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Full text of "Archiv für Reformationsgeschichte 13.1916-14.1917"

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RERORMATIONSGESCHICHTE 


TEXTE UND UNTERSUCHUNGEN. 


— 


In Verbindung 
mit dem Verein für Reformationsgeschichte 


herausgegeben von 


D. Walter Friedensburg. 


XIII. Jahrgang. 1916. 


Leipzig 
Verlag von M. Heinsius Nachfolger 
1916. 


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ARCHIV FÜR REFORMATIONSGESCHICHTE. | 


TEXTE UND UNTERSUCHUNGEN. 


In Verbindung mit dem Verein für Reformationsgeschichte 
herausgegeben von 


D. Walter Friedensburg. 


Nr. 49. XIII. Jahrgang. Heft 1. 


Das 


sogenannte Manuscriptum Thomasianum. III. 


Aus Knaakes Abschrift veröffentlicht 
von 


O. Albrecht und P. Flemming. 


Forschungen zur Politik Karls V. während 
des Augsburger Reichstags von 1530. I. 


von 


Eduard Wilhelm Mayer. 


Mitteilungen 
Neuerscheinungen.) 


| Leipzig 
Verlag von M. Heinsius Nachfolger 
1916. 


Ausgegeben im März 1916, 


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* E = nu = " zü a 


Preis für Subskribenten 2,65 M., einzeln bezogen 3,70 M. 


Verlag von M. Heinsius Nachfolger in Leipzig. 


Corpus Reformatorum 
vol. LXXXVIII und folgende. 


Huldreich Zwinglis sämtliche Werke. 


Unter Mitwirkung des Zwingli-Vereins in Zürich 


herausgegeben von 


Dr. Emil Egli , Dr. Georg Finsler, 


Professor an der Universität in Zürich, Religionslehrer am Gymnasium in Basel 


und 


Dr. Walter Köhler, 


Professor an der Universität in Zürich. 


Vollständig in höchstens 120 Lieferungen zu je M3,—. 


(J&brlich erscheinen vorläufig mindestens drei bis vier Lieferungen 
von je fünf Bogen, später ist raschere Folge wahrscheinlich.) 


Bei dieser Ausgabe von Zwinglis Werken wird vor allem 
möglichste Vollständigkeit angestrebt, so daß die Ausgabe wirk- 
lich die sämtlichen Schriften Zwinglis enthalten soll. 

Die Anordnung wird so getroffen, daß von sämtlichen 
Schriften die Werke exegetischen Inhalts und der Briefwechsel 
als zwei besondere Gruppen ausgeschieden und an den Schluß 
verwiesen werden. Jedoch kann, falls es wünschenswert erscheint, 
eine spätere Abteilung, z. B. der Briefwechsel, im Druck voraus- 
genommen werden. 

Innerhalb der drei Gruppen wird chronologische Reihenfolge 
innegehalten, wobei undatierte Stücke so gut als möglich nach der 
Zeit ihrer Abfassung eingereiht werden. 

Den einzelnen Schriften gehen historische und biogra- 
phische Einleitungen voraus. 

Die Ausgabe gibt sich zunächst als Textausgabe, doch soll 
sie von knapp gehaltenen sachlichen und sprachlichen An- 
merkungen begleitet sein. 

Den Abschluß der Ausgabe bilden praktische Register (Sach-, 
Orts-, Personen-, Bibelstellenregister), eventuell ein Glossar und 
eine Bibliographie. 


Bis jetzt sind erschienen: 
Bd. 1 bis III (Zwinglis Werke bis März 1525) sowie VII u. VIII 
(Briefwechsel I u. II. 1510—1526). 
Preis dieser fünf Bände geheftet M 145,65; in fünf Halbfranzbánden M 167, 15, 
Bd. IV u. IX (Briefwechsel III) sind im Erscheinen begriffen. 


Inhaltsübersicht. 


0. Albrecht, D. in Naumburg, und P. Flemming, Dr., 
Professor in Schulpforta, Das sogenanute Manu- 
scriptum Thomasianum, aus Knaakes Abschrift ver- 
öffentlicht III—VI S. 1—39; 81—1923; 161—199; 

E W. Meyer, Dr. in Berlin, Forschungen zur Politik 
Karls V wührend des Ld Reichstages von 
1530 J. Iiln . . . 8. 40—73; 

6. Bossert, D.. Pfarrer emer. in stuttgart, Die Wieder- 
einführung der Messe in Frankfurt 1535 j 

A. Werminghoff, Dr., Univ.-Professor in Halle, Die Epi- 
stola de miseria curatorum seu plebanoruin 

W. Kóhler, D., Univ.-Professor in Zürich, Brentiana nud 
andere Reformatoria V. "HN 

P. Kalkoff, Dr., Professor in Breslau, Zur Entstehung 
des Wormser Edikts i 

Mitteilungen: Fr. Arnecke, Dr., Archivsolontär, 2. EA 
im Felde: Ein Augsburger Privatbrief aus der Refor- 
mationszeit (1530) S. 154—155, 

Aus Zeitschriften 3. 304—320. — Neuerschei- 
nungen S. 74—80; 155—160; 240. 


Seite 
277--303 
121—146 
147—153 
200—927 
298—239 
211—276 


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—REFORMATIONSCESCHICATE 


TEXTE UND UNTERSUCHUNGEN. 


In Verbindung 
mit dem Verein für Reformationsgeschichte 


herausgegeben von 


D. Walter Friedensburg. 


Nr. 49. 
13, Jahrgang. Heft 1. 


—— — — 000 — KyKyVwů— 


Leipzig 
Verlag von M. Heinsius Nachfolger 
1916. 


Das sogenannte 
Manuscriptum Thomasianum. Ill. 
Aus Knaakes Abschrift veröffentlicht 


von 


O. Albrecht und P. Flemming. 


Forschungen zur Politik Karls V. 
während des Augsburger Reichstags 
von 1530. I. 


von 


Eduard Wilhelm Mayer. 


Mitteilungen 


(Neuerscheinungen.) 


8 —— 


Leipzig 
Verlag von M. Heinsius Nachfolger 
1916. 


3 


Das sogenannte 
Manuscriptum Thomasianum. III. 


Aus Knaakes Abschrift veröffentlicht von O. Albrecht 
und P. Flemming. 


Zweiter Teil”. 
Zweiter Abschnitt: Nr. 68—98. 


Nr. 63. Dietrich (an Baumgartner). Ohne Jahr. (Wohl 
September oder Oktober 1536!)) Seidemanns Abschrift 
S. 99 nur bis nosse; Regest bei van Hout Nr. 267. 


[Adresse fehlt]. 

Salutem. Abfuisti heri domo. Significavi” autem tibi 
me habere hospitem suavissimum, D. Jacobum Mili- 
chium Rectorem? Wittenbergensem. Eum officij 
ratio cogit maturare reditum. Philip p um) igitur e Stut- 
gardia Tubingam retro Dux Wirtebergensis revocavit 
constituendae scholae eausa. Quare de tempore adventus 
nihil scio. Haec volui significare tuae humanf[itati, ne 
ignorares, quae puto fe libenter nosse. Libenter quererer 
apud te de fabri lignarij perfidia. Is cum fenestram ex- 
eavatam abstulerit, alteram, licet paratam habeam domi, 
nondum reposuit. Igitur habitatio, quam Philippo destinavi, 
si citius veniat, adhue nondum est instructa. Neque ego nec 
* melius? quidquam apud hominem efficere potuimus. Bene vale. 

T. Vitus. 
3) Signifiavi Schreibfehler Knaakes. 
b) Dazu Knaake: „Schon der Abschreiber bezeichnet hiermit, 


daß es so nicht gut heißen kann.“ Vielleicht: nec tu melius, oder: 
neque alius? 


1) Van Hout a. a. O. nimmt 1541 als Zeit an, dagegen vgl. 
Anm. 2 und 3. 


1) Zumeist Briefe Dietrichs an Baumgartner aus den Jahren 
1533—1548 enthaltend. Der erste Abschnitt dieses zweiten Teils um- 
aßte Nr. 26—62. S. o. XII, 4 (Nr. 48) S. 241 ff. 

Archiv für Reformationsgeschichte. XIIL 1. 1 


9 | 2 


) Milich (vgl. über ihn Enders 7, 10? und ADB. 21, 745; 
Clemen, Beitr. z. Refgesch. II, 146) war Rektor 1536, 1541, 1549 
(Album S, 159, 192, 246). Hier kommt nur 1586 in Betracht wegen 
Anm. 8. Milich war damals in Straßburg gewesen, CR. 3, 164. 

*) Wührend eines Rektorats Milichs war Melanchthon nur im 
Jahre 1586 in Tübingen. im September bis Mitte Oktober (vgl. CR. 8 
S. X) und zwar (vgl. Clemen, Georg Helt S. 106) spricht Hausmann 
schon in einem Briefe vom 14. September 1536 davon, daß Melanchthon 
in Tübingen weile. — Uebrigens kam Melanchthon auch nach Nürn- 
berg und zwar am 19. Oktober (v. Soden, Beitr. z. Gesch. d. Ref. S. 4241), 
wo er auch noch am 22, Oktober war (CR. 3, S. X; vgl. auch Clemen 
in Beitr. z. bayr. Kirchengesch. 16, 180 ff.). Am 6. Oktober 1536 
schrieb Melanchthon noch aus Tübingen an Vadian (Bindseil, Suppl. 
zum Corp: Ref, S. 106). In die Zeit des Tübinger Aufenthalts füllt 
auch eine Verhandlung mit Matthias Zell von Straüburg wegen dessen 
Lehre vom Abendmahl, s. Bossert, Blätter für Württemberg. Kirchen- 
gesch. VII (1892) S. 71. Ueber Melanchthons Bemühungen um Neu- 
ordnung der Universitát Tübingen im September 1586 vgl. auch Hart- 
felder, Phil. Melanchthon (1889) S. 516 und Corp. Ref, 3, 164 ff. 
Am 17. Oktober schrieb Melanchthon aus Góppingen an Camerarius, 
CR. 3, 171. 


Nr. 64. Dietrich (an Baumgartner) Ohne Jahr. Nicht 
bei Seidemann und van Hout, 


[Ohne Adresse.] 

S. D. Leonem?) hodie in templo non vidi Itaque 
nihil adhuc in Micaelis?) negocio egi. Proxime autem, 
ne nimis diu te detinerem, eius oblitus sum, quod praecipuum 
erat, cur venirem. Est hic quaedam civis vidua honesta & 
pauper, quae consuit cultellarijs fabris vaginulas, ea elocavit 
filiam cuidam lignario fabro, qui & civis & magister suae 
artis est. Cum autem mater nullam possit dare dotem, sperat 
se honestorum civium intercessione, qui testes honestae & bene 
actae vitae esse possunt, consecuturam filiae dotem ex publ[(ico?). 
Te igitur quaeso, ut ostendas, qui compellandi sint ex Senatu, 
& au tu etiam nobis velis aut possis dare operam. Certum 
est, peti beneficium hoc € inopi & honestae puellae. Bene 
& feliciter vale. 

Vitus tuus. 


1) Wohl Leo Schürstab, s. o. zu Nr. 562, 

2) Michael Roting? s. o. zu Nr. 565, oder Michael Faber (Nr. 7513)? 

3) Waldau, Neue Beitr. I, 316 erwühnt eine Stiftung vom Jahre 
1427, woraus frommen armen Jungfrauen in Nürnberg bei ihrer Ver- 
heiratung Legate (200 fl. oder mehr) gegeben wurden. Eine andere 
ühnliche Stiftung vom Jahre 1514 erwühnt Siebenkees, Materialien zur 
Nürnb. Gesch. III (1794) S. 84. 


Nr. 65. Dietrich an Baumgartner. Ohne Jahr (Ende 
März oder Anfang April 1547) ). Nicht bei S. und van Hout. 


Domino leronymo Baumgartnero. 


3 3 


Salutem. Vides a Bucero mihi factam copiam ape- 
riendi literas ad Philippum seriptas?). Duxi autem com- 
modum, ut ta quoque eas legeres, lectas remittes. Attulit 
eas scriba Hallensis*) vir optimus, sed nunc admodum 
calamitosus. Ego mensem pene &vAorrooi«”*) usus sum, sed 
pedum imbecillitas nondum corrigitur, etsi tumor fere abierit. 
Deo permitto me. Is faciet mecum, quod bonum est in ipsius 
oculis. Amen. De tua valetudine sane solicitus sum. Do- 
minus lesus sanet et servet te. 

Vitus tuus. 


a) Im Cod. Eviorovia. 

1) Vgl. Anm. 2, 8 und 4. 

3) In einem ungedruckten Brief Veit Dietrichs an Melanchthon 
vom 4, April 1547 hei8t es áhnlich: Bucerus iussit suas literas ut 
legerem, eas mitto apertas (Handschr. in der Bibl. des Fürsten Solms 
zu Wehrau i. Schlesien). 

* Kilian Goldstein, s. Enders 14, 36?; Nik. Müller, Kirchen- u. 
Schulvisitat. i. Kreise Belzig (1904) S. 19—21. Er wurde zum ersten- 
malim November 1546 auf Befehl des Herzogs Moritz abgesetzt und 
zum Verlassen der Stadt Halle genótigt, kam aber beim Erscheinen 
des Kurfürsten in Halle (Anfang Januar 1547) wieder. Nach unserm 
Brief ist er dann bei Butzer in Straßburg gewesen und von dort nach 
Nürnberg gezogen. Ueber seine spüteren Schicksale s. CR. 6, 586; 
Save. Jonasbriefe II, 214 Anm. 2; 223 Anm. 1 und 8; 227f. Anm. 9; 

, 958. 

) In jenem Brief (s. Anm. 2) auch der Satz: Ego Sono ad 
mensem sum usus et oppressit me denuo morbus adeo, ut vix possim 
tenere calamum. Den bevorstehenden Gebrauch dieser neuen Kur 
mittelst potio ligni (= £v4ozoocía), Einnahme einer Abkochung vom Holz 
des Guajakbaums, die Jakob Milich empfohlen hatte, kündigte Dietrich 
dem Georg Rórer im Brief vom 19, Februar 1547 an. Vgl. P. Flemming 
y 15 z. bayr. K Gesch. 19, 29% und die dort weiter angeführten 
tellen 


Nr. 66. Dietrich (an Baumgartner). Ohne Jahr. (Viel- 
leicht September 1546!). Nicht bei S. und van Hout. 


[Adresse fehlt.] 

S. Idem censeo, quod ta de Forstero?), & iam in 
eam sententiam scribo. Belgae?) uteumque placati tamen 
facient, ut titulum a Poeta huic genti datum tueantur. Quo- 
modo enim aliter miles quam impius potest vocari? Quod 
ad suggestum attinet, proximo Dominico nihil fiet*) et ego 
omnino prius tecum cupio colloqui. Multis enim modis in- 
commodum videtur hoc suggestum deformare, quo uti possum 
validior factus. Nam spero annum hune cireumaetum allaturum 
mutationem. Bene in Domino vale. 

Vitus tuus. 

) Wegen Anm. 2 und 4. 


1) Ueber Joh. Forster s. PRE.“ Bd, 6, 130, 40 ff.; er war 1542 
und 1543 in Nürnberg als Propsteiverwalter an 8. Lorenz, wurde An- 


1% 


4 4 


fang Oktober 1542 auf ein Vierteljahr nach Regensburg beurlaubt (s. 
auch v. Soden, Beitr. S. 489) und siedelte am 1. Oktober 1543 nach 
Schleusingen über, wo er nicht ganz drei Jahre blieb. Eine Zeitlang 
vergeblich bemühten sich dann Melanchthon und andere Freunde um 
einen neuen Posten für ihn. Auf seine Bitte vom 4. September 1546 
hin auch Veit Dietrich (s. Germann, D. Joh. Forster S. 453ff.), der 
aber von der von Forster begehrten Stelle in Ravensburg abriet, wie 
Melanchthon in einem undatierten — aber wohl in den September 1546 
zu versetzenden — Brief mitteilt (CR, 7, 154; Germann S, 456). 

3) Belgae placati etc. Hängt das irgendwie zusammen mit dem 
spáter im Jahre 1548 geschlossenen Vertrag, der die Lósung der Nieder- 
lande vom Deutschen Reich festsetzte? 

*) Hier ist wohl von derselben Kanzel die Rede, von deren be- 
vorstehender Benutzung Dietrich am 14. September 1546 geschrieben 
hatte; 8. o. Nr. 583. 


Nr. 67. Dietrich an Baumgartner. Ohne Jahr. [Nürn- 
berg.] (Etwa Juli 1535.) 


Clariss. Viro Hieronymo Baumgartnero Viro Con- 
sulari?) suo Patrono. 

Salutem, Gratissimum mihi fuit responsum tuum. Quare 
pro hae insigni erga me benevolentia ingentes tibi habeo & 
ago gratias. Hodie allati mihi sunt hi libelli, eos ut grato 
animo accipias, oro. Sermones ego edidi’). Sunt enim habiti 
â D. Doctore, cum apud vos hic*) essent D. Cruciger 
& Georgius. Bene vale, Vir ornatiss[ime. 

T. Vitus. 


1) Wegen der in den folgenden Anm. berührten Verhültnisse. 

2 Zu dieser Titulatur s. o. Nr. 261, 

3) Die Predigten Luthers vom 23. und 30. Mai 1535, s. o. zu 
Nr. 31??, 

*) hic muß Nürnberg bedeuten. Noch am 23. Juni 1535 freilich 
war Dietrich in Wittenberg (s. o. Nr. 31), und von dort aus wollte 
er jene Sermone schicken. Er muß sich aber bald danach zur Reise 
nach Nürnberg entschlossen haben, Aus dem Besuch daselbst ent- 
wickelte sich nicht lange danach — man vgl. seinen gleichfalls aus 
Nürnberg geschriebenen Brief vom 29, Oktober 1535 (Nr. 33) — seine 
feste Anstellung in der Heimatstadt. Die gedruckten Sermone sind 
ihm offenbar unmittelbar nach ihrem Erscheinen dorthin nachgeschickt, 
und hier in Nürnberg übersendet er sie an seinen ebendaselbst wohnen- 
den Gónner mit unserm kurzen Brief. Aus Wittenberg aber hat 
Christoph Schramm bereits am 17. Juli 1535 ein Exemplar an Roth 
nach Zwickau verschickt (Buchwald, Roth S. 152 Nr. 473); sicher hat 
Dietrich seine Exemplare ebendaher nicht spüter erhalten. 

5) S. o. zu Nr. 30% *; Nr. 31*. 


Nr. 68. Dietrich an Baumgartner. Ohne Jahr. (Wahr- 


scheinlich 1541?).) Nicht bei S.; Regest bei van Hout Nr. 285, 
D»o Hieronymo Baumgartnero suo Patrono. 
2) (Reperi domi, eum redirem Bamberga’), adi? 
8. August, & respondi breviter adi* *), ut ditto), missis simul. 
251." ex consensu S. Fureri & L. Schurstab?9)) 


5 


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Salutem. Statui tandem apud te agere, quod iam multo 
tempore suppressj, mi Hieronyme, ae tua tum ope tum 
consilio uti. Nondum vici incommoda primi anni?) quo hic 
in vestro ministerio fui, qui ideo mihi durior fuit, quod & 
stipendium mihi numerabatur, ut scis, tenuius & in suppellec- 
tilem novo marito multa ponenda erant. Itaque praeter 
ducentos®), quos a vobis accepi, periere quinquaginta, quos 
numeravit socer, & paulatim aes alienum accrevit. Quare 
etiam semper coactus sum stipendii tempus antevertere & 
illa quasi temporum versura me tueri. Nune quoque ita 
sumptus auxit puerperium uxoris, ut plane desperem fieri 
posse, ut me unquam evolvere ex hoc aeris alieni labyrintho 
queam sine aliquo subsidio. Existimo autem me ita vobis 
notum esse, ut neque gravare Ecclesiam cupiam nec immodice 
petax ant prodigus sim. Quod si alij minore summa pecuniae 
vivunt, mihi sane nullomodo licet esse sordido, praesertim 
erga hospites, qui hue ad nos veniunt, sicut scis me plurimos 
passim habere notos homines, quos vel studia communia vel 
aliae notitiae occasiones mihi conciliarunt. Itaque nunc ad 
te venio, ut tuo consilio fretus semel ex hac molestia possim 
me explicare. Mihi quidem spes est, praesertim si nunc 
post frumentum etiam vinum vilius veneat, si viginti aureos 
a vobis nune ferrem, me posthac facile usitato stipendio 
vieturum esse. Sed, mi Hieronyme, apud te libere ago 
pro meo more. Nolim id tanquam eleemosynam mihi a vobis 
numerari, quam feram sine meo merito, Sicut plerunque a 
vobis rogantur subsidia. Mitto hic ad te studii nostri non 
infelicem & simul laboriosum foetum, quem vicissim patabitis 
Ecclesiae a me reddi. Cepi hoe genus Summularum?) sane 
non eo nomine, ut hanc operam vobis venderem. Consi- 
derabam Ecclesiae aedifieationem, quod praesertim Prophe- 
tarum leetio inutilis sit apud vulgus sine tali commentatione. 
Cum igitur nune postulet necessitas flagitare aliquid, puto 
non indecorum esse, si vos admoneam, meo merito me id 
flagitare. Profecto, mi Hieronyme, si aequi estis aesti- 
matores, facile intelligitis, quam non possimus ista pecunia 
aliud habere aut comparare quam panem quotidianum. Itaque 
te oro, si nos dignos iudicas hoc subsidio, uf nostram cau- 
sam sic agas, ut & aliquando liberer hoc onere aeris alieni, 
& tamen collegae tui existiment, nos neque impudenter pe- 
taces nec ecclesiae graves esse. Bene vale. 

Tuus Vitus. 

a) Zu „adi.“ vgl. Anm. 4. 

b) ] (undeutlich geschrieben) — fl. 


1) Vgl. Anm. 9. 
*) Der eingeklammerte Satz ist offenbar ein Vermerk des Emp- 
fángers (s. o. Nr, 391). 


6 6 


3) Waldau, Neue Beytrüge z. Gesch. d. Stadt Nürnb. I (1790), er- 
wühnt S. 302 eine Reise nach Bamberg i. J. 1539, nicht ausdrücklich 
auch für 1541. 

*) „adi.“ ital. = ad diem. Vgl. W. Loose, Anton Tuchers Haus- 
haltungsbuch (1507—1517), Tübingen 1877, Bibl. d. liter. Ver. in Stutt- 
gart Bd. 134 S. 10 ff.; Wortverzeichnis S. 185. Ferner Chroniken der 
deutschen Städte X — Chroniken von Nürnberg IV (1872) in einer 
Chronik des 15. Jahrhunderts S. 165, dazu in Bd. 11 (von W. Lexer) 
Glossar S. 822: adi — lat. a die. Ferner Mitt. d. Ver. f. Gesch. d. 
Stadt Nürnberg, 6. Heft (1886), Kamann, Aus Nürnberger Haus- 
haltungs- u. Rechnungsberichten d. 15, u. 16. Jahrh. S. 159 ff. 

5) Es ist offenbar das italienische „ditto“, das statt des gewöhn- 
lichen lateinischen „ut supra“ damals schon in die Handelssprache ein- 
gedrungen war. Vgl. Anm. 4. Nach dem Aufsatz von Kamann, Fort- 
setzung a. a. O. 7. Heft (1888) S. 39 ff. ist dito schon v. J. 1418 an 
hüufig zu finden. 

6) Zu Sigismund Fürer und Leo Schürstab s. o. Nr. 56 

) Eine ähnliche Klage aus früherer Zeit s. o. Nr. 53*. 

8) Zu Dietrichs Gehalt s. von Soden, Beitrüge s. S. 413 und 
Nr. 53? Nr. 8011. 

?) Dietrichs Summaria über das Alte Testament erschienen 1541 
in Wittenberg mit Dedikationsbrief an Markgraf Albrecht von Preußen 
vom Tage Simonis und Judi 1540; s. PRE.“ Bd. 4, 656, 26 ff.; Strobel, 
Leben Dietrichs S. 70 f.; Tschackert, Ungedr. Briefe z. allg. Refgesch., 
S. 95 ff.; Tschackert, Urkundenbuch II, 432f. Nr. 1368/69. 


Nr. 69. Dietrich an Baumgartner. Ohne Jahr. (Vor 
Weihnachten 153607) Nicht bei S. und van Hout. 


Clarissimo Viro D. Hieronymo Baumgartnero, suo 
Patrono. 

Salutem. Profecto, mi Hieronyme, pudet, quod plas 
solus negocl tibi facio quam omnes alij collegae. Sed 
existimo te videre non impudentiam tantam esse in me, sed 
magis fiduciam tuae erga me benevolentiae € opinionem 
meam de pietate & humanitate tua. Praesens negotium haud 
scio an invidiae aliquid habeat, laboris, ut iudico, nihil habet. 
Decimaria?) laborat pro filio, quem Xenodochij Praeses?) 
ad proximum Nativitatis festum vult ejicere, Cum tamen antea 
pollicitus sit, futurum ut hunc tam diu istic haerere patiatur, 
donee ili, qui Wittebergae discit*, ex publico aliquid 
detur. Huius pollicitationis iudicat mater Decelium?) per 
te admonendum, praesertim cum affinis nostri?) testimonio 
dignus sit puer, qui in studijs retineatur. Quaeso, ita nostra 
studia, qui te colimus tanquam Patronum nostrum, fove, ut 
sufficiantur ex lunioribus, qui nobis succedere possint. Nolo 
pluribus tibi molestus esse & habeo etiam iam alia ex me. 
Quare vale in Christo feliciter. Ex nostra domo®). 

T. Vitus. 

Pilippi scriptam’) eras aut Lunae die remittam. 


1) Vgl. Anm. 6 und vorher im Text: Nativitatis festum. 
2) Wohl jene Zehendrina im Brief Nr. 86. 


4 7 


3) Vielleicht der gleich darauf erwähnte Decelius? Mit der an- 
gesehenen Familie Tetzel (= Decelius) war Baumgartner verwandt, 
seine zweite Tochter heiratete einen Christoph Tetzel; s. Waldau, 
Neue Beitr. I, 248; ein anderer Tetzel ist ebenda S. 317 erwähnt. 
Bei J. Fr. Roth, Verzeichnis aller Genannten usw. (Nürnberg 1802), 
sind viele Mitglieder der Familie angeführt, z. B. S. 54 zum Jahre 
1507, S. 74 zum Jahre 1538. 

4) Vielleicht der im Album S. 150 genannte Johannes Zehender 
de Arnsteyn Francus (Arnstein in Oberfranken), immatr. 19. Sep- 
tember 1533, 

5) Von den beiden mit Dietrich verschwägerten Schulmännern 
Rating und Ketzmann kommt hier der erstere in Betracht; er unter- 
richtete an der Spitalschule und war (nach Tschackert, Ungedr. Briefe 
z. allg. Ref. Gesch. S. 18 Anm. 2) im Jahre 1585 Präzeptor der zwölf 
Alumnen im Spital. Zu diesem Alumnat vgl. J. Müller, Vor- und 
frühreformator. Schulordnungen, S. 27 ff. Rektor war damals wohl 
Leonhard Culmann (Will, Nürnb. Gel. Lex. I, 228; Kolde in Bb KG. 3, 
176; vgl. oben Br. 2). 

6) Sein Haus war erst Mitte 1536 instand, s. Br. 72. 

?) Einer der zahlreichen Briefe Melanchthons an Baumgartner 
(CR. 10, 337f.; 28 [Indices], 179f. und 240f.) oder das Consilium de 
absolutione Senatui Noribergensi oblatum die 22. Oktober 1536 (CR. 
3, 173f.)? 


Nr. 70. Dietrich an Baumgartner. Ohne Jahr. (Wohl 
1541 oder 1542 5.) Nicht bei S., Regest bei van Hout Nr. 286. 


Clarissimo Viro D. Hieronymo Baumgartnero, suo 
Patrono. 

Salutem. Precor Christum, ut hic annus tibi & familiae 
tuae faustus ac felix eveniat, Amen.  Frustrata nos spes 
est de M. Gaspare?) Itaque deliberandum vobis erit de 
alio, qui apud nos suecedat?) Audio autem agi, ut is, qui 
apud Pfinzingum?* nunc est, nobis obtrudatur, sed 
puto vos rationem D. Georgij Poppenreutensis?) 
habituros, cui haee conditio primo oblata est. Bone Deus, 
quid fiet post annos Viginti, cum hoc seculo tanta sit eorum 
penuria, qui ecclesijs possunt praefici! Tanto advigilandum 
erat magistratui diligentius. Nam quid retinetur amisso verbo? 
& ingruunt tanquam tempestas omnis generis alia incommoda 
Politica € Oeconomica. Nescio, quo animo excepta sit non 
expostulatio, sed querela mea proxima?) Optarim haberi 
rationem tam' periculosorum temporum. 

Is qui ea nocte cum Rusticis follibus turbas dedit’), 
hac nocte videtur se ulcisci voluisse. Decantavit enim illis 
ipsis follibus earmen de Canonico & asino. Sed ego haec 
non curo, sermones curo, quos illa immodica libertas inter 
bonos parit. Nisi auctoritatem vestram interposueritis, vigilia 
Epiphaniae dabit huiusmodi multa. Bene vale eum tuis, mi 
Hieronyme. 


Vitus tuus. 


8 8 


1) Vel. Anm. 2 und 4. 

2) Der bei der Erledigung eines Diakonats an S. Sebald von 
Dietrich gewiinschte M. Gaspar ist vielleicht der Diakonus der Lorenzer 
Kirche Caspar Schopp (so auf seinem Bilde benannt, im Text: Con- 
rad Schopp), der 1540 dorthin kam, + 1552 (Hirsch-Würfel, Diptycha 
eccles. Laurent. 1756, S. 36f.), für den Besold in einem undatierten 
Brief (vom Jahre 1549?), bei van Hout S. 14f, Nr. 93, einen Nach- 
folger vorschlägt. Schopp lag über drei Jahre krank, ehe er starb. 
Oder kónnte der M. Caspar Spon Hamelburgensis, der 1537 in Witten- 
berg Magister geworden war (Köstlin, Baccal. und Magistri II, 23) in 
Frage kommen? 

*) Nach der Liste der Diakonen der Sebalduskirche bei Hirsch- 
Würfel waren je vier Stellenerledigungen im Jahre 1538 und 1541 
eingetreten, im Jahre 1542 eine. Angestellt waren im ganzen sieben 
Diakonen, von denen im Pfarrhof wóchentlich abwechselnd je einer 
als „Wöchner“ in einer „Wöchnerstube“ zusammen mit einem Pfarr- 
knecht (Pfarrhofkellner) Tag und Nacht zur geistlichen Aufwartung 
für plótzlich Erkrankte oder Verunglückte verweilte. Vgl. noch den 
undatierten, wohl ins Jahr 1540 gehórenden Brief Dietrichs an Baum- 
gartner mit náherer Beschreibung der amtlichen Funktionen der Kaplüne, 
bei Tschackert, Ungedr. Briefe usw. S. 25f. und Waldau, Neue Beitr. usw. 
I (1790) S. 70£. 

