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ARCHIV FÜR
RASSEN- UND GESELLSCHAFTS-BIOLOGIE
EINSCHLIESSLICH RASSEN- UND GESELLSCHAFTS-HYGIENE
22. BAND 1930
ARCHIV FÜR
RASSEN: UND GESELLSCHAFTS-
BIOLOGIE
einschließlich Rassen- und Gesellschaftshygiene - |
Zeitschrift
für die Erforschung des Wesens von Rasse und Gesellschaft und ihres gegen-
seitigen Verhältnisses, für die biologischen Bedingungen ihrer Erhaltung und
Entwicklung, sowie für die grundlegenden Probleme der Entwicklungslehre
Wissenschaftliches Organ
der Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene
Herausgegeben von
Dr. med. A. Ploetz
in Verbindung mit Dr. med. Agnes Bluhm, Professor der
Anthropologie Dr. E. Fischer, Professor der Rassenhygiene
Dr. F. Lenz, Dr. jur. A. Nordenholz, Professor der Zoologie
Dr. L. Plate und Professor der Psychiatrie Dr. E. Rüdin
Schriftleitung
Dr. Alfred Ploetz und Prof. Dr. Fritz Lenz
Herrsching bei München
22. Band
J.F.LEHMANNS VERLAG /MÜNCHEN 1930
INHALTSVERZEICHNIS
22. BAND
Erstes Heft.
Abhandlungen. Be
Scheidt, Prof. Dr. Walter (Hamburg), Untersuchungen über Rassenmischung I. 1
Paull, Dr. Hermann, Stadt-Obermedizinalrat (Karlsruhe), Körperkonstitution
und Begabung . er A en a a oaa
Keller, Dr. Heinrich (Winterthur), Ueber die Beziehungen zwischen Begabung
und Fortpflanzung . ee ee 836
Kleinere Mitteilungen.
Marcuse, Dr. Max (Berlin), Zur Erblichkeit der Psoriasis und der Cholezystitis
(Cholelithiasis) und über die Verbreitung beider Leiden in einer Familie . 50
v. Borries, Dr. Kara (Herrsching), Zur Frage der biologischen Wirkungen des
Frauenstudiums . . : ; E
Scheumann, Dr. F. K. (Berlin), Neuerungen in der Eheberätungspraxie . . 54
Kritische Besprechungen und Referate.
Johannsen, W., Elemente der exakten Erblichkeitslehre (Prof. Dr. Günther
Just, Greifswald) . ; se e o o a a Ve a a
Klatt, B., Entstehung der Haustiere (Just) a a . 65
Ergebnisse der Biologie. Herausgeg. von K. v. Frisch, R. Goldschmidt,
W. Ruhland, H. Winterstein. 2. Bd. (Lenz) 66
Bibliographia Genetica. Herausgeg. von J. P. Lotsy und w. A. Goddijn.
Teil IV (Just) f ef S ee. 68
Handbuch der biologischen keberimethiodén, enun. von
E. Abderhalden. Abteilung VII (Prof. Dr. Walter Scheidt, Hamburg). . . 68
Kohts, N., Adaptive motor habits of the Macacus rhesus under experimental
conditions (Prof. Dr. L. Plate, Jena). . een 9
Werth, E., Der fossile Mensch. Dritter (letzter) Teil (Scheidt) ee ee 2O
Martin, R., Anthropometrie, Anleitung zu selbständigen anthropologischen Er-
hebungen (Dr. Hermann Eckardt, Charlottenburg) . . 0... a
Saller, K., Die Entstehung der „nordischen Rasse“ (Lenz). . . . 2
Schultze, L., Zur Kenntnis des Körpers der Hottentotten und Buschmiänner
(Scheidt) . . . 2020. Eee ee O
Csörsz, Karl, Statistische, konstitutionelle und Vererbungsuntersuchungen aus
der ungarischen Tiefebene (Prof. Dr. Kollarits, Davos). . . . u. 22
Benda jun. L., Urmenschlicher Kannibalenfund in Rabapüspoki (Kollarits) -78
Krecsmarik, E. Wie trepaniert der Hirt von Szarvas? (Kollarits) . . . 79
Inhaltsverzeichnis. Yy
Seite
Bryk, Felix, Neger-Eros (Dr. Max Marcuse, Berlin). . 80
Alongs, C. L., Der erbliche Faktor in der Aetiologie der Tuberkulose Dr M. A.
van Herwerden, Utrecht) ; . . 82
Stieve, H., Unfruchtbarkeit als Folge unnatürlicher Eehäniweie (Just) . ©;
— Die Abhängigkeit der Keimdrüsen vom Zustand des Gesamtkörpers und von
der Umgebung (Just) . . . . U
Schugt, P., Experimentelle Untersuchungen über Schädigung der Nachkommen:
schaft durch Röntgenstrahlen (Priv.-Doz. Dr. O. v. Verschuer, Berlin-Dahlem) 87
Diehl, K., Schwangerschaft und Tuberkulose (v. Verschuer). . .- 88
Monheim, Maria, Rationalisierung der u: (L. Gacha endine:
Linz) . . 89
Fürth, H., Die Schwangerschaftsunterbrechung nd das Steafgenels Dr. K.
V. Müller, Dresden) . . 98
Tönnies, F., Die eheliche Fruchtbarkeit in Deutschland (K. v. Müller) . . . 9
— Soziologische Studien und Kritiken (K. V. Müller). . . . i 92
Schumpeter, Die sozialen Klassen im ethnisch-homogenen Milieu (K. v.
Müller) . . . . 92
Jahrbuch für SoziologieT id IL. Bd., 1925/26 (K. v. Müller) . 0.94
— III. Bd., 1927 (K. V. Müller). . . Ve a go s. æ O6
W lassak, Rudolf, Grundriß der Alkoholfrage Marcuse). EN Fe ee
Kynast, Karl, Apollon und Dionysos (Lenz). . . 2. 2 202020. a. 101
Runge-Hecht, Frieda, Mütter (Lenz) . . . . 2 20202002002. 102
Notizen.
Das Merkblatt für Eheschließende . . . Fr oa d o aa o a || ©
Das geplante Bewahrungsgesetz (Dr. Kara v. Borries) . gowo p w a | |
Günthers „Ostischer Mensch“ bei Ibsen (Lenz). . . . 2 2020020020. 107
Zeitschriftenschau . 0. 2 0. 0.108
Zweites Heft.
Abhandlungen.
Dahlberg, Dozent Dr. Gunnar (Uppsala), Theoretische Berechnungen über In-
zucht beim Menschen. (Mit 9 Textabbildungen).. . . so = 129
Dawidenk ow, Prof. S. (Moskau), Ueber die Vererbung der Dystrophia muscu-
lorum progressiva und ihrer Unterformen. (Mit 10 Stammbäumen) . . . . 169
Mühlman n, cand. med. W. Emil (Blankenese), Ein ungewöhnlicher Stammbaum
über Taubstummheit. (Mit 1 Stammbaum). . 181
Weinberg, Sanitätsrat Dr. W. (Stuttgart), Ueber die Berechnung dér Faktoren-
austauschziffer bei der Blutgruppenvererbung . . . 183
"Decker, stud. math. Gertrud (Gießen), Ueber das Verhältnis von Schulleistung
und Geschwisterzahl bei Volksschülern . . . 191
Lenz, Prof. Dr. Fritz, und Kara Lenz-v. Borries (Herrsching), Zur Bereini-
gung der Eheschließungsziffern . . . zo oS |;
K ern, Prof. Dr. Fritz (Bonn), Die Rassen in der Vorgeschichte. ©. . . 199
Kleinere Mitteilungen.
Prißmann, Priv.-Doz. Dr. J. (Moskau), Stammbaum einer Familie mit Base-
dowscher Krankheit. (Mit 1 Stammbaum) . . . 2 202002 02 0.205
«88355
VI Inhaltsverzeichnis.
Kritische Besprechungen und Referate.
Koch, Frz., Ursprung und Verbreitung des ee m (Prof. Dr. W.
Scheidt, Hamburg) i
v. Eickstedt, Dr. Egon, Auihropologiii klinische Maßtafel (Dr. Hermann
Eckardt, Charlottenburg) i w E ooa O a e a a e
— Archiv für Rassenbilder (Eckardt) :
Baur, Fr., Korrelatiorisrechnung (Priv.-Doz. O. v. c Werichir, Berlin- Dahlem) .
Curtius, F., Untersuchungen über das menschliche Venensystem. I. bis IIl. Mit-
teilung (v. Verschuer)
Wingfield, Alex. H. Twins aaa Arphans (Priv. .Doz. Dr. Aineid Ktgelän-
der, Jena) u ee S
Hoffmann, Hermann; Charakter una Umwelt (Argelander);
Croner, Else, Die Psyche der weiblichen Jugend (Argelander) . ;
Müller, Marguerite, Kasuistischer Beitrag zum Erbgang der Schizophrenie (Geh.
Rat Prof. Dr. Max Fischer, Berlin-Dahlem) . ;
Savorgnan, F., Krieg, Auslese, Eugenik (stud. phil. Eva Scheibe, München)
Winkler, W. F., National- und Sozialbiologie (v. Verschuer) :
Hildebrandt, Kurt, Staat und Rasse (Kara Lenz-v. Borries, Hercsehingl«
Böhmer, Rudolf, Das Erbe der Enterbten (Kara Lenz-v. Borries) ea
Harmsen, Hans, Bevölkerungsprobleme Frankreichs, unter besonderer Berück-
sichtigung des Geburtenrückganges (L. Gschwendtner, Linz) . i
Scheumann, F. K., Eheberatung, Einrichtung, Betrieb und Bedeutung für die
biologische Erwachsenenberatung (v. Verschuer) N a r
Nötzel, Karl, Die russische Leistung (v. Verschuer) . ;
„Die Gesellschaft“, Internationale Revue für Sozialismus und Politik (Dr.
K. V. Müller, Dresden) .
Sozialistische Monatshefte, (K. v. Müller) .
Notizen.
Die Rückkehr der deutschen Indien-Expedition 1926—1929 .
Zeitschriftenschau
Drittes Heft.
Abhandlungen.
Bernstein, Prof. Dr. Felix (Göttingen), Ueber die Ermittlung und Prüfung von
Gen-Hypothesen aus Vererbungsbeobachtungen am Menschen und über die
Unzulässigkeit der Weinbergschen Geschwistermethode als Korrektur der Aus-
lesewirkung ;
Homann, Hanna, und S c h ei d t, Prof. Dr. Walter Hamburg): Uatersuchingen
über Rassenmischung. II. Annahme und Nachweis von Rassenmischung in
nordeuropäischen Bevölkerungen ; ee
Scheidt, Prof. Dr. Walter (Hamburg), Unesiieiningen über Rasse nmischung:
III. Rassenpolymerie .
Lašas, Prof. Dr. med. VI. (Raunis, Udi die Autere der Tilauer. Letten
und Ostpreußen ß
Rummel, Dr. Hans (Würzburg), Russe, Umwelt und Krankheit ; im Lichte ärzt-
licher Erfahrungen in Südchina . i
Ehrenfels, Professor Dr. Christian (Prag), Die Seruahnoral der Zukunft .
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Inhaltsverzeichnis.
Kleinere Mitteilungen.
Fetscher, Prof. Dr. R. (Dresden), Ein weiteres Sterilisierungsgesetz .
Kritische Besprechungen und Referate.
Goldschmidt, Richard, Physiologische Theorie der nen (Professor
Dr. Günther Just, Greifswald) .
Jaensch, Dr. med. Walter, Grundzüge einer Physiologie ina Klinik dër psycho-
physischen Persönlichkeit (Dr. Artur Wollny, München)
Jung, Erich, Abstammung und Erziehung (Prof. Dr. Spilger, Darmstadt) .
Baron, J., Begabtenverteilung und Vererbungsforschung (Spilger)
Hartnacke, W. Standesschule — Leistungsschule (Spilger) n g
v. Verschuer, O., ann und Rassenhygiene (Kara Lenz-v. Börriks,
Herrsching) i :
Weber, Marianne, Die Ideale de Geschleehtergerneinächafi Lenz: v. Borries)
Dannhauser, Alfred, Die Tragödie der modernen Frau. Das Problem der
reiferen Jahre (Lenz-v.Borries) . '
Roesle, E., Essai d'une Statistique comparative de la Morbidité devani servir
à établir les Listes spéciales des Causes de Morbidité Sea Dr. Hans
Schmidt, Fritzlar) . ;
Geiger, Theodor, Die Gestalten der Gesellung (Priv. Doz. Dr. o. v. Verschuer
Berlin-Dahlem) Tr E E
Notizen.
Preisausschreiben der Eugenics Research Association über die Ursachen des
Geburtenrückganges
Rassenhygiene oder Eugenik?
Aus der Gesellschaft für Rassenhygiene.
Hauptversammlung der Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene in Tübingen
am 8. September 1929
Zeitschriftenschau
Diskussionen und Erklärungen.
Scheidt, W., Der „Erbgang“ neuer Gedanken in der Rassenkunde .
Eingegangene Druckschriften
Druckfehlerberichtigung .
Viertes Heft.
Abhandlungen.
Study, Geheimrat Prof. Dr. E. (Bonn), Neuere Angriffe auf die Selektionstheorie
Meyer, Dr. Kar} (Bremen), Die Menschen am La Plata ;
Rohrbach, Dr. Paul (München). Ueber Herkunft und sakte Stand “des
Auslandsdeutschtums . coa er e e A e a Fe re A
Kleinere Mitteilungen.
Lenz-v. Borries, Dr. Kara (Herrsching), Rassenhygienisch wichtige Ergeb-
nisse der Einkommensteuer-Veranlagung von 1925 .
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353
394
VIII Inhaltsverzeichnis.
m e i ln nn nn rn an m nn e a en En en be a a ee nn a ~ -—
Kritische Besprechungen und Referate. Seite
Kronacher, C., Züchtungslehre (Dr. C. A. Mirbt, Bray-on-Thames) . . . 417
Davenport, C. B, und Steggerda, M., Race Crossing in Jamaica (Prof.
Dr. Walter Scheidt, Hamburg) . . Eee ee el
Nyessen, D. J. H., The Races of Java (Scheidt) . ee ee ei
Henke, Max, Blutprobe im Vaterschaftsbeweise (Scheidt). . . 419
Schultze, Oskar, Das Weib in anthropologischer und sozialer Betrachtung
(Dr. Max Marcuse, Berlin) . . . . 420
Hofstätter, Dr. R. Die arbeitende Frau, ihre wirtschaftliche Tage, Gesundheit.
Ehe und Mutterschaft (Marcuse). . . 420
Lindse y, Ben, Die Revolution der adeinen Jugene (Dr Kara ana: Boris,
Herrsching) . . . . . 425
Lindsey, B., und Evans, W. Die Kaierädschafische ILEN. Borries) . . 425
Sanger, Margaret, Zwangsmutterschaft (Lenz-v. Borries) . . 426
P o p p, Walter, Das pädagogische Milieu (Priv.-Doz. Dr. Anneliese Ärgelanden Jena) 427
Rohrbach, Paul, Der Tag des Untermenschen (Lenz-v. Borries). . 428
Annuaire Statistique Internationale, Vol. III (Med.-Rat Dr. Hans
Schmidt, Fritzlar). >: ne. 429
Notizen.
Tagung der Internationalen Vereinigung rassenhygienischer Organisationen 1929
(Lenz). . . ; i een. 433
Eine Fassenliygienlsche Adrense an Mussolini (Lenz) . wo ao we w e a a a
Ein italienischer Kongreß für Genetik und Rassenhygiene (Lenz). . . . . 436
Der Grazer Sterilisierungsprozeß (L. Gschwendtner, Linz). . . 2... . 4&7
Die Hilfsschüler der Kriegsjahrgänge (Lenz) . . . ee MO
Die Bildungsanstalten als Mittel der sozialen Auslese en: ee ei 442
Zeitschriftenschau een nn 443
Diskussionen und Erklärungen.
Plate, Prof. Dr. L. (Jena), Einige Bemerkungen zu dem Aufsatz von E. Study
über „Neuere Angriffe auf die Selektionstheorie“ . . 2 20..2...497
Saller, Dr. K., Priv.-Doz., Zur Frage des „Erbgangs“ neuer Gedanken in der
Rassenkunde . . 460
Scheidt, Prof. Dr. Walter, Entgegnung auf die vorstehende Erklärung von Saller 461
Berichtigung . . . . . ewe ee ee
Namentegister 00er A
Sachregister . 00 ee en 0.0. 469
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SCHAF ISBIOLOG E
EINSCHLIESSLICH RASSEN-
uGESELLSCHAFISHYGIENE
Zeitschrift
für die Erforschung des Wesens von Rasse und Gesellschaft
und ihres gegenseitigen Verhälfntsses,für die biologischen
Bedingungen ihrer Erhaltung und Enfwicklung,sowie für
die grundlegenden Probleme der Entwicklungslehre.
Wissenschaftliches Organ der Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene
na
V LA
Herausgegeben von
Dr. med. A. PLOETZ in Verbindung mit Dr. AGNES BLUHM, Professor
der Anthropologie Dr. EUGEN FISCHER, Professor der Rassenhygiene
Dr. F. LENZ, Dr. jur. A. NORDENHOLZ, Prof. der Zoologie Dr. L. PLAT E
und Professor der Psychiatrie Dr. E. RÜDIN
Sehriftleltung
Dr. ALFRED PLOETZ und
Prof. Dr. FRITZ LENZ in Herrsching bei München
Ausgegeben 15. Juli 1929
J.F.Lehmanns Verlag - München -Paul Heyse-Straße 26
Archiv für Rassen- und Gesellschafts-Biologie
D: Archiv wendet sich an alle, die für das biologische Schicksal unseres Volkes
Interesse haben, ganz besonders an die zur geistigen Führung berufenen Kreise,
an Aerzte, Biologen, Pädagogen, Politiker, Geistliche, Volkswirtschaftler. Es ist
der menschlichen Rassenbiologie, einschließlich Fortpflanzungsbiologie und ihrer
praktischen Anwendung, der Rassenhygiene (einschließlich Eugenik), gewidmet. Die
allgemeine Biologie (Erblichkeit, Variabilität, Auslese, Anpassung) wird so weit berück-
sichtigt, als sie für die menschliche Rassenbiologie von wesentlicher Bedeutung ist.
Die erbliche Bedingtheit menschlicher Anlagen einschließlich der krankhaften wird
eingehend behandelt. Im Mittelpunkt des praktischen Interesses stehen die Fragen der
Gesellschaftsbiologie (soziale Auslese, Aufstieg und Verfall der Völker und Kulturen)
und der Bevölkerungspolitik, zumal der qualitativen. Das Archiv sucht alle Kräfte zu
wecken, die geeignet sind, dem biologischen Niedergang entgegenzuarbeiten und die
Erbmasse, das höchste Gut der Nation, zu ertüchtigen und zu veredeln.
Der laufende Band umfaßt zirka 480 Seiten und erscheint in 4 Heften.
Preis eines jeden Heftes Goldmark 6.—. Auslandspreis: $ 1.50 / Dän. Kron. 5.70 /
sh. 6/4 / Holid. fl. 3.75 / Italien. Lire 28.70 / Jap. Yen 3.30 / Norw. Kron. 5.70 /
Schwed. Kron. 5.60 / Schweiz. Frk. 7.80 / Span. Peset. 10.40. / Originalbeiträge sowie Refe-
rate von Büchern, welche von der Schriftleitung geliefert werden, werden zurzeit mit Gold-
mark 80.—, andere Referate mit 120.—, Zeitschriftenschau mit 240.— für den 16seiti-
gen Druckbogen honoriert. Sonderabdrucke werden nur auf besonderen Wunsch
geliefert (zum Selbstkostenpreise). Beiträge werden nur nach vorheriger Anfrage an
Prof. Dr. Fritz Lenz oder Dr. Alfred Ploetz, beide in Herrsching bei München, erbeten.
Besprechungsstücke bitten wir ebenfalls an die Schriftleitung zu senden.
INHALTSVERZEICHNIS:
Seite
Seite
Abhandlungen.
Scheidt, Prof. Dr. Walter (Hamburg),
Ergebnisse der Biologie. Her-
ausgeg. von K. v. Frisch, R. Gold-
Untersuchungen über RassenmischungI 1 et eg H. Winterstein. 66
Paull, Dr. Hermann, Stadtobermedi- Bibliographia Ganssiez "Her
zinalrat (Karlsruhe), Körperkonstitu- P ausgeg. von J. P. Lotsy und W. A.
tion und Begabung . . . . . . . 21 | Goddijn. Teil IV (Just) . 68
Keller, Dr. Heinrich (Winterthur), Handbuch der biologischen
Ueber die Beziehungen zwischen Be- Arbeitsmethoden. Herausgeg.
gabung und Fortpflanzung 36 von E. Abderhalden. Abteilung VII
Kleinere Mitteilungen. ee p ee Scheidt, rege 68
í ohts, N, aptive motor habits of
men > Max ek Ei the Macacus rhesus under experimen-
MORET BTE En Re Re En tal conditions (Prof. Dr. L. Plate, Jena) 69
zystitis (Cholelithiasis) und über die Werth, E. Der fossile Mensch. Dritter
Verbreitung beider Leiden in einer (letzter) Teil (Scheidt) 70
Familie . i z 50 | Martin, R., Anthropometrie, Anleitung
v.Borries, Dr. Kara (Herrsching), m zu selbständigen anthropologischen Er-
Frage der biologischen Wirkungen des hebungen (Dr. Hermann Eckardt, Char-
Frauenstudiums . EER. lottenburg) . 71
Scheumann, Dr. F.K. (Berlin), Neue- Saller, K., Die Entstehung der ot-
rungen in der Eheberatungspraxis . 54 dischen Maite" (Lenz) 72
Kiitisius Besprsshunsen und Helsrale, Schultze, L., Zur Kenntnis des Kör-
E ORE ng pers der Hottentotten und Buschmänner
Johannsen, W., Elemente der exakten (Scheidt) ee a
Erblichkeitslehre (Prof. Dr. Günther Csörsz, Karl, Statistische, konstitutio-
Just, Greifswald) ar 57 nelle und Vererbungsuntersuchungen
Kiliati Ba S der PPR R . aus der ungarischen Tiefebene (Prof.
(Just) ce ie a a a Dr. Kollarits, Davos) 77
Fortsetzung aul der 3. Umschlagseite
(Aus der rassenkundlichen Abteilung des Museums für Völkerkunde in Hamburg.)
Untersuchungen über Rassenmischung.
Von Dr. Walter Scheidt,
Professor für Anthropologie an der Universität Hamburg.
I. Nachweis und Analyse von Rassengemengen und
Mischlingsbevölkerungen.
Die in Fragen der Rassenmischung herrschende Ansicht geht dahin,
daß es „reine Rassen“ nur in einer der Forschung nicht mehr zugäng-
lichen Vorzeit gegeben habe, und daß die Ergebnisse der Rassenmischung
— die besonders in europäischen Bevölkerungen sehr stark gewesen sein
soll — nicht mehr genetisch aufklärbar seien. Die Konsequenzen dieser
Einstellung habe ich an anderer Stelle kritisch zu beleuchten versucht*).
Ebendort habe ich auch versucht, aus der selektionistischen Definition des
Rassenbegriffs die Möglichkeit eines objektiven Nachweises von Rassen-
vermischung abzuleiten. Dabei bin ich zu folgenden Ergebnissen gekommen:
1. Die landläufige Auffassung vom Begriff einer Rasse — im Sinne
einer Population von nicht zulänglich definierter Beschaffenheit — vermag
keinen zweckmäßigen Begriff der „reinen Rasse“ zu geben; die übliche
Definition der „Rasse“ paßt vielmehr ohne Einschränkung auch auf das,
was man sich unter Mischlingsbevölkerungen und Rassengemengen vor-
stellt. Der Begriff der „Homogenität“, welcher mit der landläufigen Rassen-
definition zusammenhängt, ist unklar.
2. Dagegen kann man aus der selektionistischen Definition des Rassen-
begriffs auch eine zweckmäßige Definition der „reinen Rasse”, der „rassen-
reinen Bevölkerung‘, der „Mischlingsbevölkerung“ und des „Rassengemen-
ges“ ableiten. Im Zusammenhang mit diesen Definitionen läßt sich ein
zweckmäßiger Homogenitätsbegriff umschreiben.
3. Wenn — wie heute, trotz der unzweckmäßigen Rassendefinition der
französischen Schule und trotz anderer überholter Formulierungen, wohl
ziemlich allgemein angenommen wird — Rassenbildung und Rassenumbil-
dung durch Erbänderung und Auslese erfolgt, ist es nicht wahrscheinlich,
daß zu irgendeiner Zeit Populationen aus lauter reinrassigen Individuen
1) Annahme und Nachweis von Rassenvermischung. Zeitschr. für Morphol. und
Anthropol. 1928, Bd. 27, S. 94.
Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie, Bd. 22, Heft 1. 1
De Prof. Dr. Walter Scheidt:
existiert haben. Eine zweckmäßige Definition rassenreiner Bevölkerungen
muß also zulassen, daß auch in einer solchen Bevölkerung ein Teil der
Menschen nur einen Teil der Rasse (ein kleiner Teil u. U. auch gar nichts
von der betr. Rasse) in sich hat. Aus dieser Annahme ergeben sich zahl-
reiche methodische Folgerungen.
4. Der objektive Nachweis nicht rassenreiner Bevölkerungen (Rassen-
gemenge und Mischlingsbevölkerungen) auf Grund der Merkmalsbefunde
würde möglich sein, sofern es sich nicht um eine völlig durchmischte
Bevölkerung handelt. Da im Rassengemenge wahrscheinlich in der Regel
oder doch sehr oft Vorgänge der Paarungssiebung?) einer völligen Durch-
mischung entgegenarbeiten und durch Mitauslese?) die teilweise Erhaltung
des Gemenges begünstigen, sind theoretisch völlig durchmischte Bevölke-
rungen nicht so häufig zu erwarten, wie man gewöhnlich annimmt.
5. Geeignete Verfahren zum objektiven Nachweis von Rassengemengen
bzw. partiellen Mischlingsbevölkerungen sind in der Berechnung der Merk-
malsvariation und der Merkmalskorrelationen zu suchen. Die Variations-
berechnung leistet dabei weniger als die Korrelationsstatistik. Ihre Brauch-
barkeit läßt sich vielleicht durch die Berechnung der Typusvariation (siehe
Fußnote 3) etwas verbessern. Die korrelationsstatistischen Ergebnisse*)
haben im Lichte des selektionistischen Rassenbegriffes zum Teil eine der
üblichen Auslegung dieser Korrelationen gerade entgegengesetzte Bedeu-
tung. Der Nachweis eines Rassengemenges kann unterstützt werden durch
den Nachweis homotypischer Paarungssiebungen (siehe Fußnote 4) in der
betreffenden Bevölkerung (mit Hilfe eines „Index der Paarungssiebung“
[siehe Fußnote 3]).
In der erwähnten Arbeit habe ich das theoretisch begründete Verfah-
ren zum Nachweis von Rassengemengen an zwei notorischen Mischlings-
populationen (Rehobother Mischlinge und Kisar-Mischlinge) und zwei euro-
päischen Bevölkerungen empirisch nachgeprüft. In einigen folgenden Auf-
sätzen möchte ich über die Ergebnisse weiterer solcher Untersuchun-
genan europäischen Bevölkerungen berichten. Ich habe mir
dabei auch die Aufgabe gestellt, ein Verfahren ausfindig zu
machen, mitdem man wenigstens annäherungsweise, aber mit mög-
lichst geringem Spielraum für empirisch unkontrollierbare Annahmen, die
Typen der vermengten bzw. vermischten Rassen fest-
stellen und den aus Mischlingen bestehenden Bevölke-
rungsteileinigermaßen sollte abgrenzen können. Von
dieser methodischen Aufgabe soll die vorliegende Arbeit handeln.
2) Ueber Paarungssiebung und Mitauslese vgl. d. Verf. Ausführungen in Zeitschr,
f. indukt. Abst.- u. Vererbungslehre 1928, Bd. 46, S. 318.
3) A. a. O. Zeitschr. f. Morphol. u. Anthropol. 1928.
&) Ueber die rassenkundliche Deutung korrelationsstalistischer Befunde a. a O.
Zeitschr, f. indukt. Abst.- u. Vererbungslehre 1928.
Untersuchungen über Rassenmischung, 3
A. Theorie.
Enthält eine Bevölkerung zweierlei Menschen von verschiedener Rasse
und Mischlinge aus Erbstämmen der beiden Rassen, so werden, wie a. a. O.
gezeigt wurde, die „selteneren“ (wahrscheinlich nicht durch teilweise
gleiche Erbbedingtheit der korrelierten Merkmale verursachten) Merkmals-
korrelationen im allgemeinen um so geringer sein, je größer der Anteil der
Mischlinge, je kleiner die rassenreinen Teile der Bevölkerung sind. Die
Größe dieser selteneren Merkmalskorrelationen ist also bis zu einem ge-
wissen Grad ein Index für die Durchmischung der Bevölkerung. Da die
Merkmalskorrelationen aber bei größeren Mittelwertsabständen und bei
größerer „Züchtungsstärke“ (a. a. O. Zeitschr. f. Morph. u. Anthrop.) der
vermengten Rassen größer’), bei geringeren Mittelwertsabständen und bei
geringerer „Züchtungsstärke‘“ kleiner sind, läßt sich der Grad der Durch-
mischung nicht ohne weiteres an den Korrelationen ablesen.
Die Entscheidung, ob man im einzelnen Fall etwa einen
Mischling vor sich habe, ist auf Grund eines abweichenden Merkmals
kaum möglich. Selbst mehrere einzelne Merkmale, die vom typischen Bild
einer bestimmten oder angenommenen Rasse abweichen, sind für diese Ent-
scheidung nicht immer ausschlaggebend, weil sie durchaus nicht aus dem
Bestand einer anderen Rasse stammen müssen. Da auch rassenreine (un-
vermischte) Bevölkerungen — besonders bei geringer Züchtungsstärke —
nicht wenige Individuen mit noch nicht oder nicht mehr ausgemerzten
rassenuntypischen Eigenschaften enthalten werden, sind selbst vereinzelte
Fälle von lauter untypischen Merkmalen bei einer Person kein Beweis für
Rassenvermischung. i
Anders liegt die Sache, wenn es sich nicht nur um ein abweichendes
Merkmal handelt, sondern um deren mehrere, die alle im gleichen
Sinn, d. h. in der Richtung auf eine bestimmte andere Rasse hin ab-
weichen. Die Wahrscheinlichkeit eines fremden Rasseneinschlages nimmt
dann mit der Anzahl dieser gleichsinnigen Abweichung zu, und sie läßt
sich als Hilfsmittel für die annähernde Scheidung eines Rassengemenges
verwenden, wenn der Nachweis erbracht ist, daß überhaupt ein Rassen-
gemenge vorliegt, d. h. daß in der ganzen Bevölkerung die auf die eine bzw.
5) Im Bild der graphischen Kurvendarstellung würde das durch den Abstand der
Fußpunkte der Mittelwertskoordinaten auf der Abszisse und durch die Form der Kur-
ven zum Ausdruck kommen. Die auf einer Abszisse gezeichneten Verteilungskurven
eines Merkmals zweier stark verschiedener und in der betreffenden Eigenschaft scharf
gezüchteter Populationen würden sich ganz oder zum größten Teil ausschließen (hohe
Kurven mit schmaler Basis und großem Mittelwertsabstand). Stärker übergreifende
Kurven würden entstehen bei stark gezüchteten Bevölkerungen mit geringerem Mittel-
wertsunterschied und bei schwach gezüchteten Bevölkerungen (breite niedrigere Kur-
ven) mit beträchtlichen Mittelwertsunterschieden. Die stärkste Kurvendeckung würde
natürlich bei schwach gezüchteten Populationen mit geringem Mittelwertsunterschied
herauskommen.
1*
4 Prof. Dr. Walter Scheidt:
die andere Rasse hinweisenden Merkmalsverbindungen häufiger als wahr-
scheinlich vorkommen.
Bei den sogenannten Rassendiagnosen pflegt man bisher anders zu ver-
fahren, auch wenn dabei mehrere Merkmale gleichzeitig berücksichtigt
werden. Abgesehen davon, daß man vielfach schon dahin gekommen ist,
einer und derselben Person etwa eine „dinarische Nase“, eine „ostische
Kopfform“, eine „nordische Augenfarbe“ und eine „negride Haarform“ zu-
zuschreiben (also jedes einzelne Merkmal für einen anderen Rasseneinschlag
„diagnostisch“ zu verwerten), hat man bis jetzt m. E. durchaus keine Ge-
währ für die Wirklichkeit der „Rassentypen“, von denen man ausgeht®).
Die angenommenen Rassentypen könnten vielmehr gerade dann sehr un-
zuverlässig sein, wenn — wie allgemein angenommen wird — Rassen-
vermischung allgemein verbreitet wäre. Will man diese Unsicherheit aus-
schalten, so bleibt m. E. zunächst nur ein Weg: bei dem Versuch einer
„Scheidung“ der Mengenteile in einer mutmaßlich vermengten und ver-
mischten Population von denjenigen Merkmalskorrelationen auszugehen,
die sich in eben dieser Population nachweisen lassen. Dann besteht auch
die Möglichkeit, das Ergebnis eines solchen Scheidungsversuches objektiv
nachzuprüfen.
Es ist oft — meist mit einer sachlich ganz ungerechtfertigten Animosi-
tät gegen die Rassenkunde — gesagt worden, die „Grenze der Rassen“ gehe
in Mischlingsbevölkerungen „durch jeden einzelnen Menschen hindurch”.
Wichtiger als diese an und für sich wohl richtige Erkenntnis”) scheint mir
aber die Frage zu sein, wie man „Grenzen“ auffinden könnte, welche die
e) Ich bin zum Teil zu Ergebnissen gekommen, welche mit den gangbaren An-
nahmen nicht übereinstimmen. Darüber soll an anderer Stelle berichtet werden.
7) Die von mir vorgeschlagene Definition des reinrassigen Menschen (Allgemeine
Rassenkunde 1925) ist m. W. die einzige solche Definition, welche mit der Vorstellung
von Teilen (Eigenschaften) verschiedener Rassen in ein und derselben Erbmasse (eines
Mischlings) in Einklang zu bringen ist. A. a. O. habe ich auch vorgeschlagen, die Aus-
sage der Reinrassigkeit streng von derjenigen über die rassisch reinmerkmalige Er- `
scheinungsform eines Menschen zu trennen, schon deshalb, weil reinmerkmalige Men-
schen keineswegs auch reinrassige Menschen sein müssen. Bei der Aussage über nicht
reinrassige Individuen ist ferner zu berücksichtigen, daß es sehr verschiedene Grade
rassisch unreiner und mischrassiger Beschaffenheit gibt, deren genetische Bewertung
von der rassischen Beschaffenheit und wahrscheinlichen Häufigkeit der möglichen Ga-
meten abhängig ist. Angenommen, eine Rasse bestände z.B. aus vier einfach dominan-
ten Eigenschaften A, B, C und D, so würde ein Mensch von der’ Erbbeschaffenheit
AA BB CC dd nicht ganz reinmerkmalig sein, aber ®?/, aller Rassen-Gene seiner Gameten
würden zu der betr. Rasse gehören; ein anderer Mensch von der Erbbeschaffenheit
Aa Bb Cc Dd wäre reinmerkmalig, aber nur die Hälfte aller Rassen-Gene seiner Ga-
meten würde zu der betreffenden Rasse gehören, nur !/js seiner Gameten wäre rein-
rassig, 11/1 enthielten weniger Eigenschaften der angenommenen Rasse als die sämt-
lichen Gameten des weniger reinmerkmaligen Menschen, und !/,s enthielte überhaupt
keine Eigenschaften jener Rasse; von vier Kindern dieses reinmerkmaligen Menschen
hätte also eines nur eine Eigenschaft der angenommenen Rasse (statt vier) von der
Seite dieses Elters zu erwarten, |
Untersuchungen über Rassenmischung. 5
Erbmasse eines Mischlings tatsächlich in zwei oder mehrere Teile zerlegen.
Merkmalskorrelationen, welche auf teilweise gleicher Erbbedingtheit der
korrelierten Merkmale beruhen, würden nämlich gelegentlich „Grenzen“ er-
geben, die nicht nur durch die Erbmasse, sondern gewissermaßen durch
einzelne Gene einer Erbmasse hindurchgingen, also genetisch undenkbar
wären. Man stelle sich z. B. eine vorwiegend dunkel- und kraushaarige Be-
völkerung (I) vor, in welcher alle kraushaarigen Leute auch dunkelhaarig
wären, etwa einer Erbanlage wegen, die gleichzeitig mit der krausen Haar-
form auch dunkle Haarfarbe bedingt. Dann bestünde eine unter Umstän-
den beträchtliche Korrelation zwischen Haarfarbe und Haarform; die Re-
gression Haarfarbe : Haarform wäre annähernd gleich 1. Eine andere Be-
völkerung (II) sei typisch hell- und schlichthaarig, ohne daß teilweise
gleiche Erbbedingtheit dieser beiden Merkmale bestehe. In einem Gemenge
aus den beiden Bevölkerungen I und II würde natürlich die Korrelation
zwischen Haarfarbe und Haarform in verstärktem Maße auftreten. Wollte
man aber die rassische Beschaffenheit der beiden Bevölkerungen so ab-
grenzen, daß man alle hell- und kraushaarigen und alle schlicht- und
dunkelhaarigen Leute als Rassenmischlinge ansähe, so würde die Erbmasse
eines Teiles dieser angeblichen Mischlinge nicht ein Gen, sondern gewisser-
maßen nur den (auf die Form bzw. die Farbe bezüglichen) Bruchteil eines
Gens der dunklen kraushaarigen Rasse enthalten müssen. Der Schluß wäre
also falsch, weil eben mindestens ein Teil der gefundenen Merkmalskorrela-
tion nicht durch die Vermengung verursacht, sondern schon vorher als
Ausdruck teilweise gleicher Erbbedingtheit vorhanden gewesen wäre.
Läge der Fall so, daß Farbe und Form der Haare in jeder der beiden
Bevölkerungen von unabhängigen, zufällig kombinierten Erbanlagen be-
dingt wären, so müßte die Korrelation des Gemenges verschwinden, wenn
die beiden Bevölkerungen wieder voneinander getrennt würden. Eine solche
Trennung wäre aber durch eine Aussortierung aller dunklen, kraushaarigen
Leute einerseits, aller hellen schlichthaarigen Leute andererseits natürlich
nur möglich, wenn die Korrelation im Gemenge = 1, d. h. alle Leute der
einen Population dunkel und kraushaarig, alle Leute der anderen Popu-
lation hell und schlichthaarig gewesen wären und wenn keine Vermischung
stattgefunden hätte. In jedem anderen, also auch in unserem angenomme-
nen Fall würde nach dem Ausscheiden der dunklen kraushaarigen und der
hellen schlichthaarigen Leute eine Gruppe mit negativer (statt, wie vorher
im Gemenge, positiver) Korrelation zwischen dunkler Haarfarbe und krau-
ser Haarform übrig bleiben müssen, und man hätte also zu viele Leute für
„Mischlinge“ angesehen.
Nun könnte man zwar versuchen, von der „Mittelgruppe“ (den Fällen
im 2. und 3. Quadranten der Korrelationstafel unseres Beispiels) so viele
6 | Prof. Dr. Walter Scheidt:
beliebige Fälle zu den beiden Gruppen mutmaßlich „unvermischter“ Leute
zu ziehen, als nötig sind, bis die Korrelationen wirklich verschwinden.
Dieses Verfahren wäre aber durchaus willkürlich, da man auf Grund der
einen Merkmalskorrelation nicht sagen kann, welche Fälle von der vor-
läufigen „Mittelgruppe“ weggenommen und wie sie verteilt werden sollen.
Um dafür objektive Anhaltspunkte zu gewinnen, wird man zweckmäßig
auch andere auf Vermengung deutbare Merkmalskorrelationen heranziehen
und versuchen müssen, aus allen diesen Korrelationen die Art der Merk-
malsunterschiede zwischen zwei (oder mehr) Mengenteilen abzulesen und
alle zum Scheidungsverfahren zu benützen, die Scheidung also durch eine
ganze „Kette“ von solchen Korrelationen zu verfolgen.
Am Ende dieses Verfahrens wird immer noch ein Rest von solchen
Personen übrigbleiben müssen, die durch kein im Gemenge korreliertes
Merkmalspaar dem einen oder anderen „Mengenteil“ zugewiesen worden
sind. Es fragt sich nun, ob dieser Rest, und ob nur dieser Rest als Misch-
lingsbevölkerung anzusprechen ist oder ob auch in den getrennten Mengen-
teilen noch Mischlinge (mit „vorwiegend“ den einen oder anderen typi-
schen Eigenschaften) enthalten sein werden. Eine exakte Lösung dieser
Frage ist kaum möglich. Sie scheitert daran, daß die Züchtungsstärke der
mutmaßlich vermengten und vermischten Rassen in jenen Bevölkerungs-
teilen, welche in das Gemenge eingingen, nicht bekannt ist. Würde diese
Züchtungsstärke und der Typenunterschied so groß sein, daß die Vertei-
lungskurven der reinen Mengenteile nicht übereinandergrifien, so müßten
in einem nachträglich hergestellten künstlichen Gemenge der reinen Men-
genteile (nach Ausscheidung der Mischlinge) die zur Scheidung verwendeten
Korrelationen annähernd gleich 1 sein. In Wirklichkeit kann man damit
mindestens in europäischen Bevölkerungen schwerlich rechnen. Deshalb
bleibt für die Ausscheidung der Mischlinge einerseits, der wahrscheinlich
annähernd unvermischten Mengenteile andererseits nur ein Schätzungs-
verfahren übrig, bei dem man entweder rein mechanisch zahlenmäßig vor-
geht oder die einzelnen Merkmalspaare nach ihrem mutmaßlichen Rassen-
unterscheidungswert verschieden stark in die Waagschale fallen läßt. Ein
mehr mechanisches Verfahren wird im allgemeinen vorzuziehen sein, weil
man den Unterscheidungswert der Merkmale meist nur schwer abschätzen
kann. Geringere Bewertung würde allenfalls denjenigen Merkmalen zu-
kommen dürfen, deren starke Modifizierbarkeit bekannt ist. Eine gewisse
Kontrolle für die Richtigkeit der vorgenommenen Scheidungen könnte im
weiteren Verlauf solcher Untersuchungen dadurch noch gewonnen werden,
daß die Typen mutmatßlich reiner, gleichartiger Mengenteile in verschiede-
nen Bevölkerungen annähernd gleich sein werden, wenn überall Mischlinge
ungefähr desselben Vermischungsgrades ausgeschieden worden sind.
En (ji A nn mm mm nn mm ng, mer | er — (in ne N p e
Untersuchungen über Rassenmischung. 7
B.Die Methode.
Auf Grund dieser Erwägungen habe ich mir folgendes Verfahren
zurScheidung der Mengenteile im Rassengemenge zu-
rechtgelegt:
1. Man bestimmt mit Hilfe möglichst aller selteneren Merkmalskorrela-
tionen des mutmaßlichen Rassengemenges diejenigen Merkmals-Ab-
weichungen vom Mittelwert des Gemenges, welche
wahrscheinlich demselben Mengenteil zugehören.
Beispiel: Zwischen 9 Merkmalen a—i seien im Gemenge folgende sel-
tenere Korrelationen statistisch zuverlässig nachweisbar:
1. a b negativ 5. f g negativ
2. a c positiv 6. b d negativ
3. a d positiv 7. d h positiv
4. e f negativ 8. i a negativ.
Die mutmaßliche Kombination der Merkmalsabweichungen ist dann
unter der Annahme von 2 Mengenteilen
für einen Mengenteil A für einen Mengenteil B
1. at b— a— b+
2 a+ c+ a— c—
3.at d+ a— d—
4. e— f+ e+ f—
5. f+ g— f— g+
6 b— d+ b+ d—
7.d+ h+ d — h—
8 i— a+ i+ a—
Diese Annahme muß, wie ersichtlich ist, so getroffen sein, daß jedes
öfter wiederkehrende Merkmal bei ein und demselben Mengenteil stets
im gleichen Abweichungssinn auftritt und daß die „Zusammengehörig-
keit“ der so verteilten Merkmalsabweichungen möglichst durch „Ket-
ten“ von Korrelationen wahrscheinlich gemacht wird. Diese letzte
Forderung ist bei den meisten Merkmalen des Beispiels erfüllt: wenn posi-
tive a-Abweichung häufiger als wahrscheinlich mit positiver c-Abwei-
chung, positiver d-Abweichung und negativer b-Abweichung vorkommt,
ist die „Zusammengehörigkeit“ b—, c+ und d+ wahrscheinlich, auch
wenn die betreffenden Einzelkorrelationen nicht alle (in unserem Beispiel
nur bd negativ) nachweisbar sind. Außerhalb solcher „Korrelationsket-
ten“ stehen in unserem Beispiel die Abweichungen in den Merkmalen
e, f und g, die zwar unter sich wieder eine „Kette“ bilden, aber in den
beiden angenommenen Mengenteilen gegeneinander vertauscht werden
könnten, ohne daß ein und dasselbe Merkmal mit verschiedenem Ab-
weichungssinn in ein und demselben Mengenteil vorkäme. Wir haben die
8 Prof. Dr. Walter Scheidt:
Kombination der Merkmale also aus zwei nicht miteinander zusammen-
hängenden „Korrelationsketten‘ gebildet. Ueber die Zulässigkeit dieses
Verfahrens und die Art der Kombination solcher getrennter
Ketten entscheidet zunächst nur die Erwägung, welche Zusammenset-
zung die wahrscheinlich richtigere ist. Gesetzt den Fall, das Merkmal g
wäre Zz. B. ein absolutes Maß, das im Merkmal b mit enthalten wäre, und
zwar so, daß g— auch b— zur Folge haben würde, so wäre die gewählte
Art der Zusammensetzung schon dadurch gerechtfertigt. In anderen Fällen
wird man beim ersten Versuch der Scheidung auch einmal nur raten müs-
sen, wie getrennte Korrelationsketten zusammengehören bzw. ob sie über-
haupt nur zwei Mengenteilen zugewiesen werden, oder nicht etwa auf einen
dritten oder vierten hinweisen könnten.
2. Nachdem so jeder der mutmaßlichen Mengenteile seine „ketten-
mäßig“ korrelierten Merkmalsausprägungen erhalten hat, teilt
man die einzelnen Personen der untersuchten Bevölkerung den angenom-
menen Mengenteilen zu, indem man für jedes entsprechende Merkmals-
abweichungspaar der Person einen „Punkt“ für den einen oder den an-
deren Mengenteil „gutschreibt‘“.
Beispiel: Eine untersuchte Person zeigt die Merkmalsabweichungen
at,b+,ct,d+,e-—, f—, g +t, h— und i—. Sie erhält also
für das 1. Merkmalspaar (ab) keinen Punkt
„nm 2 ö (ac) 1 Punkt für A
» » 3. 7 (ad) 1 Punkt für A
» » 4 » (ef) keinen Punkt
» nd 5 (fg) 1 Punkt für B
» » 6. ;. (bd) keinen Punkt
» » l j (dh) keinen Punkt
» » 8. 5 (ia) 1 Punkt für A
insgesamt also 3 „Punkte“ für A, 1 „Punkt“ für B.
3. Die Sortierung mittels dieses Punktverfahrens liefert bei einer der
Korrelation entsprechenden Bewertung aller Merkmalspaare für jeden
mutmaßlichen Mengenteil so viele Klassen von unter-
suchten Personen, als korrelierte Merkmalspaare zur
Scheidung verwendet worden sind.
Die Bewertung der einzelnen Merkmale ist bei gleicher
Zählung aller einem Mengenteil entsprechender Abweichungspaare selbst-
tätig um so größer, je öfter ein Merkmal in Korrelation mit einem anderen
gefunden wurde.
Beispiel: In unserem Beispiel 1) ist bei einfacher Zählung aller Ab-
weichungspaare der Einfluß der a-Abweichung auf die Einordnung einer
bestimmten Person doppelt so groß als der Einfluß der b-Abweichung und
viermal so groß als der Einfluß der e-Abweichung oder der g-Abweichung.
Untersuchungen über Rassenmischung. 9
4. Eine von der rein korrelationsstatistischen Bewertung der Abwei-
chungen verschiedene, ausgleichende oder besondere Bewer-
tung der einzelnen Merkmale kann durch Veränderung des
Punktverfahrens erzielt werden. Wir bezeichnen das dann als Schei-
dungsverfahren mit gewogenen Merkmalen.
Beispiel: a) In unserem Beispiel 1) sollen die korrelationsstatistischen
Unterschiede im Einfluß der einzelnen Merkmale fortfallen. Zu diesem
Zweck erhält
jede a-Abweichung den Wert 3,
jede d-Abweichung den Wert 4,
jede f- und b-Abweichung den Wert 6,
jede von den übrigen Abweichungen den Wert 12.
Dann ergeben sich bei einer Person, welche in allen Abweichungspaaren
dem Mengenteil A entspricht,
für das 1. Merkmalspaar 9 Punkte für A
vu 2 m 15 ž , „ A
Fe } 7 l j „ A
„on 4. 9 18 ,„ „ A
» nd 5 18 „ » Å
„6. „ 10 , „ A
ar h T 16 „ „ A
„» 8. n 15 » „ A
Insgesamt 108 Punkte für A
d. h. die Anzahl der Punkte entspricht dem Produkt aus der Anzahl der
Merkmale (9) und dem zur Punktbewertung gewählten gemeinsamen Viel-
fachen (12).
b) Will man von unserem Beispiel 1) das Merkmal d nur halb so stark
in die Waagschale fallen lassen, als die übrigen (etwa weil es stark modi-
fizierbar ist), und von den übrigen Merkmalen annehmen, daß h, ebenso e
schon in a, c und ebenso g schon in b enthalten sei®), deshalb reduziert
und mit den restlichen Merkmalen auf eine Wertstufe gesetzt werden sollen,
so könnte man etwa werten:
jede e- und jede h-Abweichung sei gleich einer halben a-Abweichung,
jede c- und jede g-Abweichung sei gleich einer halben b-Abweichung,.
und es erhielte
jede a-Abweichung den Wert 6,
jede e- und h-Abweichung den Wert 3,
jede b-Abweichung den Wert 10,
8) So könnte der Fall liegen, wenn a die Komplexion, h die Haarfarbe und e
die Augenfarbe, b etwa das Längenbreitenverhältnis, c die Kopflänge und g die Kopf-
breite bedeuten würde. -
10 Prof. Dr. Walter Scheidt:
jede c- und g-Abweichung den Wert 5,
jede f-Abweichung den Wert 15,
jede d-Abweichung den Wert 5,
jede i-Abweichung den Wert 30.
Bei einem Scheidungsverfahren mit gewogenen Merkmalen wird man
allerdings erwarten müssen, daß die Beseitigung von Merkmalskorrela-
tionen, die an und für sich „auflösbar“ sind, nicht immer ganz gelingt.
Denn man trägt an das Material eine Bewertung einzelner Merkmale (nach
beobachtungstechnischen oder anderen Gesichtspunkten) heran, die nicht
zahlenmäßig begründet ist, also an den Variationsmaßzahlen der Reihe
keine eindeutige Veränderung hervorbringen muß. Es wäre sogar möglich,
daß man mit einer besonderen Bewertung der einzelnen korrelierten Merk-
male gelegentlich die Auflösung von Vermengungskorrelationen überhaupt
vereitelt. Andererseits sind ähnliche Vorgänge auch bei einem „schlich-
ten“ Scheidungsverfahren (ohne Wägung der Merkmale) nicht aus-
geschlossen.
5. Die endgültige Zuordnung einer Person zu einem
Mengenteil und einer bestimmten „Punktklasse dieses
Mengenteils“ erfolgt durch die Zuordnungsziffer
A Ep
oder dp — ee Dan ;
worin Sp, die Summe der für den Mengenteil A, S,, die Summe der für
den Mengenteil B notierten „Punkte“, 2s die Höchstsumme der „Punkte“
bedeutet, die sich für einen Mengenteil ergeben kann. Die Zuordnungs-
ziffer wird immer so berechnet, daß sich ein positiver Wert ergibt.
Beispiel: Die Zuordnungsziffer wäre für den Fall unseres Beispiels 2)
(3— 1) 100
du = 8
für den Fall unseres Beispiels 4a)
(108—0) 100 _
a= I
6. Mit Hilfe dieses Verfahrens erhält man zwei Mengenteile und einen
Rest von Personen, deren Zuordnungsziffer = 0 ist. Es ist jedoch, wie oben
erwähnt, nicht wahrscheinlich, daß lediglich die nicht zugeordneten Per-
sonen Mischlinge (genauer gesagt Leute mit der Erscheinungsform von
Mischlingen) sind. Die Zahl der Mischlinge wird wahrscheinlich größer
sein. Man könnte schätzungsweise alle diejenigen Personen zur Gruppe der
„Mischlinge“ rechnen, die mit einer Zuordnungsziffer von weniger als 50
= 25,0,
100.
Untersuchungen über Rassenmischung,. 11
dem einen oder anderen Mengenteil zugeordnet worden sind. Dann käme
man auf folgende Scheidungsgruppen:
Scheidungsgruppe A = alle Personen mit 3, > 50,
Mittelgruppe M = alle Personen mit 3, < 50,
3=0 und 3,< 50,
Scheidungsgruppe B = alle Personen mit 3,> 50.
Für jede von diesen Gruppen läßt sich ein Scheidungsindexer-
rechnen, der als vergleichbares Maß für die Durchführbarkeit der Schei-
dung in verschiedenen Populationen betrachtet werden kann. Dieser Index
findet sich in der durchschnittlichen Zuordnungsziffer der einzelnen Schei-
dungsgruppen und ist:
2 ; : S ea |
für die Scheidungsgruppe A: $, = SI IX St,
na V 2na
für die Mittelgruppe M: & = Sınma — SMB oder Be Sime — Sima
Ny ny
jeweils als positiver Wert gerechnet und also mit Gruppenindex A oder B,
je nachdem die Mittelgruppe mehr auf die Seite des einen oder des an-
deren Mengenteiles neigt;
für die Scheidungsgruppe B: $,= ze j
7. Die Prüfung der Ergebnisse des Scheidungsver-
fahrens erfolgt durch die Berechnung der Merkmalskor-
relationen in den einzelnen Scheidungsgruppen (wobei die Abweichun-
gen natürlich von den Mittelwerten der Scheidungsgruppen aus gerechnet
werden). Man wird die Scheidung als gelungen betrachten dürfen, wenn
die Mehrzahl der Merkmalskorrelationen der ganzen Population, welche
zur Scheidung benützt wurde, in den Mengenteilen verschwunden ist. Er-
geben sich neuerdings Korrelationen, die man den Umständen nach für
„auflösbar“ halten kann, so kann man ein neues Scheidungsverfahren in
dem betreffenden Mengenteil auf Grund der neu gefundenen Korrelationen
versuchen.
Eine weitere Nachprüfung ist dann möglich, wenn genealogisch-
bevölkerungsbiologische Angaben vorhanden sind. Ich stelle mir diese
Nachprüfung so vor, daß man die Ahnenerbteilsziffern (vgl. dieses
Arch. Bd. 21,S.159)mitdenimScheidungsverfahrengewon-
nenen Zuordnungsziffern der einzelnen Personen ver-
gleicht und z. B. feststellt, ob bestimmte Ahnenerbteilskombinationen häu-
figer als wahrscheinlich mit bestimmten Abweichungen der Zuordnungs-
werte zusammenfallen.
12 Prof. Dr. Walter Scheidt:
Endlich könnte eine Nachprüfung und unter Umständen auch eine Korrektur der
Mittelwerte der einzelnen Scheidungsgruppen auf folgendem Wege gewonnen werden:
Je stärker die Durchmischung einer Bevölkerung und je weniger deutlich die
Abgrenzung der „äußeren“ Scheidungsgruppen gegen die Mittelgruppen ist, um so
größer wird der relative Anteil von Mischlingserscheinungen an den „äußeren“
Scheidungsgruppen sein können. Dies könnte sich durch konvergente Asvm-
metrien der Verteilungsreihen andeuten: Die Scheidungsgruppe mit dem kleineren
Merkmalsmittelwert könnte eine positive Asymmetrie (Verschiebung des Kurven-
gipfels nach rechts), die mit dem größeren Merkmalsmittelwert eine negative Asym-
metrie (Verschiebung des Kurvengipfels nach links) aufweisen. Sinngemäß wären
divergente Asymmetrien zu deuten. Obwohl es nun allem Anschein nach
kaum völlig symmetrische, organische Kollektivgegenstände gibt, liegt die Annahme
nahe, daß solche konvergente bzw. divergente Asymmetrien durch unvollständige
Scheidung verursacht sein könnten. Man könnte also den Grad dieser Asymmetrien
dazu benützen, die Mittelwerte mutmaßlich „rein geschiedener‘“ Gruppen zu errechnen:
a) Negative Schiefheit einer Scheidungsgruppe mit größerem Mittelwert: Nach der
Lenzschen Formel?) S = nm) ist also 773 > nı. Ein Ausgleich 1: —nı und damit Be-
seitigung der Schiefheit würde zu erreichen sein mit einer angenommenen Anzahl n',
welche ergäbe:
Absolute Summe der Abweichungen von (M — e)
n' =h = M:
Absolute Summe der Abweichungen von (M — e)
Ns
rechnung mit dieser „korrigierten“ (kleineren) Anzahl ergäbe einen „korrigierten Mittel-
wert M'“, wobei natürlich M'> M.
b) Positive Schiefheit eines Mengenteils mit kleinerem Mittelwert: Es wäre nı > ne;
es wäre dann n< n und n = ; die Be-
Absolute Summe der Abweichungen von (M-+e) _ USER
FT EEE Fa — i13
n
PER Absolute Summe der nn von (M+ 2. M' (aus n') < M.
1
Für divergente Asymmetrien wäre das entsprechende Verfahren anzuwenden.
Die durchschnittliche Abweichung von diesen korrigierten Mittelwerten M’ be-
rechnet man, bei konvergenter Asymmetrie, in der Scheidungsgruppe mit größerem
Mittelwert aus der doppelten Abweichungs- und Frequenz-Summe der nach oben ab-
weichenden Fälle, bei der Scheidungsgruppe mit geringerem Mittelwert aus der dop-
pelten Abweichungs- und Frequenz-Summe der nach unten abweichenden Fälle.
8. Die rassenkundliche Deutung der Ergebnisse hat
mit dem Berechnungsverfahren natürlich nur mittelbar etwas zu tun. Man
kann Scheidungsgruppen, welche in der geschilderten Weise aus einer Be-
völkerung „herausgelöst‘“ worden sind, etwa definieren als Populatio-
nen, deren typische Merkmalsverbindung mit der
Summe typischer Merkmale zusammenfällt. Man braucht
bei diesen Gruppen also nicht mehr zu befürchten, daß einzelne untypische
Merkmalsausprägungen häufiger als wahrscheinlich mit anderen untypi-
schen Merkmalsausprägungen zusammenfallen. Die einzelne untypische
9%) 7, = durchschnittliche Abweichung der sämtlichen Varianten von einem Punkt
(M — e); N = durchschnittliche Abweichung der sämtlichen Varianten von einem
Punkt (M + e).
Untersuchungen über Rassenmischung. 13
Merkmalsausprägung liegt vielmehr mit größerer Wahrscheinlichkeit inner-
halb der von den auslesenden rassenbildenden Vorgängen „zugelassenen“
Varialionsbreite. Die Feststellung einer solchen (sonst m. E. unverdient
beliebten) Variationsbreite könnte also am ehesten noch bei solchen Schei-
dungsgruppen von einigem Wert sein. |
Die Frage, ob man die Typen solcher Scheidungsgruppen als Erschei-
nungstypen reiner Rassen betrachten dürfe, hängt in jedem einzelnen Fall
wohl davon ab, ob eine solche Annahme in weiterem Gesichtskreis be-
friedigenden Deutungswert hat oder nicht.
C.EmpirischeNachprüfung des Verfahrens.
Das geschilderte Verfahren ist nur anwendbar, wenn eine nicht zu
kleine Zahl auflösbarer Korrelationen gefunden werden kann. Die Anzahl
der Beobachtungen darf auch nicht zu gering sein, da sich sonst im Schei-
dungsverfahren zu kleine Gruppen ergeben. Von meinen Untersuchungs-
materialien genügen diesen Anforderungen bis jetzt am besten Erhebungen
an Geestbauern des Elb-Weser-Mündungsgebietes‘°).
Außerdem habe ich auch die kleinere Reihe von Finkenwärder't) und
eine Bevölkerung von Bodanrück (am Bodensee!) herangezogen. Von
fremden Materialien benützte ich Ruhnaus Spiekerooger‘) und
Wackers Walser“),
Bei jeder von diesen fünf Untersuchungsgruppen habe ich (für d’ und
2) 108 Merkmalskorrelationen [nach der Methode von Len z+5)]
berechnet'*). Auf der hinter S. 16 beigehefteten Zahlentafel I ist der
Raumersparnis wegen aber nur für diejenigen Merkmalspaare eine Zeile ein-
gerichtet, die bei irgendwelchen Gruppen statistisch zuverlässige oder min-
destens nahezu zuverlässige Korrelationsindizes geliefert haben. Wenn gar
keine zuverlässigen Ergebnisse herauskamen, habe ich das betreffende Merk-
malspaar aus der Tabelle fortgelassen, wie die fehlenden Nummern der
Zahlentafel I zeigen:”). Bei alternativ variierenden Merkmalen ist jeweils die
10) Ausführliche Veröffentlichung erfolgt demnächst an anderer Stelle.
11) Scheidt und Wriede, 1927, Die Elbinsel Finkenwärder. München.
12) Ausführliche Veröffentlichung vorbereitet.
13) Dieses Archiv 1925, Bd. 16, S. 378,
14) Zeitschr. f. Ethnol. 1912, Bd. 44, S. 437.
15) Dieses Archiv 1924, Bd. 15, S. 398.
16) Für wertvolle Hilfe bei der Berechnung bin ich meiner Mitarbeiterin Frl.
Gertrud Höpner sehr zu Dank verpflichtet.
17) Berechnete Merkmalskorrelationen ohne statistisch zuverlässige Ergebnisse
waren: 7, Dunkle Haarfarbe — Gesichtshöhe; 10. dunkle Haarfarbe — Höhenbreiten-
verhältnis der Nase; 11. rote Haarfarbe — dunkle Augenfarbe; 16/17. rote Haarfarbe
— Kopflänge und Kopfbreite;, 19. rote Haarfarbe — Gesichtshöhe; 22. rote Haar-
farbe — Höhenbreitenverhältnis der Nase; 24/28. dunkle Augenfarbe — Körpergröße,
Kopflänge, Kopfbreite, Längenbreitenverhältnis des Kopfes, Gesichtshöhe; 30/31. dunkle
Augenfarbe — Breitenhöhenverhältnis des Gesichts und Höhenbreitenverhältnis der
Nase; 33. „gemischte“ Augenfarbe — „schlichte“ Haarform; 39. „gemischte“ Augen-
14 Prof. Dr. Walter Scheidt:
bei der Korrelationsrechnung als positiv angenommene Merkmalsausprägung
genannt. Sperrdruck zeigt diejenigen statistisch zuverlässigen Korrela-
tionsindizes an, die wahrscheinlich auf teilweise gleicher Erbbedingtheit
beruhen; feitgedruckt sind die statistisch zuverlässigen Korrelations-
indizes, welche wahrscheinlich auf Rassenvermengung hindeuten und zum
Scheidungsverfahren benützt werden können.
1. Die Gruppe der Geestbauern im Elb-Weser-Mün-
dungsgebiet zeigt eine ganze Reihe von Merkmalskorrelationen,
welche auf Vermengung hindeuten.
Bei den Männern dieser Gruppe habe ich mit den Merkmalskorre-
lationen Nr. 2, 44, 62, 63, 65, 68, 81 und 89 ein Scheidungsverfahren mit
gewogenen Merkmalen durchgeführt, derart, daß jedes darin vorkommende
Merkmal unter Ausgleich der Häufigkeit, mit der es in den genannten acht
korrelierten Paaren vorkommt, gleich stark in die Waagschale fiel, aus-
genommen die Körpergröße, die nur halb so stark gewertet werden sollte,
wie jedes der übrigen Merkmale. Dabei habe ich außerdem zusammen-
gehörige Teilmerkmale als ein Merkmal aufgefaßt (also Komplexion und
Einzelfarben ein Merkmal, Längenbreitenverhältnis und Einzeldurch-
messer ein Merkmal usw.). Das ergab folgende Bewertung:
| Anzahl der korrelierten
Merkmal Wert | Merkmalspaare,in denen | Gesamtwert
das Merkmal vorkommt
Komplexion (rein hell oder nicht rein hell) 6 4 24
Haarfarbe (hell oder nicht hell) 3 1 3 | 30
Augenfarbe (hell oder nicht hell) 3 1 3
Längen-Breiten-Verhältnis des Kopfes 10 2 20
Kopflänge 5 1 5 | 30
Kopfbreite 5 1 5
Haarform („schlicht“ oder nicht „schlicht“) 15 2 30
Breiten - Höhen -Verhältnis des Gesichts 30 1 30
Körpergröße 5 3 15
Die Höchstzahl erreichbarer „Punkte“ beträgt also 135 (4,5 X 30). Die
Unterschiede der Mengenteile sind der genannten „Korrelationskette“ zufolge:
farbe — Jochbogenbreite; 43. helle Augenfarbe — „schlichte“ Haarform; 48/50. helle
Augenfarbe — Gesichtshöhe, Jochbogenbreite, Breitenhöhenverhältnis des Gesichts;
53/60. rein dunkle Komplexion — Körpergröße, Kopflänge, Kopfbreite, Längenbreiten-
verhältnis des Kopfes, Gesichtshöhe, Jochbogenbreite, Breitenhöhenverhältnis des
Gesichtes, Höhenbreitenverhältnis der Nase; 66. rein helle Komplexion — Gesichts-
höhe; 69. rein helle Komplexion — Höhenbreitenverhältnis der Nase; 70. reine Kom-
plexion — „schlichte“ Haarform; 73. reine Komplexion — Kopfbreite; 75. reine
Komplexion — Gesichtshöhe; 78. reine Komplexion — Höhenbreitenverhältnis der
Nase; 84/85 „schlichte“ Haarform — Jochbogenbreite und Breitenhöhenverhältnis des
Gesichtes; 96. Kopflänge — Breitenhöhenverhältnis des Gesichtes; 101. Kopfbreite —
Höhenbreitenverhältnis der Nase; 105. Längenbreitenverhältnis des Kopfes — Höhen-
breitenverhältnis der Nase.
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Untersuchungen über Rassenmischung. 15
Mengenteil A: Größerer Wuchs, Kopf länger, schmäler, langförmiger, Ge-
sicht breitförmiger, mehr rein helle Komplexion, mehr rein
helle Augen, mehr nichtdunkle Haare, mehr schlichte Haare;
Mengenteil B: Die entgegengesetzten Abweichungen.
Im Scheidungsverfahren erhielten nur 3 von 547 Fällen die Zuord-
nungszifler 3=0; 233 Fälle wurden mit Zuordnungsziffern 3, = 0,7 — 100
dem Mengenteil A zugewiesen; 311 Fälle kamen mit Zuordnungsziffer
ôg =0,7— 100 zum Mengenteil B. Die Zusammenfassung aller Fälle mit
3, > 50,0 als Scheidungsgruppe A, 3,> 50,0 als Scheidungsgruppe B und
(3, =0 — 49,9) + (a, =0— 499) + (3=0) als Scheidungsgruppe M ergab
folgende Scheidungsindizes:
Scheidungsgruppe A: $, = 69,6 + 3 X 1,3
Scheidungsgruppe M: $,= 8,5 + 3X 0,5
Scheidungsgruppe B: ¢,= 60,9 + 3 X 0,7.
Die Mittelgruppe neigt also im Durchschnitt etwas mehr zur Schei-
dungsgruppe B.
Bei den Weibern der Geestbevölkerungim Elb-Weser-
Mündungsgebiet dienten für das Scheidungsverfahren die Merkmals-
korrelationen Nr. 2, 6, 38, 46, 47, 65, 81, 98 (weil die Merkmalskorrelationen
Nr. 44, 62, 63 und 68, die bei den Männern verwendet worden waren, bei
den Weibern nicht nachweisbar sind). Die angenommenen Mengenteile
entsprechen trotzdem ungefähr denjenigen bei den Männern. Sie sind:
Mengenteil A: Kopf schmäler, langförmiger, Gesicht kürzer, mehr rein-
helle Komplexion, mehr reinhelle Augen, weniger „ge-
mischte‘ Augen, mehr nicht dunkle Haare, mehr schlichte
Haare.
Mengenteil B: Die entgegengesetzten Abweichungen.
Die Merkmale erhielten folgende gewogene Werte:
Anzahl der korrelierten
Merkmalspaare,in denen | Gesamtwert
das Merkmal vorkommt
Merkmal Wert
Komplexion (rein hell oder nicht rein hell) 1
Haarfarbe (hell oder nicht hell) 27 2 54 | 189
Augenfarbe (hell oder nicht hell) 27 3 81
Längen-Breiten-Verhältnis des Kopfes 42 3 | 189
Kopfbreite 21 3 63
Haarform 94,5 2 189
Gesichtshöhe 94,5 2 189
Die Höchstzahl erreichbarer Punkte beträgt also 756 (4 X 189). Es fan-
den sich bei 532 weiblichen Personen 8 mit der Zuordnungsziffer = 0,
281 mit der Zuordnungsziffer 3, = 0,66 — 100 und 251 mit der Zuord-
16 Prof. Dr. Walter Scheidt:
nungsziffer 3, = 0,66 — 100. Die Scheidungsgruppen haben folgende Schei-
dungsindizes:
Scheidungsgruppe A: ¢,=61,1 +3 X L1
Scheidungsgruppe M: $ = 9,5 43x 0,8
Scheidungsgruppe B: ¢,= 66,3 3X 1,1
Auch bei den Weibern neigt also die Mittelgruppe etwas mehr auf
die Seite von B. Während aber bei den Männern die Gruppe A etwas deut-
licher geschieden wurde als die Gruppe B, verhält es sich bei den Weibern
umgekehrt.
Zur Nachprüfung des Scheidungsverfahrens habe ich in jeder Gruppe
bei beiden Geschlechtern 18 Merkmalskorrelationen neu berechnet, darunter
natürlich in erster Linie diejenigen Korrelationen, welche zur Scheidung
verwendet worden sind, außerdem solche, die als „unauflösbar‘ angesehen
worden waren, und schließlich solche, die bei der ganzen Bevölkerung nicht
vorhanden waren, bei einem unzweckmäßigen Scheidungsversuch aber viel-
leicht in den Scheidungsgruppen neu hätten auftreten können. Die Ergeb-
nisse sind auf der Zahlentafel II wiedergegeben. Dort zeigt sich: In der
Scheidungsgruppe B der Männer sind alle Korrelationen verschwunden, die
zur Scheidung verwendet wurden; neue sind nicht aufgetaucht; die als
unauflösbar angesehenen sind wenigstens andeutungsweise erhalten. In der
Mittelgruppe der Männer sind die sämtlichen als unauflösbar angesehenen
Korrelationen deutlich vorhanden; die zur Scheidung verwendeten sind
größtenteils verschwunden, aber drei davon (Nr. 62, 63, 65) sind ins Gegen-
teil umgeschlagen. Die betreffenden Merkmale, reinhelle Komplexion, Kör-
pergröße, Kopflänge und Längenbreitenverhältnis des Kopfes, sind also im
Scheidungsverfahren offenbar zu stark bewertet worden, was dahin führte,
daß zu viele Leute mit reinheller Komplexion und positiver Körpergrößen-
abweichung in die Gruppe A, zu viele mit nicht reinheller Komplexion
und negativer Körpergrößenabweichung in die Gruppe B eingewiesen wur-
den. Dieser Fehler kommt auch in der Gruppe A noch etwas zum Aus-
druck; es müssen dorthin zu wenig Leute mit nichthellen Augen und posi-
tiver Körpergrößenabweichung bzw. hellen Augen und negativer Körper-
größenabweichung gelangt sein. Da sich aber natürlich nicht erraten läßt,
wodurch diese Fehler in den beiden Gruppen verursacht sind — sie
brauchen keineswegs vom Zählmodus der hellen Komplexion, der Körper-
größe, der Kopflänge, des Längenbreitenverhältnisses und der hellen Augen-
farbe herzurühren —, kann man nicht angeben, wie eine bessere Schei-
dung erzielt werden könnte; es käme nur darauf an, verschiedene andere
Verfahren zu versuchen, wobei man zufällig zu einer glatten Scheidung
gelangen könnte. Da man m. E. aber das Ergebnis der Scheidung im großen
ganzen als befriedigend ansehen darf und eine glatte Scheidung nur er-
warten könnte, wenn die Durchmischung der Bevölkerung nicht schr groß
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"II 19383u31487Z
Untersuchungen über Rassenmischung. 17
wäre, lohnen sich weitere Versuche kaum. — Auffällig ist endlich die
Erhaltung der negativen Korrelation zwischen dunkler Haarfarbe und
schlichter Haarform in der Scheidungsgruppe A (und wahrscheinlich auch
in der Gruppe M). Ich habe diese Korrelation, wie die Tabellen zeigen,
zunächst für auflösbar gehalten, obwohl sie nach meinen bisherigen Be-
rechnungen in sehr vielen Bevölkerungen immer in demselben Sinn vor-
kommt. Das Fehlergebnis der Auflösungsversuche könnte m. E. also viel-
leicht daher kommen, daß es sich doch um teilweise gleiche Erbbedingtheit
dunkler Haarfarbe und nicht-schlichter (engwelliger, lockiger, krauser)
Haarform handelt. Wenn erst mehr Bevölkerungen korrelationsstatistisch
untersucht sind, wird sich diese Frage wohl entscheiden lassen.
Insgesamt sind also von. den mutmaßlich auf Rassenvermengung deut-
baren 8 (bzw. 7) Merkmalskorrelationen bei den Männern in der Schei-
dungsgruppe A 7 (bzw. 6), in den Gruppen M und B alle 8 (bzw. 7) ver-
schwunden.
Bei den Weibern ist in den Scheidungsgruppen A und B von den acht
deutungswichtigen Merkmalskorrelationen der Gesamtbevölkerung nur eine
(Nr. 38, „gemischte“ Augenfarbe — Gesichtshöhe) erhalten geblieben. In
der Mittelgruppe ist die ursprünglich negative Korrelation zwischen rein-
heller Komplexion und Längenbreitenverhältnis des Kopfes ins Gegenteil
übergegangen. Bezüglich der Korrelation zwischen Haarfarbe und Haar-
form gilt dasselbe wie bei den Männern. Auch hier ist eine ganz „korre-
lationsfreie“ Scheidung also nicht gelungen, wahrscheinlich aus denselben,
oben schon erläuterten Gründen nicht möglich. Im großen ganzen befriedigt
aber auch diese Scheidung einigermaßen.
Der Typus der einzelnen Gruppen wird dementsprechend auch nicht
ohne weiteres als Typus der vermischten Rassen bzw. der Mischlinge an-
gesprochen werden können. Die Typen der Gruppen A und B werden aber
wohl wenigstens annäherungsweise die rassische Beschaffenheit der ver-
mengten und vermischten Bevölkerungsteile angeben. Sie sind auf der
Zahlentafel III neben dem Querschnittstypus der ganzen Bevölkerung auf-
geführt. Die Unterschiede sind besonders auffallend in Körpergröße, Kopf-
länge, Längenbreitenverhältnis, Breitenhöhenverhältnis des Gesichtes und
in allen Farben. Dabei stimmen, wie theoretisch zu erwarten war, die
Mittelwerte der meßbaren Merkmale der Mittelgruppe ziemlich genau mit
denen der ganzen Bevölkerung überein; auch die Häufigkeiten der Farben
in der Mittelgruppe kommen denen der ganzen Bevölkerung am nächsten.
2. Beiden Spiekeroogern finden sich, wie ich an anderer Stelle)
schon gezeigt habe, keine ganz zuverlässigen Merkmalskorrelationen, die
auf Rassenvermengung deutbar wären, obwohl beim ersten Vergleich eine
den außereuropäischen Mischlingsgruppen entsprechende Merkmalsunter-
18) A. a. O. Zeitschr. f. Morphol. u. Anthropol. 1928.
Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie, Bd. 22, Heft 1. 2
18 Prof. Dr. Walter Scheidt:
scheidung hier auf den Vergleich mit anderen europäischen Gruppen zu-
geschnitten und die Zahl der Merkmalspaare viel größer ist. Trotzdem
glaube ich nicht, daß sicher kein Rassengemenge vorliegt. Einige Vermen-
gungskorrelationen sind immerhin angedeutet: dunkle Haarfarbe — Brei-
tenhöhenverhältnis des Gesichtes + 0,23 + 3x 0,12; „gemischte“ Augen-
farbe — Längenbreitenverhältnis des Kopfes + 0,22 +3 x 0,12; „reine“
Komplexion (hauptsächlich reinhelle Komplexion) — Körpergröße g’ + 0,26
+ 3 X 0,16. Die Richtung, in der man die Unterschiede etwa verschiedener
Mengenteile suchen soll, ist danach allerdings schwer zu erraten. Die Kor-
relation zwischen Haarfarbe und Gesichtsindex könnte auf eine Gruppe
dunklerer, langgesichtiger Mischlinge deuten, ebenso vielleicht die zwischen
Augenfarbe und Kopfindex. Da unter den Leuten mit „reiner Komplexion“
auch solche mit reindunkler Farbenverbindung enthalten sind, wäre es
möglich, daß die damit angedeutete Gruppe sowohl helle wie dunkle Groß-
wüchsige enthält. (Die Korrelation reinhelle Komplexion — Körpergröße
beträgt nur +0,15 + 3 x 0,16.) Berücksichtigt man weiter die zuverläs-
sige Korrelation zwischen „gemischter“ Augenfarbe und dunkler Haarfarbe
= @' +0,42 + 3x 0,10, die sonst bei keiner der untersuchten deutschen Be-
völkerungen, wohl aber nicht selten bei nordeuropäischen Populationen
vorkommt, so gewinnt es den Anschein, als ob sich die Spiekerooger ähn-
lich verhalten wie jene nordeuropäischen Küstenbevölkerungen. Einiges
Nähere darüber soll in einem folgenden Aufsatz gebracht werden, wo ich
auch die korrelationsstatistischen Befunde besprechen will, die mich ebenso
wie andere Ergebnisse einer Neubearbeitung nordeuropäischer Beobach-
tungsmaterialien:?) zur Hypothese eines atlantischen und eines binnen-
skandinavischen Schlages nordischer Rasse geführt haben. Möglicherweise
liegt bei den Spiekeroogern eine (partielle) Mischlingsbevölkerung aus die-
sen beiden Schlägen vor. Ich möchte dies aber solange nur als Vermutung
ansehen, als ich die Ergebnisse meiner weiteren Untersuchungen in Ost-
friesland noch nicht zur Verfügung habe, zumal da Ruhnau seinerzeit
mit mangelhaftem Beobachtungsgerät zu arbeiten gezwungen war.
Die in meiner ersten Arbeit?) über Rassenvermischung erwähnte negative Kor-
relation zwischen Längenbreitenverhältnis des Kopfes und Breitenhöhenverhältnis des
Gesichtes ist bei europäischen Bevölkerungen anscheinend ziemlich allgemein ver-
breitet. Sie fand sich auch bei den Kisarmischlingen. Wahrscheinlich beruht sie auf
einer teilweise gleichen Erbbedingtheit von Kopfbreite und Gesichtsbreite.
3.DieFinkenwärder Bevölkerung zeigt gleichfalls nicht viele
Korrelationen, die man zum Versuch eines Scheidungsverfahrens verwen-
den kann. Durch die andere Merkmalsunterscheidung im Vergleich mit
europäischen Gruppen (und eine Vermehrung der Beobachtungen, die ich
19) Scheidt: Die rassischen Verhältnisse in Nordeuropa nach dem gegenwär-
tigen Stand der Forschung. Stuttgart 1929. E. Schweizerbart.,
20) Zeitschr. f. Morphol. u. Anthropol. 1928, Bd. 27, S. 9.
Untersuchungen über Rassenmischung. | 19
mittlerweile vornehmen konnte), ist die Zahl brauchbarer Korrelationen
doch wenigstens bei den Männern etwas größer als in der ersten Arbeit?!)
beim Vergleich mit außereuropäischen Mischlingspopulationen.
Ich habe deshalb bei den Männern ein Scheidungsverfahren auf Grund
der Merkmalskorrelationen Nr. 45, 63 und 65 versucht. Die Bewertung der
Merkmale wurde in derselben Weise vorgenommen wie bei den Geest-
bauern. Es ergab sich eine Scheidungsgruppe A von 27 Personen mit dem
Zuordnungsindex ¢, = 88,3 + 3 x 3,3, eine Scheidungsgruppe M von 27 Per-
sonen mit £, = 5,5 + 3 X 4,4 und eine Scheidungsgruppe B von 18 Personen
mit einem Zuordnungsindex ¿„ = 72,1 + 3 X 4,2. Die Ergebnisse des Ver-
fahrens sind aus den Zahlentafeln III und IV ersichtlich.
Bei den Weibern reicht die Zahl brauchbarer Merkmalskorrelationen
zu einem Scheidungsverfahren nicht aus, wenn man (wie ich es auch bei
den Männern dieser Gruppe getan habe) die Farbenkorrelationen der Haar-
form als nicht sicher auf Vermengung deutbar lieber unberücksichtigt
lassen will. Diese Korrelation würde übrigens durch die Aussortierung der
wenigen (8) Fälle beseitigt werden können, welche dunkle Farben und
krauses Haar aufweisen; die übrigen Merkmalsabweichungen dieser Per-
sonen lassen aber keinen Beweis dafür zu, daß eine solche Ausscheidung
berechtigt ist. Die Merkmalsmittelwerte der ganzen weiblichen Bevölkerung
würden dadurch nicht wesentlich verändert.
4. Die Gruppe der Walser (von Wacker) ist für unser Verfahren
bereits zu klein. Bei den Männern findet sich nur in der positiven Kor-
relation zwischen Kopfbreite und Gesichtshöhe (+ 0,36 + 3 X 0,12) vielleicht
ein Hinweis auf Vermengung. Es könnte jedoch sein, daß diese Deutung
der Korrelation nicht richtig ist, weil Korrelation zwischen den beiden
Maßen in diesem Sinne doch ziemlich oft (bei den Weibern der Geest,
bei den Finkenwärdern, bei den Walsern beiderlei Geschlechts und bei
den Männern der Bodanrückbevölkerung — vgl. Zahlentafel I —) vor-
kommt. Trotzdem besteht auch die Möglichkeit, daß damit eine stärkere
Langgesichtigkeit der (rundköpfigen) Mischlinge dieser Bevölkerungen an-
gedeutet ist. — Bei den Walser Weibern waren etwas mehr Merkmals-
korrelationen brauchbar. Sie weisen (Nr. 4, 9, 29, 63, 98) auf zwei Mengen-
teile hin, deren einer dunklere Haare, breitere Köpfe, stärker breitförmige
(aber nicht absolut breite) Gesichter, weniger reinhelle Komplexion und
längere Köpfe hat. Der Versuch eines Scheidungsverfahrens hat so kleine
Scheidungsgruppen ergeben, daß die Resultate nicht mehr objekliv nach-
geprüft werden können.
5. Die Bodanrück-Bevölkerung bildet vorläufig eine gleich-
falls noch zu kleine Untersuchungsgruppe. Bei den Männern ist eine Schei-
21) Zeitschr. f. Morphol. u. Anthropol. 1928, Bd, 27, S. 94.
28%
20 Prof. Dr. Walter Scheidt:
dungsgruppe mit mehr reinheller Komplexion, schmäleren Köpfen und
schmäleren Gesichtern angedeutet. Es sieht aber so aus, als ob nicht nur
eine mit den gegenteiligen Merkmalsausprägungen, sondern außerdem noch
eine solche mit größerem Wuchs, breitförmigeren Gesichtern, schmäleren
Köpfen und kürzeren Gesichtern neben einer dazu wieder gegenteiligen
Scheidungsgruppe darin enthalten wäre. Die Merkmalskorrelationen der
weiblichen Reihe sind zunächst kaum deutbar. Man kann aber wohl ver-
muten, daß diese Bevölkerung, falls — wie wahrscheinlich — Rassenver-
mischung vorliegt, stärker durchmischt ist als die niedersächsischen Be-
völkerungen des Elb-Weser-Mündungsgebietes und der Elbinsel Finken-
wärder.
Die Ergebnisse der empirischen Nachprüfung der Methode sprechen
m. M. nach für die Brauchbarkeit dieser Methode, ferner für die Richtig-
keit der theoretischen Erwartung, daß solche Scheidungsverfahren auch
— und gerade — an größeren Bevölkerungen wertvolle Aufschlüsse ver-
schaffen können. Die Ergebnisse werden dabei natürlich um so leichter
deutbar sein, je besser es gelingt, partielle Rassengemenge mit nur zwei
„Komponenten“ auf Grund mehrerer theoretisch geleiteter Versuche an-
nähernd als Objekte des Scheidungsverfahrens abzugrenzen. Hat man erst
sehr große Untersuchungsmaterialien mäßig weiter Landschaften zur Ver-
fügung, so wird auch eine Folge von mehreren Scheidungsverfahren zum
Ziel führen können, indem z. B. aus vier sekundären Scheidungsgruppen
unter Umständen drei endgültige „korrelationsfreie“ zusammengesetzt wer-
den können.
Die Bedeutung der vorläufigen Versuchsergebnisse für die spezielle
Rassenkunde soll hier nicht mehr ausführlich erörtert werden. Es sei nur
darauf hingewiesen, daß die typische Beschaffenheit der Scheidungsgruppen
verschiedener Bevölkerungen schon jetzt gewisse Achnlichkeiten erkennen
läßt. Diese Typen zeigen außerdem eine Merkmalsverbindung, welche nicht
in allen Stücken den aus Querschnittstypen konstruierten rassischen Er-
scheinungsbildern der landläufigen Vorstellung entspricht. Es scheint mir
deshalb wahrscheinlich, daß die (aus dem Querschnitt summierende) Ver-
bindung typischer Merkmale durch die korrelalionsstatistische Feststellung
typischer Merkmalsverbindungen manche Richtigstellung erfahren wird,
und möglich, daß Mischlingserscheinungen zum Teil gerade da gesucht
werden müssen, wo man bisher rassenreine Erscheinungen vermutete, eine
Uebereinstimmung der Verbindung typischer Merkmale mit der typischen
Merkmalsverteilung aber unter Umständen auch dort, wo man diese an-
zuzweifeln gewöhnt war.
Körper-Konstitution und Begabung.
Von Stadtobermedizinalrat Dr. Hermann Paull, Karlsruhe.
In Nr. 16 und 40 1924 der „Münchener Medizinischen Wochenschrift“
habe ich unter der Ueberschrift „Parallelismus von körperlicher und geisti-
ger Entwicklung“ statistische Angaben veröffentlicht, welche in der schul-
ärztlichen Tätigkeit in Karlsruhe sich ergeben hatten. Ich konnte damals
schon nachweisen, daß die Repetenten, d. h. diejenigen Schüler, welche das
Ziel der Volksschule nicht erreichten, also solche Schüler, welche geringer
geistiger Leistungen wegen in ihrer Schulbahn eine oder mehrere Klassen
repetieren mußten, im allgemeinen einen geringeren Durchschnitt (arithme-
tisches Mittel) in Körpergewicht und Körpergröße zeigen als die Nichtrepe-
tenten, d. h. als diejenigen Schüler, welche die Schulbahn ohne Hindernis
durchlaufen. Ich konnte auch hinzufügen, daß die gefundene geringe Durch-
schnittsgröße und das geringe Durchschnittsgewicht der Repetenten nicht
in der Hauptsache auf Umwelteinflüsse, wie schlechte Ernährung, über-
standene Krankheiten usw., zurückgeführt werden konnten. Denn Einzel-
nachforschungen hatten ergeben, daß die Repetenten keineswegs nur oder
auch nur in der Mehrzahl der Fälle aus solchen Familien stammten, wo
wirtschaftliche Not angenommen werden mußte. Oft zeigte sich auch, daß
mehrere Geschwister der Repetenten die Schulbahn ohne Schwierigkeiten
durchlaufen hatten. Ich hielt mich daher für berechtigt, nach diesen Er-
hebungen von einem gewissen Parallelismus zwischen körperlicher und
geistiger Entwicklung zu sprechen. Heute bin ich in der Lage, meine
damaligen Ausführungen durch neue statistische Erhebungen zu ergänzen.
Ich bin aber genötigt, hinsichtlich des Wertes statistischer Erhebungen
über das arithmetische Mittel in Körpergewicht und Körpergröße vorher
einige Bemerkungen zu machen. Die erste Bedingung für derartige sta-
tistische Erhebungen ist „das Gesetz der großen Zahl“. Der Wert der All-
gemeingültigkeit bzw. Verwendbarkeit solcher Durchschnittszahlen wächst.
mit der Anzahl der unterlegten Fälle. Das ist für jeden Berufsstatistiker eine
Selbstverständlichkeit, welche aber bei Veröffentlichungen von nicht berufs-
mäßigen Statistikern, besonders von Medizinern, oft vernachlässigt wird.
Für einen Teil meiner hierunter zu veröffentlichenden Zahlen kann der
Einwand des Nichtzutreffens des „Gesetzes der großen Zahl“ bei oberfläch-
22 Stadtobermedizinalrat Dr. Hermann Paull:
licher Betrachtung zunächst wohl erhoben werden. Denn die Anzahl der
Repetenten beträgt nur 684 bei den Knaben und 762 bei den Mädchen, welche
sich auf je 16 halbjährige Altersstufen verteilen. Man könnte Bedenken
tragen, aus so kleinen Zahlen ein biologisches Gesetz abzuleiten, wie es im
folgenden tatsächlich geschehen soll. Aber der Umstand, daß dieselben
Unterschiede in durchschnittlicher Größe und durchschnittlichem Gewicht,
wie sie hier bei Nichtrepetenten und Repetenten vorgeführt werden, nun
schon vier Jahre hintereinander sich uns ergeben haben, ferner die Tat-
sache, daß, wie im folgenden gezeigt werden wird, selbst die verschiedenen
Begabungsstufen der Nichtrepetenten ganz ähnliche Unterschiede aufweisen,
verleiht den hier vorgeführten Zahlen tatsächlich einen so hohen Wert von
Allgemeingültigkeit, daß sie zur Ableitung eines biologischen Gesetzes doch
wohl verwendet werden dürfen.
Die zweite Bedingung, welche an Wichtigkeit der ersten nicht nach-
steht, ist die, daß das zur statistischen Bearbeitung verwendete Material von
einwandfreier Herkunft ist, d. h. daß schon bei seiner Entstehung die üb-
lichen Fehlerquellen nach Möglichkeit verstopft sind. Für den praktischen
Fall der Feststellung der Größe und des Gewichts in einem großen Schul-
körper will das sagen, daß es m. E. eine falsche Methode ist, die einzelnen
Klassenlehrer mit dieser Aufgabe zu betrauen. Vollständig richtige Messun-
gen und Wägungen wird nur derjenige machen, welcher ein persönliches
Interesse daran hat. Werden in einem großen Schulkörper etwa von der
Schulleitung mit solchen nicht im eigentlichen pädagogischen Schulziel lie-
genden Messungen und Wägungen die Klassenlehrer beauftragt, so bedienen
sich manche von ihnen dabei der größeren Schüler als Hilfskräfte, entweder
beim Messen selbst oder beim Eintragen der Werte oder bei beiden Hand-
lungen. Daß bei solchem Verfahren sich viele Fehler einschleichen, bedarf
kaum der Erwähnung, ganz abgesehen davon, daß schon durch die große
Anzahl der Bearbeiter sich die Fehlergrenzen erweitern. Hierzu kommt
noch, daß bei einem derartigen Verfahren die zu benutzenden Waagen
meistens von Klasse zu Klasse getragen werden. Wenn sie vor Beginn der
Untersuchungen, wie verlangt werden muß, auch richtig tariert worden
sind, so verlieren manche Waagen ihre Zuverlässigkeit, wie ich mehrfach
festgestellt habe, doch schon nach einigen Transporten.
Die vorliegenden Zahlen sind auf diese Weise nicht entstanden. Sie
wurden gewonnen bei den regelmäßigen Reihenuntersuchungen unserer
Volksschüler, wobei die Lehrer ganz unbeteiligt sind bei Maß- und Ge-
wichtsfeststellung. Seit mehreren Jahren werden diese Messungen von zwei
Jugendleiterinnen an derselben stabilen, immer wieder kontrollierten bzw.
nach Bedarf neu tarierten Waage unter ständiger Aufsicht des Schularztes
vorgenommen. Die Feststellungen finden in einem besonders dafür bereit-
gestellten Raume nur in den Vormittagsstunden statt, wobei die Schüler
Körper-Konstitution und Begabung. 23
durchweg nur mit Hemd und Strümpfen bekleidet sind. Hierbei wird der
Einfluß der mit den Jahreszeiten wechselnden Kleidung und des Mittag-
essens von vornherein ausgeschlossen.
Erst seitdem dieses Verfahren bei uns eingeführt worden ist, wage ich
die Veröffentlichung von statistischen Zahlen über Durchschniittsgröße und
Durchschnittsgewicht. Ich füge hinzu, daß ich gegen alle aus großen Schul-
körpern veröffentlichten statistischen Angaben, wenn sie über ihre Urauf-
stellung durch beruhigende Angaben in obiger Hinsicht sich nicht hin-
reichend ausweisen, ein gewisses Mißtrauen nicht los werden kann.
Die weitere Verarbeitung unseres Materials geschieht durch das hiesige
Städtische Statistische Amt, d. h. unter der Verantwortung eines akademisch
gebildeten Berufsstatistikers und Volkswirts. Auch hierdurch dürfte der
Wert meines Materials nicht unbedeutend wachsen.
Die Tabellen 1 u. 2 zeigen in Spalte 1—3 die absoluten Zahlen der unter-
suchten Kinder in halbjährigen Altersstufen. Spalte 4, 5 und 6 weisen die
entsprechenden durchschnittlichen Größen der Nichtrepetenten und Repe-
tenten sowie beide zusammen auf. Spalte 7 zeigt die durchschnittliche Ab-
weichung der Repetenten den Nichtrepetenten gegenüber. Spalte 8 und 9
schließlich zeigen die Größenextreme in jeder Altersstufe (Minimal- und
Maximalwerte). Die Spalten 10—15 enthalten für dieselben Schüler die
entsprechenden Werte im Körpergewicht. Bei den Knaben findet nun die
Regel, daß die Repetenten den Nichtrepetenten in Körpergröße und Körper-
gewicht nachstehen, keine einzige Ausnahme. Sie trifft für jede Altersstufe
lückenlos zu. Bei den Mädchen findet sich bei der durchschnittlichen Größe
ebenfalls keine einzige Ausnahme, nur beim durchschnittlichen Gewicht
(Spalte 13) in der Altersstufe 10%—11 ist eine kleine Abweichung von der
Regel vorhanden. Aber ich bin der Meinung, daß die allgemeingültige Regel
hierdurch nicht erschüttert werden kann, zumal die Erhebungen der vor-
ausgegangenen drei Jahre ganz ähnliche Ergebnisse gehabt haben.
Dasselbe Gesetz kommt zweifellos in den Spalten der Größen- und
Gewichtsextreme (Spalte 8 und 9) ebenfalls zum Ausdruck. Wenn die Mini-
malwerte in den einzelnen Altersstufen auch kein für unsere Annahme
typisches Bild zeigen, so sind die Maximalwerte von einer großen Ueber-
einstimmung. Sie zeigen nur zwei Ausnahmen in der Körpergröße je bei
den Knaben und bei den Mädchen. Bei den Knaben in der Altersstufe 13
bis 13% und 13% —14, bei den Mädchen in den Altersstufen 12—12% und
13%—14. Die Gewichtsmaximalwerte bei den Knaben und Mädchen be-
stätigen wieder lückenlos die Regel, daß durchweg höhere Werte bei den
Nichtrepetenten den Repetenten gegenüberstehen. Man darf daraus eben-
falls schließen, daß die Nichtrepetenten eine größere Wachstumsenergie
zeigen als die Repetenten.
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Körper-Konstitution und Begabung.
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26 Stadtobermedizinalrat Dr. Hermann Paull:
In gewissem Sinne kommt die gefundene Regel auch in den folgenden
Tabellen zum Ausdruck, in welchen das durchschnittliche Gewicht der-
selben Schüler in den einzelnen Altersstufen auf 1 cm Größe berechnet wird.
Tabelle 3.
Verhältnis der durchschnittlichen Größe zum durchschnittlichen Gewicht. Größe = 1 cm.
Karlsruher Volksschule 1925/26.
Mädchen
Altersklassen
RE his Nichtrepetenten Repetenten Nichtrepetenten Repetenten
Auf 1 cm Größe Auf 1 cm Größe Auf 1 cm Größe Auf 1 cm Größe
unter ......... Jahre kommen kg Durch- | kommen kg Durch- || kommen kgDurch- | kommen kg Durch-
schnitts-Gewicht | schnitts-Gewicht || schnitts-Gewicht | schnitts-Gewicht
51/a—6 0,170 — 0,210 —
6—6!/s 0,172 — 0,168 —
6! :—7 0,174 = 0,171 =
71—7!/: 0,181 0,172 0,178 0,169
7'/—8 0,191 0,179 0,187 0,174
8—8!/: 0,196 0,181 0,190 0,174
81/.—9 0,200 0,192 0,198 0,196
9—9!/s 0,207 0,194 0,206 0,199
9!/2—10 0,213 0,207 0,212 0,203
10—10?/: 0,214 .0,209 0,214 0,208
10! —11 0,214 0,215 0,215 0,215
11—11!/a 0,216 0,216 0,217 0,221
11a —12 0,233 0,220 0,242 0,229
12—12!/a 0,237 0,227 0,246 0,229
121/s—13 0,243 0,240 0,259 0,245
13—13!/a 0,248 0,243 0,265 0,247
131% —14 0,257 0,254 0,275 0,270
Wir sehen hieraus, daß das auf 1 cm fallende Durchschnittsgewicht
bei den Repetenten geringer ist als bei den Nichtrepetenten. Die Tabelle
zeigt uns ferner, wie mit der Annäherung an die Pubertätsjahre die Ge-
wichtsüberlegenheit der Knaben über die Mädchen sowohl bei Repetenten
wie bei Nichtrepetenten (bezogen auf 1 cm Körpergröße) allmählich zurück-
tritt, um während der Pubertät der Mädchen diesen gegenüber in vollstän-
dige Unterlegenheit überzugehen.
Nachdem sich auf diese Weise ein gewisser biologischer Parallelismus
zwischen geistiger und körperlicher Entwicklung ergeben hatte, lag es nahe,
auch bei den Nichtrepetenten, d. h. bei den Schülern, welche die Schul-
bahn der Volksschule ohne Hindernis durchlaufen hatten, zu prüfen, ob
bei den verschiedenen Begabungsstufen sich ähnliche Beziehungen nach-
weisen lassen. Der badische Personalbogen für die Volksschule enthält
neben den nötigen ärztlichen Eintragungen auch die sämtlichen Noten,
welche der Schüler in seiner ganzen Schulzeit in den einzelnen Fächern
erhalten hat. Aus diesen Angaben lassen sich leicht drei verschiedene
Körper-Konstitution und Begabung. 27
Begabungsstufen erkennen. Mit Ziffer I bezeichnen wir die erste Begabungs-
stufe, welche die Noten 1, 1—2 und 2 umfaßt, mit Ziffer II die zweite
Begabungsstufe mit den Noten 2—3, 3 und 3—4, mit Ziffer III die dritte
Begabungsstufe mit den Noten 4, 4—5 und 5. Hierbei bedeutet 1 = sehr gut,
2 = gut, 3 = ziemlich gut, 4 = hinlänglich, 5 = schlecht. Die Begabung eines
Schülers läßt sich am besten aus den Fächern Deutsch (Aufsatz), Deutsch
(Rechtschreiben) und Rechnen ersehen., Auf diese Fächer wird in der
Volksschule bekanntlich auch die größte Mühe und Zeit verwendet. Wir
stellen also zunächst drei Vergleichsfächer auf: Deutsch (Aufsatz), Deutsch
(Rechtschreiben) und Rechnen.
Wenn wir nun auf Grund des Abgangszeugnisses im 8. Schuljahre die
Schüler nach ihren Noten in den einzelnen Vergleichsfächern in die vorhin
skizzierten Begabungsstufen einteilen, so haben wir damit zweifellos das
hochwertige Schülermaterial in der Begabungsstufe I erfaßt, das mittel-
mäßige in der Begabungsstufe II und das minderwertige in der Begabungs-
stufe III. Aber auch diese letzten zählen noch zu den Nichtrepetenten, da
sie ja die achtklassige Volksschulbahn ohne Hindernis durchlaufen haben.
Repetenten im Sinne der vorhin gemachten Ausführungen sind sie noch nicht.
Die auf diese Weise in den Begabungsstufen innerhalb der Vergleichs-
fächer geordneten Schüler habe ich nun hinsichtlich ihrer Körpergröße und
ihres Körpergewichts verglichen. Es standen mir zwei Möglichkeiten des
Vergleichs zur Verfügung: Einmal konnten aus den Angaben des Personal-
bogens die Durchschnittswerte in Körpergewicht und Körpergröße der
Schüler der einzelnen Begabungsstufen berechnet werden. Aus der Gegen-
überstellung der einzelnen Begabungsstufen I, II und Ill in jedem Ver-
gleichsfache hätte dann entnommen werden können, ob und eventuell in
welcher Weise die verschiedenartig begabten Schüler jedes Vergleichsfaches
sich in Körpergewicht und Körpergröße voneinander unterscheiden.
Ein anderer Weg war in der Ermittelung der Zahl der Plus- und
Minusabweicher von Durchschnittsgröße und Durchschnittsgewicht ge-
geben. Der Vergleich der Anzahl der Plus- und Minusabweicher in den
einzelnen Begabungsstufen mußte dann ebenfalls ein klares Bild über
etwaige Unterschiede in Größe und Gewicht unter den einzelnen Be-
gabungsstufen geben.
Ich habe den letzteren Weg gewählt, weil bei uns täglich mit der
Abweichung von Durchschnittsgröße und Durchschnittsgewicht zur Beur-
teilung des Kindes gearbeitet wird. Als Durchschnittswerte in Größe und
Gewicht gelten die bei unserem gesamten Schülermaterial von zirka 13 000
Kindern für jede halbjährige Altersstufe in den Nachkriegsjahren gefun-
denen Zahlen der Nichtrepetenten, d. h. derjenigen Schüler, welche in
ihrer Schulbahn niemals sitzen bleiben (repetieren) mußten, ihr Schulziel
also voll erreicht haben. In früheren Jahren habe ich Größen- und Ge-
Stadtobermedizinalrat Dr. Hermann Paull:
Tabelle 4.
Knaben.
729 Nichtrepetenten. VII. Klasse. 1924/25.
jt
3
Von nebenstehender
©
B be Schülerzahl (Spalte 2) | Von den in Spalte 3 aufgeführten Schülern
KA In P E weichen sowohl in (Größengewichtsabweichern) der einzelnen
= auf die in Spalte 1 Größe wie in Gewicht Begabungsstufen sind
= bezeichneten (Größengewicht) vom
A Begabungsstufen Durchschnitt in den
S g einzelnen Begabungs- Plusabweicher Minusabweicher
stufen ab a + b a _ b
Grundzahl a Grundzahl Grundzahl ee Grundzahl a
Rechtschreiben
I 303 41,56 241 140 58,09 101 41,91
II 286 39,23 236 114 48,31 122 51,69
HI 140 19,21 114 38 33,33 76 66,67
Rechnen
I 283 38,82 227 129 56,83 98 43,17
HI 293 40,19 237 110 46,41 127 53,59
III 153 20,99 129 53 41,09 76 58,91
Deutsch (Aufsatz)
I 286 39,23 229 131 57,21 98 42,79
II 328 44,99 267 127 47,57 140 52,43
HI 115 15,78 95 34 35,79 61 64,21
Rechtschreiben und Rechnen*®)
I 185 25,38 147 85 57,82 62 42,18
HI 167 22,91 136 65 47,79 71 52,21
III 85 11,66 71 27 38,03 44 61,97
Rechtschreiben und Deutsch (Aufsatz)
I 236 32,37 182 108 59,34 74 40,66
II 239 32,79 196 93 47,45 103 52,55
HI 88 12,07 72 25 34,72 47 65,28
Rechnen und Deutsch (Aufsatz)
I 183 25,10 145 79 54,48 66 45,52
II 191 26,20 153 67 43,79 86 56,21
II 74 10,15 62 20 32,26 42 67,74
Rechtschreiben, Rechnen und Deutsch (Aufsatz)
I 161 22,08 127 71 55,91 56 44,09
II 148 20,30 120 55 45,83 65 54,17
III 65 8,92 53 17 32,08 36 67,92
*)
Bei den nun folgenden Kombinationen der Vergleichsfächer ist zu bemerken,
daß die Summe der in den einzelnen Begabungsstufen aufgeführten Schüler nicht mit
der Gesamtzahl der in Spalte 2 oben angegebenen Schüler indentisch sein kann.
Die
Körper-Konstitution und Begabung. 29
Tabelle 5.
Mädchen.
771 Nichtrepetenten. VIII. Klasse. 1924/25.
1 | 2 | 3 | , 4
Von nebenstehender
© ie Serie 2)| von den in Spalte 3 aufgeführten Schülern
2 Von den obengenannten Erde Sa eich t (Größengewichtsabweichern) der einzelnen
A 771 Mädchen entfallen Begabungsstufen sind in den unten aufgeführten
= auf die in Spalte 1 (Gröbengewicht) vn Vergleichsgruppen
2 hezeich s Durchschnitt in den ein-
3 ZEICINEIEN zelnen Begabungsstufen
9 Begabungsstufen bei den unten auf-
a geführten Vergleichs- Plusabweicher Minusabweicher
gruppen ab a 4- b a — b
Grundzahl ae Grundzahl Grundzahl ee: a Grundzahl a a
Rechtschreiben
I 342 44,36 265 170 _ 64,15 95 35,85
II 283 36,70 229 101 44,10 128 55,90
HI 146 18,94 113 37 32,74 76 67,26
Rechnen
I 323 41,89 253 163 64,43 90 35,97
II 268 34,76 207 89 43,00 118 67,00
II 180 23,35 146 55 37,67 91 62,33
Deutsch (Aufsatz)
I 364 47,21 283 179 63,25 104 36,75
II 311 40,34 247 100 40,49 147 59,51
III 96 12,45 77 28 36,36 49 63,64
Rechtschreiben und Rechnen*)
I 225 29,18 174 110 63,22 64 36,78
II 160 20,75 125 52 41,60 73 58,40
III 86 11,16 67 24 35,82 43 64,18
Rechtschreiben und Deutsch (Aufsatz)
I 293 38,00 228 | 147 64,47 81 35,53
II 227 29,44 184 79 42,93 105 57,07
HI 74 9,60 58 | 20 34,48 38 65,52
Rechnen und Deutsch (Aufsatz)
I 241 31,26 190 122 64,21 68 35,79
II 175 22,70 137 53 38,69 84 61,31
HI 65 8,43 55 22 40,00 33 60,00
Rechtschreiben, Rechnen und Deutsch (Aufsatz)
I 207 26,85 160 102 63,75 | 58 36,25
H 136 17,64 108 46 42,59 62 57,41
IlI 50 6,48 41 15 36,59 26 63,41
in den Vergleichsfächerkombinationen aufgeführten Schüler stellen tatsächlich ja eine
Auslese aus der Gesamtschülerzahl dar, nämlich diejenigen Schüler, welche gleich-
zeitig in mehreren Vergleichsgruppen die betr. Begabungsstufe erreicht hatten.
30 Stadtobermedizinalrat Dr. Hermann Paull:
= a a ae a i
wichtsabweicher voneinander getrennt aufgeführt. Da nun manche Schüler
wohl in der Größe, aber nicht im Gewicht vom Durchschnitt abweichen
— und umgekehrt —, so war das erhaltene Bild in bezug auf das in Frage
stehende Gesetz nicht ganz klar. Daher habe ich mich entschlossen, nun-
mehr nur diejenigen Schüler, welche sowohl in Größe wie in Gewicht
vom Durchschnitt abweichen, in den einzelnen Vergleichsfächern und
Begabungsstufen darzustellen. Ich nenne diese sowohl in Größe wie in
Gewicht vom Durchschnitt abweichenden Schüler in der Folge nicht Grö-
ßen- und Gewichtsabweicher, weil diese Bezeichnung zu den obengenann-
ten Irrtümern führen könnte, sondern kurz „Größengewichtsabweicher“.
Ich habe die Vergleichsfächer Deutsch (Rechtschreiben), Deutsch (Auf-
satz) und Rechnen, nachdem sie wie in früheren Jahren einzeln betrachtet
worden sind, nun noch kombiniert, um die geistig hochwertigsten Schüler
ausfindig zu machen und vergleichen zu können, d. h. diejenigen, welche
gleichzeitig in mehreren der genannten Fächer sich auszeichneten. Die
Ergebnisse dieser Untersuchungen sind aus den Tabellen 4 u. 5 ersichtlich.
Wir stellen zunächst fest, daß in sämtlichen Vergleichsfächern die
geistig hochwertigsten Schüler, nämlich die der Begabungsstufe I, eine
größere Anzahl von Größengewichtsplusabweichern aufweisen als von Grö-
ßengewichtsminusabweichern. Das trifft sowohl für die Knaben wie für
die Mädchen zu.
In der Begabungsstufe 1J, d. h. bei den geistig mittelwertigen Schülern,
sind Größengewichtsplus- und Größengewichtsminusabweicher teilweise
in annähernd gleicher Zahl vertreten, teilweise überwiegen die Minus-
abweicher, und zwar bei beiden Geschlechtern.
In der Begabungsstufe III, d. h. bei den geistig am niedrigsten stehenden
Schülern, überwiegen in allen Vergleichsgruppen die Größengewichtsminus-
abweicher. Aber auch bei diesen Schülern handelt es sich ja, wie vorhin
schon angedeutet, um geistig normale Schüler, da sie ja alle die Volks-
schullaufbahn lückenlos durchlaufen haben.
Daß ein gewisser Parallelismus zwischen geistiger und körperlicher
Entwicklung vorliegen muß, darf angesichts dieser Zahlen und im Hinblick
auf die in früheren Jahren festgestellten ganz ähnlichen Ergebnisse m. E.
nicht bezweifelt werden. Auch die folgende Tabelle 6 kann zu dieser An-
nahme herangezogen werden.
Wir entnehmen aus dieser Tabelle die zunächst allerdings etwas über-
raschende Tatsache, daß die Mädchen in der Begabungsstufe I in den drei
Vergleichsfächern Rechtischreiben, Rechnen und Deutsch durchweg einen
höheren Prozentsatz stellen als die Knaben. Wenn daraus der Schluß ge-
zogen werden sollte, daß die Mädchen im allgemeinen eine höhere Begabung
in den genannten Fächern zeigen als die Knaben, so dürfte derselbe doch
falsch sein. Uns löst sich dieses Rätsel einfacher, wenn wir an unser vorhin
Körper-Konstitution und Begabung. 31
Tabelle 6.
a über 729 Knaben und 771 Mädchen. Nichtrepetenten. VIII. Klasse
1924/25.
Es erreichen ............- Schüler die Begabungsstufen
Begabungs- in
stufe Rechtschreiben © Rechtschreiben | Rechnen Deutsch (Aufsatz)
Knaben Knaben |Mädchen | Zus.: F Knaben |Mädchen | Z ee Knaben |Mädchen| Zus.: Zus.:
a) Grundzahlen
I 364 650
H 311 639
III 96 211
| 729 | 771 |1500 | 729 | 771 |1500
b) Verhältniszahlen
I 41,56 | 44,36 38,82 | 41,89 | 40,40 | 39,23 | 47,21 | 44,33
II 39,23 | 36,70 40,19 | 34,76 | 37,40 | 44,99 | 40,34 | 42,60
111 19,21 | 18,94 20,99 | 23,35 | 22,20 | 15,78 | 12,45 | 14,07
Zus. [100,00 |100,00 | 100,00 | 100,00 | 100,00 | 100,00 | 100,00 | 100,00 | 100,00
festgestelltes biologisches Gesetz denken, daß zwischen körperlicher und
geistiger Entwicklung ein gewisser Parallelismus besteht. Es ist nämlich
eine allgemein anerkannte Tatsache, daß gerade in den hier in Betracht
kommenden Jahren die Mädchen an Größe und Gewicht die Knaben be-
trächtlich überragen. Das hängt bekanntlich mit der Pubertät zusammen,
welche bei den Knaben später eintritt als bei den Mädchen. Und wie nach
Ablauf der Pubertät bei den Knaben die Suprematie in Größe und Gewicht
wiederhergestellt wird, so kann derselbe Ausgang auch in geistiger Hinsicht
erwartet werden, wenigstens in den Fächern, die, wie Rechnen und Recht-
schreiben, vorzugsweise den Verstand angehen.
Tabelle 6 ist aber auch in einer anderen Hinsicht außerordentlich lehr-
reich. Die Fächer Rechtschreiben, Rechnen und Deutsch (Aufsatz) sind
diejenigen, auf welche die Volksschule seit jeher die größte Sorgfalt ver-
legen mußte. Denn sie sind es, welche in erster Linie dem späteren Bürger
die Gründung einer Lebensexistenz bzw. das Fortkommen ermöglichen.
Nicht einmal die Hälfte der Schüler erreicht in diesen Elementarfächern
Noten, welche die platte Mittelmäßigkeit einigermaßen übersteigen. Wenn
man nun die ungeheure Mühe und Arbeit bedenkt, welche in den 8 Volks-
schuljahren gerade auf diese Fächer verwendet wird, so will das Ergebnis
nicht recht befriedigen. Daß die Weisheit und Klugheit bei den Massen
liegen soll, erscheint angesichts dieser Zahlen nicht recht glaubhaft.
Eine weitere Bestätigung erfährt unsere Vermutung durch die folgende
Tabelle 7, in welcher die möglichen Zusammenstellungen der drei Be-
gabungsstufen in den Vergleichsfächern Deutsch (Aufsatz), Rechtschreiben
und Rechnen bei beiden Geschlechtern dargestellt sind.
32 Stadtobermedizinalrat Dr. Hermann Paull:
Tabelle 7.
Begabungsstatistik über 729 Knaben und 771 Mädchen (Nichtrepetenten) der VIII. Klassen
1924/25.
Es sind ...........- Schüler...........- in Begabungsstufen
in den Vergleichsfächern*)
Deutsch (Aufsatz)
Knaben Mädchen
I 1 I I II IH
Verhältniszahlen
a) Rechtschreiben I, Rechnen I | 27,16 2,33 — 33,59 0,91 —
Rechtschreiben I, Rechnen Il 7,41 3,98 — 7,14 2,08 —
Rechtschreiben I, Rechnen IIl 0,14 0,55 0,26 —
b) Rechtschreiben II, Rechnen I 2,19 6,31 3,24 0,13
Rechtschreiben II, Rechnen II 1,92 20,58 0,82 2,85 17,64 0,26
Rechtschreiben II, Rechnen III 0,41 6,03 0,13 0,65
nn |, Veen | nn | nn | u |, ae
c) Rechtschreiben Ill, Rechnen I
Rechtschreiben III, Rechnen II
Rechtschreiben IlI, Rechnen III
15,78
| 7,21 | 40,34 | 12,45
100,00
Aus den angeführten Zusammenstellungen dieser Tabelle heben wir
nun in Verhältniszahlen die Begabungsstufen I bei Deutsch (Aufsatz),
Rechtschreiben und Rechnen heraus und vergleichen die hierunter fallen-
den Zahlen mit der Begabungsstufe II und III derselben Vergleichsfächer
und Zusammenstellungen. Auch hiernach scheinen die Mädchen den Kna-
ben auf den ersten Anblick überlegen zu sein, da sie von ihrer Gesamtzahl
33,59% zur höchsten Begabungsstufe stellen, während die Knaben sich nur
mit 27,16 % beteiligen. |
Zur Begabungsstufe II und III derselben Vergleichsfächer und Kom-
binationen stellen, wie nach obigem zu erwarten, die Knaben einen höheren
Anteil. Es stehen 20,58% der Knaben gegen 17,64% der Mädchen in der
Begabungsstufe II und 10,84 % der Knaben gegen 9,47% der Mädchen in
der Begabungsstufe III.
Wir glauben auch hier wieder den biologischen Parallelismus zwischen
körperlicher und geistiger Entwicklung zu erkennen, welcher seine Gültig-
keit, wie man sieht, selbst in der Streckung der Pubertätsjahre beibehält
und mit der vorübergehenden körperlichen Ueberlegenheit der Mädchen
*) Die hier zusammengezogenen Vergleichsfächer sind nicht „Vergleichsfächer-
kombinationen“ wie in Tabelle 4, d. h. es sind nicht diejenigen Schüler aufgeführt, welche
gleichzeitig in den genannten Vergleichsfächern die betr. Begabungsstufe erreicht haben.
Hier erscheinen in den Begabungsstufen alle diejenigen Schüler, welche die betr. Noten
in den einzelnen Vergleichsfächern erreicht hatten, ganz unabhängig davon, ob die betr.
Begabungsstufe gleichzeitig auch in anderen Vergleichsfächern erreicht ist,
Körper-Konstitution und Begabung. 33
zu einer entsprechenden Ueberlegenheit in der geistigen Leistungsfähig-
keit führt.
Es wird vielleicht gegen diese Beweisführung der Einwand erhoben
werden, daß der Unterschied in den geistigen Leistungen zwischen Knaben
und Mädchen dadurch hervorgerufen sein könnte, daß nach drei- bzw.
vierjährigem Besuche der Grundschule ein größerer Prozentsatz von Knaben
als von Mädchen aus der Volksschule in die höhere Schule abwandert.
Das Statistische Amt der Stadt Karlsruhe hat diesen Einwand indessen
zahlenmäßig genau geprüft und für nicht zutrefiend erklärt. So muß es
wohl bei unserer biologischen Auffassung bleiben.
Das Problem des Parallelismus von körperlicher und geistiger Ent-
wicklung ist durch das angeführte statistische Material und, soweit ich die
einschlägige Literatur übersehe, auch durch andere Arbeiten einer befriedi-
genden Lösung noch nicht zugeführt worden. Die heute angeführten Zahlen
können die damals ausgesprochene Vermutung nur bekräftigen und erneut
auf den eingeschlagenen Weg verweisen, der früher schon von K. T. Porter
(St. Louis), MacDonald (Washington), W. S. Christopher (Chicago), F. W.
Smeedley (Chicago), F. A. Schmidt (Bonn), H. H. Lessenich (Bonn), H.
Graupner (Dresden), Rietz (Berlin), Quirsfeld (Rumburg, Böhmen), S. Rosen-
feld (Wien), J. Igl (Brünn), Schnyke (Antwerpen) und anderen beschritten
worden ist.
Ich bin mir natürlich auch bewußt, daß aus den hier verwendeten
Fächern Deutsch (Aufsatz), Rechtschreiben und Rechnen und deren Kom-
binationen noch keine bindenden Schlüsse auf die Gesamtbegabung gezogen
werden können. Aus den drei Hauptästen der Trichotomie des menschlichen
Geisteslebens, Intellekt, Wille und Gefühl, ist mit Rechtschreibung und
Rechnen wohl zumeist nur der Intellekt und dieser natürlich noch nicht
in seiner Totalität erfaßt. Gefühl und Wille, die doch wesentliche Teile
der geistigen Begabung darstellen, sind in weniger hervorstechender Weise,
vielleicht gar nicht, durch Rechtschreibung und Rechnen gekennzeichnet.
Wir wissen aus der angegebenen Statistik also beispielsweise nichts
über die Begabung für Musik, für Zeichnen und Malen, für Handfertigkeit,
wir wissen nichts über die dichterische, rhetorische und turnerische Be-
gabung, über Phantasie, Ausdauer und Energiebegabung. Der deutsche
Aufsatz läßt höchstens einige Rückschlüsse auf die Phantasiebegabung zu.
Insofern bietet die angegebene Statistik zur Lösung des Begabungsproblems
und damit zur Aufhellung des Parallelismus von körperlicher und geistiger
Entwicklung nur sehr wenig. Zum mindesten ist es noch nicht als bewiesen
anzusehen, daß die Totalität des Geisteslebens demselben Naturgesetz des
Parallelismus unterworfen sei, wie es für die Fächer Rechtschreibung und
Rechnen gefunden wurde, obwohl die Versuchung dazu natürlich recht
naheliegt.
Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie, Bd. 22, Heft 1. 3
34 Stadtobermedizinalrat Dr. Hermann Paull:
Wenn ein gewisser Parallelismus von körperlicher und geistiger Ent-
wicklung angesichts des obigen Zahlenmaterials aber nicht geleugnet wer-
den kann, so müssen natürlich Meinungsverschiedenheiten über seine
Ursache bestehen.
Man hat früher den Umwelteinflüssen eine entscheidende Wirkung in
dieser Hinsicht eingeräumt. Das höhere Durchschnittsgewicht und die
höhere Durchschnittsgröße der Schüler der höheren Lehranstalten wird jetzt
noch von vielen Sozialhygienikern den besseren wirtschaftlichen Verhält-
nissen ihrer Eltern zugeschrieben. Nach dem oben angeführten statistischen
Nachweise verhält sich die Sache möglicherweise aber ganz anders. Es ist
wohl sicher, daß die Begabten in größerer Anzahl aus der Volksschule in
die höheren Schulen drängen und dadurch die Durchschnittswerte an Größe
und Gewicht in den höheren Schulen heben.
Mit der Umwelttheorie kann das körperliche und geistige Ueberragen
der Mädchen im Pubertätsalter ebenfalls nicht erklärt werden. Andererseits
soll doch auch nicht geleugnet werden, daß Körpergröße, Körpergewicht
und geistige Leistung von der Ernährung bis zu einem gewissen Grade
abhängig sind im phänotypischen Sinne. Wir haben während der Hunger-
blockade in den Schulen oft genug feststellen können, daß beim Fehlen
des physiologischen Ernährungsquantums in gleicher Weise Körper und
Geist in Mitleidenschaft gezogen werden. Aber es ist bei den hier unter-
suchten Kindern durchaus nicht so, daß die untergroßen und unterschweren
und unterbegabten Kinder gerade aus den wirtschaftlich schlechtgestellten
Familien stammen. Davon haben wir uns in sehr vielen Fällen, insbeson-
dere bei den Repetenten, hinreichend oft persönlich überzeugt. Jeder Schul-
arzt, jeder Lehrer und viele Eltern wissen übrigens aus eigener Erfahrung,
daß hoch- und niederbegabte, über- und untergroße, über- und unter-
schwere Kinder oft in derselben Familie vorkommen, von denselben Eltern
abstammen. Diese unbestrittene Tatsache kann mit der Umwelttheorie
überhaupt nicht in Einklang gebracht werden.
Den Grund für den hier zur Darstellung gebrachten naturgesetzlichen
Vorgang müssen wir vielmehr in der im Erbgange dem Kinde überkom-
menen Konstitution suchen, denn die Begabung gehört zweifellos mit zum
Begriffe der Konstitution.
Im Sinne der heutigen Vererbungslehre aber kann man den Begriff
der Konstitution nach Baur vielleicht so fassen: Konstitution ist die
körperliche und geistige Gesamterscheinung (Phänotypus) des individuellen
Menschen, soweit sie durch keimplasmatische, also schon durch die Be-
fruchtung gegebene Anlagen (Genotypus) bedingt ist, Anlagen, die ihm
durch seine Eltern von seinen Ahnen überkommen sind.
Verlegen wir aber den gefundenen Parallelismus von geistiger und
körperlicher Entwicklung in der Hauptsache in die Konstitution, d. h.
Körper-Konstitution und Begabung. 35
müssen wir zu einer Begründung auf die ausschlaggebende Wirkung der
Umwelteinflüsse verzichten, so gibt uns die Vererbungslehre eine befriedi-
gende Lösung der vorhin schon kurz berührten Schwierigkeiten. |
Das Vorkommen von körperlich und geistig gänzlich verschiedenen
Kindern in derselben Familie, das Ueberholen der Mädchen in der körper-
lichen und geistigen Entwicklung mit dem Einsetzen der Pubertät findet
eine befriedigende Erklärung nur mit Hilfe einer auf Mendelismus und
Chromosomenlehre sich stützenden Konstitutionstheorie.
Es bedarf wohl keines besonderen Hinweises, daß die gefundene Regel
nicht für jeden Einzelfall paßt. Wir finden unter der höheren Begabungs-
stufe I in allen drei Vergleichsfächern ja tatsächlich auch eine nicht zu unter-
schätzende Anzahl von Minusabweichern von Normalgröße und -gewicht.
Dieser Umstand allein beweist schon, daß das gefundene Gesetz sich
nicht in jedem Einzelfalle ungestört auswirkt, d. h. daß die überragende
Begabung sich nicht in allen Fällen an eine überragende Körperentwicklung
heftet. Man braucht ja auch nur an Napoleon, Windthorst, Eugen Richter,
Helfferich zu denken, um sofort einzusehen, daß hervorragende Begabung
auch in sehr kleinen Körpern vorkommen kann, d. h. daß das Rätsel der
Begabung und des ‚Parallelismus durch unsere Statistik keineswegs restlos
gelöst ist.
Aber es geht uns doch ein Verständnis dafür auf, daß die Anlagen zur
geistigen Begabung und körperlichen Gestaltung im Keimplasma irgendwie
miteinander verschlungen und daß die Abweichungen von der gefundenen
Regel ebenfalls durch Mächte der Vererbung bedingt sein müssen, die wir
im einzelnen allerdings noch nicht kennen.
Meines Erachtens geben die Ergebnisse der Anthropologie in der Ras-
senkunde auf diese Frage eine bis zu einem gewissen Grade befriedigende
Antwort. Die Anthropologie nimmt bekanntlich an, daß an der Bildung
der europäischen Völker vier Urrassen in verschiedenen Stärkegraden be-
teiligt seien, die nordische, die mediterrane, die alpine und die dinarische
Rasse. Alle vier Urrassen unterscheiden sich aber nicht nur durch Schädel-
form, Haut-, Iris-, Haarfarbe, sondern auch durch Körpergröße und Be-
gabung voneinander.
Wenn wir nun annehmen, daß der gefundene Parallelismus von Be-
gabung und Körpergestalt innerhalb der reinen Urrassen einstmals deutlich
oder vielleicht sogar restlos sich vollzogen habe, so mußten schon bei der
ersten Vermischung zweier Rassen Menschen entstehen, die das den ur-
sprünglichen Rassen innewohnende Gesetz äußerlich nicht mehr so deutlich
zeigten. Je mehr Rassenmischungen sich vollzogen, desto mehr Menschen
mußten geboren werden, welche Abweichungen von der gefundenen Regel
aufwiesen, zumal es sicher zu sein scheint, daß anthropologische Rassen-
merkmale (Schädelbildung, Haut-, Haar- und Irisfarbe, Wuchs) keine
gt
36 Dr. Heinrich Keller:
einheitliche Anlage im Sinne der Vererbungslehre darstellen, sondern einen
Komplex von Anlagen, die sich im Erbgange leicht voneinander lösen. Das
gelegentliche Herausmendeln reiner Typen wird hierdurch nicht nur nicht `
verhindert, sondern naturgesetzlich geradezu gefordert. Nun sind nach
Annahme vieler Anthropologen höhere Begabung, Wagemut, hoher Wuchs,
Langschädeligkeit, blondes Haar, weiße Haut und blaue Irisfärbung her-
vorstechende Charakteristiken der nordischen Rasse, die in hervorragendem
Maße an der Bildung des deutschen Volkes beteiligt sei.
Nun darf es wohl als sicher gelten, daß ursprünglich nicht alle Men-
schen der nordischen Rasse gleiche Größe, gleiche Augen- und Hautfarbe,
gleiche Schädelbreite und gleiche Begabung usw. gehabt haben, sondern
alles spricht dafür, daß schon von allem Anfange an zahlreiche Varianten
bestanden haben. Das gleiche gilt natürlich auch für die anderen Urrassen.
Wenn nun in der Tat bei den einzelnen Urrassen im Keimplasma schon
die höhere Begabung mit der höheren Körperform verschlungen gewesen
sein sollte, so würden sich die Abweichungen als sog. Mixovariationen im
Sinne der heutigen Vererbungslehre m. E. wohl erklären lassen. Es ist
indessen nicht meine Aufgabe, eine Antwort für die hier sich auftuenden
Fragen zu geben. Ich wollte lediglich erneut auf das Problem des Parallelis-
mus von körperlicher und geistiger Entwicklung hinweisen und die An-
thropologen und Erblichkeitsforscher zur Nachprüfung anreizen.
Ueber die Beziehungen zwischen Begabung
und Fortpflanzung.
Von Dr. Heinrich Keller, Winterthur.
(Mit 2 Abbildungen.)
Die kritische Lage, in der sich die abendländische Kultur befindet,
erfüllt das öffentliche Bewußtsein immer mehr mit der Sorge um den
Fortbestand und die Weiterentwicklung dieser Kultur. Vor allem tun dies
die zahlreichen Zersetzungserscheinungen, die sich dem Bewußtsein leichter
aufdrängen als die auch vorhandenen, aber mehr verborgenen Aufbau-
tendenzen. Diese Sorge bleibt heute nicht mehr bei den geographischen,
geschichtlichen, wirtschaftlichen, sozialen und anderen mehr äußeren Kul-
turbedingungen stehen, sondern wendet sich auch den biologischen, beson-
ders den erbbiologischen Fragen zu. Wie die persönliche Leistung in erster
Linie auf der persönlichen Begabung beruht, kann die Kultur eines Volkes
nur getragen werden von der Begabung seiner Gesamtheit oder doch eines
ansehnlichen Teils. Alle Bemühungen um den kulturellen Aufstieg geschehen
denn auch unter der Voraussetzung, daß die kommende Generation befähigt
sein werde, das geschaffene Kulturgut zum Aufbau höherer Kulturformen
Ueber die Beziehungen zwischen Begabung und Fortpflanzung. 37
zu benützen. Nur wenn sie aus dem Lebensprozeß begabter Völker heraus
fortwährend neu belebt werden, entgehen die Kulturgüter dem Schicksal, zu
inhaltslosen Aeußerlichkeiten herabzusinken. Anerkennt man nun, daß die
geistigen Anlagen Erbgut sind und durch Erziehungsarbeit lediglich phäno-
typisch entwickelt, in ihrer spezifischen Beschaffenheit aber nicht verändert
werden können, so erhebt sich die Frage, ob in den modernen Kulturvölkern
der generative Prozeß so verlaufe, daß der Bestand an guten Begabungen
steigt, gleich bleibt oder sinkt. Daß im allgemeinen schlechte Begabungen
unerwünscht sind, ist klar, obschon der Einwand, es seien im sozialen Or-
ganismus auch viele mäßig begabte Elemente notwendig, nicht ohne wei-
teres von der Hand zu weisen ist, wenn man an die Berufe denkt, die von
leicht Schwachsinnigen ausgeübt werden können. Daß andererseits für die
höheren kulturellen Leistungen ein starker Vorrat guter und hervorragen-
der Begabungen unentbehrlich ist, liegt auf der Hand. Es ist also geradezu
eine Existenzbedingung für ein Volk, daß seine gutbegabten Familien ihren
Bestand mindestens erhalten. Leider aber scheint das vielfach nicht mehr
der Fall zu sein; es sei hier an die Untersuchungen von Fürstund Lenz
in München!) und Kurz in,Bremen°) erinnert. Bei der Wichtigkeit der
Frage ergibt sich die Notwendigkeit, an anderen Orten diesbezügliches
Material zu sammeln, um über den Stand der Entwicklung einen Ueber-
blick zu bekommen. Zur Lösung dieser Aufgabe will die vorliegende Arbeit
. einen Beitrag liefern.
Wegen der praktischen Undurchführbarkeit der Aufgabe, in einer Be-
völkerung eine Gruppe begabter und eine solche unbegabter Eltern auszu-
scheiden und ihre Kinderzahlen festzustellen, war die Untersuchung auf den
mittelbaren Weg gewiesen, von Gruppen verschieden begabter Kinder aus-
zugehen und von ihrer Begabung auf diejenige der Eltern zurückzuschlie-
Ben. Daß dieser Rückschluß im Einzelfalle falsch oder nur teilweise richtig
sein kann, liegt auf der Hand; daß er aber in einer großen Zahl von Fällen
den Tatsachen entspricht, wird wohl am eindrucksvollsten durch die um-
fangreiche Untersuchung von W. Peters?) bewiesen. Es wird hier an
einem sehr großen Material, das sich über drei Generationen erstreckt,
überzeugend dargetan, wie die Schulbegabung ein ausgeprägtes Familien-,
also Erbmerkmal ist. Dadurch ist die Möglichkeit gegeben, die Eltern nach
den Schulleistungen ihrer Kinder in entsprechende Begabungsklassen ein-
zureihen. Man kann gegen diese Auslese mit einem gewissen Recht ein-
. wenden, daß gute Schulleistungen nicht immer ein Beweis sind für die
1) Th. Fürst und Fr. Lenz: Ein Beitrag zur Frage der Fortpflanzung verschie-
den begabter Familien. Arch. f. Rassen- u. Gesellschaftsbiologie, Bd. 17, Heft 4, 1925.
2) K. Kurz: Zusammenhänge zwischen Kinderzahl und wirtschaftlicher Lage des
Elternhauses. Arch. f. Rassen- u. Gesellschaftsbiologie, Bd. 20, Heft 3, 1928.
3) W. Peters, 1915: Ueber Vererbung psychischer Fähigkeiten. In „Fortschritte
der Psychologie“ III. Bd., Teubner, Leipzig 1915.
38 Dr. Heinrich Keller:
höhere Begabung, nicht einmal stets für größere Lebenstüchtigkeit im
landläufigen Sinn. Im allgemeinen ist dies aber ohne Zweifel doch der Fall.
Das Material, über das hier Mitteilungen gemacht werden, stammt aus
den Volks- und Mittelschulen von Winterthur. Es mögen der Besprechung
des Zahlenmaterials die wichtigsten Angaben über die örtlichen Verhält-
nisse vorangehen. Die Stadtgemeinde Groß-Winterthur ist 1922 entstanden
durch Vereinigung der Altstadt Winterthur mit den Vororten Veltheim,
Töß, Wülflingen, Oberwinterthur und Seen, wovon die beiden ersteren eng
mit der Altstadt verwachsen sind, während die drei letzteren in ziemlicher
Entfernung vom Stadtkern liegen und noch halb ländliche Verhältnisse
aufweisen. Die ganze Gemeinde umfaßt ca. 6900 ha und zählte 1922 etwa
50 000 Einwohner, die Besiedlung ist also für eine Stadt sehr locker. Das
wirtschaftliche Leben wird durchaus beherrscht von der Maschinenindu-
strie, daneben spielt die Textilindustrie eine große Rolle. Dementsprechend
macht die Arbeiterschaft einen relativ großen Bruchteil der Bevölkerung
aus; der Mittelstand ist nicht wie in Deutschland und Oesterreich in Not-
lage geraten, sondern hat seine wirtschaftliche und soziale Stellung be-
hauptet. Die Schulorganisation Winterthurs untersteht dem Schulgesetz
des Kantons Zürich. Die Volksschule, deren Besuch unentgeltlich ist, um-
faßt Primar- und Sekundarschule, Die ersten sechs Primarklassen sind
für alle Kinder verpflichtend; hierauf folgen für die mäßig begabten Schüler
noch zwei Primarklassen bis zur Erfüllung der Schulpflicht. Die begabten
Schüler treten aus der 6. Klasse in die dreiklassige Sekundarschule
ein, die einen gewissen Abschluß der Volksschulbildung erstrebt und zu-
gleich als Unterstufe für Oberrealschule und Lehrerseminar dient. Für
leicht schwachsinnige Kinder, die dem Primarunterricht nicht folgen kön-
nen und doch noch keine Anstaltsversorgung erheischen, werden sogenannte
„Spezialklassen‘“ geführt. An Mittelschulen, die zur Maturität führen, be-
sitzt Winterthur das an die sechste Klasse anschließende Gymnasium und
die an die 2. Sekundarklasse anschließende Oberrealschule, die unter der
Bezeichnung „Kantonsschule“ zusammengefaßt werden. Ihr Besuch ist für
Kantonsbürger kostenlos. Es liegen also vier Schülergruppen von genügend
verschiedener Begabung vor:
118 Schüler der Spezialklassen ( 6—14jähr.)
407 Schüler der 7. u. 8. Primarklasse (12—14jähr.)
1209 Schüler der Sekundarschule (12—15jähr.)
270 Schüler der Kantonsschule (12—19jähr.)
Der Umstand, daß die vier Gruppen nicht gleichaltrig sind, muß auf die
erfragten Kinderzahlen einen Einfluß haben. In den Familien der Kantons-
schüler kann die Fortpflanzung als abgeschlossen betrachtet werden; bei
den Spezialkläßlern wird das noch. nicht der Fall sein, da sie bis zum
6. Altersjahr hinunterreichen und zudem unter ihnen, wie wir sehen wer-
Ueber die Beziehungen zwischen Begabung und Fortpflanzung. 39
den, häufiger große Familien vorkommen. Die von ihnen angegebenen
Kinderzahlen werden also etwas zu klein sein.
Das Material wurde in dankenswerler Weise in jeder Klasse vom Klas-
senlehrer durch Befragen der Schüler gewonnen. Auf andere Angaben als
die der Kinderzahl wurde verzichtet, um ein möglichst vollzähliges Material
zu erhalten; die Fragebogen gingen denn auch aus allen Klassen ein, was
ein lebhaftes Interesse der Lehrerschaft für die Frage nach dem Zusammen-
hang zwischen Begabung und Fortpflanzung verrät; der Lehrer ist hier der
Zunächstbeteiligte. Ausdrücklich erwähnt muß werden, daß sich auch die
Schulbehörden für die Untersuchung interessierten und ihre Durchführung
ohne weiteres gestatteten. Nachträglich konnte die Erhebung noch ergänzt
werden, indem aus den Schülerverzeichnissen die Berufe der Väter fest-
gestellt wurden. Das Material stellt in bezug auf die Familien, die Kinder
in eine der vier Schulgattungen schickten, ein Gesamtmaterial dar; über___
die ganze Bevölkerung gibt es keine unmittelbare Auskunft. m.
Tabelle 1.
Kinderzahl
Spezialklassen 118 | 4,47 | 2,29
7. und 8. Klassen 407 | 4,15 | 2,36
Sekundarschüler 131/338131011941102| 68/27/17) 7| 6| 2 1209 | 3,31 | 1,87
aus Groß-
Se | Winterthur 35| 65| 61| 32| 3| 9 209 | 2,79 | 2,32
schuler vom Lande| 5| 20) 15) 8| 4) 4| 2/—|—! 2| 1|— 61 | 3,46 | 2,27
Zahl der befragten Schüler |210|510|482|338|188|125157|36|24|15| 8 | 4 | 4 | 1 | 2 | 2004 | 3,49 | 2,08
In Tabelle 1 sind die Angaben der Schüler nach Kinderzahlen geordnet;
außer den ‚Frequenzen der Familien mit 1, 2, 3 usf. Kindern enthält sie
noch die rohen mittleren Kinderzahlen und die stetigen Abweichungen. Die
letzteren sind für die Spezialkläßler, Siebt- und Achtkläßler und Kantons-
‚schüler fast gleich; die Sekundarschüler bilden eine etwas geschlossenere
Reihe. In allen Gruppen sind Familien von über 6 Kindern selten; vom Ge-
samtmaterial machen sie nur 7,5 % aus. Familien mit 10 und mehr Kindern,
es sind deren nur 1,7 %, müssen als Ausnahmefälle bezeichnet werden. Ein
Blick auf die Frequenzreihen zeigt, daß die Maxima von den Spezialkläß-
lern zu den Kantonsschülern sich nach der Seite der kleinen Kinderzahlen
verschieben; die rohen mittleren Kinderzahlen sinken dementsprechend
ziemlich gleichmäßig von den Schwachbegabten zu den Mittelschülern. Je
begabter also die Schüler sind, um so weniger Kinder besitzen die Fami-
lien, aus denen sie stammen. Einzig die Kantonsschüler, die auf dem Lande
wohnen, machen eine Ausnahme, die auf unsere Frage nach den die Kinder-
zahl bestimmenden Faktoren einiges Licht zu werfen vermag. Wie Tabelle 6
40 Dr. Heinrich Keller:
zeigt, stammen sie mit einer leichten Verschiebung nach unten zu ziem-
lich den gleichen Prozentsätzen aus den dort unterschiedenen sozialen
Schichten wie die in Groß-Winterthur wohnenden Mittelschüler. Trotzdem
sind ihre Familien sogar kinderreicher als diejenigen der städtischen
Sekundarschüler (3,46 gegenüber 3,31), die ihrer Abstammung nach auf
der sozialen Stufenleiter tiefer stehen. Da wesentliche Unterschiede in den
wirtschaftlichen, Wohnungs- und Bildungsverhältnissen zwischen länd-
lichen und städtischen Kantonsschülern nicht in Betracht kommen, wird
man zur Annahme geführt, daß das ländliche Milieu dadurch fruchtbar-
keitsfördernd 'wirkt, daß es, auch in den gebildeten Familien, altväterische
Anschauungen über Familie und Kindersegen lebendiger erhalten hat als
die städtische Umwelt. |
Die rohen mittleren Kinderzahlen stellen nicht die wirkliche durch-
schnittliche Anzahl der Kinder pro Familie dar. Da die Erhebung nicht
von den Eltern aus, sondern durch die Schüler geschah, ist jede Familie
so oft vertreten, als sie Kinder in einer der erfaßten Schulstufen hat, was
auf eine Bevorzugung der kinderreichen Familien hinausläuft. Eine ein-
fache Methode, diesen Fehler zu korrigieren, gibt Lenz an (Archiv für
Rassen- und Gesellschaftsbiologie Bd. 17, H. 4, S. 397). Sie besteht in der
Hauptsache darin, daß man die Frequenzen der Familien durch ihre Kin-
derzahlen teilt. Die Resultate dieser Reduktion sind in Tabelle 2 enthalten.
Tabelle 2.
Reduzierte Anzahlen der Familien mit 1, 2, 3, 4, 5, 6 und mehr Kindern in Prozenten.
Kinderzahl
1 | 2 | 3 4 | 5 | 6 und mehr
Spezialklassen 24,8 13,8 22 16,5 12,1 10,8
7. und 8. Klassen 21,9 28,1 17,5 14,6 8,3 9,2
Sekundarschulen 26,6 34,3 21 9,7 4,1 3,9
Kantonsschüler aus Groß-
winterthur 35,7 33,1 20,7 8,2 0,6 2,0
Abb. 1 zeigt anschaulich die Unterschiede in den Familienverhält-
nissen der vier Schülergruppen. In allen häufen sich die Familien mit klei-
ner Kinderzahl deutlich; das Maximum wird jedoch schärfer ausgeprägt
und verschiebt sich zugleich nach links, wenn wir von den Schwachbegabten
zu den Mittelschülern schreiten. Die Reihe der Spezialkläßler besitzt kein
einheitliches Maximum, ihre auffallend große Zahl von Einkinderfamilien
ist vielleicht zum Teil darauf zurückzuführen, daß bei Syphilis der Eltern
einerseits die geistige Entwicklung der Kinder häufig gehemmt ist, und
daß anderseits in syphilitischen Familien oft nur ein Kind am Leben bleibt
bzw. lebend zur Welt kommt; bei den Siebt- und Achtkläßlern erscheint
das Maximum in der Kolonne der Zweikinderfamilien schwach ausgeprägt,
um bei den Sekundarschülern deutlicher hervorzutreten und bei den Kan-
Ueber die Beziehungen zwischen Begabung und Fortpflanzung. 41
tonsschülern auf die Kolonne der Einkinder- Prozentsatz der Familien.
familien zu rücken. Die Familien mit 4 und
mehr Kindern machen bei den beiden minder-
begabten Gruppen zwei Fünftel resp. ein Drit- Spex Hl
tel aus, bei den Sekundarschülern etwa ein
Sechstel, bei den Kantonsschülern wenig mehr
als ein Zehntel. Geht man die Reihen in der
Richtung steigender Begabung durch, so be-
merkt man eine Zunahme der Ein- und Zwei-
kinderfamilien (mit je einer Ausnahme); noch
stärker ist die entsprechende Abnahme der
Familien mit je 4, 5, 6 und mehr Kindern.
Die Kinderahl 3 tritt in allen Gruppen etwa
gleich häufig auf. Die Regelmäßigkeit in der
Abstufung der Kinderzahlen schließt die Mög-
lichkeit einer zufälligen Erscheinung ent-
schieden aus, es muß hier ein enger Zu- m
sammenhang zwischen Familienbegabung „,,%r w
und Fortpflanzung vorliegen. Dieser Zusam- ö
menhang wird am einfachsten dargestellt yinderahl 1 2 3 4 5 6 umr.
durch die in Tabelle 3 enthaltenen korri-
10
(e)
gierten Kinderzahlen. re
Tabelle 3.
Korrigierte mittlere Kinderzahl pro Familie.
Spezialklassen 7. und 8. Klassen Sekundarschule Kantonsschule
3,25 2,98 2,46 2,12
Natürlich müssen hier die Unterschiede zwischen den vier Gruppen
kleiner sein als bei den rohen Mittelzahlen; denn die oben erwähnte Reduk-
tion betrifft die kinderreichen Familien stärker als die kleinen. Das Wesent-
liche ist aber wiederum das gleichmäßige Sinken der Kinderzahl von den
unbegabteren zu den begabteren Gruppen, ein erneuter Beweis für die be-
denkliche negative Fruchtbarkeitsauslese. Vergegenwärtigt man sich, daß
die mitgeteilten Zahlen nur für die Familien gelten, die Kinder in einer der
vier erfaßten Schulgattungen haben, so ist man von ihrer Kleinheit über-
rascht. Bezöge man die kinderlosen Ehen mit ein, so müßten die mittleren
Kinderzahlen noch kleiner werden und zum Teil stark unter das Erhal-
tungsminimum sinken. Für Deutschland berechnet Lenz, daß auf jede
Ehefrau durchschnittlich 3,6 Geburten kommen müssen, wenn die Bevölke-
rung ihren Bestand erhalten soll. Von dieser Zahl ausgehend bestimmt Kurz
(Archiv f. Rasseh- und Gesellschaftsbiologie Bd. 20, 1928) für Bremen die
Zahl der Kinder pro Familie, die zur Erhaltung der Volkszahl notwendig
ist. Er kommt auf 3,1 Kinder. Wesentlich kleiner kann das Erhaltungs-
42 Dr. Heinrich Keller:
minimum unter den schweizerischen Verhältnissen auch nicht sein, Es
würde also die negative Auslesegruppe der Spezialkläßler eine schwache
Vermehrung aufweisen, die Familien der Siebt- und Achtkläßler, welch letz-
tere vom Volk eher als negative Auslese denn als Norm betrachtet werden,
würden ihren Bestand: noch knapp sichern. Die Sekundarschüler stehen
schon bedeutend: unter dem Erhaltungsminimum. Die sozial recht scharf
abgegrenzte Bevölkerungsschicht, aus der sich die Kantonsschüler rekrutie-
ren, käme auf eine Kinderzahl pro Familie weit unter 2, wenn man die
kinderlosen Ehen einbezöge. Die Familien dieser sozialen Schichten gehen
also an Individuenzahl zurück; am Aufbau der kommenden Generation
beteiligen sie sich schwächer als die Familien, aus denen die Schwach-
begabten und die Siebt- und Achtkläßler stammen. Es ist also zu befürch-
ten, daß die gutbegabten Volksschichten von den minderbegabten überflutet
werden, daß unser Volk an guten Begabungen relativ ärmer wird, wenn die
negative Fruchtbarkeitsauslese längere Zeit sich auswirken kann.
Wären die unerfreulichen Verhältnisse im generativen Prozeß der Be-
völkerung von Winterthur eine lokal bedingte vereinzelte Erscheinung, so
brauchten sie nicht ins Gewicht zu fallen. Bekanntlich stehen jedoch die
Dinge anderswo um nichts besser. Es mögen zum Vergleich mit den Winter-
thurer Zahlen Angaben aus den Untersuchungen von Fürst und Lenz
(1925) über die Kinderzahl der Familien von Münchener Fortbildungs-
schülern und von Kurz (1928) über die Bremer Schulen herbeigezogen
werden, da sich die hier untersuchten Schülergruppen ihrer Begabungs- ` `
auslese nach ziemlich gut mit den Winterthurer Gruppen in Parallele
setzen lassen, Die niedrigste Begabungsstufe der Bremer Hilfsschulen ent-
spricht offenbar unseren Spezialklassen; dasselbe Begabungsniveau mögen
die Münchener Fortbildungsschüler mit Note 5 haben. Die Abschlußklas-
sen in Bremen stellen wie die 7. und 8. Klasse in Winterthur eine negative
Auslese der Volksschule dar. Die Sekundarschule dürfte den Normal- und
gehobenen Zügen in Bremen entsprechen und anderseits in bezug auf
Begabung der Schüler den Fortbildungsschülern in München mit Note 2
gleichkommen. Endlich vergleichen wir am passendsien die „höheren Schu-
len“ Bremens mit der Kantonsschule, obschon, wie Kurz mitteilt, ein
großer Prozentsatz der höheren Schüler aus unteren Volksschichten stammt,
während die Kantonsschüler zum weitaus größten Teil den oberen Schichten
angehören, In Tabelle 4 sind die einander mehr oder weniger entsprechen-
den Gruppen untereinander gesetzt.
Ein Blick auf die Reihen aus den drei Städten zeigt, daß die begabten
Auslesegruppen an allen drei Orten sehr ähnliche Kinderzahlen haben;
höhere Schüler und Kantonsschüler stimmen sogar genau überein, die
Kinderzahl ihrer Familien liegt etwa um ein Kind unter dem Erhaltungs-
minimum. Bei aller Verschiedenheit der Umwelt, die die weit entfernte
-
Ueber die Beziehungen zwischen Begabung und Fortpflanzung. 43
Tabelle 4.
Kinderzahl auf die Familie.
Bremen
Hilfsschulen Abschlußklassen Normalzüge Gehobene Züge Höhere Schulen
4,16 4,29 3,34 2,79 2,10
Winterthur
Spezialklassen 7. und 8. Klassen Sekundarschule Kantonsschule
3,25 2,98 2,46 2,12
München (Fortbildungsschüler)
Note V Note IV Note III Note II
6,51 3,15 2,70 2,39
Lage der beiden Städte am Nord- und Südrand . des deutschen Sprach-
gebietes mit sich bringen muß, haben die Elternschaften dieser Schüler
das gemeinsam, daß sie einen deutlichen Aufstiegswillen im sozialen Sinn
bekunden, zugleich aber ihre Fruchtbarkeit in einem für die Gesellschaft
verhängnisvollen Maße beschränken. Gehen wir nun zu den unbegabten
Gruppen über, so fallen hier die großen Unterschiede zwischen ihren Kin-
derzahlen auf. Die extrem hohe Zahl der Münchener Fortbildungsschüler
mit der Note 5 mag zum Teil zufällig sein, da diese Gruppe nur 15 Schüler
umfaßt; sie kann aber auch daher rühren, daß diese Gruppe das Produkt
einer sehr scharfen negativen Auslese ist. Für unsere Untersuchung ist die
Feststellung wichtig, daß die unbegabteste Gruppe in Winterthur eine klei-
nere Kinderzahl aufweist als die entsprechenden- Gruppen.in München und
Bremen, daß also die Winterthurer Reihe geringere Unterschiede aufweist.
Das könnte als Ausdruck dafür gedeutet werden, daß in der Schweiz die
soziale Schichtung, die mit der Begabungsschichtung eng zusammenhängt,
weniger schroff ist als in Deutschland. Die relativ kleine Kinderzahl in der
Gruppe der Spezialkläßler läßt überdies. vermuten, daß in Winterthur die
Fruchtbarkeit in den Familien der unbegabtesten Volksschüler weitgehen-
der beschränkt wird als in den deutschen Städten. Vom Standpunkt der
Rassenhygiene würde das erwünscht sein, abgesehen davon, daß das Sin-
ken der Fortpflanzungsquote unbegabter Familien auch volkswirtschaftlich
zu begrüßen wäre. Die Schweiz hat sich. in bezug auf die Beschränkung der
Fruchtbarkeit dem westlichen Beispiel früher angeschlossen als Deutsch-
land. Es lassen sich trotz des kleinen Gebietes innerhalb der Schweiz sogar
regionale Abstufungen des französischen Einflusses feststellen, wie Tabelle 5
zeigt. Sie enthält die Prozentanzahl der Familienhaushaltungen mit 0, 1,
2, 3, 4, 5, 6 und mehr Kindern, wobei zu bemerken ist, daß es nur die zur
Zeit der Volkszählung vom Jahre 1920 in den Familien lebenden Kin-
der sind’).
%) Schweizerische statistische Mitteilungen. VIII. Jahrg. 1926, 3. Schlußheft.
44 Dr. Heinrich Keller:
Tabelle 5.
Familienhaushaltungen in Prozenten.
Kinderzahl
Kinder pro
Haushalt
6 und mehr
Winterthur 26,9 | 271 | 222 | 124 | 61 | 27 2,6 1,6
Zürich 30,9 | 28,3 | 215 | 109 | 48 | 21 1,4 1,4
Lausanne 32,4 28,1 21,0 10,9 4,5 1,9 1,2 1,4
Genf 40,3 | 30,2 | 18,3 | 72 | 25 | 09 o5 | a
Winterthur und Zürich liegen in geringer Entfernung voneinander; der
Grundstock der Bevölkerung beider Städie gehört demselben Volksstamme
an; Zürich ist aber mit etwa 210000 Einwohnern ausgesprochen groß-
städtisch und stark überfremdet, während Winterthur keinen wesentlichen
fremden Einschlag hat. Aehnliches ist vom Verhältnis der beiden west-
schweizerischen Städte zu sagen; Lausanne hat rund 10909 Einwohner,
Genf 138 000, darunter sehr viele Franzosen.
Es sind aus der Tabelle 5 deutlich zwei Faktoren herauszulesen, die die
Kinderzahl beeinflussen: Die Größe der Städte resp. die Ausgeprägtheit ihres
großstädtischen Charakters und die Zugehörigkeit zum deutschen oder
französischen Sprachgebiet. In der deutschen wie in der französischen
Schweiz haben die größeren Städte niedrigere Kinderzahlen als die klei-
neren. In den welschen Städten ist aber die Zahl der Kinder pro Haus-
haltung kleiner als in den deutschschweizerischen, so daß Lausanne auf
das gleiche Mittel 1,4 kommt wie das viel größere Zürich. Die Abstufung
unter den vier Städten wird besonders eindrucksvoll, wenn man die senk-
rechten Reihen durchgeht. Die Anzahlen der Haushaltungen mit 0 oder
1 Kind steigen, diejenigen der kinderreichen Haushaltungen sinken von
oben nach unten, d. h. in der Richtung gegen Frankreich.
Die Kinderzahlen der Familien der vier Schülergruppen von Winter-
thur eröffnen eine sehr unerfreuliche Perspektive. Sie lassen eine rasche
Ueberflutung der begabteren Volksschichten durch die unbegabteren be-
fürchten. Ein schwacher Lichtblick kann immerhin darin gesehen werden,
daß mit fortschreitender Entwicklung die Fruchtbarkeitsbeschränkung mit
bewußter Absicht mehr und mehr auch in den unteren Volksschichten
Platz greift. Die Gefahr der Ueberflutung wäre dadurch wenigstens von
der negativen Seite her etwas vermindert.
Begabungsstufen und soziale Schichtung.
Es läßt sich an unserem Material leicht zeigen, daß die festgestellte
negative Korrelation zwischen Schulbegabung und Fortpflanzungsquote eine
Parallelerscheinung zu der bekannten Tatsache ist, daß die Kinderzahl im
allgemeinen um so kleiner ist, je höher die Familie sozial steht. Man braucht
sich nur die Berufe der Väter zu notieren, um zu erkennen, daß die durch
Ueber die Beziehungen zwischen Begabung und Fortpflanzung, 45
unsere vier Schulstufen geschaffenen Begabungsgruppen in sehr verschie-
dener Höhe der sozialen Stufenleiter stehen, was ein Blick auf das Aeußere
der Schüler bestätigt. Die Aufstellung von Berufsgruppen von verschiedener
sozialer Stellung ist stets etwas willkürlich, doch dürfte folgende Einteilung
unserer gesellschaftlichen Struktur ziemlich entsprechen:
1. Ungelernte Arbeiter (Fabrikarbeiter, Handlanger, Tagelöhner,
Erdarbeiter usf.).
. Gelernte Arbeiter; kleine Angestellte; Landwirte.
. Handwerksmeister; Werkmeister; kleine Kaufleute.
. Höhere Beamte und Privatangestellte; Lehrer.
5. Akademiker; Großkaufleute; Fabrikanten.
Es müssen in der Einteilung neben der finanziellen Seite auch die
Bildungshöhe, die ein Beruf voraussetzt, und seine allgemeine Wertschät-
zung berücksichtigt werden, da die letztere unbewußt bei der Berufswahl
mitspielt, und zwar offenbar besonders bei sozial wertvollen Menschen, Die
Zuteilung der Landwirte zur zweiten Gruppe mag verwundern; sie gehörten
als selbständig Erwerbende in die dritte Reihe; in bezug auf Lebenshaltung
und Bildungshöhe stehen sie aber durchschnittlich nicht über dem gelernten
Arbeiter. Bei der Zuteilung der Berufe in die eine oder andere Gruppe stößt
man besonders wegen der Vieldeutigkeit gewisser Berufsbezeichnungen
(Kaufmann, Kommis, Ingenieur) oft auf unklare Fälle. In der großen Zahl
heben sich die dadurch bedingten Schwankungen aber auf. Die Korrektion
des Fehlers, der durch Mehrfachzählung eines Vaters entsteht, unterblieb,
da Mehrfachzählungen selten sind. Der Uebersichtlichkeit halber ist die
Verteilung der Berufe in Tabelle 6 und der dazugehörigen Abbildung 2 in
Prozentzahlen ausgedrückt.
Die Spezialkläßler rekrutieren sich zu gut der Hälfte aus dem Stande
der ungelernten Arbeiter, zu etwas weniger als der Hälfte aus den gelernten
Arbeitern; nur ein verschwindender Bruchteil stammt aus dem Gewerbe-
stand, gar keine aus den obersten Schichten. Natürlich werden auch hier
schwachbegabte Kinder vorkommen; wohlhabende Leute sind aber in der
Lage, solche in Anstalten erziehen zu lassen und damit unserem Material zu
entziehen. Bei den Siebt- und Achtkläßlern verschiebt sich das Maximum von
über der Hälfte in die Kolonne der gelernten Arbeiter, ein Drittel entstammt
Familien ungelernter Arbeiter, ein Achtel dem Handwerkerstand, nur 1%
den Kreisen höherer Beamter. Auch hier gilt dasselbe wie für die Spezial-
kläßler: Für die obersten Gesellschaftsschichten ist die 7. und 8. Klasse
nicht standesgemäß; Kinder mit entsprechender Begabung aus diesen Stän-
den sind hier nicht erfaßt, doch muß aus den Kurven geschlossen werden,
daß ihre Zahl nicht groß sein kann. Die Sekundarschüler sind am gleich-
mäßigsten über die Gesellschaftsschichten verteilt; nicht ganz die Hälfte
entstammt der gelernten Arbeiterschaft, etwas mehr als ein Viertel dem
> Q N
46 Dr. Heinrich Keller:
Tabelle 6,
e Begabung und soziale Schichtung.
Berufe der Väter.
Handwerks-
meister
Ungelernte | Gelernte
Arbeiter Arbeiter
Beamte |Akademiker
Spezialkläßler
. 7- u. 8.-Kläßler 53,6 12,8 1,0
Sekundarschüler 45,4 27,0 12,6 2,9
Kantonsschüler aus der Stadt 6,4 21,1 32,6 39,9
Kantonsschüler vom Lande 8,8 26,5 29,4 33,8
Handwerkerstand, je etwa ein Achtel dem Beamten-
stand und der Klasse der ungelernten Berufe; end-
lich kommt noch ein kleiner Zuzug aus der obersten
Schicht, so daß die Sekundarschule der Herkunft
ihrer Schüler nach am ausgeprägtesten Volksschule
ist. Die starke Verschiebung der Kantonsschüler nach
den oberen Gesellschaftsschichten gibt kein richtiges
Bild von der Verteilung der für den Besuch der Mit-
telschule erforderlichen Begabung. Während der Be-
such der anderen Schulen mit keinerlei Kosten ver-
bunden ist, bedeutet der Besuch der Kantonsschule
Ungelernte Arb.
Gelernte Arbeiter
Handwerksmeilter
Höhere Beamte
Akademiker
Spez.- |
KI. ”
— a a >
0
FF trotz großer Stipendien an begabte Schüler eine so
20 große finanzielle Belastung, daß viele Familien aus
> der Arbeiterklasse und dem Mittelstand auch bei
guter Begabung ihrer Kinder nicht an den Bildungs-
gang der Mittelschule denken, wenn sie nicht ein
lebhafter Aufstiegswille dazu anspornt. Die wohl-
habenden Kreise haben mit diesen Bedenken nicht
oder nicht sehr zu rechnen, zudem gehört hier Mit-
telschul-, womöglich Hochschulbildung oft zur treu-
befolgten Familientradition. Es ist also klar, daß in
unserer Zusammenstellung die oberen Gesellschafts-
30 klassen an dem Besuch der Kantonsschule stärker
beteiligt sind, als ihrem Gehalt an guten Begabungen
‚ entsprechen würde, die unteren Stände umgekehrt
schwächer. Aber auch wenn man diese Einschrän-
nn kung bedenkt, sprechen die Verteilungszahlen zu deut-
lich, als daß man daran zweifeln könnte, daß der Gehalt an guten Begabungen
durchschnittlich um so größer ist, je höher eine Familie sozial steht. Das
ist auch kaum anders denkbar, wenn man sich klar macht, daß die soziale
Schichtung in der Hauptsache ein Produkt der Berufs-, also Begabungs-
auslese ist. In der Beziehung zwischen Begabung und sozialer Stellung
Sek.- -
Schule r
Kantons
Schule ‚
Ueber die Beziehungen zwischen Begabung und Fortpflanzung. 47
wird man also die erstere als das Primäre zu betrachten haben; eine Rück-
wirkung der durch sie geschafienen günstigen oder ungünstigen Umwelt
nicht auf die Begabung selbst, wohl aber auf die Schulleistungen ist nicht
zu übersehen; oft mag sie aber überschätzt werden.
Die Abstufung der Kinderzahl nach der Wohngegend.
In der Gemeinde Winterthur sind mit dem Stadtkern, der „Altstadt“,.
fünf Vororte vereinigt, von denen Oberwinterthur, Seen und Wülflingen
ziemlich weit entfernt liegen. Obschon ihre Bevölkerung wirtschaftlich aufs
engste mit der Stadt zusammenhängt, ist doch anzunehmen, daß die Kinder-
zahl kreisweise Abstufungen zeigen werde, daß besonders die Kreise mit
halb ländlichen Verhältnissen sich von der Stadt im engern Sinne unter-
scheiden werden. Das Material erlaubte eine Aufteilung nur für die 7. und
8. Klasse und die Sekundarschule, da die äußeren Kreise nur wenig Kan-
tonsschüler und Schwachbegabte stellen. Die Elternschaft dieser beiden
Gruppen scheidet also aus; doch stellt wenigstens diejenige der Sekundar-
schüler einen Ausschnitt dar, der in seiner sozialen Schichtung etwa der
Gesamtbevölkerung entspricht, so daß die hier gewonnenen Ergebnisse für
Winterthur verallgemeinert werden dürfen. In Tabelle 7 sind die Vororte
nach ihrer Entfernung vom Stadtinnern geordnet.
Tabelle 7.
Korrigierte Kinderzahl auf eine Familie.
| Altstadt Veltheim Töß | Oberwinterthur Wiülflingen Seen
7. und 8. Klassen 2,69 2,61 3,00 3,09 3,95 3,85
Sekundarschule 2,37 - 2,28 2,40 2,56 2,81 3,49
In allen Kreisen sind wie im ganzen Stadtgebiet die Familien der
Sekundarschüler kinderärmer als die der Siebt- und Achtkläßler,. wobei
sich aber bemerkenswerte Unterschiede zeigen. In der Altstadt, in Veltheim
und Seen beträgt die Differenz etwa ein Drittel, in Töß und Oberwinterthur
ein halbes, in Wülflingen sogar mehr als ein Kind. Am letzten Ort scheinen
die Sekundarschüler schärfer ausgelesen zu werden, wie die Zahlen von
Tabelle 8 zeigen; sie geben die Verteilung der Sekundarschüler und Siebt-
und Achtkläßler in Prozenten ihrer Gesamtzahl.
Tabelle 8.
| Altstadt | Veltheim | TöB | Oberwinterthur | Wülflingen | Seen
7.- und 8.-Kläßler °/o 23 20 28 21 42 29
Sekundarschüler °/o 77 80 72 79 58 71
Das Verhältnis der beiden Schülergrüppen schwankt zwischen 2:8
und 3:7. Wülflingen macht eine Ausnahme mit seiner relativ kleineren
Anzahl Sekundarschüler, und es ist wahrscheinlich, daß die schärfere Aus-
48 Dr. Heinrich Keller:
lese an diesem Ort ursächlich zusammenhängt mit dem großen Unterschied
zwischen den Kinderzahlen der Sekundarschüler und Siebt- und Achtkläßler.
Legen wir an die in Tabelle 7 enthaltenen Zahlen den Maßstab des Er-
haltungsminimums von etwa drei Kindern, so finden wir, daß es in Töß
und Oberwinterthur von den Siebt- und Achtkläßlern gerade erreicht und nur
in Wülflingen und Seen überschritten wird, am letzteren Ort auch von den
Sekundarschülern. Wohl nicht zufällig sind die Vororte mit den höchsten
Kinderzahlen diejenigen mit ansehnlichen Anteilen landwirtschaftlicher
Bevölkerung. Geht man die Kinderzahlen der Stadtkreise in der Reihenfolge
ihrer Entfernung vom Zentrum durch, so bemerkt man im allgemeinen
eine Zunahme nach der Peripherie. Das entspricht der früher festgestellten
negativen Korrelation zwischen Kinderzahl und sozialer Stellung, denn in
den äußeren Vororten sind die obersten Volksschichten mit kinderarmen
Familien spärlicher vertreten als im Kreise Altstadt und seiner nächsten
Umgebung. Im übrigen liegt es nahe, zu vermuten, daß die höhere Frucht-
barkeit der äußeren Kreise durch bessere Wohnverhältnisse bedingt sei.
Im allgemeinen sind diese in Winterthur wohl etwas besser als in andern
Industriestädten gleicher Größe. Eigentlich ungünstig sind sie in dem eng-
gebauten alten Stadtkern; doch steigt auch hier die Siedlungsdichte nicht
über 70 pro Hektar. Die neueren Quartiere des Kreises Altstadt und die
andern Kreise weisen lockere Bauart mit viel Grünfläche und Ueberwiegen
des Ein- bis Dreifamilienhauses auf. Die durchschnittliche Wohnungs-
größe ist: Küche + 3% Zimmer + % Mansarde, die mittlere Anzahl der
Bewohner pro Haus 9,8 gegenüber 16 in Zürich. Seine verhähnismäßige
Gunst der Wohnungsverhältnisse verdankt WÄnterthur der Wohnpolitik,
die die Industriellen in den 1870er Jahren begonnen haben und die heute
von Baugenossenschaften fortgeführt wird. Ein eindeutiger Zusammenhang
zwischen Kinderzahl und Wohnung in dem Sinn, daß in Quartieren mit
besseren Wohnungen kinderreichere Familien zu finden sind, kann nun in
Winterthur keineswegs festgestellt werden. Die Kreise Seen und Wülflingen
mit den höchsten Kinderzahlen zeichnen sich durchaus nicht durch geräu-
migere und hygienischere Behausungen aus. Die Wohnungen sind hier
nicht besser, wohl aber etwas billiger, aus welchem Grunde kinderreiche
Familien nach außen gedrängt werden. In den wirtschaftlich schwachen
Haushaltungen, die sich an der Stadtperipherie mit oft sehr unzukömm-
lichen Behausungen begnügen müssen, findet man verhältnismäßig häufig
einen reichen Kindersegen. Die kleinsten Kinderzahlen weist Veltheim auf,
obschon hier das Wohnmilieu günstiger ist als in der Altstadt. Die Be-
ziehung zwischen wirtschaftlicher Lage und Wohnmöglichkeit einerseits
und Kinderzahl anderseits erscheint also nicht so einfach, daß man die
letztere schlechthin als Funktion der ersteren betrachten dürfte. Sicher üben
diese äußeren Faktoren einen starken Druck im Sinne der Kleinhaltung
der Familie aus. Das war aber in früheren Zeiten auch der Fall; daß diese
Hemmungen sich heute stärker auswirken, ist bei der Verschärfung des
wirtschaftlichen Kampfes begreiflich; trotzdem können sie nicht als maß-
gebende Ursache der ungenügenden Fruchtbarkeit angesehen werden, sonst
müßte sich diese in den untersten Volksschichten am ausgeprägtesten zeigen.
Weit wirkungsvoller als die Ungunst der ökonomischen Lage muß der Um-
schwung in der Lebensauffassung sein, der zu einer durchaus veränderten
Stellung dem Fragenkomplex Familie und Kind gegenüber geführt hat.
Schon der Vergleich der Kantonsschüler vom Lande mit denjenigen aus
der Stadt hat darauf hingewiesen, daß die Fruchtbarkeit einer bestimmten
sozialen Schicht ebensosehr von moralischen wie von wirtschaftlichen Fak-
toren bedingt ist. Daß in den durchschnittlich kinderreicheren Familien der
unbegabteren Schüler ein irgendwie moralisch oder religiös begründeter
Wille zur Nachkommenschaft mit besonderer Intensität sich auswirke, ist
natürlich nicht anzunehmen; ihre größere Fruchtbarkeit wird im allgemeinen
der primitiveren geistigen Struktur zuzuschreiben sein. Die Erhebung in
Winterthur gibt hingegen einen deutlichen Hinweis darauf, daß in den
oberen begabteren Ständen starke Hemmungen eine genügende Fortpflan-
zung verhindern. Je höher die Bewertung der Einzelpersönlichkeit gestiegen
ist und je vielseitiger die Anforderungen des Lebens mit dem sozialen Auf-
stieg werden, um so beengender muß der moderne Abendländer die Auf-
zucht von Kindern empfinden. Je mannigfaltiger auch die Möglichkeit der
Betätigung in den verschiedensten Lebensgebieten besonders für die Frau
wird, um so leichter fällt in den gebildeten Kreisen der Verzicht auf eine
Schar blühender Kinder. In einfacheren Verhältnissen kann dieser natür-
liche Lebensanspruch weniger durch andere Werte verdrängt werden.
Wären die oberen Gesellschaftsschichten lediglich im Besitze größerer
materieller Güter und höherer Bildungswerte, so würde ihr allmähliches
Aussterben durch ungenügende Fruchtbarkeit keinen unersetzlichen Verlust
bedeuten; da sie aber Träger von durchschnittlich besserer Begabung sind,
muß ihre Ueberflutung durch die unteren Schichten ein Sinken der Volks-
begabung bewirken. Eine Aenderung der Verhältnisse wird weniger durch
äußere Faktoren als durch einen Umschwung in der Denkweise zu erwarten
sein. Die Winterthurer Erhebung gibt keinerlei Anhaltspunkte, den Beginn
eines solchen Umschwungs festzustellen; das gesamte Problem ist der
Bevölkerung offenbar noch zu wenig zum Bewußtsein gekommen; man
kann nur hoffen, daß sich die überall einsetzende Erneuerung auch dieses
Gebietes bemächtigen möge, bevor die Gegenauslese das geistige Erbgut
unseres Volkes unwiederbringlich geschädigt hat.
Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie, Bd. 22, Heft 1. 4
Kleinere Mitteilungen.
Zur Erblichkeit der Psoriasis und der Cholezystitis (Cholelithiasis)
und über die Verbreitung beider Leiden in einer Familie.
Von Max Marcuse, Berlin.
Im Jahre 1911 habe ich in der Dermatologischen Zeitschrift (Bd. XVIII,
Heft 11) mittels graphischer Darstellung der einschlägigen Verhältnisse bei drei
Zweigen einer Familie die Erblichkeit der Psoriasis demonstriert und die Wahr-
scheinlichkeit eines Zusammenhanges mit den hier gleichfalls familiär auftreten-
den „Gallensteinen“ erörtert. Das graphische Bild hatte zwar schon die damals
jüngste vierte Generation miteinbezogen, aber diese fiel für die Verarbeitung im
wesentlichen aus, weil sie erst Kinder unterhalb des durchschnittlichen Erkran-
kungsalters umfaßte. Die Art der Verarbeitung entsprach im übrigen der Un-
vollkommenheit unserer damaligen Kenntnisse der Vererbungsmöglichkeiten und
mehr noch: meiner eigenen seinerzeit verhältnismäßigen Unerfahrenheit auf dem
Gebiete der Vererbungswissenschaft. Inzwischen ist das Material, an dem ich
meine Erfahrungen gesammelt und bekanntgegeben habe, weiter von mir ver-
folgt worden: die vierte Generation ist größtenteils zu einer neuen Elterngenera-
tion herangewachsen und hat nun schon selbst zu den Familienleiden Beiträge
geliefert; und unter den Mitgliedern der älteren Generation sind neue Krankheits-
fälle aufgetreten. Andererseits ist die Familien- und Vererbungspathologie unter-
dessen fast in das Zentrum der medizinisch-biologischen Forschung überhaupt
gerückt und hat u. a. auch den Krankheiten Psoriasis und Cholezystitis ihre be-
sondere Aufmerksamkeit zugewendet, ohne bisher viel mehr als den konstitutio-
nellen Zusammenhang sowie die Vererbungstatsache selbst für diese Leiden klar-
stellen zu können. Unter diesen Umständen erscheint es zweckmäßig, das Material
jetzt in ergänzter und verbesserter Auflage neu vorzulegen.
Abb. 1 und 2 umfassen denselben Personenkreis, und zwar sämtliche Mitglieder
der (jüdischen) Familie L., soweit sie direkt und ehelich von dem Ausgangspaar
abstammen und mindestens über das Pubertätsalter hinausgelangt sind bzw. vor
ihrem Tode hinausgelangt waren. Vor diesem Alter verstorbene und die zurzeit
noch nicht jenseits der Pubertät befindlichen Individuen sind nicht vermerkt.
Auch von den angeheirateten Ehegatten ist keine Notiz genommen, sofern sie
nicht selbst von einer der beiden hier erörterten Krankheiten befallen sind: das
trifft für die Psoriasis in keinem Falle, für die Cholezystitis nur in zwei Fällen
zu. Die Mängel, die dem Material anhaften, weil die Familienpathologie der an-
geheirateten Gatten, insbesondere auch der persönlich nicht von einer der Krank-
heiten befallenen, unbeachtet bleibt, sind nicht zu beheben, erscheinen jedoch
im engeren Rahmen der hier gestellten Aufgabe unbeträchtlich. Wichtig ist aber,
anzumerken, daß in der 2. Generation der älteste und der drittälteste Mann
eine entfernte Blutsverwandte, die älteste Frau einen nahen und durch beide
Kleinere Mitteilungen. 51
Abb. 2. Cholezystitis.
Eltern Blutsverwandten geheiratet hat. Als Psoriasis sind nur die fraglos so zu
diagnostizierenden Fälle vermerkt worden, nur „psoriasiforme“ (namentlich
seborrhoische) und andere Dermatosen blieben unberücksichtigt. Bei der Chole-
zystitis handelt es sich zum größten Teil um echte „Gallensteinkoliken“, in
einigen Fällen nur um chronisch-intermittierende Gallenblasenentzündung ohne
Steinnachweis. Von den von dem Leiden selbst nicht befallenen Individuen
haben viele die hier als charakteristische „Familienfarbe“ geltende gelbbraune
Färbung der Gesichtshaut, zum Teil auch der Konjunktiva, offenbar als Ausdruck
einer ikterischen Diathese.
Zur Frage der biologischen Wirkungen des Frauenstudlums.
Von Dr. Kara v. Borries, Herrsching.
Professor Dr. H. Stieve, Direktor der anatomischen Anstalt der Universität
Halle a. S., hat in seiner Schrift über „Unfruchtbarkeit als Folge unnatürlicher
Lebensweise“ (siehe das Referat von Just in diesem Heft) folgende Behauptungen
aufgestellt: „Besonders verheerend wirkt bei der Frau die Ueberanstrengung im
Beruf und in erster Linie in denjenigen Beschäftigungsarten, die nicht für das
4*
52 Kleinere Mitteilungen.
weibliche Geschlecht geeignet sind. Das sind die meisten geistigen Berufe, besonders
das Universitätsstudium.“ „Fast regelmäßig beobachtete ich an den Studentinnen
der Medizin, daß sie vor dem Physikum im besten Sinne des Wortes dahinwelken.
Das einst blühende Gesicht wird blaß, fahl, die Wangen werden hohl, der Körper
magert zusehends ab. Bei entsprechenden Nachfragen ergab sich, daß fast bei der
Hälfte aller Studentinnen vor dem Examen Unregelmäßigkeiten in der Regel ein-
traten.“ Kommt das Mädchen später zur Ehe, „nachdem es schon lange Zeit
berufstätig war und dabei schwer geschädigt wurde, dann ist ihr jahrelang miß-
brauchter Körper mit seinen geschädigten Fortpflanzungsorganen oft genug nicht
mehr imstande, seine natürlichen Aufgaben zu verrichten. Die unsinnige Ueber-
anstrengung, die schon die ganze Schulzeit und dann das Studium mit sich
bringt, schädigt viele, zum Teil geistig besonders hochstehende, also für die
gesamte Masse des Volkes sehr wertvolle Frauen für ihr ganzes weiteres Leben
und macht sie für ihre Hauptaufgabe untauglich.“
Ob die Wirkungen des Universitätsstudiums für die Frau wirklich so kata-
strophal ruinierende sind, wie Stieve hier behauptet, ist mindestens nicht er-
wiesen. Man sollte mit derartigen Aeußerungen sehr vorsichtig sein. Sie können
gerade dahin wirken, die Eheschließung der Akademikerinnen, die auf jeden Fall
eine Auslese geistig hochstehender Frauen darstellen, zu hemmen, sei es, daß sie
selbst über ihre Ehetauglichkeit unsicher werden, sei es, daß die Männer im
Glauben an die Autorität Stieves vor der Wahl von Studentinnen zurück-
schrecken. Im Hinblick auf die rassenhygienische Bedeutung der Aeußerungen
Stieves haben Professor Lenz und ich unter den Studentinnen seiner Vor-
lesung eine kleine Umfrage veranstaltet, die ein wenig zur Beleuchtung der in
Rede stehenden Frage beitragen mag.
Der Fragebogen lautete:
Geburtsjahr? Welche Examina?
Erste Menses mit wieviel Jahren?
Nervöse Störungen in Examenszeiten?
Arbeiten Sie im allgemeinen intensiv oder mäßig?
Nervöse Störungen infolge Ueberarbeitung außerhalb von Examenszeiten?
Störungen der Menses infolge Ueberarbeitung, sei es im Examen oder sonst?
Nervöse Störungen im Zusammenhang mit seelischem Erleben?
Störungen der Menses im Zusammenhang damit?
Es wurden 56 Fragebogen ausgegeben; davon wurden 39 beantwortet. Man
kann vermuten, daß bei den Nichtantwortenden eher mehr Störungen vorlagen.
Die Fragebogen wurden ohne Namen zurückgegeben; daher ist anzunehmen, daß
die Antworten ungefärbt sind. — Ein im Material liegender Mangel ist, daß die
erfaßten Studentinnen im Durchschnitt erst 21 Jahre alt sind. Sie haben außer
dem Abiturium noch kaum Examina gemacht und daher noch keine besondere
Gelegenheit zur Ueberarbeitung gehabt. Trotzdem wurde die Frage nach „ner-
vösen Störungen beim Examen“ in 6 von 39 Fällen mit ja und die Frage nach
„nervösen Störungen außerhalb von Examenszeiten“ in 9 von 39 Fällen mit ja
beantwortet. Je älter die Studentinnen sind, um so höher wird — das geht aus
den Fragebogen deutlich hervor — der Prozentsatz der nervös Geschädigten.
Würde man eine Umfrage unter Studentinnen um die Zeit der eigentlichen
Kleinere Mitteilungen. 53
Fachprüfungen veranstalten, so würde vermutlich die Zahl der Ueberarbeiteten
erschreckend groß sein. In diesem Punkte ergibt sich also in der Tat eine Ueber-
einstimmung mit den Ergebnissen Stieves.
Schwerwiegender noch als die reine Arbeitsüberlastung scheint für die Stu-
dentinnen der Einfluß von anderweitigem seelischen Erleben auf das Befinden
zu sein. In 30 % der Fälle gaben die Studentinnen an, daß sie „nervöse Störungen
infolge seelischen Erlebens“ gehabt hätten, — auch dabei wieder die Aelteren
in höherem Prozentsatz, so daß bei Befragung älterer Studentinnen das Resultat
noch trüber aussehen würde. Der Grund, warum seelisches Erleben bei Studen-
tinnen einen unmittelbareren und stärkeren Einfluß auf den Gesundheitszustand
hat, liegt im Wesen des Weibes. Die weibliche Psyche ist eine Einheit, die sich
nicht in Provinzen aufteilen läßt, während der Mann — auch in Zeiten starker
seelischer Erschütterung — sein Gefühl viel leichter während der Arbeit ge-
wissermaßen abschalten kann. Für eine Studentin, die durch ein Liebeserlebnis
innerlich stark aufgewühlt ist oder die durch ernste Sorge um einen nahestehen-
den Menschen schwer bedrückt ist, ist es oft unmöglich oder jedenfalls nur durch
übermäßigen Energieaufwand erzwingbar, daß sie „nebenbei“, d. h. neben dem,
was zurzeit ihr Innenleben erfüllt, geistige Arbeit leiste. Dem Manne dagegen
ist es in der Regel durchaus möglich, seine geistigen Kräfte stundenweise kon-
zentriert und intensiv auf eine sachliche Leistung zu richten, vielleicht gerade
dann mit besonderem Erfolg, wenn seine seelischen Kräfte durch freudiges
oder tragisches Erleben gesteigert sind. Für eine Frau bedeutet es eine Ver-
gewaltigung ihres Wesens, wenn sie sich in einer Zeit tiefen seelischen Erlebens
ständig zu sachlicher Geistesarbeit zwingen muß. Auf diese Weise kann es
kommen, daß das Studium die Frau stärker angreift und für sie „unnatürlich“
ist, besonders dann, wenn sich starke Arbeitsbelastung in Examenszeiten mit tief-
greifendem seelischen Erleben kombiniert. So fanden wir die Erfahrung Stieves
bestätigt, und trotzdem ist unsere Deutung nicht dieselbe.
Auch in bezug auf Störungen der Menses hat unsere Umfrage Ergebnisse
gebracht, die in der Richtung der Erfahrungen Stieves liegen: 27% der be-
fragten Studentinnen gibt Unregelmäßigkeiten der Menses infolge von Ueber-
arbeitung, 20 % solche infolge von seelischem Erleben an. Persönliche mündliche
Befragung von Studentinnen älterer Semester ergab, daß bei ihnen Störungen der
Menses aus beiderlei Gründen recht häufig auftreten. Damit ist einerseits ein
unmittelbarer und andererseits ein mittelbarer Zusammenhang zwischen dem
Studium und der Tätigkeit der Fortpflanzungsorgane erwiesen.
Aber der Schlußfolgerung Stieves, daß es sich um eine dauernde
Schädigung der Eierstöcke handele, können wir nicht beistimmen. Wir halten
die Schädigung, die sich in dem Aussetzen der Menstruation zeigt, nur für eine
vorübergehende Stillegung, die ohne weiteres wieder ausgeglichen wird, sobald
die schädigenden Einflüsse aufhören. Die Studentinnen werden also nicht un-
fruchtbar, sondern sie sind ehetauglich und ehewürdig.
Damit soll nun freilich nicht gesagt sein, daß das Frauenstudium in rassen-
hygienischer Beziehung unbedenklich sei. Wir glauben vielmehr ebenso wie
Stieve, schlimme biologische Folgen des Frauenstudiums zu sehen. Nur sehen
wir sie anderswo, — nicht in der individuellen Gesundheitsschädigung der
54 Kleinere Mitteilungen.
Studentinnen, sondern in der geringen Heiratshäufigkeit studierter Frauen bzw.
der Verminderung ihrer Fortpflanzung. Die Schwierigkeit der Heirat für die
Akademikerin hat mehrere Gründe, von denen die wichtigsten die wirtschaftliche
Selbständigkeit und die gesteigerten Ansprüche an die Persönlichkeit und Bildung
des Mannes sind. Jedoch scheint schon die jetzt heranwachsende Generation der
Mädchen wieder mehr geneigt zu sein, ihre Ansprüche herunterzuschrauben,
um zum Heiraten zu kommen, denn an den im Beruf stehenden Frauen sehen
die Studentinnen, daß der Berufsweg schwer und für die Frau keineswegs eine
ideale Erfüllung des Lebens ist. Jedenfalls sollte man alles tun, die studierenden
Frauen, welche lieber heiraten möchten, darin zu bestärken, nicht aber ihnen
den Entschluß erschweren, indem man die unbegründete Behauptung von der
„Unfruchtbarkeit infolge des Studiums“ verbreitet.
Neuerungen in der Eheberatungspraxis.
Von Dr. F.K.Scheumann,
Leiter der Eheberatungsstelle Berlin-Prenzlauer Berg.
Jeder Eheberatungs-,Fall“ wird in einem Personalbogen aufgezeichnet.
Während eine Anzahl Stellen, darunter auch Wien, für diesen Zweck ein sehr
umständliches Formular verwenden, hatten wir von jeher das Prinzip, daß der
Bogen so einfach wie möglich sein müsse, möglichst wenig schematische Fragen
enthalten, dagegen möglichst viel Raum bieten müsse für eine den individuellen
Verhältnissen Rechnung tragende Aufzeichnung des lebendigen Falles. So ent-
hielt unser erster Bogen nur die Personalien des Klienten und seines etwaigen
Partners, sowie Fragen nach Grund und Veranlassung der Konsultation, sodann
fünf Spalten: Familienanamnese, persönliche Anamnese, Untersuchungsbefund,
Ueberweisungen, Schlußbemerkung. Nach zweijährigen Erfahrungen entschlossen
wir uns dann, wie ich bereits auf der Eugenischen Tagung, veranstaltet vom
Deutschen Bund für Volksaufartung und Erbkunde im Oktober 1928 zu Berlin,
mitteilte, angesichts der Wichtigkeit der Erweckung von Fragen für die Anamnese,
den Personalbogen in einen Fr age bogen umzuwandeln, den der Ratsuchende so-
gleich bei der Anmeldung von der Fürsorgeschwester erhält, mit dessen Ausfüllung
er sich in der Wartezeit beschäftigt. Die Schwester hilft dabei, soweit erforderlich,
stellt Ergänzungsfragen, nimmt insbesondere die hauptsächlichen Erbkrankheiten
vorsichtig durch. Diese selbst in den Fragebogen aufzunehmen, wurde geflissent-
lich vermieden, weil wir wie Raecke der Ansicht sind, daß bei schematischem
Examinieren Hypochonder leicht in übertriebene Befürchtungen verfallen. Der
Ratsuchende unterschreibt seine Angaben, wodurch noch eine Mahnung zur
Wahrhaftigkeit erfolgt, das Ganze einen gewissen dokumentarischen Charakter
bekommt, der unter Umständen für die Beweiskraft in etwaigen späteren Pro-
zessen nicht unwichtig ist. Der Fragebogen enthält neben im Druck weniger
hervorgehobenen Personalfragen die sogenannten Vorfragen, auf deren richtige
Beantwortung als wichtig hingewiesen wird. Gefragt wird nach Gesundheits-
zustand und gegebenenfalls Todesursache von Eltern, Geschwistern, weiteren Ver-
wandten, Großeltern und weiteren Vorfahren sowie nach eigenen Krankheiten
Kleinere ‚Mitteilungen. 55
bezüglich Dauer, Krankenhausaufenthalt und Kuren. Von Wichtigkeit ist ferner
der Beginn der Geschlechtsreife, ausgedrückt in Angaben über Menstruation und
Pollution, der erste Geschlechtsverkehr sowie der weitere Verlauf des Geschlechts-
lebens, insbesondere Aufzeichnungen über feste Liebesverbindungen und Kinder.
Wenn der Arzt diesen Fragebogen bei der Konsultation Punkt für Punkt erörtert
und ergänzt, so wird dem Klienten gewissermaßen ein Repetitorium der Eugenik
gelesen oder kann es jedenfalls werden. Die Rückseite des Bogens, die ganz
freigelassen ist, dient den beliebigen Aufzeichnungen des Arztes über Befund,
Ratschläge, Ueberweisungen und Verlauf.
Während zu Beginn der Eheberatungspraxis und von seiten der Theoretiker
vielleicht noch heute die Ausstellung von Heiratszeugnissen gewisser-
maßen als die Krönung des ganzen Verfahrens angesehen wurde, ist den in
der Praxis Stehenden, welche die Verantwortung tragen, recht bald die Proble-
matik der Angelegenheit aufgegangen, und Raecke geht bereits seit einiger
Zeit so weit, die Ausfertigung von Ehezeugnissen „möglichst“ zu vermeiden, und
zwar aus Scheu vor der Verantwortung. Ich stehe nicht an, dieselbe Haltung
einzunehmen, allerdings mit anderer Begründung. Viel wichtiger als das schema-
tische Attest ist der individuelle, lebendig wirkende Rat, das muß den Heirats-
probanden vor allem klargemacht werden, natürlich wird man ihnen das Zeugnis,
das sie für Zwecke des praktischen Lebens brauchen, nicht verweigern. Beson-
dere Belehrung also ist dabei notwendig und besondere Vorsicht, die sich in
der Textfassung zeigt. Vor allem sind wir seit einiger Zeit dazu übergegangen,
das Zeugnis nur noch paar weise auszustellen. Mißbrauch wird dadurch weit-
gehend vermieden, daß die Aussage eingeschränkt und bestimmter wird. Der Text
lautet nach Aufführung von Namen und Geburtsdaten: „Die Angaben der Ehe-
bewerber über bisheriges gesundheitliches Ergehen und familiäre Verhältnisse
sowie die jetzige Untersuchung haben ärztlicherseits keine Bedenken gegen die
beabsichtigte Eheschließung ergeben.“ Dazu kommt die sehr wichtige Anmerkung:
„Bei Einverständnis der Untersuchten steht die Eheberatungsstelle für Rück-
fragen zur Verfügung.“ In dieser Fassung ist neben der Untersuchung die
Anamnese als Erkenntnisquelle besonders hervorgehoben entsprechend ihrer
Wichtigkeit, auf die Möglichkeit eines ausführlichen, individuellen
mündlichen Zeugnisses durch die Anmerkung noch einmal ausdrücklich
hingewiesen.
Die Standesbeamten erleichtern sich erfahrungsgemäß ihre Aufgabe,
über die Möglichkeit der Heiratsberatung aufzuklären, dadurch, daß sie ent-
sprechende Handzettel ausgeben. Diese werden ihnen in unserem Verwal-
tungsbezirk vom Bezirksamt geliefert und sind zweckmäßigerweise möglichst so
gefaßt, daß sie auch bei anderen Gelegenheiten als Propagandamaterial verwandt
werden können. Das früher gebräuchliche Formular hatte einen amtlichen
Anstrich. Die Tatsache, daß die auch amtlich gehaltenen, gleichzeitig beim Auf-
gebot verteilten Belehrungen des Reichsgesundheitsamts so weitgehend zur Stra-
ßenverunzierung verwandt werden, wie es neuerdings Muckermann mitteilte,
läßt den Versuch angebracht erscheinen, eine Form zu finden, die dem einfachen
Empfinden des Volkes unmittelbar näherkommt. Die neuen Formulare, die bei
uns gebräuchlich sind, haben deshalb das folgende Aussehen:
56 Kleinere Mitteilungen.
Warum heiratet Ihr?
Ihr habt Euch gern und seid Euch einig.
Doch eine Ueberlegung habt Ihr vielleicht noch
vergessen:
Eure Ehe
kann nur glücklich werden,
wenn Ihr gesund seid.
Verborgene Krankheiten können Euch gegenseitig
schädigen; nicht nur Euch selbst, auch Eure Kinder.
Wer soll Euch da raten?
Fragt den Arzt, der Euch vielleicht schon seit
Jahren kennt, oder kommt zur Städtischen Ehe-
beratungsstelle!
Die Eheberatungsstelle ist Euer verschwie-
gener Freund, dem Ihr alles anvertrauen köunt, was
Euch bedrückt, vor der Ehe und auch späterhin, wenn
Ihr in der Ehe einen Rat braucht.
Ein verständiger Rat hat schon oft viel genutzt und
schweres Leid und Sorgen zu verhüten vermocht!
Die Eheberatungsstelle befindet sich
Greifenhagener Straße 58, Hof rechts.
Sprechstunden: Montags von 13 bis 15 Uhr und
Mittwochs von 17% bis 19% Uhr.
Es wird Rat erteilt in allen sexuellen Fragen, insbesondere in denen
der Fortpflanzung und über die gesundheitliche und' erbgesundheit-
liche Eignung als Ehepartner und Eltern. Ehebewerbern werden
auf Wunsch Heiratszeugnisse ausgestellt. Beratung, Untersuchung
und Ausstellung der Heiratszeugnisse erfolgen kostenlos. Dem ge-
samten Fürsorgepersonal der Eheberatungsstelle ist in allen Fällen
Schweigepflicht auferlegt.
In Uebereinstimmung mit Fetscher sind wir der Ansicht, daß die amtlichen
Eheberatungsstellen auch eine amtliche Ehevermittlung in ihren Aufgaben-
kreis einbeziehen sollten. Wir haben deshalb vorgesehen, in jedem Falle, wo an
uns bei Gelegenheit einer Pubertätsberatung Heiratswünsche herantreten, einen
Fragebogen ausfüllen zu lassen, der vielleicht folgende Angaben enthalten müßte:
Neben der Adresse des Bewerbers und den am besten vom Arzt einzufügenden
Angaben über Gesundheitszustand sowie die notwendigen anthropologischen
Daten: Angaben über Beruf, Einkommen, Vermögen, Religion bzw. Weltanschau-
ung, besondere Neigungen und Wünsche. Da Ehegesuche bereits in einzelnen
Fällen an uns herangetreten sind, könnte mit Hilfe derartiger Formulare, die
möglichst auch mit Photos und vielleicht auch anderen charakterologischen
Unterlagen auszustatten wären, die bisher etwas nebensächlich betriebene Ehe-
vermittlung bestimmtere Formen annehmen und vielleicht auch einen Anreiz
darstellen, bestimmte Kreise der eugenischen Fürsorge neu zuzuführen.
Kritische Besprechungen und Referate.
Jobannsen, W, Elemente der exakten Erblichkeitslehre. Mit
Grundzügen der biologischen Variationsstatistik. Dritte deutsche, neubearbeitete
Auflage in 30 Vorlesungen. XII und 736 Seiten mit 21 Abb. im Text. Jena, Gustav
Fischer, 1926. Preis 32 Mk., geb. 34 Mk.
Habent sua fata libelli — auch in den Händen dessen, der sie schrieb. Das
gilt auch von manchem bahnbrechenden Werk der Wissenschaft, wenn es mit
seinem Verfasser zugleich älter wurde. Die erste Auflage ist die eigentliche Tat,
die in den Gang der wissenschaftlichen Entwicklung entscheidend eingreift. Die
zweite, vielleicht auch noch weitere bald folgende Auflagen tragen den Charakter
des Ausbaus des im ersten kühnen Wurf errichteten Gebäudes; in ihnen gibt der
Autor, selbst fortgesetzt an den Problemen mitarbeitend und in ständiger Aus-
einandersetzung mit den auf gleichem Gebiete Schaffenden, Freunden wie Gegnern,
sein eigentliches Lebenswerk auf diesem Gebiete. Die letzte oder die letzten Auf-
lagen schließlich können in ein Lebensalter fallen, in dem man vom Autor die
Fähigkeit zur Einordnung des inzwischen gewaltig angewachsenen Materials in
sein Gebäude oder, was noch wichtiger ist, zum Anbau und Umbau billigerweise
nicht mehr in dem unbeschränkten Maße erwarten kann, wie in seinem Mannes-
alter. Man wird aber ein solches Buch immer mit Dankbarkeit darüber in die
Hand nehmen, daß eine am Ende ihrer Lebensarbeit stehende, ausgereifte wissen-
schaftliche Persönlichkeit noch einmal zu neuen Ergebnissen, zu alten und neuen
Fragestellungen das Wort ergreift.
Die Vorrede der dritten Auflage des vorliegenden Buches, deren Besprechung
aus äußeren Gründen erst verspätet erfolgen kann, trägt das Datum des Juli 1926.
Ein halbes Jahr später, im Februar 1927, hat Johannsen sein siebzigstes
Lebensjahr vollendet, im November des gleichen Jahres ist er gestorben. Für die
Genetik wird Johannsens Name mit diesem seinen Buche, den „Elementen
der exakten Erblichkeitslehre“, untrennbar verbunden bleiben, wenn die von ihm
geschaffenen Begriffe: Genotypus, Phänotypus, Gen usw. längst anonym geworden
sein werden, so wie es für die heutige jüngere Biologen-Generation eine Reihe
auf Haeckel zurückgehender Termini, wie Phylogenie, Oekologie usw., ge-
worden ist.
Johannsen war keine geniale Natur, aber er war ein selbständiger und
ungemein kritischer Kopf, der die Dinge scharf sah und mit aller begrifflichen
Schärfe nannte. Gleich die beiden ersten Sätze seines Buches umreißen dessen
Programm in aller nur wünschbaren Klarheit, so wie sie in helles Licht die
wissenschaftliche Persönlichkeit rücken, deren vererbungswissenschaftliche
Lebensarbeit nun abgeschlossen in dieser dritten Auflage - vorliegt: „Der Plan
dieser Vorlesungen ist, eine elementare, aber kritische Darstellung der exakten
Erblichkeitslehre (Genetik) zu geben und die Gesichtspunkte, welche hier geltend
58 Kritische Besprechungen und Referate.
gemacht werden, zu begründen. Dieses ist aber nur möglich, indem die Prin-
zipien, welche bei der Forschung befolgt werden — oder hätten befolgt werden
sollen —, besonders berücksichtigt werden.“
Hypothetischem allzu abhold, gegen Grenzüberschreitungen — wir kommen
noch darauf zurück — überaus skeptisch, vermochte er nicht allem ganz gerecht
zu werden, was andere als wichtigste Fortschritte der Genetik ansehen würden,
und in dieser Hinsicht mag mancher Genetiker die so lange und mit Spannung
erwartete dritte Auflage der „Elemente“ mit einer gewissen Enttäuschung aus der
Hand gelegt haben. Wir denken da etwa an manche Fragen der Geschlechts-
bestimmungslehre, an Goldschmidts fruchtbringende Konzeptionen, an
F. von Wettsteins Arbeiten u. a. m.
Keinesfalls indessen kann man aus dem Buche den Eindruck gewinnen, als
sei der Verfasser inzwischen „alt“ geworden — dagegen spricht schon die so oft
temperamentvolle Schreibweise auch der neuverfaßten Teile — und wäre starr
in seinen Anschauungen verblieben. Vor allem in Hinsicht auf die Beziehungen
zwischen Vererbungswissenschaft und Zytologie hat der Verfasser, dem Gewicht
der inzwischen ermittelten Tatsachen sich beugend, seine vorsichtige Haltung auf-
gegeben.
Auch die Anschauungen M or ga ns, deren ersten Aeußerungen er mit kühler
Skepsis, fast mit leisem Spott gegenüberstand, hat er sich völlig zu eigen gemacht.
Es ist von hohem wissenschaftspsychologischen Interesse, die Sätze, die sich hierzu
in der zweiten Auflage des Buches in einer Anmerkung finden, mit dem 13 Jahre
später gefällten Urteil zu vergleichen. Dort heißt es: „Als Beispiel moderner
morphologischer Spekulationen sei dieses hingestellt, im Grunde weicht es nicht
viel von Weismann’s Spekulationen ab. Es ist aber interessant, daß ein so
vorzüglicher Experimentator wie Morgan in dieser Weise dem Drange ‚tieferer
Einsicht‘ Luft gibt. Morgan bietet aber seine Ideen ohne jede Präten-
sion dar; wir betrachten sie auch nur als ein Stück morphologischer Dialektik
und glauben nicht, dem geistvollen Autor dadurch zu nahe zu treten.“ 1926 aber
wird in voller Würdigung der erdrückenden Beweiskraft des inzwischen ins Un-
geheure gewachsenen Materials gesagt: „Wie nun auch die ‚eigentliche‘ Natur
dieser wahrscheinlich sehr verschiedenen Gene aufzufassen sei, so ist es, soweit
wir sehen, völlig berechtigt, mit Morgan anzunehmen, daß die Gene an je
einer bestimmten Stelle eines Chromosoms lokalisiert sind.“
Sehen wir uns das Buch, das durch Einfügungen, Erweiterungen, Aende-
rungen, Streichungen — z. B. der Ausführungen über spezielle Vererbungslehre
des Menschen —, Umstellungen eine teilweise starke Umarbeitung erfahren hat,
im einzelnen an, so bedurften naturgemäß diejenigen Kapitel, die sich auf die
Methoden der Variationsstatistik beziehen, am wenigsten einer
Erneuerung. Hier sind neu eingefügt Angaben über die Benutzung der Shep-
pardschen Korrekturen und über die Vergleichung der empirischen mit der
theoretischen Abweichungsverteilung bei Ganzvarianten. Auf gewisse Fehler-
möglichkeiten bei der Gewinnung der empirischen Daten für eine Bearbeitung
auf quantitative oder qualitative Variabilität wird im 6. Kapitel ausführlich ein-
gegangen. Im 16. Kapitel wird die Bedeutung feinerer oder gröberer Messung des
Ausgangsmaterials für die Durchführung der variationsstatistischen Änalyse an
einem Beispiel näher erörtert. Ueber die Fortführung der Experimente Johann-
Kritische Besprechungen und Referate. 59
sens über Schartigkeit bei der Gerste wird berichtet; auch das Zahlenmaterial,
das sich auf das mutative Auftreten von Schartigkeit in einem solchen Gersten-
material bezieht und das in der vorigen Auflage in anderem Zusammenhange
diskutiert wurde, wird ergänzt mitgeteilt. Bei der Besprechung der Hochgipfelig-
keit ist die kurze Auseinandersetzung mit Ludwig fortgefallen. Einige Er-
weiterungen finden sich in bezug auf die Ursachen einer Zweigipfeligkeit von
Variationskurven; die hier in der vorigen Auflage gegebenen Schemata sind weg-
gelassen. Die historischen Ausführungen über Korrelation sind gekürzt. Dafür
gibt das 18. Kapitel Anweisungen für die praktische Ausführung von Unter-
suchungen über Korrelation. In anschaulicher Weise wird das Wesen der
Bravaisschen Formel zur Berechnung des Korrelationskoeflizienten erläutert.
Auch die Frage der korrelativen Variabilität innerhalb einer „Form“, die gleich-
sam „künstlich in Dimensionen aufgelöst“ ist, wird ausführlicher besprochen.
Die Ausführungen über die zahlenkritische Behandlung der Ergebnisse aus
Mendel- Versuchen haben eine Erweiterung in Hinsicht auf solche Fälle erfah-
ren, bei denen einige der Phänotypen in relativer Seltenheit zu erwarten sind. Auch
der „persönliche Fehler“ wird im Anschluß an Pearls bekannte Arbeit erörtert.
In das Gesamtkapitel der Methoden der Vererbungsforschung gehört auch die
Frage nach den Zahlenverhältnissen, die für Phänotypen und Genotypen in
Populationen herrschen. Dieser Frage wird im 27. Kapitel unter besonderer
Berücksichtigung der für den Menschen geltenden Verhältnisse nachgegangen; an
Tatsachenmaterial wird in diesem Zusammenhang neben anderem besonders aus-
führlich die Verteilung — und Vererbung — der menschlichen Blutgruppen unter-
sucht, wobei sich Johannsen auf den Boden der Bernsteinschen Hypo-
these stellt. Im gleichen Kapitel wird auch die Weinbergsche Geschwister-
methode behandelt.
Die dem Mendelismus — dem elementaren wie dem höheren — gewid-
meten Kapitel beginnen jetzt mit einer allerdings recht knappen Darstellung der
Elemente der Befruchtungszytologie. Daß diese Kapitel überhaupt eine durch-
greifende Neubearbeitung erfahren haben, bedarf eigentlich kaum der Hervor-
hebung.
Eine neue und sehr handliche Bezeichnung, die sich, wie wir mit Vergnügen
feststellen können, inzwischen schon eingebürgert hat, gibt Johannsen mit
dem Terminus allel statt allelomorph, in welch letzterem Wort die
Endung „morph“ „etwas Geformtes präjudiziere“; Johannsen spricht also
von allelen Genen, Allelogenen (dieses Wort scheint dem Referenten über-
flüssig zu sein) oder einfach Allelen, entsprechend von multipler Allelie..
Sonst sei noch folgendes hervorgehoben: Die Relativität des durch die Begriffe
Dominanz —Rezessivität ausgedrückten Wirkungsverhältnisses wird beleuchtet. Die
Frage nach der Möglichkeit einer Kontamination der Gene wird kurz berührt.
Baurs Antirrhinum-Material findet eine ausführlichere Behandlung. Die
Besprechung der Koppelungserscheinungen geht, wie in der vorigen Auflage, von
Batesons und Punnetts Ergebnissen aus, ist aber natürlich der damaligen
Darstellung gegenüber vielfach verändert. Die Behandlung der geschlechtsgebun-
denen Vererbung beginnt jetzt mit dem Abraxas-Fall.
Erstmalig dargestellt sind multiple Allelie, Intersexualität, der Tatsachen- und
Theorienkreis der Morganschen Lehre, Gynandromorphismus, Vererbung im
60 Kritische Besprechungen und Referate.
Y-Chromosom, Letalfaktoren und die zytologischen Verhältnisse bei Art- und
Gattungsbastarden. Eine ausführlichere Behandlung als in der vorigen Auflage
haben die Inzuchtfrage und der Abschnitt über Chimären und vegetative Spal-
tungen gefunden. Eine völlige Umarbeitung und starke Erweiterung hat das
Kapitel Geschlechtsbestimmung erfahren.
Einiges Weitere, was an wesentlichen Aenderungen in diesen und anderen
Teilen des Buches hier noch zu nennen wäre, werden wir später anführen.
Hier genüge der Hinweis, daß auch die Gesamtanordnung des Stoffes mancherlei
starke Aenderungen erfahren hat; so behandelt beispielsweise das Schlußkapitel
des Buches jetzt den Einfluß der Lebenslage, das Problem der Vererbung erwor-
bener Eigenschaften, Anpassung und Selektion, Telegonie und Xenien, falsche
Vererbung, Individualität, Rassenhygiene.
Im folgenden möchten wir noch etwas näher auf Johannsens Stellung-
nahme zu einigen besonders wichtigen Problemen bzw. Problemkreisen eingehen.
Ueber die Zusammenhänge von Geschlechtschromosomen
und Geschlechtsbestimmung lautet Joehannsens Urteil, daß es „gar
nicht bewiesen ist, daß die Geschlechtschromosomen (bzw. das Zusammenspiel
derselben mit den Autosomen) die Geschlechtsbestimmung primär entscheiden“.
Zu solchem Urteil kann man nur kommen, wenn man über Bridges’ unseres
Erachtens entscheidenden Non-disjunction-Fall zu schreiben vermag: „Ob die
x- und y-Chromosomen hier primären Einfluß haben oder rein passiv placiert
werden, etwa durch Einflüsse des Protoplasmas, wird nicht leicht zu entscheiden
sein.“ Gerechterweise muß aber hier sofort hinzugefügt werden, daß Johann-
sen mit dieser uns, wie gesagt, durchaus schief erscheinenden Beurteilung des
Bridgesschen Falles keineswegs allein steht.
In bezug auf die Ausbildung der sekundären Geschlechts-
charaktere beim Menschen betont Johannsen die Mitwirkung zahl- -
reicher qualitativ verschiedener Elemente des Genotypus und den Einfluß
der Lebenslage. „Schon deshalb kann z. B. ein an und für sich geschlechtlich
normaler Mann in vielen Eigenschaften sich dem weiblichen Durchschnittstypus
nähern und umgekehrt, ohne daß man daraus gleich berechtigt wäre, von Inter-
sexualität im genotypischen Sinne zu sprechen. ... Bei uns ist die Er-
ziehung der Geschlechter meistens recht verschieden, was den gesamten körper-
lichen und psychischen Phänotypus beeinflussen muß. Würde die Erziehung
ganz gleich gemacht — die Tendenz geht ja in dieser Richtung —, können wohl
gewisse als speziell weiblich gelobte Züge verwischt werden, besonders bei im
voraus weniger glücklich veranlagten Frauen. Gleiche Pflege und Erziehung
würde wohl eine gegenseitige Annäherung der zwei sexuellen Phänotypen
bedingen.“
Bemerkenswert sind die Ueberlegungen, die Johannsen zudenTheorien
von Goldschmidt und Bridges über die Intersexualität an-
stellt. Er stellt die Annahme zur Diskussion, „daß die Wirkung der hier in Frage
kommenden Agentien wohl mit deren Konzentration bzw. Anzahl steigt, jedoch
nicht in einfacher Proportionalität, sondern nach irgendeiner exponentiellen oder
logarithmischen Funktion — in ähnlicher Weise wie . . . die Stoffproduktion der
Pflanzen von der Quantität eines Produktionsfaktors abhängig ist. Demnach kön-
Kritische Besprechungen und Referate. 61
nen wir als einfaches Beispiel etwa die bekannte allgemeine Formel y =a Yx
als Illustration benützen... besser ...G=g Yn... G gibt die Stärke der
geschlechtsbestimmenden Wirkung an, n die Quantität der betrefienden Agentien
(etwa die Anzahl der fraglichen Chromosomensätze) und g die Wirkung eines
einzelnen solchen Satzes, also die Wirkung von einem x-Chromosom oder von
einem einfachen Autosomensatze.“ Das wird an Hand einiger Bridgesschen
Fälle in rechnerischer und in physiologischer Hinsicht näher diskutiert.
Zu Problemen, die zur Deszendenztheorie in unmittelbarer Beziehung
stehen, nämlich zum Selektionsproblem, zum Mutationsproblem und zum
Lamarckismus, ist die Stellungnahme Johannsens genau die gleiche geblie-
ben wie in der vorigen Auflage seines Werkes.
Johannsens scharf ablehnende Stellung zur Darwinschen Selek-
tionstheorie ist allerdings im Grunde genommen eine nur scheinbare.
Er bekämpft nämlich Anschauungen Darwins als Grundlagen von dessen
Theorie, die als solche — nach Ansicht nicht nur des Referenten — keinesfalls in
Anspruch genommen werden dürfen. Nach Johannsens sicherlich unrichtiger
Auffassung war für Darwin „die uralte Annahme einer allgemeinen Erblich-
keit der persönlich realisierten Eigenschaften als solche die tragende biologische
Grundidee seiner Selektionstheorie“, „Eine klare Distinktion“, schreibt er gleich
darauf weiter, „zwischen ‚erblich‘ und ‚nicht erblich‘ fand sich zu Darwins
Zeit gar nicht ... Es wäre als evidenter Anachronismus gänzlich verfehlt, das
jetzige Verständnis... auf Darwins Lehren zurückprojizieren zu wollen... .“
Darwins Aeußerungen über die Bedeutung der Mutationen ndet Johann-
sen „wenig deutlich. Vielleicht denkt er bald an größere Abweichungen, bald
aber an kleinere stoßweise Aenderungen des ‚Typus‘, welch letztere — wie über-
haupt die kleinen Variationen — wohl für ihn die wesentlichere Bedeutung
hatten. Man versteht jedenfalls leicht, daß verschiedene Forscher einen recht
verschiedenen Eindruck von Darwins Meinung in diesem Punkte bekommen
haben. Die ganze Lehre von den Variationen war zuDarwins Zeiten... recht
chaotisch. Und es läßt sich demnach seine Stellung zu den Mutationserschei-
nungen nicht mit unseren Auffassungen direkt vergleichen: unsere Grundbegriffe
und Kategorien decken sich nicht mit denjenigen Darwins.“:)
Das tatsächliche Bestehen von Selektionswirkungen bestreitet
aber Johannsen keineswegs. Auch nach seiner Meinung haben Darwin
und Galton „gezeigt bzw. zahlenmäßig präzisiert, daß Selektion in einer
Population große Wirkung haben kann. Der durchschnittliche ‚Typus‘ wird in
solchen Fällen in der Selektionsrichtung verschoben; und der solcherart ‚pro-
duzierte‘ neue Typus ist sogar oft am Ende mehr oder weniger sicher ‚erblich
fixiert. Niemand bestreitet diese Tatsachen!“
Ueber die kleinen Mutationen allerdings, wie sie etwa in Baurs
Antirrhinum - Material aufgetreten sind, äußert sich Johannsen bei der
Diskussion der Selektionsfrage sehr zurückhaltend. Sie „bieten selbstverständlich
einer künstlichen oder natürlichen Selektion ein Material zur Sortierung. Aber...
1) Uebrigens urteilt Johannsen auch über Weismanns Anschauungen un-
gerecht, wenn er schreibt: „DaB Weismann sein ‚Keimplasma‘ in den Chromo-
somen lokalisieren wollte, hat nur eine oberflächliche Aehnlichkeit mit der Auffassung
moderner Genetik von der Bedeutung der Gene und Chromosomen.“
62 Kritische Besprechungen und Referate.
die rein phänotypischen Variationen sind hier meistens so weitaus bedeutender,
daß eine Biotypen sortierende Wirkung natürlicher Selektion recht fraglich er-
scheinen muß und ziemlich unvollkommen sein wird.“ Am Ende des gleichen
(13.) Kapitels hinwiederum unterstreicht Johannsen „die von Baur so richtig
betonte bedeutsame Tatsache, daß die Genotypen reiner Linien nicht so ‚fest‘
sind, wie es im Anfang unserer Arbeiten schien. Vielleicht in jedem, selbst im
reinsten Material werden wohl mehr oder weniger (meistens nur ganz wenig)
abweichende neue Genotypen im Laufe der Generationen (Anmerkung dazu: In-
sofern also ‚allmählich‘, zeitlich gesehen — in jedem einzelnen Falle aber
‚plötzlich‘, ‚unvermittelt‘, ‚stoßweise‘, nicht aber durch allmählich gleitende Ver-
schiebung) hervortreten. Hier wird eine Selektion wohl auch in der Natur mit
Erfolg eingreifen können.“
So trägt denn, gerade in der Auseinandersetzung mit den bekannten Arbeiten
von Baur und Tammes in besonderer Deutlichkeit hervortretend, die Ein-
stellung Johannsens zur Darwinschen Selektionstheorie den Charakter
einer gewissen Zwiespältigkeit. Diese hatte ihre Ursache sicherlich vor
allem in der Sorge dieses kritischen Kopfes um gedankliche Sauberkeit in
einer Angelegenheit, die er in sachlicher Beziehung, nämlich in Hinsicht
auf Darwins Anschauungen, unter einem bis zu einem gewissen Grade schiefen
Gesichtswinkel sah.
So erklärt sich unseres Erachtens sein Festhalten an seiner Gegnerschaft
gegen die Selektionstheorie: „Es muß doch einmal gelingen, für alle. klar
zu machen, daß Darwins Selektionslehre und Galtons statistische Veri-
fikation derselben in einer anderen Schicht des Erkennens liegen als die Resultate
unserer analytischen Vererbungsforschung.“
Und so kann einige Seiten vorher, am Ende seiner Diskussion mit Baur
und Tam mes der Satz stehen: „Ob Selektionen der in irgendeiner Weise ent-
standenen neuen Biotypen größere, kleinere oder gar keine Bedeutung für die
Evolution ... gehabt haben, sind Fragen, welche die Vererbungsforschung als
solche überhaupt gar nicht betreffen. Es wäre für ihren Zweck Zeit-
vergeudung, darüber näher zu diskutieren.“ Aber kann man dann über die
Selektionstheorie sprechen?
Im 12. Kapitel werden übrigens die neueren Arbeiten über Selektion referiert.
Das Mutationsproblem wird wie in der vorigen Auflage von de
Vries ausgehend behandelt. In der ausführlichen Darstellung von Morgans
hierhergehörigen Ergebnissen an Drosophila stellt sich Johannsen
wiederum auf den Boden der Morganschen Anschauungen.
Lamarckistische Vorstellungen werden aufs schärfste abgelehnt. „Es
mag hier“, schreibt Johannsen am Ende dieser Auseinandersetzungen, die
sich mit Kammerers und Towers Arbeiten ausführlich, wesentlich weniger
als früher mit Semons Anschauungen beschäftigen, „die Bemerkung Platz
finden, daß unsere Skepsis gegenüber vorliegenden Angaben vermeintlicher Ver-
erbung erworbener Eigenschaften durchaus nicht auf etwaiger theoretischer Vor-
eingenommenheit beruht. In unserer ersten Publikation über Vererbung (einem
Büchlein von 1896) wurde sowohl Galtons Statistik als Spencers Argumen-
tation zugunsten des Lamarckismus mit vollem Zutrauen dargestellt. Es waren
Kritische Besprechungen und Referate. 63
nicht Spekulationen, etwa von Weismann u. a. sondern einerseits die all-
mählich gewonnenen kritischen Erfahrungen über reine Linien und Mendelismus,
andererseits aber die Einsicht, daß die Angaben zugunsten des Lamarckismus
samt und sonders in anderer Weise gedeutet werden müssen oder können, die zur
tiefen Skepsis gegenüber der Annahme einer ‚Vererbung erworbener Eigen-
schaften‘ geführt haben. Unzweifelhaft würde wohl jeder Vererbungsforscher Tat-
sachen, die eine Vererbung ‚erworbener Eigenschaften‘ nachweisen könnten, als
eine auch in theoretischer Beziehung wichtige Erweiterung unserer Erfahrungen
begrüßen, eine Erweiterung, die etwa ähnliche revolutionierende Wirkung haben
würde wie z. B. die Relativitätslehre in der Physik ...“
Schon in der vorigen Auflage berücksichtigte Johannsen auch die Mög-
lichkeit, daß gewisse enger begrenzte Teile der Evolution unabhängig von echter
Vererbung gewesen sein mögen, und er erinnert hierbei jetzt an die Flechten-
symbiose und an Buchners Entdeckungen über Symbiosen zwischen Tieren
und pflanzlichen Mikroorganismen.
