8. Januar. Links Krusten stark, rechts etwas weniger. Ausspülung vor
2 Tagen. Pharynx etwas trocken. Subjektiv: Angeblich weniger Krustenabgang.
Injektion von 400 Mill.
15. Januar. Status idem. Injektion von 500 Mill.
22. Januar. Eine grosse Kruste rechts, desgleichen mehrere links. Patientin
fühlt sich subjektiv bedeutend besser. Der Pharynx ist bedeutend weniger trocken.
Injektion von 500 Mill.
29. Januar. Mittelmässige Krustenbildung beiderseits, Pharyngitis sicca.
Injektion von 200 Mill.
26 G. Hofer und K. Kofler, Vakzinationstherapio bei genuiner Ozaena.
5. Februar. Starke Krustenbildung rechts, derzeit keine Krusten links, sonst
Status idem. Injektion von 550 Mill. Vakzine.
12. Februar. Keine Reaktion nach der letzten Injektion. Ausspülung vor
4 Tagen. Etwas mehr eitriges Sekret, weniger Krusten rechts, links eine Kruste
am Nasenboden. Pharyngitis sicca, Fötor wechselt an Intensität schr stark. In-
jektion von 600 Mill. Vakzine.
19. Februar. Sebr viel Krusten beiderseits. Fötor, Pharyngitis sicca. Injektion
von 500 Mill.
26. Februar. Status idem. Injektion von 550 Mill.
ó. Marz. Status idem.
12. Marz. Gesamtreaktion fehlt ganz. Seit einer Woche ist die Patientin
nicht ausgespült. Geruch hat sie angeblich nicht. Beiderseits ist die Krusten-
bildung noch sehr stark, besonders am Nasenboden. Starke Pharyngitis sicca.
Keine Injektion. |
26. März. Trockener Ueberzug über die Nasenschleimhaut beiderseits. Letzte
Ausspülung vor 3 Wochen. Pharyngitis siooca. Seit 14 Tagen angeblich keinen
Geruch, objektiv ein solcher nicht wahrnehmbar. Injektion von 550 Mill. Vakzine.
9. April. Mittlere Krustenbildung links, starke Krustenbildung rechts. Geruch
nur noch hier und da bei Krustenabgang, allgemein bedeutende Abnahme desselben.
Pharyngitis sicca noch stark. Keine Ausspülung. Seit einiger Zeit bei Krusten-
abgang immer Bluten aus der Nase. Injektion von 300 Mill. Vakzine.
Resume: Am 24. Oktober 1913 wird mit der Behandlung begonnen
und dieselbe bis zum 9. April kontinuierlich fortgeführt. Der Geruch hat
deutlich abgenommen, jedoch ist die Krustenbildung noch ziemlich stark
und die Pharyngitis sicca besteht noch nach wie vor. Die Patientin gibt
wohl an, dass sie sich bedeutend wohler fühle, dass sie ihre Nasenspülungen
nur selten mehr vornehmen muss; indes bezeichnen wir den Fall in An-
betracht des Gesamtbefundes als wenig gebessert bzw. refraktär.
13. Anna F. aus Wien.
7. November 1913. Objektiver Befund: Rechte Nase mit Krusten aus-
gegossen, ebenso die linke. Pharyngitis sicca mit etwas flüssig-eitrigem Sekret
auf der Schleimhaut. Larynx normal, die Trachealschleimhaut ist mit trockenem
Sekret bedeckt. Viele Krusten in der Trachea bis herab zur Bifurkation. Fötor
hauptsächlich subjektiv, objektiv zur Zeit nicht wahrnehmbar wegen Ausspülung
vor wenigen Stunden. Injektion von 60 Millionen Vakzine.
21. November. Injektion von 200 Mill. Vakzine. Gar keine Reaktion nach
der letzten Injektion. Status idem.
28. November. Subjektiv und objektiv Status idem. Epipharyox und Pharynx
feucht. Injektion von 200 Mill. Vakzine.
6. Dezember. Eitriges Sekret in der Nase; diese ist mit griinlich-gelben
Borken ausgekleidet. Etwas eitriges Sekret an der feuchtglanzenden Pharynxhinter-
wand. Keine Reaktion nach der letzten Injektion. Injektion von 300 Mill. Vakzine.
11. Dezember. Status idem. Injektion von 800 Mill.
18. Dezember. Fötor und Krustenbildung stark. Etwas Kopfschmerzen und
Fieber nach der letzten Injektion. Injektion von 300 Mill. Vakzine.
2. Januar 1914. Status idem. Injektion von 400 Mill.
8. Januar. Subjektiv: Geruchsabnahme. Objektiv: Viele grün-gelbe Krusten
G. Hofer und K. Kofler, Vakzinationstherapie bei genuiner Ozaena.. 27
beiderseits, Krusten im Pharynx, letzte Ausspülung vor 2 Tagen, Pharynx nach
wie vor feucht. Injektion von 500 Mill. Vakzine.
15. Januar. Viele Krusten beiderseits. Pharyngitis sicca. Fötor. Injektion
von 550 Mill. Vakzine.
22. Januar. Viele Krusten beiderseits, starke Pharyngitis sicca. Injektion
von 550 Mill.
29. Januar. Status idem. Starker Fötor. Injektion von 600 Mifl. Vakzine.
5. Februar. Mittlere Krustenbildung beiderseits. Schleimig-eitriges Sekret
an der Rachenhinterwand. Injektion von 600 Mill. Vakzine.
12. Februar. Objektiv: Viel grün-gelbe Borken rechts, links leichter Ueber-
zug, Pharyngitis sicca. Keine Reaktion nach der letzten Injektion. Injektion von
600 Mill. Vakzine.
19. Februar. Status idem. Pharyngitis sicca noch stark. Injektion von 500 Mill.
26. Februar. Ausspülung Dienstag, den 24. Februar. Eitrige Krusten beider-
seits, wiewohl nicht mehr so viele wie früher. Geruch soll seit einigen Tagen ver-
schwunden sein. Pharyngitis sicca. Injektion von 500 Mill.
5. März. Status idem. Etwas flüssiges Sekret an der Pharynxhinterwand.
Injektion von 550 Mill.
12. März. Status idem.
19. März. Vor 2 ‘Tagen ausgespiilt. Krustenbildung sehr stark beiderseits,
starke Pharyngitis sicca. Fötor. Injektion von 550 Mill.
26. März. Status idem.
2. April. Status idem, starker Fötor und Pharyngitis sicca. Injektion von
550 Mill.
9. April. Starke Krustenbildung beiderseits, Pharyngitis sicca. Fötor sehrstark.
Résumé: Am 27. November wird mit der Behandlung begonnen und
dieselbe bis zum 9. April fortgeführt. Mit Ausnahme einer vorübergehenden
Besserung muss der Fall als refraktär bezeichnet werden.
l4. Ephraim L., 18 Jahre alt, zugereist aus Bukowina.
7. November 1913. Objektiver Befund: Starke Atrophie der unteren
Muscheln und Hypertrophie der mittleren. Typische grün-gelbliche Borken links,
Epi- und Pharyngitis sicca, Laryngitis sicca, Tracheitis sicca, sehr starker Fötor.
Plattnase. Injektion von 100 Mill. Vakzine.
21. November. Gesamtreaktion gering. Injektion von 200 Mill. Status idem.
28. November. Subjektiv: Keine Veränderung. Trockene Krusten in geringerer
Monge, vornehmlich in der Choanalgegend rechts, Pharyngitis sicca. Krusten in
der Trachea. Injektion von 300 Mill. Vakzine.
6. Dezember. Leichte Krustenbildung in der Nase, stärkere im Epipharynx
und Pharynx. Pharyngitis sicca. Injektion von 300 Mill.
11. Dezember. Subjektiv: Besseres Befinden. Fötor subjektiv noch vorhanden.
Mittelstarke Krustenbildung. Trockener Katarrh der Luftwege. Injektion von
300 Mill. Vakzine. Die heisere Stimme soll sich angeblich gebessert haben. Rötung
der Naseneingänge.
18. Dezember. Krusten im Epipharynx, keine in der Nase. Pharyngitis sicca.
Ausspiilungen vor2 Tagen. Larynx und Trachea beginnen etwas feuchter zu werden.
2. Januar 1914. Ausspiilung heute. Krastenabnahme deutlich, Epipharyn-
gitis sicca. Larynx und Trachea wie am 18. Dezember. Injektion von 400 Mill.
8. Januar. Wenig Krusten in der Nase, jedoch solche noch im Pharynx und
28 G. Hofer und K. Kofler, Vakzinationstherapie bei genuiner Ozaena.
Nasenrachenraum. Pharynx beginnt feucht zu glanzen. Larynx und Trachea be-
deutend besser. Schleimhaut feuchter, Epipharyngitis sicca noch vorhanden. In-
jektion von 400 Mill. Letzte Spülung gestern. Wenig Krusten, Pharyngitis sicca
leichtesten Grades. Larynx und Trachea frei von Krusten, Stimmbesserung. In-
jektion von 500 Mill.
22. Januar. Krustenbildung beiderseits in der Nase massig. Larynx und
Trachea frei. Injektion von 500 Mill.
29. Januar. Wenig Krusten in der Nase, Pharyngitis sicca. Injektion von
200 Mill.
5. Februar. Lokalreaktion am Einstich ziemlich stark. Etwas Kopfschmerzen,
musste 2 Tage nach der Injektion das Bett hüten. Objekt: Leichter Krustenüber-
zug über die ganze Nasenschleimhaut. Larynx und Pharyngitis sicca leichtesten
Grades. Injektion von 400 Mill.
12. Februar. Leichte Trockenheit der Nasenschleimhaut, keine eigentlichen
Krusten. Pharyngitis sicca, Rötung der Larynx- und Trachealschleimhaut. Keine
Krusten. Injektion von 350 Mill.
19. Februar. Pharyngitis sicoa leichten Grades. Trockener Ueberzug tiber
die Schleimhaut der Nase. Kein Fétor. Larynx und Trachea frei. Keine Krusten
links, einzelne rechts. Ausspülung 8 Tage keine mehr. Leichte Pharyngitis sicca.
Injektion von 400 Mill.
5. März. Eine kleine Kruste links, rechte Nasenseite rein. Ausspülung in
in der Woche einmal. Epipharyngitis sicca, Mesopharynx feucht. Injektion von
900 Mill. Vakzine.
Resume: Beginn der Behandlung am 7. November 1913. Nach 6 In-
jektionen tritt deutliche Besserung ein, dieBehandlung wird kontinuierlich fort-
gesetzt bis zum 5. März 1914. Zu dieser Zeit ist folgender Status morbi vor-
handen: eine kleine Kruste links, rechte Nase rein. Nasenspülungen der-
zeit in der Woche einmal, entgegen den vor der Behandlung 2- bis 3mal
täglich vorgenommenen; Mesopharynx feucht, kein Fötor.
15. Berta R., 19 Jahre alt aus Wien.
Objektiver Befund am 17. Oktober 1913: Borken beträchtlich links.
Rechts wenig. Atrophie aller Muscheln vornehmlich rechts. Keine ausgesprochene
Pharyngitis sicca. Injektion von 50 Millionen.
17. Oktober. Etwas Kopfschmerz und Indisposition 1 Tag nach der Injektion.
Keine namhafte Lokalreaktion. Objektiv: Derzeit wenig Krusten, Nase und Pharynx
feucht, kein Fötor. Injektion von 100 Mill.
28. November. Etwas Fieber und Kopfschmerz, starke lokale Reaktion,
objektiv: Krusten im oberen Nasenabschnitt beiderseits wenig. Kein Fötor, normale
obere Luftwege. Injektion von 300 Mill.
18. Dezember. Starke Kopfschmerzen nach der letzten Injektion. Oefters
Nasenbluten. Gewichtszunahme 6 kg. Objektiv: Keine Krusten, Nase fast rein.
Injektion von 200 Mill. Vakzine.
7. Januar 1914. Etwas Krusten am Nasenboden beiderseits. Pharynx normal.
Rötung der Naseneingänge, zeitweise Anschwellung der Nase. Subjektiv: Viel
weniger spontaner Krustenabgang als früher. Injektion von 300 Mill.
5. Februar. Rötung der Oberlippe, angeblich Katarrh der oberen Luftwege,
Husten, keine Krusten, kein Fötor, Ailgemeinreaktion nach der letzten Injektion
G. Hofer und K. Kofler, Vakzinationstherapie bei genuiner Ozaena. 29
deutlich vorhanden in Form mässigen Kopfschmerzes und Schnupfen. Keine
Injektion.
« 5. März. Subjektives Befinden sehr wohl. Hie und da Anschwellen der
Nase. Sehr selten spontaner Krustenabgang. Keine Ausspülung, reine Nase,
Pharynx normal, kein Fötor.
Résumé: Beginn der Behandlung am 17. Oktober 1913. Es kann aus
äusseren Gründen nur monatlich einmal injiziert werden. Der Fall war von
Anfang an ein leichterer. Patientin wurde am 5. März 1914 mit folgendem
Befunde entlassen: Allgemeinbefinden gut, reine Nase, keine Ausspülungen
mehr, kein Geruch, Pharynx normal.
Wir glauben, dass mit der Einführung dieser Vakzination bzw. aktiven
Immunisierung in die Therapie der genuinen Ozaena ein Modus gefunden
ist, diese Erkrankung erfolgreich bekämpfen zu können. Es ist möglich,
die Behandlung ambulatorisch vorzunehmen, da sie in jeder Beziehung
schonend ist und keine auch nur kurzfristige Berufsstörung für die Patienten
zur Folge hat. Aber auch ohne solche miteinhergehende Vorteile stellt
diese Vakzination die einzig mögliche Therapie für die genuine Ozaena
dar, vorausgesetzt, dass dieselbe von kundiger Hand und unter sorgfältigster
Rücksichtnahme auf alle notwendigen Details vorgenommen wird. Wir
sind bereits im Besitze von Resultaten, die zu erzielen eine der bis jetzt
geübten palliativen Behandlungsmethoden niemals imstande gewesen war.
Sind schon unsere eigenen Erfolge ermutigend genug, den einmal betretenen,
Weg fortzusetzen, so bestimmen uns gleich günstige Berichte anderer
Stationen, diese Methode der Behandlung für die genuine Ozaena geradezu
zu fordern.
Literaturverzeichnis.
1. ©. Chiari, Die Krankheiten der oberen Luftwege. I. Teil. Die Krankheiten
der Nase.
2. H. Reiter, Vakzinetherapie und Vakzinediagnostik. Stuttgart 1913. F. Enke.
3. L. Detré, Theorie und Praxis der Vakzinationsbehandlung. Brauers Beiträge.
2. Bd. Heft 2. i
4. A. Kuttner und Siebenmann, zitiert nach W. Grosskopff. Jena 1902.
ó. G. Hofer, Beziehungen des Bacillus Perez zur genuinen Ozaena. (Zur Aetio-
logie der Stinknase.) Wiener klin. Wochenschr. 1913. Nr. 25.
6. G. Hofer und K. Kofler, Bisherige Ergebnisse einer neuen Vakzinations-
therapie bei Ozaena (Coccobacillus foetidus ozaenae Perez). Verhandl. d. Ges.
deutscher Naturforscher u. Aerzte. 85. Versamml. zu Wien 1913, und Wiener
klin. Wochenschr. 1913. Nr. 42.
G. Hofer, Zur Frage nach der Aetiologie der genuinen Ozaena. Berliner klin.
Wochenschr. 1913. Nr, 52.
=
ll.
Aus dem II. pathologisch-anatomischen Institut der Kgl. ungarischen
Universität in Budapest. (Direktor: Prof. Dr. E. Krompecher.)
Kongenitale teratoide Geschwülste der Nasenscheide-
wand in einem Falle von Cheilognatopalatoschizis.
Von
Ladislaus Onodi (Budapest).
(Hierzu Tafel I und 5 Textfiguren.)
Die einzelnen Formen der Gesichtsmissbildungen und ihre Entstehung
‘sind in der Monographie von Peter!) ausführlich beschrieben. Ich be-
schränke mich auf die Beschreibung eines seltenen Falles von kongenitalen
Geschwülsten der Nasenscheidewand im Zusammenhang mit einer Chei-
lognatopalatuschizis. Die Gesichtsmissbildung als Cheilognatopalatoschizis
kommt öfters vor. Bei den embryonalen Spaltbildungen sind auch Ge-
schwülste, besonders Dermoide beobachtet worden, wo den abgesprengten
Epithelkeimen auch eine Rolle zufallt. In diesem Falle handelt es sich
um äusserst seltene kongenitale gutartige Geschwülste der Nasenscheidewand.
Die Missgeburt männlichen Geschlechtes war 51 cm lang, 2650 g
schwer und lebte 4 Tage. Die Figur 1 zeigt den Oberlippenspalt und
neben der Mittellinie links den vorderen Teil der runden kongenitalen
Geschwulst der Nasenscheidewand.
Die Figur 2 zeigt die vollständige Lippenkiefergaumenspalte, Chei-
lognatopalatoschizis. Die Länge der Spalte von der Nasenspitze bis zum
geteilten weichen Gaumen (pm) beträgt 32 mm und ihre Breite zwischen
den Gaumenplatten 12 mm. Die Gaumenplatte (pd) ist 22 mm lang und
8 mm breit. Am unteren vorderen Teil der Nasenscheidewand (s) sieht
man die von einer Furche geteilten 2 rundlichen Geschwülste (t), die
vordere Geschwulst ist 6 mm lang und breit und die hintere ist 9 mm
lang und 7 mm breit. Die Nasenscheidewand (s) hat eine Länge von
23 mm.
l) Entwicklung der Nase und des Gaumens beim Menschen. Jena 1913.
Archiv f. Laryngologie. 29. Bd. Tafel I.
Faksimile-Farbenlichtdruck von Albert Frisch, Berlin W. Fig 9
L. Onodi, Kongenitale teratoide Geschwülste der Nasenscheidewand. 31
Figur 1.
Natürliche Grösse.
Is Oberlippe; t Greschwulst der Nasenscheidewand.
Figur 2.
t cm pm cpn pm cm
` N x p ci
t S pd
Horizontalschnitt oberhalb der Zunge. Natürliche Grösse.
li Unterlippe; s Nasenscheidewand; t Geschwülste; pd harter Gaumen; pm weicher
(Gaumen; cpn Nasenrachenraum; ci untere Muschel; cm mittlere Muschel.
Die Figur 3 zeigt an einem Frontalschnitt den Durchschnitt und die
Lage der vorderen Geschwulst (t) der Nasenscheidewand.
32 L. Onodi, Kongenitale teratoide Geschwiilste der Nasenscheidewand.
Die Figur 4 zeigt an demselben Frontalschnitt-in der Mittellinie die
freistehende Nasenscheidewand (s) und die mit ihr zusammenhängende
vordere und hintere Geschwulst (t).
Die Figur 5 zeigt an einem Frontalschnitt den Durchschnitt und die
Lage der hinteren Geschwulst (t) der Nasenscheidewand (s). Der Schnitt
zeigt auch die Kieferhöhle (sm) und die Siebbeinzellen (ce).
Die mikroskopische Untersuchung der Geschwülste hat dieselben als
Teratoide festgestellt. In der Figur 6 (Tafel I) sind an einem gefärbten
Figur 3.
SIN em
ci
pd s t pd
Frontalschnitt. Natürliche (ırösse.
t vordere (Greschwulst der Nasenscheidewand; pd Gaumenplatte;
ci untere Muschel; em mittlere Muschel.
Schnitt der vorderen kugelartigen Geschwulst zu sehen: Der charakte-
ristische Bau der Haut, an den Papillen ein mehrschichtiges verhorntes
Epithel, ferner Haarlollikel, Schweiss- und Talgdrüsen; zwischen den
Epithelelementen aus etwas hyalinen Bindegewebsfasern und Fibroblasten
bestehendes Stroma. Den grössten Teil der Geschwulst bildet ein sich
äusserst schwach färbendes, blasses Gewebe, in demselben sind weiter von
einander gelegene kleine stäbehenartige mit Kern versehene Zellen, deren
Protoplasma bandartige oder längere fasernförmige Fortsätze bildet. Das
aus diesem bestehende Retikulum bildet das eigentliche Gewebe. Die
Figur 7 (Tafel I) zeigt an einem gefärbten Schnitte der rundlichen Ge-
schwulst das bedeckende Plattenepithel und unter diesem reichlich
L. Onodi, Kongenitale teratoide Geschwülste der Nasenscheidewand. 33
vaskularisiertes und auffallend viele polynukleäre Leukozyten enthaltendes
Bindegewebe. Den grössten Teil des Schnittes bildet der Durchschnitt
eines Zahnes, welcher 3 Fortsätze hat, der eine besteht aus spitzigem
kompakten Dentin, intensiv orangegelb gefärbt, die anderen beiden Enden
sind kolbig, im Innern mit einem ovalen Raum versehen, welchen ein aus
eigentümlichen sternférmigen Zellen bestehendes stark vaskularisiertes
Gewebe ausfüllt; die Oberfläche des Zahnes begrenzt eine braungelblich
gefärbte breite Schmelzzellenschicht, welche von aussen in mehreren
Figur 4.
Frontalschnitt. Natürliche Grösse.
t, t vordere und hintere Geschwulst der Nasenscheidewand; s Nasenscheidewand:
pd Gaumenplatte; ci untere Muschel; em mittlere Muschel.
Schichten eigentümliche protoplasmareiche Zellen umgeben. Diese Zellen
bestehen stellenweise aus hohem Zylinderepithel und mehr kubischen
Zellen oder sie bilden an einzelnen Stellen ein förmliches Retikulum.
Ganz ähnliche Zellenschichten finden sich auch an der Oberfläche des im
Zahn befindlichen Raumes. Das vordere Teratoid der Nasenscheidewand
bildet einen mit Haut bedeckten, mit Haarfollikeln, Schweiss- und Talg-
drüsen versehenen Polyp, das hintere Teratoid bildet eine mit Platten-
epithel bedeckte und einen Zahn enthaltende Geschwulst der Nasen-
scheidewand.
Archiv für Laryngologie. 29. Bd. 1. Heft. 3
34 L. Onodi, Kongenitale teratoide Geschwülste der Nasenscheidewand.
Figur 5.
ce
em
cm
sm
sm. “
ci
Frontalschnitt. Natürliche Grösse.
t hintere Geschwulst der Nasenscheidewand; s Nasenscheidewand; pd Gaumenplatte;
ci untere Muschel; cm mittlere Muschel; sm Kieferhöhle; ces obere Muschel;
ce Siebbeinzellen.
Die gutartigen Geschwülste der Nasenscheidewand kommen im allge-
meinen selten vor. Bezüglich der gutartigen Geschwülste der Nasenscheide-
wand stellte Hasslauer!) im Jahre 1900 folgende Statistik zusammen:
57 blutende Polypen,
35 Papillome,
30 ödematöse Fibrome
Fibrome,
Myxome,
Adenome,
Enchondrome,
Cysten,
Lipom,
Naevus pigmentosus.
ht et CO HH SD O
Diese Statistik ergänzen wir mit folgenden Fällen:
54 blutende Polypen,
Papillome,
ödematöse Fibrome,
Lymphome,
ONDA
1) Archiv für Laryngologie. Bd. 10.
L. Onodi, Kongenitale teratoide Geschwiilste der Nasenscheidewand. 35
1 Adenom,
1 Cyste,
1 Lipom,
1 Myxofibrom,
1 Rabdomyom,
1 Osteochondrom.
In der Statistik von Hasslauer sowie in meiner ergiinzenden
Statistik befindet sich kein Fall von Teratomen der Nasenscheidewand. In
der mir zugänglichen Literatur konnte ich keinen Fall von Teratom oder
Teratoid der Nasenscheidewand finden und so muss das Vorkommen des-
selben als eine äusserst seltene Erscheinung betrachtet werden.
Bei dieser Gelegenheit drücke ich meinem hochverehrten Lehrer Herrn
Professor E. Krompecher für seine Unterstützung, und dem sehr geehrten
Herrn Dozenten J. Lovrich, Direktor der Hebammenschule, fiir die Ueber-
lassung der Missgeburt meinen ergebensten Dank aus.
3¢
II.
Aus der städtischen Hals- und Nasenklinik zu Frankfurt a. M.
(Direktor: Geheimrat Prof. Dr. G. Spiess.)
Experimentelle Untersuchungen über die Wirkung
ultravioletter Lichtstrahlen und ihre therapeutische
Verwendung in der Laryngologie.
Von
Dr. E. Lautenschläger, und Dr. S. Adler,
I. Assistent der Klinik. ehem. Med.-Prakt. der Klinik.
(Mit 4 Textfiguren.)
Schon Robert Koch hat den Einfluss des Sonnenlichts auf Tuberkel-
bazillen studiert und konnte genau wie Arloing bei Milzbrand- und
Buchner bei Typhusbazillen eine deletäre Wirkung desselben auf die be-
treffenden Bakterien konstatieren. Später haben sich hautsächlich Finsen
und seine Schüler grosse Verdienste durch Untersuchungen über die Be-
teiligung der einzelnen Strahlengatiungen im Vernichtungskampf gegen die
Bakterien erworben, und neuerdings hat Friedberger und Shioji!)
interessante Versuche über Desinfektion der Mundhöhle durch ultraviolettes
Licht veröffentlicht.
Besonders diese letztere Arbeit hat mich veranlasst, in Gemeinschaft
mit Herrn Dr. Adler eingehendere Untersuchungen über die Wirkung des
ultravioletten Lichtes auf Bakterien zu veranstalten und zu versuchen, ob
sich die hierbei gewonnenen Erfahrungen nicht für die Laryngologie nutz-
bar machen liessen.
Da wir eine Beeinflussung der Bakterienflora der Menschen- und
Kaninchenmundschleimhaut beabsichtigten, haben wir uns zunächst Ab-
striche gemacht und von den gewöhnlichen Bewohnern dieser Schleimhäute
Kulturen gezüchtet. Beim Menschen wachsen unter anderem meist Staphylo-
kokken und Streptokokken, beim Kaninchen ebenfalls Staphylokokken,
Streptokokken, Pneumokokken, Diplokokken und plumpe Stäbchen. Ausser
diesen haben wir noch Versuche mit weissem und rotem Prodigiosus an-
gestellt, wie sie auch Friedberger und Shioji angegeben haben. Wie
aus unsern Tabellen ersichtlich, haben wir diese Bakterien zunächst in
vitro (d. h. in Kulturen in offenen Petrischalen unter Ausschluss von Ver-
1) Friedberger und Shioji, Ueber Desinfektion der Mundhöhle durch
ultraviolettes Licht. Deutsche med. Wochenschrift. Nr. 12. 1914.
Lautonschläger und Adler, Experimentelle Untersuchungen. 37
unreinigungsmöglichkeiten) mit verschiedenem, an ultravioletten Strahlen
besonders reichem Licht bestrahlt und zwar 10, 20, 30, 40, 60 Minuten
und darüber. Unter 30 Minuten haben wir bei keiner Versuchsanordnung
irgend ein günstiges Resultat im Sinne einer Wachstumshemmung oder gar
Abtötung konstatieren können. Die nach den angegebenen Bestrahlungs-
zeiten von verschiedenen Stellen des bestrahlten Bezirks abgenommenen
Kulturen gingen beim Ausstreichen auf Agar wieder an und wuchsen
innerhalb von 24 Stunden genau so üppig wie die der nicht bestrahlten
weiter.‘ Auch bei noch 2—3maliger Wiederbestrahlung je unter 30 Minuten
und abermaliger Weiterzüchtung liess sich kein Erfolg der Bestrahlung
konstatieren. Bestrahlten wir jedoch länger, so haben wir fast immer
sowohl bei Staphylokokken und Prodigiosus als auch Streptokokken und
Prodigiosus eine Wachstumshemmung konstatieren können — aber erst bei
Beschickung der Plattenkulturen mit Lichtstrahlen über eine Stunde blieben
weitere Platten steril. Zum Teil ist es sogar nötig, erheblich länger als eine
Stunde zu bestrahlen, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Wir haben
dann dieselben Versuche mit den Bewohnern der Kaninchenmundschleimhaut
sowie mit künstlich hineingebrachtem Prodigiosus in vivo beim Kaninchen
wiederholt, und zwar genau in der von Friedberger angegebenen Weise.
Auch hier waren die Resultate analog. Erst nach mindestens einstündiger
Bestrahlung ist ein Erfolg zu verzeichnen.
Hatte uns schon die Notwendigkeit, auf jeden Fall ausserordentlich
lange bestrahlen zu müssen, misstrauisch gegen die praktische Verwend-
barkeit dieser Methode im Kampfe gegen die Bakterienflora der Mund-
schleimhaut, in Sonderheit unter pathologischen Verhältnissen, gemacht, so
mussten wir uns auf der andern Seite auch noch weiter fragen: Ist es
denn überhaupt praktisch möglich, pathogene Keime z. B. in der Mund-
höhle des Menschen durch Bestrahlung unschädlich zu machen?
Die Frage ist theoretisch mit „ja“ zu beantworten, wenn wir mit unsern
Strahlen die Bakterien treffen können. Praktisch ist dies jedoch nicht überall
möglich, somit ist auch eine Sterilisation der Mundhöhle ausgeschlossen.
Gerade in den Mandelbuchten und Lakunen sitzen Streptokokken und
Staphylokokken oft weit in der Tiefe und werden, selbst wenn die übrige
Mundhöhle zuvor noch vollkommen steril gewesen wäre, bei jedem Schluckakt
ausgepresst und durch Zungenbewegung und Speichel dauernd verbreitet.
In jene Tiefen kommen wir aber mit unsern Strahlen nicht hinein,
da die Strahlen das Mandelgewebe nicht so weit durchdringen.
Schon Jansen!) fand in seinem 45. Versuche am Finsenlicht, dass
das Vorhandensein der äusseren ultravioletten Strahlen bei Einwirkung
des Lichts nach Durchtritt durch 0,8 mm dicke Haut wenigstens bei
Bakterien keinen Einfluss mehr auf die Tötungszeit hat. Wir selbst haben
Versuche derart angestellt, dass wir ganz dünn geschnittene Schichten
frischen, rohen, auf Körpertemperatur gehaltenen Fleisches zwischen diesen
1) Jansen, Mitteilungen aus Finsens Lichtinstitut. 1907. Bd. 4.
38
Tabelle der Versuchskategorien!).
Lautenschläger und Adler, Experimentelle Untersuchungen.
Art des bestrahlten
Materials
Verwandte Lichtquelle
I. Bacillus
prodigiosus
(rot)
II. Bacillus prodigiosus
(weiss)
III. Streptokokken und
Staphylokokken auf
Agarplatte (vollviru-
lent!)
IV. Roter Bacillus
prodigiosusauf2mm
dicken zusammengeleg-
ten Fleischstückchen
V. Vollvirulente Strepto-
u. Staphylokokken auf
2 mm dicken zusam-
mengelegten Fleisch-
stückchen
VI. Bakterienflora in der
Mundhöhle eines ge-
scheckten Kaninchens
VII. Mundhöhle des ge-
scheckten Kaninchens
mit Aufschwemmung
von Prodigiosus rubr.
et alb.
VIII. Mundschleimhaut
d. weissen Kaninchens
mit Aufschwemmung
v. Strepto- u. Staphylo-
kokken
. Azetylenfahrrad-
lampe
. Quarz - Kromayer-
lampe
. Elektr. Glühlicht
(hochkerzig)
. Elektr. Kohlenbogen-
lampe ohne Glocke
. Azetylenfahrrad-
lampe
. Quarzlicht
. Elektr. Glühlicht
. Elektr. Kohlenfaden-
bogenlampe o. Glocke
. Azetylenlampe
. Quarzlicht
. Elektr. Glühlicht
. Elektr. Kohlenfaden-.
lampe ohne Glocke
. Azetylenlampe
. Quarzlicht
. Elektr. Glühlicht
. Elektr. Kohlenfaden-
lampe ohne Glocke
. Azetylenlampe
. Quarzlicht
. Elektr. Glüblicht
. Elektr. Kohlenfaden-
lampe ohne Glocke
. Azets lenlampe
. Quarzlicht
. Elektr. Glühlicht
. Elektr. Kohlenfaden-
lampe onne Glocke
. Azetylenlampe
. Quarzlicht
. Elektr. Glühlicht
. Elektr. Kohlenfaden-
lampe ohne Glocke
. Azetylenlampe
. Quarzlicht
. Elektr. Glühlicht
. Elektr. Kohlenfaden-
lampe ohne Glocke
Resultate nach Bestrahlungszeiten in
BSOEPESEOFSEPFESE9
Minuten auf Agarplatten
Bemerkungen
10 Min. |20 Min. 30 Min. | 60 Min.
+++ u + 0
+++ ++ |H) 0
+++ +++ ++ +
+++ ++ | + 0
rate S
+++ ++ | + :
+++ +++) 44 t
tpat Jo
+++ 4+ | + 0
tr 644 FE a
+++ +++ + T
+++ +++) ++ 0
+++ I++ ++. | ++
+++ ++ | +44) | 0?
+++ +++ H++ | ++
+++/++ a T
+++ j/+4+4+] +++ | +++
ie a ae es
+++ +++] ++ | ++
+++ ++ | (4) 0
+++ +++ ++ T
+++ +++) + 0
+++ +++ ++ +
ana ee
+++ +++ +++ | ++
+++ |+ +
+++ 44+ ++ | ++
+++ +++ ++ +(+)
Free
+++ |+4++) +++ | +++
+++ +++ ++ +
+++ +++ +4] +
+++|+++ ++ FT
+++ 444 4+4+ | ++
+++ 444 ++ +
+44 444 ++ +
+++ +++ ++ |+
REPETE ade hee
+++ +++ ++ +
1) Bemerkungen: Als Nährboden kam ausschliesslich Agar zur Verwendung. — Es bedeutet:
Unbeeinflusstes Bakterienwachstum: +++; Hemmung des Bakterienwachstums: ++; starke Hemmung
des Bakterienwachstums: +; Tötung der Bakterien: O.
Lautenschläger und Adler, Experimentelle Untersuchungen. 39
BE m m sähe
Resultate nach Bestrahlungszeiten in
Minuten auf Agarplatten
60 Min.
10 Min. 20 Min.! 30 Min. ú mehr
Art des bestrahlten
Materials Bemerkungen
Verwandte Lichtquelle
IX. Mundhöhle des|1l. Azetylenlampe +++!++ ++ | (+)
schwarzen Kaninchens | 2. Quarzlicht ++4+/ +++ ++ | +
mit Aufschwemmung | 3. Elektr. Gliiblicht ++ +++] ++ | ++
von Staphylokokken |4. Elektr. Kohlenfaden- .
lampe ohne Glocke +++ +++! ++ | +
X. Rasierte u. entfettete | 1. Azetylenlampe tt F tR | F (+)
Ohren eines gescheck- +++ +++] + ++
ten Kaninchens mit|2. Quarzlicht o +++ I++ ++ | (+)
rotem Bacillus prodi- u.t++ +++ + | +
giosus 3. Elektr. Glühlicht o +++ ++ +++ | ++
u +++ |H +++ | ++
4. Elektr. Kohlenfaden- | 0. +++ (+++ +
lampe ohne Glocke Ju. +++ !+++| +++ | ++
XI. Rasierte u. entfettete | 1. Azetylenfahrrad- o. +++ ++ + | 0
Obren eines schwarzen lampe u. +++ /+4++) ++ +
Kaninchens mit Sta- |2. Quarz-Kromayerlichtt[|o. +++ ++ ++ -+
phylo- und Strepto- weft i++) ++(+)) ++
kokken 3. Elektr. Glühlicht o +++ +++ ++
| +++ tt 44 | t4++
4. Elektr. Koblenfaden-[o. +++ +++! ++ +
bogenlampeo.Glockelu. +++ | +++! +++ +
+
All. Ohren eines feld- | Quarz-Blaulichtlampe Keine |ObhneEin- | Bei Um-
Blase Blase Keine Blase
grauen Kaninchensmit Blase, | wirkung | spritzungs-
Krotonöl betupft | Rötung | anästhesie mit
XIII. Obren eines schwar- | Quarz-Blaulichtlampe | Keine Keine | Sproz. Novo-
zen Kaninchens’ mit | Blase | Blase kain nach:
Krotonöl betupft | 10, 20, 30, 60
XIV. Ohren eines grau- | Quarz-Blaulichtlampe | Keine | Keine Minuten
i
gefleckten Kaninchens
mit Krotonöl betupft
i
Bei Wiederholung dieser Versuche dauernd dasselbe Resultat.
Schichten mit Bakterien infizierten und dann bestrahlten, um zu sehen,
wie tief die Wirkung der Strahlen geht.
Da diesem Versuch der Vorwurf gemacht werden kann, es sei nicht
mit lebendem, frisch durchblutetem Gewebe gearbeitet worden, haben wir
ferner Kontrollversuche am Kaninchenohr derart angestellt, dass wir
zwischen die frisch rasierten, entfetteten und luftdicht aneinandergelegten
Ohren von Kaninchen Bakterienkulturen brachten und nun von der einen
Seite verschieden lange bestrahlten. Genau wie bei den rohen Fleisch-
stückchen war hier folgendes zu beobachten: Kurze Bestrahlung nützt
* überhaupt nichts. Bei Bestrahlung über eine Stunde bleiben wohl Platten,
auf welchen Ausstriche von der Oberfläche gemacht sind, steril, aus der Tiefe
aber auch schon von 1 mm bekommt man saftig wachsende Reinkulturen.
Aus diesem Grunde dürfte wohl auch die Forderung zu Recht
bestehen, in allen den Fällen, wo wir Bakterien, seien es Streptokokken bei
Gelenkrheumatismus oder häufig rezidivierenden Anginen, seien es Diphterie-
Bazillen bei Bazillenträgern (wir haben erst kürzlich wieder einen solchen
40 Lautenschläger und Adler, Experimentelle Untersuchungen.
Fall vergeblich bestrahlt) in den Buchten und Lakunen der Mandeln ver-
muten, nicht viel Zeit mit Bestrahlungsversuchen zu verlieren, sondern
durch eine möglichst radikale Entfernung der Mandeln wenigstens das
Hauptdepot der Keime zu entfernen und möglichst glatte Oberflächen zu
schaffen. Nach der Entfernung mag dann eine Bestrahlung unter Um-
ständen gute Dienste tun.
In der Idee, solche Bestrahlungen nach Mandeloperationen zu versuchen,
bestärkten uns folgende Mitteilungen eines Patienten, des Ingenieurs K.
Herr K. hatte sich einen Furunkel am Handrücken aus einiger Entfernung mit
einer gewöhnlichen Fahrradazetylenlaterne bestrahlt und denselben dadurch
zur Heilung gebracht. Er hatte ferner nach jeder Bestrahlung ein deut-
liches Nachlassen der Schmerzen konstatieren können. Als einer seiner
Arbeiter sich am Arm durch Verbrennung einige Wunden zugezogen hatte,
bestrahlte er diese mit der Azetylenlampe je etwa eine halbe Stunde und
sah danach ebenfalls ein vollkommenes Verschwinden der anfangs sehr
heftigen Schmerzen sowie Heilung.
Dieselben Beobachtungen wurden bei einer Frau gemacht, die nach
einem Fall auf den Herd sehr tiefgehende, überaus schmerzhafte Wunden
am Arm davongetragen hatte. Die Schmerzen verschwanden nach der Be-
strahlung vollkommen, kehrten aber nach etwa 3 Stunden wieder, um dann
jedesmal auf etwa !/,stündige Bestrahlung genau so prompt zuriickzugehen.
Alle diese Bestrahlungen hatten unter Verwendung einer Fensterglas-
scheibe sowie aus einer Entfernung stattgefunden, bei der es unmöglich ist,
den erzielten Erfolg auf Wärmewirkung zu beziehen.
Diese Erfahrungen übertrugen wir nun auf unsere operierten Mandel-
patienten so zwar, dass wir die Wundflächen am ersten und zweiten Tage
nach der Radikalenukleation mittels der Azetylenlampe und eines Glas-
zylinderansatzstückes mehrmals täglich 20 Minuten bis 1/ Stunde be-
strahlen liessen. Um eine Abschwächung oder Abhaltung der Strahlen-
mischung durch Schorf usw. möglichst zu verhindern, wurden die Wund-
flächen zuvor mit H,O, abgetupft und durch Gurgeln gereinigt. Fast alle
Patienten gaben danach an, bedeutende Linderung des Wundschmerzes zu
verspüren und äusserten zum Teil den Wunsch, öfters bestrahlt zu werden.
Schon Friedberger und Shioji haben beobachtet, dass es bei
längeren Bestrahlungen mit der Quarzlampe z. B. am Zungengrund zu
einem stumpfen Gefühl komme, das in der Folgezeit noch etwas zunehme.
Da eine Wärmewirkung bei der Entfernung ausgeschlossen war, wovon
wir uns übrigens auch mit dem Thermometer überzeugten, vermuteten wir,
dass es sich vielleicht um eine anästhesierende Wirkung handeln könne,
und versuchten, der Sache durch folgende Experimente auf den Grund zu
kommen.
Nach der Spiessschen!) Entzündungstheorie kommt es durch irgend
1) Siehe die Literaturangaben bei Spiess und Feldt, Die Bedeutung der
Anästhesie (Areflexie) in der Entziindungstherapie. Schwalbes Beiheft zur
Deutschen med. Wochenschr. 1912. Nr. 21. S. 2,
Lautenschläger und Adler, Experimentelle Untersuchungen. 41
ein Agens zunächst zu einem Reiz auf sensible afferente Nerven. Dieser
wird alsdann bei peripher gedachtem Reflexbogen auf die nervösen Zentren,
in letzter Linie auf die Vasodilatatoren der Gefässwände übertragen und
führt dadurch zur Hyperämie sowie den übrigen Entzündungserscheinungen.
Man vergleiche hierzu die Tierversuche von Bruce!), welcher zeigen konnte,
dass selbst nach Rückenmarksquerdurchschneidung bei der Katze, sowie
nach Durchtrennung der hinteren Wurzeln bei Katze und Frosch der ge-
wöhnliche Ablauf der Entzündungserscheinungen ohne sichtliche Beein-
flussung bleibt, und daraus den Schluss zog, dass dieser Reflex weder
zerebral noch spinal vermittelt sein könnte.
Die Entzündung ist nach dieser Lehre nichts als ein Reflexvorgang.
Sie wird nicht zustande kommen oder durch die von den gereizten
afferenten Nerven zuströmenden Impulse in ihrem weiteren Verlaufe unter-
halten werden können, sobald es gelingt, durch Anästhesierung die vom
Entzündungsherd ausgehenden, in den zentripetalen sensiblen Nerven ver-
laufenden Reflexe auszuschalten. Wenn wir dies aber tun, so machen wir
nichts, als dass wir die vom Organismus bereits erstrebte Selbsthilfe nach-
ahmen und unterstützen. Bei der Entzündung kommt es zunächst immer
zu Rubor, Dolor und Calor und erst zuletzt zum vierten Symptom des
Celsus, dem Tumor. Durch den Tumor nun kommt es zu einer Kom-
pression und Lähmung der im Entzündungsherd verlaufenden sensiblen
Nerven und sobald diese Wirkung genügend erzielt ist, zu einem Rück-
gang der Symptome.
Ahmen wir nun die Bestrebungen des Organismus dadurch nach, dass
wir den oben geschilderten Reflexbogen an irgend einer Stelle durch-
trennen, indem wir z. B. durch Anästhesie den sensiblen Nerven lähmen,
so ist es möglich, die Entzündung zum Verschwinden zu bringen, genau
wie man auch ihre Bildung verhindern kann. Es lässt sich dies sehr
leicht durch folgenden Versuch zeigen:
Man rasiert einem Kaninchen die Bauchhaut und reibt dieselbe dann
so lange mit Schmirgelpapier, bis eben eine leichte seröse Ausschwitzung
auftritt. In diesem Stadium ist die oberste Deckschicht gerade eben be-
seitigt und die Haut reagiert auf Betupfen mit Chloroformöl mit heftigen
Entzündungserscheinungen. Anästhesiertt man nun nach dem Schmirgeln
die eine Seite, indem man einige Minuten lang Aufschläge mit einem
Anästhetikum macht, z. B. 10proz. Kokain mit wenigen Tropfen Adrenalin,
so bekommt man auf der nicht anästhesierten Seite Schorf, Verbrennung
usw., auf der anästhesierten dagegen keine Veränderungen. Es lässt sich
hierdurch auch die oft tiberaus günstige Wirkung von Narkoticis wie
Morphin, Codein usw. erklären, deren Verabreichung bei allen entzünd-
lichen Prozessen sehr zu empfehlen ist. Wir haben uns nun die Frage
]) Bruce, Ueber die Beziehung der sensiblen Nervenendigungen zum
Entzündungsvorgang. Archiv f. exper. Path. und Pharmakologie. 1911. Bd. 63.
S. 424fl.
42 Lautenschläger und Adler, Experimentelle Untersuchungen.
vorgelegt: Beruht die beschwerdelindernde Wirkung der Bestrahlung
— „Auch durch Röntgenstrahlen wird oft als erster Erfolg Schmerznachlass
erzielt* — vielleicht auf Anästhesierung des bestrahlten Gewebes?
Dieser Frage versuchten wir durch folgende Experimente auf den Grund
zu kommen: Zunächst betupften wir die rasierten Ohren von Kaninchen
mit Krotonöl und erhielten darauf jedesmal heftige Entzündungser-
scheinungen, je nach der. Dauer der Applikation von geringem Rubor bis
zu Blasenbildung und ödematöser Schwellung des ganzen Ohres unter
Rötung und offenbar auch Schmerzentfaltung. da die Tiere dauernd den
Kopf schüttelten und oft trauernd hängen liessen. Anästhesierten wir nun
zum Vergleich das eine Ohr durch Injektionen einer 2proz. Novokain-
lösung und betupften danach mit Krotonöl, so fielen die Entzündungs-
erscheinungen am anästhesierten Ohr aus, traten aber am Kontrollohr auf.
Sollte also die Bestrahlung dasselbe leisten wie Anästhesierung mit Novo-
kain, so dürfte nach derselben keine Reaktion auf Krotonölbetupfung auf-
treten. Dies war nun tatsächlich der Fall. Bestrahlt man die Ohren von
Kaninchen etwa 3/, Stunden mit der Kromayerlampe und Quarzansatz und
betupft danach mit Krotonöl, so tritt keine Entzündung ein. Es ist aller-
dings nötig, dass man nach einer gewissen Zeit, die abhängig ist von der
Wirkungsdauer des verwandten Anästhetikums, bei Novokaintablettenlösung
nach etwa 1!/,—2 Stunden, das Krotonöl abwischt, da dasselbe sonst
nachträglich zur Wirkung gelangt.
Zum Schlusse noch einige theoretische Ausführungen über Lichtwirkung
sowie eine Schilderung der in unsern Versuchen benutzten Lichtquellen.
Wenn in dieser Abhandlung von Lichtwirkung die Rede war, so ist
damit die biologische Wirkung des Lichts, mit andern Worten die
chemische Aktivität gemeint, welche gebunden ist an die stark brechbaren,
kurzwelligen Strahlen des blauvioletten und ultravioletten Spektrumteils.
Neben diesen Strahlen kommen noch thermische und optische Strahlen
in Betracht, denen wir unbedingt Rechnung tragen müssen. Würden wir
nämlich alle diese Strahlengattungen wahllos zusammen applizieren, so
würde sich für uns das Risiko ergeben, bereits schwere Schädigungen des
Organismus durch die eine Strahlengattung gesetzt zu haben, bevor noch
die andere, deren Wirkung wir gerade wünschen, diese entfalten konnte.
Es ist der Vorgang in dieser Hinsicht vielleicht mit dem bei den
Röntgenstrahlen zu vergleichen, und genau wie dort ist es auch hier
möglich, durch geeignete Vorrichtungen gewisse Strahlengattungen aus
dem Gesamtgemisch geradezu herauszufiltrieren. So halten wir bei allen
Bestrahlungen mit der Quarzlampe die für das Auge ausserordentlich
schädlichen optischen Strahlen dieser Lampe durch Zwischenschalten von
Rauchgläsern oder Brillen aus Enixanthos- und Euphosglas ab (vergl. die
Untersuchungen hierüber von Schanz und Stockhausen!).
1) Schanz und Stockhausen, Wie schützen wir unsere Augen vor der
Einwirkung der ultravioletten Strahlen unserer künstlichen Lichtquellen. Archiv
f. Ophthalmol. 1909. Bd. 69.
Lautenschläger und Adler, Experimentelle Untersuchungen. 43
Die thermischen Strahlen, welche zu schweren Hautverbrennungen
führen können, lassen sich durch Wasserkühlvorrichtungen unschädlich
machen, so dass schliesslich nur noch sogenannte kalte, aber chemisch
hochwirksame Strahlen zurückbleiben. Eine weitere Möglichkeit, selbst
unter diesen wieder solche mit besonders grosser Tiefenwirkung heraus-
zufiltrieren, besteht nach Versuchen von Kromayer!) und Wichmann?)
darin, dass man vor die Quarzlampe ein Gefäss mit Methylenblaulösung
1:10000 schaltet oder das Methylenblau der Kühlflüssigkeit durch eine
Mischvorrichtung nach Kromayer in der angegebenen Konzentration beifügt.
Die Dosierung ist abhängig von verschiedenen Faktoren, die einer-
seits in der Lichtquelle selbst, anderseits im bestrahlten Gewebe liegen
können. Bei Voraussetzung derselben Lichtquelle und derselben bestrahlten
Substanz — unter gleichen Versuchsbedingungen — ändert sich der Effekt
mit der Zeit der Bestrahlung, der Entfernung der Lichtquelle und der
Durchdringungsfähigkeit des Gewebes. Die Intensität der Strahlenenergie
nimmt mit dem Quadrat der Entfernung ab. Während man z.B. bei etwa
!/,stündiger Bestrahlungszeit auch bei empfindlicher Haut mit der Quarzlampe
aus 1 m Entfernung kaum eine Reaktion in Gestalt von geringem Erythem
erhält, kann es unter denselben Bedingungen jedoch bei einem Abstand von
etwa 10 cm bereits zu Oedem- und Blasenbildung kommen. Gunz analog
ändert sich der Effekt bei entsprechender Aenderung der Bestrahlungszeit.
Aber auch das zu bestrahlende Gewebe lässt sich durch gewisse Vor-
kehrungen so beeinflussen, dass es für die Strahlenwirkung mehr oder
weniger empfänglich wird, also direkt sensibilisieren. So reagiert z. B.
trockene, entfettete und anämisierte Haut am stärksten auf Bestrahlung.
Vor allem die Blutfüllung spielt eine grosse Rolle, besonders wenn es
auf möglichste Tiefenwirkung ankommt, da Blut stark absorbierend für
derartige Strahlen wirkt. (Vgl. die Konstruktion der Finsenlampe, die
darauf ausgeht, unter möglichster Kompression und dadurch bedingter
Anämisierung grösste Tiefenwirkung zu ermöglichen.) Am stärksten ab-
sorbierend wirkt die Basalschicht, das Stratum germinativum der Haut,
welches mit Bildung von Pigment reagiert. Stark absorbierend wirkt
ferner jeder Schorf an der Oberfläche. Darum hat man bei der Licht-
therapie, bei der man das Gewebe dauernd für Tiefenwirkung geeignet
erhalten will, in erster Linie darauf zu achten, dass man nicht gleich bei
der ersten Applikation einen Schorf setzt, durch den in der Folge wirk-
same Mengen von Strahlen kaum mehr hindurchzubringen sind.
Will man sich ganz allgemein ein Bild von der biochemischen Wirk-
samkeit einer Lichtquelle machen, so muss man sie in dreierlei Richtung
untersuchen:
1) Kromayer, Quecksilberwasserlampen zur Behandlung von Haut und
Schleimhaut. Deutsche med. Wochenschr. 1906. Nr. 10.
2) Wichmann, Experimentelle Untersuchungen über die biologische Tiefen-
wirkung des Lichtes der medizinischen Quarzlampe und des Finsenapparates.
Münchener med. Woohenschr. 1907. Nr. 28.
44 Lautenschläger und Adler, Experimentelle Untersuchungen.
I. auf ihre Bakteriziditat,
ll. auf ihre Fähigkeit, Entzündung zu erregen, und
III. auf ihre Tiefenwirkung.
I. Da die grösste bakterizide Wirkung den äussersten ultravioletten
Strahlen des Spektrums zukommt, so hätten wir vom theoretischen Stand-
punkte zur Hervorbringung dieses Effektes einfach diejenigen Lichtquellen
auszusuchen, welche den grössten Reichtum an den angeführten Strahlen auf-
weisen, also Eigenschaften, wie sie hauptsächlich den elektrischen Glühlampen,
Bogenlampen, Quecksilberdampflampen und dem Azetylenlicht zukommen.
Bestrahlt man mit diesen Lichtquellen Bakterien genügend lange, so kann
man — wie dies auch aus unsern Versuchen hervorgeht — nach einiger Zeit
dadurch eine Wachstumshemmung, später sogar eine Abtötung hervor-
bringen. Da diese Lampen jedoch alle eine starke Wärmeentwicklung
aufweisen, so sind bei Bestrahlungen von Bakterien auf oder im lebenden
Gewebe natürlich praktisch nur diejenigen von ihnen verwendbar, mit denen
wir erstens nach vorausgegangener Kühlung nahe genug herankönnen und
zweitens den gewünschten Erfolg auch in absehbarer Zeit zu erzielen vermögen.
Gerade bei Bestrahlungen in der Mundhöhle spielt dies eine grosse Rolle.
ll. Das Wesen der Lichtentzündung beruht auf starker Blutfüllung,
Thrombosierung, Blutung (Diapedese von roten und weissen Elementen,
unter denen sich auch zahlreiche eosinophile Zellen befinden können),
seröser Exsudation und lebhafter Proliferation. Diesen Typus findet man
mit kaum merklichen Abweichungen bei allen Entzündung erregenden Licht-
quellen, und zwar kann eine Lichtquelle als um so wirkungsvoller an-
gesehen werden, je mehr sie eine elektive Destruktion des pathologischen Ge-
webes hervorruft, bei gleichzeitiger folgender Proliferation auf der anderen
Seite. Dieser Forderung kommt das Finsenlicht und nach diesem die
Kromayerlampe am nächsten.
Am geeignetsten zur Prüfung dieser Eigenschaft erscheint auch hier
das Kaninchenohr, an dem man zunächst den Erfolg verschiedener Be-
strahlungszeiten makroskopisch nachweisen kann. Durch einfaches Aus-
stanzen der betreffenden Partien lässt sich der Vorgang unter dem Mikroskop
im Schnitt histologisch verfolgen. [Vergleiche hierzu die Versuche von
Hans Jansen!).]
Ill. Ueber die dritte Frage nach der Tiefenwirkung der verschiedenen
Lichtquellen ist besonders von den Erfindern und Fabrikanten schon viel
diskutiert worden. Da sich ihre Wichtigkeit auch in unseren Versuchen
geltend gemacht hat, möchte ich hier näher darauf eingehen.
Höchstwahrscheinlich kommt die stärkste Tiefenwirkung den sicht-
baren blauen und violetten, sowie den innersten ultravioletten Strahlen des
Spektrums zu. Schon aus diesem einfachen Grunde kann eine Lampe,
welche in hervorragender Weise der Anforderung an möglichst kurzwellige
1) Jansen, Histologische Untersuchungen der durch Kromayers Quecksilber-
quarzlampe erregten Lichtentziindung. Arch. f. Dermatol. u. Syph. 1908. Bd. 90.
Lautenschläger und Adler, Experimentelle Untersuchungen. 45
Strahlen genügt, nicht auch gleichzeitig eine hervorragende Tiefenwirkung
besitzen, und umgekehrt. Darum ist auch gerade von der Quecksilber-
dampflampe, die sonst eine entschieden vorzügliche Lichtquelle für thera-
peutische Zwecke darstellt, schlechterdings infolge ihres geringeren Gehaltes
an den eben erwähnten Strahlen eine maximale Tiefenwirkung nicht zu
erwarten!).
Zum Studium und zum Nachweis dieser Tiefenwirkung hat man sich
der verschiedensten sinnreichen Versuche bedient. Am bekanntesten sind
wohl die am Kaninchenohr, wie sie bereits mit verschiedenen für uns hier
unwesentlichen Modifikationen von Schultz?) und Maar?) ausgeführt
wurden. Die Versuche beruhen darauf, dass man die Ohren eines Kaninchens
rasiert, absolut vollkommen entfettet, befeuchtet, luftdicht aneinanderlegt
und nun von der einen Seite bestrahlt. Man hat dann 4 verschiedene
Schichten, an denen man den Grad der Tiefenwirkung gut verfolgen kann.
Die Versuche erfordern einige Geduld, sind aber technisch nicht so schwierig
wie ihre Beurteilung, bei der man in Sonderheit von akzidentellen Ver-
brennungen abzusehen hat, die leicht durch Trockenwerden der Haut zu-
stande kommen können.
Andere Versuche sind von Mulzer mit abpräparierter von Blut durch-
flossener Kaninchenbauchhaut und von Behring mit abgezogener Mäusehaut
angestellt worden.
Auch photochemische Versuche sind zur Beurteilung der Tiefenwirkung
herangezogen worden. Dass sie zum Nachweis von therapeutisch brauch-
baren Strahlen absolut unmöglich sind, beruht darauf, dass eben ein riesen-
grosser Unterschied besteht zwischen den Strahlen, welche ein Chlor- oder
Bromsilberpapier schwärzen, und denjenigen, welche, sagen wir, ein Erythem
erzeugen. Wir selbst haben uns der Versuche am Kaninchenohr sowie an
verschiedenen Schichten dünn geschnittenen rohen Fleisches bedient. Diese
letztere Methode ist natürlich nur da anwendbar, wo man die Fleisch-
schichten lediglich als trennendes, in seiner Beschaffenheit den Verhältnissen
am Körper möglichst ähnliches Medium gebrauchen will, von dem natür-
lich in biologischer Hinsicht keinerlei Reaktion mehr verlangt werden kann.
Teilt man die zurzeit gebräuchlichsten künstlichen Lichtquellen nach
Schanz und Stockhausen je nach ihrem Reichtum an ultravioletten
Strahlen in 3 Klassen ein,
1. so sind zur ersten Klasse als arm an solchen Strahlen zu rechnen:
Die römische Olivenöllampe, die Kerzen und die offenen Rüböl-
lampen;
1) Vgl. H. Jansen, Ueber Gewebssterilisation und Gewebsreaktion bei
Finsens Lichtbehandlung. Zieglers Beiträge zur patholog. Anatomie und allgem.
Pathologie. 1907. Bd. 41.
2) Schultz, ZurFrage der Tiefenwirkung des ultravioletten Lichts. Dermatol.
Zeitschr. 1907.
3) Maar, Die Tiefenwirkung der Finsen-Reyn-Lampe und der Kromayer-
lampe. Archiv f. Dermatolog. u. Syphilis. XC. Bd. Heft I u. 2.
46 Lautenschläger und Adler, Experimentelle Untersuchungen.
2. zur zweiten, als relativ arm an ultravioletten Strahlen, die Rüb-
öllampen mit Zylinder, die Petroleumschnitt- und Rundbrenner,
die Gasschnittbrenner und die Gasargandbrenner;
3. zur dritten an ultraviolettem Licht reichen Klasse gehören alle mit
einem Glühstrumpf ausgerüsteten Lampen, wie Petroleum- und
Spiritusglühlampen, hängende und stehende Gasglühlichtlampen.
Noch reicher an ultravioletten Strahlen sind das Azetylenlicht, alle
elektrischen Glühlampen, wie Kohlenfadenglühlampen, Nernstlampen, Metall-
fadenglühlampen und besonders alle Bogenlampen und Quecksilberdampf-
lampen.
Zum Vergleich seien hier die Spektren der in unseren Versuchen
verwandten Lampen angeführt.
I. Azetylengaslicht:
Belichtungs-
zeit: 10 Sek.
II. Quarzlampenlicht:
Lautenschläger und Adler, Experimentelle Untersuchungen. 47
I. Das Azetylenlicht übertrifft an ultravioletten Strahlen sämtliche
anderen Gaslampen. Während jedoch bei den gewöhnlichen Gaslampen und
Petroleumlampen das Spektrum des Glühlichts dem des Schnittbrenners
gegenüber eine viel grössere Länge nach dem Ultrateile zu zeigt, ist dies
bei dem Azetylengaslicht gerade umgekehrt, also zu Gunsten des Schnitt-
brenners, welcher einen weit grösseren Reichtum an ultravioletten Strahlen
aufweist, deren Spektrum sich hier noch über eine Wellenlänge von
300 uu erstreckt.
In unseren Versuchen wurden gewöhnliche Azetylengaslampen, wie
sie für Fahrräder heute im Handel sind, verwandt. An die Lampe wurde
ein Rohr aus Bleiglas angeschlossen, durch welches die Strahlen auf eine
ganz bestimmte Stelle der Mundschleimhaut oder Tonsillen gerichtet werden
konnten. Der Abstand betrug hier etwa 10 cm. Da durch verschiedene
Glassorten je nach deren Absorptionskoeffizienten für ultraviolette Strahlen
diese verschieden stark abgehalten werden, ist es zweckmässig, als Scheibe
nur ganz dünnes Fensterglas zu verwenden. Es soll dies lediglich ver-
hindern, dass der Patient irgend welche Verbrennungsgase aspiriert, die sich
bei unvollkommener Verbrennung über der Flamme entwickeln könnten.
Ausserordentlich reich an ultravioletten Strahlen ist auch die Queck-
silberdampflampe, und zwar, wie schon oben erwähnt wurde, gerade an
ganz kurzwelligen Strahlen, wie sie sich im äussersten Abschnitt des ultra-
violetten Spektrums finden bei gleichzeitiger Armut an roten und gelben
Lichtstrahlen. Es tritt also schon dadurch der grosse Anteil dieser Lampe
an biochemisch wirksamen Strahlen zutage. Die Quecksilberdampflampen
stehen in dieser Hinsicht über fast allen anderen Lampen, sogar den elektri-
schen Bogenlampen. In unseren Versuchen wurden Kromayerlampen mit
Ansätzen aus Quarz verwandt. Mit diesen Ansätzen gelingt es überaus
exakt, eine ganz bestimmte, scharf umgrenzte Stelle zu bestrahlen und
tief in die Mundhöhle, z. B. bis an die Tonsillen, eventuell auch unter
Kompression hereinzukommen.
Bezüglich der Dosen haben wir bei Kaninchen aus 2—10 cm Ent-
fernung 10, 20, 30, 60 Minuten und darüber bestrahlt und unter 60 Mi-
nuten keine Verbrennung bekommen. Beim Menschen muss man mit den
Bestrahlungszeiten weit vorsichtiger sein, wie dies auch Friedberger
und Shioji schon gefunden haben.
Die elektrischen Kohlenfadenglühlampen haben alle ein Spektrum,
das sich ausserordentlich weit nach dem Uiltrateile erstreckt. An erster
Stelle unter ihnen steht die Nernstlampe ohne Glas (die Glasglocke absor-
biert einen allerdings nur geringen Teil der Strahlung). Wir haben sehr
hochkerzige elektrische Glühbirnen verwendet.
Das Gleiche lässt .sich auch von den Bogenlampen sagen, bei denen
ebenfalls diejenigen ohne Glasglocken die wirksameren sind. Durch Ver-
wendung von Eisenelektroden kann diese Wirksamkeit noch erhöht werden.
Auch das Licht dieser Lampen kann man durch Vorschalten von Berg-
kristallinsen konzentrieren.
48 Lautenschläger und Adler, Experimentelle Untersuchungen.
i
Wir haben in unseren Versuchen hiervon abgesehen und lediglich
Bakterien auf Kaninchenmundschleimhaut sowie Bakterienkulturen ihnen
gegenübergebracht in einer Entfernung, bei welcher eine Beeinflussung
durch Wärme nicht mehr möglich war. Selbstverständlich muss man
dann entsprechend viel länger bestrahlen, um dieselben Resultate wie mit
den anderen Lampen auf kürzere Distanz zu bekommen. Eine Beeinflussung
ist jedoch auch hiermit möglich.
Auf Grund dieser Untersuchungen lässt sich zusammenfassend sagen:
Bezüglich der Abtötungsmöglichkeit von Bakterien mit ultraviolettem
Licht stimmen unsere Resultate mit denjenigen von Friedberger und
Shioji überein, allerdings mit der Einschränkung, dass wir zur Erzielung
desselben Erfolges längere Zeit bestrahlen mussten.
Es ist also in der Tat möglich, durch Bestrahlung mit ultraviolettem
Licht bei genügend langer Applikation desinfizierend zu wirken. |
Die praktische Verwertbarkeit dieser Methode in der Mundhöhle halten
wir für gering. In Sonderheit halten wir eine Sterilisation sowie Be-
seitigung von Keimen, welche in den Mandellakunen sitzen, wegen der
mangelnden Tiefenwirkung der in Frage kommenden Lichtquellen für aus-
geschlossen. In denjenigen Fällen, wo virulente Keime hinter den Gaumen-
bögen sowie in den Buchten der Mandelgegend sitzen und dadurch eine
Schädigung des Organismus herbeiführen (Streptokokken bei rezidivierenden
Anginen und chronischem Gelenkrheumatismus, Diphtheriebazillen bei
hartnäckigen Bazillenträgern) ist eine Radikalentfernung der Mandeln an-
gezeigt, die durch Bestrahlung nicht zu ersetzen ist.
Den ultravioletten Strahlen scheint eine anästhesierende Wirkung zu-
zukommen; jedenfalls sind sie imstande, Areflexie im Sinne der Spiess-
schen Entzündungstheorie herbeizuführen.
Neben der Quarzlampe und den übrigen Lichtquellen hat sich besonders
die Azetylenlampe für medizinische Zwecke als sehr brauchbar erwiesen.
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Aus der Kgl. Universitäts-Poliklinik für Hals- und Nasenkranke
zu Königsberg i. Pr.
Zur Histologie des Schleimhautlupus.’)
Von
P. Gerber.
(Hierzu Tafeln IE und Ill und 5 Textfiruren.)
„Die einseitige Auffassung des Lupus als Hautkrankheit
hat sehr nachteilig auf die Kenntnis dieser Krankheit und auf
ihre Behandlung gewirkt.“ Dieser Ausspruch stammt nicht von mir,
auch nicht von einem anderen Rhinologen, sondern von einem Dermato-
logen (Philippson), und als ich ihn im vorigen Jahre, gelegentlich der
Lupuskonferenz in Berlin, las, war das für mich die bedeutsamste Be-
stätigung meiner Ansichten und Bestrebungen, aber auch die Aufforderung,
weiter dafür zu wirken, dass die Rhino-Laryngologie bei der Lupus-
bekämpfung den Platz einnimmt, der ihr gebührt.
Derselbe, eben erwähnte Autor sagt nun auch: Die Zukunft der Lupus-
bekämpfung wird nicht von der Auffindung neuer Mittel und Methoden
abhängen, vielmehr von der Durchführbarkeit einer frühzeitigen und
sründlichen Behandlung der Nasenschleimhauttuberkulose. Zu
einer frühzeitigen Behandlung ist aber eine frühzeitige Diagnose die
Vorbedingung — und nur auf diesen Punkt, und zwar auf die histologische
Diagnose als das sicherste Fundament der Lupusdiagnose überhaupt —-
will ich zunächst hier eingehen.
Als ich im vorigen Jahre auf der Lupuskonferenz eine Tafel herum-
gezeigt hatte, mit einer Reihe Abbildungen von Patienten, die bei schweren
inneren Nasenlupus eine absolut normale äussere Nase — ein ganz
normales Gesicht überhaupt — hatten, da drückten mir mehrere Kollegen
ihre Verwunderung darüber aus, und dieser Verwunderung bin ich auch
seither immer wieder begegnet, nicht etwa nur im Kolleg bei den Studenten,
sondern auch im Gespräch mit erfahrenen Praktikern. Und das ist schliess-
lich kein Wunder, wenn man einen Blick in die Lehrbücher der Pathologie,
der Chirurgie und anderer Disziplinen tut, für die die Rhinologie immer
noch ein Veilchen ist, das im Verborgenen blüht.
1) Nach einem Vortrag, gehalten auf der Versammlung der Deutschen
Laryngologisohen Gesellschaft in Kiel, Mai 1914.
Archiv für Laryngologie. 29. Bd. 1. Heft. 4
ou P. Gerber, Zur Histologie des Schleimhautlupus.
An dieser Stelle nun brauche ich es nicht zu sagen, dass es heute als
feststehend betrachtet werden kann, dass die schwerste und häufigste Form
des Lupus überhaupt, der „zentrale Gesichtslupus“ grösstenteils seinen
Ursprung vom Naseninnern aus nimmt, d. h. also: Der beginnende Lupus
kommt uns nicht ohne weiteres entgegen, wir müssen ihn aufsuchen.
Ebensowenig aber brauche ich es hier zu betonen, dass die Diagnose
des Schleimhautlupus im allgemeinen für den geübten Rhinolaryngologen
keine Schwierigkeiten bietet. Wie man sagen kann, dass etwa 90 pCt.
aller eigentlichen Ulzerationen in der Mundrachenhöhle syphilitischer Pro-
venienz sind, so kann man auch sagen, dass 90 pCt. aller Fälle mit
matschiger Granulationsbildung in der vorderen Nasenhöhle lupöser
Natur sind!). Und dieses ist die Form, in der wir den Schleimhautlupus
in der Nase, im Rachen wie im Kehlkopf weitaus am häufigsten antreffen.
Aber freilich gibt es Phasen und Formen der Krankheit, die schwerer zu
erkennen sind, besonders die frühzeitigen, die rechtzeitig festzustellen gerade
so wichtig ist.
Es handelt sich beim Schleimhautlupus bekanntlich um einen Granu-
lationsvorgang im submukösen Gewebe, und zwar kann zunächst häufig
eine gleichmässige Rundzelleninfiltration der einzige Ausdruck des be-
sinnenden Lupus sein. Wir finden dann ein Granulationsgewebe, wie jedes
andere auch, das sich weder durch besondere Anordnung, noch durch be-
sondere Art der Zellen als ein besonders geartetes charakterisiert. Solche
Befunde werden den Zuständen entsprechen, die man als prälupöse Rhinitis
bzw. Pharvngitis-Laryngitis bezeichnet hat. Dann aber beginnt nun hier
und da eine zentripetale Lagerung dieser Rundzellen, es bilden sich kugel-
förmige Zellhaufen, epitheloide Zellen treten auf und nehmen grössere oder
kleinere Partien der Kugeln ein, die Rundzellen siedeln sich mehr peripher
an, es treten Riesenzellen hinzu, bisweilen spärlich, oft überaus reichlich,
die Kerne der zentral gelagerten Zellen bleiben späterhin ungefärbt —
wir haben schliesslich das Bild des vollendeten Tuberkels Jetzt ist die
histologische Diagnose kein Kunststück mehr. |
Wir müssen aber auch versuchen, schon aus den früheren Bildern,
im Verein mit den klinischen Tatsachen, Anamnese usw. einen Anhalt zu
gewinnen. Nie wissen alle, dass man das primäre subepitheliale
Lupusknötchen, das die Diagnose auf der Haut so erleichtert, auf der
Schleimhaut fast nie zu Gesicht bekommt. Ich bin in der Lage, Ihnen
einen solchen Fall zu zeigen und auch, was ihm histologisch entspricht:
Von unserer Hautklinik wurde uns ein junges Mädchen mit Lupus in der
Submaxillargegend zur Untersuchung der Schleimhäute geschickt. Sie selbst
hatte keine Beschwerden in Hals und Nase und hat. wie Sie sehen, eine
1) Dass der Schleimhautlupus der Nase, wie Brieger in der Diskussion
meinte, häufig auch nicht von äusserem Lupus gefolgt werde, muss ich durchaus
bestreiten. Wer solche Fälle lange genug verfolgen kann, sieht — leider — immer
das Gegenteil.
P. Gerber, Zur Histologie des Schleimhautlupus. ol
völlig normale äussere Nase (Fig. 1). Die rhinoskopische Unter-
suchung ergab ausser leichter Rhinitis gar nichts Auffallendes. Erst nach
ausgiebiger Bepinselung mit Kokain und Suprarenin traten an der Septum-
schleimhaut links, und nur hier, einige kaum stecknadelkopfgrosse Knötchen
auf, wie Sie es hier sehen (Taf. II, Fig. 2). Die histologische Untersuchung
dieser Schleimhautpartien ergab nun folgendes sehr interessantes Bild (Taf. II,
Fig. 3).. Wir haben hier bei N eine ganz normale Schleimhaut mit unver-
ändertem Zylinderepithel, subepithelialerSchicht, Drüsen und bindegewebigem
Stroma nach dem Knorpel zu. An zwei Stellen bei T dagegeu haben wir zwei
zirkumskripte Verdickungen — zwei der rhinoskopisch konstatierten Knötchen
Figur 1.
entsprechend. Ueber dem einen Haufen ist das Epithel gerade im Ver-
schwinden begriffen. Subepithelial eine diffuse Rundzellenanhäufung. Dar-
unter, die Drüsenschicht verdrängend, eine kugelförmige Infiltration: Viel
Rundzellen, wenig Epitheloidzellen, gar keine Riesenzellen. Bei E ein
Haufen epitheloider Zellen, hier und da auch noch Gefässe. Alles dieses
spricht dafür, dass wir es hier mit im Entstehen begriffenen, so zu sagen
embryonalen Tuberkeln zu tun haben. —
Ob hier der submaxillare Drüsenlupus von dem intranasalen Lupus
abstammt, mag dahingestellt bleiben. Dass dies häufig der Fall ist, und
nicht nur der um die Nase herum sitzende Lupus dem Schleimhautlupus
entstammt, ist seit langem bekannt und auch Albanus hat in einer seiner
verdienstvollen Mitteilungen dabei auf die Mostschen Arbeiten Bezug ge-
nommen. Erinnern wir uns an der Hand dieser Figur + daran, dass die
Lymphe der vorderen Nasenhöhle sich in die Lymphwege der äusseren
Nase und von hier grösstenteils über eine Wangenschaltdrüse hinweg in
die Submaxillardrüsen entleert — so wird uns das sekundäre Zustande-
4*
or
P. Gerber, Zur Histologie des Schleimhautlupus.
Figur 4.
Lymphwege nach Most.
Fortpflanzung vom Naseninnern auf dem Lymphwege.
Figur 5.
lıymphogener Gesichtslupus intranasalen Ursprungs.
P. Gerber, Zur Histologie des Schleimhautlupus. D3
kommen dieser beiden Hautherde (Fig. 5) im Anschluss an einen völlig
latenten, beschwerdelosen, der Patientin ganz unbewussten intranasalen
Lupus klar werden. Wir sehen: Dieses zweite Bild passt auf das erste
wie die Ausführung auf einen zugehörigen Grundriss. Die drei schraffierten
Partien entsprechen: Der Nasenschleimhaut — der Wangenschaltdrüse —
der Submaxillardrüse. —
In den meisten Fällen von Schleimhautlupus aber, auch in noch be-
schränkten Herden, finden wir das typische Bild der Tuberkulose — wie
wir es hier an einem Knötchen von der Nasenscheidewand sehen (Taf. II, Fig. 6).
ls besteht aus einer Reihe von Tuberkeln, die ziemlich tief liegen, zwischen
subepithelialer und Drüsenschicht. Subepithelial befindet sich eine Zone
auffallend reichlicher, meist längs, aber auch quer getroffener Gefässe (Vv).
denen eine starke diffuse Rundzelleninfiltration folgt. Das Epithel selbst
ist ersetzt durch eine Rundzellenzone, die sich aber scharf gegen das
darunterliegende Gewebe absetzt (Ps) und ein Epithel vortäuscht = soge-
nanntes „Pseudoepithel“ nach Grünwald.
Auf etwaige Besonderheiten, die das lupöse Gewebe vielleicht gegen-
iiber dem eigentlich tuberkulösen aufweist. hinzuweisen — wie es früher
schon Baumgarten, Friedlander u.a. versucht haben —, liegt nicht in
der Tendenz meiner Ausführungen. Wenn wir den tuberkulösen Charakter
dieser primären hyperplastischen Bildungen festgestellt haben -- histologisch,
bakteriologisch, klinisch oder durch Tuberkulinreaktion —, so wissen wir
auch damit, dass wir es mit „Lupus“ zu tun haben. Denn die nur im
Gefolge schwerer allgemeiner Tuberkulose in Nase und Rachen auf-
tretenden sekundären meist ulzerösen Schleimhautaffektionen sind eben
etwas ganz anderes.
Dass die Tuberkel beim Lupus eine geringere Neigung zur Verkäsung
zeigen. wird ja wohl allgemein angenommen. Weiterhin scheint dem
Epithel beim Lupus oft eine sehr aktive Rolle zuzukommen. Gefäss-
reichtum scheint nicht so selten zu sein, wie bei der Tuberkulose. wenn
auch nicht im Bezirk der Tuberkel selbst, das Vorkommen von Riesen-
zellen ist fast konstant, oft reichlicher als bei der Tuberkulose, wie das
schon Baumgarten angegeben.
Hinsichtlich der Riesenzellen ist in letzter Zeit wiederum von ver-
schiedenen Seiten betont worden, dass sie nicht für tuberkulöse Prozesse
charakteristisch sind, speziell auf ihr Vorkommen bei der Syphilis ist
wiederholt auch in unseren Fachkreisen hingewiesen worden. An dieser
Tatsache ist ja natürlich nicht zu zweifeln, und wir wissen nicht erst seit
heute, dass Riesenzellen nicht nur bei der Tuberkulose und der Lues vor-
kommen, — dass sie auch im gewöhnlichen Granulationsgewebe, nach Ein-
führung von Fremdkörpern, bei der Knochenresorption, in Sarkomen, Lepra,
Aktinomyzesherden usw. gelegentlich beobachtet worden sind.
Aber auf das „wie“ kommt es an. und ich glaube doch. hier betonen
zu sollen. dass die Riesenzellen im grossen und ganzen auch für die
Diagnose des Lupus ihre Bedeutung behalten müssen.
ad P. Gerber, Zur Histologie des Schleimhautlupus.
Werfen wir einen Blick auf das folgende Bild (Taf. Il, Fig. 7), das von
einen lupésen Kehlkopfe stammt, durch seinen Drüsenreichtum als zum
Taschenbande gehörig gekennzeichnet. Hier sehen wir in den Tuberkeln.
die von dicht unter dem Epithel die ganze Breite der Wucherung durch-
setzen, eine Unmasse von Riesenzellen.
Als der Hauptsitz des Lupus im Kehlkopf ist uns ja die Epiglottis
bekannt und zwar zeigt sich hier der Lupus meist recht deutlich in seiner
charakteristischen papillomatösen Form. Wir wissen, zu welch kolossalen
Wulstbildungen es dabei häufig kommt. Das Präparat einer solchen Epi-
glottis sehen wir hier (Taf. II, Fig. 8). Hier unten die Spitze des — übrigens
ganz intakten — Knorpels (K) und nun sehen wir, welche starke Wucherung
entstanden ist — die Vergrösserung ist nur 18:1. Die starke papillo-
matöse Faltung und Verdiekung des Epithels (E) zeigt sich besonders an der
Spitze, wo leider gerade ein künstlicher Defekt entstanden ist. Dicht unter
dem Epithel beträchtliche Rundzelleninfiltrate (J) und Tuberkel mit Riesen-
zellen (T). Auch hier möchte ich die Aufmerksamkeit auf die reichlichen
Gefässe (V) richten. Ihr Vorhandensein spricht für die lebhafte Beteiligung
der Grundsubstanz an dem Neubildungsprozesse.
Damit sind wir ganz ungezwungen zum Auftreten des Lupus in
Tumorform gekommen. Es ist davon in der Literatur bisher nicht viel
die Rede gewesen. Das liegt aber — glaube ich -- nur an einer irrtüm-
lichen Auffassung oder gar an einer ungenauen Bezeichnung einer gewissen
Kategorie von Fällen. Dass die Tuberkulome nicht gar so selten sind,
ist Ihnen bekannt. Sehen wir uns nun aber die bisher geschilderten Fälle
von Tuberkulomen in den oberen Lufltwegen an. so gehören viele von
ihnen nicht ins Krankheitsbild der Tuberkulose im eigentlichen Sinne,
sondern zum Lupus. Bekanntlich wird gerade die Tumorform der Tuber-
kulose als ein primärer Ausdruck der Krankheit betrachtet. Wir
finden sie vielfach bei scheinbar ganz gesunden Menschen und der
Affektion geht oft weder eine allgemeine Tuberkulose voraus, noch
folgt ihr eine Unter Chiaris 21 Fällen hatten 13 keine Lungen-
affektion, hingegen nachweislich eine exogene Infektion. Von Hass-
lauers S7 Septumtuberkulomen sind mindestens 42 als primär anzu-
sehen und in 7 von ihnen bestand sicherer Lupus gleichzeitig. Sehr
oft aber folgt er früher oder später nach, wie ich gleich noch zeigen
werde. Ich muss also daraus schliessen, dass ein Teil der Tuberkulome
eigentlich Lupome sind. Dass das kein Streit um Worte ist, brauche ich
in diesem Zusammenhange wohl nicht erst zu betonen!).
Was nun die Histologie der Lupome betrifft, so haben wir ebenso wie
bei den Tuberkulomen 2 verschiedene Arten zu unterscheiden: Erstens
1) Wie die Diskussion zu meinem Vortrage zeigte, war diese Annahme doch
etwas zu optimistisch. Ich muss es daher noch ausdrücklich sagen, dass eine
Lupus-Bekämpfung um so illusorischer wird, je mehr wir Affektionen unter
anderer Flagge segeln lassen, die dem Lupus zugehören !
P. Gerber, Zur Histologie des Schleimhautlupus. 55
solche, die grösstenteils aus echt tuberkulösem Granulationsgewebe be-
stehen und zweitens solche, die Fibrome oder Fibroepitheliome — Papillome
sind, nur auf lupösem Grunde entstanden, und wenige oder gar keine
lupösen Gewebsbestandteile aufweisen. Es ist mir wohl bekannt, dass
manche die erste Kategorie garnicht als echte Tumoren auffassen, aber
etwas stärkere Beteiligung des Bindegewebes ist ebenso beim Aufbau des
Lupoms wie des Tuberkuloms notwendig, wenn ein grösserer, resistenterer
Tumor überhaupt zustande kommen soll, und solche sind hier nur gemeint,
nieht etwa Konvolute zufällig etwas grösser geratener Granulationen. In
Wirklichkeit finden sich wohl alle Mischungsgrade von fibrésem
Figur 9.
und lupésem Gewebe vor, wenn auch freilich die extremen Fälle hier
und dort recht sehr verschieden aussehen kénnen.
Für jede der beiden Kategorien ein Beispiel:
l. Ein 19jähriges junges Mädchen, äusserst kräftig, blühend; immer gesund
gewesen. Die Familie im allgemeinen gesund; eine Schwester an Lungentuber-
kulose gestorben. Sie tritt wegen Schnupfens und Nasenverstopfung in Behandlung.
Aeussere Nase (Fig. 9) wie das Integument überhaupt gesund.
Rhinoskopisch: Links vorne am Septum bohnegrosser, rot-weisser, breitbasig
aufsitzender T'umor, bei Sondenberührung leicht blutend.
Diagnose: „Blutender Septumpolyp“. — Wegen dieser Diagnose,
deren ich sicher zu sein glaubte, habe ich den rhinoskopischen Befund auch
leider nicht zeichnen lassen, da ich mehrerer solcher „Septumpolypen“ bereits in
meiner Sammlung besitze.
Entfernung mit Schlinge und Zange; Verschorfung des Grundes.
Die histologische Untersuchung ergibt folgendes Bild (Taf. Ill, Fig. 10): Wir
sehen hier die Basis des Tumors, dem intakten Knorpel (K) aufsitzend; das fibröse
56 P. Gerber, Zur Histologie des Schleimhautlupus.
Grundgewebe (B), dessen Züge wir hier vielfach noch deutlich sehen, ist überall
durch Epitheloidzelltuberkel (T) auseinander gedrängt. In der Mitte eine grosse
Vene (V). Ein Deckepithel fehlt grösstenteils; wo es aber vorhanden ist, sendet
es grosse Zapfen (E) in die Tumormasse hinein. Subepithelial wiederum sehr
reichliche, meist längsgetroffene Gefässe (G). Hier unten freie Riesenzellen (R).
Patientin bekam nach 4 Monaten ein Rezidiv, das weit im gesunden Knorpel
umschnitten wurde. Nach einem Vierteljahr war die Nasenhöhle noch völlig
normal, dagegen zeigten sich jetzt einige winzige Lupusknötchen am Naseneingang.
Es handelte sich hier also nicht um einen „blutenden Septumpolypen“,
sondern um ein intranasales „Lupom“, das einem gewöhnlichen Lupus voraus-
sing. Infektionsquelle wahrscheinlich die tuberkulöse Schwester.
Als Beispiel für die zweite Kategorie:
2. Junger Mann von 20 Jahren mit ziemlich abgelaufenem Nasenlupus und
einer beetartigen fünfpfennigstückgrossen Granulation auf der Pharynxwand. Er
kommt nur seiner Nase wegen, im Halse hat er keinerlei Beschwerden.
Laryngoskopisch (Taf. III, Fig.11): Epiglottis in mässigem Grade kleinhöckerig,
infiltriert. Unterhalb dieser ragt, mehr von links her, ein ganz weisser, etwas
lappiger, gefalteter Tumor ins Laynxlumen hinein bis fast an die Hinterwand, den
grössten Teil der Glottis und der linken Hälfte verdeckend. Er wird bei der
Respiration hin und her bewegt und behindert die Phonation nicht. Entfernung
mit kalter Schlinge.
Die histologisohe Untersuchung (Taf. III, Fig. 12) ergab zunächst nur ein
sehr gefäss- und ziemlich kernarmes Bindegewebe (B), umkleidet von einem zum
Teil stark verhornten Pflasterepithel (P). Die auch vom pathologischen Institut
bestätigte Diagnose lautete lediglich: Fibrom. Erst nach längerem Suchen gelang
es mir, — nur an einer Stelle — eine kugelförmige Anhäufung von Rundzellen
mit zwei schwächer gefärbten Zentren zu konstatieren (E), die Anhäufung von
Epitheloidzellen darstellen, die in diesem Zusammenhange wohl nar als eine
lupöse Bildung betrachtet werden können. —
Dieses wäre also ein typisches Beispiel für das, was z. B. Blumenfeld
(im Handbuch) allein als wirklichen Tumor bei der Tuberkulose — von
Lupus wird in diesem Zusammenhange dort wie auch sonst überhaupt
nicht gesprochen -— gelten lassen will.
Nur auf zwei Punkte will ich hier noch kurz eingehen. Zur Unter-
stützung der histologischen Diagnose rate ich, möglichst oft auch die
Untersuchung von Teilen des zytogenen Nasenrachenringes
heranzuziehen. Wir werden sehr häufig, wenn wir eine Bestätigung
brauchen, gerade hier eine solche finden, denn auch die makroskopisch
ganz gesunden Gaumenrachenmandeln, Follikel usw. sind — genau so wie
bei der Tuberkulose — augenscheinlich oft der Sitz eines latenten Lupus.
Ich bilde hier das Präparat einer makroskopisch völlig inakten Gaumen-
mandel ab, herstammend von einer Patientin mit beginnendem intranasalen
Lupus, aber ganz gesunder Rachenhöhle (Taf. HI, Fig. 13). Ueberall finden sich
in den sonst normalen. wohl erhaltenen Follikeln typische Riesenzellen.
Dass dies zugleich ein Licht wirft auf die Iymphatischen Zusammenhänge
zwischen Nasenschleimhaut und Tonsillen, worüber neuerdings von Henke
aus meinem Institut interessante Versuche mitgeteilt sind, nur nebenbei.
P. Gerber, Zur Histologie des Schleimhautlupus. 5T
Das Gleiche zeigt hier dieses Bild von dem Pharynxfollikel eines
Nasenlupusfalles (Fig. 14). Der Follikel zeigt makroskopisch nichts, was
man nicht bei jeder gewöhnlichen Pharyngitis granulosa sieht, und doch
gibt die histologische Betrachtung das Bild einer bereits weiter vorge-
schrittenen lupösen Umwandlung: Nichts mehr von Follikeln, vielmehr
Figur 14.
win
A ©
seh
Tuberkeln im Follikel der hinteren Pharynxwand bei Nasenlupus.
Knötchen neben Knétchen mit Rund- und Epitheloidzellen und typischen
Langhansschen Riesenzellen.
Schliesslich zur Bakteriologie. Wie schlimm wir mit dem Nach-
weis des Tuberkelbazillus beim Lupus bisher daran waren, brauche ich
nicht zu erörtern, höchst selten fand man bisher, höchstens bei Serien-
schnitten aus den tieferen Partien der Wucherungen bei der Färbung von
DN P. Gerbor, Zur Histologie des Schleimhautlupus.
Schnitten nach Ziehl- Neelsen hin und wieder mal einen Bazillus, meist
war die Jagd vergeblich. Ich glaube nun, dass wir hier durch die Auf-
lösung des Gewebes mittels des Uhlenhuthschen Antiforminverfahrens
und durch die nachfolgende Muchsche Färbung gerade beim Lupus
einen Schritt vorwärts gekommen sind, wenn auch noch lange nicht ans
Ziel. Allerdings ist die Sache auf der Schleimhaut komplizierter wie auf
der Haut, und die Resultate sind daher mit Recht angezweifelt worden.
Es gibt auf den Schleimhäuten eine Menge von «Gebilden, die die
Muchschen Granula vortäuschen können. Wir halten uns daher nuran
die in Stäbchenform liegenden Granula, an die granulierten Stäbchen
von der Form und Grösse der Tuberkelbazillen. Nach richtiger Anti-
formierung müssen alle Bakterien bis auf die Tuberkelbazillen aufgelöst
sein. Was später noch von organischen Bestandteilen da ist oder hinein-
kommt, erscheint nach der Muchfärbung rötlich, rosa, nur die Muchschen
Granula bzw. die granulierten Bazillen blau-schwarz. (Farbenniederschläge
können durch jedesmalige Verwendung frischer Farbe möglichst vermieden
werden.) Finden wir solche Gebilde, stückweise blau-schwarz gefärbten
Bazillenleib. häufig besonders an den Polen. dazwischen schattenhaft
den übrigen Teil. von charakteristischer Form, so müssen wir sie
als Tuberkelbazillen ansprechen, und uns ist es gelungen, sie in
etwa 50 pCt. der Lupusfälle zu finden. Um sicher zu gehen, habe ich
(jewebsstücke anderer Provenienz antiformiert und nach Much gefärbt.
ohne dass wir jemals Gebilde gefunden hätten, die mit den muchgefärbten
Bazillen im Lupusgewebe hätten verwechselt werden können. Aber auch
mit der Karbolfuchsinfärbung erhält man im antiformierten und
zentrifugierten Lupusgewebe immer noch häufiger Bazillen wie mit der
früheren Schnittfärbung.
Ich habe hier nur von der histologischen Diagnose gesprochen,
wir haben noch andere Hilfsmittel und alles in allem ist, wie schon ein-
gangs gesagt, die Diagnose des Schleimhautlupus für den geübten Rhino-
laryngologen meist leicht. Solche sind aber unter denen, denen die
Lupusbekämpfung heute noch fast allein anvertraut ist. kaum zu finden.
und deshalb bedarf die organisierte Lupusbekämpfung dringend der Rhino-
larvngologie. Etwas ist in dieser Hinsicht schon geschehen, aber viel
steht noch aus. Wir müssen alle dazu helfen, der Rhinolaryngologie bei
der Bekämpfung der Volksseuchen — von der Lues gilt Aehnliches --- die
Stellung zu erkämpfen, die ihr gebührt.
V.
Aus der Universitätsklinik für Hals- und Nasenleiden zu Freiburg i. Br.
(Direktor: Prof. Dr. Otto Kahler.)
Zur Frage der physiologischen Bedeutung
der Tonsillen.
Dr. Karl Amersbach,
Assistent der Klinik.
(Hierzu Tafel IV.)
Schon auf der XXI. Versammlung des Vereins deutscher Laryngologen
in Kiel hatte ich (1) Gelegenheit, in einer Diskussionsbemerkung auf meine
experimentellen Forschungen über die Physiologie der Tonsillen kurz hin-
zuweisen, wobei gleichzeitig hervorgehoben wurde, dass meine Unter-
suchungen andere Ergebnisse gezeitigt hatten als die vor kurzem durch
Henke (2) veröffentlichten. Die Henkesche Publikation, ihre bemerkens-
werten und weittragenden klinischen Konsequenzen veranlassten mich, meine
seit längerer Zeit im Gange befindlichen Untersuchungen speziell auf eine
Nachprüfung der Ergebnisse von Henke auszudehnen. Henke hatte,
fussend auf ältere experimentelle Untersuchungen, sich die Prüfung der
Frage, ob die Infektion der Tonsillen vorwiegend oder ausschliesslich von
aussen, d. h. durch das oberflächliche Deckepithel hindurch, etwa durch
die sogenannten „physiologischen Wunden“, die nach Ansicht von Stoehr
(10) durch massenhaft auswandernde Leukozyten hervorgerufen werden.
oder aber auf Iymphogenem bzw. hämatogenen Wege erfolge, zur Aufgabe
gestellt. Seine Erperimente umfassen die Nachprüfung aller wesentlichen
bis dahin angestellten experimentellen Untersuchungen zur Aufklärung er-
wähnter Fragestellung. Um die Versuche von Hendelson (3), der staub-
fürmige Substanzen auf die Oberfläche der Tonsillen aufblies, und von
Goodale (4), welcher Aufschwemmungen von Karmin mit stumpfer Kanüle
in die Krypten der Tonsille einspritzte, nachzuprüfen, hat Henke einer
Anzahl von Kaninchen Russ und chinesische Tusche unter die Nahrung
gemengt. Die mikroskopische Untersuchung der Tonsillen dieser Tiere er-
laubte niemals den Nachweis von Russ- oder Tuschepartikelchen im Gewebe
der Mandeln. Henke wendet zudem gegen die Versuchsanordnung der
beiden Autoren ein, dass durch sie abnorme Bedingungen geschaflen würden.
60 K. Amersbach, Zur Frage der physiologischen Bedeutung der Tonsillen.
Die bekannten Lexerschen (5) Untersuchungen mit verschiedenartigen
Infektionserregern, die zur Prüfung der Frage des Infektionsmodus in die
Mundhöhle eingebracht wurden, unterzieht Henke einer Kritik, deren Er-
gehnis dahin geht. dass durch die Lexerschen Untersuchungen der Nach-
weis der Tonsillen als der Eingangspforten für die Infektion nicht erbracht
sei, um so mehr, als Lexer selbst hervorgehoben habe, dass sich die Keime
früher im Blute als im Tonsillargewebe nachweisen liessen.
Veranlassten somit die erwähnten Untersuchungen und die theore-
tischen Erörterungen den Autor zur Ablehnung der „Infektionstheorie“,
so hatte die Nachprüfung der Experimente, die zum Beweise der von
Brieger und Goerke aufgestellten „Abwehrtheorie“ unternommen waren,
ein positives Ergebnis. Brieger und Goerke nehmen an, dass ein kon-
tinuierlicher Lymphstrom die Tonsillen durchsetze und deren Oberfläche
heriesele, derart. dass eine Festsetzung von Krankheitserregern durch die
fortwährende Bewegung der Lymphe zum mindesten erheblich erschwert
werde. Diese Anschauung schien bestätigt vor allem durch die Unter-
suchungen von Lenart (6), der korpuskuläre Elemente wie Russ und
Zinnoberkörnchen, die er. in einer geeigneten Flüssigkeit suspendiert, bei
Tieren in die Nasenschleimhaut injizierte, in den Tonsillen mikroskopisch
nachweisen konnte. Auch Schoenemann (7) glaubt, durch Injektion von
Jodlösung und den Nachweis von Jod in den später veraschten Tonsillen
den Nachweis eines solehen Lymphstromes von der Nase nach der Tonsille
erbracht zu haben. Dass diese Auffassung Schoenemanns, der im iibrigen
in der Tonsille eine nach dem Rachen vorgeschobene Lymphdrüse sieht,
auf erheblichen Widerspruch stiess, ist aus naheliegenden Gründen be-
greilic. Henkes eigene Untersuchungen umfassten des weiteren die
Nachprüfung der Lenartschen Tierversuche, die er bestätigen konnte. So-
dann hat er bei einer grösseren Anzahl geeigneter Patienten Aufschwem-
mungen. sterilisierten Russes in verschiedene Abschnitte der Nase injiziert.
An Einzelheiten über diese Versuche gibt Henke nur an, dass die Ent-
fernung der Tonsillen bzw. Adenoide in Zeiträumen von 6 Stunden bis
6 Tagen nach der Injektion erfolgte. Der Russ fand sich mikroskopisch
— makroskopisch konnte er in dem Gewebe niemals nachgewiesen werden
— immer nur in einzelnen Schnitten; bemerkenswerter Weise in der Regel
in den Tonsillen beider Seiten. auch dann, wenn die Injektion nur auf
der einen Seite erfolgte. Auffallend erschien ‚Henke, dass der Russ sich
nur in einzelnen Schnitten, dann gewöhnlich aber in grosser Menge vor-
fand, während eine ganze Reihe von Serienschnitten -— vorangehend oder
nachfolgend — vollständig frei waren. Die Lagerung der Russteilchen
spricht nach Ansicht von Henke dafür. dass die Russteilchen auf dem
Lymphwege aus der Nase in die Tonsillen gelangt sind. In den Blut-
gefässen konnte er niemals Russkörnchen nachweisen. Zur einwandfreien
Sicherung des Nachweises, dass der Russ tatsächlich nicht etwa auf dem
Blutwege dahin gelangte, hat Henke an der Katze nach vorhergehender
Injektion von Tusche in die Mundschleimhaut die Gefässe mit Berliner
K. Amersbach, Zur Frage der physiologischen Bedeutung der Tonsillen. 61
Blau-Leimlösung injiziert und mikroskopisch in den Präparaten das Fehlen
von Russkörnchen im Gefässlumen bestätigt gefunden. Da die Injektion
solcher Russ- und Chinatuscheaufschwemmungen in die Mundschleimhaut
ebenfalls einen Transport der Körnchen nach den Tonsillen zur Folge hatte,
so schliesst Henke weiter, dass auch die Mundschleimhaut zum Quellgebiet
der als Lymphdrüse mit „freier Oberfläche nach der Mundhöhle* aufzu-
fassenden Tonsille gehöre. Längere Zeit nach der Injektion von Russ-
aufschwemmungen in die Nasenschleimhaut konnte der Russ in den Ton-
sillen nicht mehr nachgewiesen werden, so dass, wie Henke meint, eine
vollkommene Ausscheidung desselben aus den Tonsillen angenommen
werden müsse.
Zunächst überzeugt von der Richtigkeit dieser Versuchsergebnisse er-
hoffte ich von deren Nachprüfung und Erweiterung eine Klärung insbesondere
der so schwierigen Frage der chronischen Tonsillitis. Wie Henke habe
ich einmal geeigneten Patienten Russaufschwemmungen und andere passende
Lösungen in die Schleimhaut der Nase injiziert. ich kann dabei die An-
gabe Henkes, dass eine Schädigung durch solche unter aseptischen Kau-
telen vorgenommene Kinspritzungen nicht vorkommt, durchaus bestätigen.
Neben der Russaufschwemmung habe ich beim Menschen das von der
Firma Clin-Paris in den Handel gebrachte kolloidale Eisen (Elektromartiol)
verwendet. Bei den Tierversuchen kam neben dem Russ vor allem Zinnober-
aufschwemmung in verschiedener Konzentration zur Verwendung. Ich halte
es für unerlässlich, die Protokolle wenigstens insoweit, als sie sich auf die
in Frage stehenden Experimente beziehen, kurz wiederzugeben.
l. Patientin E. W., 24 Jahre alt. Tonsillitis chronica.
Injektion von 1 ccm dünner, filtrierter Russaufschwemmung in die linke
untere Muschel. Nach 16 Stunden wird der in einer reinen Schale aufgefangene
Speichel sorgfältig zentrifugiert und auf Russkörnchen untersucht; es finden sich
einige Lymphozyten, massenhaft Epithelien der Mundschleimhaut und enorme
Mengen von Bakterien, darunter auch Streptokokken, dagegen kein Russ. Diese
Speicheluntersuchung wird noch zweimal wiederholt in Pausen von 2 Stunden,
beide Male mit demselben negativen Resultat. 40 Stunden nach der Injektion
erfolgt die Tonsillektomie durch Ausschälung.
Die Tonsille zeigt makroskopisch keinerlei 'Tinktion. Mikroskopisch: Die
eine Hälfte jeder Tonsille wird eingebettet und in Serie geschnitten, der Rest
in Gefrierschnitte zerlegt und zum Teil an gefärbten, zum Teil an ungefarbten
Präparaten mikroskopisch untersucht. In keinem der Schnitte fand sich auch nur
ein einziges Russkörnchen.
2. Patient J. Fl., 34 Jahre alt. Starke Hyperplasie der rechten Tonsille,
chronische Tonsillitis mit reichlicher P fropfbildung.
Injektion von etwa 2 ccm einer diinnen, sterilen Aufschwemmung von Russ.
Der Speichel wird nach Ablauf von 14 Stundon in Pausen von je 3 Stunden 3 mal
im Zentrifugat auf Russ untersucht, jedoch kein positives Ergebnis erzielt.
Nach 23 Stunden werden mittels des Sluder die Tonsillen radikal entfernt;
die makroskopisch keinerlei Schwarzfarbung aufweisenden Tonsillen werden mikro-
skopisch an zahlreichen Gefrier- und Paraffinschnitten untersucht; es findet sich
kein Russ.
62 K. Amersbach, Zur Frage der physiologischen Bedeutung der Tonsillen.
3. Patientin K. St., 23 Jahre alt. Sehr häufig Angina phlegmonosa, chro-
nische Tonsillitis.
Injektionen von steriler, dünner Russaufschwemmung in die rechte mittlere
Muschel. 24 Stunden nach der ersten injektion erhält die Patientin in die linke
mittlere Muschel eine weitere Injektion von 2 cem Elektromartiol. Die Tonsillek-
tomie durch Ausschalung wird 90 Stunden nach der ersten Injektion vorgenommen.
Tonsillen makroskopisch ohne Besonderheiten, mikroskopisch kein Russ.
Die an zahlreichen Schnitten angestellte Berliner-Blaureaktion ergibt in den Rand-
partien einiger Lymphfollikel eine leicht positive Reaktion.
4. Patient J. M., 45 Jahre alt. Tonsillitis chronica.
Injektion von 2cem Lindenkohlenaufschwemmung in die linke untere Muschel.
24 Stunden nach der Injektion wiederholte Untersuchung des Speichels im Zentri-
fugat mit negativem Erfolg. Tonsillektomie 88 Stunden nach der Injektion. In
den 'Tonsillen weder makroskopissh noch mikroskopisch Russ.
D. Patient K., 15 Jahre alt. Hyperplasie beider Tonsillen, Pfropfbildung,
grosse Adenoide usw.
Injektion von 2 ccm Lindenkohlenaufschwemnung in die rechte untere
Muschel. Adenotomie und Tonsillektomie 80 Stunden nach der Injektion. In den
Tonsillen und Adenoiden weder makroskopisch noch mikroskopisch Russ nach-
weisbar.
6. Patient G., 26 Jahre alt. Tonsillitis chronica, Rest von Adenoiden.
Injektion von 2 ccm Elektromartiol in die rechte untere Muschel. 24 Stunden
später das Gleiche in die linke untere Muschel. ‘Tonsillektomie und Adenotomie
40 Stunden nach der ersten, 16 Stunden nach der zweiten Injektion.
Es gelingt an zahlreichen Schnitten weder in den Tonsillen noch in den
Adenoiden eine positive Berliner-Blaureaktion zu erzielen.
7. Patient F. W., 23 Jahre alt. Chronische Tonsillitis.
Injektion von je 2 com steriler Russaufschwemmung in beide untere Muscheln.
Tonsillektomie 9 Stunden nach Injektion.
Makroskopisch keine sichtbare Tinktion der Tonsillen, mikroskopisch an
zahlreichen Gefrier- und Paraffinschnitten kein Russ nachweisbar.
8. Patientin A. A., 17 Jahre alt. Chronische Tonsillitis.
Injektion von Russaufschwemmung in die linke untere Muschel, von 2 ccm
Elektromartiol in die rechte untere Muschel.
Tonsillektomie 70 Stunden nach Injektion. In den makroskopisch unver-
änderten Tonsillen erkennt man mikroskopisch an einzelnen Schnitten im Epithel
einzelner Präparate, die mit Hämatoxylin gefärbt sind, schwarze Körnchen, die
sich jedoch bei genauerer Prüfung als Farbstoffniederschläge erweisen. Kein Russ.
Keine Berliner-Blaureaktion.
9. Patientin H., 37 Jahre alt. Chronische Tonsillitis.
Injektion von Russaufschwemmung in die linke, von Elektromartiol indie rechte
untere Muschel. Tonsillektomie (Sluder) 48 Stunden nach der Injektion. (Auf
eine Berliner-Blaurektion des Speichels wird nach mehreren Versuchen in diesen
wie in allen übrigen Versuchen verzichtet, da der Speichel auoh von solchen
Patienten, die keine Elektromartiolinjektion bekommen hatten, fast stets eine posi-
tive Reaktion ergab.)
In den Tonsillen weder makroskopisch noch mikroskopisch Russ. Mikro-
skopisch Berliner-Blaureaktion negativ.
>
K. Amersbach, Zur Frage der physiologischen Bedeutung der Tonsillen. 63
10. Patientin A. Fr., 20 Jahre alt. Chronische Tonsillitis.
Russaufschwemmung in die linke mittlere Muschel und unter die Septum-
schleimhaut. Tonsillektomie nach 50 Stunden. Weder makroskopisch noch mikro-
skopisch Russ nachweisbar.
11. Patient A. W., 21 Jahre alt. Tonsillitis chronica.
Russinjektion, je 1/ ccm in beide untere Muscheln und unter die Septum-
schleimhaut beiderseits. Tonsillektomie 48 Stunden nach der Injektion. Tonsillen
zeigen makroskopisch keine Tinktion, mikroskopisch komplette Serie, kein Russ
naohweisbar.
12. Patientin A. Wo., 19 Jahre alt. Rest von Adenoiden.
Russinjektion in die linke mittlere Muschel. Adenotomie nach 17 Stunden.
Weder makroskopisch noch mikroskopisoh Russ nachweisbar.
13. Patientin B. W., 21 Jahre alt. Tonsillitis chronica.
Russinjektion in den hinteren Abschnitt beider unteren Muscheln. 16 Stunden
nach der Injektion Tonsillektomie. Tonsillen makroskopisch ohne Besonderheiten.
Mikroskopisch in zahlreichen Schnitten kein Russ.
14. Patientin L. K., 17 Jahre alt. Tonsillitis chronica.
In beide Tonsillen wird direkt Russ injiziert. Tonsillektomie nach 20 Stunden.
Die Umgebung der Injektionsstelle ist schon makroskopisch deutlich schwarz
tingiert. Es werden zahlreiche Gefrier- und Paraffinschnitte angefertigt. Der Russ
findet sich in der Hauptsache in der Umgebung des Stichkanales in ziemlich
starken Klumpen, in der weiteren Umgebung in feinerer Verteilung, zum Teil
schon in Zellen aufgenommen. Das Epithel der Tonsille und die subepithelialen
Schichten sind vollständig frei, irgend ein nennenswerter Abtransport des Russes
von der Injektionsstelle, besonders nach den oberflächlichen Schichten der Ton-
sille ist nicht zu beobachten.
15. Patient M., 23 Jahre alt. Sehr häufig Angina phlegmonosa.
Injektion von Russ in beide Tonsillen. Tonsillektomie 48 Stunden nach der
Injektion. Russ wesentlich in der Umgebung des Stichkanals in Klumpen zu-
sammengelagert. In der Umgebung feinere Verteilung. Epithel und subepitheliale
Schichten frei.
16. Patient A. St., 15 Jahre alt.
Injektion von Russaufschwewmung direkt in die Tonsillen. Tonsillektomie
nach 24 Stunden. Injektionsstelle makroskopisch am fixierten Präparat deutlich
sichtbar, in der Umgebung des Stichkanales liegt der Russ in dicken Klumpen,
in einiger Entfernung feiner verteilt, zum Teil in Zellen aufgenommen. Epithel
und subepitheliale Schichten frei von Russ, jedes Anzeichen einer Abschwemmung
des Russes feblt.
17. Patientin M. L., 39 Jahre alt.
Injektion von Russaufschwemmung direkt in beide Tonsillen. 'l'onsillektomie
nach 48 Stunden. Injektionsstellen makroskopisch deutlich sichtbar. Die mikro-
skopischen Schnitte entsprechen im allgemeinen denen der drei vorhergehenden
Fälle. Nur an einer Stelle findet sich der Russ reichlich im subepithelialen Ge-
webe. Das Epithel selbst, an dieser Stelle reichlich von Zellen durohsetzt, enthält
feine Russkörnchen in ziemlicher Menge. Ob dieselbe schon bei der Injektion
hierher gepresst oder aber nachher dahin gescohwemmt worden, ist nicht zu ent-
scheiden.
64 K. Amersbach, Zur Frage der physiologischen Bedeutung der Tonsillen.
Bezüglich der Technik bei den erwähnten Versuchen noch einige kurze
Anmerkungen: Es wurden zur Injektion nur Russaufschwemmungen mit
sehr feinen Körnchen verwendet und bei der Injektion sorgfältig darauf
geachtet, dass auch nicht die geringste Menge der Flüssigkeit daneben
gespritzt wurde, oder nach der Injektion aus dem Stichkanale zurückfloss,
um auf diese Weise die durch Hinabfliessen der Aufschwemmung in den
Nasenrachenraum und Rachen gegebene Fehlerquelle sicher auszuschalten.
Bei der Tonsillektomie fand in der Hauptsache das von Sluder angegebene
Instrument Verwendung. Von den enukleierten Tonsillen wurde in der
Regel mindestens die Hälfte, gelegentlich auch die ganze Tonsille in
Paraffin eingebettet. der Rest mit dem Gefriermikrotom in Schnitte zerlegt
und sämtliche Schnitte, zum Teil in ungefärbtem Zustande, einer genauen
Durchsicht unterzogen. Als geeignetste Färbung erwies sich die einfache
Alaunkarminfärbung, die jede Pigmentierung aufs deutlichste hervortreten
lässt. Daneben fand vor allem Hämatoxylin-Eosinfärbung Verwendung.
Von der Injektion kolloidalen Eisens, von der ich mir anfangs viel
versprochen hatte, bin ich bald wieder abgekommen, da einmal — wie
bereits erwähnt — der Speichel fast immer eine positive Berliner-Blau-
reaktion ergibt, ferner die ultramikroskopisch kleinen Eisenteilchen in der
Hauptsache wohl aus der Schleimhaut direkt resorbiert werden, und endlich
Eisenreaktion durch bereits vorhandenes Blutpigment (Hämosiderin) auch
hervorgerufen werden kann. Zudem hat die Erfahrung gelehrt, dass das
Gewebe, wenn es längere Zeit in Fixierungsllüssigkeiten, die Spuren von
sisen enthalten, gelegen hat, auch eine positive Eisenreaktion gibt.
Da von vorn herein anzunehmen war, dass die Differenzierung ver-
einzelter Russkörnchen im Gewebe von Farbstoff-, Formalin-, Sublimat-
und andern Niederschlägen, sowie von Verunreinigungen nicht immer ganz
leicht sein müsste, so habe ich bei meinen Tierexperimenten vorwiegend
mit Zinnoberaufschwennmungen gearbeitet, da das Zinnober, das im durch-
fallenden Lichte schwarz aussieht, im auffallenden Lichte in einer charak-
teristischen roten Farbe aufleuchte. Zu meinen Versuchen habe ich der
günstigen anatomischen Bedingungen wegen Hunde gewählt, die vor allem
auch eine radikale Entfernung der Tonsillen in vivo mit dem Sluder
mühelos gestatteten.
(Hund ı, dient dem Studium der anatomischen Verhältnisse.)
Hund 2. Mittelgrosser, brauner Hund. Erhält eine Injektion von etwa
2 ccm Zinnoberaufschwemmung in die rechte untere Muschel injiziert. Chloroform-
tod nach 5 Tagen. Das Zinnober findet sich im vorderen und hinteren Teile der
rechten unteren Muschel, sowie in den rechten Submaxillarlymphknoten schon
makroskopisch deutlich. Eine Rachenmandel ist bei dem Tiere nicht nach-
weisbar. Der Rachenring wird in toto entfernt und eingebettet. Tonsillen makro-
skopisch o. B.
Mikroskopisch: An einer grossen Anzahl von Schnitten der Tonsillen findet
sich zunächst keinerlei korpuskuläre Einlagerung. Plötzlich zeigen sich mitten in
der Serie in einzelnen Schnitten in beiden Tonsillen sowie im Epithel der
K. Amersbach, Zur Frage der physiologischen Bedeutung der Tonsillen. 65
Pharynxhinterwand — allerdings nur in der Nähe der Tonsille — reichliche
schwarze Körnchen, ziemlich gleichmässig im Gewebe verteilt. Bei seitlicher Be-
leuchtung und Abblendung des durchfallenden Lichtes leuchten die Körnchen
rötlich auf (Färbung mit Hämatoxylin-Eosin). Schon in den nächsten Schnitten
fehlen die Körnchen wieder vollständig, um im Verlauf der Serie noch einigemale
in einzelnen Schnitten wiederzukehren. Bemerkenswert war, dass einmal die den
Hundetonsillen stets eingelagerten Schleimdrüsen, sodann aber auch die Blut-
gefässe fast immer frei von Körnchen erschienen. Die Grösse der Körnchen
variierte beträchtlich, es fanden sich solche, die sich der Grenze der Sichtbar-
keit näherten, bis zu solchen, die den Kern der Epithelzellen an Grösse weit über-
trafen. Auch an der Oberfläche des Epithels und im Inhalt der Krypten liessen sich
die Körnchen nachweisen.
Die submaxillaren Lymphknoten zeigten auch mikroskopisch entsprechend
dem makroskopischen Bilde reichliche Zinnobereinlagerung, vorwiegend im Stütz-
gewebe.
Hund 3. Mittelgrosse Hiindin. Injektion von etwa 1 ccm Zinnoberauf-
schwemmung in beide untere Muscheln. Tonsillektomie nach 4 Tagen. Die beiden
Tonsillen sind makroskopisch frei von Einlagerungen.
Die mikroskopische Schnittserie (Paraffineinbettung) in der Richtung des
grössten Durchmessers der Tonsille, zeigte die grosse Mehrzahl der Schnitte
frei von jeglicher Einlagerung korpuskulärer Elemente. Wiederum in einzelnen
Schnitten, scheinbar wahllos in der Serie verteilt, reichliche Einlagerung schwarzer,
im durchfallenden Lichte hell aufleuchtender Körnchen in gleicher wie oben be-
schriebener Verteilung und Anordnung. Auffallend war, dass, wenn sich die
Körnchen in aufeinanderfolgenden Schnitten vorfanden, sie nicht immer an den
gleichen Stellen lagen und dass ihre Farbennuance beim Aufleuchten in auf-
fallendem Lichte nicht der Farbennuance des Zinnobers entsprach.
Die Sektion nach weiteren 8 Tagen ergab: Zinnober schon makroskopisch in
beiden submaxillaren Lymphknoten, rechts und links. In der Nase fand sich
ebenfalls makroskopisch deutlich Zinnober in beiden unteren Muscheln bis gegen
das hintere Ende.
Hund 4. Grosser, männlicher Hund. Erhält in beide untere Muscheln je
2 ccm Zinnoberaufschwemmung injiziert. Sodann wird die rechte Tonsille mit dem
heissen Eisen verschorft. Tonsillektomie nach 5 Tagen. An den Tonsillen makro-
skopisch keine Tinktion, die rechte Tonsille kleiner als die linke, schon makro-
skopisch von Blutungen durchsetzt.
Mikroskopisch finden sich in der rechten Tonsille vereinzelte schwarze
Körnchen. Ia der linken Tonsille kein Befund.
Sektion nach weiteren 5 Tagen. In der Nase findet sich vorwiegend die
rechte Seite stark mit Zinnober imprägniert. Ausser den Muscheln ist auch das
subkutane Gewebe der Nase mit Zinnober infiltriert. Die submaxillaren Lymph-
drüsen enthalten — ebenso wie die umgebenden Lymphgefässe — reichlich Zinnober.
Rechts findet sich das Zinnober auch noch in den oberen Halslymphknoten (etwa
in der Höhe der Thyreoidea). Die Tonsillektomienarben bzw. das retrotonsilläre
Gewebe sind frei von Zinnober.
Hund 5. Grosser, langhaariger, schwarzer Hund. Erhält Zinnober unter die
Septumschleimhaut beiderseits. Links sofort tonsillektomiert, rechts nach 5 Tagen.
In den Tonsillen findet sich weder makroskopisch noch mikroskopisch Zinnober.
Archiv für Laryngologie. 29. Bd. 1. Heft. 5
66 K. Amersbach, Zur Frage der physiologischen Bedeutung der Tonsillen.
Sektion nach weiteren 8 Tagen. Das Zinnober lässt sich beiderseits in den
submaxillaren Lymphknoten nachweisen und zwar derart, dass immer nur eine
der beiden submaxillaren Drüsen Zinnober enthält. Die zinnoberhaltige Drüse ist
erheblich vergrössert. In der Nase das Zinnober entsprechend der Injektionsstelle.
Hund 6. Kleiner,junger, kurzhaarigerHund. Erhält in beide untere Muscheln
je 1 ccm Zinnoberaufschwemmung. Die rechte Tonsille wird mit glühender Sonde
verschorft. Der Hund stirbt nach 26 Tagen (Staupe?).
Sektion: Das Zinnober findet sich in der Nase in beiden unteren Muscheln
und seitlich im subkutanen Gewebe. Die beiden submaxillaren Lymphknoten beider-
seits enthalten massenhaft Zinnober. In den Tonsillen findet sich weder makro-
skopisch noch mikroskopisch Zinuober.
Hund 7. Mittelgross, schwarz und weiss, langhaarig. Erhalt 2ccm Zinnober-
aufschwemmung in die rechte untere Muschel injiziert. Verschorfung des vorderen
Pols der rechten Tonsille. Nach 5 Tagen Tonsillektomie beiderseits. Die Tonsillen
sind makroskopisch frei von Zinnober, auch mikroskopisch (Serie) kein Zinnober.
Sektion nach 7 weiteren Tagen. Zinnober in der Nase im Bereiche des Stich-
kanals; in beiden Submaxillardrüsen rechts Zinnober.
Hund 8. Mittelgrosser, langhaariger, schwarzer Hund. Zinnoberinjektion
2 ccm in die linke untere Muschel. Verschorfung des vorderen Pols der rechten
Tonsille. Tonsillektomie nach 7 Tagen. In den Tonsillen weder makroskopisch
noch mikroskopisch Zinnober.
Sektion nach 8 Tagen. Das Zinnober findet sich in der Nase im Bereich der
linken unteren Muschel. Die linken submaxillaren Lymphknoten enthalten schon
makroskopisch Zinnober. Tonsillektomienarben und retrotonsilläres Gewebe frei
von Zinnober.
Hund g. Kleiner, langhaariger Hund. Freilegen der submaxillaren Lymph-
knoten auf der linken Seite. Injektion von etwa 11/2ccm Zinnoberaufschwemmung
in eine derDrüsen. Tonsillektomie beiderseits nach 8Tagen. Es findet sich mikro-
skopisch kein Zinnober in den beiden Tonsillen.
Hund ı0. Junger, schwarzhaariger Pudel. Erhält je 2 ccm Zinnoberauf-
schwemmung in die Uebergangsfalte der Oberlippenschleimhaut. Nach 24 Tagen
wird in beide untere Muscheln Russaufschwemmung unter sehr hohem Druck in-
jiziert. Am folgenden Tage (also nach 25 bzw. 1 Tage) Sektion: Zinnober in den
submaxillaren Lymphknoten. Tonsillen makroskopisch ohne Tinktion. Mikroskopisch
findet sich weder Russ noch Zinnober in den Tonsillen. |
Hund 11. Gelber, mittelgrosser Hund. Erhält in beide untere Muscheln
Russaufschwemmungen unter hohem Druck injiziert. Sofort nach der Injektion
Tonsillektomie. Die Tonsillen enthalten weder makroskopisch noch mikro-
skopisch Russ.
Hund ı2. Kleine, gelbe Hündin. Erhält Zinnoberaufsohwemmung direkt in
beide Tonsillen injiziert. Die Injektion gelingt gut, die Tonsillen werden durch
die Injektion sichtbar wie Säcke aufgetrieben, ohne dass dasZinnober berausquillt.
Tonsillektomiert nach 3 Tagen. Die Tonsillen zeigen schon makroskopisch das
Zinnober in einer regelmässigen Verteilung. Mikroskopisch findet sich das Zinnober
ungefähr entsprechend dem Stützgewebe verteilt. In den Follikeln wesentlich nur
in den Randpartien einzelne Zinnoberkörnchen. Das Epithel ist vollständig frei
von Zinnober. Im retrotonsillären Gewebe an einer Stelle eine Zinnoberanhäufung,
die anscheinend dem Ende des Stichkanals entspricht. Der Befund ist auf beiden
Seiten ein überraschend gleichmässiger. Sektion nach 2 weiteren Tagen. Die sub-
maxillaren Lymphknoten sind makroskopiscoh und mikroskopisch frei von Zinnober.
K. Amersbach, Zur Frage der physiologischen Bedeutung der Tonsillen. 67
Hund 13. Kleiner, grauer Hund. Erhält Zinnoberaufschwemmung unter
hohem Druck in beide untere Muscheln injiziert. Sektion nach 3 Tagen. Die Ton-
sillen sind makroskopisch und mikroskopisch frei von Zinnober, wohl aber findet
sioh das Zinnober in den submaxillaren Lymphknoten beiderseits, und zwar makro-
skopisch und mikroskopisch.
Hund 14. Kleine, braune, junge Hündin. Zinnober in beide Tonsillen direkt
injiziert. Die Injektion gelingt nicht besonders gut, die Zinnoberaufschwemmung
gerät hauptsächlich in das retrotonsilläre Gewebe. Die linke Tonsille wird sofort
enukleiert. Die makroskopische Besichtigung bestätigt das Vorhandensein des
Zinnobers vorwiegend in der die Tonsille umgebenden Schleimhaut, mikroskopisch
in der Tonsille, Zinnober fast nur in der Umgebung des Stichkanals. Epithel und
subepitheliales Gewebe enthalten kein Zinnober. Nach 14 Tagen Chloroformtod.
Auoh die rechte Tonsille enthält nur wenig Zinnober, während sich im retro-
tonsillären Gewebe massenhaft Zinnober findet. Die rechten submaxillaren
Lymphknoten enthalten Zinnober, die linken nicht. Mikroskopisch Zinnober
vorwiegend nur in der Umgebung des Stichkanals. Epithel und subepitheliale
Schichten frei.
Hund ı5, Braune, mittelgrosse Hündin. Injektion von Russaufschwemmung
direkt in beide Tonsillen. Auch diesmal verteilt sich die Aufschwemmung haupt-
sächlich im retrotonsillären Gewebe. Die linke Tonsille wird sofort einschliesslich
des umgebenden Gewebes entfernt. Makroskopisch und mikroskopisch findet sich
der Russ fast ausschliesslich retrotonsillär. Nach 14 Tagen Tonsillektomie rechts.
Auch bier der Russ zum grossen Teil retrotonsillär gelegen. Mikroskopisch Russ
da und dort verteilt, fehlt aber im Epithel und den subepithelialen Schichten voll-
kommen, so dass eine Ausscheidung durch Aufschwemmung jedenfalls nicht in
Frage kommt.
Hund 16. Grosse Wolfshündin. Erhält Zinnoberaufschwemmung in beide
Tonsillen und das retrotonsilläre Gewebe. Die rechte Tonsille wird unmittelbar
nach der Injektion entfernt.
Mikroskopisch findet sich das Zinnober in der Hauptsache in der Umgebung
des Stichkanals, sonst auch da und dort verteilt, jedenfalls aber weder im Epithel
noch in den angrenzenden Gewebsschichten.
Tonsillektomie links nach 18 Tagen. Zinnober im retrotonsilliren Gewebe
und in der Tonsille selbst wesentlich in der Umgebung des Stichkanals. Sub-
epitheliales Gewebe und Epithel frei von Zinnober.
Die zusammenfassende Beurteilung der Ergebnisse oben angeführter
Experimente führt uns also zu folgenden Resultaten: Wir sahen, dass die
Injektion feiner Russaufschwemmungen in verschiedene Abschnitte der Nase
des Menschen, und zwar unter die Septumschleimhaut, die Schleimhaut der
mittleren Muscheln, in die Schleimhaut der unteren Muscheln — und zwar
sowohl des vorderen wie des hinteren Abschnittes — niemals einen Trans-
port der Russkörnchen nach den Tonsillen zur Folge hatte. Die zwischen
der Injektion und der Tonsillektomie verlaufene Zeit beträgt 16 bis
90 Stunden beim Menschen, beim Hunde O Stunden bis 25 Tage. Um so
überraschender musste es erscheinen, dass bei 3 von 14 Fällen im Tier-
experiment Zinnober, der in wässeriger Aufschwemmung in die Nasenschleim-
haut eingebracht worden war, sich in einzelnen Abschnitten der Tonsille wieder
5*
68 K. Amersbach, Zur Frage der physiologischen Bedeutung der Tonsillen.
zu finden schien. Aber auch an und für sich gaben diese Befunde von Zinnober
in den Hundetonsillen zu Bedenken Anlass. Es war bei dem Fall Hund 2
der ganze Rachenring, d.h. die beiden Tonsillen einschliesslich der hinteren
Pharynxwand, geschnitten worden. Die Zinnoberkörnchen fanden sich nun
in ein und demselben Schnitte in beiden Tonsillen und zwar über den ganzen
Querschnitt ziemlich gleichmässig verteilt; dies an mehreren Schnitten. Es
musste somit erwartet werden, dass angesichts einer derartigen Verteilung bei
Anfertigung von Längsschnitten durch eine Tonsille der Zinnober sich in
jedem Schnitte in einer bestimmten Zone, entsprechend eben jenem Quer-
schnitt finden müsse. Es fiel mir des weiteren auf, dass der Farbenton,
in dem die schwarzen Körnchen bei auffallendem Lichte aufleuchteten,
nicht dem des Zinnobers entsprach und mit der Färbung des Schnittes
variierte. Endlich zeigte sich auch, dass es meist die auf dem Objektträger
zu oberst gelagerten Schnitte waren, die die Körnchen aufwiesen. Während
ich nun anfangs meine Schnitte selbst angefertigt hatte, musste ich später
dieselben aus Zeitmangel im Laboratorium herstellen lassen, konnte somit
für die technisch einwandfreie Art der Anfertigung keine Garantie über-
nehmen. Ich fing nun an, die Schnitte schon in ungefärbtem Zustande
mikroskopisch zu kontrollieren und es ergab sich die überraschende Tatsache,
dass, während ich im ungefärbten Schnitte niemals Zinnober in der Tonsille
sehen konnte, einzelne Schnitte der gefärbten Serie doch wieder die im
durchfallenden Lichte schwarzen, im auffallenden Lichte aufleuchtenden
Körnchen aufwiesen. Es musste sich also um irgend eine Verunreinigung
handeln. Da ich bezüglich der Entwässerungsflüssigkeiten besondere Rein-
lichkeit anempfohlen hatte, auf oder unter dem Präparat liegende korpus-
kuläre Verunreinigungen aber mikroskopisch unschwer zu erkennen sind,
so nahm ich an, dass es sich um Austrocknungserscheinungen handeln
müsse, die schwarzen Körnchen also nichts anderes als kleinste Luftbläschen
seien. Es bestärkte mich in dieser Annahme auch das Aussehen der von
Henke besonders in Abbildung 3 und 4 seiner Arbeit wiedergegebenen
„Russkörnchen“ seiner Präparate. Brachte man die von Kanadabalsanı
befreiten „zinnoberhaltigen“ Präparate in Xylol und absoluten Alkohol zurück
und schüttelte sie ordentlich, so gelang es ohne weiteres, den „Zinnober“ zu
entfernen. Obwohl ein Ausfallen korpuskulärer ins Gewebe aufgenommener
Elemente aus den Schnittpräparaten durch Schütteln als vollkommen aus-
geschlossen angesehen werden muss, habe ich die Flüssigkeiten, in denen
ich den „Zinnober* aus den Schnitten entfernte, zum Ueberfluss noch unter-
sucht, darin aber keinen Zinnober gefunden. Es handelte sich nun darum,
den Beweis durch künstliche Erzeugung dieser angeblichen „Zinnober-
körnchen“ zu vervollständigen. In der Annahme, es handle sich um Luft,
die beim Austrocknen in die Präparate hineingeraten sei, liess ich nun
eine Anzahl geeigneter Schnitte in verschiedener, zum Teil extremer Weise
austrocknen, zu meiner Ueberraschung gelang es aber bei sonst einwand-
freier Technik nicht, durch Austrocknen allein die Körnchen im Gewebe
hervorzurufen. Ich erinnerte mich nun, beobachtet zu haben, dass, wenn
K. Amersbach, Zur Frage der physiologischen Bedeutung der Tonsillen. 69
man bei kühlem Wetter und offenem Fenster mikroskopische Schnitte färbt
und sich dabei etwas tief über die xylolhaltigen Gefässe beugt, die wasser-
gesättigte Atemluft bei Berührung mit der einströmenden kalten Luft ihr
Wasser in Form eines feinen schleierartigen Niederschlages auf der Ober-
fläche des Xylols niederschlägt. Nun liess ich die Schnitte nach reich-
licher Entwässerung vollständig austrocknen, hauchte einmal darüber und
brachte den Schnitt sofort in Xylol; auf diese Weise gelang es mit absoluter
Regelmässigkeit und Gleichmässigkeit, in jedem beliebigen Schnitte und
wenn gewünscht, an jeder beliebigen Stelle des Präparates die in Frage
stehenden „Körnchen“* künstlich zu erzeugen. Je nach der angewendeten
Färbung war es dann auch möglich, so z. B. mit intensiver Alaunkarmin-
färbung oder mit Hämatoxylinfärbung — wenn die Schnitte nicht in Wasser
nachgebläut wurden — einen Farbenton der im auffallenden Lichte auf-
leuchtenden Körnchen zu erzielen, der annähernd dem Farbenton des Zinnobers
entsprach. Je intensiver man die Präparate austrocknen liess, desto leichter
gelang die Hervorrufung der „Körnchen“, die ich auf Grund der Versuche
als kleinste Wassertröpfchen, vielleicht auch als kleinste Ansammlungen
von Wasserdampf ansprechen zu müssen glaube!). Dass diese Gebilde nicht,
wie man eigentlich erwarten müsste, eine runde bzw. kuglige Gestalt haben,
was ja ohne weiteres die Täuschung aufgedeckt hätte. ist auf den Druck
des Deckglases zurückzuführen. Einige unwesentliche Einzelheiten, wie
z. B. eine entschiedene Affinität dieser „Körnchen“ zu den Zellkernen kann
ich nicht erklären. Es muss angenommen werden, dass sich die Wasser-
bzw. Wasserdampftröpchen mit einer Hülle von Xylol bzw. Kanadabalsam
umgeben. |
Die der Henkeschen Arbeit beigegebenen Abbildungen, insbesondere
Figur 3 und 4, zeigen nun eine so überraschende Aehnlichkeit mit den
Bildern derjenigen Präparate, in denen (beabsichtigt oder unbeabsichtigt)
Wassertröpfehen im Gewebe sich niedergeschlagen hatten, dass ich unter
Berücksichtigung der bemerkenswerten Tatsache, dass alle übrigen Ver-
suche ein negatives Resultat ergeben haben, nicht umhin kann, allen Ernstes
die Frage aufzuwerfen, ob nicht Henke einem Irrtum zum Opfer gefallen
ist. Seine Angaben über die Verteilung der „Russkörnchen“ in einzelnen
Schnitten sowohl wie unter den Schnitten der Serien, stimmen auffallend
mit meinen Befunden überein. Ich will damit selbstverständlich nicht
behauptet haben, dass nicht etwa auch irgendwelche andere Verunreini-
gungen das gleiche Bild hervorgerufen haben könnten, und dass in den
Henkeschen Präparaten die schwarzen Körnchen nun gerade Wasser-
tröpfchen sein müssten, ich halte es indessen für sehr wahrscheinlich. Es
können natürlich ebenso gut Luftbläschen oder dergl. unter irgendwelchen
Voraussetzungen in den Gewebsspalten haften bleiben und zu einer ähn-
lichen Täuschung führen.
1) Herrn Geheimrat Aschoff, der die grosse Liebenswürdigkeit hatte, meine
Präparate durchzusehen, bin ich sehr zu Dank verpflichtet.
‘0 K. Amersbach, Zur Frage der physiologischen Bedeutung der Tonsillen.
Die meiner Arbeit beigegebenen Abbildungen Figur 3 und 4 zeigen
einen Schnitt der Tonsille von Fall 15 (Mensch), bei dem 48 Stunden vor
der Tonsillektomie Russ direkt in die Tonsillen injiziert war. Eine grosse
Anzahl von Schnitten derselben Tonsille lässt den Russ in der Umgebung
des Stichkanals erkennen. Bei dem zur Zeichnung verwendeten Schnitt ist
durch Austrocknen und Anhauchen in der angegebenen Weise neben dem
wirklichen Russ eine künstliche schwarze Körnelung erzeugt. In Figur 3
sieht man im durchfallenden Lichte die beiden Körnchenarten nebenein-
ander voneinander nicht unterscheidbar. Figur 4 zeigt dieselbe Stelle des
gleichen Präparates bei auffallendem Lichte. Nun wird der Unterschied
zwischen dem wirklichen Russ, der dunkel ist und dunkel bleibt, und den
in einem rötlichen Farbenton aufleuchtenden (in der Zeichnung lässt sich
natürlich das Leuchten der Körnchen nicht so darstellen), künstlichen
„Körnchen“* deutlich.
Figur 1 und 2 zeigen einen Schnitt der Tonsille von Hund 2 mit den
künstlichen „Zinnoberkörnchen*, die anfangs von mir falsch gedeutet
worden waren.
Bestätigte sich die Vermutung, dass auch in den Präparaten von Henke
nicht Russ, sondern Wassertröpfehen oder dergl. vorliegt, so ist auch
damit an sich noch nicht bewiesen, dass ein Transport korpuskulärer
Elemente aus der Nase nach der Tonsille nicht möglich wäre. Ich verfüge nun
aber, wie man aus den oben im einzelnen angeführten Protokollen ersieht, über
13 Versuche beim Menschen und 14 Experimente beim Hunde, bei denen
durch ausgedehnte Schnittserien der Tonsillen m. E. auch der Nachweis
erbracht ist, dass in die Nasenschleimhaut eingebrachte korpus-
kuläre Elemente nicht nach der Tonsille transportiert werden,
sowie dass ein von der Nase nach den Tonsillen gerichteter
Lymphstrom bis heute nicht bewiesen ist. Denn es wäre doch zu
auffallend, dass, wie die sämtlichen Hundexperimente beweisen, der in die
Nase eingebrachte Zinnober mit voller Regelmässigkeit in die submaxillaren
Lymphknoten gelangt, und dort makroskopisch ohne weiteres erkannt wird,
während die Tonsillen weder makroskopisch noch mikroskopisch die geringsten
Spuren von Zinnober enthalten. Beim Menschen war ich natürlich nicht in der
Lage, die submaxillaren Lymphknoten zu untersuchen, ich habe an deren Stelle
eine Reihe von Speicheluntersuchungen zu setzen mich bemüht (vgl. Proto-
kolle), deren Ausfall ebenfalls in dem angegebenen Sinne sprachen. Gegen
einen die Tonsille durchsetzenden Lymphstrom spricht des weiteren die
Tatsache, dass in die Tonsille direkt eingebrachte Russ- und Zinnober-
aufschwemmungen (vgl. die Fälle Mensch 14, 15 und 16, Hund 14, 15,
16 und 17) sich wohl unter Umständen, besonders beim Hunde in der
Tonsille verteilen, nicht aber gegen die Oberfläche geschwemmt, geschweige
denn durch das Epithel hindurch eliminiert werden. Der Befund in der
Tonsille von Fall 17 (Mensch) steht zu vereinzelt da, um gegen alle
anderen Versuche genügendes Gewicht zu erlangen. Es muss auch als ohne
weiteres möglich, um nicht zu sagen wahrscheinlich, bezeichnet werden,
K. Amersbach, Zur Frage der physiologischen Bedeutung der Tonsillen. 71
dass der hier subepithelial und im Epithel gelegene Russ schon bei der
Injektion direkt dahin gepresst wurde. In allen anderen Fällen ist ja
von einem Transport der Partikelchen nach der Oberfläche und ihrer Eli-
minierung absolut nichts zu sehen. Immerhin werde ich nicht verfehlen,
bei weiteren Versuchen mein Augenmerk ganz besonders auf diese Er-
scheinung zu richten. Dass korpuskuläre Elemente im Tonsillengewebe ge-
legentlich von Phagozyten aufgenommen und durch das Epithel hindurch
hinaus befördert werden, kommt sicher vor, hat aber mit einem konti-
nuierlichen, die Tonsille durchsetzenden Lymphstrom nichts zu tun. Direkt
gegen den Lymphstrom müsste der Transport des Zinnobers, der bei dem
Hund 14 ins retrotonsilläre Gewebe gebracht und sich später in der sub-
maxillaren Lymphdrüse wiederfand, stattgefunden haben. Dass der Zinnober
nicht etwa direkt bei der Injektion bis zur Drüse gepresst wurde, beweisen
die Lymphdrüsen der linken Seite bei Fall 14 (Hund), die frei von Zinnober
waren, weil aller Zinnober unmittelbar nach der Injektion sofort wieder
entfernt worden war (Tonsillektomie). Da auch bei hohem Drucke die
Injektion der Tonsillen mit Zinnober von der Nase aus nicht gelingt, und
auch die Injektion von Zinnober in die Mundschleimhaut, vgl. Hund 10,
keinen Transport der Körnchen zur Tonsille zufolge hat, so habe ich mir
die Nachprüfung der Henkeschen Leichenversuche erspart, dies um so
mehr, als natürlich bei der Leiche, sofern nur ein genügend hoher Druck
angewendet wird, die Injektionsflüssigkeiten schliesslich überallhin gepresst
werden können. Ich denke auch gar nicht daran, auf Grund meiner Ver-
suche etwa das Vorhandensein von Lymphgefässen zwischen Nase, Tonsillen,
Rachenring usw. an sich leugnen zu wollen. Was für die Tonsillen hier
behauptet wird, gilt selbstverständlich auch für die in die Untersuchung
mit einbezogenen Adenoide, wahrscheinlich auch für den nur da und dort
mit untersuchten Rest des Waldeyerschen Rachenringes.
Ich komme also zu dem noch einmal zu präzisierenden Ergebnis,
dass bis heute der Beweis für den Transport korpuskulärer Elemente aus
der Nasenschleimhaut nach den Tonsillen durch einen von der Nase
nach den Tonsillen gerichteten Lymphstrom zum mindesten durch die
Henkeschen Untersuchungen nicht erbracht ist, dass vielmehr meine
Untersuchungen im Gegensatz auch zu den Ergebnissen anderer Autoren
(Lénart) durchaus gegen das Vorhandensein eines solchen Lymphstromes
sprechen. Es bedürfte somit die Henkesche Auffassung der Tonsille als
einer frei in die Mundhöhle ragenden Lymphdrüse und eines wichtigen
Exkretionsorganes des Organismus erst weiterer stichhaltiger Beweise,
bevor wir uns entschliessen könnten, unsere bisherigen klinischen An-
schauungen zu ändern. Denn obschon Henke ja auch zugibt, dass auch
ein solches wichtiges Exkretionsorgan in gewissen pathologischen Ver-
änderungszuständen dem Organismus mehr zum Schaden als zum Nutzen
gereichen muss, so müssten wir eben doch — wäre erst der Beweis
erbracht, dass der Tonsille eine so grosse physiologische Bedeutung zu-
käme — unsere Therapie in entschieden konservativere Bahnen lenken.
72 K. Amersbach, Zur Frage der physiologischen Bedeutung der Tonsillen.
Literaturverzeichnis.
1. Amersbach, K., Verhandlungen des Vereins deutscher Laryngologen,
XXI. Versammtung, Kiel 1914. Referiert im Zentralbl. f. Laryngol. Juli 1914.
Diskussionsbemerkung.
. Henke, F., Archiv f. Laryngol. 1914. Bd. 28. H. 2. S. 231.
Hendelson, Archiv f. Laryngol. Bd. 8.
Goodale, Archiv f. Laryngol. Bd. 7.
Lexer, Archiv f. klin. Chirurgie. Bd. 54.
Brieger, Archiv f. Laryngol. Bd. 12.
Goérke, Archiv f. Laryngol. Bd. 19.
Lenart, Archiv f. Laryngol. Bd. 21.
. Schönemann, Zeitschr. f. Ohrenheilk. Bd. 52.
. Stöhr, Biologisch. Zentralblatt. 1882—83.
OLON gN
——
Erklärung der Figuren auf Tafel IV.
Figur 1. Schnitt aus der Tonsille eines Hundes (2). Schwache Vergrösserung.
Färbung mit Hämatoxylin. Man sieht eine kleine epithelumsäumte
Krypte; das subepitheliale Gewebe besteht aus relativ kernarmem
Bindegewebe, das frei von adenoidem Gewebe ist. Hinter dieser Zone
das lymphatische Gewebe. Vorwiegend im perifollikulären Gewebe,
aber auch vereinzelt innerhalb der Follikel, im subepithelialen Binde-
gewebe und im Epithel selbst zahlreiche, verschieden gestaltete und
verschieden grosse, sohwarze Körnchen, die im auffallenden Lichte auf-
leuchten. Sie wurden zuerst für Zinnober gehalten, der, (cf. Protokoll)
in die Nase injiziert, scheinbar zur Tonsille hin transportiert war. Die
genauere Untersuchung zeigte aber, dass es sich nicht um Zinnober,
sondern um kleinste Wassertröpfchen handelt.
Figur 2. Ein Teil desselben Schnittes bei starker Vergrösserung. Im Epithel
erkennt man eine beträchtliche Anzahl grösserer und kleinerer schwarzer
Körnchen, die besonders in der Tiefe der Krypte zahlreich in der
obersten Schicht sich vorfinden. Auch hier liegen — wie erwähnt —
nicht Zinnoberkörnchen, sondern Wassertröpfchen vor.
Figur 3. Schnitt aus einer menschlichen Tonsille (Fall 15). Färbung mit Alaun-
karmin. Betrachtung im durchfallenden Lichte. Umgebung des Stich-
kanals mit grossen Mengen, zum Teil in dicke Klumpen geballten Russes
infiltriert. In einiger Entfernung Russ in feineren, mehr oder weniger
isolierten Körnchen. In dem umgebenden Gewebe schwarze, dem Russ
durchaus gleichende Körnchen.
Figur 4. Derselbe Schnitt im auffallenden Licht betrachtet. Einzelheiten der
Gewebsstruktur noch eben angedeutet, die hellen Keimzentren deutlich
sichtbar. Ein Teil der schwarzen Klumpen und Körnchen bleibt schwarz, |
ein anderer, vorwiegend in der Peripherie der Follikel gelegen, leuchtet
hell, rot auf. Die schwarz bleibenden Körnchen und Klumpen ent-
sprechen dem injizierten Russ, die aufleuchtenden „Körnohen“ den
künstlich in das Präparat hineingebrachten Wassertröpfchen.
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Archiv L Laryngologie. 29 Bd.
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Fig. 4
E laue, dth Inst. Berlin.
VI.
Die intranasalen Operationen bei eitrigen
Erkrankungen der Nebenhöhlen der Nase.')
Von
Dr. Halle (Charlottenburg).
(Hierzu Tafeln V und VI und 42 Textfiguren.)
Das Problem der zweckmässigsten Behandlungs- und Operationsmethoden
bei eitrigen Erkrankungen der Nasennebenhöhlen kann bisher nur als be-
dingt gelöst gelten, ja es ist vielleicht überhaupt nur bedingt
lösbar. Trotz der glänzend ausgebildeten Technik zumal für die äussere
Operation der Stirnhöhle wird man zugestehen müssen, dass ihr Erfolg
keineswegs immer ein zufriedenstellender ist. Selbst den geschicktesten
Operateuren begegnen Fälle, wo nicht nur der kosmetische Effekt nicht
einwandsfrei, ja ein schlechter, sondern auch der therapeutische Erfolg
durchaus problematisch ist. Auch der umfangreichste und gründlichste
Eingriff verhindert nicht immer, dass die Eiterung in erheblichem Grade
fortbesteht, und zuweilen führen selbst wiederholte Operationen von aussen
nicht zum Ziel?). So wird es verständlich, dass viele, und nicht die
schlechtesten Rhinologen die externe Operation bei Stirnhöhleneiterung
mehr und mehr für Ausnahmefälle reservieren und durch konservative
Therapie einen einigermassen zufriedenstellenden Erfolg zu erzielen suchen.
Für die Kieferhöhle dürfte das Problem der besten Methodik und des
günstigsten Erfolges als zufriedenstellend gelöst anzusehen sein. Hier war
es die bessere chirurgische Ausgestaltung unserer operativen Eingriffe in
der Nase und die Ausschaltung der vorübergehenden oder dauernden
Kommunikation mit dem Munde, die es ermöglichen, gute, ja z. T. vor-
zügliche Resultate zu erzielen.
Wie bedeutsam m. E. für die Therapie der Empyeme der Nebenhöhlen
eine normale Nasenatmung ist, habe ich m. W. als erster wiederholt betont3),
1) Naoh einem Vortrag, gehalten auf der 21. Tagung der Deutschen Laryngo-
logen in Kiel 1914.
2) Vgl. auch a) Maurice Denis, Annales des Maladies de l’oreille etc.
1912. S. 559. — b) R.H. Skillern, Ungünstige Folgezustände der äusseren
Operation der Stirnhöhle. Internat. med. Kongress in London 1913.
3) Berliner klin. Wochensohr. 1900. Nr. 35. Ebenda 1906. Nr. 42 u. 43.
— Archiv f. Laryngol. 1911. Bd. 24. Heft 2.
14 Halle, Die intranasalen Operationen usw.
und deswegen mag es hier genügen, auf diese Ausführungen hinzuweisen.
Luc hat später ebenfalls eindringlich die grosse Bedeutung der breiten
Ventilation der Nasengänge hervorgehoben. (Societé Française d’Oto-Rhino-
Laryngologie, Mai 1911.) Seitdem mit Einführung des Verfahrens nach
Caldwell-Luc und seiner Erweiterung durch Denker die Kieferhöhle
nach mehr oder minder radikaler Ausräumung der Mukosa vom Munde
abgeschlossen und eine breite Kommunikation mit der Nase hergestellt
wurde, seitdem wir es als selbstverständlich ansehen, dass Unregelmässig-
keiten erheblicher Art in der Nase vorher beseitigt werden müssen, kann
die günstige Wirkung der Respirationsluft in vollem Masse zur Geltung
kommen, und damit sind auch die Erfolge ausgezeichnete geworden.
Mir persönlich sagt noch mehr die Methode zu, die von Sturmann
und Canfield angegeben worden ist. Sie ist bekanntlich nichts anderes,
als ein „Denker“, von der Nase her ausgeführt. Wer sie hinreichend
geübt hat, wird sie gern anwenden, weil sie nicht nur eine höchst elegante
Methode ist, wenn man zu ihrer Ausführung Trephine und Fraise gebraucht,
sondern besonders, weil sie erlaubt, ohne die Mundhöhle auch nur vor-
übergehend zu eröffnen, die Kieferhöhle in gleicher oder doch fast gleicher
Uebersichtlichkeit freizulegen, jedenfalls aber genügend, um in alle Buchten
und Nischen der Höhle hineinsehen und die erforderlichen Eingriffe aus-
führen zu können. Sie ist auch für den Patienten fraglos die angenehmste,
weil er sofort Nahrung in fast beliebiger Form aufnehmen kann, weil der
Schnitt und die Naht im Munde vermieden wird und die sonst immerhin
vorkommende Unannehmlichkeit einer Fistel zwischen Kiefer- und Mund-
höhle ausgeschlossen bleibt. Da sich die Patienten auch leichter zu einem
intranasalen Eingriff entschliessen, so kann man ihnen eher dauernde Hilfe
bringen.
Für keine der anderen Höhlen lässt sich bisher mit gleicher Wahr-
scheinlichkeit ein voller Erfolg erwarten. Die Keilbeinhöhle neigt, wenn
die Mukosa stärker degeneriert ist, selbst nach breitester Freilegung
und sorgfältigster Nachbehandlung dazu, sich immer wieder bis auf eine
kleine Oeffnung zu schliessen, und» aus dieser quillt dauernd weiter das
eitrige Sekret. Das Siebbein war bisher mit Sicherheit von innen über-
haupt nicht völlig freizulegen ausser durch meine früher angegebene intra-
nasale Stirnhöhlenoperation!), bei der gleichzeitig die vordersten Siebbein-
zellen fortgenommen werden. Operiert man es aber von aussen, so kann
man wohl allen Anforderungen an einen radikalen Eingriff genügen, riskiert
jedoch eine nicht immer sicher kosmetisch befriedigende Narbe. Und bei
der Operation der Stirnhöhle von aussen hat die Ausbildung der vorzüg-
lichen Methoden von Killian, Jansen, Hoffmann, Riedel, Luc,
Ritter u. a. zwar in vielen Fällen ausgezeichnete Resultate ermöglicht,
in anderen aber sind, wie ausgeführt, entweder die kosmetischen oder die
therapeutischen Erfolge oder auch beide in keiner Weise befriedigend.
J) Berliner klin, Wochenschr. 1906.
Halle, Die intranasalen Operationen usw. 79
Schon lange hat man deswegen immer wieder versucht, die Technik
der intranasalen Behandlung der Stirnhöhle weiter auszubilden, und es ist
unbezweifelbar, dass bei der günstigen Lage des Ausführungsganges der
Höhle durch sorgsame konservative Behandlung oft durchaus zufrieden-
stellende Resultate erzielt werden können. Das wird u. a. von Hajek,
Onodi, Rethi, Rosenberg, Uchermann bestätigt. In einer erheblichen
Anzahl von Fällen aber bleibt diese Behandlung erfolglos, auch wenn sie
jahrelang fortgesetzt wird. Und so wurden die Bestrebungen gerechtfertigt,
durch Ausbildung der intranasalen Operation die Höhle besser zugängig
zu machen, um damit eine erfolgreichere Therapie zu ermöglichen und
einen externen Eingriff vermeiden zu können.
Die Versuche von Schäffer, mit einer festen Sonde oder einer Löffel-
sonde den Stirnhöhlenboden zwischen Septum und Concha media zu durch-
brechen, waren wohl die ersten. Schritte in diesem Sinne, konnten jedoch
naturgemäss keinen dauernden Erfolg zeitigen, wenngleich Schäffer in
28 Fällen gute Erfolge gesehen haben will. Spiess versuchte nach Ein-
führung der Röntgenphotographie, mit einem elektrisch betriebenen Bohrer
unter Leitung des Röntgenschirmes die Stirnhöhle von innen breit zu eröffnen.
Auch dieses Verfahren ist längst aufgegeben, schon weil wir genau wissen,
wie wenig sicher auf diesem diffizilen Gebiete die durch den Röntgen-
schirm ermöglichte Lokalisierung ist.
Der erste, der einen anscheinend betretbaren Weg angab, war Fletscher
Ingals. Er führte bekanntlich eine dünne Stahlsonde in die Stirnhöhle
(Fig. 1), schob darüber eine biegsame Hohlfraise und ging nun entlang
der Sonde in die Höhe (Fig. 2). Er meinte, da die Fraise durch die
Sonde zwangsläufig in die Stirnhöhle geführt würde, sei die Gefahr einer
Abweichung der Fraise und einer Nebenverletzung ausgeschlossen. Ich
habe schon in meinen früheren Arbeiten nachgewiesen, dass diese Ansicht
falsch ist. Fig. 1 zeigt, dass die eingeführte Sonde hinten der Tabula
vitrea unmittelbar anliegt. Dies ist so bei allen Präparaten, die ich ge-
sehen habe. Wird nun die Fraise hinaufgeführt, so muss sie, wenn der
Boden der Stirnhöhle durch harten Knochen gebildet wird, was meist der
Fall ist, nach hinten fest gegen die Tabula vitrea gedrückt werden, und
ein Durchfraisen der hier oft seidenpapierdünnen Tabula und eine
Verletzung der Dura ist durchaus möglich und in vielen Fällen sogar
wahrscheinlich. Auch ein Schützer, den Ingals nach der literarischen
. Diskussion mit mir angegeben hat, beseitigt die Gefahr nicht sicher, wie
der Gebrauch der Instrumente am Präparat lehrt. Man kann nicht leicht
Schützer, Handstück, Schützer der Fraisenwelle usw. zusammen dirigieren.
Ich habe deswegen geglaubt, von der Methode dringend abraten zu müssen.
Zudem ist die erzielte Oeffnung bestenfalls wenig weiter als 6 mm, ent-
sprechend dem Durchmesser der angewandten Fraise, und erlaubt daher
höchstens eine bessere Drainage und Durchlüftung der Höhle, die allerdings
für viele Fälle genügt. Bei wesentlich erkrankter Mukosa jedoch, die nicht
mehr oder doch nur in geringem Grade rückbildungsfähig ist, ist ein nennens-
76 Halle, Die intranasalen Operationen usw.
werter Erfolg kaum zu erzielen. Näheres habe ich über diese Frage in den
zitierten Arbeiten ausgeführt.
Damals fragte ich mich, ob es überhaupt möglich sei, die Stirnhöhle
von innen mit Sicherheit und in genügendem Umfange freizulegen. Ein-
gehende Studien am Kadaver liessen die Frage bejahen, und ich konnte
Figur 1.
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a Knochenmassiv der Spina nasalis interna. (Boden der Stirnhéhle.)
Figur 2.
schon im Jahre 1906 als erster darauf hinweisen, dass es möglich
sei, eine sehr weite Kommunikation der Stirnhöhle mit der Nase herzu-
stellen, wenn das den Boden der Stirnhöhle bildende Knochenmassiv, die
Spina nasalis interna (vgl. Fig. 1) fortgenommen würde, und ich konnte
zeigen, dass dies ohne Gefahr für die Tabula vitrea, die Lamina cribrosa
und für die Orbita auslührbar sei. i
Halle, Die intranasalen Operationen usw. TI
Alle späteren Versuche, die Stirnhöhle intranasal freizu-
legen, nehmen diesen Gedanken auf, ohne ihn allerdings immer
genau zu präzisieren oder auf diese meine prinzipiell wichtige
Operation hinzuweisen! Eine gleiche Uebersichtlichkeit des Operations-
feldes und eine gleich weite Freilegung der Stirnhöhle erreicht jedoch
keine der angegebenen Methoden !!
Ich erörtere hier nochmals mit wenigen Worten den damals be-
schrittenen Weg, weil er mir im ganzen recht befriedigende Resultate gab,
und weil er die Grundlage zu der neuen Methodik bildet, die ich weiterhin
ausführlich darstellen werde. Ich führte eine Sonde in die Stirnhöhle ein,
schob darüber einen biegsamen Schützer und zog dann die Sonde heraus.
(Fig. 3). Der Schützer lag jetzt der hinteren Stirnhöhlenwand an wie
Figur 3.
a Schützer; b scharfe Fraise.
die Sonde, deckte sie und gab zugleich die genaue Richtung an, in der
eine vorn scharfe Fraise, dünner als der Schützer, an diesem entlang
in die Höhe geführt werden konnte, ohne bei vorsichtigem Vorgehen die
Gefahr einer Nebenverletzung hervorzurufen. Die Fraise musste vom Schützer
weg nach vorn und oben geführt werden, immer so, dass er genau in der
gegebenen Richtung blieb. Sobald der Boden der Höhle soweit durchbohrt
war, dass eine dünne, vorn sorgfältig polierte, birnförmig gestaltete Fraise
(vgl. Instrumente Figg. 30, 31, 32) eingeführt werden konnte, musste die
scharfe Fraise fortgelassen werden, weil sie in der Höhle bei nicht exaktester
Führung abweichen und neben dem Schützer die hintere Stirnhöhlenwand
perforieren konnte. Die birnförmige Fraise aber nahm den Boden der
Höhle von oben nach unten absolut gefahrlos weg, und es gelang
auf diesem Wege, die Stirnhöhle unerwartet weit zu eröffnen, mit ge-
eigneten, von mir angegebenen Instrumenten bei nicht zu sehr gekammerten
Höhlen in alle oder fast alle Buchten und Nischen hineinzukommen,
78 Halle, Die intranasalen Operationen usw.
nötigenfalls die erkrankte Mukosa auszuräumen usw. Ich komme darauf
in meinen weiteren Ausführungen noch einmal zurück.
Unbedingtes Erfordernis für die Ausführbarkeit meiner
Operation war, dass es möglich war, eine Sonde in die Stirn-
höhle einzuführen! Mir war das in allen Fällen gelungen, bei denen
Figur 4.
Die Muscheln sind hier der besseren Uebersicht wegen fortgenommen.
Eine Siebbeinzelle überlagert die Keilbeinhöhle.
Figur 5.
Stirnhöhle freigelegt, Siebbein mit vordersten Zellen ausgeräumt, Keilbeinhöhle
breit eröffnet und in die grosse geschaffene Höhle einbezogen.
eine Operation der Höhle nötig war. Diese Angabe wurde s. Z. lebhaft be-
stritten. Doch haben mich die Untersuchungen der späteren Zeit von der
Richtigkeit meiner Ansicht überzeugt. Auch sprechen die später zu er-
örternden Versuche Ritters mit seinen Bougies u. a. durchaus dafür.
In wie weitem Umfange es möglich war, eine Kommunikation der
Stirnhöhle mit der Nase herbeizuführen, und, von der sichtbar gemachten
Halle, Die intranasalen Operationen usw. 19
Umbiegungsstelle der Tabula interna nach hinten beginnend, das Sieb-
beinlabyrinth mit grosser Sicherheit auszuräumen, um nötigenfalls durch
Einbeziehung der Keilbeinhöhle die grösstmögliche Eröffnung und Ver-
einigung der Höhlen herzustellen, das mögen folgende Figuren beweisen.
(Fig. 4 u. 5.)
Die Methode hat nur wenig Anklang gefunden, hauptsächlich wohl
weil man sie für viel gefährlicher hielt, als sie tatsächlich ist. Besonders
scheute man sich vor dem Gebrauch der Fraisen, die in geübter Hand so
ausserordentlich wirksame, elegante und — bis auf die vorn scharfe Fraise —
direkt gefahrlose Instrumente sind. Auch glaubte man wohl nicht recht
an die Möglichkeit, die Stirnhöhle in so weitem Umfange freizulegen.
Ausführlicher hat sie m. W. nur Ballenger in seinem Lehrbuch be-
schrieben. Bönninghaus erwähnt sie in dem bekannten Handbuch von
Katz mit wenigen Worten (Seite 150). Er meint, ich sei wohl infolge
der Bedenken, die in der Diskussion zu meinem Vortrag in der Berliner
medizinischen Gesellschaft 1906 auftauchten, weniger operationsfreudig
geworden, da ich danach scheinbar bis zum Jahre 1910 nur einen Fall
operiert hätte. Immerhin spricht er der Operation in der Hand eines
besonders geschickten und vorsichtigen Operateurs die Berechtigung nicht
ab und hält weitere Erfahrungen für nötig.
Ich habe aber in der Berliner laryngologischen Gesellschaft im
November 1910 über 19 intranasal operierte Fälle berichtet. Und wenn
diese Zahl auch keine nennenswerte Vermehrung der von mir im Jahre
1906 referierten Fälle bedeutet, so lag das daran, dass ich damals über-
haupt nicht viele Patienten sah, bei denen ich eine Stirnhöhlenoperation
für indiziert gehalten habe. Ich habe in den 4 Jahren auch nur zweimal
nötig gehabt, eine externe Operation auszuführen. Unerschütterlich fest
aber stand es bei mir, angesichts der oft gesehenen Resultate der äusseren
Operation, dass für eine recht grosse Anzahl der Fälle der von mir be-
tretene Weg der richtige sein müsse, wenn auch der Modus procedendi
vielleicht zu verbessern wäre.
Dass auch zahlreiche andere Rhinologen mit den durch die externe
Operation erzielten Erfolgen nicht zufrieden waren, bewiesen und beweisen die
vielfachen Versuche, die Stirnhöhle auf ähnlichem Wege wie dem von mir an-
gegebenen intranasal breit zu eröffnen und konservativ zu behandeln. Ich
erwähne die Versuche meines Schülers Good!), der mit einer Art Raspel in
die Höhle eingehen und die Spina nasalis interna verkleinern will (vgl. Fig. 6).
Jedoch kann damit nur in beschränktem Umfange eine Erweiterung erzielt
werden. Denn der Knochen ist meist an dieser Stelle ausserordentlich
hart, und die Raspel kann, wie man sich leicht überzeugt, in dem kleinen
Raum nur mit kleiner Exkursion und mit geringer Kraft geführt werden, so
dass sich nur unter günstigen Umständen viel vom Boden fortnehmen
lassen wird. Aehnlich sind die Methoden von Segura und besonders von
1) Vgl. Archiv f. Laryngol. 1911.
80 Halle, Die intranasalen Operationen usw.
Myles, auf deren Unzulänglichkeit ich in meiner Arbeit im Jahre 1910
hingewiesen habe. Ich unterlasse es deswegen, hier nochmals darauf ein-
zugehen.
Alle diese Versuche aber, ausgenommen den von Ingals, der nur
eine Verbreiterung der natürlichen Oeffnung anstrebt, verfolgen das-
selbe von mir angegebene Prinzip, den Boden der Stirnhöhle, teilweise
oder ganz, gefahrlos fortzunehmen, ohne dass einer das Ziel annähernd so
umfangreich erreicht, wie meine Methode. Ich komme bei der Besprechung
der Methoden von Vacher, Watson-Williams und Rethi darauf zurück.
Wenngleich die Erfolge, die ich mit meiner intranasalen Operation bei Er-
krankung der Sirnhöhle und der vorderen Siebbeinzellen erzielte, durchaus
zufriedenstellende waren, und ich die ersten nach diesem Verfahren
Figur 6.
Raspel
operierten Fälle aus dem Jahre 1904 vor kurzem als geheilt und mit
weiter Kommunikation zwischen Nase und Stirnhöhle vorstellen konnte, so
musste ich doch die Ueberzeugung gewinnen, dass viele Kollegen sich
nicht zu dem von mir vorgeschlagenen Wege entschliessen würden, weil
sie Gefahren fürchten, die bei nicht exakter und vorsichtiger Führung der
Instrumente fraglos möglich sind. Auch musste ich mir sagen, dass noch
andere Unvollkommenheiten meiner Methode anhafteten. Ich suchte daher
nach einem Modus, die intranasale Operation der Nebenhöhlen in Wirklich-
keit zu einer, auch in weniger geübten Händen, möglichst vollkommenen
und gefahrlosen zu gestalten.
Zwei Momente waren es, die mir den Weg wiesen. Meine Bemühungen
um die beste Methode der intranasalen Tränensackoperation zeigten mir
den Wert der Erhaltung eines möglichst grossen Schleimhautperiostlappens
auf der lateralen Nasenwand!). In einer Reihe meiner Tränensackfälle
1) Archiv f. Laryngol. Bd. 28. Heft 2.
Halle, Die intranasalen Operationen usw. Sl
musste ich auch medial überlagernde Siebbeinzellen abtragen. Dabei fiel
mir bei einigen Patienten auf, wie ausserordentlich leicht man mit einer
ziemlich starken Sonde in die Stirnhöhle eindringen konnte.
Eine weitere Anregung gab mir der Vortrag von Ritter in der
Berliner laryngologischen Gesellschaft 1912 „Ueber stumpfe Erweiterung
der Stirnhöhlenöffnung“, in dem er zeigte, dass man nach Fortnahme des
vorderen Endes der mittleren Muschel gewöhnlich Bougies von steigender
Stärke unschwer in die Höhle einführen könnte. Auch beständen keine
Bedenken, etwa vorgelagerte Siebbeinzellen, die in die Stirnhöhle hinein-
ragten, zu durchstossen und mit den von ihm angegebenen scharfen
Küretten die Knochenstückchen zu entfernen.
Mit den Ritterschen Bougies erreichte man also dasselbe
wie mit der Operation von Ingals, da das stärkste Bougie etwa
der Stärke der Fraise von Ingals entspricht, nur auf viel ge-
[ahrloserem Wege. Dagegen bestehen einige Bedenken hinsichtlich der
Möglichkeit, durch die erzielte immerhin kleine Oeffnung mit den von ihm
angegebenen, winklig gestellten Küretten (vgl. Fig. 32) die durchstossenen
und zur Seite gedrängten Knochenstückchen einigermassen sicher zu ent-
fernen. Und bleiben sie liegen, so können sie zu Granulationsbildungen,
zu kleinen Rezessus und zu Sekretbildung Anlass geben. Hier möchte ich
auch die anderen Versuche erwähnen, mit ganz feinen scharfen Löffeln
in die Stirnhöhle einzudringen und damit an der Mündung liegende
Schleimhaut oder dgl. auszukratzen. Ein Erfolg über eine geringe Er-
weiterung der Ausführungsöffnung hinaus ist natürlich nicht zu erwarten,
wenn diese Instrumente in der Nähe der Höhlenmündung ein wenig
herumarbeiten. Knochenteile vom Boden der Höhle, nennenswerte Teile
der erkrankten Schleimhaut oder vorliegende Siebbeinzellen kann man
damit kaum entfernen. Demgegenüber erscheint die Erweiterung mit den
Ritterschen Bougies als viel rationeller und ist auch wohl für die
Behandlung in vielen Fällen ausreichend. Führt die konservative
Therapie aber auch nach Erweiterung der Ausführungsöffnung nicht zu
einem befriedigenden Erfolg, dann erscheint mir mein neues Verfahren sehr
empfehlenswert.
Nach einer grösseren Reihe von Versuchen glaube ich jetzt, es
so weit vervollkommnet zu haben, dass es allen Anforderungen entspricht,
die man an eine einwandsfreie. übersichtliche und chirurgisch ausgeführte
intranasale Operation der Stirnhöhle und des Siebbeins stellen kann. Der
Eingriff ist in lokaler Anästhesie in kürzester Zeit ausführbar.