*) Bedeutet das vielleicht: Pfarrer in Grundlach? Grundlach heißt 
bei Hirsch-Würfel ,Pfinzingisch", d. h. unter dem Patronat der Familie 
Pfinzing stehend. Dann kónnte man an Johann von Eybach denken, 
der 1542 Pfarrer in Grundlach wurde, aber noch im selben Jahr nach 
Poppenreut versetzt wurde (Hirsch-Wiirfel, Diptycha in oppidis et 
pagis Norimb. 1759, 2. Abt. S, 190, 497), Er war der Vorgünger von 
Martin Glaser, s. o. Nr. 365, 

5) Nach Hirsch-Würfel a. a. O. S. 497 waren die ersten beiden 
evangelischen Pfarrer in Poppenreut: 1. M. Georg Siegel, der 1540 
Poppenreut verließ und in Nürnberg an S. Sebald 1541—1561 Diakonus, 
danach Archidiakonus („Schaffer“) wurde, er starb 1573; — 2. Georg 
Lóffellat, der im Jahre 1542 aus Poppenreut fortkam und in Nürnberg 
zuerst 1542— 1544 an S. Sebald Diakonus, danach Prediger bei S. Egy- 
dien war, er starb 1549. Einen dieser George meint Dietrich hier 
offenbar. 

6) Vielleicht Brief Nr. 61 (der dann etwa ins Jahr 1541 versetzt 
werden kónnte)? Allerdings ist dort von einer reichen Zahl an Predigern 
die Rede, aber es wird zugleich über ungeeignete Persónlichkeiten ge- 
klagt und die Notwendigkeit einer Vorsorge für die Zukunft betont. 
Zur penuria vgl. weiter Br. 73. 

?) Folles wohl hier Dudelsack. Es scheint sich um eine Ver- 
hóhnung Dietrichs selbst zu handeln, der vielleicht irgendeinen 
Tunichtgut scharf angepackt hatte. Mit dem Canonicus wird Dietrich 

emeint sein, an dem jener sich durch das Spottlied rüchen wollte. 
Dietrich wünschte vor allem, daß Wiederholungen solcher Szenen und 
nüchtlichen Ruhestórungen vorgebeugt würde. 


Nr. 71. Dietrich an Baumgartner. Ohne Jahr. (1537 ).) 
Nur der erste Teil bei S., ohne die Adresse, von Udalrichi 
nomine an fehlt der Rest. Nicht bei van Hout. 

D. Hieronymo Baumgartnero suo Patrono. 


Salutem. Nondum contigit, mi Hieronyme, cui tuas 
darem, quas ad Philippum scripsisti. Si in mora 


9 9 


perieulum est, meam non esse culpam vides. Spero tamen 
brevi fore, qui istuc eant. Wellerus?) vere in extremis 
est. Amisit sensus omnes. Nec cibo nec potu utitur xai 
udála rapaqpoovel, quanquam non tumultuose. Nam id vires 
non patiuntur. Etsi autem non puto ante eius obitum quae- 
rendum, qui substituatur, tamen patere, ut tibi significem 
meam suspicionem. Habet germanum fratrem Friburgi, 
qui ad multos annos Duci Henrico operam locavit & scri- 
bendo in Cancellaria & faciendo modos in templo®). Is nuper 
adeo huc scripsit & petit, ut primo quoque tempore fratris 
mors ei significetur. Inde haec mihi suspicio incidit, labo- 
raturum ut in fratris locum succedat. Nihil quam suspicionem 
dico. Quod autem ad ipsum attinet, videtur ad alias quoque 
res adhiberi posse. Sed relinquam hane cogitationem suo 
tempori. Udalrichi*) nomine gratias tibi magnas ago. 
Meretur hoe honorarium ipsius diligens opera, quam Scholae 
& Ecclesiae dat. Vale bene. literas Philippi) remitte. 
Existimo te cras tauxica”% vob ó0tov honoraturum. Ibi si 
quid erit, quod de literis mandare voles, licebit. 


T. Vitus. 


a) Lesart verderbt, vielleicht xecunica zu lesen, oder tà pedia? 

1) Vgl. Anm. 1. 

2) Nicolaus Weller von Molsdorff, D. Hieronymi Welleri anderer 
Bruder, 1503 geboren, viel gereist jn seiner Jugend, war ein guter 
Musicus und kunstreicher Organist; ist in England, da er lieb und wert 
gehalten worden, auch zu Antorff und Cóln gewesen. Endlich hat er 
sich nach Nürnberg begeben, wo er Anno 1537 im 31. Jahr seines Alters 
gestorben. So nach der Historia Welleriana (Leipzig 1700) von M. 
Christoph Friedrich Lämmel S. 47f., der sich beruft auf Cyr. Spangen- 
berg, vom Edlen Geschlecht derer von Molsdorf (wohl im Adelsspiegel). 
Vgl. noch unten Nr. 795, Nr. 801% — Wenn es bei Hummel, Epi- 
stolarum ... semicenturia (1778) Nr. 33 S. 65 (wiederholt bei Pressel, 
Anecdota Brentiana S. 267) in einem Brief Dietrichs an Hieronymus 
Weller, die Martis post Viti (21. Juni) 1547, heißt: Frater tuus valde 
afficitur hoc meo casu (d. i. durch Dietrichs Geführdung beim Ausbruch 
des Schmalkaldischen Krieges], sumus enim coniunctissimi: so wird 
sich das beziehen auf Hieron. Wellers dritten Bruder, Alexander, geb. 
1505, der mehrmals in Italien und Venedig war und kunstreich Wappen 
und Bilder in Edelsteine schneiden konnte, dadurch auch Kaiser Karls V. 
Gunst erlangte. ,Zu Nürnberg hat er sich als der erste dieses Ge-. 
schlechts, allwo er auch des größeren Rats einer worden, niedergelassen* 
(wann, ist nicht gesagt) Er starb im Jahre 1559 zu Nürnberg im 
93. Jahre. So nach der Histor. Welleriana S. 48, wo als Quellen an- 
jJ sind Cyr. Spangenberg, Adelsspiegel, und Jac. Welleri Lebens- 
auf S, 43. 

3) Matthias Weller von Molsdorff, D. Hiero. Welleri vierter 
Bruder Anno 1507 am Matthiastag geboren, ist ein trefflicher Musicus 
und bei 20 Jahren an Herzog Heinrichs Hof gewesen, welcher ibn in 
wichtigsten Sachen gebraucht und oft verschickt hat. Nach H. Heinrichs 
Tod hat er die Orgel im Dom zu Freiberg verwaltet, ist auch daselbst 
in den Rat erwühlt worden, Er starb am 3. April 1563 im 56. Jahr 
seines Alters zu Freiberg. — So nach Historia Welleriana a. a. O. 


10 10 


S. 48f. Sonst über ihn Kawerau, Jonas’ Briefw. II, 227; Enders 10, 
74f. Anm. 1; 10, 123; 11, 28, Er scheint ununterbrochen in Freiberg 
geblieben, also auch nicht vorübergehend in Nürnberg angestellt ge- 
wesen zu sein. In der Hist. Well. ist am Rande a, a. O. noch zitiert: 
Andr. Molleri Theatr. Freiberg. Chron. Part. I S. 384 und Joh. Gottfr. 
Olearius in Scrin. Antiqu. S. 228 f. Vgl. auch Seidemann, Jakob Schenk, 
S. 202. 

4) Zeileisen. Näheres über ihn s. u. Nr. 83. 

5) Uebersicht über Melanchthons Briefe an Dietrich CR. 10, 415 ff.; 
28, Anhang S. 202f.; es kommt hier nur einer vom Jahre 1537 in 
Frage, vielleicht der vom 1%. April 1537 (CR. 3, 337) mit einem Gruß 
an Baumgartner, oder der vom 13. Oktober 1587 (CR. 8, 428f.) mit 
dem Schlufsatz: Hanc epistolam poteris Hieronymo Baumgartnero 
ostendere ... 


Nr. 72. Dietrich an Baumgartner. Ohne Jahr. (Wohl 
vor Pfingsten 1536?) Bei S. nur der Satz Accepi hodie. 
Fehlt bei van Hout. 


Ornatissimo Viro D. Hieronymo Bomgartnero, suo 
patrono observando. 

Salutem. Damno plurimam meam incivilitatem. Heri 
tecum fui & ne verbo quidem memini muneris a te mihi & 
uxori missi?), Cum tamen id inter capita haberem, quae agere 
volui. Peto igitur, ut ignoscas. Semper summo loco mihi 
fuit benevolentia tua, quae «€ in hac rep. me retinuit & ante 
profuit saepe. Quare nihil opus fuit ista testificatione animi 
tam sumptuosa. Quia tamen ita voluisti, ita accipiam munus 
illud, ut multo iam plus quam antea debere me tibi agnos- 
cam. Accepi hodie ex Mea Wittenberga insignes aliquot 
gemmas?) quas hie mitto. Ubi ijs usus fueris, si ita placet, 
cupio eum reliquis epistolis eas ad me redire. Bene vale. 
Oro, ne animo excidat Wolfgang i)) nostri negotium, viri 
boni & cui omnia debeo. Nostram aedificationem promittit 
Crellius?) post srevrexoornv®)®) conficiendam ). Nihil moror, 
etiamsi aliquanto post, modo certo fiat. 

| T. Vitus. 
a) Richtiger wäre zertnxoornv. 


1) Vgl. Aum. 2. 

2) Vermutlich handelt es sich um den Dank für ein Geschenk, 
das Dietrich zur Hochzeit bekommen hatte; diese hatte um Neujahr 
1536 stattgefunden, Luther gratulierte ihm dazu am 14. Januar 1536, 
s. Enders 10, 285 ff.; vgl. Nr. 33%, 

3) Vielleicht sind auch Briefe gemeint, die Baumgartner lesen soll, 

) Jedenfalls Jakobäus, der verehrte Lehrer Dietrichs, + Ende 1539, 
8. o, Nr. 33®, 

5) Ist vielleicht Cressus zu lesen? Christoph Kreß ein Nürnberger 
Ratsherr, s. Tschackert, Ungedr. Briefe usw. S. 6 Anm. 6; vgl. van Hout 
S.20 Nr. 173. — Der Name Krell kommt freilich auch vor, 8. Roth, 
Verzeichnis aller Genannten, S. 48: 1494—1510 Sebald Krell. 

e) Pfingsten fiel im Jahre 1536 auf den 4. Juni. 

7) Den Brief 69 datiert er froh und stolz: Ex nostra domo. 


11 11 


Nr. 73. Dietrich (an Baumgartner). Ohne Jahr [viel- 
leicht 1546 )J. Fehlt bei S.; Regest bei van Hout Nr. 287. 


[Adresse fehlt.] 

S. De Ravensburgensibus?) solicitus sum quid 
respondeam, cupide petunt, ne negligantur, & periculum Eccle- 
siae certum est, si negligantur, sieut ipsi indicant*. Possum eis 
ostendere, quod nos quoque indigeamus commodis doctoribus. 
Sed hoe modo quomodo consulitur ipsis? In Funcio?) 
nihil praéter aetatem & dóÓoAeoyíav metuo. Nam quod ad 
doctrinam attinet, nihil puto in eo desiderari. Sed alterum 
Vitium ne quidem aetas mutatura, quae*) tamen si non habeat 
gubernatorem, minatur periculum. Gratum feceris, si ostende- 
ris, utrum satis sit illa de ministrorum penuria responsio). 
Bene vale. Aiunt zov a?vroxg[drogo) prohibere, ne eps 
[episeopus] abutatur templis publ[icis ad suam impietatem. 
ld si verum, quaeso significa. 

Vitus tuus. 


a) Knaake schreibt ,iudicant", fügt aber hinzu: „Es kann auch 
indicant heißen sollen.“ 


1) Vgl. Anm. 2. 

2) Es betrifft wohl dieselbe Sache, die in Besolds Brief an Dietrich 
vom Jabre 1546 erwähnt wird, s. u. Nr. 123, auch oben Nr. 66° und 
Nr, 324 (Blasius Stöckel vum Nürnberger Rat zur Einführung der 
evangelischen Religion nach Ravensburg geliehen). Auch Melanchthon 
bemühte sich darum, einen geeigneten Geistlichen für Ravensburg aus- 
findig zu machen, wie es scheint, von Dietrich veranlaßt, vgl. CR. 6, 
214, 13, August 1546: de Ravensburgico concionatore etiam cogitavi. 
Ueber Dietrichs Beziehungen zu den Ravensburgern s. auch Strobel, 
Dietrichs Leben usw. S. 119f.; Hafner, Die evang. Kirche in Ravens- 
burg (1881) Ueber das Vordringen der kirchlichen Neuerungen 
sonderlich im Jahre 1546 s. K. O. Müller, Aktenstücke z. Gesch. der 
Ref. in Ravensburg 1523—1577 (1914) S. 40—75. Als die am Ende 
jenes Jahres dort wirkenden evangelischen Prüdikanten werden S. 64 f, 
genannt Conrad Konstanzer, Johannes Lenglin und Thomas Tilianus. 

5) Joh. Funk 1543—1547 Pfarrer zu Wöhrd bei Nürnberg, ging 
nach Königsberg, dort im Jahre 1566 enthauptet, s. RE.“ Bd. 6, 321, 
9ff. Er war 1518 geboren, damals also erst 28 Jahre alt, 

*) Doch wohl auf aetas zu beziehen, nicht auf das ferner stehende 
Ecclesia. 

5) Gemeint ist der Mangel an geeigneten Bewerbern für die Pfarr- 
stellen, vgl. vorher in diesem Brief: nos quoque indigemus commodis 
doctoribus. Zu dieser penuria vgl. auch Br. 70, 81 und 88. 

6) Auf welche kaiserliche Maßregeln mag dies Gerücht sich be- 
zogen haben? Ist etwa an die entgegenkommenden Erklärungen zu 
denken, durch die der Kaiser 1546 in Regensburg vor Ausbruch des 
Krieges den Herzog Moritz gewann? Vgl. Ranke? Bd. 4, 3l4ff. 


Nr. 74. Dietrich an Baumgartner. Ohne Jahr. Fehlt 
bei S.; bei van Hout Nr. 288. 


D. Hieronymo Baumgartnero suo Patrono. 


12 12 


Salutem. Mi Hieronyme, opos est mihi tua opera 
in quodam negotio, quod valde cupio per te mihi confici. 
Habeo quendam pauperrimum affinem infimae conditionis!) 
hominem, qui reip. servit in latomijs Cordebergs?) Eum 
negligi a me inhumanum est, praesertim cum praeter inopiam 
alia majore calamitate sit oppressus, nempe Gallico morbo?). 
Hie apud Divum Sebastianum ?* curatus est ac proximo 
die Lunae curationi finis est impositus. Cum itaque sumptus 
istic factos non possit persolvere, in te spes est, futurum ut 
tua opera ijs liberetur. Apud Schnodum5) initio egit 
affinis meus, qui in vicinia tua habitat®), sed cum hie cala- 
mitosus non esset civis, Sehnodus negavit in sua manu 
esse, ut reciperetur ad curationem. "Tantum itaque tam ab 
eo impetratum est, quoniam morbus non patiebatur longam 
moram, ut istic esset suis sumptibus. Nune in eo spes est, 
futurum primum, ut in meam gratiam aliquid faciatis, qui 
studeo de rep. optime mereri etsi hie civis non est, tamen 
reip. servit. Quare, mi Hierony me, aut tu nobis negotium 
expedi aut mihi ostende viam, ut sciam quid mihi agendum 
sit, ut expediatur. Ego vicissim me totum tibi dedo. Bene vale. 


T. Vitus. 


1 Zu Dietrichs Verwandtschaft s. auch Nr. 40. 

3) Cordebergensibus. Nach J, F. Roth, Verzeichnis aller Ge- 
nannten des größeren Rats, Nürnberg 1802, S. 32 kaufte der Rat im 
Jahre 1446 um 2600 fl. den Steinbruch zu Kornburg (südlich von 
Nürnberg). 

3) J. F. Roth a. a. O. S. 49: „A. 1495 ist die böse und zuvor 
nie erhörte Krankheit, die Franzosen genannt, von den Landsknechten 
aus Frankreich erstlich in das Teutschland gebracht worden. Man 
sagt, es hütten die Franzosen den Landsknechten Blut von den Sonder- 
siechen in den Wein getan, davon sollte ihre Krankheit entstanden 
sein. Man hat die Kranken anfünglich in das Pilgrim-Hospital zum 
h. Kreuz gebracht.“ S. 55: „A. 1509 ist das Franzosenhaus gebaut 
worden.“ Ueber die Verbreitung und Beurteilung der damals epi- 
demischen Krankheit vgl. Kolde, Analecta S. 50f.; Wrampelmeyer, 
Cordatus’ Tagebuch S. 88; Grisar, Luther I, 460ff. (III, 991 ff.). 

*) Das Lazarett bei S. Sebastian, im Jahre 1190 begründet, 1528 
fertiggestellt, sollte ursprünglich armen Pestkranken Unterkunft ge- 
wühren, s. Hirsch-Würfel, Diptycha 1766, S. 501. 

5) Schnodus, offenbar der Vorstand des Lazaretts. Der Name 
war in Nürnberg hüufig. Vgl. J. F. Roth, Verzeichnis aller Genannten 
(1802), z. B. S. 21, 47, 61, 78, auf S. 61 ein Hans Schnodt 1518—1541 
unter den „Genannten“. 

6) Baumgartner wohnte nach Waldau, Neue Beitr. I, 313 in der 
Egidiengasse. Wahrscheinlich war es von den Schwügern Dietrichs 
der an der Egidienschule angestellte Roting, der zuerst die Sache des 
Hilfsbedürftigen in die Hand genommen hatte. 


Nr. 75. Dietrich an Baumgartner. Ohne Jahr. (Wohl 
naeh 1542!).) Fehlt bei S.; bei van Hout Nr. 289. 


13 13 


Ornatissimo Viro D. Hieronymo Baumgartnero, suo 
Patrono. 

Salutem. Sciebam restare, quod mihi apud te esset 
efficiendum, sed ita nunc memoria, quam tamen satis exerceo, 
incipit debilitari, ut diu cogitans, quid esset, non invenirem. 
Itaque domi ocioso incidit ac te rogo, ut non solum mihi 
ignoscas, sed strenue adjuves causam nostram. Geylus®?), 
qui ad D.“ Virginis docet, adhue spe laetatur amplioris prae- 
mioli. Scis autem, quid proxime ad te scripserim. Successor 
primo anno plus mercedis feret quam ille tot annis habuit. Decet 
autem vos etiam aetatis habere rationem. Scriptura iubet 
senibus deferendum honorem esse®). Non autem verus honos 
est, de via cedere, assurgere, aperire caput. His enim etsi 
delectari ea potest aetas, non tamen iuvatur. Athenienses 
honorem summum iudicabant bene meritis civibus dare vic- 
tum ex publico in Prytaneo, & postulabat eum honorem 
Socrates, cum de supplicio interrogaretur. Ad hune modum 
huiusmodi senes, qui in suo ordine ecclesiae pro Virili servi- 
erunt, honore a vobis afficiendos esse iudico. Sum prolixior, 
ut intelligas, mi Hieronyme, negotium Optimi Viri mihi 
eurae esse. Nam etiam poenarum metus me urget, si non 
ferunt a vobis Auwrıxd, qui seminant spiritualia, quod etiam 
in Galatis suis &vorvoi; Paulus reprehendit^. De duabus 
viduis quoque tecum egi, Stephanissa & Wolfgangi5) 
uxore, ut ferant a vobis exiguum quiddam, quo pro habitatione 
censum dissolvant. De ea re hodie etiam rogavi sororem tuam, 
ut cum marito?) agat, qui ultro id promisit ante multos menses. 
Pauperes, inquit Christus, semper habebitis vobiseum?). Hoc 
Ecclesiarum Praefecti ad se pertinere putent & ferent laudem 
apud.Dominum de Oeconomia pulcherrime administrata. Vale 
felix cum tuis. De Aichlero?) cogito, quod eius possit 
suo tempore usus esse in oppidulis a duce O tt one emptis?). 
Ibi Stibari!?) ratio haberi posset € interim Micael 
faber!! usum quendam Ceremoniarum sibi parabit. 

Vitus tuus. 
3) Verschrieben für Geisus? s. Anm. 2. 
b) D. — Divae (vgl. van Hout: Gaylo docenti ad divam virginem). 


1) Vgl. unten Anm. 5, 9, 11, Auch die Erwühnung der zunehmenden 
Gedüchtnisschwüche im Briefeingang spricht für die spütere Zeit. 

*) Ein Geyl findet sich bei Hirsch-Würfel nicht im Verzeichnis 
der Geistlichen bei der Mariakirche, weder der Prediger noch der 
Diakonen; aber M. Johann Geiß 1510—1576 als Prediger, ein Johann 
GeiB auch unter den Diakonen (zwischen 1518 und 1549 ohne nühere 
Angabe seiner Amtszeit). Vermutlich kommt der zweite hier in Be- 
tracht, da die Fiirsprache auch mit dem hohen Lebensalter des Unter- 
stützungsbedürftigen begründet wird. Vgl. noch BbKG. 10, 86: Joh. 
Geyth prediger 23. Juli 1582 St. Johans (getraut). 

*) 3. Mos. 19, 32. 

*) Gal, 6, 6; vgl. 1. Kor. 9, 11. 


14 14 


5) Wohl die schon in Nr. 57 erwühnten Witwen des Pfarrers 
Steph. Wildecker und des Lehrers Jacobüus. Da Jacobüus Ende 1589 
starb, muß dieser Brief später fallen. 

6) Leo Schürstab, Baumgartners Schwager, vgl. Nr. 56, 68, 82. 

?) Matth. 26, 11. 

5) Vgl. Kawerau in Beitr. z. bayr. Kirchengesch. 18, 88 Anm. 2. 
Erasmus Eichler (Aichler) war seit 1542 Diakonus an S. Sebald (bis 
1572); nach Hirsch-Würfel wurde er am 3. August 1515 „Vicarius 
des kranken Herrn Predigers bei S. Sebald Viti Dieterici“. 

?) Dux Otto. Es ist der Pfalzgraf bei Rhein (spátere Kurfürst) 
Ottheinrich, der als solcher auch den Titel Herzog in Bayern führte. 
In der jungen oder Oberpfalz regierte er seit 1522 zusammen mit seinem 
Bruder Philipp, seit 1541 allein. Sein Uebertritt zur Reformation er- 
folgte 1542. In demselben Jahre verpfündete er die Aemter Hilpolt- 
stein, Heideck und Allersberg um 13200 Gulden gegen Wiedereinlósung 
an die Stadt Nürnberg, bei der sie bis 1578 blieben. Vgl. Siegert, 
Geschichte der Herrschaft, Burg und Stadt Hilpoltstein, Regensburg 1861, 
201 ff.; Götz, Die religiöse Bewegung in der Oberpfalz von 1520—1560, 
Freiburg 1914, S. 1ff. Nach Strobel, Dietrichs Leben S. 74 hat Dietrich 
in den genannten drei Aemtern im Jahre 1512 die gereinigte Lehre 
des Evangeliums auf Befehl der Obrigkeit eingeführt. 

1) Zu Seb. Stibar s. o. Brief 51*, wo es sich aber um eine 
andere Angelegenheit Stibars zu handeln scheint. 

11) Michael Faber wird in zwei Briefen Besolds im Jahre 1542 
erwühnt; vgl. Beitr. z. bayr. KGescb, 18, 43' und 825. Unser Brief 
scheint in dieselbe Zeit (oder spüter) zu fallen. 


Nr. 76. Dietrich an Baumgartner. Ohne Jahr. (Viel- 
leicht 1546 oder spáter!)) Fehlt bei S.; van Hout Nr. 290. 


Clarissimo Viro D. Hieronymo Baumgartnero. 

Salutem in Domino. Morbus meus, ut scis, Clarissime 
vir, requirit amanuensis?) operam. Saepius igitur molestus 
tibi essem, si ipse possem scribere. Nune amici causam 
deserere non potui, qui ex Spengleri summi, ut scis, mei 
Patroni, sorore natus est). quid petat, ex ipsius literis cog- 
nosces. Ego autem impense cupio adiuvari eum abs te & 
commendatione apud Fratres & alijs, quibus potes, modis. 
De valetudine mea si nescis, hoc totum tempus post lethalem 
istum morbum doloribus podagrae & calculi transactum est, 
ac calculus heri pene vitae spem ademerat, ita tantum dolo- 
ribus & periculis servatus sum.  Faxit Dominus, ut fiat ad 
suam gloriam & Ecclesiae salutem. Inclusas literas lege Viri 
eruditi & pij, qui hue ad nos fortasse veniet. Fuit ad multos 
annos scriba seu Cancellarius Senatus Vilshofensist), 
tales cives non multi sunt. Spero igitur tuam operam in 
iure civitatis redimendo & alijs non defuturam. bene vale, 
Patrone Observande. 

Vitus fuus. 
!) Vgl. Anm. 2. 


2) Am 21. Juni 1546 schreibt Melanchthon an Dietrich: Primam 
accepi hane a te epistolam — — aliena manu scriptam (CR. 6, 177). 


15 15 


Von der Zeit an mußte er wegen seines Chiragra öfter diktieren; s. 
Strobel, Dietrichs Leben S. 117ff. Seine schwere Krankheit im Jahre 
1546 bezeugen auch die Briefe CR. 6, 237; Tschackert, Urkundenbuch III, 
134f. Nr, 1907. — Als einen Sekretür, dem Dietrich seine Jesaias- 
auslegung (1518) in die Feder diktiert habe, nennt Strobel a. a. O. S. 135 
den ,frommen Gesellen M. Joh. Spon von Augsburg, der nachmals zu 
Nürnberg ein Kirchendiener worden“, 

2) Von den vier Schwestern, die Laz. Spengler überlebten, waren 
nur zwei, Margareta und Ursula, verehelicht: es muß sich also um 
einen Sohn einer dieser beiden (verehel. von Hirnkofen oder verehel. 
Wiegelein) handeln; s. Pressel, Spengler S. 88, 

*) Wer war der Wilshofener Ratsschreiber, der in Nürnberg das 
Bürgerrecht erwerben wollte? In Nr. 79? handelt es sich offenbar um 
eine andere Person. 


Nr. 77. Dietrich an Baumgartner. Ohne Jahr. (Viel- 
leieht 1539!). Fehlt bei S.; van Hout Nr. 291. 


Clarissimo Viro D. Hieronymo Baumgartnero suo 
Patrono. 

Salutem. Facesso tibi negotium, non tantum ut ego 
liberer, sed ut puero non malo ingenio consulam. Ciconiae?) 
eius, quae? nobiscum fuit in Hassi a), filius est, & parentes 
eum ideo volunt ablegare, ne hie cogatur mendieando se 
alere cum dedecore parentum. Promisi ego parentibus ita ro- 
gantibus, quod velim eum commendare aliquibus Witten- 
bergae, ut in Schola privata quocunque modo tolerare 
vitam possit. Nam qui istic sunt in Schola particulari, ut 
vocant, satis habent, & quod discant & quo vivant. Nune 
mater petit pro elemosyna" viaticum, id credo per te facile 
ex publ[ica elemosyna9 posse puero contingere. Valde placet, 
quod est tam promptus lingua, & cum non amplius triennio 
in literis discendis occupatus fuerit, profecto id fecit nune, 
quod spem faciat majoris profectus. Quaeso te, cum Pater 
reip[ublieae serviat?), ut nonnihil adiuvetur. Vale & ignosce. 

T. Vitus. 
aj quae wohl lapsus calami für qui, veranlaBt durch die ur- 


sprüngliche Bedeutung von Ciconia. 

b) elemosyna zweimal statt eleemosyna. 

1) Wegen Anm. 2. 

2) Wohl jener Ludwig Storch aus Nürnberg, der im W.-S. 1539/40 
in Wittenberg inskribiert wurde, den Melanchthon mehrfach 1539—1545 
erwühnt; s. Beitr. z. bayer. Kirchengesch. 18, 42; 19, 28, Welche 
Stellung sein am Ende des Briefes erwühnter Vater in Nürnberg inne 
hatte, ist unbekannt. 

3) In Schmalkalden (1537)? Baumgartner und Dietrich waren 
zusammen dort, vgl. Strobel, Dietrichs Leben, S. 50; v. Soden, Bei- 
tráge usw. S. 444. 


Nr. 78. Dietrieh an Baumgartner. Ohne Jahr. (Viel- 
leicht Ende 1546!)) Fehlt bei S.; van Hout Nr. 292. 


16 16 


[Adresse fehlt.] 

S. in Domino. Optarim, si sine molestia posset fieri, 
te ad me ire. Essent enim conferenda tecum quaedam de 
negotio, quod ad vos publ(icos tutores deferetur, & ad soceri 
mei?) testamentum, de quo nunc biennium pene litigare co- 
acti sumus, pertinet. Ignosce, quod te ad me invito. Scis 
enim me pedum officio penitus destitui?), & causa eiusmodi 
est, ut brevibus absolvi non possit. 

Me honestus civis & compater meus Laurentius Su a b !) 
rogavit, ut suo nomine a te peterem facultatem ponendae 
sellae in templi superiore contignatione, uff der bor Kirch“). 
Est enim vacuus locus iuxta sellam Gotthardi Konigs?) 
Promittit autem se debitum precium redditurum, quod in 
pauperes erogetur. Ego quoque meo nomine peto, concedi 
ei a vobis hoc beneficium. Hominis enim pietas mihi nota 
est & cupio ei gratificari. Bene in Domino Vale. Pasquillum 9) 
lectum remittes. Hersbrugga’) habuit Wittenbergae 
tres studiosos, ij cum nunc a Schola exulent?) & domi in 
patria doctoribus careant, petunt recipi se in illorum numerum, 
qui nune mediocri sumptu aluntur in hospitali. Id quaeso 
eis impetres. 

Vitus fuus. 


*) Am Rande: „Manu Baumlgartneri: Fiat, si sine ali- 
orum incommodo fieri sit9 10). 


a) Statt sit wird possit zu lesen sein. 

1) Wegen Ann. 3, 7, 8. 

*) Der angesehene Bürger und Fingerhutmacher Heinrich Leys, 
dessen Tochter Kunigunde Dietrichs Frau war. (Unrichtig die An- 
gaben bei Goedeke 2, 186, die Kroker, Luthers Tischreden in der 
Mathesischen Slg., S. 8 übernommen hat.) Andre Schwiegersóhne dieses 
Leys waren Michael Roting und Johann Ketzmann. Vgl. Strobel, 
Dietrichs Leben usw. S. 20f.; Hirsch-Würfel, Diptycha eccles. Sebaldinae ` 
(1756) S. 4f.; Enders 10, 287; s. o. Nr. 565,6, 

3) Die Verschlimmerung des Podagra scheint auf ein spüteres 
Jahr (1546) als Abfassungszeit des Briefes hinzuweisen; s. Strobel, 
Dietrichs Leben usw. S. 116ff.; Tschackert, Urkundenbuch III, 134 f. 
Nr. 1907. Vgl. oben Nr. 2, 76, Frühestens ist er 1538 geschrieben, 
da vorher von einem zweijährigen Prozeß die Rede ist, den er als 
Verbeirateter zu führen hatte. 

*) J. F, Roth, Verzeichnis aller Genannten S. 71: zu ihnen gehórte 
1532—1570 Barthel Lorenz Schwab. 

5) J. F. Roth, Verzeichnis usw, S. 72: Gotthardt König 1535—1565 
unter den „Genannten“. 

*) Welches Pasquillum, wissen wir nicht. 