Bei der Einführung der Begriffe Genotypus und Phänotypus in der 8. Vor-
lesung äußert sich Johannsen zu der vieldiskutierten, in den letzten Jahren
ja auch gerade im Zusammenhang mit Grundproblemen der Erblichkeitslehre
erörterten Frage des Organismus als Ganzen. Deskriptiv läßt sich der
Phänotypus „sehr weitgehend in Einzelheiten zergliedern ... Jedoch ist der
lebende Organismus nicht nur im erwachsenen Zustande, sondern während seiner
ganzen Entwicklung, stets auch als Totalität, als ein gesamtes System auf-
zufassen . . . Deshalb wäre es unberechtigt, zu meinen, der Phänotypus eines
lebenden Organismus sei restlos in Einzelelemente, in Einzelphänomene, also
in lauter einfache ‚Phäne‘ (sit venia verbo!) auflösbar. Der Phänotypus ist nicht
eine bloße Summe von Einfachcharakteren, sondern drückt das Resultat eines
sehr verwickelten Zusammenspiels aus.“ Ebenso sei „keineswegs gesagt, daß die
Genotypen aus lauter trennbaren Elementen bestehen sollen; dies ist sogar ganz
unwahrscheinlich“.
Im Anschluß an diese Erörterungen und dann in der 29. Vorlesung ausführ-
licher spricht Johannsen über das Wesen des Gens. Seine Stellungnahme
hierzu wird man mit besonderem Interesse lesen, nachdem der Genbegriff wäh-
rend der Diskussionen über die Morganschen Theorien ja eine Art Krisis
durchgemacht hat. Ein Gen ist „zunächst nur als eine Art Rechnungseinheit zu
verwenden“. Das, was als Gen bezeichnet wird, „kann wohl sogar höchst ver-
schiedene Natur haben“. Aber über diese Natur wissen wir nichts. Doch sind
die Gene „Realitäten, nicht hypothetische Konzeptionen ...“ Nur ist es
„unrichtig, meinen zu wollen, daß ‚Gene‘ notwendigerweise Vorstellungen von
korpuskulären, organoiden oder sonstwie morphologischen Gebilden mitführen“.
„Morgan“, heißt es später, „ist gelegentlich an der Grenze dieses gefähr-
lichen Gebietes gewesen, indem er interessante Spekulationen über ‚die Größe der
Gene‘ angestellt hat. Die betreffenden Betrachtungen sind aber, soweit wir sehen,
völlig legitim, insofern nur von der Größe der trennbaren Chromomeren die
Rede ist.“
Aber, fragen wir nur dagegen, gibt es denn Größenordnungen nur für orga-
noide Gebilde?
64 Kritische Besprechungen und Referate.
Für Johannsen sind „die Unterschiede je zweier Allelogene — bzw. der
verschiedenen Gene einer Reihe multipler Allelogene — nicht als primär quanti-
tativ aufzufassen, sondern eher als primär qualitativ oder in verschiedener Inten-
sität bedingt, wenn auch die phänotypischen Ausschläge sich als gleitend quanti-
tativ verschieden zeigen. Es muß überhaupt begrifllich zwischen Intensität
und Quantität unterschieden werden: mehr intensiv wirkende physiologische,
chemische oder physikalische Faktoren brauchen durchaus nicht quantitativ größer
zu sein als ein weniger intensiv im gleichen Sinne wirkender Faktor.“
Indem nun die mendelistische Experimentalarbeit nur genotypische Unter-
schiede analysiert, ergibt sich im Hinblick auf die Frage nach der genotypi-
schen Grundlage des normalen Individuums — etwa einer normalen Droso-
phila — „nur das eigentlich ganz Selbstverständliche, daß die Chromosomen von
allen den Hunderten bekannter ‚Fehler‘ — und von der vielleicht unbegrenzten
Anzahl außerdem noch möglicher Fehler — frei sein müssen... Man kann aber
eine Organisation oder irgendeine andere Totalität nicht dadurch erklären, daß
man ein Nichtvorhandensein unzähliger Störungsursachen
konstatiert.“ Man kann also nur dies als „höchst wahrscheinlich“ aussprechen, „daß
die verschiedenen Gene, die z. B. für erbliche Abnormitäten der Bananenfliege
verantwortlich sind, in oder an je einem Chromomere lokalisiert sind’ oder...
lieber . . . daß diese Gene Ausdrücke von Störungen oder Aenderungen der
ursprünglichen Beschaffenheit der betreffenden Chromomeren sind“. Diese Aende-
rungen „können wahrscheinlicherweise sehr verschiedener Natur sein, ohne daß
wir jetzt imstande wären, diese Verschiedenheiten zu präzisieren. Wir können
auch gar nicht sagen, worauf es beruht, daß viele dieser Aenderungen das Auf-
treten rezessiver Gene markieren, andere aber Dominanz bedingen.“
Auf alles dies muß man sagen, daß hier eben, wie vor allem Goldschmidt
seit langem erkannt hat, mendelistisch orientierte Arbeit allein nicht weiterführen
kann. Damit aber kommen wir zu der Frage, wie sich Johannsen zu der-
artigen, sagen wir einmal, „Grenzüberschreitungen“ stellt.
In der 25. Vorlesung setzt er sich mit den phänogenetischen Bestre-
bungen Haeckers auseinander. Da heißt es: „Für unsere enger, aber klarer
und schärfer begrenzte Forschung ist die von Haecker im ‚phänogenetischen‘
Sinne diskutierte Frage, inwieweit ein gegebenes Gen verschiedene Eigenschaften
bedingen oder betreffen kann .. . bzw. ob eine gegebene realisierte Eigenschaft
von verschiedenen Genen bedingt oder beeinflußt werden kann, völlig überflüssig.
Denn wir haben längst eingesehen, daß der vorliegende Genotypus in toto die
Basis ist für die Entwicklung des Organismus.“ Aber wenn Johannsen gleich
auf der folgenden Seite erklärt, es sei „vorderhand ziemlich hoffnungslos, die
Verbindung der durch beobachtete Spaltungserscheinungen aufgedeckten geno-
typischen Unterschiede mit allen sukzessiven Phasen einer Ontogenese“ aufdecken
zu wollen, so gibt er doch damit selbst zu, daß hier eben eine außerordentlich
schwierige Aufgabe vorliegt, daß also das soeben von ihm betonte Längst-
eingesehen-Haben weit davon entfernt ist, eine wirkliche Einsicht zu sein.
Johannsen will indes die Wichtigkeit phänogenetischer Forschungsarbeit
nicht verkennen, wie er im Vorwort des Buches ausdrücklich betont. „Wir dürfen
aber verschiedene Disziplinen der Biologie nicht promiscue behandeln. Daß der
Kritische Besprechungen und Referate. 65
einzelne Forscher auf verschiedenen Gebieten tätig sein kann oder sogar gelegent-
lich sein muß, ist gut — es gilt aber, dabei die verschiedenen logischen Kategorien
getrennt zu halten.“ Auch hier also wieder, die Diskussion beherrschend, die Sorge
um begriffliche Sauberkeit!
Immerhin scheint es Johannsen auch für die Praxis der Forschungsarbeit
selbst als das Zweckmäßigere, zunächst „getrennt zu marschieren“. Am Ende des
29. Kapitels steht der Satz: „Hier stehen wir vor der Schlucht zwischen Ver-
erbungsforschung — Genetik im engeren Sinne — und Phänogenetik im Sinne
Haeckers. Wir wenden uns, hier auch wundernd, von dieser Schlucht ab.“
Die Genetik — eine Genetik gewiß von erweitertem Rahmen — ist aber längst
an der Arbeit, diese Schlucht zu überbrücken. Gerade die Grenzüberschreitungen
sind es ja doch nur zu oft, die die Forschung weiterbringen. So ist es mit der
Verbindung von Genetik und Zytologie gewesen, und so ist es heute — und wird
es in Zukunft noch mehr sein — mit der Verbindung von Genetik und Entwick-
lungsphysiologie und mit derjenigen von Genetik und Deszendenztheorie, um nur
diese beiden Grenzgebiete hier anzuführen.
Den Schluß des Buches bilden, gegenüber der vorigen Auflage stark gekürzt
und kaum zwei Seiten umfassend, Bemerkungen über Eugenik. Wir können
uns nicht versagen, an den Schluß dieser Besprechung das folgende aus der
vorigen Auflage übernommene beherzigenswerte Wort zu setzen: „Euthenik und
Eugenik müssen einander stützen — nicht gegenseitig verketzern; im einzelnen
ist es auch nicht leicht, zu entscheiden, wo Euthenik in Eugenik übergeht.“
Günther Just (Greifswald).
Klatt, B, Entstehung der Haustiere. Handbuch der Vererbungswissen-
schaft, herausgeg. von E. Baur und M. Hartmann, Lieferung 2 (— Band III,
Teil K). IH und 107 Seiten mit 15 Abb. und 1 Zeittafel. Berlin, Verlag Gebr.
Borntraeger, 1927. Subskr.-Preis 7.50 Mk., Einzelpreis 15.— Mk.
Die vorliegende Lieferung des Baur-Hartmannschen Handbuches be-
handelt die Entstehung der Haustiere unter drei Gesichtspunkten der Problem-
stellung, nämlich als psychologisches, als physiologisches und als historisches
Problem. Das psychologische Problem, dem das erste, nur kurze Kapitel
nachgeht, stellt sich als eines dar, das für beide Partner dieser „Symbiose“ gilt,
für den Menschen und für das Tier. Dem physiologischen Problem ist
das zweite, umfangreiche Kapitel: Wirkungen der Domestikation gewidmet. Das
Kernproblem der Domestikation sieht Klatt „in der verhältnismäßig geringen
Zahl und der Uebereinstimmung der Domestikationserscheinungen bei den ver-
schiedenen Haustierarten, welche im Gegensatz steht zu der fast unendlichen
Zahl der Bedingungskonstellationen, denen die Gesamtheit der Haustiere auf der
ganzen Welt ausgesetzt ist, war oder sein kann“, und die Art der Variabilität in
der Domestikation scheint dem Verfasser „zum großen Teil eine andere zu sein“
„als die, welche die Evolution der Gattungen und Arten bewirkt hat“. Den grund-
sätzlichen Erörterungen des allgemeinen Teiles dieses zweiten Kapitels folgt ein
spezieller Teil desselben, in dem die äußere Erscheinung, nämlich Farbe und
Zeichnung, Haarausbildung, Hornformen, Schwanzgestaltung, Teckelbeinigkeit
usw., und Körperform und Skelett, hier mit besonderer Ausführlichkeit der
Schädel, abgehandelt werden. Auf den Schädel bezieht sich auch die Mehrzahl
Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie, Bd. 22, Heft 1. 5
66 Kritische Besprechungen und Referate.
der diesem Kapitel beigegebenen Abbildungen, die übrigens sämtlich Originale
nach photographischen Aufnahmen sind. Eine Diskussion über die Begriffe Rasse
und Art schließt dieses Kapitel ab. Nicht minder ausführlich als die physio-
logische Seite ist die historische Seite der Haustierforschung
berücksichtigt, der das dritte Kapitel gewidmet ist. In dessen allgemeinem Teil
werden die teils naturwissenschaftlichen, teils geisteswissenschaftlichen Metho-
den diskutiert, die hier Hand in Hand arbeiten müssen und von denen den
ersteren in Fragen der Abstammung, den letzteren in Fragen der zeitlichen
Verhältnisse das Schwergewicht zukommt. An geisteswissenschaftlichen Gebie-
ten sind an der Haustierforschung Kulturgeschichte, spez. Prähistorie, Kunst-
geschichte und Sprachgeschichte beteiligt. Der spezielle Teil dieses dritten
Kapitels gibt eine kürzere Darstellung der Geschichte der Haustiere und eine
ausführlichere ihrer Abstammung, wobei nacheinander die Boviden, Ovicapri-
den, Cameliden, Suiden, Equiden, Caniden und ganz kurz die übrigen Haustiere
besprochen werden. Günther Just (Greifswald).
Ergebnisse der Biologie. Herausgegeben von K. v. Frisch, R. Goldschmidt,
W. Ruhland, H. Winterstein. 2. Band. 729 S. Berlin 1927. J. Springer.
Gebunden 58 M.
Der erste Band der „Ergebnisse der Biologie“ ist 1926 erschienen. Von den
darin enthaltenen Arbeiten waren für das Gebiet des Archivs von Interesse:
D. Katz, Sozialpsychologie der Vögel, und H. Wachs, Die Wanderungen der
Vögel.
Im vorliegenden zweiten Band von 1927 sind folgende Arbeiten enthalten:
P. Stark, Das Reizleitungsproblem bei den Pflanzen im Lichte neuerer Erfah-
rungen, L. Brauner, Die Blaauwsche Theorie des Phototropismus. W. Zim-
mermann, Die Georeaktionen der Pflanze, A. Kiesel, Der Harnstoff im Haus-
halt der Pflanze und seine Beziehung zum Eiweiß, F. v. Wettstein, Die Er-
scheinung der Heteroploidie, besonders im Pflanzenreich, W. Jacobs, Der Gol-
gische Binnenapparat, W. Biedermann, Histochemie der quergestreiften
Muskelfasern, E. v. Stramlik, Die Milz, R. Goldschmidt, Die zygotischen
sexuellen Zwischenstufen und die Theorie der Geschlechtsbestimmung.
Wie man sieht, betreffen die einzelnen Beiträge, die meist den Charakter zu-
sammenfassender Darstellungen bestimmter Gegenstände tragen, sehr verschie-
dene Gebiete der biologischen Wissenschaften. Unmittelbare Beziehung zum Gebiet
des Archivs haben nur die Beiträge von v. Wettstein und Goldschmidt.
Unter Heteroploidie versteht v. Wettstein „die Erscheinung, daß ein bestimmter
Chromosomensatz in beliebiger Kombination seiner Teile an Zahl und Zusammen-
setzung bis zu hohen Vielfachen dieses ersten Ausgangssatzes auftreten kann und
mit allen morphologischen und physiologischen Konsequenzen für den Träger die-
ser Kombinationen“. Nachdem er die Entstehung bzw. experimentelle Erzeugung
polyploider Rassen, ihre Eigenschaften und die Zytologie besprochen hat, erörtert
er die theoretische Bedeutung der Frage. Die Lösung der Hauptfrage der Art-
entstehung bedeute die Heteroploidie nicht. Die Vielgestaltigkeit in gewissen Gat-
tungen, wie Rosa, Salix, Hieracium, möge so zustandegekommen sein, komplizierte
Anpassungen dagegen nicht. Die meisten auf Heteroploidie beruhenden Formen
seien in der freien Natur nicht lebensfähig. Sehr groß aber sei die Bedeutung
Kritische Besprechungen und Referate. 67
der Heteroploidie für die züchterische Praxis. „Liegt doch das Geheimnis der
Entstehung vieler Kulturpflanzen, vor allem der Getreide, in den Tatsachen der
Heteroploidie verborgen. Gerade quantitative Erfolge sind hier ausschlaggebend
und gerade quantitative Wirkungen fanden wir durch Heteroploidie verursacht.“
Die konsequente Verfolgung der durch experimentelle Heteroploidie gebotenen
Möglichkeiten führe in der genetischen Forschung über die der Kreuzungsanalyse
gesteckten Grenzen hinaus. „Wir können das im Chromosom liegende Erbgut
qualitativ und quantitativ erfassen, wir können die einzelnen Gene in verschie-
denen gewollten Quantitäten zur Reaktion bringen und so die Wirkungsweise in
ähnlicher Weise studieren wie der Chemiker die ihm vorliegende Substanz, quali-
tativ und quantitativ.“
Goldschmidt behandelt in seinem Beitrag zunächst die diploide Inter-
sexualität beim Schwammspinner (Lymantria dispar), sodann die bei anderen
Schmetterlingen, bei Drosophila, Pediculus, Krustern und anderen Wirbellosen.
Auch die transitorische Intersexualität bei Fröschen und Fischen wird besprochen,
weiter die Intersexualität bei Vögeln und Säugetieren sowie die Intersexualität
ohne gametische Zweigeschlechtlichkeit. In einem weiteren Kapitel werden die
triploiden Intersexe bei Speziesbastarden von Schmetterlingen, bei Drosophila und
damit zusammenhängende Gegenstände besprochen. Das letzte Kapitel ist dem
Gynandromorphismus gewidmet, der im Unterschied von der Intersexualität keine
geschlechtlichen Zwischenstufen, sondern Zustände des Nebeneinander männ-
licher und weiblicher Teile, z. B. die Halbseitenzwitter, umfaßt. Auf die Inter-
sexualität beim Menschen geht er nur kurz auf S. 654 ein. Die elementaren Tat-
sachen über Geschlechtsbestimmung werden als bekannt vorausgesetzt. Sehr mit
Recht sagt Goldschmidt: „Merkwürdigerweise gibt es eine große Gruppe von
Forschern, die glauben, das Geschlechtsproblem bearbeiten zu können, ohne sich
um die fundamentalen Tatsachen zu kümmern, die die Vererbungsforschung müh-
sam erarbeitet hat. Das sind in der Hauptsache die medizinisch orientierten Spe-
zialisten für innere Sekretion, denen es genügt, die besonderen Verhältnisse der
höheren Wirbeltiere zu studieren, und die es vermeiden, sie dem für das ganze
Tier- und Pflanzenreich einheitlichen Problem einzugliedern.“ „Es dürfte einfach
nicht mehr möglich sein, daß von Gelehrten von Fach Theorien der Geschlechts-
bestimmung in die Welt gesetzt werden, die den elementaren Mechanismus der
Geschlechtsverteilung schon ignorieren.“ Vermutlich entspringt diese Ignoranz aus
der weitverbreiteten Abneigung gegen die Anerkennung der erblichen Bedingtheit
der Eigenschaften; die meisten Mediziner richten den Blick von vornherein nur
auf äußere Ursachen, chemische, inkretorische usw.
Da es sich bei Goldschmidts Arbeit um eine zusammenfassende Dar-
stellung handelt, scheint es mir nicht am Platze zu sein, auf Einzelheiten ein-
zugehen. Nur gegen zwei seiner Ansichten möchte ich meinen schon 1923 ge-
äußerten Widerspruch wiederholen, nämlich gegen die Ansicht, daß „Stärke der
Gene gleich Quantität‘ (S. 589) sei und daß es in der Entwicklung der Intersexe
einen zeitlichen „Drehpunkt“ zwischen weiblicher und männlicher Entwicklung
gebe. Ich habe in meiner Arbeit von 1923 (Bd. 14 dieses Archivs) die Gründe auf-
geführt, aus denen ich die genannten Ansichten Goldschmidts für unhaltbar
ansehen muf.
5*
68 Kritische Besprechungen und Referate.
Schließlich möchte ich noch zu S. 600 eine Bemerkung machen. Gold-
schmidt berichtet dort nach S ta n d f u 8, daß die Kreuzung Smerinthus ocellata
x populi nur Männchen ergebe, die umgekehrte aber beide Geschlechter. Dazu
ist zu sagen, daß die Kreuzung Smer. populi ? x ocellata J' (Pappelschwärmer-
weibchen mit Abendpfauenaugenmännchen) in den meisten Fällen auch nur männ-
liche Bastarde ergibt; höchstens aus einem Zehntel der Zuchten erhält man auch
Weibchen, diese aber stets in der Minderzahl. Von der umgekehrten Kreuzung
sind bisher überhaupt nur einige wenige Bestarde mit Erfolg aufgezogen worden;
und es ist daher nicht zu verwundern, daß es nur Männchen waren. Wie Gold-
schmidt richtig vermutet, hat das Vorwiegen männlicher Bastarde bei der
Kreuzung wenig verwandter Schmetterlingsarten mit der Geschlechtsbestimmung
gar nichts zu tun; in der Regel sind hier die Weibchen einfach nicht entwick-
lungsfähig. Daß eine genetische Analyse der Männchen aus solchen Spezieskreu-
zungen noch nicht versucht worden sei, stimmt nicht; versucht worden ist sie
von mir und anderen oft; die Fruchtbarkeit ist aber meist aufgehoben oder so
stark herabgesetzt, daß nur einige wenige Nachkommen erzielt werden konnten.
Lenz.
Bibliographia Gemetica. Onder Redactie von J. P. Lotsy en W. A. Goddijn.
Deel IV. (V und 492 Seiten.) ’s Gravenhage, Martinus Nijhoff, 1928.
Auch der vorliegende IV. Band des bereits mehrfach von uns besprochenen
Sammelwerkes ist für den Genetiker von hohem Wert, wie ohne weiteres aus
der folgenden Inhaltsübersicht und den Namen der einzelnen Autoren hervor-
geht. Aus dem Beitrag von L. Cuénot, der die Genetik der Maus be-
handelt (S. 179—242), seien der Abschnitt über die Mäusetumoren — mit aus-
gedehntem Literaturverzeichnis — und diejenigen über Versuche einer experi-
mentellen Auslösung von Mutationen und über Experimente zur Frage der Ver-
erbung erworbener Eigenschaften genannt. Von den weiteren Beiträgen bezieht
sich nur einer ebenfalls auf ein zoologisches Objekt, derjenige von Hans
Duncker über die Genetik der Kanarienvögel (S. 37—140, mit Ab-
bildungen). Die übrigen sechs Beiträge des Bandes beziehen sich auf botanische
Objekte. S. C. Harland behandelt die Genetik von Ricinus communis
(S. 171—178), E. R. Saunders diejenige von Matthiola (S. 141—170), Tine
Tammes die Genetik von Linum (S. 1—36). R. R. Gates berichtet über die
Zytologie von Oenothera (S. 401—492, mit Abbildungen), E. M. East
über die Genetik von Nicotiana (S. 243—320), H. Bleier über die Gene-
tik und Zytologie teilweise und ganz steriler Getreide-
bastarde (S. 321—400). Günther Just (Greifswald).
Handbuch der biologischen Arbeitsmethoden, herausgegeben von Abderhalden,
Abt. VIL, Methoden der vergleichenden morphologischen
Forschung, Heft 4: Saller, K, Die Methodik biometrischer Mes-
sungen an Laboratoriumsversuchstieren. — Piehn, A., Ras-
senpathologische Methoden. — Baum, H. Zur Technik der
Injektion der Lymphgefäße. Berlin und Wien 1928, Urban und
Schwarzenberg. ,
Saller gibt eine ausführliche Schilderung der von ihm ausgearbeiteten Meß-
technik für kleinere Versuchstiere (Frosch, Maus und Ratte, Meerschweinchen,
Kritische Besprechungen und Referate. 69
Kaninchen und Hausvögel). Ein weiterer Abschnitt erläutert einiges von der
rechnerischen Aufbereitung der Maßzablen, ein letzter enthält eine dankenswerte
Uebersicht über die wichtigsten bisherigen Meßergebnisse an solchen Versuchs-
tieren. — Der Beitrag von Plehn umfaßt nur 8 Seiten und macht sich dadurch
überflüssig, daß Verfasser selbst erklärt, „die Aufgabe, krankhafte Vorgänge be-
sonderer Art als Rasseeigentümlichkeiten methodisch zu vergleichen“, sei „kaum
lösbar“. Angesichts dieser Erklärung und angesichts der wirklich hilflosen
Fragen, die der Verfasser in bezug auf den Rassenbegriff stellt, versteht man
nicht, warum Verfasser die im Titel genannte Aufgabe übernommen und warum
der Herausgeber diesen völligen Versager abgedruckt hat. — Baum schildert
seine Technik der Injektion des Lymphgefäßsystems bei Haustieren. Scheidt.
Kohts, N, Adaptive motor habitsofthe Macacus rhesus under
experimental conditions. 24 Plates, Moskau 1928 (russisch 326 S.,
englische Zusammenfassung 26 S.).
Die Verfasserin dieser sehr interessanten tierpsychologischen Arbeit ist
schon 1923 bekannt geworden durch ihre Untersuchungen über die geistigen
Fähigkeiten eines Schimpansen. Jetzt hat sie ähnliche Studien mit einer weib-
lichen, geschlechtsreifen, halbzahmen Meerkatze (Macacus rhesus) gemacht,
welche durch Leckerbissen veranlaßt wurde, die Käfigtür zu öffnen. Der Ver-
schluß wurde auf das mannigfaltigste (60 verschiedene Einrichtungen und dazu
noch 33 Komplikationen) verändert, indem große, kleine, gerade, gebogene Haken,
welche in Oesen oder über Stifte griffen, verschiebbare Riegel, einsteckbare Bol-
zen, Vorlegeketten, Vorhängeschlösser mit Schlüsseln u. dgl. in einfacher oder
mehrfacher Zahl verwandt wurden. Jeder neue Verschluß stellte das Tier vor
eine neue Aufgabe. Die Zeit, welche das Tier zum Oeflnen der Tür beim ersten
Versuch und bei Wiederholungen brauchte, und alle Einzelheiten der Hand-
bewegungen und der Stimmung des Prüflings wurden genau notiert. Züchtigungen
wurden nie angewandt. Von jenen 93 Aufgaben konnte der Affe nur zwei nicht
lösen, nämlich, wenn ein sehr fest über einen Stift greifender einfacher Haken
und ein Vorlegeschloß mit Schlüssel angewandt wurde. Im ersten Fall wandte
er nicht die nötige Kraft an, im zweiten bemühte er sich nur um das bewegliche
Schloß, aber nicht um den Schlüssel. In ca. 80 Prozent der Versuche brauchte
das Tier keine Unterstützung, in 20 Prozent wurde ihm das Aufschließen vor-
gemacht oder sonst eine Anleitung gegeben. In 70 Prozent der Fälle gelang die
Oefinung der Tür beim ersten Versuch, in 24 Prozent waren 2—10 Versuche bis
zum Erfolg nötig. Das Tier läßt sich fast nur durch das Gefühl der Hand, hin-
gegen fast gar nicht vom Auge leiten. Beim ersten Versuch wurden immer viele
überflüssige Bewegungen gemacht, die später mehr oder weniger wegfielen. Nur
bei den Komplikationen konnte sich das Tier nicht von ihnen frei machen. Durch
solche Kraftvergeudungen wurde die Zeit für die Lösung der Aufgabe verlängert,
im Maximum um das 16fache. Der erste Versuch dauerte immer am längsten.
Während einer bestimmten Versuchsreihe zeigten sich oft Perioden von Er-
müdung oder Interesselosigkeit. Die rechte Hand arbeitet besser als die linke.
Das Tier hat ein gutes Gedächtnis für die gefundene Lösung, denn eine Pause
von 34—30 Tagen machte nur die erste Wiederholung etwas langsamer, aber bei
einer Wiederholung nach 45—180 Tagen zeigte sich deutlich eine verlangsamte
70 Kritische Besprechungen und Referate.
Lösung. Die vielen überflüssigen Bewegungen sind in erster Linie darauf zurück-
zuführen, daß das Tier nicht nach einem bestimmten Plan arbeitet und die Augen
kaum bei der Lösung verwertet. Nach dem Gesagten wird der Leser denken:
„tout comme chez nous“. Der Afle arbeitet wie ein Kind, mit einer zwar ge-
ringen, aber doch sicher vorhandenen Intelligenz. Dafür spricht doch namentlich.
daß 76 Prozent der Versuche sofort gelingen. Frl. Kohts ist aber zu einer ganz
andern Auffassung gelangt: der Affe weiß gar nicht, worum es sich handelt, er
versteht gar nicht den Zweck des Oeffnens. Er handelt unbewußt und schließt
das Schloß oft, anstatt es zu öffnen. Seine Handlungen verlaufen automatisch
und ohne Ordnung. Der so viel gerühmte Nachahmungstrieb der Affen ist bei
diesem Tier sehr gering. Wenn die Versuchsstellerin die Tür demonstrativ auf-
schließt, so lernt es nichts daraus. Der Affe merkt auch nicht, wenn das Schloß ge-
öffnet ist, sondern bekommt diese Einsicht erst, wenn er gegen die Tür drückt.
Seine ganze Arbeit verläuft ohne Verständnis. „Nichts als Chaos und Zufall be-
herrschen die Bewegungen des Makak.“ „Er hat nicht die geringste Idee von dem
Zweck seiner Handlungen und ist daher auch nicht imstande, ihre Wirkung vor-
auszusehen.“ Die Verfasserin scheint mir in dieser Hinsicht zu weit zu gehen.
Der Affe versucht doch durch Hantieren an dem Verschluß die Tür zu öffnen,
um zu dem Lockmittel zu gelangen. Er drückt auch gegen die Tür, um zu sehen,
ob er Erfolg gehabt hat. Genau so arbeitet der Mensch, wenn er die Konstruk-
tion des Verschlusses nicht kennt. Es scheint mir klar zu sein, daß man auch dem
Affen eine gewisse Einsicht in den Zusammenhang von Schloß, Tür und Oeffnen
zusprechen muß. Ein geistig viel tiefer stehendes Tier, etwa ein Kaninchen oder
eine Gans, würde diesen Zusammenhang nie begreifen. Ganz irrig sind die Be-
hauptungen, daß der Makak für eine regressive Evolution spricht und von geistig
höherstehenden Vorfahren stammt. Alle vergleichend anatomischen und paläonto-
logischen Tatsachen sprechen dafür, daß die katarrhinen Affen die Wurzel der
Anthropoiden sind und daß aus den Stammformen der letzteren der Mensch
hervorgegangen ist. Diese Kritik soll aber den hohen Wert des Buches in keiner
Weise herabsetzen. Es fußt auf sehr gründlichen und vielseitigen Beobachtungen,
ist auch mit vielen vortrefllichen Lichtbildern und Textfiguren versehen. Es ver-
dient weiteste Beachtung. L. Plate.
Werth, E, Der fossile Mensch. Dritter (letzter) Teil. Berlin 1928, Gebr.
Borntraeger.
Seit dem Erscheinen des 1. und 2. Teiles (besprochen in diesem Archiv Bd. 14,
S. 361 und Bd. 15, S. 203) sind sechs Jahre verstrichen. Verfasser gibt in dem
(Ostern 1928 datierten) Vorwort eine Erklärung dafür, die schwere Anklagen ent-
hält gegen „maßgebend sein wollende Fachgelehrte“. Sie sind nicht genannt. Ver-
wunderlich klingt aber in diesem Zusammenhang folgender Satz des Verfassers:
„Es ist nach der ganzen Art der medizinischen Vorbildung durchaus begreiflich,
daß ein großer Teil der Anthropologen der Entwicklungslehre gleichgültig oder gar
feindlich gegenübersteht, da ihm die absolut notwendigste Unterlage für das Ver-
ständnis entwicklungsgeschichtlicher Fragen, die Kenntnis der gewaltigen Formen-
mannigfaltigkeit der Lebewelt, mehr oder weniger ganz abgeht.“ Referent glaubt
die Anthropologen in Deutschland zu kennen und sucht vergeblich nach einem
„großen Teil“, noch vergeblicher nach solchen, die der Stammesgeschichte „feind-
Kritische Besprechungen und Referate. 71
lich gegenüberstehen“. Es ist gewiß richtig, daß Stammesgeschichte zweck-
mäßiger von vergleichend-anatomisch arbeitenden Zoologen betrieben werden
kann, und daß sie nicht im Brennpunkt anthropologischer Fragen der Gegenwart
steht. Aber die angedeuteten Anschuldigungen von Werth sind geeignet,
ahnungslose Leser auf einen ganz falschen Verdacht zu bringen. — Der vor-
liegende dritte Teil des Werkes bringt den Schluß des Kapitels über die Ur-
geschichte der älteren Steinzeit in Europa und in außereuropäischen Ländern,
einen Abschnitt über „geistiges Leben und Kunst des fossilen Menschen“, ein
Kapitel über „die Eolithenfrage und das Problem des tertiären Menschen“ und
über „körperliche Reste des Tertiärmenschen“, endlich einen ausführlichen Ab-
schnitt über „die tertiären Vorläufer des Menschen“. Was Referent vom stammes-
geschichtlichen Inhalt dieser letzten Teile glaubt sachlich beurteilen zu können,
scheint durchaus diskutierbar. Die reiche Materialsammlung, insbesondere die
wiederum ausgezeichnete Ausstattung mit zahlreichen guten Abbildungen erhöhen
den Wert des Werkes. Scheidt.
Martin, R, Anthropometrie, Anleitung zu selbständigen
anthropologischenErhebungen. 2. Auflage. Berlin, Julius Springer,
1929. 51 S., 22 Abb. |
Die 2. Auflage von Martins Anthropometrie hat nur insofern eine Erweite-
rung erfahren, als verschiedene Abbildungen und Berechnungsformeln hinzu-
gefügt worden sind. Die Anordnung der Abschnitte und der Text ist, abgesehen
von geringfügigen Druckfehlerverbesserungen und kleinen Aenderungen, gleich-
geblieben. Es ist ja auch wohl begreiflich, daß man diese so klar und übersicht-
lich herausgearbeitete Anleitung, die in erster Linie den Sozialhygieniker und
medizinischen Konstitutionsforscher in die anthropologischen Methoden rasch
einführen will, in ihrer ursprünglichen Form möglichst belassen wollte Im
1. Abschnitt werden die wichtigsten Instrumente und ihre Handhabung beschrie-
ben. Es handelt sich um Anthropometer mit Stangenzirkel, Gleitzirkel, Taster-
zirkel, Bandmaß, Ansteckgoniometer und Waage. Der 2. Abschnitt bringt Angaben
über die wichtigsten Körpermaße. Ein eigenes Kapitel ist im 3. Abschnitt den
Kopfmaßen gewidmet. Der 4. Abschnitt beschäftigt sich dann eingehend mit der
rechnerischen Auswertung des durch die Untersuchung gewonnenen Zahlen-
materials. Die wichtigsten Indizes, mit deren Hilfe der Konstitutionstypus des
Individuums, soweit das überhaupt möglich ist, zur exakten Darstellung gebracht
werden soll, werden genau durchgesprochen. Auch der mit den anthropologischen
Methoden nur wenig Vertraute wird sich hier rasch und mühelos über das Wich-
tigste unterrichten können. In kurzen Umrissen wird dann im 5. Abschnitt auf
die „Beschreibenden Merkmale“ eingegangen. Als die wichtigsten davon werden
herausgestellt: Entwicklung des Knochenbaues, der Muskulatur und des Unter-
hautfettes; die Körperhaltung, die Komplexion (Haarfarbe, Hautfarbe, Augen-
farbe), Haarform, Körperbehaarung, Hautleistenrelief und schließlich Umriß und
Abguß. Was die Abgüsse betrifft, so ist besonders das neue Abgußverfahren von
Poller (Wien) empfohlen, das sich sehr bewährt hat. Das Beobachtungsblatt,
je für die Art der Untersuchung bzw. des Materials (z. B. für Schulen, für
klinische Zwecke, für sportärztliche Untersuchungen usw.) aufgestellt, kommt
noch im 6. Abschnitt zur Sprache. Und endlich im 7. Abschnitt wird eine An-
leitung zur Veranschaulichung der Resultate gegeben: Die photographische Re-
12 Kritische Besprechungen und Referate.
produktion des Körpers, Konstruktion von Proportionsfiguren und Aufstellung
von graphischen Abweichungstabellen.
Sämtliche Abschnitte sind mit Bildern, Figuren und Tabellen versehen, deren
Auswahl und Wiedergabe im Druck allen Anforderungen gerecht wird. Wie das
bei Erscheinen der 1. Auflage von verschiedenen Seiten schon hervorgehoben
wurde, muß man R. Martin für diesen Auszug aus den Arbeitsmethoden der
Anthropologie, namentlich in dieser Form, wo sie das Gebiet der klinischen
Forschung stark berührt und dadurch an praktischem Wert gewinnt, außerordent-
lich dankbar sein. Hermann Eckardt.
Saller, K,Die Entstehung der „nordischen Rasse“. In der „Zeitschrift
für Anatomie und Entwicklungsgeschichte“. Bd. 83, H. 4 (1927), S. 411—590.
Saller, der bis vor kurzem Assistent am Anthropologischen Institut in Kiel
war und jetzt meines Wissens Prosektor an der Anatomic in Göttingen ist, be-
zweifelt, ob es überhaupt eine „nordische Rasse“ gibt oder jemals gegeben hat.
Seine Arbeit handelt daher eigentlich gar nicht von der Entstehung der nordi-
schen Rasse, sondern von der Entstehung der Lehre von der „nordischen Rasse“.
Linne beschrieb 1758 einen „Homo europaeus“: „Weiß, sanguinisch, musku-
lös; mit gelblichem, lockigem Haar und blauen Augen, beweglich, scharfsinnig
und erfinderisch, bedeckt sich mit eng anschließenden Kleidern, wird mit Ge-
setzen regiert.“ Anders Retzius führte die Kopfmessung und den Längen-
breitenindex ein und unterschied auf diese Weise die germanischen Schweden
von den Lappen. Hoelder gab dann 1867 eine ziemlich eingehende Schilde-
rung des „germanischen Typus“, die im wesentlichen der später üblichen Auf-
fassung der nordischen Rasse entspricht. Saller nennt Hoelder daher den
„Erfinder“ der „nordischen Rasse“. Das Gesicht des germanischen Typus bildet
nach Hoelder ein längliches Oval mit weiten Augenhöhlen. Retzius hatte
nur die Steilheit des Gesichtes (Orthognathie) hervorgehoben, die Frage der
Länge oder Breite des Gesichts aber unentschieden gelassen, vermullich, weil er
beide Gesichtsformen unter den Schweden fand. Kollmann erkannte im Jahre
1881 die grundsätzliche Bedeutung der Gesichtsform, und er unterschied dem-
gemäß eine langgesichtige und eine kurzgesichtige Langschädelrasse. Zu dersel-
ben Unterscheidung kam der russische Anthropologe Bogdanow; dieser be-
merkte auch bereits, daß die steinzeitlichen Langschädel aus Südrußland meist
langgesichtig, die aus Westeuropa dagegen in der Regel kurzgesichtig sind.
Deniker, dessen Buch über die Menschenrassen in erster Auflage im Jahre
1898 erschien, sah nur langgesichtige Langschädelrassen als rein an; die Kom-
bination von langem Kopf und kurzem Gesicht sah er als Mischtypus an. Von
Deniker stammt auch der Name „nordische Rasse“ (race nordique) für die
blonde, langgesichtige, langschädelige Rasse. Die Auffassung D e nik er s herrschte
dann ungefähr zwei Jahrzehnte ziemlich allgemein; und zwar suchte man die
so definierte nordische Rasse von der kurzgesichtigen „Cromagnonrasse“ abzu-
leiten. Demgegenüber unterschied Hauschild an Schädeln aus dem 8. Jahr-
hundert wieder wie Kollmann einen langgesichtigen und einen kurzgesichti-
gen Typus. Paudler hat dann 1924 den kurzgesichtigen Typus, den auch er als
Nachkommen des Cromagnontypus ansieht, in seinen Einzelheiten zu beschrei-
ben gesucht und ihn „Dalrasse“ genannt, da er meinte, daß er in der schwedi-
Kritische Besprechungen und Referate. 73
schen Landschaft Dalarne besonders verbreitet sei. Hauschild sowohl wie
Paudler haben die Vorstellung einer unmittelbaren Verwandtschaft der kurz-
gesichtigen und der langgesichtigen Rasse in dem Sinne, daß diese von jener ab-
stamme, aufgegeben; und Paudler hat die blonde langgesichtige Rasse mit
den dunklen langgesichtigen Rassen des Mittelmeergebietes in Verbindung ge-
bracht. Im gleichen Sinne weiterbauend hat dann Kern die langgesichtigen
schlanken Rassen als eurasische Rassen zusammengefaßt, die blonde nordeura-
sische Rasse mit der nordischen Rasse im engeren Sinne gleichgesetzt und an-
genommen, daß diese aus den eurasischen Steppen nach Nordeuropa gekommen
sei und sich dort mit der dalischen Rasse innig vermischt habe. Im gleichen
Sinne sprachen ja auch schon die Befunde Bogdanows.
Saller, dem die Lehre von der nordischen Rasse offensichtlich unsym-
pathisch ist, schließt nun triumphierend, daß dieser Begriff „mindestens zwei
ganz verschiedene Langschädelrassen umschließt, die sich im wesentlichen durch
ihre Gesichtsbreite unterscheiden“ (S. 424). Er polemisiert gegen eine Aeuße-
rung, die ich in einem Referat über Paudlers Buch getan habe, daß man das
Gemisch aus nordischer und dalischer Rasse ruhig auch weiterhin als nordische
Rasse zusammenfassen könne; und er unterstellt mir dabei, ich möchte offenbar
die für meine „rassenhygienischen Spekulationen notwendige Einheitlichkeit
einer hellen, früher durch die Germanen dargestellten Rasse wahren“. Ich habe
dazu zu sagen, daß die Einheitlichkeit der „nordischen Rasse“ keineswegs eine
Voraussetzung meiner rassenhygienischen Bestrebungen ist. Ich habe vielmehr
ausdrücklich vor der Ueberschätzung des äußeren Typus gewarnt; und wenn
Saller mein Buch, das er zitiert, sorgfältig gelesen hätte, so hätte ihm das
nicht entgehen können. Ich bin auch heute noch der Ansicht, daß die beiden in
Rede stehenden Rassen nicht „ganz verschieden“ sind, wie Saller meint. Man
braucht sie nur mit anderen großen Rassengruppen, etwa den mongoliden und
den negriden zu vergleichen, um das zu sehen. Und wenn Saller mit Hau-
schild meint, daß die langgesichtige Rasse gar nicht „nordisch“ sei (S. 425),
da im steinzeitlichen Nordeuropa die kurzgesichtige vorherrsche, so scheint mir
das mehr ein philologisches als ein sachliches Argument zu sein. Im modernen
Nordeuropa kommt jedenfalls der langgesichtige Typus weitverbreitet vor; und
als Grundlage für die Wahl einer Benennung ist das zweifellos ausreichend.
Wenn Saller sich weiter gegen meine Annahme wendet, daß die beiden Ras-
sen einen gemeinsamen Vorfahren gehabt hätten, und mir vorwirft, daß ich diesen
„nicht nachgewiesen“ hätte, so ist dagegen zu sagen, daß es ganz selbstverständ-
lich ist, daß beide Rassen von einer gemeinsamen Ausgangsform abstammen.
Saller selber ergeht sich später (S. 563 fl.) in Spekulationen über eine gemein-
same Ausgangsform; gerade er hat also keinen Grund, gegen eine entsprechende
Annahme bei mir zu polemisieren. Er bemerkt weiter mit oflensichtlicher Ani-
mosität gegen mich: „Wenn Lenz, wie oben angeführt, selbst aus „praktischen“
Gründen, d. h. doch wohl nur um seine früheren Spekulationen halten zu können,
das Gemisch, das aus der von Paudler angenommenen „dalischen“ Rasse und
„nordischen Rasse“ entsteht, „zusammenfaßt“ und als „nordische Rasse“ be-
zeichnet, so untergräbt er damit selbst das Fundament seiner Aufstellungen,
nämlich die Rassenreinheit, an die die kulturschöpferische Begabung in so hohem
14 Kritische Besprechungen und Referate.
Maße geknüpft sein soll.“ Auch hier läßt Saller die gebotene Sorgfalt vermis-
sen, indem er mir „Spekulationen“ unterstellt, die ich gar nicht vertreten habe.
Ich habe in der von ihm zitierten Auflage der „Menschlichen Erblichkeitslehre“
von 1923 vielmehr ausdrücklich gesagt: „Jedenfalls ist es nicht richtig, daß große
Kulturleistungen nur von reinen Rassen vollbracht werden könnten, noch weni-
ger natürlich, daß die Reinheit einer Rasse gar wichtiger sei als die Art ihrer
angestammten Begabung.“
Leider sagt Saller nirgends klar, unter welchen Bedingungen er die Auf-
stellung einer Rasse für berechtigt hält. Er hat in einer Arbeit von 1925 mehrere
„Rassen“ aufgestellt, u. a. eine „Barma-Grande-Rasse“. Er sagt in der vorliegen-
den Arbeit: „Auch mit dem Fund von Barma Grande Nr. 2 handelt es sich, wie
ich nachweisen konnte, um eine ganz besondere Rassenbildung des Paläolithi-
kums, die allerdings einstweilen ebenso wie die Chanceladerasse nur durch einen
einzigen, völlig erhaltenen Schädel und einen defekten Fund im Paläolithikum
der Grimaldigrotten vertreten ist.“ Nach der Methode Sallers könnte man im
gegenwärtigen Europa beliebig viele, jedenfalls Hunderte von „Rassen“ aufstellen;
je einige Schädel, die in gewisser Richtung von anderen abweichen, würden zur
Aufstellung einer bestimmten „Rasse“ genügen. Von der nordischen Rasse, die
durch Messung und andere Beobachtung von Tausenden von Schädeln und un-
gezählten lebenden Menschen gestützt ist, sagt Saller dagegen: „Die Frage nach
der Abstammung der „nordischen Rasse“ ist ebenso unklar wie die Existenz dieser
Rasse selbst. Meines Erachtens reicht die Feststellung von phänotypischen Unter-
schieden als solche überhaupt nicht zur Aufstellung von Rassenunterschieden aus.
Es kommt vielmehr auf die biologische Bedeutung der Unterschiede und nur der
erblichen Unterschiede an. Kein individueller Phänotypus gleicht genau dem
anderen; und die Methode Sallers würde in der Konsequenz zur Aufhebung
der Rassenkunde überhaupt führen, was schwerlich seine Absicht sein dürfte.
In Wirklichkeit geht er ja nicht so weit; er geht vielmehr von herkömmlichen
Unterscheidungen aus, z. B. wenn er sagt: „Mit dieser Differenz zwischen der
Grimaldirasse und der Cromagnonrasse habe ich dann die Differenz der anderen
von mir von der Cromagnonrasse abgesetzten Rassen verglichen und festgestellt,
daß diese von mir unterschiedenen Rassen von der Cromagnonrasse stärker diver-
gieren als die Grimaldirasse. Daraus zog ich den Schluß, daß, wer eine Grimaldi-
rasse von der Cromagnonrasse unterscheidet, konsequenterweise auch eine
Chanceladerasse, eine Brünnrasse und eine Barma-Grande-Rasse von der Cro-
magnonrasse unterscheiden muß, Rassen, die sich ja auch im Neolithikum noch
nachweisen ließen.“ |
Originelle Gedanken finden sich in Sallers Arbeit eigentlich nicht. Ihr posi-
tiver Inhalt besteht im wesentlichen darin, daß er es unternommen hat, das
neolithische Schädelmaterial Mittel- und Nordeuropas unter den Fragestellungen
Paudlers (und Hauschilds) eingehend zu vergleichen, nachdem er in
einer früheren Arbeit die paläolithischen Schädel bearbeitet hat (1925). Als
Methode verwendet er im wesentlichen die Typendifferenzmethode Czeka-
nowskis, über deren Wert man verschiedener Meinung sein kann. Im Quell-
gebiet der Elbe, Oder, Weichsel und des Dnjestr lassen sich nach Saller „bis
auf wenige Außenseiter die hier gemachten Funde von Dolichokranen und Hyper-
Kritische Besprechungen und Referate. 75
dolichokranen den uns aus dem Paläolithikum her bekannten Langschädelrassen
einreihen, der Brünnrasse, der Cromagnonrasse, der Chanceladerasse und der
Barma-Grande-Rasse“ (S. 496). In der niederdeutschen Tiefebene findet er außer-
dem noch Vertreter der Grimaldirasse, die er übrigens nicht als negrid ansieht.
In Dänemark war die neolithische Bevölkerung „wesentlich mesokraner und
brachykraner als die im Quellgebiet der deutschen Ströme.“ „Wir stehen also vor
dem Ergebnis, daß die eigentlichen Langschädelrassen in der Steinzeit Däne-
marks nur in ganz wenigen, der Masse der anderen gegenüber fast verschwin-
dender Anzahl vertreten sind. Denn die Cromagnonrasse in ihren hier gefunde-
nen Vertretern erwies sich als in der Hauptsache mesokran mit einer Variations-
breite, die in das Gebiet einerseits der Dolichokranie, andererseits ebenso aber
auch der Brachykranie übergreift“ (S. 546). „Der Borrebytypus findet sich nicht
nur in Borreby, sondern auch an den meisten anderen Fundorten; es ist der Cro-
magnontypus und lediglich ein kleiner, zufällig für Borreby getroffener Ausschnitt
aus der Variationsbreite der Cromagnonrasse.“ Auf der skandinavischen Halb-
insel entfällt „ähnlich wie in Dänemark der überwiegende Anteil an der schwedi-
schen Bevölkerung auf die Cromagnonrasse.“ „Die Chanceladerasse fehlt nach
den bisherigen Funden in Skandinavien.“
Saller sucht die verschiedenen Langschädelrassen Mittel- und Nordeuropas
von einer „Mittelgruppe“ abzuleiten, die er „mit der paläolithischen Cromagnon-
rasse identifiziert.“ Auf seine Spekulationen, daß die Ausgangsform kleiner ge-
wesen sei und daß das „Wachstum wohl zum mindesten zeitweise immer nur
nach einer oder zwei Dimensionen erfolgt“ sei, glaube ich nicht näher eingehen
zu brauchen. Durch „Entmischung“ können die verschiedenen Rassen jedenfalls
nicht entstanden sein, wie Saller auf S. 561 meint.
Zum Schluß kommt Saller zu folgenden praktischen Folgerungen: „Wenn
wir heute in Europa auf eine Kultur zurückblicken, auf die wir stolz sein dürfen,
und wenn diese Kultur nichts anderes ist als die Aeußerung erblich bedingter
geistiger Eigenschaften, die Erbmasse der mitteleuropäischen Kulturträger aber,
wie erwiesen, aus der Erbmasse verschiedener europäischer Rassen kombiniert
ist, so ist es eben die Kombination, die die Kultur geschaffen hat. Diese
Kombination, die sich als gut erwiesen hat, zu erhalten, ist die Aufgabe, die sich
auf zweierlei Wegen erfüllen läßt: Erstens durch die Vermeidung der Gegenaus-
lese, die auf dem Weg über die soziale Siebung einzusetzen droht und zum Teil
bereits weitgehend gewirkt hat, und zweitens die Absperrung gegenüber Neu-
kombinationen mit fremden Elementen, deren Ergebnisse wie in jedem biologi-
schen Experiment nicht von vornherein feststehen. Diese Aufgabe ist wichtiger
als die Verherrlichung eines anthropologisch völlig hypothetischen sogenannten
„reinen“ Rassenbildes“ (S. 586). Dem kann ich im wesentlichen durchaus zu-
stimmen, wenn auch aus der Tatsache, daß eine Population sich als „gut“, d. h.
als kulturtüchtig, erwiesen hat, nicht folgt, als alle Rassenbestandteile der Popula-
tion gleichmäßig an dem günstigen Durchschnittsergebnis beteiligt seien. Biologisch
handelt es sich bei einer Population nicht um eine Kombination, sondern um
ein Gemenge zahlreicher verschiedener Kombinationen, die sicher nicht alle in
gleichem Maße kulturtüchtig sind. Was nun die nordische Rasse im speziellen
betrifft, so sagt Saller schließlich: „Damit soll nichts eingewandt werden gegen
76 Kritische Besprechungen und Referate.
das geistige Idealbild, das vom nordischen Menschen entworfen wird, eine
Richtung, in der verkannt zu werden man bei solchen Polemiken ja immer Ge-
fahr läuft. Dieses Idealbild ist in der Tat sehr schön und auch erstrebenswert.
Aber die Frage ist, ob es das Bild des „nordischen Menschen“ ist, ob dieses Ideal
wirklich an die „nordische Rasse“ geknüpft ist.“ Dazu habe ich zu sagen, daß
gerade auch ich betont habe, daß in einer gemischten Population das nordische
Idealbild nicht regelmäßig an jene Kombination von Merkmalen, die man der
nordischen Rasse zuschreibt, geknüpft ist. Sallers Animosität gegen mich ist
also sachlich nicht begründet. Lenz.
Schultze, L., 1928, Zur Kenntnis des Körpers der Hottentotten
und Buschmänner. Zoologische und anthropologische Ergebnisse einer
Forschungsreise im westlichen und zentralen Südafrika. Bd. 5, 3. Lieferung.
Jena. 16 Abb., 5 Kurventafeln und 18 Lichtdrucktafeln.
Verfasser hat 74 Hottentotten und 15 Buschmänner, ein Mischlingsweib und
(in geringerem Umfang) 12 Hottentottenweiber untersucht und gibt seine Beob-
achtungen ausführlich wieder. Das Material ist nicht nur wegen der Dürftigkeit
bisher vorliegender Beobachtungen über Hottentotten und Buschleute, sondern
vor allem deshalb wertvoll, weil Sch. alle Möglichkeiten einer genaueren Her-
kunftsbestimmung der untersuchten Personen erschöpft hat. Die Schilderung der
Befunde, unterstützt durch ausgezeichnete Lichtbilder, enthält viel Interessantes,
ist jedoch in ihren Einzelheiten zum Referat nicht geeignet. Bei der Aufarbeitung
des Materials ging der Verfasser eigene Wege und versuchte um die Nachteile
der geringen Zahl von Beobachtungen durch eine neue Methode herumzukom-
men, deren grundlegende Ueberlegungen zwar der Korrelationsmethode ent-
sprechen, aber nach Ansicht des Referenten nicht zu Ende gedacht sind; sonst
hätten sie wohl zur Korrelationsrechnung führen müssen, die ja keineswegs (wie
Verfasser zu befürchten scheint) „höhere Mathematik“ erfordert, noch auch nur
an umfangreicherem Material anwendbar ist. Die Fehlerprüfung (die bei des
Verfassers Methode wie auch bei den von ihm — allerdings sehr vorsichtig
wiedergegebenen — Mittelwerten fehlt) hätte allerdings wohl manches von den
errechneten Ergebnissen als unsicher erwiesen. Es ist aber doch wohl nicht so,
daß ein Verfahren ohne Fehlerprüfung die Zuverlässigkeit der Ergebnisse erhöht.
Sch. macht geltend, „daß die Werkstatt der Natur, in die wir Einblick suchen,
nur mittelbar die Masse, unmittelbar aber das Individuum ist“, und glaubt auf
seine Weise in diese Werkstatt eher Einblick zu erhalten. Seine Deutung dessen,
was er „Korrelation“ nennt, mit „Abhängigkeitsverhältnissen“ in den „Wachs-
tumsbedingungen verschiedener Körperteile“ läßt — wie manches andere in dem
Buch — in der Tat erkennen, daß individualistische Vorstellungen und Frage-
stellungen bei Sch. eine große Rolle spielen. In der Rassenkunde, wo es auf die
Feststellung des Typischen ankommt, spielen sie jedoch diese Rolle gerade
nicht. Abgesehen davon arbeitet Sch., wenn er addiert und die Summe divi-
diert, natürlich mit „Massen“. Er hat es offenbar nur — wie die meisten älteren
Fachanthropologen seines Schriftenverzeichnisses — nicht so recht gemerkt.
Jedenfalls stehen genetische Gedankengänge nur ganz schemenhaft im Hinter-
grund, wenn (im Schlußurteil, das nicht eigentlich eine Zusammenfassung des
Verarbeiteten bedeutet) z. B. die mutmaßliche Rassenverwandtschaft der Hotten-
Kritische Besprechungen und Referate. 77
totten mit den Buschmännern erörtert wird (Sch. schlägt als gemeinsame Rassen-
bezeichnung für beide Stämme den Namen „Koisan“ vor). Sollten die ermittelten
Merkmalsunterschiede und Aehnlichkeiten dazu etwas beitragen, so wäre nach
Ansicht des Referenten nicht in erster Linie zu fragen, ob z. B. die geringe
Körpergröße der Buschmänner eine „Kümmerform“ bedeute, ob die Steatopygie
der Hottentottinnen „der örtliche Rest einer allgemeinen Fettleibigkeit“ sei u. dgl.,
sondern die Hauptfrage müßte sich bestimmter um die Entstehung von typischen
Erbunterschieden drehen.
Ungeachtet der nach Ansicht des Referenten nicht zeitgemäßen Bearbeitung
stellt aber die Monographie von Sch. einen willkommenen Materialbeitrag dar,
für den wir ihm sehr dankbar sein müssen. — Die Ausstattung des Werkes ist,
wie bei den Berichten über weite Forschungsreisen meistens, imponierend (sehr
großes Format und Lichtdrucktafeln mit Bildern in etwa einem Sechstel bzw. einem
Drittel Naturgröße). Die Folge solcher Luxusdrucke ist aber, von der Unhand-
lichkeit des Formates abgesehen, ein für die Privatkasse der allermeisten Ge-
lehrten unerschwinglicher Preis. Der Inhalt würde auf weniger als der Hälfte
des Papiers tadellos unterzubringen sein. Scheidt.
Csörsz, Karl, Statistische, konstitutionelle und Vererbungs-
Untersuchungen aus der ungarischen Tiefebene. (Arbeiten
der zweiten [medizinisch-naturwissenschaftlichen] Abteilung der Wissenschaft-
lichen Stefan-Tisza-Gesellschaft in Debreczin. Bd. II, Heft 3, 1927. Ungarisch
ınit einem deutschen Anhang. 114 Seiten.)
Der Verfasser hat in einem homogenen Gebiet der ungarischen Tiefebene,
in der 24 Kilometer von Debreczin liegenden Gemeinde Tepe mit 1100 Einwohnern,
eingehende biologische Forschungen durchgeführt. Er hat die seit 1751 erhaltenen
Kirchenbücher durchgearbeitet und auch mit Hilfe anderer Urkunden die ganze
Gemeinde seit 1751 bis heute mit sämtlichen heute lebenden Einwohnern erforscht.
Eine große Anzahl von Mitarbeitern, Pfarrer, Lehrer, Verwaltungsbeamte, standen
ihm bei der Arbeit zur Seite. Bisher wurden folgende Ergebnisse erzielt:
I. Zur Frage der Isohämagglutination. 1000 Personen wurden
in dieser Beziehung untersucht. Davon gehörten in die Gruppe 0 25,9, in die
Gruppe A 37,5, in die Gruppe B 26,3, in die Gruppe AB 10,3 Prozent. Der bio-
chemische Rassenindex betrug 1,3, der Bernsteinsche r-Wert 50,8, der p-Wert 27,9,
der q-Wert 20,4. Die Werte sind annähernd dieselben wie die bei den Ungarn
Siebenbürgens gefundenen (Manuila undPopoviciu). Die kleinen Differenzen
können lokal bedingt sein. Es wurden an diesen 1000 Individuen je 40 Körper-
maße und 60 anthropologische Merkmale aufgenommen und mit dem Blutgruppen-
bild verglichen. 842 Fingerabdrücke wurden von Polizeioberrat Dr. Schiffler-
Budapest durchstudiert. Eine Korrelation zwischen Fingerabdruck mit Blutgrup-
penangehörigkeit konnte nicht festgestellt werden. Hingegen fand es sich, daß,
wenn der Fingerabdruck der Eltern und Kinder übereinstimmte, auch die Blut-
gruppenzugehörigkeit dieselbe war. In verschiedenem Alter ist die prozentuale
Blutgruppenangehörigkeit dieselbe. Als anthropologisches Merkmal ist die Blut-
gruppenzugehörigkeit mit ihren bloß vier Typen wenig brauchbar. Als Rassen-
index könnte die Blutgruppe nur dann etwas sagen, wenn sie, durch genealogische
Untersuchungen ergänzt, in großem Gebiete durchgeführt würde.
78 Kritische Besprechungen und Referate.
I. Zur Häufigkeit der Syphilis. Die allgemein verbreitete Ansicht,
daß diese Gegend Ungarns mit Syphilis besonders durchseucht wäre, läßt sich
nicht aufrechterhalten. Von 997 Wassermannreaktionen waren nur vier positiv.
Eine Tabes wurde gefunden. In der Ambulanz aller Debrecziner Kliniken meldete
sich keine Syphilis aus Tepe.
Il. Familiäre Anlage zum Zeichen- und Sprachentalent.
Der veröffentlichte Stammbaum enthält sieben männliche Mitglieder mit aus-
gesprochenem Zeichentalent, während die übrigen männlichen Mitglieder sowie
die weiblichen trotz ihrem Streben nach Ausbildung untalentiert waren. Der
erste talentierte Zeichner der Familie war der Bauer Emerich Zala, dessen Eltern
kein Zeichentalent zeigten. Er erlernte ohne fremde Hilfe die deutsche Sprache,
um deutsche Fachzeitschriften lesen zu können. Er fiel dem Grafen Julius Andrässy
im Alter von 12 Jahren mit der Zeichnung eines reitenden Husaren auf. Der Graf
ließ ihn hierauf einige Gymnasialklassen absolvieren. Seine weitere Ausbildung
unterblieb infolge des Freiheitskampfes von 1849 und der darauffolgenden ge-
schichtlichen Ereignisse. Die Verbindung des Zeichen- und Sprachtalentes ist kein
zufälliges Zusammentreflen, sondern eine Korrelation, die in der Familie weiter-
vererbt wurde. Auch ein Sohn zeigte Zeichen- und Sprachentalent. Die Töchter
dieses Sohnes haben diese Begabungen nicht. Eine nicht talentierte Tochter des
Emerich Z. hat einen Sohn, der Zeichenlehrer einer Fachschule für Metallgewerbe
ist und der seit dem Alter von 3—4 Jahren gezeichnet hat. Er ist musikalisch.
Sein Bruder hat seit dem 7.—8. Lebensjahr gezeichnet, er schnitzt in Holz, ist
musikalisch und spricht sechs Sprachen. Die Schwester hat kein Talent auf diesen
Gebieten. Diese Schwester hat aber außer einer nicht talentierten Tochter zwei
talentierte Söhne; der eine, jetzt 17 Jahre alter Gymnasiast, ist guter Zeichner,
der zweite, jetzt 12 Jahre alte Gymnasiast, kopierte schon im Alter von 4 Jahren
die Buchstaben und Illustrationen seiner Bücher mit Karikaturtalent. Innerhalb
eines halben Jahres erlernte er die holländische Sprache (als Ferienkind in Hol-
land?). Eine Schwester des Emerich Z. hat einen Enkel, der Zeichenlehrer in
einem Gymnasium ist. Der Autor rechnet die Erblichkeit des Talentes in diesem
Fall dem Dorset-Suffolk-Typus bei Paarung der hornlosen Suflolk-Widder und
behörnten Dorset-Schafe zu.
IV. Die Vererbung von Polydaktylie. Der mitgeteilte Stamm-
baum enthält 19 Fälle von Skelettanomalien der Hand unter 45 Nachkommen
eines Ehepaares bei 11 von 25 Frauen und 8 von 20 Männern. Die Anomalien
sind: Daumen mit 3 Phalangen, 6—7 Finger, Syndaktylie. An den Füßen ist das
Skelett dicker ohne sonstige Anomalien. Mit Ausnahme eines einzigen Falles ist
der Erbgang dominant. In diesem Falle konnte der Vater nicht röntgenologisch
untersucht werden. Es ist also nicht ausgeschlossen, daß auch bei ihm noch eine
Anomalie zu finden sein wird. á J. Kollarits (Davos).
Benda jun., L, UrmenschlicherKannibalenfundin Räbapüspöki.
(Ösemberi kannibálletet Räbapüspökiben. Természettudományi Közlöny. 1928.
15. April.)
Die Lehrer Marton und Kollmann machten am 28. Juni 1927 dem Komitats-
museum in Steinamanger (Komitat Eisenburg, Ungarn) die Anzeige, daß sie in
Rabapüspöki an einem von der Raab unterspūlten Ufer ein Gefäß mit Knochen
Kritische Besprechungen und Referate. 79
gefunden hatten. L. Benda jun. fand das Gefäß in der Tiefe von etwa 3,30 Meter
in einer Schichte von Altholozenschlamm. Das Gefäß hat einen Durchmesser von
33—34,5 Zentimeter, es ist mit der Hand geformt und besteht aus mit Graphit-
anstrich bedecktem schwachgebrannten Ton. Von außen gesehen schien es mit
Asche ausgefüllt zu sein. Am Rand und an der Seite waren Teile ausgebrochen.
Der Einsturz des Ufers scheint diese Teile mitgenommen zu haben. Das Gefäß
enthielt 13 größere und 8 kleinere Knochenstücke, darunter zwei Schädelknochen-
teile, einen Wirbel, mehrere Schienbein-, Rippen-, Schulterblatt-, Fingerknochen-
stücke und viele Knochensplitter. Die Knochen stammen von einem 6—8 Jahre
alten Kinde. Alle Knochen sind zerbrochen. Die Schienbeine sindin der
Länge gespalten. Während das Gefäß frühhallstätter Typus zeigt, ist ein
Bronzebracelet, das im Gefäß lag, aus der Spätbronzezeit. Der ganze Fund stammt
also aus der Uebergangszeit. Die Tonperlen unter und im Gefäß scheinen zum
Beschweren von Fischernetzen gedient zu haben. Das Gefäß stand in einer
60 Zentimeter breiten, 80 Zentimeter hohen, unten in Halbkugelform abgeschlos-
senen zylinderförmigen Asche- und Holzkohlenmasse. Diese Masse war von einer
roten Lehmschicht und diese von grauem Morastschlamm umgehen, Der Morast-
schlamm konnte weiter in der Umgebung 5—6 Kilometer verfolgt werden. Ab-
gekaute Knochen lagen um das Gefäß. Daraus, daß die Schienbeinknochen ge-
spalten waren und daß ein Teil der Knochen um das Gefäß lag, ist zu folgern,
daß der Fund kein Begräbnis darstellt. Er trägt vielmehr die charakterististhen
Merkmale des Kannibalismus, besonders infolge der gespaltenen Knochen, des
herdartigen Aufbaues und der Holzkohle unter dem Gefäß, in sich. Der Fund
ist rekonstruiert im Museum des Komitats Eisenburg in Steinamanger aufgestellt
worden. J. Kollarits (Davos).
Kreesmärik, E, Wie trepaniert der Hirt von Szarvas? (Hogyan
trepänal a szarvasi juhász? Termeszettudomänyi Közlöny. 1927. Dezember.)
Der Verfasser beschreibt die Methode, wie die Hirten in Szarvas (Ungarn)
nach Aussage des Hirten Georg Krälik ihre an Drehkrankheit leidenden ‚Schafe
trepanieren. Wenn der Schädelknochen des Tieres infolge der Ausbildung des
Coenurus cerebralis papierdünn geworden ist, entfernt der Hirt die Haut über
den Knochen in der Größe einer Hellermünze, reibt die wunde Stelle mit Blau-
stein (Kupfersulfat) mit der Begründung ein, daß „das Blut gestillt werden muß,
denn das Tier würde umkommen, falls Blut ins Hirn gelangt“, dann entfernt er
vom Knochen ein ebenso großes Stück mit einem reinen, scharfen Messer. Hier-
auf nimmt er den Wurm heraus. Nun schneidet der Hirt aus reinem Lappen
zwei Blätter in der Größe einer Fünfkronenmünze aus, legt zwischen beide Blätter
reines Papier, um das Gehirn damit hermetisch abzuschließen. Diesen Deckel
klebt er mit an den Rändern aufgestrichenem Pech auf die Wunde. Der „Ver-
band“ bleibt 2—3 Monate am Schädel, nach welcher Zeit die Knochennarbe aus-
gebildet und der Schädel geschlossen ist. In anderen Gebieten Ungarns, z. B. im
Komitat Somogy, setzt der Hirt nach der Trepanation auf die Knochenlücke ein
reines, rundes Lederstück, das er mit Hanffaden an die Wolle ringsum annäht
und mit Pech abschließt. Die Hirtenchirurgen sind jedoch mit ihren Erfolgen
nicht zufrieden, da ihre Patienten den Eingriff meist nur 2—3 Jahre überleben.
Krecsmärik findet in dieser primitiven Chirurgie eine Erklärung für jene
80 Kritische Besprechungen und Referate.
Trepanationen, die der Mensch der Steinzeit schon an seinen Brüdern ausübte und
als deren Zeugen bloß in Frankreich etwa 200 trepanierte Menschenschädel be-
kannt geworden sind. J. Kollarits (Davos).
Bryk, Felix, Neger-Eros. Ethnologische Studien über das Sexualleben bei
Negern. Mit 85 Abbildungen im Text und einer Tafel. Gr. 8°, X, 146 Seiten.
A. Marcus und E. Webers Verlag, Berlin und Köln, 1928. Preis RM. 9.—.
Objektive Berichte und sachverständige Verarbeitungen über das Sexuälleben
der Primitiven sind rar. Noch immer beherrschen Vergnügungsreisende, Journa-
listen und Missionare die einschlägige Literatur, die insoweit günstigsten Falles
bemerkenswerte Einzelheiten und beachtliche Anregungen wissenschaftlicher
Nachprüfung unterstellen. Bryk vereinigt die reiche Erfahrung eines zweijähri-
gen Aufenthaltes in Aequatorialafrika und die Klugheit des geschickten Men-
schenbeobachters und -behandlers auch unter ungewohnten Umwelt- und Lebens-
bedingungen und ist so imstande, uns ein Material vorzulegen, wie es bisher
weder in solcher Vielgestaltigkeit und Beziehungsfülle noch in einer derartigen
Sachlichkeit und Klarheit gegeben war. Dabei ist allerdings das Ideal einer
wirklich vorurteilslosen und unbefangenen Betrachtung und Darstellung inso-
fern doch auch wieder nicht erreicht, als der Verfasser unverkennbar von huma-
nitären Zweckmotiven bestimmt und von einer „Liebe zur Sache“ erfüllt ist, die
seine Beurteilungen nicht durchweg gegen den von ihm selbst gefürchteten Ein-
druck sentimentaler Verfälschungen der Tatbestände — in diesem Zusammen-
hange besonders der psychischen und charakterellen Tatbestände — gesichert
erscheinen lassen. Deswegen wirkt auf der anderen Seite seine mehrfache Kritik
an den mancherlei Brutalitäten und Heucheleien der weißen Kolonisten durch-
aus nicht weniger überzeugend.
Grundsätzlich unterliegen seine Urteile und Deutungen der Sitten und Ver-
haltensweisen vielfach ernstlichen Bedenken, insofern Bryk zwar ehrlich um
Selbstbefreiung von den eigenen Anschauungen und Wertungen und um unvor-
eingenommene Einfühlung in die Gedankengänge der Schwarzen bemüht ist, da-
bei aber doch an die Tiefenpsyche des Primitiven und seine „prälogische‘ Vor-
stellungs- und Empfindungswelt nicht entfernt herankommt, da er offensichtlich
eben doch aus seiner Haut eines europäischen Rationalisten nicht herauskann —
auch nicht für die besondere Zeit und Aufgabe der ethnopsychologischen Er-
schließungsversuche. Ein charakteristisches Beispiel für das völlige Daneben-
tasten, wo es gilt, volkstümliche Sitten nicht zu „erklären“, sondern zu „ver-
stehen“, liefert u. a. das Kapitel: Beschneidung. Daß am Anfang der Geschichte
der menschlichen Seele — und noch mitten in der Psyche des rezenten Primi-
tiven die „Magie“ steht, weiß der Verfasser nicht bzw. will er nicht wissen.
Dieser Mangel belastet das Buch immerhin nicht ganz wenig. Einzelheiten aus
den Schilderungen können hier nicht wiedergegeben werden; sie sind vor allem
für den Sexualforscher höchst interessant und zielen durchweg auf die Bestäti-
gung der These von der Konstanz und Allgemeingültigkeit — nicht der „ars
amandi“, wohl aber des „modus amandi“ durch alle Zeiten, Kulturen und Rassen.
„Die schwarze Astarte ist vom selben Blute wie die weiße Venus.“
Eine besondere Beachtung verdient das Kapitel: Weiß-Schwarz, das die
„vitalste Frage der gesamten Kolonialpolitik“ behandelt. Bryk skizziert scharf
Kritische Besprechungen und Referate. 81
den „dramatischen Konflikt“ zwischen dem Widerwillen des weißen Mannes vor
der schwarzen Frau und seinem unter der tropischen Sonne und reichlichem
Alkoholgenuß gesteigerten Geschlechtstrieb — einen Konflikt, der regelmäßig zu-
ungunsten des „Rassenvorurteils“ gelöst wird. Vor der Erfahrung heißt es oft:
„Mit einer Negerin zu schlafen, ist dasselbe wie mit einer Aeflin“, oder: „Wer
mit einer Negerin verkehrt, ist pervers“; — aber bei dem Mangel an weißen
Frauen und dem täglichen Umgebensein von „prachtvollen, nackten und halb-
nackten“ schwarzen Weibern wird der Bann bald gebrochen, und dann heißt
es: „Kein weißes Weib macht es so gut“; statt der früheren Verachtung und Ab-
neigung des Weißen gegen die Schwarze bemächtigt sich seiner meist eine starke
Zuneigung und Leidenschaft für sie. „Es entstehen so allmählich aus den losen
Liebesnächten engere Verhältnisse, die oft Jahre, ja Jahrzehnte hindurch an-
dauern und schließlich — freilich selten — zu echten Liebesbündnissen „aus-
arten“ können. So kommt es, daß jeder seit Jahren in Afrika ansässige alte Jung-
geselle in festen Händen ist. Aber auch mancher Verheiratete macht ab und zu
einen Abstecher zu einer Schwarzen.“ Der schwarzen Frau erkennt Bryk ein
hohes Maß von Liebesfähigkeit zu; Hingebung und Treue sind ihr eigen, und
ihre Eifersucht — aber stets nur im Verhältnis zu ihren Rasse- und Stammes-
genossinnen, nicht in bezug auf die weiße Frau — quält sie — und den von ihr
beargwöhnten weißen Geliebten. Vor der weißen „Dame“ hat die schwarze Frau
große Achtung und Furcht, die weiße Frau gegen die schwarze einen tiefen Haß;
diesen nicht etwa aus Rassensentiment oder aus sozialer Ueberlegenheit, son-
dern aus sexueller Rivalität: es ist von seiten der europäischen Frau ein
„Kampf auf Leben und Tod“. Ein sexuelles Verhältnis der weißen Frau mit einem
Schwarzen kommt selten vor: wegen ihrer strengen Bewachung und aus Angst
des Negers vor dem Erwischtwerden und der ihm dann drohenden Erschießung!
Außerdem gibt es doch nur wenig weiße Frauen dort. „Die paar Frauen, die
den Negern nachrennen, sind der schwarzen Umgebung besser bekannt als der
weißen.“
Zu dem Problem der sexuellen Zu- und Abneigung zwischen Rassefremden,
hier also zwischen Weiß und Schwarz, nimmt Bryk eine unklare Haltung ein,
wenn er einerseits vom „Fluch der Rassenrücksichten“ und der „Rassenpsychose“
spricht, andererseits eine „Rassenverschlechterung“ durch die Schwarz-Weiß-
Mischung anerkennt und durch einige Hinweise — allerdings wissenschaftlich
sehr unzulänglich — zu belegen sucht. Daß diegeringe Zahl von Mischlingen
in Ostafrika nicht etwa auf einer natürlichen Unfruchtbarkeit der Schwarz-
Weiß-Kreuzungen beruht, sieht der Verfasser anscheinend ein, da er selbst auf die
umfangreichen Bastardbevölkerungen in Südafrika verweist. Aber er geht der
Frage nicht näher nach, sondern begnügt sich mit der Feststellung, daß es sich
hier um „sonderbare“ Sachverhalte aus ihm „unbekannten Gründen“ handelt.
Daß hier nur willkürliche oder pathologische Tatbestände sich aus-
wirken, kann nicht zweifelhaft sein. Unklar ist auch die Erklärung Bryks, daß
dieerhöhte Empfindlichkeit der Augen von Mischlingen gegenüber
den stechenden Strahlen der Tropensonne wahrscheinlich darauf beruhe, daß
diese Kinder „an das nackte, barhäuptige Herumgetragenwerden wie die weni-
ger empfindlichen Eingeborenen noch nicht angepaßt sind“. Selbstverständlich
Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie, Bd. 22, Heft 1. 6
82 Kritische Besprechungen und Referate.
ist anzunehmen, daß hier Depigmentationswirkungen der Kreuzung in Erschei-
nung treten. Wenn der Verfasser mit Bedauern feststellt, daß die (weißen) Väter
um ihre Bastarde sich in der Regel nicht kümmern, „so daß sie völlig vernegern“,
so kann diese Folge zunächst doch nur soziologischer und kultureller
Art sein; die biologisch „völlige Vernegerung“ würde dann doch erst durch Aus-
mendelung und Auslese im weiteren generativen Verlauf erwartet werden können.
Im übrigen würden die asozialen Aufwuchsbedingungen dieser
vernachlässigten Kinder für Unterwertligkeiten ihrer physischen und psychischen
Entwicklung gebührend mitverantwortlich zu machen sein. Inwieweit der per-
sönliche Auslesefaktor bei den Schwarz-Weiß-Kohabitanten, die der Ge-
burt von Bastarden nicht vorzubeugen bereit oder fähig sind, rassenhygienischen
Forderungen ent- oder widerspricht, ist der Darstellung Bryks nicht zu ent-
nehmen — wie denn überhaupt gerade dieses Kapitel, von dem der Biologe eine
Förderung der wissenschaftlichen Einsichten, zum mindesten durch Vorlegung
auswertbaren Materials, hätte erwarten dürfen, in dieser Beziehung leider
fast völlig im Stich läßt.
All dessen ungeachtet ist der Meinung Molls (in seiner Einführung zu dem
Buche) durchaus beizustimmen, daß „wer sich in Zukunft mit Sexualfragen der
Negerrassen beschäftigen oder darüber Vollständiges bringen will, ohne Kennt-
nis und Studium dieses Buches sein Ziel nicht erreichen“ wird. Die Lebendigkeit
der Darstellung, die durch die bemerkenswerten Bildbeigaben noch besonders
gehoben wird, macht diese Aufgabe auch sehr kurzweilig und im guten Sinne:
interessant. Max Marcuse (Berlin).
Alons, C. L, Der erbliche Faktor in der Aetiologie der Tuber-
kulose (holländisch). Inaugural-Dissertation. Groningen 1928. Im Handel.
Im Jahre 1920 ist in Holland eine bedeutende Arbeit über die Erblichkeit der
Disposition für Tuberkulose erschienen, welche einem praktischen Arzte auf dem
Lande zu verdanken ist. Dr. Th. Doyert) hat in diesem Buche die Resultate
von Erhebungen in seiner vieljährigen Praxis bearbeitet, wobei er die von ihm
aufgestellten Stammbäume auf Grund der Aufzeichnungen seines Vorgängers und
der offiziell bekannten Todesursachen für die früheren Generalionen ergänzen
konnte. Als Ausgangsmaterial dienten die Schulkinder der Landgemeinde Was-
fum (Provinz Groningen) von 1909—1912. An der Hand zahlreicher Stammtafeln
zeigt der Autor, daß in bestimmten Familien auch bei Ausschluß der Infektions-
gefahr im Hause die Tuberkulose ausbricht, während andere frei bleiben. Das
Gesamtergebnis dieser Arbeit liefert den deutlichen Nachweis einer erblichen
Disposition für Tuberkulose.
Im vorigen Jahre ist ein Arzt in der Provinz Drenthe dem Beispiel Doyers
gefolgt. Dr. Alons, der eine fünfzehnjährige Praxis in einer nahe der deut-
schen Grenze gelegenen Ortschaft, Oud-Schoonebeek, ausübt, hatte dazu aus-
gezeichnete Gelegenheit. In dieser Ortschaft wohnen seit Jahrhunderten einige
Sippen Bauern mit großem Grundbesitz, unter denen die Tuberkulose sehr ver-
breitet ist, meist in der Form der Lungenschwindsucht. Es gelang Dr. Alons, aus-
gedehnte Sippschaftstafeln aufzustellen, wobei sich herausstellte, daß von zwei
großen Sippen, deren Stammbäume dem Buche beigegeben sind, die eine viel
1) Tuberkulose und Erblichkeit (holländisch). Inaugural-Dissertation. Groningen 1920.
Kritische Besprechungen und Referate. 83
mehr an Tuberkulose leidet als die andere. Durch Heiraten zwischen den beiden
Sippen wird der Unterschied verwischt. Unter den neuangesiedelten Familien in
Oud-Schoonebeek kommt fast keine Tuberkulose vor, ebensowenig wie im an-
liegenden Ort Nieuw-Schoonebeek, welches von Sippen aus anderen Gegenden
besiedelt wurde. Aus den Erhebungen ist ersichtlich, daß die Krankheit unter den
Kindern einer Ehe nicht bloß von dem Zustand der Eltern, sondern auch von
den Geschwistern der Eltern abhängt. Heiralet ein Mann, welcher später an
Tuberkulose stirbt, eine gesunde Frau, so können alle Kinder gesund bleiben,
wenn diese gesunde Frau aus einer tuberkulosefreien Familie stammt. Wenn
jedoch Geschwister oder einer der Eltern solch einer gesunden Frau an Tuber-
kulose leiden, nimmt die Gefahr für die nächste Generation dermaßen zu, daß
entweder alle Kinder oder ein Teil von ihnen erkranken. Die Infektion im Hause
spielt nach Alons kaum eine Rolle, weil die ganze Gemeinde wie eine große Haus-
gemeinschaft ist, wo jeder bei jedem aus- und eingeht und wo die Kranken in der
Regel von Nachbarsfrauen gepflegt werden. Bei diesen tritt aber trotzdem keine Tu-
berkulose auf, wenn sie nicht durch ihre Erbmasse dazu vorherbestimmt sind.
Alons sucht an der Hand zahlreicher Sippschaftstafeln zu beweisen, daß für
die ungenügende Immunität gegen den Tuberkelbazillus in Oud-Schoonebeek ein
einzelner rezessiver Erbfaktor verantwortlich sei. Er knüpft seine Betrachtungen
an die schönen Untersuchungen Hagedoornsan, der in einer Mäusekultur die
Immunität gegen Staphylokokkeninfektion auf den Ausfall eines einzelnen Tieres
zurückführen konnte. Es handelte sich um eine Kreuzung zwischen japanischen
und sog. Robertsonmäusen. Nur die letzten waren gegenüber dem Bazillus immun,
während die japanischen zugrundegingen. Es handelte sich um monohybride
Vererbung, denn in der F, — Generation war das Verhältnis der erkrankenden Tiere
zu den gesunden ungefähr wie 1:3. Die Rückkreuzung der gesunden Bastarde
mit den japanischen Mäusen gab ein Verhältnis von ungefähr 1:11. Hagedoorn
hat damals dargelegt, daß nicht die Immunität als solche vererbt wird, sondern
daß unter den sehr vielen Entwicklungsfaktoren, welche hierbei eine Rolle
spielen, der Ausfall eines einzelnen Erbfaktors imstande ist, die der Infektion
ausgesetzten Tiere erkranken zu lassen. Es wäre nach seiner Ansicht gar
nicht ausgeschlossen, daß unter andern Lebensumständen die Robertsonmäuse,
welche in seinem Versuch immun waren, sich anders verhalten würden.
Entsprechend vorsichtig äußert sich Alons über das von ihm angenommene
rezessive Gen, welches in der von ihm untersuchten Landgemeinde den Tuber-
kuloseausbruch bedingt. Es wäre ja möglich, daß die erbliche Disposition, an
welcher (was die Tuberkulose betrifft) wohl kein Genetiker mehr zweifelt, in an-
deren Sippen einen anderen Charakter zeigt als in dieser seit Jahrhunderten an
einem Ort seßhaften blutsverwandten Gemeinschaft.
M. A. van Herwerden (Ütrecht).
Stieve, H, Unfruchtbarkeit als Folge unnatürlicher Lebens-
weise.Ein Versuch, die ungewollte Kinderlosigkeit des Menschen auf Grund von
Tierversuchen und anatomischen Untersuchungen auf die Folgen des Kultur-
lebens zurückzuführen. 52 Seiten mit 20 Abbildungen im Text. (Grenzfragen
des Nerven- und Seelenlebens, herausgegeben von Kretschmer, Heft 126.)
München, J. F. Bergmann, 1926.
6*
84 Kritische Besprechungen und Referate.
Stieve, H, Die Abhängigkeit der Keimdrüsen vom Zustand des
Gesamtkörpers und von der Umgebung. In: Die Naturwissen-
schaften, 15. Jahrgang, 1927, S. 951—963.
Die erstgenannte Schrift gibt einen zusammenfassenden Bericht über experi-
mentelle Arbeiten des Verfassers, die sich auf die Zusammenhänge zwischen Keim-
drüsenentwicklung, Keimdrüsentätigkeit und Keimdrüsenschädigung einerseits und
den Umweltbedingungen des Tieres bzw. den Umweltbedingungen der Keimdrüsen
innerhalb des tierischen Körpers anderseits beziehen. Die augenblicklich ja be-
sonders eifrig diskutierte Frage, ob auch die Nachkommen solcher keimdrüsen-
geschädigten Tiere von einer Schädigung betroffen sind, wird vom Verfasser nur
gelegentlich gestreift; es kann sein, daß er darauf erst nach entsprechender Wei-
terführung seiner Experimente eingehen will, während sein jetziges Thema ein
enger begrenztes, aber natürlich auch als solches höchst bedeutungsvolles ist.
Manche der Stieveschen Befunde scheinen uns indessen auch im Rahmen
seiner engeren Fragestellung der Nachprüfung bedürtftig.
Der Verfasser geht von den Erscheinungen des Geburtenrückganges
bei Kulturvölkern aus. Ein lehrreiches Material, das er über die Zahl der ehe-
lichen KinderbeidenAngehörigendesLehrkörpersder Uni-
versität Halle zusammengetragen hat, sei nebst den in einer Anmerkung
dazu gegebenen näheren Erläuterungen hier in extenso und ohne weiteren Kom-
mentar von unserer Seite wiedergegeben:
„Gesamtzahl der Dozenten und Lektoren 198
davon sind verheiratet 159 — 80 %
„ unverheiratet 39 = 20%
”„
Von den Ehen sind
Kinderlos | 60 = 38 % unfruchtbar
1 Kind 20
2 Kinder 33 73 = 46 % kinderarm
3 5 20
4 „ 16
S y 6 26 = 16 % kinderreich
6 und mehr Kinder 4
Demnach sind von 198 Dozenten und Lektoren
9 = 50% ohne Nachkommen
99 — 50% haben zusammen 270 Kinder.“
„Natürlich darf eine solche Zusammenstellung, die sich nur auf eine einzige
kleine Berufsklasse in einer Stadt erstreckt, nicht ohne Weiteres verallgemeinert
werden. Bei den Hochschulen liegen die Verhältnisse besonders ungünstig.,. Die
wirtschaftliche Not ist gerade beim jungen Nachwuchs sehr groß, an die Arbeits-
leistungen werden die höchsten Anforderungen gestellt. Infolgedessen verheiraten
sich die meisten Hochschullehrer erst in höherem Alter, wenn sie in eine einiger-
maßen sichere Lebensstellung gelangt sind. Dazu kommt noch, daß gerade Halle
von vielen älteren Hochschullehrern mit kinderreichen Familien verlassen wird,
wenn sich die Möglichkeit bietet, an eine größere Universität zu kommen.
Kritische Besprechungen und Referate. 85
Infolgedessen zeigt diese Zusammenstellung besonders ungünstige Verhältnisse.
Soweit ich erfahren konnte, sind die Ergebnisse ähnlicher Feststellungen an an-
deren Universitäten etwas günstiger. Sie zeigen aber immer noch deutlich genug,
daß die Kinderarmut in den Kreisen der Hochschullehrer erschreckend groß ist.
Sehr erhebliche Schuld daran trägt zweifellos die wirtschaftliche Not des jungen
akademischen Nachwuchses, sowie der Umstand, daß an vielen Kliniken und
Instituten nur unverheiratete Assistenten angestellt werden.“
Stieves Ausführungen wollen indessen als Beitrag zur Frage der un-
ge wollten Kinderlosigkeit und Kinderarmut aufgefaßt sein.
Nach einem Ueberblick über die gewöhnliche Tätigkeit der Keimdrüsen und
den Unterschied in ihrem Verhalten bei beiden Geschlechtern, in dem auf die an
und für sich viel stärkere Gefährdung der Fortpflanzungsfähigkeit des Weibes
gegenüber derjenigen des Mannes hingewiesen wird, geht Stieve zunächst auf
die Wirkung vonGiftenaufdie Keimdrüsen ein. In bezug auf die
Wirkung von Blei zeigte sich in noch nicht abgeschlossenen Versuchen (ge-
meinsam mit P. Schmidt), daß wochenlange Zuführung von Blei in größeren
Mengen zu keinerlei erkennbaren Veränderungen der Hoden und der Eierstöcke
von Kaninchen führt. Diese bisherigen Ergebnisse scheinen dem Verfasser darauf
hinzuweisen, daß die Unfruchtbarkeit der Bleiarbeiterinnen, jedenfalls in erster
Linie, auf einer direkten Schädigung der sich im Mutterleibe entwickelnden
Keimlinge beruhe.
Weitere Versuche Stieves beziehen sich auf die Wirkung des Alko-
hols aufdie Keimdrüsen der Maus. Seine Versuchsanordnung, die in
einer Fütterung der Tiere ausschließlich mit in Alkohol getränktem Weizen be-
stand, schloß allerdings, worauf er selbst ausdrücklich hinweist, eine genaue
Dosierung der zugeführten Alkoholmengen aus. Bei Verfütterung von 10pro-
zentigem Alkoholweizen an junge Tiere zeigt sich Zurückbleiben im Wachs-
tum, Tod vieler Tiere, Verkümmerung der Tiere, bei Uebergang zu normaler
Fütterung sehr rasche Erholung, Fehlen bleibender Schädigung. Bei Verfütterung
von 10- und 20 proz. Alkoholweizen an erwachsene Tiere, hauptsächlich Männ-
chen, ließen sich auch nach viermonatiger Versuchsdauer keinerlei physiolo-
gische oder anatomische Veränderungen der Keimdrüsen nachweisen. Dabei er-
hielten die Mäuse nach Stieves Berechnung „auf das Kilogramm Körper-
gewicht berechnet etwa 5—10 g Alkohol täglich. Das entspricht beim Mann einer
täglichen Alkoholmenge von 325 g, also etwa 10 Liter Bier oder 5—6 Flaschen
Wein“. Bei Verfütterung von 30 proz. Alkoholweizen zeigte ein Teil der Tiere
Veränderungen, die bei Verfütterung von 40 proz. Alkoholweizen allgemein fest-
stellbar waren. Bei solchen Tieren erlosch, häufig schon in den ersten Versuchs-
tagen, der Geschlechtstrieb, und die Hoden entarteten stark, zum Teil so stark,
daß die Wandung der Samenkanälchen nur noch von wenigen Zellen, an ein-
zelnen Stellen überhaupt nicht mehr ausgekleidet war. Allerdings wird bei Be-
nutzung so hoher Alkoholprozente in den Versuchen die Schleimhaut des Magen-
Darmtraktes unmittelbar angegriffen, also der Gesamtkörper des Tieres direkt
schwer geschädigt. Weiße Mäuse erwiesen sich als alkoholempfindlicher als graue.
Ein weiteres Kapitel bezieht sich auf die Wirkung ungeeigneterEr-
nährung auf die Keimdrüsen. Hier erinnert Stieve an Stefkos (1924) Be-
86 Kritische Besprechungen und Referate.
funde an der hungernden Bevölkerung in Rußland: „Stefko wies nun nach, daß
bei schwer hungernden Knaben die Samenbildung nicht beginnt. Von 35 Männern,
die im Alter von 16—42 Jahren Hungers starben, fanden sich bei 17, also fast der
Hälfte, keine Samenfäden. . . . Bei keinem der 120 russischen Weiber im Alter
von 7—40 Jahren, die untersucht wurden, fand sich ein reifendes Ei in den Eier-
stöcken.“ Stieves eigene Untersuchungen beziehen sich auf die Schädigung der
Keimdrüsen, Eierstock und Hoden, der Gans durch überreichliche Ernährung
(Mast).
Die Wirkung der umgebenden Luftwärme auf die Keimdrüsen
wurde wieder an Mäusen studiert. Verbringt man Männchen in eine Tempera-
tur von 37%, so kommt die Samenbildung nach Stieves Befunden sofort zum
Stillstand, und nach 10 Tagen zeigen die Hoden das Bild vollkommenen Ruhe-
zustandes; bei den Weibchen können bei längerer Versuchsdauer alle Eierstocks-
eier zerstört werden.
Versuche über die Wirkung nervöser Reize auf die Keim-
drüsen wurden an Hühnern vorgenommen. Verbringt man eine Henne vom
Hof in einen Käfig, so kommt spälestens am dritten bis vierten Tage die Eiablage
zum Stillstand. Festzustellende Rückbildungen im Ovar spricht Stieve als Ur-
sache dieser Unterbrechung der Eiablagetätigkeit an. Für diese Rückbildungs-
vorgänge ihrerseits aber glaubt er „nur die Angst und Aufregung verantwort-
lich“ machen zu können, „in die das Huhn durch seinen Aufenthalt in der un-
gewohnten Umgebung, durch die Veränderung im äußeren Leben versetzt wird“.
Im Gegensatz hierzu tritt beim erwachsenen Hahn durch Käfigaufenthalt kei-
nerlei Beeinträchtigung des Geschlechtslebens ein; nur bei sehr langer Gefangen-
schaft zeigen sich Rückbildungen an den Hoden. Anders ist es dagegen, wenn
man junge, im Wachstum begriffene Hähne in einen womöglich dunkel gehal-
tenen Käfig sperrt. Ob die hier eintretende starke Hodenschädigung allerdings
wieder durch das „Unbehagen“ der Gefangenschaft mitbedingt ist, erscheint schon
dadurch zweifelhaft, daß uns der Verfasser im Anschluß an diese Mitteilungen
über experimentelle Erfahrungen ähnlichen Charakters bei Molchen berichtet.
Auch im letzten Kapitel, das die Ueberschrift trägt: Die Wirkung des
„Kulturlebens“ besonders in den Großstädten auf die Keim-
drüsen, darf man wohl manches Fragezeichen an den Rand schreiben. In die-
sem Kapitel berichtet Stieve über Befunde, die er an der Keimdrüse des
Mannes erheben konnte und die dafür sprechen, „daß ihre Tätigkeit durch
seelische Erregung, besonders durch die Angst, in schwerster Weise geschädigt
werden kann, so daß nachweisbare Veränderungen auftreten“. Bei drei Hin-
gerichteten fand Stieve in den Hoden „schwere Veränderungen zum Teil
alter, zum Teil ganz frischer Art. Da die Betreffenden im übrigen vollkommen
gesund waren, es handelte sich durchweg um junge Männer in den besten Jah-
ren, so können diese Veränderungen nur auf die Aufregung und Angst zurück-
geführt werden, welche die drei Mörder empfanden, bevor ihnen das Armsünder-
glöckchen schlug“. Einen weiteren derartigen Fall teilt Stieve hier erstmalig
mit und belegt ihn durch eine eindrucksvolle Abbildung der schwer rückgebilde-
ten Hodenkanälchen; es handelt sich um einen 32jährigen Mann, der nach einer
zwei Wochen dauernden Verfolgung durch die Polizei Selbstmord verübte.
Kritische Besprechungen und Referate. 87
Ausführlicher geht der Verfasser in diesem Kapitel auf die Frage einer
Schädigung des weiblichen Körpers durch Ueberanstrengung in gei-
stiger Tätigkeit ein. Er berichtet dabei über die Resultate einer Umfrage,
die ergab, daß fast bei der Hälfte aller Studentinnen — ja Stieve meint, daß
diese Zahl wahrscheinlich noch zu niedrig sei — vor dem Examen Unregel-
mäßigkeiten in der Menstruation eintreten; bei einem Viertel der befragten Stu-
dentinnen blieb die Regel ein- oder mehrmals aus.
Am Schlusse seiner Schrift geht Stieve nochmals kurz auf den Geburten-
rückgang ein.
Die zweite obengenannte Abhandlung gibt einen auf einer allgemeinen Sit-
zung des X. Internationalen Zoologen-Kongresses in Budapest gehaltenen Vor-
trag wieder. Großenteils wird das gleiche Material dargestellt, nur hier und da
durch Einzelheiten ergänzt.
Neu hinzugekommen ist eine Behandlung der Frage, wie weit Ei- und Samen-
bildung durch die vom anderen Geschlecht ausgehenden Reize
eine Förderung zu erfahren vermögen. Stieve berichtet da über eine von ihm
durchgeführte Versuchsreihe das Folgende: Männliche Hauskaninchen sind im
allgemeinen jederzeit, auch im Winter, begattungsfähig. Wenn man sie aber
während des Winters fern von jedem Weibchen — allein oder doch nur mit an-
deren Männchen zusammen — hält, so bilden sich bei einigen Tieren die Hoden bis
zum vollkommenen Ruhezustand zurück. Dies geschieht indessen niemals, wenn
auch nur ein Weibchen — nicht im gleichen Käfig, nur im gleichen Stall — an-
wesend ist. Bringt man Männchen mit solcherweise zurückgebildeten Hoden zu
einem Weibchen, so verhalten sie sich zunächst völlig gleichgültig, nach 1—3
Wochen aber sind die Tiere wieder begattungslustig und begatten mit Erfolg.
Am Schluß des Aufsatzes finden sich die Sätze: „Die Vererbungsforscher be-
schäftigen sich heute fast ausschließlich damit, neue mendelnde Eigenschaften
zu entdecken, und versuchen die verschiedensten Springformen und ihr Verhalten
beim Erbgang mit dem Verhalten der Kernschleifen in Einklang zu bringen.
Bis jetzt kann dieser Versuch als mißglückt bezeichnet werden, denn alle die vie-
len Arbeiten, die sich mit diesen Fragen beschäftigen, bauen sich heute aus-
schließlich noch auf Hilfsannahmen auf (1922).“ Man hätte meinen sollen, daß
Stieve sich von der Haltlosigkeit vieler in seiner Abhandlung vom Jahre 1922
gemachten Ausführungen inzwischen selbst überzeugt hätte. Und wenn Stieve
fortfährt: „Im Strudel dieses ‚Chromosomen-Mendelismus‘ (Fick 1924) ist die Tat-
sache ganz untergegangen, daß jedes Lebewesen nicht nur ererbte Eigenschaften
besitzt, sondern auch von der Umwelt abhängt . . . .“, so genügt wohl ein Hin-
weis darauf, daß es in der Vererbungslehre den Begriff Modifikation gibt.
Das Problem der Phylogenese wird in nur andeutenden Sätzen gestreift.
Günther Just (Greifswald).
Sehugt, P, Experimentelle Untersuchungen über Schädigung
der Nachkommenschaft durch Röntgenstrahlen. Strahlen-
therapie Bd. 28, S. 546—567, 1928,
Als Versuchsobjekt dienten weiße Mäuse. 84 weibliche Tiere wurden bestrahlt;
die Dosis lag zwischen 9 und 140 Röntgeneinheiten (R). Die Kastrationsdosis wurde
bei 42—54 R gefunden. Die Tiere wurden vom 10. Tage nach der Bestrahlung ab
88 Kritische Besprechungen und Referate.
vier Wochen lang mit normalen unbestrahlten Männchen gepaart. 52 wurden
trächtig, bei 10 konnte die Jungenzahl nicht ermittelt werden, die übrigen 42
brachten zusammen 244 Junge zur Welt. In der 7. Woche lebten von diesen noch
66 Junge. Die 84 bestrahlten Weibchen wurden 3% Monate nach der Bestrahlung
zum zweiten Male mit unbestrahlten Männchen gepaart, nun wurden nur fünf
trächtig (Röntgendosis: zwei je 14 R, je eins 21 R, 9 R und 27 R). Das mit 27 R
bestrahlte und trächtig gewordene Tier abortierte, die übrigen vier brachten zu-
sammen 27 Junge zur Welt, von welchen in der 7. Woche noch fünf lebten. Die
F,-Tiere wurden alsdann untereinander gekreuzt (keine Geschwisterinzucht), doch
blieben alle Verbindungen steril Paarung mit unbehandelten Mäusen führte in
18 Fällen zur Befruchtung. Von den 81 F,-Tieren lebten noch 16 in der 7. Woche.
Die mit den F,-Tieren ausgeführten Paarungsversuche blieben alle steril, sowohl
untereinander als auch mit normalen Tieren. Mißbildungen wurden bei den F,-
und F,-Tieren keine beobachtet. Die regelmäßig durchgeführte Wägung dieser
Tiere ergab Zurückbleiben in der Entwicklung hinter den Vergleichstieren. Bei
der mikroskopischen Untersuchung von Ovarien und Uterus sowie Hoden der
sterilen F,-Tiere waren qualitative Unterschiede gegenüber den Kontrollen nicht
zu finden. Die makro- und mikroskopische Untersuchung der Uteri der bestrahl-
ten Muttertiere, die sieben Monate nach der Bestrahlung vorgenommen wurde,
ergab nichts Abnormes. Der Verfasser lehnt es deshalb ab, die Nachkommen-
schädigung (Unterentwicklung, Abnahme der Fertilität) auf eine intrauterine Ent-
wicklungsstörung infolge Strahlenschädigung des Uterus zurückzuführen. Das
morphologische Manifestwerden von Erbänderungen ist bei der Anlage und Aus-
dehnung der Versuche kaum zu erwarten gewesen.
O. v. Verschuer (Berlin-Dahlem).
Diehl, K, Schwangerschaft und Tuberkulose. Jahresbericht über
die gesamte Tuberkuloseforschung 1926, S. 595—410, Berlin 1928.
Der Verfasser ist dirigierender Arzt des Tuberkulosekrankenhauses der Stadt
Berlin „Waldhaus Charlottenburg“ in Sommerfeld (Osthavelland). Es ist zu
begrüßen, daß von berufener Seite der Fragenkomplex Schwangerschaft und Tuber-
kulose auf Grund der Ergebnisse der modernen Tuberkuloseforschung kritisch
geprüft wird. Von den klinischen Indikationen zur Schwangerschaftsunterbre-
chung schien nach der herrschenden Schulmeinung die wegen Tuberkulose die
„sicherste“ zu sein. Demgegenüber sind in letzter Zeit verschiedentlich Zweifel
geäußert worden. Diehl kommt zu dem Schluß: „Wenn auch nach dem Urteil
vieler Autoren eine Verschlimmerung des Lungenprozesses — eine Ansicht, die
aber von anderer Seite schärfstem Widerspruch begegnet — nicht von der Hand
gewiesen werden kann, so besteht doch keine Klarheit darüber, welche Formen
der Lungentuberkulose eine Verschlechterung durch die Schwangerschaft erfah-
ren. Die Benutzung differenter, nicht genug präziser Einteilungsmethoden macht
ein summarisches Urteil unmöglich.“ Der Verfasser schlägt ein Zusammenarbei-
ten von Lungenärzten und Geburtshelfern vor, sowohl zur weiteren Klärung des
schwierigen Fragenkomplexes als auch zur Behandlung tuberkulöser Schwan-
geren: „Die zielbewußte Benutzung dieser Verfahren (zur Behandlung der Tuber-
kulose, Ref.) nach Entthronung des das Handeln vieler Aerzte hemmenden
Dogmas von dem unheilvollen Einfluß einer Schwangerschaft auf eine Tuber-
kulose scheint berufen, den Fragenkomplex Schwangerschaft und Tuberkulose
Kritische Besprechungen und Referate. 89
befriedigender zu lösen, als es durch die Schwangerschaftsunterbrechung möglich
ist.“ Es ist zu hoffen, daß weitere Forschungen und Beobachtungen in den näch-
sten Jahren die so wichtige Klärung bringen. Sollten die Erwartungen des Ver-
fassers sich erfüllen, so würden sie wahrscheinlich die Forderung zur Folge
haben, daß Schwangerschaftsunterbrechungen wegen Tuberkulose nur noch in
bestimmten Anstalten vorgenommen werden dürfen. Die durchaus wünschens-
werte Folge würde hiervon sein, daß einer großen Zahl von Abtreibern, die sich
durch den „Lungenbefund“ eines „Kollegen“ decken, das Handwerk gelegt werden
würde. O. v. Verschuer (Berlin-Dahlem).
Monheim, Maria, Rationalisierung der Menschenvermehrung.
Eine Studie zur praktischen Bevölkerungspolitik. Verlag von Gustav Fischer,
Jena. 1928. 142 Seiten. Preis brosch. 6 Mk. geb. 7.50 Mk.
Das Buch besitzt für den Rassenhygieniker nur insoferne Interesse, als es
eine gut zusammengelaßte Geschichte der Bevölkerungspolitik, angefangen von
den Griechen und Römern bis herauf in unsere Tage, und eine auf scharfe Beob-
achtung sich stützende Schilderung der Geburtenverhütungsmotive enthält. Was
darüber hinausgeht, ist Sozialpolitik ohne biologische Erkenntnis, ein Lobspruch
auf die Sozialgesetzgebung der Nachkriegszeit. Die qualitative Bevölkerungs-
politik blieb nahezu gänzlich unberücksichtigt. Wenn da und dort ein Hinweis
darauf versucht ist, klingt er unvermittelt und ohne Ueberzeugung. Auch die
12 Seiten umfassende Abhandlung der Sozialhygiene beschränkt sich lediglich auf
die Bekämpfung der Schäden durch die Geschlechtskrankheiten und den Alkohol,
dem übrigens eine viel zu weitreichende idiokinetische Bedeutung beigemessen
wird. Ä
Auch insofern scheint mir das Buch die Erwartungen nicht ganz zu erfüllen,
als man doch durch seine Lektüre mit der Stellungnahme der Frauenwelt zum
Bevölkerungsproblem bekannt gemacht werden möchte, da die Verfasserin dort,
wo sie geschichtliche Schilderungen und Gesetzesreferate verläßt, sich allzu stark
an männliche Autoren, namentlich an Grotjahn, dem sie übrigens auf seiner
Bahn nach der rassenhygienischen Richtung nicht zu folgen vermag, anlehnt.
Als spezielles Charakteristikum wäre vielleicht die starke Eingenommenheit der
Verfasserin für das Fürsorge- und Versicherungswesen, das sehr ausführlich ge-
schildert und auf seine Auswirkung auf das Unehelichenproblem hin kritisiert
wird, zu nennen.
Eine Rationalisierung der Menschenvermehrung erblickt M. 1. in der öko-
nomischen Verwaltung des einmal entstandenen Lebens, 2, in der grundsätzlichen
Austragung einmal empfangenen Lebens, 3. in der Verhinderung ungewollten
Lebens und 4. im Grundsatz, gewolltem Leben die Entstehung zu ermöglichen.
Als Mittel zum Zweck sind gedacht zu Punkt 1: Ausbau des Kinderschutzes,
Kinderrente, Mutter- und Elternschaftsversicherung; Punkt 2: Wöchnerinnen-
heime, Säuglingsasyle; Punkt 3: Aufklärung und Belehrung, Bereitstellung von
antikonzeptionellen Mitteln (Lösung der Abtreibungsfrage) und zu Punkt 4: Be-
seitigung aller wirtschaftlichen Hindernisse, die sich dem Willen zum Kinde ent-
gegenstellen, Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, Eindämmen der Prostitu-
tion, Förderung der Frühehe, Belehrung über den Zweck der Ehe, ausreichende
Abfindung schwanger gewordener verheirateter Lehrerinnen und Beamtinnen.
90 Kritische Besprechungen und Referate.
Auf weitere Einzelheiten und spezielle Kritik einzugehen, erübrigt sich im
Hinblick auf die eingangs bereits erwähnte Einstellung der Verfasserin. Das
Literaturverzeichnis läßt einige grundlegende moderne Arbeiten vermissen, wie
Baur, Fischer, Lenz, „Menschliche Erblichkeitslehre und Rassenhygiene‘“,
East, „Die Menschheit am Scheidewege“ u. a. L. Gschwendtner.
Fürth, H.: Die Schwangerschaftsunterbrechung und das Straf-
gesetz. Aus: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik. 57. Bd. (1927),
Ss. 176—193.
Angesichts des neuen Strafgesetzentwurfes wendet sich Henriette Fürth
auch hier leidenschaftlich gegen die Beibehaltung der alten Rechtsauffassung und
findet die Stellungnahme der Leipziger Aerztetagung unverständlich. Besonderes
Gewicht legt sie bei der Begründung ihrer Ansicht auf die Verengerung des
deutschen Nahrungsspielraumes, der den Staat außerstand setze, seinen Bürgern
das ökonomische Dasein zu gewährleisten. H. Fürth schlägt folgende Fassung
der Abtreibungsbestimmungen vor: Unter Beibehaltung der beiden ersten Absätze
des $ 218 wäre fortzufahren: Die Handlung ist straffrei, wenn sie von approbier-
ten Aerzten in Öffentlichen Krankenanstalten vorgenommen wird. Die Vornahme
der Schwangerschaftsunterbrechung hat ohne Entgelt irgendwelcher Art zu er-
folgen. Als Indikationen zur Unterbrechung der Schwangerschaft haben neben
medizinischen Erwägungen auch solche sozial-moralischer und wirtschaftlicher
Art zu gelten. Der Versuch ist nicht strafbar. Wer die in Abs. 2 bezeichnete Tat
ohne Einwilligung der Schwangeren oder gewerbsmäßig begeht, wird mit Zucht-
haus bestraft.“ Für eine eugenische Indikation wäre H. Fürth wohl grundsätz-
lich zu haben, doch sei diese Frage „für eine gesetzliche Regelung noch nicht
reif“. Vorbildlich scheint ihr nach der Darstellung Roesles (in der Zeitschr.
f. Schulgesundheitspflege und soziale Hygiene Nr. 10, 1925) die Regelung, die in
der Frage der Schwangerschaftsunterbrechung die Sowjetunion getroffen hat. Als
typische Schilderung aus der deutschen Praxis hält sie daneben die Darstellung
der Leiterin der Frankfurter Mütterberatungsstelle, Hertha Riese (Erfahrungen
der Frankfurter Sexualberatungsstelle. Neue Generation, XXI. Jg. H. 10). 74%
der Ratsuchenden waren nach diesen Angaben Frauen, „wobei 94 % aller Fälle
Geburtenregelungsfälle waren, die sich zusammensetzien aus 55,2 % Gesuchen um
Verhütungen weiterer und 44,8% Gesuchen um Unterbrechung bestehender
Schwangerschaften“. Aus weiterem Material wird berichtet, daß „Kinder aus
kranken kleinen Familien in bezug auf Lebensaussichten und Gesundheit besser
daran sind als Kinder aus gesunden großen Familien“, dort sei „die Sterblich-
keit noch nicht einmal halb so groß wie bei gesunden großen“. Daher wird ge-
folgert, „daß die gesündeste Veranlagung der Uebermacht der schädlichen Um-
welteinflüsse erliegen muß, daß aber Hygiene, Pflege, Ernährung, wie sie die
kleine Familie biete, über eine krankhafte Veranlagung zu siegen imstande ist“
(Riese).
Es ist höchst bedauerlich, daß sich Frauen von solchem Ansehen wie H.
Fürth derartige antirassenhygienische Ansichten zu eigen machen und vor
einem biologisch wenig geschulten Publikum, wie in diesem Falle, ausbreiten
und damit den Gesetzgebungsapparat und die öffentliche Meinung wirksam und
ohne wesentliche Gegenwirkung beeinflussen. Es ist dann kein Wunder, wenn
Kritische Besprechungen und Referate. 91
die verhängnisvolle Unkenntnis und Leichtfertigkeit in rassenbiologischen Din-
gen sich am Ruder halten kann; ein Volk, dem erbkranke kleine Familien ge-
sunden großen vorzuziehen geraten wird, kann ja eine erbauliche Entwicklung
nehmen, wenn es diesem Ratschlage folgt. K. V. Müller.
Tönnies, F, Die eheliche Fruchtbarkeit in Deutschland. Aus:
Schmollers Jahrbuch, 52. Jg. (1928), S. 581—609.
T. bekämpft in diesem sehr beachtlichen Aufsatz die verbreitete Vorstellung,
daß die absichtliche Verhütung der Empfängnis und die absichtliche Vernichtung
des keimenden Lebens die alleinigen oder auch nur vorwiegenden Ursachen der
verminderten ehelichen Fruchtbarkeit seien. Gegenüber dieser nicht erweisbaren
Annahme nimmt T. andere mehr oder minder meßbare Ursachen an. Unter Be-
rufung auf medizinische Kapazitäten weist er in diesem Zusammenhang auf die
Bedeutung des Ueberhandnehmens der angeborenen oder erworbenen Mängel des
Genitalapparates bei Mann und Frau (Nürnberger), die Enthaltsamkeit im
Geschlechtsleben in Form der Unterbrechung im Postmenstruum (daneben auch
in schwer feststellbarem Ausmaß der Gebrauch anderer Mittel); Infantilismus
(besonders in der Großstadt), daneben Geschlechtskrankheiten, Bleich- und Fett-
sucht als natürliche Hemmungen der Fruchtbarkeit, die aus der heutigen Zivili-
sation entspringen (Siegel), besonders aber auch auf die generativen Schäden,
die durch die Berufskrankheiten und überhaupt durch die Berufstätigkeit der
(jugendlichen) Frau entstehen, wie das platte Becken der Textilarbeiterinnen,
wozu bei höheren Frauenberufen neben biologischen auch noch psychologische
Hemmungen kämen.
Im Anschluß an den Norweger A. N. Kiaer entwickelt T. sodann seine An-
sicht, daß das Hinaufschieben des Heiratsalters ein maßgebender natürlicher
Grund für das Sinken der ehelichen Fruchtbarkeit ist. Von 1901—1913 vermehrte
sich (nach T.s eigenen Untersuchungen) die Zahl der jüngeren eheschließenden
Männer (bis 29) um 7,51 %, die der über jährigen um 13,95 %, die der unter
35jährigen Bräute um 9,08%, die der über 35jährigen um 12,46 %. Allerdings haben
sich gerade die unter 20jährigen im gleichen Zeitraum um 20,57 %, die 20- bis
22jährigen um 19,83 % vermehrt; dagegen die starke Gruppe der 23—35jährigen
nur um 4,14%. Die starke Zunahme der sehr jugendlichen Bräute, die an sich
auf das Wachstum der ehelichen Fruchtbarkeit günstig wirken müßte, tritt nun,
wie T. im einzelnen besonders am Beispiel des Ruhrgebietes erhärtet, hauptsäch-
lich in den schwerindustriellen Gebieten zutage, wo eine ausgedehnte Frauen-
erwerbstätigkeit die erwartete günstige Wirkung der jungen Heirat auf die ehe-
liche Fruchtbarkeit sich nicht auswirken lasse; zu den physiologischen und psycho-
logischen Folgen der Erwerbstätigkeit trete als starke Hemmung noch die infantile
Beschaffenheit der Organe (besonders bei Stadtgebürtigen).
Bei aller Würdigung der positiven Momente (sinkende Sterblichkeit und Ver-
besserung der Heiratswahrscheinlichkeit) muß T. die absolute Unsicherheit einer
günstigen Prognose für die zukünftige deutsche Bevölkerungsentwicklung zugeben.
Auch für die Vorkriegszeit ist seine Beweisführung gegen die Annahme der
gewollten, künstlichen Unfruchtbarkeit nicht immer recht überzeugend; ganz
abgesehen davon, daß bei „Unterbrechung“ schon mindestens ein Grenzfall von
gewollter und natürlicher Unfruchtbarkeit vorliegt. Es scheint, als ob T. gerade
92 | Kritische Besprechungen und Referate.
für die Nachkriegszeit sich dem Eindruck des Ueberhandnehmens künstlicher
Unfruchtbarkeit gegenüber der natürlichen Unfruchtbarkeit nicht mehr entziehen
kann. Uebrigens dürfte wohl die einigermaßen sichere Beurteilung der Bedeutung
der gewollten Unfruchtbarkeit kaum mehr unmöglich und aller exakten Anhalts-
punkte bar sein, wenn sich erst das in letzter Zeit immer häufiger versuchte
Enqueteverfahren zu einer gewissen Vollkommenheit und Zuverlässigkeit ent-
wickelt hat. K. V. Müller.
Tönnies, F.: Soziologische Studien und Kritiken. Erste Sammlung,
Jena 1925. Zweite Sammlung, Jena 1926.
Tönnies bringt in diesen Sammlungen fast nur bereits veröffentlichte klei-
nere Arbeiten zum Abdruck. Besonders interessant ist die zusammenhängende
Lektüre seiner Polemik mit Schallmayer und anderen Rassenhygienikern;
die große Zahl der einschlägigen Arbeiten gibt Tönnies in der ersten Samm-
lung (S. 133—329, S. 334—349) unter dem Sammeltitel „Die Anwendung der
Deszendenztheorie auf Probleme der sozialen Entwicklung, I.—VI. Teil“ und in
dem kleinen, in Einzelheiten überholten Aufsatz „Eugenik“ (1905) wieder.
= Da die neuere Forschung auf rassen- und gesellschaftsbiologischem Gebiet
leider nur sehr unvollkommen benutzt wird, erübrigt sich eine abermalige Be-
sprechung der bereits mehrfach gewürdigten Kritik dieses führenden Soziologen
an der älteren deutschen Rassenhygiene.
In den Arbeiten der zweiten Sammlung kommt Tönnies verschiedentlich
(S. 135, S. 236) auf die Stellung der Biologie und Anthropologie im System der
soziologischen Wissenschaft zu sprechen. Der Aufsatz „Ueber Anlagen und An-
passung“ (S. 155—168) ist eine Zusammenfassung von Elementen, die sich bereits
in der ersten Sammlung finden. Auch dieser Beitrag leidet unter veralteten bio-
logischen Ansichten; so macht Tönnies (S. 163) einen Wiederbelebungsversuch
an der alten Darwinschen Pangenesishypothese.
Es darf aber angesichts dieser Sammlung von verstreuten Arbeiten aus dem
umfassenden Lebenswerk dieses unermüdlichen Soziologen gesagt werden, daß
es der jüngeren Soziologengeneration oft sehr zu raten wäre, der Biologie die-
selbe Aufmerksamkeit zu widmen und dieselbe Bedeutung in ihren Gesamtstudien
anzuweisen, deren sie ihr großer Führer für würdig hielt: es stünde um ihre
Wissenschaft um vieles besser. K. V. Müller.
Sehumpeter, Die sozialen Klassen im ethnisch-homogenen Milieu.
Aus: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, 57. Bd. (1927), S. 1—67.
Eine für die gesellschaftsbiologische Betrachtung der Sozialgeschichte höchst
beachtliche Untersuchung bringt Sch. irt dem vorliegenden Aufsatze, zunächst nur
als skizzenhaften Entwurf, zur Darstellung. Bevor er das offenbar breite Material,
das seiner Untersuchung zugrunde liegt, zur Schau stellt, ist ein abschließendes
Urteil über seine Klassentheorie noch nicht möglich; doch dürfte die im fol-
genden versuchte kurze Wiedergabe des Inhalts bereits genügen, um dem Leser
zu zeigen, daß es sich um eine sehr fruchtbare und tiefschürfende Erfassung
des Klassenproblems handelt.
Sch. scheidet zunächst den ökonomischen und den soziologischen Klassen-
begriff; letzterer fasse die Klasse als soziales Lebewesen. Das typische Symptom
sci der leichtere Verkehr und der engere Zusammenhalt zwischen den Klassen-
Kritische Besprechungen und Referate. 93
angehörigen. Das statistisch erfaßbare Kriterium hierfür sei wiederum die erhöhte
Leichtigkeit der Eheschließung innerhalb der Klasse, das „soziale connubium“.
Im Gegensatz zu bekannten abweichenden Anschauungen erklärt Sch. die
Klassen als zum guten Teil gegeben aus voraufgehenden Klassenbildungen; damit
wohne dem Vorgang der Klassenbildung ein zähes, kontinuitätwahrendes, konser-
vatives Element inne. Sch. unternimmt es nun, uns verständlich zu machen, daß
die Momente, aus denen sich Veränderungen in der Klassenstärke erklären, zu-
gleich auch die Ursachen einschließen, aus denen es überhaupt Klassen gibt.
Der biologischen Betrachtungsweise nähert sich Sch. mit dem Hinweis darauf,
daß nicht das Individuum, sondern die Familie das wahre Glied der Klasse
ist; freilich denkt er dabei zunächst als Soziologe an die Wirkung der Tradition,
die auch bei „aus der Art schlagenden“ Familienmitgliedern im Sinne sozialen
Beharrungsvermögens wirkt, und das nach oben oder unten tendierende Einzel-
individuum festhält. Doch sieht Sch. wohl die Bedeutung der Anlagen, die eben
nicht zufällig sich im Schoße der Familie häufen, und die entscheidend sind für
die soziale Rangierung der Familie. Er erhärtet dies an zwei eingehender durch-
geführten Beispielen: der Sozialgeschichte des deutschen Adels und des indu-
striellen Bürgertums im Hochkapitalismus. Besonders interessant ist das letztere
Beispiel: entgegen Marx, der „dem Unternehmer“ ein sozialrationalistisches
Durchschnittsverhalten impliziert, weist Sch. nach, daß eben die „kapitalistischen“
Anlagen zum ehrbaren Festhalten, zu energischer Rücklagenpolitik und zu „effi-
ciency“ verschieden sind und ganz verschiedenen Erfolg in den verschiedenen
Phasen eines kapitalistischen Unternehmens bedingen. Kapitalmangel ist nicht
ausschlaggebend für den Untergang, und ehrbare Rücklagenpolitik rettet nicht
vor dem Niedergang. Er beruft sich mit Recht auf Marshalls Wort, die
Größe der Unternehmen tendiere, sich der Fähigkeit des Unternehmers anzu-
passen; konkurrenzwirtschaftliche und tarifwirtschaftliche Verhältnisse bedingen
jeweils andere Auftriebsvoraussetzungen. Dieser ganze Abschnitt ist von Sch.
ungemein lebensnahe gesehen und von erfrischender Plastik.
Das Tempo des familiären Auf- und Abstiegs sei aus dem Wechsel der Zu-
sammensetzung zu erweisen. Sch. bringt hierfür interessante Belege aus dem
neueren Schrifttum, die das Tempo des Auf- und Abstiegs als recht rasch er-
scheinen lassen. Dabei scheidet Sch. sehr wohl das Emporwachsen aus eigener
Kraft von dem diese Tatsache lediglich zum Ausdruck bringenden konstitutiven
Akt der Aufnahme in eine Klasse, z. B. die Erhebung in den Adelsstand. Mit
Recht erinnert Sch. daran, „nur das physische Individuum ist klassengeboren,
die Familie (also das eigentliche Klassenglied)) nicht“.
Die Ursachen der Klassenveränderung und der Veränderung der sozialen
Stellung der Klassen sieht Sch. vollkommen organisch: die soziale Klasse erfüllt
je eine Funktion im Gesamtorganismus, die ihr je nach ihrer Bedeutung für
diesen ihren Rang zuweist (als Beispiel bietet Sch. die Aenderung der Klassen-
funktion des Adels). Für die Stellung der einzelnen Klasse in der Gesellschaft
ist, da in jedem Volk irgendwie alle Klassen sozial notwendig sind, ihre Ersetz-
barkeit ausschlaggebend.
„Die vorgeführten und angedeuteten Tatsachen und Ueberlegungen haben
gezeigt, daß und in welchem Sinn
94 Kritische Besprechungen und Referate.
die Verschiebungen der Familienpositionen innerhalb ihrer Klasse, die wir
ausnahmslos und unter allen Umständen wahrnehmen, prinzipiell weder aus
Zufällen noch aus Automatismen der äußeren Stellung zu verstehen sind, son-
dern als Auswirkungen von Differenzen in den Eignungen der Familien
zur Bewältigung der Aufgaben, vor die sie ihre soziale Umwelt stellt;
die Klassengrenzen ausnahmslos und unter allen Umständen übersteiglich
sind, überstiegen werden, und zwar infolge derselben Eignungen und
Verhaltensarten, die auch die Verschiebung der Familienpositionen innerhalb
der Klasse bewirken;
der Vorgang der Ueberschreitung der Klassengrenzen durch die einzelne
Familie zugleich eben der Vorgang ist, der den Klasseninhalt an Familien über-
haupt bildet, und daß dieser auf keine andere Art zustande kommt;
die Klassen selbst und als solche steigen und sinken, je nach der Art und
dem Erfolg, in der und mit dem sie — und das heißthier: ihre An-
gehörigen — die ihnen jeweils charakteristische Funktion erfüllen und je
nachdem die soziale Bedeutung dieser Funktion oder jener Funktionen, zu
denen die Klassenangehörigen jeweils übergehen können und wollen, steigt oder
sinkt, wobei die relative soziale Bedeutung einer Funktion jeweils durch das
Maß von sozialer Führerschaft gegeben ist, das ihre Ausfüllung impliziert oder
zur Folge hat;
eben diese Umstände, die sowohl das Schicksal der einzelnen Familien als
auch das Schicksal der Klassen als solcher erklären, zugleich erklären, warum
es überhaupt soziale Klassen gibt, woraus folgt:
Die Ursache, auf der letzten Endes das Klassenphänomen beruht, sind die
individuellen Eignungsdifferenzen. Aber nicht Differenzen von Eignungen schlecht-
hin, sondern Differenzen von Eignungen für die Ausübung jener Funktion oder
Funktionen, die die Umwelt jeweils „sozialnotwendig“ — in unserem Sinn —
macht, und für Führerschaft in der Form und Art, die jener Funktion oder
jenen Funktionen entspricht; auch nicht an sich die Differenzen der Eignungen
von physischen, sondern von Geschlechts- oder Familienindividuen.“
Man kann daraus leicht erkennen, wie fruchtbare Ansatzpunkte diese gewiß
weiterführende — übrigens nicht vollkommen neue — Anschauung vom Wesen
der Klasse gerade für die Gesellschaftsbiologie bietet. Sch. sieht wohl auch die
weittragende Bedeutung der Biologie für die Klassengeschichte — in der Ein-
leitung nimmt er unmittelbar Bezug darauf —, wenn er sie auch vorläufig in
der „ancestral erworbenen Eignung“ (S. 61 und 63) nur sehr unvollkommen sieht
und kurz andeutet. Man hat das Empfinden, er traut den Resultaten der psychi-
schen Vererbungstheorie noch nicht ganz (S. 63) und begibt sich durch diese
allgemach grundlos werdende Vorsicht sehr tragfähiger Erkenntnismöglichkeiten,
die heute mehr denn je nicht nur theoretisch bedeutsam sein könnten.
K. V. Müller.
Jahrbuch für Soziologie. Eine internationale Sammlung. I. u. II. Bd,
herausgegeben von G. Salomon. Karlsruhe 1925 und 1926.
Obwohl bei vielen der behandelten soziologischen Themen eine Berücksich-
tigung gesellschaftsbiologischer Gesichtspunkte sehr angezeigt gewesen wäre,
findet sich nur bei sehr wenigen Aufsätzen der beiden ersten Bände des Jahrbuchs
Kritische Besprechungen und Referate. 95
eine Beachtung biologischer Fragestellung. Am fruchtbarsten tritt sie zutage in
dem Beitrag von Tönnies („Richtlinien für das Studium des Fortschritts und
der sozialen Entwicklung“, I, S. 166—221). Die Stellung des Themas läßt wesent-
lich neue Gesichtspunkte nicht erwarten. Bedenklich scheint auf jeden Fall die
gleichfalls der Biologie entlehnte Analogie vom Altern und Neugeborenwerden
der Kulturen. „Wohl mag auch, wer in den Tod geht, dem Asklepios seinen Hahn
opfern, und diese Euthanasie ist das Höchste, dessen eine in Zivilisation ver-
sinkende Kultur fähig ist..... Das Altern ist ein normaler und physiologischer
Prozeß, auch im sozialen Leben, nicht minder aber das Neugeborenwerden.“ Wer
die Schärfe kennt, mit der Tönnies einst Schallmayer viel weniger ge-
wagte und weit berechtigtere Anwendung biologischer Prinzipien auf das soziale
Leben ankreidete, wird angesichts der oben zitierten, stark an Spengler sche
Rhetorik gemahnenden Sätze baß erstaunt sein.
Eine kurze und im wesentlichen treffende Berücksichtigung des Gesichts-
punktes der kulturbedingten Gegenauslese findet sich ferner in dem Beitrag des
Neuyorker Soziologen Barnes, der einen großzügigen, von internationaler Lite-
raturkenntnis zeugenden Ueberblick über die Beziehungen zwischen „Anthropo-
logie und Geschichtswissenschaft“ (I, S. 256—279) gibt. Freilich legt er den etwas
verschwommenen Boasschen Begriff von Anthropologie zugrunde, der ja sehr
viel weitere Gebiete umfaßt als die Wissenschaft, die wir in Deutschland gemein-
hin unter Anthropologie verstehen. Leider enthält sich Barnes auch nicht eines
sehr vorschnellen und in unverständlicher Heftigkeit zum Ausdruck gelangenden
Werturteils, wenn er sich gegen die Anwendung rassenbiologischer Grundsätze
auf soziologische Gegenstände kehrt. Grants „Passing of the Great Race“ nennt
Barnes „das unheilvollste Buch seit Gobineau“, Nun, es wird hoffentlich auch
den uns verheißenen „beharrlichsten Anstrengungen“ von Barnes und seines-
gleichen nicht so leicht gelingen, den „unsinnigen Rassegedanken“, dessen „be-
klagenswerte Wiederbelebung“ auch für die Soziologie er nicht leugnen kann,
„auszurotten“ (S. 272f.).
Eine sehr instruktive und methodisch geschickt an die Forschungen von
Fahlbeck, Sundbaerg und anderen anknüpfende Untersuchung von Sa-
vorgnan (Modena) über „Das Aussterben der adeligen Geschlechter. Statistisch-
soziologischer Beitrag über die Fruchtbarkeit der souveränen und mediatisierten
Häuser“ (I, S. 320—340) verdient unser volles Interesse. Savorgnan führt den
Nachweis, daß die Fruchtbarkeit der souveränen und mediatisierten Häuser bei
etwas höherem Heiratsalter des männlichen und etwas niedrigerem des weib-
lichen Teils gegenüber dem Durchschnitt der deutschen Bevölkerung 1896—1905
dennoch „im allgemeinen auf demselben Niveau als bei vielen adeligen, wohl-
habenden und professionellen Klassen“ steht. Interessant ist sein Versuch der
statistischen Feststellung des Präventivverkehrs durch Berechnung der Pausen
zwischen der zweiten und dritten Geburt unter der Annahme des willkürlichen
Zweikindersystems, bei dem dann das dritte Kind einer Zufallsschwangerschaft
bei Versagen der Präventionsmittel zu danken wäre (S. 331f.). Den starken Kna-
bengeburtenüberschuß der souveränen Häuser erklärt Savorgnan in Ueber-
einstimmung mit Fahlbeck als Folge eines Ausleseprozesses zuungunsten der
Familien mit erblicher Tendenz zu Mädchengeburten. Hier wäre indes im An-
96 Kritische Besprechungen und Referate.
schluß an Würzburgers Untersuchungen wohl auch an die geringere vor-
geburtliche Sterblichkeit in diesen Kreisen zu erinnern, die stets die Wirkung hat,
den Knabenüberschuß zu steigern.
Die Beiträge des zweiten Bandes sind im allgemeinen von geringerem gesell-
schaftsbiologischen Interesse. K. V. Müller.
Jahrbuch für Soziologie, III. Bd., 1927. Ein internationales Sammelwerk. Verlag
G. Braun, Karlsruhe. 1927. 343 S. |
Von dem reichen Inhalt des III. Bandes des Jahrbuchs für Soziologie sind
nur wenige Beiträge für die Gesellschaftsbiologie unmittelbar bedeutsam.
Unter den Aufsätzen zur „allgemeinen Soziologie“ scheint mir von beson-
derem Interesse neben Stoltenbergs Versuch einer Systematisierung der
gesellschaftlichen Gefühle (S. 46—58) noch die kurze inhaltreiche Arbeit des
Japaners Takata: „Der Weg zur Gesellschaft“ (S. 22—37). Analog der in der
Nationalökonomie bekannten (älteren) „Lohnfondstheorie“, wonach der Durch-
schnittslohn eines Arbeiters sich darstellen soll als der Quotient von Lohnfonds
und Arbeiterzahl, stellt T. ein „Gesetz der Quantitätsbegrenztheit der Vergesell-
schaftung“ auf. Die Sozialität einer Gesellschaft sei bei aller Differenzierung der
Triebe, die ihre Quellen sind, eine quantitativ begrenzte Größe. Diese Kraft kann
sich in verschiedenen Formen verausgaben, jedoch so, daß die Bereicherung der
einen auf Kosten der anderen erfolgt. Die hieraus gezogenen Konsequenzen sind
recht weittragend: die „ursprünglichen Gesellschaften“, die „hauptsächlich durch
die Gemeinschaft des Blutes oder die des Ortes verbunden“ sind, haben die Ten-
denz, zu zerfallen. Das gilt nach T. sogar, wenn auch mit wesentlichen Ein-
schränkungen, für den Staat. Der Weg führt notwendigerweise von der durch
innere Verbindung beherrschten „Gemeinschaft“ zur eigentlichen „Gesellschaft“,
die ihre Mitglieder durch mechanischen Interessenzusammenhang verknüpft;
dieser letztere binde in unserer Zeit zumal immer mehr gesellschaftbildende
Kräfte. — Gerade angesichts der weittragenden Folgerungen, die T. an seine
Voraussetzungen knüpft, darf darauf aufmerksam gemacht werden, daß min-
destens eine seiner wichtigsten Prämissen gesellschaftsbiologisch stark anfechtbar
erscheint: das ist die Konstanz der Quantität der Vergesellschaftungsfähigkeit.
T. sieht diese Quantität recht vage als „Entwicklungsprodukt“ an und schließt
folgendermaßen: „Wenn auch die mannigfachen Vergesellschaftungstendenzen in
der Tat Produkte der Entwicklung sind, brauchten sie unendlich lange Zeiten,
um zur Entstehung zu gelangen, mit denen verglichen die eigentliche Geschichte
nur einen sehr kleinen Bruchteil ausmacht. Es muß sehr schwierig sein, diese
Tendenzen zu verändern, nachdem sie in der Entwicklung sich allmählich durch-
gesetzt haben. Jedoch können wir sagen, daß die gesamten Quantitäten in einer
Gesellschaft (in ihrer Ganzheit) zu verschiedenen Zeiten immer gleich sein müs-
sen.“ Ein Studium jener Historiker, die auf biologische Kräfte zu achten ver-
stehen, hätte genügt, um erkennen zu lassen, wie Quantität und Intensität der
Vergesellschaftungsfähigkeit oft erschreckend rasch sich wandeln infolge bio-
logischer Umzüchtungsvorgänge, die die Träger der höchsten Vergesellschaftungs-
fähigkeit in ihrer Fortpflanzung innerhalb einer Gesellschaft entweder überdurch-
schnittlich fördern oder (meist) zum Aussterben bringen. Es ist möglich, daß der
Japaner Takata hierfür innerhalb eines Volkes, das sich bisher einen ziem-
Kritische Besprechungen und Referate. 97
lich natürlichen Fortpflanzungsmodus wahren konnte, kein Augenmaß gewinnen
konnte. Aber schon sind auch drüben in Japan die Aposte} eines unbeschwerten
Neumalthusianismus am Werke; sie werden es vielleicht noch dahin bringen, daß
auch den japanischen Soziologen die biologisch bedingte Veränderlichkeit des
Maßes gesellschaftbildender Kräfte eines Volkes ad oculos demonstriert wird.
Unter jenen Arbeiten des Jahrbuchs, die der Spezialforschung der angewand-
ten Soziologie dienen, beansprucht vor allem der Aufsatz von Siegfried-Paris
über „Die ethnische Krise der Vereinigten Staaten“ (S. 259—280) erhöhtes Inter-
esse der Gesellschaftsbiologie. S. schildert bei aller Knappheit höchst anschaulich
die Wandlung in der Einstellung des führenden Nordamerikanertums zur Frage
der Bildung einer „amerikanischen Nation“. Der von dem jüdisch - russischen
Schriftsteller Israel Zangwill, von Waldo Frank und anderen gepriesene
„melting pot“ Amerika hat seine völkerverschmelzende, nationenbrauende Kraft
teils in unerwünschter Weise, teils gar nicht erwiesen: es findet auch soziologisch
keine nennenswerte und rasche Assimilation der Romanen und Slawen statt (und
noch viel weniger eine biologische); und soweit eine Assimilation von Einwan-
derern doch stattfindet, betrifft sie teils rassisch gleichartige Völker (Briten, Skandi-
navier, Holländer, Deutsche), andernteils ist sie unerwünscht (wie z. B. „von den
Juden, die es am eiligsten haben“, sich zu assimilieren) und nur äußerlich. In-
zwischen ändert aber die Bevölkerung der Union nicht nur ihr äußeres, sondern
auch ihr inneres Gepräge. Der alte angelsächsische Puritanergeist der herrschen-
den Gesellschaft ist bereits in der Defensive, zumal im Osten: „Mit seinen andert-
halb Millionen Juden ist Neuyork die größte Judenstadt der Welt und eine der
größten, wenn nicht überhaupt die größte katholische Stadt der Welt; Neuyork
kann sicher nicht mehr als eine protestantische Stadt angesprochen werden. Ist
es überhaupt noch eine abendländische Stadt? Wenn sich nach Bureauschluß in
den Straßen des Geschäftsviertels das Heer der zahllosen Daktylographinnen mit
dunklen Augen und gebogenen Nasen drängt, durch die Straßen des East End
sich Ströme von dunkelhäutigen Levantinern und kraushaarigen Juden ergießen,
glaubt man im Orient zu sein, und der Menschenstrom, der sich unablässig er-
neuert, läßt uns an das Gewimmel orientalischer Weltstädte denken.“ Der Sitz
des Widerstandes gegen die Ueberfremdungsgefahr ist heute nicht mehr der Osten,
sondern Los Angeles wird als das puritanische Zentrum angegeben. „Eine ganz
andere Auffassung sucht sich heutzutage durchzusetzen: nach ihr liegt die natio-
nale Zukunft bei einer bestimmten Rasse, die ihre eigene Religion, ihre eigenen
moralischen Gesetze und eine exklusive Tradition besitzt ..... Das Amerikaner-
tum ist demnach nicht mehr eine Frage der Anpassung, sondern der Abstam-
mung.“ — Damit ist verhältnismäßig objektiv das Kernproblem der Vereinigten
Staaten dargestellt. Freilich sind mitunter Werturteile eingestreut, die nicht ge-
nügend begründet werden. So meint S. (S. 279): „Daß der Angelsachse in einer
seinem Temperament entsprechenden, auf demokratischer Grundlage aufgebauten
Gesellschaft sofort größere Leistungen aufweist, ist Tatsache; doch vorbehaltlos
zu behaupten, daß die nordischen Rassen die höheren seien, hieße den alltäg-
lichen Erfahrungen in den Vereinigten Staaten widersprechen. Ohne verall-
gemeinern zu wollen, kann man doch sagen, daß, wenn man ein lebhafteres Auge
erglänzen, eine rasche Intelligenz sich entfalten sieht, es oft ein Italiener, Jude
Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie, Bd. 22, Heft 1. 7
98 Kritische Besprechungen und Referate.
oder Russe ist. Oft haben sie von Europa, wie ungeschliffene Edelsteine,
... Entwicklungsmöglichkeiten ... . mitgebracht. ... . Amerikaner italienischen,
.... . jüdischen Ursprungs, . . . selbst der Neger; ... . sie alle verlangen, ihren
Teil an der Bildung der amerikanischen Zivilisation, die erst im Entstehen be-
griffen ist, beizutragen.“ Man sollte, nachdem die vielfachen exakten Intelligenz-
prüfungen der einzelnen Stämme des amerikanischen Volkes recht eindeutige
Ergebnisse geliefert haben, doch nicht mehr in so billigen Allgemeinplätzen
urteilen, vielmehr nüchtern und sachlich zugeben, daß das alte Amerikanertum
der Pionierfamilien sehr wohl weiß, weshalb es eine „Aufnordung“ der nord-
amerikanischen Bevölkerung begünstigt. Und im allgemeinen scheint über die
biologische Grundlage der Zivilisationsleistung in den führenden nordamerika-
nischen Kreisen heute schon ein viel klareres Bild zu bestehen als in den Köpfen
mancher europäischen und amerikanischen Soziologen, bei denen man nie recht
weiß, inwieweit sie „Volk“ und „Rasse“ auseinanderzuhalten verstehen.
Das gilt z. B. für den folgenden Aufsatz des Amerikaners E. A. Ross:
„Soziologische Beobachtungen in Indien“ (S. 281—293), der gleich im Anfang
seiner interessanten Studie am „allmählichen“ Dunklerwerden der Hautfarbe
indischer Bevölkerungsgruppen die Vererbung erworbener Eigenschaften nach-
weisen möchte. Eine geringe Vertrautheit mit der Biologie hätte ihn zu näher-
liegenden Erklärungen führen müssen. Immerhin sind seine weiteren Beob-
achtungen über Entstehen und Wirkungen der Frühheirat, über die Aussichten
des Kastenwesens usw. nicht ohne biologisches Interesse. „Im ganzen genommen
kann man sagen, daß, während das Verbot gemeinsamer Mahlzeiten allmählich
nachläßt, die Regel, welche Heirat zwischen den Kasten untersagt, nicht viel
an Stärke verliert. Vielleicht wird sie bestehen bleiben, wenn sie mit der neuen
eugenischen Wissenschaft verquickt wird.“
Höchst belangreich ist auch die knappe Studie von Wilhelm: „Chinas
Gesellschaftsstruktur“ (S. 337—343), der die Auflockerung der gesellschaftlichen
Auslesevorrichtungen durch Konfuzius schildert. Interessant ist eine Bemerkung
zu der umstrittenen Deutung des Ausdrucks „Schwarzes Volk“, der die niederste
Bevölkerungsschicht bezeichnete (S. 340): „Man hat diesen Ausdruck, der sich in
allen Texten findet, umgedeutet als „das schwarzhaarige Volk“ oder „das schwarz-
wimmelnde Volk“, Es ist aber sehr wohl möglich, daß es sich um eine dunkel-
häutige Ureinwohnerschaft handelte, in die sich die feudal verfaßten Herren-
stämme einschoben.“
In einer Reihe weiterer Beiträge findet sich verstreut auch gesellschafts-
biologisches Material; besonders sind hier zu erwähnen: Lo wie: Theoretische
Ethnologie in Amerika (S. 111—124); Schippel: Zur Soziologie kolonialer
Arbeitsverhältnisse (S. 140—156); Michels: Prolegomena zur Analyse des natio-
nalen Elitegedankens (S. 184—199); Rappaport: Die Nationalitätenfrage in
Polen (S. 235—258); Maunier: Zur Soziologie der Kabylen (S. 315—336).
Man hat beim Lesen dieses Sammelwerkes oft den Eindruck, daß die
soziologische Forschung sich nur allzuhäufig wertvoller Erkenntnismöglichkeiten
durch Nichtbeachtung gesellschaftsbiologischer Fragestellung und Gesichtspunkte
zu ihrem eigenen Nachteile begibt. K. V. Müller (Dresden).
Kritische Besprechungen und Referate. 99
Wlassak, Rudolf, Grundrißder Alkoholfrage. 2. vermehrte Auflage. Mit
10 Abb. im Text. S. Hirzel, Leipzig, 1929. Preis 10 Mk.
Die Verbesserungen der vorliegenden gegenüber der 1. Auflage wurden
namentlich durch die Verselbständigung des Buches ermöglicht, das damals nur
ein Abschnitt im Handbuch der Hygiene vonRubner,v.GruberundFicker
war. Jetzt bedarf es nicht mehr der mancherlei technischen und taktischen Be-
schränkungen. Davon haben die Kapitel über die Chemie und die Herstellung der
geistigen Getränke sowie die klinischen Darstellungen den meisten Gewinn.
Methodisch kann nun auch die Statistik zu ganz anderer Geltung kommen. Durch
diese Ergänzungen und Vertiefungen sind aber auch die Beziehungen zu den
rassen- und sozialbiologischen, insbesondere den rassenhygienischen Fragen deut-
licher herausgearbeitet.
‘Zu einem Thema der Rassen- und Sozialbiologie wurde die Alkoholfrage erst
durch die technisch-wirtschaftlichen Umwälzungen im vergangenen Jahrhundert,
die es ermöglichten und bewirkten, daß aus der Trunksucht der einzelnen oder
begrenzter Volksschichten eine — wenn auch gruppenweise außerordentlich ver-
schiedenartige und verschiedengradige — allgemeine Alkoholisierung des Volks-
ganzen wurde.
Wilassak beginnt seinen Grundriß mit einer knappen Orientierung über
die Zusammensetzung und Fabrikation der spirituösen Getränke und gibt dann
eine ausführliche Darstellung der physiologischen Wirkungen des Alkohols. Sie
beruhen auf seinem „Gift“-Charakter, und zwar ist der Alkohol ein Gift, das bei
seinem Verweilen im Organismus ganz oder zum größten Teile zerstört wird,
anders als diejenigen Gifte, die, wie etwa das Kurare, aus dem Amphibienkörper
unverändert wieder ausgeschieden werden. Manche Wirkungen des Alkohols
hängen ganz und gar davon ab, daß er eben zum größten Teil im Körper ver-
brannt wird. Der Verfasser unterscheidet die narkotischen und energetischen
Erscheinungen der Alkoholisierung, weist auf Wesen und Bedeutung der Gewöh-
nung hin (Versuche von Riegel in der Psvchiatrischen Forschungsanstalt in
München) und erörtert eingehend den Einfluß des Alkoholismus auf Krankheit
und Tod, wobei er einerseits die Unzulänglichkeit der Erfahrungen des Klinikers
und des Pathologen, andererseits die Unterschiedlichkeit des Interesses, das der
ärztliche Theoretiker und Praktiker gegenüber demjenigen, das der Sozial- und
Rassenhygieniker an der Frage hat, betont. Die Untersuchungen W.s bestehen
im wesentlichen in einer sehr kritischen Verarbeitung der Massenbeobachtungen
und Statistiken von Versicherungsgesellschaften (z. B. Gothaer), Ortskranken-
kassen (z. B. Leipziger), Behörden (z. B. bayerischer Großstädte) und führen zu
dem Ergebnis, daß der Alkoholismus eine allgemeine Erhöhung der Sterblichkeit
bewirkt. Die ausführliche Schilderung der alkoholischen Geistesstörungen möchte
man sich anschaulicher und prägnanter (dabei knapper) wünschen, bei seiner
Ratlosigkeit gegenüber allen Versuchen, die auffallende Seltenheit des Vorkom-
mens alkoholischer Geisteskrankheiten bei den Juden zu erklären, ihm etwas
helfen (auch durch teilweise Korrektur der Tatsachen-Annahme selbst). Das
Kapitel „Alkoholismus und Nachkommenschaft“ grenzt die wenigen gesicherten
Tatbestände gut gegen die zahlreichen Vermutungen und Möglichkeiten ab, wobei
W. aber in seiner Skepsis zu weit geht, wenn er trotz Stockard den Nach-
weis der alkoholischen Idiokinese noch vermißt: „Die Richtigkeit der Versuche
7*
100 Kritische Besprechungen und Referate.
Stockards vorausgesetzt, kann man bis jetzt nicht einmal sagen, ob es sich um
eine wirkliche Vererbung oder um sog. Dauermodifikationen handelt.“ Durch die
Persistenz der durch Stockard erzeugten Veränderungen über eine Reihe von
Generationen hinweg wird — wie schon Lenz hervorhebt — solcher Zweifel
behoben, und die anscheinende Infragestellung sogar der Richtigkeit der Versuche
selbst erscheint bei der Ausdehnung dieser auf viele Hunderte von Zuchten nicht
als begründet. Ganz mit Recht hingegen lehnt W. die unbedenkliche Annahme
einfacher ursächlicher Zusammenhänge bei der an sich fraglosen Häufigkeit des
Zusammentreflens von Alkoholismus der Eltern und Minderwertigkeit der Kinder
ab. Alle vorliegenden Erhebungen genügen letzten kritischen Anforderungen
nicht, um den biologischen Sinn jener Beobachtungstatsache zu erkennen; metho-
disch am verläßlichsten erscheinen dem Verfasser die Untersuchungen von
Lundborg, denen jedenfalls die Beziehung der erhöhten Sterblichkeit und der
Häufigkeit schwerer Psychopathien bei den Kindern von Alkoholikern auf bio-
logische (nicht auf soziale) Faktoren entnommen werden kann. W. fordert die
Verfolgung der biologischen Wertigkeit der Nachkommenschaft nicht von „Trin-
kern“, sondern der Angehörigen eines Alkoholberufes, für den überdurchschnitt-
licher Zustrom von Belasteten unwahrscheinlich ist, also z. B. der Brauer. Die
bekannte Statistik Bunges, der die „Unfähigkeit der Frauen, ihre Kinder zu
stillen“ („Stillschwäche“ muß es nach W.s zutreffiender Anmerkung richtiger
heißen), wesentlich auf den Alkoholismus der Väter dieser Frauen zurückführt,
hält der Verfasser durch die Erhebungen von Agnes Bluhm nicht für widerlegt.
Ungeklärt sei noch die rassenhygienisch wichtige Frage nach der Fortpflanzungs-
rate der Trinker, denn die älteren Erhebungen haben zu widerspruchsvollen Er-
gebnissen geführt, und neue Statistiken hierüber fehlen; der „Eindruck“ spricht
dafür, daß die Zahl der Kinder aus Ehen von Trunksüchtigen jedenfalls nicht
kleiner ist als die aus Ehen von Nichttrinkern; überdies ist die allgemeine Ge-
burtenzahl allenthalben gesunken, nicht aber, wie es scheint, die der Trinkerehen;
andererseits bleibe (nach Plötz) ihre Fortpflanzungsrate hinter der für die
ärmeren Bevölkerungsschichten durchschnittlichen zurück. Ueber das wichtigste:
wieviel Abkömmlinge von Trinkern in das fortpflanzungsfähige Alter kommen,
wissen wir nichts. Aus der Gesamtheit der Erscheinungen schließt W., daß eine
Tendenz zur Selbstausmerzung der Trinkersippen bestehe, aber in ihrer rassen-
hygienischen Auswirkung nicht erheblich sei. Ueber den Zusammenhang zwi-
schen Alkohol und Verbrechen geben die beträchtlichen zeitlichen Schwankungen
des Alkoholverbrauches und der Verbrechensbewegung am gleichen Orte lehr-
reiche Aufschlüsse; der Verfasser verweist hier aus der Vorkriegszeit auf die
kriminalistischen Beobachtungen in Zweibrücken; aus der Nachkriegszeit biete
der bayerische Bezirk Straubing eine Stichprobe; im Kriege selbst habe das Heer
mit der Alkoholknappheit der letzten Jahre (bei mindestens gleicher Anzahl von
Psychopathen und Rohlingen unter den neueingezogenen Mannschaften) ein an-
schauliches Beispiel gegeben: überall die Parallelität zwischen Alkoholverbrauch
und Kriminalität, insbesondere hinsichtlich der Delikte der Gewalttätigkeit! Aus
den Kapiteln „Der Verbrauch geistiger Getränke“, „Die sozialen Bedingungen des
Alkoholismus“ und „Erfahrungen über Alkoholschäden als Massenerscheinung”“
brauchen hier nur einige besonders beachtliche Feststellungen herausgehoben zu
Kritische Besprechungen und Referate. 101
werden. In Deutschland ist ein ungeheuerer Abfall des Gesamtalkoholverbrauches
und des von Branntwein und von Bier (kaum des Weines) seit etwa den Jahren
1900—1910 bis zu den Jahren 1923 bzw. 1924 deutlich; seitdem aber ist ein rasches
Wiederansteigen des Konsums unverkennbar. Die wichtigste soziale Quelle der
Alkoholisierung des Volkes bildet in der Gegenwart die großkapitalistische Er-
zeugung der geistigen Getränke und aus ihr hervorgehend die Macht des Alkohol-
kapitals. (Das in der Brauerei angelegte Gesamtkapital beträgt zurzeit schätzungs-
weise 2,8 Milliarden RM.) Da der Alkoholismus ein „schweigendes Elend“ ist,
weil seine gesundheitlichen und wirtschaftlichen Schäden mit wenigen Ausnah-
men sich vor der Oeffentlichkeit verbergen, ist seine Bekämpfung so schwer. Die
Rassenhygiene hat an dieser Bekämpfung ein ganz besonderes Interesse, da der
Alkohol „zu viel schadet und zu wenig tötet“ (M. v. Gruber). Die dem entgegen-
stehende Auffassung namentlich englischer Rassenhygieniker, daß der Alkoholis-
mus nur Minderwertige ausmerze und daher biologisch nützlich wirke, ist gänz-
lich abwegig. Für den Kampf gegen den Alkoholismus ist nach W. allein das
Prinzip der völligen Abstinenz, nicht der bloßen Mäßigkeit tauglich, und der
Zwang der verheerenden Trinksitten könne nur von Menschen durchbrochen
werden, „die sich ihm grundsätzlich nicht fügen und die durch ihre ganze Lebens-
führung beweisen, daß die Alkoholenthaltung nichts Asketisches ist und der
Lebensfreude keinen Abbruch tut“. Die sehr eingehenden und sorgsamen Ausfüh-
rungen des Verfassers über die Trinkerheilung, die strafrechtliche Behandlung der
Alkoholiker, die vorbeugenden staatlichen Maßnahmen gegen die Alkoholschäden
bringen dem einigermaßen Sachkundigen kaum neue Anregungen. Auffallend ist
die Vernachlässigung der Zusammenhänge zwischen Alkohol und Sexus, Alkohol-
schäden und Sexualschäden durch den Verfasser; auch das so gründliche und
umfassende Literaturverzeichnis am Ende des Werkes zeigt in dieser Hinsicht
schwerverständliche Lücken. Daß der wissenschaftliche und praktisch informa-
torische Gesamtwert des Buches, dessen ganzer Ton ungemein sympathisch ist,
dadurch nicht merklich gemindert wird, sei ausdrücklich anerkannt.
| Dr. M. Marcuse (Berlin).
Kynast, Karl. Apollon und Dionysos. Nordisches und Unnordisches inner-
halb der Religion der Griechen. 118 S. München 1927. J. F. Lehmann. Preis geh.
M. 4.50, Lwd. M. 6.—.
Der Verfasser sucht zu zeigen, daß das Apollinische in der Religion und dar-
über hinaus in der Kultur der Griechen aus dem Geist der nordischen Hellenen,
das Dionysische dagegen aus dem Geist der vorhellenischen Pelasger (mediterraner
und vorderasiatischer Rasse) geboren sei. Die Arbeit zeugt von großer philologi-
scher und historischer Belesenheit. Ich glaube auch, daß an Kynasts These ein
wahrer Kern ist; aber er scheint mir zu sehr schematisiert zu haben. Nicht
genügend gewürdigt scheint mir z. B. der Umstand zu sein, daß die lichten apol-
linischen Götter der dunklen dionysischen als Folie geradezu bedürfen und daß
sie daher zum guten Teil wohl aus demselben religiösen Gestaltungstrieb hervor-
gegangen sind. Entsprechendes gilt auch von den apollinisch-verklärenden und
den dionysisch-orgiastischen Bestandteilen des Kultes.
Kynast beschränkt sich nicht auf eine historische Betrachtung der hel-
lenischen Kultur, sondern er fällt auch über die Gegenwart sein Urteil. Er möchte
102 Kritische Besprechungen und Referate.
den „Nordischen Gedanken“ mit der Idee des Humanismus verbinden. Als Vor-
bild des apollinischen Menschen erscheint ihm Goethe, als Musterbeispiel des dio-
nysischen Nietzsche. Gegen Nietzsche, von dem die Antithese „Apollinisch —
Dionysisch“ ja stammt, hat er eine besondere Abneigung. „Der Fall Nietzsche ist
damit ohne Rest geklärt, er hat sich aufgelöst in einen vollendeten Widerspruch
von vollendeter Lächerlichkeit“ (S. 112). Das scheint mir nicht gerecht gesehen zu
sein. Goethe sowohl wie Nietzsche waren seelisch Mischtypen; und zwar scheinen
mir bei Goethe jene Züge, die Kynast als dionysisch ansieht, zu überwiegen
(Kreisen seines Denkens um die Erotik, Freundschaft nur mit Frauen, das wenig
Männliche seines Wesens); in Nietzsches Wesen überwiegen dagegen die apol-
linisch-männlichen Züge. Das was Kynast bei diesen Männern als Wesenskern er-
scheint, möchte ich im wesentlichen für das halten, was man in der modernen
Psychologie Kompensation nennt. Goethe fühlte, daß es ihm an apollinischer Klar-
heit fehlte, darum pries er sie, sehnte sich nach ihr; er fühlte, daß er nicht sehr
männlich-heroisch veranlagt war; darum imponierte ihm Napoleon, der rück-
sichtslose Gewaltmensch, so sehr. Umgekehrt wurde für Nietzsche die sinnliche
Carmenmusik Bizets eine Kompensation für seine eigene, so gar nicht sinnliche Ver-
anlagung und seine nicht ganz echte Schwärmerei für das Dionysische eine Kom-
pensation für sein eigenes, so ganz anders geartetes Wesen. Auch von Kynasts
Schrift hat man den Eindruck einer gewissen Kompensation; sie ist nicht „apol-
linisch“ abgeklärt und gerecht, sondern leidenschaftlich und unbeherrscht. Als
Anregung aber ist sie nicht ohne Wert. Lenz.
Runge-Hecht, Frieda, Mütter. 63 S. 8°. Leipzig 1928 (nicht, wie gedruckt steht,
1929). Hammer-Verlag. 1.80 M.
In diesem Schriftchen, das in der Form von Briefen zweier Frauen abgefaßt
ist, wird das Problem der unfruchtbaren Ehe erörtert und zu lösen versucht. Von
zwei verheirateten Freundinnen hat die eine Kinder, die andere nicht, weil ihr
Mann infolge einer Kriegsverletzung unfruchtbar ist. Sie liebt ihren Mann zwar
innig, doch fehlt am Glück dieser Ehe eben das Kind. Die verheiratete Freundin
hat Mitleid mit ihr und leiht ihr gewissermaßen ihren Mann zum Zweck der
Erzeugung eines Kindes, worauf das Glück der bisher kinderlosen Ehe vollkom-
men wird.
Nebenbei wird auch das Problem der unfruchtbaren Frau behandelt. Hier
wird kurz eine Frau gezeichnet, die ihrem Mann, der sie liebt, dem sie aber
keinen Erben schenken kann, ein gesundes Mädchen zuführt und dann in den
Tod geht.
Die behandelten Probleme sind zweifellos ernst und schwer; und ich stehe
nicht an, zu sagen, daß ich auch die Lösung für grundsätzlich richtig halte, wenn
auch die Frau nicht gerade in den Tod zu gehen brauchte. Gewiß ist die Lösung
nicht ideal, aber sie ist gegenüber der Kinderlosigkeit immerhin das kleinere
Uebel. Auch gegenüber der Annahme fremder Kinder ist sie das kleinere Uebel;
denn erstens ist die Herkunft von Kindern, die keine eigenen Eltern haben, meist
dunkel und ihre erbliche Veranlagung meist unterwertig; die Adoption als Lösung
konnte daher nur in einer Zeit als der geeignete Weg erscheinen, als man daran
glaubte, daß alle Menschen gleich geboren würden. Zweitens aber ist ein adop-
tiertes Kind eben doch nicht ein eigenes Kind. Der Weg, welcher dazu führt,
Kritische Besprechungen und Referate. — Notizen.
103
einer hochwertigen Frau eigene Kinder zu verschaffen, ist daher doch wohl der
ethisch richtigere. Bei den Spartanern der heroischen Zeit war er bekanntlich
moralisch sanktioniert. Bei uns aber steht die individualistische Moral, welche
den Sinn der Ehe zu einseitig in der individuellen Liebesbeziehung der Gatten
sieht, dem entgegen. Die meisten hochstehenden Gatten werden es daher heute
nicht über sich gewinnen können, den andern Gatten den angezeigten Weg gehen
zu lassen. Wenn aber unsere soziale Moral einmal rassenhygienisch orientiert sein
wird, so werden auch hochstehende Gatten das notwendige Opfer bringen können.
Zumal die selbstlose Liebe der Frau ist zu jedem Opfer fähig.
Unfruchtbarkeit des einen Eheteils ist heute leider die Ursache der Kinder-
losigkeit sehr vieler hochgearteter Menschen; und eine Umwertung der sozialen
Moral — nicht etwa eine Lockerung der individuellen! — würde daher die Geburt
von zahlreichen hochwertigen Kindern, die heute ungeboren bleiben, ermöglichen.
Die von der Verfasserin» vertretene Wertung ist die des nordischen Ideals.
„Unsere Art, hoch, lichthaarig und blauäugig, wird immer seltener; heilige Pflicht
ist es, sie zu erhalten!“ Ihr Glaubensbuch ist die „Germanenbibel“. Die Leute
heißen bei ihr: Dagobert, Wilderich, Siegenot, Irmtrud, Burga usw. Durch über-
spannte nordische Romantik wird leider die Wirkung auf nüchterne Leser stark
beeinträchtigt. Die Sprache ist allzu geziert und lebensfremd, die dichterische
Kraft der Gestaltung nicht ausreichend. Und doch ist die behandelte Frage ein
ernstes Problem des wirklichen Lebens. Lenz.
Notizen.
Das Merkblatt für Eheschließende.
Das Merkblatt für Eheschließende, welches gemäß Reichsgesetz vom 11. Juni
1920 den Verlobten vor dem Aufgebot auszuhändigen ist, hat im vorigen Jahre
vom Reichsgesundheitsamt eine neue Fassung erhalten, die sich von der früheren
hauptsächlich dadurch unterscheidet, daß nunmehr ausdrücklich auf gewisse
Strafbestimmungen in dem Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten
vom 18. Februar 1927 hingewiesen wird. Wir glauben im Interesse unserer Leser zu
handeln, wenn wir das Merkblatt in seiner neuen Form hier zum Abdruck bringen,
„Wer willens ist, sich zu verehelichen, möge nachstehendes beachten und
beherzigen.
Gesundheit von Mann und Frau ist ein Grundpfeiler für das Glück der
Ehe. Im gesunden Menschen wohnen gesunder Sinn, Kraft und Schaffensfreude,
kurz, alle diejenigen Körper- und Geisteskräfte, die Zufriedenheit im ehelichen
Leben und eine gesunde Nachkommenschaft verbürgen.
Krankheit des einen wirkt schädigend auf den anderen, macht ihm ver-
mehrte Arbeit, drückt auf die Lebensfreude, bringt Kummer und Sorge ins Haus.
Krankheiten können bei dem Zusammenleben in der Ehe auf den anderen
Gatten übertragen werden. Ganz besonders hart aber werden die Kinder von
gewissen Krankheiten der Eltern getroffen. Schon wenn Krankheit von Vater oder
Mutter nur ungünstige wirtschaftliche Verhältnisse in der Ehe zur Folge hat,
leiden darunter Gedeihen und Erziehung der Kinder. Noch schlimmer aber ist,
104 Notizen.
daß gewisse Krankheiten oder die Veranlagung hierfür auf die Kinder übergehen
und ihre körperliche und geistige Entwicklung schwer schädigen. Auch erzeugen
kranke Eltern meist schwächliche, leicht zur Erkrankung neigende Kinder. Bleibt
die Ehe kinderlos, so ist nicht selten elterliche Krankheit daran schuld.
Besonders unheilvoll sind für Eltern wie Kinder die Tuberkulose
(Schwindsucht) sowie die Geschlechts- und Geisteskrankheiten;
nicht minder verderblich wirken Trunksucht und Morphium- oder
Kokainmißbrauch.
Deshalb ist es für jeden, der heiraten will, heilige Pflicht — gegen sich
selbst, gegenüber seinem zukünftigen Ehegatten und den erhofften Kindern sowie
gegenüber dem Vaterland, das dringend einen gesunden Nachwuchs braucht —,
daß er sich vorher vergewissert, ob der wichtige Schritt zur Ver-
ehelichung mit seinem Gesundheitszustande sich verein-
baren läßt. ‘
Die Brautleute müssen ernstlich prüfen, ob nicht nur die gegenseitige Liebe
und die wirtschaftlichen Verhältnisse, sondern auch die beiderseitige
Gesundheit Gewähr für ein glückliches und befriedigendes Eheleben bieten.
Dafür, daß diese Prüfung geschieht, tragen die Verantwortung auch die Eltern
der Brautleute sowie die Vormundschaftspersonen und sonstige
Elternvertreter, die rechtlich und sittlich jederzeit für das Wohl und
Wehe ihrer Pflegebefohlenen zu sorgen verpflichtet sind.
Nur der Arzt kann sagen, ob eine Krankheit vorliegt,
welche zur Zeit das Heiraten nicht ratsam erscheinen läßt.
Gar mancher ist krank, ohne es überhaupt zu wissen.
Verlobter und Verlobte, jeder von beiden, sollen zu einem Arzt, der ihr
Vertrauen genießt, gehen und ihn um sein sachverständiges Urteil bitten oder
sich an eine Eheberatungsstelle wenden, wie sie vielerorts bereits vor-
handen oder im Entstehen begriffen sind. Frei und oflen sollen sie dort die
volle Wahrheit sagen. Zu Besorgnis liegt kein Grund vor, denn der Arzt oder
die Beratungsstelle müssen Verschwiegenheit wahren, setzen sich sogar straf-
rechtlicher Verfolgung aus, wenn sie diese Pflicht verletzen. Wird angesichts
des augenblicklichen Gesundheitszustandes die Ehe widerraten, so sollen die
Verlobten auf Vernunft und Gewissen hören und von der Eheschließung bis
auf weiteres Abstand nehmen. Viel größer ist der Schmerz und ungleich bitterer
ist die Enttäuschung, wenn sie diesem Rat nicht folgen, mit seligen Erwartungen
in die Ehe eintreten, hinterher aber mit ihren Hoffnungen Schiffbruch leiden.
In der Regel wird übrigens die ärztliche Untersuchung nur die Bestätigung der
Heiratsfähigkeit bringen. Schon oft ist die bange Sorge, untauglich für die Ehe
zu sein, durch die ärztliche Untersuchung behoben, in vielen Fällen dem Unter-
suchten daneben wertvoller ärztlicher Rat zur Behebung seines der Verehelichung
nicht weiter hinderlichen Leidens zuteil geworden.
Aber auch wer tatsächlich in einem zur Verehelichung nicht geeigneten
Gesundheitszustande befunden werden sollte, wird oft genug vom Arzte zugleich
erfahren, daß er mit ärztlicher Hilfe seine Gesundheit wieder zu erlangen ver-
mag. Er kann dann einige Zeit später mit gutem Gewissen und mit begründeter
Aussicht auf wahres Familienglück die Ehe schließen.
Notizen. 105
Von dem Ergebnis der ärztlichen Befragung sollen sich
die Brautleute gegenseitig, bevor sie den endgültigen Ent-
schluß zur Verehelichung fassen, unterrichten oder sich
durch Vermittlungihrer Eltern, Vormünder oder sonstigen
Elternvertreter Kenntnis geben. Wer dies unterläßt, begeht
schweres Unrecht, das sich bitter rächen kann.
Wer aber weder rein menschlichen Gefühlen noch dem Rufe des Gewissens
Gehör gibt, der sei auf folgendes hingewiesen: Nach $ 6 des Gesetzes zur Be-
kämpfung der Geschlechtskrankheiten vom 18. Februar 1927 wird mit Gefäng-
nis bis zu drei Jahren bestraft, wer weiß oder den Umständen nach
annehmen muß, daß er an einer mit Ansteckungsgefahr verbun-
denen Geschlechtskrankheit leidet und trotzdem eine Ehe ein-
geht, ohne dem anderen Ehegatten vor Eingehung der Ehe über seine Krank-
heit Mitteilung gemacht zu haben. Nach $ 5 des gleichen Gesetzes wird ebenso
bestraft, wer den Beischlaf ausübt, obwohler an einer mit Anstek-
kungsgefahr verbundenen Geschlechtskrankheit leidet und dies
weiß oder den Umständen nach annehmen muß. Diese Vorschrift gilt
auch für Verheiratete, sie gilt auch für den, der vor der Ehe dem
anderen Teil über seine Erkrankung Mitteilung gemacht hat. Außerdem
kann nach $$ 1333, 1334 des Bürgerlichen Gesetzbuches in einem solchen Falle
die Ehe von dem anderen Ehegatten angefochten und durch gerichtliches Urteil
für nichtig erklärt werden. Ferner macht sich nach $ 823 des Bürger-
lichen Gesetzbuches schadenersatzpflichtig, wer einen anderen schuld-
haft ansteckt.
Mögen vorstehende Darlegungen bei allen, die es angeht, Beachtung und
Befolgung finden. Sie stützen sich auf ernste, in zahlreichen Fällen durch das
praktische Leben der Vergangenheit und Gegenwart betätigte Erfahrungen; sie
sollen in wohlmeinender Absicht nur verhüten, daß Heiraten stattfinden, die aller
Voraussicht nach unglückliche Ehepaare und Kinder schaffen
und dem Staate einen minderwertigen, ja unbrauchbaren Nach-
wuchs bringen würden“
Das geplante Bewahrungsgesetz.
Das seit Jahren besprochene Bewahrungsgesetz scheint jetzt seiner Ver-
wirklichung näher zu kommen. Um brauchbare Unterlagen für die Durchführ-
barkeit eines Bewahrungsgesetzes zu gewinnen, hat die Regierung eine Erhebung
über die Zahl der schon jetzt in Anstaltspflege befindlichen Bewahrungsfälle,
die Zahl der zur Verfügung stehenden Anstaltsplätze und die bisherige Ver-
teilung der Lasten in öffentlichen und privaten Heimen durchführen lassen. Der
Stichtag war der 15. Februar 1929. Das Material ist noch nicht zugänglich.
Die amtliche Formulierung der Bewahrungsfähigkeit lautet: „Als bewah-
rungsfähig sind Personen über 18 Jahre anzusehen, die zur Sorge für die eigene
Person unfähig und verwahrlost sind oder zu verwahrlosen drohen, wenn dieser
Zustand auf Geistesschwäche oder gewohnheitsmäßigem oder übermäßigem Genuß
geistiger Getränke oder anderer berauschender Mittel beruht.“ Der Zweck der
106 | Notizen.
Bewahrung ist also der Schutz der Personen selbst. Der Schutz der Allgemeinheit
vor den Asozialen, vor allem der Schutz der Gesellschaft vor der Belastung mit
den Nachkommen der Erbminderwertigen wird nicht ausdrücklich als Zweck
des Bewahrungsgesetzes angegeben. Doch wirkt tatsächlich die Bewahrung im
rassenhygienisch günstigen Sinne. Deshalb sei die praktische Auswirkung des
zukünftigen Bewahrungsgesetzes unter dem rassenhygienischen Gesichtspunkt
kurz hier besprochen.
Die Zahl der bewahrungsfähigen Personen wird für Deutschland auf rund
15 000 geschätzt. In der Regel beruht die Unfähigkeit, für sich selbst ein geord-
netes Leben zu führen, auf einer ererbten Minderwertigkeit. Der Begriff „Geistes-
schwäche“ in der obigen amtlichen Formulierung der Bewahrungsfähigen bezieht
sich auch auf Schwäche des Willens und auf Psychopathie. Durch die Bewah-
rung würden also Menschen von der Fortpflanzung ausgeschlossen werden,
deren Nachkommen mit großer Wahrscheinlichkeit minderwertig sein würden.
Voraussetzung für diese günstige Wirkung der Bewahrung ist aber, daß die
bewahrten Personen lebenslänglich in der Anstalt gehalten werden und ihnen
nicht durch Urlaub Gelegenheit gegeben wird, Nachkommen in die Welt zu
setzen. Jedenfalls würde die Verwirklichung des Bewahrungsgesetzes gegenüber
dem jetzigen Zustand einen großen Fortschritt bedeuten. Denn unter dem jetzt
geltenden Recht ist die Möglichkeit, Erbminderwertige in Anstalten unterzu-
bringen (und damit ihre Fortpflanzung auszuschließen), nur gering. Der frei-
willige dauernde Aufenthalt in Asylen und Arbeitshäusern ist kaum zu erreichen.
Die Eingriffsmöglichkeit besteht nur auf dem Wege über die Entmündigung,
die aber nur in seltenen Fällen durchgeführt wird. Die Fürsorgeerziehung hört
gerade dann auf, wenn die Gefahr der Fortpflanzung am größten ist. Wer
Erfahrung in der praktischen Fürsorgearbeit hat, weiß, in wie zahllosen Fällen
die Mädchen, die bis zu 18 oder 21 Jahren Fürsorgezöglinge waren, später zur
Entbindung von einem unehelichen Kinde in den Entbindungsanstalten auf-
tauchen, und wie dann mit dem wieder geistig und sittlich minderwertigen Kinde
dasselbe Elend von neuem beginnt. Alle diese Fälle würden durch das Bewah-
rungsgesetz erfaßt werden, allerdings nur soweit die Minderwertigkeit zu einer
olfensichtlichen Verwahrlosung führt. Nicht erfaßt werden diejenigen Fälle, in
denen durch günstige Umweltverhältnisse die Verwahrlosung hintangehalten
wird, in denen aber die Erbminderwertigkeit doch vorhanden ist und eine
Gefahr für die Rasse bedeutet. Diese Fälle unschädlich zu machen, könnte nur
ein Sterilisierungsgesetz bewirken.
Auch im Hinblick auf die von den Rassenhygienikern angestrebte gesetz-
liche Grundlage der Sterilisierung scheint mir das Bewahrungs-
gesetz von großer Bedeutung zu sein, ja es ist wohl eine notwendige Stufe auf
dem Wege zum Sterilisierungsgesetz. Zunächst deswegen, weil mit der Durch-
führung des Bewahrungsgesetzes das Augenmerk auf die Asozialen (das sind
in der Sprache des Rassenhygienikers die erblich Minderwertigen) gerichtet wird.
Vielleicht begreift dann die Oeflfentlichkeit, daß die jetzt lebende Generation alles
tun muß, um die nächste Generation vor der weiteren Durchsetzung mit Rasse-
schädlingen zu retten. — Sodann aber wird das Bewahrungsgesetz auch die
praktische Durchführung der rassenhygienischen Sterilisierung erst ermöglichen.
Notizen. 107
Das lehrt uns Amerika, wo auf Grund der Sterilisierungsgesetze mit der Un-
fruchtbarmachung der in Anstalten befindlichen Personen begonnen worden ist.
Die Entlassung aus der Bewahrungsanstalt müßte von der Vornahme der Sterili-
sierung abhängig gemacht werden. Dann brauchten die Anstalten für alle die
Personen, die noch zu einer selbständigen Lebensführung zu erziehen sind, nur
Durchgang zu sein. Die Kosten würden sich bedeutend ermäßigen. Es wäre
dringend zu wünschen, daß diese Möglichkeiten des weiteren Ausbaues der
sozialen Gesetzgebung schon jetzt bei den Vorarbeiten zum Bewahrungsgesetz
berücksichtigt würden. Karav.Borries.
Günthers „ostischer Mensch“ bei Ibsen.
Beim Lesen von Ibsens „Peer Gynt“ ist mir neulich eine rassenpsychologisch
interessante Stelle aufgefallen. Es ist des öfteren bemerkt worden, daß der nor-
dische Mensch sich durch weiten Blick und Sinn für die große Gemeinschaft
(Nation, Staat) auszeichne, daß aber sein Familiensinn nicht so stark sei wie
etwa bei den vorderasiatischen oder den mongoliden Rassen. Diesen dagegen
wird geringe Weite des Gesichtskreises und Mangel an nationalem Sinn, dafür
aber ein um so stärkerer Familiensinn nachgesagt. So heißt es in Günthers
„Rassenkunde des deutschen Volkes“, 12. Aufl, S. 179: „Ist oder scheint so der
Sinn für Familie beim nordischen Menschen oft geringer als bei den anderen
europäischen Rassen, so ist der Sinn für größere Gruppen: für Gemeinde, Dorf
und Stadt, Landschaft und Stamm bei ihm stärker als bei den anderen Rassen
Europas.“ Und von seiner „ostischen Rasse“ sagt er umgekehrt entsprechend:
„Ist so das Familiengefühl nirgends stärker oder wärmer als innerhalb der
Ostrasse, so fehlt andererseits der Sinn für größere Lebensgebilde. Schon das
Dorf betrachtet der ostische Mensch meist nicht mehr; der Bezirk oder gar der
Staat gehören selten zu seiner Begriffswelt. Er fühlt keinen Drang, ein Ganzes,
einen weiten Zusammenhang zu bedenken, zu bestimmen und zu führen. Er ist
zwar ausgesprochener Gemeinschaftsmensch, aber Gemeinschaft bedeutet ihm
doch immer einen Kreis, der noch von geruhiger Gemütlichkeit oder in sich ab-
geschlossener Wärme durchdrungen ist.“
Einen solchen Typus hat nun Ibsen in einer Figur seines „Peer Gynt“ ge-
schildert. Ich zitiere nach der Ausgabe von J. Elias und P.Schlenther. Im fünften
Akt sagt der Pfarrer in einer Grabrede:
„Er war nicht reich, nicht sonderlich von Gaben,
Von Stimme schwach, unmännlich im Gehaben,
Sein Wort kam weich und ungewiß heraus,
Und schwerlich war er Herr im eignen Haus;
Ins Kirchlein sah man ihn verlegen treten,
Als wollt’ er bitten: Laßt auch mich hier beten.“
Als der Krieg ausbrach, entzog er sich dem Heeresdienst dadurch, daß er sich
einen Finger der rechten Hand abhackte und angab, er habe ihn durch einen
Unfall verloren. Gleich nachher aber gründete er eine Familie und arbeitete mit
emsigem Fleiß für ihren Unterhalt.
108 Notizen. — Zeitschriftenschau.
„Ein Halbjahr später war’s dann, daß er kam,
Mit Mutter, Braut und Kind, der uns’re werden.
Er pachtete sich hier ein Streiflein Erden,
Ein Stückchen Brachmark, das sonst keiner nahm.
Er schloß, sobald es ging, den Ehebund,
Er schritt zum Hausbau, brach den harten Grund;
Und mit Erfolg, wie manches Fleckchen Land
Erzählte, das da gelb in Aehren stand.“
Zweimal wurde sein Haus durch Naturkatastrophen zerstört.
„Allein der Mann stritt weiter, unerschrocken.
Er hackte, karrte, schaufelte, grub aus, —
Und vor des nächsten Winters ersten Flocken
Stand da zum drittenmal sein schlichtes Haus.“
Dann wird weiter geschildert, wie er als Vater liebevoll für seine Kinder
sorgte, wie er sie zum Teil auf Arm und Rücken auf einem schwierigen Weg zur
Schule brachte. Für größere Gemeinschaft aber hatte er keinen Sinn.
„Er war von kurzem Blick. Was über seinen
Bezirk ging, — von dem allen sah er nichts.
Wie taube Schellen klang ihm, was für einen
Der Unsern dröhnt wie Glocken des Gerichts.
Volk, Vaterland, uraltgeheiligt Hehres,
Stand wie im Nebel vor ihm, — Blendwerk, leeres.
Doch Demut, Demut war in diesem Mann.“
Und so weiter.
So hat Ibsen in dieser Gestalt das gerade Gegenteil des nordischen Men-
schen, wie man vermuten darf, wohl nach dem Leben gezeichnet. Lenz.
Zeitschriftenschau.
Allgemeines Statistisches Archiv. Bd. 17. 1. Heft. 1927. S. 1. Keller, K.: Bevöl-
kerung und Nahrungsspielraum in Deutschland. Nach der Defi-
‚nition des Verfassers ist ein Land dann übervölkert, wenn sich aus Aenderungen in
den Größenverhältnissen von Volkszahl und Nahrungsspielraum ein länger dauernder
Rückgang der Lebenshaltung ergibt. Deutschland ist nachweisbar in diesem Sinne
übervölkert, und zwar ist dieser Zustand nicht durch Zunahme der Volkszahl, son-
dern durch Verengung des Nahrungsspielraumes entstanden. Die Uebervölkerung kann
im wesentlichen nur beseitigt werden durch Erweiterung des Nahrungsspielraumes,
daneben durch eine gewisse Anpassung der Bevölkerung an den Nahrungsspielraum.
— S. 122. Kasten, A.: Die deutsche Reichs- und Landesgesundheits-
statistik. Eingehende Darstellung des Wesens, der Entwicklung und des Standes
der Reichs- und Landesgesundheitsstatistik. Zahlreiche Verbesserungsvorschläge schlie-
Ben sich an, unter denen allerdings in methodologischer Hinsicht die bei den starken
Umschichtungen der Bevölkerung unentbehrlich gewordene Standardberechnung ver-
mißt wird. — S. 157. Stieda, E.: Die Volkszählung in der Union der
sozialistischen Sowjet-Republiken vom 17. Dezember 1926. Die
Zeitschriftenschau. 109
Gesamtbevölkerung beträgt 144 805 000 bei einer Dichte von 6,6 pro qkm. Die jähr-
liche Zunahme betrug zuletzt 2 %. Die städtische Bevölkerung ist seit 1920 von 14,7 %
auf 17,6 %, der Frauenüberschuß seit 1897 von 102 auf 109,6 pro 100 Männer ge-
stiegen. — S. 163. Prinzing: Zur Geburtenstatistik der Vereinigten
Staatenvon Amerika. Erst seit 10 Jahren wird in einer größeren Anzahl von
Staaten eine sorgfältige Registrierung der Geburten vorgenommen, welche die Birth
Registration Area bilden. Die Bevölkerungsverhältnisse sind in den einzelnen Staaten
sehr verschieden. Im allgemeinen ist die Geburtenziffer gleich hoch wie in den meisten
mittel- und westeuropäischen Staaten; in den angeführten amerikanischen Groß-
städten sind sie dagegen wesentlich höher als in den europäischen. Die eheliche
Fruchtbarkeit ist meist niedriger als in Europa; das gilt jedoch nicht für die all-
gemeine Fruchtbarkeit der Altersklassen unter 25 Jahren. — 2. Heft, S. 247. Sartorius
v. Waltershausen, A.: Die Einwanderungsquotengesetze in den Ver-
einigten Staaten von Amerika. Die Quote beträgt seit 1924 2% der 1890
im Uniongebiet aus den einzelnen Auswanderungsländern anwesenden Ausländer. Das
Verfahren ist seit 1927 gemildert worden. Die Kontingentierung richtet sich praktisch
in erster Linie gegen Europa (?) und hier wiederum gegen die süd- und osteuropä-
ischen Völker. Der Bevölkerungszuwachs durch Wanderung betrug 1926 268351. —
S.258. Schmölders,G.: Soziale Mißstände und Alkoholverbrauch. Die
direkte Methode zur Ermittlung der Kausalbeziehungen birgt schwerwiegende Fehler-
quellen. Die Anwendung der indirekten Methode macht das Vorhandensein eines ge-
meinsamen, Trunksucht und soziale Not verursachenden Faktors wahrscheinlich. —
S. 267. Bulawski, R: Die erste allgemeine Zählung der Republik
Polen vom 30. September 1921. Mit einer allgemeinen Volkszählung waren
noch acht andere Aufnahmen verbunden. Die Durchführung der Erhebung wird im
einzelnen genau besprochen. — S. 328. Fehlinger, H.: Ergebnisse des briti-
schen Census 1921. Die Bevölkerung ist 1911 bis 1921 um 4,7 % auf 42 769 196
gestiegen. Von 1000 über 12 Jahre alten Frauen waren in England und Wales 323
erwerbstätig und 677 nicht erwerbstätig. Von 33339 274 über 12 Jahre alten Per-
sonen waren 1942601 selbständig Erwerbstätige, 17 414 718 unselbständig Erwerbs-
tätige; 13 981 955 Personen übten keinen Beruf aus, und zwar 2016441 Männer und
11 965 514 Frauen. — 3, Heft, S. 349. Burgdörfer, F.: Volk, Familie und Sta-
tistik. Nach Schilderung der gegenwärtigen bevölkerungspolitischen Situation wird
als Hauptangriffspunkt einer zielbewußten Bevölkerungspolitik die Familienpolitik
kurz umrissen. Um diese vorbereiten und durchführen zu können, ist es notwendig,
von der atomistischen und individualistischen Personalstatistik zur „Methode der
sozialen Zellforschung“, zur Familienstatistik, fortzuschreiten. — S. 380. Zizek, Fr.:
Ursachenbegriffe und Ursachenforschungin der Statistik. Die
Arbeit bringt in klarer Gliederung zunächst eine Auseinandersetzung mit den ver-
schiedenen Ursachenbegriffen und dann den Nachweis der beschränkten Brauchbar-
keit der Statistik als Beweismittel für die Ursachenforschung. — S. 441. Müller, J.:
Probleme der Bevölkerungsdichteberechnung. Erörterung der für
die geographische Methode wichtigen Probleme der örtlichen Einheit, der räumlichen
Gruppenbildung und der Dichtestufenbildung sowie Aufstellung bestimmter Regeln für
ihre Lösung im praktischen Einzelfalle. — S. 459. Bandel, R: Die Bewegung
der spezifischen Männersterblichkeit in Bayern von 1869. Als
spezifische Männersterblichkeit wird die Männersterblichkeit, bezogen auf die Frauen-
sterblichkeit, bezeichnet, eine methodologisch zweifelsohne außerordentlich bedenkliche
Konstruktion. Der schon früher für die Jahre 1909—1925 aufgezeigte Parallelismus
mit der. Bierverbrauchsziffer wird für die Zeit seit 1869 erneut bestätigt. — 4. Heft,
110 Zeitschriftenschau.
S. 513. Hanauer, W.: Die jüdisch-christlichen Mischehen. Die Misch-
ehen nehmen im ganzen zu, unter ihnen aber besonders die jüdischen Mischehen. Die
Beteiligung der Geschlechter ist örtlich und zeitlich wechselnd; zurzeit gehen mehr
jüdische Männer Mischehen ein als jüdische Frauen. Am meisten sind die Protestanten
an ihnen beteiligt (71,5 %). Die Frage der Rassenmischung wird wegen der Ueber-
tritte durch die Mischehenstatistik nur mangelhaft geklärt. Als Nachteile erweisen sich
häufige Sterilität und Unfruchtbarkeit, vermehrte Totgeburtenquote, Degenerations-
erscheinungen, hohe Ehescheidungsziffer. — S. 538. Flaskämper, P.: Beitrag zu
einer Theorie der statistischen Massen. Begriffliche Darlegungen, in
welchen diskontinuierliche (zählbare) und kontinuierliche (meßbare) Massen, Bestands-
und Bewegungsmassen, schließlich homogene und nichthomogene Massen als die wich-
tigsten Typen herausgehoben werden. Für Naturwissenschaft und Biologie sind die
homogenen Massen, für die Sozialwissenschaften die nichthomogenen Massen bedeu-
tungsvoller. — S. 564. Ferenezi, J: Erster Weltbevölkerungs-Kongreß.
Kritischer Bericht, der den neomalthusianischen Ursprung und Hintergrund des Kon-
gresses deutlich herausstellt. — S. 611. Fehlinger, H.: Die eheliche Frucht-
barkeitin England und Wales. Kurze Besprechung der familienstatistischen
Ergebnisse der Volkszählung von 1921, welche in ihrer reichen Gliederung in vielerlei
Hinsicht der deutschen Erhebung als Muster dienen könnte. Interessant ist der zahlen-
mäßige Nachweis für die Regel, daß die dem Ein- oder Zweikindersystem huldigenden
Familien weitere Kinder vermeiden, während Familien mit größerer Kinderzahl, bei
denen dieses Prinzip an und für sich schon durchlöchert ist, im allgemeinen weniger
gegen neuen Familienzuwachs abgeneigt sind. — Bd. 18, 1928, 1. Heft, S. 37.
Reichl, H.: Die Agglomeration der deutschen Großstädte (1910
bis 1925). „Agglomeration“ ist der Ausdruck des Verhaltens des siedelnden Men-
schen zu den dynamischen Faktoren geographischer, kultureller und wirtschaftlicher
Natur, wie sie ein Wohnplatz in sich birgt. Die retardierenden, städtebaulichen Ten-
denzen (innere Kolonisation) können nur Fragen der zielbewußten Einwirkung und
des Richtunggebens der Lebens- und Wachstumsäußerungen des Großstadtphänomenes,
nicht aber zugleich eine Forderung auf dessen Beseitigung überhaupt sein. — S. 82.
Morgenroth, W.: Münchens kinderreiche Familien und ihre Woh-
nungen. Kurze Darlegung der Ergebnisse der anläßlich der Reichswohnungs-
zählung vom 16. Mai 1927 in München vorgenommenen Erhebung. Nur 5% der
Münchener Familien sind kinderreich. Ueber die Hälfte hatte 4 Kinder, ein Viertel
5 Kinder. Am ungünstigsten stehen die Familien der selbständig Berufstätigen und
der Angestellten, am günstigsten die der freien Berufe. Die Durchschnittsbelegung
eines Wohnraumes ist bei Kinderreichen fast doppelt so hoch wie beim Durch-
schnitt der Bevölkerung. — S. 118. Zizek, Fr.: Das Gesetz der großen Zahl,
die zeitliche Konstanz und die typische Reihengestaltung. Das
Gesetz der großen Zahl darf nicht verwechselt werden mit den materiellen Regel-
mäßigkeiten (Konstanz, Entwicklungstendenz, Periodizität). Jenes ist eine allgemeine
methodologische Kategorie; letztere aber stehen mit ihm nur insoweit in Verbindung,
als Regelmäßigkeiten nur auf Grund von Einzelwerten aufgedeckt werden können, die
dem Gesetz der großen Zahl entsprechen. — 2. Heft, S. 189. Thirring, G: Woh-
nungsverhältnisseundsozialeSchichtung. Versucheiner Woh-
nungssoziographie. Als Wohnungssoziographie wird derjenige Teil der sta-
tistischen Wissenschaft bezeichnet, welcher die Wohnungsstatistik auf Grund der
sozialen Schichtung der Inwohner aufbaut. Dabei ist neben den Elementen der Woh-
nungsbeschreibung und der sozialen Schichtung auch auf den Einbau der demogra-
phischen Elemente Bedacht zu nehmen. Statistische Arbeiten in dieser Vollkommen-
Zeitschriftenschau. 111
heit liegen bisher leider nur von Frankfurt, München, Oslo und Budapest vor. —
S. 235. Schwarz, A.: Die statistische Wesensform. Verfasser wendet sich
unter Anführung zahlreicher Beispiele aus der Biologie gegen die Annahme, daß die
Wirklichkeit den Gesetzen des Zufalles gehorche wie die Ergebnisse bei den bekann-
ten, entsprechend eingerichteten Glücksspielen, auf die sich die Wahrscheinlichkeits-
Ichre stützt. Es sind vielmehr hinter der statistischen Wesensform mannigfache, ganz
verschiedene Erscheinungen und Vorgänge verborgen. — S. 301. Ferenczi, J.: Die
Wanderungsstatistik in der internationalen Arbeitsorgani-
sation. Die so dringend notwendige, vergleichbare internationale Wanderungs-
statistik ist seit den Erörterungen innerhalb der internationalen Arbeitskonferenz
1922 praktisch gefördert worden. Auf Grund eines Beschlusses des Verwaltungsrates
des Internationalen Arbeitsamtes vom 28. Mai 1928 sind weitere Verbesserungen in
Vorbereitung, so daß wohl in absehbarer Zeit mit der Gewinnung wissenschaftlich
verwertbaren statistischen Vergleichsmateriales gerechnet werden kann.
Schmidt (Fritzlar).
Archiv für Frauenkunde. 1928. Bd. XIV. S. 1—12. Rosenthal-Deussen, E.: Ge-
burtenhäufigkeit, Kindersterblichkeit und Fehlgeburten. An
einer größeren Entbindungsanstalt in Dortmund wurden in den Jahren 1919—1926
alle Mütter (insgesamt 8931) nach vorausgegangenen Fehlgeburten befragt. Es zeigte
sich ein stetiges Ansteigen der Fehlgeburtenhäufigkeit, besonders bei den jüngeren
Frauen. — S. 13—28. Peritz, G.: Ueber das psychische und soziale Ver-
halten der Eunuchoiden. — S. 29--50. Levinger, E.: Die Bedeutung
des Behaarungstypus bei der Entstehung von Erkrankungen
des Nervensystems. — S. 180—188. Doxiades, L.: Fetalismus als Kon-
stitutionsform. Unter Fetalismus versteht der Verfasser „Persistenz eines Zu-
standes aus der Zeit vor der physiologischen Geburt“, der sich besonders in der
Beschaffenheit und der Funktion des kardiovaskulären Systems äußert. — S. 189—198.
Vögel: Wird die Fruchtbarkeit der Frau durch Aborte beein-
trächtigt? Von 6933 Frauen, welche die gynäkologische Poliklinik in Leningrad
aufgesucht hatten und mindestens drei Jahre verheiratet waren, waren 18,5 % primär
steril, 12,7 % hatten nur Aborte erlebt, 28% nur Geburten und 40,8% Geburten und
Aborte. Nach der statistischen Analyse des Materials scheinen künstliche oder spon-
tane Aborte die Zeugungsfähigkeit der Frau nicht zu beeinträchtigen. — S. 207—238.
Wendt, H.: Ueber die Geschlechtsrelation der Krankheiten. Auf
Grund von Literaturangaben wird über etwa 600 Krankheitsbilder angegeben, ob sie
beim männlichen oder weiblichen Geschlecht häufiger oder bei beiden Geschlechtern
gleich häufig auftreten. Die Ursachen des verschiedenen Befallenseins der Geschlechter
werden nicht erörtert; die Bedeutung geschlechtsgebundener Erbanlagen findet keine
Erwähnung. — S. 292—321, Leppmann, F.: Weibliche Generationsphasen
und Kriminalität. — S. 322—343. Sserdjnkov, M. G. und Melnikov, N. A.:
Die Bedeutung konstitutioneller Faktoren in der Physiologie
und Pathologie des weiblichen Organismus. 700 kranke Frauen wur-
den nach der Kretschmerschen Einteilung konstitutionell typisiert. Die Ergebnisse
können in einem kurzen Referat nicht wiedergegeben werden. — S. 344—358.
Unhehbaun, G.: Untersuchungen über die Frage der gewerblichen
Schädigungen der Genitalfunktionen bei Tabakarbeiterinnen.
Bei 140 Tabakarbeiterinnen, die wegen eines gynäkologischen Leidens oder zur Ent-
bindung die Gießener Frauenklinik aufgesucht hatten, fanden sich (gegenüber einem
entsprechenden Kontrollmaterial) häufiger Veränderungen des Menstruationszyklus
und Menstruationsbeschwerden. Herabgesetzte Fertilität ließ sich nicht nachweisen,
112 Zeitschriftenschau.
doch scheint die Aborthäufigkeit erhöht zu sein. Drei starke Zigarettenraucherinnen
zeigten degenerative Veränderungen am Follikelapparat des Ovars. — S. 385—408.
Stefko, W.: Antikonzeptionelle Mittel als blastophthore Fak-
toren. Untersuchungen an 18 Frauen, bei welchen trotz Anwendung antikonzeptio-
neller Mittel (Silkworm oder Chinin oder beides kombiniert) Schwangerschaft eintrat.
In mehreren Fällen konnten schwere degenerative Störungen der frühembryonalen
Entwicklung nachgewiesen werden. Die Ursache hierfür sieht der Verfasser in der
gestörten Fruchternährung, die eine Folge vorausgegangener Veränderungen der Uterus-
schleimhaut zu sein scheint. — S. 409—421. Riese, H.: I. Kongreß für Sexual-
reform. Kongreßbericht. O. v. Verschuer (Berlin-Dahlem).
Archiv für soziale Hygiene und Demographie. Bd. III. 1928. H. 1, S. 54—57.
Zurukzoglu, St. (Bern): Zum gegenwärtigen Stande der modernen
Kriminalbiologie. Kennzeichnend für die Gegenwart erscheint das Streben der
Kriminalbiologie nach genealogischer Vertiefung. Mit Recht darf der Verf. von den hier-
durch eröffneten neuen Perspektiven einen bestimmenden Einfluß auf die Rechtsprechung
und das Gesamigebiet der Fürsorgearbeit, wie Berufsberatung, Eheberatung, Fürsorge-
erziehung usw., erhoffen. — H. 2, S. 147—148. Hartwig, J. (Lübeck): Die Fehl-
geburten in Lübeck (Stad) im Jahre 1926. Auf 100 schwangere Ehe-
frauen kamen 21,7 Fehlgeburten, auf 100 unverlieiratete 42,6. — S. 152—156. Mareuse,
M. (Berlin): Kleine Beiträge zur Kasuistik der Erblichkeit beim
Menschen. Verf. berichtet über einen Fall weitgehendster Hypoplasie der Ohr-
muschel in zwei aufeinanderfolgenden Generationen; ferner über eine Prognathie des
Oberkiefers in drei Generationen (bei Großmutter, Mutter und deren Nachkommen).
Eine weitere Mitteilung betrifft einen Fall rezessiver Vererbung von Myopie, die auf
einer zu starken Krümmung der Kornea beruht. — H. 3, S. 272—276. Peters, W.
(Jena): Anlage und Umweltin der geistigen Entwicklung. Kritische
Bemerkungen zu F. Lenz: „Ueber die biologischen Grundlagen der Erziehung“. Verf.
gibt durch seine Ausführungen den wertvollen Hinweis, daß ein harmonisches Zu-
sammenarbeiten auf dem Gesamtgebiet des Anlage- und Umweltproblems durch ein
zu starres Haften am Wort gefährdet wird. A. Kasten (Berlin).
Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik. 56. Bd. 1926. S. 26—65. v. Schulze-
Gävernitz: Die geistigen Grundlagen der angelsächsischen Welt-
herrschaft, I. Materialreiche Erklärung des angelsächsischen Geistes aus zunächst
religiösen Wurzeln. Puritanertum (Kalvinismus, Verachtung der Farbigen und der
Masse der Verworfenen, neuaristokratischer Zug der Politik), Täufer- und Quäkertum,
Methodismus (der insbesondere die englische Arbeiterbewegung prägte). Die amerika-
nische Oberschicht ist angelsächsisch geprägt. „Auch im Bankwesen sind die ersten
Posten weit überwiegend in den Händen von Anglo-Amerikanern, die zweiten erst in
deutsch-jüdischen Händen — die doppelte Seele von Wallstreet!“ — S. 66—101,
687—732. Eliasberg Richtungen und Entwicklungstendenzenin der
Arbeitswissenschaft. Nach Ablehnung der Kraepelinschen „naturwissenschaft-
lich-quantitativen Abstraktionsrichtung“ und Erwähnung der biopsychologischen Theorie
der Berufe (und Stände) Schmollers gibt E. einen wertvollen Ueberblick über
den Stand der Arbeitswissenschaft unter besonderer Heranziehung eigener Forschungs-
resultate. Rentenneurose entspringe vorwiegend aus Motiven der Sicherung (nicht Faul-
heit und Begehrlichkeit), wie der Andrang zum Aufstieg durch Berufsumschulung
zeige. — S. 102—128. Oualid: Die Einwanderung nach Frankreich und
ihre Probleme. „Frankreich zeigt mehr und mehr die Tendenz, sich zu einem
Lande, wie z. B. Nordamerika, zu entwickeln, einem Lande, in welchem das ein-
heimische Element, dessen Wert schon durch seine Seltenheit und ebenso durch seine
Zeitschriftenschau. 113
intellektuelle Entwicklungshöhe und seine Kultur ständig wächst, den Grundstock der
industriellen Armee bildet, um den sich die große bewegliche Masse der immigrierten
Elemente gruppiert.“ Neben hygienischen, wirtschafts- und sozialpolitischen Erwägun-
gen spielen bei der Einwandererkontrolle auch solche zum „Schutz der Rasse“ eine
gewisse Rolle. — S. 235—245. Mombert: Neuere Erscheinungen zur Be-
völkerungslehre und Bevölkerungsstatistik. — S. 339—416. Sander,
F.: Gesellschaft und Staat. Studie zur Gesellschaftslehre von
FranzOppenheimer. Kritische Besprechung vonOppenheimers „System der
Soziologie“, Bd. I u. II. — S. 789—798. Grotkopp, W.: Sozialismus und Wirk-
lichkeit. Zur Charakteristik der schwedischen Sozialdemo-
kratie. Am Lebenswerke des verstorbenen sozialdemokratischen Führers Karleby
zeigt G., daß dieser „ein Arbeiteraristokrat ist, der alle Arbeiter zu Arbeiteraristo-
kraten machen will“. Die Außenpolitik und Wehrpolitik der schwedischen Sozial-
demokratie war stets positiv und national betont, worauf Karleby großen Wert legte.
(Dasselbe gilt glücklicherweise auch von ihrer Rassenpolitik. D. R.) Nur sehr lose
und locker sind die Beziehungen zum Marxismus. — 57. Bd. 1927. S. 1—67. Schum-
peter, J: Die sozialen Klassen im ethnisch homogenen Milieu
(s. Referatenteil). — S. 68—142, 470—495. Mannheim, K.: Das konservative
Denken. Soziologische Beiträge zum Werden des politisch-
historischen Denkens in Deutschland. — S. 176—193. Fürth, H.: Die
Schwangerschaftsunterbrechung und das Strafgesetz (s. Refe-
ratenteil). — S. 218—241. Gitermann: Kliutschewskijs „Russische Ge-
schichte“. Kliutschewskijs Werk ist in deutscher Uebersetzung erschienen und gilt
nach G. für die beste und wissenschaftlich strengste russische Geschichtsdarstellung.
Von rassenbiologischem Interesse ist, daß Kliutschewskij die Normannen (Wariager)
nicht als Eroberer schildert: die nordischen Fürsten seien vielmehr mit ihrem Gefolge
anfänglich von den Nowgorodern zum Schutz des Landes vor auswärtigen Feinden
herbeigerufen und dann als Söldner und Begleittruppen für die Handelskarawanen
angestellt worden. G. widerspricht der Behauptung des russischen Gelehrten, daß die
Normannen keine staatsbildenden Leistungen an der russischen Landesordnung voll-
bracht hätten. — S. 417—469. Michels, R.: Altes und Neues zum Problem
der Moralstatistik. I. (Kritik der Geschlechtsmoralstatistik).
Eine reich mit Material aus verschiedenen Ländern ausgestattete Kritik der Geschlechts-
moralstatistik bringt auch viele rassenbiologisch belangreiche Einzelheiten: als ein
Beispiel von vielen sei auf die Beobachtung der verschiedenen Geschlechtsreife inner-
halb der sozialen Klassen eines Volkes (spätere Reife der Mädchen des italienischen
Proletariats gegenüber dem Bürgertum) verwiesen (S. 424f.). Interessant ist auch der
Ueberblick über die national verschiedenen Ursachen, Formen, Häufigkeiten und Fol-
gen des unehelichen oder vorehelichen Geschlechtsverkehrs. — S. 496—526. Oppen-
heimer, F.: Fritz Sternbergs „Imperialismus“. O. setzt sich in meines
Erachtens im ganzen zutreffender Weise vom Standpunkt seiner Bodenmonopoltheorie
mit dem orthodox-marxistischen Versuch seines ehemaligen Schülers Sternberg
auseinander, der in einer vielbeachteten tendenziös-kommunistischen Studie in Fort-
führung der Untersuchungen Hilferdings und Rosa Luxemburgs den „Im-
perialismus‘‘ als gefahrdrohende Abweichung von dem Marxschen Entwicklungs-
schema aufzeigen will. — S. 552. In einer sehr günstigen Besprechung von Arsen-
jew: Russen und Chinesen in Ostsibirien, Berlin 1926, finden wir folgenden Satz:
„Die Chinesen spielen in Ostsibirien, wie überhaupt in den Randländern des Stillen
Ozeans, etwa dieselbe Rolle wie in Osteuropa die Juden. Sie sind das bei weitem
kultivierteste, intelligenteste, fleißigste und in jeder Hinsicht fähigste Bevölkerungs-
Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie, Bd. 22, Heft 1. 8
114 Zeitschriftenschau.
element und haben daher unter der Antipathie sämtlicher übrigen, sich ihnen nicht
gewachsen fühlenden Nationalitäten, der Russen, Japaner, Koreaner und Eingeborenen,
zu leiden.“ Als Referent zeichnet Eduard Erkes. Es ist bedauerlich, daß ein Referent
einer so angesehenen Zeitschrift sich so auffällig subjektiver Wertung nicht ent-
schlagen kann. — S.577—627. Lederer, E.: Soziale Umschichtungund poli-
tisches Werden in China. Eine auch unter Chinesen weitverbreitete Meinung
sagt, China sei heute noch „wie ein Meer, das alle hineinflutenden Ströme in gleicher
Weise mit seinem Salz durchsetze, sowohl die ethnischen Ströme, die Völker, die da
hereingebrochen sind, als auch die geistigen Ströme“. Diese alte Rolle habe China aus-
gespielt, seitdem durch den Industrialisierungsprozeß die Grundlage der bisherigen
Sozialverfassung, die Familie, zerstört werde. Eine Reihe zum Teil neuartiger Deu -
tungen des chinesischen Volkscharakters findet sich im ersten Teil der Abhandlung
zerstreut. So soll das chinesische Volk nicht an die Macht des Blutes, sondern an
die der Erziehung glauben (S. 590); ferner nicht friedliebend, sondern sehr leiden-
schaftlich und jähzornig sein (S. 586). — S. 701—745. Michels, R.: Altes und
NeueszumProblemderMoralstatistik. II. (vgl. oben Bd. 56). Statistiken
über Geschlechtskrankheiten, Unehelichkeit, Verbreitung des Neomalthusianismus, Ehe-
scheidungen, Prostitution und Sexualverbrechen mißt M. keinen entscheidenden Wert
für die Moralstatistik bei. „Mehr als der Statistik werden sich die Forschungen
auf dem Gebiete der Sexualwissenschaften daher der typologischen Einzelbeobachtung
zu bedienen haben.“ Statistik komme nur als periphere Hilfswissenschaft in Frage.
— Die beigezogene Materialfülle ist auch gesellschaftsbiologisch höchst beachtlich. —
S. 769—802. Lütkens, Ch: Neue Amerikabücher. In einer Sammelbesprechung
der bekannten Bücher von Feiler, Hirsch, W. Müller und dem Amerikabuch
deutscher Gewerkschaftsführer weist L. zum Teil auf Grund eigener Er-
fahrung auf die großen Unterschiede von Norden und Süden der Vereinigten Staaten
hin. Der Neger wird (S. 780—789) günstig beurteilt; die Antipathie gegen den Farbigen
sei „im wesentlichen ein Ausfluß sozialen Ressentiments oder die Furcht vor dem
Hochkommen der glücklich wieder Unterworfenen“. — 58. Bd. 1927. S. 60—112.
v. Schulze - Gävernitz: Die geistesgeschichtlichen Grundlagen der
angloamerikanischen Weltsuprematie Il. Die Wurzel der
Demokratie. In glänzender Darstellung zeigt v. S. die religiösen Wurzeln der
Gedanken der Demokratie Nordamerikas: Freiheit, Gleichheit und Volkssouveränität
in ihrer Geschichte und an ihren ersten großen Verkündern (Penn, Lincoln u. a.);
er geht nicht an ihren Schwierigkeiten (insbesondere den ethnisch-biologisch be-
dingten) vorüber, glaubt aber wegen ihrer bisher bewährten schöpferischen Kraft an
ihre schrittweise Verwirklichung. — S. 140—172. Jaffe, M.: Gedanken zur vene-
tianischen Geschichte. Das Volkstum der Adriaecke auf den Lagunen habe
sich, wie es zur Zeit von Westroms Fall bestand, unvermischt und reiner als das
übrige Italien erhalten. „Aus diesem einheitlichen Volke ist ein ebenso einheitliches
Kaufmannspatriziat emporgewachsen, in das der Landadel des Festlandes keinen ...
Eingang gefunden hat. Venedigs Patriziat aber hat sich einen Staat eingerichtet,
dem an Beständigkeit und Gleichmaß in der Entwicklung von Macht und Wirtschaft
Italien nichts an die Seite zu setzen hat.“ J. hält es für sehr wahrscheinlich, daß
dieser einzigartige Staat aus der Sonderart des Lagunenvolkes sich herleitet. — S. 282
bis 319. Endres: Soziologische Struktur und ihr entsprechende
Ideologien des deutschen Offizierskorps vor dem Weltkriege.
Der Verfasser der „Tragödie Deutschlands‘ sucht zu erhärten, daß durch die „Ritter“-
Ideologie des Militarismus die militärische Leistung des alten Heeres wesentlich herab-
gesetzt worden sei. Ebenso schädlich war die „plutokratische Selektion“ des Offizier-
Zeitschriftenschau. 115
korps. Sie verhinderte die Auslese nach Tüchtigkeit. — S. 404—411. v. Eckardt: Zur
Problematik des Nationalitätenbegriffs (Bücherbesprechung). —
S. 608—628. Tönnies: Verbrechertum in Schleswig-Holstein (Zwei-
tes Stück). Die Wahrscheinlichkeit, daß ein schleswig-holsteinischer Schwerver-
brecher stadtgebürtig ist, wird um so höher, je mehr das Verbrechen sich berufsähn-
licher Gaunerei nähert; um so geringer, je mehr es einer unregelmäßigen Leidenschaft
entsprungen ist. — 59. Bd. (1928). S. 48—74. Endres: Vom nächsten Krieg. Die
geschilderte Verlegung der Schlachtfront bis in die hintersten Provinzen der Heimat
ist wegen der veränderten Auslesewirkung, die von einem künftigen Kriege zu er-
warten ist, beachtlich. — S. 322—339. Jaffé, M.: Wie kam die deutsche Aus-
breitung nach Osten zum Stillstand? „Strom und Gegenstrom zweier
mächtiger Rassen sind in diesen Gegenden aufeinandergestoßen.“ Während der deut-
schen Ostkolonisation die Assimilierung der lose wohnenden Slawen gelang, mißglückte
der Versuch dem national geschlossenen Polentum gegenüber, dem das deutsche Blut
eher noch nationale Energien zuführte. — S. 489—525. Wittek, P: Türkentum
und Islam. I. „Der Islam ist die nationale Religion des Türkentums geworden,
und Völker, die der Rasse und Sprache nach zwar Türken sind, aber den Islam nicht
angenommen haben, sind als außerhalb der türkischen nationalen Einheit stehend
anzusehen.“ K. V. Müller (Dresden).
Beiträge zur Klinik der Tuberkulose. 1927. Bd. 67. S. 552—567. Waßmund, H.:
Ueber den Einfluß der Stoffwechselanomalien Diabetes, Fett-
sucht, Gicht auf die Lungentuberkulose. In den Jahren 1903—1926
wurden in einer Privatlungenheilanstalt in Schömberg im Schwarzwald unter 8000
Patienten gezählt: Diabetes 0,75 %, Fettsucht 0,58 %, Gicht 0,26 %. — 1928. Bd. 68.
S. 450—469. Glusmann, A. M.: Zur Methode des Studiums der intra-
familiären Verbreitungder Tuberkulose. — S.739—745. Heerup: Die
Beziehungen der Jahreszeiten zur Tuberkulose. Tuberkulosestati-
stische Mitteilungen über die Bewohner der dänischen Inselgruppe der Färöer. —
S. 807—833. Koopmann, W.: Die Ausbreitung der Tuberkulose in den
Steppen der Kirgisen. Der Tuberkulosedurchseuchungsgrad der kirgisischen
Steppenbevölkerung ist für ein Naturvolk ein sehr hoher. Rund die Hälfte der vor-
genommenen Impfungen nach Pirquet und Ponndorf hatten ein positives Ergebnis.
— Bd. 69. S. 540—550. Cursehmann, H.: Diabetes und Lungentuberkulose.
Die Häufigkeit der Lungentuberkulose bei Diabetikern betrug nach älteren Statistiken
rund 40—50 %, nach einer Zusammenstellung der Umberschen Klinik in Berlin wäh-
rend der Jahre 1923—1926 nur 4%. — Bd. 70. S. 10—26. Geißler, O.: Der Er-
folgsnachweis in der Tuberkulosefürsorge. — S. 26—42. Graß, H.:
Tuberkuloseprobleme und Fürsorgebeobachtungen. — S. 56—63.
Herold, K.: Die systematische Erfassung der Tuberkulose aufdem
Lande. — S. 259—279. Redecker, F.: Allergie und Tuberkulose (vom
Standpunkt des Klinikers aus). — S. 280—290. Neufeld, F.: Allergie
und Tuberkulose (vom Standpunkt der experimentellea For-
schung). — S. 315—319. Jeekert, F.: Die Beeinflussung großer Berii:
kerungsgruppen durch den Tuberkelbazillus. In der kupferschiefer-
bauenden Bevölkerung des Mansfelder Gebirgskreises ist die Tuberkulosehäufigkeit
unter den Männern erheblich höher als im Durchschnitt des Preußischen Staates.
In einem Kreise mit Textilindustrie erkranken die heimarbeitenden Frauen häufiger
an Tuberkulose. — S. 321—325. Götz, H. und Jablonski, W.: Komplexion und
Tuberkulose im Kindesalter. Unter 6—l4jährigen Kindern der Berliner
Arbeiterschicht erkranken die hellhaarigen etwa doppelt so häufig an Tuberkulose als
8t
116 Zeitschriftenschau.
die dunkelhaarigen; auch unter den helläugigen ist die Tuberkulose häufiger als unter
den dunkeläugigen. Kontrolluntersuchungen an gesunden Kindern wurden durchgeführt.
— Bd. 71. S. 121—129. Schenk, V.: Ueber die Bedeutung von Konstitu-
tion und Kondition für die Entstehung der Lungentuberkulose.
Literarische Bearbeitung des Themas mit dem Ergebnis, „daß von entscheidender
Bedeutung für Entstehung und Verlauf einer Tuberkulose nicht die Infektion, die
nur eine Conditio sine qua non bedeutet, sondern die Körperverfassung ist“.
O. v. Verschuer (Berlin-Dahlem).
Deutsches Statistisches Zentralblatt. 1927. Sp. 103. Winkler, W.: Die Doppel-
sprachigen in der Statistik. Die Doppelsprachigen stellen eine Zwischen-
schicht dar, welche beim Hinüberwechseln von einer Nationalität zur anderen passiert
wird. Die mitgeteilten statistischen Daten aus Alt-Belgien, Ostdeutschland und Wales
zeigen, daß umfangreiche Bestandsverschiebungen zwischen verschiedenen Nationen
offenbar auch anders als auf dem Wege der natürlichen Bevölkerungsbewegung ent-
stehen können. — 1928. Sp. 1. Würzburger, E.: Ein Maßstab der Zahlen-
streuung. Sind die Einzelwerte einer Reihe gleich, dann ist das geometrische Mit-
tel gleich dem arithmetischen; je ungleichmäßiger die Zusammensetzung einer Reihe
ist, desto mehr weicht das erstere vom letzteren ab. Diese Verhältnisse werden vom
Verfasser zur Streuungsmessung benutzt. — Sp. 65. Staedtler, F. A: Die Anwen-
dung statistischer Forschungsmethoden in den modernen
Naturwissenschaften. Die moderne Physik befindet sich in einer Sturm- und
Drangperiode, da die Auffassung über die Kontinuität physikalischer Vorgänge sich
gewandelt hat. Die Statistik hat die Aufgabe, Zusammenhänge spez. mathematischer
Art zwischen den Gesetzmäßigkeiten der neuerdings angenommenen Diskontinuität der
Vorgänge und den Gesetzen der klassischen Physik herzustellen. — Sp. 73. Gumbei,
E. J: Mendelismus und Statistik. Im wesentlichen ein Referat über vier
Arbeiten von De Finetti, der von der Fragestellung ausgeht, wie sich die Verteilung
einer Bevölkerung mit einem mendelnden Merkmal mit der Zeit von einem gegebenen
Ausgangspunkt aus ändert. — Sp. 135. Tönnies, F.: Statistik und Soziogra-
phie. Verf. tritt für eine schärfere Terminologie ein und schlägt vor, die Statistik
nur noch insoweit als solche zu bezeichnen, als sie eine Methode darstellt, das
Studium der sozialen Tatsachen und Massenerscheinungen (bisher Statistik als Wissen-
schaft) aber Soziographie zu nennen. Schmidt (Fritzlar).
Internationale Zeitschrift gegen den Alkoholismus. Jg. 1927. H. 4, S. 193—203.
Sehmidt-Kraepelin, T.: Ueber die Bedeutung äußerer Anlässe und
innerer Ursachen bei der Entstehung des Alkoholismus. Verf.
sieht eine gewisse biologisch bedingte Minderwertigkeit vor allem hinsichtlich der
Willensanlage bei Personen, die zu chronischem Alkoholismus gelangen, als die Regel
an. Als Beobachtungsmaterial dienten 2460 klinische Fälle von alkoholischer Geistes-
störung bei männlichen Personen. — Jg. 1928. H. 2, S. 65—76. Mjoen, J. A. (Oslo):
Alkoholprobleme im Lichte biologischer Erkenntnisse. Verf.
gibt eine Kasuistik zahlloser Experimente und Hypothesen, die für die rassenverderb
liche Wirkung des Alkohols sprechen. A. Kasten (Berlin).