Vorbereitung: Abwaschen der Nase und Umgebung mit Alkohol
und Jodbenzin. Introitus und Nasenspitze wird mit Jodtinktur bepinselt,
vor den Mund und eventuellen Schnurrbart wird mein Mundgitter mit
einem sterilen Gazelappen gelegt. Einhüllen des Kopfes mit sterilem Tuch.
Anästhesie: Regionäre mit !/, proz. Novokain mit Suprareninzusatz
(etwa 10—15 Tropfen) oder Einreibung der Nasenschleimhaut mit 10 proz.
Kokain, Injektion von !/, proz. Novokain in die Schleimhaut der lateralen
Archiv für Laryngologie. 29 Bd. 1. Heft. 6
S? Halle, Die intranasalen Operationen usw.
Nasenwand und in die Haut über der Nasenwurzel. Beide Methoden
zeben gleich gute Resultate und fast völlige Blutleere.
Der Kopf des Patiententen liegt nach hinten geneigt und gegen eine
feste Kopfstütze gedrückt. Er wird von einem Assistenten gehalten. Kaum
nötig dürfte es sein zu betonen, dass eine vorhandene Deviatio septi oder
eine starke Verdickung des Tuberculum septi vorher oder in derselben
Sitzung beseitigt werden muss.
Siebbein- und Stirnhöhlenoperation.
Nunmehr wird auf der lateralen Wand der Nase ein Sehleimhaut-
periostlappen gebildet. Mit einem langen schmalen Messer wird ein
Schnitt geführt, der am Nasendach beginnt, so hoch wie man kommen
kann. Er umkreist von hinten oben her bogenförmig den vorderen Ansatz
der mittleren Muschel an dem aufsteigenden Kieferast und endet unterhalb
des vorderen Endes der mittleren Muschel im mittleren Naseneingang. Am
Nasendach wird dieser Schnitt fortgeführt bis in die Nähe der Apertura
piriformis und biegt hier nach hinten und unten, etwas oberhalb des
Randes der Apertur geführt, um in der Gegend des vorderen Ansatzes der
unteren Muschel zu enden. (Fig. 7.)
Es ist notwendig, den Schnitt vorsichtig aber fest bis auf den Knochen
durchzuführen. Empfehlenswert ist es, dass man, besonders im hinteren
oberen Winkel, die Schnittlinien sich etwas überkreuzen lässt, um ein
sicheres Ablösen zu gewährleisten. Der gebildete Schleimhautperiostlappen
wird sorgsam vom Knochen mit meinem dünnen Elevatorium abgehoben.
nach hinten und unten geschlagen und mit einem Tupfer geschützt.
(Fig. 8.)
Es ist erstaunlich, ein wieviel klareres Bild von den vorliegenden
anatomischen Verhältnissen und einen wieviel besseren Ueberblick über
ddas Operationsfeld man schon jetzt bekommt, nachden die 1, bis manch-
mal 3 mm (!) dieke Schleimhaut heruntergeschlagen ist. Scharf umgrenzt
liegt vor allem der Agger narium vor dem Ansatz der mittleren Muschel.
hie und da sieht man auch schon eine kleine vorderste Siebbeinzelle
freiliegen.
Nun wird der vordere Ansatz der mittleren Muschel mit leichten
Meisselschlägen vom aufsteigenden Öberkieferaste abgetrennt. Man kann
dazu auch eine starke Schere oder dgl. benutzen, jedoch kann man mit
dem Meissel schärfer die gewünschten Konturen umgrenzen. Die ganze.
völlig erhaltene mittlere Muschel wird nach medial gedrängt. Nur
polypös degenerierte oder nennenswert hypertrophische Teile werden mit
der Schere oder Schlinge abgetragen. Hierauf wird der Agger narium
und ein Teil des aufsteigenden Kieferastes, so weit es nötig erscheint. mit
vorsichtigen aber kräftigen Meisselschlägen abgemeisselt. Ich habe dafür
einen einfachen Meissel angegeben (vgl. die Instrumente). Brauchbar ist
auch der von West für die Tränensackoperation. Eine Gefahr ist bei
einem einigermassen vorsiehtigen Vorgehen und bei Kenntnis
Halle, Die intranasalen Operationen usw. 83
der Anatomie um so sicherer ausgeschlossen, als man jede
Manipulation genau übersehen kann. Zur Verschmälerung des Kiefer-
astes und breiteren Freilegung des Gesichtsfeldes kann man eine der ange-
gebenen Fraisen benutzen. Am besten geeignet ist die konische, vorn
Figur 7.
Bildung des Schleimhautperiostlappens.
Figur 8.
Schleimhautperiostlappen nach hinten unten geklappt. Vorderer Rand der
mittleren Muschel, Agger narium und laterale Nasenwand freigelest.
wie alle anderen sorgfältig polierte Form, mit der man unter Leitung
des Auges den Knochen soweit abfraist. wie es wünschenswert erscheint.
Das vorn polierte Ende schliesst eine Nebenverletzung völlig
aus, auch wenn ein weniger Geübter einmal mit dem Instrument ab-
gleitet. Unbedingt notwendig ist aber die Fraise weder hier noch an
anderer Stelle!
a
84 Halle, Die intranasalen Operationen usw.
q Freilegung des Siebbeins.
Schon bei den ersten Meisselschligen sieht man oft, dass kranke
Siebbeinzellen, die man durch vorhergegangene Operation nach früheren
Methoden völlig entfernt glaubte, mit Eiter oder Polypen gefüllt freigelegt
werden. Nimmt man die losgeschlagenen Knochenstücke weg, so kann
man mit grosser Sicherheit die vor dem Auge liegenden Siebbeinzellen
ausräumen und gewinnt damit einen Ueberblick iiber das Operationsfeld,
der für jeden direkt überraschend ist, der ihn zum erstenmal sieht. Man
Figur 9.
Einblick in die vordersten Siebbeinzellen. Stirnhöhlenöffnung und
Umbiegungsstelle der hinteren Stirnhöhlenwand sichtbar.
erkennt genau die Umbiegungsstelle der Stirnhöhlenhinterwand
nach hinten! Auf das Deutlichste erkennt man alle vorn gelegenen Zellen
des Siebbeinlabyrinths, soweit sie nicht in die Stirnhöhle hineinragen.
sieht ihre laterale Begrenzung durch die Lamina papyraca und kann von
hier aus die vorher unerreichbaren erkrankten Zellen unter Kontrolle des
Auges sicher ausräumen, immer geleitet von dem sichtbaren Nasen- bzw.
Siebbeindach und der Lamina papyracea! (Fig.9.) Ich habe den Eindruck, dass
man auf diesem Wege das Siebbeinlabyrinth klarer übersehen und zum
mindesten mit ebenso grosser Sicherheit operativ angreifen und bis in alle
Buchten verfolgen kann, als wenn man durch die kleine, bei der äusseren
Operation geschaffene Oeffnung sieht! Die erhaltene mittlere Muschel
gibt auch einen ausgezeichneten Schutz gegen eine unvor-
sichtige oder dureh ungünstige anatomische Verhältnisse
herbeigeführte Verletzung der Lamina cribrosa. Diese wird über-
haupt nicht freigelegt und höchstens kontrolliert, wenn man zum Schluss
der Operation die mittlere Muschel nach lateral hinüberdrängt, um ihre
mediale Fläche zur Inspektion zu bekommen.
Die Differenz des möglichen Ueberblickes über das Operationsgebiet
bei der bisherigen Methodik und der von mir vorgeschlagenen wird durch
Halle, Die intranasalen Operationen usw. SO
zwei Linien gegeben (Fig. 10), die man vom Naseneingang einmal nach
dem früher meist abgetragenen vorderen Teil der mittleren Muschel zieht,
und zweitens nach dem vorderen oberen Schnittpunkt des Schleimhaut-
periostlappens. Man konnte früher sehen von a rückwärts bis zur Keil-
beinhöhle b und in diese hinein, während man jetzt von ce rückwärts
sehen kann. Die Differenz ist recht bedeutend. Man erkennt, dass der
zu übersehende Raum (b, c) fast um das Doppelte grösser geworden ist.
Welche speziellen Methoden man nun zur Ausräumung des erkrankten
Siebbeinlabyrinths anwenden will, bleibt der Erfahrung und dem Geschmack
ddes Operateurs durchaus überlassen. Jeder Weg muss jetzt zu einem
zuten Erfolg führen, da man das freigelegte Dach des Siebbeins und die
Lamina papyracea als sichere Führer hat und die erhaltene mittlere
Figur 10.
Zwei Linien, vom Introitus narium gedacht nach dem früher oft fortgenommenen
Ende der mittleren Muschel (da) und dem vorderen Winkel des Lappens (de)
umgrenzen den Umfang des gewonnenen Üperationsfeldes.
Muschel nach medial schützt. leh gebrauche gewöhnlich nur einen geraden
und einen nach oben gebogenen Doppellöffel nach Grünwald und, um
die Zellen vorher zu umschneiden, ein grades Messer.
Von grosser Wichtigkeit weiterhin ist, dass man in allen Fällen —
wenigstens in allen, die ich am Kadaver oder in vivo gesehen habe — als-
bald aufs klarste den Eingang in die Stirnhöhle erkennt. (Fig.9.) Der Anfänger,
der sich noch nicht sicher fühlt, wird zweckmässig eins der Ritterschen
Bougies einführen. Man geht von dem dünnsten zum stärksten schnell
über (Fig. 11) und kontrolliert, event. durch Ausspülung, ob die Stirn-
höhle krank ist.
Man kann hier halt machen. Das Siebbein liegt in weitestem Um-
fange frei. Man könnte glauben, ein Präparat vor sich zu haben. Es
wird selten vorkommen, dass eine Zelle so versteckt liegt, dass sie un-
erreichbar bleibt. Der breite bzw. verbreiterte Zugang zur Stirnhöhle
56 Halle, Die intranasalen Operationen usw.
Figur 1l.
Einführung der Ritterschen Bougies.
sichert einen guten Abfluss des Eiters. Liegt aber eine Indikation vor, die
Höhle möglichst weit freizulegen und vielleicht die kranke Schleimhaut
zu entfernen. so schreitet man zur internen Operation der Stirnhöhle.
Stirnhöhlenoperation.
Während man bei der früher von mir angegebenen Methode mit
scharfer Fraise, gedeckt durch einen Schützer, nach oben, gewissermassen
ins Dunkle gehen musste (Fig. 3), kann man jetzt eine meiner birnenförmigen
Fraisen, von denen man gewöhnlich zuerst die kleinste wählen wird,
unter Leitung des Auges in die Oeffnung der Stirnhöhle einführen
(Fig. 12). Diese Fraisen haben einen verdickten Kopf, dessen vor-
springendes gerundetes Ende aufs sorgfältigste poliert ist. Sie schneiden
nur beim Zug nach abwärts und nach vorn und können niemals, selbst
wenn sie lange gegen die dünnste Siebbeinknochenwand ar-
beiten, mit dem Kopf eine Verletzung herbeiführen. Sie können
auch seitlich nur soweit schneiden, als Knochenteile unterhalb des Kopfes
vorspringen, können also niemals über die Seitenwände einer Höhle hinaus
schneiden. Weichteile werden von ihnen zur Seite geschoben und bleiben
immer unverletzt. Selbst wenn jemand die grobe Unvorsichtigkeit begeht,
lange gegen die Tabula interna mit ihnen zu arbeiten, ist eine Verletzung
auch eines papierdünnen Knochens unmöglich, wie ein Versuch schnell
lehrt. Ich habe auch am Präparate versucht, mit diesen Fraisen medial
über die Grenze der Stirnhöhle zu dringen, um gewaltsam eine Verletzung
der etwa weit vorgelagerten Lamina cribosa herbeizuführen. Es ist mir bei
meinen Präparaten nicht gelungen. Und schliesslich dürfte doch niemand
auf den Gedanken kommen, mit Gewalt nach medial vorzudriingen!
Die Fraise ist das Instrument, das auf engstem Raum mit
grösster Kraft arbeitet und, soweit es sich um die birnförmigen
ITalle, Die intranasalen Operationen usw. 51
handelt, mit absoluter Sicherheit arbeitet! Ein wenig Uebung
in ihrer Handhabung ist wohl nötig, doch ist sie schnell erlernt.
Mit dieser birnförmigen Fraise wird nun die Spina nasalis interna,
d. h. der Boden der Stirnhöhle, mit grosser Schnelligkeit von hinten nach
vorn weggenommen, indem man die Fraise von oben nach unten und von
hinten nach vorn arbeiten lässt. Man tut gut, die Fraisen öfters zu
wechseln, damit sie nicht zu heiss werden und man immer frisch schneidende
benutzt. Das in dem Handstück befindliche Nutenende dreht sich dann
auch weniger leicht ab. Man nimmt, sobald es geht. die dickeren und
die dieksten Instrumente, weil die dieksten die sichersten sind und man
mit ihnen am schnellsten und breitesten den Knochen fortnehmen kann.
Figur 12.
Die birnförmige Fraise tritt an die Stelle des Bougies. Sie wird unter Leitung
des Auges aufs Deutlichste in die Stirnhöhlenmündung eingeführt.
An der Vorderwand wendet man zum Schluss der Operation noch zweck-
mässig die konischen oder walzenförmigen Fraisen an, um vorn eine
möglichst grade Blickrichtung zu schaffen. Niemals aber darf man
diese Instrumente an der medialen Höhlenwand gebrauchen,
weil sie über die Grenzen der Wand hinaus schneiden können!
Will jemand durchaus einen Meissel gebrauchen, so ist ein nach
rückwärts gebogener zu empfehlen, etwa wie die, welche ich früher ange-
geben habe oder wie der Westsche Hohlmeissel für die Tränensackoperation.
Im Prinzip ändert das natürlich nichts an der Operation, jedoch kann ein
Meissel in dieser Gegend, wenn er abgleitet, was immerhin auch dem Ge-
übten passieren kann, recht ernsten Schaden anrichten. Jedenfalls ist die
Fraise ein ungleich sichereres Instrument! Auch der Patient empfindet das
ihm vom Plombieren gewohnte Bohren meist viel weniger unangenehm
als das Meisseln.
SS Halle, Die intranasalen Operationen usw.
Der Boden der Stirnhéhle wird in beliebigem Umfange fortgenommen.
Die Grenze ist nach vorn durch den Winkel zwischen Stirn und Nasen-
rücken gegeben. Es schadet nicht, wenn man bis zum Periost vordringt.
Dieses selbst weicht vor der Fraise aus. Die Grösse der erreichbaren
Oeffnung schwankt zwischen 1 X 11, bis 2 X 3 em (vgl. Figg. 4, 5 u. 13).
Figur 13.
Untere Wand der Stirnhöhle (Knochenmassiv) entfernt. Zugang zur Höhle in
ganzer Ausdehnung der erreichbaren Oeffnung.
Figur 14.
Eingeführter biegsamer Löffel, nach vorn gerichtet.
Man erkennt, dass die mögliche Oefinung recht gross werden kann.
Jedenfalls kann man mit grosser Leichtigkeit meine biegsamen scharien
Löffel und Küretten (Fig. 31) einführen und bei nicht exzessiv gestalteten
Höhlen die ganze kranke Schleimhaut mit mindestens derselben Sicherheit
Halle, Die intranasalen Operationen usw. 89
auskratzen, wie es der Gynäkologe beim Uterus tut, ja, da fast überall
starke Knochenwände bestehen und nur eine Stelle an der Tabula interna
hin und wieder besonders dünn ist, mit ungleich grösserer Sicherheit. Vorn
und seitlich ist überhaupt keine Gefahr, vorsichtig wird man dagegen an
der hinteren und medialen Wand sein müssen. Die Küretten sind etwas
Figur 15.
Eingeführter biegsamer Löffel, nach der Seite gerichtet.
Figur 16.
Eingeführter biegsamer Löffel, nach hinten gerichtet.
nach vorn und nach hinten gebogen. Sie haben einen Stiel aus Kupfer
und lassen sich leicht nachbiegen. Man kann ihnen deswegen eine be-
liebige Richtung geben, kann aber mit ihnen keinen sehr starken Druck
ausüben, weil sie dann nachgeben‘ Kleine Knochenleisten fühlt man genau
und kann sie, wenn sie zart sind, mit dem Löffel fortnehmen, oder die
Mukosa vor und hinter ihnen abkratzen (Figg. 14, 15, 16).
90) Halle, Die intranasalen Operationen usw.
Dass jede Leiste oder jede Spur der kranken Schleimhaut ent-
fernt wird, wie es bei der externen Operation, bei der eine Verödung
der Höhle angestrebt wird, durchaus erforderlich ist, erscheint bei dieser
Methode nicht absolut notwendig. Die Höhle soll ja offen bleiben,
Figur 17.
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Mittlere Muschel nach medial und oben geschlagen. Man sieht in die Stirnhöhle
und das ausgeräumte Siebbeinlabyrinth.
Der Schleimhautperiostlappen zurückgeklappt, deckt die ganze Wundlläche und
legt sich mit dem hinteren oberen Zipfel in die Stirnhöhle, die dadurch offen
vehalten wird. Die mittlere Muschel liegt wieder an normaler Stelle. Es ist
kaum etwas von der umfangreichen Operation zu sehen.
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und man kann erforderlichenfalls jederzeit wieder eindringen, um die
Schleimhaut weiterhin zu entfernen.
Fig. 17 zeigt, wie gross das freigelegte Operationsgebiet ist und wie
weit es übersehen werden kann. (Vgl. auch Fig. 4 u. 5.)
Halle, Die intranasalen Operationen usw. 91
Zum Schluss wird der Schleimhautperiostlappen nach oben geklappt,
möglichst tief in den Eingang der Stirnhöhle gelegt und dort mit einem
kleinen Stückchen Vioformgaze festgehalten. Die mittlere Muschel legt
sich auf ihren Platz zurück, der Lappen heilt in wenigen Tagen an, und
nach kurzer Zeit erscheint die Nase nach diesem umfangreichen Eingriff
dem Untersucher, der nicht genau hinsieht, durchaus so wie wenn darin
var nicht operiert worden wäre. (Fig. 18.)
Die für die Operation erforderliche Zeit ist eine recht kurze, wird
aber natürlich von der Uebung abhängen. Wer einigermassen die Technik
der intranasalen Operation beherrscht, wird Siebbein und Stirnhöhle in
einer halben Stunde bequem freilegen und ausräumen können. Ich habe
oft noch nicht die Hälfte der Zeit nötig gehabt.
Eine weitere Serie von Bildern zeigt noch einmal an einem anderen
Präparat die einzelnen Phasen der Operation.
Fig. 19. Schnittführung.
Fig. 20. Herunterklappen des Lappens.
Fig. 21. Agger narium und ein Teil des aufsteigenden Kieferastes fort-
genommen, ein Rittersches Bougie ist in die Stirnhöhle
eingeführt.
Fig. 22. Zwei Linien, da und de. zeigen die Differenz in der Grösse
des alten und des sichtbar gemachten neuen Operationsfeldes.
Differenz: früher a bis b, jetzt um ac grösser, also fast das
doppelte Feld.
ig. 23. Birnenförmige Fraise in situ.
Fig. 24. Untere Wand der Stirnhöhle ist fortgenommen.
Fig. 25. Eingeführter biegsamer Löffel, nach der Seite gerichtet.
Fig. 26. Das Siebbeinlabyrinth ausgeräumt. Blick über die freigelegte
Stirnhöhle und das Siebbein.
Fig. 27. Mittlere Muschel ist reponiert und der Schleimhautperiost-
lappen deckt die Wundfläche. Normal aussehende Nase.
Während ich noch meine neue Methode an einer grösseren Reihe von
Patienten erprobte, erschien eine Arbeit von Mosher-Boston!) über ein
neues Verfahren der Siebbeinoperation, das er auf Grund seiner anatomischen
Studien ausgearbeitet hatte. Er geht in der Weise vor, dass er mit einer
Kürette den Agger narium durchbricht,e dadurch in die vordersten Sieb-
beinzellen hineinkommt und von hier aus das Labyrinth ausräumt. Er
stellt ebenfalls eine verblüffende Uebersichtlichkeit des Operationsfeldes
fest und macht darauf aufmerksam, dass er in seinen Fällen nach Ein-
bruch in die vordersten Siebbeinzellen ausserordentlich leicht in die
Stirnhöhle gelangen konnte. Luc?), der diese Operation bei Mosher
1) The Applied Anatomy and the Intra-nasal Surgery of the Ethmoidal
Labyrinth. The Laryngoscope. September 1913.
2) Annales des Maladies de l’Oreille, du Larynx etc. 1913. 6. livraison.
Halle, Die
intranasalen Operationen usw.
Figur 19.
Halle, Die intranasalen Operationen usw.
Figur 22.
94
Halle, Die intranasalen Operationen usw.
Figur 25.
Figur 26.
Halle, Die intranasalen Operationen usw. 95
gesehen hat, lobt sie sehr und betont die gute erzielbare Uebersicht-
lichkeit.
Das von Mosher angegebene Verfahren hat grosse Aehnlichkeit mit
dem vom Ritter vorgetragenen (l. c.), nur dass dieser versucht, von hinten
her so viel wie möglich vom Agger fortzunehmen, während Mosher den
Agger, der die Uebersichtlichkeit stört, vorher durchbricht. Mir war diese
Arbeit eine angenehme Bestätigung meiner Versuche, wenngleich betont
werden muss, dass die nach dem Verfahren von Mosher zu erzielende
Uebersichtlichkeit in keiner Weise mit der verglichen werden kann, die
das meinige erreicht. Auch ist darauf hinzuweisen, dass schon meine
7 Jahre früher erschienene Arbeit (l. c.) eine Methode angibt, bei der in viel
srösserem Umfange die Uebersicht über das ganze Siebbeinlabyrinth und
die Möglichkeit ausgiebigster Operation zu erreichen ist, als durch Moshers
Verfahren denkbar ist, weil hierbei der feste Knochen des Kielerastes stehen
bleibt, der die Uebersichtlichkeit ungemein beeinträchtigt. Nur wurde meine
Methode für gefährlich gehalten und deswegen kaum nachgeprüft.
Luc hat sich davon überzeugt, dass die Stirnhöhlenöffnung auf dem
von Mosher angegebenen Wege sehr oft direkt freigelegt wird, hegt aber
Bedenken hinsichtlich der Behandlung der Stirnhöhle auf diesem Wege.
Man kann diese Bedenken in gewissem Umfange teilen. Wenn es sich um
wesentliche Veränderung der Stirnhöhlenschleimhaut handelt. so genügen Frei-
legung und Ausspülungen nicht immer. und das Kürettieren mit irgend einem
feinen Löffel oder dgl. in der Höhle durch die auch nach dem Ritterschen
Dilatieren enge Ausführungsöffnung kann bestenfalls ein wenig der vom
liegenden erkrankten Schleimhaut, vielleicht auch einmal einen Polyp heraus-
befördern. Aber einen Einfluss auf die Stirnböhlenerkrankung ausüben, der
über einen besseren Abfluss, bessere Behandlungsmöglichkeit und über bessere
Zuführung der Respirationsluft hinausgeht, kann man damit keinesfalls.
Für die intranasale Operation der Stirnhöhle haben sich in neuerer
Zeit auch besonders zwei französische Autoren eingesetzt, Vacher und
Denis. Letzterer war lange Anhänger der externen Stirnhöhlenoperation
gewesen. Doch haben ihn seine Beobachtungen der so vperierten Fälle
und die durch interne Operation möglichen Erfolge dahin geführt, die von
Vacher angegebene Methode weiter auszubauen !).
Die Autoren führen in den Fällen, bei denen die Stirnhöhle sondierbar
ist — auch nach ihrer Ansicht ist das in der Mehrzahl der Fälle möglich —
ein Stilett oder eine gekriimmte Pinzette (stylet ou pince coudé) in die
Höhle ein (S. 578), durch den erweiterten Canalis naso-frontalis oder „durch
eine artifizielle Miindung, die der Eiter gebahnt hat. (!?) Sie erweitern
die Oeffnung mit einer Art Raspel (stylet ripe), indem sie mit dem
dünnsten Instrument beginnen, up allmählich stärkere Nummern zu
wählen. Hiermit greifen sie die „vordere“ knöcherne Wand an, indem sie
1) Traitement des sinuisites frontales par voie endo-nasale. Annales des
maladies de l'oreille etc. 1912. 6. Livraison.
96 Halle, Die intranasalen Operationen usw.
mit ziemlicher Kraft die Raspel von oben nach unten gegen den „ziemlich
widerstandsfähigen knöchernen Block wirken lassen, der die vordere Wand
des Kanals bildet“. Zum Schluss wird der Sinus frontalis curettiert.
In den Fällen, wo der Katheterismus der Stirnhöhle unmöglich ist,
wird der Eingang forziert (S. 579, 580). Ich unterlasse es, dieses Manöver
genauer zu beschreiben, weil ich es nicht für sehr empfehlenswert halte.
Die Arbeit von Denis enthält viele bemerkenswerte und interessante
Details, vieles, was ich in meinen früheren Arbeiten ausgeführt habe, findet
sich hier wiederholt, trotzdem ich den Eindruck habe, dass Denis meine
Arbeit im Original nicht vorgelegen hat, da ihm sonst nicht entgangen
sein könnte, dass meine 5 Jahre früher publizierte Methode im Prinzip
wenigstens das Problem der weiten Eröffnung der Stirnhöhle in viel um-
fangreicherer Weise gelöst hat als die von Vacher. Diese hat, wie man
leicht erkennt, sehr grosse Aehnlichkeit mit der von Good, vor der ich
ihr kaum einen Vorteil zusprechen kann. Der Stirnhöhlenboden wird mit
den „stylets räpes“ ebenfalls nnr in mässigem Umfange fortgenommen
werden können, weil, wie auch Denis sagt, der „bloc osseux“ oder wie
ich es ausdriickte, das Knochenmassiv, das den Boden der Héhle bildet.
sehr hart zu sein pflegt. Wenn die Methode auch in vielen Fällen ge-
nügen wird, -- Denis berichtet über 12 Beobachtungen bzw. Operationen
bis zum Jahre 1912 — so kann keine Rede davon sein, dass man einen
halbwegs so guten Einblick in die Höhle oder eine Fortnahme des Stirn-
höhlenbodens in annähernd dem Umfange erreichen könnte, wie meine im
Jahre 1906 veröffentliche Methode zeigt. Dass sie mit meinem neuen
Verfahren, das ein Operieren unter dauernder Kontrolle des Auges erlaubt
und andere fundamentale Vorteile hat, nicht verglichen werden kann, er-
gibt sich danach von selbst.
Bessere Erfolge scheinen mit der Methode von Watson-Willianıs
erreichbar. Williams!) geht, ähnlich wie Mosher, vom Agger narium
aus. Er durchbricht ihn -— bemerkenswerter Weise wie ich mit Erhaltung
der mittleren Muschel — vermittels eines stanzenartigen Instrumentes bzw.
nimmt ihn von hinten her fort, soweit das eben mit einer solchen Stanze
möglich ist. Dadurch kommt er an die vorn gelegenen Siebbeinzellen, die
er wahrscheinlich besser übersehen kann als Mosher, weil er wohl einen
Teil des medial vorragenden Knochens mit entfernen kann. Mit einer ge-
bogenen schneidenden Zange dringt er dann in die Stirnhöhle, deren Aus-
führungsgang er erweitert. um schliesslich mittels eines geschützten Bohrers
den Stirnhöhlenboden fortzunehmen.
Es handelt sich also um eine Aufnahme meiner Methodik vom Jahre
1906 mit der hauptsächlichen Verbesserung gegenüber dem Beginn meines
- damaligen Operationsverfahrens, dass Williams mit einer gedeckten
Fraise in die Stirnhöhle geht, nachdem er den Ausgang hinreichend
erweitert hat. Für das erste Stadium der Operation kann das eine grössere
1) Proceedings of the Royal Society of Medicine. February 1914.
Halle, Die intranasalen Operationen usw. %
Sicherheit gewähren als mein Vorgehen mit scharfer Fraise auf einem
Schützer, aber eine gleiche Uebersichtlichkeit, wie ich sie mit meinen
schon damals angegebenen stumpfen Fraisen erreichte, kann man
mit seinen etwas komplizierten Instrumenten schwerlich erzielen. Jeden-
falls aber bedeutet seine Methode keine prinzipielle Aenderung gegenüber
der meinigen, und mit meinem neuen Verfahren kann es in der chirur-
gischen Technik, in der dauernden Klarheit und Uebersichtlichkeit während
der Operation sowie in der Grösse der durch den Lappen gesicherten
Kommunikation zwischen Höhle und Nase nicht verglichen werden.
Noch mehr gilt dies von der Methodik, die Rethi auf dem Laryn-
gologentag in Kiel in diesem Jahre vorgetragen hat. Er hat zu Anfang
versucht, mit Knochenzangen den Boden der Höhle wegzunehmen, um
ebenfalls später auf eine gedeckte Fraise zurückzukommen, allerdings
scheinbar ohne meine frühere Methode oder die von Watson-Williams
zu kennen, da er keine erwähnt hat. Rethi lässt den an der Fraise
unverrückbar befestigten Schützer in eine Leitsonde auslaufen, will mit
dieser in die Höhle eindringen und dann den Boden fortfraisen. Das
Instrument ist aber ebenfalls etwas kompliziert. Es wird sich nicht
immer ganz bequem einführen lassen, kann aber auch nur soweit den
Boden fortnehmen, bis die Leitsonde vorn an die vordere Höhlenwand
stösst. Dann muss die Wirksamkeit des Instrumentes zu Ende sein, und
er müsste ein anderes ohne Leitsonde nehmen oder doch vielleicht
bequemer meine einfachen Instrumente!
Gegen die Methode von Watson-Williams zeigt dies Verfahren eher
einen Rückschritt. Es bestätigte mir aber, ebenso wie das von Williams,
dass mein erster Weg, den Stirnhöhlenboden fortzunehmen, der richtige
gewesen ist, ferner dass beide die Fraise als das wirksamste und beste
Instrument für diesen Zweck erkannt haben.
Mein neues Operationsverfahren aber scheint mir nicht nur gegenüber
meinem alten, sondern auch gegenüber allen später vorgeschlagenen folgende
Vorzüge zu haben:
1. Es wird die funktionsfähige Schleimhaut und das Periost der
lateralen Nasenwand vollkommen erhalten ebenso wie die ganze gesunde
mittlere Muschel. — Ist sie krank, so genügt es, die kranken Teile vor-
sichtig abzutragen. —
Hierzu möchte ich bemerken, dass es m. E. nicht gleichgültig sein kann,
ob man ein Gebilde wie die mittlere Muschel einfach entfernt oder nicht.
Wenn wir auch dauernde objektiv nachweisbare Schädigungen nicht sehen,
wenn auch die Borkenbildung nach Entfernung der Muschel bei geeigneter
Behandlung und oft auch von selbst nach einiger Zeit schwindet, so muss
der Verlust eines Organs, das die Ausläufer der Riechnerven und zahlreiche
Gefässe, Lymphbahnen usw. trägt, für den Körper seine Bedeutung haben.
Dass wir dauernde Schädigungen mit unseren Methoden einstweilen nicht
nachweisen können, das kann nicht beweisen, dass sie nicht da sind. Auf
Archiv für Laryngologie. 29. Bd. 1. Heft. 7
98 Halle, Die intranasalen Operationen usw.
den Wert der Erhaltung der mittleren Muschel hat schon Killian!) hin-
gewiesen. (Vgl. auch Watson-Williams.)
2. Das Siebbeinlabyrinth wird unter dauernder Leitung des Auges
mit grosser Sicherheit freigelegt. Die erhaltene mittlere Muschel
gewährt einen ausgezeichneten Schutz gegen eine Verletzung
der Lamina cribrosa nnd lässt auch vorn ein Uebergreifen über die von
ihr gegebene mediale Grenze nicht leicht zu, so dass eine Verletzung
der Lamina cribrosa auch dann nicht gut denkbar ist, wenn
sie nach vorn über die Crista galli hinwegragt und man in
unzweckmässiger Weise vorgeht!
Mir erscheint die Uebersichtlichkeit des Operationsfeldes mindestens
so gut, wenn nicht besser als bei der äusseren Operation, wo man durch
eine immerhin kleine Oeffnung hindurchsieht. Man kann jede Nische und
Bucht mit grosser Sicherheit erkennen und ausräumen.
3. Die Stirnhöhle kann unter dauernder Kontrolle des Auges so weit
freigelegt werden, wie es die anatomischen Verhältnisse überhaupt zulassen.
Kleinere Höhlen können vollkommen beherrscht, grössere mit fast sicherem
Gelingen angegriffen werden, und nur bei den exzessiven, ungewöhnlich
grossen und ausgedelinten und bei vielkammerigen Höhlen, die doch aber
die Ausnahme bilden (vgl. auch Bönninghaus), ist es unmöglich, mit
den biegsamen Instrumenten überall hinzukommen und eine sichere Heilung
zu gewährleisten.
4. Der zurückgeklappte Schleimhautperiostlappen deckt die laterale
Wand vollkommen und ragt sogar, wenn er richtig geschnitten ist, etwas
in die Stirnhöhle hinein. Er verhindert dadurch die Bildung von Granu-
lationen, Verwachsungen, Narbensträngen und garantiert ein dauerndes
Öffenstehen der Höhle.
Die auf diese Weise ausgeführte intranasale Operation bedeutet etwas
prinzipiell Verschiedenes von der externen. Bei dieser muss mit grössler
Sorgfalt darauf geachtet werden, dass alles Kranke bis zum letzten Schleim-
hautfetzen aus der Höhle entfernt ist, weil man die Höhle aus kosmetischen
Gründen nicht so lange offenhalten kann, bis sie sich mit Granalationen gefüllt
hat. Man muss sie alsbald schliessen und rechnet damit, dass sie durch
Hineinlegen des Orbitalinhaltes und durch Bildung von Granulationsgewebe
bald verödet. Bei kleinen oder flachen Höhlen pflegt das auch der Fall
zu sein und das kosmetische Resultat ist hier oft ein ausgezeichnetes.
Ganz anders bei den ungewöhnlich grossen oder gekammerten Höhlen.
Auch hier kann das kosmetische und therapeutische Resultat durchaus be-
friedigend sein, oft ist das aber keineswegs der Fall, auch wenn von dem
erfahrensten und geschicktesten Chirurgen operiert wurde. Man kann eben
nicht wissen, wie es bei solchen Höhlen gehen wird. Geringe zurückge-
bliebene Schleimhautstückchen, in der Tiefe der Wunde verbleibendes oder
1) Versammlung der Deutschen otologische Gesellschaft in Heidelberg im
Jahre 1900.
Halle, Die intranasalen Operationen usw. 99
neu austretendes Blut, das sich zersetzt und durch die von der Operation
geschaffenen Wege nach vorn durch die Nahtstelle durchbricht, ein ver-
borgen gebliebener Rezessus oder eine nicht aufgedeckte kranke Zelle
können den Erfolg aufs Peinlichste beeinträchtigen. Jedem erfahrenen
Rhinologen sind Fälle bekannt, wo wiederholt, ja bis zu sehr vielen Malen
von aussen operiert wurde, ohne dass ein Erfolg in therapeutischer Hin-
sicht erzielt werden konnte, ganz zu schweigen von dem kosmetischen.
Einen ziemlich exzessiven derartigen Fall habe ich in meiner letzten dies-
bezüglichen Arbeit in diesem Archiv abgebildet.
Demgegenüber hält meine Operation die Stirnhöhle dauernd offen. Der
Boden wird in fast beliebigem Umfang entfernt, eine Ausgangsöffnung, die
während der Operation 2 X 3 cm umfassen kann, wird gewonnen. Und
Figur 29.
wenn diese sich auch später etwas verkleinert, so bleibt sie doch so gross,
dass der Patient selbst eine Röhre von Bleistiltstärke und darüber mit
Leichtigkeit einführen und, wenn man es für richtig hält, selbst beliebig
oft die Höhle spülen kann. Ich nehme hierfür die Spülröhrehen, die ich
zur Spülung der Kieferhöhle angegeben habe. Man kann selbst, ohne in
die Nase zu sehen, die biegsamen scharfen Löffel hoch hinaufführen, wie
die beiden Bilder 28 und 29 zeigen.
Nehmen wir nun an, dass es sich gelegentlich als unmöglich erweist, von
innen die ganze erkrankte Schleimhaut zu entfernen, und dass aus unerreich-
baren Buchten eine eitrige Sekretion fortbesteht. Dann kann eben der Eiter
in bequemster Weise abfliessen, etwa sich zusammenballende Massen werden
durch gelegentliche Spülungen mit Kochsalz oder Wasserstofisuperoxyd ent-
fernt, die kranke Schleimhaut mit adstringierenden Mitteln behandelt usw.
Der Patient ist vom Arzt fast unabhängig, da er selber die Stirnhöhle
To
100 Halle, Die intranasalen Operationen usw.
spülen kann. Dass der Prozess etwa in der Tiefe weitergehen und ernste
Komplikationen hervorrufen kann, glaube ich nicht. Ich habe es wenigstens
bei keinem meiner Patienten gesehen.
Das von mir gebrauchte Instrumentarium wird in Figg. 30, 31 u. 32
abgebildet!). Es ist dringend anzuraten, von den Fraisen mehrere Serien
zu nehmen, um sie häufig wechseln zu können. Ich selbst habe auch eine
Welle und ein Handstück immer als Ersatz zur Hand. (Fig. 33.)
Figur 30.
a und b lange Messer
c Elevatorium nach meinen Angaben
d Meissel
e, f, g, h Bougies nach Ritter.
Erweist sich aber doch aus irgend einem Grunde, dass die intranasale
Operation nicht ausgereicht hat, zeigen sich Komplikationen ernsten Cha-
rakters, so bleibt ja der externe Eingriff jederzeit zur Verfügung, und
man wird in solchem Falle günstiger arbeiten, weil die wesentlichsten
entzündlichen Prozesse abgeklungen sind und damit Blutung und Infektions-
gefahr erheblich herabgemindert wird.
Der Zufall, das Vertrauen von Spezialkollegen und das Bekanntwerden
der Möglichkeit, die Stirnhöhle auch von innen freizulegen und zu heilen, hat
mein Material in den letzten Jahren ausserordentlich vermehrt, so dass ich bis
1) Erhältlich bei H. Pfau u. L. u. H. Löwenstein, Berlin N.
Halle, Die intranasalen Operationen usw. 101
heute 76 Fälle intranasal operieren konnte. Als Wichtigstes möchte ich
feststellen, dass ich bei keinem meiner Patienten eine Komplikation erlebt
habe, die auf das Konto der Methodik geschoben werden könnte. Verloren
habe ich einen Fall. Dieser bekam drei Tage nach einer sehr umfang-
reichen beiderseitigen Operation der Stirnhöhlen und der Siebbeinzellen
eine eitrige Meningitis, an der er zu Grunde ging. Er war poliklinisch
operiert worden, wie eine grosse Anzahl meiner Patienten, und war mit
Figur 31.
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P TE ti w E A a oe =“ %
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= 7 a 5 es ge e s d >
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a, b Biegsame Löffel, nach vorn gekrümmt; c, d biegsame Löffel, nach hinten
gekrümmt; e, f, g konische Fraisen, vorn poliert, in 3 Grössen; h walzenförmige
Fraisen, vorn poliert, in 1—2 Grössen; i, k, 1, m birnförmige Fraisen, vorn poliert,
in 4 Grössen.
Hr te re
schon beginnender Meningitis in das Rudolph Virchow-Hospital gebracht
worden. Herr Professor Claus hatte die Freundlichkeit, mich davon in
Kenntnis zu setzen und mir auch den Sektionsbefund mitzuteilen. Es fand
sich eine rechtsseitige eitrige Meningitis. An einer Stelle, etwa in der
Mitte des Daches des Siebbeinlabyrinths, fand sich ein Blutpunkt von an-
nähernd der Grösse eines kleinen Stecknadelkopfes. Weder hier noch
irgend wo sonst fand sich am Siebbeindach oder der Tabula interna oder
an der Lamina cribrosa eine noch so feine makroskopisch nachweisbare
Fissur oder Läsion. Die Löcher der Siebplatte schienen Claus an einigen
Stellen etwas gross zu sein, doch hatte er nicht den Eindruck, dass hier
102 Halle, Die intranasalen Operationen usw.
Figur 32.
a b c d
a, b Küretten nach Ritter; c Meissel nach West; d pistolenförmiges Handstück
zur Motorwelle mit Momentausschalter.
Figur 33.
=a
7
Eu A
Das Rittersche Bougie bricht durch eine vorgelagerte Siebbeinzelle
in die Stirnhöhle.
die Eingangspforte für die Infektion gewesen wäre. Das Siebbein erwies
sich als völlig ausgeräumt und es war überall bis ans Dach freigelegt.
Claus meinte, dass ein Tampon hoch hinauf gereicht hätte.
Halle, Die intranasalen Operationen usw. 103
Es erscheint unbezweifelbar, dass hier einer der glücklicherweise
seltenen Fälle vorlag, wo durch eine kleine Lymphspalte oder ein kleinstes
Blutgefäss sich die Infektionserreger einen Weg gebahnt haben. Dafür
spricht vielleicht auch der gefundene Blutpunkt. Dass etwa die Tampo-
nade diese Möglichkeit geschaffen oder begünstigt hat, erscheint mir des-
wegen wenig wahrscheinlich, weil wir aufs peinlichste vermeiden, einen
Tampon über die untere Grenze der mittleren Muschel hinaus nach oben
ins Siebbein einzuführen. Auch legen wir nur einen kleinen Streifen Vio-
formgaze ganz locker in die Nase. Die bei der Sektion unvermeidliche Ver-
schiebung des in der Nase befindlichen Streifens wird den Eindruck erweckt
haben, dass die Gaze weit nach oben reichte.
Wir wissen aber, dass in seltenen Fällen auch bei grösster Vorsicht
und peinlichster Asepsis eine Infektion der Hirnhäute schon bei Operation
eines Stückchens von der mittleren Muschel vorkommen kann, auch wenn
gar kein Tampon eingeführt wurde, und so scheint mir auch dieser be-
klagenswerte Fall gedeutet werden zu müssen.
In jedem Fall lag die Infektionsquelle hinter dem Abschnitt, der bei
meiner Operation als gefährdet angesehen werden könnte.
Blutungen in das Oberlid, wie sie bei Durchschneidung der Vasa eth-
moidalia auch sonst nicht selten sind, sah ieh zuweilen. Sonst trat selbst
nach doppelseitiger Operation kaum eine nennenswerte Schwellung der
Weichteile auf. Zur grossen Ueberraschung der bei mir arbeitenden
Kollegen erschienen die Patienten oft am 2. bis 3. Tage bei bestem Wohl-
befinden wieder in der Poliklinik. Trotzdem würde ich natürlich anraten,
wenn es irgend geht, die Patienten in die Klinik aufzunehmen.
Von meinen 76 Fällen fallen 28 in die Zeit vor meinen neuen Ver-
suchen, die Ende 1911 begonnen wurden!). Von diesen wurden m. W.
2 später von anderer Seite operiert, einer ohne einen besseren therapeuti-
schen Erfolg. Allen anderen, so weit ich sie untersuchen oder schriftlich
um Nachricht bitten konnte, geht es gut, z. T. ausgezeichnet. Und darunter
sind nicht wenige, die wegen schwerer Eiterung in anderen Kliniken von
aussen operiert werden sollten. Bei allen kontrollierten Patienten fand
sich die angelegte Oeffnung noch für einen Ohrkatheter, bis fiir ein 5 mm
starkes Spülröhrchen, die man einführen konnte, ohne in die Nase zu
sehen, leicht durchgängig. Kein einziger der Patienten klagte über Be-
schwerden, die sich auf die frühere Erkrankung beziehen liessen, nur
wenige Patienten gaben an, dass sie zuweilen etwas Eiter ausschnaubten,
zumal wenn sie erkältet wären. Die Ausspülung ergab bei ihnen öfters
etwas schleimiges Sekret. Von irgend einer Nachoperation wollten aber
auch diese Kranken durchaus nichts wissen.
1) Ueber diese Fälle habe ich auch in der Diskussion zum Vortrag von
Moure berichtet (Internat. med. Kongress in London 1913). Meine neuen Ver-
suche liess ich noch völlig ausser Diskussion, da ich erst ein grösseres Material
längere Zeit vor der Publikation beobachten wollte,
104 Halle, Die intranasalen Operationen usw.
Von den verbleibenden 48 Fällen rechne ich die in den letzten Monaten
operierten ab. Zwar ist kein einziger unter ihnen, der nicht angibt, dass
es ihm recht zufriedenstellend geht. Auch der objektive Befund ist
ein guter. Aber die Beobachtungszeit ist zu kurz, um ein abschliessendes
Urteil zu rechtfertigen. Sicheres weiss ich von 34 Fällen, die, wie
alle meine Öperierten, mindestens ein halbes Jahr krank, meist längere
Zeit bis zu mehreren Jahren in meiner Behandlung oder der anderer
Kollegen waren. Einige waren vielfach operiert worden. Es befindet sich
unter ihnen ein Patient, der nachweislich mehr als 24 Jahre wegen aller-
schwerster Eiterung von einer Reihe von namhaften Kollegen behandelt
wurde, die ihm alle zuletzt eine gründliche externe Operation vorgeschlagen
hatten. Als ich den Patienten zuerst sah, hielt ich eine andere als umfang-
reiche äussere Operation selber für recht wenig aussichtsreich. Er musste
dauernd ein Taschentuch vor die Nase halten, weil permanent Eiter heraus-
triufelte. In Gesellschaft war er seit vielen Jahren deswegen und wegen
des Fötors nicht mehr gegangen und war in hohem Grade psychisch alte-
riert. Bei der Untersuchung fand sich, dass übelriechender Eiter aus allen
Ostien kam, dass die mittlere Muschel und ein Teil der unteren beiderseits
fehlte, und dass eine beträchtliche Menge von Polypen aus dem Siebbein
herausragte. Ich sagte dem Patienten, dass es sich nur um einen Versuch
handeln könne, wenn man mit intranasalen Operationen an diesen Prozess
heranginge, dass aber wohl nur eine äussere umfangreiche Operation im
Stande sein würde, hier einigermassen Aussicht auf eine Heilung zu schaffen.
Und trotzdem, trotz dieser Eiterung, wie ich sie nie vorher und nachher
gesehen, hatte die intranasale Operation einen glänzenden Erfolg. Die
Eiterung hat nicht völlig aufgehört, aber sie ist so gering, dass der Patient
sich nur hin und wieder einmal selbst die Höhlen ausspült. Er fühlt
sich ausserordentlich wohl, geht in Gesellschaft und denkt oft nicht mehr
an sein quälendes Leiden. Dabei handelte es sich um Stirnhöhlen, die
das Röntgenbild als recht beträchtliche und nicht unwesentlich gekammerte
darstellte. Die vordere Stirnhöhlenwand ragte erheblich vorn über die
Nasenwurzel vor, kurz, die Chancen für eine Heilung durch interne Ope-
ration waren von Anfang an als wenig günstige anzusprechen. Ist dieser
Fall auch nicht geheilt, so befindet er sich doch in einem Zustande, den
der Patient als fast völlige Heilung betrachtet.
Kein anderer Fall war so schwer wie dieser, aber die Vorbedingungen
für die Heilung waren auch in anderen Fällen keineswegs besonders gute.
Bei dem auf Fig. 28 und 29 abgebildeten Patienten fand sich eine unge-
wöhnlich grosse, reich gekammerte Höhle, deren vordere Wand weit über
die Nasenwurzel vorsprang. Die beiden Röntgenbilder (Taf. VI, Figg. 2 u. 3)
zeigen das aufs deutlichste. Und trotzdem wurde der Patient im Laufe
weniger Monate so völlig geheilt, dass sich beim Spülen auch nicht ein
Schleimfetzen entleert. |
Im ganzen darf man von meinen seit Beginn der neuen Methode
gerechneten 34 Fällen als geheilt im besten Sinne 23 ansehen, die andern
Halle, Die intranasalen Operationen usw. 105
sind alle fast geheilt oder doch so gebessert, dass sich beim Spülen nur
noch wenig Schleim entleert, und dass sie selbst kaum nennenswert Sekret
ausschnauben. |
Aber selbst angenommen, es fände sich ein Patient, bei dem die breite
Ausgangsöffnung mit der dadurch bedingten ausgezeichneten Drainage und
der gute Zutritt der Luft nicht ausreichen sollte, das Sekret im Laufe der
Zeit auf ein Minimum zu reduzieren, selbst wenn noch erhebliche Mengen
von Eiter sich täglich entleeren, so kann man doch wenigstens die vor-
handenen Beschwerden mit hoher Wahrscheinlichkeit völlig oder fast völlig
beheben. Man kann ihm das Spülröhrchen in die Hand geben, damit er
selber, so oft es nötig ist, die Ausspülungen wiederholen kann, bis schliess-
lich doch ein Nachlassen der Sekretion erreicht wird.
Und sollte sich alle Behandlung am Ende doch als vergeblich heraus-
stellen, so bliebe eben für solche extremen Fälle immer noch die äussere
Operation.
Aber solche Fälle, wenn sie vorkommen, müssen recht selten sein. Ich
habe noch keinen gesehen. Andererseits aber gibt es eine grosse Reihe
von Personen, für die eine mögliche Entstellung von unabsehbarer Be-
deutung wäre. Man denke an eine prominente Schauspielerin oder Sängerin,
für die es den Schluss ihrer ganzen Karriere bedeuten könnte, man denke
an Persönlichkeiten in hervorragender Stellung, an den Arzt, von denen
manch einer die entstellende Narbe und Depression trägt, nicht gerade zum
Vorteil für seine Tätigkeit. Man denke an irgend welche Damen oder
Herren, deren vorteilhaftes Aeusseres für sie die Vorbedingung ihrer Existenz
ist, um zuzugestehen, dass wir mit allen Mitteln anstreben müssen, eine
Entstellung zu vermeiden. Es gibt aber keinen Arzt, der versprechen
könnte, es werde nach der externen Operation keine Entstellung eintreten.
Schon kleine Narben genügen dazu bisweilen. Auch kommt bei per primam
bestens geheilten Fällen Keloidbildung vor, wie ich mehrfach beobachten konnte.
Unter diesen Umständen muss eine Methode willkommen sein, die es
gestattet, in ebenso gefahrloser Weise wie bei der externen Ope-
ration die Stirnhöhle breit zu eröffnen und kleinere Höhlen mit
Sicherheit, grosse mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit zu heilen,
ebenso wie sie für die Heilung des Siebbeins die günstigsten
Chancen bietet.
Keilbeinhöhlenoperation.
Als letztes verbleibt, die Operation der Keilbeinhöhle zu besprechen.
Es ist bekannt, dass Keilbeinhöhlen, in denen sich nur eine polypös
degenerierte Schleimhaut findet, nach beliebiger Eröffnung und Entfernung
der Polypen ausheilen, fast immer mit erheblicher Verkleinerung der an-
gelegten Oeffnung. Diese sonst erwünschte Verkleinerung kann ausser-
ordentlich unangenehm in den Fällen werden, bei denen es sich um eine
schwere Veränderung der Mukosa der Höhle handelt. Haben wir mit einer
der bekannten Stanzen nach Hajek oder Killian auch noch so gut die
106 Halle, Die intranasalen Operationen usw.
Höhle eröffnet und die kranke Schleimhaut entfernt, halten wir die Höhle
auch durch Tampons möglichst lange offen oder ätzen ihre Ränder, immer
wieder sehen wir in solchen Fällen, dass sich die angelegte Oefinung in
kürzester Frist bis auf eine kleine Stelle schliesst, und aus dieser sickert
dauernd das rahmige Sekret.
Ich habe deswegen vor Jahren für solche veraltete Fälle vorgeschlagen,
einen Silberreifen in die vordere Wand der Höhle einzuführen, ihn dort
mit einer geeigneten Zange festzukneifen und davor einen kleinen Tampon
zu legen. Die Höhle wird so offen gehalten, bis sie die Tendenz zum
Zugehen verloren hat, oder bis sie zugranuliert ist. In einigen Fällen
habe ich damit gute Erfolge gehabt, und ich habe solche Patienten in der
Berliner laryngologischen Gesellschaft gezeigt.
Figur 34.
Vordere Keilbeinhöhlenwand freigelegt.
Es empfiehlt sich jedoch, der Tendenz der Höhle in solchen Fällen,
die man als schwere meist von vorne herein erkennt, sogleich entgegen-
zutreten, und dazu schlage ich folgendes Verfahren vor, das mir einwands-
freie Resultate ergeben hat.
Die mittlere Muschel wird, nötigenfalls nach vorausgeschickter sub-
muköser Septumresektion, mit einem starken Instrument, Schere, Killianschem
Infraktionsinstrument oder dgl., kräftig nach lateral gedrängt. Es ist selten
nötig, Teile von ihr vorher zu entfernen. Die vordere Wand der Keilbein-
höhle wird möglichst breit freigelegt (Fig. 34). Ueber ihre ganze Aus-
dehnung wird, soweit man Platz gewinnen kann, quer durch die sichtbare
Mündung der Höhle ein Kreuzschnitt gelegt, der Schleimhaut und Periost
durchtrennt (Fig. 35). Man hebelt nur mit meinem feinen Elevatorium
die gewonnenen vier Schleimhautperiostlappen, welche die Form von Drei-
ecken haben, in möglichst weitem Umfange ab, wobei man besonders unten
zweckmässig über die Begrenzung der Höhle hinausgeht (Fig. 36). Die
Halle, Die intranasalen Operationen usw. 107
vordere Wand der Höhle wird mit beliebigen Instrumenten abgetragen.
Vielen werden hierbei die genannten Stanzen gute Dienste leisten. Ganz
hervorragend bewähren sich aber auch hier meine Fraisen. Kein anderes
Instrument ist imstande, mit gleicher Sicherheit, Schnelligkeit und Zuver-
lässigkeit die Wand nach allen Seiten hin abzutragen. Besonders gilt dies
Figur 35.
Figur 36.
für den unteren Abschnitt. Hier geht die vordere Wand meist in stumpfem
Winkel auf die untere über, und an dieser Stelle müssen die stärksten
Stanzen wirkungslos abgleiten, weil sie keinen Angriffspunkt finden (vgl.
auch Figg. 37—40). Auch das sonst zuverlässigste Instrument, der Meissel,
lässt hier im Stich. Allein meine Fraisen leisten auch hier alles, was ver-
Jangt werden kann, in ausgiebigster Weise. Man gebraucht die birnförmige
108 Halle, Die intranasalen Operationen usw.
Fraise für die obere und die laterale Wand, die sie völlig wegnehmen;
für die mediale und die untere Wand wird die konische und die walzen-
förmige genommen, mit der man, falls es erforderlich erscheint, noch über
die Grenzen der vorderen Höhlenwand hinaus auf den Boden der Höhle
gehen kann,
Figur 37.
Fraise durch die natürliche Oeffnung der Keilbeinhöhle geführt.
Figur 38.
ig
ti
oA
=
t
Beginnende Fortnahme der vorderen Wand der Keilbeinhöhle.
legung der Höhle sorgsam davon überzeugt, dass oben nicht etwa der
Optikus frei liegt. Dasselbe gilt aber auch für die Operation an dieser
Stelle nach jeder Methode.
Keine Sorge aber braucht man für die laterale Wand zu haben). Der
Es ist fast unnötig zu betonen, dass man sich vor der breitesten Frei-
1) Vgl. Ritter, Diskussion zu meinem Vortrag in Kiel.
Halle, Die intranasalen Uperationen usw. 109
daran liegende Sinus cavernosus kann mit der birnförmigen
Fraise unter keinen Umständen verletzt werden, wie man sich
leicht am Präparat überzeugen kann.
Die Abbildungen 37, 38, 39, 40 zeigen die Wirkung der Fraisen.
Figur 39.
Der obere Teil der vorderen Wand wird weggefraist.
Figur 40.
Der untere Teil der vorderen Keilbeinhöhlenwand wird wergefraist.
Zum Schluss werden die Schleimhautperiostlappen, die man sorgfältig
geschützt hat, in die Höhle geschlagen und dort mit kleinen Gazestreifen
gehalten. (Fig. 41 und 42.) Dadurch wird erreicht, dass die Höhle
dauernd offen bleibt, und so gelingt es, auch diese Keilbeinhöhle in kurzer
Zeit zu dauernder Heilung zu bringen.
Wenn ich zuletzt noch über die Indikationen und Kontraindikationen
sprechen soll, so müsste ich zum grossen Teil dasselbe ausführen, was ich
110 Halle, Die intranasalen Operationen usw.
in diesem Archiv im Jahre 1911 dargelegt habe. Nur kann ich die Indi-
kation für die intranasale Operation heute weiter stellen als damals.
Für das Siebbein und die Keilbeinhöhle möchte ich behaupten, dass
bei ihrer isolierten Erkrankung mir eine äussere Operation niemals mehr
Figur 41.
Schleimhautperiostlappen nach hinten in die Höhle geschlagen.
Figur 42.
a Schleimhautperiostlappen nach hinten in die Keilbeinhöhle geschlagen; b Stirn-
höhlenboden fortgenommen. Schleimhautperiostlappen auf die Wundfläche und in
die Stirnhöhle gelegt.
als nötig erscheint, ich habe sie jedenfalls in keinem Falle auszuführen
brauchen. Bei der Stirnhöhle habe ich früher als absolut unumgängliche
Vorbedingung gefordert, dass die Höhle sondierbar sein müsse. Zwar
haben mich meine folgenden Untersuchungen und Operationen durchaus in
Halle, Die intranasalen Operationen usw. 111
meiner Ansicht bestärkt, dass die Sirnhöhle bei chronischem Empyem
immer oder sicher fast immer sondierbar ist. Mir kam wenigstens bisher
kein Fall vor. wo es sich als unausführbar erwiesen hätte. Aber nach
dem neuen Verfahren kann man mit ungleich grösserer Sicherheit die
Austrittsöffnung der Stirnhöhle direkt sehen und von nun an unter der Leitung
des Auges die notwendigen operativen Massnahmen ausführen. Somit kann
ich auch den Satz nicht in vollem Umfange aufrechterhalten, dass „bei
schwererer Erkrankung der Stirnhöhle es schon als eine strikte Indikation für
eine externe Operation anzusehen ist, wenn man den Ductus naso-frontalis
nicht sondieren kann“. Da man jetzt die Ausführungsöffnung der Stirn-
höhle (fast) immer freilegen und durch den Lappen dauernd weit offen
halten kann, so ist die Möglichkeit gegeben, selbst in solchen Fällen
noch befriedigende Erfolge zu erzielen, wo es sich als unaus-
führbar erweist, die stark veränderte Schleimhaut bei sehr
grosser und reichgekammerter Höhle gänzlich zu entfernen.
Meine Erfahrungen an solchen Patienten, wie sie auch die Röntgenbilder
(Taf. V u. VI) zeigen, sprechen unbedingt dafür, dass man zum mindesten
einen Versuch machen sollte. Auch in dieser Hinsicht kann ich also meine
früher geäusserte Ansicht nicht in vollem Umfange aufrechterhalten.
Komplikationen der Stirnhöhlenerkrankung, welche die Orbita betreffen,
können in vielen Fällen sehr wohl von innen beherrscht werden. Denn
man kann von innen die Lamina papyracea nötigenfalls vollständig fort-
nehmen und oben und unten in die Orbita eindringen. Anders natürlich
bei Komplikationen, welche eine Läsion der Tabula interna oder gar eine
Mitbeteiligung der Dura vermuten lassen. Es ist selbstverständlich, dass
hier nur breiteste Freilegung von aussen, etwa nach Killian, Jansen
oder Hoffmann in Frage kommen kann.
Nach reiflichsten Prüfungen, gestützt durch die Erfahrungen von etwa
10 Jahren, durch Untersuchungen an zahlreichen Präparaten, durch die
Kontrolle einer Reihe namhaftester Kollegen und durch die Ergebnisse
meiner Operation an einer immerhin nennenswerten Zahl von Patienten
übergebe ich mein neues Verfahren einer weiteren Nachprüfung. Es kann
nicht als schwer angesehen werden, wenn man sich erst daran
gewöhnt hat, die operativen Massnahmen in der Nase nicht mehr
wie meistens bisher erst von dem Kopf der mittleren Muschel
an nach rückwärts beginnen zu lassen, sondern auch weiter vorn
das Feld zu beherrschen. Die Distanz vom Auge ist nicht weiter als
die bis zur Keilbeinhöhle, deren Operation ja heute jedem Spezialarzt
geläufig ist. Mehrfach sind die Operationen von meinen Assistenten und
von geübten Schülern ausgeführt worden, werden also nach einiger Uebung
von jedem technisch gewandten Operateur beherrscht werden können.
Niemand, der mit den vorliegenden anatomischen Verhältnissen ver-
traut ist, wird annehmen, dass ich glauben könnte, hiermit das Problem
der besten Behandlung der Nebenhöhlenerkrankung — ausgenommen der
112 Halle, Die intranasalen Operationen usw.
Kieferhöhle — definitiv gelöst zu haben. Wohl aber bin ich fest
davon überzeugt, dass die Methode alles das leistet, was mit
den uns gegenwärtig bekannten Mitteln durch intranasales Vor-
gehen überhaupt erreichbar ist. Meine eindeutigen Erfolge lassen
mich weiterhin erhoffen, dass die neue Methodik der intranasalen Operation
berufen sein könnte, in der überwiegenden Anzahl der Fälle die umfang-
reichen äusseren Eingriffe vermeidbar zu machen, so dass die externe
Operation mehr und mehr das unentbehrliche, aber seltene Ultimum refugium
werden könnte.
Archiv f. Laryngologie. 29. Bd. Tafel V.
: du: = : . `j iegs ‘ar Löffe in die Stirnhöhle eingeführt.
Fig. 2. Beiderseits biegsame Löffel in die Stirnhöhle eingeführt. Fig. 1. Biegsamer Löffel hoch in dic 5
Unterschied der Größe der Höhle.
Lichtdruck von Albert Frisch, Berlin W.
Archiv f. Laryngologie. 29. Bd. Tafel VI.
Fig. 2. Sehr große gekammerte Höhle in Seitenansicht, von dem
biegsamen Löffel beherrscht.
Fig. 1. Spülröhrchen in der Stirnhöhle.
Fig. 3. Sehr große gekammerte Höhlen in Vorderansicht (nicht sehr deutlich
wiedergegeben). Biegsame Löffel hoch in den Höhlen.
Lichtdruck von Albert Frisch, Berlin W.
VIL.
Ueber Therapie der Stirnhéhlenerkrankungen.
Von
Dr. Ernst Winckler (Bremen).
Der kosmetische Endeffekt, welcher nach einer äusseren Stirnhöhlen-
operation zurückbleibt und so oft wenig erfreuliche Entstellungen zurück-
lässt, hat in den letzten Jahren dazu geführt, die erkrankte Stirnhöhle
wieder mehr durch endonasale Eingriffe einer Behandlung zugänglich zu
machen. Wenn diese Eingriffe auf Grund der anatomischen Anlage der
vorliegenden Nebenräume ohne Gefahr für den Patienten ausgeführt werden
können, so sind sie berechtigt und zu versuchen, ehe man sich zu einer
äusseren Operation entschliesst. Es dürften dabei nur die Eingriffe in
Frage kommen, welche in schonender Weise nach Ausräumung der fron-
talen Siebbeinzellen, zwischen denen sich das Ostium frontale bzw. der
Ductus frontalis befindet, auf dem anatomischen Wege in die Stirnhöhle
führen. Alle direkten Eröffnungen des Stirnhöhlenbodens sind als unchir-
urgisch endgültig aufgegeben, weil eine Kontrolle der durch den Eingriff
gesetzten Knochenverletzungen unmöglich ist. Dass die direkte Schäffer-
sche Sondierung der Stirnhöhle eine schnelle Erleichterung bringen kann
und auch in vielen Fällen durch die Anlage des Stirnhöhlenbodens ana-
tomisch möglich ist, habe ich 1892 und 1893 nachgewiesen. Bei weiterer
Vertiefung in das Kapitel der Nebenhöhleneiterungen fand ich jedoch,
dass die endonasale operative Therapie der oberen Nebenräume nur relativ
selten zu gänzlicher Heilung führen kann.
Der Praktiker, der in seinen Massnahmen ja vielmehr kontrolliert
und bezüglich des Erfolges, sowohl was die Heilung als auch den kos-
metischen Endeffekt anbetrifft, noch vielmehr kritisiert wird, als dies von
den Leitern grossstädtischer Polikliniken oder Universitätskliniken auch
nur annähernd geahnt wird, muss sich wie bei jeder Erkrankung, so auch
bei einer vorliegenden Nebenhöhleneiterung zunächst zwei Fragen vorlegen:
1. Ist überhaupt ein operativer Eingriff nötig; 2. durch welchen Eingriff
kann am schnellsten und eventuell schonendsten die eiternde Nebenhöhle
zur Heilung gebracht werden.
Es bieten gerade die nasalen Nebenhöhlenaffektionen sehr komplizierte
Verhältnisse. Die Beurteilung des Einzelfalles führt nicht selten zu Diffe-
renzen zwischen dem Hausarzt und dem Spezialisten, weil selbst schwerere
Archiv für Laryngologie. 29. Bd. 1. Heft. 8
114 E. Winckler, Therapie der Stirnhöhlenerkrankungen.
Lokalerscheinungen nicht immer die Allgemeinerscheinungen bedingen,
welche dem praktischen Arzt in erster Linie eine Operation begründet
erscheinen lassen.
Viele Gesichtspunkte müssen nach den bisher aufgestellten Lehren
iiber die Nebenhöhlenerkrankungen, wenn von den Tumoren, der Tuberkulose
und Syphilis ganz abgesehen wird, bei den allgemeinen Erwägungen, ob
Operation oder Abwarten angezeigt ist, berücksichtigt werden: Art der
Infektion, Beschaffenheit der nasalen Schleimhaut, Stenose der Nasenhöhle,
Konfiguration des Nasengerüstes und Anlagen der Nebenhöhlen, Alter,
Beruf und soziale Stellung des Patienten und endlich sollen die Beschwerden
im Einzelfalle beurteilt werden, und erst das Fazit der ganzen Beurteilung
ergibt die Therapie.
Die akuten Nebenhöhlenerkrankungen sind in der überwiegenden Mehr-
zahl reine Streptokokkeninfektionen und bieten je nach der Virulenz des
srregers die verschiedensten Bilder. Immer aber ist die Schleimhaut der
Nasenhöhle selbst dabei so charakteristisch geschwollen und gerötet, dass
zunächst wohl jedes endonasale aktive Vorgehen nach unsern heutigen
Vorstellungen über den Infektionsmodus zu unterlassen ist, also auch die
früher übliche Probeausspülung oder Lufteintreibung. Das akute Ent-
zündungsstadium wird unter Applikation von Kopfschwitzbädern, der seit
altersher üblichen Inhalation von nichtreizenden Dämpfen und Anwendung
von Instillationen (Suprareninlösungen oder Pyocyanase) am besten über-
wunden. Nur in seltenen Fällen, aber dann wie auch sonst bei Strepto-
kokkeninfektionen treten ganz rapide oft in 12 bis 24 Stunden phlegmonöse
Zustände an der Stirn oder am Auge ein. Bei diesen schweren Infektionen
ist die Erkrankung der Stirnhöhle als solche immer ganz nebensichlich.
Die gefährliche Propagation der Eitererreger ist regelmässig dadurch ver-
anlasst, dass das ganze Siebbein mit seinen Zellen infiziert wurde. Isolierte
akute Stirnhöhlenentzündungen kommen im Gegensatz zu solchen der
Kiefer- und Keilbeinhöhle kaum vor. Jedenfalls sind sie von unterge-
ordneter Bedeutung. Vom Siebbein aus findet die Infektion des Sinus
frontalis durch die frontalen und noch häufiger durch die oberen orbitalen
Zellen statt. Vom Siebbein aus geht die Infektion durch die hinteren
Zellen, die in und über der Keilbeinhöhle liegen, auf den Sinus sphenoidalis,
und vom Siebbein aus leiten die unteren orbitalen Zellen die Infektion des
Sinus maxillaris ein. Die Siebbeinzellen sind der Teil der nasalen Neben-
räume, der bei akuten Infektionen vorher ganz gesunder Nasen auch am
spatesten ausheilt. Dies haben wir aus den Röntgenaufnahmen kennen
gelernt. Schwächere und stärkere Verschleierungen auf dem Röntgenbilde
bleiben häufig nach überstandenen schwereren akuten Infektionen der
Nebenräume zurück. Die Deutung dieser Verschleierungen ist oft schwierig.
Sicher ist aber, dass aus der Verschleierung allein olıne genaueste klinische
Untersuchung des Falles sehr verkehrte Schlussfolgerungen gemacht werden
können. Das Studium des Röntgenbildes zeigt uns, 1. dass in einmal
infizierten Nebenräumen eine gewisse Veränderung der Nebenhöhlenschlein.-
E. Winckler, Therapie der Stirnhöhlenerkrankungen. 115
haut dauernd zurückbleiben kann und Reinfektion der Nase naturgemäss
auch leicht zu solcher der einmal veränderten Nebenräume führt, 2. dass
die Verschleierungen in den Siebbeinzellen abgekapselte, latente Eiterherde
bedeuten können, worauf Grünwald zuerst ausführlich aufmerksam ge-
macht hat. Wie man sich bei Sektionen überzeugen kann, ist das Siebbein
sehr oft krank, ohne dass die Schleimhaut der grossen Nebenhöhlen, be-
sonders der Stirnhöhle, ausgeprägtere Veränderungen aufweist. Gleichzeitig
zeigen die Sektionen frischer Leichen aber auch, dass nicht immer das
gesamte Siebbein mit allen seinen Zellen erkrankt ist. Man findet die
hinteren gesund und die vorderen krank, die oberen gesund und die
unteren krank, kurz die verschiedensten Formen. Der Sektionsbefund steht
also in gutem Einklang mit dem, was Röngenaufnahmen ergeben können.
Die isolierte Verschleierung gewisser Siebbeinabschnitte auf dem Röntgen-
bilde ist auch anatomisch erklärt. Ihre Deutung und Beurteilung ist
jedoch sehr schwer. Die Therapie wird auf die Ausheilung der kranken
Zellen gerichtet sein. Wie dies zu erreichen ist, kann nur im Einzelfalle
entschieden werden. Zweifellos aber ist, dass unter einer zweckmässigen
Inhalationskur ohne jeden Eingriff die Absonderung völlig sistieren kann,
und die anfangs beabsichtigte Ausräumung z. B. der frontalen Zellen später
überflüssig wird. Hier leisten nun Regulierungen der verbogenen Nasen-
scheidewand nach Ablauf der akuten Entzündung sehr wichtige Dienste.
Ist aber das ganze Siebbein nach einer Streptokokkeninfektion erkrankt,
dann ist eine definitive Spontanausheilung überhaupt nicht möglich. Dann
werden latente Herde zurückbleiben, die je nach ihrer Lage sehr ver-
schiedene Bedeutung haben können. Handelt es sich um nicht ausgeheilte
Infektionen der orbitalen Siebbeinzellen, so sind die Folgezustände (Ektasie,
Mukozelenbildung und Durchbrüche der Stirnhöhlenwände) ja genügend
bekannt, und es ist auch genügend betont worden, dass eine Heilung nur
durch gründlichste Elimination aller Siebbeinzellen zu erreichen ist. Dass
letztere endonasal nur an Leichenköpfen, aber nie am Lebenden mit
Sicherheit ausgeführt werden kann, weiss Jeder. Im günstigsten Falle ist
es möglich, an die lateralen Siebbeinzellen der innern Orbitalwand heran-
zukommen. Ihre gründliche Verödung und Ausräumung dürfter Keiner
garantieren. Die wichtigen oberen Orbitalzellen des Siebbeins sind endo-
nasal unerreichbar.
Eine akute Inflammation schon einmal infizierter Nebenhöhlen ist
prognostisch in engen Nasenhöhlen schwerer zu bewerten als in geräumigen
oder durch Septumresektion erweiterten. Hier können, wie bei den latenten
Eiterherden in den Mittelohrräumen, ganz plötzlich recht bedenkliche Er-
scheinungen auftreten. Erstens liegt bereits eine Veränderung der Neben-
höhlenschleimhaut oder ein in den Siebbeinzellen abgekapselter Herd vor,
dessen Virulenz durch neue Erreger plötzlich erhöht wird und zweitens
spielt die Kompression der entzündeten nasalen Schleimhaut z. B. durch
eine Septumdeviation eine wichtige Rolle. Im allgemeinen sind im Gegen-
satz zum Mittelohr und seinen Nebenräumen die schweren nasalen In-
8*
116 E. Winckler, Therapie der Stirnhöhlenerkrankungen.
fektionen recht selten, dann aber fast immer bei stenosierter Nasenhöhle
anzutreffen. Die nasalen Nebenräume sind so gross angelegt, dass auch
bei starker Schleimhautschwellung fast immer eine genügende Lichtung in
dem Hohlraum bleibt, in den und aus dem eine Sekretion stattfinden kann.
In den Mittelohrräumen wird dagegen bei virulenten Infektionen der Hohl-
raum durch die geschwollene Schleimhaut völlig ausgefüllt. Es werden
die Blutgefässe komprimiert, und es kommen infolge der kleinen Raum-
verhältnisse mechanisch viel schneller Nekrosen zustande als in den nasalen |
Nebenräumen.
Auch hier wird die Therapie im akuten Stadium zunächst eine ab-
wartende sein müssen, wenn nicht dringende Indikationen Eingriffe erfordern.
Letztere dürfen dann jedoch nur äussere sein und haben die erkrankten
Nebenräume so gründlich wie möglich freizulegen. Endonasale Punktionen,
Absaugen des etwaigen Sekretes oder gar Lufteintreibung sind ein
Nonsens. —
Die Infektion in einer erkrankten Nasenhöhle ist viel schwieriger zu
beurteilen als die des Mittelohres. Die Infektionsgefahr des Schädelinhaltes
ist bei dem sehr verschieden angelegten Lymphgefässsystem eine sehr viel
grössere als beim Mittelohr. Am Mittelohr können wir durch die Para-
zentese Erleichterung verschaffen, und der geschwollenen Schleimhaut
Gelegenheit geben, das Sekret nach aussen zu befördern. Wo sollen wir
aber bei Infektion der nasalen Nebenräume mit einem unschuldigen Ein-
griff beginnen, ohne von der gleichzeitig infizierten Nasenhöhle aus neue
Keime in die kompliziert gebauten Nebenräume zu bringen?
Die Nase verträgt sehr viel überflüssige Manipulationen. Sie ist aber
noch viel dankbarer für milde Behandlung als das Mittelohr mit seinen
Nebenräumen.
Die chronischen Nebenhöhleneiterungen hat man praktisch in solche
mit oder ohne Polypenbildung zu trennen. Die einfachen chronischen
Eiterungen bieten der operativen endonasalen Therapie Gelegenheit zu
ausgiebigster Betätigung. Die Berechtigung zu grösseren Eingriffen kann
nur dann in Frage kommen, wenn alle Mittel der endonasalen Behandlung
erschöpft sind und die Beschwerden mit aller Wahrscheinlichkeit der
Eiterung zur Last zu legen sind. Die Siebbeintherapie wird auch hierbei
die Hauptsache sein müssen. Auf eine isolierte Stirnhöhlenerkrankung ist
nie eine chronische Naseneiterung zurückzuführen. In diesem Irrtum be-
fanden wir uns vor 20 Jahren.
Die chronischen Infektionen sind Mischinfektionen (Staphylokokken,
Streptokokken, gelegentlich Pseudodiphtheriebazillen). Eine Bedeutung hat
der Bacillus mucosus, der bei der fötiden Krusten- und Borkenbildung
eine wichtige Rolle spielt. Eine besondere Virulenz scheinen die ver-
schiedenen Erreger nur ganz ausnahmsweise zu erlangen. Je nach der
Höhle, in der sich dann akute Inflammationen abspielen, kann das
Krankheitsbild wechseln, was hier keiner Ausführung bedarf. Dass die
Eitererreger bei chronischen Nebenhöhlenaffektionen in der Regel gutartig
E. Winokler, Therapie der Stirnhöhlenerkrankungen. 117
sind, beweist der reaktionslose Verlauf endonasaler Eingriffe, und beweist
vor allem das neue moderne Vorgehen gegen den Stirnhöhlenboden mit
Trepan und Meissel. Immerhin muss mit der gelegentlichen Virulenz ge-
rechnet werden, und sind die Infektionsmöglichkeiten des Inhaltes der
Schädelhöhle infolge der verschiedenen Anlage der Lymphwege (Miodowski)
beim operativen endonasalen Vorgehen nicht ausser Acht zu lassen.
Ganz anders sind die chronischen Nebenhöhleneiterungen mit Polypen-
bildung zu beurteilen. Die verschiedenen Entstehungsursachen und Theorien
der solitären oder auf einzelne Bezirke beschränkten nasalen Polypen
haben mit der Lehre von den Nebenhöhlenerkrankungen nur bezüglich
der Choanalpolypen einen gewissen Zusammenhang, insofern letztere stets
auf Kiefercysten zurückzuführen sind (Killian). Sicher steht fest, dass
eine Reihe von schwereren Streptokokkeninfektionen des Siebbeins all-
mählich zu ausgedehnter Polypenbildung in allen Nebenhöhlen, zu der ein-
seitigen und doppelseitigen Pansinuitis führt, und dass die dauernde
Heilung einer Pansinuitis mit Granulations- und Polypenbildung nie durch
endonasale Eingriffe zu erreichen ist. Der gründlichsten endonasalen Aus-
räumung folgen binnen kürzerer oder längerer Frist Polypenrezidive. Je
jünger der Patient, desto schneller pflegt das Wachstum der Polypen ein-
zutreten. Je jünger der Patient, desto triftiger aber auch die Bedenken einer
etwaigen Gesichtsentstellung. Diese Umstände erschweren dem Spezial-
arzt die Indikationsstellung zu grösseren Operationen ganz ausserordentlich.
Sie veranlassen die praktischen Aerzte und Hausärzte, denen die Beurteilung
der ganzen Sachlage fehlt, die wiederholten rhinochirurgischen Eingriffe
als eine gewisse Polypragmasie zu bezeichnen, ein Vorwurf, der sicher oft
ungerechtfertigt ist und das Vertrauen zum Spezialisten in manchen Fällen
beim Publikum direkt herabsetzt. Derartige Patienten wandern von einem
zum andern Spezialarzt, ohne definitive Heilung zu finden, bis schliesslich
durch eine gründliche Radikaloperation die Nebenhöhlenerkrankung der
Heilung entgegengeführt wird. Die Gründe, welche am Beginn der Be-
handlung erwogen wurden, sind später vom Patienten in der Regel ver-
gessen. Endonasale, probatorische Behandlungen sind daher in solchen
Fällen von vornherein möglichst einzuschränken.
Bei der prognostischen Beurteilung einer Nebenhöhlenaffektion ist die
Beschaffenheit der Nasenschleimhaut selbst sehr zu berücksichtigen. Eine
atrophische Schleimhaut gibt viel ungünstigere Chancen als eine sukkulente
Schleimhaut. Man hat für Krusten- und Borkenbildung, welche sich nach
ausgedehnten Radikaloperationen zeigt, immer den Fortfall der mittleren
und unteren Muschel verantwortlich gemacht. Dieser Vorwurf ist durchaus
nicht gerechtfertigt. Vielmehr hängt die Krusten- und Borkenbildung mit
dem Zustande der nasalen Schleimhaut vor den Eingriffen zusammen. Bei
einer sukkulenten Nasenschleimhaut wird man auch nach ausgiebiger
Fortnahme der Muscheln nur selten mit Krusten und Borken zu rechnen
haben. Liegt aber eine atrophische Nasenschleimhaut vor, dann ist die
Erhaltung der Muscheln sehr wichtig, und müssen die Eingriffe, wenn nicht
118 E. Winckler, Therapie der Stirnhöhlenerkrankungen.
akute Inflammationen eine radikale Freilegung erfordern, was sehr selten
vorkommt, sich lediglich auf das Herstellen von breiteren Oeffnungen be-
schränken, durch die dann später endonasal gründliche Reinigungen und
medikamentöse Behandlungen ausgeführt werden können. In vielen Fällen
ist eine Nebenhöhlenbehandlung überflüssig und die Therapie nur auf
Besserung der nasalen Schleimhaut einzurichten. Die Atrophie ist nicht
immer die Folge der chronischen Nebenhöhleninfektion, wie dies Grünwald
annimmt, sondern viel häufiger die Folge einer Konstitutionsanomalie.
Erfordern Sekretverhaltungen und Fötor einen Eingriff, so ist die Schleim-
haut in den grossen Nebenräumen möglichst zu erhalten.
Während die Nebenhöhlenerkrankungen bei atrophischen Zuständen der
Nasenschleimhaut unter konservativer Behandlung eine zufriedenstellende
Besserung erreichen können, gibt die sukkulente Nasenschleimhaut wesentlich
bessere Chancen für die Ausheilung der Nebenhöhleneiterungen durch
radikale Eingriffe. Ohne Nachteil können hier die Muscheln teilweise
fortfallen, wenn dies zur gründlichen Ausräumung des Herdes erforderlich
ist. Ohne Nachteil kann auch die Nebenhöhlenschleimhaut entfernt werden,
wenn nur die nasalen Oeffnungen zu den Nebenhöhlen so angelegt werden,
dass die Schleimhaut der Nase sich an der Ausheilung der ausgeräumten
Nebenhöhle beteiligen kann. In diesen Fällen leisten die Implantationen
der Nasenschleimhaut, z. B. die nach Bönninghaus in die Kieferhöhle,
sehr gute Dienste. Eine sukkulente Nasenschleimhaut scheint jedoch
wieder gerade für das Rezidivieren von Katarrhen und Absonderungen in
den operierten Nebenhöhlen eine besondere Bedeutung zu haben. Deshalb
müssen radikale Eingriffe die gründlichste Entfernung nicht nur aller er-
krankten, sondern auch der wenig erkrankten und selbst gesunden kleineren
Hohlräume, besonders der Siebbeinzellen, erreichen, um einheitliche grosse
Hohlräume herzustellen, in denen die rezidivierenden Katarrhe glatt ab-
laufen können. Ich habe bei sukkulenter Schleimhaut nach Fortnahme
der mittleren und der unteren Muscheln nur selten Borkenbildung später
entstehen sehen, trotzdem mehrere Fälle über 14 Jahre lang kontrolliert
sind und dabei nicht einmal die jetzt stets übliche Implantation der Nasen-
schleimhaut gemacht wurde. Dagegen betrachte ich den Bacillus mucosus
(Abel) als eine ganz üble Mischinfektion, der schwer beizukommen ist,
und die anfangs gut verlaufende Heilungsresultate auch bei sukkulenter
Nasenschleimhaut später durch Krusten- und Borkenbildung vollkommen
verderben kann. Dass alle erheblichen Nasenstenosen zu regulieren sind,
ehe gegen eine chronische Nebenhöhlenaffektion vorgegangen wird, ist
selbstverstindlich. Septumoperationen und Eingriffe am Siebbein, der
Kieferhöhle oder gar der Stirnhöhle in einer Sitzung vorzunehmen, halte
ich für bedenklich, weil ich die Septumoperation als den einzigen Eingriff
betrachte, der endonasal möglichst aseptisch auszuführen ist, und weil ich
das Heilungsresultat durch Aufrühren nebenbei bestehender Eiterherde zu
komplizieren nicht für opportun halte. Ich habe stets vertreten, in einer
Sitzung möglichst alle erkrankten Nebenhöhlen zu operieren und auch
E. Winckler, Therapie der Stirnhöhlenerkrankungen. 119
stets, wo dies erforderlich war, beiderseits operiert. Die Septumregulierung
aber habe ich seit 1911, also nach den Erfahrungen in Breslau, stets zu
einer anderen Zeit vorgenommen. Absolut kontraindiziert ist natürlich die
Septumoperation bei allen akuten Entzündungen.
Die Konfiguration der äusseren Nase ist aus mehrfachen Gründen bei
der Beurteilung aller Nebenhöhleneiterungen zu beachten. Es ist ein-
leuchtend, dass kleine Nasenöffnungen für alle endonasalen Manipulationen
ungünstig sind und durch die fäumliche Beschränkung schon an und für
sich eine Indikation zu äusseren Eingriffen abgeben können. Bei normalen
und grossen Nasenaperturen ist die Stellung der Oeffnung zur Horizontal-
ebene oft nicht ganz ohne Bedeutung. Nasenöffnungen, die einen stumpfen
oder spitzen Winkel zur Horizontalebene bilden, pflegen ein schnelles Ein-
trocknen des Sekretes und Borkenbildung zu veranlassen. Daraus ergeben
sich zuweilen gewisse Schwierigkeiten bei der Reinigung der Nase. Nicht
unwichtig ist dabei die Grösse des mit Haut bedeckten Vorhofes, der bei
schmalem hohem Nasenrücken nicht selten gleichzeitig mit schlaffen Nasen-
fligeln kombiniert ist und die Luftpassage erschwert. Die mehr hochge-
stellten, also im stumpfen Winkel zur Horizontalen geneigten Nasenaper-
turen mit kleinem Vorhof sind bekanntlich noch unangenehmer durch die
Erosionen, die sich bei einem eitrigen Prozess in der Nase durch Krusten-
bildung einstellen und so wieder zu ungenügender Ventilation der Nase
führen. Die Stellung der Nasenöffnungen kann somit schon bei ziemlich
irrelevanten Nebenhöhlenerkrankungen, Stenosenerscheinungen veranlassen,
die weniger eine intranasale, auf die Nebenhöhlenaffektion gerichtete Be-
handlung als eine solche des Introitus erfordern. |
Werden äussere Eingriffe in Erwägung gezogen, so sind Höhe und Breite
des Nasenrückens sowie Uebergang des Nasenrückens in die vordere Stirn-
beintafel zu beachten. So ungünstig hohe schmale Nasen für alle endo-
nasalen Eingriffe sind, so günstig sind sie für die Hautschnitte bei äusserer
Freilegung der oberen Nebenräume. Ein gut ausgeprägter Augenwinkel,
also eine etwas vorspringende vordere Stirnbeintafel kann sich vorzüglich
zur osteoplastischen Operation eignen. Das schlechte kosmetische Resultat
der Riedelschen Radikaloperation, des einzigen Eingriffes, der eine sichere
Verödung der oberen Nebenräume garantiert, ist oft nur durch einen hoch
angelegten Nasenrücken bedingt. Hier kann, falls flache grosse Stirnhöhlen
vorliegen, die Killiansche Spange wesentlich zur Verbesserung beitragen,
und falls sie oberhalb des Augenbrauenkopfes entsprechend schmal angelegt
wird, auch eine prompte Adaption der Stirnhaut an die hintere Stirnbein-
tafel möglich machen. Bei kleinen Stirnhöhlen und mehr flachgebautem
Nasenrücken ist die stets sichere Riedelsche Radikaloperation in ihrem
Endeffekt kaum als Entstellung zu bezeichnen... Nur ausnahmsweise
kann auf die Kosmetik und die äussere Konfiguration der Nase Rücksicht
genommen werden. Bei Polypen- und Granulationsbildung, bei akuten
Eiterungen mit Nekrosen der äussern Wände, bei Eiterungen, die den
Orbitalinhalt gefährden, oder eine Beteiligung des Schädelinnern herbei-
120 E. Winckler, Therapie der Stirnhöhlenerkrankungen.
geführt haben, muss selbstredend jede Rücksicht auf spätere Kosmetik
zunächst unterbleiben. Nach abgeschlossener offener Wundbehandlung der
Hohlräume kann bei der Sekundärnaht noch vieles verbessert werden. Das
wichtigste moderne Unterstützungsmittel zur Beurteilung einer vorliegenden
Nebenhöhleneiterung sind Röngenaufnahmen. Ihre grosse Bedeutung ver-
mag nur der richtig einzuschätzen, der vorher ohne sie gearbeitet und
Versuche mit Osteoplastik usw. zur Verbesserung der scheusslichen Ent-
stellungen gemacht hat. Die anatomischen Kenntnisse der Varietäten
konnten wir früher nur während der Operation benutzen und stiessen
dabei noch häufig auf neue Verhältnisse, die ein völliges Umwerfen des
ursprünglichen ÖOperationsplanes erforderten. Jetzt können wir uns mit
Hilfe von verschiedenen Réntgenplatten: Profilaufnahmen (Scheier),
frontooceipitalen Aufnahmen (Goldmann, Killian), parietomentalen
Aufnahmen (Spiess), Schrägaufnahmen usw. über die Grössenverhältnisse
der einzelnen Hohlräume und vor allem über die Ausdehnung des Sieb-
beins vor der Operation informieren, können die Dicke der vorderen
Stirnbeintafel und des Stirnhöhlenbodens abtaxieren und danach den
Operationsplan einrichten. Hier sind nun die Siebbeinbilder von grösster
Wichtigkeit. Sie geben uns eine Aufklärung über die laterale Ausdehnung
der Siebbeinzellen und wir bekommen auf Grund der ganzen anatomischen
Anlage des Siebbeins Aufschluss über seine Beziehungen zu den grossen
Nebenräumen namentlich zu der Stirnhöhle. Ihre etwaige Beteiligung an
der Kammerbildung in der Stirnhöhle lässt sich klar zur Anschauung
bringen. Wir wissen sofort, dass ein mehrkammeriger Sinus frontalis
durch keine endonasale Therapie geheilt werden kann. Wir wissen sofort,
dass lateral über dem Orbitaldach liegende Siebbeinzellen endonasal nicht
zu erreichen sind, und können nach dem vorliegenden Befunde die thera-
peutischen endonasalen Versuche mit der nötigen Reserve einleiten oder
gleich die Operation wählen, mit der wir sicher alles Kranke erreichen.
Das Alter und Geschlecht des Kranken, seine soziale Stellung und
sein Beruf erfordern weiter die Beantwortung so vieler Fragen, dass die
Behandlung derselben Affektion, z. B. bei einem Arbeiter, von ganz anderen
Gesichtspunkten aus eingeleitet wird, als die bei einem gutsituierten
Patienten, der sich die häufige Wiederholung medikamentöser Lokalbe-
handlungen, Aufenthalt in Kurorten, Klimawechsel usw. gestatten kann,
und der nur im Notfalle äussere Eingriffe herangezogen wissen will. Da
die Krankenkassen nur für eine bestimmte Zeit ihre Unterstützung gewähren,
so wird man bei ungünstigen anatomischen Verhältnissen, namentlich sehr
weit lateral über dem Orbitaldach liegenden Siebbeinzellen, eher zu einer
äusseren Operation raten, um den Patienten möglichst bald wieder arbeits-
fähig zu machen und der Kasse die Kosten für Versuche einer endonasalen
Therapie möglichst zu ersparen. Aehnliche Rücksichten haben wir, falls
das Leiden selbst keine dringende Operation bedarf, beim weiblichen Ge-
schlecht zu nehmen, das naturgemäss sich erst recht vor jeder Gesichts-
narbe scheut und welches sich der endonasalen Therapie oft viel bereit-
E. Winckler, Therapie der Stirnhöhlenerkrankungen. 121
williger und energischer unterwirft, als das männliche Geschlecht, das so
schnell wie möglich seinem Berufe nachzugehen wünscht. Dem Alter des
Patienten muss bei allen Krankheitsformen der Nebenhöhleneiterung Rech-
nung getragen werden. In höherem Alter können radikale Eingriffe kaum
eine ausgedehnte Anwendung finden. Man wird durch schonende Aus-
räumung der Polypen nur die Nasenatmung ermöglichen, eine gründliche
Siebbeinausräumung aber ganz vermeiden, schon wegen der Brüchigkeit
der Knochen, die leicht bedenkliche Fissuren zur Folge haben kann. Das
jüngere und mittlere Alter mit restitutionsfähiger Nasenschleimhaut bietet
die besten Chancen, dauernd durch grössere Eingriffe eine Heilung zu
erzielen.
So eindeutig die Beschwerden und Symptome bei akuten Nebenhöhlen-
erkrankungen sind, so klar sie bei chronischen Erkrankungen mit ausge-
sprochener Polypen- und Granulationsbildung sind, so schwer kann die
Deutung oft bei allen länger bestehenden einfachen Eiterungsprozessen
sein. Es soll hier von den ganz bekannten Beschwerden in den an-
grenzenden Abschnitten des Rachens usw. vollkommen abgesehen werden.
Dagegen muss darauf hingewiesen werden, dass durch Trink- und In-
halationskuren gerade diese Beschwerden oft so glänzend gebessert werden
können, dass unter Umständen jede weitere endonasale Therapie sich er-
übrigt. Damit liegt mir natürlich sehr fern, die sehr nützlichen Eingriffe:
endonasale Siebbeinausräumung, Eröffnung der Keilbeinhöhle oder der
Kieferhöhle in ihrem Werte irgendwie herabsetzen zu wollen. Die Ein-
griffe sind selbstredend vor jeder Inhalationskur auszuführen, wenn eine
Sekretverhaltung anzunehmen ist. Dagegen ist es nicht genügend betont,
dass auch ohne alle Eingriffe durch zweckmässige Kuren chronische
Nebenhöhlenerkrankungen gebessert, ja geheilt werden können, und dies
namentlich bei den Fällen erreicht wird, die zu Krusten- und Borkenbildung
neigen, also von vornherein nicht sehr günstige Chancen für die endonasale
Therapie bieten. Die Beschwerden des Kopfdruckes, die anfallsweise auf-
tretenden Neuralgien, die Druckempfindlichkeit an den Austrittstellen des
Supraorbitalis, Frontalis und Infraorbitalis sind oft mit dem Lokalbefund
in der Nase sehr schlecht in Einklang zu bringen. Es ist nicht immer
möglich, in der Sprechstundenpraxis, die geklagten Beschwerden richtig
einzuschätzen, und es ist zweckmässig, in allen zweifelhaften Fällen dem
Beginn einer operativen Behandlung eine klinische Beobachtung vorauszu-
schicken. Es ist zuweilen höchst fatal zu konstatieren, dass trotz einer
entstellenden Operation und guter Ausheilung einer früheren Stirnhöhlen-
und Siebbeinerkrankung die Kopfbeschwerden fortbestehen, und bezüglich
der subjektiven Symptome, auch nach gründlicher Nervenresektion, die
ganze Mühe umsonst gewesen ist.
Bei der operativen Behandlung kann es nun nach diesen Erwägungen
nicht darauf ankommen, bestimmte Operationsmethoden als die allein
richtigen zu empfehlen. Jeder Fall ist so verschieden, dass er einer
speziellen individuell sich anpassenden Behandlung bedarf, und man nur
122 E. Winckler, Therapie der Stirnhöhlenerkrankungen.
von ganz allgemeinen Grundsätzen der nasalen Chirurgie überhaupt
sprechen kann.
Alle ausgedehnten Granulations- und Polypenbildungen in ungünstig
gestalteten Siebbeinen erfordern eine radikale Operation, die mit Sicherheit
eine Verödung der oberen Nebenräume zur Folge hat. Eine Spangenbildung
kann bei tiefen Stirnhöhlen die Veröduug unmöglich machen. Die osteo-
plastischen Operationen haben wenig Anhänger gefunden. Osteoplastiken,
die sich nur auf die vordere Stirnbeintafel beschränken, sind von vornherein
verkehrt. Es können nur die temporären Resektionen dem Wesen der
Erkrankung gerecht werden, welche gleichzeitig Siebbein und Stirnhöhle
in genügender Ausdehnung einer Ausräumung zugängig machen.
Es ist nun ganz richtig, dass die doppelseitigen osteoplastischen Ein-
griffe, bei denen immer «uerverlaufende Narben über dem Nasenrücken
oder über der Stirne zurückbleiben, kosmetisch kein gutes Resultat er-
geben. Sie bedingen weiter stets gröbere Verletzungen der nasalen Scheide-
wand und erschweren später durch die zurückbleibenden Lücken im Septum
das Entfernen des Sekretes. Ausserdem ist es nicht möglich, sehr weit lateral
liegende Siebbeinzellen von der temporären Oeffnung aus zu erreichen, und
sind Hilfsöffnungen unter Umständen in der vorderen Knochenwand an-
zulegen. Den Vorteil, welchen einseitige osteoplatische Resektionen des
oberen Nasengerüstes plus vorderer Stirnhöhlenwand geben, ist der, dass
wir die innere und obere Wand der Augenhöhle vollkommen erhalten
können und dadurch mit dem Orbitalinhalt bei dem ganzen Eingriff gar-
nicht in Berührung kommen. Möglichkeiten einer Infektion durch die
Lymphbahnen des Orbitalgewebes werden daher bei der osteoplastischen
Operation der Stirnhöhle vermieden. Sowohl bei der Jansenschen Methode
wie bei der Killianschen und Ritterschen Operation muss die innere
und obere Orbitalwand entfernt werden. Die Operation nach Ritter, bei
der die vordere Stirnbeintafel möglichst erhalten bleibt, kann natürlich
ebenso wie die nach Killian nur zur einer teilweisen Verödung der er-
öffneten Hohlräume führen. Es bleiben Lücken zurück, die bei Gelegen-
heit eines Schnupfens zu Entzündungen zwischen Periost und Orbitalinhalt
führen können oder sich in der zurückgelassenen Stirnhöhle entwickeln
und das anfangs gute kosmetische Resultat schliesslich illusorisch machen.
Man hat nun der osteoplatischen Operation vorgeworfen, dass trotz der
grösseren technischen Schwierigkeiten eine endgültige Heilung doch nicht
erreicht wird. Hiergegen ist zu sagen, das 1. nie eine Verödung der
oberen Nebenräume (Sinus frontales und orbitale Siebbeinzellen) erreicht
werden soll. . Vielmehr werden diese Räume in einen grossen glatten
Hohlraum umgewandelt. Die Mukosa soll da, wo sie nur einfach ge-
schwollen ist, erhalten bleiben und die Höhle soll sich auch wieder mit
Schleimhaut bedecken. Es soll durch den Eingriff ein breiter Zugang
nach der Nase hergestellt werden und bestehen bleiben. Um dies alles
zu erreichen, müssen nun besondere Bedingungen durch den Einzelfall ge-
boten sein. 1. Die Stirnhöhle soll gross, einkammrig und tief sein. 2. Die
E. Winckler, Therapie der Stirnhöhlenerkrankungen. 123
Vorderwand der Stirnhöhle muss so dünn sein, dass ein leichtes Biegen
und Einknicken des Knochens ohne Splitterung möglich ist. 3. Die
orbitalen Siebbeinzellen müssen von der geschaffenen vorderen Oeffnung
aus zu erreichen sein, d. h. sie dürfen nicht über die Mitte des oberen
Orbitalrandes hinausgehen. 4. Der Processus frontalis des Oberkiefers und
das Nasenbein müssen eine genügende Breite haben (flache niedrige Nasen
oder sehr hohe schmale Nasen sind für den Eingriff weniger günstig).
Um sicher eine breite Kommunikation zwischen dem aus Stirnhöhle
und ausgeräumten Siebbeinzellen geschaffenen Hohlraum herzustellen, muss
die genügende Tiefe der Stirnhöhle nach dem Röntgenbilde genau ab-
taxiert werden. Hierauf allein beruht die Unsicherheit der späteren
Heilung und nicht darauf, wie Killian und mehrere andere Autoren ge-
legentlich in einer Diskussion bemerkten, dass es nicht möglich wäre
einen einheitlichen Knochenlappen herzustellen, weil Zersplitterungen und
Einknickungen unvermeidlich wären. Dass die Letzteren entstehen, ist
bei dieckeren Knochen natürlich. Sie sind aber gleichgültig, wenn die
herausgemeisselte Vorderwand, die sich 1. aus der vorderen Stirnbeintafel,
2. aus dem Nasenbein und Processus frontalis zusammensetzt, nur im Zu-
sammenhang mit dem Periost bleibt. Die spätere Apposition der heraus-
gemeisselten Knochenwand gelingt trotz aller Infraktionen vollkommen.
Sehr wichtig ist jedoch der Knochenschnitt an der vorderen Stirnbeintafel.
Meisselt man hier senkrecht auf den Knochen, wie ich dies anfangs ge-
macht habe, so erhält man später eine breitere Lücke. Auch bei Benutzung
einer Kreissäge ist sie unvermeidlich. Die Lücke wird dadurch, dass zum
Umbiegen der herausgemeisselten Knochenpartie ein starker einzinkiger
Wundhaken oder ein kräftiges Elevatorium eingesetzt werden muss, noch
grösser. Es ist daher nicht senkrecht, sondern schräge von oben nach
innen gegen das Stirnbein zu meisseln.. Je grösser der Winkel zum
Knochen sich anlegen liess, desto besser gelang die spätere Apposition.
Mit dem früheren Vorschlage von Killian, temporär das Nasenbein zu
resezieren, ist weder die Operation nach Barth noch mein 1899 ge-
gegebener Vorschlag zu vergleichen. Die temporäre Resektion des Nasen-
beins gibt eine viel zu kleine Oeffnung, die nur in beschränktem Masse
Manipulationen am Stirnhöhlenboden gestattet. Zu Eingriffen am Siebbein
ist sie wohl zu klein, daher von Killian selbst aufgegeben. Die Methode
von Artur Barth in Danzig berücksichtigt lediglich den Sinus frontalis
und nicht die Siebbeinzellen. Sie erfordert ein sehr genaues Studium des
Röntgenbildes, namentlich genaue Feststellung der Lage des frontalen
Septums, das bekanntlich in seiner Richtung durchaus nicht mit dem der
nasalen Scheidewand übereinstimmt. Da häufig die linke Stirnhöhle weit
nach rechts, die rechte weit nach links herüberreicht, so ist der medial an-
gelegte Knochenschnitt nach Barth nur für die seltenen Fälle geeignet,
bei denen sich das Septum frontale in der Mittellinie befindet. Die
Operation selbst gibt ein sehr gutes kosmetisches Resultat und lässt auch
eine etwas weiter reichende Inspektion der orbitalen Siebbeinzellen zu,
124 E. Winckler, Therapie der Stirnhöhlenerkrankungen.
wenn man, wie ich dies in einigen Fällen getan habe, die obere innere
Ecke des Supraorbitalrandes nach aussen und unten einknickt.
Was erreicht man durch die osteoplastische Operation? Man stellt
grosse, glatte Hohlräume her, in denen nach Abkneifen aller vorspringenden
Leisten und Ausräumung sämtlicher Siebbeinzellen die Möglichkeit ge-
geben ist, die zurückgelassene Schleimhaut durch nachfolgende medi-
kamentöse Behandlung zur Norm zu bringen. Gleichzeitig will man, dass
von der zurückgelassenen Stirnhöhlenschleimhaut eine Ueberhäutung des’
grossen glatten Hohlraumes eingeleitet wird, ganz ebenso wie dies bei den
gross angelegten endonasalen Kieferhöhlenöffnungen vor sich geht. Während
jedoch hier Verwachsungen nie einzutreten pflegen, läuft die definitive
Ausheilung der Stirnhöhle plus oberem Siebbeinraum immer eine gewisse
Gefahr. Die noch so breit hergestellte Lücke zwischen innerem Augen-
winkel und Septum wird zuweilen durch später erfolgende Synechiebildung
kleiner und kleiner, und schliesslich kann hier eine so feste horizontal
verlaufende Membran entstehen, dass nur ganz enge Spalten den neuen
Hohlraum mit der Nase verbinden. Wird er nun durch endonasale In-
Sektionen wieder infiziert, so kann es schnell zu Einschmelzungen an den
Knochenschnitten kommen. Es muss dann später doch die Radikaloperation
gemacht werden,
Wir wissen aus „Erfahrung, dass alle infizierten Nebenräume auch
nach ihrer operativen Behandlung bei Schnupfenanfällen jedesmal mit
stärkerem Reiz, reichlicher Absonderung, Schwellung und Rötung der
zurückgelassenen Schleimhaut reagieren. Das können wir am Antrum
Highmori, welches breit durch Resektion der lateralen Nasenwand, die
ich 1903 auf dem Otologentag in Wiesbaden vor Denker als einen den
Rhinochirurgen schon damals ganz geläufigen Eingriff besprochen habe,
eröffnet ist, sehr gut direkt beobachten und können diese Beobachtung
wohl naturgemäss auch auf die nicht direkt zu inspizierende Schleimhaut
der oberen Nebenräume übertragen. Die Reinfektion und damit verbundene
Schleimhautschwellung sind das Hindernis für eine sichere definitive
Ausheilung der durch osteoplastische Resektion eröffneten Nebenräume.
Der Unterschied des osteoplastischen Hohlraumes von den nach Jansen
u. a. geschaffenen Höhlen beruht, wie ich dies schon 1897 auseinander-
zusetzen mich bemüht habe, darauf, dass bei allen osteoplastischen Ein-
griffen, zu denen ich die verschiedensten Versuche herangezogen habe, die
innere und obere Orbitalwand vollkommen erhalten bleibt, also von der
temporär geschaffenen vorderen Oeffnung die Siebbeinzellen endonasal aus-
geräumt werden und nicht wie bei Jansen, Riedel, Killian und Ritter,
die Orbitalwände zwecks bequemer Ausräumung fortgenommen werden.
Deshalb ist die osteoplastische Operation bezüglich des Orbitalinhaltes viel
schonender. Störungen von der Trochlea kommen kaum in Betracht, nur
dann, wenn, wie bei der Barthschen Operation, der obere innere Orbital-
winkel eingeknickt werden muss.
Ich habe die Verhältnisse, welche ich nach osteoplatischen Operationen
E. Winckler, Therapie der Stirnhöhlenerkrankungen. 125
beobachtet habe, hier deshalb eingehender auseinandergesetzt, weil die
neueren Bestrebungen, künstliche, mit Meissel (Rethi) oder Trepan (Halle)
hergestellte endonasale Oeffnungen durch Schleimhautplastiken zu über-
decken und so eine direkte Verwachsung der angefrischten Knochenwände
zu verhüten, nur dann sicher das dauernde Offenbleiben der grossen
Lücken verbürgen, wenn man alle Reinfektionen der Nase zu verhüten im-
stande ist, und Schwellungen der Schleimhaut in dem geschaffenen neuen
Ausführungsgange nicht eintreten.
Die Idee der Schleimhautplastik, wie sie Halle für die oberen nasalen
Nebenräume empfohlen hat, ist praktisch an seiner mit so vielem Fleiss
ersonnenen Methode sicher brauchbar und in geeigneten Fällen wird sie
sich bei osteoplastischen Eingriffen gut verwerten lassen.
Im übrigen ist die Idee von Halle und Rethi, gegen eine Stirnhöhlen-
eiterung endonasal mit Meissel und Trepan vorzugehen, mit unserer heutigen
rhinochirurgischen Auffassung, die doch endlich ganz auf den Lehren der
grossen Chirurgie beruht, nicht in Einklang zu bringen.
Die technische Ausführung ist absolut möglich und auf Grund der
Röntgenbilder ist es auch möglich, solche Fälle auszusuchen, die durch
endonasale Entfernung des Stirnhöhlenbodens zur Heilung geführt werden
können. Ich habe selbst in den Anfängen meiner rhinochirurgischen Tätig-
keit, in denen der äussere Eingriff an der vorderen Stirnhöhlenwand nur
auf kleine Löcher beschränkt wurde, an einer Reihe von Fällen mit der
Schäfferschen Löffelsonde sehr breite Zugänge zur Stirnhöhle hergestellt
und durch regelmässige Spülungen usw. jedenfalls dieBeschwerden so gebessert,
dass ich die Fälle aus dem Gesichtskreise verloren habe. Das war aber
im Anfang der 90er Jahre. Ich habe auch durch anatomische Unter-
suchungen festgestellt, dass das Vorgehen in gewissen Fällen gut ausführ-
bar ist, und halte es auch für möglich, dass Halle und Rethi Erfolge
mit dem Eingriff und einer geeigneten Nachbehandlung haben werden,
nämlich dann, wenn einfache, mehr isoliert für sich bestehende, glatte
Stirnhöhlen vorliegen und die Siebbeinzellen wenig oder gar keine Be-
ziehungen zum Sinus frontalis haben, d. h. die frontalen Siebbeinzellen
direkt am innern Augenwinkel ihr Ende erreichen, Solche Fälle kann
man aber sicher schonender von dem natürlichen Wege, d. h. von den
frontalen Siebbeinzellen aus, einer Besserung und Heilung entgegenführen.
Unchirurgisch ist der Eingriff aus verschiedenen Gründen. Jede
Eiterung ist als Abszess, also als eine Infektion zu betrachten. Eine Stirn-
höhleneiterung liegt in einer gefährlichen Gegend und kann nicht ohne
weiteres nach denselben Prinzipien wie z. B. eine Kieferhöhleneiterung in
Angriff genommen werden. Bei der Kieferhöhleneiterung kommen Kompli-
kationen durch endonasale Eingriffe selten in Betracht, höchstens dann,
wenn man bei akuten Entzündungen oder Polypenbildung im Antrum
Highmori Probeausspülungen vornimmt. Die einzige Gefahr droht nur von
der unteren Orbitalwand, welche ausserordentlich selten in Mitleidenschaft
gezogen wird, und die bei den endonasalen Eingriffen gar nicht berührt
126 E. Winckler, Therapie der Stirnhöhlenerkrankungen.
wird. Wer das Siebbein bei endonasalen Eingriffen der Kieferhöhle ver-
nachlässigt hat, kann allerdings öfter auch hierbei hinterher unangenehme
Komplikationen erleben.
Bei der Stirnhöhleneiterung kommt nicht allein die hintere Wand,
über deren Lage und Abstand von der vordern Wand wir uns vor jedem
Eingriff, gleichgültig ob endonasal durch die vordern Siebbeinzellen oder
durch Eröffnung der äussern Wand, informieren müssen, in Betracht,
sondern vor allem das Verhältnis der Lamina cribrosa zu dem die beiden
Stirnhöhlen trennenden Septum interfrontale. Ueber diese besondere
Varietät vermag uns bis jetzt kein Röntgenbild absolut sichern Aufschluss
zu geben. Auch bei tiefen Stirnhöhlen kann die Crista galli so nahe an
die vordere Wand rücken, dass sie der Scheidewand der Sinus frontales
dicht anliegt, und so der untere mediale Bezirk der Stirnhöhle unmittelbar
der Lamina cribrosa angrenzt. Die Nachbarschaft zum Sinus longitudinalis
dürfte bei diesen Verhältnissen auch nicht ganz ungefährlich sein.
Aber ganz abgesehen von dieser vor der Operation nicht festzu-
stellenden Anomalie ist der Eingriff von Halle und Rethi unchirurgisch,
weil sie in einem infizierten Gebiet, ohne es zu übersehen, Wunden am
gesunden Knochen setzen, deren Grösse, Tiefe und weitere unmittelbare
Folgen sie wieder nicht verfolgen können. Halle lässt die so häufig jedem
Arbeiten mit einer Trephine nachfolgenden kleinen Nekrosen ganz ausser
Acht. Sie sind in dem gefährlichen und infizierten Terrain doch nicht so
ganz gleichgültig. Die Otologen, welche das Arbeiten des Trepans genau
verfolgen können, haben ihn wegen der nachfolgenden Knochennekrosen
gänzlich aufgegeben. Ihn für rhinochirurgische Eingriffe wieder einzu-
führen, muss, soweit dies den Sinus frontalis anbetrifft, als verfehlt be-
zeichnet werden. Von der Anbohrung des Warzenfortsatzes mit einem
Trepan hört man nichts mehr. Das Abschleifen von Knochenrändern, das
Vertiefen des Sinus hypotympanicus sind längst aufgegeben, trotzdem sie
unter genauester Kontrolle des Auges sicher und mit grösster Schonung
ausgeführt werden können. Trotz wiederholter Abkühlung durch Berieseln
mit Borsäure- oder Sublimatlösungen des durch die Reibung erhitzten
Knochens sind hier gelegentlich kleine Nekrosen beobachtet, die die spätere
Heilung unnütz erschweren. Dass das Abschleifen des viel dickeren Stirn-
höhlenbodens und seiner Umgebung nie zu solchen Nekrosen führen soll,
verbürgt uns auch das Instrumentarium von Halle nicht. Schon am
Leichenschädel lassen sich nach dem Abfräsen der Spina frontalis tiefer-
gehende Fissuren in den Knochen verfolgen. Wenn diese auch nicht die
Tabula vitrea zu erreichen brauchen, so besteht doch immerhin die Mög-
lichkeit, dass von der erkrankten Stirnhöhle aus derartige Knochenwunden
frisch infiziert werden, und nun direkt eine Knocheninfektion in Bezirken
eingeleitet wird, die gar nicht zu berechnen ist. Auf die unberechenbaren
Lymphspalten, wie sie Miodowski nachgewiesen hat und die den direkten
Zusammenhang mit dem Arachnoidealraum und schnell eintretende
Meningitiden nach nasalen Infektionen in manchen Fällen erklären, nehmen
E. Winckler, Therapie der Stirnhöhlenerkrankungen. 127
Rethi und Halle überhaupt keine Rücksicht. Ferner braucht man sich
nur des Modus zu erinnern, wie die Infektion aus den erkrankten oberen
nasalen Nebenräumen auf den Schädelinhalt weiter geleitet wird. Früher
glaubte man, dass dazu immer Knochenlücken oder Einschmelzungen oder
Nekrosen nötig wären. Jetzt wissen wir besonders durch die Untersuchungen
von Manasse, dass eine Tbrombophlebitis der Venen der Diploe viel häufiger
zu fiirchten ist, als dies bisher angenommen wird. Schon dies allein ist
ein Grund in einem infizierten Gebiet alle Nebenverletzungen zu vermeiden,
die man nicht übersehen kann. Bei den äusseren Eingriffen gehen wir mit
der grössten Vorsicht an die gefährlichen Stellen, und doch hat jeder ein-
mal auch beim schonendsten Operieren und vollkommener Uebersicht des
Terrains eine weitere Verbreitung der Infektion auf den Schädelinhalt nicht
vermeiden können, trotz gesicherten Abflusses, trotz offener Wundbehandlung
usw. Durch Anbohren und Meisselschläge aber auf einem unkontrollier-
baren Wege und nicht zu übersehenden Operationsterrain neue Infektions-
quellen an Knochenabschnitten zu schaffen, welche in nächster Nähe des
Sinus longitudinalis, der Crista galli und Lamina cribrosa liegen, ist mit
den Grundvorstellungen aus den Lehren der Chirurgie, die nach 20 jähriger
Arbeit nun endlich auch die Rhino-Chirurgie akzeptiert hat und denen
sie ihre Erfolge verdankt, ganz unvereinbar und als ein Rückschritt zu
bezeichnen.
Es gibt noch genug zu tun, um für jeden einzelnen Fall die richtige
Operationsmethode auf chirurgischem Wege und mit chirurgischem Denken
zu bestimmen. Die verschiedenen Varietäten der Siebbeinanlage und die
verschiedene Konfiguration der Stirnhöhle zwingen mit Notwendigkeit dazu,
hier nicht schablonenmässig Operationsmethoden nach Riedel, Killian
oder anderen Autoren zu verwerfen oder regelmässig nach Schema F vor-
zunehmen, vielmehr für jeden einzelnen Fall nach den Krankheitserschei-
nungen, dem Röntgenbilde, der Gestalt der Nase und des Stirnbeins einen
passenden Operationsplan zu entwerfen. Durch eine Universaloperation die
erkrankten oberen Nebenräume einer Heilung entgegenführen zu wollen,
ist nicht mehr angängig. Wo ein äusserer Eingriff durch lebensgefährliche
Erscheinungen indiziert ist: bei Infiltration der äusseren Weichteile, Nekrosen
der äussern Wände, Orbitalphlegmonen usw., da kann nur breiteste Frei-
legung nach Riedel und Röpke ohne Rücksicht auf das spätere kos-
metische Resultat in Frage kommen und als Heilung nur die dauernde
Verödung der Hohlräume betrachtet werden. Ist die Indikation zum
äussern Eingriff nicht durch äussere Kennzeichen gegeben, sondern wird
sie allein durch die endonasale Erkrankung und die subjektiven Beschwerden
bedingt, dann wird auf das spätere kosmetische Resultat bei dem in Aus-
sicht genommenen Öperationsplan ein grosses Gewicht zu legen sein. Wie
Passow sehr richtig sagt, gibt dann die Operation das beste Resultat, bei
welcher alle äusseren Schnitte vermieden werden können.
Der Sinn von Passows Bemerkung ist der, dass die Stirnhöhle als
solche viel zu viel operativ in Angriff genommen wird. Es gibt zahlreiche
128 E. Winckler, Therapie der Stirnhöhlenerkrankungen.
Stirnhöhlenerkrankungen, die man besser unoperiert lässt, und bei denen
die Ausräumung der frontalen Siebbeinzellen nach Ritter oder mit der
Wagnerschen Löffelzange absolut genügt. Die äussere Oeffnung der
oberen Nebenräume muss besonders begründet werden. Die lokalen
Krankheitserscheinungen und besonderen anatomischen Varietäten müssen
in jedem Falle berücksichtigt werden. Der allgemeine Applaus, welcher
in Kiel der Halleschen Demonstration seiner am Leichenschädel ausge-
führten Anbohrung des Sinus frontalis folgte, ist für den Praktiker absolut
unverständlich und dürfte mehr der Technik Halles Rechnung getragen
haben. Irgend ein für die allgemeine Praxis oder unser Spezialfach
errungener Fortschritt ist mit dieser Demonstration nicht zu verzeichnen.
Ehe nicht wenigstens einer der am Applaus beteiligten Kollegen bei etwaiger
Stirnhöhlenerkrankung seinen eigenen Kopf dem Halleschen Trepan dar-
geboten hat, kann über die Operation und ihre etwaigen Erfolge überhaupt
nicht diskutiert werden.
Vill.
Ueber die beruflichen Erkrankungen
in den oberen Luftwegen der Stockdrechsler.
Von
Dr. K. M. Menzel,
Spezialarzt fir Hals- und Nasenkrankheiten des Verbandes
der Gonossenschaftskrankenkassen Wiens.
(Mit 2 Textfiguren.)
Pathologische Veränderungen des Naseninneren als Gewerbekrankheit
wurden bereits von zahlreichen Autoren beschrieben. Die ersten, welche
sich damit befassten, dürften Becourt und Chevalier gewesen sein. Sie
veranstalteten von 1851 ab eine Umfrage bei Chromfabriken in Frankreich,
Deutschland, England und Amerika, deren Ergebnis die Konstatierung von
Nasengeschwüren, Durchlöcherung der Nasenscheidewand waren neben An-
ätzungen der Haut des Handrückens, die weitergriffen und schliesslich bis
auf den Knochen vordrangen (zitiert nach Fischer, 1911). Ueber die Be-
schreibung der Veränderungen der Nasenscheidewand kamen auch die
übrigen Autoren nicht hinaus, welche sich mit der Schilderung der Nasen-
erkrankungen der Fabrikarbeiter beschäftigten.
Delpeche und Hilairet, die 1869 und 1876 ihre Untersuchungen
bei Chromarbeitern veröffentlichten, gelangten zu den gleichen Ergebnissen
wie Bécourt und Chevalier.
Ferner sei erwähnt die These von Casabianca (1876), welche als
Ursache der Nasenscheidewandperforationen nur die Beschäftigung in Chrom-
fabriken annimmt.
In Dougalls (Lancet, 1871, II) Arbeit sind ausser den Perforationen
des Septums noch Geschwüre im Kehlkopf bei Chromarbeitern beschrieben.
Gay (Petersburger med. Wochenschr. 1869, Nr. 25) beobachtete ebenfalls
bei Chromarbeitern Perforationen des Septums, die auch den vorderen
Teil des Vomer zerstörten; in analoger Weise erzählt Hirt (Die äusseren
Krankheiten der Arbeiter, 1878) von den Arbeitern in einer Chromfabrik
in Glasgow, dass sie sich zum Scherz Ringe in das Loch der Nasen-
scheidewand einziehen.
Auch Burghart, nach dessen 1898 erschienenen Arbeit: „Ueber Chrom-
erkrankungen“ (Charite-Annalen, XXIII. Bd. S. 189) ich die drei zuletzt
erwähnten Autoren zitiere, fand nur die Perforation der Scheidewand
Archiv für Laryngologie. 29. Bd. 1. Heft. 9
130 K. M. Menzel, Berufliche Erkrankungen der Stockdrechsler.
erwähnenswert, deren Entstehungsmechanismus er in folgender Weise schildert:
Die vordere Septumpartie ist drüsenarm, daher wird kein Sekret produziert,
infolgedessen bleiben die Chrompartikelchen dort liegen und verätzen die
Schleimhaut. Die Folge davon ist zunächst die Bildung einer Schleimhaut-
erosion, aus welcher sich durch weitere Einwirkung des schädlichen Agens
schliesslich eine vollständige Perforation ausbildet.
Von späteren Autoren dieses Themas erwähne ich Hermanni, welcher
in seiner 1901 (Münch. med. Wochenschr. Nr. 14) erschienenen Arbeit „Ueber
die Erkrankungen der in Chromatfabriken beschäftigten Arbeiter“ im all-
gemeinen in ganz ähnlicher Weise wie die ersten Beobachter berichtete.
Auch er beschreibt fast ausschliesslich die Perforationen der Nasenscheide-
wand, welche sich nach ihm aus einer durch die lokale Aetzwirkung
des chromsauren Kali unter Mitbeteiligung von Bakterien entstandenen
Erosion mit nachfolgender Nekrose der Schleimhaut und in weiterer
Folge auch des Knorpels und der Schleimhaut der anderen Seite ausbildet.
Hermanni lehnt sich bereits an die grundlegenden Arbeiten von
Weichselbaum und Hajek, welche vom pathologisch-anatomischen
Standpunkt aus das Fortschreiten des Ulcus perforans der Nasenscheidewand
beschrieben haben. Beide Autoren haben an einer grösseren Anzahl von
Leichen, Hajek auch an Lebenden, Perforationen der Nasenscheidewand
beschrieben und heben hervor, dass die Perforation in der Regel mit
einem diphtheritischen Geschwür der Schleimhaut an einer oder beiden
Seiten gleichzeitig beginnt und nunmehr durch Fortschreiten auf das
Perichondrium und den Knorpel zur völligen Ausbildung des Loches führt.
Weichselbaum hat diesen Vorgang nur bei an Tuberkulose verstorbenen
Männern beobachtet. Auch in Hajeks Fällen prävalieren solche, welche
an Tuberkulose der inneren Organe zugrunde gingen. Hajek hat auch
an Lebenden das Scheidewandloch, wenn auch nicht als Berufskrankheit,
beschrieben und nimmt als das Primäre bei demselben Blutungen in die
Schleimhaut an, worauf sich an diesem Locus minoris resistentiae Bakterien
ansiedeln, welche dann Schleimhaut und Knorpel durch nekrotisierende
diphtherische Entzündung zum Einschmelzen bringen.
Nicht unerwähnt mögen die gründlichen Arbeiten Fischers über den
in Rede stehenden Gegenstand bleiben, welcher in einer Monographie die
Schädigungen beschreibt, welche die Chromatarbeiter in den verschiedensten
Organen durch ihre Beschäftigung davon tragen. Bezüglich der Nasen-
veränderungen kann auch Fischer nichts Neues mitteilen; auch er be-
schränkt sich auf die Mitteilungen der Perforationen des Septums und bringt
eingehende statistische Aufstellungen über die Häufigkeit der Perforationen
in verschiedenen Betrieben, aus denen hervorgeht, dass 71 pCt. der ge-
samten in Chromatfabriken beschäftigten Arbeiter Perforationen der Nasen-
scheidewand aufweisen.
Sicher ist ferner, dass nicht bloss die Arbeiter in Chromatfabriken
sondern auch in einer Reihe von andersartigen Betrieben Perforationen der
Nasenscheidewand zeigen.
K. M. Menzel, Berufliche Erkrankungen der Stockdrechsler. 131
So hat Fowlerton (zitiert nach Seifert, Sammlg. klin. Vortr. aus
dem Gebiete der Otol. und Phar.-Rhin. von Haug, München, I. Bd.,
T. Heft, 1895) als erster auf die bei Zementarbeitern zu beobachtenden
Perforationen hingewiesen, eine Tatsache, welche auch von Werner, einen
Assistenten von Jurasz und von Otto (l. c. Seifert) bestätigt wurde.
Ersterer fand die in Rede stehenden Veränderungen bei 10. pCt., letzterer
bei 30 pCt. der untersuchten Zementarbeiter.
Schweinfurtergrün als Ursache der Septumperforationen fanden
Töplitz (X. Int. med. Kongr. Berlin 1890, Bd. IV, Abteilung 12), ferner
Rollet und Baumgarten (zit. n. Töplitz), während die analogen Ver-
änderungen bei Arbeitern in Kalk-, Zinnchlorür- und Phosphor-
Fabriken bereits in den 60 er Jahren von Stump und Forwood (zit. n.
Töplitz) beschrieben wurden.
Endlich wurde Salzstaub als Ursache der Septumperforation von
P. Müller (Vierteljahrsschr. f. ger. Med, 3. Folge, Bd. X, H 2, S. 381—384,
1895) beschrieben, der bei 165 Salzarbeitern 42 mal Perforationen und
9 mal frische Geschwüre an der Nasenscheidewand fand.
In einer Reihe von Betrieben werden nun die erwähnten schädlichen
Verbindungen nicht direkt erzeugt, sondern nur als Hilfsmittel für die
Fabrikation von anderweitigen Gegenständen verwendet. Dass es auch in
djesen Betrieben zu den analogen Schädigungen der Schleimhaut der
Nase, wenn auch vielleicht nicht in dem gleichen Masse kommen muss, liegt
auf der Hand. So wird bei der Fabrikation der schwedischen Zünd-
hölzchen doppeltchromsaures Kalium als Tunke für die Zündhölzchen-
köpfchen verwendet, bevor auf dieselben die eigentlichen Zündhütchen
appliziert werden. Wodtke (Vierteljahresschr. f. ger. Medizin u. öffent-
liches Sanitätswesen, 3. Folge, Bd. XVII, H. 2, 1899, S. 325) fand
unter 87 Arbeitern in schwedischen Zündholzfabriken 8 Perforationen,
6 Geschwürsflächen der Nasenscheidewand und 4 Narben auf derselben,
ebenso hatte ein Arbeiter, der durch zehn Jahre die aus doppeltchromsauren
Kalium bestehende Tunkmasse bereitete, eine grosse Perforation des Septums.
So stehen auch die mit der Stockfabrikation beschäftigten
Arbeiter unter der schädlichen Wirkung des doppeltchrom-
sauren Kaliums, da das letztere neben anderen chemischen Verbindungen
zur Beize der Holzstöcke verwendet wird.
Nach der Beize werden die Hölzer getrocknet und dann auf
ınaschinellem Wege gedrechselt und geschliffen, wobei sich ein ganz feiner
mit winzigen Teilchen von chromsaurem Kalium geschwängerter Holzstaub
entwickelt, der von den Arbeitern eingeatmet wird.
Blum (Wiener klin. Wochenschr. 1901, Nr. 6) war der einzige, welcher
auch in der Nase von Stockdrechslern Veränderungen vorfand, die er aller-
dings nur in einzelnen Fällen nicht nur am Septum, sondern auch an
anderen Partien des Naseninneren beobachtete. Seine Arbeit leidet darunter,
dass die Untersuchungen nicht systematisch vorgenommen und in
meines Erachtens wichtigen Belängen eine zu geringe Zahl (2) von Fällen
Q *
132 K. M. Menzel, Berufliche Erkrankungen der Stookdrechsler.
berücksichtigt wurden. Er fand an den Nasenöffnungen Geschwüre, an
der Scheidewand und den vorderen Enden der Muscheln weissgraue, fest-
haftende Beläge und darunter blutende Flächen. Das wurde von ihm als
das erste Stadium bezeichnet. Als zweites fand er bei einem Arbeiter
diphtherische Geschwüre an beiden unteren Muscheln und ein Geschwür
mit missfarbigen, speckig belegten Rändern am Septum, welches an seinem
Grunde bereits zur Perforation geführt hatte.
Das dritte Stadium in Form einer grossen Perforation der ganzen
knorpeligen Scheidewand zeigte ein Werkmeister; die Schleimhaut war
allenthalben blass, trocken und atrophisch, von einem Belage nichts zu
finden. Einen analogen Befund konnte er in einem zweiten Falle
erheben.
Schon hier muss ich im Gegensatz zu Blum und manchen seiner Vor-
ginger betonen, dass es mir trotz systematischer Untersuchung einer
grossen Zahl von in verschiedenen Fabriken beschäftigten Stockdrechslern
nicht in einem einzigen Falle gelungen ist, diphtherische Beläge oder gar
Geschwüre an Muscheln oder am Septum zu finden.
Die Ursache für die Mangelhaftigkeit der von den verschiedenen
Untersuchern in der Nase der betreffenden Arbeiter erhobenen Befunde
scheint mir unter anderem darin gelegen zu sein, dass die Untersuchungen
von Gewerbeärzten, von praktischen Aerzten vorgenommen wurden, welche
über die nötigen rhinologischen Vorkenntnisse nicht verfügten, die eine
richtige Beurteilung und Würdigung ihrer Befunde verbürgen.
Mir war es schon seit längerer Zelt aufgefallen, dass einzelne von
in meiner Behandlung stehenden Stockfabrikarbeitern, von sogenannten
Stockdrechslern, ausser einer Perforation des Septums noch eine trockene
Rhinitis mit Atrophie der Nasenschleimhaut sowie Deviatio septi höheren
Grades aufwiesen. Ich ging der Sache nach und habe ganz systematisch
die Arbeiter in einer Reihe von Stockfabriken auf ihre oberen Luftwege.
namentlich Nase und Rachen, untersucht und hierbei regelmässig in
grösseren und kleineren Prozentverhältnissen bestimmte, zum Teil noch
nicht beschriebene Veränderungen nachweisen können, über die im folgenden
berichtet werden soll.
Vorher aber möchte ich die Art der Beschäftigung der betreffenden
Arbeiter mit einigen Worten schildern.
Die rohen, noch kantigen und unebenen Naturstöcke werden, wie bereits
oben erwähnt, zur Erzielung einer bestimmten Grundfarbe durch mehrere
Stunden bis Tage in eine mehr oder weniger starke Farblösung gelegt
oder, wie der Terminus technicus lautet, „gebeizt“. Die Beize enthält ver-
schiedene chemische Präparate, unter anderem Kalium bichromatum,
Katechu, Cuprum sulfuricum, Alaun, ferner verschiedene Anilinfarben.
Die der Beize entnommenen Stöcke werden nun getrocknet und
auf maschinellem Wege zunächst von den gröberen Unebenheiten befreit und
dann mittels auf Drehischeiben befestigtem, gröberem und feinerem Schmirgel-
K. M. Menzel, Berufliche Erkrankungen der Stockdrechsler. 133
und Glaspapier „geschliffen“ und „poliert“. Bei letzterer Tätigkeit, nament-
lich beim Schleifen entwickelt sich das eigentliche schädliche Agens.
Dieses stellt einen ungemein feinen mit allerlei chemischen, aus der Beize
stammenden Substanzen innig vermischten Holzstaub dar. Er ist ausser-
ordentlich fein, fast mehlartig, spezifisch leicht, daher von beträchtlicher
Zerstäubungsfähigkeit; er erfüllt die Luft in den Werkstätten und Fabriken
mehr oder weniger und wird von den Arbeitern kontinuierlich eingeatmet.
Seine Farbe ist je nach der Beizung der Hölzer verschieden. Die normale
Nasenatmung bringt nun diesen Staub an gewisse Prädilektionsstellen, welche
dadurch am meisten zu leiden haben; und zwar findet man ihn, wenn
man die Arbeiter aus ihrer Tätigkeit heraus untersucht, in grösseren
Mengen in der Gegend hinter und über dem Locus Kiesselbach, ferner das
vordere Ende bzw. die vordere Hälfte der unteren und mittleren Muschel
bedeckend. Er schlägt sich natürlich auch auf die anderen Partien der
Nasen- und auf die Rachenschleimhaut nieder, um auch daselbst seine
Veränderungen zu setzen.
Die von mir in den oberen Luft- und Digestionswegen, namentlich in
Nase und Rachen der Stockdrechsler häufig gefundenen und zweifellos mit
ihrer Berufstätigkeit zusammenhängenden krankhaften Erscheinungen lassen
sich einteilen in:
1. Septumveränderungen:
a) zirkumskripte Verdünnung mit Schwund des Knorpels,
b) Perforation,
c) Deviation.
Deformierung der äuseren Nase.
Veränderungen an den Nasenmuscheln.
Veränderungen am Schleimhautepithel.
. Veränderungen am Rachen.
Was zunächst die unter a genannte zirkumskripte Verdünnung des
Septums mit Schwund des Knorpels betrifft, so wurde sie bisher
noch nicht beschrieben. Man findet in einer Reihe von Fällen hinter und
über dem Locus Kiesselbachii, also an jener Stelle, an der sich später
die Perforation ausbildet, eine linsen- bis hellerstückgrosse, manchmal noch
etwas grössere, in der Regel mit der längeren Achse in den anteroposterioren
Durchmesser orientierte Partie, an welcher die Schleimhaut blass, manch-
mal grau verfärbt, glatt und öfter ein wenig eingesunken erscheint.
An dieser Stelle ist das Septum deutlich verdünnt, es lässt sich der leiseste
Druck eines Sondenknopfes durch Konstatierung der hierdurch erzeugten
Vorwölbung der betreffenden Stelle bei gleichzeitiger Inspektion der anderen
Nasenhälfte wahrnehmen, ähnlich wie bei einem Septum, aus welchem
durch submuköse Resektion der Knorpel entfernt wurde. Manchmal findet
sich diese Atrophie an der Stelle der stärksten Krümmung eines deviierten
Septums, manchmal auch ohne Deviation. Durch einen Zufall kam ich in
die Lage bei einem Stockdrechsler wegen zirkumskripter starker Deviation
des Septums diese stark verdünnte Partie entfernen und so histologisch
bo
Ot e oe
K. M. Menzel, Berufliche Erkrankungen der Stockdrechsler. 135
kleinzellige Infiltration reicht bis ans Perichondrium, auch letzteres stellen-
weise durchsetzend. Drüsen sind reichlich vorhanden, das vielfach ge-
schichtete Plattenepithel ist dick, mit reichlichen, tief in die Schleimhaut
hineinragenden Retezapfen versehen, was allerdings gerade an der abge-
bildeten Stelle nicht so sehr zum Ausdruck kommt. Im Gegensatze hierzu
zeigt die Schleimhaut des knorpellosen Teiles eine Atrophie der
charakteristischen Elemente. Hier ist das Septum im ganzen dünner, man
findet ein dünnes Epithel ohne Retezapfen, nur ganz vereinzelt einen oder
Figur 2.
Se aa
Horizontaldurchschnitt durch den knorpellosen Teil der „zirkumskripten
Septumatrophie“.
a Bindegewebe an Stelle des Knorpels; b abgeflachtes Plattenepithel mit Verhornung
der obersten Schicht; ce vereinzelter Drüsenacinus; d entzündliches Infiltrat.
den andern Drüsenacinus. Das retikuläre Bindegewebe der Schleimhaut
ist auf einen schmalen Saum reduziert, in welchem sich nur eine gering-
fügige Infiltration und relativ wenige Blutgefässe nachweisen lassen (Fig. 2).
An Stelle des Knorpels findet sich eine reichliche Lage von straffem relativ
zellarmem und gefässreichem Bindegewebe (Fig. 2).
Wie haben wir uns diesen Befund zu erklären? In Anbetracht des Um-
standes, dass wir denselben in einer ganzen Reihe von im gleichen Berufe
stehenden Menschen konstatieren konnten, müssen wir sagen, wir haben es mit
einer Berufsschädigung des Septums zu tun. Es liegt die Annahme nahe,
136 K. M. Menzel, Berufliche Erkrankungen der Stockdrechsler.
dass es durch das ewige Anprallen der mit den ätzenden Chemikalien ver-
setzten Staubpartikelchen zunächst zu einer Entzündung und im weiteren Ver-
laufe zu einer rarefizierenden Ernährungsstörung der Schleimhaut und des
Perichondriums beiderseits kommt; letzterer Umstand führt dann zu dem
erwähnten Schwunde des Knorpels. Ich halte diese destruktive Veränderung
für den Beginn der völligen Zerstörung an der betreffenden Schleimhaut-
partie um so mehr, als es mir trotz genauester Untersuchung von mehr
als 150 Arbeitern in keinem einzigen Falle gelungen ist, das progressive
Schleimhautgeschwür zu finden, welches von einer ganzen Reihe von
Autoren als das Anfangsstadium der Perforation des Septums im allge-
meinen und des bei den Chromatarbeitern im besonderen beobachteten
Loches der Nasenscheidewand beschrieben und angesehen wurde. Die oben
auseinandergesetzte Art der Substituierung des Knorpels durch Bindegewebe
(Fig. 1 c) beweist, dass wir es hier mit einem progressiven Zerstörungsprozess
zu tun haben und nicht mit einem definitiven abgeschlossenen Zustande.
Abgesehen von dem Resultate der klinischen Untersuchung und dem
mikroskopischen Befunde spricht noch ein weiteres Moment dafür, dass in
unseren Fällen die zirkumskripte Atrophie und nicht ein progressives
Schleimhautgeschwür den Beginn der Perforation darstellt. Wie später
auszuführen sein wird, finden sich die Perforationen des Septums in jeder
Grösse von Hanfkorn- bis Linsen- bis Hellerstückgrösse und weit darüber,
bis es schliesslich bei Arbeitern, die schon sehr lange in dem gleichen
Betriebe tätig sind, zu einer völligen Zerstörung des knorpeligen Septuns
kommt. Trotzdem es danach sicher zu sein scheint, dass das Septumloch
um so grösser wird, je länger sich der Arbeiter dem verderblichen Staube
aussetzt, ist es mir nie gelungen, an den Lochrändern Zeichen eines ge-
schwürigen Zerfalles zu finden, was doch der Fall sein müsste, wenn die
Perforation sich aus einem progressiven Geschwüre entwickeln würde.
Eine zweite bei Stockdrechslern sehr häufige nasale Veränderung besteht
in der Perforation des knorpeligen Septums. Es muss jedoch betont
werden, dass dieselbe in den seltensten Fällen sich in der Gegend des
Locus Kiesselbachii befindet, dass sie vielmehr fast immer mehr oder
weniger weit hinter und häufig auch über demselben anzutreffen ist.
Die Grösse des Loches ist ausserordentlich verschieden. Sie schwankt
zwischen Hanfkorn-, Bohnen- und Haselnussgrösse und darüber. Ich habe
Perforationen gesehen, welche den grössten Teil des knorpeligen Septuns
konsumiert hatten, ja das eine oder andere Mal sich auch auf den Knochen
erstreckten. Hierbei konnte man mangels sonstiger Erscheinungen Lues
mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit ausschliessen.
In der Regel hat das Loch eine längsovale Form mit dem längeren
Durchmesser in die anteroposteriore Richtung orientiert, in anderen Fällen
wieder haben wir kreisrunde Perforationen beobachtet. Die Ränder sind
in der Regel zart und glatt, Krusten an denselben habe ich in den meisten
Fällen vermisst. Man findet hier nur in grossen Mengen den feinen, von
K. M. Menzel, Berufliche Erkrankungen der Stockdrechsler. 137
der Beschäftigung herrührenden weissen Holzstaub. Die verschiedene
Grösse der Perforationen weist meiner Meinung nach auf einen progressiven
Verlauf in der Konsumption dieses Septumteils hin, eine Annahme, die
sich unter anderem auch darauf stützt, dass man bei jüngeren Arbeitern
im allgemeinen die kleineren und bei älteren fast immer die grösseren
Perforationen findet. Es ist auffallend und nach einer bestimmten Richtung
weisend, dass man an den Lochrändern niemals Geschwüre oder Reste von
solchen, ja häufig auch keine Krusten antrifft. Diesen Befund müsste man,
wie ich schon oben ausgeführt habe, recht oft erheben können, wenn sich
die Perforationen aus Geschwüren entwickeln würden. Ich habe die Per-
foration der knorpeligen Nasenscheidewand in 20 pCt. bis zu 51,5 pCt. der
von mir in den verschiedenen Betrieben untersuchten Arbeiter gefunden.
Die Häufigkeit der Perforation hängt abgesehen von konstitutionellen
Prädispositionen ab von den sanitären Einrichtungen der Betriebe, in
denen die Arbeiter gearbeitet haben und noch arbeiten. Eine Reihe von
grösseren Betrieben sind bereits mit Exhaustoren ausgestattet, welche den
sich entwickelnden Staub wenigstens zum grössten Teile absaugen und auf
diese Weise für den Arbeiter unschädlich machen, während allerdings die
kleineren Betriebe dieser Einrichtung noch entbehren. Es muss jedoch
betont werden, dass der Betrieb auch in den besteingerichteten
Fabriken kein völlig staubfreier ist und dass man auch nach kurzem
Aufenthalte in diesen das gleiche unerträgliche Brennen, die Trockenheit
und Verstopfung der Nase empfindet, wie in den kleineren staubigen
Werkstätten.
Im Anschluss einerseits an die zirkumskripte Verdünnung des Septums
mit Schwund des Knorpels, andererseits an die Entwicklung der typischen
Perforation, scheint sich auch eine in den weitaus meisten Fällen zu
konstatierende Deviation der Nasenscheidewand auszubilden.
Man findet letztere und zwar gewöhnlich in höheren Graden in etwa
30—90 pCt. aller Arbeiter, so dass von vornherein der Gedanke naheliegt,
dass diese Verkrümmungen des Septuns wenigstens zum Teile nicht als
etwas rein Zufälliges aufzufassen sind. Und in der Tat scheint der Verlust
eines Teiles aus der Kontinuität des elastischen Knorpels im Septum ge-
eignet, das Resultat der elastischen, das Septum in seiner bestimmten
Stellung haltenden Kräfte zu beeinflussen, so dass die Rahmenteile des
durch den erwähnten Septumdefekt entstandenen Fensters, ihrem elastischen
Zuge folgend, nach bestimmten Richtungen abweichen. Im allgemeinen
konnte ich beobachten, dass die Deviation um so grösser ist, je weiter
vorgeschritten die Perforation ist, so dass man in den höchsten Graden
S- oder sogar stufenförmige Verkrümmungen wahrnehmen kann. In einer
Reihe von Fällen hat die Deviation auch den knöchernen Septumteil er-
griffen, was vielleicht damit zusammenhängt, dass die schon in jugendlichem
Alter bei den Lehrlingen und den jungen Gehilfen auftretende Deviation
des Knorpels auf den in seiner Entwicklung noch nicht vollendeten
138 K. M. Menzel, Berufliche Erkrankungen der Stockdrechsler.
knöchernen Septumteil im Sinne eines verkrümmenden Zuges einwirkt.
Eine analoge Abweichung des Septums beobachtet man manchmal bei der
submukösen Fensterresektion nach Resektion eines nicht genügend grossen
Stückes der Cartilago quadrangularis. Es weichen dann die zurück-
bleibenden Anteile des knorpeligen Septums nach einer Seite hin oft ganz
beträchtlich ab, wodurch unter Umständen das Resultat der ganzen
Operation in Frage gestellt ist.
Endlich kommt es nicht selten infolge der in manchen Fällen sehr
weit gehenden Zerstörung der knorpeligen Septumpartie zu einer bisher
ebenfalls noch nicht beschriebenen Deformität der äusseren Nase,
bestehend in einer Verbreiterung des Nasenrückens und der Nasenspitze
sowie zur Ausbildung einer, wenn auch in der Regel nicht hochgradigen
Sattelnase, ähnlich wie man dies bei tertiär luetischen Destruktionen des
Septums zu sehen pflegt. In Parenthese sei hierzu bemerkt, dass in einer
Reihe der in der Einleitung zitierten Arbeiten ausdrücklich hervorgehoben
ist, dass die Septumperforationen der Chromatarbeiter niemals zu einer
Deformität der äusseren Nase führen.
Ein anderes Organ des Naseninnern, an welchem man weitaus bei den
meisten Arbeitern des erwähnten Gewerbes Veränderungen findet, sind die
Nasenmuscheln. Sie erkranken fast immer in Form eines Katarrhes
mit meist stark ausgeprägter Atrophie, wenigstens klinisch,
nicht nur der Schleimhaut, sondern oft auch der Knochen. Es werden
in den meisten Fällen nur die unteren Muscheln, oft aber auch die
mittleren Muscheln befallen. Man findet bei diesen Arbeitern die Nasen-
höhlen beiderseits oder auch nur auf einer Seite ausserordentlich weit, die
betreffenden Muscheln klein, schmal, vom Nasenboden und von der äusseren
Wand weit abstehend, die hinteren Enden bei der Rhinoscopia posterior
kaum sichtbar. Die Schleimhaut ist dünn, liegt der Knochengrundlage
innig an, ist gewöhnlich mehr oder weniger intensiv rot gefärbt und von
trockenem Aussehen, ohne jedoch. von Krusten bedeckt zu sein. Der
Grund hierfür liegt in der abnorm geringen Sekretion der Schleimhaut.
Die Arbeiter brauchen in der Regel nicht mehr als ein Taschentuch in
einer bis zwei Wochen. Auch bei der in einigen Fällen vorgenommenen
histologischen Untersuchung zeigen sich die Zeichen einer Entzündung der
Schleimhaut mit Atrophie ihrer Elemente. Weitaus seltener findet sich
im Gefolge des Katarrhes Muschelhypertrophie oder normale Beschaffenheit
der Muskelschleimhäute. In letzteren Fällen scheint eine aus irgendwelchen
Gründen bestehende starke Sekretion die Nase vor starker Schädigung zu
schützen. Einigemale waren Rhinitis vasomotorica, der Gebrauch von
Schnupftabak, oder Neigung der Nase zu Schnupfen die Ursache einer
iibermässigen Sekretion, wodurch der schädliche Staub immer wieder rasch
aus der Nase entfernt wurde.
In einer Reihe von Fällen scheint eine besonders grosse Widerstands-
fähigkeit der Schleimhaut selbst ihre Träger vor der Einwirkung der
chemisch relevanten Agentien zu schützen.
K. M. Menzel, Berufliche Erkrankungen der Stockdrechsler. 139
Relativ oft fand ich Metaplasie des Epithels der Nasen-
schleimhaut und zwar in der Regel an zwei Prädilektionsstellen.
Die eine wird dargestellt von jenem hinter und über dem Locus Kiesel-
bachii gelegenen Anteile der Septumschleimhaut, welche den Sitz der
zirkumskripten Knorpelatrophie bzw. der Perforation bildet. Ausserdem
findet man nicht selten das vordere Ende der mittleren Muschel grauweiss
verfärbt oder mehr von einem Aussehen, als wenn es mit Milch über-
gossen wäre. Die beiden erwähnten Partien sind naturgemäss deshalb so
häufig der Sitz von Metaplasien des Epithels, weil sich an ihnen immer der
bei der Arbeit entstehende feine Holzstaub in grossen Mengen ablagert und
so die Schleimhaut in einem beständigen Reizzustand erhält. Das Epithel
hat sich an diesen Stellen nicht nur aus einem Zylinder- in geschichtetes
Pflasterepithel verwandelt, es ist auch gegen die Norm beträchtlich ver-
dickt und verhornt. Die Grösse der metaplasierten Stellen schwankt un-
gefähr zwischen der eines Hanfkorns und eines Zweihellerstücks, ihre Form
ist gewöhnlich unregelmässig ausgezackt und eher von geraden als von
kreisförmigen Linien begrenzt. Ich hatte mehrmals Gelegenheit, das vordere
Ende einer mittleren Muschel operativ zu entfernen und histologisch zu
untersuchen bzw. untersuchen zu lassen, welches eine typische Metaplasie
einer Schleimhautoberfläche darbot.
Der in einem Falle von Professor Joannovics erhobene histologische
Befund lautet: „Das vordere Ende der mittleren Muschel erweist sich
histologisch als ein von Plattenepithel überkleidetes Schleimhautgewebe.
Ersteres neigt an der Oberfläche ziemlich stark zu Verhornung und dringt
in Form einzelner Epithelzapfen, die allenthaben scharf abgegrenzt sind,
in die Tiefe. Das submuköse, leicht gelockerte und ödematöse Gewebe
zeigt deutliche Zeichen einer subakuten Entzündung.“
Dass das Epithel auch an der hinter dem Locus Kiesselbachii ge-
legenen Septumschleimhautpartie ein mehrfach geschichtetes Plattenepithel
aufweist, geht aus dem oben zitierten Resultate der histologischen Unter-
suchung des betreffenden Schleimhautanteiles hervor.
In einer nicht ganz geringen Zahl von Fällen fand ich auch aus-
gesprochene Entzündungen der Schleimhaut des Nasenrachen-
raumes und der hinteren Wand des oralen Pharynxteiles, welche
mit zähem oder angetrocknetem Sekret bedeckt war.
Da die betreffenden Arbeiter in der Regel Nasenatmer sind schon
wegen der gleichzeitig bei ihnen bestehenden Atrophie der Muschel-
schleimhäute und aus der zwar weiten aber trockenen Nase nur sehr spär-
lich Sekret sich in den Rachen ergiesst, so scheint es sich hier um eine
direkte Einwirkung des Holzstaubes auf die Rachenschleimhaut zu handeln.
Interessant ist, dass die Arbeiter nur in den allerseltensten Fällen über
subjektive Beschwerden von seiten ihres Rachens klagen, ebenso wie sie
auch in der Regel keinerlei nasale Beschwerden empfinden.
140 K. M. Menzel, Berufliche Erkrankungen der Stockdrechsler.
Nunmehr sei es mir gestattet, meine Untersuchungsprotokollle und
aus diesen hervorgehende statistische Tabellen mitzuteilen, an die ich zum
Schlusse einige erläuternde Bemerkungen knüpfen möchte.
Betrieb A,
W. A., 34 Jahre alt, seit 20 Jahren im Betriebe. Devation rechts, keine
Atrophie.
M. W., 45 Jahre alt, seit 30 Jahren Stockdrechsler. Leidet seit vielen Jahren
an Rhinitis vasomotoria. Schleimhäute feucht, nahezu keine Veränderungen.
H. F., 52 Jahre alt, seit 40 Jahren Stockdrechsler. Grosse Perforation des
Septums, rechts Atrophie der unteren und mittleren Muschel.
M. Tb., 34 Jahre alt, seit 20 Jahren in dem Berufe tätig. Bobnengrosses
Loch im Septum, eine Deviation links, sukkulente Schleimhäute, keine Atrophie.
Rachen negativ.
M. J., 38 Jahre alt, hat wenig mit Staub zu tun, war mit Unterbrechung
10 Jahre in staubigeren Werkstätten tätig. Seit einem Jahre ist er „Zusammen-
passer“. Keine Perforation. Rhinitis hypertrophica. Rachen negativ.
R. R., 45 Jahre alt, seit 20 Jahren Stockdrechsler. Haselnussgrosses Loch
im Septum. Keine Atrophien, braucht höchstens ein Taschentuch in der Woche.
Rachen negativ.
K. A., 30 Jahre alt, seit 10 Jahren im Berufe. Grosses Loch im Septum,
keine Atrophie.
K. K., 50 Jahre alt, seit 32 Jahren im Berufe. Grosses Loch im Septum,
Atrophie der Muscheln links, rechte Nasenhälfte normal. Braucht höchstens ein
Taschentuch in der Woche. Pharyngitis sicca.
L. K., 41 Jahre alt, seit 28 Jahren Drechsler. Grosses Loch im Septum,
Deviation nach der linken Seite, Atrophie der Nasenmuscheln rechts. Zwei Taschen-
tücher wöchentlich. Rachen negativ.
K. F., 57 Jahre alt, seit 45 Jahren Stockdrechsler. Grosses Loch im Septum,
Deviation rechts. Links Atrophie der Muscheln.
N. A., 43 Jahre alt, seit 20 Jahren im Berufe. Grosses Loch im Septum,
auffallend trockene Schleimhaut. Rachen und Larynx negativ.
W. J., 37 Jahre alt, seit 15 Jahren staublose Beschäftigung, hat nur zu
beizen und zu polieren. Negativer Befund.
K. A., 21 Jahre alt, seit 6 Jahren im Berufe. Minimales Loch im Septum,
sonst normaler Befund. 7
B. F., 30 Jahre alt, seit 17 Jahren im Berufe. Deviation rechts, Atrophie der
Muscheln und Trockenheit der Schleimhäute links. Pharyngitis sicca.
T. L., 39 Jahre alt, seit 25 Jahren im Berufe. Grosses Loch im Septum,
starke Atrophie beiderseits, zäher Schleim im Pharynx.
G. L., 39 Jahre alt, seit 28 Jahren Stockdrechsler. Deviation des Septums
links, grosses, den ganzen Knorpel einnehmendes Loch, ausgesprochene Atrophie
der Muscheln der rechten Seite. Beiderseits vordere Enden der mittleren Muscheln
mit pachydermischen Auflagerungen. Deformität der äusseren Nase. Stark ver-
breiterte Spitze und leichter Sattel. Rachen- und Kehlkopfbefund negativ.
M. M., 36 Jahre alt, seit 20 Jahren im Berufe. Kleines Loch im Septum,
sonst negativer Befund.
A. J., 36 Jahre alt, seit 22 Jahren Drechler. Grosses Loch im Septum,
starke Deviation nach rechts. Trockenheit des Rachens.
K. M. Menzel, Berufliche Erkrankungen der Stockdrechsler. 141
Z. S., 41 Jahre alt, seit 27 Jahren Drechsler, hatte immer staubarme Be-
schäftigung. Negativer Befund.
W. R., 28 Jahre alt, seit 14 Jahren tätig. Grosses Loch im Septum, sonst
negativer Befund.
Sch. P., 42 Jahre alt, seit 29 Jahren Drechsler. Grosses Loch, Deviation
rechts, Atrophie links.
K. J., 29 Jahre alt, seit 15 Jahren Drechler. Deviation links, Atrophie
beiderseits stark, Rachen und Kehlkopf negativ.
S. K., 36 Jahre alt, seit 21 Jahren Drechsler. Haselnussgrosses Loch im
Septum. Rhinitis hypertrophica, Pharyngitis sicca.
W. J., 30 Jahre alt, seit 16 Jahren Drechsler. Negativer Befund.
B. J., 42 Jahre alt, seit 28 Jahren Drechsler. Negativer Befund.
F. Ph., 49 Jahre alt, seit 36 Jahren Drechsler. Starke Deviation rechts.
Grosses Loch im Septum, sonst negativ.
B. F., 25 Jahre alt, seit 11 Jahren Drechster. Haselnussgrosses Loch im
Septum. Spina und Deviation links. Sonst negativ.
K. F., 24 Juhre alt, seit 9 Jahren Drechsler. Kein Loch. Beiderseits starke
Atrophie sämtlicher Muschelknochen und Schleimhäute, letztere auffallend trocken.
M. J., 27 Jahre alt, seit 7 Jahren Stockdrechsler. Mässig grosses Loch im
Septum. Deviation links. Atrophie der Muscheln beiderseits.
M. K., 33 Jahre alt, seit 17 Jahren Stockdrechler. Atrophie links. Deviation
links. Untere Muschel rechts bypertrophisch.
K. O., 24 Jahre alt, seit 10 Jahren Stockdrechsler. Grosses Loch im Septum.
Atrophie der Muscheln beiderseits, hohen Grades. Nasengänge sehr weit. Starke
Deviation rechts (stufenformig). Pharyngitis sicca.
G. R., 49 Jahre alt, seit 25 Jahren Stockdrechsler. Kein Loch. Deviation
links. Atrophie rechts, geringeren Grades links.
N. L, 54 Jahre alt, seit 41 Jahren Stockdrechsler. Enorm grosses, den
ganzen Knorpel konsumierendes Septumloch. Deviation rechts. "Beiderseits hoch-
gradige Atrophie. Enorm weite Nasengänge. Pharyngitis sicca.
K. M., 38 Jahre alt, seit 23 Jahren tätig. Mässig grosses Loch. Beiderseits
Atropbie der Muscheln. Pharyngitis sicca.
W. R., 30 Jahre alt, seit 16 Jahren Drechsler. Kein Loch. Beiderseits hoch-
gradige Atrophie der Muscheln und ihrer Schleimhäute. Pharyngitis sicca.
Z. M., 40 Jahre alt, seit 28 Jahren Drechsler. Leidet käufig an Schnupfen.
Kein Loch im Septum. Leichte Atrophie der Muscheln beiderseits. Sonst negativ.
W. F., 44 Jahre alt, seit 34 Jahren Stockdrechsler. Rhinitis chronica. Sonst
negativer Befund, benutzt Schnupftabak.
H. Ph., kein Loch. Starke Deviation links. Atrophie sämtlicher Muscheln
rechts.
K. J., 21 Jahre alt, seit 7 Jahren Stockdrechsler. Kein Loch. Atrophie der
Muscheln beiderseits. Pharyngitis sicca.
N. M., 56 Jahre alt, seit 42 Jahren Drechsler. Kein Loch. Deviation rechts.
Atrophie der Muscheln beiderseits.
L. W., 36 Jahre alt, seit 13 Jahren Drechsler. Grosses Loch. Atrophie der
Muscheln rechts. Deviation links.
W. G., 19 Jahre alt, seit 5 Jahren Stockdrechsler. Kein Loch. Beiderseits
hochgradige Atrophie der Muscheln. Weite Nasengänge. Trockene Schleimhaut.
Sonst negativ.
142 K. M. Menzel, Berufliche Erkrankungen der Stockdrechsler.
F. L., 18 Jahre alt, seit 4 Jahren Stockdrechsler. Metaplasie des Epithels
am Locus Kiesselbach (grau verfärbt). Deviation links. Kein Loch.
K. M., 21 Jahre alt, seit 7 Jahren Stockdrechsler. Kein Loch. Deviation
links. Atropbie rechts.
K. F., 31 Jahre alt, seit 22 Jahren Drechler. Grosses Loch im Septum.
Deviation links. Ilochgradige Atrophie rechts. Pharyngitis sicca.
Die bisher angeführten Arbeiter habe ich auf zirkum-
skripte Verdünnungen im Septum nicht untersucht.
M. K., 28 Jahre alt, seit 14 Jahren Stockdrechsler. Hinter und über dem
Locus Kiesselbach in der Ausdehnung etwa einer Linse eine zirkumskripte Ein-
senkung von grauer Farbe, hier fehlt der Knorpel vollständig, die Bewegungen
einer Sonde auf der Schleimhautoberfläche sieht man bei Inspektion der anderen
Seite sehr deutlich. Leidet häufig an Schnupfen. Sonstiger Befund negativ.
St. K., 45 Jahre alt, seit 31 Jahren Stockdrechsler. Atrophie links und
Deviation rechts. Sonst negativer Befund.
M. F., 18 Jahre alt, seit 4 Jahren Drechsler. Mässig grosses Loch im
Septum. Deviation links. Muschelschleimhäute eher hypertrophisch.
D. K., 15 Jahre alt, Drechsler. Atrophie der Muscheln links. Deviation
rechts. Pharyngitis sicca.
F. E., 20 Jahre alt, seit 6 Jahren Drechsler. Grosses, bis hart an den
Nasenrücken reichendes Loch. Ganz platte Nase. Deviation links. Atrophie der
Muscheln beiderseits.
S. K., 30 Jahre alt, seit 13 Jahren Drechsler. Grosses Loch. Deviation
rechts. Atrophie der Muscheln beiderseits. Weicher Septumknorpel. Pharyn-
gitis sicca.
M. A., 23 Jahre alt, seit 8 Jahren Drechsler. Zirkumskripte Deviation des
Septums links. Verdünnung des Septums an der Deviationskuppe. Sonst negativer
Befund.
D. J., 22 Jahre alt, seit 8 Jahren Stockdrechsler. Deviation rechts. Zirkum-
skripte Verdünnung. Hellerstückgrosser, grauweisser, geglätteter Bezirk mit
deutlicher Delle. Knorpel fehlt hier. Hatte nie Blutungen aus der Nase. Atrophie
der Muscheln beiderseits.
I. J., 38 Jahre alt, seit 24 Jahren Stockdrechsler. Zirkumskripte Ver-
dünnung des Septums in einer Ausdehnung von Hellerstückgrösse mit grauweisser
Verfärbung der Oberfläche. Deviation rechts. Atrophie der Muscheln beiderseits.
H. J., 22 Jahre alt, seit 61/, Jahren Stockdrechsler. Metaplasie von grau-
weisser Farbe hinter und oberhalb des Locus Kiesselbach beiderseits. In dieser
Partie starke Verdünnung des Septums. Deviation links. Rhinitis hypertrophica.
M. F., 21 Jahre alt, seit 7 Jahren Stockdrechsler. Haselnussgrosses Loch.
Abgeplattete Nase. Auffallend weicher Knorpel im Septum. Muschelschleimhäute
hypertrophisch.
R. J., 20 Jahre alt, seit 6 Jahren Stockdrechsler. Haselnussgrosses Loch
im Septum. Deviation links. Atrophie der Muscheln rechts. Trockener Katarrh
im Nasenrachenraum.
H. J., 41 Jahre alt, seit 25 Jahren Stockdrechsler, hatte weniger mit ge-
beizten Stöcken zu tun, arbeitet oft in staubfreier Luft. Atrophie der Muscheln
rechts. Sonst negativer Befund.
M. J., 58 Jahre alt, seit 44 Jahren Stockdrechsler. Grosses Loch im Septum.
K.M. Menzel, Berufliche Erkrankungen der Stockdrechsler. 143
Starke Deviation rechts. Beiderseits hochgradige Atrophie der Muschel. Atrophie
der hinteren Rachenwand.
G. K., 19 Jahre alt, seit 4 Jahren Drechler, bat nie viel mit Staub ge-
arbeitet. Metaplasie der Schleimhaut am Locus Kiesselbach (grau verfärbt).
Weicher Knorpel im Septum. Deviation links. Keine ausgesprochene Atrophie.
G. A., 38 Jahre alt, seit 24 Jahren Stockdrechler. Grosses Loch im Septum.
Weicher Knorpel, abgeplattete Nase. Deviation links. Atrophie der Muscheln
links. Rechte Nasenhälfte nahezu normal.
B. J., 25 Jahre alt, seit 7 Jahren Stockdrechsler. Deviation rechts, Atrophie
links. Graue Verfärbung der Schleimhautoberfläche hinter dem Locus Kiesselbach.
Sonst negativer Befund.
St. J., 41 Jahre alt, seit 27 Jahren Drechsler. Grosses Loch im Septum.
Deviation links, Atrophie der Muscheln rechts. Nase abgeplattet. Pharyn-
gitis sicca.
W. W., 34 Jahre alt, seit 21 Jahren Drechsler. Grosses Loch im Septum.
Hochgradige Deviation rechts. Breite Sattelnase. Atrophie der Muscheln beider-
seits,
Betrieb B.
C. A., 40 Jahre alt, seit 20 Jahren Drechsler. Deviation des Septums nach
links. Atrophie der Muscheln beiderseits. Graue Verfärbung der Schleimhaut-
oberfläche am Locus Kiesselbach. Sonst negativer Befund.
M. A., 52 Jahre alt, seit 20 Jahren Stockdrechsler. Grosses Loch im
Septum. Atrophie der Muscheln beiderseits. Pharyngitis sicca.
D. K., 19 Jahre alt, seit 41/, Jahren Stockdrechsler. Vorderes Ende der
mittleren und unteren Muschel, sowie die Gegend des Locus Kiesselbach mit
weissem Staub bedeckt. Atrophie der Muscheln beiderseits. Pharyngitis sicca.
Laryngitis chronica.
T. L., 33 Jahre alt, seit 19 Jahren Stockdrechsler. Grosses Loch im Septum.
Deviation nach links. Mässige Atrophie rechts. Minimale Pharyngitis.
G. F., 40 Jahre alt, seit 26 Jahren Stockdrechsler. Grosses Loch im Septum.
Hochgradige Deviation rechts. Atrophie der Muscheln, links stärker als rechts.
Laryngitis chronica.
W. H., 61 Jahre alt, seit 38 Jahren Stockdrechsler (Werkführer). Nase von
Natur aus eng und schmal. Negativer Befund.
R. E., 37 Jahre alt, seit 23 Jahren Stockdrechsler. Kein Loch. Hochgradige
Deviation rechts. Links vorderes Ende der unteren und mittleren Muschel voll
Staub. Ausgesprochene Atrophie auf dieser Seite. a atrophica sicca.
Minimaler Taschentuchkonsum.
P. K., 33 Jahre alt, seit 18 Jahren Stockdrechsler. Grosses Loch im Septum.
Hochgradige Deviation dos Septums. Atrophie der Muscheln rechts. Sonst
negativer Befund.
E. K., 45 Jahre alt, seit 25 Jahren Stockdrechsler. Grosses Loch im Septum.
Starke Deviation nach rechts. Hochgradige Atrophie der Muscheln beiderseits.
Naserlgange abnorm weit. Pharyngitis sioca. Ein Taschentuch in der Woche.
H. J., 60 Jahre alt, seit 46 Jahren Stockdrechsler. Atrophie der Muscheln
beiderseits. Starke Deviation nach links. Kein Loch. Partie oberhalb des Locus
Kiesselbach mit Staub bedeckt.
®
144 K. M. Menzel, Berufliche Erkrankungen der Stockdrechsler.
G. J., 27 Jahre alt, seit 14 Jahren Stockdrechsler. Grosses Loch im Septum.
Atrophie beider mittlerer Muscheln. Untere Muscheln normal. Pharyngitis sicca.
Laryngitis chronica. Starke Deviation links.
Sch. L., 34 Jahre alt, seit 16 Jahren Stockdrechsler. Grosses Loch im
Septum. Deviation links. Hypertrophie der Muscheln rechts. Sonst negativer
Befund.
K. G., 60 Jahre alt, seit 43 Jahren Stookdrechsler. Grosses Loch im Septum.
Hochgradige Deviation links. Atrophie der Muscheln rechts. Auch auf der linken
Seite sind die Muscheln schmal.
Sch. R., 47 Jahre alt, seit 33 Jahren Stockdrechsler, ist seit 17 Jahren mit
der „Kalibeize* beschäftigt. Kleines Loch im Septum, starke Deviation links.
Atrophie der Muscheln beiderseits. Sonst negativer Befund.
B. E., 60 Jahre alt, seit 45 Jahren Stockdrechsler. Grosses Loch im Septum.
Hochgradige obstruierende Deviation links. Hochgradige Atrophie der Muscheln
der rechten Seite. Sonst negativer Befund.
H. A., 36 Jahre alt, seit 22 Jahren Stockdrechsler. Grauweisse Verfärbung
der Gegend hinter dem Locus Kiesselbach. Kein Loch im Septum. Starke
Deviation nach links. Hochgradige Atrophie der Muscheln der rechten Seite,
mässige linkerseits. Pharyngitis sicca.
P. A., 25 Jahre alt, seit 6 Jahren als Hilfsarbeiter in dem Berufe tätig, hat
daher nur sehr wenig in der Fabrik zu tun. Er ist „Bieger“. Kein Loch im
Septum. Deviation rechts. Trockenheit sämtlicher Schleimhäute in der Nase.