?) Ueber Hersbruck vgl. man z. B. Würfel, Diptycha ecclesiarum 
in oppidis et pagis Norimb. usw. (1759) S. 107ff., wo ein Verzeichnis 
der Pfarrer steht. — Am 8. Dezember 1538 empfiehlt Melanchthon 
einen jungen Hersbrucker, der ein geistliches Amt versehen kónnte 
(CR. 3, 614), — In Wittenberg immatrikuliert ferner: Conr. Weidinger 
Hersburgensis Mai 1545 (Album S. 224); Georg. Ortegen Herspurgensis 
September 1546 (Album S. 235). 


17 17 


5) Im November 1546 war die Universität Wittenberg aufgelöst 
wegen des Krieges. CR. 6. S. IX: 1. Nov.. .. dissipatar Schola Witte- 
bergensis. — 6. Nov.: Schola a Rectore Academiae propter metum 
obsidionis urbis dimittitur. | 

9 In der Spitalschule zum h. Geist, vgl. Brf. Nr. 695, 

1) Vgl. zu Nr. 391. 


Nr. 79. Dietrieh an Baumgartner. Ohne Jahr. (Viel- 
leicht schon Anfang Juni 1536, spätestens 1537!) Nicht 
bei van Hout. Bei S. von Wellerus Musicus an. 


Clariss(imo Viro D. Hieronymo Baumgartnero, suo 
Patrono. 

Salutem. Cum literae tuae, Vir clarissime, ad me affer- 
rentur, forte tum cam Mylio?) & Micaele?) eram. Quare 
non potuit fieri, ut heri, sicut constitueras, supplices literae 
tibi offerrentur. Sed cras id fiet. Magni beneficij loco acci- 
pimus, quod tuam operam nobis tam benigne polliceris. Quod 
ad ipsum“) pertinet, qui ius Civitatis petit”, est homo sedulus 
in suo genere operarum & honestus. Patrem habuit satis 
inter milites clarum, qui pulsavit tympana in expeditionibus 
ac ea in re saepe operam locavit Senatui & in proxima 
expeditione contra Turcam5), si recte memini, occubuit, No- 
tissimus & carissimus fait Caspari Zeummacher lau- 
dato, ut audio, duci militum. Haec commemoro eius causa, 
euius negotium est, qui cum hie natus € educatus sit, petit 
inter cives numerari idque pro ea peeunia, quam vos con- 
stitueritis. Causam instituti hanc habet. Habet uxorem quae 
singulari ingenio & industria est. Quia autem ad aureos 
septuaginta in numerato habent, existimant, si ius civitatis 
contingat, ea pecunia se uti posse ad exercendam negotia- 
cianculam. Ita enim appellare libet. Nam uxor antequam 
nuberet, praefuit cuiusdam civis negotiolis. Tanto dignior 
est favore bonorum, siquidem tanto studio agit, ut honeste 
vitam toleret. Sed quaeso te, ignosce. Neque enim te hoc 
negotio confecto dimitto. Wellerus Musicus ô) heri mecum 
fuit, & quia a quibusdam compellatus est, ut suam operam 
etiam alijs in templis locet, petivit, a te ut explorarem, an 
in nuptijs, si requiratur eius opera, etiam in templo D. Lau- 
rentij possit modos facere?) Nam id sine tua auctoritate 
non est facturus, ne seodiooneret illius, qui apud D. LaurentJ 
est. Ardua profecto res est, & tamen, quaeso, puero meo per 
ita vel ‘non’ responde. Vale & ignosce. ` 

Tuus Vitus. 

a) In Seidemanns Abdruck des Regests in Ztschr. f. hist. Theol. 

1874, 565 ff. aus dem Dresdener Mskr. steht versehentlich: pro quodam 


huius civitatis ambiente. Aus derselben Quelle berichtigt das van Hout 
S. 26 s0: pro quodam ius civitatis ambiente. 


Archiv für Beformationsgeschichte. XIIL 1. 9 


18 18 


1) Vgl. Anm. 6 und Nr. 80 10. 

2) Joh. Mylius wird in einem Brief des Eoban Heß an Dietrich 
im März 1540 als tot betrauert, s. Krause, Eobanus Hessus II, 253; 
nach Tschackert, Ungedr. Brfe S. 14 Anm. ist es der stüdtische An- 
walt Joh. Müllner in Nürnberg (s. Krause a. a. O. II, 42). 

3) Wohl Roting, s. Nr. 78?, 

*) In Nr. 76* ist eine ühnliche Sache erwühnt, aber es handelt 
sich um eine andere Person. 


5) Welcher Türkenfeldzug gemeint ist, wissen wir nicht, jedenfalls : 
einer vor 1537. . 

9) Jener Nicolaus Weller, der noch im Jahre 1537 in Nürnberg 
starb, s. o. Nr, 71?; vgl. noch Nr. 802°, 

2) Zu Dietrichs Interesse an kirchlicher Musik s. Nr. 84. Orgel- 
spiel bei Hochzeiten wird öfter in den Kirchenordnungen erwähnt; 
vgl. z. B. Sehling I, 2, S. 168, 314. 


Nr. 80. Dietrich an Baumgartner. Ohne Jahr. (Wahrschein- 
lich erste Hälfte Juni 1536!).) Nicht bei S.; van Hout Nr. 293. 


Clariss[imo Viro D. Hieronymo Baumgartnero, suo 
Patrono. 
S(alutem. Eram ipse te accessurus, sed verebar, ne 
rationes, quibus nune oceuparis, nullum? colloquendi darent 
spatium. Quare si quid requiris praeter ea, quae nunc signi- 
fico, commodo tuo tempore narrabo coram. Isti qui hic fuere, 
Reutlingensi Ecclesiae praesunt?), alter Pastor, alter 
Diaconus erat. Attulerunt autem secum formam), in quam 
consensere utrinque de Sacramento, Baptismo & Absolutione, 
eam ab Osiandro cras conficiam*). Erat addita disputatio 
Philippi5,cuividentureoncionesAugustaeaBucero*) 
habitae occasionem dedisse. Nam istuc perscriptae sunt. 
Summa disputationis est, quod, ubi Senatus lus Patronatus 
non habet, nihil ibi mutare possit, Sed relinquendum iudicium 
ea tota dere Caesari. Habebat multa & varia argumenta, 
quae simpliciss(ime dissolverat, ac voluit Magistratib[us Con- 
Ioederatorum ’) eam disputationem sic proponi. Reliqua quae 
de negotio Eucharistias" acta sunt, leges optime in literis 
Milichij, qui nunc Scholae Rector est?) Eas bac hora 
accepi?) per publieum nuncium. Ac laetor tam commode 
oblatas. De Wellero?% quod scribis placet. Mihi quidem 
semper otium est te accedendi, sed negotia tua faciunt, cur 
id faciam timidius. Quare significabis, quando maxime opor- 
tunum sit. Magnam habeo gratiam de pecunia **) commodissime 
missa. Ac conditio, quam de debito otfers, etiam grata est. 
Quanquam ea non deerevi uti posthae, ut paulatim me isto 
debito exolvam. Defuerunt summae nummuli 35. Nam ab 
uxore ter numerata est. Animadverti arrosas chartulas 
patuisse. Quare nescio an in saeculo manserit aliquid reliqui, 
quem tamen excussi, an erratum sit a numerantibus!?), Existimo 
sine offensione aliqua me hoc ad te referre posse. Bene vale. 

T. Vitus. 


19 19 
e 

a) Im Cod. nullam. 

b) Griechische Endung: ,eóxageorías. 

1) Ehe der Bericht des Mykonius an Dietrich vom 11. Juni 1536 
(Köstlin® II, 666 Anm. 3 zu S. 837) in Nürnberg eingetroffen war, der 
sonst sicher hier mit erwühnt worden wäre. 

Matthaeus Alber und Johann Schradin, s. Köstlin® II, 886; 
RE.“ 21, 393, 22; CR. 3, 76; vgl. Enders 11, 833. Die beiden Rent: 
linger hatten alsu auf ihrer. Rückreise aus Wittenberg Dietrich besucht. 

3) Die Formula Concordiae vom 29. Mai 1536, deren drei Ab- 
schnitte de Sacramento, Baptismo, Absolutione (s. CR. 8, 75ff.), oder 
ein Auszug daraus, Den genaueren Bericht erhielt er alsbald, wie er 
in Nr. 93 meldet, 

4) ,conficiam" wohl — ich werde sie mir verschaffen. (Aehnlich 
Nr. 90 Z. 9.) 

5) Enders 10, 340f, Nr. 9893; 10, 3813, 

*) Enders 10, 3813, wo aber nur von Butzers betreffenden Aeuße- 
rungen wührend der Wittenberger Verhandlungen die Rede ist. Zum 
Aufenthalt Butzers in Augsburg während des Sommers 1535 s. Baum, 
Capito und Butzer, S. 502. 

) Die oberländischen Städte, deren Abgesandte an dem Konkordien- 
werk in Wittenberg beteiligt waren. 

$) Milich 1536 Rektor, Album S. 139 (außerdem noch im Jahre 
1541 und 1549, Album S. 192, 246), vgl. Br. 63. 

9) Milichs Bericht ist auscheinend nicht erhalten; s. o. Anm. 1. 

10) Vgl. Nr. 79%, Wenn hier eine Antwort Baumgartners auf 
jene Frage Dietrichs in Nr. 796,7 vorausgesetzt ist, so ist Brf. Nr. 79 
vor Nr. 80, um Anfang Juni 1536 anzusetzen. 
$ E Vgl. oben Nr. 53°; von Soden, Beitr. z. Gesch. d. Ref. usw. 

442 
A Ueber eine ähnliche Irrung mit dem Geld s. Nr. 48. 


Nr. 81. Dietrich an Baumgartner. Ohne Jabr. (Wahr- 
scheinlich November 1547 ).) Nicht bei S.; van Hout Nr. 294. 


Clarissi[mo Viro D. Hieronymo Baumgartnero, suo 
Patrono. 

Salutem in Domino. Mi Hieronyme, non libenter 
tibi facesso negotium sie varie occupato, € tamen dissimu- 
landa res longius non est. Mitto ad te chartam, quam puero ?), 
qui meos instituit, casu ex manibus rapui. Vides qualia 
argumenta noster praescribat suis? quam ad hane aetatem 
absurda, ad imitationem prorsus inutilia? Vides, quomodo 
emendentur a filio scripta? Quomodo facultatem latine scri- 
bendi comparabunt, quae in hae aetate facilime formatur? 
Omnino igitur existimo per vos admonendum, ut filium ab- 
leget & alium substituat, qui possit praestare, quod puerorum 
necessitas & usus requirit. Publie[um hoe detrimentum est. 
Itaque etsi Sebaldum?) vere amem, dissimulare tamen 
hoe longius non potui. Bene vale. Funckius?) incolumis 
venit in Borussiam. Heri enim id mihi Princeps scripsit ipse*). 

Vitus tuus. 
Q* 


— 


20 20 


o 

Veniet ad te, sicut intellexi, D. Primus?) +labuco” 
pulsus, cui nune demum omnis spes reditus € facultatum 
adempta est. Itaque cum non habeat, unde vivat, & vere 
sit pauper Christi, quaeret apud vos conditionem sive hioc 
sive in vicinia & agro. Profecto bonus & eruditus est. Ac 
cum audiam Christianum Wilelmum Iuliacensem®) 
a vobis retineri, usque dum conditio aliqua contingat, quid, 
si alterum ex his praeficeretis templo Mariae in foro ad 
tempus? O quanta talium erit penuria?) olim! 


s) Durch ^ wird vom Abschreiber das folgende Wort als zweifel- 
haft bezeichnet; es ist Labaco zu lesen. Labach — Laibach. Die 
Namensform Labach kommt nd bei Elze, Trubers Briefe (1897) S. 4. 

1) Vgl. Anm. 3, 4, 5, 

1) Der Getadelte wird de Sohn von Sebald Heyden, dem Rektor der 
Sebalder Schule, sein, der an dieser Schule mit anterrichtete (Christian? 
.geb. 1526; s. Will II, 119). — Sincerus, Neue Sammlung von lauter 
alten und raren Büchern (1733), S. 209, Ac führt diesen Brief in seiner 
Lebensbeschreibung von Sebald Heyden an. 

3) Joh. Funck war, von V. Dietrich empfohlen, am 28. Oktober 1547 
in Königsberg eingetroffen (PRE.* Bd. 6, 321, 12f.). 

) Es handelt sich wohl um den Brief des Herzogs Albrecht an 
Dietrich vom 4. November 1547 (J. Voigt, Briefwechsel usw. S. 209; 
Tschackert, Urkundenbuch S. 174 Nr. 2056). 

^) Primus Truber, der Reformator Krains, war im August 1547 
aus Laibach geflüchtet; nach PRE.“ Bd. 20, 187, 29 ff. durfte er 1548 
zwar in seine Heimat zurückkehren, mußte aber bald aufs neue fliehen 
und gelangte nach Nürnberg, von wo aus er noch im nümlichen Jahre 
auf Dietrichs Empfehlungen als Frühprediger nach Rothenburg a. d. 
Tauber ging. 

6) Christian Wilhelm aus Jülich war Anfang 1547 noch Pastor 
in Zörbig, 1550 heißt er nondum pastor Zorbecensis. Vgl. im unge- 
druckten sog. Merseburger Examenbuch zu Zerbst Bl. 149, 244. Nach 
Dietmann, Priesterschaft in Chursachsen II, 637 war er um 1545 Pastor 
in Zórbig. Er wird der von Dıstzien am 16. Juni 1547 (8. o. Nr. 45?) 
Empfohlene sein. 

?) Vgl. Nr. 735, 


Nr. 82. Dietrich (an Baumgartner). Ohne Jahr. (Ende 
1546 oder Anfang 1547!)) Fehlt bei S.; van Hout Nr. 295. 


S. in domino, Qui respiciat sororem tuam?) & eam sanet. 
Petiverunt a me Regiomontani?), num bic possint vendi 
vestes sacrae ex serico. Ego quid respondeam non habeo, 
arbitror autem te aliquid consulere posse, id ut facias paucis, 
te rogo. Eusebium “) cum voles remittes, ut ligetur. Emi 
his diebus Cyrillum?) nunc primum multis accessionibus 
auctum & Basileae impressum. Item Locos Communes 
ex Veteribus Graecis Theologis?) editos Tyguri Mun- 
sterus quoque recognovit Biblia hebraea & Latina”). Ego 
cogitavi de via permutandi veteris exemplaris cum novo, 
sine magno sumptu. Ubi absoluti erunt libri, indicabo precia. 


21 21 
Bene vale. De valetudine mea nunc spes aliqua ostenditur. 
Calculus remisit, pedes autem admodum sunt infirmi?) Do- 
minus faxit, ut quam primum redeam ad Ecclesiam meam. 
Amen. Bene vale in perpetuum. Basilij*?) literas ad 
Dominicum !?) non misi, audio sic afflictum, ut ne quidem 
legere possit. Non iudicavi igitur eum fatigandum. 

Vitus tuus. 

1) Vgl. Anm. 5, 7, 8, 10. 

) Wohl die Frau von Leo Schürstab, vgl. Nr. 56*, 75%, 831, 

3) Königsberg in Franken. 

*) Von der Hardt, Autographa Lutheri usw. II (1691), 242 ver- 
zeichnet: Eusebii Evangelicae Demonstrationis libri X, Colon. 1512 (S. 220 
Ausgabe von 1539) Aus dem Artikel tiber Eusebius von Cäsarea in 
PRE.“ Bd. ö, 605 ff. seien folgende Werke und Ausgaben genannt, die 
hier in Betracht kommen kónnen: die Kirchengeschichte hrsg. von 
R. Stephanus (Paris 1544), die Praeparatio evangelica hrsg. von dem- 
selben (Paris 1544), die Demonstratio evangelica von demselben 
(Paris 1545). 

5) Zedlers Universallexikon 6, 1956 erwühnt eine Ausgabe von 
Cyrills (v. Alexandrien) Werken, lateinisch in tomi, von Georgius 
Trapezuntius, Basel 1546, die wohl hier gemeint ist. Bei v. d. Hardt, 
Autographa Lutheri I, 487 ist eine (auch lateinische) Ausgabe einiger 
seiner Hauptschriften (Köln 1546) genannt. 

©) Welches Buch ist gemeint? (Nichts aus dem Art. Loci theologici 
in RE.? zu ermitteln.) 

?) Seb. Münsterers lat. Uebersetzung des A. T., erschien in 2. 
verm. Aufl. in Basel 1546 PRE.? Bd. 3, 52, 32f.; zu dessen hebrüischer 
Bibel s. RE.“ 2, 727, 4 (vom Jahre 1539 ff.). 

*) Ueber Dietrichs Krankheit im Lauf des Jahres 1546 s. o. Nr. 58, 66. 

9) Vielleicht ist „Blasius“ Stöckel gemeint (s. o. Nr. 32*). Bei 
Kawerau, Jonas’ Briefwechsel I, 221 steht auch ,Basilius", wo er ge- 
meint ist. Er war 1546 einige Zeit nach Ravensburg beurlaubt. 

10) Dominikus Schleupner starb am 8. Februar 1547, s. Hirsch- 
Würfel, Diptych. eccles. Sebald. (1756) S. 3. 


Nr. 83. Dietrich an Baumgartner. Ohne Jahr. (Viel- 
leicht 1542 oder später ).) Bei S. nur der Schlußsatz; van 
Hout Nr. 296. 


Clarissimo Viro D. Hieronymo Baumgartnero, Pa- 
trono suo observando. 

S. in Domino. Hic unus est ex Sebaldi?) collegis, 
homo bonus, sed prorsus pauper. Inter reliqua onera census 
seu pretium aedium maximum esf, ac quia Aychleri?) 
aedes nune vacant, sperat aliquid. Ego autem metuo, ne 
nocitura ei sit ista de diaconis deliberatio. Affinis tuus*) 
de duobus cogitat in singulis Parochijs. Fortasse satis esset, 
si haberemus unum, qui stipendio reliquis par esset?) Ac 
omnino optarim, si ita fiet, ut Ulrici Cantoris®) nostri habe- 
atur ratio. Pius, honestus est, sine scandalo vivit & querela. 
Mihi si credis, talis est, qui, si centum miliaribus hinc abesset, 
accersendus esset. Video enim vocalibus & musicis opus 


22 22 


esse”). Egi cum eo, sed prorsus recusat, & mavult istam 
pauperem scholasticam conditionem. Sed id quoque mihi 
placet, & si me audies, cogendum puto, Sed coram tecum 
pluribus, cum tibi vacabit. Huius pauperis € boni quaeso 
rationem habeto, si ullo modo potest fieri. Vale in Domino. 
Mitto Philippi literas, quas scripsit perturbatus nuncio 
subito de Severo?). 
Vitus tuus. 


1) Vgl. Anm. 3, 5, 6, 8. 

5) Sebald Heyden, Rektor der Sebalderschule, s. Brf. Nr. 56°. Mit 
diesem von Dietrich empfohlenen Kollegen Heydens ist vielleicht der 
weiter unten (s. Anm. 6) genannte Kantor Ulrich Zeileisen selbst ge- 
meint. 

3) Wohl jener Erasmus Aichler (s. o. Nr. 758), der 1542 Diakonus 
bei S, Sebald wurde (CR. 4, 872f.). 

*) Wohl Schwager Baumgartners, Schürstab, vgl. Nr. 75, 82, 

5) An der Sebalduskirche standen sieben Diakonen (vgl. Hirsch- 
Würfel, Diptycha S. 55), von denen zwei nur halbe Besoldung erhalten 
zu haben scheinen; daraus würde sich Dietrichs Vorschlag der Zu- 
sammenlegung von zwei Stelleu erklären. Nach der Liste bei Hirsch- 
Würfel a. &. O. waren im Jahre 1541 vier Stellenerledigungen, im 
Jahre 1542 zwei vorgekommen. Vgl. auch unten Nr. 88, 

*) Vgl. Nr. 71*. Ulrich Zeileisen, vgl. Siebenkees, Materialien 
zur Nürnb. Gesch. IV, 635 (in der Lebensbeschreibung des Predigers 
am neuen Spital, Christoph Kaufmann, der 1542 die Sebaldusschule 
besuchte, wird unter den Lehrern aus dieser Zeit Ulrich Zeileisen cantor 
genannt) Nach einer Notiz von Sincérus, Neue Sammlung von lauter 
alten und raren Büchern I (1733), S. 200 war Ulrich Zeileisen als Kantor 
noch 1554 an der Sebaldusschule tätig. 

R a Zu Dietrichs Wertschätzung der kirchlichen Musik s. auch 
Nr. 848, 

8) Za Schiefer s. Kóstlin5 II, 680 Anm. zu S. 4871; Kroker, 
Luthers Tischreden in der Mathesischen Sammlung, S. 20ff. Er ging 
1540 nach Oesterreich zurück und ist seitdem verschollen. Diese Notiz 
hier scheint auf ein gewaltsames Lebensende zu deuten, wovon sonst 
nichts bekannt war. Ein Brief Melanchthons an Dietrich, der etwas 
darüber enthielte, ist noch nicht zum Vorschein gekommen. 


Nr. 84. Dietrich an Baumgartner. Ohne Jahr. (Mai 1536 ).) 
Nicht bei S.; van Hout Nr. 275. 


Clarissimo Viro D. Hieronymo Baumgartnero, suo 
Patrono observ[ando. 

Salutem in Christo. Etsi voluisti, Vir Clarissime, aliquam 
ecclesiasticae curae partem me sustinere, tamen existimo 
mibi & tutius & facilius fore, si te istorum habeam conscium, 
quae novare videbor?) Scis nimiam quorundam religionem 
penitus eiecisse e templis Musicam non hic solum, sed passim 
alijs quoque in locis?) Quia autem & vulgus opus habet 
istis quasi illecebris, quibus ad sacra frequentanda invitetur, 
& nos Musicam alia ratione honestius ornare & retinere non 
possumus, quam si eius usum ad sacra afferamus, existimo 


23 23 


te non valde reluctante obtineri posse, ut etiam ad Missam 
in solennibus festis Organis utamur*). Cogit necessitas, ut 
penitus abjecta organa repeterent & ijs in vesperis uterentur. 
Missam autem quasi pollui putant, si adhibeantur. Quare 
etiam superstitiosae® huius religionis tollendae causa velim 
in festo Paschatis & alijs solennitatibus Organorum usum 
retineri. Decet enim, ut testemur quibuscunque modis possumus 
laetitiam, quam beneficia Christi ita? festis quasi distributa 
in animis piorum pariunt. Ideo David etiam Cythara sua 
aute arcam non satis, ut videbatur, honesto exemplo saltans 
animum suum gaudij plenum testatus est“). Et Witten- 
bergae non solum in festis sed singulis Dominicis idem 
solet fierif). Cum igitur et periculum hae in re sit nullum 
& optimo exemplo omnium artium suavissima Musica ornetur, 
existimo sine ullius querela hoc a vobis tentari posse. Ladi- 
magister? suam & Scholae suae operam nobis est pollicitus. 
Quare nihil restat, nisi ut tua approbatione, cui ecclesiarum 
eura incumbit, in honestissimo negotio confirmemur. Vale. 
Hodie e Saxonia accepi literas. Scribitur de D. Lutheri 
€ Pomerani adversa valetudine’). Principes inter se alter- 
eantur. Lipsiae est conventus?) Noster dux accusat 
Georgium pactorum non servatorum, quae consensu utrius- 
que Ducatus sunt inita & comprobata. 


Tuus Vitus. 


a) superstiosae wohl Schreibfehler Knaakes. 

b) Statt ita wohl in zu lesen. 

1) Vgl. Anm. 9. 

2) Auf die Anfangszeit von Dietrichs Wirken in Nürnberg weist 
jenes Ersuchen Baumgartners, des amtlichen Pflegers der Sebalduskirche, 
sowie die geplante Neuordnung des Gottesdienstes daselbst durch 
Dietrich, der sichtlich noch unter dem frischen Eindruck der ihm bis- 
her vertrauten Wittenberger Verhültnisse stand. 

*) Die folgende lebhafte Verteidigung der kirchlichen Musik zeigt, 
wie sehr Dietrich von Luther beeinflußt war. Vgl. z. B. Köstlin-Ka- 
werau, M. Luther“ II, 5011f., 682f.; WA. 50, 364ff. Prinzipielle Gegner 
der Musik waren Zwingli, "Karlstadt und ihre Geistesverwandten; in 
Nürnberg kommen vielleicht die Schwenckfeldianer in Betracht. 

) Vgl. Rietschel, Liturgik I, 477 ff; derselbe, Die Aufgabe der 
Orgel im Gottesdienst usw. (1893). Auch Luther nahm anfangs gegen 
die Verwendung der Orgel im Gottesdienst wegen der Gefahr des Miß- 
brauchs eine ablehnende Haltung ein. Vgl. auch PRE.* Bd. 14, 483. 

5) 2. Sam. 6 V. 14, 16. 

9) Ueber den Gebrauch der Orgel im Gottesdienst zu Wittenberg 
vgl. des Muskulus Reisebericht bei Kolde, Analecta S. 217, 226f, 

7) Doch wohl der Rektor der Sebaldusschule, Sebald Heyden, 
vgl. Br. 56*. 

8) Luther bis Ostern 1536 schwer krank, s. Enders 10, 329 Z. 23 ff. 

) Mentz, Joh. Friedrich d. Großmütige II, 98 erwähnt nur, daß 
Anfang Juni 1536 Vertreter Kursachsens und Hessens ,wegen der 
Streitigkeiten des Kurfürsten mit Herzog Georg in Naumburg zusammen 
waren“. Dazu Enders 10, 340?, 350?, Vorher aber hatten schon im 


24 24 


Mai fruchtlose Vergleichungsverhandlungen stattgefunden, vgl. Enders 
10, 316* und die dort angeführte Literatur. Die Verhandlungen zu 
Leipzig im Mai erwähnt Seckendorff, Hist. Lutheran. III, 128. Da- 
durch bestimmt sich der Zeitpunkt des Briefs. 


Nr. 85. Dietrich (an Baumgartner). Ohne Jahr. (Viel- 
leicht 1538!). Bei van Hout Nr. 276, nur Bruchstück bei S. 


Adresse fehlt.] 

alutem. Curavi describi sceleratarum linguarum collo- 
quium?) ut voluisti. Capsulam vidi sane libenter. Est enim 
antiquitatis monumentum satis illustre®). Sed eo magis placet, 
quod Pircamerum ter in lectione errasse video, ac mittam 
eras restituta omnia. Nam quisquis scripsit, indoctus fnit. 
Önuaunv® scribit pery. Dativum singularem tertiae declinationis 
per o. Ea res primo me perturbabat. Pircamerus in 
quarti lateris fine conjecturam secutus est, sed puto me id 
quoque deprehendisse. Vale. 

T. Vitus. 


Auctorem dialogi videor mihi scire*. loanni Mosero°) 
nomen est, successit Micillo Franeofordiae. Est homo 
tersiss[imus & mire virulentus. Mecum Wittebergae habi- 
tavit ad biennium ante annos Undecim). 


a) Der gerügte Fehler ist selbst fehlerhaft abgeschrieben, 

Vgl. Anm. 4 und 5. Wir nehmen dabei an, daß diese Nach- 
schrift wirklich zu Nr. 85 gehórt. 

*) Dies colloquium vielleicht identisch mit dem weiter unten ge- 
nannten dialogus. Eine Flugschrift? 

3) Es scheint sich um eine von Pirkheimer erworbene Kapsel mit 
fehlerhaft behandelter alter griechischer Aufschrift zu handeln. ,Auch 
im Aufspüren und Herausgeben alter Handschriften war er tütig", s. 
F. Roth, Pirkheimer (1887) S. 17. Auch Altertümer sammelte er, 8o 
erwühnt Siebenkees, Materialien zur Nürnb. Gesch. T, 261 ein Einhorn- 
geschirr, das Pirkheimer aus Neapel bekommen hatte. — Dietrichs 
humanistische Interessen bezeugt auch seine Freundschaft mit Eobanus 
Hessus; mehrere Briefe von Hessus an Dietrich (bis ins Jahr 1535) in 
Helii Eobani Hessi et amicorum Epp. libri XII (1543) S. 212, 222, 224 fl.; 
vgl. auch oben Nr. 27, 38. 

4) Man lese zuerst Nr. 89 (als früheren Brief): Dialogum legi... 
Da weiß Dietrich noch nicht, wer der Verfasser sein könnte. Jetzt 
ist er ihm auf der Spur. 

5) Joh. Moser aus Straßburg, immatr. in Wittenberg 1523,24 
(Alb, 120), 1533—37 Nachfolger des Micyll in Frankfurt (s. Classen, 
Micyllus, S. 86ff.; Arch. f. Lit. Gesch. 13, 310); nach dem Progr. des 
Torgauer Gymn. 1850 war er 1549—1564 Rektor in Torgau. 

*) Das führte aufs Jahr 1527 zurück; Dietrich hütte dann mit 
Moser etwa 1526 und 1527 zusammengewohnt, ehe er in Luthers Haus zog. 


Nr. 86. Dietrich an Baumgartner. Ohne Jahr. (Wohl 
1536!)) Nicht bei S.; van Hout Nr. 277. 


Clarissimo viro D. Hieronymo Baumgartnero, suo 
Patrono. 


25 25 


S[alutem. Varie nune expertus sum mei hortulani 
malitiam. Nunciarunt Burcardus Architectus & Zehen- 
derina?) esse hominem pertinacissimum & injustum. Idem 
Tucherana?) hortulana jamdudum affirmavit, sed credere 
nolui, & libenter commoditate mea quae nunc facta sunt feram. 
Sed tamen tibi partem significabo, siquidem ad te provocavit. 
De semente & operis quatriduanis, sicut ipse, te teste, optavit, 
transegeram. Nunc non solum duo spacia sibi vendicat, quae 
nunquam exemit, Sed etiam quartam partem fructuum ex 
arboribus postulat. Hie) obijeerem mihi a te dictum, ad 
me fructus arborum pertinere, dixit se non prius id permissurum, 
quam ex te eadem audiat. Negat etiam operam Zizaniarum 
eradieandarum & cupit etiam, ut per aream, non praeter suas 
aedes iter in hortum agam. Sed curabo iterum affigi tabulas, 
quae ex pariete areae sunt exemptae non ipsius iussu, sed 
mea voluntate, cum nondum intelligerem hominem tam mali- 
tiosum esse. Deprehendi hominem nobis ñonbihil insultare, 
quod habet in annum, ut ipse ait, locatas aedes. Quare cupio 
ei significari, ut me non ideo negligat, quod nibil in aedes 
juris habeam. Haec de Hortulano*). Qui si te conveniet, 
cupio, ut de his cum eo agas. Nune ad majora & publica 
veniam?) postquam privata, quae prima esse solent, exposui. 
Lectionem Veteris Testamenti curavi hodie non quidem a 
primo libro, sed a Iosua ordiri. Nam etiamsi orei essemus 
ab eo loco, in quo ipsi sunt, non potait constare ordo, quod 
ego Ecclesiae commodum esse puto, ut mane & vesperi idem 
eaput legatur. Quare ita servabimus. Nam historiarum 
bibliearum lectio vulgo est utilissima. De psallendi opera 
profeeto dubius sum. Nam si psallendum est, requiruntur 
sex?) ad minimum. Quare Unicum hoc est Consilium, ut 
Antiphonam canant, quamcunque tandem, & postea legant 
capitulum. Id sine ulla reprehensione & suspicione imitationis?) 
fiet, si aliquanto serius aut longius pulsetur”. Vale & ignosce. 

T. Vitus. 
a) Dazu Knaake: „So im Cod., schwerlich richtig, wohl Cum zu 


lesen.^ Oder ist cum ausgefallen? 
b) Sollte etwa dafür mutationis zu lesen sein? 