Klinische Wochenschrift. 7. Jg. 1928. S. 112. Landsteiner, K.: Zur Frage der
Gruppenbestimmung bei Transfusionen. Verf. wendet sich gegen N eu-
burger und Oehlschlägel, die sich gegen die Anwendung der Gruppenbestim-
mung bei Transfusionen ausgesprochen hatten. Die Auswahl des Spenders mit Hilfe
der Gruppenbestimmung ist ungefährlich, wenn man gleichzeitig auch die direkte
Probe, nämlich die gegenseitige Einwirkung von Serum und Blut des Empfängers
und Spenders, ausführt. Die Gruppenbestimmung ist auch nicht überflüssig; sie ist
Zeitschriftenschau. 117
das einfachste Mittel der Spenderauswahl, wenn Spender bekannter Gruppen zur Ver-
fügung stehen. — S. 145. Lewinthal, W.: Der Variabilitätsbegriffin der
Bakteriologie, seine Bedeutung für Spezifitätslehre und Epi-
demiologie. Uebersichtsaufsatz, der auch das Selektionsproblem mit in Betracht
zieht. — S. 198. Thomsen, O.: Ueber künftige individuelle Vater-
schaftsbestimmungen. Je mehr Charaktere in Betracht gezogen werden kön-
nen, desto näher kommt man dem Ideal des Vaterschaftsnachweises. Verf. erläutert
diesbezüglich die Brauchbarkeit erblicher Mißbildungen an Hand eines dominanten,
durch sieben Generationen vererbten Falles von Syndaktylie und eines anscheinend
ebenfalls dominanten Falles von sog. Kolbendaumen. — S. 406. Kliewe, H.: Ueber
die Blutgruppenzusammensetzung der Bevölkerung Oberhes-
sens. Verf. hat nachträglich bemerkt, daß in einer früheren Arbeit von ihm und
Nagel ein Befund enthalten ist, der der Bernsteinschen Vererbungstheorie der
Blutgruppen widerspricht. Er teilt mit, daß es sich hier anscheinend um einen Irrtum
handelt; eine nochmalige Untersuchung der betreffenden Familie war aus äußeren
Gründen nicht möglich. Weiter teilt er neun Stammbäume von Blutgruppen mit, in
denen teilweise auch die Blutgruppenzugehörigkeit der angeheirateten Familienmit-
glieder berücksichtigt ist. Die Stammbäume entsprechen ebensowohl der Bernstein-
schen wie der Hirszfeldschen Theorie. — S. 455. Ganther, R.: Dürfen wir
den Nachweiseiner Superfoecundatio durch die Blutgruppen-
bestimmung bei menschlichen Zwillingspaaren erwarten? Be-
merkungen zum Aufsatz von Augsberger im Jahrgang 6 dieser Wochenschrift.
Verf. berechnet, daß, wenn sämtliche Zwillinge Superfökundationsfälle wären, nur
etwa jeder 125. Fall eine Kombination darstellen würde, die uns eine Beweisführung
im Sinne der Ueberschrift gestatten würde. Es besteht also sehr wenig Aussicht,
durch systematische Blutgruppenuntersuchungen bei Zwillingen das Problem zu klären.
— S. 545. Wellisch, S.: Ueber die Genhypothesen des Blutes. Kritische
Betrachtungen über die Hypothesen von v. Dungern-Hirschfeld und Bern-
stein. Vom rein mathematischen Standpunkt aus läßt sich nicht entscheiden, welche
dieser Hypothesen zu bevorzugen ist. Ausführungen über den Blutgruppenindex. —
S. 590. Nickau, B: Hämophilie und ihre erfolgreiche Behandlung
mit Nateina Llopis. Verf. wandte bei zwei hämophilen Brüdern die spanischen
Nateinatableiten an, die aus einem Gemisch der Vitamine A, B, C und D pflanz-
lichen Ursprungs bestehen, mit Zusatz von Kalziumphosphat und Milchzucker. Seine
Erfahrungen waren sehr günstig. Nateina ist das erste und einzige Mittel in der
Behandlung der Hämophilie, das die lebensgefährlichen Erscheinungen latent zu er-
halten vermag. Die eigenen schweren Hämophiliefälle konnten ausschließlich durch
die Behandlung mit Nateina auf oralem Wege völlig berufsfähig gemacht und erhalten
werden, nachdem alle anderen Mittel erfolglos geblieben waren oder, wie die Blut-
transfusion, nur für einige Tage gewirkt hatten. — S. 1036. Ernst, F.: Blutgrup-
pen und Tuberkulose. Untersuchungen an 200 aus Oberschlesien stammenden
weiblichen Lungentuberkulösen ergaben, daß eine Disposition einer bestimmten Blut-
gruppe für Tuberkulose nicht festzustellen ist. — S. 1041. Rasor: Ein Fallvon
kongenitaler Tuberkulose. Verf. fügt den 42 aus der Literatur bekannten
Fällen von angeborener Tuberkulose einen neuen an. Das Kind der tuberkulösen
Mutter erkrankte am 42. Lebenstag plötzlich an tuberkulöser Meningitis und starb
nach weiteren 10 Tagen. Die Obduktion ergab starke tuberkulöse Veränderungen der
Hilusiymphdrüsen der Leber. — S. 1309. Kauffmann, Fr.: Entzündung und
Körperverfassung. Verf. begründet ausführlich den Satz, daß es allein von
der individuell und zeitlich wechselnden Verfassung des reagierenden Gewebes und
118 Zeitschriftenschau.
des Gesamtorganismus abhängig sein kann, ob exsudative oder proliferative Entzün-
dungsprozesse auftreten. — S. 1317. Sehiff, F.: Ueber Blutgruppenunter-
suchungen an Müttern und Kindern, insbesondere Neugeborenen.
Die Neugeborenen enthielten das normale Zahlenverhältnis der Blutgruppen; vorzeitige
Eliminierung einzelner Früchte infolge Ungleichheit der Blutgruppen von Mutter und
Frucht kommt also offenbar nicht vor. Die Blutgruppeneigenschaften sind im all-
gemeinen oder ausnahmslos schon bei der Geburt endgültig nachweisbar. Die Ver-
erbungsregeln, die sich aus der Bernsteinschen Formel ergeben, sind im Material
des Verf. mit aller wünschenswerten Genauigkeit erfüllt. — S. 1401. Freudenberg, K.:
Die Aufgaben des Unterrichts in der medizinischen Statistik.
Beherzigenswerte Ausführungen über Statistik in der Medizin. Der künftige Arzt muß
in erster Linie darauf hingewiesen werden, daß er nicht versuchen darf, möglichst
viel aus hierfür nicht geeigneten medizinalstatistischem Material herauszuholen, son-
dern daß sich in dieser Hinsicht gerade in der Beschränkung der Meister zeigt. Er
sollte auch vermeiden, durch! Berechnung zahlreicher Dezimalen eine Genauigkeit vor-
zutäuschen, die im Material seiner Natur nach gar nicht enthalten sein kann. —
S. 1561. Häußler, G.: Ueber Melanombildungen bei Bastarden von
Xiphophorus Helleri und Platypoecilus maculatus Var. rubra.
Durch Bastardierung zweier Arten von kleinen tropischen, lebendgebärenden Zahn-
karpfen erhielt Verf. neun Tiere mit Melanomen, die immer an derselben Stelle, näm-
lich am unteren Teil der Körperschwanzflossen, saßen. Histologisch handelte es sich
um Melanophorengeschwülste, die sehr langsam wuchsen und im wesentlichen gut-
artig blieben. Die Beobachtung zeigt die Bedeutung endogener Momente in der Aetio-
logie der (bzw. mancher. Ref.) Tumoren. — S. 1588. Bauer, K. H.: Zur Lösung
des Problems der Blutgruppenvererbung. Verf. macht eine neue
Hypothese über die Vererbung der Blutgruppen bekannt. Er entnimmt seinen Be-
rechnungen, daß es sich dabei um zwei gekoppelte Anlagenpaare handelt. — S. 1777.
Poll, H.: Hilfsmittel für die Erfolgsstatistik. Lehrreiche Darlegungen
über die Statistik in der Medizin. Nach Verf. wäre es ein gutes Mittel, die Fülle
der wissenschaftlichen Arbeiten einzudämmen, wenn die Herausgeber von Zeitschriften
es sich zum Grundsatz machen würden, zu allen Zahlenwerten einer Arbeit um die
Beifügung der Fehlergrenzen zu ersuchen. Alsdann würde sich nämlich bald heraus-
stellen, daß ein erheblicher Teil wirklich nicht mehr gedruckt zu werden brauchte.
— S. 1816. Haselhorst, G.: Blutgruppen und Vaterschaft. Setzt man die
Zahl derjenigen Fälle, in denen ein vermeintlicher Vater gerichtlich ausgeschlossen
werden konnte, in Vergleich zu der Zahl der Alimentationsprozesse, in denen man
sich der Blutgruppenbestimmung, überhaupt bedient hat, so findet man einen Prozent-
satz von etwa 10. Die Bedeutung der Blutgruppenuntersuchung für die Vaterschafts-
bestimmung ist also nicht gering, zumal wenn man bedenkt, wie lückenhaft sonst
häufig die Beweisführung ist. — S. 2010. Schmidt, P. W.: Eine Untersuchung
der Insassen der Strafanstalt Münster auf Geschlechtskrank-
heiten. Die Durchseuchung ist nicht übermäßig groß, die durchgemachte Behand-
lung war in der Regel nur mittelmäßig, die Zahl der luischen Nachkrankheiten im Ver-
gleich zu der Zahl der Luiker erheblich. — S. 2047. Landauer, W.: Ueber Wesen
und Aetiologie der Chondrodystrophie. Die Mehrzahl der Fälle von
menschlicher Chondrodystrophie scheinen rezessiv erblich zu sein, einzelne Fälle sind
sicher dominant. Aehnliche komplizierte Verhältnisse scheinen in der Erbbedingtheit
der Chondrodystrophie beim Rinde vorzuliegen, Hier scheint neben genisch bedingter
Chondrodystrophie sporadisch eine solche auf nichterblicher Grundlage vorzukommen,
Die letztere Möglichkeit ist, vielleicht sogar auch für den Menschen, besonders in
Zeitschriftenschau. 119
Rechnung zu stellen, seit Dunn nachgewiesen hat, daß die bisher beobachteten
Chondrodystrophiefälle beim Hühnerembryo jedenfalls primär keine erbliche Grund-
lage besitzen. — S. 2101. Hilgers, Wohlfeil und Knötzge: Beiträge zur Blut-
gruppenforschung. Die Blutgruppenzusammensetzungen unter Litauern und Ost-
preußen entsprechen sich einander und ebenso auch dem Durchschnitt in Deutsch-
land. Bei den Polen scheint die Blutgruppe A etwas seltener zu sein. Zwischen Blut-
gruppen und Kretschmerschen Konstitutionstypen besteht keine wesentliche Kor-
relation, höchstens ein Ueberwiegen der Gruppe A bei Asthenikern. — S. 2141. Cur-
tius, Fr.: Untersuchungen über das menschliche Venensystem. Ill.
Septumvarizen und Oslersche Krankheit als Teilerscheinung
allgemein ererbter Venenwanddysplasie (Status varicosus).
Die Varizen des Nasenseptums sind ein Symptom, das sich in gesetzmäßiger Weise in
den meist erblich bedingten Status varicosus des Verf, einordnet. Dieser wieder ist die
Teilerscheinung einer primären idiotypischen Anlagenanomalie des Mesenchyms. —
Beilage zur „Klinischen Wochenschrift‘ 1928, Nr. 47. — S. 849. Breitner, B.: Die Be-
deutung der Blutgruppen. Referat auf der Gesellschaft deutscher Natur-
forscher und Aerzte in Hamburg, Siemens (München).
Medizinische Klinik. 1928. S. 207. Vogt, E.: Ueberdie hormonale Beein-
flußbarkeit des Geschlechtes im Tierexperiment. Bei weiblichen
Kaninchen wird durch eine längere Insulinkur nach Abklingen einer temporären
Sterilität ein Ueberwiegen des weiblichen Geschlechtes der Nachkommen erzielt. Diese
Erscheinung erklärt sich Verf. mit der Annahme einer direkten Einwirkung des In-
sulins auf den Chemismus der weiblichen Geschlechtszelle. Wie er glaubt, reiht sich
die Beobachtung dem „allgemein gültigen Gesetz“ ein, „daß in Zeiten der Not oder
unter abnormen Lebensbedingungen mehr weibliche Junge wie männliche Junge zur
Welt kommen, weil dadurch am sichersten die Erhaltung der Art gewährleistet wird“.
— S. 225. Ziemann, Hans: Uebersicht über einige Fragen der Rassen-
biologie, Hygiene (Eugenik) und Vererbungsforschung. Verfasser
bespricht neuere Monographien und Zeitschriftenartikel, zu denen er auch kritisch
Stellung nimmt. — S. 266. Ziemann, H.: Fortsetzung der vorstehenden Uebersicht, die
sich mit spezieller Rassenbiologie, Blutgruppen und Vererbung von Krankheiten
befaßt. — S. 701. Starkenstein, E.: Ueber die Vererbung einer branchio-
genen Fistel. Ein Beitrag zur „Familienforschung“. Verf. berichtet über seine
eigene Familie, in der sich Ohrfisteln, teils doppelseitig, teils anscheinend nur links-
seitig, bei 21 Personen in fünf Generationen nachweisen lassen, wobei der Erblich-
keitsmodus regelmäßig dominant ist. In einer verschwägerten Familie kamen die
Ohrfisteln bei einem von 10 Geschwistern, sowie bei einem Kind und einem Enkel
dieses Behafteten vor. Die Fistel stellt einen Blindsack dar, der bei einzelnen Personen
in frühester Jugend sezerniert, wodurch es zu einer Füllung und abszeßähnlichen Vor-
wölbung vor dem Ohr kommen kann. Zur Zeit der Pubertät verödet die Fistel, und es
bleibt dann nur noch ein kleines Löchelchen an der oberen Ansatzstelle der Ohr-
muschel bestehen, — S. 851. Schloßberger, Laubenheimer, Fischer und Wichmann:
Blutgruppenuntersuchungen an Schulkindern in der Um-
gebung von Frankfurt a. M. Die gefundenen Prozentzahlen entsprechen un-
gefähr den in Deutschland gefundenen Durchschnitiswerten. — S. 926. Förster, C.:
Ueber Blutgruppenforschung und ihre praktischen Ergeb-
nisse, Vortrag, in dem der Verf. auf die Bedeutung der Blutgruppen für die Rassen-
forschung, für die Transfusion, für die Vererbungslehre und für die Pathologie ein-
geht. — S. 936. Reiter, H.: Ernährung undFortpflanzung. Bei Verfütterung
von Hodensubstanz an Mäuse zeigt sich eine deutliche Steigerung des Fortpflan-
120 Zeitschriftenschau.
zungs- bzw. Generationsprozesses, besonders dann, wenn männliche und weibliche
Tiere gleichzeitig die Zusatznahrung erhalten. — S. 981. Katz, R: Ueber Frauen-
kundeundKonstitutionsforschung. Uebersichtsreferat über die neuesten
Arbeiten auf diesem Gebiet. — S. 1163. Newekluf, T.: Ueber gehäuftes fami-
liäres Stottern,. Verf. beobachtete Stottern bei mehreren Geschwistern. Die
genaue Untersuchung machte es wahrscheinlich, daß das familiäre Auftreten durch
Nachahmung zustande kommt, so daß von einer familiären Stotterepidemie gespro-
chen werden kann. Eine ähnliche Beobachtung, jedoch bei Erwachsenen, wurde früher
von Stein bekanntgemacht. — S. 1421. Oeblecker, F.: Ist die Bluttrans-
fusion völlig ungefährlich, wenn vorher eine Blutgruppen-
bestimmung gemacht worden ist? Vor der Transfusion ist eine Blutgrup-
penbestimmung selbstverständlich notwendig, doch muß verlangt werden, daß als
letzte Sicherung auch noch vorsichtig ausprobiert wird, ob die Transfusion von An-
fang an vertragen wird. Bei Störungen muß sofort abgebrochen werden. — S. 1424.
Biümel, R. und Poll, H.: Fingerlinienmuster und geistige Norm. Ver-
fasser untersuchten die Papillarmuster bei Tausenden von Geistesgesunden und Irren-
anstaltsinsassen. Bei Geisteskranken und Geistesgesunden zeigten sich durchschnittliche
Unterschiede in den Mustern. In höherem Alter verwischen sich die Differenzen von
Gesunden und Kranken. — S. 1477. Cohn, B: Bemerkungen zu Dr. Uhlmann:
„Gibt es eine hormonale Beeinflussung des Geschlechts?“ Nach
Verf. ließen sich die Versuchsergebnise Uhlmanns auch so erklären, daß die
verringerte Fruchtbarkeit auf einen Ausfall der Männchen zurückzuführen ist. Es
würde dann das eingeführte Hormon die Entwicklung der Männchen stören, nicht
aber geschlechtsdeterminierte Männchen zu Weibchen machen. — S. 1478. Uhlmann,
Fr.: Gibt es eine hormonale Beeinflussung des Geschlechts?
Verf. schließt sich der Auffassung Cohns nicht an, meint aber, daß zur endgültigen
Klärung ein größeres Zahlenmaterial nötig sei. — S. 1615. Berliner, M.: Der heu-
tige Stand der Blutgruppenforschung. Vortrag über Erblichkeit, foren-
sische und konstitutionspathologische Bedeutung der Blutgruppen. — S. 1700. Herr-
mann und Hlisnikowski: Blutgruppen und Verlauf der Impfmalaria.
Erfolgt die Malariainfektion von einem Individuum auf ein anderes, das der gleichen
Blutgruppe zugehört, so verläuft die Infektion virulenter. Vielleicht spielen analoge
Tatsachen auch bei der Lues eine Rolle, z. B. bei Auftreten verschiedener Luesformen
(maligne Lues!). — S. 1826. Brekenfeld:; Blutgruppen in Ostpreußen. Verf.
empfiehlt auf Grund seiner Untersuchungen das Zusammenfassen der Blutgruppen von
Trägern stammeseigentümlicher Namen, da verschiedene Volksstämme ja auch eine ver-
schiedene prozentuale Verteilung der Blutgruppen zeigen können. Siemens (München).
Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform. Jg. 18. 1927. Heft 1.
S., 30—33. von Henting (München): Inveterationserscheinungen bei
europäischen Bevölkerungsgruppenundihrekriminologische
Bedeutung. An Hand der Statistik der Stadt Basel wird gezeigt, daß in dem Zeit-
raum 1910—1920 eine tiefgreifende Verschiebung in der Besetzung der Altersstufen
zugunsten der älteren Jahrgänge eingetreten ist. Daraus ergibt sich eine Komplizierung
der sexuellen Beziehungen, die soziale und politische Betätigung, das ganze Denken,
das Tempo und die Zielsetzung des Lebens werden beeinflußt. Die Kunst, die Wissen-
schaft, die ganze Kultur und mit ihr eines ihrer lebendigen Restprodukte, der Krimi-
nelle, muß diesen Einwirkungen unterliegen. — S. 65—89. Kraßnaschkin, E. K.
(Moskau): Der Verbrecher. Siehe Referatenteil. — Heft 3. S. 129—133. Ueber-
schaer (Leipzig): Ueber die Ausgestaltung der Kriminalstatistik. —
S. 144—150. Lellep, C. (Tartu-Dorpat): Der Einfluß der Rasse auf die Kri-
Zeitschriftenschau. 121
minalität der Esten. Für das relative Ueberwiegen der affektiven Kriminalität
unter den Esten sind biologische Faktoren maßgebend, welche die ugro-finnische Rasse
von indogermanischen, semitischen und anderen Rassen unterscheidet, Für die affek-
tive Konstitutionsanlage ist der Alkoholmißbrauch von schwerwiegender Bedeutung. —
Heft 5. S. 268—271. Haack, O. (Kopenhagen): Dänische Kommissionsvor-
lagebetreffenddie Sterilisation. Die durch königlichen Erlaß vom 23. 12.
1924 zur Prüfung des Problems ernannte Kommission hat November 1926 an das Justiz-
ministerium ein Gutachten abgegeben. Neben einer Erörterung der biologischen bzw.
der erbbiologischen Voraussetzungen dieses Eingriffes und der hierzu dienlichen opera-
tiven Methoden, legt das Gutachten die internationalen Vorarbeiten zur gesetzlichen
Regelung der Frage klar. Es betont die Zweckmäßigkeit, die Sterilisation gesetzlich
zuzulassen, hält aber die bisherige Forschung der Erbbiologie noch nicht für so vor-
geschritten, daß schon jetzt an eine Sterilisation mit dem weitreichenden Zweck, die
Volkskraft in ihrer Gesamtheit zu heben, zu denken wäre. — S. 374—376, v. Hentig, H.
und Albrecht, H. (München): Strafanstalten für junge Mütter. Als vor-
bildlich wird das amerikanische Vorgehen hervorgehoben, wo eigene Anstalten für junge,
strafgefangene Mütter errichtet sind, und das Kind zwei Jahre bei der Mutter gelassen
werden kann. Albrecht nimmt zu der Einrichtung vom frauenärztlichen Standpunkt
Stellung und bezeichnet sie als die einzig wünschenswerte. A. Kasten (Berlin).
Schmollers Jahrbuch. 52. Jg. 1928. S. 201—218. v. Beckerath, E.: Idee und
Wirklichkeitim Fascismus. Trotz sichtbarer Gegensätze zwischen Idee und
Wirklichkeit stellt v. B. dem Weiterbestand des Fascismus, der sich als anpassungs-
fähig genug erwiesen habe, günstige Prognosen auch im Falle des Todes Mussolinis.
Dank seiner vertikalen Struktur sei der fascistische Staat kein Klassenstaat; Oppo-
sitionsführer weiß er zu gewinnen. Im obigen Falle werde „die in politischen Dingen
ungemein elastische Psyche des Italieners“ und die Autorität der Krone eine Diktatur
mit militärisch-bürokratischem Einschlag als gangbarsten Weg wählen. — S. 393
bis 415. Kern, F.: Vom Herrenstaat zum Wohlfahrtsstaat. Entwick-
lungsumrisse. K. schildert im Rahmen einer Festrede, die den autoritären Wohl-
fahrtsstaat Bismarckscher Prägung feiert, die sozialverfassungsgeschichtliche Entwick-
lung vom „genossenschaftlichen Ur- und Frühstaat der Tiefkulturen“ über den „Herren-
staat des Eroberertums‘“ und den „obrigkeitlichen Wohlfahrtsstaat“ (4. Jahrtausend
v. Chr. bis 18. Jahrhundert n. Chr.) zur modernen Demokratie, deren Praxis er jedoch
skeptisch gegenübersteht. — S. 417—452. Seraphim, H. J.: Geistige und öko-
nomische Grundlagen des Bolschewismus. „Der Bolschewismus wur-
zelt tief im russischen Wesen,“ d. h. in der „agraren Struktur der Sarmatischen Tief-
ebene“. Nicht die wegbereitende Intelligenz, sondern das Bauerntum sei der Träger
der russischen Revolution gewesen. Das „revolutionstaktische Genie“ Lenins be-
nutzte es freilich „als Kampfgenossen, nicht als Gesinnungsgenossen“. — S. 469—521.
Bergsträßer, A: Landwirtschaft und Agrarkrisein Frankreich. Die
Landbevölkerung betrug 1891: 62,6 %, 1911: 55,8 %, 1921: 53,6 % (bei 41 % landwirt-
schaftlich Berufstätigen). Der Geburtenrückgang ist auf dem Lande stärker als in der
Stadt, er nimmt besonders dort stark zu, wo die selbständigen Landwirte zuungunsten
der Landarbeiterziffer zunehmen (Normandie, Bourgogne, Provence). Er wird noch
gefördert durch die Landflucht, die vor allem die sehr ungünstig entlohnten Land-
arbeiter und wiederum die fruchtbarsten Altersklassen erfaßt. Die Einwanderung sei
nicht bedenklich. Die Agrarkrise sei bedingt durch die rasche industrielle Entwick-
lung, zumal nach dem Krieg. — S. 581—609. Tönnies: Die eheliche Frucht-
barkeit in Deutschland (vgl. Referatenteil). — S. 1047—1053. Sehilling, F.:
Stammbaum und Artbild der Deutschen. Im ganzen zustimmende Be-
122 Zeitschriftenschau.
sprechung des Buches von F. Kern. S. wirft Kern jedoch vor, daß er durch Anwen-
dung der deduktiven Methode zu einer Unsicherheit der Beurteilung des anthropo-
logischen Faktors in der Geschichte gekommen sei, die das universalgeschichtliche
Ergebnis seiner Arbeit überhaupt in Frage stelle. In der induktiven Methode ver-
gleichend-geschichtlicher Seelenkunde sei (im Anschluß an Breysig) der Weg zur
Lösung der Frage nach der „wechselseitigen Bedingtheit seelisch-leiblicher Rassenzüge“
(Kern) durchaus gegeben. Hier hätte Kerns Aufgabe gelegen. K. V. Müller.
Zeitschrift für induktive Abstammungs- und Vererbungsiehre. 45. Bd. 1927. S. 1
bis 40. Scherz, W.: Beiträge zur Genetik der Buntblättrigkeit —
S. 41—86. Duncker, Hans: Der Ausfall des Fettfarbstoffesin den epi-
dermoidalenGebildenaufGrunderblicherVeranlagung (Alipo-
chromismus) beiKanarienvögeln, Kanarienbastarden und Wel-
lensittichen. Die Bastarde von Kapuzenzeisig (Spinus cucullatus Sw.) und wei-
Bem Kanarienvogel (im männlichen Geschlecht fruchtbar) spalten auf in Kupferrot
und Grau. Es gibt einen Erbfaktor, welcher die Entstehung nicht nur der gelben,
sondern auch der roten Fettfarbstoffe kontrolliert. Er vererbt bei Kanarienvögeln
rezessiv, bei Wellensittichen dominant. Systematische Uebersicht der bekannten epi-
dermoidalen Farbenausfallserscheinungen. — S. 87—104. Kopee, Stefan: Zur Kennt-
nis der Vererbung der Körperdimensionen und der Körperform
beim Haushuhn. Beobachtung teilweiser Unabhängigkeit der die Körperdimen-
sionen kontrollierenden Faktoren. — S. 105—122. Yamaguchi, Y.: Neuere gene-
tische Untersuchungen über die Reispflanze. Sammelreferat. —
S. 125—159. Roth, Ludwig: Untersuchungen über die periklinal bun-
ten Rassen von Pelargonium zonale. — S. 160—183. de Moi, W. E.:
Somatic Segregation together with Alteration of the Chromo-
somal Complement and of the Nucleolar Composition. — S. 184
bis 201. Metz, Ch: Chromosome behavior and Genetic behavior in
Sciara (Diptera). In Uebereinstimmung mit zytologischen Befunden wird an
einem Merkmal (truncate) genetisch nachgewiesen, daß bei der Spermatogenese nur
die mütterlichen Eigenschaften (Chromosome) dem Spermatozoon verbleiben, die
väterlichen Eigenschaften (Chromosome) verlorengehen. — S. 202—231. Saller, K.:
Erblicher Rutilismus in der Malaiischen Inselwelt. Mitteilung
einiger Stammbäume und mikroskopischer Haaruntersuchungen. Kritische Besprechung
der bisherigen Theorien über Vererbung von Haarfarben (Plate, Hauschild,
Fischer) und über den Chemismus der Melaninbildung bei Wirbeltieren (Bloch,
Kreibich, Onslow, Przibram, Schmalfuß und Werner u. a.). „Es ist
zweifellos unmöglich, sich heute schon eine einigermaßen gesicherte Theorie über
die Pigmentbildung und besonders über ihre Vererbung beim Menschen zu bilden.“
— S. 232—278. Ankei, W. E.: Neuere Arbeiten zur Zytologiedernatür-
lichen Parthenogenese der Tiere. Sammelreferat. — S. 279—333. Waa-
ler, G. H. M.: Ueber die Erblichkeitsverhältnisse der verschie-
denen Arten von angeborener Rotgrünblindheit. Mit den Tafeln
von Ishihara und dem Nagelschen Anomaloskop sind 18121 Schulkinder beiderlei
Geschlechts, ferner eine große Zahl ihrer normalen und farbenblinden Verwandten
in Oslo untersucht worden. Für Knaben sind festgestellt: protanop, deuteranop,
protanomal je 1 %, deuteranomal 5 %, zusammen 8 %, für Mädchen zusammen % %.
Für jeden der vier Typen von Farbenblindheit nimmt Verf. einen besonderen Erb-
faktor an, welche alle im X-Chromosom lokalisiert sind. Protanopie und Protanomalie
sind Allelomorphe, ebenso Deuteranopie und Deuteranomalie. Protanomalie domi-
niert über Protanopie und Deuteranomalie über Deuteranopie. Frauen (Compounds),
Zeitschriftenschau. 123
welche neben einem Proto-Faktor einen Deutero-Faktor besitzen, sollen fast oder ganz
normalsichtig sein. Der Nachweis wird aber nur für den Fall Protanop-deuteranomal
geführt. — S. 334—367. Christie, W. und Wriedt, Chr: Charaktere bei der
Perückentaube, dem Kalottentümmler und dem Brünner Kröp-
fer. — S.368—401. Koßwig, C.: Ueber die Vererbung und Bildungvon
Pigment bei Kaninchenrassen. Untersuchung der Albinoserie (schwarz,
Chinchilla, dunkelsepia, hellsepia, Russen, Albino). Sechs multiple Allelomorphe. Ex-
perimentelle Beiträge zum Problem der Kälteschwärzung. Der Nachweis einer Oxy-
dase für Tyrosin in der Kaninchenlymphe konnte nicht erbracht werden. — S. 402
bis 403. Pellew, C.: The genetic behavior of Primula kewensis. —
S. 403—405. Mohr, O. L.: Carmine,anew sexlinkedeyecolorinDroso-
phila melanogaster. — Bd. 46. 1928. S. 1—86. V. Internationaler Kon-
greß für Vererbungswissenschaft, Berlin, 11. bis 17. Septem-
ber 1927. Programm, angemeldete Vorträge und eingegangene Referate. — S. 87
bis 111. Miche, Fr.: L’hérédité mendélienne des tumeurs chez
l’homme. Auf Grund der von Philiptschenko und Johannsen ausgebildeten mathe-
matischen Theorie der Spaltungsprozesse in einer Population bei Panmixie für den
monohybriden und dihybriden Fall berechnet Verf. aus den Zahlenangaben über
Geschwulsterkrankungen in Preußen für die Jahre 1921 und 1922 Uebereinstimmung
mit den theoretisch zu erwartenden Zahlen, wenn man annimmt, daß Bösartigkeit
über Gutartigkeit dominiert und Krebs durch einen besonderen dominanten Faktor
verursacht wird, der aber nur bei bösartigen Geschwüren wirksam ist. — S. 112
bis 187. Patschovsky, N.: Der Einfluß der Ernährung auf die Form-
bildung und den Entwicklungsrhythmus von Funaria hygro-
metrica (L.) Sibth. — S. 188—207. Yamane, J.: Ueber die „Atresia coli“,
eine letale, erbliche Darmmißbildung beim Pferde, und ihre
Kombination mit Gehirngliomen. Alle untersuchten 25 Fälle stammen
von einem Hengst „Superb“ ab. Die Anomalie besteht in totaler Unterbrechung
des Colon ascendens. Die Stammtafel weist auf monohybride Spaltung hin. Die
Heterozygoten sind von den normalen nicht zu unterscheiden. Rezessiver zygoti-
scher Letalfaktor. Koppelung der Atresia coli mit einer Gehirnmißbildung, welche
ebenfalls rezessiv letal auftritt. Crossing-over kommt wahrscheinlich vor, daher
auch Darmmißbildung ohne Gehirnmißbildung. — S. 208—228. Wriedt, Chr.: Der
Rassenbegriff für unsere Haustiere in genetischer und histo-
rischer Beleuchtung. Der alte konstruierte Reinzuchtbegriff (Standard) hat
keine Lebensberechtigung 'mehr. — S. 232—284. Bridges, C. B., and Gabritschevsky,
E.: The giant mutation in Drosophila melanogaster. — S. 285
bis 310. Grüneberg, H.: Die Vererbung der menschlichen Tast-
figuren. Besondere Anlagenkomplexe für jedes Fingerpaar. Mustertyp und Rich-
tung der Papillarmuster werden anscheinend von je zwei, Quantität der P.-M. durch
eine größere Anzahl polymerer Faktoren kontrolliert. Die Minutiae sind nicht erb-
lich. Keine Eignung der Papillarmuster für Vaterschaftsdiagnosen. — S. 311—318.
Weillsch, S: Ueber die Korrelation der Blutgruppen. Feststellung
einer schwachen negativen Korrelation zwischen den beiden Bluteigenschaften A und
B. — S. 318—332. Scheidt, W.: Zur Theorie der Auslese. Die Bedingungen
der „Mitauslese‘“ (Konselektion) werden untersucht. 1. Mitauslese durch Paarungs-
siebung (die Merkmale des nicht siebungswertigen Ehepartners werden mitgesiebt).
2. Mitauslese im Rassengemenge (auf Grund der verschiedenen Merkmalshäufung
auch ohne bestehende Korrelation dieser Merkmale). 3. Mitauslese bei teilweise
gleicher Erbbedingtheit verschiedener Merkmale. 4. Mitauslese durch gleichzeitige
124 Zeitschriftenschau.
Siebung mehrerer Merkmale auf Grund einer fiktiven Korrelation. — Bd. 47. 1928.
S. 1—53. Brieger, Fr: Ueber die Vermehrung der Chromosomen-
zahl bei dem Bastard Nicotiana tabacum L. N. Rusbyi Britt.
— S. 54—74. Sukatschew, W.: Einige experimentelle Untersuchun-
gen über den Kampf ums Dasein zwischen Biotypen derselben
Art. Versuchsobjekt Taraxacum officinale Web. 6 Biotypen (3 aus der Umgegend
von Leningrad, je 1 von Archangelsk, Wolodga, Askania Nova) werden in dichter
und undichter Kultur ausgepflanzt. Bemerkenswerte Ergebnisse sind: Diejenigen Bio-
typen, die bei undichten Kulturen den größten Prozentsatz Ueberlebender aufweisen,
können bei dichten Kulturen an letzter Stelle stehen. Nicht die örtlichen Biotypen
gingen in gemischten Kulturen als Sieger hervor, sondern die aus Wolodga und Ar-
changelsk. Der Lebenswetibewerb bei dichter, gemischter Kultur ist weniger scharf
als bei reiner Kultur einzelner Biotypen. — S. 75—79. Mareq, J. et Laurent, O.:
Etudes génétiques sur le lapin chinchilla. — S. 79—87. Grüneberg,
Hans: Untersuchungen über die Asymmetrie der Tastfiguren.
Idiotypische Bedingtheit der Asymmetrien wird aus Beobachtungen an eineiigen Zwil-
lingen erschlossen. Verf. nimmt nur einen Anlagekomplex pro Fingerpaar für rechts
und links an, der entweder symmetrische Muster oder Asymmetrie bedingt — S. 99
bis 124. Emme, H.: Karyologie der Gattung Secale L. — S. 125—146.
Kuntze, R: Genetische Analyse der Färbungsvariabilität des
Blattkäfers Melasoma aenea L. Zuchten in: kaltem-feuchtem, kaltem-
trockenem, mittlerem, heißem-feuchtem und heißem-trockenem Medium. Die in der
Natur an demselben Ort vorkommenden Phänotypen können durch das Vorhanden-
sein mehrerer Genotypen hervorgerufen werden, die außerdem durch die Variabilität
der Mediumfaktoren (in der Zeit) modifiziert werden. — S. 147—150. Constantinescu,
C. K: Ein rezessives Weiß beim Schwein. — S. 150—158. Koßwig, C.:
Ueber Kreuzungen zwischen den Teleostiern Xiphophorus Hel-
leri und Platypoecilus maculatus. — S. 159—179. Ubisch, L. v. Tier-
geographie und Kontinentalverschiebung. Sammelreferat. — S. 191
bis 260. Allgayer, H.: Genetische Untersuchungen mit Gartenkohl
(Brassica oleracea). — S. 261—269. Schmalfuß, H. und Barthmeyer, Hel.: Ueber
das Entstehen von Melaninen in Organismen. Fortsetzung der syste-
matischen Forschung nach: 1. den Stoffen, die Melanin in Organismen entstehen las.
sen, 2. den Bedingungen, unter denen sich Melanine bilden, mit Hilfe einer besonderen
Mikrotechnik. Nachweis des Dioxyphenylalanins als Melaninbildner im Tierreich (Mai-
käfer), Unterscheidung a) des Sarothamnustypus (viele Insekten, Fruchthülle der Roß-
kastanie, Fleisch des Apfels, der Birne, Gewebe mancher Pilze): Saure Reaktion,
schnelles Dunkeln bei Zutritt von Luftsauerstoff in der feuchten Kammer; b) des
Viciatypus: Ebenfalls saure Reaktion, nur langsames Dunkeln im Exsikkator. Starke
Beeinflussung der Melaninbildung durch Aenderung der Konzentration des Fermentes.
— S. 270—274. Kozhantsehikov, I: New biometricalinvestigationofthe
Phylloxera-Races. — S. 275—286. de Vries, H. and Gates, R. R.: A survey
of theculturesof Oenothera Lamarckianaat Lunteren., — S. 287.
Kaup, J.: KorrelativeVariabilitätdesNormaltypusundArterhal-
tung. Von seiner auf Nägelischen Anschauungen beruhenden, mehr spekulativ als
induktiv gewonnenen Auffassung von der Variabilität des Normaltypus, welche da-
durch gekennzeichnet ist, daß die extremen Varianten stets die Tendenz haben, zum
Normaltyp zurückzupendeln (Erweiterung des Hertwigschen Kernplasmarelations-
gesetzes auf die Totalität des Organismus), kommt Verfasser zu einer Ablehnung des
Lamarckismus und Selektionismus, aber auch des Drieschschen Entelechiebegriffes.
Zeitschriftenschau. 125
Die mitunter polemischen Ausfälle gegen die Faktorenlehre und selektive Rassen-
hygiene zeigen, daß Verf. dazu neigt, spekulativ gewonnene Betrachtungen höher zu be-
werten als auf experimenteller Basis gewonnene Ergebnisse. H. Duncker (Bremen).
Zeitschrift für klinische Medizin. 1928. Bd. 107, S. 113—132. Wegener, H.: Ueber
zwei Fälle von familiärer Hämochromatose. Von dem einen Fall
sollen Vater und zwei Brüder (nach anamnestischen Angaben) dasselbe Leiden ge-
habt haben. Bei dem zweiten Fall keine weiteren Fälle in der Familie. — Bd. 108,
S. 33—35. Umber, F. und Rosenberg, M.: Diabetes und Schwangerschaft.
Diabetische Frauen konzipieren nur in seltenen Fällen. Das Austragen der Schwanger-
schaft ist nach Ansicht der Autoren unter günstigen äußeren Bedingungen bei jeder
Zuckerkranken ohne Lebensgefahr für die Mutter möglich. Eine Unterbrechung er-
scheint den Verfassern gerechtfertigt: „1. Wenn es sich um einen Diabetes gravis mit
erheblicher Azidose handelt; 2. wenn die Schwangerschaft offensichtlich zu einer
deutlichen Toleranzschädigung bzw. Insulinmehrverbrauch führt; 3. wenn äußere
Umstände oder die soziale Lage die Vorbedingungen unmöglich machen, die für ein
risikoloses Ueberstehen der Gravidität gefordert werden müssen.“ — S. 90—99.
v. Bergmann, G.: Die vegetativ Stigmatisierten. — S. 100—109. v. Berg-
mann, G. und Goldner, M.: Die vegetativ Stigmatisierten und die
Reaktion nach Reid-Hunt. Das Wesen der Reaktion besteht darin, daß
weiße Mäuse durch Vorbehandlung mit Schilddrüsensubstanz oder Basedowblut gegen
die Vergiftung mit Azetonitril relativ giftfest werden. Beim echten Basedow wurde
die Reaktion stets positiv, bei Normalen stets negativ gefunden. Von 124 vegetativ
Stigmatisierten reagierten 91 positiv. — S. 378—386. Berliner, M.: Hochwuchs
und Breitenentwicklung. — S. 423—444. Stuber, B. und Lang, K.: Ueber
das Wesen der Hämophilie. Die Autoren sehen das Wesen der Hämophilie
in der gestörten Blutglykolyse. O. v. Verschuer (Berlin-Dahlem).
Zeitschrift für Konstitutionsiehre. (II. Abt. der Zeitschrift für die gesamte Ana-
tomie.) 1928. Bd. 14, S. 1—51. Saller, K.: Untersuchungen über die Kon-
stitutions- und Rassenformen an Turnern der deutschen Nord-
mark. Gelegentlich eines Kreisturnfestes in Flensburg wurden 114 Turner anthropo-
logisch untersucht. Die Untersuchungsbefunde sind variationsstatistisch sowie nach
konstitutionellen und rassischen Gesichtspunkten aufgearbeitet. — S. 52—70. Essen-
Möller, E.: Ueber angeborene Radiusdefekte, Ohrdefekte und
Fazialislähmungen anläßlich eines Falles von multiplen
Mißbildungen. Beschreibung eines Falles. Diskussion der möglichen Ursachen:
„innere“ erscheinen dem Verf. am wahrscheinlichsten. Familienuntersuchung fehlt. —
S. 71—76. Weinberg, W.: Zur Frage der Zwillingsvererbung. Bemerkun-
gen zu den Arbeiten von Curtius und v. Verschuer zu dieser Frage. W. hält
einen Einfluß des Vaters auf die Entstehung von zweieiigen Zwillingen für möglich,
statistisch aber noch nicht für erwiesen. — S. 129—211. Aschner, B.: Zur Erb-
biologie des Skelettsystems. Beiträge zur klinischen Konsti-
tutionspathologie XVIII. Umfassende literarische Studie über die Erblich-
keit folgender Anomalien des peripheren Bewegungsapparates: Polydaktylie, Syndak-
tylie, Ektrodaktylie, Bardet - Biedisches Syndrom, Akrozephalosyndaktylie, Mehrfach-
bildungen höheren Grades und Defekte langer Röhrenknochen und der Patella. —
S. 212—226. Diakonow, P. P.: Kopf und Rumpfinihren dynamischen
Beziehungen. (Anthropometrische Forschung) — S. 244—252
Orei, H.: Kleine Beiträge zur Vererbungswissenschafit. III. Mittei-
lung. Folgende kasuistische Beiträge: Stammbaum mit Synostosis metacarpi quarti et
quinti; vier männliche Glieder sind davon befallen: zwei Vettern, ihr Onkel und ein
126 Zeitschriftenschau.
Großvater. Familienuntersuchung bei einem Fall von Wachstums- und Entwicklungs-
exzeß; Fettsucht und Hochwuchs finden sich in der Verwandtschaft des Probanden
gehäuft. — Familientafel dreier Kretinengeschwister, deren Wachstumskurve abgebildet
wird. — S. 264—268. Borchardt, L: Ueber die Abgrenzung des Norm-
bereichs. — S. 271—332. Csörsz, K.: Statistische, konstitutionelle
und Vererbungs-Untersuchungen aus der ungarischen Tief-
ebene. Ergebnisse der erbbiologischen Untersuchung eines Dorfes von 1100 Ein-
wohnern: Tastbare Niere fand sich bei 40 % der Frauen und 5 % der Männer. Der
Einfluß der Vererbung steht dem Verf. „über allem Zweifel“. Costa decima fluctuans
fand sich bei männlichem und weiblichem Geschlecht gleich häufig (20,9 %); die
Eigenschaft scheint unregelmäßig dominant erblich zu sein. Ein Stammbaum zeigt
einfach dominant erbliche Verdoppelung des Daumens. — S. 333—346. Lemke, Ch.:
Kommen bei den Asthenikern und Tuberkulösen einzelne Blut-
gruppen besonders häufig vor? (Zugleich eine Studie über den
heutigen Stand der Blutgruppenforschung.) Bei 54 Asthenikern und
225 Schwertuberkulösen zeigte sich keine abweichende Blutgruppenverteilung gegen-
über der Durchschnittsbevölkerung. — S. 347—355. Orel, H.: Kleine Beiträge
zur Vererbungswissenschaft. IV. Mitteilung. Zwei Familienbeobachtungen
mit multiplen Mißbildungen. — S. 356—370. Westedt, A.: Anthropometrische
Untersuchungen an Akromegalen. — S. 410-429. Serebrowskaja, M.:
Die Bewertung der physischen Entwicklung und des morpho-
logischen Typus des Schulkindes. — S.447—460. Gerber, P.: Die kon-
stitutionelle und phthiseogenetische Bedeutung der Engbrust.
— S. 461-469. Mutschlechner, A.: Die Konstitutionslehre des Levinus
Lemnius aus dem Jahre 1561 im Lichte der modernen Medizin.
— S. 470-486. Moeblus, H.: Beiträge zur Kenntnis der Beziehungen
zwischen Rasse, somatischer und psychischer Konstitution.
Theoretische Auseinandersetzung mit den Begriffen „Konstitution“ und „Rasse“ und
mit deren Beziehung zueinander; zu kurzem Referat nicht geeignet. Anthropologische
Maße und psychische Daten über „28 männliche Probanden“. — S. 487—492. Grün-
baum, A.: Die Kopfbehaarung des Mannesim höheren Alter, ihre
Beziehungen zu den Altersstufen und zur Konstitution. Von 1000
über 40 Jahre alten Männern aus Wien wurde der Grad der Glatzenbildung, die Dichte
des Kopfhaares und der Grad des Ergrautseins bestimmt. Das Material ist in Alters-
stufen zu fünf Jahren und nach den Kretschmerschen Konstitulionstypen geordnet
dargestellt. — S. 493—498. Brezina, E.: Ueber die Körperbeschaffenheit
von Wiener Lehrlingen verschiedener Berufe.
O. v. Verschuer (Berlin-Dahlem).
Zeitschrift des Preußischen Statistischen Landesamtes. 66. Jg., 1926, S. 377.
Philippi, M.: Die Auswanderung und EinwanderunginPreußenim
Jahre 1925. Das Preußische Statistische Landesamt hat den dankenswerten Ver-
such gemacht, die bisher summarischen Nachweisungen der Regierungspräsidenten
vom 1. Januar 1925 ab zu einer regelrechten Statistik der Aus- und Einwanderung
auszubauen. Die Ergebnisse liegen nunmehr zum ersten Male in reicher Gliederung
vor, begleitet von ausführlichen Darlegungen über die Fehlerquellen. — 67. Jg. 1927/28.
S. 34. Wegner, C.: Die Gast- und Schankwirtschaften in Preußen
während der Jahre 1920 bis 1925. Die Grundtendenz ist eine der Volks-
gesundheit günstige. Erfreulich ist die erhebliche Zunahme der alkoholfreien Gast-
stätten, der allerdings eine Zunahme auch der Branntweinkleinhandlungen gegen-
übersteht. Der starken Fehlerquellen unterliegende mengenmäßige Vergleich ergibt
—
Zeitschriftenschau. 127
einen erheblichen Rückgang des Alkoholkonsums gegenüber dem Frieden, der aber
sich nur auf Bier und Branntwein bezieht und beim ersteren die unverkennbare
Tendenz zum Ausgleich hat. Schmidt (Fritzlar).
Zeitschrift für Sexualwissenschaft. Bd. XIV. 1927. Heft 1. S. 10—17. Burgdörfer, F.
(Berlin): Die Geschlechterproportionen und der Frauenüber-
schuß. Ein Frauenüberschuß ist lediglich in Europa festzustellen. Der Weltkrieg hat
das MiBverhältnis wesentlich verstärkt, besonders in den Großstädten. Die volle Be-
deutung für das Eheproblem wird erst klar, wenn man die Geschlechterproportion und
die einzelnen Altersgruppen, insbesondere für die Heiratsfähigen, untersucht. Die
schwerste Einbuße an Heiratschancen haben die ledigen Frauen im mittleren Alter
(23—37) erlitten. — S. 17—20. Pirkner, E. H. (Brooklyn, N. Y.): Praktische Er-
fahrungen über Präventivverkehr. Verf. gibt einen Ueberblick über das
Arbeitsgebiet der Zentrale der „American Birth Control League“, die es sich zur Auf-
gabe macht, Frauen des Mittelstandes unentgeltlich im Gebrauche präventiver Mittel
zu unterweisen. Der Bericht enthält Angaben über Methoden des Instituts, Zahl der
Besucher, ihre nähere Charakterisierung nach Nationalität, Familienstand, Kinderzahl,
Einkommen usw. — S. 49—72. Lillenthal, K. (Heidelberg): Sexualität und Straf-
recht. Unter Berücksichtigung soziologischer und völkerpsychologischer Gesichts-
punkte gibt Verf. einen internationalen Ueberblick über die rechtlichen Schranken
des Sexualverkehrs, die den Schutz der Frau, den Schutz der Jugend, widernatürliche
Unzucht, Kuppelei, Mädchenhandel, Entführung, Prostitution, Zuhältertum und Abtrei-
bung betreffen. — Heft 2. S. 72—84, Heft 3. S. 97—103. Scheuer, O. F. (Wien): Stu-
dentundStudentin. Verf. gibt eine historische Betrachtung zur Psychologie der
Geschlechter, die erkennen läßt, wie sich im Laufe der Zeit die Einstellung zum Frauen-
studium und der Typ der studierenden Frau geändert hat. Die Sexualkomponente wird
als eigentliches Zentralproblem, das mit dem Eintritt der Frau in das akademische
Leben beginnt, hervorgehoben. — Heft 3. S. 106—109. Fetscher, R. (Dresden): Aus
derPraxisder Eheberatung. Verf. berichtet eingehend über acht Einzelfälle
aus der Praxis der von ihm geleiteten Eheberatungsstelle in Dresden. Der Bericht läßt
in voller Schärfe erkennen, daß die einzelnen Ehekonsens-Probleme eine durchaus
individuelle Behandlung erfordern, und daß jede Schematisierung vermieden werden
muß, wenn die Eheberatung einen Gewinn für das Volksganze bedeuten soll. — Heft 44.
S. 136—142. Burgdörfer, F. (Berlin): Die berufliche und soziale Gliede-
rung der Verheirateten und der Unverheirateten. Nach den Ergeb-
nissen der Berufszählung vom 16. Juni 1925 leben heute fast zwei Drittel der Reichs-
bevölkerung in städtischen Gemeinden mit über 2000 Einwohnern, und jeder vierte
Deutsche lebt in einer Großstadt, d. h. in einer Stadt von über 100 000 Einwohnern.
In sozialer Hinsicht wird der höhere Anteil der Verheirateten unter der Gesamtbevölke-
rung hervorgehoben. Während bei der industriellen Arbeiterschaft eine Begünstigung
der Frühheirat zu beobachten ist, zeichnet sich die intellektuelle Oberschicht durch
ausgesprochene Spätheirat aus. — Heft 5. S. 161—167. Hersehan, O. (Breslau): H y p er-
trichosis beim weiblichen Geschlecht und ihre Beziehungen
zu Konstitutionsanomalien, Verf. erläutert die bei Hypertrichosis zu beob-
achtenden Konstitutionsanomalien an zehn Fällen aus der Praxis unter eingehender
Berücksichtigung der einschlägigen Literatur. Ungewöhnliche Behaarung bei Frauen
ist verbreiteter, als man für gewöhnlich annimmt; pathologische Erscheinungen finden
sich oft bei Hypertrichosis mit männlicher Schambehaarung, Lippenkinnbart, Behaarung
der Brust und der Warzenhöfe, des Dammes, Afters usw. Unter diesen konstitutionell
gestörten Hypertrichotikerinnen finden wir meist die dysplastischen Spezialtypen: Infan-
tile, Intersexe und Asthenikerinnen, doch braucht eine Störung der inneren Sekretion
nicht unbedingt vorhanden zu sein. — S. 178—182. Mittermaier, W. (Gießen): Gesetz
128 Zeitschriftenschau.
zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten. Als wesentlich hebt
Verf. besonders folgende Punkte hervor: den Zwang zur Untersuchung und Behand-
lung, der ein absolut allgemeiner wäre, die Strafbestimmung gegen die Gefährdung
durch den Beischlaf Geschlechtskranker, die Einführung der Gesundheits-
behörden, die Regelung der Gewerbeunzucht. H. 6, S. 205—206. Sehmidt-
Lambert, H. (Magdeburg): Mutterschaft und Erwerbstätigkeit. Zusam-
menfassung: Zunehmende Erwerbstätigkeit, verminderte Eheschließungen, Vermeh-
rung der illegitimen Verhältnisse, niedere eheliche Kinderzahl und vermehrte Ehe-
scheidungen stehen im unmittelbaren Kausalzusammenhang. Verf. verzichtet auf eine
wissenschaftliche Beweisführung seiner Feststellungen. — H. 9, S. 333—339. Burg-
dörfer, F. (Berlin: Frauenerwerbstätigkeit und Ehe. Der Anteil der
erwerbstätigen Frauen unter der gesamten weiblichen Bevölkerung stieg in der Zeit-
spanne 1882—1925 von 24,1 % auf 35,6 %. Exaktes Zahlenmaterial, welcher Anteil
den verheirateten Frauen an dieser Steigerung zukommt, lag zurzeit noch nicht vor.
— S. 346—347. Weißenberg, S. (Sinowjewsk): Die Türk menin. Eine von Dr. R u-
bin im Jahre 1926 unter 141 weiblichen verheirateten Personen des Kreises Kerki
vorgenommene Enquete zeitigte folgende Ergebnisse: Mittleres Alter des Menstrua-
tionsbeginnes 15% Jahre. 50 Prozent der befragten Frauen waren bereits vor ihrer
Geschlechtsreife verheiratet. Eintritt der Menopause mit durchschnittlich 45 Jahren.
Durchschnittliche eheliche Schwangerschaften 8, von denen ca. 10 % als Fehl-
geburten enden. Hohe Säuglingssterblichkeit, niedere Totgeburtenquote. Die schmale
Beobachtungsbasis schließt eine Verallgemeinerung der Ergebnisse aus. — H. 12,
S. 432—439. Fetscher, R. (Dresden): Gibt es familiäre Unterschiede der
Wahrscheinlichkeit für Knabengeburten? Es besteht eine gewisse
familiäre Neigung zur erhöhten Wahrscheinlichkeit für Knabengeburten. Als Arbeits-
hypothese kann an geschlechtsspezifisch gerichtete Abwehrstoffe der Mutter gedacht
werden, welche das Austragen von männlichen Früchten beeinflussen. Soziale und anthro-
pologische Differenzen der Knabenziffer sind zu vermuten. A. Kasten (Berlin).
Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft. 85. Band (1928). S. 21—53; 256 bis
272. Salz, A: Anmerkungen zu Werner Sombarts „Hochkapitalis-
m us“. S. sucht im Gegensatz zu Som bart dem Kapitalismus einen Sinn zu geben;
nicht eine pathologische Entartung des Erwerbswillens, sondern ein Anpassungs-
vorgang ist der Hochkapitalismus. „Kapitalismus ist weniger die Krankheit der Ge-
sellschaft, als vielmehr ein Heilungsversuch.“ Ein Ansatz zu dieser Betrachtung des
Kapitalismus sei das von Sombart stark vernachlässigte Bevölkerungsproblem,
dessen qualitative Seite S. wenigstens berührt. — S. 89—124. Michels, R.: Soziale
und politische Wissenschaften in Amerika. Nach M. spielt in der
amerikanischen Soziologie des Parteiwesens die Soziologie der Fremden eine bedeu-
tende Rolle; die ernsthafte Bezugnahme auf das angebliche politische Ziel des „mel-
ting pot“ und das souveräne Abtun des Ku-Klux-Klan als pathologischen Mummen-
schanzes stellen freilich M.s ungetrübten Blick in Zweifel. — S. 273—315. Liermann, H.:
Rasse und Recht (s. Referatenteil).. — S. 316-342. Winter, E. K.:
Bachofen-Renaissance. Die aufs neue an Bachofen anknüpfende Lite-
ratur der Mythen- und Religionsforschung könne zu einer synthetischen Soziologie
des Mutterrechts, d. h, „der frauen- und mutterrechtlichen Phänomene der Kultur-
geschichte“, führen. — S. 491—520. Schams, E.: Zur Geschichte und Beur-
teilung der exakten Denkform in den Sozialwissenschaften.
Vorwiegend dogmenhistorische Untersuchung. K. V. Mülller.
Benda jun. L., Urmenschlicher Kanni-
balenfund in Rabapüspoki (Kollarits) 78 keit in Deutschland (K. V. Müller) 9
Krecsmarik, E. Wie trepaniert der Tönnies, F., Soziologische Studien und
Hirt von Szarvas? (Kollarits) . i 79 Kritiken (K. V. Müller) . 92
Br yk, Felix, ee IR Max Mar- Schumpeter, Die sozialen Klassen
cuse, Berlin) . 80 im A atab aa Milieu i V.
Alons, C. L., Der erbiichà Faktor in Müller) . ME” i 92
der Aetiologie der Tuberkulose (Dr. M. Jahrbuch für IRTERERTEN u
A. van Herwerden, Utrecht) . 82 II. Bd., 1925/26 (K. V. Müller) . 94
Stieve, H., Unfruchtbarkeit als Folge
unnatürlicher Lebensweise (Just) . 83 a IE > a ioko er ie, III. Bd., 96
Stieve, H., Die Abhängigkeit der Keim-
drüsen vom Zustand des Gesamtkörpers a i a pena Grundriß der Alko- es
und von der Umgebung (Just) 84 8
Schugt, P., Experimentelle Unter- Ky 5 ast, Karl, ARONHR ui Dionysos
suchungen über Schädigung der Nach- (Lenz) ; à 101
kommenschaft durch Röntgenstrahlen Runge-Hecht, Frieda, Mütter ans) 102
(Priv.-Doz. Dr. O. v. Verschuer, Berlin-
Dahlem) . 87
Diehl, K., Schwangerschaft und Tuber- Notizen.
re (v. De ; A 88 | Das Merkblatt für Eheschließende . 103
on heim, Maria, Rationa EE er
Re (L. Gschwendt- nr ET (Ur Kara 105
ner, Linz ; 89 FR Fa i
Fürth, H., Die Schwangerschalisanter: a „ostischer Mensch” bei Ibsen 107
brechung und das a ii K.
V. Müller, Dresden) à . . 90 ! Zeitschriftenschau . 108
Neuerscheinung! i
OE > Er ee AE
Seite
Tönnies, F., Die eheliche Fruchtbar-
Der nordische Mensch
Die Merkmale der nordischen Rasse mit besonderer Be-
rücksichtigung der rassischen Verhältnisse Norwegens
Von Dr. Halfdan Bryn, Trondhjem
Mit 126 Abb. und 10 Karten. Geh. Mk. 9.—,
Lwd. Mk. 11.—
Im Mittelpunkt der meisten rassenkundlichen Erörterungen steht
heute die Frage nach Wesen und Herkunft der nordischen Rasse.
Diese Fragen sind schwer zu beantworten, solange man von den
Mischbevölkerungen in Mitteleuropa ausgehen muß.
Viel klarer werden die Dinge, wenn man die rassischen Verhältnisse
im Norden betrachtet, wo die nordische Rasse noch viel reiner und
weniger verstädtert erhalten geblieben ist.
Der Verfasser, Präsident der Kgl. Norweg. Gesellschaft der Wissen-
schaften und einer der führenden Anthropologen Norwegens, gibt
unter diesem Gesichtspunkt ein hochinteressantes Bild der norwegischen
Bevölkerung und ergänzt dadurch die bisherigen Vorstellungen vom
Wesen der nordischen Rasse in vielen wichtigen Punkten.
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rassenkundliche Seite des Problems. / Grundlagen für eine Untersuchung
des jüdischen Problems. / Land und Mensch im Orient, / Palästina —
Land und Leute. / Das Judentum in Alt-Palästina. / Das jüdische
Ghetto. / Die Erklärung der Jahwereligion auf landschaftskundlich-
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der Rassenforscher, Theologen und Politiker nach einer ganz neuen
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dienen hier als Schlüssel zu den Geheimnissen des Judentums. Dadurch
ist das Buch der Sphäre des Judenhasses und der Judenverherrlichung
entrückt. Die Eigenart des jüdischen Charakters in ihrer Abhängigkeit
von der orientalischen Landschaft und den orientalischen Lebensformen
wird ohne Voreingenommenheit nach irgendeiner Seite untersucht und
einleuchtend gemacht. Gerade so und nicht anders mußte sich das Juden-
tum entwickeln. Die wesentlichen Ausdrucksformen jüdischen Lebens,
die Jahwereligion und das Ghetto
werden eingehend unter Heranziehung vieler Bilder dargestellt. Der
Zweigeschlechterglaube als Urform der Naturreligionen bietet weitere,
ganz neuartige Gesichtspunkte für eine aufschlußreiche Betrachtung
der jüdischen Religionsvorstellungen.
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Dr. med. A. PLOETZ in Verbindung mit Dr. AGNES BLUHM, Professor
der Anthropologie Dr. EUGEN FISCHER, Professor der Rassenhygiene
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der menschlichen Rassenbiologie, einschließlich Fortpflanzungsbiologie und ihrer
praktischen Anwendung, der Rassenhygiene (einschließlich Eugenik), gewidmet. Die
allgemeine Biologie {Erblichkeit, Variabilität, Auslese, Anpassung) wird so weit berück-
sichtigt, als sie für die menschliche Rassenbiologie von wesentlicher Bedeutung ist.
Die erbliche Bedingtheit menschlicher Anlagen einschließlich der krankhaften wird
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Prof. Dr. Fritz Lenz oder Dr. Alfred Ploetz, beide in Herrsching bei München, erbeten.
Besprechungsstücke bitten wir ebenfalls an die Schriftleitung zu senden.
INHALTSVERZEICHNIS:
Seite Seite
Abhandlungen. ' Kleinere Mitteilungen.
Prißmann, Priv.-Doz. Dr. J. (Moskau).
Dahlberg, Dozent Dr. Gunnar (Upp-
sala). Theoretische Berechnungen über
Stammbaum einer Familie mit Base-
Inzucht beim Menschen. (Mit 9 Text- dowscher Krankheit. (Mit 1 Stamm-
abbildungen) . Si ER baum) ER E. wir
Dawidenkow, Prof. S. (Moskau). Kritische Besprechungen und Referate.
Ueber die Vererbung der Dystrophia
musculorum progressiva und ihrer
Unterformen. (Mit 10 Stammbäumen)
Mühlmann, cand. med. W. Emil
(Blankenese). Ein ungewöhnlicher
169
Koch, Frz. Ursprung und Verbreitung
des Menschengeschlechts ai Dr. W.
Scheidt, Hamburg) . b- %
v. Eickstedt, Dr. Egon. Xythropain.
gisch-Klinische Maßtafel (Dr. Hermann
Stammbaum über Taubstummheit. (Mit Eckardt, Charlottenburg) . . . . 210
1 Stammbaum) . 00.0. «188 | yv, Eickstedt, Dr. Egon. Archiv für
Weinberg, Sanitätsrat Dr. W. (Stutt- Rassenbilder (Eckardt) . . . 211
gart). Ueber die Berechnung der Fak- Baur F. Kotrelationsrechnung (Priv.-
torenaustauschziffer bei der KEN: Doz. O. v. Verschuer, Berlin-Dahlem) 213
penvererbung .. - . +18 | Curtius, F. Untersuchungen über das
Decker, stud. math. Gertrud (Gießen). menschliche Venensystem. I. bis III. Mit-
Ueber das Verhältnis von Schulleistung teilung (v. Verschuer) . . . . . 214
und Geschwisterzahl bei Volksschülern 191 a De ra Rai Pu and or-
ans iv.-Doz. Dr Arge-
Lenz, Prof. > Fritz und ne Lenz- ndar Jena). . . Zen mr ‚215
v. Borries (Herrsching). Zur Berei- H
Ä i : offmann, Fenian Charakter dB
nigung der Eheschließungsziffern . . 195 Umwelt (Argelander) . . . . . 46
Kern, Prof. Dr. Fritz (Bonn). Die Ras- Croner, Else. Die Psyche der eli
sen in der Vorgeschichte . : . 199 lichen Jugend (Argelander) . . . . 217
Fortsetzung auf der 3. Umschlagseite
.- nn
Theoretische Berechnungen über Inzucht beim Menschen.
Von Gunnar Dahlberg, Uppsala.
(Mit 9 Textabbildungen.)
Eingegangen am 19. September 1928*).
ern Inhalt:
I. Einleitung.
II. Der Einfluß der Inzucht auf eine Population.
a) Häufigkeit von Verwandtenehen durch Zufall.
b) Das empirische Vorkommen von Verwandtenehen.
c) Die erbliche Beschaffenheit der Nachkommen von Verwandtenehen.
d) Der Einfluß der Inzucht bei variierender Größe der Population.
e) Die Größe der Isolate.
f) Zusammenfassung.
Ill. Der Einfluß der Inzucht auf Verwandte von Merkmalsträgern.
IV. Die individuelle Gefahr bei Verwandtenehen.
I. Einleitung.
Bei Tieren und Pflanzen hat man sowohl durch theoretische Berech-
nungen als auch durch Experimente feststellen können, daß Inzucht erhöhte
Homozygotie herbeiführt. Besonders Tierzüchter wollen gefunden haben,
daß die Inzucht, falls sie hochgradig ist, allmählich Schwächung der
Lebenskraft, Verringerung der Fruchtbarkeit, Verkürzung der Lebensdauer
usw. mit sich bringe. Man hat geltend gemacht, diese Erscheinungen be-
ruhten auf der erhöhten Homozygotie, welche bewirke, daß ungünstige
rezessive Anlagen in größerem Ausmaße zutage treten, und man hat ver-
schiedentlich bestritten, daß die „Inzuchtschwächung“ eine spezifische
Folge der Inzucht sei. Falls der betreffende Stamm keine ungünstigen An-
Jagen enthalte, könne man Inzucht ohne Gefahr betreiben; und in der Tat
hat man durch Experimente zu zeigen vermocht, daß intensive und lang-
dauernde Inzucht in gewissen Fällen ohne ungünstige Wirkung stattfinden
konnte. Es ist übrigens klar, daß es, wenn es sich um solche Eigenschaf-
ten wie Fruchtbarkeit und allgemeine Lebenstauglichkeit usw. handelt,
schwer ist, auszuschließen, daß eine eventuelle Verschlechterung in gewis-
sen Fällen nicht auf irgendeinem Umwelteinflusse beruht, wie etwa auf
schlechterer Fütterung, weniger guter Pflege, Mangel an Vitaminen u. dgl.
*) Anmerkung der Schriftleitung: Auf ausdrücklichen Wunsch des
Verfassers ist die Arbeit, die für ein Preisausschreiben eingereicht war, erst im Som-
mer 1929 zum Druck gegeben worden.
Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie, Bd. 22, Heft 2, 9
130 Gunnar Dahlberg:
Beim Menschen hat man bis jetzt noch kein Beispiel dafür gefunden,
daß der Inzucht eine allgemein schwächende Wirkung zukomme. Die In-
zucht erreicht übrigens beim Menschen niemals so extreme Grade, wie sie
durch Tier- und Pflanzenexperimente hervorgebracht werden können. Da-
her besteht in dieser Arbeit keine Ursache, zu der Frage, ob die Inzucht
an und für sich schädliche Folgen habe, Stellung zu nehmen. Wenn wir es
im folgenden unternehmen, die Bedeutung der Inzucht für den Menschen
zu behandeln, so gehen wir also davon aus, daß die einzigen Folgen, die
wir in Betracht zu ziehen brauchen, diejenigen sind, welche aus den Ver-
hältnissen bei der Vererbung mendelnder Anlagen abgeleitet werden kön-
nen. Von den Mendelschen Regeln ausgehend, versuchen wir zu berechnen,
welche Bedeutung die Inzucht für den Menschen hat. Die Resultate, die wir
auf diese Weise erhalten, besitzen freilich bei weitem nicht jene Zuver-
lässigkeit, die empirisches Konstatieren mittels des Experiments oder ähn-
liche Wege gewähren. Jedoch hat man ja durch eine Menge von Unter-
suchungen empirisch zeigen können, daß die Mendelschen Regeln auch
für den Menschen gelten. Diese Tatsache enthält bis zu einem gewissen
Grade auch eine empirische Bestätigung derjenigen Schlüsse, welche im
folgenden gezogen werden. Hat man empirisch gezeigt, daß die Mendel-
schen Regeln auch für den Menschen Geltung besitzen, so muß man natür-
lich auch solche Schlußsätze anerkennen, die man von diesen Regeln aus-
gehend logisch durch theoretische Berechnungen erhält. Soweit die theo-
retischen Ergebnisse auf empirischem Wege kontrolliert werden können,
wird eine solche Prüfung hoffentlich von der zukünftigen Forschung aus-
geführt werden. Um aber eine derartige empirische Verifikation der Folgen
der Inzucht für den Menschen auf Grund der Mendelschen Regeln aus-
führen zu können, ist es notwendig, in erster Linie theoretisch klarzustellen,
welche Folgen zu erwarten sind.
Wenn man die Erblichkeitsverhältnisse des Menschen untersuchen
will, geht man am besten von der Voraussetzung aus, daß Kreuzungen in
einer Population zufällig geschehen, daß Panmixie vorliege. Diese Voraus-
setzung gilt sicher in vielen Fällen mit befriedigender Genauigkeit. Davon
ausgehend hat der Verfasser Probleme der Populationszusammensetzung
von verschiedenen Gesichtspunkten aus behandelt (Dahlberg 1926,
Hultkrantz und Dahlberg 1927).
Indessen liegt natürlich nicht immer vollständige Panmixie vor. Ab-
weichungen von den Resultaten, die man auf Grund von zufälliger Kreu-
zung erhalten würde, können auf verschiedene Weise zustande kommen.
Erstens können Abweichungen durch Selektion verursacht werden. Die
in bezug auf ihre Erblichkeit verschiedenen Arten von Individuen können
sich verschieden schnell fortpflanzen. Die Wirkung der Selektion ist am
gründlichsten von Haldane 1924 mathematisch behandelt worden. Ohne
Theoretische Berechnungen über Inzucht beim Menschen. 131
Kenntnis seiner uns damals nicht zugänglichen Arbeit sind wir in den bei-
den obenzitierten Arbeiten zu ähnlichen Resultaten gekommen, Eine an-
dere Ursache der Abweichung von Panmixie ist das Vorkommen von Iso-
lierungsgrenzen einer Bevölkerung. Diesbezügliche Probleme sind in einer
soeben erschienenen Arbeit behandelt worden (Wahlund 1928). Iso-
lierungsgrenzen können geographischer Art sein, Berge, Wälder, Flüsse
usw., oder sozialer Art. Eine Person, die einer gewissen Gesellschafts-
klasse angehört, heiratet öfter innerhalb ihrer eigenen Klasse als innerhalb
einer höheren oder niedereren Gesellschaftsklasse. Von diesen Gesichts-
punkten aus betrachtet, kann man eine Population als aus Teilpopula-
tionen bestehend betrachten, innerhalb welcher zufällige Kreuzung statt-
findet. Diese Teilpopulationen werden wir im folgenden Isolate nennen.
Es ist ja klar, daß solche Isolatgrenzen keine Abweichungen von dem,
was man bei Panmixie zu erwarten hat, verursachen, wenn die Popu-
lation auf beiden Seiten dieselbe durchschnittliche Beschaffenheit hat. Es
ist auch klar, daß wenn Kreuzung mehr oder weniger über die Isolatgrenzen
hinaus stattfindet, der Unterschied zwischen den Teilpopulationen der Iso-
late auf beiden Seiten der Grenzen allmählich verschwindet. Die Beschaf-
fenheit der Population nähert sich immer mehr den bei Panmixie ein-
tretenden Zuständen. In Wahlunds Arbeit wird die Frage der Wirkung
der Isolatgrenzen behandelt und untersucht, unter welchen Verhältnissen
man von diesem Standpunkt aus betrachtet das Recht hat, anzunehmen,
daß Panmixie, zufällige Kreuzung, in der Praxis mit befriedigender Ge-
nauigkeit vorliege. Eine dritte Ursache der Abweichung von den Verhält-
nissen bei zufälliger Kreuzung ist Inzucht.
Man kann sich auch andere Ursachen von Abweichungen denken.
Träger von Merkmalen gewisser Art gehen vielleicht besonders oft Ehen
miteinander ein. In der Praxis dürften indessen die obengenannten drei
Ursachen die wichtigsten sein. In dieser Arbeit werden wir nun versuchen,
die Bedeutung der Inzucht in menschlichen Populationen klarzustellen.
Die Wirkung der Inzucht bei Tieren und Pflanzen ist mathematisch
von verschiedenen Forschern behandelt worden*). Dabei ist man von be-
stimmten Kreuzungen, zum Beispiel der zwischen zwei Heterozygoten, aus-
gegangen. Man hat extreme Inzucht, Selbstbefruchtung, Kreuzung zwischen
Geschwistern usw. angenommen. In einigen Fällen hat man ferner vor-
ausgesetzt, daß gleichzeitig Selektion stattfinde und daß unerwünschte
Merkmalsträger, z. B. rezessive Homozygoten, von der Fortpflanzung aus-
geschaltet werden. In menschlichen Populationen sind ja die Verhältnisse
auf diesem Gebiet ziemlich verschiedenartig. Die Inzucht geschieht bei den
Menschen mehr zufällig, erreicht niemals einen so hohen Grad und ist mit
*) Vgl. H. Federley, 1927. Diese Arbeit enthält ein ausführliches Literatur-
verzeichnis.
g*
132 Gunnar Dahlberg:
systematischer Selektion im allgemeinen nicht verbunden. Eine ausführ-
lichere theoretische Klarstellung der Wirkungen der Inzucht beim Men-
schen dürfte nicht vorhanden sein. Durch Analogien in den Verhältnissen
der Tier- und Pflanzenwelt ist man ja zu einigen Schlußsätzen gekommen.
Es ist klar, daß eine rezessive Anlage durch Verwandtenehen leichter zu
Homozygotie zusammentrifft und daß die Entstehung rezessiver Merkmals-
träger durch Verwandtenehen begünstigt wird. Für die Stärke und für die
Bedeutung der Verwandtenehen hat man jedoch kein Maß. Deshalb hat
man auch kein Maß dafür, welche Arten von Verwandtschaftsehen unter
gegebenen Verhältnissen Bedeutung haben können. Es ist weiter klar, daß
Ehen zwischen näher verwandten Personen für die Entstehung von Homo-
zygoten mehr bedeuten als Ehen zwischen Individuen, die miteinander
entfernter verwandt sind. Da man sich jedoch über den Grad der Einwir-
kung der Inzucht keine Vorstellung gebildet hat, hat man auch keine be-
stimmten Grenzen zwischen jenen Arten von Verwandtenehen ziehen
können, die in der Praxis Bedeutung haben und jenen anderen, deren
Einwirkung in einem gewissen Zusammenhang als verschwindend klein
betrachtet und daher vernachlässigt werden können. Die Grenzen der „Ver-
wandtenehen“ werden von den verschiedenen Forschern verschieden weit
gefaßt; und man kann sich von diesem Gesichtspunkt aus nicht darüber
verwundern. Meine Absicht ist, im folgenden bestimmtere Maße des Grades
der Inzucht in verschiedenen Beziehungen zu erhalten. Bezüglich der
Methodik bei Vererbungsuntersuchungen des Menschen hat Lenz be-
rechnet, wie oft erwartet werden kann, daß Verwandtenehen zwischen
Eltern von rezessiven Merkmalsträgern vorkommen, wenn Merkmalsträger
mit größerer oder geringerer Häufigkeit in der Bevölkerung vorhanden sind
(Lenz 1919). Es hat sich gezeigt, daß diese Klarstellung für die Methodik
der Vererbungsforschung große Bedeutung hat. Inzucht kann für die
Methodik der Vererbungsforschung jedoch auch in anderen Beziehungen
Bedeutung haben.
Eine menschliche Population kann in bezug auf Erblichkeit von fol-
genden Gesichtspunkten aus betrachtet werden:
1. Man kann die Population als Ganzes betrachten und zu wissen
wünschen, wie eine gewisse Inzuchthäufigkeit die Zusammensetzung der
Bevölkerung, mit Panmixie verglichen, ändert.
2. Man kann einen Merkmalsträger zum Ausgangspunkt nehmen und
die Beschaffenheit seiner Verwandten untersuchen, um zu erfahren, wie
ein gewisser Grad von Inzucht die Beschaffenheit der Verwandten, mit
Panmixie verglichen, ändert und wie oft Inzucht bei seinen Eltern vor-
kommt (vgl. oben).
3. Man kann sich auf den Standpunkt eines einzelnen Individuums
stellen und davon ausgehen, daß unter seinen Verwandten eine gewisse
Theoretische Berechnungen über Inzucht beim Menschen. 133
Anzahl von Merkmalsträgern, eine gewisse Anzahl von Nichtmerkmals-
trägern und eine gewisse Anzahl Verwandter von unbekannter Beschafien-
heit vorhanden ist. Man will wissen, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist,
daß seine Kinder Merkmalsträger werden, wenn er sich mit jemandem
verheiratet, der mit ihm nicht verwandt ist, und wie groß die Wahrschein-
lichkeit ist, wenn er sich mit einem Verwandten verheiratet.
Wir werden im folgenden diese Probleme behandeln, indem wir vor
allem von den Verhältnissen bei monohybrider Erblichkeit ausgehen.
II. Der Einfluß der Inzucht auf eine Population.
Beim Aufstellen von Formeln für das Vorkommen von Heterozygoten
und von rezessiven resp. dominanten Homozygoten einer einfachen men-
delschen Anlage in einer Population geht man am besten von der Be-
schaffenheit der Gameten aus. Wir nehmen an, daß eine rezessive Erb-
anlage R mit der Häufigkeit r in einer Population vorkommt und daß ent-
sprechende dominante Anlagen D in den Gameten der Population mit der
Frequenz d vorkommen. In diesem Fall ist natürlich r + d = 1. Unter Vor-
aussetzung, daß R- und D-Gameten zufällig zusammentrefien, müssen die
drei verschiedenen Zygotenkombinationen folgende Frequenz bekommen:
Rezessive Homozygoten (RR) r?
Heterozygoten (RD) 2 rd
Dominante Homozygoten (DD) d?
Diese Ausdrücke ermöglichen die Berechnung der Zusammensetzung
einer Population, wenn man weiß, wie groß der Teil der Bevölkerung ist,
den die rezessiven oder die dominanten Merkmalsträger bilden. Mit Hin-
sicht auf die dabei im übrigen herrschenden Verhältnisse möge auf die
Arbeit von Hultkrantz-Dahlberg, 1927, hingewiesen werden. Ich
will bloß betonen, daß bei zufälliger Kreuzung und monohybrider Erblich-
keit, wenn keine Selektion stattfindet, die Zygoten- und Gametenzusam-
mensetzung der Bevölkerung von Generation zu Generation immer kon-
stant bleibt. Bei polyhybrider Erblichkeit kann die Zygotenzusammenset-
zung in gewissen Fällen geändert werden (vgl. Wahlund, 1928). Der
Gengehalt bleibt jedoch von Generation zu Generation auch bei polyhybri-
der Erblichkeit unverändert, wenn keine Selektion mitwirkt.
Die konstante Zusammensetzung der Population nach obigen For-
meln bei monohybrider Erblichkeit setzt indessen, wie schon erwähnt
wurde, zufällige Kreuzung voraus. Bei solcher Kreuzung findet natürlich
auch zufällige Inzucht in gewissem Ausmaße statt. Theoretisch wird sogar
vorausgesetzt, daß Geschwisterehen und Ehen zwischen Eltern und Kin-
dern möglich sind. In Wirklichkeit kommen natürlich Geschwisterehen
und Ehen zwischen Eltern und Kindern niemals vor. Hingegen sind an-
dere Verwandtenehen, z. B. Ehen zwischen Geschwisterkindern tatsächlich
134 Gunnar Dahlberg:
häufiger, als ein zufälliges Zusammentreffen von Individuen in einer Be-
völkerung bedingen würde. Man weiß ja a priori, daß Inzucht die Zahl der
Homozygoten erhöht und die Zahl der Heterozygoten vermindert und so-
mit, vom Standpunkt der Merkmalsträger aus betrachtet, die Zahl rezes-
siver Merkmalsträger erhöht und die Zahl dominanter Merkmalsträger ver-
ringert. Daß Geschwisterehen und Ehen zwischen Eltern und Kindern nicht
vorkommen, bringt also eine Verringerung der Zahl rezessiver Merkmals-
träger mit sich. Eine erhöhte Häufigkeit anderer Verwandtenehen führt
dagegen eine Erhöhung der Zahl rezessiver Merkmalsträger herbei. Diese
beiden Faktoren heben einander daher bis zu einem gewissen Grade auf.
Um uns eine Vorstellung von dem Ergebnis bilden zu können, müssen wir
zuerst versuchen, uns ein Bild davon zu machen, wie oft zufällig Inzucht
zustande kommen müßte. Danach werden wir versuchen, uns eine Vor-
stellung über das wirkliche Vorkommen von Verwandtenehen zu bilden
und ferner klarzustellen trachten, welche Bedeutung die verschiedenen
Arten von Verwandtenehen haben.
a) Häufigkeitvon Verwandtenehen durch Zufall.
Da es in einer Population Geschwisterkreise, Geschwisterkinder usw.
gibt, müssen Verwandtenehen mit größerer oder geringerer Häufigkeit ent-
stehen, auch wenn man voraussetzt, daß Ehen zufällig geschlossen werden.
Wir werden nun versuchen, uns eine Vorstellung davon zu bilden, wie oft
solche Verwandtenehen verschiedenen Grades zufällig geschlossen werden.
Wir nehmen an, daß die Population n Individuen umfaßt und daß wir
im Durchschnitt c Individuen in jeder Familie haben. Hierbei haben wir
nur mit den Individuen zu rechnen, die Ehen schließen, da es sich darum
handelt, die Ehehäufigkeit zu berechnen. Wenn wir uns nun vorstellen, daß
wir von einem, aufs Geratewohl gewählten Individuum der Population
ausgehen, so besitzt dieses Geschwister, mit welchen es sich verhei-
raten kann. Das Individuum kann sich natürlich nur mit den Geschwistern
verheiraten, die dem anderen Geschlecht angehören, und wir nehmen an,
daß wir ebenso viele männliche als weibliche Individuen in der Population
haben. Die Zahl der Individuen, mit welchen es sich überhaupt verheiraten
kann, ist Sina. und die Wahrscheinlichkeit, daß unter solchen Verhält-
nissen eine Geschwisterehe geschlossen wird, ist
cl
n—i
Aus der Berechnung geht hervor, daß wir auf die Geschlechtsver-
schiedenheit keine Rücksicht zu nehmen brauchen. Diese wirkt wie ein
selektives Moment und verhindert die Ehe in demselben Maße, wenn es
sich um Verwandte handelt wie um Individuen der Population überhaupt.
Theoretische Berechnungen über Inzucht beim Menschen. 135
Die Wahrscheinlichkeit für Ehen zwischen Kindern und Eltern be-
rechnen wir, indem wir annehmen, daß die Elterngeneration aus n Indivi-
duen besteht. Wenn die Zahl der Kinder von Generation zu Generation
konstant bleibt, so wird die Zahl der Individuen in der Kindergeneration
En und folglich
nn + =n
Deshalb ist
2n
= rc
der ganzen Population und die
Also bildet die Elterngeneration 5 i r
=
57 „der ganzen Population.
Wenn wir also ein Individuum aufs Geratewohl aus der Population
2 Wahrscheinlichkeit, daß es der Eltern-
2-+c
generation angehört, und das Individuum selbst hat z : j Wahrscheinlich-
. keit, sich mit einem seiner Kinder zu verheiraten. Indessen haben wir
natürlich mit der entgegengesetzten, Möglichkeit zu rechnen, das heißt, daß
die Person, von der wir ausgehen, der Generation der Kinder angehört und
daß der Mensch, mit dem sie sich verheiratet, zur Elterngeneration gehört.
Deshalb wird die Wahrscheinlichkeit einer Ehe zwischen Kindern und
Eltern verdoppelt oder: %c
"te, (n-I)
Die Wahrscheinlichkeit der Ehe zwischen Elterngeschwistern und
Kindern ihrer Geschwister (Onkel und Nichte, Tante und Neffe) wird von
demselben Ausgangspunkt aus berechnet. Wir haben die Wahrscheinlich-
Kindergeneration bildet
herausgreifen, so haben wir
, ein Individuum von der Elterngeneration zu treffen. Dieses hat
keit a
2-+c
(c — 1) Geschwister und folglich c (c — 1) Geschwisterkinder und deshalb
wird die Aussicht auf eine Ehe zwischen Elterngeschwistern und Kindern
ihrer Geschwister: 2c(c—1)
"Ren
Wir haben nämlich auch hier mit der doppelten Möglichkeit zu rech-
nen, zuerst auf ein Individuum der älteren Generation zu treffen, welches
sich mit einem der jüngeren Generation verheiratet, und außerdem die
Möglichkeit, auf ein Individuum der jüngeren Generation zu treffen, das
mit einem Individuum der älteren Generation eine Ehe schließt.
Wir wollen endlich die Wahrscheinlichkeit der Ehe zwischen Ge-
schwisterkindern, Vettern ersten Grades, berechnen. Wenn wir ein Indivi-
136 Gunnar Dahlberg:
duum aufs Geratewohl aus einer Population herausgreifen, so wissen wir,
daß es 2c (c—1) Geschwisterkinder hat. Die ganze Zahl der Individuen.
mit denen es sich verheiraten kann, ist (n— 1). Deshalb wird die Wahr-
scheinlichkeit einer Ehe zwischen Geschwisterkindern:
2c(c—])
n—1l `
Die Wahrscheinlichkeit anderer Verwandtenehen wird analog berech-
net. So ist z. B. die Wahrscheinlichkeit einer Ehe zwischen Vettern ersten
Grades und Vettern zweiten Grades:
4c°?(c—]1)
2a+rom-i)
Die Wahrscheinlichkeit einer Ehe zwischen Vettern zweiten Grades
wu 4 cè (c—1)
(n-1)
Die generelle Formel für Ehen zwischen Verwandten, welche dersel-
ben Generation angehören, ist:
2.c(c—1)
(n-1) ”
wobei c die Zahl der Kinder, n die Zahl der Individuen der Population und
g die Zahl der Generationen darstellt, welche die Verwandten von den ge-
meinsamen Stammeltern trennt. Die Generation der Stammeltern und ihre
eigene Generation ist dabei nicht mitgerechnet. Die generelle Form der zu-
fälligen Häufigkeit von Ehen zwischen Verwandten, welche durch eine
Generation getrennt sind, ist (von Ehen zwischen Kindern und Eltern ab-
gesehen) | 29.09 (1) |
(F2) n-1)
wobei g die Zahl der Generationen, welche die letzte Generation von den
Stammeltern trennt, darstellt. Die eigene Generation und die der Stamm-
eltern ist nicht mitgerechnet.
Die Formeln zeigen, daß, je weiter man die Verwandtschaft rechnet,
desto gewöhnlicher die Verwandtenehen werden und daß alle Ehen als Ver-
wandtenehen betrachtet werden können, wenn man sich die Verwandt-
schaft genügend weit ausgedehnt denkt. Zu demselben Schlußsatz kommt
man bekannterweise durch Ueberlegungen bezüglich der Zahl der Ahnen
und des Ahnenverlustes, der vorausgesetzt werden muß, weil die Anzahl
der Ahnen nach einer ziemlich geringen Anzahl von Generationen, nach
rückwärts gerechnet, andernfalls unerhört hohe Werte erreichen würde.
Derselbe Schluß folgt auch bis zu einem gewissen Grade aus der Entwick-
lungslehre. Aus dieser Ueberlegung geht hervor, daß man von Panmixie
2
Theoretische Berechnungen über Inzucht beim Menschen. 137
ausgehen muß, wenn man einen festen Ausgangspunkt für Vergleiche fin-
den will, um den Einfluß eines gewissen Grades von Inzucht festzustellen.
Man kann ja nicht von einer Bevölkerung ausgehen, wo Inzucht nicht vor-
kommt, da alle Ehen im Grunde Inzuchtehen sind.
Diese Formeln geben, wenn man von etwas schematisierten Voraus-
setzungen ausgeht (abgesehen vom Einflusse des Altersunterschiedes und
von der Variabilität der Kinderzahl der verschiedenen Familien), die
Wahrscheinlichkeit, daß bei zufälliger Kreuzung Verwandtenehen ver-
schiedenen Grades geschlossen werden. Die Formeln der höheren Grade der
Inzucht haben miteinander gemeinsam, daß sich, wenn die Kinderzahl im
Verhältnis zur Größe der Population sehr klein angenommen wird, die
Wahrscheinlichkeit einer zufälligen Verwandtenehe 0 nähert. Indessen
werden die Ziffern, wenn die Population begrenzter angenommen wird,
nicht so niedrig, als daß sie ohne weiteres a priori vernachlässigt werden
könnten. In beigefügter Tabelle 1 werden, ausgehend von der Annahme,
Tabelle 1.
Berechnete Häufigkeit von Verwandtenehen bei Panmixie und bei zunehmender
Populationsgröße, wenn die Zahl der Kinder jeder Ehe zwei resp. drei ist.
00T O O Elerngeschwister IL 00000000
Geschwisterehen Eltern X Kinder Se Kinder : Geschwisterkindereben
Größe der 7 olo ihrer Geschwister %o
Population %
2 Kinder | 3 Kinder | 2 Kinder | 3 Kinder 2 Kinder 3 Kinder | 2 Kinder 3 Kinder
50| 2 4 4 4,8 4 9,6 8 24
100 1 2 2 2,4 2 4,8 4 12
300 0,33 0,66 0,66 0,8 0,66 1,6 1,33 4
500 0,2 0,4 0,4 0,48 0,4 0,96 0,8 2,4
1 000 0,1 0,2 0,2 0,24 0,2 0,48 0,4 1,2
5 000 0,02 0,04 0,04 0,048 0,04 0,096 0,08 0,24
10 000 0,01 0,02 0,02 0,024 0,02 0,048 0,04 0,12
100 000 | 0,001 | 0,002 0,002 0,0024 0,002 0,0048 0,004 0,012
1 000 000 | 0,0001| 0,0002) 0,0002| 0,00024 0,0002 | 0,00048 0,0004 0,0012
daß 2 bzw. 3 Kinder das Heiratsalter erreichen und Ehen schließen, die
Häufigkeiten einiger Arten von Verwandtenehen bei verschiedenen Größen
der Populationen angegeben. Wir sehen aus dieser Tabelle, daß, wenn bei-
spielsweise die Kinderzahl per Familie 2 ist und die Population aus 500
Individuen besteht, die Frequenz der zufälligen Geschwisterehen 0,2 %, der
Ehen zwischen Eltern und Kindern und der Ehen zwischen Eltern-
geschwistern und Kindern ihrer Geschwister je 0,4% und der Ehen zwi-
schen Geschwisterkindern 0,8% wird. Wenn man hingegen die Popula-
tionsziffer mit 10000 Individuen und die Kinderzahl mit 3 Stück festsetzt,
so wird die entsprechende Ziffer für Geschwisterehen 0,02%, für Ehen
zwischen Eltern und Kindern 0,024 %, zwischen Elterngeschwistern und
Kindern ihrer Geschwister 0,048% und für Ehen zwischen Geschwister-
138 Gunnar Dahlberg:
kindern 0,12%. Aus diesen Ziffern geht hervor, daß man, wenn die Be-
völkerung nicht sehr groß ist, erwarten kann, bei Panmixie einen nicht
ganz unbedeutenden Prozentsatz von Verwandtenehen zu finden. Daß wir
bei diesen Berechnungen das Alter der Individuen nicht berücksichtigt
haben, dürfte die prinzipielle Richtigkeit dieser Behauptung nicht auf-
heben. Daß die Häufigkeit von Verwandtenehen in einer Population unter
sonst gleichen Umständen von der durchschnittlichen Familiengröße ab-
hängt, erhellt ohne weiteres aus unseren Formeln.
b) Dasempirische Vorkommen von Verwandtenehen.
Wir wollen nun zur Auseinandersetzung über einige Angaben über-
gehen, die bezüglich des tatsächlichen Vorkommens von Verwandtenehen
verschiedener Bevölkerungen zugänglich sind. Es ist jedoch nicht unsere
Absicht, eine eingehende Uebersicht über das Ziffernmaterial auf diesem
Gebiete zu geben. Wir wollen nur empirische Ausgangspunkte für unsere
Berechnungen erhalten. In der offiziellen Statistik einiger Länder werden
Angaben über die Frequenz von Verwandtenehen verschiedener Art ge-
geben. Eine Zusammenstellung darüber gibt Tabelle 2. Aus diesen Ziffern
Tabelle 2.
Verwandtenehen in Frankreich, Bayern und Preußen.
Ehen zwischen
Eltern- Ehen zwischen
Anzahl geschwistern | Geschwister-
Land der Ehe- | u, Kindern ihrer kindern
schließungen Geschwister
Anzahl 0, Anzahl | °%
Frankreich
1876—1900 | 7086 567 5121 | 0,072 |67 587 | 0,95
1901—1910 | 3047 183 1629 | 0,054 |26 404 | 0,87
Bayern
1879 — 1899 811 277 584 | 0,072 | 4 710 | 0,58
Preußen
1875—1899 | 5922 439 3546 | 0,060 |34 762 | 0,59
geht hervor, daß die Frequenz von Ehen zwischen Geschwisterkindern
zwischen 0,5 und 1% variiert und daß die Frequenz von Ehen zwischen
Elterngeschwistern und Kindern ihrer Geschwister etwa 0,075 % erreicht.
Lenz hat die Frequenz von Verwandtenehen mit folgendem Prozent-
satz angenommen (Lenz, 1919):
Elterngeschwister X Kinder ihrer Geschwister 0,06 %
Ehen zwischen Geschwisterkindern 1 %
Geschwisterkinder X Vettern 2. Grades 0,3 %
Vettern 2. Grades X Vettern 2. Grades 1 %
W ulz (1925) hat 42 Gemeinden in einem Gebiet nordwestlich von
München während der Jahre 1848—1922 untersucht und Ziffern gefunden,
Theoretische Berechnungen über Inzucht beim Menschen. 139
die mit denen von Bayern ziemlich übereinstimmen. (Ehen zwischen Ge-
schwisterkindern 0,6 %, zwischen Elterngeschwistern und Kindern ihrer
Geschwister 0,01% von 16182 Ehen.)
Spindler (192) hat die Frequenz der Inzucht in drei württember-
gischen Dörfern untersucht. Unter 453 Ehen findet er keine zwischen
Elterngeschwistern und Kindern ihrer Geschwister. Die Ehen zwischen Ge-
schwisterkindern betragen 1,8 + 0,8%, zwischen Geschwisterkindern und
Vettern zweiten Grades 0,7 + 0,4% und zwischen Vettern zweiten Grades
7,1 + 12%.
Reutlinger (1922) hat Ziffern über Inzucht bei Juden in Hohen-
zollern mitgeteilt. Von 117 Ehen gehörten 82 einer Stadt mit 1320 Indivi-
duen und 35 Ehen einer Stadt mit 4320 Individuen an. Die Frequenz der
Ehe zwischen Geschwisterkindern war 16,2 % und der Ehe zwischen Ander-
geschwisterkindern 2,6 %. Diese Angaben hat Reutlinger durch Ausfragen
der Kontrahenten erhalten. Sie sind für die entfernteren Verwandtschafts-
grade verhältnismäßig unsicher.
Diese Ziffern stimmen mit dem überein, was wir nach unseren obigen
Formeln zu erwarten haben, nämlich daß die Häufigkeit von Verwandten-
chen in kleinen Populationen größer ist als in großen Populationen. Auf
Grund der empirischen Ziffern dürften wir in Uebereinstimmung mit
Lenz die Frequenz von Ehen zwischen Geschwisterkindern mit 1% und
die Frequenz von Ehen zwischen Elterngeschwistern und Geschwister-
kindern mit 0,7% (eine etwas höhere Ziffer als Lenz berechnet hat) fest-
setzen können. Es ist klar, daß diese Ziffern, die sich ja hauptsächlich auf
die offizielle Statistik Westeuropas beziehen, keinen Anspruch auf absolute,
allgemeine Gültigkeit machen können. Die Verhältnisse sind natürlich in
den verschiedenen Populationen verschieden. Da eingehendere statistische
Untersuchungen fehlen, dürften wir indessen berechtigt sein, die Ziffern
unseren Berechnungen zugrunde zu legen.
c) Die erbliche Beschaffenheit der Nachkommen
von Verwandtenehen.
Bei den folgenden Berechnungen gehen wir von den Formeln der Zu-
sammensetzung der Bevölkerung aus, die oben S. 133ff. angegeben wurde.
Wir nehmen also an, daß eine rezessive Anlage die Wahrscheinlichkeit r
und ein rezessiver Merkmalsträger folglich die Wahrscheinlichkeit r? hat.
Wir berechnen zuerst die wahrscheinliche Zusammensetzung der Nach-
kommen von Ehen zwischen Kindern und Eltern. Wenn wir von einer
solchen, aufs Geratewohl gewählten Ehe und von einem der elterlichen
Gene ausgehen, das wir ebenfalls aufs Geratewohl wählen, hat also dieses
Gen die Wahrscheinlichkeit r, R zu sein. Wir fragen uns nun, welche Wahr-
scheinlichkeit besteht, daß dieses Gen in homozygotischer Form mit sich
140 Gunnar Dahlberg:
selbst bei den Nachkommen zusammentrifft. Die Wahrscheinlichkeit, daß
dieses Gen von einem der Eltern die Nachkommen direkt erreicht, ist +/3.
(Vgl. Abb. 1.) Die Wahrscheinlichkeit, daß das Gen die Kinder erreicht, die
sich mit einem ihrer Eltern verheiraten, ist ebenfalls
OO 1/3, und die Wahrscheinlichkeit, daß das Gen von die-
sem Kind die Nachkommen erreicht, ist wieder ,,
also zusammen !/,-1, = t/a Die Wahrscheinlichkeit,
daß das Gen mit sich selbst zusammentreffen wird,
Nri
das heißt, gleichzeitig sowohl direkt auf einen Nach-
kommen als über ein Kind auf einen Nachkommen
übergehen wird, wird also 1/1, = tha.
Nun haben wir inzwischen vier verschiedene Gene
der Eltern, welche alle als Ausgangspunkt für ein
Abb. 1.
Eie sachen rund Hnd. solches Zusammentreffen dienen können. Die Wahr-
e mit zw nien vereinig- O Í A j A
ten Kreise stellen ein Gen- Scheinlichkeit wird dadurch vervierfacht und die
Ponp TON Aussicht eines Zusammentreffens ist daher 4- 1/5 = +/2.
Die Wahrscheinlichkeit, daß das Ausgangsgen Träger der rezessiven An-
lage wird, war inzwischen r. Deshalb wird die Wahrscheinlichkeit, daß
ein Gen mit sich selbst bei den Nachkommen zusammentrifft, so daß wir
einen rezessiven Merkmalsträger erhalten, */, - r. In der übrigen Hälfte der
Fälle, wo ein Gen nicht mit sich selbst, sondern mit einem Gen zusammen-
trifft, das von einem anderen Ausgangsgen abstammt, muß man rezessive
Merkmalsträger ebensooft bekommen, wie man bei zufälligem Zusammen-
treffen von Genen einer Bevölkerung Merkmalsträger erhält, d. h. in r? Fäl-
len. Wir müssen also in der Hälfte der Fälle Merkmalsträger in r° Fällen
erhalten, also mit einer Wahrscheinlichkeit von’ tj} r°. Die ganze Wahr-
scheinlichkeit für Merkmalsträger unter den Nach-
kommen einer Ehe zwischen Kindern und Eltern v
wird also
1/3 r+ 1/, r.
Wir wollen nun die Wahrscheinlichkeit der
Zusammensetzung der Nachkommen einer Ge-
schwisterehe berechnen (vgl. Abb. 2). Wenn wir Np4\ Ne 2
von einem Gen der Eltern ausgehen, hat dieses
1/3 Wahrscheinlichkeit, bei einem der Kinder, und
ı/, Wahrscheinlichkeit, bei den Enkeln aufzutreten. A
Die Aussicht, daß dieses mit sich selbst Zu- Ehe zwischen Geschwistern.
sammentreffen wird, ist also %/ - t/a = te. Wir en
haben hier indessen vier Ausgangsgene und die Wahrscheinlichkeit r,
daß eines von ihnen Träger der rezessiven Anlage sein wird. Die Wahr-
scheinlichkeit, daß ein rezessives Gen mit sich selbst bei den Enkeln zu-
sammentrefien und: einen rezessiven Merkmalsträger bilden wird, ist also
Theoretische Berechnungen über Inzucht beim Menschen. 141
4 r-!a=4hı r. In den übrigen drei Vierteln der Fälle können wir Merk-
malsträger dadurch erhalten, daß R-Gene, die von verschiedenen Ausgangs -
genen herstammen, zu RR-Kombinationen zusammentrefien. Dies geschieht
in r2 Fällen, da der Gehalt der R-Gene
der Ausgangspersonen derselbe wie in der o
Bevölkerung, das heißt im Durchschnitt
= r sein muß. Die ganze Wahrscheinlich-
keit rezessiver Merkmalsträger für die EEE
Nachkommen einer Geschwisterehe ist also: TO
Har + hare. Nei Eg Nr2
Bei der Berechnung der Wahrschein-
lichkeit der Merkmalsträger unter den
Nachkommen von Ehen zwischen Eltern-
geschwistern und Kindern ihrer Ge-
schwister gehen wir von den Eltern der QO
Elterngeschwister aus (vgl. Abb. 3). Ein =
Gen dieser Eltern hat die Wahrscheinlich- Ehe zwischen en der Eltern und
keit ila, bei einem der Elterngeschwister, Kindern ihrer Geschwister. Vgl. Abb. 1.
und die Wahrscheinlichkeit ?/, bei einem der Nachkommen wieder auf-
zutreten. Dasselbe Gen hat die Wahrscheinlichkeit ?/,, die Eltern der Ge-
schwisterkinder, die Wahrscheinlichkeit */,, eines der Geschwisterkinder,
und die Wahrscheinlichkeit t/s, deren Nachkommen zu erreichen. Die
Wahrscheinlichkeit, daß ein Gen
| mit sich selbst bei den Nachkom-
men zusammentreffen wird, wird
also t/s t/a und wir haben wie ge-
wöhnlich die Wahrscheinlichkeit
oO G Do 4r, daß das Gen Träger der An-
lage sein wird. Wenn wir auch in
diesem Fall auf Merkmalsträger
Rücksicht nehmen, welche durch
das Zusammentreffen von Genen
entstehen, welche Träger der An-
lage sind, aber von verschiedenen
Ausgangsgenen herstammen, wird
Abb. 6. also die Wahrscheinlichkeit rezes-
Ehe zwischen Geschwisterkindern. Vgl. Abb. 1. siver Merkmalsträ ger unter Nach-
kommen von Ehen zwischen Elterngeschwistern und Geschwisterkindern
tlar + "ar. |
Wir wollen endlich die Zusammensetzung der Nachkommen einer Ehe
zwischen Geschwisterkindern berechnen (vgl. Abb. 4). Ein Ausgangsgen hat
die Wahrscheinlichkeit +/+, eines der Kinder, die Wahrscheinlichkeit *,,
Nr3 Nr4
142 | Gunnar Dahlberg:
eines der Enkel, das heißt der Geschwisterkinder, und die Wahrscheinlich-
keit ?/,, die Andergeschwisterkinder zu erreichen. Die Wahrscheinlichkeit,
daß dieses mit sich selbst zusammentriflt, ist also ?/s-*/s. Da wir auch jetzt
vier Ausgangspunkte haben, ist die Wahrscheinlichkeit eines Zusammen-
treffens eines der vier Gene *ıs. Die Wahrscheinlichkeit, daß es sich in
diesen Fällen, wo ein Gen mit sich selbst zusammentrifft, um ein Gen han-
delt, das die Anlage trägt, ist dieselbe wie in der Bevölkerung im allgemei-
nen = r, und wir bekommen also Merkmalsträger auf Grund des Zusam-
mentreffens von R-Genen, welche in %,.r Fällen von demselben Ausgangs-
gen herstammen. In den übrigen *5/, erhalten wir Merkmalsträger, die dar-
auf beruhen, daß Gene, die zu verschiedenen Ausgangsgenen gehören (und
natürlich nicht nur von den gemeinsamen Großeltern herstammen), zufällig
miteinander zusammentrefien. Dies muß natürlich mit derselben Häufigkeit
geschehen, wie ein solcher Prozeß in der ganzen Bevölkerung stattfindet,
das heißt, in r2 Fällen und das Schlußresultat wird, daß die Gesamtwahr-
scheinlichkeit rezessiver Merkmalsträger unter den Kindern einer Ehe
zwischen Geschwisterkindern ist: |
arten
Auf ähnliche Weise wird berechnet, daß die Wahrscheinlichkeit rezes-
siver Merkmalsträger unter den Nachkommen von Ehen zwischen Ge-
schwisterkindern und Vettern zweiten Grades
r alr
32 t732”
und ferner, daß die Wahrscheinlichkeit rezessiver Merkmalsträger unter den
Nachkommen von Ehen zwischen Vettern zweiten Grades ist:
r 63r?
ara
Wenn wir diese Formeln betrachten, so finden wir, daß generell die
Häufigkeit von Merkmalsträgern unter den Nachkommen von Verwandten-
ehen durch folgende Formel ausgedrückt werden kann:
wo r die Häufigkeit der rezessiven Anlage der Population und s eine Zahl
ist, die angibt, wie viele Zwischenstationen das Gen zwischen dem Aus-
gangsgen und den Nachkommen passiert. Bei Ehen zwischen Eltern und
Kindern ist s also = 1, bei Geschwisterehen = 2, bei Ehen zwischen Eltern-
geschwistern und Geschwisterkindern = 3. Die Zahl der Zwischenstatio-
nen, das heißt der Individuen, durch welche das Gen passieren muß, um
mit sich selbst zusammenzutreffen, geht ja klar aus den Abbildungen her-
Theoretische Berechnungen über Inzucht beim Menschen. 143
vor, die wir unseren Berechnungen beigefügt haben, wo diese Zwischen-
stationen numeriert sind.
Durch diese Formel haben wir ein Maß für die Zunahme der rezes-
siven Homozygoten (die Frequenz der RR-Individuen), welche durch ver-
schiedene Art von Inzuchtehen bedingt wird. Es ist ja klar, daß die domi-
nanten Merkmalsträger (DD + DR-Individuen) mit derselben Anzahl ab-
nehmen, wie die rezessiven Merkmalsträger zunehmen. Die Zunahme der
dominanten Homozygoten (DD-Individuen) wird erhalten, indem man die
Häufigkeit der dominanten Anlage in die Formel einsetzt, Durch Summie-
rung der Zunahme rezessiver und dominanter Homozygoten wird die Ver-
minderung der Heterozygoten erhalten.
Man möge sich indessen daran erinnern, daß durch Inzucht allerdings
die Zahl der Homozygoten vermehrt und die Zahl der Heterozygoten ver-
mindert, der Gengehalt hingegen nicht verändert wird. Die Inzuchtehen
sortieren nur gleiche Gene in größerem Ausmaße als Panmixie zusammen,
verändern jedoch nicht den prozentuellen Gen-Gehalt der Bevölkerung.
Daraus folgt, daß, wenn die „Inzucht‘ aufhört, wir wieder die Bevölke-
rungszusammensetzung bekommen, die man bei Panmixie zu erwarten hat.
Die Inzucht beeinflußt nur die Nachkommen verwandter Personen, die
Ehen schließen. Wenn die Nachkommen sich mit nichtverwandten Indi-
viduen der Bevölkerung verheiraten, wird der Einfluß der Inzucht auf-
gehoben. Wenn sie selbst aber eine Inzuchtehe eingehen, wird die Wir-
kung einigermaßen erhöht. Die Kontrahenten einer solchen Ehe sind auf
mehrere Arten verwandt. DieGene haben verschiedene Möglichkeiten, mit sich
selbst zusammenzutrefien. Solche Ehen müssen indessen verhältnismäßig
selten sein, weshalb ich davon abstehe, Formeln für solche komplizierteren
Formen von Inzucht aufzustellen. Aus dieser Auseinandersetzung geht her-
vor, daß abgeschlossene Inzuchtehen früherer Generationen keinen Einfluß
haben. Inzucht hat nur auf die Nachkommen einer Inzuchtehe Einfluß, und
nur Bedeutung in dem Punkt der Bevölkerung, wo Inzucht stattfindet.
d\)DerEinflußderInzuchtbeivariierenderGröße
der Population.
Wir haben nun die verschiedenen Ausgangspunkte erhalten, die wir
brauchen, um die Bedeutung der Inzucht für die Zusammensetzung einer
Population festzustellen. Wir bekommen ein Maß dieser Bedeutung, wenn
wir von der Zusammensetzung der Population bei Panmixie ausgehen, die
Erhöhung der Zahl der Merkmalsträger subtrahieren, die in dieser auf Grund
der Geschwisterehen und der Ehen zwischen Eltern und Kindern enthalten
sein müßte und die eventuelle Erhöhung hinzufügen, die wir auf Grund von
anderen Arten von Verwandtenehen erhalten, wenn diese Verwandtenehen
in größerem Ausmaße als es bei Panmixie der Fall sein sollte, vorkommen.
144 Gunnar Dahlberg:
Wir haben früher gezeigt, daß zufällig Verwandtenehen mit verschwin-
dend geringer Häufigkeit auftreten, wenn die Population sehr groß an-
genommen wird, z. B. eine Million erreicht. In diesem Fall brauchen wir
also nur auf den positiven Einfluß der tatsächlich vorkommenden Ver-
wandtenehen Rücksicht zu nehmen. Wenn wir in diesem Falle annehmen,
daß Ehen zwischen Elterngeschwistern und Geschwisterkindern mit der
Häufigkeit P, und Ehen zwischen Geschwisterkindern mit der Häufigkeit Pa
vorkommen, hat also die Bevölkerung in (1—P;—P.) Fällen die normale
Zusammensetzung und in P, Fällen die Zusammensetzung, die durch die
Formel für die Kinder der Ehen zwischen Elterngeschwistern und Ge-
schwisterkindern, in P, Fällen die Zusammensetzung, die durch die Formel
für die Kinder der Ehen zwischen Geschwisterkindern ausgedrückt wird.
Durch Summierung dieser Ausdrücke erhalten wir also die Zusammen-
setzung der Population unter den angenommenen Verhältnissen, und durch
Verminderung des Ganzen durch r? bekommen wir die Erhöhung des Pro-
zentsatzes der Merkmalsträger mit Panmixie verglichen. Die Formel der
Erhöhung wird also:
P P
(1-P,-P,)r+ y (e+7r?) -+ tet 15 r?) — r?.
Diese gibt:
2P tP,
16
Wir benützen die Ziffern der empirischen Häufigkeit von Ehen zwi-
schen Elterngeschwistern und Geschwisterkindern (0,07 %) und der Ehen
zwischen Geschwisterkindern (1%), die wir oben als Normalziffer auf-
gestellt haben, und setzen diese Werte in unsere Formel ein. Wenn die
Anlage die Frequenz r hat, wird also die Erhöhung auf Grund dieser
Verwandtschaftsehen 0,0007125 (r—r?). Aus diesem Ausdruck, ebenso aus der
vorhergehenden, mehr generellen Formel, geht hervor, daß die Erhöhung
der Häufigkeit der rezessiven Merkmalsträger sich 0 nähert, wenn sich
die Häufigkeit der Anlage 0 nähert. Die Erhöhung wird größer, wenn r
wächst, und erreicht ihr Maximum, wenn r=*/, ist, um wieder auf 0
zu sinken, wenn r=1 ist. Die maximale Erhöhung wird mit den angenom-
menen Häufigkeiten der Verwandtenehen 0,0178 %, d. h. sie ist so niedrig,
daß sie kaum statistisch festgestellt werden kann. Setzen wir für die
Häufigkeit der Verwandtenehen höhere Ziffern, so bekommen wir natür-
lich höhere Werte der Erhöhung. Auch wenn man die beiden Prozentzahlen,
mit denen wir gerechnet haben, verzehnfacht, wird indessen die absolute
Erhöhung nur 0,178 %, d. h. sie bleibt nach wie vor so niedrig, daß wir
kaum auf sie Rücksicht zu nehmen brauchen. Außerdem möge man sich
daran erinnern, daß wir mit r=!/, gerechnet haben und also Maximal-
erhöhung bekommen haben. Wenn es sich um eine seltene Anlage han-
r-r).
Theoretische Berechnungen über Inzucht beim Menschen. 145
delt, wird natürlich die Erhöhung verschwindend klein. Um dies zu demon-
strieren, wird eine Tabelle (Tab. 3) über die Erhöhung des Prozentsatzes
Tabelle 3.
Erhöhung des Prozentsatzes rezessiver, monohybrider Merkmalsträger bei steigender
Häufigkeit einer rezessiven Anlage in einer Population, wo nur Ehen zwischen Ge-
schwisterkindern geschlossen werden.
Erhöhung des
Häufigkeiteiner| Häufigkeit der | Gehaltes an Merk-
Anlage in einer !Merkmalsträger| malsträgern einer
Population jeinerPopulation| Population, wo nur
in Prozenten bei Panmixie | Geschwisterkinder-
eben stattfinden
Erhöhung des
Häufigkeiteiner| Häufigkeit der | Gehaltes an Merk-
Anlage in einer |Merkmalsträger| malsträgern einer
Population }einerPopulation| Population, wo nur
in Prozenten | bei Panmixie |Geschwisterkinder-
ehen stattfinden
rezessiver Merkmalsträger einer Bevölkerung gegeben, wo nur Ehen zwi-
schen Geschwisterkindern stattfinden; auch zwei Diagramme (Abb. 5 u. 6)
veranschaulichen dies. Die Ziffern werden bei verschiedenen Häufigkeiten
der rezessiven Anlage angegeben, ebenso der entsprechende Prozentsatz
2%
0 0 5 30: s9 3 6&0 MM 30 90 NO
Abb. 5.
Erhöhung der Häufigkeit monohybrider, rezessiver Merkmalsträger in einer Population,
in welcher nur Geschwisterkindereben geschlossen werden, im Vergleich mit Panmixzie
bei zunehmendem Anlagengehalt. Der Maßstab in vertikaler Richtung ist zehnmal größer
als in horizontaler Richtung, um die Kurve deutlicher zu machen.
2%
0 W 20 30 40 50 60 70 80 90 700%
Abb. 6.
Erhöhung der Häufigkeit monohybrider, rezessiver Merkmalsträger in einer Population,
in welcher nur Geschwisterkinderehen geschlossen werden, im Vergleich mit Panmixie bei
zunehmendem Prozentsatz von Merkmalsträgern. Der Maßstab in vertikaler Richtung ist
zehnmalgrößer alsin horizontaler Richtung, um die Kurvedeutlicher zumachen.
rezessiver Merkmalsträger bei Panmixie. Durch Addierung des Prozent-
satzes der Merkmalsträger bei Panmixie mit dem entsprechenden Prozent-
satz der Erhöhung wird der Prozentsatz der Merkmalsträger einer Bevöl-
Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie, Bd. 22, Hett 2. - 10
146 Gunnar Dahlberg:
kerung, wo nur Ehen zwischen Geschwisterkindern geschlossen werden,
erhalten. Die Erhöhung wird aus der Formel für Ehen zwischen Geschwi-
sterkindern (S. 142) berechnet und wird also durch Verminderung von
r 157
16 +76 um r? erhalten. Die Formel der Erhöhung wird also = (r—r?).
Will man aus dieser Tabelle z. B. die Erhöhung bei 1% Ehen zwischen
Geschwisterkindern erhalten, so wird die Erhöhungszahl durch 100 divi-
diert. Eine Betrachtung der Tabelle (wenn man in Erinnerung behält,
welche Häufigkeiten und Grade von Inzuchtehen für menschliche Popu-
lationen als wahrscheinlich angesehen werden können) dürfte mehr als
Worte zeigen, daß Erhöhung der Häufigkeit rezessiver Merkmalsträger auf
Grund von Inzucht in menschlichen Populationen niemals eine erwähnens-
werte Rolle spielt.
Wir haben also bewiesen, daß Verwandtenehen derjenigen Art und
derjenigen Häufigkeiten, die in menschlichen Populationen vorkommen,
keine wesentlich größere Häufigkeit rezessiver Merkmalsträger bzw. keine
statistisch bemerkbare Verminderung der Häufigkeit dominanter Merkmals-
träger verursachen können, wenn die Population sehr groß ist. Es ist ja
klar, daß, da die Erhöhung bei Inzucht in entfernteren Verwandtschafts-
graden als in Ehen zwischen Geschwisterkindern bedeutend geringer ist
(bei Ehen zwischen Geschwisterkindern und Vettern zweiten Grades halb
so groß und bei Ehen zwischen Vettern zweiten Grades ein Viertel so groß
wie bei Ehen zwischen Geschwisterkindern), kein Grund vorhanden ist,
unsern Beweis auch für diese Verwandtschaftsgrade durchzuführen.
Ich will indessen hervorheben, daß, wenn wir hier und im vorher-
gehenden behaupten, daß Inzucht ziemlich bedeutungslos ist, dies aus-
schließlich vom populationsstatistischen Standpunkt aus gilt. Die Erhöhung
der Zahl rezessiver Merkmalsträger, welche durch Inzuchtehen verursacht
wird, kann kaum einen so hohen Grad erreichen, daß sie in statistischer
Beziehung eine nennenswerte Rolle spielen kann. Hingegen kann, wenn
die Bevölkerung sehr groß ist, die Zahl der Merkmalsträger, welche auf
der Erhöhung durch Inzucht beruht, absolut gesehen, nicht allzu klein sein.
Wenn es sich um ein Land mit einer Bevölkerung von vielen Millionen
handelt, kann ein gewisser Grad von Inzucht, im Vergleich mit einem
anderen Lande, das eine geringere Inzuchtfrequenz aufweist, eine Er-
höhung der Zahl gewisser Merkmalsträger verursachen. Obwohl diese
Erhöhung kaum statistisch nachweisbar ist, kann sie doch mehrere hundert
Individuen erreichen. Wenn auch diese Zahl im Vergleich mit der Größe
der Bevölkerung verschwindend klein ist, bedeuten doch diese Individuen,
wenn es sich um eine ernstere Krankheitsanlage handelt, für die Kranken
und die Angehörigen viel Leiden und für das Gemeinwesen nicht geringe
Kosten.
Theoretische Berechnungen über Inzucht beim Menschen. 147
Unser Beweis gilt indessen nur für sehr große Populationen. Es ist ja
nicht ausgeschlossen, daß wir, wenn wir mit kleineren Populationen rech-
nen und auf die ausgebliebene Wirkung der Ehen zwischen Geschwistern
und zwischen Eltern und Kindern Rücksicht nehmen, eine negative Wir-
kung bekommen würden, einen Zuwachs der Heterozygoten auf Grund der
ausgebliebenen Verwandtenehen, mit Panmixie verglichen. Wir werden
daher auch die Verhältnisse kleinerer Populationen untersuchen, indem
wir unsere Formeln für die Häufigkeit der Verwandtenehen verwenden.
Wir nennen ferner die ausgebliebene, zufällige Häufigkeit von Geschwister-
ehen pı, von Ehen zwischen Eltern und Kindern ps, von Ehen zwischen
Elterngeschwistern und Geschwisterkindern ps und von Ehen zwischen
Geschwisterkindern p4. Die empirische Häufigkeit von Ehen zwischen Eltern-
geschwistern und Geschwisterkindern bezeichnen wir mit P, und die em-
pirische Häufigkeit von Ehen zwischen Geschwisterkindern mit P,. Die
Formel für die Erhöhung des Gehaltes rezessiver Merkmalsträger der Popu-
lation wird in diesem Fall:
0P, Pit pt p ee ger +77) + Per+1sr
= & (r+r2)—p, r|- E (+37) pr] Ba
Dies gibt:
2P,+P,—- (&p,+4p,+2p,+P,) (r— r?)
16 i
Dieser Ausdruck ist 0, d. h. die Inzucht ist ohne Wirkung, wenn
2P,+P,=8p,+4p,+2p,+Pp,
oder
2c+18c?+12c—16
2P,+P= or om
Von einer gegebenen, empirischen Häufigkeit der Verwandtenehen aus-
gehend und eine gewisse durchschnittliche Kinderzahl annehmend, können
wir also die Größe der Population berechnen, bei welcher wir nicht die
geringste Wirkung der Inzucht bekommen. Ist die Population größer als
die berechnete Gleichgewichtslage, so bekommen wir einen Zuwachs der
Zahl der Homozygoten, der rezessiven Merkmalsträger. Auch in den gün-
stigsten Fällen, d. h. wenn die Population sehr groß ist, wird indessen
diese Zunahme, wie wir früher gezeigt haben, sehr klein. Die Gleich-
gewichtslage, die aus der Formel berechnet werden kann, befindet sich
indessen höher als es in Wirklichkeit der Fall ist. Beim Aufstellen der
Formel der Häufigkeit zufälliger Verwandtenehen haben wir ja angenom-
men, daß der Altersunterschied, der tatsächlich zwischen Eltern und Kin-
10*
148 Gunnar Dahlberg:
dern und Elterngeschwistern und Geschwisterkindern besteht, auf keinerlei
Weise hemmenden Einfluß habe. Tatsächlich muß dieser Altersunterschied
aber auch bei zufälliger Kreuzung mit sich bringen, daß die Wahrschein-
lichkeit solcher Arten von Ehen bedeutend geringer wird, als die Formeln
angeben. Mit Anwendung obiger Formel erhalten wir daher eine obere
Grenze für die Gleichgewichtslage. Wir bekommen einen zu hohen Wert.
Wenn wir annehmen, daß wir „normale“ Häufigkeit der Inzucht haben
und die Kinderzahl zwei ist, so findet man, daß sich die Gleichgewichts-
lage bei 2104 Individuen, d. h. bei einer Population von ungefähr 2000
befindet. Dies ist also die obere Grenze der Gleichgewichtslage. Wenn wir
nun statt dessen damit rechnen, daß wir nicht Ehen zwischen Eltern und
Kindern und Elterngeschwistern und Geschwisterkindern zufällig bekom-
men würden, so erhalten wir folgende Formel für die Erhöhung:
(LP, -P +p) +2 (r+7r) +P: ee (r+15 r) — Betr pr |.
Dies gibt:
a ı BB (r—r).
Dieser Ausdruck ist 0, wenn
2P,+P,=8p,+Pp,
oder wenn
2c?+6c—8
nl `
Aus dieser Formel bekommen wir für die Gleichgewichtslage einen
zu niedrigen Wert. Setzen wir die Zahl der Kinder mit zwei fest, so be-
findet sich die Gleichgewichtslage bei 1052 Individuen, d. h. bei einer
Population von ungefähr 1000 Individuen.
Durch diese Berechnungen haben wir also gefunden, daß Inzucht bei
„normaler“ Häufigkeit ohne Einfluß ist, d. h. keine Abweichung von Pan-
mixie hervoruft, wenn die Größe der Population irgendwo zwischen 1000
und 2000 Individuen liegt. Einer gewissen, gegebenen Inzuchtshäufigkeit
entspricht also eine bestimmte Populationsziffer, bei welcher diese Inzucht
wirkungslos ist. Umgekehrt entsprechen natürlich auch einer gewissen
Populationsziffer bestimmte Inzuchtshäufigkeiten, die vorhanden sein müs-
sen, damit man behaupten kann, daß Panmixie vorliegt und damit man
jene Anzahl von Merkmalsträgern erhält, die aus den Formeln für Pan-
mixie berechnet werden. Eine eigentümliche Folge davon ist, daß wenn
zwei Bevölkerungen mit demselben Gehalt von Anlagen Panmixie haben
und vereinigt werden und die Inzuchthäufigkeit der erhaltenen Population
dieselbe wie in der Ausgangspopulation ist, man in der großen Population
eine etwas größere Anzahl von Merkmalsträgern bekommt, als man. zu-
sammen in der Ausgangspopulation hatte. Eine andere Eigentümlichkeit
2P,+P,=
Theoretische Berechnungen über Inzucht beim Menschen. 149
ist, daß wenn eine Population nur aus einer Geschwisterschar besteht,
man durch Geschwisterehen die Anzahl der Merkmalsträger erhält, die man
durch zufällige Ehen in einer Population, die aus mehreren Geschwister-
kreisen besteht und denselben Gehalt von Anlagen hat, erhalten würde.
Wieviel bedeutet nun die Inzucht, wenn die Größe der Population
hinter der Gleichgewichtslage beträchtlich zurückbleibt? In einem solchen
Fall erhalten wir einen Zuwachs der Heterozygoten der Bevölkerung, d. h.
eine Verminderung der Zahl rezessiver Merkmalsträger, mit Panmixie ver-
glichen. Wenn die Größe der Population 500 und die Zahl der Kinder 2
beträgt, so finden wir, daß die Verringerung 0,0572 % bei normaler Inzucht-
frequenz ist. Wenn die Größe der Population 200 und die Zahl der Kin-
der 2 beträgt, so finden wir eine Verminderung um 0,1697 %. Diese Ziffern
sind Maximalziffern. Sie sind aus der ersten Formel berechnet, welche ja,
weil der Einfluß des Altersunterschiedes nicht in Betracht gezogen worden
ist, zu hohe Werte gibt. Sie sind auch unter der Voraussetzung berechnet
worden, daß r=t/, ist, wodurch auch zu hohe Werte zustande kommen.
Wenn die Anlage seltener ist, wird die Verminderung natürlich noch
unbedeutender. Wir haben ferner mit „normaler“ Inzuchthäufigkeit ge-
rechnet, d. h. mit einer Häufigkeit, die für kleine Bevölkerungen sicher-
lich abnorm gering ist. Dadurch sind die Ziffern, die wir für die Ver-
minderung rezessiver Merkmalsträger erhalten, mit Panmixie verglichen,
ausgesprochen zu hoch. Trotzdem wird die Verminderung auch für sehr
kleine Bevölkerungen so verschwindend klein, daß sie in der Praxis ver-
nachlässigt werden kann. Zweifelsohne kann also mit Recht behauptet
werden, daß man sowohl bei kleinen als auch bei großen Populationen
keinen bemerkbaren Einfluß der Häufigkeit rezessiver Merkmalsträger in
den menschlichen Populationen zu erwarten hat. Will man die Häufigkeit
des Vorkommens monohybrider Merkmalsträger zweier Populationen ver-
gleichen und findet man in dieser Beziehung merkbare Verschiedenheiten
zwischen diesen Populationen, so kann daher diese Verschiedenheit nicht
durch größere oder geringere Häufigkeit der Inzucht in den beiden Popu-
lationen erklärt werden. Um zwischen zwei Populationen eine merkbare
Verschiedenheit zu erhalten, die durch Inzucht hervorgerufen worden ist,
muß man Inzuchthäufigkeiten und Inzuchtgrade annehmen, welche die
für menschliche Populationen denkbaren Verhältnisse weit übersteigen.
Die Größe der Isolate.
Es könnte unnötig erscheinen, daß wir hier so eingehende Berech-
nungen über die Häufigkeit zufälliger Verwandtenehen gemacht haben.
Diese Formeln sind jedoch nicht bloß von Bedeutung für die Klarstellung
des Einflusses der Inzucht. Wenn wir mit einer großen Population rech-
nen, haben wir keineswegs das Recht, zu glauben, daß die Ehen in der
150 Gunnar Dahlberg:
ganzen Population zufällig geschlossen werden. Eine Person an einem ge-
wissen Punkt der Population hat bloß die Möglichkeit, sich mit einer
gewissen Anzahl von Individuen ihrer nächsten Umgebung zu verheiraten,
während hingegen die Möglichkeit, sich mit einem der vielen anderen
Individuen der Population zu verheiraten, infolge von geographischen,
sozialen oder anderen Ursachen sehr klein oder überhaupt Null ist. Eine
Population zerfällt mit anderen Worten in Teilpopulationen oder Isolate,
und nur innerhalb dieser können zufällige Ehen angenommen werden.
Will man die Sache von ganz extremen Gesichtspunkten aus betrachten,
so kann man sagen, daß eine solche Teilpopulation für jedes Individuum
vorhanden ist, und daß die Grenzen des Isolates für zwei Individuen nie-
mals vollständig zusammenfallen. Mehr praktisch und schematisch ge-
sehen, kann man sagen, daß eine Population in Gaue zerfällt, in kleinere
Gebiete, innerhalb welcher zufällige Kreuzungen mit befriedigender Ge-
nauigkeit stattfinden. Zwischen den Isolaten, zwischen den Gauen, geht
indessen größere oder geringere Mischung vor sich, was früher oder später
dazu führt, daß Homogenität zwischen den verschiedenen Isolaten erreicht
wird. Nachdem diese erreicht worden ist, haben die Grenzen in bezug auf
die Erblichkeit keine Bedeutung. Die Theorie der Isolate soll jedoch hier
nicht behandelt werden. Wir wollen bloß eine Seite der Sache näher be-
handeln, nämlich die Größe der Isolate. Wir haben oben Formeln auf-
gestellt, welche die Häufigkeit der Verwandtenehen bei einer gewissen
Kinderzahl und gewissen Populationsgröße angeben. Die Formeln lassen
sich natürlich auch zur Berechnung der Populationsgröße anwenden, wenn
man von einer bekannten Häufigkeit der Verwandtenehen und einer be-
kannten Kinderzahl ausgeht. Außerdem muß hervorgehoben werden, daß
es sich nur um Kinder handelt, die das Heiratsalter erreicht haben und
sich verheiraten. Wenn zwei Kinder zur Fortpflanzung gelangen, muß die
Population konstant bleiben. Wären in jeder Familie drei Kinder mit den
erwähnten Voraussetzungen, so würden wir in jeder Generation einen
Zuwachs von 50% bekommen, einen viel stärkeren Zuwachs also, als wir
ihn in Wirklichkeit im allgemeinen in Bevölkerungen finden. Tatsächlich
verhält sich die Zunahme so, daß in Westeuropa die Zahl der Kinder zwei
oder etwas über zwei beträgt, und zwar, wenn wir nur mit Kindern rech-
nen, die das Heiratsalter erreichen und sich verheiraten. Wenn wir von
zwei Kindern ausgehen, bekommen wir also eine ziemlich richtige Popu-
lationsziffer.
Wir verwenden bei diesen Berechnungen die Ziffern, die wir oben
als Normalziffern für den Prozentsatz der Inzucht angegeben haben und
welche sich auf die Verhältnisse in Westeuropa beziehen. Bei den vor-
hergehenden Berechnungen sind wir von diesen Ziffern ausgegangen, ohne
uns auf eine Diskussion einzulassen, wieweit diese Ziflern für die Inzucht
Theoretische Berechnungen über Inzucht beim Menschen. 151
denjenigen entsprechen, welche wir auf Grund zufälliger Ehen in diesen
Populationen zu erwarten haben, oder ob sie darauf hindeuten, daß In-
zucht häufiger oder seltener ist, als durch Panmixie bedingt wird. Wenn
wir nun beginnen, dieses Problem zu besprechen, bedienen wir uns der
Formeln, die wir früher für zufälliges Entstehen von Inzucht aufgestellt
haben. Kann man nun sagen, daß Verwandtenehen mit derselben Häufig-
keit entstehen, wie sie von unseren Formeln gefordert wird? Gewiß nicht.
Was zuerst die empirische Ziffer für Ehen zwischen Elterngeschwistern
und Geschwisterkindern betrifft, so ist diese sicherlich zu niedrig. Erstens
haben wir beim Aufstellen unserer Formeln des zufälligen Zustandekom-
mens solcher Ehen nicht damit gerechnet, daß zwischen diesen Arten von
Individuen ein starker durchschnittlicher Altersunterschied vorhanden ist.
Dieser Altersunterschied muß ja sehr hemmend wirken und mit sich
bringen, daß solche Ehen in Wirklichkeit in geringerem Ausmaße statt-
finden, als die Formeln angeben. Die Anschauungen über die Schädlich-
keit der Ehen näherer Verwandten haben sicherlich denselben Einfluß.
Wenn die Ziffer zu niedrig ist, bekommen wir also eine zu hohe Bevöl-
kerungsziffer, wenn wir diese zur Berechnung der Population verwenden.
Wir rechnen mit zwei Kindern in jeder Ehe und bekommen da nach der
Formel für Ehen zwischen Elterngeschwistern und Geschwisterkindern eine
Populationsziffer von 2856 Individuen, d. h. ungefähr 3000 Individuen.
Dies kann also als die obere Grenze der Größe des Isolates für die betreffen-
den Bevölkerungen betrachtet werden. Die Formel gibt nun die Größe des
Isolates für beide Geschlechter an. Nimmt man Rücksicht auf die Ge-
schlechtsverschiedenheit, so hat eine bestimmte Person durchschnittlich die
Möglichkeit, sich in diesen Populationen mit weniger als 1500 Individuen
entgegengesetzten Geschlechtes zu verheiraten.
Wir gehen nun zu den Ehen der Geschwisterkinder über. Hier ist kein
durchschnittlicher Altersunterschied der besprochenen Art vorhanden, der
hemmend wirken würde. Eine Person hat wohl eher eine größere Mög-
lichkeit, sich mit Vettern oder Basen ersten Grades zu verheiraten als mit
anderen Individuen seiner nächsten Umgebung in der Population. Infolge
der Verwandtschaft trifft sie verhältnismäßig oft mit ihren Vettern bzw.
Basen zusammen. Unter solchen Verhältnissen dürfte man davon ausgehen
können, daß die empirische Ziffer der Ehen zwischen Geschwisterkindern,
mit einer zufällig bedingten Häufigkeit verglichen, eher etwas zu hoch ist,
jedenfalls kaum zu niedrig. Nimmt man 1 % Ehen von Geschwisterkindern
mit 2 Kindern als Ausgangspunkt, so muß man also eine etwas zu niedrige
Populationsziffer bekommen. Man erhält die Ziffer 399, d. h. die Isolate
einer Bevölkerung bleiben im Durchschnitt kaum hinter 400 Individuen
zurück und jedes durchschnittliche Individuum hat die Möglichkeit, sich
mit einem von wenigstens 200 Individuen zu verheiraten.
152 Gunnar Dahlberg:
Die Grenzen, die wir für die Größe des Isolates erhalten haben, liegen
also bei 400 und 3000. Wir wissen auch, daß die obere Grenze ausgespro-
chen zu hoch ist, da sich diese in bezug auf die Formel auf eine aus-
gesprochen zu niedere Häufigkeitsziffer der Ehen zwischen Elterngeschwi-
stern und Geschwisterkindern bezieht. Wir haben auch Ursache anzuneh-
men, daß die Häufigkeitszifier für Ehen von Geschwisterkindern etwas zu
hoch ist und deshalb eine zu niedere Ziffer für die Isolate gegeben hat. Es
ist wohl unmöglich, ein exaktes Maß dafür zu erhalten, um wieviel die
Ziffer für Ehen zwischen Geschwisterkindern zu hoch ist. A priori ist es
kaum wahrscheinlich, daß die Ziffer um das Doppelte zu hoch ist, daß
Ehen zwischen Geschwisterkindern doppelt so oft geschlossen werden, als
es zufällig der Fall sein sollte. Geht man indes von einer Häufigkeit von
0,5% für Ehen zwischen Geschwisterkindern aus, so bekommt man eine
Populationsziffer von 800 Individuen. Diese Ziffer der Größe der Isolate ist
also vielleicht eher zu hoch als zu niedrig. Es ist klar, daß sich dabei nichts
Bestimmtes aussagen läßt, auch wenn die Berechnungen möglicherweise
einen gewissen Grund zur Vermutung geben, daß die Größe der Isolate eher
durch eine drei- als durch eine vierziffrige Zahl angegeben wird. Es ist
ja auch ohne weiteres klar, daß die Größe der Isolate in hohem Grade
variiert, nicht bloß innerhalb einer Bevölkerung, sondern von Land zu Land.
Das eine Extrem ist die Großstadt mit ihren großen, beweglichen Menschen-
massen. Das andere Extrem sind Einöden mit isolierten, kleinen Dörfern,
z. B. im nördlichsten Europa. Es ist ja auch klar, daß die Grenzen eines
lsolates nie ganz bestimmt, sondern sehr unscharf und fließend sind. Unter
solchen Verhältnissen dürfte es ohne Interesse sein, in diesem Zusammen-
hang zu einer exakteren Ziffer zu gelangen. Wir haben durch obige Berech-
nung bloß eine ungefähre Auffassung von der „normalen“ Größe der Isolate
geben und einen Weg zeigen wollen, wie man bei Untersuchungen von
Populationen ungefähre Berechnungen ihrer Größe machen kann. Die Größe
der Isolate ist ein Faktor, der von praktischem Interesse wird, wenn man
Mischungs- und Ausgleichungsprozesse innerhalb verschiedener Bevölke-
rungen klarmachen will. Bezüglich der Theorie dieser Prozesse weise ich
auf Wahlunds obenerwähnte Arbeit hin.
Zusammenfassung.
Hinsichtlich des Einflusses der Inzucht in einer Population können wir
feststellen, daß sich die Größe der Isolate nicht allzusehr von der Ziffer
unterscheidet, bei welcher unserer Rechnung nach die Inzucht vollkommen
wirkungslos ist, d. h., daß jene Bevölkerungszusammensetzung vorhanden
ist, die bei Panmixie eintritt. Diese Ziffer liegt für Westeuropa zwischen
1000 und 2000. Es ist vielleicht eher glaublich, daß die Ziffer der Isolate,
die zwischen 400 und 3000 liegt, niedriger ist als die der Gleichgewichts-
Theoretische Berechnungen über Inzucht beim Menschen. 153
lage. Die Abweichung besitzt jedenfalls nicht solche Größe, daß man
irgendwelchen bemerkbaren Einfluß der Inzucht zu erwarten hätte. Dies
gilt nun für die Vermehrung oder Verminderung rezessiver Merkmals-
träger bei monohybrider Erblichkeit.
Wenn man von einem verschlechternden oder verbessernden Einfluß
der Inzucht auf eine Population spricht, meint man indessen nicht bloß
den Einfluß auf ein einziges monohybrides Merkmal. Man denkt an die
Summe aller Einflüsse auf die mono- und polyhybriden Merkmale einer
Population. Wenn wir annehmen, daß wir eine gewisse Anzahl gleich-
häufiger, monohybrider Merkmale haben, so wird der Einfluß um so viele
Male größer, als diese Zahl angibt. Da indessen der Einfluß auf ein Merk-
mal nahe 0 liegt, so ist auch der Einfluß auf die Summe monohybrider
Merkmale sicherlich so unbedeutend, daß er vernachlässigt werden kann.
Dasselbe gilt für den Einfluß auf polyhybride Merkmale. Um dies zu zeigen,
werden wir ein dihybrides, rezessives Merkmal als Ausgangspunkt nehmen.
Wir nehmen an, daß es sich um zwei Anlagen R, und R, mit der Frequenz
r, und r, handelt. Rezessive Merkmalsträger der Formel R, RıR,R, kom-
men da mit der Häufigkeit rı? rə vor. Wir nehmen an, daß Inzucht eine
Abweichung der Häufigkeit von R, Rı = dı und eine Abweichung der Häufig-
keit von R:R: von ds bedingt. Unter solchen Verhältnissen treten die rezes-
siven Merkmalsträger bei Inzucht mit folgender Häufigkeit auf:
(r?+ö,)(r?+6,)=rtr®+r?ö,+tr,2ö,+6,6,-
‚, In diesem Ausdruck sind ĝı und ô: sehr kleine Zahlen. Sie bestehen ja
aus dem Zuwachs, der durch Inzucht für jede einzelne Kombination von
homozygotischen Anlagen verursacht wird, und dieser Zuwachs ist, wie
oben gezeigt wurde, so klein, daß er vernachlässigt werden kann*).
Weinberg hat generelle Formeln für die Zusammensetzung von Nachkommen
von Verwandtenehen bei komplizierter Polyhybridie angegeben, doch ohne irgendwie
die Formeln zu erläutern und ohne sie zur Berechnung der Bedeutung der Inzucht
für Populationen oder einzelne zu verwenden (Weinberg, 1909). In einer späteren
Arbeit (Weinberg, 1928) hat er dieselben Formeln auch für Monohybridität aus-
gearbeitet und in derselben Weise wie Lenz 1919 Schlüsse auf die Häufigkeit von
Verwandtenehen unter Eltern von Merkmalsträgern gezogen. Aus anderen Gesichts-
punkten hat er die Wirkung der Inzucht nicht behandelt.
Wir können sagen, daß die Zunahme dihybrider und ebenso polyhybri-
der Merkmale auf Grund von Inzucht klein oder 0 wird. Auch auf diese
hat Inzucht, mit Panmixie verglichen, keinerlei Wirkung, wenn die Größe
+) Generell wird der Zuwachs für die Genkombination: R, R, R: Ri Rs Rs ----- Rn Rn
= (r1? + 61) » (r2?+ Òa) + (rs? + Òs) ° --- e (Fn? + Ôn), wobei Rı, Ra, Rs, ---- , R ndie verschiedenen
Gene und rı, r3, fs, ---‚nihre Häufigkeiten und Ö,, Ô2, Ôs, - - -, Ôn den Zuwachs der Homo-
zygoten jedes Paars von Anlagen bedeutet, das die Inzucht nach unseren Formeln für
Monohybridität bedingt. Haben die Anlagen gleiche Häufigkeiten, das heißt, ist r, = r2
= r3 = - - - = Fp, 50 wird die Formel
R, R, R; R; R; Rs - ... RaRa = (r’+ ö,) n;
154 Gunnar Dahlberg:
der Population der Gleichgewichtslage entspricht, die oben berechnet wurde.
Falls indessen die Größe der Population von dieser Gleichgewichtslage ab-
weicht, wird die Wirkung natürlich stärker, wenn es sich um polyhybride
oder um mehrere Arten von monohybriden Merkmalen handelt und im
großen und ganzen kann man sagen, daß die Wirkung eines dihybriden,
rezessiven Merkmalsträgers geringer als die Gesamtwirkung zweier mono-
hybrider Merkmale mit entsprechenden Häufigkeiten der Anlagen ist. Da
indessen, wie oben gezeigt wurde, die Größe der Isolate von der Gleich-
gewichtslage nicht so stark abweicht, daß man eine merkliche Wirkung der
Inzucht auf ein rezessives Merkmal erhält, folgt daraus, daß auch hinsicht-
lich mehrerer monohybrider oder polyhybrider Merkmale behauptet werden
kann, daß kein Grund vorhanden sei, eine durch Inzucht verursachte merk-
liche Abweichung der Populationszusammensetzung, mit Panmixie ver-
glichen, zu erwarten. Vom Gesichtspunkt der Population aus betrachtet, ist
deshalb Inzucht in der Häufigkeit, die diese beim Menschen hat, in bezug
auf die Erblichkeit eine gleichgültige Erscheinung.
Man hat oft versucht, verschiedene Häufigkeiten erblicher Merkmals-
träger innerhalb verschiedener Bevölkerungen, Gesellschaftsschichten, Ras-
sen usw. durch eine verschiedene Häufigkeit der Inzucht zu erklären.
Aus obiger Auseinandersetzung dürfte hervorgehen, daß diese Erklä-
rungen unbefriedigend genannt werden müssen. Was auch immer: die
Ursache einer verschiedenen Häufigkeit der Merkmalsträger in jedem ein-
zelnen Falle sein mag, so ist es doch unmöglich, daß, wenn der Unterschied
wirklich merklich ist, er auf einem verschiedenen Grad von Inzucht be-
ruhen kann. |
Der Einfluß der Inzucht auf Verwandte
von Merkmalsträgern.
In den obenzitierten früheren Arbeiten [Dahlberg, 1926; Hult-
krantz und Dahlberg, 1927*)] ist gezeigt worden, wie wichtig es ist,
daß man bei Erblichkeitsuntersuchungen auf die durchschnittliche Zu-
*) In der Einleitung zu der obenerwähnten Arbeit (1927) haben wir hervor-
gehoben, daß die eine der Hauptfragen, die wir behandeln, nämlich die der erblichen
Beschaffenheit der verschiedenen Verwandten von Merkmalsträgern, in der Literatur
wenig beachtet worden ist. „Nur Weinberg hat dieselbe einer gründlichen Prüfung
unterzogen. Seine Untersuchung, die schon im Jahre 1908 publiziert wurde, ist aber
mehr allgemein gehalten; die praktische Bedeutung der Frage wird nur kurz berührt
und die Darstellung dürfte mathematisch weniger geschulten Lesern leider ziemlich
schwer verständlich sein. Darin scheint der Grund zu liegen, daß der Wert dieser
Arbeit in der Erblichkeitsliteratur nicht genügend gewürdigt wurde.“ Weinberg
scheint jedoch die Meinung zu hegen, daß wir ihn der Priorität auf diesem Gebiete
berauben wollten. In seinem Vortrage auf dem V. Internationalen Kongresse für Ver-
erbungswissenschaft in Berlin 1927 kommen Aeußerungen vor, die bei dem Leser eine
irrige Auffassung der Lage hervorrufen müssen. Wie aus dem obigen Zitat hervor-
geht, gibt es keinerlei Anlaß, die Prioritätsfrage zu diskutieren. Wir haben ferner in
der obengenannten Arbeit unsere erneute Behandlung dieser Probleme damit be-
Theoretische Berechnungen über Inzucht beim Menschen. 155
sammensetzung der Population, aus welcher man sein Material gewonnen
hat, Rücksicht nimmt. Wenn man z. B. untersuchen will, wie oft die Ge-
schwister von blauäugigen Menschen blaue Augen haben, muß man natür-
lich andere Ziffern erhalten, wenn man sein Material von Schweden holt,
als wenn man es von Italien nimmt. Formeln sind aufgestellt worden, mit
deren Hilfe man die durchschnittliche Häufigkeit von Merkmalsträgern
unter den Geschwistern, Eltern, Kindern, Elterngeschwistern, Vettern usw.
der Merkmalsträger bei variierendem Gehalt eines monohybriden Merkmals
einer Bevölkerung berechnen kann. Aus diesen Formeln geht hervor, daß
man sich, wenn die Anlage in einer Bevölkerung sehr selten ist, Grenz-
werten nähert, die natürlich für verschiedene Arten von Verwandten ver-
schieden sind. Unter Geschwistern monohybrider, rezessiver Merkmals-
träger ist z. B. dieser Grenzwert 25 % oder */.. Kommt die Anlage mit einer
Häufigkeit von 0,1% vor, so wird der Prozentsatz unter den Geschwistern
25,6%. Wenn es sich um eine ziemlich seltene Anlage handelt, so wird,
mit anderen Worten, die Beschaffenheit der Verwandten wenig geändert,
wenn die Populationszusammensetzung etwas geändert wird. Wenn die
Anlage unter einer gewissen Grenze selten ist, so spielt es eine geringe
Rolle, ob die Anlage etwas mehr oder weniger selten ist. Was die anderen
Verhältnisse dabei betrifft, möge auf die oben zitierte Arbeit hingewiesen
werden. |
Die obenerwähnten Formeln sind unter der Voraussetzung, daß Pan-
mixie vorliegt, aufgestellt worden. Wird nun die Zusammensetzung der
Verwandten beträchtlich geändert, wenn eine Bevölkerung eine gewisse
Inzucht aufweist? Wir können ohne weiteres behaupten, daß dies nicht der
Fall ist. Wir haben ja im vorhergehenden gezeigt, daß die Zahl der Merk-
malsträger einer Bevölkerung auf Grund von Inzucht nicht merklich ge-
ändert wird. Handelt es sich um eine häufige Anlage, so stammt nur eine
unbedeutende Anzahl von Verwandten ab. Wenn es sich um häufigere An-
Jagen handelt, gelten die obenerwähnten Formeln mit genügender Genauig-
gründet, daß diese nicht in denjenigen Arbeiten beachtet worden sind, welche sich
speziell mit der Methodik der Vererbungsforschung befassen; Weinberg erwähnt
sogar selbst in seiner Methodologie der Vererbungsstatistik nur ganz beiläufig, daß
er „Erbformeln für Eltern, Kinder, höhere Grade der Ahnen und Nachkommen, Ge-
schwister und sonstige Seitenverwandte‘ aufgestellt habe. Unter solchen Verhältnissen
hatten wir es für angezeigt befunden, im Zusammenhang mit unserer Darstellung
der Bevölkerungszusammensetzung mit besonderer Rücksicht auf die Verhältnisse bei
Selektion auch auf Weinbergs Ergebnisse aufs neue die Aufmerksamkeit zu len-
ken, und dies um so mehr, als wir der Ansicht sind, daß wir durch unsere „kleine
Variante der Ableitung“, wie Weinberg es nennt, eine leichter faßliche Darstel-
lung gegeben haben; wir vereinigten damit gleichzeitig einen Versuch, den Inhalt und
die praktische Bedeutung der Formeln ausführlicher klarzulegen. Irgendeine Ursache,
in bezug auf unsere Arbeit die Priorität Weinbergs zu diskutieren, gibt es nicht,
und wir können nur bedauern, daß unsere Bestrebungen, die Aufmerksamkeit auf
Weinbergs Ergebnisse zu richten, von ihm nicht höher geschätzt worden sind.
156 | Gunnar Dahlberg:
Em m nn nn mn En nn
keit, auch wenn eine gewisse Inzucht vorliegt. Handelt es sich um seltenere
Anlagen und Dominanz, so sind die Mehrzahl der Merkmalsträger Hetero-
zygoten (vgl. die obenzitierten Arbeiten). Diese stammen auch nicht aus
Verwandtenehen, und die Inzucht spielt deshalb bei seltenen Anlagen und
Dominanz keine Rolle. Bei seltenen Anlagen und Rezessivität stammt da-
gegen die Mehrzahl der Merkmalsträger aus Verwandtenehen (vgl. unten).
Hat dies nun auf die Beschaffenheit der Verwandten irgendwelchen Ein-
fluß? Wenn wir von seltenen Merkmalsträgern ausgehen, wissen wir, daß
beide Eltern die Anlage in heterozygotischer Form besitzen. Ihre beiden
allelomorphen Gene stammen aus der Bevölkerung, ob es sich um Inzucht
handelt oder nicht. Da die Anlage selten ist, müssen diese anderen Gene
dominante Gene sein. Unter allen Umständen handelt es sich um eine
Heterozygotenehe. Wir erhalten den Grenzwert der Merkmalsträger unter
den Geschwistern der Merkmalsträger, unabhängig davon, ob die Eltern
verwandt sind oder nicht. Bei den Eltern, den Großeltern usw. bekommen
wir auch, wenn es sich um Inzucht handelt, praktisch genommen niemals
einen rezessiven Homozygoten. Wir bekommen nur freie Homozygoten und
Heterozygoten, ob es sich um Inzucht handelt oder nicht. Also beeinflußt
die Inzucht, wenn die Anlage selten ist und es sich um rezessive Erblich-
keit handelt, nicht den Gehalt der Merkmalsträger unter den Verwandten.
Wir können also allgemein sagen, daß man, wenn es sich um den Gehalt
der Merkmalsträger unter den Verwandten von Merkmalsträgern handelt,
welche aufs Geratewohl aus einer Population ausgewählt worden sind, auf
die in der Bevölkerung vorhandene Inzucht keine Rücksicht zu nehmen
braucht, sondern die Formeln anwenden kann, die unter Voraussetzung
‚vollständiger Panmixie aufgestellt worden sind.
Dieses Problem hängt innig mit der Frage zusammen, wie oft man In-
zucht unter Eltern von rezessiven Merkmalsträgern erwarten kann. Lenz,
1919, hat, wie oben erwähnt wurde, dieses Problem früher behandelt und
gezeigt, daß man, wenn eine Anlage selten ist, einen bedeutend größeren
Prozentsatz von Verwandtenehen bei den Eltern rezessiver Merkmals-
träger als sonst in der Bevölkerung zu erwarten hat und daß, je seltener
die Anlage ist, desto häufiger die Verwandtenehen bei den Eltern werden.
Dieses Verhältnis kann auch mit Hilfe der Formeln, die wir S. 144 aufgestellt
haben, beleuchtet werden. Wenn wir Ehen zwischen Elterngeschwistern
und Kindern ihrer Geschwister in P, Fällen und Ehen zwischen Ge-
schwisterkindern in P, Fällen haben, so erhalten wir rezessive Merkmals-
träger auf Grund von Panmixie in (1 — P;—P,ı)r? Fällen und Merkmals-
träger in diesen Verwandtenehen in - (r+7r)+ = (r+ 15r?) Fällen.
Die Wahrscheinlichkeit, daß ein Merkmalsträger einer Verwandtenehe an-
gehört, ist also
—_
—_o
eltene
Heter
cht &
'en u
mt d:
unter
n Ei
ir, di
beide
nzuc
ı Ger
Theoretische Berechnungen über Inzucht beim Menschen. 157
i (r+7r?) +76 P, (+15 r?)
(1—P,—P,) r+ +7 4a 4 (r415)
P,/1 P,/1
sr)enlts)
z P, [1 P, [1
0-P,-P)+ gr +7)+ er +15)
Wenn in diesem Ausdruck r eine sehr kleine Zahl ist, werden die Aus-
drücke oberhalb des Bruchstriches sehr große Zahlen und ebenso werden
die beiden gleichen Ausdrücke unter dem Bruchstrich sehr große Zahlen
im Vergleich mit dem ersten Ausdruck unter dem Bruchstrich, der ja nahe
bei 1 liegt. Wenn sich r Null nähert, nähert sich daher der Audruck 1 und
dies bedeutet, daß, je seltener eine Anlage ist, desto größer die Wahrschein-
lichkeit wird, daß das betreffende Individuum aus einer Verwandtenehe
stammt. Diese Schlußfolgerung ist übrigens ziemlich selbstverständlich.
Wenn wir uns den extremen Fall vorstellen, daß die Anlage nur bei einer
Person der Population vorhanden ist, daß es sich z. B. um eine einzelne
Mutation handelt, so können ja rezessive Merkmalsträger nur durch Ehen
zwischen Nachkommen dieser Person, durch Verwandtschaftsehen, ent-
stehen (Lenz, 1919). Wenn man von seltenen Merkmalsträgern ausgeht,
muß man also eine erhöhte Häufigkeit von Verwandtenehen bei ihren
Eltern finden. Man möge sich indessen daran erinnern, daß eine solche
erhöhte Häufigkeit dadurch erhalten werden kann, daß man sein Material
von den kleinsten Isolaten einer Bevölkerung holt. (Um ein extremes Bei-
spiel zu geben: Man vergleicht Juden mit der Bevölkerung, in der sie
leben.) Eine solche Erhöhung beweist natürlich nicht, daß Erblichkeits-
faktoren vorliegen. Die Erhöhung wird dadurch bedingt, daß man mit nicht
gleichartigen Bevölkerungsgruppen vergleicht.
Wie wir früher gezeigt haben, ist die absolute Zunahme der Zahl
rezessiver Merkmalsträger, welche durch Inzucht verursacht wird, sehr
klein. (Es ist sogar möglich, daß Verwandtenehen in so geringem Ausmaße
vorkommen, daß wir überhaupt keinen Zuwachs, sondern eine geringere
Zahl Merkmalsträger erhalten, als es bei Panmixie der Fall sein sollte.)
Dies verhindert jedoch nicht, daß unter den seltenen Merkmalsträgern, die
in einer Population vorhanden sind, die Mehrzahl aus Verwandtienehen
stammt.
Welche Bedeutung hat analog Inzucht für die Entstehung monohybrider
dominanter Merkmale? Haben wir Ursache, Verwandtenehen in größerem
Ausmaße unter den Eltern seltener, dominanter Merkmalsträger zu erwarten?
Wenn die Anlage selten ist, sind die Mehrzahl der dominanten Merkmals-
158 Gunnar Dahlberg:
träger Heterozygoten. Diese stammen, wie oben hervorgehoben wurde, nicht
überdurchschnittlich oft aus Verwandtenehen; im Gegenteil, Inzucht wirkt
der Entstehung von Heterozygoten entgegen. Da wir also hauptsächlich von
Heterozygoten ausgehen, finden wir unter den Eltern keine erhöhte An-
zahl von Verwandtenehen. Dies gilt nicht für dominante und
rezessive dihybride und polyhybride Merkmale. In sol-
chen Fällen wird die Wahrscheinlichkeit eines Zusammentreffens der
Gene aus verschiedenen allelomorphen Gen - Paaren, die das Merkmal
bedingen, größer. Wir müssen deshalb eine übernormale Häufigkeit von
Verwandtenehen unter den Eltern dieser Merkmalsträger erwarten.
Die individuelle Gefahr bei Verwandtenehen.
Im vorhergehenden haben wir versucht, die Bedeutung der Inzucht
teils für eine Population im ganzen, teils für Verwandte aufs Geratewohl
gewählter Merkmalsträger einer Population klarzustellen. Wir haben ge-
funden, daß Inzucht dabei geringe Bedeutung hinsichtlich der Häufigkeit
der Merkmalsträger besitzt. Die Gefahr der Inzucht ist daher, vom all-
gemeinen Standpunkt aus betrachtet, für die menschlichen Populatio-
nen klein.
Dies bedeutet jedoch nicht, daß Inzucht für das einzelne Individuum
keine Gefahr mit sich bringe. Wir können dies mit einer Analogie ver-
deutlichen. Die Brandgefahr in den Städten wird grundsätzlich durch die
relative Zahl der Holzhäuser im Verhältnis zu den Steinhäusern erhöht.
Man kann sich indessen vorstellen, daß die Häufigkeit der Holzhäuser so
. gering ist und in den einzelnen Städten innerhalb so enger Grenzen vari-
iert, daß man bei der Berechnung der durchschnittlichen Brandgefahr der
verschiedenen Städte berechtigt ist, auf die Holzhäuser keine Rücksicht zu
nehmen. Die Zunahme der Gefahr, die sie bedingen, kann man sich so un-
bedeutend vorstellen, daß sie keine Rolle spielt, wenn man die Gefahr in
bezug auf die ganze Stadt oder in bezug auf vollkommen zufällig gewählte
Häuser betrachtet. Dies hindert jedoch nicht, daß man in einem gewissen
einzelnen Fall auf die Gefahr Rücksicht nehmen muß.
Auf ähnliche Weise verhält es sich mit der Inzucht. Auch wenn In-
zucht in bezug auf die Population ziemlich bedeutungslos ist, folgt daraus
nicht, daß es für eine gewisse Person mit einer gewissen erblichen Belastung
gleichgültig sei, ob sie eine Verwandtenehe schließt oder nicht. Im Gegen-
teil. Durch eine Verwandtenehe wird vielleicht die Gefahr beträchtlich
erhöht, daß unter ihren Nachkommen Merkmalsträger auftreten. Anderer-
seits wird natürlich die Gefahr, daß bei einer Verwandienehe Merkmals-
träger entstehen, vermindert, wenn man weiß, daß die Person, von der
wir ausgehen, keine Verwandten mit erblicher Belastung hat und selbst
gesund ist.
Theoretische Berechnungen über Inzucht beim Menschen. 159
Wir gehen also von einer Person aus, die eine bestimmte erbliche
Belastung besitzt und wollen wissen, welche Gefahr vorhanden ist, daß
unter ihren Nachkommen Merkmalsträger auftreten, wenn sie eine Ver-
wandtenehe schließt, im Vergleich mit einer anderen Ehe. Wir wollen die
Gefahr einer Verwandtenehe mit jener einer „Normalehe“ vergleichen.
Wann soll man nun eine Ehe normal nennen? Man kann z. B. mit der
durchschnittlichen Gefahr einer Ehe mit einem aufs Geratewohl gewähl-
ten Individuum der Bevölkerung rechnen. Eine andere Möglichkeit wäre,
daß man voraussetzt, der andere Teile habe dieses Merkmal nicht und
besitze gesunde Eltern, gesunde Geschwister, gesunde Großeltern usw. Die
Möglichkeiten sind dabei natürlich unbegrenzt. In der Praxis hat man ja
kaum irgendwelche Anhaltspunkte für die Beschaffenheit des Partners, mit
welchem eine bestimmte Person sich verheiraten würde, wenn die Ver-
wandtenehe nicht zustande käme. Deshalb dürfte es am richtigsten sein,
eine aufs Geratewohl gewählte Person zum Vergleich zu nehmen. Auch
wenn es sich um die Person handelt, von der wir ausgehen, haben wir eine
unbegrenzte Anzahl von Möglichkeiten, einen Ausgangspunkt zu wählen.
Die Person kann selbst Merkmalsträger sein oder mit Merkmalsträgern ver-
wandt sein. Es kann sich um mehrere Merkmalsträger unter ihren Ver-
wandten handeln. Man kann ferner davon ausgehen, daß eine oder mehrere
Personen unter ihren Verwandten sicher keine Merkmalsträger sind und
daß eine größere oder geringere Anzahl ihrer Verwandten von unbekannter
Beschaffenheit sind. Es ist klar, daß es zuviel Platz beanspruchen würde,
Formeln zur Berechnung der Gefahr der verschiedenen denkbaren Fälle auf-
zustellen. Wir werden daher im folgenden uns damit begnügen, Berech-
nungen einiger weniger Fälle von Ehen zwischen Geschwisterkindern
durchzuführen. Im Bedarfsfalle dürfte man kaum auf Schwierigkeiten sto-
ßen, wenn man analoge Berechnungen anderer Fälle machen wollte, die
etwa von Interesse sein würden. Berechnungen und Anschauungen dieser
Art dürften für die Eheberatung von einem gewissen praktischen Interesse
werden können.
Wir wollen zuerst die Gefahr einer Ehe zwischen Geschwisterkindern
behandeln, wenn die Ausgangsperson, die diese Ehe eingeht, ein rezes-
siver Merkmalsträger ist. Ohne Verwandtenehe ist die Gefahr, daß das
Kind eines Merkmalsträgers Merkmalsträger wird, r, wenn r die Häufig-
keit der rezessiven Anlage und d die Frequenz der dominanten Anlage in
der Population ist. (Also ist r + d = 1.) Jedes Kind bekommt einen R-Gen
von demjenigen der Eltern, welches Merkmalsträger ist, und das allelo-
morphe Gen von dem zweiten Partner. Merkmalsträger treten unter den
Kindern ebensooft auf, als dieses zweite Gen ein R-Gen ist. Dies trifft
mit derselben Häufigkeit ein, die diese Gene in der Bevölkerung, d. h. in
r-Fällen haben. (Vgl. Hultkrantz und Dahlberg, 1927.) Die Gefahr
160 Gunnar Dahlberg:
einer Ehe zwischen Geschwisterkindern wird auf folgende Weise berechnet,
vgl. Abb. 7: Wir gehen davon aus, daß man beide Partner, ihre Eltern und
Großeltern kennt und daß unter diesen nur die Ausgangsperson Merkmals-
träger ist. In Abb. 7 ist die Person Nr. 1 also sicher Merkmalsträger, die
Person Nr. 2 sicher Heterozygot und eine der Personen 3 und 4 sicher auch
D ©
Ne3 -ii
(DIR) Q
Neg Nr5 Nr.8
Nri Nz9
RAS)
Ehe zwischen Geschwisterkindern, wenn der eine Partner Merkmalsträger ist,
nicht aber der andere und auch nicht die Eltern und Großeltern.
Heterozygot. Die Eltern von Nr. 2 können indessen nicht Merkmalsträger
sein. Sie können nur die Formel RD x RD oder RD x DD haben. Der eine
der Eltern muß immer RD sein, der andere der Eltern muß immer ein
D-Gen haben. Das zweite Gen bei diesem ist im Durchschnitt von der-
selben Beschaffenheit wie sonst in der Bevölkerung, d. h., in r Fällen R.
und in d Fällen D. Das Verhältnis zwischen den beiden Arten von Ehen
ist also r:d. Die Person Nr. 5 ist ein Nachkomme dieser Ehe. Sie ist kein
Merkmalsträger, sondern kann nur Heterozygot oder Homozygot sein. Die
Beschaffenheit der Nachkommen der Ehe zwischen 3 und 4 geht aus Ta-
belle 4 hervor.
Tabelle 4.
Beschaffenheit Beschaffenheit der Nachkommen (Nr.5)
der Ehe zwischen Häufigkeit
Nr.3 und 4 (Fig.7) RR RD DD
RR-Individuen kommen nun (und in der Folge) nach der Annahme,
von der wir ausgehen, nicht vor. Das Verhältnis zwischen RD- und DD-
Theoretische Berechnungen über Inzucht beim Menschen. 161
Individuen unter den Nachkommen ist also = T Die Wahrscheinlichkeit,
daß Nr. 5 RD ist, beträgt : 7 und die Wahrscheinlichkeit, daß Nr. 5 DD
1+d
3+d
Wir gehen nun von Nr. 6 und Nr. 7 aus. Wir wissen von diesen Indivi-
duen, daß sie keine Merkmalsträger sind. Sie sind also Heterozygoten RD
mit derselben Häufigkeit, die solche Individuen in der Bevölkerung haben,
nämlich 2rd und DD-Individuen gleichfalls mit der Häufigkeit d?. Die
ist, beträgt
Wahrscheinlichkeit eines RD-Individuums unter diesen ist also sdf Eik B=
=". Die Wahrscheinlichkeit eines DD-Individuums ist gleichfalls
r
d? d
—— ~ —— . Diese Personen können nun Ehen schließen und Nach-
2rd+d? r+1
kommen haben, wie aus Tabelle 5 hervorgeht.
Tabelle 5.
Beschaffenheit
der Ehe zwischen
Nr.6 und 7 (Fig.7)
Beschaffenheit der Nachkommen (Nr.8)
Häufigkeit
2r?-+2rd r+-2rd+d?
(r +1)? (r+1)?
Summe Zell Zn
— (r+1? (+1)
Die Wahrscheinlichkeit, daß Nr. 8 ein RD-Individum ist, beträgt des-
halb H und die Wahrscheinlichkeit, daß Nr. 8 ein DD-Individuum ist,
1 i ; ,
ZFF Die Personen 5 und 8 können nun Ehen schließen und Nachkom-
men haben, wie aus Tabelle 6 hervorgeht.
Die Wahrscheinlichkeit, daß Nr. 9 DD ist, beträgt also R E ;
6r + 4— 2r?
In diesem Fall wird keines der Kinder Merkmalsträger in einer Ehe zwi-
schen Nr. 9 und Nr. 1. Die Wahrscheinlichkeit, daß Nr. 9 RD ist, beträgt
4r+1—r?
6r +4—2r?
zwischen Nr. 1 und Nr. 9 Merkmalsträger.
Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie, Bd. 22, Heft 2. 11
In diesem Fall wird die Hälfte der Kinder in einer Ehe
162 Gunnar Dahlberg:
Tabelle 6.
Beschaffenheit
der Ehe zwischen Häufigkeit
Nr.5 und 8 (Fig. 7)
Beschaffenheit der Nachkommen (Nr. 9)
RD | DD
RDXR 2-2r r 2r r
D |sFaarrı) BFAD) Bta)@r+tı) | B+d@r+ı)
2+ (1+d)-2r 1+ (1+d)r 1+- (1+d)r
RDXDD |3 arti (3+d)(2r+1) | (3+d)(2r+1)
(1+ d) (1+ d)
DDXDD |3Fa@r-+ı) = — 8+dj(2r+1)
4r+1—r?
3+d)(2r-+1)
2r+3—r?
(3+d)(2r+1)
Summe
Die Gefahr für Merkmalsträger in einer Ehe zwischen Geschwister-
kindern von der Beschaffenheit, von welcher wir ausgegangen sind, ist
4r+1— r?
2 (6r + 4— 2r?)
Die Gefahr einer Normalehe war, wie wir oben hervorgehoben haben, r.
Wenn sich r Null nähert, d. h., wenn die Anlage äußerst selten in einer
Bevölkerung ist, ist die Gefahr einer zufällig geschlossenen Ehe äußerst
gering, nahe 0, während sich die Gefahr einer Ehe zwischen Geschwister-
kindern +/, nähert. Ist die Anlage häufi-
ger, wird die Gefahr der Normalehen,
ebenso der Ehen zwischen Geschwister-
kindern, erhöht. Diese Zunahme der
Gefahr geht indessen bei Normalehen
rascher vor sich, In nebenstehendem
Diagramm (Abb. 8) wird beleuchtet, wie
die Gefahr einer Ehe zwischen Ge-
schwisterkindern von oben angegebener
Art, wenn die Anlage selten ist, verhält-
nismäßig größer als die einer normalen
Ehe ist. Wenn man die Häufigkeit der
0 01 02 03 04 05 06 07 08 03 0 Anlage erhöht, wird die Gefahr mehr
Die zunehmende Geek dii Entstehung mo- ugd ment Yon AerSeiben Größe, und
nohybrider, rezessiver Merkmalsträger unter wenn die Häufigkeit der Anlage un-
den Kindern einer Normalehe (die punktierte gefähr 16% ist, wird die Gefahr einer
Linie) und einer Geschwisterkinderehe (die
voll ausgezogene Linie), in welcher der eine Ehe zwischen Geschwisterkindern und
Partner Merkmalsträger ist, nicht aber der ; : ;
andere und auch nicht die Eltern oder einer Normalehe gleich groß. Dies be-
Großeltern. Sei
m ruht natürlich auf unserer Annahme,
daß nur ein Individuum der Verwandtschaft Merkmalsträger sei. Handelt
es sich um eine häufigere Anlage, so sind bei einer Normalehe unter den
Verwandten der Partner mehrere Individuen Merkmalsträger, und: die
also
Theoretische Berechnungen über Inzucht beim Menschen. | 163
Wahrscheinlichkeit, daß auch der andere Teil Merkmalsträger ist, wird
verhältnismäßig groß und erreicht 1, wenn r = 1. Wenn sich r dem Werte 1
nähert, nähert sich hingegen die Gefahr für die Kinder einer Verwandten-
ehe von oben angegebener Beschaffenheit dem Grenzwert ?/, = 0,25.
Bei Gefahren dieser Art handelt es sich im allgemeinen um verhältnis-
mäßig seltene, krankhafte Anlagen. Deshalb dürfte es nur dort von prak-
tischem Interesse sein, Berechnungen durchzuführen, wo die betreffende
Anlage in der Bevölkerung sehr selten ist. Solche Berechnungen sind be-
deutend einfacher und nehmen viel weniger Platz und Zeit in Anspruch.
Aber auch da kann man nicht alle naheliegenden Fälle berechnen. Der
Verfasser beschränkt sich also darauf, die Berechnungsart mit einigen Bei-
spielen zu demonstrieren.
Wenn eine Anlage in einer Bevölkerung selten ist, sind natürlich so-
wohl Merkmalsträger als auch latente Merkmalsträger selten. Wir gehen
also davon aus, daß die Bevölkerung so gut wie ganz aus nichtbehafteten
Homozygoten besteht. Wenn eine Person Merkmalsträger ist oder eine
größere oder geringere Anzahl Merkmalsträger in ihrer Verwandtschaft be-
sitzt, so verheiratet sie sich deshalb bei einer zufällig geschlossenen Ehe
mit einer nicht verwandten Person in so ziemlich allen Fällen mit einem
gesunden Homozygoten. Die Gefahr eines rezessiven Merkmalsträgers unter
den Kindern ist in einer solchen Ehe in der Praxis 0. Wir können also
davon ausgehen, daß die normale Gefahr in solchen Fällen beinahe 0 ist.
Wenn eine Person Merkmalsträger ist und eine Ehe mit einem Vetter
bzw. einer Base eingeht, weiß man sicher, daß die Eltern Heterozygoten
sind, daß die Person Nr. 2 in Abb. 7 die Beschaffenheit RD hat. Das R-Gen
muß auch bei einem der gemeinsamen Großeltern vorhanden sein. Dieses
hat also die Wahrscheinlichkeit */,, bei Nr. 5, t/a, bei Nr. 9, und t/s, bei den
Kindern aufzutreten. In den Fällen, wo das R-Gen bei den Kindern, von
Nr. 9 herstammend, auftritt, werden die Kinder Merkmalsträger, da die
Kinder immer ein R-Gen von Nr. 1 erhalten. Die Gefahr für Merkmals-
träger ist also, wenn die Anlage selten ist, in einer Ehe zwischen Ge-
schwisterkindern, wo die eine Person Merkmalsträger ist, t/s. Diesen Wert
haben wir ja auch aus der oben berechneten allgemeinen Formel er-
halten, wenn wir r = Q0 setzten.
Wir wollen ein weiteres Beispiel geben. Wir gehen davon aus, daß der-
jenige Elter der Ausgangsperson, durch den sie mit dem anderen Teil ver-
wandt ist, Merkmalsträger ist (vgl. Abb. 9). In diesem Fall ist die Aus-
gangsperson sicher Heterozygot. Die Eltern des Merkmalsträgers sind auch
beide Heterozygoten. Unter ihren Nachkommen sind ?/; Heterozygoten und
ilh merkmalsfreie Homozygoten. (Wir schließen die Möglichkeit, daß es
Merkmalsträger sein könnten, aus). Wenn Nr. 5 in zwei Dritteln der Fälle
Heterozygot ist, so ist Nr. 9 in zwei Sechsteln der Fälle Hetero-
11*
164 Gunnar Dahlberg:
zygot. Das Gen hat dann die Wahrscheinlichkeit ?/ıs, ein bestimmtes Kind
der Ehe zu erreichen. Die Wahrscheinlichkeit, daß dieses Kind das rezes-
sive Gen von dem anderen Elter, der sicher Heterozygot ist, erhält, ist 1/3.
Die Wahrscheinlichkeit eines Zusammentrefiens rezessiver Gene in einer
Ehe zwischen Geschwisterkindern dieser Art ist also +/3 X ?fı» =!ıs. Wenn
wir zum Beispiel annehmen, es handle sich um eine Form von Epilepsie,
Nr.3 Nr. >= |
(DXD) So = (DX
v
QOQ
Abb. 9.
Ehe zwischen Geschwisterkindern, wenn einer der Eltern der Ehepartner Merk-
malsträger ist, nicht aber die Ehepartner selbst und auch nicht die übrigen Eltern
und die Großeltern, wobei die Anlage als selten vorkommend genommen wird.
die sich wie ein einfaches, rezessives Merkmal vererbt, würde für eine Per-
son, deren Vater oder Mutter die Krankheit hat, bei einer zufällig geschlos-
senen Ehe, praktisch genommen, keine nennenswerte Gefahr vorhanden
sein, daß eines der Kinder die Krankheit bekommt. Auch wenn sie eine Ehe
mit einem Vetter bzw. einer Base schließt, wird natürlich die Gefahr 0 sein,
wenn derjenige Elter, durch den sie mit dem anderen Teil nicht verwandt
ist, die Krankheit hätte. Wenn hingegen derjenige Elter, durch den sie mit
dem anderen Teil verwandt ist, Epilepsie hat, würde die Gefahr ?/;s sein,
daß die Kinder Epilepsie erben würden. (Vorausgesetzt, daß der Vetter
[bzw. die Base] und dessen Eltern gesund sind.) Die Gefahr einer Ehe zwi-
schen Geschwisterkindern würde unter solchen Verhältnissen verhältnis-
mäßig groß sein.
Auf Grund der Gedankengänge und Berechnungsarten, die wir oben
ausgeführt haben, dürfte die Berechnung der Gefahr einer Verwandtenehe
bei bestimmten, angegebenen Voraussetzungen auf keine Schwierigkeiten
stoßen. Auf Grund solcher Berechnungen kann man bestimmter über die
Gefahr einer eventuellen Verwandtenehe urteilen als nur auf Grund von
prinzipiellen Vorstellungen über die Schädlichkeit der Inzucht beim Vor-
handensein einer rezessiven Krankheitsanlage in der Familie. Es ist ja klar,
daß, je weiter zurück in der Familie die erbliche Belastung liegt, desto
Theoretische Berechnungen über Inzucht beim Menschen. 165
geringer die Gefahr im Vergleich zur Gefahr einer Normalehe ist. Liegt die
Belastung ziemlich nahe, so ist indessen die Gefahr bei seltenen Krank-
heitsanlagen recht bedeutend. Für den einzelnen ist es daher unter solchen
Umständen, vom Standpunkt der Erblichkeit aus betrachtet, immer besser,
keine Verwandtenehen dieser Art einzugehen, wenn er nur auf seine Kin-
der Rücksicht nimmt. Nimmt man indessen auf die Nachkommen der spå-
teren Generation Rücksicht, so ist vielleicht der Vorteil, daß sich die Person
mit einem nicht verwandten Individuum der Bevölkerung verheiratet, nicht
so groß. Die Nachkommen werden doch in gewissem Ausmaße latente
Merkmalsträger und es besteht die Gefahr, daß sie, wenn sie ihrerseits eine
Ehe schließen, einen latenten Merkmalsträger heiraten; und das Resultat
davon wird vielleicht sein, daß unter ihren Nachkommen plötzlich ein
rezessiver Merkmalsträger auftritt. Man kann die Sache vielleicht so aus-
drücken: Durch eine Verwandtenehe setzt sich ein Individuum der Gefahr
aus, daß seine Kinder Merkmalsträger werden, durch eine Ehe mit einer
nicht verwandten Person der Bevölkerung überträgt es die Gefahr, welche
die Belastung bedeutet, auf Nachkommen späterer Generationen. Was vor-
gezogen werden soll, ist gewissermaßen Geschmackssache. Vom Standpunkt
des Gemeinwesens aus betrachtet, besitzt die Sache keine größere Bedeu-
tung. Man möge sich daran erinnern, daß Inzucht niemals den Anlagen-
gehalt der Bevölkerung ändert und kaum merklich die Zusammensetzung
der Bevölkerung beeinflußt. Die Zunahme der Zahl rezessiver Merkmals-
träger, die Inzucht mit sich bringt, ist im Verhältnis zur Bevölkerung sehr
unbedeutend. Ist die Bevölkerung groß, so kann jedoch die Zunahme, ab-
solut gesehen, eine nicht unbedeutende Anzahl Individuen ausmachen. Vom
Standpunkt des Gemeinwesens aus betrachtet, sind also Verwandtenehen in
geringem Ausmaße unvorteilhaft. Das Verhältnis wird indessen verändert,
wenn in der Bevölkerung Maßnahmen zur Ausrottung der Krankheitsanlage
(Sterilisierung der Merkmalsträger) oder wenn mit der Krankheit eine ge-
ringe Möglichkeit der Ehe und Fortpflanzung verbunden ist. Das letztere
dürfte wohl bei den meisten ernsteren erblichen Krankheiten der Fall sein.
In solchen Fällen kann Schließung einer Verwandtenehe in geringem Maße
sogar vorteilhaft sein. Die Krankheitsanlage trifft da leichter in homo-
zygoter Form zusammen und die Anlage wird nur dann ausgerottet, wenn
sie in dieser Form vorkommt. Für das Gemeinwesen kann es deshalb vor-
teilhaft sein, wenn die Anlage in so großem Ausmaße wie möglich zu
Homozygotie zusammengeführt wird. Um so schneller findet dann die Aus-
rottung statt. Einen ähnlichen Gedankengang kann man auch bezüglich der
Ehen zwischen Merkmalsträgern verfolgen. Als Beispiel dafür können wir
Taubstummheit nehmen. Viele schlagen vor, man solle Taubstumme nicht
zusammen erziehen, sondern sie soviel wie möglich in Berührung mit
normalen Individuen leben lassen. (Externat im Gegensatz zu Internat.)
166 Gunnar Dahlberg:
rn
Dadurch würde unter anderem Ehen zwischen Taubstummen entgegen-
gearbeitet, und Ehen zwischen Taubstummen und Gesunden würden be-
günstigt werden. In bezug auf die gesunden Individuen kann man verschie-
dener Meinung sein, wie weit es richtig ist, daß Taubstumme durch Ehen
mit Gesunden die Krankheitsanlage verbreiten und gesunde Geschlechter
vergiften. Vom Standpunkt des Gemeinwesens aus betrachtet, ist es jedoch,
solange nicht präventive Maßnahmen gegen erbliche Taubstummheit ge-
troffen werden, vorteilhaft, daß sich Taubstumme mit Gesunden verhei-
raten. Der Anlagegehalt in der Bevölkerung wird weder durch die eine noch
durch die andere Art zu handeln geändert, der Gehalt an Merkmalsträgern
per Generation aber wird durch Ehen mit Gesunden vermindert. Wenn das
Gemeinwesen Maßnahmen zur Verhinderung der Entstehung erblicher
Taubstummer ergreift, kann es hingegen ein Vorteil sein, wenn Ehen zwi-
schen Taubstummen begünstigt werden. Man bekommt da leichter Anhalts-
punkte zur Beurteilung, wieweit Taubstummheit durch erbliche Anlagen
bedingt wird, und man kann leichter Maßnahmen gegen die Entstehung
von Merkmalsträgern und gegen die Verbreitung der Anlagen ergreifen. Bei
Taubstummheit kann man ja erst mit Hilfe der Anhaltspunkte, die man
“ dadurch bekommt, daß die Krankheit früher unter den Verwandten auf-
getreten ist, feststellen, ob die Taubheit in einem bestimmten Falle erblich
ist. Durch Ehen zwischen Taubstummen erhält man in größerem Ausmaße
solche Anhaltspunkte. Wenn Taubstumme beträchtlich weniger fruchtbar
als die Bevölkerung sind, können Ehen zwischen Taubstummen vorteilhaft
sein, auch wenn keine präventiven Maßnahmen ergriffen werden.
Es ist klar, daß die Schlußsätze, die wir bezüglich der individuellen
Gefahr von Verwandtenehen gezeigt haben, umgekehrt entsprechend auch für
günstige Anlagen gelten. Die von uns berechneten verschiedenen Arten von
Wahrscheinlichkeit beziehen sich auf rezessive, monohybride Merkmale,
gleichgültig, ob sie günstig oder ungünstig sind. Vom Standpunkte der Ge-
sellschaft aus betrachtet ist es vorteilhaft, wenn unter Menschen mit günstigen
Anlagen Inzucht stattfindet. Falls aber die Fortpflanzungsmöglichkeiten der
Träger günstiger Merkmale geringer sind, bringt die Inzucht es natürlich
mit sich, daß diese Anlagen etwas schneller als bei Panmixie aussterben.
Bei dominanten Anlagen sind Berechnungen über die Wirkungen der
Inzucht von geringem Interesse, da man es einem Individuum direkt ansehen
kann, ob es solche Anlagen besitzt oder nicht. Handelt es sich um eine
seltene Anlage, so kann man in der Praxis immer davon ausgehen, daß der
Merkmalsträger wahrscheinlich ein Heterozygot ist, wenn keine besonderen
Anhaltspunkte, das Gegenteil anzunehmen, vorhanden sind. Die Gefahren
der Inzucht können unter solchen Verhältnissen direkt aus den Mendelschen
Regeln berechnet werden. Für eine Population in ihrer Gesamtheit hat
Inzucht die Folge, daß sich die Zahl der Träger dominanter Merkmale etwas
Theoretische Berechnungen über Inzucht beim Menschen. 167
vermindert, eine Tatsache, die für die betreffende Generation selbstver-
ständlich nachteilig ist, falls die Anlage vorteilhaft ist, und umgekehrt.
Will man entscheiden, ob die Inzucht mit ihrer kaum merklichen Wir-
kung für eine Population als vorteilhaft oder nachteilig zu betrachten ist,
so hängt das Urteil davon ab, von welchem Gesichtspunkt man ausgeht.
Es wurde oben hervorgehoben, daß — wenn es sich um ungünstige Anlagen
handelt, welche verringerte Fortpflanzungsmöglichkeit mit sich bringen —
die Inzucht zur Folge hat, daß die Anlage schneller als bei Panmixie aus-
getilgt wird. Es wurde auch hervorgehoben, daß dies vorteilhaft sein k a n n,
aber es wurde nicht gesagt, daß es unter allen Umständen vorteilhaft ist.
Gerade so wie Inzucht vom Standpunkte des Individuums aus nachteilig
ist, so kann man auch vom Gesichtspunkte der Gesellschaft aus behaupten,
die Inzucht sei nachteilig, selbst wenn dadurch die Träger ungünstiger
Eigenschaften etwas schneller ausgerottet würden. Es kommt ganz darauf
an, wie hoch man die Gegenwart gegenüber der Zukunft bewertet. Auch
wenn man den Gewinn erzielt, daß in ferner Zukunft lebende Generationen
von Trägern ungünstiger Eigenschaften befreit werden, kann man doch
geltend machen, daß dieser Vorteil unverhältnismäßig teuer erkauft wird,
und zwar auf Kosten allzu vieler Eigenschaftsträger derjenigen Generatio-
nen, die uns näher stehen. Wie viel man für künftige Generationen opfern
soll, ist ja stets bis zu einem gewissen Grade Geschmackssache.
Stellt man sich dagegen außerhalb der Zeit und bewertet man die In-
teressen der Individuen künftiger Generationen gerade so hoch wie die-
jenigen der jetzt lebenden Individuen, so bestehen größere Möglichkeiten,
zu einem objektiven Urteil zu gelangen. Wir stellen uns vor, daß wir durch
sehr intensive Inzucht verhältnismäßig rasch die ungünstigen Anlagen in
Homozygoten vereinigen könnten und so imstande wären, sie praktisch
genommen auszutilgen. Die entgegengesetzte Eventualität ist die, daß die
Träger rezessiver Merkmale infolge von Panmixie entstehen und langsamer
ausgerottet werden (vgl. Dahlberg, 19%6,undHultkrantzundDahl-
berg, 1927).
Die Bedeutung, welche der Inzucht im Vergleiche mit der Panmixie
zukommt, hängt davon ab, ob sich die Bevölkerung vermehrt, ob sie sich
konstant erhält oder ob sie an Zahl abnimmt. Vermehrt sich die Bevölke-
rung, so ist ohne Zweifel ein schnelleres Ausrotten vorteilhaft. Wir erhal-
ten dabei eine längere Zeitperiode hindurch eine geringere Zahl von Eigen-
schaftsträgern als durch langsameres Austilgen. Bleibt dagegen die Zahl
der Bevölkerung etwa konstant, so erhalten wir in beiden Fällen dieselbe
Anzahl von Merkmalsträgern. Weder bei Panmixie noch bei Inzucht wird
die Anlage völlig in der Bevölkerung ausgetilgt. Die Merkmalsträger werden
nur immer seltener und die gesamte Anzahl bildet in beiden Fällen eine
unendliche Reihe, die sich demselben Grenzwerte nähert. Nimmt die Zahl
168 Gunnar Dahlberg:
der Bevölkerung ab, so ist der langsamere Prozeß vorzuziehen. Wir er-
halten durch diesen alles in allem eine geringere Anzahl Merkmalsträger
als durch den schnelleren Austilgungsprozeß.
Diese Gesichtspunkte haben jedoch hauptsächlich nur theoretisches In-
teresse. Die Bedeutung der Inzucht ist so gering, daß sie, vom Standpunkt
der Bevölkerung aus gesehen, vernachlässigt werden kann. Da es ja stets
bis zu einem gewissen Grade Geschmackssache ist, ob eine Wirkung, wie
klein sie auch sein möge, als völlig gleichgültig betrachtet werden soll oder
nicht, finde ich es indessen begründet, obige Gesichtspunkte hervorzuheben.
Dies um so mehr, als die Inzucht tatsächlich bis zu einem gewissen Grade
durch gesetzliche Bestimmungen geregelt wird. In vielen Ländern sind Ehe-
schließungen zwischen Onkel und Nichte bzw. Tante und Neffen verboten,
in einigen ohne Möglichkeit einer Dispens; in etlichen Ländern bestehen
sogar Verbote von Ehen zwischen entfernteren Verwandten.
Vom Standpunkt der Erblichkeit aus dürften jedoch nach dem oben
Angeführten diese Verbote kaum als begründet erscheinen.
Zusatz bei der Korrektur.
Da diese Arbeit am 19. September 1928 der Redaktion eingesandt wurde*), konnte
Verfasser eine von Lenz veröffentlichte Arbeit nicht in Betracht ziehen: F. Lenz,
Die Hauptursache des Rückgangs der Verwandtenehen; Archiv für Rassen- und Gesell-
schaftsbiologie, Bd. 21, H. 3 (1929).
Lenz zeigt in jener Arbeit, daß die Abnahme der Verwandtenehen nur zum Teil
durch die Zunahme der Binnenwanderung, in der Hauptsache vielmehr durch den Ge-
burtenrückgang bzw. durch die Abnahme der durchschnittlichen Größe der Familien
bedingt ist. Die Arbeit von Lenz bildet also gewissermaßen einen Beleg**) für die
Bedeutung eines der grundlegenden Gedankengänge vorliegender Arbeit, nach dem die
Häufigkeit von Inzuchtehen auf dem Verhältnis zwischen der Größe der Familie und
der Größe des Isolats (der Population) beruht.
Literaturverzeichnis.
Gunnar Dahlberg: Twin births and twins from a hereditary point of view. Stock-
holm 1926.
H. Federley: Inzucht, in Handbuch der Vererbungswissenschaft, herausgegeben
von E. Baur und M. Hartmann. Berlin, 1927.
J. B. S. Haldane: A mathematical theory of natural and artificial selection.
Transactions of the Cambridge Philosophical Society, Vol. 23, 1924.
J. Vilh. Hultkrantz und Gunnar Dahlberg: Die Verbreitung eines monohybri-
den Erbmerkmals in einer Population und in der Verwandtschaft von Merkmals-
trägern. Arch. f. Rassen- und Gesellschaftsbiol., Bd. 19, 1927.
F. Lenz: Die Bedeutung der statistisch ermittelten Belastung mit Blutsverwandt-
schaft der Eltern. Münch. Med. Wochenschr., Bd. 66, 2, 1919.
*) Vgl. die Anm. zu S. 129.
**) Anm. d. Schriftl. Nach dieser Bemerkung Dahlbergs könnte es scheinen,
als ob meine Arbeit durch die seinige angeregt oder beeinflußt worden sei. Das ist
nicht der Fall. Dahlbergs Satz auf S. 138 oben, in dem er auf die Abhängigkeit
der Häufigkeit der Verwandtenehen von der Familiengröße hinweist, ist erst nach Er-
scheinen meiner Arbeit bei der Korrektur eingefügt worden. Lenz.
Theoretische Berechnungen über Inzucht beim Menschen. 169
W. Reutlinger: Ueber die Häufigkeit der Verwandtenehen bei den Juden in
Hohenzollern usw. Arch. f. Rassen- und Gesellschaftsbiol. Bd. 14, 1922.
A. Spindler: Ueber die Häufigkeit von Verwandtenehen in drei württembergi-
schen Dörfern. Arch. f. Rassen- und Gesellschaftsbiol. Bd. 14, 1922.
Sten Wahlund: Zusammensetzung von Populationen und Korrelationserscheinungen
vom Standpunkt der Vererbungslehre aus betrachtet. Hereditas XI, 1928.
W. Weinberg: Ueber Vererbungsgesetze beim Menschen. Zeitschr. f. induktive Ab-
stammungs- und Vererbungslehre, Bd. I, 1909.
W. Weinberg: Zur Vererbungsmathematik. Verhandlungen des V. Internationalen
Kongresses für Vererbungswissenschaft. Berlin 1927. Leipzig 1928.
G. Wulz: Ein Beitrag zur Statistik der Verwandtenehen. Arch. f. Rassen- und Ge-
sellschaftsbiol. Bd. 17, 1925.
Ueber die Vererbung der Dystrophia musculorum progressiva
und ihrer Unterformen‘*).
‚Von Prof. S. Dawidenkow, Moskau.
(Mit 10 Stammbäumen.)
Bekanntlich kann die Frage, welchem Vererbungstypus die Muskel-
dystrophie unterworfen ist, gegenwärtig noch nicht als völlig geklärt an-
gesehen werden. Bisher wies die Mehrzahl der Autoren darauf hin, daß
man in Familien mit Dystrophikern verschiedene Arten des Erbganges
beobachten kann, und zwar: den dominanten, den einfach rezessiven und
den geschlechtsgebundenen rezessiven Erbgang. Weitz (1921) leugnete
allerdings die Möglichkeit aller drei Typen des Erbganges nicht ab, schlug
jedoch für alle diese Fälle eine einheitliche Erklärung vor. Er ist nämlich
der Ansicht, daß für die Vererbung der Muskeldystrophie stets der domi-
nante Erbgang, aber begrenzt durch das Geschlecht, charakteristisch ist:
während bei mit der krankhaften Anlage behafteten Männern die Krank-
heit stets zum Ausbruch komme, könnten bei Frauen die Aeußerungen der
Krankheitsanlage ausbleiben; in Familien, wo gesunde Eltern kranke Kin-
der haben, ist es also die Mutter, welche die Krankheitsanlage vererbt,
während sie selbst gesund bleibt. Diese Ansicht wurde in bezug auf Pseudo-
hypertrophien von Gowers und Möbius schon vor langer Zeit geäußert.
Das Fehlen von Krankheitsträgern unter den Vorfahren erklärt Weitz
durch Mutation. Diel, Hansen und v. Ubisch (1927) schlugen eine
andere Erklärung vor, welche sie ebenfalls auf alle Fälle der Dystrophie
angewandt wissen wollten: die Krankheit hänge von zwei dominanten Fak-
toren ab (C und D), von welchen der eine in der äußeren Erscheinung
des Subjekts nicht sichtbar werde, während sich der andere in einem
*) Vorgetragen im genetischen Büro der Ges. der Neuropathol. und Psychiater
in Moskau, den 4. XI. 1928.
170 Prof. S Dawidenkow:
eigenartigen Körperbau äußere. Diese dimer-dominante Hypothese sollte
also die nicht seltene Tatsache erklären, daß gesunde Eltern kranke Kinder
haben. Hiernach wären entsprechend dieser oder jener genotypischen An-
lage der Eltern die verschiedensten Zahlenverhältnisse zwischen den ge-
sunden und kranken Geschwistern möglich, es könnte sogar der Fall ein-
treten (Kombination CCdd und ccDD), daß die Krankheit bei allen Kin-
dern von, dem Augenschein nach, gesunden Eltern in Erscheinung trete.
In bezug auf das Geschlecht ist jedoch kein Unterschied vorhanden, und
Diel-Hansen-Ubisch bestritten, daß Knaben häufiger erkranken als
Mädchen. Diese beiden Hypothesen riefen in den letzten Heften der „Deut-
schen Zeitschrift für Nervenheilkunde“ eine interessante Polemik hervor.
Bei eingehenderem Studium dieser Frage ist mir aufgefallen, daß beide
Hypothesen von dem summarischen Begriff der Dystrophia musculorum
progressiva ausgehen und die Voraussetzung machen, daß alle zu dieser
Gruppe gehörigen Fälle sich in genetischer Beziehung gleich verhalten.
Diese Voraussetzung schien mir nicht genügend bewiesen zu sein, daher
war es für mich von Interesse, den Erbgang der Dystrophie nachzuprüfen,
indem ich das ganze Material in einzelne Untersuchungen über die eine
oder andere Krankheitsform einteilte. Auf Grund dieser Arbeit bin ich zu
dem Schluß gelangt, daß tatsächlich der Erbgang klinisch
verschiedener Typen der Dystrophie nicht ganz gleich
ist, und daß sich hier eigentümliche klinisch-geneti-
sche Korrelationen feststellen lassen. Durch diese genetische
Ungleichheit der Dystrophie erklären sich zum großen Teil die Wider-
sprüche zwischen den Angaben der Autoren beider erwähnten; Hypothesen.
Diese Art der Untersuchung ermöglichte mir ferner, mit großer Sicherheit
die nosologische Selbständigkeit einiger Unterformen der Dystrophie zu
bestätigen, welche in den siebziger und achtziger Jahren des vorigen Jahr-
hunderts als völlig klargestellt erschien; später aber wurden alle damals
ausgesonderten Formen auf Grund verallgemeinernder Gesichtspunkte in
eine große Krankheitsgruppe zusammengefaßt, welche zuerst von Erb in
Deutschland „Dystrophia muscularis progressiva“ und dann von Charcot
in Frankreich „Myopathie primitive progressive“ und von Roth in Ruß-
land „protopathische progressive Muskelatrophie“ genannt wurde.
Meine Untersuchungen gründen sich auf 554 Fälle, die 252 Familien
angehören; es sind zum Teil eigene, während der letzten 5—6 Jahre ge-
sammelte Beobachtungen, zum größeren, Teil jedoch der Literatur entnom-
mene Fälle; die Mehrzahl derselben gehört jedoch nicht zu denjenigen,
welche das Material der bekannten W eitzschen Bearbeitung ausmachten:
viele dieser Beobachtungen, besonders solche, die in Dissertationen ver-
öffentlicht worden waren, habe ich nicht finden können; dafür habe ich
viele Beobachtungen russischer Autoren in meine Bearbeitung aufgenom-
Ueber die Vererbung der Dystrophia musculorum progressiva u. ihrer Unterformen. 171
men (die sehr wertvolle Kasuistik von W. Roth, die neue Kasuistik von
Prismann, die Beobachtungen von Bywalkewitsch, Dobron-
rawow, Kryschowa, Levin, Maslowski, Morosow, Mura-
tow, Preobrashenski, Rachmanow, Rußlow, Rybalkin,
Slonimskaja,Farmanow,Schutowa,Schtscherbak, Jaku-
bowitsch u. a.). Dieses ganze Material mußte vorerst sorgfältig darauf-
hin durchgesehen werden, zu welcher Unterform der Dystrophie jeder ein-
zelne Fall gehört. Für die summarische Bearbeitung bemühte ich mich,
nur klinisch typische Fälle auszuwählen. Es ist natürlich, daß selbst beim
strengsten Verhalten dem Material gegenüber ein gewisser Subjektivismus
nicht ganz zu vermeiden ist.
Nachdem ich das Material zusammengetragen hatte, verwarf ich von
vornherein den Gedanken an eine summarische Bearbeitung, da z. B. in
diesem 554 Fälle umfassenden Material ein Verhältnis von 387 Männern
zu 167 Frauen die Krankheitsform als Ganzes sehr ungenügend charakteri-
siert; ich hielt es vielmehr für richtiger, das ganze Material erstens ent-
sprechend den seinerzeit ausgesonderten klinischen Formen und zweitens
entsprechend dern verschiedenen Typen des Erbganges in einzelne Gruppen
einzuteilen.
In bezug auf die Vererbung zerfiel das ganze gesammelte Material
inzweiverschieden große Gruppen.
O O O
er ii
UÜUDOOEBBEBOBEEO
Abb. 1.
Abb. 1. Die von Schuto wa beschriebene Familie „B“ (vorgetragen auf der Kon-
ferenz der Moskauer Gesellschaft der Neurologen und Psychiater vom 4. I. 1929). Alle
kranken Familienglieder litten an einer verhältnismäßig leicht verlaufenden Krank-
heitsform, die mit etwa 17—18 Jahren begann. Bei den zwei untersuchten Brüdern
und der Mutter hatte die Atrophie nur in den Muskeln des Schultergürtels ihren Sitz,
bei der Mutter und einem Bruder war außerdem die Gastrocnemiusmuskulatur hyper-
trophisch. Nach Angaben der Mutter hatte die Atrophie bei einem nicht untersuchten
Bruder auch die Muskulatur der unteren Extremitäten ergriffen. Einfach dominanter
Erbgang. Die im frühen Kindesalter gestorbenen Familienglieder sind mit Kreuzen
bezeichnet.
Erstens ist eine Reihe genügend sorgfältig beschriebener Familien vor-
handen, in welchen sich die Krankheit unmittelbar von den Vorfahren auf
die Nachkommen vererbt, wobei nur sehr selten ein „Ueberspringen einer
172 Prof. S. Dawidenkow:
Generation‘ vorkommt. In dieser Gruppe ist das Zahlenverhältnis zwischen
den kranken Männern und Frauen fast gleich, wie auch das Verhältnis
zwischen den kranken und den gesunden Geschwistern sich dem Verhältnis
von 1:1 nähert. Zuweilen ist der Krankheitsprozeß bei den Frauen weniger
scharf ausgeprägt, auch fällt das Ueberspringen einer Generation etwas
häufiger auf Frauen. Es wird jedoch überhaupt nur selten angetroffen und
ändert kaum etwas an den Resultaten der allgemeinen Berechnung. Das
ist also eine Gruppe mit einfach dominantem Erbgang. In
den zu dieser Gruppe gehörenden Familien wurden in einzelnen Fällen
weitgehende individuelle klinische Varianten angetroffen. Diese Varianten,
z. B. eine leichtere oder schwerere Form des Prozesses, häufen sich zuweilen
in einzelnen Linien der Familie. Diese Varianten können aller Wahrschein-
lichkeit nach durch die Mitwirkung anderer Teile der Erbmasse erklärt wer-
den, unter den letzteren müssen also die Krankheit modifizierende Faktoren
angenommen werden. Das Verhältnis der Gesunden zu den Kranken 1:1
deutet darauf hin, daß hier am ehesten die Wirkung eines, nicht aber zweier
die Krankheit bestimmender Faktoren vorliegt, wie Diel, Hansen und
v. Ubisch angenommen haben. Dagegen paßt für diese Gruppe die Angabe
dieser Autoren, daß Männer und: Frauen
gleich häufig an Muskeldystrophie leiden.
Abb. 2. Familie R. (eigene Beobachtung
1925). Beim Probanden wurde die typische
juvenile Form festgestellt. Drei jüngere Ge-
schwister dieser Generation hatten das kriti-
EB w O EO O sche Alter noch nicht erreicht.
Neben dieser Art des Erbganges
Abb. 2. trifft man eine größere Gruppe, welche
sich dadurch auszeichnet, daß gesunde Eltern kranke Kinder haben. Die-
ser Vererbungstypus geht stets mit einer viel häufi-
geren Erkrankung der Männer als der Frauen Hand in
Hand. Wenn wir in diesen Familien die relative Häufigkeit der Krank-
heit bei den Brüdern und bei den Schwestern berechnen, so sehen wir
in bezug auf alle hierhergehörigen klinischen Gruppen, daß die Zahl der
kranken Knaben derjenigen der gesunden Knaben sehr nahekommt, wäh-
rend die Zahl der kranken Mädchen höchstens ein Drittel so groß ist als
die ihrer gesunden Schwestern. Wenn man annimmt, daß in diesen Familien
die Mädchen ebenso häufig Trägerinnen der Krankheitsanlage sind wie die
Knaben, so kann man feststellen, bei wieviel Prozent dieser mutmaßlichen
Trägerinnen die Krankheit tatsächlich in Erscheinung tritt. Dieser Prozent-
satz, welcher zwar in einigen Familien etwas schwankt, ist dennoch in
den einzelnen hierhergehörigen klinischen Gruppen recht beständig und
variiert zwischen 40 und 50. Wenn ein Kranker aus solch einer Familie
Ueber die Vererbung der Dystrophia musculorum progressiva u. ihrer Unterformen. 173
Nachkommenschaft hat, so vererbt er die Krankheit unmittelbar auf die-
selbe, und zwar wieder hauptsächlich auf die Söhne. Diese Art des Erb-
ganges darf nicht als rezessiv angesehen werden, erstens weil der Kranke
aus solch einer Familie, wenn er heiratet, unmittelbar kranke Kinder hat;
zweitens weil Blutsverwandtschaft in dieser Gruppe augenscheinlich nicht
häufiger angetroffen wird als auch sonst unter der Bevölkerung; drittens
weil das Verhältnis der kranken Knaben zu den gesunden gleich 1:1 ist,
was der Annahme eines rezessiven Erbganges widerspricht. Die Annahme
einesrezessiven geschlechtsgebun-
denen Erbganges ist hier eben-
falls nicht zulässig, da der kranke
Vater seine Krankheit auf den
Sohn vererbt.
Abb. 3. Die von Byvalkevit
(Vrač 1889) beschriebene Familie. Der
Proband konnte seit seinem 10. Lebensjahr nicht laufen. Die Untersuchung ergab das
typische Bild einer Pseudohypertrophie. Ein ebenfalls kranker Vetter des Patienten hat
einen kranken Sohn von 7 Jahren.
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0]: BEBOEBHOOHU DOOOOOBE
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Abb. 4,
Abb. 4. Die von W. K. Roth („Muskelatrophie“ 1895) beschriebene Familie „B“.
Erbsche juvenile Form. Einer der kranken Brüder vererbte die Krankheit direkt
auf seinen Sohn, der zweifellos an Myopathie, aber an einer verhältnismäßig leichten
Form litt, welche im weiteren Verlaufe eine weitgehende Besserung gab.
Daher muß auch in dieser Gruppe der Erbgang als dominant
und augenscheinlich auch von einem Erbfaktor ab-
hängig, aber als hauptsächlich auf das männliche Ge-
schlechtbegrenztangesehen werden. Typisch für diese Gruppe
istalsoeine ausgesprochene Herabsetzung der Häufigkeit
der Manifestation der Krankheitsanlage bei Frauen.
(Eine Herabsetzung bei Männern ist in viel geringerem Grade ausgespro-
chen, obgleich auch sie vorhanden ist.) Daher ist die Anschauung zuläs-
sig, daß in diesen Fällen, wie Möbius und Gowers und in letzter Zeit
Weitz annahmen, die Krankheitsanlage fast immer von der gesund ge-
bliebenen Mutter vererbt wird. Diese Ansicht wird dadurch bestätigt, daß
man in solchen Familien verhältnismäßig häufig Kranke in den Seiten-
174 Prof. S Dawidenkow:
linien der mütterlichen Familie antrifft, niemals dagegen in den Seiten-
linien der väterlichen; ebenso hat eine zweimal verheiratete gesunde Mutter
meist aus beiden Ehen kranke Kinder, während ein zweimal verheirateter
Vater nur von einer Frau kranke Kinder hat, es sei denn, daß er zwei
leibliche Schwestern nacheinander geheiratet hat.
we Yu u
5 Ih o
0O OWO Q OO ef:
UrOOD®O OD BBO ©
Abb. 5. ji
Abb. 5. Familie T. (eigene Beobachtung 1929). Beide Probanden leiden an der
typischen Er bschen juvenilen Form. Der Großvater und dessen Bruder hatten eine
„Muskelatrophie“, deren Mutter litt an einem „Nabelbruch“. Bei der Mutter der Pro-
banden wurden leicht abgeflachte Deltoidei und eine leichte Asymmetrie der Facialis
festgestellt. Die Untersuchung beider Schwestern der Probanden ergab keine Ano-
malien des Körperbaues, außer bei der älteren Schwester eine ungenügende Fähig-
keit, die Augen zusammenzukneifen, nach den Photographien zu urteilen, hat sie
diese Eigentümlichkeit augenscheinlich vom Vater geerbt.
O Abb. 8.
Abb. 6. Familie K. (eigene Beobachtung 1925). Die juvenile E r b sche Form. Der
Vater war zweimal verheiratet. Die Kinder aus der ersten Ehe sind gesund. 1, 3 und
5 — Alkoholiker, 2 — geisteskrank, 4 — funktionelle Nervosität, 6 — Krampfanfälle.
Die Erscheinung, daß von gesunden Eltern kranke Kinder geboren
werden, läßt sich nur schwer durch die Annahme eines dimer-dominanten
Erbganges erklären, da wir dann erwarten dürften, in den Seitenlinien der
mütterlichen und väterlichen Familien gleich häufig Kranke anzutreffen;
ferner wäre die Häufigkeit der Fälle, wo eine gesund gebliebene Mutter von
zwei verschiedenen Männern kranke Kinder hat, unverständlich wie auch
die Herabsetzung der Manifestationshäufigkeit der Krankheitsanlage bei
Frauen, die stets mit dem Auftreten kranker Kinder von gesunden Eltern
parallel verläuft. Auch die Annahme häufiger Mutation in diesen Familien
halte ich für nicht begründet.
Ueber die Vererbung der Dystrophia musculorum progressiva u. ihrer Unterformen. 175
Cm E ,,,$pz,_v-J: E a nee I
In Familien mit einem teilweise geschlechtsbegrenzt dominanten Erb-
gange treffen wir häufig bedeutende Varianten des Phänotypus an, die sich
zuweilen in der einen oder anderen Familie häufen. In diesen Fällen ist
wohl die gleiche Erklärung anwendbar wie in den Familien mit rein
dominantem Erbgange.
Mein ganzes klinisches Material läßt sich auf diese beiden Typen. des
Erbganges verteilen. Wie ich bereits oben erwähnte, konnte ich durch die
Gegenüberstellung der hierbei vorkommenden klinischen Formen feststel-
len, daß bestimmte Beziehungen zwischen der einen oder anderen Unter-
form der Dystrophie und dem einen oder anderen Typus des Erbganges
bestehen.
Bei der Bestimmung der einen oder anderen Unterform der Dystrophie
mußte ich natürlich beständig die große Variabilität der Aeußerungen der
einzelnen Unterformen im Auge behalten. Von Interesse ist, daß sich bei
der Durchsicht des großen Materials die von älteren Autoren (Erb u. a.)
ausgesprochene Annahme bestätigte, welche darin bestand, daß man in
dieser Variabilität eine gewisse innere Gesetzmäßig-
keit feststellen kann, wie z. B. Wechselbeziehungen zwischen dem
Alter, in welchem der Prozeß auftrat, und dem aufsteigenden resp. ab-
steigenden Typus der Muskelatrophie, oder zwischen dem Alter, in welchem
der Prozeß begann, und einer stärkeren oder geringeren Entwicklung der
Pseudohypertrophie der befallenen Muskeln. Aehnliche Korrelationen konnte
ich schon früher in bezug auf die neurotische Amyotrophie feststellen.
Durch diese inneren Gesetzmäßigkeiten erklärt sich augenscheinlich auch
die Tatsache, daß abweichende Fälle der einen Form einander sehr ähn-
lich und sogar mit abweichenden Fällen der angrenzenden Form phäno-
typisch identisch werden können. Auf diese Weise entsteht die Kette der
„tießenden Uebergangsformen“ zwischen den einzelnen Unterformen, welche
von den Klinikern stets als Beweis für die Einheitlichkeit der Dystrophia
musculorum progressiva angesehen wurde. Vom biologischen Standpunkte
aus kann die phänotypische Aehnlichkeit dieser Grenzfälle natürlich nicht
als Beweis der genotypischen Gleichheit dienen.
Vom klinisch-genetischen Standpunkte aus ließen sich die Unterformen
der Muskeldystrophie meines Materials folgendermaßen verteilen:
Typus facio-scapulo-humeralis Landouzy-Deje-
Tine (zuweilen auch Duchennesche infantile Form genannt) ist das
beste Beispiel derjenigen Form, die dem einfach - dominanten Erbgange
folgt. In diese Gruppe konnte ich 136 Fälle aus 25 Familien einordnen.
Hier kommen auf 68 kranke Männer 63 kranke Frauen. In denjenigen
Generationen, wo auch die gesund gebliebenen Geschwister angegeben sind,
kommen 83 Kranke auf 98 Gesunde. Es ist daher anzunehmen, daß, falls
hier eine Reduktion der Manifestierung der Anlage überhaupt vorkommt
176 Prof. S Dawidenkow:
(Ueberspringen einer Generation), dieselbe jedenfalls sehr unbedeutend ist.
Auf Grund derjenigen Generationen, wo auch das Geschlecht der Gesunden
angegeben ist, kann man das genaue Verhältnis der kranken Männer zu
den kranken Frauen, zu den gesunden Männern und zu den gesunden
Frauen berechnen, es beträgt 39:46:43:47. Diese Verhältnisse kommen
alle dem Verhältnis von 1:1 recht nahe. Von Interesse ist, daran zu er-
innern, daß Landouzy und Dejerine in der ersten Beschreibung
ihrer Form bereits darauf hinwiesen, daß dieselbe hereditär par excellence
sei (siehe auch die grundlegende Arbeit von Pierre-Marie und
Guinon). Später wurde diese Frage jedoch ausschließlich vom klinisch-
anatomischen Standpunkte aus studiert, und die gencalogischen Unter-
schiede zwischen den einzelnen Unterformen wurden vergessen. Erst jetzt,
wo wir die Frage einer kombinierten klinischen und genetischen Prüfung
unterwerfen, treten die biologischen Eigenheiten der einzelnen Formen
wieder deutlich hervor.
Phänotypisch weicht die Landouzy-Dejerinesche Form zu-
weilen insofern ab, als wenig ausgesprochene rudimentäre Fälle (Gesicht!)
und Fälle von rein skapulo-humeralem Typus vorkommen.
Die juvenile Erbsche Form dagegen, wenn sie typisch auf-
tritt, folgt stets dem oben beschriebenen teilweise geschlechtsbegrenzt domi-
nanten Erbgange*). Unter meinem Material fanden sich 97 Kranke, welche
klinisch zu diesem Typus gehörten. Sie stammten aus 63 Familien. Auf
77 kranke Männer kamen hier nur 20 kranke Frauen, und auf 56 kranke
Geschwister kamen 116 gesunde. Also erkranken Männer sehr viel häu-
figer an der juvenilen Form (nicht nur an der Pseudohypertrophie, wie
meist angegeben wird) als Frauen. Das Verhältnis der kranken Männer zu
den kranken Frauen, zu den gesunden Männern und zu den gesunden
Frauen ist in den Familien, wo genaue Zahlenangaben vorhanden sind,
gleich 35:16:36:54. Die Männer erkranken also ebenso häufig, als sie
gesund bleiben, während bei Frauen, welche Trägerinnen der Krankheits-
*) Ich habe dieser Gruppe diejenigen Familien zugezählt, in welchen die von
den Autoren untersuchten Probanden den vollentwickelten Typus der juvenilen Erb-
schen Form aufwiesen. Wenn in einer derartigen Familie noch Fälle von Myopathie
vorhanden waren, so waren sie häufig nicht vom Autor untersucht worden, oder es
waren allgemeine Angaben gemacht worden, daß diese Patienten an einer „analogen
Krankheit“ litten, in solchen Fällen mußte die betreffende Familie auf Grund der
beim Probanden gefundenen Krankheit zur juvenilen Erbschen Form gerechnet wer-
den. Wurden aber mehrere Kranke aus der gleichen Familie untersucht, so entsprachen
sie meist einem mehr oder weniger entwickelten Typus der Erbschen Form, wobei
die Variationen so gering waren, daß man sie nicht gut zu verschiedenen Gruppen
rechnen konnte. In meiner Kasuistik habe ich wenigstens in keinem Falle eine
Kombination angetroffen, derart, daß etwa in der gleichen Familie eine ganz typische
Erbsche Dystrophie und eine typische Duchennesche Pseudohypertrophie vor-
gelegen hätten. Analogen Erwägungen folgte ich auch beim Sammeln des die übrigen
Gruppen der Myopathie betreffenden Materiales.
Ueber die Vererbung der Dystrophia musculorum progressiva u. ihrer Unterformen. 177
anlage sind, dieselbe nur in zirka 45 % der Fälle in Erscheinung tritt. Ich
hielt es für besonders wertvoll, eine analoge Zählung in bezug auf die-
jenigen kasuistischen Mitteilungen vorzunehmen, wo ohne besondere Aus-
wahl alle durch die betreffende Klinik gegangenen Fälle veröffentlicht
worden waren. Zu diesem Zwecke wählte ich die Kasuistik Roths (8 Fa-
milien) und meine eigene (10 Familien) aus. Die Gesamtzahl der kranken
Geschwister betrug 29, die der gesunden 48. Das Verhältnis der kranken
Männer zu den kranken Frauen, zu den gesunden Männern und zu den
gesunden Frauen ist hier gleich 21:8:18:30; die Krankheitsanlage bei
Frauen trat also in zirka 42% der Fälle in Erscheinung.
Phänotypisch kann die juvenile Form Abweichungen geben, welche
der Landouzy-Dejerineschen Form oder der Pseudohypertrophie
nahekommen, oder sie kann in Form von rudimentären Fällen auftreten.
Der verschiedene genetische Charakter der Hauptmasse des fazio-ska-
pulo-humeralen Typus und der juvenilen Form spricht stark für die bio-
logische Unabhängigkeit beider Krankheitsformen, obgleich sie weitgehende
klinische Aehnlichkeiten aufweisen können.
Neben der Hauptmenge der vollentwickelten Fälle trifft man auf eine
kleine Gruppe verhältnismäßig leicht verlaufender Fälle der skapulo-hume-
ralen Atrophie (Kehrer, Schutowa), welche dem einfach dominanten
Erbgange folgt. Die Gruppe ist jedoch noch zu klein, um mit Sicherheit
sagen zu können, daß für diesen dominanten Typus wirklich eine wenig
entwickelte Form und ein relativ später Krankheitsbeginn charakteri-
stisch sind.
Die Duchennesche Pseudohypertrophie folgt dem glei-
chen teilweise geschlechtsbegrenzt dominanten Erbgange wie die juvenile
Form. In meiner Kasuistik habe ich 152 aus 87 Familien stammende Fälle
dieser Form gesammelt. Hier kommen auf 127 Männer 25 Frauen, auf
74 kranke Geschwister 157 gesunde. Das Verhältnis der kranken Brüder
zu den kranken Schwestern, zu den gesunden Brüdern und zu den ge-
sunden Schwestern beträgt 37:13:40:51. Auch hier ist also die Reduk-
tion der geäußerten Anlage bei den Männern nicht sicher, während sie bei
den Frauen deutlich ist: nur bei 40,6% der mutmaßlichen Trägerinnen
der Krankheitsanlage tritt diese in Erscheinung. Blutsverwandtschaft der
Eltern wird in dieser Gruppe nur selten angetroffen. Die Nachkommen-
schaft dieser blutsverwandten Ehen weist die gleiche Reduktion der Aeuße-
rung der Krankheitsanlage bei den Frauen auf.
Von großer Wichtigkeit ist die ausführliche Untersuchung des Körper-
baues jener gesunden Glieder aus Familien mit der juvenilen Erbschen
Form und der Pseudohypertrophie, von denen angenommen werden kann,
daß sie Träger einer latenten Form der Krankheitsanlage sind. Das gilt
in erster Linie von den gesunden Müttern kranker Kinder. Diese Arbeit ist
eben erst begonnen worden. Ich kann daher noch keine ausführliche Be-
Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie, Bd. 22, Heft 2. 12
178 Prof. S. Dawidenkow:
schreibung dieses Phänotyps geben. In den wenigen Fällen, wo ich der-
artige Personen untersucht habe, fand ich bald eine angeborene zu schwache
Entwicklung einiger der Muskeln, welche elektiv vom atrophischen Pro-
zesse befallen werden, bald, umgekehrt, eine besonders starke Entwicklung
derjenigen Muskeln, wo die Hypertrophie am liebsten ausbricht (der Gastro-
cnemiusmuskulatur, des M. masseter); zuwei-
len gesellten sich hierzu noch andere Unregel-
mäßigkeiten des Körperbaues (Plattfuß, Ano-
malien der Fingerlänge u. dgl). Einen
besonders gedrungenen, zu Fettleibigkeit nei-
genden Typus (s. die Arbeit von Diel, Han-
DD sen u. v. U bis ch) habe ich bisher unter den
untersuchten Personen nicht angetroffen.
g Abb. 7. Familie A. (eigene Beobachtung 1927).
Abb. 7. Der Proband leidet an typischer Pseudohypertrophie.
Bei der Mutter sind keinerlei Atrophien oder Beweglichkeitsstörungen vorhanden, die
Gastrocnemiusmuskulatur ist aber übermäßig entwickelt, die zweite und dritte Zehe
beider Füße sind gleich lang, Tremor der Hände, allgemeine Nervosität.
tt
Abb. 8.
Abb. 8. (Beobachtung aus meiner Abteilung 1928; vorgetragen von Dr. N. Kry-
šova am 4. I. 1929 in der Moskauer Gesellschaft für Neurologie und Psychiatrie).