Muscheln eher hypertrophisch. Pharyngitis sicca.
S. F., 46 Jahre alt, seit 26 Jahren Stockdrechsler. Grauweisse Verfärbung
der Schleimhaut hinter dem Locus Kiesselbach. Atrophie der Muscheln beiderseits.
Pharyngitis sicca. Sonst negativer Befund.
P. J., 54 Jahre alt, über 40 Jahre Stockdrechsler. Grosses Loch im Septum.
Deviation nach links. Atrophie der Muscheln der rechten Seite, geringeren Grades
auch der linken. Sonst negativer Befund.
K. M., 55 Jahre alt, seit 40 Jahren Drechsler. Grosses Loch im Septum.
Hochgradige Deviation rechts. Atrophie der unteren Muschel beiderseits. Kleine
Polypen im mittleren Nasengang links.
N. F., 23 Jahre alt, seit 8 Jahren Drechsler. Graue Verfärbung der Schleim-
haut oberhalb und hinter dem Locus Kiesselbach. Sukkulenter Katarıh der Nase.
Pharyngitis sicca.
V. J., 98 Jahre alt, seit 46 Jahren Drechsler. Atrophie sämtlicher Muscheln
beiderseits. Links Deviation. Hinter und oberhalb des Locus Kiesselbach,
trockenes Sekret und graue Verfärbung der Schleimhautoberfläche. Sonst negativer
Befund.
N. R., 19 Jahre alt, seit 5 Jahren Stookdrechsler. Graue Verfärbung der
Schleimhaut oberhalb und hinter dem Locus Kiesselbach. Atrophie sämtlicher
Muscheln beiderseits, mit Ausnahme einer minimalen Ilypertrophie am unteren
Rand der beiden unteren Muscheln. Pharyngitis sicca.
K. A., 21 Jahre alt, seit 7 Jahren Stockdrechsler. Hochgradige Deviation
des Septums nach links. Atrophie der Muscheln der rechten Seite. Metaplasie
des Epithels hinter und oberhalb des Locus Kiesselbach in der Ausdehnung von
Hellerstückgrösse.
K. K., 35 Jahre alt, seit 12 Jahren „Bieger“. Abgesehen von der Meta-
plasie des Epithels am Locus Kiesselbach negativer Befund.
K. M. Menzel, Berufliche Erkrankungen der Stockdrechsler. 145
B. A., 20 Jahre alt, seit 5 Jahren „Bieger“. Negativer Befund.
C. F., 26 Jahre alt, seit 6 Jahren Stockdrechsler. Hochgradige Atrophie
der Muscheln beiderseits. Pharyngitis sicca.
M. W., 59 Jahre alt, seit 45 Jahren Drechsler. Hochgradige Deviation nach
rechts. Starke Atrophie der Muscheln links. Graue Verfarbung der Schleimhaut-
oberflache am Locus Kiesselbach. Sonst negativer Befund.
H. W., 26 Jahre alt, seit 8 Jahren Stockdrechsler. Deviation des Septums
nach links. Keine ausgesprochene Atrophie. Hintere Rachenwand mit Schleim
bedeckt.
T. W., 37 Jahre alt, seit 23 Jahren Stockdrechsler. Deviation nach links,
Atrophie der Muscheln beiderseits besonders rechts. Grauweisse Verfärbung ober-
halb und hinter dem Locus Kiesselbach, beiderseits mehr links.
R. Z., 29 Jahre alt, seit 15 Jahren Drechsler, hat eine leichte Polyposis
beiderseits. Kleines Loch im Septum. Starke Deviation nach links. Atrophie der
Muscheln rechts. Pharyngitis sicca.
B. F., 50 Jahre alt, seit 34 Jahren Stockdrechsler. Grosses Loch im Septum.
Hochgradige Deviation links. Enorme Atrophie der Muscheln beiderseits. Nasen-
gänge weit. Pharyngitis sicca.
H. A., 33 Jahre alt, seit 18 Jahren Drechsler, arbeitöt in staubarmer
Atmosphäre. Leichte Atrophie der Muschelschleimhäute. Sonst negativer Befund.
R. F., 41 Jahre alt, seit 20 Jahren Stockdrechsler. Atrophie der Muscheln
beiderseits, namentlich links, |
Sch. F., 20 Jahre alt, seit 6 Jahren Drechsler, arbeitet in staubfreier Luft.
Beiderseits trockene Schleimhäute und beiderseits hintere Enden der unteren
Muschel leicht hypertrophirt.
S. K., 41 Jahre alt, seit 28 Jahren Stockdrechsler. Mässig grosses Loch im
Septum. Hochgradige Deviation des Septums nach links. Ausgesprochene
Atrophie der Muscheln rechts. Nasengänge enorm weit. Atrophie der Muscheln
links geringer.
Betrieb C.
C. F., 38 Jahre alt, seit 24 Jahren Stockdrechsler. Hellerstückgrosse Ver-
dünnung des Septums unmittelbar hinter dem Locus Kiesselbach, Metaplasie des
Epithels an dieser Stelle rechts, hochgradige Atrophie der Muscheln beiderseits.
Starke Deviation rechts, 1 Taschentuch in der Woche.
L. E., 49 Jahre alt, seit 35 Jahren Stockdrechsler. Grosses Loch im
Septum. Hochgradige Atrophie der Muscheln beiderseits. Nasenspitze verbreitert.
1 Taschentuch in der Woche.
M. J., 43 Jahre alt, seit 28 Jahren Drechsler. Atrophie der Muscheln beider-
seits. Sonst negativer Bofund.
J., 62 Jahre alt, seit 50 Jahre Stockdrechsler. Starke Atrophie der
Muscheln beiderseits. Hochgradige Deviation links. Ze
B. St., 21 Jahre alt, seit 5 Jahren Stockdrechsler. Hanfkorngrosses Loch im
Septum. Hochgradive Atrophie der Muscheln beiderseits mit weiten Nasengangen.
Massige Deviation nach links. Pharyngitis sicca.
K. F., 47 Jahre alt, seit 33 Jahren Drechsler. . Kreuzerstiickgrosses Loch im
Septum. AtrophiederMuscheln belderseits. Deviation nachlinks. Pharyngitis sicca.
_ W.J., 40 Jahre alt, seit 26 Jahren Drechsler. Grosses Loch im Septum.
Beiderseits hochgradige Atrophie mit weiten Nasengiingen. Deviation nach links.
Aeussere Nase abgeplattet. Pharyngitis sicca.
Archiv für Laryngologie. 29. Bd. 1. Heft. 10
146 K. M. Menzel, Berufliche Erkrankungen der Stockdrechsler.
G. E., 35 Jahre alt, seit 22 Jahren Stockdreohsler. Hinter und oberhalb der
Gegend desLocusKiesselbach deutliche zirkumskripte Verdünnung des Septums mit
grauweisser Färbung der Schleimhautoberfläche beiderseits. Deviation links
mässigen Grades. Leidet häufig an Schnupfen.
S. J., 32 Jahre alt, seit 16 Jahren Stockdrechsler. Bohnengrosses Loch
weit hinter und oberhalb des Locus Kiesselbach. Deviation nach rechts. Pharyn-
gitis sicca, Aeussere Nase leicht eingesattelt. Ein Taschentuch in 14 Tagen.
H. L., 25 Jahre alt, seit 11 Jabren Stockdrechsler. Erbsengrosses Loch
hinter und oberhalb des Locus Kiesselbach. Hochgradige Atrophie der Muscheln
beiderseits. Deviation und Spina nach rechts. Pharyngitis sicca massigen Grades.
G. M., 32 Jahre alt, seit 4 Jahren Stockdrechsler, früher 10 Jahre Iang Holz-
drechsler gewesen. Metaplasie des Epithels in der Gegend des Locus Kiesselbach.
Hochgradige Atrophie der Muscheln beiderseits. Deviation nach rechts. Pharyn-
gitis sicca. »
W. B., 32 Jahre alt, seit 18 Jahren arbeitet er in staubarmer Atmosphäre.
Septumknorpel abnorm dünn und weich. Leichte Atrophie der Schleimhaut der
Muscheln. Mässige Deviation nach rechts.
K. F., 42 Jahre alt, seit 28 Jahren Drechsler. Geringfügige Atrophie der
Muscheln beiderseits. Sonst negativer Befund. (Chef der Firma.)
Betrieb D.
K. J., 31 Jahre alt, seit 17 Jahren arbeitet er in staubarmer Atmosphäre,
zeigt ausser mässiger Atrophie in der linken Nasenhälfte negativen Befund. („Zu-
sammenpasser“.)
W. G., 46 Jahre alt, seit 32 Jahren Stockdrechsler. Grosses bis in den
Knochen hineinragendes Loch. Hochgradige Atrophie der Muscheln beiderseits.
Pharyngitis sicca mässigen Grades. Breite leicht eingesattelte Nase.
S. L., 19 Jahre alt, seit 5 Jahren Stockdrechsler. Zirkumskripte Ver-
dünnung hinter und oberhalb des Locus Kiesselbach. Atrophie der Muscheln rechts.
Sonst negativer Befund.
L. F., 52 Jahre alt, arbeitet seit 38 Jahren in dem Beruf. Enorm grosses, in
den Knochen hineinreiohendes Loch. Deutliche Atrophie der Muscheln rechts.
Starke Deviation des Septums nach links.
P. W., 28 Jahre alt, seit 14 Jahren Stookdrechsler. Zirkumskripte Ver-
dünnung oberbalb des L. Kiesselbach von über Hellergrösse mit deutlicher mulden-
förmiger Einsenkung dieser Partie und grauweisser Verfarbung der Schleimhaut-
oberfläche. Atrophie der Muscheln beiderseits. Deviation des Septums nach rechts.
Hinteres Ende der unteren Muschel links etwas beweglich.
R. K., 37 Jahre alt, seit 20 Jahren Steckdrechsler, riesiges in den Knochen
hinreichendes Loch im Septum. Hochgradige Atrophie der Muscheln beiderseits
mit enorm erweiterten Nasengängen. Hocbgradige spitzwinkelige Deviation
nach rechts.
W. V., 46 Jahre alt, seit 22 Jahren Stockdrechsler, mässige Atrophie der
Muscheln beiderseits. Leichte Deviation nach rechts.
G. G., 34 Jahre alt, seit 13 Jahren Stockdrechsler. Ueber bohnengrosses
Loch im Septum. Mässige Atrophie der Muscheln beiderseits. Starke Deviation
des Septums nach rechts, Pharyngitis sicca.
K. M. Menzel, Berufliche Erkrankungen der Stockdrechsler. 147
Sch. L., 25 Jahre alt, seit 11 Jahren Stockdrechsler. Bohnengrosses Loch
im Septum. Deutliche Atrophie der Muscheln links. Rechte Seite normal. Deviation
des Septums nach rechts. Pharyngitis sicca.
H. V., 50 Jahre alt, seit 20 Jahren Stockdrechsler. Leidethäufigan Schnupfen.
Mässige Atrophie der stark geröteten Schleimhäute. Pharyngitis.
G. K., 16 Jahre alt, seit 2 Jahren Stockdrechslerlehrling. Zirkumskripte
Verdünnung von Erbsengrösse oberhalb des Locus Kiesselbach mit einer scharf
begrenzten Delle. Deviation nach rechts. Hypertrophie des ‘hinteren Endes der
unteren Muscheln beiderseits.
Sch. F., 15 Jahre alt, seit 13/, Jahren Stockdrechslerlehrling, weist eine
erbsengrosse, scharf begrenzte, muldenförmig eingesunkene zirkumskripte Ver-
dünnung am Septum oberhalb und hinter dem Locus Kiesselbach auf. Grauweisse
Verfärbung dieser Partie beiderseits. Hypertrophie des hinteren Endes der unteren
Muschel beiderseits.
St. A., 21 Jahre alt, seit 7 Jahren Stockdrechsler. Bohnengrosse zirkumskripte
Verdünnung des Septums oberhalb und hinter dem Locus Kiesselbach. Mässige
Atrophie und starke Rötung der Muschelschleimhäute beiderseits. Mässige
Deviation nach rechts. Pharyngitis sicca. Aeussere Nase ein wenig abgeplattet.
Betrieb E.
K. J., 58 Jahre alt, seit 44 Jahren Stockdrechsler. Atrophie sämtlicher
Muscheln beiderseits. Pharyngitis sicca.
H. F., 17 Jahre alt, seit 3 Jahren Drechsler. Deviation links. Sonst normaler
Nasenbefund.
St. R., 26 Jahre alt, seit 12 Jahren im Berufe. Deviation links. Beiderseits
Nasenpolypen.
K. K., 42 Jahre alt, seit 28 Jahren Drechsler. Hoch oben gegen den Nasen-
rücken zu hinter dom Locus Kiesselbach gelegen eine eingesunkene Partie mit den
Symptomen der zirkumskripten Verdünnung des Septums. Beiderseits starke Atrophie
sämtlicher Muscheln. Weite Nasengänge. Deviation links. Hintere Rachenwand
mit Schleim bedeckt.
K. J., 20 Jahre alt, seit 3 Jahren Drechsler, arbeitet in staubarmer Luft (Be-
schläger). Deviation links.
H. M., 39 Jahre alt, seit 25 Jahren tatig. Grosses Loch im Septum. Beider-
seits mässige Atrophie der Muscheln. Deviation links mässigen Grades. Hintere
Rachenwand mit Schleim bedeckt.
P. L., 20 Jahre alt, seit 6 Jahren Drechsler. Atrophie der Muscheln beider-
seits, nur am unteren Rande der beiden unteren Muscheln minimale Hypertrophie.
W. J., 25 Jahre alt, seit 11 Jahren Stockdrechsler. Haselnussgrosses Loch
im Septum. Deviation nach links. Atrophie der Muscheln rechts. Linksseitig sind
die Muschelschleimhaute eher hypertrophisch.
N. F., 35 Jahre alt, seit 13 Jahren im Berufe tätig, arbeitet in staubarmer
Luft (Zusammenpasser). Negativer Befund.
F.K., dlJabre alt, arbeitet seit 7Jahren in staubarmer Luft. Negativer Befund.
Betrieb F.
M. J., 42 Jahre alt, arbeitet seit 29 Jahren an Weichselholz und in der Stock-
fabrik in staubarmer Luft. Atrophie der Muscheln linksseitig. Starke Deviation
rechts. Pharyngitis sicca.
10 *
148 K. M. Menzel, Berufliche Erkrankungen der Stockdrechsler.
H. A., 44 Jahre alt, seit 30 Jahren Stookdrechsler. Grosses Loch im Septum.
Atrophie der Muscheln linksseitig. Starke Deviation nach rechts. Katarrh des
Nasenrachenraumes.
B. Th., 47 Jahre alt, seit 33 Jahren Drechsler. Starke Einsenkung an einer
hinter und über dem Locus Kiesselbach gelegenen links mit einer Kruste bedeckten
Stelle von etwa Hellerstückgrösse. Hier findet sich deutliohste zirkumskripte Ver-
dünnung. Die Schleimhautoberfläche weissgrau verfärbt und glatt. Atrophie der
Muscheln beiderseits. Starke Deviation rechts.
S. T., 48 Jahre alt, arbeitet seit 34 Jahren nur auf Holz. Atrophie der
Muscheln beiderseits. Schleimhaut des Proc. uncinatus beiderseits polypös. Ge-
ringe Hypertrophie des hinteren Endes der unteren Muschel links. Starke Deviation
nach links.
H. J., 19 Jahre alt, seit 5 Jabren Holzdrechsler, arbeitet in staubarmer Luft,
hat fortwährend Schnupfen. KeinenGeruchssinn. Hypertrophie der Muschelschleim-
häute beiderseits. Starke Sekretion.
Z. J., 60 Jahre alt, seit 43 Jahren Stockdrechsler, hat sehr grosses Loch im
Septum. Sehr ausgeprägte Atrophie der Muscheln beiderseits. Weite Nasengänge.
Deviation nach rechts. Pharyngitis sicca.
Betrieb G. (Horn- und Schildpattdreohslerwerkstätte.)
T. J., 45 Jahre alt, seit 32 Jahren Horn-, Elfenbein- und Schildpattdrechsler.
Atrophie der unteren Muscheln beiderseits. Vorderes Ende der mittleren Muschel
links mit Staub bedeckt und hypertrophisch. Deviation nach rechts beträchtlichen
Grades.
G. G., 31 Jahre alt, seit 17 Jahren Drechsler. Ausgesprochene Atrophie der
unteren Muscheln beiderseits und der mittleren Muschel rechts. Vorderes Ende der
mittleren Muschel links polypös degeneriert, sonst auch atrophisch. Pharyngitis sicca.
S. F., 32 Jahre alt, arbeitet seit 18 Jahren immer mit Hornmaterial. Nega-
tiver Befund.
D. W., 35 Jahre alt, hat früher Stöcke bearbeitet. Grosses Loch im Septum.
Deviation links. Ausgesprochene Atrophie sämtlicher Muscheln beiderseits. Pharyn-
gitis sicca.
B. W., 27 Jahre alt, seit 14 Jahren in diesem Berufe tätig. Atrophie der
unteren Muschel rechts mässigen Grades, links Hypertrophie des hinteren Endes
der unteren Muschel. Starke Deviation links. Pharyngitis chronica.
Sch. J., 29 Jahre alt, seit 15 Jahren Horn- und Elfenbeindrechsler. Atrophie
sämtlicher Muscheln beiderseits. Leichte Deviation links. Pharyngitis sicca.
Betrieb H.
Z. G., 50 Jahre alt, seit 36 Jahren Stockdrechsler. Grosses Loch im Septum.
Starke Deviation des Septums. Beiderseits Atrophie sämtlicher Muscheln. Nase
stark verbreitert.
R. G., 19 Jahre alt, seit 5 Jahren Stockdrechsler. An einer erbsengrossen
Stelle hinter und über der Gegend des Locus Kiesselbach eine eingesunkene glaite
Partie mit deutlicher zirkumskripter Verdünnung des Septums. Rhinitis chronica.
V. J., 18 Jahre alt, seit 4 Jahren Stockdrechsler. Nahe dem Nasenriicken im
knorpeligen Septumteil eine über kronengrosse deutlich verdünnte Partie. Leichte
Deviation nach links. Sonst negativer Befund.
K. M. Menzel, Berufliche Erkrankungen der Stockdrechsler. 149
T. A., 43 Jahre alt, seit 29 Jahren Stockdrechsler. Metaplasie des Epithels
oberhalb desLocusKiesselbach besonders rechtsseitig. Starke Deviation des Septums
im oberen Teil nach rechts, im unteren nach links. Atrophie der Muscheln rechtsseitig.
Betrieb J. (Horndrechslerei.)
T.M., 47 Jahre alt, seit 15 Jahren Horndreohsler. Beiderseits mässige Atrophie
der Muscheln mit starker Rötung der Schleimhaut. Sonst negativer Befund.
R.A., 48 Jahre alt, seit 20 Jahren Horndrechsler, leidet ständig an Schnupfen.
Mässige Metaplasie des Epithels am Septum. Beiderseits Atrophie der unteren
Muscheln. Hintere Rachenwand mit viel Schleim bedeckt.
H.M., 24Jahre alt, seit 9Jahren ausschliesslich Horndrechsler. Etwa
21/2 cm hinter dem Septum mobile eine bohnengrosse deutliche zirkumskripte
Verdünnung im Septum. Die Muschelscohleimhäute rechts eher hypertrophisch,
links normal. Pharyngitis sicca.
H. L., 42 Jahre alt, seit 16Jahren Horndrechsler, war vorher Holzdrechsler.
Etwa 3 cm hinter dem Septum mobile eine erbsengrosse, deutlicho, zirkumskripte
Verdünnung im Septum. Atrophie der Muscheln beiderseits. Deviation nach links.
Um die in den oberen Luftwegen der Stockdrechsler vorgefundenen
und oben näher beschriebenen Veränderungen übersichtlicher darzustellen,
habe ich die betreffenden Daten in Tabellen zusammengestellt, welche
ich im nachfolgenden wiedergebe.
Tabelle I (absolute Zahlenverhältnisse).
Zahl Ver-
i ~- _ | Meta- | Atro- | Hyper- | Devia-| Defor-
Betrieb na Loch | Sr plasie | phie |trophie | sion | mitat Rachen
A 64 33 5 nicht 38 6 | 38 5 10
(unter | unter- (unter
19 Ar- | sucht 51 Ar-
beitern) | beitern) |
B 36 15 nicht 11 24 | 5 22 0 0
unter- |
sucht |
C 13 6 2 3 10 — 12 3 6
D 13 5 5 3 11 4 10 3 4
E 10 2 1 nicht 5 1 3 3 3
unter- | |
sucht
F 6 2 1 | 5 2 5 1 | 3
G 6 1 | 0 — 5 3 2 | 0 4
H 4 | 1 2 — ; 2 l 3 2 —
I ılolaIlZlIalı 2] 1 | l
auf 100 65 | i
nn | 438| 16 | 27 4 | 65 | 13 | 63,7] 15,5 | 246
Die letzte horizontale Zahlenreihe (auf 100 berechnet) habe ich selbst-
verständlich unter Fortlassung der Betriebe G und J, in denen ja, wie
oben erwähnt, ausschliesslich Horn, Elfenbein und Schildpatt verarbeitet
wird, zusammengestellt, so dass die betreffenden Zahlen nur für Stock-
drechsler Geltung haben.
150 K. M. Menzel, Berufliche Erkrankungen der Stockdrechsler.
Tabelle II (nach Prozentverhältnissen zusammengestellt).
Zahl Ver- Meta- | Atro- | Hyper- | Devia-| Defor-
Betrieb [der Ar- noch dünnung) plasie ; phie eophie tion | mitat Rachen
beiter | pCt. pCt. pCt. | pCt. | pCt. | pCt. | pCt. | pCt.
|
A 64 51,5 | 26,6 nicht | 59,3 93 | 59,3 | 9,8 15,6
unter-
sucht
B 36 416 | nicht | 30,5 | 66,6 | 13,8 | 60 | nicht | 97,7
_ unter- | unter-
| sucht | sucht
C 13 | 462! 154 . 93 | 769! — | 923! 23 | 462
D 13 | 38,5 | 38,5 | 23 | 84,6} 30,8 | 76,9 | 23 | 30,8
E 10 20 | 10 LE 50 10 30 30 30
F 6 33,3 | 166 ; — 83 33,3 | 83 16,6 | 50
H 4 25 50 | — 50 25 75 50 —
In der Tabelle Ill habe ich das Verhältnis von Perforation des
Septums bzw. von zirkumskripter Verdünnung desselben zu der Zeitdauer,
während welcher die Betreffenden in ihrem Berufe tätig waren, zusammen-
gestellt, und zwar nach Zeitperioden von 5—10 Jahren.
Tabelle Il.
Titigkeitsdauer| A | B | c | p| gp! RP | |
in Jahren V LJIV L| V L|V L|V LIV LV L|V L |V L
s deaa 4 3 —|- =|- -| - — een
n a Teea as ea aaa l
weis Pral aae i ae oala
15280. Kae ee en ern a
20-30. [a2 3a 1 2 53 1 ı - 1 ne 2
30—40 |— 3/2 4 2|- 11- -| 1-1 -|—- 1i- —
ae on
V = zirkumskripte Verdünnung im Septum.
L = Perforation des Septums.
Die nunmehr folgende Tabelle IV zeigt, in welchen Prozentverhält-
nissen die Perforationen bzw. die zirkumskripten Verdünnungen
im Septum sich auf die einzelnen Zeitabschnitte der Berufs-
tätigkeit verteilen.
Es muss jedoch betont werden, dass bei Berechnung der Prozentzahlen
betreffend die zirkumskripten Verdünnungen im Septum nicht die Gesamt-
zahl der Arbeiter = 146 (exklusive G und J), sondern nur 95 = die
Zahl der daraufhin untersuchten Arbeiter berücksichtigt wurde.
Tabelle IV.
Tätigkeitsdauer Verdünnungen | Perforationen
in Jahren pCt. pCt.
125 52 | 1,3
5—10 4,2 4,8
10—15 2,1 6,8
15—20 as 6,1
20—30 49 12,3
80—40 1,05 8,2
40—50 — | 4,1
~
iv
K. M. Menzel, Berufliche Erkrankungen der Stockdrechsler. 151
Ich bin mir dessen bewusst, dass Statistiken in der Regel etwas Un-
sicheres an sich haben, namentlich dann, wenn wie in unseren Fällen die
Zahl der zur Verfügung stehenden, wenn auch m. E. gut untersuchten
Fälle nicht gerade enorm gross ist. Deshalb möchte ich auch mit der
durch die Möglichkeit von Zufälligkeiten gebotenen Reserve aus obigen
Tabellen meine Schlüsse ziehen.
Es geht zunächst aus demselben hervor, dass die Zahl der an
zirkumskripter Knorpelatrophie des Septums leidenden Arbeiter
in den ersten fünf Jahren ihrer Tätigkeit weitaus am grössten
ist. Ich halte diesen Umstand für einen Hinweis darauf, dass wir es bei
dem in Rede stehenden Zustand nicht mit etwas Stationärem zu tun haben,
sondern dass derselbe nur den Beginn einer stetig fortschreitenden Zer-
störung des knorpeligen Septums darstellt. Mit dieser Anschauung parallel
läuft auch die Tatsache, dass in den ersten zehn Berufsjahren nur
relativ wenige Arbeiter Septumperforationen aufweisen, während
ihre Zahl später beträchtlich und rasch wächst. Ich glaube diese
Erscheinung auf die gleiche Stufe stellen zu dürfen, wie die Tatsache,
dass man im allgemeinen die grössten Perforationen bei den ältesten Arbeitern
findet, während die kleinen in der Regel bei den jüngeren angetroffen werden.
Es weist alles darauf hin, dass in unseren Fällen die Perforation
zunächt nicht als primäres Geschwür der Septumschleimhaut,
sondern als zirkumskripte Atrophie des Knorpels an der Stelle, wo
sich später die Perforation findet, beginnt und dass sich daraus durch
weitere Schädigung besonders dieses Teiles als Endresultat einer fort-
schreitenden rarefizierenden Entzündung schliesslich die Septumperforation
einstellt, die unter Andauer der gleichen Schädlichkeiten sich vergrössert
bis sie an den Knochen grenzt, ja in denselben hineinreicht.
Auffallend ist an obiger Statistik, dass die Zahl der von der zirkum-
skripten Knorpelatrophie befallenen Arbeiter noch zwischen dem 20. und
30. Jahre ihrer Berufstätigkeit eine relativ bedeutende Höhe aufweist. Es
ist aber nicht zu vergessen, dass hier die Disposition, wie bereits oben
erwähnt, eine beträchtliche Rolle spielt, dass es Arbeiter gibt, die trotz
ihrer 30 und 40 jährigen Tätigkeit ein in jeder Beziehung nahezu normale
Nase aufweisen, dass, wie ebenfalls oben erwähnt, gewisse wenn auch krank-
hafte Momente einen Schutz gegen die Schädigungen des Berufes bedingen
können (Rhinitis vasomotoria, häufiger Schnupfen, Schnupftabakgebrauch,
Polyposis usw.). Und so ist es nicht ganz von der Hand zu weisen, dass
wir hier einem durch die erwähnten Momente bedingten zufälligen Zu-
sammentreffen von Umständen gegenüberstehen.
Dass die Perforationszahl am grössten ist zwischen dem 20.
und 40. Berufsjahre, ist ja von vornherein einleuchtend, ebenso
wie die Tatsache, dass zwischen dem 40. und 50. Berufsjahre die Zahl der
Perforationen wieder abnimmt. Es hat ja auch die Zahl der Arbeiter in
dieser Lebensperiode aus den verschiedensten Gründen bereits abgenommen,
während jüngere frische Kräfte dem Betriebe wieder zugeführt werden.
152 K. M. Menzel, Berufliche Erkrankungen der Stockdrechsler.
Es ist einleuchtend, dass alle erwähnten nasalen Schädlichkeiten mit
der Einatmung des bei der Bearbeitung der Stöcke erzeugten Holzstaubes
in ätiologischer Zusammenstellung stehen; darüber besteht wohl keinerlei
Zweifel. Es ergibt sich nur die Frage, ob es sich hierbei um eine rein
chemische oder eine rein mechanische Wirkung auf die Nasenschleimhaut
handelt oder ob beide Momente eine ursächliche Rolle spielen. Um der
Beantwortung dieser Frage näher zu rücken, habe ich mich bemüht, zunächst
eine genauere Untersuchung des in der Werkstätte erzeugten
Holzstaubes verschiedener Provenienz zu erlangen.
Herr Hofrat Ludwig hatte die Liebenswürdigkeit, mehrere aus einer
Werkstätte stammenden Staubproben chemisch zu untersuchen, wobei
folgendes resultierte:
Probe I enthält chromsaures Kalium und ziemlich viel Quarzsand.
Probe II (von den Arbeitern als Staub von ungebeizten Ahornstöcken
bezeichnet) enthält reichlich Quarzsand. |
Probe III (Birkenholzstöcke) gibt beim Verbrennen eine eisenhaltige
Asche, die zur Hälfte aus Quarzsand besteht.
Probe IV (von den Arbeitern als mit Galizenstein, Kupferwasser und
Kalium gebeizt, bezeichnet) enthält Alaun, Ferrocyankalium und doppelt
chromsaures Kalium. |
Aus diesen Befunden geht zweierlei hervor:
1. dass in manchen Staubproben chemisch differente Stoffe ent-
halten sind und
2. dass allen auch Quarz in beträchtlicher Menge untermischt ist.
Der letztere rührt offenbar von der vielfachen Verwendung von Glas- und
Schmirgelpapier beim Schleifen der noch unebenen Hölzer her.
Nach der von mir vorgenommenen mikroskopischen Untersuchung
fanden sich in den verschiedenen Staubarten ziemlich analoge Bestandteile,
und zwar grössere und kleinere Holzschollen von rundlichen ungefähr drei-
eckigen, viereckigen, grösstenteils aber von ganz unregelmässigen Formen.
Alle haben durchwegs kleinzackige, wie angenagt aussehende Ränder, Ecken
und Kanten. Auch ihre Oberfläche erscheint unter dem Mikroskop nicht
glatt, sondern feinkörnig granuliert. Ausser diesen unregelmässigen
Schollen finden sich verschiedene Holzfasern sowie Verbände von Holzzellen
und Gefässbündeln, welche an ihren beiderseitigen Enden zerfasert und
unregelmässig abgerissen erscheinen. Inmitten dieser eben beschriebenen Holz-
teilchen sieht man in verhältnismässig nicht geringer Menge Quarzpartikel,
leicht erkenntlich an ihrer homogenen Struktur, ihrer Durchsichtigkeit,
ihren scharfen, mehr geradlinigen Ecken und Kanten. Sie haben die Form
von Wetzsteinen, von Dreiecken, Vierecken oder sind mehr unregelmässig
gestaltet. Die Zahl dieser aus der Verwendung von Glas- und Schmiergel-
papier herrührenden Quarzsplitterchen ist verschieden gross je nach der
Härte des verwendeten Holzes. In Staub von härterem Holz finden sie
sich in grösserer, in solchem von weicherem Holze in geringerer Zahl.
K. M. Menzel, Berufliche Erkrankungen der Stockdrechsler. 153
Es lösen sich eben die dem Schmirgelpapier aufliegenden Quarzteilchen
mehr weniger leicht von demselben ab je nach der Härte des geschliffenen
Objektes.
Der zuletzt erwähnte mikroskopische Befund, der ja auch aus der
chemischen Untersuchung des Holzstaubes mit aller Deutlichkeit hervor-
geht, ist bisher in der Literatur noch nicht beschrieben und
scheint mir jedenfalls von Bedeutung für die Beurteilung des ätio-
logischen Momentes hinsichtlich der Erkrankungen der oberen Luft-
wege der Stockdrechsler.
Es dünkt mich ziemlich sicher, dass die Anschauung, als ob rein
chemische Einwirkungen die Schädigungen der oberen Luftwege der mit
Staub Arbeitenden hervorrufen, doch den Tatsachen einigermassen Gewalt
antäte. Abgesehen von dem chemischen und mikroskopischen Befunde,
der ja in grossen Mengen Quarz aufdeckte, eine Substanz, die gewiss nur
eine mechanische Wirkung auszuüben imstande ist, spricht noch eine
andere Tatsache für die Richtigkeit der Anschauung, dass es sich in
unserem Falle um eine Kombination von chemischer und mecha-
nischer Wirkung des Staubes handelt.
Ich habe in der letzten Zeit auch die oberen Luftwege der
Bäcker systematisch untersucht und konnte hierbei wesentlich die
gleichen Veränderungen wenn auch in geringerer [Intensität
finden wie bei den Stockdrechslern, ein Befund, der bisher in
der Literatur noch nicht beschrieben ist. Da bei diesen Arbeitern
der chemisch zweifellos indifferente Mehlstaub (Schuster, Schuler u. a.
zit.n.Roth l. c.; Popper, Lehrbuch der Arbeiterkrankheiten, 1882, 5.18) das
schädliche Agens darstellt, müssen wir mit Bezug darauf annehmen, dass
in grossen Mengen eingeatmete staubförmige Substanzen ganz abgesehen
von einer eventuell chemisch wirkenden Komponente, jedenfalls schon durch
ihre mechanische Einwirkung beträchtliche Schädigungen der Nasenschleim-
haut und in weiterer Folge auch des Septumknorpels und der Nasen-
muscheln mit sich bringen. Für diese Anschauung spricht auch der Um-
stand, dass nach dem statistischen Ausweise aus der Werkstätte G., in
welcher ausschliesslich Horngriffe erzeugt werden, wo also eben-
falls eine schädliche chemische Wirkung nicht in Betracht kommt,
sich bei zwei von vier Arbeitern zirkumskripte Knorpelatrophien
vorfanden. Wir müssen also nach alledem sagen, dass die schädliche
Wirkung des Stockdrechslerstaubes aus zwei Komponenten be-
steht, die einander vielleicht die Wage halten, nämlich einerseits aus
einer chemisch wirkenden, bedingt durch die aus der Beize der
Naturhölzer herrührenden Substanzen, wie doppeltchromsaures
Kali usw., welche dem Staub innig beigemischt eingeatmet werden,
andererseits einer mechanisch wirkenden Komponente, bedingt
durch den staubartigen Charakter der Abfallstoffe und durch
das relativ reichliche Vorhandensein von Quarzpartikelchen in
denselben.
154 K. M. Menzel, Berufliche Erkrankungen der Stockdrechsler.
Ob es sich bei den Septumperforationen der Zementarbeiter um
eine rein mechanische oder eine chemische Wirkung oder ebenfalls um eine
Kombination der beiden ätiologischen Faktoren handelt, ist aus der vor-
liegenden Literatur nicht zu ersehen. Einige Autoren wie Roth (Kom-
pendium der Gewerbe-Krankheiten, II. Aufl. 1909 auf S. 18), Grotjahn
und Kaup (Handbuch der sozialen Hygiene, 1912, Bd. 1, S. 128) zählen
das Zement zu den rein mechanisch wirkenden Substanzen, was mir auch
aus der Tatsache hervorzugehen scheint, dass, wenn man Wasser mit Zement
zusammenbringt, nach dem Grundprinzip der Zementfabrikation eine
Temperaturerhöhung nicht eintreten darf. Dennoch hält Kölsch (Er-
hebungen in bayrischen Zementfabriken 1911) den fraglichen Staub infolge
seiner Zusammensetzung aus Ton und Kalk für einigermassen ätzend, also
chemisch wirksam. Ich muss allerdings sowohl bei der Beurteilung der
Wirkung dieses Staubes als auch anderer bisher als rein chemisch
wirkend betrachteten Staubarten (Kalisalze. Schweinfurtergrün,
Kochsalz u. a.) angesichts des Resultates meiner Unter-
suchungen bei Bäckern und Horndrechslern jedenfalls eine
Kombination der chemischen und mechanischen Wirkung an-
nehmen. Inder Chromfabrikation scheint allerdings die chemische Wirkung
die dominierende zu sein.
Die Prophylaxe der nasalen und pharyngealen Veränderungen der
Stockdrechsler würde in der Verwendung eines Respirators während
der Arbeit, bzw. in der Ausspülung der Nase nach jedesmaliger
Vollendung der Arbeit .bestehen, sie ist aber in Anbetracht der gering-
fügigen subjektiven Beschwerden bei den in Frage stehenden Arbeitern
nicht durchzuführen; die Arbeiter weigern sich einfach, das zu tun. Es
bleibt demnach nichts anders übrig, als im Wege der gewerblichen
Gesetzgebung auf womöglich in sämtlichen Betrieben obligatorisch
einzuführende maschinelle Beseitigung des schädlichen Staubes durch gut
funktionierende Exhaustoren hinzuwirken.
IX. i
Ueber die klinisch-anatomische Untersuchung des
Ostium maxillare bei Sinuitis maxillaris chronica.
Von
Dr. H. Kosokabe,
Em. Assistenten an der Universitäts-Ohren-, Nasen- und Halsklinik zu Fukuoka
(Prof. Dr. Kubo); z. Zt. Chefarzt der Ohren-, Nasen- und Halsabteilung des
Roten Kreuz-Hospitals zu Wakayama (Japan).
Für die Diagnostik und Behandlung der chronischen Kieferhöhlen-
eiterung, die wir unter allen Nebenhöhleneiterungen am bäufigsten treffen,
ist die Sondierung ihrer natürlichen Mündungen von grosser Bedeutung.
Jourdain (1) war es bereits 1765 gelungen, die natürliche Kieferhöhlen-
öffnung im Dunkeln zu sondieren. Schech und Michel (2) usw. konnten
die Sondierung nur bei gewissen Fällen oder nur an Leichen ausführen.
Bücheler (3) hielt die Sondierung infolge der Behinderung durch die
Weichteile und die Schleimhaut für undenkbar. Trotzdem wurde die
Sondierung durch die Bemühungen von Hartmann, Jurasz, Bayer,
Bresgen und Störk (2, 4) in vielen Fällen ermöglicht.
Bei Zuckerkandl (5) finden wir eine genaue Schilderung der
natürlichen Ostien der Highmorschen Höhle: sie liegen dicht unter dem
Orbitalboden und hinter der Prominentia lacrymalis. Betrachtet man die
Höhle von der Nasenseite aus, so befinden sie sich im Sulcus semilunaris
zwischen Proc. uncinatus und Bulla. In einer grossen Anzahl der Fälle
bleibt das Ostium entweder infolge krankhafter Prozesse oder sonstiger
Umstände versteckt. Es gibt gewöhnlich nur eine Mündung, die je nach
der Grösse des Infundibulum und des Proc. unceinatus mehr oder weniger
Längenverschiedenheit zeigt. Nach Douglass (6) ist diese Mündung stets,
ausser unter pathologischen Umständen, vorhanden. Die Form und Grösse
derselben variiert bedeutend, bald ist sie oval, bald rundlich, bald nieren-
förmig, meistens ist sie 7—10 mm lang, 2—6 mm breit, kann aber auch
19 mm lang und 5 mm breit sein; runde Oefinungen sind manchmal bis
auf 3 mm eingeengt [Zuckerkandl (5), Hajek (7), André Castex (8),
Sieur und Jacob (9)]. Bei der oben angeführten 19 mm langen und
5 mm breiten Oeffnung fehlte merkwürdigerweise ein eigentliches Ostium
maxillare und der Hiatus semilunaris kommunizierte seiner ganzen Länge
nach mit dem Sinus maxillaris. Dahinter kommt in jedem 9. oder 10. Falle
156 IH. Kosokabe, Klinisch-anatomische Untersuchung des Ostium maxillare.
eine zweite, zuerst von Giraldes beschriebene Oeffnung vor, die Zucker-
kandl das Ostium maxillare accessorium nannte. Oppikofer (13) hat
diese akzessorische Oeffnung 45 mal unter 400 Kieferhöhlen (13mal auf der
rechten, 14mal auf der linken Seite und 9mal auf beiden Seiten zugleich)
gefunden. Harke (14) hat eine solche akzessorische Oeffnung niemals bei
Kindern gefunden. Die akzessorische Mündung ist zuweilen mit der Haupt-
mündung vereinigt. Ino Kubo (12) hat bereits häufig in seinen Ver-
öffentlichungen geäussert. dass diese akzessorischen Mündungen bei uns
Japanern viel häufiger als bei Europäern zu beobachten sind.
Giraldes behauptet gegenüber E. Kallius (6), dass das Ostium
maxillare accessorium die Folgeerscheinung eines pathologischen Prozesses
repräsentiere, und zwar aus dem Grunde, weil es bei jugendlichen Individuen
nicht vorkommt und man als Vorstadium zu dieser Oeffnung schon oft ver-
dünnte und durchscheinende Schleimhaut findet. Nicht selten beobachtete ich,
dass die Kieferhöhle keinen Eiter enthält, trotzdem sich eine akzessorische
Mündung deutlich sondieren und ausspülen lässt. Wenn man auch ohne
n
Skalierte Sonde mit Schiebring nach Kubo.
weiteres durch den negativen Ausfall bei der Ausspülung die normale Be-
schaffenheit der Kieferhöhle nicht beweisen kann, so spricht die oben an-
geführte Tatsache doch gegen Giraldes’ Ansicht.
Seit dem Jahre 1912 habe ich die Kieferhöhlenöffnungen bei 484 Patienten
jenseits des 14. Lebensjahres sorgfältig untersucht, welche subjektiv über
Kopfschmerzen, Nasenverstopfung, Nasenausfluss und Anosmie oder Hyposmie
klagten, und bei denen objektiv Eiter im mittleren Nasengang, Muschel-
hypertrophie und Nasenpolypen nachweisbar waren. Darunter konnte ich
im ganzen 68 Fälle von chronischen Kieferhöhlenempyemen zusammenstellen,
bei denen ich sicher die Eiterung in der ersten Sitzung nachwies.
Zur Sondierung des Ostium maxillare bedient man sich nach Spiess
einer nicht zu dicken (1/,—1 mm) geknöpften Sonde, deren vorderes Ende
entweder bis 110 Grad (Hartmann und Hansberg) oder etwa recht-
winklig (Zarniko) abgebogen ist, während eine Schnabellänge von 6—10 mm
sich am zweckmässigsten erwiesen hat. Bei uns hat Prof. Kubo ver-
schiedene skalierte Sonden angegeben. Eine skalierte Sonde nach Kubo
(Figur), deren ich mich hierbei mit Vorliebe bediente, ist 0,2 cm dick,
16 cm lang, am Ende geknöpft und 1,5 cm lang rechtwinklig gebogen.
Was die Ausführung der Sondierung anbetrifft, so habe ich sie nach
der in Kubos Klinik geiübten Methode wie folgt ausgeführt: Zuerst pinselt
g——
H. Kosokabe, Klinisch-anatomische Untersuchung des Ostium maxillare. 157
man den mittleren Nasengang mit 5 proz. Kokainlösung mit dem Zusatz
von 3/1999 Adren. chlorid., dann dringt man mit etwas nach oben gedrehtem
Schnabel der Sonde, unter vorsichtiger rhinoskopischer Kontrolle, nie ge-
waltsam vorgehend, in den mittleren Nasengang ein und sucht die Oeffnung,
indem man die Sonde dem Infundibulum entlang hin- und herbewegt.
Wenn das Ostium weit genug ist, so gleitet die Sonde sehr leicht in das-
selbe hinein.
Man fixiert dann den Schnabel am vorderen unteren Ostiumrande und
liest die Skala am Naseneingang an einem bestimmten Punkt ab (Nasenflügel-
rand, Septumrand und Oberlippe begrenzende Linie). Dann fixiert man
die Sonde am hinteren Rand der Oeffnung und liest wieder die Entfernung
an der Sonde ab. Auf der Tabelle sind die beiden Zahlen der Entfernung
und die Differenz zwischen ihnen, d. h. der Durchmesser in der sagittalen
Richtung der Mündung angegeben. Es wäre besser gewesen, diese Resultate
mit denen bei Leichen zu vergleichen. Meine Fälle wurden jedoch möglichst
genau berechnet und zweifelhafte Fälle nicht angegeben. Die Beziehung
der gefundenen Zahlen zu Gesichtstypen oder zu der Septumlänge kann ich
hier nicht angeben.
Tatsächlich muss ich hier diejenigen beiden Oeffnungen, welche ana-
tomisch im vorderen oberen Teil (in der vorderen Fontanelle) und im
hinteren unteren Abschnitt (in der hinteren Fontanelle) des mittleren Nasen-
ganges gelegen sind, als die akzessorischen Mündungen annehmen, da die
eigentliche Hauptmündung der Kieferhöhle klinisch äusserst schwierig zu
sondieren ist.
In einer Reihe von Fällen besass das grösste Ostium niemals eine so
grosse Länge (19 mm) wie es Zuckerkandl (5) angibt. Doch ist es sehr
merkwürdig, dass die Oeffnung bei käsigen Empyemen stets weit grösser
war, als bei gewöhnlichen Eiterungen ‚und zwar betrug der Längendurch-
messer meist über 10 mm (nicht selten 20 mm) Dass das käsige Empyem
durch ausgiebige Ausspülung recht häufig zur Besserung oder Heilung
kommt, wie Kubo bereits betonte, beruht sehr wahrscheinlich auf der
Ausführbarkeit einer gründlichen Reinigung durch die ausserordentlich
weiten Oeffnungen.
Nach meiner Untersuchung kann das Nichtgelingen der Sondierung
sowohl auf anatomischen Besonderheiten als auch auf Mangel der Technik
beruhen. Dagegen ist die akzessorische Oeffnung, welche sich in der
hinteren Fontanelle befindet, in einem höheren Prozentsatz der Fälle als
nach Zuckerkandl (5), nämlich in etwa 11 pCt. zu sondieren. Ich glaube,
dass die akzessorische Mündung noch häufiger als es meiner Angabe nach
der Fall zu sein scheint, zu sondieren ist, da ich nur solche Fälle aus-
wählte, in denen ich sicher war, die Oefinung zu sondieren und in denen
ich die Eiteransammlung in der Höhle nachweisen konnte. Nach Douglass(6)
sind die Mündungen in 50 pCt. und nach Hansberg (4) in 20—30 pCt.
der Fälle zu sondieren.
158 H. Kosokabe, Klinisch-anatomische Untersuchung des Ostium maxillare.
Die Entfernung und Grösse des Ostium maxillare bei Sinusitis maxillaris chronica.
Entice
Grösse
Ik franke Verhalten ana Menge dës Höblen-
Nr.| Name | Alter Beruf iS Tas a inhalts a
1. Östien bei Weibern in der vorderen Fontanelle.
II MT. 55). | Bäuerin | links | 3,7 | 0,6 ! Eine mässige Menge von dicksebleimi-
| gem gelblichgrünlichem Eiter.
21.1 21.5 — rechts ` 3,5 0,3 | do.
31 K.T. 16. | Dienstmädeh. | - | 35 | 0,3 Ein daumengliedgrosser gallertiger
| | | | | _ Kiterball
4| 1.M. : 56J. | Bäuerin 2 | 3,9 | 0,6 | Kolossal reichliche Menge. Gelbgrün-
i _ licher und fein verteilter Eiter.
5f K.S. | 20 J. | Stütze : a 3,0 0,2 Etwas Eiter. Nasenschleimhaut im
| | | allgemeinen atrophisch.
6I N.T.; 48). Bäuerin links ! 3,9 | 0,5 | Crosse Menge von fein verteilter gelb-
I grünlicher Eitermasse.
71 H.Y. 42J Hausfrau | reehts ' 3,4 0,3 ! Eine reichliche Menge von gelbgrün-
| | | lichem geballtem Eiter.
SIT.K.| 185 )J Bäuerin links | 3,8 | 0,2 ; Eine geringe Menge von schleimigem
| | | gelblichem Eiter.
2. Ostien bei Männern in der vorderen Fontanelle.
II N.T.) 17J.' Schüler !rechts: 3,5 | 0,5 | Eine grosse Menge von fein verteiltem
| | | | sowie flockigem Eiter.
217. B. 29 J. | Bauer | links | 3,8 0,3 | Eine mässige Menge von fein ver-
| | teiltem Eiter.
SI Y.F.ı 55 .J 7 rechts 3,9 0,2 | Einige kleine Eiterbälle herausge-
| | | | spült.
3. Ostien bei Weibern in der hinteren Fontanelle.
II M.H.| 17). | Schülerin | rechts 4S | 0,3 ı Eine mässige Menge von dickschleimi-
| gem gelbgrünlichem Eiter.
2| I.H. | 19J. ' Kaufmanns- a 42 ' 05 Einige Flocken von gelblichem Eiter.
mädchen | l |
3] F. Y. | 14 J. | Bauern- links | 83,6 | 0,5 . Eine mässige Menge von gelblichem
. mädchen | i schleimigem Eiter.
4] M.A.| 19 J. | Schülerin | rechts | 46 ; O,4 | Gelbgriinlich, schleimig eitrig dick.
| | | . Menge: mässig reichlich.
5] A.S. | 15J. | Schülerin | links | 44 | 04 | Gelblich, zäbschleimig. Reichlich.
6f A.S. | 223.. — ; | 4,9 | 0.6 | Eine kleine Menge v. schleimig. Eiter.
ZI Y.R.| 279. | Händler |rechts 4,3 | 04 , GeringeMenge. Gelblich. flockig. Eiter.
S| M. Y.| 28J.; Hausfrau | links!’ 40 | 04 | Gelblich, schleimig - eitrig. Menge:
| | | . reichlich.
II N. F. | 49 J. | Oelhändlerin n i 438 | 0,3 ; Menge: reichlich. Dicker Eiter.
10] S.M. | 55 J. Hausfrau |rechts 4,2 0,5 | Eine reichliche Menge von gelblichem
| flockigem Eiter.
11] U. K. | 34 J. Baucrin ; | 4,2 0,2 ! Mässige Menge von gelblichem Eiter.
12] „ 5 links 4,2 0,2 | do.
13] M. H.| 25 J rechts 4,0 0,5 | Kine reichliche Menge von teils fein
| | : verteiltem, teils flockigem Eiter.
14] Y. Y.| 47 J. — š 4,0 0,7 | Nach d. Abtragung v. grossen Polypen
| gemessen. Fein verteilter Eiter,
etwas herausgespült.
15] T. T. | 48 J. Bäuerin 2 4,1 0,3 | Eine grosse Menge von fein verteiltem
| | gelbgrünlichem Eiter.
16] H. Y. | 42 J. Hausfrau | links 42 | 0,5 | Eine reichliche Menge von gelbgriin-
| | | _lichem geballtem Eiter.
I7I T.K. | 18J. Bäuerin | rechts 4,5, 0,6 Eine kolossal grosse Menge von fein
verteiltem Eiter.
=
© co Coa] oO or Be os bo
tee
pant
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13
14
15
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18
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22
23
24
25
26
28
29
30
31
32
33
34
H. Kosokabe, Klinisch-anatomische Untersuchung des Ostium maxillare. 159
Name
n= nk Of
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Alter
24 J.
17 J.
59 J.
17 J.
46 J.
21 J.
23 J.
26 J.
23 J.
48 J.
41 J.
26 J.
22 J.
19 J.
87 J.
54 J.
26 J.
P
54 J.
21).
21 J.
17 J.
18 J.
20 J.
17 J.
N
18 J.
25 J.
19 J.
dt J.
18 J.
31 J.
35 J.
4. Ostien bei Mannern in der ap Fontanelle.
Beruf
Kranke
Seite
Kaufmann rechts
Schiiler
Bauer
Schiiler
Kaufmann
Beamter
Fussmatten-
macher
Beamter
Bauer
Fleischhandl.
Sandalen-
handler
Student
Schiiler
Bauer
Fussmatten-
macher
”
Bauer
n
ka
Schüler
9»
Steinhauer
Bauer
”
Ellenhändler
Schüler
Bauer
Schüler
Krämer
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links
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links
rechts
links
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links
N
rechts
links
rechts
links
rechts
links
Pav ernoni
des vordere
Randes a
4,6
5,3
5,1
4,8
4,1
4,4
4,9
4,2
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9,3
4,9
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0,8
©
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mn e ne a sees ai
Verhalten und Menge de
inhalts usw.
Eine grosse Menge vo slbgrünlichem
feinverteiltem stiy endem Eiter.
Gelbgrünlicher feif verteilter Eiter,
reichlich.
Ein grosser Ball von rötlich-bräunlich
verfärbtem schleimigem Eiter.
Eine mässige Menge von gelbgrün-
lichem Eiter.
Rechte Nasenhöhle ist mit Eiter und
Polypen gefüllt.
Gelbgrünlicher feinverteilter Eiter,
reichlich.
Gelbgrünlich, ziemlich reichlich.
Gelbbräunlich, gallertig, reichlich.
Zähschleimig, eitrig. Mässig reichlich.
Nasenpolypen. Fein geteilt, reichlich,
kein Gestank.
Gelbgrünlich, dick. Reichlich.
Stinkender Eiter. Wegen Hirnanämie
ist die Höhle nicht gründlich aus-
gespült worden.
Dick gelblich, gering.
Nicht reichlich.
Kieferhöhle wurde nicht gründlich
ausgespült.
Nasenpolypen. Gelbl., dick, reichlich.
Fein verteilt und grünlich. Kolossal
grosse Menge.
Flockig. Geringe Menge.
Fein verteilt, reichlich.
Eine grosse Menge von dickem gelb-
lichem geballtem Eiter.
Dick, gelblich, geballt und reich ich.
Eine grosse Menge von gelblichem
geballtem Eiter.
Gelblich fein verteilt, reichlich.
Ein dicker gelblicher grosser Eiter-
ball.
Polypen entfernt u. danach gemessen.
Dickschleimig, reichliche Menge.
Dickflockige Eitermenge.
Gelblich, gering.
Dickgelblich, geballt.
Eine mässige Menge von dickgelb-
lichem Eiter.
Rechts Septumpolypen daneben. Dick
gelblich, reichlich.
Massenhafter flockiger Eiter, gelb-
grünlich.
Blassgelblicher schleimiger Eiter
etwas vorbanden.
Eine reichliche Menge: von gelbgrün-
lich fein verteiltem Eiter.
do.
160 H. Kosokabe, Klinisch-anatomische Untersuchung des Ostium maxillare.
| 2
A ae Kranke Entfernung Grésse| Verhalten und Menge des Höhlen-
Nr. | Name | Alter Beruf Seite | ee nn akalts er
391 S. Y. | 14]. | Schüler | rechts | 4.4 0,2 | Eine mässige Menge v. gelbgriinlichem
i Eiter.
367 Y. Y. | 19 J. | Schmied an. "| 50 ! 04 | Fein verteilt sowie flockig, reichlich.
3T i a | = links | 5,0 | 0,2 | Eine kleine Menge v. blassgelblichem
| | | Eiter.
5. Ostien bei käsigen Empyemen.
II Y.M., 21J.ı Beamter | rechts, 3,7 | 1,2 | Reichlich, gelblich.
männ!. |
2 F.N.: 52. | Bauer | : 3,9 0,7 | Eine kolossal grosse Menge v. käsigem
männl.| ! | | Eiter.
3] S.E. 44). ı Bäuerin | links ' 3,8 1,5 | Käsige Masse fein verteilt, reichlich.
weibl. Ä i
Statistische Zusammenfassung.
(Unter 484 untersuchten Kieferhöhlen waren 68 krank.)
Geschlecht: 26 Fälle bei Weibern, 42 bei Männern.
Alter: 10—20 Jahre . . 22a‘ a a 24 Fälle
91-30 . aaa T „
gA a e ee ee E a
AI. a ee er ee AO A
51—60 „ Sy Oe er ee ee A
Erkrankte Seite: Rechts . nn... 0.0.40 Fälle
Links . . ..... 28 „
Beiderseits affizierte Fälle: 2 bei Weibern, 7 + bei Maange
Ostien verschiedener Art:
11 in der vorderen Fontanelle (8 bei Weibern, 3 bei Männern)
54 in der hinteren Fontanelle (17 bei Weibern, 37 bei Männern)
3 übermässig grosse Ostien bei käsigen Empyemen.
Durchschnittliche Entfernung der Ostien vom Naseneingange:
weibl. etwa 3,7 cm
männl. „ 3,7 ,,
weibl. etwa 4,3 cm
männl. „ 46 „
Ostien bei käsigen Empyemen etwa 3,8 cm.
Ostien in der vorderen Fontanelle |
Östien in der hinteren Fontanelle /
Durchschnittlicher Durchmesser der Ostien in der sagittalen Richtung:
weibl. etwa 0,4 cm
männl. „ 03 „
weibl. etwa 0,4 cm
männl. „ 05 „
Östien bei käsigen Empyemen 1,1 cm.
Prozentsatz der Ostien verschiedener Art unter allen Fällen:
Ostien in der vorderen Fontanelle. . . etwa 2ptt.
Ostien in der hinteren Fontanelle. . . e E z
Ostien in der vorderen Fontanelle |
Ostien in der hinteren Fontanelle
A
ee.
H. Kosokabe, Klinisch-anatomische Untersuchung des Ostium maxillare. 161
Zum Schlusse spreche ich meinem verehrten Chef, Herrn Professor
Dr. Ino Kubo, Direktor der Universitätsklinik für Ohren-, Nasen- und
Halskranke zu Fukuoka, meinen besten Dank für seine Ratschläge aus.
2.
Literaturverzeichnis.
. Jourdain, Journ. de méd. 1767. T. 27. p. 52. — Heymanns Handbuch
d. Laryngol. 1900. Die Krankheiten der Kieferhöhle von G. Killian.
Onodi und Rosenberg, Krankheiten der Nase und des Nasenrachens.
1906. S. 239.
. Bücheler, Ueber die geschwulstbildenden Prozesse des Antrum Highmori.
Bonn 1889. Heymanns Handb. d. Laryngol. 1900. Bd. 3. Heft 1. S. 239.
Die Untersuchungsmethoden der Nase und ihrer Nebenhöhlen von G. Spiess.
. Hansberg, Die Sondierung der Nebenhöhlen der Nase. Monatsschr. f.
Ohrenheilk. 1890. S. 4.
. Zuckerkandl, Anatomie der Nasenhöhle. 1893. S. 290.
. Douglass, Nose and throat surgery. 1906. p. 125.
. M. Hajek, Nebenhöhle der Nasen. 2. Aufl. 1903. S.50.
. André Castex, Maladies du larynx, du nez et des oreilles. 1907. p. 698.
. Sieur et Jacob, Les fosses nasales et leur sinus. 1901. p. 542.
. Heymanns Handbuch der Laryngologie. Bd. 1.
. Kubo, Rhinologie. 1910. Bd. 2. S. 561.
. Kubo, Die Gegenwart und Zukunft der Diagnose und Behandlung der Sinuitis
maxillaris chronica. Nisshin-Igaku. 1911. 1. Jahrg. H. 2.
. Giraldes, Virchows Archiv. 1858. Bd. 9. S. 465.
. Oppikofer, Archiv f. Laryngol. 1907. Bd. 19. S. 33.
. Harke, Pathologie der oberen Luftwege. 1895. S. 26.
Archiv für Laryngologie. 29. Bd. 1. Heft. 11
X.
Erwiderung
auf die nachträgliche Bemerkung des Herrn Dr. Oskar Radzwill
in Band 28, Heft 3 dieses Archivs.
Von
Dr. Hans Pape (Nordhausen).
Herr Dr. Radzwill bzw. Herr Geheimrat Denker erklärt, dass er nach
‚ seiner Öperationsmethode 100 pCt. Heilung habe, und nicht, wie ich „fälschlich
angäbe“ 75 pCt.
Was ist zunächst unter Heilung zu verstehen. Ich glaube mich klarausgedrückt
zu haben, wenn ich sagte: „Eine völlige Ausheilung des letzteren (Antrum High-
mori) wurde dann angenommen, wenn die Spülflüssigkeit klar blieb“. (Zeitschr.
f. Ohrenhlk. Bd. 63. S. 162.) Herr Geheimrat Denker sagt in dem Referat der
Verhandlungen des Vereins Deutscher Laryngologen 1910 wörtlich:
„Unter den 20 kontrollierten Fällen fand sich bei der Ausspülung 15 mal
überhaupt kein Sokret in der Kieferhöhle, 5 mal Spuren von schleimigem Sekret.
In einem Falle musste nach der Kieferhöhlenoperation noch die Killiansche
Stirnhöhlenoperation ausgeführt werden. Bei einer anderen Patientin besteht zur
Zeit noch eine eitrige Sekretion vom Siebbeinlabyrinth her“.
Also von 20 weisen 5 noch Spuren von Sekret auf. Zwei davon waren durch
Erkrankung anderer Nebenhöhlen kompliziert. Und die 3 anderen? Hier ist von
einer Komplikation nichts gesagt, ich musste. demnach annehmen, dass keine vor-
lag. Ohne Rücksicht auf Komplikationen sind also von 20 Fällen 5 nicht geheilt,
75 pCt. Gesamtheilung. Stellt man nun die unkomplizierten in Rechnung, so er-
geben sich von 18 Fällen 3 ungeheilte (nach dem Massstabe, den wir angelegt
haben), also 84,5 pCt. Heilung.
Dann wirft mir Herr Radzwill vor, ich hätte bei der Aufstellung der
Statistik die Komplikationen nicht ausgeschaltet. Ich habe gesagt: „Bei den un-
komplizierten Fällen wurde demnach ausnahmlos Heilung erzielt . . . .#, und
weiter: „Es erübrigt sich noch die Frage, wie die von uns mit dem Caldwell-
Lucschen Verfahren erzielten Resultate — 100 pCt. Heilung in unkomplizierten
Fällen, die nachbehandelt werden konnten, 92,8 pCt. Heilung bei der Gesamtzahl
unserer Fälle — sich zu den mit anderen Methoden erreichten Erfolgen verhalten“.
(Seite 161 u. 165, Bd. 63 d. Zeitschr. f. Ohrenhlk.) Selbstverständlich sind nur
diese 92,3 pCt. Gesamtheilung den Denkerschen 75 pCt. Gesamtheilung gegen-
überzustellen und nicht mit einer Silbe habe ich letztere etwa zu unseren 100 pCt.
Heilung bei unkomplizierten Fällen in Vergleich gesetzt.
Im übrigen erscheint mir dies ein ziemlich müssiger Streit um tote Zahlen.
Es wird niemand bezweifeln, dass mit beiden Methoden Ausgezeichnetes erreicht
werden kann, und das ist ja schliesslich die Hauptsache.
XI.
Schlussbemerkung
zu der vorstehenden Erwiderung von Dr. Hans Pape.
Von
Dr. Radzwill (Konigsbere i. Pr.).
Nur einem Wunsche des Herrn Geheimrat Denker folgend, bin ich seiner
Zeit nochmals auf die Zahlen des Herrn Kollegen Pape eingegangen. Ich tat es
allerdings schon deshalb gern, weil ich bei nochmaliger Durchsicht unserer
Kasuistik fand, dass ich unsere Resultate eigentlich selbst in noch nicht geniigend
günstigem Lichte dargestellt hatte.
Dass auch wir mit andern Methoden, su besonders mit der lange Jahre hin-
durch ausschliesslich geübten Gerberschen und mit der von Caldwell-Luc,
ausgezeichnete Erfolge hatten, habe ich ja auch ausdrücklich herrorgehoben. Ich
kann also den Schlussworten des Herrn Kollegen Pape nur durchaus beistimmen.
ı1*
XII.
Bemerkungen
zu der Arbeit von Dr. B. Choronshitzky: „Die perkanalikuläre
Tränensackdurchstechung als Einleitung zur intranasalen Tränen-
sackeröflnung und als selbständige Operation.“
(Dieses Archiv. Bd. 28. Heft 3.)
Von
Dr. Iren Markbreiter.
Am 11. März 1913 hat Herr Polyák zwei Fälle von intranasaler Dakryo-
cystostomie in der rhino-laryngologischen Sektion des Kgl. Aerztevereins zu
Budapest vorgestellt. In der Diskussion habe ich laut dem offiziellen Protokoll
empfohlen, durch das Tränenröhrchen eine scharfe Sonde zu führen, die mediale
Wand des Saccus und das Os lacrymale zu durchstechen, und mit einer Stanze
intranasal ein Stückchen aus dem Tränenbein und aus dem Saccus zu entfernen.
Das Verfahren habe ich schon früher zusammen mit Herrn Gyergyai an Leichen
ausgeführt.
Wie ich mich überzeugen konnte, empfiehlt Herr Dr. Boris Choronshitzky
im letzten Heft des Archivs ein ähnliohes Verfahren.
s
Druck von L. Schumacher iu Berlin N. 4.
XIII.
Zur Pathologie und Therapie des Recessus spheno-
ethmoidalis.
Von
Dr. P. J. Mink (Utrecht).
(Mit 3 Textfiguren.)
Das Gebiet des Recessus sphenoethmoidalis wird bis jetzt nur chirurgisch
angegriffen. Dabei wird das hintere Ende der mittleren Muschel amputiert
und dadurch diese Gegend freigelegt. Man beabsichtigt in diesen Fällen
aber allein die hinteren Nebenhöhlen, die in den Recessus ausmünden,
anzugreifen. Nur in den höchst seltenen Fällen, in denen die Operation
die Ausrottung von Tumoren bezweckt, kann man sagen, dass der Recessus
für sich in therapeutischer Hinsicht in Angriff genommen wird.
Man hat aber keinen Grund, anzunehmen, dass Tumoren die einzige
Erkrankung dieser Gegend darstellen. Denn der Raum ist mit einer Schleim-
haut ausgekleidet, die kontinuierlich mit der übrigen Nasenschleimhaut
zusammenhängt und sich davon nicht unterscheidet. Zwar ist die Recessus-
schleimhaut sehr zart, aber das kann sie nicht verhindern, bei den ver-
schiedenen Rhinitiden mit zu erkranken. Die Befunde an anderen, besser
bekannten und mit ebenso zarter Schleimhaut bekleideten Abschnitten
berechtigen uns a priori zu diesem Schluss. Nur die versteckte Lage des
Recessus kann die Ursache sein, dass die hier lokalisierten Schleimhaut-
affektionen wenig oder gar nicht gewürdigt worden sind. Zwar werden
bei der Fortnahme der mittleren Muschel hin und wieder solche Affektionen
aufgedeckt, aber ihnen wird als Nebenbefund gewöhnlich nur wenig Be-
achtung geschenkt. Nirgendwo habe ich wenigstens vermerkt gefunden,
dass man den Erkrankungen der Recessusschleimhaut, die ich Oberflächen-
erkrankungen nennen möchte, an sich seine Aufmerksamkeit zuwendet.
Es würde aber angebracht gewesen sein, eben auf diese Gegend be-
sonders acht zu geben, weil sie vom anatomischen Standpunkt aus sehr
wichtig genannt werden muss. Denn der spaltförmige Recessus spheno-
ethmoidalis spielt etwa die gleiche Rolle bei den hinteren Nebenhöhlen,
wie der Hiatus semilunaris es bei den vorderen tut. Gleichwie der Sinus
maxillaris und die Frontalzellen zum Hiatus in Beziehung stehen, ver-
halten sich Sinus sphenoidalis und hintere Siebbeinzellen zum Recessus.
Archiv für Laryngologie. 29. Bd. 2. Heft. 12
166 P.J. Mink, Zur Pathologie und Therapio des Recessus sphenoethmoidalis.
Ausserdem grenzt der Recessus an die funktionell wichtige Riechschleim-
haut und liegt dem Ganglion sphenopalatinum dicht an. Griinde genug
also, um anzunehmen, dass Prozesse in dieser Gegend ernsthafte Folgen
haben können und nicht leicht genommen werden dürfen. |
Wir fassen hierbei nur die von uns mit dem Namen von Oberflächen-
erkrankungen belegten Affektionen ins Auge, ohne auf die der hinteren
Nebenhöhlen einzugehen. Letztere haben schon längst ihre eigene Literatur,
und namentlich die Chirurgie dieser Höhlen hat in den letzten Jahren
eine Ausbreitung erlangt, die offenbar nicht immer auf nüchternen Indi-
kationen fusst. Die fraglichen Schleimhautverdickungen, wie man sie
mehrmals in den Berichten erwähnt findet, können schwerlich das Auf-
brechen eines Sinus sphenoidalis rechtfertigen.
Immerhin geht aus diesen Versuchen hervor, dass man das Gefühl
hat, dass die Gegend des Recessus sphenoethmoidalis eine Rolle spielt,
die weit über die von anderen Teilen der Nasenhöhle hinausgeht. Allein
das Gefühl ist noch zu unbestimmt, da eine genügende pathologisch-ana-
tomische Basis für die klinische Vermutung fehlt. Mir scheint, dass man
bei der nahezu völligen Unkenntnis der Oberflächenerkrankungen zu schnell
an Tiefenerkrankungen denkt, die nur einer chirurgischen Behandlung zu-
gänglich sind.
Man hat aber zu bedenken, dass der Recessus einen Teil des respiratori-
schen Luftweges ausmacht und dass diesem Raume die Noxen also im allge-
meinen von Seiten der Luft zugeführt werden. Dann aber hat man es für
wahrscheinlich zu halten, dass meistens die Oberflächenerkrankungen die
primären sind, denen sich hin und wieder Nebenhöhlenaffektionen sekundär
anschliessen können. Nur wo die Anfuhr der schädlichen Agentien dem
Blutstrome zur Last fällt, oder wo dyskrasische Zustände im Spiele sind,
darf man die Primärerkrankung in der Tiefe suchen. Die Zahl derartiger
Fälle tritt aber, wie man per analogiam aus anderen Nebenhöhlenerkran-
kungen, die besser bekannt sind, schliessen darf, bedeutend zurück gegen-
über denjenigen, die von einer Fortpflanzung der Entzündung von der
Oberfläche aus herrühren.
Achtet man auf den Weg, den der inspiratorische Luftstrom durch
die Nase beschreibt, so kann es uns nicht wundern, dass die Schleimhaut
des Recessus sphenoethmoidalis sich an den gewöhnlichen Rhinitiden
beteiligt. Denn bekanntlich folgt dieser Strom, Träger der atmosphärischen
Noxen, an erster Stelle dem Weg zwischen mittlerer Muschel und Septum
und steigt desto höher hinauf, je tiefer die Inspiration ausfällt. Die Er-
klärung für diese Erscheinung ist zu suchen in den Gesetzen, denen Luft-
ströme, die von einem negativen Druck hervorgerufen werden, unterworfen
sind. Näheres hierüber kann man finden in meiner Arbeit über „die
nasalen Lufträume* (Archiv f. Laryngol. 21. Bd. 2. Heft), wo die dies-
bezüglichen Experimente beschrieben sind. Ob mehr oder weniger Luft
ihren Weg durch die Rima olfactoria wählt, ist für uns von nebensächlicher
Bedeutung; dagegen müssen wir rechnen mit der von R. Kayser (Pflügers
P. J. Mink, Zur Pathologie und Therapie des Recessus sphenoethmoidalis. 167
Archiv. 1889) gefundenen Tatsache, dass der Inspirationsstrom bis nahe
am Nasendache aufsteigen kann. In diesen Fallen muss wohl der ganze
Recessus sphenoethmoidalis der Luft den Durchtritt gewähren.
Die verborgene Lage des Recessus bildet also nur einen relativen
Schutz gegen die schädigenden Einflüsse der Atmosphäre. Das trifft um
so mehr zu, als der höher hinaufsteigende Inspirationsstrom den tieferen
Einatmungen entspricht, wobei die Luft auch schneller durch die Nase
gezogen wird. Hierdurch wächst die Gefahr, dass die vorangehenden
Partien der Luftwege der Aussenluft ihre schädigenden Eigenschaften nicht
genügend nehmen können. Das muss für die zarte Recessusschleimhaut
ins Gewicht fallen, so dass wir annehmen müssen, dass der hintere obere
Abschnitt der Nasenhöhle sich trotz seiner verborgenen Lage gleich stark
an den Rhinitiden beteiligt.
Wenn einmal eine Oberflächenentzündung im Recessus aufgetreten ist,
kann man sich denken, dass die in ihn mündenden Nebenhöhlen leicht in
den Prozess hineinbezogen werden. Ich denke hierbei weniger an ein
sogenanntes Weiterkriechen des Katarrlıs, ein Wort, das nicht immer einem
klaren Begriff entspricht, als an einen mechanischen Vorgang, der sich
immer geltend macht. Es muss sich nämlich bei der Inspiration die Luft
nach dem Aufhören der Saugung mit einer gewissen Kraft in die Neben-
höhlen hineinstürzen, wie in meiner schon erwähnten Arbeit über die
nasalen Lufträume auseinander gesetzt wird. Wie leicht können dann aber
Sekretionsprodukte, die sich in der Nähe der Mündungen befinden, mit-
geführt und in diese Höhlen hineingeschleudert werden. Selbst leichte
feste Körper können solcherweise hineingeraten, wie mir jüngst ein Fall
zeigte, wobei ich die Anwesenheit einer 4 cm langen Heufaser im Sinus
sphenoidalis konstatieren konnte (Nederlandsch Tijdschrift voor Genees-
kunde. 1911. No. 24). Viel leichter noch kann man sich das von den
halbflüssigen katarrhalischen Sekretionsprodukten vorstellen, während man
es für die wässerigen Abscheidungen im ersten Stadium der akuten Katarrhe
fast eine fatale Konsequenz nennen muss. Diese dünnflüssigen Abscheidungen
haben aber stark reizende Eigenschaften, wie manche Oberlippe während
einer Erkältung untrüglich beweist. Man braucht also nicht weiter zurück-
zugreifen, um die Mitentzündung der hinteren Nebenhöhlen bei der Ober-
flächenerkrankung des Recessus sphenoethmoidalis begreiflich zu finden.
Von diesem Gesichtspunkte aus muss man den Katarrhen dieser Gegend
als mutmassliche Primärerkrankung für eine Reihe von pathologischen
Prozessen seine volle Aufmerksamkeit zuwenden. Dazu kommt, dass viele
von diesen Katarrhen bis zu einer gewissen Grenze ein selbständiges Dasein
fristen. Denn bei den akuten Schleimhautentzündungen wird regelmässig
der hintere obere Abschnitt der Nasenhöhle durch die Verschwellung der
Rima olfactoria vom übrigen Teile der Haupthöhle abgeschlossen. Die
Sekretionsprodukte dieser Gegend können also nur oberhalb der mittleren
Muschel nach hinten zu, d. h. also durch den Recessus sphenoethmoidalis
ihren Abfluss finden.
12 *
168 P.J. Mink, Zur Pathologie und Therapie des Recessus sphenoethmoidalis.
Vieles spricht dafür, dass dem Inspirationsstrom selbst, namentlich
wenn er frische, reine Luft einführt, eine heilende Wirkung beim Ablauf
der akuten Nasenkatarrhe zukommt. So würde es sich erklären lassen,
dass die untere geräumige Partie der Nasenhöhle, die diesen Strom zuerst
wieder durchlässt, im allgemeinen auch schneller abheilt als die obere
Partie. Denn selten vermisst man das Stadium, in dem die Nase angeblich
frei, aber der Geruch noch nicht wiedergekehrt ist. Das bedeutet also,
dass zwar In- und Exspiration unbehindert ihren Weg: durch die Nase
finden können, aber bei verschlossener Rima olfactoria. Erst wenn später
auch diese sich öffnet, kann der Inspirationsstrom seinen normalen Weg
beschreiben, und dann schmeckt die Zigarre wieder, wie mancher sich aus-
drückt. Der erschwerte Zutritt der Aussenluft im oberen engeren Teil der
Nasenhöhle könnte wohl die Ursache sein für die verspätete Eröffnung der
Geruchsspalte.
Die normale Verspätung dieser Eröffnung währt nur kurze Zeit, aber
eine abnorme Verlängerung dieses Stadiums ist gar nicht selten. Man
muss dann annehmen, dass der Katarrh im oberen Abschnitt der Nasen-
höhle die Genesung nicht mitgemacht hat und in subakuter Form fort-
besteht. Da die Sekretionsprodukte in diesem Falle nicht durch die
geschlossene Geruchsspalte abfliessen können, müssen sie, wie schon bemerkt
wurde, nach hinten zu durch den Recessus sphenoethmoidalis entweichen.
Ein Schleinpfropf am Hinterende der mittleren Muschel, der durch die
Rhinoscopia posterior und manchmal auch durch die Rhinoscopia anterior
festzustellen ist, ist daher neben der geschwollenen Rima olfactoria patho-
enostisch für diesen partiellen Nasenkatarrh.
Die Mehrzahl der subakuten Katarrhe des hinteren oberen Abschnitts
der Nasenhöhle heilt am Ende noch gut aus, aber ein gewisser Prozent-
satz geht in das chronische Stadium über. Schlechte hygienische Ver-
hältnisse und dyskrasische Zustände, die der Heilung entgegenwirken, sind
meistens wohl für diesen Ausgang verantwortlich zu machen. Dabei hilft
nach unserer Ansicht das Verschlossenbleiben der Rima olfactoria mit,
weil in dem vom Luftstrom ausgeschlossenen Gebiet eine zu hohe Tempe-
ratur und ein zu grosser Feuchtigkeitsgehalt herrschen muss.
Beim Chronischwerden des partiellen Katarrhs, wovon die Rede ist,
wird die Menge des abgeschiedenen Schleims geringer, während dieser
auch allmählich seinen Charakter ändert. Der anfänglich gelbliche, muko-
purulente Pfropf am Hinterende der mittleren Muschel wird immer grauer
und zäher, um am Ende sich zu einer Kruste umzugestalten. Die Patienten
fühlen sich wenig oder gar nicht mehr belästigt, zum mindesten, wenn die
Affektion einseitig ist, so dass die gesunde Seite zum Riechen dienen kann.
Zeitweilig eine Kruste, etwas Räuspern und vielleicht ein unbestimmtes
Gefühl im Kopf bilden gewöhnlich die Erscheinungen dieses partiellen
chronischen Katarrhs.
In den älteren Fällen findet man manchmal auch die Schwellung der
Rima olfactoria nicht mehr, sondern im Gegenteil eine sehr geräumige
P. J. Mink, Zur Pathologie und Therapie des Recessus sphenoethmoidalis. 169
Spalte. Nur die charakteristische Kruste am Hinterende der mittleren
Muschel und zuweilen Klagen iiber Verlust des Geruchs belehren uns,
dass wir nicht den normalen Zustand vor uns haben. Beim genaueren
Zusehen bemerkt man auch, dass die Schleimhaut der mittleren Muschel
nicht so feucht und glänzend ist wie im gewöhnlichen Zustande. Mit der
Sonde kann man weiter feststellen, dass sie sehr dünn ist und dem Knochen
fest anliegt, während das Hin- und Herschieben der freien Muschelränder
nicht mehr gelingt. Offenbar ist das normaliter vorhandene kavernöse
Gewebe geschwunden und die mittlere Muschel hat ihre Schwellungsfähig-
keit eingebüsst. Auch die Schleimdrüsen sind nicht mehr vorhanden oder
so weit geschwunden, dass nur hier und da ein dünnes Krüstchen ihre
Anwesenheit verrät. Die Trockenheit der Schleimhaut lässt sich vielleicht
auch teilweise zurückführen auf eine Schädigung des Berieselungssystems,
worüber Schiefferdecker (Heymanns Handbuch, III., 1. Hälfte, S. 137)
sich äussert.
Dieses atrophische Endstadium des. chronischen Katarrhs bezieht sich
nur höchst selten allein auf die mittlere Muschel. Fast immer ist auch
zugleich die Schleimhaut, die den übrigen Teil der Nasenhöhle mit Ein-
schluss des Septums auskleidet, atrophisch. Ein derartiges klinisches Bild
kann man sowohl einseitig wie doppelseitig antreffen. Das einseitige Vor-
kommen lässt nicht zu, diese Rhinitis atrophica auf Konstitutionsanomalien
zurückzuführen, worauf das doppelseitige Vorkommen sonst hinweisen würde.
Das schlechte Aussehen mancher dieser Patienten lässt sich vielleicht
erklären aus einer mangelhaften Respiration infolge der zu geräumigen
Nase. Manometrische Untersuchungen haben mich gelehrt (Arch. f. Laryng.
21. Bd. 2. Heft), dass schon die Verkleinerung der unteren Muscheln durch
Kokainaufpinselung eine starke Herabsetzung des Exspirationsdruckes herbei-
führt, die für den Gaswechsel in den Lungen nicht gleichgültig sein kann.
Obwohl das Vorkommen der unilateralen Rhinitis atrophica diesen
Prozess zu einem lokalen stempelt, zwingt uns andererseits die gleich-
mässige Ausbreitung der Atrophie über eine ganze Nasenseite, nach einer
zentralen Ursache zu suchen. Notgedrungen wird unser Gedankengang
also in die Richtung nach einem lokalen Zentrum hingelenkt. Und da es
die Schleimhautatrophie ist, deren zentrale Ursache wir suchen, muss das
Zentrum als ein trophisches gedacht werden. In dieser Beziehung kann
nur das Ganglion sphenopalatinum in Frage kommen.
Das Ganglion sphenopalatinum, der Nasen- oder Meckelsche Knoten,
liegt bekanntlich tief in der Gaumen-Keilbeinspalte, dicht am gleichnamigen
Loche, an der hinteren Seite des Flügelgaumennerven. Es hängt mit dem
grösseren Teile der Fasern dieses Nerven zusammen, ohne sie jedoch sämt-
lich in sich aufzunehmen. Diese Fasern bilden die kurze, sensible Wurzel,
die Radix brevis s. sensitiva des Ganglions. Ausserdem besitzt dieses eine
lange motorische Wurzel, Radix longa s. motoria und eine sympathische
Wurzel, Radix sympathica s. carotica. Beide letztgenannten Wurzeln ziehen
in einer gemeiuschaftlichen Scheide durch den Canalis Vidianus heran.
170 P.J. Mink, Zur Pathologie und Therapie des Recessus sphenoethmoidalis.
Die vom Ganglion ausgehenden sensiblen Fasern versorgen Decke,
Seitenwand und Septum der Nasenhöhle, während ihre Endfäden selbst
den harten Gaumen und die Tonsillen erreichen. Man muss also annehmen,
dass aus allen diesen Gegenden dem Ganglion Reize zugeführt werden
können. Wenn diese eine gewisse Stärke besitzen, können sie auf ihrem
zentripetalen Wege nicht nur das Ganglion sphenopalatinum, sondern auch
noch den Gasserschen Knoten passieren, da sie bekanntlich einen Niess-
reiz ausüben können, der auf das Inspirationszentrum bezogen werden
muss. Reize, die unterhalb der Schwelle für die Auslösung dieses Niess-
reizes liegen, müssen als weniger weit durchdringend erachtet werden.
Erreichen sie das Ganglion Gasseri, so können sie mutmasslich die Zirku-
lation vom Vorderteile des Kopfes beeinflussen, da dieser Knoten von
Francois Franck (Arch. de phys. norm. et pathol. 1889), Morat (ibid.)
und anderen als das vasomotorische Zentrum für die Regio buccofacialis
angesehen wird. Sind sie auch noch zu schwach, um so weit durchzu-
dringen, so müssen sie schon im Nasenknoten den Widerstand finden, der
sie aufhält oder reflektiert. Da dieser Knoten auch mit motorischen und
sympathischen Fasern verflochten ist, ist ein Uebergang der Reize auf
diesen Bahnen denkbar. Diese Meinung stimmt mit der allgemeinen Auf-
fassung, die im Meckelschen Knoten ein peripheres Reflexzentrum sehen
will, überein.
Von der höchsten Bedeutung ist es, zu wissen, auf welche Weise diese
Reflextätigkeit zur Aeusserung kommt. Denkbar ist erstens eine Beein-
flussung der motorischen Fasern, die vom Ganglion im Canalis pterygo-
palatinus zum Levator palati und dem Azygos uvulae heruntersteigen. Die
Folge davon müsste als eine Tonuserhöhung dieser Muskeln, kennbar an
einer stärkeren Wölbung des Velums mit Verengerung des Isthmus palato-
pharyngealis gedacht werden. Wir lassen aber diesen Punkt, der für die
Physiologie der Atmung und der Stimme von Bedeutung sein kann, ausser-
halb der Besprechung.
Mehr ins Gewicht fällt für uns die Möglichkeit, dass die dem Nasen-
knoten zugeführten Reize übergehen können auf die sympathischen Fasern,
mit denen er zusammenhängt. Denn man schreibt dem Sympathikus bekannt-
lich im allgemeinen einen grossen Einfluss auf die Drüsen und die Gefässe
zu. Die schon längst bekannte Tatsache, dass schwache elektrische Reizung
des blossgelegten Ganglion sphenopalatinum reichliche Schleimabsonderung
und Temperaturerhöhung in der Nase hervorruft (Prévost), kann schwerlich
anders als in diesem Sinne gedeutet werden. Aschenbrandt (Monats-
schrift f. Ohrenheilk. 1885) fand unter gleichen Umständen daneben noch
eine starke Anschwellung des kavernösen Gewebes und namentlich der
unteren Muschel.
Diese Erscheinungen können zum guten Teil erklärt werden aus einer
reflektorischen Gefässerweiterung. Da aber keine aktive Wirkung der
Gefässmuskulatur denkbar ist, die eine Erweiterung erwirken könnte, muss
man an eine passive Wirkung, d. h. an eine Lähmung dieser Muskulatur
P. J. Mink, Zur Pathologie und Therapie des Reoessus sphenoethmoidalis. 171
denken. Dadurch bekommt dann der Blutdruck freies Spiel, um die Gefäss-
wände auszudehnen. Dieser Annahme gemäss kann man sich vorstellen,
dass die normalen Reize, die das Naseninnere treffen und zum Nasenknoten
gelangen, eine Tonusverringerung der Gefässmuskulatur und damit eine
stärkere Blutfüllung in der Nase unterhalten. Verstärkung dieser Reize
sollte dann auch eine stärkere Schwellung der Schleimhaut und also eine
Verringerung des Nasenlumens herbeiführen müssen. Die Erfahrung und
das Experiment (Gevers Leuven. Dissert. Utrecht 1903) stehen mit dieser
Voraussetzung in Einklang und die solcherweise stattfindende Anpassung
des Nasenlumens an die wechselnde Reizung der Aussenluft muss als
Regulation fiir die Nasenatmung einerseits und als Schutzvorrichtung anderer-
seits von Bedeutung sein.
Man wird bemerkt haben, dass ich etwas willkürlich die allgemeine
Atrophie der Nasenschleimhaut, die Rhinitis atrophica simplex, mit dem
chronischen Katarrh des hinteren oberen Abschnitts der Nasenhöhle in
Verbindung gebracht habe. Es gibt aber Gründe, die uns dazu veranlasst
haben, einen derartigen Zusammenhang zu vermuten.
An erster Stelle möchte ich in dieser Beziehung die Kruste am Hinter-
ende der mittleren Muschel nennen, die, wie wir gesehen haben, charakte-
ristisch ist für den chronischen Katarrh vom oberen Teil der Nasenhöhle.
Diese Kruste habe ich nun auffällig viel gefunden bei den atrophischen
Rhinitiden. Namentlich wo die Atrophie noch nicht weit fortgeschritten
und mit einer noch bestehenden Randschwellung der mittleren Muschel
kombiniert ist, hat sie grössere Bedeutung. So ist es mir z. B. aufgefallen,
dass bei einer derartigen Randschwellung die untere Muschel öfters ebenso
verkleinert war, wie man das nach Bepinselung mit Kokain oder Adrenalin
finden kann. Eine derartige Dauerkontraktion bei übrigens noch normal
aussehender Schleimhaut kann m. E. als das allererste Stadium einer
Atrophie aufgefasst werden.
Ich erkläre mir die Sache nämlich auf folgende Weise: Das Experi-
ment hat gelehrt, dass Reizung des Nasenknotens eine Anschwellung der
unteren Muschel bewirkt. Ausfall der normal bestehenden Anschwellung
kann also mit gutem Recht auf einen Ausfall dieser normal bestehenden
Wirkung des Knotens zurückgeführt werden. Diese normale Wirkung sollte
also als eine Reflexlähmung zu deuten sein, die ich an anderer Stelle mit
der Erschlaffung der Mimosa pudica bei Berührung verglichen habe und
die namentlich mit bezug auf den Sympathikus nichts Befremdendes hat.
Wir bringen also das dauerhaft zusammengezogene Corpus cavernosum der
unteren Muschel mit einem Lähmungszustand des Nasenknotens in Ver-
bindung. Der Katarrh aber, wovon die zu gleicher Zeit gefundene Kruste
am Hinterende der mittleren Muschel Zeugnis ablegt, spielt sich in nächster
Nähe von diesem Ganglion ab. Der Schritt vom lokalisierten chronischen
Katarrh bis zur regionären Schleimhautatrophie ist also nicht so sehr gross.
Wir fassen hierbei die regionäre Schleimhautatrophie im allgemeinen
ins Auge, ohne dem besonderen Charakter, den sie annehmen kann, Rech-
172 P.J. Mink, Zur Pathologie und Therapie des Recessus sphenoethmoidalis.
nung zu tragen. Unsere Bemerkung gilt also ebenso sehr der einfachen
Rhinitis atrophica, die ohne bedeutende Krustenbildung vor sich geht, als
wie der Rhinitis atrophica foetida, der sogen. Ozaena. Offenbar ist die
Atrophie bei der Ozaena mit einer Sekretionsanomalie kombiniert, die bei
der einfachen atrophischen Rhinitis fehlt. Man kann sich hierfiir eine Er-
klärung denken, wenn man darauf achtet, dass die Experimente gelehrt
haben, dass der Nasenknoten nicht nur die Füllung der Schleimhautgefässe,
sondern auch die Sekretion der Drüsen beherrscht. Beide Funktionen sind
sicher innig verknüpft, sie brauchen aber darum noch nicht für identisch
gehalten zu werden. Es gibt Gebilde, wie z. B. die Hypophysis, wo eine
doppelte Funktion schon durch die Struktur wahrscheinlich gemacht wird,
{N
IE
g
-
A
au
1 Meatus superior; 2 Recessus sphenoethmoidalis; 3 Sinus sphenoidalis; 4 Os
palatinum; 5 Foramen sphenopalatinum; 6 Concha media; 7 Concha superior.
aber es gibt auch anatomische Einheiten, wo eine Doppelfunktion ange-
nommen werden muss, ohne dass bis jetzt anatomische Gründe dafür vor-
liegen. Es ist denkbar, dass der Nasenknoten, soweit er als trophisches
Zentrum fungiert, seine Wirksamkeit einstellt, während er noch fortfährt,
eine Rolle als Sekretionszentrum in normaler oder abnormaler Weise zu
spielen.
Ein Blick auf Fig. 1 lehrt uns die nachbarliche Beziehung zwischen
Recessus sphenoethmoidalis und Ganglion sphenopalatinum kennen.
Sie stellt die knöcherne Grundlage der lateralen Nasenwand am Skelett
vor, wobei also das Foramen sphenopalatinum offen zutage liegt. Wie
man sieht, liegt diese Oeffnung im unteren Teil des Recessus spheno-
ethmoidalis gerade der Stelle gegenüber, wo der obere Nasengang in diesen
einmündet. Man kann diesen unteren Recessusteil als die Abflussröhre des
etwas trichterförmigen hinteren oberen Abschnittes der Nasenhöhle be-
trachten. Alle Sekretionsprodukte, die aus diesem Raum zum Nasopharynx
P. J. Mink, Zur Pathologie und Therapie des Recessus sphenoethmoidalis. 173
herunterfliessen, müssen also die Gegend des relativ grossen Foramen
sphenopalatinum streifen.
In vivo ist das Foramen an der Nasenseite bekleidet von der Nasen-
schleimhaut, die die gewöhnliche Struktur zeigt und dem Loch ziemlich
straff aufliegt. Von der Aussenseite kommt das dreieckige, nach innen
leicht abgeplattete graue Ganglion sphenopalatinum bis knapp an das
Foramen heran und schliesst es teilweise ab. Zwischen Schleimhaut und
Ganglion findet man eine schmale bindegewebige Schicht, die als Sub-
mukosa zu deuten ist und worin die Wurzeln der aus dem Ganglion ent-
springenden Nasennerven neben den Gefässen, der Arteria und Vena spheno-
palatina, verlaufen. Das eigentliche Lumen des Loches wird also von
diesen Nerven und Gefässen grossenteils angefüllt.
Aus dem Nasenknoten treten ausserhalb der Nasennerven nach oben
einige Augenhöhlenästchen, Rami orbitales s. sphenoethmoidales (Luschka)
durch die Augenhöhlenspalte und verzweigen sich zum Teil an der Peri-
orbita, zum Teil dringen sie durch das Foramen ethmoidale posterius zur
Keilbeinhöhle und den hinteren Siebbeinzellen. Einige von den Fädchen
in der Augenhöhle scheinen mit den Ziliarnerven Verbindungen einzugehen.
Von der vorderen unteren Ecke des Nasenknotens gehen dann noch einige
Nervi palatini zum weichen Gaumen und Gaumenheber und ausserdem
soll dieser Knoten noch zuweilen Verbindungen eingehen mit dem 6. und
9. Hirnnerven, mit dem Augenknoten und in seltenen Fällen mit dem Ohr-
knoten.
Die anatomische Nachbarschaft von Recessusschleimhaut und Ganglion
legt den Gedanken nahe, dass Erkrankungen der ersten das letzte in Mit-
leidenschaft ziehen können. Leider fehlt bis jetzt der direkte Nachweis,
dass auch wirklich die Schleimhauterkrankungen auf den Nervenknoten
übergehen können. Die pathologische Anatomie der Regio sphenoethmoi-
dalis ist, soweit mir bekannt, ein vollkommen brachliegendes Terrain. Den
Nebenhöhlen, die in dieser Gegend ausmünden, hat man zwar genügend
Aufmerksamkeit zugewendet, den so wichtigen Recessus selbst hat man
aber vernachlässigt. Das muss umsomehr wundern, als man a priori
manche Auskunft am Haupttor für die Innervation und Zirkulation der
Nasenhöhle erwarten könnte. Ich bedaure diese Vernachlässigung, insbe-
sondere da ich, obwohl mein Gedankengang eine Durchforschung dieser
Gegend bei den verschiedenen Rhinitiden, namentlich bei den atrophischen,
gebieterisch erfordert, nicht in der Lage bin, diese selbst vorzunehmen.
Per analogiam kann man vermuten, dass die katarrhalische Entzündung
der Recessusschleimhaut in der Gegend des Foramen sphenopalatinum eben-
falls zu Entzündung im submukösen Gewebe mit Austreten von Leukozyten
und Infiltration führt. Später tritt dann mutmasslich hierfür eine Neu-
bildung von Bindegewebe an die Stelle, das allmählich fester wird. Es
lässt sich denken, dass hierbei die Gefässe und namentlich auch die
Wurzeln der Nerven, die aus dem Ganglion sphenopalatinum treten und
die der Nasenschleimhaut dicht anliegen, geschädigt werden. Eine Fort-
174 P. J. Mink, Zur Pathologie und Therapie des Recessus sphenoethmoidalis.
pflanzung der Nervenentartung bis in den Knoten hinein lässt sich un-
schwer annehmen.
Auf diese Weise würden Zirkulationsstérungen, trophische Schädi-
gungen und Sekretionsanomalien in der Nasenschleimhaut als Folgezustände
eines Katarrhs des Recessus sphenoethmoidalis begreiflich sein. Auch
Neuralgien durch Einklemmung der Nervenwurzeln im neugebildeten sub-
mukösen Bindegewebe sind denkbar, während auch, den Augenästchen des
Ganglions wegen, die Augenaffektionen, die man geneigt ist, mit Erkran-
kungen des hinteren Teils der Nasenhöhle in Verbindung zu bringen (van
der Hoeve’'s Symptom), von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet zu werden
verdienen. Wenn man bedenkt, dass die Regio foraminis sphenopalatini
im unteren engeren Abschnitt des Recessus liegt und also am längsten und
am intensivsten dem Einfluss der herabfliessenden Sekretionsprodukte unter-
liegt, so lässt sich vermuten, dass Katarrhe eben dieser Gegend häufig und
hartnäckig sein müssen. Das verleiht den möglichen Folgezuständen dieser
Katarrhe in praktischer Hinsicht eine desto grössere Bedeutung. So lange
der feste pathologisch-anatomische Boden fehlt, müssen wir uns, wie so
manchmal, mit dem klinischen Bilde zufrieden geben. Und wer sich Rechen-
schaft gegeben hat von den verschiedenen Befunden bei den Rhinitiden,
wird zugeben müssen, dass vieles sich aus den oben entwickelten Ansichten
erklären lässt. Damit bekommen wir die Berechtigung, therapeutische Ver-
suche in dieser Richtung anzustellen.
Wo den chronischen Katarrhen des Recessus sphenoethmoidalis der-
artige Folgezustände beigemessen werden können, erwächst uns an erster
Stelle die Aufgabe, ihrer Entstehung so viel wie möglich vorzubeugen.
Wir haben also den akuten Katarrhen, aus denen die chronischen meistens
hervorgehen, unsere volle Aufmerksamkeit zuzuwenden. In dieser Be-
ziehung kommt dem Stadium des Geruchsverlustes, das bei fast jeder Er-
kältung länger anhält als die Nasenverstopfung, eine besondere Bedeutung
zu. .Wenn sich nämlich dieses Stadium über Gebühr verlängert, hat man
mit Recht einen subakuten Katarrh des hinteren oberen Abschnitts der Nasen-
höhle, der sich hinter der verschwollenen Rima olfactoria versteckt, zu
vermuten. Dann ist es geraten, sich nich$ länger auf die vis medicatrix
naturae oder die übliche Allgemeinbehandlung zu verlassen, sondern eine
Lokalbehandlung vorzunehmen. Schleim am Hinterende der mittleren
Muschel lehrt uns meist, dass die Randschwellung dieser Muschel nur ein
Symptom des höher liegenden Katarrhs ist, der der Behandlung bedarf.
Ausgehend von der Idee, dass dieses Symptom wohl zugleich mit dem
Katarrh verschwinden wird, kann man anfangen, diesen letzten direkt an-
zugreifen. Von Inhalatiouen ist nicht viel zu erwarten, da der Luftstrom
unterhalb der verschwollenen Rima olfactoria bleiben muss und also das
erkrankte Gebiet nicht durchstreift. Das Gleiche gilt von den Medika-
menten, die mittels Spray appliziert werden.
Beim subakuten Katarrh wird man aber doch noch gern einen Ver-
such mit diesen wenig offensiven Behandlungsmethoden wagen, wobei es
P. J. Mink, Zur Pathologie und Therapie des Recessus sphenoethmoidalis. 175
nétig wird, das Hindernis der Randschwellung der mittleren Muschel zu
umgehen. Fiir die Applikation von Dampfen im hinteren oberen Abschnitt
der Nasenhöhle genügt es zu diesem Zweck, ein dünnes Röhrchen in der
verschwollenen Rima heraufzuführen. Ich gebrauche dazu den dünnsten
Tubenkatheter aus Hartkautschuk, dem man leicht jede gewünschte Biegung
erteilen kann. Ich glaube, dass in diesem Falle ein Aufbewahren des
Instrumentes in 5 proz. Formalinlösung den Forderungen der Antisepsis
genügt. Wenn man einen Lucaeschen Doppelballon, in dessen Hartmann-
scher Kapsel die riechende Flüssigkeit sich auf Watte getropft befindet,
mit dem eingeführten Röhrchen verbindet, lässt sich der obere Teil der
Nasenhöhle leicht und gründlich mit den Dämpfen in Kontakt bringen.
Ich bevorzuge die Dämpfe von einer gesättigten Lösung von Menthol in
Öleum Therebinthinae, die gar nicht schlecht riechen und nicht so stark
prickeln.
Wenn man nur diese Mentholisierung verwenden wollte, so hätte das
Einführen des Röhrchens mehrere Male pro Tag zu geschehen, um einen
genügenden Effekt zu erzielen. Das geht aber meistens wohl nicht und
darum ist es angebracht, zugleich den Zutritt von auf gewöhnliche Weise
inhalierten Dämpfen so viel wie möglich zu erzwingen. In diesem Sinne
ist eine gründliche Adrenalisierung, die die Rima längere Zeit eröffnet
halten kann, zu empfehlen.
Mit dem Pinsel, auch wenn dieser so dünn ist, dass er in die Rima
eindringen kann, kommt man manchmal nicht aus, und darum verwende
ich lieber eine Berieselung des ganzen erkrankten Schleimhautgebietes mit
verdiinnter Adrenalinlésung. Der Spray, der diesem Zwecke dient, muss
sehr dünn sein, um in die Rima hinaufgeführt werden zu können. Da das
gewöhnliche System, wo ein dünnes Röhrchen sich innerhalb eines dickeren
befindet, in dieser Beziehung wenig brauchbar ist, habe ich mich einer
besonderen Vorrichtung bedient. Aus untenstehender Figur ergibt sich,
dass die beiden Röhrchen, die Luft und Flüssigkeit führen, übereinander
liegen und einem einzelnen doppelt gebogenen Röhrchen angehören. Eine
feine Bohröffnung in der Umbiegungsstelle liefert den Nebel. Da das
Durchtreiben einer genügenden Luftmenge durch das feine Röhrchen einen
ziemlich hohen Druck erfordert, muss der Stöpsel, der die Röhrchen trägt,
am Flüssigkeitsbehälter angeschraubt sein. Der Nebel ist etwas ungleich-
mässig, genügt jedoch dem Zwecke (Fig. 2).
Als Medikament verwende ich in diesem intranasalen Sprayapparat
an erster Stelle eine Adrenalin- oder Suprareninlösung 1:5000. Sie leistet
Zufriedenstellendes mit bezug auf die Abschwellung und muss auch ihren Wert
haben für das Freimachen der Eingangsöffnungen der hinteren Nebenhöhlen.
Nachher benetzte ich meistens die Gegend auf dieselbe Weise mit einer
2—5 proz. Lösung von Ichthyol oder von dem geruch- und geschmacklosen
und angeblich ebenso wirksamen Thiol. Wenn es auf diese Weise gelingt,
die Rima geniigend zum Klaffen zu bringen, lasse ich die Patienten zu
Hause auch noch Mentholinhalationen machen.
176 P..J. Mink, Zur Pathologie und Therapie des Recessus sphenoethmoidalis.
Gewöhnlich kommt man auf diese Weise bald zum Ziel, aber in den
älteren Fällen zeigt sich die Verschwellung der Rima olfactoria hart-
näckiger. Dann muss man mit Adstringentia und Caustica die Eröffnung
dieser Spalte erzwingen, weil man den Zutritt der Aussenluft als erste
Bedingung für die Abheilung des dahinter liegenden Katarrhs anzusehen
hat. Ich bevorzuge das Acidum trichloraceticum und gebrauche Acidum
chromicum, um Tiefenwirkung zu erzielen, da bekanntlich in dieser Gegend
dder Galvanokauter verpönt ist.
Die bis jetzt besprochene Therapie muss noch zur Prophylaxe des
chronischen Katarrlıs des Recessus sphenoetlimoidalis gerechnet werden. Ist
dieser Katarrh schon in chronischer Form vorhanden, so ist eine kräftige
Lokalbehandlung nötig, um noch zum Ziel zu kommen. Insoweit es die
Applikation von Medikamenten betrifft, ist dann der Pinsel das entsprechende
Figur 2.
<~ Ocffnung
Instrument. Ich verwende diesen Pinsel in Form von Feinsilberdraht, der
sich fast wie Bleidraht biegen lässt und eine Dicke von knapp 1 mm be-
sitzt. Das eine Ende eines Drahtstückes von 15 cm Länge wird rauh ge-
macht über eine Strecke von 1 cm, indem es unter kräftigem Andriicken
mit einer Holzfeile auf einer Unterlage von hartem Holz gewalzt wird.
An diesem Ende wird ein kleines Wattebäuschchen von 2—3 mm Dicke
fest angedreht, während es nachdem rechtwinklig umgebogen wird. Das
andere Ende wird zurückgebogen, um als Handhabe zu dienen. Man be-
kommt solcherweise einen Pinsel, wie er in Fig. 3 abgebildet ist.
Zunächst wird das Wattebäuschehen mit 10 proz. Kokain getränkt und
unter Leitung des Spiegels der Rima olfactoria entlang nach hinten vor-
geschoben. Beim sanften Andrücken bemerkt man, dass das Ende des
Bäuschchens, sobald das Hinterende der mittleren Muschel passiert ist, nach
oben und wie in einen freien Raum hineingleitet. Jetzt dreht man das Bäusch-
chen nach auswärts und drängt es unter Vorwärtsziehen in die Rima so
weit wie möglich nach oben. Es gerät solcherweise in den Recessus oder
vielleicht auch in den oberen Nasengang. Dreht man jetzt das Bäuschchen
noch weiter nach aussen und nach unten, dann fühlt man deutlich, dass
man den unteren Teil des Recessus, die Regio foraminis sphenopalatini,
P. J. Mink, Zur Pathologie und Therapie des Recessus sphenoethmoidalis. 177
streift. Nach dieser vorangehenden Kokainisierung, bei der man sich zu-
gleich orientiert, wird auf demselben Wege das Medikament eingerieben. Ich
gebrauche bei den mehr floriden Fällen gern Silber- und bei den atrophi-
schen fast ausschliesslich stärkere Jodlösungen und scheue mich hier ge-
legentlich selbst nicht, unverdünnte Jodtinktur zu verwenden. In diesen
älteren Fällen gelingt die Prozedur der bestehenden Atrophie wegen meist
sehr leicht. Andererseits können anatomische Abweichungen die Ausführung
erschweren.
Nicht so selten bringt man aus dem Recessus eine Kruste zum Vor-
schein, ein Resultat, das schwerlich auf andere Weise hätte erreicht werden
können. Die Entfernung einer derartigen, als Fremdkörper zu betrachten-
den Masse aus dieser Gegend muss als sehr nützlich betracht werden. Ob
man in den älteren Fällen viel von den Jodlösungen erwarten darf, ist
nicht so leicht zu sagen. Definitive Heilungen habe ich nur konstatieren
können, wo ein Schleimpfropf am Hinterende der mittleren Muschel auf
Figur 3.
einen nicht sehr alten Katarrh hindeutete. Immerhin glaube ich auch in
sehr veralteten Fällen Resultate erzielt zu haben, die ich den gewöhnlichen
Behandlungsmethoden nicht zutrauen würde. Bemerkt sei aber, dass ich
gerne Nasenbäder mit einer jodhaltigen Chlornatriumlösung als Mithilfe
heranziehe.
Vielversprechend scheint mir der Versuch, mitiels des abgebildeten,
aber bis zum Wattebäuschchen isolierten Pinsels schwache galvanische
Ströme durch das Ganglion sphenopalatinum zur Anregung der darnieder-
liegenden Funktion zu leiten. Hierüber kann ich aber noch nicht be-
richten.
Wo eine Wiederherstellung der trophischen und sekretorischen Funktion
des Nasenknotens nicht mehr erwartet werden kann, kann es vorteilhaft sein,
eine komplette Zerstörung desselben anzustreben. Man kann daran denken,
mit einem dem Pinsel nachgebildeten Instrument die zelltötende Wirkung
des Radiums auf die nasale Regio foraminis sphenopalatini zu applizieren,
aber das scheint mir ohne vorbereitende Operation zu unsicher. Wenn
aber diese Operation, die Fortnahme des Hinterendes der mittleren Muschel,
geschehen ist, tut man besser, kräftiger einzugreifen. Die Alkoholinjek-
tionen, wie sie chirurgischerseits von aussen her bei Neuralgien des
Meckelschen Knotens angewandt werden, könnten vielleicht auch von der
Nase aus mit grösserer Sicherheit ausgeführt werden. Jedenfalls kann man
178 P.J. Mink, Zur Pathologie und Therapie des Recessus sphenoethmoidalis.
aber auf diesem Wege die Elektrolyse benutzen. Ein Versuch, um auf
diese Weise die nach unserem Dafürhalten noch bestehende sekretorische
Funktion des Knotens bei der Ozaena zu vernichten und solcherweise hier-
aus eine Rhinitis atrophica simplex zu machen, kann überlegt werden.
Viele nicht geäusserte Fragen auf dem Gebiete der Pathologie und
Therapie des Recessus sphenoethmoidalis mussten unbesprochen bleiben.
Aber ich glaube, mich vorläufig damit begnügen zu können, wenn ich es
wahrscheinlich gemacht habe, dass dieses brachliegende Terrain der Rhino-
logie ein fruchtbares ist, das die an ihn verwendete Arbeit reichlich
lohnen wird.
XIV.
Ein universeller Apparat zur Kompressions-
behandlung bei Störungen im Larynx.
Von
Dr. Hans Röhr (Berlin).
(Mit 6 Textfiguren.)
Das grosse Gebiet der Motilitätsstörungen des Larynx stellt mannig-
fache Anforderungen an die Tätigkeit des Arztes, denen dieser mangels
geeigneter therapeutischer Methoden bzw. gut arbeitender Instrumente oft
nicht nachkommen kann. Selbstverständlich ist immer für die Beurteilung,
ob ein günstiger Behandlungserfolg bei den verschiedenen Lähmungen der
Kehlkopfmuskeln zu erwarten ist, die Ursache der Erkrankung als Grund-
lage zu nehmen. Je nach der Möglichkeit, diese zu beseitigen, oder der
Unmöglichkeit, sie zu beheben, wird sich meistens oder zum mindesten
häufig genug die Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Heilung einzelner
Lähmungsformen ergeben. Sind wir zur Erkenntnis gelangt, dass in einem
bestimmten Krankheitsfall das erregende Krankheitsmoment nicht zu be-
seitigen ist oder dass nach wirklicher Beseitigung desselben die normale
Funktion der affizierten Muskeln trotzdem nicht wiederhergestellt werden
kann, so müssen wir wenigstens darnach trachten, einen funktionellen Aus-
gleich herbeizuführen, der eine normale oder doch wenigstens gebrauchs-
tüchtige Stimme zum Ziele hat.
In neuerer Zeit haben hier nun die sog. mechanischen Behandlungs-
methoden sich einzubürgern begonnen, welche entweder komprimierend oder
dehnend, also durch Druck oder Zug wirken. Durch diese suchte man
temporär Lageverschiebungen einzelner Teile des Larynx herbeizuführen,
denen dann aus hier nicht weiter zu erörternden Gründen häufig dauernde
zufriedenstellende Resultate zu folgen pflegten. Bekannt ist z. B. der sog.
Flatausche Handgriff, der auf Zugwirkung beruht. Er besteht darin, dass
man mit dem Zeigefinger über die Epiglottis hinweg in die Gegend der
vorderen Kommissur des Larynx eingeht und nun einen kräftigen Zug nach
vorn ausübt. Dieser Handgriff soll nach den Berichten seiner enthusiasti-
schen Verehrer durch direkte Einwirkung auf die in den Stimmbändern
gelegenen Musculi thyreoarytaenoidei interni, wahrscheinlich aber nur rein
suggestiv bei geeigneten Patienten, oft günstige Wirkungen ausüben.
180 H. Röhr, Ein universeller Apparat zur Kompressionsbehandlung.
Natürlich kann man auch eine ähnliche Wirkung durch Druck auf die Schild-
knorpel von aussen erreichen. Am einfachsten wird diese dadurch ausge-
führt, dass man mittels Daumen und Zeigefinger der einen Hand die Carti-
lagines thyreoideae zusammenpresst. Dadurch erfolgt eine Streckung und
Spannung der Chordae vocales und somit eine mehr oder weniger wirk-
same therapeutische Beeinflussung derselben.
Es ist wohl anzunehmen, dass jeder Kehlkopfarzt diesen einfachen
Griff aus eigener Initiative heraus bereits angewandt hat. Ein Prioritäts-
streit über Kompressionsbehandlung der Dysfunktionen der Muskeln des
Larynx wird sich daher nicht zu entspinnen brauchen. Die günstige Ein-
wirkung der Kompression beider Thyreoidknorpel ergibt sich sofort da-
durch, dass die vorher schwache oder heisere Stimme lauter und klarer wird.
Leider reicht die Kraft der Finger und auch die zur Verfügung stehende
Zeit nicht aus, einen genügend starken und dauernden Druck auszuüben.
Es war daher natürlich, dass man daran dachte, die Fingerkompression
durch maschinelle Konstruktionen zu ersetzen.
Solcher Kompressorien sind bereits mehrere angegeben worden. Ich
arbeitete seinerzeit mit einer Konstruktion von Katzenstein. Man kann
in der Tat mit diesem Instrument unter völliger Ausschaltung der Hand
des Arztes einen ziemlich starken Druck dauernd auf den Kehlkopf aus-
üben. Erreicht wird dieses dadurch, dass zwei Gummikissen über je drei,
.zu beiden Seiten des Halses senkrecht stehenden dünnen: Metallstangen,
welche auf einem an den Schultern des Patienten festgeschnallten Schulter-
gürtel montiert sind, mittels mit Schnallen versehener Gummibänder fest
an den Kehlkopf gezogen werden. Je nach der Stärke des Anziehens der
Gummibänder kann man auch den Druck in gewisser Hinsicht regulieren.
Trotz mancher Vorzüge befriedigte mich aber der Apparat nicht. Ob-
wohl nicht übersehen werden kann, dass sich nicht ungünstige Einwirkungen
speziell bei Rekurrenslähmungen erkennen lassen, musste dennoch der leb-
hafte Wunsch nach Verbesserung erregt werden. Vor allem störte mich
die oft grosse Ausdehnung annehmende venöse Stauung im Bereich der
Gefässe des ganzen Kopfes. Diese wurde durch den nicht zu vermeidenden
Druck der relativ grossen Gummikissen auf die grossen Halsgefässe her-
vorgerufen. Selbst Abänderung ihrer Form konnte dies nicht vermeiden.
Wenn man nun berücksichtigt, dass z. B. die Rekurrenskranken zum grossen
Teil Arteriosklerotiker sind, so war es ganz natürlich, dass mit diesem
Kompressionsapparat armierte Patienten, die oft ziemlich blau und ge-
dunsen aussahen, in Gefahr gerieten, eine Apoplexie zu bekommen. Man
konnte sich in der Tat oft des Gefühls nicht erwehren, dass auf diese
Weise die Kompressionsbehandlung event. unangenehme Komplikationen
von seiten des doch immerhin schon alterierten Gefässsystems auslösen
würde. Weiterhin fiel mir in einem Fall von sehr rigidem, stark ver-
knöchertem Kehlkopf auf, dass der Druck nicht ausreichte, diesen starken
Larynx zum Nachgeben zu bewegen. Weiterhin ist es mit diesen relativ
grossen Gummikissen infolge der eigenartigen Konstruktion des Apparates
H. Röhr, Ein universeller Apparat zur Kompressionsbehandlung. 181
auch nicht möglich, den Druck exakt auf eine bestimmte Stelle des immer-
hin relativ kleinen Kehlkopfes einwirken zu lassen. Schliesslich musste
es auch als Uebel empfunden werden, dass der Apparat nur von beiden
Seiten aus zu wirken vermochte und für einseitige Kompression, wie sie
doch so häufig verlangt wird, nicht verwandt werden kann.
Diese Erwägungen veranlassten mich, an die Konstruktion eines neuen,
diese Fehlerquellen möglichst vermeidenden Apparates heranzutreten. Ich
hoffe, dass mir dieses mit der dankenswerten Mithilfe der Firma Rudolf
Detert, Berlin, gelungen ist.
Als Stütze und Halt für den Apparat benutze ich ebenfalls die Schultern
des Patienten. Auf diesen werden zwei Schulterstücke aus Hartleder, von
denen jedes zur besseren Adaptierung in seiner Mitte durch Scharnier-
gelenke beweglich gemacht ist, durch gepolsterte Riemen, welche unter
den Armen durchgeführt werden, festgeschnallt. Dadurch erreiche ich im
Gegensatz zu früheren Modellen eine viel grössere Anpassungsfähigkeit an
die verschiedenen Körpergrössen. Um nun aber diese auf den Schultern
jetzt gut anliegenden Stücke gegenseitig so zu fixieren, dass sie gewisser-
massen einen starren, unbeweglichen Rahmen bilden, werden sie am Rücken
durch einen Riemen zusammengeschnallt. Vorn auf der Brust vollzieht
sich der Zusammenhalt durch einen starren Metallstab. Dieser ist an dem
einen Schulterstück fest, aber doch drehbar, angenietet, liegt ihm und damit
der Brust jedoch nicht dicht auf, sondern bleibt einige Zentimeter von ihr
entfernt. Dieses ist dadurch bewirkt worden, dass der Stab von seiner
Nietstelle ab zunächst in einem kleinen, nach aussen konvexen Bogen ver-
läuft und dann erst parallel zur Brust weiter geht. Das andere Schulter-
stück trägt eine festgenietete, auch etwas bewegliche, gleichfalls sich ab-
hebende kleine Hülse, in welche der Metallstab hineingeschoben und durch
eine Schraube befestigt werden kann.
Dieser Metalistab selbst ist nun Träger der beiden wichtigsten Be-
standteile, des Stützapparates für den Larynx und des Kompressoriums.
Beide werden einfach vor Anlegen des Schultergürtels durch ihre Hülsen
auf den Metallstab geschoben und können hier durch Schrauben in be-
liebiger Weise zur Fixation gebracht werden.
Wie schon aus dem Namen ersichtlich, dient der eine von beiden nur
dazu, dem Kehlkopf die notwendige Stütze zu verschaffen und trägt des-
halb auf seiner Hülse eine senkrecht stehende Stange, auf der die Pelotte
zur Stütze des Kehlkopfes befestigt werden kann. Da dieselbe der Pelotte
des Druckapparates völlig gleicht, soll sie bei diesem beschrieben werden.
Letzterer trägt über der Hülse, fest mit dieser verbunden, eine hori-
zontale Scheibe, welche rund ist und etwa 225° eines Kreises beträgt. Auf
dieser Kreisscheibe ist drehbar eine vierkantige Schiene angebracht. Die
Drehbarkeit ist dadurch hervorgebracht, dass die Mitte der Schiene sowohl
wie der Scheibe durchbohrt ist und dass beide durch eine gemeinsame
durchgehende Schraube zusammengehalten werden. Ich bin also in der
Lage, diese Schiene in einer horizontalen Kreisebene von 225° zu drehen
Archiv für Laryngologie. 29. Bd. 2. Heft. 13
152 H. Röhr, Ein universeller Apparat zur Kompressionsbehandlung.
und kann irgend eine gewünschte Lage derselben durch eine Schraube
fixieren. Die beiden Enden dieser Schiene sind rechtwinklig aufgebogen
und tragen eine sog. unendliche Schraube, welche auch durch den über
die Schiene mittels vier Armen übergreifenden Fuss einer senkrecht stehen-
den Metallstange geht. Durch Drehen der unendlichen Schraube nach
links wird diese Stange nach dem Kehlkopf, durch Drehen nach rechts
von ihm fortbewegt. Ebenso wird durch Drehen der Schiene um die
Scheibe der Stab um seine senkrechte Achse herumgedreht und mit ihm
auch die an ihm zu befestigende Pelotte.
Die Konstruktion dieser Pelotte gibt derselben noch extra eine ganz
besondere Bewegungsmöglichkeit. Eine durchbohrte Hülse umfasst an ihrem
offenen Ende eine in ein kleines Stäbchen auslaufende Kugel. Diese kann
durch dieselbe Schraube, welche die mit ihrer Durchbohrung auf die senk-
rechte Stange geschobene Hülse feststellt, in jeder gewünschten Lage
fixiert werden. Letzteres geschieht dadurch, dass im Moment des Fest-
drehens der Schraube ein in der Hülse befindliches kleines Metallplättchen
gegen die Kugel gepresst wird. Auf das von der Kugel ausgehende Stäb-
chen kann nun eine Pelotte geschoben werden, welche am bequemsten der
einer Elektrode nachgebildet ist. Zu diesem Zweck ist die Pelotte auf
einem Hohlstab befestigt. Sie ist entweder mit Leder oder mit Filz über-
zogen.
Die Pelottenplatten, welche sich in jeder gewünschten Grösse ausführen
lassen, stehen nun nicht senkrecht zu ihren Hohlstäbchen, sondern in einem
Winkel, welcher auf der einen Seite ein spitzer, auf der anderen Seite ein
stumpfer ist. Diese Anordnung ist deshalb gewählt, um auf die Seiten-
wand des Kehlkopfes, welche ja von hinten aussen nach vorn innen ver-
läuft, einen überall gleichmässigen Druck ausüben zu können, falls man,
wie es meist geschieht, diesen senkrecht zur Vertikalebene des Körpers
wirken lässt. Zu diesem Zweck werden die Pelotten mit ihrem stumpfen
Winkel nach vorn gedreht.
Wünscht man aber einen stärkeren Druck auf die hinteren Teile des
Larynx auszuüben, so kann man auch die Pelotten umgekehrt stellen, also
den spitzen Winkel nach vorn.
Selbstverständlich kann man auch Pelotten in jeder anderen Form
anwenden, je nach dem Zweck, den man zu erreichen wünscht.
Da die Beobachtung gemacht werden konnte, dass Patienten nach An-
legung des Apparates den Kopf häufig nach rückwärts bewegen und so in
die Lage kommen können, den Kehlkopf aus den Pelotten zu befreien, was
um so leichter möglich ist, als der Larynx nach vorn zu bedeutend
schmaler als hinten ist, so musste zur Fixation des Kopfes noch ein Kopf-
halter angebracht werden. Derselbe besteht aus einem gebogenen Stück
Hartleder, welches am unteren Rande zur besseren Adaptierung des Nackens
konkav ausgeschnitten ist und durch zwei Riemen mit der Schmalseite
nach unten auf den beiden Schulterplatten befestigt werden kann. Auf
diese Weise liegt der Kopf nun fest, welcher nun nicht nur am Zurück-
H. Röhr, Ein universeller Apparat zur Kompressionsbehandlung. 183
weichen nach hinten gehindert wird, sondern auch dauernd das richtige
Gefühl der normalen Haltung erhält.
Das Anlegen des Apparates in einem Fall von Rekurrensparalyse z. B.
geschieht nun folgendermassen: Die beiden Schultergürtel werden auf beide
Schultern des Patienten gelegt, nachdem vorher die beiden die Pelotten
tragenden Apparate auf den vor der Brust liegenden starren Metallstab
Figur 1.
<— Stumpfer Winkel
Spitzer Winkel
Pelotte
Figur 2.
Richtung der Pelotten auf die Schildknorpel, senkrecht zur Sagittalebene
des Körpers. Stumpfer Winkel der Pelotte nach vorn. (ileichmiissiger Druck
i auf die Schildknorpel.
Figur 3.
Spitzer Winkel nach vorn. Stärkerer Druck auf die hinteren Teile
der Schildknorpel bzw. der Aryknorpel.
geschoben worden sind. Sie hängen zunächst noch lose herunter. Dann
wird der Metallstab in seine Hülse geführt und fixiert durch Anziehen der
Hülsenschraube. Es ist darauf zu sehen, dass die Schulterstützen nicht zu
nahe, aber auch nicht zu weit vom Halse entfernt liegen. Der Apparat
soll dem Patienten bequem auf der Schulter liegen. Nun erfolgt Fest-
ziehen und Schliessen der unter den Armen herumlaufenden gepolsterten
Riemen. Die Festlegung wird vollendet durch Festschnallen des Riemens
13*
184 H. Röhr, Ein universeller Apparat zur Kompressionsbehandlung.
am Rücken. Der nun unverrückbar festliegende Schultergürtel darf den
Kranken weder drücken noch ihn in seiner Atmung stören. Patient darf
seine Kleidung am Körper behalten und hat vorher nur den Kragen abzu-
legen oder sonst für Freilegung des Kehlkopfes zu sorgen. Es folgt nun
das Festschnallen der Kopfstütze in einer Lage des Kopfes, welche seiner
sonstigen natürlichen Haltung entspricht. Jetzt richte ich zunächst den
noch herabhängenden Stützapparat auf, bringe die Pelotte in eine Höhe
des Larynx, welche etwa dem Aryknorpel entspricht und stelle sie so fest,
dass sie in der Frontalebene des Kopfes steht und ihre Richtung ungefähr
senkrecht zur Sagittalebene des Körpers hat. Darauf neige ich die die
Pelotte tragende Metallstange nach dem Patienten zu und schiebe dieselbe
so weit nach dem Kehlkopf. bis die Pelotte den Larynx ein wenig aus der
Figur 4.
Mitte nach der gegenüberliegenden Seite gedrängt hat und auf dem Ary-
knorpel liegt. Nun erfolgt seine Fixierung in dieser Lage durch die ent-
sprechende Schraube.
Nachdem dieses geschehen, richte ich den Druckapparat auf, stelle
die Pelotte ebenfalls in Höhe des Aryknorpels ein in gleicher Weise, wie
es eben beschrieben wurde, und schiebe ihn nun der anderen Kehlkopfseite
bis zur Berührung des Aryknorpels entgegen, worauf ich ebenfalls durch
Schraube fixiere. Gut’ angelegt sollen nun beide Pelotten, den Larynx
zwischen sich fassend, sich gegenüber stehen derart, dass die Hülse der
einen gewissermassen die geradlinige Verlängerung der anderen ist. Sollten
letztere noch nicht genau senkrecht zur Sagittalebene des Körpers stehen,
so kann eine besonders genaue Einstellung der Druckpelotte durch Drehen
der Laufschiene auf der Kreisscheibe erreicht werden. Natürlich muss die
Schiene nach erfolgter endgültiger Feststellung der besten Lage durch ihre
Schraube festgeschraubt werden, da sich sonst die Pelotte bewegen würde.
H. Röhr, Ein universeller Apparat zur Kompressionsbehandlung. 185
Hiermit ist nun die Anlegung des Gesamtapparates beendet. Man kann
diese gewissermassen als Normalstellung bezeichnen. Jetzt habe ich nur
noch nötig, das Kompressorium in Tätigkeit zu setzen. Zu diesem Zweck
beginne ich die sog. unendliche Schraube nach links zu drehen und be-
merke, dass es immer zweckmässig ist, dieselbe vor Anlegen des Appa-
rates auf ihre Anfangsstellung durch Drehen nach rechts zurückzustellen,
um gegebenenfalls ihre ganze Länge ausnutzen zu können.
186 H. Röhr, Ein universeller Apparat zur Kompressionsbehandlung.
Die Drehung nach links hat langsam zu geschehen, um den Patienten
an den Druck zu gewöhnen, ihm Schmerzen zu ersparen und Schädigungen
spröder und verknöcherter Kehlköpfe zu vermeiden. Die vorrückende Pelotte
schiebt nun den Aryknorpel der einen Seite der anderen Seite allmählich
entgegen. Man lässt dabei den Patienten öfters laut phonieren. Die vor-
her rauhe Stimme wird bald klarer, bzw. die vorher tonlose bekommt
Klang. Hat man dieses erreicht, so hört man mit der Drehung der Schraube
auf. Selbstverständlich kann man den Druck auch noch darüber hinaus
steigern, falls der Patient die Steigerung verträgt.
Ich möchte aber nochmals betonen, in den ersten Sitzungen den Druck
nicht übermässig auszuüben. Man wird leicht dazu verführt, wenn man
bemerkt, um wie vieles leichter die Stimme anspricht und mit wieviel
geringerer Luftverschwendung der Kranke phoniert. Doch dauert es ge-
wöhnlich nicht lange, bis die Patienten einen ganz gehörigen Druck aus-
zuhalten imstande sind. Immer ist jedoch darauf zu achten, dass die
Kompression nicht den normalen Schluckakt hindert und den Larynx beim
Schlucken allzu sehr in seinem Emporsteigen stört.
Den Apparat lasse ich gewöhnlich 1—2 Stunden tragen und ihn täg-'
lich anwenden. Im allgemeinen habe ich bei Rekurrenslähmungen den
Druck auf die gesunde Larynxseite einwirken lassen, dem Bestreben der
Natur folgend, bei Kompensation einseitiger Paralysen das gesunde Stimm-
band zur kranken hinüber zu legen. Die gelähmte Seite erhielt dann die
Stiitzpelotte. Natürlich kann auch der umgekehrte Weg versucht werden.
Das wird immer von der Eigenart des Falles abhängen.
Mittels des Kehlkopfspiegels kann man die Wirkung der Kompression
ebenfalls verfolgen. Man kann mit seiner Hilfe auch die Feststellung ver-
suchen, welche Seite sich besser zur Kompression eignet.
Der Apparat kann ebenfalls für die nicht gerade zu den Häufigkeiten
gehörenden doppelseitigen Rekurrensparalysen angewandt werden. Auch
bei Internusparesen habe ich ihn angewandt, wie sie so häufig bei akuten
oder chronischen Laryngitiden auftreten; desgleichen nach Operation von
Sängerknötchen, falls noch einige Zeit darnach Schwäche der Stimmbänder
bestehen blieb. Hier ist es aber zweckmässig, den Apparat so anzulegen,
dass die Kompression besonders die Cartilagines thyreoideae betrifft.
Dadurch werden die Chordae vocales straffer gespannt und linear einander
genähert. Es ist immer erfreulich, dann zu hören, wie die Stimme mit
dem angelegten Apparat klarer wird und mühelos anspricht. In gleicher
Weise kommen für eine Behandlung mit dem Apparat auch die Motilitäts-
störungen der übrigen Kehlkopfmuskeln in Betracht, ebenso die von Gutz-
mann als habituelle Stimmbandlähmungen bezeichneten Stimmstörungen.
Ein weiteres Anwendungsgebiet dürfte auch die Behandlung der hysterischen
Stimmstörungen abgeben. Gute Dienste leisten müsste der Apparat behufs
Ausgleichs von Niveaudifferenzen in der Lage der Stimmbänder, sei es,
dass diese angeboren oder artefiziell entstanden sind. Die universelle Ein-
stellung der Pelotten erlaubt eine Druckwirkung in allen Richtungen. So
H. Röhr, Ein universeller Apparat zur Kompressionsbehandlung. 187
ist man z. B. leicht imstande, auf der einen Seite eine Kompression von
oben nach unten auszuüben und den Gegendruck auf der anderen Larynx-
seite von unten nach oben gleichzeitig wirken zu lassen.
Die Hauptvorteile meines Apparates gegenüber anderen Kompressorien
erblicke ich in seiner universellen Gestaltung. Er ist zunächst für jeden
Patienten passend und grossen, kleinen, dicken und dünnen Personen in
gleicher Weise bequem anzulegen. Da er bei völligem Fortfall jeglichen
Druckes auf die Jugularis auch die geringste Stauung im Gebfete des
venösen Systems des Kopfes und des Halses vermeidet, so vermeidet er
mancherlei Gefahren. Alle Patienten sehen nach Schluss der Sitzung noch
ebenso frisch aus wie bei Beginn. Weiterhin ist die Möglichkeit gegeben,
besonders einseitig Druck ausüben zu können und diesen Druck in jeder
gewünschten Richtung auf den Larynx einwirken zu lassen. Die Kom-
pression kann in weitgehendster Weise abgestuft, auf das feinste reguliert
und sowohl von links wie von rechts ausgeübt werden. Dabei ist die
Handhabung relativ einfach, so dass er sich auch zum Selbstgebrauch für
Patienten eignet, nachdem sie vom Arzte die exakte und für sie geeignete
Applikationsweise bald gelernt haben. Schliesslich kann die Kompression
auch mit Anwendung des elektrischen Stromes gleichzeitig verbunden
werden. Zu diesem Zwecke habe ich nur nötig, über die Kugelstäbchen
zur Isolierung einen feinen Gummischlauch zu ziehen und darüber ein paar
Metallpelotten als Elektroden zu schieben.
So hoffe ich, dass der Apparat!) bei den Herren, welche sich mit der
Kompressionsbehandlung beschäftigen, eine freundliche Aufnahme finden wird.
1) Derselbe wurde in Kiel gelegentlich der Tagung der Deutschen Laryngo-
logen demonstriert. Er ist durch die Firma Rudolf Detert, Berlin, Karlstr. 9, zu
beziehen.
XV.
Aus der Klinik von Prof. Th. Gluck und Dr. J. Soerensen.
Zwei Fiille von Totalexstirpation der Trachea
wegen Carcinom.
Von
J. Soerensen.
(Hierzu Tafel VII.)
Die beiden Fälle von Trachealcarcinom, die in dieser Arbeit besprochen
werden sollen, verdienen, dass über sie etwas ausführlichere Mitteilungen
gemacht werden. Sie sind nämlich mittels eines Verfahrens operiert worden,
das völlig neu und bisher noch nie angewandt worden ist, — mittels der
Totalexstirpation der Trachea. Den ersten der beiden Fälle habe ich selbst
operiert, bei der Operation des zweiten Falles habe ich Herrn Prof. Gluck
assistiert und dieser hat mir freundlichst gestattet, den Fall mit dem meinigen
zusammen hier zu veröffentlichen.
Die Prognose der malignen Tumoren der Luftröhre ist bisher als eine
ausserordentlich ungünstige zu bezeichnen. Die Patienten, die an einem
Sarkom oder Carcinom der Trachea litten, sind der Krankheit fast aus-
nahmslos erlegen. Zunehmende Stenose der Luftröhre, Blutungen und Zerfall
der Geschwulst oder Uebergreifen des Tumors auf die Nachbarorgane, den
Oesophagus, die grossen Gefässe oder die Lungen haben den letalen Aus-
gang herbeigeführt. In früherer Zeit fehlte es schon an der Möglichkeit,
die Diagnose des Leidens zu stellen, und die Krankheit wurde entweder
garnicht oder doch erst auf dem Sektionstisch erkannt. Daraus erklärt
sich auch, dass aus der Zeit vor der Entdeckung des Kehlkopfspiegels nur
über ganz vereinzelte Fälle von Trachealgeschwülsten berichtet wird. Aber
auch mit dem Kehlkopfspiegel war es nicht immer leicht und bei den
dyspnoischen und oft halb erstickten Patienten häufig genug unmöglich,
mit Sicherheit zu bestimmen, ob die Trachealstenose durch einen malignen
Tumor bedingt war, namentlich dann, wenn die Verengerung in den tieferen
Abschnitten des Luftrohres ihren Sitz hatte. Erst nachdem wir in der
Lage sind, mit dem Tracheoskop die Luftröhre direkt zu besichtigen und
durch das Rohr hindurch mit der Schlinge oder mit schneidenden Instru-
menten Partikel der Geschwülste für die mikroskopische Untersuchung zu
entnehmen, ist die Möglichkeit einer exakten topischen und anatomischen
Diagnose gegeben. Gleichzeitig vermögen uns die Oesophagoskopie und die
Archiv F_ Laryngologie Bd.R9.
Fig. 2. Fig. Fig. 5,
Fig 1,
Tumor von Fall I. Vorderansicht, Tumor von Fall I, Seitenansicht. Tumor von Fall I.
”% Natürl. Grosse. » Natürl. Grosse. % Natiirl. Grosse.
iiy. O.
29:8.
Í
1 N. vagus dext. 2 A. anonyma. 8 Aro. aortae. 4 Bronchus sin. & N. recurr. sin.
6 N. vagus sin. 7 Ven. anonyma sin. 8 A. thyreoid. ima. 9 Ven. jugul. comm.
L.J. Thomas, Lith. Inst Berlin S.53.
J. Soerensen, Totalexstirpation der Trachea wegen Carcinom. 189
Durchleuchtung mit Röntgenstrahlen wichtige Aufschlüsse über die Be-
ziehungen der Geschwiilste zu den Nachbarorganen zu liefern. Wir sehen
denn auch, dass sich in neuerer Zeit die Mitteilungen über frühzeitig er-
kannte und nach ihrem Sitz und ihrer anatomischen Beschaffenheit genau
bestimmte Tumoren der Luftröhre auffällig mehren und es dürfte sich bald
ergeben, dass die bisher gültige Annahme, nach der primäre maligne
Neoplasmen der Trachea verhältnismässig sehr selten vorkommen, einer
Revision bedarf!).
Auch in unseren beiden Fällen war von den Herren Professoren Wagener
und Heymann der Sitz der stenosierenden Geschwülste in den untersten
Partien der Luftröhre mittels der Tracheoskopie erkannt und ihre carcino-
matöse Beschaffenheit durch mikroskopische Untersuchungen entnommener
Gewebsstückchen festgestellt worden. Ausserdem konnten sie durch das
Oesophagoskop nachweisen, dass die Speiseröhre in beiden Fällen völlig
intakt war. Dagegen war es bei beiden Patienten nicht möglich gewesen,
mit Sicherheit zu bestimmen, wie weit der Tumor nach unten reichte und
ob zwischen seiner Untergrenze und der Bifurkation der Luftröhre noch ein
Streifen intakten Gewebes vorhanden wäre. Ueber diese Frage, nach deren
Beantwortung es ja überhaupt erst möglich war, zu entscheiden, ob eine
Exstirpation des Tumors denkbar wäre, sind wir erst ins Klare gekommen,
nachdem wir von einem weiten Tracheostoma aus ein Rinnenspekulum ein-
führen und den untersten Teil der Luftröhre aus der Nähe betrachten konnten.
Bei dem ersten unserer beiden Fälle konnten wir auch noch mittels
direkter Betastung uns über Beschaffenheit, Sitz und Grenzen der Geschwulst
orientieren. In diesem Falle war nämlich die Trachea so weit, dass man
mit dem Finger durch das angelegte Tracheostoma eingehen und sich über-
zeugen konnte, dass erstens zwischen dem Unterrand des Tumors und der
Bifurkation ein gesunder Schleimhautstreifen von etwa 2 cm Breite vorhanden
war und dass zweitens die Trachea samt dem Tumor sich gegen die Um-
gebung sowohl seitlich als auch nach auf- und abwärts in ziemlich weiten
Grenzen leicht verschieben liess, dass also eine festere Verwachsung der
Geschwulst mit den Nachbarorganen mit einiger Sicherheit auszuschliessen
war. Bei dem zweiten Patienten war die Trachea sehr eng, so dass es un-
möglich war, den Finger einzuführen.
Wir sehen also, dass durch die modernen Untersuchungsmethoden die
Diagnostik der Trachealtumoren hinreichend ausgebildet worden ist, um uns
zu ermöglichen, die Frage nach der Operabilitaét dieser Geschwiilste mit
einiger Sicherheit zu beantworten. Indessen haben mit diesen Fortschritten
der Diagnostik die therapeutischen Erfolge in keiner Beziehung Schritt ge-
halten. Es ist bis jetzt erst in ganz vereinzelten Fallen der Versuch zu einer
radikalen Entfernung der Tumoren gemacht worden, im iibrigen hat man
sich auf palliative Massnahmen oder medikamentése Behandlung beschrankt.
1) P. Heymann, Beitrag zur Kenntnis des primären Carcinoms der Luft-
röhre. Zeitschr. f. Laryngol. 1914.
190 J. Soerensen, Totalexstirpation der Trachea wegen Carcinom.
In einigen wenigen Fällen ist eine vorübergehende Besserung der
Stenosenerscheinungen aufgetreten, nachdem die Kranken polypöse Gebilde
von carcinomatöser Struktur ausgehustet hatten. Ein Patient von Pröbsting
lebte nachher noch 9 Monate, ein anderer, den M. Schmidt beobachtete,
war sogar noch mehrere Jahre später am Leben. Bei diesen Vorgängen
handelte es sich ohne Zweifel darum, dass von der Oberfläche des Tumors
papilläre Exkreszenzen aufschiessen, die unter dem Einfluss des vorbei-
gepressten lJuftstroms allmählich einen Stiel bekommen und eine polypöse
Form annehmen. Diese Polypen können, wenn sie tief unten sitzen, ge-
legentlich in das Lumen eines Bronchus aspiriert werden und dann schwere
Erstickungsanfälle hervorrufen. In dem zweiten unserer Fälle konnte
P. Heymann diesen Vorgang mit dem Tracheoskop beobachten und den
Polypen auf endotrachealem Wege entfernen. Der Kranke vermochte darauf
wieder frei zu atmen und hielt sich für geheilt, bis mit dem Wachsen und
der Volumenszunahme der eigentlichen Geschwulst die Stenosenerscheinungen
wieder auftraten.
Endotracheale Eingriffe werden naturgemäss für gewöhnlich nichts
weiter leisten können, als dass durch sie diejenigen Geschwulstpartien, die
über die Oberfläche hinaus in das Tracheallumen hineinragen, entfernt
werden. Dadurch lässt sich dann eine vorübergehende Erleichterung der
Atembeschwerden erzielen. Der Weg wird frei, bis der Tumor wieder nach-
wächst. Eine radikale Entfernung der Geschwülste ist auf diesem Wege
im allgemeinen unmöglich, da die Tumoren mit breiter Basis in der Tracheal-
wand inserieren. So ist es denn auch in unserem Falle Heymann nicht
gelungen, mit schneidenden Zangen und mit Elektrolyse den Tumor zu
entfernen. Soweit mir bekannt ist, wurde nur in einem Falle bei einer
bösartigen Geschwulst ein Dauererfolg erzielt. Es ist dies der berühmt
gewordene Fall von Killian, bei dem ein gestielter Tumor von sarkoma-
tösem Bau auf endotrachealem Wege mit der Schlinge entfernt wurde. Der
Fall blieb jahrelang unter Beobachtung, es trat kein Rezidiv auf. Für ge-
wohnlich, und bei Carcinomen wohl immer, wird das Resultat dieses sein,
dass die Geschwulst, mag man auch noch soviel von ihrer Oberfläche ab-
tragen, in der Tiefe weiterwächst und über einen immer grösseren Teil des
Trachealumfangs sich ausdehnt.
Von den chirurgischen Eingriffen im engeren Sinne kommt die Tracheo-
tomie nur als Palliativoperation in Betracht. Sie ist übrigens nicht immer
leicht auszuführen, denn wenn der Tumor an der Vorderseite der Luftröhre
seinen Sitz hat, muss man gelegentlich sich mitten durch die Tumormasse
hindurch seinen Weg bahnen, wobei sehr unangenehme Blutungen auftreten
können. Uns selbst ist es in einem solchen Falle nur unter sehr grossen
Schwierigkeiten gelungen, in das Tracheallumen vorzudringen und eine
Kanüle einzuführen. Bei tief sitzenden Geschwülsten ist es schwierig, mit
dem unteren Kanülenende an der stenosierenden Geschwulst vorbei und in
den untersten freien Teil der Luftröhre zu gelangen. In dem ersten der
beiden hier beschriebenen Fälle mussten wir eine lange biegsame Hummer-
J. Soerensen, Totalexstirpation der Trachea wegen Carcinom. 191
schwanzkanüle mit Anwendung ziemlich grosser Gewalt durch die steno-
sierte Stelle hindurchschieben. Indiziert ist die Tracheotomie bei inope-
rablen Fällen zur Linderung der Atemnot. Bei operablen Fällen führen
wir sie als Voroperation aus, um die eigentliche Operation in grösserer
Ruhe nach Behebung der Dyspnoe machen zu können.
In einigen Fällen hat man eine Tracheofissur gemacht und dann ver-
sucht, das Neoplasma mit Messer uud Schere, mit dem scharfen Löffel oder
mit dem Glühbrenner zu entfernen. . Die Resultate sind nicht ermutigend
gewesen. In den Fällen, wo die Kranken den Eingriff überstanden, trat
nach kürzerer oder längerer Zeit unfehlbar ein lokales Rezidiv auf.
Das einzige Operationsverfahren, das geeignet ist, durch radikale Ent-
fernung des Neoplasmas eine definitive Heilung anzubahnen, ist die quere
Resektion des befallenen Trachealteiles möglichst weit von den Grenzen
des Tumors entfernt. Derartige quere Resektionen der Luftröhre sind bisher
noch nicht allzu häufig ausgeführt worden. Prof. Gluck und ich haben
zuerst quere Segmente des Halsteiles der Trachea herausgeschnitten wegen
Narbenstenosen nach Intubationen und Tracheotomien. Der Larynx blieb
dabei erhalten und, da die Nn. recurrentes sorgfältig geschont wurden,
auch funktionsfähig. Der Defekt in der Luftröhre wurde entweder durch
End-zu-Endvereinigung der Resektionsstiimpfe oder durch plastische Ope-
rationen mittels Hautlappen gedeckt. In ähnlicher Weise haben dann
Koschier und Grey Turner operiert!).
Mit dem Larynx zusammen haben wir selbst und andere Chirurgen
grössere oder kleinere Stücke der Luftröhre entfernt wegen bösartiger Ge-
schwülste, die vom Kehlkopf, der Speiseröhre oder der Schilddrüse her in
die Trachea hineingewachsen waren. Auch wegen Rezidiv am Tracheal-
stumpf nach Larynxexstirpation haben wir in einer grösseren Anzahl von
Fällen Resektionen der Trachea ausgeführt.
Dagegen ist bisher die Radikaloperation eines primären Carcinoms der
Luftröhre mittels Resektion der Trachea und mit Erhaltung des Kehlkopfs
erst zweimal ausgeführt worden und zwar von v. Bruns?) und von
Schmiegelow?).
In dem v. Brunsschen Falle wurde bei einem 3ljährigen Patienten
wegen einer carcinomatös entarteten intratrachealen Struma die hintere und
die linke Seitenwand der Trachea in einer Ausdehnung von zehn Tracheal-
ringen reseziert. Es handelte sich also nicht um eine quere Resektion.
Vier bis fünf Jahre Wohlbefinden, dann im sechsten Jahre Exitus unter
Stenosenerscheinungen, also wohl wegen Rezidivs. Schmiegelows Fall
ist der erste einer zirkulären Kontinuitätsresektion der Trachea mit Er-
haltung des Larynx wegen primären Carcinoms. Bei einer 54jährigen
1) Siehe Sargnon und Barlatier, Sténoses laryngo-trachéales. Paris 1910,
A. Maloine. S. 41.
2) v. Bruns, Neubildungen der Luftröhre. Handb. d. Laryngol. Bd. 1.
3) Schmiegelow, Primärer Cancer tracheae. Arch. f. Laryngol. 1909.
Bd. 22. S. 18.
192 J. Soerensen, Totalexstirpation der Trachea wegen Carcinom.
Patientin, die seit 3 Monaten dyspnoisch war, sah er im Jahre 1901 mit
dem Kehlkopfspiegel 2—3 cm unterhalb der Glottis einen pflaumenförmigen,
von glatter Schleimhaut überzogenen Tumor. Er machte zunächst eine
tiefe Tracheotomie, sodann 2 Monate später die Tracheofissur und entfernte
den Tumor mit Pinzette und scharfem Löffel. Es trat ein Rezidiv auf,
daher wurde 1!/, Jahre später die Trachea noch einmal gespalten und das
von dem Tumor befallene Segment der Trachea nebst dem untersten Teil
des Ringknorpels in einer Gesamtausdehnung von 5!/ cm quer reseziert.
Eine Vereinigung der Enden durch die direkte Naht misslang, Patientin
musste die Kanüle weitertragen. 6 Jahre nach der Operation war die
Kranke noch gesund. Ueber die Erhaltung der Nn. recurrentes und über die
Funktion des Larynx nach der Operation wird in der Arbeit nichts erwähnt.
Sämtliche bisher ausgeführten chirargischen Eingriffe an der Trachea:
Tracheotomien, Tracheofissuren und Resektionen beschränken sich aus-
nahmslos auf den zervikalen Teil der Luftröhre. Der untere, nach abwärts
von der Ebene der oberen Thoraxapertur gelegene Teil des Organs galt
bisher den Chirurgen so sehr als ein noli me tangere, dass die Autoren
nicht einmal die Möglichkeit äusserer Eingriffe in dieser Gegend gelten
lassen. So sagt Schmiegelow in seiner oben erwähnten Arbeit: „Selbst-
verständlich können diese operativen Eingriffe nur in den Fällen von Luft-
röhrenkrebs angewendet werden, wo die Geschwulst in den oberen Teilen
der Luftröhre sitzt.“ Aehnlich äussern sich Sargnon und Barlatier: „Les
tumeurs sessiles ne sont opérables que par voiè externe . . . parfois même
il faut une résection plus ou moins large de la trachée cervicale. La voie
externe n'est applicable évidement qu’à la trachee cervicale.“ Worin die
angenommenen unüberwindlichen Schwierigkeiten bei Operationen am unteren
Trachealteil eigentlich bestehen, darüber werden nirgends nähere Angaben
gemacht. Ich darf jedoch wohl annehmen, dass man der Ansicht war, dass es
1. sehr schwierig sei, sich ohne Nebenverletzungen das eigentliche
Operationsgebiet freizulegen,
2. dass man keinen sicheren Weg sah, während der Operation das
Einfliessen von Blut in die tieferen Luftwege zu verhindern,
3. dass es unmöglich sei, nach Exstirpation des unteren Teiles der
Trachea die Wunde so zu versorgen, dass die freie Zufuhr der Atmungs-
luft gewährleistet und das Herabfliessen von Wundsekret mit seinen ver-
derblichen Folgen gehindert würde.
Der glatte Verlauf der Heilung nach den beiden von uns ausgeführten
Totalexstirpationen der Trachea hat uns gezeigt, dass die Operations-
schwierigkeiten keine uniiberwindlichen sind, auch wenn es sich um die
Entfernung der ganzen Luftröhre handelt; während das erzielte hervor-
ragend gute funktionelle Resultat, sowie der Umstand, dass beide Operierten
bisher von Rezidiv verschont geblieben sind, beweisen, dass der Eingriff
die auf ihn gesetzten Hoffnungen gerechtfertigt hat.
Bevor ich auf die Einzelheiten des angewendeten Operationsverfahrens
eingehe, mögen einige Bemerkungen über die topographisch-anatomischen
J. Soerensen, Totalexstirpation der Trachea wegen Carcinom. 193
Verhältnisse der in Betracht kommenden Halsregion gestattet sein, soweit
sie für den Operateur von Wichtigkeit sind. Dazu gehört in erster Linie
der Umstand, dass Länge- und Querschnittsgrösse der Luftröhre bei den
einzelnen Individuen sehr erhebliche Unterschiede aufweisen. Im allge-
meinen wird man ja annehmen können, dass schlanke Leute mit langem
Hals und langgestrecktem Thorax auch eine lange Luftröhre besitzen,
während kurze, vierschrötig gebaute Menschen eine kurze weite Trachea
haben. Indessen richtet sich die Weite der Trachea doch durchaus nicht
immer nach dem allgemeinen Habitus. Nach unseren Beobachtungen in
vivo haben wir nicht selten bei grazil gebauten Menschen eine Luftröhre
gefunden, die einen weit grösseren als den gewöhnlichen Querschnitts-
durchmesser von 1!/, bis 2 cm hatte, während man andererseits kräftige
Männer findet, deren Tracheallumen nur gerade noch Raum für eine Kanüle
von 1,5 cm äusseren Durchmesser bietet. Nahe am Kehlkopf und dicht
über der Bifurkation ist die Luftröhre etwas enger als in der Mitte. Wie
die Verhältnisse im einzelnen Falle liegen, darüber orientiert man sich am
Lebenden am sichersten durch eine Réntgenaufnahme. Der Querschnitt
der Trachea ist nicht vollrund, sondern hinten etwas abgeplattet, so dass
der Durchmesser von rechts nach links durchschnittlich !/; cm grösser ist,
als der von vorn nach hinten. Dies hängt natürlich damit zusammen,
dass nur die vorderen Dreiviertel des Umfangs von den knorpligen Tracheal-
ringen gestützt werden, während die häutige, weiche Hinterwand dem
Druck der Nachbarorgane — Oesophagus — nachgibt.
Die Länge der Luftröhre beträgt etwa 9—13 cm, die Zahl der Tracheal-
ringe 16—20. Der Bau der Trachea als eines Rohrs, das abwechselnd aus
stützenden Knorpelringen und nachgiebigen elastischen Bändern besteht,
ermöglicht ihr eine ganz erhebliche Verschieblichkeit in seitlicher Richtung,
die ja auch nicht nur normalerweise bei jeder Bewegung des Kopfes in
Anspruch genommen wird, sondern es auch erklärt, dass die Trachea einem
Druck, der etwa durch eine deformierte Wirbelsäule oder durch Geschwülste
der Nachbarorgane auf sie ausgeübt wird, in sehr beträchtlichem Masse
nach der Seite oder nach vorn ausweichen kann, ehe die Funktion gestört
wird. Anders scheint es mir mit der oft behaupteten Ausdehnungsfähigkeit
der Trachea der Länge nach zu stehen. Ich glaube nicht, dass diese in
einem nennenswerten Masse vorhanden ist. Wenigstens habe ich mich am
Präparat nicht überzeugen können, dass man eine Luftröhre durch Zug in
der Längsrichtung erheblich ausdehnen könnte, ohne sie zu zerreissen.
Eine solche Dehnung der Länge nach würde ja auch nur auf Kosten des
Querdurchmessers stattfinden können, also jedesmal eine entsprechende
Verengerung des Lumens bedingen. Es liegt auf der Hand, dass damit
auch eine Störung der Funktion der Luftröhre verbunden sein müsste.
Lageveränderungen in der Längsrichtung der Luftröhre, die ja fortwährend
stattfinden, bei jedem Schluckakt, bei jedem Neigen und Rückwärtsbeugen
des Kopfes, werden also dadurch bewirkt, dass sich die Trachea im
ganzen nach auf- oder abwärts verschiebt, nitht etwa durch
194 J. Soerensen, Totalexstirpation der Trachea wegen Carcinom.
eine Dehnung des Rohrs in sich. Erméglicht wird eine solche Ver-
schiebung der Trachea nach auf- und abwärts dadurch, dass sie mit keinem
Organ ihrer Umgebung mit alleiniger Ausnahme der Schilddriise und des
Anfangsteils des Oesophagus durch feste Bandmassen oder dergleichen ver-
wachsen ist, sondern dass sie ihrer ganzen Länge nach in lockeres, leicht
verschiebliches Bindegewebe eingehüllt ist. Diese Exkursionen in der
Längsrichtung finden normalerweise in einem ziemlich beträchtlichen Um-
fang statt. Man kann leicht an sich selbst konstatieren, dass sich bei
forziertem Rückwärtsbeugen des Kopfes der Unterrand des Ringknorpels
um 1 bis 2 Querfinger breit weiter von der Incisura sterni entfernt, als in
der Mittellage. Wenn also unsere Voraussetzung richtig ist, dass sich bei
diesem Vorgang die Trachea nicht in sich dehnt, so folgt daraus, dass
das untere Ende der Trachea, die Bifurkation und mit ihr die
grossen Gefässe ebenso weit von unten gegen die Thoraxapertur
hinaufsteigen, als sich das obere, laryngeale Ende von der
Thoraxapertur nach oben hin entfernt. Die Wichtigkeit dieser Dinge
für Operationen am thorakalen Teil der Luftröhre liegt auf der Hand.
Nur aus dem Umstand, dass sich der Inhalt des oberen Mittelfellraums
schon unter normalen Verhältnissen in ziemlich weiten Grenzen nach auf-
und abwärts verschiebt, konnte man den Mut schöpfen, die Trachea soweit
nach oben anzuziehen, bis ihr unterster Teil in der Thoraxapertur erreich-
bar und chirurgischen Eingriffen zugänglich wird.
Am Halse wie im Thorax verläuft die Luftröhre ziemlich genau in
der Medianlinie, während sie jedoch mit ihrem Anfangsteil, nur von dem
Isthmus der Schilddrüse und den beiden hier fest zusammenliegenden
Blättern der Fascia propria colli überlagert, dicht unter der Haut liegt,
weicht sie weiter abwärts mehr nach hinten aus und wird von dem oberen
Sternalrand durch eine zwischen die beiden Blätter der Halsfaszie einge-
lagerte lockere Fettmasse, in der die Reste der Thymusdrüse eingesprengt
sind, geschieden. Der Abstand beträgt hier schon 3—4 cm. Wenn man
in Betracht zieht, dass die Trachea in der Höhe des Interstitiums zwischen
6. und 7. Halswirbel beginnt und am Unterrande des 4. Brustwirbels
endet, und ferner, dass die schiefe Ebene der oberen Thoraxapertur hinten
vom Körper des ersten Brustwirbels, vorn von der Incisura sterni, die
ihrerseits der Höhe des 3. Brustwirbels entspricht, bestimmt wird, so ergibt
sich, dass ungefähr die Hälfte der Trachea über der oberen Thoraxapertur
liegt und die Hälfte darunter, dass also Halsteil und Brustteil der Luft-
röhre an Länge einander ungefähr gleichkommen. Die obersten Tracheal-
ringe werden vorn vom Isthmus der Schilddrüse überlagert. Dieser ist
ein ausserordentlich variables Gebilde, bald besteht er nur aus einem
schmalen Streifen zarten Bindegewebes mit spärlichen eingelagerten Follikeln,
bald stellt es sich als ein daumenbreites, derbes, gefäss- und -driisenreiches
Organ dar. An seinem Oberrande verläuft, mit der gleichnamigen Arterie
der Gegenseite anastomosierend, der vordere Ast der Art. thyreoid. sup.
An seinem Unterrande bildet sich aus dem Geflecht des Plexus thyreoid.
J. Soerensen, Totalexstirpation der Trachea wegen Carcinom. 195
impar die Vena thyreoid. ima, die ihrerseits in die Vena anonyma sin.
miindet. Zum Unterrand steigt auch, entweder aus dem Aortenbogen selbst
oder aus der Art. anonyma entspringend, die inkonstante Art. thyreoidea
ima auf. Ist letztere vorhanden, so muss man sie, wie auch die Vene,
nach doppelter Unterbindung durchschneiden, ehe man sich daran macht,
die Vorderfläche der Luftröhre freizulegen.
Ueber den Schilddrüsenisthmus hinweg ziehen die zwischen die beiden Hals-
faszienblätter eingelagerten Zungenbeinmuskeln. In der Mitte bleibt jedoch
immer ein schmaler Streifen von den Muskeln unbedeckt, an dem der Operateur
stets mit Sicherheit erkennen kann, ob er mitseiner Inzisioninder Medianlinie ist.
Unterhalb des Schilddrüsenisthmus liegt zwischen Haut- und Luftröhre
nur das zwischen die beiden Faszienblätter eingelagerte Fettgewebe und
darüber die Zungenbeinmuskeln. An beiden Seiten schiebt sich zwischen
Trachea und dem grossen Gefässnervenstrang des Halses die Schilddrüse
mit ihren Unterlappen hinein. Je nach der Grösse der Drüse reichen
diese verschieden weit nach abwärts, meist aber viel weiter, als das in
den anatomischen Atlanten gezeichnet zu werden pflegt, so dass nur in
den alleruntersten Partien des Halsteils der Trachea diese seitlich an die
in ihre Scheide eingebettete Art. carotis angrenzt.
Die Verbindung zwischen Trachea und Schilddrüse ist nur am Isthmus
eine innigere. Hier ziehen bandartige Streifen Bindegewebes von der Drüse
. zur Vorder- und Seitenfliche der Trachea. Man kann jedoch, wenn man
einmal die Halsfaszie, die an den Ringknorpel fest angeheftet ist, durch
einen Querschnitt gespalten hat, ohne besondere Schwierigkeit mit einem
stumpfen Instrument zwischen Trachea und Schilddrüse eindringen und die
Verbindung lösen. Die Hinterwand der Trachea grenzt an den Oesophagus.
Auf die Divergenz im Verlauf der beiden Organe nach abwärts gehe ich
hier nicht ein, da sie für die Trachealexstirpation bedeutungslos ist. Es
soll nur erwähnt werden, dass der Anfangsteil des Oesophagus an die
Hinterwand der Ringknorpelplatte und die Trachea fest angeheftet ist,
während weiter nach abwärts die Verbindung eine lockere ist und sich
überall leicht auf stumpfem Wege trennen lässt.
Ein Organ, auf das bei allen Operationen an der Trachea, bei denen
der Kelılkopf erhalten werden soll, sehr sorgfältig geachtet werden muss,
da seine Verletzung für den Kehlkopf eine schwere Schädigung bedeutet,
namentlich wenn sie beiderseits stattfindet, ist der N. laryngeus inf. Er
entspringt aus dem N. vagus, der links vor dem Aortenbogen, rechts vor
der Art. anonyma in den Thorax hinabsteigt, und zieht, indem er seiner-
seits die genannten Gefässe nach hinten umgeht, in der Furche zwischen
Trachea und Speiseröhre nach aufwärts zum Kehlkopf empor. Er ist ein
ausserordentlich fragiles Gebilde, das schon durch jede stärkere Quetschung
oder Zerrung in seiner Funktion dauernd geschädigt wird. Man tut gut, ihn
samt dem lockeren Bindegewebe, das ihn einhüllt, vorsichtig von der Trachea
abzustreifen, ohne ihn blosszulegen. Den Vorschlag, ihn frei zu präparieren,
um ihn auf diese Weise besser zu schonen, halte ich für ganz unzweckmässig.
196 J. Soerensen, Totalexstirpation der Trachea wegen Carcinom.
Was den thorakalen Teil der Luftröhre anbelangt, so tritt an seine
Vorderfläche hinter dem Manubrium sterni zunächst die Vena anonyma sin.
heran, die in ziemlich querer Richtung von links nach rechts hinüberzieht,
um sich hinter der rechten Art. sternoclavicularis mit der Vena anonyma
dextra zu vereinigen. Letztere, sowie die aus dem Zusammenfluss beider
entstehende Vena cava sup. stehen nicht mehr in unmittelbarer Beziehung
zur Trachea. Unterhalb der Vena anonyma sin. liegt vor der Luftröhre
der Truncus anonymus, der aus dem Aortenbogen entspringend und nach
rechts und lateralwärts ansteigend die Trachea spitzwinklig kreuzt. Rechts
und links grenzen die Anfangsteile beider Karotiden und lateralwärts und
hinter diesen die Nn. vagi an die Luftröhre. Keines dieser Gefässe und
Nerven geht eine engere Verbindung mit der Luftröhre ein. Sie sind alle
durch lockeres Bindegewebe von ihr geschieden.
Die Bifurkationsstelle der Trachea liegt hinter dem Arcus aortae und
der letztere geht in fast sagittaler Richtung über den linken Bronchus
hinweg zur hinteren Thoraxwand. Auf die Topographie des Lungenhilus
brauchen wir nicht einzugehen, aber es ist zu erwähnen, dass alle Gebilde
des Lungenhilus: Bronchien, Gefässe und Nerven, unter sich und mit dem
Herzbeutel durch ein dichtmaschiges derbes Bindegewebe zusammengehalten
werden, dass sie gegeneinander wenig verschieblich sind und dass also
einem Zug an der Trachea nach oben der ganze Inhalt des Mittelfellraums
folgen muss. (Siehe Taf. VII, Fig. 6.)
Was die Schwierigkeit anbetrifft, die Trachea in ihrer ganzen Länge
aus ihren Verbindungen loszulösen, so muss man sich gegenwärtig halten,
dass die Luftröhre nur oben mit der Schilddrüse und dem Anfangsteil
des Oesophagus durch festere Gewebsmassen verbunden ist, dass sie weiter-
hin in ihrer ganzen Länge von den angrenzenden Organen durch lockeres,
leicht verschiebliches Bindegewebe geschieden wird und dass erst an der
Bifurkation zwischen den Bronchien einerseits und den Lungengefässen,
dem Aortenbogen und dem Perikard andererseits durch derbes Bindegewebe
eine feste Vereinigung zustande kommt. Daraus ergibt sich, dass, wenn
man sich das obere Ende der Trachea dadurch frei gemacht hat, dass man
den Isthmus der Schilddrüse durchtrennt, das Ligamentum annulare quer
abschneidet und den Anfangsteil des Oesophagus von der hinteren Tracheal-
wand ablöst, für die weitere Isolierung des Trachealrohres keine beson-
deren Schwierigkeiten mehr vorhanden sind. Gluck und ich hatten uns
schon lange davon überzeugen können, dass man die Trachea am Halse
mit ganz leichter Mühe isolieren und vor das Niveau der Halswunde her-
ausziehen konnte, wenn es sich darum handelte, grössere Stücke der er-
krankten Halstrachea zu entfernen. Genau so leicht wie der zervikale
lässt sich auch der thorakale Anteil der Luftröhre isolieren. Man kann,
wenn man sich nur hart an das Trachealrohr hält, mit einer Kocherschen
Kropfsonde die lockere Bindegewebshülle abstreifen, ohne jemals in Gefahr
zu kommen, eines der grossen Gefässe des oberen Mittelfellraums anzu-
reissen. Natürlich muss man, um die Luftröhre in dieser Weise zu iso-
J. Soorensen, Totalexstirpation der ‘Trachea wegen Carcinom. 197
lieren, sich das Rohr Schritt fiir Schritt in die Ebene der oberen Thorax-
apertur hinaufziehen, denn ein Arbeiten in der Tiefe des Mediastinalraums
verbietet sich aus vielen Griinden. Dementsprechend miissen die gesamten
Gebilde des Lungenhilus, die grossen Gefässe und das Perikard dem Zuge
folgen. Ob man nun in der Lage sein würde, diesen Zug so weit
zu verstärken, dass man die Bifurkation hinreichend hoch in
das Niveau der Halswunde hinaufziehen könnte, um an ihr zu
operieren, ohne durch den Zug an Bronchien, Gefässen und
Herzbeutel die Respiration und Blutzirkulation in grober Weise
zu schädigen, dafür hatten wir bisher keinen Anhalt. Wir wussten
zwar, dass bei forziertem Rückwärtsbeugen des Kopfes die Trachea ein
ziemliches Stück aus dem Thorax hinaufgezogen wird, wir hatten auch
keine nachteilige Wirkung auf Zirkulation und Respiration verspürt, wenn
wir bei unseren früheren Halsoperationen die Luftröhre kräftig nach oben
angezogen hatten, indessen waren diese Lageveränderungen der Trachea
und der an ihr hängenden Brusteingeweide doch immerhin verhältnismässig
geringfügiger Natur und es blieb zunächst zweifelhaft, ob nicht ein stär-
keres, forziertes Anziehen der Trachea bedenkliche Störungen im Gefolge
haben würde. Diese Befürchtungen sind bei unseren beiden Operationen
erfreulicherweise nicht eingetreten. Bei beiden Patienten ging die Atmung
auch in den Augenblicken, wo der Zug an der Luftröhre am stärksten
war, ungehindert von statten. Auch Störungen der Herztätigkeit kamen
nicht zur Beobachtung. Dabei ist nun allerdings in Betracht zu ziehen,
dass beide Patienten Männer in mittlerem Lebensalter waren, die sonst
keinerlei Krankheitserscheinungen an den Respirations- und Zirkulations-
organen aufwiesen. Ob die Sache bei älteren Individuen mit starrem
Thorax und mit Altersveränderungen an den grossen Gefässen ebenso glatt
ablaufen würde, muss dahingestellt bleiben.