) Vgl. Anm. 4 und 5. 

5) Vielleicht gleichbedeutend mit der Decimaria im Brf. Nr. 69. 

3) Vermutlich die bei der Patrizierfamilie der Tucher angestellte 
Gártnerin. 

4) Der Streit mit dem Gártner weist wohl auf den Anfang von 
Dietrichs Amtstütigkeit. Nach des Predigers Frosch Tod (1533) war 
ja die Predigerstelle bei S. Sebald ledig geblieben und nur vikarisch 
durch den Diakonus Stephan Waldecker versehen worden (s. o. Nr. 572). 
Wahrscheinlich hatte derselbe nicht das Sebalduspfarrbaus bezogen; 
vielmehr scheint das Pfarrgrundstück mit dem Garten an jenen Gártner 
verpachtet worden zu sein, der beim Einzug des neuen Predigers nun 
ungebührlich seinen Vorteil wahrzunehmen suchte, wogegen Dietrich hier 


26 26 


sich verwahrt. Anfünglich (s. o. Nr. 335) hatte Dietrich als Gast bei 
Wolfgang Jakobüus gewohnt. Als er dann am 14. Dezember 1535 zum 
Prediger bei S. Sebald erwühlt war, gab man ihm — wie v. Soden, 
Beitráge usw. S. 418 auf Grund der handschriftlichen Quellen meldet 
— ,auch seine Herberg und freie Wohnung im Pfarrhofe dort". Vgl. 
auch Br. 69 und 72, 

5) Auch diese zweite Angelegenheit versetzt uns in Dietrichs 
Amtsanfünge. (Vgl. auch oben Nr. 84.) Es handelt sich um die Re- 
form der werktüglichen Nebengottesdienste, sonderlich der Vespern, 
für die die Verlesung eines alttestamentlichen Abschnitts (capitulum) 
neben dem Singen bestimmter Psalmen und Antiphonien (sowie des 
hier nicht erwühnten Magnificat) herkómmlich war. (In den Metten 
dagegen pflegte man neutestamentliche Lektionen zu gebrauchen.) 
Vel. zur Sache Luthers grundlegende Bestimmungen vom Jahre 1523 
(Weim. Ausg. 12, 36f., 219), vom Jahre 1526 (W. A. 19, 80), den Visi- 
tatorenunterricht vom Jahre 1528 (W. A. 26, 230), die Wittenberger 
K. O. vom Jahre 1533 (z. B. bei Richter, K. O. I, 221), die Nürnberger 
K. O. 1533 (Richter I, 208), Dietrichs reiche liturgische Interessen 
. betütigten sich später weiter in der Auslegung jener biblischen, zuerat 
der alttestamentlichen Lektionen durch seine „Summarien“ vom Jahre 
1540, gedruckt 15£11f. (s. Strobel, Dietrichs Leben S. 70f. und oben 
Nr. 2 vollends in seinem wichtigen Agendbüchlein 1543 fl. (Strobel 
S. 92 ff.). 

9) Sechs Sänger (Diakonen, Lehrer und Schüler). Die Diakonen 
waren dadurch sehr belastet; vgl. Nr. 92. Dazu sein Urteil: „Das 
psallirn, so am wercktag geschicht, wo man zu chor lautet, ist fur 
lauter nichts“ (Tschackert, Ungedr. Brfe. usw. S. 20). 

7) Ist das Glockenläuten während des Psallierens und Lesens 
gemeint als Mahnung zur Teilnahme an der Andacht für die außerhalb 
der Kirche befindlichen Gemeindeglieder? Zum Gebrauch des Glocken- 
gelüutes vgl. RE.“ 6, 708, dazu das Gutachten im Visitatorenunterricht 
1528 (W. A. 26, 233 f.). 


Nr. 87. Dietrich an Baumgartner. Ohne Jahr. (Bald 
nach dem 6. März 1547 ).) Fehlt bei S.; van Hout Nr. 278. 


Clarissimo Viro D. leronymo Baumgartner, suo 
Patrono. 

S. Ignosces mihi, si bono animo ad te retulero, quae 
per suspicionem audio reprehendi a civibus. Norunt in oppidis, 
quae Carolo se dediderunt?) Cantionem hane Erhalt uns 
Herr prohibitam. Nune cum vos iusseritis eam obmitti?), 
suspicantur eadem id fieri causa & illa esse initia quae 
tententur mutandae religionis. Quia autem € Turcae arma 
metuenda sunt & Pontificis doli & insidiae non cessant, suadeo, 
ne hoc tempore intermittatur. Bene in Domino vale & 
christus prosperet nuptias filiae*). 

Vitus tuus. 

!) Vgl. Ànm. 8 und 4. 

2) Rückverweisung auf die Ereignisse im Dezember 1546 und An- 
fang 1547; s. o. Nr. 603, 

3) Das verweist auf die Zeit unmittelbar nach dem 6, Mürz 1547. 


An diesem Tage hatte der Nürnberger Rat beschlossen, daß das Luther- 
lied ,Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort, und steur des Papsts und 


27 21 


Türken Mord“, das seither in den Kirchen täglich dreimal gesungen 
worden, fortan nur einmal zur Frühmesse gesungen werde. Vgl. Koldes 
hymnologische' Studie in der Neu. Kirchl. Ztschr. 19, H. 10, wo auch 
die Spezialliteratur angegeben ist. Unrichtig aber behauptet Kolde 
a. a. O. (Sonderabdruck S, 21), das (tatsächlich nndatierte) Regest bei 
van Hout S. 27 (Nr. 278) trage das Datum des 18, Oktober 1547; 
unrichtig auch deutet er das cantionem ... obmittendam auf „völlige 
Untersagung“ (das obmittendam ist zu unterscheiden von dem in unserm 
Text voranstehenden prohibitam). In der Selbstanzeige seiner Studie 
in BbKG. 15, 102 hat Kolde den hier angeführten wichtigen Teil seiner 
Untersuchung nicht erwühnt. 

*) Die ülteste Tochter Baumgartners, Sibylle, seit 1. März 1547 
Gattin des Hans Oelhafen von Schöllenbach, wurde die Mutter des Jo- 
hannes Oelhafen, der die jetzt in der Dresdner Bihliothek befindliche 
Sammlung von Auszügen aus dem Briefwechsel seines Grofvaters zu- 
sammenstellte; s. o. XII, 4, Vorbemerkungen S. 243 Anm. 2 und unten 
die Nachtráge, dazu auch Melanchthons Briete an Baumgartner vom 
23, Februar und 1. Mürz 1547 (CR. 6, 399 und 411). 


Nr. 88. Dietrich an Baumgartner. Ohne Jahr. (Viel- 
leicht 1538!)) Fehlt bei S.; van Hoat Nr. 279. 


D. Hieronymo Baumgartner, Patrono suo. 

Salutem. Mi Ieronyme, audio multos esse, qui am- 
biant diaconatum apud nos?) Te igitur ne quid properetur 
oro. Nondum ea penuria est?) ut quivis admittatur, cum 
primum se indicarit. Nec dubito futurum hoc quoque ex 
vestra sententia, ut, qui ambiunt, prius audiantur in templo, 
quomodo legant € canant. ltem, ut postea etiam probetur 
doctrina, qua omnino opus est mediocri propter decumbentes $). 
Haec cum cognita sint, postea etiam De vitae genere inquiri 
potest. Equo animo reliqui diaconi®) hane moram ferent, 
modo hominem idoneum huic muneri possint habere. Haec 
pro mea erga te benevolentia significanda duxi. Neque enim 
volo quenquam commendare?) Sed ne ab alijs quoque 
commendationes afferrivolo, nisi res hominem commendet. Vale. 

Vitus. 

1) Wegen Anm. 2 und weil vielleicht gleichzeitig mit dem ins 
Jahr 1538 gehörigen Brf. 89. 

3) Welche Erledigung des Diakonats an S. Sebald in Betracht 
kommt, ist nicht ganz sicher festzustellen; im Jahre 1538 — falls es 
sich um dieses Jahr handelt — erledigten sich vier Diakonate an 
S. Sebald durch Abgang oder Tod (s. Hirsch-Würfel, Diptycha eccl. 
Sebald. S. 55f.). 

*) Aber nach wenigen Jahren wurde ein Mangel spürbar, s. Brief 
73 und 81. 

4) Als Amtspflicht eines Diakonus ist also nicht die Predigt ge- 
nannt, sondern nur das Lesen (der Liturgie und wohl auch der Postille), 
das herkömmliche liturgische Singen (der Psalmen, Kollekten usw.) 
und die geistliche Pflege der Kranken; vgl. Nr. 70% und 89*. 

) Bei S. Sebald bestanden sieben Diakonate, s. Nr. 70? und 835, 

6 Es lag jedenfalls ein andrer Fall vor, als der in Nr. 83 be- 
sprochene, wo Dietrich den Kantor Ulrich angelegentlich empfahl. 


28 28 


Nr. 89. Dietrich (an Baumgartner). Ohne Jahr [1538]. 
Fehlt bei S.; van Hout Nr. 280. 


[Adresse fehlt.] 

Salutem. Colbum®?) non novi, sed valetudinarium 
esse audio & aetate iam minus firmum ad tale vitae genus. 
Si bene est meritus de Ecclesia, aliunde inopia eius levanda 
erat, non addendi labores, quibus caruit, cum esset firmior. 
Id quod te quoque optare sentio. 

Sed urgemini Vestro malo, quod nos quoque saepe 
consideramus. 

. Qui nunc in ministerio sunt omnes, Christophoro*) 
& Micaele*) exceptis, quinquagenarij?) sunt & quidam vi- 
vendi ratione satis incommoda usi sunt. Quare opus est 
homine qui vegeto corpore & firma valetudine sit. Si qui 
se indicarunt nondum a vobis dimissi, hos Vestro commodo 
tempore in templo audiatis legentes & cantantes*). Reliqua 
efiam probari possunt, & tandem constituatur, quis ex illis 
maxime sit aptus. 

Dialogum ^) legi & facile liquet hominem suas quasdam 
habere opiniones, cum disputat de fide non sola & similibus. 
Sed nihil ab eo metuo, dum in hoc genere vitae detinetur. 
Stultitiam nostrorum nune non primum video, qui nova amant, 
non semper suo eum commodo. Cras forte plura. Vale. 

T. Vitus. 


Commendatur Geor gius?) Abbatis Holtzbrunnensis®) 
concionator. Sed eum audietur, tum de eo iudicabimus. 


a) Statt Colbum gibt van Hout Collum, Wer genieint ist, nicht 
festzustellen. 

b) Statt Holtzbrunnensis liest van Hout Hailbrunensis. (Irrig 
nimmt das Regest Georgius als Namen des Heilbronner Abts, nach 
unserm Text handelt es sich doch um einen Prediger namens Georg, 
der bei dem Abt angestellt war.) Vgl. Anm. 8. 


1) Vielleicht um dieselbe Zeit wie Nr. 88 (s. u, Anm. 6) und 
etwas früher als Nr. 85 (s. Anm. 7). Wegen Anm. 8 (vgl. auch 4) 
ins Jahr 1538 gehörig. 

2) Franz Kolb, der schon 10. November 1535 starb, kommt nicht 
in Frage, RE.? 10, 641, 

3) Bei Hirsch-Würfel, Diptycha eccles. Sebald. (1756) S. 56 und 
86 sind unter den Diakonen der damaligen Zeit zwei mit dem Vor- 
namen Christoph erwühnt: Plóderlein, der am 30. August 1535 sein 
Amt antrat und am 8. Juli 1538 starb, und Zeindel, der 1538—1560 
Diakonus, dann Archidiakonus („Schaffer“) war und 1561 starb. 

4) Hirsch-Würfel a. a. O. S. 55 nennt unter den damaligen Dia- 
konen nur einen mit Vornamen Michael: Schauffel, der seit 1520 Vikar, 
von 1524—1519 Diakonus war, danach Schaffer 1549 bis zu seinem 
Tode 1560. — Der von Besold für ein geistliches Amt empfohlene 
Michael Faber (s. o. Nr, 75 !! und BbKG. 18, 82) kommt nicht in Betracht. 

5) Aehnlich in einem Brief Dietrichs etwa vom Jahre 1539 
(Tschackert, Ungedr. Brfe, usw. S. 25): „Es sind vast alle [capellan] 
bey vns betagte menner.“ 


29 29 


©) Dies und das Folgende ganz ähnlich in Nr. 88, vgl. Nr. 88. 

?) Vgl. Nr. 854. 

5) Es war Georg Erbar, anfänglich Dominikanermönch, 1524—1525 
(nach Beitr. z. bayr. Kirchengesch. 6, 218: bis 17. März 1525) Mittag- 
prediger bei St. Catharina, 1525 Kolloquent bei dem Collegio auf dem 
päpstlichen Teil (vgl. v. Soden, Beitráge S. 224) — dann eine Zeit- 
lang Prediger im Kloster Heilsbrunn, wurde am 7. September 1588 
zum erstenmal Diaconus Sebaldinus, 1541 Pastor in Altdorf, 1545 
zum andernmal Diakonus bei S. Sebald, versah 1549—1555 zugleich 
das Pastorat ia Ober-Krumbach, 1557 wurde er Abteiverweser bei 
S. Egidien in Nürnberg, starb daselbst 1568. Vgl. Hirsch -Würfel, 
Diptycha eccl. Egidianae (1757), S. 19. Vgl. auch van Hout S. 27 das 
Regest Oelhafens aus einem Briefe des Abtes Friedrich Pistorius an 
Baumgartner mit dem Datum 11. Juli 1538: Legisse quod in Georgio 
Erbero desiderat. Et sibi in memoriam revocari 1525 in praetorio acriter 
quosdam et inter eos hunc evangelio se opposuisse, verum sperare se 
ipsum nunc ad saniorem mentem reductum esse. 


Nr. 90. Dietrich (an Baumgartner) Ohne Jahr. Nicht 
bei S.; van Hout Nr. 281. 


[Adresse fehlt.] 

S[alutem, Ignosce. Quia pecuniam mittis, dubito an 
intellexeris satis, quid miseri petant. Petunt, ut liceat eis 
inter leprosos esse, sicut quibusdam signa dari solent, quae 
eum exhibent, admittuntur ad mensam & elemosynam*, quae 
datur, accipiunt. Itaque si duo signa confici a te possunt, 
remitto pecuniam. Si non, habeo gratiam pro beneficio. 
Profecto non libenter te onero, € tamen puto pertinere ad 
ecclesiam non negligi nos, praesertim cum tales sint solli- 
citatores, qualis Smalzingus est. Ignosce & vale cum 
tuis. Puero uno verbo responde, non dari signa nisi leprosis !). 

Vitus. 

a) Statt eleemosynam. 


1) Dietrich berichtigt seine frühere Fürbitte für einen zudring- 
lichen oder besonders unterstützungsbedürftigen Armen, namens Schmal- 
zing, und einen andern: diese hätten nicht um Geld gebeten, sondern 
um Abzeichen, wie sie sonst nur die Aussützigen bekamen, um den Zu- 
tritt zum Leprosenasyl und seiner Beköstigung zu erlangen; ob er statt 
des von Baumgartner gespendeten Geldes zwei solche eintauschen dürfe. 
— Ueber die Verbreitung des Aussatzes im Abendland seit den Kreuz- 
zügen und über die große Zahl der Aussützigenasyle vgl. Uhlhorn, 
Die christl. Liebestätigkeit II, 251ff. Ebenda II, 457 zur Nürnberger 
Bettelordnung vom Jahre 1478: keiner darf ohne ein ihm (vom Sterczen- 
meister) erteiltes Abzeichen betteln; und III, 561f, über die unter dem 
Einfluß der evangelischen Predigt entstandene Nürnberger Armen- 
ordnung vom Jahre 1522. Zu letzterer vgl. besonders ARG. Bd. 10, 
243 und O. Winkelmaun in HVjSchr. 17, Heft 2 u. 3. 


Nr. 91. Dietrich an Baumgartner. Ohne Jahr. (Viel- 
leicht 1543!)) Nicht bei S.; van Hout Nr. 282. 


Suo D. Hieronymo Baumgartnero. 
Audio publico edicto prohibitas schedas, quae contine- 


30 30 


bant Arma Papae?) € nescio quae alia. Sed, mi Hiero- 
nyme, apud te queror, cur non prohibetur Sathanicum 
Seriptum Coloniae editum, cui est titulus Apologia Concilij 
Indieti a Paulo tertio, per Albertum Phygium Campen- 
sem?) Cuius cauda ab alio, ut apparet, assuta, qui ad male- 
dicendum promptior fuit & foecundior. Profecto intolerabilis 
nobis est. Edidit alium librum magnum 5, quem non inspexi. 
Sed caudam Apologiae inspice, quaeso. Francus?) quoque 
edidit Arcam, ubi mysteria fidei nostrae etiam ab Ethnicis 
prodita probantur. Doleo Calamitatem nostrorum temporum. 
Sed mihi crede, ridiculae istae chartae, quibus Pontifici grati- 
ficamur?), praeter risus nihil pariunt, hic? max(imorum scanda- 
lorum pleniss(imi sunt, & tolerantur a nostris censoribus. 
Si non stupidi sunt, aliquid deterius latet. Indignitate rei 
& periculo Ecclesiae commotus sum, ut haec tibi significarem, 
quae scio tibi quoque displicere. Sed Sapientum est, colare 
culicem. Sunt aliae indignae calumniae & blasphemiae, quae 
omnes tolerantur, ut bibliopolae eos" cum lucro distrahant. 
Imo ista plurimos emptores inveniunt. Sed sum tibi molestus, 
quod agnosco, € peto, ut tu ignoscas, quem aequissimum 
esse doetrinae sanae iudicavi semper € adhuc judico, & ideo 
tanquam parentem amo & colo. čgówoov®. 
T. Vitus. 

a) Wohl verschrieben für hi (d. h. die beiden genannten Autoren: 

Phygius und Francus). 


b) Schreibfehler des Cod. für eas? 
e) Wohl verschrieben für Eoowoo. 


1) Vgl. Anm. 3. 

2) Unten bezeichnet als ridiculae chart&e, quibus Pontifici grati- 
ficamur. Welche Schrift ist das? Ein Flugblatt? 

) Diese Schrift des Alb. Pighius ist nicht erwähnt in PRE.? Bd. 15, 
397. aber in der Biographie Universelle (Michaud), Nouvelle Edition 
Paris [18301f.] Bd. 33 S. 309: Apologia indicti a Paulo III. concilii 
adversus lutheranae confederationis rationes. Paris, Etienne, 1538 in 80, 


Die von Dietrich hier genannte Kölner Ausgabe fehlt dort; sie ist 


offenbar nach Pighius’ Tod (+ 26. Dezember 1542) von einem andern 
veröffentlicht, vermehrt um einen Nachtrag, der besonders Dietrichs 
Unwillen erregte. 

) Wahrscheinlich eine der RE.’ 15,397, 22 ff. angeführten Schriften, 
etwa die auch erst nach seinem Tode von Joh. Guntherus herausge- 
gebene Apologia adv. M. Buceri calumnias, Mainz 1543, oder eins der 
in Köln 1541 und 1542 gedruckten Werke; auf eins derselben hatte 
Melanchthon am 15. Mai 1512 Dietrich aufmerksam gemacht: Te vellem 
stylum stringere contra Pigium, qui iam Coloniae edidit &ua£zag BLog ur 
(CR. 4, 817). 

5) Ueber Sebastian Francks „Guldin Arch“. die in Augsburg schon 
am 15. März 1538 herausgekommen war, s. PRE.? Bd. 6, 146, 37ff.; 
der weitlüufige Titel genauer bei v. d. Hardt, Autographa I (1690), 532 
und bei Goedeke, Grundrig IT, 13. — Preller, Griech. Mythologie I, 
590 erwähnt die „mystische Lade", in der die Symbole des Bacchus 
unter einer Hülle von Efeu, Wein- und Fichtenlaub verborgen waren; 
mit Anspielung darauf scheint der Titel der Schrift gewáhlt zu sein. 


— E t5 


31 31. 


Nr. 92. (Dietrich an Baumgartner. Ohne Jahr. (Viel- 
leicht Juni 1536!)) Nicht bei S. und van Hout. 


[Adresse fehlt.] 

Salutem. Mitto ad te libellum?) a D[omino Philippo 
donatum, sed sine literis. Nam Friderico Bernbeck?) 
Kizingensi civi dedit offerendum. Sed is fama pestilitatis?*) 
motus alio deflexit, domum repetens. Heri colloquentes 
Sebaldus*) & ego censuimus sufficere, si unus tantum 
Diaconus addatur & loco alterius duo conducantur Paedagogi, 
qui et adjuvent ludimagistros in Seholis instituendo pueros 
& Diaconos in templo cantando. Id quod posset commo- 
dissime fieri. Ac cantandi labore maxſime adiuvari petunt 
Diaconi?) Hac igitur ratione tres personae accederent choro 
in singulis parochijs?). Ex his possent postea legi diaconi. 
Mihi non videtur absurda ratio. Itaque volui eam indicare. Vale. 

1) Wohl sehr bald nach Nr. 80, wenn, was wahrscheinlich, Nr. 98 
mit Nr. 92 zusammengehórt (s. zu Nr. 93). 

*) Welches Buch? 

2) Friedrich Bernbeck aus Kitzingen (1511— 1570), seit 1532 Rats- 
herr in Kitzingen. s. Bachmann, Kitzinger Chronik des Friedrich Bern- 
beck (1899) S. Vff. CR. 10, 339, Er war ein Schwager des Kanzlers 
Georg Vogler (Strobel, Dietrichs Leben, S. 126). 

sa) Pest in Wittenberg? Juli 1535 war deshalb die Universität 
nach Jena verlegt (Album 8. 157), von wo sie erst Anfang 1536 zurück- 
kehrte. — Auch im Oktober 1539 wieder Pest in Wittenberg (CR.3S. XVI). 

*) Sebald Heyden, der Rektor der Sebaldusschule; s. o. Nr. 567. 

5) Vgl. Nr. 86 6. Derartige gottesdienstliche Reformen beschäftigten 
ihn ófter, auch noch in spüteren Jahren; s. o. Nr. 835 und Tschackert, 
Ungedr. Brfe. usw. S. 26. 

6) Es handelt Mch wohl bloß um die beiden Hauptpfarreien bei 
S. Sebald und S. Lorenz. 


Nr. 93, Dietrich (an Baumgartner). [, Dies Stück scheint 
eine Nachschrift zum vorigen Briefe zu sein, der Abschreiber 
hat aber die Trennung durch ein tibergesetztes | angezeigt.“ 
Knaake.] Ohne Jahr. (Wahrscheinlich Juni 1536 ).) 


Hae hora venit ad me quidam Wittenbergensis. 
Is dedit mihi hanc habiti conventus summam?) satis bene 
comprehensam. Ac quantum video, Philippi est. Eam 
mitto, ut legas, cum epistola ad Ambsdorffium?) Qui 
vehementer reclamat habitae actioni nec abstinet etiam a con- 
tumelia in Philippum. Sed de eo coram. Cras illa remitti 
cupio sub prandium, ut homini reddam. Nam mihi conviva erit. 


T. Vitus. 
1 Vgl. Anm. 2. 
2) CR. 3, 75ff Vgl. oben Nr. 801.3. 
3) Zu Amsdorffs Ablehnung der Witt. Konkordia s. z. B. PRE. 
Bd. 1, 465, 30f.; CR. 3, 97 (Melanchthon an Dietrich 4. Juli 1536: 
quam tragice rescripserit etiam Amsdorfius, coram narrabo). Amsdorf 


32 32 


war durch Luthers Brief vom 5. Juni 1536 (Enders 10, 344f.) über 
das Konkordienwerk benachrichtigt worden. Der Wortlaut seiner 
feindseligen Briefe ist nicht bekannt. Welche und wessen epistola ad 
Amsdorfium Dietrich an Baumgartner sandte, ist nicht klar. Amsdorfs 
Feindseligkeit gegen Melanchthon aus Anlaß des beginnenden Cordatus- 
streits (s. Enders 11, 88, Amsdorf an Luther, 14. September 1536) 
kommt hier noch nicht in Betracht. 


Übersichttüiberdie(mehrfach nurvermutungs- 

weiseanzugebende)zeitliche Folge der Briefe 

Nr. 26—93, mit einigen ergänzenden Regesten 
zu Dietrichs Briefen an Baumgartner. 


Brief Nr. 26. Wittenberg, 18. April 1533. 


27. M 28. November 1534. 
28. m 3. Dezember 1534. 
29. : 2. Januar 1535. 
32. 5 19. Januar 1535. 
30. : 21. Mai 1535. 

31. 23. Juni 1535. 


n 
67. (Nürnberg), (etwa Juli 1535). 
33. Nürnberg, 29. Oktober 1535. 


84. " Mai 1536. 

72. s vor Pfingsten 1536. 
79. " Anfang Juni 1536. 

80. - erste Hälfte Juni 1536. 
92/93. „ Juni 1536. 

86. : 1536. 

40. : 1536. 

34. n 24. August 1536. 

35. " 26. August 1536. 

36. 29. August 1536. 


77 
37. " 30. August 1536. 

38. " 2. September 1636. 

39. " 3. September 1536. 

63. 5 September oder Oktober 1536. 

69. » vor Weihnachten 1536. 

53. S frühestens Ende 1536. 
62. " 1536 oder 1537. 

? 


41. 20. August 1537. 


33 


33 
50. Nürnberg, 1537. 
51. ^ 1537 (s. Naehtrüge). 
69. » 
2. ” 1537. 
— Regest bei van Hout S. 26 Nr. 268, von ihm 
irrtümlich 1544/45 angesetzt. Schedula Viti — — —, 


qua mittit avo litteras Lutheri, quibus sancivit 
concordiam cum ecclesiis Helveticis. Das paßt 
auf Luthers Brief vom 1. Dezember 1537, Erl. 
Ausg. 55, 190; Die Wette 5, 83, erläutert von Enders 
11, 295ff. (Dagegen stand Luther 1544/45 in 
schroffstem Gegensatz zu den Zürichern) — 
Dietrichs Brief an Baumgartner ist demnach De- 
zember 1637 anzusetzen. 

49. Nürnberg, 1537/38. 

54. 


n 
89. » 
85. - 1538. 
88. 5 
77. » 1539. 
57. " nach Dezember 1539. 
52. = vor 1541. 


— 1540 (?). Ein deutscher Brief, gedruckt von 
Waldau, Neue Beiträge z. Gesch. d. Stadt Nürn- 
berg I (1790) S. 70, und Tschackert, Ungedr. 
Briefe z. Ref.Gesch. S. 25. Im Originalkonzept, 
wonach Tschackert druckt, ist der Adressat nicht 
genannt, das Jahr 1539 aber ist in der Überschrift 
offenbar nur als eine Vermutung des Heraus- 
gebers obenangestellt. — Waldau gibt als Zeit der 
Abfassung an: „ungefähr 1539 oder 1540“, und 
die Aufschrift: „V. Dietrichs Schreiben an Herrn 
Hier. Baumgärtner“. Auffallend ist, daß dieser 
Brief in deutscher Sprache abgefaßt ist; er sollte 
wohl dem Rat vorgelegt werden. Inhalt: An- 
fragen erstens in betreff des Organisten (vgl. 
Br. 84), wann er Orgel schlagen soll; zum andern 
wegen erbetener Abfassung von Summarien über 
die Kapitel des Alten Testaments (vgl. Br. 68); 


Arehiv für Reformationsgeschichte. XIIL I. 3 


34. 


zum dritten wegen Entlastung der zumeist in be- 
tagtem Alter stehenden Kaplüne; einzelne Vor- 
schlüge dazu, Beschreibung ihrer Amtshandlungen, 
Wunsch wegen Wegfall des Psallierens an den 
Werktagen (vgl. Br. 86°, auch Br. 92). 

— Drei Briefe Dietrichs an Baumgartner aus dem 
Jabre 1541 (vom 18,, 19, und 25, August), be- 
treffend die vom Nürnberger Rat verfügte, von 


Dietrich . aber scharf (auch Öffentlich auf der 
. Kanzel) gerügte Absetzung seines Freundes, des 


Predigers M. Johann Hofmann zu Altdorf (vgl. über 
ihn Enders 6, 120f, und v. Soden, Beiträge usw. 
S. 493 f.). Gedruckt bei Strobel, Beytr. z. 
Litteratur II, 1 (1786) S. 377 ff. 


. 56. Nürnberg, 
68. : 1541. 
10. " 1541 oder 1542. 
42. » 8. April 1542. 
83. j 1542 oder später. 
75. 5 1542 oder später. 
43. a 20. Januar 1543. 
91. á 1543. 
44. " 4. August 1545. 
48. 5 nach 21. März 1546. 
73. " 1546. 
66. " E ous 1546. 
58. Oktober 1546. 


— Regest bei van Hout S. 26 Nr. 270: 1546. 
78. Nürnberg, Ende 1546. 


82. à Ende 1546 oder Anfang 1547. 
76. " 1546 oder 1547. 

60. > Februar 1547. 

65. » Márz oder April 1547. 

87. » nach 6. März 1547. 

45. > 16. Juni 1547. 

46. > $ Juni 1547. 

47. » Oktober 1547. 

81. M 1547. 


— Ein Brief vom Jahre 1547 betr. Matth. Toge 


35 35. 


in Lauff u. à, gedruckt bei G. E. Waldau, Neue 
Beytrüge zur Gesch. d. Stadt Nürnberg I (1790) 
S. 269 (so! irrigerweise ist 266 gedruckt) bis 272. 
Wegen seiner Bedeutsamkeit drucken wir ihn 
hier ab, Waldaus Erläuterungen mit benutzend. 


Veit Dietrich, Prediger zu S. Sebald, an Hier. Paumgärtner, 
. Kirchenpfleger. Vom Jahre 1547). 


S. in domino. In tanta omnium rerum perturbatione?) 
sollicitus sum de ecclesiis mediocriter constituendis. Et quan- 
quam non vocatus ad consilium accedo, tamen cupio haec, 
abs Te et cogitari et perfici, si cum ecclesiarum nostrarum 
fructu et commodo sint. 

Cogitatis de Jeronymo?) transferendo in hospitale, 
id quod non improbo. Mihi enim notus est et retinet formam 
doctrinae, quam Te probare scio. De successore cogitastis; 
sed is etiamsi non prohiberetur a suis, tamen non fuit nobis 
valde expetendus. Qui pro eo apud Te laboravit, saltem ex 
Sehwenkfeldian o negotio satis nobis debet esse notus )). 
Iam sic ego cogito. Retinendi in urbe sint bene instituti, 
eruditi, moderati et instructi studiis litterarum. Horum cum 
magna sit penuria?) sicut nosti, diligenter sunt colligendi, 
undecunque haberi possunt. Mihi autem crede, cum litterarum 
aliquo damno Mathias Vogel?) detinetur in Lauff. 
Prodesset homini erudito consuetudo cum doctis, quae ei 
hactenus negata est, eum igitar iudicarem aecersendum ad 
D[ivi Jacobi. Contentus esset, dum tempus aliud afferret, 
centum aureis. Judicarem autem in eius locam substituendum 
Jo. Albertum?) diaconum Altdorfensem, iuvenem 
profecto bonum et eruditum, cui facilius erit invenire succes- 
sorem, quam Jeronymo ad D[iviJacobi, nisi succedat 
Mathias. Agitantur”) autem consilia de parocho Lauf- 
fensi mutando, in eum locum rectissime Rauseherum?) 
constitueremus, hominem verae doctrinae gnarum, gravem 
et moderatum. 