Der Proband leidet an der typischen Erbschen juvenilen Form. Zwei ältere
Schwestern und ein älterer Bruder leiden an der gleichen ausgesprochenen Form der
Krankheit. Bei dem folgenden Bruder (2) wurde eine nicht voll entwickelte Form
angetroffen: Boules musculaires in den Bizeps, Schwäche der Deltoidei, Hypertrophie
der Masseteren und der Musculi tibiales ant., Plattfuß beiderseits, Herabsetzung der
Sehnenreflexe, Anisokorie, Augenspalten von verschiedener Breite. Sein Sohn (4) er-
krankte mit 13 Jahren: Parese des linken Deltoideus, Anisokorie, Asymmetrie der
Fazialis, Abflachung den Musculi supraspinati. Ebenso erkrankt auch seine Nichte (5):
Abmagerung der Hände, flügelförmige Schulterblätter, überentwickelte Waden-
muskulatur, stark ausgeprägte Lordose der Lendenwirbelsäule. Bei der Mutter des
Probanden (1) und bei seiner Schwester (3) sind die Funktionen der Extremitäten
nicht gestört, die Untersuchung ergibt jedoch Anomalien des Körperbaues; bei der
Mutter: beiderseitiger Plattfuß, dicke Waden, kongenitale Ptose, träge Reflexe, Tic
musculi orbicularis oculi; bei der Schwester: asthenischer Habitus, eingefallener
O QO
Ueber die Vererbung der Dystrophia musculorum progressiva u. ihrer Unterformen. 179
Brustkorb, hochstehende Schulterblätter, der Größe nach unsymmetrische Deltoidei,
Ptose des rechten Augenlides, Auseinanderweichen der Musculi recti abdominis, über-
entwickelte Masseteren.
Zuweilen werden späte Fälle der Pseudohypertrophie und frühe Fälle
der juvenilen Form infolge des obenerwähnten Gesetzes der Wechsel-
beziehungen einander so ähnlich, daß sie eine für die Diagnose schwie-
rige Sammelgruppe bilden, welche öfter unter dem Namen „hereditäre
Leyden-Möbiussche Form“ auszusondern versucht wurde. Meist
werden auch die frühen Fälle der Pseudohypertrophie zu dieser Gruppe
gerechnet, wenn der pseudohypertrophische Prozeß nur wenig ausgespro-
chen ist, was bei Mädchen besonders häufig vorkommt. So entstand eine
künstliche Sammelgruppe, die offenbar aus nicht gleichartigen Formen
besteht und den Eindruck einer „Uebergangsform“ macht. Natürlicherweise
muß auch die Genetik dieser Gruppe mit der Genetik der juvenilen Form
und der Pseudohypertrophie übereinstimmen. Von meinem Material konn-
ten 60 Fälle aus 33 Familien zu dem „Leyden-Möbiusschen Typus“
gerechnet werden. Auch hier haben kranke Kinder öfter gesunde Eltern.
Auf 44 Kranke kommen 79 Gesunde, auf 39 Knaben 21 Mädchen; das Ver-
hältnis der kranken Knaben zu den kranken Mädchen, zu den gesunden
Knaben und zu den gesunden Mädchen ist gleich 20 : 10 : 20 : 26.
Die sog. Zimmerlinsche Form, die jetzt übrigens fast nie mehr
diagnostiziert wird, stellt ebenfalls eine künstliche Gruppe dar, welche Fälle
der juvenilen Form und der fazio-skapulo-humeralen Form umfaßt.
Dagegen ist die myosklerotische Form Cestan-Lejonnes
augenscheinlich eine ganz selbständige Erkrankung, die deutlich dem teil-
weise geschlechtsbegrenzt dominanten Erbgange folgt: gesunde Eltern haben
öfter kranke Kinder, Männer erkranken häufiger als Frauen (auf 15 Männer
4 Frauen), in den Seitenlinien der mütterlichen Familie wurden dreimal
Kranke angetroffen. Die Kasuistik dieser Form umfaßt jedoch noch zu
wenig Fälle, als daß man sie richtig bewerten könnte.
Ormi
aam E ® J
DD OO = ® U POD U
ze pii JO®® | JDOOOD O
| CRSIOL®)
Abb. 9. |
Abb. 9. Familie T. (eigene Beobachtung 1924). Der Proband litt an der typischen
myosklerotischen Form der Myopathie. Bei der Großrhutter mütterlicherseits bildete sich
im Alter eine Kontraktur der Finger, die auf übermäßige Arbeit zurückgeführt wurde.
12*
180 Prof. S Dawidenkow:
Auf große Schwierigkeiten der klinisch-genetischen Deutung stößt man
in einer kleinen Gruppe von Fällen, welche phänotypisch genau dem Typus
facio-scapulo-humeralis Landouzy-Dejerine entspricht, sich aber
durch den charakteristischen geschlechtsbegrenzt dominanten Erbgang von
dieser Form unterscheidet. 30 Fälle aus 22 Familien konnte ich dieser
Gruppe zuzählen. Hier hatten die kranken Kinder stets gesunde Eltern,
von 30 Kranken waren 23 Männer und 7 Frauen, auf 19 kranke Geschwister
kamen 33 gesunde. Vermutlich handelt es sich hier um eine Sammelgruppe
aus ungleichartigen Fällen, von denen ein Teil zu der juvenilen Form
als phänotypische Abweichung derselben zugezählt werden muß.
Die von Hoffmann beschriebene bulbär-paralytische und
distale Form bilden augenscheinlich selbständige Gruppen; jedoch sind
bisher noch zu wenig derartige Fälle beschrieben worden, als daß man
eine genaue genetische Charakteristik derselben geben könnte. Ich will nur
bemerken, daß in beiden Gruppen nie eine direkte Vererbung der Krankheit
von den Eltern auf die Kinder beobachtet wurde, so daß als wahrschein-
lich angenommen werden kann, daß keine der beiden Formen dem ein-
fach dominanten Erbgange folgt.
Abb. 10. Familie G. von W. K.
Roth („Muskelatrophie“ 1895) be-
oO HE EEROR JO) schrieben. Die beiden Kranken leiden
Abb. 18. an einer Myopathie von distalem Typus.
Schließlich darf man bei dieser klinisch-genetischen Analyse nie außer
acht lassen, daß Muskelatrophien von myopathischem Typus auch außer-
halb der Dystrophia musculorum progressiva als Komponente anderer
hereditärer Degenerationen vorkommen können; als Beispiel sei die atro-
phische Myotonie (myotonische Dystrophie) u. a. angeführt. Besondere
Aufmerksamkeit verdient die Gruppe von Fällen, wo die Muskeldystrophie
ein Symptom der familiären Friedreichschen Ataxie dar-
stellt. Dieses Symptom kann in einzelnen Fällen so stark ausgesprochen
sein, daß es die Ursache von Fehldiagnosen werden kann. Die Heredität
der letztgenannten Gruppe weicht augenscheinlich von der Heredität der
wahren Dystrophie ganz erheblich ab: auch hier haben gesunde Eltern
kranke Kinder, aber die Herabsetzung der Häufigkeit der Aeußerung der
Krankheitsanlage bei Frauen ist nicht mehr ausgesprochen, und ferner
liegt in mehr als der Hälfte der veröffentlichten Fälle Blutsverwandtschaft
der Eltern vor. Es ist nicht ausgeschlossen, daß es sich in dieser Gruppe,
obgleich die Zahl der Kranken in der Familie scheinbar zu groß ist, um
einen wahren rezessiven Erbgang handelt. Doch muß diese Annahme noch
einer weiteren Nachprüfung unterworfen werden.
So gibt uns diese kombinierte klinisch-genetische Untersuchung der
Frage, obgleich sie mit mühsamer Kleinarbeit verbunden ist, doch er-
Ueber die Vererbung der Dystrophia musculorum progressiva u. ihrer Unterformen. 181
ınutigende Resultate. Ich bin der Ansicht, daß man beim Studium der
Heredität einzelner Krankheitsformen wohl nur diesen Weg einschlagen
kann. Diejenigen nosographischen Gruppen, die wir von einer Epoche über-
nommen haben, wo bei der Aussonderung einer neuen Form ihre genea-
logische Charakteristik gar nicht in Betracht gezogen wurde, entsprechen
meist wohl nicht bestimmten biologischen Einheiten. Jedoch auch bei
diesem in die Einzelheiten gehenden Studium der Frage gelingt es uns
vorläufig nur, einzelne Seiten des Problems zu beleuchten. Der Forscher
stößt noch immer auf Rätsel, welche erst durch weiteres Anhäufen richtig
gesammelten Materials gelöst werden können.
Die in diesem kurzen Aufsatz zusammengedrängten Angaben werden
bald in einer besonderen Monographie in russischer Sprache ausführlich
veröffentlicht werden.
Ein ungewöhnlicher Stammbaum über Taubstummheit.
Von W. Emil Mühlmann.
(Mit 1 Stammbaum.)
M.
d Ç ọ gF L.
999399 CT, TTF
ed om! d o BoNo
Ọ Sh g Q @ Taub/tumm
© auf einem Ohr taub
n 7 9 oj 7 es Begabung
Ich verdanke Herrn cand. med. Hans Lindemann einen ungewöhn-
lichen Stammbaum über Taubstummheit aus seiner Familie. Das Leiden
tritt in den beiden Linien M. und L. beide Male in Verwandtenehen auf, in
der Familie M. nach Vetternheirat, in der Familie L. nach Heirat zwischen
Onkel und Nichte. Insoweit bestätigt der Stammbaum also den rezessiven
Erbgang der Taubstummheit (vgl. Lenz, Menschliche Erblichkeitslehre,
3. Aufl., S. 212ff.). Man würde nun erwarten, daß aus der Ehe der beiden
Taubstummen (Großelterngeneration) nur taubstumme Kinder hervor-
gingen, wie es sein müßte, „wenn zwei Personen mit derselben Art erb-
licher Taubstummheit einander heiraten“ (Lenz). Tatsächlich aber sind
beide Söhne normal! Als Erklärung hierfür kommen zwei Möglichkeiten
182 W. Emil Mühlmann:
in Betracht: 1. Das Leiden könnte in einer der beiden (oder gar in beiden)
Linien nicht erblich bedingt sein. Wir kennen Fälle von Taubstummheit,
die durch Infektionskrankheiten verursacht sind, z. B. auch kongenital
durch Syphilis. Diese Möglichkeit läßt sich aber auf Grund der Familien-
geschichte ausschließen. Auch spricht der Umstand, daß das Leiden in
beiden Linien nach Verwandtenheirat auftritt, von vornherein gegen
parakinetische Verursachung und für (rezessive) Erblichkeit. Die zweite
Möglichkeit ist die, daß in den beiden Linien das phänotypisch gleiche
Leiden idiotypisch verschieden ist. Es wird sich um zwei verschiedene,
rezessiv erbliche Formen von Taubstummheit handeln. Daß wir mit kli-
nisch gleichartigen, aber genetisch verschiedenartigen Krankheiten zu rech-
nen haben, ist bei Lenz wiederholt betont, und der vorliegende Stamm-
baum ist ein Beleg für den Satz von Lenz, daß wir „in vielen Fällen
gleichsam die Blindschleichen unter den Krankheiten noch nicht von den
Schlangen unterscheiden können“. Vermutlich sind verschiedene Formen
von Taubstummheit auch in ihrer morphologischen Grundlage verschieden.
Bis zu dieser aber können wir vorderhand: nicht vordringen, wohl aber
wird die biologische Verschiedenheit durch genetische Analyse offenbar.
Der vorliegende Fall läßt sich durch ein Beispiel aus der experimen-
tellen Genetik illustrieren, das ich B a t e s o n (Mendels Vererbungstheorien,
Deutsche Ausgabe 1914, S. 99ff.) entnehme. Bateson und Punnett
kreuzten weiße Hühner und fanden dabei, daß es vier verschiedene Formen
von Weiß gibt, und zwar eine dominante (Livorneser) und drei rezessive
(2. eine besondere, von B. und P. gezogene Form, 3. Rosenkammbantams
und 4. Seidenhühner). Bateson und Pun nett kreuzten nun die rezes-
siven Formen 2 und 4, und es ergab sich, daß die Kreuzung dieser beiden
weißen rezessiven Formen „ausschließlich ganzfarbige Vögel“ ergab. In
Form 2 ergaben diese dann 9 Ganzfarbige zu 7 Weißen. Die farbige Tafel
dazu findet sich bei Bateson nach S. 100. Bateson bemerkt: „In der
äußeren Erscheinung erwachsener Tiere ist wenig oder gar nichts, das
einen Beobachter auf den Verdacht bringen könnte, daß die genetischen
Fähigkeiten dieser vier Typen hinsichtlich der Farbe gänzlich verschieden
sind.“ Der Fall liegt hier offenbar so wie in unserem Stammbaum: Zwei
verschiedene rezessive Formen desselben Phänotypus ergeben eine ganz
anders aussehende Nachkommenschaft.
Ueber den Stammbaum ist noch einiges Weitere zu sagen. Die Zahl
höherer Begabungen ist überdurchschnittlich. Der Stammbaum enthält eine
Dichterin sowie verschiedene hohe musikalische Begabungen. Diese wür-
den vermutlich noch stärker vertreten sein, wenn sie nicht durch Taub-
stummheit in einem Teil der Fälle am Zustandekommen resp. an der
Entwicklung gehindert worden wären. Außerdem finden sich: ein Fall von
Geisteskrankheit, Schwachsinn und Schwerhörigkeit. Die beiden letzten
Ein ungewöhnlicher Stammbaum über Taubstummbheit. 183
Fälle sollen noch etwas beleuchtet werden. „Schwachsinn“ findet sich bei
Taubstummen nach Lenz in zirka 30% der Fälle. In unserem Stamm-
baum tritt er bei einem normalen Individuum der jüngsten Generation
auf. (Der Vater des Mädchens ist „etwas sonderbar“, die Familie seines
Bruders, eines sehr angesehenen Arztes, verkehrt nicht mehr mit ihm.)
Man möchte an konstitutionelle Zusammenhänge mit der Taubstummheit
denken. Der Zusammenhang von Taubstummheit und Schwachsinn ist
von Albrecht (zit. nach Lenz, S. 215) so gedeutet worden, „daß dieses
Zusammentreffen auf die Verwandtenehe zurückzuführen sei, durch die
nicht nur die Anlagen zu Taubstummheit, sondern auch die zu anderen
rezessiven Erbleiden manifest gemacht werden können“, wozu Lenz be-
merkt: „Diese Erklärung dürfte mindestens für einen großen Teil der Fälle
zutreffen ... Ob es schließlich auch gewisse Erbanlagen gibt, die außer
Taubstummheit zugleich noch andere Gebrechen bedingen, ist bisher nicht
bekannt.“ Als Ursache für die halbseitige Taubheit in der jüngsten Generation
kommt auch eine in früher Jugend durchgemachte Otitis media in Betracht.
Ueber die Berechnung der Faktorenaustauschziffer
bei der Blutgruppenvererbung.
Von Sanitätsrat Dr. W. Weinberg, Stuttgart.
Im folgenden gebe ich unter 1. einen Auszug einer Aeußerung, die ich
auf Ersuchen K. H. Bauers im Herbst 1928 für diesen abfaßte. Ich habe
dabei von der mir nicht unbekannten Hypothese Bernsteins eines
multiplen Allelomorphismus zunächst völlig abgesehen und setze mich erst
im zweiten Abschnitt mit ihr auseinander. Die Arbeiten von Bauer,
Hirszfeld und Bernstein setze ich als bekannt voraus.
1.
Aus dem von Hirszfeld gesammelten und von H. K. Bauer bear-
beiteten Material geht das Bestehen einer Koppelung zweier Faktoren, ver-
bunden mit Faktorenaustausch, anscheinend zweifellos hervor. Nur die
Häufigkeit des Faktorenaustausches ist noch strittig.
Um die Häufigkeit des Faktorenaustausches bei der Vererbung der
Blutgruppen zu berechnen, bedient man sich zweckmäßigerweise der Rück-
kreuzung von AB, insbesondere mit O. Da ein wirksamer Faktorenaus-
tausch nur bei dem Phänotypus AB vorkommt, so wählt man diesen,
und da die Kreuzung AB XO die häufigste ist, so ist sie auch hierfür
die geeignetste. Dabei ist aber folgendes zu beachten: Wenn aus AB x O
entgegen der Bernsteinschen Hypothese neben einer Mehrzahl von A
und B auch die Gruppen AB und O hervorgehen, was zu bezweifeln kein
184 Dr. W. Weinberg:
Grund vorliegt*), so bedarf es dazu nicht unbedingt des Faktorenaustausches.
Auf diesen sind vielmehr bloß die Fälle zurückzuführen, um welche sich
die Anzahl der AB und O von der theoretischen Forderung unterscheidet,
die für den Fall des Nichtfaktorenaustausches gilt. Man wird sich dabei
sagen müssen, daß der Faktorenaustausch sowohl zu einer Vermehrung als
auch zu einer Verminderung der AB und O führen kann, je nach dem
Genotypus, dem ein individueller AB-Phänotypus angehört. Es sind be-
kanntlich fünf verschiedene AB-Phänotypen möglich. Kennzeichnen wir
die von demselben Elter (Vater oder Mutter) stammenden Gene eines Indi-
viduums dadurch, daß wir sie untereinander stellen, so liefert |4 A H Al stets
| [2]-Sameten und mit O gekreuzt nur AB-Individuen, gleichgültig, ob Fak-
ansich stattfindet oder nicht. In Wirklichkeit entzieht er sich der
Beobachtung. Dasselbe gilt für 2) B und H pi Diese liefern mit und
ohne Faktorenaustausch 50 % AB-Individuen. Hingegen liefert [4] [o |ohne
Faktorenaustausch je 50%, mit Faktorenaustausch weniger als 50% AB
und O; umgekehrt liefert B ohne Faktorenaustausch keine, mit sol-
chem aber bis zu 50% AB und O.
Wir können nun vorläufig die Gesamtheit der AB nicht in ihre Geno-
typen zerlegen, dies wird selbst bei genealogischer Durchforschung der
Ahnen nicht durchweg angehen. AB-Individuen, die aus Kreuzung mit O
entstanden sind, werden allerdings stets dem Typus Fi angehören. Aber
B
vorläufig sind sie noch zu wenig zahlreich für die Bestimmung der Häufig-
keit des Faktorenaustausches. Man muß sich also mit einer Schätzung der-
selben begnügen, die sich aus der Kreuzung eines Gemisches von verschie-
denen AB-Genotypen mit O ergibt. Dazu ist aber eine Hypothese über die
Zusammensetzung dieses Gemisches nötig. Die einfachste Hypothese ist die
einer panmiktischen Abstammung der AB-Partner der AB x O-Kreuzung.
Diese Hypothese ist vielleicht nicht ganz berechtigt. Aber eine Untersuchung
mittels der Kontingenzmethode ergibt, daß der Kontingenzkoeffizient etwa
5,5 % beträgt, und da dieser empirisch von den üblichen Korrelationskoef-
fizienten wenig abweicht, so kann man damit den begangenen Fehler
beurteilen.
Das von Hirszfeld und Furuhata zusammengestellte Material
über 8502 Kinder und deren 17004 Eltern ergibt, daß unter letzteren
O zu 36,63 % B zu 18,20 %
A zu 37,57 % AB zu 7,60%
*) D. h. vorläufig!
Ueber die Berechnung der Faktorenaustauschziffer bei der Blutgruppenvererbung. 185
vertreten war. Die letzteren entsprechen 474 Kindern. Aus diesen Zahlen
können wir nun die relativen Häufigkeiten r, p, q, s der Gene ab, Ab, aB
und AB unter der Voraussetzung der Panmixie berechnen, indem wir
r = 0 = V 0,3663? = 0,6052
p=0+ A — r= V 742 — 0,6052 = 0,2562
q =0 +B — r= V 54,87 — 0,6054 = 0,1353
und s als Rest aus 1 — r — p — q = 0,0033 berechnen. Wir können aber
auch s direkt berechnen, indem wir
s=1—V1— AB +2 pq setzen.
Dies ergibt sich aus folgender Ueberlegung. AB ergibt sich aus
AB, AB mit der Häufigkeit s2
AB, Ab 99 99 99 2 sp
AB, aB „ „ » 2 sq
AB, ab ” ” ” 2sr
Ab, aB 99 „ „ 2 pq
Die Summe hiervon ist die aller AB und = s (2 p + 2q + Zr + s) +. 2 pq. Da
ptq+tr+ts=1,so ist auch AB =s (2— s) + 2 pq. Diese Gleichung läßt
sich in s2? — 2 s + AB — 2 pq =0 umformen und ergibt nach s aufgelöst die
obige Formel.
Aus den Werten r, p, q, s können wir nun die wahrscheinliche Häufig-
keit der 5 AB-Genotypen berechnen und finden sie für
I [alla] 0,0033? = 0,00001089 = s?
JI os 2 . 0,0033 : 0,2562 = 0,00169092 = 2 sp
HI [a][2]=2-00055-01353 = 0,00089298 = 2 s g =s (2p+2q+2r+ s)
IV [i|| $ |= 2-00033-0.8052 = 0,00399432 = 2 sr | =s (2—8)
V ]ls]= 2.0,2562.0,1353 = 0,06932772 = 2 q p
Die Summe aller AB =0,07591683 und stimmt mit der oben be-
rechneten = 0,076 = 7,6°/, so gut wie möglich überein.
Von diesen 5 Genotypen liefern der erste mit und ohne Austausch die
gleiche Anzahl 100 %, der zweite und dritte je 50 % an AB-Gameten, der
vierte liefert ohne Austausch zur Hälfte AB- und ab-Gameten und bei
einer Austauschziffer x je 7 AB- und ab-Gameten, also weniger, dafür
aber entsprechend mehr Ab- und bA-Gameten, die er ohne Austausch
186 Dr. W. Weinberg:
nicht produziert, während die Genotypen stets einen oder den anderen
auch ohne Austausch zu 50 % liefern.
Der fünfte Genotyp allein liefert ohne Austausch gar keine |% |- und
-Gameten, aber um so mehr, je größer die Austauschziffer ist. Er hat die
Häufigkeit 0,06932772. Das macht von sämtlichen AB-Genotypen 9,84% aus.
während IV eine etwa 17 mal kleinere Häufigkeit hat. Nur an den Kreu-
zungen von IV und V ist die Wirkung des Austausches
durch Auftreten von Ab undaB und Verminderung von AB und ab bei IV
durch Auftreten von ABundab und Verminderung von Ab undaBbei V
erkennbar. I—Ill sind für die Frage nach der Austauschziffer nicht brauch-
bar. Leider kann man ohne Material, das sich über mehr als zwei Genera-
tionen erstreckt, die Typen nicht isolieren und ist daher darauf angewie-
sen, Schlüsse aus dem empirischen Gemisch aller fünf zu ziehen. Das ist
nur unter der Voraussetzung der Panmixie der Eltern möglich, die für die
ganze Generation nach der Kontingenzmethode einigermaßen zutrifft. Auf
die Wiedergabe dieser Berechnung kann hier verzichtet werden.
Das Verfahren besteht darin, daß man zunächst die Zahl der ohne
Austausch entstehenden AB- und ab-Gameten berechnet, sie ist
für AB = s, bezogen auf die Generation, und = Fr
sr
für ab = sr, bezogen auf die Generation, und = 7
wenn F =0,07591683 die Summe aller AB-Phänotypen in der Population
darstellt. Wir erhalten auf diese Weise für AB-Genotypen die Erwartung
4,62 %, für O-Genotypen die Erwartung 2,79 %. Diese Werte sind bei Kreu-
zung AB x O gleich den Phänotypen der Erwartung für AB und O ohne
Austausch. Indem man diese Werte von den empirischen Werten (H. K.
Bauer) 5,90 % für AB und 5,48% für O abzieht, erhält man die Zahl der
auf Rechnung des Austausches kommenden AB und O. Es sind also
5,90 — 4,33 = 1,57% AB
und 5,48 — 2,63 = 2,85% O
auf Austausch zurückzuführen.
Und die gesamte Austauschziffer wäre somit 4,42%, wobei die O stark
überwiegen. An dieser Berechnung ist aber noch eine zweifache Korrektur
anzubringen.
Die Zahl der durch Austausch entstehenden AB und OÖ ist faktisch
etwas höher, weil ja IV bei Austausch weniger AB und O produziert. Be-
zeichnet man die Austauschziffer für AB und O je mit x, so verschwinden
bei Austausch erwartungsmäßig
Ueber die Berechnung der Faktorenaustauschziffer bei der Blutgruppenvererbung., 187
bei IV x O jersxz AB und O,
entstehen bei Austausch erwartungsmäßig
bei V je p q x AB und O.
Die empirisch als Austauschkinder nachweisbaren AB und O ent-
sprechen also einem Werte 2 (pq—rs) x, der gleich 2 -32,7 x % ist (genauer
65,33).
Setzt man nun 2 X 32,7 x = 4,42, so erhält man die Austauschziffer 6,77 %
für AB und O zusammen. Dieser Wert bezieht sich aber nur auf die aus V
und O und nicht auf die Kreuzung aller AB und O entstandenen Austausch-
0,07591683 _
tatt-
0,06932772
finden. Dann erhält man eine Austauschziffer = 7,56 %. Zu dieser Aus-
tauschziffer ist zu bemerken, daß sie etwa zwei Drittel der bisherigen Ziffer
H. K. Bauers ausmacht. Die Bedeutung der Austauschhypothese wird da-
durch nicht gemindert.
Weiterhin aber widerspricht anscheinend der große Unterschied der
AB und O unter den Kindern aus I—IV x O der Erwartung, ihre Zahl
müßte gleich sein und das würde auch für die aus IV x O bei Austausch
verschwindenden AB und O gelten. Dies kann verschiedene Ursachen
haben. Einmal liefern die ersten IV Typen ohne Austausch mehr als 50 %
AB (der erste nämlich 100 %) und nur wenige O. Das würde bei allen, fünf
AB-Typen eine Verminderung der erwartungsmäßigen AB bedeuten und
die erwartungsmäßige Gesamtzahl erklären, die sich aus dem Gemisch aller
mit O gekreuzten Typen ergeben hat. Wenn man also diese von dem empi-
rischen Resultat abzieht wie oben, so müßten notwendig zu wenig AB als
Austauschkinder herauskommen, wenn sich die Gesamtzahl der aus I—V
hervorgegangenen AB und O mit 28 und 26 nur um 2 unterschied. Es kann
nun ein Zufall sein, daß diese Differenz, die, auf 474 Kinder berechnet, nur
0,4% ausmacht, so gering ausfiel.
Da die Kreuzungen I—IV X O mit einer Häufigkeit von 8,7% aller
AB x O Kreuzungen allein ohne Austausch 6,60 % AB liefern mußten, so
hätten statt insgesamt 7,56 % AB wesentlich mehr entstehen müssen, näm-
lich etwa 9,4 %, wenn sich bei V X O eine gleiche Zahl von AB und O durch
Austausch, wie erwartet, ergeben sollte.
Die Erwartung war also nicht eine gleiche Zahl von AB und O aus
dem Gemisch der V mit O gekreuzten Zahl von AB-Typen, sondern ein
nicht unerhebliches Mehr von AB. Außer an den Zufall muß aber hier auch
an die von Hirszfeld besprochene Möglichkeit gedacht werden, wonach
das Zustandekommen von AB-Typen irgendwie schon bei der Befruchtung
erschwert ist. Dieser Frage kann aber endgültig erst nähergetreten werden,
wenn noch erheblich mehr ohne jede Voreingenommenheit für diese oder
kinder, und es muß daher noch eine Multiplikation mit
188 Dr. W. Weinberg:
jene Hypothese gesammeltes Material vorliegt. Nach demselben Prinzip
müßten nun auch die von ABX A- und AB x B-Kreuzungen untersucht
werden.
Wir erhalten nach demselben Prinzip für
A X AB als Austauschkinder 6,2 AB und 1,10 zus. 7,3%
B X AB als Austauschkinder 12,0 AB und 1,60 zus. 13,6 %.
wobei also hier die AB weitaus überwiegen.
Hier ist 2 (pq — rs) noch mit 2 dividiert, weil hier die Aenderung der
Erwartung für AB und O bei reiner Koppelung ohne und mit Austausch
je nur % beträgt.
Unter Division dieser Zahlen mit (pq — rs) ist x = 22,6 %
bzw. x = 40,8 %
aa , _.. . 7591683
Diese Werte sind ebenfalls im Verhältnis 6039772
dann 24,8% und 44,7% gegen 7,6% für AB x O.
Die Austauschwerte für AB X O, AB X A und AB X B sind somit nicht
unerheblich verschieden. Für AB X O wurden zweimalige Berechnungen
angestellt. Auf die Untersuchung der weiteren Kreuzungen wurde zunächst
verzichtet, teilweise, so für AB X AB, ist das Material noch zu klein.
Dieses Ergebnis steht anscheinend in schroffem Gegensatz zu dem Be-
funde H. K. Bauers, der durchweg eine weitgehende Uebereinstimmung
zwischen Erfahrung und Erwartung findet. Aber in Wirklichkeit besteht
doch kein Gegensatz.
Wir brauchen deshalb auch nicht den Schluß zu ziehen, daß die Kop-
pelungs-Austauschhypothese darunter irgendwie Schaden leidet.
Das ResultatBauers erklärt sich ohne Schwierigkeit vielmehr daraus,
daß bei einer Zusammenfassung von reiner Koppelungswirkung ohne Aus-
tausch und einer solchen mit Austausch Erwartung und Erfahrung sich
decken. Die absoluten Zahlen für die einzelnen Genotypen sind dabei schon
erwartungsmäßig recht verschieden, und wo eine Uebereinstimmung be-
steht, ist sie ebenso wie der große Unterschied in anderen Fällen noch stark
vom Zufall beherrscht. Im wesentlichen sind sie aber die Folge des über-
wiegenden Einflusses der Koppelung ohne nachweisbaren Faktoren-
austausch.
Allerdings ist es richtig, wenn H. K. Bauer sagt, Koppelung ohne
Austausch komme nicht in Betracht. Aber die Austauschziffern können so
klein sein, daß ihr Einfluß praktisch verschwindet, und wenn man die Aus-
tauschziffer berechnen will, so muß man eben von der Arbeitshypothese
einer Koppelung ohne Austausch ausgehen. Die Bestimmung der Aus-
tauschziffer ist also eine Sache für sich und für den Nachweis der Koppe-
lung nur von sekundärer Bedeutung.
zu erhöhen und betragen
Ueber die Berechnung der Faktorenaustauschziffer bei der Blutgruppenvererbung. 189
Die Schwierigkeiten des Arbeitens mit Gemischen gehen aus dieser
Zusammenstellung zur Genüge hervor, und es erhebt sich die Frage, ob es
nicht möglich wäre, sie auszuschalten. Das ist zweifellos durch Unter-
suchung dreier Generationen möglich. Ein aus Kreuzung von AB mit O
entstandenes AB-Individuum kann nur die Konstitution . RB haben.
Seine Rückkreuzung mit O wird dann weniger AB und O und mehr A und
B ergeben, wenn Austausch stattfindet, und der Ueberschuß der einen
Gruppe über 50% wie das Zurückbleiben der anderen unter 50 % liefert
dann Anhaltspunkte für die Bestimmung der Austauschziffer. Nur ist das
eine Aufgabe der Zukunft. Bis jetzt liegt wenigstens für AB-Kreuzungen
kein genügendes Material dieser Art vor.
(Quantitativ mehr in Betracht kommen aber AB-Individuen, die aus
A X B stammen und den häufigeren Typus B darstellen.
Die Genealogie erlaubt in diesem Falle also das Material in einer
Weise zu sortieren, daß man reine Naturexperimente erhält, ohne mit Ge-
mischen arbeiten zu müssen.
Die Hypothese Bauers führt dazu, daß von 10 forensisch kritischen
Fällen Bernstein's nur 6 bestehen bleiben. Theoretisch ist sie äußerst
beachtenswert, indem sie allen biologischen Möglichkeiten Rechnung trägt.
Ob sie sich praktisch bewähren wird, ist Frage der Zukunft.
2.
Bernsteins Hypothese eines multiplen Allelomorphismus beruht
zunāchst nur auf dem Nachweis der Unhaltbarkeit des Bestehens zweier
an zwei besondere Chromosomen gebundener, somit unabhängiger Gen-
paare. Dieser Nachweis muß als geglückt angesehen werden. Aber
das ist kein vollgültiger Beweis für die von Bernstein gewählte
Ersatzhypothese. Das Zahlenbild, auf dem sie beruht, läßt sich auch durch
Annahme an zwei verschiedenen Stellen desselben Chromosoms liegender
Genpaare (oder Genreihen) erklären, wobei der Faktorenaustausch wegen
der benachbarten Lage beider Genreihen relativ selten ist. Selbst beim
minimalsten Grade des Austausches fallen aber vier forensich kritische
Fälle weg. | | 7
Daß alle 54 bekanntgewordenen Fälle von Widersprüchen mit der
Bernsteinschen Hypothese mit Recht bestritten sind, läßt sich bis jetzt
nicht behaupten. Gegen Bauers Hypothese scheint nur zu sprechen, daß
diese Widersprüche seit 1924 seltener geworden sind. Ob man alle Bern-
stein-Versager auf mangelhafte Technik zurückführen kann, obgleich
sie teilweise von namhaften Untersuchern stammen, ist schwer zu ent-
scheiden. Der Verdacht beruht wohl teilweise auf dem Bekanntwerden von
190 Dr. W. Weinberg:
Bernsteins Hypothese, deren erkenntnistheoretische Bedeutung über-
schätzt und bis zum Auftreten Bauers kaum geprüft wurde.
Vor allem ist zu wenig beachtet, daß auch die biostatischen Unter-
suchungen Bernstein s mit derselben Technik zustande kamen, die man
jetzt an dem Vererbungsmaterial beanstandet,
Der Gedanke, daß in einer panmiktisch durchgezüchteten Bevölkerung
der Faktorenaustausch keine andere Verteilung der Genotypen bewirkt wie
Fehlen desselben, ist richtig. Ich will auch die Frage nicht aufwerfen, ob
man in bezug auf Blutgruppen panmiktische Durchzüchtung, d. h. die Fol- -
gen einer viele Generationen lang währenden wahllosen Vermischung vor
sich hat. Aber wenn diese ein solches biostatisches Ergebnis hat, so erlaubt
die Verteilung der Typen auch nicht den Faktorenaustausch zu bestreiten
und nach den Erfahrungen bei Drosophila darf man ihn theoretisch nicht
abweisen. Aber das biostatische Verteilungsbild der Typen läßt sich durch
Studieren der einzelnen Kreuzungen ergänzen und deren Ergebnis ist von
dem Maße der panmiktischen Durchzüchtung unabhängig.
Wenn AB x O überhaupt AB ergibt, so kann dies, wie oben durch-
geführt, nur sein, ebenso ergibt A X B nur B . Damit lassen
sich auch Rückkreuzungen dieser beiden Typen isolieren, gleichgültig, wie
lange Panmixie besteht.
Aber ein einziger sicherer Fall von AB aus ABXO wirft ohne-
dies die Bernsteinsche Hypothese ebenso wirksam um wie das Auf-
treten von O aus dieser Kreuzung. Die relative Seltenheit dieser Kreuzung
läßt es begreiflich erscheinen, wenn das AB- und O-Ergebnis selten auf-
tritt und nicht jedem Serologen bei relativ kleinem Material vorkommt.
Die Hypothese Bernsteins zwingt also an und für sich niemand,
die bisherigen ihr widersprechenden Fälle ohne weiteres als apokryph zu be-
trachten, weil sie nicht allen mathematischen Möglichkeiten gerecht wird.
Sie beruht nur auf der Ausschaltung einer einzigen Möglichkeit unter
mehreren. Sie darf den Serologen, der solchen rein mathematischen Aus-
führungen erfahrungsgemäß hilflos gegenübersteht, in keiner Weise be-
eindrucken, was Bauer vermutet. Andererseits läßt auch Hirszfeld
dieses Ignorieren der vor Bernsteins Auftreten anerkannten Bernstein-
abweicher nicht restlos gelten. Der Mathematiker kann Abweicher von
seiner Hypothese als unwahrscheinlich aus irgendwelchen Gründen an-
sehen, aber doch nur, wenn seine Hypothese unbedingt zwingend ist.
Gerade das trifft aber hier nicht zu.
Entscheidend ist nicht die verschiedener Deutungen fähige Verteilung
des Materials, sondern nur das Ergebnis der Serologie.
Es geht aber auch nicht an, daß der Serologe einen eigenen Befund als
verdächtig betrachtet, weil er mit einer bestimmten, nicht absolut zwin-
Ueber die Berechnung der Faktorenaustauschziffer bei der Blutgruppenvererbung. 191
genden Erbhypothese nicht vereinbar ist. Im Gegensatz zu einem neueren
Autor halte ich es für keineswegs vorteilhaft, wenn der Serologe über die
geltende Erbhypothese im Bilde ist oder zu sein glaubt. Er ist der einzige
Richter über alle in Betracht kommenden Hypothesen, er kann das aber
nur sein, wenn er jeden Einzelfall unbefangen, ohne Rücksicht auf irgend-
welche Erbhypothesen beurteilt. Er kann das zweifellos am besten, wenn
er über die verwandtschaftlichen Beziehungen verschiedener Blut- und
Serumproben gänzlich unaufgeklärt ist.
Es erscheint also notwendig, die einzelnen Untersuchungen mit solchen
Vorsichtsmaßregeln zu umgeben, daß erst eine andere Stelle die Unter-
suchungsergebnisse zusammenfaßt; diese muß natürlich ebenfalls an dem
Ergebnis in jeder Weise unbeteiligt sein. An jeder einzelnen Familien-
untersuchung müßten also drei Serologen unter absoluter Klausur arbeiten.
Solange das nicht mit absoluter Schärfe durchgeführt wird, können
von den 10 kritischen forensischen Fällen zunächst nur 6 praktisch ver-
wertet werden, und auch diese nur, wenn man Mutationen als Erklärung
zweifelhafter Fälle ausschließt. Forensisch würde es aber eine Art Ban-
kerott bedeuten, wenn die Mutation als nicht vorkommend betrachtet werden
soll, weil ohne sie der Gerichtsarzt einen größeren Einfluß hat als mit ihr.
Daß das Rechnen mit der Möglichkeit der Mutation alle bisherigen
Arbeitshypothesen ebenso an Bedeutung einschränkt, muß auch sonst in
Kauf genommen werden, Der Richter darf nur fragen: Was ist Wahrheit?
Eine unbedingte Antwort darf er nicht erwarten. Auch der wissenschaft-
liche Forscher muß sich damit abfinden.
Ueber das Verhältnis von Schulleistung und Geschwisterzahl
bei Volksschülern.
Von Gertrud Decker, stud. math., Gießen.
Die Gefahr der Rassenverschlechterung bzw. Entartung eines Volkes
ist dann als bestehend anzusehen, wenn die minder tüchtigen Teile der
Bevölkerung eine stärkere Fortpflanzung aufzuweisen haben als die nor-
malen und tüchtigen. Einer Anregung von Herrn Professor Lenzt), Mün-
chen, folgend, bin ich auf Grund eines Materials von 769 Volksschülern
der Frage nachgegangen, wie sich die Kinderzahl der Familien, aus denen
die Schüler stammen, zu ihrer Schulleistung verhält. Es ist zwar gewiß
nicht ideal, die Schulleistung als Maß der Begabung anzunehmen, da
zweifellos auch Umwelteinflüsse für die Leistungen in der Schule von
Bedeutung sind. Immerhin kann die Schulnote, wenigstens annähernd, als
1) F. Lenz: Ueber die biologischen Grundlagen der Erziehung. 2. Aufl. Mün-
chen 1927. S. 36.
192 Gertrud Decker:
Maßstab für die Intelligenz in Verbindung mit Charaktereigenschaften wie
Fleiß und Gewissenhaftigkeit angesehen werden.
Der Schule, in der meine Erhebungen vorgenommen wurden, sind zwei
Hilfsschul- und drei Förderklassen angegliedert. In den Förderklassen wird
versucht, Schüler, die dem normalen Unterricht nicht zu folgen vermögen,
doch noch einigermaßen bis zu dem Ziel des Volksschulunterrichts zu
bringen. In der Hilfsschule sind Kinder, bei denen ausgesprochene Ano-
malien, meist Schwachsinn, eine ganz andere Art von Unterricht verlangen.
Die Schulleistung wurde durch Umfrage bei den Klassenlehrern festgestellt,
und ich bin diesen sowie der Direktion für ihre tatkräftige Unterstützung
sehr zu Dank verpflichtet. Die Kinderzahl wurde durch Befragen der ein-
zelnen Schüler ermittelt, soweit nicht, wie in der Hilfsschule, Personal-
bogen vorlagen. Als Kinderzahl wurde dabei die Anzahl der Lebendgeburten
in einer Familie gerechnet. Es ergaben sich folgende Zahlen in den ver-
schiedenen Gruppen:
Hillsschule Förderklassen | Normalschule
Schülerzahl 28 73 769
Gesamtzahl der
Lebendgeborenen 115 422 2525
Durchschnittliche
Geburtenzahl 4,10 5,78 3,28
Diese Zahlen bedürfen allerdings nach verschiedener Hinsicht einer
Korrektur: In einem Material, das von den Kindern ausgeht, ist die Wahr-
scheinlichkeit, daß eine Familie in das Stichprobenmaterial gelangt, pro-
portional ihrer Kinderzahl, und kinderlose Ehen können natürlich über-
haupt nicht auf diese Weise erfaßt werden. Das Prinzip der nötigen Reduk-
tionsrechnung?) ist ja in dieser Zeitschrift schon mehrfach auseinander-
gesetzt worden und bedarf daher keiner besonderen Erläuterung mehr. Ich
lasse daher die Verteilung der Familien und die daraus sich ergebenden
korrigierten Kinderzahlen folgen (S. 193 oben).
Werden nun auch noch die kinderlosen Ehen mitberücksichtigt, so
ergeben sich unter der Annahme, daß 10% aller Ehen kinderlos bleiben
(eine Zahl, die heute eher zu klein als zu groß ist), folgende Zahlen:
Normalschule 2,13; Hilfsschule 3,27; Förderklassen 3,86.
Da es sich nur um Kinder im schulpflichtigen Alter handelt, dürfte
in einem Teil der Familien die Fortpflanzung noch nicht abgeschlossen
2) F. Lenz: Erhalten die begabten Familien Kaliforniens ihren Bestand? —
Th. Fürst und F. Lenz: Ein Beitrag zur Frage der Fortpflanzung verschieden be-
gabter Familien. — Franz Prokein: Ueber die Eltern der schwachsinnigen Hilfs-
schulkinder Münchens und ihre Fortpflanzung. Sämtlich im Archiv für Rassen- und
Gesellschaftsbiologie, Bd. 17, Heft 4.
Ueber das Verhältnis von Schulleistung und Geschwisterzahl bei Volksschülern. 193
Hilfsschule Förderklassen | Normalschule
Geburten- | Zahl der |Zahld.Fam.| Geburten- | Zahl der |Zahld. Fam.) Geburten- | Zahl der rm
Familien | Geburtenz. Familien | Geburtenz. zahl Familien | Geburtenz.
1 1 1,00 1 2 2 00 1 103 103,00
2 4 2,00 2 6 3,00 2 220 | 110,00
3 7 2,33 3 9 3,00 3 182 60,66
4 4 1,00 4 10 2,50 4 112 28,00
5 2 0,40 5 12 2,40 5 64 12,80
6 2 0,33 6 7 1,16 6 35 5,83
7 2 0,28 7 4 0,57 7 15 2,14
8 1 0,12 8 9 1,12 8 14 1,75
9 3 0,33 9 6 0,66 9 10 1,11
10 = = 10 3 0,30 10 10 1,00
11 ER! = 11 2 0,18 11 1 0,09
12 1 0,08 12 2 0,16 12 2 0,16
13 — — 13 1 0,07 13 — —
14 ) ı | 00 73 ë |imz | 4 ae
28 7,94 15 s =
16 l 0,06
EP o aa 769 | 326,60
28 : 7,94 — 3,52 Kinder 73:17,12 = 4,26 Kinder 769 : 326,60 — 2,35 Kinder
pro fruchtbare Ehe pro fruchtbare Ehe pro fruchtbare Ehe
sein, und die Zahlen sind daher als Mindestzahlen aufzufassen. Sie be-
deuten also, daß die Fruchtbarkeit der Familien, die Hilfsschüler bzw.
Förderkläßler liefern, 1%- bzw. 13% mal so groß ist als in den normalen
Familien. Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, daß die Kinder-
erzeugung noch nicht in allen Familien abgeschlossen sein dürfte, reicht
die Kinderzahl in der Normalschule nicht mehr ganz aus, um den Bestand
zu erhalten; hingegen ist eine deutliche Vermehrung desjenigen Teiles der
Bevölkerung gegeben, der Kinder in Hilfsschulen und Förderklassen hat.
Die Ergebnisse entsprechen denen ähnlicher Untersuchungen in München.
Prokein?®) fand als durchschnittliche Geburtenzahl in den Familien der
Hilfsschüler 3,06 bei Annahme von 10% unfruchtbaren Ehen. Als durch-
schnittliche Geburtenzahl in der Gesamtbevölkerung Münchens berechnete
er 1,87, was ebenfalls eine 1% mal so große Fruchtbarkeit in den Familien
der Hilfsschüler gegenüber dem Durchschnitt ergibt. Die absoluten Zahlen
sind in München kleiner als in Gießen, was sich aus dem großstädtischen
Charakter Münchens erklären dürfte. |
Ich habe nun weiter innerhalb der Normalschule die Schüler mit den-
selben Durchschnittsnoten in Gruppen zusammengefaßt. Nach der üblichen
Art der Zensierung ergaben sich fünf Gruppen. Die Fortpflanzungsverhält-
s) Franz Prokein: Ueber die Eltern der schwachsinnigen Hilfsschulkinder
Münchens und deren Fortpflanzung. Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie,
Bd. 17, Heft 4.
Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie, Bd. 22, Heft 2. 13
194 Gertrud Decker:
nisse in den Ehen, aus denen die Schüler der einzelnen Gruppen stammen,
stellen sich dann folgendermaßen dar:
Durchschinittl. Bei 10 Prozent
Note Schülerzahl Geburtenzahl, Pro en unfruchtbaren
unreduziert he Ehen
1 18 | 2,05 1,70 1,54
2 209 2,48 1,97 1,83
3 272 3,14 2,38 2,16
4 227 3,91 2,87 2,61
5 43 4,52 3,24 2,95
Bei den Noten 1 und 2 wird also der Durchschnitiswert der Geburten-
zahl (2,13) nicht erreicht, und nur bei Note 4 und 5 wird er wesentlich
übertroffen. In den Familien, die Nachwuchs mit Durchschniittsnote 5 lie-
fern, ist die Fruchtbarkeit fast doppelt so groß als in den Familien, die
. Schüler mit Note 1 stellen. Setzt man die Zahlen für Note 1 gar in Be-
ziehung mit denen für Hilfsschule und Förderklassen, so wird das Bild
natürlich noch wesentlich ungünstiger. Allerdings ist zu berücksichtigen,
daß die Durchschniittsnote 1 fast nur in den vier untersten Klassen erreicht
wurde, wo die Wahrscheinlichkeit, daß die Fortpflanzung noch nicht ab-
geschlossen sei, etwas größer ist. Aber auch wenn wir die Gruppe mit Note 2
zum Ausgangspunkt des Vergleiches nehmen, wird das Bild kein wesentlich
anderes. Im ganzen entsprechen die Ergebnisse denen, die Fürst und
Lenz bei Münchener Fortbildungsschülern fanden.
Ich habe das Material noch insofern weiter auszuwerten versucht, als ich
umgekehrt von der Kinderzahl ausgegangen bin und die zugehörige durch-
schniittliche Leistung berechnet habe. Ich habe auf diese Weise also die Durch-
schnittsnote der einzigen Kinder, der mit 1,2,3 usw. Geschwistern gefunden.
Anl ee | Kinderzaht |, rcherhitenote
1 2,70 8 3,93
2 2,86 9 3,40
3 2,99 10 4,00
4 3,37 11 4,00
5 3,48 12 4,00
6 3,45 16 4,00
7 3,60
Die Leistungen nehmen fast stetig mit steigender Kinderzahl ab, was
als Bestätigung der schon gefundenen Tatsache gedeutet werden darf, daß
in den Ehen, aus denen die weniger begabten Kinder stammen, die Kinder-
zahl größer ist als in denen, die Kinder mit guten Leistungen liefern. Im
Unterschied zu den Ansichten Busemanns*), der bei den einzigen
4) A. Busemann: Beiträge zur pädagogischen Milieukunde. Zeitschrift für
Kinderforschung. 1928. i
Ueber das Verhältnis von Schulleistung und Geschwisterzahl bei Volksschülern. 195
Kindern im Durchschnitt ein wenig schlechtere Schulleistungen als bei
den Kindern mit einigen Geschwistern fand, sprechen unsere Ergebnisse
nicht für die Annahme, daß die Geschwisterzahl von wesentlichem Einfluß
auf die Schulleistung sei.
Die folgende Tabelle zeigt, wie sich in der Normalschule die Zahl der
Individuen auf die einzelnen Noten und Kinderzahlen verteilt:
Kinderzahl
Schul-
Bei allen Noten sind die Zweikinderehen am häufigsten, nur bei Note 5
ist das Maximum deutlich nach der Richtung der größeren Kinderzahl hin
verschoben. Bekanntlich bedeuten erst vier Kinder im Durchschnitt eine
Vermehrung der Familien. Wie groß der prozentuale Anteil dieser kinder-
reichen Familien bei den verschiedenen Gruppen ist, ergibt sich aus fol-
gender Tabelle:
Prozentzahl der Familien
Kinder- : Normal-
zahl ee Ai : schule Note 1 Note 2 Note 3 Note 4 Note 5
schule assen | insgesamt
1 3,5 2,7
2 14,3 8,3 22,4 | 18,6
3 25,0 12,3 20,2 18,6
4u.mehr | 57,2 76,7 50,3 | 58,2
Zur Bereinigung der Eheschließungsziffern.
Von Prof. Dr. F. Lenz und Kara Lenz-v. Borries, Herrsching.
Die Zahl der Eheschließungen auf 1000 Einwohner im Deutschen
Reich betrug: im Jahre 1900 8,5,
„o „» 1910 7,7,
» n» 1985 7,7,
„n 1927 8,5.
Mit diesen Ziffern wird oft die optimistische Ansicht begründet, daß die
Heiratshäufigkeit trotz des unglücklichen Krieges und der schwierigen
wirtschaftlichen Lage, auch trotz der Lockerung der sittlichen Anschau-
ungen auf geschlechtlichem Gebiet, zum mindesten nicht heruntergegangen
13*
196 Prof. Dr. F. Lenz und Kara Lenz-v. Borries:
sei. Ja, es wird sogar die Ansicht vertreten, daß die Zahl der Eheschlie-
Bungen eine „auffallende Steigerung“ erfahren hätte, so von Gertrud
Bäumer in einem Aufsatz „Grundsätzliches und Tatsächliches zur Be-
völkerungsfrage“ (Die Frau, Jg. 36, Heft 8, Mai 1929). Diese angebliche
Zunahme der Heiratshäufigkeit wird fast allgemein als günstig angesehen.
Wir halten diese landläufigen Ansichten für irrig. Da in den amtlichen
Eheschließungsziffern die Zahl der Eheschließungen auf die Bevölkerung
im ganzen bezogen ist, bleibt dabei der Altersaufbau der Bevölkerung un-
berücksichtigt. Durch Vergleich der so gewonnenen Eheschließungszifiern
wären aber nur dann zuverlässige Schlüsse auf Zu- oder Abnahme der
Heiratsaussichlen bzw. auf ihr Ausmaß möglich, wenn die Bevölkerung
stationär wäre, d. h. wenn ihr Altersaufbau gleichbliebe. Hinsichtlich der
Geburtenziffer ist diese Fehlerquelle bekannt; und in Untersuchungen über
die Geburtenfrage wird sie heute auch meist berücksichtigt. Man rechnet
nicht mehr mit der rohen Geburtenziffer und dem rohen Geburtenüber-
schuß, der ein sehr trügerisches Bild gibt, sondern sucht „bereinigte“
Ziffern dafür zu gewinnen, die dem verschiedenen Altersaufbau der Be-
völkerung Rechnung tragen. Ganz Entsprechendes ist aber auch hinsicht-
lich der Eheschließungszifiern nötig, was unseres Wissens bisher stets
übersehen worden ist.
Der Altersaufbau unserer Bevölkerung hat sich bekanntlich in den
letzten beiden Jahrzehnten stark verschoben. Die hauptsächlich für die
Eheschließung in Betracht kommenden Altersklassen sind gegenwärtig viel
stärker besetzt als 1900 und 1910. Wenn die Zahl der Eheschließungen auf
100 Einwohner seitdem nicht gesunken oder sogar ein wenig gestiegen ist,
so besagt das nicht, daß von den im heiratsfähigen Alter Stehenden heute
ebensoviele oder gar mehr heiraten als damals.
Zuverlässigere Meßzahlen, als sie in den amtlichen Eheschließungs-
ziffern' gegeben sind, erhalten wir, wenn wir die Zahl der Eheschließungen
auf die Zahl der im Alter von 16 bis 45 Jahren Stehenden beziehen. Auf
1000 Personen dieser Altersklassen kamen Eheschließungen:
1900 19,66,
1910 17,19,
1925 15,97.
Schon diese einfache Rechnung zeigt, daß der Vergleich der amtlichen
Eheschließungsziffern ein trügerisches Bild gibt. Eine weitergehende Be-
reinigung erhalten wir, wenn wir die Zahl der Eheschließenden auf die
im Alter von 16 bis 45 Jahren stehenden Ledigen beziehen. Auf 1000
ledige Frauen im Alter von 16 bis 45 Jahren kamen Eheschließungen:
1900 87,5,
1910 79,2,
1925 67,4.
Zur Bereinigung der Eheschließungsziffern. 197
Von 1910 bis 1925 hat die Eheschließungshäufigkeit also um 14,8% ab-
genommen. Wenn wir die verwitweten und geschiedenen Frauen zu den
ledigen rechnen, so beträgt der Rückgang, auf die Gesamtheit der unver-
heirateten Frauen bezogen, sogar 15,8%. Das also ist das wahre Bild der
Heiratsaussichten der unverheirateten Frauen. Diese zeigen keineswegs eine
„auffallende Steigerung“, sondern vielmehr eine sehr beträchtliche Ab-
nahme, wie das infolge der wirtschaftlichen Nöte nicht anders zu er-
warten war.
Auf 1000 ledige Männer im Alter von 16 bis 45 Jahren kamen Ehe-
li :
schließungen 1900 75,8,
1910 68,7,
1925 66,7.
Der Rückgang seit 1910 ist weniger scharf als bei den Frauen; er beträgt
2,9% oder bei Einrechnung der Verwitweten und Geschiedenen für alle
unverheirateten Männer 3,2%. Das erklärt sich daraus, daß bei den Män-
nern die heiratsfähigen Altersklassen durch die Kriegsverluste verringert
worden sind, und daß von den überlebenden Männern verhältnismäßig
mehr heiraten konnten.
Die Gründe, welche gewöhnlich für die vermeintliche Steigerung der
Eheschließungsziffern angeführt werden, erklären uns nur, warum die
Eheschließungen nicht noch mehr gesunken sind. Dahin gehört vor
allem der Verzicht auf eine zur Familiengründung ausreichende wirtschaft-
liche Grundlage bei vielen Eheschließenden; und dieser Verzicht bedeutet
meist zugleich den Verzicht auf Kinder. Kamen doch im Jahre 1927 in
Berlin auf 40937 Eheschließungen nur 34063 ehelich Lebendgeborene,
d. h. um 7000 weniger. Auf eine Ehe kommt dort also nicht einmal mehr
ein Kind im Durchschnitt, und fast 40 % der Berliner Ehen bleiben über-
haupt kinderlos. Je klarer wir diese Tatsache der großenteils kinderlosen
Ehen hinter der Eheschließungsstatistik sehen, desto weniger können wir
aber ein günstiges Urteil über die Zukunftsaussichten dadurch begründen.
Um die Eheaussichten noch von einer anderen Seite zu beleuchten,
haben wir aus der amtlichen Statistik noch den Anteil der Ledigen an
den verschiedenen Altersklassen für die Jahre 1910 und 1925 berechnet.
Es waren von den Frauen im Alter von
16 bis 25 ledig 1910 80%, 1925 82%
26 99 30 99 99 28 %, 29 33 %
31 ” 45 99 29 14 %, 29 16 %
Der Anteil der ledigen Frauen ist also in allen Altersklassen gestiegen.
Bei den Männern dagegen ist der Anteil der Ledigen an der Gesamtzahl
ein wenig gesunken, offenbar weil von der durch die Kriegsverluste ver-
198 Prof. Dr. F. Lenz und Kara Lenz-v. Borries:
minderten Zahl von Männern verhältnismäßig mehr heiraten konnten,
darunter natürlich nicht wenige, die für die Ehe eigentlich nicht tauglich
wären. Es waren von den Männern im Alter von
16 bis 25 ledig 1919 93%, 1925 91%
26 99 30 39 99 42 %, 99 29 %
3 99 45 99 99 13 %, 99 11 %
Die zweckmäfßigste Methode, die Heiratshäufigkeit zu messen, besteht darin,
die Zahl der in einem Jahre von den Männern bzw. Frauen einer be-
stimmten Altersklasse geschlossenen Ehen auf die Zahl der in demselben
Jahre vorhandenen ledigen Männer bzw. Frauen zu beziehen. Die derart
errechnelen Zahlen geben die Heiratswahrscheinlichkeit der Ledigen der
betreffenden Altersklasse an. Die für diese Berechnung erforderlichen Zah-
len liegen für die Jahre 1910 und 1925 vor, welche relativ normale, d. h.
im Vergleich mit den vorhergehenden und nachfolgenden Jahren nicht
außergewöhnliche Verhältnisse zeigen.
Es kamen Eheschließungen auf 100 ledige Männer
vom 16. bis zum vollendeten 25. Jahre 1910 37,6, 1925 35,2
29 26. 99 99 99 30. 39 99 16,7, 99? 1 7, 1
29 31. 39 39 99 46.*) 99 99 13,0, 99 15,6
»9 31. 29 39 99 46.*) 39 29 13,0, 99 15,6
In der jüngsten Altersklasse der ledigen Männer hat sich die Heirats-
wahrscheinlichkeit also vermindert, was sich aus den wirtschaftlichen
Schwierigkeiten und zum Teil vielleicht auch aus der Lockerung der sitt-
lichen Anschauungen erklärt. In den Altersklassen über 25 Jahre hat sich
die Heiratswahrscheinlichkeit der Männer ein wenig erhöht, da infolge des
Krieges in diesen Altersklassen ein starker relativer Frauenüberschuß,
zumal unter den Ledigen, eingetreten ist. Im Zusammenhang damit haben
offenbar auch die Eheschließungen von Männern über 45 Jahre zugenom-
men; diese lassen sich nur in absoluter Zahl angeben; sie betrugen
1910: 22205, 1925: 33 573.
Für die Frauen ist die Heiralswahrscheinlichkeit nach dem Kriege
stark heruntergegangen. Es kamen Eheschließungen auf 100 ledige Frauen
vom 16. bis zum vollendeten 25. Jahre 1910 70,1, 1925 56,6
99 26. 99 99 99 30. 99 99 14,5, 939 10,1
99 31. 99 99 99 46. 99 39 > 6,5, 99 6,4
Nur in den älteren Jahrgängen ist die Heiratswahrscheinlichkeit der ledigen
Frauen annähernd gleich geblieben, weil die älteren Männer geringere
l *) Die verschiedene Art der Zusammenfassung „bis zum vollendeten 25. Jahre“
einerseits und „bis zum vollendeten 46. Jahre“ andererseits ergab sich zwangsläufig
aus dem vorliegenden statistischen Material.
Zur Bereinigung der Eheschließungsziffern. 199
Kriegsverluste hatten. Im Alter von mehr als 45 Jahren heirateten 1910:
11317 ledige Frauen, 1925: 12344. Diese älteren Jahrgänge spielen unter
den heiralenden Frauen aber keine quantitativ sehr bedeutsame Rolle.
Jedenfalls sind die Heiratsaussichten der Frauen unter 30 Jahren sehr
stark heruntergegangen. Würde man die verwitweten und geschiedenen
einrechnen, so würde sich das Bild für die unverheirateten Frauen ver-
mutlich noch ungünstiger gestalten. Unter den im Jahre 1910 heiratenden
496 396 Frauen waren 32454 verwitwele und geschiedene, unter den im
Jahre 1925 heiratenden 482 792 Frauen, 39 430 verwitwete und geschiedene.
Unter den heiratenden Frauen hat der Anteil der verwitweten und geschie-
denen also nicht sehr zugenommen, obwohl die Zahl der Witwen durch
den Krieg gegenüber 1910 auf das Mehrfache gesteigert war und obwohl
1925 infolge der zahlreichen Scheidungen der Nachkriegszeit auch viel
mehr geschiedene Frauen als 1910 vorhanden waren.
Es wäre dringend zu wünschen, daß in Zukunft auch von der amt-
lichen Statistik bereinigte Eheschließungsziffern gegeben werden möchten,
damit die amtlichen Ziffern nicht mehr wie bisher einem trügerischen
Optimismus Vorschub leisten.
Die Rassen in der Vorgeschichte.
Von Professor Dr. Fritz Kern, Bonn.
1. Diedrei Erkenntnisquellen.
A.Rückschlüsse, die aus dem heutigen Rassenbestand
abgelesen werden. Die Arbeitsmethoden, die die Fachanthropologie
heute ausgearbeitet hat und benützt, treffen zum Teil vorbei an den rassen-
geschichtlichen Fragen, wie Vorgeschichte, Völkerkunde und Geschichte sie
aufwerfen. Jedoch sind es besonders die Relikterscheinungen, die (wie Aino,
Negrillos, Negritos, Buschmänner, Wedda und andere mehr) auch für den
rein naturwissenschaftlich und unhistorisch arbeitenden Forscher die Frage
des Zurückreichens dieser Ueberlebsel in vorgeschichtliche Gruppenbil-
dungen unumgänglich machten. Sodann hat das nähere Studium größerer
Bevölkerungen mit völliger Sicherheit fast überall weit vorgeschrittene
Rassenvermengungen erkennen lassen, und beim Herausdestillieren der
Mischungskomponenten wurde die Anthropologie zwangsläufig zur Auf-
stellung hypothetischer reiner Rassen gedrängt, deren Gestalt abzüglich
vielleicht gewisser progressiver, also zeitstufenbedingter Merkmale, sich
noch aus ihren heutigen Bastardierungen mit mehr oder weniger großer
Sicherheit rekonstruieren läßt.
B.RückschlüsseausKulturschichteninvölkerkund-
licher Abschichtung. Seit die Völkerkunde gelernt hat, mit Hilfe
200 Prof. Dr. Fritz Kern:
der Kulturkreismethode und ihren Quantitäts- und Qualitätskriterien aus
den Ueberlebseln heutiger Kulturenmischung die ursprünglichen, in Raum
und Zeit gesonderten hypothetischen reinen Kulturen kritisch abzuheben,
hat sich mit zwingender Notwendigkeit ein Parallelismus zwischen Kultur-
und Rassengeschichte entwickelt. Wie die hypothetischen reinen Rassen,
so schälen auch die hypothetischen reinen Kulturen sich aus der Mischung
ab, und zwar sind beide notwendig in Absonderungsgebieten entstanden,
so daß man also vermuten kann, daß reinen Kulturen an ihrem Ursprungs-
herd auch reine Rassen entsprachen; die Herauszüchtung der kulturellen
und die der rassischen Eigenart scheinen sich wechselseitig zu bedingen.
C. Zu diesen beiden indirekten Erkenntnisquellen, die vom heutigen
Bestand ausgehen, gesellt sich nun aber die direkte Erkenntnisquelle der
Ausgrabungsfunde. Diese Krone der Beweismittel erlaubt eine Ein-
ordnung ehemaliger Rassenvertreter ohne Rücksicht auf etwa noch vor-
handene Ueberlebsel anthropologischer und kultureller Art in die durch
die Fundlage gegebene räumliche, zeitliche und kulturelle Gewesenheit.
Eine volle Ausdeutung dieser Funde freilich hat sich überall erst unter
Mitberücksichtigung auch der beiden vorgenannten indirekten Erkenntnis-
quellen als möglich erwiesen.
2. Erkenntnismängel.
Es soll hier nicht von den Fehlern und Trugschlüssen geredet werden,
die sich unvermeidlich dort ergaben und ergeben, wo nicht alle drei Er-
kenntnisquellen benützt und aufeinander abgestimmt werden. So leicht
noch immer leider Anthropologen, Völkerkundler und Vorgeschichtler an-
einander vorbeireden (diese Wissenschaften streben ja in ihren lebenden
Vertretern geradezu auseinander, statt sich immer enger zu verbinden!):
noch weit bedauerlicher ist es, daß auch die beste kombinierende Methodik
die Spärlichkeit gesicherter rassengeschichtlicher Erkenntnisse nicht auf-
heben kann.
Um mit den Bodenfunden zu beginnen, so sind diese zeitlich wie
örtlich zu ungleich und überall zu dünn gestreut. Ferner ist es höchst
schwierig, zum Teil unmöglich, am bloßen Knochengerüst die Rassen-
differentialdiagnose durchzuführen, da viele gerade der sichersten Unter-
scheidungsmerkmale den Weichteilen angehören. Und endlich ist es eine
Tatsache, daß die allermeisten Bodenfunde schon Zeugnisse weit vor-
geschrittener Rassenzerkreuzung sind; es ist schwierig, überhaupt reine
Rasse mit Sicherheit wenigstens da und dort zu beweisen. Allerdings
hat es auch schon einen hohen Wert, wenn es gelingt, Gautypen mit
Sicherheit abzugrenzen. Indes was in dieser Hinsicht z. B. für die Jung-
steinzeit versucht worden ist, leidet zum erheblichen Teil an der viel zu
schmalen statistischen Grundlage. Auch der alljährliche Zuwachs an Fun-
Die Rassen in der Vorgeschichte. 201
den bessert die Lage nur in geringem Umfang, läßt eine befriedigende
Ueberwindung der geschilderten Schwierigkeiten noch nicht absehen.
Was dann ferner die Rückschlüsse aus völkerkundlicher Kulturab-
schichtung betrifft, so läßt sich beim heutigen Stand des Wissens noch nicht
ganz sicher bestimmen, bei welchen Rassen die großen Kulturkreise der
totemistischen Jäger, der Pflanzer, der Hirten entstanden sind. Auch wissen
wir über die Art der Kulturenübertragung von Gruppe zu Gruppe wenig-
stens für die sämtlichen Tiefkulturen noch viel zu wenig, um entscheidende
Rückschlüsse auf die Rassenbewegungen und -mischungen ziehen zu kön-
nen. Es nützt nichts, daß Laien ungeduldig werden, weil die Rassen-
geschichte noch so kritisch und negativ aussieht. Angesichts der Tatsache,
daß heute die Vor- und Rassengeschichte unwiderstehlich alle die Gemüter
anzieht, die gern alle Rätsel gelöst- sehen möchten, muß die verantwort-
liche Forschung mit um so größerem Nachdruck darauf hinweisen, daß
Phantastereien wie die von Wolf oder Wirth keinen größeren wissen-
schaftlichen Wert besitzen als die noch vor hundert Jahren beliebten
Forschungen in der Offenbarung Johannis.
3. Annehmbare Hypothesen.
Vom Altpaläolithikum haben wir bisher nur für Europa eine gewisse
rassengeschichtliche Vorstellung. Wir kennen leidlich gut die höchst-
wahrscheinlich ohne Ueberlebsel ausgestorbene Neandertalrasse in ihrer
ziemlich scharf umrissenen Kulturbettung. Neuerdings verstärkt sich
(Ehringsdorf, Piltdown) der Eindruck, daß sich auch andersrassige
Einsprengsel im damaligen Europa aufhielten, über deren eigenes Kultur-
relief wir aber noch keine Klarheit haben. Diese nichtneandertaloiden
Europäer des Altpaläolithikums scheinen einer jüngeren Entwicklungs-
stufe als der Neandertaler anzugehören, wie ja auch in der Gegenwart
verschiedene Entwicklungsstufen nebeneinander leben (Tasmanier,
Europäer). Unsicher, aber nicht unwahrscheinlich ist es, daß diese
Nichtneandertaloiden des Altpaläolithikums die ersten Europäiden sind,
die wir kennen. Den Hauptstamm der damaligen Europäiden haben wir
jedenfalls schon damals wie später in der gemäßigten bis kalten Zone
Eurasiens (Osteuropas und Westasiens) zu vermuten).
Seit dem Verschwinden des Neandertalers ist keine nichteuropäide
Rasse in Europa mehr sicher nachzuweisen. Zwar ist die negroide Art
der Grimaldirasse noch in der Schwebe; und die Vorgeschichte hat gewisse
Anhaltspunkte für das Eindringen von Pygmoiden beim Ausgang der Eis-
zeit, ohne daß indes anthropologische Funde dies bis jetzt bestätigten.
1) Nur nebenbei sei daran erinnert, daß neben dem Neandertaler und den oben-
erwähnten progressiven Nichtneandertaloiden des Altpaläolithikums vielleicht auch
noch ältere Entwicklungsstufen überlebten (Pithecanthropus, Heidelberger).
202 Prof. Dr. Fritz Kern:
u ln m — e i i:
a E ee al El en a a a a
Mn LI I I Een
Sicher ist, daß im Jungpaläolithikum europäide Rassen in Europa min-
destens weit überwogen.
Hier ist es nun erforderlich, der weiteren Betrachtung der Bodenfunde
die gesicherten Rückschlüsse aus dem heutigen Rassenbestand voranzustellen.
Wer einmal richtige Nordische und richtige Oslische gesehen hat, der
kann an der einstmals scharfen und tiefen Trennung dieser beiden Grup-
pen nicht zweifeln?). Freilich muß man schon verhältnismäßig gute Er-
haltungsgebiete aufsuchen, um das Auge der landläufigen Mischformen
zu entwöhnen. Wo Nordische und Ostische durcheinandergehen, da sind
dem Ursprung nach verschiedene Völker ineinandergezogen und vermischt.
Der heutige Rassenbestand beweist diese ehemalige gegenseitige Abriege-
lung der Herausbildungsherde deutlicher als die bisherigen Knochenfunde
der Vorgeschichte. Allerdings gibt uns nun die Gesamtheit der Umstände
keine andere Ursprungsgegend für beide Rassen an die Hand als — in
beiden Fällen — Eurasien. Wo sollten sie sonst gesiedelt haben in jenen
Zeiträumen, als der Neandertaler im wesentlichen Europa beherrschte? Ein
Blick auf die eiszeitliche Klimakarte Eurasiens zeigt nun, daß dieses un-
geheuer weiträumige Gebiet genügend ökologisch verschiedene Bezirke
nebeneinander enthielt, um uns über die Möglichkeit, daß Eurasien beiden
Rassen als Herausbildungsherd diente, zu beruhigen?°).
2) Ich benutze die Gelegenheit, um eine hin und wieder unterlaufende Mißdeutung
meines Begriffs der nordischen Rasse auszuräumen. Ich soll, so heißt es gelegentlich,
die nordische Rasse aus einer Mischung mit dalischer ableiten. Das Gegenteil ist
richtig. Nordische und dalische Rasse sind m. E. auf ganz getrennten Ursprungsherden
erwachsen, Nur was z. B. Günther als „nordische‘“ Rasse bezeichnet, scheint mir
ein Gemisch von reiner nordischer Rasse und Mischrassentypen. Den Beweis dafür
sehe ich in folgendem: Günthers „nordische“ Rasse enthält auch Individuen mit
der Augengegend, die für die dalische Rasse so einzigartig bezeichnend ist. Nimmt man
diese Augengegend als ein gemeinsames Urmerkmal sowohl der dalischen als auch der
nordischen Rasse, so läßt die Scheidung zwischen beiden sich gar nicht mehr sauber
vollziehen. Nun findet sich aber auch die in meinem Buch näher beschriebene gänz-
lich abweichende eurasische Augengegend bei Günthers „Nordischen“. Während
also bei Günther zwei Rassen, die „nordische‘“ und die „dalische“, die gleiche
Augengegend haben, weist eine und dieselbe Rasse, nämlich seine „nordische‘“, zwei so
verschiedene Formen auf, wie sie schwer bei einer reinen Rasse durcheinanderlaufen
können. So groß ist der bezeichnende Unterschied, daß man ohne weiteres ebenso
das Vorkommen der verschiedenen Formen bei gleicher Rasse wie der gleichen Form
bei verschiedenen Rassen, also beide Günthersche Annahmen, als äußerst unwahr-
scheinlich bezeichnen muß. Nun haben aber die orientalische und die mittelländische
Rasse nicht die dalische, sondern die eurasische Augengegend, nach Günther selbst
und seinen Gewährsmännern zu schließen. Bei der sonstigen anthropologischen und
kulturellen Verwandtschaft dieser Südeurasier mit den Nordischen oder Nordeurasiern
kann also eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür angenommen werden, daß die eurasische
Augenform der nordischen Rasse ursprünglich und die dalische nur durch Mischung
mit dalischer Rasse hereingekommen ist.
3) Wie früher, bin ich auch heute der Meinung, daß eine Herleitung der Ostischen
von den Mongoliden nicht in Frage kommt. Indes hat mich doch namentlich die ein-
dringendere Weichteiluntersuchung von H. Pöch u. a. geneigter als früher gestimmt,
auch eine Doppelverwandtschaft der Ostischen nach der europäiden wie nach der
Die Rassen in der Vorgeschichte. 203
Daß die im engeren Sinn Eurasier genannten Langschädel und ebenso
die Ostischen sich in helle und dunkle Spielarten schieden, den nördliche-
ren oder südlicheren Wohngebieten entsprechend, macht keine Schwierig-
keiten (worüber ich auf meine früheren Veröffentlichungen verweisen darf).
Gehen wir nun an die Bodenfunde selbst heran, so zeigt uns zunächst
das Jungpaläolithikum Jägerkulturen mit mutterrechtlichen Einschlägen,
und rassisch schon eine weitgetriebene Mischung mit stärkster Beleiligung
von Cro-Magnon- und etwas schwächerer von eurasischer Rasse, während
Kurzschädel, die allem Anschein nach nur Östische sein können, schon
damals von Osten her (Predmost) in stärkerem Umfang hereinzuwirken
scheinen, als gemeinhin angenommen wird. Eine Zuteilung bestimmter
Rassen und bestimmter Kulturen zueinander ist in diesem Zeitraum bisher
nicht vollziehbar, vielleicht bei den damaligen Kultur- und Rassenmischun-
gen Europas auch gar nicht zu erwarten. Auch unsere mesolithischen
Funde gestatten noch keine völlig eindeutige Zuschreibung bestimmter
Rassen oder Gautypen zu bestimmten Kulturen. Günstiger wird die Fund-
lage im Neolithikum. Jetzt haben wir einmal mit verstärkten pflanzerischen `
Zuwanderungen, sodann aber auch mit der Ausbildung von Herrenkulturen
zu rechnen. Die früheste Herrenkultur, die wir kennen; ist (um 2600 v. Chr.)
die Megalithkultur. Sie zeigt im Norden ein ausgeprägtes Uebergewicht
von Cro-Magnon- und nordischer Rasse in der Herrenschicht, während
die ostischen oder stärker ostisch gefärbten Funde außerhalb des Herren-
tums zu liegen pflegen. Die älteste bekannte indogermanische Gruppe weist
ein ausgesprochenes Uebergewicht eurasischer Rasse auf, und wir dürfen
nach der Wanderrichtung (von Norden) und der Fundlage (Thüringen)
sagen, daß es sich hier um Nordeurasier, Nordische, handelt.
Von diesen wenigen, aber immerhin gutgesicherten Ausgangspunkten
kann man mit den nötigen kritischen Vorbehalten etwas weiter sich in
die Rätsel der Bildung der nordeuropäischen Bevölkerungen hineintasten;
ich möchte das hierüber früher Dargelegte im einzelnen hier nicht wieder-
holen. Undurchsichtiger als in Nordeuropa liegen die Verhältnisse im
Westen und besonders auch im Südosten. Zwar zeigt der bandkeramische
Kulturkreis zweifellos ein Vorwiegen von Eurasierfunden, doch kann es
sich hier auch um Südeurasier handeln. Wenn man des weiteren versucht
mongoliden Seite hin in Erwägung zu ziehen. Man könnte sich etwa vorstellen, daß
sich vor Ausbildung der mongoliden und der europäiden Sondermerkmale eine breit-
schädlige Familie im mittleren Asien befunden habe, die erst nach ihrer Aufsplitterung
jene Sondermerkmale ausbildete, die wir bei Feuerländern, Eskimos und Mongoliden
verschiedener Spielart bemerken. Die westlichste Gruppe dieser vormongoliden Breit-
schädel wären dann die Vorostischen,. Wie dann aus ihnen sich die Östischen mit
ihren europäiden Merkmalen entwickelten, bleibt freilich bei dieser Annahme un-
geklärt, aber des Unerklärten ist in der Rassengeschichte so viel, daß wir seinetwegen
noch nicht eine Hypothese ablehnen können, die bei aller Unsicherheit wenigstens
einigen Schwierigkeiten gerecht wird.
204 Prof. Dr. Fritz Kern:
hat, für einzelne neolithische Mischkulturkreise dazugehörige Rassen oder
richtiger Gautypen aufzustellen (etwa die „Sudelenrasse“ u. a.), so ist diesen
Versuchen gegenüber Vorsicht am Platz. Ob es uns je gelingen wird, in
die schon sehr weit getriebene Rassenmischung dieser Zeit bei der Spär-
lichkeit der Bodenfunde sichere gautypische Begrenzungen hineinzutreiben,
bleibt zweifelhaft. Das Bestgesicherte ist und bleibt vorderhand der auch
durch den frühgeschichtlichen Befund bestätigte überwiegend nordische
Rassenbesiand indogermanischer Herrengruppen, daneben der Einstrom
taurischer Krieger- und Herrengruppen.
Ueber das vorgeschichtliche Verhältnis der europäiden und der nicht-
europäiden Rassen ist wenig festzustellen. Anthropologisch spricht der
progressive Charakter der Europäiden (Verhältnis von Hirnschädel zu
Kiefer, Kinn) für frühe bedeutende Kulturleistungen, denen man aus der
Kulturgeschichte gern die Spitzenleistungen der Magdalenierkunst als Be-
stätigung naherücken wird. Indes wissen wir heute noch nicht, ob die
` wichtigste schöpferische Leistung der Tiefkulturen, der Uebergang zu er-
zeugender Wirtschaft, von Europäiden vollzogen wurde. Sicherlich geschah
der Aufstieg der ersten fertigen Pflanzer- und Hirtenkultur nicht in Europa,
sondern in Asien. Wir wissen aber weder den Entstehungsort noch die
dabei hauptbeteiligte Rasse. Den Europäiden dürfen wir einen so frühen
Primat also weder zu- noch absprechen: ignoramus*). Mehr dürfen wir be-
züglich der Wanderungen der Rassen in vorgeschichtlicher Zeit vermuten.
Zahlreichen Hinweisen auf Asien als Wiege der sämtlichen großen Welt-
kulturen der eigentlichen Vorgeschichte steht kaum ein begründbarer An-
spruch anderer Erdteile gegenüber. Daß auch die Nigritier Afrikas wie der
Südsee ihre Rasse und Kultur aus Südasien herübergebracht haben, ist ein
Rückschluß aus den heutigen Kultur- und Rassenüberlebseln, der bis auf
weiteres ohne klare Bodenfunde zu Recht bestehen mag. Die von einzelnen
Anthropologen noch immer vertretene Behauptung von der Einheitlichkeit
und Bodenständigkeit der vorkolumbischen Bevölkerung Amerikas ist als
Dogma unhaltbar, als Hypothese anthropologisch unwahrscheinlich und
kulturgeschichtlich durch den für alle Kulturschichten von den Wildbeu-
tern bis zur Hochkultur längst einwandfrei erbrachten Nachweis der Ab-
hängigkeit von der Alten Welt über Asien und die Südsee tief erschüttert,
wo nicht widerlegt.
Wenn sich so ein großer Teil der an die Vorgeschichte gestellten Fragen
als unbeantwortbar erweist, so dürfte das Gesicherte und das wenigstens
als Hypothese gut Begründete doch schon heute bedeutend genug sein,
%) Immerhin sei erwähnt, daß für Entstehung des Jägertotemismus gewisse An-
zeichen auf das westliche Asien und möglicherweise eurasische Rassen zu deuten
scheinen und ebenso andere Anzeichen auf Entstehung der ersten Hirtenkultur bei
uralaltaischen Stämmen wohl ostischer Rasse.
Die Rassen in der Vorgeschichte. — Kleinere Mitteilungen. 205
um die Rassengeschichte als Bestandteil der Weltgeschichte für unentbehr-
lich zu erklären. Ist der Ertrag für die Tiefkulturen auch vorderhand nicht
allzu aufschlußreich, so ist doch der Gegensatz von Steppen- und Pflanzer-
rassen, insbesondere aber der ihm entsteigende Gegensatz von Herren- und
Hörigengruppen der frühen Herren- und Hochkulturzeit, um so weittragen-
der und durchaus als eine tragfähige Brücke von der Vorzeit zur Früh-
geschichte mit bedeutenden Nachwirkungen bis heute zu werten.
Kleinere Mitteilungen.
Stammbaum einer Familie mit Basedowscher Krankheit.
Von Privatdozent Dr. J. Prißmann, Moskau.
(Mit 1 Stammbaum.)
ur
KEROPNTR, WERNER: Be IN
1) Tuberkulose, 2) Geisteskrankhceiten, 3) Künstlerisch veranlagte Naturen, 4) Früh Verstorbene.
In dem hier wiedergegebenen Stammbaum einer vor langer Zeit aus Deutsch-
land eingewanderten Familie findet sich gehäuftes Auftreten von Basedowscher
Krankheit, das durch vier Generationen verfolgt werden kann. Das Leiden befällt
fast nur Frauen. Von besonderem Interesse ist die Vererbung durch einen jetzt
68 jährigen, rüstigen, arbeitsfähigen Mann, der keinerlei Symptome von Hyper-
thyreodismus aufweist. In der Familie wurden weiter ausgesprochene Nervosität
(als nervös werden alle Glieder der Familie bezeichnet), Geisteskrankheiten und
Tuberkulose beobachtet. Außerdem finden sich recht viele künstlerisch, besonders
musikalisch veranlagte Naturen, hauptsächlich in der Nachkommenschaft des
gesund gebliebenen männlichen Ueberträgers der Krankheit. Als Erbgang käme
der einfach dominante mit teilweiser Geschlechtsbegrenzung, aber auch der domi-
nant geschlechtsgebundene in Betracht.
Kritische Besprechungen und Referate.
Koch, Frz, Ursprung und Verbreitung des Menschengeschlechis.
Eine Neubegründung des Darwinismus auf Grund der Polwanderungen und im
Anschluß an die Theorie Wegeners. 172 S., 42 Abb., 14 Karten und 15 Tafeln.
Jena 1929, G. Fischer. Lwd. M. 13.—.
Der Verfasser dieses Buches, einer gelegentlichen Bemerkung nach Arzt in
Bad Reichenhall, hat mit unbestreitbar großer Gelehrsamkeit auf den verschie-
densten Gebieten versucht, eine kurzgefaßte Darstellung der Abstammungslehre
und Rassenkunde des Menschen zu geben. Im Mittelpunkt der Betrachtungen steht
zumeist die Aenderung des Klimas verschiedener Erdzonen, wie sie sich durch
Polschwankungen ergeben haben soll. Verfasser Sieht in diesen Klimaänderungen
die Ursache nicht aller, aber doch der meisten Aenderungen der Lebewelt. Er
erörtert zunächst die Theorie Wegeners von der Entstehung der Kontinente und
den Polverschiebungen seit dem Eeozän, die dadurch verursachten Aenderungen
der Lebensverhältnisse und die Auslese-, Wanderungs- und Verdrängungserschei-
nungen, die dadurch hervorgerufen sein können. Zahlreiche Beispiele aus der
fossilen Tier- und Pflanzenwelt werden herangezogen, andere erdgeschichtliche
Theorien und Einwände gegen die Wegenersche Theorie besprochen. Neue For-
men entstanden nach Ansicht des Verfassers hauptsächlich in der „Schwingungs-
zone“. „Hauptsächlich durch die Polwanderung und die damit zusammenhängen-
den Klimaverschiebungen wird zwischen den Organismen und ihrer Umwelt ein
Spannungszustand erzeugt, der immer von den gleichen Folgen begleitet
ist und immer zu ähnlichen Verdrängungserscheinungen führt. Neue
Formen entstehen durch Auslese geeigneter Mutationen beständig im Bereich und
an den Grenzen der jeweilig neuen Tropenzone, welche die alten Formen be-
drängen und sie, gleich dem veränderten Klima selbst, zum Ausweichen zwingen.“
Der zweite Hauptteil beschäftigt sich ausschließlich mit dem Menschen. Koch
entwirft ein annäherndes Bild der mutmaßlichen Vorfahren des Menschen. Dem
Auftreten der uns bekannten ersten Menschenreste müsse eine „mindestens einige
Millionen von Jahren“ umfassende „Vorentwicklung aus primitiven prägibbonoiden
bzw. dryo- und pliopithekoiden Großanthropomorphen vorausgegangen“ sein; die
Ursache dafür soll die Südverschiebung des Poles im Pliozän bzw. die dadurch
verursachte Klimaänderung und die Entstehung einer fast baumlosen Steppe ge-
wesen sein. Den Ursprung denkt sich Koch monophyletisch, die „Urheimat des
Menschen“ sucht er im „nordostafrikanischen Abschnitt der Schwingungszone“.
Ein beigefügter „Stammbaum“ weist den Neandertaler als früh spezialisierten
Seitenzweig aus, und läßt demnächst die Negriden als gleichfalls früh abgezweigte
Rasse vom llauptstamm abgehen. Die Weiterentwicklung des Hauptstammes soll
vornehmlich etwa in Vorderasien statigefunden haben, die Ausbildung der ersten
Kritische Besprechungen und Referate. 207
Rassen des rezenten Menschen in der optimalen Klimazone der dritten Eiszeit,
etwa in Südspanien— Nordafrika. Dabei habe die beginnende Domestikation we-
sentlich mitgewirkt, indem „eine größere Unabhängigkeit von den Einflüssen der
Umwelt eine gesteigerte Mutationsfähigkeit des Keimplasmas zur Folge hatte“. Als
„Vverbreitungsbezirke und Wanderungen der menschlichen Hauptrassenströme“
werden aufgezählt: ein „mongolider Primärstrom“, dem Eskimo und Indianer
entstammen, ein „indo-australischer Primärstrom‘ (bis Neuguinea und Australien)
ein „mikronegrider“ nach Zentral- und Südafrika und ein letzter nach Südeuropa,
dem die Rassen von Brünn und Brüx angehören. Dem frühmittelländischen Strom
entstammen später die Cro-Magnons, von denen Koch die „jüngere westische
Rasse“ (also die mediterrane Rasse geläufiger Bezeichnung, westmittelländische
des Ref.) herleitet, während aus einer „sekundären Mittelmeerrasse (Drawida,
Aegypter, Polynesier)“ eine „ältere westische Rasse (ägyptische Oberschicht,
Kaukasus)“, daraus die nordische Rasse entstanden sein soll. Von der sekundären
Mittelmeerrasse wird als Seitenzweig die orientalische, die armenoide (vorder-
asiatische) und die sogenannte dinarische Rasse abgeleitet, vom „mongoliden
Primärstrom“ eine „ältere“ und eine „jüngere ostische Rasse“, letztere in zwei
Zweigen, dem südlichen der „ostischen‘ Rasse und dem nördlichen der „ostbalti-
schen Rasse“. Koch macht jedoch viele, in seinem Schema durch Querlinien
angedeutete Vorbehalte und betont in einem späteren Abschnitt, daß er „jedem
Versuch, die Rassen «einzuteilen»-, zurückhaltend gegenübersteht, da bei -Strö-
mungen» und «Wellen» jedes Einteilungsprinzip notwendig versagen muß“,
Als „Sekundärrassen“ bezeichnet der Verfasser in einem besonderen Abschnitt
Unterschiede, die durch besondere Umweltwirkungen ausgelesen worden sein
sollen. Als solche Sekundärrassen werden die Indianer und die Chinesen an-
geführt. „Mischrassen“ sollen fast alle europäischen Rassen der Gegenwart sein.
Mit dem Ausdruck „Regression“ werden von Koch Rückwanderungen bezeichnet.
Menschenströme, die in geophysische Ruhezonen gelangten, sollen auf ihrem
Entwicklungsstand stehengeblieben sein, weil die betreffenden Gebiete keinen
klimatischen Veränderungen mehr ausgesetzt waren. So deutet der Verfasser den
Kulturstillstand bei den Chinesen und bei den Indianern Mittel- und Südamerikas.
Der dritte Hauptabschnitt handelt von der rassischen Bedingtheit der Kultur-
fähigkeit. „Die Kulturfähigkeit einer Rasse“, sagt Koch, „hängt in erster Linie
von ihrem höheren oder jüngeren Alter, in zweiter von einem gewissen Grad
von Reinrassigkeit ab.“ „Außer der Erreichung einer gewissen, vom Alter der
Rasse abhängigen Entwicklungsstufe scheint die Kulturfähigkeit eines Volkes
durch eine gewisse Rassenreinheit bedingt, die ungefähr die gleichen seeli-
schen Anlagen und Fähigkeiten bei den einzelnen Individuen und damit einen
einheitlichen Kulturwillen zur Folge hat. Mischrassen können deshalb nur dann
eine Kultur hervorbringen, wenn die an ihrer Zusammensetzung teilnehmenden
Rassen sowohl zeitlich wie körperlich nicht zu weit auseinander stehen. Mesti-
zen und Mulatten sind also deshalb niemals in höherem Sinn kulturfähig, weil
ihre Eltern rassisch allzu ungleichartig sind.“ Andererseits bestreitet Koch an-
gesichts seiner Annahme von lauter „Mischrassen“ in Europa doch auch die
Kulturfähigkeit solcher „Mischrassen“ nicht, „begünstigt durch das Hinzukommen
einer noch jüngeren, etwas höher stehenden Rasse, die der tiefer stehenden ihren
208 Kritische Besprechungen und Referate.
Herrscher- und Bildungswillen aufzwingt“. Die Ausführungen darüber entspre-
chen den bekannten Anschauungen von Günther. Weitere Kapitel über „Kul-
turkreise“, „Deutschlands Mission“, „Rassenzerkreuzung“ enthalten ähnliche
(weniger den Kapitelüberschriften entsprechende) Betrachtungen. Die Aussichten
der „außereuropäischen Kolonien der nordischen Rasse“ beurteilt Koch im
ganzen ziemlich trübe.
Das Buch ist flüssig und sicher gemeinverständlich geschrieben. Es enthält
auch, wie die kurze Inhaltsangabe schon erkennen läßt, nicht wenige Anschau-
ungen, die durchaus diskutierbar sind. Die Bedeutung der Klimaschwankungen
für die Stammesgeschichte des Menschen wird durch die Heranziehung der
Wegenerschen Theorie vielfach glaubwürdiger. Inwieweit das Gesamtbild des
abstammungsgeschichtlichen Teiles mit den Tatsachen der Paläontologie verein-
bar ist, kann ich nicht beurteilen, Vermutlich kann man das aber, bei der Spär-
lichkeit fossiler Funde, überhaupt nie zuverlässig tun. Die Abstammungslehre des
Menschen hat jedenfalls von der Phantasie — daran es dem Verfasser erfreu-
licherweise nicht mangelt — mehr zu erwarten als von den Funden. Das gilt
auch noch für die Rassenkunde vorgeschichtlicher Zeiten, bei dem gegenwärtigen
Stand rassenkundlicher Beobachtungen (wenn also auch nicht grundsätzlich)
selbst noch von der Unterscheidung und Gliederung der heute lebenden Rassen.
Wichtiger erscheint mir deshalb die Frage nach den allgemeinen 'Erklärungs-
prinzipien, deren sich Koch bedient. Diese sind nur zum Teil mit den Erfah-
rungen der experimentellen Genetik vereinbar. Koch betont zwar im Vorwort,
daß „die Fortbildung der Arten nur durch die Aenderung des Keimplasmas
möglich: ist“, spricht aber dort schon von einer „endlichen Fixierung dieser
Mutationen“. Er hält also doch so etwas wie eine Vererbung erworbener Eigen-
schaften für möglich. Zwar ist an den meisten Stellen ausdrücklich von rich-
tungslosen Erbänderungen und von der entscheidenden Wirkung der Auslese die
Rede (die Erklärung der Auslese durch Klima ist meines Erachtens sogar stark
überspannt), aber bei einem Erklärungsversuch der Entstehung von Unterschie-
den der Schädelform glaubt Koch (S. 83), die Art der Lagerung im Säuglings-
alter könne die Kopfform verändert haben, „so daß im Laufe einiger Millionen
Jahre schließlich die lange Schädelform erblich befestigt wurde“. Ebenso soll
die kurze, runde Schädelform der Mongolen entstanden sein. In einer Anmerkung
wird eine Ansicht von Gradmann erörtert, der glaubt, das Dunklerwerden
der süddeutschen Bevölkerung sei auf eine „zonale Umwandlung der Rassen-
merkmale“ zurückzuführen. „Da wir“, sagt Koch dort, „grundsätzlich den Stand-
punkt vertreten, daß die organischen Formen weitgehend von ihrer Umwelt be-
einflußt werden und gewissermaßen deren biologische Funktion darstellen, halten
wir diese allmähliche Umwandlung der Rassenmerkmale sehr wohl für möglich.
— Auch aus politischen Gründen ist diese Annahme sehr zu begrüßen, da sie
manchem guten Deutschen, der wegen seines brünetten Aeußeren der ostischen
Rasse anzugehören scheint, sein Selbstbewußtsein wiedergeben wird.“ — Ich
glaube zwar auch, daß die Annahme einer Vererbung erworbener Eigenschaften
häufig solchen Motiven entspringt, halte sie aber trotzdem für ebenso unhaltbar
und unnötig wie Koch selbst im Vorwort (S. IV) seines Buches. Koch ist je-
doch mit dieser seiner Einleitungsmeinung und also seiner Absicht einer Neu-
Kritische Besprechungen und Referate. 209
begründung des Darwinismus (ohne den Irrtum Lamarcks, wie er selbst sagt)
noch an mehreren Stellen ernstlich in Konflikt geraten, und darin liegt die eine
wesentliche Unzulänglichkeit seines Buches.
Eine andere finde ich in der Vorstellung, daß für die Wirksamkeit der Aus-
lese immer ungeheure Zeiträume notwendig seien. Das Buch redet fast ausschließ-
lich von vielen (hunderten) Jahrmillionen. Es ist Koch oflenbar ganz entgangen,
daß die rassischen Veränderungen jüngster Zeit, die er in den Schlußabschnitten
selbst beklagt, doch wohl nicht so lange brauchten. In der Tat fehlt Koch eine
zutreffende Vorstellung von der Wirkung der Auslese. Eine solche hätte ihn wohl
auch vor jener Ueberspannung der Klimaänderungsannahmen (teilweise sogar
für die Gegenwart) bewahrt. Die viel wichtigeren Auslesevorgänge durch gesell-
schaftliche und wirtschaftliche Faktoren kommen im ganzen viel zu kurz. Es
besteht natürlich auch keine Veranlassung, Rassen als „Sekundärrassen“ beson-
ders zu unterscheiden, wenn andere Auslese als die durch Klima und natürliche
Wohngebietsverhältnisse zur Bildung dieser Rassen führte. Das „Wesen“ von
Rasse wird dadurch ebensowenig ein anderes als es von dem der Art verschie-
den ist. Koch sucht (S. 120) „das eigentliche Wesen der ‚Rasse‘ im Gegensatz
zur ‚Art‘ darin, daß ihre Merkmale zwar schon erblich befestigt sind, daß sie
sich aber durch Kreuzung noch leicht vermischen lassen. Sie bildet also eine
Vorstufe zur Art, bei welch letzterer die unterscheidenden Merkmale bereits der-
artig im Keimplasma fixiert sind, daß eine Kreuzung mit anderen Arten nicht
mehr möglich ist.“ Es ist nicht einzusehen, was die Erbfestigkeit irgendwelcher
Merkmale mit der Kreuzungsmöglichkeit zu tun hat. Experimentelle Unter-
suchungen haben ja auch einwandfrei erwiesen, daß Artunterschiede grundsätzlich
ebenso mendeln wie Rassenunterschiede. In den Vorstellungen von Koch fehlt
jedenfalls ein irgendwie festumrissener, zweckmäßiger Rassenbegriffl. Dement-
sprechend fehlt auch ein solcher der Rassenreinheit, des Mischlings und des
Vermischungsvorganges. Das Buch schleppt (ebenso wie übrigens die allermeisten
anderen neuen Schriften zur Rassenkunde) veraltete und unhaltbar gewordene
Begriffsbestimmungen mit (den Rassenbegriff etwa von Deniker, das Artkrite-
rium von Broca usw), hält an der alten, aber unbegründeten Vorstellung von
irgendwelchen Bevölkerungen reinrassiger Individuen in der Vorzeit fest, kommt
damit notwendig zur Vorstellung von Strömen, Wanderungen dieser an einem
Orte einmal „rein“ vorhandenen Populationen, was die Unmöglichkeit von zweck-
mäßigen Unterscheidungen (Einteilungen) zur Folge hat, — und möchte trotzdem
auf den Grundlagen der Genetik aufbauen. Das ist natürlich nicht möglich. Wenn
an einer Population der idiotypische Teil herausgestellt und angenommen wer-
den soll, daß nur er den genetischen Einflüssen unterliege, kann man das Objekt
der Genetik nicht mehr mit dem vor Johannsen üblichen Bevölkerungsbegriff
umschreiben. Wenn eine Vererbung erworbener Eigenschaften abgelehnt werden
soll, können Veränderungen durch die modelnde Umwelt nicht mehr Gegenstand
der genetischen Forschung sein, wie etwa vor Weismann. Wenn Erbände-
rung und Auslese als einzige Kräfte der Stammesbildung anerkannt werden
sollen, ist weder die Annahme von Jahrmillionen noch die allein entscheidender
Wanderungen und „Strömungen“ zweckmäßig, wie etwa zu Zeiten Moritz W a g-
ners. Dann besteht auch keine Veranlassung, Entwicklung nur als „Aufwärts-
Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie, Bd. 22, Heft 2. 14
210 Kritische Besprechungen und Referate.
entwicklung“ anzusehen (wie Lamarck), jüngere Rassen also immer für
„höher“ entwickelt zu halten als ältere. Und so weiter. —
Es wäre allerdings nicht gerecht, nur oder vornehmlich gerade den Ver-
fasser dieses Buches für diese Unstimmigkeiten verantwortlich zu machen. Ver-
gleicht man andere neuere Bücher rassenkundlichen Inhalts — auch fachwissen-
schaftliche Arbeiten — damit, so stellt sich der Versuch von Koch vielmehr als
getreuer Spiegel der gegenwärtigen Unstimmigkeiten in „der“ Anthropologie dar:
er ist, wie jene, eine in entscheidenden Merkmalen unglückliche Kreuzung zwi-
schen der Anthropologie von 1860 und der Genetik (— dem neubegründeten Dar-
winismus) von heute. Hätte auch die Fachanthropologie von heute überall den
Mut, ganz Genetik zu sein, so wären die (meist weiter verbreiteten) Bücher,
aus denen Koch hauptsächlich geschöpft hat, viel klarer und Kochs Buch
wäre es auch. Scheidt.
v. Eickstedt, Dr. Egon, Anthropologisch-Klinische Maßtafel. Ein
Hilfsmittel für Rassen- und Körperbauuntersuchungen. Für den Arzt, Konsti-
tutionsforscher und Anthropologen. München 1926, J. F. Lehmann. Preis (mit
50 Maßstreifen) M. 3.—.
Bei Massenuntersuchungen (z. B. bei anthropologischen Messungen an Stu-
denten, Turnern und Schulkindern) waren die Martinschen Meßblätter, die aller-
dings, was Genauigkeit im allgemeinen und Anzahl der Rubriken anlangt, kaum
übertroffen werden können, den praktischen Bedürfnissen zu wenig angepaßt,
besonders deshalb, weil die Eintragungen zuviel Zeit beanspruchten und außer-
dem die Masse des Papiers als Gepäck auf Reisen hinderlich war. v. Eickstedt
suchte diesem Uebelstand dadurch zu begegnen, daß er eine Tabelle konstruierte,
die bei Beschränkung auf ein Mindestmaß des Papiermaterials dennoch, in Aus-
wahl und Anordnung der wichtigsten Maße, den anthropometrischen Anforde-
rungen gerecht wird. Dazu kommt, daß durch Anwendung einer Papptafel für
eine besondere Erleichterung in der Handhabung Sorge getrofien ist.
Zur Erläuterung mögen folgende kurze Angaben dienen: Die Maßtafel be-
steht aus einem kräftigen Pappdeckel von der Größe 19 x 27 cm, der auf beiden
Seiten, an den Rändern, mit den Angaben für die verschiedenen Maße bedruckt
ist. In den in der Mitte jeder Seite frei gelassenen Zwischenraum wird der linierte
Maßstreifen eingefügt. Da der Maßstreifen nur oben durch eine Klammer an der
Unterlage befestigt wird, ist er leicht und schnell auszuwechseln und hat infolge
der Kleinheit seines Formates vor allem den Vorteil, daß der Umfang und das
Gewicht des erforderlichen Papiermaterials äußerst reduziert wird, was ja auf
Reisen von großer Bedeutung ist. Durch die Papptafel ist eine gute, solide Schreib-
unterlage geschaffen, so daß die Aufzeichnungen auch im Stehen vorgenommen
werden können; der Untersucher ist dadurch in der Lage, dieselben zwischen
den Maßen selbst einzutragen, eine Schreibkraft ist wohl in den meisten Fällen
überflüssig. Bei der Verarbeitung des gewonnenen Zahlenmaterials wird die Mühe
des Ablesens und der Zusammenstellung durch die leichte Zugänglichkeit der
Streifen verringert. Dadurch wird viel Zeit gespart.
Der Inhalt der Vordrucke ist so angeordnet, daß das unbequeme Wechseln
der Mefinstrumente vermieden wird. Die Vorderseite der Tafel enthält: links
Personalien und Kopfmaße, rechts Kopfbeobachtungen. Die Rückseite enthält:
a an TE En ASE 1 0 Öl = E u 9
Kritische Besprechungen und Referate. 211
links Körpermaße, rechts Umfänge und Körperbeobachtungen. Jedem einzelnen
Maße ist die Nummer des entsprechenden Maßes, wie es sich in Martins Lehr-
buch der Anthropologie findet, beigegeben. Durch Fettdruck sind die wichtigsten
Maße herausgehoben. Die Mitte des Maßstreifens läßt Raum frei für die Indizes
der nebenstehenden Maße, so z. B. für Ohrhöhe und ganze Höhe des Kopfes,
Glieder- und Gliederabschnittlängen, Rumpf- und Unterleibslängen. Die Anzahl
der Maße ist für konstitutionelle Forschungen, auf die es ja in erster Linie
ankommt, durchaus hinreichend. Hermann Eckardt.
v. Eickstedt, Dr. Egon, Archiv für Rassenbilder. Bildaufsätze zur Rassen-
kunde. Lehmann. München 1926 ff. Preis: Jeder Bildaufsatz (8 bis 12, meistens
10 Karten mit je 1—3 Bildern) einzeln M. 2.—, bei Bezug der ganzen, Reihe
M. 1.70. Bisher erschienen 16 Lieferungen.
Das „Archiv für Rassenbilder“ kommt einem allgemeinen Bedürfnis entgegen,
nämlich durch eine fortlaufende Sammlung von Rassenbildern, die auf wissen-
schaftlicher anthropologischer Grundlage gewonnen wurden, das Anschauungs-
material von Rassetypen innerhalb verschiedener Bevölkerungsgruppen zu be-
reichern. Dabei aber sollen die allerwichtigsten Maße am Körper, des Vergleiches
wegen, nicht vernachlässigt werden; auch soll kurz auf beschreibende Merkmale
eingegangen werden. Jedem Bildaufsatz ist ein beschreibender Text beigegeben,
der anthropogeographische, ethnologische und soziale Gebiete kurz berührt. Wie
aus den bisher erschienenen und den in Vorbereitung befindlichen Teilen hervor-
geht, sollen die Bildaufsätze nicht nur Rassetypen im allgemeinen veranschau-
lichen, sondern auch konstitutionelle Eigenarten und spezielle Dinge behandeln,
so z. B. die Morphologie einzelner Körperteile und — nicht zuletzt — sollen
vererbungsbiologische (siehe Aufsatz 16: Fetscher: Grundzüge der Erblichkeits-
lehre) und rassenhygienische Gegenstände an die Reihe kommen. Für die Wis-
senschaftlichkeit der Beiträge bürgen die Namen vieler bekannter Autoren der
bereits vorhandenen und der demnächst erscheinenden Lieferungen. Die einzelnen
Bildkarten sind von der Größe 14 x 21 cm und werden in einem Umschlag auf-
bewahrt. Die Wiedergabe der Bilder macht dem Verlag Lehmann alle Ehre,
zumal bei dem niedrig gehaltenen Preise. Natürlich können nicht alle Lieferungen,
den verschieden gut hergestellten Aufnahmen und Kopien entsprechend, gleich
gut ausfallen.
Von den vier Bildaufsätzen, die hier besprochen werden sollen, bringt der erste:
Tamilen. Von Dr. Egon v. Eickstedt (bestehend aus 10 Karten).
Auf fast allen Karten werden drei Bilder wiedergegeben: Vorderansicht,
Halbprofil und Ganzprofil des Kopfes. Auf der letzten Karte ist ein Ehepaar in
Vollansicht dargestellt. Die wichtigsten Maße und Indizes sind beigegeben. Archiv-
karte 1—3 zeigt tamilische Tänzerinnen aus der Kaste der Källar, die folgenden
6 Karten männliche Typen, teils aus der genannten Kaste, teils aus anderen.
Die Kaste der Källar ist eine der zahlreichen Kasten der Tamilen, die jedoch
unter ihnen und der ganzen Drawidabevölkerung Südindiens eine besondere Stel-
lung einnimmt. Früher war sie eine mächtige Kriegerkaste, doch hat sich bis
heute kaum mehr etwas von ihrem Ruhm erhalten, und aus ehemaligen Kriegern
wurden gefürchtete Räuber und Diebe, wofür sie bis auf den heutigen Tag gelten.
Ein großer Teil der Insassen jedes Gefängnisses soll durch sie gestellt werden.
14*
212 Kritische Besprechungen und Referate.
Hauptwohngebiet sind Madura und der Distrikt der Stadt Tangore. Die einzelnen
geographischen Gruppen unterscheiden sich oft beträchtlich, insonderheit was das
geistige Leben betrifft. Der Religion nach gehören sie zum Hinduismus, jedoch
wurzelt der alte Dämonenglaube noch tief.. Verfasser hebt unter anderem hervor,
daß bei den untersuchten Individuen die dunklen, geradezu negerhaften Farben,
namentlich der Haut, in einem gewissen Widerspruch stehen zu der oft ganz
europäisch anmutenden Gesichtsbildung.
Es werden dann kurz noch beschrieben: die Velläla, die den größten Teil
der ackerbautreibenden Bevölkerung ausmachen. Ein höfliches, selbstbewußtes
Wesen einerseits, Unaufrichtigkeit andererseits sind für sie charakteristisch. Auch
diese Gruppe ist volklich, rassisch und sprachlich sehr ungleich. Es folgen dann
die Kúsavan, die Töpferkaste Südindiens, die wenig Ansehen genießt und als
dumm gilt, und schließlich die Maräthen, bei denen die Kurzköpfigkeit im Unter-
schied von den eigentlichen Tamilen hervortritt. Sie wohnen heute noch vor-
wiegend in Tangore.
Bildaufsatz 2 (Karte 11—20). Baschkiren. Von Dr. J. Wastl (3 Karten
mit je drei Kopfansichten, 2 Karten mit je drei Vollmachten des nackten Körpers).
Die abgebildeten Typen gehören entweder der zentralasiatischen und der
suburalischen Rassengruppe oder einer Mischung aus beiden Rassen an. Für
erstere sind folgende Merkmale typisch: Körpergröße unter dem Mittelwuchs,
Kopf brachy- bis hyperbrachykephal, hoch; Gesicht breit, Jochbögen hochliegend
und stark betont; Nasenrücken gerade, Gesamtnase fleischig. Lidspalte schräg mit
schwerer Falte, Iris dunkelbraun; Haarfarbe dunkelbraun bis blauschwarz, Haar-
form straff; große Weichteildicke des Gesichtes, wenig vorspringendes Kinn,
spärliche Behaarung. |
Die suburalische Rasse weist kleine bis übermittelgroße Körperlängen auf;
Kopf dolicho- bis mesokephal, nach rückwärts gewölbt und hoch; Gesicht länglich
und breit, Kinn vorspringend, Gesichtsprofllierung konvex; Jochbögen nicht hoch,
stark betont; Nase konkav-gerade, Lidspalte gerade ohne schwere Deckfalte, Iris-
farbe grau, blau, meliert oder braun, Haarfarbe fahlblond bis lichtbraun, Haar-
form wellig (den Farben nach zu schließen hat man es hier mit einer vielleicht
nicht ganz geringen nordischen oder eventuell ostbaltischen Beimischung zu tun.
Der Ref.). Das Siedlungsgebiet der Baschkiren liegt im südlichen Ural und seiner
Umgebung, nach Westen reicht es bis Kasan. Die Baschkiren werden schon im
neunten Jahrhundert n. Chr. erwähnt; sie haben es verstanden, lange Zeit ihre
Unabhängigkeit zu bewahren; häufig haben sie die Ostgrenze des russischen
Reiches durch Raubeinfälle beunruhigt. Zum größten Teil haben sie heute ihr
früheres Nomadentum aufgegeben und sind zum Ackerbau übergegangen. Nicht
wenige sind jedoch infolge Arbeitsscheu verarmt.
Bildaufsatz 3. Ukrainische Wolhynier. Von Dr. Hella Pöch. (Ins-
gesamt 10 Karten mit meist je drei Kopfansichten.)
Die dargestellten Personen, fast durchweg weiblichen Geschlechts, stehen
meist im Lebensalter von 20—30 Jahren; die meisten würden nach der Abbildung
jedoch ein viel höheres Alter vermuten lassen. Man kann die Wolhynier als aus
etwa vier Rassengruppen zusammengesetzt sich denken: der „hellen Ostrasse“
(kleinwüchsig, rundköpfig, rundgesichtig, graublauäugig, fahlblond), der „dunklen
Kritische Besprechungen und Referate. 213
Ostrasse“ (wie die vorige, aber von brauner Haar- und Augenfarbe), der „Nord-
rasse“ (hochgewachsen, langköpfig usw.), der „dinarischen Rasse“ (hochgewach-
sen, kurzköpfig, langgesichtig, von brauner Haar- und Augenfarbe). Die Körper-
größe der dargestellten Individuen bewegt sich, mit Ausnahme der zwei männ-
lichen Typen, zwischen 150 und 160 cm. Der Charakter der Wolhynier gilt als
friedlich; in bezug auf das Bildungswesen sind sie sehr rückständig. Die Familien
sind sehr kinderreich. Jedem Individuum ist eine eingehende Beschreibung ge-
widmet, die wichtigsten Maßzahlen sind in Klammern beigegeben. Die Aufnahmen
sind vorzüglich gelungen.
Bildaufsatz4. TypenausBirma. Von M. H. Ferrars und R. Heine-
Geldern. (10 Karten mit vorwiegend Ganzansichten und Gruppenbildern.)
Der anthropologische Teil tritt hinter dem ethnologischen und historischen
stark zurück. Die ursprüngliche Bevölkerung gehört wohl der gelben Rasse im
weitesten Sinne an, ist aber wenig einheitlich und läßt neben rein mongoliden
Zügen auch europäerähnliche erkennen. Wesentliche Unterschiede bestehen zwi-
schen den Kulturvölkern der Ebenen und den weniger kultivierten Bergstämmen.
Erstere werden als groß, brachykephal (Index 82—85), letztere als klein und meso-
kephal (Index 78—80) geschildert. Einwanderungen aus Vorderindien scheinen statt-
gefunden zu haben, doch ist die ganze Frage wenig geklärt. In der ethnologischen
Beschreibung wird besonders auf die Einteilung in verschiedene Volks- und Sprach-
stämme eingegangen. Zwei Hauptgruppen treten hervor: die austrische und die
tibetochinesische oder indochinesische. Zur ersten gehören die Mon, Palaung, Wa
und Riang, zur zweiten die Tschin, Katschin, Birmanen, Arakaner, Intha, Karen und
Tai. Die geschichtliche Entwicklung der einzelnen Völkerschaften und ihre heutige
Ausbreitung wird im einzelnen besprochen. Hermann Eckardt.
Baur, F., Korrelationsrechnung. 57 S. Berlin und Leipzig 1928, B. G.
Teubner. M. 1.20.
Der Verfasser bezeichnet es als sein Bestreben, „die Darstellung so zu ge-
stalten, daß auch mathematisch weniger geschulte Leser in den Stand gesetzt
werden, die Korrelationsrechnung in ihrem Arbeitsgebiet nutzbringend anzuwen-
den“ (S. 50). Referent, der glaubt, sogar einige mathematische Schulung zu be-
sitzen, muß gestehen, daß er zu dem angegebenen Zweck nicht die nötige An-
leitung aus dem Büchlein erhalten konnte. Die Darstellung ist zu abstrakt-mathe-
matisch. Im Interesse der Leser, die zur praktischen Arbeit — sei es auf den
Gebieten der beschreibenden Naturwissenschaft und der Heilkunde oder der
Soziologie und der Versicherungswissenschaft — dieses Buch als Anleitung
benötigen, möchte Referent für die folgende Auflage dem Verfasser empfehlen,
daß neben einer im allgemeinen einfacheren und weniger voraussetzenden Dar-
stellung die grundsätzlichen Gedanken und Ableitungen zunächst an guten Bei-
spielen praktisch vorgeführt und erst dann gedanklich zusammengefaßt und in
allgemeingültige mathematische Formeln gegossen werden.
Historisch ist die Mitteilung von Interesse, daß der Korrelationskoeffizient
von A. Bravais (1811—1863), Professor der Physik in Paris, ohne nähere Be-
gründung aufgestellt wurde. Der Gedanke, den Grad der zwischen zwei Erschei-
nungen bestehenden „Korrelation“ zu messen, wurde erstmals von F. Galton
in der 1888 erschienenen Arbeit „Correlations and their measurement“ aus-
214 Kritische Besprechungen und Referate.
gesprochen. Weiter ausgebaut wurde die Korrelationsrechnung vor allem von
K. Pearson und G. U. Yule.
Für die praktische Anwendung der Korrelationsrechnung sei hervorgehoben,
daß es wohl von großer Bedeutung ist, den Zusammenhang zweier Erscheinungen
zahlenmäßig festzustellen, „das wichtigste bleibt aber immer die Deu-
tung der errechneten Maßzahlen. Hierbei muß vor allem im Auge behalten
werden, daß selbst aus einem ganz nahe an 1 liegenden Korrelationskoeffizienten
oder Korrelationsverhältnis noch nicht auf einen unmittelbaren ursächlichen
Zusammenhang der beiden Erscheinungen in dem Sinne, daß die eine die
„Ursache“ der anderen wäre, geschlossen werden darf. Es kann eine hohe
Korrelation zwischen zwei Erscheinungen auch dadurch zustande kommen, daß
beide durch einen übergeordneten Erscheinungskomplex beeinflußt werden“ (S. 50).
O. v. Verschuer (Berlin-Dahlem).
Curtius, F.: Untersuchungen über das menschliche Venen-
system. Deutsches Archiv für klinische Medizin. I. Mitteilung: Die here-
ditäre Aetiologie der Bein-Phlebektasien. Bd. 162, H. 3/4. S. 194
bis 214. II. Mitteilung: Die allgemeine, ererbte Venenwanddys-
plasie (Status varicosus). Bd. 162, H. 5/6, S. 330—354. IlI. Mitteilung:
Septumvarizen und Oslersche Krankheit als Teilerschei-
nung allgemeiner ererbter Venenwanddysplasie (Status
varicosus). Klin. Wochenschr., Jg. 7, Nr. 45, S. 2141/2146. 1928.
Die I. Mitteilung enthält statistische und familiäre Untersuchungen über die
Beinphlebektasien. C. Unterscheidet vier verschiedene Arten: 1. subkutane Phleb-
ektasien, a) einfache P'hlebektasien, b) Varizen, 2. kutane Phlebektasien, a) ein-
zelne, b) dichte Phlebektasien. 2766 männliche und 1388 weibliche Personen wur-
den auf das Vorhandensein von Beinphlebektasien untersucht. So ist z. B. die
Häufigkeit der Varizen beim männlichen Geschlecht zwischen dem 6. und
14. Lebensjahr 0,27 %, zwischen dem 15. und 25. Lebensjahr 1,01 %, zwischen dem
26. und 39. Lebensjahr 8,9 %, und jenseits des 40. Lebensjahres 3,99 %. Einzelne
kutane Phlebektasien finden sich in den vier Altersstufen in einer Häufigkeit von
rund 8, 13, 18 und 28%. Beim weiblichen Geschlecht, das durchweg (auch bei
Nulliparen) eine größere Belastung als das männliche zeigt, ist der Altersanstieg
in ähnlicher Weise vorhanden, nur erweist sich die Pubertät bei den Mädchen
als eine kritischere Zeit als bei den Knaben. Von seinen ausgedehnten Familien-
untersuchungen hat der Verfasser drei Stammbäume als Beispiele abgebildet, die
das Auftreten des Leidens in ununterbrochener Generationsfolge zeigen. Ein
Stammbaum umfaßt 58 Personen mit 19 Varizenträgern in vier Generationen.
Gesunde Eltern haben nur gesunde Kinder. Die Stammbäume sprechen für ein-
fach dominanten Erbgang. Dieser Befund wird bestätigt durch die massenstati-
stische Bearbeitung des Materials. Bei Kindern doppelt belasteter Eltern zeigt
sich häufig früher Manifestationstermin. Der Verfasser vermutet wohl mit Recht,
daß homogamete Individuen früher und stärker befallen werden als heterogamete.
In einer Familie konnte starkes Ueberwiegen des linken Beines an variköser Er-
krankung nachgewiesen werden.
Die II. Mitteilung gibt eine morphologische und klinische Beschreibung der
verschiedenen Arten von Venenwanddysplasien: außer den in der I. Mitteilung
Kritische Besprechungen und Referate. 215
beschriebenen vier Arten von Beinphlebektasien werden noch folgende Formen
aufgeführt: drei Phlebektasiearten des Stammes (im Nacken, in. der Sakralgegend
und am Rippenbogen), die Gesichtsphlebektasien (Wange, äußere Nase), die Venen-
erweiterungen der Nasenschleimhaut, die „senilen“ Angiome, die Hämorrhoiden,
die Varikozele und die Naevi vasculosi. Von diesen Phlebektasiearten wurde zu-
nächst ihre Häufigkeif in den verschiedenen Altersgruppen bestimmt. Dann stellte
der Verfasser fest, daß die Einzelmerkmale der Venenwanddysplasie weit häufiger
kombiniert als isoliert vorkommen, Die korrelationsstatistische Erhärtung der
Feststellung, daß die Kombination der Einzelmerkmale häufiger vorkommt, als
nach der Häufigkeit der Merkmale zufällig zu erwarten wäre, soll in einer
späteren Publikation erfolgen (mündliche Mitteilung des Verfassers). Das klinische
Tatsachenmaterial spricht nach Ansicht des Verfassers eindeutig für einen System-
charakter der allgemeinen Venenwanddysplasie, welcher er den Namen Status
varicosus gibt. Diese Disposition des Venensystems zu abnormer Gestaltung ist
eine erbbedingte Eigenschaft, die innerhalb einer Familie sowohl in gleichartigen
oder sehr ähnlichen als auch in verschiedenen Einzelmerkmalen in Erscheinung
treten kann. Der Verfasser nimmt an, daß das von ihm als Status varicosus be-
zeichnete Zustandsbild die Folge einer Anomalie der Bindegewebsbildung ist: Er
berechnete zwischen Beinphlebektasien, Hämorrhoiden und Varikozele einerseits
und Hernien andererseits einen Korrelationsindex von +0,21 für das weibliche
und +0,30 für das männliche Geschlecht.
Die III. Mitteilung enthält neben klinischen Berichten, die den Zusammenhang
zwischen habitueller Epistaxis (Nasenbluten) und Status varicosus darlegen, die
Beschreibung einer Familie mit Teleangiectasia haemorrhagica hereditaria. Das
seltene Leiden ist in vier aufeinanderfolgenden Generationen aufgetreten (einfach
dominanter Erbgang). — Die groß angelegten und exakt durchgeführten Unter-
suchungen sind ein weiterer Beweis für die Fruchtbarkeit der erbbiologischen For-
schung in der klinischen Medizin. Es ist das Verdienst von Curtius, daß er für
die Varizen, die noch heute fast allgemein als paratypisch bedingt angesehen wer-
den, die Bedeutung der erblichen Veranlagung in eindeutiger Weise herausgearbeitet
und die Beziehung zu anderen krankhaften Zuständen, die auf Venenwandverände-
rungen beruhen, festgestellt hat. O. v. Verschuer (Berlin-Dahlem).
Wingfeld, Alex. H, Twins and orphans. The inheritance of intelligence.
London u. Toronto 1928. J. M. Dent & Sons. XII + 127 S. Preis 10/6 s.
Nach einleitenden Bemerkungen über Vererbung und Milieuwirkung gibt
Verf. einen ausführlichen Ueberblick über einige ältere und vor allem zahlreiche
neue Arbeiten über Geschwisterähnlichkeit, die sich auf körperliche wie psy-
chische Merkmale beziehen. Kritisch wird dazu bemerkt, daß die vorliegenden
Untersuchungen vielfach auf zu wenig umfangreichem Material aufgebaut sind,
so daß nicht klar ersichtlich ist, ob es sich um durchschnittliches oder ausgelese-
nes Material handelt, daß, sofern als Intelligenzmaß der Intelligenzquotient ver-
wendet wird, der Einfluß des Alters vielfach vernachlässigt sei und daß schließ-
lich Milieu und Vererbung niemals auch nur mit einiger Sicherheit in ihren
Wirkungen auseinandergehalten worden sind.
Das Material der vorliegenden Arbeit umfaßt 102 Zwillingspaare aus öffent-
lichen Schulen in Toronto und Hamilton. Darunter sind identische (eineiige) Zwil-
216 Kritische Besprechungen und Referate.
linge, die also gleiche Erbmasse haben und in gleichem Milieu aufwachsen, und
zweieiige (geschwisterliche, „fraternal“) Zwillinge mit ähnlicher Erbmasse und
gleichem Milieu. Die Feststellung der Eineiigkeit wurde allerdings nicht, wie zu
erwarten wäre, an Hand von Messungen vorgenommen, sondern danach, ob die
Zwillinge nach dem Ürteil des Lehrers und des Verfassers ununterscheidbare
physische Merkmale aufwiesen. Verfasser gibt selbst zu, daß nicht absolut sicher
sei, ob alle Paare dieser Gruppe tatsächlich gleiche Erbmasse haben. Die Zwil-
linge werden verglichen mit 29 Kindern einer Waisenanstalt, die zumindest ein
Viertel ihrer Lebenszeit in diesem Heim verbracht hatten (verschiedene Erb-
masse, gleiches Milieu). Zur Intelligenzprüfung wurden 13 verschiedene Tests
verwandt.
Die Zwillinge, sowohl die identischen als die zweieiigen, zeigen hinsichtlich
der Intelligenzhöhe durchaus normale Verteilung, für die Waisenkinder liegt die
Durchschnittsintelligenz etwas tiefer, wie es sich ja bei allen Waisenuntersuchun-
gen gezeigt hat.
Nachdem auf Grund der Berechnung der Korrelation zwischen Lebensalter
und Intelligenzquotient der Alterseinfluß auf die Intelligenzbewertung aus-
geschaltet wurde, vergleicht Verfasser jüngere (8 bis 11 Jahre) und ältere (12 bis
15 Jahre) Zwillingspaare miteinander und erhält für beide Gruppen gleich hohe
Korrelationskoeffizienten (r — + 0,782 bzw. + 0,788). Die Aehnlichkeit der Zwil-
linge kann demnach nicht durch den Einfluß des gleichen Milieus bedingt sein.
Ein Vergleich der Leistungen in der Intelligenzprüfung und von erlernten
Fertigkeiten (Rechnen, Orthographie) zeigt ebenfalls keinen wesentlichen Unter-
schied in der Höhe der Korrelation, auch der Schuleinfluß erweist sich mithin
nicht stärker als die Aehnlichkeit, die bei nicht durch die Schule angelernten
Leistungen zutage tritt. Verfasser schließt aus beiden Tatsachen, daß die Erb-
masse und nicht das Milieu die Ursache der Zwillingsähnlichkeit sei.
Die Aehnlichkeit ist am größten bei identischen Zwillingen. Für die all-
gemeine Intelligenz ergibt sich bei sämtlichen Zwillingspaaren ein Korrelations-
koeffizient von r = + 0,75 + 0,029, für ungleichgeschlechtliche Paare von + 0,59 +
0,086, für zweieiige Paare im ganzen + 0,70 + 0,045, für gleichgeschlechtliche
Paare + 0,82 + 0,025 und für eineiige Paare sogar + 0,90 + 0,019. Aus anderen
Untersuchungen werden zur Vervollständigung noch folgende Werte hinzugefügt:
Aehnlichkeit von Geschwistern + 0,50, zwischen Eltern und Kindern + 0,31, zwi-
schen Vettern + 0,27, zwischen Großeltern und Enkeln + 0,15 und zwischen nicht
verwandten Kindern 0,00. Je enger also die verwandtschaftliche Beziehung, desto
größer die Achnlichkeit in den Intelligenzleistungen.
Die Waisenkinder wurden untereinander nach zwei Verfahrensweisen ver-
glichen, einmal jedes Kind mit dem ihm nächstälteren, dann jedes Kind mit jedem
anderen nach Zufall. Wenn sich dabei als Korrelationskoeffizienten Werte von
— 0,58 und + 0,24 ergeben, so deutet das bei der geringen Anzahl der Fälle darauf
hin, daß tatsächlich keine Korrelation besteht. Der Aufenthalt in gleichem Milieu
hat also die Kinder nicht ähnlicher machen können, als es sonst bei nicht ver-
wandten Kindern der Fall ist. A. Argelander (Jena).
Hoffmann, Hermann, Charakter und Umwelt. Berlin 1928, J. Springer.
106 S. M. 5.60.
Kritische Besprechungen und Referate. 217
Verfasser geht von der Tatsache aus, daß die Fragen charakterologischer Unter-
suchungsbogen häufig deshalb so schwer zu beantworten sind, weil das Auftreten
der erfragten Eigenschaft abhängig ist von der Situation, die bei ein und dem-
selben Menschen verschiedene Reaktionen zur Folge haben kann, indem sie ver-
schiedene Einstellungen erzeugt. In dem Streben nach Befriedigung seiner Triebe,
seiner Strebungen und Bedürfnisse drängt das Individuum nach solchen Objekten
hin, in denen es Bestätigung und Bejahung findet, dagegen entwickelt es Gesin-
nungen der Ablehnung und Feindseligkeit solchen Objekten gegenüber, die ihm
Einengung bzw. Verneinung bieten. Wirksam sind jedoch nur die äußeren
Momente, denen bestimmte Strebungen entgegenkommen, in Form der Milieu-
provokation schafft sich der Mensch auf Grund seiner angeborenen Anlagen die
ihm entsprechenden Situationen. Schwierigkeiten entstehen, wenn eine Teil-
struktur des Charakters ein bestimmtes Milieu in ihrem Sinne gestaltet, eine an-
dere sich aber dagegen wehrt oder unter den Folgen zu leiden hat. In der Psycho-
pathologie spielt die Milieuprovokation (bei schizophrenen Psychosen, depres-
siven Erkrankungen, Unfallneurosen) in Form der äußeren Rechtfertigung eine
Rolle. Die Möglichkeiten und die Grenzen einer Persönlichkeitsformung durch
die Umwelt liegen im Erbgut begründet, das Milieu fordert bestimmte Seiten
der Persönlichkeit heraus, drängt andere zurück, die herausgeforderte Einstel-
lung neigt zur Fixation, wird zumindest leichter aktiviert. Alle Einstellungs-
wandlungen sind als Strukturverschiebungen der Persönlichkeit aufzufassen. Die
Relationsanalyse der Persönlichkeit soll durch Erfassung der Persönlichkeits-
richtungen und -strebungen und deren Einflusses auf die statischen Eigenschaften
ein von den äußeren Verhältnissen abstrahierendes Bild der Persönlichkeit lie-
fern. Die Erforschung des Persönlichkeitsaufbaues muß von einer Hierarchie
der Triebe ausgehen, die niederen Vitaltriebe werden von den höherschichtigen
Tendenzen geregelt, die als Idealich (z. B. moralisches, Machtideal, Leistungs-
ideal, Ideal des Genießens) die Grundrichtung der Persönlichkeit angeben.
A. Argelander (Jena).
Croner, Else, Die Psyche der weiblichen Jugend. 4. Aufl. (Manns
Pädagog. Mag. 996.) Langensalza 1928. H. Beyer & Söhne. 92 S. M. 2.—.
Unter Sprangerscher geisteswissenschaftlicher Einstellung skizziert Else
Croner die Stellung des jungen Mädchens gegenüber Religion, Freundschaft,
Liebe und Kunst. Dabei betont sie das stark persönlich gerichtete Interesse der
Frau, das Vorherrschen des Gefühls und die Ergänzungsbedürftigkeit in freund-
schaftlichen und Liebesbeziehungen. Als soziologisches Wesen ist das junge Mäd-
chen weit stärker als der junge Mann durch das kulturelle Milieu des Hauses
geprägt. Wertvoll sind die Ausführungen über die Schulleistungen des jungen
Mädchens und ihre Abhängigkeit von der Autorität der Lehrperson, die durch
persönliche und häufig auch rein äußerliche Momente bedingt ist. Auch für die
Studentin, die an Fleiß und Energie die männlichen Studierenden in der Regel
übertrifft, während ihre Leistungen selten das Durchschnittsmaß überschreiten,
spielt das persönliche Moment eine Rolle. Croner hält den Beginn der zwan-
ziger Jahre für kritisch für die intellektuelle Entwicklung der Frau, weil sich
in dieser Zeit entscheide, ob sie unter Vorherrschaft des Gefühlslebens der Be-
stimmung der Frau und Mutter sich zuwende, oder ob sie die Periode geistiger
218 Kritische Besprechungen und Referate.
Hemmung überwinde und der Intellekt über die „Naturbestimmung“ den Sieg
davontrage. Als Haupttypen der jugendlichen Individualitäten schildert sie den
ausgesprochen mütterlichen Typ, der unter Ablehnung alles abstrakten Wis-
sens sich ganz dem Kinde zuwendet — eine Abart ist der soziale Typ —, den
erotischen Typ, dessen Ergänzungsbedürftigkeit bei unbeherrschter Triebhaftig-
keit auf das andere Geschlecht gerichtet ist, während dem romantischen
Typ in seiner Schwärmerei und Hingabebereitschaft jeder sinnliche Einschlag
fehlt, den nüchternen Typ, der ohne starke Persönlichkeitsprägung, ohne
den Gefühlsüberschwang der Pubertätsjahre sich gut und korrekt an das Berufs-
leben anpaßt, und schließlich den intellektuellen Typ, bei dem Freude am
Denken, Kausalitätsbedürfnis, wissenschaftliche Interessen doch immer persön-
lich getönt sind.
Der Anhang über die Psyche der Mädchen aus den einfacheren Volksschich-
ten — das Dienstmädchen wird in einigen Typen dargestellt — zeigt bei weitem
nicht die starke Einfühlungs- und Beobachtungsfähigkeit, die die obigen Aus-
führungen kennzeichnen, die wie die meisten jugendpsychologischen Darstellungen
auf das junge Mädchen aus gehobenem sozialen Milieu zutreffen. Auch das
Kapitel über das psychopathische junge Mädchen bringt nichts wesentlich Neues.
A. Argelander (Jena).
Müller, Marguerite: „Kasuistischer Beitrag zum Erbgang der
Schizophrenie“ (mit zwei Stammbäumen). Archiv der Julius-Klaus-Stif-
tung für Vererbungsforschung, Sozialanthropologie und Rassenhygiene. Bd. II,
1926, Heft 3 und 4, S. 273-315. Verlag: Art. Institut Orell Füßli, Zürich.
In dieser schönen Arbeit aus der psychiatrischen Klinik in Zürich (Direktor:
Professor Dr. Hans W. Maier) untersucht die Verfasserin an der Hand sorg-
fältig durchgearbeiteter Familiengeschichten der beiden Eltern, woher es kommen
könne, daß drei innerhalb drei Jahren geborene Schwestern (Probanden) an
schwerster Schizophrenie erkrankten. Sie kommt unter Berücksichtigung der
Kretschmerschen Unterscheidungen: schizothym, schizoid und schizophren zum
Schlusse, daß bei den Eltern zwei verhängnisvolle schizoide bzw. schizophrene
Familienanlagen von verschiedener Prägung zusammengetroffen sind. Während
in der väterlichen Familie neben ausgebildeten Schizophrenen sich bei einer An-
zahl von Mitgliedern in allen Generationen Unstetigkeit, Zug in die Ferne, Pro-
jektenmacherei und Phantastereien, zugleich verbunden mit Empfindsamkeit und
Verschrobenheit, vorfinden, wodurch sie dem realen Leben gegenüber häufig ver-
sagen, zeigt sich in der mütterlichen Familie ebenso weit verbreitet gerade ein-
faches, nüchternes Denken und geringe Intelligenz, daneben aber starker Eigen-
sinn, mürrisches Wesen und Reizbarkeit. Aus der Verbindung dieser zwei ver-
schieden nuancierten schizophrenen Formenkreise entwickelt sich in der näch-
sten Generation schwerste Schizophrenie bei dem schwesterlichen Dreiblatt. Der
Vater, selbst wieder von einem schizoiden Vater und einer irgendwie psycho-
pathischen Mutter stammend, litt an Schizophrenie und ist ein Zwillingskind;
der Zwillingsbruder ist schizoid, ein weiterer Bruder ist schizothym. Die Mutter,
Tochter eines schizophrenen Vaters und einer schizoiden Mutter, ist schizoid
und hat unter ihren Geschwistern einen schizophrenen, einen schizoiden, einen
schizothymen und zwei anderweitig psychopathische Brüder neben zwei ge-
Kritische Besprechungen und Referate. 219
sunden Brüdern. Auch sonst wimmelt es in der beiderseitigen Verwandtschaft
von psychopathischen Individuen verschiedener Art. Schon in der ersten
Generation (Urgroßeltern der Probanden) befindet sich ein schizoider Urgroß-
vater (väterlicherseits) und ein schizothymer Urgroßvater (mütterlicherseits).
In der zweiten Generation sind väterlicherseits ein schizoider Großvater mit
einer irgendwie psychopathischen Großmutter, daneben ein schizophrener und
ein schizoider Großonkel vorhanden, mütterlicherseits aber ein schizophrener
Großvater mit einer schizothymen Großmutter, eine schizophrene Großtante,
ein schizophrener Großonkel und zwei schizoide Großonkel (Zwillinge), die
zum Teil wieder schizothyme, psychopathische oder geisteskranke Ehepartner
haben. In der dritten Generation, der der Eltern, finden sich väterlicherseits
außer den schon genannten abnormen Geschwistern noch eine schizophrene,
eine schizoide und zwei schizothyme Kusinen des Vaters, also Tanten zweiten
Grades der Probanden, ferner ein schizoider und ein schizothymer Vetter des
Vaters bzw. Onkel zweiten Grades der Probanden, wiederum mit zum Teil schizo-
iden oder schizothymen Ehepartnern. Mütterlicherseits bietet die dritte Genera-
tion neben den bereits charakterisierten Geschwistern der Mutter noch einen
schizophrenen, vier schizoide und vier schizothyme Vettern (Onkel zweiten Gra-
des der Probanden), zwei schizophrene, zwei schizoide und sechs schizothyme
Kusinen der Mutter, d. h. Tanten zweiten Grades der Probanden. In der vierten
Generation, der der Probanden selbst, erscheint bisher keine so große Häufung
psychotischer Fälle, immerhin aber in beiden Sippen eine erhebliche Anzahl
schwachbegabter, psychopathischer und schizothymer Individuen nebst anderen
Besonderheiten. In dieser Generation ist die Entwicklung noch nicht abgeschlossen.
Beispiele einzelner Ehen: ein schizoider Mann (Zwillingsbruder eines Schizo-
iden) mit schizothymer Frau zeugte kein einziges gesundes, sondern nur schizo-
thyme, schizoide und schizophrene Kinder. Ein schizophrener Mann mit einer
gesunden Frau, deren Genealogie allerdings unbekannt ist, erzielte außer einem
gesunden schizothyme, schizoide und schizophrene Kinder. Ein schizophrener
Mann hatte mit einer schizothymen Frau zwei gesunde, zwei schizothyme, zwei
schizoide, ein schizophrenes und zwei sonst psychopathische Kinder. Weitere
Details sind im Original nachzusehen. Eine vollständige Aufzählung bzw. Aus-
zählung erübrigt sich, da ihr doch keine allgemeine Gültigkeit zukäme; hierzu
können allein die von Rüdin und Luxenburger ausgebildeten Arbeits-
methoden dienen. Die Geschichte dieser Sippen ist aber lehrreich dafür, wie
katastrophal sich in schizoid behafteten Familien durch Paarung zweier unter
sich verschiedenartiger Charaktere die schizophrene Art in den Geschlechtern zu
verstärken und auszubreiten vermag, so daß im Verlauf von vier Generationen
die ganze Sippe damit durchsetzt, also erbbiologisch verschlechtert wird.
Um so wichtiger und ernster wird in solchen Familien die Aufgabe der Pro-
phylaxe an der Hand der offenen Fürsorge für Geisteskranke (durch
Fürsorgearzt und Fürsorgeschwester) in der Form der psychiatrischen Familienfür-
sorge, zugleich mit dem Ziele der Vermeidung erbkranker Nachkommenschaft durch
Ehe- und Sexualberatung (Empfängnisverhütung, je nach Umständen auch Sterili-
sation), also durch eugenische Maßnahmen. Max Fischer (Berlin-Dahlem).
220 Kritische Besprechungen und Referate.
Savorgnan, F.. Krieg, Auslese, Eugenik, Zeitschrift für NOHSIDEN DUNBE
und Soziologie, Jg. 1927, Heft 1, S. 17—31.
Eine Abhandlung, welche die Beziehungen zwischen Krieg und Auslese einer-
seits, Krieg und Eugenik andererseits untersuchen will, wobei unter „Auslese“
willkürlicherweise nur die Auslese durch Sterblichkeit, unter „Eugenik“ die idio-
und paratypische Beschaffenheit der neugeborenen Generation verstanden wird.
Der erste Abschnitt behandelt die selektive Wirkung des Krieges und die
Abänderung dieser Selektion mit Aenderung der Waffen und Kampfweise. Bis
zur Erfindung der Feuerwafien läßt sich eine positive Einzel- und Gruppenauslese
feststellen, da im Einzelkampfe der physisch und geistig Ueberlegene siegt und
sich als Sieger stärker fortpflanzen kann. Seit Einführung des Materialkampfes
in die Kriegführung verliert der Krieg diesen selektiven Wert, er bewirkt sogar
Gegenauslese (Sterben der Kriegstüchtigen, der Mutigen usw.), die meist nur un-
genügend ausgeglichen wird durch eine verstärkte natürliche Auslese in der
Heimat (erhöhte Sterblichkeit an Krankheiten, wodurch schwache Organismen
ausgeschaltet werden). Der zweite Teil behandelt den Einfluß des Krieges (speziell
des Weltkrieges) auf die kriegsgeborene Generation. Die Auffassung, daß ein
körperlich und geistig minderwertiges Geschlecht im Kriege geboren werde,
gezeugt größtenteils von Kriegsuntauglichen und Feiglingen, stellt der Verfasser
als sehr übertrieben hin, ohne aber diese Anschauung zu widerlegen.
Verfasser kommt zu dem Schluß, daß der Weltkrieg wohl eine stark
ins Auge fallende Gegenauslese (im Sinne einer Uebersterblichkeit der Besten)
bewirkt habe, daß er aber nicht eugenetische Schädigungen ganzer Völkergruppen
zur Folge habe, die sich unwiderruflich in fernere Zukunft forterben würden.
„So wird die Legende von den unendlichen Schäden, die der Krieg vom Stand-
punkt der Eugenik aus gehabt haben soll, verschwinden. Der qualitative Wieder-
aufbau der in den Krieg verwickelten Völker wird sicher rascher und leichter
sein als der quantitative, welcher eine sehr viel längere Periode erfordern wird.“
Wir gehen wohl nicht fehl in der Vermutung, daß diese auffallenden und schwer-
lich haltbaren Schlußfolgerungen durch die Auffassungen des Faschismus, der
den Krieg zu rechtfertigen sucht, beeinflußt worden sind. Eva Scheibe.
Winkler, W. F, National- und Sozialbiologie. 124 S. 30 Tabellen,
23 Abbildungen. Leipzig 1928. Geb. M. 1.80.
Die Sozialbiologie befaßt sich „mit der Erforschung des Lebens der Mensch-
heit, wie es unter sozialen Einflüssen verläuft“ (S. 7). Sie „sucht nach den
Gesetzen und Regeln, unter denen soziale und geistige Einflüsse auf das Leben
der Menschen wirken“ (S. 8). „Ihr Richtungspunkt wird die harmonische Ent-
wicklung der Menschheit in geistiger und körperlicher Beziehung sein. Ihre Aus-
gangspunkte aber sind die unabänderlichen Naturgesetze, mit denen die indivi-
duellen, sozialen, geistigen und ökonomischen Strebungen der Menschen in Ein-
klang gebracht werden müssen, soll eine harmonische Völker- und Menschheits-
entwicklung gewährleistet werden“ (S. 9).
Die kleine, für das Verständnis bei einem breiteren Laienpublikum zu-
geschnittene Schrift gibt zunächst an Hand eines reichen statistischen Materials
einen Ueberblick über den Bevölkerungsstand der Erde und über die Bevölke-
rungsbewegung, wobei die einzelnen Elemente der Vermehrung und der Be-
Kritische Besprechungen und Referate. 221
schränkung der Menschen näher besprochen werden. Die Gefährdung des
Familienlebens durch die heutige Wirtschaftsentwicklung wird eindringlich ge-
schildert. Gegenüber der statistischen Tatsache, daß die Geburtenhäufigkeit
bei den Wohlhabenden am geringsten ist, findet der Gesichtspunkt keine Erwäh-
nung, daß innerhalb derselben geistigen Kulturschicht (Akademiker) bei den
wirtschaftlich Bessergestellten die Kinderzahl eine größere ist als bei den weniger
Bemittelten. Wohlstand führt\zum Geburtenrückgang nur bei gleichzeitigem
moralischen Versagen; bei verantwortungsbewußten Menschen sind es besonders
wirtschaftliche Momente, die zur Geburtenbeschränkung führen — solche Tat-
sachen lassen sich allerdings nicht durch die üblichen statistischen Erhebungen
feststellen.
Der zweite Hauptabschnitt des Buches beschäftigt sich mit den Grundlagen
der Volksgesundheit, mit den sozialen — Wohnweise, Ernährungsweise, Arbeit,
Geschlechtsleben — und den biologischen Grundlagen. Verfasser behandelt die
gesellschaftlichen Einflüsse auf den Geschlechtstrieb und bezeichnet als den „stärk-
sten Eingriff in seine ungezügelte Betätigung“ den „Zwang zur Einehe“ (S. 92).
Ist dieIlnstitution derEinehe wirklich das Motiv der Zügelung: Liegt dieses
nicht vielmehr in dem höheren ethischen Sinn der Einehe? Und fordert
die Institution des Zölibats nicht eine viel stärkere Zügelung? — Ueberraschend
ist der Satz: „Auf der Lehre Augustins von der doppelten Moral fußte die Sitte,
die dem Manne ... . eine voreheliche Befriedigung seines Geschlechtstriebes
gestattet“; zum mindesten bedürfte er des Beleges, wenn ein solcher in den
Schriften eines Augustin wirklich auffindbar sein sollte. Auf S. 93 findet sich der
bedenkliche Satz: „So erlaubt und erzwingt die Gesellschaft gewissermaßen zum
Teil sogar bei beiden Geschlechtern den vorehelichen Verkehr, sie gestattet auch
den außerehelichen der verheirateten Männer .. .. im allgemeinen stillschwei-
gend.“ Referent möchte bezweifeln, daß „die Gesellschaft“ eine derartige sexuelle
Freiheit billigt, gemeint sind doch wohl nur bestimmte Teile der Gesellschaft —
Teile allerdings, die sich heute vielfach als die „Führenden“ aufspielen. Die für
die Zukunft unseres Volkes verantwortungsbewußten Teile der Gesellschaft seien
aber darauf hingewiesen, daß ein Zwang zu sexueller Ungebundenheit nicht
besteht, dagegen die Verpflichtung, gesellschaftliche Reformen herbeizuführen,
welche die Ursachen für diese bedauerliche Entwicklung beseitigen.
Der Abschnitt über die biologischen Grundlagen der Volksgesundheit stellt
die Bedeutung der erblichen Veranlagung in den Vordergrund. Auf S. 96 ist an-
scheinend ein Druckfehler unterlaufen: Zeile 22 von unten muß es wohl heißen:
„mehr von inneren als von äußeren Einflüssen“.
Die Eugenik wird als eine „nationalbiologische Notwendigkeit“ anerkannt
und als Voraussetzung für die Erhaltung unserer Kultur angesehen. Für:eine neue
Auflage möchte Referent empfehlen, daß dem Leser — wenigstens in aller Kürze
— die grundlegenden Gedanken und die wichtigsten praktischen Wege der Euge-
nik angegeben werden. Auch eine dahingehende Ergänzung der Literaturhinweise
wäre erwünscht. O. v. Verschuer (Berlin-Dahlem).
Hildebrandt, Kurt, Staat und Rasse. 53 S. Breslau 1928, F. Hirt. M. 2.50.
Die Schrift enthält drei Vorträge. Im ersten stellt Hildebrandt die For-
derung auf, die deutsche Nation müsse bewußte Rassenpolitik treiben. Da aber
222 Kritische Besprechungen und Referate.
das deutsche Volk aus verschiedenen Rassen zusammengesetzt sei, so könne das
Ziel nur sein, aus dem gegebenen Rassengemisch eine neue Mischrasse zu züchten
(nicht etwa eine der Stammrassen wieder herauszuzüchten und die anderen
Rassen möglichst zurückzudrängen). An Mitteln, wie dies Ziel erreicht werden
könne, nennt Hildebrandt nur die Absperrung gegen fremde Rassen. Ueber
die Zucht der „reinen neuen Mischrasse“ sagt er nur, daß sie durch „natürliche
und künstliche Zuchtwahl“ erfolgen könne (S. 15). „Mit dem Vorschlage, in den
Sinn der Nation die Züchtung einer neuen deutschen Rasse aufzunehmen, will
ich natürlich nicht sagen, daß auch in Gebieten, in denen die nordische Rasse
noch rein erhalten ist, eine Rassenmischung mit den anderen zur deutschen
Nation gehörenden Stämmen zu empfehlen sei. Wo die nordische Rasse noch
rein erhalten ist, soll man gewiß heute diese Reinheit mit allen Mitteln zu er-
halten suchen. Dagegen gilt die Idee der neuen deutschen Rasse für die über-
wiegend großen Gebiete des schon bestehenden Rassengemisches“ (S. 17). Die
„neutrale“ Rassenhygiene, die die hochwertigen Erbanlagen in der Bevölkerung
schützen und fördern will, hält Hildebrandt für unzureichend; er fordert
eine Wendung zu den „Rassen im bestimmten Sinne“. Nun sind aber Rassen-
eigenschaften keine Eigenschaften besonderer Art, sondern Rasse ist eben der
Inbegriff erblicher Eigenschaften, wie Lenz im Baur-Fischer-Lenz S. 5% darlegt.
Mit rassenhygienischen Maßnahmen würden in den Gegenden des Rassengemisches
daher automatisch die besten „rassischen“ Elemente auch in Hildebrandts
Sinn gefördert werden. Hildebrandts Trennung von „neutraler Rassen-
hygiene“ und „Rassenpolitik zur Züchtung einer reinen Mischrasse“ ist unklar
und unzweckmäßig; wenn man der Sache auf den Grund geht, kommt beides auf
dasselbe heraus.
Der zweite Aufsatz „Rassenhygiene und geistige Erziehung“ leidet ebenfalls
unter einem Mißverstehen der Rassenhygiene. Die „unverhohlen feindliche Ein-
stellung der Rassenhygiene gegen die geistige Erziehung“, die „allmählich un-
leidlich geworden“ ist (S. 24), findet sich meines Wissens bei keinem der füh-
renden Rassenhygieniker. Ebensowenig stimmt es, daß die „eugenische Bewegung“
durch Sport, verbesserte Nahrung und Bekämpfung der Seuchen die Rasse habe
verbessern wollen (S. 25), und daß die naturalistische Rassenhygiene sich damit
begnügt habe, zahlreiche Nachkommenschaft zu empfehlen (S. 27). Diese Dar-
stellung der Rassenhygiene läßt bei Hildebrandt einen Gegensatz zwischen
Rassenhygiene und geistiger Erziehung in die Erscheinung treten, der gar nicht
vorhanden ist. Es ist auch keineswegs richtig, daß „die fortschreitende Kultur
unbedingt eine günstige Fortpflanzung gefährdet“ (S. 32). Im Gegenteil könnten
wir sagen, daß eine Kultur, die die Rasse zugrunde richtet, gar keine wahre
Kultur, sondern leere, lebensschädliche Scheinkultur ist. Auf S. 33 sagt Hilde-
brandt selbst: „Wenn ein Volk eine geistige Idee in sich trägt, deren Sinn
es eben ist, das Volk zu durchdringen und zu gestalten, dann hat es auch wieder
Sinn, in ihrem Dienst Kinder aufzuziehen.“ Also besteht doch kein Widerspruch
zwischen Rassenhygiene und geistiger Erziehung! Die Idee der Rassen-
hygiene selbst könnte sogar besser als jede andere Idee unsere gegenwärtige
Scheinkultur zu einer wahren lebenfördernden Kultur machen!
Kritische Besprechungen und Referate. 223
Den Punkt, der die Rassenhygiene für die geistige Erziehung von entschei-
dender Bedeutung sein läßt, nämlich die Erblichkeit der geistigen Eigenschaften,
sieht Hildebrandt nicht. Er versteht unter erblichen Anlagen nur „die festen
Merkmale des Skeletts, der Haut und der Haarfarbe usw.“ (S. 35), also nur
körperliche Eigenschaften. Die Vererbung geistiger Anlagen ist aber ebenso selbst-
verständlich und dabei viel bedeutungsvoller. Lenz schreibt im Baur-Fischer-
Lenz S. 471: „Die geistige Ausstattung der Menschen, ihre Eignung für die Be-
wahrung und Weiterführung der Kultur ist äußerst verschieden.“ Wäre Hild e-
brandt von dieser Einsicht ausgegangen, so hätte er das Thema Rassenhygiene
und geistige Erziehung fruchtbarer gestalten können.
Hildebrandt meint, daß alle Rassenhygiene weder Halt noch Sinn habe,
wenn nicht ein festumrissenes Normbild als Zuchtziel den Menschen vorschwebe
(S. 32). Ich halte diesen Satz für falsch. Es genügt für praktische rassenhygieni-
sche Maßnahmen durchaus, wenn wir sie nach unseren allgemeinen im Leben
bewährten Urteilen von Tüchtigkeit und Untüchtigkeit richten, die Bejahung des
dauernden Lebens dabei als selbstverständlich vorausgesetzt. Dann brauchen wir
die Rassenhygiene nicht zurückzustellen, bis wir ein Bild des „deutschen Men-
schen“ „erschaut“ haben!
Der dritte Vortrag handelt von der „Wirkung der Idee im Aufbau des Staates“.
Der schöpferische Einzelne, der eine göttliche Mann, „identisch mit der staats-
gründenden Idee selbst“ (S. 49), ist nach Hildebrandt die Keimzelle des
Staates. Durch ihn wird die Masse des Volkes geformt und geführt (S.51). Hilde-
brandt schreibt der im Einzelnen lebenden Idee zuviel unmittelbare Auswir-
kung auf die Staatsgestaltung zu und übersieht, daß die Idee, wenn sie wirksam
werden soll, von Menschenseelen aufgenommen werden muß, daß aber dafür
Menschen vorhanden sein müssen, die ihren ererbten Anlagen nach zu geistigem
Leben und sittlichem Urteil fähig sind. Hildebrandt spricht selbst von der
„Stufung“ im Staate: „Zuoberst und in der Mitte der leibliche oder im Kulte
zurückgerufene Träger der Idee, dann in immer weiteren und niedereren Kreisen
die Menschen je nach dem Grade der Vollkommenheit, in dem sie von der Idee
durchdrungen sind“ (S. 53). Wie aber, wenn die führenden Schichten der Bevölke-
rung auszusterben drohen? Dann bleibt auch dem „Idealisten“ nur die nüchterne
Arbeit praktischer Rassenhygiene übrig. Kara Lenz-v. Borries (Herrsching).
Böhmer, Rudolf, Das Erbe der Enterbten. 258 S. München 1928, J. F. Leh-
mann. Geb. M. 6.50.
Böhmer will sein Buch als Wegweisung und Waffe den „Enterbten“ in
die Hand geben, damit sie für die Wiedererlangung ihres Erbes kämpfen können.
Im ersten Teil des Buches stellt er dar, wie es im Laufe des vorigen Jahrhun-
derts zur Entstehung einer besitzlosen, „enterbten“ Klasse von Industriearbeitern
kam; er führt die Entstehung der Industrie allein auf das Knappwerden des
bäuerlichen Siedlungslandes zurück. Das ist, wie mir scheint, sehr einseitig ge-
sehen. Das Vorhandensein von besitzlosen Arbeitskräften war nur eine Bedin-
gung neben mehreren ebenso wichtigen anderen, und außerdem setzte die starke
Bevölkerungszunahme erst als Folge der Industrialisierung ein; die Erweite-
rung des Lebensraumes durch die industrielle Produktion ermöglichte ja erst
denen, die keinen Besitz erbten, daß sie heiraten und Kinder aufziehen konnten,
224 Kritische Besprechungen und Referate.
während früher die jüngeren Söhne der Landbesitzer keine Familien gründen
konnten. Böhmers geschichtliche Darstellung der „Enterbung‘“, die ein „Un-
recht“ (S. 200) sei (wessen Unrecht übrigens?) und die durch Rückgabe des
Erbes wieder gutgemacht werden soll, ist zu tendenziös, als daß sie uns eine
ausreichende Grundlage für Böhmers Forderungen abgeben könnte. Der ge-
schichtliche Teil des Böhmerschen Buches ist von W. Darre in der Zeitschrift
„Deutschlands Erneuerung“, Jg. 13, H. 6 (1929), im einzelnen saehkundig kriti-
siert worden; ich will daher hier nur auf den zweiten Teil, auf die Reform-
vorschläge, eingehen, und auch darauf nur so weit, als sie von rassenhygieni-
schem Interesse sind.
Böhmers Vorschläge lauten: Die Enterbten müssen wieder mit einem Erbe
versehen werden. Der Staat hat die Pflicht, das an ihnen geschehene Unrecht
wieder gutzumachen und jedem ein Stück Land zu geben. Oeffentliches Land ist
dafür genug da. Wald, Moor, Heide kann verteilt werden. Reicht das Land nicht
mehr, so muß der Staat neues Land erobern. — Die Fabriken müssen aufs Land
ausgesiedelt und die Arbeiterviertel der Großstädte abgebrochen werden. Die dazu
erforderlichen Arbeitskräfte werden durch gesetzliche Einführung eines Arbeits-
dienstjahres zur Verfügung gestellt. Die Geldmittel gewinnt der Staat durch Ein-
sparung der Wohnungsbau- und Arbeitslosengelder und durch Steuern. — Das
it Böhmers Plan für die „Durchführung der sozialen Befreiung“,
So sehr man auch mit Böhmer eine Aenderung der sozialen Verhältnisse
für wünschenswert halten mag, so sind doch diese Vorschläge einer allgemeinen
Beschenkung der Besitzlosen mit Land nicht durchführbar. Wenn der Staat an
alle „Enterbten“ ein Grundvermögen austeilen soll — aus welchem zauberhaften
Reichtum an Sozialvermögen sollen denn die Gaben kommen? Heide und Moor
dürften — abgesehen davon, daß ihre Aufteilung nicht wünschenswert wäre —
für die Arbeiter kein willkommenes Geschenk sein, zumal da die Bearbeitung
doch wohl nach Böhmers Meinung in den Freistunden als Nebenarbeit vor
sich gehen sollte (S. 245). Fehlt es an Raum zur Siedlung, so wird „die Erweite-
rung der Grenzen zur Notwendigkeit“. Oh, diese Weisheit! Als ob Deutschland
nur zuzugreifen brauchte, um Land zu belegen! Böhmer meint, wenn „der
Zweck der Ausdehnung, die Gewinnung von Raum, auf das strengste gewahrt
wird und jegliche Unterdrückung der fremden Völker und Volksteile unterbleibt‘“,
dann sei die Expansion nicht „imperialistisch“, sondern ein gutes Recht. — Es
ist schon sehr naiv, anzunehmen, daß durch die Proklamation des deutschen
„Rechtes auf Raum“ dieser nun auch geschaflen werden könne.
Aber nehmen wir einmal an, es sei tatsächlich Land genug zu einer Be-
schenkung aller Enterbten vorhanden, um weiter zu Böhmers Vorschlägen
Stellung nehmen zu können. Ebenso wie in der äußeren Politik sieht Böhmer
auf dem Gebiete der Wirtschaft viele schöne Möglichkeiten, die sich bei
nüchternem Blick als Unmöglichkeiten herausstellen, Wollte man die Fabriken
durch gesetzlichen Zwang aufs Land verlegen, dann würden wohl die Unter-
nehmer, deren Gewinn schon heute klein genug ist, lieber stillegen! Denn privat-
wirtschaftlichen Vorteil brächte die Uebersiedlung nicht; vielmehr eine erheb-
liche Steigerung der Kosten, wodurch die Industrie auf dem Weltmarkt voll-
kommen konkurrenzunfähig würde. Stellen wir uns z. B. vor, daß man die
Kritische Besprechungen und Referate. 225
Schwereisenindustrie oder die Maschinenindustrie verpflanzen wollte, dann wird
sofort klar, daß ihre Rentabilität aufgehoben werden würde; denn diese Indu-
strien sind nach dem Rohstoff orientiert und ihr Standort ist optimal. Eine
Umsiedlung wäre nur für arbeitsorientierte Industrien möglich, aber auch für
diese bloß auf dem Wege der Sozialisierung. Ob Böhmer die Sozialisierung
will, sagt er nicht. Jedenfalls sieht er absolut nicht die Erfordernisse rentabler
privatwirtschaftlicher Unternehmungen; er sieht nicht, daß den Arbeitern eine
Machtstellung gegenüber den bösen Unternehmern nichts nützt, wenn infolge
ihrer Ansprüche auf Lohn oder auf Erbland die Unternehmungen eingehen. —
Das Arbeitslosenproblem, das Böhmer mit seinen Vorschlägen für gelöst hält
(S. 229), könnte auf seinen Wegen nur dann gelöst werden, wenn jede Arbeiter-
familie so viel Land bekäme, daß sie in Zeiten der Arbeitslosigkeit davon leben
könnte. Dann aber kann der Besitz nicht neben der Lohnarbeit in der Fabrik
bewirtschaftet werden. Es kann eben nicht in einem organischen Staats- und
Wirtschaftsgebilde im zwanzigsten Jahrhundert jeder Einzelmensch Landbesitzer
sein. Beschenkte der Staat auch wirklich jetzt jeden Besitzlosen mit Land, so
müßte ein Teil der Nachkommen doch wieder „enterbt“ werden. Oder meint
Böhmer, daß der Staat immer weiter für den Bevölkerungszuwachs uner-
schöpflich Land austeilen kann?
Besser, als jeden Arbeiter und jeden Beamten zum kleinen Landbesitzer zu
machen, wäre es, wenn Menschen, die sich wirklich für die Landwirtschaft eignen,
auf guten, nicht zu kleinen Bauernhöfen angesiedelt würden. Auch rassen-
hygienisch würde eine solche gesunde Bauernsiedlung günstiger wirken. Die
Lösung der Industriearbeiterfrage aber ist auf dem Wege der allgemeinen Indu-
strieaussiedlung und der Einsetzung der Enterbten in den Besitz. nicht zu er-
reichen. Kara Lenz-v. Borries (Herrsching).
Harmsen, Hans, Bevölkerungsprobleme Frankreichs unter beson-
derer Berücksichtigung des Geburtenrückganges. Mit 16 Karten. 212 S. M. 8.—.
Berlin-Grunewald 1927, Verlag Kurt Vowinckel.
Vorliegende Arbeit gewährt einen tiefen Einblick in die Bevölkerungsnot
Frankreichs. Wie schon der Titel des Buches besagt, sollen durch diese Arbeit
nur einzelne, mit dem Geburtenrückgang im unmittelbaren Zusammenhang ste-
hende Fragen behandelt werden, was zur Folge hat, daß mancherlei Fragen, die
sich dem Leser im Verlauf der Lektüre aufdrängen, keine Berücksichtigung
finden oder nur kurz gestreift werden.
Im besonderen wäre ein näheres Eingehen auf die Ursachen der verhält-
nismäßig hohen Kindersterblichkeit des Landes, und aller damit im Zusam-
menhang stehenden sozialen und hygienischen Verhältnisse von Interesse.
Weiters würde auch eine Schilderung des französischen Familienlebens zum
tieferen Verständnis des Niederganges der Geburtlichkeit wesentlich beitragen.
Sehr wünschenswert wäre ferner eine Ergänzung des dritten Teiles „Probleme
des Geburtenrückganges“ durch eine Schilderung der Stellung der Frau in der
Familie und im öffentlichen Leben, denn es besitzt die Frau nicht leicht anders-
wo — abgesehen vielleicht von Amerika — einen derartigen Einfluß auf den Mann
und auf die Gestaltung der Familie wie gerade in Frankreich. Es werden jedem,
der Frankreich in den letzten Jahren bereist hat, unzählige Beispiele dafür be-
Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie, Bd. 22, Heft 2. 15
Kritische Besprechungen und Referate.
gegnet sein, daß die dem Franzosen angeborene oder anerzogene Galanterie der
Frau gegenüber von den Französinnen in der unnatürlichsten Weise mißbraucht
wird. Eine sehr erwünschte Ergänzung in rassenhygienischer Hinsicht würde
das Buch schließlich auch dadurch erfahren, wenn der Verfasser einiges über
das Leben der Farbigen in Frankreich und über deren Verhalten den Landes-
kindern gegenüber bringen würde, da die französischen Behörden, die, nebenbei
bemerkt, sich nicht gerne darüber äußern, betonen, daß sich die Farbigen
nur wenig mit der einheimischen Bevölkerung mischen [Les hommes de couleur
se mélangent peu à la population nationale*)], und daß die Verwendung von
Angehörigen exotischer Rassen, welche durch den Mangel an Arbeitskräften nötig
gemacht wurde, nicht als Mittel zur Auffrischung der Nation eingeführt wurde
[L’ Ý expérience a montré que l’emploi des individus de race exotique nécessité
par le manque de main d’oeuvre ne peut pas &tre admis comme un moyen de
reconstituer la nation *)). Angeblich soll sich der Verkehr zwischen den farbigen
Einwanderern und den Franzosen nur auf das notwendige Zusammentreffen bei
der Arbeit beschränken [Les relations entre les immigrants de couleur et les
Francais se bornent aux rapports nécessaires dans le travail*)]. Die rassen-
hygienisch interessierten Kreise des Landes verkennen allerdings keineswegs den
Ernst der Lage, wie ja auch eine Bemerkung Harmsens Seite 133 beweist.
Was nun den Inhalt des Buches betrifft, bezweckt H. mit seiner Studie, die
Auswirkungen eines ständigen Geburtenrückganges auf das Wirtschaftsleben eines
Volkes aufzuzeigen, wozu sich die Verhältnisse in Frankreich infolge der bereits
lange Jahrzehnte andauernden Entwicklung und der vorhandenen Literatur ganz
vorzüglich eignen.
An Hand statistischer Zahlen wird im ersten Teil die Entwicklung der Ent-
völkerung Frankreichs gezeigt, die sich am stärksten „in den rein landwirtschaft-
lichen Gebieten Mittelfrankreichs und dem Süden, in den großen fruchtbaren und
reichen Flußtälern der Garonne, Rhöne, Loire und Seine, sowie in der Normandie
und in der Provence“ fühlbar macht. „Hier zerfallen die Häuser — man kann
auf Dörfer treflen, deren ganze Bevölkerung ausgestorben ist.“
Der zweite Teil behandelt „Die Verstädterung und den Geburtenrückgang bei
der Landbevölkerung‘“. Die Verschiebung des ländlichen Bevölkerungsanteiles zu-
gunsten des städtischen betrug in dem Zeitraum von 1846—1921 durchschnittlich
1,5% pro Jahrfünft. Als Ursache für diese Massenlandflucht kommen vor allem
die minimalen Löhne in der Landwirtschaft in Betracht. Im dritten Teil des
Buches „Probleme des Geburtenrückganges“ beschäftigt sich der Verfasser mit
den Motiven der Geburtenabnahme. „Zweifellos haben wir es mit einer komplexen
Wirkung der verschiedensten Umweltbedingungen zu tun. Wichtiger aber er-
scheint die Veränderung der psychischen Volksstruktur, die ihrerseits unmittelbar
den Geburtenrückgang bedingt.“ Im vierten Teil „Die Untervölkerung, der Be-
völkerungsschwund und die Landverödung als nationalökonomische Probleme“
werden nun die Folgen des jahrzehntelang andauernden Geburtenrückganges im
Volkscharakter, in der Wehrfähigkeit und in der Landwirtschaft aufgezeigt. Der
*) Einer Mitteilung des Secrétaire general du „Comité permanent de la natalité“
in Paris, Monsieur M. Felix Vieuille, zufolge, die dem Referenten auf eine Anfrage
dieser Tage zukam.
Kritische Besprechungen und Referate. 227
fünfte Teil berichtet von den zahlreichen Maßnahmen, die der Staat, die Ge-
meinden und die Industrie zur Bekämpfung des Geburtenrückganges beschritten
haben. H. stellt fest, daß durch das Regime des allocations familiales heute etwa
3600000 Berufstätige mit jährlich insgesamt 1152000000 Franken unterstützt
werden. Der Verfasser, der sich Seite 102 ausdrücklich zu den wirtschaftlichen
Maßnahmen zur Hebung der Geburtlichkeit bekennt, muß an Hand der bisher
gemachten Erfahrungen zugeben, daß diese großen Geldopfer eigentlich vergeblich
gewesen sind. Allerdings glaubt H. beifügen zu müssen, daß alle wirtschaftlichen
Gesetzesmaßnahmen in Frankreich von vornherein zur Erfolglosigkeit verurteilt
sein mußten, da dort das geistige Leben bereits restlos individualisiert und
rationalisiert sei. Erfolgversprechend könnten sie nur dort sein, wo, etwa wie in
Deutschland, „noch irrationale und transzendente Bindungen“ im Volk lebendig
sind und der Geburtenmangel nur eine Folge der „Not der kapitalistischen Wirt-
schaftsform und eines internationalen Ausbeutungsfaktors“ ist. Nach Ansicht des
Referenten scheint H. unsere Bevölkerung darin doch zu optimistisch zu beur-
teilen und das Ausmaß der Rationalisierung und Entwurzelung unseres Volkes
zu unterschätzen. Man soll heute freilich keine Mittel zur Bekämpfung des Ge-
burtenrückganges unversucht lassen, doch steht zu befürchten, daß bei der be-
kannten Einstellung unserer Politiker gegebenenfalls alle wirtschaftlichen Maß-
nahmen einseitig auf die quantitative Bevölkerungspolitik abzielen werden, und
daß der Erfolg auch bei uns in keinem guten Verhältnis zur Höhe der auf-
gewendeten Mittel stehen wird, da nach Ansicht des Referenten der Geburten-
rückgang in Deutschland weniger ein Ausfluß der wirtschaftlichen Not als viel-
mehr eine Folge der Individualisierung und Ueberzivilisation ist (vgl. das Ergebnis
einer Rundfrage des Referenten, veröffentlicht im „Archiv“, Heft 3, Band 21). Der
Geist, der die französischen Frauen schon seit Jahrzehnten geburtenfeindlich
stimmt, hat längst auch auf unsere Frauenwelt übergegriffen und wird auch bei
uns einmal schwerlich durch „Geldaushilfen“ ins Gegenteil zu verwandeln sein.
Was heute die Französinnen geburtenabhold macht, ist nicht mehr eine bloße
„Angst vor dem Kinde“, wie dies von unseren Frauen heute gerne behauptet
wird, sondern, wie mir von Franzosen selbst mehrfach versichert wurde, das
„Grauen vor dem Kinde“. Es ist zu hoffen, daß es bei uns nicht zu einer so
krassen Steigerung der Gefühle kommen wird.
Der sechste, siebente und achte Teil des Buches befaßt sich eingehendst mit
der Einwanderung fremder Arbeitskräfte und der beginnenden „Umvolkung“
Frankreichs. Das Aufblühen der Industrie einerseits, die abnehmende Geburten-
ziffer und die „geringe Lust der Bevölkerung für gewisse Arbeiten“ andererseits
zwangen Frankreich, dem Menschenüberschuß des Auslandes alle Tore zu öffnen,
ja noch mehr, fremde Nationen um Entsendung von Arbeitskräften zu bitten.
In allen befreundeten Ländern der Alten Welt werben Vertreter der Société
generale d’immigration Arbeitskräfte an, und in letzter Zeit versucht Frankreich
auch schon bei den Angehörigen der Mittelmächte sein Glück. Daß man auch
in hohem Maße koloniale und exotische Hilfskräfte nach Frankreich gebracht
hat, ist ja bekannt. „Chinesen und Anamiten fanden dabei hauptsächlich in den
Bergwerken Verwendung, während die Nordafrikaner, wie die Kabylen und
Marokkaner, zumeist in der Landwirtschaft beschäftigt wurden.“ Heute zählt man,
15*
228 Kritische Besprechungen und Referate.
daß etwa ein Siebentel der Bevölkerung Frankreichs aus Fremden besteht. 1922
ist man nun auch darangegangen, durch eine entsprechende Innenkolonisation
einen Ausgleich im Lande zu schaffen. Man versucht mit Hilfe der Bretonen
und Elsässer, die sich die höchste Fruchtbarkeit Frankreichs erhalten haben, die
verwüsteten Provinzen des Midi aufzufrischen. Es steht aber zu befürchten, daß
auch die aus den rauhen Gegenden der Bretagne kommenden „Einwanderer“
über kurz oder lang der Ueberzivilisation des übrigen Frankreichs zum Opfer
fallen und dem Wohlstand zuliebe die Zahl ihrer Nachkommen verringern wer-
den, wenn man sie auch durch geschlossene Siedlungen vor den verderblichen
Einflüssen ihrer Umgebung zu schützen versucht.
Im neunten und letzten Teil faßt H. die Ergebnisse seiner Untersuchungen
zusammen. „Droht Frankreich“ durch die ungeheure Fremdeninvasion „auch eine
schwere nationalpolitische Gefahr, so muß doch besonders die außerordentliche
Assimilationsfähigkeit hervorgehoben werden, die die französischen Romanen wie
kein anderes Volk der Erde befähigt, die verschiedenartigsten Volksteile nicht
nur aufzunehmen, sondern auch weitgehend zu verschmelzen. Es wäre daher
völlig irrig, aus dem Zusammenbruch des französischen Volkstums auf einen
baldigen Zerfall des Staates, des ‚imperium gallicum‘, schließen zu wollen.“ All-
gemein läßt sich aber feststellen, daß der Geburtenrückgang, wenn er „zunächst
auch noch praktisch politisch keine wesentliche Rolle“ spielt, „doch volkswirt-
schaftlich als einer der entscheidendsten Wirtschaftsfaktoren angesehen werden“
muß. „Man wird bei der allgemeinen Entwicklung der europäischen Bevölkerungs-
bewegung daher wohl in Zukunft der bevölkerungspolitischen Frage auch gerade
vom nationalökonomischen und staatspolitischen Gesichtspunkt aus ein gesteigertes
Interesse zuwenden müssen.“ L. Gschwendtner.
Scheumann, F. K, Eheberatung. Einrichtung, Betrieb und Bedeu-
tung für die biologische Erwachsenenberatung. Berlin 1928.
Richard Schoetz. M. 1.40.
-= Der Verfasser ist Leiter der Eheberatungsstelle Prenzlauer Berg in Berlin
In der vorliegenden Schrift gibt er Anregungen und Mitteilungen praktischer Art
über die Organisation der Eheberatung, über den Betrieb und die Einrichtung
von Eheberatungsstellen.
Der Verfasser wünscht, daß die Tätigkeit der Eheberatungsstellen sich an die
Schulberatung anschließt („Pubertätsberatung‘), dann in die eigentliche Heirats-
beratung übergeht und sich als Ehestands- oder Familienberatung fortsetzt, also
die Zeit vom Beginn bis zum Ende des fortpflanzungsfähigen Lebensalters umfaßt.
Die vom Verfasser geleitete Eheberatungsstelle wurde in der Berichtszeit von
567 Personen (dazu kommen 287 Wiederholungsfälle) aufgesucht, was eine Durch-
schnittsfrequenz von 6,4 Besuchern pro Sprechstunde ergibt. Der Hauptanteil ent-
fällt auf die Heiratsberatung (66 %), am seltensten ist die „Pubertätsberatung“
(7%) vertreten. Ein großer Teil der Ehebewerber war gesund; von den Krank-
heiten der Ehebewerber waren am häufigsten Geschlechtskrankheiten, Tuber-
kulose und Störungen der Sexualfunktion. Wegen Erbkrankheiten wurde nur in
ganz vereinzelten Fällen Rat verlangt.
Die Forderung nach Eheberatungsstellen ist ein wichtiger Punkt des rassen-
hygienischen Programms. Entspricht das Erreichte wirklich dem Gewünschten?
Kritische Besprechungen und Referate. 229
Diese Frage wurde dem Ref. erstmalig zum Problem, als er den Vortrag von
Scheumann über „Eugenik in der Eheberatungspraxis“ auf der „Eugenischen
Tagung“ des Bundes für Volksaufartung und Erbkunde im Oktober 1928 hörte.
Der Ref. erhielt hierbei den Eindruck, daß die — scheinbar übliche — Ehe-
beratungspraxis (Sexualberatung!) noch nicht das richtige Mittel zur Förderung
und Durchführung rassenhygienischer Gedanken sei. Auch die in der vorliegen-
den Schrift geforderte Ausdehnung der Eheberatung, aus praktischen Erfahrun-
gen abgeleitet, droht die Eheberatung in eine Richtung zu lenken, die von ihrem
eigentlichen rassenhygienischen Zweck abweicht: zur Pubertäts- und Ehestands-
fürsorge. Vom Standpunkt der allgemeinen Gesundheitsfürsorge betrachtet ist
deshalb der Vorschlag des Verf. vorzuziehen: an Stelle der zahlreichen Teilfür-
sorgen eine einheitliche und allgemeine Familienfürsorge einzurichten. Eine der-
artige Familienfürsorge wäre auch vom rassenhygienischeh Standpunkt zu be-
grüßen. Man fragt sich allerdings, ob die Fürsorge den verlorengegangenen Haus-
arzt ersetzen kann? Liegt nicht das — auch rassenhygienisch — größere Uebel
darin, daß der praktische (Kassen-) Arzt so ungeheuer an persönlichem Einfluß
auf seine Patienten verloren hat? O. v. Verschuer (Berlin-Dahlem).
Nötzel, Karl, Die russische Leistung. 112 S. Karlsruhe 1927, G. Braun.
M. 2.40.
Der Verfasser, der als einer der besten Rußlandkenner genannt wird, hält
„die russische Leistung“ für uns in doppelter Hinsicht bedeutungsvoll: „Einmal
kommt in Betracht die schöpferische Tendenz des geistigen Rußlands: es will
im praktischen und rein geistigen Leben an Stelle der Abstraktion die Erlebnis-
haftigkeit setzen: Typen für Gesetze. Es will immer und überall der ganzen Fülle
des Lebens gerecht werden“ (S. 105). Rußland wirkt auf Westeuropa ein, obwohl
es ihm keinen einzigen wirklich neuen Gedanken geschenkt hat.
Die zweite Leistung Rußlands — so stellt es der Verfasser dar — liegt auf
praktisch-politischem Gebiet: trotzdem das russische Volk durch sein geschicht-
liches Schicksal (Tatarenjoch, Leibeigenschaft bis 1861) gewohnt war, an freier
Meinungsäußerung behindert zu sein und ganz nach innen hinein zu leben, ist
das bolschewistische Experiment, „im 20. Jahrhundert einem Hundertmillionen-
volk die wirklich geistige Auswirkung gewaltsam zu verwehren und es in eine
rein mechanistische gesellschaftliche Umstellung hineinzuzwingen“ (S. 85) gänz-
lich mißlungen. Damit scheint der Nachweis erbracht, „daß gesellschaftlich-staat-
lich geregeltes Gemeinschaftsleben bloß auf der Anerkennung des geistigen We-
sens und der sittlichen Persönlichkeit des einzelnen Gesellschaftsmitgliedes ge-
gründet werden kann — d. h. auf der Freiwilligkeit des seiner Verantwortung
vor der Allgemeinheit bewußten Staatsbürgers“ (S. 105).
Für den Rassenbiologen ist von besonderem Interesse die geistige und seelische
Charakteristik des russischen Menschen, die der Verfasser an verschiedenen
Stellen etwa in folgender Weise zu geben sucht: der Russe hat einen „verblüf-
fenden Wirklichkeitssinn“ (S. 8), auch „beim Verfolgen weltfremdester Ziele“
(S. 73). Er zeigt eine „erlebnishafte (vom vollen Erlebnis ausgehende), den ab-
strakten Gedanken nicht anerkennende Haltung zur Wahrnehmungswelt“ (S. 30);
„das Gefühl muß eine ganz überragende Rolle spielen im Haushalt seiner Seele“
(S. 32), was so weit gehen kann, daß „der Russe logische Widersprüche im Haus-
230 Kritische Besprechungen und Referate.
halt seiner Seele offenbar bewußt binnimmt“ (S. 35). „Die eigentlichen russischen
Denker sind von jeher die großen russischen Dichter gewesen“ (S. 44). Ist die
dichterische Auffassungsart an sich schon verbunden mit dem bereits hervor-
gehobenen „Sträuben gegen den abstrakten Gedanken“ (S. 45), so zeigt sich die
„angeborene, außergewöhnlich starke, rein künstlerische Begabung des Russen“
(S. 46) vor allem „in Hinsicht auf die der Wirklichkeit am nächsten liegenden
Künste: als unvergleichlicher Tänzer, Schauspieler und vor allem Regisseur und
Dekorateur — mit einem Worte Theatraliker!“ (S. 46). Der Russe ist gegenüber
Versuchungen nicht widerstandsfähig, also „ein sehr leicht verführbarer Mensch“
(S. 75); doch zeichnet er sich durch „absolute Neidlosigkeit“ und „erstaunliche
innere Unabhängigkeit“ (S. 75) aus. O. v. Verschuer (Berlin-Dahlem).
„Die Gesellschaft.“ Internationale Revue für Sozialismus und Politik. Heraus-
gegeben von R. Hilferding.
Nach dem Eingehen der „Neuen Zeit“, die unter Kautskys Führung
in der Vorkriegszeit hauptsächlich den Standpunkt des „marxistischen Zentrums“
innerhalb der deutschsprachigen Welt des Sozialismus vertreten hatte, wurde im
Jahre 1924 die „Gesellschaft“ als wissenschaftliches Diskussionsorgan der
sozialdemokratischen Bewegung begründet; im Unterschied zur „Neuen Zeit“
kommen hier, gemäß der Hinwendung der Sozialdemokratischen Partei zu prak-
tischer Mitarbeit an Staat und Gegenwartskultur, nicht nur streng marxistische
. Anschauungen zu Wort.
Spärlich, aber im ganzen recht sachlich und erfreulich werden gesellschafts-
biologische Fragen gestreift; naturgemäß nur in Anknüpfung an aktuelle Tages-
fragen und in Referaten.
Von Bedeutung ist ein Aufsatz des Wiener Eheberaters Dr. Karl Kautsky
(jun.) [1925, 1. Bd., S. 354—366], in dem knapp und klar zum Problem der „U nter-
brechung der Schwangerschaft, Individualistische oder
sozialistische Lösung?“ Stellung genommen wird. Der imperialistischen
Bevölkerungspolitik, der K. eine gewisse Größe der Idee zubilligt, fehle heute in
Deutschland jeder Boden. Die heutige „Bevölkerungspolitik“ laufe hinaus auf eine
„nutzlose Schikane einiger weniger armer Teufel, die gegenüber der ungeheuren
Masse der Abtreibenden gar nicht ins Gewicht fallen“ (S. 360). „Uns Sozialisten
stehen vorläufig nicht die Mittel zu Gebote, den Geburtenrückgang ursächlich da-
durch zu bekämpfen, daß wir die Zukunft der Geborenen durch kollektive Haf-
tung der Gesellschaft sicherstellen und sie unabhängig machen von der materiellen
Unsicherheit der privat wirtschaftenden Einzeleltern.‘“ Der Geburtenrückgang sei
aber keine naturgesetzliche Degenerationserscheinung, sondern „eine umkehrbare
Reaktion auf wandelbare soziale Entwicklungszustände“. Daher sei überflüssige
Sorge nicht am Platze. Wohl aber müsse vor wahlloser Abtreibungfreiheit gewarnt
werden. K. vertritt den Standpunkt der Wiener Vereinigung sozialdemokratischer
Aerzte (Tandler), die im Mai 1924 nach Sammlung günstiger praktischer Er-
fahrungen in Fürsorge und Beratung betonte, daß „die völlige Freigabe der
Schwangerschaftsunterbrechung nicht zu befürworten sei, daß diese dagegen
von Aerzten aus medizinischer, sozialer und eugenetischer Indikation
vorzunehmen sei, falls eine bestimmte öffentliche Körperschaft ihre Zustimmung
gegeben habe“. Sehr entschieden wendet sich K. gegen das „unsozialistische“
Kritische Besprechungen und Referate. 231
Prinzip des „Herr über den eigenen Körper“; „mit dem Augenblick der Befruch-
tung ist ein neues Lebewesen entstanden, das ebenso Schutz heischen kann wie
ein neugeborenes oder ein unmündiges Kind“ (S. 364f.). Er wendet sich dabei
ausdrücklich gegen den individualistischen Standpunkt Goldscheids, der die
Verantwortung der Gesellschaft durch Freigabe der Abtreibung schärfen will.
Interessant ist K.s Argument: „Das Bürgertum, gestern noch imperialistisch, kann
morgen schon bevölkerungspolitische Gedankengänge verfolgen, gegen die die
M althusschen das reine Kinderspiel sind. So könnte es die Fruchtabtreibung
freigeben und dann die Löhne kürzen unter der Begründung, die Reproduktion
der menschlichen Arbeitskraft auf dem Wege der Fortpflanzung sei reiner Luxus.
Der Import von Kulis könnte rentabler sein als die Aufzucht heimischer Arbeiter-
kinder mit ihren großen Ansprüchen auf Bildung und Wohlergehen.“ Damit ist
Kautsky jun. freilich noch weit von dem rassenhygienischen Standpunkt entfernt.
Der Abstand wird besonders deutlich in seiner süß-säuerlichen Besprechung
des Werkes von Oda Olberg „Die Entartung in ihrer Kulturbedingtheit“ (1926,
1. Bd., S. 565—573). Der Begriff der Entartung sei ebenso „gefährlich und zwei-
deutig“ wie sein Korrelat „Tüchtigkeit“. „Von dem arisch-antisemitischen Miß-
brauch, der damit getrieben wird, wollen wir dabei ganz absehen. Heißt tüchtig
dem Milieu angepaßt, so wechselt die Tüchtigkeit je nach dem Milieu, es wird
also der angeblich biologische Faktor zu einem wenigstens teilweise soziologischen.
Die ‚Tüchtigkeit‘ zweier Gruppen, etwa von thüringischen Heimarbeitern und
von niederbayerischen Bauern, wird dadurch inkommensurabel. Sie würde aber
noch schwerer zu bestimmen sein, wenn wir uns einen Kindertausch dieser beiden
Schläge vorstellen und die die Ungunst des Milieuwechsels Ueberlebenden dann
vergleichen. Sind die neuen Thüringer, obwohl erbbiologisch ebenso ‚tüchtig‘
wie ihre Bayerneltern, untüchtiger geworden als die neuen Bayern, weil sie viel-
leicht nicht mehr imstande sind, den Pflug zu führen oder Speck und Knödel
zu verdauen, was diese schon gelernt haben“ (S. 570). — K. erwartet hoffentlich
nicht, daß O. Olberg oder irgendein rassenbiologisch geschulter Mensch diese
gesucht „materialistischen“ Späße allzu ernst nimmt. Immerhin kann K. sich im
ganzen nicht dem Eindruck entziehen, daß O. Olberg in ihrem Buche eine der
möglichen Synthesen von Rassentheorie und Sozialismus aufgezeigt hat.
Sehr ungünstig ist die Besprechung von A. Baslers „Einführungin
die Rassen- und Gesellschaftsphysiologie“ durch R. A. Fuchs
in demselben Band (19261, S. 283ff.) wegen Baslers nicht ganz glücklicher
Klasseneinteilung, seiner ärgerlichen, aus Unkenntnis herrührenden Ablehnung
des Sozialismus und seines betonten Antisemitismus ausgefallen.
Um so erfreulicher ist es, daß die Besprechung der Werke v. Behr-Rin-
nows „Die Zukunft der menschlichen Rasse“, 1925 (19261, S. 484)
und Zurukzoglus „Biologische Probleme der Rassenhygiene
und die Kulturvölker“ (192611, S. 180) durch die sachkundige Feder Oda
Olbergs eine deutlich positive Stellungnahme zur Rassenhygiene bringt. Zum
ersteren Buch schreibt O.: „In der Tat wüßte ich nicht einzusehen, warum die
Frage des Schutzes unserer Rassenwerte durch eine oder die andere partei-
politische, religiöse oder philosophische Brille angeschaut werden sollte. Das
Problem als solches steht höher als jede Parteipolitik; wo es sich um die Mög-
232 Kritische Besprechungen und Referate.
lichkeit und die Mittel der Durchführung handelt, kommt das Parteipolitische
ganz von selbst zu Wort. Bei der Darstellung des Problems, bei dem Versuch, im
Einzelbewußtsein das Gefühl der rassenhygienischen Verantwortlichkeit zu wecken,
ist es pädagogisch klug, es zum Schweigen zu bringen.“ Zurukzoglu ist O. als
Rassenhygieniker mitunter nicht einmal entschieden genug.
Gegenüber dem Bekenntnis v. Behr-Rinnows zur nordischen Rasse und
ihrem deutschen Zweig schreibt O.: „Es ist gewiß begreiflich und ehrt ein Volk,
wenn es in den Tagen der Not sich leidenschaftlicher zur eigenen Wesenheit
bekennt und diese verklärt; wenn aber dieser Einstellung ein zu breiter Raum
gelassen wird, tut das der Wissenschaftlichkeit Abbruch.“
In derselben positiven Linie bewegt sich auch die im ganzen sehr günstige
Besprechung von Sommers ,„Familienforschung, Vererbungs- und
Rassenlehre, 3. Aufl, 1927, durch M. Kantorowicz-Kroll (1928, Bd. 2,
S. 92ff.). K. V. Müller.
Sozialistische Monatshefte. Redigiert von Joseph Bloch. Jg. 1924—1928.
Die Sozialistischen Monatshefte sind seit mehr als 30 Jahren die führende
Zeitschrift des revisionistischen Flügels der Sozialdemokratie. Sie haben einen
guten Mitarbeiterstab, der in den Inflationsjahren durch großen ldealismus das
Durchhalten der Zeitschrift ermöglicht hat. Auf dem Gebiet der Theorie und ins-
besondere der Praxis des Sozialismus haben die Sozialistischen Monatshefte ähn-
liche Verdienste in Deutschland wie die bekannte Fabian Society in England,
wenngleich deren Wirkungskreis wohl von jeher größer war. Leider ist bislang
die Stellung der Sozialistischen Monatshefte zur āußeren Politik und zur Rassen-
biologie nicht mit ähnlicher Genugtuung zu erwāhnen; im ersteren Falle sind
sie einer ausgesprochen frankophilen Politik verhaftet (Quessel, Cohen-
Reuß), im letzteren Falle werden sie erfreulicherweise zwar völkischen Er-
neuerungsbewegungen wie dem Zionismus gerecht, weniger jedoch schon der
deutschen Rassenhygiene, am wenigsten der nordischen Bewegung — wenngleich
die Schuld ja hierbei zum guten Teil bei manchen Vertretern dieser Bewegung
liegen mag.
Am interessantesten sind dabei die Urteile über die Neuerscheinungen der
einschlägigen Gebiete, die von den jeweiligen Bearbeitern der „Rundschau“ ab-
gegeben werden.
Sehr erfreulich ist die verdiente Würdigung Grotjahns („Hygiene der
menschlichen Fortpflanzung“) durch Georg Wolff (Bd. 64, S. 233f.) und Max
Klesse (S. 665). Letzterer Autor veröffentlicht 1928 (S. 314—319) einen sehr
beachtlichen Aufsatz: „Mehr sozialistische Bevölkerungspolitik“, in dem er als
Schüler Grotjahns die Gefahr des Geburtenrückgangs schildert. Unter soziali-
stischer Bevölkerungspolitik versteht er die Befreiung der Eltern von der Sorge
um die Aufzuchtkosten; er begrüßt in diesem Zusammenhange sogar den Vor-
schlag A. Zeilers, der die Zuschläge zur Einkommensteuer oder Versicherungs-
beiträge im Sinne der Grotjahnschen Elternschaftsversicherung nicht in ab-
soluter Höhe, sondern im Promillesatz des Gesamtarbeitseinkommens beider Ehe-
leute festgelegt wissen will, weil dadurch die Unterstützung „eine Art eugenischer
Wirkung“ hätte. „Eine Bevorzugung der höheren Gehaltsgruppen kommt wegen
der bekannten Kinderarmut praktisch nicht in Frage, während andererseits gerade
Kritische Besprechungen und Referate. 233
die für die Erhaltung des Volkes ausschlaggebenden, wertvollen, breiten Schich-
ten der gelernten Arbeiter, Bauern, Kleinbürger und Intellektuellen wirksam und
zum Teil auf Kosten der hohen Einkommen unterstützt würden. Wo die Mutter
einer Erwerbsarbeit ohne Vernachlässigung der Kinder nicht nachgehen kann, ist
es billig, ein ihrer Vorbildung entsprechendes fiktives Einkommen bei dem Bezug
der Erziehungsbeihilfen mit zugrunde zu legen; dadurch fände auch gesellschaft-
lich die Arbeitsleistung der Hausfrau und Mutter die verdiente Würdigung“ (S. 317).
Auch sonst findet der Gesellschaftsbiologe in den Uebersichten der Sozialistischen
Monatshefte manche Anregung. So berichtet Max Hodann unter „Anthropogeo-
graphie“ (?) über ausländische Literatur zur Geburtenregelung (19281, S. 431 ff.).
Obwohl er — für die Sozialistischen Monatshefte recht erstaunlich — „als Marxist“
berichten will, würdigt er hier auch eugenische Gesichtspunkte. Sehr interessant
sind seine zum Teil persönlichen Mitteilungen über den Stand der Frage in Ruß-
land. Auf Grund eigener Erfahrung berichtet er, daß man im heutigen offiziellen
Rußland die geburtenverhütende Technik sehr aufmerksam verfolge und geeignete
Mittel sehr vorsichtig zur Verbreitung freigebe. „Interessant ist, daß nicht nur in
den kleineren Städten, sondern selbst in Zentren wie der Hauptstadt über 20 %
der Frauen es ablehnen, Verhütungsmittel anzuwenden, obwohl die Mütterbera-
tungsstellen sie nach ärztlicher Kontrolle kostenlos abgeben. Diese Frauen nehmen
lieber einfache Schwangerschaftsunterbrechungen in den Kauf, die ja an und für
sich durch die russische Gesetzgebung freigegeben sind. Gegenüber gegenteiligen
Mitteilungen in der deutschen Fachpresse darf hier auf Grund der Auskunft des
Volkskommissars selbst mitgeteilt werden, daß die Gesetzgebung in dieser Rich-
tung in keiner Weise geändert worden ist: jeder Frau, auch der, der die Abort-
kommission die Unterbrechung als nicht unbedingt erforderlich abgelehnt hat,
bleibt das Recht, die Operation an konzessionierter Stelle vornehmen zu lassen.
Nur hat sie in diesen Fällen die Kosten zu tragen, die sich je nach ihrem Ein-
kommen auf 6—30 Rubel bemessen.“ — Ueber die Motive des Aborts unterrichtet
folgende Tabelle (S. 433):
o Wirtschaftliche | Krankheit | Wunsch nach | Vorhandensein
P Ursachen der Frau Verheimlich. | eines Säuglings
Gouvernementsstädte 12,7
Andere Städte 5,2
Dörfer 4,8
Ein Aufsatz von demselben Autor (S. 1079—1082): „Der gegenwärtige Stand
der wissenschaftlichen Geburtenregelung“ bringt mehr eine Uebersicht über die
Verhütungsmittel und ihren Sicherheitsgrad als grundsätzliche Aeußerungen.
Daß Hodann noch nicht ganz zu vorurteilsloser Würdigung der rassen-
hygienischen Bestrebungen gelangt ist, zeigt ein Seitenhieb, den er gelegentlich
der Besprechung von Baslers „Einführung in die Rassen- und Gesellschafts-
physiologie“ bei an sich berechtigter Zurückweisung einiger Uebertreibungen
Baslers gegen die „Münchener Richtung“ führt, indem er schreibt: „Rassen-
hygienische Gesichtspunkte im Sinn der deutsch-völkischen Anthropologie der
Lenz und Siemens kommen auch bei Basler zur Geltung ....“ (1926, S. 333).
Dagegen sei etwa Sigmund Feists „Stammeskunde der Juden“ ein „ungewöhn-
234 Kritische Besprechungen und Referate.
lich wertvolles Werk“; ebenso günstig schneidet Arnold Zweig mit seiner „wun-
dervollen Impression“ „Das Neue Kanaan“ ab; ausführlich wird ein Passus zitiert,
der so ziemlich alle biologischen Gesetze umwirft und mystifiziert. Von der Sozial-
anthropologie wird an gleicher Stelle von Hodann nur kurz Niceforo ge-
würdigt, dann folgen die Forschungen des Sozialhygienischen Untersuchungsamtes
in Frankfurt, Eliassow, L. Ascher und Georg Wolff (S. 333 f.). Offenbar
hat Hodann eine nicht ganz zureichende Vorstellung von dem Aufgaben- und
Forschungsbereich dieser Disziplin.
Besonders schwer fällt aber manchen Mitarbeitern der Sozialistischen Monats-
hefte leider noch eine objektive Haltung gegenüber der eigentlichen Anthropologie
und den auf sie begründeten Bewegungen (freilich mit der obenerwähnten Aus-
nahme). Als nach dem ersten Erfolg der Güntherschen „Rassenkunde“, der
ja auch unter der Mitarbeiterschaft der Sozialistischen Monatshefte unverkennbar
war, alle Welt gegenüber den einleuchtendsten anthropologischen Tatsachen die
Verpflichtung zu oberflächlicher Kenntnisnahme verspürte, biß man auch in bis-
lang fernstehenden Kreisen in den sauren Apfel der Erkenntnis. 1925 berichtet
Hans Haustein in einer biologischen Uebersicht im ganzen sehr sachlich, doch
mit deutlicher Tendenz zur Verwischung. — Scheidt wird als „ganz ausge-
zeichnet“ empfohlen, Günther leise getadelt, obwohl zugegeben wird, daß er
„sehr anregend“ sei; am Schlusse Walther Sulzbach s umstrittenes Buch (,„Vor-
urteile und Instinkte, eine Untersuchung über die Rassenabstoßung und den Anti-
semitismus“) beistimmend zitiert. Immerhin ist die Haltung dieser Besprechung
noch recht erfreulich objektiv. Im nächsten Band findet Kossinnas Germanen-
forschung einen begeisterten Freund in Hans Flemming (1926, S. 512, und 1928,
S. 373f.).
Weit häufiger aber begegnen wir, vor allem inHodanns Uebersichten, recht
abfälliger Wertung der anthropologischen Wissenschaft. Ist es schon zweifelhaft,
ob ein Urteil A. Salmonys (in: „Die Rassenfrage in der Indienforschung“,
1926, S. 538): „Das Selbstbewußtsein des weißen Menschen auf Grund seiner kul-
turellen Allgemeingültigkeit ist erschüttert und muß zerstört werden“ in dem
einen Sinne gemeint ist, in dem man ihm zustimmen könnte, so grenzen
Hodanns Besprechungen, in denen er oft genug zu Unrecht den Vorwurf der
„Germanomanie“ macht, öfters an Germanophobie, die sicher ebenso unkritisch
und unerfreulich werden kann wie der wilde Antisemitismus, und die man in
einem wissenschaftlichen Organ von der Bedeutung der Sozialistischen Monats-
hefte lieber, genau wie diesen, vermieden sähe. In einer Uebersicht „Rasse und
Kultur“ (1926, S. 333£.) wird L. Clauß nach diesem Prinzip vorsichtig gelobt,
weil er sich im ganzen von der „Germanomanie“ freihält, getadelt, soweit er es
nicht tut. Vor „Volk und Rasse“, deren erste Nummer vorlag, wird gewarnt,
Paudler begrüßt (weil er die Reinrassigkeit des nordischen Typus in Frage
stelle!); Lando ws Aktphotographien („Das Weib‘), die auch anthropologisch
bedeutsam seien, und Ignaz Zollschans „verdienstvolles Werk“ („Das Rassen-
problem“) erringen hohes Lob. „Und gegenüber allen ‚Rassenpolitikern‘ sei darauf
hingewiesen, daß gerade jene Art, die ihnen als Adel, also ausgeprägteste Form
der nordischen Rasse, erscheint, daß jene hochgewachsenen, blonden, blauäugigen
Typen keineswegs an der Spitze oder auch nur in den vorderen Reihen der
Kritische Besprechungen und Referate. — Notizen. 235
Menschen marschieren, die kulturschöpferisch für Deutschland bedeutungsvoll
geworden sind,“ verkündet uns Hodann frohlockend. Wie man’s nimmt, möch-
ten wir meinen; Kultur ist halt ein sehr relativer Begriff. Manche Leute zählen
auch „Jonny spielt auf“ zur deutschen Kulturschöpfung, manche wieder nicht.
Ich möchte mich hierbei wiederum auf Hodann selbst berufen, der in einer
auffällig günstigen Beurteilung vonSchultze-Naumburg: „Kunst und Rasse“
schreibt (1928, S. 530ff., nachdem er vorher Koralnik und A. Zweig wegen
des „Caliban“ gelobt hat!): „Schultze-Naumburg kommt zu dem richtigen
(von uns gesperrt. Ref.) Ergebnis, daß jede Kultur ihr eigenes Schönheitsideal
hat, daß sich zwischen diesem Schönheitsideal und den biologischen Eigentüm-
lichkeiten seiner Schöpfer gewisse regelmäßige Beziehungen nachweisen lassen.“
Dagegen erntet Günther („Rasse und Stil“) herben Tadel; man habe bei ihm
oft den Eindruck verschwommenen „germanomanischen“ Geredes, „das allerdings
bei ihm nicht den brutalen Ausdruck nationalen Hochmutes gewinnt, wie etwa
bei L. Schema nn“ („Die Rasse in den Geisteswissenschaften‘“). Aus demselben
Grunde wird auch der in dieser Beziehung doch wahrlich harmlosere Fritz Kern
(„Stammbaum und Artbild der Deutschen“) verworfen. W. Scheidt („Rassen-
unterschiede des Blutes“) wird wegen seiner „beruhigenden“ negativen Feststel-
lungen, wenigstens insoweit, gelobt, teilweise auch Wilhelm Schmidt („Rasse
und Volk“) und erst recht Franz Weidenreich („Rasse und Körperbau“).
Ich habe dieses Register etwas ausführlich gestaltet, um die Konsequenzen
solcher gutgemeinter Eklektik zu zeigen: eine solche, dem Volksempfinden ent-
gegenstehende antigermanische Wertung wird schließlich genau so unwissenschaft-
lich und schädlich wie der Antisemitismus auf der anderen Seite. Es wird ein
vergebliches Bemühen bleiben, exakte Wissenschaften in den Dienst irgendeiner
„Pro“- oder „Anti“-Manie zu spannen, Gott sei Dank, und je eher unsere poli-
tischen Bewegungen hüben wie drüben aufhören, das zu versuchen, desto besser
für sie und den ruhigen Fortschritt der Wissenschaft. K. V. Müller.
Notizen,
Die Rückkehr der deutschen Indien-Expedition 1926—1929.
Die im Herbst 1926 vom Staatlichen Forschungsinstitut für Völkerkunde in
Leipzig ausgesandte „Deutsche Indien-Expedition“ hat im April 1929 mit der
Rückkehr von Dr. Freiherr v. Eickstedt — dem Leiter dieses ersten größeren
Versuchs zur Erforschung der alten südasiatischen Rassen- und Völkerschichten —
ihren Abschluß gefunden. Die Expedition hat neben Ausgrabungsresultaten, Fa-
milienforschungen, Blutuntersuchungen, Studien über das Aussterben, das Sexual-
leben, über Kulturbesitz, Psychologie und Schichtungen der Urvölker sowie ihre
Zusammenhänge mit den höheren Rassengruppen auch mehr als 2000 Sammlungs-
gegenstände, an 12000 wissenschaftliche Photographien und über 100 000 mensch-
liche Proportionsmaße heimgebracht. Die an Frauen verschiedener südasiatischer
Völker gewonnenen anthropologischen Untersuchungsergebnisse übertreffen um
ein Vielfaches das bisher vorliegende Material. Die Expedition, die noch Karl
Weule ihre Verwirklichung verdankt, ist nicht nur das erste mehrjährige, von
deutscher Seite nach Indien gesandte Forschungsunternehmen, sondern auch über-
236 Notizen.
haupt die erste größere Expedition mit vorwiegend der Anthropologie dienenden
Aufgaben. Die indische Regierung zeigte dankenswerterweise stets das größte
Entgegenkommen und tatkräftiges Interesse.
Es gelang der Expedition die Analyse der bisher nur sehr oberflächlich be-
kannten indischen Urbewohner, innerhalb deren zwei verschiedene Rassen — die
ältesten der Alten Welt — festgestellt wurden (Süd-Weddoide und Nord-Weddoide),
und die Entwirrung des unter zahlreichen Fremdeinflüssen stehenden Rassen-
gemenges der indischen Kulturvölker. Das Untersuchungsgebiet umfaßte neben
den ausgedehnten Dschungelgebirgen von Süd- und Zentral-Indien auch Ceylon
und die Ebenen des Nordens. Bedeutsam ist, daß die altindischen Urbewohner,
wenn auch in verschiedenem Maß, aber fast nie ganz fehlend, von mongoliden
Elementen durchsetzt sind, daß Mongolen einst Herren in Indien waren und erst
das Eindringen der vorarischen mediterranoiden Indiden Indien dem Westen
angliederte und den Strom der gelben Rasse endgültig nach Südosten lenkte.
Der weitere Verfolg dieser mongoliden Elemente führte in die Hochgebirge an
der birmanisch-chinesischen Grenze, wo eine frühmongolide Schicht aufgefunden
und dem Rassentum der Shan, die nach den Monkhmeriern und vor den Chi-
nesen Herren in Südost-Asien waren, gegenübergestellt werden konnte. Als Ver-
gleichsmaterial für die beiden in Süd-Indien aufgefundenen dunkelfarbigen Ras-
senelemente (die Süd-Weddoiden und Melaniden) wurde auch die dunkelfarbige
Zwergbevölkerung der Andaman-Inseln untersucht, wobei zum erstenmal europä-
ische Gelehrte das entlegene, fremdenfeindliche Klein-Andaman betraten. Hier
bei den Negritos wie unter den Weddas von Ost-Ceylon und bei verschiedenen
anderen primitiven Stämmen haben der Forscher und seine Gattin unter den
Eingeborenen und in deren Hütten gelebt. Auch während der Monsunregen und
der heißen Zeiten wurden die Arbeiten in jedem Jahr ohne Unterbrechung fort-
gesetzt.
Die letzte (sechste) Teilexpedition galt den Primitivvölkern von Zentral-Indien
und den benachbarten Gebieten. In siebenmonatiger Arbeit im Dschungel und
wiederholt in Gegenden, wo bisher noch keine Europäer waren, wurden die alt-
drawidischen Stämme der Maria-Gond, Oraon und Khond sowie die monkhmeri-
schen Völker der Munda und Juang nebst ihren Verwandten untersucht. In räum-
licher Beziehung ist diese letzte Expedition die umfangreichste; so wurde z. B.
das große Orissa in seinen entlegensten Waldgebieten dreimal durchquert und
auch so entfernte Stämme wie die Bhil in Rajputana und die Chenchu in Madras
zum Vergleich herangezogen. Nicht selten waren dabei tagelange Elefantenritte
nach ungewissem Ziel und unter strömendem Monsunregen nötig, ohne daß danach
in später Nacht mehr als eine Unterkunft in primitiven Eingeborenenhütten und
etwas Curry und Reis zu erwarten waren. Etwa 4000 Photographien, mehrere
ethnographische Sammlungen, 1200 gemessene Individuen — wovon die Hälfte
Frauen sind — und ein umfangreiches Beobachtungsmaterial sind die Ergebnisse,
die unter beträchtlichen Schwierigkeiten, zu denen auch neun Fieberanfälle des
Forschers gehören, gewonnen wurden. Ueber Irak und Anatolien ist Freiherr
v. Eickstedt jetzt nach Breslau zurückgekehrt, wo er die Leitung des Anthropo-
logischen Instituts und der Ethnographischen Sammlung der Universität über-
nommen hat.
Zeitschriftenschau.
Münchner Medizinische Wochenschrift. 1928. S. 52. v. Zumbusch, L.: Ge-
schlechtskrankheiten und Ehekonsens. Kritische Richtlinien für die
Eheberatung Geschlechtskranker. — S. 133. Ziegelroth, P.: Zur diätetischen
Therapie der Hämophilie. Verf. berichtet über zwei Fälle, die aus Bluter-
familien stammen, und die er durch eine Diät im Sinne erheblicher Vitaminanreiche-
rung (besonders rohe Früchte, Salate, frische Gemüse und Säfte) günstig zu beein-
flussen vermochte. — S. 177. Smilga, G.: ZurFrage der Klumpfußbildung
bei Zwillingen. Verf. berichtet noch einmal über die mit Klumpfuß behafteten
Zwillinge, deren Befunde er in der gleichen Wochenschrift 1926, Nr. 50 mitgeteilt hat.
Er hatte diese Zwillinge als zweieiig publiziert, da sie nach dem Geburtsbericht ge-
trennte Plazenten und getrennte Fruchtsäcke hatten. Prüft man die Zwillinge aber
nach dem Siemensschen Schema zur Eiigkeitsdiagnose aus der Aehnlichkeit, so
muß man zu der Ueberzeugung kommen, daß es sich hier trotz dem entgegengesetzt
lautenden Geburtsbefunde um eineiige handelt. Verf. geht auf die einzelnen Befunde
ein und gibt auch eine Photographie der Zwillinge, die ihre frappante Aehnlichkeit
gut erkennen läßt. — S. 184. Oelze, F. W.: Das Reichsgesetz zur Bekämp-
fung der Geschlechtskrankheiten und der Nachweis der Spiro-
chaete pallida. Verf. tritt gegenüber Mühlpfordt für die Spirochätenunter-
suchung vermittels des Dunkelfeldes ein. — S. 359. Kaup, I: Krise im Kampf
gegen den Geburtenrückgang. (Vgl. unten.) — S. 385. v. Oettingen und
Witebsky: Plazenta und Blutgruppe. Das Plazentargewebe ist frei von
gruppenspezifischen Merkmalen, während die Dezidua das mütterliche Gruppenmerk-
mal in vollem Ausmaße aufweist. Die Plazenta ist demnach als neutrales Organ
zwischen Mutter und Kind eingeschaltet. — S. 404. Kaup, I: Krise im Kampf
gegen den Geburtenrückgang. (Vgl. unten.) — S. 443, Kaup, I.: Schluß
des vorstehenden Aufsatzes, der eine Uebersicht über den Stand der
Geburtenrückgangsfrage enthält und alsdann neue Vorschläge macht für einen wirt-
schaftlichen Ausgleich des Familienstandes in der Gehalts- und Lohnpolitik und für
eine Organisation der öffentlichen Familienhilfe. — S. 486. Lenz, F.: Eine säch-
sische Denkschrift über Ebe- und Sexualberatung. Während der
preußische Landesgesundheitsrat sich dahin ausgesprochen hatte, daß sich die Ehe-
beratungsstellen mit Ratschlägen zur Anwendung empfängnisverhütender Mittel nicht
zu befassen hätten, bringt die Denkschrift des sächsischen Arbeits- und Wohlfahrts-
ministeriums Stimmen, die von der Stellungnahme in Preußen wesentlich abweichen.
Vor allem gilt das für das Gutachten Sellheims, der schreibt: „Die Dummen
— wenn wir sie mal kurz so nennen wollen — wissen nichts von den Präventiv-
mitteln und gebrauchen sie ungeschickt. So pflanzt sich die Dummheit, wohl die
wertloseste und entbehrlichste Eigenschaft, ins unermeßliche fort. Wenn wir nun
in den Ehe- und Sexualberatungsstellen die Präventivmittel und ihre zum Ziele
führende sorgfältige Technik allen auch noch bekanntgeben, dann tun wir auch der
Allgemeinheit einen großen Gefallen.“ — S. 570. Budde, I.: Die Blutgruppen-
verteilung in der Bremer Bevölkerung. Die Blutgruppenverteilung in
238 Zeitschriftenschau.
Bremen weicht nur wenig von der in Köln und Essen ab. Wahrscheinlich war früher
einmal die Gruppe B in Bremen schwächer vertreten. — S. 522. Beck, A.: Die rich-
tige Bewertung der Blutgruppenbestimmung. (Zugleich Erwiderung
auf den Artikel von B. Oehlschlägel.) Nach den an über 1700 Transfusionen
gewonnenen Erfahrungen des Verf. ist zu fordern, daß vor jeder Transfusion die
Gruppenbestimmung unter Mitverwendung des Testserums O vorgenommen und mit
einer biologischen Vorprobe in Form einer Ueberleitung kleiner Einzelportionen
von 10, 20 und 50 ccm begonnen wird. — S. 523. Mühlpfordt, H.: Nochmals das
‚neue Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten und
der Nachweis der Spirochaete pallida. Eine Erwiderung an F. W.
Oelze. Verf. schließt sich der Ansicht Oelzes an, daß der Nachweis der Pallida
mit Hilfe des Dunkelfeldes der beste ist. Von 100 Praktikern besäßen ein solches
aber höchstens drei, und deshalb glaubte er, seine Färbemethode empfehlen zu sollen.
— S. 548. Curtius; Syringomyelie und Status varicosus. Verf. unter-
suchte rund 2000 Menschen auf die Phlebektasien des Integuments. Es zeigte sich, daß
sie so gut wie stets hereditär stark mitbedingt, zum Teil sogar regelmäßig dominant
erblich sind. Man begegnet sehr häufig mehreren Phlebektasiearten bei demselben
Menschen. Es existiert folglich ein Zustand ererbter Venenwandschwäche, ein „Status
varicosus“. Bei 14 Fällen von Syringomyelie wurden 12mal die Symptome dieses
Status gefunden, so daß zwischen diesen beiden Erscheinungen enge, zum Teil erb-
liche Beziehungen anzunehmen sind. — S. 562. Leder: Beitrag zur Kenntnis
dertrypanoziden Substanz im Blutserum bei Hämophilie. Wäh-
rend das Serum gesunder Menschen eine lähmende bzw. tötende Wirkung auf tier-
pathogene Trypanosomen im Organismus der Maus ausübt, läßt das Hämophilen-
serum diese Schutzwirkung vermissen. — S. 815. Bersch, E.: Ueber die Bezie-
hungen zwischen Körperbau und Mißbildungen. Atherome, Naevi
und Ichthyosis gehören nach den Erfahrungen des Verf. fast immer körperbaumäßig
den schizoiden Typen zu. Aber auch ganz allgemein scheint der schizoide Typ die
Domäne der Mißbildungen zu sein. Die Gebundenheit der verschiedensten Organ-
mißbildungen an den schizoiden (asthenisch-hypoplastischen bzw. dysplastischen) Typ
schienen sich dem Verf. auch durch anatomische Untersuchungen an Leichen Schizo-
phrener zu bestätigen. — S. 824. Oelze, F. W.: Praktisch-diagnostischer
Nachweis der Spirochaete pallida durch Färbung oder Dun-
kelfeld? Verf. betont Mühlpfordt gegenüber noch einmal, daß allein die
Dunkelfelduntersuchung und nicht die Färbemethode eine zuverlässige Entscheidung
darüber liefern kann, ob Spirochäten vorhanden sind. — S. 858. Goebe, A.: Jahres-
statistik über das Vorkommen von Kropf. Verf. fand unter den inneren
Kranken eines Groß-Berliner Krankenhauses fast 20 % mit Schilddrüsenvergrößerung.
Das ist eine sehr hohe Zahl für eine bisher als nahezu kropffrei angesehene Gegend.
— S. 960. Neustätter, O: Eine vernachlässigte Möglichkeit zur Be-
kämpfung des Alkoholismus. Verf. führt aus, daß es möglich ist, ein wohl-
schmeckendes vollmundendes Bier mit einem Alkoholgehalt von nur 1 und selbst % %
herzustellen. Er bezeichnet es als merkwürdig, daß weder die antialkoholische Be-
wegung noch die Brauereiindustrie diesem schmackhaften und fast alkoholfreien
„Mundbier“ ihre Aufmerksamkeit zuwendet. — S. 993. Wellisch, S: Ueber die
Bedeutung des Gesichtslängenindex. Verf. zeigt durch vergleichende
Anwendung verschiedener Indizes, daß die Wahl des Index für Rassenstudien und
klinische Erhebungen von großer Bedeutung ist. — S. 1023. Moritz, Fr.: Ueber die
„Normalisierung“ von Zahlenreihen, die sich auf quantitative
biologische Bestimmungen oder auch auf Quotienten von sol-
Zeitschriftenschau. 239
chen beziehen, und die Vorteile dieses Verfahrens. Wichtige stati-
stische Ausführungen, die im Original eingesehen werden müssen. — S. 1039. Bauer,
Nürnberg: Die Entstehung der endogenen Defekte. Verf. glaubt an
eine „Gesetzmäßigkeit im fraktionierten Absterben der verschiedenen Zellfunktionen“.
Vorzeitiger Tod eines Chromomers bedinge Fehlen der von der Funktion dieses
Chromomers abhängigen Lebenserscheinungen, z. B. der Fähigkeit, Rot und Grün zu
unterscheiden. Dabei glaubt er, daß das Chromosom langsam, auf Generationen ver-
teilt, stirbt. — S. 1040. Sehultze, Fr.: Die Krankheiten Beethovens. Verf.
hält es für im hohen Grade fraglich, ob die Ertaubung und die Leberzirrhose B eet-
hovens luischen Ursprungs gewesen seien, wie es von anderer Seite behauptet wor-
den ist. — S. 1078. Veigt, L.: Das Ergebnis der Reichszählung der
Geschlechtskranken 1927 in Nürnberg unter Berücksichtigung
der Statistik der Jahre 1921—1924. Die Gesamtzahl der frischen Er-
krankungen ist in den letzten Jahren gestiegen, die Zunahme betrifft aber einzig
und allein die Gonorrhöe. Die Lues hat weiterhin abgenommen, ihr Verhältnis zur
Gonorrhöe ist so günstig wie noch nie — 1:6,5. Trotz der Steigerung der Gesamt-
zahl der Erkrankungsfälle etwa auf den Stand von 1922 bleibt das Prozentverhältnis
infolge der Bevölkerungszunahme weit darunter. — S. 1253. Flaskamp, W.: Die
Eheberatung. Das Merkblatt für Eheschließende ist nach Verf. in der Idee aner-
kennenswert, für die Praxis aber bedeutungslos. Das Problem der „Ehehilfe‘ muß
sich mit der Ehevorsorge und mit der Ehebehandlung befassen. Der Ehehelfer kann
nach Verf. nicht durch Examen approbiert werden, sondern er muß, gleichsam als
Künstler, geboren sein. — S. 1325. Siemens, H. W.: Experimentelle Ver-
erbungsbiologie und Medizin. Die Vererbungslehre gehört zu den Grund-
lagen der allgemein-medizinischen Bildung. Die Aneignung dieser Disziplin ist nicht
so schwierig, wie häufig behauptet wird; denn komplizierte Erbverhältnisse spielen
in der menschlichen Vererbungspathologie vorläufig praktisch keine Rolle, und die
Ergebnisse der Statistik sind nicht schwer zu beurteilen, wenn einem die beiden Fehler
dieser Methodik, der Fehler der kleinen Zahl und der Fehler des ausgelesenen Mate-
rials, klar geworden sind. Die Schwierigkeiten der vererbungspathologischen Forschung
sind in allererster Linie Schwierigkeiten der Materialbeschaffung, die durch entspre-
chende Organisation zu überwinden wären. — Gundel, M.: Weitere Unter-
suchungen über Lues und Blutgruppenzugehörigkeit. Da die Blut-
gruppen B und AB eine erheblich schwerere Beinflußbarkeit der Wassermann-Reak-
tion durch die Behandlung zeigen, wird die Therapie und Prognose der Lues in Zu-
kunft auf die Blutgruppenzugehörigkeit der Luiker Rücksicht zu nehmen haben. —
S. 1747. Siemens, H. W.: Die Vererbungspathologie der Mundhöhle.
Zusammenfassende Darstellung der über fünf Jahre sich erstreckenden Münchener
Untersuchungen verschiedener Mitarbeiter des Verf. über die Anomalien der Mund-
höhle und der Zähne an eineiigen und zweieiigen Zwillingen. Zu kurzem Referat nicht
geeignet. — S. 1921. Thomsen, O.: Ueber den Wert der von Furuhata
und seinen Mitarbeitern aufgestellten „neuen Hypothese“ be-
treffend die Erblichkeitsverhältnisse der menschlichen Blut-
gruppen. Ablehnende Kritik von Furuhatas Theorie, besonders zugunsten der
Auffassung Bernsteins. Siemens (München).