Die Hauptsorge bei der Operation eines tiefsitzenden stenosierenden
Tumors der Luftröhre wird die sein, während des Eingriffs und während
der dabei nötigen mannigfaltigen Manipulationen an der Trachea fiir eine
ausreichende Luftzufuhr zu sorgen. Es besteht in diesen Fällen selbstver-
ständlich immer eine durch die stenosierende Geschwulst verursachte
Atmungsinsuffizienz, und die Gefahr liegt nahe, dass beim Verziehen der
Trachea der Luftstrom vollständig unterbrochen wird. Aus diesem Grunde
haben wir in beiden Fällen als Voroperation ein möglichst weites Tracheo-
stoma angelegt und während der Hauptoperation eine lange Kanüle bis
über die Stenose hinaus vorgeschoben. Das Tracheostoma hat uns ausser-
dem die Möglichkeit gewährt, von hier aus eine genauere tracheoskopische
Untersuchung vorzunehmen, als dies vom Munde aus möglich war. Auch
gestattete, wenigstens in dem ersten der beiden Fälle, das sehr weite
Tracheallumen eine Untersuchung mit dem Finger vom Tracheostoma aus,
wodurch wir wichtige Aufschlüsse über die Beschaffenheit und die Grenzen
des Tumors erhalten konnten. In dem zweiten Fall war das Kaliber der
Luftröhre für diesen Zweck zu klein. :
Archiv fir Laryngologie. 29. Bd. 2. Heft. 14
198 J. Soerensen, Totalexstirpation der Trachea wegen Carcinom.
Hat man die Trachea bis über die untere Geschwulstgrenze hinaus
völlig isoliert, so steht man jetzt vor der Aufgabe, zu verhindern, dass
nach querer Abtragung die Bifurkation in die Tiefe versinkt. Es würde
dies zur unmittelbaren Folge haben, dass aus dem Wundkanal das Blut
ungehindert in die Bronchien hinabfliesst und ausserdem würden sich die
Wände der grossen Wundhöhle sofort aneinander legen und damit den
Eintritt von Luft in die Lungen verhindern. Beides lässt sich nicht ein-
fach dadurch umgehen, dass man eine lange Kanüle gegen die Bifurkation
vorschiebt. Es würde unter keinen Umständen möglich sein, das untere
Kanülenende dauernd mit der Bifurkation in ausreichendem Kontakt zu
erhalten und eine Sicherheit gegen das Hinabfliessen von Blut und Wund-
sekret wäre’erst recht nicht gegeben. Man ist also gezwungen, als Ersatz
für das resezierte Trachealrohr einen neuen Kanal aus organischem Ma-
terial zu schaffen, der einerseits eine neue Zufuhrstrasse für die Atemluft
bildet und andererseits die grosse bei der Operation entstandene Wund-
fläche sofort plastisch deckt. Glücklicherweise haben wir für diesen Zweck
in der Haut der vorderen unteren Halsregion ein ausgezeichnetes Material
zur Verfügung. Unsere Erfahrungen bei plastischen Operationen zum Er-
satz des resezierten Oesophagus haben uns gelehrt, dass Streifen von Hals-
haut sich fast in beliebiger Weise verziehen und zur Anheilung bringen
lassen, wenn man nur dafür Sorge trägt, dass sie an der neuen Implan-
tationsstelle der Unterlage glatt und fest aufliegen und wenn man sie hin-
reichend lang und breit zuschneidet, dass keine übermässige Spannung
entsteht. So ist es uns gelungen, aus drei Hautlappen, von denen zwei
ihre Basis rechts und links oberhalb des Schlüsselbeins hatten, während
der dritte vom Sternum entnommen war, ein Ersatzrohr für die Trachea
zu bilden. In dieses neue Hautrohr wurde nach der Operation eine lange
Trachealkanüle bis gegen die Bifurkation vorgeschoben und durch lockere
Tamponade in Position erhalten. Die tamponierende Gaze erfüllte zugleich
den Zweck, die Hautlappen leicht gegen die Unterlage anzudrücken. Die
auf diese Weise versorgte Wunde bietet günstige Bedingungen für eine
Primärheilung, so dass es zu einer stärkeren Absonderung von Wundsekret
überhaupt nicht. kommt.
Der Larynx selbst wird bei der Exstirpation der Trachea in keiner
Weise in Mitleidenschaft gezogen und bleibt funktionsfähig, vorausgesetzt,
dass es gelingt, die Nn. recurrentes zu schonen. In unserem ersten Fall
ist dies gelungen, während bei dem zweiten der eine Nerv während des
Auslösens der Luftröhre abgerissen wurde. Um an dem stehengebliebenen
Kehlkopf eine Stenosierung durch Nekrose des Ringknorpels und nach-
folgende Narbenbildung hintenan zu halten, die leicht eintreten würde,
wenn man den Unterrand des Kehlkopfs unversorgt in der Halswunde
‚liegen lässt, erscheint es zweckmässig, den Ringknorpel dadurch zu
bedecken, dass man die Halshaut und die Kehlkopfschleimhaut durch eine
Reihe von feinen Knopfnähten über dem Knorpel zusammenzieht.
Das Abtragen der Luftröhre von der Bifurkation und das Annähen
J. Soerensen, Totalexstirpation der Trachea wegen Carcinom. 199
der Hautlappen an die letztere nimmt man am besten etappenweise vor.
Es empfiehlt sich nicht, die Trachea in einem Zuge quer abzuschneiden,
weil man sich damit jeden Haltes an der Bifurkation beraubt. Es würde
nicht ganz leicht sein, die letztere so lange mittels Zangen oder anderer
Instrumente im Niveau der Wunde zu halten, bis man die Lappen rings
herum angarniert hätte. Wir sind so verfahren, dass wir zuerst einen
Querschnitt durch das vordere Drittel der Luftröhre führten und an den
so entstandenen unteren Wundrand den vorderen Hautlappen annähten.
Dann folgte die Durchschneidung des einen seitlichen Drittels und seine
Umsäumung mit Haut und schliesslich, nachdem auf diese Weise ein Halt
für den grösseren Teil des Lumens gewonnen war, die Durchtrennung des
letzten Drittels, das bis dahin als Handhabe gedient hatte. Wenn auf
diese Weise der Stumpf der Bifurkation rundherum mit Haut umsäumt
worden ist, kann man ihn ohne Gefahr zurücksinken lassen, er zieht sich
etwa 4—5 cn weit unterhalb der Ebene der oberen Thoraxapertur zurück,
bleibt aber vom Halse her gut sichtbar und zugänglich. Die einzelnen
Hautstreifen, aus denen die neue Trachea gebildet ist, kann man unter-
einander durch feine oberflächliche Nähte genau adaptieren. Dadurch
wird das neue Rohr in sich geschlossen, es bleibt nur direkt unter dem
Kehlkopf ein kleines dreieckiges Stück der vorderen Oesophaguswand von
Haut unbedeckt, das man der Heilung durch Granulationen überlassen kann.
Wenn die Wunde geheilt ist, ist der Endeffekt folgender: Man sieht
vorn am Halse eine längs gestellte elliptische Oeffnung, durch die man
nach unten in das neue Trachealrohr bis zur Abgangsstelle der Bronchien
hinabsieht, während man nach aufwärts von unten her in den Kehlkopf
hineinblickt. Das neue Hautrohr entspricht ungefähr der Weite der alten
Trachea. Es ist also eine direkte Kommunikation zwischen dem Kehlkopf
und den Lungen wieder hergestellt. Der Operierte kann, wenn man die
vordere Oeffnung durch irgend ein Polster verschliesst, genau so wie vor
der Operation durch Mund und Nase atmen, auch ist die Sprache genau
die gleiche wie vor dem Eingriff. Das neue Trachealrohr ist jedoch, weil
es des stützenden Knorpelapparates entbehrt und weil immerhin eine Ver-
engerung seines Lumens durch Narbenretraktion nicht ganz ausgeschlossen
erscheint, nicht so zuverlässig wie eine normale Trachea. Wir haben uns
deswegen entschlossen, seine Funktion durch eine kleine Prothese zu sichern.
Diese besteht aus einem dünnwandigen weichen Gummirohr von etwa
1,5 cm äusserem Durchmesser, das so lang ist, dass es von der Bifurkation
bis in den Kehlkopf hinaufreicht, ohne jedoch von unten her gegen die
Stimmbänder anzustossen. Dieses Gummiröhrchen führt sich der Patient
durch die vordere Oeffnung am Halse ein. Es belästigt den Träger in
keiner Weise und braucht nur zum Zweck der Reinigung alle 24 Stunden
gewechselt zu werden. Ein weiterer Verband ist nicht nötig, da ja das
Gummirohr, wenn es einmal eingeführt ist, auch die Oeffnung an der
Vorderfläche des Halses von innen her verschliesst.
14 *
200 J. Soerensen, Totalexstirpation der Trachea wegen Carcinom.
Fall I.
2. Mai 1913. Patient ist ein 44 Jahre alter Mann, der in einer subtropischen
Kolonie als Ingenieur im Reichsdienst stand. Er war immer gesund, bis sich vor
3 Jahren Atembeschwerden einstellten. Der Kranke bekam Atemnot, die sich
anfallsweise bis zu Erstickungsanfällen steigerte. Die Diagnose wurde auf Bronchial-
asthma gestellt, der Kranke wurde beurlaubt und nach Deutschland geschickt.
Hier kam er in die Behandlung von Prof. O. Wagener, der mittels Tracheoskops
im unteren Teil der Trachea eine Geschwulst feststellte. Der Tumor ging von der
Hinterwand der Luftröhre aus und verlegte fast ihr ganzes Lumen. Es wurde
zum Zwecke der mikroskopischen Untersuchung ein Stück der Geschwulst heraus-
genommen, das sich als Carcinom erwies.
Als ich den Patienten mit Prof. Wagener zusammen untersuchte, war der
kranke hochgradig dyspnoisch. Es bestand sowohl bei der Inspiration als bei der
Exspiration ein lauter Stridor. Das Gesicht war zyanotisch, der Puls klein, weich,
beschleunigt, 100 in der Minute. Herztöne rein, Herzdämpfung nicht vergrössert,
über den Lungen überall einzelne grossblasige Rasselgeräusche, keine Dämpfung.
Keine Schluckbeschwerden. Bei der ösophagoskopischen Untersuchung der Speise-
röhre wurde nichts Abweichendes gefunden. Der Kranke befand sich in einem
hochgradigen Angstzustand, die Atemnot steigerte sich anfallsweise zu schweren
Erstickungsattacken, Morphiuminjektionen brachten nur vorübergehend Erleichterung.
Da der Kranke sich offenbar in einer lebensgefährlichen Situtation befand,
beschlossen wir zunächst, um der Atemnot abzuhelfen, eine Tracheotomie zu
machen und womöglich eine Kanüle über die durch den Tumor verengerte Stelle
in der Luftröhre hinaus vorzuschieben. In Lokalanästhesie wurde vom Unterrand
des Schildknorpels nach abwärts ein Schnitt durch die Haut geführt, der Isthmus
der Schilddrüse gespalten, die Blutungen aus letzterer durch eine fortlaufende
Katgutnaht gestillt und in die Trachea eine Längsinzision von etwa 5 cm Länge
gemacht. Die Ränder des Hautschnittes wurden mit den Rändern des Tracheal-
spalts vernäht, um ein weiteres Tracheostoma zu bilden. Darauf versuchten wir
eine Trachealkanüle einzulegen, aber die Kanüle liess sich nicht über den Tumor
hinaus vorschieben. Erst nach mehreren vergeblichen Versuchen konnten wir
unter Anwendung von einiger Gewalt eine lange biegsame Hummerschwanzkanüle
zwischen dem Tumor und der Vorderwand der Trachea durchführen. Dabei wurde
ein Stück der Geschwulst von 3!/, cm Länge mit der Kanüle abgehobelt, aber
zum Glück sofort herausgehustet.
Die Atmung war nunmehr frei, wir liessen die Kanüle liegen, bis nach acht
Tagen die Tracheotomiewunde verheilt war. Dann wurde die Kanüle entfernt,
und wir nahmen mittels des Tracheoskops eine neue Untersuchung vom Tracheo-
stoma aus vor. Hierbei fanden wir, dass die Geschwulst als eine derbe, höokrige,
zerklüftete Masse von hinten her in das Tracheallumen hineinragte und dieses zum
grössten Teil ausfüllte. Der Längsdurchmesser der Geschwulst betrug etwa 4 cm.
Unterhalb ihres unteren Randes, also oberhalb der Bifurkation war noch ein
Streifen gesunder Trachea sichtbar, an dem die Schleimhaut und die Tracheal-
knorpel ein.normales Aussehen hatten. Da die Trachea verhältnismässig weit war,
konnte man mit dem Finger eingehen und die Geschwulst direkt betasten. Diese
war als eine derbe schildförmige Masse zu fühlen und liess sich mit der Trachea
in ziemlich weiten Grenzen von rechts nach links und von unten nach oben ver-
schieben, so dass wir glaubten, eine Verwachsung mit den Nachbarorganen aus-
J. Soerensen, Totalexstirpation der Trachea wegen Carcinom. 201
schliessen zu können. In Anbetracht des Sitzes und der anatomischen Besohaffen-
heit der Geschwulst war es klar, dass dem Kranken durch die Tracheotomie nur
eine ganz vorübergehende Erleichterung geschaffen worden war. Der Versuch einer
Entfernung der Geschwulst mit Erhaltung der Trachea erschien aber aussichtslos,
daher kamen wir zu dem Entschluss, dem Patienten eine radikale Operation vor-
zuschlagen, mit dem Ziel, die ganze Trachea mit dem Tumor zu exstirpieren.
15. Mai 1913. Die Trachealkanüle wurde wieder eingelegt und an den Rand
des Tracheostomas durch einige Nähte befestigt. Dann wurde der Kranke bei
hochgelagertem Oberkörper und rückwärtsgebeugtem Kopf tief narkotisiert. Das
Tracheostoma wurde umschnitten und sodann zwei parallele Hautschnitte am
Oberrand und Unterrand der Wunde von einem Kopfnicker bis zum anderen ge-
führt (s. Taf. VII, Fig. 1). Die beiden so gebildeten viereckigen Hautlappen wurden
beiderseits bis zu ihrer Basis zurückpräpariert. Darauf wurden auf beiden Seiten
die Schilddrüsenlappen von der Luftröhre abgetrennt, das Lig. crico-tracheale quer
durchgeschnitten und die Hinterwand der Trachea vom Oesophagus abgelöst. Hier-
bei wurde die grösste Aufmerksamkeit darauf verwendet, eine Verletzung der Nn.
recurrentes zu vermeiden. Unter stetem Anziehen des oberen Endes nach vorn
wurde dann die Trachea aus ihren Verbindungen am Halse ausgelöst. . Dies ging
zunächst ganz glatt, als man jedoch etwa bis zur Ebene der oberen Thoraxapertur
hinabgelangt war, stiess man auf den oberen Pol einer grossen harten Geschwulst,
die mit der Hinterwand der Luftröhre fest verwachsen war, den Oesophagus ganz
nach links hinübergedrängt hatte und hinten unmittelbar an die Wirbelsäule stiess.
Zum Glück war dieser Tumor nur an einer kleinen Stelle mit der rechten vorderen
Oesophaguswand verwachsen, von der er sich aber abschneiden liess, ohne dass
das Lumen der Speiseröhre eröffnet wurde. Im übrigen war er von allen Seiten
in lockeres Bindegewebe eingehbüllt, nur seine Vorderfläche war breit mit der
Hinterwand der Luftröhre verwachsen. Unter diesen Umständen gelang es ohne
besondere Schwierigkeit, die etwa gänseeigrosse Masse aus dem Mediastinum zu
entwickeln und an ihren unteren Pol heranzukommen, bis man schliesslich die
ganze Trachea mit dem Tumor in das Niveau der Halswunde hinaufgezogen hatte.
Um nun die freigelegte Trachea abzutragen, wurde zuerst ein Querschnitt
durch die vordere Zirkumferenz der Trachealwand gemacht und zwar wurde dieser
Querschnitt, da ja die vordere Trachealwand gesund war, etwa I1/, bis2 cm ober-
halb der Bifurkation angelegt. Mit dem stehen gebliebenen Streifen der Tracheal-
wand wurde sofort ein Hautlappen, der aus der vorderen Halshaut gebildet war
und seine Basis auf dem Sternum hatte, vernäht (s. Tafel VII, Fig. 2). Dann
erst wurde der Rest des Trachealumfangs durchtrennt durch zwei Inzisionen, die
von den Endpunkten des ersten Querschnitts ausgingen und nach hinten und ab-
wärts konvergierten, so dass sie sich in einem Punkte trafen, der unmittelbar ober-
halb des Sporns der Bifurkation gelegen war. An den seitlichen und hinteren
Umfang des Bifurkationsstumpfs wurden dann die freien Enden der zu Anfang der
Operation gebildeten seitlichen Halshautlappen angenäht, so dass nun die Bifur-
kation an drei Hautlappen, einem vorderen und zwei seitlichen aufgehängt war.
Unter sich wurden schliesslich die Ränder der Hautlappen durch einige feine
Nähte zusammengehoftet, so dass schliesslich die Bifurkation in ein Hautrohr ein-
mündete, dessen obere Oeffnung im Jugulum gelegen war. In das Hautrohr kam
eine Trachealkanüle und um letztere herum wurden Gazestreifen locker eingelegt,
die gleichzeitig die Hautlappen leicht gegen die Unterlage andrücken und auch
das Wundsekret aufsaugen sollten. Zu einer irgendwie erheblichen Sekretion kam
202 J. Soerensen, Totalexstirpation der Trachea wegen Carcinom.
es übrigens nicht, da ja die ganze Wundfläche durch die Hautlappen bedeckt war.
Am Kehlkopf wurde die Haut mit der Schleimhaut durch einige Nähte vereinigt.
Der Verlauf war völlig fieberfrei. Die Hautlappen heilten mit der Bifurkation
und unter sich zusammen, nur im hinteren Umfang des Hautrohrs schnitten einige
Nähte durch, und es entstand hier eine schmale Diastase zwischen den Lappen.
Nach 14 Tagen war die Wunde geheilt. Die Trachealkanüle wurde durch die oben
erwähnte Gummiprothese ersetzt und der Kranke atmete und sprach wieder wie
ein ganz gesunder Mensch. Er hat seine dienstliche Tätigkeit in der Kolonie voll-
ständig wieder aufgenommen und ist nach den letzten Nachrichten frei von Rezidiv
und frei von allen Beschwerden.
Fall II.
15. September 1913. Der Patient, ein 32 Jahre alter Kellner, bekam
vor 6 Jahren eine Lungenkrankheit, die von dem Arzt, der ihn zuerst be-
handelte, als Lungenentzündung bezeichnet wurde. Nach Ablauf der akuten Er-
krankung blieb eine Dyspnoe zurück, die sich anfallsweise steigerte und dann den
Eindruck eines asthmatischen Anfalls machte. Pat. wurde im Jahre 1910 deswegen
in einer Lungenheilstätte behandelt, es trat aber keine Besserung ein, die Atemnot
steigerte sich, so dass Pat. auf der Höhe des Anfalls glaubte, ersticken zu müssen.
Im März 1913 kam er dann in die Behandlung von P. Heymann!). Dieser fand
bei der tracheoskopischen Untersuchung einen von der rechten vorderen Wand der
Trachea ausgehenden gelappten Tumor von mehr als Bohnengrösse, der bei der
Inspiration in den Eingang des rechten Bronchus hineingezogen wurde. Eine
Probeexzision ergab ein Carcinom. Der in das Lumen der Trachea hineinragende
Teil der Geschwulst wurde mittels der Brüningsschen Zange abgetragen. Darauf
liessen die subjektiren Beschwerden nach, und der Patient entzog sich 5 Monate
lang der Behandlung. Als er dann wieder untersucht wurde, war der Tumor er-
heblich gewachsen und verlegte das Lumen der Trachea bis zur Hälfte. Versuche,
ihn durch Elektrolyse oder mit schneidenden Zangen zu entfernen, misslangen.
Da auch die Atemnot wieder zunahm, wurde der Kranke zur Operation an Prof.
Gluck überwiesen. Bei einer neuen tracheoskopischen Untersuchung fanden wir
im untersten Teil der Traohea einen ringförmigen Tumor, der an der rechten
Trachealwand die grösste Ausdehnung besass und das Lumen der an und für sich
schon engen Trachea fast ganz verlegte. Da die Untersuchung mittels des Tracheo-
skops vom Munde her keinen sicheren Aufschluss darüber gab, wie weit die untere
Grenze der Geschwulst gegen die Bifurkation hinabreichte, wurde zunächst, wie
in dem ersten Falle, ein Tracheostoma angelegt. Von hier aus konnte man mittels
eines eingeführten Rinnenspekulums erkennen, dass sich zwischen dem Unterrand
der Geschwulst und der Bifurkation noch ein schmaler Streifen intakter Trachealwand
befand. Dementsprechend entschloss man sich zur Totalexstirpation der Trachea.
15. September. Es wurde zunächst, wie im ersten Falle, nach Umschnei-
dung des Tracheostomas und Ablösung der Schilddrüse die Trachea vom Ring-
knorpel «quer abgeschnitten, in ihrem zervikalen Teil isoliert und nach vorn ange-
zogen. Dabei wurde auf der linken Seite der N, recurrens verletzt. Bei weiterem
Vordringen in die Tiefe entstanden wegen des engen Lumens der Trachea und der
dadurch bedingten Hinderung der \tmung ziemlich erhebliche Schwierigkeiten,
so dass man die vordere und die hintere Wand der l.uftröhre in der Medianlinie
1) P. Hoymann, l. c.
J. Soerensen, Totalexstirpation der Trachea wegen Carcinom. 203
spalten und die beiden Hälften nach beiden Seiten auseinanderziehen musste. So
gelangte man mit einiger Mühe bis zur Bifurkation nach abwärts. Beim Abtragen
der Trachea und bei der Garnierung des Resektionsstumpfes mit Hautlappen wurde
in ähnlicher Weise verfahren, wie dies bei dem ersten Fall geschildert worden ist.
Die Heilung wurde dadurch gestört, dass unter dem vorderen, sternalen
Hautlappen eine Bindegewebsphlegmone entstand und dass die Nähte, die diesen
Lappen an der Bifurkation fixierten, durchschnitten. Die seitlichen Hautlappen
heilten jedoch an und es bildete sich ein gutes Trachealrohr, so dass auch hier nach
14 Tagen die Gummiprothese eingelegt werden konnte. Der Patient spricht wegen der
Rekurrensverletzung mit heiserer Stimme, fühlt sich aber sonst frei von Beschwerden
und ist völlig arbeitsfähig. Ein Rezidiv ist auch hier bisher nicht aufgetreten.
Was die anatomische Beschaffenheit der beiden operierten Tumoren an-
betrifft, so handelt es sich in dem ersten der beiden Fälle um eine Ge-
schwulstform, wie sie bisher wohl noch nicht zur Beobachtung gekommen
ist. Der Tumor, der etwa Gänseeigrösse erlangt hat, lag hinter dem unteren
Drittel der Trachea zwischen dieser und der Wirbelsäule. Der Oesophagus
war ganz weit nach links beiseite gedrängt. Mit der Hinterwand der
Luftröhre war die Geschwulst breit verwachsen, hatte sie perforiert und
bildete im Innern des Luftrohrs eine breite, mannigfach zerklüftete, pilz-
förmige Masse, die sich über zwei Drittel des Trachealumfanges ausdehnte
und von dem Lumen nur einen halbmondförmigen schmalen Spalt an der
vorderen Zirkumferenz freiliess. Hinten im Mittelfellraum war der Tumor
weder mit der Wirbelsäule noch mit den grossen Halsgefässen verwachsen,
sondern ringsherum von losem Bindegewebe umgeben, nur an einer ganz
kleinen Stelle bestand linksseitlich mit dem Oesophagus eine flächenförmige
Verwachsung (siehe Taf. VII, Fig. 3 u. 4). Die mikroskopische Untersuchung,
die von Dr. Lange vorgenommen wurde, ergab folgendes: Die Hauptmasse
der retrotrachealen Geschwulst zeigte einen ausgesprochenen alveolären
Bau. In einem spärlichen bindegewebigen Stützgerüst lagen dicht neben-
einander Hohlräume von sehr verschiedener Grösse. In den kleineren lag
an der Peripherie eine ein- oder mehrfache Schicht von kleinen kubischen
oder irregulär gestalteten Epithelzellen, während das Innere von einer
hyalinen Masse angefüllt war. In den grösseren Alveolen war der Epithel-
belag ganz oder teilweise verschwunden, sie waren nur von hyaliner Masse
erfüllt. In dieses alveoläre Gewebe drängten sich mächtige Streifen und
Zapfen von vielfach geschichteten Epithelmassen hinein, die teils ganz
massiv waren, zum Teil aber unregelmässig schlauchförmige, von Hyalin
erfüllte Hohlräume einschlossen. In dem Teil des Tumors, der in die Luft-
röhre hineingewuchert war, traten die alveolären Gebilde ganz zurück, hier
bestand das Gewebe vorzugsweise aus Epithelnestern und -zapfen, deren
Zellen die regelmässige kubische Form grösstenteils verloren hatten und in
denen es nur stellenweise zur Bildung von Hyalin enthaltenden Hohlräumen
gekommen war. Aus diesem Befund kann man wohl mit Sicherheit schliessen.,
dass es sich um eine retrotracheale Struma aberrans handelte, die carci-
nomatös entartete und von hinten her in die Luftröhre hineinwucherte.
204 J. Soerensen, Totalexstirpation der Trachea wegen Carcinom.
In dem zweiten Falle dagegen hatten wir es mit einem primären
Carcinom der Trachealschleimhaut zu tun, das die charakteristische Neigung
dieser Tumoren zur ringförmigen Ausbreitung und zur Bildung von papillären
und polypösen Exkreszenzen zeigte. (Taf. VII, Fig. 5.)
Ueber die Prognose nach radikalen Operationen von Trachealtumoren
in bezug auf die definitive Heilung fehlen bei der äusserst geringen Anzahl
von operierten Fällen bisher ausreichende Erfahrungen. Wenn man jedoch
in Betracht zieht, dass Schmiegelows Patientin 6 Jahre lang rezidivfrei
blieb und dass unsere beiden Patienten bisher vollkommen gesund geblieben
sind, und wenn man sich ferner erinnert, dass nach den Sektionsergebnissen
Metastasen von Trachealcareinomen in den Lymphdrüsen und in entfernteren
Organen selten und spät aufzutreten pflegen, so dürfte die Aussicht für
eine Dauerheilung wohl nicht schlechter sein als etwa bei den Platten-
epithelcarcinomen des Larynxinnern.
Nach unseren Erfahrungen ist man, wie ich glaube, berechtigt. fiir die
Behandlung der malignen Trachealtumoren folgende Grundsätze festzustellen:
1. Eine Aussicht, die Patienten zu heilen bzw. ihnen für längere Zeit
das Leben zu erhalten, ist nur durch eine radikale Entfernung der Tumoren
gegeben. Diese aber lässt sich nur durch quere Resektion der Trachea im
Gesunden erzielen. Palliative Operationen, mögen diese in endotrachealen
Eingriffen bestehen oder so vorgenommen werden, dass man die Trachea
spaltet und den Tumor ausschneidet, auskratzt oder ausbrennt, geben keine
Dauererfolge. Die Behandlung mit Röntgenstrahlen oder mit Radium hat
bis jetzt noch keine Erfolge gezeitigt.
2. Die quere Resektion der Trachea ist ein ungefährlicher Eingriff,
der auch dann keine erheblichen technischen Schwierigkeiten und Gefahren
bietet, wenn man durch Sitz und Ausdehnung der Geschwulst gezwungen ist,
die ganze Trachea vom Larynx bis hinab zur Teilungsstelle zu entfernen.
3. Der funktionelle Erfolg der Trachealresektion ist als ein geradezu
idealer zu bezeichnen, wenn es nur gelingt, die Nn. recurrentes zu schonen.
Der Kehlkopf bleibt erhalten, die Sprache wird nicht geschädigt, die freie
Atmung wird durch die plastische Rekonstruktion der Trachea gewährleistet.
4. Eine Kontraindikation gegen die Radikaloperation besteht also nicht,
wie man bisher angenommen hat, in einem Sitz der Geschwulst im thora-
kalen Teil der Luftröhre, sondern die Operation wird nur dann unmöglich,
wenn der Tumor entweder schon die Teilungsstelle der Luftröhre mit er-
griffen hat oder wenn Verwachsungen mit den grossen Halsgefässen be-
stehen. Ein Uebergreifen der Geschwulst auf die Speiseröhre würde noch
nicht in jedem Falle die Möglichkeit einer Operation ausschliessen. Ueber
das Verhältnis der Geschwulst zu den Nachbarorganen muss aber eine sehr
genaue Untersuchung und Beobachtung sicheren Aufschluss ergeben, ehe man
sich zu einem radikalen Eingriff entschliesst. Ein Irrtum über diese Dinge
müsste die verderblichsten Folgen für den Operierten nach sich ziehen.
XVI.
Aus der Poliklinik für Ohren-, Nasen- und Halskrankheiten in Zürich.
(Leiter: Privatdozent Dr. F. R. Nager.)
Ueber die Mitbeteiligung
des Gesichtsschädels bei Lues hereditaria tarda
mit besonderer Berücksichtigung der Kiefer.
Von
Heinrich Burkhardt, prakt. Arzt und Zahnarzt.
(Mit 7 Textfiguren.)
Während die Mitteilungen über Lues hereditaria tarda weit zurückgehen,
sind die ersten Beobachtungen über die Mitbeteiligung des Knochengerüstes
viel jüngeren Datums. Hier waren es nach Hochsinger (1) R. Nils,
Rosen in Upsala (1747) und besonders Undersond (1786), die darauf
hinwiesen, dass bei kongenitaler Lues Exostosenbildungen sowohl am
Schädel als auch an den Gelenkenden der langen Röhrenknochen nebst
Lockerung der betreffenden Gelenke vorkommen. Immerhin waren die
Beobachtungen und Aufzeichnungen hereditär-luetischer Knochenaffektionen
bis zum Jahre 1870 äusserst spärliche. Die eingehenden Arbeiten sowohl
deutscher als auch französischer Forscher, wie Wegner, Virchow einer-
seits, Parrot und Fournier anderseits, haben dann eine Grundlage für
alle weiteren Arbeiten auf diesem Gebiete geschaffen. Während Wegner
besonders die pathologisch-anatomischen Kenntnisse förderte, muss Parrot
als der hauptsächlichste klinische Erforscher bezeichnet werden. Aller-
dings hat gerade Parrot insofern auch eine gewisse Verwirrung geschaffen,
als er über die ätiologischen Beziehungen zwischen Lues hereditaria und
Rachitis Anschauungen vertrat, denen wir heute nicht mehr beipflichten
können; stellte er doch in seiner aus dem Jahre 1879 stammenden Publi-
kation (2) den Satz auf: Keine Rachitis ohne hereditäre Syphilis. Es
ist daher nicht überraschend, dass Parrot die Erkrankung der Kieferknochen
häufig beobachtet und das Befallenwerden derselben in der Häufigkeitsskala
an zweite Stelle setzte. Diese von Parrot geäusserte Ansicht, die uns
besonders interessiert, bestritten dann später viele Forscher, und vor
allem Hochsinger (1), welcher um die neuesten Forschungen auf diesem
Gebiete ein grosses Verdienst hat und Parrot entgegengetreten ist. In
seinem Werke über hereditäre Knochensyphilis (1) betont er, dass gerade
die Kieferknochen bei hereditärer Syphilis von palpablen Knochenverände-
rungen so gut wie verschont bleiben, immer im Gegensatz zur Rachitis,
woraus er den Schluss zieht, dass in der Zusammenstellung von Parrot,
bei welcher den Kieferknochen eine besondere Prädisposition zuerkannt
206 H. Burkhardt, Ueber die Mitbeteiligung des Gesichtsschadels usw.
ist, wahrscheinlich vielfach Verwechslungen zwischen Rachitis und here-
ditärer Syphilis vorgelegen hätten.
Eine Beobachtung der hiesigen Poliklinik für Ohren-, Nasen- und Hals-
krankheiten an der Medizinischen Universitätspoliklinik, welche beweist,
dass der Gesichtsschädel bei hereditär-syphilitischen Kindern, wenn auch
selten, doch stark affiziert sein kann, bildete die Veranlassung, in der
Literatur nach ähnlichen Fällen zu suchen. Es war auffallend, dass beim
Studium einer auch ziemlich umfangreichen Literatur über Lues hereditaria
derartige Fälle in sehr geringer Zahl veröffentlicht worden sind. In den
allerwenigsten Publikationen, die sich mit hereditär-syphilitischen Knochen-
affektionen befassen, sind Angaben über die Bildungen von diffusen Hyper-
ostosen des Gesichtsschädels enthalten. Im Handbuch der praktischen Chir-
urgie findet sich von Lexer (3) die Mitteilung, dass sich am Gesichtsschädel
diffuse Knochenauftreibungen, wie sie bei Extremitäten häufig beobachtet
werden, nicht vorfinden. Im gleichen Sinne äussert sich Bockenheimer (4),
der bei hereditärer Lues nie ausgedehnte Hyperostosen des Gesichtsschädels
gefunden hat. Wie erwähnt, betont auch Hochsinger, dem doch ein sehr
grosses Untersuchungsmaterial zur Verfügung stand, dass gerade die
Kieferknochen von hereditär-syphilitischen Knochenveränderungen meistens
ganz verschont bleiben. Auf die einzelnen seltenen Fälle von Parker (5),
Scheier (6), Lannelongue (7) und Berne (8) wird später noch ein-
gegangen. In Hinsicht auf diese Seltenheit ist die eingehende Veröffent-
lichung eines derartigen Falles sicher gerechtfertigt. Diese Beobachtung
wurde mir von Dozent Dr. Nager überlassen und zur Bearbeitung über-
wiesen !).
Anamnese: Patient J. G., 151/, Jahre alt, ist einziges Kind. Der Vater
ist Hauswart und war zur Zeit der Verheiratung wahrscheinlich luetisch, da er
damals ein Ulcus penis nebst eitrigem Ausfluss aus der Urethra, sowie einen Haut-
ausschlag gehabt hatte. Die Untersuchung der Mutter im Jahre 1910 ergibt, dass
sie damals noch an hereditärer Lues — gummöse Infiltrationen an der Adssenseite
des rechten Oberschenkels, positiver Wassermann usw. — litt; schon vor einigen
Jahren waren derartige Effloreszenzen aufgetreten, die beide Male durch Jodkali
ausheilten. Sie hat weder Frühgeburten noch Fehlgeburten gehabt. Unser Patient
wurde nach einjähriger Ehe geboren. Die Geburt des Knaben verlief normal, er
wurde 6 Wochen lang von der Mutter gestillt, wies aber gleich nach der Geburt
einen hartnäckigen Schnupfen auf. In der achten Lebenswoche bekam er am
ganzen Körper einen bläschenförmigen Ausschlag. Der Arzt verordnete täglich
ein Bad, in welchem die Mutter jedesmal zwei rote Pastillen auflösen musste
(Sublimat?). Durch diese Bäder verschwand der Ausschlag innerhalb 14 Tagen;
an Stelle der Blasen waren jeweils kleine Vertiefungen entstanden. Das Exanthem
wiederholte sich und ebenso war der Schnupfen nie ganz verschwunden. Patient
machte deswegen eine vierwöchige Behandlung im Kinderspital in Basel durch.
1) Eine kurze Demonstration erfolgte am 18. Juni 1910 in der Medizinischen
Gesellschaft durch Dozent Dr. Nager. Vgl. Sitzungsbericht im Korrespondenzblatt
für Schweizer Aerzte. Nr. 23.
H. Burkhardt, Ueber die Mitbeteiligung des Gesichtssohädels usw. 20%
Mit 2 Jahren hatte der Knabe Diphtberie der Augenlider. Ohne weitere Krank-
heitserscheinungen in den folgenden Jahren trat er im 7. Jahre in Zürich in die
Schule ein, musste aber wegen leichter Ermüdbarkeit und geistiger Trägheit der
sog. Spezialklasse für Schwachbegabte zugeteilt werden. Ungefähr im 8. Jahre
beobachtete die Mutter bei ihm ein Grösserwerden des Unterkiefers, schenkte
dieser Erscheinung keine grosse Aufmerksamkeit, da Pat. gar nicht über Schmerzen
klagte und verschiedene Aerzte ihr gesagt hatten, es sei nichts dagegen zu machen.
Nach Angaben der Mutter stellten sich später dem Versuch einer Zahnextraktion
erhebliche Schwierigkeiten entgegen.
Zum ersten Male stellte sich der Patient im Jahre 1910 in unserer Poliklinik
vor. Die Mutter gibt an, der Knabe leide an sehr behinderter Nasenatmung, atme
stets durch denMund und schnarche nachts. Die von den Eltern vermutete Mandel-
vergrösserung fand sich nicht vor, dafür aber eine konzentrische Verengerung beider
Nasenböhlen, besonders durch Heraufrücken des Nasenbodens. Die Auftreibung
der Nasenwände war eine harte, die Schleimhautauskleidung vollkommen glatt und
dünn. Der Nasenrachenraum weit, keine Vergrösserung der Rachenmandel,
Trommelfelle nur leicht eingezogen. Die genauere Untersuchung ergab damals
noch folgenden Status: Der Knabe weist einen grazilen Körperbau auf, zeigt aber
ein blasses Aussehen und macht einen etwas beschränkten Eindruok. Am Halse
finden sich einige Drüsen. Die Wirbelsäule ist für die Palpation normal, ebenso
sind Thorax, Herz, Lungen und Abdomen ohne Abweichung von der Norm. Tags-
über besteht eine leichte Blasen- bzw. Sphinkterschwäche. Die oberen Extremi-
täten sind normal, ebenso die Oberschenkel. Kniegelenke auffallend plump, kein
Erguss darin. Beide Tibiae sind hochgradig verdickt und durch starke Knochen-
zunahme deformiert; die Tibiakanten sind stumpf, das ganze Schienbein etwas
nach vorn und aussen konvex, das Bild entspricht der sog. „Säbelscheidentibia‘;
Fussgelenke und Fussknochen normal. Der Schädel selbst ist gross, die Schädel-
kapsel durch leichte Prominenz der Tubera frontalia viereckig; der linke Stirn-
höcker etwas grösser als der rechte. Die hauptsächliche Grössenzunahme betrifft
besonders den Gesichtsschädel und hier den Unterkiefer. Dieser fühlt sich
ausserordentlich massig, verdickt und deformiert an; der Kieferwinkel ist fast gänz-
lich mit harter Knochensubstanz ausgefüllt, das Kinn erscheint dadurch plump.
Der Processus alveolaris besitzt an einzelnen Stellen eine Dicke von 5cm, in
welchen kariöse und intakte Zähne unregelmässig eingəlagert sind. Die Auftrei-
bung des Unterkiefers ergreift auch die aufsteigenden Aeste. Der Knochen ist
nirgends druckempfindlich, Hautoberfläche und Weichteile überall normal. Auch
der Oberkiefer zeigt die gewaltige Massenzunahme, so dass die zwischen den
Alveolarfortsätzen liegende Bucht des harten Gaumens nur als tiefe Rinne erscheint.
Die Verdickung ergreift auch die Nasenfortsätze, ebenso sind die Orbital- und Joch-
bögen verdickt. Der Nasenrücken ist etwas konkav, sattelförmig, die Nasenwurzel
scheinbar tiefliegend (Fig. 1 und 2). Die Zähne des Oberkiefers stehen unregel-
mässig, die Schneidezähne haben deutliche Fassform und zeigen eingekerbte
Kanten. Die ganze Mundschleimhaut ist intakt, Mundwinkel ohne Reste von typi-
schen Rhagaden, das Lippenrot zeigt einzelne Risse; hintere Rachenwand normal,
glatt, ebenso Nasenrachenraum. Die Nase zeigt die erwähnte hochgradige Verenge-
rung und zwar durch Hebung des unteren Nasenbodens, welche auf eine knöcherne
Verdickung des Oberkiefers zurückgeht; das Septum ist nicht verdickt, die lateralen
Nasenwände infolge der knöchernen Auftreibung gegen das Lumen vorgewölbt; die
unteren Muscheln leicht vergrössert, doch ist die Schleimhaut nicht wesentlich
208 H. Burkhardt, Ueber die Mitbeteiligung des Gesichtsschädels usw.
hypertrophiert. Geruchsvermögen ist erhalten. Die Gehörgänge sind beide von
normaler Weite, Trommelfelle blass, etwas eingezogen, Hammergriff beiderseits
von ganz normaler Grösse, die Hörweite für Flüstersprache beträgt auf beiden Seiten
7 m. Die Corneae weisen keine erheblichen Trübungen auf, jedoch sind die Pupillen
ungleich und unregelmässig. Der Augenhintergrund weist hereditär-luetische Ver-
änderungen auf. Sehvermögen normal. Die Intelligenz des Knaben ist etwas be-
schränkt. Die Wassermannsche Reaktion fiel positiv aus.
Die radioskopische Untersuchung des Gesichtsschädels bereitete wegen der
Dicke und Konsistenz des Knochens sehr grosse Schwierigkeiten. Die Aufnahmen
H. Burkhardt, Ueber die Mitbeteiligung des Gesichtsschädels usw. 209
zeigen sehr deutlich die ausgedehnten Hyperostosenbildungen des Gesichtsschädels
(Fig. 3 und 4, die nach den Röntgenbildern genau kopiert sind). Auf dem Profil-
bild des Kopfes ist eine starke Verdickung der Gesichtsknochen, sowie der Schädel-
kapsel zu konstatieren, auch scheinen die Gebilde der Schädelbasis auffallend
Figur 3.
Figur 4.
massiv, doch im grossen und ganzen proportioniert. Bei der anterioposterioren
Aufnahme fällt die Verdickung der Arcus superciliares und der Ossa nasalia bzw.
der Nasenfortsätze des Oberkiefers auf. Der Öberkiefer selbst scheint halbkugelig
aufgetrieben und besteht aus einer strukturlosen soliden Knochenmasse, in welcher
210 H. Burkhardt, Ueber die Mitbeteiligung des Gesichtsschädels usw.
noch einzelne Zahnkeime der Molaren erkennbar sind. Die Verengerung der Nasen-
gänge ist auf dem Röntgenbilde sehr deutlich, hingegen fehlt jede Andeutung der
Kieferhöhle. Am auffallendsten ist radioskopisch die Verdickung des Unterkiefers,
sie ist eine gleichmässig diffuse, ergreift auch, was speziell betont sei, die beiden
Gelenkfortsätze, sowohl die Proc. condyloidei als Proc. coronoidei. Die Knochen-
substanz selbst ist vollständig homogen und strukturlos, die Umrisse des Knochens
selbst ganz scharf, wenn auch die Form des Unterkiefers der Norm gegenüber sehr
viel plumper erscheint. Eine Unterscheidung zwischen periostaler und ostaler
Verdickung ist nicht mit Sicherheit möglich. Auch der Zungenbeinkörper scheint
plumper und grösser als in der Norm. Das Röntgenbild der Hand, besonders der
Handwurzel und Mittelhandknochen zeigt keine Hyperostosen oder periostitische
Verdickungen, hingegen weist dasselbe an der Tibia eine diffuse Verdickung und
Verbiegung auf, welche im oberen Drittel am stärksten ausgebildet ist. Hier ist
deutlich, dass es sich hauptsächlich um die Affektion des Periosts handelt. Da,
trotz der Seltenheit analoger Befunde die Diagnose auf eine hereditäre Lues des
Gesichtsschädels gestellt werden musste, wurde sofort eine energische Quecksilber-
und Jodkur eingeleitet. Herr Prof. Stoppany hatte die Freundlichkeit, damals
eine Gesichtsmaske anzufertigen, um eventuelle spätere Aenderungen am Patienten
genauer feststellen zu können.
Weiterer Verlauf. In ziemlich unregelmässigen Zwischenräumen stellte
sich Patient von Zeit zu Zeit in der Poliklinik zur Kontrolle vor. Schon nach
einigen Kuren konnte eine deutliche Abnahme der Knochenauftreibungen am
Schädel festgestellt werden. Auffallend war nun, dass der linke Stirnhöcker nicht
nur nicht abnahm, sondern im Gegenteil deutlich grösser wurde. Diese Vortreibung
wurde im Laufe von 2 Jahren nahezu mandarinengross; eine ähnliche von etwa
Nussgrösse war auch am Uebergang des rechten Os frontale und Os parietale zu
konstatieren. Der Durchmesser des Proc. alveolaris des Oberkiefers im Bereich
des zweiten Prämolaren betrug etwa 4 cm, während die Verdickungen des Unter-
kiefers um ein geringes zurückgegangen waren (Fig. 5 u. 6). Die Nasenhöhle wurde
noch stärker verengt, besonders auffallend war die Hebung desNasenbodens. Ferner
wurde beobachtet, dass bei Phonation der weiche Gaumen nur nach links gehoben
wurde. Die Sprache hatte einen exquisit näselnden Beiklang und zwar denjenigen
der Rhinolalia clausa. Ausser den schon im Status von 1910 mitgeteilten Ver-
änderungen und einer eigentümlichen Venenzeichnung auf dem Thorax zeigten
sich keine anderen Abweichungen von der Norm. Die im Jahre 1913 wiederholte
Wassermannsche Reaktion fiel wieder positiv aus,
Status vom Februar 1914. Um Wiederholungen zu vermeiden, hebe ich
hier nur diejenigen Punkte hervor, in denen sich der heutige Status vom früheren
(1910) unterscheidet.
Das Allgemeinbefinden des Pat. ist zurzeit ein gutes. Die Gesichtsfarbe
ziemlich frisch, mit einem etwas ins Blassbräunliche gehenden Hautteint. Der
Knabe sieht gut genährt aus, die Körpergrösse beträgt 151,4 cm, das Gewicht 42 kg.
Oberkörper sowie Extremitäten zeigen keinen ausgesprochenen infantilen Habitus.
Der Gesichtsausdruck hingegen lässt auch heute noch eine gewisse geistige
Schwäche vermuten. Die Antworten sind vielfach langsam, ungenau; die Schul-
kenntnisse mangelhaft. Spontan spricht er wenig, ist träge, nachlässig und scheint
sich für die Arbeit nicht besonders zu interessieren. Das Gedächtnis ist ordentlich.
Der Haarwuchs dünn, Farbe heilblond mit einzelnen gelichteten Stellen,
nicht weit nach vorn und binten herunter reichend. Schädelkapsel stark unregel-
H. Burkhardt, Ueber die Mitbeteiligung des Gesichtsschädels usw. 211
mässig und asymmetrisch, mit mehreren buckelförmigen Auftreibungen, so vor allem
über dem linken Os frontale von beinahe Apfeigrösse; nirgends auf Druck empfind-
lich, nicht nachgebend, kein Pergamentknittern nachweisbar. Die beiderseitige
wulstförmige Verdickung der Ossa nasalia und der Proc. nasales ossis maxillaris
ist noch ausgesprochener wie früher. Die Knochen des Oberkiefers sind überall
diffus gleichmässig verdickt, nirgends besteht Druckempfindlichkeit. Der Unter-
kiefer hat an Umfang abgenommen. Nasenatmung erheblich behindert, Mund leicht
geöffnet; Pat. atmet vorwiegend durch den Mund. Die Weichteile des Gesichts
vollkommen unverändert, keine auffallende Entwicklung des Unterhautzellgewebes,
kein Oedem, der Lippensaum trocken, rissig, sowohl am Schädel wie im Gesicht
keine Narben (Fig. 5 u. 6). Die Inspektion des Mundes ergibt eine beträchtliche
Ausdehnung der Alveolarfortsätze, sowohl seitlich als auch palatinalwärts und
Figur 5. Figur 6.
scheint infolgedessen einem V-förmigen Kiefer ähnlich. Die Zwölfjahrmolaren sind
vorhanden, links kariös, von den Sechsjahrmolaren beiderseits sind nur noch die
Wurzeln sichtbar. Die lateralen Incisivi fehlen, die Kronen der übrigen Zähne
sind erhalten, meist aber kariös. Die beiden zentralen Incisivi zeigen die Hut-
chinsonschen Einkerbungen. Im Unterkiefer fehlen sämtliche Molaren, während
die Incisivi, die Canini sowie der erste Prämolar rechts gesund vorhanden sind
und in keiner Hinsicht für Lues hereditaria charakteristische Symptome aufweisen,
Die Beweglichkeit des Unterkiefers ist nicht erheblich behindert, immerhin ist eine
geringere Seitwärtsbewegung als normal festzustellen. Zunge, Zungengrund,
hintere Rachenwand, Epiglottis, Larynx, Trachea normal, ebenso Gehörgang,
Trommelfell o. B. Hörweite für Flüstersprache beträgt beiderseits mehr als 600 cm.
Die eingehende funktionelle Prüfung ergab:
Die Knochenleitung ist normal und wird von beiden Seiten gleich empfunden
(Weber nicht lateralisiert, Schwabach al= +0). Die Rinnesche Probe fällt
beiderseitig positiv und etwas verkürzt aus (Rinne al = T Son Die untere Ton-
grenze liegt beiderseits bei F-j;, die obere (mit Galton-Edelmannscher Pfeife
bestimmt) bei c”.
u en
212 H. Burkhardt, Ueber die Mitbeteiligung des Gesichisschädels usw.
Die Prüfung des Vorhofsapparates zeigt keine Zeichen von Reizung. Stehen
bei offenen und geschlossenen Augen auf beiden oder nur einem Bein ohne abnorm
starke Schwankungen möglich, ebenso Gehen nach vor- und rückwärts mit offenen
und geschlossenen Augen. In der Ruhe besteht bei Seitwärtsblicken kein deutlicher
Nystagmus. Der Drehschwindel ist selbst nach 20 Sekunden nicht deutlich aus-
zulösen. Die Eingiessung von 300 ccm Wasser von 20° löst auf der linken Seite
nur Nystagmus, auf der rechten Seite leichten Schwindel und Nystagmus aus.
Durch Kompression ist kein Nystagmus oder Schwindel auszulösen. Eine gewisse
verminderte Reizbarkeit ist demnach sicher vorhanden.
In beiden Nasenhöhlen Anschwellung der unteren Muscheln, welche aber
nach Kokainisieren nicht zurückgehen. Die Hebung des Nasenbodens und die
Prominenz beider lateralen Nasenwände besteht noch unverändert weiter. Ange-
stellte Messungen am Kopf des Pat. (A) und solche von einem gleichalterigen,
normalen Knaben (X) mit annähernd gleicher Körperkonstitution und gleichem
Gewicht haben nachfolgende Zahlen ergeben:
Längsdurchmesser des Kopfes von der A X
Glabella zur Prot. occip. ext. . . . 17,7 cm 17,5 cm
Längsdurchmesser zwischen Tubera front. rechts zur Prot.
occip. ext. . . . 18 , 17,8 ,
Langsdurchmesser zwischen Tubera antalls links zur Prot,
occip. ext. . . . 19 p 178,
Querdurchmesser des Kopfes” Wedi dèn Tubera Bde 146, 14 „
Querdurchmesser zwischen den beiden Proc. mast. . . . 14,3, 135 „
Umfang des Kopfes, gemessen über die Prot. occip. ext. und
Tubera front. . . . 5 » 94 4
Umfang des Kopfes, gemessen über die hintere Fontanelle and
das Kinn . . Be, ee ae OD I.
Distanz der äusseren Orbitalränder . we ee tas og te ie ADB 0,
Distanz der inneren Orbitalrander . . . ee BE 20
Distanz der beiden Gelenkhöcker der Kiefergelonke ... 13,6, 124 „
Distanz der Kieferwinkel. . . 2 2 2 20202020. 117, 1 „
Distanz der Foramina mentalia . . . oo me e My o. HOD. og
Distanz zwischen Kinn und Schneidezahnmitte Be es ai Ù y 43,
Breite des Alveolarfortsatzes des Oberkiefers in der Gegend
des 12. Jahrmolaren rechts . . . 24, 18,3
Breite des Alveolarfortsatzes des Oberkiefers : in der end
des 12. Jahrmolaren links. . . 2,4 „ Li
Breite des Alveolarfortsatzes in der Gevend dis 12. Jaht-
molaren rechts unten . . 2,5 „ 1,8 „
Breite des Alveolarfortsatzes in der Goena. dos 12. Jabr-
molaren links . . . 24, 17,
Breite des Alveolarfortsatzes in der Gegend der Prämolaren
rechts . . . 24a 133}
Breite des Alveolarfortsatzes in der Gegend der Prämolaren
links. . .. 22:4 D2 a
Breite des Alveolarfortsatzes in der Medianlinie acs Winter:
kiefers . . . 23% 1 4
Unterkiefer, gemessen vom rechten. zum linken Kieferkelenk
über das Kinn bei geöffnetem Mund . . . . . . 2 „ 2 „
H. Burkhardt, Ueber die Mitbeteiligung des Gesichtsschädels usw. 213
Die neuerdings ausgeführten Röntgenbilder ergaben keine neuen Befunde.
Hals, Brustkorb, innere Organe, obere Extremitäten ergeben den normalen
früher festgesetzten Status. Für dieUntersuchung des Hüftgelenkes wandten wir uns
an Prof. Dr. Schulthess, Leiter des orthopädischen Institutes Zürich, der dieselbe
in dankenswerter Weise ausführte und dabei folgende Erhebungen machte: Bei
rechtwinklig gebogenem Knie ist beiderseits im Hüftgelenk eine leichte Beschrän-
kung der Innen- und Aussenrotation festzustellen, auffallende Auftreibungen in
derGegend der Trochanteren sind nicht zu konstatieren; auch die im Institut ange-
fertigten Röntgenbilder weisen keine Abweichungen von der Norm auf. Auffällig
ist nur die ausserordentlich starke Substantia compacta der Femurschäfte. Becken
etwas nach rechts gesenkt mit entsprechender Verbiegung der Wirbelsäule.
Atrophie der Musculi serrati, besonders rechts, ebenso leichte Atrophie des Mus-
culus glutaeus dexter. In der Höhe des ersten Sakralwirbels eine kleine, weisse,
runde, narbige Einziehung mit einer Dellenbildung. Die Messungen der Unter-
extremitäten ergeben folgende Zahlen:
Femur rechts (vom Trochanter gemessen) 41,0 cm, links 43,9 cm,
Tibia rechts . . . . . . . . 36,5 p links 35,8 „
Die früher schon bestandenen periostitischen Auftreibungen beider Tibien
sind noch deutlich vorhanden. Beiderseits ist die zweite Zehe beträchtlich weniger
entwickelt als die dritte, eine leichte Syndaktylie besteht beiderseits. Hoden
klein, nicht dem Alter entsprechend entwickelt.
Die Augenuntersuchung in der Universitätspoliklinik (Prof. Dr. Haab) er-
gibt: Visus in die Ferne beidseitig ®/,, Refraktion E. Akkommodation rechts
Nieden I/in 8cm, links Nieden I/in 10 cm. Gesichtsfeld für Weiss und Farben
normal. Lidspalte rechts etwas enger als links. Bulbi in Normalstellung, äussere
Augenmuskeln intakt. Bulbi äusserlich reizfrei, Corneae klar, vordere Kammer normal
tief, rechte Pupille mittelweit, links erheblich weiter, beidseitig absolute
Pupillenstarre, ebenso direkt, indirekt, konsensuell auf Lidschluss. Glaskörper
klar, Makula und Optikus 0.B. In derPeripheriebeidseitig kleine gelblicheHerdchen.
Die neurologische Untersuchung (neurologische Poliklinik Prof. v.Monakow)
ergibt folgende Befunde: Berührungsempfindung, Drucksinn, Temperatursinn intakt,
Ortssinn unsicher. Schmerzempfindung intakt, keine Verspätung und keine Nach-
empfindung, elektrische Empfindung und Kitzelgefühl ebenfalls vorhanden. Bauch-
reflex wenig ausgebildet, Kremasterreflex hüpfend, Patellarreflex wegen akuter
Spannung sehr schwer auszulösen, jedoch vorhanden, ebenso die Fussreflexe. Der
Gang etwas hinkend, aber nicht ataktisch, keine lanzinierenden Schmerzen, Inkon-
tinenz der Blase in leichtem Grade vorhanden, keine Kopfschmerzen, keine gastri-
schen Krisen oder Arthropathien. Psychisch besteht eine leichte Idiotie.
Untersuchung des Blutes (Privatdozent Dr. Roth, medizinische Klinik):
Hämoglobingehalt 75 pCt., Anzahl der roten Blutkörperchen 4500000, Leuko-
zyten 8240. Die roten Blutkörperchen sind hämoglobinarm, aber von normaler
Form, weder Mikrozyten noch Makrozyten, keine erhebliche Vermehrung poly-
chromatophiler Erythrozyten; demnach besteht ein leichter Grad von Anäniie.
Urin ohne Eiweiss, ohne Zucker.
Epikrise: Bei einem 15jährigen Knaben, der als einziges Kind von
Eltern stammt, von denen der Vater sehr wahrscheinlich, die Mutter nach-
gewiesenermassen an Lues erkrankt war, und der bald nach der Geburt
an eipem hartnäckigen Schnupfen und an einem Exanthem gelitten hatte,
Archiv für Laryngologie. 29. Bd. 2. Heft. 15
214 H. Burkhardt, Ueber die Mitbeteiligung des Gesichtsschädels usw.
entwickelte sich vom 8. Jahre an eine langsam zunehmende schmerzlose
Auftreibung einzelner Knochen, der Tibiae und besonders des Gesichts-
schädels, welche infolge konzentrischer Verengerung der Nase als einziges
Symptom zur beträchtlichen Behinderung der Nasenatmung führte. Die
Untersuchung auf weitere Symptome von hereditärer Lues ergibt eine
charakteristische Missbildung der oberen Schneidezähne, eine sehr leichte,
aber doch typische Veränderung des Augenhintergrundes und einen posi-
tiven Ausfall der Wassermannschen Reaktion. Unter entsprechender
antiluetischer Behandlung bildete sich ein Teil der Veränderungen zurück,
um freilich an anderen Stellen, wenn auch abgeschwächt, wieder zum
Vorschein zu kommen. Dass in der vorliegenden Beobachtung in erster
Linie eine hereditäre Lues für die verschiedenen Knochenveränderungen
ätiologisch in Betracht kam, stand bald ausser Frage; nur konnte man
im Zweifel sein, ob diese ererbte Krankheit allein dafür verantwortlich
zu machen war, oder ob irgendeine andere Konstitutionsanomalie, wie
Rhachitis, Leontiasis usw., hier mitspielte.
Das Krankheitsbild der Lues hereditaria tarda — denn beim Beginn
des eigentlichen Leidens im 8. Jahre konnte nur die späte Form in Frage
kommen — ist ein ausserordentlich buntes. Die erwähnten Arbeiten von
Fournier und Hochsinger haben, gestützt auf die grundlegenden Studien
von Hutchinson, gerade in den letzten Jahrzehnten viel zur Klärung
beigetragen und es ist eigentlich kein Organsystem, bei welchem nicht
Reste von abgelaufenen Affektionen dieser Erkrankung aufgefunden werden
können. A. Fournier (9) gibt eine Zusammenstellung über die Häufig-
keit, in welcher die verschiedenen Organe affiziert werden können. In
dieser Statistik, die 212 Fälle umfasst, haben aufgewiesen:
Affektionen der Augen. . . 2. 2202020.20.0..101 Fälle
z „ Knochen . . . 2 2 2 222.082 ,
5 s Haut a s- < ae e ao a Be O
Erkrankungen des Halses (speziell des Gaumensegels) 46
Gehirnerscheinungen. . . . 2 on nn.
Gehörstörungen . . . 2 on on nn 0
Nasenerkrankungen . . . . . . . . . . 0 26,
Lebererkrankungen . . . ....... . . «#2 y
Milzerkrankungen . . . ......... 5 %
Subkutane Gummata ........... #14 = „
Nierenaffektionen . 12
Larynxerkrankungen . 10: &
Rückenmarkerkrankungen . 8
Lungenerkrankungen 5,
Gelenkerkrankungen. . . . .. . a hy
Erkrankungen der Genitalschleimhaut . D a
Zungenerkrankungen 4 ,
Nervenerkrankungen ; E a
Erkrankung diverser Organe . 15
H. Burkhardt, Ueber die Mitbeteiligung des Gesichtsschädels usw. 215
Ed. Fournier (10) macht darauf aufmerksam, dass es von grosser
Bedeutung für den Patienten ist, gerade bei diesem Krankheitsbilde mög-
lichst alle Krankheitserscheinungen zu kennen, auch die etwas selteneren,
da gerade hier auf Grund der frühzeitig gestellten Diagnose durch die
Therapie sehr viel erreicht werden kann, während das Verkennen der
Krankheit schwere Folgen hat. Dass neben den vorliegenden Veränderungen
eine sorgfältige Anamnese von grösster Wichtigkeit ist, beweist auch die
vorliegende Beobachtung, aus der wir ausserordentlich wichtige Anhalts-
punkte gewannen (Syphilis der Eltern, Coryza neonatorum, Exanthem). In
unserem Falle sprachen ausserdem für eine hereditäre Lues die Tibia-
auftreibung (Säbelscheidentibia), die Veränderungen des Augenhinter-
grundes (Typus I der hereditären Lues), die Sattelnase, die oberen
zentralen Schneidezähne und die Blutreaktion (positiver Ausfall der
Wassermannschen Reaktion). Von untergeordneter diagnostischer Be-
deutung sind noch hervorzuheben: Die Syndaktylie, die Idiotie, die
Hodenatrophie und die Venenzeichnung auf dem Thorax. Von der
Hutchinsonschen Trias sind die Veränderungen der Zähne und der
Augen vorhanden. Bei den Zähnen findet sich die Fass- oder Schrauben-
zieherform mit den typischen von Hutchinson (11) beschriebenen Ein-
kerbungen der Schneidekante. Nicht in allen Fällen von hereditärer
Lues findet man dieses Symptom und gerade Hochsinger (12) hat
viele Fälle beobachtet, wo das Gebiss in tadellosem Zustande war; wenn
es aber deutlich vorhanden ist, dann darf mit Sicherheit die kongenitale
Lues dafür verantwortlich gemacht werden; hat doch Pasini (13) in
solchen Zähnen die Spirochaeta pallida direkt nachgewiesen. Auffallend
ist, dass die Corneae nicht die geringsten Anzeichen einer stattgehabten
Keratitis parenchymatosa aufweisen, sondern nur leichte Veränderungen
des Augenhintergrundes vorliegen. Diese gelblich-weissen Herde an der
Peripherie sind nach Sidler (14) aber für die hereditäre Lues charakte-
ristisch: Solche Befunde werden von diesem Autor in seiner Arbeit über
die hereditär-syphilitischen Augenhintergrundsveränderungen als Typus I
bezeichnet. Die Ungleichheit der Pupillen, vor allem aber die totale
reflektorische Pupillenstarre, bekanntlich ein Initialsymptom der Tabes
dorsalis, bildete die Veranlassung zur neurologischen Untersuchung, be-
sonders in Rücksicht auf die Fälle von Tabes bei Lues hereditaria tarda
[A. Fournier (9), R. Remak (15), Ibrahim (16)|. Doch war das
Resultat bis heute negativ. Es muss dahingestellt werden, ob diese totale
Pupillenstarre ein Frühsymptom einer noch latenten tabischen Erkrankung
darstellt, oder ob sie vielleicht ein Symptom der wahrscheinlich vor-
handenen Lues cerebri ist. Der weitere Verlauf der Krankheit wird dar-
über erst definitiven Aufschluss geben. Der Gang des Patienten ist etwas
schwerfällig, doch besteht hier kein Zusammenhang mit Tabes, sondern
die Ursache dafür bilden vielmehr die Differenzen in der Länge beider
Ober- und Unterschenkel. Dies bildet auch die Ursache einer leichten
Senkung des Beckens nach rechts, sowie der Verbiegung der Wirbelsäule
15*
216 H. Burkhardt, Ueber die Mitbeteiligung des Gosichtsschädels usw.
und der leichten Atrophie des rechten Glutaeus. Nach freundlichen Mit-
teilungen von Prof. Schulthess kommen solche Differenzen in der Länge
der Unterextremitätenknochen ausser bei Lähmungen nur bei kongenitaler
Lues vor. In Hinsicht darauf, dass sich die spezifischen Prozesse bei
dieser Erkrankung häufiger in der Epiphyse, also der Wachstumszone, ab-
spielen, sind die Längenunterschiede zwischen einzelnen Röhrenknochen
beider Seiten leicht zu verstehen. Diese sind umsomehr als ein Symptom
anzusehen, als durch Ed. Fournier (10), Fuchs (17), Hochsinger (1)
Fälle bekannt wurden, bei denen es einerseits zu einer Verlängerung,
andererseits zu einer Verkürzung der Gliedmassen gekommen war. Von
Fuchs sind speziell die beiden Fälle interessant, bei denen die hereditäre
Lues geradezu wahre Riesen entstehen liess. Der eine Fall [von
Sirena (18) beobachtet] erreichte eine Grösse von 2,40 m und zeigte bei
der Sektion sicher hereditär-luetische Erscheinungen,
Die interessanten Mitteilungen von Loos (19) über die Anämie bei
hereditärer Lues veranlasste zu einer genauen Blutuntersuchung. Er er-
wähnt als charakteristisch die Anämie, die Verminderung der Zahl der
roten Blutkörperchen, das Auftreten von Myelo- und Mikrozyten, das Er-
scheinen von kernhaltigen Erythrozyten, bisweilen in ganz ausserordent-
licher Menge, ferner eine Leukozytose. In unserem Falle konnte nur eine
leichte Anämie, sowie eine geringe Leukozytose festgestellt werden. Ein
direkter Zusammenhang zwischen dieser Blutveränderung und den vor-
handenen Knochenerkrankungen dürfte wohl kaum bestehen.
Es erhebt sich nun die Frage, ob die Affektion des Gesichtsschädels
allein auf Lues hereditaria zurückzuführen ist. Bei der Umschau über
die Knochenerkrankungen bei hereditärer Lues gibt A. Fournier (9)
folgende Häufigkeitsskala:
Von den verschiedenen Knochen erkrankte:
die Tibia . . . 2. 2 2 20202020. 91 mal,
die Ulna. . 3. 2 & & 8 & 2 BF x
der Radius . . . 2 2 2 222. 1 „
der Humerus. . . . 2 222.0. 12 „
das Femur. ......... «8 y
das Wadenbein. ........ 4 „
das Schliisselbein . . ...... 5 ,
die Schädelknochen . . 16 „
verschiedene Knochen (Rippen, Meta-
karpus, Zehen, Finger, Schulterblatt,
Wirbelsäule, Kiefer) . . . . . . 20 ,
Der Autor betont, dass natiirlich niemals alle Knochen zusammen
erkranken.
Eine ganz andere Skala gibt, wie bereits erwähnt, Parrot (2). Nach
ihm zeigen die grösste Prädisposition zur Erkrankung:
1. die langen Extremitätenknochen,
2. die Kieferknochen,
H. Burkhardt, Ueber die Mitbeteiligung des Gesichtsschädels usw. 217
die Schädelknochen,
die Rippen,
die Schulterblätter,
die Beckenknochen,
die Wirbelsäule und
8. die Hand- und Fusswurzelknochen.
Hochsinger hat, wie auf S. 205 bereits erwähnt, mit Recht diese
Häufigkeitsskala energisch angegriffen. Heute haben wir mit der Wasser-
mannschen Reaktion ein Mittel in der Hand, bei positivem Ausfall mit
Sicherheit die luetische Natur vorliegender Veränderungen nachzuweisen.
Es ist nun ausserordentlich schwierig, aus der Arbeit von Parrot die-
jenigen Fälle herauszufinden, welche sicher luetischer oder sicher rachi-
tischer Natur sind. Zweifellos sind dort auch solche mit Veränderung der
Schädelknochen, die luetischer Natur sind, doch wurden diese absichtlich
in unserer Arbeit unberücksichtigt gelassen und nur ganz sichere Beob-
achtungen herangezogen. Bekanntlich treten die Knochenerkrankungen
bei Lues hereditaria schon früh auf; pathologisch-anatomisch können sie
schon bei Föten festgestellt werden, in Form der Osteochondritis syphi-
litica foetalis. Hypertrophische Prozesse sind im allgemeinen nach A. (9)
und Ed. Fournier (10) erst von dem zweiten Jahre an klinisch deutlich
zu beobachten, können aber auch nach dem 28. Altersjahre auftreten;
nach Hochsinger (1) können Knochenhypertrophien mitunter schon bei
Föten vorkommen und sind auch radioskopisch nachgewiesen worden. Bei
unserem Kranken wurde die Mutter im 8. Jahre auf das Grösserwerden
des Unterkiefers aufmerksam. Ob in diesem Falle wirklich der Unter-
kiefer zuerst erkrankte, ist nicht zu entscheiden. Die Difformität der
Tibia wurde von der Mutter überhaupt nicht bemerkt.
Von den Schädelknochen ist, nach Angabe von A. Fournier (9) die
Stirn am häufigsten affiziert, dann folgen die Nase, die Knochen der
Schädelkapsel und erst in letzter Linie die Kiefer. An den Röhren-
knochen werden diffuse Hyperostosen bei dieser Krankheit häufig gefunden,
an den Knochen der Schädelkapsel treten sie selten auf und an den Kiefern
sind diese bei hereditärer Lues aussergewöhnlich selten zu beobachten.
Ich habe in der Literatur, die mir zur Verfügung stand, nur folgende
4 Fälle gefunden:
I. Fall. Parker (5). Julia B., 13 Jahre alt. Der Vater starb mit
42 Jahren an Phthise, die Mutter mit 39 Jahren an Rheumatismus. Das
jüngere Schwesterchen war gesund, aber stets auffallend bleich, während
der Bruder einen sehr grossen Kopf gehabt haben soll und an ähnlichen
Knochengeschwiilsten litt, wie die Patientin selbst. Eine genaue Anamnese
aus der Kindheit konnte nicht erhoben werden, doch bestätigen die Pflege-
eltern, dass die ersten Jahre ohne wesentliche Störungen der Gesundheit
verliefen. Die Kranke selbst klagte 2 Monate, bevor sie in ärztliche Be-
obachtung kam, über beständige Schmerzen in einzelnen Knochen und
kurz darauf trat ganz allmählich eine Grössenzunahme derselben ein. Die
ano oo
218 H. Burkhardt, Ueber die Mitbeteiligung des Gesichtsschädels usw.
Untersuchung ergab auf beiden Seiten eine diffuse, eiförmige Auftreibung über
dem aufsteigenden Aste des Angulus mandibulae (Fig. 7, nach der Figur in
Path. soc. trans. 1880 gezeichnet). Die Bewegungen des Unterkiefers waren in
keiner Weise gestört, dieGeschwulst aufDruck nicht empfindlich. Die mittleren
oberen Schneidezähne waren intakt. Auch waren deutliche Veränderungen der
Schädelkapsel nicht festzustellen. Aehnliche Knochenauftreibungen wies die
Patientin ferner am äusseren Drittel des linken Schlüsselbeins, am unteren
Ende des linken Humerus und an beiden linken Unterarmknochen, sowie an
heiden Tibiae auf. Andere Veränderungen, die eine angeborene Syphilis
hätten vermuten lassen, bestanden nicht. Trotzdem erhielt die Kranke
Figur 7.
abwechselnd Quecksilber und Kalium jodatum. Nach 3—4 Monaten ver-
schwand der Schmerz vollständig. Die Geschwülste am Schlüsselbein und
am Humerus verschwanden langsam, während wieder andere, hauptsächlich
diejenigen des Unterkiefers, eher grösser wurden. Nach und nach fingen
auch die Knochen des rechten Vorderarms, sowie des rechten Schlüssel-
beins an, sich zu verdicken.
Il. Fall. Lannelongue (7). Der Vater akquirierte ein Jahr vor
der Geburt des Kindes Syphilis; über die Mutter haben wir keine Mit-
teilungen. Das Kind (Alter desselben aus den Quellen nicht zu eruieren)
starb an Diphtherie und wurde sorgfältig untersucht. Die Sektion zeigte,
dass die beiden Tibien, sowie der Unterkiefer Sitz verschiedener patho-
logischer Prozesse waren; es wurden nämlich Exostosenbildungen und
endostale Knocheneiterungen (suppuration intraosseuse) beobachtet. Der
eine der Abszesse verursachte im Zentrum der oberen Epiphyse der Tibia
eine beträchtliche Abszesshöhle, was eine Zerstörung des Epiphysen-
H. Burkhardt, Ueber die Mitbeteiligung des Gesichtsschädels usw. 219
knorpels zur Folge hatte. Ein bereits gebildetes Granulationsgewebe, das
die Höhle auskleidete, wies auf beginnende Heilungstendenz des Prozesses
hin. Ein ähnlicher Abszess war am oberen Teile des Kieferastes lokalisiert
und verursachte eine spontane Fraktur desselben.
III. Fall. Berne (8): Der junge R. de B., 7 Jahre alt, wurde wegen
einer Schwellung des unteren Teiles des rechten Peroneus in das Spital
Trousseau aufgenommen. Die Anamnese der Eltern des Kindes, welches
periostitische Auftreibungen verschiedener Knochen aufwies, ergab folgendes:
Die Mutter heiratete mit 28 Jahren, sie weist buckelförmige Unebenheiten
der Tibia auf; leicht vertiefte Flecken sind an verschiedenen Körperstellen
zu beobachten, vor allem in der Gesässgegend. Im ganzen 6 Schwanger-
schaften; das erste Kind starb klein, das zweite noch während des Stillens
an einer Bronchitis; das dritte ist der vorliegende Fall. Bei der vierten
Gravidität Abort im 4. Monat; das fünfte Kind starb schon nach 3 Jahren.
Das sechste, noch lebende Kind wurde ebenfalls untersucht. Konstitution
ordentlich, jedoch charakteristische Narben in der Gesässgegend; ein sehr
ausgesprochener medio-palatinaler Vorsprung und eine Hyperostose der auf-
steigenden Aeste des Unterkiefers beiderseits. Der Vater versichert, nur
eine Gonorrhoe gehabt zu haben im Jahre 1840; die Untersuchung ergibt
aber rote Flecken auf den oberen Partien des Nackens, die ganz den
Charakter eines papulösen Syphilids tragen.
IV. Fall. Max Scheier (6): „Noch in der letzten Woche stellte
sich uns eine Patientin in der Königlichen Poliklinik für Halskrankheiten
vor, die ähnliche Hyperostosen darbot wie unsere Kranke. Es war der
Unterkiefer und namentlich das Kinn deutlich hyperostotisch, der Processus
alveolaris des Oberkiefers sehr stark auf beiden Seiten von der Hyperostose
betroffen, so dass das Gaumengewölbe schmal und hoch war, schliesslich
war auch der Processus nasalis des Oberkiefers leicht geschwollen.
Auf den ersten Blick hätte man an Leontiasis ossea denken können.
Jedoch die starke Ozaena, die Keratitis parenchymatosa auf dem linken
Auge, die halbmondförmige Ausbuchtung der unteren Kante der mittleren
oberen Schneidezähne und schliesslich die starke Sattelnase gaben zu er-
kennen, dass wir es mit Syphilis hereditaria zu tun hatten. Dafür sprach
auch der ganze Verlauf der Krankheit. Schon im 5. Lebensjahre trat bei
dem stets schwächlichen Kinde die Keratitis auf; im 8. Jahre eitriger und
übelriechender Ausfluss aus der Nase, und seit einem halben Jahre zeigten
sich im Ausfluss mehrere Male kleine Knochenstücke. Bei der Untersuchung
der Nase ergab sich, dass von einem Septum sowie von den unteren und
mittleren Muscheln nichts zu sehen war. Auch der Pharynx zeigte schwere
Folgen der Lues. Beide hinteren Gaumenbögen waren mit der hinteren
Rachenwand zum grössten Teil verwachsen. Der Vater der Patientin ge-
stand selbst zu, syphilitisch gewesen zu sein.“
Es steht ausser Zweifel, dass die vier Beobachtungen der Literatur
mit der unsrigen ausserordentlich viele übereinstimmende Punkte aufweisen;
wenn freilich zugegeben werden muss, dass sowohl die Befunde als auch
220 H. Burkhardt, Ueber die Mitbeteiligung des Gesichtsschädels usw.
die Anamnesen nur bruchweise wiedergegeben sind. Die grösste Ueberein-
stimmung mit unserem Falle zeigt derjenige von Parker, welcher nicht
nur nach dem Befunde (cf. Fig. 7), sondern auch nach dem Verlaufe mit
dem unsrigen grosse Aehnlichkeit aufweist. Während der Behandlung sind
in beiden Fällen die Abnahme einzelner Knochenverdickungen und die
gleichzeitige Wiedererkrankung anderer beobachtet. Röntgenographisch und
serologisch ist bis anhin nur unser Fall untersucht worden. Inwiefern der
Sektionsbefund des Falles von Lannelongue auch für unsere Beobachtung
Geltung haben könnte, muss dahingestellt bleiben, da unsere Röntgeno-
gramme eine vollständig homogene Knochensubstanz ergeben, während bei
Lannelongue Abszesshöhlen usw. aufgefunden wurden. Es erhebt sich
die Frage, ob derartige Veränderungen am Kiefer und Gesichtsschädel nicht
auch auf andere Affektionen zurückgehen können.
In differentialdiagnostischer Beziehung kommt in erster Linie
neben der Lues hereditaria die Leontiasis ossea von Virchow oder die
Östitis deformans in Betracht. Diese Erkrankung ist nicht gerade häufig;
immerhin sind nach Bockenheimer (4) bereits 25 Fälle bekannt und näher
beschrieben, bei denen es zu einer Verdickung der Gesichtsknochen kam.
Besonders bei dem Falle von Wrang (20), Brown und Scheier (6) sind
ausgedehnte diffuse Verdiekungen, speziell des Unterkiefers, zu beobachten
gewesen. Im Falle Bickersteth (21) sollen mehrere Hyperostosen am
Kopfe, auch Auftreibungen an den ÜUnterextremitäten bestanden haben.
Auch hier gehen die ersten Anfänge der Erkrankung auf das erste Dezennium,
nicht selten sogar noch weiter zurück, und diese Knochenverdickungen sind
zuerst ebenfalls schmerzlos, das Wachstum ein langsames. Nach Bill-
roth (22) erreichen die Knochenneubildungen, die bei Syphilis vorkommen,
selten eine solche Festigkeit wie bei Leontiasis ossea. Bockenheimer (4)
gibt sogar an: „Syphilitische Erkrankungen machen zwar diffuse, jedoch
nicht so ausgedehnte Hyperostosen, so oft am Schädel, weniger am Gesicht“.
Bei der oberflächlichen Betrachtung der Abbildung unseres Falles möchte
man gerade wegen der ausgesprochenen Hypertrophie des Gesichtsschädels
die Affektion für eine Leontiasis ossea, nicht aber für Hyperostosenbildungen
bei kongenitaler Lues halten. Ein differentialdiagnostisches Merkmal scheint,
soweit aus den bisher vorliegenden Fällen eine Schlussfolgerung gezogen
werden darf, darin zu liegen, dass bei Leontiasis ossea nach Bocken-
heimer die aufsteigenden Kieferäste freibleiben, während bei Hyperostose
nach Lues hereditaria tarda dieselben fast vorzugsweise affiziert sind. Ferner
ist bekanntlich für die erste Erkrankung charakteristisch, dass sie unauf-
haltsam weiterschreitet und vor allem jeder Therapie trotzt. Bei der
hereditären Lues können offenbar Siillstände eintreten, und ganz besonders
wird es möglich sein, wie der Fall von Parker, Scheier und von uns
beweist, durch entsprechende Therapie eine Abnahme der Wucherung zu
erzeugen, allerdings ohne die Krankheit vollständig zur Heilung zu bringen,
da gelegentlich andere Knochen wieder befallen werden Können. Wir
glauben denmach die Diagnose einer hereditär-luetischen Hyperostose mit
H. Burkhardt, Ueber die Mitbeteiligung des Gesichtsschädels usw. 221
Sicherheit stellen zu dürfen, sobald eine Reihe solcher hereditär-luetischer
Stigmata vorliegen und der Knochenprozess sich therapeutisch beeinflussen
lässt.
Ein Uebergangsglied zwischen Tumoren und Hyperostosen der Ober-
kiefer bilden die von Perthes (23) besonders erwähnten geschwulstähn-
lichen Hyperostosen der Kiefer, die auf der einen Seite den Osteomen nahe
kommen, auf der anderen Seite an der Grenze zu dem Gebiet der Leontiasis
ossea stehen. In einem Teil dieser Fälle ist ein chronischer Reiz als Ur-
sache der Hyperostose nachweisbar (Virchow, Borst, Fergusson),
während wieder in anderen Fällen von einer entzündlichen Ursache nichts
bekannt geworden ist (Bruhn, Vischer, Hancock). Dazu gehören offen-
bar auch die Beobachtungen von Westmacott (37), die dadurch auffallen,
dass es sich ausschliesslich um jüngere Individuen handelt.
Auch bei Rachitis sind nach Bockenheimer (4) ähnliche Hyper-
ostosenbildungen beschrieben, nur treten diese im allgemeinen frühzeitiger
als die luetischen auf. Ferner sind dieselben durch eine spezifische Therapie
nicht zu beeinflussen. Endlich findet man meistens bei Hyperostosen infolge
Rachitis charakteristische Störungen im Wachstum des Beckens, der Ex-
tremitäten (plattes Becken, Genua valga vara, Coxa vara, Skoliosen usw.),
dann Stellungs- und Formanomalien der Zähne, die nach Perthes (23)
und Scheff (24) für Rachitis ganz charakteristisch sind, so die polygonale
Figur des Unterkiefers, dessen Seiten in der Gegend der Eckzähne winklig
zusammenstossen, Einziehung des Mittelstückes, verstärkte Einwärtsneigung
der seitlichen Alveolarfortsätze, den nach aussen umgekrempten und ver-
dickten unteren Kieferrand, den häufig verlängerten und verschmälerten Ober-
kiefer mit einer steilen Wölbung des Gaumens, den sogen. Eberzahn und andere
Hypoplasien. Entscheidend wird hier wieder die Blutuntersuchung sein. In
unserem Falle war die Wassermannsche Reaktion zweimal positiv. Die
Rachitis kann demnach ausgeschlossen werden. — Was den Zusammenhang
zwischen ererbter Syphilis und Rachitis anbelangt, so seien noch die diesbe-
züglichen Aeusserungen Hochsingers (12) angeführt: „Der von Kassowitz
im Jahre 1881 klargelegte Standpunkt ist der einzig richtige. Die meisten
kongenital-luetischen Kinder werden rachitisch, weil die angeborene Syphilis,
gleich wie andere schwere Ernährungsstörungen, zur Rachitis führt. Der
fanatischen Anschauung Parrots, welcher die Rachitis nur als Manifestation
der kongenitalen Syphilis gelten lässt, begegnen wir am einfachsten durch
die Mitteilung des von Kassowitz bereits genügend hervorgehobenen Um-
standes, dass etwa 90 pCt. unserer sämtlichen Kinder in den drei ersten
Lebensjahren unverkennbare Symptome der Rachitis bieten. Eins erscheint
immerhin bezüglich des Verhältnisses der angeborenen Lues zur Rachitis
auffallend, dass bei luetischen Kindern sehr häufig und frühzeitig schwere
Schädelrachitis angetroffen wird, während hochgradige rachitische Ex-
tremitätenverbiegungen bei denselben nie so stark zu beobachten waren.“
Die Akromegalie ist schon deshalb nicht mit diffusen Hyperostosen
der Gesichts- und Schädelknochen zu verwechseln, weil sie zuerst an den
222 H. Burkhardt, Ueber die Mitbeteiligung des Gesichtsschädels usw.
Extremitäten und erst später im Gesicht auftritt. Ferner nehmen bei der
Akromegalie ausser dem Knochengewebe auch noch alle anderen Gewebe
im Gesicht an dem exzessiven Wachstum teil, so Nase, Lippen und Zunge.
Gewöhnlich gibt auch das Röntgenbild Auskunft über die Formation der
Sella turcica und die Hypophysengegend.
Maligne Tumoren kénnen nur im Anfang mit Hyperostosen verwechselt
werden, da diese Knochentumoren rasch zu grösseren Tumoren heran-
wachsen, die oft auf dem Röntgenbild frühzeitig die Zerstörung des Knochens
erkennen lassen.
Fihrome, wie sie namentlich durch das Tragen schlechter Gebisse
hervorgerufen werden, können mit einer diffusen Hyperostose der Alveolar-
fortsätze nur bei oberflächlicher Untersuchung verwechselt werden. Un-
schwer lässt sich jedoch das Fibrom an seiner viel weicheren. Beschaffen-
heit erkennen, und auch auf dem Röntgenbild wird sich keine Verdickung
der Knochen in diesen Fällen nachweisen lassen.
Osteome oder Exostosen, wie Hofmeister (25) am Unterkiefer einige
gesehen hat, die eine ziemliche Grésse erreichten und wahrscheinlich im
Anschluss an chronische Pericementitis entstanden sind, bieten differential-
diagnostisch schon grössere Schwierigkeiten; sie sind im allgemeinen mehr
zirkumskripte, gut abgegrenzte, oft gestielte Geschwiilste, ohne Uebergang
auf andere Knochen. Es können aber kleine Osteome oder Exostosen auf
diffusen Hyperostosen sitzen, was natiirlich die Diagnose dann erschwert.
Die Affektion des Siebbeins (Mucocele, Osteome usw.) lässt sich von
den beschriebenen Hyperostosen durch ihre Lokalisation, dann vor allem
durch das Freibleiben des Unterkiefers leicht differenzieren.
Die Hyperostosenbildung der Kiefer bei halbseitiger Gesichtshyper-
trophie ist eine seltene Affektion; immerhin sind Fälle von Fischer (26),
Friedrich (27), Hutchinson (28), Schieck (29), Ziehl (30) u. a. m.
genau beschrieben. Grosse differentialdiagnostische Schwierigkeiten dürften
sich wohl deswegen nicht bieten, weil bei dieser Affektion in’ der Regel
die Weichteile mithypertrophiert sind und die Erkrankung nur die eine
Gesichtshälfte befällt. In einigen Fällen von Hutchison (28), Thomsen (31)
traten Hyperostosen der Knochen, entsprechend dem Verbreitungsgebiete
des Nervus trigeminus auf. In den Fällen von Werner (32) und Pagen-
stecher (33) waren auf der erkrankten Kieferhälfte auch die Zähne er-
heblich dieker und breiter als auf der gesunden.
Wie erwähnt, gibt A. Fournier an, dass Hyperostosen am Schädel
infolge kongenitaler Lues noch bis zum 28. Jahre, nach anderen Autoren
sogar noch später entstehen können. Diese Tatsache ist deswegen wichtig,
weil natürlich auch Exostosenbildungen bei erworbener Syphilis auftreten
können. An den Kiefern werden diese bei erworbener häufiger angetroffen
als bei kongenitaler. Chabaud (34) berichtet in seiner Dissertation:
„Syphilis du maxillaire inférieur“, über 17 derartige Fälle, A. Fournier (35)
und Zambaco (36) haben im Anschluss an Exostosenbildung bei er-
worbener Lues in der Gegend des Foramen alveolare des aufsteigenden
H. Burkhardt, Ueber die Mitbeteiligung des Gesichtssohädels usw. 223
Kieferastes Lähmung des betreffenden dritten Trigeminusastes gesehen, was
eine vollständige Anästhesie der entsprechenden Unterkieferhälfte zur Folge
hatte. Die Anamnese und die eventuell nachgewiesenen Erscheinungen
hereditärer Lues werden die Differentialdiagnose in derartigen Fällen leicht
ermöglichen.
Was die Prognose und Therapie derartiger hereditär-luetischer Ex-
ostosen anbelangt, scheinen diese nicht ungünstig zu sein, denn, wie die
Krankengeschichten der obigen Fälle dartun, ist unzweifelhaft auch in
unserem Falle noch ein Zurückgehen der Hyperostosenbildungen zu erwarten.
Etwas getrübt ist die Prognose für unsere Beobachtung deswegen, weil die
Eltern jeder gründlichen medizinischen Therapie abhold sind; ferner liegt hier
eine Pupillenstarre vor, eine Erscheinung, die eben doch als Initialsymptom
der Tabes dorsalis aufgefasst werden könnte. Bei analogen Fälfen soll im
allgemeinen therapeutisch möglichst früh und energisch vorgegangen werden,
da, wie einzelne Beobachtungen beweisen, eine Rückbildung möglich ist.
Allzu hoch dürfen wir allerdings die therapeutischen Erfolge nicht an-
setzen, da wir auf Rezidive bzw. Neuerkrankung anderer Knochen stets
gefasst sein müssen.
Herrn Privatdozent Dr. Nager spreche ich für die Anregung zu dieser
Arbeit und die Unterstützung dabei meinen aufrichtigen Dank aus.
Literaturverzeichnis.
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erkrankungen. Wien 1904.
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3. Lexer, Handbuch der praktischen Chirurgie von v. Bergmann und Mikulicz.
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13. Bering, Kongenitale Syphilis, Entstehung, Erscheinungen und Behandlung.
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14. Sidler, Die hereditär-syphilitischen Augenhintergrundsvoränderungen bei
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Or =
a]
224 4H. Burkhardt, Ueber die Mitbeteiligung des Gesichtssohädels usw.
15. Remak, R., Berliner klin. Wochenschr. 1885. Nr. 7.
16. Ibrahim, Lehrbuch der Kinderkrankheiten von Feer. Jena 1911.
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20. Wrang, Prager Vierteljahrsschr. 1867. Vol. 1.
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heiten der Kiefer. Stuttgart 1907.
24. Scheff, Handbuch der Zahnheilkunde. Wien und Leipzig 1910.
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H. 3.
26. Fischer, Der Riesenwuchs. Deutsche Zeitschr. f. Chir. Bd. 12. S. 1.
27. Friedreich, Ueber kongenitale, halbseitige Kopfhypertrophie. Virchows
Archiv. 1863. Bd. 28. S. 474.
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of surgery. Vol. 2. p. 312.
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30. Ziehl, Ein Fall von halbseitiger Gesichtshypertrophie. Virchows Archiv.
Bd. 91. S. 92.
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Gebiete des Trigeminus.
32. Werner, R., Kongenitale halbseitige Gesichtshypertrophie. Archiv f. klin.
Chir. Bd. 75. S. 533.
33. Pagenstecher, Einseitige angeborene Gesichtshyportrophie. Deutsche
Zeitschr. f. Chir. Bd. 82. S. 518.
34. Chabaud, Contribution a l’étude de la syphilis du maxillaire inférieur. Thèse
de Paris. 1885.
35. Fournier, A., Paralysie du nerf mentonnier par lésion syphilitique. Gazette
hebdomadaire. 1876. p. 804.
36. Zambaco, Desaffections nerveuses syphilitiques. Gazette hebdomadaire. 1876.
37. Westmacott, Internat. Congress of medicine. London 1913.
Nachtrag bei der Korrektur.
Auf den während der Drucklegung erschienenen Beitrag von Amersbach
(Verhandlungen des Vereins Deutscher Laryngologen, 1914) und die dort zitierten
Arbeiten kann leider nur hingewiesen werden.
XVII.
Aus dem Institut fiir operative Chirurgie und topographische Anatomie
an der Kaiserlichen Universität Charkow (Russland).
Regio latero-pharyngena.')
Topographie ihrer Arterien im Zusammenhang mit der Frage über
gefährliche Blutungen bei operativen Eingriffen in der Regio tonsillaris.
Von
Dr. Th. J. Bulatnikow,
Zweiter Prosektor am Institut für operative Chirurgie und
topograph. Anatomie an der Kaiserlichen Universität Charkow.
(Hierzu Tafeln VIII—XI und 14 Textfiguren.)
I.
Im Verlauf der 92 Jahre, die seit der ersten Mitteilung von Allan Burns
über eine tödliche Blutung aus der während der Tonsillotomie verletzten
Art. carot. int. vergangen sind, wurde die Frage nach dem Ursprung der
gefährlichen Blutungen unter genannten Bedingungen schon mehrmals be-
handelt.
Aber trotz der Menge von Arbeiten, die der Aufklärung dieser Frage
gewidmet sind, wurde sie nicht nach allen Richtungen in erschöpfender
Weise bearbeite. Dieser Umstand lässt mich hoffen, dass auch meine
Arbeit einige Bedeutung haben kann.
Der Plan der Arbeit ist folgender:
I. Blutversorgung der Tonsillen und der lateralen Pharynxwand.
ll. Beziehung der Art. carotis und ihrer Zweige zur Tonsille bei normaler
Kopflage.
A. Bei Erwachsenen:
7 Querschnitte der klassischen Autoren.
7 eigene Querschnitte.
2 Sagittalschnitte.
2 Frontalschnitte.
In 7 Fällen näherten wir uns der Regio tonsillaris von aussen;
In 2 Fällen durch die Mundhöhle;
In 3 Fällen von hinten her.
B. Bei Kindern:
4 Querschnitte.
1) Der Redaktion zugegangen im Mai 1914.
226 Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea.
Ill. Beeinflussung der Topographie der Regio tonsillaris durch
1. Hervorziehen der Zunge und Tonsille.
2. Niederdrücken der Zunge.
3. Kopfwenden.
4. Kopfbeugen.
ð.
Zurückwerfen des Kopfes nach hinten.
IV. Die Existenz und die Bedeutung des „Stylodiaphragma“.
Ausserdem sind 5 Präparate röntgenographisch untersucht.
Im ganzen standen zu unserer Verfügung 35 Leichen: 1 Frau, 4 Kinder
und 30 Männer.
Die Frage von der arteriellen Versorgung der Mandel diente bereits
mehrmals als Thema für anatomische Untersuchungen; jedoch begnügen
sich in den meisten Handbüchern der Anatomie die Autoren mit dem
Hinweis, dass die Tonsille durch kleine arterielle Zweige der Art. palat.
ascendens und descendens [|Bobrow!)] versorgt wird, oder erwähnen,
dass die Mandel ihre Arterien aus zahlreichen Quellen erhält: aus der
Art. pharyngea ascendens, der Art. palatina und der Art. lingualis
(Tillaux?)]; Rauber’) ist der Meinung, dass die Tonsillararterien aus
der Art. maxillaris ext., Art. palatina desc., Art. pharyngea asc.
und der Art. dorsal. linguae entspringen. Auf Details lassen sich die
genannten Autoren überhaupt nicht ein.
Diese wichtige Lücke wurde jedoch durch die Autoren der Spezial-
monographieen ausgefüllt, wobei es sich nach allen Untersuchungen heraus-
stellte, dass es ganz unmöglich sei, einen einheitlichen Blutversorgungs-
typus für beide Tonsillen aufzustellen: jede Mandel wird auf ihre eigene
Art ernährt, als der häufigste Typus gilt folgender: von der Art. maxil-
laris ext. zweigt sich die zwischen dem M. styloglossus und M. stylo-
pharyngeus aufsteigende Art. palat. asc. ab. In der Höhe der Mandel
entsendet sie die Aa. tonsillares; bevor die letzteren die Kapsel erreichen,
spalten sie sich in 2 Zweige, welche mit der Kapsel verwachsend, sich in
mehrere in das Mandelparenchym dringende Verzweigungen auflösen.
Der beschriebene Blutversorgungstypus ist der vorherrschende, es kommt.
aber oft vor, dass man nicht eine Art. tonsillaris, sondern mehrere und
zudem verschiedenen Ursprungs antrifit. Es dürfte die Ansicht erlaubt
sein, dass ein jeder Fall für sich einen besonderen Typus darstellt.
Sogar an einem und demselben Kopfe ist der Arteriensystemtypus auf
beiden Seiten durchaus nicht identisch; die rechte Hälfte kann verschieden
von der linken ernährt werden; das gilt sowohl von der Zahl der
Arterien, als auch von ihrem Ursprung. (Bjelajew, Ueber die Blutungen
nach Tonsillotomie. Russische Zeitschrift f. Ohren- u. Halskrankheiten.
1909. S. 285.)
1) Handbuch d. topograph. Anat. Moskau 1911. S. 113.
2) Handbuch d. topograph. Anat. S. 365.
3) Handbuch d. Anat. S. 693.
Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea. 227
Orleansky!) kam auf Grund der Untersuchung von 26 Präparaten
zu dem Schluss, dass mehrere selbständige zur Ernährung der Mandel be-
stimmte Arterien existieren; wobei in seinen Fällen die Art. tonsillaris aus
der Art. palat. asc. hervorging. Die letztere trat oft in der Einzahl, zu-
weilen doppelt oder dreifach auf. War sie einzeln, so teilte sie sich bald
in 2, 3 bis 4 Zweige. Die akzessorischen Arterien entsprangen aus der
Art. maxill. ext. und Art. lingualis.
Fasst man eine ganze Reihe von Beobachtungen einzelner Autoren zu-
sammen, so wird man genötigt, anzunehmen, dass die Tonsille ihr Blut
aus folgenden Quellen erhalten kann:
1. Art. palat. desc.
2. Art. palat. asc. Art. pharyng. asc.
8. Art. carotis ext. Art. maxill. ext.
Im zuletzt genannten Falle geht die Art. tonsill. entweder direkt aus
dem Stamme der Art. maxill. ext. an der Abgangsstelle ab, oder aus der
von der letzteren in der Höhe ihrer Kreuzung mit dem M. styloglossus und
M. stylopharyngeus gebildeten Schlinge [O. Zuckerkand]?)].
Die aus den erwähnten Quellen entstandenen Aa. tonsillares bilden an
der Lateralfläche der Mandelkapsel einen anastomotischen Ring, wobei in
das eigentliche Mandelgewebe nur Kapillaren eindringen.
Für gewöhnlich stellt die Art. tonsillaris einen sehr dünnen Stamm dar,
dessen Durchmesser so gering ist, dass Merkel der Verletzung des ge-
nannten Gefässes keine erhebliche Bedeutung beimisst, selbst nicht in dem
Falle, „wenn die Arterien infolge wiederholter Entzündungen erweitert sind“.
Das umstehende Schema bringt in klarer Weise den Arterienversorgungs-
typus der Mandel zur Ansicht.
Die Beziehung der arteriellen Stämme zur fibrösen „Kapsel“ der
Tonsille diente ebenfalls als Gegenstand für verschiedene Untersuchungen,
aber zu einem endgültigen Schlusse sind die Autoren bisher nicht gekommen.
Zuckerkandl?) hält den Zusammenhang für ausserordentlich eng,
unabhängig davon, ob das Gefäss die Kapsel einfach durchbohrt oder zunächst
auf ihrer Oberfläche bleibt und erst dann, einige Krümmungen bildend, ins
Mandelparenchym eindringt. Wegen der erwähnten engen Verbindung
zwischen der Oberfläche der fibrösen Mandelkapsel und den Wänden der
Art. tonsillaris kann die letztere sich beim Durchschneiden weder retrahieren,
noch ihr Lumen verengen, weshalb auf das selbständige Aufhören der
Blutung nicht zu hoffen ist [Zuckerkandl®%)].
Wenn also der Schnitt durch die Mandelsubstanz gegangen ist, so
können nur die Kapillaren verletzt sein, wobei unter normalen Verhältnissen
die Blutung nur gering sein wird. Wenn aber die Mandelkapsel verletzt
Art. lingual.
ne
S>
1) Zur Frage der Anatomie und Chirurgie der Mandel. Moskau 1909. S. 114.
2) Zur Frage der Blutung nach Tonsillotomie. Wien 1887. S. 320.
3) lL. c. S. 323.
4) 1. c. S. 323.
223 Th. .J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea.
wird, so wird es auch zu einer Verletzung der Art. tonsillaris kommen,
wobei die Blutung sehr heftig sein kann.
Diese Ansicht wird teilweise auch von Bobrow!) geteilt. Durchaus
der Ansicht, „dass die grösseren Zweige in der Dicke der fibrösen Mandel-
kapsel liegen“, ist Bobrow, doch der Meinung, „dass relativ grosse Zweige
Figur I.
A.NAAILLANIS INT.
EXE AMYGDALA
Eu
acanarıdin. BEER
der genannten Arterie auch in der Substanz der Septen zwischen den
Mandelläppchen vorkommen“.
Im Gegensatz zu der Meinung von Zuckerkandl und Bobrow?)
glaubt Merkel, dass „nur in einer Reihe von Fällen die Mandelgefässe
so fest mit der Mandelkapsel verbunden sind, dass sie sich weder retrahieren,
noch sich ihr Gefässlumen verengern kann. Ohne nun die Beobachtung
selbst irgendwie bemängeln zu wollen, kann ich dem doch nicht beistimmen.
1) Lehrbuch d. operat. Chir. Moskau 1908. S. 370.
2) Handbuch d. topograph. Anat. Bd. 1. S. 405.
Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea. 229
denn jede Arterie, welche durch festes Gewebe verläuft, sei dies nun
schwartiges Bindegewebe, oder Knorpel, Knochen, oder eine feste Drüse,
liegt in einer mit lockerem Bindegewebe gefüllten Scheide. Dies ist auch
notwendig, indem jeder Pulsschlag eine Kontraktion des Gefässes mit sich
bringt, welche unmöglich sein würde, wenn die Arterie fest mit der Um-
gebung verwachsen wäre. Die Muskeln der Arterie müssten in diesem
Falle atrophisch werden, was eben nie der Fall ist“. Kurz, Merkel teilt
die Meinung von Zuckerkandl nicht und weist, abgesehen von der
Art. tonsillaris, auf andere Quellen der Blutungen hin.
Die neueren Autoren (Bielajew und Meyer) halten sich bei dieser
Frage entweder garnicht auf, oder berühren sie nur oberflächlich.
Wir haben bei der Untersuchung der Regio tonsillaris mehrmals unsere
Aufmerksamkeit auf die Beziehung des oben erwähnten Arterienrings zur
äusseren Peripherie der Mandelkapsel gerichtet. In sämtlichen von uns unter-
suchten Fällen konnte man mit absoluter Sicherheit eine ausserordentlich
feste Verbindung zwischen den Gefässwänden und der Kapsel konstatieren.
Zum anschaulichen Beweis kann folgendes Experiment dienen: Wenn
man die Mandel mit einem durch die Mukosa und Submukosa dringenden
Schnitt umschneidet und sie nachher zu sich zieht, so gelingt es in der
Tat, unter Anwendung einer beträchtlichen Kraft, sie mitsamt der Kapsel
auszureissen, wobei die Gefässe an der Oberfläche der letzteren bleiben.
Daraus kann man nach unserer Meinung folgern, dass die Verbindung der
Gefässe mit der Kapsel eine engere ist, als die mit dem sie umgebenden
Gewebe.
Die Venen!) der Mandel münden in das gemeinsame Venensystem des
Schlundes. Das genannte System besteht aus zwei weiten Plexus. Der
eine von ihnen liegt in der Submukosa, der andere an der äusseren
Peripherie des Schlundes im Gebiete der Adventitia des Pharynx. Der erste
ist der Plexus submucosus, der zweite der Plexus peripharyngeus.
Diese beiden „Plexus“ anastomosieren ausgiebig untereinander, wobei der
Plexus peripharyngeus in die V. jugularis int. einmiindet.
Der Plexus submucosus wird in 2 Teile, einen vorderen und einen
hinteren geteilt, den Plexus venosus pharyngeus submucosus
anterior et posterior.
Der erstgenannte liegt im Gebiete der Zungenwurzel und wird aus
zwei Venennetzen, einem oberen und einem unteren gebildet.
Das obere Netz erhält sein Blut aus den oberen Pharynxteilen und
anastomosiert mit den Venen der Fossa nasalis; das untere Netz ver-
breitet sich auf das Wangengebiet und tritt mit den Venen der Zungen-
wurzel in Verbindung. Im pharyngealen Gebiet der letzteren liegen dic
Venen sehr dicht und oberflächlich und bilden den auf die Epiglottis
übergehenden Plexus pharyngolaryngeus von Luschka.
1) Nach P. Piorier et A. Charpy, Traité d’anatomie humaine. T. IV.
F. 1. p. 184—187.
Archiv für Laryngologie. 29. Bd. 2. Heft. 16
230 Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea.
Aus dem Plexus submucosus anterior fliesst das Blut in die
1. V. lingualis,
2. V. thyreoidea,
3. V. laryngea sup., welche in die V. thyreoidea sup. vermittels der
V.thyreolaryngea (Walter) einmündet.
4. V. laryngea inf., die sich in die V. thyreoidea inf. ergiesst.
Der Plexus submucosus post. ist besonders in der Höhe des
laryngealen Pharynxgebiets entwickelt und ist in der Submukosa, zwischen
der Schleimhaut und der inneren Fläche der M. constr. pharyngis inf.
gelegen. Der Form nach ähnelt er einem ovalen Discus mit ein wenig
unregelmässigem Umriss. Der obere Rand dieses „Plexus“ ist breit, jedoch
in der Richtung von vorne nach hinten bedeutend enger.
Die Länge des Plexus beträgt 3 cm
„ Breite `, 1 „ 2m
„ Dicke „ = ni 0,4—0,5 cm
Die besonderen diesen Plexus bildenden Venenstämme anastomosieren
ausgiebig untereinander und sind oft varikös erweitert; sogar in normalem
Zustand beträgt ihr Durchmesser 0,3—0,5 em (Luschka).
Der Plexus venosus submucosus pharyng. posterior kann bei
alten Leuten stark entwickelt sein.
Der genannte Plexus sammelt sein Blut aus der Schleimhaut des Schlundes
und bildet zahlreiche Anastomosen mit dem Plexus peripharyngeus. Die
anastomosierenden Venenstämme liegen zuerst auf der inneren Fläche des
M. constr. pharyngis sup., perforieren ihn nachher und münden in den Plexus
venosus peripharyngeus ein.
Diese Anastomosen können in folgende drei Gruppen eingeteilt werden:
1. Die erste Gruppe der Anastomosen entsteht aus den oberen Teilen
des Plexus submucosus pharyngis post., verläuft in der Mittellinie
und ergiesst sich vermittels zweier Venen in den zentralen Teil des Plexus
peripharyngeus.
2. Die Venen der zweiten Gruppe entspringen aus den seitlichen Teilen
des Plexus submucosus, verlaufen nach oben und aussen und miinden
in die Seiten des Plexus peripharyngeus.
8. Die Venen der dritten Gruppe haben ihren Ursprung in den Seiten-
teilen des Plexus submucosus, verlaufen nach oben und aussen und
endigen im Plexus submucosus oesophagi.
Der Plexus venosus peripharyngeus liegt zwischen der Tunica
adventitia und der Muscularis pharyngis. In ihn miinden ausser dem
Plexus submucosus die Vv. meningeae und die V. sphenopalatina. Die
Venen der lateralen Wand sind sehr breit und krumm, anastomosieren mit-
einander und bilden den gut entwickelten „Plexus congloméré de Fouche“.
Die Venen der Hinterwand verlaufen teilweise als vertikale Stämme,
teilweise in Form von queren Halbkreisen. Anastomosierend bilden sie
den „Plexus annulaire de Fouche“, der am Schlundwinkel in den Plexus
Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea. 251
pterygoideus einmiindet. Die Anastomosen zwischen den beiden genannten
Plexus verlaufen sowohl vertikal als auch horizontal und setzen den
Plexus lateropharyngeus zusammen.
Die Art. carotis und ihre Zweige stehen in unmittelbarer Beziehung
zur seitlichen Pharynxwand.
Bei gewöhnlicher Kopflage, d. h. nicht bei Retroflexion, Lateroflexion
oder Torsion des Kopfes, befindet sich die Teilungsstelle der Art. carot.
commun. in der Höhe des grossen Zungenbeinhorns oder des oberen Randes
der Cartilago thyreoidea. |
Im allgemeinen ist die Teilungsstelle keine konstante; sie verschiebt
sich bei den verschiedenen Kopflagen und beim Erschlaffen des M. sterno-
cleidomastoideus kann sie dem Unterkieferwinkel entsprechen!). Bei Frauen
liegt die Teilungsstelle tiefer als bei Männern?). Bei der ersterwähnten
Kopflage ist die Teilungsstelle nicht von dem M. sternocleidomastoideus
bedeckt.
Indem sie also für gewöhnlich in der Höhe des oberen Randes der
Cartilago thyreoidea eine kleine Ausbuchtung bildet), teilt sich die Art.
carotis comm. in 2 Aeste: Art. carotis externa und Art. carotis int.
Bei Erwachsenen sind diese Aeste ungefähr von gleicher Grösse, bei
Kindern und besonders bei Embryonen ist die Art. carotis interna erheblich
grösser als die Art. carotis ext. So beträgt z. B. nach unseren Unter-
suchungen bei 12jährigen Knaben der Diameter der Art. carotis externa
0,3 cm, der Art. carotis int. 0,5 cm.
Unmittelbar nach der Teilung liegen beide Art. carotides nebeneinander,
als ob sie einen Stanım bilden, und behalten anscheinend die Richtung der
Art. carotis comm. bei (Richet), wobei die Bifurkation fast in der Sagittal-
fläche liegt, wie es auf der Tafel aus „Der Schlundkopf des Menschen“ von
Luschka und auf unserer Tafel VIII, Fig. III angegeben ist, nicht aber
in der Frontalfläche, wie es Corning zeichnet).
Bei ihrem Abgange liegt jedoch die Art. carotis int. ein wenig nach
aussen und hinten von der Art. carotis ext., beginnt aber bald, sich nach
der Mitte zu in der Richtung zur seitlichen Wand des Schlundes umzu-
biegen und legt sich hinter die Art. carotis ext., wobei sie gleichzeitig
diese unter sehr scharfem Winkel kreuzt.
Indem sie die seitliche Wand des Schlundes. erreicht, nimmt die Art.
carotis int. wieder eine vertikale Richtung an und zieht zu der Schädel-
basis, sie liegt zusammen mit der V. jugularis int., Nv. IX, X, XI und XII
und dem Gangl. sympath. sup. im Spatium lateropharyngeum postieum
(s. Fig. II, 3; Fig. II, 19).
1) Pirogow, Anatom. chirurg. trune. arter. S. P. B. 1858. S. 29.
2) Richet, Anat. chirurg. S. P. B. 1883. S. 448.
3) Ibidem. S. 446.
4) Lehrb. d. top. Anat. S. 130. Fig. 109.
16*
Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea.
Unmittelbar an der Schiidelbasis liegen die genannten Organe hinter
dem Pharynx, aber mit fortschreitender Entfernung von der Schiidelbasis
legen sie sich an seine seitliche Wand, an den Proc. transversus und die
Vorderfliiche der Halswirbel im Spatium lateropharyngeum posticum (Fig. II,
9; Fig. II, 19), nach hinten von dem Proc. styloideus und der Apo-
neurosis stylopharyngeus (Fig. II, 6; Fig. III, 16).
Wie man auf der Fig. II und Fig. III sieht, liegt von den aufgezählten
Organen der Schlundwand (Fig. Il, 1; Fig. III, J) am nächsten die Art.
carotis int. (Fig. Ill, 9), sie berührt aber die Schlundwand nicht unmittelbar,
Figur II.
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Spatium peripharyngeum. Schema nach Testut-Jacob.
Sehnitt in der Höhe der Mitte der Gland. parotis. Anscheinend in Höhe des oberen
Randes des Ll. Halswirbels.
a Columna vertebralis; b Ram. asc. maxillaris inf.; e Proc. pterygoid.; d Proc.
styloideusemit Mm. stylohyoideus, stylopharyngeus und styloglossus; 1 Pharynx;
1’ Aponeuros. peripharyngea; 2 Tonsilla; 3 Aponeuros. parot. superfic.; 4 Aponeuros.
parot. prof.; 5 Aponeuros. praevertebralis; 6 Aponeuros. stylopharyngea; 7 apo-
neurotische, von der Aponeurosis peripharyngea zu der Aponeurosis praevertebralis
laufende Platte; 8 der Raum Gland. parotidis; 9’ Spatium lateropharyng. antic.;
9 Spatium lateropharyng. posticum (loge retrostylien); diese beiden Räume (9 u. 9‘)
bilden zusammen einen gemeinsamen sogenannten „Espace sous glandulaire“;
10 Spatium retropharyngeum; 11 M. masseter; 12 M. pterygoid. int.; 13 M. sterno-
cleidomastoideus; 14 Vent. post. m. digastrici; 15 M. praevertebralis!); 16 sub-
kutanes Fettgewebe.
da zwischen ihnen eine Schicht Fettgewebe liegt (Fig. III], 19) (Zucker-
kandl).
Von der Abgangsstelle steigt die Art. carotis ext. nach oben und
1) In dem Originale wurde der M. praevertebralis fehlerhaft als M. scalenus
anticus bezeichnet. Auf der vorstehenden Figur (Nr. II) wurde die Bezeichnung
richtiggestellt.
en
Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea. 233
hinten. Im allgemeinen liegt sie oberflächlicher als die Art. carotis int.
und erreicht den hinteren Bauch des M. digastricus, kreuzt ihn, legt sich
auf seine innere Fläche, um nachher in der Fossa retromaxillaris zu ver-
laufen (Fig. II, 8; Fig. II, 4).
Nach Führers Untersuchungen geht die Art. carotis ext., besonders
beim Vorhandensein von pathologischen Prozessen in ihren Wandungen,
unter dem Venter posterior M. digastriei durch und biegt so tief
in der Richtung zur Schlundwand um, dass sie die Mandeln er-
reicht. (S. Hyrtl, Topogr. Anatomie. Wien 1882. S. 459—461.)
Figur II.
Horizontalschnitt des Halses in der Höhe der Mitte der Glandula parotidis
nach Testut-Jacob.
A M. pterygoideus int.; B M. masseter; © Proc. styloideus und Stylomuskeln;
D Gl. parotis; D‘ Pars parotidis accessoria pharyngea; E M. sternocleidomastoideus;
F M. digastricus; G M. praevertebralis; H Tonsilla; I Aponeurosis peripharyngeus;
J M. constr. pharyng. sup.; 1 Canalis Stenonianus; 2 N. facialis; 3 Gang.
parot. superficialis; 4 Art. carotis ext.; 5 Vena jugularis ext.; 6 Gang. parot. prof.;
7 lateropharyngeales Gewebe; 8 Vena jugularis int.; 9 Art. carotis int.; 10 Gang.
lateropharyng.; 11 N. spinalis; 12 N. vagus; 13 Gang. sympath. sup.; 14 N. hypo-
glossus; 15 N. glossopharyngeus; 16 Aponeurosis stylopharyngea; 17 aponeurotische
Platte, die das Spatium retropharyngeum von dem Spatium lateropharyngeum
posticum trennt. In dem Spatium retropharyngeum befinden sich zwei Lymph-
drüsen, welche als Ursprung der Eiterung bei den retropharyngealen Phlegmonen
erscheinen. Der Pfeil zeigt die Richtung des Schnittes bei den Phlegmonen des
genannten Gebietes: 18 Spatium lateropharyngeum antic. Der bei H stehende Pfeil
zeigt die Richtung des Schnittes bei den Phlegmonen des genannten Gebietes;
19 Spatium lateropharyngeum post. Der punktierte Pfeil zeigt die Richtung des
falschen Schnittes bei den Phlegmonen dieses Gebietes. Bei dem angezeichneten
Schnitte kann man die grossen Gefässe beschädigen. Der über der Zahl 8 befind-
liche Pfeil zeigt den bequemsten Weg für die Oeffnung der Phlegmonen des
Spatium lateropharyng. posticum.
234 Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea.
Die Spalte, durch welche die Art. carotis ext. in die Fossa retro-
maxillaris eintritt, hat eine dreieckige Form und wird durch das Aus-
einandergehen des M. styloglossus einerseits und des M. stylohyoideus und
digastricus andererseits gebildet. W. L. Sruber beschreibt einen Fall, in
welchem die Art. carotis ext. in die Spalte zwischen dem M. digastricus
und M. stylohyoideus eintrat. [Arch. f. pathol. Anat. 1876. Bd. LXVI.
S. 462. 1)]
Nach Passierung dieser Spalte tritt die Art. carotis ext. ins Gewebe
der Glandula parotis, aber in Ausnahmefällen kann sie auch ausserhalb
der genannten Drüse, auf ihrer hinteren seitlichen Fläche liegen.
Das Niveau des Gelenkhalses der Mandibula erreichend, bildet die
Art. carotis ext. eine gegen den Pharynx gerichtete hinter dem aufsteigen-
den Kieferast liegende Krümmung (Hermann, Zuckerkandl), wonach sie
sich in die Art. maxillaris ext. und Art. temporalis superf. teilt.
Nach Pirogows?) Ansicht „kann die Länge der Art. carotis ext., von
der Bifurkation bis zum Venter post. M. digastrici zu 2,7 cm angenommen
werden; bei Menschen mit kurzem Halse ist diese Länge natürlich geringer“.
Wir halten es jedoch für notwendig, darauf aufmerksam zu machen,
dass nach Richets?) Meinung „die Halslänge, welche dem Anschein nach
so starken individuellen Schwankungen unterworfen ist, eigentlich immer
sleich bleibt und dass die „apoplektische* Halskürze mehr eine scheinbare
als eine wirkliche ist“.
Von dem 3 cm langen Stamm gehen also 6 grosse Zweige ab:
1. Art. thyreoid. sup., 4. Art. occipitalis,
2. Art. lingualis, 5. Art. pharyng. asc.,
3. Art. facialis, 6. Art. palat. asc.
„Uebrigens beginnen manchmal diese Seitenzweige so nahe an der
Teilungsstelle der Art. carotis commun., dass wir eigentlich keinen Stamm
finden: die Arterie entfaltet sich sozusagen wie ein Strauss“ 4).
1. Die Art. thyreoidea sup. zweigt sich von der Art. carotis ext. ge-
wöhnlich im Niveau der Bifurkation der Art. carotis comm. ab, bildet bei
ihrer Abgangsstelle einen kleinen mit der Konvexität nach oben gerichteten
Bogen, verläuft nachher nach innen und unten fast parallel der Art. carotis
comm. Mit dem uns interessierenden Gebiete der Reg. tonsillaris steht sie
in keinerlei Beziehung.
2. Die Art. lingualis geht von der Art. carotis ext. 1,3 cm ober-
halb der Art. thyreoidea ab und verläuft auf dem M. constr. pharyng. med.
Gleich nach dem Abgange zieht sie fast vertikal nach oben und läuft un-
gefähr 7 mm parallel und neben der Art. carot. ext., bildet nachher einen
Bogen mit der Konvexität nach oben und innen, wonach sie ihre Richtung
1) Nach „Wratsch“. 1836. Nr. 46. S. 819.
2) 1. c. S. 30.
3) lc. S. 402.
4) Richet, I. c. S. 449.
Th. J. Bulatnikow, Rogio latero-pharyngea. 239
in eine horizontale oder richtiger in eine quere (von unten und aussen
nach oben und innen), und zwar 5—& mm oberhalb des grossen Horns des
Os hyoideum umwandelt und unter den äusseren Rand des M. hypo-
glossus tritt (Pirogow).
Bei Besprechung des Ursprungs der arteriellen Blutungen bei Tonsillo-
tomien legte Demme!) dem Verlaufe und der Länge des Bogens der Art.
lingualis grosse Bedeutung bei. Nach seiner Meinung grenzt der Anfang
dieses Bogens sehr nahe an den seitwärts von ihm laufenden M. stylo-
hyoideus und den hinteren Bauch des M. digastricus; beim Durchlaufen der
Pulswelle, besonders bei erhöhtem Druck, stellt sich der Bogen der Art.
lingualis in die gerade Linie auf und, indem er sich nach innen bewegt,
nähert er sich der Schlundwand“. Diese Bewegung wird noch energischer,
wenn die Art. lingualis und die Art. maxillaris ext. mit einem ge-
meinsamen Stamm von der Art. carot. ext. entspringen, dann wird die eben
erwähnte Bewegung der Art. lingualis durch die Bewegung des Bogens
der Art. maxillaris verstärkt. Die letztere hat einen festen Stützpunkt in
dem hinteren Bauch des M. biventer und in dem Kieferwinkel, wodurch
die Bewegung der genannten Arterien sich nur auf die Seite des Schlundes
ausbreiten kann.
Die Annäherung der Arterien an die Wand des Pharynx soll eine
pulsatorische Erschütterung desselben hervorrufen, was besonders deutlich
“in dem unteren Drittel oder in der Mitte der Mandel konstatiert wird.
3. Die Art. maxillaris ext. entspringt an der äusseren Peripherie
der Art. carotis ext. [Luschka?)], 13 mm oberhalb der Art. lingualis
an derselben Stelle, wo die Art. carot. ext. den hinteren Bauch des M.
digastricus kreuzt; kurz nach Abgang tritt die Art. maxillaris ext. unter
die Sehne des hinteren Bauches des M. digastricus (Pirogow), „läuft in der
Spalte zwischen dem M. stylohyoideus und dem Vent. post. M. digastrici
einerseits und dem M. styloglossus andererseits, indem sie meist eine
stark S-förmige Krümmung macht. Diese ist es, welche nicht selten
ungemein nahe an den äusseren Umfang der Tonsille heranreicht. Man
kann sich sehr gut vorstellen, dass, sobald der vorspringende Bogen der
Arterie in die Schnittebene fällt, eine heftig spritzende Blutung eintritt
[Merkel?)].
Die Dicke der Art. maxillaris ext. beläuft sich auf 3—5—7 mn,
variiert aber entsprechend der Zahl und Grösse der von ihr ablaufenden
Aeste [Luschka®)], von den letzteren muss für unseren Zweck die Art.
palat. asc. erwähnt werden.
Die letztere wird für einen der beständigsten Zweige der Art. maxil-
laris ext. gehalten, geht aber oft von der Art. lingualis, Art. pharyn-
gea asc., manchmal sogar von der Art. carot. ext. ab.
1) Wiener med. Wochenschr. 1901. Nr. 41. S. 2245—2248.
2) Die Anatomie des Menschen. Kopf. S. 486.
3) 1. c. S. 408.
4) 1. c. S. 487.
236 Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea.
Entspringt sie aus der Art. maxillaris ext., so verläuft die Art. palat.
asc. zwischen dem M. styloglossus und dem M. stylopharyngeus,
geht über den M. constr. pharyngeus sup. und wendet sich nach dem
weichen Gaumen. Unterwegs gibt sie Zweige in die Musc. pterygoi-
deus int., constrictor pharyngis sup. und die Tonsilla ab
[Luschka!)].
Der Stamm der Art. pharyng. asc. ist gewöhnlich sehr dünn, erreicht
aber manchmal solche Entwicklung, dass sie die fehlende Art. maxill.
int. vertritt [Hyrtl2)].
Im Falle dass die Art. palat. asc. aus der Art. lingualis entsteht,
wird auch eine bedeutende Zunahme ihres Lumens beobachtet (Zucker-
kandl). Nach Pirogow beträgt der Durchschnitt genannten Stammes
2 mm. Es kann also ihre Verletzung eine bedeutende Blutung hervorrufen.
Wie bekannt ist, wurde der Fall der Verletzung der Art. palat. asc.
bei einer unglücklichen Mandelskarifikation von Dieffenbach?) beschrieben,
Velpau jedoch berichtete darüber schon im Jahre 1837.
Die Art. pharyngea asc. geht von der inneren Peripherie der Art.
lingualis ab und wendet sich nach oben an die hintere Seitenwand des
Pharynx. Zuerst verläuft die genannte Arterie zwischen der Art. carotis
ext. und int., geht nachher auf ihre Medialseite und verläuft zwischen
der hinteren Wand des Pharynx und der inneren Fläche des M. ptery-
goideus (Merkel), in der Reg. lateropharyngea postica (Fig. II, 9; Fig. III, .
19) hinter der Aponeurosis stylopharyngea (Fig. II, 6; Fig. III, 6)
und dem Biindel von Riolan (Fig. II, d).
Nach Orleanskys*) Untersuchung hat diese Arterie gewöhnlich keine
unmittelbare Beziehung zur Aussenfläche der Mandel, aber ihre anormale
Lage kann eine verhängnisvolle Rolle bei Operationen an den Gaumen-
mandeln spielen. In Scharpingers Fall war bei einem Manne gerade
hinter dem Arc. palato-pharyng. sin. eine Pulsation, die mit dem Herz-
schlag zusammenfiel, sichtbar. Diese Pulsation wurde augenscheinlich (nach
Scharpinger) durch die Kontraktion der unmittelbar unter der Schleim-
haut liegenden Art. pharyngea verursacht. S. W. Farlow beobachtete
in einigen analogen Fällen die Pulsation auf beiden Seiten.
Die Dicke der Art. pharyng. asc. (nach Pirogow) beträgt 1.5 mm und
deshalb verursacht ihre Verletzung eine bedeutende Blutung.
II.
Die Beziehung der Art. carotis int. zu der Seitenwand des Pharynx
sowie die Frage von der Möglichkeit der Verletzung dieses Gefässes bei
der Tonsillotomie war Gegenstand zahlreicher Untersuchungen.
1) 1. c. S. 487.
2) l. e. S. 459.
3) Die operative Chirurgie. 1848. Bd. II. S. 97.
4) l e. S. 113.
Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea. 237
Noch im Jahre 1821 schrieb Allan Burns, der selbst das Unglück
hatte, dieses Gefäss bei der Tonsillotomie zu verletzen: „Wir müssen uns
erinnern, dass diese Drüse (nämlich die Mandel) sehr nahe an der Art.
carot. int. liegt und dass sie durch Anschwellung noch näher mit ihr in
Berührung kommt. Senken wir das Messer daher zu tief ein und richten
wir es zu sehr gegen den Winkel des Unterkiefers, so können wir dieses
Gefäss verletzen“. (Bemerkungen über die chirurgische Anatomie des
Kopfes und Halses. Halle 1821. S. 236—240.)
Im Jahre 1847 richtete Chassaignac!) seine Anfmerksamkeit auf die
nahen Beziehungen der Art. carotis int. zur Seitenfläche des Pharynx
und warnte vor Anwendung des Messers bei der Tonsillotomie. Nach
Chassaignacs Meinung „wurde die Verletzung der Art. carot. int. wie in
seinem Falle, so auch in denen, die Velpau?) erwähnt, dadurch bervor-
gerufen, dass die Operation mit einem Messer und nicht mit dem
Tonsillotom ausgeführt wurde, bei dessen Anwendung die Gefässe dem
schneidenden Ring ausweichen, wenn auch die Mandel bis zum äussersten
Grade abgezogen und in den Ring des Instrumentes nicht nur die Mandel,
sondern auch die Seitenwand des Schlundes eingepresst wird“.
Die Experimente wurden an Leichen ausgeführt und die Resultate über-
trägt Chassaignac direkt auf den lebenden Menschen. Dessen ungeachtet
betont der genannte Autor die Möglichkeit der Verletzung der Art. carotis. int,,
„welche von der Mandel nur durch die Dicke der aus der Schleimhaut be-
stehenden Seitenwand des Schlundes getrennt wird“.
Es muss bemerkt werden, dass diese Meinung nicht nur von den da-
maligen Chirurgen (Nélaton), sondern auch von den Anatomen, sogar
von Pirogow selbst, geteilt wurde. In seiner „Anatomia chirurgica trun-
corum arteriarium nec non fasciarum fibrosarum“, Dorpati 1837, gibt er
eine Abbildung (Taf. XVI) „Situs arteriae carot. int. in portione superiore
spatii temporo-maxillaris“, und im „Text“ (S.P.B., 1882, S. 14) äussert sich
Pirogow: „Die Art. carot. int. ist von der Rachenhöhle nur durch die
äussere Wand des Schlundes getrennt“.
Wegen der besonderen Wichtigkeit der Ansichten von Pirogow und
der bis jetzt nicht übertroffenen Genauigkeit seiner Abbildungen geben wir
eine Kopie der Tafel XVI (s. Taf. VIII, Fig. I) des obenerwähnten „Atlas“
wieder.
Der Zeitgenosse Chassaignacs, der Anatom Hyrtl, berührte cbenfalls
die Frage von der Beziehung der Seitenwand des Schlundes und der Mandel
zur Art. carot. int. „Man muss sich erinnern“, schreibt Hyrtl, „dass die
Art. carot. int. nach aussen und ein wenig nach hinten von der Mandel
1) Handb. d. klin. u. operat. Chir. Uebersetzung nach Woskresensky.
Moskau 1868. Bd. 1. S. 295.
2) Velpau erwähnt in Traité complet d'anatomie chirurgicale, Paris 1837,
p. 355, 4 Fälle von Verletzung der Art. carot. int. — Burns, Portal, Beklard
und Barklay.
238 Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea.
liegt, und von dieser nur durch den M. constr. pharyng. und der Schlund-
faszie getrennt ist.” Diese Worte stammen aus dem Jahre 1858 (S. Hyrtl,
Handb. d. topograph. Anat., Wien 1858, S. 459). In der Auflage von 1882
bleibt Hyrtl, der Untersuchung von Linhart entgegen, bei seiner früheren
Ansicht und bezieht sich zur Stütze derselben auf die klinische!) Beob-
achtung von Portal, Allan Burns, Beclaret u.a.
Besonders gefährlich ist, nach Hyrtls Meinung, das Herausziehen der
Mandel mit den Museauxschen Zangen.
Auf Grund der Autorität von Chassaignac, Burns und J. Hyrtl
wurde diese fehlerhafte, auf klinische Beobachtungen gegründete Meinung
allgemein verbreitet und hielt sich ungeachtet einer ganzen Reihe von
Untersuchungen lange aufrecht, besteht sogar noch bis jetzt. Es muss aber
bemerkt werden, dass Velpeau noch im Jahre 1837, als er den Ursprung
der Blutungen während der Tonsillotomie besprach, „die Fälle von Ver-
letzung der Art. carotis int. für sehr seltene hielt“ und dass er bei Be-
trachtung der Topograpie dieses Gebiets bestätigt fand, dass „die Mandel
von der Art. carotis int. durch eine Schicht des M. constr. pharyng. und
den von Fett erfüllten Raume, in welchem die Nerven und der Plexus
venosus liegen, getrennt ist .. .. Ueberhaupt liegt die Art. carotis int.
S—10 Linien nach hinten und aussen von der Mandel und bei Entzündungs-
prozessen vergrössert sich dieser Abstand noch mehr, weshalb man das
Messer in die angegebene Tiefe einsenken kann, ohne befürchten zu müssen,
die Art. carotis int. zu verletzen. Aus dem Angeführten ergibt sich deutlich,
dass der Ursprung der schweren, manchmal bei der Tonsillotomie beob-
achteten Blutungen in der Verletzung entweder des stark entwickelten
arteriellen Ringes, welcher aus den Anastomosen zwischen den Aa. palat.
sup. et inf. gebildet wird, oder der zahlreichen der Aussenfläche der
hinteren Pharynxwand anliegenden Venen zu suchen ist“. (Velpeau, Traite
complet d'anatomie chirurg. Paris 1837. T. I. p. 355.)
Im Jahre 1847 erschien eine interessante Untersuchung von Linhart?),
welcher bewies, dass zwischen der lateralen Schlundwand und der Art.
carotis int. sich eine Zellgewebsschicht, das sogen. „Spatium pharyngo-
maxillare“ befindet, in dessen hinterem Abschnitt grosse Gefässe liegen.
Infolge des Vorhandenseins dieses Zellgewebes kann man die Mandel aus
ihrem Lager herausziehen, ohne die grossen Gefässe zu verletzen. Die
1) So viel es uns bekannt ist, gibt es in der Literatur keinen Hinweis darauf,
dass die in vivo gestellte Diagnose mittels systematischer Präparierung kontrolliert
worden sei. Chassaignac nimmt an, dass von ihm die Art. carot. int. verletzt
wurde, weil die Blutung nach der Unterbindung der Art. carot. com. aufhörte.
2) Wir hatten keine Möglichkeit, die Originalarbeit von Linhart kennen zu
lernen, aber im „Kompendium der chirurgischen Operationslehre“ des genannten
Autors (Wien 1862, S. 619) findet sich ein kurzes Autoreferat der erwähnten Arbeit,
welche in der Zeitschrift der Kaiserl. Gesellschaft der Aerzte zu Wien, 5. Jahrg.
1. Bd. S. 177 unter dem Titel „Chirurgisch-anatomische Untersuchung über die
aktive Lage der Mandeln zu den Karotiden“ abgedruckt ist.
Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea. 239
Meinung Linharts wurde auch von Luschka geteilt. Der Letztere schreibt
in seiner klassischen Arbeit: „Der Schlundkopf des Menschen“, Tübingen
1868, S. 67, folgendes:
„Nach ziemlich allgemein verbreiteter Ansicht, die eigentlich erst
durch Wenzel Linhart gründlich bekämpft wurde, soll an diese Seite
der Mandel die Art. carotis int. so nahe grenzen, dass sie bei der Ex-
stirpation jener Drüse der Gefahr ausgesetzt sein soll, mit hervorgezogen
und verletzt zu werden. Zur näheren Orientierung in dieser Angelegenheit
hat man sich daran zu erinnern, dass zwischen der Seitenwand des Schlund-
kopfes, dem inneren Flügelmuskel und den obersten Halswirbeln ein mit
Zellgewebe erfüllter Raum — ‚Interstitium pharyngo-maxillare' —
besteht, in dessen hinterstem Teile die grossen Gefässe und Nerven liegen,
und welcher jener Gegend der Seitenwand des Pharynx entspricht, die
rückwärts vom Arc. palatopharyngeus liegt. Dem vorderen Teile des
interstitium pharyngomaxillare‘ entspricht die Mandel, so dass also beide
Karotiden rückwärts von dieser und zwar so gelegen sind, dass die Art.
carotis int. 1,5 cm nach hinten und innen (?!), die Art. carotis ext.
2 cm nach hinten und aussen vom lateralen Umfange der Mandel entfernt
ist. Daraus geht aber zur Genüge hervor, dass von einem Mitherausziehen
der Art. carotis bei der Exstirpation der Mandel um so weniger die
‘Rede sein kann, als die Tonsille bei ihrer Vergrösserung sich aus ihrer
Nische erhebt und fast nur nach innen gegen den Isthmus faucium hervor-
ragt.“ Luschkas Arbeit ist eine schematische Abbildung, die die Ansicht
dieses Autors illustriert, beigegeben.
Demnach spricht sich Luschka ganz klar und bestimmt für die Un-
möglichkeit der Verletzung der Art. carotis int. unter den gewöhnlichen
Bedingungen aus, aber die Furcht vor einer Möglichkeit dieser Gefahr
war doch so gross, dass seit Luschkas Zeit (1868) und bis zum heutigen
Tage diese Frage mehrmals und von verschiedenen Gesichtspunkten aus
revidiert wurde.
Im Jahre 1888 wandte Braune seine Aufmerksamkeit auf die Beziehung
der Mandeln zu den grossen Gefässen. Im Text zu seinem „Topographisch-
anatomischen Atlas“ sagt der genannte Autor folgendes (S. 16 u. 17):
„Von besonderer Wichtigkeit für die Operationen an Mandeln und
Schlundkopf erscheint die Lage der Art. carotis int. Man sieht, dass dieses
grosse arterielle Gefäss in grosser Nähe der Schlundkopfmuskulatur liegt,
ebenso wie man am Lebenden leicht die Pulsation dieser Arterie vom
Schlunde aus fühlen kann. Man wird daher nur mit besonderer
Vorsicht tiefere Inzisionen an dieser Stelle "vornehmen. Die
Lage der Art. carotis int. zu der Tonsille dagegen erlaubt schon grössere
Freiheit bei der Exstirpation derselben und es haben auch die zahlreichen
Operationen daselbst gezeigt, dass die Besorgnis Hyrtls (Topographische
Anatomie. Bd. I. S. 380) in dieser Beziehung übertrieben ist. Jedoch
ist namentlich bei dem gewaltsamen Hervorziehen der Mandeln aus ihrer
Nische stets die Nähe der Art. carotis int. im Auge zu behalten, und
240 Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea.
bei der Gutartigkeit der meisten Tonsillargeschwülste gar nicht darauf
hinzuarbeiten, möglichst tief und möglichst vollständig den Tumor zu ent-
fernen, sondern es genügt vollkommen, wenn nur die Hauptmasse der
Geschwulst entfernt worden ist. Da die meisten der hier gebräuchlichen
Instrumente nur eine Abtragung, keine Ausrottung der Tonsillen erlauben,
so liegt schon darin eine Art Garantie gegen die Verletzung der Art.
carotis int.“
Nach den hier zitierten Worten Braunes ist es klar, dass dieser
Autor, ohne definitiv auf die Frage zu antworten, zwar die Furcht Hyrtls
für einigermassen übertrieben hält, im ganzen aber der Meinung von
Chassaignac beistimmt. —-
Im Jahre 1890 wurde die Topographie der Regio tonsillaris von
Merkel!) revidiert. Wegen der besonderen Wichtigkeit der Merkelschen
Ansichten und der Griindlichkeit seiner Untersuchungen erlauben wir uns,
seine Ansicht ausführlich anzuführen:
„Nimmt man an einem Präparat die Tonsille, deren Kapsel und die
mit derselben fest verbundenen Fasern der Gaumen- und Schlundmuskulatur
weg, dann trifft man zuerst auf die Fascia buccopharyngea, welche zuweilen
kaum angedeutet, ein anderes Mal wieder als kräftige Membran entwickelt
sein kann. Hat man auch sie entfernt, dann stösst man auf lockeres Binde-
gewebe mit Fett, in welchem die zur Tonsille herantretenden Gefässe und
deren Mutterstamm, die Art. palat. asc. liegen. Sogleich erscheint auch
der M. styloglossus, welcher schief von hinten und oben her in die
Zunge absteigt. An seinem hinteren Rande kann man auch den M. stylo-
pharyngeus finden, über welchen der Zungenast des N. glossopharyngeus
herabläuft. Erst wenn man weiter in die Tiefe gegangen ist, gelangt man
nach Wegräumung von Fett auf den Muskelbauch des M. pterygoid. int.
Von anderen Dingen, besonders von irgend welchen grossen Gefäss-
stämmen, soll für gewöhnlich nichts zu sehen sein. Und doch findet man
seit Beclard von einer tödlich verlaufenden Verletzung der Art. carotis
int. bei der Operation der Tonsillenentfernung erzählt; man liest
davon, dass durch syphilitische Ulzeration der Mandel, durch Abszesse
derselben die Wand der Carotis int. zur Nekrose gebracht und dadurch
eine Blutung hervorgerufen wird, welche nur durch Unterbindung der
Carotis communis zu stillen ist. Betrachtet man irgend ein Präparat der
Gegend, z. B. einen Durchschnitt, wie den in Fig. IV abgebildeten, dann
kann man sich gar nicht vorstellen, wie solche Zufälle möglich sein sollen.
Der Arterienstamm liegt 11/, em hinter dem äusseren Umfange der
Mandel und man mag ein Präparat wählen, welches man wolle, man mag
kindliche oder erwachsene Körper untersuchen, immer ist das Verhalten
das gleiche. Zieht man auch in Betracht, dass sich die Arterie in höherem
Alter stark schlängelt, so ist es doch der Muskeln wegen, welche vom
Proc. styloideus herabkommen und welche sie von der Mandel trennen,
1) Handbuch der topograph. Anatomie. 1885—1890. S. 405.
Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea. 241
unmöglich, dass die Arterie sich gar zu sehr der Tonsille nähert. Ich
kann sogar nicht an die von König in seinem Lehrbuch (S. 405) aus-
gesprochene Möglichkeit der Karotisverletzung bei Durchschneidung des
hinteren Gaumenbogens glauben, da man auch bei dieser Operation nicht
in die Nähe des Gefässes kommt, und muss mich Zuckerkandl!) an-
schliessen, wenn er sagt, dass nur bei Operationen im Pharynx die Gefahr
der Verletzung vorhanden ist; hier ist die Gefahr aber auch wirklich
sehr gross.
Auch die Carotis ext., welche vor ihrer Teilung in Art. temporalis
und Art. maxillaris int. eine hinter dem Kieferaste liegende Schlinge
bildet, liegt, von den Muskeln des Proc. styloideus gedeckt, so weit seit-
wärts von dem Tonsillargebiete, dass jeder Gedanke an eine Verletzung
ausgeschlossen werden muss... .“ „Wenn somit die anatomische Er-
klärung von der Nekrotisierung der Arterienwand bei Tonsillarabszessen
keine Schwierigkeiten macht, so sind dieselben um so grösser, wenn man
nach einem Grunde für die Behauptung sucht, dass bei der Tonsillotomie
die Carotis int. vom operierenden Chirurgen verletzt werden Könnte; wenn
man bei dieser Operation die Mandel hervorzieht, so kann man nicht
daran denken, dass die Arterie derselben folgt, indem sie ja in ihrer
lockeren Scheide eingeschlossen, ihre selbständige Lage hat, auch müsste
man unnützester Weise in die Tiefe schneiden, wenn man an die gefahr-
drohende Stelle kommen wollte.“
Etwas früher als Merkel arbeitete fiber das Mandelgebiet O. Zucker-
kandl („Zur Frage der Blutung nach Tonsillotomie“. Med. Jahrb. 1887.
S. 310—325). Nach Entfernung der Mandel, eines Teiles des M. constr.
pharyng. und der ihn von aussen bedeckenden Fascia buccopharyngea
geriet er in einen mit Fettgewebe gefüllten Raum, welcher von aussen
durch den M. pterygoid. int., von innen durch die Schlundwand begrenzt war.
Der -genannte Raum wird durch die Muskeln, welche an dem Proc.
styloideus ansetzen — M. stylopharyngeus und M. styloglossus (Fig. IId
und Fig. IIc) — in zwei Teile geteilt. Diese verlaufen nach vorn, unten
und innen und schieben sich zwischen die laterale Mandelfläche und
die Art. carotis int. Infolgedessen wird das Spatium pharyngomaxillare
in zwei Teile geteilt. I. Der eine hat im Querschnitt eine Dreiecksform
und ist von aussen durch den M. pterygoid. int. (Fig. II, 12; Fig. III, A),
von innen durch jenen Teil der lateralen Schlundwand, an welchen sich
die Tonsilla palatina (Fig. II, 2; Fig. HI, H) anlehnt, und von hinten
durch den M. styloglossus und M. stylopharyngeus (Fig. II, d; Fig. III, c)
begrenzt. Il. Der andere Teil des Raumes liegt hinter dem ersten und
ist durch die hintere Schlundwand und die Wirbelsäule begrenzt. Im
hinteren Teile dieses (zweiten) Raumes laufen die grossen Gefässe: Art.
carotis int. (Fig. III, 9), V. jugul. int. (Fig. III, 8) und der N. vagus
(Fig. III, 12). Beide Räume sind von lockerem Zellgewebe ausgefüllt und
1) 1. c. S. 309.
242 Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea.
stehen mittels der zwischen dem M. styloglossus und M. stylopharyngeus
befindlichen Spalte in Verbindung.
Der genannte zwischen den Muskeln liegende Zwischenraum ist jener
Weg, auf welchem die Gefässe den Schlund von der Seite des Kopfes
erreichen können. Wenn man durch die genannte Spalte hindurchgeht
und gerade in der Richtung zur Wirbelsäule präpariert, so trifft man auf
eine Schlinge der Art. carotis ext., welche sich ständig hinter dem Unter-
kiefer vor der Teilung der Art. carotis ext. in die Art. maxillaris int. und
Art. temporalis superficialis befindet.
Obgleich also die Art. carotis int. im Mandelgebiete sich befindet, ist
sie durch das vor ihr verlaufende Riolansche Bündel geschützt; nur im
obersten Schlundteile, wo die Art. carotis int. in das hinter dem Proc.
styloid. liegende Foramen caroticum eintritt, gibt es natürlich keinen
Muskelschutz; dort legt sich die Arterie unmittelbar an die äussere Schlund-
wand, aber bei der Mandelentfernung zieht man gewöhnlich diesen obersten
Teil der Art. carotis int. nicht in Betracht.
Wenn man eine Nadel hinter dem Arc. palatopharyngeus ein-
steckt und führt sie gerade nach aussen durch, so verletzt man konstant
die Art. carotis int., folglich fällt ihre Projektion mit dem Arc. palato-
pharyngeus zusammen.
Nach Zuckerkandls Meinung „ist es unmöglich, bei der Mandel-
entfernung die Art. carotis int. mit dem Tonsillotom oder mit dem Knopf-
messer zu verletzen, ebensowenig wie bei Inzisionen von Peritonsillar-
abszessen“ (l. e. S. 315).
Prof. Bobrow!) meint, „dass die Art. carotis int. nach aussen und
hinten von der Mandel liegt, wobei sie nur durch eine dünne Schicht des
M. constr. pharyngis und die Fascia buccopharyngea von ihr getrennt wird,
aber die genannte Arterie während der Tonsillotomie zu verletzen, ist bei
einiger Vorsicht fast unmöglich, weil beim Ziehen der Mandel nach innen, wie
das während der Operation geschieht, die Art. carotis int. auf ihrer Stelle
verbleibt, noch weiter von der Schnittfläche entfernt wird, und man kann
sie nur bei ausserordentlicher Ungeschicklichkeit, wenn das scharfe Ende
des Messers nach hinten und aussen gerichtet ist, verletzen.“
Im Jahre 1911 hielt sich Prof. Hermann?) absichtlich ausführlich
bei der Untersuchung des Mandelgebietes auf, da nach seiner Meinung
weder in der anatomischen noch in der chirurgischen Literatur über diese
Frage genügende Klarheit waltet. Nach der Beschreibung der Fossa ton-
sillaris und der Lage der grossen Gefässe bestätigt Hermann auf Grund
seiner anatomischen Befunde entschieden, dass es unmöglich sei, bei der
Tonsillotomie die Art. carotis int. zu verletzen, wenn man nur einiger-
massen mit Vorsicht operiert und die Möglichkeit von gewaltsamen Bewe-
gungen seitens des Kranken ausgeschlossen wird.
1) Handbuch der topograph. Anatomie. 1911, S. 113.
2) Lehrbuch der topograph. Anatomie. 1911. S. 313—314.
Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea. 243
Die Art. carotis int. verläuft weit von der Mandel entfernt und ist durch
das Riolansche Bündel geschützt; es muss noch hinzugefügt werden, dass
sie keineswegs aus ihrer Lage, selbst nicht beim starken Hervorziehen der
Mandel, bewegt werden kann, weil sie sehr fest an der III. Aponeurose
befestigt ist und weil beim Hervorziehen der Mandel die Schicht des lockeren
Gewebes ausgedehnt wird. Nach Hermanns Ansicht scheint die Méglich-
keit einer Verletzung der Art. carotis ext. eine zweifelhafte zu sein, obgleich
man daran denken miisse, dass dieses Gefiiss vor seiner Teilung in End-
zweige eine grosse nach innen gewandte Krümmung bildet.
Hermann zieht also einen Schluss aus dem grossen Literaturmaterial,
welches sich im Verlaufe von 80 Jahren angehäuft hat (von Allan Burns
1821 bis auf seine Zeitgenossen 1901) und zieht die Arbeiten von Merkel,
Zuckerkandl, Linhart, Luschka und Chassaignac in Betracht.
Es schien, als ob die Frage über den Ursprung der Blutungen definitiv
entschieden sei, aber es erwies sich, dass die von Hermann gegebenen
Daten zwar mit den Ausmessungen von Luschka und Linhart über-
einstimmen, aber den Angaben von Tillaux!) und Krause widersprechen.
Der erstere war bekanntlich der Ansicht, dass die Mandel von der
Art. carotis int. nur durch die Dicke der Schlundwand, d.h. durch eine
Muskelschicht und das Zellgewebe getrennt ist (diese Meinung wurde, wie
oben angegeben, selbst von Pirogow geteilt). W. Krause stellte zahl-
reiche Varianten der Art. carotis int. bei verschiedenen Individuen und in
verschiedenem Alter fest. Er weist darauf hin, dass die Richtung der
Art. carotis int. sich gegen die Hervorragung der lateralen Schlundwand
richtet, wobei die Arterie einige Krümmungen bildet, von denen die be-
ständigsten sind: 1. Die Krümmungen an der Schädelbasis, und 2. die
Krümmung an dem hinteren Bauch des M. digastricus; in den oberen Teilen
nähert sich die Art. carotis int. der lateralen Schlundwand — in den unteren
aber entfernt sie sich gegen die Wirbelsäule. Was die Art. carotis ext.
anbelangt, so erwies es sich, dass Riffel ihren Bogen in einer Entfernung
von 8—10 mm von der Mandel feststellen konnte.
Im Jahre 1909 wurde die Frage von der Beziehung der Gefässe zur
Mandel von Orleansky von neuem behandelt.
Nach Untersuchung von 26 Präparaten gelangte Orleansky zu folgendem
Schluss.
1. Die Lage der Art. carotis int. in der Frontalfläche kann bei weitem
nicht als konstant angesehen werden.
2. Die Mm. styloglossus und stylopharyngeus befinden sich häufiger
nach vorne und innen (?) von der Art. carotis int. gelegen, aber diese Lage
der Muskeln entspricht nicht einer allgemein gültigen Regel, denn nicht
selten liegen die Muskeln nach vorne und aussen von der Art. carotis int.,
und sie können deshalb keineswegs eine „Schutzrolle“ für das genannte
Gefäss bei operativen Eingriffen an den Mandeln spielen. Orleansky trägt
1) Handbuch der topograph. Anat. S. 366.
244 Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea.
auf solche Weise ganz neue Gesichtspunkte in die Lehre von den Beziehungen
der Art. carotis int. zum „Diaphragma“ Jonesco. Wegen ihrer grossen
Wichtigkeit werden wir am Ende dieser Arbeit auf diese Frage ausführlich
zurückkommen.
3. Der Abstand zwischen der Mandelschleimhaut und der Art. carotis
int. schwankt von 1,3 bis 2 cm; nur in einem Falle betrug er 1 cm.
4. Zum vorderen Teil des Spatinm pharyngomaxillare haben Beziehung:
a) Die Art. lingualis im Fall, dass sie aus dem Bogen der Art. maxillaris
ext. abgeht,
b) die Art. maxillaris ext.,
c) die Art. palatina asc.,
d) die Art. tonsillaris und
e) die ihnen entsprechenden Venen.
Die Verletzung der aufgezählten Gefässe ist die Quelle für Blutungen
während der Tonsillotomie.
Es ist klar, dass auch Orleansky die Frage nach der Möglichkeit
der Verletzung der Art. carotis int. et ext. nicht unumwunden stellt und
entscheidet; er behandelt die Frage von der Beziehung der Gefässe zur
Mandel nicht bei verschiedenen Kopflagen, hält sich nicht bei der Bedeutung
der Kontraktion einzelner Muskelgruppen für die Gefässverschiebung auf,
und darum kann man seine in vieler Beziehung vortreffliche Arbeit nicht
als erschöpfend für diese Frage. deren Untersuchung sogar bei den Klassikern
(Luschka, Merkel, Pirogow, Braune) zu widersprechenden Resultaten
führte, bezeichnen.
A. Meyer (1910) führt in seiner Arbeit!) die ganze Literatur ausführlich
an, bezieht sich auch auf Orleansky, aber auf die Frage von dem Ursprunge
der Blutungen antwortet er nur mit dem Aufzählen der Gefässe dieses Gebietes.
Es steht also die Frage nach dem Ursprung der Blutungen bei der
Tonsillotomie und der Inzision von Peritonsillarabszessen zurzeit folgender-
massen:
Es ist unmöglich, die Art. carotis int. während der Tonsillotomie zu
verletzen, und daher kann die Blutung bedingt sein durch Verletzung
1. der Art. tonsillaris (Zuckerkand}),
der Art. lingualis (Demme),
der Art. maxillaris ext. (Merkel),
der Art. carotis ext. (Riffel),
aber auch der Venen (Orleansky, Velpau).
Bei Operationen an der lateralen Schlundwand kann ausser den ge-
nannten Gefässen auch die Art. carotis int. verletzt werden. Die letztere
Möglichkeit wird nicht nur von Hyrtl, Pirogow, Chassaignac und
Nelaton, sondern auch von den dieser Frage höchst skeptisch gegen-
überstehenden Autoren (Merkel, Hermann, Braune) zugegeben.
EEE
1) Ueber Tonsillotomie, ihre Indikationen, Methoden, Gefahren. Sammlung
klinischer Vorträge. 1910. Nr. 570.
Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea. 245
II.
Als wir uns der Erforschung der Raumbeziehungen der grossen Gefässe
zur Mandel zuwandten, waren wir selbstverständlich in erster Linie bestrebt,
die Präparate der klassischen Autoren zu studieren. Einige von diesen
beschäftigten sich speziell mit der uns interessierenden Frage (Merkel,
Luschka), die anderen hatten kein vorgefasstes Ziel und verfertigten ihre
Präparate, um die normalen topographisch-anatomischen Beziehungen zu
demonstrieren, wodurch der Wert ihrer Beobachtungen natürlich nicht ver-
vermindert wird.
Wir geben in folgendem die Resultate unserer Untersuchnngen und
Ausmessungen der Präparate von Braune, Henke, Pirogow, Luschka,
Merkel, Bardeleben und Jonesco.
Alle aufgezählten Anatomen untersuchten ungefähr gleiche Präparate
und daher ist es nicht notwendig, die Präparate jedes Autors besonders zu
beschreiben, sondern wir halten es für möglich, eine gemeinsame Charakte-
ristik aller Präparate zu geben und die Grenzwerte, die bei ihren Unter-
suchungen erhalten wurden, anzuführen.
Alle Autoren, Henke ausgenommen, erforschten die obere Fläche eines
Querschnittes durch Kopf und Hals, wobei die Schnittfläche durch die
Massae laterales und den Processus odontoideus des II. Halswirbels ging,
den weichen Gaumen durchschnitt, manchmal den Rücken der Zunge abtrug,
aber niemals die Epiglottis berührte. Am typischsten erscheint das Merkel-
sche Präparat, dessen Abbildung wir beifügen.
Die Art. carotis int. lag gewöhnlich zu beiden Seiten in einer frontalen
Fläche, welche sich unmittelbar vor der vorderen Fläche des Körpers des
Halswirbels befand, aber in bezug auf die Mittellinie lagen die genannten
Gefässe nicht immer symmetrisch. Das Gesagte betrifft nicht nur die Ge-
fässe, sondern auch die Muskeln und Sehnen.
Die Entfernung von der Mittellinie bis zur Art. carotis int. schwankt von 2,5—2,7 cm
ext. = n 2,5—4,1 ,„
9 ” nn ” nn y ’
” ” 9 ” ” nn Mandel ” 1 0,6—1,2 ”
j i » » ochleimhaut d. Mandel bis z. A. car. int. ,, » 1,6—3,1 ,,
” ” „9 ” ” ” n nny n ext. ” ” 2,0—4,2 ”
ñ u » „ Mandelkapsel bis zur Art. carot. int. „ „n 9,8—1,8 ,,
7 ” ” ” ” ” ” 1 ” ext. 2 9 1,8—3,1 13
wobei die Art. carotis int. für gewöhnlich nach hinten und aussen von
der Mandel, die Art. carotis ext. aber gewöhnlich nur nach aussen von
dieser verläuft und beide in gleicher Frontalfläche mit der Mandel gelegen
sind; manchmal aber liegt die Art. carotis ext. in der gleichen frontalen
Fläche mit der Art. carotis int., d. h. unmittelbar vor der vorderen
Fläche der Halswirbelsäule. -
Das Interstitium pharyngo-maxillare stellt gewöhnlich eine sehr schmale
Spalte von dreieckiger Form dar. Die Seiten dieses Dreieckes betragen
3,5 X 3,2 X 1,2 cm, die Fläche des Interstitium pharyngomaxillare 1,9 qcm,
Archiv fir Laryngologie. 29. Bd. 2. Heft. 17
246 Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea.
Figur IV.
13 14
Nach Merkel.
1 Gl. parotis; 2 M. biventer et stylohyoideus; 3 M. pterygoideus int.; 4 Foramen
mandibulare; 5 Mandibula; 6 M. masseter; 7 A. maxillaris ext.; 8 Gl. lymphat.;
9 Are. palatopharyngeus; 10 Tonsilla; 11 Arc. palatoglossus; 12 Foramen coecum;
13 V. jugul. int.; 14 Art. carotis int.; 15 Dens epistrophei; 16 M. longus.
wobei der Hauptteil des genannten „Interstitiums“ von Gefässen (Art. carotis
int. und V. jugularis int.) und Muskeln (das Riolansche Bündel) aus-
gefüllt ist. Zellgewebe ist sehr wenig vorhanden.
Die Lage des Riolanschen Bündels ist nicht immer eine beständige
und symmetrische. Manchmal verläuft es zwischen der Art. carotis int.
und der Tonsille, aber in einer ganzen Reihe von Fällen befinden sich die
genannten Muskeln nach aussen von den Gefässen; unter diesen Be-
dingungen kann es zuweilen die Gefässe schützen, zuweilen nicht. Ausser-
dem muss bemerkt werden, dass das Riolansche Bündel manchmal auf
der rechten Seite anders als auf der linken gelegen ist. Die Muskeln
selbst sind individuell verschieden stark entwickelt.
Wegen der unübertroffenen Genauigkeit der Abbildungen von W. Henke
geben wir eine Kopie der Tafel XII, Fig. I aus „Topographische Anatomie
des Menschen“ nebenstehend wieder.
Wir kennen natürlich die grosse Bedeutung und den grossen Wert der
247
Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea.
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Nach Henke.
348 Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea.
Präparate der klassischen Anatomen an, jedoch halten wir es für er-
forderlich, auf einige Unvollständigkeiten bei ihnen hinzuweisen.
1. Die Kopflage der Leiche ist nicht angegeben worden.
2. Das Alter des Individuums ist nicht vermerkt worden.
3. Es wurden nur Querschnitte, und zwar nur in der Höhe zwischen
dem 1. und 2. Halswirbel untersucht, wobei die Autoren auch diese Präparate
nicht auf alle Details untersuchten.
Seit Pirogow hat man es sich jedoch zur Pflicht gemacht, bei der
Erforschung der‘ Raumbeziehungen zwischen anatomischen Gebilden die
Ausmessungen in 3 zu einander perpendikulären Flächen vorzunehmen.
Wir versuchten also, die angegebenen Lücken zu ergänzen und be-
schäftigen uns nicht nur mit Quer-, sondern auch mit Frontal- und Sagittal-
schnitten.
Die Querschnitte machten wir in verschiedener Höhe, es wurde so
eine ganze Reihe von Schnitten erhalten; wenn wir einen Schnitt auf den
anderen legten, konnten wir später das ganze Gebiet rekonstruieren.
Die Einzelheiten der sagittalen und frontalen Schnitte werden unten
angegeben werden. Die Leichen wurden in horizontaler Lage zum Gefrieren
gebracht.
Die angewandten Untersuchungsmethoden bestanden:
1. in Anfertigung von Sägeschnitten von gefrorenen Leichen;
2. in Anfertigung anatomischer Präparate mittels gewöhnlicher vor-
sichtiger Präparierung; ausserdem wandten wir in einigen Fällen
3. Röntgenoskopie an.
Die Gefässe wurden entweder mit 15 proz. Gelatinelösung oder mit
Reitlingerscher Masse!) injiziert. Für die Röntgenoskopie wurden
die Gefässe mit Ung. hydrargyri cinereum gefüllt.
Ein Teil unserer Präparate wurde photographiert, der andere Teil von
Dr. W. J. Jaronis abgezeichnet. Die Réntgenaufnahmen fertigten
Dr. D. W. Lichonosow und Dr. S. J. Oganessow an. Bei dieser Ge-
legenheit erlaube ich mir, den geschätzten Kollegen aufrichtigste Dankbarkeit
für ihre Mühe auszusprechen.
Die Präparate wurden in den Sitzungen der Charkowschen Chirur-
gischen Gesellschaft am 19. (11.) April 1914 und des otolaryngologischen
Kongresses zu Kiew am 19. (10.) April 1914 demonstriert.
Präparat Nr. IV (s. Taf. VIII, Fig. Il).
Quersthnitt der gefrorenen Leiche eines Mannes von’ 30 Jahren. Die Leiche
wurde horizontal hingelegt, der Kopf ein wenig nach hinten zurückgeworfen.
Die Grösse des Schnittes beträgt 19,5 X 14,0 cm.
Die Querschnittfläche wurde durch den Unterkiefer (2), den Boden der Mund-
höhle durchgeführt und schnitt die Zunge (1) und die Massae lateral. vertebrae I
(12) durch. Rechts sind die Zahnwurzeln durchgeschnitten, links ist die Schnitt-
1) Die Zusammensetzung derletzteren ist folgende: Calcii sulfurici 100,0 + Talci
veneti 140,0 + Glycerini 100,0 + Aquae 120,0.
Th. J, Bulatnikow, Regio latero-pharyngea. 249
fläche unter ihnen hindurch gegangen. Es wurde die obere Fläche des unteren
Segmentes untersucht. Die Aa. carotis ext. et int. liegen auf beiden Seiten in einer
Frontalfläche, welohe unmittelbar vor der Wirbelsäule liegt.
Der Abstand zwischen beiden Aa. carot. int. beträgt 5 cm.
Die Art. carotis ext. dext. (6) liegt in der Masse der Gland. parotis (4),
5 mm nach hinten vom Unterkiefer. Die Art. carotis ext. sin. liegt 0,8 cm nach
aussen vom Unterkiefer. Das Interstitium pharyngo-maxillare hat die Form eines
gleichschenkligen Dreiecks, dessen Seiten 3,7 X 3,7 X 1,4 cm betragen. In seiner
hinteren Abteilung liegt die Art. carotis int. Das Riolansche Bündel (16)
gronzt auf beiden Seiten unmittelbar an die Innenfläche des M. pterygoid. int. (15)
und kann die Art. carotis int. (8) nicht schützen.
Der. Diameter der Art. carotis int. beträgt 0,6 cm, der der Art. carotis
ext. 0,5 cm.
Die Querschnittgrösse des Riolanschen Bündels beträgt 1,9 X 0,8 cm.
Unmittelbar hinter der Mandel (0,4 cm hinter ihrer Kapsel) liogen 2 breite
Venen aus dem Plexus venosus peripharyngeus. Zwischen den Venen und
der Mandelkapsel liegt eine Schicht vom M. constr. pharyng. (13), dessen Dicke
0,2 cm beträgt.
Entfernung zwischen beiden Aa. carotides int. 5,2 cm
” no o» n ext. 8,2 ”
Von der Mändelschleimhant bis zur Art. carotis int. sin. 2,5 cm
mn n non p n » dext. 2,4 „
a- y i h A „n ext. sin. 2,9 „
9 9 n n 0 n ” n dext. 3,8 ”
a Ee Mandelkapsel ae „n int. sin. 1,7 ,,
on ý ea A = „ ext. 1,6 „
ae oe ý u g » ext. sin. 2,3 „
m» n n non mm Gext. 3,1,
a g Mittellinie no n n»n Int sin 2,5. ,,
non n non on n n Gext. 2,7 ,,
A m no n n n xtsin 932 „
oe j aea ie j „ dext. 2,8 „
Präparat Nr. V (Taf. VIII, Fig. III).
Dieselbe Leiche, von welcher auch das vorige Präparat stammt (s. Präparat
Nr. IV). Der Querschnitt ist 3 cm oberhalb des vorigen Präparates durchgeführt.
Untersucht wurde die obere Fläche des unteren Segmentes.
Die Schnittfläche ist durch die Zahnkronen des Oberkiefers und den
Proc. mastoideus durchgegangen. Die oberen Schnitte der Zunge wurden mit
dem oberen Segment abgetragen; der weiohe Gaumen (8) ist durchgeschnitten.
Die Sohnittfläche heträgt 20,5 X 14,0 cm.
Die Tonsillen und die Gland. palatin. (9) sind in einen gemeinsamen Ring
zusammengefasst analog dem, was man auf dem Schnitte von N. J. Pirogow!)
sieht. Die Art. carotis int. (7) liegt auf beiden Seiten nach aussen und hinten von
dem hinteren Rande des Ram. asc. maxillae inf. und hat zur Tonsille keine un-
mittelbare Beziehung.
1) Anatome topographica sectionibus per corpus humanum congelatum triplici
directione ductis illustrata. Petropoli 1859. Fasc. I, Tab. IX, Fig. I.
250 Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea.
Von der Mandelschleimhaut bis zur Art. carotis int. sin. 4,2 cm
non n nn n n dext. 4,3 „
» » Mandelkapsel „ p pp a} „ sin. 35 „
non n nm non n „ dext. 3,3 „
a Mittellinie ee „ sin. 23 „
non n non n n n ext. 2,7 „
Die Entfernung von dem Rande der vorderen Zähne des Unterkiefers bis zur
Art. oarotis int. sin. beträgt 9,4 cm, bis zur Art. carotis int. dext. 9,5 cm.
Die Entfernung von der hinteren Fläche des letzten Molaris des Unterkiefers
bis zur Art. carotis int. sin. misst 4,1 om, bis zur Art. carotis int. dext. 4,0 cm.
Die Entfernung zwischen den beiden Aa. carotides int. beträgt 5 om.
Wenn man die hier angeführten Ziffern mit denen vergleicht, die wir bei
Ausmessung des vorigen Schnittes (s. Präparat Nr. IV) erhalten haben, so ergibt
sich folgendes:
Auf beiden Seiten sind die Aa. carotides int. in derselben Sagittalfläche ge-
blieben, wobei die Entfernung zwischen ihnen beinahe dieselbe blieb (5,2 cm und
9,0 om), dagegen sind beide Aa. carotides int. zurückgegangen, wodurch die Ent-
fernung zwischen ihnen und der Mandel (2,5 cm gegen 4,2 cm) zugenommen hat.
Seit Pirogow ist es bei der Erforschung der Raumbeziehungen zwischen
anatomischen Gebilden zur Pflicht geworden, Ausmessungen in 3 Flächen
auszuführen. So handelten alle Topographen nach Pirogow, so verfuhren
auch wir. In den vorigen Präparaten wurde die Beziehung der Art. carotis
int. et ext. zu den Mandeln in der Fläche des Querschnitts erforscht, in
den folgenden wurden dieselben Beziehungen in frontaler und sagittaler
Fläche untersucht. |
Präparat Nr. VIII (s. Taf. IX, Fig. IV).
Der Schnitt stammt von einer in horizontaler Lage gefrorenen Leiche eines
Mannes von 30 Jahren. Die Richtung der Schnittflache ist eine vertikale in einer
geraden Linie, die den äusseren Rand des Nasenloches mit einem 5 cm hinter
dem Proc. styloideus liegenden Punkt vereinigt. Auf diese Weise durchkreuzte
diese Schnittfläche die normale Sagittalfläche unter 330 und teilte das ganze
Präparat in 2 Teile, in einen medialen, in welchem ein Teil der Aeste der Art.
carotis ext., und in einen lateralen, in welohem die Art. carotis ext. selbst und
der vordere Teil ihrer Aeste gefallen sind. Die Art. carotis int. wurde in ihrer
ganzen Länge durchgesägt. Der Schnitt ist am Rande der Mandel durchgegangen,
hat aber ihr Gewebe nicht geschädigt, weshalb auf der Tafel IX mit einer punk-
tierten Linie die Mandelkonturen gezeichnet sind. Die Länge der Art. oarotis int.
von der Bifurkation bis zum Canalis caroticus beträgt 10 cm. Die Teilungsstelle
der Art. carotis com. liegt 1,6 cm nach unten vom Cornu majus ossis hyoidei.
Die Art. thyreoid. sup. geht im Niveau der Bifurkation ab.