Haec mea consilia sunt, quae de his ecelesiis constituendis 
volui Tibi indicare. Si qua in re vel molestia vel labor erit 
apud praefectos territorii!?), tamen fructas, qui ad ecclesiam 
inde redibit, pensabit laborem. Mathiam, qui nune in 
Lauff est, eiusmodi esse iudico, qui pietate et doctrina sua 
egregie profuturus sit nobis, vehementer autem impediuntur 
eius studia in ista solitudine. Mihi privatim legendo! cum 
laude et fruetu scholarum posset succedere et cuperet hoc 
modo servire ecclesiae praeter concionandi munus. Germani- 
cam schedam!?) mitto scriptam ante mensam, hanc missurus 


3* 


36 36 


non eram, et tamen mitto. Tu iudicabis haec fieri eo studio, 
quod requirit a me patria. Vale. 
Vitus tuus. 


1) Wohl im Anfang des Jahres. Vgl. Anm. 6. 

Waldau: ,Dietrich zielt ohne Zweifel auf die Unruhen des 
Schmalkaldischen Krieges, an welchem auch Nürnberg, obwohl nur 
in der Stille, Anteil nahm.“ 

) Hieronymus Besold, „der damals als Diakonus bei S. Jakob 
stand. Er wurde nach Dietricha Wunsch in diesem 1547. Jahre Prediger 
zum Heil. Geist im neuen P orm [als Links Nachfolger), und erhielt 
nebst Moritz Heling den Titel eines Superintendenten“ (Waldau). 
Sonst über ihn Kawerau in BbKG. 18, 88f. und unten unsere Be- 
merkungen zum dritten Teil des Manuser. Thomasianum. 

4) Ueber das Bemühen Schwenkfelds im Jahre 1512, in Nürnberg 
Anhänger zu gewinnen, und das Auftreten der dortigen Geistlichen 
gegen ihn s. Strobel, Dietrichs Leben S. 74. Ferner BbKG, 18, 88 
(Luthers Aeußerung darüber); Besolds Brief vom 3. Oktober 1542 
unten Nr. 102. Medikus, Geschichte der evang. Kirche in Bayern S. 173 
(vgl. BbKG. 18, 503). 

5) Zu dieser penuria s. o. Nr. 735, 817. 

6) Vgl. oben Nr. 47? und 60?, Etwa im Februar 1547 war 
Vogel noch in Lauf, verhandelte aber wegen seiner Versetzung. Am 
18. Oktober 1547 suchte man bereits nach einem geeigneten Nac folger 
für ihn in der Laufer Pfarrstelle; damals muS also seine Verpflanzung 
nach Nürnberg (als Besolds Nachfolger im Diakonat bei S. Jakob) 
mindestens schon entschieden, wenn nicht gar vollzogen gewesen sein. 
Unser Brief füllt demnach jedenfalls in die Zeit vor dem 18. Oktober 1547. 
— Waldau merkt noch an: „Er hieß nicht Matthias, wie ihn Dietrich 
nennt, sondern Matthüus." (?) 

7) Ueber Joh. Albert in Altdorf war rd zu ermitteln. 

8) Man erwartet eher: Si — agitarentu 

?) Zu Hier. Rauscher vgl. F. Hermann. in BbKG. 5, 280 fl. Er 
stammte aus Nürnberg, studierte seit 1535 in Wittenberg (Album 156), 
wurde April 1588 baccal. und Februar 1539 magister, 1544 Diakonus 
in Schweinfurt, ordiniert durch Bugenhagen am 21. Mai 1544; vgl. 
Melanchthon an Sutel 18. April 1544 (CR. 5, 362) und 81. Mai 1544 
(CR. 5, 405), ferner Brief von Rauscher an Sutel Anfang Mai 1544 
(CR. 5, 711 Anm.); 1548 Diakonus an der Lorenzkirche in Nürnberg, 
Ende desselben Jahres wegen seiner Stellung zum Interim entlassen, 
wurde er Prediger in Neumarkt und Kemnat, dann Hofprediger in 
Amberg [nach Waldau in Neuburg], starb 1569, Vgl. ADB. 27, 447; 
Enders-Kawerau 15, 147f. ZfKG. 31, 304. Seine Schriften bei Will, 
Nürnb. Gel.Lex. III, 269 und bei Waldau. 

10) Landpfleger. Vgl. Nr. 47? und dazu unten die Nachtrüge. 

11) ,Dietrich muß also jungen Leuten, die sich der Theologie 
widmeten, Vorlesungen gehalten haben. Vielleicht war er wie Besold 
Professor am ägidischen Gymnasium.* (Waldau. — Aufklärung über 
diese Frage gewährt ein ungedruckter Brief von Dietrich an Joh. Heß 
in Breslau vom 15. Dezember 1546 (in der Bibliothek des Fürsten 
Solms auf Schloß Wehrau i. Schl.). Danach hatte der Nürnberger 
Rat für die in Wittenberg studierenden Nürnberger, die wegen des 
Krieges die Universität verlassen hatten, akademische Vorlesungen in 
Nürnberg selbst einrichten lassen, die wohl auch von auswürtigen 
Studenten besucht wurden. Dietrich schreibt darüber an Heß: Schola 
Wittenbergensium dissipata est. Hos propter pueros nostros hic lec- 
tiones multiplicavimus, ut hic quoque Scholae specimen videas. 
Rotingius dialecticam et Demosthenis orationem pro corona legit, 


37 | 37 


Affinis meus Joachimus Heller [stammte aus Weißenfels, daher 
auch als Leucopetraeus bezeichnet, 1543—1556 Rektor der Egidien- 
schule, s. Will, Núrnb. Gelehrtenlexikon II, 81] Sphaeram, M. Hiero- 
nymus Besold rhetoricam et Vergilii Georgica. Ego Esaiam 
lego domi IS. o, Nr. 76°.) Habeo auditores plus minus LXXX. 
Sic existimamus iuventutis studia in hoc quasi literarum exilio adiu- 
vanda. — Der Nürnberger Rat hatte zur Fórderung dieses Unter- 
nehmens auch Melanchthon und Camerarius gebeten, sich für die 
Dauer des Krieges in Nürnberg niederzulassen. Melanchthons freund- 
liche Antwort darauf ist aus seinem Brief aus Zerbst vom 28, Februar 1547 
bekannt (CR. 6, 400f.). 

1 Die Probe eines andern, früheren deutschen Briefes von 
Dietrichs Hand bei Waldau, Neue Beitr. I (1790) S. 70 und Tschackert, 
Ungedr. Briefe (1894) S. 26 f. 


Unbestimmbar sind: 
Nr. 55. 61. 64, 74. 90. 


Nachträge zum zweiten Teil. 


Zu XII, 4, S. 241 ,Vorbemerkungen* Anmerkung 1: 
Waldau hat schon 1785 Camerarii de vita Hier. Paumgartneri 
narratio herausgegeben, wie Will-Nopitsch, Nürnb. Gelehrten- 
lex. 8, 372 angibt. Das war offenbar die Hauptquelle seines 
Aufsatzes in den Neuen Beitr. I (1790), 234 ff. Es lohnt viel- 
leicht, nachzuprüfen, ob er daneben noch andere (handschrift- 
liche) Quellen benutzt hat. 

Zu XII, 4, S. 243 Anm. 2 am Ende: Vgl. J. G. Bieder- 
mann, Geschlechtsregister usw. (Bayreuth 1748) Tafel 345. 
Der Enkel Baumgartners Hans Oelhafen, geb. 17. August 1548, 
studierte za Wittenberg (immatr, 19. Mai 1563 Joh. Oelhafen 
Noribergensis d. Hieronymi Bomgartneri ex filia nepos, Album 
II, 52) und Tübingen, kam 1578 zu Ntirnberg in den größeren 
Rat, wurde 1581 Pfleger zu Hohenstein, wo er am 15. Juli 1590 
starb, ohne männliche Nachkommen zu hinterlassen. Das 
Dresdener Manuskript, das van Hout veröffentlichte, muß 
also vor 1590 verfaßt sein. — Sollte etwa dieser Hans Oel- 
hafen selbst das Manuscr. Thomasianum (dessen späteste 
Briefe aus dem Jahre 1583 stammen) geschrieben haben? 

Zu XII, 4, S. 244 Br. 26 Z. 6 v. u.: illud majus [stipendium]. 
Nach J. F. Roth, Verzeichnis aller Genannten des grüferen 
Raths usw. Nürnberg 1802, S. 32 stiftete im Jahre 1445 
Konrad Ktihnhofer 3750 fl. in Gold für drei Studierende, von 
deren Zinsen jeder 62*/, fl. bekam. Angeblich war dies das 


38 38 


älteste derartige Stipendium. Aus späteren Jahren führt Roth 
noch viele solche Stiftungen an. 

Zu XII, 4, S. 246 Nr. 26 Anm. 5 Z. 4: Sechs Original- 
briefe von Simon Minervius an Hier. Baumgartner (erworben 
aus Heerdegens Antiquariat) in Dresden, Kgl. Bibl. C 1071, 
n. 10. uu 
Zu XII, 4, S. 246 Nr. 26 Anm. 7: Könnte vielleicht 
Anton Tucher (lebte nach Biedermann a. a. O. Tafel 498 
von 1458—1524) in Frage kommen und demnach eine ültere 
Komposition von Senfl? Nach Roth, Verzeichnis aller Ge- 
nannten S. 59 stiftete Anton Tucher 10 fl. ewiges Gelds dazu, 
daB alle Freitag in der S. Sebaldskirche die sieben Tagzeiten 
vom Leiden Christi figuraliter sollten gesungen werden. Er 
war also musikalisch interessiert. Über ihn und seine sonstigen 
künstlerischen Interessen s. Roth a. a. O. S. 49, 61, 62. 

Zu XII, 4, S. 247 (Nr. 27) Z. 6 v. o.: nach ‘scias’ ist 
besser ein Kolon zu setzen statt des Punktes. 

Zu XII, 4, S. 257 Anm. 4 (Nr. 32): Wegen Blasius Stóckel 
isí noch zu beachten der Aufsatz von Pfarrer Griebel in 
BbKG. 11, 130 f£, wonach Stöckel im Jahre 1532 nicht mehr 
in Heroldsberg war, da das älteste Taufregister 1532 vom 
Pfarrer Veit Eißler zu Heroldsberg angelegt wurde. Ferner: 
Bossert, Theol. Studien aus Württemberg 7 (1886) S. 48 zur 
Ravensburger Reformation: Blasius Stócklin, Zisterzienser- 
mönch zu Bebenhausen, 1515 immatr. in Heidelberg. — Zu . 
berichtigen ist in derselben Anm. auf S. 257 Z. 4 v. u. „1544“, 
es muß „1541“ heißen; denn v. Soden, Beiträge z. Gesch. 
d. Reformation (Nürnberg 1855) S. 495 weiß auf Grund 
archivalischer Quellen zu berichten: „Der frühere Karthäuser- 
prior, nachherige protestantische Prediger Blasius Stöckel 
wurde schon am 9. September 1541 zum Prediger in Hers- 
brug ernannt; bei dieser Ubersiedlung ließ ihm der Rat das 
von einem Fäßchen Wein bereits erlegte Ungeld zurücker- 
statten.“ Er wurde dort Nachfolger des entlassenen Predigers 
Mag. Otto Körber. 

Zu XII, 4, S. 266 Brief 39 Schluß: Es wird Adi 3. Sept. 
zu lesen sein. Vgl. Nr. 68%. | 

Zu XII, 4, S. 268 Brief Nr. 42 (Befestigung Witten- 
bergs) vgl. auch ARG. XI, 2 (Nr. 42) S. 142. 


39 39 


Zu XII, 4, S. 272 Z. 1 und Anm. 5 (Nr. 46): Roth, Ver- 
zeichnis aller Genannten, S. 73, ftihrt als einen Vertreter 
des Handwerks unter den „Genannten“ auf einen „Hannd 
Murrer, Schneider, 1537—1562“, ferner S. 79 einen Bücker 
Andreas Murrer 1548 —1564. 

Zu XII, 4, S. 272 Nr. 46 Anm. 4: Roth a. a. O. S. 73 
verzeichnet unter den ,Genannten* einen Ambrosius. Bosch 
1536— 1580. | | 

Zu XII, 4, S. 273 Nr. 47 Anm. 7: Roth a. a. O. S. 58: 
„A. 1513 wurde wegen der im Bayerischen Kriege eroberten 
Landschaft das Landpflegeramt errichtet und mit fünf Mit- 
gliedern aus dem Rat besetzt.“ 

Zu XII, 4, S. 276 Nr. 51 Anm. 1: Der Brief ist viel- 
leicht ins Jahr 1537 zu versetzen. Vgl. Anm. 3 und CR. 3, 
416: am 6. Oktober 1537 empfiehlt Melanchthon den Matthias 
Devay. | 

Zu XII, 4, S. 280 Nr. 56 Anm. 3: Siegm. Fürer ist nach 
Biedermann, Geschlechtsregister usw. Tafel 369 geboren 1470, 
gestorben 1547. 

Zu XII, 4, S. 284 Nr. 62: Der Brief stammt wahr- 
scheinlich aus dem Jahr 1536 oder 1537. — Ebendort zu 
Anm. 2: Am 6. April 1537 (CR. 3, 335) empfiehlt Melanchthon 
wieder einen homo Anglus, der aus Wales hatte fliehen müssen; 
er war, wie es scheint, ein hochgestellter Mann gewesen. Da- 
her wäre es verständlich, daß der Kurfürst ibm Empfehlungs- 


schreiben mitgegeben hätte. 
(Fortsetzung folgt.) 


Forschungen zur Politik Karls Y. 
wiihrend des Augsburger Reichstags 
von 1530. 


Von Eduard Wilhelm Mayer. 


L 


Krieg oder Konzil? 
Vorbereitende Unterhandlungen. 


Im Frühjahr des Jahres 1530 betrat Karl V. nach 
neunjühriger Abwesenheit wieder deutschen Boden, mit dem 
Willen, der religiósen Spaltung im Reich ein Ende zu machen. 
Statt dessen finden wir am Schluß des Jahres den Prote- 
stantismus dogmatisch und politisch gefestigt. Trotzdem die 
Ausgleichsverhandlungen in Augsburg gescheitert waren, 
unterlieB Karl energische Maßregeln zur Erhaltung der alten 
kirchlichen und staatlichen Mächte. Vom Standpunkt des 
Katholizismus und des römisch-deutschen Kaisertums ist 
dieser Verzicht auf eine kriegerische Auseinandersetzung 
mit den Protestanten zweifellos als eine versäumte Gelegen- 
heit zu bezeichnen. Daß der Krieg um 16 Jahre aufge- 
schoben wurde, hat eine wirkliche Unterwerfung der Prote- 
stanten, die 1530 noch nicht als völlig ausgeschlossen 
erscheint, unmöglich gemacht. In diesen 16 Jahren hat der 
Protestantismus an Kraft gewonnen, und nur mit Hilfe 
protestantischer Fürsten hat der Kaiser 1546/47 den Schmal- 
kaldischen Bund aufs Haupt zu schlagen vermocht. 1530 
hätte er die Lutheraner viel leichter niederzwingen können!). 


1) O. Winkelmann, Der Schmalkaldische Bund 1530—1532 
und der Nürnberger Religionsfriede. StraBburg 1892, S, 2: ,Mit 
einigen raschen Schlügen hütte er ihren Widerstand leicht brechen 
können.“ 


41 41 


Es ist oft dargestellt worden, welche Faktoren damals 
hemmend wirkten auf die kriegerische Energie Karls V.: 
er war noch keineswegs im festen Besitz der Vormacht in 
Italien, deren Sicherung seine militärischen und finanziellen 
Kräfte vor allem in Anspruch nahm; von Franz l. hatte er 
ebenso einen Angriff zu befürchten wie von den Türken; 
schließlich war auf die Reichsfürsten, die dem alten Glauben 
treu geblieben waren, für ihn kein Verlaß. Trotzdem wird 
man sagen können: wäre in Karl der Glaubenseifer und 
der Fanatismus der Gegenreformation mächtig gewesen, er 
hätte auch unter diesen schwierigen Verhältnissen das 
Schwert in die Wagschale geworfen, andere Interessen dieser 
einen Aufgabe geopfert. 

Aber Karls V. Politik wurde in einem anderen Geiste 
geführt; er war ein zu ktihler Rechner, um sich ganz in den 
Dienst einer Ecclesia militans zu stellen. Er war auch nicht 
blind für die schweren Mängel, die dem bestehenden Kirchen- 
wesen anhafteten. Eine kaiserliche Reform der Kirche schwebte 
ihm vor Augen. Bei dieser Gesinnung fiel es ihm nicht schwer, 
um der gütlichen Verständigung willen den Wünschen der 
Deutschen nach einem Konzil entgegenzukommen. Die Konzils- 
politik war zunächst ein Zeichen seiner friedlichen Be- 
strebungen und schien eine Kriegspolitik: vielfach auszu- 
schließen. Wir werden aus den Verhandlungen im Jabre 1536 
ersehen, daß der Konzilsplan immer dann eine Neubelebung 
erfuhr, wenn eine Verständigung mit den Protestanten mög- 
lich schien oder wenn der Kaiser zur Einsicht kam, daß er 
einer kriegerischen Lösung des Konflikts nicht gewachsen war. 

Über die Motive und die Wendungen dieser Politik, die 
nicht eine zielbewußte Führung bot, sondern vorsichtig das 
Gelände abtastete, um den gangbarsten Weg ausfindig zu 
machen, sind widersprechende Äußerungen gefallen. Katho- 
lische Apologetik hat die unbedingte Friedfertigkeit des Kaisers 
zu erweisen sich bemüht!) Ranke hat die Auffassung be- 
gründet, nach der Karl V. wohl friedlichen Mitteln den Vor- 


1) C. B. Hefele-Hergenröther, Konziliengeschichte Bd. 9, 
Freiburg 1890. S.746: „Karl dachte nicht daran, gewaltsame Maß- 
regeln gegen die Lutheraner in Anwendung zu bringen oder vorza- 
bereiten.^ "Vgl. weiterhin Pastor. 


42 42 


zug gegeben, aber die Anwendung von Gewalt sich vorge- 
nommen habe für den Fall, daß die. Verhandlungen nicht 
gum Ziele führen sollten). Maurenbrecher, der diese 
‚beiden Tendenzen der kaiserlichen Politik. am schärfsten 
-herausgearbeitet hat, enthält sich des Urteils, was „wirklich 
„Karls geheimer Gedanke“ gewesen sei’). Pastor, der früher 
jegliche kriegerische Absicht des Kaisers leugnete?), nimmt 
sie neuerdings für einen beschränkten Zeitraum im Oktober 
1530 als vorhanden an‘). Hierin folgt er Bemerkungen von 
Ehs es“). | 

Gerade die Veröffentlichung der noch unbekannten Be- 
richte des püpstlichen Legaten Campegio durch Ehses?) 
wirft neues Licht auf die Politik des Kaisers. Ich kom- 
biniere diese Berichte mit Stücken der kaiserlichen Kor- 
respondenz aus dem Archiv von Simancas, die ich als Bei- 
lagen gebe. Sie entstammen einer Sammlung sehr sorgfältig 
hergestellter Abschriften, die Herr Dr. Josef Schweizer 
im Auftrag des Königl. Preußischen Historischen Instituts zu 
Rom in Simancas angefertigt hat. 

Karl V. hatte im Winter 1529/30 während der Zusammen- 
kunft zu Bologna vom Papst die Zusicherung des Konzils 


1) Sämtliche Werke Bd. 3, S. 164. 

2) Geschichte der katholischen Reformation. Bd. 1 (Nördlingen 
1880) S. 312. Vgl. Karl V. und die deutschen Protestanten 1545—1555. 
Düsseldorf 1865. S. 26: „Wenn so am Ende des Jahres 1530 die 
große Frage, ob ein Konzil oder ein Krieg oder beides zugleich die 
deutsche Reformation bändigen sollte, noch in der Schwebe gehalten 
wurde, so konnte die Entscheidung in dieser Alternative für die kaiser- 
liche Politik nur aus der gesamten Lage, aus der großen Anschauung 
aller politischen Verhältniese von Europa erfolgen.“ 

8) Die kirchlichen Reunionsbestrebungen. Freiburg i. B. 1879, 
S. 63. 

) Geschichte der Päpste. Bd. 4, Abt, 2, Freiburg 1907. S.418. 

5) Kardinal Loreuzo Campegio auf dem Reichstag von Augsburg 
1530, In: Rómische Quartalsschrift fiir christliche Altertumskunde 
und für Kirchengeschichte, Bd. 20 S. 67 Anm. 4. 

^) Unter dem eben angeführten Titel in der genannten Zeitschrift; 
Bd. XVII 383—406; XVIII 358—384; XIX 129—152; XX 54—81; XXI 
114—139 (von Bd. XIX ab haben die beiden Teile der Zeitschrift ge- 
trennte Paginierung). Über die Schreibung Campegio (statt Campeggio 
oder Campegi) vgl. ebenda Bd. XIX 129. 


43 43 


erwirkt für den Fall, daß es sich als notwendig erweisen 
sollte; seinerseits versprach er, auf jede Weise die Ketzer 
zur alten Kirche zurückzuführen. Seine Zuversicht, daß dies 
ohne Gewaltmaßregeln, bloß durch seine persönliche Da- 
zwischenkunft, möglich sein werde, spricht sich darin aus 
daß er nur eine ganz geringe Truppenmacht — tausend 
Landsknechte aus dem Allgäu — für sich aufbieten ließ“). 
Offensichtlich überschätzte er seine Autorität und seinen 
Einfluß auf die Stände. In diesem Irrtum scheint er be- 
stärkt worden zu sein durch die Vorverhandlungen, die er 
zu Innsbruck mit einigen Fürsten des Reichs und den Ab- 
gesandten anderer, darunter auch des sächsischen Kurfürsten?) 
pflog. Er glaubte in Augsburg einen „gefälligen und dienst- 
bereiten“ Reichstag zu finden“)! | 
Es fehlte nicht an skeptischen Stimmen. Miguel Mai, 
Karls Gesandter in Rom, riet ihm, der Tagung fernzu- 
bleiben, weil die Furebt vor seinem Kommen die Ketzer 
mehr schrecken würde als seine Gegenwart, und weil ein 
Paktieren, das doch notwendig werden könnte, sich mit der 
Ehre des Kaisers nicht vertrüge. Daß Konzessionen ratsam 
seien, habe er dem Papst schon zu verstehen gegeben“. 
Viel entschiedener und intransigenter war die Sprache 
des päpstlichen Legaten Campegio. Es leidet keinen Zweifel, 
daß dieser energische Mann, der den Lutheranern den Kampf 
bis aufs Messer ansagte und sich doch der Notwendigkeit 
von Reformen nicht verschloß, am klarsten sah, was der 
Macht der katholischen Kirche nottat. Man wird sich aber 
hüten müssen, seine Ansicht mit der seines Auftraggebers 
Klemens VII. zu identifizieren und darf auch nicht annehmen, 
daß er die kaiserliche Politik ins Schlepptau genommen 
habe. Campegio hat am 8. oder 9. Mai°) in Innsbruck auf 
des Kaisers Bitten jenes Gutachten über das einzuschlagende 


) Baumgarten, Geschichte Karls V. Bd. III. Straßburg 1892. S.31. 

2) Vgl. jetzt v. Schubert, Beiträge zur evangelischen Bekenntnis- 
und Bündnisbildung 1529/30. Zeitschrift für Kirchengeschichte 30 
(109) S. 316—351. 

3) Karl V. (Covos) an Loaysa 14. Juni 1530, Beilage Nr. 2. 

4) Mai an Covos 15, Mai 1530, Beilage Nr. 1. 

) Über das Datum vgl. Ehses, Römische Quartalschrift XVII 
387f. Anm. 


44 44 


Verfahren angefertigt, in dem er empfiehlt, ,mit Feuer und 
Schwert“ gegen die Protestanten vorzugehen, falls sie hart- 
näckig bleiben sollten ). Er benutzte jede Gelegenheit, um 
diese Überzeugung zu vertreten, und seine Mahnungen blieben 
nicht ohne Eindruck auf die altgläubigen Fürsten, die dem 
Kaiser nach Innsbruck entgegenkamen, und auf Karl V. selbst. 
Wenigstens trug Karl bei seinem ersten Auftreten in Augsburg 
demonstrativ das Bestreben zur Schau, die katholischen Inter- 
essen energisch zu vertreten“). Absichtlich wurde der Vor- 
abend des Fronleichnamsfestes als Einzugstag gewählt und 
unter persónlicher Teilnahme des Kaisers am folgenden Tag 
die Prozession veranstaltet. Am 18. Juni erlieB er dann die 
Verordnung, daB in Augsburg niemand predigen dtirfe, der 
von ibm nicht dazu ermichtigt sei*). 

Der Kaiser hatte nun Gelegenheit, die unter den Reichs- 
ständen herrschenden Stimmungen aus eigener Anschauung 
kennen zu lernen. Nur wenige Fürsten, wie Joachim von 
Brandenburg und Georg von Sachsen, wollten es auf einen 
Krieg ankommen lassen. Die Majorität war einer gewalt- 
samen Lösung des Konfliktes abgeneigt, teils aus politischen, 
teils aus religiös-kirchlichen Gründen; eine Steigerung der 
Kaisermacht, wie sie die Folge eines siegreichen Krieges 
sein mußte, war ihr nicht erwtinscht, und unter dem Einfluß 
erasmianischer Denkweisen wurde vielfach anerkannt, daß 
in der Kirche gar manches zu bessern sei. Diese irenisch 
gesinnten Katholiken sahen, daß ein siegreicher Glaubens- 
krieg jede Reform unmöglich machen würde“). Wie die 


1) Abgedruckt bei Maurenbrecher, Karl V. und die deutschen 
Protestanten 8*—16*. 

2) Diese Stimmung spricht noch aus den Berichten, die der Kaiser 
über die ersten Tage in Augsburg gibt. Karl V. an die Kaiserin 
8. Juli (Simancas, Estado 635 fol. 83); abgedruckt bei Döllinger, 
Dokumente zur Geschichte Karls V., Philipps II. und ihrer Zeit. 
Regensburg 1862 $. 7; übersetzt bei Heine, Briefe an Kaiser Karl V. 
geschrieben von seinem Beichtvater (Garcia de Loaysa) 1580—32 
Berlin 1848. Mit diesem stimmt fast wörtlich überein der Bericht im 
Brief an Miguel Mai 27. Juni (Simancas, Estado 1557 fol. 69—71). 

s) Über die Vorgeschichte dieses Verbots vgl. Schubert a. a. O. 
S. 399. 

t) Vgl. Winkelmann a. a. O. S. 7. 


45 45 


Protestanten forderten auch sie ein Konzil, von dem sie 
freilich anderes erwarteten als jene. 

Unter dem Druck der altgläubigen Stände ist der Kaiser 
noch entschiedener als bisher für die Berufung des Konzils 
eingetreten. Aber die Alternative: Krieg oder Konzil hat 
er nie so eindeutig entschieden wie die Mehrzahl der Alt- 
gläubigen. | 

Nachdem am 25. Juni die Augsburger Konfession der 
Lutheraner verlesen war, faßte der kaiserliche Rat über das 
weitere Verfahren Beschlüsse, die dem Legaten vorgelegt 
wurden ). Drei Möglichkeiten wurden erörtert: 1. Die Pro- 
testanten unterwerfen sich dem Schiedsgericht des Kaisers, 
in dem die altgläubigen Fürsten die katholische Sache gegen 
die Ketzer zu vertreten haben. 2. Wenn sie sich weigern, 
einen Richterspruch des Kaisers anzunehmen, wird ein all- 
gemeines Konzil vorgeschlagen, unter der Bedingung, daß 
die Lutheraner bis zum Konzil ihre Neuerungen aufgeben 
und daß das Wormser Edikt beobachtet wird. Andererseits 
müssen Vorkehrungen gegen die Mißbräuche in der Kirche 
getroffen werden, nicht nur, um die Protestanten leichter zu 
gewinnen, sondern auch um der Kirche selbst willen. Die 
Verhandlungen in der Glaubensfrage sind mit Mäßigung zu 
führen, damit die Protestanten nicht verstockt werden. 
3. Falls sie weder dem Kaiser noch dem Konzil eine bindende 
Entscheidung zuerkennen, muß mit angemessener Strenge 
vorgegangen werden. Der Legat möge selber angeben, in 
welcher Weise das bei der augenblicklichen Lage der Christen- 
heit möglich sei, und wie tiberhaupt zu den Waffen gegriffen 
werden könne. 

Es zeigte sich bald, daß die erste dieser Möglichkeiten 
nicht zu verwirklichen war. Deswegen trat Karl in einem 
Schreiben vom 14, Juli?) mit der Konzilsforderung an 
den Papst heran. Bei dem Widerstand der lutherischen 
Fürsten und bei der lauen Haltung der katholischen erweise 
es sich als unmöglich, im Wege richterlichen Verfahrens die 
Glaubensspaltung zu beseitigen. Er und die treu gesinnten 


1) Concilium Tridentinum IV 1. Freiburg i, B. 1904 (ed. Ehses) 
3. XXXVIf. 
*) Heine a. a, O. S. 523—525. 


46 | 46 


Kurfürsten seien der Überzeugung, daß man den Wunsch 
der Protestanten erfüllen und ein Konzil berufen müsse. 
Natürlich müßten die Häretiker versprechen, bis dahin die 
Neuerungen aufzugeben; schon das werde ein großer Erfolg 
der Berufung des Konzils sein. 

Mit welchen Hintergedanken die allzu kluge Politik des 
Kaisers geführt wurde, verriet Granvella dem päpstlichen 
Legaten: hätten die Lutheraner jene Bedingung einmal an- 
genommen und die Neuerungen in Erwartung des Konzils 
eingestellt, dann müsse man es machen wie Solon, der die 
Athener vor seiner Abreise habe schwbren lassen, daB sie 
seine Gesetze bis zu seiner Wiederkehr halten würden, und 
dann niemals mehr nach Athen zurückkehrte !). 

Aus dieser Bemerkung schlob Campegio, wohl mit 
Unrecht, daß es dem Kaiser gar nicht so sehr um die Be- 
rufung des Konzils zu tun sei; aber er sah die Lage der 
Dinge insofern klarer, als er es für unmöglich hielt, daß die 
Protestanten ein Konzil mit dieser Auflage annehmen würden. 
Für die Leiter der kaiserlichen Politik war sie auch in 
erster Linie ein Mittel, dem Papst das Konzil mundgerecht 
zu machen. Wie wir bald hören werden, wünschte der 
Kaiser die Einberufung des Konzils um jeden Preis, ganz 
unabhüngig davon, ob sieh die Protestanten jener Bedingung 
unterwürfen oder nicht. Daß es unentbehrlich sei, läßt 
er immer wieder nach Rom melden: „Ich wünschte, es 
ginge ohne das. Aber es gibt sicherlich keinen anderen 
Weg?)." Ä | 

Zugleich setzte Karl auch am Reichstag seine Ver- 
mittlungspolitik fort. Die Entwürfe der „Konfutation“ der 
Augustana hat er wiederholt in versöhnlichem Sinn umge- 
stalten lassen). Der Versuch Campegios, eine schärfere 
Kundgebung des kaiserlichen Willens in den Text zu bringen, 
miblang. Nur der Schluß der am 3. August verlesenen 


!) Campegio an Salviati 14. Juli und 29. Juli Ehses, Römische 
Quartalschrift XVIII 363 und 369. 