Zeitschrift für Pädagogische Psychologie. Bd. 27. 1926. S. 18. Muchow, M.: Psy-
chologische Untersuchungen über die Wirkung des Seeklimas
auf Schulkinder, Testprüfungen ergaben: nach einem Seebad erhöhte psycho-
motorische Erregbarkeit, Ermüdung der apperzeptiven Funktionen (Aufmerksamkeit);
nach längerem Aufenthalt in starkem Wind allmählich Ermattung, herabgesetzte Auf-
240 Zeitschriftenschau.
merksamkeit; nach einem Sonnenbad bessere Konzentrationsleistung, geringere Be-
wegungsgeschwindigkeit. — S. 161. Abend, A.: Die Zukunft des Volkesvom
Gesichtspunktder Minderwertigkeit. Die Tötung lebensunwerten Lebens
oder die Sterilisation kommt für die Heilpädagogik nicht in Frage. Taubstumme,
Blinde, Psychopathen können sozial tauglich gemacht werden. Wirtschaftliche Förde-
rung Hochbegabter wird verlangt. Für Minderwertige sind Arbeitskolonien zu schaffen.
— S. 335. Oseretzki, J.: Berufsberatung und Berufszuweisung für
minderjährige Kriminelle auf Grund psychologischer Unter-
suchung. Fürsorgezöglinge sind überwiegend abnorme Individuen. Für die Berufs-
beratung ist wesentlicher als die intellektuelle Leistungsunfähigkeit die motorische
Minderwertigkeit und der Charakter. — S. 420. Fürst, Th.: Der Turnunterricht
im Rahmen der allgemeinen Hygiene. Turnunterricht unter ärztlicher
Regelung wird gefordert zum Ausgleich und zur Vorbeugung gegen konstitutionelle
Schäden, für die Wohlfahrtsmaßnahmen nicht ausreichen. A. Argelander,
HAUS ae z . r &
Mül | A MS he Bei- Se heumann, F. K. Thebitating, Ein-
trag zum T ang der izophrenie richtung, Betrieb und Bedeutung für
at F g . Dr. Max Fischer, Ber- die biologische Fewashaeuinnberatung
J A
| _lin-D: Furl . 218 (v. Verschuer) . . . 228
| Sav orgman, F. Krieg, "Auslese, Eu- = | Nötzel, Karl. Die russische Leistung _
| ge Ne SUA Eva ADATA Mün- Rn (v. Verschuer) ans Fe SIE
| ETEN „Die Gesellschaft“ u
| gie 1 eg und Sozial- aan I Revue für Sozialismus und Politik 88
5 UM! K. V. Müller, Dresden u . 230
min lebrandt, Kurt. Staat und aia S l h e t My kt
Kara Lenz- -V, Borries, Herrsching) . . 221 y UAL A DABERNEARE 232
E hme r, Rudolf. Das Erbe der Ent- R A a i A e T PERE
_ erbten (Kara Lenz-v. Borries). . . . 223 Notizen.
Harmsen, Hans. Bevölkerungepro- | Er.
| x 4 eme Frankreichs, unter besonderer ee ee Indien Fr ‚235
| anges (ie de des Geburtenrück- p Kr iG ;
es (L. Gschwendtner, Linz). . . 225 | Zeitschriftenschau. . . . . . . . . 237
NEUERSCHEINUNG!
| | Der nordische Mensch
| Die Merkmale der nordischen Rasse
= mitbesonderer Berücksichtigung der
rassischen Verhältnisse Norwegens
I Ar % Von Dr. Halfdan Bryn, Trondhjem
I Mit 126 Abbildungen und 10 Karten
i Geheftet Mk. 9.—, Leinwand Mk. 11.-
Im Mittelpunkt der meisten rassenkundlichen Erörterungen steht
heute die Frage nach Wesen und Herkunft der nordischen Rasse.
Diese Fragen sind schwer zu beantworten, solange man von den
| Mischbevölkerungen in Mitteleuropa ausgehen muß.
i Viel klarer werden die Dinge, wenn man die rassischen Verhältnisse
l im Norden betrachtet, wo die nordische Rasse noch viel reiner und
N ee verstädtert erhalten geblieben ist.
Der Verfasser, Präsident der Kgl. Norweg. Gesellschaft der Wissen-
x Mahn und einer der führenden Anthropologen Norwegens, gibt
4 unter diesem Gesichtspunkt ein hochinteressantes Bild der norwegischen
Bevölkerung und ergänzt dadurch die bisherigen Vorstellungen vom
De
Y Wesen der nordischen Rasse in vielen wichtigen Punkten.
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Besprechungsstücke bitten wir ebenfalls an die Schriftleitung zu senden.
INHALTSVERZEICHNIS:
Seite Seite
Abhandlungen. Kleinere Mitteilungen.
Bernstein, Prof. Dr. Felix (Göttin- Fetscher, Prof. Dr. R. (Dresden), Ein
gen), Ueber die Ermittlung und Prü- weiteres Sterilisierungsgesetz . . . . 304
fung von Gen-Hypothesen aus Ver-
erbungsbeobachtungen am Menschen Kritische
und über die Unzulässigkeit der Wein- PANOA RR: TNERER,
bergschen Geschwistermethode als Kor- Goldschmidt, Richard, Physiolo-
rektur der Auslesewirküng . - . . 241 gische Theorie der Vererbung (Prof.
Homann, Hanna, und Scheidt, Dr. Günther Just, Greifswald) . . . 306
Prof. Dr. Walter (Hamburg), Unter- Jaensch, Dr. med. Walter, Grundzüge
suchungen über Rassenmischung. II. einer Physiologie und Klinik der
Annahme und Nachweis von Rassen- psychophysischen Persönlichkeit (Dr.
mischung in nordeuropäischen Be- Artur Wollny, München) . . . . . 317
völkerungen . » » x»... . -245 | Jung, Erich, Abstammung und Er-
Scheidt, Prof. Dr. Walter (Ham- ziehung (Prof. Dr. Spilger, Darmstadt) 318
burg), Untersuchungen über Rassen- Baron, J., Begabtenverteilung und Ver-
mischung. III. Rassenpolymerie . . . 255 erbungsforschung (Spilger). . . . . 319
Lašas, Prof. Dr. med. VI. (Kaunas), Hartnacke, W., Standeschule —
Ueber die Blutgruppen der Litauer, Leistungsschule (Spilger) . . . . . 319
Letten und Ostpreußen 000000. 0.270 | v, Verschuer, O., Sozialpolitik und
Rummel, Dr. Hans (Würzburg), Rasse, Rassenhygiene (Kara Lenz-v. Borries,
Umwelt und Krankheit im Lichte ärzt- Ferrathing). u ee a i
licher Erfahrungen in Südchina . . 275 | Weber, Marianne, Die Ideale der Ge-
Ehrenfels, Professor Dr. Christian schlechtergemeinschaft (Lenz - v. Bor-
(Prag). Die Sexualmoral der Zukunft 292 he art er a ee R
Fortsetzung auf der 3. Umschlagseite
Ueber die Ermittlung und Prüfung von Gen-Hypothesen
aus Vererbungsbeobachtungen am Menschen und über
die Unzulässigkeit der Weinberg’schen Geschwistermethode
als Korrektur der Auslesewirkung.
Von Prof. Dr. Felix Bernstein,
Direktor des Instituts für math. Statistik
und ordentlicher Professor an der Universität Göttingen.
In meiner „Variations- und Erblichkeitsstatistik“ im Handbuch der
Vererbungswissenschaft*) habe ich in Kapitel 4 die Methode angegeben,
nach der den Vorschriften der Wahrscheinlichkeitsrechnung entsprechend
die Prüfung der monohybriden Erblichkeitshypothese stattzufinden hat.
Daß diese Methode an Genauigkeit durch keine andere zu übertreffen ist,
liegt auf der Hand.
Für diese selbe Aufgabe hatte Weinberg?) seine bekannte Ge-
schwistermethode vorgeschlagen, die auf meine Anregung von Ber wald?)
und v. Behr?) kritisiert worden ist.
Da die Methode eine weite Verbreitung gefunden hat und in vielen
Fällen zu falschen Schlüssen geführt hat, so ist es notwendig, den theo-
retisch überzeugenden Darlegungen der beiden Kritiker auch noch die
praktische Kritik folgen zu lassen. Dies ist um so mehr notwendig gewor-
den, als Weinberg) trotz der sachlich zutreffenden Kritik der genann-
ten Autoren seine Methode erneut und unter Gegenpolemik in dem Hand-
buch der sozialen Hygiene (herausgegeben von Gottstein u. a. Berlin
1925), Bd. I, vorgebracht hat.
Ich entnehme das praktische Material der Arbeit von Prospero
Mino’): „L'eredità dei gruppi sanguigni“, Rom 1924, der 90 Ehen an-
*) Handbuch der Vererbungswissenschaft. Herausgeg. von E. Baur und M. Hart-
mann (Berlin 1929).
1) Weinberg, W.: Methoden und Technik der Statistik. Handb. d. sozialen
Hygiene, Bd. 1 (1925), S. 132ff.
3) Berwald, Fz. R.: Ueber die Weinbergsche Geschwistermethode. Skandinavisk
Actuarietidskrift (1924), Heft 1 u. 2.
s) v. Behr, J.: Ueber die einfache und die allgemeine Geschwistermethode Wein-
bergs. Zeitschr. f. angew. Mathematik u. Mechanik, Bd. 7, Heft 4, 1927.
4) Jordan, E. O. and Falk, J. S.: The Newer Knowledge of Bacteriology and
Immunology. Chicago III, 1928, 918.
6) Mino, P.: L’ ereditä dei gruppi sanguigni. Estratto dal Policlinico (Sez. Medica).
Roma 1924.
Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie, Bd. 22, Heft 3. 16
242 Prof. Dr. Felix Bernstein:
gibt, denen ich in der dort gegebenen Reihenfolge sämtliche Fälle ent-
nehme, auf die die Methode anwendbar ist, wenn RR (Gruppe I) die rezes-
siven und AR (Gruppe II) die heterozygoten bedeutet. Es werden die Ehen
RRX AR mit mindestens einem Kinde RR ausgelesen, welche nach der
Weinbergschen Methode in folgender Weise zu prüfen sind.
Uebertr.: 27 13 31 8
8 2 1 1 0 52 3 3 6 6
4 4 2 6 2 54 2 2 2 2
6 6 2 10 2 55 2 1 1 0
10 2 2 4 2 71 2 2 2 2
11 3 2 4 2 72 2 1 1 0
12 2 1 1 0 73 5 2 8 2
27 3 1 2 0 78 2 1 1 0
35 2 1 1 0 | 82 6 3 15 6
48 8 1 2 0 85 3 2 4 2
27 |13 31 8 | 5 | 3 | 71 28
Wie man sieht, ergibt sich hier die Rezessivenwahrscheinlichkeit nicht
gleich */,, sondern gleich 2) = 0,4; danach würde man kaum auf ein ein-
faches monohybrides Schema mit Sicherheit schließen können.
Wir wollen nun den Vergleich nach der von mir angegebenen rich-
tigen Methode vollziehen.
Ich wiederhole die in meiner Arbeit*) angegebenen Formeln und
Zahlen:
„Korrekt verfährt man in folgender Weise:
Ist D ein dominanter, R ein rezessiver Erbfaktor, so sind die drei ver-
schiedenen Ehetypen, die rezessive Kinder geben
1) DRX DR, 2) DRX RR, 3) RRXRR.
Letztere, wenn sie vorhanden sind, müssen 100 % rezessive geben, die mitt-
lere Kategorie 50 %, die erste Kategorie 25 %, wenn keine Auslese vorliegt,
sobald vorausgesetzt werden darf, daß die RR-Individuen sich sämtlich als
Kranke manifestieren. Wir machen zunächst diese Annahme und unter-
suchen, wie durch die Auslesewirkung in den Fällen 1 und 2 die Erwar-
tung verändert wird.
Es ist, wenn s die Kinderzahl der Familie, p die Rezessivenerwartung
('/a für den Typus 1, ?/, für den Ehetypus 2) ist,
(q4=1-— p)
©, Bernstein, F.: Erblichkeitsstatistik, S. 52ff. -
w =
Ueber die Ermittlung und Prüfung von Gen-Hypothesen usw. 243
die Wahrscheinlichkeit der Rezessiven, also
ps
1— q:
die erwartungsgemäße Zahl der rezessiven Kinder.
Das mittlere Fehlerquadrat m? von ws ist
ws —
m? = ws (q — ws q’).
Die Werte von ws für p = !!s; (Ehen DR X RR) und p = *ı, (Ehen
DR x DR) sind für die Kinderzahlen s = 2—10 folgende:
Kinderzahl
s—=2
DRXDR 1,143 | 1,297 |1,463 | 1,640 | 1,825 | 2,020 | 2,222 | 2,433 | 2,515
DR X DR 1,333 | 1,714 |2,133*)| 2,580 | 3,048 | 3,528 | 4,016 | 4,509 | 5,005
Die Quadrate der mittleren Fehler sind
3 4 5 6 7 8 9 10
Kinderzahl 3
s=2
DRXDR 0,122 0,263 | 0,420 | 0,592 | 0,776 | 0,970 | 1,172 | 1,380 | 1,531
DRX RR 0,222 0,490 | 0,782 | 1,082 | 1,379 | 1,667 | 1,945 | 2,215 | 2,478
Für s = 1 ist ws = 1, m? = 0.
Die wahrscheinlichen Werte können teilweise, in Gruppen oder ins-
gesamt mit der Beobachtung verglichen werden, wobei das Quadrat des
Gesamtfehlers jeweils die Summe der Quadrate der Einzelfehler ist. Wenn
die Kinderzahlen in den Einzelfamilien nicht zu sehr voneinander ab-
weichen, so genügt es, mit einer Durchschnittskinderzahl zu operieren, je-
doch wird es im allgemeinen wenig Mühe machen, die erwartungsgemäßen
Zahlen Familie für Familie zu rechnen und zu addieren.“
. | Erwartete a _ | Erwartete
Familien pA -. Zahl der a Familien r hae Zahl der Pa
Nr. zahl zahl ee quadrate Nr. zahl | zahl | Tezessiven quadrate
inder Kinder
Uebertr.: 28 13 16,036 4,787
3 2 1 1,333 | 0,222 52 3 3 1,714 | 0,490
4 4 2 2,133 | 0,782 54 2 2 1,333 | 0,222
6 6 2 3.048 | 1,379 55 2 1 1,333 | 0,222
10 3 2 1,714 | 0,490 71 2 2 1,333 | 0,222
11 3 2 1,714 | 0,490 72 2 1 1,333 | 0,222
12 2 1 1,333 | 0,222 73 5 2 2,580 | 1,082
27 3 1 1,714 | 0,490 78 2 1 1,333 | 0,222
35 2 1 1,333 | 0,222 82 6 3 3,048 | 1,379
48 3 1 1,714 | 0,490 85 3 2 1,714 | 0,490
| 28 | 13 | 16,036 | 4,787 | | 55 | 30 | 31,757 | 9,338
*) Im Handbuch steht infolge Druckfehlers fälschlich 2,933.
16*
244 Prof. Dr. Felix Bernstein: Ueber die Ermittlung und Prüfung usw.
Der mittlere Fehler ist m = 3,056.
Die Uebereinstimmung des beobachteten Wertes (30) mit dem erwar-
teten Wert (31,757) liegt durchaus in den Grenzen des mittleren Fehlers.
Es ist also die monohybride Hypothese hier vollkommen gerechtfertigt.
Daß die Weinbergsche Methode überhaupt erfolgreich zu sein
schien, liegt nur an dem Umstande, daß in dem ursprünglichen Lund-
borgschen Material rein zufällig die Uebereinstimmung zwischen
Beobachtung und Erwartung nach der richtigen Methode einen geringen
Bruchteil des mittleren Fehlers ausmacht”).
Anmerkung: Herr Weinberg*) hat daran erinnert, daß er in seiner
Arbeit von 1912 „die von Bernstein so**) genannte“ Methode „angedeutet“ habe:
„sie berechnet, wie häufig unter Familien mit k-Kindern solche mit 0, 1, 2, bei k-Merk-
malsträgern vorkommen müssen, wenn die Erwartung p ist, berechnet dann für alle
Familiengrößen zusammen die erwartungsmäßige Häufigkeit von T in sämtlichen
Familien mit Merkmalsträgern und vergleicht diesen Wert mit der Erfahrung.“ Auf
diese Weise hat Weinberg Ansprüche auf ein Verdienst um die richtige Methode
erheben zu können geglaubt. Die Geschwistermethode war ein Gedanke besonderer
Prägung, den man ohne weiteres einem Autor persönlich zuschreiben muß, dagegen
ist die auf der Hand liegende Ausrechnung eines wahrscheinlichen Wertes kein be-
sonderes Verdienst, besonders dann nicht, wenn man trotz der Kenntnis
derselben eine unbrauchbare Lösung der Aufgabe empfiehlt und zwei
Jahrzehnte hindurch ihre Anwendung fördert. Das Verdienst von Herrn Weinberg
beschränkt sich darauf, daß er als erster die Notwendigkeit einer Korrektur der in
Rede stehenden Materialauslese erkannt und die Durchführung versucht hat.
7) Derselbe: Erblichkeitsstatistik, S. 52ff.
*) l. ce p. 133.
**) nämlich die apriorische.
(Aus der rassenkundlichen Abteilung des Museums für Völkerkunde in Hamburg.)
Untersuchungen über Rassenmischung.
II. Annahme und Nachweis von Rassenvermischung in nordeuropäischen
Bevölkerungen.
Von Hanna Homann und Walter Scheidt.
Für verschiedene Bevölkerungen Nordeuropas wird Rassenvermischung
angenommen. Historisch bzw. genealogisch nachweisbar ist die Vermischung
von Lappen und Menschen europäischer Rassen im nördlichen Schweden
und Norwegen. Die gangbaren Lehrmeinungen halten ferner eine mehr
oder minder nachhaltige „mediterrane“ Zumischung im Süden und beson-
ders im Südwesten der britischen Inseln für ausgemacht. Einige dänische
und norwegische Forscher (z. B. H. Bryn) glauben ferner, „alpine Ele-
mente“ als Teile einer Mischlingsbevölkerung in Dänemark und in manchen
Teilen von Norwegen annehmen zu sollen. Auch englische Autoren sprachen
gelegentlich von „alpinen Zumischungen“ in der britischen Bevölkerung.
Wir haben uns die Aufgabe gestellt, diese Annahmen mit einer Methode
nachzuprüfen, die der eine von uns!) zur Untersuchung von Rassengemengen
und Mischlingspopulationen ausgearbeitet hat. Die aufgezählten Annahmen
scheinen uns so, wie sie bisher vertreten werden, nicht genügend gestützt
zu sein. Eine (zum Druck vorbereitete umfangreiche Neubearbeitung des
ganzen bis jetzt aus Nordeuropa vorliegenden Beobachtungsstofles?) hat
uns außerdem gezeigt, daß die in der Hauptsache vonBeddoe, Ripley
und Deniker abgeschriebenen Schilderungen nordeuropäischer Typen
mancher Richtigstellung bedürfen. Wir haben nach einer kritischen Sich-
tung des Materials z. B. auf den ganzen britischen Inseln keine Bevölke-
rung mit einwandfrei heller Komplexion gefunden’). Für Island, Mittel-
und Nord-Norwegen gilt dasselbe, sowohl für die Gegenwart wie — den
Quellen nach — für die frühgeschichtliche Zeit. Bei den meistzitierten
Befunden aus Südwest-Norwegen (von Arbo) haben sich schwere Be-
denken gegen die Zuverlässigkeit der Beobachtungen ergeben. Auch die
1) Scheidt: Zeitschr. f. Morphol. u. Anthropol., Bd. 27, S. 94, 1928, und dieses
Archiv, Bd. 22, S. 1, 1929.
2) Erscheint demnächst in Scheidt: Die rassischen Verhältnisse in Nordeuropa.
Stuttgart.
3) Vgl. dazu Scheidt (1929): Zur Rassenkunde der britischen Inseln. — In
Hartig-Schellberg: Handbuch der Englandkunde. Bd. II. Frankfurt.
246 Hanna Homann und Walter Scheidt:
beiden großen Untersuchungen an Wehrpflichtigen in Schweden (1902 und
1926) sind beobachtungstechnisch wahrscheinlich nicht ganz einwandfrei.
Näheres darüber wird a. a. O. veröffentlicht werden. Wir weisen hier nur
darauf hin, weil diese Ergebnisse zum Zustandekommen der vorliegenden
Arbeit mit beigetragen haben, und weil das im folgenden verwendete
Material dort in seiner neuen Bearbeitung vorgelegt wird.
Wir haben uns zunächst aus den nach Herkunft und Zusammensetzung
wahrscheinlich leidlich brauchbaren nordeuropäischen Untersuchungs-
materialien diejenigen Arbeiten über lebende Bevölkerungen herausgegrif-
fen, die annähernd das ganze Beobachtungsmaterial enthalten. Es sind
die folgenden:
England:
1. Chiltern Hills, 300 Männer, untersucht von Bradbrooke und
Parsons.
Wales:
. Plynlymon-Moorland in Cardiganshire, 136 Männer;
; Tregaron, Cardiganshire, 34 Männer;
.Newcastle-Emlyn, Cardiganshire, 32 Männer;
Merionethshire, 251 Männer;
. Montgomeryshire, 118 Männer;
.Carmarthenshire, 137 Männer — sämtliche untersucht von
Fleure und James;
8. Dyfi-Basin, 180 Männer, untersucht von Peate.
Schottland:
DNAN
9. Süd-Schottla n d (Dumfriesshire, Kirkcudbrightshire, Wigtonshire),
220 Männer;
10. Südost-Schottland (Berwickshire, Peeblesshire, Roxburgshire,
Selkirkshire), 202 Männer;
11. Ost-Schottland (Kincardineshire), 82 Männer;
12. Stonehaven, 126 Männer;
13. Boddam, Peterhead und Mintlaw (Aberdeenshire), 354 Männer;
14. Banff, Keith, Macduff (Banffshire), 163 Männer;
15. Elgin und Nairn (Banffshire), 320 Männer;
16. Invernessshire und Argyllshire, 168 Männer;
17. Ross und Cromarty, 160 Männer; i
18. Caithnessshire und Sutherlandshire, 157 Männer;
19. Orkney- und Shetlandinseln, 48 Männer — sämtliche unter-
sucht von Tocher.
Irland:
20. Inseln und Küstenstriche in West-Irland (Araninseln, Inishbofin, Inish-
shark, Inishkea, Mullet, Portacloy und Ballycroy), 179 Männer, unter-
sucht von Browne und Haddon.
TuS A e E
Untersuchungen über Rassenmischung. 247
Norwegen:
. Tromsö, 314 Männer;
.Senjen, 245 Männer;
. Mittel-Norwegen (Söndmöre, Romsdal, Nordmöre, Tröndelagen,
Trondheimerfjord, Nordtrondheim und Namdalen, mit Ausschluß der
Städte), 2315 Männer;
24. Stadt Trondheim, 245 Männer;
25. Stadt Kristiansund, 224 Männer;
26. Stadt Aalesund, 50 Männer — sämtliche untersucht von Bry n.
a R
Dänemark:
27. Aus allen Teilen Dänemarks, vorwiegend aus Nord-Jütland und
Nord-Fünen, 2000 Männer, untersucht von Hansen.
Dies sind alle mit ganzem Material veröffentlichten Untersuchungen
aus Nord-Europa, die wir aufgefunden haben. Lediglich eine Untersuchungs-
gruppe von den Färöern (von Jörgensen) haben wir fortgelassen,
weil die Angaben der Farbenmerkmale in dieser Arbeit nach unserer Mei-
nung mit größter Wahrscheinlichkeit unzuverlässig sind. Hinsichtlich der
näheren Angaben über die Herkunft der untersuchten Leute verweisen wir
auf die genannte größere Veröffentlichung.
Bei den aufgezählten 27 Gruppen haben wir (nach Reinigung des
Materials von nichterwachsenen Individuen und nach Neuberechnung der
typischen Werte) insgesamt 1197 Merkmalskorrelationen (Kor-
relationsindex nach Lenz) ausgerechnet. Dabei haben wir, soweit das
Material es jeweils zuließ, alle Merkmale (absolute Maße, Maßverhältnisse
und Färbungsmerkmale) miteinander paarweise korreliert, ausgenommen
Merkmalspaare, bei denen ein Merkmal auch im anderen mit enthalten
gewesen wäre (also z. B. nicht Kopflänge mit Längenbreitenverhältnis,
helle Komplexion mit Haarfarbe od. dgl.). Als statistisch zuver-
lässig erwiesen sich 112 Korrelationsindizes; einige wei-
tere Indizes sind mit großer Wahrscheinlichkeit zuverlässig. Zur Raum-
ersparnis geben wir in den folgenden Zusammenstellungen nur die sämt-
lichen statistisch zuverlässigen Korrelationsindizes wieder. Dabei sind je-
weils diejenigen von den alternativen Merkmalsausprägungen angegeben,
die wir im Verfahren als positiv betrachtet haben. Die Indizes, auf die es
unserer Meinung nach bei der Annahme partieller Rassengemenge ankommt
(die „auflösbar“ sein dürften), sind fett gedruckt.
1.Chiltern Hills, England:
Kopfbreite — reindunkle Komplexion +0,17 + 3 X 0,06
Dunkle Augenfarbe — dunkle Haarfarbe + 0,26 + 3 X 0,06
Dunkle Haarfarbe — helle Augenfarbe — 0,27 + 3 X 0,06
248 Hanna Homann und Walter Scheidt:
Helle Haarfarbe — dunkle Augenfarbe
Helle Haarfarbe — helle Augenfarbe*)
2.Plynlymon-Moorland, Wales:
Dunkle Haarfarbe — dunkle Augenfarbe
3.Tregaron, Cardiganshire, Wales:
Körpergröße — Kopfbreite
Kopflänge — Jochbogenbreite
Kopfbreite — dunkle Augenfarbe
Längenbreitenverhältnis des Kopfes — dunkle Augenfarbe
5.Merionethshire, Wales:
Körpergröße — Kopflänge
Körperpröße — Kopfbreite
Dunkle Haarfarbe — dunkle Augenfarbe
6.Montgomeryshire, Wales:
Körpergröße — Kopfbreite
7.Carmarthenshire, Wales:
Dunkle Haarfarbe — dunkle Augenfarbe
8.Dyfi-Basin, Wales:
Körpergröße — Kopflänge
Körpergröße — Kopfbreite
9.Süd-Schottland:
Körpergröße — Kopflänge
Körpergröße — Kopfbreite
Körpergröße — reinhelle Komplexion
Dunkle Haarfarbe — helle Augenfarbe
10.Südost-Schottland:
Körpergröße — Kopflänge
Körpergröße — Längenbreitenverhältnis des Kopfes
12.Stonehaven:
Körpergröße — Kopflänge
Körpergröße — Kopfbreite
13.Boddam, Peterhead und Mintlaw:
Körpergröße — Kopflänge
Körpergröße — Kopfbreite
Körpergröße — Längenbreitenverhältnis des Kopfes
Kopflänge — dunkle Haarfarbe
Dunkle Haarfarbe — „gemischte“ Augenfarbe
Dunkle Haarfarbe — helle Augenfarbe
14.Banff, Keith und Macduff:
Körpergröße — Kopflänge
— 0,26 + 3 X 0,06
+ 0,27 + 3 X 0,06
+ 0,28 + 3 x 0,08
+0,52 + 3x 0,13
+ 0,60 + 3 x 0,11
— 0,42 + 3 xX 0,14
— 0,48 + 3 x 0,13
+ 0,47 + 3 x 0,07
+ 0,31 + 3 X 0,08
+ 0,38 + 3 x 0,07
+ 0,31 + 3 X 0,08
+ 0,37 + 3 x 0,08
+ 0,32 + 3 x 0,07
+ 0,36 + 3 x 0,07
+0,34 + 3 x 0,06
+ 0,20 + 3 X 0,06
+ 0,20 + 3 x 0,06
— 0,24 + 3 X 0,06
+ 0,47 + 3x 0,05
— 0,25 +3 X 0,07
+ 0,29 + 3 x 0,08
+0,39 + 3 x 0,08
+0,45 + 3x 0,04
+ 0,35 + 3X 0,05
— 0,18 + 3 x 0,05
+ 0,17 + 3 x 0,05
+0,15 + 3 x 0,05
— 0,25 + 3 x 0,05
+ 0,40 + 3 x 0,07
4) Bei diesen Anordnungen wurde die „gemischte“ Augenfarbe also einmal zu den
nicht-dunklen und einmal zu den nicht-hellen Augenfarben gezählt.
Untersuchungen über Rassenmischung.
15.Elgin und Nairn:
Körpergröße — Kopflänge
Körpergröße — Kopfbreite
Körpergröße — reinhelle Komplexion
Kopflänge — reinhelle Komplexion
Längenbreitenverhältnis des Kopfes — „gemischte“
Augenfarbe, helle Haarfarbe
Dunkle Haarfarbe — dunkle Augenfarbe
16.Invernesshire und Argillshire:
Körpergröße — Kopflänge
Körpergröße — Kopfbreite
Längenbreitenverhältnis des Kopfes — „gemischte“
Augenfarbe, helle Haarfarbe
Dunkle Haarfarbe — helle Augenfarbe
17.Ross und Cromarty:
Körpergröße — Kopflänge
Körpergröße — Kopfbreite
Dunkle Haarfarbe — helle Augenfarbe
18.Caithness- und Sutherlandshire:
Körpergröße — Kopflänge
Dunkle Haarfarbe — helle Augenfarbe
19. Orkney- und Shetlandinseln:
Kopflänge — helle Augenfarbe
2.Westirland:
Körpergröße — Kopflänge
Körpergröße — Jochbogenbreite
Körpergröße — Gesichtshöhe
Kopflänge — Jochbogenbreite
Kopflänge — Gesichtshöhe
Kopfbreite — Jochbogenbreite
Kopfbreite — Breitenhöhenverhältnis des Gesichtes
Kopfbreite — dunkle Haarfarbe
Kopfbreite — reinhelle Komplexion
Längenbreitenverhältnis des Kopfes — Jochbogenbreite
Längenbreitenverhältnis des Kopfes — Breitenhöhen-
verhältnis des Gesichtes
Längenbreitenverhältnis des Kopfes — dunkle Haarfarbe
Längenbreitenverhältnis des Kopfes — reinhelle
Komplexion
Kopfhöhe — Gesichtshöhe
Dunkle Haarfarbe — helle Augenfarbe
249
+ 0,26 + 3 x 0,05
+ 0,25 + 3 x 0,05
— 0,19 + 3 x 0,05
— 0,15 + 3 x 0,05
+ 0,20 + 3 x 0,06
+ 0,20 + 3 x 0,05
+ 0,35 + 3X 0,07
+ 0,28 + 3 x 0,07
+ 0,29 + 3 x 0,08
+ 0,40 + 3 x 0,07
+ 0,33 + 3 x 0,07
— 0,24 + 3 x 0,08
+ 0,32 + 3 x 0,07
+ 0,39 + 3 x 0,12
+ 0,26 + 3 X 0,07
+ 0,30 + 3 x 0,07
+ 0,32 + 3 x 0,07
+ 0,32 + 3X 0,07
+ 0,24 + 3 x 0,07
+ 0,55 + 3X 0,05
— 0,25 + 3 x 0,07
— 0,24 + 3 x 0,07
+ 0,21 + 3 x 0,07
+ 0,26 + 3 x 0,07
— 0,21 + 3 x 0,07
— 0,21 + 3 x 0,07
+ 0,25 + 3 x 0,07
+ 0,26 + 3 x 0,07
— 0,28 + 3 x 0,07
250 Hanna Homann und Walter Scheidt:
21.Tromsö, Norwegen:
Körpergröße — Kopflänge
Körpergröße — Kopfbreite
Körpergröße — Jochbogenbreite
Körpergröße — Gesichtshöhe
Körpergröße — Breitenhöhenverhältnis des Gesichtes
Kopflänge — Jochbogenbreite
Kopflänge — Gesichtshöhe
Kopflänge — Breitenhöhenverhältnis des Gesichtes
Kopfbreite — Jochbogenbreite
Kopfbreite — Gesichtshöhe
Kopfbreite — Breitenhöhenverhältnis des Gesichtes
Längenbreitenverhältnis des Kopfes — Jochbogenbreite
Längenbreitenverhältnis des Kopfes — Breitenhöhen-
verhältnis des Gesichtes
Längenbreitenverhältnis des Kopfes — dunkle Augen-
farbe
Jochbogenbreite — „gemischte“ Augenfarbe
Jochbogenbreite — reinhelle Komplexion
Breitenhöhenverhältnis des Gesichtes — helle Haarfarbe
Dunkle Haarfarbe — dunkle Augenfarbe
Dunkle Haarfarbe — „gemischte“ Augenfarbe
‘ Dunkle Haarfarbe — helle Augenfarbe
22.Senjen, Norwegen:
Körpergröße — Kopflänge
Körpergröße — Jochbogenbreite
Körpergröße — Gesichtshöhe
Körpergröße — helle Augenfarbe
Körpergröße — dunkle Haarfarbe
Kopflänge — Jochbogenbreite
Kopflänge — Gesichtshöhe
Kopfbreite — Jochbogenbreite
Kopfbreite — Gesichtshöhe l
Kopfbreite — Breitenhöhenverhältnis des Gesichtes
Längenbreitenverhältnis des Kopfes — Jochbogenbreite
Längenbreitenverhältnis des Kopfes — Breitenhöhen-
verhältnis des Gesichtes
Längenbreitenverhältnis des Kopfes — dunkle Haarfarbe
Längenbreitenverhältnis des Kopfes — helle Haarfarbe
Dunkle Haarfarbe — helle Augenfarbe
23.Mittel-Norwegen:
Körpergröße — Kopflänge
+ 0,20 + 3 x 0,05
+ 0,23 + 3 x 0,05
+0,25 +3 x 0,05
+ 0,42 + 3 x 0,05
+0,28 + 3 x 0,05
+ 0,28 + 3 x 0,05
+ 0,35 + 3 x 0,05
+ 0,18 + 3 x 0,05
+ 0,58 + 3 x 0,04
+ 0,24 + 3 x 0,05
— 0,18 + 3 x 0,05
+ 0,21 + 3 x 0,05
+ 0,15 + 3 x 0,05
— 0,15 + 3 x 0,05
+ 0,15 + 3 x 0,05
— 0,15 + 3 x 0,05
+0,15 + 3 x 0,05
+ 0,20 + 3 x 0,05
— 0,26 + 3 x 0,05
+ 0,22 + 3 x 0,06
+ 0,35 + 3 X 0,06
+ 0,33 + 3 x 0,06
+ 0,20 + 3 x 0,06
— 0,26 + 3 x 0,06
+ 0,32 + 3 x 0,06
+0,31 + 3 x 0,06
+ 0,65 + 3 X 0,06
+ 0,29 + 3 x 0,06
— 0,20 + 3 x 0,06
+ 0,27 + 3 x 0,06
— 0,18 + 3 x 0,06
+0,19 + 3 x 0,06
: — 0,21 + 3 x 0,06
+0,13 + 3 x 0,9
Untersuchungen über Rassenmischung. 251
Körpergröße — Längenbreitenverhältnis des Kopfes — 0,12 + 3 x 0,04
Körpergröße — „gemischte“ Augenfarbe und helle
Haarfarbe — 0,21 + 3x 0,04
Kopflänge — reinhelle Komplexion — 0,06 + 3 X 0,02
Kopflänge — „gemischte“ Augenfarbe, helle Haarfarbe — 0,12 + 3 x 0,02
Kopfbreite — dunkle Haarfarbe — 0,07 + 3 x 0,02
Dunkle Haarfarbe — dunkle Augenfarbe +0,15 + 3X 0,02
Dunkle Haarfarbe — „gemischte“ Augenfarbe +0,10 + 3 x 0,02
Dunkle Haarfarbe — helle Augenfarbe — 0,21 + 3x 0,02
26. Aalesund (Stadt):
Kopflänge — „gemischte“ Augenfarbe +0,44 + 3X 0,12
.+ Längenbreitenverhältnis des Kopfes — dunkle Augen-
farbe — 0,40 + 3 x 0,12
27.Dänemark:
Körpergröße — Kopflänge + 0,27 + 3x 0,02
Körpergröße — Kopfbreite +0,16 + 3 x 0,02
Körpergröße — Längenbreitenverhältnis des Kopfes — 0,07 + 3 x 0,02
Ribbing (1926) hat einige nach der Bravais-Pearsonschen Methode ge-
rechnete Korrelationskoeffizienten für die Inseln Bornholm und Fan ö mitgeteilt’):
Bornholm: Fanö:
Körpergröße — Kopflänge + 0,25 + 3 X 0,04 + 0,34 + 3 x 0,08
Kopflänge — Gesichtshöhe + 0,24 + 3 X 0,04 + 0,31 + 3 X 0,08
Kopflänge — Jochbogenbreite + 0,39 + 3 X 0,03 + 0,39 + 3 X 0,08
Kopfbreite — Gesichtshöhe ~ +0,19 + 3 X 0,04 + 0,22 + 3 X 0,09
Kopfbreite — Jochbogenbreite + 0,60 +3 x 0,02 +0,59 + 3 X 0,06
Da lauter Merkmalspaare gewählt wurden, bei denen sich Korrelationen in der
Regel (also als ziemlich sicheres Zeichen für teilweise gleiche Erbbedingtheit der
Merkmale) finden, ist mit diesen Befunden für die Frage der Rassenvermischung
nichts anzufangen.
Bei der neuen schwedischen Untersuchung (Lundborg und Lin-
ders 1926) sind gleichfalls ganz vorwiegend Merkmalspaare gewählt worden, deren
Korrelation für die Frage nach etwa bestehenden Rassengemengen nichts besagt. Man
fand (für ganz Schweden, nach Bravais-Pearson):
Körpergröße — Kopflänge + 0,25 + 3 X 0,004
Körpergröße — Längenbreitenverhältnis des Kopfes — 0,13 + 3 X 0,005
Körpergröße — Längenhöhenverhältnis des Gesichtes + 0,22 + 3 X 0,004
Kopflänge — Kopfbreite + 0,27 + 3 X 0,004
Jochbogenbreite — kleinste Stirnbreite + 0,53 + 3 X 0,003
Jochbogenbreite — Gesichtshöhe + 0,18 + 3 x 0,005
Für die alternativ variierenden Merkmale sind in der schwedischen Arbeit keine
Koeffizienten berechnet, sondern nur Kombinationstafeln aufgestellt worden. Es ist
5) Aus den Tabellen von Ribbing konnten wir nach der von uns angewendeten
Lenzschen Methode nur zwei Korrelationen für Bornholm errechnen und fanden:
Körpergröße — Längenbreitenver-
hältnis des Kopfes cd’ — 0,01 + 3 X 0,04; 2 — 0,06 + 3 X 0,07
Kopflänge — Gesichtshöhe cd’ + 0,22 + 3 X 0,04; F + 0,22 + 3 X 0,07
252
Hanna Homann und Walter Scheidt:
nicht unwahrscheinlich, daß gerade für die Farbenmerkmale (bei einer zweckmäßigen
Einteilung der Merkmalsausprägungen) auch „seltenere‘“ Korrelationen gefunden werden
könnten. Dasselbe gilt für andere meßbare Merkmale. (Eine Untersuchung würde aber
wohl zweckmäßig das ganze Material in einige größere Gruppen teilen.) Vorläufig
scheiden die schwedischen Erhebungen für unsere Zwecke aber aus, und die Frage
nach Merkmalskorrelationen, die hier auf Rassenvermengung gedeutet werden könnten,
muß noch offen bleiben.
Für die allermeisten von den untersuchten Gruppen sind die selteneren
(wahrscheinlich „unauflösbaren“) Merkmalskorrelationen so spärlich, daß
der Versuch eines Scheidungsverfahrens (vgl. dieses Archiv Bd. 22
S. 1) kaum lohnen würde. Wir mußten uns deshalb darauf beschränken,
diejenigen „Korrelationsketten“ aufzustellen, welche die Richtungsunter-
schiede der etwa in den Bevölkerungen vorhandenen Mengenteile andeu-
ten. Um ein leicht vergleichbares Bild zu bekommen, bezeichnen wir
überall den helleren Mengenteil mit A, den dunkleren mit B.
Zunächst findet sich eine größere Anzahl von Untersuchungs-
gruppen, beidenen dem helleren Mengenteil geringere
Kopflänge, größere Kopfbreite und rundere Kopfform
zukommt, nämlich: |
— —-
Gruppe |
IIN mu u I —
3.Tregaron
Wales |
Mengenteil A
breiterer, mehr rundförmiger
Mengenteil B
schmälerer und stärker lang-
Kopf, weniger dunkle Augen, förmiger Kopf, mehr dunkle
weniger dunkle Haare Augen, mehr dunkle Haare
13.Boddam kürzerer Kopf, weniger dunkle | längerer Kopf, mehr dunkle
Schottland Haare Haare
15. Elgin und Nairn| kleinererWuchs,kürzererKopf, | größerer Wuchs, längerer Kopf,
18.
N.-O.-Schottland
Caithnessshire
N.-Schottland
mehr reinhelle Komplexion
breiterer Kopf, stärker rund-
förmiger Kopf, mehr reinhelle
Komplexion
weniger reinhelle Komplexion
schmälerer Kopf, stärker lang-
förmiger Kopf,wenigerreinhelle
Komplexion
20.Westirland breiterer, stärker rundförmiger | schmälerer, stärker langförmi-
Kopf, weniger dunkle Haare, ger Kopf, mehr dunkle Haare,
mehr reinhelle Komplexion weniger reinhelle Komplexion
23. Mittelnorwegen| kürzerer, breiterer, stärker längerer, schmälerer, stärker
rundförmigerKopf,mehrrein- | langförmigerKopf,wenigerrein-
helle Komplexion, mehr helle helle Komplexion, mehr dunkle
Haare Haare
26.Aalesund kürzerer, mehr rundförmiger längerer, stärker langförmiger
Norwegen Kopf, weniger „gemischte“ Kopf, mehr „gemischte“ Augen,
Augen, mehr reinhelle Augen, weniger reinhelle Augen, mehr
weniger dunkle Augen dunkle Augen
22.Senjen größerer Wuchs, stärkerrund- | kleinerer Wuchs, stärker lang-
Norwegen förmig.Kopf,mehrhelleAugen, | förmiger Kopf, weniger helle
weniger dunkle Haare
Augen, mehr dunkle Haare
Bei diesen acht Gruppen stimmt der hellere Mengenteil mit vergleichs-
weise kürzerem, breiterem, mehr rundförmigem Kopfe überein bis auf die
Körpergröße, die bei der nordostschottischen Gruppe Nr. 15 vergleichs-
weise geringer, bei der nordnorwegischen Nr. 22 vergleichsweise größer
. Untersuchungen über Rassenmischung. 253
ed aa u er ee,
ist. Da sich jedoch die Komparative der Korrelationsrechnung lediglich
auf die Mittelwerte der jeweiligen Bevölkerung beziehen, in welcher die
Korrelation berechnet wurde, kann man daraus natürlich nicht schließen,
daß der hellere Mengenteil in Nordostschottland kleiner sei als in Sen-
jen. Dagegen zeigen die acht Gruppen deutlich, daß auf
Grund dieser Befunde weder die Zumischung einer
kleinen, dunklen Rasse mit langförmigerem Kopf, noch
auch die Zumischung einer kleineren dunklen Rasse
mitrundförmigerem Kopf angenommen werden kann,
daß das Erscheinungsbild der helleren Rasse, zu der
eine oder mehrere andere dunklere zugemischt sein
sollen, vergleichsweise nichtlängeren, sondern kürze-
ren, nicht schmäleren, sondern breiteren, nicht lang-
förmigeren, sondern rundförmigeren Kopf hat und, von
Senjen in Nord-Norwegen abgesehen, eher klein-
wüchsiger als größer ist.
Andeutungsweise für die üblichen Annahmen spricht eine erheblich
geringere Zahl von Untersuchungsgruppen mit weniger verwertbaren Kor-
relationen, nämlich:
Gruppe Mengenteil A | Mengenteil B
1.Ciltern-Hills schmälerer Kopf, weniger breiterer Kopf, mehr dunkle
England dunkle Komplexion Komplexion
19. Orkney- und längererKopf,mehrhelleAugen | kürzerer Kopf, weniger helle
Shetland-Inseln Augen
Diese beiden Gruppen könnten allenfalls (allerdings mit jeweils nur
dieser einen Merkmalskorrelation) für die Annahme der Zumischung einer
.dunkleren Rasse mit breiterem, kürzerem Kopf zu einer helleren mit
schmälerem, längerem Kopf in Anspruch genommen werden. — Für die
Zumischung einer kleinwüchsigeren, dunkleren Rasse (Unterschied in der
Kopfform unbestimmt) sprechen:
Gruppe Mengenteil A Mengenteil B
9.Südschottland | größererWuchs,mehrreinhelle | kleinerer Wuchs, weniger rein-
Komplexion helle Komplexion
17.Ross und größererWuchs, mehrreinhelle | kleinerer Wuchs, weniger rein-
Cromarty Komplexion helle Komplexion
Bei diesen Untersuchungsgruppen könnte man — wenigstens in Chil-
tern-Hills, Südschottland, und vielleicht auch in Ross und Cromarty — un-
serer Meinung nach am ehesten an eine etwa vorderasiatische Zumischung
denken; doch findet natürlich auch diese Vermutung in den Befunden eine
nur sehr schmale Basis.
254 H. Homann und W. Scheidt: Untersuchungen über Rassenmischung.
Eine letzte Gruppe endlich — Tromsö — spricht im Sinne der Zu-
mischung von Lappen zu einer helleren Rasse:
Gruppe Mengenteil A Mengenteil B
21. Tromsö | stärker langförmiger Kopf, stärker rundförmiger Kopf,
weniger dunkle und „gemischte“| mehr dunkle und „gemischte“
Augen, mehr helle Haare, mehr | Augen, weniger helle Haare,
reinhelle Komplexion,breiteres | weniger reinhelle Komplexion,
u.stärker breitförmiges Gesicht | schmäleres u. stärker schmal-
| förmiges Gesicht
Gegenüber den herrschenden Meinungen ist hier aber zweierlei auf-
fallend: einmal das vergleichsweise breitere und breitförmigere Gesicht
des helleren Mengenteils, zum anderen der Befund, daß in dem südlich
benachbarten Senjen diese Unterschiede nicht nachweisbar sind. Das län-
gere Gesicht des dunklen, mutmaßlich von Lappen beeinflußten Mengen-
teils B könnte sich u. E. daraus erklären, daß wir aus dem Material die
notorischen Lappen, Lappen- und Quänenmischlinge ausgeschaltet haben.
Es ist also nicht wahrscheinlich, daß das Material überhaupt noch „reine
Lappen“ enthält. Die notorischen Mischlinge haben wir entfernt, gerade
um zu sehen, ob sich ohne den genealogischen Nachweis noch Lappenein-
schlag erkennen lasse (wie Bryn annimmt). Das scheint in der Tat der
Fall zu sein, doch dürfte der Mengenteil B im wesentlichen Mischlinge
enthalten, und wir haben aus anderen Untersuchungen Anhaltspunkte da-
für, daß vergleichsweise langförmigeres Gesicht bei Mischlingen verschie-
dener Art die Regel zu sein scheint. Ferner hat die Neubearbeitung des
nordeuropäischen Untersuchungsmaterials ergeben, daß die europäiden
Nordrassen wahrscheinlich Anlagen zu breiterem Gesicht (nicht zu lang-
förmigem Gesicht) enthalten. Dieselben Untersuchungen haben uns®) auch
schon zu der Annahme geführt, daß in Nordeuropa möglicherweise zwei
Schläge einer großwüchsigen Rasse mit den Anlagen zu langem Kopf und
breitem Gesicht vorhanden sein könnten, der eine, binnenskandina-
vische, mit den Anlagen zu helleren Farben, der andere, atlantische,
mit den Anlagen zu heller Augenfarbe und dunkler Haarfarbe.
Die vorstehenden Befunde stimmen unserer Meinung nach mit dieser
Annahme besser überein als mit den gangbaren Lehrmeinungen.
6) Vgl. Scheidt, a. a. O. Handbuch der Englandkunde und Rassenkunde von
Nordeuropa.
(Aus der rassenkundlichen Abteilung des Museums für Völkerkunde in Hamburg.)
Untersuchungen über Rassenmischung.
III. Rassenpolymerie.
Von Walter Scheidt, '
Professor für Anthropologie an der Universität Hamburg.
Mit dem Ausdruck „Rassenpolymerie“ soll hier, auf Grund der Defi-
nition von Rasse als Gruppe ausgelesener Erbanlagen, eine Hypothese fol-
genden Inhalts bezeichnet sein: Sind die Einzelanlagen eines
polymer bedingten Merkmals zu zwei oder mehr Grup-
pen Bestandteile verschiedener Rassen, so ist das be-
treffende Merkmal bei den Rassenmischlingen am häu-
figsten—u.U. ausschließlich bei solchen— zu erwarten.
Diese Formulierung unterscheidet sich von der gewöhnlichen Umschrei-
bung der Polymerie dadurch, daß die Träger verschiedener, zu einer phäno-
typisch erkennbaren bestimmten Genkombination gehöriger Anlagen nicht
schlechthin dieser Anlagenunterschiede wegen, sondern nur dann als
Träger verschiedener Rassen bezeichnet werden, wenn sie sich auch noch
durch mehrere andere, und zwar in natürlichen Bevölkerungen nachweis-
bar auslesegehäuft vorkommende Anlagen unterscheiden. Die wichtigste
Voraussetzung für eine empirische Prüfung der angenommenen Rassen-
polymerie ist demnach der Nachweis, daß die betreffenden Merkmalsträger
tatsächlich Rassenmischlinge im Sinn unserer Definition sind. Wenn dieser
Nachweis — mit dem sich die vorhergehenden Arbeiten dieser Aufsatz-
reihe beschäftigt haben — gelingt, ist es möglich, nach „rassenpolymeren“
Merkmalen zu suchen.
Anhaltspunkte für das Vorkommen solcher Kreuzungsneuheiten beim
Menschen sind schon seit längerer Zeit bekannt. Sie sind aber m. W. noch
nie als Zeichen von „Rassenpolymerie“ im oben definierten Sinn gedeutet
worden, weil die übliche Rassendefinition nicht zu einer solchen Deutung
hinführt und weil der Begriff der „Kreuzungsnovitäten“ in der experimen-
tellen Genetik die Aufmerksamkeit dadurch einseitig für das Aufspalten
der F, in F, in Anspruch nimmt, daß „Merkmalsrassen“:) (im Sinne von
Erbstämmen, welche hinsichtlich einer Eigenschaft reingezüchtet sind),
nicht aber natürliche Populationen betrachtet werden.
1) Siehe Zeitschr. f. indukt. Abst.- u. Vbgsl. 1928, Bd. 46, S. 318.
256 Walter Scheidt:
u new zz re m E prepre moe
Die m. W. erste hierhergehörige Beobachtung ist die von F. Boas
(1895)?) über das „Luxuriieren“ der Gesichtslänge bei Mestizen. Aehnliche
Befunde teilte B. Hagen (1906)°) aus der Südsee, E. Fischer (1913)*)
von den Rehobother Bastarden in Südafrika mit. [Die vor diesen bekannten
Beobachtungen schon veröffentlichten Angaben von Neuhaus (1885)°)
sind trotz ihrer Priorität nicht ganz. hierher zu zählen, weil es sich dort
nur um Einzelfälle ohne Zusammenhang mit genetischen Erwägungen
handelt.] Seit den Fischerschen Untersuchungen vor allem hat man
in diesen Beobachtungen gewissermaßen zwei deutungsbedürftige Tat-
sachen gesehen: einmal die Langförmigkeit des Gesichts von Mischlingen
aus einer langgesichtigen und einer kurzgesichtigen Rasse; dieser Befund
wurde so erklärt, daß man Dominanz der Anlagen für langes, schmales
Gesicht über die Anlagen für kürzeres, breiteres Gesicht annahm; zum
anderen die auch gegenüber der stärker langgesichtigen Elternrasse noch
ausgeprägtere Langgesichtigkeit der Mischlinge; diese Tatsache wurde
zunächst nicht erklärt, sondern mit dem Fachausdruck „Luxuriieren“
bezeichnet.
Dieselbe Erklärung und Bezeichnung erhielten dann später auftau-
chende ähnliche Beobachtungen, so z. B. die von L. C. Dunn (1923)®),
von mir so gedeutet 19257) und von E. Rodenwaldt (1927)°). Für ein
„Luxuriieren‘“ der Gesichtslänge sprechen auch manche neuere Befunde an
Rassenmischlingen, so z. B. die Beobachtungen von Ch. B. Davenport
(1923)°) an Australiermischlingen; auch dort errechnet sich für die Misch-
linge eine zuverlässig größere Gesichtslänge als für reinblütige Australier.
Von einer anderen Seite her kam H. Lundborg in die Nähe der-
selben Frage, als er (1913):°) auf die Seltenheit der Tuberkulose in einem
Bauerngeschlecht mit starker Inzucht aufmerksam wurde und später
(1920)1) auf Grund statistischer Untersuchungen in Schweden die größte
2) F.Boas (1895): Zur Anthropologie der nordamerikanischen Indianer. Zeitschr.
f. Ethnol., Bd. 27, S. 366.
3) B. Hagen (1906): Kopf- und Gesichtstypen ostasiatischer und melanesischer
Völker. Stuttgart.
4) E. Fischer (1913): Die Rehobother Bastards und das Bastardierungsproblem
beim Menschen. Jena.
5) Neuhaus (1885): Anthropologische Untersuchungen in Ozeanien, namentlich
in Hawaii. Zeitschr. f. Ethnol., Bd. 17, S. 27.
e) L. C. Dunn (1923): Some results of race Mixture in Hawaii. Eugenics in Race
and State S. 109. Baltimore. .
7) Allgemeine Rassenkunde. München 1925.
8) E.Rodenwaldt (1927): Die Mestizen auf Kisar. Batavia.
°) Ch. B. Davenport (1923): Notes on physical anthropology of Australian
aborigines and Black-White hybrids. Amer. Journ. of Physical Anthrop., Bd. 8, S. 73.
10) H. Lundborg (1913): Medizinisch-biologische Familienforschung innerhalb
eines 2232 köpfigen Bauerngeschlechts in Schweden. Jena.
11) H. Lundborg (1920): Rassen- und Gesellschaftsprobleme in genetischer und
medizinischer Beleuchtung. Hereditas, Bd. I.
Untersuchungen über Rassenmischung. 257
Tuberkulosesterblichkeit in denjenigen Gegenden des Landes fand, in
denen nach seiner Meinung die Gelegenheit zur Rassenvermischung am
größten ist. Er vermutete deshalb einen Zusammenhang der Art, daß
durch Rassenmischung ein „Genchaos“ und dadurch der tuberkulose-
disponierte asthenische Habitus entstehen könnte (1921)*?). Die statisti-
schen Untersuchungen von Lundborg über Tuberkulosesterblichkeit
wurden später von Schlaginhaufen (191):) in der Schweiz (mit
einem bestätigenden Ergebnis) nachgemacht. Lundborg selbst brachte
in demselben Jahr (1921):*) noch einen Hinweis auf die seiner Meinung
nach auffallende Schmalgesichtigkeit bei Rassenmischlingen in Misch-
gebieten Schwedens und in den (wahrscheinlich stark vermischten) Fami-
lien europäischer Fürstenhäuser. Er sagt in dieser Arbeit: „I could not
help noticing that the typus vary in a very high degree, and that not
unfrequently certain obvious changes of the facial type appear, which do
not appear among individuals of a purer race. The numerous recombinations
of the genetic structure are probably important causes for this circum-
stance. There will spring up, it seems to me, in these racial hybrids besides
qualities depending solely on the germ-plasm in many respects stronger
modifications, which probably are to be considered as a partial athrophy.“
Lundborg denkt also an eine genetisch bedingte höhere Modifizierbar-
keit mancher Merkmale bei Mischlingen und hält, wenn ich ihn recht ver-
stehe, auch das häufigere Vorkommen langer, schmaler Gesichter bei
Rassenmischlingen noch eher für Ausnahmen, als für die Regel. Die Frage,
ob nicht ausschlaggebende Ursachen genetischer Art in Betracht kommen,
streift er erst später (1928)1°) bei der Besprechung der Unterschiede zwi-
schen den Gesichtsmaßen der älteren (1898/99) und der neueren (1923/25)
schwedischen Wehrpflichtigenuntersuchung. Er meint dort (S. 69), man
könnte daran denken, daß sich das Breitenhöhenverhältnis des Gesichtes in
Dalarne und Västmanland während der letzten 25 Jahre vielleicht „durch
Einwanderung oder durch Rassenmischungen“ („im Zusammenhang mit
der zunehmenden Industrialisierung“) verändert habe:®).
12) H. Lundborg (1921): Rassenmischung — vermehrte Heterozygotie (Gen-
chaos) — Konstitutionsveränderungen — Habitus asthenicus sive paralyticus (Zunahme
der Körpergröße usw.) — Tuberkulose. Eine Ursachenkette. Hereditas, Bd. II.
13) O. Schlaginhaufen (1921): Rasse, Rassenmischung und Konstitution.
Natur und Mensch, S. 398.
1) H. Lundborg (1921): Hybrid Types of the human race. Journ. of Here-
dity, Bd. 12, S. 274.
15) H. Lundborg (1928): Rassenkunde des schwedischen Volkes. Jena.
16) Ich bin auf diese Befunde und die Möglichkeiten ihrer Deutung an anderer
Stelle („Die rassischen Verhältnisse in Nordeuropa nach dem Bepenwärtigen Stand der
Forschung‘) näher eingegangen.
Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie, Bd. 22, Heft 3. 17
258 Walter Scheidt:
Noch ohne Kenntnis der Befunde und Vermutungen von Lundborg
bin ich selbst (1924)”) auf eine ähnliche Deutung eines auffallenden Be-
fundes gekommen: der meines Wissens älteste bekannte Schädel mit aus-
geprägt langförmigem Gesicht ist der aus der Mas-d’azil-Periode stam-
mende Schädel vom Kaufertsberg bei Nördlingen. Da er sich in einer wahr-
scheinlich rassenvermischten Bevölkerung fand, könnte man schon des-
halb die Ursache der langen, schmalen Gesichtsform gerade in der
Rassenvermischung suchen. Eine eingehende Bearbeitung des neolithischen
Fundmaterials (1924)'*) hat mir aber noch weitere Anhaltspunkte dafür
gegeben, daß z. B. auch in Nordeuropa und auf der iberischen Halbinsel
langförmige Gesichter gerade da auftauchen, wo wahrscheinlich zwei ganz
verschiedene Typen in der Bevölkerung nachweisbar sind. Die seit
deQuatrefagesund Ham y bekannte und beachtete Aehnlichkeit vor-
herrschender Schädelformen der jüngeren Steinzeit mit der (breitgesichti-
gen) Cro-Magnon-Form wird stellenweise hauptsächlich durch die längere
Gesichtsform der Neolithleute (und zwar in verschiedenen Gebieten ver-
schieden, in Nordeuropa, besonders in Schweden, im allgemeinen mehr als
im Mittelmeergebiet) abgeschwächt, „gestört“. Da die allermeisten Forscher
trotzdem (und mit guten Gründen) einen genetischen Zusammenhang der
Cro-Magnons mit einem Teil der Jungsteinzeitmenschen annehmen, ist
daraus das „Problem der Entstehung der längeren, schmäleren Gesichts-
form“ geworden. Es wäre meines Erachtens zwar durchaus möglich, an
eine Umzüchtung einer ursprünglich auch in der Gesichtsform Cro-Mag-
non-ähnlichen Bevölkerung zu denken. Dem würde auch nicht im Wege
stehen, daß später (z. B. in der Wikingzeit Norwegens) noch ganze Bevölke-
rungen mit ausgesprochen breitgesichtigem Typus da sind. Nachdem aber
(wie a. a. O. näher ausgeführt ist) gerade in den Gebieten mit größerer
Häufigkeit langer, schmaler Gesichter Anzeichen für Rassenvermischung
vorhanden sind, liegt es vielfach doch näher, diese Rassenmischung mit der
auf einmal auftretenden und zunehmenden Langgesichtigkeit in Verbin-
dung zu bringen. Dazu kommen nun die (in den vorhergehenden Arbeiten
dieser Aufsatzreihe zum Teil schon geschilderten) neuen korrelationsstatisti-
schen Befunde an rezenten nordeuropäischen Bevölkerungen, welche es
sehr wahrscheinlich machen, daß hier die längere,
schmälere Gesichtsform wirklich nachweisbaren Ras-
senmischlingen zukommt, und zwar nicht als eine nur
vergleichsweise häufigere Besonderheit, sondern als
Typus.
17) W. Scheidt (1924): Der nacheiszeitliche Schädelfund vom Kaufertsberg bei
Nördlingen und die rassenkundliche Stellung der Ofnetbevölkerung. Anthrop. An-
zeiger, Bd. 1, S. 30.
18) W. Scheidt (1924): Die Rassen der jüngeren Steinzeit in Europa. München.
Untersuchungen über Rassenmischung. 259
Mit dieser Annahme würde so ziemlich alles übereinstimmen, was über
das Vorkommen eines „feineren“ und eines „gröberen“ „Schlages“ bei ganz
verschiedenen Völkern mitgeteilt wurde. Der „feinere“, den Beschreibungen
nach mehr leptosome Schlag soll — nicht nur in Europa, sondern z. B.
auch bei Japanern, Malaien, Indonesiern, Melanesiern — gewöhnlich in
den oberen Schichten der Bevölkerung vorwiegen, der ,„gröbere“, den Be-
schreibungen nach mehr „eurysome“ („vierschrötige ‘) in den (gesellschaft-
lich und wirtschaftlich) unteren Schichten. Die Wahrscheinlichkeit der
Rassenvermischung dürfte — wie Lundborg mit Recht vermutet hat —
in den oberen Schichten größer sein als in den unteren Schichten. Denn
die „Freizügigkeit“ ist im allgemeinen bei den oberen Schichten größer;
außerdem wird dort durch gesellschaftliche Grenzen zwar eine gewisse
Inzucht, andererseits aber — an einer nicht mehr überschreitbaren Grenze
der Inzucht — gerade stärkere „Exogamie“ verursacht. An anderer Stelle *)
habe ich schon darauf hingewiesen, daß es so etwas wie einen „unteren
Schwellenwert“ der relativen Stärke eines Bevölkerungsteiles für die Ver-
meidung von Rassenvermischung dieses Bevölkerungsteiles gibt. Bei einer
durch gesellschaftliche Grenzen erzwungenen Inzucht kann dieser Schwel-
lenwert um so niedriger liegen, je größer die Möglichkeit zum Eingehen
gesellschaftlich zwar „homotypischer“, aber rassisch „heterotypischer“ Ehen
ist; und die Wahrscheinlichkeit rassenfremder Verbindungen ist dabei
natürlich um so größer, je enger die gesellschaftlichen Grenzen sind. Eine
bevölkerungsbiologische Untersuchung des Adels (deren Ergebnis aber mit
einer ebensolchen Untersuchung bürgerlicher und bäuerlicher Bevölke-
rungsteile verglichen werden müßte), würde wahrscheinlich erfahrungs-
mäßige Stützen für diese Annahme erbringen können.
Bei meinen eigenen Untersuchungen habe ich nicht wenige Anhalts-
punkte dafür gefunden, daß leptosome Erscheinungsbilder in bäuerlichen
Bevölkerungen Niedersachsens seltener sind als in bürgerliehen Schichten
der Stadtbevölkerung. Bei einer größeren Gruppe von Studenten mit einer
erstaunlichen Häufigkeit leptosomer Erscheinungsformen fand sich kein
einziger, dessen vier Großeltern alle in ein und demselben deutschen Bun-
desstaat geboren waren. Dabei ist die „Freizügigkeit“ bürgerlicher Bevöl-
kerungsteile wahrscheinlich noch erheblich geringer als diejenige führender
Oberschichten, und die Häufigkeit der Verehelichung von Leuten verschie-
dener Herkunft wird im allgemeinen nicht, wie etwa beim Adel, durch
die „paradoxe“ Wirkung gesellschaftlicher Inzuchtsursachen erhöht®®).
19) Zeitschr. f. Morphol. Anthrop. 1928, Bd. 27, S. 100.
20) Ein unfreiwilliges Experiment, dessen Ergebnis mit dem oben zitierten Hin-
weis von Lundborg schön übereinstimmt, wurde vor einiger Zeit mit einem Preis-
ausschreiben gemacht, das von Anhängern der Güntherschen Lehre in der Zeit-
schrift „Volk und Rasse“ erlassen worden ist. Es sollten Bilderstammtafeln prämiiert
werden, die möglichst viele Köpfe des landläufig als „nordisch‘‘ bezeichneten Erschei-
17°
260 Walter Scheidt:
An eine solche „paradoxe“ Wirkung wird man, die Völker der Erde
überblickend, natürlich am ehesten da denken können, wo die gesellschaft-
lichen Grenzen am stärksten ausgeprägt sind oder ausgeprägt waren. Nächst
Europa also wohl in Indien, demnächst vielleicht in Ostasien. Soweit unsere
Kenntnisse über das Vorkommen langer, schmaler Gesichtsform und über
eine größere Häufigkeit leptosomer Erscheinungsformen bis heute reichen,
scheint es so, als ob diese Ausprägungsformen kaum irgendwo häufiger
sind als in den Oberschichten gerade dieser Länder, wobei die allgemeine
Häufigkeit (auch in unteren Schichten) derselben in Europa und Indien
kaum irgendein vergleichbares Beispiel hat. Die üblichen Deutungen dieser
Tatsache sind allgemein bekannt. Trotzdem ist meines Erachtens die Frage
nicht gelöst, was vorliegt, reine Rassenbilder oder Mischlingserscheinungen.
Von meinen Befunden an eigenen und fremden Beobachtungsmate-
rialien aus Nordeuropa und aus deutschen Landbevölkerungen spricht bis-
her nichts dagegen, aber manches dafür, daß hier langförmiges Gesicht
ein Rassenmischprodukt sein könnte.
Wo in Nordeuropa?!) Korrelationen zwischen den Maßen und Maß-
verhältnissen des Gesichtes und den Farben berechnet werden konnten und
statistisch zuverlässige Ergebnisse lieferten, findet sich längeres, schmal-
förmigeres Gesicht nicht häufiger als wahrscheinlich mit hellen, wohl aber
häufiger mit dunklen Farben zusammen. Das gilt auch für Nordnorwegen,
wo ziemlich sicher Lappenzumischung vorliegt. Die Korrelationen betragen
in Tromsö für:
Breitenverhältnis des Gesichtes — helles Haar — 0,15 + 3X 0,05,
Jochbogenbreite — reine helle Komplexion +0,15 + 3 x 0,05,
Jochbogenbreite — „gemischte“ Augenfarbe — 0,15 + 3 x 0,05.
In Westirland ist die Gesichtslänge und die Langförmigkeit des Ge-
sichtes am größten bei den südlichen Gruppen, wo Rassenmischung am
ehesten vermutet werden könnte. Auch die Korrelation zwischen Kopfhöhe
und Gesichtshöhe (+ 0,26 + 3 X 0,7) deutet darauf hin. Nächst diesen Grup-
pen fand sich ausgesprochen langförmiges Gesicht und schmalförmige Nase
nungsbildes enthielten. (Wie bekannt, richtet sich eine derartige Beurteilung von Bil-
dern vorwiegend nach der Schmalförmigkeit von Gesicht und Nase.) Sieben von zwölf
Preisen wurden für Stammtafeln adeliger Familien vergeben. Da die Zahl der Be-
werber nach Mitteilung der Preisrichter sehr groß war, darf man wohl annehmen,
daß der Anteil bürgerlicher Familien an den Einsendungen größer war, als derjenige
adeliger Familien, so daß die lediglich nach dem Erscheinungsbild und den Merkmals-
angaben urteilende Wahl der Preisrichter wahrscheinlich nicht zufällig gerade auf
die Adelsfamilien fiel. — In demselben Sinn lehrreich sind die Bilder der ersten Auf-
lagen des Güntherschen Buches, wo in der ersten z. B. gut ein Drittel, in der
dritten etwa die Hälfte aller als „nordisch‘‘ oder „vorwiegend nordisch‘“ bezeichneten
Leute Angehörige adeliger Familien und regierender Fürstenhäuser sind.
21) Die Verhältnisse der außerdeutschen nordeuropäischen Länder habe ich
a. a. O. näher erläutert.
Untersuchungen über Rassenmischung. 261
zuverlässig nur bei schottischen Studenten und bei englischen und schot-
tischen Gelehrten, Offizieren und Staatsmännern.
In Schweden sind die Verhältnisse meines Erachtens nicht spruchreif,
weil zwischen der älteren Untersuchung von Retzius und Fürst (1902)
und der neueren von Lundborg und Linders (1926) hinsichtlich der
Gesichtsmaße sehr große Differenzen bestehen. Aus diesem Grund und wegen
der spärlichen und zum Teil unzuverlässigen Befunde aus dem übrigen
Nordeuropa kann man meines Erachtens vorläufig nicht entscheiden, ob
eine Rasse mit Anlagen zu langförmigem Gesicht in Nordeuropa überhaupt
vorkommt (vgl. a. a. O.).
In Niedersachsen ergab die Untersuchung einer Geestbevölkerung zwi-
schen Elb- und Wesermündung die Korrelationsindizes;
Weiber: „Gemischte“ Augenfarbe — Gesichtshöhe +0,15 + 3 X 0,04
Männer: Reinhelle Komplexion — Jochbogenhreite + 0,11 + 3 X 0,04
Männer: Reinhelle Komplexion — Breitenhöhen-
verhältnis des Gesichts | — 0,14 + 3x 0,04
Weiber: Kopfbreite — Gesichtshöhe +0,16 + 3x 0,04
Bei den Finkenwärder Männern fand sich:
Reinhelle Komplexion — Jochbogenbreite +0,17 + 3 X 0,13
im Großen Walsertal:
Weiber: Dunkle Haarfarbe — Breitenhöhenver-
hältnis des Gesichts — 0,40 + 3 X 0,13
Weiber: Kopfbreite — Gesichtshöhe + 0,47 + 3 X 0,12
Männer: Kopfbreite — Gesichtshöhe + 0,36 +3 x 0,12
in einer Bodenseebevölkerung:
Männer: Kopfbreite — Gesichtshöhe + 0,28 + 3 X 0,09
Beim Versuch eines Scheidungsverfahrens?), das Bevölkerungsteile
vorwiegend der einen von solchen vorwiegend der anderen Rasse und von
gleichmäßigen Mischlingserscheinungen trennte, blieb bei der weiblichen
Geestbevölkerung des Elb-Wesermündungsgebietes die positive Korrelation
zwischen „gemischter“ Augenfarbe und Gesichtshöhe verstärkt erhalten
(helle Gruppe A + 0,23 + 3x 0,09; dunkle Gruppe B + 0,33 + 3 x 0,14); die
Scheidungsgruppen zeigten außerdem auffallende Unterschiede in den Ge-
sichtsmaßen und Gesichtsproportionen (s. Tabelle auf S. 262).
Da den Umständen nach angenommen werden kann (vgl. a. a. O.),
daß die Scheidungsgruppen noch Mischlinge enthalten, sprechen auch diese
Befunde zunächst am ehesten für stärkere Langförmigkeit des Gesichtes
bei Mischlingen und geringere Langförmigkeit des Gesichtes bei rassen-
reinen Bevölkerungsteilen.
22) Vgl. dieses Archiv, 1929, Bd. 22, S. 1.
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Gesichtshöhe
Jochbogen-
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Breitenhöhen-
verh. d. Ges
Walter Scheidt:
Sollten sich diese Anhaltspunkte durch weitere
Untersuchungen (die natürlich notwendig sind) ver-
mehren, so würde lange, schmale Gesichtsform auch
in mitteleuropäischen Bevölkerungen als eine „Kreu-
zungsneuheit‘ nachgewiesen sein, welche bei Ras-
senmischlingen deshalb besonders häufig (und also
typisch) ist, weil die Teile der „Gengruppe“, welche
langförmiges Gesicht bedingt, Rasseneigenschaften
der in die Vermischung eingehenden Rassen sind.
Ob die Annahme von Rassenpolymerie auch auf
andere meßbare Merkmale ausgedehnt werden kann,
ist zunächst unsicher. Die Körpergröße z. B. scheint
sich nicht ganz ebenso zu verhalten wie Gesichts-
länge und Gesichstsform. Ueber Maßverhältnisse des
Körpers gibt es noch nicht genug Beobachtungen.
Dagegen scheint es mir nicht ganz unmöglich, daß
bei der Kopfform etwas Aehnliches vorliegt. Im
allgemeinen wird angenommen, Rundförmigkeit des
Kopfes verhalte sich im großen ganzen dominant.
Polymerie liegt sicher vor. Auffallend ist aber die
Tatsache, daß so gut wie alle vor- und frühgeschicht-
lichen Bevölkerungen Europas eine typisch längere,
schmälere Schädelform gehabt haben als die rezenten
Bevölkerungen. Die übliche Annahme würde dies,
zusammen mit der wahrscheinlichen Annahme einer
zunehmenden Beimischung rundköpfiger Rassen, er-
klären können. Auch eine Umzüchtung (ohne wesent-
liche Beteiligung von Rassenvermischung) wäre denk -
bar. Den Kreuzversuch würde aber erst die Beob-
achtung von Mischlingen zweier lang- und schmal-
köpfiger Rassen liefern. Um davon wenigstens eine
vorläufige Vorstellung zu bekommen, habe ich aus
dem großen Material von G. P. Frets?®) alle jene
Familien herausgesucht, bei denen beide Eltern ein
Längenbreitenverhältnis unter 80 haben, und fand in
etwa der Hälfte aller Familien Kinder mit höheren
Indizes, nur bei einem Sechstel aller Familien Kin-
der mit geringeren Indizes. Frets berechnete als
Mittelwert dieser Elternpaare ein Längenbreitenver-
hältnis von 77,7 und fand bei den Söhnen aus diesen
Ehen einen Mittelwert von 78,7, bei den Töchtern 80,1.
23) G. P. Frets (1921): Heredity of headform in man. Haag.
Untersuchungen über Rassenmischung. 263
also um rund 1,7 Einheiten mehr als bei den Eltern. Das sieht meines
Erachtens nach einem „Luxuriieren“ der Kinder von Eltern mit langen,
schmalen Köpfen aus.
Diskontinuierliche, nicht meßbare Merkmale, auf welche die Annahme
der Rassenpolymerie anwendbar ist, sind in erster Linie wohl die soge-
nannten „disharmonischen“ Merkmale, die bei Rassenmisch-
lingen der nächstliegenden theoretischen Erwartung gemäß gesucht und
auch gefunden wurden. Der älteste hierhergehörige Hinweis stammt wohl
von Stilling (1889) und betrifft eine „Disharmonie“ zwischen der Form
des Augapfels und der Form der Orbita, welche Anomalien des
Brechungszustandes verursachen könnte. Die Beobachtungen von
Crzellitzer (1912) über die größere Häufigkeit Kurzsichtiger unter den
süddeutschen Einjährig-Freiwilligen (im Vergleich zu den niederdeut-
schen) bestätigen diese Ansicht. Ferner sind hier manche Anomalien
der Kiefer und der Zähne zu nennen, die, wie Davenport be-
richtet, bei Rassenmischlingen in Amerika besonders häufig sein sollen.
D o wn s?!) hat dafür neuerdings wieder Anhaltspunkte beigebracht.
Ein anderes rassenpolymeres Merkmal ist — den Umständen nach —
vielleicht Rothaarigkeit. Eine dahingehende Vermutung hat meines
Wissens bis jetzt nur A. Hrdlitka?°®) geäußert. Er hält es auf Grund
seiner Beobachtungen an Altamerikanern für möglich, daß Rothaarige in
Populationen besonders häufig sind, in denen ganz helle und ganz dunkle
Farben in größeren Mengen nebeneinander vorkommen. Da auch die mei-
sten nordeuropäischen Bevölkerungen den Farben nach stark gemengt sind,
bin ich bei meiner Neubearbeitung des nordeuropäischen Beobachtungs-
materials auch dieser Frage nachgegangen. Eine vergleichsweise größere
Häufigkeit roter Haare wird für Nordeuropa und Niederdeutschland ziem-
- lich allgemein angenommen. Eindrucksmäßig verhält es sich wohl so, aber
die absolute Häufigkeit der Rothaarigen gibt zu kleine Werte, als daß
sich schon Beweise dafür erbringen ließen, und es fehlen vorläufig auch
noch größere Vergleichsuntersuchungen aus anderen Ländern. Die rela-
tive Häufigkeit der Rothaarigen schwankt nach meinen Berechnungen bei
41 männlichen nordeuropäischen Untersuchungsgruppen zwischen 0 und
23,5 + 3 X 7,3%, bei 11 weiblichen Gruppen zwischen 1,4 + 3x 14% und
11,8 + 3 x 5,5%. Bedeutsam scheinen mir aber zwei andere Befunde: Ich
habe für die sämtlichen nordeuropäischen Untersuchungsgruppen, bei denen
es möglich war, eine leidlich einheitliche Trennung heller und dunkler
Haarfarben herzustellen, die Korrelation zwischen dem Varia-
24) W. G. J. Downs (1927): Studies in the causes of dental anomalies. Gene-
tics, Bd. 12.
235) A. Hrdlička (1923): Pigmentation in the Old Americans. Smithonian Rep.
for 1921, S. 443.
264 Walter Scheidt:
tionsindex der Haarfarbe und der relativen Häufigkeit
der Rothaarigen berechnet. Es ergab sich ein Korrelationsindex von
k = + 0,60 + 3x 0,09. Da der Variationsindex der Haarfarbe sein Maximum
(100) bei einem Verhältnis von Hell : Dunkel = 1 : 1 erreicht, heißt das also,
daß in stärker farbengemengten Bevölkerungen Rothaarigkeit häufiger ist,
als erwartet werden könnte, wenn das Verhältnis heller zu dunklen Haaren
mit der Häufigkeit der Rothaarigen nichts zu tun hätte. — Ferner habe
ich bei allen (338) Fällen von Rothaarigkeit in nordeuropäischen Bevöl-
kerungen, bei denen auch die Augenfarbe angegeben war, die Kom -
plexion bestimmt und fand (auf die Gesamtzahl der Rothaarigen be-
zogen) 33,1 + 3 x 2,6% Rothaarige mit „gemischten“ oder dunklen Augen.
Die Verbindung anderer (nicht roter) heller Haare mit „gemischten“ oder
dunklen Augen beträgt in denselben Bevölkerungen nur 0 bis 13,4 % aller
Untersuchten (mit Ausnahme der Rothaarigen), wobei in 5 von 38 grö-
Beren Untersuchungsgruppen helles Haar mit „gemischten“ oder dunklen
Augen überhaupt nur als Verbindung roter Haare mit „gemischten“ oder
dunklen Augen vorkomınt. Diese Verbindung ist also ungleich viel häu-
figer, als erwartet werden müßte, wenn man rotes Haar als rezessives
Merkmal genetisch neben anderes helles Haar stellen wollte.
Bezüglich des Erbgangs von Haarfarbenanlagen habe ich früher schon
(1924, 1925) die Meinung geäußert, daß man wahrscheinlich nicht nur mit
einem erbbedingien Farbstofigehalt, sondern möglicherweise auch mit Erb-
anlagen für diejenigen Haarmerkmale rechnen muß, die durch Interferenz-
erscheinungen und ähnliches die wahrnehmbare (auch die mikroskopisch
wahrnehmbare) Haarfarbe beeinflussen. Auch den Erbgang der Rothaarig-
keit habe ich aus diesem Grund für ungeklärt gehalten und betont, daß
Rothaarigkeit in hellhaarigen wie in dunkelhaarigen Erbstämmen vor-
kommt. Die eben geschilderten Befunde sind meines Erachtens durchaus
geeignet, die Annahme von Polymerie der Rothaarigkeit (oder, falls es
genetisch verschiedene Rutilismen geben sollte, mindestens einer Rot-
haarigkeit) zu stützen. In neueren Arbeiten (so z.B. beiE.Rodenwaldt
a. a. O.) ist gelegentlich behauptet worden, daß monomer-rezessives Ver-
halten anzunehmen sei, wobei man aber allem Anschein nach die Schwie-
rigkeiten für den Nachweis eines solchen Erbgangs beim Menschen (zumal
an dem überaus spärlichen Material von Familien mit Rutilismus) doch
zu leicht genommen hat. Dagegen ist gerade die von Rodenwaldt mit-
geteilte Stammiafel von Rothaarigkeit in einer kisaresischen Mischlings-
familie ein meines Erachtens sehr starker Anhaltspunkt dafür, daß bei
Rothaarigkeit Rassenpolymerie in dem hier erläuterten Sinn vorliegen
könnte. Denn es ist wohl mindestens sehr auffallend, daß diese erste (und
meines Wissens bisher einzige) solche Stammtafel von notorischen Rassen-
mischlingen die erstauftretenden Träger roter Haare unter den Kindern
Untersuchungen über Rassenmischung. 265
der rassischen Elterngenerationen aufweist (2 rothaarige von 4 Kindern
aus der Ehe eines Europäers mit einem Eingeborenenweib). Die nächste
Generation (mit 3 rothaarigen von 4 Kindern) stammt wieder von einem
rothaarigen Mischling und einem Eingeborenenweib (nicht Mischlingsweib),
und die dritte Familie mit wirklich deutlicher Häufung der Rothaarigkeit
(alle 4 Kinder) von zwei rothaarigen Mischlingen, während unter 71 Kin-
dern von nicht rothaarigen Mischlingen mit ebensolchen nur 3 rothaarige,
unter 7 Kindern nicht rothaariger Mischlinge mit Ein-
geborenen aber schon ein rothaariges ist. Beweisend für die
Annahme der Rassenpolymerie sind natürlich auch diese Zahlen nicht,
aber sie sprechen doch mehr dafür als dagegen.
Im Beobachtungsmaterial meiner rassenkundlichen Untersuchungen in
Niedersachsen habe ich endlich noch einen für die Annahme von Rassen-
polymerie vielleicht besonders bedeutsamen Fall von Schizophrenie
gefunden. Die psychiatrische Diagnose sowie die Maße dieses Kranken
verdanke ich der Güte des Herrn Kollegen Rittershaus, nachdem ich
bei der Untersuchung der betreffenden Bevölkerung die Sippe des Patienten
mitaufgenommen hatte. Da es sich nur um diesen einzelnen Fall handelte,
habe ich keine Bedenken gehabt, die Maße auch dieses Mannes mit den
übrigen Maßen zu verarbeiten und seine Krankheit zunächst nicht zu be-
rücksichtigen. Als ich dann auf Grund der Merkmalskorrelationen Anhalts-
punkte für Rassenvermengung gewonnen hatte und ein Scheidungsverfahren
(vgl. a. a. O.) der mutmaßlich vermengten und vermischten Rassen durch-
führte, erhielt gerade dieser Kranke eine Zuordnungsziffer 3=0. Dieses
Zusammentreffen scheint mir sehr auffällig. Denn nach der Häufigkeit
Schizophrener und nach der Häufigkeit von Fällen mit 3=0 in meinem
Material wäre ein Fall mit Schizophrenie und 3=0 bei zufälliger Kom-
bination dieser beiden Momente nur einmal unter rund 27000 Fällen zu
erwarten; in Wirklichkeit findet sich dieses eine Zusammentreffen unter
619 Fällen. Obwohl ich darin trotzdem noch keinen sicheren Anhaltspunkt
für Rassenpolymerie der Schizophrenie sehen möchte, bietet die zufällig
gefundene Tatsache doch Anlaß zu theoretischen Erwägungen über die
Möglichkeit einer solchen Annahme.
Die bisherigen Ergebnisse der psychiatrischen Erblichkeitsforschung
[durch E. Rüdin®), E. Kahn”), H. Hoffmann?) u. a.) haben ge-
zeigt, daß Dimerie wahrscheinlicher ist als Monomerie. Die Frage ist jedoch
wohl noch nicht ganz entschieden. Es scheint, daß die Befunde nicht immer
mit der theoretischen Erwartung übereinstimmen, die man auf Grund des
5 26) E. Rüdin (1916): Zur Vererbung und Neuentstehung der Dementia praecox.
rlin.
° 237) E. Kahn (1923): Schizoid und Schizophrenie im Erbgang. Berlin.
22) H. Hoffmann (1921): Die Nachkommenschaft bei endogenen Psychosen.
Berlin.
266 Walter Scheidt:
angenommenen genetischen Zusammenhangs zwischen schizoider Psycho-
pathie und Schizophrenie machen müßte*). Wichtig für die fragliche An-
nahme einer Rassenpolymerie ist aber zunächst der wohl sichere Ausschluß
von Monomerie. Es wäre möglich, daß gerade auch die Schwierigkeiten,
die sich bei der weiteren Forschung ergaben, daher kommen könnten, daß
eine (oder einige) von den ausschlaggebenden Anlagen für sich allein kein
irgendwie an schizoide Psychopathie anklingendes Bild macht. Gerade
dann müßte man natürlich nach anderen Anhaltspunkten suchen, um die
Träger dieser Teilanlagen als solche zu erkennen. Inwieweit das auf psychia-
trischem Gebiet möglich ist, kann ich nicht beurteilen®°). Genealogisch
angelegte Beobachtungen, bei denen auch körperliche Merkmale festgestellt
worden sind, scheinen in der Literatur nicht vorzuliegen. Eine erste Prü-
fung der Annahme von Rassenpolymerie würde ich mir aber auch so
denken können, daß man zunächst die Herkunft der Eltern und Großeltern
mitberücksichtigt. Unter Umständen ergäben sich daraus schon Anhalts-
punkte für die Vermutung, ob und mit welcher Wahrscheinlichkeit Rassen-
mischehen in der Aszendenz von Schizophrenen vorgelegen haben könnten.
Einige Anhaltspunkte dieser Art sind meines Erachtens schon vorhan-
den: die anscheinend größere Häufigkeit von schizophrenen Erkrankungen
in Fürstenhäusern und bei der jüdischen Bevölkerung. Es liegt nahe, bei
diesen beiden Tatsachen auf Inzucht hinzuweisen. Die Verhältnisse liegen
aber bei der Annahme von Rassenpolymerie in dieser Hinsicht ganz ähn-
lich wie bei einfacher Rezessivität. Der Unterschied besteht nur darin,
daß es bei einfacher Rezessivität ein und dieselbe Erbanlage ist, welche
von einem gemeinsamen Ahnen auf die Nachkommen gelangt und von
diesen im Falle der Verwandtenehe wieder zu einer homogametischen Ver-
einigung gebracht wird, während bei einer Rassendimerie von einem
Ahnen, der Rassenmischling und deshalb unter Umständen auch Merk-
malsträger war, verschiedene Anlagen auf die Nachkommen gelangen
22) E. Kahn (1922: Ueber die Bedeutung der Erbkonstitution für die Entstehung,
den Aufbau und die Systematik der Erscheinungsformen des Irreseins. Zeitschr. f. ges.
Neurol. u. Psych. Bd. 74, S. 69) kommt deshalb zur Annahme von besonderen Hem-
mungsfaktoren zur Erklärung der Fälle, in denen die beiden Anlagen für Schizo-
phrenie theoretisch da sein müssen, ohne daß doch Schizophrenie auftritt. Er sagt:
„Der Genotypus Schizoid kommt auch in Idioplasmen vor, die gleichzeitig die Prozeß-
anlage bergen, ohne daß es zur Realisation einer Schizophrenie kommt; man wird
dabei an das gleichzeitige Vorhandensein von Hemmungsfaktoren zu denken haben.“
30) Wenn ich Kahn (a. a. O. 1922, 1923) richtig verstanden habe, macht die Er-
kennung der von ihm unterschiedenen „Prozeßanlage“ Schwierigkeiten. „Der Geno-
typus Schizoid, der bei seiner Realisation unter dem Phänotypus der schizoiden Per-
sönlichkeit erscheint, kommt für sich ohne genotypische Vertretung der ProzeßBanlage
Vor 0084 „Wir besprechen jetzt noch den Fall, daß die ProzeßBanlage nicht nur im
Genotypus gegeben sein, sondern auch phänotypisch realisiert werden kann, ohne daß
der Genotypus Schizoid anwesend ist. Wir müssen mit dieser Möglichkeit rechnen,
ohne uns darüber mehr als ganz vage Vorstellungen machen zu können.“
Untersuchungen über Rassenmischung. 267
=
und von diesen ganz wie bei der Rezessivität im Falle der Verwandten-
ehe zu einer phänotypisch sich auswirkenden Genkombination gebracht
werden können. Deshalb sind die theoretischen Erwartungen bezüg-
lich der Verwandtenehen in beiden Fällen dieselben. Unterscheidbar da-
gegen wären theoretisch die Umstände des ersten Auftretens in einer Sippe;
denn das erste Auftreten würde bei Rassenpolymerie in naher Deszendenz
einer Rassenmischehe zu erwarten sein, bei Rezessivität oder bei einer nicht
rassenmäßigen Polymerie dagegen in keinem erkennbaren Zusammenhang
mit Rassenmischehen stehen. Die Inzucht bei Fürstenfamilien und bei der
jüdischen Bevölkerung könnte also auch dann, wenn Rassenpolymerie vor-
liegt, daran schuld sein, daß Schizophrenie in diesen Gruppen häufiger
sichtbar wird als in der übrigen Bevölkerung. Sie könnte aber, wie oben
dargelegt wurde, bei den Fürstenfamilien gerade auch die Ursache für grö-
Bere Häufigkeit „rassenheterotypischer“ Ehen sein, während sie bei den
Juden gewissermaßen als „Folge“ von Rassenvermischung anzusprechen
wäre, wenn wir, wie wahrscheinlich ist, die rassische Eigenart der Juden
auf eine vorderasiatische Rassenvermischung zurückführen dürfen.
Nächst der größeren Häufigkeit der Schizophrenie in den beiden ge-
nannten Gruppen sprechen meines Erachtens auch manche örtliche Unter-
schiede ihrer Häufigkeit für die Annahme von Rassenpolymerie. An den
Befunden von K. O. Henckel) habe ich®) nachgewiesen, daß Schizo-
phrenie in Schweden relativ (zur Gesamtzahl der Geisteskranken) häufiger
vorkommt als in Bayern. Diese Unterschiede sind mehrfach festgestellt,
aber nicht selten (so auch von Henckel a. a. O.) verkannt worden, weil
das Verhältnis von leptosomem und phyknischem Körperbau (in dem seit
Kretschmer bekannten Zusammenhang mit den Geisteskrankheiten)
überall annähernd dasselbe ist. Gerade die Befunde von Henckel be-
leuchten aber meines Erachtens die Annahme von Rassenpolymerie recht
gut: „Die Schizophrenen in Schweden“, berichtet Henckel, „weisen die
nordischen Rassenzeichen nach Körpergröße, Kopfform und Farbenmerk-
malen in keiner Hinsicht ausgesprochener auf als die normale schwedische
Bevölkerung“. Schizophrene sind, soviel ich weiß, nicht nur in Schweden
und in Bayern, sondern auch in anderen Bevölkerungen vorwiegend lepto-
som gefunden worden. Wenn man einen Teil der schizophrenen Erbanlagen
als nordische Rasseneigenschaften, einen Teil als Eigenschaften einer an-
deren Rasse oder als „rassenlos“ — gleichmäßig verteilt — ansähe, so wäre
gerade dieses Ergebnis zu erwarten und die Schizophrenie müßte (beim
Vergleich von Bevölkerungen ungefähr gleicher Inzuchtsgrade), ohne nor-
dische Rasseneigenschaft zu sein, gerade da am häufigsten sein, wo der
31) K. O. Henckel (1926): Ueber Konstitution und Rasse nach Körperbau-
studien an Geisteskranken in Schweden. Zeitschr. f. Konstitutionsl. Bd. 12, S. 215.
32) Arch. f. Rassenbiol. 1927, Bd. 19, S. 81.
268 Walter Scheidt:
„nordische Einschlag“ am größten vermutet werden kann. Diese Vorstel-
lung wurde bis jetzt hauptsächlich durch die meines Erachtens falsche
Annahme hintangehalten, daß man die schwedische Bevölkerung als „ziem-
lich rassenrein“ ansah; an den mehrfach erwähnten Stellen habe ich er-
örtert, was dagegen spricht. |
Die wichtigsten Momente, welche Rassenvermischung in Schweden
wahrscheinlich machen, stehen nun aber auch in jenem anderen, kon-
‚stitutionellen Zusammenhang mit Schizophrenie: Wenn leptosomer Körper-
bau unter Umständen als Mischlingsmerkmal in Frage kommt, könnte
schon deshalb auch Schizophrenie ein solches Merkmal sein. Die relativ
größere Häufigkeit beider Merkmale in Schweden und die Anhaltspunkte
für Rassenvermischung nordeuropäischer Bevölkerungen würden in diesem
Sinn ebenso zusammenstimmen wie die geringere Häufigkeit der beiden
Merkmale in Bayern und der dort wahrscheinlich geringere nordische Ein-
schlag. Noch besser treffen sich die Feststellungen von Kretschmer,
wenn er sagt, Könige seien zum Studium der schizoiden Geistesverfassung
gerade gut genug, und von Lundborg, der die ausgeprägtesten lepto-
somen Gesichtsformen in Königsfamilien antraf, wo mit größter Wahr-
scheinlichkeit Rassenvermischung durch die Grenzen der Inzucht erzwun-
gen ist. Endlich treffen sich die Beobachtungen von Lundborg und
Schlaginhaufen über die größere Tuberkulosesterblichkeit in mut-
maßlichen Rassenmischgebieten mit den Feststellungen von Luxen-
burger), daß „die nichtpsychotischen Geschwister der Schizophrenen
weit häufiger — bis viermal so häufig — an irgendeiner Form der Tuber-
kulose sterben als die gleichaltrigen Geschwister der Durchschnittsbevölke-
rung“, während zwischen den nichtpsychotischen Geschwistern der Manisch-
Depressiven und der Durchschnittsbevölkerung kein Unterschied besteht.
Diese Uebereinstimmungen kann man wohl zu der Vermutung zu-
sammenfassen, daß Rassenpolymerie, falls sie als Ursache für leptosomen
Körperbau und für Tuberkuloseanfälligkeit in Betracht kommt, auch eine
genetische Ursache für Schizophrenie sein könnte und umgekehrt. Für die
Klärung dieser Fragen wären meines Erachtens größere, genealogisch an-
gelegte Körperbaustudien an jüdischen Dementia-praecox-Sippen von be-
sonderem Wert. Denn es scheint sicher, daß nicht jede Rassenmischung
zu einem leptosomen Mischlingstypus führen muß; und ich möchte ver-
muten, daß der größeren Häufigkeit von Schizophrenie bei Juden keine
den nichtjüdischen Schizophrenen vergleichbare Häufung von leptosomen
Erscheinungsbildern entspricht. Wenn das der Fall wäre, würde man wohl
erst recht eine übergeordnete Ursache für die Entstehung der Schizophrenie
in der Rassenvermischung suchen und darin eine Erklärung finden können
33) Zeitschr. f. Neurol. u. Psych. 1927, Bd. 109.
Untersuchungen über Rassenmischung. 269
für die auffallende Tatsache, daß gerade diejenige Geisteskrankheit, welche
am stärksten mit leptosomem Körperbau korreliert ist, mit am häufigsten bei
dem am wenigsten leptosomen Bevölkerungsteil Europas angetroffen wird.
Die vorstehenden Ausführungen sind, wie deutlich geworden sein dürfte,
nicht dazu bestimmt, die Frage der „Rassenpolymerie“ zu lösen. Die Frage
sollte vielmehr erst gestellt und durch die bisher vorhandenen Anhalts-
punkte als Frage beleuchtet werden. Die Lösung ist, wie gewöhnlich,
insofern von der Fragestellung abhängig, als man taugliche Mittel dafür
ohne die Hypothese nicht suchen — höchstens blind ertappen — kann.
Falls Rassenpolymerie in dem erläuterten Sinn vorkommt, kann sie nur
durch umfassende Untersuchungen aufgedeckt werden. Denn man wird
im allgemeinen nicht erwarten dürfen, daß Teile einer polymeren Gen-
gruppe auch dann, wenn sie für sich allein vorkommen, immer phäno-
typisch erkennbar seien. Und wenn sie es sind, ist ganz und gar nicht
ausgemacht, ob die betreffenden Phänotypen im Blickfeld desjenigen Beob-
achters liegen, der es auf die genetische Untersuchung des fraglichen poly-
meren Merkmals, also auf das Erscheinungsbild der ganzen Gengruppe
abgesehen hat. So ist es z. B. nicht wahrscheinlich, daß für die zahlreichen
genealogisch-psychiatrischen Beobachtungen über Schizophrenie oder für
die noch zahlreicheren „konstitutionsforschenden“ Körperbaustudien nach-
träglich noch jene Merkmale feststellbar sind, mit deren Hilfe man ent-
scheiden könnte, was für eine Stellung die betreffenden untersuchten Men-
schen in ihrer (vielleicht rassenvermengten) „Heimatbevölkerung“ einnah-
men. Wo solche Angaben aber nachträglich (oder in Zukunft von vorn-
herein) bei Spezialuntersuchungen beschafft werden können, wird aller-
meistens noch die rassenkundliche Untersuchung eben jener „Heimatbevöl-
kerung“ fehlen. Ich glaube deshalb, daß auch alle genetische Sonderfor-
schung an der neuerdings begonnenen planmäßigen rassenkundlichen Unter-
suchung der ganzen deutschen Bevölkerung unmittelbares Interesse hat.
Dasselbe gilt für die Erblichkeitsforschung beim Menschen überhaupt. Gibt
es nämlich so etwas wie „Rassenpolymerie“, so ist ein Studium von Rassen-
kreuzungen unter Umständen ganz ungeeignet zur Aufklärung des Erb-
gangs, überhaupt der Erblichkeit bestimmter Merkmale, weil beispielsweise
auch korrelationsstatistische Untersuchungen an solchem Material stärkere
oder schwächere Erblichkeit einzelner Eigenschaften anzeigen könnten
als etwa die Untersuchung von merkmals,diskordanten“ Ehen in weniger
rassenvermischten Bevölkerungen.
Ueber die Blutgruppen der Litauer, Letten und Ostpreußen.
Von Prof. Dr. med. Vl. Lašas.
(Aus dem physiologischen Institut der Universität Kaunas, Litauen.
Direktor: Prof. VI. La šas).
Seitdem es feststeht, daß es in Bezug auf die Blutgruppen vier Arten
von Menschen gibt und daß die Zugehörigkeit jedes einzelnen Individuums
zu einer bestimmten Blutgruppe trotz äußerer Einflüsse sein ganzes Leben
hindurch unverändert bleibt, ist die außerordentliche Bedeutung der Blut-
gruppen für die Anthropologie klar geworden.
Als man Populationen verschiedener Völker auf ihre Blutgruppen zu
untersuchen begann, stellte sich heraus, daß die Blutgruppen bei den ver-
schiedenen Völkern nicht gleichmäßig verteilt sind. Diese Tatsache spornte
noch mehr an, die Verteilung der Blutgruppen bei den Völkern festzu-
stellen. In kurzer Zeit ist nun eine so große Zahl von Völkern untersucht
worden, daß die veröffentlichten Ergebnisse schon recht schöne Folgerungen
über das anthropologische Bild der Völker der Erde gestatten.
Bis in die jüngste Zeit sind in der Literatur nur wenige Mitteilungen
über die Verteilung der Blutgruppen unter den Litauern und Letten er-
schienen. Ich möchte hier die Blutgruppen der Ostpreußen, Litauer und
Letten vergleichen, nicht nur weil sie benachbart wohnen, sondern auch,
weil diese Bevölkerungen miteinander mehr oder weniger verwandt sind.
Ich meine hier Verwandtschaft nicht nur in dem Sinne, daß sie alle zum
indogermanischen Stamm gehören, sondern eine viel engere Verwandtschaft.
Die Deutschen haben die Altpreußen assimiliert, und indem sie sich
mit ihnen vermischt haben, haben sie auch den Namen „Preußen“ über-
nommen. Das Blut der Deutschen ist also mit dem der Altpreußen ver-
mischt. Indessen stellt die vergleichende Sprachwissenschaft fest, daß es
eine Zeit gab, wo die Altpreußen, Litauer und Letten eine einheitliche
Sprache sprachen, die sogenannte Aistenursprache. Alle drei Völker bil-
deten also eine besondere Gruppe innerhalb des indogermanischen Stam-
mes, die Aisten. Der Name Balten ist zur Bezeichnung dieser Gruppe da-
gegen nicht geeignet; denn als Balten können auch andere Völker, die an
der Ostsee wohnen, bezeichnet werden, so die Liven, Esten, Dänen, Pama-
rellen, die man keineswegs zu den Aisten rechnen kann.
K. Buga (1), der sich auf seine Studien der Aistensprachen stützt,
sagt, daß spätestens im 4. bis 3. Jahrhundert v. Chr. die Aistenursprache
Ueber die Blutgruppen der Litauer, Letten und Ostpreußen. 271
sich in zwei Dialekte teilte, die der Altpreußen und die der Litauer und
Letten; aus diesen bildeten sich später die Vorsprachen der Altpreußen
und der Litauer-Letten. Die Vorsprache der Litauer-Letten zerfiel dann
in zwei besondere Sprachen: die litauische und die lettische, jedoch be-
deutend später, nicht vor dem 7. Jahrhundert n. Chr. [Buga (2)].
Die große Achnlichkeit der Sprache der Altpreußen mit den Sprachen
der Litauer und Letten zeigen uns die Schriftdenkmäler: drei Katechismen
(zwei aus dem Jahre 1545 und einer aus dem Jahre 1561) und zwei
Wörterbüchlein (ein Elbinger aus dem 14. bis 15. Jahrhundert und ein
Grunauer aus dem 16. Jahrhundert).
Es ist schwer vorstellbar, daß ein Volk, das nicht auf einer Insel wohnt,
ganz isoliert bleiben könnte, nicht mit den Nachbarn in Berührung käme
und sich mit ihnen nicht vermischen sollte.
Die Wörter gotischer Herkunft in der Sprache der Altpreußen zeigen,
daß die Altpreußen mit den Goten an der Weichselmündung und am
Frischen Haff nicht später als im 3. Jahrhundert v. Chr. zusammengestoßen
sind (2). K. Buga findet, daß die Heimat der Altpreußen wie der Litauer
und Letten nicht an der Ostsee lag. Die Studien der Ortsnamen zeigen,
daß die Urheimat der Aisten im heutigen Weißrußland, im Osten von
Wilna, zu suchen ist. Die Namen der Flüsse in Weißrußland zeigen, daß
die Vorfahren der Litauer und Letten vor ihrer Niederlassung im heu-
tigen Litauen und Lettland in den hochgelegenen Gebieten der Flüsse
Dnjepr und Beresina wohnten. Hier sind sie im 6. Jahrhundert n. Chr.
durch die Slawen verdrängt worden.
Die Urheimat der Altpreußen ist neben der Urheimat der Litauer-
Letten zu suchen, und zwar im Westen von dieser: die oberen Gebiete der
Flüsse Nemunas (Memel) und Neris (Vilija). Die oberen Gebiete des Dnjepr
und der Beresina gehören den Vorfahren der Litauer-Letten, die oberen
Gebiete des Nemunas und Neris den Vorfahren der Altpreußen. Es ist
unbekannt, wann die Altpreußen in ihre neue Heimat gelangt sind, nur
die Spuren der gotischen Sprache im Wortschatz der Altpreußen sprechen
dafür, daß die Altpreußen dort schon im 3. Jahrhundert v. Chr. wohnten.
Ob die Aisten erst später an die Ostsee kamen oder ob sie dort auch schon
früher wohnten, ist hier nicht so wichtig. Wichtiger ist die Tatsache,
daß die Aisten schon sehr früh einerseits mit den Goten und andererseits
mit den Slawen in Berührung kamen.
Im 17. Jahrhundert n. Chr. verschwinden die Altpreußen als solche
[Klimas (3)], aber sie ziehen, indem sie in den Deutschen aufgehen,
zwischen diesen und den Litauern-Letten Verwandtschaftsbande. Daß die
Verwandtschaft zwischen den Litauern und den Letten eine sehr nahe ist,
geht schon daraus hervor, daß beide noch vor ungefähr zwölf Jahrhunderten
eine Sprache sprachen. Auch heute haben die litauische und die lettische
272 Prof. Dr. med. VI. Lašas:
Sprache noch große Aehnlichkeit. Diese Aehnlichkeit ist nicht geringer als
diejenige zwischen den einzelnen slawischen Sprachen. Die in der Sprache
der Altpreußen geschriebenen Katechismen aus dem 16. Jahrhundert haben
so viel Aehnlichkeit mit der modernen litauischen Sprache, daß auch heute
noch ein Litauer viele Wörter verstehen kann.
Jener Teil der Aisten, der im westlichen Teil des aistischen Gebietes
lebte, nämlich die Altpreußen, kam ständig mit den Deutschen in Berüh-
rung und dies bewirkte, daß nicht nur immer mehr deutsche Wörter in
die Sprache der Altpreußen gelangten, sondern auch daß sich das. Blut
dieser beiden benachbarten Völker immer mehr vermischte. Die Meinung,
daß der Deutsche Orden die Altpreußen ganz ausgerottet habe, ist wenig
glaubwürdig. Wenn auch sehr viele Altpreußen durch das Schwert der
Kreuzritter hingerafft. worden sind, beweist das noch keinesfalls ihr völ-
liges Verschwinden.
Jener Teil der Aisten, der im östlichen Teil des Gebietes lebte, kam
ständig mit den Slawen in Berührung und sein Blut mischte sich mit
dem der Slawen. Hierdurch wird auch verständlich, weshalb die lettische
Sprache viel mehr Fremdwörter slawischer Herkunft besitzt als die litauische.
Die Aisten des östlichen Teiles kamen außerdem in Berührung mit den
finnischen Völkern und diese beeinflußten sie gleichfalls. Die Letten konnten
also, ihrer geographischen Lage wegen, von den slawischen und finnischen
Völkern beeinflußt werden.
Südlich von den Litauern siedeln die Weißrussen und Polen; diese
mischten sich mit den Litauern, und es fand eine gegenseitige Beeinflus-
sung statt. Im Westen kamen die Litauer mit den Deutschen in Berüh-
rung, hier merkt man den Einfluß des deutschen Blutes, besonders im
Memelgebiet und in Ostpreußen. Einer weitergehenden Vermischung stand
vor dem Kriege die deutsch-russische Grenze im Wege.
Dies alles ist zu beachten beim Vergleich der Blutgruppen unter den
Ostpreußen, Letten und Litauern. Die Verteilung der Blutgruppen ist aus
nebenstehender Tabelle ersichtlich.
Jurgeliunas und Ravensberg (5) haben 1582 Litauer unter-
sucht: 1021 Soldaten, 500 Gefangene und 61 Gefängnisbeamte. In meinem
Institut sind 249 Zivilpersonen, meistens Studenten und Lehrer, untersucht
worden. Alle diese Untersuchungen wurden mit Hilfe der Objektträger-
methode ausgeführt, und zwar größtenteils in Kaunas. Hier, an Ort und
Stelle, ist es viel leichter, sich die Litauer herauszusuchen, nicht nur ihrem
Namen nach, sondern auch ihrer Herkunft und der Sprache nach.
Hilgers, Wohlfeil und Knötzke (7) haben als Material, um
die Blutgruppen unter den Litauern festzustellen, das Blut benutzt, das
aus Litauen zur Bakteriologischen Untersuchungsanstalt in Königsberg
zwecks Vornahme der Wassermannschen oder der Widalschen
Ueber die Blutgruppen der Litauer, Letten und Ostpreußen. 278
sS S BALA Reaktion eingesandt wurde. Die Unter-
“il AeA sucher wählten dabei das Blut von
sale on Personen, die dem Namen nach echte
oLa zana Litauer zu sein schienen. Auch wenn
zale a oaa man annimmt, daß die Einsender der
ERTER Blutproben die Namen richtig geschrie-
= in == ben haben, was nicht immer der Fall
zez 22% ist, so wird man immerhin bezweifeln
a 55558 können, ob es möglich ist, nur allein
a a = e a aa nach dem Namen, ohne Rücksicht auf
mm] mm mm die Ortsverhältnisse, die Litauer von
2 SIr &eS ao den Fremden zu trennen. Die Namen
ARIN ABAAA von Eingewanderten, zumal wenn sie
BE ae schon längere Zeit in Litauen seßhaft
“nn c&ö=&%© sind, können ganz „litauisch“ klingen,
nolga 2 und dieser Umstand hat die genannten
Seile x Untersucher teilweise irregeführt. Die
zals 3 angegebenen Beispiele „typischer“ li-
Sag S tauisch klingender Namen, nach denen
TA E sie sich richteten, um die Litauer her-
25 N x auszufinden, passen für das Memel-
gebiet, nicht aber für denjenigen Teil
2 = Litauens, der früher zu Rußland ge-
» = hörte. Deshalb ist die Einheitlichkeit
3 2. = des Materials, das die obigen Autoren
$ ‘= = 338 benutzten, zu bezweifeln. Dadurch ist
E = $ Ogaa 2 wohl auch der recht große Unterschied
< sa e=32% im serologischen Index der hier in
j D-E- E > p 7 = Kaunas einerseits und in Königsberg
= = = E É t w; andererseits untersuchten Litauer zu
5 2». 2253 5 erklären. Der von Hilgers usw. für
< aj >EE die Litauer gefundene Index ist höher
EPEE e z2lz 222388 als der von Kruse für die Bewohner
755 A ANS ROOTS Ostpreußens gefundene, indessen ist
S E der Index der Deutschen stets höher
E e ? als der Index aller Völker, die im
eiT wO
z Er = £ Osten von den Deutschen wohnen,
3 2 F 5 A also müßte der Index der Bewohner
2 2 & A z Ostpreußens größer sein als der Index
z. a E a 3 E E der Litauer. Die Untersuchungen von
a o 5 S 3 £ 3 2 H F Hilgers usw. sind also sehr kritisch
2” 535 533223 zu bewerten.
Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie, Bd. 22, Heft 3. 18
274 Prof. Dr. med. VI. Lašas: Ueber die Blutgruppen der Litauer, Letten usw.
Wenn wir den von Bernstein empfohlenen Index (p :q) benutzen,
so erhalten wir für die Bewohner OÖstpreußens 2,23, für die Litauer 1,99,
für die Letten 1,4.
Die im Osten von den Letten wohnenden Russen haben einen noch
niedrigeren Index als die Letten: 1,1—1,3. Wenn hier auf die Verteilung
der Blutgruppen klimatische oder sonstige uns unbekannte äußere Ursachen
keinen Einfluß ausüben, so wäre der niedrigere Index der Letten im Ver-
gleich mit dem der Litauer aus der Beimischung von Russenblut zu dem
der Letten zu erklären. Ueber die Blutgruppen des den Letten benachbarten
estnischen Volkes sind mir keine Befunde bekannt. Fehlten diese Einflüsse,
so wäre der biochemische Index der Letten viel näher dem Index der
Litauer, vorausgesetzt, daß diese nicht durch andere Mischung beeinflußt
wären.
Man könnte einen polnischen Einfluß auf das litauische Volk erwarten,
denn das nähere Zusammenleben dieser zwei Völker in der Vergangenheit
könnte Spuren hinterlassen haben. Als Index für polnische Soldaten haben
Halber und Mydlarski 1,6 gefunden, von anderen Untersuchern und
an anderen Orten Polens wurde sogar noch ein kleinerer Index für Polen
gefunden. Der Einfluß polnischen Blutes auf die Litauer hätte sich also
nur in einer Herabdrückung des Indexes der Litauer äußern können. Der
Index der Litauer steht aber gerade in der Mitte zwischen dem der Ost-
preußen und dem der Polen, er liegt sogar dem der Ostpreußen näher als
dem der Polen. Entweder war also der Einfluß der Slawen sehr gering, oder
wenn wir schon einen Einfluß suchen wollen, könnte der Index der Litauer
durch deutsche Beimischung erhöht sein.
Der von Halber und Mydlarski gefundene Index der Bewohner
des besetzten Teiles Litauens, nämlich des Wilnagebietes, ist sehr ähnlich
dem Index der Litauer, viel ähnlicher als dem der Polen oder Weißrussen,
denn der Index der letzteren ist ein niedrigerer.
Der. Index der Ostpreußen ist im Vergleich mit dem Index der übrigen
deutschen Gebiete kleiner, jedoch größer als der Index der Litauer und
noch größer als der Index der Polen.
Literatur.
1) K. Buga: Kalba ir senove. Kaunas 1922.
2) K. Buga: Lietuviu kalbos Zodynas. Lietuviu, tauta ir kalba. Kaunas 1924,
3) P. Klimas: Lietuviu, senobes bruožai. Vilnius 1919.
4) L. Hirszfeld: Konstitutionsserologie und Blutgruppenforschung. Berlin 1928.
5) A. Jurgeliunas und C. Ravensberg: Lietuviu, tautos kranjo grupiu, suse-
kimo klausimu. „Medicina“ 1928, Nr. 12.
6) M. Veidemanis: Asinsgrupu nozime palernitates noteikSanai Latvija un vinu
konstance. Riga 1928.
7) Hilgers, Wohlfeil und Knötzke: Beiträge zur Blutgruppenforschung.
„Klinische Wochenschrift“ 1928, Nr. 44.
Rasse, Umwelt und Krankheit
im Lichte ärztlicher Erfahrungen in Südchina*).
Von Hans Rummel, Würzburg.
Aus der Privatklinik „Kanton-Sanatorium‘ (Deutsche Aerztevereinigung Kanton; ehe-
maliger ärztlicher Leiter: Dr. Hans Rummel) und der Universitäts-Frauenklinik
Würzburg (Direktor: Prof. Dr. C. J. Gauß).
Der Schwierigkeit, den Einfluß von Rasse und Umwelt auf das Krank-
heitsgeschehen an Hand eigener, im tropisch-subtropischen Kanton ge-
sammelter Beobachtungen im Rahmen eines kurzen Vortrags aufzuzeigen,
bin ich mir wohl bewußt. Diese angenommenen ursächlichen Kräfte Rasse
und Umwelt sind ja selber keineswegs wohlbekannte, klar umschriebene
Begriffe. Beispielsweise fehlen uns gleich wirklich umfassende Kenntnisse
vom Einfluß eines der wesentlichen Umweltfaktoren, des Klimas. Unsere
durch analytische Forschung gewonnenen Kenntnisse von den physiologi-
schen Einwirkungen der Temperatur, der Strahlung, des Windes, der Luft-
elektrizität und der Luftfeuchtigkeit auf den Menschen erlauben heute noch
keineswegs die klare biologische Charakterisierung eines bestimmten Klimas.
Im Einzelfall ist dessen Eigenart — worauf Hans Much vor kurzem erst
hinwies — offenbar gerade durch die von Fall zu Fall wechselnde, wissen-
schaftlich nicht recht faßbare, besondere Mischung und Synthese all dieser
Einzelkräfte bedingt, wobei in der Rechnung noch immer die seelischen
Einwirkungen des Klimas fehlen, die engstens vom Verhältnis des einzel-
nen Menschen zur umgebenden Landschaft abhängen.
Mit unserem Wissen um Rassenfragen steht es nicht viel besser. Der
Anteil etwa, den Umwelteinflüsse und Umweltreize neben den ererbten
endogenen schicksalbestimmenden Kräften an der Rassenbildung haben,
ist uns noch völlig unklar. Und doch vollzieht sich fast vor unseren Augen
das großartige Experiment, daß der Rassentypus der europäischen Ein-
wanderer in Nordamerika, der nach Australien auswandernden Angel-
sachsen auch ohne Blutmischung sich bald verändert, daß solche Ver-
pflanzung einen besonderen, dem betreffenden Lande eigentümlichen Typus
entstehen läßt. Gewiß muß man hier zuerst an den formbestimmenden Ein-
fluß der Umwelt, insbesondere auch des Klimas, denken, um so mehr, als
*) Vorgetragen am 18. Juli 1929 in der „Physikalisch-Medizinischen Gesellschaft“
zu Würzburg.
18*
276 Hans Rummel:
e o mn nn e
I m u —
auch Erfahrungen von Tierzüchtern in diesem Sinne sprechen. Für die
Zucht bestimmter Tierrassen, von Pferden, Schafen und Hunden, hat Rein-
rassigkeit der Eltern durchaus nicht immer als ausreichend sich erwiesen:
nur unter ganz bestimmten, eng umschriebenen geographisch-klimatischen
Bedingungen ließ mitunter der erwünschteRassentyp sich erzielen und halten.
Wenn ich trotz aller Bedenken den Versuch wage, über die Wirkungen
uns im einzelnen noch so wenig bekannter Kräfte vor Ihnen zu sprechen,
so tue ich es aus der Ueberzeugung, daß Fragestellungen dieser Art in
unseren Tagen mehr Beachtung und Pflege von seiten der wissenschaft-
lichen und praktischen Medizin verdienten, und aus der Empfindung her-
aus, Rechenschaft ablegen zu sollen vor einem berufenen heimatlichen
Forum über die wesentlichen Eindrücke aus einem so seltenen Beobach-
tungskreis, wie er mir fast sieben Jahre lang vergönnt war.
‘Aus dem bunten Mosaik der Pathologie eines Völker- und Rassen-
gemisches von etwa zwanzig verschiedenen Nationen, das ich im Verein
mit meinen deutschen Mitarbeitern in Kanton ärztlich betreute, hob sich
klar erkennbar die besondere Eigenart des chinesischen Bevölkerungs-
kreises ab. Einmal bestanden merkliche Unterschiede in der Beteiligung
von Chinesen einerseits, Angehörigen weißer Rassen andererseits an der
Fülle exotischer Erkrankungen. Daneben aber fielen mir im Laufe der
Jahre immer wieder gewisse, dem Chinesen eigentümliche Besonderheiten
der Reaktionsweise auf bekannte ätiologische Einwirkungen auf, quali-
tative und quantitative Verschiedenheiten im Auftre-
ten auch bei uns heimischer kosmopolitischer Erkrankungen,
also eine Aenderung von Krankheitsform und Krankheitsfrequenz im Ver-
gleich mit Angehörigen anderer Rassen.
Im einzelnen wird mein Bericht häufig die Frage offenlassen müssen,
wieweit es dabei um vorwiegend endogene Ursachen, also echte Ras-
seneinflüsse sich handelt, oder aber um exogene Kräfte, um Um-
weltfaktoren im weitesten Sinne des Wortes, also um Klima, Er-
nährung, Lebensweise, Einflüsse der Weltanschauung, Religion, Sitte und
Gewohnheit.
Ein paar Worte seien hier über Lage und Klima Kantons vor-
ausgeschickt. Hauptstadt der Kwangtungprovinz Südchinas, mit etwa zwei
Millionen Einwohnern, liegt Kanton dicht unter dem Wendekreis des
Krebses, im Deltagebiet des schiffbaren, mit der Meeresflut steigenden
und fallenden, unweit Hongkong in die See mündenden Perlflusses. Also
etwa in gleicher geographischer Breite wie Kalkutta in Indien, Mekka in
Arabien, Port Sudan in Afrika. Klimatisch ist Kwangtung wesentlich
charakterisiert durch die drei Viertel des Jahres herrschende feuchte Hitze
und die geringe nächtliche Abkühlung, die im Zusammenwirken mit der
hohen, die Schweißverdunstung hemmenden Luftfeuchtigkeit sehr gewöhn-
Rasse, Umwelt und Krankheit im Lichte ärztlicher Erfahrungen in Südchina 277.
lich zu Beeinträchtigung des Schlafes führt. Das Feuchtigkeitssätligungs-
defizit der Luft ist besonders gering während der Monate März bis Juli,
auf die die reichliche, rund das Vierfache der unsrigen ausmachende
Niederschlagsmenge entfällt. In der schlimmsten Zeit von Juni bis Sep-
tember gewähren mitunter Taifune für einige Tage Erlösung. Das Um-
schlagen der sommerlichen Südwestbrise in den Nordostmonsun bringt
den ersehnten kurzen und sehr milden Winter. Im kältesten Monat Januar
liegt das Monatsmittel bei plus 12° C. Das Temperaturmaximum während
des langen Sommers hält sich um 37° C, das Minimum zwischen 18°
und 23° C. |
Die Einwirkungen dieses südchinesischen Klimas auf
Angehörige weißer Rassen sind durchaus nicht einheitliche. Nicht selten
beobachtete ich bei aus gemäßigten Klimaten neu Zuwandernden in den
ersten Monaten geradezu eine günstige, positive, anregende Wirkung, die
wohl nicht dem Klima allein, sondern der Reizwirkung all der neuen,
ungewohnten Eindrücke überhaupt zuzuschreiben sein dürfte. Jedenfalls
machte späterhin bei einer erheblichen Zahl der Europäer statt der eigent-
lich mit zunehmender Akklimatisation zu erwartenden Steigerung der
Widerstandskraft gegen Hitze, Abstrahlungsbehinderung und Blendung
eher eine zunehmende Empfindlichkeit dagegen sich bemerkbar.
Auffallend war die im Vergleich zu den Männern durchschnittlich
größere klimatische Gefährdung der Frauen weißer Rassen.
Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, als ob der Mangel an
fesselnder, ausfüllender Tätigkeit, an dem die Mehrzahl der in heißen
Klimaten lebenden, meist kinderarmen fremden Frauen leidet, wesentlich
dabei mitspielte und als ob in geregelter, nicht zu schwerer Arbeit stehende
Frauen gesundheitlich besser durchhielten.
Bei den Kindern europäischer und amerikanischer Eltern zeigten
sich ungünstige Klimawirkungen meist erst nach drei- bis fünfjährigem
Aufenthalt. Aehnlich wie bei klimatischen Schädigungen Erwachsener kam
es dann recht gewöhnlich zu Anämie, Abnahme des Appetits, Schlaflosig-
keit, gesteigerter nervöser Reizbarkeit und krankhafter Steigerung der
physischen und psychischen Ermüdbarkeit. Verhältnismäßig häufig konnte
ich auch überraschendes Längenwachstum solcher muskelschlaffen, immer
müden Kinder beobachten. Erfolgt kein Klimawechsel, scheint es nicht
selten zu bleibenden konstitutionellen Schädigungen solcher Individuen
zu kommen.
Die Chinesen wiesen, was Hitzeempfindlichkeit anging, ähnliche indi-
viduelle Verschiedenheiten auf, wie wir sie bei unserer Bevölkerung in
den Sommermonaten sehen.
Unsere Bemühungen um Abgrenzung von Konstitutionstypen
und um Erfassung der natürlich auch in China nicht fehlenden Konsti-
278 Hans Rummel:
tutionsanomalien begegneten bei den Kantonesen erheblichen
Schwierigkeiten. Legte man unsere heimatlichen anatomischen Merkmals-
gruppierungen zugrunde, so trug beispielsweise eine überraschende Zahl
kantonesischer Männer und Frauen die klassischen Zeichen der Asthenie,
fanden sich dabei aber spielend mit den schwersten vom Leben in gesun-
den und kranken Tagen ihnen gestellten Belastungsproben ab. Unsere
daheim zur Abgrenzung konstitutioneller Individualunterschiede leidlich
bewährten morphologischen Maßstäbe versagten bei Anwendung auf die
Chinesen, offenbar infolge Ueberlagerung der konstitutionel-
len Eigentümlichkeiten durch übergeordnete rassen-
bedingte. Die meisten unserer Konstitutionsmerkmale, also Form und
Proportion des Körpers, Skeletteigentümlichkeiten, sekundäre Geschlechts-
merkmale, Beschaffenheit von Haut, Kopfhaar und Auge sind ja gleich-
zeitig auch Rassenmerkmale und unterliegen als solche in erster Linie geo-
graphisch-rassenmäßig bedingten Einflüssen und Veränderungen.
Solche Erfahrungen fehlen auch in der Heimat nicht ganz. Wencke-
bach, während seiner Tätigkeit unter den asthenischen Friesen ein über-
zeugter Anhänger der Lehre vom Habitus phthisicus, konnte später im sehr
tuberkulosereichen Elsaß keinen Kranken vorstellen, bei dem die Beziehun-
gen des flachen Thorax zur Tuberkulose klar zu zeigen waren. Jetzt kam
er zu der Ueberzeugung, daß das häufige Vorkommen von Tuberkulose bei
flachem Thorax einer Rasseneigentümlichkeit zuzuschreiben wäre.
Kretschmer hat man ähnlich wie schon dem verstorbenen P.
Mathes eingewendet, die von ihm aufgestellten Konstitutionstypen ent-
sprächen den europäischen Rassenformen; für schizothym könne man auch
nordisch, für zyklothym ostisch, für intersexuell (M a th es) dinarisch set-
zen. Eine einfache Deckung von Rasse- und Konstitutionstypen glaubt
Kretschmer zwar ablehnen zu können, er gibt aber noch zu erfor-
schende Beziehungen zwischen beiden zu.
Jedenfalls: die schon daheim in Mitteleuropa unsichere Trennungslinie
zwischen den Formkreisen der Konstitutions- und Rassenlehre verliert bei
fremden Rassen sich ins Dunkel. Lediglich morphologisch-anatomisch um-
schriebene Normbegriffe der Konstitution sind dort wertlos.
Geben wir uns nun Rechenschaft, wieweit in Südchina unter dem
Einfluß der fremden Rasse und der veränderten Umweltbedingungen A b-
weichungen von dem uns geläufigen Verhalten kosmo-
politischer Krankheiten erkennbar sind.
Früh schon fiel mir die im Vergleich zur Heimat geringere Häu-
figkeit des Karzinoms in Südchina auf. Sie etwa mit einem
wesentlich verschiedenen Altersaufbau der chinesischen Bevölkerung er-
klären zu wollen, scheint mir nach meinen Beobachtungen nicht angängig
zu sein. Verlässige Zahlenbelege aus Kanton fehlen einstweilen noch. Nach
Rasse, Umwelt und Krankheit im Lichte ärztlicher Erfahrungen in Südchina 279
einer amtlichen Statistik des benachbarten englischen Hongkong ent-
fielen dort in den Jahren 1911—1920 auf je 100000 fremde Einwohner
42,8 Krebstodesfälle, gegenüber 9,1 bei Chinesen. Ganz ähnlich liegen die
Zahlen für Schanghai.
Auch die Verteilung der Karzinome auf die verschiedenen
OÖrgangebiete zeigte bei den Chinesen charakteristische Besonderheiten.
Es überraschte einerseits die Häufigkeit des primären Leberkrebses,
des Mamma- und des Peniskarzinoms, andererseits die Seltenheit
des Uteruskrebsesund der bösartigen GeschwülstedesMagen-
Darmkanals, von denen übrigens Magen- und Oesophaguskarzinome in
annähernd gleicher Zahl, Dickdarmkrebse sehr selten beobachtet wurden.
Sarkome waren mindestens so zahlreich wie zu Hause; nie sahen
wir hingegen melanotische Tumoren.
Rasseneinflüssen dürfte die große Zahl zystischer Ovarial-
tumoren zuzuschreiben sein, die auch bei Berücksichtigung der verhält-
nismäßig geringen Verbreitung operativer Behandlung in China doch über-
raschend ist. Auch die Seltenheit der in Europa so gewöhnlichen E n-
teroptose erscheint rassebedingt.
Bei der Spärlichkeitder Cholelithiasis wird man an mög-
liche Wirkungen der andersartigen chinesischen Ernährung denken müs-
sen, zumal beim gleichfalls von Reis lebenden Javaner schon ein im Ver-
gleich zu Europa wesentlich niedrigerer Blutcholesterinspiegel festgestellt
wurde.
Die sehr viel geringere Häufigkeit der Appendizitis in
China erscheint gerade im Hinblick auf die ungemeine Verbreitung ent-
zündlicher Darmerkrankungenundparasitärer Wurm-
infektionen besonders bemerkenswert. Ihre Gründe kennen wir noch
ebensowenig wie die der verhältnismäßigen Seltenheitvon Magen-
und Duodenalgeschwüren.
Bei den meisten der in Kanton sehr zahlreich zur Beobachtung kom-
menden Leberzirrhosen schied Alkoholmißbrauch als ursächliche
Schädlichkeit aus. Diese dürfte vielmehr, gleichwie für die häufigen
primären Leberkrebse, hauptsächlich in der schon erwähnten
ungemeinen Verbreitung infektiöser Darmerkrankungen und parasitärer
Wurmkrankheiten zu suchen sein, die auf dem Weg über Pfortader und
Gallengänge sehr gewöhnlich die Leber beteiligen.
Bei der großen Häufigkeit der Harnsteine, die als noso-
logische Eigentümlichkeit Südchinas schon allgemeiner bekannt wurde, sei
hier nur auf interessante Unterschiede der Steinhäufigkeit zwischen Groß-
stadt und ländlichen Bezirken hingewiesen, die mir dort auffielen. Der
Prozentsatz Blasensteinkranker war bei den überwiegend aus kleinbäuer-
lichen Kreisen stammenden Insassen der Kantoner Missionsspitäler sehr
280 Hans Rummel:
viel größer als bei meinen der städtischen Oberschicht angehörigen Pa-
tienten. Aus diesem Verhalten darf wohl der Schluß gezogen werden, daß
wesentlich konditionelle und nicht rassebedingte Ursachen für die Stein-
häufigkeit in Kwantung verantwortlich sind. Eben erst hat das Tierexperi-
ment, in welchem die Erzeugung von Blasensteinen durch Verfütterung
Vitamin-A-freierNahrung gelang, solche ausschlaggebenden konditionel-
len Einflüsse in der Genese des Harnsteins aufgezeigt.
Nierenerkrankungen waren in den wohlhabenden Kreisen
Kantons häufig. Eine nicht geringe Zahl milder Nephritiden ent-
puppte sich als künstlich durch nierenreizende chinesische
Medizinen hervorgerufen, ein anderer nicht unbeträchtlicher Anteil von
Albuminurien mit fehlender oder nur gelegentlich auftretender Zylindrurie
entfiel auf das Konto symptomenarmer Beriberierkrankungen.
Die eigentlich für Südchina charakteristische Besonderheit lag aber
in der ungemeinen Häufigkeit der bei uns verhältnismäßig sel-
tenen, ohne Blutdruckerhöhung, gewöhnlich mit Oedemen und starker
Eiweißausscheidung verlaufenden Nephrose.
Mit Druckstauung einhergehender Schwangerschaftsnieren-
erkrankung bin ich gleich der Glomerulonephritis in China
wenig begegnet, häufiger schon primären und sekundären, urä-
misch endigenden Schrumpfnieren. Arteriosklerotische
Schrumpfnieren mit starker Hypertonie und finalen Apoplexien
konnten unter den üppig lebenden kantonesischen Kaufleuten als alltäg-
liche Beobachtungen gelten.
Auf geburtshilflich-gynäkologischem Arbeitsgebiet
möchte ich zunächst auf das Fehlen rachitischer Becken in
Südchina hinweisen. Es wirkt im Verein mit der in China besonders
ungestört verlaufenden natürlichen Auslese der Bevölkerung und dem
Wegfall der in Europa üblichen konstitutionsverschlechternd wirkenden
Rassenmischung im Sinne einer Erleichterung der Geburt sich
aus. Die nicht so selten zur Beobachtung kommenden Becken mit
mehr rundem Eingang, die meist schon in der äußeren Erschei-
nung der Trägerin durch geringere Ausladung der steiler gestellten Darm-
beinschaufeln sich verraten, machen nach meiner Erfahrung keine ge-
burtshilflichen Schwierigkeiten.
Im Hinblick einmal auf die durchschnittlich hohe Geburtenzahl
südchinesischer Frauen, zum anderen auf die Tatsache, daß sie als ge-
mäßigte Frühaufsteherinnen im Wochenbett gelten müssen, verdient die
Seltenheit des Genitalprolapses besonders hervorgehoben zu
werden. Der Einseitigkeit meines Beobachtungskreises, der nur wenig
schwer arbeitende Bauers- und Kulifrauen einschließt, bin ich mir dabei
bewußt.
Rasse, Umwelt und Krankheit im Lichte ärztlicher Erfahrungen in Südchina 281
Die Retroflexio uteri war ein häufiger, symptomloser Neben-
befund, Wo sie als selbständiges Krankheitsbild auftrat, ließ sich dessen
iatrogene Entstehung fast stets nachweisen. Ehe- und Lebensglück der
jungen Chinesin ist eng gebunden an sexuelle Gesundheit und Fortpflan-
zungstüchtigkeit; ihr Ansehen im Familienverbande des Mannes, ihre
Frauenwürde hängt ja nach uralter Sitte von der Geburt eines Sohnes ab.
Unter solchen Umständen führt eine unvorsichtige Aeußerung aus autori-
tativem ärztlichen Mund nur allzuleicht bei hilfesuchenden Frauen zur
psychogenen Erzeugung und Fixierung gefürchteter „Unterleibsleiden“.
Die überraschend geringe Zahl der Fehlgeburten und
besonders der septischen Aborte dürfte gleich dem Fehlen
bestimmter funktioneller Störungen, wie des Vaginismus und der
Dyspareunie, gleichfalls der besonderen psychischen Ein-
stellung der Chinesin zuzuschreiben sein. Wo Jahrtausende hindurch
nur die stammerhaltende Mutter als verehrungswürdig empfunden wurde,
mußte notwendig ein fortpflanzungsfreudiger und seine Fortpflanzungs-
aufgaben in selbstverständlicher Leichtigkeit erfüllender Frauentyp sich
allmählich herausbilden, wie er auch heute noch in China die Norm ist.
In dem mit dem Ahnenkult zusammenhängenden starken Verlangen nach
Nachkommenschaft und nach Erhaltung der Familie liegen auch die ur-
sprünglichen Wurzeln der chinesischen Polygamie. Ich habe es oft
genug erlebt, daß die Gattin dem geliebten Manne eine Nebenfrau zuführte,
damit diese ihm die ihr selber versagten Kinder schenke, ohne die es ein
chinesisches Eheglück eben nicht gibt. Auch die durch das Fehlen aller
Sozialversicherungen von unseren Verhältnissen ganz verschiedene psychi-
sche Verfassung der Kranken in China trat deutlich erkennbar in Erschei-
nung: nur einmal in 6% Jahren stieß ich z. B. auf eine Begehrungs-
neurose. Bezeichnenderweise bei einem Unfallverletzten, Schüler der
Militärakademie, dem für die Dauer seiner Dienstunfähigkeit Tagegelder
zugesprochen worden waren.
Die in Kanton überraschend häufige Darm- und Bauchfell-
tuberkulose Erwachsener lernten wir gleich den sehr zahlreich
zur Operation kommenden Analfisteln als charakteristische Lieblings-
äußerungen der weitverbreiteten chinesischen Tuberkuloseinfektion ein-
schätzen, die hier gleich als Beispiele qualitativer Beeinflus-
sung einer kosmopolitischen Erkrankung durch Rasse
und Umwelt genannt sein mögen.
Mehrfach bekamen wir die in unseren Breiten anscheinend sehr sel-
tene Strikturbildung im Bereich des Dickdarms durchhyperplastisch-
stenosierende, mehr oder weniger ringförmige Tuberkulose
zur Beobachtung. Auch die zuweilen bei Chinesinnen mit Bildung eines
durch die Rektusansätze charakteristisch unterteilten retrosymphysären
282 Hans Rummel:
Abszesses auftretende Symphysentuberkulose hatte ich zu Hause
nie zu Gesicht bekommen. In vier Fällen konnten wir als Ursache quälen-
der Leib- und Kreuzschmerzen bei jungen, vermeintlich „unterleibsleiden-
den“ Frauen tuberkulöse Spondylitis nachweisen, die auffallend
lange sehr symptomenarm blieb. Urogenitaltuberkulose war, sofern es sich
nicht um Teilerscheinung von fortgeschrittener Phthise oder Miliartuber-
kulose handelte, nur sehr selten Gegenstand der Behandlung.
Als klassisches Beispiel einer anscheinend wirklich rassebedingten
qualitativen Besonderheit im Krankheitsgeschehen möchte ich die unge-
meine Neigung chinesischer Ovarialtumoren zurintra-
ligamentären Entwicklung nennen, die bei meinen Patientinnen
beinahe mehr Regel als Ausnahme war. Nebenbei sei hier erwähnt, daß
die fast durchweg überraschende Größe der in China zur Operation kom-
menden Tumoren sich gleich dem meist sehr fortgeschrittenen Zustand
anderer, chirurgischer Behandlung zugeführter Leiden einfach aus der
Abneigung der Chinesen gegen operative Eingriffe erklärt.
Bei verhältnismäßiger Seltenheit der uns geläufigen Osteomyelitis lan-
ger Röhrenknochen sah ich in Kanton in 6% Jahren allein acht Fälle von
Osteomyelitis des Unterkiefers. Offenbar von Pyorrhoen und
verwandten Zahnfleischprozessen ausgehend, führten sie meist zur Fistel-
bildung in der Gegend des Unterkieferwinkels. Daß es dreimal um schwan-
gere Frauen sich handelte, dürfte kein Zufall sein.
Der Verlauf des sehr häufigen Abdominaltyphus schien mir im
ganzen bei Chinesen, insbesondere bei chinesischen Kindern, etwas un-
gefährlicher und weniger reich an Komplikationen als bei nichtgeimpften
Europäern zu sein. Der Grund dürfte wohl weniger in einer Rasseneigen-
tümlichkeit als vielmehr in einem gewissen Durchseuchungsschutz Chinas
zu suchen sein. Wissen wir doch aus einem 196 n. Chr. erschienenen, noch
heute viel gelesenen, klassischen chinesischen Werk über den Abdominal-
typhus von der schon um diese Zeit erheblichen Verbreitung der Krankheit.
Auf dem Gebiete der Hautkrankheiten fiel mir, abgesehen von
der Häufigkeit der Krätze und der (Kinder bevorzugenden) S t a-
phylomykosen als charakteristische Eigentümlichkeit der Chinesen
das Fehlen unserer Akne, die große Seltenheit nässender
Ekzeme sowie des Lupus vulgaris auf.
Erwähnung verdient auch die große Neigung des Südchinesen zur
Keloidentwicklung, die mitunter schon nach einfachen Impfschnit-
ten in Erscheinung tritt, sowie seine vergleichsweise geringe Schweiß-
absonderung und das auffallende Fehlen des in Europa so gewöhn-
lichen Schweißgeruches.
Die bei Europäern und Chinesen weitverbreiteten Trichophytie-
erkrankungen traten in Kanton mit charakteristischer Vorliebe als
Rasse, Umwelt und Krankheit im Lichte ärztlicher Erfahrungen in Südchina 283
interdigitales Ekzem an den Füßen (sog. „Hongkongfuß“)
und als Eczema marginatum der Schenkelbeugen und Dammgegend
(tropischer Ringwurm) auf. Die Erklärung dürfte zwanglos durch
die in diesen Körpergegenden besonders leicht erfolgende Auflockerung
der obersten Hautschichten und die dadurch bedingte erleichterte Infek-
tionsmöglichkeit gegeben sein.
Auch bei den Geschlechtskrankheiten, von denen Syphilis,
Gonorrhoe und Ulcus molle zahlreich zur Behandlung kamen, sind hier
einige Besonderheiten zu erwähnen.
Angesichts der sehr starken Verbreitung der Syphilis in Kanton
und der von alters her geübten, fast durchweg ungenügenden Behandlung
war es für mich eine Ueberraschung, daß im Gesundheitszustand der Be-
völkerung die Durchseuchung mit Syphilis nicht noch bedrohlicher und
deutlicher in Erscheinung trat. Man konnte sich nicht des Eindrucks er-
wehren, daß die Syphilis, die übrigens in Südchina ihren Charakter als
Hautkrankheit sich völlig gewahrt hat, im ganzen milder verlaufe als bei
uns. Ob dabei der gleichzeitigen starken Durchseuchung des Landes mit
Malaria irgendein Einfluß auf den Verlauf der Syphilis zukommt, ins-
besondere hinsichtlich der Einschränkung der Paralyse und Tabes, von
denen die erstere selten ist, läßt sich heute noch nicht entscheiden. Er-
wähnt sei, daß so gut wie ausnahmslos die in Kanton zu meiner Beob-
achtung kommenden Tabiker früher eine unzureichende und verzettelte
Salvarsankur durchgemacht hatten. Daraus den naheliegenden Schluß zu
ziehen, als begünstige unzulängliche Salvarsanbehandlung der Frühsyphilis
das Auftreten der schweren Spätformen, dürfte freilich nicht ohne weiteres
angängig sein, da eben erst die von der Notgemeinschaft der deutschen
Wissenschaft 1928 ausgesandte deutsch-russische Syphilisexpedition zu
dem Ergebnis kam, daß auch bei dem nichtbehandelten primitiven Volks-
stamm der Burjäto-Mongolen latente Syphilis, Aortitis, Tabes und Paralyse
genau so häufig sind als bei uns.
Neurolues ist keineswegs selten; wir haben Hirnnerven-
erkrankungen sowohl wie luische Myelitis reichlich gesehen,
desgleichen auch Aortensyphilis, die zuverlässige englische Aerzte
ebenso wie die Tabes noch vor 15 Jahren als Seltenheiten in China er-
klärt hatten. Eindrucksvoll war die relativ große Zahl von Lues inno-
centium in Kanton, wobei ich nur an unsere wiederholten Beobach-
tungen von Säuglingsinfektionen durch luisch erkrankte Ammen erinnern
möchte. Die Zahl der Früh- und Totgeburten sowie manifester
Lueserscheinungen bei jungen Säuglingen war in meinem Beobachtungs-
kreis im Hinblick auf die starke Durchseuchung mit Lues und ihre un-
genügende Behandlung erstaunlich gering.
Hans Rummel:
er nn rn
An der erheblichen Verbreitung der Gonorrhoe in Kanton trug
einmal eine zahlreich vorhandene, nach ihrer ganzen öffentlichen Stellung
an Zustände der klassischen Antike erinnernde Prostitution schuld, zum
anderen die vielfach geübte unzulängliche, nur scheinbare Heilung erzie-
lende Behandlung. Vor allem machte auch die in wohlhabenden Kreisen
recht gewöhnliche Polygamie die Therapie der Gonorrhoe häufig zur
wahren Sisyphusarbeit. Die notwendige Forderung gleichzeitiger ärztlicher
Behandlung aller einem infizierten Ehemann zugehöriger erkrankter Frauen
blieb nur zu häufig frommer Wunsch. Die chinesische Frau, selbst von
vorbildlicher Reinheit und Tugendhaftigkeit, war gewöhnlich Hauptleid-
tragende.
In bemerkenswertem Mißverhältnis zu der starken Verbreitung der
Gonorrhoe stand diekleine Zahl der klinisch in Erscheinung tretenden
Eileiterschwangerschaften. Augenblennorrhoe Neuge-
borener kam trotz der in gehobenen Kreisen üblichen Argentumprophy-
laxe häufiger als daheim zur Beobachtung.
Von einem Einfluß der auf natürlichem Infektionsweg erworbenen
Malaria auf den Verlauf der akuten und chronischen Gonorrhoe
konnte ich mich in zahlreichen einschlägigen Beobachtungen nicht über-
zeugen. Freilich waren, wie ich im Hinblick auf die neuerdings geübte
biologische Behandlung der Gonorrhoe mit Impfmalaria betonen möchte,
bei keiner derselben mehr als sechs unbehandelte Fälle erfolgt.
Interessante Eigentümlichkeiten zeigten sich auf dem Gebiet der
qualitativen Mangelkrankheiten. Die bei uns heimischen
Vertreter dieser Krankheitsgruppe, Rachitis und Osteomalazie,
fehlten in diesen Breiten, wo eine gutgenährte Bevölkerung unter einer
ewig strahlenden Sonne neun Monate des Jahres halb im Freien lebt, so
gut wie völlig.
Ihren Platz nimmt in Südchina gewissermaßen die Beriberi ein,
eine besonders in rudimentärer Form weitverbreitete, hauptsächlich Schu-
len und Internate heimsuchende B-Avitaminose, die auf vorwiegende Er-
nährung mit geschältem Reis zurückzuführen ist. Die deutliche Bevor-
zugung des Küstengebietes und der Hafenstädte dürfte sich aus der gerade
dort erfolgenden Konsumierung von eingeführtem, zu stark poliertem Reis
erklären, während man im Innern des Landes mehr von selbstgebautem,
wenig poliertem Reis lebt.
Gegen die in hydropischer Form oder als multiple Neuritis verlau-
fende Beriberi besteht eine ausgesprochene geschlechtsspezi-
fische Empfindlichkeit, insoferne bei gleichen Lebens- und Er-
nährungsbedingungen wesentlich mehr Männer als Frauen erkranken.
Zahlreiche hausärztliche Beobachtungen an unter völlig gleichen Bedin-
gungen lebenden, aber gesund bleibenden Familienangehörigen kantonesi-
Rasse, Umwelt und Krankheit im Lichte ärztlicher Erfahrungen in Südchina 285
scher Beriberipatienten haben mich überzeugt, daß auch weitgehende
individuelle Unterschiede der Empfindlichkeit gegen
B-Vitaminmangel bestehen müssen. Daß die in China lebenden
Europäer nie an Beriberi erkranken, erklärt sich allein schon aus der
Verschiedenheit ihrer Nahrungszusammensetzung; es bedarf nicht der un-
bewiesenen Annahme verschiedener Rassenempfindlichkeit.
Gleich wichtig für den Chirurgen wie für den Geburtshelfer ist die
Kenntnis der perniziösen kardialen Beriberi, die mitunter im
Anschluß an Operationen und im Verlauf von Schwangerschaft und Geburt
bei bisher nur rudimentäre Symptome zeigenden Kranken plötzlich
schwerste dramatische Krankheitszustände entstehen läßt.
Um die Bedeutung der Umwelteinflüsse für die Mangelkrankheiten
noch mehr ins rechte Licht zu setzen, sei erwähnt, daß Rachitis und
besonders Osteomalazie in einigen Gegenden Chinas, so im mittleren
Schansi, im Nordwesten des Reiches, reichlich vorkommen. „A lazy
woman'’s disease“ wird nach Mitteilung eines englischen Missionsarztes die
Osteomalazie dort genannt, da erfahrungsgemäß wenig der Sonne aus-
gesetzte, weil wenig körperlich arbeitende Frauen der besseren Stände be-
sonders häufig erkranken. In diesem Gebiet Schansis wird eine an Kalo-
rien-, Vitamin- und Mineralgehalt sehr arme Hirsenahrung genossen,
deren Unzulänglichkeit besonders in der Schwangerschaft sich geltend
macht. Da obendrein schwangere Frauen kaum das Haus zu verlassen
pflegen, sind sie in ganz hervorragendem Maße gefährdet: bei insgesamt
70% der von Wampler dort untersuchten Kranken fiel der Krankheits-
beginn auf Schwangerschaft und Stillperiode.
Mit der Erwähnung der Beriberi haben wir uns in den Bereich der
exotischen, der Krankheiten heißer Länder begeben. Un-
gemein stark verbreitet, sind sie es vor allem, die den Charakter des noso-
logischen Bildes Südchinas bestimmen.
Bei der Malaria, die als Tertiana und Tropika Einheimische
und Fremde stark heimsuchte, überraschten mich die erheblichen
qualitativen und quantitativen Verschiedenheiten
ihres Auftretens in oft nahe beisammen liegenden, nicht erkennbar
geographisch und klimatisch unterschiedenen Gebieten. Mir will scheinen,
als handelte es sich dabei nicht nur um Ursachen, die in uns noch un-
bekannten Besonderheiten der Biologie der Anopheles begründet sind. Er-
fahrungen, die der Bürgerkrieg in den Jahren von 21—27 mit seinem Auf
und Ab von Truppenmassen aus den verschiedenen Provinzen uns in Kan-
ton brachte, legen die Auffassung nahe, daß zum Teil auch Fragen der
Malaria-Immunität und des Durchseuchungsschutzes hier hereinspielen
dürften. Etwa zur gleichen Zeit wie Boeckh im Östflußgebiet sahen auch
wir in Kanton ganz außerordentlich schweren Verlauf von in Kwangtung
286 Hans Rummel:
erworbener Malaria - tropica - Infektion bei Massenerkrankung von durch
Kriegsstrapazen geschwächten, aus der fast malariafreien Hunan-Provinz
stammenden Truppenteilen. Als ein Ergebnis der großen, im Verlauf des
Feldzuges gegen Peking erfolgenden, von Süden nach Norden gerichteten
Truppenverschiebungen der letzten Jahre läßt sich übrigens auch schon
eine Nordwärtsverschleppung der vor kurzem nur bis zum Yangtse hei-
mischen Tropika feststellen.
Als charakteristische Besonderheit der Malaria in der Kwangtungpro-
vinz ist das Fehlen desSchwarzwasserfiebers hervorzuheben.
Dies um so mehr, als der Gebrauch des Chinins, der ja offenbar in enger
Beziehung zur Entwicklung des Schwarzwasserfiebers steht, hier bei allen
Arten von Fieber seit langem üblich ist. In ganz China soll nur in Yünan
Schwarzwasserfieber auftreten, in dessen Nachbarschaft es in Burma, Assam
und Tongkin ebenfalls heimisch ist.
Auf eine durchgreifende Prophylaxe der in Südchina weitverbreiteten
Amöbenruhr dürfte nicht zu rechnen sein, solange nach alter Sitte
im Gemüse- und Gartenbau menschliche Fäkalien zur Düngung über die
bereits ausgewachsenen Pflanzen gegossen werden. Da die Zahl der sym-
ptomen- und beschwerdefreien chinesischen Parasitenträger von Kessel
mehr als doppelt so groß befunden wurde wie unter in China lebenden
Europäern, darf wohl mit einer relativen Immunität der chinesischen
Bevölkerung gegen die Amöbenruhr gerechnet werden. Die Rolle der Um-
welteinflüsse, vor allem des Klimas, bei dieser Erkrankung erhellt schon
aus der Tatsache, daß es trotz einer gar nicht kleinen Zahl von Zysten-
trägern in den verschiedensten europäischen Ländern dort doch so gut
wie nie zu nennenswertem Auftreten von Amöbenruhr kommt.
Ausgedehnte fünfjährige Erfahrungen mit der Yatren-Einlauf-
_ behandlung der Amöbenruhr erwähne ich hier nur, weil diese Kur ge-
radezu zu einer Aenderung des klinischen Gesichtes der Erkrankung und
ihrer klinischen Dignität geführt hat. Die gefürchteten Rezidive sind Selten-
heiten geworden; Dauerheilung selbst jahrzehntelang bestehender verzwei-
felter Krankheitsfälle die Regel. Es dürfte kein Zufall sein, daß ich seit
Beginn der Yatrenbehandlung, die bald von den internationalen und chine-
sischen Kollegen Kantons übernommen wurde, keinen einzigen Leberabszeß
mehr zu sehen bekam.
Die geheimnisvolle Sprue, an deren Zusammenhang mit der Amoe-
biasis ich gleich der Mehrzahl der ostasiatischen Aerzte glaube, befällt
merkwürdigerweise ausschließlich lange in heißen Ländern ansässige
Fremde. Chinesen habe ich nie erkranken schen. Ob hier Rassenunter-
schiede im Sinne einer rassebedingten besonderen Widerstandsfähigkeit
der Chinesen oder aber Immunitätsvorgänge eine Rolle spielen, wie ich
sie vorher schon bei der Amöbeninfektion andeutete, steht dahin.
Rasse, Umwelt und Krankheit im Lichte ärztlicher Erfahrungen in Südchina 287
Eine überragende Stellung kommt in der Pathologie Südchinas den
parasitären Wurminfektionen zu, deren Studium besonders
überzeugend den gewaltigen Einfluß der Umweltbedingungen auf Krank-
heitsentstehung und -verbreitung aufzeigt. Hier ist in erster Linie die
Ankylostomiasis zu nennen. In trockenen Provinzen Chinas, wie in
Kansu, in Chili, nur von ganz untergeordneter Bedeutung, sind in manchen
Strichen des feuchten Südens Chinas bis an 100% der Bevölkerung er-
krankt. Aber auch im Süden bestehen noch überraschende Unterschiede in
der Verteilung: während die Einwohnerschaft Kantons z. B. fast frei von
Ankylostomiasis ist, sind zahlreiche Dörfer der nächsten Umgebung voll-
kommen verseucht. Wieder gibt die Verschiedenheit der Umweltverhält-
nisse die Aufklärung. In der Kwangtungprovinz beschäftigt die Seiden-
raupenzucht und die damit verbundene Maulbeerbaumzucht gegen 2% Mil-
lionen auf engem Raum zusammenlebender Menschen. Sie sind die eigent-
lichen Träger und Verbreiter der Ankylostomiasis. Bei der sieben- bis
neunmal im Jahr im Anschluß an die Blätterernte erfolgenden Düngung
der Maulbeerbäume mit menschlichem, Ankylostomumlarven enthaltenden
Kot kommt es zur Infektion der barfuß laufenden Arbeiter. Daß „nur“ 70%
derselben infiziert und 50% klinisch krank befunden wurden, erklärt sich
einmal durch die nachweisliche Vernichtung eines erheblichen Teiles der
Ankylostomumeier infolge des vorangehenden Lagerns der Fäzes in großen
Sammelbehältern, zum anderen aus der Herkunft des Dunges, der zum guten
Teil aus der von der Infektion fast völlig verschonten Großstadt stammt.
Auch bei Gärtnern, Gemüsezüchtern und Tabakbauern konnte Oldt in
Kanton 65% Hakenwurminfektion feststellen. Beim Reisbau ist die Infek-
tionsgefahr entgegen weitverbreiteter Anschauung viel geringer: da zur Zeit
der Düngung die Reisfelder unter Wasser stehen, wird die Entwicklung der
Eier und das Ausschlüpfen der Larven weitgehend verhindert.
Eine zweite Geißel Südchinas, und zwar ganz besonders der Kantoner
Gegend, istdieasiatischeLeberdistomumkrankheit, die Klon-
orchiasis, an der ein Viertel bis ein Drittel der Bevölkerung Kantons leiden
dürfte. Während in Nord- und Mittelchina die Klonorchisinfektion fast aus-
schließlich eine Krankheit der Hunde und Katzen ist, erkranken im Süden
gerade umgekehrt viele Menschen und nur spärlich Tiere. Wieder geben
Umweltbedingungen, diesmal die verschiedenen Eßgewohnheiten der Be-
völkerung in Nord und Süd den Schlüssel zum Verständnis dieser merk-
würdigen Umkehr. Von den beiden Zwischenwirten des Parasiten, einer
Schneckenart, Bythinia, und einem karpfenähnlichen Süßwasserfisch (Leu-
kokobia Guentheri), überträgt nur der letztere die Zerkarien; die Infektion
ist also allein vom Genuß rohen oder mangelhaft gekochten Fisches ab-
hängig. Daher erklärt sich ihre strenge Begrenzung: während in Nord- und
Mittelchina kein roher, höchstens einmal geräucherter oder gesalzener Fisch
288 Hans Rummel:
verspeist wird, gelten aus rohem Fischfleisch bereitete Salate in Kwang-
tung als beliebte Delikatesse. Die Verfütterung der Abfälle, der Eingeweide
und Schuppen, an Haustiere erklärt die Infektion der Hunde und Katzen.
Die auffallenden prozentualen Unterschiede der Tierinfektion in Mittel-
und Nordchina einerseits, dem Süden andererseits sind in merkwürdigen
biologischen Differenzen des Sitzes der Parasitenzysten begründet, die im
Norden vorwiegend an der Unterseite der Schuppen, im Süden meist im
Fischfleisch selber gefunden werden, das wegen des hohen Preises natür-
lich selten an Tiere verfüttert wird.
Auch für die Verbreitung der Klonorchiasis spielt auf Umwegen wieder
die Seidenraupen-Maulbeerzucht der Kwangtungprovinz eine wichtige
Rolle. Der Maulbeerbäume wegen legt man Teiche an, deren Schlamm ein
vorzügliches Düngemittel liefert und die gleichzeitig lohnende Fischzucht
ermöglichen. Mindestens über einer Ecke eines jeden dieser unzähligen
Teiche pflegt ein kleiner Pfahlbau zu stehen, dessen malerische Lage un-
erfahrene, fremde Besucher Kantons häufig zu Aeußerungen des Entzückens
anregt: es sind öffentliche Latrinen, vom Besitzer des Teiches zur Mehrung
der Fischnahrung und der Dungkraft des Schlammes aufgestellt. Da in den
Teichen sowohl die Schneckenart Bythinia als auch der als zweiter Zwi-
schenwirt dienende Fisch haust, so ist der Kreis geschlossen, sobald der
auf dem Markt verkaufte Fisch ungenügend gekocht genossen wird.
Die Filariasis zeigt ein interessantes medizinisch-geographisches
Verhalten, indem ihr Vorkommen in Südchina im wesentlichen auf einen
schmalen, noch nicht 50 km breiten Küstenstreifen sich beschränkt, wäh-
rend man im Innern des Landes nur vereinzelt an Flußläufen ihr begegnet.
Die viel seltenere Infektion von Frauen mit Filaria Bancrofti dürfte ein-
fach aus dem größeren Schutz sich erklären, den die besser deckende weib-
liche chinesische Kleidung gegen die Stiche der Ueberträger, der Culex
fatigans und Culex pipiens, gewährt.
Die hauptsächlich im Yangtsegebiet herrschende Schistosomiasis,
die Infektion mit Schistosomum japonicum, hat bislang Kwangtung mit
endemischem Auftreten verschont — obwohl der Zwischenwirt, eine in China
weitverbreitete, dicht oberhalb des Wasserspiegels lebende Schneckenart
(Oncomelania hupensis), nachweislich vorhanden ist, und obwohl die Reis-
baumethoden und Düngungsverhältnisse die gleichen sind wie am Yangise.
Ein ähnlich schwieriges Rätsel gibt uns die Kalaazar auf, die tro-
pische Splenomegalie (Leishmaniasis interna), als deren Hauptverbreitungs-
gebiet und ursprüngliche Heimat Bengalen, Assam und Madras gelten. Un-
ter Ueberspringung des diesen Gegenden klimatisch sehr ähnlichen feucht-
heißen Südens bevorzugt sie in China ausgerechnet den trockenen Norden.
Pest sah ich nur in Form von Bubonenpest. Stets blieb der Süden
Chinas von den mit eigenartiger Regelmäßigkeit Nordchina und Sibirien
Rasse, Umwelt und Krankheit im Lichte ärztlicher Erfahrungen in Südchina 289
heimsuchenden Lungenpestpandemien verschont, für deren Entstehung
und Verlauf klimatisch-geographische Umwelteinflüsse um so wahrschein-
licher eine Rolle spielen dürften, als auch die schwersten Epidemien stets
beim Eintritt wärmerer Witterung erloschen.
Auch die chinesische Lepra zeigt Neigung für bestimmte geogra-
phische Lokalisationen. Wie Schantung im Norden, so ist Kwangtung im
Süden schon immer Sitz der endemischen Lepra gewesen, während andere
Provinzen, z. B. Chili, so gut wie frei sein sollen. Einzelne Städte gelten
von alters her als besonders stark verseucht: so hat Jen chow fu seinen Ruf
als endemischer Lepraherd seit der dort erfolgten Erkrankung eines Schü-
lers des Konfuzius, fast 2000 Jahre lang, sich bewahrt.
Wie sehr die praktisch-ärztliche Arbeit in Südchina allenthalben mit
den weitreichenden, fast die ganze Pathologie beeinflussenden Wirkungen
all dieser exotischen Krankheiten zu rechnen hat, sei an ein paar Beispielen
aus der mir naheliegenden Frauenheilkunde gezeigt. Menstruationsstörun-
gen aller Art, von der Amenorrhöe bis zur Menorrhagie und Metrorrhagie,
Sterilität, Störungen der Gestationsvorgänge, wie Abort und Fehlgeburt, und
nicht zuletzt Anämie und Kachexie sahen wir in Kanton als alltägliche
symptomatische Aeußerungen solcher extragenitalen konstitutionschädi-
genden Erkrankungen: der chronischen Malaria, der Ankylostomiasis, der
Beriberi, der Klonorchis- und Schistosomuminfektion, der Lepra und des
Abdominaltyphus. Hinter Behandlung trotzender spastischer Obstipation,
hinter vermeintlicher chronischer Appendizitis verbarg sich nicht selten
schlecht ausgeheilte Amöbenruhr, während Zusammentreffen von Malaria
oder Typhusinfektion mit Schwangerschaft und Geburt verblüffend sep-
tische Puerperalprozesse vorzutäuschen vermochte.
Der Chinese, in so vieler Hinsicht von uns unterschieden, hat
schließlich auch sein ihm eigentümliches, besonderes Laster. Die
Opiumpfeife begleitet ihn in jeden Winkel der Welt. Es ist gewiß kein Zu-
fall, vielmehr wohl in rassenmäßigen physischen und psychischen Ver-
schiedenheiten einerseits, der Eigenart der toxikologischen Wirkungen der
beiden Gifte andererseits bedingt, daß Europäer und Amerikaner den Alko-
hol, die Chinesen das Opium als Genußmittel wählten, daß Europäer trotz
Gelegenheit und Versuchung fast nie Opiumraucher, Chinesen sehr selten
Alkoholiker werden. Die Eigenart des Lasters hat wieder charakteristische
Besonderheiten der chinesischen Pathologie zur Folge. Nur auf einige.
anscheinend wenig bekannte, Opiumrauchern eigentümliche
Schäden sei hier hingewiesen. Ganz gewöhnlich fanden wir unter dem
Bild von Emphysem und chronischer Bronchitis verlaufende Lungen-
erkrankungen mit oft beträchtlicher Atmungsbehinderung, seltener mit
Arrhythmia perpetua und Dekompensationserscheinungen einhergehende,
anscheinend auf Myokardschädigung beruhende Herzstörungen. Die
Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie, Bd. 22, Heft 3. i 19
290 Hans Rummel:
sehr bedrohlich aussehenden Ileusattacken Opiumsüchtiger erlauben
dem kundigen Arzt wahre Wunderkuren. Bei opiumsüchtigen
Frauen, die bemerkenswerterweise meist den sozial guigestellten Kreisen,
fast nie der Demimonde angehören, kommt es gewöhnlich bald zur Ab-
schwächung, dann zum Aufhören der Regelblutung und zur Sterilität.
Von einem ungünstigen Einfluß des unter beiden Geschlechtern ganz
ungemein verbreiteten Tabakrauchens auf die Fruchtbarkeit, auf
Schwangerschaft und Stillfähigkeit der Frauen konnte ich mich in China,
wo im allgemeinen die Wasserpfeife bevorzugt wird, nicht überzeugen. Das
alte Kulturvolk der Chinesen hat Jahrtausende überdauert und ist stark
und fruchtbar geblieben, allen Seuchen und Krankheiten, allen Hungers-
und Ueberschwemmungsnöten zum Trotz. Aus der Gesundheit der ein-
zelnen Familie, der einzelnen Sippe quillt der unerschöpfliche Reichtum
Chinas an Kraft und Fruchtbarkeit.
Meine Tätigkeit in Kanton fiel in Jahre stärkster politischer Unruhe
und ließ mich bei dem vorübergehenden, jähen siegreichen Eindringen
westlicher revolutionärer Ideen Zeuge der Erschütterung der alt-
ehrwürdigen chinesischen Familie werden, der Grundlage der gan-
zen chinesischen Gesellschaftsordnung. Eine von kundigster radikaler Seite
großartig organisierte, einheimischer Stimmführer beiderlei Geschlechts sich
bedienende Propaganda arbeitete vor allem an der Gewinnung der Jugend.
Ganz unvermittelt trat unter ihrem Einfluß auch die junge Kantonesin aus
den Bindungen einer patriarchalischen Familienordnung, die jahrtausende-
lang die Frau in der Stille des Hauses allein ihren Aufgaben als Gattin und
Mutter hatte leben lassen. Bedürfte es noch eines Beweises für die groß-
artige Elastizität und Vitalität des mitunter pedantisch und verknöchert
wirkenden chinesischen Volkes, allein das Tempo seiner Fraueneman-
zipation, die im fortschrittlichen Europa Jahrzehnte brauchte, könnte
ihn erbringen. Unter zielbewußter revolutionärer Führung und Erziehung
wuchs damals schnell ein ganz neuer Frauentyp heran: alter Tradition, der
Familie und dem Kinde entfremdet, erfüllt von politischer Aktivität, lern-
und agitationsgierig, in der Oeffentlichkeit und im Berufsleben überall als
gleichberechtigter Kamerad neben dem Manne auftretend. Schon 1924
konnte in der führenden chinesischen Frauenzeitschrift (Woman's Journal,
Schanghai) ein Sonderheft über willkürlicheGeburtenbeschrän-
kung erscheinen, das, in 24 Artikeln Stellung nehmend, zur unbedingten
Empfehlung derselben gelangte. Aber das Uebermaß und die Unnatur der
Lasten, die in dieserüberstürzten Emanzipation die Kantonesin
sich auflud, rächte sich. Gar bald mußte ich als Arzt zunehmend die bis-
lang in China fast unbekannten, uns Europäern nur zu vertrauten Nöte
der Frauen feststellen: innere Zwiespältigkeit, Scheu vor Schwangerschaft
Rasse, Umwelt und Krankheit im Lichte ärztlicher Erfahrungen in Südchina 291
und Geburt, Konzeptionsverhütung, Wunsch und Vollendung des künst-
lichen Abortes mit allen seinen Folgen.
Dieses Erlebnis, in der Geschichte Chinas sicherlich nur eine flüchtige
Episode,” zeigte klar die weitreichenden biologischen Wirkungen einer
psychischen Masseninfektion mit fremden Ideen. Im besonderen war es da-
neben ein Beweis für die überragende Bedeutung der Mentalität, der geisti-
gen Einstellung für das Fehlgeburts- und Fruchtbarkeitsproblem — hatten
doch in der fraglichen Zeit die wirtschaftlichen und allgemeinen Gesund-
heitsverhältnisse Kantons sich keineswegs entscheidend verändert.
Damit schließe ich meine Ausführungen, deren Wert weniger in be-
sonderen Ergebnissen als in der Einordnung verstreuter Beobachtungen
und loser Einzelerfahrungen unter einen ordnenden, große Zusammenhänge
herstellenden Gesichtspunkt liegen dürfte.
Mit den Pathologen W. F is cher und L. A sch off, den Vorkämpfern
vergleichender Krankheitsforschung, erhoffe auch ich von einer verglei-
chenden Völkerpathologiein Zukunft wertvolle Erkenntnisse und
Anregungen.
Schrifttum.
Aschoff, L., Zur vergleichenden Völkerphysiologie. Tung Chi Med. Monatsschr.
1927 (8). Boeckh, R., Zur Epidemiologie und Klinik der Malaria tropica. Arch. f.
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Pathologie. Arch. f. Schiffs- u. Tropenhyg. 1925 (29). — Bösartige Geschwülste bei
farbigen Rassen. Abhandl. aus dem Gebiet der Auslandskunde Bd. 26, Reihe D, Medizin
Bd. 2. — Leberzirrhosen in China. Arch. f. Schiffs- u. Tropenhyg. 1919 (23) 435.
Jefferys, W. H., und Maxwell, I. L., Diseases of China. Philad. 1911. Joch-
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C. Kabitzsch (Leipzig) 1929. Nauck, E., Aetiologie der Leberzirrhose. Tung Chi
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Arch. f. Schiffs- u. Tropenhyg. 1928 (32) Nr. 5. Na uck, E., und Liang, B., Primärer
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Medizin in China. Beiheft Arch. f. Schiffs- u. Tropenhyg. 1910 (14). Oppenheim,
F., 100 Chinesensektionsbefunde. Tung Chi Med. Monatsschr. 1925 (3). Pfister, M.O.,
Syphilis, Central nervous system ectr. China Med. Journ. 1925. Sitsen, A., E., Ein-
fluß der Rasse in Pathologie, Virchows Arch, 1923 (245). Stübel, H., Völkerphysio-
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Chimin, Chang Chung King, The Hippokrates of China. China Med. Journ. 1924 (38).
Wampler, F. J., Osteomalazie in China, China Med. Journ. 1924 (38) 349. W er-
nich, Becken und Entbindungsverhältnisse ostasiatischer Völker. Arch. f. Gynäk.
1877 (12) 288.
19*
Die Sexualmoral der Zukunft.
Von Christian Ehrenfels.
Der letzte Beitrag des Schreibers dieser Zeilen an das’ „Archiv“ stammt
aus den Jahren des großen Krieges und war von der Hoffnung beseelt, die
furchtbare „Kontraselektion“, welche nach der Beendigung desselben jeden-
falls über das deutsche Volk hinweggegangen sein wird, werde bei diesem
endlich das „eugenische Gewissen“ wachrufen und zu ernstlicher Inangriff-
nahme wirksamer Maßregeln motivieren. — Das Schicksal hat es anders
entschieden. Die Niederlage war eine so furchtbare, daß das deutsche Volk
auf Jahre hinaus alle Kräfte anzuspannen hatte, um der dringendsten Not,
dem Hungertode, zu steuern. „Einem Volk, das mit dem Hungertode ringt,
kann niemand Vernünftiger sozial jedenfalls kostspielige eugenische Neu-
schöpfungen zumuten.“ — Mit dieser einleuchtenden Devise mußte ich bei
mir selbst alle Aktivitätsregungen zum Schweigen bringen und auch die
spärlichen eugenischen Anregungen beantworten, welche, von „unverbesser-
lichen Utopisten“ ausgehend, an mich gelangten. Daß aber — in dem
seither verflossenen Dezennium — meine eigenen Gedanken immer wieder
zu dem praktisch wichtigsten aller Menschheitsprobleme zurückkehrten,
das zu verhindern lag weder in meiner Macht noch in meinem Wollen.
Nur eine Dringlichkeit der Veröffentlichung dieser Gedanken schien mir
in keiner Weise gegeben. Erst das zufällige Ereignis der Vollendung meines
siebzigsten Lebensjahres und die damit verbundenen öffentlichen Erwäh-
nungen meines Wirkens machten mich darauf aufmerksam, daß ich hier
noch eine eugenische Pflicht zu erfüllen habe. Zunächst zeigten sie mir,
daß meine früheren Bestrebungen auf diesem Gebiet doch noch bei einigen
Zeitgenossen in lebhafter Erinnerung standen, dann aber auch, daß mein
Stillschweigen über jenes Problem in durchaus gegensätzlicher Weise ge-
deutet worden war. Auf der einen Seite wurde ich, meiner Gesinnung nach,
als der unveränderte „Stürmer und Dränger“ von einstmals beurteilt, der
nur in den veränderten Zeitläuften keinen Anlaß mehr gefunden hatte, sich
zu äußern, auf der anderen Seite wurde mir eine völlige Umkehr in meinen
Prinzipien imputiert, wohl gar ein Abfall von der Grundüberzeugung der
alles andere überragenden Bedeutung der eugenischen Forderung.
Namentlich das letztere Mißverständnis gebietet mir, wieder die Feder
zu ergreifen, um der Ocffentlichkeit gegenüber Rechenschaft zu geben über
Die Sexualmoral der Zukunft. 293
die Resultate, zu denen ich in zehnjähriger stillschweigender Gedanken-
arbeit nach dem erschütterndsten aller Erlebnisse gelangt bin.
Was wir Sozialdarwinianer auf sexualem Gebiet anstrebten und an-
streben, ist die Schaffung einer Sexualordnung, welche die beiden Lei-
stungen vereinigt: 1. Zahlenmäßig genügende Fortpflanzung des Menschen-
geschlechtes mit Aufrechterhaltung jenes Grades von Frieden und Ein-
tracht im sozialen Leben, welche bei den hochdifferenzierten gesellschaft-
lichen Einrichtungen unserer Arbeitsteilung die Fortdauer von Kultur und
Zivilisation ermöglichen, und 2. — wenn nicht Verbesserung — so doch
zum mindesten . Erhaltung der Konstitution der Kulturvölker auf ihrer
gegenwärtigen Höhe. Zum Zwecke dieser Darstellung sei die diese beiden
Forderungen einträchtlich erfüllende, noch zu suchende Sexualordnung die
harmonische genannt. Die gegenwärtig in der westlichen Kultur herr-
schende Sexualordnung erfüllt die erste der genannten Forderungen wohl
besser als irgendeine andere der Gegenwart oder Vergangenheit — die
zweite dagegen nicht. Das Bestreben der meisten, dem Interessenten-
kreis dieser Zeitschrift angehörigen, im praktischen Leben tätigen und mit
seinen Realitäten besser als ich vertrauten, hochachtbaren Männer war und.
ist es, unsere gegenwärtige Sexualordnung, die Monogamie, durch allerhand
Zusatzbestimmungen zur Erfüllung auch der zweiten Forderung tauglich
zu machen. — In Opposition hiergegen glaubte ich, vom Beginne meiner
wissenschaftlichen und schriftstellerischen Betätigung auf eugenischem Ge-
biete an, stets auf die teils vorgängige Unzulänglichkeit, teils — trotz
ihrer scheinbar praktischen Begründung dennoch gegebene — Undurch-
führbarkeit jener „Amendements“ zur monogamischen Sexualordnung hin-
weisen zu müssen. Und diesen Standpunkt muß ich auch heute, sogar
verstärkt durch Erfahrung und Reflexion, aufrechterhalten. — Meine
eigenen Reformvorschläge, die ich dagegen geltend zu machen suchte,
scheinen mir allerdings nach wie vor das Uebel an der Wurzel zu packen
und würden — durchgeführt — den erwünschten biologischen Erfolg mit
sich bringen, — sie gründen sich aber auf eine utopische Ueberschätzung
der der menschlichen Durchschnittsveranlagung innewohnenden morali-
schen Kräfte. Der Versuch ihrer Realisierung müßte alsbald zu jämmer-
lichem Scheitern gelangen. — Zur Einsicht dessen gelangte ich teils durch
die gegen meine Vorschläge erhobenen Einwände, teils durch eigenes
Nachdenken. Diese Mißerfolge hier wie dort hießen mich nun die Ver-
hältnisse in ihrer Abstraktheit erfassen und führten mich durch folgende
durchsichtige Erwägungen zur Erkenntnis, daß das Problem der Schaf-
fung einer „harmonischen Sexualordnung“ auf jenen Grundlagen, welche
bisher immer stillschweigend vorausgesetzt worden waren, überhaupt und
für alle Zeiten unlösbar ist. —
294 Christian Ehrenfels:
Damit irgendeine Art oder Varietät — möge sie einem beliebigen
Gebiet des Tier- oder Pflanzenreiches angehören — ihre Organisations-
höhe im Laufe unbegrenzter Generationen bewahre, ist erfahrungsgemäß
eine gewisse Schärfe der Auslese nötig, ohne deren Vorhanden-
sein der betreffende organische Typus rettungslos der Degeneration ver-
fällt. Für die nötige Schärfe der Auslese ein zahlenmäßig exaktes Maß
aufzustellen, wäre allerdings eine höchst erwünschte Leistung, welche
aber gegenwärtig — mangels präziser Ansätze für mathematische Be-
handlung — noch nicht vollbracht werden kann. So viel jedoch läßt sich
feststellen: Wo immer eine „biologische“, das heißt für Konstantbleiben oder
Veränderung des Arttypus belangreiche Auslese stattfindet, lassen sich in jeder
Generation zwei Kategorien von Individuen unterscheiden, nämlich 1. die von
der Fortpflanzung durch etwelche Mittel Ausgeschiedenen und 2. die
infolgedessen zur Fortpflanzung Zugelassenen oder Ausgelesenen,
welche man beide sich in Prozenten ausgedrückt denken kann. Bezeichnet
man hiernach die Prozentzahl der Ausgeschiedenen mit s, die der
Auserlesenen mit l, so ergibt der Bruch s/l jene Größe, welche man
in treffender Weise als Schärfe der Auslese charakterisiert. (Die
„Schärfe der Auslese“ ist also beispielsweise dort, wo von der Gesamt-
bevölkerung irgendeines organischen Stammes die schlechtest organisier-
ten 10 % von der Fortpflanzung abgehalten, die übrigen zugelassen wer-
den, gleich +°/s = tlə». Wird genau die schlechtere Hälfte abgehalten, die
bessere zugelassen, so ergibt das die Schärfe ™/sẹo = 1. Werden die minder
veranlagten 90 % abgehalten, und nur die besten 10% zugelassen, so ist
der Grad der Schärfe der Auslese durch die Zahlengröße %/ı9 = 9 wieder-
zugeben.) Je größer die Schärfe der Auslese, desto größer ihre biologische
Wirksamkeit (wenn man will: ihr biologischer Wert). Das leuchtet ein. —
Zu weitgehend aber wäre die Behauptung, daß nach diesen Festsetzungen
allein schon die „biologischen Werte“ verschieden scharfer Auslesegrade
sich genau so verhalten wie ihre zahlenmäßigen Symbole, das heißt also,
daß beispielsweise eine Auslese von der Schärfe 9 auch genau den neun-
fachen biologischen Wert und die neunfache Wirksamkeit haben müsse
als die Auslese von der Schärfe 1. Nur so viel ist richtig: Die Auslese 9
hat mehr Wirksamkeit als 8, diese mehr als 7 usw., und daher hat 9
vielmehr Wirksamkeit als 1.
Die zur Vermeidung der Degeneration irgendeines organischen Typus
nötige Schärfe der Auslese nun läßt sich durch dreierlei Arten
der Ausscheidung untauglicher Individuen vom Fortpflanzungsprozeß er-
zielen: 1. Durch Tötung der Untauglichen vor Erreichung des zeugungs-
fähigen Alters (letale Ausscheidung), 2. durch eine über Gene-
rationen sich erstreckende allmähliche Verelendung der Minder-
tauglichen bis zum endlichen Aussterben des betreffenden Stammes, und
Die Sexualmoral der Zukunft. 295
3. durch Fernhalten der Mindertauglichen vom fruchtbaren Sexualverkehr
(sexuale Auslese). Die Schärfe der sexualen Auslese besitzt, wenn die
Bevölkerungszahl des betreffenden Stammes erhalten bleiben soll, beim
männlichen und beim weiblichen Geschlecht sehr verschiedene Maxima.
Beim Menschen kann auf weiblicher Seite die Schärfe der sexualen Aus-
lese die Größe ?/, nur wenig überschreiten, wenn nicht die Erhaltung der
Bevölkerungszahl gefährdet werden soll, das heißt es dürfen nicht mehr
als 40% der vorhandenen Frauen von der Fortpflanzung ferngehalten
werden. Beim männlichen Geschlecht dagegen wären Ausleseschärfen von
der Größe 10 bis 20 recht wohl physiologisch durchführbar. — Um für
die Schärfe der sexualen Auslesemöglichkeiten beim Menschen ein ent-
sprechendes zahlenmäßiges Symbol zu finden, muß erwogen werden, daß
erfahrungsgemäß auf die Konstitution des Kindes Mutter und Vater glei-
chen Einfluß nehmen, daß also für die Taxierung der gesamten sexualen
Ausleseschärfe zwischen den Ansätzen für männliche und für weibliche
Ausleseschärfe das arithmetische Mittel aus den betreffenden Zahlensym-
bolen aufzustellen sein wird. Nehmen wir an, in einem sexual ge-
schlossenen Menschenstamme würde die weibliche Ausleseschärfe bis
zum möglichen Maximum von ?/, hinaufgetrieben, die männliche dagegen
auf die Höhe 9 gehoben, d. h. es würden jeweils 40 % minderwertigster
Frauen und %% minderwertigster Männer von der Fortpflanzung aus-
geschlossen werden, so ergäbe das für die gesamte sexuale Auslese in die-
2
sem Stamm das Symbol ee, Eine derartige Höhe dürfte aber
jedenfalls als für die sexuale Auslese speziell beim Menschen erforderlich
anzuerkennen sein, wenn man die — zum Unterschied von allen Tieren
— durch die Humanitätsmoral bedingte und mit Recht geforderte mög-
lichste Milderung der letalen und der Verelendungsausmerzung in Be-
tracht zieht. — Das „onus selectionis“ (wie man es nennen könnte), d. h.
die von der Auslese zu tragende biologische Verpflichtung, ruht ja beim
Kulturmenschen (solange er spartanische Praktiken wie die Kinderaus-
setzung von sich weist) fast ausschließlich auf der sexualen Auslese.
Daß nun hier gerade die Schärfe 45%. notwendig wäre, um Degene-
ration zu verhüten, ließe sich allerdings nicht exakt beweisen und soll
ja auch gar nicht behauptet werden. Daß aber eine Schärfe ungefähr
zwischen 3 und 10 unerläßlich sein wird, das zu behaupten — auf Grund
eines nicht haarscharfen, aber doch wohlfundierten Arbitriums — darf ein
praktisch versierter Biologe wohl wagen, ja er muß derartiges sogar
wagen, wenn ihm überhaupt sein Wissen praktisch zunutze sein soll;
ebenso wie z. B. ein Arzt auf Grund eines ganz analogen Arbitriums es
wagen muß, einem ganz bestimmten Patienten N. N., der vor kurzem
eine Lungenentzündung überstanden hat, die kategorische Weisung zu
296 Christian Ehrenfels:
erteilen: „Du darfst von heute ab bei sonnenhellem und windstillem Wet-
ter täglich eine Stunde lang ins Freie gehen — aber nicht mehr, ehe ich
dich nicht wieder untersucht habe.”
Jedenfalls fordert eine „harmonische Sexualordnung“ für den Kultur-
menschen der Zukunft eine sittliche Verfassung, nach welcher eine erheb-
liche Mehrheit von Männern, denen die Fortpflanzung von sozial autorita-
tiver Seite verboten ist, zum friedlich einträchtigen Zusammenleben und
-wirken verhalten werden muß — mit einer relativ geringen Minderheit
von Männern, welche auf Grund keines persönlichen Verdienstes, keines
anderen Rechtstitels als desjenigen einer angeborenen günstigeren Veran-
lagung ihrer Natur, des mit Worten nicht zu beschreibenden und mit
Zahlen nicht zu ermessenden Glückes und Vorzugs teilhaftig werden, die
Mehrzahl und Blüte des weiblichen Geschlechtes im ganzen Volk zur Liebe
und zur Kindeszeugung ihr Eigen nennen zu dürfen. Die gesündesten, leib-
lich und geistig bevorzugten, schönsten, begehrenswertesten Frauen für
eine glücklich bevorzugte Minderheit! Die weitaus überwiegende Mehrzahl
minderwertiger Männer (aber für den Staat unentbehrlicher Arbeiter!) mag
sich mit den übrigen ungefähr 40 % mißratener, krankhafter und daher
häßlicher Frauen abfinden, von denen vielleicht 10% nur auf Grund par-
tieller Defekte ausgeschieden wurden und einen vielleicht sogar sexuell
perniziösen Reiz behalten haben, der sie zum Hetärentum prädestiniert.
Für neun Zehntel der Männer — oder seien es auch vier Fünftel oder
selbst zwei Drittel — das Frauenhaus, ähnlich einem jetzigen Bordell, für
die vom Schicksal begünstigte Minderheit von 10 oder auch 20 oder selbst
30 % der Männer — ein Paradies von Liebes- und Zeugungsmöglichkeiten!
Und das sollte die Grundlage für eine „harmonische Sexualordnung“ ab-
geben? Die Mehrzahl dieser in ihren heiligsten Mannesrechten, ihren affekt-
betontesten Lebensansprüchen schmählich verkürzten und enterbten Män-
nerwelt sollte sich nicht aufbäumen gegen eine solche „Gerechtigkeit“?
Anschuldigungen wegen Bestechlichkeit des Areopages, Rekriminationen
aller Art, schließlich Gewalttat, Totschlag und Mord sollten nicht zur Tages-
ordnung werden in dieser „harmonisch geordneten“ Gesellschaft? — Es ist
nicht nötig, das Bild weiter auszumalen. Eine den Anforderungen der
Zivilisation und der Konstitution in gleicher Weise gerecht werdende Ord-
nung des normalen Sexuallebens ist ein Ding der Unmöglichkeit — eine
„contradictio in adjecto“. Der Glaube an eine solche Ordnung ruht auf
tiefstgehender Verkennung der menschlichen Natur, ist (und ich trefie
damit meine eigenen einstigen, „allzu kühnen Reformvorschläge“) eine
kindliche — um nicht zu sagen „kindische“ — Utopie!
Wie aber nun? Und was weiter?!
Haben wir uns resigniert in unser Los zu fügen? Degeneration sämt-
licher Kulturvölker der Erde bis zum Herabkommen auf jenen Status, für
Die Sexualmoral der Zukunft. 297
den O. Spengler den treffenden Ausdruck „Fellachentum“ geprägt hat!?
Und wenn die „fellachisierte“ Menschheit es dann allmählich verlernt,
auch nur die gewaltigen, von ihren Vorfahren ererbten Traditionsgüter
der Technik am Leben zu erhalten (ähnliches hat sich ja bei den Südsee-
insulanern tatsächlich zugetragen, denen die Kunst des Schiffisbaues ihrer
Vorfahren verlorenging und die zu den primitiven Kanoes frühester Zeit-
alter zurückkehrten), wenn die fellachisierte Menschheit dann allmählich -
auch die Technik der sozialen Organisation einbüßt und in sittliche Roheit
und Barbarei zurücksinkt, wenn sie durch einige Jahrtausende in diesem
Zustand verharrt ist und dann etwa Elementarkatastrophen — eine neue
Eiszeit od. dgl. — grausame letale Auslesekräfte entfesselt und ein neues
Geschlecht von Gewaltmenschen herangezüchtet haben werden, dann fährt
wohl in eine Variante dieser zunächst physisch regenerierten Menschheit
ein Hauch jenes Geistes, den wir Heroismus nennen, es erwächst ein
zweites „Heldenzeitalter“ im Menschengeschlecht, eine zweite Periode der
Staatenbildung, der kulturellen Blüte oder Blüten sprießt auf, welche gleich-
falls bestimmt sind, an der Unlösbarkeit des Problems der harmonischen
Sexualordnung wie unsere direkten Nachkommen dahinzusiechen! — Und
so weiter im reizvollen Ring der Variationen — nie mehr aber im Aufstieg
zu einer prinzipiell neuen Entwicklungsphase des Genus „Mensch“! — Gibt
es wirklich keinen Ausweg aus diesem perniziösen Zirkel? — Die Mensch-
heitsgeschichte zeigt keinerlei auch bescheidensten Ansatz nach jener
Richtung. Aber der Mensch ist doch nur eine Spezies aus dem großen
Reiche animalischer Organismen. Gibt es auch im gesamten Tierreich kei-
nen Ansatz zur Bildung einer harmonischen Sexualordnung?
Ja, es gibt solche Ansätze! Es gibt sogar mehrere Beispiele
für „harmonische Sexualordnungen“, welche die betreffenden Arten durch
ungezählte Generationsfolgen sozial leistungsfähig und dabei doch konsti-
tutiv gesund erhalten haben, es gibt die Sexualordnungen der
staatenbildenden Tiere — der Bienen, der Ameisen, der Termiten.
Von kulturellen Leistungen kann man allerdings bei diesen Tieren
nicht sprechen, wohl aber von demjenigen, was unseren menschlichen Kul-
turleistungen als unerläßliche, hier in Betracht kommende Bedingung zu-
grunde liegt: vonhochgradiger, im Dienste der Arterhaltung stehen-
der sozialer Differenzierung. Diese Differenzierung ist bei den
staatenbildenden Tieren sogar in noch viel anschaulicherer, gleichsam greif-
barer Weise ausgeprägt als bei uns, — und zwar in den körperlich auffällig
voneinander sich unterscheidenden „Ständen“ (bei den Bienen z. B. die eier-
legenden Weibchen — in jedem Volk nur immer ein ausgewachsenes —,
ferner die unfruchtbaren Arbeiterinnen — und endlich die Männchen,
welche zur Erhaltung des Volkes nichts anderes beitragen als die Auslese
und die Begattung des einen eierlegenden Weibchens). Um welchen Preis
298 Christian Ehrenfels:
aber haben diese Tierarten die „Harmonie“ ihrer Sexualordnungen erkaufen
müssen? Um den Preis eines völligen Abweichens vom ursprünglich ge-
gebenen, sozusagen „natürlichen“ Sexualverkehr und der Schaffung spe-
zieller Regulationen auf diesem Gebiet, welche, mit emotionalem Maße ge-
messen, ein Maximum von grauenerregender Monstrosität an sich tragen.
Supponieren wir etwa einem sexual noch normal, wie die anderen Insekten,
- die Käfer und Schmetterlinge, eingestellten Vorfahren der jetzigen Bienen
Voraussicht und menschenähnliches Fühlen, und lassen wir ihn einen
Blick tun in die Sozial- und Sexualordnung seiner Nachkommen im gegen-
wärtigen Bienenstaate, wir begriffen wohl, daß ihn zuvörderst ein Affekt
schaudernder Abwehr erfassen müßte, mit menschlicher Sprache etwa
wiederzugeben in dem Ausruf: „Lieber im Meere des Daseinskampfes zu-
grunde gehen, als an solchem Strande landen!“
Aber was soll uns diese Erwägung? Haben wir Menschen etwa
auch nur die physiologische Möglichkeit, es den Bienen nachzumachen
und von einem einzigen kindergebärenden Weibe die Nachkommen-
schaft für einen Stamm von Tausenden zu verlangen? Ein solcher
Gedanke wäre freilich lächerlich. Seitdem es aber gelungen ist, durch
künstliche Uebertragung der Zeugungsstoffe vom männlichen auf das
weibliche Sexualorgan lebensfähige Kinder in die Welt zu setzen, ist
uns eine gleiche, ja noch viel exorbitantere Auslesemöglichkeit, wie sie
bei den Bienen erfolgt, tatsächlich in die Hand gegeben. Im Bienen-
staate wird (beim Hochzeitsfluge der Königin) von einigen hundert
jährlich erzeugten Männchen nur eines ausgelesen. Das ergibt also, nach
unserer Zahlensymbolik, für die Schärfe der sexualen Auslese die Größe
0 + 400
2
von etwa = 200, jedenfalls viel größer als bei irgendeiner anderen
Tierart (außer den gleichfalls staatenbildenden Ameisen und Termiten).
Beim Menschen könnte durch Vervollkommnung der Technik der Samen-
übertragung (eine bloße Frage der Zeit und darauf verwendeten Mühe und
Versuche) der Same eines einzigen normal veranlagten Mannes sämtliche
empfängnisfähigen Frauen der Erdbevölkerung befruchten, so daß also in
der nächstfolgenden Generation alle lebenden Menschen in den Verwandt-
schaftsgrad von Stiefgeschwistern gerieten. Für die Schärfe der Auslese
aber ergäbe sich dann ein Zahlensymbol von über 350 Millionen. (Natür-
lich ist damit nicht gesagt, daß derartiges sich jemals ereignen wird, noch
daß es empfehlenswert wäre. Auch ein naheliegendes Bedenken kann hier
nicht unerwähnt bleiben. Beim natürlichen Sexualverkehr stellen die Sper-
matozoen, sobald sie durch die Ejakulation in den Uterus geraten, einen
Wettlauf an nach dem empfängnisfähigen weiblichen Ei, welches dann,
ähnlich wie die Bienenkönigin bei ihrem Hochzeitsfluge, normalerweise von
einem einzigen der männlichen Rivalen befruchtet wird. Hier vollzieht sich
Die Sexualmoral der Zukunft. 299
also ein Ausleseprozeß unter den männlichen Spermatozoen, welcher
bei künstlicher Uebertragung des Samens, je nachdem gestört oder ein-
geschränkt würde, oder auch gänzlich entfiele.e Würde das nicht der
ganzen Prozedur der künstlichen Samenübertragung ihren selektori-
schen Wert benehmen? Nur die Erfahrung könnte hier die Antwort
geben. Zweifellos besitzt die Einrichtung, wonach das energischer stre-
bende Samentierchen seine ihm zunächst befindlichen Rivalen verdrängt,
einen selektorischen Wert. Das zu bestreiten wäre parteiisch für die künst-
liche Befruchtung und daher irreführend gedacht. Andererseits ist es höchst
unwahrscheinlich, daß bei diesem Wettlauf der Samentierchen nur ihre
Energie und Beweglichkeit den Ausschlag gibt, so daß das zum Schluß sieg-
hafte Spermatozoon als das vorzüglichste der ganzen Ejakulation ange-
sehen werden könnte. Ebenso wie die Tüchtigkeit der Rivalen wird wohl
die räumliche Entfernung vom weiblichen Ei den Ausschlag geben, in
welche bei der Ejakulation die männlichen Rivalen eben zu liegen kommen.
Und dieses Zufallsmoment ist jedenfalls größer als das selektive
Moment der größeren oder geringeren Energie im Vordringen. Wie hoch
aber diese „Selektion im Uterus“ gegenüber der Selektion auf dem Kampf-
platz des sozialen Strebens zu veranschlagen sei, d. h. beispielsweise wie
sich der selektive Wert eines im Uterus schmählich unterlegenen Spermato-
zoons von Napoleon zu dem im Uterus sieghaften eines beliebigen Hans
Maier verhalte, das ist uns gegenwärtig auch noch dunkel, und könnte nicht
anders als durch die Erfahrung festgestellt werden.) In Summa: Es ist
denkbar, daß an dem Zahlensymbol von 350 Millionen für die Schärfe der
möglichen sexuellen Auslese bei künstlicher Zeugung noch weitgehende
Einschränkungen werden vorzunehmen sein. Würde aber selbst dieses
Symbol auf den millionsten Teil seiner ursprünglich errechneten Höhe
herabzusetzen sein, so ergäbe das noch immer die Zahl 350 für die
Schärfe der Auslese bei „künstlicher“ gegenüber der Schärfe von höch-
stens 1 bei „natürlicher“ Befruchtung (denn auf mehr als 50 wird
sich die Prozentzahl der unter natürlichen Verhältnissen von der Fort-
pflanzung fernzuhaltenden Männer ohne Sprengung des sozialen Friedens
nicht hinauftreiben lassen). Diese Gegenüberstellung berechtigt aber vollauf
zur Schlußfolgerung: Welches Volk, welcher Staat, welcher menschliche
Stamm die Aufgabe der praktischen Realisierung der künstlichen Zeu-
gung als der erste durchführen wird, dieses Volk, dieser Staat, dieser
Stamm wird — nicht etwa nur der führende, nein: er wird der einzig über-
lebende menschliche Stamm werden und als einzig überlebender die
Menschheitsgeschichte in die Zukunft fortsetzen.
%*
An dieser Stelle sei mir ein persönliches Wort erlaubt: Als ich im Win-
ter 1896/97 die konstitutive Verderblichkeit der Monogamie erkannt zu
300 Christian Ehrenfels:
sn
haben glaubte und den Entschluß faßte, als Mitkämpfer in die Reihen
der Sozialdarwinianer und Eugeniker einzutreten, da erhielt ich auch
Nachricht — damals als ein medizinisches Spektakulum behandelt — von
den ersten gelungenen Versuchen menschlicher Kindeszeugung durch
künstliche Uebertragung des Spermas. Die mögliche eugenische Bedeutung
dieses Novums konnte mir nicht verborgen bleiben. Und — wie das in
Entscheidungsstunden für unser Schicksal zu gehen pflegt — es erfaßte
mich auch eine Vorahnung all der Schwierigkeiten eines Kampfes gegen
die kulturell und humanitär so hoch bewährte Monogamie zugunsten anzu-
‚strebender polygamer Eheformen, die, wenn ich sie auch zum Unterschiede
von barbarischer Vielweiberei als „polygyn“ bezeichnete, doch eine teil-
weise Rückkehr zur Moral aus den Zeiten des Trojanischen Krieges und des
Raubes der Sabinerinnen in sich schlössen. „Lag eine derartig rückläufige
Bewegung überhaupt im Reiche der Möglichkeiten?“ Hieß das nicht (ob-
gleich es unter der Aegide von Darwins fortschrittlichsten Entdeckungen
geschah), geradeaus „gegen den Strom der Zeit schwimmen wollen“?
Allerdings — der andere Weg, dessen Möglichkeit sich kürzlich ergeben
hatte, war noch viel phantastischer, einschneidender, aufreizender nur in
seiner Vorstellung. Denn er schien in seine Forderung einzuschließen:
Vollkommene Rationalisierung des Zeugungslebens und seine absolute
Trennung vom sexualen Genußleben! Eine Monstrosität für Verstand und
Gefühl des gesunden Normalmenschen aller Nationen und aller Stände!
Aber immerhin eine Forderung im Sinne des „Fortschrittes“ (nur vielleicht
eines allzu radikalen), eine Forderung, welche im höchsten Maß die Phan-
tasie anregte und bei der sich vielleicht rasch literarische Berühmtheit er-
jagen ließ. Ich gestehe, daß mir damals im Alter von 37 Jahren auch diese
letztere Perspektive nicht gleichgültig war. Was mich aber dennoch davon
zurückhielt, diesen Weg einzuschlagen, war zunächst ein tiefinnerliches
Schamgefühl vor mir selber und der Oeffentlichkeit gegenüber, ein Grauen
vor dem Gejohle der Gemeinheit, das derartige „Phantastereien eines
Moralphilosophen“ entfesseln mußten, und endlich eine Bangigkeit vor dem
Erkühnen, allen Ernstes eine Reform vorschlagen zu wollen, deren prak-
tische Durchführung, wenn sie überhaupt im Bereiche der Möglichkeit
lag, nicht vor einer unzählbaren Reihe von Jahrhunderten vernünftiger-
weise erwartet werden konnte. Auf den Bänken der ersten Mittelschul-
klassen hatte ich den Uebergang von den alten „Längen-, Gewichts- und
Hohlmaßen“ zum praktischen Metersystem erlebt und erinnerte mich leb-
haft an die Reibungen, Entwöhnungswiderstände und Konfusionen, die
einer Neuerung auf so oberflächlichem, rein verstandesmäßigem, das Ge-
fühlsleben nicht entferntest tangierendem Gebiet entsprangen. Diese Rei-
bungen und Umstellungen waren so bedeutend gewesen, daß mir beispiels-
weise der Gedanke an einen — aus rein meritorischen Gründen gewiß nur
Die Sexualmoral der Zukunft. 301
gutzuheißenden — Uebergang vom gegenwärtigen Dezimal- auf ein Duo-
dezimalsystem in der Schreib- und Benennungsweise der Zahlen einfach
als indiskutabel erschien und erscheint. Und nun der Gedanke an eine
rationalisierende Umstülpung eines derartigen, in den tiefsten Tiefen des
Afiektlebens verankerten, mit den heiligsten, erhabensten Gefühlen von
Menschenwürde, von Schönheitskult und von Gottesehrfurcht verwobenen
psychophysischen Prozesses, der in dunklen Instikten noch viel mehr
wurzelt als in vernünftig durchleuchteten Bestrebungen, der außerdem
organisch benachbart ist dem Pfühl des ekelerregendsten Distriktes des
menschlichen Leibes, aus dem alles, was vichisch, was schweinisch ist am -
Menschen, seinen Taten, seinen Worten, Witzen und Späßen die Ingre-
dienzien bezieht! Der Gedanke nur an eine Umstülpung alles dessen?
Nein, viel, viel mehr! Der Vorschlag, der ernstlich, real zu nehmende
Versuch einer Revolutionierung dieses gesamten Apparates?
Nein! Der Versuch konnte ins Irrenhaus führen für seinen Urheber, viel
eher als zu heilkräftigem Erfolg für die johlende Masse. Für die ernstere
Oeffentlichkeit aber — höchstens zur Diskreditierung der Sozialdarwinianer
und der Eugenik! Damals gab ich mir selbst das Versprechen, den Ge-
danken an künstliche Befruchtung zurückzustellen in den hintersten Win-
kel meiner geistigen Rüstkammer, als „ultima ratio“ für den Fall, daß alle
Stricke reißen sollten; früher aber alle erreichbaren Möglichkeiten der
kräftig-gesunden, natürlich-normalen Art menschlicher Fortpflanzung zu
durchforschen und zu durchspähen, auf ihren eugenischen Wert hin und
ihre soziale Durchführbarkeit. So hab’ ich’s mir versprochen, für alle Aeuße-
rungen, der Oeffentlichkeit gegenüber. (Was im Geheimnis des hintersten
Winkels meiner Rüstkammer stillschweigend vor sich ging, das bleibe hier
noch unerörtert.) So also hab’ ich's mir versprochen, vor mehr als einem
Menschenalter, und so hab’ ich's gehalten, bis heute. Und heute als Siebzig-
jähriger fühle ich die Verpflichtung in mir, zu der lauten und nachdrück-
lichen Behauptung: „Wir müssen den Weg zur künstlichen Befruchtung
als normalem, für die ganze Menschheit durchzuführendem Zeugungs-
prozeß allen Ernstes beschreiten. Wir sind dazu gezwungen. Denn es gibt
keinen anderen Weg, wenn wir nicht in allgemeiner Fellachisierung unter-
gehen und dann besten Falles zu verjüngter Barbarei aufwachen wollen.”
Das Ziel aber, zu dem dieser Weg hinstrebt, steht, in unabwend-
barer Bestimmtheit, und gleichwohl in unabs eh barer zeitlicher
Ferne, in einer, ihrer Dignität nach sicheren, in ihren Dimensionen aber
geradezu mythischen Zukunft vor uns.
%
Was aber folgt hieraus für die Sexualmoral der absehbaren Zu-
kunft? Zunächst: Konservierung der vorhandenen Regulationen, welche
das Sexualleben vor direkt rassenmörderischen Entgleisungen, vor offenem
302 Christian Ehrenfels:
Hetärentum (und noch oft unter eugenischer Maskel) bewahren! Für die
westliche Kultur also: Beibehaltung der Monogamie als Normalordnung —
und zwar der Monogamie auf Lebenszeit —, wenn auch nicht in katholisch
drakonischer, so doch in protestantisch gemilderter Durchführung. Denn
die Monogamie auf Kündigung (wie sie beinahe de facto beispielsweise in
Australien schon durchgeführt ist) führt, wenn die Gatten beim ersten Ehe-
schluß schon auf die Vergnüglichkeit eines eventuellen zweiten hinüber-
schielen, zur Kinderverhütung und somit zum Rassenselbstmord.
Weiter folgt für absehbare Zukunft Begünstigung aller jener Zusatz-
bestimmungen zur Monogamie, welche vernünftiger- und durchführbarer-
weise von den gemäßigten Eugenikern, nach dem Stil der meisten Mit-
arbeiter dieser Zeitschrift, vorgeschlagen wurden. Irreführend und schäd-
lich an diesen Vorschlägen ist nur die Behauptung, sie könnten das Uebel
der fortschreitenden Degeneration hintanhalten. Mildern können
sie es ganz gewiß. Und die Milderung, die Verlangsamung des Degene-
rationsprozesses bleibt eine höchst wichtige Forderung gerade auch für
denjenigen, der vom einstigen Aufstieg in der Zukunft überzeugt ist. Wird,
beim endlichen Einsetzen der künstlichen Zeugung, die Konstitution auch
viel tiefer stehen müssen als gegenwärtig, so ist es doch durchaus nicht
gleichgültig, von welcher Stufe an sie dann ihren Aufstieg beginnt.
Festzuhalten ist die Dauer-Einehe als praktisch durchzuführende
Norm, aber in ganz anderer innerer Einstellung als bei den Ehedogmati-
kern von einst und jetzt. Nicht als das einzig sittliche — oder gar als das
einzig natürliche Sexualverhalten für den Menschen wird die Monogamie
mehr angesehen und empfunden werden müssen, sondern als eine, wenn
auch zu noch langer Herrschaft ersehene, Durchgangsform zu Höherem,
— zur sozialen Liebe der Zukunft, statt der privat-individualisierten der
Vergangenheit und Gegenwart.
Diese Liebesform der Zukunft sich zu erringen, durch intellektuelle,
phantasievolle und emotionale Einfühlung, wie etwa der künftige Seemann,
Krieger, Maschinenbauer sich einlebt in seinen Beruf, das wird eine Haupt-
aufgabe der kommenden Generationen werden. Biologische, soziale, psycho-
logische Studien über das Sexualleben und was mit ihm zusammenhängt
werden höchstes intellektuelles Interesse in Anspruch nehmen, der Zu-
kunfts-Liebesroman wird zur meistgesuchten und -gepflegten Dichtungs-
form emporrücken. Aber ohne erst vereinzelte, dann immer weiter-
greifende Versuche in Tat und Wirklichkeit wird sich der Einlebungs-
prozeß nicht durchführen, werden sich die nötigen Erfahrungen nicht ge-
winnen lassen. In der Natur des Versuches ist es gelegen, daß er vielfach
auch mißlingt. Für solches Mißlingen wird weitgehende sittliche Toleranz
der Umgebung nötig sein, solange die Lauterkeit der Absicht am Tage liegt.
Toleranz und Eugenik stehen in naturgemäßem Widerstreit. Bei solchem
Die Sexualmoral der Zukunft. 303
Widerstreit wird nach Maß und Vernunft zu entscheiden und dabei wohl
zu beachten sein, daß der unvermeidliche Niedergang der Konstitution nur
langsam, sehr langsam vor sich gehen darf. Denn die Zeitdauer,
die uns vom Beginne des Aufstieges trennt, ist vorläufig noch unabsehbar.
Die allgemeine Einführung der künstlichen Befruchtung ist keine Aufgabe
für Jahrzehnte, für Generationen, für Jahrhunderte. Die allgemeine Ein-
führung der künstlichen Befruchtung ist ein Jahrtausendprobleml
x
In noch fernere Zeitspanne hinaus als selbst die Lösung dieses Pro-
blems aber weist uns die Auswirkung der in dieser Abhandlung dar-
gelegten Beziehungen auf das Gebietderallgemeinen Moral.
Die von Darwin aufgedeckte Bedeutung der Auslese unter den art-
genössischen Rivalen ließ uns einer neuen, früheren Generationen gar nicht
zum Bewußtsein gelangten moralischen Verpflichtung innewerden: — Der
Verpflichtung der Erhaltung des eigenen Stammes unter den artgenössischen
Rivalen, wo und, wann immer der eigene Stamm mit objektivem Recht als
der relativ höhere beurteilt werden konnte. — Und diese Verpflichtung ergab
nun ein weitgehendes Abschwenken von der christlichen Hauptforderung
der allgemeinen Selbstverleugnung, zugunsten einer Moral, welche
nur dem Höheren gegenüber Selbstverleugnung, im Inter-
essenkonflikt mit dem Niedrigeren aber Selbstbehauptung gerade-
zu zum Prinzip erhob. Da aber ein objektives Urteil über die eigene Organi-
sationshöhe, verglichen mit derjenigen der Rivalen, kaum zu verlangen ist,
und zudem die größere Organisationshöhe mit größerer Lebens- und Kampf-
tüchtigkeit gar oft in schwer zu entwirrenden Beziehungen steht, so führte
die Ausdeutung des Darwinismus vielfach zu einer Auffassung, welche das
Ergebnis des Kampfes für Selbstbehauptung gleichsam zum mora-
lischen Gottesurteil und mithin zum obersten ethischen
Prinzip erhob.
Auch der Schreiber dieser Zeilen ist von solchen Einwirkungen nicht
frei geblieben und hat ihnen durch Wort, Schrift und Tat Ausdruck ge-
geben. Er ist durch die in der vorliegenden Abhandlung dargelegten Sach-
verhalte eines Besseren belehrt worden. Versucht man es, sich in die Denk-
und Fühlweise jener, durch die angestrebte neue Sexual- und Sozial-
ordnung meistbegünstigten Männer hineinzuleben, welche durch das
Votum eines Areopages, durch die Stimmen ihrer Alters- und Berufs-
genossen, durch öffentliche Akklamation, kurz: durch den „Willen der Ge-
samtheit“ zu Generatoren der kommenden Generation herausgehoben wur-
den, und die man sich als ungefähr ein Prozent der jeweilig zeitgenössischen
Mannheit vorzustellen hat, erwägt man, daß diese zahlenmäßig kleine
Minderheit unmöglich eine „Moral für sich“ wird ausbilden können, sondern
daß ihr moralisches Fühlen aus der allgemeinen, für hoch und heilig ge-
304 Christian Ehrenfels: Die Sexualmoral der Zukunft.
haltenen Moral des ganzen Volkes wird hervorgegangen sein müssen: — so
gelangt man zur sicheren Anschauung, daß die Generatoren ihre bevor-
zugie Stellung nicht als das Ergebnis eines Selbstbehauptungskampfes
werden erringen und empfinden können, sondern als ein ihnen von der
Gesamtheit übertragenes heiliges Amt, dessen Erfüllung nicht nur Selbst-
befriedigung gewährt, sondern auch Selbstentäußerungver-
langt. Für die Klasse dieser — meistbegünstigten — Generatoren wird
eine Moral der Selbstbehauptung ebensowenig das Leitziel angeben dürfen,
wie für irgendeinen anderen „Stand“ aus jener Gesellschaft der Zukunft.
Vielmehr würde die Selbstentäußerung, die Hingabe an das Wohl der Ge-
samtheit auch in jener fernen, der allerfernsten Zukunft, über deren Cha-
rakter wir uns heute noch vernünftige Vermutungen zu bilden vermögen,
oberstes moralisches Gebot bleiben.
Die ethische Idealgestalt des Gekreuzigten wird auch das Jahrtausend
bis zur allgemeinen Einführung der künstlichen Befruchtung nicht nur
durchleben, sondern überdauern.
Kleinere Mitteilungen.
Ein weiteres Sterilisierungsgesetz.
Von Prof. Dr. R. Fetscher, Dresden.
Nach dem Sterilisierungsgesetz von Waadt und jenem von Alberta (Kanada)
folgt als drittes in diesem Jahre das nachstehend in Dänemark erlassene, das
außerdem noch die Kastration zu Heilzwecken regelt. Seine Fassung dürfte alle
berechtigten Wünsche befriedigen, da jede sachlich berechtigte Indikation in
ihm unterzubringen ist. Möge es Vorbild für eine baldige Regelung dieser Frage
auch im Deutschen Reiche sein.
Gesetz über die Zulassung der Sterilisierung.
Wir, Christian der Zehnte, von Gottes Gnaden König von Dänemark und Is-
land, der Wenden und Goten, Herzog zu Schleswig, Holstein, Großmahren, Dith-
marschen, Lauenburg und Oldenburg, geben kund: Der Reichstag hat beschlos-
sen und Wir durch Unsere Zustimmung bestätigen folgendes Gesetz:
$ 1.
Personen, deren enorme Stärke oder Richtung des Geschlechtstriebes sie dazu
nötigt, Verbrechen zu begehen, und die dadurch Gefahren für sich selbst und
die Allgemeinheit: hervorrufen, können nach vorhergehender ärztlicher Beleh-
rung über die Folgen des Eingriffes und auf eigenen Antrag einem Eingriff in
die Geschlechtsteile unterworfen werden, wenn Erlaubnis hierzu von dem Justiz-
minister nach eingeholter Erklärung des Gerichtsärzterates und der Gesund-
heitsverwaltung erteilt worden ist.
Solcher Antrag kann nur von Personen eingegeben werden, die das Mün-
digkeitsalter erreicht haben. Derselbe soll von einem ärztlichen Attest begleitet
Kleinere Mitteilungen. 305
sein und möglichst vollständige Auskünfte über die entscheidenden Gründe des
Antragstellers enthalten. Ist der Antragsteller in persönlicher Hinsicht entmün-
digt worden, soll der Antrag von dem Vormund gestellt werden. Lebt der An-
tragsteller in ehelicher Gemeinschaft, soll in der Regel die Zustimmung des Ehe-
gatten vorliegen.
§ 2,
Der Justizminister kann weiter nach eingeholter Erklärung des Gerichts-
ärzterates und der Gesundheitsverwaltung Eingriffe in die Geschlechtsorgane ab-
normer Personen gestatten, die in der Fürsorge einer Staatsanstalt oder in einer
laut des Armenrechtes vom 9. April 1891 $ 61 anerkannten Anstalt untergebracht
sind, und für die es, selbst wenn sie nicht eine solche Gefahr für die Rechts-
sicherheit wie die im $ 1 behandelte darstellen, als besonders wichtig für die
Allgemeinheit und dienlich für sie selbst anzusehen ist, daß sie außerstande ge-
setzt werden, Nachkommen zu bekommen.
Eine Eingabe in dieser Hinsicht kann nur für solche Personen gemacht
werden, die das Mündigkeitsalter erreicht haben, und sie muß von der Leitung
der betreffenden Anstalt und mit einer Aeußerung des Anstaltsarztes oder des
Amtsarztes versehen sein, und die Eingabe soll, sofern der Betreffende nicht
wegen geistiger Mängel außerstande ist, die Bedeutung eines solchen Eingriffes zu
verstehen, von diesem selbst beantragt sein. Die Eingabe soll von einer Erklä-
rung eines für diesen Fall bestellten Vormundes begleitet sein; ist die betreffende
psychisch abnorme Person unmündig, kann deren Vormund befugt werden, die
genannte Erklärung abzugeben. Bevor der Vormund seine Erklärung abgibt, soll
er vom Arzt über die Folgen des Eingriffes belehrt werden. Ist der Betreflende
verheiratet, ohne daß die eheliche Gemeinschaft durch Anstaltsverwahrung oder
tatsächliche Trennung seit längerer Zeit aufgehoben ist, soll in der Regel der Ehe-
gatte der Vornahme des Eingriffes zustimmen.
§ 3.
Bevor der Justizminister die Erlaubnis zur Vornahme der in diesem Gesetz
behandelten Eingriffe erteilt, soll sich der Minister vergewissern, daß der Be-
treffende bzw. der Vormund sich über die Beschaffenheit und über die wahr-
scheinlichen Folgen des in Frage kommenden Eingriffes klar ist.
Heißt der Justizminister es gut, daß Eingriffe vorgenommen werden, soll die
Art derselben mit deren ärztewissenschaftlichen Bezeichnung angegeben werden.
In den im $ 1 genannten Fällen wählt der Betreffende unter den Aerzten mit
genügender chirurgischer Ausbildung selbst einen Arzt zur Vornahme des Ein-
griffes, während der Arzt in den im $ 2 genannten Fällen von der betreffenden
Anstaltsleitung bezeichnet wird. Es liegt dem Arzt ob, wenn der Eingriff vorgenom-
men worden ist, das Justizministerium hiervon unverzüglich zu benachrichtigen.
Lehnt der Justizminister den Antrag ab, kann derselbe nicht vor einem Jahre
vom Datum der Ablehnung an erneuert werden, es sei denn, daß Umstände von
Bedeutung für die Entscheidung eingetreten sind, die bei dem früheren Antrag
nicht vorlagen.
§ 4.
Die Kosten für die in den §§ 1 und 2 behandelten Eingriffe sind von dem
Betreffenden selbst zu tragen. Falls dem Betrefienden die Mittel hierzu fehlen,
Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie, Bd. 22, Heft 3. 20
306 Kleinere Mitteilungen. — Kritische Besprechungen und Referate.
sind die Kosten in den im $ 1 genannten Fällen von der Staatskasse, in den im
$ 2 genannten Fällen nach den allgemeinen Bestimmungen des Armenrechtes zu
erstatten, in beiden Fällen jedoch ohne Wirkung als Armenunterstützung für den
Betreffenden.
85.
Wer unbefugt die in diesem Gesetz behandelten Eingriffe vornimmt, wird,
insofern der Fall nach der übrigen Gesetzgebung nicht eine höhere Strafe be-
dingt, mit Geldbußen von 500 bis zu 5000 Kronen bestraft.
Unterlassung der Abgabe der im $ 3, Absatz 2, Punkt 3, behandelten Benach-
richtigung wird mit Geldbußen von 10 bis 200 Kronen bestraft.
Die Geldbußen fallen der Staatskasse zu.
§ 6.
Das Gesetz soll dem Reichstage spätestens in dessen ordentlicher Tagung
1933—34 zur Revision vorgelegt werden.
Wonach alle Betreffenden sich zu richten haben.
Gegeben auf Christiansborg, den 1. Juni 1929.
Unter Unserer Königlichen Hand und Siegel.
Christian R.
(L. S.)
Kritische Besprechungen und Referate.
Goldsehmidt, Richard, Physiologische Theorie der Vererbung. VI
und 247 Seiten mit 59 Abbildungen. Berlin, Julius Springer 1927. Preis RM. 15.—,
geb. RM. 16.50.
Die vorliegende Schrift kann, wie der Verfasser in den einleitenden Bemer-
kungen schreibt, als eine Neubearbeitung des ersten Abschnittes seiner 1920 er-
schienenen Schrift: „Die quantitative Grundlage von Vererbung und Artbildung“,
in der er die Theorie zum erstenmal ausführlich entwickelte, aufgefaßt werden.
Und zwar als eine völlige Umarbeitung, die, wie der Verfasser mit Recht sagen
darf, „im Ausbau der ursprünglichen Gedankengänge wesentlich weitergekommen“
ist. Daß die Theorie „nicht am grünen Tisch entstanden“ ist, sondern in der den-
kenden Auswertung der Ergebnisse höchst umfangreicher experimenteller Unter-
suchungen ihren Aufbau und Ausbau gefunden hat, hätte kaum einer besonderen
Hervorhebung bedurft. Ebenso möchten wir glauben, daß der Verfasser die Wir-
kung gerade seiner theoretischen Arbeit im Fachgenossenkreise zu gering ein-
schätzt, wenn er sagt, daß seine Theorie in dem engeren Kreis der Genetiker,
„von einigen erfreulichen Ausnahmen abgesehen, so gut wie unbeachtet" ge-
blieben sei.
Die allgemeine Entwicklung der Theorie, einer Theorie, die
in erster Linie physiologischer Natur sein und ebensowohl den Tatsachen der
experimentellen Vererbungslehre wie denen der Entwicklungsphysiologie gerecht
werden will, beginnt mit der Feststellung der Existenzder mendelnden
Erbfaktoren.
Kritische Besprechungen und Referate. 307
Wenn diese aber als „ubstanzteilchen“t) bezeichnet werden, „die als
beständige und schwer veränderliche Einheiten in den Geschlechtszellen von Gene-
ration zu Generation weitergegeben werden“, so erscheint uns in der augen-
blicklichen Situation eine ausführlichere Kommentierung einer solchen Definition
nicht als überflüssig, nicht etwa, weil die ihr zugrundeliegende Auffassung falsch
wäre, sondern weil weder in diesem noch in den folgenden Sätzen zum Aus-
druck gebracht wird, daß das, was hier als „Erbfaktor“ — und einige Sätze weiter
als „Gen“ — bezeichnet wird, nicht ohne weiteres, d. h. ohne Betonung der
inhaltlichen Einengung dieses Begriffs, mit dem, was experimentell-mendelistisch
als „Gen“ ermittelt wird, identifiziert werden darf.