Die Art. lingualis läuft 2,2 om oberhalb der Bifurkation und 1,8 cm über
der Art. thyreoid. sup.
Die Art. facialis ist im lateralen Segment des Präparates abgegangen und
konnte deshalb nicht genau studiert werden. Soweit man dies behaupten kann,
liegt die Spitze ihres Bogens 1,0 cm unter dem unteren Pol dor Mandel.
Die Art. pharyng. asc. entspringt 2,4 om oberhalb der Bifurkation und
0,4 cm über der Art. lingualis und verläuft neben der Art. carotis int. Wie
Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea. 201
man auf der Taf. IX, Fig. IV sehen kann, ist die Mandel (6) von der Art. carotis
int. (8) durch das Riolansche Bündel (16) getrennt. Oberhalb des Bündels
bildet die Art. carotis int. einen Bogen, welcher !/, Teil eines mit einem
Radius von 6 cm Länge beschriebenen Kreises beträgt. Die Konvexität ist nach
vorne und aussen gerichtet.
Der Diameter der Bifurkation beträgt 1,2 cm
e 2 „ Art. carotis com. ge Ds,
n n non n int n 06,
n ” mn n at. ” O y
= Á , » thyreoid. sup. „ 03,
+ 5 „ lingualis „ Odi.,
5 » pharyng asc. » 0,20,,
n n
Das Riolansche Bündel hat im Querschnitte 1,9 X 0,7 cm. Die Ent-
fernung von der äusseren Mandelfläche bis zur Art. carotis int. beträgt
a) im Niveau des oberen Mandelsegmentes 2,3 cm
Di: % „ mittleren = 2:03
C) y 4 p Unteren = 1,6 „
Die Ausmessung eines anderen Präparates, welches in analoger Weise an-
gefertigt wurde, ergab folgendes:
Die Entfernung von der äusseren Mandelfläche bis zur Art. carotis int. beträgt
a) im Niveau des oberen Mandelsegmentes 1,8 cm
b) » 9 „ mittleren = 12 „
C) n n p Unteren A Li-
Präparat Nr. X.
Leiche eines mageren Mannes von mittleren Jahren. Die Gefässe wurden
nicht injiziert. Der Mund ist geschlossen; gefroren war die Leiche in der Hori-
zontallage. Die Schnittfläche geht in der Frontalfläche durch beide Proc. mastoidei.
Nach der Entfernung des auf dem Präparate gebliebenen Teiles der Wirbelsäule
deckten wir von hinten die Schlundhöhle auf und enthüllten die beiden Mandeln.
Von der Art. carotis int. bis zur inneren Mandelfläche = 2,0 cm
non n n ann n n = 3,1 ,
Die übrigen Details auf dem Frontalschnitte zu erklären gelang uns nicht.
Präparat Nr. XI.
Leiche eines abgemagerten Mannes. DieGefässe wurden mit Reitlingerscher
Masse injiziert. Nach der Fixierung des Präparates und nach vorsichtiger Ent-
fernung der Wirbelsäule erhielten wir ein Präparat von einem Aussehen, wie es
bei Tillaux auf Seite 364 des Handbuchs der topographischen Anatomie dar-
gestellt ist.
Die Teilungsstelle der Art. carotis com. befindet sich 3 mm oberhalb dem
Cornu majus ossis hyoidei. Die Art. carotis ext. liegt nach hinten und
aussen, die Art. carotisint. nach vorn und innen. 0,3 cm kranialwärts
vom Cornu majus ossis hyoidei geht ein arterieller Stamm ab, welcher die Quelle
der Art. maxillar. ext. und der Art. lingual. ist. Die Dicke dieses Stammes
beträgt 5 mm. Unmittelbar nach dem Abgange bildet dieser Stamm einen grossen
Bogen, welcher der Hälfte eines Kreises von 6 mm gleich kommt. Die Konvexitat des
Bogens ist nach hinten und innen gerichtet, sein Scheitelpunkt liegt in einem
252 Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea.
Niveau mit der Mitte der Mandel. Die Dicke der Pharynxwand, welche diesen
Stamm vor der Mandelschleimhaut trennt, beträgt 0,8 cm. Die Art. lingualis
geht von einem mit der Art. facial. gemeinsamen Stamm ab und hat zur Mandel
keine unmittelbare Beziehung. Das Riolansche Bündel liegt zwischen den Ge-
fässen und der äusseren Mandelfläche, wobei die hintersten Fasern des M. stylo-
pharyngeus sich teilweise zwischen die laterale Schlundwand und den Bogen
der Art. maxillaris ext. legen.
Von der inneren Mandelfläche bis zur Art. carotis int. = 1,8 cm
” ” n ” no nn y ” ext. = 2,4 ”
Damit schlossen wir unsere Studien iiber die normalen Raumbeziehungen
auf Schnitten ab und haben dann Versuche mittels Röntgenographie
gemacht. Leider musste dieser Versuch als misslungen angesehen werden.
Auf den Platten bekamen wir zwar einen deutlichen Schatten von den mit
Hydrargyrum injizierten Gefässen, es gelang uns auch, sehr feine Gefäss-
injektion zu bekommen, aber die Raumbeziehungen blieben unklar, da alle
Platten in gleicher Fläche erhalten wurden. Nur auf einer Platte gelang es
uns, einen deutlichen Schatten der Art. carotis int. und der Mandel
zu bekommen, wobei es sich erwies, dass die Art. carotis int. sich von dem
äusseren Rande der Mandelprojektion 0,8 cm nach aussen befindet.
Die Gefässe wurden mit Unguentum hydragyri cinereum injiziert, die
Mandel von einem Metallringe umgeben, das Präparat wurde „en face“
photographiert, die Platte wurde unter den Nacken gelegt, das Licht wurde
von vorne gerichtet.
Bei der Präparation erwies es sich, dass die Art. carotis int. von
der innereren Mandelfläche 1,2 cm entfernt war.
Also auf Grund der Untersuchung eigener wie auch fremder Präparate
haben wir folgendes feststellen können.
A. Niveau des oberen Mandelpols (d. h. Massae laterales vertebrae colli I et
der Spitze des Processus odontoideus vertebrae II).
1. Von der Mandelschleimhaut bis zur Art. carotis int. 3,0 cm
2 ” ” ” N ” 9) 7 ext. 4,8 n
Os ae Mandelkapsel a. ie a u int. 2,8 „
Be w e en ext. 41 „
B. Niveau des unteren Pols der Mandel (d. h. die untere Fläche des Corpus
vertebrae colli II.
Von der Mandelschleimhaut bis zur Art. carotis int. 1,3—2,4 cm
= = 4 a G u ext. 1,2—2,8 „
+e Mandelkapsel a, Ae . int. 1,1—1,7 „
on . nn ext. 2,3—3.3 „
C. Von der hinteren Fläche des letzten Molaris mandibulare bis zur Art.
carotis int. 3,6—4,2 cm.
Von der hinteren Fläche des letzten Molaris mandibulare bis zur Art.
carotis ext. 4,1—4,9 cm.
D. Von der Mittellinie bis zur Art. carotis int. 2,5—3,2 cm
” “ ” ” ” ” ” ext. 5,0—6,2 ”
Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea. 253
E. Die Entfernung zwischen den beiden Art. carotides int. 5,0—6,0 cm.
F. Vom Rande d. vord. Zähne der Mandibula bis zur Wirbelsäule 8,0—9,0 cm.
G , w. g S e = » » Mandel 60-70 „
H. Von der Mandel bis zu den Gefässen 1,6—2,1 cm.
I. Die Grösse des „Interstitium pharyngomaxillare* 3,5 X 3,7 x 1,4 cm.
K. Der Querschnitt des Riolanschen Biindels 0,7 X 1,9 cm.
IV.
Die Frage von der Verschiebung der Art. carotis int. beim Hervor-
ziehen der Mandel aus ihrer Nische war mehrmals Gegenstand der Unter-
suchung sowohl von seiten der Anatomen wie auch der Chirurgen.
Wie man aus der oben angeführten Literaturübersicht ersieht, sprachen
sich Hyrtl und Chassaignec kategorisch für die Verschiebbarkeit des Gefäss-
bündels besonders beim Hervorziehen der Mandel mit Museuxscher Zange
aus. Braune hielt diese Manipulation für „eine gefährliche“, Bobrow
meinte, dass die Gefässe ihren Platz nicht verlassen und nicht der Mandel
folgen; Luschka, Linhart und Hermann behaupten bestimmtest, dass
die Art. carotis int. auf keine Weise, selbst bei sehr starkem Herausziehen
der Mandel, aus ihrer Lage gebracht werden kann, da das Gefässbündel
sehr stark an die III. Aponeurose befestigt ist (Hermann). Infolgedessen
kann beim Herausziehen der Mandel sich nur eine Schicht des Zellgewebes
ausdehnen (Linhart, Luschka) um so mehr, als „zwischen der Mandel
und dem M. constr. pharyngis sup. sich eine Schicht von lockerem Binde-
gewebe befindet, so dass die Mandel herausgezogen werden kann, ohne dass
ihr die Schlundwand folgt (Cunningham, Manual of practical Anatomy.
p. 381.)
In Anbetracht der vorhandenen Widersprüche beschlossen wir, diese
Verhältnisse mittels Experimentes an der Leiche zu kontrollieren.
Präparat Nr. XII (s. Fig.V).
Leiche eines mageren, ungefähr 30 Jahre alten Mannes. Der Mund wurde
mittels eines Dilatators geöffnet, so dass die Entfernung zwischen den vorderen
Zähnen des Ober- und Unterkiefers gleich 3 cm wurde. Der Kopf wurde ein wenig
nach hinten geneigt; die Zunge wurde so herausgezogen, dass ihre Spitze 2 cm
über die vorderen Zähne des Unterkiefers hervorragte. Die rechte Mandel (2) wurde
durchnäht und stark aus ihrer Nische nach vorne und innen gezogen. Die linke
Mandel (3) wurde in situ gelassen. Der Zungenrücken wurde nicht niedergedrückt.
Die Gefässe (Arterien und Venen) wurden mit Reitlingscher Masse injiziert. Die
Leiche wurde zum Gefrieren gebracht und zersägt. Die obere Fläche des unteren
Segmentes wurde untersucht.
Die Schnittfläche ist duroh die Kaufläche des letzten Molaris des Unterkiefers,
durch den Proc. odontoideus (4) Il und die Massae laterales (5) des I. Halswirbels
und die Basis ossis occipitalis durchgegangen. Die Grösse des ganzen Sohnittes
beträgt 18,7 X 13,5 om.
Die Mundhöhle ist weit geöffnet, der Arcus palatoglossus auf beiden Seiten
ist stark gespannt. Die beiden Seiten des Schnittes sind symmetrisch.
254 Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea.
Die Frontalfläche, die durch die Art. carotis int. (9, 10) geht und die Mittel-
linie unter einem geraden Winkel durchkreuzt, geht unmittelbar an der vorderen
Fläche des Körpers des Il. Halswirbels vorbei.
Eine analoge Fläche, die die beiden Art. carotis ext. (13, 15) vereinigt, liegt
0,3 cm vor der vorigen.
Von der Mittellinie bis zur Art. carotis int. sin. 2,9 cm
v9 ” ” 73 7 ” dext. 2,7 N
r 5 nono ċ m ” ext. sin. 5,4 ”
n ” n ” ” ” n ” dext. 9,2 ”
Von der inneren Mandelfache , p p wo MLS cay, 3y | Mandel
“ n s ” ” „ n n ext. ” 9,4 ” abgezogen
Die Dicke des M. constr. pharyngis sup. beträgt 2 mm. Die Gefässe liegen
auf beiden Seiten in Beziehung zur Wirbelsäure völlig symmetrisch. Das Riolan-
sche Bündel liegt auf beiden Seiten zwischen den Gefässen und der Mandel. Auf
der hinteren seitlichen Schlundwand gibt es sehr viele grosse Venen (11, 12).
Die Resultate dieses Experimentes kann man so formulieren:
Weder das Herausziehen der Zunge, noch starkes Hervor-
ziehen der Mandel üben irgend einen Einfluss auf die Lage der
Art. carotis int. aus. Das Gefässbündel bleibt an seiner Stelle
liegen, wobei die Symmetrie in der Topographie der beiden
Seiten gar nicht gestärt wird.
Wir können jedoch die Resultate dieses Experimentes auf den lebenden
Menschen nicht übertragen. Die Sache steht so, dass die isolierte Be-
wegung der Mandel auf dem lockeren Zellgewebe, welches sich an der
Lateralfläche der Kapsel befindet, beruht [Cunningham!)]. So lange
also dieses Gewebe in unverändertem Zustand sich befindet, kann die Mandel
für sich verschoben werden. Aber beim Vorhandensein von Verdickungen
infolge mehrmaliger Entzündungen ist keine Rede mehr von normalem Ge-
webe und folglich auch nicht von normaler Funktion. In solchen Fällen
können wir mit einiger Wahrscheinlichkeit die Existenz von Narbengewebe,
welches im gewissen Grade die Mandel mit dem Gefässbündel verbinden
kann, voraussetzen. Daraus ergibt sich, dass die Arterie bei pathologischen
Zuständen beim Herausziehen der Mandel verschoben werden kann. Diese
Vermutung zwingt uns, vom Herausziehen der Mandel abzu-
sehen.
An der folgenden Leiche untersuchten wir den Einfluss der Zungen-
lage auf die Topographie der Art. carotis int.
Der Einfluss des Hervorziehens der Zunge wurde auf dem vorigen
Präparate (s. Präparat Nr. XII und Textfig. V) untersucht. Auf unseren
meisten Präparaten stand der Zungenrücken sehr hoch; in einigen Fällen
berührte die Zunge sogar den Gaumen. Beim lebenden Menschen wird
1) Manual af practical anatomy. p. 381.
Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea. 255
Figur V.
1 Lingua; 2 Tonsilla dextra; 3 Tonsilla sinistra; 4 Proc. odont. vert. II; 5 Massae
lateral. vert. [; 6 Ramus ascend. maxillae infer.; 7 M. pterygoid. int.; 8 Cavum
pharyngis; 9 Art. carotis int. sin.: 10 Art. carotis int. dextr.; 11 Plexus venos.
peripharyngeus; 12 dasselbe; 13 Art. carotis ext. dextr.; 14 Vena jugul. int. dextr.;
15 Art. carotis ext. sin.; 16 Glandula parotis; 17 M. masseter.
bei operativen Eingriffen stets die Zungenwurzel niedergedriickt und
darum war es uns interessant, den Einfluss auch dieses Faktors zu
studieren.
Präparat Nr. XII.
Querschnitt im Niveau der Massae laterales vertebrae colli I. Der Proc.
odontoideus ist mit dem oberen Segment abgetragen. Der Mund der Leiche wurde
stark geöffnet, die Zunge wurde sehr stark an der Wurzel niedergedrückt. Der
Kopf wurde nicht zurückgeneigt. Es wurde die obere Fläche des unteren Segmentes
untersucht. Beide Seiten (linke und rechte) sind symmetrisch.
Die Art. carotis int. liegt in gleicher Frontalfläche mit der vorderen
Körperfläche des II. Halswirbels, die Art. carotis ext. liegt in einer Frontalfläche,
welche sich 0,9 cm von der vorigen befindet.
Die Entfernung der Art. carotis int. von der Mittellinie beträgt 2,9 cm,
” 1” ” 1) 1) ext. ” 7 ” ” 3,4 ”
Von der vorderen-inneren Mandelfläche bis zur Art. carotis int. sin. 1,8 cm,
n n ” n ” n ” 7 ” ext. „ 2,2 ”
256 Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea.
Diese beiden Gefässe liegen nebeneinander, sie werden durch eine Schicht
des 0,4 cm dicken Zellgewebes, in welchem der N. vagus liegt, getrennt.
Das Riolansche Bündel liegt zwischen der hinteren-äusseren Mandelfläche
und der vorderen-inneren Gefässfläche. Rings um den Schlund sind viel kleine
arterielle Zweige und grosse Venenstämme (bzw. Plexus venos. submuoos. et peri-
pharyngeus).
Resultat des Experimentes: Das Niederdrücken des Zungen-
srundes übt keinen Einfluss auf die Gefässlage aus.
V.
Die Frage, betreffend die Verschiebbarkeit der „Viscera colli“ (d. h.
Oesophagus, Art. carotis, Vena jugul., Gland. thyreoidea, Gland. lymph. usw.)
überhaupt und des Gefässbündels im speziellen, beschäftigte schon lange
die Anatomen, wie auch besonders die Chirurgen, welche an der Wahl der
günstigsten Kopflage bei operativen Eingriffen Interesse hatten. Der erste,
welcher die Frage von der Verschiebbarkeit der „Viscera colli“ auf ex-
perimentelle Basis stellte, war N. J. Pirogow. In seinem berühmten
„Atlas“ ist eine ganze Reihe von Schnitten abgezeichnet von in ver-
schiedenen Lagen fixierten Präparaten.
Uebrigens haben wir für die Beziehung der Halsorgane bei Pirogow
zwei Frontalschnitte von Leichen, welche beim Neigen des Kopfes nach
rechts und nach links zum Gefrieren gebracht wurden. Ueber-
haupt hält Pirogow das Gefässbündel für sehr beweglich (Anat.
topographic. trunc. arteriar. nec non fasciar. fibrosarum. S. P. B. 1882.
S. 48).
Rischet (l. c. S. 448) meinte, dass „die Art. carotis int. ausserordent-
lich beweglich sei und leicht verschoben werden könne, aber nur in dem
Falle, wenn wir unmittelbar auf sie wirken; bei kreisförmigen Kopf- und
Halsbewegungen dagegen verändere das Gefässbündel seine Beziehung zu
den Nachbarorganen gar nicht“.
Die übrigen Autoren besprechen gewöhnlich die bequemsten Kopflagen
für operative Eingriffe zwecks leichteren Zugangs zu gewissen Organen,
aber ihre Bemerkungen sind in den meisten Fällen nebensächlicher Natur.
Die ausführliche Experimentalbearbeitung dieser Frage haben Henke,
Salitschew und Delitzin unternommen.
Nach Henke ist die typische Lage der Karotiden in dem Winkel zwischen
den Querfortsätzen der Halswirbel und der Seitenfläche des Pharynx, oder
im Grunde der hinteren Seite des sogenannten Trigonum cervicale, wie sie
sich bei rein nach vorn gerichteter Lage des Kopfes auf dem Halse dar-
stellt, verändert sich aber sehr bei den Drehungen desselben um die senk-
rechte Achse.
Der Pharynx folgt der Bewegung des Kopfes; auf der Seite, auf
welcher der Kopf nach vorn geht (auf der rechten, bei Drehung mit dem
Gesichte nach links, Fig. VI), entfernt sich der Pharynx ebenso wie der
Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea. 257
Unterkiefer vom Epistropheus; anderseits nähern sich auf der Seite, wo
der Kopf zurückgeht (auf der rechten bei Drehung mit dem Gesichte
nach rechts, Fig. VII), Unterkiefer und oberer Teil des Pharynx der
Wirbelsäule.
Das obere Ende der Art. carotis int. muss natürlich den Bewegungen
des Kopfes folgen; auf der Seite, auf welcher der Kopf zurückgeht (rechts
Figur VI.
“tet SN
‘th KERN
X
NAARYA
Drehung des Kopfes mit dem Gesicht nach links. (Nach W. Henke.)
bei Drehung des Gesichts nach links, Fig. VI) wird die Art. carotis int.
durch den Querfortsatz des Atlas von den Querfortsätzen der folgenden Wirbel
etwas entfernt; auf der anderen Seite, auf welcher der Kopf nach hinten
geht (rechts bei Drehung des Gesichts nach rechts, Fig. VIl) werden
die oberen Enden der Karotiden um die Querfortsätze der mittleren Hals-
wirbel nach hinten herumgeschlungen.“
Man kann demnach bei Kopfwendung die nächste Beziehung zwischen
258 Th. J. Bulatuikow, Regio latero-pharyngea.
dem Schlunde und den Gefässen auf der Seite erwarten, nach welcher hin
die Drehung erfolgt ist. |
Die Ansichten von Henke!) sind in seiner „Topographischen Anatomie
des Menschen“ angeführt, sie wurden im Jahre 1889 experimentell (an
Leichen) von Delitzin?) kontrolliert, wobei Resultate erhalten wurden,
die in vielem den Ansichten von Henke widersprachen.
Figur VIL.
Drehung des Kopfes mit dem Gesicht nach rechts. (Nach W. Henke.)
Die Resultate von Delitzin sind folgende:
Die ungiinstigsten Beziehungen zwischen der rechten lateralen Schlund-
wand und dem Gefässbündel entstehen bei der Drehung des Kopfes nach
links und gleichzeitiger Beugung desselben zu der linken Schulter, weil
1) S. 140, 163, 171—172.
2) Ueber die Verschiebungen der Halsorgane bei verschiedenen Kopflagen.
Arch. f. Anatomie. 1890, S. 72. Ir
Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea. 259
unter diesen Bedingungen, infolge der Beugung des Kopfes nach links,
sich die Gefässe der rechten Schlundseite nähern, beim Drehen des Kopfes
nach links sie sich auf seine rechte hintere laterale Peripherie legen.
Nach Delitzins Meinung werden also die Beziehungen auf der der
Drehung entgegengesetzten Seite am ungünstigsten sein, aber auf der der
Wendung entsprechenden Seite am günstigsten.
Figur VHT.
OY $
Die Gefässlage bei Drehung des Kopfes um 90° nach links. (Nach Delitzin.)
A Art. carotis; V Vena jugularis; SJ normale Sagittalfläche; FT normale Frontal-
fläche; Y Y Sagittalfläche des vorliegenden Wirbels.
Die beigegebene schematische Abbildung (Fig. VIII) veranschaulicht
die Beziehungen der Gefässe zum Schlunde unter den erwähnten Be-
dingungen.
Wenn wir jetzt die Ansichten von Delitzin und Henke vergleichen,
so wird es sich ergeben, dass sie gerade entgegengesetzt sind.
Nach Henkes Meinung treten bei den Kopfdrehungen die innigsten
Beziehungen zwischen den Gefässen und dem Schlunde auf der Seite ein,
nach welcher der Kopf gedreht ist, nach Delitzins Meinung aber auf
der Seite, von welcher der Kopf abgewandt ist.
260 Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pbaryngea.
Es ist also klar, dass diese Frage nicht völlig in der Literatur auf-
geklärt ist und daher sahen wir uns gezwungen, zur Erklärung der uns
interessierenden Frage zu eigenen Experimenten zu schreiten.
Präparat Nr. XIV (Fig. IX).
Männerleiche von ungefähr 30 Jahren, von kräftigem Körperbau, ein wenig
mager; gestorben an Pneumonia tuberculosa.
Der Kopf ist um 50° nach links gewandt und um 20° zur linken Schulter
gebeugt. Die rechte Mandel (8) wurde durchnäht und ein wenig (l cm) in der
Richtung zum II. Molar des Unterkiefers gezogen ; die linke Mandel (5) wurde in situ
gelassen.
Die Zunge (7) wurde ein wenig hervorgezogen, so dass ihre Spitze 1 cm über
den Rand der vorderen Zähne des ÜUnterkiefers hervorragte.
Der Mund wurde 1!/, cm geöffnet, die Arterien und Venen mit 15 proz. ge-
färbter Gelatinelösung injiziert. Die Leiche wurde zum Gefrieren gebracht; dann
die Schnitte hergestellt.
Bei der Untersuchung der unteren Schnitte fiel uns eine starke Verschiebbar-
keit der Halsorgane ins Auge. Wir wollen uns nicht bei den Details aufhalten,
sondern nur die Hauptsachen wiedergeben.
Die vordere Körperfläche aller Halswirbel (vom Il. bis V]. inklusive)
wurde nach links und aussen gewandt.
Die Trachea erwies sich um ihre Vertikalachse und ungefähr um 70°
nach links gedreht.
Der Larynx war auch um seine Vertikalachse gedreht, wobei der von der
Cart. thyreoidea gebildete Winkel nach links gewandt war. °
Das Os hyoideum war um seine Vertikalachse gedroht und ausserdem ganz
in die Frontalfläche nach links verlegt, so dass seine Mitte dem Proc. transv. des
VI. Halswirbels entsprach.
Die Gefässe waren unten im Niveau des V. und VI. Halswirbels sowohl in
bezug auf die Wirbelsäule wie auch auf den M. sternocleidomastoideus verschoben.
Die Gefässverschiebung entsprach der Art der Kopfdrehung. Ausführlich
wurde der durch die Mandel geführte Schnitt studiert.
Der Schnitt ist durch die Mitte des Körpers des III. Halswirbels (I) gegangen,
wobei auf der linken Schnittfläche ein wenig mehr als auf der rechten ab-
getragen wurde. Die ganze Länge des Präparates von der Zungenspitze bis zum
Nacken beträgt 16,2 cm, die Breite 12,8 cm.
Die Entfernung zwischen den Innenflächen des letzten Molaris des Unterkiefers
beträgt 4,4 cm.
Die Entfernung zwischen den hinteren inneren Rändern des Ram. asc. maxillae inf.
beträgt 7,8 cm.
Die Entfernung zwischen den vorderen inneren Rändern dos Ram. asc. maxillae inf.
beträgt 6,2 cm.
Die Grösse des Querschnittes des III. Wirbelkörpers beträgt 3,6%X 1,6 cm.
Die normale Sagittalfläche (BB) kreuzt die mittlere Wirbelsäulenlinie (Y Y) unter
350 und teilt das ganze Präparat in 2. Teile: einen linken (kleineren) mit einer
Breite von 5,6 cm und einen rechten (grösseren), 7 cm breit.
Wenn man eine gerade Linie durch die vordere Peripherie des Querschnittes
der beiden Art. carotides int. zieht, so wird diese gerade Linie (AA) die mittlere
Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea. 261
Wirbelsäulenlinie (YY) unter einem Winkel von 98°, die normale Sagittallinie
unter dem Winkel von 60° kreuzen. Die normale Sagittallinie (BB) teilt die Fläche
des Querschnittes des Wirbelkörpers in 2 Teile: in einen rechten 2,3 cm breiten
und einen linken 1,3 cm breiten.
Figur IX.
1 Corpus vertebrae III; 2 Aa. carotis sin. interna et externa; 5 Vena jugularis int.
sin.: 4 Ramus ascend. maxillae inf.; 5 Tonsilla sinistra; 6 Plexus venos. peripharyng.:
7 Lingua; 8 Tonsilla dextra: 9 Art. carotis interna dextra; 10 Art. vert. dextra;
11 M. pterygoid. interna; 12 Vena jugul. interna dextra; 13 Glandula parotis.
Die Beziehungen der Art. carotis int. zur Wirbelsäule sind folgende:
Auf der rechten Seite, von welcher der Kopf abgewandt ist, liegt die
Art. carotis int. in bezug auf die Wirbelsäule beinahe medial, von dieser nur
2 mm entfernt.
Archiv für Laryngologie. 29. Bd. 2. Heft. 18
262 Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea.
Auf der linken Seite, zu welcher der Kopf hingewandt ist, liegt die ge-
nannte Arterie in bezug auf die Wirbelsäule lateral, von dieser in der Ent-
fernung von 0,9 cm.
In bezug auf den Schlund liegt die Art. carotis int. dext. medial
0,7 cm nach hinten von der Schlundwand; die Art. carotis int. sin. liegt lateral
l cm nach aussen von der lateralen Schlundwand.
Rechts, d.h. auf der Seite, von welcher der Kopf abgewandt ist und auf
welcher die Mandel nach vorne und innen gezogen ist, beträgt die Entfernung von
der vorderen inneren Mandelfläche bis zur Art. carotis int. 1,8 cm.
Wenn man von dieser Zahl (1,8cm) 1 cm abzieht, d. h. die Strecke, auf welche
die Mandel hervorgezogen wurde, so wird sich die wirkliche Entfernung zwischen
der Art. carotis int. dext. und der Mandel als 0,3 cm erweisen.
Links, wo die Mandel in situ gelassen wurde, beträgt diese Entfernung
2,3 cm, d. h. die Art. carotis int. veränderte ihre Lage mit der Drehung des
Kopfes so, dass auf der rechten Seite die Arterie sich um 1,5 cın näher zur
Mandel legte als auf der linken.
Die Sohlundhöhlung hat eine Dreieckform; die hintere Schlundwand beträgt
2,4 cm. Eine durch die hintere Fläche der beiden letzten Molares des Unterkiefers
gelegte Fläche kreuzt die Fläche der Art. carotis int. beiderseits (AA) unter einem
Winkel von 15°.
Auf der linken Seite liegt die Art. carotis ext. in gleicher Fläche mit
der Art. carotis ext. sin., 3 mm nach aussen von dieser. Auf der rechten
Seite ist überhaupt keine Art. carotis ext. vorhanden. Wie es sich nach dem
Präparieren erwies, zerfiel die Art. carotis com. in der gewöhnlichen Höhe auf
einmal in „den Gefässstrauss von Richet“, und die Schnitthöhe erreichte nur ein
‚kleiner Stamm, welcher nach aussen von der Art. carotis int. lag.
Das Drehen des Kopfes um die Vertikalachse mit gleich-
zeitiger Neigung auf die Seite der Drehung hatte also zur Folge:
auf der der Drehung entgegengesetzten Seite eine Annäherung
der Gefässe zum Schlunde, auf der anderen Seite die Entfernung
der Gefässe vom Schlunde.
Ferner wurde von uns der Einfluss der Retroflexion des Kopfes und
der Beugung desselben nach vorn auf die Lage der Gefässe zur Mandel
untersucht.
Präparat Nr. XV.
Leiche einer stark abgemagerten Frau von ungefähr 40 Jahren. Grösse 158 cm.
Distantia sterno-xyphoidea 19 cm
ss xyphoideo-umbilical. 17 ,
5 umbilico-pubica 16 ,
= xyphoideo-pubica 33
Bauchumfang in der Hohe des Nabels 61 cm
Brustumfang in der Höhe der Brustwarzen 87 „
Der Bauch ist eingefallen, die Mammae sind atrophiert. In das Os hyoideum
und den oberen Rand der vorderen Fläche des Jugulum sterni wurden Stecknadeln
eingestochen, um markierte Punkte bei der Ausmessung zu erhalten.
Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea. 263
Der Mund der Leiche wurde geschlossen, der Kopf lag in einer Fläche mit
dem Rücken. Unter diesen Bedingungen betrug der Abstand des Jugulum sterni
von dem Os hyoideum 11 cm.
Unter das Schulterbein wurde ein Klotz von 16 cm Dicke gestellt, der Mund
mit dem Dilatator geöffnet. Die Entfernung zwischen den Dentes incisivi des
Ober- und Unterkiefers betrug in der Mittellinie 6,5 cm.
Die Zunge wurde aus dem Munde hervorgezogen, und ihre Spitze bis zum
Kinn gebracht. Nach der Retroflexion des Kopfes betrug der Abstand des Os
hyoideum vom Jugulum sterni 14,9 om (er war vorher 1] cm).
Die rechte Mandel wurde durchnäht und nach vorne und links gezogen.
Die linke Mandel wurde in situ gelassen.
Von der Mitte des Randes der Dentes incisivi bis zur rechten (abgezogenen)
Mandel 6,5 cm.
Von der Mitte des Randes der Dentes incisivi bis zur linken (nicht aus ihrer Lage
geriickten) Mandel 8,1 cm.
Die Leiche wurde mit 8proz. Formalinlösung injiziert und später zersägt.
Der Schnitt geht im Niveau des Ill. Halswirbelkörpers. Die Gefässe lagen auf
beiden Seiten völlig symmetrisch: das Ziehen der Mandel übte auf ihre Lage
keinen Einfluss aus. Die durch die beiden Art. carotides int. geführte Frontal-
fläche liegt 1,1 cm nach hinten von der vorderen Wirbelsäule.
Von der inneren Mandelfläche bis zur Art. carotis int. sin. 1,9cm| die Mandel nicht
mn n n a. ay. ee n ext. , 3,5, J abgezogen!
nn n n nn „ int.dext. 2,5 „ die Mandel ab-
non n n non n n xt „ 43, gezogen!
Die Retroflexion des Kopfes entfernte also ein wenig die
Art. carotis int. nach hinten, was sich in ihrer Beziehung zur
Wirbelsäule zeigte Das Hervorziehen der Zunge und der
Mandel übte auf die Lage des Gefässbündels keinen Einfluss
aus. Das Herausziehen der Mandel verursachte eine Ver-
grösserung der Entfernung zwischen ihr und der Art. carotis int.
An der folgenden Leiche wurde der Einfluss der starken Anteflexion
auf die Topographie der Art. carotis int. untersucht.
| Präparat Nr. XVI.
Leiche eines stark abgemagerten Mannes.
Die Länge beträgt 162 cm, der Brustumfang in der Höhe der Brustwarzen
88 cm, der Halsumfang in der Hohe der Cart. cricoid. 29,5 cm, die Entfernung des
Os hyoideum vom Jugulum sterni 11 cm.
Der Kopf wurde stark auf die Brust gebogen, aber es gelang uns nicht, das
Kinn mit dem Jugulum sterni in Berührung zu bringen. Der Mund wurde go-
schlossen. Die Leiohe wurde mit Sproz. Formalinlösung injiziert.
Der Schnitt liegt im Niveau des II. Halswirbelkörpers, wobei der grösste Teil
des Zungenrückens mit entfernt wurde. Bei der Untersuchung des Schnittes erwies
es sich, dass die Art. carotis int. auf beiden Seiten völlig symmetrisch, ungefähr
in einer 0,4 om von der Vorderfläche des II. Halswirbelkörpers liegenden Frontal-
fläche liegen.
18*
264 Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea.
Von der inneren Mandelfläche bis zur Art. carotis int. sin. 1,7 cm
dext. 1,5 „
nn n n non on on
mn n : non n ext. sin, 23,
non n n non n n n det. 25,
Es ist also klar, dass. wenn die Anteflexion auch die Gefässe dem
Schlunde und der Mandel näherte, dies nur in geringem Grade der Fall war.
Auf diese Weise können wir auf Grund unserer Untersuchungen den
Schlussfolgerungen von Selitschew!) und Delitzin?) beistimmen.
VI.
Nunmehr wollen wir uns der Untersuchung der topographisch-anato-
mischen Beziehungen in der Regio lateropharyngea bei Kindern zuwenden.
Die Besonderheiten des anatomischen Baues des kindlichen Organismus
veranlassen uns, diesen Teil unserer Untersuchungen in eine besondere
Gruppe abzuteilen, um so mehr, als auch die klinischen Entzündungsprozesse
in der Regio lateropharyngea und Regio tonsillaris bei Kindern etwas anders
als bei Erwachsenen verlaufen.
In der uns zugänglichen Literatur haben wir nur bei Orleansky einen
Hinweis gefunden, dass von ihm 10 Kinderleichen untersucht wurden; jedoch
erwähnt Orleansky nicht, wie alt die Objekte seiner Untersuchungen waren,
gibt auch keine ausführlichen Messungen, und daher kann dieser Teil seiner
Untersuchungen nur geringe Bedeutung haben.
Unser Material ist nicht gross. es beläuft sich nur auf 3 Leichen, die
wir der ausserordentlichen Liebenswürdigkeit von Prof. N. Th. Melnikow-
Raswedenkow verdanken, dem ich bei dieser Gelegenheit meinen auf-
richtigsten Dank für das Leichenmaterial wie auch für die beständige Hilfe
und liebenswürdige Mitwirkung ausspreche.
Präparat Nr. XX (Taf. X, Fig. V).
Horizontalschnitt einer zum Gefrieren gebrachten Leiche eines Knaben von
12 Jahren. Die Gefässe wurden nicht injiziert. Es wurde die obere Fläche des
unteren Segmentes untersucht. Die Schnittflache geht durch die Kaufläche der
Zähne des Unterkiefers, den Proc. odontoideus des II. und die Massae laterales des
I. Halswirbels. Der weiche Gaumen wurde durchschnitten, die Zunge wurde nicht
berührt. Die Schlundöffnung hat die Form einer Querspalte (1,2 X 3,5 cm).
Vom Rande der vorderen Zähne des Unterkiefers bis zur hinteren Schlund-
wand in der Mittellinie 8,4 cm.
Zwischen den inneren Flächen der letzten Molares des Unterkiefers 4,3 cm.
Zwischen dem vorderen inneren Rande des Ram. asc. mandibulae 8cm. Die durch
die beiden Art. carotides int. geführte Frontalfläche liegt unmittelbar vor dem
Tuberculum atlantis anterius.
Die Frontalfläche, die durch die hintere Fläche der letzten Molares des Unter-
kiefers hindurchgeht, liegt 3,8 cm vor der Wirbelsäule.
1) „Wratsch“. 1886. Nr. 46. S. 819.
2) „Ueber die Verschiebungen der Halsorgane bei verschiedenen Kopf-
bewegungen." S. P. B. Diss. 1889.
Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea. 260
Der Querschnitt der Mandeln hat eine dreieckige Form. Ihre Grösse ist
folgende: 1. rechte Mandel 1,3X 1,0 X 1,4 cm; 2. linke Mandel 1,0 X 1,0 X 1,2 cm.
Der Diameter Art. carotis ext. 1,5 mm. Art. carotis int. 2,3 mm. Im Peritonsillar-
gewebe ist keine entzündliche Veränderung vorhanden.
Von der Mittellinie bis zur Art. carotis int. dext. 2,4 cm
. 9 r
99 3 98 99 as 9 . ” Sin. 2,0 93
‘ o>
A 12 19 „ 3° 39 39 ext. dext. 3,9 s
” ” 19 y ” 3 ys ” Sin. 3,4 ey
Von der vorderen inneren Mandelfläche bis zur Art. carotis int. sin. 3,2 cm
Fe „ dext. 0,0 ,.
„on n ” ” no ” ” ext. sin. 3,2 rn
non 5 ‘5 i m aa Se r a diku ZI y
» „ hinteren äusseren $ m e R „ int. sin. 2,1 ,„
” ” ” n ” ” ” ” ” ” dext. 1 8 n
„9 ” ” 9 no on 1 ” ext. sin, 2,3 „
n n ” ” s “ n ” ” ” dext. 1 ‚6 ”
Das Riolansche Bündel liegt auf der rechten Seite zwischen der Art.
carotis int. und den Mandeln; auf der linken Seite liegt es an derselben
Stelle, aber ein wenig lateral.
Analog wurden zwei andere Präparate (Mädchen von 10 Jahren und Knabe
von | Jahr) untersucht. Die Resultate geben wir in folgender Tabelle wieder.
Die folgende Zusammenstellung der von den klassischen Autoren er-
hobenen Untersuchungsresultate ermöglicht einen Vergleich der Verhältnisse
bei Leichen von Erwachsenen und Kindern. Wir bemerken, dass bei den
Präparaten von Pirogow, Braune, Luschka und Merkel die Art.
carotis int. et ext. fast in einer Fläche mit der Vorderfläche der Wirbel-
säule liegt.
Erwachsene. Kinder.
A. Die Entfernung zwischen den vorderen Zähnen des Unterkiefers und
der Wirbelsäule.
Braune ....... 6,8 cm | 5 Monate ...... 4,6 em
Luschka ...... 1.9: 4 | Lahr san 20% 6,8
Pirogow ...»..86 . | 10 Jahre ...... 8,4
Merkel ....... 8,6 ,. Ä 12 Jahre ...... 9,0
Henke........ 8.9 ,, |
B. Die Entfernung zwischen den vorderen Zähnen des Unterkiefers und
der Mandel.
Luschka ...... 4,9 cm
Braune ....... DI: x. 5 Monate ...... 3,1 em
Pirogow ...... 57. | ı Jahr ........ 4.8
Merkel ....... 6,3 „ 10 Jahre... .... 5.9
Henke........ 6,3 . | 12 Jahre... .... 6,2
266 Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea.
Erwachsene. Kinder.
C. Die Entfernung zwischen der Mandel und den Gefässen (bzw. Wirbelsäule).
Braune ....... 16cm |
Merkel ....... 2.80. 5 Monate ...... 1,5 cm
Luschka ...... 2.6. | A DAT oss: 2. 2,0 ,
Henke........ 26 | 10 Jahre... .... 25 .
Pirogow ...... 29 „ | 12 Jahre... .... 2.84
D. Das Verhältnis zwischen den Ziffern der Kategorie A und C.
Braune... ...... 4,3:1
Merkel ....... 3,7:1 EJahrt: 2 2. 34:1
Henke........ 8,5 :1 | 10 Jahre....... 3,3:1
Luschka ......: 3,0:1 | 12 Jahre... .... 32:1
Pirogow....... 8,0:1 | 5 Monate....... 3,0:1
Wenn wir demnach die ganze Entfernung von den vorderen Zähnen
des Unterkiefers bis zur Wirbelsäule (bzw. dorsoventralen Diameter der
Mundhöhle und des oralen Teiles des Schlundes) nehmen, so zeigt sich,
dass in einigen Fällen die Mandelebene auf der Grenze zwischen den vorderen
?/; und dem hinteren !/, (s. Schnitte nach Pirogow, Luschka), in anderen
Fällen auf der Grenze zwischen den vorderen °/, und dem hinteren !/, des
erwähnten Diameters (s. Schnitte nach Braune, Merkel und Henke) liegt.
Im ersten Falle haben wir einen vergleichsweise sehr grossen Abstand
zwischen den Gefässen und der Mandel, im zweiten Falle einen relativ sehr
kleinen.
Der Unterschied in der Lage der Mandel steht wahrscheinlich in Ab-
hängigkeit von der Entwickelung des Knochenskelettes des Kopfes.
Die Gefässe und die hintere Thoraxwand sind mit der Schädelbasis,
d.h. mit dem Neurocranium, verbunden, während der weiche Gaumen,
die Gaumenbögen und folglich auch die Mandeln in unmittelbarer Beziehung
zum Splanchnokranium stehen.
Grösse und Entwicklung der obenerwähnten Schädelteile müssen natür-
lich einen gewissen Einfluss auf die Topographie der Gefässe und Mandeln
ausüben. „Die Schädelform des Erwachsenen kann*® keineswegs ein ver-
grössertes Abbild des kindlichen Kopfes sein. Die anfangs im Wachtum
zurückgebliebenen viszeralen Gebilde des Kopfes nehmen allmählich einen
grösseren Raum ein, insbesondere beim männlichen Geschlecht. Das Wachs-
tum des Hirnschädels nimmt unterdessen in bestimmter Weise seinen Fort-
gang. Die postembryonale Schädelentwickelung zeigt nach den Unter-
suchungen von E. Merkel zwei Wachstumsperioden. Die erste reicht von
der Geburt bis etwa zum siebenten Lebensjahr. Dann folgt ein völliger
Stillstand bis zum Eintritt der geschlechtlichen Reife. Zu dieser Zeit tritt
die zweite Wachstumsperiode ein, welche bis zur vollkommenen Ausbildung
des Schädels dauert. Von der Geburt bis zum Ende des ersten Jahres ist
das Wachstum fast ein gleichmässiges. Vom zweiten bis zum fünften Jahre
Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea. 267
wölbt sich die Hinterhaupt- und die Scheitelgegend. Die Schädelkapsel
verbreitert sich zugleich in allen Teilen bedeutend, auch das Gesicht wächst
in die Breite. Im sechsten und siebenten Jahr wachsen die Knochen
des Schädeldaches nur unbedeutend, dagegen verlängert sich die ganze
Schadelbasis. Damit steht eine stärkere Tiefenentwicklung des Gesichts-
schädels in Zusammenhang, welcher auch an Länge zunimmt. Mit dem Ende
der ersten Wachstumsperiode ist die Länge des Grundbeinkörpers, die
Grösse des Foramen magnum, die Breite zwischen beiden Proc. pterygoidei
vollendet. Auch das Felsenbein und die horizontale Platte des Siebbeins
haben ihre endgültige Grösse erreicht.
Die zweite mit der Pubertät beginnende Wachstumsperiode bringt eine
Verlängerung der Gesichtsbasis, eine kräftige Entwicklung des Stirnbeins
und eine Vertiefung des Gesichtsschädels. Der ganze Schädel erfährt eine
starke Verbreiterung in beiden Portionen. Der Jochbogen krümmt sich
stärker und der Gesichtsschädel verlängert sich bis zur Erreichung seiner
Endform“).
Gegenstand unserer Untersuchungen waren Schnitte durch Kinderleichen
von 10 und 12 Jahren, d. h. Individuen, die sich in der Stillstandsperiode
des Schädelwuchses befanden.
Bei solchen Kindern steht schon die Länge des Grundbeinkörpers,
die Breite zwischen den beiden Proc. pterygoidei und die Grösse des
Siebbeines fest; obgleich das Gesichtsskelett zu dieser Zeit schon eine
gewisse Entwickelung erreicht hat und sich in die Tiefe wie auch in die
Länge erweitert, konnte doch die volle Proportionalität zwischen den beiden
Schädelteilen nicht vorhanden sein, da das Gesicht verhältnismässig klein
war, wie es diesem Alter entspricht. Wenn bei weiterem Wachstum des
Schädels sich die oben angegebenen Beziehungen nicht verändern, so werden
wir auch bei Erwachsenen einen kurzen Durchmesser des Pharynx von vorn
nach unten und einen relativ kleinen Zwischenraum zwischen den vorderen
Zähnen des Unterkiefers und der Mandel haben. Unter solchen Bedingungen
werden die Gefässe auch beim Erwachsenen weit von der Mandel entfernt
liegen, wie es auf unseren Schnitten von Kinderleichen beobachtet wird
und wie auf den Schnitten von Pirogow?) bemerkt ist.
Wenn es im weiteren zu der normalen Verlängerung und Vertiefung
des Gesichtsskeletts kommt, so ist es klar, dass die Mandelfläche sich der
vorderen Fläche der Wirbelsäule (bzw. I.—II. Halswirbel) nähern wird; in
Abhängigkeit davon wird sich der Zwischenraum zwischen den Mandeln
und den Gefässen (bzw. Art. carotis int.) verkürzen.
Die Schädelbasis erreicht, wie oben gesagt, ihre definitive Grösse am
Ende der ersten Periode und kann daher keinen wichtigen Einfluss auf die
Veränderung der Gefässlage in der zweiten Periode zeigen.
1) Merkel, Handbuch d. topogr. Anatomie. 1885—1890. Bd.1. S.6. —
Rauber-Kopsch, Lehrbuch d. Anatomie. 1908. S. 134.
2) Anatome topographica sectionibus per corpus humanum congelat. triplici
direot. ductis illustrata. Fasc. 1. Tab. 9. Fig. 1. Petropoli 1859.
268 Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea.
Eine Beschreibung der typischen Gefässlage bei völlig normal und
proportional entwickelten Individuen siehe Braune (Topograpisch-anato-
mischer Atlas. Leipzig 1888. Tab. V, Fig. I, und Merkel, Textfig. IV).
Wenn man nun in bezug auf die Lageveränderung der Gefässe und
Mandeln in ihrer Abhängigkeit vom Wuchse alles Gesagte zusammenfasst,
so kann man sagen: Die mit der Schädelbasis zusammenhängenden Gefässe
erreichen am Ende der ersten Wachstumsperiode des Schädels ihre definitive
Lage und werden zu einem „Punctum fixum“, da in dieser Zeit die Grösse
der Schädelbasis definitiv feststeht.
Die Mandel ist mit dem Gesichtsskelett verbunden und muss sich unter
normalen Bedingungen entsprechend der Vertielung des Gesichtsskeletts
den Gefässen nähern. Die Entwickelung der Maxilla sup. beginnt am An-
fange „der zweiten Periode“, d. h. vom Eintritt der Pubertät und findet
ihren Abschluss gegen das 22.—-25. Jahr.
Aus dem Gesagten gelıt klar hervor, dass wir bei Kindern ganz andere
Verhältnisse als bei völlig entwickelten und normal gestalteten Erwachsenen
beobachten müssen, und daher steht Merkels Behauptung, „dass wir bei
den Kindern dieselben Beziehungen zwischen den Mandeln und den Gefässen
wie auch bei Erwachsenen beobachten“ !), in direktem Widerspruch zu seinen
kraniologischen Untersuchungen. Unsere Präparate und die Abbildungen
der klassischen Anatomen zeigen, dass solche Uebereinstimmung nur in
besonderen Fällen beobachtet wird.
VIL.
Das Ziel weiterer Untersuchungen ging darauf hinaus, die Beziehungen
der grossen Gefässe, ausgenommen die Art. carotis int., zur lateralen Schlund-
wand und zum Mandelgebiet genauer kennen zu lernen. In den meisten
Fällen präparierten wir von aussen nach innen vorgehend, in einigen Fällen
von der Schlundhöhle aus, wobei wir zuerst die Mandel entfernten; in
3 Fällen gingen wir von hinten zur Regio tonsillaris, nachdem wir die
Wirbelsäule vorher entfernt hatten. Auf solche Weise wurden von uns
14 Präparate hergestellt, aber da 3 von ihnen sich als technisch ungenügend
erwiesen, so nehmen wir nur auf die übrigen Bezug.
Präparat Nr. XXII (Taf. X, Fig. VI).
Leiche eines jungen Mannes. Die Gefässe (Arterien und Venen) wurden mit
15 proz. gefärbter Gelatinelösung injiziert. Die Fixation geschah in 10 proz.
Formalinlösung. Das stark fixierte Präparat wurde in der Mittellinie zersägt, wobei
aber die Zunge nicht zerschnitten wurde. Nach Entfernung der Mandel zusammen
mit ihrer fibrösen Kapsel, auf deren äusseren Fläche sich ein sehr gut entwickelter
anastomotischer (arteriell und venös) Ring zeigte, legten wir den M. constr.
pharyngis sup. frei. Nachdem wir diesen mit seiner ihn bedeckenden Fascie ent-
fernt hatten, gerieten wir in den vorderen Teil des mit einer Schicht von lockerem
Zeilgewebe ausgefüllten Spatium lateropharyngeum (Fig. II—9). Nach der Ent-
1) l.c. S. 407.
Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea. 269
fernung des Zellgewebes kam der M. styloglossus (5) und stylopharyngeus (6), auf
deren Oberfläche der N. glossopharyngeus (2) verläuft, zutage. Wenn die Uvula (8)
nach oben gespannt und der vordere (11) und hintere (10) Gaumenbogen gespannt
ist, so sehen wir die Glandula submaxillaris (4), auf deren Hinterfläche die
Art. maxillaris ext. (3) verläuft, die 2 dünne Zweige in das Gewebe der ge-
nannten Drüse abgibt. In der Spalte zwischen dem M. stylopharyngeus (5)
und Arc. post. (11) läuft die Art. lingualis (1), die eine Dicke von 0,4 cm erreicht,
und bildet einen Bogen, dessen Konvexität nach vorne und ein wenig nach
innen gewandt ist. Wenn man die Art. lingualis zur Mittellinie abzieht, so
werden sich in der Tiefe hinter ihr, auf der Taf. X unsichtbar, die Art. carotis
ext. und noch mehr nach hinten die Art. carotis int. zeigen.
Die Bifurkation der Art. carotis com. entspricht dem Niveau der Mitte des
Körpers des IV. Halswirbels und liegt in der Sagittalfläche.
Die Durchmesser sind:
Art. carotis com. 0,8 cm | Art. carotis ext. 0,5 cm
Bifurcatio ejus 13 „ | „ lingualis 0,4
Art. carotis int. 0,6 „ | „ maxillaris ext. 0,35 „
Die Art. lingualis geht 1,2 cm oberhalb der Bifurkation ab und bildet, wie
oben gesagt, einen Bogen. In gleichem Niveau mit der Art. lingualis, aber von
der hinteren Peripherie der Art. carotis ext., geht die dünne Art. pharyngea ab.
0,5 cm höher als die Art. lingualis und folglich 1,8 cm oberhalb der
Bifurkation geht die Art. maxillaris ext. ab. Diese stellt einen gekriimmten
Stamm vor, welcher in der Höhe des oberen Mandelpols einen sehr steilen Bogen
bildet, der scheinbar die Hinterfläche des M. constr. pharyngis berührt.
Auf diesem Präparate tritt also mit besonderer Klarheit die Nähe der
2 arteriellen Stämme (Art. lingualis und Art. maxillaris ext.) zur Mandel hervor.
Von diesem Präparate wurde auch das Röntgenbild, auf welchem be-
sonders scharf die Beziehung der 2 genannten Bogen zur Mandel sichtbar wurde,
hergestellt.
Die Raumbeziehungen hat natürlich dieses Bild nicht gegeben.
Präparat Nr. XXIV (Taf. XI, Fig. VII und Taf. VII, Fig. 1).
Leiche eines abgemagerten Mannes von ungefäbr von 25--30 Jahren. Sie
wurde in der Horizontallage mit Sproz. Formalinlésung durch die Art. femoralis
sin. injiziert. Darnach wurde durch die Art. carotis com. unter ständigem
Drucke Reitlingersche Masse eingespritzt. Trotz der vorhergehenden Formalin-
injektion wurden die Gefässe sehr gut mit der Masse gefüllt. Nach der Injektion
trennten wir den Kopf vom Körper im Niveau der Apertura thoracis sup., entfernten
das Hirn und legten das Präparat auf 11/, Monate in 1lOproz. Formalinlösung.
Das stark fixierte Präparat wurde in der Mittellinie zersägt, die abgesägte Hälfte
wurde an das Brett angeschraubt, der Unterkiefer im Niveau des letzten Molaris des
Unterkiefers zersägt und in dem Gelenke verrenkt.
Die Durchmesser sind:
Art. carotis com. 0,9 cm Art. maxillaris ext. 0,5 cm
- ae ext. 05 , | „ lingualis 0,35 „
7 . int. 07 „ | „ Pharyng. asc. 02 „
Die Entfernung vom Rande d. vorderen Zähne d. Unterkiefers bis z. Wirbelsäule 7,4 cm
n n n nn n n n n n n Mandel 9,8 7
270 Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea.
Die Entfernung von der Mandel bis zur Art. carotis int. 2,1 cm
n n non nn nono n n Oxt. 2,3 ,
5 = w 3 j » n» pn facialis 0,9 „
Die angeführten Ziffern zeigen die Dicke der Weichteilschicht, durch welche
man durchgehen muss, bis Gefässe beschädigt werden.
Der Bogen der Art. maxillaris ext. erreicht fast den unteren Mandelpol.
Bei dem Studium der Taf. XI (Präparat Nr. XXIV, XVI usw.) fällt es
ins Auge, dass im Niveau der Kreuzung des Vent. post. M. digastrici und
des M. stylohyoideus, die Art. carotis ext. einen Bogen von verschiedener
Grösse bildet, dessen Konvexität nach der Seite der Mandel gerichtet ist.
Die Entfernung zwischen der Art. carotis ext. und der Mandel ist über-
haupt nicht gross und ausserdem unbeständig, weil sie von vielen Faktoren,
unter denen nicht die letzte Rolle die Kontraktion der Muskeln spielt, ab-
hängt. Wie man auf der Taf. XI sieht, stützt sich die Art. carotis ext.
auf den M. biventer und stylohoideus. Bei der Kontraktion der ge-
nannten Muskeln muss sich die Art. carotis ext. natürlich dem Mandel-
gebiete nähern.
Wenn wir uns die Innervation des M. biventer et M. palatoglossus
(aus dem N. facialis) vergegenwärtigen, so glauben wir, dass bei Existenz
von Entzündungsprozessen (Tonsillitis, Peritonsillitis usw.) eine Schmerz-
kontraktur des M. digastricus wie auch des M. styloglossus möglich ist,
da der letztere ebenfalls vom N. facialis innerviert wird (Ram. stylo-
hyoideus N. VID.
Eine solche Kontraktur muss eine Veränderung der normalen Raum-
beziehungen verursachen, was noch deutlicher wird, wenn man die Einzel-
heiten der Innervation des Mandelgebietes und des Vent. anterior M.
digastrici in Betracht zieht. Wie bekannt ist, bekommt der Vent. anterior
M. digastrici seine Bewegungsinnervation aus dem N. crotaphytico-
buccinatorius (Ram. mylohoid. N. trigemini), welcher (N. trigeminus)
auch das Mandelgebiet innerviert!).
Natürlich hängt die gleichzeitige Muskelkontraktion (bzw. Synergie)
nicht davon ab, dass sie von einem gemeinsamen Nervenstamme innerviert
werden, sondern davon, dass sie ein gemeinsames motorisches Zentrum
haben, aber sogar in den neusten Lehrbüchern der Physiologie wird die
Möglithkeit der „paradoxen Muskelkontraktion* nicht geleugnet: „wenn
man den elektrischen Strom zu einem der beiden Aeste, in welche sich
der N. ischiadicus bei einem Frosche teilt, leitet, so kontrahieren sich
die von beiden Aesten versorgten Muskeln* (Landois, Handbuch der
Physiologie des Menschen. Bd. 2. 8. 633). Wie man auf dem beifolgenden
Schema (Fig. X) sieht, können die analogen Bedingungen auch in unserem
Falle eintreten.
Es ist nach dem Gesagten klar, dass wir bei Bestehen eines Ent-
zündungsprozesses im Schlunde die Art. carotis ext. ebenso wie ihre
1) Bobrow, Lehrb. d. top. Anat, Moskau 1911. S. 114.
Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea. 271
Figur X.
Aeste (Art. maxillaris ext. et lingualis) viel näher der Schlundwand finden
können als man auf Grund der anatomischen Untersuchungen gewöhnlich
annimmt.
Präparat Nr. XXXI.
Leiche eines Mannes von gutem Körperbau, von mittleren Jahren. Die Gefässe
wurden mit 10proz. Sol. Gelatinae injiziert. Die Leiche wurde in 10 proz. Formalin-
lösung fixiert. Es wurde die Wirbelsäule entfernt, die hintere Schlundwand frei-
gelegt und die Halsgefässe präpariert.
Die beiden Seiten des Präparats sind nicht völlig symmetrisch: links teilt
sich die Art. carotis com. in Höhe des oberen Randes der Cart. thyreoidea,
rechts aber befindet sich die Bifurkation 0,7 cm niedriger als links. Im übrigen
wird fast volle Symmetrie der beiden Seiten konstatiert.
Unmittelbar oberhalb der Bifurkation bildet die Art. carotis int. 2 Bogen,
einen höher als den anderen. Die Konvexität des ersten Bogens ist nach hinten
und aussen gerichtet; die Konvexität des anderen nach vorne und innen.
Auf diese Weise hat die Art. carotisint. eine S-förmige Krümmung. Die
Länge der geraden Linie, welche die Bifurkation mit der Eintrittsstelle der Art.
212 Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea.
carotis int. in den Canalis caroticus vereinigt, beträgt 6,3 om. Die wirkliche
Länge der Art. carotis int. (nach dem Ausgleichen ihrer Bogen durch Gerade-
streckung) beträgt 6,9 cm.
Die Art. carotis ext. geht unmittelbar oberhalb der Bifurkation nach vorne
und innen ab, liegt medial von der Art. carotis int. in unmittelbarer Nachbarschaft
des oralen Schlundteiles. 2,5 cm oberhalb der Bifurkation verändert die Art.
carotis ext. ihre Richtung, kehrt scharf nach aussen und, einen sehr steilen
Bogen bildend, legt sie sich vor die Art. carotis int., kreuzt diese und tritt
dann in das Gewebe der Gland. parotis. Auf diese Weise erhalten wir infolge
des oben beschriebenen Sichkreuzens der beiden Art. carotides eine Art von um
1 Art. carotis com.: 2 Art. carotis ext.; 3 Art. carotis int.; 4 Art. lingual.; 5 Art.
pharyng. asc.; 6 M. stylopharyng.; 7 M. biventer (vent. post.); 8 M. stylohyoideus;
9 Os hyoideum; 10 Uvula; 11 Epiglottis; 12 Gland. carot.; 13 Tonsille;
14 Proc. styloid.
die Vertikalachse gedrehter 8, wobei der untere Teil dieser Ziffer beinahe in sagittaler
Flache, der obere in frontaler Flache liegt.
Im Niveau der Bifurkation geht von der Art. carotis ext. die Art. thyreoid.
ab. Ihr Lauf ist ein typischer; der Durchmesser beträgt 0,3 cm.
1,2 cm oberhalb der Bifurkation läuft von der inneren Peripherie der Art.
carotis ext. (2) ein dicker Stamm der Art. lingualis (4) ab. Unmittelbar nach
der Abgangsstelle bildet diese einen sehr steilen Bogen, dessen Konvexität nach
oben und ein wenig nach hinten gerichtet ist. Der Durchmesser der Art. lingualis
beträgt 0,4 cm. Der Scheitelpunkt des Bogens der Art. lingualis erreicht die
Höhe des unteren Pols der Mandel (13) und wird von ihrer Schleimhaut durch
eine Weichteilschioht von 1 cm Dicke getrennt.
Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea. 273
l cm oberhalb der Art. lingualis und folglich 2,2 cm oberhalb der
Bifurkation geht von der vorderen Peripherie der Art. carotis ext. (2) die Art.
maxillaris ext. ab. Auf der Fig. XI sieht man sie nicht, da die Abbildung die
hintere Fläche des Schlundes und die Halsgefässe wiedergibt. Mit dem Kreuz (X)
ist ihre Abgangsstelle bezeichnet. Der Scheitelpunkt des Bogens der Art.
maxillaris ext. entspricht der Mitte der Mandel (13).
Die Art. pharyng. asc. (5, 5) läuft von der hinteren Peripherie der Art.
carotis ext. (2) oberhalb der Art. thyreoid. sup. und unterhalb der Art.
lingualis 0,8 cm oberhalb der Bifurkation ab, läuft zuerst zwischen der Art.
carotis ext. und Art. carotis int. (3), nachher zwischen der Art. carotis int.
und der hinteren lateralen Schlundwand und gibt viele ziemlich starke Aeste ab,
welche sich der hinteren Schlundwand nähern.
Von der inneren Mandelflache bis zur Art. carotis ext. sin. betragt 1,6 cm
nn n ” 7 7 p n„ int. „ n 24 „
Die Mandeln liegen auf beiden Seiten im Niveau zwischen dem ll. und
Ill. Halswirbel.
Auf der rechten Seite gehen die Art. lingualis und Art. facialis mit
einem gemeinsamen Stamme von der vorderen Peripherie der Art. carotis ext.
1,7 cm oberhalb der Bifurkation ab. Der gemeinsame Stamm der Art. lingualis
und facialis bildet einen sehr steilen Bogen, dessen Scheitelpunkt der Mitte der
Mandel entspricht. 1,4 cm nach dem Ursprunge teilt sich der gemeinsame Stamm
in 2 Stämme von gleicher Dicke: Art. facialis und Art. lingualis.
Die erstere geht nach aussen und unten, hat zum Schlunde und der Mandel
keine unmittelbare Beziehung, die letztere aber kehrt scharf nach unten und liegt
unmittelbar an der Schlundwand im Niveau des unteren Mandelpols an.
In diesem Falle liegt die Art. carotis ext. in Höhe der Mandel näher der
Schlundwand an als die Art. carotis int.
Diese Lage der Gefässe wurde schon von Allan Burns als wichtige Anomalie
vermerkt (s. Allan Burns, Bemerkungen über die chirurgische Anatomie des
Kopfes und Halses. Halle 1821. S. 89).
Das Riolansche Bündel läuft vor der Art. carotis int., kreuzt die
Horizontalebene unter einem Winkel von 45° und liegt an der Seitenwand des
oralen Schlundteiles, gerade in dem Mandelgebiete an.
Wie oben gesagt, beträgt die Länge der Art. carotis int. (von der
Bifurkation bis zur Schädelbasis) 6,3 cm. Nach der Lage des Riolanschen
Bündels kann man die ganze Art. carotis in 3 Teile teilen:
I. Von der Schädelbasis bis zum oberen Rande des Riolanschen Bündels 3,0 cm
II. Vom oberen Rande des genannten Bündels bis zu seinem unteren Rande 1,1 „
III. Vom unteren Rande des Bündels bis zur Bifurkation der Art. carotis com. 2,2 „
Also befindet sich unter dem Schutze des M. styloglossus und stylo-
pharyngeus nur 1,1 cm der Art. carotis int., aber dieser Teil der Arterie ent-
spricht genau dem Teile der lateralen Schlundwand, an welcher die Tonsille
anliegt.
VHI.
Die grosse Bedeutung des „Stylodìiaphragma* als einer das Spatium
lateropharyngeum (Fig. IT 9-+ 9‘) in 2 völlig getrennte Räume teilenden
anatomischen Bildung und die Beziehung des genannten „Diaphragma“ zu
274 Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea.
der Art. carotis int. et ext. sind allbekannte Tatsachen. Wir erlauben
uns, die Orginalabbildung und die Beschreibung der genannten Aponeurosis
nach Jonesco zu geben (,,Tub. digestif.“ S. 172).
Figur XI.
pharyng. med.; 5 Aponeurosis pharyng.; 6 Art. carotis int.; 7 Aponeurosis stylo-
pharyng.; 8 Lig. stylopharyng.; 9 M. stylopharyng.; 10 Lig. stylohyoid.
Nach der Meinung von Jonesco bildet diese Aponeurosis auf beiden
Seiten des Schlundes eine dreieckige, oben breite und unten schmale,
zwischen dem Schlundwinkel, Proc. styloideus und M. stylopharyngeus ge-
zogene fibromuskulire Platte. Man unterscheidet an derselben 1. Basis,
2. Spitze, 3. 2 Ränder (äusserer und innerer) und 4. 2 Flächen (vordere
und hintere).
Die Basis der Aponeurosis stylopharyngea ist an dem Schädel in einer
Linie befestigt, die von aussen nach vorne geht und die 1. von der Basis
des Proc. styloideus, 2. vom Proc. vaginalis des Schläfenbeins und von
der Basis des Processus pterygoideus ossis sphenoidalis gebildet wird.
Der obere Teil des inneren Randes der Aponeurosis stylopharyngea
wird an dem lateralen Winkel des Schlundes befestigt und vereinigt sich
mit dem Lig. suspensorium pharyngis laterale, der untere läuft zu dem
durch die Vereinigung der hinteren und seitlichen Platten der Aponeurosis
pharyngis ext. gebildeten Winkel.
Die Aussenwand des Jonesco-Diaphragma ist an dem Proc.
styloideus und dem M. stylopharyngeus befestigt, für welche er eine apo-
Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea. 275
neurotische Scheide bildet, die den genannten Muskel bis zu seinem Ein-
gange in die Wand des Schlundes bedeckt.
Der Scheitel der Jonesco-Aponeurosis entspricht dem durch die
Vereinigung der Schlundwand und des M. stylopharyngeus gebildeten Winkel.
Die Vorderfläche des „Stylodiaphragma“ bildet die hintere Wand
des Spatium pterygopharyngeum (Fig. II, 9‘, Fig. III, 18), ihre Hinterfläche
bildet die vordere Wand des Spatium stylopharyngeum (Fig. II, 9, Fig. III, 19).
So schilderten dieses „Diaphragma“ Suvara, Zuckerkandl und
Merkel, aber in der im Jahre 1909 erschienenen und oben zitierten
Arbeit von Dr. Orleanski behauptet dieser Autor der allgemein vertretenen
Ansicht entgegen, dass die Mm. styloglossus und stylopharyngeus
sich öfters vor und nach innen von der Art. carotis int. befinden,
dass aber diese Lage dieser Muskeln zur Arterie durchaus nicht für die
allgemeine Regel gehalten werden kann. Nicht selten lagen die Muskeln
nach vorne und aussen von der Arterie und konnten deshalb in
keinem Falle eine Rolle als „Schützer“ der Arterie während eines Eingriffes
an den Graumenmandeln spielen (l. c. S. 109).
Die Wichtigkeit dieser Beobachtung im Falle ihrer Bestätigung, durch
welche die Ansichten über die Topographie der Art. carotis int. und
ihre Beziehungen zu den „Stylomuskeln* sich erheblich verändern mussten,
bewog uns, uns mit dem Studium des Stylodiaphragma an Leichen zu be-
schäftigen.
Im ganzen wurden von uns zu diesem Zweck 5 Leichen untersucht
(wir rechnen die anderen Präparate, bei welchen wir das „Stylodiaphragma*“
nebenbei untersuchten, nicht).
Da alle unsere Untersuchungen ganz analoge Resultate ergaben, so
erlauben wir uns sie alle zusammen anzuführen, indem wir uns auf die
photographische Abbildung von einem unserer Präparate (Nr. XXXIII) be-
ziehen (s. Taf. XI, Fig. VIII).
Nachdem die Wirbelsäule und die vor ihr liegenden Muskeln entfernt
und die III. Aponeurosis (bzw. Fascia praevertebralis) abgehoben war, legten
wir die Art. carotis int. frei. Wenn man auch diese entfernt oder nach
aussen abzieht, so kommt eine bindegewebige Platte von verschiedener
Festigkeit, welche manchmal einer Aponeurose gleicht, zum Vorschein.
Diese Platte läuft, der Beschreibung von Jonesco gemäss, vom Proc.
styloideus zur lateralen Schlundwand.
Die Aponeurose läuft mit dem Riolanschen Bündel zusammen, zieht
nach der hinteren Schlundwand und vereinigt sich mit der Faszie, die die
hintere Fläche des M. constr. pharyngis bedeckt. Wenn man diese Apo-
neurose entfernt, so enthüllen wir die Fläche des M. styloglossus, der
nach vorn unten und innen läuft, und des M. stylopharyngeus, der sich
nach unten und innen richtet. Die beiden genannten Muskeln laufen zwischen
der Art. carotis int. und Art. carotis ext. hindurch, liegen vor der
ersteren und hinter der letzteren, so dass bei der Präparierung von vorne
man zuerst die genannten Muskeln durchschneiden muss, um die ganze
276 Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea.
Art. carotis int. von der Bifurkation bis zur Eingangsstelle in den Canalis
caroticus zu erblicken. Bei der gewöhnlichen Länge der Art. carotis
int. (d.h. 7,0 cm von der Bifurkation bis zum Canalis caroticus) befindet
sich gewöhnlich ihr oberer Teil, ungefähr 3 cm lang, nach hinten von der
beschriebenen Muskelschicht (bzw. M. styloglossus und stylopharyngeus),
aber der oberste Teil der Arterie, von der Kreuzungsstelle der Arterie mit
dem Riolanschen Bündel bis zum Canalis caroticus gewöhnlich ungefähr
1,5 cm lang, befindet sich ausser dem Bereiche des genannten Muskels.
Manchmal existiert ein Zusatzbündel des M. constr. pharyngis sup., das
von der Pars petrosa ossis temporalis läuft und mit den Muskelfasern
auch diesen Teil der Art. carotis int. schützt.
Die Fasern des M. stylopharyngeus laufen, wie schon gesagt wurde,
von oben und aussen nach unten und innen, die Vertikalebene unter
dem Winkel von 20° kreuzend; dadurch erhalten wir ein Dreieck, das
oben von der Schädelbasis, aussen von dem M. stylopharyngeus und
innen von der Schlundwand begrenzt wird. Seine Höhe beträgt (an der
Leiche) 4—5 cm; der Scheitel entspricht der Ansatzstelle des M. stylo-
pharyngeus. Der letztere geht, wie bekannt, mit seinen Fasern in den
Pharynx nach vorne von dem M. constr. pharyngis sup. herein, dabei
läuft ein Teil der Fasern dieses Muskels in die hintere Schlundwand, der
andere Teil aber zieht nach unten und erreicht die Cartilago cricoidea et
thyreoidea.
Die Ansatzstelle des M. stylopharyngeus entspricht der Lage der
Mandel und des hinteren Bogens. Wenn man aus der Mundhöhle geht,
sich an die Längsachse der letzteren haltend, so müssen wir immer in der
Höhe des Mandelschnittes zuerst den M. stylopharyngeus verletzen und
später die hinter ihm liegende Art. carotis int.
Oberhalb der Mandel, manchmal sogar im Niveau ihres oberen Pols,
ist die Verletzung der Art carotis int. ohne vorhergehende Beschädigung
des M. stylopharyngeus möglich, denn in dieser Höhe läuft schon der
M. styloglossus und stvlopharyngeus nach aussen. Analoge Beziehungen
kann man auf Merkels Abbildungen (s. Fig. IV), wo das Riolansche
Bündel vor- und lateralwärts der Art. carotisint. liegt, beobachten;
aber in jedem Falle liegt die Aponeurosis, die den M. styloglossus und
stylopharyngeus bedeckt, zwischen der hinteren äusseren Peripherie
der Mandel und der vorderen inneren Fläche der Art. carotis int.
Die Muskeln liegen im Niveau der Mandeln lateralwärts von der Art.
carotis int., manchmal verlaufen sie in verschiedenem Grade vor ihrer
vorderen Fläche (s. Luschka, Der Schlundkopf des Menschen, Taf. VI und
VIII), aber im Gegensatz zu Orleansky konnten wir in keinem Falle die
Existenz der genannten Muskeln nach vorne und innen von der Art.
carotis int. konstatieren. Das Gesagte bezieht sich sowohl auf die Präpa-
rate der Klassiker wie auch auf unsere eigenen Präparate.
Die Styloaponeurosis (Diaphragme stylien Jonesco) ist zwar eine wichtige
anatomische Bildung, jedoch wollen wir seine Bedeutung nicht überschätzen.
Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea. 27
„Die klinische Erfahrung lehrt,“ schreibt Prof. Kolomnin, „dass man
die Bedeutung der Faszien nicht überschätzen und nicht jeder faszialen
Platte einen augenscheinlichen Einfluss auf den Lauf des Entzündungs-
prozesses und eine besonders wichtige Bedeutung für operative Eingriffe
zuschreiben soll.“
Nur die festen Faszien sind für uns in dieser Beziehung wichtig, obgleich
auch hier öfter Ausnahmen vorkommen: Manchmal kann eine progressive
Eiterung oder ein Abszess alle unsere Erwartung täuschen und eine andere
Richtung nehmen, aber nicht die, welche von der Lage der Faszien bedingt
wurde. Wir denken z. B. an die paranephritischen Abszesse, die sich in
der Regio lumbalis und am Ligamentum Poupartii und im Colon trans-
versum, Pleurae, Pulmones usw. finden.
Es bestätigt sich, dass Bischat mit Recht folgende Meinung äussern
konnte: „Toutes les cellules communiquent entre elles; en sorte que le
tissu cellulaire est réellement perméable, dans toute l’etendue du corps depuis
les pieds jusquà la tête.“ (Kolomnin, Vorwort zur Anatom. chirurg.
trunc. arteriar. nec non fasciarum fibrosarum. Prof. N. S. Pirogow,
S. P. B. 1882. S. XVIIL)
Schluss.
I. Die Raumbeziehungen zwischen den grossen Gefässen und der late-
ralen Schlundwand sind in Abhängigkeit von der Entwicklung der
zugehörigen Teile des Knochenskeletts des Schädels.
II. In Abhängigkeit von der postembryonalen Entwicklung des im Wuchse
zurückgebliebenen visceralen Teils des Schädels liegen die Gefässe
bei Erwachsenen gewöhnlich näher zu der Mandel als bei Kindern.
III. Die Entfernung zwischen den Gefässen und der lateralen Schlund-
wand ist eine veränderliche und steht in Abhängigkeit von einer
ganzen Reihe von Tatsachen.
IV. Die Kopfhaltung ergibt einen sehr grossen Einfluss auf die Topo-
graphie der Gefässe und auf ihre Beziehungen zur Mandel. Das
Maximum der Veränderung in der Lage der Gefässe wird bei dem
Kopfwenden beobachtet. Auf der Seite, von welcher der Kopf ab-
gewandt ist, nähern sich die Gefässe der lateralen Schlundwand; auf
der Gegenseite aber entfernen sich die Gefässe von ihr.
V. Bei der Kontraktion der einzelnen Muskelgruppen ist eine Annäherung
der Gefässe an die Schlundwand möglich.
VI. Die Entfernung zwischen der Mandel und der Art. carotis int.
beträgt 1,5 cm und zwischen ihr und der Art. carotis ext. 2 cm:
sie ist eine veränderliche Grösse; es kommen oft grössere, besonders
aber geringere Abstände zur Beobachtung.
VIl. An der Leiche verursacht das Abziehen der Mandeln, das Nieder-
drücken der Zunge und die Eröffnung des Mundes keine Veränderung
Archiv für Laryngologie. 29. Bd. 2. Heft. 19
278
VIH.
NI.
XII.
NIT.
XIV.
XV.
Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea.
der Lageverhältnisse der Gefässe; beim Lebenden, besonders wenn
eine entzündliche Infiltration in dem peritonsillaren Zellgewebe vor-
handen ist, sind solche Veränderungen möglich.
Ausser der Art. carotis ext. et int. haben zum Schlunde unmittel-
bare Beziehung die Art. maxillaris ext., Art. lingualis, Art. palat.
asc., manchmal die Art. pharyngea asc., der Plexus venosus sub-
mucosus et peripharyngeus.
. In Abhängigkeit von der Schnitthöhe verändert sich die Beziehung
des Riolanschen Bündels zu den Gefässen und deshalb kann jenes
nicht immer als ein „Schützer“ für dieselben dienen.
. Blutungen bei Eröffnung eines peripharyngealen Abszesses können
durch die Verletzung der obengenannten Arterien wie auch der Venen,
besonders wenn diese entzündet oder varikös erweitert sind, ver-
ursacht sein.
Bei der richtig ausgeführten Tonsillotomie ist nur eine Kapillar- und
Venenblutung möglich, da die Arterienstämme nur die Mandelkapsel
erreichen und in das Gewebe der Mandel nur die Kapillaren eintreten.
Bei der Exstirpation der Mandel mit der Kapsel ist auch eine starke
arterielle Blutung möglich.
In Anbetracht der Möglichkeit von Gefässanomalien ist es notwendig,
vor jedem operativen Eingriff am Schlunde und den Mandeln sich
frühzeitig durch Palpieren von der Abwesenheit einer Pulsation zu
überzeugen.
Die Grösse des Interstitium (Spatium) lateropharyngeum ist unbeständig.
Die Menge des in ihm enthaltenen Zellgewebes variiert, irgendwelche
potentialen Zwischenräume gibt es hier nicht, und der genannte
Raum erscheint oft nur als eine Spalte, durch welche die Gefässe
hindurchgehen.
Bei der Tonsillotomie ist es nötig, nur den hervorragenden Teil der
Mandel abzutragen, wobei man die Mandel aus ihrer Nische weder
herausziehen, noch das Instrument in die laterale Schlundwand ein-
drücken darf.
Bei dem Oeffnen der Peritonsillarabszesse ist die Beachtung folgender
Regeln erwünscht: -
1. Das Eröffnen soll nur dann, wenn die Anwendung aller Methoden
der Hämostase (Zange von Mikulicz, das Zusammennähen der
Bogen usw., die Ligatura art. carot. commun. einbegriffen), möglich
ist, vorgenommen werden.
2. Es ist unbedingt die feste Fixierung des Kopfes des Kranken not-
wendig; als sicherste Kopflage, die die bequeme Ausführung der
Operation mit relativer Gefahrlosigkeit vereinigt, erscheint die
mittlere Lage mit nicht weit geöffnetem Munde.
XVI.
Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea. 279
Es ist erwünscht, mit dem Messer nur die Schleimhaut zu durch-
schneiden, die folgende Vertiefung der Wunde muss stumpf aus-
geführt werden.
Es ist sehr gefährlich, die Wunde über 1,4 cm, höchstens 1,5 cm
tief zu machen, besonders bei dem Gebrauch von scharfen und
noch mehr von spitzen Instrumenten.
Man darf nie das Messer nach hinten und aussen richten; die
Schnittfläche muss parallel der Längsachse der Mund-
höhle sein.
Was die Stelle der Abszessöffnung anbelangt, so befürworten wir
auf Grund der anatomischen Untersuchungen die Methode von
Figur XIII.
Thomson (Brit. med. Journal. 1905. p. 645). Der Letztere rät zu
einem Durchstich an der Spitze des äusseren unteren Quadranten,
welche gebildet wird bei dem Durchkreuzen
a) einer Linie, welche an der Basis der Uvula entlanggeführt
wird, mit
b) einer Linie, welche vertikal an: dem vorderen Rande des
vorderen Bogens entlanggeführt wird (siehe Fig. XII).
Gut ist auch die allbekannte Methode von Chiari.
Im Falle von postoperativen Blutungen bei den Operationen an der
Mandel und der lateralen Schlundwand muss man die hämostatischen
Eingriffe in folgender Reihe anwenden: 1. Anlegung des Kompressoriums
von Mikulicz, 2. Zusammennähen der Bogen, 3. Compressio art.
19*
80 Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea.
carotis commun., 4. Unterbindung der Art. carotis commun. oder ihrer
Zweige.
XVII. Bei Nephritis, Hämophilie, bei Leiden der Gallenwege wie auch während
der Menses und bei akuten Entzündungsprozessen im Gaumengebiete
muss man die Tonsillotomie nach Möglichkeit vermeiden.
Zum Schlusse erlaube ich mir, meinem hochgeehrten Chef, Herrn
Prof. B. J. Prschewalsky, für die Angabe des Themas und der Literatur,
sowie fiir seine Hilfe während der Anfertigung der Arbeit meinen besten
Dank auszusprechen.
Erklärung der Figuren auf Tafeln VIII—XI.
Figur I. Portio superior spatii temporomaxillaris. Art. carotis int.
A M. sternocleidomastoideus; B M. omohyoideus; C Vent. post.
M. digastrici et M. stylohoideus; D Vent. ant. M. digastrici; E M. stylo-
hyoideus; F M. masseter; J, M Mm. pterygoid. int. et extern.; S M. tem-
poralis; K M. mylohyoideus; L die Aussenwand der Rachenhöhle;
l Palat. molle; 1’ Uvula; m Duct. Stenonianus und m’ seine Mündung
unweit des Primus molaris maxillae superioris; 1 Art. carotis com.;
2 Art. carotis ext.; 3 Art. carotis int.; 4 Art. carotis int. im oberen Teile
des Spatium tempomaxillare, von der Rachenhöhle nur durch deren
äussere Wand (L) getrennt; 5 Art. thyreoid. sup.; 6 Art. lingualis;
7 Art. maxillaris ext.; 7° Art. pharyngopalat.; 8 Art. occipitalis; 9 Art.
auricularis post.; 10 Art. maxillaris int.; 11 Art. temporalis; 12 V. jugu-
laris int.; 13 V. jugularis ext.; 14 N. auricularis magn.; 15 N. XII et
ram. desc. N. XIL; 16 N. lingualis; 17 N. IX; 18 Art. pharyng. asc.;
19 N. sympath. et N. X.
Figur II. 1 Protuberant. mental.; 2 Lingua; 3 M. masseter; 4 Gl. parotis; 5 Vena
jugul. int.; 6 Art. carotis ext. dext.; 7 Vena jugul. int.; 8 Art. carotis
int. dext.; 9, 10 Plex. peripharyngeus; 11 Tonsilla dext.; 12 Massae
lateral. vertebrae I.; 13 M. constr. pharyng. sup. ; 14 Mucosa pharyngis;
15 M. pterygoid. int.; 16 Das Riolansche Bündel.
Figur Ill. 1 Lingua; 2 Maxilla inf.; 3 M. masseter; 4 Gl. parotis; 5 Art. maxillar.
int.; 6 Art. oarotis int.; 7 Art. carotis ext.; 8 Palat. molle; 9 Tonsillae
et gland. palatin.; 10 Die Hinterwand des Sohlundes; 11 Basis ossis
occipitalis; 12 M. pterygoid. int.
Tafel IV. 1 Lingua; 2 Maxilla inf.; 3 Maxilla sup.; 4 Mucosa palat. mollis; 5 M.
hyoglossus; 6 Amygdalae cum ramis Art. palat. desc.; 7 Vena jugul.
int.; 8 Art. carotis int.; 9 Art. oarotis ext.; 10 Art. pharyng. asc.;
11 Der Anfangspunkt der Art. pharyng. asc. bzw. Art. carotis; 12 Art.
lingualis; 13 Art. carotis com.; 14 Art. thyreoid. sup.; 15 Os hyoideum ;
16 Mm. styloglossus et stylopharyng.; 17 M. pterygoid. int.
Figur V. Siehe Präparat Nr. XX.
Figur VI. 1 Art. lingualis; 2 N.1X; 3 Art. maxillaris ext. ; 4 Glandula submaxillaris ;
5 M. stylopharyngeus; 6 M. styloglossus; 7 Epiglottis; 8 Uvula; 9 Cav.
pharyngis; 10 Arc. post.; 11 Arc. ant.
Lichtdruck von Albert Frisch, Berlin W.
Tafel VILL
AN iE
Fig
ai.
Tafel
Archiv f. Larynpologie. 29. Bd.
Lichtdruck von Albert Frisch, Berlin W.
= mu — -o «oe
Th. J. Bulatnikow, Regio latero-pharyngea. 281
Figur VII. 1 Proc. zygomaticus; 2 M. temporalis; 3 M. pterygoideus ext.; 4 Art.
carotis ext.; 5, 5° M. styloglossus; 6 Art. carotis int.; 7 M. pterygoideus
int.; 8 N. lingualis; 9 Art. carotis ext.; 10 M. stylopharyngeus; 11 Art.
pharyngea asc.; 12 M. stylohyoideus; 13 Gl. submaxillaris; 14 Maxilla
inf.; 15 Gland. lymphat.; 16 M. biventer (Vent. post.); 17 Art.
maxillaris ext.; 18 M. constr. pharyngis; 19 Art. palat. asc., mit der
von ihr abgehenden Art. tonsillaris. Mit dem weissen Kreuze ist die
Projektion des unteren Mandelpols auf dem M. constr. pharyngis sup.
angezeigt.
Figur VIII. 1 V. jugularis int. dextra; 2 Art. carotis communis dextra; 3 Ganglion
sympathicum; 4 Art. carotis int. dextra; 5 Glandula lymphatica; 6 Pha-
rynx; 7, 8 Aponeurosis praevertebralis; 9 Art. carotis int. sin.; 10 „Stylo-
diaphragma“; 11 M. stylohyoideus; 12 Art. carotis communis sin.;
13 Art. carotis ext. sin.; 14 Foramen jugulare dextr.
\VIH.
Aus der inneren Abteilung (Dr. med. A. Sokolowski), aus der laryngo-
logischen Abteilung (Dr. F. Erbrich) und aus dem chemisch-bakteriolog.
Laboratorium am Krankenhaus zum Heiligen Geist in Warschau.
Ueber die Behandlung des Skleroms der oberen
Luftwege mittels der Autovakzine.')
Von
Dr. J. Brunner, und Dr. Cz. Jakubowski,
Chet des bakteriologischen Assistent der Abteilung.
Laboratoriums.
Erst seit 43 Jahren ist uns das Rhinosklerom als eine besondere
Erkrankung der Schleimhaut der Atmungswege bekannt. Im Jahre 1870
hat Hebra?) als Erster eine besondere Verdickung der Haut auf der Nase
und in den Nasenhöhlen beschrieben; er hatte diese Erkrankung von allen
anderen ähnlichen Erkrankungen getrennt und dieselbe „Rhinosklerom“
genannt. Bald darauf hat Ganghofner?) bewiesen, dass diese Erkrankung
nicht nur die Nase allein betrifft, sondern auch auf die Schleimhaut der
oberen Atmungswege im allgemeinen übergreift; er hat auch als Erster
die Bezeichnung „Sklerom“, welche jetzt allgemein angenommen wird, in
die Nomenklatur eingeführt. 12 Jahre später hat von Frisch®) in dem
(Gewebe des Rhinoskleroms der Nase das Stäbchen des Skleroms, den
„Bacillus scleromatis“ gefunden, und dasselbe gezüchtet. Die Kultur
dieses Keimes haben Paltauf und von Eiselsberg°) sowie Janowski
und Matlakowski®) sehr genau beschrieben.
Wie allgemein bekannt ist, herrscht diese Erkrankung endemisch bei
uns in der Umgebung von Lublin und Chelm, im Grodnoschen, in Wolhynien
und Podolien, im östlichen (Hauptsitz) und westlichen Galizien, in Schlesien,
weiterhin in Morawien und Böhmen, in Ungarn, Kroatien, Steiermark und
Kärnten und in einigen Kreisen von QOst- und Westpreussen. Ausserdem
l) Der Redaktion zugegangen im Juli 1914.
2) Wiener med. Wochenschr. 1870. Nr. 1.
3) Prager med. Wochenschr. 1878. Nr. 45.
4) Wiener med. Wochenschr. 1882. Nr. 32.
5) Fortschritte der Medizin. 1886. Nr. 19 u. 20.
6) Gazeta Lekarska. 1887. Nr. 45—53.
n
Brunner und Jakubowski, Die Behandlung des Skleroms. 283
findet man das Sklerom, wenn auch selten, in der Schweiz, im südlichen
Italien, in Spanien, Aegypten und in Mittelamerika. Man hat auch das
Sklerom bei den Indiern, Japanern und Australiern beobachtet. Es unter-
liegt aber keinem Zweifel, dass der Hauptsitz des Skleroms das östliche
Galizien und die angrenzenden Provinzen — wohin die Erkrankung wahr-
scheinlich aus Asien eingeschleppt wurde — sind.
Das Rhinosklerom ist in der medizinischen Literatur besonders
häufig beschrieben worden; auch wir besitzen in dieser Hinsicht eine sehr
reiche Literatur — besonders zu erwähnen sind die Abhandlungen von
Sokolowski!), Jakowski und Matlakowski?), Pieniazek?), Bauro-
wicz‘), Pachonski5), Lubliner®), Jurasz”?), Polariski®), Erbrich.
Obalinski, Hering, Meierson, Srebrny u. v. a.
Wir erlauben uns an dieser Stelle, einige, übrigens allgemein bekannte
Tatsachen über die anatomische Pathologie dieses Leidens anzuführen.
Das Sklerom fängt in der Schleimhaut als eine Wucherung der Binde-
gewebszellen an; in den Anfangsstadien haben die Zellen eine runde Form,
nachher nehmen sie eine spindelförmige, sternförmige Gestalt an und gehen
dann in Fasern über; das anfangs reiche Infiltrat dagegen geht allmählich
in ein hartes, faseriges Gewebe über; auf diese Weise entstehen die reich-
lichen, nicht selten sternförmigen Narben, welche sehr an die syphilitischen
Narben erinnern. Charakteristisch für das Rhinosklerom sind die sogen.
Mikuliczschen Zellen, d. h. grosse, blasenförmige Gebilde mit einem
oder mehreren Kernen, welche sich an der Peripherie der Zelle mit einem
schaumförmigen Protoplasma und sehr vielen Stäbchen befinden. Fast in
allen Fällen von Sklerom findet man homogene Massen in Form einer
Kugel, welche sich intensiv mit sauren Farbstoffen färben lassen, die sogen.
glasförmigen Kügelchen oder die Russelschen Körperchen. Die letzten
Untersuchungen haben gezeigt, dass diese Körperchen von roten Blut-
körperchen abstammen.
Das Epithel über dem Infiltrat ist entweder ganz unverändert oder
stark verdickt, das Flimmerepithel dagegen ist in das mehrschichtige flache
Epithel übergegangen. Einen wirklichen Zerfall des Gewebes kann man
nur an den skleromatischen Geschwülsten, welche sich an der Grenze
zwischen Haut und Schleimhaut der Nase oder der Lippen lokalisiert
haben, beobachten; die sich hin und wieder bildenden Geschwüre sind im
allgemeinen für das Rhinosklerom nicht charakteristisch, denn diese Er-
1) Gazeta Lekarska. 1889, 1894, 1896; Medycyna 1881.
2) Gazeta Lekarska. 1887. No. 45—53.
3) Wiener med. Blätter. 1878 u. a.
4) Ueber das Rhinosklerom. Krakau 18%.
5) Przeglad Lekarski. 1910. No. 25.
6) Aerztekongress in Budapest. 1909. Medycyna.° 1911. No. 34; 1912.
No. 11 u. 32. Gazeta lekarska. 1891. No. 42.
7) Gazeta Lekarska. 1912. Nr. 36.
8) Medycyna i Kronika lekarska. 1912. No. 6.
234 Brunner und Jakubowski, Die Behandlung des Skleroms.
krankung kennzeichnet sich gerade dadurch, dass sie keine Tendenz zum
Zerfall zeigt!).
Wie gross die [Inkubationszeit dieser Erkrankung ist, ist unbekannt,
denn die experimentellen Ueberimpfungen auf Schleimhäute haben bis jetzt
noch kein gewünschtes Resultat ergeben; die Anamnese aber und alles,
was man in dieser Hinsicht von den Kranken selbst erfahren kann, sind
von geringer Bedeutung.
Als eine Erkrankung der Schleimhaut der Atmungswege ergreift das
Rhinosklerom eins oder mehrere der nachfolgenden Organe: Nase, Nasen-
Rachenhöhle, Rachen, Kehlkopf, Luftröhre, Bronchien, Lippen, Wangen,
Zunge, weicher und harter Gaumen, Zahnfleisch. Nach der grössten Sta-
tistik des Skleroms (273 Fälle), welche wir in der Abhandlung von
Pachonski?) zusammengestellt finden, nimmt die erste Stelle, was die
Häufigkeit der Erkrankung anbetrifft, der Kehlkopf ein (323 Fälle), dann
folgen nacheinander: Nasen-Rachenraum (172 Fälle), Nase (155 Fälle),
Luftréhre (75 Fälle), Rachen (68 Fälle), weicher Gaumen (25 Fälle),
Bronchien (12 Fälle), Lippen (7 Fälle) usw.
Das makroskopische Bild des Skleroms stellt kleine, knötchenförmige,
weiche, saftige, schmerzhafte und leicht blutende Infiltrate dar, oder auch
sich stark ausbreitende Infiltrate, welche unregelmässige Verhärtungen der
Schleimhaut bilden.
Was nun die Heilung des Skleroms anbetrifft, so ist die Prognose
eine vollkommen schlechte; die Prognose inbetreff des Lebens des Kranken
ist eine verhältnismässig gute, so lange, bis die Erkrankung nicht auf den
Kehlkopf, die Luftröhre und die Bronchien übergeht. In solchen Fällen
kann bei der Entwicklung einer Verengerung dieser Atmungswege nur ein
operativer Eingriff das Leben des Kranken retten.
Die Heilmittel und Behandlungsmethoden, welche man bis jetzt ge-
braucht, haben noch immer nicht zur Heilung des Skleroms geführt. Man
hat Quecksilber, Jod, Arsen, Tuberkulin, Salvarsan ohne irgend welchen
günstigen Effekt angewandt, dasselbe gilt auch für die lokale Behandlung
mit desinfizierenden und kaustischen Medikamenten. Galvanokaustik,
Elektrolyse, Ausschabungen, Intubation und Erweiterungen mittels der
Schrötterschen Röhren, die Anwendung von Laminarien, Zäpfchen, die
Ausbrennung oder Ausschabung der Infiltrate, Tracheotomie, Laryngofissuren
1) Die Details über die anatomische Pathologie findet der Leser in den Ab-
handlungen von Babes und Schwimmer (Ziemssens Handb. d. spez. Pathol. u.
Ther. d. Hautkrankh. 1884), Cornil et Alvarez (Arch. de Phys. norm. et Pathol.
1885), Mikulicz (Arch. f. Chir. 1876. Bd. 20), Unna (Histopathol. d. Haut-
krankheiten. Berlin 1899), Dittrich (Zeitschr. f. Heilkunde. 1887. Bd. 3),
Wolkowicz (Zentralbl. f. d. med. Wissensch. 1886. Nr. 47), Mirbelli (Monats-
schrift f. prakt. Dermat. 1889. Bd. 12), Alvarez (Arch. de Phys. norm. et Path.
1886), Noyer (Monatsschr. f. prakt. Dermatol. 1890. Bd. 10) und vieler anderer
Autoren.
2) Przeglad lekarski. 1910. No. 23.
Brunner und Jakubowski, Die Behandlung des Skleroms. 285
— das sind alle diejenigen Eingriffe, welche nur den Wert einer
momentanen und symptomatischen Behandlung haben, um den Kranken
vor dem Erstickungstode zu retten.
Seit dem Jahre 1902 traten wir in eine neue Aera der Behandlung
des Skleroms ein, seit A. Rydygier!), Gottstein?), und nach ihnen
Fittig®), Ranzit), Freund), Kahler®), Meyer”), Bertue®), Sabat®),
Drordovier!®) u. a. ihre Beobachtungen über mehr oder weniger günstige
Heilungserfolge mittels der Röntgenstrahlen veröffentlichten.
Es ist hier überflüssig, zu bemerken, dass diese Behandlungsmethode
nur beim Sklerom der Nase und Lippen ihre Anwendung finden kann;
bei den tiefer gelegenen Krankheitsherden hat sie keinen oder nur geringen
Einfluss, was sich ja von selbst versteht.
Was nun die Behandlung des Skleroms mittels abgetöteter Keime an-
betrifft, so hängt diese Frage eng zusammen mit dem Charakter der Keime,
und aus diesem Grunde wollen wir dieser Frage einige Bemerkungen widmen.
An erster Stelle bemerken wir, dass der Gegenstand noch strittig ist. Den
klassischen Forderungen nach kann ein Keim als Ursache einer bestimmten
Krankheit dann erst angesehen werden, wenn er erstens stets in allen
Fällen der gegebenen Krankheit im Krankheitsherde vorgefunden wird,
zweitens, wenn er bei anderen Krankheiten nicht nachgewiesen werden
kann, und zuletzt, wenn er bei Tieren künstlich — auf experimentellem
Wege — die für die Krankheit charakteristischen Veränderungen hervor-
rufen kann.
Wenn wir diese klassischen Forderungen stellen, so scheint die Frage
von der Spezifizität der Sklerombazillen gewissermassen zweifelhaft zu
sein. Was nun den ersten Punkt anbetrifft, so ist die Antwort klar und
einfach: in allen Fällen, welche klinisch als Sklerom diagnostiziert worden
waren, konnte man stets und mit grosser Leichtigkeit Mikroorganismen
vom Charakter des „Bacillus scleromatis Frisch“ finden; ihn haben
fast alle, welche die charakteristisch veränderten Gewebe histologisch
untersuchten, gesehen, ihn haben alle in den Kulturen, welche aus der
Gewebsflüssigkeit oder aus einem Tropfen Blut aus den Krankheitherden
auf künstlichen Nährböden gezüchtet waren, entdeckt. Es ist wirklich
eine staunenerregende Erscheinung, dass in dieser Hinsicht noch ein Zweifel
herrschen kann. Einer von uns (Brunner) hat über 30 Fälle von Sklerom
1) Polnischer Chirurgenkongress. Nowiny lekarska. 1902.
2) Verhandl. des Schlesischen laryngol. Aerztevereins.
3) Beitr. z. klin. Chir. 1903. Bd. 39. S. 155.
4) K. K. Gesellsch. der Aerzte Wiens. 21. XII. 1904.
5) Ebenda. 9. V. 1905.
6) Wiener klin. Wochenschr. 1905. Nr. 32.
7) Presse méd. 17. XI. 1906.
8) Miinchener med. Wochenschr. 1910. Nr, 43.
9) Tygodnik lek. 1912. No. 22.
10) Gazeta lek. 1912. No. 4.
236 Brunner und Jakubowski, Die Behandlung des Skleroms.
bakteriologisch untersucht und in allen Fällen stets in den Kulturen oben-
genannte Keime entdeckt; es gelingt sehr oft schon bei der ersten Aussaat,
eine Reinkultur zu erhalten: stets wachsen aus einer Oese Blutes oder
Gewebsflüssigkeit sehr zahlreiche charakteristische Kolonien; die Beimischung
anderer Keime dagegen ist gewöhnlich, wenn sie überhaupt vorhanden ist.
eine sehr geringe. Mit einem Wort, den ersten Punkt dieser Frage kann
man als unumstösslich bewiesen betrachten.
Was nun den zweiten Punkt betrifft, so müssen wir bemerken, dass
man wirklich Keime, welche dem Aussehen nach und kulturell dem Bacillus
Frisch sehr nahe stehen, hin und wieder auch bei anderen nicht sklero-
matösen Erkrankungen vorfinden kann; so z. B. findet man den sogen.
Bacillus ozaenae beim iibelriechenden Katarrh der Nase, den Bacillus Fried-
laenderi im Auswurfe, den Bacillus mucosus im Rachen usw. Diese Keime,
wie gesagt, haben eine gewisse Aehnlichkeit mit den Stäbchen des Skleroms;
diese Aehnlichkeit aber ist nur eine oberflächliche, eine elementäre. Die
genaue Differenzierung zeigt dagegen deutlich ausgeprägte Unterschiede.
Schon während der Untersuchungen, welche die fermentativen Eigen-
schaften des Skleromstäbchens und anderer Kapselbazillen betreffen, lassen
sich verschiedene Unterschiede nachweisen; dieses haben die Untersuchungen
von Frl. Littauer!) erwiesen; diese Unterschiede zeigen aufs deutlichste
auch die serologischen Untersuchungsmethoden.
V. Eisler und Porges?) haben mittels der Agglutinationsmethode
den Unterschied zwischen dem Bacillus scleromatis und dem Bacillus Fried-
laenderi festgestellt; Frl. Littauer, welche sich der bakteriologischen
Probe Pfeiffers bediente, hat den Unterschied zwischen dem Bacillus
scleromatis und dem Bacillus ozaenae festgestellt. Die besten Resultate,
was die Differenzierung anbetrifft, hat die Bordet-Gengousche Probe er-
geben. Goldzieher und Neuber?), Galli Valerio‘), Suess), Girard
und Pietri®) u. a. haben nachgewiesen, dass die Methode genau feststellt:
1. die Gegenwart charakteristischer Antikörper im Serum des Blutes der
Skleromkranken, 2. das Fehlen dieser Antikörper im Serum des Blutes
Gesunder oder an einer anderen Krankheit Erkrankter; 3. die Bindung
der Komplemente nur in den Fällen, wenn das Antigen aus den Stäbchen
des Skleroms sich mit dem Serum spezifisch Erkrankter (oder von immuni-
sierten Tieren) berührt, während das Antigen aus anderen Keimen (welche
zur Gruppe der Kapselbazillen gezählt werden) mit diesem Serum keine
Bindung zeigt. Einer von uns (Brunner) hatte mehrfach die Bordet-
Gengousche Probe mit eigenem spezifischem Antigen (eine durch Erwärmen
1) Medyc. u. Kronika lek. 1913. No. 11 a. 12.
2) Zentralbl. f. Bakteriol. Orig. 1906. Bd. 42.
3) Ebenda, 1901. Bd. 51.
4) Ebenda. 1911. Bd. 57.
5) Wiener klin. Wochenschr. 1911. Nr. 41.
6) Revue hebd. de laryng. d’otol. et de rhinol. 1913. No. 10.
Brunner und Jakubowski, Die Behandlung des Skleroms. 257
abgetötete Kultur des Bacillus scleromatis) und mit dem Serum Sklerom-
kranker angestellt und hatte stets (mit Ausnahme eines Falles) ein deutlich
positives Resultat erhalten.
Wir führen ein Beispiel zur besseren Erklärung der Untersuchungs-
technik nachfolgend an: |
Reagentien: 1. Antigen: 12 Platinösen einer 24 Stunden alten Kultur
des Bacillus scleromatis in 10 cem einer physiologischen Kochsalzlösung:
die Emulsion wurde eine ‚Stunde lang bei 60°C erwärmt.
2. Serum einer Skleromkranken wurde 1/3 Stunde lang bei 45° C
erwärmt.
3. Komplement: Frisches Serum eines Meerschweinchens 1: 10.
4. Ambozeptor: Serum eines gegen rote Blutkörperchen eines Schafes
immunisierten Kaninchens. Hämolytische Kraft: 1:2000; es wurde eine
6 fache Dosis Hämolyse verbraucht.
5. Eine Emulsion ausgewaschener roter Blutkörperchen eines Schafes
1:10.
6. Serum eines Syphilitikers bei 55° C !/, Stunde lang erwärmt.
Die Bindung dauerte im Wasserbade bei 37° C 1/. Stunde, dann wurden
die roten Blutkérperchen und der unis! ial hinzugefiigt.
~~
-
-
_ | Serum des physiol. |Ambozeptor
Antigen un Syphili- | Kom: t Kochsalz- | und rote | Resultat
| tikers | peen | lösung ` Blutkörper
0,1 | = | 0.5 | 0,9 1,0 —!)
02 = 2 05 | 08 1,0 =
03 Z 05.07 1,0 =
0,4 u N — | O5 06 1,0 —
5 , — |; = |! of | of 1,0 +
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nr
Das, was wir eben angeführt haben, genügt vollkommen, um den
Zweifel, welchen nach der Meinung einiger Autoren (z. B. Babes) noch
der zweite Punkt der eben besprochenen Frage erregt, zu zerstreuen.
Was nun endlich die letzte der angeführten Forderungen anbetrifft,
so haben wir bis jetzt wirklich viel zu wenig experimentelle Untersuchungen,
welche die Frage der Spezifizität des Skleromkeimes unwiderruflich beweisen
1) Hamolyse.
2) Vollkommene Bindung.
288 Brunner und Jakubowski, Die Behandlung des Skleroms.
würden. Es ist zwar Stiepanow!) gelungen, durch Ueberimpfung der
Skleromkeime in die vordere Augenkammer des Meerschweinchens solche
Veränderungen, welche histologisch sehr an das Sklerom erinnern, hervor-
zurufen. Diese Resultate haben die Frage dennoch nicht gelöst, denn
Kraus?) hat ähnliche Bilder bei Mäusen, welchen er den Bacillus Fried-
laenderi eingeimpft hatte, erhalten.
Diesen Teil unserer Frage also müssen wir fürs erste als unaufgeklärt
betrachten und seine Klärung der Zeit überlassen; dennoch glauben wir,
dass dieses unseren Glauben an den besonderen spezifischen Charakter des
Skleromkeimes nicht erschüttern darf. Man konnte ja vor gar nicht zu
langer Zeit die syphilitischen Veränderungen bei keinem Tiere hervor-
rufen, die Malariaparasiten sind ja auch für die Tiere ganz unschädlich;
über die Ansteckungsfähigkeit der Masern, des Scharlachs und vieler anderer
Krankheiten und über die Spezifizitat der entdeckten oder noch nicht ent-
deckten Keime hegt niemand irgend welchen Zweifel, obgleich überzeugende
experimentelle Untersuchungen an Tieren vollkommen fehlen.
Wenn auch der Skleromkeim beim Menschen — wie es de Simoni?)
behauptet — eine spezifische Erkrankung nicht hervorruft, so können doch
hier die Möglichkeiten einer angeborenen Immunität, deren Grösse man
unmöglich bezeichnen kann, berücksichtigt werden.
Der Glaube an die Spezifität des Skleromkeims hat vielen Forschern
den Gedanken nahegelegt, die Heilungsmethode mittels spezifischer Immu-
nisierung zu versuchen. Schon im Jahre 1894 hat Pawlowski‘) eingedickte
Bouillonkulturen, welche er nach der Filtrierung mit Glyzerin mischte,
oder Alkoholextrakte der Kultur benutzt. Das auf diese Weise erhaltene
„Rhinosklerin“ ruft bei Skleromkranken Fieber und eine allgemeine Reaktion,
welche der Tuberkulinreaktion sehr ähnlich ist, hervor; schon nach einigen
Injektionen werden die Krankheitsherde weicher. Eine grössere Anwendung
hat diese Methode nicht erlangt.
Mit durch Erwärmung oder durch Phenol abgetöteten Skleromkeimen
hat man schon mehrmals versucht, das Sklerom zur Heilung zu bringen.
Güntzer5) hat einen Impfstoff aus bei 65° eine Stunde lang erwärmten
Keimen, welche er mit einer physiologischen Kochsalzlösung enukleierte,
bereitet. Die Injektionen riefen an der Injektionsstelle und in den
Krankheitsherden eine örtliche, sowie auch eine allgemeine fieberhafte
Reaktion bei den Kranken hervor. In einem Falle hatte der Autor eine
Besserung nach 43 Injektionen gesehen, im zweiten Falle trat keine Besse-
rung des Zustandes ein. Suess®) hat in drei Fällen keinen Einfluss der
1) Medicinskoje Obosrenje. 1886. No. 20.
2) Wiener klin. Wochenschr. 1907.
3) Zentralbl. f. Bakteriol, 1899. Bd. 20.
4) Deutsche med. Wochenschr. 1894. Nr. 13 u. 14.
5) Med. Rec. 1909.
6) 1. c.
N
Brunner und Jakubowski, Die Behandlung des Skleroms. 289
Vakzine auf den Verlauf der Erkrankung gesehen, Girard und Pietri!)
hatten die Vakzine in einem veralteten Falle von Sklerom angewandt und
haben eine Bildung von Geschwüren in den Krankheitsherden festgestellt;
der vorzeitige Tod der Kranken hat leider die Beobachtungen unterbrochen.
Wir hatten uns, auf Folgendes stützend, entschlossen, die Vakzine
zur Heilung des Skleroms anzuwenden: 1. die Bazillen von Frisch sind
die Ursache des Skleroms und ihre Wucherung in den Geweben ruft in
diesen anatomo-pathologische Veränderungen, welche für diese Leiden cha-
rakteristisch sind, hervor; 2. dieses Leiden muss zu den Ansteckungskrank-
heiten gerechnet werden, was durch die Fälle, welche endemisch Landstriche
und Häuser befallen, bewiesen wird; 3. die Krankheit gehört zu den chro-
nischen und stellt sich in Form von Herden, welche sich per continuitatem
ausbreiten, dar, wobei gleichzeitig regressive Veränderungen, wie Narben,
welche sich nicht mehr verändern, sich bilden; 4. im Blute der Kranken
bilden sich spezifische Körper, welche der Ausdruck einer gewissen Reak-
tion des Organismus und gewisser Immunitätsvorgänge in demselben sind.
Indem wir uns auf das eben Gesagte berufen, sind wir a priori zu
folgenden Folgerungen gekommen: 1. die Anwendung einer spezifischen
Vakzine ist begründet und angezeigt, denn auf diesem Wege kann man
eine lokale und allgemeine Immunität erreichen, welche die weitere Ent-
wickelung der Erkrankung entweder hemmen oder aufhalten muss, indem
sie gleichzeitig die Schutzkräfte des Organismus vernichtet; 2. der Natur
der Sache nach muss die Kur eine langdauernde sein und man darf nicht
hoffen, eine rasche Besserung schnell zu erzielen; 3. wir müssen die
Hoffnung auf Beseitigung der alten narbigen Veränderungen ganz bei Seite
lassen und wir haben nur das Recht zu glauben, die frischen Verände-
rungen entweder verkleinern oder beseitigen zu können, indem wir gleich-
zeitig der Entstehung neuer Erkrankungsherde vorbeugen.
Wie wir uns überzeugt haben, hat sich unsere Vermutung bewahr-
heitet; wir haben im allgemeinen gute Resultate erhalten und hoffen, dass
die Behandlung des Skleroms mit spezifischer Vakzine im Laufe der Zeit
sich allgemein einführen wird.
Unsere Vakzine stellten wir auf sehr einfache Weise her. Von einer
24 Stunden alten, reinen Agarkultur des Keimes des gegebenen Falles
nahmen wir eine bestimmte Zahl von normalen Platinösen (das Gewicht
des Gehaltes einer Platinöse beträgt ungefähr 0,002 der feuchten Bakterien-
masse) und brachten sie in 10 ccm einer sterilisierten physiologischen
Kochsalzlösung, darauf erwärmten wir diese Mischung im Wasserbade bei
60°C. eine Stunde lang. Die auf diese Weise erhaltene sterilisierte
Vakzine verwahrten wir ohne irgend welche Hinzufügung von antiseptischen
Mitteln im Eisschranke. Die Injektion unter die Haut wiederholten wir
alle Tage oder alle 2—3 Tage, je nach dem Grade der Reaktion, welche
sich in einer mehr oder weniger erhöhten Temperatur des Körpers, in einer
1) loc.
290 Brunner und Jakubowski, Die Behandlung des Skleroms.
wenig ausgesprochenen Schmerzhaftigkeit an Stelle des Einstiches und in
allgemeinem Unbehagen dusserte. Von einigen wenigen Ausnahmen abge-
sehen, haben wir eine stärkere Reaktion und ein höheres Fieber nicht
beobachtet, niemals traten gefährliche Störungen des Allgemeinbefindens
auf, niemals sahen wir im Harne Eiweis. Mit den Injektionen geht
eine Erhöhung der Zahl der weissen Blutkörperchen, welche in einigen
Fällen beobachtet wurde, einher, wobei die Zahl jedoch nicht sehr gross
war (höchstens 12000 in 1 cmm). Die Kranken folgten gern der Kur
und baten um die Injektion, deren Erfolg sie sehr lobten; in den meisten
Fällen trat verhältnismässig rasch eine Besserung des Allgemeinbefindens
ein, eine Verringerung oder gar ein Verschwinden der Atemnot, der Heiser-
keit usw.
Unter dem Einflusse der Immunisierung steigt der bakteriologische
Titer des Blutserums deutlich an und erreicht eine hohe Zahl; bei Joseph D.
betrug der bakteriologische Titer während einiger Versuche 1/599 ccm.
Nun wollen wir zu der Beschreibung unserer mit Autovakzine be-
handelter Fälle übergehen.
1. Josef D., 18 Jahre alt, stammt aus der Gegend von Lublin, aus dem
Kreise Krubieschow, aus dem Dorfe Teratin, wo er beständig wohnt. Seine 5 Ge-
schwister sind alle an Sklerom erkrankt (was klinisch und bakteriologisch fest-
gestellt war). 4 von ihnen haben wir während einer Sitzung des laryngologischen
Aerztevereins demonstriert. Der Kranke kam in unsere Behandlung am 17. Mai
1912. Seit 4 Jahren bilden sich bei ihm Krusten in der Nase, welche beim Ab-
reissen stark bluten. Seit einem Jahre ist er heiser; leidet oft an Atemnot.
Status praesens: Nase: Die Schleimhaut befindet sich im Stadium
des Schwundes, sehr viele Krusten, welche beim Abreissen leicht bluten. Im
Rachen und im Nasenrachenraume findet man keine besonderen Veränderungen.
Kehlkopf: Der Kehldeckel unverändert; die falschen Stimmbänder etwas in-
filtriert, die wahren dagegen gerötet, verdickt, nähern sich nicht beim Sprechen ;
unter den wahren Stimmbändern deutlich ausgesprochene Infiltrate in Form von
Wällen, welche mit Krusten bedeckt sind. In den inneren Organen sind deutliche
Veränderungen nicht konstatiert worden. Der allgemeine Zustand ist gut. Im
Harn sind anormale Bestandteile nicht gefunden worden.
Die Injektion der Vakzine haben wir am 30. Mai 1912 mit einer Menge von
O,lccm einer 2 Platinösenlösung begonnen und in derselben Menge täglich
angewandt. Schon nach der zweiten Injektion stieg im Laufe von einigen Stunden
die Temperatur auf 39,69, es traten Schüttelfrost, Schweiss auf; der Kranke ist
stark benommen, schreit, will vom Bette aufstehen; nach drei Stunden sind diese
Symptome verschwunden; der Kranke klagte über Schmerzen an der Einstichstelle.
Am folgenden Tage wurde die Injektion unterlassen, die Temperatur war 37° bis
37,80. Die folgenden 13 Injektionen, welche täglich in derselben Dosis angewandt
wurden, riefen keine besondere Erscheinungen hervor; die Temperatur stieg mehr-
mals einige Stunden nach der Injektion auf 37,5 037,9 °.
Am 15. Juni 1912 finden wir bei der Untersuchung des Kehlkopfes unter dem
wahren linken Stimmband ein Infiltrat in Form eines Walles, welches nur beim
tiefen Einatmen sichtbar wird und mit kleinen Krusten bedeckt ist. Der Kranke
behauptet besser atmen und sprechen zu können. Dieser Zustand dauert 9 Tage,
Brunner und Jakubowski, Die Behandlung des Skleroms. 291
während welcher der Kranke 4 Injektionen derselben Vakzine in derselben Menge
erhielt. Während der folgenden 10 Tage, an denen die Kur nicht fortgesetzt wurde,
fühlte sich der Kranke schlechter, die Untersuchung des Kehlkopfes zeigte ein Bild,
welches dem bei der ersten Untersuchung gefundenen entsprach.
Nun fingen wir an, die Injektionen der Vakzine täglich anzuwenden, aber in
verstärkter Dosis, nämlich einer 3 Platinösenlösung, wobei wir gleichzeitig von
Zeit zu Zeit die Menge derselben vergrösserten; auf diese Weise erhielt der
Kranke 12 Injektionen — die letzte am 17. Juli 1912 in einer Menge von 0,7 com.
Im Allgemeinen erhielt er im Laufe von 50 Tagen 31 Injektionen der Vakzine.
Während dieser ganzen Zeit klagte der Kranke besonders über Trockenheit in der
Nase, im Rachen und im Kehlkopf, welohe durch die Bildung von einer ganzen
Menge von Krusten hervorgerufen war; nach der Entfernung derselben mittels
Spülungen oder Inhalationen von Dampf konnte man in den letzten Tagen dieser
Behandlungsmethode bei der Untersuchung des Kehlkopfes schon keine Infiltrate
unter den Stimmbändern nachweisen.
In diesem Zustande blieb der Kranke. Am 16. Oktober 1912, also nach
drei Monaten, setzten wir die Kur weiter fort. Bei der Untersuchung des Kehl-
kopfes fanden wir: Die falschen Stimmbänder sind nicht infiltriert; die wahren
dagegen getrübt und gerötet; beim Sprechen kommen sie sehr gut zusammen;
unter den Stimmbändern besonders an der linken Seite sind deutlich ausge-
sprochene Infiltrate in Form von dünnen Wällchen vorhanden. In der Nase de-
generative Veränderungen. Während dieser Behandlungsperiode vom 16. Oktober
bis zum 13. Dezember erhielt der Kranke mit Unterbrechungen von 1—3 Tagen
18 Injektionen. Am 13. Dezember zeigt die Untersuchung des Kehlkopfes: die
wahren Stimmbänder sind getrübt, die Infiltrate unter denselben sind nicht mehr
vorhanden.
Die nachfolgende (3.) Behandlungsperiode fingen wir am 5. April 1913 an,
also nach einer fast 4 Monate langen Unterbrechung. Die Untersuchung ergibt:
Nase: degenerative Veränderungen mit einer kleinen Zahl von Knoten; Kehlkopf:
die falschen Stimmbänder leicht infiltriert, die wahren verdickt und gerötet; unter
den Stimmbändern einige Knoten, besonders an der linken Seite, Geschwülste
unter den Stimmbändern nicht sichtbar. Bis zum 20. Juli erhielt der Kranke
39 Injektionen, ungefähr dreimal wöchentlich eine, in einer viel grösseren Menge
als früher, nämlich: wir fingen an mit einer Menge von 0,2 ccm einer 5 Platin-
ösen-Vakzine und erhöhten jedesmal die Menge: 0,4, 0,6, 0,8, 1,0, 1,2, 1,5; darauf
wandten wir eine 8 Platinösen-Vakzine, dann eine 10- und 12 Platinösen-Vakzine
und zuletzt eine 16 Platinösen-Vakzine bis zu einer Menge von 1,2 com an.
Während dieser Behandlungsperiode stieg die Temperatur bis höchstens auf 37,4,
Der Kranke fuhr nach Hause. Bei seiner Untersuchung am 30. September 1913 in
der allgemeinen Sitzung des Aerztevereins konnte man weder Infiltrate unter den
Stimmbändern noch irgend welche neuen Infiltrate nachweisen.
Während wir den Kranken, welcher im Ganzen 88 Injektionen der
Vakzine im Laufe von 14 Monaten erhalten hatte, genau beobachteten,
hatten wir die Möglickeit, gewisse Folgerungen zu ziehen, nämlich, dass
die Infiltrate sofort nach Anwendung der Vakzine während einer gewissen
Zeit sich verkleinerten, was ja mehrmals beobachtet wurde, und dass
die Infiltrate sofort wieder auftraten, wenn auch in weniger ausgeprägten
Masse, bei der Unterbrechung der Behandlung.
292 Brunner und Jakubowski, Die Behandlung des Skleroms.
An dieser Stelle müssen wir auch die Reaktion erwähnen, welche mit
Ausnahme einer nicht besonders hohen Temperatur auch an der Stelle der
Erkrankung auftrat, nämlich Schmerzen im Kehlkopf und Rachen, einige
Tage andauernde Rötung der Infiltrate: diese Symptome haben wir auch
bei anderen Kranken beobachtet — worüber nachfolgend die Rede sein
soll. Das Verschwinden der Geschwülste unter den Stimmbändern betrachten
wir als eine direkte Folge unserer Behandlung. Die degenerativen Ver-
änderungen in der Nase sind der Ausdruck regressiver Erscheinungen und
es ist wohl zweifelhaft, ob hier die Immunisierung etwas wird leisten
können; wir rechnen hier mehr auf die lokale Behandlung.
2. Olga D., die 12jährige Schwester des Vorhergehenden.
16. Oktober 1912. Seit einem Jahre Heiserkeit und Atemnot, Nasenverstopfung,
trockener Husten.
Status praesens: Nase: An beiden Seiten weiche, frische Infiltrate in
den vorderen Partien der unteren Muscheln, wenig Krusten. Kehlkopf: Unter den
wahren Stimmbändern symmetrische Infiltrate, die eine Form haben, als ob sie
ein drittes Paar Stimmbänder bilden. Der Allgemeinzustand ist gut. In den inneren
Organen findet man keine deutlich ausgeprägten Veränderungen.
Patientin wurde 9 Monate lang behandelt und erhielt 57 Vakzine-Injektionen
in zwei Behandlungsperioden (2. und 3. Periode des Bruders). Nach den ersten
16 Injektionen konnte man eine Verkleinerung der Infiltrate feststellen und die
Stimme klingt vollkommen rein (wurde in der laryngologischen Sektion des Aerzte-
vereins vorgestellt). Jedoch nach dreimonatiger Unterbrechung der Kur zeigte der
Kehlkopf dieselben Veränderungen wie vor der Behandlung, in der Nase stellten
wir degenerative Erscheinungen fest. Am Ende der zweiten Behandlungsperiode
waren die Wälle unter den Stimmbändern verschwunden.
Es wäre hier zu bemerken: nach der 7. Injektion Temperaturerhöhung
auf 38,29: Schüttelfrost und Kopfschmerzen. Nach der 26. Injektion (die
7. Injektion der 2. Behandlungsperiode) eine starke Rötung und eine ge-
wisse Geschwollenheit der falschen Stimmbänder, welche 2—3 Tage an-
hielt. Während der ganzen Behandlungsdauer betrug die Temperatur im
Maximum 37,5%. Während der zweiten Behandlungsperiode nach der
18. und 20. Injektion eine Temperaturerhöhung auf 38,3°.
Auch in diesem Falle ist das Heilungsresultat ein günstiges und wir
müssen dieses der spezifischen Wirkung der Vakzine zugute rechnen.
3. Veronika P., 17 Jahre alt, stammt aus der Siedleoschen Gegend, aus dem
Dorfe Blazejki bei Stoerek. Eltern und Geschwister gesund. Sie selbst hat keine
anderen Erkrankungen durchgemacht. Sie klagt über bedeutende Atembeschwerden,
welche sich bei der kleinsten Bewegung vergrössern. Sie ist schon 2 Jahre krank,
während welcher die Atemnot stets allmählich grösser wurde.
9. April 1913. In der Nase finden wir die Symptome eines degenerativen
Katarrhes mit einer grossen Menge trockener Absonderung. Auf der hinteren Wand
des Rachens mittelgrosse Wucherungen, stellenweise ist die Schleimhaut im
Schwinden begriffen. Der Kehlkopf, die hintere Wand und die beiden falschen
Stimmbänder stark infiltriert; die wahren Stimmbänder gesund. Unter den
Stimmbändern an der hinteren Wand sind mässig grosse flache Infiltrate.
Brunner und Jakubowski, Die Behandlung des Skleroms. 293
14—15 cm von den oberen Zähnen entfernt, befindet sich in der Luftröhre oino
Verengerung, hervorgerufen durch ein sklerotisches Infiltrat, welches teilweise die
linke Wand, die hintere und darauf die vordere rechte und wiederum die linke in
Form eines zirkulären Walles umgibt, trichterförmig sich in das Lumen erstreckt
und in Form einer grösseren Geschwulst an der linken Seite endet. Der Durch-
messer der Luftröhre beträgt 11/, mm. Unter den eben beschriebenen Verenge-
rungen sind viele kleine Infiltrate. In den inneren Organen findet man keine be-
sonderen Veränderungen. In den oberen Teilen des Brustkorbes hört man stenotisches
Atemgeräusch. Da sich die Atemnot stetig vergrösserte, wurde am 14. April
wiederum tracheoskopiert und mittels eines Wattebausches mit Kokain viele Krusten
entfernt.
Am 25. April fingen wir die Injektionen mit einer schwachen Vakzine an:
1 Platindsevakzine in zweitägigen Intervallen, dabei die Dosis stets vergrössernd.
Nach 19 Injektionen verliess die Pat. das Krankenhaus: Subjektiv fühlte sie sich
ausgezeichnet. Bei der T'racheoskopie fand man damals, dass die Infiltrate viel
kleiner sind als früher, dass die Stimmbänder verdickt und gerunzelt sind, und
dass auf der hinteren Wand flache Infiltrate sich befinden. Die Atmung ist ganz
frei. Im Ganzen erhielt sie 33 Injektionen. Auch in diesem Falle haben wir das
Recht, das Resultat als ein besonders günstiges zu betrachten. Pat. ist bis jetzt
in unserer Beobachtung, fühlt sich gut und arbeitet schwer als Abwäscherin.
4. Jefrosienia K., 18 Jahre alt, stammt aus dem Grodnoschen, Kreis Brzorto-
wickischer, Dorf Schelepki. Niemand aus der Familie oder aus dem Heimatsdorfe
hat eine ähnliche Krankheit durchgemacht. Sie meldete sich am 14. Januar 1913.
Pat. klagt über starke Atembeschwerden und über Heiserkeit seit einem Jahre. Sie
wurde zuerst mittels Röntgenstrahlen (4 Bestrahlungen) behandelt, darauf nahm
sie Jod ein. Es trat eine Besserung ein. Seit 5 Monaten eine Verschlimmerung,
die Atemnot und die Heiserkeit nehmen ständig zu.
Status praesens: In den inneren Organen keine Veränderungen. Der all-
gemeine Zustand ist gut. Nase: An der linken Seite geschwulstförmige, leicht
blutende, mit einem nicht grossen Belage bedeckte Infiltrate. Kehlkopf: Dor
Kehldeckel unverändert, die falschen Stimmbänder sind verdickt, mit Krusten be-
deckt, die wahren dagegen unverändert; unter den wahren Stimmbändern sieht
man Infiltrate, welche ein Diaphragma mit einer runden, im hinteren Teile ge-
legenen, vorn ungefähr 2--21/, mm im Durchmesser zeigenden Oeffnung bilden.
Im Rachen sieht man keine deutlich ausgeprägten Veränderungen. Die Körper-
temperatur boträgt 36,0—36,6°. Die Atmung ist stenotisch.
Am 5. Februar 1913 erhielt die Kranke die erste Injektion einer 3 Platinösen-
vakzine in einer Menge von 0,1. Die folgenden dreimal wöchentlich in einer Menge
von 0,2, 0,3, 0,4 usw. Im Ganzen erhielt die Kranke während 2 Monate 16 In-
jektionen. Die letzte am 4. April.
Die Untersuchung des Kehlkopfes am 4. April zeigte die Inültrate unter den
Stimmbändern in Form einer Wucherung, welche nur die vordere Hälfte der Stimm-
bänder einnahm; in der hinteren Hälfte waren die Wucherungen verschwunden.
Die Atmung ist vollkommen frei.
Bis zum 7. Mai, also nach 7 Wochen, hat sich dieser Zustand des Kehlkopfes
nicht verändert. Die subjektive und objektive Besserung war unverändert geblieben
dank der spezifischen Behandlung. Die Kranke haben wir zur Zeit ganz aus den
Augen verloren.
Archiv fiir Laryngologie. 29. Bd. 2. Heft. 20
204 Brunner und Jakubowski, Die Behandlung des Skleroms.
In folgenden Fällen haben wir auch die Behandlung mit der Auto-
vakzine angewandt.
5. Tekla K., 35 Jahre alt, seit 17 Jabren krank, wurde mehrmals operiert,
zeigt sehr ausgesprochene, veraltete Veränderungen im Kehlkopf. 18 Injektionen
der Vakzine zeigten keine deutlichen guten Resultate.
6. Magdalena K., 38 Jahre alt, seit ihrer Jugend krank. Deutliche aus-
gesprochene Veränderungen, wie Wucherungen, Narben und Schwund der Gewebe
in der Nase und im Kehlkopf. 42 Injektionen zeigen gar keine Besserung.
Zur Zeit haben wir folgende zwei Fälle in Behandlung:
7. Andreas R., 12 Jahre alt, stammt aus dem Grodnoschen, Prusanschen
Kreis, Dorf Suchopol. Eltern und Geschwister (5) gesund. Im Heimatsdorfe hat
er solche Kranke nicht gesehen. Klagt über Atemnot und Heiserkeit. Ist seit
7 Monaten krank, als im Laufe einer Woche die ebengenannten Symptome immer
zunehmend sich schnell entwickelten. Er hustet seit 5 Monaten, anfangs war der
Husten trocken, zuletzt wurde er feuchter. Der Kranke magerte etwas ab. Vorher
war er ganz gesund, konnte rasch laufen und ermüdete nicht.
Status praesens am 6. August 1913. Kehlkopf: Der Kehldeckel und
die Stimmbänder unverändert. Die wahren Stimmbänder in Form dünner Fäden
liegen sozusagen auf einem dritten Paare von Bändern, welche sich in Form von
dicken, grauroten, sich fast berührenden Wällen darstellen, so dass nur ein
schmaler Spalt im hinteren Teile noch bleibt. Die wahren Stimmbänder fliessen im
hinteren Drittel mit diesen tiefer gelegenen Wällen ganz zusammen; in den vorderen
zwei Dritteln stellen sie sich als schmale Schnürchen dar. Im Rachen keine Ver-
änderungen. Nase: Der vordere Teil der rechten unteren Muschel ist spezifisch
infiltriert mit einer kleinen Geschwulst. In den inneren Organen finden wir keine
besonderen Veränderungen. Der Puls weich, 120. Im Harne kein Eiweiss.
8. Alexander S., 11 Jahre alt, stammt aus dem Grodnoschen, Prusanscher
Kreis, Dorf Krasnik. Eltern und Geschwister (4 Personen) gesund. Klagt über
Atemnot, welche sich seit 6 Monaten stets verschlimmert, Heiserkeit nicht gross.
Seit einem Monate trockener Husten. Magerte etwas ab. War vorher ganz gesund,
konnte viel laufen.
Status praesens am 6. August 1913. Nase: Nicht grosse weiche Infiltrate
auf der rechten Seite in der Hälfte der unteren Muschel; auf der linken Seite eben-
solche in der Scheidewand. Die Durchgängigkeit der Nase ist erhalten. Im Rachen
und im Nasenrachenraum keine Veränderungen sichtbar. Kehlkopf: Der Kehl-
deckel, die wahren und falschen Stimmbänder unverändert. Luftröhre: Auf
der Höhe von etwa !/, cm unter den wahren Stimmbändern eine dicke, trichter-
förmige Verengerung, hervorgerufen durch Infiltrate, welche die vordere und die
beiden seitlichen Wände der Luftröhre einnehmen und nur einen kleinen Schlitz
im hinteren Teile derselben übrig lassen. Der Allgemeinzustand ist gut. Bei der
Untersuchung des Brustkorbes hört man im oberen Teile, besonders von der
rechten Seite, stenotisches Atmen. Im Harne kein Eiweiss.
Schon nach 14 Injektionen, welche sehr gut vertragen wurden, hatten
wir in beiden Fällen ohne jegliche Lokalreaktion eine Besserung des all-
gemeinen Zustandes, eine Verkleinerung der Atembeschwerden und ein
Nachlassen der Heiserkeit (bei S.) erreicht.
Die Kranken befinden sich noch in der Behandlung.
Brunner und Jakubowski, Die Behandlung des Skleroms. 299
Durch die Freundlichkeit des Kollegen Ibrinski sind wir in der Lage,
einen Fall aus seinen Beobachtungen zu beschreiben:
9. Marie L., 40 Jahre alt, die Frau eines Taagelöhners, stammt aus dem
Dorfe Kostry, Radzinscher Kreis, Gouvernement Siedlec. Sie klagt seit dem Oktober
des vorigen Jahres (1912) über immer mehr zunehmende Atemnot und Heiserkeit.
Im Mai dieses Jahres hatte sie das Gefühl des vollkommenen Erstickens und aus
diesem Grunde wurde sie ins Krankenhaus aufgenommen.
Status praesens: Nicht bedeutende sklerotische Wucherungen in der
Nasenhohle und im Nasen-Rachenraume; im Kehlkopf Infiltrate in Form von dicken,
grauen Wällen unter den Stimmbändern; unter dem linken wahren Stimmbande
ein Wall, welcher die hintere Wand nicht erreicht, unter dem rechten dagegen
eine Verdickung auf der ganzen Fläche. Diese Wucherungen bilden im vorderen
Drittel eine Art von Diaphragma, auf der hinteren Wand sieht man kleine In-
filtrate.
Am 12. Juli 1913 begann man mit Injoktion von Autovakzine, wobei die Dosis
stets vergrössert wurde: Von 1 Platinösevakzine bis zur 16 Platinösenvakzine alle
1—3—4 Tage. Die Pat. ertrug die Injektionen sehr gut; schon nach einigen In-
jektionen hatte sich die Stimme der Pat. sehr gebessert und die Atemnot war ver-
schwunden. Nach einigen Injektionen trat eine leichte Reaktion an der Einstich-
stelle mit allgemeinem Unwoblsein ein. Die Untersuchung stellte jetzt fest: Die
Wucherungen unter den Stimmbändern sind etwas dünner, die Infiltrate auf der
hinteren Wand sind fast ganz verschwunden. Die Pat. bleibt noch fernerhin in
der Behandlung.
Wenn wir nun die Resultate unserer Arbeit zusammenfassen, so können
wir mit aller Sicherheit behaupten, dass die spezifische Behandlung des
Skleroms eine vollkommen sichere Grundlage hat. Diese Methode erzielt
zweifellos dort gute Erfolge, wo sie entsprechende Grundlagen vorfindet,
nämlich nur in den Fällen, in welchen der Krankheitsprozess nicht zu
sehr veraltet ist. Unter dem Einflusse der Immunisierung schwinden oder
verkleinern sich sehr deutlich die jungen Wucherungen und der Krank-
heitsprozess greift nicht weiter; gegenüber den regressiven, narbigen Ver-
änderungen ist die Vakzine machtlos. In dieser Hinsicht ist diese Behandlungs-
methode, was ihre Erfolge anbetrifft, vollkommen gleichgestellt der Vakzine-
therapie, welche bei anderen Erkrankungen angewandt wird. In dem
Kampfe gegen das Sklerom haben wir eine wirksame Waffe erhalten; dieser
Kampf verlangt aber ausserdem auch noch die Mithilfe anderer starker
Kräfte: die Mitbeteiligung des Staates, der Gemeinden und der ganzen
Aerzteschaft. Wir stehen einer Krankheit gegenüber, welche sich in einer
erschreckenden Weise ausbreitet und die eine grosse Anzahl von Menschen
in unserem Lande und in den Nachbarländern bedroht.
Stimmen, welche zum Kampf gegen diese Krankheit aufriefen, hörte man
schon mehrmals; in besonders entschiedener Form äusserte sich Prof. Jurasz
auf dem Kongress der österreichischen Amtsärzte in Krakau am 24. Juni
1912. Wir wollen die von ihm aufgestellten Postulate, welche der Kongress
unter grossem Beifall begutachtet und angenommen hatte, wiederholen:
20°
296 Brunner und Jakubowski, Die Behandlung des Skleroms.
1. Alle Fälle von Sklerom muss man als Infektionskrankheiten be-
trachten; die Aerzte müssen davon die Behörden benachrichtigen. In
dieser Richtung muss der Staat so bald als möglich die entsprechenden
Verordnungen treffen.
2. In jedem Staate, in welchem diese Krankheit herrscht, muss eine
jährliche Statistik über die Zahl der Skleromfälle mit deutlicher Angabe
des Ortes, wo die Krankheit aufgetreten ist, geführt werden.
3. Um die Kranken zu isolieren und zu behandeln, müsste man an
Zentren, wo das Sklerom sich ausbreitet, an Kliniken oder Krankenhäusern
Stationen einrichten und dieselben mit allen Mitteln, welche zur Unter-
suchung und Behandlung unerlässlich sind, ausstatten.
4. Es wäre sehr zu wünschen, dass sich wenigstens einmal jährlich
eine Konferenz von Vertretern der in Betracht kommenden Staaten (Vester-
reich-Ungarn, Russland, Deutschland, Schweiz, Italien, Rumänien und
Spanien), wie es bei anderen infektiösen Krankheiten (Tuberkulose, Lupus) zu
sein pflegt, versammeln würde, um die Richtlinien für die weiteren Unter-
suchungen anzugeben und um alle Fragen betreffs des Skleroms schnellstens
zu erledigen.
Zu diesen Forderungen fügen wir noch diese hinzu: Wir sind der
Meinung, dass man so bald als möglich die spezifische Behandlung der
früh erkannten Fälle von Sklerom vornehmen soll und dass man die
immunisierenden Impfungen der noch gesunden Personen, welche an
Infektionsherden wohnen, einführen muss. Auf diese Weise könnte es
gelingen, die Plage in ihrer Entstehung zu beseitigen — eine Plage, welche
auf so erschreckende Weise sich immer mehr und mehr ausbreitet.
Denjenigen Kollegen, welche nicht die entsprechenden Mittel besitzen,
um die spezifische Vakzine zu bereiten, sind wir stets mit dem grössten
Vergnügen bereit, mit solcher zu dienen.
Indem wir unsere Arbeit hiermit schliessen, wollen wir bemerken,
dass die Initiative und die erste Idee zur Durchführung dieser Unter-
suchungen von Dr. F. Erbrich stammt; an dieser Stelle sei es uns auch
erlaubt, den Herren Dr. A. Sokolowski und F. Erbrich herzlichst zu danken
für die gefällige Ueberlassung des klinisch-ambulatorischen Materials, für
die vielfache Untersuchung der Kranken während der Behandlung und für
die rege Anteilnahme und das grosse Interesse, welches sie uns bei den
nicht allzu leichten Untersuchungen gezeigt haben.
Druck von L. Schumacher in Berlin N. $.
Tafel N.
29, Bd.
Archiv f. Laryngologie.
Lichtdruck von Albert Frisch, Berlin W.
Archiv f. Laryngologie. 29. Bd. Tafel XT.
Fig. VIII.
Lichtdruck von Albert Frisch, Berlin W.
NIX.
Aus der Kel. Universitaétsklinik und -Poliklinik für Hals- und Nasenkranke
in Berlin. (Direktor: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. G. Killian.)
Die Röntgenstereoskopie und ihre Anwendung
in der Rhino-Laryngologie.
Von
Dr. M. Weingaertner.
(Hierzu Tafeln NIT—NAQE und 12 Textfiguren.)
Ueber die Anwendung und Bewertung des einfachen Röntgenogramms
in unserem Spezialgebiet liegt bereits eine recht grosse Anzahl von AbD-
handlungen vor. . Ich erinnere nur an die Arbeiten von Albrecht,
Brunzlow, Berger, Caldwell, Goldmann-Killian, Jansen, Kuttner,
Peyser, Rhese, Scheier, Sonnenkalb, Winckler u. a. Diese Arbeiten
beweisen, dass die Röntgenaufnalhmen ebenso wie in den übrigen Zweig-
gebieten der Medizin auch für unsere Untersuchungsmethoden eine wert-
volle Unterstützung darstellen. s
Nachdem sich nun, entsprechend der glänzenden Entwickelung der
Röntgentechnik, in den letzten Jahren auch die stereoskopische Röntgen-
aufnahme mehr und mehr vervollkommnet hat, dürfte es jetzt an der Zeit
sein, einmal an Hand eines grösseren Materials die Röntgenstereoskopie
und ihren Wert in unserem Spezialfach zu betrachten; und zwar soll hier
die Rede sein nur von den einfachen stereoskopischen Röntgenaufnahmen,
nicht von der stereoskopischen Messung. l
Die ersten stereoskopischen Röntgenbilder datieren aus dem Jahre 1896;
und zwar hat damals (also ein Jahr nach der Entdeckung der Röntgen-
strahlen) Mach derartige Bilder von dünnen Objekten und Injektionspräpa-
raten hergestellt. 1897 demonstrierte Levy-Dorn im Verein für innere
Medizin in Berlin stereoskopische Röntgenbilder von Extremitäten. Einen
Fortschritt in der stereoskopischen Röntgentechnik brachte das Jahr 1900,
in dem Hildebrand eine Wechselkassette angab, die den Plattenwechsel
uhne Lageänderung des Patienten ermöglicht. Im Verein mit der 1902 von
Albers-Schönberg zuerst angegebenen Tubusblende ist sie heute noch im
Gebrauch als gutes und wenig kostspieliges Hilfsmittel zur Erzeugung stereo-
skopischer Aufnahmen, besonders von den Extremitäten. 1905 wurde von
Alban Köhler die erste Stereo-Thoraxaufnahme angefertigt. Da Köhler
damals zur Herstellung einer Thoraxaufnahme noch eine Expositionszeit von
Archiv für Laryngologie. 29. Bd. 3. Hoeft. 291
298 M. Weingacrtner, Die Röntgenstereoskopie.
25 Sek. benötigte, erfolgte die Aufnahme in der Weise, dass der Patient während
der ersten Aufnahme in tiefster Inspirationsstellung verharren und vor der
zweiten Exposition wieder in dieselbe Stellung gehen musste. Köhler
schreibt selbst: „Man wird sich selbstverständlich seinen Patienten aussuchen
müssen und nur bei den intelligentesten auf ein erfolgreiches Resultat
hoffen dürfen.“ Mit der Einführung der kurzzeitigen Aufnahmen (Schnell-
und Momentaufnahmen) war es dann ermöglicht, stereoskopische Thorax-
aufnahmen während eines Atemstillstandes herzustellen. F. M. Grödel
*demonstrierte 1908 auf dem internationalen Kongress für medizinische
Elektrologie und Röntgenologie zu Amsterdam die ersten derartigen Auf-
nahmen. Der Apparat, mit dem Grödel diese Aufnahmen hergestellt
hatte, brachte insofern eine wesentliche Neuerung, als Plattenwechsel und
Röhrenverschiebung automatisch in möglichst kurzer Zeit erfolgten. Grödel
gebrauchte für Plattenwechsel, Röhrenverschiebung und die beiden Auf-
nahmen zusammen in maximo 9 Sek. In den nun folgenden Jahren wurde eine
ganze Anzahl von derartigen Apparaten mit automatischer Vorrichtung kon-
struiert und die Ablaufszeit für die stereoskopischen Aufnahmen (bes. hin-
sichtlich der Thoraxaufnahmen) noch mehr verkürzt (3/),—1 Sek., Hänisch).
Ich erwähne die Apparate von Grunmach, Brünings, Rosenthal,
Dessauer, Lorey, Hänisch und Hegener. Brünings und Hegener
haben ihre Apparate unter besonderer Berücksichtigung der Schädelaufnahmen
mit Tubusblenden ausgestattet. Verf. benutzt seit über 2 Jahren eine von
ihm angegebene und weiter unten noch zu beschreibende Modifikation des
Grödelschen Apparates sowohl für Schädel- wie für Thoraxaufnahmen.
“Dessauer hat 1913 einen Apparat für Stereokinematographie mit
Röntgenstrahlen gezeigt.
Der Vollkommenheit halber sei noch erwähnt, dass zuerst Boas 1900
und in demselben Jahre Caldwell in New York ein Verfahren angegeben
haben zur stereoskopischen Röntgendurchleuchtung. Berger hat 1913
dieses Verfahren technisch verbessert. °
Lambertz, Drüner, Marie und Ribaut, Eijkmann, Walter u. a.
haben vorwiegend die physikalischen Gesetze der Röntgenstereoskopie zum
Gegenstand eingehender Studien gemacht.
Grosse Verbreitung scheint die Röntgenstereoskopie in den Vereinigten
Staaten gefunden zu haben. Wenigstens berichtet Hänisch, der 1910
etwa 27 Laboratorien in den Vereinigten Staaten besucht hat, dass er
nicht in einem einzigen Privatinstitut gewesen ist, „in dem nicht mehr
oder weniger praktische Apparate für stereoskopische Aufnahmen und zur
Betrachtung stereoskopischer Platten in ständigem Gebrauch gewesen
wären“. Hänisch rühmt gerade die stereoskopischen Schädelaufnahmen,
die er drüben gesehen hat.
Im Prinzip handelt es sich bei der Röntgenstereographie bekanntlich
darum, dass von einem möglichst ruhigen Objekt nacheinander zwei Auf-
nahmen mit bestimmter Röhrenverschiebung angefertigt werden. Es kommt
M. Weingaertnor, Die Köntgenstereoskopie. 299
also an auf: 1. Ruhigstellung des Patienten; 2. Plattenwechsel: 3. Röhren-
verschiebung.
Bei unruhigen Objekten, wie es der Thorax und bei ängstlichen Patienten
oft auch der Schädel ist, muss versucht werden, diese Bewegung zu unter-
drücken. Bei Schädelaufnahmen soll der Kopf durch Pelotten oder Binden
gut fixiert werden. Bei Thoraxaufnahmen sind die Atembewegungen da-
durch auszuschalten, dass der Patient während der Aufnahmen in Inspi-
rationsstellung verharrt. Durch möglichst kurze Exposition und raschesten
Ablauf des Wechselmechanismus verringern wir natürlich die Möglichkeit
von Zwischenbewegungen in dieser Zeit. Wir können so in einigen Sekunden
auch bei Schwerkranken und Kindern heute brauchbare stereoskopische
Aufnahmen erzielen, ohne dabei dem Patienten mehr Unannehmlichkeiten
zu bereiten als bei der einfachen Aufnahme.
Beim Plattenwechsel, gleichgiltig ob derselbe durch Fall, Zug oder
Druck erfolgt, ist darauf zu achten, dass die zweite Platte genau an die
Stelle der ersten, parallel zu dieser rückt; die beiden Plattenmittelpunkte
liegen dann aufeinander. Erschütterungen durch den Wechselmechanismus
sollen möglichst unterdrückt werden (Luftbremse); die zweite Aufnahme
soll bei Nichtmomentaufnahmen erst erfolgen, wenn die zweite Kassette
absolut ruhig steht.
Bei der Röhrenverschiebung kommt zweierlei in Betracht: 1. die Breite
der Verschiebung: 2. die Art der Verschiebung.
Als Verschiebungsbreite (Basisbreite) wird neuerdings von fast allen
Autoren 65 mm (= der Distanz der optischen Mittelpunkte der Augen) an-
gegeben, wie dies ja auch schon frühere Autoren (Lambertz, Drüner u.a.)
getan haben. Man erhält dann ein gutes stereoskopisches Bild von
Plastik I (Plastik = Basisbreite : Augendistanz, in unserem Falle also
6,5 s
ap 1), vorausgesetzt, dass der Abstand der Antikathode von dem
6,5
nächsten Punkt des Objekts wenigstens 25 cm beträgt; d. h. die Röhre
muss mindestens so weit von dem Objekt entfernt sein, wie unsere Augen
es sein müssen, um gut plastisch sehen zu können.
Der Basismittelpunkt soll dem Plattenmittelpunkt gegenüber liegen.
Um für unsere Zwecke (Schädel, Thorax) ein Normalverfahren zu
haben, genügt es im allgemeinen mit einem Plattenantikathodenabstand
von 50—60 cm und einer Röhrenverschiebung von 65 mm zu arbeiten.
Darauf sind auch alle modernen Apparate eingerichtet.
Es ist das Verdienst Eijkmanns, diese Art der Normalaufnahmen
betont zu haben gegenüber dem früher viel angewandten Verfahren von
Marie und Ribaut. Nach der Tabelle dieser beiden Autoren war die
Röhrenverschiebung, genau auf Bruchteile von Zentimetern berechnet, mehr
oder weniger gross, je nach der Dicke des Objekts und dem Röhrenplatten-
abstand, ein zum mindesten umständliches Verfahren, das, wie die Eijk-
mannschen Arbeiten und vielfachen Erfahrungen beweisen, zur Erzeugung
eines guten, naturgetreuen Stereobildes durchaus nicht nötig ist.
` 21*
300 M. Weingaertner, Die Röntgenstereoskopie.
Die Art der Verschiebung kann eine zur Platte parallele oder konver-
gente sein. Bei der ersten wird (vgl. Fig. 1) die Röhre so verschoben,
dass die Entfernung der beiden Punkte r‘ und I‘, in denen der Zentral-
strahl (rr‘ und 11”) die Platte schneidet, genau gleich ist der Basisbreite.
Figur 1.
7 yz
Bei der zweiten Methode hingegen erfolgt die Bewegung der Röhre auf
einem Kreisbogen (vgl. Fig. 2), dessen Zentrum im Mittelpunkt der Platte
gedacht ist; die beiden Zentralstrahlen konvergieren dann nach diesem
Punkte hin.
Figur 2.
n L
Im allgemeinen genügt zur Erzeugung stereoskopischer Bilder die
einfache parallele Verschiebung vollkommen, besonders bei Uebersichts-
aufnahmen. Anders bei jenen stereoskopischen Aufnahmen, bei denen man
im Interesse der Bildschärfe die Tubusblende benötigt (z. B. Schädel-
M. Weingaertner, Die Röntgenstereoskopie. 301
aufnahmen). Hier muss unter gewöhnlichen Umständen!) für eine gewisse
Konvergenz gesorgt werden, da wir bei gleichmässiger paralleler Ver-
schiebung von Antikathode 4 Blende (so dass der Zentralstrahl und die
Figur 3.
Tubusachse zusammenfallen und gemeinsam um 65 mm auf der Platte
seitlich verschoben werden) keine kongruenten Bilder von dem Objekt
bekommen werden. Wie aus Fig. 4 ersichtlich ist, erhalten wir unter den
Figur 4.
rr und 11° deuten sowohl den Zentralstrahl wie die Tuhbusachse an.
zuletzt erwähnten Bedingungen je nach dem Lumen der Blende und ihrer
Entfernung von Röhre und Objekt nur mehr oder weniger grosse Bruch-
1) Eine Ausnahme besteht nur in dem Fall, dass das Objekt kleiner als die
‚mehr als 6,5 cm weite Blende ist, also in diese zu liegen kommt. Hier braucht
naturgemäss nur die Röhre verschoben zu werden (vgl. Fig. 3).
302 M. Weingaertner, Die Röntgenstereoskopie.
stücke des letzteren; diese können einen stereoskopischen Effekt nicht
liefern.
Erst dadurch, dass wir eine gewisse Konvergenz der das Objekt durch-
dringenden Strahlung eintreten lassen, bekommen wir zwei kongruente
Zentralstrahl und Blendenachse fallen zusammen (punktierte Linie).
Halbbilder (Fig. 5), die sich später stereoskopisch zur Deckung bringen
lassen. Diese Konvergenz kann erreicht werden auf zwei Arten: 1. Der
Zentralstrahl 4 Tubusachse bewegen sich radiär zum Plattenmittelpunkt
Figur 6.
T l
X>
rr’ und 11‘ = Zentralstrahl; tr und ti = Tubusachse.
(vgl. Fig. 5); 2. die Tubusachse dreht sich radiär zum Mittelpunkt der
Platte, während die Röhre parallel zu dieser verschoben wird (vgl. Fig. 6).
Nach dem erstgenannten Prinzip sind u. a. die Apparate von Brünings.
M. Weingaertner, Die Röntgenstereoskopie. 303
Hänisch und Hegener gebaut. Röhre und Tubus sind dort so verbunden,
dass Zentralstrahl und Tubusachse zusammen fallen. Die Verschiebung
erfolgt auf einem Kreisbogen derart, dass die obengenannten Achsen in
jeder Stellung als Radien nach dem Plattenmittelpunkt ziehen.
Bei der zweiten Methode, die ich an meinem Apparat angewandt
habe, wird nur das zur Konvergenz nötige Strahlenbiindel aus der parallel
verschobenen Röhre herausgefangen, wobei der Zentralstrahl und die Blenden-
achse nicht zusammenfallen, sondern sich kreuzen. Es ist bei dieser Me-
thode besonders darauf zu achten, dass die Blendenachse (als Radius) sich
um den der Basismitte gegenüber liegenden Punkt, also den Plattenmittel-
punkt dreht. Der Zentralstrahl fällt bei den beiden Aufnahmen in den
lateralen Teil der Blende und damit des Bildes (vgl. Fig. 6). Es würde
also auf Platte 1 in Stellung r der r‘ benachbarte Teil des Bildes. in
Stellung 1 auf Platte 2 die Umgebung von |’ kontrastreicher und eventuell
auch schärfer werden. Zunächst tritt dieser scheinbare Nachteil nicht auf
allen Platten hervor (je nach der Röhrenqualität), und wenn er wirklich
auftritt, so ergänzen sich derartig ungleich beschaffene Bilder später bei
der Betrachtung im Stereoskop auf das Vollkommenste, und zwar gerade
die Schädelaufnahmen.
Es kommt meines Erachtens bei der Herstellung der stereoskopischen
Blendenbilder (ich betone nochmals, dass ich nicht von der stereoskopischen
Messung spreche) in der Hauptsache auf die Konvergenz der Tubusblende
an; ob dabei der Zentralstrahl der Röhre winklig in der Plattenmitte als
Radius einfällt, oder ob er senkrecht von den Endpunkten der Basisbreite
auf die Platte gefällt wird, ist praktisch ziemlich belanglos.
Nach diesen Auseinandersetzungen, die ich für nötig hielt, weil gerade
bei stereoskopischen Schädelaufnahmen die Tubusblende kaum zu entbehren
ist, seien mir noch einige rein technische Bemerkungen über die Anfertigung
von Röntgenstereogrammen gestattet.
Zunächst über den notwendigen Apparat. Aus den einleitenden Bemer-
kungen ging schon hervor, dass wir heute nach möglichst schnellem Ablauf
der zu stereoskopischen Aufnahmen nötigen Manipulationen und Expositionen
trachten. Aus der Reihe der mir bis jetzt bekannten brauchbaren Appa-
rate seien als aus unserem Fache hervorgegangene und daher für unsere
Zwecke besonders geeignete hervorgehoben die stereoskopischen Vorrichtungen
von Brünings und Hegener. Beide Instrumentarien haben das Prinzip
der Röhren -+ Tubuskonvergenz und sind auch für Thoraxaufnahmen ein-
zurichten. Bei dem Brüningsschen Apparat wird die Röhrenverschiebung
gleichzeitig mit dem durch einen Handgriff zu betätigenden Kassetten-
wechsel ausgelöst. Der Hegenersche Apparat hat für Röhren- und
Kassettenwechsel elektromagnetische Auslösung, und zwar vollziehen sich
sämtliche zur stereoskopischen Aufnahme nötigen Bewegungen und Expo-
sitionen automatisch nach Einschalten eines einzigen Hebelschalters.
Seit dem Jahre 1911 befasse ich mich mit der Röntgenstereographie
von Schädel und Thorax. Die Anregung dazu gab der alte Grödelsche
304 M. Weingaertner, Die Röntgenstereoskopie.
Apparat, mit dem ich auch meine ersten Versuche anstellte. Im
Laufe der Zeit habe ich diesen Apparat, der ja ursprünglich mehr für
den Internisten gebaut war, für unsere Zwecke etwas geeigneter um-
gestaltet, vor allem durch Anbringen einer Blende für Schädelaufnahmen
und durch die Einrichtung, Aufnahmen des Schädels und des Thorax im
Sitzen und Stehen bei sehr grossen und sehr kleinen Patienten zu machen.
Der Apparat!) besteht im wesentlichen aus der Schalttafel, dem Gestell
für die Verschiebung der Röntgenröhre und der Blende, sowie dem Auf-
nahmestativ, gegen das der Patient fixiert wird und das die Plattenwechsel-
vorrichtung trägt (vgl. Fig. 7).
Die Schalttafel besitzt ausser Sicherungen und Anschlussklemmen
zwei Momentschalter, sowie zwei einstellbare Sekundenuhren, welche in
der Nullstellung den Primärstrom dadurch unterbrechen, dass der zugehörige
Momentschalter automatisch ausgelöst wird. Beachtenswert ist, dass das
Aufleuchten der Röhre in ihren beiden Endstellungen nicht zwangläufig
erfolgt, sondern dass dies erst dann vor sich geht, wenn der zugehörige
Momentschalter eingeschaltet wird. Sollte also aus irgend einer Ursache
die Röhre, nachdem sie von der ersten in die zweite Stellung übergegangen
ist, nicht absolut stillstehen, so kann man sie ruhig erst auspendeln lassen
und erst dann durch Einschalten des zweiten Schalters die zweite Auf-
nahme hervorrufen. Die parallele Verschiebung der Röhre nach der ersten
Aufnahme geschieht automatisch. In der ersten Stellung wird die Röhre
bzw. deren Gestell durch einen kleinen Sperrhebel festgehalten, welcher,
nachdem die erste Aufnahme gemacht und die Röhre stromlos geworden
ist, elektromagnetisch gehoben wird. Dadurch wird das Röhrengestell frei
gegeben und durch den Zug einer Spiralfeder in die zweite Stellung
gebracht. — Ebenfalls automatisch erfolgt der Plattenwechsel. Die beiden
Kassetten liegen vor der Aufnahme senkrecht übereinander; die obere ist
durch eine starke Bleiplatte vor Röntgenstrahlen geschützt, die untere
wird gegen die Aufnahmewand vorgeschoben und bietet somit der oberen
Kassette eine Stütze, so dass diese nicht herunterfallen kann. Bei der
Vorwärtsbewegung der unteren Kassette wird ebenfalls ein Sperrhebel
betätigt, der verhindert, dass die Kassette wieder zurückgleitet, eine Be-
wegung, die durch den Zug einer Spiralfeder erfolgt. Die Sperrklinke
steht wiederum mit einem Elektromagneten in Verbindung: sofort nach
dem Aufleuchten der Röntgenröhre bei der ersten Aufnahme wird auch
diese Sperrklinke für die Kassette ausgelöst. Die Kassette gleitet infolge
des erwähnten Zuges der Spiralfeder zurück und macht somit der über
ihr liegenden Platz, die jetzt heruntergleitet. Nunmehr ist die ganze Appa-
ratur, da gleichzeitig während dieses Vorganges auch die Röhre ihre
Stellung gewechselt hat, zur zweiten Aufnahme fertig. Heftige Erschütte-
rungen beim Heruntergleiten der zweiten Kassette werden dadurch ver-
mieden, dass die Bewegung derselben durch ein Gegengewicht gemildert
1) Hergestellt von der Firma Reiniger, Gebbert u. Schall.
M. Weingaertner, Die Röntgenstereoskopie. 305
Figur 7.
wird und das Aufsetzen nach der Bewegung durch eine Luftbremse absolut
ruhig erfolgt. Ebenso wird die Bewegung der Röhre von der einen Stellung
in die andere durch eine Luftbremse abgebremst.
Die Aufnahme geschieht nun derart, dass man zunächst die beiden
306 M. Weingaertner, Die Röntgenstereoskopie.
Kassetten in die Kassettenhalter einführt und sich vergewissert, dass die
untere Kassette durch die Sperrklinke an einer Rückwärtsbewegung ver-
hindert ist. Dann wird die Röhre in Stellung I geschoben. Die beiden
Uhren werden auf die beabsichtigte Expositionszeit eingestellt, der Patient
nimmt vor der Aufnahmewand Platz. Nun schaltet man den Momentschalter
für die erste Aufnahme ein; sobald die Expositionszeit abgelaufen ist,
springt der Schalter selbsttätig heraus, gleichzeitig bewegt sich die Röhre
in ihre zweite Stellung (r), während die untere Kassette in den Schutz-
kasten zurückgleitet und die obere Kassette herunterfällt. Jetzt wird zur
„weiten Aufnahme der Hebel des zweiten Momentschalters heruntergedrückt,
der nach beendeter Expositionszeit ebenfalls automatisch ausschaltet. Das
Ganze läuft bei Blitzaufnahmen in 11/,—2 Sek., bei Schddelschnellauf-
nahmen mit z. B. je 3 Sek. Exposition in 9 Sek. ab. Diese Zeit könnte
noch erheblich verringert werden durch schnelleren Ablauf des Platten-
wechsels; doch lege ich, wie hier nochmals betont sei, grossen Wert auf
relativ langsamen Plattenwechsel, um möglichst jede Erschütterung zu ver-
meiden. Die Kassette für die zweite Aufnahme besitzt eine starke Blei-
rückwand, damit die erste bereits bestrahlte Platte geschützt vor den
Strahlen der zweiten Aufnahme hinter der zweiten Kassette ruhen kann.
Die bei Tubusaufnahmen (vgl. S. 302) notwendige, zum Plattenmittelpunkt
radiäre Seitwärtsbewegung des Tubus wird durch eine geeignete Kuppelung
mit dem Gestell der Röhre erreicht, und zwar in der Hauptsache dadurch,
dass man den Tubus an seinem Röhrenende beweglich mit dem Röhren-
gestell verbunden hat, während man ihm an seinem freien Ende einen
beweglichen Stützpunkt gab, um den er sich drelien kann.
Die Tubusbewegungen gehen infolge der Kuppelung mit dem Röhren-
gestell gleichzeitig mit der Röhrenverschiebung automatisch von statten.
Die Zentrierung der Tubusbewegung zu dem Plattenmittelpunkt geschieht
mit Hilfe eines dem freien Tubusende aufsetzbaren und die Tubusachse dar-
stellenden Zentrierstabes und durch Regulierung des seitlichen Tubusaus-
schlages mit Hilfe von Fliigelschrauben an der Kuppelvorrichtung.
Fiir Thoraxaufnahmen z. B. ist der Tubus leicht durch einen Griff
abnehmbar. |
Zur Aufnahmetechnik selbst sei noch bemerkt, dass wir zu Stereo-
schnell- bzw. Momentaufnahmen uns mit bestem Erfolge des Sinegran-
Verstärkungsschirms bedienen, ebenso der Gehler-Folie. Für Stereoschnell-
aufnahmen des Schädels benutzen wir Gundelachmomentröhren von 6!,,
bis 7 W., mit einer Belastung von 20 M.A.; je nach der Schädeldicke
beträgt die Expositionszeit bei 70 cm Fokus-Plattendistanz 1—3 Sek. pro
Aufnahme. Bei Thoraxschnellaufnahmen gebrauchen wir wiederum Gunde-
lachmomentréhren, aber von 41/,—5 W. mit einer Belastung von 25 M.A.,
Expositionszeit von 0,1—1 Sek., je nach der Thoraxdicke und der Dichte
des Lungenschattens. Im allgemeinen bevorzugen wir wegen der grösseren
Bildschärfe die Stereoblitzaufnahmen des Thorax, wozu wir den Unipuls-
apparat der Firma Reiniger, Gebbert und Schall verwenden.
M. Weingaertner, Die Röntgenstereoskopie. 307
Schädigungen des Patienten selbst durch kurz hintereinander wieder-
holte Stereoaufnahmen habe ich nie beobachtet, auch nie Haarausfall
am Kopf.
Um einen Anhaltspunkt über die bei einer stereoskopischen Schädel-
aufnahme applizierte Strahlendosis zu gewinnen, habe ich wiederholt an
dem der Röhre zunächst liegenden Teil des betreffenden Schädels, d. h.
bei unserem Apparat in etwa 45 cm Entfernung von der Antikathode einen
Kienböckstreifen befestigt und während der beiden Aufnahmen den Röntgen-
strahlen ausgesetzt. Bei diesem Abstand des Streifens von der Röhre gal
eine Röhre von 6,5 W. bei Expositionszeiten von 2 X 11/, Sek. beinahe
la X, bei 2 X 3 Sek. etwas über 3/2 x und bei 6X 3 Sek. annähernd
2x, d. i. Y, Erythemdosis. Haarausfall tritt bei dieser Dosis im allge-
meinen noch nicht ein. Man kann also, ohne eine Schädigung befürchten
zu müssen, 2—3 derartige Stereoschnellaufnahmen hintereinander ausführen.
Nun noch einiges über die Besichtigung der stereoskopischen Röntgen-
platten. Die einfachste Art der Betrachtung stereoskopischer Bilder ist
die mit blossem Auge. Dabei kommt .der Punkt, in dem sich die Seh-
axen schneiden, nicht in die Ebene der hetrachteten Bilder zu liegen,
sondern entweder davor (= Betrachtung mit gekreuzten Blickrichtungen)
oder dahinter (= Betrachtung mit gleichgerichteten Bliekrichtungen). Zur
leichteren Erzielung des stereoskopischen Eifektes kann man sich ver-
schiedener einfacher Hilfsmittel, wie Vorhalten einer Nadel in den Kreuz-
punkt der Blickrichtung usw. zu bedienen. Immerhin fällt diese Art der
Betrachtung nicht jedem leicht, sie gewährt nur denjenigen, die ihre Kon-
vergenz und Akkommodation genügend beherrschen und eingeübt haben,
einen raschen Einblick in ein stereoskopisches Bildpaar.
Weit einfacher gestaltet sich die Betrachtung der stereoskopischen
Bilder mit Hilfe eigens konstruierter Apparate, der sogenannten Stereo-
skope. Als erstes Stereoskop wurde 1838 von Ch. Wheatstone ein
Spiegelstereoskop angegeben; später kamen dann die Prismen- und Linsen-
stereoskope.
Die Réntgenstereogramme wurden in der ersten Zeit dieses Verfahrens
meist zunächst verkleinert und dann als Diapositive oder Kopien in einem
der üblichen kleinen Handstereoskope betrachtet. Neuerdings mehren sich
die grossen Stereoskope, die eine direkte Besichtigung der Originalplatten
ermöglichen. Diese Apparate sind den Verkleinerungen unbedingt vorzu-
ziehen; einmal erspart man durch sie die früher zu Verkleinerungen not-
wendige Zeit und Arbeit, dann aber — und das ist der Hauptvorteil —
erkennt man bekanntlich auf den Originalplatten viel mehr Einzelheiten
und Feinheiten als auf der Verkleinerung.
Es sind von den verschiedenen Firmen bereits eine ganze Anzahl der-
artiger Apparate hergestellt.
Wir benutzen in unserer Klinik seit zwei Jahren ein von der Firma
Reiniger, Gebbert und Schall hergestelltes, dem Wheatstoneschen Spiegel-
303 M. Weingaertner, Die Röntgenstereoskopie.
stereoskop (vgl. Fig. 8) nachgebildetes Spiegelstereoskop. Es besteht aus
zwei Schaukästen, in die Platten jeder Grösse (13:18 bis 40:50) ein-
gesetzt werden können. Die Schaukästen stehen einander gegenüber.