2) Karl V. an Loaysa. 2. August. Beilage Nr. 3. 

*) Johannes Ficker, Die Konfutation des Augsburgischen Be- 
kenntnisses, Ihre erste Gestalt und ihre Geschichte. Leipzig 1891. 
S. LIT und LXXV. 


Schrift enthielt Sätze, die als eine Drohung mit der Exekution 
von Reichs wegen aufgefaBt wurden. 


In einem Gesprüch vom 9. August!) suchte Campegio 
aufs neue, den Kaiser zu gewaltsamem Vorgehen zu be- 
stimmen, stie aber dabei wieder auf die entschiedene Ab- 
neigung Karls: ein Türkenkrieg, die Verbindung der Schweizer 
mit den Protestanten, selbst eine Revolution des niederen 
Volkes seien zu befürchten. Bei dieser Audienz hat Cam- 
pegio dem Kaiser auch den Brief Klemens' VII. vom 31. Juli?) 
überreicht, die Antwort auf das Schreiben Karls vom 14. Juli. 
Ausführlich werden die Bedenken gegen das Konzil vor- 
getragen. Im Vertrauen auf die genauere Kenntnis des 
Kaisers, der die Lage in Deutschland besser tiberschaue, 
willigt aber der Papst in die Berufung des Konzils, jedoch 
nur unter der von Karl selbst gestellten Bedingung. Wenn 
darüber Einigung erzielt sei, werde der Papst die Ladungen 
ausgehen lassen. Hinsichtlich der abzustellenden Mißbräuche 
in der Kirche verspricht er, die erforderlichen Maßregeln zu 
ergreifen, sobald er des nüheren informiert sei. Nach Ver- 
lesung des Briefs sagte Karl zu Campegio, daB er daraus 
ersehe, wie ungern der Papst auf den Konzilsplan eingehe. 
Was die von den Protestanten zu erfüllende Bedingung an- 
gehe, so sei das Konzil gar nicht allein um der Hüretiker 
willen zu berufen, sondern zum Heile der ganzen Christenheit! 


Drei Monate ließ der Kaiser verstreichen, ehe er jenen 
Brief des Papstes vom 31. Juli persónlieh erwiderte und den 
Konzilsplan weiter förderte. Eine Antwort ist erst am 
30. Oktober ausgefertigt und von einem besonderen Bot- 
schafter, Pedro de la Cucoa, nach Rom gebracht worden?) 


1) Campegio an Salviati 11. August. Lämmer, Monumenta Vaticana 
(Freiburg i. B. 1861) S. 49 ff. Über das Datum vgl. Ehses, Römische 
Quartalschrift XIX 129. 

2) Concilium Tridentinum IV. 1 (ed. Ehses) S. XLI—XLIMI. - 

3) Pastor, Geschichte der Päpste IV, 2 S. 418, spricht auf Grund 
falecher Interpretation eines Briefes des Francesco Gonzaga davoh, 
daß der Kaiser am 4. Oktober an den Papst ein Schreiben gerichtet 
habe. Aus seinem Brief vom 30. Oktober ergibt sich aber mit Sicher- 
heit, daß es der erste ist seit Empfang des Breve vom 31. Juli. Am 


48 48 


In der Zwischenzeit hat Karl dem Papst mehrmals durch 
seine Gesandten versichern lassen, daß die Beantwortung 
bevorstehe, immer aber mit dem Zusatz, daß er warten 
wolle, bis er über den Ausgang der Verhandlungen in 
Augsburg klarer sehe ?). 

Indessen ist schon im August im Kabinett des Kaisers 
eine Antwort auf das päpstliche Schreiben eingehend erwogen 
worden, wie wir mehreren Vorarbeiten und Entwürfen ent- 
nehmen können“). In einem Gutachten zu dieser Frage“) 
wird ausgesprochen, daß der Brief vom 31..Juli zwischen 
den Zeilen die tiefe Abneigung des Papstes und der Kardinäle 
gegen ein Konzil, das in seinem Reformeifer sich zuerst 
gegen die Spitzen der Kirche richten könne, erkennen lasse; 
man solle aber in der Antwort von diesem Eindruck sich 
nichts merken lassen, sondern nur versichern, daß der Kaiser 
keine Minderung der Person und der Macht des Papstes 
durch das Konzil dulden werde. 

Hiervon ist in dem letzten der damals angefertigten 
Entwürfe“) nicht die Rede. Eindringlich sucht das Schreiben 
zu erweisen, daß die Lage in Deutschland die unverzügliche 
Berufung des Konzils nötig mache. Der Kaiser habe die 
Antwort so lange hinausgeschoben, um erst zu sehen, ob er 
nicht auf anderem Wege zum Ziele komme; das würde ihm um 
so lieber gewesen sein, als er möglichst rasch nach Spanien 
zurückzukehren wünsche und deswegen gerne das Konzil 
verschieben würde. Es bestehe Hoffnung, daß man mit den 
abtrünnigen Fürsten zu einer Einigung gelangen werde, und 
4, Oktober hat der Kaiser an einen seiner Gesandten in Rom, an 
Muxetula, schreiben lasseu, und hierauf spielt Francesco Gonzaga an, 
(8. unten S. 56.) 

1) Z. B. in den Briefen an Miguel Mai vom 23. September (s. unten 
S. 55 Anm. 1) und an Loaysa vom 20. Oktober (s. Beilage Nr. 6). 

*) Beilage Nr. 4. Für die Datierung des unter IV. wiederge- 
gebenen Schreibens ergibt sich als frühester Termin etwa der 20, August, 
da sich der Kaiser zu Anfang entschuldigt, daß er das ihm am 
9. August eingehündigte Schreiben erst jetzt beantworte, als spütester 
der 28. August, da der Optimismus des Schreibens über den Fortgang 
der Verhandlungen nach den Ereignissen des 29. unverstündlich würe. 

*) Beilage Nr. 4 I. 


4) Beilage Nr. 4 IV. Der erste Entwurf ist inhaltlich wenig ver- 
schieden von dem zweiten, 


49 49 


dann könne man mit den Städten rasch fertig werden?). 
Aber die treugesinnten Fürsten versicherten, daß sie die 
Aufgabe der dogmatischen Irrtümer von den Protestanten 
nur durch das Versprechen erlangt hätten, daß das Konzil 
bald berufen werde. Das Bedenken der Kardinäle, daß 
längst verurteilte Häresien nicht nochmals zur Diskussion 
gestellt werden dürften, wäre nur dann am Platz, wenn der 
Kaiser „gegen die Schuldigen strafrechtlich vorgehen und 
wie in anderen Teilen seiner Reiche eine Exekution vor- 
nehmen könnte“. „Da wir es aber mit einer der größten 
Nationen der Christenheit zu tun haben, ist es das zweifellos 
geringere Übel, sie dazu zu bekehren, daß sie ihre Irrtümer 
mit Hilfe der universalen Kirche zum Schweigen bringen, 
als sich nicht zu vertragen und sie nicht darin stören zu 
können, daß sie so gefährlichen Meinungen zum Schaden so 
vieler Seelen anhängen.“ Vor allem werde nur durch das 
Konzil der Wahn ausgerottet werden, der den lutherischen 
Predigern so große Autorität beim Volke gebe: daß sie die 
ursprüngliche, erst von Rom verderbte Kirche wiederher- 
stellten. Das gemeine Volk könne nicht wissen, was auf 
früheren Konzilien beschlossen worden sei, aber die Ent- 
scheidungen eines neuen Konzils würden jenen Verführern 
den Boden entziehen. Auch der drohende Türkenkrieg sei 
kein stichhaltiger Einwand gegen das Konzil; denn es werde 
gerade der richtige Ort sein, um über die Verteidigung der 
Christenheit zu beraten. Die Bedingung, daß die Protestanten 
bis zum Konzil zur alten Kirche zurückkehrten, wird nicht 
ausdrücklich anerkannt; es wird nur gesagt, der Kaiser 
werde sich alle Mühe geben, daß die Protestanten bis dahin 
„alles, was mit ihnen ausgemacht wird, mit demjenigen Ge- 
horsam beobachten, den sie der katholischen Kirche schulden 
und früher geleistet haben“. Schließlich äußert sich der 
Kaiser noch sehr erfreut über die Bereitwilligkeit des Papstes, 
kirchliche Mißbräuche abzustellen. 


Der Brief ist offerbar geschrieben unter dem Eindruck 
des günstigen Fortgangs der Verhandlungen in dem Vier- 
1) Die gleiche geringschätzige Beurteilung der Städte findet sich 


z. B. in dem Briefe Campegios an Salviati vom 20. August (Lämmer S. 55), 
Archiv für Reformationsgeschichte. XIII. 1. 4 


50 50 


zehnerausschuß, der seit dem 16. August einen neuen Ver- 
mittlungsversuch unternahm. Die Konzessionen der Pro- 
testanten — Melanchthon wollte sich ja sogar zur Wieder- 
herstellung der bischöflichen Gewalt verstehen —, das Ent- 
gegenkommen, das die katholische Majorität in einzelnen 
Fragen, wie z. B. der des Laienkelchs, bewies, rückten eine 
Verständigung in den Bereich der Möglichkeit, so daß die 
Hoffnungsfreudigkeit des kaiserlichen Kabinetts verständlich 
ist. Aber sie erwies sich bald als trügerisch. Am 29. August 
erklärten die Lutheraner, daß sie weitere Konzessionen zu 
machen nicht in der Lage seien, und alsbald reichte auch 
der Kurfürst von Sachsen sein Abschiedsgesuch ein. Es 
wurde klar, daß man nicht einig werden konnte. Jener 
Brief an den Papst, der von günstigeren Voraussetzungen 
ausgegangen war, wurde deshalb nicht ausgefertigt. 

Statt dessen wurde am 4. September an Mai geschrieben!), 
daB die Verhandlungen vor dem Bruche ständen; der Kaiser 
wolle es nochmals mit persönlichem Eingreifen versuchen; 
je nach dem Erfolg musse man die weiteren Entschlüsse 
fassen, wenn auch ,für gewaltsames Vorgehen, das am meisten 
nützen würde, die nötige Zurüstung fehlt". Jene Unter- 
handlung in Karls Gegenwart fand am 7. September statt?) 
Er ließ den Lutheranern nochmals das Konzil versprechen 
unter der Bedingung, daD sie sich bis dahin ,mit ihrer 
kaiserlichen Majestät und gemeinen Ständen“ hielten. Wenn 
sie sich auf keine weiteren Verhandlungen einlassen wollten, 
werde er sich als ein „Vogt und Schutzherr der Kirche“ 
erzeigen. 

So hatte sich die Lage Anfang September zugespitzt: 
Kaiser und Stände, gleichviel ob alt- oder neugläubig, forderten 
die Berufung eines Konzils. Aber mit ganz verschiedenen 
Absichten. Die Katholiken hofften auf einer allgemeinen 
Versammlung der Christenheit der Häretiker leicht Herr zu 
werden. Die Protestanten hatten von jeher ein „christliches, 
freies“ Konzil gefordert, weil sie von ihm die Anerkennung 


1) Gedruckt bei Sandoval, Historia de la vida y bechos del 
emperador Carlos V. Barcelona 1625, S, 103, 

2) Förstemann, Urkundenbuch zu der Geschichte des Reichs- 
tages zu Augsburg im Jahre 1530. 2. Bd. (Halle 1535) S. 391—397- 


51 51 


ibrer Lehren erwarteten. Die Bedingung, dab sie bis zum 
Konzil alle Neuerungen rückgüngig zu machen hátten, konnten 
sie deshalb unmöglich annehmen; sie hätten ihren Besitzstand 
aufgeben müssen. In den Verhandlungen mit der Kurie 
hatte der Kaiser angedeutet, daß die Berufung des Konzils 
erfolgen müsse, auch wenn jene Voraussetzung nicht voll- 
kommen erfüllt sei; in diesem Sinne waren anch im August 
den Protestanten bestimmte Zugeständnisse für die Zeit bis 
zum Konzil gemacht worden. Da die Lutheraner nicht 
weiter nachgeben wollten und der Kaiser jene Forderung in 
aller Schroffheit wiederholte, war es deutlich, daB die Gegen- 
sätze nicht zu überbrücken waren. Zu einem „Anstande“, 
wie er später geschlossen wurde, wollte sich der Kaiser 
noch nicht bequemen. Wollte er seinen Willen durchsetzen 
dann mußte er zu anderen Mitteln greifen. 


Im Laufe des September hat die kaiserliehe Diplomatie 
verschiedene Versuche unternommen, um die fehlende ,Zu- 
rüstung“ für einen Waffengang mit den Protestanten zu be- 
schaffen. Diese Vorbereitungen entsprangen nicht etwa einem 
entschlossenen Kriegswillen des Kaisers. Er suchte nur 
sondierend festzustellen, was möglich sei, welche Kräfte 
ihm für einen gewaltsamen Austrag des Konflikts zur Ver- 
fügung stünden. Denn er war sich bewußt, daß er allein 
der Aufgabe nieht gewachsen war. 

Vor allem wollte er sich der Hilfe der dem alten 
Glauben anhängenden Reichsfürsten vergewissern. Etwa 
am 8. September hat der Kaiser in französischer Sprache 
ein Memorial!) verfaßt, das er den katholischen Reichsfürsten 
zugehen ließ. Angesichts der Hartnäckigkeit der Protestanten 
müsse er sich auf die Pflichten seines kaiserlichen Berufs 
besinnen. Als Schutzherr der Kirche habe er die alte Lehre 
und Tradition zu schirmen. Wenn die Protestanten ihn über- 
zeugt hätten, daß ihre Lehre in der Schrift fundiert sei, 
würde er nicht mit ihnen streiten. „Kaiserliche Majestät 
ist nicht weniger auf ihr Seelenheil bedacht als andere, um 
so mehr, je größer die ihr von Gott verordnete Gewalt und 


1 Rainaldi Annales ad. 1530 Nr. 100—103. 
4* 


52 52 


Autorität ist.“ Da Freundlichkeit nicht verschlüge, wolle er 
weder Leben noch Krüfte schonen, um mit der Hilfe Gottes 
und dem Rate der Kurfürsten zu tun, was notwendig sei. Er 
werde auch den Papst und die anderen christlichen Fürsten 
um ihre Hilfe bitten. Wenn die Protestanten bis zum Konzil 
zur Kirche zurückkehrten, würden ihre Neuerungen im Geiste 
christlicher Barmherzigkeit geprüft werden. Wo nicht, könnten 
der Kurfürst von Sachsen und seine Anhänger von der Milde 
des Kaisers nichts mehr erwarten; sie müßten dann ge- 
zwungen werden, daß sie sich dem Konzil stellten und ihre 
Sache vertriiten. Unbedingt seien die geistlichen Güter 
zurtickzuerstatten und dem Kaiser zur Verwaltung zu ttber- 
geben. Die Fürsten werden schließlich aufgefordert, ihr 
Gutachten in den bertihrten Fragen abzugeben. 


Sieht man auf den Kern der kaiserlichen Denkschrift, 
so erkennt man hinter ihrer vorsichtigen Form den Wunsch 
Karls, die katholischen Fürsten für ein Kriegsbündnis zu 
gewinnen. Charakteristisch ist nun, wie sich die Stände zu 
diesem Angebot verhalten. Um die Verhandlungen zwischen 
ihnen und dem Kaiser zu vereinfachen, wurde ein Achter- 
ausschuß damit beauftragt. Aus seinen ersten Äußerungen !) 
war zu entnehmen, daß die Fürsten mit der Möglichkeit 
einer Vermittlung immer noch rechneten und auch erwogen, 
ob man nicht manchen der lutherischen Irrtümer dulden 
könne. Für den Fall, daß mit Strenge vorzugehen wäre, 
bevorzugten sie ein gerichtliches Verfahren. 


Auf diesen Ausweg verfielen also die katholischen 
Stände: durch kammergerichtliche Prozesse wollten sie von 
den Protestanten die Herausgabe der geistlichen Güter er- 
zwingen. In den eigentlich dogmatischen Fragen waren sie 
nachgiebig. Einen Krieg wünschten sie zu vermeiden, da 
er eine unbequeme Steigerung der Kaisermacht bringen 
konnte. 


1) Gedruckt bei Ehses, Rómische Quartalschrift XX 54 unter 
dem Titel „Antwort der katholischen Fürsten auf die Denkschrift Karls V.“ 
Das Aktenstück ist nicht eigentlich eine Antwort, sondern eine Auf- 
zeichnung einzelner Fragen, die bei den mündlichen Besprechungen 
zu behandeln sind, 


53 53 


Mit ihrer ersten Antwort gab sich der Kaiser nicht zu- 
frieden. Er wiederholte ihnen nochmals die Erklärung, daß 
er um des Glaubens und der kaiserlichen Autorität willen 
und aus besonderer Liebe zur deutschen Nation sein Leben 
und sein Gut für die Regelung der Glaubensfrage einsetzen 
wolle. Er bat um nähere Ausführung ihrer Ratschläge '). 

Darauf gaben die katholischen Stände am 16. September 
eine eingehendere Erwiderung?) in der ihre Abneigung 
gegen den Krieg deutlicher zum Ausdruck kommt. Sie 
stellen sich, als ob sie den wahren Sinn der kaiserlichen 
Denkschrift nicht verstünden und berufen sich auf Karls 
eigenen Wunsch, daß der Krieg vermieden würde. Sie gehen 
soweit, dem Kaiser dafür za danken, daß er „die Zerstörung 
der deutschen Nation“, wie sie ein Krieg mit sich bringen 
würde, verhindern wolle. Aus ihrem Ratschlag werde der 
Kaiser schon entnommen haben, daß sie in keiner Weise einem 
gewaltsamen Vorgehen das Wort geredet hätten. Man solle 
dem Legaten begreiflich machen, daß man soweit wie möglich 
gehen müsse, um eine Einigung zu erzielen. Über die Form 
der Kriegführung brauchte ja nicht gesprochen zu werden, da 
der Kaiser zum Frieden entschlossen sei; sollte er sich 
anders besinnen und sich unbedingt für den Krieg ent- 
scheiden, würden die Stände ihr Gutachten nicht verweigern. 
Sie seien auch bereit, mit dem Kaiser Abmachungen über 
eine gemeinsame Verteidigung im Fall eines Angriffs von 
seiten der Lutherischen einzugehen. Unumgänglich sei die 
baldige Ansage.des Konzils. Ä 

Aus dieser diplomatisch sehr geschickten Erwiderung 
der katholischen Stände ist zu entnehmen, daß die mtind- 
lichen Anträge des Kaisers noch weiter gegangen sein müssen 
als die schriftlichen; wünschte er doch ibren Rat über die 
Vorbereitung und die Anlage des Feldzugs! 

Aber das Ergebnis dieser Rekognoszierung im katholi- 
schen Lager war für den Kaiser nicht sehr ermutigend. 
Campegio hatte ihm vorgestellt, daß die altgläubigen Fürsten 
ihm folgen würden, wenn er ihnen nur den Weg wiese?). 

3) A. a. O. XX 55 fl. 


2 A. a. O. XX 57. 
3) Campegio an Salviati 13. September. Ehs es a. a. O. XIX 146. 


54 54 


Das war unrichtig: wohl ließ auch die kaiserliche Politik 
einen entschlossenen Willen vermissen mit Rücksicht auf die 
mangelhafte Rüstung und die auswärtige Lage, aber ent- 
scheidend war die Abneigung der Fürsten gegen einen Krieg. 

Deshalb war es klar, daß die Kriegspläne zum mindesten 
verschoben werden mußten. In jenem Achterausschuß wurde 
ein Entwurf des Reichstagsabschieds aufgesetzt, der den Pro- 
testanten bis zum 15. April Bedenkzeit gab!). Die Lutheraner 
weigerten sich, ihn anzunehmen, und darüber kam es in 
Gegenwart des Kaisers am 23. September zu heftigen Aus- 
einandersetzungen zwischen ihnen und Joachim von Branden- 
burg, der sie einzuschüchtern suchte mit der Erklärung, der 
Kaiser sei mit den katholischen Ständen einen Bund ein- 
gegangen und werde auch die Übrigen christlichen Fürsten 
um Hilfe ersuchen, damit der neue Irrtum und die neue 
Sekte „gänzlich ausgerottet und deutsche Nation wiederum 
zu christlicher Einigkeit gebracht“ werde?). Joachim sprach 
aus, was der Kaiser wünschte. Wie wenig Anklang er aber 
bei seinen eigenen Glaubeusgenossen damit fand, das be- 
weisen die Entschuldigungen, die die Räte des pfälzischen 
Kurfürsten seiner Drohungen wegen bei den Kursachsen 
vorbrachten, und ähnliche Erklärungen Albrechts von Mainz 
und des Herzogs Ludwig von Bayern. 

Kriegerischer war die Sprache des Kaisers in dieser 
Zeit. Es war nicht nur der Zorn des Augenblicks, der ihn 
an jenem 23. September ausrufen ließ, nun seien nicht mehr 
Worte und Unterhandlungen, sondern nur die starke Hand 
am Platze“). Damals empfing auch Campegio die Genug- 
tuung, daß Karl ihm zugab, was er ihm bisher verweigert 
hatte: falls die Lutheraner bis zum 15. April keine Einigung 
herbeiführten, sei er entschlossen, sie zu züchtigen; aber dazu 
brauche er die Hilfe anderer“). 


1) Fürstemann a. a. O. II 474ff. 

) Walch, Lutheri sämtliche Schriften (Halle 1749 ff.) XVI 1865 ff, 

3) Ebses a. a. O. XX 63. 

4) Campegio an Salviati 24. September. Lämmer, Monumenta 
Vaticana S. 57f. Vermutlich in diesen Tagen sind in des Kaisers 
Umgebung entstanden die ,Articuli aliqui notati quomodo et qualiter 
Caesar rebelles in fide punire possit^. Maurenbrecher, Karl V. und 
die deutschen Protestanten. S. 16*—21 *. 


55 55 


Nachdem der Kaiser zuerst bei den katholischen Fürsten 
um Beistand geworben hatte, wandte er sich nun an den 
Papst mit einer Bitte um Subsidien. Er unter- 
nahm einen weiteren Versuch, Mittel bereitzustellen, die ihm 
gegebenenfalls ermöglichen sollten, den Konflikt durch das 
Schwert zum Austrag zu bringen. Die Form, in der das 
geschah, zeigt anschaulich, wie die deutsche Glaubensspaltung 
eben doch nur eine der verschiedenartigen Schwierigkeiten 
war, die Karl zu lósen hatte; gerade die Fülle seiner Auf- 
gaben ließ keine recht zur Erledigung gelangen. 

Karl war ohne Truppen über die Alpen gezogen. Die 
spanische Infanterie, die er nach Italien mitgebracht hatte, 
war dort für die Belagerung von Florenz verwandt worden. 
Nach dem Falle der Stadt stand dies Kontingent von 5 bis 
6000 Spaniern zur freien Verfügung, ebenso italienische 
Truppen. Freilich schien es angesichts der unsicheren Lage 
in Italien und der Revanchegelüste Frankreichs nicht unge- 
fährlich, Italien von Truppen zu entblößen, und die Vertreter 
des Kaisers warnten dringend davor. Jedenfalls wollte man 
dieses kleine stehende Heer, das einzige militärische Macht- 
mittel, das Karl für Mittel- und Norditalien, für Ungarn uud 
für Deutschland zur Verfügung stand, erhalten, und da die 
kaiserlichen Kassen wie immer erschöpft waren, suchte man 
die Mittel auf anderem Wege aufzubringen. 

Am 23. September ließ der Kaiser an Miguel Mai und 
an Loaysa schreiben, daß er die Hoffnung auf eine Einigung 
in der religiósen Frage aufgegeben habe!) Gleichzeitig 
bekam Juan Antonio Muxetula, der schon mehrfach von Karl 
in besonderen Missionen verwandt worden war und sich 


!) Der Kaiser an Miguel Mai, Augsburg, 23. September 1530 
(Simancas, Estado 1557 fol. 99—101. Ein Regest dieses Briefes gibt 
Gayangos, Calendar of State Papers [Spanish] vol. IV part I n. 434); 
.. . Lo de la fee esta, como os screvimos, en muy malos termines, que 
todo lo que si ha trabajado y trabaja, que no ha sido poco, no ha 
aprovechado para reduzirlos a ningund buen medio, de que no estoy 
con pequeño cuydado. Agora se traban algunos, para que sobresean 
en seguir sus errores y opiniones hasta el concilio. No respondemos 
a su Sat sobre ello, hasta que se tome resolución ... Vom gleichen 
Tage datiert ist ein ähnlich gehaltener Brief an Garcia de Loaysa 
(Simancas, Estado 1558 fol. 59). 


56 56 


gerade damals als kaiserlicher Kommissar im Heere vor 
Florenz befand i), den Befehl, nach Rom zu gehen und mit 
der Kurie über die Verwendung der 5—6000 Spanier zu 
verhandeln?). Sie zu entlassen, verbiete die Lage in der 
Christenheit. Um den Glauben stiinde es augenblicklich so 
schlimm in Deutschland, daß Papst und Kaiser auf der Hut 
sein müßten; „da der Winter herannaht und die nötige Zu- 
rüstung für Gewaltmaßregeln fehlt, muß die Exekution etwas 
verschoben werden“. Andererseits drohe für das Frühjahr 
ein neuer Türkenkrieg, und in Italien könnten auch Ver- 
wicklungen eintreten. Aus diesen drei Gründen müßten jene 
5—6000 Spanier und ein Teil der italienischen Truppen in 
Sold behalten werden. Ihr Zweck werde am besten erfüllt, 
wenn man sie nach Ungarn verlege, von wo sie leicht nach 
Deutschland gebracht werden könnten, um als Kern eines 
größeren, durch deutsche Landsknechte verstärkten Heeres 
zu dienen, und „wenn es nötig ist, Gewalt zu gebrauchen 
in der Glaubenssache“. „Wenn sie in Ungarn stehen, werden 
die Protestanten vielleicbt schon dadurch veranlaßt, zu ihrer 
Pflicht zurückzukehren, von der sie jetzt weit abgewichen 
sind; deswegen muß ihnen ein Aufschub gewährt werden, 
bis man zu besserer Zeit sieht, was sicb machen läßt.“ Da 
dies Heer in Ungarn jederzeit auch zum Schutz Italiens und 
zur Verteidigung von Florenz verwandt werden kann, muß 
von den italienischen Staaten ein Beitrag zu den Kosten 
erwirkt werden. Der Papst möge in diesem Sinne eine Auf- 
forderung an die italienischen Fürsten ergehen lassen und 
selber seinen Anteil an der Kontribution zahlen. 

Am 4. Oktober ging ein zweites kaiserliches Schreiben 
an Muxetula®) ab, das am 16. in der Kongregation der mit 
den deutschen Angelegenheiten betrauten Kardinäle verlesen 
wurde: Waffengewalt erscheine dem Kaiser und einigen 


1) Gayangos, Calendar of State Papers (Spanish) IV, 1 pag. XI. 

*) Karl V. an J. A. Muxetula 23. September 1530, s. Beilage Nr. 5. 
Vom gleichen Tage ist das Kredenzschreiben für Muxetula datiert 
(Simancas, Estado 1557 fol. 98). 

) Das Schreiben liegt mir nicht vor. Über seinen Inhalt be- 
richtet Loaysa im Brief an den Kaiser vom 20. Oktober 1530 (Coleccion 
de documentos ineditos XIV, 92). 


e 


57 57 


katholisehen Fürsten als das einzige Heilmittel (la: fuerza 
era el remedio) Der Papst müsse aber Hilfe leisten und 
die christlichen Fürsten dazu bewegen, das gleiche zu tun. 
Sämtliche Kardinäle, mit Ausnahme des französischen, sprachen 
sich für Erfüllung dieser Wünsche aus. 

Campegio glaubte seinen Weizen aufblühen zu sehen 
und warnte die Kurie davor, den Eifer des Kaisers erkalten 
zu lassen; dazu seien aber von ihrer Seite Taten, nicht nur 
Worte nötig!). 

Es ist unmöglich zu entscheiden, inwieweit bei diesem 
Hilfegesueh Karls der ernsthafte Wille, den Ketzerkrieg vor- 
zubereiten, mitsprach, und inwieweit der Kriegsplan nur ein 
Vorwand war, um das Geld für den weiteren Unterhalt der 
spanischen Truppen aufzutreiben. Jedenfalls erweist dieser 
eigentümliche Vorgang wieder, auf wie schwachen militüri- 
sehen Grundlagen Karls Weltmacht ruhte. 

Bei der Agitation für die Subsidienzahlung der italieni- 
schen Staaten wurde von der Kurie vorwiegend mit der 
Begründung gearbeitet, die Truppen sollten für den Ketzer- 
krieg dienen; die beiden anderen Gründe, die das kaiserliche 
Schreiben in gleicher Linie vorgebracht hatte, der Türken- 
krieg und die Erhaltung des Friedens in Italien, traten 
zurück?) In dieser Form kam die Nachricht auch nach 
Venedig, und zufolge der Schilderung des kaiserlichen Ge- 
sandten erregte es dort heiteres Erstaunen, daB der Papst 
glaube, die Stadt werde ihm eine Beihilfe für den Kampf 
gegen die Protestanten gewähren. Er müsse sehr schlecht 
informiert sein über die Stimmung in Venedig. Es gebe 
dort eine starke lutherische Partei, und die ganze Stadt 
wünsche das Konzil, damit dem Papst Ungelegenheiten er- 
wüchsen. Wie sollte da Venedig einen Finger rühren, um 
ibm das Konzil zu ersparen“)? 

Miguel Mai scheint für diese Kriegslust in Rom außer 


1) Campegio an Salviati 4. Oktober. Ehses, Römische Quartal- 
schrift XX 69f, 

Y) Francesco Gonzaga an Federigo Gonzaga 19. Oktober. Ge- 
druckt bei Pastor, Geschichte der Püpste IV, 2, S. 758, 

*) Rodrigo Niño an Miguel Mai, Venedig 27. Oktober, s. Beilage 
Nr. 8. 


58 58 


dem Wunsch der Kurialen, durch den Waffengang das Konzil 
zu vermeiden, das Gebaren Muxetulas verantwortlich gemacht 
zu haben. Wenigstens hat er diesen in Gegenwart von 
Zeugen gebeten, nieht über die Linie der kaiserlichen In- 
struktionen hinauszugehen, und ihn darauf aufmerksam ge- 
macht, daB in den Briefen des Kaisers von einem Kriegs- 
entschluß nicht die Rede sei, sondern nur davon, daß er 
„das Heer weiter erhalten und Kräfte sammeln wolle, um sich 
ihrer zu gelegener Zeit, wenn es nötig sei, zu bedienen“ ). 