Die augenblickliche Situation ist doch die folgende:
Wir wissen erstens, daß es Gene gibt. Wir vermuten es nicht nur, viel-
mehr ist die Existenz von Genen eine experimentell ermittelte Tatsache, an der
kein Zweifel sein kann. Ob aber alles das, was im Vererbungsexperiment als Gen
analysiert werden kann, von ein und derselben „Größenordnung“ ist, ist
durchaus zweifelhaft; was heute als „ein Gen“ gilt, kann morgen als ein Zusam-
menspiel mehrerer Gene — in irgendeinem Sinne — entlarvt werden. |
Wir wissen zweitens, daß das Mendeln an körperliche Gebilde, die Chro-
mosomen, gebunden ist. Wir sind daher zu dem Schluß berechtigt, daß mate-
rielle Teilchen existieren, deren Wirkungen in dem zum Ausdruck kommen,
was uns im Bastardierungsexperiment als Wirkungen von Genen entgegentritt.
Indem aber diese Gene selbst einer verschiedenen Größenordnung angehören kön-
nen und indem sich prinzipiell auch der Fortfall eines substantiellen Teil-
chens, das sich als Gen äußern würde, ebenfalls als Gen zu manifestieren vermag,
ist es heute noch nicht möglich, Gene und substantielle Teilchen zu id en-
tifizieren, sofern man diese letzteren begrifflich als einheitlichen Charakters
faßt. Daß übrigens diese materiellen Teilchen keinesfalls als „organoide“ Gebilde
aufgefaßt werden dürfen — in’ jenem Sinne, daß relativ selbständige Teilchen ge-
meint sind, die „sich“ zu jeweils einer bestimmten „Eigenschaft“ entwickeln —,
sei nur der Vollständigkeit halber hinzugefügt.
Wir wissen schließlich drittens, daß den Chromosomen ein im Mikroskop
sichtbarer Feinbau zukommt. Wiederum ist es aber bisher noch nicht möglich,
diese mikroskopisch sichtbaren Teilstrukturen in irgendeine präzisere Beziehung
zu den materiellen Erbträgern zu setzen.
Wenn wir nur die beiden ersten Punkte, auf die es ja in unserem Zusammen-
hange ausschließlich ankommt, ins Auge fassen, so wird die zweifellos vorhan-
dene Unsicherheit der augenblicklichen Situation vielleicht durch nichts besser
gekennzeichnet als durch den Hinweis darauf, daß sich Johannsen über die
Benutzung des ja von ihm geschaffenen Gen-Begriffes durch Morgan im wesent-
lichen zustimmend?) äußert:), während Baurt) sich im gerade umgekehrten Sinne
ausspricht.
1) Vom Ref. gesperrt.
2) W. Johannsen (Elemente der exakten Erblichkeitsiehre, Jena, 1926, S. V):
„Mein kleines Wort ‚Gen‘ scheint jetzt in seiner scharfen Bedeutung recht allgemein
verwendet zu werden; und nachdem Morgan es wieder aufgenommen hat, habe ich
20°
Kritische Besprechungen und Referate.
Sun
Goldschmidt stellt sich hier ganz ähnlich ein wie Morgan. Sozusagen
im Vertrauen darauf, daß begriffllich Verschiedenes auch ohne besonderen Hin-
weis auseinandergehalten werden würde, verwendet er das Wort Gen unbedenk-
lich als gleichbedeutend mit substantiellem Teilchen.
Unseres Erachtens wäre der immer noch so schwierigen Verständigung zwi-
schen Genetikern und Biologen anderer Disziplinen, nicht zuletzt gerade den Phy-
siologen, gedient worden, wenn in der Diskussion immer wieder auf die Not-
wendigkeit des klaren Auseinanderhaltens der oben gekennzeichneten Punkte hin-
gewiesen worden wäre; insoweit vertreten wir den gleichen Standpunkt wie
Baur. So wie die Dinge aber heute nun einmal liegen, sollte wenigstens
betont werden, daß das Wort Gen nebeneinander in zwei ganz verschiedenen Be-
deutungen benutzt wird. Sobald darüber Klarheit geschaffen ist, ist allerdings
auch unserer Meinung nach gegen die — unserem heutigen Wissen eben bis
zu einem gewissen Grade vorauseilende — Identifizierung von Gen und substan-
tiellem Teilchen, mit anderen Worten: gegen die mit dieser Identifizierung ge-
gebene inhaltliche Einschränkung des BegriffesGen, nichts ein-
zuwenden.
Ob die in den Chromosomen lokalisierten Gene das alleinige Substrat der
Vererbungserscheinungen darstellen oder nicht, erscheint Goldschmidt als
gleichgültig für eine allgemeine Theorie der Vererbung, wie er sie geben will,
„da alle wesentlichen Teilerscheinungen der Vererbung als Wirkung von Genen
vorkommen und kein Grund zur Annahme vorliegt, daß etwaige andere Erbstoffe
ihre Wirkung in prinzipiell andersartiger Weise entfalten sollten.“
Das Wesen dessen, was einer Theorie der Vererbung als Aufgabe gestellt ist,
dessen nämlich, was zwischen dem Ausgangspunkt eines individuellen Entwick-
es unbedenklich in diesen Vorlesungen überall benutzt, wo es besser als das mehr-
deutige Wort ‚Faktor‘ am Platze ist.“
3) An einer späteren Stelle (Johannsen, a. a. O., S. 648) im Sinne Baurs:
„Morgan ist gelegentlich an der Grenze dieses gefährlichen Gebietes gewesen, indem
er interessante Spekulationen über ‚die Größe der Gene‘ angestellt hat. Die betreffen-
den Betrachtungen sind aber, soweit wir sehen, völlig legitim, insofern nur von der
Größe der trennbaren Chromomeren die Rede ist.“
4) E. Baur (Untersuchungen über das Wesen, die Entstehung und die Vererbung
von Rassenunterschieden bei Antirrhinum majus, Bibl. Genet. Bd. IV, Leipzig 1924,
S. 96/97): „Leider gebraucht Morgan und seine Schule das Wort ‚Gen‘, das nach
der ursprünglichen Johannsenschen Definition dasselbe bedeutet wie Erbeinheit,
Faktor usw., d. h. einen als Einheit mendelnden Unterschied‘ zwi-
schen zwei Sippen nun auch gleichzeitig für die Bezeichnung der hypothetischen
kleinsten Teilstücke eines Chromosoms, d. h. für das, was ich als Chromomer
bezeichne. ‚Gen‘ im Sprachgebrauch Morgans ist also etwas ganz anderes
als ‚Gen‘ nach der ursprünglich klaren Definition von Johannsen!“
„Ich halte diese Verwendung des Wortes ‚Gen‘ in einem völlig anderen Sinne für
außerordentlich gefährlich. Es hat diese Verwendung desselben Wortes für zwei völlig
verschiedene Begriffe ja auch bereits dazu geführt, daß fortwährend auch diese
beiden Begriffe miteinander verwechselt oder sogar bewußt
identifiziert werden. Um allen Mißverständnissen dieses doppelsinnigen Wor-
tes aus dem Wege zu gehen, benutze ich deswegen das ominöse Wort überhaupt nicht
mehr, sondern ich gebrauche für den Begriff ‚Gen im Sinne Johannsens‘ den
Ausdruck ‚Faktor‘ oder Grundunterschied' und für den Begriff ‚Gen im
morphologischen Sinne Morgans‘ den Ausdruck Chromomer.“
Kritische Besprechungen und Referate. 309
—m— 70. nn
lungsprozesses und seinem Abschluß im fertig ausgebildeten Individuum liegt, be-
zeichnet Goldschmidt mit einem vielleicht nicht ganz glücklich gewählten,
aber doch gut veranschaulichenden und auch sehr einprägsamen Ausdruck als die
Entstehung von Mustern. „Wenn sich Mikromeren von Makromeren tren-
nen, so ist ein Muster gebildet, die Invagination der Gastrula ist die Bildung eines
Musters, ebenso die Segmentierung des Mesoderms, die Bildung einer Augenlinse,
die Ausbildung der Zellschichten in der Großhirnrinde, die Bildung der Flügel-
zeichnung eines Schmetterlings oder der Scheckung einer Kuh oder der Pigment-
ringelung eines Mausehaares. Bildung eines Musters ist es aber auch, wenn die
einen Zellen der Magenschleimhaut Pepsin produzieren und die anderen Salz-
säure, wenn die Lappen der Hypophyse verschiedene Hormone erzeugen, wenn
Zellen sich zu den physiologisch verschiedenen Arten von Lymphozyten umformen.
Wie verschiedenartigim einzelnen nun alle diese Prozesse
sein mögen, von einer höheren Warte aus, von der wir nach
dem Verständnis der Vererbung ausspähen, sind siealle von
der gleichen Größenordnung.“
Und er fährt fort: „Es kann nun keinem Zweifel unterliegen, daß es men-
delnde Faktoren gibt, die Entwicklungsvorgänge bedingen, die als Entstehung
eines Musters bezeichnet werden müssen, und zwar von der gleichen Art, wie sie
allen Entwicklungsvorgängen zugrunde liegt.“ Somit vermag eine Theorie, die
auf den Tatsachen über mendelnde Gene aufgebaut ist, den gesamten Vererbungs-
vorgang zu umfassen.
Den gedanklichen und experimentellen Ausgangspunkt für Goldschmidts
Lebensarbeit stellt bekanntlich das Problem der Geschlechtsvererbung
dar. Indem der Unterschied zwischen männlicher und weiblicher Merkmalsaus-
prägung ein so geringer oder auch ein so bedeutender sein kann, wie der Unter-
schied zwischen Angehörigen zweier Rassen, zweier Arten, zweier Gattungen,
kann Vererbung und Entwicklungsphysiologie des Geschlechts Paradigma für den
Ablauf auch jedes anderen morphogenetischen Vorganges auf Grund gegebener
Gene sein, wie wir letztere für die Entscheidung über Männlichkeit oder Weib-
lichkeit heute ja mit voller Sicherheit kennen. So stellt Goldschmidt denn
zunächst diese das Fundament seiner Theorie darstellenden Tatsachen und Deu-
tungen über das Wesen der Geschlechtsvererbung noch einmal kurz dar.
Bei dieser Gelegenheit macht Goldschmidt mit vollem Recht darauf auf-
merksam, daß die sog. Indexhypothese „nunmehr aus der Literatur ver-
schwinden“ sollte, da ihr durch den entscheidenden Non-disjunction-Fall Brid-
ges’ endgültig der Boden entzogen sei.
Ebenso ist Goldschmidts Hinweis darauf richtig. daß bereits durch den
Vergleich der Geschlechtsvererbung mit einer Mendelschen Rückkreuzung die Un-
möglichkeit einer rein qualitativen und damit die Notwendigkeit einer quanti-
tativen Erklärung der Geschlechtsvererbung dargetan sei; denn man könne,
etwa bei männlicher Heterogametie, „doch nicht gut sagen, das männliche Ge-
schlecht sei heterozygot zwischen Weiblichkeit und Geschlechtslosigkeit oder die
Weiblichkeit sei verdoppelte, homozygote Männlichkeit.“
Goldschmidts Theorie der Geschlechtsvererbung ist ja bekannt genug,
um hier nicht nochmals dargestellt werden zu müssen. Es sei aber bemerkt, daß
310 Kritische Besprechungen und Referate.
Goldschmidt — und zwar nicht allein durch die Einbeziehung des in den
letzten Jahren erarbeiteten Tatsachenmaterials, z. B. des auf Drosophila be-
züglichen — mancherlei, wenn auch nur sekundäre, Einfügungen in die Ableitung
und Darstellung der Theorie vorgenommen hat; vor allem sei auf Gold-
schmidts Ausführungen über absolute und korrigierte Quanti-
täten von Genen hingewiesen, die zeigen, wie Goldschmidt die eigent-
lich wesentlichen Grundlagen seiner Theorie reiner und reiner herauszuarbeiten
bestrebt ist.
Beibehalten ist in der Theorie der Gedanke, daß eine in männlichem Sinne
und eine in weiblichem Sinne geschlechtsbestimmende Reaktion nebeneinan-
der herlaufen, wobei die schnellere der beiden Reaktionen die Differenzierung
kontrolliert. Gerade hier aber läßt sich ein Fragezeichen setzen. Goldschmidt
hat völlig Recht, wenn er auf Grund der Fülle experimenteller Tatsachen — „die
intersexuellen Zustände der einzelnen Organe sind tatsächlich Querschnitte durch
die Entwicklung der betreffenden Zustände des anderen Geschlechts auf verschie-
denen Entwicklungsstadien“ — das Vorhandensein eines „Drehpunktes“, eines Um-
schlagspunktes in der individuellen Geschlechtsdifferenzierung der Intersexe für
bewiesen hält. Aber ob dieser Drehpunkt ein Schnittpunkt zwischen zwei
selbständigen Vorgängen (bzw. Vorgangsketten) ist, die normalerweise nebenein-
ander herlaufen, ohne sich zu überschneiden, das ist die Frage. „Die beiden ge-
schlechtskontrollierenden Vorgänge“, sagt Goldschmidt, „die nebeneinander-
laufen, laufen also normalerweise so ab, daß der eine, der das Uebergewicht hat,
den anderen nicht zur Geltung kommen läßt.“ Ja, muß denn dieser andere Vor-
gang überhaupt da sein? Muß er, wenn das Wort „Vorgang“ hier eben realen,
nicht bloß bildhaften Sinn haben soll, als solcher existieren? Oder ist es
nicht eine einfachere Vorstellung, daß nicht zwei selbständige Vorgänge mitein-
ander konkurrieren, bald, wie im normalen Fall, beziehungslos nebenein-
ander laufend, bald, wie im Fall der Intersexualität, sich treffend und nun
erst miteinander in Beziehung tretend, sondern daß stets nur ein Vorgang
abläuft, dessen Effekt prinzipiell nur in zwei „Modifikationen“ auftreten kann
und dessen Verlauischarakter in jedem Augenblick von der Bedingungsgesamtheit
der Geschlechtsfaktoren kontrolliert wird, von Anfang an, auch im Fall der Inter-
sexualität von Anfang an? Den Gesamtanschauungen Goldschmidts scheint
uns eine solche Darstellung, bei der die am Ausgangspunkt der Entwicklung ge-
gebene Relation der Quantitäten der Geschlechtsfaktoren ihre entscheidende Be-
deutung behielte, nicht fern zu liegen. Rein didaktisch allerdings bliebe die bis-
herige Darstellungsweise immer außerordentlich zweckmäßig.
Die beiden Zusatzhypothesen der Goldschmidtschen Theorie, die Gene,
zunächst also die Geschlechtsgene, als Enzyme, die Produkte der von ihnen
in Gang gesetzten Reaktionen als Hormone aufzufassen, sind, wie Gold-
schmidt, abermals mit Recht, betont, für die Gesamttheorie unwesentlich. Er
kann sich aber in Hinsicht auf die erste dieser beiden Zusatzhypothesen nicht
nur darauf berufen, daß auch zahlreiche andere Biologen die Anschauung von
der Enzymnatur der Gene ausgesprochen haben, sondern auch darauf, daß eine
Reihe führender Biochemiker physikalisch-chemischer Richtung, denen er „die
Frage vorlegte, ob sie eine bestimmte Körpergruppe bezeichnen könnten, für die
Kritische Besprechungen und Referate. 311
die Forderungen, die wir an ein Gen stellen müssen, möglichst erfüllt sind, un-
bedenklich antworteten: Enzyme.“
Indem nun die zunächst an den Geschlechtsgenen gewonnenen Vorstellungen
auf das Vererbungsgeschehen überhaupt übertragen werden, ergibt sich eine
physiologische Theorie der Vererbung, deren wesentliche Züge
die folgenden sind:
„Das Gen ist ein Substanzteilchen, dem nicht nur, was selbstverständlich ist,
eine spezifische Qualität zukommt, sondern das außerdem am Ausgangspunkt der
Entwicklung in typischer Quantität, typisch, aber verschieden für verschiedene
Gene oder Gengruppen, bereitgestellt wird .. . Der Chromosomenmechanismus,
der für das richtige Vorhandensein der verschiedenen Gene am Ausgangspunkt
der Entwicklung sorgt, muß auch die notwendigen Einrichtungen besitzen, um
auch für die Bereitstellung der typischen Quantitäten eines jeden zu sorgen. Ein
jedes Gen ist nun ein Stoff, der, beginnend mit einer Aktivierung bei der Be-
fruchtung (oder Parthenogenese), an einer Reaktion oder Reaktionskette teilnimmt,
deren spezifische Qualität durch die Qualität des Gens und seines Substrats (d. h.
in der Hauptsache des Eiplasmas) bedingt ist; deren Geschwindigkeit aber pro-
portional ist der Quantität des Gens. Will man eine konkrete Vorstellung mit
der Substanz des Gens verbinden, so reiht man sie am besten der Gruppe der
Autokatalysatoren ein und kann dann den vorherigen Satz konkreter so aus-
drücken, daß das Gen eine Reaktion mit einer seiner Quantität proportionalen
Geschwindigkeit katalysiert. Die Entwicklung eines Organismus mit unabhän-
giger Diflerenzierung kann aufgelöst werden in eine Reihe nebeneinandergehen-
der Abläufe, die zu bestimmten, aber verschiedenen Zeitpunkten zu einer chemi-
schen Situation führen, die sich allgemein als das Auftreten der formativen Stoffe,
Determinationssubstanzen oder, nach unserer spezielleren Annahme, Hormone der
definitiven Gestaltung in wirksamer Quantität bezeichnen läßt. Der richtige Ablauf
der normalen Differenzierung erfordert es, daß diese Determinationspunkte in
genau richtiger Reihenfolge erscheinen und daß die determinierenden Substanzen
am richtigen Ort, lokalisiert, auftreten. Ein System genau dosierter Genquantitäten
und davon katalysierter Reaktionsabläufe von proportional abgestimmten Ge-
schwindigkeiten ermöglicht es, daß der Reaktionserfolg, die Determinationspunkte
in typischer Reihenfolge und in richtigem Abstand erscheinen. Jeder folgende
Reaktionspunkt trifft auf Grund der vorher, also schneller durchgeführten Abläufe
auf eine andere allgemeine physico-chemische Situation; vor allem findet er einen
beschränkteren Wirkungsbereich wegen der schon vorher abgeschlossenen Deter-
minationen, auf den sich dann allein die Wirkung erstreckt, die somit auch lokali-
siert ist. Die Annahme der nebeneinanderlaufenden abgestimmten Reaktions-
geschwindigkeiten für den Determinierungsvorgang erklärt somit Reihenfolge und
Lokalisation der Differenzierung, und die Verbindung mit den verursachenden,
dosierten Genquantitäten erhebt die Vorstellung zu einer Vererbungstheorie, die
den wichtigen Schritt über die Faktorentheorie hinaus ausführt.“
„Ein Versuch“, fährt Goldschmidt fort, „in einem konkreten Fall die
gesamte Idee zu visualisieren, geht wohl über die Fähigkeiten zur raumzeitlichen
(vierdimensionalen) Vorstellung hinaus.“ So wird denn „in einer ganz groben
Annäherung“ an zwei Beispielen, dem der Entwicklung des männ-
312 Kritische Besprechungen und Referate.
lichen Kopulationsapparats beim Schwammspinner und dem
rein gedanklich durchanalysierten Beispiel der Entwicklung von Augen-
mutationen bei Drosophila ein Bild der gegenseitigen Abstimmung
der Reaktionsabläufe aufeinander vom Boden der Theorie aus entworfen.
Diese beiden Beispiele sollen zugleich verdeutlichen, „in welcher Weise eine
solche Theorie über die Faktorenlehre hinausgeht. Kann nach Kreuzung einer
Mutation mit der Stammart ein Gen in heterozygotem Zustand erhalten werden,
so ist es möglich, sein Vorhandensein nachzuweisen. In dieser Weise sind etwa
Dutzende von Genen bei Drosophila aufgedeckt worden, die jedes die Augenfarbe
beeinflussen. Die Faktorentheorie stellt also fest, daß die Augenfarbe auf dem
Zusammenwirken einer großen Zahl von Genen beruht. Betrachten wir aber
diese Tatsache nach Art der vorhergehenden Darstellung, so sehen wir, wie ver-
kehrt es wäre, hier von Genen für Verursachung der Augenfärbung zu sprechen.
In dem vorhergehenden Schema erwies sich z. B. als entscheidend für die Augen-
farbe ein Gen, das die Länge der gesamten Entwicklungszeit bedingt. Dies zeigt
uns, daß das Endresultat auf dem richtigen Zusammenspiel aller möglichen Gene
beruht, deren eigentliche Wirkung größtenteils gar nichts direkt mit dem frag-
lichen Organ, hier dem Augenpigment, zu tun hat. Jede Aenderung im Abgestimmt-
sein einzelner oder vieler Glieder des Systems vermag aber das fragliche Organ
zu beeinflussen, das vielleicht allein aus rein äußeren Gründen der Untersuchungs-
methode die Verschiebung im System anzeigt. Damit bekommt auch die Er-
kenntnis, zu der auch schließlich die Faktorenlehre geführt hat, daß jedes Gen
wohl den ganzen Organismus beeinflußt, einen entwicklungsphysiologischen Sinn.
Ebenso bekommen die polymeren Faktoren mit ihrer sich addierenden Wirkung
einen Sinn, sowie die Modifikationsfaktoren, die ihnen ja nahe verwandt sind,
kurz, die ganze Faktorentheorie bekommt einen physiologischen Inhalt.“
Dieser allgemeinen Entwicklung der Theorie folgt nun in Goldschmidts
Buche die Einzelausführung in Form zweier längerer Kapitel, deren eines
die Quantitätder Gene am Ausgangspunkt und deren zweites, be-
sonders umfangreiches die abgestimmten Reaktionsgeschwindigkeiten zum Gegen-
stande hat, während schließlich auf nur wenigen Seiten die Frage der Beziehung
der formbildenden Stoffe zu den Hormonen behandelt wird.
Die Erörterung der Quantität der Gene am Entwicklungsausgangspunkt be-
ginnt mit dem Kapitel: Dominanzwechsel und multipler Allelo-
morphismus.
Die experimentelle — genetische und entwicklungsphysiologische — Analyse
des multiplen Allelomorphismus bei der Raupenzeichnung der geo-
graphischen Rassen des Schwammspinners war es ja, die Goldschmidt zu
einer Uebertragung seiner Quantitätstheorie von den Geschlechtsgenen auf die
Gene schlechthin geführt hat. Die wesentlichen Tatsachen und Erwägungen, die
abermals zu dem Resultat führen, daß verschiedenen Quanten eines Gens — als
solche stellen sich die allelomorphen Gene in Goldschmidts Theorie ja dar
— Reaktionen von jeweils proportionaler Geschwindigkeit zugeordnet sind, sind
wieder bekannt genug, um hier nicht nochmals referiert werden zu müssen.
Neu aber und mit außerordentlichem Scharfsinn durchgeführt ist die Ana-
lyse der Bandäugigkeit von Drosophila, die Goldschmidt auf
Kritische Besprechungen und Referate. 313
Grund der experimentellen Befunde vor allem Sturtevants in aller Aus-
führlichkeit gibt. Sie muß im Original nachgelesen werden, da sie in kurzer und
doch verständlicher Weise nicht wiedergegeben werden kann. Wir müssen uns
auf die Bemerkung beschränken, daß wir diese Ableitungen Goldschmidts
ihrem prinzipiellen Gehalt nach für höchst überzeugend halten.
Das Phänomen der Dominanz läßt sich vom Boden der Theorie aus auch
bei qualitativer Verschiedenheit der Allele verstehen. Ausführlicher werden
die Dominanzverhältnisse bei quantitativer Differenz der Allele erörtert,
abermals unter ständiger Beziehung auf den Bandäugigkeitsfall. Diese Ausein-
andersetzungen zeigen mit Evidenz, daß beim Heterozygoten mit seiner ja sozu-
sagen intermediären Gen-Quantität nicht notwendigerweise auch der betreffende
Außencharakter — bei Voraussetzung einer der Gen-Quantität genau proportio-
nalen Reaktionsgeschwindigkeit — intermediäre Ausprägung zeigen muß, viel-
mehr auch Dominanz gegeben sein kann, und daß das Ausmaß dieser Domi-
nanz, ebenso wie ihr Vorhandensein überhaupt, von den numerischen Systemen
(arithmetisch, exponentiell usw.) abhängig ist, nach denen die an der Entwick-
lung des Außencharakters beteiligten Einzelvorgänge ablaufen.
Der Ausfall von Genen, die sog. deficiency, stellt natürlich unmittel-
bar eine quantitative Aenderung im Genbestand dar, und es ist von hohem In-
teresse, daß das sog. Uebertreibungs-Phänomen, wie es bei Drosophila ent-
deckt wurde, sich als dieser quantitativen Aenderung parallelgehend leicht ver-
stehen läßt. An dem Fall der Augenfarben-Verdünnung durch das Gen Weiß und
der noch weitergehenden Verdünnung durch deficiency — gleichsam „Ultra-
weiß“ — wird näher ausgeführt, wie die Uebertreibung des phänotypischen
Charakters beim Gen-Ausfall nur „eine einfache Konsequenz der Wirkung der
Genquantitäten und der quantitativen Natur der betreffenden Mutanten“ sei. Wir
fügen aber, gerade weil uns Goldschmidts Auffassung des Falles als richtig
erscheint, hinzu, daß hier zwar eine Wirksamkeit von Genquantitäten aufgezeigt
ist, keineswegs aber damit ein Beweis für die rein quantitative Unterschiedlich-
keit der beteiligten Gene erbracht worden ist. Denn auch wenn die Allele A und
a qualitativ verschieden sind, kann ihr Vorhandensein in einfacher oder
doppelter Dosis ein quantitativ verschiedenes Resultat zustandebringen. Das bleibt
richtig, obwohl das Verdünnungsphänomen gerade in Verbindung mit einer
quantitativen Abstufung der Phänotypen in dem betreffenden Fall von multiplem
Allelomorphismus studiert werden konnte. Daß es allerdings, trotzdem hier also
kein wirklicher Beweis erbracht ist, naheliegt, von den deficiency-Tatsachen
aus auf den rein quantitativen Charakter nun auch der Unterschiede zwischen
den allelen Genen zu schließen, bedarf kaum der Hervorhebung.
Der gleiche Einwand, wie er soeben erhoben wurde, gilt auch für die Aus-
wertung der durch Besonderheiten der Chromosomen oder der Chromosomen-
garnituren bedingten Genvervielfachung. Aus der Diskussion folgt keines-
wegs mit Notwendigkeit, daß in den betreffenden Fällen die Unterschiede zwi-
schen den allelen Genen nur quantitativen Charakters sind. Mit den Unterschieden
in den Gen-Anzahlen sind hier — selbstverständlicherweise — quantitative
Störungen der normalen Verhältnisse gegeben, und diese lassen sich in der Tat
am leichtesten vom Boden der Goldschmidtschen Anschauungen aus ver-
314 Kritische Besprechungen und Referate.
stehen — so etwa der Fall, daß unter bestimmten Umständen zwei rezessive
Augenfarben-Gene zusammen über ein sonst dominantes Gen dominieren
können —. Ein darüber hinausgehender Be weis aber läßt sich auch hier wieder
nicht erbringen.
Für die polymeren Faktoren zieht Goldschmidt selbst einen sol-
chen Schluß: er hält es für wahrscheinlich, daß ihre Wirksamkeit im
Sinne seiner Auffassung zu verstehen sei; Einzelanalysen aber, aus denen sich
Beweise ableiten ließen, seien ihm nicht bekannt, vielmehr müßten solche Be-
weise erst an Fällen erbracht werden, bei denen am gleichen Objekt die Wirkung
durch Polyploidie vermehrter Genquantitäten mit derjenigen polymerer Fak-
toren verglichen werden könnte.
Die Mutation stellt sich in Konsequenz alles bisher Diskutierten ebenfalls
als ein quantitativer Vorgang dar. Um es wieder mit Goldschmidts eigenen
Worten wiederzugeben: „Wir halten es für bewiesen, daß es für die richtige
Wirkung der Gene nötig ist, daß am Ausgangspunkt der Entwicklung die typische
Quantität eines jeden Gens im Interesse der genauen Abstimmung der Geschwin-
digkeiten der von ihnen katalysierten Reaktionen bereitgestellt wird. Der physi-
kalisch-chemische Mechanismus, der dies vermag . . „ dürfte, wie alle ähnlichen
Dinge, auf eine Gesamtheit von Bedingungen, sein Gesamtmilieu, eingestellt sein,
‘dessen Schwankungen sein Arbeiten beeinflussen. Wenn also für ein gegebenes
Gen die Quantität von 100 Molekülen bereitgestellt werden muß, so mögen sich
Schwankungen zwischen 90 und 110 ergeben. Jede Abweichung von der Zahl
100 aber bedeutet eine veränderte Reaktionsgeschwindigkeit gleich mutierte
Außeneigenschaft, eine große Abweichung eine starke Veränderung oder Muta-
tion, eine kleine Abweichung eine geringe Veränderung, die kleine Mutation.
Letztere müssen natürlich am häufigsten sein, erstere am seltensten. Die Mutation
wäre dann nicht eine besonders merkwürdige Eigenschaft des Gens oder die
Folge unbekannter und merkwürdiger Ursachen, sondern die selbstverständliche
Folge des Wesens des Gens, der Ausdruck seiner naturnotwendigen (weil auf
einem subtilen und daher gelegentlich versagenden Mechanismus beruhenden)
Variation in bezug auf seine Quantität... . Variabilität des Gens ist also nichts
anderes als Mutation. Die Besonderheit unserer Auffassung ist nur die, daß wir die
Mutabilität als ein gewöhnliches Variationsphänomen betrachten, das bei der Be-
reitstellung der typischen Genquantitäten (theoretisch bei jeder Zellteilung mög-
lich) erfolgt. Die Mutation wird also bei dieser Vorstellung nicht als einzelnes,
sondern als statistisches (Frequenz-)Phänomen erfaßt.“
Ueber das Artbildungsproblem, das ja bei der Behandlung des Mu-
tationsproblems sofort auftaucht, will sich Goldschmidt später in einer be-
sonderen Schrift ausführlich verbreiten; hier äußert er nur kurz die Vorstellung,
„daß die ganze Fülle der Formen innerhalb eines Bauplans, also etwa alle
Schmetterlinge, Käfer oder Vögel ausschließlich auf diese Weise gebildet werden
können, daß sie also alle die gleichen Gene in verschiedenen quantitativen Kom-
binationen besitzen. Erst beim Uebergang von einem Bauplan in den anderen
käme die noch völlig rätselhafte Entstehung neuer Gene in Frage.“
Nur kurz an dieser Stelle — ein Abschnitt des späteren Kapitels über das
Zeichnungsmuster des Schmetterlingslügels kommt ausführlicher auf das ganze
Kritische Besprechungen und Referate. 315
Problem zurück — macht Goldschmidt auf die bedeutungsvolle Tatsache
aufmerksam, die in einer phänotypischenlIdentitätvon Mutations-
charakteren und Modifikationscharakteren gerade in Fällen
multipler Allelie — Bandäugigkeitsserie von Drosophila und Raupenzeich-
nungsserie von Lymantria — besteht und die sich seinen Vorstellungen in so
außerordentlich einfacher Weise einordnet: „Die Abhängigkeit der Reaktions-
geschwindigkeiten von Außenbedingungen, speziell der Temperatur, ist wohl
bekannt. Daher sind die Reaktionskurven des gleichen entwicklungsgeschicht-
lichen Vorgangs bei konstanter Genquantität und verschiedenen Außenbedingun-
gen einerseits und bei verschiedenen Genquantitäten und der gleichen Außen-
bedingung andererseits, identisch und somit auch die Phänotypen identisch.“
Ueber die Bereitstellung der Genquanten im Chromosom
entwickelt Goldschmidt die Vorstellung, daß das Chromatin eine Art Chro-
mosom-Gerüst mit der Fähigkeit zur Adsorption sei, in der Weise, „daß es die
als Gene bezeichneten spezifischen Substanzen in durch die beiderseitigen Eigen-
schaften bedingten Quantitäten (Zahl der Moleküle) in bestimmter Ordnung seiner
Oberfläche einlagert, so für die Spezifität der Genversammlung in qualitativer
und quantitativer Hinsicht sorgend.“ Man könne sich auch vorstellen, „die Chro-
mosomengrundsubstanz bestehe aus großen, vielleicht hochpolymeren Molekülen,
in denen es ungesättigte Valenzen gibt, die Gene aber wären Stoffe, die diese
Valenzen absättigen, was natürlich in einer feststehenden Molekülzahl geschieht.“
Selbstverständlich handelt es sich auch für Goldschmidt hier nur um grobe
erste Versuche, sich diese Dinge zu verdeutlichen. Ein Tatsachenmaterial, das
hier weiterführen könnte, erhofft er von den Fortschritten der Crossing-over-
Forschung; das Crossing-over-Problem war es ja auch, in dessen Diskussion er
schon einmal solche Gedankengänge entwickelt hat.
Der dritte große Hauptteil des Buches behandelt ausführlich die abge-
stimmten Reaktionsgeschwindigkeiten. Dem Wesen der Sache
nach sind es Tatsachen und Probleme vor allem entwicklungsphysiologischer
Natur, die hier zur Sprache kommen und in großzügiger, man möchte sagen
souveräner Gedankenarbeit erörtert werden. Im Hinblick auf das spezielle Ar-
beitsfeld dieses Archivs soll unser Bericht über diesen viel biologisches Detail-
material darbietenden Teil nur kurz und soll auf die Schrift selbst verwiesen sein.
Zugleich aber sei nachdrücklichst betont, daß dem Prinzip der abgestimmten
Reaktionsgeschwindigkeiten auch für Fragen der menschlichen Erblichkeitsfor-
schung eine sehr große Bedeutung zukommt, wie denn die ersten Schritte in
dieser Richtung auch bereits getan sind.
Goldschmidt setzt zunächst ausführlich auseinander, wie sich die wich-
tigsten allgemeinen Ergebnisse der Entwicklungsmechanik
im Lichte seiner Theorie darstellen und in ihren Rahmen einfügen lassen.
Dann wird, zunächst wieder am Material der Intersexualitäts-Experimente,
dann an einigem entwicklungsmechanischen Material und in größter Ausführ-
lichkeit schließlich am Beispiel des Zeichnungsmusters des Schmet-
terlingsflügels das Prinzip der aufeinander abgestimmten Reaktions-
geschwindigkeiten in tiefdringender Einzelanalyse durchgeführt. Die Farbmuta-
tionen der Schmetterlinge, der Melanismus der Schmetterlinge in seinen ver-
316 Kritische Besprechungen und Referate.
schiedenen Typen, der unisexuelle’ Polymorphismus bei Papilioniden-Weibchen,
die Geschlechtskontrolle der Flügelfärbung, ihre Temperatur-Modifizierbarkeit
und der Saisondimorphismus der Schmetterlinge finden eine einheitliche Deutung.
In dem kurzen Kapitel über die in der Entwicklungsmechanik — und dar-
über hinaus — bedeutsame Erscheinung der sog. doppelten Sicherung
erinnert Goldschmidtan jene vererbungswissenschaftlich analysierten „Fälle,
in denen von zwei verschiedenen mendelnden Genen, jedes allein wie beide zu-
sammen, den gleichen Außencharakter bedingen. Entwicklungsphysiologisch be-
deutet das, daß das Endprodukt zweier verschiedener Reaktionsketten das gleiche
ist. Die beiden Reaktionsketten mögen aber im übrigen völlig verschieden sein
(Modell: CO, als Endprodukt alkoholischer Gärung und Karbonatspaltung), und
sie mögen in ihrem getrennten Ablauf ganz verschiedenartige Entwicklungspro-
zesse beeinflussen. In diesem Fall sind es Endprodukte, die direkt als Außen-
charaktere erscheinen, zu denen die getrennten Reaktionsketten führen. Es mögen
aber auch etwas früher liegende Produkte sein, die dann Determinationsstofle
darstellen. So mag dann der Determinationsstoff, der die Linsenbildung ermöglicht,
in der Epidermis und gleichzeitig im Augenbecher entstehen, und das entwick-
lungsphysiologische Ergebnis wäre dann die doppelte Sicherung der Linsen-
bildung.“
Weiteres Material zur Theorie der abgestimmten Reak-
tionsgeschwindigkeiten bieten die zahlreichen Fälle, in denen das
Zusammenspiel der Reaktionsabläufe gestört ist, so daß das Resultat der Ent-
wicklung ein pathologisches ist. Ausführlicher werden hier die Prothetelie und
die Hysterotelie bei Insekten erörtert; auch auf die Brachyphalangie beim
Menschen wird als Beispiel hingewiesen. Von den Beziehungen des Prinzips zu
den Fragen der Phylogenie handelt wieder nur ein kurzer Abschnitt. Weiters
werden hier erörtert die hormonale Koordination und die zyklische Vererbung.
Das letzte Kapitel dieses dritten Hauptteils des Buches spricht über Re-
generation und Ganzheit. „Unsere Theorie“, sagt Goldschmidt,
„ist eine rein mechanistische, soweit wie sie geht, allerdings keine Maschinen-
theorie, sondern eine Theorie von vielphasigen physikalisch-chemischen Systemen.“
In einem kurzen Schlußteil wird das Verhältnis der formbilden-
den Stoffe zur Gruppe der Hormone diskutiert. Nochmals betont
Goldschmidt, daß in der Bezeichnung der Produkte der abgestimmten Reak-
tionen als der Hormone der Differenzierung kein integrierender Bestandteil der
Theorie gegeben sei. Er glaubt aber, daß die zukünftige Forschung die verschie-
denen in der Entwicklung wirksamen Stoffe nicht mehr und mehr. scheiden,
sondern sie vielmehr mehr und mehr als einer einheitlichen Gruppe zugehörig
erkennen wird. Allerdings wäre diese Gruppe nicht durch ihre chemische Kon-
stitution, sondern durch ihre Wirkung charakterisiert. „Hormone der Ent-
wicklung wären also nach unserer Fassung des erweiterten Begriffs solche che-
mischen Stoffe, die, als Produkt der von den Genen im Substrat katalysierten Re-
aktionen gebildet, die Voraussetzung der weiteren Morphogenese sind. Hormone
der Differenzierung sind also die ersten organbildenden Stoffe, die sich im Ei
schichten, die Stoffe der primären Chemodiflerenzierung, deren Schichtung jedes
weitere Muster bedingt. Hormone sind diese Stoffe, ob sie nun an Ort und Stelle
Kritische Besprechungen und Referate. 8317
wirksam bleiben, ob sie durch Diffusion in bestimmter Richtung sich verteilen
(Determinationsstrom) oder ob sie schließlich in bestimmten Organen gebildet
vom Blutstrom überall hingeführt werden.“
Wenn wir zum Schluß unseren Blick nochmals auf das Ganze dieses Werkes
richten, so kann es nicht anders denn als überragende Leistung gewertet
werden. Kein Zweifel, daß von Goldschmidts physiologischer Theorie der
Vererbung in der Folge noch stärkere Impulse für die biologische Forschungs-
arbeit ausgehen werden, als schon bisher von ihr ausgegangen sind. Kein Ge-
ringerer als Euler hat kürzlich — in einer mit H. Nilsson gemeinsam publi-
zierten vorläufigen Mitteilung (Die Naturwissenschaften 1929) — betont, daß er und
sein Mitarbeiter „in Goldschmidts Einführung der Reaktionsgeschwindig-
keiten in die genetischen Betrachtungen den wesentlichsten neueren Fortschritt
in der Theorie dieses Gebietes erblicken.“
Goldschmidt ist kein Dogmatiker, und wenn er in den Schlußworten
seines Buches seine Theorie eines Tages überboten und abgelöst sieht durch
eine Theorie, die auf Grund der Einbeziehung weiterer Erkenntnisgebiete noch
tiefer in die wesentlichen Grundzusammenhänge des lebendigen Geschehens hin-
eingehen kann, so sind wir überzeugt, daß schon in Goldschmidts eigenen
Händen die vorliegende Form seines Theoriengebäudes nicht die letzte sein wird.
Mit diesen Worten aber ist Goldschmidts theoretische Arbeit nicht nur in
ihrer Gültigkeitsgrenze gekennzeichnet, sondern ebenso auch in ihrer Größe.
Günther Just (Greifswald).
Jaensch, Dr. med. Walter, Grundzüge einer Physiologie und Klinik
der psychophysischen Persönlichkeit. J. Springer, Berlin 1926.
483 S. M. 33.—.
Verfasser geht aus von den von seinem Bruder, dem Psychologen E. R.
Jaensch, beschriebenen eidetischen Phänomenen, d. h. von der Fähigkeit,
Bilder von gesehenen Gegenständen sich körperhaft wieder zu vergegenwärtigen,
sie buchstäblich nach Wegnahme des Vorbildes wieder zu sehen. Diese Eigen-
schaft zeichnet vor allem den jugendlichen Organismus aus, findet sich in er-
wachsenem Alter hauptsächlich bei künstlerisch veranlagten Persönlichkeiten, die
vielfach noch jugendliche Züge aufweisen. Es ist dem Verfasser aufgefallen, daß
die Art, in der die Bilder reproduziert werden, bei den einzelnen Individuen
nicht unerhebliche Verschiedenheiten aufweist, und er unterscheidet zwei Haupt-
typen, deren Vertreter stets wiederkehrende körperliche Merkmale darbieten:
einen T-(tetanoiden) und einen B-(basedowoiden)Typ. Die Anschauungsbilder bei
dem ersten Typ haben etwas Starres, sind den Willenseinflüssen entzogen, werden
vielfach als wesensfremd empfunden, durch Kalziumzufuhr beeinflußt bzw. zum
Verschwinden gebracht: auf körperlichem Gebiet finden sich tetanoide Erschei-
nungen, galvanische und muskuläre Uebererregbarkeit, das Gesicht hat etwas
Verkniffenes, Ernstes, oft Mürrisches, die Augen sind glanzlos, das Wesen ist ver-
schlossen, lahm, ernst, starr. Dagegen ist der B-Typ offen, fröhlich, dabei un-
beständig, flatterhaft, die Motorik im Gegensatz zu der oft vorhandenen Steifheit,
Eckigkeit der Tetanoiden fließend, lebendig, der Ausdruck lebhaft, die Augen
glänzend, oft groß, „beseelt“. Entsprechend sind die Anschauungsbilder fluktuie-
rend, sie ändern sich leicht unter allerhand seelischen Einflüssen, können viel-
318 Kritische Besprechungen und Referate.
fach sogar willkürlich hervorgerufen werden, reagieren nicht auf Kalkzufuhr. Die
Anschauungsbilder des T-Typs ähneln mehr den gewöhnlichen Nachbildern, die
des B-Typs nähern sich den Vorstellungsbildern. Speziell die seelische Schilderung
der Typen, aber auch vieles an der Physiognomik und Motorik erinnert an die
schizoiden und zykloiden Formen Kretschmers, Jaensch verwahrt sich
jedoch entschieden gegen eine Identifizierung mit diesen. Im Gegensatz zu
Kretschmer will er das Hauptgewicht nicht auf den Körperbau, sondern
auf die Funktion gelegt wissen, er sucht seine Typen auf besondere Reaktions-
formen des Zentralnervensystems zurückzuführen, die in Verbindung mit dem
endokrinen System sämtlichen Funktionen ihren Stempel aufdrücken, bei dem
Vorherrschen mehr „kortiformer‘“ Reaktionen zu dem klinischen Bilde des B-Typs
führen, während der T-Typ Ausdruck eines Ueberwiegens „subkortiformer“ Reak-
tionen ist. Beide Typen sind aus der Beobachtung völlig gesunder Individuen
gewonnen, sind daher nicht als krankhafte Abweichungen von der Norm anzu-
sehen. Sehr häufig sind die Typen nicht rein, sondern zeigen vielfache Mischungen.
Zum Schluß sucht Jaensch seine Beobachtungen zu den verschiedensten medi-
zinischen, biologischen und anderen Forschungsgebieten in Beziehung zu setzen,
fordert für seine Typenlehre eine umfassende Bedeutung, die ihr in diesem Maße
zweifellos nicht zukommt, anderen Betrachtungsweisen, etwa der Kretsch-
mers, läßt er nicht überall volles Recht widerfahren. Unter anderem streift er
auch das Gebiet der Erbbiologie und Rassenhygiene, erhofit sich von seinen
Methoden Förderung dieser Disziplinen und Anwendung der gewonnenen Er-
kenntnisse zu einer Veredlung des Menschengeschlechts. „Eine durch natürliche,
aber auch durch künstliche und zielbewußte Anpassung denkbare ..... Ver-
stärkung gewisser Potenzen auch im allmählich vererbbar werdenden Sinne
erscheint hiermit (mit ‚einer in bestimmten Grenzen vorhandenen potentiellen
Unveränderlichkeit der Erbdeterminanten‘) wohl vereinbar.“
Bei aller Anerkennung der vom Verfasser in mühevoller Arbeit aufgedeckten
Beziehungen zwischen bestimmten psychischen und somatischen Erscheinungen,
die allerdings noch der Nachprüfung bedürfen, wird man den auf diesen Beob-
achtungen aufgebauten Spekulationen nicht überall folgen können. Wollny.
Jung, Erich, Abstammung und Erziehung. Politisch-anthropologische
Betrachtungen über eine hessische Verwandtschaft. Bibliothek familiengeschicht-
licher Arbeiten. Bd.6. 190 S. Leipzig 1927. Verlag Degener & Co., Inh. Oswald
Spohr. M. 12.—.
Das vorliegende Buch ist ein erfreuliches Zeichen dafür, daß die Familien-
forschung sich heute nicht mehr auf die bloße Namens- und Stammbaumforschung
beschränkt, sondern daß sie neben der Behandlung der Umweltbedingungen der
einzelnen Generationen auch den Fragen der Vererbung ein erhöhtes Interesse
bekundet. So wertvolle und feine Einzelbemerkungen über Vererbungserschei-
nungen es auch enthält, so schön sich auch an den erfreulicherweise recht zahl-
reich beigegebenen Familienbildnissen die Vererbung bestimmter Gesichtszüge
verfolgen läßt, als ganzes wird das Buch den Vererbungsforscher trotzdem un-
befriedigt lassen. Grundsätzliche Auseinandersetzungen über Vererbung und Er-
ziehung, die man nach dem Titel erwartet, sucht man vergebens. Ferner wird
Kritische Besprechungen und Referate. 319
der mütterlichen Vorfahren nicht in voller Breite der Ahnentafel gedacht, viel-
mehr ist nur die Mannesstammreihe der Mutter zurückverfolgt, obwohl die ent-
sprechende Arbeit für die übrigen Ahnen nicht zu schwierig und sicher auch
lohnend gewesen wäre. Unzulässig ist es schließlich, die Ahnentafelzeichen Robert
Sommers auf Adoptiveltern anzuwenden, sie gelten nur für leibliche Vorfahren.
Dr. Spilger (Darmstadt).
Baron, J, Begabtenverteilung und Vererbungsforschung. 107 S.
Braunschweig 1927.
Baron sieht die massenstatistischen Untersuchungen (Hartnacke, Ter-
man usw.) die man seither auf Grund von Zensuren und experimentalpsycho-
logischen Intelligenzprüfungen zur Erforschung der Begabtenverteilung an Schu-
len vorgenommen hat, als unbrauchbar für erbbiologische Untersuchungen an. Er
fordert dafür die Einzelerforschung eines möglichst beschränkten Unter-
suchungsmateriales, die von Aerzten, Pädagogen und Psychologen in ge-
meinsamer Arbeit vorzunehmen ist, wobei auch die Umweltfaktoren und
die körperlichen Bedingtheiten der geistigen Entwicklung systematisch zu
analysieren sind, also Arbeiten, die nach dem Muster der klassischen Un-
tersuchungen Mendels und Lundborgs zu gestalten sind. Es ist ohne
weiteres zuzugeben, daß derartige Untersuchungen zum Zwecke der Be-
gabtenforschung von hohem Werte sein müssen. Wir können Baron auch
darin zustimmen, daß in den Ergebnissen der Intelligenzprüfungen, wie sie bis
jetzt angestellt worden sind, die Begabung der Schüler nicht vollkommen restlos
zum Ausdruck kommt. Trotzdem stellen sie Aeußerungen der Begabung dar, die
zum Erkennen großer Zusammenhänge durchaus genügen. Auf diesem Wege sind
nicht nur Hartnacke, sondern auch Peters, Terman, Duff, Thom-
son u. a.’zu dem Ergebnis gelangt, daß die verschiedene Begabung der ein-
zelnen sozialen Schichten erbbiologisch begründet ist. Diese Meinung ist keines-
wegs ein „Dogma“, wie Baron behauptet, sondern sie stellt die heute un-
bestritten geltende wissenschaftliche Ueberzeugung dar, die natürlich durch
weitergehende Erfahrungen jederzeit verändert werden kann. Wenn Baron in
seiner bis in belanglose Einzelheiten gehenden Polemik gegen Hartnacke
— mit den anderen Autoren befaßt er sich kaum — Mängel der Methode aus-
führlich behandelt, so wiegt seine Kritik deshalb nicht schwer, weil er die
Bremer und Dresdener Schulverhältnisse selbst gar nicht kennt, und ferner des-
halb, weil er vielfach gegen Windmühlen kämpft. Hartnacke selbst hat zu-
gegeben, daß in seinen Untersuchungen Mängel liegen, daß sie nicht allen wissen-
schaftlichen Ansprüchen genügen. Wenn Baron die Abhängigkeit der geistigen
Leistungen von Umweltbedingungen so betont, sagt er damit niemand etwas Neues.
Ebensowenig damit, wenn er sich nachzuweisen bemüht, daß die Schulzensuren,
auf die die Statistik sich stützt, nicht ein absolut genaues Maß für die Begabung
darstellen. Bei Massenuntersuchungen heben sich aber die in ihnen enthaltenen
subjektiven Fehler, die sowohl nach der positiven wie nach der negativen Seite
gehen, gegenseitig wieder auf. Untersuchungen, wie sie Baron vorschlägt, sind
durchaus zu wünschen. Sie werden die heute geltenden Meinungen sicher in vielen
Punkten modifizieren, im Grunde aber zum gleichen Ergebnis führen wie die
bereits vorliegenden Untersuchungen. Dr. Spilger (Darmstadt).
320
Kritische Besprechungen und Referate.
Hartnacke, W., Standesschule — Leistungsschule. 38 S. Verlag Quelle
und Meyer, Leipzig. Preis M. 1.—.
In dem Worte Standesschule liegt an sich die Behauptung, daß der Eintritt
in sie und der Zugang zu den gehobenen Berufen von der Zugehörigkeit zu ge-
hobenem Stande abhängig sei und daß andere keinen Zugang hätten. Hartnacke
untersucht die Frage, ob die höhere Schule in diesem Sinne Standesschule ist,
und kommt zu dem Ergebnis, daß die Bezeichnung Standesschule für sie in keiner
Weise berechtigt ist, daß nicht Stand und Geld des Vaters für den Zugang zu
der heutigen höheren Schule ausschlaggebend sind. Es sind alle Stände in der
höheren Schule vertreten, allerdings dürfen wir nie erwarten, daß die höhere
Schule ein verkleinertes Abbild der Berufszusammensetzung des ganzen Volkes
darstellt. Daß die gehobenen Stände stärker in ihr vertreten sind, ist eine durch-
aus erklärliche sozialbiologische Tatsache. Die Auslese für die höhere Schule ist
in keiner Weise sozial tendenziös, von einem geflissentlichen Zurückdrängen oder
Fernhalten der Arbeiterkinder kann nicht die Rede sein. Daß auch die pekuniären
Verhältnisse im Durchschnitt nicht ausschlaggebend dafür sind, daß die
höheren Schulen arm sind an Kindern nichtgehobener Berufsstände, zeigen klar
die Verhältnisse in Dresden. Hier bestehen neben den höheren Schulen schul-
geldfreie höhere Volksschulabteilungen, deren Schüler durch die Schule selbst
dazu ausgewählt werden. Wenn ünter diesen Bedingungen in der nichtgehobenen
Volksschule so gut wie keine Söhne gehobener Berufsgruppen, dagegen über 90 %
der Arbeitersöhne verbleiben, so läßt sich diese Tatsache nicht restlos aus den
besseren Umweltbedingungen heraus erklären, sondern sie beweist, daß die Lei-
stungsunterschiede in einem gewissen Umfange mit auf den ererbten Anlage-
unterschieden beruhen. Daß in vielen Einzelfällen begabte Schüler gegen den
eigenen Willen und den der Eltern durch soziale Hemmungen von der gehobenen
Bildungsbahn ferngehalten werden, ist natürlich ohne weiteres zuzugeben. Die
höhere Schule ist aber ganz gewiß eine Leistungsschule, mindestens in relativem
Sinne, d. h. es kommt niemand in sie hinein oder bleibt auf die Dauer in ihr,
der nicht wenigstens eine gewisse Leistungshöhe gewährleistet.
Ist die höhere Schule auch in absolutem Sinne eine ausgesprochene Leistungs-
schule? Erfüllt sie alles das, was im Interesse der Aufgaben, die unser Volk zu
erfüllen hat, zu fordern ist? Hartnacke glaubt, daß sie in dieser Beziehung
versagt. Die höhere Schule ist heute überlastet mit einem Ballast von Schülern,
die sie nur äußerer Berechtigungen halber besuchen, es ist höchst bedauerlich,
daß heute in unsinniger Uebersteigerung der Berufsvorbildung für eine ganze
Anzahl mittlerer Berufe der Besuch der höheren Schule Voraussetzung ist. Zur
Entlastung der höheren Schule fordert Hartnacke einmal gute Mittelschulen
mit angemessenen Berechtigungen, ferner rücksichtslose Auslese innerhalb der
höheren Schule sowie eine Schulreform, die die Lehrpläne von unnötigen Fächern,
die Fächer von unnötigem Stoffe befreit. Auf diese Weise hofft Hartnacke
die höhere Schule zu einer Schule für die geistigen Führer unseres Volkes zu
gestalten. Dr. Spilger (Darmstadt).
v. Verschuer, O., Sozialpolitik und Rassenhygiene. 32 S. M. —.%
Diese Arbeit ist 1928 als Aufsatz im 6. Heft, 1. Jg., der Zeitschrift für „Na-
tionalwirtschaft“ und außerdem als Heft 1220 von Friedrich Manns Pädagogischem
Kritische Besprechungen und Referate. 321
Magazin (32 S.) erschienen. Verschuer bringt zunächst eine grundsätzliche
Abgrenzung der Aufgabenkreise von Sozialpolitik und Rassenhygiene und sucht
zu zeigen, daß das Ziel von beiden ein gemeinsames sei und im Volkstum liege —
oder sagen wir lieber liegen solle, denn es ist dabei schon vorausgesetzt, daß
die Sozialpolitik wahren Nutzen für die menschliche Gemeinschaft (und nicht
nur Hilfe für notleidende Einzelne oder Einzelgruppen, eventuell zum Scha-
den der Gesamtheit) bringe. Verschuer folgt in der Anschauung über die
Sozialpolitik Othmar Spann. Leider paßt die ideale Definition nicht auf die
gegenwärtige Sozialpolitik. Eine Sozialpolitik, die ihrem eigentlichen Wesen,
ihrem sozialen (nach Spann „universalistischen“) Zweck folgt, kann in keiner
ihrer Maßnahmen mit der Rassenhygiene in Widerspruch geraten. Daß die be-
stehende Sozialpolitik jedoch zum Teil rassenhygienisch ungünstig wirkt, zeigt
Verschuer in dem folgenden praktischen Teil seines Aufsatzes, in dem er
nacheinander alle sozialpolitischen Einrichtungen durchgeht und abwägt, wieweit
sie in rassenhygienischer Beziehung zu bejahen oder zu verneinen sind. Als
günstig bezeichnet er die Arbeitszeitbeschränkung für Jugendliche und Frauen,
die Arbeitsvermittlung, die Fürsorge für Arbeitslose, soweit nicht Arbeitsscheue
und Untüchtige ihre Nutznießer sind. Es ist aber leider heute in erschreckendem
Maße der Fall, daß solche durchgeschleppt werden, und zwar — was Ver-
schuer m. E. nicht scharf genug betont — auf Kosten der Tüchtigen; durch
die ungesunde Belastung der Wirtschaft wird jeder rassenhygienische Vorteil
der Arbeitslosenversicherung ins Gegenteil verkehrt. Das gleiche gilt auch für
die Kranken-, Unfall- und Invalidenversicherung. Wir unterstreichen Ver-
schuers Sätze: „Die unausrottbare mißbräuchliche Inanspruchnahme der Ver-
sicherungen führt zur wirtschaftlichen Belastung und zur Hemmung derjenigen,
die tatkräftiges Streben und arbeitsfreudigen Willen besitzen. Ihre Opfer dienen
den Lebensschwachen, Arbeitsunwilligen und Minderwertigen zur Stütze und
Unterhaltung. Ja, in manchen Fällen wird Faulheit und Begehrlichkeit direkt
durch staatliche Renten prämiiert.“ (S. 731.) — Zum Schluß bespricht Ver-
schuer die rassenhygienischen Forderungen, die heute auf sozialpolitischem
Gebiet zu erheben sind. Er vertritt die Forderung eines nach der Einkommens-
höhe gestaffelten Ausgleichs der Familienlasten, der durch Frauen- und Kinder-
zulagen, Steuer- und Erbrechtsreform herbeigeführt werden könne. Besondere
Aufmerksamkeit wendet er den Beamtengehältern zu, die er für unzureichend hält.
Es ist sehr zu begrüßen, daß eine Auseinandersetzung der Rassenhygiene mit
der Sozialpolitik, wie sie dieser Aufsatz von Verschuer enthält, in der „Na-
tionalwirtschaft“ erschienen ist. Die „Nätionalwirtschaft“ trägt den Untertitel
„Blätter für organischen Wirtschaftsaufbau“, und es steht ihr wohl an, die sozial-
politischen Maßnahmen zu kritisieren, die auf der Grundlage eines unorganischen
Individualismus erwachsen sind. Kara Lenz-v. Borries.
Weber, Marianne. Die Ideale der Geschlechtergemeinschaft. 64 S.
Berlin 1929. Herbig. M. 2.50.
Es ist wohltuend, daß nach der großen Zahl oberflächlicher und unerfreu-
licher Schriften, die in letzter Zeit über die Sexual- und Eheprobleme der Gegen-
wart veröffentlicht worden sind, einmal eine erscheint, die von einer lebens-
erfahrenen, geistig hochstehenden Frau geschrieben ist und die in jeder Zeile
Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie, Bd. 22, Heft 3. 21
322 Kritische Besprechungen und Referate.
klaren Gedankengehalt und reifes Urteil zeigt. Marianne Weber war die Gattin
des verstorbenen genialen Soziologen Max Weber. Man glaubt ihr, was sie über
die ideale Ehe aussagt, denn man spürt das persönliche Leben hinter den ins
Allgemeingültige gewendeten Gedanken.
Marianne Weber zeichnet auf der einen Seite das christlich-paulinische
Ideal der Askese, wonach alle Geschlechtsliebe im Grunde sündhaft ist und ihre
Betätigung allein mit Hinsicht auf die Erzeugung von Kindern als zulässig an-
erkannt wird, und auf der anderen Seite den extrem entgegengesetzten Anspruch
auf ungehemmte Lustbefriedigung in wechselnden geschlechtlichen Beziehungen
unter dauernder Vermeidung von Kindern. Neben diesen Wertungen des Ge-
schlechtlichen, die beide unvollständig sind, stellt Marianne Weber das Ideal
des Kulturmenschen: die Bejahung des Lebens dieser Welt und damit des Ge-
schlechtlichen und das Bewußtsein der Spannung zwischen Geschlechtlichkeit und
Geistigkeit, das allein den Menschen vor der Plattheit und Ungeformtheit bewahrt.
Die Einehe ist die höchste Form geschlechtlicher Beziehungen, — nicht die
im Durchschnitt verwirklichte Ehe, sondern die an ihrem eigenen Ideal orien-
tierte Ehe. „Wir verstehen darunter die Ehe, in der aus dem Wurzelgrund des
Geschlechtlichen beseelte Liebe aufsteigt, so stark und unbedingt, daß sie an ihre
eigene Dauer ... glaubt, und die deshalb ganz selbstverständlich den Willen zur
Treue einschließt. Und nur wenn zu einem solchen Gefühl und solchen Glauben
der Entschluß hinzutritt, die volle Verantwortlichkeit für die Folgen der Be-
ziehung zu tragen, besteht die Gewähr, daß die Totalverwirklichung aller im Ge-
schlechtlichen angelegten Sinngehalte gelingt: sowohl die gegenseitige Beglückung
der Liebenden, wie ihre gemeinsame seelische Entfaltung, wie ihre Opferbereit-
schaft füreinander und für die gemeinsamen Kinder.“ (S. 10.)
An dem so formulierten Ideal der Ehe mißt nun Marianne Weber die übri-
gen Formen geschlechtlicher Beziehungen, speziell im Hinblick auf die Wege der
unverheirateten, berufstätigen Frau unserer Zeit, die — nicht mehr wie die Nonne
von der Welt abgeschlossen, sondern ins freie Leben hineingestellt — einen
schweren Stand hat. Nur in seltenen Ausnahmefällen können Frauen die Erfül-
lung ihres Lebens in rein sachlicher Leistung finden. Im Wesen der Frau liegt es
vielmehr begründet, „daß das Gefühlsleben ein wesentliches Element zur vollen
Sinnerfüllung des Daseins ist“. (S. 15.)
Bei der Beurteilung der außerehelichen Beziehungen stellt Marianne Weber
den Satz an den Anfang, daß die freien Beziehungen ohne Bindung, ohne Ver-
antwortung für die Kinder sozialethisch schlechthin weltfremd sind, wäh-
rend jede Ehe, in der ein geordnetes Familienleben herrscht und in der Kinder
gewissenhaft versorgt werden, als soziale Institution einen fraglosen Wert dar-
stellt (S. 18). Die soziale und rechtliche Anerkennung der freien geschlechtlichen
Beziehungen zu fordern, sei deshalb völlig verfehlt.
Marianne Weber untersucht drei Formen außerehelicher geschlechtlicher
Beziehungen auf ihren individualethischen Gehalt: die ekstatische Liebe, die als
außeralltägliche Erscheinung ihre eigene Norm hat; die Prostitution, die als Be-
friedigung des Sexualtriebes um seiner selbst willen ohne seelische Verbunden-
heit nur als Abgleitung angesehen werden kann, und das freie Verhältnis, dessen
Wesen ist: „gegenseitige erotische Beglückung, solange die Zuneigung währt,
Kritische Besprechungen und Referate. E 323
—
ohne Bindung an Treue und alltägliche Lebensgemeinschaft, ohne den Willen
zur Elternschaft“ (S. 21). Von seiten der Frau ist ein solches Verhältnis nur
Behelf, den sie nimmt, weil sie Liebe sucht und nicht auf eine beglückende Ehe
rechnen kann. Die Hauptgefahr in diesem Verhältniswesen liegt in der Ge wöh-
nung an ungebundene und wechselnde Liebesbeziehungen.
Marianne Weber zeigt an den Beispielen der Ehen von Wilhelm und Karo-
line v. Humboldt und Robert und Elisabeth Barret-Browning, wie die Liebes-
gemeinschaft zwischen Mann und Frau, wenn sie eine tiefe geistige und seelische
Zusammengehörigkeit ist, die Eheleute durch das ganze Leben hindurch in gegen-
seitiger Hingabe aneinander bindet, und wie die „festesten Klammern“ und der
„Kostbarste Schatz“ Kinder sind, „welche die Gatten mit Naturgewalt in die
außererotische Sphäre ethischer und sozialer Bewährung drängen. Elternschaft
erweitert die Ehe zum sozialen Kreis, verleiht ihr unabsehbare Zukunftswirkung‘“.
Ist auch die Verwirklichung einer idealen Ehe nicht für alle Menschen
möglich, so kann das Ideal als solches doch für alle gelten und zur Orientierung
dienen; und das erschütternde Abgleiten der gegenwärtigen Generation liegt
darin, daß sie eben diesem Ideal die Gefolgschaft kündigt. Wurden früher aufer-
eheliche geschlechtliche Beziehungen nur unter der Oberfläche geduldet und als
Konzession an die eigene Triebgebundenheit empfunden, so wird heute sowohl
von Unverheirateten als von Verheirateten das Recht auf wechselnde Geschlechts-
beziehungen beansprucht. Durch diesen offenen Anspruch entsteht eine neue Situa-
tion. Zur Erklärung dieses Wandels der Anschauungen hätte Marianne Weber
auch die Kenntnis der Geburtenverhütung heranziehen sollen, denn diese spielt
zweifellos bei dem Anwachsen des außerehelichen Geschlechtsverkehrs eine ent-
scheidende Rolle. — Als drohende Folge der verantwortungsfreien, wechselnden
Triebbefriedigung sieht Marianne Weber hauptsächlich die Banalisierung und
Verflachung des Gefühislebens (Lindsey-Typen!). Auch individualethisch gesehen
sind diese Folgen gewiß vom Uebel. Aber es droht eine noch viel ernstere Gefahr
dahinter: mit der Lockerung und schließlichen Auflösung von Ehe und Familie
geht auch die Rasse dem Untergang entgegen.
Marianne Webers sozialreformerischen Vorschlägen kann man vom Stand-
punkt der Rassenhygiene aus zustimmen. Zunächst zur Frage der Ehescheidung:
Unser Rechtszustand, daß eine Ehe unlösbar ist, wenn einer der Gatten ihren
Fortbestand will, und daß jede Ehe lösbar ist, wenn beide Gatten auseinander
wollen und ein Verschulden simulieren, ist unhaltbar. „Die beabsichtigte Er-
weiterung der Schuldgründe, ja auch die etwaige Zulassung der Scheidung auf
Grund gegenseitiger Uebereinkunft würde deshalb lediglich eine Sanierung des
Scheidungsverfahrens bedeuten — keine grundsätzliche Neuordnung“ (S. 62).
Von Marianne Webers tapferem Blick zeugt folgende Stellungnahme: Falls der
Einehe ihr rechtlicher Monopolcharakter genommen werden soll, so wäre die recht-
liche Anerkennung des Konkubinats als einer Nebenehe denkbar. Bis ins hohe Mittel-
alter hinein war das Konkubinat zulässig. „Heute wäre es eine Konzession an die
polygamen Instinkte des Mannes und die Üeberzahl der Frauen, über die sich allenfalls
reden ließe — als eines geringeren Uebels gegenüber heutigen Zuständen“ (S. 56).
Im ganzen liegt der Wert von Marianne Webers Schrift in dem starken
Gehalt an menschlichem Urteil, in der tiefen Achtung vor dem, was die Menschen
21*
324 Kritische Besprechungen und Referate.
miteinander verbindet, und in dem Bewußtsein der Verantwortung, die wenige
für die Gestaltung des sozialen Ganzen zu tragen haben. Weniger stark wirkt
Marianne Weber da, wo es darum geht, praktische Konsequenzen im einzelnen
zu ziehen. Doch ist eben das auch nicht die Aufgabe einer Frau.
Kara Lenz-v. Borries (Herrsching).
Dannhauser, Alfred, Die Tragödie der modernen Frau. Das Pro-
blem der reiferen Jahre. Stuttgart 1928. Hädecke. 134 S. M. 5.—.
Das Buch hat — wie schon der Titel erraten läßt — vorwiegend feuilletonisti-
schen Charakter. Es gelingt dem Verfasser recht gut, die psychologische Situation
der Frau mit 40 Jahren zu zeichnen. Das Wesentliche in ihrer Lage sei „das
Bewußtsein, daß die Frist uneingeschränkter weiblicher Lebensfreude mit allen
ihren Ansprüchen eine bemessene ist“. (S. 23.) Infolge der drohenden Beschrän-
kung trete als häufige Reaktion ein verstärkter Lebenshunger auf, der haltlose
Frauen bis zu Lächerlichkeiten treiben könne (Sportfexerei, Fasching, Schminke,
erhaschte Liebschaften usw.). Die wünschenswertere Reaktion sei die, daß die
Frau, die zu altern beginne, in einer seelisch-geistigen Liebe verwurzelt bleibt,
und ihren Schwerpunkt in andere Lebenswerte, z. B. Sorge für die Familie, rein
menschliche Beziehungen, geistige Arbeit verlege. Diese seelische Reife und Ab-
klärung ist — biologisch gesehen — natürliche, kluge Anpassung; die Frau erleich-
tert sich dadurch den Entwicklungsschritt, der doch unentrinnbar ist. Allerdings
werden zu der „neuen“ Art der Lebensführung andere Kräfte und Fähigkeiten ver-
langt, und es ist nicht wohl möglich, daß sie sich plötzlich im Alter von 40 Jah-
ren einstellen, wenn sie vorher nicht schon vorhanden waren und betätigt wurden!
Unmittelbar interessiert den Rassenhygieniker am meisten, was Dann-
hauser über die Konfliktlösung innerhalb der Ehe sagt und wie er sich zur
Frage der Kinder stellt. In ersterer Beziehung können wir seinen Ansichten
beipflichten. Er stellt dem Leser deutlich vor Augen, daß der Eintritt der Wechsel-
jahre der Frau eine Belastungsprobe für die Ehe bedeutet, und zwar nicht zum
wenigsten dadurch, daß die Frau nun plötzlich zum Nachdenken über ihre bis-
herige Ehe kommt und ihren Mann kritisch betrachtet und beurteilt. Sehr häufig
entsteht daraus eine innere Entfremdung. Dannhauser meint, daß das Wis-
sen um diese Konfliktsmöglichkeiten und eine frühzeitige verständige Einstel-
lung der Frau die Schwierigkeiten sehr erleichtern könnte. Für wichtiger jedoch
als den Vorsatz „ich muß mich abfinden“, der doch allzu leicht bittere Resignation
einschließt, halte ich die Liebe der Frau zu ihren Kindern. Wenn eine Frau in
der Sorge für die Kinder und in der Freude an ihnen tiefe Befriedigung findet,
dann wird sie die Konflikte des eigenen Alterns nicht so überragend wichtig
nehmen und als tragisch empfinden, sondern mehr als einen selbstverständlichen,
wenn auch schweren Gang des Lebens. Was Dannhauser über die Bedeu-
tung der Kinder für die Frau sagt, wirkt leider etwas matt. Nur aus einigen
pointierten Aeußerungen geht seine positive Stellung zum Kinde hervor, so z. B.
wenn er sagt: „Die Frau mit gesunden Trieben will Mutter sein, zum allerminde-
sten will sie bemuttern.“ (S. 44.) Lehrreich für alle gewollt-kinderlosen Eheleute
ist folgender Satz: „Was dem Mann der Beruf bedeutet, das bedeutet in der Ehe
der Frau vor allem das Kind. Fehlt ihr diese selbstverständliche, natürliche
Sorge und Beschäftigung, bleibt ihr bloß der Mann, . . so wird es viel schwerer
Kritische Besprechungen und Referate. 325
sein, sich mit dem abzufinden, was nun einmal jede Ehe an Abfinden verlangt.“
(S. 94.) Die Leser pflegen ja einem Nervenarzt, der solche Dinge in Form eines
Essays schreibt, gern Glauben zu schenken! Deshalb möchte man dem Buch
von Dannhauser solche Leser wünschen, für die es berechnet ist.
Kara Lenz-v. Borries.
Roesle, E, Essai d'une Statistique comparative de la Morbi-
dité devantservirà établir les Listes spéciales des Causes
de Morbidité. Société des Nations. Genève 1928. M. 3.—.
Der vorliegende Versuch ist als Vorarbeit zu der geplanten Revision der
internationalen Liste der Morbiditätsursachen entstanden. Der bekannte Verfasser,
welcher der im Rahmen der Hygienesektion des Völkerbundes gebildeten Kom-
mission statistischer Sachverständiger angehört, hat zu diesem Zwecke die Stati-
stik der Allgemeinen Ortskrankenkasse Berlin aus dem Jahre 1927, die Statistik
der ungarischen Krankenkassen aus den Jahren 1923—1925, die Statistik der Orts-
krankenkasse Leipzig aus den Jahren 1887—1905, die Morbiditätsstatistik der Stadt
Moskau aus dem Jahre 1925 sowie die Todesursachenstatistik Englands und Wales
aus den Jahren 1924—1926 vergleichend bearbeitet und kommt schließlich zur
Aufstellung eines aus 268 Rubriken bestehenden Schemas, welche sich auf 18 Grup-
pen verteilen. Wirklich brauchbare, zu örtlichen und zeitlichen Vergleichen geeig-
nete Morbiditätsstatistiken sind ja leider immer noch große Seltenheiten; es ist
diese Sachlage um so bedauerlicher, als vom gesundheitspolitischen Standpunkte
aus der Morbiditätsstatistik eine ungleich größere Bedeutung zukommt, als der
Erkrankungsfälle Todesfälle
mit Arbeitsunfähigkeit einhergehend der in England
-OKK Berlin | Ungar K-K |IO-K_KTeinzig | Stadt Moskau und Wales
O.-K. ee | N K. | O.-K.-K.Leipzig 1925 1924/26
1887/1905 |
pro 100 000 Versicherte pro 100000 Einwohner
Tuberkulose 2074 — 856 —_ 771 — |4489 — 116,7 —
Gonorrhöe 531 | — 53 — |187 — | 897 un 0,11 —
Syphilis 281 — 47 — 118 — |576 — 4,1 —
Gicht 156 | 167 — — 109 11 31 100 0,9 0,2
Diabetes 94 | 130 9,8 5 17 62|] — — 10,2 | 12,2
Krankh. d. endo-
krinen Drüsen 60 | 666 19 51 3,8] 26 — — 1,9 6,0
Hämophilie 0,9 23| — — 1,5 0,4) — — 0,4 0,5
Alkoholismus 37 2,3 4,7 0,8| 50 46| 410 22 0,5 0,2
Chron. Vergift.
durch anorgan.
Substanzen 71 42| — 7,4 | 3583 101 02 — 0,2 0,02
a) Blei — — 9,1 2,2 | 351 100 021 — 0,2 0,01
b) Quecksilber — — 0,5 12| — — — — 0,02) —
Neurasthenie 2822 |4477 208 271 221 214 |2362 1698 — —
Schwachsinn 1,9 08 — — — — — — 0,7 0,8
Epilepsie 132 | 91 — — 89 | 105 — — | 60| 50
Salpingitis und
Beckenabszeß — |2423 — — — 43 — — — 1,2
Oophoritis — | 587 — — — 91 — — — —
Abort —- 2416 — 225 — 642 — — — 0,5
326 Kritische Besprechungen und Referate.
— 0097735 mu nn Er en —m 0 denen
bisher mit so großem Aufwande organisierten Mortalitätsstatistik, welche zudem
schon in ihren Erhebungsmethoden zum Teil auf recht unsicherem Boden steht.
Die vorliegende Arbeit ist daher ebenso wie vom statistisch-theoretischen Stand-
punkt aus auch in statistisch-materieller Hinsicht von großer Bedeutung. In der vor-
hergehenden Tabelle sind einige Positionen des reichen Inhaltes zusammengestellt,
welche für das Gebiet der Sozialbiologie besondere Beachtung beanspruchen dürfen.
Es wäre zu wünschen, daß durch die vorliegende mühsame Arbeit die bisher
allzusehr vernachlässigte Morbiditätsstatistik einen kräftigen Antrieb erhält. Denn
die Befürchtung ist nicht ganz unbegründet, daß die jetzt auf dem Gebiete der
medizinischen Statistik in Angriff genommene Völkerbundsarbeit mit einem gut-
durchdachten System der Krankheiten zwar ein recht ansehnliches Gefäß zutage
fördert, das mit brauchbarem Inhalt zu füllen aber von den zuständigen Stellen
der Mitgliederstaaten unterlassen wird. Ä Schmidt (Fritzlar).
Geiger, Theodor, Die Gestalten der Gesellung. 145 S. Karlsruhe 1928.
G. Braun. M. 4.80.
Der Verf. bezeichnet es als die Aufgabe seines Buches, „Form-Typen sozialer
Gestalten herauszustellen“ (S. 1). Der formale Gesichtspunkt ist demnach leitend
bei der Betrachtung der gesellschaftlichen Erscheinungen, doch werden die
„Form-Typen“ auch nach ihrem Wesen und ihrer geschichtlichen Entwicklung
untersucht. Der Verf. unterscheidet unter den Gestalten der Gesellung zwei Ge-
bildetypen: die Menschenverbindungen und die gegenständlichen Gebilde. Inner-
halb der ersteren triflt er folgende Vierteilung: Gruppe, Paar, Haufe und Schicht.
Die Gesellschaftsform der Gruppe wird einer eingehenderen Untersuchung unter-
zogen.
In seiner grundlegenden gesellschaftsphilosophischen Anschauung möchte der
Verf. das „Entweder-Oder“ zwischen individualistischer und universalistischer
Betrachtungsweise vermeiden, er glaubt durch ein „Sowohl-Als-Auch“ (S. 4) bei-
der Auffassungen die Lösung gefunden zu haben. Die Begründung seines Stand-
punktes ist wenig überzeugend, und wenn er auch gegen die „Phantasien“ (S.17)
der universalistischen Gesellschaftsordnung vorbeugen zu müssen glaubt, so be-
kennt er sich doch zu dieser; als Beleg seien die folgenden Sätze zitiert: „Spreche
ich vom Begriff des wirklichen Menschen, so muß ich notwendig das Verbunden-
sein jedes Exemplars Mensch mit irgendanderen seinesgleichen in diesem Begriff
mitdenken“ (S. 3). „Ich-Selbst und Du sind demnach nur die gleichzeitigen
individualen Entsprechungen des Wir in mehreren Lebewesen ‚Mensch‘“ (S. 7).
Die Besprechung eines gesellschaftswissenschaftlichen Buches in diesem
Archiv wird selbstverständlich besonders auf die Behandlung der biologischen
Grundlagen der Gesellschaft achten. In dieser Hinsicht hätte der Ref. allerdings
gewünscht, daß die Vorbedingungen der Gesellschaft und hierbei die Bedeutung
der Rasse in dem Buch mehr Beachtung gefunden hätten. Auf S. 40 hätte bei der
Behandlung der Frage des „Eigenbestandes der Samtschaft“ auf die Abhängig-
keit von den Erbanlagen der Menschen hingewiesen werden müssen. Auf S. 77
werden als „biologisch begründete Gruppen“ Horde, Stamm und Familie genannt.
Bei diesen Gruppen deckt sich also die biologische Einheit mit der gesellschaft-
lichen. Die der Familie übergeordnete biologische Einheit ist die Rasse, die heute
allerdings nirgends mehr als gesellschaftliche Einheit auftritt. Davon unberührt
Kritische Besprechungen und Referate. — Notizen. 327
bleibt aber die Bedeutung der Frage nach der biologischen Begründung aller
gesellschaftlichen Gruppen. Zwischen Stamm und Volk zieht der Verf. die Grenze
etwa dort, „wo nicht mehr die rassische Artung, sondern die Gemeinsamkeit der
Kulturwerte entscheidendes Kennmal der Zugehörigkeit ist“ (S. 61). Unter Be-
tonung des Adjektivs „entscheidend“ kann dem wohl zugestimmt werden.
Auf S. 94, 12. Zeile von oben, möchte Ref. das Wort „Erbgut“ durch „Tradi-
tionsgut“ ersetzt wissen, da dem Wort Erbgut heute eine ganz andere Bedeutung
zukommt, als sie sich aus dem Zusammenhang der betr. Stelle ergibt. Oder glaubt
der Verf. etwa an die lamarckistische Vorstellung, daß „Niederschläge an Erinne-
rungen, Erlebnisrückstände usw.“ zum biologischen Erbgut (ein anderes
gibt es nicht!) für Menschen werden können?
Rassenhygienisch besonders erfreulich sind die Ausführungen des Verf. über
Ehe und Familie: „Die Ehe ist ein Verhältnis zwischen Mann und Weib von ganz
bestimmtem Sinn: nämlich gezielt auf die Familie. Hierin liegt ihre Bedeutung.
Damit ist aber auch gesagt, daß die Ehe dem Typus des Paares von eigener
Sinngeltung nicht zugehört; sie ist ein Paargebilde, das seinen Sinn aus der
Gruppe Familie empfängt. Solange die Familie nur durch Mann und Weib dar-
gestellt ist, solange Kinder noch nicht die Familie vollständig gemacht haben,
sind diese doch — bei einer echten Ehe — schon in den ganzen Lebenstypus des
ehelichen Verhältnisses einbezogen und in ihm tatsächlich psychisch wirksam,
ohne noch leiblich zu existieren.“ O. v. Verschuer (Berlin-Dahlem).
Notizen.
Preisausschreiben
für die beste Arbeit über die Ursachen des Geburtenrückgangs.
Durch ein früheres Preisausschreiben der Gesellschaft für rassenhygienische
Forschung (Eugenics Research Association) sind Arbeiten über das Verhältnis
von Geburten und Todesfällen in verschiedenen Ländern veranlaßt worden, die
gezeigt haben, daß die Nettofruchtbarkeit während der letzten vierzig Jahre in
verschiedenen europäischen Ländern gefallen ist.
Diese Gesellschaft setzt nun (September 1929) einen neuen Preis von 3500 Dollar
für die beste Arbeit über die Ursachen des Geburtenrückganges mit besonderer
Berücksichtigung der Europäer und Menschen europäischer Abstammung aus.
Die Behandlung sollte geschichtlich sein, eine Analyse der früheren Arbeiten
über den Gegenstand enthalten und den Nachdruck auf die Erscheinung bei
Völkern nordischer oder vorwiegend nordischer Abstammung in allen Teilen der
Welt legen. Arbeiten, die sich auf objektive Untersuchungen gründen, werden
den Vorzug vor solchen erhalten, die bloße Meinungsäußerungen bringen.
Der Wettbewerb steht der ganzen Welt offen; und die Arbeiten können in
englischer, deutscher oder französischer Sprache geschrieben sein.
Die Manuskripte dürfen nicht den Namen des Verfassers tragen; jedes muß
vielmehr zum Zweck der Identifizierung mit einem Motto versehen und von
einem versiegelten Umschlag begleitet sein, der Name und Anschrift des Ver-
fassers enthält.
328 Notizen. — Aus der Gesellschaft für Rassenhygiene.
Die Gesellschaft behält sich das Veröffentlichungsrecht für die eingereichten
Arbeiten vor.
Die für das Preisausschreiben bestimmten Arbeiten sind an die Eugenics
Research Association, Cold Spring Harbor, N. Y., U. S. A., zu senden. Sie müssen
so rechtzeitig auf die Post gegeben werden, daß sie ihren Bestimmungsort bis
zum 1. Juni 1930 erreichen.
Rassenhygiene oder Eugenik ?
„Perhaps the word „eugenics“ might better be dropped. It is a good term,
but has been so much maligned and misrepresented that there is a tremendous
prejudice against it. The word is often received by otherwise reasonable per-
sons with disgust, or with an indulgent smile and shrug of the shoulders. The
term in its original and strict sense is not broad enough to include the nume-
rous phases which are now grouped about the subject. We have the terms
„personal hygiene“, „sex-“, „school-“, „social“, „mental“ and „moral“ hygiene.
Why not the terms „race-“ or „racial hygiene“? In fact, these names are being
used more and more, and are much more to the point than the term „eugenics“,
because much that is commonly regarded as eugenics and as quite important to
the welfare of the race is really quite separate.“
So schreibt der Amerikaner Th. B. Rice in seinem Buche „Racial Hy-
giene“, New York 1929, The Maxmillan Co. S. 360. Auf Deutsch heißt das:
„Vielleicht sollte man das Wort „Eugenik“ besser fallen lassen. Es ist ein
guter Fachausdruck; aber es ist so viel angefeindet und falsch aufgefaßt worden,
daß ein ungeheures Vorurteil dagegen besteht. Das Wort wird von sonst ver-
ständigen Leuten oft mit Widerwillen oder mit einem nachsichtigen Lächeln und
Achselzucken aufgenommen. In seinem ursprünglichen und strengen Sinne ist der
Ausdruck nicht weit genug, um die zahlreichen Phasen, die jetzt um den Gegen-
stand gruppiert sind, zu umfassen. Wir haben die Ausdrücke „persönliche Hy-
giene“, „Sexualhygiene“, „Schulhygiene“, „soziale“, „geistige“ und „moralische
Hygiene“. Warum nicht die Ausdrücke „Rassen-“ oder „rassische Hygiene“?
Tatsächlich werden diese Namen immer mehr gebraucht, und sie sind viel tref-
fender als der Ausdruck „Eugenik“, weil vieles, was gewöhnlich als Eugenik
und als wichtig für das Gedeihen der Rasse angesehen wird, tatsächlich etwas
ganz anderes ist.“ Lenz.
Aus der Gesellschaft für Rassenhygiene.
Hauptversammlung der Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene
in Tübingen am 8. September 1929.
Vertreten waren die Ortsgruppen Berlin, Dresden, München, Stuttgart und
Tübingen. Der zweite Vorsitzende, Amtsgerichtsrat Dr. Schubart, der die Ver-
sammlung leitete, gedachte zunächst des verstorbenen 1. Vorsitzenden, Ministerial-
direktors Dr. Krohne. Nach Erstattung des Berichts über die letzten 2% Jahre
wurde dem Vorstand Entlastung erteilt.
Die Ortsgruppe Berlin stellte den Antrag, an den Strafrechtsausschuß des
Reichstages eine Eingabe betreffs Sterilisierung zu richten; dieselbe sollte ähnlich
Aus der Gesellschaft für Rassenhygiene. 329
lauten wie die Eingabe, welche von dem erweiterten Ausschuß der Berliner Ras-
senhygienischen Gesellschaft im Anschluß an ein Referat von Prof. Rüdin-
München beschlossen worden war. Es wurden Bedenken vorgebracht und betont,
daß es taktisch besser sei, jetzt keine Auseinandersetzung und Festlegung der
Sterilisierungsfrage herbeizuführen, da ohnedies durch den neuen Strafgesetzent-
wurf. die Vornahme der Sterilisierungsoperation nicht mehr strafbar sei. Dem-
gegenüber wurde hervorgehoben, daß die Straffreiheit auch nach dem neuen
Strafgesetzentwurf nicht zweifelsfrei sei; außerdem sei die praktische Durchfüh-
rung der Sterilisierung so dringlich und wohlbegründet, daß sie ausdrücklich als
erlaubt in das Strafgesetzbuch, aufgenommen werden müsse. Es wurde daraufhin
beschlossen, an den 21. Ausschuß (Reichsstrafgesetzbuch) des Reichstages zu $ 238
des amtlichen Entwurfes eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches von 1925
den Antrag zu stellen, folgende Ergänzung aufzunehmen:
„Eine Körperverletzung im Sinne dieses Gesetzes liegt nicht vor, wenn ein
approbierter Arzt die künstliche Unfruchtbarmachung eines Menschen (Sterilisa-
tion) mit dessen Zustimmung vornimmt, weil der Eingriff nach den Regeln der
ärztlichen Kunst zur Abwendung einer ernsten Gefahr für das Leben oder die
Gesundheit des Betrefflenden oder dessen sonst zu erwartende Nachkommen-
schaft erforderlich ist.“
Zufolge eines Antrages von Prof. Lenz beschäftigte sich die Versammlung mit
der Frage der rassenhygienischen Umgestaltung des Einkommensteuergesetzes. Es
wurde beschlossen, den Ortsgruppen die Anregung zu geben, diese Frage zum
Gegenstand ihrer Beratungen während dieses Winters zu machen und über das
Ergebnis an den Vorstand zu berichten, damit dieser der nächsten Versammlung
einen entsprechenden Antrag an die Reichsregierung zur Beratung vorlegen könne.
Da bis dahin sicherlich gut ausgearbeitete Entwürfe auch im Druck erschienen
sein werden, werde unter Hinweis hierauf ein Antrag der Gesellschaft erfolgver-
sprechend sein.
Amtsgerichtsrat Schubart stellte den Antrag, alsbald ein Preisausschreiben
zur Erlangung von Lesestücken rassenhygienischen Inhalts für Lesebücher von
Fortbildungsschulen und anderen Schulen zu veranstalten. Die Berliner Ortsgruppe
hatte sich mit dieser Angelegenheit bereits eingehender befaßt und auf der letz-
ten Vorstandssitzung beschlossen, die vorhandene Literatur auf geeignete Lese-
stücke durchzusehen. Zu Beginn des nächsten Jahres sollte das Ergebnis dieser
Bemühungen beraten und weitere Entschlüsse gefaßt werden. Angesichts dieser
Umstände und in Anbetracht der ungünstigen finanziellen Lage der Gesellschaft
wurde beschlossen, zunächst von der Aussetzung von Preisen abzusehen.
Als Verwaltungsort für die nächsten zwei Jahre wurde wieder Berlin be-
stimmt. Der neugewählte Vorstand setzt sich wie folgt zusammen: 1. Vorsitzender:
Prof. Dr. E. Fischer, 2. Vorsitzender: Ministerialrat Dr. A. Ostermann, Schrift-
führer: Dr. H. Muckermann, stellvertretender Schriftführer: Dr. Frhr.
v. Verschuer, Kassenwart: Frau Konopath. Herr Amtsgerichtsrat Dr.
Schubart wurde in den Vorstandsrat gewählt.
O. v. Verschuer (Berlin-Dahlem).
Zeitschriftenschau.
Archiv der Julius-Klaus-Stiftung für Vererbungsforschung, Sozialanthropologie
und Rassenhygiene. 1927. Bd. III. S. 1—84. Kobel, F.: Zytologische Unter-
suchungen an Prunoideen und Pomoideen. — S. 85—94. Wieser, St.:
Sehschärfe und Refraktion bei 46 Sudannegern. 85,5% der unter-
suchten Augen hatten Sehschärfe über 1,0; bei 23,3 % der Augen betrug die Seh-
schärfe 2,4. Die durchschnittliche Sehschärfe der geprüften Neger ist besser als die
einer Schweizer Vergleichsbevölkerung. Die Refraktion ist in der Mehrzahl der Fälle
leichte Hyperopie, in einigen Fällen Emmetropie, in keinem Fall Myopie. Auch
Astigmatismus der Hornhaut wurde nicht gefunden. — S. 95—218. Grützner, G.: K ör-
perwachstum und Körperproportionen 15—19jähriger Schwei-
zerinnen. 225 Mädchen einer Züricher Mittelschule wurden anthropologisch ge-
messen. Die Einzelmaße sind in Tabellen wiedergegeben. Eine große Anzahl von
Indizes und Korrelationen wurde berechnet und ist im einzelnen mitgeteilt.
O. v. Verschuer (Berlin-Dahlem).
Biometrika. A Journal for the statistical study of biological
problems. 1927. Vol. XIX. S. 39—44. Tappan, M.: On partial multiple
correlation coefficientsinauniverseof manifold characteri-
stics. — S. 45—52. Dodd, St. C: On criteria for factorising correla-
ted variables. — S. 100—109. Hall, P: Multiple and partial correla-
tion coefficients in the case of an n-fold variate system. —
S. 110—150. Stoessiger, B. N: A study ofthe Badarian crania recently
excavated by the British School of Archaeology in Egypt. Die
Fundstelle liegt im Norden von Oberägypten; zeitlich scheinen die Schādel älter zu
sein als die schon bekannten prädynastischen Serien. Von 36 @' und 22 ? Schädeln
werden die Maße und Indizes angegeben. — S. 165—199. Woo, T. L. and Pearson, K.:
Dextrality and sinistrality of hand and eye. Das Material stammt
von Galtons anthropometrischen Erhebungen aus den achtziger Jahren. Es umfaßt rund
7000 Personen, bei welchen jeweils rechts und links die Sehschärfe des Auges und die
Muskelkraft der Hand gemessen wurden. Ergebnis: Händigkeit (d. h. Muskelkraft der
Hand) und Aeugigkeit sind unabhängig voneinander und vom Lebensalter. Auch bezüglich
des Grades der Verschiedenheit zwischen rechts und links ergibt sich keine Beziehung zwi-
schen Sehschärfe und Händedruck. — S. 200—206. Tildesley, M. L: Determination of
the cranial capacity ofthe Negro from measurements on the
skull or the living head. — S. 211—214. Pearson, K. and Stoessiger, B. N.:
On further formulae for the reconstruction of cranial capa-
city from external measurements of the skull. — S. 246—291. Pear-
son, K. and Moul, M.: The mathematics of intelligence. I. The sam-
pling errors in the theory ofa generalised factor. — S. 292—353.
Stocks, P., Stocks, A. V. and Karu, M. N: Goitre in adolescence; an
anthropometric study of the relation between the size of the
thyroid gland and physicaland mental development. Bei Knaben
Zeitschriftenschau. 33l
konnte keine positive Korrelation zwischen Schilddrüsengröße und anderen Körper-
maßen festgestellt werden. Bei Mädchen ergab sich u. a. eine positive Beziehung zu
Körpergröße und -gewicht, zum Wachstum, zum Händedruck, keine Beziehung zur
Haar- und Augenfarbe. — S. 417—440. Morant, G. M.: A study ofthe Austra-
lian and Tasmanian skulls, based on previously published
measurements. — 1928 Vol. XX A. S. 1—31. Mahalanobis,P. C.: On the need
for standardisation in measurements on the living. Anregung zur
internationalen Einigung über die anthropologischen Meßmethoden. — S. 53—63. Mer-
rill, A. S: Frequency distribution of an index when both the
components follow the normal law. — S. 79—148. Woo, T. L.: Dex-
trality and sinistrality of hand and eye. Second memoir. Sechs
verschiedene Funktionsprüfungen für Händigkeit und fünf verschiedene Funktions-
prüfungen für Aeugigkeit wurden an rund 400 englischen Studenten vorgenommen.
Einseitiges funktionelles Ueberwiegen ist keineswegs das gewöhnliche Vorkommnis:
manche Prüfungen fallen rechts und links gleich aus; Ueberwiegen der einen Seite
in der einen Prüfung kann mit Ueberwiegen der anderen Seite in einer anderen
Prüfung verbunden sein. Zwischen Händigkeit und Aeugigkeit bestehen keinerlei Be-
ziehungen. — S. 149—174. Pearson, K.: On a method of ascertaining li-
mits totheactual number of marked members ina population
of given size from a sample. — S. 175—2410. Neyman, J. and Pearson, E. S.:
On the use and interpretation of certain test criteria for
purposes of statistical inference. Part I.
O. v. Verschuer (Berlin-Dahlem).
Bruns Beiträge zur klinischen Chirurgie. 1927, Bd. 141, S. 256—267. Birken-
fed, W.: Vererbungspathologische Untersuchung an Zwillin-
gen mit Lippen-, Kiefer- und Gaumenspalten. Unter 204 Fällen des
Materials der Chirurgischen Klinik der Berliner Charite zeigten 42 — 20 % familiäres
Vorkommen. Nähere Untersuchungen an mit der Spaltbildung behafteten Zwillingen
ergaben, daß bei eineiigen Zwillingen (ein Fall eigener Beobachtung und acht bezüg-
lich der Eineiigkeit mehr oder weniger sichere Fälle) die Mißbildung stets bei beiden
Zwillingen entweder einseitig, oder häufiger spiegelbildlich, wie bei vielen anderen
sicheren Erbmerkmalen, angetroffen wird. Ueber die Art des Erbganges läßt sich
nichts Neues aussagen. — Bd. 141, S. 442—447. Bauer, K. H.: Homoiotransplan-
tation von Epidermis bei eineiigen Zwillingen. Bei einem eineiigen
Zwillingspaar mit bilateral symmetrischer, völlig identischer Syndaktylie wurde ge-
legentlich der operativen Beseitigung Epidermis des einen Zwillings auf einen Wund-
defekt des anderen Zwillings überpflanzt. Entgegen den sonstigen Erfahrungen mit
homoioplastischen Transplantaten heilte das überpflanzte Gewebstück ebenso reak-
tionslos und dauernd ein wie das autoplastische Transplantat bei dem Spender. Die
Erklärung wird in der völligen erbbiologischen Gleichheit eineiiger Zwillinge gesehen.
Der Erfolg eröffnet Ausblicke auf den praktischen Wirkungsbereich erbbiologischer
Zwillingsforschung. — Bd. 143, 1928, S. 476—483. Jüngling, O.: Polyposis in-
testini. Hereditäre Verhältnisse und Beziehungen zum Kar-
zinom. Verf. zeigt an einem von Hüchtemann beigebrachten Stammbaum, der
sich über drei Generationen erstreckt, daß sich die Polyposis intestini offenbar domi-
nant vererbt. Die bisherige geringe Kenntnis ihres Erbganges beruhe vor allem auf der
ungenügenden Erforschung der Familien. In ihrem Zusammenhange mit Reizzustän-
den der Rektalschleimhaut und dem häufigen Uebergang ia Karzinom habe sie an der
äußeren Haut ein Gegenstück in dem Xeroderma pigmentosum, das ebenfalls erb-
lich ist. Blümel (Göttingen).
332 Zeitschriftenschau.
Deutsches Archiv für Klinische Medizin. 1928. Bd. 162. S. 68—107. Starck, H.:
Dystophia ontogenetica Recklinghausen. Die wesentlichsten Sym-
ptome des Krankheitsbildes sind: Pigmentverschiebung, multiple Fibrombildung, psychi-
sche Alterationen und endokrine Störungen. Die leider nur anamnestisch erhobene
Familiengeschichte ergibt folgende Krankheiten: bei der Großmutter (mütterl.) Gicht
und Rheumatismus, bei der Mutter schwerer Rheumatismus und bei deren Schwester
Diabetes mellitus; der Vater war sehr nervös, an Zungenkarzinom gestorben; ein
Bruder leidet an Nervenzucken im Gesicht. — S. 194—214. Curtius, F.: Unter-
suchungen über das menschliche Venensystem. I. Mitteilung.
Die hereditäre Aetiologie der Bein-Phlebekasien. Siehe Refe-
ratenteil. — S. 330—354. Curtius, F.: Untersuchungen über das mensch-
liche Venensystem. Il. Mitteilung. Die allgemeine, ererbte
Venenwanddysplasie (Status varicosus). Siehe Referatenteil.
O. v. Verschuer (Berlin-Dahlem).
Fortschritte auf dem Gebiet der Röntgenstrahlen. 1928. Bd. 37. S. 183—185.
Göttche, O: Asymmetrisches Auftreten der Epiphysenkerne der
Handwurzelknochen. Beschreibung zweier Fälle. Ursache wahrscheinlich
Tuberkulose. — S. 467—483. Rochlin, D. G. und Simonson, S. G.: Ueber den
Klein- und Zwergwuchs. Die Arbeit enthält photographische Aufnahmen und
Röntgenbilder verschiedener Zwergwuchsformen. Die Verfasser weisen auf die Wechsel-
beziehungen zwischen dem äußeren Bilde und dem Knochenalter (dem Verknöche-
rungsstadium) hin. — S. 884—889. Valentin, B: Ueber einen Fall von Mélo-
rhéostose (Osteosclerosis, Osteosis eburnisans monomelica, Osteopathia hyper-
ostica). Der Großvater der Probandin hatte eine rechtsseitige „Mäusehand“: statt der
Finger nur Stümpfe. Sonst in der Familie angeblich keine Krankheiten. — Bd. 38.
S. 339—348. Stelert, A: Ueber die kindliche Sella turcica, ihre nor-
male Entwicklung und ihr Verhalten bei einer Reihe von ab-
normen Zuständen. Die Entwicklungskurve der Sella turcica zeigt ein rasches
Ansteigen bis zu 4 Jahren, einen sehr flachen Verlauf bis zum 13. Jahr und dann
einen erneut steileren Anstieg bis zum Alter von 16 Jahren. Bei Mädchen beginnt
die zweite Periode beschleunigten Wachstums schon mit 10 Jahren (früheres Ein-
setzen der Pubertät). — S. 478—488. Schertlein, A: Ueber die häufigsten
Anomalienan derBrustlendenwirbelsäulengrenze. — S.553—555.
Loben, F.: Ueber angeborene Rechtslagerung des Herzens bei
normalem Situs der Bauchorgane. Kasuistischer Beitrag. — S. 556—565.
Kaplan, A. L.: Zur Frage: Ovarienbestrahlung und Nachkommen-
schaft. In drei Fällen trat nach Röntgenbestrahlung Schwangerschaft ein; die
Früchte zeigten keine auffallenden Anomalien,. In einem Fall litt die Mutter an
myeloischer Leukämie. O. v. Verschuer (Berlin-Dahlem).
„Die Neue Generation.“ 23. Jahrgang. 1927. S. 54. Riese, W.: Ueber das heu-
tige Sexualideal des Mannes. Die Bevorzugung des knabenhaften Weibes
mit geringer Ausbildung der sekundären Sexualcharaktere wird vom Verf. mit mangeln-
der Triebstärke des heutigen Mannes erklärt. — S. 65. Hodann, M.: Die Sexual-
frage beiden Heranwachsenden. Verf. gibt aus Schulbesprechungen mit
älteren Volksschülern eine Auswahl der Fragen, die an ihn gerichtet wurden. Sie
betreffen die Vorgänge der Zeugung und Geburt, der Menstruation, die Geschlechts-
krankheiten und zeigen, was den Jugendlichen an diesem für ihn geheimnisvollen
Gebiet interessiert und wie man ihm Aufklärung geben kann. — S. 123. Vaerting, H.:
Frauenüberschuß und Ehelosigkeit in Deutschland. Während in
der Vorkriegszeit auf 1000 Männer 1029 Frauen entfielen, der Ueberschuß aber fast
Zeitschriftenschau. 333
ausschließlich die Altersstufen über 45 Jahren betraf und im Alter von 20—25 Jahren
sogar die Männer überwogen, ist heute nicht nur der absolute Frauenüberschuß weit
größer (1074:1000), sondern er entfällt auf die für die Eheschließung in erster Linie
in Betracht kommenden Altersstufen von 20—45 Jahren (1160:1000). Dazu bleiben fast
44 % der Männer dieser Altersstufe unverheiratet, von den Frauen 42 %. — S. 163.
Sehulte-Vaerting, H.: Ueber Tierarten, bei denen die Weibchen grö-
Berundstärkersindals die Männchen. Verf. meint, daß in naturwissen-
schaftlichen Werken Angaben über die Größe der weiblichen Tiere verschwiegen oder
verschleiert werden, wenn das Weibchen größer ist als das Männchen (z. B. bei
Fröschen, Fischen, Insekten, Vögeln u. a.), denn diese Tatsache würde unsere männey-
staatlichen Anschauungen verletzen. Aus demselben Grund werde die Veröffentlichung
seiner unbezweifelbaren Feststellungen „von einer geradezu unendlichen Zahl“ von
Redaktionen abgelehnt. — S. 201. Weinberg, S.: Die Abtreibungen in der
neuesten Kriminalstatistik. Die Zahl der Bestrafungen wegen Abtreibung
ist von 1882 mit 191, 1914 mit 1678, 1921 mit 4388 und 1924 mit 5629 in ständigem
Steigen begriffen. Acht Neuntel aller Bestraflen waren noch völlig unbestraft. —
S. 233. Hiller, K.: Die homosexuelle Frage. H. betont, man dürfe nicht die
Frage der Homosexualität nach deren Auswüchsen beurteilen, ebensowenig wie man
dies bei der mann-weiblichen Liebe tue. Die sexuellen Minderheiten müßten geschützt
werden. Abgesehen von Vergehen an Geschlechtsunreifen sei kein Grund vorhanden
für die Einkerkerung eines Erwachsenen, der mit einem Erwachsenen bei gegen-
seitigem Einverständnis unschädliche, niemandes Interessen gefährdende Intimi-
täten vollzogen habe. Drei Viertel aller Staaten hätten den Liebesverkehr der Gleich-
geschlechtlichen längst als berechtigt anerkannt. — S. 279. Kalm, J. R.: Orien-
talische Prostitution. Beschreibt die Zustände in muselmanischen Ländern
des Orients, wo neben muselmanischen die international bevölkerten Bordelle über-
wiegen. Die Prostitution ist dem Orientalen zu selbstverständlich, als daß in abseh-
barer Zeit eine Besserung der sozialen und hygienischen Verhältnisse zu erwarten
wäre. Besonders im Hinblick auf die Kinderprostitution müßten europäische Kreise
mit den Führerinnen der Frauenemanzipation im Orient zusammenarbeiten. — S. 294
Noack, V.: Die staatspolitische Bedeutung der Wohnungsnotals
Sexualproblem. Die sittliche Wertung sexueller Vorgänge muß mit dem Woh-
nungselend der Nachkriegszeit rechnen. Seine Beseitigung, die Erfüllung des Verspre-
chens der Reichsverfassung auf ausreichende Wohnung durch Boden-, Siedelungs- und
Wohnungspolitik wird gefordert. — S. 312. Forel, A.: Gesetzentwurf zur be-
dingten sexuellen Vereinigung der Jugend in allen Ländern.
Um der sexuellen Not der Jugend und der durch unsere gesellschaftlichen Zustände
bedingten kakogenischen Entartung (Prostitution, venerische Krankheiten, Blasto-
phthorie usw.) zu begegnen, schlägt F. ein Gesetz vor, nach dem vom 16. Jahr bis zur
Volljährigkeit der Jugendliche von der absoluten Abhängigkeit von den Eltern befreit
werden soll. Sein Arbeitsertrag muß ihm voll überlassen bleiben, er darf eine provi-
sorische Ehe schließen, die Anwendung empfängnisverhütender Mittel ist ausdrücklich
gestattet, werden aber Kinder geboren, so müssen sie von den Eltern erhalten werden.
Den jungen Ehepaaren wird Enthaltung von Alkohol und anderen narkotischen Mit-
teln dringend empfohlen. Bei erreichter Volljährigkeit kann die provisorische Ehe auf
ein- oder beiderseitigen Wunsch wieder geschieden werden. — S. 315. Krische, M.:
Das Sexualleben der Jugendlichen. Im Gegensatz zu dem Aufsatz von
Forel warnt Verfasser vor zu früher Erfüllung des Liebeslebens, das gerade bei der
Frau erst einige Jahre nach der Pubertät voll ausgereift sei. Verantwortungsvolle
Zügelung des Trieblebens auf sexuellem Gebiet sei notwendig für die Entwicklung
334 Zeitschriftenschau.
der gesamten Persönlichkeit. — S. 355. Rnben-Wolf, M.: Der russische Nach-
wuchs. Rußland hatte 1927 einen Geburtenüberschuß von 5 Millionen trotz frei-
gegebener Abtreibung. Die Gründe für die soziale und gesundheitliche Hebung der
Kinder sieht Verfasser in folgendem: Es gibt keine ungewollten Kinder mehr, den
Unehelichen ist der Makel genommen, die proletarische Medizin sorgt ernsthaft für
die Reinhaltung der Rasse, indem geistesschwache, syphilitische und sonstwie erblich
belastete Kinder vor der Geburt schmerzlos beseitigt werden, durch Schwangeren-,
Säuglings- und Kinderfürsorge jeder Art wird die Aufzucht verbessert und die Ent-
lastung der Mutter durch Rationalisierung der Hauswirtschaft erlaubt ihr eine sorg-
fältigere Erziehung der Kinder. — S. 383. Pickens, W.: Der sexuelle Komplex
im amerikanischen Rassenproblem. Die soziale Abschließung der Neger,
das Verbot von Mischehen und das Lynchen als Strafe für angeblich begangene Not-
zucht werden von den Weißen mit der Erhaltung der Rassenreinheit begründet, wäh-
rend sie nach den Darlegungen des Verfassers nur Ausfluß wirtschaftlich-kapitalisti-
scher Bestrebungen sind, die sich sexuelle Momente nutzbar machen.
A, Argelander (Jena).
Hereditas. Genetiskt Arkiv. 1927. Bd. IX. S. 1—9. Morgan, T. H.: Ex-
ceptional classes of individuals in an experiment involving
the bar locus of Drosophila. Die Analyse einer Kreuzung, in welcher nur
bar-āugige Tochtertiere zu erwarten waren, daneben aber in sehr großer Zahl auch
normaläugige auftreten, führt zu dem Schluß, daß es sich hier wohl um einen
Verlust des Gens für Baräugigkeit handelt. — S. 10—16. Tammes, T.: Genetische
Studien über die Samenfarbe bei Linum usitatissimum. An der
Hervorrufung der Samenfarbe sind dreierlei Faktoren beteiligt: erstens ein Grund-
faktor, zweitens Faktoren, die den Ton der Farbe, und drittens einige Faktoren,
welche die Intensität der Farbe bedingen. — S. 17—24. Saunders, E. R.: A study
of Antirrhinum orontium. — S. 25—32. Kajanus, B.: Ueber einige
Fälle erheblicher Abweichung in habituell zweigliedrigen
Spaltungen bezüglich der Begrannung bei Weizen. — S. 33—44.
Correns, C.: Der Unterschied in der Keimungsgeschwindigkeit
der Männchensamen und Weibchensamen bei Melandrium. Die
Männchensamen keimen im Durchschnitt wesentlich rascher als die Weibchensamen.
— S. 45—48. Lundborg, H.: Geschlechtsgebundene Vererbung von
Ichthyosis simplex (vulgaris) in einer schwedischen Bauern-
sippe. In fünf Generationen sind sechs männliche Individuen von dem Leiden be-
fallen. Dreimal vererbt sich das Leiden von dem kranken Großvater über die gesunde
Tochter auf den Enkel. — S. 49—58. East, E. M.: Pecular genetic results
duetoactivegametophyte factors. — S. 59—68. Heilborn, O.: C hr o m o-
some numbersin Draba. — S. 69—80. Benner,O.: Ueber eine aus Oeno-
thera suaveolens durch Bastardierung gewonnene homozygo-
tische lutescens-Form. — S. 102—112. Hauch, L. A: Die Bedeutung
W. Johannsens für den dänischen Waldbau. — S. 113—125. Lotsy,
J. P: Ueber die Häufigkeit der Bastardbildung in der Natur.
Der Artikel weist auf die große Häufigkeit der Bastardierung im Pflanzen- und Tier-
reich hin. Vom Menschen meint der Verfasser: „Ueberhaupt ist die Menschheit derart
bastardiert, daß es wohl kaum irgendwo noch völlig reinrassige Völker gibt.“ —
S. 125—136. Jörgensen, C. A.: Cytologicalandexperimentalstudiesin
the genus Lamium. — S. 137—144. Bonnier, G.: Species-differences
and gene-differences. — S. 145—156. Fruwirtb, C.: Linienfestigkeit
nach Standortswechsel. Reine Linien von Hafer, in Svalöf isoliert, wurden
Zeitschriftenschau. 335
12 Jahre lang in Niederösterreich weitergeführt. Der Liniencharakter blieb erhalten,
nur modifikative Aenderungen traten bei allen Linien auf. In einer Linie traten zwei-
mal Mutationen auf. — S. 169—179. Mohr, O. L: The second chromosome
recessive hook bristles in Drosophila melanogaster. Beschrei-
bung einer Mutante mit hakenförmigen Borsten; das rezessiv erbliche Gen konnte im
II. Chromosom lokalisiert werden. — S. 180—192. Bonnevie, K.: Papillarmuster
undpsychische Eigenschaften. Der Vergleich der Papillarmuster von rund
300 schwachbegabten und ebenso vielen normalen Individuen ergab: die quantitativen
Werte in den beiden Gruppen sind dieselben; Unregelmäßigkeiten der Papillarmuster
(Lateraltaschen und zufällige Muster) finden sich bei Schwachbegabten und bei Zwillin-
gen vermehrt. — S. 193—198. Ikeno,S.: Somatische Aufspaltung bei einer
Gerstenkreuzung. — S. 199—208. Tjebbes, K.: Die Samenfarben in
Kreuzungen von Phaseolus vulgarisX multiflorus. — S. 209—222.
Oppermann, A.: La sélection dans la forêt et en sylviculture. —
S. 223—224. Wriedt, Chr.: Vererbung von schwarzem Pigment bei
Silkyhühnern. Kreuzung der schwarzen Silkyrasse mit der hellgrauen Mille-
Fleurs-Rasse ergab dominante Vererbung der Anlagen für schwarzes Pigment. —
S. 225—235. Shull, G. H.: A heterozygous phenotype in Shepherds’s
purse. — S. 245—256. Clausen, J: Non-mendelianinheritanceinViola.
Von den zwei Fällen nichtmendelnder Vererbung, die in der Arbeit beschrieben wer-
den, gehört nach Ansicht des Verfassers wenigstens der eine in die Kategorie der
nichtchromosomalen Vererbung: Grünblättrige Viola gibt bei Selbstbefruchtung nur
grünblättrige Nachkommen. Pflanzen mit gefleckten Blättern haben bei Selbstbefruch-
tung sowohl grünblättrige als auch geflektblättrige Nachkommen, aber nie in irgend-
einem gesetzmäßigen Verhältnis. Die Vererbung der Blattfarbe scheint deshalb nicht
durch Gene, sondern durch unmittelbare Uebertragung der in den Zellen (auch in den
Keimzellen) eingeschlossenen Plastiden zu erfolgen. Weiße, farblose Pflanzen scheinen
nicht lebensfähig zu sein. — S. 257—273. Tschermak, E. und Tschermak, A.: Zur
mathematischen Charakteristik reiner Linien und ihrer Ba-
starde Nach Untersuchungen am Samengewicht der Bohnen. —
S. 274—284. Winge, Ö.: On a Y-linked gene in Melandrium. Das frag-
liche Gen für „Chlorina“ zeigt ausschließliche Vererbung im männlichen Geschlecht.
— S. 289—302. Fungulst, H.: Vererbung „weißer Abzeichen“ an®Kopf
beischwarzbuntem schwedischen Niederungsvieh. Die Bedeutung
der erblichen Veranlagung für das Zustandekommen der Art und der Intensität der
Scheckung ist offensichtlich. Die Erbverhältnisse sind sehr verwickelt. Der partielle
Albinismus vererbt sich polymer (vier Faktorenpaare). — S. 303—312. Tedin, H. and O.:
Contributions to the genetics of Barley. II: The development
of the kernel basis and its relation to density. — S. 313—320. Ham-
marlund, C.: Die Vererbung roter Blattfarbe bei Plantago major.
— S. 343—348. Kristofferson, K. B.: Contributions to the genetics of
Brassica oleracea, II. — S. 349—368. Karpecbenko, G. D.: The produc-
tion of polyploid gametes in hybrids. — S. 369—379. Nilsson-Ehle, H.:
Das Verhalten partieller Speltoid-Mutationen bei Kreuzung
untereinander (Untersuchungen über Speltoid-Mutationen
beim Weizen IV). — S. 380—390 Sylvén, N.: Kreuzungsstudien beim
Raps (Brassica napus oleifera). I. Blütenfarben. — S. 391—404.
Federley, H.: Ist die Chromosomenkonjugation eine Conditio sine
qua non für die Mendelspaltung? Bei dem Artbastard Metopsilus (Chaero-
campa) porceĦus ? X Chaerocampa elpenor @' sind Chromosomenkonjugation, Fertili-
336 Zeitschriftenschau.
tät und Mendelspaltung vereinigt; letztere ließ sich nachweisen für die Länge des
Horns der Raupe, für das Gewicht und die Färbung der Puppe und für die Zeichnung
und Färbung des Falters. — S. 405—410. Heribert-Nilsson, N.: Die redivive Mor-
phologie in der Genetik. Der Verfasser warnt vor der zytologisch-morpho-
logischen Betrachtungsweise in der Genetik. — 1927/28. Bd. X. S. 1—152. Rasmusson,
J. Genetically changed linkage values in Pisum. — S. 153—159.
Akerlund, E: Ein Melandrium-Hermaphrodit mit weiblichem
Chromosomenbestand. — S. 165—167. Tjebbes, K. and Wriedt, Chr.: The
albino factor in the Samojede dog. Die „Samojeden“-Farbe bei Hunden
wird durch ein Gen bedingt, das zur Albinoreihe gehört. In heterozygotischem Zustand
reduziert dieses Gen die Manifestierung der roten Farbe, dagegen nicht die der schwar-
zen. — S. 169—229. Dahigren, O.: Die Befruchtungserscheinungen der
Angiospermen. Eine monographische Uebersicht. — S. 237—240.
Bonnier, G.: De l’applicabilit& de quelques formules statistiques
à la biologie. — S. 261—273. Thomsen, O.: Heredity growth anomaly
of the thumb. Die Anomalie, die in einer Verkürzung und Verdickung des End-
gliedes des Daumens besteht, wurde in acht Familien in ununterbrochener Generations-
folge beobachtet; in drei Familien wurden eine oder mehrere Generationen über-
sprungen. Verfasser nimmt einfachen, unregelmäßig dominanten Erbgang an. — S. 274
bis 276. Wriedt, Chr.: Ein neuer Vererbungsfaktor beim Pferd. Die
Eigenschaft besteht in einigen eigentümlichen, weißen Flecken; sie scheint durch
einen einfach dominanten Faktor bedingt zu sein. — S. 303—327. Hammarlund, C.:
Zweite Mitteilung über einen Fall von Koppelung und freier
Kombination bei Erbsen. — S. 333—359. Ekblom, T.: Vererbungsbio-
logische Studien über Hemiptera-Heteroptera. I. Gerris asper
fieb. O. v. Verschuer (Berlin-Dahlem).
Kliniscbe Monatsblätter für Augenheilkunde. 1927. Bd. 79. S. 832. Alsberg: Here-
ditäre Sehnervenatrophie bei Vater und Sohn. Keine Lebersche Atro-
phie. Möglicherweise primäre Erkrankung endokriner Drüsen oder erblicher teilweiser
Bildungsmangel von Sehnervenfasern, vornehmlich des papillo-makulären Bündels. —
Handmann (ibid.) führt fünf weitere Fälle an. Bei bis zu 20jähriger Beobachtung un-
veränderter Zustand. — S. 838. Seissiger: Augenbefundebei Neugeborenen.
290 Fälle. Besonders auffällig war durchweg ein die ganze Irisvorderfläche bedeckendes
Netzwerk feiner Blutgefäße, um so dichter, je ausgedehnter sich Reste der embryonalen
Pupillarmembran fanden. Von letzterer wurden Reste bei keinem Neugeborenen ver-
mißt. In 13 Fällen Cataracta coronaria. Häufig Augenhintergrundsblutungen, die, wenn
im gelben Fleck gelegen, vielleicht die Ursache sog. angeborener Schwachsichtigkeit
sein können. Refraktion durchweg Uebersichtigkeit, nicht selten höhere Grade, niemals
Kurzsichtigkeit. — S. 849. v. Fasakas: Ueber Mikrophthalmus. Bei Mikroph-
thalmus, Kolobomen und Bulbuszysten spielen in der Pathogenese endokrine Stö-
rungen mit. — 1928. Bd. 80. S. 56. Essed und Soewarno: Ueber Experimental-
myopiebeiAffen. Die Verf. fanden an eigenen Versuchstieren die Ergebnisse der
Lewinsohnschen Affenversuche bestätigt, nach denen die Schwerkraft das aus-
lösende Moment für die Entstehung der Kurzsichtigkeit sein soll. — S. 62. Kraßmöller:
Die physikalisch-mathematische Beweisführung der Myopie-
genese nach Lewinsohn. Verf. kommt zu dem Ergebnis, daß bei Beugung des
Kopfes die Schwerkraft mit einer Kraft von 9,265 g auf das Auge wirkt. — S. 108. Hal-
bertsma: Ueber familiäre juvenile Katarakt. Von 9 Mitgliedern dreier
Generationen einer Familie litten 49 an Star. Kein Fortschreiten der Erkrankung; keine
bestimmte Vererbungsweise. — S. 403. Blank: Beiderseitige Makulaverän-
Zeitschriftenschau. 337
derungenbeidreiSchwestern. Kurze Krankengeschichte und Beschreibung.
— S. 404. Urbanek: BeiderseitigeblaueSkleramitKnochenbrüchig-
k eit. Beschreibung eines Falles, der mit Keratokonus und anderen Entartungszeichen
einherging. — S. 410. Montalti: Ein Fall von Zyklopie. 34 cm langer Fötus.
Von 4 Lidern begrenzte Lidspalte; zwei völlig entwickelte Augen, die nur durch ein
Septum getrennt sind. Sehnerv ist ohne Nervenfasern. — S. 550. Cords: Aus der
Blindenstatistik einer Großstadt. Es erblindeten 21 % infolge Netzhaut-
ablösung und Kurzsichtigkeit, 15 % durch tabischen Sehnervenschwund; es folgen
Augentripper, Verletzungen, Grüner Star, Tuberkulose und Skrophulose. — S. 553.
Schmidt: Ophthalmologische Untersuchungen beiein- und zwei-
eiigen Zwillingen. 26 eineiige und 15 zweieiige Zwillingspaare. Bei ersteren
größter Unterschied in der Gesamtrefraktion 2 Dioptrien, im Hornhautastigmatismus
1,25 Dioptrien, bei letzteren bis 12 bzw. 3 Dioptrien. — S. 693. v. Ineze: Körper-
bauundRefraktion. Für die pyknische Konstitution ist die Hyperopie, für die
asthenische die Myopie charakteristisch. Der athletische Körperbau hat keine charak-
teristischen Refraktionsanomalien. — S. 695. Schepetoskaja: Ein Fall von
Cyclopiaveraseucompleta. Vater schwerer Alkoholiker, Mutter hatte schon
vor den ersten Menses Sexualverkehr. Folgendes Kind der Mutter gesund. — S. 792.
Ishikawa: Mangelhafte Tränensekretion als angeborene Ano-
m alie. Kasuistischer Beitrag. Bisher erst zwei Fälle beschrieben. Hier wahrschein-
lich mangelhafte Ausbildung der Tränendrüsen als einziger Entwicklungsfehler. —
S. 794. Halbertsma: Ueber einige erbliche familiäre Augenerkran-
kungen.1. Erbliche familiäre Entartungdesgelben Fleckes (zu-
sammen mit Farbenblindheit). Stammbaum über drei Generationen. Verf.
gewinnt den Eindruck, daß die beiden Leiden unabhängig nebeneinander vererbt werden,
und daß sie beide auf ein besonderes Gen zurückzuführen sind. 2. Familiärejuve-
nile Katarakt. Stammbaum von fünf Generationen einer 92köpfigen Familie, wovon
53 Mitglieder erkrankt sind. Drei Verwandtenehen. Form und Grad der Linsentrübungen
sehr verschieden. Offenbar dominante Vererbungsweise (s. a. 80, 108). — 3. Fami-
liäresangebörenes Iriskolobom. Stammbaum. — Zu allen drei Themen
ausführliches Eingehen auf die Literatur. — S. 342. Scheerer: Zurentwicklungs-
geschichtlichen Auffassung der Brechzustände des Auges. Eine
Statistik über 12000 Augen mit sphärischen Refraktionen ergibt nach Abzug aller mit
„myopischen“ Augenhintergrundsveränderungen einhergehenden Augen eine binominal-
symmetrische Variationskurve mit bei + 0,5 liegender Symmetrieachse. Der angebo-
rene Charakter der myopischen Augenhintergrundsveränderungen ist teils erwiesen,
teils wahrscheinlich. — S. 342. Comberg: Anatomischeundexperimentellk
Untersuchungen über die mechanischen Faktoren der Myopie-
genese,. Experimentelles Beweismaterial gegen die Lewinsohnsche Schwerkraft-
theorie. — S. 343. Lewinsohn: Neue histologische Untersuchungen
kurzsichtiggemachter Affenaugen und ihre Bedeutung für die
Myopiegenese. Der Befund an den Affenaugen deckt sich im wesentlichen mit
den bekannten histologischen Befunden kurzsichtiger Menschenaugen. Die Heredität
kommt für die Myopiegenese nach Ansicht des Verf. nur als disponierendes Moment
in Frage. — Bd. 81. S. 145. v. Szily: Ueber angeborene familiäre Ring-
starlinse nebst Hinweisen auf ihre Entstehung. Bisher noch nie
beschriebene Starform bei vier Geschwistern, die sich durch einen vollkommenen
Mangel der axialen Linsenbestandteile einschließlich des Linsenkernes auszeichnet.
— S. 231. Sachs: Beitrag zum Studium der Vererbung von Störun-
gen des Farbensinnes. Stammbaum. Die Rotgrünblindheit wird immer und
Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie, Bd. 22, Heft 3. 22
338 Zeitschriftenschau.
ausnahmslos rezessiv geschlechtsgebunden vererbt. — S. 385. Clausen: Zur Frage
der Vererbung derMakulakolobome. Bei sechs Mitgliedern einer Familie
beiderseitige Makulakolobome auffallend gleichen Aussehens. Das Makulakolobom
muß also als echte Mißbildung betrachtet werden. — S. 402. Liesko: Blaue Sklera
und Knochenbrüchigkeit bei Mutter und sieben Kindern. — S. 403.
v. Csapody: Die Arbeit und Ziele der augenärztlichen Tätigkeit
in der Schule. — S. 404 v. Petres: Beiträge zur Megalokornea. Domi-
nante Vererbung. — S. 520. Heine: Die Anatomie der Myopie. Kurze Zu-
sammenfassung der bekannten Befunde. — S. 520. Clausen: Anatomie, Ursache
und Behandlung der Myopie. Kritik der bestehenden Theorien. — S. 529.
Thies: Ueber Augenschädigungen in der chemischen Industrie.
Diese machen im Zentrum Wolfenbüttel-Bitterfeld 12 % aller Unfälle aus. Uebersichts-
referat. — S. 684. Vogelsang: Ueber Blutungen im vorderen Augenab-
schnitt bei blauer Sklera. Als Ursache der Blutungen nimmt Verf. Gefäß-
störungen als Zeichen der allgemeinen Mesenchymdysplasie an. — S. 718. Waarden-
burg: Ueber Totalfarbenblindheit und den Gelben Fleck. Daten
über zehn Familien. Verf. berechnet aus der Literatur und den eigenen Fällen in
24 % Bilutsverwandtschaft der Eltern. In den sieben genauer untersuchten Fällen
wurde mangelhafte Ausbildung des gelben, Fleckes gefunden. — S. 718. Waardenburg:
Der Brechungszustand der Hornhaut im Refraktionsproble m.
Auf Grund eigener Messungen kommt Verf. zu dem Ergebnis, daß die Scheibengrößen
der Hornhaut eine binominale Kurve bilden, der jedoch die entsprechenden Brech-
werte nicht parallel gehen. Die Hornhautrefraktion ist in hohem Grade unabhängig
von der Gesamtrefraktion. Die Untersuchung von 61 eineiigen Zwillingen ergab eine
Modifikationsbreite von nur 1,1 Dioptrien. Alles weist darauf hin, daß Steigers
Kurve der Hornhautrefraktionen mindestens 5 Biotypen enthält. — S. 841. Waarden-
burg: DieErklärungeventuellerGeschlechtsverschiedenheiten
beim kongenitalen Iriskolobom. Verf. kommt zu dem Ergebnis, daß
keine Gründe vorliegen, einen prinzipiellen Unterschied der Geschlechter bei der
Kolobomvererbung anzunehmen. — S. 871. Löffler: Höhere Myopie beieinem
Säugling. 6 Dioptrien Kurzsichtigkeit bei normalem Augenhintergrund bei einem
neunmonatigen Knaben. — Bd. 82. S. 97. Oppenheimer: Rätsel*). Rätsel (= Men-
schen mit zusammengewachsenen Augenbrauen) sind als Rassenmerkmale von Be-
deutung, u. a. für Juden. — S. 365. Betsch: Ueberdie menschliche Refrak-
tionskurve,. Ausführliche Daten zu der von Scheerer mitgeteilten (Bd. 81)
Variationskurve der sphärischen Refraktionen. Sie reicht von + 11 bis — 10 Dioptrien.
An Stelle der Emmetropie als dem normalen Brechungszustand ist die von — 0,5 bis
+ 1,5 reichende Durchschnittsrefraktion zu setzen, die 80% aller Augen umfaßt.
12,8 % aller Augen sind kurzsichtig. 4 % aller Augen und 27 % der kurzsichtigen Augen
haben sogenannte myopische Augenhintergrundsveränderungen aufzuweisen. Sämt-
liche Daten gelten für den Bevölkerungsdurchschnitt. — S. 511. Scheerer und Seitzer:
Ueber das Auftreten von sogenannten myopischen Verände-
rungen am Augenhintergrund bei den verschiedenen Brech-
zuständen des Auges. Kurvenmäßige Darstellung der verschiedenen Formen
von „myopischen“ Augenhintergrundsveränderungen nach ihrer Häufigkeit. — S. 520.
Ascher: Kongenitale Augenmuskellähmungen. Kasuistischer Beitrag.
Verf. hält einen örtlichen Zusammenhang zwischen den Kernlähmungen und der
hypophysären Fettsucht für möglich. — S. 521. Best: Ungewöhnliche Form
*) Eigentlich „Rätzel“ zu schreiben (Verkleinerungsform von Ratte). Anmerkung
der Schriftleitung.
Zeitschriftenschau. 339
totaler Farbenblindheit. Mitteilung eines Falles mit voller Sehschärfe. Verf.
glaubt, daß phylogenetisch die Empfindung für bunte Farben in einer anatomisch und
entwicklungsgeschichtlich höheren Stufe sich dem Weißprozeß des Hellauges an-
geschlossen hat. — S. 522. Löwenstein: Erbliche Hornhautdegeneration.
Kasuistischer Beitrag. — S. 532. Schulte: Familiäre Netzhautzysten bei
Aderhautkolobom. Bisher noch nicht beschrieben. — S. 532. Poos: Ueber
ein familiär aufgetretenes Lawrence-Biedlsches Syndrom
(Retinitis pigmentosa, Dystrophia adiposogenitalis und Poly-
daktylie). Genaue Beschreibung eines Falles. Vorkommen nach Ansicht des Verf.
gar nicht so selten. — S. 533. Meyer-Riemsloh: Ueber einen Fall von here-
ditärem Glioma retinae. Vorkommen bei Vater und Sohn. Dominante Ver-
erbung (der vierte bisher veröffentlichte Fall). Betsch (Tübingen).
Sehweizerischbe Medizinische Wochenschrift 1928. S. 25. Guggisberg, H.: Leben s-
bedingung und Fortpflanzungsorgane. Verf. bespricht die Bedeutung der
Ernährung, spez. die Bedeutung der Vitamine für die Fortpflanzung. — S. 353. Würz, P.:
Ueber die Blutgruppenverteilung bei Schizophrenen. Verf. fand
durch Untersuchungen von über 300 Schizophrenen kleine Abweichungen in der Häufig-
keit der Blutgruppen gegenüber der Kontrollbevölkerung, und zwar besonders der
Gruppe B. — S. 363. Messis, N.: DieBekämpfungderGeschlechtskrank-
heiteninSowjetrußland. Das Volkskommissariat stellte sich zwei Aufgaben:
}. den Ausbau der schon bestehenden ärztlichen Hilfe, und 2. die Durchführung pro-
phylaktischer Maßnahmen durch spezielle Anstalten, sog. Dispensairs, mit unentgelt-
licher Behandlung. Zur Vorbereitung der Fachärzte wurde in Moskau ein spezielles
staatliches Institut eröffnet. Den Organen der Gesundheitsfürsorge wurde das Recht
zu Zwangsuntersuchungen und Zwangsbehandlung Geschlechtskranker eingeräumt. Für
Ansteckung anderer Personen mit Geschlechtskrankheiten wurden Strafen festgesetzt.
— S. 579. Fiseher, Walter: Ein Fallfamiliären Auftretensvon Morbus
Bechterew. Verfasser beschreibt zwei Brüder von 34 und 39 Jahren mit Bechte-
rewscher Rückgratsversteifung. Sie litten dabei an rheumatischen Schmerzen, die auch
beim Vater vorhanden gewesen waren. Da sie in grundverschiedenem klimatischen
und beruflichen Milieu lebten, und da schon früher in der Literatur zweimal fami-
liäres Auftreten der nichttuberkulösen Wirbelsäulenversteifung beschrieben wurde,
ergibt sich aus den, Beobachtungen die Bedeutung einer erblichen Disposition für
manche Fälle der Bechterewschen Krankheit. — S. 662. Hanhart, E.: Ueber das
Heufieber und seine Bekämpfung. Das Heufieber ist die wichtigste Mani-
festation einer idiosynkrasischen Disposition, die sich dominant vererbt, und mit ex-
sudativer Diathese, Disposition zu Anginen und Appendizitis, Vasolabilität und Vago-
tonie korreliert ist. Die verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten werden einer kriti-
schen Besprechung unterzogen. — S. 1005. Minkowski, M. und Sidler, A: Zur
Kenntnis der Dystrophia musculorum progressiva und ihrer
Vererbung. Der erbbiologische Teil der Arbeit stammt von Sidler. Es handelt
sich um 13 Dystrophiker aus 10 Elternpaaren, die fast ausnahmslos auf die glei-
chen beiden Vorfahren zurückführbar sind. Die Kranken haben 68 Geschwister, von
denen 32 in frühester Jugend gestorben sind. Verf. nimmt doppelt-rezessiven Erbgang
an, welche Annahme er in einer späteren ausführlicheren Arbeit noch genauer be-
gründen will. — S. 1132. Juhäsz-Schäffer, A: Beitrag zurFrageder Vererb-
lichkeit der Blutgruppen. Verf. fand keinen Fall, der der Bernstein-
schen Regel widersprochen hätte. In der Vor-Bernsteinschen Aera dürften die para-
doxen Fälle nur deshalb relativ so zahlreich vorgekommen sein, weil sich die For-
scher des Problems noch nicht bewußt waren und deshalb keine Veranlassung zu
22*
340 Zeitschrifienschau.
nochmaliger Nachkontrolle ungewöhnlicher Fälle hatten. Dagegen stehen die Be-
funde der Verfasser zum Teil in offenem Widerspruch mit der v. Dungern-Hirsz-
feldschen Theorie. — S. 1273. Franceschetti, A: DieBedeutungderEinstel-
lungsbreite am Anomaloskop für die Diagnose der einzelnen
Typen der Farbensinnstörungen, nebst Bemerkungen über
ihren Vererbungsınodus. Verf. begründet seine Anschauungen, nach der
innerhalb der Deuteranopen- und Protanopen-Hauptgruppen die Gene für die einzel-
nen Typen der Farbensinnstörungen allelomorpher Natur sind, wobei immer die An-
lage für die schwächere Störung dominant über diejenige für die stärkere wäre. Im
Gegensatz dazu sind die Gene für Protanopie und Protanomalie einerseits und für
Deuteranopie und Deuteranomalie andererseits keine Allelomorphe. Hinsichtlich der
beiden Hauptgruppen der Farbensinnstörungen würde es sich danach um die Wirkung
qualitativ verschiedener Erbanlagen handeln, womit auch die klinische Tatsache, daß
zwischen den beiden Hauptgruppen der beiden Farbensinnstörungen keine Ueber-
gänge vorkommen, ihre vererbungsbiologische Erklärung gefunden hätte. — S. 1287.
Pfister, C. R: Die Verschiebung der Sexualproportion bei den
Kindern und die Schilddrüsen der Eltern. Verf. untersuchte über 4000
Personen in Sumatra und fand eine Korrelation zwischen den Schilddrüsen-Indizes
der Eltern und dem Geschlechtsverhältnis ihrer Kinder in dem Sinne, daß den höhe-
ren Indizes ein stärkerer Mädchenüberschuß bei der Geburt entspricht. Siemens.
Strabientherapie. 1928. Bd. 27. S. 496—510. Fürst, W.: Ueber die therapeu-
tische Schwangerschaftsunterbrechung durch Röntgenstrah-
len. Bei entsprechender Dosierung ist die Abtreibung der Frucht in utero durch
Röntgenstrahlen möglich. Wegen Blutungs- und Infektionsgefahr des verschleppten
Abortes wird das Verfahren abgelehnt. — S. 533—544. Politzer, G.: Ueber die
spezifische Wirkung der Röntgenstrahlen. — S. 603—662. Schugt, P.:
Untersuchungen über die Wirkung abgestufter Dosen von
Röntgenstrahlen verschiedener Wellenlänge auf die Struktur
und Funktion der Ovarien. Die Arbeit gibt einen Bericht über die bisherige
Literatur und teilt eigene Untersuchungen mit: es wurden 113 weiße Mäuse mit ver-
schiedenen Röntgendosen bestrahlt; die histologischen Befunde und die funktionellen
Eigenschaften der Ovarien nach der Bestrahlung werden mitgeteilt. Besonders wichtig
ist die Feststellung des Verfassers: „Diese Beobachtungen legen begründete Bedenken
gegen die völlige Unschädlichkeit der temporären Kastralion nahe. Ferner lassen sie
die bisherige Auffassung, daß die Primärfollikel am unempfindlichsten sind und daher
erhalten bleiben, während der übrige Follikelapparat zugrunde geht, zweifelhaft er-
scheinen“ (S. 656). — S. 694—710. Heim, K.: Biologische Röntgenwirkun-
gen, verfolgtbeim Huhn vom Ei bis zum Organexplantat. Rönt-
genbestrahlung befruchteter Hühnereier einer reingezüchteten Rasse führte zu Schädi-
gungen der Fruchtentwicklung, Mißbildungen und Frühtod. Der Schädigungsgrad war
geringer bei kleineren Strahlendosen und bei Bestrahlung während der ersten Brut-
tage. Eierstockbestrahlung der Henne führte zu einem zeitweisen Aussetzen der Lege-
tätigkeit. Nach Wiedereinsetzen der Generationsvorgänge waren morphologisch keine
Anomalien der Fruchtentwicklung zu erkennen. — Bd. 28. S. 546—567. Sehugt, P.:
Experimentelle Untersuchungen über Schädigung der Nach-
kommenschaft durch Röntgenstrahlen. Siehe Referatenteil. — S. 637
bis 638. Harris, W. und Kean, A.: Ueber die therapeutische Schwanger-
schaftsunterbrechung durch Röntgenstrahlen. Die Autoren be-
richten über günstige Erfahrungen; das Verfahren „ist nur in jenen Fällen statthaft,
wo neben der Schwangerschaftsunterbrechung eine dauernde Sterilisierung angestrebt
Zeitschriftenschau. 341
wird“. — S.639—758. Zuppinger, A.: Radiobiologische Untersuchungen
an Askariseiern. — Bd. 29. S. 108—121. Zimmermann, E.: Zervixkarzi-
nom und Schwangerschaft, unter Berücksichtigung der Frage
einer Strahlenschädigung der Frucht. Die Arbeit enthält die Mitteilung
von folgendem Fall: Eine 33jährige Frau wurde wegen Zervixkarzinoms im 5. Schwan-
gerschaftsmonat dreimal mit Mesothorium bestrahlt. Die Schwangerschaft endete mit
der Geburt eines normalen Kindes. Trotz regelmäßiger Ueberwachung der Entwick-
lung des Kindes fiel zunächst nichts auf; erst im 7. Lebensjahr wurde Mikrozephalie
und Schwachsinn festgestellt. — Bd. 30. S. 24—64. Sehmitt, W.: Neue Beobach-
tungen zur Frage der Nachkommenschädigung nach Ovarial-
bestrahlung. Bei 25 Frauen wurden 42 Schwangerschaften nach einer der Be-
fruchtung vorausgegangenen Ovarialbestrahlung beobachtet: 8 endeten durch Abort,
3 durch Frühgeburt, 31 wurden ausgetragen. Von 29 am Leben gebliebenen Kindern
konnten 21 nachuntersucht werden: 1 Kind hatte eine Stoffwechselstörung, 1 Kind
stereotype schaukelnde Bewegungen des Kopfes, 19 Kinder zeigten körperlich und
geistig keine Besonderheiten. Ein sicherer Anhaltspunkt für eine Nachkommen-(d. h.
Kindes-)Schädigung durch die Bestrahlung hat sich nach Ansicht des Verfassers nicht
ergeben. — S. 527—543. Krupski, A. J. und Eisenberg, M. F.: Ueber den Ein-
flußschwacher Röntgenbestrahlung der Ovarien auf die Nach-
kommenschaft bei weißen Mäusen. Die von dem Verfasser angestellten
Versuche erlauben keinerlei Schlüsse: die Anzahl der Versuchstiere ist zu klein und
nach der Art der vorgenommenen Kreuzungen ist das Herausmendeln rezessiver
Mutationen nicht zu erwarten gewesen. O. v. Verschuer (Berlin-Dahlem).
Zeitschrift für angewandte Psychologie. 30. 1928. S. 81. Awaji, Yenjiro: Intelli-
genzprüfung im japanischen Heere. Die Anwendung einer Testserie an
ca. 6000 gemeinen Soldaten im Alter von 20—21 Jahren ergibt eine der Gaußschen
Kurve entsprechende Verteilung der Intelligenzwerte. Deutliche Gruppenunterschiede
zeigen sich nach Beruf, Schulbildung, militärischem Rang, Dauer der Militärzeit und
Truppengattung. — S. 150. Doroschenko, Olga: Der Einfluß des Milieus auf
den Inhalt und Aufbau frei entstehender Kollektive im vor-
schulpflichtigen Alter. Beobachtungen in russischen Kindergärten zeigen,
daß Inhalt und Struktur der Spielgemeinschaften vom elterlichen Milieu bedingt sind.
Die Spiele der Kinder von qualifizierten Arbeitern und Sowjetangestellten hatten über-
wiegend das öffentliche Leben und die revolutionären Lebensformen zum Gegenstand,
die Spielgruppen waren größer und hatten längeren Bestand, während die Kinder
proletarischer Eltern auch in ihren Spielen das Festhalten an dem alten Familien-
leben zum Ausdruck brachten. — S.430. Kurka, Gustav: Die Wirkung verschie-
dener alkoholischer Getränke auf geistige Leistungen. Die un-
mittelbare Wirkung mäßiger Alkoholgaben in Form von Bier, Kognak, Weinen ver-
schiedenen Alkoholgehalts und Aethylalkohol in Wasser verdünnt wird festgestellt bei
Leistungen der Muskelkraft und Treffsicherheit der Hand, Lage- und Gleichgewichts-
sinn, sinnlicher und abstrakter Aufmerksamkeit, mechanischer Lernfähigkeil, freier
und gebundener Wortassoziation. Trefflsicherheit der Hand und Aufrechterhaltung
des Gleichgewichts sind von Anfang an geschädigt, weil hier sowohl Fortfall der
Hemmung als motorische Lähmung die Leistung verschlechtern. Eine Erschwerung
der Aufgabe bringt gelegentlich eine Verbesserung der Leistung, weil die Versuchs-
person den Fortfall der Hemmung durch gesteigerte Konzentration kompensiert. Die
verschiedenen Getränke unterscheiden sich in ihrer Wirkung sowohl nach der Stärke
als nach dem Zeitpunkt des Eintretens. Größere Verdünnungen wirken im allgemeinen
rascher. A. Argelander.
342 Zeitschriftenschau.
Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. 1927, Bd. 48, S. 36—38. Kartschikjan, S. J.:
Dupuytrensche Kontraktur und Erblichkeit. Verf. veröffentlicht
cinen über fünf Generationen reichenden Stammbaum, in dem fünf männliche Mit-
glieder Träger des Merkmales (Fingerkontraktur) sind. Als merkmalfreie Träger der
Erbanlage kamen einmal ein männliches und einmal ein weibliches Glied in Frage,
einmal wurde die Fingerkontraktur direkt vom Vater auf den Sohn vererbt. — Bd. 48,
S. 219—228. Nilsonne, H.: Eine statistische Studie über den kongeni-
talen Klumpfuß hinsichtlich seines Vorkommens in einer
schwedischen orthopädischen Klinik. 400 Fälle werden hinsichtlich
ihres Vorkommens, Aetiologie und Behandlung untersucht. Es wurden in 10% neben
dem Klumpfuß andere Deformitäten beobachtet, von denen zum Teil bekannt ist, daß
sie genetisch bedingt sein können (Patellardefekt, Syndaktylie). In ‚11,5 % der Fälle
wurde ein weiteres Vorkommen des Klumpfußes in der Familie, besonders bei Ge-
schwistern, nachgewiesen. Blümel (Göttingen).
Zentralblatt für Chirurgie. 1926, Nr. 26, S. 1633—1634. Hofmann, A. H.: Fami-
liärer Situs inversus. Verf. beschreibt das Vorkommen von vollständigem
Situs inversus bei zwei Geschwistern (Bruder und Schwester) unter sechs lebenden
und nachuntersuchten Geschwistern. Der Vater zeigte normalen Situs. — Ueber die
übrigen Verwandten war nichts Besonderes zu erfahren. — Nr. 26, S. 1686: Feygin, N.:
Zur Kasuistik und Therapie der seltenen angeborenen Mißbil-
dungen der Nase: 1. Fibrolipoma septi nasi, labium leporinum.
2. Doggennase, Fibrolipoma dorsi nasi. Verf. beschreibt je einen Fall
dieser seltenen Mißbildungen der Nase, deren Entstehungszeit er in die 8—12. Woche
des Embryonallebens verlegt. — 1928, Nr. 7, S. 401—402. Isigkeit, E.: Ist die Ver-
erbung des angeborenen Klumpfußes geschlechtsgebunden?
An Hand der vorliegenden Untersuchungen glaubt Verf. mit großer Wahrscheinlich-
keit annehmen zu können, daß der angeborene Klumpfuß in der überwiegenden Mehr-
zahl erblich, und zwar durch zwei rezessive Anlagepaare bedingt sei. Eine Erklärung
für die verschiedene Verteilung der Erkrankung (Knaben : Mädchen wie 2:1) sieht
Verf. in der Annahme, daß eins dieser Anlagepaare an das Geschlechtschromosom
gebunden sei. Falls man dem Erbgang zwei Anlagepaare zugrunde lege, würde sich
auch die mit geschlechtsgebundenem Erbgang sonst nicht zu vereinbarende Tatsache
erklären lassen, daß wiederholt kranke Mädchen bei phänotypisch gesundem Vater
und manifest kranker Mutter beobachtet wurden (Schema). — Nr. 27, S. 1667 — 1668.
Madlener, M.: Hämophiliefragen. Kürzerer Bericht über die in diesem Ar-
chiv Bd. 20, H. 4 beschriebene Biluterfamilie. Blümel (Göttingen).
Zeitschrift für Geopolitik, III. Jahrgang. 1927. I. Halbband, Heft 1—6. — H. 1,
S. 1. Rheinbaben, Frhr. v.: Politik der Großmächte. Die Zukunft der europä-
ischen Politik und des Völkerbundes sieht der Verfasser in einer vernünfligen Zusam-
menarbeit der europäischen Großmächte außer Rußland, wodurch allein die Intrigen-
politik der kleinen Staaten unschädlich gemacht werden könne. Voraussetzung dieser
Zusammenarbeit wäre die Verständigung Deutschlands mit Frankreich. — S. 6.
Dernburg, B: Deutschland und derDawesplan. Die Entstehung, der Inhalt,
die bisherige Durchführung und die Zukunftsaussichten des Dawesplans werden be-
sprochen. Eine erzwungene Durchführung der anfangs vorgesehenen Zahlungen
(1927/28: 1750 Mill. RM., 1928/29: 2500 Mill. RM.) würde schwerste wirtschaftliche
Krisen für Deutschland herbeiführen. — S. 32. Goerper, F.: Europäische Wirt-
schaft. Der 1926 abgeschlossene westeuropäische Eisenpakt bedeutet einen Schritt
weiter zur Vereinheitlichung der europäischen Wirtschaft. — S. 35. Stamp, J.: Der
wahre Sinn des Weltwirtschaftsmanifestes. Das im Oktober 1926 von
Zeitschriftenschau. 343
der internationalen Bankwelt erlassene Weltwirtschaftsmanifest propagiert den Abbau
der Zollschranken innerhalb Europas. Dadurch würde die künstlich gesteigerte Indu-
strie der neuen Staaten, die doch nur ein Treibhausdasein führt und die Nation künst-
lich arm hält, auf ihr natürliches Maß reduziert werden. — S. 44. Bartz, K.: Die
Entwicklung des französischen Staates und seine geographi-
schenGrundlagenimOsten. — S. 52. Dresler, A: FrankreichsBevöl-
kerungsverhältnisse. Aus den statistischen Daten ergibt sich, daß in Frank-
reich der Geburtenrückgang am frühesten (seit 1840) eingesetzt und seitdem immer
weitere Kreise ergriffen hat. Die durchschnittliche Zahl der Geburten auf die Ehe
betrug 1830 noch 4,55, 1911 dagegen nur 2,33, jetzt noch weniger. Die letzte Statistik
für Gesamteuropa ergibt für Frankreich eine jährliche Zunahme von 2,5 auf 1000 Ein-
wohner (als Vergleich: Holland 16,1, Italien 12,6, England 8,1, Deutschland 7). Mit
dieser Vermehrungsziffer würde Frankreich 20 Jahre brauchen, um allein die Welt-
kriegsverluste von 2% Millionen auszugleichen. Der volkreichste europäische Staat um
1789 steht heute an 5. Stelle. — Aus dieser Lage ergeben sich schwerwiegende politische
Auswirkungen (Kolonialpolitik, Gegensatz zu Italien). — S. 58. Friedmann, R.:
Frankreich und der Islam. In Marokko, Algier und Tunis hemmt der Islam
den wirtschaftlichen Aufstieg der Bevölkerung. Anders im Sudan (Westafrika) und in
Syrien, wo er nicht absolut vorherrscht und von der französischen Politik erfolgreich
bekämpft werden kann. — S. 68. Junker, W.: Die Stellung der weiBen Rasse
im modernen China. Der Weiße ist in China weder Herr wie in Afrika, — noch
ortsständiger Kolonist — er ist ein ungern geduldeter Gast. Sein Ansehen ist nach dem
Weltkriege rapid gesunken, wirtschaftlich wird er sogar in den „Niederlassungen“ von
reichen Chinesen beiseite gedrängt. Die weiße Rasse besitzt in China keine Zukunft
mehr. — S. 78. Kloss, H.: Hochschule in Uebersee. Die Einrichtung einer
deutschen, speziell landwirtschaftlichen Hochschule in Südbrasilien wird vorgeschla-
gen, um die deutschen Kolonisten dieser Gebiete vor einer kulturellen Assimilierung
zu bewahren. — S. 84. Becker, H.: Geopolitik und Wirtschaft. Verfasser
tritt für deutschen Kolonialbesitz ein, ausgehend von geopolitischen Gesichtspunkten.
— Heft 2, S. 108. Lautensach, H.: Berichterstattung über erdumspan-
nende Vorgänge. Ein Beitrag zur Ernährungswirtschaft der Erde. (Weizen, Rog-
gen, Mais, Reis, Kartoffeln, Zucker, — ihre Anbauflächen, Aus- und Einfuhrverhält-
nisse nach Erdteilen geordnet.) — S. 137. Rooms, G.: Der belgisch-holländi-
sche Vertrag. Dieser am 11. November 1926 unterzeichnete Vertrag enthält als
wichtigsten Punkt die Aufhebung der belgischen Neutralität. Wirtschaftlich bedeutsam
sind die Abkommen über einen Rhein-Schelde-Kanal, der Antwerpen neben Rotter-
dam zum Ausfuhrhafen des Rhein-Ruhr-Kohlengebietes machen würde. — Heft 3.
Layton, G. C.: Großbritanniensindustrielle Orientierung. Der Her-
ausgeber des „Economist“ ist der Ansicht, daß das britische Weltreich seine wirtschaft-
liche Isolierung aufgeben und sich europäischen Kartellabmachungen anschließen soll. -—
S. 196. Lindeiner-Wildau, H. E. v.: Zur Führerfrage. Verfasser fordert, daß die
Volksführer Männer sind, die auf die persönlichen Erfahrungen der Kriegszeit ihre
politische Haltung gründen. Von ihnen ist zu erwarten, daß sie eine gesunde, dem
Frieden dienende Nationalpolitik treiben, die den anderen Nationen ebenso wie der
eigenen die völkische Selbstbestimmung zusichert. — S. 206. Haushofer, K.: Bericht
über den indo-pazifischen Raum. Die Wahl der neuen kontinentalen
Hauptstadt Chinas (Wuhan) ist ein neuer Beweis für die Auflehnung des chinesischen
Volkes gegen die dem Küstenstreifen aufgedrängte Zivilisation des Abendlandes. —
S. 233. Seifert, G.: Grundzüge der italienischen Außenpolitik. Gegner-
schaft gegen Frankreich und Jugoslawien bestimmen Mussolinis Außenpolitik. Durch
344 Zeitschriftenschau.
Bündnissysteme versucht er die Gegenstaaten einzukreisen und dem eigenen Staale
koloniale Ausbreitung zu ermöglichen. — S. 241. Hennig, R.: Italienamgeopoli-
tischen Scheidewege. Italien hat politisch die Wahl zu treffen zwischen Aus-
dehnung der Grenzen des Mutterlandes und überseeischer Expansion. Nur auf dem
zweiten Wege — und zwar im Bunde mit Deutschland (?) — kann für den Bevölke-
rungsüberschuß das notwendige Siedelungsland gewonnen werden. — S. 252. Amann,
G.: Sun-Yatsens Vermächtnis VI. Kampf gegen fremden und eigenstaat-
lichen Imperialismus, gegen die kapitalistische Staatsform sind die treibenden Ideen
der nationalistischen Partei in China. — Heft 4. S. 281. Ramsay, M. O.: Der Fa-
schismus und der Frieden Europas. Der Faschismus zielt auf eine aggres-
sive Bündnispolitik, die im Kern friedensfeindlich ist. — Heft 5. S. 366. Lindeiner-
Wildau, H. E. v.: Der Kampf um die Vorherrschaft auf dem Balkan.
Für die europäische Politik wäre die Neubildung einer „kleinen Entente“ auf dem
Balkan zu begrüßen (Vereinheitlichung der großen Politik). Es fragt sich, ob Italien
oder Jugoslawien die vorherrschende Stellung innerhalb dieses Staatenblockes gewinnen
wird. — S. 370. Kawakami, K. K:Amerikanischer Imperialism us. Ein Pro-
lest gegen die Gesetze der Vereinigten Staaten, die Chinesen und Japanern den Erwerb
von Landeigentum verbieten. Die Gesetze werden im Vergleich mit den milden Bestim-
mungen Mexikos als „unmenschlich“ charakterisiert. — S. 373. Bülow, J. v.: Der
AntikolonialkongreßinBrüssel. Ein referierender Bericht über die Reden
der meist farbigen Vertreter kolonialer Völkergruppen. Die Ansprachen richteten sich
gegen den europäisch-amerikanischen Imperialismus, gegen die Weltherrschaft der
Technik, gegen die „weiße Gefahr‘, wie ein Redner sich ausdrückt. Den Ausklang bil-
dete eine leidenschaftliche Sympathiekundgebung für die chinesische Revolution und
ihre Ziele. — S. 437. Frauenholz, E. v.: AraberundBerberim Rif. Der Araber
als Angehöriger der Erobererrasse lebt in Städien, die er befestigt und abgrenzt gegen
-das feindliche Land, dem er stets Fremder bleibt. — Der Berber dagegen bewohnt
offene Dörfer; er gehört der Urbevölkerung an, die sich passiv und zäh der römischen,
vandalischen, arabischen, zuletzt europäischen Ueberflutung des Landes entgegensetzt
und sie überdauert. — S. 448. Sapper, K.: Mittelamerika und Westindien II.
Historisch-chronologische Darstellung der spanischen Kolonisation und der folgenden
selbständigen Staatenbildung. Es wird die Bedeutung des Waldes als Schutzgebiet
für die Urbevölkerung hervorgehoben. Noch heute bestehen im Urwaldgebiet selbstän-
dige Indianerstaaten. — S. 529. Oertzen, A. v.: Die ArbeiterbewegunginIn-
dien. Indien macht heute alle „Kinderkrankheiten“ einer zu raschen industriellen
Entwicklung durch. Der Verelendung des Arbeiterproletariats sucht die Ghandibewegung
zu begegnen durch Organisation der Arbeiter, Kleinpächter und Bauern. — S. 534.
Sapper, K.: Mittelamerika und Westindien III. Allgemeine Angaben über
die Rassenzusammensetzung dieses Gebietes. Die Farbigen (Neger und Mulatten auf
den Inseln, Indianer und Mestizen auf dem Festlande) sind in herrschender Stellung,
das europäische Element ist bedeutungslos. — Heft 7. S. 614. Wenzler, J.: Die Be-
völkerung S.-O.-Asiens. Das Wachstum der chinesischen, indischen und japani-
schen Bevölkerung wird statistisch verfolgt. China mit 460 Mill. Einwohnern (107
pro qkm) hat das Maximum seiner augenblicklichen Bevölkerungsdichte erreicht. Der
Bevölkerungsüberschuß wird zur Auswanderung gedrängt, falls sich nicht neue wirt-
schaftliche Möglichkeiten im eigenen Lande bieten (rationelle Landwirtschaft, Abbau
der Kohlenfelder). Indien mit 319 Millionen Einwohnern (68 pro qkm) besitzt eine
Bevölkerungszunahme von 8% im Jahrzehnt, die Geburtenziffer ist 30—40 (Deutsch-
land 20,6, Frankreich 19,6 im Jahre 1925). Da durch hygienische Maßnahmen die rela-
tiv hohe Sterblichkeitsziffer (Zahl fehlt) dauernd herabgedrückt wird, sieht Indien einer
Zeitschriftenschau. 345
Uebervölkerung entgegen. Am extremsten liegen die Verhältnisse in Japan, das sein
Bevölkerungsmaximum wohl endgültig erreicht hat (60 Mill. Einwohner, 156 pro qkm).
In fünf Jahren beträgt der jährliche Zuwachs 1 Million, die als Auswandererstrom sich
über die pazifischen Küstenländer ergießen (Gefahr für Australien). — S. 680.
Braun, G.: Nationalitätenfragen in Nordeuropa I. In Finnmarken und
Lappland reicht das finnische Sprachgebiet tief nach Schweden und Norwegen hinein,
doch besteht dort keine Minderheitenfrage, weil nationale Gegensätze innerhalb der
primitiveren und angeglicheneren Lebensweise der Nordländer nicht zur Entwicklung
kommen. — S. 794. Braun, G: Nationalitätenfragenin Nordeuropa II.
In Finnland, Schweden und Norwegen wohnen zusammen etwa 29000 Lappen, deren
größerer Teil seßhaft gemacht ist. Etwa 4800 sind Nomaden, den natürlichen Bedin-
gungen der Renntierzucht entsprechend. In Zukunft wird eine vorwiegend aus Lappen
und Finnen gemischte Bevölkerung die weiten Gebiete Nordfennoskandias besiedeln. —
S. 829. Lautensach, M.: Bericht übererdumspannende Vorgänge. Ein
Ueberblick über die Industriewirtschaft der Erde. In fast allen großen Industrie-
zweigen zeigt sich ein Rückgang des europäischen Anteils an der Weltwirtschaft zu-
gunsten Nordamerikas und der anderen Erdteile. — S. 843. Maull, O.: Bericht-
erstattung aus der amerikanischen Welt. Bezugnehmend auf den
letzten Indianeraufstand in Bolivien wird die „Indianerfrage“ besprochen. In Latein-
amerika gibt es mehr als 60 Millionen Indianer; in den Andenstaaten wird das
indianische Element auf 50—60 Prozent der Gesamtbevölkerung geschätzt, die übrigen
sind Mischlinge (etwa 30 Prozent) und Europäer (10 Prozent). Die Emanzipation der
„braunen Rasse“ beginnt zuerst bei den politisch regen Mischlingen (in Mexiko und
Chile) und greift allmählich auf die rein indianische Bevölkerung über. — S. 869.
Castellani, M., Overhof, O.: Italien in Afrika. Italien stellt die größte jährliche
Auswanderermenge aller Staaten (1925 312038), die von den italienischen Kolonien
nur zum kleinsten Teil aufgenommen werden kann. Italiens Anspruch auf neue Kolo-
nien in Afrika (Tunis!) ist somit berechtigt. — S. 879. Dresler, A.: Italienische
Probleme. Die italienische Bevölkerung betrug 1925 42 Millionen, der jährliche
Zuwachs 450 000 (178 pro qkm nach Abzug des Oedlandes, bei nur möglicher mittlerer
Dichte von 100). Die Not der Ueberbevölkerung sucht Mussolini in eine positive natio-
nale Kraft zu verwandeln durch Organisation der Auswanderung und koloniale Expan-
sionspolitik. Gleichzeitig treibt er Geburtenpolitik im Sinne quantitativer Vermehrung:
Die Volkszahl soll materielle Grundlage einer italienischen Großkolonialmacht werden.
— S. 886. Springhall, G: Neuseeland, sein Importmarkt und die
Maoris. Bericht über wachsenden Wohlstand des Landes, an dem alle Bevölke-
rungstruppen teilhaben — auch die eingeborenen Maoris. Rassenstreitigkeiten gibt es
nicht. — S. 945. Steinert, H.: Die Wirtschaftinden Ostseerandstaaten.
Die Ursache für die geringe wirtschaftliche Entwicklung Estlands, Lettlands und
Litauens (ausgedrückt durch eine passive Handelsbilanz und die Tatsache, daß wesent-
lich agrarische Staaten Getreideeinfuhr benötigen) sind die Absperrung von dem natür-
lichen russischen Hinterlande und die bolschewistische Agrarreform, durch die der
Großgrundbesitz zerschlagen wurde in unrentable Pachtparzellen. — S. 959. Olberg, P.:
Die russische Agrarrevolution. Trotz der Aufteilung des Großgrund-
besitzes unter die russichen Bauern und trotz einer Bevölkerungsabnahme von 5 Mil-
lionen (von 1914—1923) hat Rußland schon jetzt unter einer relativen Ueberbevölke-
rund zu leiden. Sie erklärt sich aus der mangelnden Industrialisierung des Landes —
spez. der Städte — und der unrentablen landwirtschaftlichen Arbeitsmethoden bei feh-
lenden Betriebsmitteln und schlechten Transportverhältnissen. — S. 1058. Wittschell,
L.: Die Tunesische Frage. In Tunis entfallen auf einen Franzosen zwei
346 Zeitschriftenschau.
Auswärtige (größerenteils Italiener) und 38 Eingeborene. Aus diesem Stand der Be-
völkerung resultieren einerseits die italienischen Ansprüche auf Tunis, anderseits eine
starke Freiheitsbewegung unter den Eingeborenen. Es droht ein neuer „Punischer
Krieg“ um Tunis und die Mittelmeerherrschaft, in dem möglicherweise Italien mit den
Eingeborenen gemeinsam gegen Frankreich vorgehen wird. — S. 1063. Waltenath, K.:
Nordafrika und Europa. Frankreich beherrscht Nordafrika militärisch und
verwaltungstechnisch, es läßt den Eingeborenen weitgehende Selbstverwaltungsrechte.
Das faschistische Italien dagegen will kolonisieren und wirtschaftlich herrschen (in
Tripolis und dem beanspruchten Tunis). Nach Ansicht des Verfassers wird da italie-
nische Vorgehen eine wachsende Opposition des Arabertums zur Folge haben, die viel-
leicht mit einer Verdrängung aller Europäer aus Nordafrika enden wird. — S. 1085.
Sperlich, O.: Strukturwandlungen im Welthandel. Eingehende Stati-
stiken erläutern das Thema: Verschiebung des wirtschaftlichen und handelspolitischen
Schwerpunktes von Europa nach Nordamerika und Südostasien. Eva Scheibe.
Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sozlologie. 1927. Heft 1, S. 1. Hoche, A.:
Geistige Wellenbewegungen. Verf. behandelt den rhythmischen Ablauf
geistiger Strömungen und führt sie auf die periodisch wechselnde Geisteshaltung des
Einzelmenschen zurück. Die Wellenbewegung des Zeitgeistes erscheint im wesentlichen
als Wechsel zwischen religiösem und naturwissenschaftlich-philosophischem Denken.
Die Gegenwart zeigt eine religiös bestimmte Wellenphase. — S. 17. Savorgnan, F.:
Krieg, Auslese, Eugenik. (Wurde im Referatenteil besprochen. — Heft 25,
S. 159. Busse-Wilson, E., Der russische Mensch. Bemerkenswerte Analyse des
russischen Volkswesens, als dessen wesentlichstes Merkmal die Herrschaft des Kollek-
tivbewußtseins im Gegensatz zum abendländischen Individualismus herausgestellt wird.
— S. 183. Tönnies, F.: Das Haarlemer Meer. Das niederländische Kolonisations-
gebiet auf dem Boden eines 1855 trockengelegten Landsees ist ein typisches Beispiel für
die Entwicklungsgeschichte kolonialer Anlagen. Diese Entwicklung führt von anfänglich
elenden wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen auf dem Wege einer natürlichen
Auslese und „Siebung‘“ zu wirtschaftlichem Aufschwung und Heranbildung eines starken
Menschenschlages. — Heft 3, S. 257. Thurnwald, R.: Probleme einer empiri-
schen Soziologie. Die Soziologie muß sich auf ein breiteres Tatsachenmaterial stützen,
und diese soziologischen Tatsachen sollten zunächst nach der biologischen und psycholo-
gischen Seite hin durchgearbeitet werden. — S.274. Inanlecki, F.: Ueber die Sammlung
und Verwertung des soziologischen Materials. — S. 294. Ickheiser,
G: Die Antinomie zwischen Politik und Moral nach Machia-
velli. Die von Machiavelli zuerst verkündete Gegensätzlichkeit zwischen politischem
Erfolg und Moral wird als ein allgemeingültiges soziologisches Gesetz hingestellt. Der
durch Normen Gebundene besitzt bei sonst gleichen Bedingungen eine geringere Hand-
lungsfreiheit. — Heft 4, S. 385. Roffenstein, G: Zur Psychologie der poli-
tischen Meinung. In formaler Beziehung entsteht die politische Meinung aus
dem Affekt und der Suggestionswirkung („Der Wunsch ist der Vater des Gedankens‘‘)
—- diese führen über den Glauben an bestimmte Grundsätze zu einer Fixierung in
der „überwertigen Idee“, die notwendig schematisch und einseitig ist. — S. 413.
Rötsch, E.: Der Okkultismus als soziologisches Problem. — S. 428.
Kalm, J. R.: Zur Soziologie der griechischen Massensiedlung. Es
wird über das Schicksal der nach dem Vertrage von Lausanne 1923 in Griechenland
einwandernden (1,4 Millionen) anatolischen Griechen berichtet. Dieser Massenzustrom
von arbeitslosem Proletariat bedeutet eine schwere wirtschaftliche Belastung für das
kleine Land. — Jahrgang 1928. Heft 1, S. 1. Sorokin, P.: Experimente zur
Soziologie. Experimente über die Intensität der altruistischen Gesellungserschei-
Zeitschriftenschau. 347
nungen ergaben, daß die altruistische Haltung mit wachsendem sozialen Abstand
nachläßt und in Handlungen sich stets in geringerem Maße nachweisen läßt als in
Worten. — S. 11. Krische, P.: Die soziale Schichtung der Erwerbs-
tätigen im Zeitalter der Dampfmaschine und in dem der Elek-
trizität. Die Verwendung des Dampfes in der Technik brachte das Vorherrschen
des Proletariats im Betriebe mit sich. Im Zeitalter der Elektrizität dagegen verringert
sich die Zahl der unqualifizierten Arbeiter, weil nun die Kraft nicht mehr an einem
Ort erzeugt und verbraucht werden muß, sondern den verschiedensten Betrieben von
einem Kraftzentrum aus zugeleitet wird. — S. 19. Gesemann, G.: Soziologische
undpsychologische ZusammenhängeinderSagenforschung. —
H. 2, S. 129. Esehmann, E. W.: Zur politischen Struktur des Mittel-
alters. Die politischen Bildungen des Mittelalters gründen sich auf die einander
ablösenden und auch wieder zusammenwirkenden Prinzipien des Geblütsrechtes
(Sippe), der Gefolgschaft (Lehenswesen), der „freien Einung“ (Städte); alle diver-
gierenden Formungen stets zusammengehalten durch die christlich-katholische Idee
des „Einen Reiches“. — S. 150. Karves, J.: Ein Beitrag zur Soziologie der
französischen Inflation. — S. 161. Woldt, R: Die Fabrik als Um-
welt des Arbeiters. Zur Erörterung stehen die Veränderungen, die sich für die
Struktur eines Fabrikbetriebes im Laufe der industriellen Entwicklung ergeben haben.
Diese Entwicklung führt vom handwerklichen Können zu methodischem Wissen und
damit zu einer Spezialisierung und Mechanisierung des Arbeitsprozesses und auch der
Betriebsverwaltung. Das soziologische Problem: „Fabrik: Umwelt des Arbeiters‘‘ wird
kaum gestreift. — S. 182. Eliasberg, W.: Ueber sozialen Zwangundabhän-
gige Arbeit. Das heutige soziale Leben zeigt eine vermehrte Anwendung des Zwan-
ges, dem der Gezwungene in verschiedener Weise begegnet: er überwindet ihn, indem
er ihn zur Notwendigkeit erhebt, — oder er verdrängt ihn, was viele sozial-patho-
logische Erscheinungen zur Folge hat. — Heft 3, S. 257. Ichheiser, G.: Die Bedeu-
tung der leiblichen Schönheit des Individuums in sozial-
psychologischer und soziologischer Beleuchtung. Die charakter-
bildende Rückwirkung des Bewußtseins, „schön“ zu sein, besteht in einer Verschiebung
des Selbstbewußtseins von den seelischen Eigenwerten zur Erscheinungsseite des Indi-
viduums. Ein zweiter Abschnitt behandelt die sozialen Vorzugschancen, die durch
den Besitz der leiblichen Schönheit gegeben sind: „Schönheit“ wirkt sich — meist mit
dem Umweg über sexuelle Bevorzugung — in wirtschaftlichem Aufstieg aus. — S. 266.
Serouya, H.: Die Rolle von Individuum und Gesellschaftbeim Her-
vorrufen von Kriegen. Voraussetzung für das Zustandekommen eines Krieges
ist die Aktivität des Individuums, das die vorhandenen Spannungen innerhalb der
Gesellschaft zur Auslösung bringt. Von seiten der Gesellschaft muß eine als seelischer
Zustand vorhandene Vorstellungsweise („Liebe zum Vaterland“ usw.) vorliegen — sic
erzeugt die zum Handeln nötige Dynamik. — S. 280. Sehmölders, G.: Prohibition
und öffentliche Meinung. Sowohl die Befürwortung als die Ablehnung des
Alkoholverbotes durch die öffentliche Meinung ist eine Reaktion gegen die bestehenden
Verhältnisse: zuerst gegen die Schäden des Alkoholmißbrauchs, dann gegen die im
Gefolge der Prohibition auftretenden Mißstände — S. 287. Kaim, J. R.: Italien
und der Balkan. Die faschistische Propagandapolitik auf dem Balkan kann sich
nur auf die mazedonische Bewegung in Jugoslavien stützen, sonst verhalten sich die
Regierungen, die Presse und Volksstimmung (soweit als konstante Größe faßbar) dem
faschistischen Italien gegenüber ablehnend, wenn nicht die augenblickliche politische
Konjunktur eine andere Haltung als günstig erscheinen läßt. — Heft 4, S. 383.
Westermann, D.: Neue Wege in der afrikanischen Eingeborenen-
348 Zeitschriftenschau. — Diskussionen und Erklärungen.
politik. Zwei verschiedene Methoden werden von der französischen und der eng-
lischen Eingeborenenpolitik verfolgt: die Franzosen versuchen die französisch gebil-
deten Neger aus ihrem Volkstum zu lösen und dem Mutterlande einzugliedern —
England dagegen will die Eingeborenen innerhalb ihrer Stammesgrenzen halten und
durch Volksschulen in den Negersprachen die erste Grundlage zu einer Eigenentwick-
lung legen. Dieser Politik gehört die Zukunft. — S. 396. Hobhouse, L. T.: Ueber
einige der primitivsten Völker. Ein vergleichender Bericht über die
Lebensweise von 14 primitiven Völkern (Andamanen, Semang, Sakai, Negritos, Vedda,
Pygmäen, Buschmänner, Feuerländer usw.). — S. 424. Clement, F.: Die doppelte
Schichtung des französischen Volkes. Die nach außen homogen wir-
kende französische Nation setzt sich aus zwei Volks- bzw. Rassenteilen zusammen: den
mediterranen Südfranzosen und den nordischen Franko-Galliern. Ihr bald kämpferi-
sches, bald befruchtendes Zusammenwirken läßt sich verfolgen im Wechselspiel
zwischen klassischem Formwillen und nordischem Freiheitswillen — auf politischem
wie kulturellem Gebiet. — S. 430. Zaloziecky, W.: Die Wiedergeburt des
klassokratischen Staatsgedankens in Osteuropa. — Jahrgang 1929,
S. 1. Sorokin, P. A., Zimmerman, C. C.: Die politische Einstellung der
Farmer und Bauern. Die ländliche Bevölkerung zeigt eine geringere Neigung zu
politischem Radikalismus als die Städter. Der seltener auftretende bäuerliche Radika-
lismus zeigt zugleich auch eine spezifisch agrarische Färbung. — S. 26. Tönnies, F.,
Jurkat, E.: Die schwere Kriminalität von Männernin Schleswig-
Holsteinin den Jahren 1899—1914. Aus dem reichen statistischen Mate-
rial ergibt sich, daß die schwere Kriminalität der Fremdgebürtigen relativ größer ist
als die der Heimbürtigen, sie verhält sich ebenso wie die Kriminalistik der Stadt-
geborenen zu der der Landgeborenen, wie die Zahl der „Gauner“ zu der Anzahl der
„Frevler‘‘. — S. 40. Hobhouse, L. T.: Friede und Ordnung bei den primi-
tiven Völkern innerhalb der Gruppe. Eine Schilderung der Methoden,
durch die primitive Völkerstämme den Frieden zu gewährleisten suchen; eine Deutung
wird nicht versucht. Eva Scheibe (München).
Diskussionen und Erklärungen.
Der „Erbgang“ neuer Gedanken in der Rassenkunde*).
Von Prof. Dr. Walter Scheidt, Hamburg.
In Nr. 32 und 33. der „Klinischen Wochenschrift“ vom 6. und 13. August 1929
hat Dr. Karl Saller einen Aufsatz „Zur Frage der Rassengliederung Deutschlands“
veröffentlicht, in welchem er auch (S. 1503 und 1504) über eine zweckmäßige Defini-
tion des Rassenbegriffes und, im Umkreis dieser Definition, über grundlegende Fragen
der allgemeinen Rassenkunde spricht. Die Literaturangaben des Aufsaizes von Saller
nennen (mit Ausnahme eines Werkes von Lundborg) nur (vier) Arbeiten von
*) Anmerkung der Schriftleitung. Diese Entgegnung auf die im Text genannte
Arbeit Sallers ist zuerst an die Schriftleitung der „Klinischen Wochenschrift“
gesandt worden, wo die Arbeit Sallers erschienen war. Die „Klinische Wochenschrift“
hat aber die Aufnahme abgelehnt, weil „ein Eingehen auf die Genese bestimmter
Ansichten“ nicht notwendig sei. Es ist zwar verständlich, daß „polemische Aufsätze“
dort „unerwünscht“ sind; wenn aber keine Gelegenheit geboten wird, die Herkunft
wissenschaftlicher Gedanken zu beleuchten, so droht eine Verwirrung der geistigen
Eigentumsbegriffe. Lenz.
Diskussionen und Erklärungen. 349
Saller, obwohl wesentliche Gedanken jenes allgemeinen Teils schon früher von an-
deren Autoren ausgesprochen worden sind. Es scheint mir deshalb angezeigt zu sein,
diese Autoren hier nachzuweisen. In der Hauptsache handelt es sich um Arbeiten von
Lenz und mir. Der Anteil von Lenz ist in meinen Arbeiten überall da, wo ich auf
Erkenntnissen von Lenz weilergebaut habe, deutlich gemacht und durch Quellen-
nachweise belegt. Die wichtigsten hierhergehörigen Arbeiten von mir sind folgende:
1. Allgemeine Rassenkunde (München 1925).
2. Die Asymmetrie der Körpergrößenkurven und die Annahme der Polymerie.
Arch. Rassenbiol. 1925, Bd. 16, S. 414.
3. Die Elbinsel Finkenwärder. München 1927 (ausgegeben Dez. 1926).
4. Die Verbreitung körperlicher Rassenmerkmale im Gebiet deutscher Sprache
und Kultur. I. Teil. Volk und Rasse, 1926, Bd. I, S. 229.
5. Rassenforschung. Leipzig 1927.
6. Zur Frage nach einer zweckmäßigen Abgrenzung der Anthropologie. Anthrop.
Anz. 1927, Bd. IV, S. 194.
7. Zur Theorie der Auslese. Zeitschr. f. indukt. Abst. u. Vererbungslehre 1928,
Bd. 46, S. 318 (Eingeg. 8. 5. 1927).
8. Rasse und Volk. Anthropos 1928, Bd. 28, S. 19.
9. Annahme und Nachweis von Rassenvermischung. Zeilschr. f. Morph. u, Anthrop.
1928, Bd. 27, S. 94.
10. Untersuchungen über Rassenmischung. I. Nachweis und Analyse von Rassen-
gemengen und Mischlingsbevölkerungen. Arch. Rassenbiol. 1929, Bd. 22, S. 1 (aus-
gegeben; 15. Juli 1929).
. Ferner Buchbesprechungen im Arch, Rassenbiol., bes. 1927, Bd. 19, S. 81; 1927,
Bd. 20, S. 92; 1928, Bd. 20, S. 218.
Saller spricht in seinem Aufsatz zunächst (1. Absatz) vom Unterschied des
experimentell-genetischen Rassenbegriffes gegenüber dem der menschlichen Rassen-
forschung. Dieser Unterschied ist so erstmals von mir (in 1, 5, S. 40, besonders 7,
S. 319, und 9, 10) betont worden.
Sallers 2. Absatz enthält Gedanken, die bereits bei mir in 5, S. 13/14, ebenso
an vielen anderen Stellen der oben angegebenen Arbeiten präzisiert sind.
Sallers 3. Absatz bezieht sich auf Ergebnisse von Castle und Davenport,
die von mir (in 1) zur Begründung der großen Bedeutung polymerer Anlagen für die
menschliche Rassenforschung herangezogen und in einer Spezialarbeit (2) weiter ver-
folgt wurden, die Lenz durch einen wichtigen Beitrag seinerseits (Arch. Rassenbiol.
1925, Bd. 16, S. 420) ergänzt hat. Die grundlegende Bedeutung der Polymerie hat
endlich Lenz (Menschliche Erblichkeitslehre, Bd. I, 3. Aufl. 1927, S. 177) in seiner
Regel von der Polymerie normaler Eigenschaften klar formuliert und theoretisch be-
gründet. Der von Saller in demselben Absatz seiner Schrift noch gegebene Hinweis
auf Unstimmigkeiten hinsichtlich des Begriffes einer „reinen“ Rasse bildet, in einer
allerdings vollständigeren und begründeten Darstellung, den Inhalt meiner Arbeiten
9 und 10; er ist aber bei mir auch schon in 1, 5, 7 und 8 enthalten.
Sallers Forderung (4. Absatz) nach einer geographischen Abgrenzung der
Untersuchungsgruppen steht bereits bei mir begründet in 1, besonders im Anhang zu 3
und in 5. Die Erkenntnis der Neuentstehung von Rasseneigenschaften durch Erbände-
rung stammt von Lenz (1912). -
Sallers Rassendefinition (Absatz 5) ist lediglich eine schlechter for-
mulierte Variante der von mir auf Erkenntnissen von Lenz (1914) aufgebauten, erst-
mals 1923 (These zur Habilitation) aufgestellten und seitdem in allen meinen Arbeiten
verfochtenen Definition. In seiner Arbeit „Die Entstehung der nordischen Rasse“
350 Diskussionen und Erklärungen.
(Zeitschr. f. Anatomie und Entwicklungsgesch. 1927, Bd. 83, S. 411) hat Saller mit
großem Stimmaufwand gegen meine Definition und deren Begründung polemisiert und
(S. 572) erklärt: „Die Scheidtsche Definition muß daher abgelehnt werden.“ Während
er in jener Arbeit mit Sperrdruck hervorhebt (S. 573): „Isolation und Auslese, die
beiden heute für die Frage der Rassenentstehung hauptsächlich herangezogenen Ein-
flüsse, reichen also für das bisher vorliegende Material an paläolithischen und neo-
lithischen Funden als mitwirkende Faktoren für die Entstehung der in diesem Mate-
rial sich zeigenden Rassendifferenzen zur Erklärung dieser Differenzen nicht aus. Zu-
mal die Auslese kann, wie hervorgehoben, keinen Ansatzpunkt haben ..... ‘ — er-
läutert er 1929 (Absatz 4) auch die auslesende Wirkung der „Isolation“ und definiert
selbst (?) Rasse als eine durch Isolation bedingte Merkmalskombination. Auf die auch
in dieser Definition und den umgebenden Erörterungen noch steckenden Irrtümer
(z. B. die Erbflüchtigkeit der Eigenschaftskombinationen) will ich hier nicht
eingehen. Eine Kritik würde nur zeigen, daß nach Entfernung der Schiefheiten gar
nichts anderes mehr übrig bliebe, als nur meine Definition. Wesentlich ist mir hier
nur, darauf hinzuweisen, daß Saller seine Definition des Rassenbegriffes nun auch
auf Erbanlagen bezieht, wie es bisher nur Lenz und ich getan haben, und daß er
die anzunehmenden Momente der Rassenbildung in diese Definition aufnimmt, wie es
bisher ausschließlich ich getan habe — unter dem lautesten Protest von Saller.
Seine Arbeit von 1927 läßt auch in der ganzen Einstellung, Ausdrucksweise und Metho-
dik nicht den geringsten Zweifel darüber zu, daß Saller damals noch durchaus im
Bann der alten Martinschen Auffassung stand.
Im 15., 16. und 17. Druckabsatz des Sallerschen Aufsatzes vom August 1929
sind ferner Ausführungen enthalten über Unzulänglichkeiten bisheriger Typenauf-
stellungen, die erstmals von mir (1, 3, bes. 5, 9 und 10) hervorgehoben wurden. Seine
(ablehnende) Erörterung, ob es wohl jemals „reine Typen“ in jenem landläufigen Sinn
gegeben habe, ist ausführlich schon bei mir (in 1, besonders in 5, 7, 8, 9 und 10)
zu lesen.
Diese Feststellungen sollen nicht den Anschein erwecken, als ob alles, was
Saller in seinem Aufsatz zu allgemein-rassenkundlichen Fragen sagt, schon irgend-
wo in meinen oben angegebenen Arbeiten gestanden hätte. Für manche Behauptungen
Sallers müßte ich vielmehr die Vaterschaft ganz energisch ablehnen. Aber es ist
für jeden, der die Entwicklung der allgemeinen Rassenkunde in den letzten zehn
Jahren kennt, kaum ein Zweifel darüber möglich, daß sich Saller unter dem Ein-
fluß der Arbeiten von Lenz und mir zu einer „Revision“ seiner früheren Ansichten
verstanden hat. Wir begrüßen diese Umstellung Sallers im Interesse der Sache
sehr befriedigt*). Aber es kommt mir komisch vor, daß sie zuerst unter flammendem
Protest gegen die Urheber der neuen Anschauungen, dann mit einer völligen Ver-
leugnung dieser Urheber erfolgt ist. Damit, daß Saller „Merkmal“ sagt (für Erb-
anlage), weil ich „Eigenschaft“ vorgeschlagen habe, und „Eigenschaft“, wo ich meine,
daß es „Merkmal“ heißen sollte — damit ist nichts geändert und nicht einmal aus
der Welt geschafft, daß die Unterscheidung und Verwendung dieser beiden deutschen
Ausdrücke in der Genetik von mir stammt. Sa l l e r scheint auch sonst vielfach selbst gar
*) Anmerkung der Schrift. In einer Kritik von Sallers Arbeit (dieses Archiv
Bd. 22, Nr. 1, S.74) hatte ich (Lenz) bemängelt, daß Saller nirgends klar sage, unter
welchen Bedingungen er die Aufstellung einer Rasse für berechtigt halte. Vermutlich
sind seine Ausführungen über den Rassenbegriff, die einige Wochen nach meiner
Kritik erschienen sind, durch diese angeregt worden, Auch ich bin sehr befriedigt, daß
Saller sachlich nunmehr zu der von mir und Scheidt vertretenen Auffassung
gekommen ist. Der Umstand, daß er äußerlich uns nach wie vor ablehnt, macht uns
nicht traurig. Lenz.
351
Diskussionen und Erklärungen. — Eingegangene Druckschriften.
nicht zu merken, wie sehr er sich in der Denk- und Ausdrucksweise anderer bewegt,
wenn er z. B. (1927, S. 571) „Auslese“ und „Siebung‘ in betont neuer Aufmachung
unterscheidet, ohne den Leser ahnen zu lassen, daß diese Unterscheidung von Thurn-
wald stammt und von mir (1) als ausdrücklich bezeichnetes geistiges Eigentum von
Thurnwald in die allgemeine Rassenkunde eingeführt wurde. Gelegentlich kom-
men ihm' sogar Ausdrücke, die andere erfunden haben, als „eigene“ in die Feder, wie
z. B. (1929, S. 144) mein „langförmig‘“ für „dolichozephal“ (von mir vorgeschlagen
in 4 und 5). Ich erwähne diese Einzelheiten nur als Symptome dafür, daß sich Saller
selbst offenbar nicht in jedem Augenblick klar darüber ist, was eigene und was
fremde Erzeugung war. Psychologisch mag das als Entschuldigung gelten; sachlich
kann es nicht unwidersprochen bleiben, wenn nicht einmal Angaben im Literatur-
verzeichnis auf vorgängige gleiche oder ähnliche Meinungsäußerungen anderer Autoren
verweisen.
Der spezielle Teil des Aufsatzes von Saller endlich kann mit seiner Einleitung
bei den Lesern der Eindruck erwecken, als hätte nur Saller „positive“ rassenkund-
liche Untersuchungsergebnisse aus Deutschland zu verzeichnen. In Wirklichkeit liegen
solche Befunde (auch veröffentlicht) vor, der Plan zu einer gemeinschaftlichen sol-
chen Arbeit der deutschen Anthropologen ist (auch von Saller) in den Hauptzügen
aus meiner vorgängigen Arbeit über Finkenwärder (3) übernommen worden und die
jetzt großzügige Organisation ist ein Verdienst von E. Fischer. Die von Saller
in seinem Verzeichnis genannten eigenen Arbeiten sind bis jetzt (1. Okt. 1929) mit Aus-
nahme von Nr. 2 (1927) noch nicht erschienen. (Auch Sallers Nr. 1 wurde mir bis
jetzt aus der Bibliothek als „noch nicht eingegangen“ nicht geliefert.) Wohl ist aber
mittlerweile bereits eine zweite rassenkundliche Monographie (Niedersächsische
Bauern I, Jena 1929) von mir im Buchhandel. Auch insofern könnte also bei den
Lesern des Aufsatzes von Saller das Trugbild eines Erbganges von späteren auf
frühere Generationen entstehen. Da Saller wiederholt eine starke Animosität gegen
Lenz und mich gezeigt hat (Lenz hat darauf in diesem Archiv 1929, Bd. 22, S. 72
hingewiesen), darf ich wohl sicher annehmen, daß Saller die Absicht eines An-
schlusses an die von Lenz und mir vertretenen Anschauungen durchaus fern lag.
Wenn er nun aber doch, „trotz allem“, auf demselben Ende herauskommt, ist das für
uns kein Grund, auf unsere Prioritätsrechte zu verzichten.
Eingegangene Druckschriften.
v. Behr-Pinnow, K, Menschheits-
dämmerung? 156 S. Berlin 1929.
Stilke. 4.— M.
Böhle, Wilhelm, Die Körperform als Spie-
gel der Seele. Mit 62 Photographien.
229 S. Berlin u. Leipzig 1929. Teubner.
Geb. 15.— M.
Boldrini, Marcello, Contributi del Labo-
ratorio di Statistica. Serie Prima.
436 S. Milano 1929.
Buttersack, Triebkräfte des Le-
bens. Auslösung und Kraft-
speicherung bei den Indivi-
duen, Geschlechtern, Völkern.
104 S. Stuttgart 1929. Enke. 9.50 M.
Darré, R. Walther, Das Bauerntum
als Lebensquell der Nordi-
schen Rasse. 483 S. München 1929.
Lehmann. Geb. 20.— M.
Darwin, Leonard, W hat isEugenics?
88 S. London 1928. Watts & Co. 1 Sh.
Davenport, C. B., and Steggerda, M., Race
crossing in Jamaica. 512 S. Washing-
ton 1929. Carnegie Institution.
Dingler, Hugo, Metaphysik als
Wissenschaft vom Letzten.
290 S. München 1929. Reinhardt. 11.50 M.
352 OO
Ergebnisse der Sozialen Hygiene und Ge-
sundheitsfürsorge. Herausgegeben von
Grotjahn, Langstein, Rott.
Bd. 1. 440 S. Mit 31 Abb. Leipzig 1929.
Thieme. Geh. 30.— M.
Fetscher, R, Grundzüge der Erb-
lichkeitslehre. 2. verb. Aufl. 70S.
Dresden 1929. Deutscher Verl. f. Volks-
wohlfahrt.
Fetscher, R, Grundzüge der Euge-
nik. 2. verb. Aufl. 80 S. Dresden 1929.
Deutscher Verlag f. Volkswohlfalırt.
Gaupp, R, Ueber den Selbstmord.
28 S. Amsterdam 1929.
Gosney, E. S., and Popenoe, Paul, Steri-
lization for Human Betierment. 202 S.
New York 1929. The Macmillan Com-
pany.
Hartnacke, Wilhelm, Standesschule
— Leistungsschule. 38 S. S. A.
aus „Die Erziehung". Jg. 1928. H. 7 u. 8.
Hecke, W, Bericht über die 10.
Fürsorgetagung. Mitt. der Oest.
Ges. f. Bevölkerungspolitik u. Fürsorge-
wesen. Heft 7. 72 S. Wien 1929. J.
Springer. 1.20 M.
Heyk, Hans, Deutschland ohne
Deutsche. Ein Roman von Ueber-
morgen. 312 S. Leipzig 1929. Staack-
mann. Geb. 6.— M.
Kruse, W,DieDeutschenundihre
Nachbarvölker. 640 S. Mit 17
Textabbildungen und 5 Tafeln. Leipzig
1929. Thieme.
Liopis, F., Hämophilie und ihre Behand-
lung. 95 S. Mit 14 Abb. im Text und 4
Tafeln. Leipzig 1929. J. A. Barth.
Eingegangene Druckschriften.
nn een — [1 nn en 7 mn a
Passarge, S, Das Judentum als
landschaftskundlich-ethno-.
logisches Problem. Mit 153 Abb.
460 S. München 1929. Lehmann. 15.— M.
Paul, A, ZumProblemder mensch-
lichen Metamorphose. 74 S.
Leipzig 1928. Hillmann. 3.— M.
Popenoe, Paul, The Child’s Heredity.
316 S. Baltimore 1929. The Williams &
Wilkins Company.
Preußische Staatsbibliothek. Katalog der
Handbibliothek des Großen Lesesaals.
Abt. 7. Mathematik u. Naturwissenschaf-
ten. Berlin 1929.
v. Rohden, Friedr., Die Methoden der
konstitutionellen Körper-
bauforschung. 74 S. Aus d. Hand-
buch der biologischen Arbeitsmethoden.
Lieferung 292. Herausgeber F. Abder-
halden. Berlin 1929. 10.— M.
Rohrbach, Paul, Der Tag des Unter-
menschen. 293 S. Berlin 1929.
Safariverlag.
Scheidt, Walter, Lebensgesetzeder
Kultur. 114 S. Berlin 1929. Frank-
furter Verlagsanstalt.
Schmidt, Ludw., Christian Schmidt
und seine Ahnen. 180 S. Druck
von Kostenbader, Heilbronn a. N.
Schmidt, Max, Körperbau und Gei-
steskrankheit. Mit 56 Abb. 206 S.
Berlin 1929. Springer.
Schmidt, P, Das überwundene
Alter. Wege zur Verjüngung und
Leistungssteigerung. 364 S. Leipzig 1928.
List. 12.— M.
Schneidemühl, Georg, Handschrift
und Charakter 351 S, Leipzig
1929, Grieben. Geh. 8.— M., geb. 12.— M.
Druckfeblerberichtigung.
í
.. In Heft 2 dieses Bandes muß es in der Arbeit von Mühlmann über Taubstumm-
heit auf S. 182 Zeile 15 von unten F, statt „Form 2“ heißen.
m — nn m nn
Dannhauser, Alfred, Die Tragödie
der modernen Frau. Das Problem der
Seite
Seite
Rassenhygiene oder Eugenik? . 328
reiferen Jahre (Lenz-v. Borries) . . . 324 Aus der Gesellschaft für Rassenhygiene.
Roesle, E., Essai d'une Statistique Hauptversammlung der Deutschen Gesell-
comparative de la Morbidité devant schaft für Rassenhygiene in Tübingen
servir à établir les Listes spéciales des am 8. September 1929 . . . ... 328
Causes de Morbidité {Med.-Rat Dr. n
Hans Schmidt, Fritzlar). . . - .. 325 | Zeitschriftenschau . . . . . . 30
Geiger, Theodor, Die Gestalten der Ge-
sellung (Priv.-Doz. Dr. O. v. Verschuer, Diskussionen und Erklärungen.
Berlin-Dahlem) ; . ©.. a. 2 = 3 326 Scheidt, W., Der „Erbgang“ neuer
Notizen. | Gedanken in der Rassenkunde . . . 348
Preisausschreiben der Eugenics Re- Druck
search Association über die Ursachen ni SIE e E a
des Geburtenrückganges . . 327 | Druckfehlerberichtigung . 352
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Im Mittelpunkt der meisten rassenkundlichen Erörterungen steht
heute die Frage nach Wesen und Herkunft der nordischen Rasse.
Diese Fragen sind schwer zu beantworten, solange man von den
Mischbevölkerungen in Mitteleuropa ausgeht
Viel klarer werden die Dinge, wenn man die rassischen Verhältnisse
im Norden betrachtet, wo die nordische Rasse noch viel reiner und
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Der Verfasser, Präsident der Kgl. Norweg. Gesellschaft dei Wissen-
schaften und einer der führenden Anthropologen Norwegens, gibt
unter diesen Gesichtspunkten ein hochinteressantes Bild der norwe-
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wird ohne Voreingenommenheit nach irgendeiner Seite untersucht und
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werden eingehend unter Heranziehung vieler Bilder dargestellt. Der
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der Anthropologie Dr. EUGEN FISCHER, Professor der Rassenhygiene
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und Professor der Psychiatrie Dr. E. RÜDIN |
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as Archiv wendet sich an alle, die für das biologische Schicksal unseres Volkes
Interesse haben, ganz besonders an die zur geistigen Führung berufenen Kreise,
an Aerzte, Biologen, Pädagogen, Politiker, Geistliche, Volkswirtschaftler. Es ist
der menschlichen Rassenbiologie, einschließlich Fortpflanzungsbiologie und ihrer
praktischen Anwendung, der Rassenhygiene (einschließlich Eugenik), gewidmet. Die
allgemeine Biologie (Erblichkeit, Variabilität, Auslese, Anpassung) wird so weit berück-
sichtigt, als sie für die menschliche Rassenbiologie von wesentlicher Bedeutung ist.
Die erbliche Bedingtheit menschlicher Anlagen einschließlich der krankhaften wird
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Gesellschaftsbiologie (soziale Auslese, Aufstieg und Verfall der Völker und Kulturen)
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INHALTSVERZEICHNIS:
Seite Seite
Abhandlungen. Henke, Max, Blutprobe im Vater-
schaftsbeweise (Scheidt) . 419
t Study, Geh. Rat, Prof. Dr. E. (Bonn),
Neuere Angriffe auf die Selektions-
theorie. (Mit einer farbigen Tafel) . . 353
Meyer, Dr. Karl (Bremen), Die Men-
schen am La Plata. . . . 394
Rohrbach, Dr. Paul (München), Ueber
Herkunft und A Stand des Aus-
landsdeutschtums . . . . 405
Kleinere Mitteilungen.
Lenz-v.Borries, Kara (Herrsching),
Rassenhygienisch wichtige Ergebnisse
der Einkommensteuer-Veranlagung von
BR: ae RER ER
Kritische Besprechungen und Referate.
Kronacher, C., Züchtungslehre (Dr.
C. A. Mirbt, Bray-on-Thames, England) 417
Davenport, C. B., und Steggerda,
M., Race Crossing in Jamaica (Prof. Dr.
Walter Scheidt, Hamburg) . . . . 418
Nyessen, D. J. H., The Races of Java
(Scheidt) a . . er
Schultze, Oskar, Das Weib in anthro-
pologischer und sozialer Betrachtung
(Dr. Max Marcuse, Berlin) . . 420
Hofstätter, Die arbeitende Frau, ihre
wirtschaftliche Lage, Gesundheit, Ehe
und Mutterschaft (Marcuse) . . . . 420
Lindsey, Ben, Die Revolution der
modernen Jugend (Kara Lenz-v. Bor-
ries, Herrsching) a a ie e a
Lindsey, Ben und Evans, W., Die
Kameradschaftsehe (Lenz-v. Borries) . 425
Sanger, Margaret, S
(Lenz - v. Borries) .
Popp, Walter, Das pädagogische Milieu
(Priv.-Doz. Dr. Anneliese EN)
eT T EE . 427
Rohrbach, Paul, Der Tag des Unter-
menschen (Lenz -v. Borries) . . . . 428
Annuaire Statistique Inter-
nationale, Vol. III (Med.-Rat Dr.
Hans Schmidt, Fritzlar). . . . 429
Fortsetzung auf der 3. Umschlagseite
Neuere Angriffe auf die Selektionstheorie.
Von E. Study t, Bonn.
Hildebrand und sein Sohn Hadubrand
Zogen selbander wutentbrannt
Gegen die Seestadt Venedig.
Hildebrand und sein Sohn Hadubrand,
Keiner die Seestadt Venedig fand!
Von mehr oder minder turbulenten Strömungen eines sogenannten
Antidarwinismus (worunter gegenwärtig sehr allgemein nur noch Ableh-
nung der Selektionstheorie verstanden wird) haben wir Deutschen nicht
weniger als vier. Eine erste entspringt da, wo schon die Entrüstung über
die „Affentheorie“ entsprungen war, nämlich aus theologischen Spekula-
tionen (J. Reinke u. a.). Die Naturwissenschaft wird durch Ein-
mischung von Gefühlen und allzu menschlichen Wünschen getrübt. Dicht
dabei entspringt der Vitalismus, der als ein spärliches Gewässer dahin-
rauscht, mit einer besonders viel mystischen Schlamm führenden Unter-
strömung, der man den Namen Psycholamarckismus gegeben hat [G. Wolff,
H. Driesch — A. Paulyt)]. Sehr viel breiter und (wenigstens heut-
zutage) ruhiger fließt dahin der Strom des sogenannten Mechanolamarckis-
mus (C. Naegeli, Th. Eimer), in dem fast alle Paläontologen schwim-
men sollen. (?) Auch diese Forscher sind nach meinem Dafürhalten Vita-
listen, wenn auch ohne Wissen und wider Willen?). Zu alledem ist schließ-
lich in unserem Jahrhundert noch eine weitere Strömung gekommen, die
ganz und gar nicht mystisch-vitalistisch, vielmehr sehr nüchtern ist.
Johannsen und mit ihm andere Vererbungstheoretiker sind ebenfalls
Widersacher Darwins. Während aber jene Vitalisten meinen, an Stelle der
Selektion etwas Besseres zu haben, begnügen sich diese Forscher mit einer
Negation. „Faktorenlehre und Mutationslehre erfordern es, daß eine all-
mähliche Entstehung der Anpassungen durch Zuchtwahl nicht denk-
bar ist?).“ Wie sie aber zustande gekommen sein mögen, lassen diese
1) Uebrigens schließt eine theologische oder vitalistische Grundstimmung keines-
wegs notwendig eine Gegnerschaft zur Selektionstheorie ein (E. Wasmann, Erich
Becher).
2) Ich komme weiterhin noch kurz auf diesen Punkt zurück bei Besprechung der
Ansichten von Handlirsch. Früher habe ich ihn eingehend erörtert (1920). |
3) Die Hervorhebung rührt von mir her. — So schroff ablehnend die angeführte
Aeußerung ist, so genau entspricht sie der Ansicht von Johannsen und seiner
Schule. Der zitierte Satz steht noch in der letzten Auflage von R. Goldschmidts
„Einführung in die Vererbungslehre“ (1928, S. 372), deren Verfasser sich
Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie, Bd. 22, Heft 4. 23
354 © E Study:
Autoren im Dunkel. Es interessiert sie wohl nicht sonderlich. Das Zu-
standekommen verwickelter Einrichtungen derart ist ihrer Forschungs-
methode nicht zugänglich. Sehr merkwürdigerweise sind dann noch alle
diese Lehrmeinungen, wiewohl sie einander zumeist widersprechen, wie in
einem Sammelbecken in einem einzigen Buch zusammengeflossen, das, im
Jahre 1916 erschienen, trotz bedeutenden Umfanges und entsprechenden
Preises in dritter Auflage vorliegt: dem „Werden der Organismen“ des in-
zwischen verstorbenen Berliner Anatomen Oskar Hertwig’).
Zu alledem mußte übrigens auch noch die Tagespresse ihre Beiträge
liefern (Zeitungskrieg der „Münchner Neuesten Nachrichten“ vom Jahre
1925, von der Redaktion tendenziös geleitet, „Kölnische Zeitung‘ und andere
Blätter). |
Das „Werden der Organismen“ mit dem darin enthaltenen Gemisch
von Meinungen ist von mir bereits in einer umfänglichen Kritik gewürdigt
worden. Ein zweites Buch desselben Verfassers, das von einem „ethischen,
sozialen und politischen Darwinismus“ redet, haben Fritz Lenz und H. E.
Ziegler kritisiert. Den von Johannsen herrührenden Einwand gegen
die Selektionstheorie hat sodann neuerdings Sven Ekman einer ein-
gehenden Analyse unterworfen (siehe Literaturverzeichnis!). Hier soll nun
von einigen weiteren Erscheinungen die Rede sein, wobei jedoch, der
Genealogie halber, öfter an schon genannte Antidarwinisten zu erinnern
sein wird. Irgendeinen Gedanken über das phylogenetische Problem, der
mir als neu und zugleich als beachtenswert erschienen wäre, habe ich in
diesen Schriften freilich nicht gefunden. Gleichwohl halte ich ihre Bespre-
chung für nützlich, ja zurzeit vielleicht für notwendig. Fehler, die auch
anderwärts vorkommen, treten in einigen von ihnen, den beiden, die den
Anfang machen sollen, sozusagen ziemlich reinlich, nämlich ohne Bei-
mischung von allzu vielem Richtigen in Erscheinung. Sie sind daher leicht
zu erkennen. Ferner handelt es sich in eben diesen Schriften um eine Be-
arbeitung des großen Publikums — eine nicht gleichgültige Sache, wie ich
glauben möchte. Auch hat der eine dieser Autoren — wie wir sehen werden
— einen nicht zu unterschätzenden Einfluß in wissenschaftlichen Kreisen.
Und schließlich hoffe ich für meine Person zu erreichen, daß ich mich in
Zukunft mit Aehnlichem nicht mehr werde befassen müssen.
von einem oberflächlichen Buch des Engländers Punnett hat beeinflussen lassen
(siehe darüber Study 1919), übrigens aber inebendemselben Werk (S. 454)
die Selektionstheorie nicht nur nicht für „undenkbar“, sondern wohl sogar für zu-
treffend zu halten scheint. (Näheres bei F. Lenz, Archiv, Bd. 21, 1928, S. 3, 4.)
4) Insofern ist vielleicht richtig, wenn auch ganz anders gemeint, was in
einer Rezension zu lesen steht: Das Buch stelle einen Markstein in der Ge-
schichte der Abstammungslehre dar (H. Nachtsheim, Naturw.
Wochenschrift, Bd. XXI, 1917. Aehnlich haben sich auch andere geäußert, so P. Buch-
ner im Biologischen Zentralblatt, Bd. 37, 1917.
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Neuere Angriffe auf die Selektionstheorie. 355
Dürken.
Ein kleines ad usum Delphini abgefaßtes Büchlein ist die „Ab-
stammungslehre“ von B. Dürken. Zwar hat sie Kritiker gefunden, mit
deren Ausführungen ich einverstanden bin (Fr. Lenz, Nachtsheim,
Vogel). Es will mir aber scheinen, daß das darin hervortretende Uebel
nicht an der Wurzel angefaßt worden ist. Diese Wurzel ist eine Auffassung
vom Wesen der Forschung, die S. Tschulok in seiner „Deszendenzlehre“
(1912, S. 77) mit folgenden Worten gekennzeichnet hat:
Was nicht geschnitten, gefärbt und gezeichnet, was
nicht getastet, gesehen undgerochen wurde, das gehört
nicht in die „moderne“, „exakte“, „empirische“ Wissen-
schaft.
Dürken wendet sich nicht ohne Grund besonders gegen die Lehre
von der Mimikry. Diese ist wirklich gewissermaßen das Versuchskaninchen
des Darwinismus; wie ein englischer Autor gesagt hat: Mimicryand
the Darwinian Hypothesis must sink or swim together.
Die Mimikry stellt nämlich eine besonders einfache Art von Anpassungs-
erscheinungen dar. Meistens gelingt es nicht, aus den vielerlei Faktoren,
die die heutigen Lebewesen gestaltet haben, einen einzelnen annähernd so
herauszupräparieren, wie es der Physiker auf dem hier ungangbaren Wege
des Experiments tut. Die Vertreter der Selektionstheorie haben daher der
Mimikry besondere Aufmerksamkeit geschenkt.
Offenbar hat Dürken eine ältere Sammlung von Schmetterlingen vor
Augen gehabt, die nicht in bestem Zustande war. Die Etiketten waren un-
deutlich geschrieben. Er hat nun, was er zu lesen glaubte, unberichtigt
wiedergegeben, in einem halben Dutzend von Fällen. Dazu lebt er, wie es
scheint, noch im Jahre 1862. Einer der Falter, die sich eine Umtaufung
haben gefallen lassen müssen, „Titurca harenonia“ (lies Tithorea oder viel-
mehr Hirsutisharmonial), gehört bei ihm zu der längst aufgegebe-
nen „Familie“ der Heliconidae (S. 149, 150). Auch kommt es vor, daß ein
„Vorbild“ aus Bogotä „Nachahmer“ in Honduras hat, und daß eine
Erläuterung dazu für unnötig befunden wird (S. 112). Eine „Epeicopa“ (lies
Epicopeial!) wird uns als angebliches Modell eines daneben abgebil-
deten Papilio vorgestellt, während beide als Nachahmer gelten (S. 111).
Dazu hat Dürken diesem Falter, den er verstümmelt vorgefunden haben
muß, fremde Fühler angedichtet, Fühler von einem Rhopaloceron>)! Nicht
einmal das einzige deutsche Werk über Mimikry, das bekannte kleine Buch
5) Die Billigkeit verlangt, daß ein ähnliches „kleines Unglück“ nicht unerwähnt
bleibe, das noch neuerdings einem Selektionisten zugestoßen ist. Plate hat gleich-
falls in einem kleinen populären Buch Männchen und Weibchen derselben Art als
Modell und Nachahmer abgebildet.
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356 E. Study:
von Jacobi, kann also D ür ken gelesen haben, da er darin (auf S. 151)
das Richtige gefunden haben würde. Tatsächlich fehlt der Name Jacobis
durchaus; wie übrigens z. B. auch die Namen von Bates, Wallace, Fritz
Müller und E. Wasmann (!).
Hiernach ist nicht zu fürchten, daß der Verfasser unseres Büchleins,
das „für die weitesten Kreise gebildeter Laien“ bestimmt
ist, unter der Last überflüssiger Kenntnisse zusammenbrechen wird. So hat
ihn sein gesunder Sinn denn auch vor allzu enger Berührung mit „Phi-
losophie“ bewahrt. Unterdiesen (wirklich nicht sehr kla-
ren) Begriff fällt nämlich, nach Dürken, jede Anwen-
dung des deduktiven Denkverfahrensl!! Das ist nun aller-
dings ein philosophischer Satz, wenn auch ein sehr schlechter.
Die Deduktion also hat in den Naturwissenschaften nichts zu suchen:
Wer immer, horribile dictu, mit Hypothesen arbeitet, bedient
sich dieser durchaus verwerflichen Methodik. Es kann nicht streng
genug gefordert werden, daß hier ein Wandel eintritt
(S. 127). Die SelektionstheoriegehörtindieRumpelkam-
mer! (S. 146). (Natürlich auch die Astronomie und überhaupt die theore-
tische Physik mit ihren dem Geiste der Naturforschung so wenig entspre-
chenden Rechnereien.) Warum nicht das Denken gleich ganz und gar ab-
geschafft werden soll, ist nicht einzusehen.
Mit so beschaffenem Speck fängt man freilich nur Mäuse, die von an-
deren in Ruhe gelassen werden. Aber auf diese Art von Fang scheint es
eben anzukommen. Schwerlich wird „der gebildete Laie“ darüber grübeln,
wieso denn die Abstammungslehre induktiv begründet werden könne
(Titel einer Zeitschrift!), da man dazu doch wohl ein Zeitautomobil haben
müßte. Und ebensowenig wird er sich den Kopf darüber zerbrechen, warum
sie denn ohne Phantasiespiel zustande kommt und keine Hypothese ist*®).
Auf demselben Niveau wie Dürkens Philosophie (!) stehen alle
Einzelheiten seiner Polemik gegen den „Darwinismus“, von dem er, gleich
einer Menge anderer Schriftsteller, nicht einmal die Anfangsgründe kennt.
„Alles“ läßt diese Lehre durch Zuchtwahl entstehen (S. 163)’). Nach ihr
e) Mit dem, was Dürken auf den Seiten 126 und 127 über Hypothesen und
Theorien vorträgt, vergleiche man, was bei Dar win (Variieren I, S. 9) zu lesen steht:
Bei wissenschaftlichen Untersuchungen ist es erlaubt,
irgendeine Hypothese zu erfinden; und wenn eine solche ver-
schiedene große und voneinander unabhängige Klassen von
Tatsachen erklärt, so erhebt sie sich zum Range einer wohl-
begründeten Theorie..... Diese Hypothese(diedernatürlichen
Zuchtwahl)kann....geprüft werden, und dies scheint mir die
einzigpassendeundgerechteArt,‚dieganzeFragezubetrachten.
1) Daß Darwin die Bedeutung der natürlichen Zuchtwahl überschätzt hatte,
hat er selbst zugegeben und berichtigt. (Vergleiche die deutsche Uebersetzung der
sechsten Auflage des „Ursprungs der Arten‘, S. 241, 242, 248, 594, 496, aber auch S. 224
Neuere Angriffe auf die Selektionstheorie. 357
müßten alle „ungeschützten“ Arten längst vernichtet sein (S. 181). Usw.
Die Lücken der Argumentation sind enorm. Instinkte werden nur bei-
läufig einmal erwähnt, und von Tiergeographie spricht Dürken
nirgends, ganz zu schweigen von der botanischen Seite des Stoffes und den
wechselseitigen Anpassungen von Tieren und Pflanzen. Die Rassen un-
serer Haustiere und Kulturpflanzen hatte Darwin in Zusammenhang mit
dem Selektionsgedanken gebracht und auf 950 Seiten abgehandelt. Dür-
ken widmet demselben Stoff noch nicht z wei Druckseiten, worunter sogar
schon seine sogenannte Kritik einbegriffen ist (S. 103, 130). Dabei merkt
unser Naturphilosoph nicht einmal, daß der oft gebrauchte Einwand, den
er bei diesem Anlaß vorbringt, sich gegen alles und jedes Experimentieren
richtet und insbesondere also auch gegen Dürkens eigene Arbeiten über
Kohlweißlingspuppen®). Die Begriffe nützlich, schädlich sind Werturteile (1),
gehören also ebenfalls nicht in die Naturwissenschaft (S. 128, Einwurf von
G. Steinmann). Gleichwohl sind alle Eigenschaften eines Lebewesens
ihm irgendwie von Nutzen (S. 113), was wiederum nicht hindert, daß es
auch schädliche Eigenschaften gibt (S. 142). Auf Seite 130 ist die künstliche
Zuchtwahl mit der natürlichen nicht vergleichbar — sie wird es aber auf
Seite 155, wo Dürken unter Berufung auf Johannsen glaubt, sie
gegen die Selektionstheorie ins Feld führen zu können. Von dem gegen-
wärtigen Stande dieser Theorie erfahren Dürkens Leser überhaupt
nichts. Gleich O. Hertwig, aus dessen Buch Dürken überall schöpft,
polemisiert er ausführlich gegen Lehren A. Weismanns, die meines
Wissens nur wenige Anhänger gefunden haben. So geht es durch den gan-
zen „kritischen“ Teil des Buches. Tatsächliche Irrtümer, historische Ent-
stellungen, schiefe Urteile und fehlerhafte Schlüsse lösen einander in bun-
ter Folge ab. Und mit dieser großschlächtigen Apparatur glaubt Dürken
dem „Darwinismus“ den „Todesstoß“ versetzen zu können (S. 129).
Im Vorwort des Buches ist von „Instanzen zweiter und dritter Ord-
nung“ die Rede, denen das Popularisieren nicht überlassen werden sollte.
Wir haben also in Dürken eine Instanz erster Ordnung
zu verehren.
bis 228; „Abstammung des Menschen“, Vorrede zur dritten Auflage; „Briefwechsel“ II,
S. 309; III, S. 48, 49, 234). Nach anderer Richtung hat er die Selektion aber auch
unterschätzt. Daß Wirkungen des Gebrauchs oder Nichtgebrauchs von Organen,
durch die Darwin viele Anpassungen entstehen ließ, sollten erblich werden können,
hat nie eine zureichende Begründung gefunden und wird von den Vererbungsforschern
fast allgemein abgelehnt.
Uebrigens kommt es ja sachlich gar nicht darauf an, was Darwin oder ein
anderer gesagt hat, sondern ganz allein auf das, was richtig ist.
8) Plate bespricht diesen Einwand auf den Seiten 49—58 seiner Selektions-
theorie. Statt ihm so viel Raum zu widmen, hätte er einfach sagen sollen, daß die
Gesetze der Logik und der Natur nicht durch Menschen geändert werden können.
358 E. Study:
un aaa ng en nr en A nn n
Man sage übrigens nicht, daß sie keinen Schaden anrichten kann.
Dürken durfte sich auf seinem Titelblatt als ordentlichen Professor an
einer deutschen Universität vorstellen. Es gibt immer mehr Gegenauslese
bei der Besetzung von akademischen Lehrstühlen. Welche Bedeutung dabei
die Zugehörigkeit eines Kandidaten zu politischen Parteien hat, ist bekannt.
Heikertinger.
Einen allerdings nicht in jeder Hinsicht nahen Geistesverwandten
Dürkens begrüßen wir in dem Verfasser eines anderen Büchleins, das
1929 erschienen ist, Franz Heikertinger. Auch dieser Autor läßt das
Verstehen der gegnerischen Ansichten überall vermissen.
Von Heikertinger sollte man eigentlich nur Gutes erwarten. Er
verfügt nicht nur über eine ausgebreitete Literaturkenntnis, sondern auch
über ein reiches Anschauungsmaterial, das er im Laufe von fünfzehn
Jahren durch emsige Beobachtungen zusammengebracht hat, auch durch
Experimente mit freilebenden wie gefangenen Tieren. Heikertinger
ist, was die Engländer field-naturalist nennen, im Gegensatz zu
den anderen genannten Autoren — eine rara avis.
Hauptsächlich auf Grund seiner eigenen Untersuchungen gelangt nun
auch Heikertinger zu einem völlig ablehnenden Urteil über die Selek-
tionstheorie.
Seine Forschungen sind in einer kaum zu übersehenden Reihe von Ab-
handlungen in allen möglichen Zeitschriften niedergelegt. Neben wohl über-
wiegender Ablehnung der Schlußfolgerungen haben sie ihm auch die An-
erkennung namhafter Forscher eingetragen. So segelt A. Handlirsch
(im „Handbuch der Entomologie“) ziemlich weit im selben Fahrwasser,
undAbderhaldens „Handbuch der biologischen Arbeitsmethoden“ ent-
hält einen grimmen Artikel aus Heikertingers Feder. Ueberhaupt soll
unter Biologen, deren vielen ja Anpassungsfragen ferne liegen, die Mei-
nung verbreitet sein, Heikertinger habe in Sachen des „Darwinismus“
das letzte Wort gesprochen. Andere freilich finden, daß Heikertinger
gar nicht ernst zu nehmen sei. Indessen sind seine Untersuchungen, s o-
weit sie im Bereich der Beobachtung bleiben, doch wohl
nicht wertlos. Außerdem kann es nicht zweifelhaft sein,
daß enthusiastische Schriftsteller aller Art mit dem
Selektionsgedanken Mißbrauch getrieben haben. Für so
manche Behauptung sind Gründe nur zwischen den Zeilen und nur für den
zu lesen, der über bestimmte Erfahrungen verfügt, und manches davon
hält eine genaue Prüfung nicht aus. Heikertinger hat allerlei Phan-
tastereien signalisiert, und wenn er auch, wie wir sehen werden, öfter von
falschen Voraussetzungen ausgegangen ist und sich in der Tonart arg ver-
Neuere Angriffe auf die Selektionstheorie. 359
griffen hat°), so soll uns das nicht hindern, die verdienstliche Seite seiner
Untersuchungen rückhaltlos anzuerkennen.
Ich habe es hier mit der Bewertung einer Theorie zu tun, kann
also nicht auf sehr viele Beispiele eingehen, zumal ihre Besprechung einen
bedeutenden Raum füllen müßte. Eine solche Erörterung ist aber auch gar
nicht nötig, da man keinen Gedanken nach den verkehrten Anwendungen
beurteilen kann, die so ziemlich von allen gemacht worden sind. Indessen
mag einiges Erwähnung finden, besonders im Interesse einer gerechten
Urteilsbildung.