Mitten zwischen ihnen befinden sich zwei einen rechten-Winkel zu einander
bildende Spiegel, in denen sich dem Beschauer die beiden Platten reflek-
tieren. Unsere Augen müssen den beiden Spiegeln möglichst genähert
sein. Die Spiegel sind auf einem Schlitten vor- und rückwärts verschieb-
lich; hierdurch wird nach unserer Erfahrung dem Ungeübten das Sehen
des stereoskopischen Bildes erleichtert. Man schiebt den Spiegel so weit
Figur 8.
vor- oder rückwärts, bis der Beschauer je ein Halbbild sieht; dann bewegt
man den Spiegel in der entgegengesetzten Richtung (d. h. also rück- oder
vorwärts), bis die beiden Spiegelbilder sich immer mehr nähern, sich
schliesslich ganz decken und zu einem körperlichen Bild verschmelzen.
Schaukästen und Spiegel sind auf einem Tisch montiert, der in der Mitte
einen nierenförmigen Ausschnitt hat, um dem Beschauer die Annäherung
an die Spiegel, besonders bei deren Verschiebung, zu erleichtern.
Welche Stellung und Entfernung zwischen Platten und Spiegel nötig
ist zur Erzielung eines richtigen stereoskopischen Bildes, geht aus der
nachfolgenden Eijkmannschen Konstruktion auf das Deutlichste hervor
(vgl. Fig. 9).
„Seien Sı und Sr die beiden Spiegelchen und L und R die beiden
Augen. Nimmt man nun an, dass bei der Aufnahme die Platten sich in
M. Weingaertner, Die Röntgenstereoskopie. 309
P befunden haben, indem in L und R die Antikathoden waren, dann lassen
sich die beiden Hauptachsen leicht einzeichnen. Diese werden LL’ und
RR‘ bezeichnet und es kommt jetzt darauf an, die virtuellen Bilder der
beiden Platten wieder in P zu vereinigen. Wenn wir ein Lot errichten
auf der Achse auf dem Punkte, wo diese den Spiegel schneidet, so wird
diese Linie die Hauptachse der Platte, und die Länge dieser Hauptachse
vom Auge ab, via den Spiegel, soll der ursprünglichen Hauptachse gleich
sein, also Ln + nL’ = LL’. Das Ende dieser gebrochenen Hauptachse
soll im Fusspunkte der Platte liegen und auf diese Weise ist die Stellung
der Platte ganz und gar festgesetzt. Denkt man sich die Ebene des
Spiegels nach allen Richtungen hin verlängert, so teilt diese Ebene den
Winkel mitten entzwei, welchen die Platte und ihr virtuelles Bild zusammen
Figur 9.
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Aus: Kijkmann, Stereoröntgenographie. Fortschritte a. d. Gebiete
der Röntgenstrahlen. Bd. 13. S. 371.
darstellen, und beide liegen ganz symmetrisch hinsichtlich des Spiegels,
und es bedarf gewiss keiner weiteren Erklärung, dass das virtuelle Bild
der linken und der rechten Platte völlig zusammenfallen, auf dieselbe
Weise, wie dies bei der Aufnahme der Fall war.“
Eigene Erfahrungen, sowie die zahlreichen Fragen anderer Beschauer
veranlassen mich, auf die Stellung der Platten im Schaukasten etwas näher
cinzugehen.
Als erste Regel bei der Betrachtung der Platten im Spiegelstereoskop
gilt, dass sich immer die gleichen Flächen der Platten gegenüber stehen
müssen, d. h. also, dass stets entweder nur die beiden Schicht- oder nur die
beiden Glasseiten der Platten den Mattscheiben der Schaukästen zugewandt
sein müssen. Es ist dann (vgl. Fig. 10) z. B. bei einer Transversalaul-
nahme des Schädels in einem Bilde die Nase uns zu-, im anderen uns ab-
gelegen (in der Figur durch die Pfeilrichtung angedeutet); ähnlich verhält
310 M. Weingaortnor, Die Réntgenstereoskopie.
es sich mit der Herzspitze bei Thoraxaufnahmen. Nur so kénnen, wie aus
der vorstehenden Figur (vgl. auch im Eijkmannschen Bilde Pl und Pr)
hervorgeht, die beiden virtuellen Spiegelbilder zur Deckung kommen. Dass
bei anderer Stellung der Platten, bei der z. B. die Nase beiderseits in der
Richtung des Pfeiles liegt, kein stereoskopisches Bild zustande kommen
Figur 10.
kann, ist Aus Figur 11 ersichtlich. Auf beiden Figuren ist die das linke
Halbbild tragende (d. h. also, die Röhre war bei der Aufnahme nach links
von der Plattenmitte verschoben) Platte mit Pl und die des rechten Halb-
bildes (Rechtsstand der Röhre bei der Aufnahme) mit Pr bezeichnet; die
Glasseite jeder Platte sei g, die Schichtseite s (gı Zr, S1 Sr).
Figur 11.
Zur Erzielung eines richtigen stereoskopischen Eindrucks ist es ferner
nötig, dass das linke Halbbild (es ist hier nur von den Platten die Rede)
vom linken Auge, das rechte Halbbild vom rechten Auge betrachtet wird;
und zwar sehen wir das Objekt in der Aufnahmerichtung (wobei also unsere
Augen tatsächlich an Stelle der Antikatliode gesetzt sind) dann, wenn die
M. Weingaertner, Die Röntgenstereoskopie. oll
bei der Aufnahme dem Objekt abgewandte Seite (besser Fläche) der Platte
dem Spiegel zugekehrt ist, d. h. bei einer Aufnahmerichtung Objekt —
Schicht — Glas muss die Glasseite, und bei der Aufnahmerichtung Objekt
— Glas — Schicht (Verstärkungsschirm) muss die Schichtseite der Platte
dem Spiegel zugewandt sein, wenn wir das betreffende Objekt in der Aul-
nahmerichtung betrachten wollen. Drehen wir nun die Platte um, so dass
die bei der Aufnahme dem Objekt zugewandte Seite der Platte, d. h. also
bei der oben zuerst angegebenen Richtung die Schichtseite, bei der zweiten
Richtung die Glasseite dem Spiegel zugekehrt ist, dann sehen wir das
Objekt in der zum Strahlengang entgegengesetzten Richtung. Bei dieser
Art der Besichtigung bekommen wir kein naturgetreues, sondern ein
pseudostereoskopisches Bild mit Verzeichnungen im Sinne falscher Tiefen-
dimensionen. (Näheres vgl. Eijkmann.) So störend dieser Umstand
bei der Betrachtung mathematischer Figuren sein mag, für die uns inter-
essierenden Röntgenbilder des Schädels und des Thorax stellt er keine
Beeinträchtigung dar; vielmehr ist uns — ich schliesse mich hier der
Ansicht von Hegener u. a. vollkommen an — das pseudostereosko-
pische Bild oft sehr willkommen, da es uns häufig über manche Lage-
beziehungen usw., die auf dem richtigen stereoskopischen Bild unklar
oder verdeckt waren, weiteren Aufschluss gibt!). Das pseudostereoskopi-
sche Bild ist für uns somit eine nützliche Ergänzung des richtigen Stereo-
bildes, zumal es uns die Anfertigung eines neuen Bildpaares in der zur
ursprünglichen Aufnahmerichtung entgegengesetzten Richtung erspart und
hierfür nur die geringe Mühe macht, die vorhandenen Platten im Spiegel-
stereoskop umzudrehen.
Eine weitere Möglichkeit der Plattenstellung im Spiegelstereoskop
darf nicht unerwähnt bleiben, da sie zu groben Täuschungen Veranlassung
geben kann. Es handelt sich um das Vertauschen der Platten in dem
Sinne, dass das linke Halbbild vom rechten und das rechte Halbbild von
linken Auge gesehen wird. Es kommt dann auch ein stereoskopischer
Eindruck zustande und beim Umdrehen der Platten auch ein pseudostereo-
skopischer, nur mit dem Unterschiede, dass stets die Seiten vertauscht
sind. Dieses fällt einem bei Thoraxaufnalımen sofort auf, da dann z. B.
beim Blick von vorn in den Thorax hinein die Herzspitze rechts im
Patienten liegt. Anders hingegen bei Schädelaufnahmen, wo es derartig
sinnfällige Merkmale nicht gibt. Wie leicht kann es da vorkommen, dass
z. B. ein Geschoss, das in der linken Kieferhöhle liegt, bei dieser falschen
Anordnung der Platten rechts zu liegen scheint. Genau so falsch würden
natürlich auch verdunkelte Nebenhöhlen usw. lokalisiert und der Befund
1) Vielfach wirkt sogar das pseudostereoskopische Bild besser auf unser Auge
als die richtig stereoskopische Platte, und zwar deshalb, weil wir im pseudostereo-
skopischen Röntgenbild die Teile des Objektes, die bei der Aufnahme der Platte
zunächst lagen und somit am schärfsten gezeichnet sind, auch unseren Augen am
nächsten sehen.
312 M. Weingaertner, Die Röntgenstereoskopie.
könnte so für den Operateur verhängnisvoll werden. Es ist daher zur
Vermeidung derartiger Fehler unbedingt nötig, dass man sich schon vor
der Entwicklung der Platten das linke und das rechte Halbbild genau
bezeichnet. Dies geschieht entweder in der Weise, dass man vor dem
Herausnehmen der Platten aus der — natürlich genau bezeichneten —
Kassette die betreffende Signatur L oder R- in die Gelatineschicht einritzt,
oder aber man befestigt schon vor der Aufnahme in einer Ecke der
betreffenden Kassetten entsprechende Bleimarken, deren Schatten dann bei
der Entwicklung der Platten mit herauskommen. Bei Beobachtung dieser
Vorsichtsmassregeln dürften die eben erwähnten groben Täuschungen zu
vermeiden bzw. sofort zu erkennen sein.
Eine einfache Methode, stereoskopische Röntgenbilder zu betrachten,
hat Eijkmann angegeben. Er bedient sich dabei nur eines Spiegels.
Figur 12.
Man nimmt z. B. den linken Spiegel fort (vgl. Eijkmannsche Zeichnung,
Fig. 9) und setzt das linke Halbbild (Pl) gleich nach P, wo sonst das
virtuelle Bild entstehen würde. Man sieht also mit beiden Augen gerade-
aus; das linke Auge fixiert die in P aufgestellte linke Platte, während das
rechte Auge das Spiegelbild von Pr nach P projiziert, womit sich die
beiden Bilder Pl und Pr zu einem plastischen Eindruck vereinigen.
Ein ähnliches Verfahren hat neuerdings Hegener empfohlen; er
schreibt: „Um zwei nebeneinander stehende Platten zu einem plastischen
Bilde zu vereinigen, benutze ich einen Planspiegel, der zwischen beiden
Augen senkrecht gehalten wird. wobei man sich mitten vor die beiden
Platten stellt und nun nach einer hinblickt. Zuvor muss jedoch die andere
umgekehrt werden, so dass ihr Spiegelbild betrachtet wird. Da dieses
durch die Betrachtung im Spiegel wieder aufgerichtet und ausserdem als
virtuelles Bild auf der anderen Platte erscheint, so erreicht man bei
richtiger Spiegelhaltung mit Leichtigkeit die stereoskopische Vereinigung.”
Vorstehende Figur 12 möge zur Erklärung dieses Verfahrens beitragen,
M. Weingaertner, Die Röntgenstereoskopie. 313
das wegen seiner Einfachheit und Zuverlässigkeit meines Erachtens mehr
Beachtung verdient, als ihm bis jetzt zuteil geworden ist. Man braucht
nur einen guten Handspiegel (13:18), um von den beiden in zwei Schau-
kästen oder am Fenster geeignet untergebrachten Platten ein Stereobild
zu erhalten. Der Spiegel soll möglichst im Aufnahmeabstand gehalten
werden. Durch Umdrehen des Spiegels nach der anderen Seite und
Fixieren der anderen Platte mit den Augen erhält man ein pseudostereo-
skopisches Bild. Durch Benutzung eines versilberten Spiegels verhindert
man die beim gewöhnlichen Spiegel auftretenden und störenden Doppel-
bilder. Man sieht dann ein absolut klares stereoskopisches Bild. Hegener
meint, dass diese Methode, da ein Bild spiegelverkehrt sein muss, sich
nicht zur Betrachtung von Papierbildern habe einführen können. Wer
schon genötigt war, zu Demonstrationszwecken seine stereoskopischen
Röntgenbilder verkleinert reproduzieren zu lassen, weiss, wie sehr durch
diese Verkleinerung die Zeichnung von Feinheiten und Details leidet. Und
gerade auf diese kommt es oft an. Wir sind aber, um einem grösseren
Kreis unsere Bilder vorzuführen (besonders im Druck), zu diesen Ver-
kleinerungen genötigt, weil die allerorts gebräuchlichen Handstereoskope
nicht selten mehr als die Grösse 9:18 zulassen. Mit dem angegebenen
Verfahren aber lassen sich die beiden Platten, jede in der Grösse einer
Buchseite reproduziert (vgl. Bild XI u. XII), nebeneinander legen und mit
dem Spiegel betrachten. Es werden bei solcher Bildgrösse manche Fein-
heiten eher zu erkennen sein, besonders wenn ein silberbeschlagener Spiegel
(Projektionsapparat!) zur Verfügung steht. Es muss nur beim Druck für
möglichste Schärfe besonders des spiegelverkehrten Bildes gesorgt werden.
Stereoskopische Röntgenbilder zu projizieren ist, ebenso wie für die
gewöhnlichen Stereobilder, immer noch recht umständlich; am meisten
werden hierzu benutzt die sogenannten Anaglyphen, die rot-grün-Bilder,
bei deren Projektion der Beschauer je ein rotes und grünes Glas vor die
Augen hält.
Nach diesen mehr technischen und theoretischen Bemerkungen soll
noch die Leistungsfähigkeit und besonders der praktische Wert dieser
Methode kurz besprochen werden. Ich wage dies auf Grund der Erfahrungen,
die wir im Zeitraum von 2 Jahren an über 300 Stereobildpaaren gesammelt
haben. Schon aus dem Vergleich dieser Zahl mit der Menge der in der-
selben Zeit angefertigten einfachen Röntgenogramme — es sind dies über
2500 — geht hervor, dass die stereoskopische Röntgenaufnahme uns nur
in bestimmten Fällen notwendig erschien. Für die übliche Bestätigung
der Diagnose einer Kiefer- oder Stirnhöhlenaffektion im Sinne einer Ver-
dunkelung genügt das einfache Röntgenogramm vollkommen. Erst wenn
wir — besonders vor einer Operation — Genaueres über die Form, Tiefe
und Lagebeziehungen der genannten Höhle wissen wollen, fertigen wir ein
Stereogramm an. Ebenso bei den oft so schwer zu entziffernden Siebbein-
und Keilbeinaffektionen. Man iste dann erstaunt über die Leichtigkeit, mit
der man auf einmal die ganzen Gebilde im Schädel erkennt. Der auf der
Archiv für Laryngologie. 29. Bd. 3. Heft, 29
314 M. Weingaertner, Die Röntgenstereoskopie.
einfachen Röntgenplatte gewissermassen plattgedrückte Schädel dehnt sich
in dem Stereogramm mehr und mehr aus, bis er seine normale Form
wiedergewonnen hat. Dadurch wird das auf dem gewöhnlichen Schädel-
bild oft so stérende Gewirr von Linien und Schatten räumlich auseinander
geriickt; man erkennt deutlich, wie manche vorher anscheinend untrenn-
bare Konturen sich jetzt an dem Aufbau ganz verschiedener, relativ weit
entfernter Gebilde beteiligen. Man übersieht die drei Schädelgruben, über-
wölbt von dem in seinem inneren Relief oft wunderbare Details zeigenden
Schädeldach. Die drei für den Ungeübten meist schwierigen Konturen
der Ala parva, der Pars petrosa und des Occiput (Pars basilaris), die je
nach Strahlenrichtung bei der einfachen Aufnahme verschieden in den
Schädel gelagert erscheinen, werden im Stereobild sofort richtig lokalisiert
und gedeutet. Ebenso geht es mit den Querfortsätzen der Halswirbel, die
schon manche Fehldiagnose (Kieferhöhle) verursacht haben. Die Örbitae
und die Kieferhöhlen sieht man in allen Einzelheiten der Form und Grösse
plastisch vor sich. Die Tiefe der Stirnhöhlen kann manchmal sogar im
oceipitofrontalen Bild abgeschätzt werden, wobei die Crista galli bzw. ihr
Abstand von der Stirn ein wertvoller Anhaltspunkt sein kann. Die Aus-
dehnung der Recessus orbitales usw. lässt sich unschwer verfolgen. Und
dass die Partieen des Siebbeins, die auf den einfachen Bildern in die Orbita
projiziert werden, zu dem hinteren Siebbein gehören, ergibt sich bei der
Betrachtung der Stereoaufnahmen von selbst. Die Keilbeinhöhle ist auf
guten occipitofrontalen Aufnahmen nicht selten gut zu erkennen, auch hin-
sichtlich ihrer Tiefe. Ihre Beziehungen zur Nachbarschaft, besonders zur
Sella tureica, sind natürlich Gegenstand der Betrachtung im bitemporalen
Stereobild. Der mit seinen Processus clinoidei gut durchgezeichnete Türken-
sattel kommt stereoskopisch meist vorzüglich zur Geltung.
Dass auf derartig leicht zu überblickenden und zu deutenden Bildern
pathologische Veränderungen uns leichter in die Augen fallen müssen,
dürfte ohne weiteres einleuchten. Ich denke hier nicht, wie schon einmal
betont, an die lediglich zur Bestätigung der Diagnose dienenden Aufnahmen
mit Verschleierung der Kiefer- oder Stirnhöhle Vielmehr kommt diese
Methode bei der Prüfung der Nebenhöhlen dann in Betracht, wenn es sich
um die Ausdehnung einer Höhle oder um das Uebergreifen einer Erkrankung
auf diesen oder jenen Teil des Nebenhöhlensystems bzw. seiner Umgebung
handelt, besonders in unklaren Fällen von Neuritis retrobulbaris. Unschwer
lässt sich z. B. entscheiden, ob und welchem Teil des Siebbeins ein dort
liegender Schatten angehört. Die Grenzen einer Mukozele (siehe Bild)
werden im stereoskopischen Bild nicht mehr von störenden Linien über-
schattet; und besonders die leichteren Formveränderungen der Sella tureica
werden uns ebenso wie die Strukturveränderungen (Halisterese bei malignen
Tumoren bzw. kariösen Prozessen) des Keilbeinkörpers im plastischen Bild
eher in die Augen fallen als auf der einfachen Platte. Pathologische Pro-
zesse des Schädeldachs kommen im stereoskopischen Bild prachtvoll zur
Darstellung. Bei Patienten z. B. mit chronischer Hirndrucksteigerung
M. Weingaertner, Die Röntgenstereoskopie. 315
erscheinen die pathologisch vertieften Impressiones digitatae auf der ein-
fachen Platte als rundliche Flecken, während sie im stereoskopischen Bilde
dem Innern der Schädeldecke ein welliges, hügeliges Aussehen verleihen,
wodurch die Deutung des Befundes wesentlich vereinfacht ist.
Die oft schwer darstellbaren Fissuren des Schädels nach Traumen sind
im stereoskopischen Röntgenbild in ihrem ganzen Verlaufe deutlich zu
verfolgen. Gerade auf diesem Gebiet konnten wir in letzter Zeit infolge
des Krieges zahlreiche Erfahrungen sammeln. So sahen wir einen Soldaten,
dem ein Infanteriegeschoss quer durch den Hirnschädel hindurchgegangen
war, ohne irgend welche schwerere Erscheinungen hervorgerufen zu haben.
Auf dem Stereogramm markierte sich der Einschuss als rundes Loch im
linken Os frontale, nahe seinem Margo temporalis. Durch dieses Loch
ging in nach hinten leicht ansteigender Linie eine Fissur, die vorn am
Supraorbitalrand und hinten oben im Os parietale endete. Der Ausschuss
befand sich als zackige grössere Oeffnung im rechten Os temporale nahe
seinem Margo frontalis. Eine auch hier sehr gut zu sehende Fissur zog
sich hinten oben vom Os temporale nach dem Proc. frontalis des Joch-
beins. Den Verlauf dieser Fissuren zu verfolgen, war im einfachen Röntgen-
bild entschieden schwerer als im Stereogramm. Bei einem Falle mit epi-
leptischen Krämpfen nach angeblich vor Jahren erlittenem Schädeltrauma
zeigte das stereoskopische Röntgenbild eine nicht ganz markstückgrosse
Impression des Schädeldaches. Der Knochen war an der betreffenden
Stelle nicht besonders tief eingedrückt; es war aber am stereoskopischen
Bild deutlich zu erkennen, dass er von der Schädeldecke abgetrennt und
etwas unter ihr lag.
Bei Schädelfrakturen und partiellen Zertrümmerungen sieht man die
Grösse der Knochenstücke wie auch die Lage der einzelnen Fragmente im
Stereobild greifbar vor sich liegen. Die Stereoröntgenogramme haben sich
bei unseren Verwundeten mit Kopfschissen derart bewährt, dass von jedem
Soldaten mit nicht. ganz klarem Befund sofort eine stereoskopische Auf-
nahme angefertigt wird. Besonders hei Kieferverletzungen, bei Schuss
durch die Orbita usw. klärt das Stereobild die ganzen Verhältnisse doch
viel einfacher und schneller auf, als selbst mehrere in den verschiedensten
Durchmessern aufgenommene einfache Platten, deren Deutung häufig nicht
geringe Uebung erfordert. Dasselbe gilt für den Nachweis und die Lokali-
sation von Geschossen oder Geschosstücken.
Ich möchte hier auf die Methoden der röntgenologischen Fremdkörper-
bestimmung nicht näher eingehen und besonders nicht auf den Wert dieser
Methoden. Sicher ist jedenfalls, dass die meisten derselben eine sehr
exakte Technik und eine nicht geringe Erfahrung in der Deutung von
Röntgenbildern erfordern. Wir haben jetzt in einer ganzen Anzahl von
Fällen mit Schädelschüssen uns der Röntgenstereoskopie bedient und sind
dabei zu dem Urteil gekommen, dass diese Methode selbst dem Ungeübtesten,
sofern er nur stereoskopisch sehen kann, es ermöglicht, sofort und ohne
Schwierigkeiten ein Geschoss im Schädel richtig zu lokalisieren. Dabei
spe) ®
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316 M. Weingaertner, Die Röntgenstereoskopie.
wurde nicht nur dieses bzw. seine Form und sein Sitz erkannt, sondern es
ergaben sich infolge der räumlichen Aufteilung des ganzen Schädels im
Stereobild stets noch Feinheiten, die im einfachen Bilde nicht oder nur
schwer bemerkt worden wären. So konnte der durch Metallspritzer häufig
erkennbare Schusskanal in seiner Richtung gut verfolgt werden, was bei
schrägem Verlauf desselben auf der einfachen Platte nicht immer leicht
sein dürfte. Wie die Kugeln, so wird jeder Fremdkörper von hinreichender
spezifischer Dichte im Stereobild hinsichtlich seines Sitzes, seiner Form
und seines Verlaufs genau erkannt. Deshalb eignet sich diese Methode
auch am besten zur Darstellung von in die Nebenhöhlen eingeführten
Sonden; wie Grashey u. a. nachgewiesen haben, kann das einfache Rönt-
genogramm oft zu Irrtümern führen, weil eine gar nicht in der Neben-
höhle liegende Sonde je nach der Strahlenrichtung in diese Höhle hinein-
projiziert erscheinen kann und umgekehrt. Das kann sich am Stereobild
nicht ereignen.
Bei Fremdkörpern z. B. im Bronchialbaum kann das Stereoröntgenbild
insofern wichtig sein, als es die Form und Richtung (besonders von vorn
nach hinten) des Corpus alienum angibt und uns damit auf die für die
Extraktion zweckmässigste Zugrichtung hinweist. Besonders bei schon
längere Zeit im Bronchus sitzenden Fremdkörpern, bei denen die Situation
infolge einer oberhalb des Fremdkörpers sitzenden Stenose bronchoskopisch
wenig übersichtlich ist, kann uns dieser Fingerzeig sehr nützlich sein.
Wenn man auch hie und da dieselbe Aufklärung über Form und Richtung
des Fremdkörpers mit Hilfe der einfachen Durchleuchtung erhalten kann,
so gibt es doch — wie die Erfahrung vielfach gelehrt hat — Fälle, in
denen die Durchleuchtung versagt oder, was noch schlimmer ist, zu Fehl-
schlüssen Veranlassung gibt. Die sicherste Methode ist stets die Röntgen-
aufnahme.
Dasselbe gilt auch für jene Fremdkörper, bei denen differentialdia-
gnostische Schwierigkeiten über den Sitz des Fremdkörpers, ob im Oeso-
phagus oder in der Trachea, bestehen. Ich konnte (vgl. Weingaertner,
‚Das Röntgenverfahren in der Laryngologie) zeigen, dass man in solchen
Fällen auf dem Stereoröntgenbild den hellen Trachealschatten vor dem
betreffenden Fremdkörper herabziehen sehen kann.
Das Stereobild des Thorax klärt uns auch über die Lage zweifelhafter
Schatten, Drüsenverdichtungen usw. auf. Es zeigt uns den Verlauf der
Aorta und die durch deren Ausdehnung mögliche Verengerung (Kompression)
des Oesophagus. Doch kann man hier mit der gewöhnlichen Durchleuchtung
häufig dasselbe auf einfachere Weise erfahren.
Schliesslich sei noch erwähnt, dass die Stereoröntgenbilder ausser-
ordentlich wertvolle Dienste leisten zum Studium und zur Demonstration
anatomischer Verhältnisse; ich erinnere nur an derartige Darstellungen
der injizierten Gefässe des Halsgebietes (Scheier), des injizierten Tracheal-
baumes (Beck, Brünings und Weingaertner, Stegmann) und der Ver-
knöcherungsvorgänge in Larynx und Trachea (Weingaertner).
M. Weingaertner, Die Röntgenstereoskopie. 317
Durch das dankenswerte Entgegenkommen der Redaktion und des
Verlages ist es mir möglich, einige meiner Stereoröntgenbilder hier zu
veröffentlichen. Es sei gleich betont, dass diese Bilder, obwohl sie auf die
technisch vollkommenste Art reproduziert sind, infolge der Verkleinerung
sehr viel an Feinheit und Zeichnung eingebüsst haben und den Original-
platten durchaus nicht gleichkommen. Die plastische Wirkung der grossen
Platten ist eine ungleich bessere.
Die Kopien sind am besten mit einem der gebräuchlichen kleinen
Prismen-Handstereoskope zu betrachten.
Bild I. (Tafel XII.)
E. W., 32 Jahre alt, mit Dakryostenose rechts. „Die Sonde gelangt bald auf
einen rauhen Widerstand.“ Es wurde Eröffnung des Tranensackes von der Nase
aus beschlossen, vor der Operation jedoch eine Röntgenaufnahme angefertigt. Man
sieht von vorn in den Schädel hinein. Medial am unteren Orbitalrand, etwas
hinter demselben eine Schrotkugel. Auf diesbezügliche Fragen erinnert sich die
Patientin, dass ihr vor etwa 3 Jahren, als ein Junge im Nachbargarten Spatzen
schoss, etwas gegen die Nase geflogen sei; es habo etwas geblutet, aber sonst
habe sie nichts bemerkt. Wenn nicht die Kugel selbst, so ist doch wohl sicherlich
das damalige Trauma in ursächlichen Zusammenhang zu bringen mit der jetzt
bestehenden Dakryostenose.
Man beachte die Konfiguration des Schädels, Orbitae, Kieferhöhlen, Joch-
beine. Die Stirnhöhle rechts nur schwach angedeutet, links nicht vorhanden.
Bild II. (Tafel XIII.)
G. K., 28 Jahre alt. Seit 8 Tagen starke Herabsetzung des Sehvermögens
links, Verdacht auf Neuritis retrobulbaris, klinisch kein Verdacht auf Nebenhöblen-
affektion. Röntgenbild: Man sieht von hinten in den Schädel hinein. Beide Sieb-
beine klar. Die Stirnhöblen scharf konturiert, klar, massig tief. Crista Galli liegt
relativ weit ab von der Stirn. Sehr schön kommen die beiden Recessus orbitales
zum Ausdruck, die weit nach hinten gehen. Felsenbeine und Occiput in die Kiefer-
höhlengegend projiziert.
Bild III. (Tafel XIV.)
E. B., 43 Jahre alt, mit temporaler Abblassung der Papillen und relativem,
zentralem Skotom beiderseits. Klinisch: Nebenhöhlen gesund. Im Röntgenbild ist
(Schädel von hinten nach vorn gesehen) die linke Kieferhöhle etwas verschleiert,
die Stirnhöhlen klein, scharf begrenzt. Siebbeine klar.
Diese Kopie ist absichtlich weiss gehalten, um sie dem Originalnegativ
möglichst ähnlich wiederzugeben; auf ihm sieht man den Keilbeinkörper und die
Ala magna und parva ausgezeichnet. Leider ist dies auf der Reproduktion nicht
so sehr der Fall. Immerhin verlohnt sich ein Blick auf die Foramina rotunda und
die drei Schädelgruben.
Im übrigen ersieht man aus diesem Bild, dass die als Negative reproduzierten
Bilder nicht so gut wirken wie die Positive. Zwar ist man von den Originalplatten
her vorwiegend die Betrachtung der Negative gewohnt, allein es besteht zwischen
Originalnegativ und Negativkopie so wenig Aehniichkeit, dass man die besser
wirkende positive Kopie vorzieht,
318 M. Weingaertner, Die Röntgenstereoskopie.
Bild IV. (Tafel XV.)
G. M., 18 Jabre alt. Chronische Stirnhöhleneiterung rechts. Röntgenbild von
vorn nach hinten. Rechte Stirnhöhle stark verdunkelt, Grenzen unscharf. Beide
Stirnhöhlen ziemlich tief. Crista Galli scheint fast in den Stirnhöhlen zu liegen.
Man beachte die Orbitae, Alae parvae, Kieferhöblen.
Die linke Hälfte des Bildes erscheint aber weniger deutlich und plastisch,
besonders ganz aussen; jedenfalls eine Folge der nicht exakten Einstellung bei
der Aufnahme; die rechte Schädelhälfte ist auf dem linken Bild etwas zu kurz
gekommen.
Bild V. (Tafel XVI.)
H. Sch., Wehrmann, 35 Jahre alt. Mitte Oktober 1914 auf dem westlichen
Kriegsschauplatz durch Schrapnellschuss verwundet.
Einschuss etwa l cm oberhalb des rechten inneren Augenwinkels. Kein Aus-
schuss. Zuerst Hämatom der Orbita. Augeninneres o. B.
Nach dem stereoskopischen Bild muss die Kugel in der rechten Kieferhöhle
sitzen. Jn Lokalanästhesie Entfernung der Kugel nach Eröffnung der Kieferhöhle
von der Fossa canina aus.
Man beachte einen kleinen Metallschatten in der Gegend der Einschussöffnung.
Bild VI. (Tafel XVII.)
Normales bitemporales Stereobild.
Man beachte besonders die Gegend der Sella turcica, die 3 Schadelgruben,
die Wirbelsäule und auch das Rachengebiet (Zungengrund, Gaumensegel, hintere
Rachenwand).
Eine weitere Erklärung des Bildes dürfte sich erübrigen.
Bild VII. (Tafel XVIII.)
A. L., 14 Jahre alt, Nasenrachenfibrom. Leider nicht so schön wie auf dem
Original, aber immerhin noch deutlich sieht man die untere Hälfte der Keilbein-
höhle von den Tumor ausgefüllt; die Wände der Keilbeinhöble vielleicht etwas
dünn; von da geht der Tumor schräg nach vorn, die hintere untere Hälfte der
Nase ausfüllend, und gerade nach hinten unten an der hinteren Rachenwand
entlang, bis beinahe auf den Zungengrund. Das untere Ende des Tumors besitzt
in der Mittellinie eine Einkerbung. Ganz schmale Luftpassage durch den Mund.
Sehr schöne Plastik des Gehirnschädels, des Unterkiefers und der Wirbelsäule.
Bild VIII. (Tafel XIX.)
F. K., 22 Jahre alt. Klinische Diagnose: Hypophysentumor. Röntgenbild:
Sella turcica nur schwach angedeutet duroh eine zarte, nach oben offene halbkreis-
förmige Linie. Die Proc. clinoid. ant. eben angedeutet, die Proc. clinoid. post.
nicht vorhanden. Starker Kontrast zwischen dem verdunkelten Sellagebiet und der
hellen, anscheinend von hinten nach vorne abgeflachten Keilbeinhöble.
Operation und Autopsie bestätigten den Befund.
Bild IX. (Tafel XX.)
Trachealverlagerung und Kompression von rechts her durch grosse Struma.
Man sieht von vorn in den Thorax hinein. Sternum, Claviculae, Rippen sehr
schön plastisch, die Trachea bis zum V. Brustwirbel deutlich zu verfolgen.
M. Weingaertner, Die Röntgenstereoskopie. 319
Bild X. (Tafel XXI.)
Nagel, seit etwa | Jahr im linken Bronchus eines 2°/, Jahre alten Kindes.
Extraktion in Schwebebronchoskopie. Man sieht von hinten in den Thorax hinein.
Die beiden grossen Bildpaare Xl und Xll sind in der von Hegener
angegebenen Weise (vgl. S. 312) zu betrachten.
Bild XI. (Tafel XXII.)
Ein 15 Jahre altes Mädchen, Suizidversuch, eine Revolverkugel in der Gegend
der linken Tonsille, die andere rechts oben in der Nase (später entfernt).
Beim Fixieren des rechten Bildes richtiges stereoskopischesBild, beim Fixieren
des linken Bildes (Spiegelfläche rechts) pscudostereoskopisches Bild. Bei ersterem
liegt die untere Kugel, bei letzterem die obere dem Beschauer näher.
Bild XII. (Tafel XXUL)
21 Jahre alte Frau mit Mukozele der linken Stirnhöhle, Einbruch in das linke
Siobbein; nach dessen Eröffnung Abfluss reichlichen, dicken, glasig-eitrigen Sekrets.
Beim Fixieren des rechten Bildes sieht man von vorn nach hinten in den
Schädel. Beim Fixieren des linken Bildes von hinten nach vorn sieht man in der
entgegengesetzten Richtung. Man beachte die birnenförmige Begrenzung der Muko-
zele, ferner die Verdrängung der medialen Orbitalwand. Crista Galli sehr deutlich.
Die Vorzüge des stereoskopischen Bildes werden hier bei Vergleich des einfachen
Bildes mit dem stereoskopischen besonders klar vor Augen geführt.
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Archiv f. Laryngologie. 29. Dd.
Taf. XXII.
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Aus der Kgl. Universitäts-Poliklinik für Nasen- und Kehlkopfkranke
in Würzburg. (Vorstand: Prof. Dr. Seifert.)
Grosses Knochenstück im Kehlkopf.
Von
Prof. Dr. Otto Seifert (Würzburg).
(Mit 2 Textfiguren.)
Am 1. Februar 1915 wurde in unsere Poliklinik von auswärts ein 13 jähriger
Knabe von seinem Vater gebracht mit folgenden Angaben:
Am Tage vorher (31. Januar) kam der Junge zu spät zum Mittagessen und
wollte möglichst rasch seine Suppe essen; schon sofort beim ersten Löffel voll
bekam er einen Erstickungsanfall, der den Vater gleich auf den Verdacht brachte,
dass der Junge einen Knochen verschluckt haben müsse. Der eiligst herbeigerufene
Arzt versuchte, den vermuteten Knochen mit dem Schlundstösser in den Magen
zu bringen; diese Manipulation brachte aber keinerlei Erleichterung.
Ein Arzt in der nächstgelegenen Stadt soll eine Röntgenaufnahme gemacht,
aber einen Fremdkörper nicht nachgewiesen haben.
Die Nacht vom 31. Januar auf 1. Februar sei infolge der schweren Atemnot
und der Hustenanfälle schrecklich gewesen. Schlingen unmöglich. Mit grosser
Mühe und ständiger Gefahr des Erstiokens konnte der Junge hierher gebracht
werden.
Status: Knabe, seinem Alter entsprechend entwickelt, kollabiert, hoch-
gradiger laryngealer Stridor, ständiger Husten. Schlucken unmöglich.
*Laryngoskopische Untersuchung erst möglich, nachdem der Rachen und der
Larynxeingang mit Kokainlösung bespült sind; nach der einigermassen durch-
geführten Anästhesierung lässt sich feststellen, dass ein grosses, dickes Knochen-
stück fest in den Kehlkopf eingekeilt ist. Die Abbildung (Fig. la) zeigt, dass der
Knochen noch etwas über den Larynxeingang berausragt und mit seiner Längs-
richtung parallel zu den Stimmlippen steht. Zwischen der linken spongiösen
Fläche des Knochens keinerlei Lumen wahrzunehmen, während zwischen der
rechten glatten Fläche des Knochens und der rechten Larynxhälfte noch ein ganz
schmaler Raum für die Atmung frei bleibt und die rechte Stimmlippe noch zu
übersehen ist, wenn auch nicht so deutlich, wie dies in der rasch aufgenommenen
Skizze dargestellt ist!). Schleimhaut über beiden Aryknorpeln leicht ödematös,
Epiglottis frei.
1) Das Oedem über den Aryknorpeln auf der Zeichnung ist nicht genügend
zur Darstellung gebracht,
322 Otto Seifert, Grosses Knochenstück im Larynx.
Nach nochmaliger Kokainbespülung des Larynxeingangs Versuch, den Knochen
mit der quergestellten Schrötterschen Zange zu extrahieren. Patient ist so elend,
dass er nicht selbst die Zunge halten kann, diese muss von einem Assistenten
fixiert werden. Der Knochen lässt sich zwar gut fassen, steckt aber so fest ein-
gekeilt, dass es erst bei fünfmaligem Zufassen und Fixieren des Zangengriffes mit
beiden Händen gelingt, den Knochen herauszuziehen. Nur ganz geringe Blutung.
Sofort nach der Extraktion freie Atmung.
Nach einigen Stunden hatte sich der Knabe einigermassen erholt, aber das
Schlucken noch sehr erschwert. Totale Aphonie.
Oedem der Aryknorpel noch das gleiche. Am vordersten Teile der rechten
Stimmlippe ein kleiner, fibrinös belegter Substanzverlust, die linke Stimmlippe
in ganzer Länge an ihrer Oberfläche mit fibrinösem Exsudat bedeckt.
6. Februar. Patient sollte am 2. Februar wiedergebracht werden zur Kontroll-
untersuchung; da aber sein Befinden in der Zwischenzeit auffallend gut geworden
Figur 1.
war, hatte der Vater eine so frühzeitige Nachuntersuchung nicht für erforderlich
gehalten. In den Zwischentagen war das Schlingen unbehindert, die Atmung ganz
frei, wenn auch die Stimme noch tonlos.
Heute Mittag ein Hustenanfall und dabei etwas Blut ausgespuckt.
Befund Abends 5 Uhr: Atmung frei, Schluckvermögen unbehindert, Aphonie
andauernd,
Laryngoskopischer Befund: ÖOedem über den Aryknorpeln beseitigt,
an der Vorderfläche der hinteren Larynxwand, von der Incisura interarytaenoidea
nach abwärts reichend, ein kleiner Substanzverlust, aus welchem offenbar die
kleine Blutung erfolgt war. Die oberflächlichen Defekte an den Stimmlippen noch
mit fibrinösem Belag bedeckt.
Ueber das weitere Schicksal des Patienten ist nichts mehr bekannt; da er
nicht mehr zu uns gebracht wurde, ist anzunehmen, dass völlige Heilung erfolgte.
Das extrahierte Knochenstück, Fragment von einem Rinderknochen, besitzt
an der nach oben zu gerichtet gewesenen Kante eine Länge von 13 mm, an der
nach vorn zu gerichteten eine Länge von 13 mm, an der in die Vorderfläche der
hinteren Larynxwand eingekeilt gewesenen Kante eine Länge von 10 mm. Die
untere, auf der linken Stimmlippe aufgelagert gewesene Kante besitzt eine Länge
von 12 mm, die grösste Dicke beträgt 8 mm. Der scharfkantige Vorsprung an der
vorderen unteren Kante mag bei dem ständigen Husten an der rechten Stimmlippe
eine kleine oberflächliche Verletzung gesetzt haben, An der Zeichnung 1b ist die
Otto Seifert, Grosses Knochenstiick im Larynx. 323
nach der linken Kehlkopfhalfte gerichtete Spongiosa des Knochens dargestellt, die
auch auf Fig. la bei der Lagerung des Knochens im Larynx zu sehen ist.
Aus der Betrachtung dieses Falles und an der Hand der vorliegenden
Literatur ergibt sich manches interessante Moment.
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Manipulation
des erst konsultierten Arztes die allerunzweckmässigste war. Die einfachste
Ueberlegung hätte diesem doch sagen müssen, dass bei dem auffälligsten
Symptom, der Erstickungsnot, für die Lagerung eines Knochenstückes nicht
der Oesophagus, sondern der Kehlkopfeingang oder das Kehlkopfinnere in
Betracht kommen musste. Was in einem solchen Falle die Anwendung
des Schlundstössers bezwecken sollte, ist vollkommen unklar. Zweifellos
richtiger und weitaus ungefährlicher würde ein Eingehen mit dem Finger
in den Schlund, die Digitalexploration, gewesen sein, und es wäre wohl
auch gelungen, auf diese Weise den vielleicht noch gar nicht fest ein-
gekeilten Fremdkörper zu entfernen. In einem Falle von Solis-Cohen!)
war der Patient selbst so klug, mit dem Finger einzugehen und damit
das im Kehlkopfeingang sitzende Knochenstück herauszuholen. (Dass hier
das Knochenstück nicht etwa locker im Rachen lag, geht daraus hervor,
dass schon kurze Zeit nach der Entfernung des Fremdkörpers ein nicht
unbeträchtliches Oederk des Kehlkopfeingangs von Solis-Cohen konstatiert
werden konnte.)
Wenn sich bei der Digitalexploration auch schon eine feste Einkeilung
des Knochenstücks in den Larynxeingang ergeben hätte, so würde doch auf
diese einfache Weise vor allem die Lage des Fremdkörpers und die zweifel-
lose Nutzlosigkeit der Einführung eines Schlundstössers sich erwiesen haben.
Es musste dann dem betreffenden Arzte ohne weiteres der Gedanke ge-
kommen sein (auch ohne genaue Literaturkenntnis), dass es vielleicht
gelingen möchte, mit einer entlang dem Finger eingeführten gebogenen Korn-
zange den Fremdkörper zu fassen und zu extrahieren, wie es Emerson?)
und v. Bókay?) glückte. Ersterer brachte auf diese Weise bei einem
14jährigen Farbigen ein Stück Hühnerknochen und letzterer bei einem
8jährigen Knaben ebenfalls einen Hühnerknochen aus dem Larynx. Dass
man auch ohne Instrument, nur mit Hilfe des Fingers, einen eingekeilten
spitzigen Knochen aus dem Kehlkopf herausbringen kann, beweist die Mit-
teilung von Hirschmann). Diesem wurde ein 3jähriges Kind, den beim
Essen der Suppe ein Stück Knochen in die falsche Kehle geraten war, mit
den Zeichen der höchsten Atemnot zugeführt. Da von einer Spiegelunter-
suchung nicht die Rede sein konnte, griff Hirschmannt), bevor er an
die Vornahme der dringlich erscheinenden Tracheotomie ging, mit dem
Finger in den Hals, fühlte dicht hinter der Epiglottis ein Knochenstück
1) Solis-Cohen, Philadelphia med. News. 19. Dec. 1885.
2) Emerson, The Laryngoscope. April 1910.
3) v. Bokay, Orvosi Hetilap. 1897. 40, 41.
4) Hirschmann, Münchener med. Wochenschr. 1900. S, 478.
324 Otto Seifert, Grosses Knochenstück im Larynx.
und grub den mit seinen stellenweise scharfen Rändern in die Schleimhaut
des Larynx eingepressten Fremdkörper mit der gekrümmten Fingerspitze
heraus. Von einer gleichen Geistesgegenwart seiner Frau berichtet Röpke!).
Sein 2jähriges Kind hatte während eines Keuchhustenanfalls einen Speise-
brocken in den Kehlkopf bekommen. Die Mutter hing das Kindchen mit
dem Kopf über die Schulter und beförderte mit dem Zeigefinger den
Brocken aus dem Kehlkopf heraus. Capart?) gelang es, nach voraus-
gegangener Tracheotomie bei einem 11jaéhrigen Knaben mit dem Finger
einen 2 cm langen und 1,5 cm breiten Knochen aus dem Larynx zu ent-
fernen.
Wenn auch in unserm Falle die Digitalexploration und darauf folgender
Fingerextraktionsversuch nicht ein gleich günstiges Resultat ergeben haben
würde, so müsste doch dabei der Knochen gefühlt worden sein und die
Indikation zur Tracheotomie anstatt zur Einführung des unglückseligen
Schlundstössers sich ergeben haben. Canepele?) konstatierte auf diese
Weise ein Knochenstück im Kehlkopf eines 9 Monate alten Kindes, Tracheo-
tomie. Nachher mit Hilfe der Laryngofissur Entfernung eines Knochen-
stückes von einem Hühnerkopf.
Es ist ausserordentlich zu bedauern, dass die so gefährlichen Instru-
mente, wie Münzenfänger, Schlundstösser, noch nicht aus dem Instrumen-
tarium der Aerzte ausgeschaltet sind. Welche Schädigungen durch der-
artige Instrumente gesetzt werden, habe ich in einer Dissertation von
Kees‘) durch ein typisches Beispiel erläutern lassen. Den von Sieben-
mann), Schmiegelow), Voss?) (Warnung vor der Schlundsonde),
A. T. Jurasz®), Körner°®), Reuter!) u. a. erhobenen Warnungen ist
offenbar noch nicht genügend Beachtung geschenkt worden.
Nur insofern mag der Eingriff von seiten des ersten Arztes noch relativ
gut abgelaufen sein, als der anfangs wahrscheinlich den Larynxeingang
zum grössten Teil verdeckende Fremdkörper durch den Druck des Schlund-
stéssers in eine derartige Lage gebracht wurde, dass wenigstens auf der
einen, der glatten Seite des Knochensplitters, noch einigermassen genügend
Platz für die Atmungsluft geschaffen war. Die weitere dadurch bedingte
festere Einkeilung des Knochens führte freilich auch wieder zu Oedem
über den Aryknorpeln und zu Läsionen der Stimmlippen, dazu trug
natürlich auch der ständige Husten sein gutes Teil bei.
1) Röpke, Archiv f. Laryngol. 1903. Bd. 14. S. 190.
2) Capart, La clinique. 1890. 3.
3) Canépele, Boll. d. mal. dell’ orecchio. 1907. IV.
4) Kees, Ueber Fremdkörper im Oesophagus. Dissert. Würzburg 1914.
5) Siebenmann, Korrespondenzbl. f. Schweizer Aerzte. 1906. 23.
6) Schmiegelow, Archiv f. Laryngol. 1908. 20.
T) Voss, Zeitschr. f. Ohrenheilkde. Bd. 66.
8) A. T. Jurasz, Medizinische Klinik. 1912. 31.
9) Körner, Zeitschr. f. Ohrenheilk. Bd. 64.
10) Reuter, Zeitschr. f. Ohrenheilkde. Bd. 64.
Otto Seifert, Grosses Knochenstück im Larynx. 325
Querlagerungen grösserer Knochenstücke (wie anderer voluminéser Fremd-
körper, z. B. Fleischbissen) können bekanntlich zu sofortigem Erstickungs-
tode führen. Das merkwürdigste Beispiel für einen auf solche Weise herbei-
geführten Exitus ist die Beobachtung von Coupland!), nach welcher bei
einem an tertiärer Syphilis leidenden Manne ein Stück nekrotischen Knochen-
stückes aus der Schädelbasis auf den Larynxeingang fiel und den Kranken
erstickte.
Nach einer anderen Richtung hin merkwürdig ist die Beobachtung von
Galebski?). Bei einem 42jährigen Manne hühnereigrosses, ulzerös zer-
fallenes Carcinom links an der Aussenseite des Larynx. Bei der Sektion
wurde in der Mitte des Zerfallsherdes ein derber Fremdkörper gefunden.
der einen usurierten Knochen darstellte. Während des Lebens war von
diesem Fremdkörper nichts wahrgenommen worden, es konnte auch nicht
festgestellt werden, wie lange der Knochen an dieser Stelle gelegen hatte.
Die Beobachtungen über Einkeilungen von grossen Knochenstücken in
das Lumen des Larynx, wie in dem oben mitgeteilten Falle, gehören zu
den Seltenheiten. Der Fall von Taylor und Golding-Bird?) kann nur
insofern zum Vergleiche herangezogen werden, als ein Knochenstück genau
in sagittaler Richtung, direkt unter den Stimmlippen eingekeilt, 4 Monate
lang ertragen worden war, ohne wesentlichere Beschwerden als Husten
hervorzurufen. Thyreocricotomie, Entfernung des Fremdkörpers. In welcher
Lage sich der von Przedborski*) bei einem 35jährigen Manne aus dem
‘subglottischen Raum mit Hilfe der Schrötterschen Pinzette entfernte
Knochen befand, lässt sich aus dem betr. Referat nicht ersehen. Jedoch
kann man bei den Dimensionen dieses Knochens (3 cm lang und 3,5 em
breit) annehmen, dass die Respiration nur dadurch noch einigermassen
ermöglicht wurde, dass der Knochen in sagittaler Richtung eingekeilt war.
Eine gleiche Annahme ergibt sich auch für die Fälle von Rundle°)
(9jähriges Kind, Hühnerknochen im Larynx, Tracheotomie), Koch®) (Kalbs-
knochen zwischen den Stimmlippen eingeklemmt, Tracheotomie), Smyly”)
(Knochenstück, nahezu 1 Monat im Larynx eingekeilt, mit der Zange ent-
fernt), Hofmokl®) (3jähriges Kind, Knochen 12 mm lang, 5 mm breit,
Laryngotracheotomie), Hall?) (2jähriges Kind, an Erstickungsanfällen
leidend, nach 2 Monaten mit Hilfe der Laryngotomie ein grosses Knochen-
stück entfernt), Ost!) (zwei Knochensplitter aus dem Larynx entfernt),
1) Coupland, Brit. med. Journ. 7. VI. 1884.
2) Galebski, Internat. Zentralbl. f. Laryngol. 1914. S. 42.
3) Taylor and Golding-Bird, Brit. med. Journ. 17. III. 1884.
4) Przedborski, Gazeta lekarska. 1894. 35.
5) Rundle, Brit. med. Journ. 26. XI. 1892.
6) Koch, Annal. d. mal. de l’oreille usw. Juli 1892.
7) Smyly, Journ. of Laryngol. April 1893.
8) Hofmokl, Internat. Zentralbl. f. Laryngol. 4. Jahrg. S. 448.
9) Hall, New York med. Record. 21. Ill. 1885.
10) Ost, Schweizer Korrespondenzbl. 1885. 22.
326 Otto Seifert, Grosses Knochenstiick im Larynx.
Zutarski!) (15jähriger Knabe, Knochensplitter, 2 cm lang und 1,5 cm
breit, unterhalb der Stimmlippen eingekeilt, Tracheotomie, Fremdkörper
durch die Tracheotomiewunde entfernt), Cisneros?) (Hühnerknochen im
Larynx, Tracheothyreotomie), Wigg?) (4jähriger Knabe, Knochenstück
zwischen die Stimmlippen eingekeilt, in die Trachea reichend, Tracheo-
tomie), Hödlmosert) (Y9jähriger Knabe, heftige Atembeschwerden, Knochen-
stück mit der Zange entfernt), O'Kinealy°) (Knochenstück, seit 5 Monaten
im Larynx, Entfernung mit der Zange), Freidenson®) (Knochenstück,
3 Wochen lang zwischen den Stimmlippen eingekeilt, Extraktion mit der
Fauvelschen Zange), Hovell’) (33jährige Frau, Knochenstück, seit 2 Mo-
naten direkt unter den Stimmlippen eingekeilt, Extraktion mit der Zange),
Beregsäsey®) (Knochenstück, unmittelbar unter den Stimmlippen ein-
gekeilt, Aphonie, Atembeschwerden, Schmerzen beim Schlucken, Extraktion),
Jurasz®) (3jähriges Kind, Hühnerknochen im Larynx, in leichter Chloro-
formnarkose Extraktion mit einer Pinzette), Guthrie!) (flaches Knochen-
stück, 21/ X 2 cm Umfang, 3 Wochen lang in der Glottisspalte eines
erwachsenen Mannes eingekeilt, Heiserkeit, jedoch keine Dyspnoe, Ent-
fernung mittels indirekter Methode), Reyot et Joicau!!) (22 Monate altes
Kind, Rebhuhnknéchelchen im Larynx, wegen Erstickungsgefahr Tracheo-
tomie, nachher der Fremdkörper in Chloroformnarkose entfernt), Nikitin!?)
(36jähriger Mann, gabelförmiger Hühnerknochen, am 4. Tage ausgehustet),
Dunn!) (ungewöhnlich grosser Knochen, Heiserkeit und Schluckschmerz, aber
keine Dyspnoe. Nur mit Gewalt gelang es, den Knochen zu extrahieren),
Bindi!*) (12jähriger Knabe, Knochenstiück von viereckiger Gestalt, grössere
Seite mass 18 mm, seit 21 Tagen im Larynx gelegen, Thyreotomie),
Timmer!5) (Kind mit einem Knochenfragment im Larynx, Tracheotomie),
Pick!®) (Spongiosa eines Rinderknochens, lange Zeit unter der Epiglottis
eingekeilt, ohne grössere Beschwerden zu verursachen), Maltese!) (Stück
l) Zutarski, Przeglad Lekarska. 1912. 17.
2) Cisneros, Bolet. de Laringol. 1902. 9.
3) Wigg, Australian Med. Gaz. April 1898.
4) Hödlmoser, Wiener klin. Wochenschr. 1905. 13.
9) O’Kinealy, Londoner laryngol. Gesellsch. 4. Dez. 1903.
6) Freidenson, Gazeta lekarska. 1889. 12.
7) Hovell, Brit. med. Journ. 16. XI. 1889.
8) Beregsäscy, Internat. klin. Rundschau. 1888. 26.
9) Jurasz, Monatssohr. f. Ohrenbeilkde. 1886. 12.
10) Guthrie, Liverp. med. chir. Journ. Juli 1912.
11) Reyot et Joicau, Gaz. med. d. Nantes. 1907. 7.
12) Nikitin, Internat. Zentralbl. f. Laryngol. 1907. S. 113.
13) Dunn, Virg. med. Semi-Monthly. Nov. 1905.
14) Bindi, Gaz. degli osped. 1909. 7.
15) Timmer, Ned. Tijdschr. v. Geneesk. 1896. 8.
16) F. Pick, Wiener klin. Wochenschr. 1911. 28.
17) Maltese, Internat. Zentralbl. f. Laryngol. 1911. S. 39.
m
Otto Seifert, Grosses Knochenstück im Larynx. 32%
Hithnerknochen, im Larynx festgekeilt, Laryngofissur), Botella!) (volumi-
nöser Knochen, in den Kehlkopfeingang eingelagert, Entfernung auf natiir-
lichem Wege), Blanc?) (voluminéses Knochenstiick im Larynxeingang,
Extraktion), Taylor?) (Knochenstiick, 4 Monate im subglottischen Raume
eingekeilt, Thyreocricotomie), Chapmannt) (6 Monate altes Kind, Knochen
im subglottischen Raume, Tracheotomie), Ziegelmayer°) (65jähriger
Mann, Knochenstück, mehrere Monate im Larynx eingekeilt ohne wesent-
liche Beschwerden, durch einen Hustenanfall während einer Inhalation
herausgebracht), Schaeffer®) (4jähriger Knabe, in Chloroformnarkose ein
12 mm langes Knochenstück extrahiert), Peries (Laryngotomie, um ein
parallel den Stimmlippen in den unteren Kehlkopfraum eingekeiltes Knochen-
stick zu entfernen), Marsh’) (33jähriger Mann, Laryngotomie).
Wie ausserordentlich lange Zeit derartige Fremdkörper im Kehlkopf
getragen werden können, wird am besten durch die von Grossmann®)
mitgeteilte Beobachtung illustriert, wonach eine 56 jährige Frau seit 6 Jahren
ein Knochenstück im Larynx beherbergte. Sie war durch andauernden
Husten und Atemnot in einen derartigen Marasmus verfallen, dass sie
diesem trotz der auf endolaryngealem Wege gelungenen Entfernung des
Knochenstückes erlag.
Auf die merkwürdige Toleranz des Larynx gegenüber derartigen Fremd-
körpern ist mehrfach hingewiesen, aber noch auffallender erscheint doch
die merkwürdige Tatsache, dass trotz der Scharfkantigkeit von aspirierten
Knochenstücken schwerere Läsionen des Larynx relativ selten zur Beob-
achtung gelangen, wie Oedeme und Eiterungen. In einem Falle von
Baumgarten?) hatte ein im Sinus pyriformis eingekeilter, 10 cm langer
und 5 mm breiter und dicker Knochen Oedem der betr. Kehlkopfhälfte
und Eiterung verursacht. Koschier!P) berichtet über einen 7jährigen
Knaben, bei welchem ein im Kehlkopf eingekeilt gewesener Gänseknochen
einen Abszess am Petiolus epiglotticus hervorgerufen hatte. Koenigstein!!)
hebelte mit der Sonde ein 3cm langes und 2 cm breites Knochenstück
aus dem Sinus pyriformis heraus, durch welches hochgradiges Oedem des
Larynxeingangs bedingt war.
Bei lange Zeit im Innern des Larynx verweilenden Knochenfragmenten
vermögen durch den mechanischen Reiz der Knochenkante derartige umfang-
1) Botella, Bolet. d. Laringol. 1902.
2) Blanc, Therap. contemp. 1885. 35.
3) Taylor, Brit. med. Journ. 1884.
4) Chapmann, New York med. Record. 1885.
5) Ziegelmayer, Internat. Zentralbl. f. Laryngol. 1887.
6) Schaeffer, Monatsschr. f. Ohrenheilkde. 1890. 6.
7) Marsh, Brit. laryng. assoc. 8. XII. 1893.
8) Grossmann, Allg. Wiener med. Zeitung. 1884. 39, 40.
9) Baumgarton, Budap. orvosi ujsag. 1909. 14.
10) Koschier, Wiener laryngol. Gesellsch. 5. XI. 1896.
11) Koenigstein, Internat. Zentralbl. f. Laryngol. 1912. S. 392.
328 Otto Seifert, Grosses Knochenstück im Larynx.
reiche tumorartige Granulationsmassen sich zu bilden, wie in dem von
Glas!) beschriebenen und illustrierten Fall. Ein 11jähriger Knabe hatte
einen Hühnerknochen 11 Monate lang in sagittaler Richtung zwischen die
Stimmlippen eingekeilt getragen. Die interarytaenoideale Fremdkörper-
granulationsmasse ging nach der auf endolaryngealem Wege geglückten
Entfernung des Knochens rasch zurück.
In bezug auf die vollkommen sagittale Lage des Knochenstückes
zwischen den Stimmlippen stimmt diese Beobachtung von Glas!) überein
mit der eingangs von uns mitgeteilten, aber noch mehr mit einer früheren
Mitteilung von Seifert?), welche, abgesehen von der umfangreichen Fremd-
körpergranulationsmasse, nur in wenigen Punkten von dem Glasschen
Falle abweicht (Fig. 2a). Ein 6jähriger Knabe hatte während des Essens
einen Knochen aspiriert und diesen 6 Monate lang getragen. Die Störungen
Figur 2.
bestanden in Husten und Heiserkeit ohne auffällige Dyspnoe. In die Glottis-
spalte, genau wie in dem Falle von Glas!), ein schmales Knochenstück
derart eingekeilt, dass rechts und links davon vollkommen genügend Luft
hindurchtreten konnte. Nach lokaler Kokainanästhesie Extraktion des
Fremdkörpers mit der Schrötterschen Zange, geringe Blutung. Umfang-
reiche Granulationsmassen hatten sich hier an der vorderen Kommissur
entwickelt. Das schmale dreieckige Knochenstück war 15 mm, an den
kürzeren Seiten je 12 mm lang (s. Fig. 2b). Der Knabe wurde längere
Zeit (von einem Spezialisten) mit der Diagnose Laryngitis chronica behandelt,
also eine gewisse Aehnlichkeit mit dem Patienten von Pick?) (15jähriger
Knabe), der wegen angeblicher Diphtherie tracheotomiert worden war.
Nach vielen Monaten begann Pick mit Dilatationsbehandlung der Stenose,
worauf dann eines Tages ein Stück eines Röhrenknochens ausgehustet wurde.
Dieses hatte + cm unter der Glottis gelegen (Röntgenaufnahme). Der
Knabe erinnerte sich erst nachträglich, dass er etwa ein halbes Jahr vor
l) Glas, Monatsschr. f. Ohrenheilkunde. 1913. S. 164. — Wiener klin.
Wochenschr. 1910. 18.
2) Seifert, Rev. d. laryngol. 1893. 1.
3) Pick, Ver. deutscher Laryngologen. Kiel 1914.
Otto Seifert, Grosses Knochenstück im Larynx. 329
dem Auftreten der als Diphtherie gedeuteten Halsbeschwerden ein Knochen-
stück aspiriert hatte. In dem Falle von Sargnon!), in welchem ein
Knochenstück aus dem subglottischen Raum nach der Tracheotomie entfernt
“worden war, hatte die Röntgenaufnahme einen negativen Befund ergeben.
Ueber die Form und Grösse des von einem 19jährigen Mädchen aspirierten
Hühnerknochens, der gerade in der Mittellinie des Larynx lag, das eine
Ende oberhalb, das andere Ende unterhalb der Stimmlippen fest eingekeilt,
wird von Rose?) nichts Näheres angegeben.
In der Mehrzahl: der beschriebenen Fälle gelang die Extraktion der
Knochenstiicke auf indirektem, in einigen auf direktem Wege mit dem
Finger oder unter dessen Führung mit der Zange. Einen grossen Vorteil
gewährt ohne Zweifel die direkte Killiansche Laryngoskopie bzw. die
Killiansche Schwebelaryngoskopie. Marschik?) demonstrierte einen
daumengliedgrossen Knochen, den er mittels direkter Laryngoskopie aus
der Ringknorpelenge des Larynx entfernt hatte. Bei hochgradigen Stenose-
erscheinungen wird die Tracheotomie nicht zu umgehen sein, unter Um-
ständen lässt sich von der Tracheotomiewunde aus der allzufest eingekeilte
Knochen lockern, oder nach der Tracheotomie mit (indirekter oder) direkter
Methode [Wittmaackt®): a) 2jähriges Kind, grosser Knochenwirbel eines
Aales aus dem unteren Kehlkopfraum mit der Krallenzange entfernt;
b) 11 Monate altes Kind, Knochenstück quer in die Stimmritze eingekeilt,
Extraktion mit der Krallenzange]. Downie*) ging in der Weise vor,
dass er von der Tracheotomiewunde aus einen Gazestreifen nach oben zu
durch den Kehlkopf zog, zum Munde herausführte und damit das Knochen-
stück entfernte.
Ob in jenen Fällen, in welchen die Laryngofissur vorgenommen wurde.
nicht auch ein anderer Weg zum Ziele geführt haben würde, soll dahin-
gestellt bleiben.
Quergelagerte Knochenfragmente mögen wohl manchmal der indirekten
oder direkten Extraktion Schwierigkeiten bereiten. In einem Falle von
Brunner) wurde ein quer über den Stimmlippen eingekeilter Suppen-
knochensplitter, im Falle von Hirschmann’) bei einem alten Herrn das
scharfe Ende eines Stückes von einer Hasenrippe, quer im Larynxeingang
eingekeilt, im Falle von Sargnon®) ein 6 cm langer Hühnerknochen, quer
über den Aryknorpeln eingekeilt, in einem ähnlichen Falle von A. Blumen-
thal®) ein Knochen, quer zwischen die aryepiglottische Falte eingekeilt,
1) Sargnon, Lyon med. 1912.
2) Rose, Internat. Zentralbl. f. Laryngol. 1909, S. 94.
3) Marschik, Wiener laryngol. Gesellsch. 9. April 1913.
4) Wittmaack, Korrespondenzbl. f. Thiiringen, 1911. 2.
5) Downie, Glasgow med. Journ. Okt. 1908.
6) Brunner, Dissert. Zürich 1896.
7) Hirschmann, Miinchener med. Wochenschr. 1900. Nr. 14. S. 478.
8) Sargnon, Soc. d. sciences méd. d. Lyon. 13. VI. 1906.
9) A. Blumenthal, American med. Assoc. 30. VII. 1902.
Archiv fur Laryngologie. 29. Bd. 3. Heft. 23
330 Otto Seifert, Grosses Knochenstiick im Larynx.
auf indirektem Wege mit der Zange entfernt. In einzelnen Fällen fanden
sich Knochensplitter quer oder schräg derart festgelegt, dass nur das eine
besonders spitzige Ende (meist in den Ventrikel) in die Schleimhaut ein-
gedrungen war, während das andere Ende frei in das Lumen des Larynx
hineinragte: Newman!) (Knochensplitter, aus dem linken Ventrikel mit
der Zange entfernt), Brunetti?) (42jährige Frau, Hühnerknochen, dessen
eines Ende im linken Ventrikel, dessen anderes Ende frei im Larynx gegen
den rechten Aryknorpel zu gerichtet lag. Zangenextraktion. Auffallender-
weise kein Husten, keine Dyspnoe, nur stechendes Schmerzgefühl), Hopkins?)
(keilförmiges Knochenstück, die scharfe Spitze in den rechten Ventrikel
eingepresst. Lockerung mit der Sonde, 5 Tage nachher wurde das Knochen-
stück ausgehustet).
Runde Knochenstücke. von einer Fischwirbelsäule stammend, gehören
zu den Raritäten: Schiffers*) (3jähriger Knabe, Stück einer Fischwirbel-
säule zwischen die Stimmlippen eingeklemmt, Tracheotomie), Sharkey®)
(1jähriges Kind, Fischwirbel im Kehlkopf, Tracheotomie, Extraktion).
Die praktische Bedeutung dieser Art von Fremdkörpern im Larynx
mag für die Ausführlichkeit dieser kleinen Studie zur Entschuldigung
dienen.
1) Newman, Glasgow med. Journ. Febr. 1885.
2) Brunetti, Riv. Veneta d. sc. med. 15. XI. 1912.
3) Hopkins, Boston med. and surg. Journ. 26. X. 1893.
4) Schiffers, Ann. de la soc. med. chir. de Liege. 1897. 2.
5) Sharkey, Brit. med. Journ. 8. III. 1884.
XNI.
Aus dem Festungs-Hauptlazarett Königsberg i. Pr.
Ueber Schussverletzungen der oberen Luftwege
und benachbarter Teile.')
Von
Prof. Gerber,
zurzeit ordinierender Arzt der Ohren-, Hals- und Nasenstäation.
(Hierzu Tafeln NXIV—XLI und 9 Texttiguren.)
M. H.! Als ich seinerzeit gleich auf die erste Aufforderung unseres
verehrten Herrn Vorsitzenden zu Kriegsvorträgen mich bereit erklärte, über
Schussverletzungen der Luftwege und des Ohres hier im Verein etwas mit-
zuteilen. konnte ich nicht ahnen, dass sich der Betrieb auf der Ohren-
station des Festungshauptlazarettes so gestalten würde, wie er sich in der
Tat in der letzten Zeit gestaltet hat. Müssig sind wir allerdings dort von
Anfang an nie gewesen: die tägliche Frequenz der ambulanten Kranken
aber hat sich, je mehr es in den Herbst und Winter hineinging, in einer
Weise gesteigert, dass zu einer genauen Beobachtung und gar wissenschaft-
lichen Bearbeitung der traumatischen Fälle keine Zeit und Möglichkeit
mehr blieb. Vom Morgen des zweiten Mobilmachungstages an, seit dem
ich die Station versehe — und zwar in den ersten Wochen ohne jede
Assistenz — sind bisher?) über 3000 Fälle, genau 3119 (4475) Fälle oto-
skopisch, rhinoskopisch und laryngoskopisch untersucht bzw. behandelt
worden, was — einschliesslich der Gehörprüfungen für die Diensttauglich-
keit — natürlich nur mit grossem Zeitaufwand zu leisten war.
Stationär behandelt wurden 647 (752) Fälle. Von zahllosen kleinen
Eingriffen abgesehen, wurden grössere Operationen in 21 Fällen ausgeführt.
Die tägliche Frequenz aber der zu untersuchenden und behandelnden
Fälle beläuft sich auf 150 bis 200! Dass bei solchen Zahlen die wissen-
schaftliche Verwertung auch nur sporadisch zur Beobachtung kommender
Verletzungen zurückstehen muss, werden Sie verstehen. Geht es doch ge-
wiss vielen anderen der an den Lazaretten tätigen Herren Kollegen ebenso!
1) Nach einem Kriegsvortrag, gehalten im Verein für wissenschaftliche Heil-
kunde zu Königsberg, im Januar 1915.
2) Die Zahlen in Klammern geben den Bestand bei Abschluss der Arbeit
wieder.
23*
332 P. Gerber, Ueber Schussverletzungen der oberen Luftwege.
Die Sichtung und Bearbeitung des Materials muss also ruhigeren Zeiten
vorbehalten bleiben — inter arma silent musae —, und nur, weil
das Thema schon angeschniten ist, will ich in Kürze einige Beispiele aus
unseren Beobachtungen beisteuern, die ich Sie bitte nur als pRonmareriai
aufzufassen und mit Nachsicht zu beurteilen.
Im Verhältnis zu den obengenannten Zahlen ist die Zahl der auf der
Station zur Beobachtung gekommenen Schussverletzungen scheinbar sehr
gering. Es sind nämlich notiert worden: Verletzungen des Ohres bzw. Ge-
hörschädigungen durch Schuss 73, der Nase und ihrer Adnexe 54, des
Halses bzw. des Kehlkopfs und der Luftröhre 13. Dass das — absolut
genommen — grosse Zahlen sind, werden Sie daraus entnehmen können,
dass 1870/71 laut Sanitätsbericht über das deutsche Heer nur 83 Geschoss-
verletzungen der Nase überhaupt berichtet sind. Es werden also die Er-
fahrungen dieses Krieges auch in dieser Beziehung ersichtlich ganz andere
Resultate ergeben.
Das hat verschiedene Gründe: einmal gab es 1870/71 noch keine
Rhino-Laryngologie im heutigen Sinne; es gab ferner noch keine Röntgeno-
logie und so ist sicher sehr viel der Beobachtung entgangen und nur die
groben äusseren Veränderungen sind wahrgenommen und notiert worden.
Dann aber sind nicht nur Geschütze und Geschosse ganz andere ge-
worden, sondern auch die Art des Kampfes. Die Stellungskämpfe
in den Schützengräben, die den gegenwärtigen grossen Krieg charakteri-
sieren, werden gerade Kopf und Hals oft allein zum Ziel- und Treffpunkt
der Kugeln machen. Somit gilt das von der Nase Gesagte auch für den
Kehlkopf. Sind im ganzen Kriege 1870/71 nur 43 Kehlkopfschüsse beob-
achtet worden, so wird sich diese Zahl jetzt voraussichtlich um ein Viel-
faches vermehren.
Während also bisher nur ganz spärliche vereinzelte Beobachtungen
über Schussverletzungen der Luftwege in rhino-laryngologischer Bearbeitung
in der Literatur überhaupt vorhanden sind, kann man jetzt schon — wenn
auch freilich noch mit einem gewissen Vorbehalt — daran gehen, sich über
die verschiedenen hier in Betracht kommenden Möglichkeiten zu orientieren,
etwas Ordnung in die Beobachtungen zu bringen, ja, schon eine Art von
vorläufiger Systematik’ zu versuchen.
So verschieden die beiden Tore des Respirationstraktus an sich auch
sind, so bieten die Schussverletzungen beider Organe gewisse Analoga und
man kann sie in paralleler Ordnung nebeneinander stellen. Im grossen
und ganzen können wir hier wie dort 3 grosse Kategorien auseinander-
halten, die ich etwa folgendermassen bezeichnen möchte:
1. Tangierende Schüsse, Streif- und Konturschüsse, die nur
das Integument oder äussere Teile des Organs verletzen, die eigentliche
Höhle aber respektieren und damit auch die Organfunktion garnicht oder
doch nicht wesentlich beeinträchtigen.
2. Perforierende Schüsse, darunter hauptsächlich Querschüsse,
„Tunnelschüsse*. die das Organ von einer Seite zur anderen durchbohren
P. Gerber, Ueber Schussverletzungen der oberen Luftwege. 333
und — je nach dem Sitz — die Funktion mehr oder weniger beein-
trächtigen oder aufheben, durch Komplikationen aber auch schon das
Leben gefährden können. Und schliesslich
3. Destruierende Schüsse, die das Gerüst von Nase und Kehlkopf
derartig zerstören, dass die Funktion immer und — wegen der Nachbar-
verletzungen, bei der Nase Auge und Gehirn, beim Kehlkopf grosse Ge-
fässe, Oesophagus, Schilddrüse — meist auch das Leben bedrohen.
Natürlich bestehen in mancher Hinsicht zwischen Nase und Kehlkopf
bedeutende Unterschiede: so werden die tangierenden Geschosse der ersten
Kategorie an der Nase, wenn sie z. B. die ganze Nasenspitze wegnehmen,
recht hässliche Entstellungen zurücklassen, was am Kehlkopf nicht in dieser
Weise der Fall sein wird, während wiederum die zweite Kategorie, die
perforierenden Schüsse, am Kehlkopf — wenn sie ihn auch nur zum Teil
durchschlagen — durch die Komplikationen ungleich gefährlicher wirken
als an der Nase.
Die Komplikationen am Kehlkopf, soweit sie von ihm selbst her-
rühren, sind einmal akute: vor allem das Oedem, das leider auch in
Friedenszeiten viel zu wenig gekannt und gewürdigt, viel mehr Opfer fordert
wie man glaubt, und zweitens chronische, die Stenosen des Larynx
und der Trachea, sei es, dass sie durch Narbenzug und Stränge, Disloka-
tionen, Ankylosen den Luftweg versperren. So notwendig bei den Oedemen
die rechtzeitige Tracheotomie ist, so weiss ich aus langjähriger und reicher
Erfahrung, dass auch sie oft nicht mehr imstande ist, die Patienten vor
dem Exitus an Herzschwäche zu bewahren, und man daher, wenn auch
durch Tracheotomie die Atmung wieder hergestellt ist, in seiner Prognose
sehr vorsichtig sein muss. Was aber die Stenosenbehandlung betrifft,
so weiss ich besonders auf Grund des reichen Sklerommaterials meiner
Klinik ein Lied davon zu singen, von der Geduld und unermütdlichen Aus-
dauer, die sie -erfordert, sei es nun, dass man die dilatierenden, sei es, dass
man die chirurgischen Methoden anwendet, die man ja übrigens meistens
kombinieren muss, wenn man überhaupt etwas erreichen will.
Die Komplikationen bei Nasenschüssen sind: orbitale, zerebrale, Pyämie
und Sepsis!
Auf die Verletzungen des Ohres gehe ich hier nieht ein, da sie heute
nicht zur Diskussion stehen.
Von den Schussverletzungen der Nase kamen wohl alle die Arten zur
Beobachtung, die ich eben genannt habe. Wir sahen Streifschüsse, die
gerade nur die Nasenspitze wegrasiert hatten, ohne die eigentlichen
Höhlen zu tangieren (Fig. 1). Ebenso „Querschläger“, die Naseneingang
und Lippen aufgerissen und späterhin nur eine mehr oder minder starke
Stenose des Naseneingangs herbeigeführt hatten. Mehrfach ferner
„Tunnelschüsse“, die von einer Seite der Nase zur anderen den unteren
Nasenteil durchqueren (Fig. 2). Kommen hierbei grössere Septumdefekte
zustande, so entsteht durch Einknickung die Sattel- oder Lorgnettennase.
Natürlich kann auch durch einen Schuss von vorn das Nasengeriist zer-
334 P. Gerber, Ueber Schussverletzungen der oberen Luftwege.
trümmert werden (Fig. 3). Anderenfalls treten sehr häufig Verwachsungen
zwischen Septum und Muscheln auf, die wir in einer ganzen Reihe von
Fällen konstatiert haben (vgl. Fig. 2a). Wie häufig hinter und in diesen
Verwachsungen allerkleinste Geschossteilchen sitzen, lehrt allein das
Figur 1.
Figur 2a. .
Röntgenbild. Merkwürdige Arten von Synechien entstehen bisweilen auf
diese Weise, wie Fig. 4 zeigt.
Franz Kr., verwundet am 15. November 1914 bei Maknischken bei Goldap.
Einschuss an der linken Nasolabialfalte, Ausschuss an korrespondierender Stelle
der rechten.
Auch in unseren Fällen betraf die Verletzung in etwa ?/ der Fälle
die linke Seite, was Kraske mit der Neigung des Kopfes nach rechts
P. Gerber, Ueber Schussverletzungen der oberen Luftwege. 335
beim Schiessen in liegender Stellung erklärt. Für viele unserer Fälle trifft
diese Erklärung nicht zu. Je weiter nach oben die Querschüsse den Ge-
sichtsschädel treffen, um so schwerer werden im allgemeinen die Folgen
sein. In einem Falle hatte ein Infanteriegeschoss im knöchernen Nasen-
rücken ein Fenster von mehreren Zentimetern geschlagen, von dem aus
man weit in beide Nasenhöhlen hineinsehen konnte.
Figur 3.
Figur 4.
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August Bl., 37 Jahre alt, durch Schrapnellschuss am 8. November 1914 bei
Stallupönen verletzt. Einschuss über der Nasenwurzel rechts. Ausschuss am linken
Mundwinkel. Klagt jetzt über Verstopfung und Eiterausfluss links.
Status: Schwellung an der linken Nasolabialfalte. Eiter im linken mittleren
Nasengang. Auf demNasenriicken oben eine dreieckige Oeffnung von 1!/,:3/, cm mit
der Basis nach unten. Dieses Dreieck wird durch die Septumkante derart halbiert,
dass man rechts durch eine kleinere trichterformige Oeffnung in die rechte Nasen-
höhle und links durch eine grössere Oeffnung in die linke Höhle sieht (vgl. Fig. 5).
Im übrigen ist die linke Nasenhöhle durch Schwellung der lateralen Wand ganz
336 P. Gerber, Ueber Schussverletzungen der oberen Luftwege.
verschlossen. Septum gleichfalls stark geschwollen, beweglich. Ausserdem granu-
lierende Wunde im linken Processus alveolaris. Von hier Fistel, wahrscheinlich
in die linke Nasenhöhle führend; hier fühlt man Sequester.
Der Fall war mir nur zur einmaligen Untersuchung überwiesen. Ueber den
weiteren Verlauf ist mir nichts bekannt.
Figur 5.
Die Gegend der Nasenwurzel ist, wie schon Bergmann hervorhebt,
besonders gefährlich, da hierbei meist Auge oder Hirn in Mitleidenschaft
gezogen sind. Solche Fälle habe ich, besonders dank dem nachbarlichen
Zusammenarbeiten mit Herrn Dr. Mallison, der die Augenstation des
Hauptlazaretts versieht, mehrfach gesehen. Von diesen ist erwähnenswert
einer, bei dem der Schuss von einem Supraorbitalbogen zum anderen ge-
gangen war und zum Verlust beider Bulbi geführt hatte. Dieser Mann
gibt nun an, dass er gleichzeitig mit dem Gesichtssinn auch den Geruchs-
sinn völlig verloren hat. Der Schusskanal, der hier unterhalb der Lamina
cribrosa die nervösen Elemente der Rima olfactoria zerstört haben dürfte,
gibt die Erklärung hierfür. Ein Parallelfall hierzu ohne Zerstörung des
Auges ist noch kurz vor Abschluss der Arbeit zur Beobachtung gekommen.
Totale Zertrümmerungen des Nasengerüstes sah ich in 2 Fällen, in dem
einen gleichzeitig mit Verlust des Auges, durch Granatschuss bewirkt.
Dieser Fall musste wider Erwarten gleich nach der ersten Untersuchung
abtransportiert werden, so dass nähere Notizen und Photographien, wie
geplant, nicht beschafft werden konnten. Ein merkwürdiges Schicksal
hatten mehrere Nasenschüsse von vorn. Der eine hatte nur Nasenspitze
und Oberlippe aufgerissen, Geschossteile waren durch die Nasenhöhle
in den Mund gelangt und ausgespuckt worden. In dem anderen Falle
hatte ein augenscheinlich mattes Geschoss Nase, inneren linken Orbital-
winkel und unteres Lid getroffen. Hier waren mehrere kleine Fragmente
ausgeschnoben worden. Die Heilung in der Nase war auch hier mit
breiten Synechien erfolgt.
P. Gerber, Ueber Schussverletzungen der oberen Luftwege. 337
Durchaus nicht selten sind die Nebenhöhlen der Nase Sitz von Ge-
schossen. Da sie aber vielfach reaktionslos einheilen oder nur — seltener
— viel später durch sekundäre Eiterung Beschwerden machen, so würden
sie auch nur dann so oft, wie es den Tatsachen entspricht, konstatiert
werden, wenn man alle Kopfschüsse röntgenologisch daraufhin untersuchen
könnte. Die meisten werden naturgemäss als Nebenbefunde bei Verletzungen
der Orbita und des Orbitalinhalts konstatiert, was sich ja aus den anato-
mischen Verhältnissen erklärt, und so verdanke ich denn die meisten
wiederum dem Zusammenarbeiten mit Herrn Kollegen Mallison. Ich
werde mir zum Schluss meiner Ausführungen erlauben, Ihnen einige Röntgen-
aufnahmen zu zeigen, die Ihnen die Verhältnisse besser illustrieren werden
als Ausführungen es könnten. Wenn auch, wie gesagt, die Projektile in
den Nebenhöhlen vielfach gar keine Symptome machen, so gibt es dennoch
auch verhängnisvolle Verletzungen dieser Teile. Zwei derartige Beob-
achtungen verdanke ich der Freundlichkeit des Herrn Kollegen Samter.
In dem einen dieser Fälle hatte ein Granatsplitter die linke Stirnhöhle von
vorn her eröffnet, deren sämtliche Wände zerstört, die Dura weit freigelegt,
war von hier durch das Siebbein in die Nasenhöhle, von hier durch den
harten Gaumen in die Mundhöhle gegangen.
Figur 6.
Reservist V., 28 Jahre alt, am 19. Oktober 1914 an der russischen Grenze
durch Granatsplitter verletzt.
Status bei der ersten Untersuchung auf der chirurgischen Station des
Festungshauptlazaretts: Fieberhafter, schwerkrank aussehender Mann. Temperatur
gestern 40,0, heute 38,8; Puls 90. Einschussöffnung links von der Glabella, 1 cm
hoch, ł/ cm breit, auffallend regelmässig, viereckig (Fig. 6). Das Loch ist mit
338 P. Gerber, Ueber Schussverletzungen der oberen Luftwege.
pulsierendem Eiter gefüllt und kommuniziert augenscheinlich mit der Nasenliöhle,
denn, wenn man die Nase zuhält und dann ausatmen lässt, wird flüssiger Eiter
in grosser Menge aus der Wunde herausgetrieben. Die Gegend unterhalb der Ein-
schussöffnung ist vorgetrieben, druckempfindlich. Von der Einschussöffnung kommt
eine vorsichtig eingeführte Sonde in der Richtung nach unten hinten etwa 3!/, cm
weit. Nach vorn zu stösst die Sonde auf einen rauhen, aber nicht beweglichen
Teil, wahrscheinlich die vordere Wand der eröffneten linken Stirnhöhle. Das linke
Auge fast geschlossen, das obere Lid geschwollen. Der Knochen am inneren
Augenwinkel auch vorgetrieben und sehr schmerzhaft. Die linke Nasenhöhle voll-
ständig mit Eiter angefüllt wie bei einer Nebenhöhleneiterung. Auf ein Geschoss
oder Knochensplitter stösst die Sonde nirgends. Am harten Gaumen, am Ueber-
gang zum weichen, eine vorgewölbte Stelle, in der Mitte weissgelblich belegt, un-
eben, höckerig, von unebenen, zackigen Rändern umgeben. Darunter ist die
Schleimbaut des weichen Gaumens nach dem rechten vorderen Gaumenbogen zu
auch noch oberflächlich ulzeriert. Mit einer feinen Sonde kommt man durch die
nekrotischen Partien der Schleimhaut hindurch mehrere Zentimeter weit in den
Nasenrachenraum. Aufeinen beweglichen Fremdkörper, etwa Kugel oder Sequester,
stösst man nicht. Die rechte Halsseite unter dem Kieferwinkel auch geschwollen
und druckempfindlich.
Figur 7.
Diagnose: Schusseröffnung der linken Stirnhöhle; konsekutive (epidurale?)
Kiterung. :
2. Januar 1915. Der Patient ist bis heute auf der chirurgischen Station des
Festungshauptlazaretts exspektativ behandelt worden. Die Allgemeinerscheinungen
sind geschwunden, Temperatur normal. Die Fistel aber besteht fort, weshalb er
meiner Station überwiesen wurde.
Status: 2. Januar 1915. Zwischen unterer Muschel und Septum links hinten
noch etwas Eiter, aber nicht mehr so viel, wie bei der ersten Untersuchung. Die
rechte Nasenhöhle ziemlich normal. In der Mundrachenhöble zeigt sich am Segel
eine nach der Mitte des rechten vorderen Gaumenbogens verlaufende Narbe. Die
damals noch sehr grosse viereckige Oeffnung in der Stirnhöhle ist bis auf Erbsen-
grösse verheilt, mit Granulationen ausgefüllt. Von hier kommt die Sonde aber
nach unten und nach der Mitte zu etwa 4 cm tief hinein, augenscheinlich in die
Stirnhöhle. Es quillt etwas Eiter nach. Die Nasenwurzel ist noch breit und dick.
Der linke innere Augenwinkel noch etwas ödematös, auf Druck empfindlich. Die
Röntgenaufnahme (Nr. 20—21) zeigt eine typische Verschleierung der linken
Stirnhöhle, die Sonde durch die Stirnhöhle hindurch in die Nasenhöhle gehend und
einige kleinste Geschosspartikel im oberen Nasenhöhlenteil.
18. Februar. Operation. Chloroformnarkose, Tamponade. Typischer Haut-
schnitt in der linken Augenbraue. Beim Ablösen der Knochenhaut starke Blutung.
Es wird ein grosser Knochensequester entfernt. Bei näherer Betrachtung zeigt
sich, dass diese aus der vorderen (a) und unteren (b) Wand der Stirnhöhle besteht
(Fig. 7). Auch die hintere Wand fehlt vollständig. Die Dura mater ist mit
P. Gerber, Ueber Schussverletzungen der oberen Luftwege. 339
Granulationen bedeckt und pulsiert lebhaft. Resektion des Tränenbeins und des
Stirnfortsatzes des Oberkiefers. Ausräumung der vorderen Siebbeinzellen. Senk-
recht zum ursprünglichen Hautschnitt wird ein zweiter Hautschnitt angelegt zur
bestehenden Fistel, die umschnitten wird. Naht dieses Hautschnittes. Einführung
eines Gummidrainrohrs von der Nase aus in die Stirnhöhle. Bedecken der freien
Dura mater mit Jodoformgaze. Naht des ersten Hautschnittes, eine etwa 3 cm
lange Stelle im mittleren Drittel wird offen gelassen und daraus das Ende der
Jodoformgaze herausgeleitet. Verband. Patient ist fieberfrei. Am 2. Tage Ent-
fernung des Verbandes. Heftpflasterverband. Erneuerung der Jodoformgaze. Tam-
ponade.
Figur 8,
l. März. Die Wundränder liegen überall fest zusammen. Der Drain ist heute
Nacht herausgegangen.
3. März. Wunde geschlossen (Fig. 8). °
Im zweiten Falle handelte es sich um die rechte Kieferhöhle:
Wehrmann Z., hatte am 2. September 1914 in Russland einen Granatschuss
in den Kopf erhalten. Einschuss an der linken Stirnseite, etwa 6 cm über dem
linken Auge. Ausschuss nicht sichtbar. Nähere Angaben sind von dem schwer
kranken Patienten nicht zu haben. Kleiner, rascher, kaum zählbarer Puls, ober-
flächliche Atmung. Temperatur remittierend zwischen 36,2 und 39,7. Rechte
Wange geschwollen, druckempfindlich, starker Foetor ex ore. Nach Abziehen der
Wange zeigt sich ein grosses, schmierig belegtes Loch am Rande des rechten Pro-
cessus alveolaris in der Gegend des letzten Molaren. Von hier gelangt die Sonde
weit in die rechte Oberkieferhöhle, die ganz mit schmierigem, stinkendem Eiter und
Gewebsfetzen erfüllt ist. Die Röntgenaufnahme 22 zeigt die Kieferhöhle voll
340 P. Gerber, Ueber Schussverletzungen der oberen Luftwege.
kleinerer und grösserer Geschossteile. Der Mann erlag am 17. September einer
Sepsis. Eine Sektion ist nicht gemacht, deshalb konnten genauere Daten über
Schusskanal und sonstige Umstände nicht erlangt werden.
Dass wir im Zusammenhang mit den eben genannten Schussverletzungen
auch solche der Mundhöhle, der Kiefergelenkgegend und des Unter-
kiefers sahen, ist ja nicht befremdend. Ueber sie ist nicht viel Besonderes
zu melden. Der Unterkiefer als sehr prominenter Teil ist anscheinend be-
sonders den Geschossen ausgesetzt. Leute mit Verletzungen speziell am auf-
steigenden Unterkieferast wurden uns wegen Kieferklemme und begleitender
Ohrsymptome vielfach überwiesen. Auch hier leistete das Röntgenverfahren
viel, besonders wenn es sich um die Frage handelte, ob kleine Geschoss-
teile im Knochen oder in den Weichteilen steckten. Allerdings ist fronto-
oceipitale und seitliche Aufnahme gleichzeitig und genaue Vergleichung
beider immer notwendig, und doch wird man auch dann noch oft durch
falsche Projizierung bei den Extraktionsversuchen irregeleitet werden. Sie
werden solche Bilder auch gleich noch sehen. —
Hier mag nun noch folgender Fall eingeschaltet sein:
Offizierstellvertreter Gustav Z., 30 Jahre alt. 24. Februar 1915 bei Prasch-
nysz. Infanteriegeschoss. Von vorn oder links, im Stehen, aus etwa 100 m (?)
Einschuss hinter dem linken Ohr. Hier, am Warzenfortsatz eine etwa paumen-
grosse Oeffnung, wie von einer Aufmeisselung herrührend, schmierig belegt. Rings-
herum Schwellung und Druckempfindlichkeit. Gehörgang völlig verlegt durch
Figur 9.1)
Schwellung und Granulationen. Fazialisparese. Weber nach dem gesunden Ohr.
Horizontaler Nystagmus nach links. Linke Nasenseite verlegt; Synechien. R.: Kleines
dreieckiges Geschossstiick im Warzenfortsatz. Lücke im linken Jochbogen. Im
weiteren Verlauf stösst sich die plattgedrückte Spitze eines Infanteriegeschosses
von selbst ab (Fig. 9). Sequestrierung des ganzen Warzenfortsatzes.
Was nun den Kehlkopf betrifft, so werden — trotz des oben Gesagten
— seine Verletzungen immer seltener bleiben wie die der übrigen Teile
des Respirationstraktus. Die Gründe dafür sind ja bekannt (vgl. Hopmann
in Heymanns Handbuch): 1. seine geschützte, tief unter dem Kinn zurück-
gezogene Lage; 2. die Elastizität seiner Knorpel, und schliesslich 3. die
durch seine bewegliche Verbindung mit den Nachbarorganen gegebene
Ausweichmöglichkeit. Demgemäss berechnete Witte seinerzeit auf
10000 Verwundungen nur 4—5 des Kehlkopfs, was mit den Angaben
M. Fischers im Handbuch der Kriegschirurgie übereinstimmt. Aber, wie
1) Die übrigen extrahierten unversehrten Geschosse habe ich nicht ab-
gebildet.
P. Gerber, Ueber Schussverletzungen der oberen Luftwege. 34l
gesagt, möglicherweise werden diese Zahlen nach diesem Kriege eine
bedeutende Korrektur erfahren.
Aus naheliegenden Gründen haben wir hier im Lazarett meist nur
leichtere Kehlkopfverletzungen zu Gesicht bekommen, die — wenn auch
für das Organ selbst nicht gleichgiltig — nur selten das Leben gefährdeten.
Sonst aber sind Beispiele für alle Typen gesehen worden, wie sie oben
angedeutet worden sind und wie deren drei auch aus diesem Kriege schon
von Körner mitgeteilt sind, — die einzige Mitteilung aus unserm Gebiet,
die mir bisher zu Gesicht gekommen ist, während doch über Bauch- und
sonstige Verletzungen schon mehrfach Publikationen vorliegen).
Da gibt es zunächst „Konturschüsse“, die dicht über, vor oder
unter dem Schildknorpelwinkel vorbeigehen. Diese lassen das Kehlkopf-
innere ganz unberührt. Und doch tritt bisweilen nach solchen Schüssen
— und zwar sofort nach der Verletzung — Aphonie, Stimmlosigkeit ein.
Spiegelt man solche Fälle, so zeigt der Kehlkopf, zeigen speziell die
Stimmbänder nichts Pathologisches und die Aphonie kann hier nur als
eine rein funktionelle aufgefasst werden, in vielen Fällen direkt als
Chocwirkung. So untersuchte ich einen Offizier, der von einem Infanterie-
geschoss am Halse getroffen war. Einschuss links vor dem Kopfnicker,
zwischen Zungenbein und Kopfnicker. Ausschuss rechts unter dem Kinn,
in der Vertikalen des rechten Mundwinkels. Er gab an, dass ihm mitten
im Kommandieren die Stimme versagt habe. Laryngoskopisch absolut
normale Verhältnisse. Die Stimme stellte sich von selbst bald völlig
wieder her.
In andern Fällen mit derselben Lokalisation aber findet man bei der
Untersuchung nur eine stärkere Injektion der Larynxschleimhaut, besonders
auch der Stimmbänder, bisweilen auch Schwellung der Stimm- und Taschen-
bänder, die dann die Heiserkeit zur Genüge erklären. Hier handelt es sich
dann wohl lediglich um eine fortgeleitete entzündliche Infiltration.
Einen Schritt weiter ging dann die Verletzung bei einem 23jährigen
Soldaten, der bei Eydtkuhnen durch ein Infanteriegeschoss am Halse ge-
troffen wurde. Starker Blutverlust, auch aus dem Munde, und Heiserkeit
sofort nach der Verwundung. Rechts und links vom Pomum Adami zwei
etwa 2—21/, cm lange, schräg gestellte, noch granulierende Wunden, die
rechte — vermutlich der Einschuss — am unteren Rande der rechten
Schildknorpelplatte, die linke dem oberen Rande der linken Platie genähert.
Die vordere Schildknorpelkante in der Mitte wie eingedriickt. Mundrachen-
höhle normal. Kehlkopfschleimhaut gerötet, entzündet, infiltriert, Stimm-
bänder besonders rot. An der vorderen Kommissur eine flache Granulation,
den Stimmbandwinkel überwölbend. Hier also war die eigentliche Ver-
letzung. Beweglichkeit der Stimmbänder wenig beschränkt.
Sehr häufig zeigte sich die Einschussöffnung in der Gegend der Kopf-
1) Die Arbeit von Denker erschien lange nach diesem Vortrag, im Februar-
beft des Vogelschen Archivs,
342 P. Gerber, Ueber Schussverletzungen der oberen Luftwege.
nicker, oft am inneren, seltener am äusseren Rande, die Ausschussöffnung
an der entgegengesetzten Schulter.: Dass. bei solcher Richtung des Schuss-
kanals der Rekurrens zerstört werden kann, ist klar,
Auch solche Halsschüsse, die fern vom eigentlichen Kehlkopfgerüst
eingeschlagen sind, beeinträchtigen oft den Kehlkopf und seine Funktion.
So sah ich einen 21jährigen bei Lötzen Verwundeten. Einschuss am
rechten Kopfnicker, etwa 3 cm über dem Schlüsselbein-Schultergelenk, Aus-
schuss unter dem rechten Schulterblatt. Nach der Verwundung: Blutspucken,
Schmerzen und Anschwellung im Halse, totale Heiserkeit. Es besteht
Lähmung des rechten Plexus brachialis. Laryngoskopisch: Rötung und
Schwellung rechts mehr wie links, linkes Stimmband etwas schmäler
erscheinend, die Beweglichkeit rechts um ein. weniges behindert. Aber
sicher keine Zeichen einer Rekurrensparese. Der Einschuss erklärt auch
die Lähmung des Plexus brachialis und die Unversehrtheit des Rekurrens.
Es handelte sich also auch hier nur um eine fortgeleitete entzünd-
liche Schwellung, die den Larynx besonders rechts mitaffiziert hatte.
Eine Verletzung des Schildknorpels und entzündliche Ankylose des
Cricoarytaenoidgelenks stellt die Verwundung eines Leutnants dar, der am
20. August im Stehen einen Gewehrschuss in den Hals erhielt. Einschuss
an der rechten Schildknorpelplatte. Ausschuss in der Mitte der linken
Schulter. Gleich nach der Verletzung war die Stimme fort und ist es
auch bis zur Behandlung geblieben. Der Offizier sprach absolut ohne jeden
Ton. Von aussen war an der rechten Schildknorpelplatte eine mässig tiefe
Delle zu fühlen, an der die Haut mit der Unterlage verlötet war. Im
Rachen zeigten sich auf der Hinterwand bis zur Epiglottis reichend: Blut-
austritte unter der Schleimhaut, Unebenheiten und Erosionen. Laryngo-
skopisch: Völliger Stillstand der linken Kehlkopfhälfte Beide Stimm-
bänder gerötet und geschwollen; keine Exkavation links. Aryknorpel in
gleicher Höhe, ohne Besonderheiten. Es handelte sich also nicht, wie
anfangs angenommen war, um eine Schädigung des Rekurrens. Späterhin
zeigte sich dann noch eine narbige Falte unter der vorderen Kommissur,
wie im vorigen Falle Die Affektion erklärt sich durch die Richtung des
Schusskanals. Die Aphonie wurde durch mehrwöchige Behandlung so weit
gehoben, dass der Offizier seine Stimme wieder völlig, wenn auch nicht
gerade klangschön gebrauchen kann. |
Hierzu verfüge ich noch über zwei Parallelfälle —- immer mit Ein-
schuss am Kopfnicker —, auf die ich hier nicht näher eingehen will.
Einen neurologisch interessanten Fall stellt ein 26jähriger Soldat dar,
der im September an der russischen Grenze einen Halsschuss durch ein
Infanteriegeschoss erhielt und jetzt wegen Heiserkeit und Schluckbeschwerden
zur Untersuchung kommt. Hier sass der Einschuss 2 cm vor dem rechten
Ohr, in der Jochbeingegend, der Ausschuss etwa 2 cm hinter dem linken
Ohr hinter dem Ansatz des M. sternocleidomastoideus. Der Mann zeigte
bei der Untersuchung vollständige Lähmung der linken Gesichtshälfte,
Lähmung der linken Gaumensegelhälfte, Hörvermögen links nicht auf-
P. Gerber, Ueber Schussverletzungen der oberen Luftwege. 343
gehoben. Zunge weicht nach links ab, erscheint links dünner. Die linke
Kehlkopfhälfte steht absolut still. Weiterhin zeigte sich eine deutliche
Atrophie des linken Sternocleido und Cucullaris. Puls wurde etwa 87
gezählt. Worum handelte es sich also hier? Ersichtlich um eine Lähmung
der Nn. VII, IX, X, XI und XII, und zwar waren diese dicht an ihrem
Austritt aus der Schädelhöhle von dem Geschoss getroffen worden.
Als Beispiele für den akut schweren Verlauf von Kehlkopfschiissen
mögen folgende Fälle dienen: Einem Feldwebelleutnant hatte bei einem
Sturmangriff in Polen ein Infanteriegeschoss die linke Schildknorpelplatte
durchbohrt und war durch die rechte Schulter herausgegangen. Starker
Bluthusten, völlige Stimmlosigkeit traten sofort ein; im übrigen aber befand
der Patient sich im Lazarett 5 Tage hindurch recht wohl. Dann traten
Schluckbeschwerden und plötzliche Atemnot ein, die die sofortige Tracheo-
tomie notwendig machten. Trotzdem erlag Patient am folgenden Tage
seiner Verletzung. Eine Sektion konnte nicht vorgenommen werden. Dieses
verhängnisvolle Larynxödem tritt bisweilen auch zu Rachenverletzungen
hinzu. So sah ich einen Soldaten, der einen Schuss in den Mund erhalten
hatte. Das Segel war durchbohrt, die Kugel im Halswirbelkörper stecken
geblieben. Dem Verletzten ging es ganz gut, bis ein herabsteigender phleg-
monös-ödematöser Prozess plötzlich Asphyxie herbeiführte, der der Soldat
trotz vorgenommener Tracheotomie erlag.
M. H.! Ich will Sie nicht durch weitere Kasuistik ermüden. Stellen
diese letzten Fälle auch schon recht schwere dar, so werden Sie doch aus
den Mitteilungen im ganzen gewiss den Eindruck haben, als ob die Ver-
letzungen der Luftwege relativ leichte wären. Vor diesem allgemeinen
Schluss müssen wir uns hüten. Kopf- und Halsschüsse bleiben natürlich
immer die bedenklichsten, die es gibt. Die schwersten Fälle derart aber
bekommen wir gar nicht hierher in die Festungslazarette. Sie bleiben
draussen und haben uns nichts mehr zu sagen —, nicht uns und nicht
andern!
Erklärung der Figuren auf Tafeln XXIV—AXLI.
Röntgenaufnahmen. (R.)
A. Nasenhöhlen.
Figur 1. Emil B., 22 Jahre alt. 20. August 1914 bei Gumbinnen. Infanterie-
geschoss beim Vorgehen. Einschuss am linken Auge innen, quer durch
die Nase, Ausschuss unter der linken Orbita. Bulbus enukleiert. Rhino-
skopisch: Verwachsungen zwischen Scheidewand und mittlerer Muschel.
R.: Kleinste Geschosspartikel in der rechten Nasenhohle.
Figur 2. Oberleutnant G. 4. Oktober 1914 zwischen Suwalki und Augustowo.
Granate. Einschuss über dem linken Auge, etwas über der Nasenlippen-
falte. Kein Ausschuss. Verwachsungen zwischen Scheidewand und
344 P. Gerber, Ueber Schussverletzungen der oberen Luftwege.
Muscheln. R.: Kleinste Geschosspartikel auf dem Boden der Nasenhöhle
und im Processus alveolaris.
Figur 3—4. Ludwig W. 7. Oktober 1914 bei Wirballen. Artilleriegeschoss. Ein-
schuss links an der Nasenwurzel, Ausschuss an der rechten Wange,
2 cm vom rechten Nasenflügel. Sohusskanal von links oben nach rechts
unten. Sequester in der Ausschussöffnung. Verwachsungen. R.: Kleine
Geschossteile, besonders in der rechten Nasenhöhle.
Figur 5—6. Arthur P., 33 Jahre alt. 11. Oktober 1914 bei Sohirwindt. Granat-
splitter. Kirschkerngrosser Einschuss in der Mitte der linken Nasolabial-
falte, Ausschuss über dem rechten Nasenbein. Querschuss von links
nach rechts, Perforation des Septum, Verwachsungen. R.: Menge kleiner
Geschossteile in beiden Nasenhöhlen.
B. Nebenhöhlen und Orbita.
Figur 7. Otto J. 20. August 1914 bei Gumbinnen. Einschuss 8 cm lang, 3 cm
breit in der rechten Augen-Kieferhöhlengegend. Bulbus erhalten, Visus
= (0. Von Seiten der Nasen- bzw. Nebenhöhlen keine Symptome.
R.: Grosser Granatsplitter an der rechten Orbita- und Antrumgrenze,
kleinere in der Orbita selbst und im Warzenfortsatz. Kein Eingriff.
Figur 8. Franz B., 24 Jahre alt. 12. September 1914 bei Gumbinnen. Sohrapnell-
schuss. Verlust des rechten Auges und der Nasenspitze. R.: Grössere
und kleinere Geschossteile in der Orbita und unter dem Jochfortsatz.
Figur 9. Otto M., 33 Jahre alt. 20. August 1914 an der russisohen Grenze.
Schrapnellschuss. Verlust des rechten Auges und der Sehkraft des linken.
R.: Schrapnellfragment zwischen linker Orbita und Keilbeinhöhle.
Figur 10. Julius R., 23 Jahre alt. 3. Oktober 1914 bei Suwalki. Gewehrschuss.
Einschuss am linken Jochbein, 2 cm unterhalb des Augenwinkels, Aus-
schuss 3 cm tiefer in der Fossa infraorbitalis. Bluterguss im Bulbus.
R.: Geschossteile in der linken Kieferhöhle. Keine Symptome.
Figur 11—12. Franz M., 25 Jahre alt!). 20. September 1914 bei Stallupönen.
Schrapnellkugel. Einschuss hinter der rechten Ohrmuschel. Gehör-
apparat nicht beeinflusst. R.: Schrapnellkugel in der rochten Kiefer-
höhle. Entfernung der Kugel von der Fossa canina aus; Tamponade.
10. Dezember als dienstfähig zur Truppe entlassen.
Figur 13—14. Offiziersstellvertreter Willy W., 22 Jahre alt. 30. August 1914 bei
Neidenburg. Einschuss ins linke Auge. Enukleation. Kopfschmerzen
und Anosmie. R.: Kleinste Geschossteile im Stirnbein und in der
medialen Orbitalwand. Herausnahme; Heilung.
Figur 15—16. Fritz S., 25 Jahre alt. 20. August 1914 bei Gumbinnen. Infanterie-
geschoss. Einschuss ins linke Auge, Ausschuss 3 cm vor dem linken
Ohr. Linker Bulbus enukleiert. Kiinstliches Auge (X). R. fronto-occi-
pital zeigt kleines Fragment scheinbar in der linken Stirnhöhle. Bei
seitlicher Aufnahme: im Stirnbein. Herausnahme. Heilung.
Figur 17—18. Richard M., 23 Jahre alt. 30. Oktober 1914 bei Suwalki. Granat-
schuss, dicht vor ihm in die Erde. Mehrere oberflächliche Verletzungen
in der linken Gesichtshälfte. Zunächst völlige Heilung. Vier Wochen
später hochgradige phlegmonöse Anschwellung der linken Stirnpartie um
l) Von Herrn Dr. Lengnick mir gütigst überlassen.
P. Gerber, Ueber Schussverletzungen der oberen Luftwege. 345
cine kleine, kaum sichtbare Wunde in der Gegend der linken vorderen
Stirnhéhlengegend. Eine vorsichtige Sondierung stösst nirgends auf
Geschossteile oder Sequester. R. zeigt kleines Fragment seitlich im
Stirnbein. Herausnahme eines Sequesters, Heilung.
Figur 19. Ernst W., 24 Jahre alt. 20. August 1914 bei Gumbinnen. Gewehrschuss
in die linke Augengegend. Bulbus erhalten, Visus = 0. R.: Schrap-
nellkugel zwischen linker Orbita und Kieferhöhle. Kein Eingriff.
Figur 20—21. August V., 28 Jahre alt. 19. Oktober 1914 an der russischen
Grenze. Granatsplitter. Eröffnung der linken Stirnhöhle, epiduraler
Abszess. (Ausführliche Krankengeschichte s. o.)
Figur 22. Wehrmann Z. 2. September 1914. Granatschuss in die rechte Kiefer-
höhle, Tod an Sepsis. (Krankengeschichte s. o.)
C. Mundrachen, Kiefer, Kehlkopf.
Figur 23—24. Karl M., 30 Jahre alt. 9. September 1914 bei Allendorf. Granat-
splitter in die linke Augengegend. R.: Rundes Geschoss in den Weich-
teilen der linken Wange. Kleinere Splitter in der Nasenhöhle, Ober-
lippe usw. Kein Eingriff.
Figur 25—26. Richard H. 20. August 1914 bei Gumbinnen. Schrapnellgeschoss.
Einschuss in der linken Parotisgegend, Ausschuss am rechten Unter-
kiefer. Kieferklemme. In der Rapho des harten Gaumens feines Loch,
in diesem Sequester zu fühlen. Die verletzten Molaren oben und unten
zu Verlust. Am Nasenboden Schleimeiter. Starker Foetor ex ore. Ent-
fernung kleiner Sequester vom Gaumen, R.: Kleine Geschossteile in der
Gegend des linken Jochbeins, ein grösseres in der Gegend der rechten
Wange.
Figur 27. Platte ohne Namen. Infanteriegeschoss in der Kiefergegend. Keine
- näheren Angaben.
Figur 28—29. Ewald J., 32 Jahre alt. 30. Oktober 1914 bei Wirballen. Ein-
schuss über der linken Orbita. Linker Bulbus zerfetzt, enukleiert. Kein
Ausschuss. R.: Schrapnellkugel unter dem linken Kiefergelenk. Keine
Beschwerden; kein Eingriff.
Figur 30—31. Julius D., 26 Jahre alt. 26. August 1914 bei Tannenberg. Ver-
narbter Einschuss 31/, cm unter dem linken Auge; dieses unversehrt.
Kein Ausschuss. Vor dem linken Tragus unter einer Inzisionsnarbe,
von einem Extraktionsversuch herrührend, eine runde Verhärtung fühl-
bar. Kieferklemme; ausstrahlende Schmerzen ins Ohr. R.: Schrapnell-
kugel auf dem aufsteigenden Unterkieferast, kleinere Fragmente in der
Umgebung. Operation; Heilung.
Figur 32. Gottlieb N., 30 Jahre alt. 7. November 1914 bei Stallupönen. Infanterie-
geschoss. Einschuss am linken Mundwinkel, Ausschuss unter dem linken
Obrläppchen. Letzterer noch oflen, schmierig belegt; ganze Parotis-
gegend geschwollen. Kieferklemme. Exsudativer Mittelohrkatarrh links.
Granulationsbildung am hinteren Unterkieferende links. Von den Alveolen
des letzten Molaren führt eine Fistel nach der Wange. R.: Zersplitte-
rung des aufsteigenden Unterkieferastes.
Figur 33—34. Emil H., 21 Jahre alt. 23. Dezember 1914 bei Lowicz. Infanterie-
geschoss. Einschuss 1 cm temporalwärts vom linken Augenbrauenende,
11/, cm lang, 1 cm breit. Umgebung derselben stark geschwollen und
Archiv für Laryngolugie. 29. Bd. 3. Heft. If
346
Figur 35.
Figur 36.
Figur 37.
P. Gerber, Ueber Schussverletzungen der oberen Luftwege.
druckempfindlich. Rechtes Auge selbst normal. Zentrale Sehschärfe 7/,
(Dr. Mallison). Unteres Lid stark geschwollen. Darunter Sugillation.
R.: In der Höhe des ersten Jochbogens ein mit der Spitze nach hinten
gehendes, vollständig unversehrtes Gewehrprojektil. Herausnahme (mit
Dr. Mallison). Heilung per primam.
Infanterist R. Schrapnellkugel im Halswirbelkörper. Deszendierende
Phlegmone. Exitus. Nähere Notizen fehlen.
Unteroffizier R. Hals-Unterkieferschuss (Schrapnell) von vorn. Kleine
Teile in der Schildknorpelplatte und im Unterkiefer. Einheilung.
Michael R., 32 Jahre alt. 20. August 1915 bei Goldap. Granatsplitter.
R.: An der rechten Halsseite, innen vom Kopfnicker etwa in Kehlkopf-
höhe halbkugelförmiges Geschossstück, in die Nähe der Wirbelkörper
projiziert. Extraktion, Heilung.
—
an
tv f. Laryngologie.,
29. Bd.
Fig. 2.
Tafel XXIV.
Lichtdruck Neinert-Hennig, Berlin S. 4?
rchiv f. Laryngologie. 29. Bd. Tafel XXV.
Fig. 3.
5 Lichtdruck Neinert-Hennig, Berlin S. 42.
Archiv f. Laryngologie. 29. Bad. Tafel XXXVIII.
Fig. 30.
Fig. 31.
Lichtdruck Neinert-Hennig, Berlin S. 42.
Irchiv f. Laryngologie 29. Bd. Tafel XLI.
Fig. 37.
Lichtdruck Neinert-Rennig, Berlin $. 42.
XXII.
Zur Geschichte der Endoskopie
von den ältesten Zeiten bis Bozzini.
Von
(instav Killian (Berlin).
(Mit 56 Textfiguren.)
Meine Studien gelten in erster Linie den endoskopischen Methoden,
welche sich auf die Luftwege und die oberen Speisewege beziehen.
Die geschichtlichen Angaben, welche wir in den Werken der Laryngo-
logen finden, erstrecken sich meist nur auf das 19. Jahrhundert. Als
erster wird Bozzini genannt. Nur vereinzelt treffen wir Namen aus
früherer Zeit. Allgemein herrscht die Ansicht, dass die älteren Aerzte
nichts Besonderes auf dem fraglichen Gebiete geleistet haben.
Ich war daher sehr erstaunt, als ich gelegentlich einen Blick in das
grosse dreibändige Werk von Gurlt über die Geschichte der Chirurgie
warf. Gurlt hat seinen Stoff mit ausserordentlicher Gründlichkeit be-
arbeitet. Aus den Werken der besten medizinischen Schriftsteller aller
Zeiten gibt er ausführliche Auszüge. Mit besonderer Aufmerksamkeit ist
alles notiert, was sich auf die Untersuchungen und die Operationen in den
Körperhöhlen bezieht.
Mit grösstem Interesse verfolgte ich seine Angaben und machte mich
daran, alles Erwähnenswerte zusammenzufassen. Die bezüglichen Stellen
wurden, wenn irgend möglich, in den Originalwerken nachgesehen. Bei
dieser Gelegenheit machte ich eine gute Ernte an weiterem Material, was
zur Bearbeitung der Geschichte der Endoskopie verwertet werden konnte.
Es schien nicht ratsam, sich nur auf die chirurgischen Werke zu be-
schränken. Auch die Bücher, welche mehr der inneren Medizin dienen, wie
überhaupt die Arbeiten aller hervorragenden Aerzte mussten zu Rat gezogen
werden. Bezüglich des Mutterspiegels sind mir die Literaturangaben von
Hausmann (Zeitschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol., Bd. 3) führend gewesen.
Nur die Endoskopie der oberen Luftwege und Speisewege zu
berücksichtigen, hätte zu einer sehr einseitigen Auffassung führen müssen;
denn in früheren Zeiten gab es keine Spezialitäten so wie heute. Alles
war Gemeingut. Den einzelnen Methoden kam keine Sonderstellung zu.
Wer sich ein richtiges Bild von der Entwickelung der Endoskopie machen
will, muss jede Körperhöhle in Betracht ziehen.
24°
348 G. Killian, Zur Geschichte der Endoskopie.
Da mein Material den Kreisen meiner Fachkollegen neu ist, so hielt
ich es für notwendig, vieles in extenso vorzulegen. Eine Reihe von Autoren
werden wörtlich zitiert. Für diejenigen, welche nicht Gelegenheit haben, die
Folianten der alten Mediziner in die Hände zu bekommen, schien es mir wert-
voll, wichtigere Stellen in Nachbildungen zur Anschauung zu bringen. Auch
habe ich an Abbildungen von Instrumenten nicht gespart, um eine möglichst
gute Vorstellung zu geben und die Darstellung zu beleben. Ich möchte nur
darauf aufmerksam machen, dass alle Bilder verkleinert sind und dass
die Bilder der Instrumente nicht der natürlichen Grösse entsprechen.
Die Angaben der Autoren werden sofort kritisch beleuchtet. Ueber
die verschiedenen Perioden gebe ich Zusammenfassungen.
Altertum.
Aegypter.
Das älteste Buch über Heilkunde ist der Papyros Ebers. Man nimmt
an, dass er aus dem 15. Jahrhundert v. Chr. stammt. Eine deutsche Ueber-
setzung wurde 1890 von Dr. H. Joachim, Berlin, herausgegeben.
Figur 1.
a
Seite aus dem Papyros Ebers. (Stark verkleinert.)
G. Killian, Zur Geschichte der Endoskopie, 349
Dieses Buch beschäftigt sich hauptsächlich mit der Behandlung von
Krankheiten und enthält nur kurze diagnostische Hinweise. Seite 187
der deutschen Ausgabe finden wir unter der Ueberschrift: Lehre vom
Gewächs im Halse eines Patienten die Bemerkung: „Es ist weich
unter deinen Fingern.“ Wahrscheinlich handelt es sich um die Hyper-
trophie der Gaumenmandeln. Die ägyptischen Aerzte haben, nach dieser
Bemerkung zu schliessen, die Mund- und Rachenhöhle mit den Fingern
abgetastet. Dasselbe beweist eine weitere Stelle Seite 188, die sich auf
den peritonsillären Abszess bezieht: „Wenn du ein Fettgewächs in seiner
Kehle triffst und findest es wie einen Abszess, der unter deinen Fingern
erweicht ist, so sage du dazu — — — ich werde die Krankheit mit dem
Messer behandeln, indem ich mich vor den Gefässen in acht nehme.“
Auch hier spielt die Palpation die entscheidende Rolle. Der Arzt hat
mittelst derselben zu bestimmen, ob die Geschwulst erweicht ist, das heisst,
ob sie Eiter enthält. Näheres über die Art, wie man den Einschnitt aus-
führen soll, wird nicht angegeben. Möglicherweise geschah dies ebenfalls
unter Leitung des Fingers.
Auch bei der Behandlung der Nasen- und Ohrenleiden fand ich keinen
Hinweis auf die Inspektion. Specula scheinen nicht bekannt gewesen zu
sein, auch nicht für andere Körperhöhlen.
In dem grossen Berliner Papyros Brugsch findet sich nichts, was wir
hier verwerten können. Ob die Aegypter es tatsächlich nicht verstanden,
in Körperhöhlen hineinzusehen, ist natürlich nicht erwiesen.
Griechen.
Sehr umfangreich sind die Schriften der Schule von Kos. Ihr Haupt-
vertreter war Hippokrates II., der Grosse, geboren 460, gestorben 375 v.Chr.,
85 Jahre alt. Seine wichtigeren Schriften entstanden in der Zeit 424 bis
400 v. Chr.
Die definitive Zusammenstellung der Hippokratischen Bücher erfolgte
erst in späteren Jahrhunderten durch die Alexandrinischen Aerzte. Von
den meisten chirurgischen Schriften der Serie nimmt man an, dass sie von
Hippokrates II. selbst verfasst wurden. Eine bequeme Orientierung er-
möglicht die deutsche Uebersetzung von Grimm, Glogau 1837.
In der Abhandlung xar inrosiov = de medici officina wird die Be-
leuchtungsfrage bei Operationen behandelt. Hippokrates unterscheidet
das gewöhnliche und das künstliche Licht = 10 utv xoır0v, 10 dé rexvnıovV.
Den zu operierenden Teil empfiehlt er gegen das Licht zu wenden = rg0<
inv Jaurrgoıme rgémew 16 eıgıldusvor. Der Operateur stelle sich
dem Licht entgegen = &varıior ı7 alyn. Er nehme: „sowohl beim Sitzen
als beim Stehen eine Stellung ein, welche in Beziehung auf ihn selbst, in
Beziehung auf den zu operierenden Teil und auf das Licht vorteilhaft ist.“
Wir ersehen daraus, dass die griechischen Aerzte praktische Leute
waren, die wussten, worauf es ankam. Was hier bei Operationen empfohlen
wird, wird wohl auch bei einfachen Untersuchungen befolgt worden sein,
350 G. Killian, Zur Geschichte der Endoskopie.
vor allem bei denen der Mund- und Rachenhéhle. Offenbar hat man in
diesen Raum, wenn es nur irgend ging, hineingesehen. Darauf muss man
aus den Beschreibungen schliessen, welche sich auf Erkrankungen der
Lippen, der Zähne, der Zunge, des Mundbodens, des Gaumens, des Zäpfchens,
der Gaumentonsillen und des Rachens beziehen. Stets werden Formen und
Farben geschildert. Die operativen Eingriffe bestanden zum Teil in recht
komplizierten Hantierungen, bei welchen gut gesehen werden musste. Ich
erwähne nur die Einführung eines Fadens durch die Nase in den Mund
vermittelst eines zinnernen Stäbchens, an dem vorn eine Oese war, bei der
Nasenpolypenoperation und das Ergreifen des Fadens im Munde; ferner die
Operationen am Zäpfchen und an den Tonsillen. Die reichlich geübte
Palpation half selbstverständlich mit. War sie doch so ausgebildet, dass
man es wagte, an den Finger eine spitze Lanzette zu binden und damit
Abszesse am Zungengrund und am Kehldeckel (xAsi0J%e0v == Claustrum)
tastenderweise zu spalten (Bd. 2, S. 116).
Von besonderer Wichtigkeit ist für uns die Frage, ob die Griechen
bei der Inspektion der Mund-Rachenhöhle die Zunge hinabdrückten. Das
zweite Buch von den Krankheiten belehrt uns darüber (7eoi vovon»
10 Öevreoov = De morbis liber secundus, Ausgabe Kühn, Bd. 2, S. 212,
Deutsche Ausgabe, Bd. 2, S. 114). Dort heisst es: xai nv xatalapar
tv yAsccav oxErcın, in der lateinischen Uebersetzung: Quod si apprehensa
lingua consideraveris usw.
Es kommt hier hauptsächlich auf das Wort zazralaßav an. Der Ueber-
setzer hat dafür den Ausdruck „apprehensa“ gesetzt. In der französischen
Ausgabe Littré heisst. es „saisissant“. Die griechischen Wörterbücher
übersetzen xazelaußaverw mit: ergreifen, erfassen, anfassen, festnehmen, fest-
halten. Man müsste sich danach vorstellen, dass die Griechen die Zunge
nicht herabgedrückt haben, sondern herausstrecken liessen und daran zogen.
Ob dieses richtig ist, möchte ich dahingestellt sein lassen. Die Urbedeu-
tung von xara ist herab. In der Urbedeutung könnte das Wort mit
herabdrücken übersetzt werden. Diese Auffassung wird gestützt durch die
Art, wie ein alter Autor, J. Riolan in seinem Buche Cap. VII, S. 303, die
fragliche Stelle übersetzt. Bei ihm heisst es „depressa lingua“. Die
Alten konnten besser wissen, was der griechische Autor sagen wollte.
Selbstverständlich ist es aber auch möglich, dass Riolan etwas, was
zu seiner Zeit allgemeiner Gebrauch war, in den griechischen Ausdruck
hineinlegte.
Eine weitere Stelle, welche zur Aufklärung der Sache hätte dienen
können, konnte ich nicht auffinden. Es ist merkwürdig, dass bei der Mund-
untersuchung der Spatel nicht erwähnt wird, von dem die griechischen
Aerzte nicht allein zum Salbenstreichen, sondern auch zu anderen Prozeduren
reichlich Gebrauch machten. So zum Beispiel zum Aufrichten einer im
Faustkampf eingeschlagenen Nase: „Widrigenfalls musst du mit dem Finger
einen dicken Salbenspatel nicht in den vorderen Teil der Nasenlöcher,
sondern bis dahin, wo sie eingesunken ist, hineinschieben, von aussen aber
G. Killian, Zur Geschichte der Endoskopie. 351
die Nase mit den Fingern zu beiden Seiten anfassen, zurechtdrücken und
zugleich aufwärtsheben“ (II, S. 386).
Figur 2.
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Figur 3.
Spatel aus Pompeji.
Spatel gab es in den verschiedensten Formen. Die Museen enthalten
zahlreiche Exemplare. Sie hatten zumeist einen dünnen Stiel, der mit einer
kleinen Kugel endete. Man gebrauchte dafür den Ausdruck trrakeinıgov
302 G. Killian, Zur Geschichte der Endoskopie.
(von éaa@deigw == aufstreichen). Galen (18, a, 478) erklärt’dieses Wort
= omne id quo ad illimendum utimur, qualia sunt specillum, spathae
quae omnia in summo habent capitulum rotundum.
Dass die Griechen mit solchen Spateln in der Mundhöhle zu hantieren
verstanden, ergibt sich aus der Beschreibung der Nasenpolypenoperation
(Deutsche Ausgabe, Bd. 2, S. 118). Diese Operation wird mit einem fest-
geschnürten Schwamm vorgenommen, der an 4 starke, eine Elle lange
Fäden gebunden ist. Man verknüpft die Fäden an ihren Enden und schiebt
sie mittels einer Zinnsonde durch die Nase in den Rachen und in den
Mund. Die Polypen sollen dadurch beseitigt werden, dass der vor der
Nasenöffnung gelegene Schwamm durch diese und den Nasenrachen hin-
durch in den Mund gezogen wird. Um die Zugrichtung möglichst günstig
zu gestalten, bedarf es im Rachen hinten eines Hypomochlions. Dazu be-
nutzte Hippokrates einen vorn gabelförmig gestalteten Spatel. Der dafür
gebrauchte Ausdruck ist xn4y, wie Galen (Exeges XIX, 155) meint, ein
specillum bifurcum in summo dissectum ut ferfex. Ein gewöhnlicher Spatel
war zu dieser Prozedur nicht brauchbar, da er vorn abgerundet ist.
Figur 4.
Gabelförmiger Spatel aus Pompeji.
Selbstverständlich lässt sich die Frage, ob die griechischen Aerzte in
Hippokratischer Zeit den Zungenspatel gebrauchten, nicht mit Bestimmt-
heit beantworten. Vielleicht werden sich noch Beweise dafür erbringen
lassen. Denn nach dem, was die späteren Aerzte griechischen Ursprungs
berichten, muss der Gebrauch des Spatels zum Herabdrücken der Zunge
ein ganz allgemeiner gewesen sein.
Die Untersuchung der Nase scheint ohne besondere Hilfsmittel ausge-
führt worden zu sein. Es werden nur Veränderungen beschrieben, die sich
in den vorderen Abschnitten vorfinden. Aehnlich verhielt es sich mit dem
Ohr. Zu einer Untersuchung des Mastdarms wird von Hippokrates ein
Spekulum verwendet (De fistulis, Ausgabe Kühn, Bd. 3, S. 460). Die
betreffende Stelle lautet: „Lege hierauf den Kranken rücklings hin, sieh
mit dem Mastdarmspiegel nach, wo der Mastdarm angefressen ist usw... .*
Auch in dem Buche De haemorrhoidibus (Kühn, Bd. 2, S. 466) steht
etwas Aehnliches: „Sitzt aber der höckerige Knoten weiter oben, so musst
du mit der Zange untersuchen, darfst dich aber nicht von ihr irreführen
lassen. _ Oeffnest du nämlich die Sperrzange, so ebnet sich der Knoten,
zeigt sich aber wieder in seiner wahren Gestalt, wenn jene geschlossen
wird.“ Diese Sperrzange war nichts anderes als ein Spekulum, xarorır7e
genannt. Dies heisst wörtlich: Ausspäher, Beobachter. Ein verwandtes
Wort ist x@ro-tıgov, worunter man einen Spiegel von poliertem Metall
G. Killian, Zur Geschichte der Endoskopie. 393
verstand. Eine besondere Beschreibung und Gebrauchsanweisung iiber den
Mastdarmspiegel gibt Hippokrates nicht. Man gewinnt den Eindruck,
dass es sich um ein längst gebräuchliches Instrument handelt.
Den Mutterspiegel, den die Späteren diorrzo« nennen, finde ich nirgends
erwähnt.
Römer. Graecoromanen. Alexandriner.
Der erste rémische Medizinschriftsteller war Celsus. Er lebte von
25 vor bis 45 nach Chr., also ungefähr 400 Jahre später als Hippo-
krates. Im Jahre 1906 ist von Scheller eine deutsche Celsusausgabe
erschienen, welche mir gute Dienste leistete. Celsus wurde nachgesagt.
er habe die Ötoskopie erfunden. Das stimmt aber nicht. Er spricht nur
von der Untersuchung des Ohres im allgemeinen. Die Inspektion der
Nase, der Vagina und des Mastdarms wird nirgends erwähnt. Was die
Figur 5.
i
Speculum matris aus Pompeji. (Atlas von Vulpes, Tafel VIII, Fig. 7.)
Mund-Rachenhöhle angeht, so beweisen die Beschreibungen der Krankheits-
veränderungen, dass er sich auf eigene Anschauung stützt. Er beschreibt
Aphthen im Schlunde, Verschwärungen im inneren Teil des Rachens und
erwähnt von den Nasenpolypen, dass sie in den Rachen wachsen können,
so dass man sie hinter dem Zäpfchen hervorkommen sieht (Seite 341).
Dies beweist nicht nur, dass Celsus in der Betrachtung der Mund-Rachen-
höhle eine grosse Uebung besass, sondern auch, dass er sich mit der Be-
leuchtung gut einzurichten verstand.
Dass bei Celsus keine Spekula erwähnt werden, liegt, wie Gurlt
meint, daran, dass die beziiglichen Teile seiner Schriften verloren gegangen
sind. In Wirklichkeit haben die rémischen Aerzte schon sehr kompliziert
gebaute Spekula gebraucht. Solche wurden in Pompeji, das bekanntlich
im Jahre 70 n. Chr. unterging, aufgefunden. Sie müssen demnach aus
der Zeit vor Archigenes und Soranus stammen, über die wir später zu
berichten haben.
354 G. Killian, Zur Geschichte der Endoskopie.
Figur 6.
Speculum matricis aus Pompeji; a geschlossen, b geöffnet.
Figur 7.
Speculum ani aus Pompeji.
G. Killian, Zur Geschichte der Endoskopie. 355
In Pompeji hat man ein schönes dreiarmiges Vaginalspekulum gefunden,
dasselbe ist 21 cm hoch, die Scheidenarme haben eine Länge von 9!/, cm.
Neuerdings hat man aber auch ein vierblätteriges Spekulum ausgegraben,
wie Figur 3 zeigt. Es ist höchst geistreich konstruiert und wird wohl
griechischen Ursprungs sein. | |
Das in Pompeji gefundene Mastdarmspekulum ist zweiblätterig, viel
einfacher, auch kleiner. Es darf uns besonders interessieren, weil es das
Vorbild unseres heutigen Nasenspekulums geworden ist. Man sieht zwei
parallel gestaltete Arme durch ein Gelenk verbunden.
Archigenes, aus Apamea in Syrien, lebte unter Trajan in Rom und
war dort von 98 bis 117 n. Chr. tätig. Von seinen Schriften kennen
wir nur Bruchstücke. Eines derselben, von Aetius zitiert, berichtet über
den Mutterspiegel. Archigenes gilt als erster, der eine genaue Be-
schreibung von diesem Instrument lieferte, das hier diozrtorouóy = Hin-
durchseher genannt wird. Die lateinische Uebersetzung des griechischen
Textes lautet bei Aetius folgendermassen: „Atque tum mulier locetur in
sella supina, ut crura habeat ad ventrem contracta, et femora inter se dis-
parata. Et cubiti ipsius poplitibus subjiciantur, et idoneis vinculis ad
cervicem religentur. Et hoc ad claram lucem fiat, assideatque e dextris
chirurgus et per dioptram instrumentum, pro aetate commodum ad pudendi
deductionem speculetur, et per specillum sinus muliebris profunditatem
dimetiatur, ut ne maior dioptrae tibia uterum comprimat. Et si reperta
fuerit tibia eius sinus maior, lanae convolutae labiis sine alis pudendi im-
ponantur ut in ipsis dioptra firmetur, oportet autem tibiam immittere,
cochlea ad supernam partem vergente, et dioptram quidam a chirurgo
teneri, cochleam vero per ministrum circumverti, ut diductis tibiae plicis
sinus distendatur.“
Diese Stelle beweist eine hohe Ausbildung der endoskopischen Technik,
sowohl was das Instrument, als was seine Handhabung angeht. Es wird
eine Beschreibung der Körperhaltung der Patientin gegeben. Der Arzt er-
hält eine Anweisung, wie er sich zu stellen hat. Zum ersten Mal finden
wir die Beleuchtungsfrage zu endoskopischen Zwecken erörtert (et hoc ad
claram lucem fiat). Hier handelt es sich um das schöne helle Licht des
Südens. Das Spekulum selber ist nach dem Alter der Patientin auszu-
wählen (pro aetate commodum), also den Grössenverhältnissen der zu
untersuchenden Teile anzupassen. Die einzuführenden Arme des Instru-
mentes werden vorher mit Wolle umwickelt, damit sie nicht drücken. Dies
lässt uns die Anwendung derartiger Instrumente weniger gewaltsam er-
scheinen. Besondere Sorgfalt wird auf die Einführung verwandt. Während
der Assistent an der Schraube dreht, überwacht der Arzt die Dilatation.
Mit Archigenes hat auch einer seiner Zeitgenossen, Soranus aus
Ephesus (Rom, 98—108 n. Chr.), der hauptsächlich Geburtshelfer war, den
Mutterspiegel in ähnlicher Weise beschrieben. In der mir vorliegenden
Ausgabe: Sorani gynaeciorum vetus transl. latina a Val. Rose, Leipzig
1882, in dem Kap. 23, S. 117, welches darüber handelt: Qua disciplina
356 G. Killian, Zur Geschichte der Endoskopie.
organo aperiendae sint mulieres (= zregi diorrtgiouov), finden wir eine
ausführliche Schilderung der Dioptra, welche folgendermassen lautet:
„deinde accepto organo et uncto priapisco quem Graeci loton dicunt in
aliquantum ad prunes calefacere (debes), deinde sine quassatione priapiscum
inicere, sursum scilicet axe posito, iubere etiam ministro ut aperiendo
organo axem torquere incipiat, ut paulatim partes ipsae aperiantur. Cum
vero post visum organum tollere volueris, ministro jubere ut iterum axem
torqueat quo organum claudi possit, ita tamen ut cum adhuc in aliquantum
patet sic auferatur, ne universa clausura aliquas teneat et nocere incipiat.“
Man sieht auch hier wieder die grosse Sorgfalt, das Einfetten und Er-
wärmen des Instrumentes und die tunlichste Vermeidung von Schmerzen.
Galen.
Von Geburt Grieche, aus Pergamum, 131— 201 n. Chr., hielt sich vor-
übergehend in Alexandrien auf, lebte von 164 ab in Rom.
Er hat die Schriften des Hippokrates mit Kommentaren versehen.
Neues über Endoskopie findet man in seinen vielbändigen Werken nicht.
Auch gibt er keinen Aufschluss über die Art, wie man die Mund-Rachen-
höhle untersucht und welche Instrumente man dazu gebraucht. Er erwähnt
nur das Niederdrücken der Zunge. Die betreffende Stelle bezieht sich auf
Hippokrates und interessiert uns besonders wegen des Wortes Pharynx
(Ausgabe Kühn, XVIII. Bd., 2, S. 265): Hippokrates gueryya haud
dubie appellavit spatium illud, quod ante gulam gutturque situm est. —
— — Si quidem per «vxevo collum intelligit, gagvyya autem vocat eam
capacitatem, quae aperto ore linguaque depressa cernitur. In qua duo
ostia, unum gulae, alterum gutturis apparent.“ Der letzte Satz ist wohl
nicht ganz ernst zu nehmen. Hier spricht der Anatom Galen. Beim
Lebenden sieht man ja die Eingänge des Kehlkopfs und der Speiseröhre
nicht, wenn man die Zunge in der üblichen Weise hinunterdrückt.
Den Mutterspiegel und das Mastdarmspekulum erwähnt Galen und
spricht von der Notwendigkeit ihrer Anwendung.
Einen wesentlichen Schritt weiter bringt uns die Beschreibung der Er-
öffnung von Gaumenmandelabszessen, welche von Leonidas aus Alexandrien
gegeben wird. Dieser war ein Zeitgenosse Galens und lebte in Rom Ende
des zweiten und Anfang des dritten Jahrhunderts. Seine Schriften sind
uns nur in Bruchstücken erhalten. In dem Werke von Aetius, Tetrabiblos
per J. Cornarium, lib. VII, cap. 45 steht folgende Bemerkung: „Itaque si
perfectae aetatis sit aeger, eum desidere facito, postea diducto ore linguanı
cum specillo lato aut instrumento linguae deprimendae apto depri-
mito.“
Der Ausdruck „diducto ore“ scheint darauf hinzuweisen, dass man
cine Mundsperre gebrauchte, und unter specillum latum haben wir einen
breiten Salbenspatel zu verstehen. Der Schluss der zitierten Stelle zeigt,
dass es die Alten gerade so machten wie wir. Wenn sie keinen Spatel
7
G. Killian, Zur Geschichte der Endoskopie. 35T
zur Hand hatten, so benutzten sie den ersten besten Gegenstand, der ihnen
zum Herabdrücken der Zunge geeignet erschien.
Ich muss darauf hinweisen, dass der Salbenspatel hier zum ersten Mal
als passendes Instrument zum Herabdrücken der Zunge genannt wird.
Damit soll jedoch nicht gesagt sein, dass Leonidas diesen Gebrauch er-
funden habe. Wie wir oben ausführten, besteht eine gewisse Wahrschein-
lichkeit, dass schon die Schule von Kos mit Salbenspateln die Zunge
herabdrückte. |
Der babylonische Talmud.
Von grossem Interesse ist fiir uns die Tatsache, dass im Talmud ein
Vaginalspekulum erwähnt wird.
Ausführlich beschäftigt sich mit dieser Angelegenheit L. A. Cohen
(Kleine Bijdragen tot de Geschiedenis der Geneeskunde. Nederlandsch
Tijdschrift voor Geneeskunde. 23. Jahrg. I. 1887. p. 484). Er bezieht
sich auf die Stelle im Traktat Niddah, Folio 65b, wo von der Unter-
scheidung von Vaginal- und Uterusblutungen die Rede ist. Es steht dort,
die Frau solle sich ein Siphopherot einführen, in welchem sich ein Mechul
befindet, an dem Monch befestigt ist. Von diesem Siphopherot wird weiter
gesagt, dass es aus Blei gefertigt und an seinem Munde nach innen um-
gebogen sei. An einer anderen Stelle, Niddah. Folio 21b, ist ebenfalls
von diesem Spekulum die Rede. Der Kommentator Raschi gibt dazu die
Erklärung, dass es sich um ein Rohr handle. Dies kommt ja auch in dem
Namen (oiga» = Röhre) zum Ausdruck. Unter Mechul ist ein hölzerner
Mandrin zu verstehen. Monch bedeutet Scharpie.
Hervorgehoben sei noch, dass Mar Saumel, der Verfasser der zitierten
Stellen, nach J. Preuss (Biblisch-talmudische Medizin, Berlin 1911, S. 437)
schon im Jahre 257 n. Chr. gestorben ist.
Da der griechische Name auf griechischen Ursprung deutet, so haben
wir hier möglicherweise die Urform des Scheidenspekulums vor uns, die
den sinnreich konstruierten Blätterspekula der Griechen lange Zeit voraus-
gegangen sein muss.
Inder.
Röhrenförmige Spekula finden wir auch bei den Indern in den ersten
Jahrhunderten der christlichen Zeitrechnung, denn aus dieser Epoche stammt
nach Gurlt (I, S.36) der Ayurveda des Sugruta. Wer die griechischen
Schriften kennt, dem erscheint dieses grosse medizinische Werk der Inder
merklich von Griechenland beeinflusst. Man findet bei Sucruta die Krank-
heiten des Mundes, der Zähne, der Zunge, der Mandeln und des Rachens
beschrieben. Ueber die Untersuchung und Behandlung sind die Angaben
leider meist ungenügend.
Es verdient hervorgehoben zu werden, dass im allgemeinen Teil des
Werkes einige Ratschläge bezüglich der Beleuchtung bei Operationen und
358 G. Killian, Zur Geschichte der Endoskopie.
Fremdkörperextraktionen gegeben werden. Der Patient soll mit dem Ge-
sicht nach Osten gewendet werden, während der Arzt sein Antlitz nach
Westen zu richten hat — am Vormittag und bei Sonnenschein jedenfalls
ein durchaus zweckmässiges Verfahren.
Unter den chirurgischen Instrumenten werden solche von Röhrenform
erwähnt (vgl. die lateinische Ausgabe von Hessler, 1844, I, S. 15): Tubulata
instrumenta multimoda, multipliciter adhibenda, simplici orificio et duobus
orificiis instructa; aures ingressorum spiculorum causa et morborum inspi-
ciendorum causa, imbibendi causa, laborandi, ex tempore medicamenta
‘praeparandi causa, auditorii meatus latitudine praedita, aut pro applicatione
lata et longa demonstrantur. Fistularum ani, haemorrhidum, ophthalmiae,
vulnerum (ulcerum) alvi, ventris, urinae etc. etc. instrumenta insuper indi-
cabimus.
Unter den röhrenförmigen Instrumenten sind ausser Kanülen, Katheter.
Spritzen zweifelsohne auch Spekula zu verstehen, meint Gurlt (I, Seite 63).
Dies ergibt sich deutlich aus der Bemerkung: morborum inspiciendorum
causa. Eine bemerkenswerte Tatsache: bei den alten Indern röhrenförmige
Spekula! Dabei der besondere Hinweis auf den Gehörgang, seinen Durch-
messer und auf die Entfernung von Fremdkörpern. Man hat also das Ohr
mit einem Röhrenspekulum untersucht. Es ist dies der älteste Hinweis
auf die Otoskopie.
Obwohl bei Sucruta zur Behandlung von Mund- und Halskrankheiten
das Messer eine grosse Rolle spielt, ist doch von dem Herabdrücken der
Zunge nirgends die Rede. Die Uvula packte man mit dem Daumen und
Zeigefinger, zog sie an und schnitt sie ab.
Der Mastdarm wurde mit einem röhrenförmigen Spekulum unter-
sucht. Seite 80 meiner Ausgabe findet sich eine ausführliche Angabe
darüber:
Porro instrumenti (speculi ani) mensuram demonstraturi sumus. In-
strumentum hoc ferreum, mite, corneum aut ligneum, vaccae uberibus simile,
quatuor digitos transversos longum et quinque digitorum transversorum
mensuram in circuitu implens pro viris, sex autem digitorum transversorum
mensuram in circuitu implens pro feminis, unamque palmam longum est.
Id duobus foraminibus (fenestris) instructum est, scilicet inspiciendi causa
unum foramen, alterum foramen autem pro operatione locum habet. —
Foraminum mensura autem tres digitos transversos longa et pollicis
crassitudinem ampla est.
Es erinnert dies Instrument an das Siphopherot der Juden. Die Röhren-
form dieser Spekula muss die Urform gewesen sein.
Fassen wir alles zusammen, was im Altertum über die Untersuchung
der Körperhöhlen berichtet wird, so müssen wir zunächst zugeben, dass
Verständnis für die Beleuchtungsfrage vorhanden war, insbesondere bei den
Griechen und Indern. Beachtenswert ist ferner die Bemerkung des Archi-
genes bei der Scheidenuntersuchung: „et hoc ad claram lucem fiat“.
G. Killian, Zur Geschichte der Endoskopie. 359
Alles spricht dafür, dass die Griechen schon früh die Zunge mit dem
Spatel hinabdrückten, wenn auch erst Leonidas dies ausdrücklich er-
wähnt. Selbst eine Mundsperre scheint von letzterem schon gebraucht
worden zu sein.
Die Anal- und Vaginalspekula hatten anfangs wahrscheinlich Röhren-
form. Aus dieser sind die späteren zwei-, drei- und vierblätterigen Dila-
tationsspekula herzuleiten, welche einen hohen Grad endoskopischer Technik
erkennen lassen. Das Ohr haben in alter Zeit wohl nur die Inder mit
einem Röhrenspekulum betrachtet. Die Inspektion der Nase scheint nicht
geübt worden zu sein.
Mittelalter.
Byzantinisches Reich.
4.—7. Jahrhundert n. Chr.
Bei der Untersuchung der Mundhöhle bediente sich, wie wir gehört
haben, Leonidas des Ausdrucks: „diducto ore“; der Mund wurde auf-
gesperrt, wozu ein besonderes Instrument nötig war. Darüber erfahren wir
zum erstenmal bei Oribasius, einem der bedeutendsten Aerzte des byzan-
tinischen Zeitalters, Näheres. Er war wie Galen in Pergamum geboren 325
und hatte in Alexandrien studiert. Im Auftrag von Julian Apostata
verfasste er 361—363 n. Chr. in Konstantinopel eine Art Enzyklopädie der
Medizin aus den Werken der früheren Schriftsteller und fügte seine eigenen
Beobachtungen hinzu. Wir benutzten die griechisch-französische Ausgabe
von Bussemaker und Daremberg, Paris 1851—1876, 6 Bände.
Wenn bei irgendeiner Mundrachenkrankheit, so ist beim Tonsillar-
abszess das Aufsperren des Mundes angezeigt. Oribasius (III, Seite 590)
sagt darüber: ’Ev de zois nagoıduloıs &aoorjuætoçs ovoravros, diakerv
xo7 dieoreilavre 16 oroua To GrouaıodırRdıolei, 7 Oynyapov regivıror.
THEaVTA uerasv av ud xai tv yhodoouv xatactsidavia onadoumin
n 70 yAw000xeıdya; d. h. wenn in den Mandeln ein Abszess entstanden
ist, muss man ihn spalten, indem man den Mund aufsperrt mit dem Mund-
öffner oder mit einem Keil aus Eichenholz, den man zwischen die Back-
zähne klemmt, und die Zunge mit dem Salbenspatel oder dem Zungen-
spatel (Glossokatochon) niederdrückt. Es klingt so, als wenn der Mund-
öffner oder Holzkeil schon lange im Gebrauch gewesen wären. Leider steht
nirgends etwas geschrieben über die Konstruktion des Mundöffners.
Ausser dem Salbenspatel erscheint hier zum Herabdrücken der Zunge
zum erstenmal der Zungenspatel, das Glossokatochon. Auch von diesem
wird weiter nichts gesagt. Der Autor nimmt es als allgemein bekannt
an. Man hätte gern gewusst, woher es stammt und wie es beschaffen war.
Es scheint eine spätgriechische Erfindung zu sein.
Aus der Mitte des 6. Jahrhunderts zitiere ich eine Bemerkung von
Aetius, eines Schülers der Alexandrinischen Schule und Leibarztes
360 G. Killian, Zur Geschichte der Endoskopie.
Justinians. Bei der Ausschneidung der vergrösserten Gaumenmandeln
sagt Aetius (Tetrabibl. sec. serm. 4, cap. 48): „Quod ut commodius fiat,
aeger in claro et splendido loco collocetur et diducto ore etc.“ Auch bei
diesem Eingriff wurde demnach der Mund aufgesperrt. Ferner legte man
Wert auf gute Beleuchtung.
Besonders ergiebig war meine” Ausbeute bei Paul von Aegina,
einem der hervorragendsten medizinischen Schriftsteller der spätgriechischen
Zeit (4. [?]—7. Jahrhundert n. Chr., Alexandriner, lebte in Rom). Von
seinen Werken lag mir die lateinische Ausgabe von J. G. Andermann,
Lugduni 1567, vor. Im 30. Kapitel des 6. Buches schreibt er über die
Tonsillen (&vundec, weil sie einander gegenüberstehen):
„Collocato igitur homine adversus solis lumen, jubebimus ut ore hiat,
ministro caput continente, alteroque linguam spatha ad id facta quam Graeci
Glossokatochon appellant inferiori maxillae apprimente, nos hamulo per
tonsillam trajecto, etiam quantum licet ipsam attrahemus etc. etc.“
Zum erstenmal wird hier das direkte Sonnenlicht zur Beleuchtung der
Rachenhöhle bei der Tonsillotomie empfohlen. Paul gebraucht keine
Mundsperre. Es genügt ihm das Glossokatochon, das ein Assistent hält.
Jetzt erfahren wir auch, dass dies ein Spezialinstrument der griechischen
Aerzte war. Die Bemerkung „inferiori maxillae apprimente“ oder, wie es
in einer anderen Uebersetzung heisst: „lingua ... . ad inferiorem maxillam
depressa“, beweist, dass es sich um dasselbe Werkzeug handelte, welches
das ganze folgende Jahrtausend bei den Chirurgen im Gebrauch war (vgl.
die Figuren 17, 19, 20, 21 usw.). Das Glossokatochon ist eine Zange,
deren einer Arm in einen Zungenspatel und deren anderer in eine Gabel
ausläuft. Die letztere kommt unter das Kinn zu liegen, so dass ihre beiden
Zinken gegen die beiden Unterkieferäste drücken. Es ist begreiflich, dass
man damit die Zunge energisch gegen den Mundboden pressen konnte.
Der Patient war ganz in die Gewalt des Arztes bezüglich seines Assistenten
gegeben.
Paul von Aegina bedient sich auch der Anal- und Vaginalspekula
(Liber VI, cap. LXXVIIL, p. 639) in der herkömmlichen Weise.
Zum erstenmal erscheint bei ihm die Rhinoskopie in primitiver Art,
aber unter Verwendung der Sonnenstrahlen. Die Nasenöffnung wird mit
der linken Hand dilatiert: Figurato homine in sedili adversus solis radios
ei narium meatu sinistra manu explicato dilatatoque etc. etc.“ (Liber VI,
cap. XXV, p. 581, De polypo). Fallopio nimmt offenbar irrtümlicher-
weise an, dass Paul sich eines Nasenspekulums bedient habe: Paulus
vero dilatans nares speculo volsella Polypum arripit ete. (De tumor. praet.
natur., p. 298).
Alles in allem sehen wir in der byzantinischen Zeit die Untersuchung
der Mundrachenhöhle wesentlich fortgeschritten. Direktes Sonnenlicht,
Zungenspatel, Glossokatochon, Mundsperre sind im Gebrauch. Die Rhino-
skopie fängt an.
G. Killian, Zur Geschichte der Endoskopie. 361
Die Araber.
850—1162 n. Chr.
Eine interessante Zeit in der Medizin ist die arabische. Ihr Beginn
liegt über tausend Jahre zurück. Die arabischen Aerzte haben die Schriften
Figur 8.
cnonis batauinard. Ad ide fist gargariima
cú aqua decoctionis ircos liquiritie mel!’ z pa
rüggeli.
de fanguifugis que ingrediuntur gut
twr. Aiman.
Pm aliquis in gutture fuo titil
lationé fenferit 7 fanguis ubti
lisinde manaucerit erimandä
étúc fanguifugá in oze efie z p
cipucfiagua loci (quo fanguifnge fueris
bibcrit.d/Sillanus.
Yc oeterminat de fanguyfugis que in
grediuntur os 7 guttur:7 dwiditur tn
uas., Wio ponit figna. Secúdo cu
ra3.101 fecúda. Os ergo egrid®@e pia dicit
g cum quisfenferit in gutture uo nnilanones
7 fanguıe Pulis inde manauerit. arguendú eft
ibi fanguifugd ed:7 precipue fi biberu aquá laci
in quo fanguifuge fint Qtardú q rano fi
gnozü eft:quia ibi eft mozdicatio ppter motü
zcouofionem quam faciunt ibi 7 crit fanguis:
ar fanguifuge coxxodüt 7 foluür snnuü l.
itur carte aperiendü 7 liguaex
ra 2 inferius pzcméda z guttur in
folc é afpiciendts z fi fanguifirga in locop
pinquo péderc uifa fuerit cum forficibus
quibus fagitte educunf extrabéda erit gd
boc m6 fiet.caput dia pendeté mingen
dym z fic trabatur il.
Monit curd 7 dwiditur tn onas. P2io po
nit curam qi fanguıfuga eft manifefta . fectido
qiieft occulta.feainda ibi. 5 finon.@/ We
pima dicit q os egné aperiendum ¢ lingua ex
trabenda zinferius premenda 7 guttur ın fole i
fpiciendú. Jı fuerit mfa fangufuga pona i
loco ppinquo erit extrabenda cum fo2fiabus
cum qbus fagute extrabitur flringédo caput
a endet uel cú ungis Aj Mman.
d| A5 f nó fucrit manifefta eger multo
ticns gazgariset finapi ct aceto.q? d€ loco
Aus Rhazes.
Archiv für Laryngologie. 29. Bd. 3. Heft. 25
362 G. Killian, Zur Geschichte der Endoskopie.
der Früheren genau studiert und verdanken denselben ihr medizinisches
Wissen zum grösseren Teil. Aber sie haben auch Selbständiges hinzugefügt.
Bei Ali Abbas (um 850) fand ich nichts, was uns hier besonders inter-
essieren könnte. Bei Rhazes (geb. 850) auch nur Weniges. Die wichtigste
Stelle aus einer lateinischen Uebersetzung (Venetiis 1483) gebe ich in der
Nachbildung (Fig. 8). Sie handelt von den Blutegeln im Halse. Wir lesen, dass
der Patient seinen Mund öffnen soll. Die Zunge wird ihm herausgezogen (!)
und nach abwärts gedrückt. Man sieht bei Sonnenlicht (in sole) hinein.
Das Herausziehen der Zunge erinnert uns an die strittige Stelle bei Hippo-
krates. Rhazes empfiehlt es noch an einer zweiten Stelle, wo er von
dem gefallenen Zäpfchen redet (De casu uvulae).
Bei der Otoskopie wird das zu untersuchende Ohr der Sonne zu-
gewendet (Lib. II, cap. 12).
Etwas eingehender müssen wir uns mit Albukassim beschäftigen
(912—1013 [?]). Er hat nach Gurlt reichlich aus Paul von Aegina und
Rhazes geschöpft. Ich benutzte die lateinische Ausgabe von J. Channing,
Oxonii 1778. Es gibt auch eine französische von Leclerc. Das Werk von
Albukassim ist das erste, welches Abbildungen im Text bringt. Sie sind
allerdings recht primitiv und in den verschiedenen Ausgaben merkwürdiger-
weise nicht ganz gleich.
Von Zungenspateln werden zwei Formen aufgezeichnet. Der Autor
bemerkt zu der ersten (S. 201), dass das Instrument aus Silber oder einem
anderen Metall herzustellen sei, „subtile sicut cultellus“, was wohl soviel
sagen will wie in exakter Form und Arbeit.
Figur 9.
a b
Zungenspatel von Albukassim.
Mit einem solchen Spatel wird die Zunge herabgedrückt (S. 201, 205,
209, 211); der Kranke muss dabei in der Sonne (in clara luce solis) sitzen.
Eigenarlig verfährt Albukassim bei der Tonsillotomie. Der Arzt
nimmt den Kopf des sitzenden Patienten in den Schoss, öffnet ihm den
Mund und lässt von einem Assistenten die Zunge herabdrücken.
G. Killian, Zur Geschichte der Endoskopie. 363
Im zweiten Buche (Sect. 24, S. 175), bei der Operation der Nasen-
polypen (De curatione carnis in naso germinantis), kommt die Rhinoskopie
zu ihrem Recht: ,Oportet ut aegrum sedere facias inter manus tuas soli
oppositum et nasum ejus aperias ete.“ Leider ist nicht gesagt, womit man
die Nase 6ffnen soll. Wahrscheinlich geschah es durch Fingerdruck wie
bei Paul von Aegina. Ein Spekulum hitte Albukassim wohl be-
schrieben und abgebildet. Auch in das Ohr soll man sehen, indem man
es gegen die Sonne wendet (antrorsum soli aurem converte, Lib. II, S. 127).
Die Vorschriften fiir die Vaginal- beziiglich Uterusdilatation lauten bei
Albukassim wie bei Aetius, nur dass er anstatt der griechischen fein-
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Stelle aus Albukassim. Dabei eine dritte Form des Zungenspatels.
konstruierten Spekula solche zwar eigenartiger, aber doch sehr primitiver
Art verwendet. In skizzenhafter Weise bildet er drei verschiedene Formen
ab. Die Instrumente waren aus hartem Holz gefertigt. Zur Behandlung von
Frauenleiden wird auch ein konisches Spekulum aus Metall empfohlen.
Vielleicht handelte es sich um das Siphopherot des Talmud.
Ein Analspekulum wird nicht erwähnt.
Bei Avicenna (980—1037), in seinem Liber Canonis, Venetiis 1544,
fand ich nur über die Vaginaluntersuchung eine bemerkenswerte Stelle:
„Possibile est, ut perveniatur ad attestationem rhagadiarum ponendo sub
muliere speculum coram vulvam ejus, deinde aperiatur vulva ejus et con-
sideretur illud quod imaginatur in speculo.“ Man sollte es nicht glauben;
25°
364 G. Killian, Zur Geschichte der Endoskopie.
Figur 11.
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Figur 12.
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Scheiden- und Uterusspekula von Albukassim.
Figur 13.
Dilatator uteri von Albukassim.
Figur 14.
Konisches Scheidenspekulum von Albukassim.
G. Killian, Zur Geschichte der Endoskopie. 365
aber hier handelt es sich nicht um ein Spekulum, sondern um einen
richtigen Spiegel, der unter die erweiterte Vulva gehalten wurde. Anstatt
direkt, sah man so die Veränderungen im Spiegelbild. Wie Avicenna
zu dieser Methode kommt, bleibt rätselhaft. Sollte es sich wirklich nur
um ein Missverständnis des Wortes Spekulum handeln, wie Diepgen
meint, der mich auf diese Stelle aufmerksam machte? Es kann nicht ge-
leugnet werden, dass mit dem Planspiegel Licht in die Vagina reflektiert
und deren Inneres gespiegelt wurde. Bewusst oder unbewusst handelt es
sich hier um die erste Verwendung reflektierten Lichtes zu Beleuchtungs-
zwecken und die erste Betrachtung des Körperinnern im Spiegel.
Zusammenfassend kann man sagen, dass die Araber die Endoskopie
gepflegt haben, ohne sie wesentlich weiterzubringen.
Die Schule von Salerno.
1. Hälfte des 11.—13. Jahrhunderts.
Zeitalter der Kreuzzüge.
Die Schriften von Garipontus sind nach Gurlt aus Galen, Tralles,
Paulus und Priscianus kompiliert. Er hat vieles direkt abgeschrieben,
oft falsch.
Bei der Untersuchung des Mundes und Rachens drückt er die Zunge
mit dem Finger abwärts, eine primitive Methode, die jedoch vorher nie-
mand ausdrücklich erwähnt (— et linguam eorum digito compresserit —
zitiert nach Chauveau, Histoire des maladies du pharynx, Il., p. 24).
Constantinus Africanus (2. Hälfte des 11. Jahrhunderts) unter-
suchte das Ohr im Sonnenlicht (zitiert nach Dimitriades, Ueber fremde
Körper usw. im menschlichen Ohr, Athen 1909, S. 31).
Rolando (im 13. Jahrhundert in Parma und Bologna) sagt bei der
Inzision des Tonsillarabszesses (Lib. III, cap. 15), dass man die Zunge cum
instrumento nach abwärts drücken soll. Vielleicht ist hier das Glosso-
katochon gemeint.
Aehnlich äussert sich Bruno von Longoburgo (um 1252). Er be-
tont aber noch, dass der Kranke „in loco lucido“ sitze. Auch überlässt
er das Drücken auf die Zunge dem Assistenten. Dies geschah früher, wie
wir oben gehört haben, in der Regel mit dem Glossokatochon.
Bei der Nasenpolypenoperation steht nur: Aperias ergo nares infirmi
(Lib. II, cap. 2). Die Vaginaluntersuchung geschah in loco luminoso mit
einem Spiegel (wie bei Avicenna): „et speculum praesentetur natibus
illius“.
Das 14. und 15. Jahrhundert.
Zeit der Renaissance.,
Arnold de Villanova (1235—1312, Montpellier, Barcelona) schöpfte
seine Wissenschaft aus den Werken der Araber. In seinem Buche über
die Lepra kommt eine von Gerber gefundene Stelle vor, die sich auf die
366 G. Killian, Zur Geschichte der Endoskopie.
Untersuchung der Nase bezieht (Il, cap. 46). Um die Nase zu öffnen,
nimmt man einen kleinen Zweig (una parva virga ligni), gabelt ihn nach
Art der Klammern (ad modum tenaculorum) und bringt ihn in die Nase.
Damit wird sie offen gehalten. Zur Beleuchtung dient eine Kerze (et debet
respici interius cum candela incensa). Zum erstenmal erscheint hier in
der Literatur die künstliche Beleuchtung zu endoskopischen Zwecken.
Bernardus de Gordonius drückt bei der Pharyngoskopie auf die
Zunge, sieht in loco luminoso ins Ohr und betrachtet mit einem unter-
gehaltenen Spiegel das Innere der Vagina.
Grosse Beachtung verdient die Chirurgia magna des Guy de Chauliac
(1300—1868, Avignon), der vieles von den Arabern übernommen hat.
So verfährt er bei der Tonsillotomie wie Albukassim. Er setzt den
Kranken vor sich, der Sonne gegenüber und drückt mit einer „palata ad
hoc apta“ (im französischen Text: palette) auf die Zunge. Oder er nimmt
wie jener den Kopf des Kranken in seinen Schoss:
Die Nase wird mit einem Spekulum geöffnet bei Sonnenbeleuchtung.
Leider gibt er keine Beschreibung von diesem Instrument.
Die Otoskopie betreibt er schon in vollendeter Form: Bei Sonnenlicht
wird an dem Ohr gezogen (trahendo aurem) und der Gehörgang mit einem
Spekulum oder anderen Instrument geöffnet (ampliando).
Von der Vaginaluntersuchung heisst es nur: et instrumentum dictum
speculum secundum Avicenna ad hoc multum juvat. Auch das Anal-
spekulum erscheint wieder bei der Untersuchung der Hämorrhoiden: ad hoc
multum juvat instrumentum dilatatorium, speculum dictum, maxime in
occultis, quia eo aperiatur et dilatatur anus.
Valesco de Taranta (1418, Montpellier): Die Mundrachenunter-
suchung geschieht an einem hellen Ort. Man drückt mit einem breiten
und dünnen Spatel auf die Zunge. Bei der Nasenpolypenoperation ist das
Bedürfnis nach guter Beleuchtung so gross, dass man am besten den
Patienten an einen Ort bringt, wo die Sonne so leuchtet, dass ihre Strahlen
in die Nase eindringen (ubi lucet sol taliter quod radii subintrent nasum).
Zur Ohruntersuchung verlangt er nur einen hellen Ort. Zur Dilatation der
Vagina bedient er sich des Spekulums.
Pietro d’Argellata (f 1423, Bologna) behauptet, dass Ali Abbas
‘die Nase im Sonnenlicht mit einem kleinen Spekulum dilatiert habe. Die
Stelle über die Otoskopie ist wörtlich von Chauliac abgeschrieben.
J. M. Savonarola (f 1440, Grossvater von Girolamo S. [f 1498])
lebte in Padua und Ferrara. In seiner Practica ist die interessanteste
Stelle für uns die, auf welche schon Imhofer aufmerksam gemacht hat.
Der Autor spricht dort von den Störungen, welche Anschwellungen der
Epiglottis hervorrufen. Er beschreibt die Farbe des Kehldeckels und be-
merkt dazu, dass man ihn bei stark herabgedrückter Zunge sehen könne:
Tumor perceptus ex inspicione in gutture depressa lingua maxime etc.
Bisher war bei den Aerzten nur von dem Niederdriicken der Zunge die
Rede. Der Zusatz „maxime“ ist etwas Neues und verdient grosse Beachtung;
G. Killian, Zur Geschichte der Endoskopie. 367
denn in der Tat kann man ja bei stark herabgedrückter Zunge bei vielen
den Kehldeckel sehen. Imhofer sieht in der Bemerkung Savonarolas
mit Recht den Anfang der direkten Laryngoskopie.
- Bei der Besprechung der Fremdkörper im Halse merkt man auch, dass
Savonarola den Wert einer guten Beleuchtung richtig einschitzte. Er
führt seinen Patienten an einen hellen Ort und wenn es möglich ist, da-
hin wo die Sonne scheint.
Von der Rhinoskopie heisst es: „faciat (d. h. der Operateur der Nasen-
polypen) sedere patientem in loco apposito soli, deinde dilatet nares cum
speculo convenienter.“ Das Ohr wird bei direktem Sonnenlicht untersucht,
die Vagina mit dem Spekulum.
Von Arcolano (f 1460, Bologna, Padua, Ferrara) wird die Situation
bei der Tonsillotomie sehr ausführlich beschrieben (Practica, 1X, cap. 55).
Der Patient sitzt an einem hellen Ort auf einem Stuhl — super una
cathedra. Ein Assistent hält den Kopf. Der Arzt drückt mit einem
„Speculum“ stark (fortiter) die Zunge nach abwärts und übergibt das
Instrument, welches entweder ein einfacher Spatel oder, was wahrschein-
licher ist, ein Glossokatochon war, einem zweiten Assistenten.
Figur 15.
Zungenspatel von Arcolano.
Bei der Rhinoskopie wird ein Spekulum besonderer Konstruktion ge-
braucht. Es kann durch eine Kurbel aufgeschraubt werden, geradeso wie
die Anal- und Vaginalspekula.
Figur 16.
Nasenspekulum von Arcolano.
Giovanni da Vigo (1460—1517, aus Rapallo) erwähnt das Ohren-
spekulum und die Sonnenbeleuchtung, auch beschreibt er genau den Ge-
brauch des Speculum ani.
Zusammenfassung.
Die Schule von Salerno hat die Untersuchung der Körperhöhlen nicht
gefördert, im Gegenteil scheint mancher gute Rat der Früheren vergessen
gewesen zu sein.
368 G. Killian, Zur Geschichte der Endoskopie.
Von den Aerzten der Renaissance kann man sagen, dass sie auf der
Höhe standen und auch da und dort neue Gedanken entwickelten. Vor
allem wurde von ihnen die gute Beleuchtung, besonders mit direktem
Sonnenlicht vollauf gewürdigt. Taranta verlangte ausdrücklich, dass die
Sonnenstrahlen in die Nase eintreten. Mit der Verwendung des Kerzen-
lichtes durch Villanova beginnt die Aera der künstlichen Beleuchtung.
Zur Untersuchung der Nase verwandte man anscheinend zum ersten Male
Spekula.
Guy de Chauliac führte auch bei der Otoskopie ein Spekulum ein.
Auch Vigo erwähnt dieses Instrument. Die Anal- und Vaginalspekula be-
haupten in dieser Zeit ihr altes Recht.
Bei der Mundrachenuntersuchung wird zum erstenmal gesagt, dass der
Patient auf einem Stuhl sitzen soll (Arcolano). Sonderbarerweise wird
das Glossokatochon nirgends ausdrücklich genannt. Mit stärkstem Spatel-
druck erreicht es Savonarola, die Epiglottis zu sehen und wird damit
zum Vorläufer der direkten Laryngoskopiker.