Allgemein herrschte die Überzeugung, daß der Papst 
die Kriegspläne des Kaisers mit großer Freude aufnehmen 
werde, da sie ihn der Sorge des Konzils enthóben. Ohne 
Frage war bei den Kurialen dies Motiv mafgebend. Vor 
die Alternative gestellt: Krieg oder Konzil, war für sie die 
Wahl nieht zweifelhaft. Auch Klemens VII. hat zeitlebens 
den Konzilsplan als eine persónliche Beleidigung empfunden. 
Aber er wáre nicht der Mann von krankhafter Unent- 
schlossenheit gewesen, der er war, wenn er nicht auch in 
diesem Fall, wo doch der gegebene Weg so klar vorgezeichnet 
Schien, in sein gewohntes Zaudern verfallen würe. Zwar 
Sprechen die offiziellen Schreiben Salviatis an Campegio von 
der Genugtuung des Papstes, daD der Kaiser endlich der 
Frechheit der Ketzer energisch entgegentreten wolle; Clemens 
geht auch auf den Wunseh Karls in betreff der Subsidien- 
zahlung ein und will zu dem Behuf Breven an die italieni- 
schen Fürsten und Staaten schicken?). Aber von Ein- 
geweihten hören wir, daß der Papst vor lauter Sorgen über 
die Ausführung des Planes zu keinem Entschluß komme, 
Wohl sei es für die Autorität des Kaisers und des Papstes 
eine gefährliche Einbuße, wenn die Ketzer nicht bestraft 
würden; aber der Krieg koste viel Geld, und es bestehe die 
Gefahr, daß die Lutheraner sich mit den Fürsten verbänden 3). 
In seiner Bedenklichkeit ging Klemens so weit, daß er in 
jenen Breven von der Absicht, die Truppen für den Ketzer- 


1) Miguel Mai an Covos 21. Oktober, s. Beilage Nr. 7, 

2) Salviati an Campegio 13. u. 21. Oktober. Ehses, Römische 
Quartalschrift XX 76 u. XXI 114. 

) Francesco Gonzaga an Federigo Gonzaga 19. Oktober a. a. O. 


39 59 


krieg zu verwenden, niehts verlauten lassen wollte. Da die 
Kopie dieser Breven von Hand zu Hand gehe, sei Gefahr 
vorhanden, daß sie den Protestanten in die Hände fielen 
und sie reizten!)! Umgekehrt bat der Kaiser, den Ketzer- 
krieg in den Vordergrund zu stellen, nicht den Türken- 
krieg; denn mancher — dabei mag er wohl an Venedig 
gedacht haben — leiste vielleicht ungern der Machtent- 
faltung König Ferdinands Vorschub?) So scheinen die 
Rollen zwischen dem geistlichen und dem weltlichen Haupt 
der Christenheit vertauscht! 


Das Subsidiengesuch in Italien fand nur bei Wenigen 
Gehör, und der Ertrag war ganz gering. Weil man das 
Land nicht ungedeckt lassen wollte, unterblieb zunächst auch 
die Entsendung der spanischen Truppen nach Ungarn und 
kam erst im Sommer 1532 zur Ausführung. Die Erhaltung 
der spanischen Suprematie in Italien war letzthin für den 
Spanier Karl wichtiger als die Restauration der Glaubens- 
einheit und der Kaisermacht in Deutschland. 

Ebenso geringen Erfolg zeitigten die Bündnisverband- 
lungen in Deutschland. Mitte Oktober wurde noch einmal der 
Versuch gemacht, die katholischen Stände in einem Defensiv- 
bunde zu einigen und gegen etwaige Angriffe durch die Prote- 
stanten zu sichern ê). Karl mußte sich aber mit einer allgemeinen 
Formel im Reichsabschied begnügen: alle, die ihn annahmen 
verpflichteten sich und sagten sich zu, daß „keiner von geist- 
lichem oder weltlichem Stand den anderen des Glaubens halber 
vergewaltigen, dringen oder Überziehen dürfe"*) Anfang 
1531, anläßlich des zum Schutz der Wahl Ferdinands abge- 
schlossenen Bundes, trat man abermals mit dem Plan einer 
Offensivallianz an die katholischen Kurfürsten herau, wiederum 
vergeblich 5). 

1) Miguel Mai an den Kaiser 28. Oktober. Beilage Nr. 9. 

2 Campegio an Salviati 11. November. Lämmer, Monumenta 
Vaticana S. 63. 

3) Fórstemann, Urkundenbuch II 737. 

4) Neue und vollständige Sammlung der Reichsabschiede. Frank- 
fart 1747. T. 2, 316—317. 8 66, 72. 


5) Lang, Staatspapiere zur Geschichte Karls V. Stuttgart 1845. 
S. 57; Ranke S. W. 6, 141ff. 


60 60 


Wie die Verstindigung, waren also auch die Versuche, 
eine kriegerische Lösung vorzubereiten, mißlungen. Darüber 
brachten die Verhandlungen im September und Oktober vüllige 
Klarheit. Sie bestätigten Karls Mißtrauen gegen seine Kraft. 
„Ich sehe wohl, daß, wenn es Mittel gäbe, die Ketzer zu 
zwingen, man sie gerechterweise gegen sie wenden müßte; 
aber im Augenblick stehen sie mir nicht zur Verfügung, und 
die Jahreszeit ist sehr ungünstig. Das einzige Heilmittel, das 
bleibt, ist die Berufung des Konzils. (El remedio que queda 
es convocar el concilio.) !)“ So lebte der Konzilsplan von 
neuem auf — als ein Ausweg aus der Verlegenheit, nicht 
wie im Sommer als Preis und Krönung friedlicher Einigung. 
Wenn die katholischen Stände das Konzil wünschten, um 
den Krieg zu vermeiden, die Kurialen den Krieg, um das 
Konzil zu vermeiden, forderte jetzt der Kaiser das Konzil 
als das einzige Auskunftsmittel, da er den Krieg zwar für 
wirksamer, aber im Augenblick nicht für möglich hielt. In- 
sofern bestand auch für Karl die Alternative: Krieg oder 
Konzil. Wenn er aber für das eine wie für das andere 
seine Vorbereitungen trifft, so wird damit auch jene Mög- 
lichkeit angedeutet, die später Erfüllung werden sollte: daß 
man das Konzil zur Reform der Kirche berief und zugleich 
mit Waffengewalt die Protestanten dem Willen des Kaisers 
unterwarf?). 

Ende Oktober wurde Pedro de la Cueva von Karl nach 
Rom gesandt, und es gehörte zu seinem Auftrag, daß er 
dort von dem Aufschub des Krieges Mitteilung machte. 
Der Hauptzweck seiner Mission war, den Papst von der 
Notwendigkeit des Konzils zu Überzeugen, und er erreichte 
auch, daß Klemens wenigstens scheinbar die Unterhandlungen 
mit den übrigen christlichen Fürsten begann“). 

Es leidet nach den vorliegenden Äußerungen keinen 


1) Karl V, an Garcia de Loaysa 20. Oktober 1530, s. Beilage Nr. 6. 

2) Maurenbrecher, Studien und Skizzen zur Reformationszeit 
Leipzig 1874. 8.127: „Der Krieg gegen die Protestanten war die 
Ergänzung der konziliaren Leistungen.“ 

3) Die Instruktion für Pedro de la Cueva vom 30. Oktober bei 
Heine a.a O., S. 525—529. Ebenda der Brief des Kaisers an den 
Papst (S. 530—538). 


61 | 61 


Zweifel, daB der Kaiser, seitdem die Hoffnung auf die Nach- 
giebigkeit der Protestanten sich als eine Illusion erwiesen 
hatte, die Sache am liebsten mit dem Schwert ausgetragen 
hütte. Aber seine Politik empfing ihr Gesetz von fremden 
Gewalten, vor allem doch von dem ständischen Geist des 
Deutschen Reiches. Es erhellt aus den Verhandlungen mit 
Deutlichkeit, daB die katholischen Fürsten die Treibenden 
bei der Konzilsforderung des Kaisers waren, und daB der 
Kriegsplan vor allem an ihrem Widerstand scheiterte. Diese 
Stellungnahme war für sie ein Gebot der Selbsterhaltung. 
Wäre die Macht der protestantischen Stände gemindert worden, 
so hätten auch die katholischen unter den Rückwirkungen 
zu leiden gehabt. 

Wie ängstlich sie über der Erhaltung der ständischen 
Rechte auch der häretischen Fürsten wachten, das sollte der 
Kaiser nun auch bei den Verhandlungen über die . 
wahl erfahren. 


Beilagen). 


Nr. 1. 


Miguel Mai an Covos: Gegen die Teilnahme des Kaisers 
am Reichstag. 


Rom 1530 Mai 15. 
Simancas Generalarchiv, Estado legajo 853 fol. 36. 


. Dizen que se ha de hazer dieta en Alemania, y 
estos huelgan de toda cosa que sea dilación del consilio. 
No sé yo, si conviene al emperador hallarse en ella por 
dos cosas: la una, porque paresce que más imprime el 
miedo de dezir: irá que no el ser ido, porque en este 
caso la presencia les pone más temor y estan más unidos 
para no poderles entrar; y la otra, que haviéndose de 


1) Die spanischen Texte sind, wie schon erwähnt, einer Samm- 
lung von Abschriften entnommen, die Herr Dr. Josef Schweiger 
für das Preufische Historische Institut in Rom angefertigt und 
kollationiert hat. Die mir übertragene Bearbeitung erstreckte sich 
nur auf Herstellung der üuBeren Form, abgesehen von wenigen 
Stellen, an denen sich aus dem Sinn offensichtlich eine Emendation 
des Textes ergab; in zweifelhaften Füllen wurde von Veründerungen 
abgesehen. Nach Stieves Regeln habe ich y durch i ersetzt, wo 
das letztere heute üblich ist, und Akzente eingefügt; in der 
Interpungierung bin ich weiter gegangen, als es die spanischen 
Regeln zulassen, um dem deutschen Leser das Verstándnis zu 
erleichtern, 


62 | 62 


paetejar con los vellacos hareges, seria más honra que se 
hiziesse por otra mano. A este respecto dixe el otro dia 
al papa, que si era menester, que su S*i dispusiesse lo 
que se havria de condonar à los tales, y respondióme, que 
le cortassemos hasta la cinturá que por ella señaló. 


Nr. 2. 


Karl V. (Covos) an Garcia de Loaysa: Berichtet über seine 
Reise. 


München 1530 Juni 14. 
Simaneas Generalarchiv, Estado 1558 f. 74. 


Vi vuestra letra del dia de la acensión. A la primera 
os respondí de Inspruch, como avréis visto. Con todas las 
que me screvis huelgo mucho, y los consejos que me dáis 
los tomo como de quien sé que tan entrañablemente me 
ama y desea mi honrra y servicio, y asi recibiré plazer 
que siempre los continuéis, como lo hazéis. En Inspruch 
me detuve más dias de los que quisiera; que, como allí 
venieron los Ser” rey y reinas mi hermanas y algunos 
principes, y se comencó a platicar en lo que se deve hazer 
para el remedio de las cosas desta Alemaña, no pude hazer 
otra cosa. Parti el segundo dia de Pascua y mañana 
vispera de corpus Christi llegare, plaziendo à N. Ser, & 
Agusta para andar aquel dia en la procesión. Allí me 
estan esperando los principes electores y otros grandes del 
imperio, y con toda voluntad de conplazerme y servirme; 
espero que se dará tal horden en todo lo de acá, que se 
reduza à servicio de N. Ser y honrra de la fee catholica y 
al bien de la christiandad. Yo estoy muy cierto del amor 
que su St dezis que me tiene y no dubdo que irá en 
crecimiento, por que por mi parte no se faltará à ninguna 
cosa de las que para esto convengan . . . De Munich à 
14 de junio 1530 años. 


Nr. 3. 


Karl V. an Garcia de Loaysa: Antwort auf den Brief des 
Adressaten vom 18. Juli. Das Konzil ist unumgänglich. 


Augsburg 1530 August 2. 
Simaneas Generalarchiv, Estado 1558 fol. 60. 


Vi vuestra letra de 18. de julio y la que screvistes al 
comendador mayor, mi secretario, y, como os tengo scripto, 
huelgo mucho con todas y de ser de vos aconsejado v 
avisado, porque tengo conocido el entrañable amor que me 
tenéis. Y assi os ruego, que no canséis de hazerlo siempre, 


63 63 


en lo que toca al remedio de las cosas de la fee. Vos lo 
dezis muy bien, y así es lo que en ello y en todo lo que 
se ofrece hazéis, porque os doy muchas gratias. Por lo que 
destos se conosce, se tiene por cierto, que ningund medio 
puede aprovechar, faltando él que allá se ha scripto. La 
respuesta de su Si se espera dello y yo tengo por 
cierto, que, como quien tanto le toca y es obligado å 
procurar el servicio de N. Ser y la honra y defensión y 
acrecentamiento de su santa fee catholica, no rehusará de 
venir en lo que para ello conviene. Yo deseo que se 
pudiese remediar, sin que esta fuese menester. Pero cierto 
no ay otro ningund medio, y por esto os ruego, que, si ya 
su 84. no estuviere resuelto en ello y fuere menester, 
ayudéis y encaminéis, como en todo caso se determine luego, 
pues tanto importa. De mi creed, que con mi persona y 
con todas mis fuergas me emplearé en esto, sin faltar à 
ninguna cosa de las que convinieren. Huelgo de saber que 
estéis con mejor dispusición que otros veranos. Plega a 
dios que os dé la salud que deseáis. El enbaxador os 
comunicará lo que más ay que dezir. 
De Agusta á 2 de agosto 1530. 


Nr. 4. 


Entwürfe zu einer Antwort des Kaisers auf das Schreiben 
des Papstes vom 31. Juli 1530: Konzilsfrage. 


Undatiert. August 1530? 


Simancas Generalarchiv, Libros de Berzosa!) 8 (2010) 
fol. 25—29. 


I. Gutachten eines Unbekannten: Die Abneigung des 
Papstes gegen das Konzil ist offensichtlich. Die Antwort 
soll seine Besorgnisse zerstreuen. 

Las consideraciones que se han de tener para respon- 

der å la carta de su 84, son á mi parescer las 

siguientes: 
Primeramente, que el papa se vee claro que viene de mala 
gana a la convocación del concilio; antes se deve pensar, 
que mayor temor ternia su Si de la dicha convocación, 
si pensasse, que el emperador N. S. fuesse él que pro- 
curasse la convocación del concilio. 


1) Uber diesen Fonds des Archivs von Simancas vgl. Heine, 
Serapeum VIII (1844) S. 105. Er enthült Kopien, die Juan de Berzosa, 
den Philipp II. zu seinem Archivar in Rom ernannt hatte, dort 
anfertigte. Wie die gebeimen Akten und die nie abgesandten Ent- 
würfe des kaiserlichen Kabinetts in diese Sammlung geraten sind, ist 
unaufgeklárt. 


64 64 


Item se deve creer, que el mayor miedo del papa y 
de los eardenales deve ser, que en el dicho eoncilio se 
haya de reformar la iglesia universal, comengando por la 
cabeça y los miembros principales, como se deve y suele 
en todos los concilios passados hazer. 

Para remedio de lo susodicho la letra de su M* ha 
de ser fundada en 4 puntos: 

El primero, que se acepte y dé gracias por lo que 
scrive su 8d de querer convocar el dicho concilio, sin 
mostrar de haver entendido la poca gana que dello tiene. 

El segundo, scrivir que no quiso dar respuesta à su 
Si, sin que primero huviesse hecho todas las diligencias 
possibles para ver, si estos errores de Alemania se pudieran 
remediar, y que el remedio permanesciera sin la dicha 
convocación de concilio por quitar à su 8d de trabajo y à 
todos los demás. 

El tercero, responder y confundir las razones, que en 
su carta su S? trae para colorar, que no sea buena la 
convocación del concilio, pues ay evidentissimas razones 
para con verdad poderlas convencer. 

El quarto, con efficacissimas palabras offrescer á su 
Sa, que en esta convocación de concilio su Mi no permite 
á que se tracte ni intente cosa que sea un cabello en 
detrimento de la persona ni estado de su Si, antes terna 
Sobre sus ojos lo que tocare à la honra y exaltación de la 
sede apostolica, y replicar lo que á boca le prometió en 
Bolonia sobre esta misma materia etc. 


II. Erster Entwurf. 

III. Auszug aus dem Schreiben des Papstes vom 31. Juli. 

Los puntos principales de la carta de su 84, à que se 
ha de responder, son los siguientes etc. 


IV. Zweiter Entwurt. 


Recibi la carta de V. Si de ultimo de julio y con 
esta satisfaré à lo necessario della y primeramente le doy 
muchas gracias por tan buena voluntad, como tiene de 
querer convocar el concilio, sin tener respecto al trabajo 
de su persona ni á qualquier otro incomodo, en lo qual 
hará como verdadero santo padre y muestra bien el amor 
y cuidado que á las cosas de nuestra santa fee tiene y al 
remedio y provecho de toda la christiandad; y assi mismo 
he holgado que los R. cardenales diputados vengan con 
tan buen zelo y entera voluntad á este santo proposito. 

Assi mismo me han parescido bien todas las prudentes 
consideraciones que en la dicha carta de V. Si vienen. 


65 65 


Y acá tambien se me han representado otras razones que 
á mi persona tocan, como es: considerar la mucha necessi- 
dad que havria de mi presencia en los reinos de Españá 
para muchos buenos effectos, por donde me convernia 
abreviar la estada de mi persona en estas partes. Y jun- 
tados estos respectos con los que V. 84d scrive yo tuviera 
por bueno, que por el presente se dilatasse la convocación 
del concilio, con que à estos errores y heregias de Alema- 
nia se pudiesse dar algun buen remedio; y á este fin no 
me ha parescido responder à la carta de V. 84, sin tentar 
primero con los electores y principes del imperio todos los 
medios possibles para ver, si huviera forma o manera de 
poner en buen estado estas cosas, porque los princi- 
pes que estavan muy endurescidos en esta falsa opinión 
por diversos modos se han ya reduzido á se apartar de la 
mayor parte de sus errores, y acabado de tomar con estos 
algun assiento se puede esperar, que con las ciudades y 
pueblos, aunque tienen mayores y diversos errores, será 
más facil el camino de los convencer y retirar al verdadero 
conoscimiento. Pero ha de saber V. 84 que los electores 
y principes que bien sienten en la fee dizen, que el mayor 
fundamento y ayuda, que han tenido y tienen para traer 
los dañados à lo susodicho, es: darles certinidad de la 
prossima convocación del concilio, en el qual por la iglesia 
universal les prometen que seran declaradas todas las 
dubdas que agora tienen. Y por tener que hazer no 
solamente con los hereges que han movido estos errores, 
mas con todas las más ciudades y pueblos de Alemania, 
paresce que ay necessidad de authorizar la opinión verda- 
dera con el dicho concilio, y haviendo consideración á lo 
susodicho, me paresce: que la dubda que los R. carde- 
nales diputados hallan en que sería impertinente dar lugar 
å que se tornassen à disputar los errores y heregias que 
ya estan condemnadas por otros concilios no es bastante, 
aunque cierto dirían bien, si se pudiesse castigar el delicto 
con los derechos y como se executa en otras partes de 
nuestros reinos. Pero teniendo que hazer con unas de las 
mayores naciones de la christiandad, se deve tener por 
menos inconveniente sin ninguna comparación, tornarles à 
confundir por la universal iglesia sus errores que no 
comportar ó no poderles estorvar, que siguiessen fan daño- 
sa opinión con perdición de tantas animas y de las que 
más se podrían dañar; que sería muy mayor el escandalo 
y peor exemplo y mucho menos authoridad de la santa 
sede apostolica. Y tambien se ha visto en diversos con- 
cilios condemnarse una misma heregía por causas y necessi- 
dades que sobrevienen. 
Archiv für Reformationsgeschichte. XIII. 1. 9 


66 66 


Y á lo que dizen que no seria medicina bastante, 
para que aprovechasse más el futuro concilio que los 
passados, acá les paresce que para los pueblos general- 
mente no podria sino bazer muy gran provecho viendo la 
determinación, como dicho es, de la universal iglesia; 
porque los predicadores e inventores destas heregías con la 
cosa que más han engañado los pueblos, es: darles á creer 
que en todo lo que agora ellos diffieren de nuestra santa 
fee no es sino apartarse de las ordenaciones y ritos de la 
Romana iglesia, llamandolas abusiones y vanas cerimonias; 
y con estas falsas persuasiones en todo y por todo han 
procurado de quitar los mandamientos de la iglesia, porque 
no todo el vulgo puede saber lo que han condemnado y 
declarado los concilios passados. Y por esto paresce à 
todos los que tienen el fin bueno y sano en esta negocia- 
ción, que la declaración del nuevo concilio en esto quitaría 
de todo punto la authoridad destos predicadores con los 
pueblos que por ellos han sido seductos y enganados, y con 
su authoridad se allanaria todo; y siendo el concilio convocado 
en lugar libre, donde tanta multitud de buenos christianos con- 
eurreria, aunque algunos tuviessen qualquier mala intención, 
se deve pensar que no se podrían esperar sino buenos effectos. 

Quanto al parescer de los dichos cardenales diputados, 
que seria inconveniente tiempo el presente para convocar 
concilio por causa de la guerra que se espera no tanto de 
christianos como del Turco, à esto lo que todos los de acá 
juzgan es: que, pensando de hazer algun daño el Turco en 
la christiandad durante este tiempo, no solamente [no] 
seria el concilio dañoso, mas muy necessario, porque, 
hallándose todas las naciones y principes o sus embaxado- 
res juntos en el dicho concilio, podrian proveer más presto 
del remedio oportuno; y tanto que paresce solo por la 
dicha causa sería más que necessaria la convocación del 
dicho concilio, porque, en caso que el Turco entrasse con 
todo el poder que se teme, remedio de pocos principes no 
bastaria y, viniendo en el remedio toda la christiandad, se 
haria tan cumplido, que bastasse no solo para defender, 
más offender à los enemigos de nuestra santa fee, Y por 
esto no havria necessidad de deshazer el dicho concilio, 
porque dado en el la buena orden y recaudo que convernia, 
los unos se emplearian en el exercicio de las armas y los 
otros seguirian con su doctrina lo que convernia á la buena 
ordenación del dicho concilio, y assi los unos y los otros 
con el ayuda de nuestro Redemptor se emplearian en lo 
que a su santo servicio conviniesse. Y este paresce que 
seria el verdadero camino para escusar todas las difficul- 
tades y qualquier otro gran inconveniente. 


67 | 67 


Quanto à las benignas palabras llenas de toda con- 
fianga que de mi persona tiene, con la qual no obstante 
las alegaciones de los cardenales V. Si me remite este 
negocio como á persona que esta presente, para que eliga 
lo que más fuere al servicio de N. Ser y de su santa fee, 
yo le beso sus santisimos pies y digo, que me ha puesto 
mayor obligación de la que tenía, para mirar y pesar este 
negocio con aquella sana voluntad que un buen principe 
deve. Y visto estos dias despues de haver recibido la 
carta de V. S* lo que se puede esperar destos principes 
lutheranos con quien al presente se negocia, que, aunque 
con ellos se haya ganado harta tierra, es con presupuesto 
de lo que por estos otros principes le ha sido prometido 
del futuro concilio; y consideradas las razones que de allá 
se alegan y lo que acá sobrello se ha platicado con toda 
aquella curiosidad y diligencia que el caso requiere: mi 
parescer es, padre Beatissime, — por la obligación que 
devo á nuestro Redemptor y fermeza de la santa fee catho- 
lica y voluntad que tengo á la exaltación de la santa 
sede apostolica y comodo y honrra de la persona de V. Sd, 
— que V. B? deve convocar el dicho concilio con aquel 
más breve tiempo que le paresciere conveniente; que, pues 
se juzga ser tan necessario à todos, nos va mucho en 
verlo ya acabado com aquel bueno y santo fin que se 
espera. Y podrá bien creer V. S* y tener de mi entera 
fee, que acá se porna toda entera y possible diligencia e 
industria, para que en este medio tiempo del dicho concilio 
estos principes y pueblos hayan de observar todo lo que 
con ellos fuere concertado con aquella obediencia que 
deven y primero solian tener á la santa sede apostolica; 
y pues en todo esto interviene el RO cardenal Campegio 
su legado con la diligencia y prudencia que suele, el verá 
y será testimonio, que por nuestra parte no se omitirá 
cosa alguna para venir al effecto susodicho, y dará parti- 
cular aviso à V. St de todo lo que se concluyere con los 
principes y pueblos y la forma que se da para les hazer 
observar todo en lo que vinieren y fueren obligados. 

Quanto à lo que su Si scrive, que cerca de los abusos 
‚espera respuesta del legado y que embiará aquel remedio 
que convenga, assi por lo que conviene al bien del negocio 
como por eomplazer å su Mi —, que se le dan infinitas gra- 
cias y que assi lo deve de hazer, porque aprovechará 
mucho para las cosas de acá. Y pues el RO legado 
desde el primer día les ha prometido y publicado, que 
tenia comissión y ampla facultad para lo hazer, que es 
bien que assi se effectue, y que crea su Sè que por su 


M? nunca Je será demandada cosa que no convenga mucho 
5* 


68 68 


demás del servicio de dios á la authoridad de la sede 
apostolica., Y este es el punto más difficultoso que aqui 
hallamos y en que más trabajamos, porque cierto esta 
nación estava muy apartada de la obediencia de la dicha 
sede apostolica. En lo demás que dé su Si fee à todo lo 
que el embaxador le dixere etc. 


Nr. 5. 


Karl V. an Juan Antonio Muxetula: Soll sofort nach Rom 
zurückkehren und mit dem Papst über die Verwendung 
der Truppen vor Florenz verhandeln. 5-6000 Spanier und 
ein Teil der Italiener sollen entweder sofort nach Ungarn 
ziehen und auf gemeinsame Kosten der italienischen 
Staaten unterhalten werden, um gegen Türken oder Pro- 
testanten oder zum Schutze Italiens verwandt werden zu 
können, oder in Asti, Parma und Piacenza überwintern. 


Augsburg 1530 September 23. 
Simancas Generalarchiv, Estado 1557 fol. 96—98. 


He visto lo que dezis de como os parece, que se 
devria entretener la mayor parte dese exército ó à lo 
menos la infantería española y cavallos ligeros, y es todo 
muy bien y prudentemente dicho, y avemos holgado, que 
lo ayáis platicado con su 84 y de la buena voluntad que 
en su B'i para ello hablastes, que es la que de su muy 
santa persona se espera. Y por cierto que no avemos 
estado con poco cuidado mirando de la manera que agora 
estan las cosas de la christiandad, por que à no estar 
prevenidos su 84 y yo podrian suceder grandes males; 
que por una parte lo de la fe en esta Alemaña esta tan 
malo como suele y con poca esperanga de bien y, por ser 
agora tienpo de invierno y no tener el aparejo que es 
menester para usar de la fuerca, conviene dilatar algo la 
execución. Por otra parte esperase que el Turco verna el 
año que viene. Por otra las cosas de Italia no estan tan 
acabadas de asegurar, como convernia á la paz y sosiego 
que su S*! y yo desseamos; desaziendo del todo ese 
exército, no solamente no avría con que remediar lo que 
se ofreciese, pero sería dar cabsa á que hiziesen lo que 
quica no dexan de pensar, y Florencia no ternia la 
seguridad. Que es menester tenerlo en Italia, querría yo 
que fuese en parte donde no se diese cabsa de ningund 
inconveniente ni suspición y que à su S4 le agradase; 
pues enbiarlos al reino de Napoles, ya vos sabéis como 
esta aquel reino y que sería acabarlo de destruir y perder; 
y tanbien poderlo yo sostener todo, es imposible. 


69 69 


Por lo qual confiando de vuestra prudencia diligencia 
y fidelidad y de la voluntad que sé que tenéis para ser- 
virme, me ha parecido dar os trabajo que tornéis con 
toda la priesa que pudierdes á Roma á tratar y concertar 
esto con su 8d, y entretanto que vos lo hazéis, escrivo à 
Hernando de Gonzaga y al duque de Melfi que aviendo 
despedido los Tudescos, como esta dicho, que retengan 
los Españoles en aquella comarca donde estan, sin pasar 
adelante, y esperen á lo que vos les escreviréis de nuestra 
parte que avréis concertado con su S*4, Encargo os mucho, 
que, de qualquier parte donde este correo os toparé, sin 
poner en ello escusa ni dilación, todas cosas dexadas, 
bolváis con toda diligencia y priesa á Roma y por virtud 
de mi carta de creencia que con la presente vos enbio 
digáis de mi parte à su S*4, como me escrevistes la dicha 
platica que con su Biud pasastes, y lo bien que me ba 
parecido, y quanto conviene al bien de la christiandad y 
paz y quietud de Italia y seguridad de Florencia y bien 
suyo y mio, que su 824 dé orden, como podamos entretener 
esos 5 ó 6 mill Españoles y alguna más parte del exército 
en Ungria; porque alli podrian mucho aprovechar para 
qualquier parte que el Turco quiera acometer; y siendo 
menester usar de fuerga en estas cosas de la fe, estarian 
para ello allí muy á proposito, y ya podría ser, que fuesen 
cabsa, questos luteranos viniesen en lo que deven, de 
que agora estan muy desviados; por lo qual, como he 
dicho, se entiende en dar algund sobreseimiento para ver 
lo que viniendo el buen tienpo se podrá hazer. Y aun 
estando allí son bien á propósito para remediar qualquier 
cosa que se quisiese intentar para turbar la paz y quie- 
tud de Italia, y siendo los efectos para bien tan general 
de todos, mandandolo su S*4 no creo, que avria ninguno 
que se escusase de ayudar á ello. Y asi me parece que 
su S*e deve mirar la manera que en ello se terna, para 
que los potentados de Italia, pues es en bien general della, 
ayuden con lo que fuere menester, y su S*? por su parte 
haga lo mismo; que yo avré por bien de contribuir lo que 
su St“ mandaré. 

Platicädgelo todo y suplicádle de mi parte, lo mire 
y considere muy bien y vea lo que importa á nuestra 
fe y al bien de la christiandad y à la paz de Italia y 
seguridad de Florencia, en que tanbien avemos enbajado, 
y con la brevedad y buen efecto que es menester determine 
lo que en ello le parecerá, pues à anbos tanto nos va. 
La gente que deve ir de más de los dichos 5 mill 
Españoles, vealo su S'4, y si le pareciere, deven ir algunos 
eavallos ligeros y la cantidad de infantes italianos que 


70 10 


sea buena, que mi intención es que aya alli en Ungria 
este numero de gente de Españoles y Italianos, porque 
para qualquiera de las necesidades que he dicho, con 
estar tan á la mano los Alemanes, brevemente se podrían 
hazer tan buen exército como quisiesemos y pudiesemos. 
Entenderéis en ello con la buena manera que soléis y 
con el cuidado y diligencia que tal negocio requiere, 
trabajando el buen efecto por todos los medios que pudie- 
redes, avisándome muy particularmente de lo que en ello 
pasaré, y para si conviniere que vos habléis de mi parte 
á algunos enbaxadores de sus potentados o otras personas, 
os enbio las cartas de creencia. 

Si vieredes que despues de averlo vos muy platicado 
y porfiado à su 824 le pareciere dificultoso, lo que no 
creo, pues tanto cunple à servicio de nuestro Señor y 
aumento de su fe y bien de la christiandad y á su ser- 
vicio y al mio y à sostener la paz de Italia y tener 
segura á Florencia, platicádle otra manera para entretener 
este invierno los dichos 5 ó 6 mill Españoles para los 
dichos efectos. Y es, que su 8d devia ver en que partes 
podrían estar; las que acá pareciere es: algunos en el 
condado de Aste, los otros repartidos en tierras de Parma 
y Plazencia o en otras de aquellas comarcas, con que no 
sea en el Modenes ni en Rezo, por estar como está 
aquello puesto en mis manos, y durante el compromiso 
sería dar cabsa de grand suspeción. Parece que estos 
5 6 6 mill Españoles se podrian entretener este invierno 
en las dichas partes con darles alguna ayuda y no sueldo 
enteramente . 