Auch Heikertinger hat es, aus dem schon angegebenen Grunde
besonders auf die Mimikry abgesehen, mit Einschluß der Lehre von den
Schutzfarben, die er übrigens von ihr abtrennt*°). So hat er der Behaup-
tung, daß die gemeine Schlammfliege, Eristalis, vermöge ihrer Aehn-
lichkeit mit Bienen sich eines „Schutzes vor Verfolgungen“ erfreue, eine
eigene Abhandlung gewidmet (1918). Einer der von ihm angeführten
Gründe (die ich mir nicht alle zu eigen machen kann) besagt, daß die ge-
nannte Aehnlichkeit ganz im Rahmen einer auch sonst verbreiteten Aehn-
lichkeit von Dipteren und Hymenopteren liegt. Ein zweiter Grund ist, daß
Bienen von vielen Vögeln, auch anderen Insektenfressern, gerne verzehrt
werden. Beides ist doch wohl richtig. Aehnliches gilt sodann von der
Ameisenmimikry, derzufolge allerlei „ameisenähnliche“ Insekten,
besonders Larven, wegen der Wehrhaftigkeit der Ameisen, ebenfalls „ge-
schützt“ sein sollen:t). Diesem Stoff, der „Nachäffung‘ von Ameisen durch
®%) Heikertinger hat, in bezug auf Darwin, sogar von Anmaßung geredet
(1917, S. 126). Noch viel ungehöriger ist natürlich der durch nichts begründete Vor-
wurf einer Fälschung, den Heikertinger sich gegenüber einem verdienten For-
scher hat zuschulden kommen lassen. Siehe darüber E. W a s mann, „Zool. Anzeiger“,
Bd. LXXVI, 1928, wo ein für Heikertinger sehr ungünstiges Gutachten der
Herren H. Rebel und K. Holdhaus abgedruckt ist.
10) Das Wort Mimikry hat ursprünglich gerade Schutzfarben bezeichnet.
Später wurde (von Bates) sein Gebrauch ausgedehnt. Heikertinger hat eine
eigene, ziemlich verwickelte Terminologie. Diese, die auch von Handlirsch empfoh-
len wird, erinnert an die „Wärmestrahlen“, „sichtbaren Strahlen“ und „chemischen
Strahlen“ älterer Physiker. Science arises from the Discovery of Iden-
tityamidst Diversity.
Ich gebrauche das Wortimmer im umfassendsten Sinne, der
alle nicht rein zufälligen Aehnlichkeiten bezeichnet, die bio-
logisch vorteilhaft sind oder es einmal gewesen sind (was natür-
lich in jedem Falle zu untersuchen ist und zu erheblichen Schwierigkeiten führen
kann). Man kennt bis jetzt eine Gesichtsmimikry, eine Tastmimikry und zwei Arten
von Geruchsmimikry, deren eine, die Mimikry von Orchideen, erst ganz neuerdings
entdeckt worden ist.
Im Falle der Aehnlichkeit eines Tieres mit einem zweilen kann der Vorteil nur
auf einer Seite liegen (Batessche Mimikry) oder auf beiden (Müllersche
Mimikry).
11) Die von Heikertinger Mimese genannte Art von Ameisenmimikry be-
trachte ich hier nicht. Siehe darüber den im Literaturverzeichnis genannten Aufsatz
von E. Wasmann.
360 E. Study:
wehrlose Gliedertiere, hat Heikertinger eine umfangreiche Arbeit ge-
widmet, in der er eine in Schriften solcher Art sehr ungewöhnliche Belesen-
heit entfaltet (1919). Darin scheint mir der bündige Nachweis geführt zu
sein, daß Ameisen vielfach gefressen werden, insbesondere von Vögeln, und
zwar in allen Erdteilen. Nicht viel anders steht es um die Wespen-
mimikry von mancherlei Insekten, der Heikertinger ebenfalls eine
besondere Arbeit gewidmet hat (1918), und zu deren Gunsten überdies in
einigen Fällen (Hemaris bombyliformis, fuciformis) nicht
einmal auf eine besondere Aehnlichkeit von angeblichen Nachahmern und
Modellen verwiesen werden kann.
Auch darin möchte ich Heikertinger zustimmen, daß Worte wie
Schreckfarben, Trutzfarben irreleiten, einen fehlerhaften Ideen-
gang suggerieren können. Zunächst kommt es wohl darauf an, ob ein Tier
geschützt ist oder nicht. Wodurch und gegen wen sind dann weitere Fragen,
die sich nicht aus dem Stegreif werden beantworten lassen (vgl. Jacobi,
S. 169—172).
Sehr verdienstlich sind ferner Heiker tin gers Experimentalarbeiten
über Giftwirkungen, besonders Spanischer Fliegen (Lytta, 1917). Allzu-
rasch hatte man aus menschlichen Erfahrungen auf eine gleiche Empfind-
lichkeit insektenfressender Tiere geschlossen.
DerartigeUntersuchungen behalten auch dann ihren
Wert, wenn sich die theoretischen Folgerungen, die
Heikertinger aus ihnen ziehen will, als unhaltbar er-
weisen sollten.
Es wird allerdings auch zu bemerken sein, daß ähnliche Einwendungen
schon erhoben worden waren (z. B. von F. Werner, 1891, 1907, 1908 —
ebenfalls übertrieben, doch mit mehr Mäßigung), und daß es auch im selek-
tionistischen Lager selbst an warnenden Stimmen nicht ganz gefehlt hat
(Semper, 1880; Shelford, 1916).
In der Tat stecken nun in Heikertingers Schlüssen, die er in
seinem neuen Buch, 1929, noch viel schärfer formuliert hat, schwerwiegende
Fehler. Der schlimmste ist, daß er immer von einem absoluten Schutz
spricht, während Vertreter der Selektionstheorie nicht müde geworden sind,
zu betonen, daß es sich überall nur um relativen Schutz handeln kann, und
daß dieser schon das Eintreten einer Selektionswirkung zur Folge haben
muß. Daß der überall zu beobachtende (augenblickliche) Gleichgewichts-
zustand zwischen Verfolgern und Verfolgten in hohem Maße von einem
Mehr oder Minder des Schutzes abhängen muß, ist für Heikertinger
ein unfaßbarer Gedanke. Es gibt aber von jeder Art von Anpassungen ein
Mehr und ein Weniger, und ebendas ist immer einer der vielen Faktoren,
von denen das Gedeihen einer Lebensform abhängt. Denselben Fehler wie
Heikertinger hat z. B. F. Werner gemacht (1%7, S. 177): „Wenn
Neuere Angriffe auf die Selektionstheorie. 361
wir sehen, daß im Sudan alle Heuschrecken der Savanne und des Papyrus-
sumpfes Farbenanpassung in hohem Grade zeigen, andererseits alle insek-
tenfressenden Vögel und Eidechsen nahezu ausschließlich von eben diesen
Heuschrecken leben, so beweist dies, daß der Schutz der Art nur in ihrer
unendlichen Individuenmenge, nicht aber in ihrer Färbung besteht.“ Natür-
lich aber gibt es in allen Fällen der Art kein Entweder— Oder, son-
dern nur ein Sowohl—Als auch. Man überlege sich, was geschehen
würde, wenn alle verfolgten Tiere der Wüste plötzlich grün würden.
Behufs Begründung seiner These hätte Heikertinger, etwa im
Falle von Wespen, zeigen müssen, daß sie — nicht von diesen oder
jenen Arten von Verfolgern, sondern durchschnittlich
— mindestens so reichlich gefressen werden als andere Insekten. Ein sol-
cher Nachweis wird aber selbst mit Hilfe eines noch so umfangreichen
statistischen Materials nicht zu führen sein, da allzu viele ihrer Größe nach
unbekannte Faktoren dabei ins Gewicht fallen.
(Ebensowenig würde man natürlich aus Beobachtungen in bezug auf
Wespen allein die entgegengesetzte These ableiten können, die der Mimikry-
theorie in Fällen wie Aegeria apiformis, Sphecia crabroni-
formis, Bembecia hylaeiformis, Asilus crabroniformis
zugrunde liegt. Diese These ruht vielmehr auf einem Indizienbeweis, der
die Begründung der Mimikrytheorie in leichter zugänglichen, sonst aber
gleichartigen Fällen zur Voraussetzung hal. Die sich unter solchen Um-
ständen kurz gefaßt haben, haben ihren Lesern mehr Willen zu eigenem
Nachdenken zugetraut, als bei so manchen tatsächlich vorhanden ist.)
Ein zweiter, kaum weniger verhängnisvoller Fehler Heikertingers
besteht in der völligen Ignorierung der sehr bedeutenden Zeitspanne, die
zum Zustandekommen mimetischer Aehnlichkeiten in verwickelteren Fällen
sicher nötig war. Was wir heute von Tieren und vom Tierleben beobachten
können, ist nicht gestern entstanden! HeikertingersUntersuchun-
genundalleähnlichen — wie die von Werner — tragen
also zum Verständnis des Werdens von Schutzeinrich-
tungen kaum etwas bei. Ich komme auf diesen Hauptpunkt, der
von älteren Vertretern der Selektionstheorie, namentlich von Darwin und
Fritz Müller, gehörig gewürdigt, von vielen späteren aber ganz zur Seite
geschoben worden ist, weiterhin zurück.
Um schließlich auch noch eine Einzelheit anzuführen: Heikertin-
gers heroischer Laubfrosch, der — wie ich vermute, mit gemischten
Empfindungen — Wespen fraß, weil er nichts anderes bekam, scheint mir
keine sonderliche Stütze der Ansicht zu sein, daß Wespen allgemeinbeliebte
Nahrungsmittel sind. Vorschriften über Experimentierkunst
aufzustellen, sachgemäß zu experimentieren und die
Ergebnisse richtig zu beurteilen, sind drei verschie-
dene Dinge. In der Natur werden Tiere sich meistens eine zusagende
Nahrung aussuchen können. Dieses sagt irgendwo auch Heikertinger
selbst. Es ist schon öfter dagewesen, daß gefangene Tiere an ungeeignetem
Futter gestorben sind. Um Wespennahrung allerdings handelte es sich
dabei nicht.
Während die bis jetzt besprochenen Arbeiten immerhin einen vorwie-
gend wissenschaftlichen Charakter haben, hat Heikertinger in der
populären Schrift vom Jahre 1929 seiner Neigung zu unterschiedslosem
Verneinen ganz und gar die Zügel schießen lassen. Unter solchen Umstän-
den Ruhe zu bewahren, ist nicht leicht. Gar mancher wird sich ärgern, wenn
er alle paar Seiten zu lesen bekommt, daß er kritiklos und unlogisch, er-
fahrungsfremd und mit Vorurteilen vollgepfropft sei. Zu Aeußerungen dieser
Allgemeinheit, die Heikertinger nicht lassen kann, hat ihm schon vor
Jahren Fr. Dahl bemerkt, daß sie sachlich nichts fördern und nur den
Gegner beleidigen.
Wie Dürkens, so erwachsen auch Heikertingers Ansichten
aus dem Boden einer beträchtlichen erkenntnistheoretischen Unschuld. In
der Tat, bei der Selektionstheorie handelt es sich, nach Heikertinger,
um eine Hypothese. Jede Hypothese aber ist ein „metaphy-
sisches Vorurteil“ (1918, S. 334). Wie schade, daß Newton, als er
die (zu seiner Zeit wenigstens) wirklich ganz erfahrungsferne Hypothese
einer allgemeinen Gravitation ersann:?), sich der Belehrung Heiker-
tingers nicht erfreuen konnte! Mit welcher Befriedigung aber lesen wir
schon eine Seite später, daß es auch in der Erfahrung wohlbegründete
metaphysische Vorurteile gibt! Ein solches ist nämlich die Abstammungs-
lehre. Offenbar ist unserem Autor die Tragweite seiner Worte sowenig
bewußt als ihre Komik.
Doch gehen wir nun auf den „Darwinismus“, oder vielmehr auf das,
was Heikertinger dafür ausgibt, genauer ein!
DieSelektionstheorieberuhtaufderAnnahmeeines
„stillen, aber gleichwohl tobenden (!) und geradezu
fürchterlichen Kampfes ums Dasein, bei dem unabläs-
sig von allen gegen alle wild gekämpft wird“ (z. B. 1929,
S. 2, 3, 44).
Man stelle sich, bitte recht deutlich, die gewaltige Schlacht vor, die
z. B. Orchideen gegeneinander aufführen, die auf derselben Wiese wachsen,
oder Eingeweidewürmer, die in verschiedenen Wirten derselben Art leben!
Gerade zwischen solchen Wesen besteht ja, nach der bestrittenen Theorie,
12) Ersinnen ist bei Heikertinger, der gleich Dürken auf Phantasielosig-
keit schwört, ein Wort des Tadels.
In seinem Buche von 1929 hat er die im Texte angeführte Phrase nicht wieder-
holt. Es ist aber von demselben Geiste erfüllt.
Neuere Angriffe auf die Selektionstheorie. 363
—— aeaa uÁ
eine Konkurrenz — die mißverständlich Kampf genannt worden ist
— die Konkurrenz um die Fortpflanzung. „Struggle for
life, existence*heißtnämlich gar nicht Kampf, sondern
Ringen, Wettbewerb um die Möglichkeit des Daseins,
und zwar kommt es nicht auf das Dasein des Individu-
ums, sondern auf das seiner Nachkommenschaft an.
Dieser Sachverhalt wird leider auch sonst oft verkannt, wenn auch kaum
je auf so groteske Art wie von Heikertinger. Ich bespreche ihn daher
ausführlich.
Das Individuum kann zugrunde gehen, ohne daß der Bestand seines
Zeugungskreises eine bleibende Einbuße erleidet. So ist es, wenn ein Spin-
nenweibchen sein Männchen nach der Begattung frißt. „Selektions-
wert“ hat nicht das Ergebnis des (meist kurzen) Kampfes des einzelnen
Räubers mit seiner Beute, z. B. der Kampf einer Mordwespe mit einer
Spinne, sondern die Konkurrenz mehrerer Räuber um ihre Beutetiere, und
zwar durchaus nur dann, wenn sie verschiedene Erbanlagen haben, und
übrigens auch dann längst nicht immer. Entsprechendes gilt für die Beute-
tiere, bei denen es sich so gut wie immer darum handelt, Angriffen aus dem
Wege zu gehen oder sie von der Nachkommenschaft abzuwenden. Zugrunde
gehen müssen alle Lebewesen ohnehin, Angreifer wie Angegriffene. W or-
aufesankommt, istnur ein Früher oder Später, ob das
Zugrundegehen vor oder nach der Fortpflanzung er-
folgt, sowie das Aufbringen von mehr oder weniger
Nachkommenschaft. In der großen Mehrzahl der Fälle geht es dabei
ruhig her, so immer im Pflanzenreich. Das mehrdeutige und viel
mißbrauchte Wort Kampf ums Dasein sollte endlich
einmal aus der Literatur verschwinden. Aber freilich: Was
für ein Unglück wäre es für unsere Antidarwinisten, wenn sie in dem von
ihnen entfachten „Kampf ums Dasein der Selektionstheorie“ ohne Begriffs-
schiebungen und ohne Appell an empörte Gefühle auskommen müßten! So
etwas kann man ihnen bestimmt nicht zumuten!
Wirkliche Kämpfe mit Selektionswert gibt es natürlich
auch, z. B. zwischen Spinnen, zwischen Ameisen, zwischen Kolibris, zwi-
schen vierfüßigen Raubtieren, zwischen männlichen Hirschen. Die Regel
aber sind sie nicht. Seien sie oder andere Kämpfe noch so „tobend“ und
grausam, es ist nicht angängig, die Erforschung des Tatsächlichen mit
moralisierenden Urteilen zu vermengen. Menschliche Gesichtspunkte kom-
men erst dann in Betracht, wenn es sich darum handelt, unsere Umwelt
nach unseren Wünschen zu gestalten.
In verschiedenen Zeugungskreisen derselben Oertlichkeit, die auf die-
selbe Nahrung angewiesen, denselben Angriffen oder sonst gleichartigen
Lebensbedingungen unterworfen sind, konkurrieren verschiedene Erb-
364 E. Study:
anlagen. So im Falle von Mus decumanus und Mus rattus, deren
Konkurrenz nahezu (vielleicht jetzt auch schon ganz) zur Vernichtung der
ersten Art geführt hat. [Interspecific Selection*?).] Vorausgegan-
gen war eine ökologische (im genannten Falle geographische) Trennung,
die später rückgängig wurde. Tritt eine solche Trennung ein, so ist Diver-
genz wohl immer die Folge, und sie hat dann mit Selektion zunächst nichts
zu tun. Die Trennung kann aber auch bereits verschiedene Erbanlagen
vorfinden, besonders dann, wenn der ursprüngliche Zeugungskreis ein aus-
gedehntes Areal bewohnt hat. In Zeugungskreisen dieser Art sind wohl
immer mehrerlei Anlagen vorhanden, und solche haben dann lokal eine
verschiedene Häufigkeit, auch wohl im ganzen eine verschiedene Verbrei-
tung. Ist auch noch ihre Erhaltungsfähigkeit verschieden, so tritt eine
Selektion ein (Intraspecific Selection) und es findet notwendiger-
weise im Laufe der Zeit eine wenn auch noch so langsame Verschiebung
statt, es kommt eine Aenderung des Artbildes zustande. Zum Beispiel treten
bei dem im äthiopischen Gebiet verbreiteten polymorphen Papiliodar-
danus die verschiedenen Weibchenformen hier und dort in verschie-
dener Häufigkeit auf und keine von ihnen kommt überall vor. In diesem
Falle und ähnlichen (Da nais chrysippus, Papilio poly tes) kön-
nen wir auch nachweisen, daß Verdrängun gen einzelner Erbanlagen
: stattgefunden haben müssen. Den Vorgang des Verdrängens selbst, die Ver-
schiebung von Arealen, können wir freilich bei derintraspezifischen
Selektion unter natürlichen Bedingungen nicht leicht beobachten, da der
Selektionswert der in Betracht kommenden Unterschiede zu gering, die uns
zugemessene Zeit zu kurz ist. Aber das Ergebnis, das zuweilen den Schluß
auf einen früheren Zustand erlaubt, haben wir oft genug vor Augen.
So im Falle unseres Kuckucks, Cuculus canorus (Jourdain,
siehe Literaturverzeichnis). Ich verweise auf die bei Plate (S. 184ff.)
zusammengestellte Literatur, sowie auf eine interessante Beobachtung von
F.Rüschkamp (1927, S. 53), der bei gewissen Käfern die Selektion an
der Arbeit sehen konnte. Dahin gehört auch, nach mündlicher Mitteilung von
A.Seitz, daß Tarache(Acontia)albida,eine kleine Noctuide, die in
Algier von Asiliden verfolgt wird,dort den Flug bei Tag gewöhnlich vermeidet.
Uebrigens sind ja unter den künstlichen Bedingungen der schneller
wirkenden von Menschen geübten Zuchtwahl auch intraspezifische
Verdrängungen in Menge zustande gekommen, und zwar in historischer
Zeit, und es gehen solche noch unter unseren Augen vor sich.
Doch kehren wir, nach dieser Erläuterung, zu unserem Autor zurück!
Seine Folgerung ist:
Jedes Tier und jede Pflanze muß miteinem Arsenal
von Schutzmitteln gegen das Gefressenwerden aus-
18) Vgl. „Ursprung“, 6. Auflage, S. 97—99.
Neuere Angriffe auf die Selektionstheorie. 365
gerüstet sein, dieunbedingte Lebensnotwendigkeiten
sind. — Alles, „was eine Spur minder geschützt ist“ muß
zugrunde gehen. Dies ist die Lehre des „Darwinismus“
in exaktem Sinne! (1929, S. 2.)
Warum es immer gleich um die Existenz einer Lebensform gehen soll,
warum Ausbreitungsmittel, Zahl und Gestaltungen von Samen, Mitgabe einer
manchmal recht reichlichen Wegzehrung, Fütterungen und Unterricht junger
Tiere usw. bedeutungslos sein sollen, erfahren wir nicht. Die richtig
verstandene Selektionstheorie lehrt das Gegenteil!
Die Schutzmittel von Tieren, oder was dafür gehalten wird, sind von
mancherlei Art: Düfte, auch besondere Stinkdrüsen, üble Säfte, Nessel-
organe, Brennhaare, Blutspritzen, harte Körperdecken, Stacheln, Wachs-
überzüge, Durchsichtigkeit (bei Seetieren und Insekten, die im Urwald
leben), Wehrhaftigkeit, besondere Gestalten und Färbungen, gewisse
Lebensgewohnheiten, Fluchtinstinkte, Nestbauten, mehr oder minder kunst-
volle Gespinste, Verkleidungen (mit Sand, Holzstückchen usw.) und Sym-
biosen (Krebstiere und Seeanemonen), auch Fähigkeit zum Wechsel von
Färbungen und Verkleidungen (Chamäleonten, Plattfische).
Für Insekten insbesondere müssen, nach der Logik
von Heikertinger, die Schutzmittel „das Zünglein an
der Existenzwage” sein. Das schließt nach ihm (wie
schon gesagt) die Annahme eines „wild durcheinander-
wirbelnden“ Daseinskampfes ein, „eines allgemeinen
und wahllosen (!!), auf alle Insekten gerichteten An-
griffes aller ihrer Feinde“ (1929, S. 36).
Solche Ungereimtheiten hatte der völlig erfah-
rungsferne, lediglich spekulativ veranlagte (!) Darwin
ersonnen, um uns die Entstehung der Arten begreiflich
zumachen“).
Dazu ließ er alle Lebewesen „richtungslos“, „allsei-
tig“ variieren (1918, S. 167). Belegstellen fehlen!)
18) Der Buchtitel „Origin of Species“ ist bekanntlich nicht einwandfrei.
Siehe darüber Plate, S. 47, aber auch Sven Ekman, 1928, S. 162.
Uebrigens hat Dar win Fehler gemacht, die sehr viel schwerer wiegen als dieser.
Die Disposition des „Origin“ ist von S. Tschulok, meines Erachtens zu hart, aber
doch nicht ganz mit Unrecht, getadelt worden. („Deszendenzlehre‘, 1922, S. 288.) Ver-
hängnisvoll war auch Darwins Optimismus („Ursprung‘, 6. Auflage, S. 567), den
die Folgezeit in nunmehr 70 Jahren nicht gerechtfertigt hat. Darwin hat nicht nur
auf Angriffe seiner Gegner nicht in einer besonderen Schrift reagiert — die den heuti-
gen Antidarwinismus unmöglich gemacht haben würde —, sondern er hat auch der
Verballhornung seiner Theorie durch Freunde ruhig zugesehen.
16) Tatsächlich haben viele von einem richtungslosen Variieren geredet (De
Vries, 1900, S. 349 von einem „fast“ richtungslosen Mutieren), bei Darwin steht
das aber nicht. Vgl. „Ursprung“, 6. Auflage, S. 256 (alle Richtungen — viele Rich-
tungen).
366 E. Study:
Gegenüber diesem verunglückten Versuch, zu erklären, was sich nicht
erklären läßt (H. 1917, S. 352, 1919, S. 92—94), hat unser bescheidener Autor
„das einfache, klare Rezept zur richtigen, vorurteils-
losen Beurteilung aller (!!) in der Organismenweltin
Betracht kommenden Erscheinungen“,
Es ist nämlich — in der Tat! —eine Werkstätteder Natur da,
in der Gestalten und Färbungen gebaut und Entwicklungsrichtungen be-
stimmt werden: Aus dieser Werkstätte (die gegenwärtig von vielen, ich
glaube mit vollem Rechte, im Chromosomenapparat der Stammzellen ge-
sucht wird) gehen Erscheinungen hervor, die sich nach ihrem Auftreten
als schädlich,indifferent oder nützlich erweisen können (1917,
S. 226). Abgesehen von einer Kleinigkeit:®) ist das wirklich gut gesagt. Was
sich Heikertinger bei den Worten schädlich, nützlich denkt, weiß ich
freilich nicht. Nach mir sind sie (nicht anthropomorphistisch!) zu inter-
pretieren: Die Fortpflanzungsaussicht bestimmter Individuen
(nämlich der Mutanten) mindernd oder mehrend (Study, 1920, S. 50, 51).
Nehmen wir noch die Ueberproduktion hinzu, die in
allen nicht aussterbenden Zeugungskreisen stattfin-
den muß") Wir haben dann genau die beiden tatsäch-
lichen Feststellungen vor uns, aus deren Anerkennung
unerbittlich das Dasein einer Selektion gefolgert wer-
den muß.
Da also das Dasein einer Selektion sich aus Prämissen ergibt, deren
Richtigkeit gar nicht bezweifelt werden kann, so ist auch dieses Dasein
selbst als tatsächlich anzuerkennen. Die entgegengesetzte Meinung ist
widersinnig. Nach Heikertinger aber gibt es überhaupt keine Selek-
tion — das ist das Dogma, das er, übrigens gleich vielen anderen, un-
logischerweise dem gegenüberstellt, was er selbst für ein Dogma ansieht.
Was er vernünftigerweise meinen kann, aber nicht sagt, ist, daß der Wir-
kungsgrad, das Tempo der Selektion zunächst unbekannt ist
und erst auf Grund vieler weiteren Erfahrungen vielleicht wird einiger-
maßen beurteilt werden können. Hier setzt natürlich die Zeitfrage ein: Was
manchen von uns als kaum der Rede wert erscheinen mag, kann sich
wiederholen und summieren, kann sich in Millionen von Jahren zu gewal-
tigen Dimensionen auswachsen. Reicht die Selektion aus, das Werden der
mannigfachen Anpassungen, die wir beobachten können, wenigstens in den
Hauptzügen begreiflich erscheinen zu lassen? Dies ist die große
Frage, durchderen vermutete Bejahung die Selektions-
16) Es hätte müssen statt „können“ heißen sollen. Die drei PEENE bilden eine
vollständige Disjunktion.
17) Nachträglich sei, spaßeshalber, noch erwähnt, daß Dürken es forligwebrächt
hat, das Dasein einer solchen Ueberproduktion zu bezweifeln (S. 132 seines Buches).
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theorie erst zu einer Hypothese (der neodarwinisti-
schen Hypothese) wird. Und hier erst beginnen die
Schwierigkeiten.
Daß die genannte Frage in weitem Umfang bejaht werden muß,
ist vonDarwin bündig erwiesen worden, und dieses ist vielleicht seine
bedeutendste Leistung. Er zuerst hat Erfahrungen der Gärtner und Tier-
züchter, von denen andere Biologen wenig hatten wissen wollen, für die
Abstammungslehre auszunützen verstanden. Der Selektion durch den Men-
schen aber ist die natürliche zu vergleichen, nur abgesehen vom
Tempo, das, zu unserem großen Vorteil, bei der „künstlichen“, besonders
aber der bewußt geübten Zuchtwahl sehr viel rascher ist. Reichen nun
aber die für die Theorie verfügbaren, erblich werdenden Neubildungen oder
Umbildungen überall aus, das Entstehen verwickelter Strukturen oder das
Entstehen von Instinkten und von Intelligenz verständlich erscheinen zu
lassen? Dieser Meinung war Darwin nicht — sonst hätte er Gebrauch
und Nichtgebrauch von Organen nicht nötig gehabt. Daher sollten die Anti-
darwinisten entweder, nach dem Vorbild ihres Mitstreiters Dürken, der
Logik den Krieg erklären oder sich einen anderen Namen suchen.
Den namentlich von Johannsen gegen die Verwertung der künst-
lichen Zuchtwahl erhobenen Einwand — daß nämlich das von Darwin
bearbeitete Material nicht genügend analysiert gewesen sei, kann ich nicht
für treffend halten, wiewohl die Tatsache als solche richtig ist. Es kommt
hier gar nicht darauf an, wie die Gesetze der Vererbung im einzelnen
beschaffen sind. Es gibt sogar eine Selektion in bezug auf Wörter von
Sprachen, wiewohl bei diesen gar keine „Vererbung“, sondern nur eine
Tradition stattfindet. Die Rolle der Selektion bei der Entstehung unserer
Kulturpflanzen und Haustiere kann nicht in Abrede gestellt werden.
Wegen vielfach vorgekommener Mißverständnisse sei hier eine Ein-
schaltung gemacht.
Wenn unter durchschnittlich konstanten Bedin-
gungen eine Mutation noch so sporadisch entsteht, so
entsteht sie, wie kaum bezweifelt werden kann, mehr
als einmal’) und im Laufe der Zeit immer wieder.
Hieraus folgt, daß die Umprägung eines Artbildes
ohne Eingreifen einer Selektion erfolgen kann. Dies
ist sehr wahrscheinlich sogar der weitaus häufigste
18) Beispiele bei de Vries: „Arten und Varietäten‘, 1906, Vorlesungen
XX, XXI. Es ist dabei noch zu bedenken, daß wirkliche Neubildungen, wenn sie in
Gesellschaft älterer und gleichartiger vorkommen, leicht verkannt werden können.
Gerade so aber werden sie am häufigsten auftreten müssen. Die Unsicherheiten der
Beobachtung sind in solchen Fällen überhaupt sehr groß. Die Möglichkeit von Wan-
derungen und Verschleppungen wird sich meistens nicht ausschließen lassen. So liegt
die Sache z. B. bei der Ausbreitung von Melanismen gewisser Schmetterlinge.
368 | E. Study:
Fall. VUeberdies kann es sein, daß die Mutation unvor-
teilhaft ist, und daß die Umprägung trotz der Selek-
tion erfolgt. Die Wirkung des stets wiederholten Erscheinens einer
Neubildung kann stärker sein als die Wirkung der etwa eintretenden Eli-
mination (Lomechusakrankheit von Ameisen). Außerdem kann es sein, daß
irgendeine Eigenschaft von Lebewesen, die ursprünglich vorteilhaft war,
bei ihrem Uebergang zu geänderten Daseinsbedingungen schädlich wird
(Beschaffenheit des Stachels der Arbeiterinnen der heutigen Honigbiene).
Von einer „Allmacht der Naturzüchtung“ kann demnach gar nicht die Rede
sein. Vielmehr gelangen wir gerade durch diese Ueberlegung zu einer ge-
wissen Einsicht in die Ursachen des Aussterbens vieler Tiere und Pflanzen.
Jede Anpassung ist eine differentielle Wirkung, sie bezieht sich auf eine
nahezu bestimmte, nämlich nur langsam sich ändernde Umwelt der
Lebewesen, denn zu ihrem Zustandekommen gehört viele Zeit. Es kommt
aber zeitweise vor, daß Aenderungen dieser Umwelt rasch eintreten. So bei
dem Zusammenfließen von Meeren und Kontinenten, bei dem Hereinbrechen
einer Eiszeit, bei der Ausbreitung des Menschengeschlechtes und der
von ihm bewirkten Verschleppung von Organismen in ferne Gegenden.
In allen Fällen der Art gibt es katastrophale Wirkungen. Beispiele dafür
sind massenhaft vorhanden. Doch mag die bekannte Verdrängung von
Regenwürmern der südlichen Hälfte der Erdkugel durch von Norden her
eingeschleppte Arten Erwähnung finden, weil gerade diese Tiere sich nur
langsam ausbreiten können. Ueberdies kann es vorkommen, daß Tiere und
Pflanzen gar nicht fähig sind, sich selbst langsam eintretenden Aenderungen
ihres Lebensraumes anzupassen (Riffkorallen, Palmen, überhaupt viele
Lebensformen, die jetzt auf die Tropen beschränkt sind). Der nordeuropä-
ische Mensch erleidet in den Niederungen der Tropen eine allzu unvorteil-
hafte Aenderung seiner Konstitution und stirbt dort aus. Aberdaßeine
ungünstige Umprägung unter allen Umständen zum
Aussterben führen muß, folgt wiederum nicht’). Es kann
ja sein, daß sich ein neuer Gleichgewichtszustand herstellt, in dem dann
die umgebildete Rasse weiterexistiert, wenn auch wohl in verminderter
Individuenzahl. Die Hauer von Babirussa, die enormen und dennoch
Jahr für Jahr abgeworfenen und im Entwicklungszustande sehr empfind-
lichen Geweihe jetzt noch lebender Hirsche, die sonderbaren Auswüchse
vieler Buckelzirpen sind Beispiele. Der von dem Philosophen H. Spencer
geprägte Ausdruck „Ueberleben des Passendsten“ (Sur viv al of the
19) Dies ist von Dar win und nach ihm von vielen Autoren, anscheinend sogar
allgemein, übersehen worden. „Ursprung“, 6. Aufl., S. 107: In allen Fällen wird...
die natürliche Zuchtwahl das Tier dagegen sicherstellen, daß die Modifikationen (nach
heutiger Terminologie die Mutationen) nicht nachteiliger Art sind; denn wären sie es.
so würde die Spezies aussterben.
Neuere Angriffe auf die Selektionstheorie. 369
F i ttes t) ist auf Fälle dieser Art nicht zugeschnitten. Dar win hat wieder-
holt bedauert, dieses später auch von ihm angewendete Wort nicht von
vornherein gebraucht zu haben, aber damit hatte er schwerlich recht.
Und noch in anderer Hinsicht gibt es Mißverständnisse. Darwin hat
ursprünglich seine „sports“ oder „single variations“ für phylogenetisch
bedeutungsvoll gehalten, ist aber bald von dieser Meinung zurückgekommen
(vor 1859). Manche halten das für einen Fehler. „Große“ Aenderungen
(Sports, Saltationen) und „kleine“ — was heißt das? Handelt es sich um
das mehr oder minder Auffällige, um das Phänotypische, und
nicht vielmehr um das, was — mit Heikertinger zureden — in der
Werkstätte der Natur vorgeht? Was könnte sich auffälliger unter-
scheiden als etwa die weißen (weißen und schwarzen) und roten Weibchen
von Papilio dardanus?)? Betrachten wir aber nicht die Farben,
sondern die Zeichnungsmuster, so sehen wir, daß der wirkliche Unter-
schied minimal ist, daß die roten Weibchen aus den sicher genetisch älteren
weißen wohl durch Aenderung eines einzigen Gens hervorgegangen sein
müssen. Die Einschätzung von „Groß“ und „Klein“ in derartigen Fällen
stammt aus einer Zeit, in der — wie noch bei de Vries — von dem
Mechanismus der Vererbung sehr wenig bekannt war! Setzen wir dagegen
-einen gedachten Fall: Trichterblumen, die auf Befruchtung durch Schmet-
terlingsrüssel angewiesen sind, sollten plötzlich entstanden sein. Dann
müßten, wie schon Fritz Müller bemerkt hat, auch die Schmetterlinge
(Windenschwärmer, Taubenschwanz usw.) ihre Rüssel zur gleichen Zeit
ruckweise verlängert haben. Das ist doch Mystik. Aber was bedeutet dieses
Beispiel im Vergleich zu hundertmal verwickelteren Anpassungen, wie wir
‚sie allenthalben finden?
Im einzelnen bleibt natürlich noch unendlich vieles aufzuhellen. Muta-
tion ist ein Sammelbegrifi. Namentlich fallen darunter sowohl Aende-
rungen einzelner Gene als auch Aenderungen von Chromosomenzahlen.
Wie kommt es, daß diese letzten, entgegen aller Erwartung, den Phäno-
typus so viel weniger beeinflussen, ja daß diese Mutanten überhaupt lebens-
fähig sind?
Was Heikertinger über den intraspezifischen Selektionsprozeß zu
sagen weiß, ist lediglich:
Isteine Auslese feiner Zeichnungs- und Färbungs-
details (wie sie nach der Selektionstheorie vielfach
angenommen werden muß) „anschaulich vorgestellt“
denkbar? (1929, S. 67.)
Die Schwierigkeit, von der Heikertinger hier spricht, besteht wirk-
lich. Genau so könnte man aber auch zu begründen suchen, daß die Millionen
—
20) Abbildungen bei E. Haase und Eltringham.
Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie, Bd. 22, Heft 4. 24
370 | E. Study:
(und Milliarden) von Jahren phantastisch sind, mit denen die Geologie
arbeiten muß. Heikertinger hätte das Nötige darüber in Darwins
Hauptwerk finden können).
Es braucht auch nicht angenommen zu werden, daß Vögel sich jedes
Schmetterlingsmuster einprägen, wie es Heikertinger behauptet (ebenda,
S. 71). Vielmehr ist zu sagen: Je vollkommener die Aehnlichkeit des wer-
denden Nachahmers mit seinem Modell, desto leichter und häufiger wird
eine Verwechselung eintreten??). Je geringer der Unterschied von beiden,
desto länger die zu merklicher Selektionswirkung benötigte Zeit.
Daß Tiere vielfach „anders sehen“ als wir, ist wohl richtig. Es liegt
aber bis jetzt keinerlei Grund zu der Annahme vor, daß Vögel (oder Rep-
tilien) Unterschiede von Farben viel anders empfinden müssen als wir.
In der Mentalität Heikertingers tritt an Stelle (!) der Selek-
tion etwas ganz anderes:
Nach Heikertinger herrscht in der Tierwelt das
„Prinzip“ der Geschmacksspezialisation (19%, S. 42, 43,
und vorher schon anderwärts). So ziemlich alle Tiere sind
Nahrungsspezialisten. (Gewöhnlich unterscheidet man pantophage
oder omnivore, euryphage und stenophage Tiere, und man glaubt, daß es
von ihnen allen sehr viele gibt.) i
Aus dieser Prämisse ergibt sich nun unserem Autor
nichts Geringeresalseine funkelnagelneue „Naturauf-
fassung“: Von jeglicher Art nicht gerade aussterbender Geschöpfe wird
ein „erschwinglicher Tribut“ abgegeben, der Spezialisten zur Nahrung dient.
In der Tat: Was nicht gefressen wird, darf noch eine Weile leben. Und
das nennt sich eine „Naturauffassung, die hoch und unberührt über allen
selektionistischen Werdehypothesen steht“ (1929, S. 92)! Dabei geht es über
die Maßen friedlich her: Menschen und anderes Raubgetier, Hühner,
Krokodile, Aale, Haifische, Ameisen, Termiten und was weiß ich, sie alle
versinken „friedlich“ im Orkus der Vergessenheit! Aufeiner Spezial-
untersuchung der Feinde aber (die nach Heikertinger
bisher gänzlich gefehlt hat!) wird ein neues tat-
sachensicheres Gebäude der Tiertrachthypothesen
(also ein Gebäude metaphysischer Vorurteile) errich-
tet. (Ebenda, S. 45.)
Von diesem Prachtbau ist freilich nichts zu entdecken. Er schwebt
gleich einer Fata Morgana am fernen Horizont der Zukunft. (Ob das der
Laienleser wohl merkt?) Gewiß ist jedoch, daß darin anthropomorphisti-
21) S. 370—372 der sechsten deutschen Ausgabe.
22) DaB eine besondere Ueberlegung stattfindet, ist hier natürlich nicht gemeint.
— Daß „Verwechselungen“ wirklich vorkommen, ist von Marshall (1902) und von
C. F. M. Swynnerton beobachtet worden.
Neuere Angriffe auf die Selektionstheorie. 371
sche Vorstellungen, solche, wie sie „der spazierengehende Mensch“ haben
kann, und solche, wie sie in der Selektionstheorie massenhaft vorkom-
men (?), weder als Bausteine noch als Mörtel Verwendung finden — alles
in Zukunft!
Wenn täuschende Aehnlichkeit die Anfangsbedin-
gung der Auslese (einer bestimmten Art von Auslese)
war, wie konnte sie durch Auslesung entstehen? (199,
S. 72 und 88.) |
Dieser Ladenhüter der antidarwinistischen Literatur ist der klare Be-
weis ihres demagogischen Charakters: Jeder, der so etwas vorbringt, weiß
ganz genau, daß es immer von den Umständen des einzelnen Falles ab-
hängt, was ähnlich erscheint oder nicht, von der augenblicklichen Um-
welt einer Pflanze oder eines Tieres, ob es gesehen und beachtet wird
oder nicht. Mit meinen Begriffen von Wissenschaftlichkeit vermag ich eine
solche Art des Polemisierens nicht zu vereinigen.
. Der Selektionsgedanke braucht also nicht berücksichtigt zu werden.
Für unseren „vorurleilsiosen Denker“ (S. 91) ist er eine „naive“, ganz
und gar phantastische Hypothese.
Nicht wenige Fälle der ominösen Mimikry könnten, wenn überhaupt
eine Selektion wirkungsvoll, richtungbestimmend wäre, nur durch Vögel
als Verfolger von Insekten verursacht worden sein, besonders im Falle
vieler tagfliegender Schmetterlinge — wie Heikertinger richtig an-
nimmt?®), Aber dann müßten nach Heikertinger solche eben von
Vögeln eifrig dezimiert werden, während eine „nennenswerte“ Verfolgung
derart gar nicht stattfindet (1929, S. 68). Das sei durch viele Beobachtungen
und namentlich durch Magenuntersuchungen von Vögeln er-
wiesen, besonders — was in der Hauptsache richtig ist — für unsere
Gegenden (1929, S. 66—71).
Aber erstens hängt, was nennenswert heißen darf, doch wohl von
der zur Verfügung stehenden Zeitdauer ab, von der Heikertinger
mit keinem Worte spricht (ebensowenig wie übrigens O. Hert-
wig und sein Echo Dürken). Mag man nun die Dauer der Tertiärzeit,
in der die mimetischen Anpassungen sich zu ihrem gegenwärtigen Stand
entwickelt haben müssen, beurteilen, wie wan will, um Millionen von
Jahren handelt es sich jedenfalls, und Milliarden von Jahren organischen
Lebens auf der Erde waren vorhergegangen. Was aber will es dann be-
sagen, daß Herrn Heikertinger und ähnlichen Geistern dieses und
jenes als unbedeutend vorkommt?
33) Libellen und andere fliegende Tiere kommen sehr viel weniger, ja meistens
überhaupt nicht in Betracht, Fledermäuse sowie Affen und Eidechsen für die im Texte
gemeinten Fälle gar nicht.
24*
372 E. Study:
Zweitens werden Unterschiede zu machen sein. A. Weismann,
M. Standfuß, C. Frings und A. Seitz haben gezüchtete Tagfalter
in Gärten zahlreich fliegen lassen und sie alle haben das Einsetzen einer
Massenvernichtung durch Vögel beobachtet?®). Genügte nun dazu das Un-
gewöhnliche des Vorgangs oder kam es mehr auf den noch nicht voll-
kommenen Flug der frischgeschlüpften Stücke an? Was würde eintreten,
wenn man an Orten ihres normalen Vorkommens und in Gegenwart vieler
Vögel eine Acraea, eine Danais, eine Methona oder Tithorea,
einen Pharmacophagus massenhaft fliegen ließe?
Drittens hat Heikertinger seine Untersuchungenin
der Umgebung von Wien angestellt, also in einer Ge-
gend, über die die letzte Eiszeit hinweggegangenist,
undinaltem Kulturland.
Die Umstände, unter denen die heute beobachtbaren Schutzeinrich-
tungen sich herausgebildet haben, sind nun so gut wie ganz unbekannt.
Es ergibt sich also’gerade aus dem, worauf Heikertin-
gerdengrößten Wert legt, lediglich ein Non liquet. Hier
liegt, beiläufig bemerkt, auch der Hauptfehler anderer Antidarwinisten, die
von Eiszeit und Verwüstungen der Natur durch die Species Homo „sapiens“
niemals reden ?®°).
Viertens stimmt für die Tropen, in denen die Ver-
hältnisse vielfach günstiger sind (wenigstens heute
noch), die Sache überhaupt nicht.
Allerdings haben eine Menge von Reisenden verkündet, selten oder
niemals Verfolgungen von Tagfaltern durch Vögel bemerkt zu haben. Man
kann aber ebensogut behaupten, daß Vögel nur ausnahmsweise sterben,
weil selten ein toter Vogel gefunden wird. Auch sehen wir gar oft nur
das, worauf wir besonders achten. Die darauf geachtet haben, wie z. B.
F. Doflein, haben anderes berichtet (Ostasienfahrt 1906, S. 440—446).
Heikertinger weiß das), aber er spricht nicht davon.
Er behauptet sogar, die notwendige Prüfung dieser
Folgerung aus der Theorie sei niemals erfolgt (199,
23) Frings hat Vanessa io, urticae, polychloros, antiopa und
Papilio machaon fliegen lassen, aber auch Falter anderer Familien: Lasio-
campa quercus, Smerinthus populi, CGhaerocampa elpenor,
Arctia caja. Nur die letzte, die als geschützt gilt, wurde nicht weggefangen!
25) Siehe z. B. Werner 1908, S. 567. — Werner hat sich auch auf den verstor-
benen Fruhstorfer berufen. Dieser hatte gewiß eine reiche Erfahrung, und für
einen ehemaligen Schneidergesellen hat er es sehr weit gebracht. Aber er war in erster
Linie Sammler und Händler. Als Speziesfabrikant war er geradezu ein Schādling der
Biologie. Er hatte gar nicht die Bildung und Disziplinierung des Denkens, die zur
Würdigung einer wissenschaftlichen Theorie erforderlich sind.
260) Er hat es mindestens viermal, nämlich bei Marshall, Jacobi, Reh und
Werner gelesen!
Neuere Angriffe auf die Selektionstheorie. 373
Poulton, unter ihnen G. A. K. Marshall (1902) und G. D. H. Car-
penter (1925), ausgedehnte und sehr wertvolle Untersuchungen gerade
von der angeblich fehlenden Art angestellt, und sie sind nach dem Ge-
samtergebnis ihrer Beobachtungen zu der Ueberzeugung von der Rich-
tigkeit der von Heikertinger bestrittenen These gelangt. Er weiß
auch das, wenigstens im Falle von Marshall, aber er
schweigt darüber. Marshall, der nicht vieles aus Südamerika be-
richten konnte, muß es sich darum gefallen lassen, als Kronzeuge für
Heikertingers Behauptung angeführt zu werden. Ein’ Muster objek-
tiver Berichterstattung!
Außerdem werden im achten Kapitel von Shelfords Buch die üb-
lichsten Einwände gegen die Selektionstheorie zurückgewiesen — auf Grund
eigener Beobachtungen und Experimente, die nicht in Oesterreich und
auch nicht in den Mittelmeerländern, sondern in Borneo angestellt sind.
Beiläufig sei in diesem Zusammenhang noch erwähnt, daß der „Bienen-
fresser“ Merops apiaster, in Algier wenigstens, zeitweise ganz von
Tagfaltern lebt. Er jagt hauptsächlich Satyrus semele und Pyra-
meis cardui (mündliche Mitteilung von A. Seitz). Ebenso hat
Arnold Schultze in Südamerika Verfolgungen von Schmetterlingen durch
Vögel regelmäßig beobachtet (Study, 1926, S. 430). Eine Tithorea
(die als geschützt gilt!) blieb verschont und wurde
auch von Eidechsen nicht belästigt.
Abgesehen von alledem ist es doch ganz leicht zu verstehen, warum
Tagfalter, auch genießbare, wirklich oft gemieden werden. Futter, das nicht
erst erjagt und abgeputzt zu werden braucht, ist eben heutzutage bequem
zu haben?”), besonders bei uns, wo im Sommer viel mehr Vögel würden
leben können. BeiHeikertinger fällt noch auf, daß er (1929) den Zick-
zackflug so vieler kleiner Falter unerwähnt läßt — der eben nur als Selek-
tionsprodukt verstanden werden kann!
Auch dieAuswahlderLiteraturangaben ist bei Hei-
kertinger nicht einwandfrei. „Kritische“ Autoren erhalten ein
Sternchen, Kriterium der Urteilsfähigkeit aber ist das Angehen gegen: den
Darwinismus, einerlei mit was für Argumenten. So findet sich
27) Wieviel die Bequemlichkeit ausmacht, wird durch eine Beobachtung von S.
H. Gerould belegt (Journal of Experimental Zoology, Bd. 34, 1921, S. 403). In einer
Zucht von Colias philodice waren neben den normalen grünen Raupen blau-
grüne aufgetreten. (Beide von G. abgebildet.) Diese wurden von Sperlingen heraus-
gepickt, die natürlich auch die grünen würden haben finden können, wenn sie sich
mehr bemüht hätten.
Beiläufig bemerkt! Nach Heikertinger hätte das Gegenteil eintreten müssen!
(1929, S. 58, 39; die blaugrüne Form führt eine „Ungewohnttracht‘.) Uebrigens ist
Gerould Gegner der Selektionstheorie.
374 E. Study:
a LLL——T———————————————————————————————————————————— a nn rn ie
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friedlich zusammen der Holländer Piepers, der die erstaunlichsten
Dinge zum besten gegeben hat, mit O. Hertwig und Punnett, auch
mit Tschulok, wiewohl diese Autoren weder mit Heikertinger,
noch untereinander übereinstimmen?!). Von eigenen Schriften führt H ei-
kertinger rund zwanzig auf. Darunter befindet sich der schon erwähnte
Aufsatz über Wespenmimikry, während die treffliche Erwiderung von
H.Reh fehlt. Wer sie gelesen hat, kann über den Grund nicht den minde-
sten Zweifel haben. Aus ähnlichen Gründen fehlt auch anderes. Bei
Marshall hat Heikertinger von einem Aufsatz Poultons (1898)
gelesen,
which it would be well for any would-be critics of
the theory of mimicry to „read, mark, learn and in-
wardly digest“ before putting pen to paper.
Die Frucht dieser Mahnung war bei Heikertinger ein Zitat im
Literaturnachweis (ohne Sternchen, versteht sich), mehr aber nicht.
So ist also dafür gesorgt, daß der Laienleser auch von dem Zustande
der Literatur ein unzutreffendes Bild bekommt.
Wie es um Heikertingers eigene kritische Fähigkeiten steht,
kann man auch daraus ersehen, daß er an einige Ammenmärchen tatsäch-
lich glaubt. Sein „nüchtern alles überschauender Blick“ (1929, S. 75) hin-
dert ihn nicht, die „Teufelsblume“, Idolum diabolicum?), einer
Blüte ähnlich zu finden (1929, S. 32), ja sogar Phryganidengehäuse mit
Clausilien zu vergleichen und in dieser angeblichen Aehnlichkeit eine
Schutzeinrichtung zu sehen, wiewohl die Clausilien an Felsen und in Wäl-
dern meist sehr verborgen leben und dazu braun sind, wie die Rinde der
Bäume, an denen sie bei Regenwetter in die Höhe kriechen.
Ueberhaupt, wenn, wie Heikertinger treffend sagt), bei den
Schutzanpassungen das Unbeachtetbleiben das Wesentliche ist —
was soll dann die ganze Polemik dagegen, daß die Theorie, wenn auch in
der Anwendung bier und da nicht glücklich, der Natur zu folgen sucht,
die eben dieses Unbeachtetbleiben bald so bald anders erreicht; wie es doch
nicht anders sein kann, da das Zustandekommen einer bestimmten An-
passung von der Struktur und somit von der Vorgeschichte einer Art von
Lebewesen abhängen muß. Heikertinger ist gar zu oft mit dem Vor-
wurf des Anthropomorphismus bei der Hand, den er wohl diesem und
3) Von O. Hertwigs Werk meint Heikertinger in einer Rezension, es
sei wie ein Stoß frischer Luft durch nebelgraue, blickumflorende Weihrauchschwaden.
Schön gesagt!
2°) Verfehlte Abbildung in der vierten Ausgabe von Brehms Tierleben.
30) Im Widerspruch zu seiner Klassifikation, in der „Auffällige Trachten“ eine
Rubrik bilden — was sie wegen des darin liegenden „Anthropomorphismus“ nicht
hätten tun dürfen.
Neuere Angriffe auf die Selektionstheorie. 375
jenem, nicht aber den Vertretern der Selektionstheorie überhaupt hätte zur
Last legen dürfen®). Alles ist bei ihm tendenziös gefärbt, und Einwendun-
gen, die anderen und auch ihm gemacht worden sind, beachtet er nicht.
Ein kapitaler Mangel der Selektionstheorie ist, nach Heikertinger
wie O. Hertwig und anderen (natürlich auch Dürken), daß sie das
Entstehen der phylogenetischen Neubildungen nicht erklärt — denn dazu
ist sie angeblich da: Das Entstehen ist das Problem, zu des-
sen Lösung das Hypothesengebäude, von dem die Tracht-
hypothesen nur ein Stockwerk bilden, einst aufgerich-
tet worden ist (1929, S. 58). Eine weitere grobe und schon mehrfach
berichtigte Entstellung (Study, 1920, S. 66), für die es nur die lahme Ent-
schuldigung eines nicht ganz glücklich gewählten Buchtitels gibt (siehe die
Anmerkung auf Seite 365). Hierzu kommt noch, daß Heikertinger,
wiederum gleich seinen Vorgängern, das Problem des „Entstehens“ selbst
nicht zu lösen weiß. Am Schlusse seines kleinen Buches erscheint nämlich
der berüchtigte Genius loci — der, wie R. Sternfeld bemerkt hat,
bei Nachahmern von Arten der Gattung Elaps seine geheimnisvolle
Wirksamkeit von Argentinien bis in die Vereinigten Staaten erstreckt. Ein
Flickwort für Nichtverstehen, wie Lebenskraft, elan vital, Entelechie und so
weiter — in Wirklichkeiteine Erklärung des Bankerotts.
Das ist nun freilich der notwendige Abschluß des „wild durcheinander
wirbelnden‘“ Chaos unüberlegter Einfälle, das uns als Kritik der Selektions-
theorie vorgesetzt worden ist.
So nützlich auch manche von Heikertingers tatsächlichen. Fest-
stellungen sind — auf die hier nochmals verwiesen sei —, so ist doch im
ganzen sein Feldzug nicht anders ausgelaufen als der Feldzug Hildebrands
und Hadubrands gegen die Seestadt Venedig. Ich habe gegen diese Art
des Kritisierens schon einmal Verwahrung eingelegt und tue es jetzt von
neuem. Statt der Selektionstheorie, auf deren Vernich-
tungerausgegangenist,hatHeikertinger, gleichseinen
Vorgängern, eineKarikatur, einen Popanz zerschlagen.
Das Schreckbild geistlicher Herren und biologischer Waisenknaben, das,
ich weiß nicht wie viele Male schon, für die Selektionstheorie ausgegeben
31) Man lese zum Beispiel das zwölfte Kapitel des zweiten Bandes in dem leider
so gut wie ganz in Vergessenheit geratenen Buch von Semper. (Plate nimmt
darauf nicht Bezug, ebensowenig wie übrigens auf die Schriften von Fritz Müller.)
Semper polemisiert auch gegen Darwins Theorie der Korallenriffe. Er leitet
seine Darlegung mit folgenden Worten ein:
„Die hohe Autorität, welche jede von Darwin ausgesprochene Ansicht für uns
hat und haben muß, würde allein schon eine eingehende Beschäftigung mit allen ein-
schlägigen Fragen rechtfertigen“ (S. 22).
Welcher Unterschied der Tonart gegenüber der im Texte geschilderten Literatur!
376 E. Study:
und unter dem Beifall einer schlechtunterrichteten Presse?) mit Geräusch
zerschlagen worden ist — um immer wieder heil und ganz aus der
Versenkung aufzutauchen und neuerdings zerschlagen zu werden, wie
gewisse Figuren im Puppentheater. Hat etwa, wer anderen lächerliche An-
sichten zuschreibt, nicht die unbedingte Verpflichtung, genaue Nach-
weise zu erbringen? Und was soll man gar sagen, wenn sich findet, daß
alles Entstellung ist? Wirklich, das ist eine Art von Schriftstellerei, die
der deutschen Wissenschaft ganz und gar nicht zum Ruhme gereicht. Und
sie scheint kein Ende nehmen zu wollen: Seit 1916 haben wir nicht weniger
als vier solche Bücher erhalten, zwei davon allerdings vom selben Verfasser.
Wieistnun der Erfolg zu erklären, den die geschil-
derten Lehrmeinungen, oder doch Teilstücke davon,
tatsächlich auch bei wirklichen Forschern haben?
Ich glaube, daß Verschiedenes zusammenkommen mußte. Eine der
Ursachen ist ohne Zweifel jener (von mir schon öfter
beklagte) MangelanerkenntnistheoretischerEinsicht,
derunter Naturforschernsehr verbreitet ist). Tatsachen,
immer mehr Tatsachen! Dieser Ruf ist oft genug ertönt. Daß sie nur im
Rahmen großer Zusammenhänge wirklich lehrreich sind, daß die Theorie
der Lebensnerv aller Naturwissenschaft ist, die doch wohl nicht im Auf-
zählen und Systematisieren stecken bleiben soll, daß man ohne Theorie
vernünftige Beobachtungen meist nicht anstellen kann und brauchbare
Experimente schon gar nicht, davon ist wenig die Rede. Haben Theoretiker
(would-be theoreticians) doch oft genug fehlgegriffen!
Aber die Theorie mit ihrer Anwendung des deduktiven Denkverfah-
rens steht in den empirischen Wissenschaften nicht am Anfang. Nicht ohne
guten Grund hatte Darwin ein ungeheures Tatsachenmaterial gesam-
melt und gesichtet, um an ihm den Selektionsgedanken zu prüfen und ihn,
wenn er sich bewährte, weiter zu entwickeln. So aber denken nicht alle.
In gleicher Richtung wie die Unterschätzung des Theo-
retischen wirkt mangelhafte Kenntnis des Tatsäch-
lichen.
Der Zusammenhang unserer in kurzer Zeit zu hoher Blüte gelangten
Vererbungsforschung mit den Tatsachen der Paläontologie ist so manchem
nicht recht gegenwärtig. Die Tatsachen, die dem einzelnen wirklich ge-
läufig sind, sind oft nur die aus seinem eigenen, unvermeidlicherweise ge-
wöhnlich engen Forschungsgebiet. Wie oft ist nicht schon die Klage ertönt,
daß dem Laboratoriumsbiologen die Natur fremd geworden ist! Hören wir
2) „Kölnische Zeitung“, 1924, Nr. 491. („Verblüffende Aehnlichkeit‘‘ von
Maulwurfsgrille und Maulwurf!!)
33) Es sei daran erinnert, daß ein berühmter Chemiker sich einbilden konnte, in
einem seiner Bücher sei keine einzige Hypothese aufgestellt oder benutzt worden.
Neuere Angriffe auf die Selektionstheorie. 377
m nn m =-
einen von denen, die als ausgebildete Zoologen in den Tropen reiche Beob-
achtungen anstellen konnten! (W. C. Shelford, 1916, S. 207): It is an
unfortunate thing that the vast majority of collectors
and field-naturalists are poor philosophers (schwache
Denker) whilst a great many philosophic zoologists
(wissenschaftliche Zoologen) are sorry failures when it comes
to observing the living animal in its natural surroun-
ding s*).
Hierzu kommt schließlich noch ein anderes. Dem Naturforscher
von heute fehlt nur gar zu oft der Sinn für das Histo-
rische. Er hat, wie ihm scheint, Wichtigeres zu tun, als alte Schriften
zu lesen, wie beispielsweise die von Darwin und Fritz Müller. Das
Neueste ist immer das Beste. Was von einem Dutzend von Autoren vor-
getragen und unbekümmert um alle Berichtigungen mit einer stets wach-
senden Stoßkraft wiederholt wird, findet bei so manchem ohne weiteres
Glauben. Und so glaubt man schließlich Räubergeschichten.
Handlirsch.
Zu denen, die sich von Heikertinger haben beeinflussen lassen,
gehört, wie gesagt, A. Handlirsch, der indessen mit Heikertinger
nur teilweise zusammengeht.
Handlirsch erkennt als phylogenetisch bedeutungsvoll nur die
interspezifische Selektion an, die mit dem Zustandekommen und der Steige-
rung von Anpassungen nichts zu tun hat, sondern nur in Biozönosen und
Faunen ein augenblickliches Gleichgewicht bestimmt oder unter Umständen
zur Ausmerzung einzelner Lebensformen führt (Handbuch der Entomologie,
II, S. 193, Nr. 9, 10). Diese Art von Selektion allein, „die große Selektion“, wie
sieHandlirsch nennt, versteht er unter dem „Kampf ums Dasein“. Die
Fälle der Vernichtung ganzer Zeugungskreise und Biozönosen durch die
Spezies Homo „sapiens“ fallen unter diesen Begriff — warum übrigens
nicht auch noch der Kampf von Lebewesen mit Naturgewalten? Die Dar-
winsche Selektion, die in einer Summierung kleiner nützlicher Variationen
(besser Mutationen) besteht, wird dagegen als bedeutungslos hingestellt. Auf
die geologischen Zeitmaße wird auch von Handlirsch —einemPaläonto-
logen — keine Rücksicht genommen. Orthogenetische Prozesse „im Sinne
3) Es geht dann noch weiter:
The collector is far too prone to kill at sight every animal he captures; he
is usually a bird of passage, and has not the time to devote to the patient and
cifficult observation of an animal’s behaviour and habits of life; even if he does
observe a few facts here and there, his observations are either too incomplete to
be of much value, or he does not see their bearing on current theories .. .
378 E. Study:
Eimers“ und gesetzmäßige Reaktionen auf Aenderungen der Umwelt
scheinen ihm alle Neuprägungen im ÖOrganischen zustande gebracht zu
haben (S. 193), mithin auch die verwickeltsten Strukturen, alle Anpas-
sungen. Handlirsch ist also, wie Nägeli, Eimer, O. Hert-
wig und viele Paläontologen, Lamarckist und somit
Teleologe, Vitalist— wenn auch, gleich den Genannten,
wohlwider Willen (Study, 1920, S. 52, 64, 65). Seine damit gegebene
Gegnerschaft zu Darwin aber sucht er, ganz wie Heikertinger,
lediglich durch Verweisung auf Anwendungen der Selektionstheorie zu
begründen, die er — zu Recht oder Unrecht — für mißlungen ansieht: Ein
meines Erachtens von vornherein verfehltes Beginnen.
Handlirschs Berichterstattung über Arbeiten von Selektionisten
ist nicht minder lückenhaff und einseitig wie die von Heikertinger.
Zwar zitiert er, zum Beispiel, in seinem gegen dreihundert (I!) Titel um-
fassenden Verzeichnis der Literatur über Schutzmittel von Insekten das
Hauptwerk von Marshall (1902), es ist aber nicht zu erkennen, daß er
Nutzen daraus gezogen hat). Ebensowenig ist die Rede vom Polymorphis-
mus gewisser Schmetterlinge, den H a nd lir sch aus den gleichfalls zitier-
ten Schriften von E. Haase und Jacobi kennen mußte. Gerade diese
Fälle, die außerdem auch für die von Handlirsch gar nicht berück-
sichtigte Vererbungslehre eine hohe Bedeutung haben, enthalten aber,
wegen ihrer Verbindung mit unzweifelhaften Mimikryerscheinungen, für
sich allein schon eine Widerlegung des Lamarckismus.
In der Kritik der Selektionstheorie ist auch bei Handlirsch lange
Strecken weit nur die Rede von dem, was einzelne Anwendungen von ihr
zu wünschen übrig lassen (unendlich vielem, versteht sich). So wird alles
in ein möglichst ungünstiges Licht gerückt. Und auch im einzelnen finden
sich ganz ähnliche Fehler wie beiHeikertinger. Beispiel (S. 161):
Rüsselkäfer, die durch besonders dicken Chitinpanzer „geschützt“ sind,
sollen von Grillen mühsam (!) der Gestalt und Farbe nach kopiert wer-
den). Warum macht ihnen die Selektion in ihrer All-
macht (!) nicht einfach einen stärkeren Panzer? Trifft
dieser Hohn die Selektionstheorie oder nicht vielmehr einen einzelnen,
3) Das Handbuch der Entomologie enthält auch eine Anleitung zur Benutzung
der Literatur, ebenfalls aus der Feder von Handlirsch. Darin werden allerlei
Uebelstände beklagt, die sich nur schwer werden abstellen lassen. Aber eine Anlei-
tung zur Herstellung brauchbarer Literaturverzeichnisse fehlt begreiflicherweise.
36) Dies bezieht sich vielleicht auf eine Stelle bei Wallace: „DDarwinismus“
(deutsch von D. Brauns, 1891, S. 395), wo eine „Grille“ samt Modell abgebildet
ist. Dieselbe Figur hat auch Semper (1880, S. 336), wo aber die Grille Heu-
schrecke heißt. Sie gehört zu der altertümlichen Familie der Gryllacridae, die
im malaiischen Archipel verbreitet ist. Ein anderes derartiges Pärchen bei Shel-
ford, 1902, Tafel XIX, Figuren 7, 8.
Neuere Angriffe auf die Selektionstheorie. 379
und zwar hochverdienten Forscher, der zudem längst nicht mehr unter den
Lebenden weilt?”)?
Auch anderes ist nicht besser durchdacht. „Wir müssen, glaube
ich, ein Verständnis für die Entstehung des Modells
gewonnen haben, bevor wir daran denken können, das
Aussehen der Kopie zu erklären (S. 148, im Original gesperrt).
Hier haben wir also dieselbe Begrifisverwechslung wie bei O. Hertwig,
Dürken und Heikertinger: Das ontologische „Entstehen“ des
Modells und das phyletische Entstehen der Kopie sind doch wohl sehr ver-
schiedene Dinge! So verschieden sind sie, wie der Mechanismus eines Kla-
viers und die Leistungen seiner Erfinder, Verbesserer und Erbauer! Wieso
können wir hoffen, daß uns die Entwicklungsphysiologie einst lehren wird,
warum aus einem so beschaffenen Ei ein Käfer und aus einem anders
beschaffenen eine Wanze hervorgehen muß? Müssen denn alle Probleme
in den Machtbereich der Entwicklungsphysiologie fallen? Wie steht es
insbesondere um die Probleme des Herrn Handlirsch?
Das weitaus Befremdlichste ist jedoch der Schluß, zu dem Hand-
lirsch gelangt: Was er von „echten“ Mimikryerscheinun-
gen anerkennen will (nicht allzu vieles), läßt Hand-
lirsch auf Zufall beruhen (S. 165, 166).
Dies ist Eimers „Unabhängige Entwicklungsgleichheit“, nebst geo-
graphischem Zusammentreffen — ein in solcher Allgemeinheit völlig un-
möglicher Gedanke.
Natürlich spielt der Zufall mit bei dem Anfang mimetischer Umbil-
dung und darüber hinaus, wenn aber irgend etwas nicht nur auf Zufall
beruht, so ist es die Mimikry. Es gibtinden Tropen ungeheuer
viele ganz unzweifelhafte Mimikryerscheinungen.
Handlirsch kommt hier mit den Tatsachen instarken
Konflikt. Der Zufall hat seine Gesetze, und die Tatbestände, von denen
die Rede ist, folgen ihnen nicht!
Was Herrn Handlirsch den Zufallsgedanken annehmbar macht,
liegt ziemlich klar zutage. Er kennt allerlei zufällige Aehnlichkeiten von
Insekten»). Der Schluß ist nun: Warum sollten dann nicht auch die mimeti-
schen Aehnlichkeiten alle den gleichen Ursprung haben?
37) Uebrigens hat schon Darwin darauf geantwortet, „Ursprung“, 6. Auflage,
S. 280, dem Sinne nach: Es ist unverständig, eine präzise Antwort auf derartige
Fragen zu erwarten, da man unsere Unwissenheif in bezug auf die Vergangenheit einer
jeden heutigen Spezies in Betracht ziehen muß.
38) Andere kennen solche auch. Zum Beispiel habe ich eine kleine Sammlung zu-
fälliger oder doch wahrscheinlich zufälliger Aehnlichkeiten von Schmetterlingen, dar-
unter zwei, vielleicht auch drei Triplets. Das Merkwürdigste der Art, das ich kenne, ist
das Paar Semnia auritalis Hübn. (Pyralidae, Brasilien) und CGarposta-
lagma viride Ploetz (Noctuidae, Kamerun). Exemplare im Berliner Museum und
in meiner Sammlung.
380 E. Study:
Erläuterungen zu den Abbildungen.
Die Zeichnungen sind von Herrn P. Preiß in Boppard in doppeltem Maß-
stab ausgeführt.
Abb. 1a ist eine, wie es scheint, seltenere Art, Pachyrrhynchus absur-
dus Schultze. (Cabuntung, Biargao.) Eine andere Art derselben Gattung, P.
speciosus Waterhouse, sieht fast gerade so aus. Nur ist die Strei--
fung des Thorax längsgerichtet. (Die beiden Exemplare meiner Sammlung
tragen die Fundortszettel Cabuntug, Biargao und Nord-Luzon.) Sie ist das
Modell von Abb. 1b.
Abb. 1b. Doliops geometrica Waterhouse. (Zwei Exemplare, Cabun-
tug, Biargao und Bucao.)
Abb. 2a. P. reticulatus Waterhouse. (Ost-Luzon, Kacisuren.)
Abb. 2b. D. pachyrrhynchoides Heller. (Mt. Isarog, Luzon.)
Abb. Sa. Drthocyrtus Schoenherri Waterhouse. (Surigao, Min-
danao.)
Abb. 3b. D. dodecimpunctata Heller. (Surigao, Mindanao.)
Es ist noch (wenigstens) ein weiteres Paar derart bekannt, ebenfalls von den
Philippinen. (Semper, S. 236.) Dort ist auch die erwähnte Gryllacride nebst
Modell abgebildet. Die Abbildungen i, k, deren Legende an beiden Stellen fehler-
haft ist, sind zu streichen.
Pachyrrhynchus und Ortocyrtus gehören zu den Curculion-
idae, Doliops gehört zur Unterfamilie Lamiinae der Ceramby sidae.
Die Rüsselkäfer haben einen dicken Chitinpanzer. Man soll im weichen Wald-
boden auf sie treten können, ohne sie zu verletzen. Die Doliops sind seltene
Tiere, wie ihr Preis es anzeigt.
Wäre Herr Handlirsch auf den Gedanken verfallen, dieselbe Argu-
mentation auf Schnecken anzuwenden (Study, 1919, wo sie im voraus
kritisiert ist — vonHandlirsch zitiert!), so hätte er ebenso leicht finden
können, daß es gar keine Mimikry gibt?®).
Käfer sind mannigfaltiger als Schnecken, in Gestalten und Farben. Zu
den allererstaunlichsten Fällen (nach Handlirsch) zufälliger Aehn-
lichkeiten gehören nun einige, die zwischen Bockkäfern der Gattung D o-
liops und Rüsselkäfern der Gattungen Pachyrrhynchus und
Orthocyrtus auf den Philippinen vorkommen. Sie tragen auf Flügel-
decken und Thorax weitgehend übereinstimmende und sehr merkwürdige
Zeichnungen, die einem der Tiere den Namen Doliops geometrica
eingetragen haben. Außerdem haben sie einen gleichfalls übereinstimmen-
den metallischen Glanz. Das Merkwürdigste aber sind die Fühler, die bei
den Rüsselkäfern dick, kurz und geknöpft sind, während bei den Bock-
käfern der Basalteil ihrer langen und am Ende feinfadenförmigen Fühler,
sehr ungewöhnlicherweise, wenn auch schwächer, entsprechend verdickt
ist“). Siehe die beigegebenen Abbildungen.
39) Siehe jedoch Sem per, II, S. 239 u. ff., und V. Bauer, S. 31. (Ueber einige
Seeschnecken, nach Th. Mortensen und H. Osborn).
40) Das gleiche kommt nach Gahan auch noch bei einem anderen Bockkäfer vor.
Außerdem auch bei Heuschrecken der Gattung Scaphura, die auch im Benehmen,
halb laufend, halb springend, Grabwespen der Gattung Pepsis kopieren.
P. Preiss del. Graph. Kunstanstalt
von Kirstein & Co. in Leipzig
zur Arbeit: Study, Neuere Angriffe auf die Selektionstheorie
Archiv für Rassen= und Gesellschafts-Biologie M
Beilage zu Band 22, Heft 4 J.F. Lehmanns Verlag, München
Digitized by Google
Neuere Angriffe auf die Selektionstheorie. 381
Ich werde ebenso gerne an die mosaische Schöpfungsgeschichte, ja
sogar an die Unbefangenheit von Dürken und Heikertinger glau-
ben wie daran, daß solche Vorkommnisse weiter nichts als Zufall sind.
Ebenso liegt die Sache bei der Nachahmung von gewissen Bienen und
Wespen durch Fliegen (Study, 1926) und noch in vielen anderen Fällen.
Ja, man muß schon sehr von der Allmacht (!) des Zufalls überzeugt sein,
um ihm auch nur das (von Handlirsch selbst gut abgebildete) „Parade-
beispiel“ des Käfers Lithinus cristatus auf die Rechnung zu setzen.
Wie Schnecken, so sind auch Schmetterlingsraupen nicht so gestalten-
froh wie Käfer, und auch bei ihnen werden also Aehnlichkeiten nicht
näher verwandter Arten wohl oft auf Zufall beruhen*). Hierüber liegt
meines Wissens noch nichts Systematisches vor.
Auch als Imagines sind Falter nicht sehr vielseitig in der Gestaltung,
dafür aber entwickeln sie einen Reichtum an Mustern und Färbungen,
der alles weit übertrifft, was sonst in der Tierwelt vorkommt. Wir werden
uns also im Falle von Schmetterlingen am ehesten ein Urteil bilden
können: Je größer die Formenfülle, desto mehr verwickelte Muster, gerade
solche, wie sie, lokal vereinigt, in einer Menge von Beispielen „sogenannter“
Mimikry vorkommen. Desto wahrscheinlicher also das Auftreten
verwickelter Aehnlichkeiten unter Umständen, die keinen Gedanken an
Mimikry zulassen. Wiestehtesnunin Wirklichkeit mit sol-
chen Uebereinstimmungen? Sie fehlen ganz und gar!
Und außerdem: Wie könnten unter der Herrschaft eines bloßen Zufalls
geographische Variationen von „sogenannten Modellen und Nachahmern“
in Parallelreihen geordnet sein?
Ich schreibe hier eine Kritik und erinnere daher nur kurz an ein
Beispiel (eines für viele, aber eines der interessantesten), nämlich an das
Stück der von Danais chrysippus abhängigen Mimikry-Gesellschaft,
das Carpenter (195) auf seiner Tafel VI, leider nicht farbig, abgebildet
hat. Es umfaßt sechs Arten von Faltern aus vier Familien, die alle
polymorph sind, und von denen drei in je drei parallelen Formen und
zwei in je zwei parallelen Formen dargestellt sind. Ohne die Mimikry-
theorie ist von diesem Zusammentreffen und noch anderem, das dazu
gehört, schlechthin nichts zu verstehen).
41) So nach meinem Dafürhalten der Fall von PlusiaC.aureum und Noto-
donta ziczac, über den Weismann eine Dissertation hat schreiben lassen
(J. Bergner, 1906). An eine durch „Bewirkung“ entstandene Konvergenzerscheinung
kann ich nicht glauben, da die Tiere zu verschieden sind. Auch ein biologischer Vorteil,
den die eine Art von ihrer Aehnlichkeit mit der anderen haben könnte, läßt sich nicht
erkennen.
42) Carpenter, der eine dieser Formen entdeckt hat, sagt darüber: Only
those who have worked at problems of mimicry in the field
can appreciate the thrill of joy that comes whena new formis
discovered which helps to fillupagapinaseriesofsuchinte-
- ..- o nn a le S E
In Fällen dieser Art läßt sich die Wahrscheinlich-
keit eines Zufalls zahlenmäßig abschätzen. Es lassen sich
obere Schranken des zugehörigen Wahrscheinlichkeitsmaßes angeben. Hätte
Herr Handlirsch meinen Aufsatz vom Jahre 1919 nicht nur zitiert, son-
dern auch gelesen, so würde er darin eine solche Zahl gefunden haben,
eine Zahl mit fünf Nullen hinter dem Komma, die, wie
dort gesagt, noch sehr viel zu groß ist — eine für beliebig viele ähnliche
und noch millionenfach kleinere). Daß kein Zufall vorliegt, ist mithin so
wahrscheinlich, wie man es nur verlangen kann. Man halte da-
gegen die Wahrscheinlichkeit vieler Vermutungen
von Paläontologen! Zum Beispiel der Vermutung von Hand-
lirch, daß die Entstehung einer vollständigen Verwandlung von In-
sekten eine Wirkung der Verschlechterung des Klimas auf unserer Erde ist!
Ich wünsche nicht mißverstanden zu werden. Die Sicherheit von Er-
gebnissen hängt nicht nur ab von unseren Methoden und von unserer Schu-
lung im Denken, sondern sehr auch von der Beschaffenheit der Unter-
suchungsobjekte. Ich halte somit Johannsens geringschätziges Urteil
über die Stammbaumforschung für unberechtigt*). Handlirschs hypo-
thetische Konstruktionen primitiver Insekten verdienen, wie ich glaube,
unsere Bewunderung. Sollte aber der Fall Johannsen nicht einiges zu
denken geben? Ist denn die von Handlirsch geübte Art von Kritik viel
gründlicher? Nach Handlirsch istin keinem Falle „der Be-
weis“ erbracht, daß die verwickelteren Anpassungen
durch Zuchtwahl aus kleinen Varianten entstanden
sind (S. 191). Was aber heißt hier Beweis? Bei einem histori-
schen Problem ohne historische Unterlagen? Wir können nicht
anders verfahren als bei so manchen Problemen der
Stammesgeschichte oder als bei unzähligen Proble-
men der Physik beispielsweise. Wir bilden eine Hypothese
und sehen zu, ob sie sich in ihren Folgerungen bewährt — das ist, wie
Darwin gemeint hatte, die einzig passende und gerechte Art, solche
Fragen zu behandeln. Mehr zu leisten ist eben unmöglich*). Eine scha-
rest as that of (Danais) chrysippus and its numerous mimics.
‚Uebrigens dürfte gerade über dieses Beispiel, das ich hier nur aus dem Gesichts-
punkt der „Zufallstheorie‘“ betrachte, noch manches zu sagen sein. Ich behalte mir
vor, bei anderer Gelegenheit darauf zurückzukommen.
43) Einer Anregung von Herrn A. Seitz folgend habe ich neuerdings noch einige
solche Zahlen zusammengestellt (Entomologische Rundschau, Janus, 1930).
4) Allgemeine Biologie, in der Sammlung Kultur der Gegenwart, 1915,
S. 546, 547. Es heißt dort, Verwandtschaft lasse sich nur genealogisch feststellen!
85) Eine ausführliche Erörterung der Bedeutung der Hypothesen für
die Naturwissenschaften findet man in der zweiten Auflage von des Ver-
fassers Realistischer Weltansicht (T, 1914). Dort wird auch, gleich auf den ersten Seiten,
gesagt, wasmanvernünftigerweisevoneinem „Beweis“ verlangen
kann. Siehe auch bei Tschulok (1922, 88 19, 20) die Erörterung der Eiszeitfrage.
Neuere Angriffe auf die Selektionstheorie. 383
blonenhaft ablehnende Kritik bringt uns nicht weiter. Die Grundbedeu-
tungen des Wortes xo(veıv sind trennen, unterscheiden!
Wer genügende Erfahrung hat, kann oft aus dem bloßen Anblick eines
Tieres auf seine Lebensweise schließen. Auch ist die Existenz einer von
mir vermuteten Parallelform zu der mimetischen Phyciodes murena
von A. Schultze bestätigt worden — es lassen sich also unter Um-
ständen auf Grund der Mimikrytheorie sogar künftige Funde voraussehen.
Wer die intraspezifische Selektion als bedeutungslos ansieht, kommt,
wie Heikertinger, vor das „Rätsel des Genius loci“ zu stehen.
So auch Handlirsch. Er wird es bestimmt nicht lösen. Dazu vermengt
er Dinge, die wohl auseinandergehalten werden müssen. Unter anderem
und ähnlichem stellt er (S. 152) die Frage:
Warum machen im Kaukasus viele Hummeln weiße
statt gelber Varianten“)?
Warum im Kaukasus das Gelb unserer Hummelarten durch Weiß
ersetzt ist (und anderwärts durch Rot), können wir freilich nicht sagen.
Aber daß in engeren Formenkreisen geographische Parallelreihen vor-
kommen, ist eine sehr verbreitete Erscheinung und keineswegs verwunder-
lich. Mit Selektion haben Umprägungen von dieser Art nicht notwendig
etwas zu tun. In der Gattung Drosophila ist das gelegentliche Auf-
treten paralleler Mutanten bei vier verschiedenen Arten beobachtet worden.
Gerade da aber, wo aller Anlaß zur Verwunderung vorliegt, wo nämlich
Parallelismen des Aussehens in entfernteren Verwandtschaftskreisen vor-
kommen, bei Uebereinstimmungen nicht homologer Muster, da wundert
sich der Antiselektionist überhaupt nicht! (Siehe Fritz Müller, Werke ],
S. 895, und Atlas, Tafel LXII — 1881/82; dasselbe Argument bei Study
gegen Punnett, 1919.)
Warum gibt es auf Korsika so viele Melanismen‘)?
ist eine ähnliche Frage, die schwerlich eine selektionistische Erklärung
erfordert. Das Warum ist unbekannt, wie die Ursachen des Erscheinens
vom Mutanten überhaupt. Solche Fälle wie die Uebereinstimmungen
Papilio rex — Danais formosa, Papilio mimeticus —
Danais mercedonia sind aber doch wohl etwas anderes*). Wer
nicht an Wunder glauben kann, muß in ihnen die Summation vieler
se) Vgl. H. Friese und F. Wagner: Hummeln als Zeugen natür-
licher Formbildungen. In den Zoologischen Jahrbüchern, Supplement des
Jahres 1904, Festschrift für A. W eisma nn, S. 568; oder H. Friese: Die europä-
ischen Bienen, 1923, S. 323.
47) Mir ist nur ein von Friese und Wagner abgebildeter Fall bekannt
(s. S. 664). Melanismen werden übrigens auch für andere biologisch isolierte Inseln
angegeben. Nach Shelford gibt es ihrer viele auf Borneo.
a8) Farbige Abbildungen bei Eltringham, Tafel IV, und A. S. Neave, Trans.
Ent. Soc. 1906.
384 E. Study:
kleiner Mutationen annehmen. Melanismen dagegen beruhen wahr-
scheinlich auf der Aenderung eines einzigen Gens.
Anders als in den angeführten Beispielen steht es um die Frage:
Warum sind so viele Mimetiker selten? Sie sind es tatsäch-
lich in einem doppelten Sinne. Sehr viele bewohnen ein beschränktes Areal
und sind selbst in diesem nicht häufig zu finden. Geben wir nun unserer
Frage eine etwas andere Wendung. Warum finden sich gerade
unter seltenen Formen so oft Mimetiker?, so erhalten wir
die Antwort: Je enger das Areal eines Zeugungskreises und je geringer
seine Individuenzahl, desto leichter erfolgt, ceteris paribus, eine
alle Individuen erfassende Umprägung, und desto schneller geht sie vor
sich. So erklärt sich die starke geographische Veränderlichkeit der wenig
expansiven Eryziniden und die von A. Seitz konstatierte Leichtigkeit,
mit der mimetische Arten unter diesen plastischen Insekten der Veränder-
lichkeit ihrer Modelle folgen. Sehr verbreitete und dabei wenig veränder-
liche Formen, wie Aegeriaapiformisund Asiluscrabronifor-
mis, müssen dagegen älteren Ursprungs sein. Auch im Pflanzenreich
kennt man einige Anpassungen, die unter den Begriff der Mimikry fallen.
Verschiedene der Art finden sich in der Gattung Mesembrianthemum,
die rund vierhundert erstaunlich mannigfaltige Arten umfaßt, beinahe alle
im Kapland. Die meisten sind lokal beschränkt, und gerade unter ihnen
finden sich die Mimetiker (M. calcareum; Bolusii; Lesliei und
andere; dazu das klebrige, mit Sandstaub verkleidete Dinteri von
Windhuk).
Soll der Gegner mit hochnotpeinlichen Fragen bedacht werden, wie
Handlirsch es versucht hat, so kann auch der Selektionist mit der-
gleichen aufwarten, und zwar, im Unterschiede zu Handlirsch, mit
Fragen, die er selbst zu beantworten weiß. Zum Beispiel:
Sind etwa die Rassen unserer Kulturpflanzen und
Haustiere samt und sonders lediglich durch Zufall
entstanden? (Wie es Purzeltauben, Dachshunde und Mopse in der Tat
wohl sind.) Wie steht es z. B. um die Pfauentauben, um Merinoschafe und
Yorkshire-Schweine?
Wiekommtes doch, daß der Zufall, trotz seiner no-
torischen Blindheit, eine ausgesprochene Vorliebe für
tagfliegende Insekten und bei Schmetterlingen für das
weibliche Geschlecht hat?
Warum haben Wespen kopierende Syrphiden und
Syntomiden öfter sogar eine Taille?
Wie kommt es, daß gewisse Asiliden, die Podileginen kopieren,
ungleich ihren nächsten Verwandten, sogar scheinbare Sammelhöschen
haben? (Study, 1926.)
Neuere Angriffe auf die Selektionstheorie. 385
m m Tr [u
AAAA AN a T pinia = RER
Wiegehteszu, daß unter den vielen Arten der Gaong Papilio
nur bei P. mayo das Weibchen schmälere Flügel hat als das Männchen?
(Study, 1919.)
Wie geht es zu, daß unter allen Papilionen nur die der Zagreus-
Gruppe hellgelbe Fühler haben?
Warum gleichen bei Insekten die angeblichen Nach-
ahmer ihren angeblichen Modellen so oft auch in den
Gewohnheiten des Flugs? Warum fliegen Papilionen, die z. B.
Phamacophagus- Arten kopieren, gewöhnlich schwebend und lang-
sam, wenn sie doch reißend-schnell fliegen können? Warum sind sie nicht
scheu wie ihre Verwandten *)?
Ja, wie kommt es denn, daß für Gegner der Selek-
tionstheorie solche Fragen gar nicht zu existieren
scheinen?
In allen solchen Fällen läßt sich ohne die Selektionstheorie schlechthin
nichts verstehen. Gegen dieses Argument „Friß Vogel oder stirb!“ läßt
sich natürlich einwenden, daß eine fehlerhafte Theorie auch dann abgelehnt
werden muß, wenn man von keiner besseren weiß — wie Heikertinger
treffend bemerkt hat. Aber dann muß eben der Nachweis ihrer Fehler-
haftigkeit mit Umsicht und Sorgfalt geführt werden, unter Berücksichtigung
aller in Betracht zu ziehenden Umstände.
Gewiß entzieht sich das weitaus Meiste unserem Verständnis ganz und
gar — um so weniger Grund hat man, da, wo sich wirklich ein weniges
verstehen läßt, Vogel-Strauß-Politik zu treiben.. Wie komnit es, daß in den
Familiengruppen der Orthoptera und Neuroptera, wie es scheint,
nicht ein einziges Tier mit Eigenschaften ausgestattet ist, die es zum
„Modell“ hätten werden lassen können? Woran liegt es, daß aus der Gattung
Cosmodesmus in der Alten Welt nur „Nachahmer“ von Danaiden
hervorgegangen sind? Fragen dieser Art werden sich schwerlich be-
antworten lassen. Aber daß man sie in so einfacher Form stellen kann,
zeigt doch, wie unberechtigt die Meinung ist, daß bei der Beurteilung von
Mimikryverhältnissen gewöhnlich die Phantasie der Autoren ausschlag-
gebend war. Wäre sie es gewesen, so würden die Rollen recht oft anders
verteilt worden sein.
Nach alledem muß ich auch die Kritik, die Handlirsch an der
Selektionstheorie in seinem sonst lehrreichen Artikel zu üben versucht hat,
für verfehlt erachten. Auch er hat sich ihre logische Struktur nicht klar-
4) Siehe z. BB W. Ormiston, The Butterfliesof Ceylon, 1924, S. 107:
Papilio lankeswara has as rapid a flight as any Papilio in Ceylon, but
does not always make use of its powers. When visiting flowers, or hovering over
wet patches on the roads, its Night is slow, and so like that of a Danaida or
Euploea, that after thirty years’ experience I am still sometimes deceived by il.
Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie, Bd. 22, Heft 4. 25
386 E. Study:
nn
gemacht: Er hat sich an das gehalten, was der eine oder andere gesagt
hatte, ohne zu fragen, ob es denn mit Recht gesagt worden war.
Daß soviel Ungenügendes und in den Schlußfolgerungen Fehlerhaftes
in einem Standardwerk verbreitet wird und durch eine wohlerworbene
Autorität besonderes Gewicht erhält, ist natürlich doppelt bedauerlich. Das
wissenschaftliche Niveau zahlreicher Entomologen, deren viele lediglich
Sammler oder höchstens Systematiker sind, kann auf diese Art nicht
gehoben werden.
Prochnow und Przibram.
Im Handbuch der Entomologie wird die Mimikrytheorie noch ein zwei-
tes Mal abgehandelt, in der Hauptsache mit denselben Argumenten, von
O. Proch no w (1926). Doch ist die Tonart erheblich milder. r o ch n o w
ist für die Lehre von den Schutzfarben, wo es sich aber um die Nach-
ahmung von Schmetterlingen durch andere handelt, da fügt er sich mit
unverkennbarem Bedauern der vermeintlichen Wucht der Gegengründe.
Prochnow wundert sich darüber, daß Mimikry so oft zwischen nächst-
verwandten Formen vorkommen soll. Aber die Gattung Pharmaco-
phagus, die Modelle für die Gattungen Papiliound Cosmodesmus
liefert, ist gar nicht so nahe mit ihnen verwandt, wie man früher
glauben durfte (E. Haase, 1893). Und auch in anderen Fällen der Art
gibt es anatomische Verschiedenheiten, die nur noch nicht überall genügend
studiert sind ®).
In demselben Aufsatz wird auch die erstaunliche Behauptung reprodu-
ziert, die (angeblichen oder sogenannten) Modelle seien „jüngeren Ur-
sprungs“ als ihre (ebenfalls sogenannten) Nachahmer. Es stehen nur zwei
ungenaue Zitate dabei, deren eines ich nicht bestätigen konnte. Aber in
dem zitierten Aufsatz von H. Przibram (1921) findet sich, etwas schwä-
cher abgefaßt, dasselbe, ebenfalls ohne Erklärung des genauen Sinnes und
ohne jeden Begründungsversuch. Hier wäre doch wohl ein dickes Frage-
zeichen nötig gewesen ®).
Unter diesen Umständen scheint es nur angezeigt, auch noch den
Artikel Przibrams ein wenig unter die Lupe zu nehmen, zumal auch
in ihm der Einfluß Heikertingers sehr deutlich ist.
l s) Siehe H. Eltringham: On Specific and Mimetic Relation-
shipsinthegenus Heliconius L. Trans. Ent. Soc. 1916.
61) Ueber das, was den Anlaß gegeben haben mag, kann ich natürlich nur eine
Vermutung haben. Vielleicht war es die Annahme, daß die Gattung Danais in Nord-
amerika später erschienen ist als die Gattung Limenitis, aus der der merkwürdige
Mimetiker L. archippus stammt (Abbildung bei Punnett auf Tafel XVI). Das
wenigstens ist jedenfalls zutreffend. Aber die Gattung Danais ist sicher viel frūher
nach Nordamerika gekommen als nach Südamerika, wo sie wohl erst im Pliozän
zusammen mit den großen Katzen, Kamelen usw. erschienen ist, und wo sie
(eben darum!) keinen einzigen Nachahmer hat.
Neuere Angriffe auf die Selektionstheorie. 387
Viel Kapital schlägt Przibram daraus, daß ein weißgeringelter
Schwärmer, Sesia (Aöllopus) titan Cramer, zusammen mit einem
ebenso geringelten Kolibri gefunden und als Nachahmer des Schwirrvogels
gedeutet worden ist). Wenn es sich nun so verhielte, daß beide Tiere
auf irgendeiner Insel vorkämen, sonst aber nichts derart gefunden würde,
so dürfte man sich immerhin wundern, wiewohl bei der Einfachheit des
gemeinsamen Musters selbst dann ein Zufall nicht würde ausgeschlossen
werden können, und wiewohl von einem biologischen Vorteil für keines
der im Fluge kaum verfolgten Tiere etwas zu bemerken ist, sondern eher
das Gegenteil zutrifft. So liegt aber die Sache nicht einmal. Sesia
titan kommt nach A. Seitz von Mexiko bis Argentinien vor und
geht besuchsweise noch bis in den Süden der Vereinigten Staaten. Außer-
dem fliegt ein solcher Schwärmer, wie Przibram selbst angibt, auf
Kuba. In Südamerika gibt es, wiederum nach Przibram, mehrere weiß-
geringelte Kolibris. Warum sollten sich nun solche Tiere nicht zusammen-
finden auch ohne jede Spur von Mimikry? Die gemeinsame Art des Flugs
ist eine gewöhnliche Konvergenzerscheinung und findet sich bei allen
Schwirrvögeln (kleineren Kolibris) und tagfliegenden Schwärmern. Was
beide Male hinzukommt, ist also nur der weiße Ring um den Leib!
Ein Hauptpunkt ist für Przibram — wie für Punnett und viele
andere —, daß die Mimetiker zuweilen über das Verbreitungsgebiet ihrer
Modelle hinausgreifen (S. 446, in Sperrdruck). Das wird als unvereinbar mit
der Mimikrytheorie betrachtet. Es sind aber im Gegenteil Mög-
lichkeiten derart eine Folgerung aus der Theorie
selbst. Nehmen wir einen ziemlich ungünstigen Fall an: Das Verbrei-
tungsgebiet einer Art A von nicht allzu seßhaften Tieren eines werdenden
Mimetikers sei doppelt so groß als das darin gelegene Gebiet einer Art B
des werdenden Modells. Gewisse, im Gebiet von B eintretende Muta-
tionen werden dort für A vorteilhaft sein, die Mutanten werden sich aber
auch ausbreiten in das ganze Verbreitungsgebiet von A hinein, wo sie dann,
in der anderen Hälfte des Areals, keinen Vorteil haben, aber auch nicht
benachteiligt zu sein brauchen. Da dieselben Mutationen in der Regel mehr-
fach und, wenn auch vielleicht recht selten, so doch eine lange Zeit hin-
durch entstehen werden, so kann das Ergebnis sehr wohl sein, daß schließ-
lich der ganze Zeugungskreis A umgeprägt wird. Fälle dieser Art sind
wohl nicht häufig, und sie werden auch schwerlich durch Beobachtung
festgestellt werden können, aber als Möglichkeiten, die im Rah-
52) Ich weiß nicht von wem. Przibram verweist nur auf eine ungenaue An-
gabe bei E. Haase, der jedoch alle Kolibri-Mimikry abgelehnt hat. Vgl. Fritz Müller,
Werke I, S. 931 (1882/83), und lI, S. 435 (1883), wo man sieht, daß auch dieser For-
scher nach kurzem Schwanken von der Kolibri-Mimikry nichts hat wissen wollen.
Der Adressatvon Müllers Briefen — der von Haase allein genannte E. Krause —
hat den ersten Brief veröffentlicht, den zweiten aber leider nicht.
25*
E. Study:
men der richtig verstandenen Theorie liegen, müssen sie
zugegeben werden.
Sehr viel mehr als eine solche konstruierte Annahme fällt natürlich
ins Gewicht, daß es auf dieser unserer Erde nicht immer so ausgesehen
hat wie heutzutage — ein Gedanke, der auch bei Przibram nicht ein-
mal von ferne erscheint! Wenn fortwährend Verschiebungen der relativen
Häufigkeit und der Verbreitungsgrenzen von Lebewesen stattfinden, warum
sollen sie denn im Falle von Mimetikern und Modellen ausgeschlossen
sein? Die Sache liegt sogar so, daß man sich über die Seltenheit von An-
gaben wundern muß, denen zufolge die Areale von Nachahmern über die
ihrer Modelle hinausgreifen sollen — Angaben, die dazu, wie im Falle der
Schlangengattung Elaps, nicht einmal immer richtig sind. Es ist viel mehr
Derartiges zu erwarten, und es wird sich gewiß auch mehr finden, wenn man
einmal besser unterrichtet sein wird. Hoffen wir, daß bis dahin die schlimm-
sten Gedankenlosigkeiten aus der Literatur verschwunden sein werden!
Mit gutem Grunde hatte R. Trimen die Vermutung ausgesprochen,
daß einst große Acraeiden gelebt haben müssen — da nämlich andernfalls
das Aussehen des Papilio antimachus (besonders des Weibchens,
das runde Flügel hat) die Annahme des unwahrscheinlichsten Zufalls er-
fordern würde. Aber das Unwahrscheinlichste ist für gewisse Geister immer
noch einleuchtender als die Logik der Selektionstheorie, die eben um jeden
Preis bekämpft werden muß.
Wie oberflächlich Przibram zu Werke gegangen ist, sieht man
auch noch aus anderem. Wie bei Dürken werden Namen entstellt (z. B.
Nyctalemon Agatyrsos statt Alcidis agathyrsus, Mignemia avicularia statt
Mygnimia [Salius] aviculus). Auch für Przibram gibt es — nach 1921 —
eine Familie der „zu den Nymphaliden gehörigen Mignemi“. Eltring-
ham, ein Hauptvertreter der Selektionstheorie, scheint zu deren Gegnern
zu gehören, weil Przibram einen einzelnen Satz nicht im Zusammen-
hang gelesen (!) und daher falsch verstanden hat (S. 420 bei Przibram
und S. 152 bei Eltringham). Diesmal also berührt sich Przibram
mit Heikertinger (vgl. S. 375). Daß Przibram meint, in Südamerika
gebe es keine Hummeln (Bombus Dahlbomi geht bis ins Feuerland),
würde ich ihm nicht ankreiden, wenn nicht auch dieser Irrtum in einen
Scheingrund gegen die Mimikry ausliefe.
Das Erstaunlichste ist jedoch, daß die Chemie es uns ermöglichen
soll, die Mimikry — mithin Uebereinstimmungen von Gestalten und sogar
Instinkten — zu verstehen®?). Wie kommt es nur, daß die Chemiker sich diese
überraschende Erweiterung ihres Forschungsgebietes haben entgehen lassen?
Doch es mag nun des Kritisierens genug sein!
5) Przibram führt noch drei Autoren, E ntz, Schaus und Werner an,
die derselben Meinung sein sollen! VgL auch S. 379 (Handlirsch).
Neuere Angriffe auf die Selektionstheorie. 389
mn ALL ee EL nn m m nn nn men mn nn nn m mn nn nn
—o TIA LIMAAN L nn rn =
Die Untersuchung des Wie und Warum der Umbil-
dung von Lebensformen und des Werdens der heutigen
Organismenwelt gehört zu den wichtigsten und inter-
essantesten Aufgaben der Wissenschaft überhaupt,
mögen auch „moderne“ Forscher noch so wenig Inter-
essedafürbekunden*). Aber schon wegen der gar nicht hoch genug
einzuschätzenden soziologischen Bedeutung, die ohne allen Zweifel der
Verbreitung einer richtigen Einsicht in Auslesevorgänge zugeschrieben
werden muß, sollte auf die Selektionstheorie viel mehr Nachdenken und
auf ihre Anwendungen viel mehr Studium verwendet werden, als so
manche von denen es für nötig halten, die darüber schriftstellern.
Die häufig vorgekommenen Mißverständnisse haben mir Veranlassung
zu einer Literaturzusammenstellung gegeben. Es sind hauptsächlich neuere
Schriften und vorzugsweise solche ausgewählt, die gut durch Abbildungen
erläutert sind. Die ältere Literatur findet man bei Jacobi zusammen-
gestellt. Wer sich eingehender mit dem behandelten Gegenstand beschäf-
tigen will, kann auch auf sie nicht verzichten, er wird aber darauf achten
müssen, daß vieles hinzugekommen ist und daß die Systematik Fortschritte
gemacht hat. Vielfach sind, gleichgültig hier, ob mit oder ohne Grund, die
Namen der Tiere geändert worden. Auch wird auf den reichen Inhalt der
Schriften der Entomological Society hinzuweisen sein, von denen
nur einzelne angeführt werden konnten.
Zur Einführung in den Gedankenkreis der Selektionstheorie ist viel-
leicht nichts besser geeignet als Jourdains Schrift über Kuckucke. In
dieser Familie zum Teil parasitischer Vögel hat man alle Stufen mimeti-
scher Anpassung dicht nebeneinander®®).
Auswahl aus der Literatur.
A. Schriften zur Theorie der Auslese.
Bauer, Viktor. Das Tierleben aufden Seegraswiesen des Mittel-
meeres. Zoologische Jahrbücher, Bd. 56, 1928. (Anpassungen von Seetieren.
Gute farbige Bilder. Aus dem Nachlaß des zu früh verstorbenen Verfassers '
herausgegeben von C. Heidermanns und H. Wurmbach.)
Becher, S. Flügelfärbung der Kolibris und geschlechtliche
Zuchtwahl. 1919. (Siehe die Anmerkung am Schlusse, und Fries.)
Carpenter, G.D.H. A Naturalist in East Africa. 195. (Mit photographi-
schen Tafeln.)
Coleman, Edith. Pollinationofan Australian Orchid by the Male
Ichneumonid Lissopimpla semipunctata, Kirby. Trans.
Ent. Soc. 1928. (Mit guten Figuren.)
s) Darwin hatte auf der letzten Seite seines Hauptwerkes dieses Problem —
die Erzeugung immer höherer und vollkommenerer Tiere — das Höchste genannt,
das wir zu fassen vermögen.
65) Vgl. auch Darwin, „Ursprung“ S. 296—301 (Kuckucke und Molothrus).
390 E. Study:
Coleman and Godfery, M. J. Pollination of an Australian Orchid,
Cryptostylisleptochila, F. Müll. Journal of Botany, 1927.
Ekman, Sven. Die Selektionstheorie und die Selektionsver-
suche W. Johannsens in sogenannten reinen Linien. Zeit-
schrift für induktive Abstammungs- und Vererbungslehre. Bd. XLVIII. 1928.
Eltringham, H. African Mimetic Butterflies. 1916. (Reich ausgestattetes,
sehr wertvolles Werk, das einzige in seiner Art. Heute nicht mehr er-
schöpfend.)
Gahan, C. J. Mimicry in Coleoptera. Proceedings of the South London
Entomological and Natural History Society, 1913. (Mit drei Tafeln photographi-
scher Figuren.)
Godtery, M. J. The Fertilisation of Ophrys fusca Link. Journal of
Botany, 1927.
— (Siehe Coleman.) |
Haase, E. Untersuchungen über die Mimikry auf Grund eines
natürlichen Systemsder Papilioniden. 1895. (Nächst den Schrif-
ten von Bates, Wallace, Trimen und Fritz Müller ein Hauptwerk der
Mimikryliteratur, von englischen Autoren wegen einzelner Mängel meines Er-
achtens nicht gerecht beurteilt. Berichtigung sehr vieler systematischer Fehler,
die durch Mißdeutung mimetischer Aehnlichkeiten entstanden waren. Spaltung
der alten Gattung Papilio. Viele gute farbige Bilder. Die Erklärungen zu
Tafel XI enthalten einige Verwechslungen.)
Hertwig, Richard. Abstammungslehre und neuere Biologie. 1927.
(Enthält eine kurzgefaßte Erörterung der Kontroversen, die sich an den älteren
Darwinismus angeschlossen haben, unter Berücksichtigung der heutigen Ver-
erbungslehre. Annahme der Erblichkeit somatogener [„erworbener“] Eigen-
schaften. Zwei Tafeln mit farbigen Figuren.)
Jacobi, A. Mimikry und verwandte Erscheinungen. 1913. (Ein in
der Hauptsache noch heute wertvolles Buch, geeignet zur Orientierung. Schil-
derung der Kontroversen über Mimikry, genaue und gut ausgewählte Literatur-
angaben. Die Figuren jedoch lassen in Zahl und Ausführung manches zu wün-
schen übrig.)
Jourdain, F. C. R. A Study on Parasitism in the Cuckoos. Proc.
Zoological Society. 1925. (Mit prachtvollen Abbildungen.)
Lenz, Fritz. Menschliche Auslese und Rassenhygiene. 2. Aufl. Mün-
chen 1923.
— Erblichkeitslehre. Im Handbuch der Physiologie, herausgeg. von Bethe
u.a. Bd. 17. Berlin 1926. (Besonders das Kapitel über den phylogenetischen Auf-
bau der Erbmasse.)
Marshall, G. A. K. Five Years’ Observationsand Experiments on
the Bionomics of South African Insects, chiefly directed
to the Investigation of Mimicry and Warning Colours.
Witha Discussion ofthe Resultsand Other Subjects sug-
gested by them, by E. B. Poulton. 1902. (Mit zahlreichen zum Teil
farbigen Tafeln.)
— Birdsas a Factor in the Production of Mimetic Resem-
blancesof Butterflies. Transactions of the Entomological Society, 1909.
Moss, M. Sphingidae of Parä. Novitates Zoologicae. XXVII, 1920. (Pracht-
volle Abbildungen von Raupen, darunter unzweifelhafte Beispiele der vielfach
in Frage gestellten Schlangenmimikry.)
Neuere Angriffe auf die Selektionstheorie. 391
Plate, L. H. Selektionsprinzip und Probleme der Artbildung.
Ein Handbuch des Darwinismus. 4. Aufl. 1913. (Großenteils histo-
risch. Vertritt mit Entschiedenheit den Standpunkt des älteren Darwinismus.)
Poulton, E. B. Natural Selection the Cause of Mimetic Resem-
blance and Common Warning Colours. Journal of the Linnean
Society, vol. XXVI, 1898. (Illustriert.)
— Experiments. .... upon the Colour-Relations between
Lepidopterous Larvae and their Surroundings (etc.). Trans.
Ent. Soc. 1903. (Unübertreflliche Abbildungen.)
— (Siehe Marshall.)
Reh, L. Die Wespenmimikry der Sesien. Verh. der zoologisch-botani-
schen Gesellschaft in Wien, 1920. (Gegen Heikertinger.)
Rüschkamp, F. Der Flugapparat der Käfer, Vorbedingung, Ur-
sache und Verlauf seiner Rückbildung. 1927.
Semper, K. Die natürlichen Existenzbedingungen der Tiere.
1880. (Zweiter Teil, Zwölftes Kapitel. Vergriffen.)
Shelford, R. Observationson some Mimetic Insectsand Spiders
from Borneo and Singapore. Proceedings of the Zoological Society
of London, 1902. (Reich illustriert.)
— Mimicry amongst the Blattidae. Proc. Zool. Soc. 1912. (Mit einer
farbigen Figurentafel.)
— ANaturalistinBorneo, edited by E. B. Poulton, 1916. (Chapter VIII:
Mimicry.) l
Sternfeld, R. Die Erscheinungender Mimikrybeiden Schlangen.
Sitzungsbericht der Gesellschaft naturforschender Freunde, Berlin 1913. (Vgl.
Werner und die Anmerkungen am Schluß.)
Study, E. Die Mimikryals Prüfsteinphylogenetischer Theorien.
Naturwissenschaften, 7. Jahrgang, 1919.
— Genetik und Mimikry. Ebenda. (Gegen Punnett.)
— Einelamarckistische Kritik des Darwinismus. Zeitschrift für
induktive Abstammungs- und Vererbungslehre. Bd. XXIV, 1920. (Gegen O.
Hertwig und den Lamarckismus überhaupt.)
— Ueber einige mimetische Fliegen. Zool. Jahrbücher, Bd. 42, 1926.
(Farbige Figuren.)
— Die Gattung Tithorea und ihre Nachahmer. Ebenda. (Farbige
Figuren.)
Wasmann, E. Die Ameisenmimikry. Naturwissenschaften, 13. Jahrgang,
1925. (Mit einigen Holzschniitten.)
B. Gegnerische Literatur.
In das folgende Verzeichnis sind fast nur deutsche Autoren aufgenommen, was
genügen dürfte. Außerdem sind, ohne jeden Versuch zur Vollständigkeit, Rezensionen
angeführt.
Dürken, B Allgemeine Abstammungslehre. Zugleich eine ge-
meinverständliche Kritik des Darwinismus und des La-
marckismus. 1923. (Dazu Rezensionen von Fritz L e n z im Archiv für Rassen-
und Gesellschaftsbiologie, Bd, 15, 1924; H. Nachtsheim in den Naturwissen-
schaften, 1923; R. Vogel im Biologischen Zentralblatt, Bd. 44, 1924.)
Fries, C. Zur Mentalität des Darwinismus. Zoologischer Anzeiger,
Bd. 69, 1927. (Gegen S. Becher. Ich führe diesen Aufsatz an, um auch noch
392 E. Study:
den Vitalismus ein wenig zu Wort kommen zu lassen. Fries sucht „Erklä-
rungen“ mit Hilfe einer „apriorischen Intelligenz‘!!)
Handlirsch, A. Artikel Biologie in Handbuch der Entomologie, Bd. II, 192%.
(Viele Holzschnitte. Siehe Text!)
Hertwig, Oskar. Das Werden der Organismen. Zur Widerlegung
‚von Darwins Zufallstheorie durch das Gesetz in der Ent-
wicklung. 1916. 3. Aufl. 1922. (Kritiken von Sven E k m a n. Populär Naturvet.
Revy, 1916, schwedisch; H. Thiem, Archiv für Rassenbiologie usw. Bd. 13,
1921, und Study 1920.)
— Zur Abwehr des ethischen, des sozialen, des politischen
Darwinismus. (Dazu Kritiken von Fritz Lenz im Archiv für Rassen- und
Gesellschaftsbiologie, Bd. 13, 1921, und H. E. Ziegler, ebenda, Bd. 14, 1922.)
Heikertinger, F. Ueber einige Versuche mit Lytta vesicatoria L.
Zur selektionistischen Schutzmittelfrage. Biologisches Zen-
tralblatt, Bd. 37, 1917.
— Das Scheinproblem von der Zweckmäßigkeitim Organi-
schen. Ebenda.
— Kritisches über „Schutzeinrichtungen“ und „Nachahmungs-
erscheinungen“ bei Rhynchoten. Zeitschrift für wissenschaftliche
Insektenbiologie, Bd. XIII, 1917.
— Die Bienenmimikry von Eristalis. Ebenda, Bd. XIV, 1918,
— Die Wespenmimikry der Lepidopteren. Verh. der Zoologisch-
botanischen Gesellschaft in Wien, 1918,
— Die metöke Myrmekoidie. Tatsachenmaterial zur Lösung
des Mimikryproblems. Biologisches Zentralblatt, Bd. 39, 1919.
— Täuschende Aehnlichkeit mit Wespen und Bienen (Sphe-
koidie). Naturw. Wochenschrift, Bd. XX, 1921.
— Kann Mimikry durch Selektion entstehen? Eine prinzi-
pielle Untersuchung. Zeitschrift für Morphologie und Oekologie der
Tiere, Bd. 4, 1925.
— Schutzanpassungen im Tierreich. 1929. (Ohne Figuren und Sach-
register!)
Prochnow, O. Die Färbungen der Insekten. Handbuch der Entomologie,
Bd. II, 1926.
Prsibram, H. Physiologie der Anpassung. Ergebnisse der Physiologie,
1921. (Titel irreleitend. Der Aufsatz handelt ausschließlich von Mimikry.)
Pannett, R. C. Mimicry in Butterflies. 1915. (Viele gute farbige Bilder.
Wegen des sonstigen Inhalts siehe Study, 1919.)
Werner, F. Bemerkungen zur Zeichnungsfrage. Biologisches Zentral-
blatt, Bd. XI, 1891. (Gegen die Schlangenmimikry. Siehe Sternfeld, 1913.)
— Das Ende der Mimikryhypotbhese? Ebenda, Bd. XXVII, 1907.
— Nochmals Mimikry und Schutzfärbung. Ebenda, Bd. XXVIII, 1908.
Anhang.
Von den Lehren Dar wins hat nichts so wenig Anklang gefunden als seine
Ausführungen über geschlechtliche Zuchtwahl. Selbst Wallace hat
sich ablehnend verhalten.
Es hat nun bereits 1890 Poulton (unter anderem) darauf hingewiesen, daß
die Verteilung der Schillerfarben bei männlichen Kolibris aus diesem Gesichts-
Neuere Angriffe auf die Selektionstheorie. 393
Punkt zu verstehen ist. (The Colours of Animals, S. 332, 352, Humming
Birds.) Denselben Gedanken hat S. Becher, der Poultons Buch nicht kannte,
so ausgeführt, daß ein ernstlicher Zweifel in diesem Falle wenigstens wohl nicht
mehr gerechtfertigt werden kann. Becher hat sich dabei auf das große Werk
von J. Gould gestützt, hat aber die Gouldsche Sammlung, die jetzt im Bri-
tish Museum aufgestellt ist, nicht gesehen. Andernfalls hätte ihm ein weiteres
Argument, das zugunsten seiner Ansicht spricht, nicht entgehen können. Es haben
nämlich die Männchen mancher Kolibris aufstellbare Brustlätzchen, die bei der
Brautwerbung die Flügelbasis den Blicken des Weibchens entziehen. Bei diesen
Arten fehlen die Schillerfarben auf den Flügeln ganz und gar.
Auch die Schlangenmimikry hat besonders viel Widerspruch ge-
funden. Es wird aber von F. Werner, der auch in Brehms Tierleben wider-
spricht (4. Ausgabe, S. 423), zugegeben, daß der Gattung Ela ps viele „harmlose“
Schlangen der amerikanischen Fauna ähneln (ebenda, S. 421). Diese Tatsache
kann nicht auf Zufallberuhen und verlangt also eine Erklärung. Wir
haben keine andere als die der Selektionstheorie. Andererseits wird es wohl rich-
tig sein, daß — ebenfalls nach Werner — schlangenfressende Vögel keinen
Unterschied zwischen Giftschlangen und anderen zu machen pflegen. Vielleicht
liegt die Sache so, daß die Elaps-Schlangen noch einen anderen Schutz haben
als ihre Giftzähne. Dies scheint niemals untersucht worden zu sein.
Auffallend ist, daß es unter den vielen Elaps-ähnlichen Schlangen nach R.
Sternfeld keine kleineren gibt, zumal unzweifelhafte Nachahmerinnen von
Schlangen — auch Elaps-ähnliche — unter Schmetterlingsraupen in den
gleichen Gegenden tatsächlich vorkommen. Außer in dem Aufsatz von Moss
findet sich noch ein solcher Fall erwähnt:
„In einem abgelegenen Waldtale des Rio Vitaco (West-Colombia) fand ich
auf einem großblättrigen Strauche eine zirka 3 cm lange Geometridenraupe ....,
weiß mit schwarzen Gürteln, grellrot der Kopf und erste Ring und ebenso die
letzten und die Nachschieber, vollständig gleichend einer Miniaturausgabe der
Korallenschlange.“ (A. H. Fa Bl, Zeitschrift für wissenschaftliche Insektenbiologie,
Bd. VI, 1910.) — Ueber das Schicksal des von Faßl hergestellten Präparats ist
mir nichts bekanntgeworden.
Auch aus anderen Gegenden wird über Schlangenmimikry berichtet. So von
Shelford, einem unbedingt zuverlässigen Beobachter, 1916, S. 101—104 (auch
Seeschlangen) und S. 229 (Sphingidenraupe, Chaerocampampydon, die einer
Baumschlange, Dendrophis pictus, gleicht).
Nachwort der Schriftleitung.
Eduard Study hat leider das Erscheinen dieser Arbeit, deren Korrek-
turen er noch besorgt hat, nicht mehr erlebt. Er ist Anfang Januar im Alter von
68 Jahren gestorben. Study, der ordentlicher Professor der Mathematik in
Bonn war, war einer der besten — wenn nicht der beste Kenner der Tatsachen
der Mimikry. Seine Sammlung von Mimetikern und ihren Vorbildern umfaßt viele
Tausende von Exemplaren. Er hat sich jahrelang mit Vorarbeiten für ein umfas-
sendes Werk über die Bedeutung der Mimikry für die Selektionstheorie befaßt;
und es ist ein schwerer Verlust für die Wissenschaft, daß er dieses Werk nicht
mehr hat vollenden können. Lenz.
Die Menschen am La Plata.
Nach dem Leben geschildert von Dr. Karl Meyer, Bremen”).
Die Bilder eines Kaleidoskops lassen sich nur schwer schildern oder
gar bestimmen. Und dennoch, wer könnte leugnen, daß sie letzthin durch-
aus konkrete Gebilde darstellen. Die örtliche Lagerung, die Begrenzung, kurz
der Raum ist es, der tatsächlich die Splitterchen zusammenfaßt.
Nicht viel anders ist es auch in Siedlungsgebieten, die von Menschen
aller Herren Länder bevölkert sind. Im einzelnen heterogene Elemente, im
ganzen doch irgendwie eine Einheit. Der Raum ist es, die Landschaft, Sonne,
Luft, Erde und Meer, die das neue Gebilde schaffen. So gesehen darf man
freilich im strengen Wortsinne auch nicht vom Argentinier, Chilenen oder
Brasilianer schlechthin reden. Eine jede Teillandschaft besitzt naturgemäß
ihrerseits ihr eigenes Gepräge. Allein es gibt doch auch wiederum gewisse
Züge, die etwa den Brasilianer eben als Brasilianer kennzeichnen.
Eine Skizze über die vielgestaltige Menschheit Südamerikas zu schrei-
ben, die mehr sein wollte, als ein paar billige, nichtssagende Schlagwörter,
könnte nur jemand unternehmen, der wirklich in all den mannigfaltigen
Zonen gelebt hat. Aus diesem Grunde müssen wir uns darauf beschränken,
eine Umrißzeichnung des Menschen am La Plata zu entwerfen.
Geographisch betrachtet handelt es sich um die Zone, in deren Mitte die
Großstädte Buenos Aires und Montevideo liegen, erstere die Hauptstadt
Argentiniens (rund 2 Mill. Einwohner), letztere diejenige Uruguays (rund
500 000 Einwohner). Die argentinische Landschaft westlich des Stromes ist
alter Pampaboden, völlig ebene Lößablagerungen, äußerst arm an Steinen.
Uruguay dagegen ruht auf einem Granitsockel; das Land ist wellig, jedoch
ohne höhere Berge. Baumwuchs fehlte ursprünglich fast vollkommen, nur
entlang den Flußniederungen zieht sich jeweils ein schmaler Streifen, ge-
mischt aus Gestrüpp und halbhohen Bäumen, hin.
Die Urbevölkerung bestand natürlich aus Indianerstämmen. Diese sind
als solche vollkommen verschwunden. Lediglich im äußersten Norden Argen-
tiniens, in den Gebieten des Gran Chaco leben sie noch wie vor 500 Jahren.
Ihre Sprache, das Guarani, wird dagegen noch ein gut Stück weiter südlich
gesprochen. In Uruguay, dem kleinen, zwischen Argentinien und Brasilien
*) Anmerkung der Schriftleitung. Wir haben Herrn Dr. Meyer, der jahrelang
im La Plata-Gebiet gelebt hat, gebeten, eine Schilderung der dortigen Rassenverhält-
nisse für das „Archiv“ zu schreiben; wir bringen vorliegende Arbeit um so lieber, als
sie eine packende Charakteristik des Spaniers, des Basken und des Italieners enthält.
Die Menschen am La Plata. 995
gelegenen Staate, wurden die Indianer mit der Waffe ausgerottet. Hier
wohnten kriegerische Stämme, die den Spaniern anfänglich viel zu schaflen
gemacht haben.
Eine solche Ausrottung bedeutet aber natürlich keineswegs, obwohl man
es oft genug hört, daß damit die indianische Rasse völlig ausgemerzt worden
sei. Wohl niemals sind die Eroberervölker so weit gegangen, daß sie auch
die Weiber vernichtet hätten. Wie in Peru unter Pizarro, so ging es auch
hier. Jeder Soldat legte sich einen Schwarm von Weibern zu, teils zur Be-
dienung, zur Besorgung von Reinigungs- und Hausarbeiten und zur Bestel-
lung des zugewiesenen Landbesitzes, teils zur Befriedigung der erotischen
Bedürfnisse, woran es Eroberern, Menschen des Herrentypus, noch nie
gemangelt hat. A
Man findet Menschen indianischer Abstammung vor allem auf dem
Lande. Es scheint, als sei es ihnen nicht so sehr häufig gelungen, zu Ver-
mögen oder Macht zu gelangen. Noch ziemlich zahlreich sind sie unter den
Landarbeitern, den „Peonen“, vertreten, auch hier nicht rein, sondern fast
ausschließlich Mischtypen, kenntlich vor allem an dem starren, straffen,
bläulich schwarzen Haar, den kräftig modellierten Backenknochen, dem tier-
haft demütigen und etwas leer melancholischen Ausdruck. Sie sind ungemein
genügsam. Ihre Nahrung besteht fast nur aus Fleisch, ihr Getränk ist Mate.
Ihre Intelligenz ist wenig beweglich. Sind sie auch gewöhnlich eher scheu
und lenksam, so wallt doch ab und an ihr kriegerisches Blut auf. Dann
kommt es leicht zu einem Zweikampf auf Leben und Tod mit ihren langen
Messern, bei denen zumeist einer der beiden Kämpfer mit aufgeschlitztem
Bauch auf dem Platze bleibt. Allerdings sind dergleichen Erscheinungen seit
der Erschließung der Länder durch — Ford wesentlich seltener geworden.
Während im angrenzenden Brasilien Mord und Totschlag noch nichts Un-
gewöhnliches sind, herrschen in Argentinien, und zumal im kleinen Uruguay,
schon angenähert europäische Zustände.
Einen irgendwie beträchtlichen Teil der Bevölkerung stellen diese Misch-
linge von Indianern und Weißen jedoch durchaus nicht dar. Nur auf dem
flachen Lande treten sie noch stärker in die Erscheinung. In der Großstadt
begegnet man ihnen nur hier und da. Man darf nicht vergessen, daß die
Bevölkerung Südamerikas ganz überwiegend auf der Einwanderung aufbaut.
Ehe wir uns diesen Bevölkerungsgruppen zuwenden, wollen wir dem
Begriff „Kreolen“ ein paar erklärende Worte widmen. Man versteht darunter
in ethnologischen Lehrbüchern gewöhnlich die Nachkommen von Indianern
und Weißen. Das mag auch wohl früher einmal zugetroffen haben, Heute
jedoch bedeutet „criollo“ schlechthin „eingeboren“, national, etwa vergleich-
bar dem Worte „yankee“. Allerdings doch mit gewissen Einschränkungen.
Schwerlich wird man diese Bezeichnung auf einen Menschen deutscher
Abstammung anwenden, und sei seine Familie auch schon seit mehreren
396 Dr. Karl Meyer:
Generationen im Lande, ja selbst für die Nachkommen von Italienern will
es nicht recht passen, obwohl diese doch in vielen Gegenden die große Mehr-
heit darstellen. Sie sind und bleiben doch mehr oder weniger die „gringos“.
Jedes Volk hat seinen vorbildlichen Nationaltypus, wenn es diesen auch
im wirklichen Leben weniger als auf der Bühne gibt. Das gilt auch für
Argentinien und Uruguay. Der „Gaucho“, der ureigentliche Vertreter des
criollo-Typus, ist kaum noch zu finden. Mitsamt seiner alten Tracht, einer
eigenartigen Mischung von spanisch-indianischem Geschmack und Beklei-
dungsinventar, mitsamt dem Lasso, der kaum noch angewandt wird, da es
viel praktischer und für das Tier schonender ist, die Herden in umzäumte
„Potreros“ hineinzutreiben, mitsamt der unermeßlichen Pampa, die durch
ungezählte Drahtzäune in, winzige Stücke zerschnitten ist, mußte er ver-
schwinden. Nur in den entlegenen Provinzen mag man ihm noch begegnen.
Dennoch sieht man auch im La Plata-Gebiet nicht so ganz selten cha-
rakteristische Gestalten. Allein nicht in der freien Natur. Sie reisen mit ihrer
Gitarre und einem kleinen Theaterapparat in den Landstädten herum, von
Cafe zu Cafe, und singen ihre Lieder — die auch nicht mehr die alten sind,
sondern mehr oder weniger Modetangos, die vom alten Geiste der Pampa
nur noch den schwermütigen Tonfall gerettet haben, im übrigen aber von
billiger Sentimentalität strotzen. Immerhin, die alten Gestalten sind es noch,
und gerade sie tragen nun durchaus nicht etwa die Merkmale des Indianers,
sondern unverkennbar spanische Züge. Schmale, hagere Gesichter, ein schüt-
terer, langer Kinnbart aus den Zeiten der conquistadores, die Gestalten
schlank und dürr, so ähnlich dem seligen Don Quixote de la Mancha, als
sei die Zeit seit jenen Tagen einfach stehengeblieben. Und für sie ist sie
es auch in der Tat. Sie sind Ritter verflossener Epochen, die Herren von
ehemals, deren Herrentum nun in der Luft hängt. Die Gegenwart mit ihrer
räumlichen und wirtschaftlichen Enge ist ihnen nicht hold. Sie haben nie
die Arbeit geliebt und werden sie niemals lieben — denn arbeiten paßt nicht
zu ihrem Stil. Ihre Welt war der freie Raum, das Pferd, die Gitarre und
das Weib. Der freie Raum wurde zum Eigentum arbeitsfreudigerer Men-
schen, und ihnen bleibt nichts übrig, als auf die geschilderte Art ihr Leben
zu fristen,
In den Städten, zumal den Großstädten, ist von diesem alten Typus
fast nichts zu spüren. Hier haben Einwanderung und die so ganz anderen
Lebensbedingungen das Bild gründlich verschoben. Drei Völker sind es vor
allem, welche die weiße Bevölkerung am La Plata aufgebaut haben: die
Spanier, die Basken und die Italiener. Man darf die Basken durchaus nicht
etwa darum, weil sie — zum Teil — zu Spanien gehören, mit den Spaniern
zusammenwerfen. Dem Charakter nach sind sie völlig anders geartet. Frei-
lich könnte man das auch — aber doch in geringerem Grade — von den
Kastiliern und Andalusiern, den Piemontesen und Sizilianern sagen, doch
Die Menschen am La Plata. 397
würde eine solche Differenzierung ins Uferlose gehen und die Aufstellung
einheitlicher Linien unmöglich machen.
Gewiß sind auch andere Volkselemente nicht ohne Bedeutung: Deutsche,
Deutschrussen, Franzosen, Ungarn, Levantiner. Aber ihre Zahl ist doch zu
gering; auch neigen sie weniger dazu, sich mit den Einheimischen zu ver-
mischen, so daß der Typus der Bevölkerung von ihnen bislang kaum merk-
lich beeinflußt worden ist, abgesehen natürlich von den geschlossenen Sied-
lungsgebieten, wie etwa den deutsch-brasilianischen Kolonien.
Lange Zeit hindurch waren Spanier und Basken die eigentlichen Herren
des Landes. Später erst kamen die Italiener hinzu; und sie wurden eigentlich
stets als nicht so ganz hingehörig betrachtet. Das hat seinen Grund in der
Verschiedenheit der Charaktere. Der Spanier ist mit all seinen Vorzügen
und Schwächen ein reiner Vertreter der Herrenrasse. Nicht umsonst waren
die spanischen „tercios“ unüberwindlich. Wenn sie ihren Kriegsruf „Sant-
iago“ ausstießen und in tollkühner Tapferkeit und fanatischer Kampfes-
leidenschaft den Gegner anrannten, so hielt kaum eine Truppe stand. Mit
einer Handvoll Leute hat Pizarro das machtvolle Inkareich niedergeworfen.
Persönlicher Mut, Entschlußfähigkeit, Kaltblütigkeit in der Gefahr, Aben-
teurerlust, Führergaben sind ihre besten Eigenschaften — allein diese ver-
lieren ein gut Teil ihres Wertes, sobald keine geeigneten Objekte mehr für
sie vorhanden sind. So groß sie in der Conquista waren, so Dürftiges leisten
sie im Wiederaufbauen des Zertrümmerten.
Das alles mag wohl angehen, wenn sie eine besiegte Bevölkerung zur
Arbeit für sich anstellen können. Aber dazu taugten nun ihrerseits die
Indianer nicht recht, so daß der Krieg nicht zur Ruhe kam, bis der Letzte
von diesen erschlagen war. Daß der Spanier gegebenenfalls recht gut anzu-
ordnen und zu organisieren weiß, lehrt die hohe Blüte der jesuitischen Mis-
sionen in Paraguay. Wenn sie nur wollen — aber meistens wollen sie nicht.
Einerseits, weil sie sehr genügsam und gleichmütig sind. Im Unglück
oder im Glück, der Spanier ist wesentlich immer der gleiche; andererseits,
weil sie keine besondere Freude an der Arbeit haben. Ich muß dabei immer
an ein kleines Geschichtchen denken, das mir ein befreundeter Arzt, selbst
ein echter „andaluz“, erzählte. Als er einmal auf dem Bahnhofe in Sevilla
ankam, forderte er einen Gepäckträger auf, ihm seine Handtasche zu tragen.
Der Mann lehnte jedoch ab mit dem Bemerken: er arbeite heute nicht mehr,
er habe schon einen Real (etwa 10 Pfennig) verdient.
Nichts liebt der Spanier so sehr wie das Spiel, sei es in der Stierkampf-
arena, sei es mit Karten und Würfel, sei es in der Lotterie und bei Pferde-
rennen — sei es in der Liebe. In mühseliger Arbeit Pfennig auf Pfennig
zu häufen, das sagt ihm nicht zu. Wenn er nur gerade so viel verdient, daß
er leben kann, mehr braucht er nicht. Und der große Reichtum? Ja, der
muß eben in der Lotterie gewonnen werden oder bei Wetten, oder man
398 | Dr. Karl Meyer:
u nun nn, an ae anne mem Te mn re naar re = ee =
u pA
muß einen Schatz finden — darum die conquista —, oder eine reiche Heirat
machen, oder die Politik muß es erbringen.
Ueberhaupt die Politik. Sie ist der eigentliche Lebensinhalt des spani-
schen Südamerikaners; denn Politik ist Kampf. Sie allein gewährt die Mög-
lichkeit, mit starker Hand Macht und Reichtum zu erraffen. Darum die
Unzahl der Revolutionen und Revolutiönchen von Mexiko bis Feuerland,
darum die vielen kleinen Staaten. Denn jeder will herrschen und keiner
mag sich unterordnen.
Das hat zur Folge, daß die Politik das Leben der Länder auf das emp-
findlichste stört. Korruption und Stimmenfang verschlingen unendliche Gel-
der, ein Heer von Beamten von Gnaden der Partei, die trotz vierstündiger
Arbeitszeit nicht wissen, wie sie ihre Zeit totschlagen sollen — Uruguay
besitzt das Offizierskorps für eine stattliche Kriegsflotte, aber leider keine
Schiffe —, muß von der Allgemeinheit unterhalten werden. Und wechselt
die Partei, die just am Ruder steht, so kommen die anderen an die Krippe
— und die sind entsprechend hungrig.
Wirklich produktiv ist der Spanier nur recht selten, Der Landbesitz ist
darum vielfach seinen Händen entglitten. Wie gewonnen so zerronnen. Seine
geistigen Interessen sind in der Regel bescheiden. Er besitzt nicht den törich-
ten Drang zum Denken, Grübeln und Forschen wie der Deutsche. Und vor
allem hat er Geduld. Allein es ist auch einigermaßen leicht, Geduld zu haben,
wenn die Zeit nicht davonläuft, wenn man nicht, wie der Deutsche, ewig
an dem Gedanken hängt: Was hätte ich in dieser halben Stunde nicht alles
tun können! Der Spanier hat nichts zu tun. Behaglich sitzt er im Cafe,
stundenlang, und wenn nicht gar zu selten ein paar Mädchen oder Frauen
vorbeigehen, ist sein Glück vollkommen. Das ist es, was dem Deutschen als
die spanische Lebenskunst imponiert, Und mit Recht; denn ihm ist sie versagt.
Ein ganz anderes Bild bieten die Basken. Sie sind der Urtypus einer
zäh beharrenden Rasse. Was sie einmal haben, das halten sie und setzen es
nicht leichtfertig aufs Spiel. Auch fehlt ihnen nicht die Gabe der Organi-
sation, wenn sie auch wohl im allgemeinen mehr dazu neigen, sich in engeren
Grenzen zu halten. Kraft ihrer Männlichkeit, ihres harten, unbeugsamen
Charakters nehmen sie oft führende Stellungen ein, doch ist es nicht ihre
Art, die Massen als Führer mitzureißen. Sie sind mehr der ruhende Pol in
der Erscheinungen Flucht. Auch sind sie wenig beweglichen Geistes, ein
bißchen schwerblütig, aber dafür kann man sich fest auf ihr gegebenes Wort
verlassen. In allen Fragen des Lebensgenusses sind sie genügsam, das Weib
spielt in ihrem Denken nicht annähernd die zentrale Rolle wie bei den Spaniern.
Sie sind Menschen der Arbeit und lieben das feste, derbe Zupacken.
Auch lieben sie das Land, während der Spanier die Stadt, den Klub, das Cafe
vorzieht. Da kann es nicht weiter verwunderlich sein, daß ein großer Teil
Die Menschen am La Plata.
des Landbesitzes in ihren Händen liegt, vornehmlich die großen Estanzien,
in denen eine mehr extensive Wirtschaft nach den guten alten Methoden
getrieben wird. An Neuerungen gehen sie nicht so leicht heran. Im allge-
meinen dürften die Basken einem höheren wirtschaftlichen Niveau ange-
hören, weil sie es verstanden haben, das Ihre zu halten und zu mehren.
Nun die dritte Gruppe, die Italiener. Spanier und Italiener lieben ein-
ander nicht sonderlich, wie schon der Spottname „gringo“ für den Italiener
zeigt. Was der Spanier vor allem vom Manne verlangt, ist persönlicher Mut.
Darin steht ihm der Baske kaum nach, wenn es bei ihm auch nicht der
Mut des Angreifers, dessen, der die Gefahr sucht, sondern der des Vertei-
digers, des Widerstand Leistenden ist. Dem Italiener dagegen mangelt der
Mut in auffälligem Maße, darin dürften sich — mit Ausnahme der Italiener
selber — alle Völker Europas einig sein. Auch sagt der Spanier ihm nach,
daß er nicht Auge in Auge dem Gegner entgegentrete, sondern im günstigen
Augenblicke das Messer in den Rücken des Feindes stoße. Daran ist insofern
etwas Wahres, als der Charaktertypus des Italieners — mit dem alten Römer
hat er natürlich so gut wie nichts mehr gemein — mehr ein solcher der
„Knechtsrasse" als der „Herrenrasse‘“ ist. Das italienische Volk ist durchaus
unkriegerisch, und darum ist Italien eigentlich stets besiegt worden, was
allerdings nicht hinderte, daß es gleichwohl, dank seiner klugen Diplomatie,
oft der Gewinner war. Kein Volk verliert so leicht jede Selbstzucht in Todes-
gefahr, keines ist so leicht ein Opfer der Panik (Caporetto). Man vergleiche
nur das Verhalten von Besatzung und Passagieren bei dem Untergang der
„Titanic“ und der „Principessa Mafalda“.
Nicht als ob es unter den Italienern nicht auch tapfere Männer und
Herrenmenschen gäbe und gegeben habe — man denke nur an die Condot-
tieri —, aber der Grundtypus des Volkes neigt mehr dem Ausweichen und
Sichunterwerfen zu. Und gerade aus der Erscheinung der Condottieri sowie
gleichsinnig auch eines Mussolini läßt sich rückläufig der Schluß ziehen,
daß die Masse des Volkes des Führers bedarf und den Führer gern annimmt.
Die Lage ist nicht unähnlich der in Rußland oder China, wo die breite,
stumpfe Masse einer Herrenschicht — Adel oder Kommunisten — benötigt,
damit das Leben nicht erstarre.
Als Gegenprobe nehme man ein Volk von der Charakterstruktur des
germanischen, Hier ist der einzelne Mann viel zu selbstsicher, eigenwillig
und störrisch, als daß er je geneigt wäre, einen Führer mit großen Macht-
vollkommenheiten über sich zu dulden. Und muß er ihn dennoch dulden,
so lebt er nur der Stunde, wo er ihn abschütteln kann — und sei es hundert-
fach sein Schaden. So war es von Armin bis Bismarck.
Männer vom Schlage eines d’Annunzio sind Helden nur auf der Bühne,
nur wenn sie ein Publikum haben, das applaudiert, nur wenn die Sache
nicht gefährlich ist. Und solche Art Heldentum wird den wahren Herren-
400 Dr. Karl Meyer:
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menschen immer zu leidenschaftlichem Widerspruch und zur Herausforde-
rung reizen. Dies ist der erste Grund der Abneigung des Spaniers.
Der zweite Anlaß zum Mißvergnügen ist die Arbeitsfreudigkeit des Ita-
lieners. Er ist der typische Mann des Kleinbetriebes, der intensiven Wirt-
schaft. Das Land mag noch so ungünstig sein, die Bedingungen hart und
drückend, wenn überhaupt einer, so schafft es der Italiener. Der Deutsche ist
im Vergleich zu ihm viel zu anspruchsvoll. Er will nicht wer weiß wie viele
Jahre in einem verlorenen Winkel unter den dürftigsten Bedingungen hausen
bei harter Arbeit, mit der Aussicht, daß seine Kindeskinder einmal ver-
mögende Leute sein werden. Der Italiener kann es und will es; er lebt mehr
ein Kollektivleben der Familie. Darum mißglückt die deutsche Kolonisation
in Südamerika, wo sie nicht in geschlossenem Verbande erfolgt, eigentlich
immer. Der Deutsche besitzt nun einmal nicht genügend Geduld und Selbst-
bescheidung, um hierin mit dem Italiener Schritt halten zu können, So ist
der Kleinbesitz, die „chacra“ — allerdings verglichen mit europäischen Ver-
hältnissen immer noch ganz respektabel — überwiegend in italienischen
Händen, desgleichen der kleine und mittlere Handel.
Abenteurerlust, das Lebenselement des Spaniers, ist dem Italiener
fremd: Er ist der arbeitsame, sparsame Kleinbürger, der sich nicht gern an
große Dinge heranwagt. Weitausholende Unternehmungen liebt er nicht. Er
setzt bescheiden Stein auf Stein, und mag wohl auch so zu stattlichen Gebäu-
den gelangen.
Dieser Charaktertypus gibt auch der italienischen Kunst und Wissen-
schaft ihr Gepräge. Die Italiener fühlen sich als Kunstvolk par excellence. Ich
habe es mehrfach erlebt, daß ein italienischer Herr bei Gesprächen über
Kunst es gar nicht begriff, daß seine Meinung nicht schlechthin als letzte In-
stanz galt. Sie belehren auch gern über Kunst- oder Stilprobleme.
Aber es will mir scheinen, als lebe das italienische Volk dabei doch gar
zu sehr von seinen Zinsen. Gewiß, im Mittelalter, als das Herrenblut noch
reicher in seinen Adern pulste, hat es wie kaum ein anderes verstanden, Linie
und Farbe, Ganzheit und Einzelheit in Harmonie zu erhalten. Heute aber
liegt das Gefühl für die große Linie, für den organischen Körper des Kunst-
werkes arg danieder. Der Geist des Kleinbürgers hat die Oberhand gewon-
nen. Das sieht man in erschreckendem Maße an Denkmälern und Pracht-
bauten in Buenos Aires und Montevideo. Mangel an Originalität, Anhäufen
erborgter Stilelemente, tollgewordene Ornamente, so daß die Gebäude wie
pockennarbig ausschauen. Wie ganz anders geben demgegenüber die Bauten
im spanischen „Kolonialstil‘“ Zeugnis von dem herben Adel und der heiß-
blütigen Farbenfreude der spanischen Seele.
Von einer eigentlichen, wurzelechten Wissenschaft — unbeschadet ein-
zelner beachtenswerter Gestalten — kann man in den La Plata-Ländern
wohl noch kaum sprechen. Vorerst handelt es sich nur um die Verarbeitung
Die Menschen am La Plata. 401
europäischen Geistesgutes. Die Wissenschaft um der Wissenschaft willen ist
noch nicht geboren. Dem steht die materialistische Lebensauffassung und die
Sucht, reich zu werden, im Wege. Wohl aber wird in der angewandten Wis-
senschaft Brauchbares geleistet. Dementsprechend ist „Wissenschaft“ zu 90
von 100 Medizin und Technik; und die einheimischen geistigen Leistungen
werden, gemäß dem niedrigen Stande echter Kultur, beträchtlich überschätzt.
Nicht die Qualität, sondern die Quantität entscheidet. Davon zeugen schon
die Examina, in denen die armen Studenten einen greulichen Wust von gänz-
lich belanglosen Einzelheiten wissen müssen. Und so geht es überall im
Leben; zu allen guten Posten führt der Weg durch das Joch des Examens.
Und tritt einmal ein Mann auf, der in der Tat den Durchschnitt überragt, so
wird er, da die Maßstäbe fehlen, hurtig zum Halbgott erklärt und ein ent-
sprechender Kultus mit ihm getrieben, — wobei allerdings wesentlich ist, daß
ein gut Teil des Lobes auf dem Umwege der wissenschaftlichen Höhe der
Nation auf den Lobenden zurückschlage. Nirgendwo ist es leichter für einen
Arzt, ein Denkmal oder doch wenigstens die Benennung einer Straße nach
sich zu erlangen als in Südamerika — immer natürlich, das versteht sich,
nach den Generälen und Politikern. Allerdings — es kann ihm auch
passieren, daß er abgeschüttelt und totgeschwiegen wird, wenn er sich näm-
lich nicht national genug gebärdet und zu sehr zurück nach Europa schielt.
Bis hierher haben wir lediglich die Steinchen des Kaleidoskops ins Auge
gefaßt. Allein das genügt nicht. Sonst hätten wir in Südamerika ja nichts
Besonderes, nichts anderes als Spanien, die Vascongada und Italien stück-
weise auf die südliche Halbkugel verpflanzt. Es ist aber noch etwas Beson-
deres um die La Plata-Länder.
Da spielen vor allen Dingen zwei Faktoren mit. Erstens sind hier die ver-
schiedenen, so heterogenen Elemente bereits innig miteinander verschmolzen,
wie es das in Europa in größerem Maßstabe nicht gibt. Ehen zwischen Argen -
tinern spanischer und italienischer Abstammung sind um so selbstverständ-
licher, als sie sich gewöhnlich nur noch als Glieder desselben Volkes, eben der
Argentiner betrachten, und zudem ist diese Mischung in zahlreichen Familien
schon seit Jahrhunderten erfolgt. So kann sehr wohl ein spanischer, baski-
scher oder italienischer Name eine Rassenzugehörigkeit vortäuschen, die tat-
sächlich durch das mütterliche Blut schon seit Generationen eher in das
Gegenteil umgeschlagen ist.
Die Rassenmischung — zwischen „Herren“- und „Knechts“typus —
kann sehr fruchtbar sein, wenn sich der Adel der Gesinnung und die Groß-
zügigkeit und Befehlsgabe des „Herren“ verbindet mit der Arbeitsfreude und
den künstlerischen Neigungen des „Knechtes“ — dieses Wort nicht mit ver-
ächtlichem Nebensinne, sondern nur als psychologisch-technische Bezeich-
nung des Menschen, der geführt sein will, verstanden, Freilich können sich
auch die „negativen“ Charakteranlagen kombinieren, was recht unerfreuliche
Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie, Bd. 22, Heft 4. 26
402 Dr. Karl Meyer:
ne eu — nn m nn u nn m nn I
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Typen zur Folge hat. Trotz der umfangreichen Mischungen kann man noch
immer den spanischen, baskischen und italienischen Rassetypus im Bevölke-
rungsgemenge voneinander sondern; denn einerseits bedingt die gegenseitige
Abneigung eine gewisse relative Reinzucht, andererseits ist die europäische
Zuwanderung noch sehr groß.
Zu dem Verschmelzungsprozeß kommt noch ein zweiter, die Eigenart der
südamerikanischen Bevölkerung bestimmender Faktor hinzu: Der Raum —
Amerika. Es ist nicht das gleiche, ob der Spanier in’ Spanien bleibt oder nach
Amerika verpflanzt wird. Eine Herrenrasse auf engem Raume muß notwen-
digerweise allmählich verkümmern,. Leben, wirklich leben kann sie nur in
der Steppe, in der Wüste, in der Pampa. Nur in der Weite und im Kampf
kann sie ihre Adelseigenschaften bewähren, Das ist das Schicksal des Spa-
niers. Als ihm die Heimat zu eng wurde, lebte er in Amerika wieder auf und
bildete hier einen, wenn auch verwandten, so doch eigenen Typus, den
= Gaucho. Umgekehrt wird ein Volk des engen Raumes sich anfangs nur
schwer in der Weite zurechtfinden und danach trachten, den unermeßlichen
Raum zu teilen, Mit der Zeit wird es ihm gelingen, und dann wird der ehe-
malige Knecht — wenn auch nicht zum Herrn, so doch zum Besitzer. Darum
ist der Wandel der Zeiten der spanischen Rasse nicht wohlgesinnt; er arbeitet
den Söhnen der Italiener in die Hände, und allgemach verschiebt sich dem-
gemäß der Schwerpunkt im Nationalcharakter.,
Dazu tritt nun das typische „Amerikanische“. Was ist das Typische der
Neuen Welt? Ihr Mangel an Tradition. Das mag ein Vorteil sein im Sinne
der Ellbogenfreiheit, es ist aber ein tötender Nachteil für das kulturelle Leben.
Kultur kann ohne Tradition nicht gedeihen. Wenn Auge, Ohr, Verstand und
Gefühl nicht unablässig geleitet werden, unablässig sich üben und schärfen
können an erprobten Formen, so kann die Kultur nicht organisch fortwachsen.
Ein Zweig allein kann nicht leben.
Für ein Volk wie die Basken ist das nicht so bedeutsam; sie halten mit
ihrer zähen Beharrungskraft die Tradition im engeren Kreise fest, und ihre
[.ebenskurve wird von jener der alten Heimat kaum sonderlich abweichen.
Sie sind auch nicht eigentlich ein Volk der rauschenden Hochkultur, wenn
ihnen auch schöne Werke tiefinnerlichen Charakters zu danken sind.
Für ein Herrenvolk wie die Spanier dagegen ist die Tradition schlechthin
alles. Was wäre Spanien ohne seine Geschichte, seine Sitten und Trachten,
seine Tänze und Stierkämpfe? Herzlich wenig. Um seiner großen Vergangen-
heit willen und um all das, was von jener noch lebt, ist es ein Edelstein
Europas, nicht auf Grund gegenwärtiger Leistungen — ja überhaupt nicht
auf Grund von Leistungen, sondern um der leistungsfreien Schönheit seines
Lebens willen. Der Spanier vermag des farbigen Hintergrundes schlecht zu
entbehren; ohne diesen wirkt er leicht flach und leer. Der Herrenmensch als
Gaucho — ja. Aber als kleiner kaufmännischer oder staatlicher Angestellter
Die Menschen am La Plata. 403
— das gibt just kein berückendes Bild. So etwa, wie wenn der Araber der
Wüste von seinem Pferde heruntersteigt und in Amerika mit Hosenstoff handelt.
Und nicht minder kann der Italiener der Tradition entraten. Auf dem
prächtigen Hintergrunde der Kultur seiner europäischen Heimat ordnet sich
das Enge und Kleine seines Wesens in organischer Weise ein. Die großen,
stolzen Linien des Kulturganzen lassen eine gar zu geschmack widrige Abirrung
schlechterdings nicht zu. Losgelöst hingegen wird der Zierat selbständig,
eine gewachsene Ganzheit kommt nicht zustande, sondern nur ein bis-
weilen toller Wust an sich nicht ungefälliger Einzelheiten.
„Vortrefllich, wie ihr das sagt!“ höre ich die Südamerikaner sprechen.
„Habt euch doch nicht so mit eurer Kultur. Wir brauchen sie nicht; sie
wankt ja doch dem Grabe zu. Amerika aber ist jung und hat seinen eigenen
Lebensstil geschaffen, den Lebensstil der Zukunft.“ Allein Südamerika ist
wohl Amerika, aber nicht Nordamerika. Es hat die Traditionslosigkeit
und den Kulturmangel mit diesem gemein, es fehlt ihm aber der stürmische
Drang nach vorwärts, der dort in der Tat einen neuen Lebensstil geschaffen
hat, wodurch es sich ermächtigt dünkt — und auch wohl ist —, über die
Tradition hinwegzuschreiten. Es braucht, kraft des lebensfähigen Neuen, die
Bindung nach rückwärts nicht.
In Spanisch-Amerika dagegen, und selbst in der Millionenstadt Buenos-
Aires, ist von diesem Drang nach vorwärts kaum etwas zu spüren. Das Leben
geht schlecht und recht seinen Gang, von kühnem Unternehmungsgeist, von
stürmischem Fortschritt, von rücksichtsloser Bekennung zur Maschine ist fast
nichts zu merken. So ist amerikanisch nur die farb- und geistlose Schale, der
Kern ist südeuropäisch, ohne den Zauber der Ueberlieferung und der Kultur.
Zur Erklärung dieser Mängel wird von den einsichtigen Ein-
heimischen — die große Mehrzahl sieht überhaupt nur Vorzüge — in der
Regel angeführt, sie seien ein junges Land. Sie bedenken dabei nicht, daß dies,
gemessen an Nordamerika, schon irrig ist. Der Süden wurde früher entdeckt
und früher besiedelt. Auch war der Süden nicht ärmer, sondern reicher an
natürlichen Schätzen. Aber Aufbauen ist nun einmal nicht Sache des Spa-
niers. Hätte Südamerika gleich dem Norden eine germanische Bevölkerung
erhalten, so sähe es dort jetzt vermutlich ein gut Teil anders aus, wie etwa
im kleinen das Bild der deutschen Siedelungen in Brasilien und Chile zeigt.
Denn der Unterschied zwischen germanischem und spanischem Geiste ist
dieser: Der germanische Mensch, wie er uns z. B. im Puritaner entgegentritt,
will nicht eigentlich herrschen — so wenig wie beherrscht werden —, son-
dern er will nur ein Stück Land besitzen, das ihm und nur ihm zu eigen ist
und auf dem er aus eigener Kraft sein Heim errichtet. Doch liebt er auch
wiederum nicht die Enge wie der Italiener, sondern die freie, lockere Siede-
lung, nur nicht zu nahe dem lieben Nachbarn. So schoben sich in Nord-
26*
404 Dr. Karl Meyer: Die Menschen am La Plata.
nn zZ
amerika ganz methodisch und zielbewußt die Grenzen des besiedelten Landes
vor, nach und nach den gesamten Kontinent erschließend.
Der Spanier hingegen gründete schon in frühester Zeit — abenteuerlich
entfernt von der Küste — seine Städte Mendoza, Tucuman, Asunciön in
Paraguay, das Land aber blieb so unerschlossen wie es gewesen, bis dann
die Italiener kamen und in Anlehnung an die Städte ihre Kleinsiedelungen
anlegten. Aber diesen wiederum fehlte der industrielle Wagemut und die
Fähigkeit, großzügig zu organisieren. Die Basken endlich waren von jeher
zu beharrend und konservativ.
Daher sind die Eisenbahnen und die Linien der Binnenschiffahrt fast
durchweg in englischen, die nationalen Industrien unbedeutend oder eben-
falls in ausländischen Händen, die großen Musterestanzien und mächtigen
kaufmännischen Firmen desgleichen. Nimmt der Staat selbst den Bau einer
Eisenbahnlinie in die Hand, so wachsen Bauzeit und Kosten ins Ungemes-
sene, da das meiste — versickert.
So hat es seinen guten Grund, wenn man in Europa unter Amerika
schlechthin gewöhnlich nur Nordamerika versteht. Der Süden ist
Amerika, und ist es nicht.
Der Charakter eines Volkes ist sein Schicksal; er bestimmt die Kurve
seiner Entwicklung. Sie wird in Südamerika, obendrein unter dem Drucke
des nordamerikanischen Kapitals, sicherlich den Weg weiterer Amerikani-
sierung gehen. Ein anderes ist nicht möglich. Die Kultur Europas ist ge -
wachsen und läßt sich ohne ihren Stamm, die Tradition, nicht ver-
pflanzen. Aber der echte amerikanische Drang nach vorwärts wird auch
wiederum nicht zum beherrschenden Faktor werden; dazu besitzt die Be-
völkerung nicht genügend Initiative. Und vielleicht dürfen wir froh sein,
daß es so ist. Nordamerika in Ehren, aber an einem hat die Welt wahr-
haftig genug.
Ueber Herkunft und geistigen Stand des Auslandsdeutschtums.
Von Dr. Paul Rohrbach, München.
In folgendem soll versucht werden, gewisse Beobachtungen über die
allgemeine geistige Verfassung der Auslandsdeutschen erbbiologisch zu
erklären, genauer gesagt: die Frage aufzuwerfen, ob sie erbbiologisch zu
erklären sind oder eine Erklärung auf erbbiologischer Grundlage nahelegen.
Es lassen sich innerhalb des Auslandsdeutschtums zwei Gruppen unter-
scheiden, eine ältere und eine jüngere, von denen die letztere viel zahlreicher
und ausgebreiteter ist als die erstere. Diese geht zurück auf die mittelalter-
liche Siedlung des Deutschtums im europäischen Osten und umfaßt heute
noch die Siebenbürger Sachsen, die Zipser Sachsen und das baltische Deutsch-
tum; jene umfaßt spätere Auswanderer: die sogenannten Donauschwaben
auf dem Boden des früheren Ungarns, die jetzt unter Rest-Ungarn, Jugo-
slawien und Rumänien verteilt sind, ferner die deutschen Kolonisten auf
dem Boden des früheren russischen Reiches (ausgenommen eben die Balten),
das Deutschtum in Nord- und Südamerika, in Südafrika, in Australien. Zu
den mittelalterlichen Siedlungsgebieten wäre eigentlich auch noch das
Sprachinseldeutschtum in Südsteiermark und Krain (Gottschee) zu rechnen,
und zu den jüngeren Auswanderern die schwäbischen Templer in Palästina,
doch liegen die Verhältnisse an diesen letztgenannten Stellen besonders und
bleiben für diese Betrachtung aus dem Spiel. Dasselbe gilt von dem Deutsch -
tum, das sich in unseren früheren Kolonien noch erhalten hat oder eben
wieder neu bildet.
Mit Ausnahme Australiens habe ich die genannten Zweige des Aus-
landsdeutschtums allesamt persönlich kennengelernt, davon die meisten an
Ort und Stelle. Dabei hat sich mir ein deutlicher Unterschied in der geistigen
Verfassung der beiden Gruppen, der älteren und der jüngeren, aufgedrängt.
Es wäre wichtig, zu wissen, ob und wieweit diese Unterschiede erbbiologi-
scher Natur sind.
Die deutsche Kolonisation in Siebenbürgen geht zurück bis ins zwölfte
und dreizehnte Jahrhundert, die in der Zips ins dreizehnte. Der Name
„Sachsen“ für die Deutschen in Siebenbürgen und in der Zips hat nichts zu
tun mit den heutigen Sachsen. In der Zeit, als jene deutschen Siedlungen im
Osten erfolgten, wurde der Name der Sachsen dort überhaupt für die Deut-
schen gebraucht, noch von den großen sächsischen Kaisern her, deren Macht
über das ganze damalige Europa ausstrahlte. Die Ansiedlung der Deutschen
406 Dr. Paul Rohrbach:
in Siebenbürgen, im Winkel zwischen den östlichen und südlichen Kar-
pathen, sollte Ungarn vor den Einfällen der jenseits des Gebirges hausenden
Nomaden schützen. Die Zips, in den Nordkarpathen, ist die Landschaft,
durch die der Hauptübergang über das Gebirge zwischen Ungarn und Polen
führt. Auch hier handelt es sich in erster Linie um eine deutsche Wehr-
und Schutzsiedlung. In Siebenbürgen wie in der Zips entwickelte sich
sowohl ein starkes deutsches Bauerntum als auch ein deutsches Städtewesen.
Beides war ausgesprochen wehrhaft.
Im baltischen Gebiet, das im Mittelalter mit seinem Gesamtnamen Liv-
land hieß, kam es nicht zur Ansetzung deutscher Bauern, da diese im Mittel-
alter nicht übers Meer gingen, sondern Livland wurde eine Kolonie des
Reiches, war mit zum Reichgebiet gehörig und es entstand hier ein starkes
deutsches Städtewesen und ein grundbesitzender deutscher Adel über einer
eingeborenen Bauernbevölkerung, im Süden Letten und im Norden Esten.
Im Unterschied zu Livland gehörten die Deutschen in Siebenbürgen und in
der Zips nicht zum Reich, sondern waren Untertanen der Könige von Un-
garn. Auch in Livland wurde nach der Mitte des 16. Jahrhunderts die Ver-
bindung mit dem Reich zerrissen, und das Gebiet wurde erst zwischen
Schweden und Polen geteilt; danach, am Anfang des 18. Jahrhunderts, kam
es an Rußland. Die deutsche Kolonisation Livlands ist ungefähr ebenso alt
wie die Siebenbürgens; Riga, der baltische Vorort, wurde im Jahre 1201
gegründet. i
Vom Ende des 13. bis zu Beginn des 18. Jahrhunderts war die deutsche
Außensiedlung fast ganz zum Stillstand gekommen. Im 18. Jahrhundert,
nach der Vertreibung der Türken aus Ungarn, beriefen die habsburgischen
Kaiser Karl VI., Maria Theresia, Joseph II. deutsche Kolonisten für den
Wiederaufbau des verödeten Landes. Aus dieser so gut wie ausschließlich
bäuerlichen Siedlung hat sich das Donauschwabentum entwickelt. Etwas
Entsprechendes geschah am Ende des 18. und am Anfang des 19. Jahrhun-
derts in Rußland, wohin zuerst Katharina II., dann Alexander I. deutsche
Kolonisten einluden, ebenfalls Bauern. Die Hauptsiedlungsgebiete entwickel-
ten sich an der unteren Wolga, in der Ukraine (Schwarzmeergebiet), im
Kaukasus und in Wolhynien.
Mit dem 18. Jahrhundert setzte auch eine deutsche Auswanderung nach
Nordamerika ein, erst langsam, dann immer stärker anschwellend. Bis zum
Weltkriege sind im ganzen über 5 Millionen Deutsche nach den Vereinigten
Staaten ausgewandert, so daß ein großer Teil des heutigen amerikanischen
Volkes deutsches Blut in sich hat; doch hat sich das Deutschtum in Nord-
amerika weder sprachlich noch kulturell erhalten, sondern ist im Angel-
sachsentum entweder schon aufgegangen oder im Aufgehen begriffen. Das-
selbe steht ihm, soweit es nicht schon geschehen ist, auch im englischen
Kanada bevor.
Ueber Herkunft und geistigen Stand des Auslandsdeutschtums. 407
Nach Südamerika, vorzugsweise Brasilien, begann die deutsche Auswan-
derung am Anfang des 19. Jahrhunderts und hat, langsam und mit Unter-
brechungen, bis auf die Gegenwart fortgedauert. Das heutige Deutsch-
tum in Südamerika, soweit es bodenständig geworden ist, hat zum größten
Teil bäuerlichen Charakter.
Die deutschen Ansiedlungen in der südafrikanischen Kapkolonie und in
Südaustralien sind um die Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden. Auch die
südafrikanischen und australischen Deutschen sind wesentlich Bauern.
Zahlenmäßig ist zu bemerken, daß von den Angehörigen der älteren
Gruppe die Siebenbürger Sachsen etwa 230 000 Seelen stark sind, die Zipser
Sachsen, die im Laufe der Zeit starke Verluste an die umwohnenden! Mad-
jaren und Slowaken erlitten haben, noch etwa 50 000 und die deutschen Bal-
ten, von denen fast die Hälfte durch Krieg und Revolution nach Deutschland
vertrieben worden ist, in ihrer Heimat noch 100 000. Die jüngere Gruppe
ist viel stärker. An Donauschwaben gibt es etwa 2 Millionen, an deutschen
Bauern in der heutigen Sowjetunion und in Polen (ohne die früher zum
Reich gehörigen Gebiete), nach sehr großen Verlusten durch Krieg, Revolu-
tion und Hungersnot, ebenfalls noch 2 Millionen; an südamerikanischen
Deutschen bald 1 Million, an südafrikanischen (ohne das frühere Deutsch-
Südwestafrika) vielleicht 50000 und an australischen — die Schätzungen
sind hier sehr verschieden — zwischen 100 000 und 200000. Für die Ver-
einigten Staaten werden neuerdings meist 8 Millionen Deutsche angegeben,
was eine ganz irreführende Zahl ist. Will man alle Nachkommen deutscher
Einwanderer zählen, von denen aber die meisten weder Deutsch verstehen,
noch eine Erinnerung an ihre Herkunft haben, so sind es viel mehr; und
rechnet man nur diejenigen, die das Deutsche noch in irgendeinem Umfang
als Muttersprache gebrauchen, so sind es höchstens 2 Millionen. Auch diese
Zahl verringert sich fortgesetzt, denn die in Amerika geborene Generation
geht so gut wie restlos zum Gebrauch des Englischen über. In längstens
einem halben Jahrhundert wird es kein Deutschamerikanertum im heule
noch vorhandenen Sinne mehr geben. Dasselbe ist von den südafrikanischen
und australischen Deutschen im Verhältnis zu ihrer englischen Umwelt zu
erwarten. Von der zweiten, jüngeren Gruppe des Auslandsdeutschtums
können wir also nur mit den Donauschwaben, mit den: deutschen Bauern in
Rußland und Polen und voraussichtlich auch mit dem größten Teil der süd-
amerikanischen Deutschen als mit fortdauernden Größen rechnen — trotz
der starken Versuche, die an verschiedenen Stellen gemacht werden, auch
diese Teile des deutschen Volkstums zu entnationalisieren.
Diese geschichtlichen und statistischen Angaben waren notwendig, um
auf unser eigentliches Thema zu kommen. Es muß auch noch bemerkt
werden, daß sowohl in Siebenbürgen als auch im Baltikum die heutige
deutsche Bevölkerung keineswegs ganz aus der Nachkommenschaft der ur-
408 Dr. Paul Rohrbach:
sprünglichen deutschen Einwanderer aus dem 12. und 13. Jahrhundert
besteht. Es hat vielmehr eine fortdauernde, niemals ganz unterbrochene,
zeitweilig sich auch merklich verstärkende Nachwanderung aus dem Reiche
stattgefunden, besonders nach Livland, Diese späteren Zuwanderer sind aber
stets sehr schnell und vollständig im Sachsentum und Baltentum aufgegan-
gen und haben hier wie dort den eigentümlichen und ausgeprägten Cha-
rakter dieser alten Kolonialgebiete so sehr angenommen, daß schon in der
zweiten Generation kaum noch ein Unterschied des älteren und des später
zugewanderten Elements zu bemerken war.
Betrachten wir uns nun die Herkunft der älteren und der jüngeren
Kolonistengruppen in bezug auf die heimatliche Schicht, der die Auswan-
derer entstammten, und in bezug auf die Entwicklung, die sie in ihrem
neuen Siedlungsgebiet nahmen, so sind starke Unterschiede vorhanden. Die
mittelalterliche Kolonisation, die sich nach Siebenbürgen und Nordungarn
richtete, fand ihr Rekrutierungsgebiet besonders in Westdeutschland. Die
Siebenbürger Sachsen sprechen noch heute eine moselfränkische Mundart.
Nach Livland gingen meistens Niederdeutsche, wie denn auch bis zum
18. Jahrhundert die niederdeutsche Mundart dort herrschend war. Man muß
annehmen, daß im 12.und 13. Jahrhundert die Bevölkerung
im damaligen Deutschland noch weniger geschichtet
und differenziert war als später, insofern nämlich, als es da-
mals in Deutschland nur eine adelige, kriegerisch-ritterliche Oberschicht,
ein erst in den Anfängen befindliches Städtewesen und im übrigen ein
breites und starkes Bauerntum gab, in dem noch alles steckte, was sich
später in die verschiedenen Schichten und Gruppen des ausgehenden Mittel-
alters und der neueren Zeit auseinanderlegte.
Erbbiologisch betrachtet, steckte also in den deutschen enden
des Mittelalters eine größere Mannigfaltigkeit der Begabungen als in den
Auswanderern des 18. und 19. Jahrhunderts, die sich, von bestimmten Aus-
nahmen abgesehen, ganz überwiegend aus einer sozialen Schicht rekrutier-
ten, die im Laufe der Jahrhunderte schon einen großen Teil ihrer Begabung
nach oben abgegeben hatte. Nach Siebenbürgen und nach der Zips scheinen
in der Hauptsache deutsche Bauern gegangen zu sein, wiewohl es nicht aus-
geschlossen ist, daß bei dieser Auswanderung auch Elemente aus dem
niederen Adel dabei waren, der sich in seiner Lebensführung vom freien,
größeren Bauern der Zeit nicht sehr unterschied und den die Ausstattung
mit reichlichem Grundbesitz, die der König von Ungarn verhieß, gleichfalls
locken mochte. Jedenfalls wurden in Siebenbürgen wie im Zipser Gebiet
von Anfang an Burgen und feste städtische Plätze angelegt, auf welche
die Landesverteidigung begründet werden konnte. Nach Livland gingen
Kaufleute, Handwerker, Geistliche und Ritter, die als Grundbesitzer einen
Vasallenstand unter dem Deutschen Orden und den Bischöfen bildeten. Die
Ueber Herkunft und geistigen Stand des Auslandsdeutschtums. 409
Ordensritter waren allerdings ehelos. Im Unterschied von Livland ent-
wickelte sich in Siebenbürgen und in der Zips ein vollständiges deutsches
Volkstum, das vom Bauern- bis zum Gelehrtenstand alle Stände umfaßte,
ausgenommen einen eigentlichen Adel. Die Anfänge eines deutschen Adels
in Siebenbürgen wurden vom Sachsenvolk sehr bald ausgeschieden, da sich
zeigte, daß diese Adeligen anfingen, nicht mit den deutschen Volksgenossen,
sondern mit den ungarischen Standesgenossen zu gehen, In der Zips mag es
ähnlich gewesen sein.
Zu erwähnen wäre auch noch die starke bürgerliche Auswanderung
aus dem mittelalterlichen Deutschland nach dem übrigen Ungarn und auch
Polen, wohin die Deutschen von den einheimischen Herrschern berufen
wurden, um Städte zu gründen, städtisches Gewerbe, städtischen Handel und
Verkehr zu entwickeln, woraus die ungarischen und polnischen Könige eine
Vermehrung ihrer Einkünfte erwarteten und tatsächlich erhielten. Dieses
städtische deutsche Element im Osten ist unter der Ungunst der politischen
Verhältnisse, infolge der politischen Schwäche Deutschlands in der Zeit vom
15. bis zum 17. Jahrhundert und unter den Wirkungen nationalistischer
Eifersucht der Einheimischen, vollständig zugrunde gegangen und hat nur
in dem baulichen Charakter mancher Städte des Ostens, z. B. Krakaus,
redende Denkmäler hinterlassen. Dasselbe gilt in noch höherem Maße von
Prag, doch müssen auch die Verhältnisse in Böhmen und Mähren wegen
ihrer besonderen Natur hier beiseite gelassen werden. |
Als die Einladungen der habsburgischen und der russischen Herrscher
nach Ungarn und nach Rußland während des 18. und zu Anfang des
19. Jahrhunderts ergingen, war die Absicht von russischer wie von öster-
reichischer Seite von Anfang an auf reine Bauernsiedlung gerichtet, und bei
einer solchen ist es auch bei den Donauschwaben wie bei den deutschen
Kolonisten in Rußland geblieben. Unter den ersten Auswanderern nach Ruß-
land in den Jahren von 1764 bis 1766 waren auch einige bürgerliche
Elemente, die unter den Nachwirkungen des Siebenjährigen Krieges keine
Existenz mehr in Deutschland zu finden glaubten. Auch sie mußten in
Rußland zwangsweise Bauern werden und haben diesem Druck der russi-
schen Behörden keinen Widerstand geleistet. Nach Ungarn sind den öster-
reichischen Werbern wohl kaum andere Leute aus Deutschland gefolgt als
Kleinbauern aus dem deutschen Südwesten, alles bescheidene Menschen, die
nicht wie die mittelalterlichen Siedler mit dem Spieß auf der Schulter und
der Eisenkappe auf dem Kopf kamen, die keine Stadtmauern, keine festen
Höfe und keine Kirchenkastelle bauten, sondern die sich mit dem Hut in
der Hand das Land, das sie pflügen sollten, zuweisen ließen.
Wenn man diese Ursprünge der mittelalterlichen und der späteren Sied-
lung sich vergegenwärtigt, so fühlt man sich veranlaßt, auch diegeistige
Verfassung der beiden deutschen Siedlergruppen, der
410 Dr. Paul Rohrbach:
älteren und der jüngeren, miteinander zu vergleichen.
Im Baltenlande wie in Siebenbürgen hat sich ein Kolonistengeschlecht von
starkem Selbstbewußtsein, von großer politischer Begabung und von außer-
ordentlicher Kraft und Befähigung, sein Deutschtum zu bewahren und zu-
wandernde Elemente zu assimilieren, entwickelt. Bei den Donauschwaben
und bei den deutschen Bauern in Rußland fehlte es an dieser Stärke des
nationalen Selbstgefühls und an dieser politischen Befähigung, sich füh-
rend zu behaupten und durchzusetzen. Von den Deutschen in Rußland sind
außerhalb des Baltentums nur ganz wenige sozial aufgestiegen, und soweit
es überhaupt geschah, beschränkte sich der Aufstieg auf das wirtschaftliche
Gebiet. In die Politik, in die Staatsverwaltung, in die Wissenschaft, in die
militärische und die diplomatische Laufbahn ist überhaupt kein Abkömm-
ling deutscher Kolonisten in Rußland gelangt, im Gegensatz zu den Balten,
von denen die höchsten Schichten des staatlichen und geistigen Lebens im
früheren Rußland stark durchsetzt waren und die darüber hinaus auch im
Deutschen Reich nicht wenige führende Stellungen einnahmen.
Aus dem Nachwuchs der donauschwäbischen Bauern ist eine ziemliche
Zahl bis in die bürgerliche Mittelklasse gelangt, aus der sich die mittlere
Beamtenschaft und ähnliche Berufe in Ungarn rekrutieren, aber es geschah
das regelmäßig nur um den Preis der Aufgabe des Deutschtums in Sprache
und nationalem Gefühl, wozu oft noch die Madjarisierung des Namens kam.
Das kleine Zipser Gebiet, das ringsum isoliert war und unter sehr ungünsti-
gen äußeren Umständen, zum Teil jahrhundertelanger Zugehörigkeit zu
Polen, zu leiden hatte, hat an Umfang des deutsch besiedelten Bodens gegen
früher starke Einbußen erlitten, und es drohte zuletzt durch Madjarisierung
seiner bürgerlich-städtischen Schicht ganz zu erliegen — man bedenke, daß
die Zipser Deutschen kaum noch 50000 Seelen stark sind! —; aber es ist
doch bemerkenswert, daß gerade aus den Zipsern ein unverhältnismäßig
großer Bruchteil der höheren Beamten, Professoren und sonstigen führenden
Elemente der heutigen ungarischen Gentry besteht. Durch den Weltkrieg
haben sich die Verhältnisse sowohl bei den Donauschwaben als auch bei
den Zipsern geändert. Die Zips gehört jetzt zur Tschechoslowakei und
das deutsche Wesen kann in ihr wieder gepflegt werden. Unter den
Donauschwaben entstanden schon vor dem Kriege die Anfänge einer Bewe-
gung gegen das Aufgehen im Ungarntum. Ob sie selbständigen Erfolg gehabt
hätte, mag dahingestellt bleiben. Auf jeden Fall aber hat die unmittelbare
Berührung mit dem Deutschtum, namentlich mit den deutschen Truppen
während des Weltkrieges, belebend auf das deutsche Bewußtsein in Ungarn
gewirkt, und man kann sagen, daß jetzt eine geistige deutsche Oberschicht
sich zu bilden anfängt.
Betrachten wir die deutsche Auswanderung nach Nordamerika, so liegt
ja dort die Tatsache vor, daß die deutschen Einwanderer, wollend oder
Ueber Herkunft und geistigen Stand des Auslandsdeutschtums. 411
ae P omena z -LNA
nichtwollend, gezwungen waren und noch heute gezwungen sind, sich zu-
nächst sprachlich ihrer Umwelt anzupassen, und daß der Nachwuchs samt
und sonders durch die amerikanischen Schulen hindurch muß, die nur das
Englische kennen und gegenüber den Kindern der Einwanderer ausge-
sprochenermaßen Anstalten der „Einschmelzung“ sind. Diese nordamerikani-
schen Verhältnisse mögen daher hier außer Betracht bleiben, wenn es sich
um den Vergleich der erbbiologischen Anlagen der verschiedenen Schichten
der deutschen Auswanderung handelt. Immerhin muß erwähnt werden, daß
unter den politisch und sozial führenden amerikanischen Schichten nur
sehr wenige Persönlichkeiten von deutscher Herkunft aufgetaucht sind, und
daß ein auffallend großer geistiger Unterschied zwischen den Nachkommen
der Masse der deutschen Einwanderer und denen der sogenannten Acht-
undvierziger besteht, unter denen eine große Zahl geistig hervorragender.
durch die politischen Verhältnisse vertriebener Deutscher sich befand.
Sehr deutlich tritt der zu vermutende erbbiologische Faktor bei den
deutschen Kolonisten in Südamerika, namentlich bei ihrer Hauptmasse, den
Deutschen in Südbrasilien, hervor. Deren Vorfahren waren ausgesprochener-
maßen kleine Leute der untersten sozialen Schichten, pommersche Land-
arbeiter und arme Hunsrücker Zwergbauern. Ihre Nachkommen haben sich
wirtschaftlich zum großen Teil ausgezeichnet entwickelt. Die deutschen
Kolonien in Südbrasilien sind fast durchweg blühende Bauernsiedlungen, in
denen deutscher Bauernfleiß und deutsche Bauernzähigkeit im Laufe einiger
Generationen Erstaunliches geleistet haben. In noch ausgesprochenerem
Maße als bei den Donauschwaben und den Deutschen in Rußland gilt aber
von diesen brasilianischen Deutschen, daß sich ihre geistige Entwicklung,
obwohl die Anfänge der Siedlung jetzt schon ein Jahrhundert zurückreichen,
durchaus auf dem so gut wie ganz materiell bestimmten Niveau einer wohl-
habenden Bauernschaft bewegt, und daß sich nirgends ein Bedürfnis oder
eine Befähigung zu höherem Führertum auf irgendeinem Gebiet, sei es poli-
tischer, wissenschaftlicher oder sonst geistiger Art, gezeigt hat. Ebenso steht
cs mit den deutschen Ansiedlern in der Kapkolonie und in Australien — nur
daß dort, wie schon oben gesagt, die englische Umwelt das noch vorhan-
dene Deutschtum früher oder später in sich aufsaugen wird.
Ich unterbreite diese Beobachtungen und die daran geknüpfte Ver-
mutung, daß es sich bei dem so verschieden gearteten geistigen Bilde des
heutigen Auslandsdeutschtums um die Auswirkung erbbiologischer Anlagen
handelt, hiermit der Kritik und würde es begrüßen, wenn sich im Anschluß
hieran auf Grund anderweitiger Beobachtungen eine Diskussion ergäbe.
Kleinere Mitteilungen.
Rassenhygienisch wichtige Ergebnisse
der Einkommensteuer-Veranlagung von 1925.
Von Dr. Kara Lenz-v. Borries, Herrsching.
In dem kürzlich erschienenen Band 348 der Statistik des Deutschen Reiches
(Berlin 1929, R. Hobbing, 429 S.) wird in ausgezeichneter Bearbeitung und Dar-
stellung eine Fülle wertvollen Materials veröffentlicht, das eine gute Grundlage
für die Beurteilung der rassenhygienischen Seiten der Steuerfrage, insbesondere
der Einkommenschichtung, des Familienstandes in den verschiedenen Einkom-
mengruppen, der Wirkungen der jetzt geltenden steuerlichen Familienermäßi-
gungen und der Möglichkeiten einer Steuerreform zum Ausgleich der Familien-
lasten gewährt. Hier sei nur vorläufig eine kurze Uebersicht über das, was der
Band in dieser Hinsicht bietet, gegeben.
Die Gruppierung der Steuerpflichtigent) nach der Höhe
des Einkommens ergibt, daß 74,4% aller Pflichtigen mit ihrem Einkommen
unter 3000 M. und 91,9% unter 8000 M. geblieben sind. Dazu muß man noch be-
denken, daß auch die in dieser Statistik nicht enthaltenen Lohnempfänger meist
diesen unteren Einkommengruppen angehören. Auf diese neun Zehntel aller
Pflichtigen entfallen 54,6% des Gesamteinkommens, und sie bringen nur 31,4% der
Gesamtsteuer auf. Zu den mittleren?) Einkommengruppen von 8000 bis 50 000 M.
gehören nur 7,8% der Pflichtigen, jedoch sind sie mit 35,4% am Gesamteinkom-
men beteiligt und leisten 39,7% der Steuer. Zu den hohen Einkommengruppen
über 50000 M. gehören nur 0,3% der Pflichtigen; diese bringen an Einkommen
fast 10% auf und zahlen 28,9% der Steuer. Eine große Zahl von Pflichtigen der
unteren Einkommengruppen ist also der Steuerleistung nach nicht wichtiger als
eine geringe Pflichtigenzahl der oberen Gruppen. Ich betone das besonders wegen
der Bedeutung hoher Junggeselleneinkommen als Steuerobjekte!
Ein interessantes Bild der verschiedenen wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit der Großstädte, Mittelstädte und Land-
gebiete ergibt die Berechnung des jeortsaufeinen Steuerpflichti-
1) Die Statistik versteht unter „Steuerpflichtigen“ alle Einkommensbezieher, auch
wenn ihr Einkommen den steuerfreien Einkommensteil von 1100 M. nicht überschreitet,
oder sie durch Ermäßigungen steuerfrei ausgehen. Nicht enthalten sind in dieser Bear-
beitung diejenigen Einkommensbezieher, die nur der Lohnsteuer unterliegen. Ein-
geschlossen sind dagegen offenbar jene Lohn- oder Gehaltsempfänger, die außerdem
zur Einkommensteuer veranlagt werden. Da diese mit ihrem ganzen Einkommen (ein-
schließlich des Lohns bzw. Gehalts) hier erscheinen, ist die Abgrenzung der Einkom-
mensteuerpflichtigen nicht klar übersehbar, wodurch der Wert des umfangreichen
Bandes stark beeinträchtigt wird.
2) Wenn diese Gruppen als die „mittleren“ bezeichnet werden, so ist das mil
Rücksicht auf ihre relative Seltenheit also eigentlich nicht zutreffend. Der Mittelwert
des steuerpflichtigen Einkommens beträgt 3271 Mark.
Kleinere Mitteilungen. 413
gen entfallenden Einkommens. Hier seien nur einige Beispiele an-
geführt. Im Reichsdurchschnitt beträgt das Einkommen je Pflichtigen 3271 M. in
Frankfurt a. M. 6143, in Berlin 5254, in München 4628, im Durchschnitt aller Groß-
städte 5176. Auch der Durchschnitt der Mittelstädte liegt mit 4469 M. weit über
dem allgemeinen Reichsdurchschnitt. Am schwächsten ist Ostpreußen (Reg.-Bez.
Gumbinnen 1652 M.), ebenso der Regierungsbezirk Trier mit 1472 M. Daß im gan-
zen die ländlichen Gebiete erheblich schwächer sind als die Städte, nimmt nicht
wunder. Doch ist das Ausmaß des Unterschiedes für den Rassenhygieniker in-
teressant — und bedauerlich. Der Zug in die Stadt, der bevölkerungspolitisch so
verhängnisvoll ist, ist für den einzelnen zu verlockend, als daß er in absehbarer
Zeit aufhören würde. — Sind aber die Einkommen der Pflichtigen in den Städten
durchschnittlich größer, so entfallen andererseits in den Landbezirken auf die
Bevölkerungszahl mehr Pflichtige, weil hier nur ein kleinerer Teil der Bevölke-
rung unter der steuerpflichtigen Einkommensgrenze bleibt. Im Reichsdurchschnitt
entfallen auf 1000 der Bevölkerung 62,6 Pflichtige®); über die Hälfte aller Groß-
städte liegen unter diesem Durchschnitt; im Durchschnitt aller Großstädte sind
60,1 °% steuerpflichtig; in Wiesbaden, der Stadt der reichen Leute, sind es
106,0 0/0, in Gelsenkirchen, der Arbeiterstadt, nur 27,5%. Landwirtschaft-
liche Gebiete zeigen eine hohe Durchsetzung mit Pflichtigen, wie aus den
Zahlen für die einzelnen Regierungsbezirke deutlich sichtbar ist. Dabei ist zu
bedenken, daß die Zahl der Steuerpflichtigen in den Landbezirken durch die
höhere Zahl der Kinder und Jugendlichen relativ nicht unerheblich herab-
gedrückt wird.
Den Rassenhygieniker gehen diese Zahlen an als Beleg dafür, daß in länd-
lichen Gebieten die soziale Struktur gesunder ist: die Einkommen sind gleich-
mäßiger auf die Bevölkerung verteilt; notdürftigste und übergroße Einkommen
stehen nicht so kraß einander gegenüber. Für die Fortpflanzung wirken die gleich-
mäßiger verteilten Einkommen günstig. Allerdings wird dieser Vorteil der Land-
gebiete häufig durch anderweitige Schwierigkeiten (z. B. Erbrecht) unwirksam
gemacht, so daß die Kinderzahl doch nicht ausreichend geblieben ist.
Die Belastung des Einkommens betrug im Jahre 1925 durchschnitt-
lich 10,4 %. Infolge des progressiven Tarifes machte die festgesetzte Steuer in den
unteren Einkommengruppen (bis 8000 M.) nur 6,3% des Einkommens aus, in den
mittleren Gruppen 18,8 %, in den höchsten Gruppen stieg sie auf 36,7 %. Die „fest-
gesetzte Steuer“ ergab sich für die Steuerveranlagung von 1925 — inzwischen sind
die Bestimmungen wieder geändert, aber nicht verbessert worden — durch Abzug
der Ermäßigungen von der tarifmäßigen Steuer, die ihrerseits von dem „der Be-
steuerung unterworfenen Einkommensteil“ errechnet wurde. 1100 M. waren steuer-
frei. Dieser Betrag erhöhte sich für die Frau und das 1. Kind um 100 M., für das
2. Kind um 180 M., das 3. um 360 M. und für jedes weitere Kind um 480 M. Der
Steuersatz von 10 % ermäßigte sich für die Frau und jedes Kind um 1 %; blieb das
der Steuer unterworfene Einkommen unter 2000 M., so ermäßigte sich der Steuer-
3) Bei der Würdigung dieser Zahlen ist zu bedenken, daß die Lohnsteuerpflich-
tigen, deren Zahl größer als die der Einkommensteuerpflichtigen ist, nicht eingeschlos-
sen sind; und die allermeisten Lohnsteuerpflichtigen werden nicht auch zur Einkom-
mensteuer veranlagt.
414 Kleinere Mitteilungen.
— .—— ln nn I nun lo nn lo.
satz vom 3. Kind ab um 2%. Den Pflichtigen der unteren Gruppen wurden infolge
ihrer höheren Kinderzahl und des Abzugssystems also höhere Ermäßigungen ge-
währt. Man ist dabei wohl von der „sozialen“ Erwägung ausgegangen, daß die
Steuererleichterung um so notwendiger sei, je kleiner das Einkommen ist. Ras-
senhygienisch wirkt dieses System ungünstig, und einen gerechten Familienaus-
gleich bringt es keineswegs, da die Erziehungskosten in den höheren Einkommen-
gruppen viel größer sind. Die Unterschiede in der Wirkung der
Familienermäßigung zeigt folgendes Schema, das ich aus den graphi-
schen Darstellungen auf S. 137 zusammengestellt habe.
yerh.m mit
ndern
P
i
i
7
f
7
Y
Die Größe der einzelnen prozentualen Teile gibt den verschiedenen Wirkungs-
grad der Steuerermäßigung in den einzelnen Einkommenklassen deutlich genug
wieder, um die Reformbedürftigkeit der Familiennachlässe erkennen zu lassen.
Es wäre zu wünschen, daß die Ermäßigungen erstens erheblich höher wären,
als sie jetzt sind, und daß sie zweitens bis zu einer ziemlich hohen Einkommens-
grenze in Prozenten vom Einkommen berechnet würden; erst
über dieser Grenze, etwa über 25000 M., sollten die Familienermäßigungen
degressiv gestaffelt werden. Mit dieser Lösung wäre zugleich der rassen-
hygienischen Bevölkerungspolitik und dem Staatssäckel gedient! Eine nähere
Begründung soll in einer besonderen Arbeit gegeben werden.
Der Gesamtbetrag der Familienstandsermäßigungen be-
trug 1925 174 905 000 M. Davon entfielen auf die unteren Einkommengruppen (bis
8000 M.) 72,3%; auf die mittleren Gruppen (von 8000 bis 25000 M.) 23,6 %. Bei
einer rassenhygienischen Steuerreform müßte dieses Verhältnis ein anderes wer-
den. Die Ermäßigungsempfänger überwiegen zahlenmäßig in der alleruntersten
Einkommengruppe (bis zu 1500 M.), wo sie allein schon 54,97 % (!) aller Steuer-
pflichtigen ausmachen.
Es gab insgesamt 3048609 Ermäligungsberechtigte, deren Familien-
stand folgendes Bild zeigt: Es waren
Kleinere Mitteilungen. | 415
verheiratet ohne Kinder) 29,9 %
mit 1 Kind 27,1%
mit 2 Kindern 21,4%
mit 3 Kindern 11,3%
mit mehr als 3 Kindern 10,3%
Familien mit mehr als 2 Kindern sind schon verhältnismäßig selten!
Die Länder weisen untereinander erhebliche Unterschiede in der Kinder-
zahl auf. Die Reichsstatistik führt den Vergleich für alle Länder und alle Kinder-
zahlen durch. Einige extreme Zahlen seien hier als Beispiele angeführt. Von
den Ermäßigungsberechtigten lebten in
Haushaltungen ohne Kinder mit4 Kindern
Bayern 24,28% 7,47%
Württemberg 25,52% 7,07%
Preußen | 30,48 % 5,27 %
Sachsen 37,38 % 3,39 %
Hamburg 42,05 % 241%
Bedeutsam ist dieser verschiedene Kinderreichtum bzw. die verschiedene
Kinderarmut in hohem Maße für die Verschiebung der Konfessio-
nen (und indirekt auch der Rassenelemente) innerhalb des deutschen
Volkes. Die Landesfinanzämter in Gegenden mit überwiegend evangelischer Be-
völkerung zeigen auffallend mehr Ehen ohne Kinder und ebenso auffallend
weniger kinderreiche Ehen als die Landesfinanzämter in katholischen
Gegenden.
Landes- Ermäßigungs- Davon Mit
Finanzamt’) berechtigte ohne Kinder 5 Kindern
Berlin 194 741 ' 0,36
Dresden 120 920 ; 1,35
Unterelbe 98 751 0,71
München 210 588 23,42 4,84
Oberschlesien 41 102 20,74 5,41
Würzburg 94 169 24,82 3,27
Schon in einer Generation wird bei solchem Fortpflanzungsunterschied das
Zahlenverhältnis zwischen den rassen- und konfessionsmäßig verschiedenen Be-
völkerungselementen von Grund aus verändert.
Als „Kinder“ sind in der vorliegenden Statistik nur die zum Haushalt gehören-
den minderjährigen Kinder gerechnet. Deshalb sind die absoluten Zahlen der
Kinder je Ehe nicht recht brauchbar. Immerhin ist doch die kleine Durch-
schnittszahl von 1,54 erschreckend. Brauchbarer ist der Vergleich der
Kinderzahlen in den verschiedenen Einkommengruppen.
Allerdings müssen wir bedenken, daß in der Steuerstatistik die untersten Grup-
pen, die nicht steuerpflichtig sind, ausfallen, und daß die Lohnempfänger bis zu
4) Als Kinder sind hier nur minderjährige gerechnet, weil nur für diese ein Steuer-
nachlaß gewährt wird. Alte Ehepaare mit erwachsenen Kindern erscheinen hier also
als kinderlos.
5) Die Bezirke der Landesfinanzämter decken sich nicht mit den Städten.
416 Kleinere Mitteilungen.
8000 M. in die vorliegende Statistik nicht einbezogen sind. Gerade diese beiden
Gruppen haben aber die meisten Kinder. Daraus erklärt sich die auffallende Tat-
sache, daß nach der Steuerstatistik der Unterschied der Kinderzahl innerhalb
der verschiedenen Einkommengruppen geringer ist als der Unterschied der
Kinderzahl innerhalb höherer und niederer sozialer Gruppen, wie er sich nach
anderen Erhebungen ergeben hatte. Die Gesetzmäßigkeit in der Abnahme
der Kinderzahl bei höherer sozialer Stellung und höherem Einkommen zeigt
sich allerdings auch nach der Steuerstatistik mit erschreckender Deutlichkeit.
Im Deutschen Reich ist die Kinderzahl am größten in der Einkommengruppe
1500 bis 3000 M. (1,67) und fällt mit jeder höheren Gruppe; in der Gruppe von
12 000 bis 16000 M. entfallen nur noch 1,37 Kinder auf den Ermäßigungsberech-
tigten. Bei Einkommen über 50 000 M. steigt die Kinderzahl wieder auf 1,43, doch
spielt das wegen der Seltenheit dieser Einkommenempfänger keine große Rolle.
Bei den mittleren Einkommengruppen von 8000 bis 25 000 M. liegt das Minimum
der Kinderzahl, und zwar ist es nicht nur im Reichsdurchschnitt so, sondern
läßt sich auch in den einzelnen Ländern verfolgen. In Bayern, Württemberg
und Baden ist diese Erscheinung besonders deutlich ausgeprägt. Dagegen ist es
in Hamburg, Bremen und Lübeck umgekehrt. Als Beispiele seien die Zahlen von
Bayern und Hamburg einander gegenübergestellt. Die Kinderzahl betrug in
den Einkommengruppen:
© | Biggaoo | 150073000 3000—5000 | 500078000 8000— 12000 | 12000—16000
| Mk. Mk. Mk. | Mk. Mk. Mk.
Deutsches Reich 1,51 1,67 1,41 1,37
Bayern 1,82 2,16 1,43 1,36
Hamburg 0,90 1,03 1.19 1,19
Diese Zahlen gestatten keinen cindeutigen Schluß auf die Unterschiede der
Kinderzahlen in den verschiedenen Einkommensgruppen. In den untersten Grup-
pen sind verhältnismäßig viele junge Ehen mit noch nicht abgeschlossener Kinder-
zahl vertreten; außerdem werden die Kinder dieser Gruppen verhältnismäßig früh
erwerbstätig, so daß sie aus der Statistik der Kinder, die Steuernachlaß bedingen,
verschwinden. Die Ursachen der geographischen Unterschiede lassen sich in der
verschiedenen Rasse und Konfession (und damit der verschiedenen Anwendung
von Geburtenprävention!) unschwer finden. Das Verhältnis der Kinderzahlen
ist natürlich günstiger, wenn es wie in Hamburg gestaltet ist; doch ist dort der
absolute Rückgang in den höheren Gruppen um so größer und bedauerlicher.
Das gesamte Zahlenmaterial der Einkommensteuerstatistik ergibt in rassen-
hygienischer Beziehung ein trauriges Bild, und an keiner einzigen Stelle finden
sich irgendwelche Zahlen, die tröstlichere Verhältnisse erkennen ließen. Anderer-
seits sind dieselben Zahlen, die uns die Schwere der Situation deutlich machen,
auch geeignet, einen Ausweg zu zeigen: an den zahlenmäßig bis ins einzelne
bekannten Beziehungen zwischen Steuerpflichtigen, Kinderzahl, Einkommen,
Steuer, Steuerermäßigung und Steuersoll läßt sich durchrechnen, wie eine ras-
senhygienische Steuerreform beschaffen sein müßte und wie sie wirken würde.
Zwar wäre sie damit noch nicht eingeführt, aber mit der Klarheit über ihre
praktische Durchführbarkeit wären wir schon einen Schritt weiter.
Kritische Besprechungen und Referate.
Kronaecher, C, Züchtungslehre. Eine Einführung für Züchter und Studierende.
365 S. 140 Abb. Berlin 1929. Parey. M. 15.80.
Man könnte sich kaum einen berufeneren Autor für eine „Züchtungslehre“
denken als den Verfasser der sechsbändigen Allgemeinen Tierzucht. Daß Kronacher
sich der Mühe unterzogen hat, in einem Bande das zusammenzufassen, was der
Züchter und der Studierende über das grundlegende Gebiet wissen müssen, ist
erfreulich. Mehr noch, daß er doch wieder ein neues Buch geschrieben hat. Das
merkt man, wenn man die einzelnen Abschnitte in beiden Werken miteinander
vergleicht. Was das Buch über den Rahmen der obengenannten Benutzer hinaus
so wertvoll macht, ist, daß viel neues Material über die Anwendung der modernen
Vererbungslehre auf die Tierzucht in anschaulicher Weise zusammengetragen
wird. Das wird besonders dem Mediziner und Rassenhygieniker lieb sein, der sich
solche Angaben bisher mehr oder weniger mühsam zusammentragen mußte und
dann im Einzelfall doch nicht in der Lage war, genügende Kritik an dem Ge-
fundenen zu üben. So ist besonders willkommen die Bereicherung der bekannten
Aufspaltungsschemen (Hühnerkamm, Kaninchenfarbe und -haarform usw.) um
mehrere Fälle von Farben- und Zeichnungsaufspaltung beim Rind.
Es liegt natürlich im Wesen solcher Art Lehrbücher, nicht alle Einzelheiten
zu bringen, aber an einigen Stellen würde Ref. eine ausführlichere Stellungnahme
begrüßen, so z. B. bei der Geschlechtsbestimmung. Besonders erfreulich dagegen
ist die klare Darstellung der gerade in Züchterkreisen soviel umstrittenen „Ver-
erbung erworbener Eigenschaften“.
Da die Anschauungen Kronachers den Lesern dieser Zeitschrift ja wenig-
stens aus Referaten bekannt sein dürften, erübrigt sich ein Eingehen auf Einzel-
heiten. Man kann Tierzucht nicht aus Büchern allein lernen. Das Buch erfüllt
aber einen doppelten Zweck in schöner Weise: Dem Züchter wird in pädagogisch
vorbildlicher Weise gezeigt, was er aus der Wissenschaft lernen, wie er sie
nutzbar mit seinen eigenen praktischen Kenntnissen verbinden kann. Der aber,
der sich orientieren will, wie Wissenschaft und Praxis auf dem Gebiet der Tier-
zucht zusammenarbeiten, wie vor allem die Genetik auf theoretische und prak-
tische Tierzucht befruchtend Einfluß nimmt, der findet in Kronachers Züch-
tungslehre, was er braucht.
Es bleibt noch darauf hinzuweisen, daß eine lebendige Druckanordnung und
ein reiches, teilweise farbiges Bildmaterial, das zum großen Teil erstmalig ver-
öffentlicht wird, Verfasser und Verlag Ehre machen. Ref. selbst konnte im Aus-
land feststellen, welch großen Eindruck Ausstattung und Aufmachung bei so nied-
rigem Preise machten. C. A. Mirbt.
Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie, Bd. 22, Heft 4. 27
418 Kritische Besprechungen und Referate.
Davenport, C. B. und Steggerda, M, Race Crossing in Jamaica. Carnegie
Institution of Washington, Publication No. 395. 483 S., 28 Tafeln, 1 Stamm-
tafel. 1929,
Die Untersuchungen wurden unter Leitung von Bingham, Davenport,
Thorndike und Clark Wissler von Morris Steggerda, einem Studenten
der Zoologie an der Universität Illinois, und Miß Ethel Henderson, Direk-
torin der City Crèche in Kingston, durchgeführt, nachdem die Carnegie-Institution
„a gift from a gentleman who expressed his interest in the problem of race
crossing“ dafür erhalten hatte. (Der Spender ist Col. Wickliffe Preston Dr aper.)
Untersucht wurden Schwarze, Mischlinge und Weiße, je zirka 50 erwachsene
Männer und ebenso viele Weiber, vorwiegend Landleute bzw. Schüler einer Land-
wirtschaftsschule, daneben aber auch Feuerwehrleute, Polizisten, Seeleute, Ar-
beiterfrauen und Strafgefangene. Hinsichtlich der Auswahl der Untersuchten
erheben die Verf. selbst einige Bedenken. Bei den Weißen sollten städtische Berufe
ausgeschlossen werden, wodurch aber wahrscheinlich die Auslese für die in
Jamaika lebenden Weißen ungünstiger ausfiel als für die Schwarzen. Aufge-
nommen wurden bei jeder Person 50 Maße, Hand- und Fußumrisse, Dynamo-
meterprobe, Zahnschema, Haarprobe, Augenfarbe, Fingerabdrücke, Handflächen-
abdrücke, 12 deskriptive Merkmale, zirka 20 Fragen zur Anamnese und 12 psycho-
logische Testprüfungen (Musikalität nach Seashore, Formunterscheidung und
Formvergleich mit einfachen Figuren, Zeichnen von Figuren, Wiederholen von
Zahlen usw.). Alle Befunde sind ausführlich in Text und Tabellen mitgeteilt.
Snyder hat ein Kapitel über die Blutgruppen auf Jamaika beigesteuert, B en e-
dict ein solches über Grundumsatzuntersuchungen an Schwarzen, Weißen und
Mischlingen. Ferner wurden 1465 Kinder (schwarze, weiße und Mischlinge) von
5 bis 15 Jahren und 791 Kinder unter 5 Jahren gemessen. Auch diese Ergebnisse
sind ausführlich wiedergegeben. Ein besonderer Abschnitt endlich beschäftigt
sich mit den Familien und mit drei Zwillingspaaren, die mituntersucht worden sind.
Die Ergebnisse werden im Zusammenhang mit den allgemeinen Fragen der
Rassenvermischung diskutiert. Dabei wendet sich Davenport mit Recht gegen
die falsche Interpretation von Variabilitätsunterschieden bei Mischlingen gegen-
über unvermischten Bevölkerungen, wie sie besonders von Herskovits ge-
geben wurde. Größere Variabilität sci nur dann zu erwarten, wenn sich die
Mittelwerte erbbedingter Merkmale in den betreffenden Populationen stark genug
unterscheiden. Die nach Ansicht des Ref. noch wichtigere Tatsache, daß nicht
nur diese Mittelwertsunterschiede, sondern Unterschiede der „Züchtungsstärke“
entscheidenden Einfluß auf die Variabilität der Merkmale bei Mischlingsbevölke-
rungen haben müssen, wird von Davenport (S. 460) nur kurz gestreift, aber
nicht genügend berücksichtigt. Die Kapitel über „Dominanz“ der einen oder
anderen Rasse und über angeblich stärkere Entwicklungs- und Fortpflanzungs-
kraft von Mischlingen hätten wohl fortbleiben können. Die verneinende Antwort
konnte schon aus einer Kritik der Fragestellung gewonnen werden. Auch weitere
Abschnitte (über „Mutation beim Menschen“ und über die „Inferiorität der Misch-
linge“) gehen von einer Fragestellung aus, die nicht ganz klar und nicht an die
Beantwortungsmöglichkeiten des Materials angepaßt ist. Das früher viel dis-
kutierte „Problem“ der (angeblich verminderten) Merkmalskorrelation wird nicht
Kritische Besprechungen und Referate. 419
besprochen. Die in der Arbeit berechneten Korrelationskoeffizienten wären aller-
dings nach der Anlage dieser Berechnungen und nach der Wahl der Merkmals-
paare auch nicht geeignet, Klärendes beizubringen. Es zeigt sich auch hier wieder,
daß die Fragen um die Rassenvermischung zuerst theoretische sind, und daß man
erst nach der theoretischen Lösung (die hier kaum versucht wurde) einen zweck-
mäßigen Untersuchungsplan entwerfen und ausführen kann. Hinsichtlich der
Deutung von Testergebnissen hat Ref. auch bei dieser Arbeit wieder den Ein-
druck gewonnen, daß solche Tests im allgemeinen und in ihrer Anwendung auf
unkontrollierbar ausgelesenes Untersuchungsmaterial im besonderen nicht sehr
geeignet sind, eine Frage nach „den“ geistigen Fähigkeiten der Mulatten zu be-
antworten. Andere als die vorliegenden Untersuchungen (etwa statistische Er-
hebungen über Arbeits- und Sonderleistungen von Mulatten in ihrer gegebenen
Bewährungsumwelt) würden das Gesamtergebnis von Davenport wahrschein-
lich überzeugender stützen können. Denn sachlich ist diese Schlußfolgerung sicher
richtig; sie lautet: „While, on the average, the Browns are intermediate in pro-
portions and mental capicities between Whites and Blacks, and although some
of the Browns are equal to the best of the Blacks in one or more traits still
among the Browns, there appear to be an accessive per cent over random ex-
pextation who seem not to be able to utilize their native endowment.“
Scheidt.
Nyessen, D. J. H, The Races of Java. A few remarks towards the acquisition
of some preliminary knowledge concerning the influence of geographic environ-
ment on the physical structure of the Javanese. 25 Abb., 9 Karten, 122 S.
Weltevreden (Java) 1929.
Die erste Hälfte des Buches erläutert die Erfordernisse rassenkundlicher
Untersuchungen im allgemeinen, unter besonderer Berücksichtigung der Verhält-
nisse in Java. Der Verf. schließt sich dabei völlig dem bei uns jetzt üblichen
Verfahren an. In der zweiten Hälfte der Arbeit berichtet er kurz über die vor-
läufigen Ergebnisse von Untersuchungen an zirka 4000 erwachsenen Personen
aus Südpriangan. Die Beobachtungsgebiete suchte er nach siedlungsgeschicht-
lichen und ähnlichen Erwägungen auszuwählen. Er kommt zu dem vorläufigen
Schluß, daß die Bevölkerung Javas wahrscheinlich in drei Gruppen zerfalle,
wovon eine südmongolischer, die andere dravidisch-australischer Abstammung
sein könnte, während die dritte neben ostasiatischen Zügen eine Aehnlichkeit mit
zentralafrikanischen Menschenschlägen zeige. Es sei nicht unwahrscheinlich, daß
die südmongolide Gruppe durch eine jüngere Einwanderung nach Java gekom-
men sei als die beiden anderen. Scheidt.
Henke, Max, Blutprobeim Vaterschaftsbeweise, München 198. 27 S.
Kurze, gemeinverständliche Darstellung. Verf. geht mit Absicht auf die Mei-
nungsverschiedenheiten über den Erbgang der Blutgruppenanlagen nicht ein, was
durch die Bestimmung der kleinen Schrift gerechtfertigt sein dürfte. Er betont
auch die „erzieherische“ Seite der Blutgruppenuntersuchung: „Wissen die unehe-
liche Mutter oder der in Anspruch genommene Kindesvater, daß möglicherweise
ihre Angaben objektiv nachgeprüft und widerlegt werden können, so wird die
Gefahr des Nachweises eines Meineides zu vorsichtigerer Bekundung zwingen.“
Scheidt.
27*
420 Kritische Besprechungen und Referate.
Schultze, Oskar: Das Weib in anthropologischer und sozialer
Betrachtung. Dritte Auflage, umgearbeitet und ergänzt nach sexualbio-
logischen und soziologischen Gesichtspunkten zu Grundlagen der Frauenkunde
von Max Hirsch, Leipzig 1928. Kabitsch, 3.60 Mk.
Von der ursprünglichen Arbeit des Würzburger Anatomen ist kaum mehr
als die Problemstellung und der Titel geblieben. Nicht nur die Darstellung und
Einzelheiten des Inhalts, sondern die ganze gedankliche Voraus- und Zielsetzung
sind unter der Erneuerung durch den Berliner Gynäkologen und Mitbegründer
der modernen Frauenkunde andere geworden. Die vordem rein anatomisch-
morphologische Betrachtungsweise ist durch eine überwiegend entwicklungs-
physiologisch-konstitutionswissenschaftliche abgelöst und die alte Auffassung des
Organismus der Frau als einer kindlichkeitnahen, von der Entwicklung des
männlichen Organismus überholten Frühstufe der Lebensentfaltung aufgegeben.
Es wird nunmehr die biologische Gleichwertigkeit der beiden Geschlechtsgestal-
tungen Mann und Weib gegenüber ihrer biologischen Ungleichartigkeit plan-
mäßig herausgearbeitet — mit der Feststellung der Verschiedenheit der sozial-
biologischen Möglichkeiten für die beiden Geschlechter und dem Nachweis der
zerstörenden Wirkung der Doppelheit: Beruf und Mutterschaft, für die Frau
selbst, die Gesellschaft und das Volk. Max Marcuse (Berlin).
Hofstätter, Dr. R, Die arbeitende Frau, ihre wirtschaftliche
Lage, Gesundheit, Ehe und Mutterschaft. 516 S. 180 Tabellen.
Wien 1929, Perles. Preis S. 40.— (Mk. 25.—), geb. S. 44.— (Mk. 27.50).
In einer ausführlichen Einleitung wird das Problem der, weiblichen Erwerbs-
und Berufsarbeit in seinen grundsätzlichen Beziehungen umrissen. Ausgangs-
punkt ist die These, daß das Weib in der Fabrik, im Gewerbe, im Büro, kurz
überall letzten Endes ersetzlich ist, nur nicht in der Kinderstube. Es wird die
Bedeutung der einzelnen Lebensleistungen der beiden Geschlechter — Wechsel-
beziehung zu den Mitmenschen, zu den Aufgaben der Liebe, Ehe und Zeugung
und schließlich zur Berufswahl und Berufsausübung — dargelegt und das spezi-
fisch weibliche sozialbiologische Verhältnis zu Beruf und Arbeit aufgezeigt. Schon
bei diesen nur vorbereitenden und prinzipiellen Erwägungen, die aus einer
wesentlich sexualbiologischen Orientierung entwickelt werden und die Parallele
zwischen der Mütterlichkeit der Frau und der Geistigkeit des Mannes zu ver-
deutlichen streben, fällt auf viele Einzelprobleme aus dem Gesamtbereich der
„drohenden Assimilierung der Geschlechter“ manches Streiflicht. Die sachliche
Bearbeitung folgt dann in einer Reihe von 19 eingehenden Kapiteln, in denen
namentlich die Befunde und Ergebnisse der eigenen Beobachtungen Hofstät-
ters an dem Material der Frauenabteilungen der Wiener Allgemeinen Poliklinik
der Professoren von Peham und Bucura niedergelegt sind, Dabei dient dem
Verfasser eine sehr reiche, vielleicht nicht sorgfältig genug gesichtete Literatur
zur Nachprüfung und medizinisch-biologischen Ausdeutung seiner Erhebungen
und Inbeziehungsetzungen.
Das erste Kapitel handelt von den Kriegseinflüssen, als deren verderblichste
die soziale Umschichtung der Geschlechter, die Verwahrlosung der weiblichen
Jugend und das rasche Aussterben der gebildeten Familien hervorgehoben
werden. „Die scheinbare Gleichberechtigung zwischen alt und jung, zwischen
Kritische Besprechungen und Referate. 421
jungen Männern und Mädchen entwertet und schädigt beide“ — heißt es in
diesem Zusammenhange. Im einzelnen lauten die Titel der Kriegswirkungen:
Starker Geburtenrückgang — Zunahme der Aborte — Steigen der Todesfälle an
Kindbettfieber — Starkes Auftreten von Amenorrhoe — Zunahme der Prolapse —
Karzinom (Umkehrung des Verhältnisses der Zahl der noch operablen und der
aussichtslosen Fälle %:% vor dem Kriege, 4:% nach dem Kriege) — Gonorrhoe
und Syphilis (Ansteigen der weiblichen Gonorrhoe um 700 Prozent, Zunahme der
kongenitalen Syphilis von 1,9 auf 3,9 Prozent) — Rauschgiftseuche, Das 2. Kapitel
deckt in den Beziehungen zwischen weiblicher Erwerbsarbeit und den Gewerbe-
krankheiten die Wurzeln auf, nämlich die endogen-physiologische und die von
außen erfolgende körperliche und seelische Inanspruchnahme der Frau von
Aufgaben, die zwar abseits des Erwerbs- und Arbeitsgebietes gelegen sind, aber
auch von der vollerwerbstätigen Frau, insbesondere der proletarischen Schich- “
ten, mindestens zu einem so erheblichen Teil miterfüllt werden müssen, daß eine
Ueberbelastung und Gesundheitsschädigungen unvermeidlich sind. Bei der Beur-
teilung der Schädlichkeiten, die bei der gewerblichen Tätigkeit auf die Frau
einwirken, unterscheidet Hofstätter mehrere Faktoren: Die Arbeitszeit
(Dauer, Nachtarbeit, Ruhepausen), die Intensität der Arbeit (Akkordarbeit,
Schnelligkeit der Arbeit), die Einförmigkeit der Arbeit (Maschine, Interesse an
der Arbeit), Einwirkung von chemischen Stoffen und Giften (Staub, Hitze, Blei),
Unfälle, Arbeitsort (Fabrik, Heimarbeit), Hygiene und Schutzvorrichtungen bei
der Arbeit, qualifizierte und nichtqualifizierte Arbeit. Die Darstellung der Lohn-
verhältnisse im dritten Kapitel belehrt über das Versagen selbst der energischsten
Bestrebungen zur wirtschaftlichen Gleichstellung der Frau in jeder Praxis —
auch in Rußland, und weist sehr anregend auf den sozialbiologischen Gehalt der
Lohnfrage überhaupt hin. Das vierte Kapitel: Gewerkschaftiiche Organisation,
bringt u. a. eine bemerkenswerte Uebersicht über Zahl und Anteil der im inter-
nationalen Gewerkschaftsbund organisierten weiblichen Mitglieder. Aus dem
fünften Kapitel: Einzelne Berufe und ihre Schädlichkeiten für Frauen — greifen
wir folgendes heraus. Nach dem 14. Monatsbericht des Referates für Frauen-
arbeit bei der Wiener Kammer für Arbeiter und Angestellte wurden von 1537
schwangeren Textilarbeiterinnen 21 schon vom dritten Monat ab, 17 vom vierten,
18 vom fünften, 29 vom sechsten, 111 vom siebenten, 96 vom achten Monat ab
dauernd arbeitsunfähig. Und weiter: Rund 64 Prozent aller Geburten waren
nicht normal; 7,4 Prozent waren Früh-, 3,6 Prozent Tot-, 3,2 Prozent Fehl-
geburten; 43,2 Prozent werden als besonders schwere Entbindungen bezeichnet.
Als Ursachen dieser Schwangerschafts- und Entbindungsstörungen werden vom
Deutschen Textilarbeiterverband angegeben: Dauerndes Stehen in 535 Fällen,
dauerndes Laufen in 173 Fällen, dauerndes Sitzen in 144 Fällen, Bücken, Strecken
oder Langen in 568 Fällen, dauernder Druck auf den Leib in 388 Fällen usw.
Dabei ergibt sich nach Hofstätter sowohl aus den statistischen Feststellungen
wie aus den Auskünften der Textilarbeiterinnen selbst, daß die Ursarhen dieser
Mißstände überwiegend nicht in einer spezifischen Schädlichkeit der Textilarbeit
als solcher für die weibliche Generationsfunktion, sondern in der besonderen
Unzulänglichkeit der hygienischen und sozialen Schutzmaßnahmen in dieser
Industrie gelegen sind. Auch die Krankheitshäufigkeit der Maschinennäherinnen
422 Kritische Besprechungen und Referate.
„e m m nn
- edpis —ALLL A m m me
in der Wäschefabrikation und Bekleidungsindustrie hat eine sexualphysiologisch
und fortpflanzungshygienisch höchst üble Bedeutung, weil sie wesentlich die
Unterleibsorgane betrifft (Charite Berlin). Daß auch die Einführung des Antriebes
durch Motore in dieser Beziehung wohl eine Verschiebung der Zusammen-
hänge, aber nicht eine Besserung des Gesundheitszustandes herbeizuführen ver-
mochte, scheinen u, a. die gynäkologischen Massenuntersuchungen der Arbeite-
rinnen aus der Fabrik „Die rote Näherin“ in Moskau zu erweisen (Arbeit am
Motor während der Menses?)! Ueber Gesundheit und Krankheit der Land-
arbeiterinnen schreibt Hofstätter folgendes: „Ein besonders rasches Altern
der Frauen nach einer oder nach mehreren Geburten, das Auftreten von Sen-
kungen und Vorfällen bei noch relativ jungen Frauen sind sehr bittere Folgen
der oft allzu schweren körperlichen Arbeit und ungenügenden Geburtshilfe.
Dammrisse werden nur selten genäht. Pathologische Kindeslagen kosten meist
den Kindern das Leben und den Frauen einen Teil ihrer Gesundheit, Enge
Becken werden in einzelnen Gegenden bis zu 34 Prozent festgestellt... Während
in den letzten 200 Jahren die städtische Bevölkerung, die naturgemäß einer rela-
tiven Unfruchtbarkeit verfällt, sich immer wieder neues und widerstandsfähi-
geres Blut vom Lande holen konnte, scheint diese Quelle allmählich zu versiegen,
da auch bei der bäuerlichen Bevölkerung die Prohibitivmaßnahmen weiten Ein-
gang gefunden haben und der künstliche Abortus am Lande kaum weniger wütet
als in der Stadt... .“ In dem Abschnitt über die sozialbiologische Bedeutung der
höheren weiblichen Berufsarbeit (Büro und Behörde, Krankenpflege, soziale
Hilfe, Unterricht) verdienen die Bemerkungen über das Zölibat und die Heirats-
beschränkungen der Lehrerinnen und Beamtinnen und die dadurch bewirkte
Ausschaltung gerade besonders wertvollen Erbgutes aus dem Fortpflanzungs-
prozeß volle Billigung. Die einfache Freigabe der Ehe an diese weiblichen Berufs-
klassen erscheint indes nicht als die zu erstrebende Lösung des Problems. Das
Studium der Frau findet eine eigene Behandlung zwar erst an weit späterer
Stelle des Buches (Kapitel 16), aber schon in diesem Zusammenhange sei
einiges aus den einschlägigen Ausführungen Hofstätters herausgehoben. Im
wesentlichen liegen seinen Beobachtungen die Verhältnisse an der Universität
Wien zugrunde. Während in den ersten Jahren des Frauenstudiums die Aka-
demikerin sehr verminderte Heiratsaussichten hatte und die weiblichen Studie-
renden der ersten Jahrzehnte wegen des überwiegenden Anteils - charakterlich
und sexualkonstitutiv abartiger Individuen meist auch gar nicht heiraten wollten,
sind heute die. Eheaussichten für ein Mädchen auf den Hochschulen und auch
für die junge Frau später im akademischen Berufe eher besser als die des Durch-
schnitts. Aber auch die verheiratete Akademikerin ist relativ unfruchtbar —
nicht im Sinne geschwächter Fortpflanzungsfähigkeit, sondern verminderten
Fortpflanzungswillens. -Dabei pflegen sich die studierten Frauen in der Ehe
geistig immer mehr dem Durchschnitt zu nähern, indem ihre höheren Interessen
von Jahr zu Jahr abbröckeln. „Dies wäre gewiß kein Nachteil, wenn sie gleich-
zeitig dem als geistig höherwertig angenommenen Mann ein für seine Arbeit
günstiges Heim schaffen, und ganz besonders wenn sie durch Kinderreichtum
wertvolle Erbanlagen fortpflanzen helfen und den Früchten der hochgeistig
gewürzten Liebe die günstigste Aufzuchtmöglichkeit schaffen würden. Leider blei-
nz Kritische Besprechungen und Referate. 423
ben aber meistens von den früheren geistigen Interessen und Leistungen nach
der Ehe nur mehr die übertriebenen Ansprüche auf Wertschätzung und Unter-
werfung des Mannes zurück.“ Kapital 6 handelt von Berufswahl und Berufs-
beratung, beruflicher Ausbildung und Auslese und weist dabei auf die Durch-
tränkung des ganzen weiblichen Lebens mit Erotik und Sexualität hin, die die
gesamte Berufsfrage für die Frau zu einem ausgesprochen sexualsoziologischem
Problem macht, Kapitel 7 ist betitelt: Arbeitslosigkeit, Berufswechsel, Auswande-
rung — und enthält u. a. beachtliche Hinweise auf die Folgen der letzteren für
die Eugenik. Im achten Kapitel (Mortalität) werden bekannte Sachverhalte durch
instruktive Tabellen verdeutlicht, Bei der Erörterung der Morbidität in Kapitel 9
ist der Hinweis auf die Tatsache bemerkenswert, daß die Frauen noch mehr als
die Männer dazu neigen, jede Erkrankung auf ihre Erwerbstätigkeit zurückzu-
führen; und da auch ärztlicherseits der Begriff der Berufskrankheiten oft nicht
sorgfältig genug abgegrenzt erscheint, sind die einschlägigen Statistiken nicht
unbedingt verläßlich. Ueber die eugenische Bedeutung der Tuberkulose bei der
Frau und die von hier aus indizierte Schwangerschaftsverhütung und Schwan-
gerschaftsunterbrechung urteilt Hofstätter in Uebereinstimmung mit Grot-
jahn. Das führt ihn zum Widerspruch gegen die übertrieben schlechten
Schicksalsprognoser für das Kind bei ausschließlich väterlicher Tuberkulose und
gegen die zu Br Indikationsstellung zum künstlichen Abort durch
Hertha Riese. Für die erhebliche Zunahme der Dysmenorrhoe und des
nichtvenerischen Fluors, Störungen, die bei den in der Industrie arbeitenden
Frauen eher seltener vorkommen als bei den Mädchen und Frauen, die irgend-
welche geistigen Berufe ausüben, sieht Hofstätter eine Hauptursache, wenn
nicht „den“ Grund darin, „daß eigentlich normal heranreifende weibliche Wesen
bei reichlichster Gelegenheit, an ein Sexualleben zu denken, mehr oder minder
fortwährend sich vor die Notwendigkeit gestellt sehen, auf ihr Sinnenleben zu-
gunsten der Existenzsicherung zu verzichten. Dieser fortwährende Kampf
zwischen scheinbar vermehrter äußerer Freiheit und gegen früher eher ver-
mehrter Notwendigkeit absoluter Selbstbeherrschung und Selbstverleugnung“
ist häufig auch die Ursache für Genitalblutungen bei normalem Tatbestand und
für Amenorrhoe. Auch dem Ovnulationsstillstande sind geistig tätige Frauen und
Mädchen besonders ausgesetzt. Im z&hnten Kapitel (Ehe) übt sich der Verfasser
angesichts der überwältigenden Fülle des Stoffes im Verzicht: er deutet die
Fragen und Antworten im wesentlichen nur an, kulturpsychologisch und sozio-
logisch L. v. Wiese und Vierkandt, konstitutionsmedizinisch Kretsch-
mer und A. Mayer, rassenhygienisch vor allem Grotjahn, kriminologisch
F. Reuter folgend, Mit Entschiedenheit tritt er für staatliche Eheberatung
und Ehevermittlung nach eugenischen Gesichtspunkten ein, ohne heute schon
„Eheverbote“ für möglich zu halten; statt ihrer fordert er „Elternschaftswar-
nungen“ und „Elternschaftsmahnungen“. Die ehereformerischen Experimente in
Sowjetrußland findet er „teils sozialhygienisch sehr wertvoll, teils gegen die
menschliche Gesellschaft gerichtet“. Das elfte Kapitel: Geburtenhäufigkeit —
bringt eingehende und graphisch gut veranschaulichte Mitteilungen über die
wichtigsten Phänomene des Bevölkerungsstandes und der Bevölkerungsbewegung
unter klarer Herausarbeitung der eugenischen Bevölkerungspolitik als
424 Kritische Besprechungen und Referate.
dringendster rassen- und sozialhygienischer Aufgabe. „Im Gegensatz zu der sog.
imperialistischen und der merkantilistischen Bevölkerungspolitik, bei denen es
sich angeblich nur um eine möglichst große Anzahl von zukünftigen Soldaten
resp. Arbeitern gehandelt hat, stellt Tandler die soziale Bevölkerungspolitik
auf: an der grenzenlosen Vermehrung der Menschen hat der Sozialismus kein
Interesse; er fragt vielmehr nur nach, ob die Geborenen auch noch die Mög-
lichkeit haben, ein menschenwürdiges Dasein zu führen. Als großes Verdienst
muß es Tandler immer wieder angerechnet werden, daß er, keineswegs blind
für die Schäden der Verherrlichung des Proletariats und für die Schäden der
unproduktiven bevölkerungspolitischen Aufgaben, immer wieder die qualitative
Bevölkerungspolitik im Gegensatz zu der quantitativen befürwortet. Unter Hin-
weis auf die noch immer höhere Fortpflanzungstätigkeit der Juden (in Oester-
reich und Osteuropa, Ref.) und der Chinesen betont er auch immer sehr richtig,
daß die seelischen Einflüsse auf die Geburtenhäufigkeit bedeutungsvoller sind als
die so viel beschuldigten materiellen Einflüsse, viel bedeutungsvoller als Reich-
tum, Armut und ähnliches.“ Folgerichtig weist der Verfasser auf die verhält-
nismäßige Aussichtslosigkeit aller sozialpolitischen Maßnahmen zum Zwecke
der Geburtenfrequenz hin, stellt auch die Frage nach der moralischen Zu-
lässigkeit durch wirtschaftliche Belohnung der Eltern, das Kinderhaben zu einem
„Geschäft“ erniedrigen zu wollen, und scheint die meiste Sympathie noch der
„Lieblingsidee“ von F. Lenz entgegenzubringen: „bäuerliche Lehen“ an aus-
gesucht tüchtige Familien mit Erbrecht nur bei einer Mindestzahl von Kindern.