16. Jahrhundert.
Eine grosse Zahl von berühmten Professoren und Aerzten war im
16. Jahrhundert literarisch tätig. In allen Kulturländern blühte die Medizin.
Auch die deutsche Chirurgie erscheint jetzt auf dem Plan. Durchgesehen
habe ich die Werke von: Hans von Gersdorf (1476—1517), Riolan
(1539—1606), Pierre Franco (1500—1561), Vidus Vidius (bis 1569),
Dalla Croce (1500[?]—1575), Ambroise Paré (1510—1590), Walther
Ryff (bis 1562 [?]), Gabriel Falloppio (1523—1562), Guillemeau
(1530—1609), Giulio Cesare Aranzi (1580—1589), Schenk von
Grafenberg (1531—1598), Fabricius ab Aquapendente (1537—1619),
van Heurne (1543—1601), Fabricius Hildanus (1560—1634). Ausser-
dem benutzte ich Zitate aus Trincavella (1496—1568), Houillier (bis
1562), Mercurialis (1530—1606), Prosper Alpino (1553—1627), Jac.
Rueff (bis 1587) und Mercado (1520—1606).
Es wäre zu ermüdend, die Auszüge aus allen diesen Schriftstellern
der Reihe nach vorzunehmen. Ich behandle daher die einzelnen Unter-
suchungsmethoden zusammenfassend.
Die Untersuchung des Mundes und des Rachens wurde von allen mit
dem Zungenspatel ausgeführt. Einige geben gute Abbildungen davon, so
Ambroise Paré und Walther Ryff. Der Spatel von Paré hat die
denkbar einfachste Form, ein Stab, vorn abgeplattet und im Winkel
abgebogen. An dem Zungenspatel von Ryff bewundern wir die elegante
Form und den künstlerischen Griff. Im Text heisst es dazu: „gestalt
wie ein breyt scheufelin, damit magst du in der Noturfft die Zungen
niedertrucken.“
Guillemeau hat (1602) die Ehre, zum erstenmal den Löffel zum
Herabdrücken der Zunge empfohlen zu haben: ayans premierement garny
la langue du Speculum oris ou d’une cuiller (p. 686).
G. Killian, Zur Geschichte der Endoskopie. 369
Figur 17.
Figure dedeux diuers Speculum oru, pour tenir la bouche ouuerte
du malade,alhenre del operation.
Aus Paré. Oben das Glossokatochon, unten der Zungenspatel.
`
Figur 18.
Zungenspatel von Walther Ryff.
Figur 19.
SPECVLYM ORIS.
Glossokatochon = Speculum oris von V. Vidius.
Das Glossokatochon war bei den Mundrachenoperationen allgemein im
Gebrauch. Es weist verschiedene Formen auf. Die einfachste finden wir
bei Vidus Vidius.
Etwas mehr Schwung haben die Instrumente von Ambroise Paré (vgl.
Fig. 17) und Walther Ryff (Fig. 20), sowie die von Dalla Croce (Fig. 21)
und Guillemeau abgebildeten (vgl. Fig. 24). Ganz eigenartig nimmt sich das
370 G. Killian, Zur Geschichte der Endoskopie.
Figur 20.
Glossokatochon von W. Ryff.
Figur 21.
Glossokatochon von Dalla Croce.
Figur 22.
i
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USE
Mi AM if
ee
Sy
)
Glossokatochon von Fabricius ab Aquapendente.
Figur 23.
Mundsperre von Ky ff.
G. Killian, Zur Geschichte der Endoskopie. 371
Glossokatochon von Fabricius ab Aquapendente aus (Fig. 22). Von der
kiinstlerischen Form abgesehen zeigt es eine wichtige Neuerung: die beiden
Griffe können mittelst einer Schraube einander genähert werden. So lässt
sich ein beträchtlicher konstanter Druck auf die Zunge ausüben. Be-
merkenswert finde ich, dass sowohl Vidius wie Paré und Fabricius ihr
Figur 24.
SPECVLVM. ORIS ET MATRICES
wi nn ——
=
2
EZ
=
“Pod
æ
TON
3 ac
LAU
we
m~a
=
G
AEG
Instrumente von Guillemeau.
Glossokatochon einfach Speculum oris nennen. Guillemeau sagt „Glosso-
katoptron“. Ryff schreibt: „Wirt ein Mundstück genannt, dienet darmit
die Zungen niederzutrucken.“
Ausser Spatel und Glossokatochon kam bei einigen noch die Mund-
sperre zur Anwendung. Sie ist nach Ryff unter besonderen Umständen
angezeigt: „In dem grossen Schlag oder Appoplexi begibt es sich viel-
mals, wie auch in der fallenden Sucht, ohnmacht und schwachheyt sampt
372 G. Killian, Zur Geschichte der Endoskopie.
anderen dergleichen Gebrechen, dz etwan der patient die zän dermassen
auff einander beisst, dz man ihm den Mund nit wohl auffbrechen mag.
Inn solchem Fall ist dieses Instrument über die mass nutz und gut, den
Figur 25.
174 IVL CAES. ARAN TII
per nares attracta, Lauare, & cruorem abfterge-
re conducit , fiqueimpedimenti aliquid adferat
hamorragia,in pofteram diem adminiftratio dif-
ferenda eft. expleta manus opera, partim pofca,
partim vino granatorum per ovens nares
abluantur,, fiquein fauces libere peruenerit, ac
probe infpirare liceat,fublatz caruncule funt in-
ditia.hac igitur ratione funt curandi: nam probé
euulfi,folius vini granatorum lotione preferuari
folent. fed cùm aliquando in, huiufmodi aione |
verfarer,folisque radij interim nubilofo cglo de.
fiderarentur,vrgeretque necefsitas que ingenia
acuit, induftr Er nos efficit, phialam ob id ex
purifsimo vitro aqua limpidifsima refertam ex.
cogitaui.pofito ad pofteriorem eius partem funa-
li cereoaccenfo,vel maiori candela,radius quida
folari non abfimilis 4 phiala emicat, quiinternas
nares adeo illuftrat, ve huicmanum adminiftra.
tion: fuppetias afferre pofsit. fed hacha@enus,
De Oana, Cap. XXIL
Vemadmodum polypi funt de genere
farcomatum ; ita & Ozena inter mali
modi vicera reponuntur., quibus tu»
mor adidus eft, augeturque interda
adeo,ac nares replet, vt refpiratinnem remore-
tur.Hutus affe&us caufa eft acrrum humorum ine
fluxus
Stelle aus G. C. Aranzi.
mund fein gemach und seuberlich darmit aufzuschrauben, nit allein dem
Patienten lufft und labung zu geben, sunder ihm auch underweilen mit
bequemer artznei zu helffen.“ Wie man aus unserer Fig. 23 ersieht, ist
Ryffs Mundsperre sehr zweckmässig gebaut. Eine ähnliche hat Paré an-
gegeben.
G. Killian, Zur Geschichte der Endoskopie. 373
Wesentlich anders sieht das Dilatatoire de la bouche von Guillemeau
(vgl. Fig. 24x) und A. Paré aus. Hier werden zwei geriefte Platten,
welche parallel stehen, durch eine Schraube voneinander entfernt. Es
darf nicht vergessen werden, dass schon Leonidas und Oribasius Mund-
sperren gebrauchten. Auch der Holzkeil des letzteren fand im 16. Jahr-
hundert wieder Anwendung: „deinde ore aperto, ponendo lignum intra dentes
aegroti* (Leonell, Practica, cap. 19).
Von einer besonderen Beleuchtung bei der Mundrachenuntersuchung
ist bei keinem der genannten Autoren die Rede, nur Guillemeau ver-
langt „un lieu clair“.
- Anders verhält es sich bei der Rhinoskopie. Hier trägt man das
Verlangen nach direktem Sonnenlicht. Ganz einzig steht Giulio Cesare
Aranzi da. In seinen Tumores praeter naturam, Venedig 1587, finden
wir Seite 172, Kapitel 21, De affectibus narium et primo de polypo, den
Hinweis, dass man den Kranken dem Fenster gegenüber auf einen Stuhl
setzen soll in die Strahlen der Morgensonne. Besser noch ist es, um den
Patienten, Assistenten und sich vor der Sonnenhitze zu schützen, den
Fensterladen zu schliessen und die Sonnenstrahlen nur durch ein eigens
angelegtes Loch im Laden ins Zimmer eintreten und ins Naseninnere ein-
dringen zu lassen. Wenn der Himmel mit Wolken bedeckt ist und keine
Sonnenstrahlen zur Verfügung stehen, macht Aranzi von künstlichem Licht
Gebrauch. Er findet aber, dass (artificialis luminis flamma agentis aspectum
impedit) die Flamme des künstlichen Lichtes dem Arzt den Einblick
hindert, d. h. doch wohl, wenn man das Licht dicht vor die Nase hält.
Deswegen kam er auf den Gedanken, phialam ob id ex purissimo vitro
aqua limpidissima refertam zu verwenden. Unter einer phiala haben wir
offenbar eine stark gebauchte, fast kugelige Flasche zu verstehen. Sie
musste der besseren optischen Wirkung wegen aus reinstem Glas gefertigt
und mit klarem Wasser gefiillt sein. Hinter die Flasche wurde eine Wachs-
fackel oder grössere Kerze gestellt und angezündet (posito ad posteriorem
eius partem funali cereo accenso, vel maiori candela). Bei dieser Anord-
nung tritt aus der Flasche ein Strahl von Licht, der dem Strahl der Sonne
nicht unähnlich ist (radius quidam solaris non absimilis a phiala emicat).
Das Innere der Nase wird dadurch so hell, dass es beim Operieren von
grossem Vorteil sein kann.
Aranzi muss mit dem physikalischen Wissen seiner Zeit vertraut
gewesen sein. Die einer Camera obscura entsprechende Anordnung mit
dem Loch im Fensterladen und das Sammeln der divergenten Strahlen
einer künstlichen Lichtquelle mittels einer als Linse wirkenden wasser-
gefüllten Glaskugel hat er wohl kaum selbständig erfunden. Sein Ver-
dienst ist mehr, derartiges für medizinische Zwecke angewandt zu haben.
In Poggendorfs Geschichte der Physik (Leipzig 1879) wird Porta
als derjenige bezeichnet, der in seiner Magia naturalis 1589 zuerst die
Camera obscura beschrieben habe (d. i. zwei Jahre nach Aranzi). Er
gilt jedoch nicht als der Erfinder derselben und gibt sich auch nicht dafür
374 G. Killian, Zur Geschichte der Endoskopie.
aus. Die Kamera findet sich schon in den nicht herausgegebenen Hand-
schriften von Leonardo da Vinci (7 1519). Nach Venturi hat ein
Benediktinermönch Dom Panuce die Kamera erfunden vor Leonardo. Sie
wird im 16. Jahrhundert in verschiedenen Werken genannt. Portas
Kammer hatte anfangs ein einfaches Loch im Fensterladen. Eine weisse
Fläche fing die einfallenden Strahlen auf. Erst später setzte er eine
Konvexlinse in das Loch.
Was die mit Wasser gefüllten Glaskugeln angeht, so war nach
Hirschberg (Graefe-Saemisch, Handbuch der ges. Augenheilkunde,
Figur 25a.
Aus Hans Sachs und Jost Amman.
6. und 7. Lieferung, Leipzig 1899, S. 175) schon den alten Griechen deren
Brennwirkung bei durchfallenden Sonnenstrahlen bekannt. In Plinius
Zeit sah man mit Wasser gefüllte Hohlkugeln bei Arzneihändlern. Sie
wurden von den Aerzten dazu gebraucht, um eine Brennwirkung auf Ge-
schwüre auszuüben. Die Griechen der späteren Zeit sollen nach Hirsch-
berg auch gewusst haben, dass solche Kugeln das Bild kleiner Gegen-
stände vergrössern. Davon spricht zum Beispiel Seneca.
Ob die wassergefüllte Glaskugel, unsere Schusterkugel, in Aranzis
Zeit schon bei den Handwerkern im Gebrauch war, ist fraglich. Auf
alten Bildern kann man nichts davon finden. In einem illustrierten Werke
von Hans Sachs und Jost Amman: „Eigentliche Beschreibung aller
G. Killian, Zur Geschichte der Endoskopie. 375
Stände auf Erden“ aus dem Jahre 1568 ist bei den Schustern und Schneidern
nichts von einer Glaskugel zu finden, dagegen bemerkt man eine solche
links in dem Bilde vom „Furmschneider“, welches ich hier wiedergebe.
Figur 26.
Ohrspekulum von Fabricius Hildanus.
Figur 27.
De
SPECTLIM ANE
Speculum ani von Vidus Vidius.
Nach dieser Abschweifung komme ich wieder auf unsere Rhinoskopie
zurück. Es muss noch festgestellt werden, ob das Nasenspekulum im
16. Jahrhundert eine Rolle gespielt hat. Unerwarteterweise ist es mir
376 G. Killian, Zur Geschichte der Endoskopie.
nicht gelungen, eine Stelle zu finden, die Zeugnis dafür abgibt. Fabricius
ab Aqu. spricht nur von dem Oeffnen der Nase mit der linken Hand,
van Heurne lässt dies durch einen Assistenten besorgen (alterque minister
nares aperiat). Aranzi sagt: „— alterius vero ministri opera extremus
nasus tantisper compressus ad superiora trahatus, ut narium foramen paulo
latius evadat“. So machen wir es jetzt noch, wenn wir ohne Spekulum
Figur 28,
WOSPECHErIM FTERT.
wo Fri ™ y = .
>
A `
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te). oh.
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A
A
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2
a
2
A
7
Uterusspekulum von Vidus Vidius.
untersuchen. Wie es scheint, hat man in damaliger Zeit zumeist ein
Spekulum für überflüssig gehalten.
Bei der Otoskopie dagegen bedienten sich Fallopio und Fabricius
Hildanus eines Spekulums. Das von dem letzteren gebrauchte Instrument
(Speculum auris, Seite 1083) bilde ich umstehend ab (Fig. 26). Es erinnert
in seiner Konstruktion an die Holzklammer von Villanova. Sowohl
Fallopio als Hildanus empfehlen direkte Sonnenbeleuchtung,
G. Killian, Zur Geschichte der Endoskopie. 307
Die zwei- und dreiblatterigen Schraubenspekula fiir Anal-, Vaginal-
und Uterusdilatation finden wir im 16. Jahrhundert fast in allen
grösseren Werken beschrieben und abgebildet. Die Formen und Kon-
struktionen sind ziemlich mannigfaltig.. Der Erfindungsgeist der Aerzte
Figur 29.
PRRI A
Analspekulum von W. Rvff.
Figur 50.
Uterusspekulum von W. Ry ff.
Figur 31.
Spekulum von P. Franco fiir dic weibliche Urethra.
und der wesentlich leistungsfähigeren Instrumentenmacher scheint sich auf
diesem Gebiet geltend zu machen.
Fig. 27 zeigt uns die Specula ani von Vidus Vidius. Die untere
einfachere Form erinnert an unser heutiges Nasenspekulum. Das Uterus-
Archiv fiir Laryngologle. 29. Bd. 3. Heft. 96
378 G. Killian, Zur Geschichte der Endoskopie.
spekulum desselben Arztes (Fig. 28) hat einen sehr zierlichen und leichten
Bau und zeichnet sich dadurch wesentlich von den Instrumenten aus.
welche Guillemeau und Walther Ryff abgebildet haben. Das zwei-
blätterige soll gebraucht werden, wenn „der gebrech nit in der tieffe ligt“,
das dreiblätterige, wenn „du grössere und weitere eröffnung bedarffst“. Im
übrigen empfiehlt Ryff im Gebrauch der Instrumente grosse Vorsicht.
„Solche Instrumente sollen auch warm und mit bequemen Oelen wol
gesalbt gebraucht werden.“
Ein ganz neues Gebiet hat Pierre Franco der Endoskopie erschlossen,
nämlich die weibliche Urethra. Er dilatiert dieselbe mit einem besonderen.
schlanken, zweiblätterigen Schraubenspekulum (Fig. 31) und hat damit
wohl die Basis zur Urethroskopie gelegt.
Zusammenfassend können wir von dem 16. Jahrhundert sagen, dass
in ihm die Untersuchung der Körperhöhlen eifrig geübt wurde; auch war
man bestrebt, die ganze Frage zu fördern. Besonders fruchtbar war
Aranzi durch seine neuen Gedanken über Beleuchtung.
17. Jahrhundert.
Auch im 17. Jahrhundert haben wir einen wesentlichen Fortschritt
in der Beleuchtung zu verzeichnen. Peter Borell (1620—1689), zuerst
einfacher Arzt in seiner Vaterstadt Castres, später Leibarzt des Königs in
Paris (1653) schrieb ein Werk: Historiarum et observationum Medico-
physicarum Centuria IV. Seite 151 bringt er dort eine Mitteilung über
den Gebrauch von Konkavspiegeln in der Medizin.
Er sagt, er habe nirgends gesehen oder gelesen, dass ein Arzt oder
Chirurg sich eines Konkavspiegels bediente bei Geschwüren, die dem Blick
entzogen seien und die zu sehen doch von Nutzen sei. Als er ein Ge-
schwür im Innern der Nase nicht sehen konnte, habe er einen Holılspiegel
genommen und damit alles aufs beste erkannt, gerade so, als wenn es
aussen gewesen wäre. Um es noch besser zu machen, lenkte er Sonnen-
strahlen mit dem Konkavspiegel in die Nase auf die geschwürigen Stellen,
und sah so ihre Form, Grösse usw. Auch brachte er in gleicher Weise
mit einem Stäbchen Heilmittel an bestimmte Stellen.
Ebenso konnte er in anderen Körperhöhlen wie in der Tiefe des
Mundes, des Anus und der Vagina verborgene Ulzerationen beobaclhıten.
Es gelang dies mit den Konkavspiegeln besser als mit Hilfe der allgemein
gebräuchlichen Spekula.
Wir verdanken dem jüngst verstorbenen Rosenberg den ersten Hin-
weis auf diese wertvolle Mitteilung.
In Borells Zeit war der Holılspiegel hinreichend bekannt und fand schon
bei der Konstruktion von optischen Instrumenten Verwendung. Borells
Spiegel war selbstverständlich nicht in der Mitte gelocht. Man musste an
seinem Rande vorbeisehen. Blickrichtung und Achse des zur Beleuchtung
dienenden Lichtkegels waren nicht zentriert, wichen jedoch nicht weit vonein-
ander ab, so dass für das Sehen in die Tiefe doch noch viel gewonnen wurde.
G. Killian, Zur Geschichte der Endoskopie. 379
Der Fortschritt, den Borell erzielte, bestand in der Reflexion und in
der Sammlung des Lichtes mittels einer einzigen optischen Vorrichtung,
des Konkavspiegels. Sein Spiegel wurde zum Vorläufer unseres Reflektors.
Leider sind seine Mitteilungen von seinen Zeitgenossen nicht beachtet
worden. Aranzi war es ja auch nicht besser ergangen. Es kann einem
das nicht wundern in einem Jahrhundert, das von Krieg und Seuchen
so schwer heimgesucht war, wie das siebenzehnte.
Figur 32.
Ufus fpeculorumcancavorumin
eMedicina.
Össervarıo LII.
On adlıuc me vidiffe vel legiffe memo-
ror, Medicum ullum vel Chirurgum con-
cavo fpsculo ufum efle in ulceribus,qvz vifym
effugiunt,cernendis.lic&t non parum utilia fint,
Cum enim ulco in nafi radice interna cujufdam
obortum effet,nec ullo pa&o percipi poflet ej9
locus,vel magnitudo, ego ope fpeculiconcavi»
qvo fpecies valde augentur,omnia optime per-
cepiac fi externa tuiffent,utq; res melius pate-
ret, radium folis ope {peculiillius , mutuatus
fum, eumg, ad ulcus detulificq; ejus figuram
magnitudinem & omnia defiderata opmer
K 4
15% Hyorsarams & Obfervanenum
di,&deinde remedis ftili ope ad illud delata fue.
runt. Sicin aliis pargibys, uepate gris profun-
do,ana, vulva,&c. ulcera , aliaq; latentia,pen
Kipi poterunt » adhucqve melius,qvam vulga
riuin inftrumentorum ope {peculorum nomi.
na fortitorum. .
EEE
Aus Peter Borell.
Das Studium der damaligen medizinischen Literatur ist wenig cr-
giebig. Scultet (1621—1680) ist nur der Uebersetzer der Schriften des
Fabricius ab Aquapendente. Sein Werk zeichnet sich hauptsächlich
durch zahlreiche sehr instruktive Figuren aus.
Bei der Mundrachenuntersuchung werden nicht allein Glossokatochon
und Mundsperre abgebildet, es wird vielmehr auch gezeigt, wie man das
erstere anwendet.
Ein zweiblätteriges leichtes Spekulum dient der Mastdarmuntersuchung.
26*
380 G. Killian, Zur Geschichte der Endoskopie.
Figur 33.
Die Anwendung des Glossokatochon nach Skultet.
Figur 35.
Figur 34.
Zweiblatteriges Analspekulum von Dreiblätteriges Vaginalspekulum von
Skultet. Skultet.
Figur 36.
Nasen- und Ohrenspekulum von Cornelius Solingen.
G. Killian, Zur Geschichte der Endoskopie. 381
Auch das Vaginalspekulum zeichnet sich vor früheren durch seine
zierliche Gestalt aus.
Bei Cornelius Solingen (1641—1687) interessiert uns besonders
sein Nasen- und Ohrenspekulum, welche beide zu einem Instrument ver-
einigt sind.
In seiner Wundarzney (1693, Seite 161) wird der Nasenspiegel be-
sonders beim „Nasengeschwühr (Ozaena)* empfohlen, um zu sehen, „wie tief
und wie gross“ es sei. Die Untersuchung geschieht am sitzenden Patienten. Er
muss den Kopf zurückbeugen. Man wählt einen Ort, wo die Sonne scheint.
Das Dilatatorium auris findet seine Anwendung hauptsächlich bei Fremd-
körpern. Der Gehörgang wird mit der Schraube erweitert, soweit es nölig
ist, um gut sehen zu können.
Von den Uterusspekula war die Hebamme Sigmundin nicht sehr er-
baut. „Halte also den Mutterspiegel für eine unnötige Marter.“ Sie
denkt speziell an dessen Anwendung bei der Geburt zur Erweiterung des
Muttermundes.
18. Jahrhundert.
Etwas lebhafter gestaltet sich das medizinische Leben erst wieder im
18. Jahrhundert. Vor allem fand hier die Beleuchtungsfrage wieder neue
Förderung.
Figur 87.
The following Inftruments are propofed to remedy
fome kinds of Deafnefs proceeding from Ob-
firutions in the external and internal auditory
Paffages.
N order to difcover, with more Exaétnefs, whether
the Diforder lies in the outward Ear, I make ule of
a convex Glafs, Three Inches in Diameter, fixed ina
Handle, (Tas. VII. Fig. 8.] into which is lodged fome
Wax Candle, which comes out at a Hole near the
Glafs, and reaches to the Centre; which, when
lighted, will dart the colleé&ted Rays of Light into
the Bottom of the Ear, or to the Bottom of any Cavity
thatcan be brought into a ftrait Line, Therefore, when
it is difcovered by the Help of this Glafs, and lighted
Candle, that the Ear is full of hard Wax, which will
not
Stelle aus A. Cleland.
382 G. Killian, Zur Geschichte der Endoskopie.
Archibald Cleland, ein englischer Militärarzt, brachte im Jahre 1739
in den Philosophical Transactions, Vol. XLI, Part. I, p. 847, eine Mit-
teilung über einen neuen Beleuchtungsapparat. Die betreffende Stelle gebe
ich in der Nachbildung. In erster Linie beabsichtigte er, eine bessere
Beleuchtung des Gehörgangs zu erzielen. Er dachte aber auch an andere
Körperhöhlen, überhaupt an jede, die gerade gestreckt werden kann (that
can be brought into a strait Line), so dass das Licht in gerader Rich-
tung in die Tiefe gelangt.
Figur 38.
Clelands Beleuchtungsapparat.
Clelands Beleuchtungsapparat bestand aus einem Kerzenhalter mit
einer bikonvexen Glaslinse davor. Die Flamme musste der Mitte der
Linse entsprechen, deren Brennweite nicht näher angegeben wird. Im
übrigen besass sie einen Durchmesser von drei Zoll. Sie sollte das Licht
sammeln. Dafür war sie aber doch wohl zu nahe an der Flamme. Des-
wegen kann der Apparat nicht viel geleistet haben. Trotzdem bedeutet
er einen Fortschritt auf dem von Aranzi mit Kerze und Wasserkugel be-
tretenen Weg.
G. Killian, Zur Geschichte der Endoskopie. 383
Als weiterer Férderer der Beleuchtungsfrage ist Levret (1703—1780,
Chirurg und Frauenarzt in Paris) zu nennen. Was er im Mercure de
France (Bericht über die Sitzung der Academie Royale de Chirurgie am
2. Juli 1743) sagt, ist offenbar vielfach ganz falsch gedeutet worden.
Levret demonstrierte in der damaligen Sitzung einen Schlingen-
schnürer, um aus verschiedenen Körperhöhlen Polypen zu entfernen. Er
geht auf die Polypen „du gosier ou de la voüte du palais“ (des Schlundes
und der Gaumenwölbung), womit wohl die Nasenrachenpolypen gemeint
sind, näher ein. Bei der Operation derselben benutzt er ein Speculum
oris, d. h. ein Glossokatochon. Er hat an demselben einige Verbesserungen
vorgenommen, damit es die Zunge und den Unterkiefer besser packt
(assentir = unterwerfen). Ausserdem soll es mittels einer polierten Platte
die Lichtstrahlen an die Stelle reflektieren, welche der Tumor einnimmt.
Figur 39.
2436 MERCURE DE FRANCE,
Speculum oris , qui ont été faits jufqu’a préfent, trop
embarraflans pour opérer par fa Méthode; ilen a
inventé un qui affujettic au mieux la langue & la
mächoire inferieure, & qui par le moyen d’une
plaque polie , qui fait fon corps, réflechit lesrayons
Jumineux dans le lieu qu’occupe la tumeur ; M. Le-
vrette a fait avec fuccés depuis peu avec ces Inftru-
mens ‚la ligature de plufieurs Polipes, firuds dans
la cavité des narines ; il érend même leur vlage à
beaucoup d’autres tumeurs, comme on le verra dans
les Mémoires qu’il a donnés a ce fujet a l’Acadé-
mie , par exemple, à retrancher la luette , à extraire
les corps étrangers de l’afophage , &c.
AA AAAA AAAA S
Aus Levret.
Diese Platte, welche den Körper des Instrumentes bildet („qui fait son
corps“), war nichts anderes als die Zungenplatte des Glossokatochon. Es
ist nicht einmal sicher, dass sie plan war, denn darüber sagt Levret
nichts. Immerhin mag sie eben gewesen sein, wie an den meisten älteren
Instrumenten dieser Art. Als neu für uns ist also nur der Umstand zu
bezeichnen, dass Levret die Zungenplatte seines Glossokatochon polieren
lies. Es kam ihm darauf an, durch Reflexion des Lichtes eine
bessere Beleuchtung zu erzielen. Von einer gleichzeitigen Spiegelung und
Betrachtung des Tumors im Spiegelbild wird nicht gesprochen. Er dachte
ja auch nur an Nasenrachenpolypen, die hinter dem Gaumensegel sichtbar
sind. Ohne die Kenntnis dessen, was unter „Speculum oris“ zu verstehen
war, d. h. des Glossokatochon, ist die Mitteilung Levrets dunkel und
rätselhaft.
334 G. Killian, Zur Geschichte der Endoskopie.
Für uns hat an der ganzen Sache nur der Gedanke Levrets Be-
deutung, dass er durch eine in das Innere einer Körperhöhle eingeführte
Licht reflektierende Platte eine bessere Beleuchtung erzielen wollte Es
ist dies das Vorstadium der Beleuchtung mittels eines eingeführten Spiegels
Figur 40.
jicit in Meatum indito ; non infrequens hic effet in
pueris cafus, nifi inter initia occupreretur . Sed cum.
inftrumentis ad extrahendum immiffis haud raro acci-
derit, ut ejulmodi femina magis fint introrfum com-
pulfa; non ignotus mihi Chirurgus longe aliam ratio-
nem fecutùs in pluribus , feliciter exemit „ Scilicet o-
leum dulcium amygdalarum , aut lac per fiphonem
auricularium vi immifit ; fic enim fimul cum iis hu-
moribus regurgitantibus vidit ea femina referri , &
prodire. Cujus ego rationem cum @ Celfo ( k ) qui-
dem pramonitratam effe , dicerem , qui tyne oricula-
rio chfere aquam vehementer intus compellebat , fed
& monitum Sculteti ( } ) objicerem, in aurium affe-
ibus injectionum violentiam vetantis » ve membrana
tympani rumparur ; refpondit ille , fe vcro in nemine
cx jis pueris, quibus ea qua di&um elt, ratione edu-
xerat illapfa , quidquam in auditu detrimenti , vel
tempore interjedto , adhuc animadvertiffe . Veruntamen
ad hujulmodi fufpeétas injectiones , aut ad incifio-
nem, a Fabricio ( m ) minime probatam , ne quis ,
nifi quam rariilimis ın calıbus cogatur defcendere ,.
cum-alia, atque alia a Chirurgis propofita , erunt ane
tca in ulum trahenda, tum prefertim , ne illapfa in.
itrumentis immillis ulterius urgeantur , fed facilius ap-
prehenia eximantur , plurimum porni ea facili ra-
tionc qua laudatus Fabricius folebat , Meatum quoad
ejus ficri poteit , dirigere ac dilatare , fic autem dire.
&um, ac dilatatum , folis luce admiffa ,` maxime col-
Juftrare , huc {imul translata a naribus , Julii Cæfaris
Arantii ( » ) confuetudine: qui cum folls aflus , ce-
lo prafertim calidiove , agrotanti , medico , minifiris
moltfiiam adferat ; idcirco in lignea feneflra claufa ar-
tefattum foramen , ei munerı obeundo aptifimum exco-
gitavit ; ut per id fe fe infinyans folis radius ad pa.
tientis intcrnas nares elta perveniat Sed quoniam
foi non femper apparct ; ex ufu quoque , {i meliora
define, cile poterit candele lumen noétu, vel , fi io-
terdiu , oblqiro in loco per ampullam cryftallinam ,
aque plenam , fic trajcctum , ut plurimi cjus radii
in Meum incidant Auditorium.. Igitur alterutra
harum rationum , qux & ad alios illuftrandos recef-
fus, ut oris , & taucium , funt interdum , no@u
preiertim , commodiflim& , illuminato , a Chirurgi
laterc , altero {altem paricte ejus Meatus; fic enim&
Oppo
Aus Morgagni.
oder, genauer gesagt, der Ablenkung des Lichtes auf eine bestimmte, näher
zu betrachtende Stelle im Innern einer Körperhöhle mittels eines einge-
führten Spiegels, d. h. das Vorstadium des Kehlkopfspiegelprinzipes, aber
nur soweit der Kellkopfspiegel der Reflexion des Lichtes in die Tiefe dient.
In der Beleuchtungsfrage müssen wir auch Vater Morgagni (1682
bis 1771, Padua) zu Wort kommen lassen. Bei den Fremdkörpern im Gehör-
G. Killian, Zur Geschichte der Endoskopie. 385
gang zitiert er zuerst Fabricius. weil er sich des Sonnenlichtes bediente
(De sedibus et causis morborum, 1761, Liber I, p. 112.) Dann kommt er
auf Aranzis Beleuchtung des Naseninnern mit den durch ein Loch im
Fensterladen einfallenden Sonnenstrahlen oder mit den Strahlen einer
Kerze, welche durch eine mit Wasser gefüllte Glaskugel gesammelt waren,
zu sprechen und denkt an die Anwendung dieser Beleuchtungsart auf den
Gehörgang sowie für den Mund und Rachen. Die künstliche Beleuchtung
ist besonders bei Nacht dienlich. Das Licht kommt von der Seite des
Chirurgen her und trifft die gegenüberliegende Wand des Gehörgangs.
Auf solche Weise gelingt es:
„illapsa melius percipi
certius apprehendi
et felicius antrorsum duci
non temere introrsum compelli,“
ein in seiner Knappheit für die Fremdkörperfrage überhaupt geradezu
klassischer Ausspruch. Er zeigt, wie hoch Morgagni eine gute Be-
leuchtung bei der Entfernung von Fremdkörpern aus Körperhöhlen ein-
schätzte und für wie notwendig er ein gutes Sehen hielt. Dabei hat es
noch bis in die neueste Zeit Aerzte gegeben, die der Entfernung von Fremd-
körpern im Dunkeln das Wort redeten.
Auf dem Wege von Aranzi und Cleland tat der Gynäkologe Arnaud
(Memoires de Chirurgie, 1768) einen wesentlichen Schritt vorwärts und
konstruierte die erste endoskopische Untersuchungslampe. Dabei dienten
ihm zum Vorbild die längst gebräuchlichen kleinen Diebeslaternen. Seine
Lampe war innen versilbert und mit einer innen planen, aussen konvexen
Linse von 1!/, Zoll Durchmesser versehen. Er bediente sich dieser Lampe
bei eingeführtem Spekulum und lenkte ihre Strahlen auf die Teile, die er
untersuchen wollte (je dirige les rayons lumineux sur les parties que je
veux examiner). Es bleibt dahingestellt, ob Arnaud viel an dem Typ der
Diebeslaternen geändert hat. Mit einer Konvexlinse waren sie ja wohl zu
seiner Zeit schon versehen. Sein Verdienst beruht darin, diese Art von
Beleuchtung der Medizin dienstbar gemacht zu haben.
Einen guten Abschluss fand das 18. Jahrhundert in der Beleuchtungs-
frage durch Samuel Gottlieb Vogel 1795. In seinem Handbuch der
praktischen Arzneywissenschaft (4. Teil, S. 100) empfiehlt er zur Unter-
suchung des Ohres ausser gutem Tages- oder Sonnenlicht oder dem Cleland-
schen Beleuchtungsapparat einen kleinen Spiegel, mit welchem er die
Sonnenstrahlen in den Gehörgang reflektiert. Ob er selber auf diesen Ge-
danken gekommen ist oder diese Methode irgendwo beschrieben fand, ist
nicht zu entscheiden. Wie Borell mit dem Konkavspiegel, so hat Vogel
mit dem Planspiegel die Reflexion des Lichtes zu endoskopischen Zwecken
angewandt. Auch sein Spiegel hatte keine zentrale Oeffnung und doch
brachte er einen bemerkenswerten Fortschritt.
Was die Untersuchung der verschiedenen Körperhöhlen im 18. Jahr-
hundert angeht, so ist mancherlei Neues zu melden.
386 G. Killian, Zur Geschichte der Endoskopie.
Man bediente sich, wie es scheint, schon damals mit Vorliebe des
Löffelstiels zum Herabdrücken der Zunge. Dionis findet, dass dies meist
genüge. Heister, der in ausführlicher Weise beschreibt: „Quomodo de-
primi lingua debeat“ führt eigenartige Gründe für den Löffelstiel ins Feld.
Figur 41.
quomodo deprimi lingua debeat. 695
De linguae vitis, quae manus beneficio curantur.
C A P U T IX
Quomodo deprimi lingua debeat.
Ofunt equidem varia incidere palati five oris vitia, tonfillarum
nempe atque uvulae inflammationes five exulcerationes, polypus
item atque abfceffus oris , officula denique vel pifcium fpinae intus
forte in faucibus defixae , quae providam omnino atque aptam lim-
guae depreffionem poftulant ; fiquidem accurate ipfa cognofcere at-
que curare volueris. Adhiberi ad hunc ufum peculiare quoddam
inftrumenti genus folet , gloffofpatha , five fpecillum linguae Medicis
vocatum. (Vid. “Tab. I. litt. P.) Nobiliores autem iidemque delica-
tiores quia fpecillum iftiusmodi, utpote quorumvis aliorum hominum
ori applicatum, infigniter faftidiunt, elegantius longe eft atque fimul
commodiffimum , cochlear quoddam mundum anfaque planiori 1n-
ftrućtum applicare. Utrobique vero id profpiciendum inprimis eft,
ut quam leniffime inftrumentum admoveatur, ne qua forte partium
aegrarum inflammatio cum doloribus concitetur vel adaugeatur. Sic-
Ubi inje@ionibus fimul opus eff , fuper fpathae oris five cochlearis an-
fam fyringam in os immittere atque, liquorem convementem 1njice-
cere oportet. Si quae autem oris ulcera, tonfillarum vitia, narium
polypi atque id genus alia incommoda , fed absque inflammatione
tamen & convulfionibus incidunt , quae , quo minus aperırı OS Va-
leat, impediunt , fpeculum oris quoddam prudenter adhibendum eft.
(Tab. XX. fig, 12. vel 13.)
Aus Heister.
Er sagt, die vornelmeren und empfindlicheren Patienten eckeln sich vor
Instrumenten, die in aller Mund gebraucht werden. Man betrachtet es
daher schon lange für eleganter und bequemer, den Löffel zu nehmen.
Auch am Ende des Jahrhunderts ist man noch diesem Gebrauch treu
geblieben (1790, Vieq d’Azyr).
Daneben gab es aber auch noch eine Menge von verschiedenen Zungen-
spateln, die zum Teil auf uralte Vorbilder zurückzuführen sind. Einige
davon bilde ich hier ab.
G. Killian, Zur Geschichte der Endoskopie. 387
Figur 42.
E = Zungenspatel von Dionis 1716.
Figur 44.
Figur 49.
‚A
$
f
4
Zungenspatel von Heister 1739. Zungenspatel von Peret 1772.
388 G. Killian, Zur Geschichte der Endoskopie.
Die Schlitze in den Zungenspateln sollten das Skarifizieren der Zunge
erleichtern (Peret). Als Fortschritt muss man es bezeichnen, dass bei der
Handhabung des Spatels möglichste Schonung des Patienten empfohlen
wird (Dionis, Heister).
Deswegen blieb auch das Glossokatochon, das sich noch in aller
Hand befand, nur für besondere operative Zwecke reserviert. Unter den
Figur 47a. Figur 47b.
Figur 45. Figur 46.
Zungenspatel von Brambilla, Wien 1780.
Händen kunstfertiger französischer Instrumentenmacher gewann ces eine
schwungvolle und elegante Gestalt.
Zu den früheren Mundsperren kam die von Heister, welche so glück-
lich konstruiert war, dass sie uns jetzt noch ein unentbehrliches Instrument
ist. Dabei weichen die heutigen Formen von der ursprünglichen kaum ab.
Heister selber macht von diesem Ding wenig Aufhebens.
G. Killian, Zur Geschichte der Endoskopie. 389
Merkwiirdigerweise findet sich Ende des Jahrhunderts wieder eine Spur
der direkten Untersuchung der tieferen Rachenabschnitte durch Anwendung
verstärkten Druckes auf die Zunge. In einem Buche von Mainwaring
(Medical facts and experiments, London 1791) ist von einer „sonder-
Figur 49.
Figur 50.
Figur 48.
Glossokatochon von Glossokatochon von Mundsperre von Heister 1739.
(rarengeot 1723. Peret 1772.
baren Entzündung der Epiglottis“ die Rede. Ich folge dem Referat
S. 206 in Richters Chirurgischer Bibliothek, 12. Band, Frankenthal 1792.
Dort heisst es: „Wenn man die Zunge stark niederdruckte, sah man die
Epiglottis, die so sehr entzündet und geschwollen war, dass sie der Eichel
390 G. Killian, Zur Geschichte der Endoskopie.
eines männlichen Gliedes glich usw.“ Albers zitiert in seinem bekannten
Buche über die Krankheiten des Kehlkopfes (1829) S. 52 einen analogen
Fall von E. Home (Transactions of a society of medical and surgical
knowledge, III, 1789), nur heisst es hier einfach: „bei der Untersuchung
des Rachens“ usw. Es fehlt die Angabe, dass ein besonders starker Druck
Figur 51.
Nasenspekulum von Dionis.
Figur 52. Figur 53.
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Nasen- und Ohrspekulum von Peret. Speculum matricis von Garengcot.
auf die Zunge nötig war, um den erkrankten Kehldeckel zu sehen. Seit
Savonarola war nichts Aehnliches berichtet worden.
Die Rhinoskopie scheint im 18. Jahrhundert von einigen mit besonderen
Spekula ausgeführt worden zu sein. Dionis gebrauchte eine Art Klammer,
ähnlich wie Villanova. Peret ist schon zu einem sehr handlichen
Spekulum gelangt, das sich von unserem heutigen Kramer-Hartmann-
schen nicht wesentlich unterscheidet. Die älteren Modelle zweiblätteriger
Analspekula müssen ihm zum Vorbild gedient haben. Mit demselben In-
G. Killian, Zur Geschichte der Endoskopie. 391
Figur 54.
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Speculum matris von Peret.
Figur 55.
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Analspekulum von Grarengeot.
strument wurde auch die Otoskopie ausgeführt. Anderweitig findet sich
das Ohrspekulum nicht erwähnt. Cleland, Morgagni, Vogel sprechen
immer nur von manueller Einstellung und Erweiterung des Gehörgangs.
392 G. Killian, Zur Geschichte der Endoskopie.
Vogel scheint einer der ersten gewesen zu sein, die das Trommelfell ge-
sehen haben. In der Tat gelingt das ja auch sehr oft ohne besondere In-
strumente bei einfachem Ziehen an der Ohrmuschel nach hinten oben und
nach aussen, besonders wenn noch der Tragus nach vorn gezogen wird.
Während man früher nur bei Fremdkörpern oder bestimmten Ohrenerkran-
Figur 56.
Analspekulum von Peret.
kungen von der Otoskopie Gebrauch machte, stellte Vogel den Satz auf,
dass bei allen Ohrenleiden otoskopiert werden müsse: ein grosser Fort-
schritt!
Bei der Untersuchung von Mastdarm, Scheide und Gebärmutter kamen
im 18. Jahrhundert die alten zwei- und dreiblätterigen Spekula in ver-
besserter Ausführung allgemein zur Anwendung (vgl. Dionis, Garengeot,
Heister, Darau, Astruc, Parolini, Peret).
Arnaud hat ein besonders kunstvolles sechsblätteriges Uterusspekulum
gebaut.
G. Killian, Zur Geschichte der Endoskopie. 393
Die Specula ani von Garengeot und Peret dürften wegen ihrer
Aehnlichkeit mit dem Peretschen Nasen-Ohrspekulum interessieren. Sie
sind so zweckmässig geformt, dass sie auch heute noch mit bestem Erfolg
gebraucht werden könnten. Erwähnt sei noch, dass Arnaud einen be-
sonderen Untersuchungsstuhl für gynäkologische Zwecke herstellen liess.
Alles in allem können wir sagen, dass das 18. Jahrhundert in der
Instrumententechnik wesentliche Fortschritte erzielte und vor allem die
Beleuchtungsfrage wie keines vor ihm praktisch förderte.
Blicken wir bis zu Hippokrates’ Zeiten zurück, so müssen wir ge-
stehen, dass man vor Bozzini (1805) in der ärztlichen Welt auf endo-
skopischem Gebiet eine lebhafte Tätigkeit entfaltet hat. Das Bestreben, in
das Innere des Körpers vorzudringen und dem Auge den Weg dahin frei-
zumachen, zieht sich durch alle Jahrhunderte. Man verstand, von aussen
mit natürlichem und künstlichem Licht direkt und durch Reflexion mit
dem Plan- oder Konkavspiegel zu beleuchten. Man verstand, das natürliche
und künstliche Licht mit Hohlspiegeln oder Linsen zu sammeln. Ja man
hat sogar das Spiegelprinzip im Innern des Körpers zu Beleuchtungszwecken
zur Geltung gebracht.
Die Frage der passenden Umformung der Eingänge der Körperhöhlen
und der Höhlen selber zum Zwecke besseren Sehens war durch die Spekula
bei Mund, Rachen, Nase, Ohr, Mastdarm, Scheide und weiblicher Harnröhre
in befriedigender Weise gelöst.
Der diagnostische und therapeutische Wert der endoskopischen Pro-
zeduren wurde hinreichend gewürdigt.
Daraus ergibt sich, dass der Anschauungskreis der alten Aerzte auf
dem fraglichen Gebiet nicht soweit von unserem heutigen abwich, wie man
bis dato glauben mochte.
Archiv für Laryngologie. 29. Bd. 3. Heft. 97
XXIII.
Berufliche Erkrankungen an der Schleimhaut
der oberen Luftwege der Bicker.
Von
Dr. Karl M. Menzel (Wien),
Spezialarzt fiir Nasen- und Halskrankheiten des Verbandes
der Genossenschaftskrankenkassen Wiens und Niederösterreichs.
Seit meinen auf die Berufserkrankungen der oberen Luftwege der
Stockdrechsler gerichteten Untersuchungen habe ich auch bei Vertretern
anderer Berufsarten auf etwaige ähnliche Erkrankungen genauer geachtet,
wobei mir an zwei Bäckergehilfen nasale Veränderungen gleicher Art, wie
ich sie bei Stockdrechslern feststellen konnte, auffielen. Diese meine
beiden ersten Fälle habe ich in der Sitzung der Wiener laryngologischen
Gesellschaft vom 4. März 1914 vorgestellt.
Es handelte sich in dem einen Falle um die von mir kürzlich (Archiv
f. Laryngol., 1914, 29. Bd., 1. Heft) des ausführlicheren beschriebene zirkun-
skripte Verdünnung des Septums an einer oberhalb und hinter dem Locus
Kiesselbachii gelegenen ungefähr hellerstückgrossen Stelle. An dieser ist,
wie an einem Septum, an welchem die submuköse Fensterresektion des
Knorpels ausgeführt wurde, der leiseste Druck einer Sonde oder eines
Pinsels bei Inspektion der anderen Seite deutlich als Vorwölbung wahr-
zunehmen. Es fehlt, wie aus der histologischen Untersuchung hervorgeht.
an dieser Stelle der Knorpel vollständig, die Schleimhaut zeigt Zeichen
von rarefizierender Entzündung sowie eine Metaplasie des nunmehr aus
geschichteten I’flasterzellen bestehenden Epithels. Der Knorpelrest weist
Veränderungen auf, die darauf hindeuten, dass wir es hier nicht mit einem
abgeschlossenen, sondern mit einem progredienten Prozesse zu tun haben.
In dem zweiten Falle fand ich eine Perforation des knorpeligen Sep-
tums genau an der Stelle, an der auch die Stockdrechslerperforationen vor-
kommen.
Um mich nun zu überzeugen, ob wir es in diesen beiden Fällen mit
zufälligen Befunden oder mit Berufserkrankungen zu tun haben, untersuchte
ich die oberen Luftwege der Arbeiter einer grösseren Bäckerei, 76 an der
Zahl, daraufhin, und konnte an ihnen beinahe die gleichen Verände-
rungen wie bei den Stockdrechslern, nur in etwas anderen
Prozentverhältnissen, nachweisen.
K. M. Menzel, Berufliche Erkrankungen der oberen Luftwege der Bäcker. 395
Im einzelnen stellen sich die Verhältnisse so dar, wie ich sie auf der
hier folgenden statistischen Tabelle anführe.
|
oo 22 De een
$s Septum- Sg SEAL, 2s 238428 38
E £| Perfo- verdun- | 2,5 | Atrophie |Hypertrophie | = D aig ais a) NS
N <| ration | nungen | S | eins. | beids. | eins. | beids. | A a SFiS MES
Bäcker.
7, 4 | 16 | 0] 18 | 44) 7 | 2 | 28] 8 i 6 | Ht
In Prozenten:
| | ı 2,386 | 57,89: 9 ! 2 | |
5 | ssh | nt | u, ee \ | u
5,26 | 21,05 26,31 81,57 i 11,5 30,26. 44,73, 7,89 |14,47
Stockdrechsler.
| 43,8 | 16 | 27,4 | 65 | 13 (63,7 | 246 I —
!
Es fanden sich demnach unter 76 Arbeitern 4, das sind 5,26 pCt.,
mit Perforationen des Septums. Wenn wir diesen Prozentsatz mit
dem der Stockdrechslerperforationen vergleichen, so fällt uns auf, dass
letztere in weit grösserer Anzahl (43,8 pCt.) sich vorfinden. Ausserdem
ist die Perforation bei den Bäckern in der Regel kleiner. Ihr Sitz ist
ganz identisch mit dem bei den Stockdrechslern gefundenen.
Zirkumskripte Verdünnungen des Septums mit Verlust des
Knorpels an dieser Stelle finden sich 16 mal, also in 21 pCt. der Fälle,
während die Stockdrechsler nur in einer Häufigkeit von 16 pCt. diese Ver-
änderung aufweisen. Bezüglich der näheren Einzelheiten der erwähnten
Veränderungen verweise ich auf meine bereits oben angeführte Arbeit.
Meiner Meinung nach hängt die Umkehrung des Verhältnisses in der
Häufigkeit der Perforationen und Verdünnungen bei Bäckern und Stock-
drechslern von der weniger schädlichen Wirkung des Mellstaubes im Ver-
gleiche zu der des Holzstaubes ab. Während nämlich der aus allseits
abgerundeten glatten Amylumkörnern bestehende Mehlstaub eine aus-
schliesslich mechanische Wirkung ausübt, einerseits durch den Anprall
seiner Elemente an die betreffenden Stellen der Schleimhaut, andererseits
dadurch, dass die Staubteilchen an Ort und Stelle liegen bleiben, kommen
beim Stockdrechslerstaub doch eine Reihe von wesentlichen Unterschieden
in Betracht. Die verletzende Wirkung des Holzstaubes ist an und für
sich grösser als die des Mehlstaubes (1. c.). Ferner sind nach meinen dies-
bezüglichen Untersuchungen, wie ich gleichfalls in der mehrfach erwähnten
Arbeit ausführte, in dem ersteren auch (uarzteilchen in ziemlich grosser
Zahl enthalten, herrührend von dem beim Schleifen verwendeten Schmirgel-
und Glaspapier, wodurch die mechanische Wirkung gleichfalls erhöht wird.
Ausserdem kommt hier noch die chemische Wirkung der in dem Staub
enthaltenen Teilchen von doppelt-chromsaurem Kalium, ferner von Alaun,
Kupfervitriol, Catechu usw. in Betracht, Stoffe, die zur Beizung der rohen
Stöcke verwendet werden. Durch diese intensive Wirkung erzeugt eben
21°
396 K.M. Menzel, Berufliche Erkrankungen der oberen Luftwege der Bäcker.
der Holzstaub rasch seine Zerstörungen, und zwar zunächst die Verdünnung,
aus der dann durch weitere Einwirkung des schädlichen Stoffes die Durch-
löcherung entsteht, während die Staubwirkung bei den Bäckern auf der
niedrigeren Stufe, nämlich bei den zirkumskripten Verdünnungen stehen
bleibt, und erst unter besonders ungünstigen Umständen zur Entstehung
von kleinen Löchern führt.
Als weitere Schädigung finden wir Atrophien, und zwar zunächst der
Schleimhaut der unteren und mittleren Nasenmuscheln, dann aber auch
der betreffenden knöchernen Grundlagen derart, dass die Muscheln von
der lateralen Nasenwand weit abstehen, die Nasengänge weit, die Muscheln
schlank erscheinen, und die hintere Rachenwand in weitem Umfange sichtbar
wird. Die Schleimhaut ist dabei intensiv rot und trocken. Wie die Tabelle
zeigt, finden sich diese Atrophien der Muscheln einseitig in 18 Fällen,
also 23,7 pCt., und beiderseitig in 44 Fällen, also 57,9 pCt., im ganzen
also in 81,6 pCt. vor.
Hypertrophien sind nur in einer verhältnismässig geringen Menge
vorhanden, nämlich in 9 Fällen oder in 11,9 pCt.
Epithelmetaplasien in der Gegend des Locus Kiesselbachii finden
sich in 26,3 pCt. vor, ungefähr ebenso oft wie bei den Stockdrechslern
(27,4 pCt.).
Dass die Zahl der Deviationen bei den Bäckern eine verhältnismässig
geringe ist, 30,3 pCt. gegen 63,7 pCt. bei den Stockdrechslern, so dass
man von einem gehäuften Vorkommen derartiger Fälle nicht sprechen kann,
dürfte meines Erachtens gleichfalls aus der milderen Wirkung des Mehl-
staubes zu erklären sein. Einerseits sind infolgedessen die Bäckerperfo-
rationen klein, treten erst nach langer Beschäftigung und allmählich ein,
ebenso wie die zirkumskripte Verdünnung des Septums, wodurch auf das
letztere kein so deformierender Einfluss ausgeübt werden kann wie bei
den Stockdrechslern, bei denen die Perforationen und zirkumskripten Atro-
phien rascher zustandekommen und weit grösser sind.
Hingegen zeigen sich, wie die Zusammenstellung zeigt, bei den Bäckern
viel häufiger Veränderungen m den tieferen Teilen der oberen Luftwege,
nämlich im Rachen, in Form von trockenen Katarrhen (44,7 pCt.), und im
Kehlkopf in Form von chronischen Laryngitiden in einer Häufigkeit von
7,89 pCt., während von den Stockdrechslern nur 24,6 pCt. chronische
Rachenerkrankungen aufweisen, Kehlkopfveränderungen aber überhaupt
nicht in nennenswerter Zahl gefunden werden konnten. Dieser Unterschied
dürfte mit der grösseren Feinheit und Leichtigkeit, sowie mit der aus-
giebigeren Zerstäubbarkeit des Mehlstaubes zusammenhängen, der infolge-
dessen leichter in die tieferen Teile der Luftwege getragen wird als der
Holzstaub.
Auffallend ist auch hier, dass die Arbeiter trotz der mannigfachen
krankhaften Veränderungen, namentlich im Rachen, nur wenig über
subjektive Beschwerden klagen, wenn man auch solche von den
Bäckern entschieden häufiger hört als von den Stockdrechslern.
K. M. Menzel, Berufliche Erkrankungen der oberen Luftwege der Bäcker. 397
Zum Schlusse sei noch erwähnt, dass ich auch in einem verhältnis-
mässig hohen Prozentsatze die Zähne bei den Bäckern stark ange-
griffen gefunden habe. Es fehlten nämlich in 5 Fällen die Zähne des
Oberkiefers vollständig, sämtliche Zähne in 6 Fällen, so dass sich im
ganzen in 14,47 pCt. ein beträchtlicherer Zahndefekt ergibt, eine Tatsache,
die meines Erachtens in eine Linie zu stellen ist mit dem seit langem
bekannten schlechten Einflusse des Zuckerbäckergewerbes auf die Zähne.
Protokolle.
1. D. A., 39 Jahre alt, seit 25 Jahren im Betriebe tätig, arbeitete immer in
sehr staubiger Luft. Metaplasie des Epithels in der Gegend des Locus Kiessel-
bachii, Deviatio septi.
2. B. M., 41 Jahre alt, seit 27 Jahren Bäcker, ohne wesentliche Verände-
rungen in der Nase.
3. Sch. J., 30 Jahre alt, seit 16 Jahren in seinem Berufe in sehr staubiger
Luft tätig. Starke Metaplasie des Epithels am Locus Kiesselbachii beiderseits,
Fehlen sämtlicher Zähne.
4. Sch. J., 33 Jahre alt, seit 19 Jahren „Mischer“. Beiderseits Epithelmeta-
plasie an typischer Stelle, beiderseits ausgesprochene Atrophie der unteren und
mittleren Muscheln, auch bei Rhinoscopia posterior sichtbar, Muschelknochen
schlank, Pharyngitis sicca, keine Zähne im Ober- und Unterkiefer.
5. H.M., 34 Jahre alt, arbeitet seit 20 Jahren in sehr staubiger Luft (er ist
Mischer). Metaplasie des Epithels an typischer Stelle, Atrophie der Schleimhaut
und der knöchernen Grundlagen der unteren und mittleren Muschel beiderseits,
auch durch Rhinoscopia posterior feststellbar. Deviatio septi.
6. P. A., 26 Jahre alt, seit 12 Jahren zum Teil in staubiger Luft tätig, war
früher eine Zeit lang Mischer, ist jetzt „Tafelarbeiter“, d. h. er formt den fertigen
Teig, der aber auch noch mit Mehl bestreut wird. Atrophie der Muscheln rechts,
Hypertrophie der unteren Muschel links, Deviatio septi.
7. B. J., 38 Jahre alt, seit 24 Jahren grösstenteils in sehr staubiger Luft
tätig (ist seit 3 Jahren „Ofenarbeiter“, d. h. er schiebt das fertig geformte Gebäck
in den Ofen und nimmt es wieder heraus, während er vorher immer Mischer gewesen
war). Er hat ausgeprägte Atrophie der unteren und mittleren Musoheln beiderseits,
die auch durch Rhinoscopia posterior wahrzunehmen ist, Deviatio septi links,
mässige Trockenheit der hinteren Rachenwand, Fehlen sämtlicher Zähne des Ober-
kiefers.
8. H. H., 33 Jahro alt, seit 17 Jahren Mischer. Links Atrophie der unteren
Muschel mässigeren Grades, Rhinitis chronica, Pharyngitis sioca.
9. E. J., 29 Jahre alt, seit 15 Jahren Bäcker, arbeitete meistens beim Ofen.
Beiderseits starke Atrophie der unteren und mittleren Muscheln. Deviatio septi,
Fehlen der Zähne des Oberkiefers.
10. 3. J., 52 Jahre alt, ist seit 38 Jahren Mischer. Atrophie der unteren
Muscheln beiderseits, Deviatio septi links.
11. I. J., 58 Jahre alt, seit 44 Jahren beinahe immer als Mischer beschäftigt.
Beiderseits stark ausgeprägte Metaplasie des Epithels an typischer Stelle, jedooh
weit nach rückwärts reichend, beiderseits hochgradige Atrophie der unteren und
mittleren Muscheln, die auch den Knochen rarefiziert und durch Rhinoscopia
posterior gut wahrnehmbar ist, hat keine Zähne im Oberkiefer.
398 K.M. Menzel, Berufliche Erkrankungen der oberen Luftwege der Bäcker.
12. St. A., 38 Jahre alt, seit 24 Jahren in der Backstube tätig. Atrophie
der unteren und mittleren Muschel beiderseits, mehr links, Deviatio septi, Stimm-
bandatrophie beiderseits.
13. St. F., 34 Jahre alt, seit 20 Jahren in der Backstube arbeitend. Beider-
seits starke Atrophie der unteren und mittleren Muschel, Deviatio septi links,
Pharyngitis sicca.
14. K. K., 35 Jahre alt, seit 21 Jahren in sehr staubiger Luft arbeitend.
Stark ausgeprägte typische Verdünnung am Septum étwa 2—3 cm hinter Spina
nas. inf. mit deutlicher Delle. Polypen links im mittleren Nasengange, Rhinitis
chronica höheren Grades, angeblich seit seinem Eintritt in den Beruf, Deviatio
septi rechts, adenoide Vegetationen, Pharyngitis sicca, Laryngitis chronica mässigen
Grades.
15. Sch. G., 50 Jahre alt, arbeitet seit 36 Jahren immer in der Backstube.
Schwund der unteren und mittleren Muschel beiderseits, Verkrüämmung der Nasen-
scheidewand nach links, leichter chronischer Kehlkopfkatarrh.
16. Z. K., 44 Jahre alt, arbeitet seit 30 Jahren bei reichlicher Staubent-
wicklung. Erbsengrosses Loch in der Scheidewand weit rückwärts im knorpeligen
Teile, etwa 3—4 cm hinter der Spina nas. inf., beiderseits starke Atrophie der
unteren und mittleren Muschel.
17. K. J., 37 Jahre alt, seit 23 Jahren in der Backstube tätig. Metaplasie
des Epithels an der Scheidewand beiderseits, Schwund der Muscheln rechts, links
eher Hypertrophie vorhanden, Trockenheit der Schleimhaut der hinteren Rachen-
wand, Fehlen der Zähne des Oberkiefers.
18. P. F., 29 Jahre alt, seit 15 Jahren in reichlich staubiger Luft arbeitend.
Atrophie der Muscheln beiderseits mehr rechts, trockener Rachenkatarrh mit
Krustenbildung, Fehlen der Zähne des Oberkiefers.
19. R. M., 49 Jahre alt, seit 35 Jahren grösstenteils in reichlich staubiger
Luft arbeitend. Metaplasie des Epithels an typischer Stelle der Scheidewand. Atro-
phie der unteren und mittleren Muschel beiderseits, auch die Knochen ergreifend.
20. K.1., 45 Jahre alt, seit 31 Jahren immer in sehr staubiger Luft tätig.
Ausgesproohene Verdünnung an der Soheidewand 3 cm hinter der Spina nas. inf.,
hochgradiger Schwund sämtlicher Muscheln beiderseits.
21. G.R., 29 Jahre alt, seit 15 Jahren Bäcker, war jedoch nur durch 6 Jahre
Mischer. Rhinitis chronica links, mässiger Sohwund der unteren und mittleren
Muscheln, bei geringfügiger Hypertrophie des unteren Randes der ersteren adenoide
Wucherungen.
22. K. F., 37 Jahre alt, seit 23 Jahren bei reichlicher Staubentwicklung
arbeitend. Mehlstaub liegt oberhalb und hinter dem Locus Kiesselbachii und an
beiden vorderen Enden der mittleren Muscheln, Atrophie beider unteren Muscheln
in allen ihren Teilen stark ausgeprägt.
23. Z. J., 31 Jahre alt, seit 17 Jahren in staubiger Luft arbeitend. Deutliche
Verdünnung an der Scheidewand etwa 2 cm hinter dem Locus Kiesselbachii,
Schwund der unteren und mittleren Muschel beiderseits.
24. Sch. S., 43 Jahre alt, seit 29 Jahren Bäcker. Mässige Metaplasie des
Epithels, mässiger Schwund der Muscheln beiderseits.
29. L. S., 34 Jahre alt, seit 20 Jahren Bäcker, hatte Zeit seiner Tätigkeit
in seinem Berufe immer Schnupfen. Rhinitis chronica mit stärkerer Schleim-
absonderung, Muscheln in ihren Abmessungen nahezu normal,
K. M. Menzel, Berufliche Erkrankungen der oberen Luftwege der Bäcker. 399
26. F.J., 29 Jahre alt, seit 15 Jahren Bäcker. Rechts starker Schwund der
Muscheln, links grosse Spina, Trockenheit der Rachenschleimhaut.
27. W.K., 25 Jahro alt, seit Il Jahren in sehr staubiger Luft tätig. Beider-
seits beträchtlicher Schwund der unteren und mittleren Muschel.
28. P. F., 51 Jahre alt, seit 37 Jahren bei staubiger Arbeit tätig. Sehr enge
Nase, bedeutende Scheidewandverkrümmung links, Trockenheit und Krustenbildung
an der Schleimhaut der hinteren Rachenwand.
29. B. E., 42 Jahre alt, arbeitet seit 28 Jahren bei reichlicher Staubent-
wicklung. Mässiger Schwund der Schleimhaut der Muscheln beiderseits, leichte
Trockenheit und charakteristischer Glanz der hinteren Rachenwand.
30. H. A., 46 Jahre alt, seit 32 Jahren bei reichlicher Staubentwicklung
tätig. Besonders starker Schwund der Schleimhaut und der knöchernen Grundlage
der beiderseitigen unteren und mittleren Muscheln, Verkrümmung der Scheidewand
nach rechts, trookene Pharyngitis.
3l. A. K., 48 Jahre alt, seit 36 Jahren Bäcker, leidet seit vielen Jahren an
Asthma bronchiale. Mässiger Schwund namentlich der unteren Muschel rechts,
Hypertrophie der unteren Muschel links, Verkrümmung der Scheidewand nach
rechts mit Spinabildung, chronischer Kehlkopfkatarrh.
32. T. J., 38 Jahre alt, seit 24 Jahren Bäcker, leidet seit seiner Kindheit
andauernd an Schnupfen. Beiderseits stark absondernder Katarrh der Nasenschleim-
haut mit Neigung zur Hypertrophie.
33. Sch. L., 34 Jahre alt, seit 20 Jahren Bäcker, arbeitete immer bei eich:
licher Staubentwicklung. Beiderseits hochgradiger Schwund der Schleimhaut und
der knöchernen Grundlagen der unteren und mittleren Muscheln.
34. B. J., 46 Jahre alt, arbeitet seit 32 Jahren in sehr staubiger Luft. Er
zeigt ein über bohnengrosses, 11/, cm im Durchmesser haltendes Loch von charakte-
ristischem Aussehen der knorpeligen Scheidewand oberhalb und hinter der Gegend
des Locus Kiesselbachii, links Schwund der unteren und mittleren Muschel, Ab-
weichung der Scheidewand nach rechts, trockener Rachenkatarrh.
3. T.K., 26 Jahre alt, seit 14 Jahren Bäcker. Links mässiger Schwund der
unteren und mittleren Muschel, rechts normale Verhältnisse, trockener Rachenkatarrh.
36. T. R., 30 Jahre alt, seit 16 Jahren immer Mischer. Linsengrosse Ver-
dünnung 3 cm hinter der Spina nas. inf. mit Metaplasie in dieser Gegend, besonders
rechts, Schwund der unteren und mittleren Muschel beiderseits, trockene Rachen-
entzündung, Fehlen der Zähne im Oberkiefer.
37. K. P., 39 Jahre alt, seit 25 Jahren vielfach in mässig staubiger Luft
arbeitend. Beiderseits Rhinitis chronica mit starker Absonderung, normale Be-
schaffenheit der Muskeln. Pharyngitis sicca mit charakteristischem trockenem
Glanz der hinteren Rachenwand.
38. N. J., 40 Jahre alt, seit 26 Jahren Bäcker. Rechts ausgesprochener
Schwund an beiden Muscheln, links normale Beschaffenheit derselben, Trockenheit
der hinteren Rachenwand.
39. M. W., 45 Jahre alt, seit 31 Jahren bei reichlicher Staubentwicklung
arbeitend. 21/, cm hinter der Spina nas. inf. ein kleinerbsengrosses Loch in der
knorpeligen Scheidewand, das inmitten eines bohnengrossen Feldes von zirkum-
skripter Verdünnung gelegen ist, derart, dass die Ränder des Loches nur häutig
erscheinen, Schwund der unteren und mittleren Muschel links, normale Verhält-
nisse rechts, leichte Verkrümmung der Scheidewand nach rechts, Fehlen sämt-
licher Zähne,
400 K.M. Menzel, Berufliche Erkrankungen der oberen Luftwege der Backer.
40. K. A., 40 Jahre alt, seit 26 Jahren fast immer in der Backstube tätig.
2 cm hinter der Spina nas. inf. eine zirkumskripte‘ Verdünnung der Scheidewand
von Linsengrösse, Schwund der Muscheln rechts mässigen Grades, normale Ver-
hältnisse links.
41. S. F., 41 Jahre alt, seit 27 Jahren Bäcker. Epithelmetaplasie von Heller-
stückgrösse in der Gegend des Locus Kiesselbachii rechts, mässiger Muschel-
sohwund rechts bei normaler Beschaffenheit der Muscheln links, leichte Ver-
krümmung der Scheidewand nach rechts, trookener Rachenkatarrh mit charakte-
ristisohem Glanze, Fehlen der Zähne des Oberkiefers.
42. M. F., 41 Jahre alt, seit 27 Jahren in staubiger Luft tätig. Ausge-
sprochene Atrophie der imiteren und mittleren Muschel rechts, bei normaler Be-
schaffenheit der linken Nase.
43. K. J., 39 Jahre alt, seit 27 Jahren Bäcker, bei reichlicher Staubent-
wicklung arbeitend. 2 cm hinter der Spina nas. inf., weit oberhalb der Gegend
des Locus Kiesselbachii, eine umschriebene Verdünnung in der Scheidewand von
über Linsengrösse, ferner deutlicher Schwund der Muscheln beider Seiten, hintere
Rachenwand sohaut wie lackiert aus, Laryngitis, Tracheitis chronica.
44. Sch. F., 47 Jahre alt, seit 33 Jahren in reichlich staubiger Luft tätig.
In der Nase beiderseits normale Verhältnisse aufweisend, ebenso im Rachen und
Kehlkopf.
45. J. K., 34 Jahre alt, seit 20 Jahren Backer, hat immer in staubiger Luft
gearbeitet. Beiderseits ausgesprochene Atrophie der Muscheln.
46. H. R., 34 Jahre alt, seit 20 Jahren in recht staubiger Luft tatig. Hat
beiderseits Atrophie der Muscheln und vollständigen Mangel der Zähne des Ober-
und Unterkiefers.
47. S. A., 41 Jahre alt, arbeitet seit 27 Jahren in sehr staubiger Umgebung.
Zeigt beiderseits stark ausgeprägten Schwund der unteren und mittleren Muschel,
leichte Trockenheit der hinteren Rachenwand.
48. G. J., 52 Jahre alt, seit 38 Jahren Bäcker. Schwund der unteren und
mittleren Muschel beiderseits, Zeichen von Metaplasie des Epithels an typischer
Stelle mehr links.
49. S. J., 28 Jahre alt, seit 14 Jahren in seinem Gewerbe tätig. Mässiger
Muschelschwund beiderseits mehr rechts, Zeichen von Metaplasie des Epithels an
typischer Stelle mehr rechts, hintere Rachenwand sieht wie lackiert aus.
50. K. F., 36 Jahre alt, arbeitet seit 22 Jahren in der Backstube. Zeichen
von Metaplasie des Epithels an typischer Stelle beiderseits, Schwund der unteren
und mittleren Muschel beiderseits, mehr rechts, hintere Rachenwand wie lackiert
aussehend.
dl. K. M., 37 Jahre alt, seit 23 Jahren fast immer bei den Backöfen tätig.
Mässiger Muschelschwund links bei normalen Verhältnissen rechts, leichte Ab-
weichung der Scheidewand nach rechts.
52. N. W., 28 Jahre alt, ist seit 14 Jahren immer in der Baokstube tätig,
keinerlei krankhafte Veränderungen an den Muscheln, zäher Schleim an der hinteren
Rachenwand.
53. B. J., 52 Jahre alt, arbeitet seit 38 Jahren meist in Mehlstaub. Zeigt
eine kleine 3 cm hinter der Spina nas. inf. gelegene Verdünnung im knorpeligen
Anteil der Scheidewand, Zeichen einer Umwandlung des Epithels in Plattenepithel
an der Stelle der Verdünnung mehr rechts, Schwund der Muscheln beiderseits,
‚ K.M. Menzel, Berufliche Erkrankungen der oberen Luftwege der Bäcker. 401
besonders links, Abweichung der Nasenscheidewand nach rechts, zäher Schleim
an der hinteren Rachenwand,.
54. A. J., 34 Jahre alt, seit 20 Jahren in der Backstube tätig. Zeigt aus-
gesprochenen Sohwund der Musoheln links, in mässigem Grade auch rechts, Um-
wandlung des Epithels in Plattenepithel an typischer Stelle, leichte Abweichung
der Nasenscheidewand nach rechts, hintere Rachenwand wie lackiert aussehend.
55. R. F., 39 Jahre alt, seit 25 Jahren Bäcker. Schwund der Muscheln
links, normale Nase rechts, Umwandlung des Epithels in Plattenepithel an typischer
Stelle beiderseits, leichte Verkrümmung der Nasenscheidewand nach rechts.
56. H.J., 45 Jahre alt, arbeitet seit 31 Jahren immer unter reichlicher
Staubentwicklung. Schwund der Muscheln auf beiden Seiten in typischer Weise,
Fehlen sämtlicher Zähne des Ober- und Unterkiefers.
97. K.J., 28 Jahre alt, seit 14 Jahren in der Backstube tätig. Zeigt 11/, cm
hinter der Spina nas. inf. eine linsengrosse Verdünnung der knorpeligen Scheide-
wand, Umwandlung des Epithels an dieser Stelle beiderseits, Schwund der Muscheln
beiderseits, mehr rechts, hintere Rachenwand sieht wie lackiert aus.
88. H. J., 34 Jahre alt, seit 21 Jahren fast immer in der Backstube tätig
gewesen. Weist links Schwund der beiden Muscheln auf, während auf der rechten
unteren Muschel eine umschriebene Hypertrophie sich findet.
59. S. J., 30 Jahre alt, seit 16 Jahren immer in der Backstube tätig. Zeigt
links ausgesprochenen Schwund der Muscheln, bei normalen Verhältnissen in der
rechten Nase, hintere Rachenwand sieht wie lackiert aus.
60. Sch. J., 37 Jahre alt, seit 23 Jahren bei reichlicher Staubentwicklung
arbeitend. Zeigt 21/, om hinter der Spina nas. inf. oberhalb der Gegend des
Locus Kiesselbachii ein bohnengrosses Loch in der knorpeligen Nasenscheidewand,
dessen vorderer Rand in einer Breite von etwa 2 mm häutig erscheint, Schwund
der Muscheln auf beiden Seiten, mehr links.
61. M. J., 38 Jahre alt, seit 24 Jahren in der Backstube tätig. Zeigt eine
typische, umschriebense Septumverdünnung 3 cm hinter der Spina nas. inf. mit
Zeichen von Epithelumwandlung an typischer Stelle auf beiden Seiten, hochgradiger
Schwund der Muscheln beiderseits.
62. St. F., 59 Jahre alt, war immer in der Backstube tätig. Beiderseits
Sohwund der Muscheln, mehr rechts, leichte Verkrünmung der Scheidewand nach
links, hintere Rachenwand trocken, glänzend, klagt über Trockenheitsgefühl im
Rachen.
63. P. W., 37 Jahre alt, arbeitet seit 23 Jahren in der Backstube. Hat eine
typische, umschriebene Septumverdünnung etwa 3 om hinter der Spina nas. inf.,
deutliche Zeichen von Epithelumwandlung an typischer Stelle beiderseits, Sohwund
beider unteren und mittleren Muscheln, Verkrümmung der knorpeligen Scheide-
wand nach rechts, starke Trockenheit der hinteren Rachenwand, Fehlen sämtlicher
Zähne des Ober- und Unterkiefers.
64. S. L., 37 Jahre alt, seit 23 Jahren Mischer. Weist in der Nase und in
den übrigen Teilen der oberen Luftwege fast normale Verhältnisse auf.
65. K. R., 29 Jahre alt, war immer beim Backofen tätig. In der Nase
nahezu normale Verhältnisse, an der hinteren Rachenwand klebt zäher, trockener
Schleim; der Mann klagt auch über Rachenbeschwerden.
66. N. M., 48 Jahre alt, war fast immer bei den Backöfen tätig. Zeigt
mässigen Muschelschwund beiderseits.
402 K. M. Menzel, Berufliche Erkrankungen der oberen Luftwege der Backer. |
67. C.L., 51 Jahre alt, seit 37 Jahren in reichlich staubiger Luft tätig.
Zeigt deutliche Verdünnung in der Scheidewand oberhalb und hinter der Gegend
des Locus Kiesselbachii (3—4 cm hinter der Spina nas. inf.), Zeichen einer Um-
wandlung des Epitbels an der Stelle der Verdünnung beiderseits, ausgeprägter
Schwund der Muscheln beiderseits, hintere Rachenwand sieht wie lackiert aus.
68. M. F., 41 Jahre alt, arbeitete immer in reichlich staubiger Umgebung.
Zeigt starken Muschelschwund rechts, Polypen und Hypertrophien links, leichte
Verkrümmung der Scheidewand nach links, mässige Trockenheit der hinteren
Rachenwand.
69. K.F., 33 Jahre alt, Schwund der unteren Muscheln beiderseits. Atypische
Hypertrophien an den vorderen Enden der mittleron Muscheln beiderseits.
70. R. G., 46 Jahre alt, seit 32 Jahren in reichlich staubigen Räumen
arbeitend. Atrophie der Muscheln auf beiden Seiten, hintere Rachenwand sieht
wio lackiert aus.
71. J. E., 38 Jahre alt, seit 24 Jahren vielfach in stark mehlstaubhaltiger
Luft arbeitend, zeigt beiderseits stark ausgeprägten Schwund der Muscheln, eine
Verkrümmung der Scheidewand nach links, Trockenheit der hinteren Rachenwand.
72. D. J., 36 Jahre alt, hat seit 24 Jahren immer nur bei den Oefen gear-
beitet. Zeigt stark ausgeprägten Schwund der Muscheln beiderseits, Verkrümmung
der Scheidewand mässigen Grades und Trockenheit der hinteren Rachenwand.
73. L. E., 52 Jahre alt, seit 38 Jahren bei reichlicher Staubentwicklung
arbeitend. Zeigt Schwund der Muscheln auf beiden Seiten, mehr links, Zeichen
von Umwandlung des Epithels an typischer Stelle beiderseits und mässige Ver-
krümmung der Nasenscheidewand nach rechts.
74. G. S., 45 Jahre alt, seit 31 Jahren in sehr staubiger Luft arbeitend.
Zeigt eine über linsengrosse Verdünnung in der Nasenscheidewand an typischer
Stelle, sowie deutliche Zeichen von Epithelumwandlung ebendaselbst, während
an den Muscheln beiderseits nichts Abnormes festzustellen ist.
75. Ch. L., 39 Jahre alt, seit 25 Jahren Bäcker. Atrophie der Muscheln
rechts, bei normalen Verhältnissen links, leichte Verkrümmung der Nasenscheide-
wand nach links.
76. W.J., 35 Jahre alt, seit 21 Jahren in verhältnismässig reinerer Luft
arbeitend (war vielfach bei den Oefen beschäftigt). Zeigt stark ausgeprägten
Schwund der unteren und mittleren Muschel beiderseits.
Wenn ich also die Ergebnisse meiner Untersuchungen zusammenfasse,
so fand ich bei der Untersuchung der Arbeiter eines grösseren
Bäckereibetriebes bisher noch nicht beschriebene, offenbar
durch die Berufstätigkeit der Betreffenden hervorgerufene
Krankheitsveränderungen in den oberen Luftwegen, die mehr
oder weniger jenen ähnlich sind, die bei Stockdrechslern von
mir beschrieben wurden.
Das schädliche Agens stellt der rein mechanisch wirkende.
chemisch indifferente Mehlstaub dar.
XXIV.
Pathologie und Therapie der Pharyngitis lateralis.
Von
Dr. Oswald Levinstein (Berlin).
Zu denjenigen Gebieten unserer Spezialdisziplin, die im Laufe des
letzten Dezenniums einen bemerkenswerten Fortschritt unserer Kenntnisse
in bezug auf Pathologie und Therapie aufzuweisen haben, gehört m. E.
nicht an letzter Stelle das Kapitel: Pharyngitis lateralis. Seitdem
Uffenorde!) im Jahre 1907 sich mit dieser von M. Schmidt?) im
Jahre 1880 zuerst beschriebenen Krankheit in einer ausgezeichneten Ab-
handlung ausführlich beschäftigt hat, ist auf Grund einer Anzahl ein-
gehender Untersuchungen und Beobachtungen eine derartig weitgehende
Ergänzung und Vervollkommnung unserer Kenntnisse des in Frage stehenden
Leidens erfolgt, dass wir wohl von einer Umwälzung auf diesem Gebiete
der Pathologie zu reden befugt sind. Wenn nun Verfasser 8 Jahre nach
Erscheinen der Uffenordeschen Arbeit es unternimmt, nunmehr abermals
eine zusammenfassende Darstellung unserer jetzigen Kenntnisse in bezug
auf die Pharyngitis lateralis zu geben, so erscheint dies Unternehmen an
sich mit Rücksicht auf die erwähnte, inzwischen erfolgte Umwälzung auf
diesem Gebiete wohl gerechtfertigt, und die Darstellung aus der Feder
des Verfassers deshalb nicht unzweckmässig, weil gerade dieser diesem
Gebiete in den letzten Jahren ein besonders eingehendes Studium und eine
Reihe von Arbeiten gewidmet hat.
Wesen und Einteilung der Krankheit.
Das Wesen der Pharyngitis lateralis besteht darin, dass als Folge auf
die seitliche Pharynxwand einwirkender Reize mechanischer, chemischer,
thermischer oder bakterieller Natur eine entzündliche Reaktion der Plica
salpingo-pharyngea eintritt, die sich zunächst stets in einer Anschwellung
dieser Falte darbietet: es entsteht der „geschwollene Seitenstrang“.
Die Anschwellung kann sehr verschiedenen Grades sein, sie schwankt
zwischen Streichholzstärke und darunter und Bleistiftdicke und darüber.
1) Uffenorde, Pharyngitis lateralis. Archiv f. Laryngol. 1907. Bd. 19.
2) M. Schmidt, Ueber Pharyngitis lateralis. Archiv f. klin. Med. Bd. 26.
404 QO. Levinstein, Pathologie und Therapie der Pharyngitis lateralis.
Die Farbe der Schleimhaut pflegt im Bereiche der Schwellung gerötet zu
sein, und zwar in der Regel bei den akuten Prozessen ausgesprochener
als bei den chronischen. Es kommen jedoch auch Ausnahmen von dieser
Regel vor, besonders bei den akuten Entzündungen des Seitenstrangs, bei
denen zuweilen infolge intensiver ödematöser Durchtränkung des Gewebes
die entzündete Schleimhautpartie gegen die gesunde Umgebung durch eine
blassere Farbe absticht. Auf der meist ebenen Oberfläche des geschwollenen
Seitenstrangs erkennt man bei genauem Hinsehen kleine schlitzförmige
oder runde Oeffnungen, die Mündungen der Fossulae. In Fällen chronischen
oder akuten Katarrhs dieser Fossulae sieht man an Stelle der erwähnten
Oefinungen die für die letztgenannten Krankheiten charakteristischen weiss-
lich-graulichen Pfröpfe.
Der geschwollene Seitenstrang stellt, wie Cordes!) zuerst gefunden
und Verfasser?) in einer ausführlichen Arbeit bestätigt hat, seinem histo-
logischen Charakter nach eine Tonsille dar; sowie mithin diese — atypi-
sche — Mandel im Bereiche der seitlichen Rachenwand sich vorfindet,
reden wir von einer „Pharyngitis lateralis“. Die neu entstandene Tonsille
kann nun entweder das Bild einer normalen oder aber einer bereits
akut erkrankten Mandel darbieten, oder sie kann auch mit der Zeit
den Zustand der akut oder chronisch erkrankten Mandel annehmen.
Stellt sich die neu entstandene Tonsille als akut erkrankt heraus, so war
der die neue Mandel erzeugende Reiz bakterieller Natur, da, wie wir
noch sehen werden, die Pharyngitis lateralis acuta eine Infektionskrankheit
darstellt. Hat der die seitliche Rachenwand treffende Reiz lediglich dazu
geführt, eine Anschwellung der Plica und Umwandlung derselben in eine
Seitenstrangtonsille zu erzeugen, so wirken — in der Regel — von jetzt
an auf die letztere zunächst noch dieselben Schädlichkeiten ein, wie zuvor
auf die Plica, ja sogar z. T. — dies gilt vor allem infolge der durch die
Schwellung bedingten Raumverengung im Isthmus faucium von den mecha-
nischen Reizen — in höherem Masse als bisher. Auf diese fortgesetzten,
z. T. sogar erhöhten Reize kann — er braucht es aber nicht — der
geschwollene Seitenstrang in verschiedener Weise reagieren: 1. es kann
eine Zunahme der Schwellung der neu entstandenen Tonsille, 2. (wenn
bakterielle Reize mitwirken) eine akute Entzündung, oder schliesslich
3. eine chronische Entzündung derselben eintreten; aus der akuten
Entzündung kann schliesslich eine chronische, ebenso wie umgekehrt aus
der chronischen unter Umständen eine akute Entzündung hervorgehen.
Die chronische Entzündung des geschwollenen Seitenstrangs äussert sich in
dem Auftreten von Pfröpfen in den Taschen, den Fossulae des letzteren,
die akute in Rötung, Druckempfindlichkeit und spontaner Schmerz-
1) Cordes, Histologie der Pharyngitis lateralis. Archiv f. Laryngol. 1902.
Bd. 12.
2) Levinstein, Histologie der Seitenstränge und Granula bei der Pharyn-
gitis lateralis und granulosa. Archiv f. Laryngol, 1908. Bd. 21.
O. Levinstein, Pathologie und Therapie der Pharyngitis lateralis. 405
haftigkeit der neu entstandenen Mandel, die in manchen — meist
schwereren — Fällen die Anwesenheit von Eiterpfröpfen in den Fossulae
zeig. Das Krankheitsbild, das die Pharyngitis lateralis hervorruft,
ähnelt bei der chronica in vielen Beziehungen demjenigen der Pharyngitis
chronica überhaupt, von der die lateralis häufig nur eine Teilerscheinung
darstellt, jedoch kommen hier diejenigen Symptome hinzu, die durch die
für den Schluckakt, die Sprache usw. so bedeutungsvolle Verengerung des
Isthmus faucium und pharyngo-nasalis durch die fleischigen Massen der
geschwollenen Seitenstränge hervorgerufen werden. Das Krankheitsbild
der Pharyngitis lateralis acuta ist demjenigen der akuten Entzündung der
übrigen Mandeln, vor allem der Gaumentonsille, durchaus analog, weshalb
Verfasser!) auch diese Krankheit als „Angina der Seitenstränge*
bezeichnen zu sollen geglaubt hat. Je nachdem nun die akute Seiten-
strangentzündung eine Beteiligung der Fossulae zeigt oder nicht, spricht
Verfasser von einer Angina fossularis und einer Angina simplex
der Seitenstränge. Die Angina der Seitenstränge stellt, worauf Verfasser
als erster hingewiesen hat, mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit
eine akute Infektionskrankheit dar, was bekanntlich auch, wie dies
wohl als erster B. Fränkel betont hat, von der Angina der übrigen
Mandeln, vor allem der Gaumenmandel, gilt. Als Infektionsträger kommen
die in den Fossulae nie fehlenden, in diesen Fällen eben sich virulent be-
tätigenden Keime, unter denen anscheinend der Streptococcus die Hauptrolle
spielt, in Frage. Das Vorhandensein von Infektionskeimen in den Fossulae
bzw. in den Pfröpfen der letzteren bei der Angina der Seitenstränge lässt
bei Berücksichtigung des Verlaufs der Krankheit, der, wie noch zu beschreiben
sein wird, ebenso wie die Angina der Gaumenmandeln, oft das typische Bild
einer akuten Infektion darbietet, und des häufig zu beobachtenden gleich-
zeitigen Auftretens der Krankheit sowohl an den Seitensträngen als auch
an den Gaumenmandeln — deren akute Erkrankung, wie soeben gesagt
wurde, mit Sicherheit eine akute Infektion darstellt — die Tatsache,
dass auch die Angina der Seitenstränge eine akute Infektionskrankheit
darstellt, trotzdem eine Uebertragung der Krankheit von Mensch zu Mensch
noch nicht strikte nachgewiesen ist, als nicht zweifelhaft erscheinen. Die
Infektion braucht allerdings, was ebenfalls für die akute Erkrankung der
Gaumenmandel zutrifft, nicht immer eine allgemeine zu sein, es kann sich
vielmehr — es pflegen dies die leichteren Fälle der Krankheit zu sein —
auch lediglich um eine lokale Infektion des Seitenstrangs handeln.
Die chronische Entzündung des geschwollenen Seitenstrangs, die sich,
wie gesagt, durch das Auftreten von Pfröpfen in den Fossulae dokumentiert,
die „Pharyngitis lateralis chronica fossularis“, ist zuerst vom Verfasser?)
1) Levinstein, Ueber die Angina der Seitenstränge. Archiv f. Laryngol.
1910. Bd. 23.
2) Levinstein, Ueber Tonsillitis ohronica fossularis des Seitenstrangs.
(Pharyngitis lateralis chronica fossularis.) Archiv f. Laryngol. 1914. Bd. 28.
4060 0. Levinstein, Pathologie und Therapie der Pharyngitis lateralis.
beschrieben worden, der ihr, um hierdurch die Analogie dieser Krankheit
mit der chronisch fossulären Mandelentzündung zu betonen, den Namen
„Tonsillitis chronica fossularis des Seitenstrangs“ beigelegt hat.
Die Pharyngitis lateralis zerfällt, wie aus dem Gesagten hervorgeht,
zunächst in zwei voneinander streng zu unterscheidende Krankheitsformen,
nämlich in die Pharyngitis lateralis acuta und die Pharyngitis
lateralis chronica; da wir ferner bei diesen Krankheiten je eine ein-
fache, d. h. keine Beteiligung der Fossulae zeigende, sowie eine fossu-
läre Form unterscheiden müssen, so sind für die ursprünglich schlankweg
als „Pharyngitis lateralis“ bezeichnete Erkrankung der Seitenstränge!)
folgende Formen aufzustellen:
1. Pharyngitis lateralis acuta = Angina der Seitenstränge
(Levinstein)
a) simplex,
b) fossularis.
2. Pharyngitis lateralis chronica
a) simplex,
b) fossularis (Levinstein).
Aetiologie, Pathogenese, pathologische Anatomie.
Als ätiologische Momente für die Entstehung der Pharyngitis lateralis
kommen alle Schädlichkeiten in Betracht, die eine Reizung der Schleim-
haut der Mundhöhle und des Schlundes überhaupt herbeizu-
führen geeignet sind. Diese Schädlichkeiten können mechanischer,
chemischer, thermischer oder bakterieller Natur sein; sie werden
der Schleimhaut im wesentlichen in der Inspirationsluft oder der
Nahrung zugeführt. Im ersteren Falle handelt es sich nicht selten um
ungenügende Elimination der unter gewöhnlichen Umständen in der
Inspirationsluft oft vorhandenen Schädlichkeiten durch die Vorarbeit der
Nase, die bekanntlich die wichtige Aufgabe hat, zunächst die Inspirations-
luft zu reinigen sowie sie anzufeuchten und zu erwärmen. Es ist also die
durch Nasenstenose bedingte Mundatmung als wichtiger ätiologischer
Faktor für die Entstehung der Pharyngitis lateralis ‘anzusehen. Ist jedoch
die einzuatmende Luft allzusehr mit Schädlichkeiten, wie Staub, Rauch,
reizenden Gasen usw. belastet, so vermag auch die einwandfrei funktio-
nierende Nase nicht dieselben aufzuhalten bzw. unwirksam zu machen und
die der Schleimhaut des Schlundes so nachteilige Wirkung dieser Sub-
stanzen zu verhindern. Der Einwirkung der erwähnten Schädlichkeiten
sind manche Berufe besonders ausgesetzt: z. B. der Bildhauer dem feinen
1) Das Vorkommen einer Pharyngitis lateralis acuta war schon vor Er-
scheinen der Arbeit des Verfassers über die „Angina der Seitenstränge“ von ein-
zelnen Autoren, wie z. B. Kronenberg (Heymanns Handbuch) und Uffenorde
(in oben zitierter Arbeit) kurz erwähnt, die Krankheit selber jedoch nicht aus-
führlioh beschrieben worden.
O. Levinstein, Pathologie und Therapie der Pharyngitis lateralis. 407
Steinstaub, der Kraftwagenfiihrer dem Staub der Landstrasse, der Arbeiter
in einer chemischen Fabrik, der Student und Lehrer im chemischen Labo-
ratorium der Einwirkung reizender chemischer Substanzen und Gase usw.
Die Bedeutung des Tabakrauchs für die Entstehung des Rachenkatarrhs
ist bekannt: auch die Pharyngitis lateralis findet sich verhältnismässig oft
bei starken Rauchern. Aber auch dem grössten Teil der im Vorangehenden
erwähnten sowie noch zu erwähnenden Schädlichkeiten ist das männliche
Geschlecht, wie bereits angedeutet, nicht zum wenigsten aus beruflichen
Gründen, in der Regel mehr ausgesetzt als das weibliche, eine Tatsache,
die in dem weit häufigeren Vorkommen der Pharyngitis lateralis beim
Manne als bei der Frau ihren Widerhall findet. Eine Bevorzugung eines
bestimmten Alters lässt sich bei der in Frage stehenden Krankheit nicht
feststellen, jedoch scheinen Kinder und alte Leute — diese offenbar infolge
Fehlens der meisten auf die Schleimhaut nachteilig einwirkenden Einflüsse,
jene infolge der zur Atrophie neigenden Tendenz der Rachenschleimhaut —
in der Regel verschont zu bleiben.
Nicht unter die Rubrik „Inspirationsluft“, aber auch nicht in die
sogleich zu besprechende „Nahrungsaufnahme“ gehört noch als ätiologischer
Faktor für die Entstehung der Pharyngitis lateralis die Nebenhöhlen-
eiterung: der aus den Nebenhöhlen der Nase stammende, die Pharynx-
schleimhaut herabfliessende Eiter bildet stets einen erheblichen Reiz für
die letztere und vermag zweifellos in einer nicht geringen Zahl von Fällen
eine Pharyngitis lateralis zu erzeugen.
Eine wichtige, vielleicht die wichtigste Rolle für die Entstehung der
Pharyngitis lateralis spielen die bei der Nahrungsaufnahme der Schleim-
haut zugefügten Reize, eine Tatsache, die im Schluckmechanismus
ihre Erklärung findet. Beim Schluckakt werden nämlich die seitlichen
Pharynxpartien einander genähert, es kommt mithin der zu schluckende
Bissen gerade mit den Seitensträngen in besonders ausgiebige Berührung,
so dass mit der Nahrung aufgenommene Schädlichkeiten ihre Wirkung
gerade an diesen Teilen des Schlundes am intensivsten entfalten können.
Was die mit der Nahrung aufgenommenen Schädlichkeiten im besonderen
anbelangt, so kommen für die Pharyngitis lateralis dieselben in Betracht,
wie für die Entstehung der Pharyngitis überhaupt: es sind dies gesalzene,
gepfefferte, stark gewürzte Speisen, ferner zu heisse sowie zu
kalte Speisen und Getränke, stärkere alkoholische Getränke,
besonders Schnaps u. ähnl. Tritt nun eine Reizung der Schleimhaut
der Plica salpingo-pharyngea des „Seitenstrangs“ ein, so reagiert dieser
stets in charakteristischer Weise mit einer Anschwellung: es entsteht
der „geschwollene Seitenstrang“. Dieser kommt, wie Verfasser in
seiner „Histologie der Seitenstränge“ ausführlich nachgewiesen hat, histo-
pathogenetisch dadurch zustande, dass in der subepithelial gelegenen
Schicht lockeren welligen Bindegewebes der Plica salpingo-pharyngea als
Reaktion auf einen die Oberfläche treffenden Reiz oben beschriebener Art
eine mächtige Ansammlung von Lymphozyten auftritt: teils diffus,
408 0. Levinstein, Pathologie und Therapie der Pharyngitis lateralis.
teils in Gestalt geschlossener Follikel angesammelt, dehnen die Rund-
zellen die in der Norm nur diinne Schicht lockeren Bindegewebes, die
sich zwischen Oberflächenepithel einerseits und Drüsenschicht andererseits
befindet, derartig aus, dass diese, die jetzt adenoiden Charakter annimmt,
an Raum das Vielfache ihrer ursprünglichen Ausdehnung einnimmt.
Die Schwellung des Seitenstrangs bei der Pharyngitis late-
ralis findet in der erwähnten neu entstandenen Schicht ade-
noiden Gewebes ihr pathologisch-anatomisches Substrat. Die
grosse Anzahl von Lymphozyten, die sich bei der Pharyngitis lateralis in
der Bindegewebsschicht der Plica salpingo-pharyngea. ansammelt, dieser
den Charakter des adenoiden Gewebes verleiht und eine Ausdehnung der
ursprünglich bindegewebigen Schicht um das Vielfache ihrer ursprünglichen
Stärke verursacht, stammt anscheinend aus dem dichten Lymphkapillarnetz,
das sich, ebenso wie ein feines Blutkapillarnetz, um die unterhalb der
Bindegewebsschicht gelegene mächtige Drüsenschicht der Plica spinnt.
Bei den akuten Formen der Seitenstrangentzündung tritt ausser den Lympho-
zyten stets noch eine grössere Anzahl polynukleärer Leukozyten — die
übrigens auch bei den chronischen Formen niemals gänzlich fehlen — in
der ursprünglich bindegewebigen Schicht auf; auch diese stammen offenbar
aus den erwähnten, die mächtigen Drüsen des Seitenstrangs umgebenden
Blut- und Lymphkapillaren. Die bereits erwähnten Lymphfollikel besitzen
in manchen Fällen ein mit den üblichen Kernfärbemitteln sich heller
färbendes Zentrum, das Keimzentrum, in dem sich häufig Mitosen, die
aber auch unter den diffus angesammelten Lymphozyten selten gänzlich
fehlen, vorfinden. Das Vorhandensein von Keimzentren in den Follikeln,
sowie von Mitosen in grösserer Anzahl, bedeutet stets, dass der Seitenstrang
sich im Stadium zunehmender Schwellung befindet, das Fehlen der
Keimzentren und der Mitosen bedeutet, dass eine Zunahme der adenoiden
Schicht und hiermit der Seitenstrangschwellung überhaupt nicht mehr
stattfindet, ja dass eine Rückbildung der letzteren zu erwarten ist!).
Die erwähnten Lymphozyten treten nun in charakteristischer Weise in
Beziehung zum Epithel des Seitenstrangs, und zwar sowohl zum Ober-
flächenepithel als auch zu demjenigen der hier nie fehlenden Schleim-
hauttaschen, d. h. in der Gestalt variierender, hauptsächlich allerdings
Zylinder- oder Flaschenform zeigender, meist einfacher, seltener durch das
Einmünden von Nebentaschen in eine Haupttasche komplizierter Einsen-
kungen der Oberfläche in die Bindegewebs- bzw. adenoide Schicht hinein.
Um diese Schleimhauttaschen herum findet, wenn die Umwandlung
der normalen Plica in den geschwollenen Seitenstrang vor sich geht, stets
die hauptsächliche Ansammlung von Lymphozyten in diffuser Anord-
nung sowie in Gestalt der erwähnten Follikel statt. Diese Schleimhaut-
1) Vgl. hierzu: Levinstein, Auf welchen histologischen Vorgängen beruht
die Hyperplasie sowie die Atrophie der menschlichen Gaumenmandel? Archiv f.
Laryngol. 1909. Bd. 22.
O. Levinstein, Pathologie und Therapie der Pharyngitis lateralis. 409
taschen, die meist den Seitenstrang nicht in seiner ganzen Stärke durch-
setzen, werden, worauf Verfasser zuerst hingewiesen hat, dadurch, dass
sie sich in adenoides Gewebe hineinsenken, dessen korpuskuläre Ele-
mente, die Lymphozyten, in sogleich zu beschreibender Weise zu ihren
Epithelwandungen in Beziehung treten, zu „Fossulae“ [früher „Krypten“
oder „Lakunen“ genannt] !).
Die erwähnten Beziehungen zwischen Lymphozyten und Epithel des
Seitenstrangs bestehen nun darin, dass an verschiedenen Stellen der Ober-
fläche und der Fossulawandungen eine Durchsetzung der Epithel-
schicht von seiten der Lymphozyten der adenoiden Schicht
statthat. Bei mikroskopischer Betrachtung kann man konstatieren, dass
die Epitheldecke stellenweise vereinzelte Lymphozyten beherbergt, an
anderen Stellen in ihren untersten Schichten durch diese ersetzt, die Epi-
theldecke also verdünnt ist, und dass schliesslich zuweilen auch stellen-
weise vom ursprünglichen Epithel nur noch Trümmer oder auch diese
nicht mehr zu entdecken sind, das erstere vielmehr völlig durch Lympho-
zyten ersetzt ist. Das beschriebene Phänomen hat zunächst die eigentiim-
lichsten Deutungen erfahren: man sprach von einem Kampf der Lympho-
zyten mit dem Epithel, von einer Vernichtung des letzteren durch
die Lymphozyten, von der Entstehung sog. „physiologischer Wunden“
dort, wo eben die Zerstörung der deckenden Epithelschicht durch die Lympho-
zyten stattfand; man glaubte an eine aktive Durchwanderung des Epi-
thels von seiten der Lymphozyten, obwohl diesen Elementen bekanntlich die
Fähigkeit aktiver Lokomotion nur in sehr beschränktem Masse zukommt.
Die meiste Anerkennung hat heute wohl die Briegersche Erklärung?) des
Phänomens gefunden, der an einen (passiven) Transport der Lympho-
zyten in einem das Gewebe in der Richtung von innen nach der
Oberfläche zu dauernd durchströmenden Lymph- oder Saftstrom
glaubt, das Vorhandensein „physiologischer Wunden“ nicht anerkennt,
vielmehr im Gegenteil in dem den Lymphozytentransport bewerkstelligenden
Saftstrom einen Schutzmechanismus für den Organismus erblickt, insofern
als durch denselben dem Eindringen von Infektionskeimen in das Gewebe
wirksam entgegengetreten wird.
Die Durchsetzung des Oberflachen- und Fossulaepithels mit Lympho-
zyten, die durch die letzteren bewirkte Verdiinnung und teilweise véllige Ver-
drängung des Epithels pflegt, wie Verfasser (unter anderem in der „Angina
der Seitenstränge*) nachgewiesen hat, bei akuter Erkrankung des Seiten-
strangs besonders ausgesprochen zu sein, wobei gleichzeitig, worauf eben-
falls Verfasser besonders hingewiesen hat, zahlreiche polynukleäre
Leukozyten sowohl im adenoiden Gewebe als auch das Epithel durch-
1) Vgl. Levinstein, Ueber „Fossulae tonsillares“, „Noduli lymphatici“ und
„Tonsillen“. Archiv f. Laryngol. 1909. Bd. 22.
2) Brieger, Beiträge zur Pathologie der Rachenmandel. Archiv f. Laryngol.
1902. Bd. 12.
Archiv für Laryngologie. 29. Bd. 3. Heft. 28
410 ©. Levinstein, Pathologie und Therapie der Pharyngitis lateralis.
setzend anzutreffen sind. Die polynukleären Leukozyten besitzen nun
bekanntlich die Fähigkeit amöboider Bewegung, wir brauchen mithin zur
Erklärung des Phänomens der Durchsetzung des Epithels in diesem Falle
nicht unsere Zuflucht zum Briegerschen Saftstrom zu nehmen, sondern
dürfen annehmen, dass es sich hier um eine aktive Durchwanderung
der Epithelschicht von seiten der Leukozyten handelt. Zu bemerken ist
hierbei, dass die erwähnten polynukleären Leukozyten niemals gänzlich
zu fehlen pflegen, dass sie jedoch, wie aus dem Gesagten hervorgeht, bei
der chronischen Seitenstrangentzündung ihrer Zahl nach sehr in den Hinter-
grund treten.
Die bereits kurz erwähnten Fossulae des geschwollenen Seitenstrangs
sind, da sie von der Oberfläche des letzteren durch die neu entstandene,
die ursprüngliche bindegewebige Schicht an Stärke erheblich übertreffende
adenoide hindurchziehen, naturgemäss länger als die Schleimhauttaschen
des normalen Seitenstrangs, denen sie, was die Gestalt anbelangt, ähneln;
auch sie durchsetzen den geschwollenen Seitenstrang nicht in seiner ganzen
Stärke.
In vielen Fällen, aber, wie Verfasser nachgewiesen hat, keineswegs
immer, mündet ein Drüsenausführungsgang, der von einer der unterhalb
der adenoiden Schicht gelegenen Drüsen stammt, in den Fundus einer
Fossula. Was den Inhalt der Fossulae anbelangt, so besteht derselbe
zunächst stets aus einer Anzahl von Epithelien, die ursprünglich der Epi-
thelwand der Fossulae angehörten, von dieser aber nicht am wenigsten
infolge der erwähnten Durchsetzung und Sprengung dieser Schicht durch
die Lymphozyten der adenoiden Schicht abgestossen wurden; ferner finden
sich stets Lympho- und Leukozyten, die auf die beschriebene Weise durch
die Epithelwand hindurchgelangt sind, sowie häufig, nämlich stets, wenn
eine Drüse in eine Fossula mündet, Schleim; auch Detritusmassen und
Bakterien pflegen in den Lumina der Fossulae niemals zu fehlen. In der
Norm wird der Inhalt der Fossulae insensibel entleert, dies
ändert sich -aber in vielen Fällen akuter und chronischer Entzündung des
Seitenstrangs, in denen es zur Anhäufung der erwähnten korpuskulären
Elemente, zur Pfropfbildung in den Lumina der l’ossulae kommt. Die
quantitative Zusammensetzung der den Pfropf bildenden korpuskulären
Elemente ist verschieden, je nachdem eine akute oder eine chronische
Erkrankung des Seitenstrangs vorliegt: im ersteren Falle überwiegen die
polynukleären Leukozyten, die Eiterkörperchen, weitaus, in den letzteren
dagegen die Lymphozyten; abgestossene Epithelien, Detritusmassen und
Bakterien finden sich stets in den Pfröpfen.
Die streng in sich abgeschlossenen histologischen Gebilde, die in einer
Fossula 4 deren Wandung umgebender und teilweise durchsetzender, diffus
und in Gestalt geschlossener Follikel sich darbietender Ansammlung von
Lymphozyten bestehen, hat Verfasser als „Noduli lymphatici“ be-
zeichnet und gefunden, dass eine Tonsille histologisch nichts anderes als
eine Ansammlung solcher durch mehr oder weniger Bindegewebe vonein-
O. Levinstein, Pathologie und Therapie der Pharyngitis lateralis. 411
ander getrennter Noduli lymphatici darstellt, und umgekehrt, dass ein
Organ, das sich in seinem histologischen Aufbau als eine solche Ansamm-
lung von Noduli lymphatici darbietet, als Tonsille zu bezeichnen ist.
Eine solche Ansammlung von Noduli lymphatici stellt nach den Unter-
suchungen des Verfassers der geschwollene Seitenstrang dar, dem mithin,
seinem histologischen Charakter nach, wie bereits gesagt, die Bezeichnung
als „Tonsille“ zukommt.
Symptomatologie.
Die Symptome, welche die Pharyngitis lateralis hervorruft, richten sich
im wesentlichen danach, ob die chronische oder die akute Form der
Krankheit vorliegt. Beginnen wir mit der Pharyngitis lateralis chronica,
so zerfallen die durch diese für den Patienten hervorgerufenen Symptome !)
in solche, die auf die Schwellung der Plica salpingo-pharyngea
an sich, und solche, die auf den chronischen Reizzustand der
Schleimhaut zu beziehen sind. Die Schwellung der Seitenstränge erzeugt,
vorausgesetzt, dass dieselbe eine gewisse Stärke erreicht hat, Störungen,
die sich auf das Ohr, die Sprache und den Schluckakt beziehen. Das
Gehör mit erheblicherer Seitenstrangschwellung behafteter Patienten leidet
nicht selten dadurch, dass infolge Kompression der pharyngealen Tuben-
mündung durch den geschwollenen Seitenstrang die Ventilation des
Mittelohrs eine unzureichende ist, wodurch es zu dem bekannten Symptom
der Einziehung des Trommelfells, zuweilen auch zur Ansammlung von
Flüssigkeit im Mittelohr, zum exsudativen Mittelohrkatarrh, kommt;
diese Patienten klagen ausser über Schwerhörigkeit noch über Sausen,
Druckgefühl, beim ausgesprochenen Mittelohrkatarrh bekanntlich häufig
auch über „Bläschenspringen“ und über das Gefühl, als ob Wasser
im Ohre wäre. Die Anwendung der Luftdusche wird in solchen Fällen
häufig, vorausgesetzt allerdings, dass eine genügende Luftmenge durch die
komprimierte Tubenmündung hindurchgeblasen werden kann, eine vorüber-
gehende Besserung, nach Lage der Sache aber begreiflicherweise keine
dauernde Heilung herbeizuführen vermögen. Das letztere kann nur ge-
schehen, wenn zunächst durch die eine Verkleinerung der Seitenstrang-
schwellung zum Ziele habende Behandlung, wie diese unter dem Abschnitt
„Iherapie* zu besprechen sein wird, der Indicatio causalis Genüge getan
wird.
Die Störungen von seiten der Sprache, die bei starker Seitenstrang-
schwellung niemals ganz ausbleiben, sind im wesentlichen darauf zurück-
zuführen, dass durch die Anwesenheit der starken, fleischigen Massen der
1) Bei dem Abschnitt „Wesen der Krankheit" ist eines Teiles der hier anzu-
führenden Symptome — subjektiver und objektiver — bereits kurz Erwähnung
getan. In bezug auf den sich bei der Inspektion darbietenden objektiven Befund
der Pharyngitis lateralis chronica kann, um unnötige Wiederholungen zu ver-
meiden, auf diesen Abschnitt verwiesen werden.
28*
412 0. Levinstein, Pathologie und Therapie der Pharyngitis lateralis.
geschwollenen Seitenstränge im Nasen- und Rachenrachenraum die Reso-
nanz leidet: es entsteht die klanglose, „tote“ Sprache, die Rhinolalia
clausa posterior.
Dass der Schluckakt bei starker Schwellung der Seitenstränge ge-
stört ist, ist bei Berücksichtigung des erheblichen mechanischen Hinder-
nisses, das dieselben für die Passage von Speisen und Getränken darbieten,
leicht begreiflich; besonders wenn es sich um das Schlucken fester, harter
Speisen handelt, ist die durch die Schwellung der Seitenstränge gesetzte
Störung eine recht beträchtliche, indem es für den Patienten, der beim
Schlucken das Gefühl eines starken Druckes im Halse hat, einer er-
heblichen Kraftanstrengung bedarf, um den Bissen herunterzukriegen.
Die Beschwerden, die durch den chronischen Reizzustand der Schleim-
haut bei der Pharyngitis lateralis hervorgerufen werden, ähneln in vielen
Beziehungen den durch den einfachen chronischen Rachenkatarrh — der,
wie bereits gesagt, in nicht ganz seltenen Fällen sich übrigens gleichzeitig
vorfindet — erzeugten durchaus: Brennen, Kitzeln, Kratzen, Druck-
gefühl (Klossgefühl) im Halse, meist Trockenheit, zuweilen aber
Verschleimung, Hustenreiz. Diese Symptome, besonders Trockenheit
im Halse, Kitzelgefühl, Hustenreiz, pflegen auch hier, wie bekanntlich auch
bei der Pharyngitis chronica, am ausgesprochensten frühmorgens zu sein,
wo das Kitzelgefühl im Halse nicht selten zu Hustenparoxysmen, der ganze
erwähnte Symptomenkomplex zur Uebelkeit und Erbrechen, dem „Vomitus
matutinus“ führt. Das erwähnte Kitzelgefühl im Halse wird von den
Patienten mit ziemlicher Regelmässigkeit in die seitliche Larynxgegend ver-
legt. Uffenorde (l. c.) behauptet, dass der Kranke bei der Lokalisation
seiner Beschwerden meist immer genau auf dieselbe Stelle des Kehlkopfs
zeige und zwar auf die des Durchtritts des N. laryngeus superior auf der
Membrana hyothyreoidea, die auch oft druckempfindlich sei.
Liegt eine chronisch-entzündliche Erkrankung der Fossulae,
eine „Tonsillitis chronica fossularis* des Seitenstrangs vor, so kann diese,
abgesehen von den erwähnten Beschwerden, noch die mit der Entleerung
der Pfröpfe aus den Fossulae verbundenen hervorrufen. Bei Zersetzung
der Pfröpfe entsteht, wie von der chronischen Mandelentzündung her hin-
länglich bekannt ist, ein übler Geruch und fauliger Geschmack im Munde,
wodurch die letzterwähnte, im übrigen ziemlich harmlose Erkrankung einen
für den Patienten höchst unangenehmen Charakter erhält. Die Tonsillitis
chronica fossularis des Seitenstrangs unterscheidet sich nun von der gleich-
artigen Erkrankung der übrigen Mandeln, vor allem der Gaumenmandeln,
dadurch, dass es hier aus dem sogleich zu erörternden Grunde kaun jemals
zu einer ausgiebigeren Zersetzung der Mandelpfröpfe und hiermit zu den
erwähnten, für den Patienten höchst lästigen Symptomen kommt. Auch
das Sympton der Entleerung grösserer eitriger Massen in die Mundhöhle,
das bekanntlich bei der chronisch fossulären Entzündung der Gaumen-
mandeln den Patienten oft in den Zustand grosser psychischer Depression
versetzt, spielt, wie sogleich zu erörtern sein wird, bei der Tonsillitis
O. Levinstein, Pathologie und Therapie der Pharyngitis lateralis. 413
chronica fossularis der Seitenstränge eine nur geringfügige Rolle. Die
Pfröpfe sind nämlich bei der letztgenannten Krankheit in der Regel nur
klein, im Gegensatz zu der chronischen fossulären Gaumenmandelentzündung,
wo sie häufig eine beträchtliche Grösse zeigen; der Patient pflegt deshalb
von der Entleerung der kleinen eitrigen Massen in die Mundhöhle nichts
zu merken; da ausserdem, wie bereits bemerkt wurde, übler Geruch und
Geschmack infolge der hier nicht eintretenden Zersetzung der Pfröpfe fehlen,
so pflegen die auf die letzteren — nicht etwa auf die chronisch erkrankte
Schleimhaut der Fossulae — zu beziehenden Beschwerden bei der Tonsillitis
chronica fossularis der Seitenstränge nur geringfügiger Natur zu sein. Die
Erklärung für die auffällige Verschiedenheit im Verhalten der Pfröpfe bei
der Tonsillitis fossularis chronica der Gaumenmandeln und der Seiten-
stränge ist in dem verschiedenen anatomischen Verhalten der Fossulae in
den beiden Gebilden zu suchen. Diese unterscheiden sich nämlich ihrer
Grösse, und zwar sowohl ihrer Weite als Länge nach, ferner aber auch in
ihrer Gestalt und ihrem Verlauf. Das Lumen der Gaumenmandelfossula
ist weiter als dasjenige der Seitenstrangfossula, die Fossula selber länger
als diese. Die Gaumenmandelfossula pflegt das Organ in seiner ganzen
Ausdehnung zu durchsetzen, während, worauf Verf. bereits hingewiesen hat,
die Seitenstrangfossula den geschwollenen Seitenstrang nur teilweise, nicht
in seiner ganzen Stärke durchsetzt. Die grössere Länge der Gaumenmandel-
fossula rührt aber nicht lediglich hiervon her, sie ist vielmehr zum grossen
Teil durch den Verlauf derselben in der Mandel bedingt: während nämlich
die, wie bereits erwähnt, meist zylinder- oder flaschenförmige Fossula des
geschwollenen Seitenstrangs diesen in gerader, senkrecht zur Oberfläche
verlaufender Richtung durchzieht, ist die Gaumenmandelfossula durch einen
oft sehr komplizierten Verlauf ausgezeichnet, indem sie das Gewebe in
verschiedensten Windungen durchziehend, nach langem Umwege an die
Oberfläche gelangt. Sind mithin durch die grössere Weite des Fossula-
lumens und die erheblichere Länge der Fossulae der Gaumenmandel bereits
die Bedingungen für eine Ansammlung grösserer Pfropfmassen gegeben, so
ist dies in noch höherem Masse dadurch der Fall, dass zunächst das Lumen
der Gaumenmandelfossula, bei ein und derselben Fossula, erheblichen
Schwankungen unterliegt, indem weite, buchtartige Stellen mit engen Passagen
abwechseln, und ferner dadurch, dass häufig in eine (Haupt-)Fossula an
verschiedenen Stellen Nebenfossulae einmünden, während das Lumen der
Seitenstrangfossula ein gleichmässig weites zu sein pflegt, und das Ein-
münden von Nebenfossulae in eine Hauptfossula, wie bereits angedeutet
wurde, nur selten zu beobachten ist. Es sind mithin im anatomischen Bau
der Seitenstrangfossulae — geringe Länge, gleichmässiges Lumen, einfacher,
gerader, nicht durch das Einmünden von Nebenfossulae komplizierter Ver-
lauf — alle Bedingungen für eine glatte — insensible — Entleerung des
Fossulainhalts gegeben, und es ist wohl begreiflich, dass, wenn es einmal
beim chronischen Katarrh der Fossulaschleimhaut zur Ansammlung von
Pfropfmassen kommt, diese keine grössere Ausdehnung erreichen und kaum
414 O. Levinstein, Pathologie und Therapie der Pharyngitis lateralis.
Gelegenheit finden werden, in faulige Zersetzung, die ja stets erst bei
längerer Retention grösserer Pfropfmassen durch Einwirkung verschiedener
Bakterien einzutreten pflegt, zu geraten.
Wenn nun auch aus den angeführten Gründen die lästigsten Symptome
der Tonsillitis chronica fossularis, die Entleerung grösserer übelriechender
und -schmeckender Massen in die Mundhöhle, bei der Seitenstrangtonsille
sehr in den Hintergrund treten, so pflegt doch, worauf Verfasser als erster
hingewiesen hat, der chronische Katarrh der Fossulae des geschwollenen
Seitenstrangs ein sich dem Patienten sehr wohl bemerkbar machender
Krankheitszusiand zu sein, der sogar die besondere Aufmerksamkeit des
behandelnden Arztes in Anspruch zu nehmen verdient. Die Symptome,
welche die Tonsillitis chronica fossularis hervorzurufen pflegt, unterscheiden
sich an sich nicht von denjenigen, die wir als auf die chronisch entzündete
Schleimhaut (i. e. Oberflächenschleimhaut) des geschwollenen Seiten-
strangs zu beziehende kennen gelernt haben; sie sind jedoch, wie wir noch
sehen werden, in der Regel nicht; wie diese, durch eine lediglich die Ober-
fläche des geschwollenen Seitenstrangs treffende Behandlung zu beseitigen,
erfordern vielmehr ihre eigene, streng auf die Fossulae lokalisierte Behand-
lung. Wie wir ebenfalls noch sehen werden, pflegen in den meisten Fällen,
in denen ein ausserordentliches Missverhältnis zwischen den vorbandenen
beträchtlichen Beschwerden und dem, soweit die Schwellung des Seiten-
strangs in Betracht kommt, nur äusserst geringen objektiven Befunde vor-
liegt, die Symptome auf das Vorhandensein eines chronischen Katarrhs der
Fossulae zurückzuführen zu sein.
Die Symptome, welche die akute Seitenstrangentzündung hervorruft,
sind ausführlich zum ersten Male vom Verfasser („Angina der Seiten-
stränge“) beschrieben worden, wenn auch,- wie bereits gesagt, das Vor-
kommen der Krankheit schon vorher von anderen Autoren kurz erwähnt
wird. Des sich bei der Inspektion darbietenden objektiven Befundes, den
die akut entzündeten Seitenstränge darbieten, ist unter dem Abschnitt
„Wesen der Krankheit“ schon gedacht worden: es finden sich, um kurz zu
rekapitulieren, jederseits auf der seitlichen Pharynxwand hinter den hinteren
Gaumenbögen herablaufend strangartige Anschwellungen der Schleimhaut,
die in ihrer Stärke zwischen Streichholzstärke und darunter und Bleistift-
dicke und darüber schwanken können; die geschwollene Schleimhaut ist
oft gerötet, nicht selten aber auch — offenbar infolge starker ödematöser
Durchtränkung der akut entzündeten Schleimhaut — blass; das letztere ist
sogar nach Beobachtungen des Verfassers besonders häufig bei der akuten
fossulären Seitenstrangentzündung der Fall, die sich im übrigen im
objektiven Bilde von der einfachen Form der akuten Entzündung nur durch
die Anwesenheit von kleinen Pfröpfen in den Orificia fossularum unter-
scheidet. Der akut entzündete Seitenstrang ist stets druckempfindlich:
eine auch nur leise Berührung desselben mit der Sonde bereitet dem Patienten
Schmerzen. Die erhebliche Empfindlichkeit der erkrankten Schleimhaut
O. Levinstein, Pathologie und Therapie der Pharyngitis lateralis. 419
bei Berührung und Zerrung derselben äussert sich für den Patienten in
dem diesen am meisten belästigenden Symptom der Pharyngitis lateralis
acuta, dem Schluckschmerz. Wenn beim Schluckakt die Speisen ge-
waltsam gegen die akut entziindete Schleimhaut herangepresst werden, so
bedeutet dies fiir die letztere einen heftigen Reiz, der sich fiir den Patienten
in Schmerzempfindung äussert. Eine solche Reizung des akut entziindeten
Seitenstrangs findet beim Schluckakt aber auch schon dann statt, wenn
durch denselben eine Beförderung von Speisen nicht geschieht, wie z. B.
beim Leerschlucken: hier ist es die mit dem Schluckakt verbundene Muskel-
kontraktion und die durch diese hervorgerufene Zerrung der Schleimhaut,
die einen sich dem Patienten als Schmerz dokumentierenden Reiz des akut
entzündeten Seitenstrangs darstellt. Auch die beim Schluckakt stattfindende
Hebung des weichen Gaumens vermag, eine gewisse Stärke des Seiten-
strangs vorausgesetzt, durch die mit der Berührung: des letzteren verbundene
mechanische Reizung dem Patienten erhebliche Beschwerden zu verursachen.
Es sind mithin verschiedene mit dem Schluckakte verbundene Momente,
die alle eine Reizung der akut entzündeten Schleimhaut des Seitenstrangs
und hiermit das den Patienten äusserst belästigende Symptom des Schluck-
schmerzes hervorzurufen geeignet sind. Dasselbe pflegt, wie auch, wie wir
noch sehen werden, die meisten übrigen Symptome der Pharyngitis lateralis
acuta, bei der fossulären Form der Krankheit besonders stark ausgesprochen
zu sein. Wie nun die akute Entzündung der Gaumenmandeln die Bezeich-
nung „Angina“ mit Rücksicht auf das durch die akut entzündlichen Er-
scheinungen der Schleimhaut für den Patienten erzeugte Gefühl der „Enge“
im Schlunde erhalten hat, so hat es Verfasser für angezeigt erachtet, die
akute Entzündung der Seitenstränge, auch mit Rücksicht darauf, dass diese
auch in bezug auf das Symptom der „Enge“ der Tonsillitis acuta durchaus
analoge Verhältnisse bietet, mit dem Namen „Angina der Seiten-
stränge“ zu belegen und, wie bereits gesagt, gemäss den entsprechenden
Verhältnissen bei der akuten Gaumenmandelentzündung von einer „Angina
simplex“ und einer „Angina fossularis* zu reden, je nachdem die
akute Seitenstrangentzündung eine Beteiligung der Fossulae zeigt oder nicht.
Beim Sprechen treten teils infolge des — besonders bei starker
Schwellung der Seitenstränge eintretenden — Druckes des sich hebenden
Gaumensegels auf die akut entzündeten Gebilde, teils infolge der mit der
Muskelaktion eintretenden Bewegung und Zerrung der gereizten Schleim-
haut starke Schmerzen ein, die dem Patienten das Sprechen äusserst be-
schwerlich machen: die Sprache erhält, offenbar infolge der vom Patienten
ausgeübten möglichst geringen Muskelaktion, die von der Angina der
Gaumenmandeln her bekannte „anginöse Klangfarbe“. Die erwähnten
Schmerzen beim Schlucken und Sprechen strahlen — ein für die Angina
- der Seitenstränge wichtiges Symptom, auf das Verfasser („Angina der
Seitenstränge*) besonders aufmerksam gemacht hat — mit grosser Heftig-
keit in die Ohren bzw. das betreffende Ohr aus. Diese Ohrenschmerzen
pflegen bei der Seitenstrangangina in der Regel heftiger zu sein als bei
416 O. Levinstein, Pathologie und Therapie der Pharyngitis lateralis.
der Gaumenmandelangina, eine Tatsache, die in dem engen anatomisch-
physiologischen Zusammenhange zwischen pharyngealer Tubenmiindung und
Plica salpingo-pharyngea ihre Erklärung findet. Zu den erwähnten Sym-
ptomen treten nun in allen schwereren Fällen von Angina der Seiten-
stränge die Zeichen der eingetretenen Allgemeininfektion des Orga-
nismus: allgemeines Krankheitsgefiihl, Abgeschlagenheit, Mattig-
keit, Appetitlosigkeit, Fieber, wenn auch meist nur mässigen Grades.
In leichteren Fällen können die letztgenannten Symptome der Allgemein-
infektion sehr in den Hintergrund treten oder auch gänzlich fehlen: in
diesen Fällen ist es eben bei der lokalen Infektion geblieben: meist
handelt es sich hierbei um die Angina simplex der Seitenstränge, während
die fossuläre Angina in der Regel ein etwas schwereres Krankheitsbild dar-
bietet.
Diagnose.
Die Diagnose der Pharyngitis lateralis pflegt, da es sich um die Er-
krankung einer Region handelt, die der direkten Inspektion und Palpation
zugängig ist, in der Regel — die Kenntnis des Wesens und der Symptome
der Krankheit vorausgesetzt — keine erheblichen Schwierigkeiten zu be-
reiten. Wenn trotzdem, wie Verfasser beobachtet hat, die Krankheit nicht
selten übersehen bzw. unrichtig diagnostiziert wird, so liegt dies nach An-
sicht des Verfassers im wesentlichen an zwei Gründen. Der erste besteht darin,
dass die Symptome der Pharyngitis lateralis, wie im Vorstehenden
auseinandergesetzt wurde, sich in vielen Punkten mit denjenigen
zweier anderer, sehr bekannter Krankheiten decken, und zwar
der Pharyngitis chronica und der Angina der Gaumenmandeln; so
kommt es häufig vor, dass bei geringfügigen Veränderungen auf der hinteren
Rachenwand, wie z. B. dem Mangel des in der Norm vorhandenen feuchten
Glanzes, einer geringen Rötung, der Anwesenheit der bekannten, oft keinerlei
Symptome verursachenden Granula u. ähnl., diese Erscheinungen für die
tatsächlich auf den erkrankten Seitenstrang zu beziehenden Klagen des
Patienten verantwortlich gemacht werden, und die Diagnose Pharyngitis
chronica gestellt wird, während tatsächlich nicht diese, sondern eine
Pharyngitis lateralis chronica vorliegt. Selbstverständlich können, worauf
bereits hingewiesen wurde, auch die erwähnten Krankheiten gleichzeitig
nebeneinander bestehen, wobei aber erfahrungsgemäss dann in vielen Fällen
nur die Erkrankung der hinteren, nicht aber die vielleicht für die vor-
handenen Beschwerden viel wesentlichere Erkrankung der seitlichen Pharynx-
wand diagnostiziert wird. Entsprechend wird nicht selten bei Angina der
Seitenstränge und gleichzeitig vorhandener leichter Rötung der Gaumen-
mandeln, ohne dass eine akute Entzündung derselben besteht, eine Angina
der letzteren diagnostiziert, und erst recht, wenn neben einer Angina der
Seitenstränge eine solche der Gaumentonsillen besteht, nur die letztere.
nicht aber auch die erstere erkannt.. Den zweiten Grund für die ver-
hältnismässig häufige Nicht- oder Falschdiagnostizierung der Pharyngitis
O. Levinstein, Pathologie und Therapie der Pharyngitis lateralis. 417
lateralis sieht Verfasser in dem nicht selten zu konstatierenden Missver-
haltnis zwischen objektivem Befunde und den vorhandenen Be-
schwerden bei dieser Krankheit. Steht, wie dies sowohl bei der chroni-
schen als auch bei der akuten Form der Pharyngitis lateralis nicht selten
der Fall ist, ein recht geringer objektiver Befund sehr beträchtlichen Be-
schwerden gegenüber, so liegt es, vorausgesetzt, dass man eben nicht mit
dieser Eigentümlichkeit der vorliegenden Krankheit hinlänglich vertraut
ist, nahe, dass der Arzt andere, mehr in die Augen fallende Erscheinungen,
wie etwa zufälligerweise vorhandene Veränderungen auf der hinteren Rachen-
wand oder den Gaumenmandeln, für die vorhandenen Beschwerden ver-
antwortlich macht oder etwa an eine Hypersensibilität oder gar Hysterie
seines Patienten glaubt. Auf das erwähnte, häufig zu beobachtende Miss-
verhältnis zwischen subjektiven Beschwerden und objektivem Befund bei
der Pharyngitis lateralis weist Uffenorde (l. c.), der hierbei allerdings
nur von der chronischen Form der Krankheit spricht, mit Recht hin, wo-
bei derselbe allerdings unter objektivem Befund im wesentlichen nur die
vorhandene Schwellung des Seitenstrangs versteht. Nun war aber, als
Uffenorde seine Abhandlung schrieb, die vom Verfasser zum ersten
Male beschriebene chronische fossuläre Seitenstrangentzündung noch un-
bekannt, und Verfasser hat in seiner diesbezüglichen Arbeit („Ueber Ton-
sillitis chron. foss. des Seitenstrangs“) darauf hingewiesen, dass gerade in
diesen von Uffenorde gemeinten Fällen, in denen also ein Missverhältnis
zwischen den vorhandenen Beschwerden und der Stärke des Seitenstrangs
vorliegt, häufig eine chronische Erkrankung der Fossulae des letzteren
die Grundlage für die vorhandenen Beschwerden abgibt. Trotzdem bleibt
bei dem geringen objektiven Befunde, den die Pharyngitis lateralis chronica
fossularis darbietet — die kleinen Pfröpfe, die meist nur einen Bruchteil
der Grösse der gewöhnlichen Mandelpfröpfe erreichen, erfordern, sollen sie
nicht übersehen werden, eine genaue Besichtigung des Seitenstrangs --,
der von Uffenorde aufgestellte Satz von dem Missverhältnis zwischen
Krankheitsbild und objektiv wahrnehmbarem Befunde im wesentlichen, wie
ich dies soeben ausgeführt habe, bestehen. Wie gesagt, gilt dieser Satz
aber nicht nur von der chronischen, sondern auch von der akuten Seiten-
strangentzündung, der Angina der Seitenstränge; eine oft nur mässige
Schwellung und Rötung des auf Sondendruck schmerzhaften Seitenstrangs
ist meist der allein zu erhebende objektive Befund, der zu den erwähnten,
oft recht beträchtlichen Beschwerden in einem ziemlich schroffen Miss-
verhältnis steht. Liegt eine Angina fossularis der Seitenstränge vor, so
sind auch hier, wie dies soeben von der chronischen fossulären Seiten-
strangentzündung gesagt wurde, die vorhandenen Pfröpfe klein, erheblich
kleiner als bei der Angina der Gaumenmandeln, wo bekanntlich, was bei
der Seitenstrangangina nie beobachtet wird, die aus den Orificia fossularum
hervorquellenden grossen Eiterpfröpfe zuweilen konfluieren und die ganze
Mandeloberfliche mit einer Eiterschicht überziehen. Es pflegt mithin so-
wohl bei der chronischen als auch bei der akuten Seitenstrangentzündung
415 O. Levinstein, Pathologie und Therapie der Pharyngitis lateralis.
der objektive Befund nicht selten ein bedeutend geringerer zu sein, als dies
bei den entsprechenden Erkrankungen der Gaumenmandel der Fall ist, ein
fiir die Diagnose der Pharyngitis lateralis sehr beachtenswertes Moment.
Bei dieser Gelegenheit ist es aber auch am Platze, der Ausnahmen von
der Regel von dem Missverhaltnis zwischen objektivem Befund und Krank-
heitsbild bei der Pharyngitis lateralis Erwähnung zu tun. Man beobachtet
nämlich zuweilen Fälle von chronischer Seitenstrangentzündung, in denen
der Satz vom Missverhältnis zwischen Befund und subjektiven Symptomen
im umgekehrten als dem erwähnten Sinne zu Recht besteht; Fälle, in denen
Schwellungen der Seitenstränge recht erheblichen Grades sich dem Patienten
nur wenig oder garnicht bemerkbar machen. Es sind dies jedoch, wie
gesagt, nur Ausnahmefälle.
Bei der Diagnosenstellung „Pharyngitis lateralis“ ist mithin, um dies
resümierend kurz zu wiederholen, zunächst zu beachten, dass sämtliche
subjektiven Symptome, die wir als charakteristisch für Pharyngitis bzw.
Tonsillitis chronica bzw. für die Angina der Gaumenmandeln kennen, gleich-
zeitig auch bei der Pharyngitis lateralis chronica und acuta beobachtet
werden; wir müssen daher, wenn uns diese Beschwerden vorgetragen werden,
also stets nicht weniger als an die entsprechenden Erkrankungen
der hinteren Rachenwand und der Gaumenmandeln an diejenigen
der Seitenstränge denken. Zweitens müssen wir uns stets bewusst
sein, dass die makroskopisch wahrnehmbaren Veränderungen der
Seitenstränge bei der Pharyngitis lateralis auch bei erheb-
lichen subjektiven Beschwerden nicht notwendigerweise so be-
deutende zu sein brauchen, wie wir dies bei der hinteren Rachen-
wand bzw. den Gaumenmandeln gewohnt sind. (Gewöhnen wir uns
mithin an, bei allen Beschwerden der Patienten, die wir bisher lediglich
auf die hintere Rachenwand bzw. die Gaumenmandeln zu beziehen ge-
wohnt waren, auch an die entsprechenden Erkrankungen der Seitenstränge.
zu denken, wobei wir uns gleichzeitig bewusst sind, dass bereits geringe
Veränderungen der letzteren recht erhebliche Beschwerden zu erzeugen im-
stande sind, so wird uns die Diagnose der Pharyngitis lateralis in der
Regel keine Schwierigkeiten bereiten. Die erkrankte Region des Pharynx
ist ja, wie bereits gesagt, der Inspektion und Palpation in unbeschränkter
Weise zugängig; es können mithin Veränderungen derselben auch nur ge-
ringfügiger Natur bei genügender Beachtung dieser Gegend dem unter-
suchenden Arzte nicht entgehen. Der objektive Befund besteht bei der
Pharyngitis lateralis chronica in einer Schwellung der Plica salpingo-
pharyngea, die sehr verschiedenen Grades sein kann, sowie ferner in einer
geringeren oder auch stärkeren Rötung der Schleimhaut; die fossuläre
Form der Krankheit erkennt man an den in den Orificia fossularum sicht-
baren kleinen P’fröpfen. Bei der Angina der Seitenstränge findet sich stets
ebenfalls eine Schwellung dieser Gebilde; die Schleimhaut ist meist ge-
rötet, zuweilen aber, wenn eine stärkere ödematöse Durchtränkung der-
selben vorhanden ist, blasser als die Umgebung; die fossuläre Form der
O. Levinstein, Pathologie und Therapie der Pharyngitis lateralis. 419
Angina der Seitenstränge ist an der Anwesenheit der Pfröpfe zu erkennen.
In bezug auf die Bewertung der subjektiven Symptome sei erwähnt, dass
das lästige Kitzelgefühl im Halse, das ja auch bei der Pharyngitis chronica
eine der unangenehmsten Beschwerden bildet, bei der Pharyngitis lateralis
chronica von den Patienten ziemlich regelmässig in die seitliche Kehlkopf-
gegend verlegt wird, was auch von den vorhandenen Schmerzen bei der
Angina der Seitenstränge zutrifft. Die bei der letzteren nie fehlenden
Ohrenschmerzen pflegen heftiger zu sein, als wir dies bei der Angina der
Gaumenmandeln zu beobachten gewohnt sind. Das allgemeine Krankheits-
gefühl ist meistens bei der Seitenstrangangina weniger ausgesprochen
als bei der Angina der Gaumenmandeln, da die Allgemeininfektion bei
dieser seltener einzutreten und, wenn sie eintritt, geringer zu sein pflegt
als bei jener. Völlig zuverlässig sind, wie aus dem oben Gesagten hervor-
geht, diese Unterscheidungsmerkmale zwischen der Pharyngitis lateralis
chronica und acuta und den entsprechenden Erkrankungen der hinteren
Rachenwand und der Gaumenmandeln nicht, immerhin verdienen sie bei
der Diagnosenstellung beachtet zu werden. Schliesslich sei nochmals auf
das nicht selten zu beobachtende gleichzeitige Auftreten der entsprechenden
Krankheiten auf der seitlichen und hinteren Rachenwand bzw. den Gaumen-
mandeln, also einer Pharyngitis chronica mit einer Pharyngitis lateralis
chronica und einer Angina der Gaumenmandeln mit einer solchen der
Seitenstränge hingewiesen, eine Tatsache, die uns dazu veranlassen muss,
in allen Fällen von chronischer oder akuter Erkrankung der hinteren
Pharynxwand oder der Gaumenmandeln unsere besondere Aufmerksamkeit
den Seitensträngen zuzuwenden.
Therapie und Prognose.
Bei der Frage der Therapie der Pharyngitis lateralis ist zunächst
streng zwischen der akuten und der chronischen Form der Krankheit
zu unterscheiden.
Die Behandlung der akuten Seitenstrangentzündung ähnelt durch-
aus derjenigen der Angina der übrigen Mandeln. Hier haben wir zunächst
daran zu denken, dass die Angina der Seitenstränge, ebenso wie diejenige
der übrigen Mandeln, eine akute Infektionskrankheit darstellt. Der
Allgemeininfektion des Körpers, die sich im Auftreten von Fieber usw.
äussert, begegnen wir bzw. beugen wir vor durch Darreichung von Anti-
pyretika, wie Aspirin oder des besonders von B. Fränkel bei der Angina
der Gaumenmandeln empfohlenen Chinins, letzteres morgens und abends
je 0,25 g in Kapseln. Den Schluckschmerz bekämpfen wir durch Dar-
reichung von Eis und Anästhesinbonbons und gestatten nur kühle,
flüssige Nahrung. Von Gurgelungen wollen manche Autoren, unter
denen wiederum B. Fränkel zu nennen ist, bei der Angina völlig absehen,
um die entzündete Schleimhaut durch die mit diesem Akt verbundenen
Muskelkontraktionen und hieraus erfolgender Verschiebung und Zerrung
der Schleimhaut nicht zu reizen. Verfasser hat von Gurgelungen mit
420 0. Levinstein, Pathologie und Therapie der Pharyngitis lateralis.
leicht adstringierenden Mitteln, wie Alaun, essigsaurer Tonerde oder
den in den letzten Jahren in den Handel gebrachten Mitteln Alsol und
Mallebrein nur Gutes gesehen und scheut sich sogar nicht, diese Mittel,
die durch den Gurgelakt vielleicht nicht geniigend sicher an die entziindeten
Partien herangebracht werden, vorsichtig mit einem Wattebausch aufzu-
tragen. Ein Priessnitzscher Halsumschlag vervollständigt die Therapie.
In allen Fällen von Angina der Seitenstränge, die mit Fieber und gestörtem
Allgemeinbefinden verbunden sind, ist Bettruhe innezuhalten. Unter dieser
Behandlung pflegt die Angina der Seitenstränge meist in 4—8 Tagen ab-
zuheilen. In manchen Fällen lässt es sich jedoch trotz sorgfältigster Be-
handlung nicht vermeiden, dass die akute Seitenstrangentzündung in eine
chronische übergeht, gegen die dann die im folgenden zu beschreibenden
Behandlungsmethoden zur Anwendung kommeu.
Therapie der Pharyngitis lateralis chronica: Wie in dem die
Symptomatologie dieser Krankheit behandelnden Abschnitte auseinander-
gesetzt wurde, kénnen die durch die chronische Seitenstrangentziindung er-
zeugten Beschwerden sich entweder auf die vorhandene Schwellung des
Seitenstrangs an sich oder auf den chronischen Reizzustand der Schleim-
haut beziehen; selbstverständlich wird es auch Fälle geben, in denen die
vorhandenen Beschwerden sowohl auf die Schwellung als auch auf die ent-
zündete Schleimhaut zurückzuführen sind. Ein stark geschwollener Seiten-
strang bildet ein mechanisches Hindernis beim Schlucken, Sprechen usw.
und macht als solches Beschwerden, die solange bestehen bleiben, als die
Schwellung des Seitenstrangs besteht; sie können mithin durch alle thera-
peutischen Encheiresen, die nur die Beseitigung der chronisch-entzündlichen
Erkrankung der Schleimhaut selber, nicht aber die Beseitigung oder Ver-
kleinerung der vorhandenen Schwellung zur Folge haben, nicht radikal
behoben werden. Wir können den geschwollenen Seitenstrang, der sowohl
durch seine Schwellung an sich als auch durch den chronischen Entzün-
dungszustand seiner Schleimhaut Beschwerden macht, mit einem mit ent-
ziindeter Oberfläche versehenen Tumor der seitlichen Rachenwand ver-
gleichen: behandeln wir diese entzündete Oberfläche und bringen sie zur
Heilung, ohne dass wir gleichzeitig den Tumor entfernen, so werden die
Beschwerden, die auf die Geschwulst als mechanisches Hindernis im Isthmus
faucium zu beziehen waren, unbeeinflusst bleiben. Aus dem Gesagten folgt
für die Frage der Behandlung der Pharyngitis lateralis chronica, dass wir
zunächst uns zu fragen haben, ob in der vorhandenen Schwellung ein be-
achtenswertes mechanisches Hindernis gegeben ist oder nicht. Denn wenn
auch, wie bereits gesagt wurde, in manchen Fällen mächtige Schwellungen
der Seitenstränge dem Träger keinerlei Beschwerden verursachen, so sind
diese Fälle immerhin die Ausnahme, und noch seltener dürfte es vor-
kommen, dass bei Pharyngitis lateralis chronica mit starker Schwellung
der Seitenstränge vorhandene Beschwerden lediglich auf die chronische
Entzündung der Schleimhautoberfläche, nicht aber auf die Schwellung an
sich zu beziehen sein werden; immerhin kommen auch solche Fälle, wenn
O. Levinstein, Pathologie und Therapie der Pharyngitis lateralis. 421
auch selten, vor. Besteht mithin bei der Pharyngitis lateralis chronica
eine erhebliche Schwellung des Seitenstrangs, so muss die einzuschlagende
Therapie das Ziel haben, diese Schwellung zum Verschwinden oder wenigstens
zur teilweisen Rückbildung zu bringen, wobei die zweckmässigste Behand-
lungsmethode diejenige sein wird, die gleichzeitig einen günstigen Finfluss
auf den chronischen Reizzustand der Schleimhautoberfläche auszuüben im-
stande sein wird. Hierzu ist zu bemerken, dass es in der Tat Fälle gibt,
in denen es durch auf lokal-medikamentöse Weise erzielte Beseitigung des
vorhandenen chronischen Reizzustandes der Schleimhaut gelingt, eine Rück-
bildung des geschwollenen Seitenstrangs zu erreichen. Da nun dies Vor-
gehen, d.h. die Beeinflussung der Schleimhautoberfläche durch lokal-medi-
kamentöse Behandlung derselben, im Vergleich zu denjenigen Methoden,
die lediglich die Entfernung des in der Schwellung der Seitenstränge ge-
gebenen mechanischen Hindernisses zum Ziele haben, den leichtesten und
schonendsten Eingriff darstellt, so folgt hieraus für unser therapeutisches
Handeln, dass wir in allen Fällen von Pharyngitis chronica mit starker
Seitenstrangschwellung zunächst die Beeinflussung der chronisch erkrankten
Schleimhaut auf konservatirem Wege zu versuchen haben, mit dem Ziele,
hierdurch gleichzeitig eine Verkleinerung der vorhandenen Schwellung zu
erreichen. Hierbei muss allerdings betont werden, dass die Fälle, in denen
es durch lokal-medikamentöse Behandlung der Seitenstrangoberfläche ge-
lingt, nicht nur die letztere zur Norm zurückzuführen, sondern auch die
Schwellung des Seitenstrangs zum Schwinden zu bringen, nicht häufig sind,
woraus wiederum als Gesetz für unser therapeutisches Vorgehen folgt, dass
wir bei negativem Erfolge uns nicht allzulange bei dieser Methode aufhalten
dürfen, da wir zur Erreichung unseres Zieles über sicherer wirkende, wenn
auch, wie bereits angedeutet, heroischere Mittel verfügen. Von prinzipieller
Bedeutung für die Behandlung der Pharyngitis lateralis chronica ist ferner
die Frage, ob wir es mit einer diffusen Erkrankung der ganzen Schleim-
hautoberfläche oder lediglich mit einer auf die Fossulae beschränkten zu
tun haben. Liegt die letztere vor, so werden wir mit der bisher üblichen,
im folgenden näher zu beschreibenden Behandlung der freien Schleimhaut-
oberfläche meist nicht zum Ziele kommen; die erkrankten Fossulae bei der
Pharyngitis lateralis chronica fossularis erfordern in der Regel ihre eigene,
vom Verfasser zuerst beschriebene Behandlung; auch hier kann man, da es,
wenn auch anscheinend nicht häufig, Fälle gibt, in denen ein chronischer
Katarrh der Fossulae durch Behandlung der freien Oberfläche des Seiten-
strangs zur Heilung gebracht wird, zunächst mit dieser, die wiederum im
Vergleich zu der auf die Fossulae beschränkten Behandlung das einfachere
und schonendere Verfahren darstellt, beginnen, tut aber gut daran, sich
auch in diesen Fällen nicht allzulange mit dem konservativen Vorgehen
aufzuhalten, sondern bei ausbleibendem Erfolge diese gegen die lokale Be-
handlung der erkrankten Fossulae einzutauschen. Aus dem Gesagten folgt,
dass wir in allen Fällen von Pharyngitis lateralis chronica, sei es, dass es
sich um die einfache oder die fossuläre Form der Erkrankung, sei es ferner,
422 0. Levinstein, Pathologie und Therapie der Pharyngitis lateralis.
dass es sich um eine nur geringfügige oder um eine sehr erhebliche
Schwellung der Seitenstränge handelt, zunächst die gleiche Therapie ein-
schlagen können, wobei wir uns allerdings bewusst sein müssen, dass die
Aussichten, mit dieser — die gesamte Oberfläche des Seitenstrangs gleich-
mässig treffenden lokal-medikamentösen — Behandlungsmethode zum Ziele
zu kommen, in Fällen fossulärer Erkrankung der Seitenstränge, sowie bei er-
heblicher Schwellung derselben nicht allzu grosse sind. Bevor ich nun
auf die erwähnte lokal-medikamentöse Behandlung der chronisch erkrankten
Seitenstränge eingehe, muss ich noch derjenigen Massnahmen gedenken,
„deren Durchführung für die Erzielung eines befriedigenden Resultats unserer
gegen das Leiden gerichteten Bemühungen Bedingung ist, bzw. die diese
Bemühungen in hohen: Masse zu unterstützen geeignet sind. Diese Mass-
nahmen bezwecken zunächst die Ausschaltung sämtlicher auf die Rachen-
schleimhaut erfahrungsgemäss ungünstig einwirkender Einflüsse. Dieser Teil
unserer therapeutischen Massnahmen deckt sich durchaus mit den gegen
den chronischen Rachenkatarrh überhaupt in Anwendung kommenden: es
ist also den mit Pharyngitis lateralis chronica behafteten Patienten der
Aufenthalt in staubiger, rauchiger, zu trockener, kalter Luft nach
Möglichkeit zu untersagen. Lässt die Funktion der Nase insofern zu
wünschen übrig, als aus irgend einem Grunde, infolge Muschel-
schwellungen, Polypen, Deviationen usw. die durch dieselbe zu be-
wirkende Vorwärmung, Befeuchtung und Säuberung der Inspirationsluft
von Staubpartikelchen usw. unzureichend ist oder gar, bei durch Stenose
der Nase bedingter Mundatmung, völlig wegfällt, so ist zunächst die Be-
handlung dieses Organs in Angriff zu nehmen; Hyperplasien, Polypen, Ver-
biegungen und Leistenbildungen der Nasenscheidewand sind in üblicher
Weise zu beseitigen. Entsprechend sind adenoide Vegetationen des Nasen-
rachenraums, die die Nasenatmung behindern, zu entfernen. Findet sich
in der Nase, im Nasenrachen- oder Rachenraum eine Eiterquelle, von
der aus eine Berieselung der seitlichen Rachenschleimhaut mit Eiter erfolgt,
so ist diese in geeigneter Weise auszuschalten: es ist mithin auf das etwaige
Vorhandensein von Nebenhöhlenempyemen, chronisch-fossulärem
Katarrh der Rachen- und Gaumenmandeln usw. bei Pharyngitis
chronica lateralis ein scharfes Augenmerk zu richten. Der Genuss von
Tabak und Alkohol ist möglichst einzuschränken, wenn angängig, gänz-
lich zu unterlassen; besonders nachteilig ist bekanntlich das Zigaretten-
rauchen und der Konsum konzentrierter Alkoholika, vor allem der billigen
Sorten, des Fusels usw. Speisen und Getränke dürfen nur in wohl-
temperiertem Zustande, also nicht zu heiss und nicht zu kalt, ge-
nossen werden; gesalzene, gepfefferte und gewürzte Nahrung ist zu
verbieten. Hat man auf diese Weise durch Ausschaltung die Rachen-
schleimhaut reizender Einflüsse die Vorbedingungen für eine günstige
Wirkung der von uns zu ergreifenden therapeutischen Massnahmen ge-
schaffen, so beginnen wir mit den letzteren zweckmässigerweise mit einer
Gurgel-, Trink- und Inhalationskur. Zur Gurgel- und Trinkkur ver-
O. Levinstein, Pathologie und Therapie der Pharyngitis lateralis. 423
ordnet Verfasser gern den Salzbrunner Oberbrunnen, Wiesbadener Koch-
brunnen, sowie das Emser Kriinchen, wobei zu beachten ist, dass das zum
Gurgeln und Trinken verwandte Wasser stets vorher etwas angewärmt
wird. Selbstverständlich vermag ein mehrwöchiger Kuraufenthalt am
Orte der betreffenden Quellen oft gute Dienste zu leisten. Zur Inhalation
verordnet man 1/,—1 proz. Kochsalzlösung oder Solut. Ammon. hydrochlor.
l proz. Der andauernden Inhalation einer mit Salzwasser geschwängerten
Luft sind die oft sehr zufriedenstellenden Resultate, die der Aufenthalt
an der See, dem „grössten Inhalatorium der Welt“, für an chronischem
Rachenkatarrh leidende Patienten mit sich bringt, zuzuschreiben. In dieser
Beziehung ist in Deutschland die Nordsee, vorausgesetzt, dass der sonstige
Zustand des Kranken den Aufenthalt in deren rauhem und windigem Klima
zulässt, der Ostsee vorzuziehen. Wenn nun auch die erwähnte Gurgel-,
Trink- und Inhalationskur bei Ausschaltung aller die Rachenschleimhaut
reizender Einflüsse in vielen Fällen von Pharyngitis lateralis chronica eine
erhebliche Besserung oder zeitweise sogar völlige Beseitigung der Be-
schwerden des Patienten zu erzielen imstande ist, so pflegt doch eine
dauernde Heilung der Krankheit hierdurch allein nur selten beobachtet zu
werden; in der Regel ist vielmehr, um ein Dauerresultat zu erzielen, die
bereits oben kurz erwähnte lokal-medikamentöse Behandlung des
erkrankten Seitenstrangs Bedingung. Dieselbe besteht in Pinselungen
mit adstringierenden oder die Schleimhaut zu stärkerer Sekretion und
Durchblutung anregenden Mitteln. Unter den erstgenannten empfehlen sich
dünne Protargollösungen (1/,—1—2proz.) oder 2proz. Chlorzinklösung,
unter den letzteren jodhaltige Mittel, vor allem die Lugolsche Lösung.
Verfasser pinselt bei der Pharyngitis lateralis chronica mit Vorliebe mit
der letzteren, mit der es nach seinen Erfahrungen noch am ehesten gelingt,
neben dem günstigen Einfluss auf die Schleimhautoberfläche eine, wenn
auch sich meist in engen Grenzen haltende Rückbildung des geschwollenen
Seitenstrangs zu erzielen. Die Pinselungen geschehen zweckmässigerweise
zunächst täglich oder einen Tag um den anderen, bei einsetzendem Erfolge
entsprechend seltener.
Am günstigsten für die angeführte Behandlung liegen, wie bereits ge-
sagt wurde, die Fälle von Pharyngitis lateralis chronica ohne erhebliche
Schwellung sowie ohne Erkrankung der Fossulae. Führt die in diesen
einfachen Fällen wochenlang fortzusetzende Behandlung nicht zum Ziele,
so müssen wir mit stärkeren Mitteln zu wirken versuchen, und zwar stehen
uns hier zwei wiederum an Intensität der Einwirkung auf die Schleimhaut
verschiedene Methoden zur Verfügung: zunächst die chemische Aetzung
und sodann die galvanokaustische Verschorfung. Das erstere ist
natürlich das mildere Verfahren und verdient, da es erfahrungsgemäss oft
zum Ziele führt, zunächst versucht zu werden. Als Aetzmittel bedienen
wir uns des Argentum nitricum, der Trichloressigsäure oder der Chrom-
säure. Verfasser bevorzugt das Argentum nitricum. Mit einer an das
Ende einer Sonde angeschmolzenen Perle bestreichen wir die Oberfläche
424 O. Levinstein, Pathologie und Therapie der Pharyngitis lateralis.
des Seitenstrangs, soweit dieselbe sichtbar ist, und gehen auch vorsichtig
unter Schonung des weichen Gaumens hinter diesen, um auch den für den
Erfolg sehr wichtigen Teil des Seitenstrangs zu treffen, der hinter dem
hinteren Gaumenbogen in die Höhe zieht. Der Eingriff, der sehr gut ohne
vorherige Kokainisierung der Schleimhaut ausgeführt werden kann, ist in
wenigen Augenblicken erledigt. Eine besondere Nachbehandlung ist nicht
nötig: tritt im Anschluss an die Aetzung starkes Brennen ein, so lassen
wir den Patienten mit Salzwasser gurgeln. Ausbleibende Erfolge sind
nicht selten darauf zurückzuführen, dass die Aetzung des Seitenstrangs
nicht weit genug nach oben geschieht, so dass vor allem die Beschwerden,
die der Patient bei jeder Berührung des Gaumensegels mit dem empfind-
lichen Seitenstrang verspürt, unbeeinflusst bleiben. Aber auch bei völlig
korrekter Ausführung der Höllensteinätzung ist der Erfolg zuweilen ein
unzureichender oder nur vorübergehender; in diesen Fällen kann man zu-
nächst durch Wiederholung des sehr einfachen Verfahrens ein besseres
Resultat zu erreichen suchen; gelingt dies nicht, so ist die Indikation für
die Galvanokaustik der Seitenstränge gegeben. Dieses Verfahren
erfreut sich, wie dem Verfasser wohl bekannt ist, seitdem von mancher
berufenen Seite — ich nenne hier nur M. Schmidt („Die Krank-
heiten der oberen Luftwege*) und Uffenorde (Il. e.) — davor gewarnt
wurde, unter den Herren Fachgenossen heute nur geringer Beliebtheit.
Nach den Erfahrungen des Verfassers mit. Unrecht. Derselbe hat die
Galvanokaustik der Seitenstränge in ausserordentlich zahlreichen Fällen von
Pharyngitis lateralis chronica angewandt, ohne jemals üble Zufälle, wie
diese in vereinzelten Fällen von anderen Autoren beschrieben wurden, er-
lebt zu haben, so dass er sich der Ansicht nicht verschliessen kann, dass
diese Zufälle, welche die ganze Methode etwas in Misskredit gebracht
haben, vielleicht doch auf die von den betreffenden Autoren angewandte
Technik des Verfahrens zurückzuführen sind: so ist z. B. die von Chiari
(zitiert in der Uffenordeschen Arbeit) beschriebene, im Anschluss an die
Galvanokaustik der Seitenstränge eingetretene Abszessbildung im retro-
pharyngealen Bindegewebe sicherlich darauf zurückzuführen, dass der
Brenner, entweder als Flach- oder Kuppelbrenner, zu lange an ein und der-
selben Stelle gewirkt oder, als Spitzbrenner, zu tief in das Gewebe ver-
senkt wurde. Verfasser bedient sich zur Ausführung der Galvanokaustik
bei der Pharyngitis lateralis chronica simplex des Flachbrenners, dessen
Ende, damit die breite Fläche des Brenners auf der Schleimhaut zu liegen
kommt, nahezu bis zum rechten Winkel abgebogen wird. Der Brenner soll
rotglühend sein, und zwar schon glühend auf die Schleimhaut aufgesetzt
und noch glühend von dieser entfernt werden. Man betupft mit demselben
vorsichtig, um nicht unnötigerweise gesunde Schleimhaut zu verbrennen,
und vor allem unter peinlicher Schonung der Gaumenbögen und des
Gaumensegels, die Oberfläche des Seitenstrangs, vor allem, wie dies schon
bei der chemischen Aetzung betont wurde, auch denjenigen Teil desselben,
der hinter dem Gaumensegel nach oben zieht. Der Brenner darf an einer
O. Levinstein, Pathologie und Therapio der Pharyngitis lateralis. 425
Stelle stets nur eiwa 2 Sekunden einwirken und wird dann, wie schon
gesagt, noch rutglühend wieder entfernt. Die Galvanokaustik verlangt,
im Gegensatz zur chemischen Aetzung, sorgfältige Anästhesierung, am
zweckmässigsten durch Bepinselung mit 20 proz. Kokainlösung; dann ist
aber auch die Prozedur, die in wenigen Minuten auszuführen ist, für den
Patienten völlig schmerzlos. Allerdings sind oft die der Galvanokaustik
der Seitenstränge folgende Reaktion und die diese begleitenden Schmerzen
nicht gering: wir bekämpfen sie durch Verordnen von Eis, kühler und
flüssiger Diät und Anästhesinbonbons. Anästhesinpulver wird auch zweck-
mässigerweise in den ersten Tagen nach Ausführung der Galvanokaustik
auf die gebrannten Stellen aufgestreut. In denjenigen Fällen von Pharyn-
gitis lateralis chronica simplex ohne erhebliche Schwellung der Seiten-
stränge, in denen wir mit allen sonstigen, im Vorangehenden beschriebenen
Mitteln nicht zum Ziele kommen, gelingt es meist, mittels der Galvano-
kaustik der Seitenstränge die bei dieser Krankheit stets vorhandene Hyper-
ästhesie der . letzteren so erheblich herabzusetzen, dass der Patient be-
schwerdefrei wird; zuweilen ist es zur völligen Erreichung dieses Zieles
allerdings nötig, nach abgelaufener Reaktion noch mit Pinselungen, Gurge-
lungen usw. nachzuhelfen. In besonders hartnäckigen Fällen ist die
Galvanokaustik zu wiederholen.
Wie bereits gesagt wurde, lässt die lokal-medikamentöse Behandlung
der Seitenstränge in Fällen von Pharyngitis lateralis chronica mit erheb-
licher Schwellung der Seitenstränge, sowie bei chronischem Katarrh der
Fossulae erfahrungsgemäss verhältnismässig oft im Stich, so dass es bei
diesen Formen der Krankheit nicht ratsam ist, bei ausbleibendem Erfolge
sich zu lange mit dieser streng konservativen Behandlungsmethode auf-
zuhalten. Aber auch die soeben beschriebene chemische Aetzung bzw.
galvanokaustische Verschorfung der Seitenstrangoberfläche ist für diese
Formen der Pharyngitis lateralis chronica nicht zu empfehlen, da diese
Methoden weder eine hinlängliche Abschwellung der Seitenstränge zu er-
zeugen — bei der Galvanokaustik wäre, um dies Ziel zu erreichen, eine
längere Einwirkung der Glühhitze vonnöten, die aber, wie bereits gesagt,
üble Komplikationen herbeiführen kann und deshalb zu vermeiden ist —,
noch infolge der fehlenden direkten Einwirkung auf die Fossulae eine
chronische Erkrankung der letzteren zur Heilung zu bringen geeignet sind.
Wir müssen mithin in Fällen von Pharyngitis lateralis chronica mit erheb-
licher Schwellung der Seitenstränge, sowie in Fällen von Pharyngitis lateralis
chronica fossularis (mit oder ohne erhebliche Schwellung der Seitenstränge)
bei auf streng konservativem Wege nicht in absehbarer Zeit zu erzielendem
Erfolge, unter Ausserachtlassung der chemischen Aetzung sowie der Galvano-
kaustik der freien Seitenstrangoberfläche uns nach anderen Methoden umsehen,
die für diese besonderen Fälle von chronischer Seitenstrangentzündung indi-
ziert sind. Die hier in Anwendung kommenden Verfahren unterscheiden sich
prinzipiell je nachdem es sich um eine Pharyngitis lateralis chronica sim-
Archiv für Laryngologie. 29. Bd. 3. Heft. 29
426 0. Levinstein, Pathologie und Therapie der Pharyngitis lateralis.
plex oder fossularis handelt. Denn die letztere erfordert, wie Verfasser
(„Zur Behandlung der Tonsillitis chronica*, s. unten) gezeigt hat, das Ver-
sagen der Pinselbehandlung der gesamten Seitenstrangoberfläche voraus-
gesetzt, stets eine streng auf die erkrankten Fossulae lokalisierte
Behandlung, ganz gleichgültig, ob es sich um eine erhebliche
Schwellung des erkrankten Seitenstrangs handelt oder nicht.
Beginnen wir hier mit der chronischen fossulären Seitenstrangentzündung, so
besteht die vom Verfasser angegebene Behandlung dieser Krankheit in der
Galvanokaustik der erkrankten Fossulae. Wir haben ja, wie Ver-
fasser nachgewiesen hat, hier nichts anderes als eine Tonsillitis chronica
fossularis vor uns, bei der. wie die Erfahrungen des Verfassers!) bei der
Gaumenmandel gezeigt haben, nun einmal die galvanokaustische Behandlung
unter denjenigen Methoden, die nicht die Zerstörung des gesamten Organs
zum Ziele haben, wie z. B. die Tonsillektomie, die zuverlässigsten Resultate
gibt. Die bisher — auch von Uffenorde — empfohlene blutige Ent-
fernung des geschwollenen Seitenstrangs in allen Fällen, in denen wir mit
Pinselungen und Aetzungen nicht zum Ziele kommen, ist der Tonsillektomie
zu vergleichen, die ausgeführt wird, bevor alle Versuche, die bestehende
Erkrankung der Tonsille unter Erhaltung des Organs zur Heilung zu
bringen, erschöpft sind. Ein solches Vorgehen aber ist, da wir nicht
wissen, ob nicht der Tonsille — auch, wie Verfasser („Ueber Tonsillitis
chronica fossularis“) ausgeführt hat, der Seitenstrangtonsille — eine für den
Organismus wichtige Funktion zufällt, als irrationell zu verwerfen. Für
den mit chronischem Katarrh der Fossulae behafteten Seitenstrang gilt
nun, wie bereits angedeutet, die Regel, dass in allen Fällen, also gleich-
gültig, ob eine starke Schwellung des Seitenstrangs besteht oder nicht, zu-
nächst die Fossulae zur Heilung zu bringen sind. Ist dies geschehen, so
verschwinden — auch bei vorhandener starker Schwellung der Seiten-
stringe — nach den Erfahrungen des Verfassers die Beschwerden des
Patienten in der Regel prompt. Ist das letztere nicht der Fall, dann muss
allerdings die Schwellung des Seitenstrangs, auf die die Beschwerden zu
beziehen sind, in geeigneter Weise — wie wir noch sehen werden, kommt
hier nur die blutige Entfernung des geschwollenen Seitenstrangs in Frage —
beseitigt werden.
An dieser Stelle sei noch einmal betont, dass nach Beobachtungen des
Verfassers in einem grossen Prozentsatze der Fälle von Pharyngitis lateralis
chronica, in denen auf den ersten Blick ein starkes Missverhältnis zwischen
den erheblichen subjektiven Beschwerden und dem geringen objektiven Be-
fund zu bestehen scheint, eine bei nicht genauem Hinsehen leicht zu über-
sehende chronische Erkrankung der Seitenstrangfossulae vorliegt. Solche
Fälle werden, auch dies muss hier noch einmal erwähnt werden, wenn
man sich, wie dies bisher gern geschah, auf Pinselungen oder Aetzungen
1) Levinstein, Zur Behandlung der Tonsillitis chronica und Angina
habitualis. (Mit besonderer Berücksichtigung der Galvanokaustik der Tonsillen.)
Archiv f. Laryngol. 1911. Bd. 24. H. 2.
O. Levinstein, Pathologie und Therapie der Pharyngitis lateralis. 427
der Seitenstrangoberfläche beschränkt, oft mit Misserfolg behandelt werden:
aber auch die wahllos ausgeführte blutige Entfernung des geschwollenen
Seitenstrangs bei fossulärer Erkrankung desselben ist, wie soeben ausge-
führt wurde, unzweckmässig. Die Ausführung der Galvanokaustik der
Fossulae nach der Methode des Verfassers, um auf diese zurückzukommen,
ist eine recht, einfache: man bepinselt zunächst die ganze Seitenstrangober-
fläche und Umgebung mit 20 proz. Kokainlösung, die man nach Möglich-
keit auch auf einer feinen, mit Watte armierten Sonde in die Lumina der
Fossulae, deren Mündungen an den kleinen Pfropfen kenntlich sind, hinein
bringt. Sodann dringt man mit dem rotglühenden Spitzbrenner in die
Fossulae ein, lässt die Glühhitze etwa 2 Sekunden einwirken und zieht
den Brenner dain, noch rotglühend, wieder heraus. Der Weg, den die
Spitze des Brenners im Seitenstrang zurückzulegen hat, richtet sich nach
dem Grade der Schwellung des letzteren. Man vergesse nicht, dass die
Fossulae des Seitenstrangs im Vergleich mit den Gaumenmandelfossulae
kurz sind, und dass sie den geschwollenen Seitenstrang nicht in seiner
ganzen Stärke zu durchsetzen pflegen; man hüte sich mithin, mit dem
Brenner unnötig tief in das Gewebe einzudringen, um möglicherweise durch
ein solches Verfahren entstehenden unangenehmen Komplikationen .der be-
reits geschilderten Art vorzubeugen. Es wird jede Fossula, die sich durch
die Anwesenheit eines Pfropfes als erkrankt zu erkennen gibt, gebrannt;
die freie Oberfläche des Seitenstrangs bleibt unberührt, Nebenverletzungen,
besonders der Gaumenbögen, sind peinlich zu vermeiden; dann pflegt auch
die nachfolgende Reaktion, die in üblicher Weise mit Eisschlucken, kühlen
Getränken, Anästhesinbonbons usw. zu bekämpfen ist, gering zu sein. Die
Prozedur selber ist bei korrekter Ausführung völlig schmerzlos zu ge-
stalten. In der Regel genügt ein einmaliges Brennen, um den chronischen
Katarrh der Fossulae zur Heilung zu bringen; nötigenfalls ist die Galvano-
kaustik zu wiederholen.
Ist bei der Pharyngitis lateralis chronica fossularis der Katarrh der
Fossulae durch die Galvanokaustik beseitigt, so verschwinden alle Be-
schwerden, soweit sie auf die chronische Fossulaerkrankung zu beziehen
waren. Die nach Beseitigung der letzteren etwa noch vorhandenen Be-
schwerden werden, diesen Schluss können wir per exclusionem ziehen,
auf die noch nicht behobene Schwellung des Seitenstrangs an sich zu be-
ziehen sein. Die in diesen Fällen nötige Behandlungsweise deckt sich mit
derjenigen, die gegen die Pharyngitis lateralis chronica simplex in Anwendung
kommt, bei der die vorhandenen Beschwerden auf die starke Schwellung des
Seitenstrangs zu beziehen sind. Es wurde bereits gesagt, dass in diesen Fällen
nach Versagen der streng konservativen Methoden mittels Pinselungen usw.
unter Umgehung der chemischen Aetzung sowie der Galvanokaustik der
Seitenstrangoberfläche allein die blutige Entfernung der Schwellung
indiziert ist. Sie geschieht nach vorheriger Kokainisierung mit einem der
besonders zu diesem Zwecke konstruierten Instrumente, z. B. mit der
Cordesschen Seitenstrangzange. Nach gründlicher Kokainisierung des
ou
423 0. Levinstein, Pathologie und Therapie der Pharyngitis lateralis.