Die Ergebnisse der Untersuchungen über den Verlauf von Schwangerschaft und
Geburt, denen das zwölfte Kapitel gewidmet ist, sind so widerspruchsvoll, daß
sie den Verfasser selbst zu größter Zurückhaltung in seinem Urteil über die
zweckmäßigsten Arten des notwendigen Schwangeren- und Mutterschutzes veran-
lassen: wie Verweichlichung, Arbeitsabgewöhnung und die Züchtung der Ver-
antwortungsscheu von der sozialen Gesetzgebung zu vermeiden, von ihr dagegen
wirkliche Fürsorge für die schwangere arbeitende Frau, die erwerbs- und
berufstätige Mutter und ihr Kind zu leisten sei, erscheint ihm vorläufig noch als
Problem. Im Kapitel 13 — Fehlgeburt — wird u. a, die auffallende Zunahme
der Perforationen beleuchtet und über die Zulassung der Schwangerschaftsunter-
brechung gesprochen, ohne eigene Stellungnahme zu den strittigen Punkten, aber
unter Heranziehung der russischen Verhältnisse. Es folgen die Kapitel 14: Säug-
lingssterblichkeit und Kinderaufzucht — 15: Berufsarbeit der Kinder und Jugend-
lichen — 16: Frauenstudium (s. 0.) — 17: Gesetzgebung und arbeitende Frau —
18: Leitsätze der Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene — 19: Der Unterricht
der Studierenden und Aerzte in sozialer Hygiene und Fortpflanzungshygiene.
Dieser letzte Abschnitt gibt Hofstätter zu einigen Bemerkungen Veranlas-
sung, auf die zum Schluß noch besonders hingewiesen sei. Als Grundlage einer
neuen und haltbareren Ethik wird die Pflege des Familiensinnes gefordert; in
dieser Hinsicht „könnten wir ruhig von den Chinesen lernen“. Auch insofern sei
China beispielgebend: „Der Hauptzweck der Frau in China ist tatsächlich nicht,
für sich selbst oder für die Gesellschaft zu leben, auch nicht Reformatorin oder
Vorsitzende des Vereins für natürliche weibliche Füße zu sein, noch selbst als
Heilige zu leben oder der Welt Gutes zu tun, sondern: eine gute Tochter, gute
Kritische Besprechungen und Referate. 425
Mutter oder gute Ehefrau zu sein“ (Ku Hung-Ming). Es sei unbedingt zu
fordern, daß bereits vor dem Universitätsstudium der Biologie ein größerer
Raum im Unterrichte eingeräumt werde, daß aber die Rassenhygiene nicht als
Unterrichtsfach, sondern als Grundzug und Leitgedanke des gesamten biologi-
schen und hygienischen Unterrichtes zur Geltung komme.
Ein Literaturverzeichnis von 56 Seiten und ein übersichtlicher Index ver-
schaffen dem Buche den Wert eines guten Nachschlagewerkes und einer tüch-
tigen Hilfe für die gleichsinnige Arbeit anderer.
Ich habe in diesem Referat auf die Einfügung kritischer Anmerkungen ver-
zichtet, weil es sich bei dem Hofstätterschen Buche überwiegend um Kompi-
lationen handelt. Aber eine Note sei doch erlaubt, nämlich die: den darin
pedantischeren Reichs-, namentlich den Norddeutschen stört die etwas unsorg-
same Behandlung des Satzes und des Ausdruckes bisweilen sehr; und eine
straffere und konsequentere Disposition des Stoffes und damit vielleicht auch eine
Verdichtung der ganzen Darstellung wäre von Vorteil gewesen. Das große Ver-
dienst, das sich Hofstätter mit seinem Werke um eine sozialbiologische und
rassenhygienische Betrachtungsweise der Erwerbs- und Berufsarbeit der Frau er-
worben hat, wird dadurch natürlich nicht geschmälert. Max Marcuse (Berlin).
Lindsey, Ben, Die Revolution der modernen Jugend.
Lindsey, B. und Evans, W., Die Kameradschaftsehe. Stuttgart. Deutsche
Verlagsanstalt.
Die beiden Bücher des amerikanischen Jugendrichters Lindsey gehören
zu den meistgelesenen Büchern der letzten Jahre. Wie man auch ihren Wert
beurteilen mag — jedenfalls sind sie nicht ohne Einfluß auf unsere gebildete
Jugend geblieben. Deswegen erscheint es angezeigt, sie hier einmal vom rassen-
hygienischen Gesichtspunkt aus zu besprechen.
In der „Revolution der modernen Jugend“ vertritt Lindsey den Stand-
punkt, daß die heutige Jugend nicht unmoralischer sei, als die Jugend der vorigen
Generationen war. Die Verhältnisse seien nur gegen früher in der Weise geändert
(größere Freiheiten der jungen Mädchen, Möglichkeit der Empfängnisverhütung
usw.), daß die jetzige Jugend mit ihrer Auflehnung gegen die Konvention Erfolg
habe. Ein gutes Teil Schuld an dem Ueber-die-Stränge-Schlagen der Jugend falle
den Eltern zu, die in vogelstraußmäßiger, bequemer Sicherheit so tun wollen,
als ob es keine Schwierigkeiten für die jungen Menschen gäbe. Die Jugend wolle
sich mit Heimlichkeit und prüder Halbheit, mit konventionellem Zwang und
jahrelangem Warten — was alles sie als unsittlich empfinde — nicht zufrieden
geben, sondern wolle nach ihrem natürlichen Verlangen leben. Dem jungen Mann
sei die Prostitution verabscheuungswürdig geworden; die petting-party mit dem
friend-girl sei ihm etwas Selbstverständliches, Gutes und Schönes. Da die alten
Bindungen keine Geltung mehr hätten, suche die Jugend sich ein neues Ideal zu
bilden. Lindsey sieht es in der Regelung der Beziehungen zwischen den jungen
Männern und jungen Mädchen durch „gesunden Menschenverstand und guten
Geschmack“. Die Konsequenzen, die die Revolution der modernen Jugend auf
längere Sicht für die Gesellschaft haben muß, sieht Lindsey nicht. Ueber-
haupt fehlt in seinen Büchern der soziale Gesichtspunkt fast völlig. Dieser Mangel
tritt besonders kraß in dem Buche über die „Kameradschaftsehe“ in die Erschei-
426 Kritische Besprechungen und Referate.
nn 00 aaa m =. .— m a
nung. Lindseys Forderungen zur Ehereform sind: erstens die gesetzlich aner-
kannte Geburtenkontrolle (in Amerika besteht ja ein Gesetz gegen die Bekannt-
gabe von Präventivmitteln) und zweitens die Scheidung bei beiderseitiger Ein-
willigung, ohne daß der Frau irgendwelche Unterhaltsansprüche aus der Ehe
zustehen sollen; Berufsausbildung für jedes Mädchen sei Vorbedingung. Wenn
ein Kind geboren werde, müsse die Ehe durch einen zweiten, festeren Ehevertrag
für die Dauer der Erziehungsbedürftigkeit des Kindes gesichert werden. — Vom
Standpunkt der Rassenhygiene ist dazu zu sagen, daß die Kameradschaftsehe im
Sinne Lindseys keine annehmbare Lösung bedeutet. Kinder würden in jedem
Falle jahrelang, in allzu vielen Fällen dauernd vermieden werden, denn ihre
Geburt würde ja das „Uebel“ der schweren Lösbarkeit der Ehe nach sich ziehen.
Das Abwechselungsbedürfnis würde sanktioniert werden. Die Frauen würden in
der Regel die Leidenden sein, besonders diejenigen, die eine Kameradschaftsebe
mit einem gleichaltrigen Manne eingegangen wären (Student und Stu-
dentin) und, wenn der Mann sie nach einer Reihe von Jahren verließe, nicht
leicht mehr einen neuen Ehekameraden finden würden. — Wie in dieser einen
Frage, so sind die Lindseyschen Bücher überhaupt in ihrem gesamten Ge-
dankengehalt oberflächlich. Sie verkünden den ringenden jungen Menschen eine
billige Lösung, die im Grunde aber durchaus keine Lösung ist. Im Gegenteil wird
die Lage durch die Erregung von Illusionen, die nicht ungestraft verwirklicht
werden können, eher erschwert. Kara Lenz-v. Borries.
Sanger, Margaret, Zwangsmutterschaft, Berlin u. Leipzig 1929. Deutsche
Verlagsanstalt. 296 S. 8.50 M.
Margaret Sanger ist eine amerikanische Vorkämpferin für die Geburten-
regelung. Sie veröffentlicht in diesem Buche Hunderte von Briefen ameri-
kanischer Arbeiter- und Farmerfrauen, die sich in der Not ihrer zu großen
Kinderzahl mit der Bitte um die Anweisung eines Geburtenverhütungsmittels
an die Verfasserin gewandt haben, Wie man auch zur Frage der Geburten-
verhütung stehen mag — jedenfalls läßt uns Margaret Sangers Buch einen
Blick in die verzweifelte Lage der Familien, die mehr Kinder haben als sie
wünschen und ernähren können, tun. Ein Teil der Briefe spricht von drückender
Armut, wo Entbehrungen, Sorgen, Hunger, Schulden, ewige Unruhe und Angst
die Menschen bedrücken, und wo die Frauen aus der „doppelten Sklaverei nie
ausgehender Arbeit und nie aufhörender Schwangerschaften“ nicht heraus-
kommen. Eine andere Gruppe von Briefen läßt erkennen, wie zahlreiche Frauen
— auch ohne unmittelbar drückende Armut — unter unfreiwilliger Mutter-
schaft leiden. Jedes Jahr müssen sie ein Kind zur Welt bringen oder eine Fehl-
geburt durchmachen. Immer wieder lesen wir, daß die Frauen gerne Kinder
haben und ihre Kinder lieben und alles für sie tun, daß es aber zu viele sind
und daß die Mütter nicht zur Ruhe kommen. „Gibt es irgendein Mittel? Von
meinem Mann und von Aerzten kann ich nichts erwarten. Ich möchte mich noch
einmal wohlfühlen, nur damit meine Kinder wüßten, was ihnen ihre Mutter
sein könnte.“ (S. 121.) Zwei Jahre Pause zwischen den Kindern werden sehn-
lich gewünscht. Die Frauen scheinen meist für die Verhütung der Empfängnis
allein verantwortlich gemacht zu werden. Eine große Zahl von Frauen, die
krank sind und deswegen eine weitere Schwangerschaft fürchten oder die unter
Kritische Besprechungen und Referate. 427
ganz besonders schweren Geburten oder wiederholten Fehlgeburten gelitten
haben, oder schließlich Frauen, die wegen einer erblichen Krankheit keine
Kinder mehr haben möchten, beklagen sich, daß sie von den Aerzten nur den
nichtssagenden Rat bekommen: „Sehen Sie zu, daß Sie nicht wieder schwanger
werden!“ Recht eindrucksvoll sind auch Briefe von Männern und Frauen, die
die Lösung der Geburtenverhütung auf dem Wege der Enthaltsamkeit versuchen.
Einerseits schwerer, kaum durchzuführender Verzicht und unerfüllte Sehn-
sucht nach einem glücklichen Eheleben, andererseits Entfremdung, ja häufig Zer-
rüttung der Ehe zeigen, daß auf diese Art der Konflikt nicht allgemein gelöst
werden kann. Als Letztes bleibt den Frauen die Abtreibung, deren Ausmaß
und deren gesundheitliche und sittliche Gefahren man in Deutschland nicht
weniger ernst nehmen sollte, als Margaret Sanger es für Amerika tut. Finden
doch in Deutschland jedes Jahr rund eine Million Abtreibungen statt, und
sterben doch schätzungsweise 10000 Frauen jährlich an den Folgen von Ab-
treibung durch Nichtärzte. Im ganzen trifft das Buch von Margaret Sanger
mit seiner unmittelbaren Absicht nur amerikanische Zustände, denn es wendet
sich gegen das amerikanische Gesetz, das die Bekanntgabe von Geburten-
verhütungsmitteln verbietet. In Deutschland besteht ein solches Gesetz nicht.
Immerhin wird das Buch auch bei uns seine Wirkung tun. Belehrbaren Gegnern
der Geburtenverhütung wird es ihre übernommenen Vorstellungen ins Wanken
bringen, indem es die praktische Notwendigkeit einer vernünftigen Beschrän-
kung der Kinderzahl zeigt. Auf der anderen Seite wird es hoffentlich bei denen,
die in der Forderung einer möglichst weiten Verbreitung der Kenntnis zweck-
mäßiger Verhütungsmittel mit Margaret Sanger übereinstimmen, die Frage
entstehen lassen: Wenn nur noch Kinder geboren werden, die von den Eltern
gewünscht werden, wie müssen dann die sozialen und wirtschaftlichen Ver-
hältnisse gestaltet werden, damit eine zur Erhaltung der Familie ausreichende
Kinderzahl erwünscht bleibt und zur Welt gebracht wird? Zu dieser Frage
nimmt Margaret Sanger leider keine Stellung; sie sieht das Problem der Ge-
burtenregelung nur als ein einzelmenschliches an und unterläßt es, die weit-
tragenden sozialen und biologischen Folgen ihrer Forderung durchzudenken.
KaraLenz-vonBorries.
Popp, Walter: Das pädagogische Milieu. Mann’s Pädagog. Magazin
Heft 1179. H. Beyer u. Söhne. Langensalza 1928. V + 234 S. Preis 4.60 Mk.
Die Pädagogik macht sich in zunehmendem Maße den Milieugedanken zu
eigen, ohne daß jedoch der Begriff der psychologischen und pädagogischen Um-
welt schon völlig geklärt ist. Popp unternimmt es, nachdem er den Milieubegriff
als wissenschaftsnotwendig aufgezeigt hat, die Einwirkungen der Außenwelt auf
das menschliche Individuum eingehend zu analysieren. Als Anpas sungs-
einwirkungen bezeichnet er die mehr formalen Reize, die die Entwicklungshöhe
einer Anlagefunktion sowohl auf körperlichem als auf geistigem Gebiet bedingen
(z. B. Leistungsfähigkeit des Sensoriums, des Gedächtnisses, Grad der Gefühls-
erregbarkeit), während es sich bei den Einpassungserscheinungen um
Reaktionen handelt, die zugleich von der inhaltlichen Eigenart des schaffenden
Reizes erfüllt sind (Vorstellungsbesitz, Wertungen, Interessen, Motiv des Han- -
delns). Dem realen Milieu als dem Komplex, der sich zusammensetzt aus den
428 Kritische Besprechungen und Referate.
Objekten und allen Phänomenen, die sich unmittelbar an die Sinne und an das
Vorstellungsleben wenden, steht das objektiv-geistige Milieu gegenüber,
die Gesamtheit von Bewertungen, Ordnungen und Ordnungssystemen, vom Ver-
fasser in Anlehnung an die Sprangerschen Lebensformen in verschiedene
Auffassungssysteme gegliedert. Träger und Vermittler der Umweltseinwirkungen
ist das personale Milieu, von dessen Beschaffenheit es abhängt, ob das an
sich nur potentielle geistige Gut zum eigentlichen Milieubestand für das Subjekt
realisiert wird. Das wirtschaftliche Milieu ist zwar in diesem Sinne keine
eigene Milieuform, bezeichnet aber eine wichtige Ausprägung des einheitlichen
individuellen Milieus, insofern es beispielsweise „eine größere Fülle und Aus-
erlesenheit von Objekten der verschiedensten Art aufweist, ... . ferner eine
gewisse größere Aussicht besteht, daß der ganze Lebenskreis auf Grund seines
größeren Zuschnitts und der ihm zugrunde liegenden personalen Voraussetzun-
gen auch reichhaltiger an Beziehungen zu den verschiedensten Ordnungs- und
Auffassungssystemen ist, .. . endlich auch die einer so charakterisierten Lebens-
sphäre angehörenden Menschen in höherem Maße an dem geistigen Gut der
Epoche teilhaben und darum für ein in ihrem Kreise aufwachsendes Individuum
zu umfassenderer Vermittlung geeignet sind“ (S. 130). In weiteren Kapiteln
werden die Einwirkungen des Milieus auf das Kind unter pädagogischer Einstel-
lung ausführlich dargestellt. In der Frage des gegenseitigen Verhältnisses von
vererbter Anlage und Milieueinfluß vertritt Popp den Konvergenzstandpunkt
Sterns. Wenn er auf Grund seines Studiums von Fürsorgeakten zu der Meinung
kommt, daß die Vererbung für die kriminellen Abwegigkeiten ohne Bedeutung
sei, sondern daß es sich bei mehr als neun Zehnteln der Fälle um Erziehungs-
defekte handle, so ist damit natürlich nichts gesagt über etwa in der Persönlich-
keit vorhandene vererbte Dispositionen, die unter bestimmten äußeren Anreizen
zu abwegigem Verhalten führen, ohne daß bei den Eltern selbst solche Verhaltens-
weisen manifest aufgetreten sein müssen. Das Literaturverzeichnis enthält fast aus-
schließlich pädagogische und fürsorgerische Werke. A.Argelander (Jena).
Rohrbach, Paul, Der Tag des Untermenschen. 294 S. Berlin 1929. Safari-
Verlag.
Dieser Roman soll hier nicht nach seinem literarischen Wert, sondern nach
seinem Gedankengehalt beurteilt werden. Wollten wir ein literarisches Urteil ab-
geben, dann ginge es ohne einige Kritik an der Durchgestaltung der Handlung
und der Personen nicht ab. Der Verfasser schreibt selbst als Motto über sein
Buch: „Mehr Inhalt, weniger Kunst!“ Nehmen wir es also, wie er es geben wollte.
‘Der gedankliche Inhalt liegt ihm sehr am Herzen und wird uns auf gute Art
nahegebracht. Das Buch ist lebendig geschrieben und angenehm zu lesen. Für
das Wertvollste halte ich, daß Rohrbach uns aus dem Schatz persönlicher
Reiseeindrücke Bilder von den verschiedensten auslandsdeutschen Siedlungen gibt.
Die Hauptperson des Romans ist ein ernst denkender, idealistischer deutscher
Privatdozent namens Heinrich Woltmann. Er bereist vor dem Kriege die deut-
schen Auslandssiedlungen. Mit seinen Augen und aus seinen Unterhaltungen lernen
wir die Auslandsdeutschen kennen. Im Kaukasus leben deutsche Kolonisten,
die zäh und fleißig ihre Arbeit tun, die mit ihren engen Verhältnissen zufrieden
sind und sich nicht zu einer Herrenstellung aufschwingen. Es ist kein Führerblut
Kritische Besprechungen und Referate. 429
in ihnen. Sie sind aus dem deutschen „Volksfaß“ an einer tiefliegenden Stelle
abgezapft worden, und zwar zu einer Zeit, als aus den unteren Schichten die
Menschen mit höherer Begabung schon ausgesiebt waren. In Siebenbürgen und
Livland dagegen, wohin fünfhundert Jahre früher aus einer höheren Schicht
Deutsche gewandert sind, haben diese sich eine Herrenstellung errungen. — In
Afrika lernt Heinrich Woltmann die Arbeit der Europäer zur Bekämpfung der
Schlafkrankheit kennen. Die Neger können der Schlafkrankheit nicht Herr wer-
den; die weiße Rasse muß ihre höhere Intelligenz, Organisationsbegabung und
Tatkraft in den Dienst der Befreiung Afrikas von dieser Geißel stellen. „Afrika
gesund zu machen für Schwarze und Weiße, das soll unsere deutsche Arbeit hier
sein!“ Auch für Weiße — denn die Weißen brauchen die Arbeitskraft des Negers,
„der imstande ist, die Erde auch unter dieser Sonne mit seinen Händen zu be-
bauen. Afrikanische Kolonialpolitik ist immer Eingeborenenpflege“ (S. 74). — In
Brasilien ist Heinrich Woltmann Gast auf deutschen Farmen. Er erkennt,
daß hier, wo Raum ist, viele Kinder ein Vorteil sind — im Gegensatz zu den
Verhältnissen im deutschen Mutterlande. Der Farmer braucht Kinder als Arbeits-
kräfte. „Ein Mann konnte soviel Land in Kultur nehmen, soviel Mais bauen,
soviel Obstbäume pflanzen, soviel Zuckerrohr schneiden, soviel Schweine schlach-
ten, soviel Schmalz sieden, wie er Kinder hatte, ihm bei der Arbeit zu helfen“
(S. 146). Sind die Söhne erwachsen, so kauft ihnen der Vater ein Stück Urwald,
und die ganze Familie hilft beim Roden und Einrichten der neuen Farm. „Un-
aufhörlich klang die Lebensmelodie: hinaus, schlagt, brennt, pflanzt, gründet
Heime, zeugt Kinder, Kinder und immer wieder Kinder“ (S. 145).
Durch Rohrbachs Buch zieht sich als roter Faden die Erkenntnis der
Unterschiede der Rassen, der Gefahr des Aussterbens der hochwertigen Rassen-
elemente und der Ueberhandnahme des Pöbels. Als Heinrich Woltmann nach
schweren Kriegs- und Revolutionserlebnissen nach Sowjetrußland geht, um zu
erkunden, ob vom Bolschewismus her Rettung für Deutschland kommen könne,
sieht er dort den Pöbel am Ruder. Der Untermensch fletscht die Zähne. Da gehen
ihm die Augen auf: „Unaufhaltsam wächst heute die Masse! Unaufhaltsam ent-
mischt sie sich durch den Aufstieg der Tüchtigen! Unaufhaltsam ist das Aussterben
der Tüchtigen durch die Feigheit vor dem Kinde. Was unten zurückbleibt, wird
Erbmasse des Untermenschen. .... Die Tüchtigkeit, die noch heraufgeholt wer-
den kann, ist nicht unerschöpflich. Nur der Untermenschenbrunnen ist uner-
schöpflich, er strömt immerfort, immerfort! ... Der Tag des Untermenschen steigt
drohend herauf“ (S. 293). Und zum Schluß klingt das Buch aus in die Mahnung:
„Helft das Führererbe retten, helft Führersaat säen!“ Kara Lenz-v.Borries.
Annualre Statistique Internationale (International Statistical Year-Book). Vol. 3.
Genève 1929. 8.— M.
Zum drittenmal erscheint das vom Völkerbund in französischer und englischer
Sprache herausgegebene internationale statistische Jahrbuch, und zwar wird in den
vorliegenden Jahrgängen über die Ergebnisse der Jahre 1925—1927 berichtet. Der
systematische Aufbau ist in den drei Bänden im allgemeinen gleichgeblieben. An
einen bevölkerungsstatistischen Teil schließen sich Angaben über Viehbestand,
Produktion, Handel und Verkehr, öffentliche Finanzen, Geld und Preis an. Wenn
auch der Sozialbiologe die auf die Wirtschaft bezüglichen Tabellen sicherlich
430 Kritische Besprechungen und Referate.
nicht ohne Gewinn studieren wird, so interessiert in dieser Zeitschrift natur-
gemäß in erster Linie das im bevölkerungsstatistischen Teil gesammelte Material.
Blieb beim ersten Band (1927) auf diesem Gebiete noch manches zu wünschen
übrig, so lassen die folgenden Bände das dankenswerte Bestreben erkennen,
gerade hier eine fortlaufende Verbesserung und Vervollständigung vorzunehmen;
insbesondere hat das Jahrbuch dadurch eine wesentliche Bereicherung erfahren,
daß vom 2. Band (1928) ab neben den Relativziffern der natürlichen Bevölke-
rungsbewegung auch die absoluten Zahlen geboten werden; ferner werden seit-
dem Angaben über die Wanderung gebracht; außerdem war dem zweiten Band
eine Tabelle mit Angaben über die Todesursachen eingefügt, die sich allerdings
auf die Durchschnittszahlen der Jahre 1921—1925 beschränkten. Sehr wertvoll
sind die Zusammenstellungen der nach Alter und Beruf gegliederten Bevölke-
rungsbestände.
Was die Bevölkerungsbewegung betrifft, so sind die wichtigsten Angaben in
der Tabelle 1 zusammengestellt. Hinsichtlich der Geburtenziffer zeigt sich
deutlich das bekannte, die Kulturwelt beherrschende Bild des Geburtenrückganges,
der nunmehr auch solche Länder zu erfassen beginnt, welche bisher sich resistent
gezeigt haben, wie Italien, Bulgarien, Holland, Spanien, Rumänien, Tschecho-
slowakei und Ungarn. Bemerkenswert scheint die Konstanz der Geburtenziffer in
den Randstaaten Litauen und Lettland sowie in Irland. Die Angaben über Rußland
und Polen sind wohl nur mit größter Reserve zu bewerten. Unverändert hoch
sind die Geburtenziffern in Japan und Aegypten. Deutschland rangiert bekanntlich
an wenig günstiger Stelle und wird nur von Schweden, Norwegen, England,
Frankreich, Schweiz, Oesterreich und Estland unterboten.
Bei Betrachtung der Sterblichkeit wird die bedauerliche, aber schon
seit langem erwartete Erscheinung deutlich, daß die stetig sich senkende Sterb-
lichkeitskurve in einem großen Teil der Staaten zu einem horizontalen Verlauf
übergegangen ist, ja da und dort bereits Merkmale zeigt, welche als Ansatz zu
steigender Tendenz angesehen werden können. Weiterhin rückläufig ist die Kurve
in Oesterreich, Italien, Spanien, Aegypten, Neuseeland und Japan. Deutschland
nimmt hinter Norwegen, Dänemark, Holland, Australien und Neuseeland eine
verhältnismäßig günstige Stellung ein. y
Entsprechend diesen Eigentümlichkeiten der beiden Hauptkomponenten der
natürlichen Bevölkerungsbewegung zeigt der Geburtenüberschuß in den
meisten Ländern eine erhebliche Abbröckelung. Steigenden Geburtenüberschuß
weist nur Italien, Spanien, Litauen, Rußland und Japan auf, auch in Frankreich
hat er sich von 0,6 in Friedenszeiten auf 1,6 im Jahre 1927 vermehrt. Deutsch-
land stellt sich mit 6,3 immer noch besser als Schweden, England, Frankreich,
Belgien, Schweiz, Oesterreich, Estland und der irische Freistaat.
Ein genaueres Eingehen auf die Vermehrungsverhältnisse der einzelnen Länder,
insbesondere durch Berechnung von Fruchtbarkeitsziffern, ist leider nicht mög-
lich, da für die jüngste Zeit die hierzu notwendigen Bevölkerungsziffern nur für
einen geringen Teil der Staaten vorliegen. In der Tabelle 2 sind für einige Länder
allgemeine Fruchtbarkeitsziffern, bezogen auf die weibliche Bevölkerung von 15
bis 50 Jahren, berechnet.
Das Material über die Wanderungsverhältnisse läßt die Stellung der amerika-
nischen Union, Australiens, Neuseelands, Argentiniens, Brasiliens, Frankreichs
Kritische Besprechungen und Referate. 431
Tabelle 1.
Geburtenziffer Sterbezifler Geburtenüberschuß
905/0911920/24| 1925 | 1926 |1927111905/09| 1920/24| 1925 | 1926 |1927111905/0911920/24| 1925 | 1926 | 1927
Deutschland || 323 | 231 |206|195|183|| 183 | 139 1119/1171120! 140 | 92 | 87| 78| 63
Oesterreich — | 225 | — |2001178| — | 168 | — | 151/149 — 57 | — | 49| 29
Tschecho-
slowakei 330 | 273 1251|245|233|] 241 | 169 |152|156|160| 89 | 104 | 99| 89] 73
Schweiz 264 | 199 |184|182|174| 165 | 129 |122|117|123|| 99 70 | 62| 65] 51
Niederlande || 300 | 265 |241/2381231|| 147 | 108 | 96| 98|103|| 153 | 157 |145|140| 128
Belgien 251 | 109 |197|190|183|| 162 | 136 |131|133}135|| 89 73 | 66| 57| 48
Frankreich | 201 | 201 |191|1881181|| 195 | 175 |177|1751165 6 26 | 14| 13| 16
England 267 | 213 |183|178|166| 151 | 122 |122/117 (123) 116 | 91 | 61| 61 | 43
Irischer
Freistaat 206 |203 1411148 65| 55
Nordirland loss 208 |203| 295 |213| 172 | 144 1144| i50l146 62 | 64 | 591 75| 67
Dänemark 284 | 231 ‚211/205 195|| 141 | 117 |109|110|115|| 143 | 114 |102| 95| 80
Norwegen 267 | 235 |200|1971182|| 141 | 118 |109/106|110| 126 | 117 | 91| 91| 72
Schweden 256 | 203 |175|1691161|| 146 | 124 |1171118|127|| 110 | 79 | 58| 51| 34
Finnland 310 | 238 | — |217211|| 177 | 147 | — |134|145|| 133 | 91 | — | 83| 66
Estland 265 | 192 | — |179/177|| 192 | 165 | — |162|173| 73 | 27 | — | 17| 4
Lettland 308 | 214 |222/217|221|| 206 | 144 |149|145|154|| 102 | 70 | 73| 72| 67
Litauen — | 264 |289| — |294| — | 170 |169| — |173| — 94 |120| — | 121
Polen — | 322 |343/)326 1316| — | 176 |163| 1761174| — | 146 |180|150| 142
Rußland
(R.S.F.S.R.) || 455 | 409 |470| — |437| 294 | 217 |259| — |227| 161 | 192 |211| — | 210
Rumänien 401 | 388 |347| — |341| 259 | 246 |207| — |222| 142 | 142 |140| — | 119
Bulgarien 425 | 406 |370| — |329| 235 | 216 |192| — |202| 190 | 190 |178| — | 127
Ungarn 363 | 300 |283|266|252|| 257 | 207 1171/1641176) 106 | 93 |112|102| 76
Italien 11326 | 299 |27512781269|| 217 | 174 |166|168|157| 109 | 125 |109|110| 112
Spanien 340 | 303 |293|2991286|| 249 | 211 |194|190|1189| 91 | 92 | 99/109] 97
Aegypten 452 | 429 |428|4321427|| 265 | 258 |260/262|245|| 187 | 171 |168|170| 182
Australien 266 | 244 |229|220|217| 108 | 98 | 92| 94| 95|| 158 | 146 |137|126| 122
Neuseeland || 273 | 230 |212|211/202| 97 | 90 | 83| 87| 84| 176 | 140 |129|124| 118
Japan 319 | 348 |349/3471350| 209 | 229 |203| 1921198] 110 | 119 |146|155| 152
Union — 231 1214/206| — || 154 | 121 |122|122| — | — 110 | 92| 84| —
Tabelle 2.
1924 | 1925 | 1926 | 1927 1924 | 1925 | 1926 | 1927
Deutschland 70,22 | 71,42 | 67,85
Irischer Freistaat | 80,56 | 78,87 | 77,73
Nordirland 86,51 | 84,15 | 85,60
Neuseeland 79,36 ! 79,75 | 80,66
Japan [141,64 |147,84 |149,14 | 146,05
Lettland | 78,27 | 78,54 | 78,09| 79,11
Litauen [114,86 |114,65 |114,49 | 118,91
und Belgiens als Länder mit fremdstämmigem Wanderungsgewinn deutlich er-
kennen. Die wichtigsten Länder mit nationalem Wanderungsverlust sind in der
Tabelle 3 zusammengestellt. Leider läßt sich der Wanderungsverlust für mehrere
wichtige Länder, darunter auch Deutschland, nicht berechnen, da die Angaben
über die nationale Rückwanderung fehlen.
432 Kritische Besprechungen und Referate.
Tabelle 3.
Ueberseeischer Wanderungsverlust.
Absolute Zahlen Auf 1000 Einwohner
1913 1920/24 1925 1926 1927 1913 | 1920/24 | 1925 | 1926 | 1977
Belgien — 1250| 1465| 2560| 2878| — | 0,2 | 0,2 | 03 | 0,4
Spanien — 44031 | 17657 | 5234| 2350 | — | 2,0 | 0,8 | 0,2 | 0,1
Ungarn — 2872| 3210| 5456| 5031 | — | 0,4 | 0,4 | 0,6 | 0,6
Freistaat Irland — 13447 | 28025 | 28255 | 25244 | — 46 | 9,4 | 9,5 | 8,5
Italien 370588 | 106013 | 41000 | 50000 | 56000 | 10,4 | 2,7 | 1,0 | 1,2 | 1,4
Polen — 22252 | 34348 | 43876 | 51381 | — | 0,9 | 1,2| 15 | 1,7
Portugal — 12786 | 4373| 18235 | 13562 | — | 2,1 | 0,7 | 2,9 | 2,2
Rumänien — — — 20345 | 5645 | — — — | 1,2 | 0,3
England 303685 | 144634 | 84259 1115538 | 97790 | 6,6] — 1,9 | 2,5 | 2,1
Serbokroatien — 2154 | 10085 | 10893 | 4800 | — 0,2 | 0,8 | 0,9 | 0,4
Schweden 12307 | 7701| 7352| 8734| 8111 | 22| 1,3 | 1,2[|14 | 13
Tschechoslowakei — 9389| 4778| 9268| 12096 | — | 0,7 | 0,3 | 0,6 | 0,8
Im ganzen gliedert sich das internationale statistische Jahrbuch den anderen
wertvollen Veröffentlichungen des Völkerbundes würdig ein. Immerhin bleiben
noch gewichtige Wünsche des Sozialhygienikers unerfüllt. Wenn auch zugegeben
werden muß, daß zum Detailstudium die speziellen Quellenwerke der Einzel-
staaten nicht entbehrlich gemacht werden können, so wäre es doch ohne wesent-
liche Erweiterung des Ganzen auch für ein kompendiöses Nachschlagewerk mög-
lich, die Heiratsstatistik zu berücksichtigen. In der Geburtenstatistik wäre eine
Gliederung nach dem Familienstande der Mutter erforderlich, der eine entspre-
chende Ausgliederung auch der Bevölkerungsbestände zur Seite treten müßte.
Die Todesursachenstatistik wäre regelmäßig für die Einzeljahre zu bringen, und
zwar wenigstens in weitspanniger Altersgliederung (0—15, 15—30, 30—60, über
60 Jahre). Dagegen könnte die in jedem Bande durchgeführte, zum größten Teile
unveränderte Wiedergabe der Zahlen über Gebiets- und Bevölkerungsstand nach
Art der deutschen statistischen Jahrbücher durch entsprechende Hinweise im
Stichwortregister zum Teil leicht ersetzt werden. Wünschenswert wäre auch eine
genauere Darlegung der Verschiedenheiten in Nomenklatur, Erhebungsmethodik
usw. durch reichere Gestaltung der Fußnoten.
Mögen diese Ausstellungen ihren bescheidenen Teil dazu beitragen, den offen-
bar beabsichtigten Ausbau des neuen Quellenwerkes vorwärtszutreiben. Es kann
jedem Interessenten zum eingehenden Studium angelegentlichst empfohlen werden.
Schmidt (Fritzlar).
Notizen.
Tagung der Internationalen Vereinigung rassenhygienischer Organisationen 192%.
Die International Federation of Eugenic Organizations hat vom 27. bis
29. September 1929 eine Tagung in Rom abgehalten. Außer dem Vorsitzenden
Prof. C. B. Davenport (Vereinigte Staaten) waren folgende Mitglieder an-
wesend: Gini (Italien), Fischer (Deutschland), Frets (Holland), Mjöen
(Norwegen), Nilsson-Ehle (Schweden), Pestalozzi (Italien), Reichel
(Oesterreich), van Herwerden (Holland). Außerdem gehören der Vereinigung
Mitglieder aus folgenden Ländern an: Cuba, Dänemark, Estland, Frankreich, Groß-
britannien, Polen, Südafrika, Schweiz. Neu aufgenommene Mitglieder sind
Dr. Lüüs (Estland), Prof. H. Federley (Finnland), Dr. Waardenburg
(Holland). Für das nächste Jahr wurden Sir Bernard Mallet (England) und Prof.
Ruzička (Tschechoslowakei) zu Vizepräsidenten gewählt.
Am 27. September nachmittags wurden die Mitglieder von Mussolini, dem
italienischen Staatschef, empfangen. Bei dieser Gelegenheit wurde eine von Prof.
E. Fischer verlesene Adresse an Mussolini gerichtet, in der die Bedeutung rassen-
hygienischer Gesichtspunkte für die Bevölkerungspolitik betont wurde. Wir brin-
gen diese Adresse als besondere Notiz.
Prof. Gini als Vorsitzender des Ausschusses zur Erforschung der rassen-
hygienischen Wirkungen des Krieges legte ein ausführliches Programm für die
Tätigkeit dieses Ausschusses vor. Am Abend des 27. September wurde in einer
öffentlichen Sitzung der Bericht des Ausschusses zur Erforschung der Rassen-
kreuzung vorgelegt. Es wurde eine Erdkarte vorgezeigt, auf der die Gebiete, wo
gegenwärtig starke Rassenmischung stattfindet, eingetragen waren. Professor
Davenport legte dar, daß diese Gebiete zum Studium der Erblichkeit körper-
licher und geistiger Rassenanlagen besonders geeignet seien.
Am 3. September wurde auf Antrag von Pitt-Rivers (England) und Prof.
Nilsson-Ehle (Schweden) beschlossen, es solle der Versuch gemacht werden,
daß ein Abgeordneter des Völkerbundes Mitglied der Vereinigung rassenhygieni-
scher Organisationen werde. Auf Antrag von Dr. Vignes (Frankreich) wurde
beschlossen, daß Dr. Schreiber (Frankreich) in den Filmausschuß des Völker-
bundes eintreten solle.
Die von Davenport herausgegebenen Eugenical News sollen künftig das
offizielle Organ der Gesellschaft sein. Lenz.
Eine rassenhygienische Adresse an Mussolini.
Die Internationale Vereinigung rassenhygienischer Organisationen hat am
27. September 1929 bei Gelegenheit ihrer Tagung in Rom cine Adresse an Musso-
lini gerichtet, die von Prof. E. Fischer (Berlin-Dahlem) in ihrem italienischen
Text verlesen wurde. Der deutsche Text lautet folgendermaßen:
„Ew. Exzellenz. Wenn die „International Federation of Eugenic Organiza-
tions“ eine Sitzung in der ewigen Stadt Rom hat und dort eugenische Probleme
Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie, Bd. 22, Heft 4. 28
434 Notizen.
berät, ist es ihr geradezu eine Selbstverständlichkeit, ihre Hoffnungen und
Wünsche auch ganz unmittelbar demjenigen großen Staatsmann vorzutragen,
der mehr wie irgendein anderer heute in Wort und Tat gezeigt hat, wie sehr
ihm die eugenischen Fragen seines Volkes am Herzen liegen,
Kulturen und Völker der Vergangenheit sind ohne Ausnahme und rettungslos
nach unerhörtem Glanz zugrunde gegangen. Nach der Ueberzeugung aller, die
diese Katastrophen wissenschaftlich untersucht haben, ist mindestens ein Grund,
wenn nicht der hauptsächlichste, die Kinderlosigkeit und der Mangel an füh-
renden Männern. i
Europa stellt auch heute wieder in allen seinen einzelnen Kulturen nicht nur
einen Geburtenrückgang, sondern einen katastrophalen Geburtensturz
fest. Man sucht nach Mitteln dagegen, man hat Abwehrmaßnahmen ergriffen, am
bewußtesten und energischsten in Italien unter dem persönlichen Einfluß seines
großen Führers Mussolini. Wir, die wir als Männer der Wissenschaft berufen
sind, diese Bevölkerungsprobleme zu studieren und auf Grund unseres Wissens
Regierung und Volksvertreter auf die Gefahren hinzuweisen, wir sprechen
hiermit die Hoffnung und den heißen Wunsch aus, daß in all diesen Maßregeln
zur Hemmung des Geburtenrückgangs und zur Erhaltung oder Wiedererlangung
eines gesunden und reichlichen Nachwuchses fortgefahren, daß sie vermehrt
und verbessert werden.
Aber noch unendlich viel mehr liegt uns am Herzen, hier auszusprechen, daß
die Bevölkerungsfrage in allen Ländern neben der quantitativen eine unge-
heure qualitative Seite bat, Ein Volk braucht Masse, aber nicht nur Masse.
„Männer machen die Geschichte“, ist ein Wort, das gerade der geniale Leiter der
Geschicke des italienischen Volkes wiederholt zitiert hat,
Die größte Sorge aller Eugeniker ist heute die um die Erhaltung der Qualität.
Sie ist möglich! Sie ist für die Zukunft eines jeden Volkes von so ungeheurer
Wichtigkeit, daß jedes wirtschaftliche Opfer dafür sich lohnt. Die Opfer wären
gar nicht so sehr groß. Es kann hier nur angedeutet werden, daß man durch
entsprechende Einrichtungen auf dem Gebiet der Vermögens- und Einkommen-
steuer, noch mehr bei der Erbschaftssteuer auf den Bestand der begabten Fami-
lien in allen sozialen Schichten einwirken kann. Die Maßregeln müssen
nach der sozialen Lage der Familien zugunsten der Auf-
gestiegenen abgestuft werden, so daß die Besten den
größten Nutzen haben. Das klingt zunächst antisozial und antidemokra-
tisch. Da aber aus jedem Stand und aus jeder Schicht der Begabte in die Reihe
jener Begünstigten einrücken kann und der Schutz und Vorteil nicht für das
Individuum, sondern für die Familie ist, die dem Staat Kinder und künftige
Führer geben soll, ist jede solche Maßregel im wahrsten Sinn des Wortes eine
für die „res publica“, im wahrsten Sinn demokratisch. Ohne Zweifel lassen sich
heute die einzelnen nötigen Verwaltungs- und Gesetzesmaßnahmen für jedes ein-
zelne Volk von eugenischen Sachverständigen formulieren, so daß sie der Jurist
abfassen kann, und die einzelnen eugenischen Organisationen stehen gewiß
zur Verfügung.
Heute und hier in der ältesten Hauptstadt der Welt sprechen wir feierlich
die Hoffnung aus, daß es gerade den verantwortlichen Männern des hochbegabten
Notizen. 435
italienischen Volkes beschieden sein möge, zuerst und als Vorbild zu zeigen, daß
ein energischer Wille imstande ist, die Schäden auszugleichen, die unsere Kultur
der Volksvermehrung. und der Erhaltung der Begabten schlägt. Möge es ihr
gelingen, was früheren Kulturen versagt war, in das Schicksalsrad zu greifen,
es zu stellen und zu wenden! Die Qualität neben der Quantität! Und höchste Eile
tut not, die Gefahr ist ungeheuer. Videat Consul!“
Mussolini dankte auf Italienisch und sprach die Ansicht aus, daß in einem
Volke, dessen quantitative Fortpflanzung nicht künstlich gehemmt werde, die
Qualität ganz von selber auf der Höhe erhalten bleibe. Dann fragte er noch Prof.
Fischer, wie es gegenwärtig mit dem Alkoholverbrauch in Deutschland im Ver-
gleich zur Vorkriegszeit stehe; und dieselbe Frage richtete er an Dr. Mjöen in
bezug auf Norwegen.
Es war auf jeden Fall ein glücklicher Gedanke, die Gelegenheit der Tagung in
Rom und den Empfang durch Mussolini zu benutzen, um auf diesen im Sinne des
rassenhygienischen Gedankens einzuwirken. Die Betonung der Notwendigkeit
qualitativer Bevölkerungspolitik dürfte auch ihren Eindruck auf Mussolini nicht
verfehlt haben. Nur hätte die Qualität nicht neben, sondern über die Quantität
gestellt werden sollen. Auch würde ein sachlich greifbarerer Inhalt auf einen so
nüchternen Politiker wie Mussolini vermutlich mehr Eindruck gemacht haben als
die großen Worte und Huldigungen. Für politisch nicht glücklich halten wir
auch die Wendung, daß die Besten den größten Nutzen haben sollten. Trotz
der folgenden Beziehung auf die Familie dürfte dieser Satz unvermeidlich als
antisozial mißverstanden werden. Statt dessen hätte gesagt werden sollen, daß
die Kinderlosen und Kinderarmen mit großem Einkommen oder Vermögen
stärker belastet werden sollten. Sachlich kommt das auf dasselbe hinaus.
Aber der Ton macht die Musik. Mussolinis Antwort läuft leider auf eine Ableh-
nung der Rassenhygiene hinaus. Wenn man nur die künstlichen Hemmungen der
Fortpflanzung beseitige, so brauche man sich um die Qualität der Rasse nicht
eigens zu kümmern. Rein theoretisch halten wir diesen Satz für richtig. Denn bei
ungehemmter Fortpflanzung würde die alsbald eintretende Ueberfüllung des
Lebensraumes unvermeidlich einen schonungslosen Daseinskampf zur Folge
haben, in dem von jeder Generation die große Mehrzahl der Erzeugten frühzeitig
zugrunde gehen würde, vorab die Schwachen und Entarteten. Aber auch abge-
sehen von der Frage, ob man eine derartige Wiedereinsetzung der erbarmungs-
losen Naturauslese wirklich wünschen könne, ist eines ganz sicher: Auch der
Diktator Italiens wird die Beschränkung der Geburtenzahl nicht wieder aus der
Welt schaffen, selbst mit der rücksichtslosesten Härte nicht. Wenn aber Geburten-
verhütung geübt wird, so pflanzen sich die einsichtigen und wirtschaftlich tüch-
tigen Bevölkerungselemente schwächer fort als die dummen und untüchtigen, es
sei denn, daß durch einen rassenhygienisch richtigen Aus-
gleich der Familienlasten die wirtschaftlichen Hemmun-
gen der Fortpflanzung für die Tüchtigen, und nur für diese,
beseitigt werden, Ohne eine durchgreifende Rassenhygiene ist eine Erhal-.
tung der Rassentüchtigkeit nicht zu erreichen. Lenz.
28*
436 Notizen.
Ein Italienischer Kongreß für Genetik und Rassenhygiene.
Anschließend an die Tagung der Internationalen Vereinigung rassenhygieni-
scher Organisationen hat vom 30. September bis zum 2, Oktober in Rom ein groß
angelegter Kongreß für Genetik und Eugenik stattgefunden. Der Staatschef
Mussolini hatte das Ehrenpräsidium übernommen. Den Vorsitz führte Prof.
Corrado Gini.
Von eigentlicher Eugenik war kaum die Rede, und soweit es doch der Fall
war, fast nur in ablehnendem Sinne. So behandelte ein Prof. ErnestoPestalozza
die Frage der zwangsmäßigen Sterilisierung. Er erklärte, daß diese durch die
Vererbung psychischer Eigenschaften nicht gerechtfertigt werde; die Hebung
der Rasse sei vielmehr durch „positive“ Maßnahmen, nämlich durch Hebung der
Tüchtigkeit der einzelnen Individuen anzustreben. Der Eugenik oder Rassen-
hygiene wurde also der Wechselbalg der Individualhygiene bezw. der auf die
Individuen gerichteten Sozialhygiene untergeschoben. Auch Prof. Marcello
Boldrini, der über das Thema „Qualität und Quantität“ redete, verfehlte das
eigentliche Problem der Eugenik. Er kam zu dem Schluß, daß Quantität und
Qualität nicht notwendig im Gegensatz stehen. Das ist an und für sich gewiß
richtig; die Bedeutung der Qualität wurde auf dem italienischen Kongreß aber
gegenüber der der Quantität völlig vernachlässigt. Wir glauben darin einen
Ausfluß der faschistischen Bevölkerungspolitik zu sehen (vgl. den Bericht über
die Adresse an Mussolini). Lenz.
Der Grazer Sterilisierungsprozeß.
Vor dem Bezirksgericht in Graz fand am 28. Oktober 1929 eine Verhandlung
gegen den Universitätsprofessor Dr. Hermann Schmerz statt, der wegen Sterili-
sierungsoperationen an Männern angeklagt war. Die Anklage ging von dem
Gerichtsarzt des Leobener Kreisgerichtes aus, der an einem Häftling charakte-
ristische Operationsnarben in der Leistengegend vorfand. Auf die Aussage des
Patienten hin, daß er sich mit noch vielen anderen aus Bruck a. d. M. sowie aus
Linz von Dr. Schmerz habe sterilisieren lassen, wurde gegen den Grazer
Chirurgen die Anzeige erstattet. Da Dr. Schmerz unter Berufung auf das ärzt-
liche Berufsgeheimnis jede Aussage verweigerte, mußte sich die Staatsanwaltschaft
bequemen, durch eigene Initiative Belastungsmaterial für den Prozeß herbeizu-
schaffen. Der Gendarmerie gelang es, in Bruck a. d. M., Leoben und Donawitz
zwölf Sterilisierte festzustellen, Auch in Oberösterreich wurden langwierige Aus-
forschungen vorgenommen, die einer Nachricht vom 5. August 1929 zufolge das
überraschende Ergebnis an den Tag brachten, daß in Oberösterreich schätzungs-
weise 500 bis 700 Männer von Dr. Schmerz sterilisiert worden seien. Hauptsäch-
lich waren es hier Bedienstete der Bundesbahnen in Linz, die sich an Dr.
Schmerz wandten.
Die Sterilisierungskampagne nahm ihren Ausgang im steierischen Industrie-
gebiet, wo Professor Schmerz an den von der Bildungsstelle der Sozialdemo-
kratischen Partei veranstalteten Abenden zunächst Vorträge über die Steinachsche
Verjüngungsmethode hielt, die aber später von gesinnungsverwardten Kollegen
zu Propagandavorträgen für die Unfruchtbarmachung umgestaltet wurden. Seine
Notizen. 437
= mm ni u a
Patienten gehörten hauptsächlich dem Arbeiterstande an, und hier wiederum
waren es vor allem sozialdemokratisch Organisierte, denen übrigens Dr, Schmerz
dadurch entgegenkam, daß er ihnen nur 30 Schilling für die Operation rechnete,
während alle übrigen Patienten bis zu 200 Schilling zu zahlen hatten. Die Motive
der Sterilisierung waren bei allen Befragten die gleichen. Entweder war schon
vorhandener Kinderreichtum oder Krankheit der Frau oder beide Ursachen zu-
sammen für den Entschluß maßgebend gewesen. Die Operierten gaben an, „sie
fühlten sich glücklich, hätten sogar gewisse Verjüngungserscheinungen_ fest-
stellen können, die Operation sei immer komplikationslos verlaufen und in ihrem
Eheleben sei keine Störung welcher Art immer eingetreten“.
Daß die Sterilisierungspropaganda aus der Abtreibungsfrage heraus sich
entwickelt hat, beweisen die weiteren Zeugenaussagen, wonach es die Operierten
für einfacher hielten, sich selbst operieren zu lassen, als ihre Frauen gewissen
Manipulationen auszusetzen, die vielleicht vor die Schranken des Gerichtes ge-
führt hätten.
Durch die Liebenswürdigkeit von Herrn Universitätsprofessor Dr. Rudolf
Polland in Graz bin ich in der Lage, über die Persönlichkeit des Dr.
Schmerz einiges mitzuteilen, was zur Klärung des ganzen Falles beizutragen
vermag. Dr. Schmerz stammt aus Brünn. Er war nationaler Burschen-
schafter und eifriger Antisemit, intimer Freund des Artur Trebitsch. Nach-
dem er jahrelang Assistent der chirurgischen Klinik gewesen war, mußte er
diese Stelle aufgeben, als Professor Haberer die Klinik übernahm. Ob aus
Erbitterung über die etwas rücksichtslose Art, wie das geschah, ob wegen ver-
meintlicher Zurücksetzung in der akademischen Laufbahn, ob vielleicht aus
materiellen Gründen, kurz, er brach plötzlich mit seiner nationalen Vergangen-
heit und trat in die von einem polnischen Juden gegründete sozialdemokratische
Aerzteorganisation ein, was ihm große Praxis eintrug. Er ist sehr intelligent
und gebildet, fachlich sehr tüchtig.
Daß Dr. Schmerz die Sterilisierungen etwa aus rassenhygienischer Ueber-
legung heraus propagiert und betrieben habe, kann gar nicht in Frage kommen.
Seine Tätigkeit war bestimmt nicht gegen die Vererbung der Minderwertigkeit
gerichtet, sondern lediglich gegen die wirtschaftliche Belastung der Arbeiter
durch zu große Familien sowie darauf, ihnen einen folgenlosen Geschlechts-
genuß zu ermöglichen. Daß Habsucht ihn geleitet habe, ist hingegen nicht an-
zunehmen.
Was nun die Methode betrifft, der er sich bediente, so war darüber nichts
Sicheres in Erfahrung zu bringen, da weder Dr. Schmerz noch sein Assi-
stenzarzt, noch die Operationsschwester darüber etwas verlauten ließen. Auch
weigerten sich die sterilisierten Zeugen, zweckdienliche Untersuchungen an sich
vornehmen zu lassen. Einem Mitarbeiter des „Morgen“, einer in Wien erschei-
nenden sozialdemokratischen Zeitung gegenüber erklärte Dr. Schmerz fol-
gendes: „In den von mir vorgenommenen Operationen handelt es sich um eine
transitorische, das heißt teilweise Unfruchtbarmachung. Das Operationsverfahren
ist analog dem, das seinerzeit schon Professor Sellheim an Frauen ausführte.
Der Zweck dieser Operation besteht hauptsächlich darin, die Zeugungsfähigkeit,
438 Notizen.
die vorerst unterbunden wird, zu einem späteren Zeitpunkt wieder rückgängig
zu machen.“
Das Gerichtsverfahren hätte bei entsprechender rassenhygienischer Vor-
bildung der Anwälte und Richter zu einem wertvollen Kulturprozeß werden
können; was aber hier vorgeführt wurde, war nur eine „geistreiche‘“‘ Para-
graphenreiterei,. Man hat den Eindruck, daß niemand mit dem Fall etwas
Rechtes anzufangen wußte. Weder das gerichtsärztliche Gutachten, noch die
Rede des Verteidigers drang bis zum Kern der Sterilisierungsfrage vor. Auch
jene Stellen der Verhandlungsschrift, die sich mit der Anwendung der Sterili-
sierung in anderen Staaten befassen, entbehren der tieferen Einsicht und muten
eher an wie ein in letzter Stunde zusammengestellter Zeitungsbericht eines zum
Referat befohlenen Journalisten. Schließlich wurde Dr. Schmerz zu einer
Geldstrafe von 15 000 Schilling oder zu 48 Stunden Arrest verurteilt.
Der Gedankengang der Urteilsbegründung war ungefähr folgender: Die
Tätigkeit des Dr. Schmerz wird nicht als eine ärztliche anerkannt, Weil nicht
festgestellt werden konnte, ob Dr. Schmerz eine Durchschneidung der Samen-
leiter oder lediglich eine Unterbindung derselben vorgenommen hat, wurde die
leichtere Form der Unfruchtbarmachung für die Beurteilung angenommen. Fest
stand ferner, daß Dr, Schmerz die Operationen gewerbsmäßig vornahm.
Auch wurde festgestellt, daß es völlig belanglos sei, ob die Tat für moralisch oder
unmoralisch zu gelten habe, ob sie gegen die guten Sitten verstoße oder gegen
eine in Herrschaft befindliche Weltanschauung gerichtet sei. Bezüglich der spe-
ziellen juridischen Urteilsbegründung will ich mich an die Ausführungen der
Grazer Tagespost halten, die von einem Gerichtssachverständigen in Nummer 301
veröffentlicht wurden. „Für die heute verhandelten Tatbestände kommt nach
dem geltenden Strafgesetz nur $ 411 in Betracht, dessen wesentliche Tatbestands-
merkmale sind: „Zufügung von Körperschäden leichter Natur mit sichtbaren
Merkmalen und Folgen, die vorsätzlich zugefügt worden sind.“ Folge ist jede
wie immer geartete Nachwirkung, in diesem Falle, nach dem ärztlichen Gut-
achten, eine leichte. Schon die rein äußerliche Zusammenhangstrennung der
Haut und der darunterliegenden Fleischpartien mit einer Gesundheitsstörung
von acht Tagen mit sichtbaren Merkmalen ist eine Körperbeschädigung. Für die
Qualifikation der leichten körperlichen Beschädigung war nur das ärztliche
Gutachten maßgebend, in dem bloß eine Unterbindung angenommen wurde. $ 1
des Strafgesetzes erklärt den Begriff Vorsätzlichkeit, bösen Vorsatz und dolus
directus dahin, daß vor oder bei der Unternehmung oder Unterlassung das
Uebel geradezu bedacht und beschlossen sein muß. Dolus directus kommt hier
nicht in Frage, Der Begriff des Vorsatzes bei der Uebertretung der leichten
Körperbeschädigung schließt also die subjektive Absicht, gegen die Körper-
integrität eines Menschen vorzugehen, jemanden zu verletzen, in sich. Eine
weitere Absicht, durch dieses Vorgehen besondere Folgen und Spuren zu er-
zeugen, ist aber nicht erforderlich.
Bei Gegenüberhalt der gesetzlichen Bestimmungen über die leichte Körper-
beschädigung ($ 411) zu den allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen der schweren
Körperbeschädigung ($ 152St.G.) und einer Sonderbestimmung der schweren
Körperbeschädigung nach $ 153St.G. fällt auf, daß der $ 411 und der $ 153
Notizen. 439
den Ausdruck „Vorsätzlichkeit“, dagegen $ 152 den Ausdruck „Feindseligkeit“
gebraucht. Dies könnte zu Mißdeutungen Anlaß geben. Nach den Strafrechts-
lehrern Herbst, Lamasch und Finger, und auch naclı der Judikatur des
Obersten Gerichtshofes (Sammlung 3689, besonders aus der Entscheidung N 51,
B IIT) geht deutlich hervor, daß der im $ 153 St.G. vorgesehene Begriff der Vor-
sätzlichkeit nur mit Heranziehung des im $ 152 enthaltenen Begriffes der feind-
seligen Absicht zu beurteilen ist und daß das subjektive Tatbestandsmerkmal in
beiden Gesetzen übereinstimmt. Die Entscheidung Sammlung 3689 hält nun
auseinander: den Begriff Vorsätzlichkeit des $ 411, das ist ein auf die Ver-
letzung gerichteter böser Vorsatz, und den Begriff der Feindseligkeit des $ 152,
ohne jedoch auf diesen letzten Begriff näher einzugehen, Eine Erklärung „feind-
liche Absicht“ erfolgt jedoch deutlich in der Entscheidung 51, BIII, wo feind-
selige Absicht mit Mißhandlungsabsicht gleichgehalten ist. Irrig war somit zu
behaupten, daß zur Feindseligkeit eine besondere feindselige Gesinnung gehört.
Ueber die Frage der Feindseligkeit gibt besonders die Entscheidung 18, B III,
Aufschluß, wo die körperliche Beschädigung durch einen Sadisten besprochen
wird. Diese Tathandlung wird in dieser Entscheidung den Strafsanktionen des
$ 411 unterstellt, weil die Vorsätzlichkeit nichts anderes bedeutet als eine Tätig-
keit in Mißhandlungsabsicht.
Da die Entscheidung 51, BIII, die feindselige Absicht ebenfalls mit Miß-
handlungsabsicht deutet, wäre der Begriff Mißhandlung zu erklären. Das etymo-
logische Wörterbuch von Friedrich Kluge sagt, daß das Wort „Miß“ nur im
Zusammenhang mit anderen Worten gebraucht wird und immer das Verkehrte,
Verfehlte einer Handlung bedeutet. Daß die Absicht einer Zufügung einer
Körperbeschädigung eine verkehrte und verfehlte Handlung ist, ist selbstver-
ständlich, besonders bei einem Arzt, dessen Aufgabe es sein soll, aus körperlich
minderwertigen Menschen vollwertige zu machen, und nicht, wie im gegen-
ständlichen Fall, aus vollwertigen minderwertige, Dadurch ist der Beweis er-
bracht, daß die Behandlung des Arztes eine vorsätzliche Mißhandlung war.
Die letzte Frage ist die Einwilligung der Beschädigten ($ 4 St.G.). Die Straf-
rechtslehrer Stooß, Altmann und Lamasch, sowie die Judikatur sind
einig, daß nach geltendem Recht der erwähnte Rechtssatz nur in Ansehung
solcher Rechtsgüter zutrifft, die ihrem Wesen nach als Gegenstand eines recht-
lichen Verkehres veräußerlich sind, nicht aber bei jenen, deren sich der Mensch
zwar entäußern kann, die sich aber rechtlich als unveräußerlich darstellen,
weil deren Hingabe ihrer sittlichen Zweckbestimmung widerstreitet, was be-
sonders für die Preisgabe der Zeugungsfähigkeit des männlichen Geschlechtes
gilt, da die Körperintegrität des Menschen zu den unveräußerlichen Rechts-
gütern gehört, die jedoch nicht nur gegen Angriff, sondern auch gegen Eingriff
(Stooß) zu schützen sind. Da der neue Strafgesetzentwurf oft als Erläuterung
angezogen wird, sei auf $ 259 dieses Entwurfes hingewiesen, wo, wie in den
§§ 263 und 264 klar aufgezeichnet ist, daß willkürliche, nicht durch ärztliche
Indikation gebotene Eingriffe und Behandlungen strafbar sind, besonders wie
$ 264 sagt, wenn sie gegen die guten Sitten verstoßen. Dadurch erscheint das
Urteil begründet. Als erschwerend wurde angenommen die jahrelange Wieder-
holung in Hunderten von Fällen, die gewerbsmäßige und berufsmäßige, nur zum
440 Notizen.
Gelderwerb ausgeführte Straftat sowie die Gewissenlosigkeit des Arztes, der
seine Patienten nicht auf die Gefahren des Eingriffes (Atrophie) aufmerksam
machte, als mildernd die Unbescholtenheit des Angeklagten.“
Diese Urteilsbegründung zeigt uns wieder besonders deutlich, daß die Sterili-
sierung mit Hilfe der „altbewährten“ Gesetzgebung durch juridische Findigkeit
immer wieder als strafbare Handlung aufgefaßt werden kann und auch weiter-
hin so aufgefaßt werden wird, solange nicht die Rechtsprechung vom bio-
logischen Geiste der Neuzeit durchdrungen sein wird und unsere Rechtslehrer
von Rassenhygiene mehr wissen werden als heute?). L.Gschwendtner.
Die Hilfisschüler der Kriegsjahrgänge.
In der „Thüringer Lehrerzeitung‘“, Jg. 18, Nr. 28 vom September 1929, ver-
öffentlicht Dr. H. Deussing, Eisenach, einen Artikel unter der Ueberschrift
„Ein Beitrag zum Problem Anlage — Umwelt“, in dem er auf Grund von Zahlen
über das Verhältnis der Hilfsschüler zu den normalen Volksschülern, die Dr. Else
Sczesny für Gelsenkirchen beigebracht hat, zeigt, daß die Zahl der Hilfsschüler
in der Zeit nach dem Kriege mehrfach so hoch wie vor dem Kriege war und
diese Erscheinung auf die „Wirkung kriegsbedingter Umweltsfaktoren“ zurück-
` zuführen sucht. Wenn die Zahl der normalen Volksschüler gleich 100 gesetzt wird,
so betrug die Zahl der Hilfsschüler
1909: 0,80 1916: 0,80 1923: 3,56
1910: 0,81 1917: 1,12 1924: 3,69
1911: 0,90 | 1918: 1,02 1925: 4,25
1912: 0,86 1919: 1,78 1926: 4,15
1913: 0,93 1920: 2,50 1927: 3,90
1914: 0,9 1921: 2,95 1928: 3,91
1915: 0,85 1922: 3,31
Methodisch richtiger wäre es zwar gewesen, die Zahl der Hilfsschüler in
Prozenten der Gesamtzahl der Volksschüler anzugeben, aber für einen Ueberblick
genügen auch die angegebenen Zahlen. In der Zeit von 1910 bis 1925 ist der Anteil
der Hilfsschüler jedenfalls auf mehr als das Fünffache gestiegen, und seitdem
wieder ein wenig heruntergegangen. Besonders auffallend ist die hohe Zahl der
Hilfsschüler seit dem Jahre 1922. In diesem Jahre kam der Geburtsjahrgang 1916
ins schulpflichtige Alter. Leider sind die einzelnen Jahrgänge in den von Sczesnvy
und Deussing vorgelegten Jahren nicht getrennt, sondern nur summarisch für
die jeweils insgesamt acht Schuljahrgänge angegeben. Der Jahrgang 1916 bleibt
1) Anmerkung der Schriftleitung. Ich halte das Urteil für einen Fehlspruch. Die
Ansicht, daß Dr. Schmerz sich Körperbeschädigungen habe zuschulden kommen
lassen, läßt sich meines Erachtens nicht halten. Es ist eine sehr gesunde Bestimmung
des bisherigen österreichischen Strafgesetzbuches, daß es den Begriff der vorsätzlichen
Körperbeschädigung von dem Vorliegen einer feindseligen Absicht abhängig macht.
Von einer solchen konnte in dem vorliegenden Falle aber doch wohl nicht die Rede
sein; und nur mit einer gewissen Spitzfindigkeit konnte eine „feindselige Absicht‘
unterstellt werden. Andernfalls wäre eben eine Verurteilung nicht möglich gewesen.
Auch objektiv hat Dr. Schmerz durch die von ihm vorgenommenen Sterilisierungen
vielleicht dem Gemeinwohl eher genützt, da Personen, die sich freiwillig sterilisieren
lassen, in der Regel keine hochwerligen Erzeuger sein werden. Lenz.
Notizen. | 441
in der Regel von 1922 bis 1930 in der Volksschule. Wenn die Zunahme der Hilfs-
schüler gerade auf die Kriegsjahrgänge zurückzuführen wäre, so würde eine
stärkere Abnahme also erst von 1931 ab zu erwarten sein.
Deussing führt einen Satz vonSczesny an: „Nach meinen Feststellungen
stellen die im Jahre 1916, 1917, 1918 geborenen Kinder der Hilfsschulen die bisher
größte Zahl.‘ Sczesny bemerkt allerdings auch: „Die Steigerung hat auch eine
Ursache in einer schärferen Auslese, die in den Normalschulen in den letzten
Jahren vorgenommen wurde.“
Es fragt sich aber, ob die Zunahme der Hilfsschulkinder ausschließlich auf
schärfere Auslese zurückzuführen sei oder nicht. Sczesny wie Deussing
verneinen diese Frage; sie sehen vielmehr die entscheidende Ursache in den
ungünstigen Umweltverhältnissen der Kriegszeit. Sczesny sagt: „Da viele Frauen
bei geringer Ernährung Fabrikarbeit leisten mußten, traten schon in der vor-
geburtlichen Entwicklung des Kindes Schäden ein, die dann durch knappe und
schlechte Ernährung sich weiterhin auswirkten; dazu fiel die Erziehung fast
gänzlich aus, soweit die Väter im Felde waren und die Mütter und älteren Ge-
schwister den Tag in schwerster Arbeit zubrachten.“ Wenn man sich fragt, ob
auf diese Weise so ausgesprochener Schwachsinn verursacht werden kann, daß
die Kinder hilfsschulbedürftig werden, so muß man meines Erachtens allerdings
zu dem Schluß kommen, daß dort die alleinige Ursache des Schwachsinns nicht
wohl liegen kann. Die genannten Schäden können im wesentlichen wohl nur
eine Verlangsamung der körperlichen und geistigen Entwicklung zur Folge haben;
aber da es zahlreiche Grenzfälle schwacher Begabung gibt, kann es wohl in der
Tat auf diese Weise dahin gekommen sein, daß nicht wenige von jenen Kindern,
die unter günstigen Verhältnissen mit sechs Jahren gerade noch die Volksschul-
reife erreicht hätten, diese nun in jenem Alter noch vermissen ließen.
Es fragt sich aber sehr, ob die Zunahme der Hilfsschulkinder allein auf die
genannten Ursachen zurückzuführen sei. Deussing meint: „Es bleibt in der Tat
nichts anderes übrig, als die Ursache für die starke Zunahme der Hilfsschüler in
Kriegswirkungen zu suchen, d. h. in der starken Wirkung kriegsbedingter Um-
weltsfaktoren.“ Den Gedanken, daß auch eine Verschlechterung der Erbanlagen
wesentlich beteiligt sein könne, glaubt er mit der Bemerkung abtun zu können:
„Ein plötzliches Sinken der Qualität des Erbanlagenbestandes liegt aber außerhalb
des Wahrscheinlichkeitsbereiches.‘‘ In bezug auf die Gesamtbevölkerung kann das
in der Tat ausgeschlossen werden; für die Geburtsjahrgänge des Krieges liegt es
aber durchaus im Bereich der Wahrscheinlichkeit. Stammen diese doch in stark
erhöhtem Anteil von kriegsuntauglichen Männern! An diese Möglichkeit hat
Deussing leider gar nicht gedacht; und gerade diese wäre rassenbiologisch von
besonderem Interesse. Gerade für die Kriegsjahrgänge kann eine schärfere Er-
fassung der Hilfsschulbedürftigen nicht wohl angenommen werden, da sie wegen
des Geburtenausfalls während des Krieges noch nicht halb so viele Volksschüler
stellen als die Friedensjahrgänge vor und nach dem Kriege. Wenn ich einmal
mehr Zeit habe, will ich versuchen, die Zahlen der einzelnen Jahrgänge für das
ganze Reich zu bekommen, um zu prüfen, ob darin die von vornherein wahr-
scheinliche mindere durchschnittliche Erbqualität der Kriegsjahrgänge zum Aus-
druck kommt. Auch abgesehen von dem auf diese und die nächstfolgenden Jahr-
442 Notizen
gänge beschränkten Höchststand der Hilfsschulbedürftigkeit kommt aber auch für
das allmähliche Ansteigen der Zahl der Hilfsschüler eine durchschnittliche Ver-
schlechterung der erblichen Beschaffenheit der Bevölkerung als Ursache durch-
aus in Betracht. Alle darauf gerichteten Erhebungen haben übereinstimmend ge-
zeigt, daß die Kinderzahl in den Familien, welche die Hilfsschüler stellen, über-
durchschnittlich ist. Die Zunahme des leichten Schwachsinns in unserer Bevölke-
rung bzw. die Abnahme der durchschnittlichen Intelligenz ist also sehr wahr-
scheinlich. Da Deussing diese Ursachen erhöhter Hilfsschulbedürftigkeit über-
haupt nicht in Betracht gezogen hat, ist sein Schluß, daß sie entscheidend durch
Umweltschäden verursacht sei, leider ohne Beweiskraft. Lenz.
Die Biidungsanstalten als Mittel der sozialen Auslese.
Der Münchener Professor der Pädagogik Alois Fischer hat im Frühjahr
1929 auf dem Deutschen Hochschultag in München einen Vortrag „Die Aufgabe
der Hochschulen im Kampf gegen die Inflation der Bildung“ gehalten, der in
den Mitteilungen des Verbandes der deutschen Hochschulen, Jg. 9, Heft 5/6, Juni
1929, erschienen ist. |
Fischer weist darauf hin, daß die Zahl der Abiturienten mit Hochschul-
berechtigung, die im Jahre 1901 rund 9000 betrug, in den Jahren 1935 bis 1938 vor-
aussichtlich auf 30 000 jährlich angewachsen sein wird (darunter 7000 Mädchen).
„Es ist unwahrscheinlich, daß diese Massen alle in gleichem Sinne hochschulreif
sind, in dem ihnen dies ihr Zeugnis bescheinigt; denn auch ein hochstehendes
und bildungseifriges Volk bringt nicht beliebig viele hochwertige wissenschaftliche,
künstlerische, technische und organisatorische Begabungen hervor; und es ist
gewiß, daß auch bei günstiger Lage der wirtschaftlichen und politischen Verhält-
nisse die Versorgungskraft studierter Berufe (mindestens im inneren Markt) nicht
so gesteigert werden kann, daß sie solche Mengen aufzunehmen vermöchte. Die
Ueberproduktion von Intellektuellen und damit die Proletarisierung der akade-
misch gebildeten Schichten droht also in den nächsten Jahrzehnten zu der un-
heimlichen Tatsache zu werden, die heute schon gefürchtet und gespürt wird.“
Die höheren Schulen sind nach Fischer nicht nur „Vorbereitungsanstalten“,
auch nicht nur „Bildungsinstrumente“, „sie sind — ihrer Idee nach und nach
ihrer geschichtlich entwickelten Position — auch Ausleseinstrumente, nicht das
einzige, aber eines der wichtigsten rationalen Mittel der gesellschaftlichen Aus-
lese“. Auch von den Hochschulen sagt Fischer: „Sie müssen selbst Auslese
üben und von den vorbereitenden Studienschulen rigorose Auslese verlangen.“
„Es ist eine selbstverständliche Pflicht der hohen Schulen, den Auslesegedanken
nicht nur selbst zu betätigen (im eigenen Leben), sondern auch im akademischen
Unterricht zu behandeln, zu klären, die Menschen, die einmal in mannigfachen
verwaltenden und dirigierenden Stellungen, vor allem in der öffentlichen Er-
ziehung tätig sein werden, mit dem Gefühl der Verantwortlichkeit zu durch-
tränken und mit den Wegen bekanntzumachen, die gerade für sie als Personen,
die selbst ausgelesen Auslese wirken müssen, Wichtigkeit haben. Zieht die Hoch-
schule Lehrer und Beamte heran, die Blick für die Rang- und Wertverschieden-
heit der Menschen haben und Mut, nach ihm zu handeln, so festigt sie indirekt
das heute verwirrte maßstäbliche Denken in den weiteren Kreisen.“ Lenz.
Zeitschriftenschau.
Allgemeine Zeitschrift für Psychlatrie und psychisch-gerichtliche Medizin. 1925.
Bd. 83, H. 1 u. 2. Persch, R.: Ueber die erblichen Verhältnisse in
Psychopathenfamilien. Verf. fand für die Hysterie gleichartige dominante
Vererbung, ebenso für die Haltlosen und Süchtigen; jede Art spezifischer Haltlosigkeit
wird für sich gesondert auf die Nachkommen übertragen. Auch die phantastische
Veranlagung vererbt sich gesondert von anderen Konstitutionen. Schizoide oder zykloide
Typen fanden sich in den untersuchten Sippschaften nicht. Legierungen im Sinne
Kretschmers wurden nicht beobachtet. Bemerkenswert ist die Häufigkeit, mit der gleich-
artige Psychopathen untereinander Ehen eingehen. — 1926. Bd. 84. S. 360. Ritters-
haus, E.: Beitrag zur Frage Rasse und Psychose. Unter 400 männlichen
Kranken einer Hamburger Irrenanstalt wurden 64 herausgesucht, die annähernd reine
Rassetypen darstellten; unter diesen gehörten 31 der nordischen, 15 der ostischen,
10 der baltischen, 8 der dinarischen Rasse zu. Bei der nordischen Rasse fanden sich
65 % Schizophrene, bei der ostischen nur 27 %; bei den beiden anderen Rassen betrug
der Prozentsatz der Schizophrenen etwa 50%. Die Zahl der progressiven Paralysen
betrug bei der nordischen Rasse 3,7 %, bei der ostischen 20%, bei der baltischen 40%.
Die Schwierigkeiten der Entscheidung im Einzelfall sind nach Ansicht des Verf. auf
die Rassenmischung zurückzuführen. — 1927. Bd. 86. H. 1/2. Snell, O.: Aufbewah-
rung der für die psychiatrische Erblichkeitsforschung wich-
tigen Gerichtsakten. Alljährlich wird eine große Anzahl Gerichtsakten wegen
Raummangel vernichtet. S. regt an, daß alle Akten von psychiatrischem Interesse (Straf-,
Entmündigungs-, Ehescheidungsakten) in den, öffentlichen Irrenanstalten gesammelt und
registriert werden sollten. — H. 3/5. Haas, J.: Beitrag zur Paranoiafrage.
Beschreibung eines ungewöhnlichen Falles von paranoischer Erkrankung; Onkel und
Vetter, vielleicht auch Großvater mütterlicherseits, litten an Schizophrenie, Mutter und
Schwester waren schizoide Psychopathen, beim Bruder bestand jahrelang reaktive
hypochondrische Verstimmung. — Rehm: Das soziale Schicksal psycho-
pathischer Fürsorgezöglinge. Von 150 früheren Fürsorgezöglingen ver-
fielen 35 %, gleichmäßig auf beide Geschlechter verteilt, einem wenigstens zunächst
ungünstigen Schicksal, günstig verliefen 45 %, zweifelhaft im Schicksal blieben 20 %.
— Weiler: Antisoziale Wirkungen der sozialen Fürsorge. Schlägt
zur Bekämpfung der „Rentenneurose“ vor, statt der Renten dem Beschädigten gesetz-
lich ein Arbeitsrecht zu sichern, demzufolge er entsprechend dem ihm verbliebenen
Rest von Arbeitsfähigkeit von Arbeitgebern, denen ein Teil des Lohnes vom Staat zu
ersetzen wäre, gegen vollen Lohn beschäftigt würde. Es würde damit der Anreiz zum
Rentenkampf wegfallen und zugleich würden Mittel frei werden, die Schwerstgeschä-
digten (über 70 %) entsprechend zu versorgen. — H. 6/8. Carrière, R.: Eigenartiger
familiärer Starrsinn — keine Paranoia? Beschreibt eine Familie (zwei
Brüder, zwei Schwestern, eine greise Mutter in einsamem Tal Norwegens), die mit
merkwürdigem Starrsinn von ihrem vermeintlichen Recht nicht lassen will, ohne daß
eigentliche Geisteskrankheit vorliegt (nur ein anscheinend schwachbegabter Bruder hat
eine Gefängnispsychose durchgemacht mit anschließend sich entwickelnder Demenz).
— Stern: Atypische Formen der dystrophischen Myotonie. Die
444 Zeitschriftenschau.
atrophische Myotonie hat mit der Myotonie Thomsens nichts zu tun, weist
vielmehr Beziehungen zu den Myopathien und zu den Strangdegenerationen im Rücken-
mark auf. Eine endokrine Genese wird abgelehnt. Im Erbgang der atrophischen
Myotonie spielen vielleicht polymere Faktoren eine Rolle. — Delbrück: Ueber die
körperliche Konstitution bei der genuinen Epilepsie. Unter-
suchungen nach Kretschmer an 75 Fällen. Es überwiegt der athletische Habitus,
daneben Neigung zu dysplastischen Einschlägen. Gesichtsschädel derbknochig, alles
Feine, Zarte, Weiche fehlt. Die psychästhetische Proportion des Epileptikers wird als
„gebunden-getrieben“ aufgestellt. — Boström: Merzbacher-Pelizäussche
Krankheit. Demonstration zweier Brüder mit dem Leiden, an dem außerdem
noch fünf weitere Brüder und ein Vetter erkrankt waren. Es spricht alles für das
Vorliegen des rezessiven geschlechtsgebundenen Erbgangs.. — Luxenburger: Die
Tuberkulosesterblichkeit in der engeren biologischen Fa-
milie von Geisteskranken und der Durchschnittsbevölkerung.
Die konstitutionell verankerte Reaktionsbereitschaft des Organismus auf die tuber-
kulöse Infektion scheint in positiver Korrelation mit der Anlage zur Dementia praecox
‘und möglicherweise in negativer mit der Anlage zum manisch-depressiven Irresein
zu stehen. Die größere Tuberkulosesterblichkeit in der engeren biologischen Familie
von Epileptikern ist wahrscheinlich durch Milieueinflüsse bedingt. — 1927. Bd. 87.
H. 3/4. Matjuschenko: Die eugenische Sterilisierung. Zurzeit nur frei-
willige Sterilisierung möglich. Ausgedehnte Propaganda muß den Boden vorbereiten.
Die dagegen vorgebrachten Bedenken sind nicht von ausschlaggebender Bedeutung. —
Popenoe: Eugenische Sterilisierung. Die Gesamtzahl der operierten Per-
sonen in kalifornischen Staatsanstalten für Geisteskranke und Schwachsinnige hat
5000 überschritten. Leiter von Hospitälern dürfen zwangsweise operieren lassen. Bei
5000 Operationen drei Todesfälle, zwei Frauen, ein Mann. Die Zahl der Operationen
durch Privatärzte und in anderen Krankenanstalten ist überraschend schnell gestiegen.
— H. 5/8. Klinkenberg, F.: Zur Frage der Unfruchtbarmachung gei-
stig Minderwertiger, insbesondere nach eugenischen Gesichts-
punkten. Tritt für die Unfruchtbarmachung ein. Zwangsweises Vorgehen ist vor-
läufig abzulehnen, um nicht das ungenügend aufgeklärte Publikum zum Widerstand
zu reizen. Die Erkrankungswahrscheinlichkeit der Nachkommen bei verschiedenen
psychischen Leiden wird eingehend besprochen; zum Teil werden Vorschläge für die
eugenische Beratung formuliert. Für den eugenisch operierenden Arzt wird gesetzlicher
Schutz gefordert, der Strafverfolgung ausschließt. — 1928. Bd. 88. H. 1/3. Serog:
Familiäre Nervenerkrankung. Von drei Schwestern erkrankte die älteste
mit 19, die zweite mit 16 Jahren unter dem typischen Bild der multiplen Sklerose, die
jüngste zeigt von Kind auf Anfälle, ist idiotisch, unsauber, hat spastische Paraparese
der Beine. — Ohnsorge: Blutgruppenuntersuchungen bei Nerven- und
Geisteskrankheiten. Bei häufigeren Nerven- und Geisteskrankheiten ist kein
Vorwiegen einer Bluigruppe zu finden. Nur bei Manisch-Drepressiven wurde in 15 von
21 Fällen die Gruppe 0 gefunden, die sonst bei der Bevölkerung der gleichen Gegend
(Schlesien) eine Häufigkeit von 39 % zeigt. — H. 4—7. Friedemann: Handstudien,
ein Beitrag zu den Beziehungen zwischen Körperbau und Cha-
rakter. Bericht über Feststellungen (messend und betrachtend) an 45 Manisch-Depres-
siven und 55 Schizophrenen. — Lange, J.: Psychiatrische Zwillingspro-
bleme. Verf. erfaßte alle in Strafvollzug befindlichen Zwillinge in Bayern; fand vor-
wiegend gleiches Verhalten bei Eineiigen, vorwiegend ungleiches bei Zweieiigen. Regt
an, daß von besonders interessierten Berufsverbänden — etwa Pädagogen — vom
Staate die biologische Individualerfassung aller Zwillinge gefordert werden sollte. —
Zeitschriftenschau. 445
Luxenburger: Ueber neuere Ergebnisse in der erbprognostischen
Forschung. Die erbprognostische Qualität ist abhängig nicht nur von dem Auf-
treten der Erbpsychosen selbst, sondern auch von dem diesem Erbkreis eigentümlicher
psychopathischer Typen und der Gesundheitsziffer, d. h. der Wahrscheinlichkeit des
Gesundbleibens gegenüber der Durchschnittsbevölkerung. Dem Sonderlingstyp (etwa
dem Schizoid Kretschmers entsprechend) kommt eine hohe belastende Bedeutung zu,
wie aus Berechnungen an den Nachkommen der Neffen- und Nichtenschaften Schizo-
phrener hervorgeht. Der klinische Begriff des Schizoids ist wahrscheinlich noch viel
zu weit gefaßt; er enthält vermutlich einen biologischen Kern, bei dem das hyper-
ästhetisch-autistische Syndrom eine besondere Rolle spielt. Wollny.
Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 1924. Bd. 71. H. 3/4. Löffler:
Familiengeschichtliche Untersuchungen bei Encephalitis
epidemica und ihren Folgezuständen. Unter 17 Fällen boten minde-
stens 11 prämorbide Zeichen eines labilen minderwertigen Nervensystems; von 15 Fäl-
len, bei denen einigermaßen genaue Angaben über die Familien zu erhalten waren,
zeigten 13 eine zum Teil sehr erhebliche Belastung in der Aszendenz mit Dementia
praecox, Potatorium, allerlei Psychopathien, progressiver Paralyse usw. L. nimmt des-
halb an, daß eine anlagemäßige Disposition das Auftreten metenzephalitischer Folge-
zustände begünstigt. — v. Lehoczky: Ueber die Myatonia congenita Op-
penheim und ihre Beziehungen zuder Werdnig-Hoffmannschen
Krankheit. Sucht beide Leiden zu einer nosologischen Einheit zusammenzufassen
und reiht sie unter die hereditären Systemerkrankungen ein. Er stellt zwei Formen
auf: eine vom Rückenmark ausgehende, auf fehlerhafter Ektoderm-, und eine rein
muskuläre, auf fehlerhafter Mesodermanlage beruhende. — H. 5. Hübner: Unter-
suchungen an sexuell Abnormen. Bei genauer Untersuchung von 14 Fa-
milien fand H. stark ausgeprägte Sinnlichkeit öfters bei Vorfahren und einem oder
mehreren Nachkommen, jedoch nur als Teilerscheinung jeweils der gleichen patho-
logischen Anlage (Hysterie usw.). Oefters fand sich auch Homosexualität in mehreren
Generationen der gleichen Familie, stets nur als Ausdruck konstitutioneller Psycho-
pathie. Auch andere sexuelle Abweichungen können sich in einer Deszendentenreihe
wiederholen, wobei die Fortentwicklung der Anomalie des Nachkommen durch äußere
Faktoren manchmal in erkennbarer Weise beeinflußt wird. Bei sexuell Frühreifen,
die später infolge ihrer gesteigerten Sinnlichkeit meist sozial von Stufe zu Stufe ab-
sinken, konnte mehrfach nachgewiesen werden, daß der eine Elter durch Haltlosig-
keit in sexueller Beziehung aufgefallen war. — 1926. Bd. 76. H. 4. Rosenthal, C.:
Vielgestaltigkeit der Beziehungen zwischen weiblicher Geni-
talfunktion und psychischen Ausnahmezuständen innerhalb
einer Sippschaftsgruppe. Aus einer größeren, auch in anderer Beziehung
erbbiologisch interessanten Sippschaft wird ein Ausschnitt mitgeteilt. Bei einer Reihe
weiblicher Mitglieder traten alle denkbaren Phasen weiblicher Geschlechtsfunktion in
Beziehung zu psychischen Ausnahmezuständen, unter denen auch drei Psychosen beob-
achtet wurden. Die Störungen sind Ausdruck einer ererbten psychischen Labilität, die
auch sonst in diesem Geschlecht vorkommt und einer spezifischen Ansprechbarkeit des
psychischen Apparats auf endokrine Reize; eventuell handelt es sich auch um ererbte
abnorme Funktionen des weiblichen Genitalapparats, besonders in seinem endokrinen
Anteil. — 1927. Bd. 79. H. 4/5. Fleck, U.: Erbbiologische Untersuchun-
gen im Hinblick auf die psychischen Folgezustände nach En-
cephalitisepidemica.Und:UeberdiepsychischenFolgezustände
nach Encephalitis epidemica bei Jugendlichen. In den beiden zu-
sammengehörenden Arbeiten prüft Verf. auch die Frage der Vererbung bei den psycho-
446 Zeitschriftenschau.
pathieähnlichen Formen der Encephalitis epidemica. Er kommt zu dem Ergebnis, daß
eine entsprechende Belastung keine Vorbedingung für das Auftreten solcher Verände-
rungen darstellt, daß die Unreife des jugendlichen Gehirns als eine Hauptursache zu
betrachten ist; daß dagegen die jugendlichen Enzephalitiker mit psychopathieähnlichen
Charakterveränderungen eine erheblich höhere Belastung mit psychopathischen Zügen
aufweisen als die erwachsenen, psychisch nicht auffallenden Enzephalitiker. Diese
Belastung wirkt sich hauptsächlich im Sinne der Pathoplastik aus, was besonders an
zwei Fällen mit Neigung zu sexuellen Delikten hervortritt, in deren Blutsverwandtschaft
auch sonst über sexuelle Entgleisungen berichtet wird. Sexual- und Eigentumsdelikte
treten bei männlichen Kranken häufiger auf als bei weiblichen. In der zweiten, vor-
wiegend klinisch orientierten Arbeit werden eine Reihe von Familientafeln bzw. -ge-
schichten mitgeteilt. — H. 5. v. Rohden, F.: Konstitutionelle Körperbau-
untersuchungen an Gesunden und Kranken. Bestätigt an einem Ma-
terial von 1319 „Normalen“ (Kriminelle, Studenten) und Geisteskranken weitgehend
die Ergebnisse Kretschmers. Die jeweiligen Prozentzahlen der Leptosomen, Athletiker
und Pykniker betragen bei den Epileptikern 33, 67 und 0, bei den Schizophrenen 66, 28
und 6, bei den Normalen 60, 30 und 10, bei den Zirkulären 10, 3, 87. Imbezille und
Paralytiker zeigen weit weniger ausgesprochene Abweichungen von der Norm als die
drei großen Gruppen der endogenen Psychosen. Die gefundenen Zahlen betragen 45, 50
und 5 bzw. 43, 27 und 30 %. Wollny.
Brain. 1926. Bd. 49, Heft 1. Adie, W. J.: Von Recklinghausens disease in
motherand daughter. Großvater, Mutter und Tochter mit Recklinghausen. Die zwei
Schwestern des Großvaters hatten einige subkutane Tumoren. Der Bruder der Mutter war
gesund. Bei der Tochter, die im Alter von 10 Jahren starb, fand sich außer dem Reckling-
hausen eine Zyste über der Hypophyse. Eine zweite Tochter hat Zeichen einer hypo-
physären Erkrankung mit zahlreichen Pigmentnaevi. — Symonds and Sbaw: Fami-
liar claw-foot with absent tendon jerks; a forme fruste of the
Charcot-Marie-Tooth disease. Beschreibung einer Familie mit etwas aty-
pischer, überwiegend neuraler Form der progressiven Muskeldystrophie; bei sehr vielen
Familienmitgliedern fand sich nur Hohlfuß und Fehlen der Sehnenreflexe, so daß
eine äußerliche Aehnlichkeit mit der Friedreichschen Krankheit bestand. In einem
weiteren Fall zeigte die ältere Schwester Hohlfuß mit fehlenden Reflexen, die jüngere
das ausgesprochene Bild einer neuralen progressiven Muskeldystrophie. — Heft 4.
Ironside, R.: Cases froma familyaffected with Lebers disease. Die
Störungen (plötzliche Verschlechterung des Sehens mit später teilweiser Wiederher-
stellung, initial zuweilen Papillitis, später Optikusatrophie mit Amblyopie und zen-
tralen Skotomen) traten bei Bruder und Schwester und bei zwei Kindern der letzteren
in ganz verschiedenem Alter auf (zwischen 16 und 53 Jahren); drei weitere Kinder
gesund, zwei Onkel mütterlicherseits sowie eine Tochter des einen Onkels krank. —
Yealland, L.: Huntingtons chorea. Mutter litt an Zuckungen, bei zwei Kindern
Huntington, drei weitere gesund. Wollny.
Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde. 1926. Bd. 92. H. 1/3. Walter, F. K. und
Roese, H. F.: Ein Beitrag zur Kenntnis der hereditären Ataxie.
Durch vier Generationen verfolgte Geschichte einer Familie mit sechs kranken Frauen
und zwei kranken Männern. Einfach dominanter Erbgang. In den jüngeren Generationen
zeigten die kranken Familienmitglieder Widerstandsunfähigkeit gegenüber Infektions-
krankheiten. Häufig intellektuelle Schwäche und moralische Minderwertigkeit. Die
Krankheit trat in späteren Generationen früher auf und nahm teilweise schwereren
Verlauf. — Bachmann, F.: Untersuchungen bei Dystrophia muscu-
lorumprogressiva. Der Großvater und ein Bruder sowie eine Base des Kranken
Zeitschriftenschau. 447
haben dasselbe Leiden; drei Geschwister sind gesund. Untersuchungen auf Störungen
im endokrinen Stoffwechsel bei zwei Fällen hatten ein negatives Resultat, ein ursprüng-
licher Zusammenhang zwischen Muskeldystrophie und endokrinen Störungen wird
abgelehnt. — H. 4/6. Sehaltze, F.: ZurLehrevonderspastischenGlieder-
starre und der sogenannten spastischen spinalen Paralyse. Von
acht Kindern waren fünf spastisch, eines ist sehr früh gestorben. Aszendenz und
Deszendenz gesund. Keine Blutsverwandtschaft, keine keimschädigenden Momente nach-
weisbar; keine Geburtstraumen. — Deusch, G.: Ueber myotonische Dystro-
p hie. Sporadischer Fall, auch kein Star in der Familie nachweisbar. — Bd. 94, Stiefler,
G: Zur Klinik und Pathogenese des Syndroms der blauen Skle-
ren. Bericht über zwei Familien; die eine — Vater, Sohn und Tochter umfassend —
mit blaugrauen Skleren, abnormer Knochenbrüchigkeit und einer eigenartigen Trübung
der Hornhaut ähnlich einem Embryotoxon; der Vater litt außerdem in den letzten
Jahren an labyrinthärem Schwindel. Bei der zweiten Beobachtung handelt es sich um
einen Buben und seine Base mütterlicherseits. In der Diskussion erwähnt Stern-
Piper einen Fall von blauen Skleren ohne Osteoporose bei Mutter und Tochter. —
Bd. 95. Bremer, F. W.: Klinische Untersuchungen zur Aetiologie der
Syringomyelie, der „Status dysraphicus“. Verfasser hat eingehende
Untersuchungen an den Familien von Syringomyelikern vorgenommen und gefunden,
daß sich in diesen auffallend häufig ein bestimmter Typ („Status dysraphicus“) findet,
dessen einzelne Komponenten in wechselnder Häufigkeit und Intensität der Ausprägung
alle Uebergänge zum Gesunden zeigen. Der gleiche Konstitutionstyp findet sich auch
sporadisch und familiär außerhalb der eigentlichen Syringomyelikerfamilien. Die
Syringomyelie erwächst aus vorläufig noch unbekannten Gründen auf dem Boden dieser
erblichen Konstitutionsanomalie. Das Verhältnis ist ähnlich gedacht wie zwischen schi-
zoider Anlage und manifester Schizophrenie. Als Stigmata des Status dysraphicus wer-
den aufgeführt: Brustbeinanomalien, besonders Trichterbrust. Kyphoskoliosen, Mamma-
differenz, auffallendes Ueberwiegen der Spannweite über die Körperlänge, livide und
kalte Hände und Füße, auffallend oft mit Trichterbrust vergesellschaftet, häufig Krüm-
mung der Finger, eigenartige, zirkulär begrenzte Gefühlsstörungen, Enuresis nocturna,
die besonders beachtenswert erscheint wegen der Beziehungen der Spina bifida occulta
zur Enuresis einerseits und Syringomyelie andererseits. — 1927. Bd. 97. H. 1/3. Donath,
J.: Die WirkungderamerikanischenProhibitionaufdenAlkoho-
lismusunddie Verhältnissein Ungarn. Die Alkoholikeraufnahmen in den
staatlichen Irrenanstalten Budapests sanken von 1915—18 von 5,8 auf 2,6 %, stiegen seit
dem Kriege ständig, 1922 waren es 6,2 %, 1925 7 %. Verfasser stellt amerikanische Be-
richte zusammen, aus denen der sehr erhebliche günstige Einfluß der Prohibition auf
die Gesundheitsverhältnisse der Union hervorgeht, er weist insbesondere auf den sturz-
artigen Rückgang der Tuberkulosesterblichkeit hin. — H. 4/6. Pette, H.: Ueber ge-
wisseFormendurch konstitutionelle Abartigkeitgekennzeich-
neter Neurasthenie. Beschreibt einen Typ von Neurasthenie bei Männern, meist
jenseits der 30er Jahre, die bis dahin gesund und leistungsfähig waren. Gemeinsam ist
ihnen femininer Habitus, zarte Extremitäten, weiche, zarte Haut, weiblicher Behaarungs-
typ, weibliche Form der Fetiverteilung. Es handelt sich um auch praemorbid gemütlich
weiche, oft sentimentale Naturen, die über allgemein nervöse Störungen, Schwäche und
Unlustgefühl, Schwindel usw. klagen. — Rollin, B.: Elterliche Syphilis und
Muskeldystrophie der Kinder. — Keimschädigung? Vater mit
18 Jahren erkrankt, unzureichend behandelt, zeigt jetzt das Bild einer Gehirn- und
Rückenmarksyphilis. Die Mutter hatte sechzehn Schwangerschaften, darunter sechs
Fehlgeburten, von den zehn lebend geborenen Kindern starben fünf klein. Von den
448 Zeitschriftenschau.
übriggebliebenen Kindern ist die erste Tochter schwachsinnig, ebenso die zweite. Es
folgen zwei Brüder, beide Idioten mit progressiver Muskeldystrophie, und zwar handelt
es sich einmal um die juvenile, einmal um die pseudohypertrophische Form; bei beiden
Syphilis durch Blutreaktion nachgewiesen. Das letzte Kind, ein Mädchen, ebenfalls
schwachsinnig. Rollin setzt den Schwachsinn und die Muskelerkrankung in Be-
ziehung zu der elterlichen Syphilis. Wollny.
Mittellungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien. Bd. 59, S. 19. Brezina,
E., und Wastl, J.: Anthropologische, konstitutions- und gewerbe-
hygienische Untersuchungen an Wiener Straßenbahnbedien-
steten. Untersuchungsbefunde; Mittelwerte und Streuungsmaße. Es wurde versucht,
bei den Leuten Rassendiagnosen zu stellen und die „nordischen, ostischen, alpinen,
dinarischen und mediterranen Einschläge“ abzuschätzen. Die allgemeinen Bemerkungen
über Rassenbegriff und Rassenforschung sind sehr unklar. — S. 61. Lebzelter, V.:
Rasse und Volk in Südosteuropa. Vortrag. Zusammenfassung der bisheri-
gen Untersuchungen über Balkanbevölkerungen. — S. 209. Lehzelter, V.: Anthro.
pologische Untersuchungen an Tiroler Kaiserjägern. Veröffent
lichung von Befunden, die C. Toldt d. Ac. an 1939 Soldaten aus Südtirol (1021 Deut-
schen, 857 Italienern und 61 Ladinern) durch Regimentsärzte erheben ließ. Verf. stellt
eine neue „norische Rasse“ auf, deren Typus großwüchsig, rundköpfig, hellhaarig und
helläugig sein soll. Er „neigt zu der Ansicht, daß es sich hier um die helle Varietät
der dinarischen Rasse handelt.“ Scheidt.
Revue neurologique. 1924. Jg. 31. Bd. II. H. 3. Tsehougounoff et Sourkofl: Sur la
questiondelapathogeniectdesformescliniquesdel’achondro-
plasie. Von sieben Kindern zwei achondroplasisch, davon eines klein gestorben, in
der weiteren Verwandtschaft keine weiteren Fälle. Die Autoren fassen das Leiden als
hereditäre „Dystrophie‘“‘ der Epiphysenknorpel auf. — H. 4. Wimmer: Etudes sur
lessyndromesextrapyramidaux.IV.Lessyndromesstridcesdans
lesenc&phalopathiesinfantilescong&nitales. Unter Anderm wird bei
einem debilen jungen Mädchen mit Hemiathetose in Ermangelung einer anderen Aetio-
logie die Entstehungsursache des congenitalen Leidens in einer erheblichen familiären
Minderwertigkeit des Zentralnervensystems gesucht. (Vater im Gefängnis wegen Inzest
und Mord, Großmutter und ein Onkel Migräne, Mutter debil, Brudersohn der Mutter
Epileptiker.) — Hirszfeld und Sterling: Les mesenchymoses constitu-
tionelles. Mitteilung eines Falles von ausgedehnten Dysplasieen hauptsächlich
des Stütz- und Bindegewebes, der als Mutation aufgefaßt wird. Die anscheinend
ganz unzusammenhängenden klinischen Erscheinungen (cutis laxa, Nanismus, Ver-
änderungen im Knochen- und Muskelgewebe, Neigung zu Ekchymosen usw.) werden
auf eine hereditäre Einheit zurückgeführt. — 1925. Jg. 32, Bd.. Christiansen, V.:
Rapport sur la migraine. Der ausgesprochen dominante Vererbungstyp gilt
nur für die Fälle von reiner ophthalmischer Migräne. Bei den übrigen Formen sind
die Erbverhältnisse weniger klar. — Marinesco, G., Draganesco, Soiceseo: Sur une
Varieté speciale de paraplégie spasmodique familiale. Bruder
und Schwester (bei dieser auch Spina bifida) mit spastischer Paraplegie, während
der Volksschulzeit traten bei beiden Anfälle von allgemeiner extrapyramidaler Hyper-
tonie auf, beim Bruder verbunden mit konjugierter Deviation von Kopf und Augen. —
Moniz, E.: Acromacrie. Beschreibung eines Falles von distal zunehmender Ver-
längerung und Verdünnung der Röhrenknochen. Ein Geschwister klein gestorben,
ein Bruder hatte das gleiche Leiden. In einem anderen, früher beschriebenen ähn-
lichen Falle, zeigten der Großvater mütterlicherseits, die Mutter und eine Schwester
die gleichen Erscheinungen. — Minor: Le Tremblementhereditaire, fécon-
Zeitschriftenschau. 449
dit& et longévité. Fand bei der Untersuchung zahlreicher Fälle von here-
ditärem Tremor eine auffallende Fruchtbarkeit und Langlebigkeit bei den Kranken
und in ihren Familien. Nimmt eine Koppelung der Anlagen an. — Band: Il.
Crouzon, O., Blondel et Kenzinger: Maladie de Recklinghausen fami-
lialeetsarcomatose associées. Mutter und ein Bruder hatten das gleiche
Leiden. Bei dem Probanden entwickelte sich neben dem Recklinghausen noch ein sehr
rasch wachsender Tumor, der als Sarkom angesprochen wird. — 1926. Jg. 33, Bd. 1.
Syliaba et Henner: Contribution a lind&pendence de Jathetose
double idiopathique et congenital. Ein gesundes, drei kranke Kinder.
Die Kranken zeigten gute Intelligenz, ziemlich ausgedehnte dystrophische Erschei-
nungen. Die Verf. trennen diese idiopathische Athetose von den gewöhnlichen Formen
nach Gehirnschädigungen ab. — Abely: Constitution syntone suivie pen-
dant plusieurs générations. Bericht über eine manische Kranke, in deren
väterlicher Aszendenz eine durch drei Generationen sich immer mehr verstärkende
syntone Konstitution (entspricht etwa der zirkulär-pyknischen Kretschmers) beobachtet
wurde. — Minkowska: Le facteur héréditaire dans la schizophrénie.
Kommt auf Grund von Beobachtungen an zwei Schweizer Bauernsippen zu folgenden
Schlüssen: In der einen, von einem Geisteskranken abstammenden Sippe vererbt sich
der schizoide Faktor, in der anderen, von einem Epileptiker abstammenden, der epi-
leptische dominant. Es besteht nicht nur eine Gleichförmigkeit in den klinischen
Bildern der jeweiligen Psychose, sondern sie macht sich auch in den Charakteren
der gesunden Individuen bemerkbar. Die Beziehungen der schizoiden Konstitution zur
Schizophrenie, der epileptoiden zur Epilepsie werden bestätigt. Belastung mit ver-
schiedenen Krankheiten führt zu Legierungen der klinischen Bilder. — Van Bogaert:
Formes particulières de lamyotrophie type Charcot-Marie et
considérations sur hérédité de cette affection. Die Krankheit ver-
erbte sich innerhalb der untersuchten Familie dominant. — Van Bogaert: Spasme
de torsion essentiel juve&nil. avec Epilepsie. Sporadischer Fall bei
einem nichtjüdischen Kinde. — Bd. II. Wertheimer: Les rapportsdelamorpo-
logie humaine avec les types psychopathiques. Fand eine Korre-
lation zwischen dem dysplatischen Typ und der Schizophrenie. Wollny.
Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie. 1927. Bd. 108. Filimonoff,
I. N.: Ein eigenartiger, der Unverricht-Lundborgschen Krank-
heit nahestehender Fall von familiärer Erkrankung. Die Krank-
heit trat bei zwei Brüdern und einer Schwester auf, eine weitere Schwester war gesund,
auch sonst in der Familie keine ähnlichen Fälle. Das Syndrom ist gekennzeichnet
durch epileptiforme Anfälle und interparoxysmale blitzarlige Zuckungen, die zu Fall-
neigung und Gehunvermögen führen. Der genauer untersuchte Proband zeigte in der
Art der Zuckungen einige Abweichungen von der typischen Myoklonusepilepsie. —
S. 274. Rüdin, E.: Erbbiologisch-psychiatrische Streitfragen. Da
selbst ein gedrängtes Referat über den gegenwärtigen Stand der psychiatrischen Erb-
lichkeitsforschung, ihre Methoden, Resultate und die daraus sich ergebenden prak-
tischen Folgerungen, zu kurzer Wiedergabe nicht geeignet. — S. 344. Dawidenkow, S.:
Ueber die neurotische Muskelatrophie Charcot Marie, kli-
nisch-genealogische Studien. Ausführliche monographische Darstellung
an Hand eigener erkrankter Familien und unter ausführlicher Besprechung der Lite-
ratur. D. unterscheidet ein Dutzend genotypisch wahrscheinlich verschiedene Formen
des Leidens, die sowohl im klinischen Bild wie im Vererbungsmodus weitgehende, in
den einzelnen Familien jedoch jeweils ziemlich konstante Unterschiede zeigen. Er unter-
scheidet diese genotypischen familiären Varianten von den sporadischen und in den
Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie, Bd. 22, Heft 4, 29
450 Zeitschriftenschau.
Familien daneben noch zu beobachtenden Paravariationen. Er rechnet zur neurotischen
Muskelatrophie neben der im Titel genannten Form noch die sog. hypertrophischen
Neuritiden (Hoffmann, Dejerine-Sottas), Formen mit Erkrankungen der Sehnerven,
rudimentäre Formen, solche mit abweichender Lokalisation usw. Die meisten dieser
Formen vererben sich nach D. dominant, z. T. geschlechtsgebunden, die Dejerine-
Sottassche rezessiv. Es handelt sich bei den verschiedenen Formen um Mutationen eines
bestimmten Gens, dessen Intaktheit für die ungestörte Entwicklung der bei der Erkran-
kung getroffenen Systeme notwendig ist. Die sehr zahlreichen Einzelheiten sind im
Original nachzulesen. — Bd. 109, S. 15. Schulz, B: Zur Frage einer Be-
lastungsstatistik der Durchschnittsbevölkerung Geschwi-
sterschaften und Elternschaften von 100 Arteriosklerotiker-
ehegatten. Arteriosklerotikerehegatten wurden als Ausgangsmaterial gewählt, weil
sie eine der Durchschnittsbevölkerung wahrscheinlich verhältnismäßig gut entspre-
chende Zusammensetzung aufweisen dürften. Ausgezählt wurden Psychosen und
asylierte Psychopathien, Trunksucht, sonstiger gewaltsamer Tod, Tod an Hirnschlag
oder Tuberkulose und die Ergebnisse in Tabellenform zusammengestellt. — S. 62.
Matecki, W., und Szjsidbaum, H.: Die Konstitution der schizophrenen
Juden. Unter 100 schizophrenen Juden der polnischen Republik war die Hälfte
leptosom, während die übrigen Konstitutionstypen verhältnismäßig wenig vertreten
waren. (Pyknisch 13, dysplastisch 11, athletisch 9 neben einigen Mischformen und
nicht unterzubringenden Typen.) Die Autoren schließen, daß Kretschmers Konstitutions-
typen allen leukodermen Rassen eigentümlich seien. — S. 228. Plattner, W.: S o m ato-
gramme. Ein Beitrag zur Lehre der Kretschmerschen Habitusformen. Schlägt eine
graphische Darstellung ähnlich manchen anthropologischen Proportionsschemata vor,
um die Messungsergebnisse anschaulicher zu gestalten und berichtet über eigene Mes-
sungen an 100 Schweizer Schizophrenen. — S. 313. Luxenburger, H.: Tuberkulose
als Todesursache in den Geschwisterschaften Schizophrener,
Manisch-Depressiver und der Durchschnittsbevölkerung. Die
nicht psychotischen Geschwister Schizophrener starben bis viermal so häufig an irgend-
einer Form der Tuberkulose wie die gleichaltrigen Geschwister der Durchschnittsbevöl-
kerung. Wahrscheinlich ist eine unverhältnismäßig starke Letalauslese durch Tuber-
kulose gegenüber der Durchschnittsbevölkerung im zweiten Lebensjahrzehnt. Die nicht
psychotischen Geschwister Manisch-Depressiver verhalten sich in dieser Beziehung wie
die Durchschnittsbevölkerung. Die geringere Widerstandsfähigkeit der schizophrenen
Geschwisterschaften ist ein erbkonstitutionelles Moment. Es ist eine positive Korrelation
zwischen der Anlage zu Schizophrenie und der erblichen Schwäche der geweblichen
Potenz, die zu der herabgesetzten Widerstandsfähigkeit gegen tuberkulöse Infektion
führt, anzunehmen. — S. 453. Kufs, H.: Ueber die Bedeutung der opti-
schen Komponente der amaurotischen Idiotie in diagnosti-
scher und erbbiologischer Beziehung und über die Existenz
spätester Fälle bei dieser Erkrankung. Die Retinitis pigmentosa mit
ihren Varianten, progressive familiäre Heredodegeneration der Makula, gewisse Formen
der hereditären Sehnervenatrophie, ebenso der rezessiv vererbbaren Taubstummheit und
nervösen Schwerhörigkeit bilden mit verschiedenen Formen der amaurotischen Idiotie
eine nosologische Einheit. Alle genannten Hirn-, Augen- und Ohrenkrankheiten können
selbständig im Erbgang auftreten. Eine späteste Form des Hirnleidens beginnt Mitte
des vierten oder Anfang des fünften Lebensjahrzehnts. Den Gesamtkomplex der hier
genotypisch zusammengehörenden Erscheiungsformen möchte K. Heredodegeneratio
acusticoretinocerebralis nennen. Die Lebersche Optikusatrophie gehört nicht zu diesem
Erbkreis. K. wendet sich gegen die Auffassung, daß alle heredofamilären Organopathien
Zeitschriftenschau. 451
des Zentralnervensystems eine große pathogenetische Einheit bilden. Die gleiche Erb-
krankheit kann unter den verschiedensten Erscheinungsbildern auftreten. — S. 555.
Simon, A. Ein Beitrag zur Frage der familiären multiplen Skle-
rose. Gibt einen Ueberblick über die bisher veröffentlichten Fälle und bringt zwei
weitere, Mutter und Tochter, bzw. zwei Brüder betreffende. Das vorhandene Material
reicht zur Klärung der Frage nach einer eventuellen endogenen Entstehung der multi-
plen Sklerose nicht aus. — S. 585. Schwelghofer, J.: Die nervöse Anlage. Aus
einer Untersuchungsreihe über die Beziehungen von Umwelt
und Vererbung in der Entstehung von Psychopathien. Fort-
setzung von „Der Dürnberg‘“. Sucht bei einer bäuerlichen Gebirgsbevölkerung
den Erbgang einzelner Anlagen bzw. vererbbarer psychischer Eigenschaften als Struk-
turelemente von Psychosen zu verfolgen, so die manisch-depressive Anlage, die eifer-
süchtige, querulatorische, paraphrene, phobische, schizoide. Wegen der zahlreichen Ein-
zelheiten muß auf das Original verwiesen werden. — S. 680. Fischer,S.:DieBeziehun-
gendereidetischenAnlagezukörperlichenMerkmalen.DievonW.
Jaensch postulierte Zugehörigkeit bestimmter Formen der eidetischen Anlage zu bestimm-
ten körperlichen Typen kann nicht als bewiesen angesehen werden. — 1927. Bd. 110, H. 1.
Wildermuth, H.: Geschwisterpsychosen. Bericht über acht Familien, in denen
Psychosen bei Geschwistern beobachtet wurden. Die Krankheitsbilder der Geschwister
zeigten auch dann Aehnlichkeiten, wenn die Psychosen verschiedenen Krankheiten
zuzuzählen waren. Zirkuläre mit schizophrener Belastung zeigten bei langsamem Ab-
lauf der einzelnen Phasen atypische, an Schizophrenie erinnernde Zustandsbilder.
Schizophrene mit zirkulärer Belastung zeigten entweder ausgesprochen periodischen
Krankheitsverlauf oder manisch-depressive Zustandsbilder. Schizophreniefamilien haben
eine geringe Kinderzahl und zeigen Tendenz zum sozialen Absinken, während zirkulär
belastete sozial aufstrebend sind. — H. 2. Minor, L.: Zur Kasuistik des soge-
nannten „essentiellen“ oder hereditären Zitterns. — Schenderofi:
Zur Kasuistik des sogenannten „hereditären“ Tremors. Mittei-
lung von sporadischen Fällen und Zittererfamilien, durch die dargetan werden sell,
daß Langlebigkeit und Kinderreichtum in Zittererfamilien charakteristische erbliche
Merkmale seien. Auf Grund dieser Merkmale spricht Minor von hereditären Zit-
terern auch dort, wo ein sporadischer Fall von Tremor in einer langlebigen kinder-
reichen Familie auftritt. Neben dem Zittern fand Schenderoff in den befallenen
Familien verschiedene Nervenkrankheiten, Psychosen, Narkomanien. — 1927. Bd. 111.
S. 145. Küffner, W.: Epilepsie und Alkohol. Sucht nachzuweisen, daß dem
Alkohol als auslösendem und verschlimmerndem Moment keine so ausschlaggebende
Rolle zukommen dürfte, wie vielfach angenommen wird. 900 Epileptiker der Landes-
anstalt Hochweitzschen in Sachsen waren zu 12,3% (Frauen) bzw. 12,7% (Männer)
mit Epilepsie belastet. Mit Trunksucht waren belastet 14 % (Frauen) bzw. 13 % (Män-
ner). Läßt man solche Vorfahren weg, bei denen Trunksucht nicht bekannt, wegen
des Berufs (Gastwirt, Brauer usw.) jedoch wahrscheinlich ist, so bleiben noch 11 %
(9,6 %); läßt man weiterhin solche Fälle weg, bei denen außer Trunksucht noch
psychische Abwegigkeit in der Aszendenz bzw. in Seitenlinien nachweisbar waren, so
bleiben 6 % in beiden Geschlechtern mit anscheinend isoliert dastehendem hereditären
Alkoholismus. — S. 159. Rotter, R.: Beitrag zur Histopathologie und
Pathogenese der Wilson-Pseudosklerosegruppe. Ueberwiegend
anatomische Arbeit. Es wird von drei Fällen berichtet, von denen einer sporadisch,
zwei Geschwister waren. Das eine von den Geschwistern litt an einer Pseudosklerose
mit ausgesprochenen Erscheinungen von seiten des Nervensystems, seine jüngere
Schwester zeigte keine neurologischen Symptome, trotzdem fanden sich im Zentral-
29°
452 Zeitschriftenschau.
nervensystem für Pseudosklerose typische Veränderungen. — S. 223. Maas, O. und
Haase, E.: Zur Bedeutung derinnersekretorischen Störungen bei
der Dystrophia myotonica. Beschreibung eines Patienten, der einen gesun-
den Sohn hat, und bei dem innersekretorische Störungen erst nach längerem Bestehen
des Leidens in größerem Umfange deutlich wurden. „Die Möglichkeit, daß endokrine
Störungen ätiologische Bedeutung für das Entstehen der Muskelerkrankung haben, muß
auch da zugelassen werden, wo wir nach. unseren bisherigen Kenntnissen endokrine
Störungen nicht nachweisen können.“ — S. 254. Rosenthal, C.: ZurSymptomato-
logie und Frühdiagnostik der Huntingtonschen Krankheit,
zugleich ein Beitrag zur klinischen Erbforschung. Mitteilung
zweier Fälle mit Stammbäumen. Ein Fall imponierte als Wilson-artige Erkrankung
mit Symptomen der dysbatisch-dystatischen Form der Torsionsdystonie. Die bei drei
Mitgliedern der beiden Familien bestehende Neigung zum Vagabundieren und zu
Unregelmäßigkeiten in der Erfüllung der Berufspflichten muß bei Angehörigen von
Huntingtonfamilien als ein auf Vorhandensein der Krankheitsanlage verdächtiges
Symptom aufgefaßt werden, ebenso von Jugend auf bestehender Jähzorn und Streit-
sucht. — S. 465. Liebers, M.: Zur Histopathologie der amaurotischen
Idiotie und Myoklonusepilepsie. Beim Probanden bestand klinisch Myo-
klonusepilepsie, histologisch das Bild einer juvenilen amaurotischen Idiotie. Vater des
Probanden gesund, Mutter hatte öfters Krämpfe, starb an Lungentuberkulose. Ein
Bruder des Probanden litt ebenfalls an myoklonischer Epilepsie. Zwei andere Brüder
starben an Tuberkulose, ein weiterer litt an Kretinismus und Krämpfen, starb im
dritten Lebensjahr. — S. 616. Lachmann, H.: Torus palatinus bei Degene-
rierten. Der Torus palatinus überwiegt beim weiblichen Geschlecht stark (25,39 %
gegenüber 11,94 %). Bei Geisteskranken, Verbrechern, Prostituierten ist er häufiger als
bei Gesunden. — S. 660. Vogler, P.: Beitrag zur Alkoholstatistik in
Tirol 1904—1926. Bestätigt im wesentlichen die Erfahrungen, die man mit dem
Verlauf des Alkoholverbrauchs in anderen mitteleuropäischen Ländern gemacht hat.
Der Rückgang im Alkoholverbrauch während des Krieges hielt länger an als im Reich,
dann begann er kontinuierlich zu steigen. Das Vorkriegsniveau ist in Tirol längst
überschritten, der Konsum steigt weiter an. Die Beteiligung der Frauen ist in und
nach dem Kriege stärker geworden. Die Vorkriegsziffern des Delirium tremens sind
überschritten. — S. 683. Werthemann, A.: Ueber kombinierte familiäre
Nerven- und Muskelkrankheiten. Beschreibt einen Fall von Friedreich-
scher Ataxie, kombiniert mit Muskeldystrophie; ein Bruder bot klinisch und anatomisch
das gleiche Krankheitsbild dar. Tritt für die pathogenetische Einheit der familiären
Heredodegenerationen efn. Außerdem wird kurz ein Stammbaum von familiärer zere-
bellarer Ataxie mitgeteilt: zwei gesunde Brüder eines Kranken halten zusammen sieben
Söhne und eine Tochter, davon sind nur drei Söhne gesund. Zwei von diesen gesunden
Söhnen haben fünf bzw. sechs gesunde Kinder. Wollny.
Zeitschrift für pädagogische Psychologie. 27. Jg. (1926). S. 1. Fischer, Aloys:
Ueber den Zusammenhang von Denkpsychologie und Intelli-
genzprüfung. Der Begriff der Intelligenz als einer allgemeinen geistigen Funktion
ist preiszugeben, spezielle Leistungen sind nur auf Grund spezieller geistiger Disposi-
tionen zu erklären. Die gegenseitige Abhängigkeit der einzelnen Funktionen ist zu
untersuchen, heute dürfen wir aber noch nicht ohne weiteres aus dem Befund einer
Denkfunktion auf die Größe einer anderen, nicht ausdrücklich geprüften Disposition
schließen. Die prognostische Bedeutung einer Intelligenzprüfung ist nur in Grenzfällen
sicher. Oft werden uns Kinder in ihrer durch innere und äußere Faktoren bestimmten
Entwicklung überraschen. Ein Versuch Termans hat ergeben, daß die Korrelation
Zeitschriftenschau. 453
früherer und späterer Prüfungen bei Kindern und Schülern nahezu konstant ist, an-
dere Versuche über die Beziehungen von Intelligenzleistungen im Jugendalter und
späteren Leben haben vorläufig noch nicht die gleiche Sicherheit gebracht. Die Fort-
schritte der Intelligenzforschung werden auch von der Umgestaltung der psychischen
Maßsysteme abhängen. — S. 81. Voigts, H.: Untersuchungen über die Ent-
wicklung der mathematisch-rechnerischen Denkfähigkeit bei
Mädchen. Die mit Hilfe von Tests (Köhler, Ranschberg) vorgenommenen
Untersuchungen ergaben ein sicheres Bild der Entwicklung der rechnerisch-mathema-
tischen Kritikfähigkeit der meisten Klassen. Es zeigten sich dabei große Unterschiede
in Parallelklassen, hervorgerufen durch die Verschiedenheit der Bevölkerungsschich-
ten, aus denen die Kinder stammen. Während Döring zur Erklärung ähnlicher
Unterschiede bei früheren Untersuchungen angenommen hatte, daß die Anlagen der
Kinder einfacher und gebildeter Stände zwar gleich, aber bei Kindern gebildeter Stände
besser gepflegt und entwickelt wären, kommt Voigts zu dem Schlusse, daß die Kin-
der gebildeter Stände im Durchschnitt etwas begabter sind als die der einfachen
Stände. Die Entwicklung der Denkfähigkeit hängt ab einmal vom Lebensalter und in
allererster Linie vom Vererbungsfaktor, die Geschwindigkeit der Entwicklung gleich-
falls vom Vererbungsfaktor und dann von äußeren Einflüssen. — S. 9. Schäfer, P.:
FähigkeitsprüfungenbeiderAufnahmeindiehöhere Handels-
schule. Eine kurze Aufnahmeprüfung alten Stiles kann nicht genügen, um die Kin-
der zur höheren Schule auszulesen. Die hier für Handelsschulen vorgeschlagenen Test-
serien vermeiden das Gekünstelte dadurch, daß sie begabungswissenschaftliche Ge-
nauigkeit mit den Anforderungen des praktischen Lebens vereinen. Ein Lücken- und
cin Bildertest werden mitgeteilt. — S. 161. Abend, A.: Die Zukunftdes Volkes
vom Gesichtspunkt der Minderwertigkeit. Angesichts der traurigen
Zukunftsaussicht des deutschen Volkes ist es nicht mehr zu verantworten, an den Fra-
gen der Rassenhygiene interesselos vorüberzugehen. Vielmehr ist es Aufgabe der Volks-
bildung, jeden einzelnen Volksgenossen mit den rassehygienischen Problemen bekannt
zu machen. In den Fortbildungsschulen würden derarlige Fragen sehr wohl zu behan-
deln sein (erst recht natürlich in den höheren Schulen. Der Referent.). In der Sterili-
sation geistig minderwertiger Elemente erblickt der Verfasser keine für uns wirksame
rassenhygienische Maßnahme. Er setzt sich für folgende Forderungen ein: Förderung
der Voll- und Hochwertigen unter allen Umständen. Ermöglichung der Frühheirat.
Heiligung der Familie. Nachweis des gesetzlichen Ehetauglichkeitsattestes, eventuell
auch eines Mindesteinkommens des männlichen Partners. Vereinigung der genotypisch
Defekten, sofern der Defekt Asozialität oder Antisozialität bedingt, in mehr oder
weniger geschlossenen Arbeitskolonien. Zwangsweise Kasernierung der für das Volk ge-
schlechtlich Gefährlichen. — S. 183. Revesz,G.: Der UebergangvonderGrund-
schule zurhöheren Schule in Holland. In Holland besuchen die Schüler
bis zum 12. Jahre die Elementarschule, um dann entweder in die dreiklassige, unserer
Realschule entsprechende mittlere Schule oder in die fünfklassige höhere Schule über-
zutreten. Der Verfasser hat in einer ausführlichen holländischen Arbeit, von der der
vorliegende Aufsatz einen Auszug darstellt, nachgewiesen, daß von 1322 Schülern der
höheren Schulen nur 33,8% den Anforderungen der Schule wirklich entsprechen,
17 % bleiben ein- oder zweimal sitzen und 49 % gelangen überhaupt nicht zur Reife-
prüfung. Die Grundschule muß darum beim Uebergang zur höheren Schule eine ver-
besserte Schülerauslese einführen, ferner muß der Lehrplan der höheren Schule refor-
miert werden, da er offenbar den Anlagen der Schüler nicht in allem entspricht. Aehn-
liche erfolgsstatistische Feststellungen sollten auch in Deutschland weit mehr als bisher
vorgenommen werden. — S. 220. Weimer, H.: Der Kampf gegen die objek-
454 Zeitschriftenschau.
tiven Bedingungen der Fehlsamkeit. Die Leistungen der Schüler hängen
von den äußeren Umweltbedingungen ab. Die Schule muß darauf bedacht sein, mög-
lichst günstige Umweltbedingungen für die Schüler zu schaffen. (In der Schrift von
Artur Kißling: Die Bedingungen der Fehlsamkeit. Leipzig 1925. Verlag Julius Klinkhardt,
werden ähnliche Probleme behandelt.) — S. 275. Weigl, F.: Begabungsdiffe-
renzen zwischen dem 9. und 10. Lebensjahr. Das Gesetz, das besonders
leistungsfähigen Schulkindern schon nach dreijähriger Grundschulpflicht den Ueber-
tritt in die höhere Schule gestattet, hat den Verfasser dazu bestimmt, durch eine
besondere Prüfung die Intelligenz von beinahe 300 neun- und zehnjährigen Schülern
zu untersuchen. Er kommt zu dem Schluß, daß, rein nach der intellektuellen Seite
gemessen, die Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen ist, daß ein Neunjähriger
ausnahmsweise die Reife eines Zehnjährigen erreicht (ein- bis zweijähriger Vorsprung
im Intelligenzalter.) — S. 297: Bericht über den vom Zentralinstitut
für Erziehung und Unterricht veranstalteten Lehrgang zur
Einführungin die Fragen der Schülerauslese 1925/26. — S. 326.
Coerper,K.: Beitrag zur psychologischen Beurteilung der Berufs-
wahl. „In solchen Familien, wo Vater und Mutter aus gleichberuflichen Handwerker-
kreisen stammen, treffen die Söhne häufiger die Wahl des väterlichen Berufes, als
wenn sie aus verschiedenen Handwerkergruppen stammten. In solchen Familien wurde
sogar der Aufstieg in einen anderen Stand ausgeschlagen, nur um dem elterlichen
Berufe treu zu bleiben.“ (Genauere zahlenmäßige Feststellungen hierüber wären von
Interesse. Bem. d. Ref.) — S. 420. Fürst, Th.: Der TurnunterrichtimRah-
men der allgemeinen Hygiene. Für eine Gesundheitslehre an den Schulen
sind konstitutionshygienische und rassenhygienische Grundlagen notwendig. Gegen Ver-
schiebungen des durchschnittlichen körperlichen und geistigen Habitus der Bevölke-
rung helfen die Wohlfahrtsämter nicht, sondern nur das Zusammenarbeiten aller zur
Verfügung stehenden Fürsorgeeinrichtungen, vor allem des Lehrers und Schularztes,
sowie die sachgemäße Dosierung der sozialen Therapie unter der Leitung des Arztes.
— S. 430: Bewährung des Ausleseverfahrens in Lübeck. Von 171
aus 2000 Schülern mit Hilfe des psychologisch-pädagogischen Verfahrens für die
höhere Schule ausgelesenen Kindern haben nur 1,75% das Klassenziel nicht erreicht,
während von den ohne Ausleseverfahren auf dem alten Wege über die Vorschule
übergegangenen Kindern 20 % das Klassenziel nicht erreichten. — S. 494. v. Blohn, F.:
Begabungsdifferenzen zwischen dem 9. und 10. Lebensjahr. Die
Versuche Weigls, über die oben berichtet worden ist, müssen in großem Maßstabe
wiederholt werden, damit man zu allgemeingültigen Schlußfolgerungen für den schul-
politischen Kampf kommen kann. v. Blohn kommt auf Grund einer anderen Be-
rechnungsweise zu einer wesentlich anderen Deutung der Versuche Weigls. Danach
sind 54,1 % der Neunjährigen bereits auf der geistigen Reife der Zehnjährigen, von
diesen ist ein Fünftel als besonders begabt anzusprechen. Die einzige Möglichkeit,
um diese besonders intelligenten Schüler ihren Fähigkeiten entsprechend zu fördern,
bietet das Ueberspringen einer Grundschulklasse oder der nach dem dritten Schul-
jahre erfolgende, von allen Fesseln befreite Uebergang in die höhere Schule.
Spilger (Darmstadt).
Zentralblatt für die gesamte Neurologie und Psychiatrie. 1926. Bd. 43, Heft 15.
Ostertag: Ueber eine mit Leberzirrhose einhergehende, der Wil-
sonschenKrankheit nahestehende heredodegenerativeErkran-
kungsform, lokalisiertin Striatum und Rinde. Mutter mit 21 Jahren
Chorea, Tochter wilsonähnliches Bild, im Anschluß an Gelenkrheumatismus mit Ikterus
allmählich fortschreitend entstanden, Beginn mit Zappligkeit. — Bd. 44, Heft 3/4.
Zeitschriftenschau. 455
Emanuel: Endogener Depressionszustand beieinem dreijährigen
Knaben. Beschreibt das ungewöhnliche Auftreten eines typischen manisch-depressi-'
ven Depressionszustandes bei einem dreijährigen Kinde aus einer Vetternehe, dessen
Mutter ebenfalls manisch-depressiv war. — Heft 9/10. Lange: Ueber Erblichkeit
beiphasisch verlaufenden Erkrankungen. Manie und Melancholie sind
wahrscheinlich auf die gleichen erblichen Grundlagen zurückzuführen. Bei der Unklar-
heit der bisherigen Ergebnisse, der Gestaltenfülle des manisch-depressiven Formen-
kreises und der großen Kompliziertheit der Erbvorgänge sind zunächst Einzelmerkmale,
wie zyklische Störungen, Beziehungen zu besonderen Konstitutionstypen, ausgespro-
chenen Temperamenten, gesondert in Erbgang zu verfolgen. — Heft 11/12. Stieffer, G.:
Zur Klinik und Pathologie des Syndroms der blauen Skleren.
Das ausgesprochen erbliche Syndrom (blaue Skleren, Knochenbrüchigkeit, Otosklerose)
pflegt mit einem bestimmten Konstitutionstp vergesellschaftet zu sein (kleine Statur
mit großem Hirnschädel mit plumpen Parietalhöckern, großen pneumatischen Räumen,
oft wuchtigem Rumpf, dünnen schwächlichen Beinen, gewissen Charakterveränderun-
gen), ist wohl Ausdruck einer hereditären Insuffizienz einiger innersekretorischer
Drüsen und des sympathischen Systems. — 1927. Bd. 45, Heft 11/12. Rüdin, E.: Erb-
biologisch-psychiatrische Streitfragen. Stellungnahme zu dem als
gesichert angesehenen Wissensstoff und zahlreichen noch strittigen Fragen, zu kurzem
Referat nicht geeignet. — Luxenburger, H.: Ueber empirische Erbprogno-
stik. Die Erkrankungsaussicht der Kinder von Schizophrenen an Schizophrenie ist
23mal so groß als bei der Durchschnittsbevölkerung, Sonderlinge treten 20mal so
häufig auf. Neffen- und Nichtenschaften sind je nach der Kreuzungskombination der
Eltern 4 bis 25mal so stark mit Schizophrenie, 4 bis 13mal so stark mit Sonderlingen
gefährdet, die Enkel 9 bis 12mal so stark mit Schizophrenie. Die Kinder der Manisch-
Depressiven erkranken, je nachdem man nur die manifestpsychotischen oder auch die
Zwischentypen berücksichtigt, 72 bis 140mal so häufig an zirkulären Psychosen wie die
Durchschnittsbevölkerung. Die Kinder der Epileptiker sind 32mal, Neffen und Nichten
etwa doppelt so stark gefährdet und sind reich an körperlichen Minderwertigkeiten
und sozial ungünstigen Typen; Epileptoide 3 bis 9mal so häufig wie in der Durch-
schnittsbevölkerung. — Hoffmann, H.: Persönlichkeitsaufbau und
psychiatrische Erblichkeitsforschung. Die charakterologische Erblich-
keitsforschung setzt sich das Ziel, auf dem Wege des phänotypischen Vergleichs die
charakterliche Eigenart eines Individuums aus den charakterlichen Elementen seiner
Eltern und Voreltern aufzubauen. Die vererbten Eigenschaften stehen nicht einfach
nebeneinander, sondern gehen bestimmte Beziehungen der Ueber-, Unterordnung etc.
ein. Bestimmte Eigenschaften können im Erbgang durch Hinzutritt von Anlagen aus
anderen Quellen abgewandelt werden. Die Möglichkeit, mit dieser Methode zu anlage-
mäßig selbständigen und unabhängigen Eigenschaften und Tendenzen vorzudringen,
eröffnet Aussichten auf eine endgültige, biologisch orientierte charakterologische Syste-
matik. — Kolle, E.: Zur Klinik und Vererbung der Degenerations-
psychosen. Untersuchungen an einer 141 Köpfe umfassenden thüringischen Sipp-
schaft. Die beobachteten psychotischen Krankheitsbilder ließen sich keinem bekannten
Formenkreis sicher zuordnen. Die als „polymorphe Degenerationspsychosen“ imponieren-
den Erkrankungen ließen sich fast in jedem Einzelfall auf wechselnde Verknüpfung ver-
schiedenartiger Konstitutionsanteile zurückführen. Die „degenerativen Konstitutionen“
scheinen einen besonderen Erbkreis darzustellen. Spezifische Korrelationen körperlicher
und seelischer Konstitutionen konnten nicht nachgewiesen werden. Die „pyknische Dis-
position‘ scheint einen dominanten Vererbungsmodus zu zeigen. — Bd. 46, Heft5/6. Pin€as,
‘Juvenile Form der familiären amaurotischen Idiotie. Sporadischer
456 Zeitschriftenschau.
I nA M
Fall eines 11jährigen Mädchens nichtjüdischer Abstammung, mit nicht blutsverwandten
Eltern. — Heft 11/12. Weiß, L.: Kretschmers „Körperbau und Charak-
ter“, eine kritische Betrachtung der bisherigen Ergebnisse.
Eine sehr brauchbare Zusammenstellung des statistischen Materials, der Typenbeschrei-
bungen verschiedener Autoren, der einander noch vielfach widersprechenden Auffas-
sungen und Deutungen. — Weygandt: Erblicher hypophysärer Zwerg-
wuchs. In der mütterlichen Familie mehrere Fälle von periodischen und depressiven
Störungen. Von 6 Brüdern waren 3 körperlich und psychich ausgesprochen gehemmt,
erreichten eine Körperlänge von 93 (17 Jahre alt), 111 (22 Jahre) und 124 cm
(19% Jahre), Kopfumfänge 49,5 bis 50,5 cm. In zwei Fällen zeigte das Röntgenbild
weiten Türkensattel; Epiphysenlinien offen, Akromikrie. Verf. nimmt rezessiv vererb-
ten Dyshypophysismus als wesentliche Ursache der Entwicklungsstörung an. — 1928,
Bd. 50, Heft 5/6. Lange, J.: Leistungen der Zwillingspathologie für
die Psychiatrie. Nach den Zwillingsbefunden spielt für den Verfall in Kriminali-
tät die Anlage eine größere Rolle, als man heute meist annimmt. Entsprechend sind
Erhebungen an Fürsorgezöglingen ausgefallen. Auch bei den Normalen ergeben sich,
gemessen an den großen Lebensproblemen, wie Beruf, Ehe etc., in der großen Mehr-
zahl gleichartige Verhaltensweisen und Entwicklungen; so können unabhängig von der
Art der Ehegatten die ehelichen Konflikte die gleichen sein. Zwillinge scheinen trotz
wesentlicher Oberflächenunterschiede in den tiefen Schichten ihres Wesens über-
wiegend häufig gleichartig zu sein. Auch bei Neurosen zeigen sich die Störungen nicht
selten überraschend gleichartig, selbst wenn die Zwillinge fern voneinander erkranken.
Grobe Persönlichkeitsunterschiede ließen sich, wo ihnen näher nachgegangen werden
konnte, auf schwere paratypische Einwirkungen zurückführen. In einer Tabelle sind
aus der erreichbaren Literatur konkordantes und diskordantes Verhalten eineiiger und
zweieiiger Zwillinge bei verschiedenen Geistes- und Nervenkrankheiten zusammen-
gestellt. — Luxenburger: Vorläufiger Bericht über psychiatrische
Serienuntersuchungen an Zwillingen. Die psychiatrische Zwillings-
Literatur ist zu sehr Kasuistik, es fehlen repräsentative Serien. Unter 16382 Probanden
eines zeitlich und örtlich begrenzten Zählbezirks fanden sich 211 Zwillingsprobanden.
Für die Sippen der Epileptiker ist ein Nebeneinander von erhöhter Kleinkindsterblich-
keit und Häufigkeit vorwiegend zweieiiger Zwillingsgeburten wahrscheinlich. Zwillings-
häufigkeit unter den Probanden der drei großen Erbpsychosen stimmt mit dem Verhal-
ten bei der Gesamtbevölkerung gut überein. Die Zwillingspartner aller sicheren, höchst-
wahrscheinlich eineiigen Schizophrenen waren nach Ablauf der Gefährdungsperiode
ebenfalls erkrankt. Die Dementia praecox folgt nicht dem einfach rezessiven Erbgang.
Bei geisteskranken identischen Zwillingen ergeben sich im Krankheitsverlauf erheb-
liche Verschiedenheiten. Früherkrankungen sind anfangs meist sehr ähnlich, divergieren
später, spätere Erkrankungen sind von vornherein unähnlicher, besonders bei Demen-
tia praecox. — Löwenstein: Experimentelle Zwillingsuntersuchungen
zur Kenntnis der psychophysischen Konstitution. Die Besonder-
heiten der psychophysischen Reaktion bei hysterischen Persönlichkeiten wurden durch
Untersuchungen an ein- und zweieiigen Zwillingen als idiotypische Merkmale erwiesen.
Tonusprofil bzw. -gestalt (wechselseilige Abhängigkeit aller Tonusinnervationen sowohl
voneinander als auch von bestimmten Bewußtseins- bzw. Affektzuständen) lassen sich
als vererbbar und ererbt und als echte Merkmale der psychophysischen Konstitution
erweisen. — Schulte: Zwillingspathologische Befunde. Untersuchungen
an 19 Zwillingspaaren. Zwillingsbeziehungen bei Zweieiigen lockern und festigen sich,
durch äußere Verhältnisse bestimmt, entwickeln eine polare Einstellung, während bei
eineiigen mehr ein gleichwellig laufendes Nebeneinander entsteht. — Friedemann:
Zeitschriftenschau. — Diskussionen und Erklärungen. 457
Hände von Zwillingen. Völlige Identität der Papillarlinienmuster bestand nie.
Für Eineiigkeit sprechen: Kongruenz der Handform, Aehnlichkeit der Handlinien bei
Kongruenz der gröberen, weitergehende Uebereinstimmung der korrespondierenden
Papillarlinienmuster. Lebensschicksale eineiiger Zwillinge scheinen auffallende Ver-
wandtschaft zu zeigen. — Sehuster: Hereditäre retrobulbäre Neuritis.
Direkte Vererbung von Mutter auf Tochter. Mutter mit etwa 30 Jahren ebenso wie die
Tochter mit 27 an rasch fortschreitendem Sehnervenschwund beiderseits mit sehr erheb-
licher Sehschwäche erkrankt. — 1928, Bd. 50, Heft. 10/11. Albrecht, K.: Lebersche
Sehnervenerkrankung auf hereditärer Grundlage. Proband und
ein Onkel mütterlicherseits erkrankt, außerdem soll ein Großonkel mütterlicherseits
und dessen Tochter erblindet sein, doch ist nicht sicher, ob es sich bei diesen um das
gleiche Leiden gehandelt hat. Wollny.
Diskussionen und Erklärungen.
Einige Bemerkungen
zu dem Aufsatz von E. Study über „Neuere Angriffe auf die Seiektionstheorie“.
Von L. Plate, Jena.
Der Aufsatz von E. Study auf S. 353 ff. ist so vorzüglich und geißelt die Kritik-
losigkeit der Selektionsgegner so treffend und zugleich so sarkastisch-humorvoll, daß
er sicherlich auf weite biologisch interessierte Kreise Eindruck machen wird. Der uns
leider viel zu früh entrissene Forscher war mit seinem ganzen Herzen allgemeiner
Biologe und hat mir mehrfach erzählt, daß ihn die Probleme des Lebens eigentlich
vie] mehr fesselten als mathematische Aufgaben. Während meiner Marburger Privat-
dozentenzeit hörte er bei mir eine Vorlesung über Tiefsee-Organismen, und wir haben
im Anschluß an sie und in späteren Jahren oft die Entstehung der Anpassungen und
andere deszendenztheoretische Fragen erörtert. Dabei zeigte er nicht selten eine ge-
wisse Einseitigkeit der Auffassung, die ja leicht erklärlich ist, da ihm eine gründliche
zoologische Durchbildung fehlte und er neben seiner mathematischen Fachwissenschaft
natürlich nicht Zeit hatte, die ungeheure biologische Literatur zu verfolgen. Er blieb
Neodarwinist, der nichts anderes als das Selektionsprinzip gelten lassen wollte und
verkannte, daß auch dieses bei aller Berechtigung nicht das alleinseligmachende Heil-
mittel ist. Im folgenden sollen einige Punkte kurz angedeutet werden, die in dem
Study schen Aufsatz nach meiner Ansicht einer Verbesserung oder Ergänzung bedürfen.
Gleich auf der ersten Seite wird behauptet, daß die sog. Mechanolamarckisten
(C. Naegeli, Eimer) Vitalisten seien, „wenn auch ohne Wissen und wider Willen“.
Naegeli kann man zu den Vilalisten rechnen, denn das Wesen des Vitalismus besteht
darin, daß er mit metaphysischen, nichtenergetischen Prinzipien rechnett). Sein „Ver-
vollkommnungsprinzip‘?) ist ebenso mystisch wie die „Entelechie“ von Driesch und
` bietet keine Erklärung, sondern nur eine Umschreibung der Auffassung, daß die höheren
Lebewesen aus niederen hervorgegangen sind. Eimer und andere Funktionslamarcki-
sten, welche eine Vererbung erworbener Eigenschaften annehmen, kann man unmög-
1) Siehe L. Plate: Vitalismus und Mechanismus, in Scientia, Juli 1929.
2) Eine ausführliche Widerlegung von Naegeli findet der Leser in meinem
„Selektionsprinzip“, 4. Aufl, 1913. Naegeli würde wahrscheinlich, wenn er noch
lebte, es bestreiten, ein Vitalist zu sein, denn er nannte sein großes Werk „mechanisch-
physiologische Theorie der Abstaminungslehre“.
458 Diskussionen und Erklärungen.
lich zu den Vitalisten rechnen, denn diese Vererbung ist genau so mechanisch bedingt
wie jedes andere biologische Geschehen, wenn wir absehen von den möglicherweise
mitwirkenden, aber noch nicht festgestellten psychischen Kräften. Dieselben Gene
kommen peripher in den Somazellen und zentral in den Keimzellen der Gonaden vor.
Werden die ersteren durch äußere Faktoren oder durch Gebrauchs- bzw. Nicht-
gebrauchsreize verändert, so können diese Reize entweder direkt bis zu den Gonaden
vordringen und hier die gleichen, wenngleich vielleicht auch abgeschwächten Gen-
veränderungen bewirken, oder die Uebertragung findet durch Hormone, mitogenetische
Strahlen, Stempellsche Strahlen oder sonstwie statt. Diese hypothetische Annahme
kann man machen, ohne irgendwie zu vitalistischen oder sonstigen mystischen Kräften
seine Zuflucht zu nehmen. Eimer hat nie irgendwelche vitalistische Gedanken ge-
äußert, vorausgesetzt, daß man den Vitalismus wie oben definiert. Auch Lamarck
war kein Vitalist in dem Sinne, daß er sich unzweideutig zu einem metaphysischen
Prinzip bekannt hätte, aber seine Lehre, daß ein Organismus in einer schwierigen
Situation durch sein „inneres Gefühl“ sich ein neues Organ schafft (oder mehrere), um
die Situation zu meistern, hat doch ein stark übernatürliches und daher vitalistisches
Gepräge. Study und manche andere Forscher (Lenz) halten jeden für einen Vita-
listen, der zugibt, daß ein Tier oder eine Pflanze unter Umständen (nicht immer!) eine
direkte Anpassungsfähigkeit hat, d. h. wenn der Organismus in eine
schwierige Lage gebracht wird, in der sich seine Vorfahren noch nie befunden haben
können, so daß also eine Anpassung durch Selektion früherer Generationen völlig aus-
geschlossen ist, so reagiert er trotzdem sofort zweckmäßig, und zwar alle oder fast
alle Individuen der betreffenden Art. Eine solche „primäre Zweckmäßigkeit“
ist in Hunderten von Fällen durch unsere Entwicklungsmechaniker festgestellt worden.
Ein Beispiel statt vieler: Wird einem Frosch statt der Kornea ein Stück Epidermis der
Rückenhaut eingesetzt, so hellen sich die Zellen auf und werden zu einer normalen
Kornea. Wie bringt der Frosch diese sehr zweckmäßige Umwandlung der trüben Zellen
in helle fertig? Lamarck würde sagen: der Frosch empfindet an dieser Stelle das
„Bedürfnis“ nach Licht und durch „Anstrengungen seines inneren Gefühls“ entstehen
dann die hellen Zellen. Er würde also ein psychisches Agens heranziehen. Ebenso
würde Driesch sagen, die „Entelechie“, die ja auch als „Psychoid“ bezeichnet wird,
veranlasse die zweckmäßige Reaktion. Beide Erklärungen sind vitalistisch, denn sie
rechnen mit einer nebelhaften, unfaßbaren Ursache. Dabei ist die von Lamarck
noch vorzuziehen, denn daß der Frosch nach der Operation fühlt, daß sein Auge nicht
normal ist, ist anzunehmen. Nur ist nicht einzusehen, wie dieses Gefühl eine Aufhel-
lung bewirken kann. Wir erklären diesen Fall einer direkten Anpassung durch die
Annahme, daß der Bulbus schon bei der normalen Ontogenie die vorgelagerte Haut
so beeinflußt, daß die Zellen hell werden, vielleicht durch Ausscheidung einer Flüssig-
keit, Dieser „formative Reiz“ gehört zu den erblichen Eigenschaften des Bulbus, und
die direkte Anpassung nach der Operation zeigt also in diesem Falle nichts prinzipiell
Neues"). Ich habe dieses Beispiel herausgegriffen, um daran zu zeigen, daß es unrichtig
ist, zu behaupten, der Lamarckismus bzw. die direkte Anpassungsfähigkeit käme ohne
vitalistische Erklärungen nicht aus.
*) Anmerk. d. Schriftitg. Da Plate hier eine Ansicht kritisiert, die, wie er zutref-
fend angibt, auch ich vertrete, möchte ich kurz bemerken, daß die angeführte Anpas-
sung beim Frosche, wie Plate selbst ausführt, auf einer auch im normalen Leben
erhaltungsmäßigen Reaktion beruht, also selektionistisch nicht unverständlich ist. Nur
die Annahme selektionistisch nicht erklärbarer Anpassungen halte ich für vitalistisch;
und meines Erachtens ist die vom Lamarckismus untrennbare Annahme einer „Ver-
erbung erworbener Eigenschaften“ vitalistisch in diesem Sinne. Lenz.
Diskussionen und Erklärungen. 459
Eee ers en eu se en Er au ma an mat lan Ber
Für unrichtig halte ich weiter Study s Behauptung: „Johannsen und andere
Vererbungstheoretiker sind ebenfalls Widersacher Darwins“ (S. 353) und daß die
Lehren A. Weismanns nur wenige Anhänger gefunden hätten*). Beide Sätze zeigen,
daß Study die Hauptströmungen der modernen Biologie nicht richtig einschätzt.
Johannsen hat Darwin vielfach mißverstanden und ähnlich wie de Vries
geglaubt, die Dar winschen Fluktuationen seien nichterbliche somatischen Schwan-
kungen, während Darwin damit erbliche Variationen bezeichnen wollte und die
nichterblichen überhaupt gar nicht in die Diskussion zog. Aber abgesehen von diesem
Mißverständnis sind Johannsen und alle Vererbungstheoretiker ausgesprochene
Anhänger des Selektionsprinzips, und alles Gerede in populären Schriften und Zeitun-
gen von einer „Krisedes Darwinism us“ ist törichtes Geschwätz. Gerade durch
Weismann ist die Erkenntnis von der ungeheuren Bedeutung der Auslese in die
weitesten Kreise gedrungen, und Stud ys Worte sind nicht zutreffend, wenn man von
einigen Besonderheiten Weismanns (Germinalselektion, Zusammensetzung des
Keimplasmas aus Iden und Biophoren) absieht. Seine Determinanten entsprechen im
wesentlichen den Genen der modernen Vererbungslehre. Es sind die lebenden Erreger
der erblichen Eigenschaften.
S. 363 sagt Study: „Das mehrdeutige und vielmißbrauchte Wort Kampf ums
Dasein sollte endlich einmal aus der Literatur verschwinden.“ „,‚Struggle for life, exi-
stence‘ heißt nämlich gar nicht Kampf, sondern Ringen, Wettbewerb um die Mög-
lichkeit des Daseins, und zwar kommt es nicht auf das Dasein des Individuums, son-
dern auf das seiner Nachkommenschaft an.“ Diese Gedanken sind nicht neu, sondern
schon von Haeckel und Wigand geäußert worden. Wie ich im „Selektionsprin-
zip“ S. 225 ff. ziemlich ausführlich geschildert habe, sind sie aber nicht richtig?). Das
Wort „Kampf“ hat den großen Vorzug, daß es für alle Situationen paßt, während
„Wettbewerb“ immer die Konkurrenz mit anderen Individuen betont. Die Organismen
kämpfen auch ohne Wettbewerb, jeder einzeln für sich, gegen große physische Ge-
walten: Strömungen, Wind, Hitze, Kälte, Wassermangel u. a. Man braucht bei dem
Wort „Kampf ums Dasein‘ gar nicht bloß an den blutigen Kampf zwischen Artgenos-
sen oder zwischen verschiedenen Arten zu denken; diese Form des Kampfes würde
doch jeder, der sich klar auszudrücken versteht, als Kampf gegen Feinde oder gegen
Mitbewerber bezeichnen. Gerade der Zusatz „ums Dasein‘ läßt deutlich erkennen, daß
es sich ganz allgemein um die Erhaltung des Lebens handelt; denn das ist die Vor-
aussetzung für die Vermehrung. Es ist daher eine schiefe Ausdrucksweise, wenn
Study schreibt, „und zwar kommt es nicht auf das Dasein des Individuums, sondern
*) Anmerk. d. Schriftltg. Study hat auf S. 357 nur gesagt, D ürken polemisiere
gegen Lehren (nicht die Lehren) Weismanns, die keine Anhänger gefunden hätten.
Er hat damit sicher nicht sagen wollen, da8 Weismann überhaupt keine Anhänger
gefunden habe. Um festzustellen, welche Lehren Weismanns Study dabei im
Auge gehabt habe, habe ich bei Dürken nachgesehen. Dürken polemisiert außer
gegen die Selektionstheorie nur gegen folgende Lehren Weismanns: 1. die Prä-
formation bestimmter Organteile durch bestimmte Determinanten des Keimplasmas,
2. die damit zusammenhängende Annahme erbungleicher Zellteilungen in der Ontogenese,
3. die Trennung von Keimbahn und Soma. Da Study selber ein Anhänger der Selek-
tionstheorie und der Trennung von Keimbahn und Soma war, hat er wohl nur die
Präformation und die erbungleiche Teilung im Auge gehabt; und diese Lehren Weis-
manns haben in der Tat kaum noch Anhänger. Mir scheint also ein Gegensatz zwischen
den Ansichten Studys und Plates in dieser Hinsicht nicht zu bestehen. Lenz.
3) Study kennt zwar dieses Buch, hat es aber offenbar nur flüchtig studiert, sonst
würde er es nicht mit der Bemerkung abtun „großenteils historisch“, während es fast
auf jeder Seite kritisch zu den verschiedenen Auffassungen Stellung nimmt.
460 Diskussionen und Erklärungen.
das seiner Nachkommenschaft an“. Natürlich hat Study vollkommen recht, wenn er
sich gegen Heikertinger wendet, der nur an den Kampf denkt, „bei dem unab-
lässig von allen gegen alle wild gekämpft wird“. Aber er hat nicht recht, wenn er die
Formel „Kampf ums Dasein‘ verdrängen will, er hat auch nicht recht, wenn er meint,
diese Formel sei eine ungenaue Uebersetzung des englischen „struggle for life“. Man
kann diese Worte gar nicht besser verdeutschen, als es in der allbekannien Weise
geschieht.
Bezüglich der Mimikrylehre stehe ich im großen und ganzen auf demselben Boden
wie Study und freue mich, daß er so viele und zwingende Argumente für sie vor-
gebracht hat. Aber eins darf nie vergessen werden, was auch Study nicht betont:
morphologische Aehnlichkeit zweier zusammen vorkommender Arten genügt nicht,
sondern es muß immer der biologische Beweis erbracht oder wenigstens wahrscheinlich
gemacht werden, daß der Nachahmer einen Vorteil von der Aehnlichkeit hat. Die von
Study abgebildeten Rüssel- und Bockkäfer sind gewiß sehr interessant; es bleibt
aber unsicher, ob es sich um rein zufällige Uebereinstimmungen in der Farbe und
Fühlerform handelt oder um Mimikry. Study nimmt das erstere an, aber da er an-
gibt, daß diese Curkulioniden einen sehr dicken Chilinpanzer haben, so werden sie viel-
leicht gar nicht oder nur selten von Eidechsen und Vögeln gefressen, und dieser Vor-
teil könnte auch den Bockkäfern zugute kommen, dann läge Mimikry vor. Ich ver-
stehe nicht, warum Study sich auf die eine Auffassung festgelegt hat. In Ceylon
habe ich Versuche mit Papilio hector gemacht, indem ich mehrere Individuen
zusammen mit einer ganzen Anzahl anderer Schmetterlinge 'hungrigen Calotes-
Eidechsen vorsetzte*). Die letzteren waren in kurzer Zeit gefressen (abgesehen von den
Flügeln), erstere lebten noch nach mehreren Tagen. Damit ist bewiesen, daß das
hector-ähnliche $ (romulus) von Pap. polytes auf Mimikry beruht. Der-
artige Versuche liegen schon für eine Reihe tropischer Mimikry-Schmetterlinge vor,
aber ihre Zahl ist noch sehr gering im Vergleich mit den zahlreichen mimikry-ver-
dächtigen Fällen.
Zur Frage des „Erbgangs“ neuer Gedanken in der Rassenkunde.
Von Priv.-Doz. Dr. K. Saller, Göttingen.
Scheidt, von Lenz in Anmerkungen sekundiert, veröffentlicht im Arch. f. Ras-
sen- u. Ges.-Biol. Bd. 22, S. 348 eine Erklärung, die sich mit meiner Arbeit in der
Klinischen Wochenschrift 1929, Nr. 32 u. 33, befaßt. Von der Klinischen Wochenschrift
war der Abdruck dieser Erklärung abgelehnt worden. Nachdem Scheidtmit ihr trotz-
dem vor die Oeffentlichkeit getreten ist, muß ich dazu folgende Erklärung abgeben:
Der von Scheidt besprochene Artikel stellt das Manuskript eines Vortrags dar,
der von mir in der Göttinger medizinischen Gesellschaft gehalten wurde. Da zur Zeit
der Drucklegung das Vortragsdatum noch nicht feststand, wurde dies von mir bei der
Arbeit nicht vermerkt. Es wurde jedoch ausdrücklich auf frühere größere Arbeiten von
mir hingewiesen, in denen die Ansichten von Scheidt und Lenz ausführlich genug
besprochen worden waren. Es ist in Vorträgen ja nicht üblich, auf diese und jene
Angaben älterer Autoren einzugehen, wenn sie auch noch so originell und von grund-
legender Bedeutung sind, wieScheidt und Lenz unter Vernachlässigung von Autoren
wie Darwin, Lamarck, Eimer, Wagner,Geoffroy,G. und O. Hertwig,
Johannsen, Goldschmidt, Martin usw. von ihren Aeußerungen zu glauben
4) L. Plate: Uebersicht über biologische Studien auf Ceylon, Jena, Zeitschrift
f. Nat. 44, 1916, 31.
Diskussionen und Erklärungen. 461
scheinen. Dadurch würde ein Vortrag meist sehr langweilig werden. Auch die Schrift-
leitung der Klinischen Wochenschrift verweigerte die Aufnahme der Scheidtschen
Erklärung mit dem Hinweis, daß ein Eingehen auf die Genese bestimmter Ansichten
bei solchen Aufsätzen nicht notwendig sei. Der AusfallScheidts über den „Erbgang“
„neuer“ Gedanken in der Rassenkunde gegen mich ist also durchaus unbegründet und
überflüssig. |
Auf die persönlichen Anwürfe und stilistischen Entgleisungen, die Scheidt und
Lenz bringen, gehe ich nicht ein, sie haben nichts mit der Sache zu tun und ihre
Zurechtweisung würde die darauf verwendete Zeit nicht lohnen. Nur möchte ich meiner
Verwunderung Ausdruck geben, daß sich ausgerechnet Scheidt beschwert, wenn er
nicht in (seiner Meinung nach) genügender Weise zitiert wird, wo gerade dieser Autor
die Arbeiten seines (und meines) inzwischen allerdings verstorbenen anthropologischen
Lehrers Martin, auf denen er mit seiner ganzen Tätigkeit aufbaut, in seinen neueren
Veröffentlichungen überhaupt nicht, sondern fast ausschließlich nur sich selbst zitiert.
Auf wessen Seite die mir vorgeworfene „Animosität‘ liegt und woher eine „Verwirrung
der geistigen Eigentumsbegriffe‘“ droht, kann ich bei dieser Sachlage ruhig dem Urteil
der Leser überlassen.
Entgegnung auf die vorstehende Erklärung von Saller.
Von Prof. Dr. Walter Scheidt, Hamburg.
Saller bestreitet nicht, daß er in der fraglichen Arbeit wesentliches Gedankengut
von Lenz und mir verwendet hat, ohne uns zu nennen. Er teilt den von uns an-
gegriffenen Standpunkt der Schriftleitung der Klinischen Wochenschrift und bekennt
sich zu der — d. h. mindestens seiner — Gepflogenheit, „Angaben älterer Autoren“
zwar zu benützen, aber ihre Herkunft zu verschweigen, auch wenn jene Aeußerungen
„auch noch so originell und von grundlegender Bedeutung sind“. Die Beurteilung
dieses Verfahrens überläßt er den Lesern. Ich tue das auch und beschränke mich dar-
auf, festzustellen, daß die übrigen gegen mich gerichteten Erklärungen von Saller
unwahr sind.
Saller wirft mir „Vernachlässigung von Autoren wie Darwin, Lamarck,
Eimer, Wagner, Geoffroy, G und O. Hertwig, Johannsen, Gold-
schmidt, Martin usw.“ vor. Alle diese Autoren sind (mit Ausnahme der Schriften
von Eimer, die ich nicht benützt habe) in meiner „Allgemeinen Rassenkunde“ nach-
gewiesen. Saller kennt sie sehr wahrscheinlich zum größten Teil aus diesem
meinem Buch.
Saller behauptet, daß ich in meinen neueren Veröffentlichungen „fast ausschlicß-
lich mich selbst zitiere“, „die Arbeiten Martins überhaupt nicht“. In den zehn Büchern
und Schriften, die ich in meiner Entgegnung an Saller (dieses Archiv, Bd. 22, S. 348)
aufführte, habe ich 25 mal Arbeiten von mir und 1535 mal Arbeiten von anderen Autoren
zitiert. Martins Arbeiten sind (17 mal) überall da angeführt, wo ich etwas von ihm
diskutiert habe.
Saller behauptet, daß ich „meine ganze Tätigkeit auf den Arbeiten von Martin
aufbaue“, obwohl er weiß, daß das Wesentlichste meiner Anschauungen und Lehren in
unverkennbarem und von anderen oft betontem Widerspruch zu den Anschauungen
und Lehren Martins steht und daß mir diese Abkehr von der Martinschen Schule
zu einem sachlich unbegründeten persönlichen Vorwurf gemacht worden ist”).
* Anmerkung der Schriftleitung: Nachdem beide Teile zu Wort ge-
kommen sind, erklären wir diese Diskussion nunmehr für geschlossen. Lenz.
462 Berichtigung.
Berichtigung
zu Gunnar Dahlberg: Theoretische Berechnungen über Inzucht beim Menschen,
Bd. 22, H. 2.
Seite 140, Zeile 12 von oben muß es statt „vier verschiedene Gene“ heißen „zwei
verschiedene Gene“.
Herr Dr. G. Waaler (Oslo) hat mich auf dieses Versehen aufmerksam gemacht,
wofür ich ihm sehr verbunden bin. Dadurch werden in einigen der späteren Formeln
und Zahlenangaben kleinere Aenderungen erforderlich, welche jedoch für meine Arbeit
bedeutungslos sind. Im Texte sind keine Korrekturen nötig. Ich führe im folgenden
die Aenderungen der endgültigen Formeln und Zahlenangaben an, und zwar vor allem
deshalb, damit sie auch andere Forscher zu anderen Zwecken anwenden können.
Seite 140, Zeile 13 von unten:
statt ', r + t'h r?
lies ! ar + °ı r.
(Die generelle Formel Seite 869 (unten) gilt daher nicht für Ehen zwischen Elter
und Kind.)
Seite 147, Zeile 13 von unten:
2 =
PETE NE EL u: +12c— 16
(2 + c) (n— 1)
; 2° +14c+8c— 16
l 2 P P, =,
ies 2 Pat P= aE o) n1)
Seite 148, Zeile 9 von oben:
statt 2104
lies 1580.
Seite 148, Zeile 20 von unten:
statt 2 Ps + pua E ten
n— l1
23 4 2c—4
EE PE AEE a
n— 1
Seite 148, Zeile 17 von unten:
statt 1052
lies 703.
A
Abely 449.
Abend 240, 453.
Adie 446.
Akerlund 336.
Albrecht 121, 183, 457.
Allgayer 124.
Alons 82.
Alsberg 336.
Amann 344,
Ankel 122.
Arbo 245.
Arsenjew 118.
Argelander 216, 217, 218,
240, 334, 341, 428.
Ascher 234, 238.
Aschner 125.
Aschoff 291.
Augsberger 117.
Awaji 341.
B
Bachmann 446.
Backofen 128.
Bandel 109.
Barnes 95.
Baron 319.
Barthmeyer 124.
Bartz 343.
Basler 231, 233.
Bates 356, 359, 390.
Bateson 59, 182.
Bauer 118, 183, 186, 187, 188,
189, 190, 239, 380, 389.
Baum 68, 69.
Bäumer 196.
Baur 59, 61, 62, 213, 307,
308.
Becher 353, 389, 391, 393.
Beck 238.
Becker 343.
v. Beckerath 121.
Beddoe 245.
v. Behr-Pinnow 231, 232,
241, 351.
Benda jun. 78, 79.
Benedict 418.
v. Bergmann 125.
Namenregister.
Bergner 381.
Bergsträßer 121.
Berliner 120, 125.
Bernstein 59, 117, 118, 183,
189, 190, 239, 241, 274, 339.
Bersch 238.
Berwald 241.
Best 338.
Betsch 338, 339.
Biedermann 66.
Bingham 418.
Birkenfeld 331.
Blank 336.
Bleier 68.
Bloch 122.
v. Blohn 454.
Blondel 449.
Bluhm 100.
Blümel 120, 331, 342.
Boas 95, 256.
Boeckh 285, 291.
van Bogaert 449.
Bogdanow 72, 73.
Böhle 351.
Böhmer 223.
Boldrini 351.
v. Bonin 291.
Bonnevie 335.
Bonnier 334.
Borchardt 126.
v. Borries 51, 107, 195, 223,
225, 321, 324, 325, 412, 426,
427, 429.
Boström 444.
Bradbrooke 246.
Braun 345.
Brauner 66.
Bravais 213.
Breitner 119.
Brekenfeld 120.
Bremer 447.
Breysig 122.
Brezina 126, 448.
Bridges 60, 123, 309.
Brieger 124.
Broca 209.
Browne 246.
Bryk 80, 81.
Bryn 245, 247, 254.
Buchner 63, 354.
Budde 237.
Buga 270, 271, 274.
Bulawski 109.
Bülow 344.
Bunge 100.
Burgdörfer 109, 127, 128.
Busemann 194.
Busse-Wilson 346.
Buttersack 351.
Bywalkewitsch 170, 173.
C
Carpenter 373, 381, 389.
Carritre 443.
Castellani 345.
Castle 349.
Cestan 179.
Charcot 170.
Christiansen 448.
Christie 123.
Christopher 33.
Clausen 335, 338.
Clauß 234,
Clement 348.
Cohen-Reuß 232.
Cohn 120.
Coleman 389, 390.
Comberg 337.
Constantinescu 124.
Cords 337.
Cocrper 342, 454.
Correns 334.
Croner 217.
Crouzon 449.
Crzellitzer 263.
v. Csapody 338.
Csörsz 77, 126.
Cuenot 68.
Curschmann 115.
Curtius 119, 125, 214, 238,
332.
Czekanowski 74.
D
Dahl 362.
Dahlberg 129, 168, 461.
Dahlgren 336.
464
Dannhauser 324,
Darre 224, 351.
Darwin 61, 351,
359, 361, 365,
369, 370, 375,
378, 379, 382,
459, 460, 461.
Davenport 256, 263, 349, 351,
418, 419, 433.
Dawidenkow 169, 449.
Decker 191.
Dejerine 175, 176.
Delbrück 444.
Deniker 72, 209, 245.
Dernburg 342.
Deussing 440, 441, 442.
Deusch 447.
Diakonow 125.
Diehl 88.
Diel 169, 170, 172, 178.
Dingler 351.
Dobronrawow 171.
Dodd 330.
Doflein 372.
Dominanz 313.
Donath 447.
Döring 453.
Doronhenko 341.
Downs 263.
Doxiades 111.
Doyer 82.
Draganesco 448.
Dresler 343, 345.
Driesch 353, 457, 458.
Duchenne 175.
Duff 319.
Duncker 68, 122, 125.
v. Dungern 117.
Dunn 119, 256.
Dürken 355, 356, 357, 358,
362, 366, 367, 371, 379,
381, 388, 391.
E
Fast 68, 334.
Eckardt 72, 115, 211, 213.
Ehrenfels 292.
v. Eickstedt 210, 211, 235.
Eimer 353, 378, 379, 457,
458, 460, 461.
Eisenberg 341.
Ekblom 336.
Ekman 354, 390, 392.
Emanuel 455.
Emme 124.
Eliasberg 112, 347.
Eliassow 234.
356, 357,
367, 368,
376, 377,
389, 392,
ee tt HH re nn ng a
Namenregister.
Eltringham 369, 383, 386,
388, 390.
Endres 114, 115.
Entz 388.
Erb 170, 175.
Erkes 114.
Ernst 117.
Essed 336.
Essen 125.
Eschmann 347.
Euler 317.
F
Fahlbeck 9.
Falk 241.
Farmanow 171.
v. Fasakas 336.
Faßl 393.
Federley 131, 168, 335.
Fehlinger 109, 110.
Feiler 114.
Feist 233.
Ferenczi 110, 111.
Ferrars 213.
Fetscher 56, 127, 128, 304,
352.
Feygin 342,
de Finetti 116.
Fischer 119,
Fischer, A. 442, 452,
Fischer, E. 122, 256, 351,
433.
Fischer,
Fischer, S. 451.
Fischer, W. 291, 339.
Flaskamp 239.
Flaskämper 110.
Fleck 445.
Flemming 234.
Fleure 246.
Forel 333.
Förster 119.
Franceschetti 340.
Frank 97.
Frauenholz 344.
Frets 262.
Freudenberg 118.
Friedemann 444, 456.
Friedmann 343.
Fries 391.
Friese 383.
Frings 372.
v. Frisch 66.
Fruhstorfer 372.
Fruwirth 334,
Fuchs 231.
Funguist 335.
M. 219.
m m nn a nn ann nn m rn
Fürst 37, 42, 192, 194, 240,
261, 340, 454.
Fürth 90, 113.
Furuhata 184, 239.
G
Gabritschevsky 123.
Gahan 380, 390.
Galton 61, 62, 213.
Ganther 117.
Gates 68, 124.
Gaupp 352.
Geiger 326.
GeiBler 115.
Geoffroy 460, 461.
Gerber 126.
Gerould 373.
Gesemann 347.
Gitermann 113.
Glusmann 115.
Goebe 238.
Goddijn 68.
Godfery 390.
Goldner 125.
Goldscheid 231.
Goldschmidt 58, 60, 64, 66,
67, 306, 460, 461.
Gosney 352.
Göttche 332.
Götz 115.
Gould 393.
Gowers 169, 173.
Gradmann 208.
Grant 95.
Graß 115.
Graupner 33.
Grotjahn 89, 232, 352, 423.
Grotkopp 113.
v. Gruber 101.
Grünbauın 126.
Grüneberg 123, 124.
Grützner 330.
Gschwendtner 90, 228, 440.
Guggisberg 339.
Guinon 176.
Gumbel 116.
Gundel 239.
Günther 107, 117, 202, 208,
234, 235, 259, 260.
H
Haack 121.
Haas 443.
Haase 369, 378, 386, 387,
390, 452.
Haeckel 57, 459.
Haecker 64, 65.
Haddon 246.
Hagedoorn 83.
Hagen 256.
Halber 274.
Halbertsma 336, 337.
Haldane 130, 168.
Hall 330.
Hammarlund 335, 336.
Hamy 258.
Hanauer 110.
Handlirsch 353, 358,
377, 378, 379, 380,
383, 384, 385, 388,
Handmann 336.
Hanhart 339.
Hansen 169, 170, 172,
247.
Harland 68.
Harmsen 225.
Harris 340.
Hartnacke 319, 320, 352.
Hartwig 112.
Haselhorst 118.
Hauch 334.
Haushofer 343.
Häußler 118.
Hauschild 72, 73, 74, 122,234.
Hecke 352.
Heerup 115.
Heikertinger 358, 359, 360,
361, 362, 363, 365, 366,
369, 370, 372, 373,
374, 375, 378, 379,
381, 383, 388, 392,
459.
Heilborn 334.
Heim 340.
Heine 338.
Heine-Geldern 213.
Henckel 267.
Henderson 418.
Henke 419.
Henner 449.
Hennig 344.
v. Hentig 120, 121.
Heribert-Nilsson 336.
Herold 115.
Herrmann 120.
Herskovits 418.
Herschan 127.
Hertwig, O. 354, 357, 371,
374, 375, 378, 379, 390,
392, 460, 461.
Hertwig, R. 390
van Herwerden 83.
Heyck 352.
Hildebrandt 221.
359,
382,
392.
178,
Namenregister.
Hilferding 113.
Hilgers 119, 272, 273, 274.
Hiller 333.
Hirsch 114, 420.
Hirszfeld 117, 183, 184, 187,
190, 274, 448.
Hlisnikowski 120.
Hobhouse 348.
Hoche 346.
Hodann 233, 234, 235, 332.
Hoffmann 180, 216, 265, 455.
Hofmann, A. 342.
Hofstätter 420, 421, 422, 423,
424, 425.
Hoelder 72.
Holdhaus 359.
Homann 245.
Höpner 13.
Hrdlička 263.
Hübner 445.
Hüchtemann 331.
Hultkrantz 130, 133, 154,
159, 167, 168.
I
Ibsen 107.
Ichheiser 346, 347.
Igl 33.
Ikeno 335.
Inaniecki 346.
v. Incze 337.
Ironside 446.
Ishikawa 337.
Isigkeit 342.
J
Jablonski 115.
Jacobi 356, 360, 372, 378,
Jacobs 66.
Jaffe 114, 115.
Jakubowitsch 171.
James 246.
Jaensch 317, 318, 451.
Jeckert 115.
Jefferys 291.
Jochmann 291.
Johannsen 57, 60, 209, 307,
308, 353, 354, 357, 367,
382, 459, 460, 461.
Jordan 241.
Jörgensen 247.
Jourdain 389, 390.
Juhäsz-Schäffer 339.
Jung 318.
Jüngling 331.
Junker 343.
Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie, Bd. 22, Heft 4.
Jurgeliunas 272, 274.
Jurkat 348.
Just 51, 65, 66, 68, 87, 317.
K
Kahn 265, 266.
Kaim 333, 346, 347.
Kajanus 334,
Kammerer 62.
Kantorowicz-Kroli 232.
Kaplan 332.
Karleby 113.
Karpechenko 335.
Kartschikjan 342.
Karu 330.
Karves 347.
Kasten 108, 112, 116, 121,
128.
Katz 66, 120.
Kauffmann 117.
Kaup 124, 237.
Kautsky 230, 231.
Kawakami 344.
Kean 340.
Kehrer 177.
Keller 36, 108.
Kenzinger 449,
Kern 73, 121, 122, 199, 235.
Kessel 286, 291.
Kiaer 91.
Kiesel 66.
Klatt 65.
Klesse 232.
Kliewe 117.
Klimas 271, 274.
Klinkenberg 444.
Kliutschewskii 113.
Kloß 343.
Knötzge 119, 272, 274.
Kobel 330.
Koch 206, 207.
Köhler 453.
Kohts 69, 70.
Kollarits 78, 79.
Kolle 455.
Kollmann 72.
Konopath 329.
Koopmann 115.
Kopec 122.
Koralnik 235.
Kossinna 234.
Koßwig 123, 124.
Kozhantschikov 124.
Kraßmöller 336.
Kraßnaschkin 120.
Krause 387.
Krecsmárik 79.
30
Kreibich 122.
Kretschmer 267, 268, 278,
318, 423, 456.
Krische 333, 347.
Kristofferson 335.
Kronacher 417.
Krupski 341.
Kruse 273, 352.
Kryschowa 171, 178.
Küffner 451.
Kufs 450.
Ku-Hung-Ming 425.
Kuntze 124.
Kurka 341.
Kurz 37, 41, 42.
Kynast 101.
L
Lachmann 452.
Lamarck 210, 458, 460, 461.
Landauer 118.
Landouzy 175, 176.
Landow 234.
Landsteiner 116.
Lang 125.
Lange 444, 455, 456.
Langstein 352.
Lašas 270.
Laubenheimer 119.
Laurent 124.
Lautensach 343, 345.
Layton 343.
Lebzelter 448.
Leder 238.
Lederer 114.
v. Lehoczky 445.
Lejonne 179.
Lellep 120.
Lemke 126.
Lenz 12, 13, 37, 40, 41, 42, 52,
68, 73, 76, 100, 102, 103,
108, 132, 138, 139, 153, 157,
168, 181, 182, 183, 191, 192,
194, 195, 222, 223, 225, 233,
237, 247, 312, 324, 325, 323,
329, 348, 349, 350, 361, 354,
355, 390, 391, 392, 412, 424,
426, 427, 429, 433, 435, 436,
440, 442, 458, 460, 462.
Leppmann 111.
Lessenich 33.
Levin 171.
Levinger 111.
Lewinsohn 336, 337.
Lewinthal 117.
Leyden 179.
Liang 291.
mm m m m er sr er rer nr en
Namenregister.
Licsko 338.
Liebers 452.
Liermann 128.
Lilienthal 127.
Lindeiner-Wildau 343,
389, 390.
Lindemann 181.
Linders 251, 261.
Lindsey 425, 426.
Linné 72.
Llopis 352.
Loben 332.
Löffler 338, 445.
Lotsy 68, 334.
Löwenstein 339, 456.
Lowie 98.
Ludwig 59.
Lundborg 100, 244, 251, 256,
257, 259, 261, 268, 319, 334,
348.
Lütkens 114.
Luxemburg 113.
Luxenburger 219, 268, 444,
445, 450, 455, 456.
M
Maas 452.
Mac Donald 33.
Machiavelli 346.
Madlener 342.
Mahalanobis 331.
Maier, H. W. 218.
Mannheim 113.
‘ Manuila 77.
Marcq 124.
Marcuse 50, 82,
420, 425.
Marie 176.
Marinesco 448.
Marshall 93, 370, 372, 373,
374, 378, 390.
Martin 71, 72, 460, 461.
Marx 93.
Maslowski 171.
Matecki 450.
Mathes 278.
Matjuschenko 444.
Maull 345.
Maunier 98.
Maxwell 291.
Mayer, A. 423.
Melnikow 111.
Mendel 319.
Merill 331.
Messis 339.
Metz 122.
Meyer 394.
101, 112,
EEE ESSEN gs EEE EEE BEER GEEHRTER GEIGE EEE EP! VEBERR EEEEEEGRER RER
Meyer-Riemsloh 339.
Miche 123.
Michels 98, 113, 114, 128.
Minkowska 449.
Minkowski 339.
Mino 241.
Minor 448, 451.
Mirbt 417.
Mittermaier 127.
Mjöen 116.
Möbius 169, 173, 179.
Mohr 123, 335.
de Mol 122.
Moll 82.
Möller 125.
Mombert 113.
Monheim 89.
Moniz 448.
Montalti 337.
Morant 331.
Morgan 58, 62, 63, 307, 308,
334.
Morgenroth 110.
Moritz 238.
Morosow 171.
Mortensen 380.
Moss 390, 393.
Moul 330.
Much 275, 291.
Muchow 239.
Muckermann 55, 329.
Mühlmann 181, 352.
Mühlpfordt 237, 238.
Müller, Fritz 356, 361, 369,
375, 377, 383, 387, 390.
Müller, J. 109.
Müller, K. V. 91, 92, 94, 96,
98, 115, 122, 128, 232.
Müller, M. 218.
Müller, W. 114
Muratow 171.
Mussolini 433, 435.
Mutschlechner 126.
Mydlarski 274.
N
Nachtsheim 354, 355.
Nagel 117.
Naegeli 353, 378, 457.
Nauck 291.
Neave 383.
Neuburger 116.
Neufeld 115.
Neuhaus 256.
Neustätter 238.
Newekluf 120.
Newton 362.
Neyman 331.
Niceforo 234,
Niekau 117.
Nietzsche 102.
Nilsonne 342.
Nilsson 317.
Nilsson-Ehle 335.
Noack 333.
Nötzel 229.
Nürnberger 91.
Nyessen 419.
o
Oehlecker 120.
Oehlschlāgel 116, 238.
Ohnsorge 444.
Olberg 231, 345.
Oldt 291.
Oelze 237, 238.
Onslow 122.
Oppenheim 291.
Oppenheimer 113, 338.
Oppermann 335.
Orel 125, 126.
Ormiston 385.
Oertzen 344.
Osborn 380.
Oseretzki 240.
Ostermann 329.
Ostertag 454.
v. Oettingen 237.
Oualid 112.
Overhof 345.
P
Parsons 246.
Passarge 352.
Paudler 72, 73, 74, 234.
Paul 352.
Paull 21.
Pauly 353.
Patschovsky 123.
Pearl 59.
Pearson 214, 330, 331.
Peate 246.
Pellew 123.
Peritz 111.
Persch 443.
Peters 37, 112, 319.
v. Petres 338.
Pette 447.
Pfister 291, 340.
Philippi 126.
Pickens 334.
Piepers 374.
Pierre 176.
aer e A e a a e a e e A a e r e e
Namenregister.
Pinéss 455.
Pirkner 127.
Plate 70, 122, 355, 357, 364,
365, 375, 391, 457.
Plattner 450.
Plehn 68, 69.
Ploetz 100.
Pöch 202, 212.
Politzer 340.
Poli 118, 120.
Polland 437.
Poos 339.
Popenoe 352, 444.
Popoviciu 77.
Popp 427, 428.
Porter 33.
Poulton 373, 374, 391, 392,
393.
Preobrashenski 171.
Prinzing 109.
Prißmann 171, 206.
Prochnow 386, 392.
Prokein 192, 193.
Przibram 122, 386, 387, 388,
392.
Punnett 59, 182, 354, 374,
383, 386, 387, 392.
Q
de Quatrefages 258.
Quessel 232.
Quirsfeld 33.
R
Rachmanow 171.
Raecke 54, 55.
Ramsay 344.
Rappaport 98.
Rasmusson 336.
Rasor 117.
Rätsch 346.
Rauschberg 453.
Ravensberg 272, 274.
Rebel 359.
Redecker 115.
Reh 372, 374, 391.
Rehm 443.
Reichl 110.
Reinke 353.
Reiter 119.
Renner 334.
Retzius 72, 261.
Reuter 423.
Reutlinger 139, 169.
Revesz 453.
Rheinbaben 342.
Ribbing 251.
Rice 328.
Riegel 99.
Riese 90, 112, 332, 423.
Rietz 33.
Ripley 245.
Rittershaus 265, 443.
Rochlin 332.
Rodenwaldt 256, 264.
Roffenstein 346.
Rohden 352, 446.
Rohrbach 352, 405, 428, 429.
Rollin 447, 448.
Rooms 343.
Rosenberg 125.
Rosenfeld 33.
Rosenthal 445, 452.
Roesle 90, 325.
Roß 98.
Roth 122, 170, 171, 173, 180.
Rott 352.
Rotter 451.
Ruben-Wolf 334.
Rubin 128.
Rüdin 219, 265, 329, 449,
455.
Ruhland 66.
Ruhnau 13, 18.
Rummel 275.
Runge-Hecht 102.
Rußlow 171.
Rüschkamp 391.
Rybalkin 171.
S
Sachs 337.
Saller 68, 72, 73, 74, 122,
125, 348, 349, 350, 460,
461.
Salmony 234.
Salomon 9.
Sapper 344.
Sanger 426, 427.
Sartorius 109.
Saunders 68, 334.
Savorgnan 95, 220, 346.
Schäfer 453.
Schallmayer 92, 95.
Schams 128.
Schaus 388.
Scheerer 337, 338.
Scheibe 220, 346, 348.
Scheidt 1, 13, 18, 69, 70, 77,
123, 210, 234, 235, 245,
255, 348, 352, 419, 448,
460.
30*
22
Schemann 235.
Schenderoff 451.
Schenk 116.
Schepetoskaja 337.
Schertlein 332.
Scherz 122.
Scheuer 127.
Scheumann 54, 228.
Schiff 118.
Schiffler 77.
Schilling 121.
Schippel 98.
Schlaginhaufen 257, 268.
Schloßberger 119.
Schmalfuß 122, 124.
Schmerz 436, 437, 438, 440.
Schmidt (Fritzlar) 111, 116,
127, 326.
Schmidt, F. A. 33.
Schmidt, L. 352.
Schmidt, P. 118.
Schmidt-Kraepelin 116.
Schmidt-Lampert 128.
Schmitt 341.
Schmölders 109, 347.
Schneidemühl 352.
Schnyke 33.
Schischerbak 171.
Schubart 328, 329.
Schugt 87, 340.
Schulte 339, 456.
Schulte-Vaerting 333.
Schultze, A. 373, 383.
Schultze-Naumburg 235.
Schultze, F. 447.
Schultze, L. 76.
Schultze, O. 420.
Schultze, W. 239.
Schulz 450.
v. Schulze - Gävernitz 112,
114.
Schumpeter 92, 113.
Schuster 457.
Schutowa 171, 177.
Schwarz 111.
Schweighofer 451.
Sczesny 440, 441.
Seifert 343.
Seissiger 336.
Seitz 364, 372, 373, 382, 384.
Seitzer 338.
Sellheim 237.
Semon 62.
Semper 360, 375, 378, 380,
391.
Seraphim 121.
Serebrowskaja 126.
TI mn
Namenregister.
Serog 444.
Serouya 347.
Shaw 446.
Shelford 360, 373, 377, 378,
383, 391, 393.
Shull 335.
Sidler 339.
Siegel 91.
Siegfried 97.
Siemens 119, 120, 233, 239,
340.
Simon 451.
Simonson 332.
Sitsen 291.
Slonimskaja 171.
Smeedley 33.
Smilga 237.
Snell 443.
Snyder 418.
Soicesco 448.
Sombart 128.
Sommer 232, 319.
Sorokin 346, 348.
Sourkoff 448.
Soewarno 336.
Spann 321.
Spencer 62, 368.
Spengler 95, 297.
Sperlich 346.
Spilger 319, 320, 454.
Spindler 139, 169.
Spranger 217.
Springhall 345.
Sserdjukov 111.
Staedtler 116.
Stamp 342.
Standfuß 68, 372.
Starck 332.
Stark 66.
Starkenstein 119.
Stefko 85, 86, 112.
Steggerda 351, 418.
Steiert 332.
Steinert 345.
Steinmann 357.
Stern 428, 443.
Sternberg 113.
Sternfeld 375, 391, 393.
Stern-Piper 447.
Sterling 448.
Stieda 108.
Stiefler 447, 455.
Stieve 51, 52, 53, 83, 84.
Stilling 263.
Stockard 99.
Stocks 330.
Stoltenberg 95.
Stoessiger 330.
v. Stramlik 66.
Stuber 125.
Stübel 291.
Study 353, 366, 373, 375,
378, 380, 381, 383, 384,
385, 391, 392, 457, 458,
459.
Sturtevant 313.
Sukatschew 124.
Sulzbach 234.
Sundbaerg 95.
Swynnerton 370.
Syllaba 449,
Sylven 335.
Symonds 446.
v. Szily 337.
Szjsidlaum 450.
T
Takata 9.
Tammes 62, 68, 334.
Tandler 230, 424.
Tappan 330.
Tchougounoff 448.
Tedin 335.
Terman 319, 452.
Thiem 392.
Thies 338.
Thirring 110.
Thomsen 117, 239, 319, 336.
Thorndike 418.
Thurnwald 346, 351.
Tildesley 330.
Tjebbes 335, 336.
ı Tocher 246.
|
|
|
Toldt 448.
Tönnies 91, 92, 95, 115, 116,
121, 346, 348.
Tower 62.
Trimen 388, 390.
Tschermak 335.
Tschulok 355, 365, 374, 382.
U
Ueberschaer 120.
Ubisch 124, 169, 170, 172,
178.
Uhlmann 120.
Umber 125.
Unbehaun 111.
Urbaneck 337.
V
Valentin 332.
Vaerting 332.
Veidemanis 274.
v. Verschuer 88, 89, 112,
116, 125, 126, 214, 215,
221, 229, 230, 320, 327,
329, 330, 331, 332, 336,
341.
Vierkandi 423.
Vogel 355, 391.
Vögel 111.
Vogelsang 338.
Vogler 452.
Vogt 119.
Voigt 239.
Voigts 453.
de Vries 62, 124, 365, 367,
369, 459.
W
Waaler 122, 461.
Waardenburg 338.
Wachs 66.
Wacker 13, 19.
Wagner 209, 383, 460, 461.
Wahlund 131, 133, 152, 169.
Wallace 356, 378, 390, 392.
Waltenath 346.
Walter 446.
v. Waltershausen 109.
Wampler 285, 291.
Wang 291.
Wasmann 353, 356, 359, 391.
Waßmund 115.
Wastl 212, 448.
Weber 321, 322.
Wegner 126.
Weidenreich 235.
Weigl 454.
Weiler 443.
Weimer 453.
A
Abortus 111, 233, 281.
Namenregister. — Sachregister.
Weinberg 59, 125, 153, 154,
155, 169, 183, 241, 244,
333.
Weismann 58, 61, 63, 209,
357, 372, 381.
Weiß 456.
Weißenberg 128.
Weitz 169, 170, 173.
Wellisch 117, 123, 238.
Wenckebach 278.
Wendt 111.
Wenzler 344.
Werner 122, 360, 361, 372,
388, 392, 393.
Wernich 291.
Werth 70, 71.
Wertheimer 449.
Werthemann 452.
Westedt 126.
Westermann 347.
v. Wettstein 58, 66.
Weygandt 456.
Wichmann 119.
Wiese 423.
Wieser 330.
Wigand 459.
Wildau 344.
Wildermuth 451.
Wilhelm 98.
Wimmer 448.
Winge 335.
Wingfield 215.
Winkler 116, 220.
Winter 128.
Winterstein 66.
Wirth 201.
Wißler 418.
Witebsky 237.
Sachregister.
49
Wittek 115.
Wittschell 345,
Wlassak 9.
Wohlfeil 119, 272, 274.
Woldt 347.
Wolf 201.
Wolff 232, 234, 353,
Wollny 318, 445, 446, 448,
449, 452, 457.
Woo 330, 331.
Wriede 13. -
Wriedt 123, 335, 336.
Wulz 138, 169.
Würz 339.
Würzburger 9%, 116.
Y
Yamaguchi 122.
Yamane 123.
Yealland 446.
Yule 214.
Z
Zaloziecky 348.
Zangwill 97.
Zeiler 232.
Ziegelroth 237.
Ziegler 354, 392.
Ziemann 119.
Zimmerlin 179.
Zimmermann 66, 341, 348.
Zizek 109, 110.
Zollschan 234.
v. Zumbusch 237.
Zuppinger 341.
Zurukzoglu 112, 231, 232.
Zweig 234, 235.
Agrarrevolution 345.
Aisten 270.
Abstammung und Erziehung 318.
Abstammung des Menschen 206.
Abstammungslehre 356.
Abtreibung 90, 230, 333, 427.
Achondroplasie 448.
Acromacrie 448.
Adel 93, 259.
Adoption 102.
Affen 70.
Agglomeration 110.
Agrarkrise 121.
j
Akademikerinnen, ihre Kinderzahl 422.
Akrozephalosyndaktylie 125.
Alkohol 85, 289, 341, 451.
Alkoholfrage 99.
Alkoholismus 101, 116, 238, 447.
Alkoholkapital 101.
Alkoholverbot 347.
Alkoholverbrauch 109, 452.
Allele 313.
Allele Gene 59.
Allelie, multiple 59.
470 Sachregister.
Allelomorphe 340.
Allelomorphismus, multipler 312.
Altern der Frauen 422.
Amaurotische Idiotie 450, 452,
Amerika 402.
Amerikanertum 97, 98.
Amerikanische Nation 97.
Amöbenruhr 286.
Angelsächsische Weltherrschaft 112.
Ankylostomiasis 287.
Anpassungsfähigkeit, direkte 458.
Anschauungsbilder 317.
Ansteckungsgefährdung 105.
Anthropologie 234.
Anthropometrie 71.
Antikolonialkongreß 344.
Antikonzeptionelle Mittel 112.
Apollon und Dionysos 101.
Araber 344.
Arbeiter 347.
Arbeiterbewegung 344.
Arbeitswissenschaft 112.
Argentinien 394, 401.
Artbildungsproblem 314.
Askese 322.
Assimilation 97.
Asymmetrie 12.
Ataxie 446, 452.
Athetose 449.
Augenleiden 337.
Auslandsdeutschtum 405.
Auslese 123, 294, 369, 371, 389.
Auslese, soziale 442.
Auslese, Schärfe der 29.
Auslieseverfahren 454.
Aussterben der adeligen Geschlechter 9.
B
Balten 406, 408.
Bardet-BiedIsches Syndrom 125.
Barma-Grande-Rasse 74.
Basedowsche Krankheit 205.
Baschkiren 212.
Basken 396, 398.
Bastardbildung in der Natur 334.
Bastarde 82,
Bäuerliche Lehen 424.
Bechterewsche Krankheit 339.
Becken 280.
Beethoven 239.
Befruchtung, künstliche 298, 301.
Begabtenverteilung 319.
Begabung 27.
Begabung und Fortpflanzung 36.
Begabung und Geschwisterzahl 191.
Begabung und Körpergröße 21.
Begabung und soziale Schichtung 44, 46
Begabungsdifferenzen 454.
Begehrungsneurose 281.
Behaarungstvpus 111.
Belastungsstatistik 450.
Berber 344.
Beriberi 284.
Berufsarbeit, weibliche 422.
Berufsberatung 240.
Berufswahl 454.
Bevölkerungsdichte 109.
Bevölkerungslehre 113.
Bevölkerungspolitik 89, 109, 230, 232, 424,
435.
Bewahrungsgesetz 105.
Bildungswesen 442.
Birma 213.
Blei 85.
Blindenstatistik 337.
Blutgruppen 77, 116, 117, 118, 120, 123,
126, 183, 237, 238, 239, 270, 339, 418, 419,
444.
Bolschewismus 121.
Borrebytypus 75.
Brünnrasse 74.
Buntblätterigkeit 122.
Buschmänner 76.
C
"Chanceladerasse 74, 75.
Charakter und Umwelt 216.
China 98, 114, 275, 344, 343.
Chinesen 113, 276.
Cholelithiasis 50.
Chondrodystrophie 118.
Chromomer 308.
Chromosomen 307, 308, 315.
Chromosomenkonjugation 335.
Cromagnonrasse 72, 74, 75.
D
Dalrasse 72.
Dänemark 247.
Darwinismus 206, 353, 354, 355, 356, 357,
358, 362, 365.
Daseinskampf 365.
Dawesplan 342,
Deduktion 356.
Deficiency 313.
Degenerationspsychosen 455.
Dementia praecox 444, 456.
Denkfähigkeit 453.
Denkpsychologie 452.
Deszendenztheorie 61.
Determinationsstoffe 316.
Deuteranopie 340.
Deutschamerikaner 407.
Deutsche Siedler 429.
Sachregister.
oan
| un en nr re ra, m nn mm m
Deutsche Siedlungen 405.
Deutschtum in Nordamerika 406.
Diabetes 125.
Domestikation 65.
Dominanzwechsel 312.
Donauschwaben 406.
Doppelsprachige 116.
Drehpunkt 310.
Dupuytrensche Kontraktur 342.
Dystrophia musculorum 169, 339, 446.
Dystrophia myotonica 452.
E
Ehe 322, 323, 324, 327, 423.
Eheberatung 54, 127, 228, 237, 239.
Eheberatung Geschlechtskranker 237.
Eheliche Fruchtbarkeit 91.
Ehescheidung 323.
EheschließBungsziffern 195.
Ehevermittlung 56.
Eidetische Anlagen 451.
Einehe 293, 302, 322.
Eingeborenenpolitik 347, 348.
Einkommensteuer 412.
Einwanderungsgesetze 109.
Ektrodaktylie 125.
Encephalitis 445, 446.
England 246.
Entartung 231.
Enthaltsamkeit 427.
Entwicklungsmechanik 315.
Entzündung und Körperverfassung 117.
Enzyme 310.
Epilepsie 444, 451.
Erbbiologische Untersuchungen 445.
Erbe der Enterbten 223.
Erblichkeitsforschung, psychiatrische 455.
Erblichkeitslehre 57. l
Erblichkeitstheorie 306.
Erbprognostik 455.
Ernährung und Fortpflanzung 119.
Erziehung 318.
Eugenics Research Association 327.
Eugenik 65, 328.
Eunuchoide 111.
Eurasier 203.
Europäide 204.
F
Faktorenaustausch 183.
Familie 93, 323.
Familie, chinesische 290.
Familiennachlässe der Steuer 414.
Familienstatistik 109, 110.
Farbenblindheit 122, 337.
Farbenblindheit, totale 338, 339,
Farbensinnstörungen 340.
Faschismus 121, 344.
Fehlgeburten 111, 112, 281.
Femininer Habitus 447.
Fetalismus 111.
Fettfarbstoffe 122.
Filariasis 288.
Fingerlinienmuster 120.
Fortpflanzung und Begabung 191.
Fossiler Mensch 70.
Frankreich 121.
Frankreich, Einwanderung nach 112.
Frankreichs Bevölkerungsprobleme 225.
Frankreichs Bevölkerungsverhältnisse 343
Franzosen 348.
Frau, die alternde 324.
Frau, die arbeitende 420.
Frauenberufe 420.
Frauenemanzipation 2%.
Frauenerwerbstätigkeit und Ehe 128.
Frauenkunde 420.
Frauenleiden 281.
Frauenpsyche 217.
Frauenstudium 51, 422.
Frauenüberschuß 127, 332.
Friedreichsche Ataxie 180, 452.
Fruchtbarkeit in England 110
Fruchtbarkeitsziffern 430.
Fruchtschädigung 112.
Führerfrage 343.
Fürsorgezöglinge 443.
G
Gallensteine 50.
Ganzheit 316.
Gaumenspalten 331.
Geburtenbeschränkung 290.
Geburtenrückgang 84, 226, 230, 237, 327,343.
Geburtenüberschuß 430.
Geburtenverhütung 91, 233, 323, 426, 427
Geburtenziffer 430.
Gegenauslese 49, 95.
Geisteskranke 219.
Geistige Ueberarbeitung 87.
Gene 63, 307, 308, 311.
Gene, Quantität der 312.
Genetik 65.
Genitalfunktion 445.
Genquanten 315.
Genquantitäten 313.
Genvervielfachung 313.
Geopolitik 342.
Geschlechtsbestimmung 60.
Geschlechtscharakter 60.
Geschlechtschromosomen 60.
Geschlechtskrankheiten 105, 237, 238, 283.
Geschlechtskrankheiten, Bekämpfung der
128, 339.
Geschlechtsrelation der Krankheiten 111
Geschlechtsvererbung 309.
Geschwistermethode 241.
Geschwisterpsychosen 451.
Gesellschaft für Rassenhygiene 328.
Gesellschaftsbildung 96.
Gesellung 326.
Gesetz der großen Zahl 110.
Gesichtsform 256, 258, 262.
Gesichtslängenindex 238.
Gestalten der Gesellung 326.
Gesundheitsstatistik 108.
Getreidebastarde 68.
Glatzenbildung 126.
Gliom 339.
Gonorrhoe 284.
Griechenland 346.
Grimaldirasse 74, 75.
Großstädte 110.
Grundschule 453, 454.
Gynandromorphismus 67.
H
Haarfarben 122.
Haarfarbenanlagen 264.
Hämochromatose 125.
Hämophilie 117, 125, 238.
Harnsteine 279.
Hasenscharte 331.
Haushuhn 122.
Haustiere 65, 123.
Heiratswahrscheinlichkeit 198.
Heiratszeugnisse 55.
Hellenen 101.
Hcrrenkulturen 203.
Herrenrasse 397, 402.
Heteroploidie 66.
Heufieber 339.
Hilfsschüler 440.
Hilfsschulkinder 193.
Bitzeempfindlichkeit 277.
Hochkapitalismus 128.
Hochschulleben 84.
Hodenschädigung 86.
Homo europaeus 72.
Homosexualität 333, 445.
Hormone 310, 316.
Hornhautdegeneration 339.
Hornhautrefraktion 338.
Hottentotten 76.
Humanismus 102.
Huntingtonsche Krankheit 452.
Hypertrichosis 127.
Hypoplasie der Ohrmuschel 112.
Hypothese 356, 362, 382.
Hysterie 443.
Hysterische Veranlagung 456.
Sachregister.
= mn mn m — ie oe em a Ee en nn mehren „mern rn
I
Ichthyosis 334.
Ideale der Geschlechtergemeinschaft 321.
Imperialismus 344.
Indianer 345, 394, 395.
Indien 98, 344.
Indien-Expedition 235.
Industrialisierung 223.
. Industriewirtschaft der Erde 345.
Intelligenz 452.
Intelligenzprüfung 341.
International Federation of Eugenic Or-
ganizations 433.
Internationale Vereinigung rassenhygieni-
scher Organisationen 433.
Intersexualität 60, 68.
Inzucht 461.
Inzucht beim Menschen 129.
Iriskolobom 337, 338.
Irland 246.
Islam 115.
Isohämagglutination 77.
Isolate 131, 149.
Italien 345, 347.
Italiener 399, 400.
Italienische Außenpolitik 343.
Italienischer Kongreß für Genetik und Ras-
senhygiene 436.
J
Jahrbuch für Soziologie 96
Jamaica 418.
Japan 345.
Java 419.
Juden 97, 450.
Jugendliche 333.
K
Kameradschaftsehe 425.
Kampf ums Dascin 124, 363, 459
Kanarienvögel 68, 122.
Kaninchenrassen 123.
Kannibalismus 79.
Kapitalismus 128.
Karzinom 278, 331.
Kastenwesen 98.
Kastration 304.
Katarakt 336, 337.
Keimdrüsen 84.
Keloide 282.
Kieferspalten 331.
Kinderlosigkeit 102.
Kinderreiche Ehen 415.
Kinderzahl und Begabung 36.
Kinderzahl und wirtschaftliche Lage 416.
Kinderzahl und Wohnung 48.
Kirgisen 115.
Klassen, soziale 92.
ne a Sachregister. 473
ii nn nn ee nn Le nn a = FE i E
se aa Er a ea ra
Klassenbildung 93. Männersterblichkeit 109.
Klaus-Stiftung 330. | Manie 455.
Klumpfuß 237, 342, Manisch-depressives Irresein 455.
Knabenziffer 128. Maori 345.
Knochenbrüchigkeit 338, 447, 455. Massen, statistische 110.
Kolobom 338. Maßtafel, anthropologisch-klinische 210.
Kombination 75. Mast 86.
Komplexion 264. Matthiola 68.
Konfuzius 98. Maus 68.
Konkubinat 323. Mechanolamarckismus 353.
Konselektion 123. Medizinische Statistik 118.
Konstitution und Begabung 21. Meerkatze 69.
Konstitution und Rasse 126. Megalithkultur 203.
Konstitutionsforschung, experimentelle 456. | Megalokornea 338.
Konstitutionstypen 277, 278, 450. Melancholie 455.
Kopfbehaarung 126. Melting pot 97.
Kopfform 262. Mendeln 307.
Korallenschlange 393. Mendelspaltung 335.
Körperbau und Charakter 456. Menschenrassen 206.
Körperbau, leptosomer 268. Merkblatt für Eheschließende 103.
Körperbau und Mißbildungen 238. Merzbacher-Pelizäussche Krankheit 444.
Körperbauuntersuchungen 446. Messungen, biometrische 68.
Körperbeschädigung 440. Mikrophthalmus 336.
Körpergröße und Begabung 21. Milieu 341, 427, 428.
Körperwachstum 331. Mimikry 355, 359, 379, 380, 381, 383, 459.
Korrelation 2, 3, 247. Minderwertigkeit 240, 453.
Korrelationsrechnung 213. Mißbildungen 238.
Krankheit und Rasse 275. Mischehe 110.
Krankheitsstatistik 325. Mischlinge 81, 418.
Krebs 123, 279, 331. Mischlingsbevölkerung 1.
Kreolen 395. Mitauslese 2, 123.
Krieg 347. Mittelalter 347.
Krieg und Auslese 220. Mittelamerika 344.
Kriegsjahrgänge 440. Monkhmerier 236.
Kriminalbiologie 112. Monogamie 293, 300, 302.
Kriminalität 120, 348. Moral 303, 346.
Kropf 238. Moral und Fortpflanzung 49.
Kulturen 95. Moralstatistik 113, 114.
Kulturleben 86. Morbiditätsstatistik 325.
Kurzsichtigkeit 336. Mundhöhle 239.
L Muskelatrophie 449, 450.
. Muskeldystrophie 169, 339, 446, 447.
Lamarckismus 62, 378. Muster 309.
> we 394. Mutation 314, 367.
SPEEN i Mutationen, kleine 61.
Lebensauffassung und Kinderzahl 49. re
Leistungsschule 320. Mutterrecht 128.
Leptosomer Typus 259. Mutterschaft und Erwerbstätigkeit 128.
Letten 270.
2 x Myatonia congenita 445.
Linsentrübungen 337.
Myoklonusepilepsie 449, 452.
Linum 68. Myopie 336, 337, 338.
Litauer 270. Myotonie, dystrophische 443.
Livland 406. Myotonische Dystrophie 452.
Luxuriieren 256.
M N
Macacus rhesus 69. Nahrungsspielraum 108.
Malaria 285. National- und Sozialbiologie 220.
Neandertalrasse 201.
Nebenehe 323,
Neger-Eros 80.
Neger-Europäermischlinge 81.
Neurasthenie 447.
Neuritis 457.
Neuseeland 345.
Nicotiana 68.
Nordafrika 346.
Nordamerika 403.
Nordeuropa, Rassen 245, 345.
Nordische Rasse 72.
Nordischer Gedanke 102.
Norm 126.
Normalisierung von Zahlenreihen 238.
Normaltypus 124.
Normbild 223.
Norwegen 247.
0)
Offizierkorps 114.
Ohrfisteln 119.
Ohrmuschel 112.
Oenothera 68.
Opium 289.
Optikusatrophie 446.
Osteomalazie 285.
Ostkolonisation 115.
Ostpreußen 270.
Ovarialbestrahlung 341.
P
Paarungssiebung 2.
Pädagogik 427.
Papillarlinienmuster 457.
Papillarmuster 123, 335.
Paraplegie, spastische 448.
Persönlichkeit, psychophysische 317.
Persönlichkeitsaufbau 455.
Phaenogenetik 64, 65.
Phänomene, eidetische 317.
Philosophie 356.
Phlebektasien 214, 238, 332.
Physiologische Theorie der Vererbung 306,
311.
Polen 109.
Polwanderungen 206.
Polydaktylie 78, 125.
Polygamie 281, 284, 296.
Polyposis intestini 331.
Population 75.
Präventivmittel 112, 237.
Präventivverkehr 127.
Preisausschreiben 327.
Preußen 270.
Primitive Völker 348.
Prognathie des Oberkiefers 112.
Sachregister.
Prohibition 347, 447.
Prostitution 284, 333.
Protanopie 340.
Pseudohypertrophie 177.
Pseudosklerose 451.
Psoriasis 50.
Psyche des Weibes 217.
Psychiatrische Erblichkeitsforschung 449.
Psycholamarckismus 353.
Psychopathien 445, 451.
Q
Qualität des Gens 311.
Quantitäten von Genen 310, 311, 312, 315.
R
Rachitis 280, 284, 285.
Rasse 74, 275.
Rasse, dalische 73.
Rasse, eurasische 73, 203.
Rasse, nordische 72, 73, 202.
Rasse, ostische 107.
Rasse und Konstitution 126.
Rasse und Psychose 443.
Rassen, reine 1
Rassen in der Vorgeschichte 199.
Rassen der Vorzeit 206.
Rassenbegriff 123, 348.
Rassenbilder 211.
Rassendefinition 349.
Rassenfrage 234.
Rassengemenge 1.
Rassengliederung Deutschlands 348.
Rassenhygiene 222, 231, 453.
Rassenhygiene und Eugenik 328.
Rassenkreuzung 81.
Rassenkunde 460.
Rassenmischung 1, 245, 255.
Rassenpathologische Methoden 68.
Rassenpolitik 221.
Rassenpolymerie 255.
Rassenvermischung 418, 419.
Rationalisierung der Menschenvermehrung
89.
Rätzel 338.
Reaktionsgeschwindigkeit 314, 315,316,317.
Recklinghausensche Krankheit 332, 446,
449.
Refraktion 331, 337, 338.
Regeneration 316.
Rentenneurose 443.
Retinitis pigmentosa 339.
Revolution der modernen Jugend 425.
Ricinus, Genetik 68.
Röntgenbestrahlung 332.
Röntgenstrahlen 87, 340.
Rotgrünblindheit 122, 337.
Rothaarigkeit 263.
Russen 229, 346.
Russische Geschichte 113.
Rußland 334, 345.
Rutilismus 122.
S
Samenübertragung, künstliche 299.
Scheidungsindex 11.
Scheidungsverfahren 252.
Schizoide Psychopathie 266.
Schizoide Typen 238.
Schizophrenie 218, 265, 267, 268, 449, 450,
451, 455, 456.
Schlangenmimikrv 390, 393.
Schönheit 347.
Schottland 246.
Schreckfarben 360.
Schulbegabung 37.
Schulen 442.
Schulen, höhere 453, 454.
Schülerauslese 453, 454.
Schulkinderuntersuchung 22.
Schulleistung und Geschwisterzahl 191.
Schutzmittel 365.
Schwachsinn 441.
Schwangerschaft und Tuberkulose 88.
Schwangerschaftsunterbrechung %, 230,
233.
Schwarzwasserfieber 286.
Schweißgeruch 282.
Sehnervenatrophie 336.
Sehnervenerkrankung 457.
Sehschärfe 331.
Selektion 62, 130, 366.
Selektionstheorie 61, 353, 355, 356, 357,
358, 362, 365, 369, 371, 373, 375, 376,
389, 457.
Selektionswert 363.
Sexualberatungsstellen 237.
Sexualität und Strafrecht 127.
Sexualleben der Jugendlichen 333.
Sexualmoral 292.
Sexuell Abnorme 445.
Sicherung, doppelte 316.
Siebenbürgen 405.
Siebenbürger Sachsen 408.
Siebung 351.
Situs inversus 342.
Sklera, blaue 338, 455.
Skleren 447.
Sklerose, multiple 444, 451.
Somatogramme 450.
Sonderlinge 455.
Sonderlingstyp 445.
Sozialbiologie 220.
Sozialdemokratie 232.
Sachregister.
an ee SF a EEE A er En Mi Ne Me le ch a a a a u wie
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175
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Sozialdemokratie, schwedische 113.
Soziale Anlagen 96.
Soziale Auslese 44, 442.
Sozialismus 230.
Sozialpolitik und Rassenhygiene 320.
Soziographie 116.
Soziologie 94, 346.
Soziologische Studien und Kritiken 92.
Sowjetrußland 108.
Spanier 396, 397, 398, 402.
Spanische Kolonisation 344.
Spastische spinale Paralyse 447.
Sprachtalent 78.
Staat und Rasse 221.
Stammesgeschichte des Menschen 208.
Standesschule 320.
Star 337.
Statistik 109, 111, 116.
Statistik in der Medizin 118.
Statistisches Jahrbuch, internationales 429.
Status dysraphicus 447.
Status varicosus 119.
Sterblichkeit 430.
Sterilisation 121.
Sterilisierung 106, 304, 329, 436, 440, 444.
Steuerermäßigung 414.
Steuerfrage 412.
Stottern 120.
Strafbarkeit der Abtreibung 90.
Strahlenschädigung der Frucht 341.
Studentinnen 52, 87.
Südamerika 394.
Südbrasilien 411.
Superfoecundatio 117.
Syndaktylie 125.
Syntone Konstitution 449.
Syphilis 78, 283.
Syringomyelie 238, 447.
T
Tabakarbeiterinnen 111.
Tabakrauchen 290.
Tamilen 211.
Tastfiguren 123, 124.
Taubstummheit 181.
Tierpsychologie 69.
Tierzucht 417.
Tiroler 448.
Torus palatinus 452.
Tradition 93, 402.
Transfusion 120, 238.
Tremor 451.
Trepanation 79.
Trunksucht 451.
Trutzfarben 360.
Tuberkulose 82, 88, 115, 117, 281, 450.
Tuberkulose, kongenitale 117.
I I 0 Te
Tuberkulose und Schizophrenie 444.
Tuberkuloseanfälligkeit 268.
Tüchtigkeit 231.
Tunis 345.
Türkentum 115.
Turner 125.
U
Ueberanstrengung 87.
Umwelt 275, 427, 441.
Umwelttheorie 34.
Unfruchtbarkeit 83, 91, 102, 103.
Unfruchtbarmachung 329, 436, 444.
Ungarn 77.
Unterernährung 86.
Untermensch 428, 429.
Ursachenbegriff 109.
Uruguay 394.
V
Variabilitätsbegriff 117.
Variationsstatistik 57.
Varizen 214.
Vaterschaftsbestimmung 117.
Vaterschaftsbeweis 419.
Vaterschaftsdiagnosen 123.
Venensystem 119, 214, 332.
Venenwanddysplasie 119.
Venenwandschwäche 238.
Vereinigte Staaten 109.
Vererbung 335.
Vererbung erworbener Eigenschaften 63,
208.
Vererbungslehre 306.
Vererbungspathologie 239.
Vererbungstheorie 311.
Vergesellschaftungsfähigkeit 96.
Verhältniswesen 323.
Verhülungsmittel 233.
Versicherungen 321.
Verwandtenehe 132, 134, 138, 158.
Vielehe 296, 300.
Sachregister.
Vitalismus 353, 458.
Vitalisten 457.
W
Waisenkinder 215, 216.
Wales 246.
Wanderungsstatistik 111, 126.
Wärmeschädigung der Keimdrüsen 86.
Wechseljahre 324.
Weddoide 236.
Wegenersche Theorie 206.
Weib 420.
Weibliche Jugend 217.
Weiße Gefahr 344.
Wellenbewegungen, geistige 346.
Weltwirtschaft 345.
Werdnig-Hoffmannsche Krankheit 445.
Westindien 344.
Wilsonsche Krankheit
Wirbelsäulenversteifung 339.
Wohnung und Kinderzahl 48.
Wohnungsnot 333.
Wohnungsverhältnisse 110.
Wolhynier 212.
Wurmkrankheiten 287.
Z
Zeichentalent 78.
Zeugung, künstliche 299,
Zittererfamilien 451.
Zölibat der Lehrerinnen 422.
Züchtungslehre 417.
Züchtungsstärke 3.
Zuchtwahl 356, 357, 392.
Zwangsmutterschaft 426.
Zweckmäßigkeit, primäre 458.
Zwergwuchs 332, 456.
Zwillinge 215, 216, 239, 331, 457.
Zwillingsforschung 444.
Zwillingspathologie 456.
Zwillingsvererbung 125.
Seite | Seite
Notizen. Diskussionen und Erklärungen.
Tagung der Internationalen Vereinigung | Plate, L., Einige Bemerkungen zu dem
rassenhygienischer Bean 1929 Aufsatz von E. Study „Neuere ie e
(Lenz) . . . . 434 auf die Selektionstheorie“ . . . . 457
Eine rassenhygienische Adresse an Mi Saller, Dr. K., Priv.-Doz., Zur Frage
solini (Lenz). . . . 434 des „Erbgangs“ neuer Gedanken in
Ein italienischer Kongreß für Genetik der Rassenkunde . . . . . 460
und Rassenhygiene (Lenz) . Bas i 436 | Sche idt, Prof. Dr. Walter, Entgegnung
Der Grazer Sterilisierungsprozeß (L. au dle voidiikani Erklärung an
Gschwendtner, Linz) . . . . . . . 437 a, 0 460
Die Hilfsschüler der Kriegsjahrgänge
(Lenz) = 440 | ee: zu Ü unnar D a hibers
Die Bildungsanstalten als Mittel der so- | in H. 2, Bd. 22... . - 461
zialen Auslese (Lenz). . . . . . .442 Maaa ER
Zeitschriftenschau . . . . .». .... . 443 Sachregisier . - - = 2 2 = = x. 49
Wir nachen unsere Leser auf die diesem Heft beiliegenden Prospekte des Verlags
Otto Gmelin, München, und des Verlags P. Noordhoff, Groningen (Niederlande), aufmerksam.
Der nordische Mensch
Die Merkmale der nordischen Rasse
mitbesonderer Berücksichtigung. der
rassischen Verhältnisse Norwegens
Von Dr. Halfdan Bryn, Trondhjem
Mit 126 Abbildungen und 10 Karten
Geheftet Mk. 9.-, Leinwand Mk. 11.-
Im Mittelpunkt der meisten rassenkundlichen Erörterungen steht
heute die Frage nach Wesen und Herkunft der nordischen Rasse.
Diese Fragen sind schwer zu beantworten, solange man von den
Mischbevölkerungen in Mitteleuropa ausgeht.
Viel klarer werden die Dinge, wenn man die rassischen Verhältnisse
im Norden betrachtet, wo die nordische Rasse noch viel reiner und
weniger verstädtert erhalten ist.
Der Verfasser, Präsident der Kgl. Norweg. Gesellschaft der Wissen-
schaften und einer der führenden Anthropologen Norwegens, gibt
unter diesen Gesichtspunkten ein hochinteressantes Bild der norwe-
gischen Bevölkerung und ergänzt dadurch die bisherigen Vorstellungen
vom Wesen der nordischen Rasse in vielen wichtigen Punkten.
J. F. LEH MANNS VERLAG, MÜNCHEN 2 SW
Das Judentum
als landschaftskundlich -ethnologisches Problem
Von
Dr. Siegfried Passarge
o. ö. Professor der Geographie an der Universität Hamburg
Mit 153 Abbildungen / Preis geh. Mk. 13.-, Lwd. Mk. 15.-
Die 8 Hauptteile behandeln: Einführung in das jüdische Problem. / Die
rassenkundliche Seite des Problems. / Grundlagen für eine Untersuchung
des jüdischen Problems. / Land und Mensch im Orient. / Palästina —
Land und Leute. / Das Judentum in Alt-Palästina. / Das jüdische
Ghetto. / Die Erklärung der Jahwereligion auf landschaftskundlich-
ethnologischer Grundlage
Ein ganz eigenwüchsiges Buch, das die bisher gefundenen Ergebnisse
der Rassenforscher, Theologen und Politiker nach einer ganz neuen
Seite hin ergänzt.
Landschaftskunde und Ethnologie
dienen hier als Schlüssel zu den Geheimnissen des Judentums. Dadurch
ist das Buch der Sphäre des Judenhasses und der Judenverherrlichung
entrückt. Die Eigenart des jüdischen Charakters in ihrer Abhängigkeit
von der orientalischen Landschaft und den orientalischen Lebensformen
wird ohne Voreingenommenheit nach irgendeiner Seite untersucht und
einleuchtend gemacht. Gerade so und nicht anders mußte sich das Juden-
tum entwickeln. Die wesentlichen Ausdrucksformen jüdischen Lebens,
die Jahwereligion und das Ghetto
werden eingehend unter Heranziehung vieler Bilder dargestellt. Der
Zweigeschlechterglaube als Urform der Naturreligionen bietet weitere,
ganz neuartige Gesichtspunkte für eine aufschlußreiche Betrachtung
der jüdischen Religionsvorstellungen.
J.F. LEHMANNS VERLAG, MÜNCHEN 2 SW
Münchener Druck- und Verlagshaus, G. m. db. H., München, Paul-Heyse-Straße 9 bis 13.
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on the date to which renewed.
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NUG 1.6 1968
Auga 1966
JAN ! 3 1999
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LD 21-100m-2,'55 r i r
r ' University of California
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