Seitenstrangs drückt man die Branchen der Zange, welche die Schwellung
zwischen sich fassen, mit einem plötzlichen, kurzen, aber festen Ruck zu-
sammen. Die Schmerzen, die man dem Patienten verursacht, sind bei ge-
schickter Ausführung des Eingriffs gering, ebenso die Blutung. Nach-
behandlung wie bei der Galvanokaustik. Es ist meist nicht nötig, den
gesamten Seitenstrang zu entfernen, vielmehr genügt es, wenn man den-
jenigen Teil exstirpiert, der in dem Niveau des gehobenen Gaumensegels
liegt; der stehenbleibende Rest macht erfahrungsgemäss in der Regel keine
weiteren Beschwerden und bildet sich allmählich zurück.
Resümieren wir zum Schluss kurz die bisher gegen die Pharyngitis
lateralis chronica geübte, sowie die vom Verfasser angegebene und die in
dieser Arbeit zum ersten Male in systematischer Darstellung geschilderte
Behandlungsweise der vorliegenden Krankheit: Bisher wurde in der Weise
vorgegangen, dass man in jedem Falle von chronischer Seitenstrangent-
zündung mit Pinselungen und anderen konservativen Verfahren begann und
bei ausbleibendem Erfolge, sowie bei stärkerer Schwellung des Seiten-
strangs, zur chemischen Aetzung der Seitenstrangoberfläche überging, um
schliesslich, wenn auch diese Methode versagte, zur blutigen Entfernung
des Seitenstrangs zu schreiten. Hiergegen lässt sich die vom Verfasser
angegebene Behandlungsweise der Pharyngitis lateralis chronica in folgenden
Grundregeln zusammenfassen:
1. Jede Pharyngitis lateralis chronica wird zunächst kon-
servativ behandelt, und zwar nach den bekannten Regeln.
die für dieTherapie des chronischen Rachenkatarrhs über-
haupt gelten: Ausschaltung aller dieSchleimhautreizender
Einflüsse aus der Inspirationsluft — nötigenfalls durch
Behandlung der Nase, die unterallen Umständen funktions-
tüchtig zu gestalten ist — sowie aus der Nahrung; Gurgel-,
Trink-, Inhalationskur, lokal-medikamentöse Behandlung
mittels Pinselungen der Seitenstrangoberfläche.
2. Bleibt der Erfolg durch die unter 1 angegebene Behand-
lung aus, so ist |
a) in denjenigen Fallen, in denen weder eine erhebliche
Schwellung des Seitenstrangs noch eine fossuläre Er-
krankung desselben vorhanden ist, die chemische
Aetzung der Seitenstrangoberfläche, bei auch hier-
durch nicht erreichtem Resultat, die Galvanokaustik
der letzteren vorzunehmen;
b) in den Fällen, in denen eine chronisch fossuläre Er-
krankung des Seitenstrangs vorliegt, die Galvano-
kaustik der Fossulae mittels des rotglühenden Spitz-
brenners vorzunehmen, und zwar ohne Rücksicht dar-
auf, ob es sich hierbei um eine erhebliche oder eine
nur geringfügige Schwellung des Seitenstrangs handelt:
0. Levinstein, Pathologie und Therapie der Pharyngitis lateralis. 42)
c) in denjenigen Fällen, in denen eine starke Schwellung
des Seitenstrangs, nicht aber eine chronische Erkran-
kung der Fossulae — die entweder überhaupt nicht
vorhanden gewesen oder durch die unter 2b angegebene
Behandlung zur Heilung gebracht ist — vorliegt, —
Beschwerden, die in diesem Falle auf die Schwellung
an sich zu beziehen sind, vorausgesetzt — die Exstir-
pation des Seitenstrangs auf blutigem Wege auszu-
führen.
Die Prognose der Pharyngitis lateralis ist quoad vitam stets, quoad
sanationem completam in der Regel durchaus günstig zu stellen. Die
Pharyngitis lateralis acuta pflegt in 4—8, héchstens 10 Tagen, bei genauer
Befolgung der im Vorangehenden besprochenen therapeutischen Vorschriften
meist noch schneller, abzuheilen. Eine geringe Einschränkung erhält die
günstige Prognose der Angina der Seitenstränge lediglich dadurch, dass in
vereinzelten Fällen eine Pharyngitis lateralis chronica aus derselben hervor-
geht bzw. eine solche, die schon vor der akuten Entzündung bestand, sich
wieder, vielleicht sogar in stärkerem Masse als zuvor, bemerkbar macht.
Aber auch die Pharyngitis lateralis chronica stellt, wenn wir uns an die
vom Verfasser für die Behandlung dieser Krankheit aufgestellten Regeln
halten, ein für den Arzt durchaus dankbares Gebiet unserer Spezialdisziplin
dar, wenn das Leiden auch in besonders hartnäckigen Fällen an die Geduld
des Patienten ziemliche Anforderungen stellt. Voraussetzung für die er-
folgreiche Behandlung der Pharyngitis lateralis ist allerdings die genaue
Kenntnis dieses Leidens, zu deren Verbreitung Verfasser durch die vor-
liegende Arbeit sein Scherflein beigetragen zu haben hofft, und auf deren
Grundlage allein zunächst erst einmal die richtige Diagnosenstellung mög-
lich ist. Aus der exakten Diagnose der Erkrankungen der Seitenstränge
ergibt sich die rationelle Therapie derselben fast von selbst, so dass auch
hier die alte Regel zu Recht besteht: qui bene diagnoscit bene medebitur.
XXV.
Ueber die Lehre von den Augenleiden nasalen
Ursprungs.
Prof. A. Onodi,
Direktor der rhino-laryngologischen Universitätsklinik
in Budapest.
Wie bekannt, wurde schon ein kausaler Zusammenhang zwischen
Augenleiden und Nasenerkrankungen im Anfang des 19. Jahrhunderts an-
genommen (Beer 1819, Jüngken 1832). Die 1886 erschienene Arbeit
von Berger und Tyrman lenkte die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung
der Keilbeinhöhle bezüglich der nasalen Sehstörungen und betonte die
gleichzeitige rhinologische und ophthalmologische Untersuchung. Nachher
erschienen vereinzelte Veröffentlichungen, welche sich auf den kausalen
Zusammenhang zwischen den Augenleiden und Nasenerkrankungen bezogen.
Im Jahre 1894 habe ich die mir zugänglichen Fälle gesammelt und auf
Grund meiner topographisch-anatomischen Forschungen dieselben besprochen
und einige hervorragende Ophthalmologen bezüglich ihrer Erfahrung und
Meinung gefragt. Die Antworten haben damals die Lehre der Augenleiden
nasalen Ursprunges nicht fördern können. Ich veröffentlichte meine
Monographie: Die Nebenhöhlen der Nase und der Sehnerv im Jahre
1897; diese Monographie gab die anatomische Grundlage zur Erklärung
der nasalen Sehstörung an der Hand der gesammelten Fälle und der da-
maligen Kenntnisse. In den folgenden Jahren wurde die allgemeine Auf-
merksamkeit auf die Augenleiden nasalen Ursprunges gelenkt und zahl-
reiche Veröffentlichungen mit vielen Heilerfolgen folgten. Wir wollen
einige statistische Angaben erwähnen. Berger führte von 604 Fällen
einer orbitalen Entzündung 407 auf die Erkrankung der Keilbeinhöhle
zurück. Die Statistik von Birch-Hirschfeld bezieht sich auf 684 Fälle
von orbitalen Entzündungen; 409 Fälle beruhten auf Nebenhöhlenentzün-
dung, und zwar 129 Fälle Stirnhöhle, 89 Fälle Kieferhöhle, 83 Fälle Sieb-
beinzellen, 25 Fälle Keilbeinhöhle; in 60 Fällen waren mehrere Höhlen
erkrankt, und zwar 25 Fälle Stirnhöhle und Siebbeinzellen, 12 Fälle Sieb-
beinzellen und Kieferhöhle, 10 Fälle Siebbeinzellen und Keilbeinhöhle.
Unter 409 Fällen waren 66 dauernde Amaurosen und 50 vorübergehende
Sehstörungen vorhanden. Unter 89 Fällen von Kieferhöhlenempyem waren
24 dauernde Amaurosen, 11 vorübergehende Sehstörungen; unter 127 Fällen
A. Onodi, Augenleiden nasalen Ursprungs. 431
von Stirnhöhlenempyemen waren 6 dauernde Amaurosen, 6 Sehnerven-
atrophien, 9 Neuritis optica und Stauungspapille, 7 vorübergehende Seh-
störungen; unter 83 Fällen von Siebbeinzellenempyemen waren 13 dauernde
und 11 vorübergehende Sehstörungen vorhanden. Nach Lapersonnes
Angaben kommen in 21 pCt. der Sinuskranken Augenstörungen vor.
Rosenberg und Baum fanden unter 40 Nebenhöhlenaffektionen bei den
Augenuntersuchungen 50 pCt. Zirkulationsstörungen, ferner 14 mal Ein-
schränkungen des Gesichtsfeldes für Rot und 3 mal für Weiss. Gerber fand
unter 777 Stirnhöhlenempyemen in 454 Fällen Augenveränderungen mit 25 Er-
blindungen. Baumgarten beschrieb 17 Fälle von Nebenhöhlenempyemen
mit Sehstörungen, Piffl unter 824 Augenkranken 583 Fälle mit positivem
Nasenbefunde, darunter 67 Nebenhöhlenerkrankungen mit 18 Läsionen des
Sehnerven und des Augenhintergrundes. Bryan behauptete, dass bei allen
Siebbeinempyemen das Gesichtsfeld eingeengt sei. Nach Bergers Meinung
ist die Einschränkung des Gesichtsfeldes für Tumoren der Keilbeinhöhle
charakteristisch. Anknüpfend führen wir an, dass Schäffer bei 19 akuten
und 53 chronischen Keilbeinhöhlenempyemen keine Sehstörungen beob-
achtete, gleichfalls Hinkel in 20 Fällen und Flatau in 26 Fällen von
Keilbeinhöhlenempyemen. Henrici und Haeftner fanden unter 37 Fällen
von Empyemen der Nebenhöhlen in 36 Fällen keine Gesichtsfeldeinengung.
Wallis Edin fand in 90 pCt. bei Sinuserkrankungen periphere Gesichts-
feldeinengung. Kuhnt beobachtete in 20 pCt. von Sinusempyemen Gesichts-
feldeinschränkung.
Kleyn beobachtete unter 30 Fällen von einseitigem Empyem der
hinteren Nebenhöhlen 25 mal Vergrösserung des blinden Fleckes, unter
52 Fällen von bilateralen Empyemen 45 mal; in 24 Fällen von Empyem
der vorderen Nebenhöhlen war der blinde Fleck normal. Gjezzering
fand in 50 pCt. die Vergrösserung des blinden Fleckes. Whinnie fand
in 12 Fällen die Vergrösserung des blinden Fleckes. Irene Markbreiter
hat an 190 Fällen unserer Klinik Augenuntersuchungen gemacht. Unter
149 Fällen von Nebenhöhlenempyemen waren 97 mal Augenveränderungen
und 52 mal ein negativer Befund vorhanden. Das zentrale Skotom war
7 mal bilateral und 7 mal einseitig vorhanden, 3 mal kombiniert mit Ver-
grösserung des blinden Fleckes, 2 mal mit Neuritis optica und einmal mit
Exophthalmus. Die Vergrösserung des blinden Fleckes war 70 mal
vorhanden, und zwar 42 mal allein, ferner 4 mal mit zentralem Skotom,
1 mal mit parazentralem Skotom, 3 mal mit Gesichtsfeldeinengung und
1 mal mit inselförmigem Ausfall kombiniert. Bei beiderseitigem Empyem
war bilaterale Vergrösserung des blinden Fleckes 7 mal und nur auf der
einen Seite 13 mal zu sehen. Bei einseitigem Empyem war die Ver-
grösserung des blinden Fleckes auf derselben Seite 35 mal und auf der
kontralateralen Seite 10 mal, ferner waren bei einseitigem Empyem bilaterale
Augenveränderungen in fünf Fällen zu beobachten. Konzentrische Gesichts-
feldeinengung war nur einmal vorhanden. Zweimal war Exophthalmus,
einmal war Protrusio bulbi und Oedema palpebrae, zweimal Neuritis optica
432 A. Onodi, Augenleiden nasalen Ursprungs.
und zweimal Atrophia optica homolateral vorhanden. Bei Eiterung aller
Nebenhöhlen war einmal Neuritis optica links und einmal Atrophia optica
rechts vorhanden. Unter den anderen 41 nicht eitrigen Nasenerkrankungen
waren 11 mal Augenveränderungen vorhanden, und zwar in 7 Fällen von
Muschelhypertrophien 4 mal Gesichtsfeldeinengung, 2 mal Vergrösserung
des blinden Fleckes und 1 mal Vergrösserung des blinden Fleckes mit
Gesichtsfeldeinengung und inselförmigem Ausfall, in 3 Fällen von Rhinitis
atrophicans 2 mal Vergrösserung des blinden Fleckes und inselförmiger
Ausfall des Gesichtsfeldes und 1 mal Gesichtsfeldverengerung, aber in
diesen drei Fällen war auch Lues vorhanden; schliesslich in einem Falle
von Rhinitis Vergrösserung des blinden Fleckes.
In diesen 190 Empyemfällen waren bei 100 vorderen Höhlenempyemen
67 mal, bei 10 hinteren Höhlenempyemen 8 mal, bei 12 vorderen und
hinteren Höhlenempyemen 9 mal, und in den übrigen Fällen, wo der Sitz
der Eiterung nicht näher angegeben ist, waren 15 mal Augenveränderungen
vorhanden. Einige hundert Fälle sind schon bekannt von nasalen Seh-
störungen bleibenden oder vorübergehenden Charakters. Bezüglich der
postoperativen nasalen Sehstörungen und Erblindungen zeigt die von uns
zusammengestellte Statistik 16 Fälle. Die von uns zusammengestellte
Statistik bezüglich der kontralateralen nasalen Sehstörungen bei einseitiger
Nasenenerkrankung zeigt 17 Fälle und bezüglich der bilateralen nasalen
Sehstörungen bei einseitiger Nasenerkrankung 16 Fälle. Nach der von
Ladislaus Onodi zusammengestellten Statistik wurden in 29 Fällen bei
den Nebenhöhlenempyemen Augennervenerkrankungen nasalen Ursprunges
beobachtet. Bezüglich der Erkrankungen des tränenableitenden Apparats
sind nach Kuhnts Angaben 93,7 pCt. rhinogenen Ursprungs. Es sind
schon einige hundert Fälle bekannt von Stenosen des Tränenganges und
Eiterungen des Tränensackes nasalen Ursprunges.
Was die Aetiologie betrifft, so spielen die Infektion, die Fortleitung
der Entzündung, die Knochendehiszenzen, die zirkulatorischen Störungen,
die traumatischen Läsionen und die dieselben begünstigenden anatomischen
Verhältnisse, die Toxinwirkung, Druckeinwirkungen durch Tumoren, Ge-
websinfiltrationen, Muco- und Pyocelen auf den Augenhöhbleninhalt und
auf die Stämme der Sehnerven und Augennerven eine Rolle. Nach
unseren Forschungen kann die: anatomische Grundlage bestehen teils
in direkter Fortleitung des entzündlichen Prozesses von den Nebenhöhlen
zum Periost und Zellgewebe der Orbita und zur Scheide des Sehnerven,
teils in Kontaktinfektion, ferner in der direkten Verbindung des Kapillar-
netzes der Gefässe und der Lymphbahnen zwischen den gemeinsamen
Knochenwänden der ÖOrbita, ‘des Sehnervenkanals und der Nebenhöhlen;
die indirekten Venenverbindungen dieser Gebiete erklären die Zirku-
lationsstörungen, die Thrombophlebitis, Lymphangitis, Metastasen, die
venösen Stauungen, kollateralen Hyperämien und Oedeme. Die von mir
nachgewiesenen anatomischen Tatsachen erklären sowohl die kontralaterale
als die bilaterale Erkrankung des Sehnerven bei einseitiger Erkrankung
A.Onodi, Augenleiden nasalen Ursprungs. 433
der hinteren Nebenhöhlen, ferner die indirekte Fraktur des Canalis opticus
nach Operationen der Stirnhöhle, der hinteren Nebenhöhlen, der mittleren
Muschel, der Polypen und der Nasenscheidewand. Die von Ladislaus
Onodi und Sluder veröffentlichten Beobachtungen erklären die Er-
krankungen der Augennerven bei den hinteren Nebenhöhlenempyemen;
die Beobachtung Ladislaus Onodis erklärt die kontralaterale Läsion
der Augennerven bei einseitiger Erkrankung der Keilbeinhöhle. In der
Aetiologie kommen auch in Betracht Scharlach, Erysipel, Masern, Diphtherie,
Pneumonie, Typhus, Influenza, Rotz, Gonorrhoea, Aktinomykose, Lues,
Tuberkulose, welche Empyeme der Nebenhöhlen und ihre Komplikationen
hervorrufen können. Neben den einzelnen speziellen pathogenen Keimen
sind am meisten als Erreger die Streptokokken und Staphylokokken an-
zutreffen. Die pathologisch-anatomischen und histologischen Befunde sind
leider äusserst lückenhaft. Bei den letal endigenden Komplikationen, wie
Thrombophlebitis der Augenvenen, des Sinus cavernosus und eitrigen
Meningitiden sind sowohl Knochenerkrankungen als Venenthrombosen,
Eiteransammlungen, Granulationen, ferner Geschwülste nachgewiesen
worden, aber die feinen pathohistologischen Veränderungen sind bisher
nicht festgestellt, was zum Teil seine Erklärung darin findet, dass viele
Fälle, die mit Erblindung enden, eigentlich nur zufällig Gegenstand
einer nekroskopischen Untersuchung werden können. Solch eine genaue
pathologische Untersuchung, wie sie von Birch-Hirschfeld mitgeteilt
wurde, scheint ganz vereinzelt dazustehen; dieselbe konstatierte ein
Oedem und toxische Schädigung der Nervenfasern des papillomakularen
Bündels durch venöse Stauung eines zirkumskripten Gefässgebietes. Es
fehlt uns der pathohistologische Nachweis der feineren Veränderungen,
der Kontaktinfektion, der pathogenen Keime in der Kontinuität der.
Gewebe und der Gefässe, die Fortpflanzung der Entzündung durch die
gemeinsamen Wunden der Augenhöhle, Sehnervenkanal und Augen-
nervenstämme, die feineren Zirkulationsstörungen, Venenthrombosen, Blu-
tungen, Oedeme usw. Einzelne pathologisch-anatomische, makroskopisch
sichtbare Veränderungen sind uns wohl bekannt, wie die eitrige Periostitis,
die Usur der Knochen in der Augenhöhle, die Eiteransammlungen in der
Augenhöhle und im Sinus cavernosus usw. So manche Veränderungen
manifestierten sich während der Operation, und sowohl diese Erfahrungen
als die Heilerfolge lassen wohl klinische Hypothesen zur Erklärung
aufstellen, ihre endgültige Feststellung aber harrt noch auf die patho-
histologischen Tatsachen, die den definitiven Aufbau der Lehre der Augen-
leiden nasalen Ursprunges ermöglichen werden.
Bekanntlich sind folgende rhinogene okulo-orbitale Krankheitsformen
und Symptome beobachtet worden: Schwellung, Oedem der Augenlider,
Tränenträufeln, Blepharospasmus, Peridacryocystitis und Dacryocystitis,
Tränensackfistel, Perforation des Tränennasenganges, orbitales Emphysem,
Hervorwölbung und zirkumskripter Abszess im inneren Augenwinkel, Peri-
ostitis orbitae, subperiostaler Abszess, Exophthalmus, orbitale Phlegmone,
434 A. Onodi, Augenleiden nasalen Ursprungs.
orbitaler Abszess, Fistelbildung, Chemosis, Thrombophlebitis des Plexus
ophthalmicus, Diplopie, behinderte Bewegung des Bulbus, bulbäre und peri-
orbitale Neuralgie, retrobulbärer Schmerz, Blassheit der Papille, Hyper-
ämie der Papille, Verschleierung und Verwaschenheit der Papillengrenzen,
Stauungspapille, Neuritis retrobulbaris, Atrophie des Sehnerven, Amblyopie,
Amaurose, Thrombose, Thrombophlebitis der Arteria oder Vena centralis
retinae, periphere Einschränkung des Gesichtsfeldes, Farbenskotome und
zwar Zentralskotom, Parazentralskotom, Perizentralskotom, Ringskotom,
Vergrösserung des blinden Fleckes, bleibende und vorübergehende Augen-
muskellähmungen, Neuroretinitis, asthenopische Störungen, bitemporale
Hemianopsie, Lähmungen der assoziierten Bewegungen, Linsentrübung, Glas-
körpertrübung, Iritis, Drucksteigerung des Bulbus, schliesslich postoperative
nasale Sehstörung und Erblindung.
Bezüglich der Bedeutung und der diagnostischen Verwertung der
einzelnen Krankheitsformen und Symptome müssen folgende Tatsachen in
Betracht genommen werden. Augenleiden und Nasenerkrankungen können
akzidentell nebeneinander bestehen ohne jeden kausalen Zusammenhang,
selbst bei manifesten Nebenhöhleneiterungen. Es können auch gemeinsame
Ursachen wie Lues koordiniert gleichzeitig Nasen- und Augenleiden hervor-
rufen. Es können bei rhinogenen Augensymptomen trotz des negativen
rhinoskopischen Befundes die hinteren Nebenhöhlen erkrankt sein. Neben
den charakteristischen Symptomen der Neuritis und Atrophia optica kann
der Augenhintergrund trotz der vorhandenen Sehstörung ein normales Ver-
halten zeigen. Bekanntlich müssen die ophthalmoskopischen Veränderungen
nicht dem Grade der Sehstörung proportional sein, bei normalem Spiegel-
bilde kann eine hochgradige Sehstörung vorhanden sein, andererseits kann
bei ausgesprochener Papillarhyperämie und Schwellung der Visus normal
sein, bei Schädigung und Verletzung des Sehnerven hinter der Eintritts-
stelle der Arteria centralis retinae, bei der Fraktur des Canalis opticus
trotz vollständiger Erblindung der Augenspiegelbefund eine Zeitlang
normal bleiben. Es wurde von einigen Autoren die Einseitigkeit der Seh-
störung für einen rhinogenen Ursprung als wichtig erklärt. Diese Be-
hauptung haben sowohl unsere anatomischen Untersuchungen als die kli-
nischen Erfahrungen entkräftet, denn anatomisch haben wir die engen
Nachbarverhältnisse einer hinteren Siebbeinzelle oder Keilbeinhöhle zu
beiden Sehnerven nachgewiesen und klinisch sind mehrere Fälle bilateraler
Sehstörungen bei einseitiger Höhlenerkrankung auch mit Heilerfolgen be-
obachtet worden. Wenn somit der Lateralisation der Sehstörung kein ab-
soluter Wert zugeschrieben werden kann, so muss doch bemerkt werden, dass
sie auf die manifesten oder latenten Nasenerkrankungen die Aufmerksam-
keit lenkt. Birch-Hirschfeld betont, dass die relativ akute Entwicke-
lung der Sehstörung, ihre Tendenz zum Fortschreiten, wobei das relative
Skotom in ein absolutes übergeht, während erst später das peripherische
Gesichtsfeld eingeengt wird, differential-diagnostisch verwertet werden kann.
Snellen hebt hervor, dass die zerebral ausgelöste Papillitis, die nicht auf
A. Onodi, Augenleiden nasalen Ursprungs. 435
Entzündung beruhende Stauungspapille anfänglich den Visus nicht be-
einträchtigt, während dagegen bei der rhinogenen Papillitis bereits im
Anfang eine merkliche Herabsetzung der Sehschärfe besteht. Die. Orbital-
komplikationen wie Lidödem, Protrusio bulbi, Augenmuskellähmungen bei
vorhandener Neuritis optica sprechen für ihren rhinogenen Ursprung. Be-
züglich der rhinogenen Gesichtsfeldeinschränkungen müssen einige An-
sichten fallen gelassen werden, so die Bryans, nach welcher bei allen
Siebbeinzellenempyemen Gesichtsfeldeinengungen vorhanden sind und die
Bergers, nach welcher die Gesichtsfeldeinengung für die Tumoren der
Keilbeinhöhle charakteristisch ist. Es sind mehrere Autoren, die bei Neben-
höhlenempyemen gar keine Gesichtsfeldeinengungen beobachtet haben,
während Wallis Edin in 90 pCt. periphere Gesichtsfeldeinengungen ge-
funden hat und andere einen bedeutend kleineren Prozentsatz angeben.
Diese widersprechenden Angaben beruhen zum Teil auf einem Untersuchungs-
fehler, wie dies Markbreiter bezüglich der Wallisschen Angaben nach-
gewiesen hat. Gesichtsfeldeinschränkung wurde auch durch Dehnung des
Sehnerven beobachtet und auch das Entgegengesetzte trotz der Dehnung
des Sehnerven. Wenn wir auch das relative zentrale Skotom wie die
Vergrösserung des blinden Fleckes nicht als absolut sicheres Symptom
der Nebenhöhleneiterungen betrachten dürfen, so müssen wir bei mani-
festen und latenten Nebenhöhlenerkrankungen zur Feststellung der Diagnose
an beide Symptome denken und danach suchen, da die Erfahrung beide
als diagnostisch verwertbar zeigte.
Was die rhinogenen Sehnervenerkrankungen betrifft, so können wir
folgende Formen erwähnen, welche klinisch beobachtet wurden und mit
den Ergebnissen unserer Forschungen in Einklang stehen. Die Tatsache,
dass bei Empyemen der hinteren Nebenhöhlen, ja bei grösseren Knochen-
destruktionen des Keilbeinkörpers, so bei Abstossung grösserer nekrotischer
Knochenstücke, keine Sehstörungen zu beobachten waren, findet ihre Er-
klärung in der schützenden Rolle der dicken Knochenschichten, welche die
erkrankten Höhlen von den Sehnerven trennen.
Eine grössere Anzahl von Fällen bilden eine Gruppe, wo einseitige
und homolaterale Sehstörungen vorkommen. Die engen nachbarschaftlichen
Beziehungen zwischen Sehnerv und hinterer Siebbeinzelle oder Keilbein-
höhle auf der einen Seite geben die anatomische Grundlage zur Erklärung
der Fortpflanzung des entzündlichen Prozesses, der Kontraktion, der zirkula-
torischen Störungen.
Mehrere Fälle sind beobachtet worden, welche bilaterale Störungen
aufwiesen bei bilateraler Erkrankung der hinteren Nebenhöhlen. Die ana-
tomische Grundlage bilden die engen Beziehungen zwischen den Sehnerven
und den hinteren Siebbeinzellen oder Keilbeinhöhlen auf beiden Seiten.
Zur Beobachtung kamen auch Fälle, wo der homolaterale oder kontra-
laterale Sehnerv und das Chiasma eine Schädigung litt. Diese Sehstörungen
seitens der Sehnerven und des Chiasma finden ihre anatomische Grundlage
in den von uns beschriebenen Formverhältnissen, wonach die Keilbeinhöhle
436 A.Onodi, Augenleiden nasalen Ursprungs.
oder die hintere Siebbeinzelle zum gleichseitigen Sehnerven und Chiasma
oder zu beiden Sehnerven und Chiasma innige Beziehungen zeigten. Es
kamen Fälle zur Beobachtung, wo bei einseitiger Erkrankung der hinteren
Siebbeinzelle oder der Keilbeinhéhle eine kontralaterale Sehstörung er-
folgte. Diese klinische Erfahrung wird erklärt durch unsere Befunde, wonach
eine Keilbeinhöhle oder hintere Siebbeinzelle nur den entgegengesetzten
Sehnerven innig berührt. Schliesslich müssen wir noch eine Gruppe er-
wähnen, welche die postoperativen nasalen Erblindungen und Sehstörungen
enthalten. Unsere Beobachtungen geben die anatomische Erklärung zur
Entstehung der direkten Verletzung und der indirekten Fraktur des Canalis
opticus. So kann der in der hinteren Siebbeinzelle und in der Keilbein-
höhle frei verlaufende Canalis opticus bei Kurettage und mangelnder Vor-
sicht leicht lädiert werden. Die oberhalb der Nasenscheidewand anormal
liegenden Höhlen und in ihnen frei verlaufenden Sehnervenkanäle können
ebenfalls zu einer indirekten Fraktur des Canalis opticus bei Septum-
operationen führen. Endlich können die sich in das Gebiet des mittleren
Nasenganges erstreckenden Höhlen und in ihnen verlaufenden 'Sehnerven-
kanäle bei Exstirpation der Polypen und bei Konchotomie der mittleren
Muschel von einer indirekten Fraktur betroffen werden. Was die Therapie
der nasalen Augenerkrankungen betrifft, so müssen wir betonen, dass das
intensive Zusammenwirken der Rhinologen und Ophthalmologen zu glän-
zenden Heilerfolgen geführt hat. Die frühzeitige Erkenntnis der mit okulo-
orbitalen Symptomen komplizierten Nasen- und Nebenhöhlenerkrankungen
und deren durch entsprechende radikale Eingriffe erzielte Beseitigung haben
die Heilerfolge gesichert. Neben den durch radikale Operationen erzielten
Heilerfolgen haben auffallende schnelle Erfolge und Beseitigung der nasalen
Sehstörungen aufzuweisen: die Blutentziehung, die Muschelresektion, die
einfache Eröffnung der Siebbeinzellen und der Keilbeinhöhle, ohne dass
seröses oder eitriges Sekret in diesen vorhanden ist. Der frühzeitigen
Erkenntnis der manifesten Nasenerkrankungen und der Eruierung der
latenten Nasenerkrankungen sind viele Heilungen von Sehstörungen zu
verdanken. Ebenso haben die extra- und intranasalen Eingriffe bei nasalen
Erkrankungen der tränenableitenden Organe schöne Heilerfolge aufzuweisen.
Mit grosser Genugtuung können wir feststellen, dass der Aufbau der
Lehre von den nasalen Augenerkrankungen schon bisher auch in der
Praxis zu segensreichen Erfolgen geführt hat und können hoffen, dass die
erwähnten Lücken in der nahen Zukunft sicherlich ausgefüllt werden.
XXVI.
Aus der Kgl. Universitätsklinik für Kehlkopf- und Nasenkrankheiten
zu Budapest. (Direktor: Prof. Onodi.)
Ueber Hypopharyngoskopie.
Von
Dr. Aurelius Réthi.
(Mit 3 Textfiguren.)
Vor zwei Jahren hatte ich Gelegenheit, eine Patientin zu untersuchen,
die wegen Beschwerden hysterischer Natur ein halbes Jahr unter ärztlicher
Behandlung stand. Die Behandlung bestand in vibrierender Massage und
Elektrisierung. Als sie bei mir erschien, hatte sie schon Schwierigkeiten
beim Schlucken. Nach gründlicher Untersuchung konnte ich ein Hypo-
pharynxcarcinom konstatieren, welches schon sehr ausgebreitet war.
Wenn der Kranke über ein unangenehmes Gefühl in der Region unter
dem Larynx klagt, so wird dieses, wenn der laryngoskopische Befund
negativ ist, gewöhnlich als ein Uebel hysterischen Charakters bezeichnet.
Es ist dies eine ziemlich willkürliche Benennung, welche zwar in einem
grossen Teil der Fälle richtig ist, doch ist es möglich, dass die subjektiven
Klagen durch eine im Hypopharynx sich befindende objektive Veränderung
verursacht werden, welche aber noch keine ausgesprochenen Schmerzen
- hervorruft. Diese Veränderung kann ein Üarcinom, ein luetisches oder
tuberkulöses Geschwür oder auch ein Polyp sein, wie einen solchen Gerber
vor kurzem im Archiv für Laryngologie mitteilte.
Zweifellos wird die Untersuchung des Hypopharynx oft sernachlisdtee
trotzdem diese in entsprechendem Falle eine rechtzeitige Diagnose und im
Falle eines Carcinoms die Operabilität ermöglichen würde.
Die Untersuchung des Hypopharynx kann auf indirektem und direktem
Wege geschehen. Während indes die Untersuchung und zwar die exakte
Untersuchung des Oesophagus nur auf direktem Wege mit Hilfe des
Oesophagoskops möglich ist, ist bisher der Hypopharynx, d.h. die zum
Eingang der Speiseröhre dienende Vorhalle mit Hilfe des Oesophagoskops
nicht immer vollkommen zu überblicken, oder wenn dies der Fall ist,
so ist die Untersuchung für den Kranken höchst unangenehm. Im Falle,
dass die Untersuchung der Speiseröhre selbst auch notwendig ist, so ist es
verständlich, dass wir bestrebt sein werden, auch den Hypopharynx auf
438 A. Rethi, Ueber Hypopharyngoskopie.
direktem Wege zu untersuchen. Wenn jedoch die Untersuchung des Hypo-
pharynx allein notwendig ist, so ist es richtiger, dies auf indirekte Weise
zu tun. Wie ich schon erwähnte, ist diese Untersuchung für den Kranken
weniger unangenehm, andererseits gewährt sie eine genauere Aufklärung
und bessere Uebersicht.
Wie bekannt, finden wir bei einem Einblick mit dem Kehlkopfspiegel
die Hinterwand des Larynx und die Hinterwand des Pharynx in einem engen
Kontakt. Um daher die Lücke zwischen den beiden Hinterwänden, näm-
lich den Hypopharynx, mit dem Spiegel überblicken zu können, müssen
wir sie voneinander entfernen.
Dies kann auf zweierlei Weise geschehen. Nach der einen Methode
drücken wir mit Hilfe eines hinter die Hinterwand des Larynx gebrachten
Instruments den Larynx von dem Pharynx weg. Die zweite Methode, die
sich an den Namen von Eicken knüpft, versucht das Oeffnen des Hypo-
pharynx dadurch zu erreichen, dass man auf die Vorderwand des Larynx
mit einer Sonde oder mit einem sogenannten Larynxhebel einen starken
Druck ausübt. wodurch auch die Hinterwand sich nach vorwärts zieht.
Was den ersten Weg anbelangt, so ist, abgesehen von einigen erfolg-
losen Anfangsversuchen, Blumenfeld zu nennen, der zuerst in einem
Falle von Carcinom des Hypopharynx mit einer starken Sonde den
Kehlkopf nach vorn gezogen und dadurch den Tumor sichtbar gemacht
hat (Verhandlungen des Vereins deutscher Laryngologen, 1906). In der-
selben Sitzung dieses Vereins hat Dreyfuss ein sich in der seitlichen
Richtung öffnendes Dilatatorium angegeben. Gerber, der die Untersuchung
des Hypopharynx Pharyngo-Laryngologie nannte, da sie aus einer Kombi-
nation von Pharyngoskopie und Laryngoskopie besteht, hat einen ent-
sprechend geformten Haken angegeben. (Archiv f. Laryngol. Bd. 19.)
Von den beiden Wegen habe auch ich den letzteren gewählt, da ich
ihn für bequemer halte und es mir auch gelungen ist, auf demselben den
Ueberblick des Hypopharynx in grösserem Massstabe zu sichern.
Zur Untersuchung des Hypopharynx benutze ich den in der letzten
Sitzung des Vereins deutscher Laryngologen in Kiel demonstrierten Hypo-
pharynx-Distraktor (Fig. 1), mit dessen Hilfe es gelingt, die zu unter-
suchende Fläche in vollem Masse zu überblicken.
Da es unser Ziel ist, die Hinterwand des Larynx von der des Pharynx
zu entfernen, so können wir dasselbe am ehesten und in grösstem Masse
so erreichen, dass wir sowohl auf die Hinterwand des Pharynx, wie auch
auf die des Larynx einen in entgegengesetzter Richtung ausgeführten
Druck ausüben. Dieses Prinzip trachtete ich bei meinen Hypopharynx-
untersuchungen auszuführen und da war ein besonders wichtiger Faktor,
dass wir die Wand des zu untersuchenden Hohlraumes nicht verdecken,
andererseits, dass im Falle eine geschwürige, verletzbare Veränderung
vorhanden ist, deren Beschädigung während der Untersuchung nicht
eintreten, und endlich, dass das Instrument selbst den Einblick nicht
stören darf.
A. Rethi, Ueber Hypopharyngoskopie. 439
Der ein wenig quer vertikale Teil des Distractor hypopharyngealis
besteht im geschlossenen, d. h. im distraktionsfähigen Zustande des In-
struments, aus zwei Branchen: aus einer vorderen und einer rückwärtigen.
Beide Branchen sind aus starkem Stahldraht verfertigt, welcher unten mit
einer schlingenartigen Krümmung versehen ist. Die rückwärtige Branche
ist breiter, die vordere ist schmäler. Wenn wir nun die zwei Branchen
des hypopharyngealen Kopfteiles einander näher bringen, d. h. das In-
strument öffnen, so fügen sich die zwei Drähte der vorderen Branche genau
zwischen die zwei Drähte der rückwärtigen Branche hinein, und so ent-
spricht das Ganze einer in der Mitte mit einer Spalte versehenen ziemlich
Figur 1.
— |)
dünnen Platte. Damit das Instrument leichter hinter den Larynx geführt
werden kann, ist der untere Teil der rückwärtigen Branche keilförmig aus-
eedehnt. Damit der Einblick nicht behindert ist, gehen die von einander
entfernter liegenden Drähte der rückwärtigen Branche unter Beibehaltung
dieser Entfernung in den horizontalen Teil über und diese Lage in der
Länge von 5.5 cm behaltend konvergieren sie plötzlich und indem sie eine
zylinderartige Hülse bilden, gehen sie über in einen mit einem Hebel und
Zähnen versehenen Griff.
Die Drähte der vorderen Branche konvergieren schneller und bilden
eine dem Lumen der oben beschriebenen Zylinderhülse entsprechende
Stange, welche daher in der Hülse ein freies Spiel hat, wodurch die Mög-
lichkeit gegeben ist. dass die Branchen sich von einander entfernen oder
440 A. Kéthi, Ueber Hypopharyngoskopie.
sich ineinander fügen. Wenn wir den an dem Griffe angebrachten Hebel
hinunterdrücken, so wird die mit der vorderen Branche im Zusammenhange
stehende Zange nach vorn gezogen, wodurch sich die Branchen voneinander
entfernen.
Sehr wichtig ist es aber, dass wir vor der Applikation mit dem
Schliessen und Oeffnen des Instrumentes ganz im Klaren sind. Das
Schliessen, d. h. das Abdrücken des Hebels ist ganz einfach. Wir halten
den Griff in der rechten Hand, während der Daumen den Kopf des Hebels
hinabdrückt. Da bei den verschiedenen Fällen die Schliessung in ver-
schiedenem Grade nötig ist, so wird dies durch einen mit Zähnen versehenen
Fixierhebel erreicht. Die Zähne fixieren den eigentlichen Hebel in jedem
beliebigen Grade. Das Oeffnen des Instrumentes, d. h. das Heben des
Hebels wird ganz einfach dadurch erreicht, dass wir mit dem Daumen und
dem Zeigefinger die Köpfe des Hebels und des Fixierhebels zusammen-
drücken, wodurch sich das Instrument öffnet (Fig. 2).
Figur 2.
Ein sehr wichtiges Postulat ist die gute Anästhesie. Wir müssen den
Patienten so anästhesieren, dass er während der Untersuchung die Distraktion
ruhig ertragen soll. Deshalb ist eine entsprechende spezielle Technik
nötig. Die Technik ist identisch mit jener, die ich bei meiner sagittalen
Kehlkopfröntgenmethode zur Anästhesierung des Hypopharynx angab.
Technik der Anästhesie: Ich benutze 10—20 proz. Kokainlösung,
die mit Hilfe einer Kehlkopfsonde appliziert wird. Bei der ersten Touchierung
wird die Zunge mit einem Spatel herabgedrückt und der Rachen, die
Gaumenbögen, der Zungengrund eingepinselt, worauf die Sonde in den
Hypopharynx eingeführt wird. Während dessen kommen natürlich Epi-
glottis und Aryregion mit dem Sondenkopf in Berührung. Jetzt warte ich
3 Minuten, und dann wiederhole ich das jetzt geschilderte Verfahren mit
dem Unterschiede, dass, während ich bei der ersten Applikation den Hypo-
pharynx bloss mit Kokain bepinselte, ich jetzt den mit Watte gut armierten
Sondenkopf im Hypopharynx, d. h. zwischen dem Kehlkopf und der hinteren
Rachenwand liegen lasse; ich fordere den Patienten auf, dass er tief und
ruhig atme. Nach einigen Atemzügen entferne ich die Sonde. Letzteres
Verfahren muss einige Male wiederholt werden, denn dadurch gewöhnt sich
A. Rethi, Ueber Hypopharyngoskopie. 441
der Patient, auch dann ruhig und tief zu atmen, wenn ein Fremdkörper
im Hypopharynx liegt. Wenn wir nicht so vorgehen, so ist das ruhige
Verhalten des Patienten während der Untersuchung nicht gesichert.
Zungengrund, Rachen und Kehlkopf muss also unempfindlich sein, denn
wenn wir die genaue Anästhesie versäumen, so wird der Patient eventuell
nicht ganz ruhig halten können.
Hier möchte ich erwähnen, dass auch bei meinen sagittalen Kehlkopf-
röntgenaufnahmen, bei welchen ein Film in den Hypopharynx eingeschoben
wird und auf diese Weise die in ventro-dorsaler Richtung geführten Röntgen-
strahlen ein sagittales Röntgenogramm des Kelhlkopfes ergeben, das Miss-
lingen meist auf mangelhafte Anästhesie zurückzuführen ist. Wir dürfen uns
nicht zu sehr beeilen. (Uebrigens habe ich diese Methode letzthin be-
deutend erleichtert, indem ich einen entsprechenden Filmhalter angab,
Figur 3.
welcher die Einführung und die Einpackung des Films sehr erleichtert
[Zeitschr. f. Laryngologie, 1915]).
Wenn der Distraktor in den richtig vorbereiteten Hypopharynx ein-
geschoben ist, und wir das Instrument sperren, so erblicken wir die seit-
liche, die vordere und hintere Wand des Hypopharynx, während in der
Tiefe ein etwas ovales Loch, der Oesophaguseingang, zu sehen ist. Fig. 3
demonstriert .die Situation.
Zur indirekten Untersuchung habe ich einen Distraktor fiir den Kehl-
kopf und einen fiir den Recessus piriformis angegeben.
Die Distractio laryngis habe ich auf der Kieler Tagung des Vereins
deutscher Laryngologen an einem Patienten demonstriert (s. Verhandlungen
des Vereins deutscher Laryngologen, 1914) und im Archiv f. Ohren-, Nasen-
u. Kehlkopfheilkunke, 1915, genau beschrieben. Vorteile des Verfahrens
sind: die Glottis ist ad maximum geöffnet, die Stimmbänder sind fixiert
und angespannt, die Commissura ant. ist tadellos zu sehen, die Epiglottis
ist nach vorn gedrückt, die Zunge zu halten ist überflüssig. (Fabrikant:
Reiner u. Lieberknecht, Wien.)
Archiv für Laryngologie. 29. Bd, 3. Heft. 30
442 A. Rethi, Ueber Hypopharyngoskopie.
Den Distraktor für den Sinus piriformis habe ich ebenfalls in Kiel demon-
striert (s. Verhandlungen des Vereins deutscher Laryngologen, 1914) und im
Archiv f. Ohren-, Nasen- u. Kehlkopfheilkunde, 1915, beschrieben. Das In-
strument dient zur Spreizung des Recessus piriformis. Das eigentliche Ziel
ist die Anspannung des oberen Kehlkopfnerven, wodurch es möglich wird, bei
Dysphagie mit dem von mir gleichzeitig angegebenen Quetscher den sich
plastisch emporhebenden Nerven zu quetschen und auf diese Weise die
Leistungsfähigkeit des Nerven aufzuheben. (Fabrikant: F. L. Fischer, Frei-
burg i. Br.)
XXVIL.
Ueber die direkte Applikation des elektrischen
Stromes sowie medikamentöser Mittel bei der
Behandlung des Bronchialasthmas.’')
Von
Dr. W. Frendenthal (New York).
Wenn wir in Folgendem von Asthma sprechen, so meinen wir jenen
bekannten, durch meistens nächtliche Paroxysmen charakterisierten und in
den Intervallen mit vollständiger oder fast völliger Euphorie einhergehenden
chronischen Zustand, der eine idiopathische Krankheit darstellt und nicht
nur ein Symptom bilde. Um uns das Wesen dieser Affektion klar zu
machen, dürfen wir uns nicht auf einen einseitigen Standpunkt stellen,
wir dürfen nicht, wie das in so übertriebener Weise geschah, sagen, das
Asthma sei weiter nichts als eine von der Nase ausgehende Reflexneurose
oder eine von dem Verdauungskanal verursachte Intoxikation, noch auch,
dass Asthma ein rein neurasthenischer Zustand sei. Der Begriff des Asthmas
geht weiter. Zweifellos bilden pathologische Zustände in der Nase, im
Verdauungstraktus, in den weiblichen Geschlechtsorganen usw. nicht gar
zu selten das auslösende Moment, welches den asthmatischen Zustand hervor-
ruft. Aber, müssen wir uns heute fragen, wie verhalten sich denn die
Bronchien dazu? Welches ist der pathologische Befund, den wir in vivo
beobachten? Auf diese Fragen gibt uns zum Teil das Bronchoskop die
gewünschte Antwort, zum andern sind wir auch heute noch auf Theorien
angewiesen. Und wenn ich versuche, eine neue Theorie aufzustellen, so
hoffe ich, dass man mich nicht der Einseitigkeit zeihen möge.
Seitdem wir in der Lage sind, die Bronchien direkt unserer Beob-
achtung zugänglich zu machen, in derselben Weise, wie wir das seit
50 Jahren mit dem Larynx getan haben, seitdem wurden die Bronchien
emsig studiert, und es ist besonders den Anregungen Nowotnys und
Ephraims zu verdanken, wenn wir heute wesentlich weiter gekommen
sind, als wir noch vor wenigen Jahren waren.
Was sehen wir nun während des Asthmas endoskopisch in den Bronchien
und deren Verzweigungen? Zunächst ist die Bifurkation der Trachea
1) Antrittsrede des Präsidenten der Deutschen medizinischen Gesellschaft
der Stadt New York, gehalten am 4. Januar 1915.
30 *
444 W. Freudenthal, Behandlung des Bronchialasthmas.
infolge von Schwellung so wenig markiert, dass man mitunter mit dem
Bronchoskop an ihr vorbeigeht, ohne es zu merken. Diese Schwellung der
Schleimhäute ist in den Bronchien selbst öfters so ausgesprochen, dass jene
sich in das Lumen des Bronchoskops vorwölben und man in Zweifel gerät, ob
man sich in einem Bronchus oder im Oesophagus befindet. In den kleineren
Bronchien zeigt sich das noch deutlicher, so dass die Oefinung eines solchen
Bronchiolus zuweilen nicht mehr als stecknadelkopfgross ist.
Die Affektion beginnt mit einer Hyperämie und Schwellung, so dass
die Dieke der Schleimhaut zuweilen das 5—10 fache des Normalen erreicht.
Diese Verdickung der Mukosa ist nicht nur durch einen ödematösen Zustand
bedingt, sondern auch durch eine Infiltration, die die oberen sowie die
tieferen Lagen der Mukosa ergreift.
Während das bronchoskopische Bild bei der normalen Atmung ein
sehr schön zu beobachtendes Spiel von Schliessen und Oeffnen darbietet,
kann man in einem Falle wie dem oben beschriebenen keinen Unterschied
zwischen Inspiration und Exspiration erkennen. In anderen Fällen sieht
man hingegen die rhythmischen Bewegungen sehr gut. (Es sei hier noch
bemerkt, dass ich die Patienten im allgemeinen nie in Narkose behandelt
habe.)
Was die spastischen Kontraktionen der Bronchialmuskeln anbetrifft,
so kann man sie während eines akuten Anfalles ausgezeichnet beobachten,
und ebenso interessant ist es zu sehen, wie sie verschwinden, wenn man
einige Tropfen Kokain und Adrenalin einträufelt.
Diese Kontraktionszustände täuschen manchmal Narbengewebe vor,
das allerdings in seltenen Fällen auch wirklich vorkommt. Kokain und
Adrenalin entscheiden die Diagnose.
Ein- oder zweimal sah ich sogar Ulzerationen der Schleimhäute, ich
bin aber überzeugt, dass solche viel häufiger vorkommen.
Wodurch sind diese pathologischen Zustände bedingt? Was ist die
innerste Ursache aller jener Erscheinungen, deren Symptome wir ja seit
Jahrhunderten schon kennen? Bei der Erwiigung dieser Fragen, die ich
mir jahraus, jahrein immer wieder vorgelegt habe, kam ich schliesslich
zu dem Vergleich mit dem Laryngismus stridulus der Kinder. Im kind-
lichen Alter sind bekanntlich die oberen Luftwege fiir gewisse Reize empfind-
licher, während bei Erwachsenen diese Empfindlichkeit zwar verschwindet,
sich aber eine solche in den unteren Luftwegen geltend macht. Man hat
daher schon vor vielen Jahren das Asthma der Erwachsenen mit dem Laryn-
gismus stridulus der Kinder verglichen und ich selbst kam schliesslich auch
auf diese Idee.
Der Laryngismus stridulus bei Kindern wird, wie Sie wissen, erzeugt
durch das vom Rachen oder Nasenrachenraum herabfliessende Sekret. Das
geschieht während der Nacht, wenn die Kinder im tiefen Schlafe sind.
Um das Zustandekommen dieses Phänomens zu erklären, ist es nicht ein-
mal notwendig anzunehmen, dass das Sekret direkt die Atmung verlegt.
Es scheint vielmehr, dass dies nur in äusserst seltenen Fällen, wenn über-
W. Freudenthal, Behandlung des Bronchialasthmas. 445
haupt je zutrifft. Es sollten schon geringe Sekretmassen, die die Epiglottis
oder andere Teile des Larynxeingangs treffen. genügen, um einen Glottis-
krampf zu erzeugen. Solche Krämpfe kommen ja bei leichten Reizen auch
anderweitig im kindlichen Organismus vor (Verdauungsstörungen usw.).
Dass ein Glottiskrampf auch bei Erwachsenen ausgelöst werden kann,
wissen wir ja von jenen, glücklicherweise seltenen Fällen, bei denen eine
leichte Berührung der Epiglottis schon einen solchen Zustand hervorruft.
Im allgemeinen aber ist der Larynx bei Erwachsenen viel toleranter gegen
Insulte, so dass der während der Nacht herabfliessende Schleim allenfalls
einen Husten auslöst, aber wohl nie den als Laryngismus stridulus bekannten
Prozes. Da nun aber bei Erwachsenen die abnorme Sekretion von der
Nase und deren Adnexa viel häufiger angetroffen wird, als bei Kindern,
so ist die Frage berechtigt: Was geschieht denn mit derselben? Viele
Leute, die zu Ihnen kommen, klagen über das „dripping down“, ein
»Herunterfliessen“ von Sekreten, sowie sie sich niederlegen. Das ist sicher-
lich kein hysterisches Symptom, sondern Tatsache. Sowie derartige Patienten
die horizontale Lage einnehmen, fiiesst das Sekret aus der Nase in den
Rachenraum, und sowie es den Pharynx oder Larynx erreicht, erwachen die
Patienten infolge des Hustenreizes. Bei anderen fliesst es in den Oeso-
phagus und gelangt von dort in den Magen. Bei einer dritten Klasse aber
gelangt es durch die Rima glottidis in die Trachea und von dort in die
tieferen Teile der Atmungswege. Dass wirklich Sekrete, selbst Borken und
Krusten aus der Nase in die Luftröhre gelangen, das kann jeder selbst
beobachten, der eine Menge Kranker untersucht, die an Rhinitis sieca mit
Borkenbildung leiden. Das ist eine feststehende Tatsache. Wenn also diese
zähen, trockenen Massen in die Trachea gelangen, wieviel leichter werden
dann nicht die mehr flüssigen Massen dahin kommen? Befinden sie sich
einmal dort, so steht nichts im Wege, dass sie durch das Gewicht der
Schwere auch noch weiter nach unten fallen, wohin wir allerdings bisher
noch nicht direkt ihren Lauf verfolgen konnten.
Ein wie grosser Reiz notwendig ist, um einen Spasmus der Bronchien
zu veranlassen, das kann man natürlich nicht sagen. Vielleicht verhält es
sich sogar analog dem Spasmus glottidis, so dass vielleicht schon ein in
der Luftröhre gesetzter Reiz reflektorisch eine Kontraktion der Bronchial-
muskeln in den unteren Abschnitten erzeugt.
Andererseits liegt aber auch die Möglichkeit vor, dass die Reize
kumulativ wirken, d. h. es müssen sich vielleicht erst grössere Quantitäten
Sekret angesammelt haben, ehe eine Attacke erzeugt wird. Das kann in einer
Nacht, vielleicht aber erst nach mehreren eintreten. Wahrscheinlich ist das
letztere der Fall. Ist dann aber einmal ein Reizzustand etabliert, ent-
wickeln sich später die unbedingt darauf folgenden sichtbaren Verände-
rungen der Bronchialschleimhäute, so ist der Circulus vitiosus und das Bild
des chronischen Asthmas gegeben. Dann werden wir durch die Behand-
lung fernliegender Punkte nichts erreichen. Es tritt vielmehr an uns die
Pflicht heran, die Mukosa der Bronchien zu ihrem normalen Zustande
446 W. Freudenthal, Behandlung des Bronchialasthmas.
zurückzubringen. d. h. sie ebenso zu behandeln, wie wir seit einem halben
Jahrhundert den Larynx zu behandeln gewohnt sind, nämlich durch direkte
Applikationen.
Doch bevor wir auf diesen Teil übergehen, sei es gestattet, noch auf
einige andere Punkte, die ätiologisch wichtig sind, hinzuweisen. Während
man im Beginn meiner ärztlichen Tätigkeit alle asthmatischen Erscheinungen
pathologischen Veränderungen in der Nase zuschrieb, was nach den Ver-
öffentlichungen von Voltolini, B. Fränkel und Hack ganz besonders
stark in den Vordergrund trat, ist man jetzt in das Gegenteil verfallen
und leugnet einfach alle Erfolge, die je ein Laryngologe in dieser Richtung
gehabt hat. Das ist falsch. Es gilt vielmehr auch heute noch als erstes
Prinzip, die oberen Luftwege zu untersuchen und etwaige grobe Abnormi-
täten, wie Polypen, ausgesprochene Verbiegungen des Septum narium usw.
zu entfernen. Damit wird man nach wie vor eine Reihe von Asthmafällen
heilen, aber bei weitem nicht alle. Viele der Kranken haben bereits Läsionen
in den Bronchien, die noch besonders behandelt werden müssen.
Dasselbe gilt auch von einer zweiten Klasse von Patienten, nämlich
solchen, die Störungen im Verdauungskanal aufweisen. So erschien vor
kurzem ein Buch von James Adams in London, in dem er nachzuweisen
sucht, dass Asthma einzig und allein von einer Intoxikation im Intestinal-
trakt herrührt. „Asthma,“ sagt Adams, „has fallen between two stools
on one of which sits the general practioner without the special knowledge
and skill necessary to examine and treat nose throat and bronchi, and on
the other of which sits the specialist with his attention concentrated on
these regions, but neglecting the general condition of the patient and the
dietetic and hygienic errors that had lead up to the asthmatic state.“
Wiewohl man einen Kern von Wahrheit in diesen Aeusserungen nicht
leugnen kann, so vermochte ich kaum ein Lächeln zu unterdrücken, da
Adams meine eigenen Versuche besprochen und sogar darüber gewitzelt
hatte, dass ich —- horribile dictu — meine Asthmatiker ungefrühstückt in
meine Sprechstunde kommen lasse! Nun, wir sind jetzt glücklich so weit
gekommen, dass wir solche Patienten auch bei vollem Magen behandeln
können. Aber obwohl wir niemals das Vorhandensein eines sog. dys-
peptischen Asthmas leugneten und es auch jetzt noch anerkennen — hat
doch erst kürzlich K. K. Koessler?) aus Chicago 3 Fälle beschrieben, in
denen Asthma jedesmal nach dem Genuss von Hühnereiern eintrat —, so
scheint es uns doch, als ob Adams selbst in eine Sackgasse geraten sei,
bzw. sich zwischen zwei Stühle gesetzt habe, indem er alles auf diese
cine Theorie zurückführt. Sicher ist nur, dass manche Fälle von Asthma,
die mit oder ohne Ekzem verlaufen können, durch dyspeptische Erschei-
nungen bedingt sind, ebenso wie z. B. bei anderen Patienten ein Zusammen-
hang mit Rheumatismus unverkennbar ist. Alle diese werden durch eine
entsprechende Behandlung günstig beeinflusst werden, zu der aber eine
1) Illinois Med. Journal. January 1913.
W. Freudenthal, Behandlung des Bronchialasthmas. 447
lokale Behandlung hinzukommen muss, ehe in den meisten Fallen an eine
permanente Heilung zu denken ist. |
Nowotny aus Krakau und Ephraim aus Breslau waren die ersten,
die eine solche Idee in die Tat umzusetzen wagten. Mit Hilfe des
Bronchoskops applizierte Ephraim Kokain und Adrenalin und erzielte da-
mit gute Resultate. Andere folgten diesem Beispiele. Ich!) selbst fing
schon im Jahre 1910 mit diesen Versuchen an, hatte aber nicht so viele
gute Resultate zu verzeichnen, wie Ephraim. Auch bemerkte ich bald,
dass die häufige Einführung des bronchoskopischen Rohrs keinen guten Ein-
fluss auf die Schleimhäute hat, und ich begrüsste es daher mit Freuden,
als mir Ephraim im Sommer 1913 in liebenswürdiger Weise seinen neuen
biegsamen Bronchialspray demonstrierte. Es ist dies eine viel einfachere
und für die Patienten wie für den Arzt leichtere Methode, die jeder, der
irgendwie laryngoskopisch gearbeitet hat, schnell erlernen kann. (Demon-
stration.)
Sie sehen, dass Ephraim diese metallene, in der Langsrichtung zer-
legbare Kaniile zur Einfiihrung des Sprays benutzte. Anfangs tat ich das
auch. Es entstanden aber in manchen Fallen Schwierigkeiten bei der Heraus-
nahme, so dass ich ein anderes Instrument versuchte. Dr. Elemer
v. Tövolgyi aus Budapest hatte es in der Berliner klin. Wochenschr. ver-
öffentlicht (1911, Nr. 21). Auf meine Anfrage teilte er mir freundlichst
mit, dass ich mir dasselbe miitels eines einfachen Drahtes selber kon-
struieren könnte. Das tat ich auch. Doch auch damit — so einfach es
auch ist — hatte ich manche Unbequemlichkeit, so dass ich es schliesslich
ganz aufgal und jetzt den Spray meistens ohne jede Kanüle einführe. Das
ist sicherlich die einfachste Methode und sie ist mir so weit auch fast
immer geglückt.
Doch sah ich bald ein, dass mit der Applikation von Kokain und
Adrenalin allein die Schleimhäute nicht immer zum Abschwellen gebracht
werden können. Die Erweiterung des Lumens der Bronchien durch diese
Mittel wirkt ausserordentlich wohltätig, indem dadurch die Sekretmassen
leichter expektoriert werden können und der Patient sich schon dadurch
freier fühlt. Auf diese Weise wurden sogar Heilungen erzielt, auch von
mir. Aber in schwereren Fällen gelingt das nicht. Da müssen wir
auch hier andere Mittel hinzunehmen, wie Adstringentien der verschiedensten
Art. Ich habe z. B. das Chlorzink verwendet, auch das Extr. Hamamelis
dürfte vorteilhaft gebraucht werden können. Ein Mittel, das von den
Patienten stets gerühmt wurde, ist das Oleum Menthae pip. Eines ist
sicher, dass hier viele Mittel zum selben Ziele führen, wenn sie nur richtig
gebraucht werden.
Die Resultate mit dieser Behandlung waren ermutigend, und doch salı
1) The endobronchial treatment of asthma. New York Med. Journal. 1911.
June 24 und: Further experience with endobronchial Therapy of asthma. Journal
Am. Med. Association. 1912. Sept. 21.
448 W. Freudenthal, Behandlung des Bronchialasthmas.
ich bald ein, dass hier noch ein zweiter Faktor zu iiberwinden sei, und
das war die Hypersensibilität der Bronchialschleimhaut, die möglicherweise
infolge einer Atonie entstanden ist. Ich erklärte mir das auf die folgende
Weise:
Wenn wir einen Muskelspasmus als den Hauptfaktor im asthmatischen
Anfalle anerkennen, so ist es nicht schwer anzunehmen, dass diesem
Spasmus eine Atonie folgt, die die Tätigkeit der Mukosa herabsetzt oder
temporär aufhebt. Auf diese Weise sammeln sich in den Bronchialver-
zweigungen Schleimmassen an, deren Resorption und Expektoration unmög-
lich ist.
Solange die Patienten herumgehen, fühlen sie sich verhältnismässig
behaglich, obwohl man gelegentlich bei der Auskultation eine Unmasse von
Sekret konstatieren kann. Wenn sie sich aber niederlegen, so bedarf es
scheinbar nur geringer Reize, wie momentane Unfähigkeit, durch die
Nase zu atmen, oder Herabfliessen von Sekret in den Larynx, um einen
Krampf der Bronchialmuskulatur hervorzurufen. Diese Reflexaktion muss
gleichfalls verhütet werden, und dazu ist es notwendig, die zum Spasmus
führende, ursprüngliche Hypersensibilität einerseits, wie die sekundäre
Atonie andererseits aufzuheben.
Die direkte Galvanisation und Faradisation der Bronchien.
Um dieses Ziel zu erreichen, schien mir die endobronchiale Applikation
des fast schon in Vergessenheit geratenen galvanischen Stromes zweck-
mässig. Ich liess mir daher eine biegsame Elektrode konstruieren, vor
deren Anwendung ich eine gewisse Scheu hatte. Aber alles ging besser,
als ich es erwartete. Die Applikation mittels der Elektrode kompliziert
natürlich die Behandlung etwas, denn zuerst muss der Bronchialspray zur
Anästhesierung der Mukosa eingeführt werden und dann können wir erst
die Elektrode brauchen. Nun ist die Einführung irgend eines beliebigen
Instrumentes in den Larynx oder gar die Bronchien bei dieser Klasse von
Patienten nicht immer leicht, und es empfiehlt sich stets auf seiner Hut
zu sein. um Unannehmlichkeiten vorzubeugen. Manche Patienten wollen
absolut nicht atmen, nachdem die Tube eingeführt ist. Natürlich dauert
es dann gar nicht lange, bis sie zyanotisch werden. Die Behandlung muss
sofort unterbrochen werden, um in einigen Minuten oder gar erst in einigen
Tagen wiederaufgenommen zu werden.
Die zweifache Einführung eines Instrumentes erwies sich daher auf die
Dauer als zu anstrengend für viele Kranke. So kam ich denn schliesslich
auf den Gedanken, beide Instrumente in eines zu verbinden. Das wurde
erreicht durch die Einführung eines die Leitung herstellenden metallischen
Drahtes in den Ephraimschen Apparat. So hatten wir endlich den
Bronchialspray und die Bronchialelektrode kombiniert, und damit, so scheint
es, war der Beginn einer rationellen Asthmatherapie gegeben.
Nun könnte man einwenden, dass vielleicht durch den Kontakt des
metallischen Endstücks mit der zarten Schleimhaut der Bronchien ein zu
W. Freudenthal, Behandlung des Bronchialasthmas. 449
starker Reiz, vielleicht sogar eine Erosion hervorgebracht werden könnte.
Demgegenüber muss ich folgendes erwidern: Erstens bleibt die Elektrode
nur kurze Zeit an ein und derselben Stelle, indem sie langsam hinunter-
geschoben und dann ebenso herausgezogen wird, alles in allem auf einer
Seite in etwa 3 Minuten. Ebenso wird dann auf der anderen Seite vor-
gegangen. Zweitens aber dürfen wir nicht vergessen, dass die Bronchien
in diesen Fällen nicht, wie sie es sein sollten, lufthaltige Röhren sind. Sie
enthalten vielmehr immer etwas von einem eigenartigen Sekret, das durch
die Einführung der Elektrode noch vermehrt wird. Ausserdem kommt noch
die allerdings geringe Flüssigkeitsmenge hinzu, die wir zur Anästhesierung
der Schleimhaut usw. verwenden. Alle diese Flüssigkeiten stellen nun
einen guten Leiter dar, der den Strom nach allen Richtungen hin verteilt
und so einen etwaigen kaustischen Effekt desselben verhütet.
Ich verfahre also jetzt in der Weise, dass ich bei dem ersten Besuch
des Patienten eine bronchoskopische Untersuchung vornehme, um einen all-
gemeinen Ueberblick zu bekommen. Immer gelingt das nicht wegen der
Furchtsamkeit dieser Patienten. Dann wird zur direkten Behandlung über-
gegangen: Larynx und der obere Teil der Trachea werden kokainisiert und
nach wenigen Minuten der mit der Elektrode kombinierte Bronchialspray
eingeführt. Dann wird der letztere mit der Luftpumpe oder einem ein-
fachen Ballon verbunden und ein Teil der Flüssigkeit hineinzerstäubt. (Ich
fange gewöhnlich mit einer halb- bis einprozentigen Kokainlösung an, der
Adrenalin nach Bedarf und einige Tropfen Oleum Menthae zugesetzt werden.
Später kann man noch andere Medikamente hinzufügen.)
Zugleich wird der Strom angedreht, und zwar so, dass der negative
Pol mit den Bronchien in Verbindung kommt. Der positive Pol ist an
einem Schwamm oder einer Platte befestigt, die man um den ganzen Thorax
oder nur auf eine Seite legen kann. Nach 2 bis 3 Minuten wird der Schlauch
bis über die Bifurkation zurückgezogen und dann in die andere Seite ein-
geführt, wo ebenso verfahren wird.
Was bewirkt nun der elektrische Strom, wenn er in dieser Weise an-
gewendet wird? Die direkte Galvanisation hat, wie ich jetzt annehmen
muss, eine Verminderung der Sekretion zur Folge, welche sich schon wenige
Stunden nach der Applikation bemerkbar macht.
Durch die direkte Faradisation hingegen werden die Sekretmassen
eher vermehrt, aber ihr charakteristisch zäher Charakter wird verändert,
so dass sie mehr flüssig werden.
Beide Ströme üben einen günstigen Einfluss auf die Absorptionsfähig-
keit der Mukosa aus, d. h. dieselbe wird sowohl durch den direkten fara-
dischen, wie den direkten galvanischen Strom derartig erhöht, dass man
schon dadurch die vorher erwähnte Atonie in gewissen Fällen verhüten kann.
Ich applizierte den Strom in jeder Sitzung etwa 6 Minuten; das kann
aber sicherlich verlängert werden. Ebenso verhält es sich mit der Stärke
des galvanischen Stromes, die ich bis zu 8 Milliampères gebrauchte. Zweifel-
450 W. Freudenthal, Behandlung des Bronchialasthmas.
los könnte man bis zu 15 Milliamperes in die Höhe gehen. Doch zug ich
es vor, anfangs vorsichtig zu Werke zu gehen.
Es sind natürlich viele Varietäten bei dieser Methode gegeben. Man
kann die verschiedensten Mittel zur Zerstäubung benutzen, man kann den
faradischen Strom oder beide Ströme zusammen anwenden usw. Die Frage,
die uns jedoch jetzt am Herzen liegt, ist die: Was hat die endobronchiale
Behandlung mittels des elektrischen Stromes und direkter medikamentöser
Applikation bis jetzt geleistet?
Ich möchte darauf nicht mit Zahlen antworten. Das würde irre führen;
handelt es sich doch nicht um eine abgeschlossene Sache, sondern um erst
im Werden begriffene Experimente. Ich möchte Sie vielmehr bitten, selbst
Versuche anzustellen. Eines muss ich aber doch erwähnen, dass eine ganze
Reihe von ambulanten Patienten wegblieben, sowie sie sich einigermassen
besser fühlten. Es lässt sich also nicht feststellen, ob diese Patienten
dauernd geheilt waren oder nicht.
Andererseits habe ich Fälle aufzuweisen, die nach jahrelangem Leiden
in so eklatanter Weise auf diese Behandlung reagierten, dass man das an-
dauernd gute Resultat nur dieser zuschreiben darf. Gestatten Sie, dass
ich nur 3 Fälle hier erwähne, von denen die beiden ersten manche Aehn-
lichkeiten haben.
l. T. F., 50jähr. Bäcker, wurde von mir vor genau 20 Jahren wegen Nasen-
polypen und Asthma behandelt. Die ersteren wurden entfernt, aber das Asthma
blieb nach wie vor bestehen. Er wanderte von einem Kollegen zum andern, fühlte
sich zuweilen besser, aber meistens wurde er vom Asthma geplagt. Seit einem
Jahre kann er überhaupt seinem Geschäfte nicht mehr vorstehen. Er ist sehr
heruntergekommen und wurde mir von einem Kollegen zur endobronchialen Be-
handlung wieder zugewiesen. Ich fing sofort damit an, und Patient erklärte, dass,
sowie ich den Strom andrehe, es in seinem Thorax anfängt zu arbeiten. Noch
3 Tage nach der Applikation fühlte er den wohltätigen Effekt derselben. Die Appli-
kation wurde daher nur 2mal wöchentlich gemacht, und zwar so, dass Patient
nach 10 Wochen vollständig frei war von Beschwerden und es bis heute geblieben
ist, d.h. ein ganzes Jahr lang.
2. L. K., ist ein klinischer Patient, den ich merkwürdigerweise auch vor
20 Jahren wegen Nasenpolypen und Asthma behandelte. Die Polypen rezidivierten
häufig, so dass er jahrelang ein ständiger Besucher der hiesigen Kliniken war.
Seit 5 Jahren ist er arbeitsunfähig. Wenn er nachts nicht schlafen kann, nimmt
er angeblich auf Anraten eines Arztes Whisky in nicht zu geringen Dosen. Das
letztere wurde ihm streng untersagt und das Verbot, wie ich glaube, auch befolgt,
und das Resultat der langwierigen, sich über Monate erstreckenden Behandlung
war ein glänzendes. Der Mann wurde vollständig von seinem Asthma befreit.
3. Frau I. N., 43 Jahre alt, Mutter von 6 gesunden Kindern, leidet an
Asthma seit 6 Jahren, hat Schmerzen auf der Brust und im Rücken, Stuhlver-
stopfung, Hämorrhoiden usw. Leichte Verbiegung des Septum narium und starker
Retronasalkatarrh.
Ich fing damit an, den Retronasalkatarrh zu behandeln, sowie endobronchiale
Applikationen zu machen. Verbaltungsmassregeln für die Konstipation. Kein Erfolg
nach 4 Wochen. Darauf wurde die ihr längst empfohlene Operation zur Beseiti-
W. Freudenthal, Behandlung des Bronchialasthmas. 451
gung der Hämorrhoiden vorgenommen, so dass ich Patientin erst wieder nach
3 Monaten zu Gesicht bekam. Das Asthma war ebenso schlecht wie vorher, und
die Behandlung wurde wieder aufgenommen. Erst nach etwa 6 Wochen trat
Euphorie während des Tages ein, und dann konnte auch langsam eine Besserung
nachts konstatiert werden, so dass Patientin schliesslich nach vielenMühsalen als
geheilt entlassen werden konnte.
Diese Fälle, denen ich noch eine ganze Anzahl ähnlicher hinzufügen
könnte, stellen das Prototyp der, wenn ich so sagen darf, nicht-nervösen
Asthmatiker dar. Eine Nervosität war auch hier vorhanden, aber sie war
sekundär entstanden; die Leute wurden nervös, eben weil sie Asthma hatten,
wie Ephraim richtig bemerkt.
Bei anderen Patienten aber ist die Neurasthenie die eigentliche Krank-
heit und das Asthma nur ein Symptom. Als Ursache dieser Neurasthenie
habe ich so häufig ein Trauma gefunden, dass ich dasselbe ätiologisch für
wichtig halte. Wenige Beispiele mögen genügen.
l. Dr...., ein sehr tüchtiger Kollege mit einer ausgedehnten Praxis zog
sich eine Fraktur des Oberarmes zu. 4 Wochen darauf ein asthmatischer Anfall
von 2tägiger Dauer. Später kamen Anfälle jeden Morgen um 3 Uhr und hielten
mehrere Stunden an. Das dauerte einigeMonate, bis Patient von einem Laryngologen
in der Nase operiert wurde. Der letztere überwies ihn dann mir, da P. immer
schlechter wurde. Als ich dem Kollegen meine Methode erklärte, sagte er sofort,
dass er eine ausgesprochene Idiosynkrasie gegen Kokain hätte und nicht glaubte,
irgend etwas Derartiges ertragen zu können. Als ich ihm dann versuchshalber
einige Tropfen einer halbprozentigen Kokainlösung einträufelte, fing er in dem-
selben Moment an zu würgen und zu brechen. Auch meine Erklärung, dass die
Wirkung des Kokains sich doch nicht so schnell zeigen könnte und nicht nach
einer so minimalen Dosis — er war vorher in der Nase unter Kokain operiert
worden —, half nichts. Er würgte und erbrach, bis ich ihn schliesslich nach
Hause schicken musste. Später behandelte ich ihn dann wieder, aber stets in einer
für mich unbefriedigenden Weise. Doch beeinflusste die psychoanalytische Be-
handlung, die er gesprächsweise von mir bekam, die Psyche dieses, wie gesagt,
sehr intelligenten Kollegen derartig günstig, dass er langsam besser wurde und
mir eines Tages erklärte, dass er vollständig gesund und mir „ewig“ dankbar sei.
2. G.J., ein 32jähr. Ingenieur, konsultierte mich auf Anraten seines Arztes
wegen Astlıma, erklärte mir aber sofort, dass niemand Asthma kurieren könnte.
Ich behandelte ibn 8Wochen lang, worauf Patient wenig gebessert die Behandlung
aufgab. Als er nach anderthalb Jahren wegen einer akuten Angina wiederkam,
fragte ich ihn sofort, wie es mit seinem Asthma stände. „Asthma,“ sagte er, „wie
kommen Sie darauf? Ich weiss nicht, dass ich je in meinem Leben Asthma hatte.“
Zu bemerken ist, dass der Herr einen durchaus ehrenhaften Eindruck machte. Ob
er sein Asthma wirklich vergessen hatte oder nicht, weiss ich nicht. Jedenfalls
aber war es verschwunden und seine Neurasthenie gleichfalls.
3. 29jähr. Maschinenarbeiter wurde vor 3 Jahren an einer Hernie operiert,
worauf er Dyspnoe bekam, die sich bald in reines Asthma verwandelte. Er ging
in das Roosevelt Hospital, wo er 3 Wochen lang täglich Injektionen von Adrenalin
bekam. Keine Besserung. Darauf war er 2 Wochen im jüdischen Hospital in
Brooklyn. Dieselbe Behandlung ohne jede Besserung. Darauf hielt er sich 8 Monate
452 W. Freudenthal, Behandlung des Bronchialasthmas.
lang in Kalifornien auf, wo er es lernte, sich selbst die Adrenalininjektionen zu
machen. Als er zurückkehrte und mioh aufsuchte, erzählte er mir, dass sein
Asthma zuweilen so schlimm gewesen war, dass er sich alle 3 Stunden 20 Tropfen
Adrenalin injizierte!!
Ausserdem braucht er einen Kokainspray für die Nase. Patient war durch
diese doppelte Intoxikation von Kokain und Adrenalin so heruntergekommen, dass
ambulatorisch überhaupt nichts mit ibm anzufangen war. Ich empfahl ihm daher,
sich sofort wieder in ein Hospital aufnehmen zu lassen, und habe nichts wieder von
ibm gehört.
Unter den vielen Patienten, die ich in den letzten Jahren an Asthma
behandelte, ist noch eine ganze Anzahl höchst interessanter Fälle, die ich
aber zu meinem Bedauern nicht alle berichten kann. Das Eine aber ist
mir klar geworden, dass nämlich die „reinen“ Neurastheniker nur einen
kleinen Prozentsatz aller Asthmatiker darstellen. Bei weitem die Majorität
dieser Patienten zeigt pathologische Zustände in dem eigentlichen Sitz des
Bronchialasthmas, d. h. in den Bronchien und Bronchiolen. Eine direkte
medikamentöse Behandlung dieser Affektionen übt, wie ich das durch eine
grosse Reihe von Fällen beweisen kann, einen ausserordentlich günstigen,
ja häufig heilenden Einfluss aus.
e XXVIII.
Ueber die Funktion der Nebenhöhlen der Nase.
Von
Dr. P. J. Mink (Utrecht).
(Mit 2 Textfiguren.)
Noch immer ist die Frage nach der Bedeutung der Nebenhöhlen der
Nase als ungelöst zu betrachten. Zwar ist sie oft genug gestellt, aber ohne
dass eine sichere Beantwortung sich ergeben hätte. Keine der aufgestellten
Hypothesen kann befriedigend genannt werden, so dass man sich in dieser
Beziehung auf einem recht unsicheren Boden befindet. Es werden wohl
wenige der Behauptung Mihalkovicz’ (Heymanns Handbuch, Bd. 3,
1. Hälfte, S. 57) beipflichten, dass man in neuerer Zeit zu einer klaren Auf-
fassung gekommen ist. Seine Annalıme, dass der Anstoss zur Bildung der
Nebenräume vergleichend-anatomisch und entwicklungsgeschichtlich auf die
Zunahme des Riechvermögens zurückzuführen sei, während bei Wiederab-
nahme dieses Vermögens die Riechwülste atrophieren mit Erhaltung der
Höhlen, die diese beherbergten, kann ich nur als physiologischen Nihilismus
bezeichnen. Und mit demselben Namen belege ich die Ansicht Johannes
Müllers, dass die pneumatischen Räume bloss da sind, um das Gewicht des
Kopfes zu erleichtern. Denn seitdem Braune und Clasen berechnet haben,
dass diese Erleichterung auf höchstens 1 pCt. des Kopfgewichtes anzu-
schlagen ist, kann die Müllersche Erklärung nicht mehr ins Gewicht fallen.
Die von letztgenannten Autoren gehegte Ansicht, dass die Nebenhöhlen in
indirekter Beziehung zur Geruchsperzeption stehen, verdient volle Würdi-
gung, kann aber nur mit Bezug auf die hinteren nasalen Lufträume
angeführt werden. In meiner Arbeit über die nasalen Lufträume (Archiv
f. Laryngol., Bd. 21, H. 2) habe ich auf Grund von angestellten Experi-
menten diese Ansicht verteidigt und den Mechanismus dieses Vorganges
näher präzisiert. Seitdem habe ich mich aber weiter experimentell und
spekulativ mit den nasalen Funktionen beschäftigt, wodurch ich ver- `
schiedene neue Ansichten gewonnen habe. Dadurch wurde es mir mög-
lich, auch eine Erklärung für die Bedeutung der vorderen Nebenhöhlen
aufzustellen, die, wie ich glaube, sehr plausibel ist und zur Kenntnis der
Herren Kollegen gebracht zu werden verdient.
454 P..l. Mink, Ueber die Funktion der Nebenhöhlen der Nase.
Es scheint mir nötig, zu diesem Zwecke das Experiment, auf dem meine
Anschauungen basiert sind, in die Erinnerung zurückzurufen und die dies-
bezügliche Figur hier zu reproduzieren (Fig. 1).
òs stellt das Viereck a b c d ein Holzrihmchen vor, worin zwei
Glasplatten parallel zueinander in kurzem Abstand (etwa einen halben
Zentimeter) befestigt sind. Auf diese Weise wird zwischen den Glas-
platten eine dünne Luftschicht allseitig abgeschlossen. In den beiden
Seiten ad und b c des Rähmchens, das man sich stehend zu denken hat
mit a b als Basis, werden dicht über dem Boden®des Luftraumes Oeffnungen
m und n gebohrt, die im Raume ausmünden. Die vordere Oeffnung dient
zum Einstecken einer brennenden Zigarre, während die hintere n mit einem
elastischen Schlauch verbunden wird. In die obere Seite des Rähmchens c d
werden gleichfalls ein oder zwei Oeffnungen gebohrt, die in den Raum
Figur 1.
zwischen den Glasplatten führen. Durchsichtige Blindsäcke, Medizin-
flaschen genügen dem Zwecke, werden luftdicht auf diese Oeffnungen be-
festigt, so dass sie in freier Kommunikation mit dem Hauptraume stehen.
Mit dieser Vorrichtung lässt sich folgendes zeigen: wenn man am
Schlauche o kräftig ansaugt, sieht man, dass der Rauchstrom, der bei m
in den abgeschlossenen Raum tritt, sich sofort nach oben richtet und in
schräger Richtung aufsteigt. An der oberen Seite biegt er sich um und
strebt in gleichfalls schräger Richtung der Ausgangsöfinung n zu. Alle
Gaseströme, die unter dem Einflusse eines negativen Druckes entstehen,
zeigen einen derartigen Verlauf, und zwar derart, dass die Höhe, in welcher
die Umbiegung nach hinten stattfindet, proportional ist der Saugkraft.
Wir sahen, dass sich hieraus die von Paulsen aufgefundenen inspiratori-
schen nasalen Stromlinien erklären lassen.
Solange das Saugen andauert, spürt man keinen Einfluss der Blind-
säcke p und q auf den Rauchstrom. Sobald man aber das Saugen ab-
bricht, sieht man, dass sich Rauchstreifen vom Strome abzweigen, die sich
P. J. Mink, Ueber die Funktion der Nebenhöhlen der Nase. 455
zungenförmig nach den Eingängen dieser Säcke richten und selbst in diese
mehr oder weniger weit eindringen.
Die Erklärung für diese Erscheinung liegt auf der Hand; sie beruht
auf dem Ausgleich des negativen Druckes in den Nebenräumen, der
beim Aufhören der Saugung stattfinden muss. Man kann sich den Mecha-
nismus dieses Ausgleichs vergegenwärtigen an einer Stempelspritze, deren
Oeffnung man mit dem Finger verschliesst. Wenn man nämlich jetzt den
Stempel zurückzieht, so bewirkt man in der Spritze einen negativen Druck,
wie dieser auch in unserem Experiment durch die Ansaugung in den
Nebenräumen zustande kommt. Gibt man nachher den Stempel wieder
frei, so schnellt dieser 'zurück mit einer Kraft, die durch die Grösse des
negativen Druckes bestimmt wird. Die Geschwindigkeit des Zurück-
schnellens wird aber noch mitbestimmt durch den zu überwindenden Wider-
stand bei dem Ausgleich. Dieser kann bei der Spritze durch die Reibung
des Stempels ziemlich gross ausfallen, so dass das Zurückschnellen nur
langsam vor sich geht. Bei den Nebenräumen im Experiment ist aber
der Widerstand, den die kurzen Eingangsöffnungen dem Ausgleich des
Druckes entgegensetzen, höchst gering. Das Gleiche lässt sich sagen mit
Bezug auf die Nebenhöhlen der Nase, die alle mittels zwar kleiner, aber
im allgemeinen sehr kurzer Oeffnungen mit der Hauptnasenhöhle kommuni-
zieren. Nach der Länge dieser Oeffnungen aber hat man die Grösse
des Widerstandes hauptsächlich abzumessen. Wir dürfen also annehmen,
dass in den Nebenhöhlen der Nase, gleichwie am Rähmchen zu konsta-
tieren ist, der Ausgleich des negativen Druckes am Ende.der Ansau-
gung einigermassen explosivartig zustande kommt. Eben dadurch wird
es möglich, dass diese Wirkung sich bis auf einen ziemlichen Abstand be-
merkbar macht und, wie in unserem Experiment, auf einen mehrere Milli-
meter entfernt verlaufenden Luftstrom Einfluss ausübt. Auch bei den Ex-
plosivmitteln beruht der Effekt fast ausschliesslich auf der enormen Ge-
schwindigkeit, womit eine an sich nicht besonders grosse Kraft entsteht.
Die Kraft, mit welcher der Druckausgleich in den Nebenhöhlen zustande
kommt, beruht, abgesehen von der Tiefe der vorangehenden Saugung, auf
der Kapazität dieser Höhlen, wie ohne weiteres klar ist. Wenn die
Oeffnungen dieser Höhlen derart liegen, dass die von ihnen hervor-
gerufenen Nebenströme zusammenfallen, so kann man diese Räume in
funktioneller Beziehung als eine Einheit betrachten. Von diesem Gesichts-
punkte aus lassen sich die hinteren Nebenhöhlen der Nase auch in physio-
logischer Hinsicht zusammenwerfen. Wir haben dann nicht mehr mit der
Grösse der einzelnen Räume zu rechnen, sondern brauchen nur ihren
Gesamtinhalt ins Auge zu fassen. Es scheint, dass in dieser Beziehung
die hinteren Nebenhöhlen bis zu einem gewissen Grade als eine konstante
Grösse aufgefasst werden können. Zwar wechselt die Kapazität von
jedem der sie zusammensetzenden Räume innerhalb weiter Grenzen, aber
wenn man die Beschreibung der Varietäten nachliest und sich die bei-
gegebenen Figuren ansieht, bekommt man den Eindruck, dass eine gegen-
456 P. J. Mink, Ueber die Funktion der Nebenhöhlen der Nase.
seitige Kompensation stattfindet. Ich gestehe aber, dass es sich nur um
einen Eindruck handelt, da ich nicht über das nötige Material verfüge,
um die Frage weiter zu verfolgen.
Die Eingänge zu den hinteren Ethmoidalzellen liegen bekanntlich im
oberen Nasengange. Man findet deren gewöhnlich drei: ein oberes Ostium
für den lateralen Teil der Siebbeinzellen, ein vorderes für einen im
vorderen Ende des Ganges befindlichen, lateral bis an die Lamina papyracea
reichenden, von Zuckerkandl als vordere Nebenzelle bezeichneten Hohl-
raum und ein hinteres Ostium für einen im hinteren Teile des Ganges befind-
lichen und als hintere Nebenzelle bezeichneten Hohlraum. Doch wechselt die
Zahl der zwischen den Grundlamellen ausgespannten Knochenbrücken so
sehr, dass in vielen Fällen einzelne der angedeuteten Hohlräume nur spärlich
entwickelt sind, andere dagegen miteinander verschmelzen. Wo ein oberster,
als Fissura ethmoidalis superior zu deutender Nasengang besteht, findet
man in beiläufig der Hälfte der Fälle eine Oeffnung, welche in die hintere
Siebbeinzelle oder in die Sphenoidalzelle hineinmündet, wenn letztere vor-
handen ist. Wenn indes kein oberster Nasengang besteht oder derselbe
keine Oeffnung besitzt, dann münden alle die genannten Siebbeinzellen in
den oberen Nasengang ein (Hajek).
Das Ostium sphenoidale mündet bekanntlich in den Recessus spheno-
ethmoidalis. Diese Furche, die sich zwischen das hintere Ende des Sieb-
beines und die vordere Fläche des Keilbeines ausstreckt, grenzt oben an das
Nasenhöhlendach und geht nach unten zu über den hinteren Enden der
oberen und mittleren Muschel in die Choanen über. Konstant ist die Lage
des Ostium sphenoidale nur insofern, als es immer an der vorderen Wand
der Keilbeinhöhle und im Recessus spheno-ethmoidalis liegt. Es wechselt
aber die Höhe des Ostium im Vergleich zum Boden der Keilbeinhöhle.
In der Mehrzahl der Fälle befindet sich die Oeffnung oberhalb der Mitte
der vorderen Keilbeinhöhlenwand nur wenige Millimeter vom Nasendache
entfernt. Am Lebenden ist gewöhnlich das Ostium nicht sichtbar, da der
Recessus spheno-ethmoidalis sich an der lateralen Hälfte der Vorderwand
der Keilbeinhöhle befindet (Hajek).
Wenn man sich die inspiratorische Stromlinie in der Nase, wie sie
von Paulsen u. a. experimentell festgestellt wurde, auf die laterale
Nasenwand projiziert denkt, so wird ihre Lage etwa so sein, wie sie in
Figur 2 dargestelli wird. Demzufolge muss man sich den absteigenden
Teil dieser Linie an der medialen Seite der mittleren Muschel, ein wenig
unterhalb vom oberen Nasengange und mit diesem ungelähr parallel ver-
laufend denken.
Mehr nach hinten und oben und vielleicht auch noch ein bischen
mehr lateralwärts vom oberen Nasengange findet man den Eingang des
Sinus sphenoidalis. Man kann sich also auf Grund des in Figur 1 dar-
gestellten Experimentes eine Idee bilden vom Nebenstrome, der von den
hinteren Nebenhöhlen der Nase hervorgerufen werden muss. Wir denken
P.J. Mink, Ueber die Funktion der Nebenhöhlen der Nase. 451
ihn uns demzufolge als ein breitbasiges Dreieck, das dem absteigenden
Teile der inspiratorischen Stromlinie nach hinten und oben anliegt (Fig. 2).
Die Lage des Hauptstromes ist eine wechselnde, je nachdem die In-
spiration mehr oder weniger tief ausfällt, wie aus unseren Experimenten
am Rähmchen geschlossen werden darf. Ferner hat man zu bedenken,
dass dieser Strom eine gewisse Breite und Dicke besitzt und dem Septum
im allgemeinen anliegt. Die inspiratorische Stromlinie, wie sie in Figur 2
dargestellt wird, bedeutet also nichts weiter als die Hauptrichtung des
Stromes bei gewöhnlicher Atmung, die bei Abflachung der Respiration
sinkt. bei deren Verstärkung dagegen steigt.
Figur 2.
1 Regio olfact.; 2 Ostium sin. sphen.; 3 Meatus superior cum ost. sin. ethm. post. :
4, 5 Stromlinie; 6 Ostium sin. maxill.; 7 Hiatus semilunaris; 8 Ostium sin. front.:
9 Inspirationsstromlinie; 10 Nervus naso-ciliar.
Wie aus unserer Figur hervorgeht, wird der von den hinteren Neben-
höhlen erwirkte Nebenstrom für gewöhnlich die Riechgegend streifen. Das
wird zur Folge haben müssen, dass riechende Partikel, die vom In:
spirationsstrome mitgeführt werden, auch unbeabsichtigt zur Wahrnehmung
gelangen können. Manchmal wird dieser Geruchseindruck nicht stark sein
und nur eine Andeutung von Geruch genannt werden können. Diese An-
deutung genügt aber, um das Bewusstsein wachzurufen und eine beab-
sichtigte Riechwahrnehmung einzuleiten. Bekanntlich wird diese durch
tiefere Inspirationen hervorgerufen, manchmal durch jähes Abbrechen der
Ansaugung unterbrochen. Dabei steigt die Stromlinie höher hinauf, während
das jähe Abbrechen, das sogenannte Schnüffeln, die explosivartige Wirkung
der Nebenhöhlen erhöht. Die Folge von diesem Einstellen auf das Riechen
Archiv für Laryngologie. 29. Bd. 3. Heft. 31
458 . P. J. Mink, Ueber die Funktion der Nebenhéhlen der Nase.
muss also sein, dass ein kräftiger Nebenstrom einen grösseren Teil der
Riechgegend trifft.
Die Bedeutung, welche die hinteren Nebenhöhlen für das Riechen haben.
kann die spezielle Funktion dieser Lufträume genannt werden. Daneben
muss man ihnen aber eine Wirkung zuerkennen, die allen Nasennebenhöllen
zukommt und die man als ihre allgemeine Funktion bezeichnen kann.
Diese ist aber besser zu verstehen, wenn man die vorderen Nebenhöhlen
ins Auge fasst und ihre Bedeutung näher prüft.
Die vorderen Nebenhöhlen der Nase, repräsentiert durch den Sinus
frontalis, Sinus maxillaris und die vorderen Siebbeinzellen, besitzen einen
bedeutend grösseren Gesamtinhalt als die hinteren. Auch die Grösse dieser
Lufträume ist wechselnd, am wenigsten wohl die der Kieferhöhle und am
stärksten die der Stirnhéhle. Auch die Cellulae ethmoidales anteriores
besitzen gar keine konstante Grösse, und, wie es scheint, kompensieren
sie bis zu einer gewissen Höhe die verschiedenen Grössenverhältnisse des
Sinus frontalis. Messungen an einem grossen Material würden nötig sein,
um zu bestimmen, welchen Einfluss diese Kompensation auf den Gesamt-
inhalt der vorderen Nebenhöhlen hat.
Die Eingangsöffnungen dieser Lufträume befinden sich alle im Hiatus
semilunaris selbst oder in dessen nächster Nähe. Wenn man mit Hajek
diesen Hiatus nur die oberflächliche Begrenzung des Spaltes nennt, der in
seiner Tiefe von den Franzosen als Infundibulum bezeichnet wird, so muss
man die Nebenhöhlen in dieses Infundibulum einmünden lassen. In der
hinteren und unteren Partie dieses Spaltes befindet sich das Ostium maxillare,
welches lateralwärts und nach unten in die Kieferhöhle führt; dagegen
mündet die Stirnhöhle genau in das vorderste Ende des Infundibulum und
repräsentiert die direkte Fortsetzung des letzteren nach vorne. Die Lage
und Anzahl der Mündungen des vorderen Siebbeinlabyrinths sind inkonstant;
bald befindet sich nur eine Hauptöffnung an der Ansatzstelle zwischen
mittlerer Muschel und Bulla ethmoidalis, bald münden daneben noch andere
Oeffnungen in das Infundibulum selbst oder in seine unmittelbare Umgebung
(Hajek).
Auf Grund unseres Experimentes am Rähmchen sind wir berechtigt
anzunehmen, dass beim Aufhören der inspiratorischen Ansaugung ein Teil
der inspirierten Luft in der Richtung des Hiatus gezogen wird. Mnt-
masslich wird dieser Nebenstrom etwa die Form und Ausbreitung haben,
wie in Fig. 2 angegeben ist. Ich habe versucht, durch die Biegung der
Linien anzudeuten, dass man sich den Verlauf des Nebenstromes in einer
medio-latero-posterioren Richtung zu denken hat. Denn der inspiratorische
Hauptstrom verläuft am Septum, so dass er sich nicht nur vorn und oben.
sondern auch medialwärts vom Hiatus befindet. Weiter muss bemerkt
werden, dass der Agger nasi, die verschieden stark ausgeprägte Hervor-
ragung an der Stelle, wo die mittlere Muschel sich an die Crista ethmoidalis
des Oberkiefers anlegt, inmitten des Nebenstromes liegt.
Es ist a priori schon deutlich, dass dieser Nebenstrom mit dem Geruch
P. J. Mink, Ueber die Funktion der Nebenhöhlen der Nase. 459
nichts zu schaffen haben kann, also von einem anderen Gesichtspunkt aus
betrachtet werden muss als dem zuerst besprochenen. Dabei drängt sich
uns in Anbetracht der besonderen Innervation des betreffenden Schleim-
hautgebietes eine bestimmte Meinung auf. Die Schleimhaut des Vestibulum
nämlich, worin unser Nebenstrom sich ausbreitet, erhält ihre Nerven aus
einer anderen Quelle wie der übrige Teil der Nasenhöhle. Denn während
dieser seine sensiblen Fasern aus dem zweiten Trigeminusaste bezieht,
bekommt der vestibuläre Teil sie aus dem ersten Aste. Und da dieser
erste Ast im allgemeinen in näherer Beziehung zum Auge gedacht wird,
entsteht die Frage, ob der inspiratorische Nebenstrom etwas mit diesem
Organ zu schaffen hat. Es ist also angebracht, die Innervation des be-
treffenden Schleimhautgebietes genauer zu betrachten.
Es ist der Nasociliaris, dessen Verlaufsrichtung in der Nase in Fig. 2
angedeutet wird, der die Schleimhaut des Vestibulums, worin der Neben-
strom sich ausbreitet, mit sensiblen Fasern versorgt. Dieser Nervenast,
der auch die Namen Oculo-nasalis und Ramus nasalis nervi ophthalmici
führt, trennt sich schon in der Wand des Sinus cavernosus vom Stamme
und tritt zwischen den beiden Ursprungsschenkeln des M. rectus externus
in die Augenhöhle ein. Dann wendet er sich nach innen über den Seh-
nerven hinweg zur inneren Wand der Augenhöhle, welche er durch das
Foramen ethmoidale anterius wieder verlässt. Während dieses schrägen
Verlaufes durch die Augenhöhle gibt er einen Faden zum Augenknoten,
zwei oder drei Fäden zum Augapfel und ferner einen starken Zweig ab,
der von der inneren Abteilung der Augenhöhle her nach vorn dringt.
Beim Verlassen der Augenhéhle wendet sich der Augennasennerv quer
nach innen zur oberen Fläche der Siebplatte, läuft dann in einer Furche
im äusseren Winkel derselben innerhalb der Schädelhöhle nach vorn und
verlässt dieselbe durch eine besondere Oeffnung neben der Crista galli,
indem er vorn das Dach der Nasenhöhle durchdringt. |
Von jetzt ab bekommt das Endstück des Naso-ciliaris den Namen
N. nasalis anterior s. ethmoidalis. Es teilt sich nach seinem Ein-
dringen in die Nasenhöhle in drei Aeste, von denen sich einer, der Ramus
septi narium, am vorderen Teil der Nasenscheidewand verbreitet, während
der zweite, der Ramus lateralis narium, mit zwei oder drei feinen Fäden
die äussere Wand des Vestibulum bis zur unteren Muschel herab versorgt.
Der dritte Ast, Ramus nasalis externus nasi s. apieis nasi, verläuft in
einer Rinne an der Innenseite des Nasenbeines nach abwärts und dringt
zwischen Knochen und Knorpel und unter dem M. compressor nasi her
zur Haut der Nasenspitze.
Wie aus dieser Beschreibung hervorgeht, versorgt der Naso-ciliaris
die ganze innere Bekleidung des Vestibulum, die sowohl vom inspi-
ratorischen Hauptstrom wie vom vorderen Nebenstrom, den wir besprochen
und abgebildet haben, getroffen wird. Man muss bedenken, dass die innere
Nasenöffnung, durch welche die Aussenluft eintritt, nur einen schmalen Spalt
zwischen dem Septum und der Cartilago triangularis darstellt. Im Augen-
31°
460 P.J. Mink, Ueber die Funktion der Nebenhéhlen der Nase.
blick, wo der Inspirationsstrom diesen Spalt passiert, hat man sich ihn
also zu denken als eine dünne Luftschicht, die mit ihrer ganzen Breite
dem Septum anliegt. Es gibt auch keinen Grund, anzunehmen, dass
dieser Zustand sich im weiteren Verlaufe des Stromes durch die Nasen-
höhle ändern wird, solange keine besonderen Momente hinzukommen.
Demzufolge wird nur ein relativ kleiner Teil der Seilenwände des Vesti-
bulum direkt vom Hauptstrom getroffen.
Die Einwirkung der Aussenluft auf die höchst sensible Nasenschleim-
haut kann nur als Reiz aufgefasst werden. Man hat sicher nicht das Recht.
diesen Reiz schon a priori als etwas Schädliches zu betrachten, denn mehrere
Umstände weisen darauf hin, dass unser Körper die Reize der Aussenluft nicht
nur erleidet, sondern sie auch nützlich zu verwenden weiss. Ohne eine der-
artige Voraussetzung würde die Klimatotherapie jeden festen Grund vermissen
lassen, und man darf bei klimatischen Einflüssen nicht allein deren Einwirkung
auf die äussere Haut als nützliches Moment in Betracht ziehen. Vieles spricht
dafür, dass die Schleimhäute der Luftwege dabei mit im Spiel sind und mut-
masslich in viel stärkerem Grade, als man gewöhnlich anzunehmen scheint.
Am auffallendsten ist sicher wohl der Einfluss, den ein günstiges
Klima auf Kraft und Tiefe der Atembewegungen ausübt. Dies zeigt sich
desto besser, je schneller der Uebergang von der einen Luft in eine andere
stattfindet. Am deutlichsten zeigt sich das daher bei einem jähen Wechsel
der physikalischen Eigenschaften der Atmosphäre. Experimentell kann man
sich leicht von diesem Einfluss überzeugen z. B. durch Betreten und Ver-
lassen eines Palmenhauses, wo sich eine fast blutwarme und mit Wasser-
dampf gesättigte Luft befindet. Beim Betreten bekommt man sofort das
Gefühl, als ob ein Druck auf der Brust lastet, während zugleich die
Atmung mühevoller und oberflächlicher wird. Beim Verlassen spüren wir
erst recht, was wir den anregenden Eigenschaften der kälteren und mehr
trockenen atmosphärischen Luft zu danken haben, da der Druck plötzlich
verschwindet und die Atmung wieder tiefer wird und leichter vor sich
geht. Dieser Wechsel tritt so schnell in die Erscheinung, dass sie nur
als eine Reflexwirkung aufgefasst werden kann. Und da man sich schwer
vorstellen kann, dass diese von der Reizung der wenigen unbedeckten
Hautpartien herrührt, bleibt uns nur übrig, sie auf die Reizung der Schleim-
häute der Atemwege zurückzuführen. In dieser Beziehung können nur die
oberen Luftwege in Betracht kommen, da in den tieferen die Luft wohl
immer blutwarm und mit Wasserdampf gesättigt, also in physikalischem Sinne
reizlos ist. Auch in den tieferen Teilen der oberen Luftwege hat die Luft
schon grösstenteils ihre anregende Eigenschaft verloren, so dass man sich
den Reiz durch die inspirierte Luft fast ausschliesslich auf die Nasen-
höhle beschränkt zu denken hat. Nach den Messungen von Schutter
hat die Luft bei Ankunft in der Nasenrachenhöhle schon eine Temperatur
von 32,2° C. und einen Sättigungsgrad mit Wasserdampf bis auf ‘/, er-
reicht, so dass die Reizung da sehr viel geringer ausfallen muss als mehr
nach dem Eingange zu. Am stärksten hat man sich jedenfalls den Reiz
P.J. Mink, Ueber die Funktion der Nebenhöhlen der Nase. 461
zu denken im Vestibulum, das obendrein mit einer höchst sensiblen
Schleimhaut ausgekleidet ist. Der Ausgangspunkt der wohltätigen Reflex-
wirkung, die wir beim Verlassen des Palmenhauses spüren, muss also an
erster Stelle im Nasenvorhof gesucht werden.
Man kann sich vorstellen, welche Bedeutung dem vorderen Neben-
strome, von dem die Rede war, von diesem Gesichtspunkte aus beizumessen
ist. Auch dem hinteren Nebenstrome, den wir zuvor besprochen haben,
muss eine derartige Bedeutung zukommen. Darauf zielten wir hin bei der
Bemerkung, dass diesem Nebenstrome ausserhalb seiner besonderen Beziehung
zum Riechen noch eine allgemeine Funktion zuzuschreiben sei. Beide
Nebenströme haben das Gemeinsame, dass sie das Schleimhautgebiet, das
von der inspirierten Luft getroffen wird, vergrössern, also den Reiz, der
von dieser Luft bewirkt wird, verstärken. Zweifellos wird dieser Reiz
im Vestibulum stärker ausfallen als im hinteren oberen Abschnitt der
Nasenhöhle, da die Inspirationsluft beim Passieren durch die Nase schnell
ihre anregende Eigenschaft einbüsst. Dagegen ist die Ausbreitung des
hinteren Nebenstromes, am wenigsten der in Fig. 2 gegebenen Vorstellung
nach, grösser als die des vorderen. Zusammenfassend glauben wir
uns aber berechtigt anzunehmen, dass die physiologische Be-
deutung der Nebenhöhlen der Nase in der von ihnen erwirkten
Ausbreitung des Reizungsgebietes für die inspirierte Luft zu
suchen ist.
Es leuchtet ein, dass dieser Ausbreitung nur eine Verstärkung des
Reizes zugeschrieben werden kann, welcher aber der Hauptsache nach vom
Hauptstrom der inspirierten Luft geliefert wird. Um den Nutzen der
Nebenströme erfassen zu können, müssen wir also wissen, welchen Effekt
dieser Reiz im allgemeinen hat. Um das zu studieren, reizen wir
experimentell mit einem feinen Wattebäuschechen oder dem Knizometer
Killians einen Punkt der Nasenschleimhaut in der inspiratorischen Zone.
Geeignet für diesen Zweck scheint wohl der obere Teil des Vestibulums,
der auch bei Berührung am leichtesten und am kräftigsten Reflexwirkungen
hervorbringt.
Es zeigt sich nun, dass schon eine sehr leichte Berührung imstande
ist, eine Vertiefung der Inspiration hervorzurufen, die manchmal bis zu
ihrem Maximum fortschreitet und solcherweise das erste Stadium des
Niesens bildet. Man muss aber genau darauf achten, dass die Reizung
nicht zu stark ausfällt, da sonst dieser Reflex ausbleibt. Wenn sie so
stark ist, dass nicht nur ein Kitzel, sondern ein Schmerzgefühl entsteht,
so muss man darauf gefasst sein, statt einer Vertiefung der Inspiration
Hustenstösse, d. h. also Reflexbewegungen von exspiratorischem Charakter
auftreten zu sehen. Auch zeigt es sich, dass ein länger fortgesetzter
wiederholter Kitzel bald eine Art Gefühllosigkeit bewirkt, wobei inspi-
ratorische Reflexe nicht mehr ausgelöst werden können. Das wäre viel-
leicht zu erklären durch die Annahme, dass die Reize, die auf die In-
spirationsbewegung einwirken, nur von den Flimmern des Epithels aul-
462 P.J. Mink, Ueber die Funktion der Nebenhöhlen der Nase.
genommen werden. Man kann sich vorstellen, dass die Flimmerbewegung,
die man sich nach Schiefferdecker in einer dünnen, auf die Schleim-
haut ausgebreiteten Flüssigkeitsschicht zu denken hat, sehr leicht zerstört
werden kann. Diese Annahme würde es auch begreiflich machen, dass
so geringe Reize, wie kleinere Temperatur- und Feuchtigkeitsänderungen
der Aussenluft, doch einen merkbaren Einfluss auf die Atmung haben.
Zugleich wird es klar, dass die Versuche, wie sie von mehreren Experi-
mentatoren mit mechanischen, elektrischen und chemischen Reizen, manch-
mal nach Aufbrechen des Nasengerüstes, angestellt wurden, ungeeignet
sind, um uns über das physiologische Verhalten der Nasenschleimhaut zu
belehren. Wenn man bedenkt, dass schon eine etwas stärkere Berührung
der Vestibularschleimhaut, wie wir sahen, Schmerz und Hustenstösse her-
vorruft, dann wundert es uns nicht, dass man fast ausschliesslich Reflex-
bewegungen von exspiratorischem Charakter als Folge der experimentellen
Nasenreizung angegeben findet. Nichtsdestoweniger glaube ich es auf Grund
der täglichen Erfahrung und nach einer Reihe von Experimenten, die am
hiesigen physiologischen Institut der Veterinärschule ausgeführt wurden,
als feststehend betrachten zu dürfen, dass die physiologische Reizung der
Nasenschleimhaut nur Einfluss hat auf die Inspiration.
Die Grenze für diesen physiologischen Reiz liegt aber sehr niedrig
und da, wie wir gesehen haben, schon die leichteste Berührung mit einem
festen Körper eine maximal tiefe Inspiration hervorrufen kann, hat ınan
ihn sich fast vollständig auf den Luftreiz beschränkt zu denken. Solcher-
weise wird uns aber der sofortige und deutlich merkbare Einfluss der ge-
wöhnlichen Atmosphäre, wie er beim Verlassen eines Palmenhauses zutage
tritt, ganz und gar begreiflich. Achtet man genauer auf diesen Einfluss,
so bemerkt man, dass dieser einsetzt mit einer tieferen Inspiration, wodurch
der Druck, der zuvor auf der Brust lastete, aufgehoben wird. Dieser Druck
kehrt auch nicht wieder, solange man in der gewöhnlichen Atmosphäre
verweilt, so dass seine Aufhebung eine definitive ist. Das beruht darauf,
dass auch die Vertiefung der Inspiration, die ihn aufhob, definitiv geworden
ist, d. h. also, dass von da an eine stärkere Füllung der Lungen als Grund-
lage für die Respirationsbewegungen fortbestehen bleibt. Die stärkere Wöl-
bung des Brustkastens legt davon Zeugnis ab und findet ihre Erklärung in
einem erhöhten Tonus der Inspirationsmuskeln. Offenbar hat man es also
mit einer fortwährenden Reizung der Nasenschleimhaut durch die Aussen-
luft zu tun, die diese Tonuserhöhung unterhält. Man muss dann annehmen,
dass in der inspiratorischen Zone der Nasenhöhle immerfort Luft vorhanden
ist, die die reizende Eigenschaft der Aussenluft bis zu einer gewissen Höhe
beibehalten hat. Das ist sehr gut denkbar, da die Exspirationsluft diese
Zone nicht passiert, sondern ihren Weg über den Boden der Nasenhöhle
wählt, wie ich in meiner schon zitierten Arbeit über die nasalen Luft-
räume betont habe.
Bei der ersten Inspiration des Neugeborenen kommt die Tonuserhöhung
der Atemmuskeln zu Stande und bleiht zeitlebens fortbestehen. Insofern
P.J. Mink, Ueber die Funktion der Nebenhöhlen der Nase. 463
sie aber von der Reizung der Nasenschleimhaut abhängt, ist sie manchem
Wechsel unterzogen. Die physikalischen und auch die chemischen und
biologischen Eigenschaften der Luft, sofern sie reizend auf die nasale
Schleimhaut einwirken, sind in dieser Beziehung bestimmend. Auf diesen
Eigenschaften beruht aber die Klimatologie und darum würde diese Wissen-
schaft wahrscheinlich in systematischen Messungen des Brustumfanges der
Patienten einen festen Boden gewinnen können.
Neben dem Einflusse der Nasenschleimhaut auf die bleibende Füllung
der Lungen, d. h. also auf die Menge der Reserveluft, kommt ihr eine Be-
deutung für die Grösse der Atembewegungen zu. Die Wellenbewegung der
Atmungsluft wird beim Verlassen des Palmenhauses ebenso sehr verstärkt,
wie die bleibende Inspirationsstellung. Wir haben also ebenso sehr der
periodischen Reizung des Naseninneren Rechnung zu tragen und es wird
namentlich in dieser Beziehung die gleichfalls periodische Anfachung der
Schleimhautreizung durch die explosivartigen Nebenströme, wovon die Rede
war, in ihre Rechte treten. Von diesen Gesichtspunkten aus bekommt die
Ausbreitung des Reizungsgebietes für die inspirierte Luft, die wir als die
allgemeine Funktion der Nasennebenhöhlen hinstellten, eine höhere Be-
deutung.
Man muss annehmen, dass die Reize, die einen so kräftigen und
prompten Einfluss auf die Atmung ausüben, direkt ihren Weg zum Atmungs-
zentrum finden. Diese Reize, von den sensiblen Trigeminusfasern fort-
geleitet, müssen dann das Ganglion Gasseri passieren, ohne hierin ab-
gelenkt zu werden. Das gilt aber nicht für alle Reize, die diesem Knoten
vom dreigeteilten Nerven zugeleitet werden, da man das Ganglion nach
den Untersuchungen von Francois Franck und Morat (Arch. de physiol.
norm. et pathol., 1889) als das Zentrum fiir die Vasodilatatoren der Regio
bucco-facialis anzusehen hat. Demzufolge hat man sich dann die Fiillung
der Blutgefiisse von Antlitz und Wangen, also die Angesichtsfarbe, unter
der Herrschaft dieses Ganglions zu denken. Und da diese Farbe sich im
allgemeinen den reizenden Eigenschaften der Aussenluft anpasst, kann man
sie in dieser Beziehung mit gutem Rechte auf eine Reflexwirkung zurück-
führen, die durch das Ganglion Gasseri vermittelt wird. Wahrscheinlich
werden die diesbezüglichen auslösenden Reize am wenigsten teilweise durch
die Nasenschleimhaut aufgefangen. Man kennt den physiologischen und
auch den pathologischen Farbenwechsel der äusseren Nase und namentlich
ihrer Spitze. Mutmasslich spielt der Nervus naso-ciliaris hierbei seine
Rolle und man hat die Wirkung des vorderen Nebenstromes auch von
diesem Gesichtspunkte aus ins Auge zu fassen.
Am meisten verdient die schon geäusserte Frage, ob dieser Neben-
strom etwas mit dem Auge zu schaffen haben kann, unsere Aufmerk-
samkeit. Die vorderen Nebenhöhlen der Nase liegen derart um das
Auge herum gruppiert, dass die Vermutung eines etwaigen Zusammen-
hangs nicht so fern liegt. Diese Vermutung wird verstärkt durch die
schon erwähnte gleiche Herkunft der sensiblen Fasern für die betreffende
464 P.J. Mink, Ueber die Funktion der Nebenhöhlen der Nase.
Schleimhaut und das Auge. Von diesem Gesichtspunkt aus verdient der
Zweig des Naso-ciliaris, der als Ramus lateralis narium bekannt ist, eine
besondere Beachtung, da dieser vornehmlich die Reizung durch den vorderen
Nebenstrom erfahren wird.
Der Nervus naso-ciliaris tritt, wie aus der gegebenen Beschreibung er-
hellt, während seines Verlaufes durch die Augenhöhle in Verbindung mit
dem Ganglion ciliare. Diese Verbindung trägt den Namen Radix longa
s. sensitiva ganglii ciliaris und stellt einen sehr dünnen, über 1 cm langen
Faden dar, der zwischen den beiden Ursprungsköpfen des äusseren geraden
Augenmuskels entspringt und an der äusseren Seite des Sehnerven entlang
zum oberen und hinteren Teile des Augenknotens zieht. Der Name Radix
lässt den Gedanken an eine Verbindung des Knotens mit den zentralen
Nervenzentren aufkommen, aber man muss nicht vergessen, dass er von
Anatomen herrührt. Die Zufügung „sensitiva* zeigt jedoch auf die physio-
logische Bedeutung hin, aber da ensteht die Frage, was man sich unter
einer sensibeln, also zentripetal leitenden Wurzel zu denken hat. Jeden-
falls könnte man sich auch vorstellen, dass der Nervenfaden eine Verbin-
dung zwischen der Peripherie und dem Ganglion darstelle und also Reize
dem Ganglion zuführe. Solcherweise würde die Radix longa in eine Linie
zu stehen kommen mit dem Naso-palatinus Scarpae, der der gewöhnlichen
Verstellung nach aus dem Ganglion spheno-palatinum austritt, um sich am
Septum zu verzweigen.
Wie dem auch sei, es gibt Gründe genug, um einen Zusammenhang
zwischen Nasenschleimhaut und Auge zu vermuten, wobei zu bedenken ist,
dass nach Arnold auch ein Verbindungsfaden vom Gaumenkeilbeinknoten
durch die untere Augenhöhlenspalte mit dem Augenknoten besteht. Ziem
verteidigt schon seit Jahren vom klinischen Standpunkte einen derartigen
Zusammenhang, den er auf dem Wege der Vasomotoren sucht. Die in den
letzten Zeiten vielfach besprochene Abhängigkeit gewisser Augenerkrankungen
von pathologischen. Zuständen in den Nasennebenhöhlen (v. d. Hoeves
Symptom) reiht sich dieser Anschauung an. Es scheint aber, dass man
hierbei meistens an eine Fortsetzung der Entzündung durch den Knochen
hindurch bis zum Optikuskanal denkt. In seltenen Fällen hat man auch
eine derartige Fortpflanzung nachweisen können, doch da man immer
wieder auf Varietäten dieses Kanals trifft, kann diese Erklärung höchstens
für Ausnahmefälle gelten.
Dagegen kann man sich für einen vasomotorischen Zusammenhang
zwischen Auge und Nase eine allgemeine physiologische Grundlage denken,
die gewissermassen als Notwendigkeit aufgefasst werden kann. Das Auge
ist nämlich durch seine periphere Lage in hohem Masse den Einwirkungen
der Atmosphäre ausgesetzt. Gegen die Fremdkörper kann es sich dabei
schützen durch die Lider, gegen die Austrocknung durch die Tränenflüssig-
keit, aber gegen die Abkühlung muss verstärkte Blutzufuhr ins Feld ge-
schickt werden. Von den dünnen Lidern, namentlich wenn sie in Ruhe
sind wie im Schlaf, kann kein genügender Schutz gegen stärkere Ab-
P. J. Mink, Ueber die Funktion der Nebenhohlen der Nase. 465
kühlung erwartet werden, während sie auch am Tage in dieser Beziehung
manchmal nur Ungenügendes leisten können. Ein tieferes Eindringen der
Kältewirkung in den Bulbus kann aber nicht gleichgültig sein und man
darf also per analogiam vermuten, dass dagegen auf reflektorischem Wege
ein Damm aufgeworfen wird durch vermehrte Blutzufuhr.
Die Exponierung der peripheren Fläche des Bulbus gegenüber der atmo-
sphärischen Einwirkung ist so unregelmässig, dass man sich schwerlich vor-
stellen kann, dass die von dieser Fläche aufgefangenen Reize den nötigen
vasomotorischen Reflex auslösen können. Eine zutreffende Anpassung der
Blutzufuhr an die atmosphärische Abkühlung erfordert ein Reizungsgebiet,
das dem Einfluss der Aussenluft fortwährend unterworfen ist. Es gibt aber
sicher kein Gebiet, das in dieser Beziehung der Nasenschleimhaut an die
Seite gestellt werden kann, und wo die Innervation einen Zusammenhang
des Auges mit dieser Schleimhaut nahelegt, ist es rationell, den oben
gekennzeichneten Reflex auf diesem Wege zu suchen. Bedenkt man dann
weiter, dass, wie wir gesehen haben, die vorderen Nebenhöhlen der Nase,
die um den Bulbus oculi herumgelagert sind, durch das Hervorrufen des
vorderen Nebenstromes ein derartiges Reizungsgebiet geradezu schaffen und
dass dieses Gebiet innerviert wird vom Augen-Nasennerven, so wird es
schon plausibel, dass hier ein physiologischer Zusammenhang zwischen
Auge und Nase besteht. Ein Reflex, durch den Kältereiz des vorderen
Nebenstromes ausgelöst, wäre durchaus imstande, die Blutzufuhr zum
Bulbus in Anpassung an die Temperatur der Aussenluft zu regeln. Das
wäre dann als die spezielle Funktion der vorderen Nebenhöhlen der Nase
zu nennen.
In diesem Gedankengange verdient es bemerkt zu werden, dass die
Herren Kollegen Benjamins und Rochat zurzeit am hiesigen physio-
logischen Laboratorium beschäftigt sind mit dem Studium eines von ihnen
entdeckten parasympathischen Reflexes im Auge, der sich einer Aussage
Prof. Zwaardemakers zufolge, mit meinen Anschauungen vereinbaren '
liesse.
XXIX.
Zu Wincklers Arbeit:
„Ueber Therapie der Stirnhöhlenerkrankungen.“
(Dieses Archiv. Bd. 29. Heft 1.)
Von
Dr. Halle (Charlottenburg).
Zu seiner Arbeit ,, Ueber Therapie der Stirnhöhlenerkrankungen“ ist Winckler
offensichtlich durch meinen Vortrag in Kiel über die intranasalen Operationen bei
eitrigen Erkrankungen der Nase veranlasst worden. Soll sie doch offenbar eine
sehr abfällige Kritik der von mir vorgeschlagenen Methoden darstellen.
Die ernste Zeit, in der wir jetzt leben, ist nicht recht angetan zu einer pole-
mischen Erörterung. Dennoch kann ich Wincklers Arbeit unmöglich ohne Er-
widerung lassen, weil viele sonst glauben könnten, dass ich die Berechtigung
seiner Einwürfe zugeben müsste.
Ich brauche wohl kaum zu betonen, dass mir jede ernste Kritik meiner
Arbeiten hier wie sonst willkommen ist, denn nur sie gewährleistet wirkliche Fort-
schritte. Aber man muss doch unbedingt verlangen, dass diese Kritik sich auf
eine möglichst ausgiebige Erfahrung und eigene Kenntnis des kritisierten Gegen-
standes stützt, ob es sioh um Zustimmung oder um Ablehnung handelt.
Herr Winckler hat offensichtlich unter dem Eindruck meines Vortrages
seine Kritik geschrieben, der ihm im Gegensatz zu der überwältigenden Zahl der
. anwesenden Kollegen nicht nur keinen Fortschritt, sondern im Gegenteil Rück-
schritte zu bringen schien. Ja, er hat es nicht einmal für nötig gehalten, meinen
Ausführungen auf dem Kongress einigermassen zu folgen, sonst könnte er unmög-
lich sagen, meine Vorschläge seien gegründet auf einer „am Leichenschädel aus-
geführten Anbohrung des Sinus frontalis“.
Es ist selbstverständlich, dass ich die von mir vorgeschlagenen Methoden
zuerst eingehend am Leichenschädel nachgeprüft habe. Aber weder handelt es
sich um einfache „Anbohrung des Sinus frontalis“, noch habe ich meinen Vortrag
auf die Ergebnisse der anatomischen Arbeit allein gestützt. Die Photographien
waren naturgemäss nach meinen Präparaten angefertigt, aber ich berichtete in
meinem Vortrag, der eine Arbeits- und Beobachtungszeit von etwa 10 Jahren um-
fasste, über 69 am Lebenden ausgeführte Operationen! Und bei allen diesen
Fällen handelt es sich um chronische Erkrankungen. Der jüngste Fall von
ihnen war mehr als 1 Jahr alt. Wenn Winckler das im Vortrag überhört hatte,
so konnte es ihm schwerlich in der Diskussion entgehen, in der ich ausdrücklich
darauf hingewiesen habe.
Bevor ich auf Wincklers Ausführungen im einzelnen eingehe, will ich gern
betonen, dass sie, wie es bei seinen Erfahrungen nicht anders zu erwarten ist,
Halle, Entgegnung auf Wincklers Arbeit. 467
neben vielem Bekannten eine Reihe von guten Beobachtungen und Anregungen
enthalten und jedenfalls eine gute allgemeine Orientierung über das schwierige
Gebiet der Therapie der Siebbeinzellen- und der Stirnhöhlenerkrankungen geben,
wie sie von Winckler geübt wird. Seine Ausführungen über die verschiedenen
Methoden der Operationstechnik bei der externen Operation der Stirnhöhle sind
durchaus bemerkenswert.
Gern wird man ihm auch beipflichten, wenn er bei akuten Nebenböhlen-
erkrankungen eine konservative Therapie dringend anrät. Aber das gehört ja wohl
heute zu den Selbstverständlichkeiten, die man vor einem Forum von Fachkollegen
nicht glaubt besonders hervorheben zu müssen, wenn man über die Therapie der
chronischen Erkrankungen und eine neue Methodik in der zur Verfügung
stehenden kurzen Zeit sprechen will. Dennoch hat ein Diskussionsredner zu meinem
Vortrag es für nötig gehalten, mit einiger Emphase darauf nachdrücklich hinzu-
weisen. Schwitzbäder, Kopflichtbäder, Ansaugung, Stauung, heisse Applikationen
aller Art sind heute allgemein gebrauchte Mittel, und in den weitaus meisten
Fällen wird man damit die akute Eiterung der Nebenhöhlen zur Heilung bringen.
Nicht die gleiche Wertschätzung wie Winckler bringe ich dem Adrenalin und
den gleichartigen Präparaten für diesen Zweck entgegen. Nachdem ich zu wieder-
holten Malen viele Stunden anhaltende Niesskrämpfe unangenehmster Art erlebt
habe, bin ich mit der Anwendung dieser Präparate ausser bei Operationen sehr
vorsichtig geworden.
Was Winckler über die Configuration der äusseren Nase und die Stellung
der Nasenlöcher sagt hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Heilung der Neben-
höhleneiterungen verdient alle Beachtung. Ich kann ihm hier um so lieber bei-
pflichten, als ich über die Deformitäten der Nase und des Introitus, ihre Bedeutung
und über neue Wege, sie definitiv zu heilen, wiederholt publiziert habe!) und
Gelegenheit haben werde, dieses wichtige, fast völlig vernachlässigte Gebiet und
die zweckmässigsten therapeutischen Massnahmen noch eingehender darzustellen.
In mancher anderen Hinsicht kann ich die Ansichten Wincklers nicht
teilen. Er hält es nicht für richtig, eine Regulierung der Scheidewand in der-
selben Sitzung vorzunehmen, wie die Operation der erkrankten Nebenhöhlen. Ich
weiss nicht, wie er dann in vielen Fällen an die erkrankten Siebbeinzellen heran-
kommen will, wenn sich das Septum weit über die kranken oberen Teile der Nase
hinüberlegt. Wenn er es bei der Operation der kranken Teile nur nach medial
drängt, wird die Möglichkeit genügend umfangreicher Eingriffe sehr beschränkt
und die Nachbehandlung schwierig und schmerzhaft. Operiert er zuerst die
Scheidewand, dann ist wieder nicht einzusehen, warum nach Vollendung dieser
Operation und Naht die kranke Nebenhöhle nicht angegriffen werden soll, da doch
die Wahrscheinlichkeit einer Heilung per primam eher grösser ist, wenn der
Eiterherd nach Möglichkeit, ausgeschaltet wird, als wenn sich der Eiter während
des Heilprozesses dauernd in gleichem Umfange weiter bildet und am Septum
entlang fliesst. Ich habe mich deswegen bei chronischen Empyemen nie gescheut,
nach Vollendung der Septumoperation und Entfernung von Hypertrophien, hinteren
Enden usw. alle erkrankten Nebenhöhlen in derselben Sitzung in umfangreichster
Weise auszuräumen, sofern nicht an die Widerstandskraft des Patienten, die man
möglichst nioht länger als höchstens eine Stunde in Anspruch nehmen soll, zu
1) Vortrag in der Berliner medizinischen Gesellschaft. 24. Juni 1913. De-
monstration auf dem Internationalen medizinischen Kongress, London 1913.
468 Halle, Entgegnung auf Wincklers Arbeit.
grosse Anforderungen durch die Kompliziertheit des Falles gestellt wurden. Ich
habe niemals eine Schädigung des Patienten gesehen, die darauf hätte zurück-
geführt werden dürfen, trotzdem ich vielfach neben der Scheidewandoperation
beiderseits Kieferhöhle, Siebbein und Stirnhöhle ausgeräumt habe. Winckler
muss nun aber nicht glauben, dass die Inhaber grosser Polikliniken der Gross-
stadt sich ungestraft Eingriffe erlauben dürfen (S. 113), die an anderen Orten
nicht denkbar wären. Abgesehen von der eigenen Kritik, die jeder Arzt üben
wird, der den Ehrennamen mit Recht tragen will, unterstehen mit mir sehr viele
der dauernden Kontrolle unserer oft recht erfahrenen Schüler und Besucher, und
ein allzu kühnes, nicht vollberechtigtes Vorgehen würde uns sehr bald den
schwersten Schaden bringen.
Bei akuten Eiterungen wird sich ja meist ein Eingriff vermeiden lassen.
Wenn aber in seltenen Fällen alle Bemühungen scheitern und man etwa die
erkrankte Stirnhöhle freilegen muss, um die Sohmerzen zu beseitigen, so würde
ich mich nicht zu einem äusseren Eingriff entschliessen können, wenn ein Eingriff
von innen durch ein sehr stark deviiertes Septum behindert wird. Ich habe in
zwei derartigen Fällen ruhig das Septum operiert, die mittlere Muschel nach
medial gedrängt und durch die natürliche Oeffnung dem Eiter den bis dahin kaum
möglichen Abfluss verschafft. Die Tamponade beschränkte sich auf Einführung
eines lockeren Stückchens Jodormgaze. Ohne weitere Komplikation bekam ich eine
schnelle Heilung.
Die Septumoperation bei akuten Eiterungen ist daher auch wohl nur cum
grano salis als kontraindiziert anzusehen. Es gibt eben Ausnahmefalle. Das
Gleiche gilt auch für Wincklers Ansicht, dass bei dringenden Indikationen im
akuten Stadium nach vergeblicher abwartender Therapie die notwendigen Ein-
griffe nur äussere sein dürften. Wie überraschende Erfolge man durch relativ
kleine intranasale Eingriffe auch bei scheinbar schweren drohenden Komplikationen
erzielen kann, das hat schon Hajek in seinem bekannten Buch betont. Ein Ver-
such zum mindesten dürfte in den seltensten Fällen kontraindiziert sein. Dass
allerdings in manchen Fällen nur die schleunigste und umfangreichste externe
Operation in Frage kommen kann, darüber kann füglich ein Zweifel nicht bestehen.
Besonders interessant waren mir die Ausführungen Wincklers an einer
anderen Stelle. Er betont (S. 121, Zeile 29ff.), dass die Beschwerden des Kopf-
druckes, die anfallsweise auftretenden Neuralgien usw. oft mit dem Lokalbefund
in der Nase schlecht in Einklang zu bringen sind, und meint:
„Es ist zuweilen höchst fatal zu konstatieren, dass trotz einer entstellenden
Operation und guter Ausheilung einer früheren Stirnhöhlen- und Siebbeinerkran-
kung die Kopfschmerzen fortbestehen und bezüglich der subjektiven Symptome,
auch nach gründlicher Nervenresektion, die ganze Mühe umsonst war.“ Es er-
scheint mir nicht überflüssig, darauf hinzuweisen, dass diese Darstellung des
Symptomenkomplexes und der Vergeblichkeit aller Mühen absolut dem Bilde ent-
spricht, das ungeahnt oft beobachtet werden kann, über das sich aber in unserer
Literatur kaum vereinzelt Hinweise finden, nämlioh dem Bilde der durch Myalgien
hervorgerufenen Leiden, die sich nicht gerade selten mit Erkrankungen der Neben-
höhlen oder des Mittelohrs kombiniert finden. Ich habe wiederholt nachdrücklich
auf dieses für uns so wichtige Krankheitsbild hingewiesen!), ohne dass dies
1) Myalgien in der Ohrenheilkunde. Monatsschr. f. Ohrenheilk. 1911. Vgl.
auch verschiedene Demonstrationen in der Berliner otologischen Gesellschaft,
Halle, Entgegnung auf Wincklers Arbeit. 469
scheinbar die gebührende Würdigung gefunden hat. Völlig dahingestellt lasse
ich es dabei, ob Wincklers Fälle in diese Gruppe hineingehören. Aber ich
weise wiederum darauf hin, dass man bei zahlreichen Kranken mit solchen quoad
Beschwerden ergebnislosen Operationen mit dem allerbesten Erfolge die von
Rosenbach, Cornelius, Peritz, Müller u.a. inaugurierte Therapie der
Myalgien anwenden wird. Manche scheinbar strikt indizierte Operation lässt sich
dadurch auch vermeiden, wie ich von meinem Material und dem anderer Kollegen
gelernt habe.
Die überaus hohe Wertschätzung der Röntgenphotographie für die topische
und diagnostische Bedeutung bei der Nebenhöhlenerkrankung kann ich bei aller
Würdigung ihrer Vorzüge nicht teilen. Wer es erlebt hat, dass die scheinbar zu-
verlässigsten Befunde bei vorzüglichen Aufnahmen auch Diagnostiker von grösster
Erfahrung irre führten, irre führten hinsichtlich der Beurteilung des Krankheits-
und des topischen Befundes, der wird das Röntgenbild wohl hoch einschätzen
können, aber es für die Diagnose und den anatomischen Befund nur mit gebüh-
render Vorsicht verwenden.
So viel zu den allgemeinen Ausführungen von Winckler. Zu seiner Kritik
meines Vorgehens zunächst zum letztenmal die nachdrückliche Betonung, dass
ich nie und nirgend die Ansicht geäussert habe, dass durch meine Operation alle
chronischen Empyeme der Stirnhöhle geheilt werden können. Immer wird für ver-
einzelte Fälle der äussere Eingriff die einzige Heilungsmöglichkeit sein. Deshalb
wird man auch weiterhin jeden Fortschritt in der Technik des externen chirurgi-
schen Eingriffes mit Freuden begrüssen.
Nun zu den einzelnen kritischen Bemerkungen Winoklers. Er wirft mir
vor, das von mir vorgeschlagene Verfahren sei absolut unchirurgisch! Weil eine
Kontrolle der durch den Eingriff gesetzten Knochenverletzungen unmöglich ist
(S. 113). Und als Beweis und Analogon führt er die direkte Sondierung nach
Schäffer an! Es ist mir unverständlich, wie dieses primitive, sicher nicht un-
gefährliche und absolut unübersichtliche Verfahren überhaupt in einem Atemzug
mit meiner Methode genannt werden kann. Dies Verfahren hat höchstens histori-
schen Wert. Nennt Winckler aber meine Methode unchirurgisch, so wird man
“wohl fragen müssen, ob Winkler überhaupt irgend einen intranasalen Eingriff
als chirurgisch anerkennen will. Hält er das Abtragen eines Muschelstückes mit
Schere, Messer oder Schlinge nicht dafür? Hält er eine submuköse Septum-
resektion, die er doch auch recht hooh einschätzt, für keinen ohirurgischen Ein-
griff?! Dann, aber nur dann ist er berechtigt, die von mir vorgeschlagene Methodik
als unchirurgisch abzulehnen. Aber was gäbe es wohl in der Knochenchirurgie
für etwas Sachgemässeres als die Ablösung von Periost (hier mit Schleimhaut)
vom Knochen in einem Lappen, die Abmeisselung oder sonstige Abtragung von
Knochen, so weit es erforderlich oder möglich ist, und das Wiederanlegen des
Lappens?!
„Die Kontrolle der gesetzten Knochenverletzungen ist unmöglich“! Ja ist
denn das richig? Ich zeige ja gerade, dass man in jedem Augenblick sehen
kann, was man tut, und zahlreiche Kollegen, die den Operationen beiwohnten,
haben sich davon überzeugt. Ich gebrauche Messer, Elevatorium, ev. Schere,
den Meissel und die Fraise unter dauernder sicherster Kontrolle des Auges und
kann nicht verstehen, warum das weniger chirurgisch oder technisch richtig sein
soll als etwa der Gebrauch der gleichen Instrumente in der Tiefe der Stirnhöhle
oder der Orbita! Das gewonnene Operationsfeld aber ist so gross, wie es ana-
470 Halle, Eintgegnung auf Wincklers Arbeit.
tomisch überhaupt möglich ist, und es ist überraschend gross!! Keineswegs
zeigen die auf dem Kongresse demonstrierten und in meiner Arbeit wiederge-
gebenen Abbildungen exzessive Bilder, wie sie nur am Kadaver gewonnen werden
können. Man kann bei der Mehrzahl der in Frage kommenden Patienten die Stirn-
höhle und das Siebbein in durchaus gleicher Weise freilegen.
Winckler bemängelt den Gebrauch der Fraise (nicht Trepan, wie er wieder-
holt fälschlich angibt). Er meint, die Otnlogen, welche das Arbeiten des Trepans
genau verfolgen können, haben ihn wegen der nachfolgenden Knochennekrosen
gänzlich aufgegeben. Diese Ansicht dürfte dooh nur bedingte Berechtigung haben.
Seitdem ich von chirurgisch hervorragender otologischer Seite vor 15 Jahren zum
ersten Mal den Gebrauch der Fraise auf unserem Spezialgebiete kennen lernte,
habe ich sie bei zahllosen Operationen am Ohr und in der Nase mit dem denkbar
besten Erfolg gebraucht. Ich kann mich keines einzigen Falles erinnern, wo die
Heilung durch sekundäre Knochennekrosen oder sonstige Zufälle beeinträchtigt
worden wäre, trotzdem ich nicht selten in unmittelbarster Nachbarschaft des Sinus
und der Dura damit arbeitete. Im Gegenteil habe ich oft am Ohr nach Gebrauch
des Meissels die Sicherheit, relative Ungefährlichkeit und Sauberkeit ihrer Arbeit
zeigen können. Darüber hinaus aber habe ich Gelegenheit genommen, bei be-
rufenster Seite Nachfrage zu halten, ob die von Winckler gerügten Missstände
bei einer sehr viel reicheren Erfahrung öfters zur Beobachtung gekommen wären.
Die Ansicht dieser Autorität war, dass kleinste Nekrosen wohl gelegentlich vor-
kommen mögen, jedenfalls aber nicht mehr, wahrscheinlich eher weniger als bei
Gebrauch des Meissels.
Eine sehr interessante Beobachtung aus der letzten Zeit gab mir zufällig
eine Bestätigung dieser Ansicht. Ich hatte Gelegenheit, einen Patienten an einer
chronischen Kieferhöhleneiterung nachzuoperieren, die etwa 5 Monate zuvor von
einem bekannten Kollegen nach Luc-Caldwell operiert worden war. Wenige
Tage nach dem Eingriff, den ich nach Sturman-Canfiled ausführte, stellte
sich heraus, dass eine umfangreiche Sequestration des Oberkieferknochens vor-
handen war, die der bekannte Zahnarzt Prof. Williger als fraglos mit der Ope-
ration vor 5 Monaten zusammenhängend bezeichnete, wobei er allerdings auch
eine Läsion von Zahnwurzeln durch den Meissel als ätiologisoh wahrscheinlich
annahm. Er berichtete mir über zwei gleichartige Beobachtungen von Nekrosen,
die ebenfalls nach Meisseloperationen entstanden waren. Mir ist trotz des umfang-
reichsten Gebrauches von Fraisen nach der Anwendung des Meissels am Ohr und
von Trepan und Fraisen allein bei Operation von Nebenhöhlen nie etwas Aehnliches
vorgekommen; nur gehört einige Uebung dazu, um sie sicher gebrauchen zu können.
Ist es noch nötig darauf hinzuweisen, dass gerade die Chirurgen bei der
Trepanation des Schädels vielfach Trepan und Fraise angewandt haben und an-
wenden?! Dass abei diese Anwendung der Fraise grössere Gefahren bedinge als
die des Meissels, weil leichter Fissuren im Knochen entständen, muss ich ent-
schieden bestreiten. Der oft notwendiger Weise brüske und harte Gebrauch des
Meissels wird ungleich leichter Fissuren bedingen als die sanft und zart arbeitende
Fraise, deren einzige aber nicht sehr grosse Gefahr die durch sie bedingte Hitze-
entwickelung bei nicht vorsichtigem Gebrauch ist.
Ueberdies habe ich ausdrücklich darauf hingewiesen, dass diejenigen Kollegen,
die sich vor der Anwendung der Fraise scheuen, auch geeignete Meissel ge-
brauchen können. Ich halte diese allerdings für gefährlicher an dieser Stelle als
die Fraise.
Halle, Entgegnung auf Wincklers Arbeit. 471
Ich vermag auch nicht einzusehen, warum der Eingriff von aussen mit
Messer, Elevatorium, Meissel, scharfem Löffel usw., der doch auch und noch in
viel höherem Grade die Eröffnung von Lymphspalten bedingt, ungefährlicher sein
soll als der schonendere Weg, den ich vorschlage, der dem gefährlichen Sekret
ebenfalls einen ausgezeichneten Abfluss verschafft. Bei jeder Nebenhöhlenopera-
tion, bei der Eröffnung jedes Abszesses muss man durch gesundes Gewebe hin-
durch, dessen Lymphspalten man öffnet und die nunmehr vom Eiter berieselt
werden. Warum tritt da kaum jemals eine Infektion ein? Doch wohl deswegen,
weil der Lymphstrom aus der Wunde heraus- und nicht in sie hineingeht. Von
der Wirkung der Leuko- und Lymphozyten will ich hier absehen. Unsere Auf-
gabe ist es also, nicht durch unzweckmässige Massnahmen, feste Tamponade usw.,
die nach aussen gerichtete Abwehrströmung der Lymphe zu behindern. Dass
ich auf die Lymphspalten überhaupt keine Rücksichten genommen hätte, wie
Winckler behauptet, dafür ist er jeden Beweis schuldig geblieben. Eine so
klare und übersichtliche Freilegung des erkrankten Gebietes, wie ich sie erziele,
bietet den denkbarsien Schutz gegen unliebsame Infektionen, die ich auch an
dieser Stelle niemals erlebt habe. Ueberdies widerspricht sich Winckler selbst.
Zuerst weist er auf die Untersuchungen von Manasse über Thrombophlebitis der
Venen der Diploe hin und warnt vor Eingriffen in dem inficierten Gebiet, die man
nicht übersehen kann, und nicht viel später (S. 128) bespricht er die gute
Wirkung der Ausräumung der vordersten Siebbeinzellen nach Ritter oder gar
mit dem dünnen Löffel nach Wagner, mit dem man ganz gewiss in unübersicht-
lichem Gebiet in infiziertem Gewebe arbeitet, ohne die Möglichkeit zu haben, den
chirurgischen Anforderungen einigermassen in der Weise zu genügen, wie ich
es tue.
Winckler nennt meine Methode wiederholt in gleichem Atem mit der von
Réthi. Ich lasse hier die Zweckmässigkeit des Röthischen Instruments dahin-
gestellt, betone aber wiederholt, was ich ausführlicher in meiner Arbeit getan
habe, dass Rethi, wie einige andere Kollegen einen Weg gehen, den ich, nur
mit anderen Instrumenten, vor 8 Jahren angegeben habe. Das Prinzip ist das-
selbe, nur. dass Rethi nie die Uebersichtlichkeit mit seinem Instrument schaffen
kann, wie ich schon nach meinem früheren Verfahren, ganz abgesehen von der
neuen Methode, die ja gerade deswegen so grosse Vorteile hat, weil sie streng
chirurgische Prinzipien verfolgt, wenn Winckler das auch bestreitet.
Winckler meint ferner, „dass die gründliche Elimination aller Siebbein-
zellen endonasal nur an Leichenköpfen, aber nie am Lebenden mit Sicherheit aus-
geführt werden kann, weiss jeder“. Winckler irrt!! Er. hätte sagen müssen:
ausgeführt werden Konnte! Oder er muss seine Behauptung auch für die externe
Operation aufrecht erhalten wollen. Denn ich muss wiederholt betonen, dass
man nach meiner Methode das Siebbein vom Eingang in die Stirn-
höhle und in diese hinein bis zum Keilbein mit fast grösserer Sicher-
. heit übersehen und ausräumen kann, als bei der Operation durch die
notgedrungen enge Oeffnung bei dem Eingriff von aussen. Bei dieser
stört auch die fast unvermeidliche Blutung die Uebersichtlichkeit in ganz anderem
Masse als bei dem intranasalen Vorgehen. Ich habe das sehr häufig demonstrieren
können. Ich bestreite auch ganz entschieden, dass die dauernde Heilung einer -
Pansinuisitis mit Granulations- und Polypenbildung nie durch endonasale Eingriffe
zu erreichen sei (S. 117). Auch hier darf man m. E. nur sagen, dass sie in einer
Anzahl von Fällen nicht erreichbar sei. Ich werde dafür Beweise weiterhin anführen.
472 Halle, Entgegnung auf Wincklers Arbeit.
Die scheinbar berechtigtsten Kinwande, die auchGerber inseiner Diskussions-
bemerkung angeführt hat, sind die, dass mehr- oder vielkammerige Stirnhöhlen
nicht durch endonasale Operation geheilt werden können. Dem ist folgendes ent-
gegenzuhalten. Die überwiegende Mehrzahl der Stirnhöhlen sind relativ einfache,
nicht gekammerte (vgl. auch Boenninghaus). Diese lassen sich nach meinem
Verfahren mit ziemlich grosser Sicherheit völlig beherrschen. Aber auch wenn die
Höhle gekammert ist und sogar reich gekammert ist, wenigstens nach dam Röntgen-
bilde, kann man auch bei Entleerung reichlicher Eiter-, Granulations- und Polypen-
massen eine völlige Heilung erzielen. Einen solchen Fall exzessiver Art habe ich
in meiner Arbeit abgebildet. Hier handelt es sich um eine so grosse und reich
gekammerte Höhle, dass ich selber au der Möglichkeit der Heilung zweifelte. Und
doch ist der Patient als absolut geheilt anzusehen nach jahrelang bestehender
Eiterung. Ich habe ihn im Laufe des letzten Jahres vielfach kontrolliert, ohne dass
einmal auch nur Schleim in der Höhle nachweisbar gewesen wäre.
Ueber einen anderen bemerkenswerten Fall möchte ich mit wenigen Worten
berichten. Ein hiesiger Spezialkollege brachte mir eine Patientin. die er während
der letzten 5 Jahre dauernd mit allen möglichen Mitteln wegen chronischer Stirn-
höhleneiterung behandelt hatte. Ausspülungen, Auskratzungen am Introitus,
Pulvereinblasungen usw. waren erfolglos geblieben. Patientin klagte dauernd über
reichliche Eiterbildung und grosse Schmerzen, und die Frage der externen Opera-
tion wurde von dem Kollegen mit ihr besprochen. Jedoch mochte sie sich nicht
dazu entschliessen. Es konnte nach genauester Untersuchung keinem Zweifel
unterliegen, dass es sich um eine ziemlich grosse, vielkammerige Höhle handelte,
und dass der Schmerz von der Erkrankung der Höhle herrührte. Der Kollege
meinte zu mir, wenn ich diese Patientin beilen könnte, dann würde er sich gern
zu der Methode bekehren lassen. Und diese Patientin ist heute nach nur kurzer
Behandlung und Beobachtung während etwa dreier Monate als völlig geheilt an-
zusehen! Die früher dauernde Eiterung und der Kopfschmerz haben aufgehört!
Ein weiterer Fall: Patient litt an Pansinuisitis beiderseits (Kiefer-Stirnhöhle,
Siebbein rechts, Kiefer-Stirn-Keilbeinböhle und Siebbein links! seit 24 Jahren).
Behandlung und Operation im Laufe der Jahre durch 9 Kollegen in verschiedenen
Städten. Patient wird zu mir empfohlen. Er kommt in verzweifelter Stimmung.
Aus seiner Nase fliesst permanent sehr übelriechender Eiter ab, so
dass Patient dauernd ein Tuch vorhalten muss. Er kann seinen Dienst
nur unter erschwerenden Umständen versehen. Gesellschaft hat er seit vielen
Jahren meiden müssen. Der Befund ergibt den oberen Abschnitt der Nase gefüllt
mit Polypen. Ein reichlicher Strom fötiden Eiters überfliesst alle Teile der Nase,
kommt aus der Kieferhöhle durch eine breite Oeffnung im unteren Nasengang, aus
den anderen Höhlen entsprechend den normalen Ostien. In zwei Operationen wird
die Kieferhöhle beiderseits nach Sturmann-Canfield, das Siebbein, die Stirn-
höhle beiderseits und die Keilbeinhöhle links nach meiner Methode operiert bzw.
nachoperiert. Es sind jetzt mehr als zwei Jahre seither verflossen. Ich habe den
Patienten wiederholt gesehen und zuletzt vor wenigen Tagen kontrolliert. Es fand
sich am Dach des Siebbeins eine kleine Borke. Das war alles. In den Höhlen bei
Spülung kein Sekret! Patient hat längst wieder den geselligen Verkehr aufge-
nommen und befindet sich vortrefflich. Ich habe ihn hier wiederholt sehr er-
fahrenen Fachgenossen vorgestellt.
Eine grössere Reihe weiterer Krankengeschiohten lehrt dasselbe. Sie hier
wiederzugeben dürfte überflüssig sein. Wie können wir nun solche Heilungen er-
Halle, Entgegnung auf Wincklers Arbeit. 413
klären? Dass alles kranke Gewebe aus den Höhlen entfernt werden könnte, er-
scheint für eine Anzahl von Fällen ausgeschlossen. Aber unbezweifelbar steht
fest, dass auch hochgradig veränderte Schleimhaut in weitem Masse rückbildungs-
fähig ist, wenn reichlich Luft heranströmen kann und die die Eiterung unter-
haltenden Reize beseitigt werden. Nur so ist es verständlich, dass lange Jahre be-
stebende Mittelohreiterungen in oft wenigen Wochen ausheilen, wenn vorhandene
Adenoide beseitigt worden sind, dass chronische Empyeme der Kieferhöhle, auch
wenn sich darin Kammern finden, oft durch Spülungen von der Alveole oder
besser vom unteren Nasengang ausgeheilt wurden. Beobachtungen von Hajek,
H. Krause u. v. a. beweisen das sicher. Und je breiter der Luftstrom an die Höhlen
herankommt, desto günstiger sind die Heilungsmöglichkeiten, wie ich wiederholt
betont habe. Bewusst oder unbewusst legen die Autoren auch auf diesen Faktor
jetzt grossen Wert, denn.alle fordern zur Heilung der Empyeme die Beseitigung vor-
handener Unregelmässigkeiten in der Nase, i. e. eine gute Durchströmung der Luft.
Sicher gilt das auch für die Stirnhöhle. Wenn ein grosser Teil der erkrankten
Schleimhaut beseitigt ist und durch die geschaffene sehr grosse Zutrittsöffnung der
Luftstrom in der Atempause breit in die Höhle fliessen, während des In- und Ex-
spiriums durch Ansaugung die Höhle bequem austrocknen kann, dann kommt
sicher auch in den für die Instrumente unerreichbaren Rezessus die Schleimhaut
zur Rückbildung. Anders wären meine Erfolge unerklärlich.
Es bedarf aber keiner Diskussion, dass das nicht immer so geht. Ich selbst
musste Patienten von aussen operieren, bei denen an eine Heilung auf anderem
Wege nicht zu denken war. Jedoch betone ich immer wieder, dass diese Fälle
selten sind. Und gar oft werden sich die Patienten viel eher dazu entschliessen,
sich durch die breit zugängig gemachte Stirnhöhle den Eiter auszuspülen oder ihn
von selber herausfliessen za lassen, als das auch von Winckler selbst für nicht
gering angesehene Risiko einer entstellenden Narbe auf sich zu nehmen.
Aber nicht nur andere Patienten haben dies getan, sondern in zwei Fällen
auch — und das möchte ich für Herrn Winckler besonders betonen — Kollegen,
Fachgenossen von nicht geringer Erfahrung, die alle externen Methoden kannten
und die meinige bei mir gesehen hatten. Die Briefe der Herren halte ich gern zur
Verfügung, die über ihr Befinden und ihren Dank sprechen.
Der Zufall und die Liebenswürdigkeit einiger hiesiger Fachkollegen haben
mir in dem letzten halben Jahre eine unerwartet grosse Zahl von chronischen
Nebenhöhlenerkrankungen zugeführt, insbesondere eine reiche Zahl von Fällen mit
Ethmoiditis polyposa. Meist habe ich diese Patienten zu Anfang so operiert, wie
es bisher die Regel war, sie demonstriert und dann, wenn man die Operation fir
einwandsfrei vollendet hielt, nach meiner Methode fortgesetzt. Zahlreiche erfahrene
Kollegen haben sich überzeugt, dass erst dann die vordersten, oft mit Polypen
durchsetzten Siebbeinzellen eröffnet und übersichtlich gemacht wurden. Be-
merkenswert ist, dass in einigen Fällen, wo kein sonstiges Symptom dafür sprach,
die in die freigelegte Stirnhöhle eingeführte Sonde mit Eiter bedeckt herauskam.
Ich konnte oft zeigen, dass man die Stirnhöhle hoch hinauf übersehen und mit
meinen Küretten auskratzen konnte, mindestens so sicher und gefahrlos wie etwa
der Gynäkologe den Uterus. Bemerkenswert war in einem Falle, dass es weder
mir noch einem anderen Kollegen von sehr grosser Erfahrung gelang, mit der
Sonde in die Stirnhöhle zu dringen. Nachdem aber das Siebbein nach meiner
Methode freigelegt war, machte es keinerlei Schwierigkeiten, sogar einen biegsamen
Löffel einzuführen.
Archiv für Laryngologie. 29. Bd. 3. Heft. 32
414 Halle, Entgegnung auf Wincklers Arbeit.
Einige Worte bezüglich der Nachbehandlung. Es ist in der ersten Zeit not-
wendig, darauf zu achten, dass die nahe aneinander liegenden Schleimhäute der
lateralen Nasenwand und des Septums nicht miteinander verkleben, was bei einiger
Aufmerksamkeit nicht vorkommen soll. Wie bei allen Knocheneiterungen bilden
sich in den ersten Monaten leicht kleine Polypen, die sich mit geringster Mühe be-
seitigen lassen, um später völlig zuschwinden. Dasselbe sehen wir ja auch
bei der externen Operation. Da bekanntlich jede, auch die grösste Oeffnung der
Nebenhöhlen dazu neigt, enger zu werden, so ist es in der ersten Zeit ratsam, hin
und wieder eine möglichst dicke Spülröhre einzuführen, die auch die Patienten
selbst leicht gebrauchen lernen. Einen Schluss der einmal angelegten Oeffnung
habe ich allerdings nie beobachtet. Gelegentliche Spülungen mit Kochsalzwasser
sind zweckmässig. Hin und wieder kann auch der Gebrauch von Adstringentien
von Nutzen sein.
Ich verfüge jetzt über 106 Fälle von zum Teil doppelseitig ausgeführten Ope-
rationen an den vorderen Siebbeinzellen und an der Stirnhöhle nach meiner
Methode. Operationen an Lebenden! Die Leichenversuche sind natürlich nicht
einbezogen! Ich kann nur immer wieder betonen, dass die Uebersichtlichkeit des
Operationsfeldes für jeden verblüffend ist, der den Eingriff bei einem einigermassen
günstigen Fall zum ersten Male sieht. Die Erfolge aber sind durchaus unanzweifel-
bar. Die überwiegsnde Mehrzahl meiner Fälle ist völlig geheilt. Bei einigen
wenigen findet sich hin und wieder eine ganz geringe Menge Sekret, das sie leicht
ausschnauben und nötigenfalls ausspülen. Die weitaus meisten meiner Patienten
kommen nach kurzer Zeit nicht wieder, weil sie sich vollkommen wohl fühlen, und
eine gelegentliche Kontrolle beweist den durchaus guten Erfolg. Prozentzahlen zu
geben, unterlasse ich.
Erst umfangreiche weitere Beobachtungen können eine genügende Sicherheit
schaffen. Jedoch ist mein Material gross genug, um mir zu erlauben,
schon heute die Behauptung aufzustellen, dass durch meine Methode
eine chronische Siebbeineiterung wahrscheinlich in allen Fällen,
eine chronische Stirnhöhleneiterung in der weitaus überwiegenden
Mehrzahl der Fälle völlig geheilt werden kann! Rechne ich hierzu die
Fälle, wo eine chronische Stirnhöhleneiterung zwar nicht völlig geheilt wird, wo
aber nur eine geringfügige Sekretbildung bestehen bleibt, die dem Patienten
keinerlei Beschwerden macht und ihn nie dazu veranlassen wird, sich einer externen
Operation zu unterziehen, so bleiben sicherlich nur wenige Prozent der Fälle, wo
eine Operation von aussen notwendig ist. Diese Zahl wird man um so mehr ver-
suchen einzuschränken, wenn man berücksichtigt, dass bekanntermassen auch die
umfangreichste externe Operation keineswegs eine Heilung garantiert, zuweilen
selbst eine wiederholte nicht. Auch die Bildung von Sekret und Borken wird durch
sie durchaus nicht immer vermieden. In den Fällen, wo dies zutrifft, womöglich
eine entstellende Narbe gesetzt ist und, wie nicht selten, die Schmerzen fortbe-
stehen, hat man mit der externen Operation sich gewiss nicht den Dank der
Patienten erworben.
Alle Bestrebungen aber, die äussere Operation der Stirnhöhle durch innere
Eingriffe zu ersetzen, wären hinfällig, wenn nicht für die Fälle, wo Patienteu sich
zu einer solchen nicht entschliessen können, mit genügender Sicherheit ein guter
kosmetischer Erfolg und eine Heilung versprochen werden könnte. Da dies aber
nicht der Fall ist, so sollte man nicht auf Grund unrichtiger Voraussetzungen über
eine Methodik absprechend urteilen, die man nicht erprobt hat. Wer sich erst
Halle, Entgegnung auf Wincklers Arbeit. 475
daran gewöhnt hat, auch vor dem Ansatz der mittleren Muschel zu operieren
(ein Gebiet, das bisher kaum beachtet wurde), wer sich überzeugt hat, dass man
— wenigstens nach meiner Ansicht — im besten Sinne chirurgisch arbeitet, soweit
es intranasal überhaupt denkbar ist, wer die durch die vorgeschlagene Methode
ermöglichte Uebersichtlichkeit mit der bisher erreichbaren vergleicht, erkennt, dass
die vordersten Siebbeinzellen und die Stirnhöhle, zumindest ihr unterer Abschnitt,
dem Auge zugänglich wird und ihr oberer und seitlicher ganz oder in weitem Um-
fange den entsprechenden Instrumenten. Wer endlich die Freude hat, eine grosse
Anzahl von Patienten geheilt zu sehen, die von tüchtigen Fachkollegen von aussen
operiert werden sollten, der wird seine Skepsis fallen lassen und, auf eigene Er-
fahrung gestützt, meine Methode in vielen Fällen gern gebrauchen.
32°
NAN:
Bemerkungen zu Halles Einwürfen.
Dr. Ernst Winckler (Bremen).
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Die Bedenken, welche ich gegen eine Verallgemeinerung der Halleschen
Stirnhöhlenoperation ausgesprochen habe, erscheinen mir trotz der sehr instruktiven
Entgegnungen von Halle unwiderlegt.
Eine Stirnhöhleneiterung kann nur dann ausheilen, wenn die infizierten Sieb-
beinzellen vollkommen ausgeräumt sind. Auf der gründlioh gelungenen Siebbein-
ausräumung beruhen die Halleschen Erfolge in erster Linie.
Von der jeweiligen Konfiguration des Siebbeins hängt die Indikationsstellung
ab, ob äusserer oder endonasaler Eingriff in Frage kommt. Röntgenbilder können
uns auf das Genaueste informieren über die laterale Ausdehnung der orbitalen
Siebbeinzellen und über die Tiefe der Stirnhöhlen. Tiefe Stirnhöhlen sind für die
endonasale Therapie günstig, flache Stirnhöhlen ungünstig.
Eine Polypen- oder Granulationswucherung in weit lateral gelegenen orbitalen
Siebbeinzellen wird auch durch den ausgiebigsten endonasalen Luftzutritt nicht
beeinflusst, das muss ich nach den Erfahrungen mit osteoplastischen Operationen
hervorheben. Der Herd bleibt unverändert oder es findet im Laufe der Zeit eine
Ektasie der kranken Siebbeinzellen statt.
Den wesentlichen Unterschied zwischen äusserem und endonasalem Eingriff
sehe ich darin, dass durch den äusseren Eingriff alle kranken Hohlräume erreicht
und freigelegt werden, und sofort, wenn nötig, eine breite Drainage nach aussen
für das Wundsekret eingeleitet werden kann. Dies nimmt dem äusseren Eingriff
trotz der Eröffnung von zahlreichen Lymphspalten seine Gefahr.
Die Lymphspalten, mit denen man bei der endonasalen Operation in Berührung
kommt, sind unberechenbar.
Es ist ein Unterschied, ob man lateral der mittleren Muschel durch die
vorderen Siebbeinzellen in eine tiefe Stirnöhle eindringt oder sich mit Meissel
bzw. Fraise einen Weg in die infizierte Stirnhöhle bahnt. Beim tastenden Aus-
räumen und Vordringen durch die vorderen Siebbeinzellen nach Ritter oder
Wagner kann eine Thrombophlebitis (Manasse) nicht in Frage kommen. Es
handelt sich ja nur um das Durchbrechen der papierdiinnen Siebbeinknochen.
Einen Widerspruch kann ich daher in der Erwähnung meiner ausgesprochenen
Bedenken und der Empfehlung der Rittersohen Methode nicht finden.
Was nun die Knochenverletzungen anbelangt, so dürfte es unmöglich sein,
etwaige feine Fissuren nach der Lamina cribrosa oder dem Foramen ooecum hin
mit Sicherheit zu vermeiden oder gar festzustellen. Bei den äusseren Eingriffen
E. Winckler, Bemerkungen. 407
ist diese Region ein Noli me tangere, während bei der endonasalen Operation die
Instrumente in sehr bedenkliche Nähe dieser Gegend kommen müssen, wenn eine
breite Verbindung von der Nasenhöhle aus nach der Stirnhöhle hergestellt wird.
Dass die gröberen Abtragungen am Knochen kontrolliert werden können, bezweifle
ich nicht.
Die grosse Zahl der günstig verlaufenen Fälle und ihr gutes Heilungsresultat
spricht dafür, dass Halle so glücklich war, zum grössten Teil an anatomisch
relativ einfachen Verhältnissen seine Operation auszuführen. Zu dieser Annahme
glaube ich um so mehr berechtigt zu sein, als ich die Ansicht Halles, dass in
der Regel einkammrige Stirnhöhlen zu berücksichtigen sind, nach meinen Beob-
achtungen nicht teilen kann. Ich fand gerade das Gegenteil und fand, dass die
einkammrigen Höhlen, wenn sie überhaupt bei einer Nebenhöhlenerkrankung mit-
beteiligt sind, in der Regel spontan ausheilen, sofern keine Polypose vorliegt.
Auf eine weitere Polemik möchte ich mit Halle verzichten, dessen rhino-
chirurgisches Geschick ich vollauf schätze. Es ist Sache einer späteren Zeit, die
Grenzen und Indikationen für den Eingriff festzulegen, dessen Berechtigung in
dem vorliegenden Falle jedoch nur nach gründliohem Studium von Röntgenauf-
nahmen ermittelt werden kann. í
Die endonasalen Eingriffe in der oberen Nasenregion können nicht mit den
am unteren und mittleren Nasengang gegen die Kieferhöhle gerichteten verglichen
werden. Erstere spielen sioh in einem Terrain ab, das duroh anatomische Varie-
täten äusserst gefährlich sein kann, letztere betreffen eine relativ regelmässig
gebaute und gefahrlose Gegend.
XXXL
Schlussbemerkungen auf Wincklers Entgegnung.
Von
Dr. Halle (Charlottenburg).
Wincklers letzten Ausführungen gegenüber muss ich durchaus an den
wiederholt geäusserten Ansichten festhalten.
Ich kann nicht zugeben, dass das Röntgenbild mehr als eine allerdings aus-
gezeichnete Unterstützung unserer Diagnose und topographischen Beurteilung gibt.
Deswegen kann ich ihr auoh nur in Ausnahmefällen die wesentlichste Rolle in der
Entscheidung über unser therapeutisches Vorgehen zuerkennen. Man würde sonst
nicht gerade selten Ueberraschungen erleben.
Ich bestreite auch auf Grund meiner nicht unerheblichen Zahl von operativen
Fällen die Wahrscheinlichkeit einer Gefahr durch unsiohtbare oder unerkennbare
Fissuren im Knochen, hervorgerufen durch innere Anwendung von Meissel und
Fraise. Diese Gefahren sind keineswegs grösser als die bei der Anwendung des
Meissels bei der äusseren Operation. Für günstigsten Abfluss des Sekrets ist bei
meiner Operation durchaus gesorgt. Auch nach der äusseren Operation wird
man sich ja fast immer auf die Drainage nach der Nase hin verlassen müssen, da
man gewöhnlich die Wunde aussen nähen wird und muss.
Winckler meint, dass es sich bei dem Vorgehen nach Ritter oder Wagner
nur um ein Durchbrechen der papierdünnen Siebbeinknochen handelt. Aber das
Durchbrechen genügt doch wohl nicht. Es sollen und müssen doch dort oben die
Granulationen und Polypen entfernt werden. Und dabei müssen kaum weniger
Lymphbahnen eröffnet werden als bei meiner Operation und überhaupt bei einem
sorgfältigen und umfangreichen Vorgehen in dem kranken Siebbein auch nach bis-
herigem Brauch. Dass das Abmeisseln des Agger narium oder die Fortnahme des
Bodens der Stirnhöhle so wesentlich mehr Lymphbahnen eröffnet, kann ich nicht
finden. Wohl aber schafft es eine ausgezeichnete und bisher unerreichbare Ueber-
sichtlichkeit und einen sehr guten Sekretabfluss, entspricht also durchaus den
Forderungen von Winckler. Das Labyrinth des Siebbeins kann nach meiner
Ueberzeugung und der vieler erfahrener Fachgenossen eher besser übersehen werden
als bei der Operation von aussen.
Dass die Stirnhöhle meist eine nicht reich gekammerte Höhle ist, entspricht
nicht nur meiner Ansicht, sondern u. a. auch der von Boenninghaus, den ich
zitiert habe. Dass Winckler bei seinen Operationen meist reicher gekammerte
Höhlen gefunden hat, nimmt mich nicht Wunder. Denn da er wohl immer nach
strengen Indikationen operiert hat, kamen ihm wie uns allen zur äusseren Operation
meist schwere Fälle in die Hände. Und diese haben in der Tat häufiger unregel-
mässig geformte und gekammerte Höhlen.
Halle, Schlussbemerkungen. 479
Aber wir widersprechen uns ja im Prinzip kaum. Reich gekammerte Höhlen
mit reichlicher Polypenbildung werden meist von aussen operiert werden müssen.
In sehr vielen anderen Fällen wird man mit dem von mir vorgeschlagenen Ver-
fahren nach einiger Uebung ausgezeichnete Erfolge erzielen. Ja ich bin fest über-
zeugt, dass man in allen Fällen von Eiterung und polypöser Degeneration des Sieb-
beins sich dieses Verfahrens mit dem denkbar besten Erfolge wird bedienen lernen.
Denn nur so wird man zu einem chirurgischen und doch konservierenden intra-
nasalen Verfahren kommen, das für das Siebbein alle Vorteile des radikalen Vor-
gehens hat, dem aber darüber hinaus, wie mich einige Fälle lehrten, eine nicht un-
erhebliche diagnostische Bedeutung für unklare Fälle von Stirnhöhlenerkrankung
zukommt. Denn da man bei diesem Vorgehen die Austrittsöffnung der Stirnhöhle
immer deutlich sieht, wird man leicht eine der Ritterschen Bougies einführen
können. Und dabei fand ich mehrere Male, wo keinerlei Symptome darauf hin-
deuteten, einen dem Bougie folgenden Eiterstrom aus der Stirnhöhle.
Wieweit man sich von diesem Augenblick an auf konservative Therapie ver-
lassen will, inwieweit man die jetzt gefahrlose breite Freilegung der Stirnhöhle
von innen nach meinem Vorschlage ausführen oder zu der äusseren Operation
schreiten will, das wird von mannigfachen Umständen abhängen. Ico würde
Winckler sehr bitten, sich am Kadaver und in vivo überzeugen zu wollen, dass
die Möglichkeiten und Aussichten für die rhinologische Therapie sicherlich nicht
unerheblich erweitert sind. Und ich weiss, dass mehr davon nicht erwartet
werden kann.
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Druck von I. Schumacher in Berlin N. 4.
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