Si en los dos medios que arriba he dicho no viniere 
su Sad, de que me pesaria mucho por lo que à anbos nos 
va, avisaréisme dello, para que yo vea lo que se hará de 
los dichos Españoles, y entretanto deténganse por donde 
agora estan, por que ir todos á Napoles seria acabarlo de 
destruir. 

Tanbien parece que seria algund ayuda, que como su 
S*4 queria tener en Florencia mill Españoles, toviese 
2 mil; y si quisiere que sean los 1 mill dellos à mi 
costa, podrianse pagar de Napoles; y en este caso se po- 
drian todos mejor retener en Italia, pues la mayor parte 
de los que quedasen podría estar en Aste. 

El medio postrero avéis de hablar, quando vieredes 
que su Sad no viene en lo primero, en lo qual avéis de 
insistir, quanto sea possible; ó si à vos os pareciere otros 
al dicho efecto, ponedlos delante y hazed en todo lo que 
de vos espero, avisándome particularmente de lo que 
pasaredes. 


71 71 


Todo esto comunicaréis con el muy R^ a 
d'Osma y con micer May, mi enbaxador, para que el 08 
por su parte ayuden lo que pudieren; que yo les escrivo 
solamente remitiéndome à lo que les diréis de mi parte- 

De Augusta à 23 de setienbre 1530 


Nr. 6. 


Karl V. an Garcia de Loaysa: Kann gegen die Ketzer nicht 
mit Gewalt vorgehen. Deshalb ist das Konzil das einzige 
Heilmittel. 


Augsburg 1530 Oktober 20. 
Simancas Generalarchiv Estado 1558 fol. 61—62. 


Todas vuestras letras de 25 de agosto, 11 del passado 
1, 2 del presente y las que avéis scripto al comendador 
mi secretario, he visto, y agradezco os mucho el trabajo, que 
tomáis en hazerlo tan continuamente y los buenos consejos 
que me dáis, los quales estimo en mucho y los recibo con la, 
buena voluntad y amor, [con] que sé que se dan, y pues as, 
es, no devéis cansar de continuarlo siempre y en ninguna 
cosa me podéis hazer más plazer. 

Las ocupaciones de aqui han sido tan grandes y traba- 
josas, que me desculpan justamente de la dilación, que ha 
avido en responder á su S' sobre lo del concilio; lo qual 
hago con don Pedro de la Cueva, que enbio á darle razon 
de lo que se ha hecho, que, como veréis por el despacho 
que lleva, es: averse ronpido la negociación sin tomar ningund 
asiento, que estos herejes han estado tan obstinados, que 
ningund medio ha bastado ni aprovechado para atraerlos 
á apartarse de sus errores, ni menos á que sometiesen á la 
determinación, que se hiziese en el concilio con las limi- 
taciones que dezis; que esto quisiera yo mucho, si se pudiera 
acabar. Bien veo, que, si oviera aparejo para forcarlos, 
justamente se pudiera emplear contra estos. Pero no lo ay 
de presente, ni yo tengo agora manera para ello, demás de 
ser el tienpo muy contrario. El remedio que queda es: 
convocar el concilio, el qual yo creo que su St, conosciendo 
las causas que le screvimos y lo que importa al bien de la 
christiandad y el daño que esta claro que redundaria á toda 
ella, no lo negara, aunque aya algunos inconvenientes que 
lo osten. Bien sabemos que vos avéis de ayudar lo que 
pudieréis en ello, y assí os lo rogamos, que por todas las 
vias que vierdes que pueda aprovechar encaminéis el buen 
efecto dello, aconsejando y hordenando á don Pedro lo que 
deviere hazer en todo. 

Entretanto no se dexa de pensar y mirar en lo que 


72 72 


eonverna hazerse en esto y de entender en tratar la eleción 
de rey de Romanos y en lo que más paresce que conviene ... 


De Augusta 20. de otubre 1530. 


Nr. 7. 


Aus einem Briefe des Miguel Mai an Covos: Gegentiber den 

Kriegstreibereien der Kurialen haben sich die Gesandten an 

die kaiserlichen Instruktionen zu halten, in denen von einem 

Entschlu zum Kriege gegen die Protestanten nicht die 
Rede ist. 


| Rom 1530 Oktober 21. 
Simancas Generalarchiv, Estado 849 fol. 97. 


... Estes clerigos, 6 porque se les haia dicho ó porque 
les sta bien, pensando por ay desviar el consilio, stan muy 
puestos en que haga la guerra á los Lutheranos, y todos 
sus conseios andan en esto. Y he oido que quieren scrivir 
al emperador, para que el scriva incitando á esto todos los 
principes christianos. Y porche yo no sé, si esto sta bien 
à su M., alomenos no sé ni se collige de mis cartas ni de 
las del Mugetola, que ste ahun determinando, si no de 
entretener el exército y colligir fuerzas, para aprovectarse 
del y dellas al buen tiempo, si fuere menester, ayer en 
presentia de Alonso Sanchis gelo dixe al Mugetola que no 
deviamos prendar al emperador, hasta que nos lo mandasse, 
sino tanto quanto se comprendia de sus cartas; y como su 
S. es cuerdo y agudo, cayó en la cuenta y parescióle bien 
y dixó, que assi lo haría . . . 


Nr. 8. 


Aus einem Briefe des Rodrigo Niño, des Gesandten Karls V. 

in Venedig, an Miguel Mai: Die Nachricht, daB der Papst 

Venedig um Subsidien für die gegen die Lutheraner zu ver- 
wendenden Truppen bittet, hat nur Heiterkeit erregt. 


Venedig 1530 Oktober 27. 
Simaneas Generalarchiv, Estado 1310 fol. 49. 


El sabado passado vinó correo dessa corte à esta señoria 
eon gran prissa, Ha se publicado que su Sè pide ayuda 
á este stado de gente para contra los luttheranos. Estoy 
muy maravillado, que no tenga su Sè aviso de que ay en 
esta tierra tanta parte de luttheranos que basta, para que se haya 
lo que se baze, que es: reirse muccho della; porque certifico 
á V. m. que no ay en toda esta ciudad persona que no 
dessee el consilio, como si del oviesse de succeder à cada 


73 13 


uno dellos un stado; y esto procede de que estan tan mal 
con su S3, que no se podría dezir. Han scripto aquí de la 
corte, que su M? embia à don Pedro de la Cueva à su S4, 
à darle razón de lo que ha passado en la dieta y dezirle, 
que no se puede scusar el consilio. Y estan tan alegres 
dello todos estos gentiles hombres venecianos, quanto se 
puede dezir, y loan al emperador N. S. por esto tanto, como 
porla paz que puso en Italia, que no lo puedo más encarescer. 
Supplico à V. m., me scriváis, si es verdad que su S? haya 
pedido á esta ciudad esta ayuda; que, siendo assí, es el 
mayor donaire, que nunca vi: estar su Si tan mal avisado 
de lo de aqui, specialmente que se publica que la pide, 
para que scuse el consilio . . . 


Nr. 9. 


Aus einem Briefe des Miguel Mai an den Kaiser: Der 
Papst will in den Breven an die italienischen Fürsten von 
einem Krieg gegen die Protestanten nichts sagen.  Abnei- 
gung der Venetianer gegen die Zahlung von Subsidien. 


Rom 1530 Oktober 28. 
Simancas Generalarchiv, Estado 849 fol. 101. 


Á los 21 deste octubre scrivi a V. M. Despues ha 
succedido, que, teniendo los breves que se han de embiar 
para los potentados de Italia concertados, à su S. paresció, 
que no era bien empenyarse en dezir de hazer guerra á 
los Lutheranos; porque yendo la copia dellos de mano en 
mano no les irritasse legando á ellos; y en esto paresce, 
que tiene razón, porque dize que lo quisiera hazer todo 
eon acuerdo y orden de V. M. 

El enbaxador de Venecianos en este día ha dicho al 
papa que tiene cartas de Venecia, ahunque no de la 
senoría, que allá pensaran mucho en la contributión de la 
empresa contra Lutheranos, porque en fin dizen, que es 
mover al Turcho, el qual despues del concierto de Bolonia 
siempre ha mirado mal sus cosas y rebufado á sus em- 
baxadores, maiormente porque dizen que, ahunque entre 
los principes christianos haya paz, no les paresce que sten 
tan sin sospecha, como sería menester . .. . 


Mitteilungen. 


Neuerscheinungen. 


Ein neues Lutherwerk. 


Otto Scheel, Martin Luther. Vom Katholizismus 
zur Reformation, Erster Band: Auf der Schule und Uni- 
versität, Tübingen, J. C. B. Mohr (P. Siebeck) 1916 XII, 309 S. (M. 7.50, 
geb. 9.50) Von eindringenden Studien über das Werden des Rofor- 
mators Luther wendet sich Scheel zur zusammenhüngenden Darstellung 
der gesamten Jugend- und Entwicklungsgeschichte des größten 
Deutschen, wie eine solche seit K. Jürgens' lüngst veraltetem Buche 
nicht wieder unternommen worden ist. Und gerade Scheels Werk 
zeigt auf jeder Seite, wie dringend erforderlich die Arbeit war, der er 
sich unterzogen hat. 

Von der auf zwei Bünde berechneten Darstellung liegt zunüchst 
der erste vor, der die ersten 22 Lebensjahre Luthers umfaßt, er reicht 
von der Geburt bis zum Eintritt in das Kloster der Augustiner zu 
Erfurt. Das Kind, der Knabe Luther ist natürlich wesentlich rezeptiv; 
die Aufgabe muß da zuvörderst sein, in die Umwelt des Heranwachsen- 
den einzuführen und zu sehen, was sie ihm mitgab. So führt uns der 
Verf. an die verschiedenen Státten, an denen das Dasein des jungen 
Luther sich abgespielt hat: Mansfeld, Magdeburg, Eisenach und Erfurt. 
In Mansfeld das Elternhaus und die Trivialschule, nach deren Er- 
ledigung die „erste Schülerfahrt“ nach Magdeburg zu den , Nullbrüdern* 
führt; weiter die letzten Schülerjahre unterhalb der Wartburg im 
romantischen Eisenach, wo das Andenken der ältesten deutschen 
Heiligen noch lebendig ist und helle und warme Lichter auf den Weg 
des werdenden Jünglings fallen. Endlich ist mehr als die Hälfte des 
Bandes der Schilderung der Studienjahre in Erfurt gewidmet: den 
äußeren Eindrücken der Stadt, der Universität und ihrer Organisation, 
dem philosophischen Studium Luthers, dem Übergang zur Jurisprudenz, 
endlich dem jähen Abschluß des Lebens in der Welt: der „Katastrophe“. 

Die Lektüre des Buches ist nicht leicht; Schritt für Schritt muß 
Verf. sich seine Bahn erst bereiten durch das Unkraut und unfrucht- 
bare Gestrüpp hindurch, das auf den Wegen sowohl der katholisch- 
tendenziösen wie der romantisch-erbaulichen Lutherbiographie aufge- 


75 75 


sprossen ist. Gerade der geringe Umfang des Quellenmaterials hat 
vielfach dazu geführt, jeder einzelnen Angabe übertriebene Bedeutung 
beizumessen, sie nicht nur von vornherein als an sich glaubwürdig an- 
zusehen, sondern sie auch zu verallgemeinern und weitestgehende 
Schlüsse auf sie aufzubauen, was um 80 bedenklicher ist, als früh 
der echten Überlieferung weniger lautere Zutaten sich beigemischt 
haben. Schon in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurden 
manche Worte und Angaben Luthers verbreitet, die weder ihrer Form 
noch ihrem Inhalt nach von ihm herrührten; die Lebensbeschreibungen 
des nämlichen Zeitraums aber trugen kein Bedenken, ihren Mangel an 
Fühlung mit urkundlichem Material durch Phrasen und unbeglaubigte 
Anekdoten zu verdecken. Dazu kommt dann, wie besonders bei den 
„Tischreden“ Luthers, eine keineswegs immer sichere und einwandfreie 
Uberlieferung. Unter diesen Umständen bleibt Scheel nichts anderes 
übrig, als jede einzelne Angabe der Quellen — oder was dafür gelten 
muß — unter die kritische Lupe zu nehmen, sie nach Herkunft und 
Überlieferung zu untersuchen, ihre Tragweite festzustellen sowie ein- 
gehend zu prüfen, wie sie sich zu dem verhält, was wir sonst positiv 
wissen oder was die Betrachtung der allgemeinen Lage, der fest- 
stehenden Verhältnisse, unter denen das Leben des jungen Luther sich 
abgespielt hat, an die Hand gibt. 

Dabei ist Scheel durchaus und bewußt der Versuchung entgangen, 
das Leben Luthers „sofort in die großen Zusammenhänge der an- 
brechenden neuen Zeit hineinzustellen“, „vorzeitig weitgreifende Zu- 
sammenhánge festzustellen, verfrüht auf Fragen und Antworten zu 
verfallen und Aussichten zu eröffnen, die schließlich doch verschleiert 
bleiben oder überhaupt keinen Inhalt gewinnen“. Er stellt im Gegen- 
teil ausdrücklich fest, daß das Geschlecht dem Luther entstammte, die 
Landschaft, in der es aufwuchs, die Erziehung, die Elternhaus, Kirche 
and Schule übten, „nicht die Verheißung einer großen Zukunft boten“. 
Aber ebensowenig enthielten sie Antriebe, die den Heranwachsenden 
irgendwie aus den Bahnen einer normalen Entwicklung hätten schleudern 
müssen, wie man dies neuerdings von gewisser Seite unter Anwendung 
der so biegsamen angeblichen Wissenschaft der Psychoanalysis gern 
glaublich gemacht hätte. Scheels Darstellung läßt die Haltlosigkeit 
dieser Bemühungen erkennen; sie führt beispielsweise das, was man 
wohl, auf verallgemeinerte Aussprüche Luthers hin, über seine harte, 
ja grausame Erziehung in Haus und Schule behauptet hat, auf das 
richtige Maß zurück. Es zeigt sich, daß die Härte, die Luther erfuhr, 
dem allgemeinen Maß der Zeit entsprach und keineswegs dazu be- 
rechtigt, von einer unglücklichen Kindheit des Reformators zu sprechen. 
So erinnert der Verf. mit Recht daran, daß neben jenen bekannten 
Angaben Luthers über die harte Zucht des Elternhauses andere 
Aussprüche stehen, wonach es die Eltern herzlich mit ihm gemeint 
haben, wie denn zweifellos der Vater der geistigen Entwicklung des 
Sohnes die liebevollste Teilnahme geschenkt hat. Auch die materiellen 
Entbehrungen des jungen Martin sind nicht derart gewesen, daß sie 


76 16 


ihn hátten niederdrücken und die Schwingen seines Geistes knicken 
müssen. Eingehend untersucht Scheel ferner die Art und Weise, wie 
das kirchlich-religióse Element der jungen Seele zuerst genaht ist und 
von ihr Besitz ergriffen hat. Es findet sich, daß auch von dieser 
Seite her Beunruhigungen und Störungen größerer Tragweite Luther 
nicht erwachsen sind; im Gegenteil: ,alles weist auf eine normale und 
kirchlich-korrekte, dem Ungewóhnlichen fernbleibende Entwicklung 
hin“. „Ruhig, gesund und erfolgreich“ — so faßt Scheel zusammen, 
als er den Siebzehnjährigen zur Universität entläßt (S. 119) — „hat 
dieser sich entwickelt. Krankhafte Störungen sind nicht vorhanden 
gewesen. Schreckhafte Zustände krankhafter Natur, eine überreizte, auf 
das Gebiet des geschlechtlichen Lebens streifende Phantasie, eine nervöse 
Überspannung mit ihren stark wechselnden Stimmungen sind weder 
angedeutet, noch zu vermuten.“ Über Luthers individuelle Fortent- 
wicklung während der Erfurter Universitätsjahre wissen wir wenig 
Positives. Nur der neueste katholische Darsteller weiß, in welchen 
Bahnen die Entwicklung des Jünglings verlaufen ist: bei der Aus- 
gelassenheit der Sitten in der Stadt, die Luther selbst in reiferen 
Jahren Bierhaus und Herberge der Unzucht nenne, seien jene ‚Jahre 
für ihn „gefährlich genug“ gewesen (Grisar, Luther I S. 5), Sehen wir, 
wie sich diesem Musterbeispiel exakter Darstellung gegenüber Scheel 
verhält. Läßt er es angesichts des Mangels bestimmter Angaben bei einem 
„Non liquet“ bewenden, oder beruft er sich etwa nur im allgemeinen 
auf die sittliche Widerstandskraft Luthers gegen Verlockungen und 
sittliche Verirrungen? Keineswegs! Er prüft zunächst die Verhältnisse 
und Bedingungen, unter denen sich das Dasein des Erfurter „Bursalen“ 
Luther vollzog und zeigt, daß die Lebens-, Studien- und Prüfungs- 
ordnung, die ihn band, zu Exzessen wenig Zeit und Gelegenheit übrig- 
ließ; dazu aber weist Scheel auch positiv auf den wichtigen Umstand 
hin, daß Luther das Ziel des Studiums, die akademischen Grade, in 
der kürzest möglichen Zeit erreichte, was ohne weiteres den Schluß 
an die Hand gibt, daß er sich der bestehenden Ordnung gefügt haben 
muß und weder notorische Vernachlässigung des Studienplanes, 
noch Übertretungen schlimmerer Art sich hat zuschulden lassen 
kommen. 

Wenn aber dergestalt aufs neue die normale Fortentwicklung 
Luthers — auch in den Studienjahren — zutage tritt, so wird die 
Frage um so bedeutsamer, wie es dann doch zu der „Katastrophe“ von 
1505 kommen konnte? Was führte diesen durchaus gesunden, in 
seinem Tun von Erfolg begleiteten Jüngling ins Kloster? Man wird 
nach Scheel nicht noch behaupten können, daß Luthers Schritt den 
natürlichen Abschluß einer immer mächtiger werdenden Sehnsucht 
bilde. Dem steht entgegen, daß Luther selbst seinen Entschluß als 
gewaltsam empfunden, ihn zeitweise bereut hat. Er ist ihm, wie 
Scheel betont, plötzlich abgepreßt worden unter den Eindrücken eines 
durch das bekannte Gewitter des 2, Juli ausgelösten Angstzustandes, 
der die klare Selbstbestimmung für den Augenblick aufhob. Auf der 


77 71 


anderen Seite ist das Gelübde an die heil. Anna aber doch auch inner- 
lich verständlich, nämlich als das Ergebnis eines Ringens um den 
gnüdigen Gott, das gerade damals am Ende des Mittelalters alle ernster 
gesinnten Menschen erfaßte und das auch die Seele des jungen Martin 
längst erfüllte, nur daß bis zu jenem folgenschweren Tage er vermeint 
hatte, auch mit den üblichen Mitteln des Weltchristen Gott genugtun 
zu können. Man mag außerdem wohl anch noch daran erinnern, daß 
das mönchische Ideal Luther schon früh — nämlich im Unterricht 
der ,Nullbrüder^ zu Magdeburg — nähergebracht worden war, auch 
wenn das zunächst ohne sichtlichen Einfluß auf ihn geblieben ist. 

Indem Scheel dergestalt den künftigen Reformator Schritt für 
Schritt in den Jahren des Heranreifens begleitet, erwachsen unter 
seiner ordnenden und gestaltenden Hand zugleich Bilder des spät- 
mittelalterlichen Daseins, die auch an und für sich betrachtet ein- 
gehendste Beachtung verdienen. Neben den Städteindividualitäten von 
Magdeburg, Eisenach, Erfart, die der Verfasser uns lebensvoll vor das 
Auge stellt, sei auf die Schilderung der Tätigkeit der Brüder des gemein- 
samen Lebens und vor allem auf die eingehende Darstellung der Uni- 
versität Erfurt zu Luthers Zeit hingewiesen; es ist das farbenreichste Bild 
vom deatschen spätmittelalterlichen Universitätsleben, das wir haben. 

Zutaten anderer Art sind eine Anzahl von Abbildungen, bei 
deren Auswahl die geschichtliche Treue ebenso Vorbedingung gewesen 
ist wie sie den Text beherrscht. 

Mit lebhafter Spannung dürfen wir dem Erscheinen des Schluß- 
bandes entgegensehen, den Verfasser trotz der Ungunst der Zeiten in 
jedeni Falle vor dem Reformationsjubiläum vorzulegen verheißt. 


Angesichts der allem Anschein nach bevorstehenden, engeren und 
dauernden Verbindung mit der ósterreichisch-ungarischen Monarchie 
ist ein noch vor Kriegsausbruch von G. Loesche abgefaßtes Schriftchen 
„Deutsch-evangelische Kultur in Österreich-Un- 
garn“ (Leipzig, Arwed Strauch 1915: 34 S.; Sonderabdr. aus , Deutsch- 
Evangelisch“) doppelt willkommen. Aus der Fülle seines reichen, 
best fundamentierten Wissens heraus stellt Loesche hier auf wenigen 
Blüttern übersichtlich zusammen, was Osterreich-Ungarns Kultur (ab- 
gesehen von Siebenbürgen, das von anderer Seite behandelt wird) dem 
Evangelium verdankt. Er weist nach, wie „deutsch-evangelisches 
Wesen in den Donauländern schlummernde Kräfte zu durchgreifenden 
Taten weckte, neues geistiges Sein schuf, neue religiöse, sittliche und 
allgemein kulturelle Werte ins Dasein rief, in Bewegung setzte, zu ver- 
heißungsvollen Bildungen bereitete“. In erster Linie kommen religions- 
geschichtliche und kirchenpolitische Errungenschaften in Betracht; da- 
neben aber verfolgt Loesche auch — im raschen Überblick durch die 
Jahrhunderte: die Zeiten der ersten Ausbreitung, der Gegenreformation, 
der beschränkten und der erweiterten Duldung — die deutsch-völkischen 
Wirkungen des evangelischen Prinzips sowie dessen Einflüsse auf das 
Staatswesen, auf Wissenschaft, Kunst und Literatnr, auf Handel, In- 


18 78 


dustrie und Ackerbau, woran sich endlich noch ein Hinweis auf die- 
jenigen schließt, die, von Österreich wegen ihres Glaubens ausgestoßen, 
Begabung, Gesinnung und Vermögen hinausgetragen und jenseits der 
schwarzgelben Pfähle fruchtbar gemacht haben. — Als Ergebnis seiner 
Untersuchungen kann Loesche feststellen, daß die deutsch-evangelische 
Kultur in Österreich-Ungarn „keiueswegs ein schüdlicher Fremdkörper ist, 
sondern eine nervige, fruchtbare Mutter, eine staatserhaltende und staats- 
fördernde Macht, die in wichtigsten Beziehungen Österreich-Ungarn erst 
in den Kreis der groBen Kulturreicheeingeführt, allenthalben aber Beweise 
des Geistes und der Kraft erbracht hat und trotz ihrer zahlenmäßigen 
Minderheit nirgends den Wettbewerb zu scheuen braucht*. 

Erich Koenigs fleißige und sorgsame ,Peutingerstudien* 
zeigen uns den Augsburger Patrizier zwar nicht wesentlich anders als 
wir ihn bisher zu sehen gewohnt waren; im einzelnen hat aber die 
Vertiefung in seine Persónlichkeit und das Studium seiner Schriften 
wie seines handschriftlichen Nachlasses (dessen Untersuchung und 
Wiirdigung Verf. sein besonderes Augenmerk zugewandt hat) die 
Linien des Bildes schärfer gezogen. K. betrachtet Peutinger in ge- 
trennten Abschnitten als Humanisten, als Bücher- und Handschriften- 
sammler, als Politiker, in seiner Stellung zur Handelswelt und zur 
kirchlichen Frage. Peutingers Bedeutung sls Humanist liegt nach 
dem Verf. wesentlich in seinen Sammlungen und den daraus hervor- 
gegangenen Editionen sowie den Anregungen, die er durch beides ge- 
geben hat. Wichtig ist er besondersfür die Geschichtsschreibung geworden 
als der erste, bei dem wir die methodische Erkenntnis treffen, daß dem 
urkundlichen Material ein höherer Wert als Geschichtsquelle zukomme 
als den Chroniken. Bei Peutinger als Politiker betont Verf. das 
nationale Element, seine deutsche Gesinnung, die in seiner Abneigung 
gegen das Welsche ihr Gegenstück findet, Eine nationale Seite hat 
auch Peutingers Eintreten für die Interessen des Großhandels, auf 
dem die Teilnahme Deutschlands am Welthandel beruhte; auf der 
anderen Seite verleugnet P. hier auch nicht den Augsburger und die 
Schichten, aus denen er hervorgegangen war. Von hier aus, von seiner 
Herkunft und bürgerlichen Stellung wollen aber nicht weniger seine 
kirchenpolitischen Anschauungen betrachtet werden; in ihnen kommt 
der Stadtschreiber, der Vertreter stüdtischer Interessen zu Worte, 
wührend seine Ideen über die Reform der Theologie die der italienischen 
Humanisten, eines Ficinus und Pico von Mirandula sind. Ein ernstes, 
sachliches Interesse an theologischen Fragen hat P. nirgends bekundet, 
auch nicht nach Luthers ‚Auftreten; seine kühle, verstandesmäßige, 
auf das Praktische gerichtete Sinnesart ließ ihn über die Glaubensfrage, 
die ringsum die Gemüter erhitzte, sehr ruhig denken. Dazu hielt ihn 
das Interesse seiner Vaterstadt Augsburg, das er vornehmlich in enger 
Verbindung mit dem Hause Habsburg sah, ab, sich als Anhänger der 
neuen Lehre zu bekennen. Um so größere Beachtung verdient es, 
wenn ihm gelegentlich die Bemerkung entschlüpft, letztere sei in der 
Schrift begründet — ein Ausspruch, den Verf. sich wohl mit Unrecht 


79 | 79 


bemüht, in seiner Tragweite abzuschwächen (S. 100). — Peutingers 
„Gravamina“ gegen die Bettelorden und ein Schreiben von ihm an den 
Rat der Stadt Konstanz von 1527 über die Religionsfrage finden sich 
neben anderen Quellenstücken im Anhang. — Studien u. Darst. aus d. 
Gebiet der Gesch. herausg. von Grauert IX, 1. 2. Freiburg, Herder 
1914. 178 S. M. 4.50, 

In Heft 119/120 der Schriften des Vereins für Ref. Gesch. führt 
Chr. Bürckstümmer die Geschichte der Reformation und 
GegenreformationinderehemaligenfreienReichsstadt Dinkels- 
bühl zu Ende (vgl. diese Zeitschr. Bd. 12 S. 318f.), Auch die Periode 
Kaiser Maximilians II. brachte den Evangelischen keinen vollen Triumph, 
sondern gegenüber der Mehrheit der Katholiken in der Stadt und einem 
fanatischen Rat, der alle Mittel anwandte, um sie niederzuhalten, nur 
vorübergehende Erleichterung. Mit dem neuen Jahrhundert brach 
dann, von dem Augsburger Bischof Heinrich von Knöringen inauguriert, 
mit voller Wucht die Gegenreformation über Dinkelsbühl herein und 
wandelte zwar nicht die.Gesinnung der Bekenner des Evangeliums, stellte 
aber den äußeren Fortbestand ihrer kirchlichen Organisation in Frage. 

Deren Retter wurde Gustav Adolf; aber schon zwei Jahre nach 
dessen Tode führte die schwedische Niederlage von Nórdlingen auch 
über Dinkelsbühl neue Bedrängnisse herauf; trotzdem waren die 
Evangelischen noch kräftig genug, um 1641 einen innerstädtischen 
Vergleich unter leidlichen Bedingungen zu erzwingen. Das weitere 
kirchliche Geschick der Stadt aber bestimmte der Westfälische Friede, 
und zwar auf dem Grunde der Parität; die Ratsstellen und öffentlichen 
Ämter wurden in gleicher Anzahl an beide Konfessionen verteilt, von 
denen keine die andere an der Ausübung ihres Glaubens hindern sollte. 
Die Darstellung wird belebt sowohl durch die Hereinbeziehung der 
großen Zeitverhältnisse wie dieSchilderungjeiner Anzahl hervorragender, 
mutiger und glaubenstreuer Persönlichkeiten auf evangelischer Seite. 
Leipzig, Komm, Verlag von R. Haupt 1915. 103 S. M. 1.60. 


Corpus Catholicorum. 


Einen ,Plan für ein Corpus Catholicorum" ent- 
wickelt J. Greving (Münster, Aschendorff; S. A. aus Theol. Revue 
14. Jahrg. Nr. 17/18; 16 S.). Er hat sich schon früher mit diesem Ge- 
danken (dessen Anregung übrigens noch weiter zurückreicht) beschäftigt, 
so im Programm zu seinen , Reformationsgeschichtlichen Studien und Tex- 
ten“ vom Jahre 1906. Er kann jetzt mitteilen, daß der Plan, und zwar in. 
weitestem Umfang erfaßt, verwirklicht werden soll; es soll eine eigene 
„Gesellschaft zur Herausgabe des Corpus Catholicorum", bestehend 
aus Stiftern, Gönnern und Teilnehmern mit bestimmten abgestuften Bei- 
trügen gebildet werden, und bereits sind zu diesem Behufe so stattliche 
Mittel zugesagt worden, daß Gr. ohne Verzug zum Werke selbst zu 
schreiten beabsichtigt. Uber die Nützlichkeit des Unternehmens, auf 


80 80 


die auch schon von evangelischer Seite mehr als einmal hingewiesen 
worden ist braucht man kein Wort mehr zu verlieren; mit Recht hebt 
z. B. W. Kóhler hervor, dad zur Wertung des Neuen, das Luther 
bringt, die gleichzeitige gegnerische Presse den besten Maßstab bietet. 
Allerdings ist den Leitern und Bearbeitern des C. C. eine gewisse 
Auswahl des Materials zu empfehlen; denn daß hier auch ein Zuviel 
statthaben kann und, wenn das Unternehmen erst in Gang gebracht 
ist, die Versuchung nicht ganz ferne liegt, auch Produkte minder- 
wertiger Geister an das unverdiente Licht des Tages zu ziehen, 
wird sich kaum leugnen lassen. Mit den Grundlinien des von Gr. ent- 
wickelten Planes kann man sich übrigens fast durchweg einverstanden 
erklären. Der Titel soll lauten: „Corpus Catholicorum. Quellen zur 
Geschichte der religiösen Bewegung in Deutschland von 1500 bis 1563“. 
Streng genommen wäre ja für Deutschland 1555 das gegebene End- 
jahr; die zeitgenössische Literatur über das Konzil gehört doch mehr 
in den allgemein europäischen Zusammenhang. Andererseits erscheint 
es durchaus berechtigt, über 1517 zurückzugehen, schon angesichts 
solcher kathischer Polemiker, deren beachtenswerte literarische Pro- 
duktion vor 1517 ihren Anfang nahm; überhaupt aber ist es natürlich 
von Interesse, einen Einblick in den Stand der theologischen Wissen- 
schaft und der religiösen Volksbelehrung in den letzten Zeiten vor 
Luthers Eintreten zu gewinnen, Geographisch und national bleibt das 
Unternehmen [auf Deutschland, das Deutsche Reich von damals, be- 
schränkt, mit der Erweiterung, daß auch solche fremde Schriftsteller 
Aufnahme erhalten, die auf die religiöse Bewegung in Deutschland 
Einfluß gehabt haben, wobei es sich allerdings wohl empfiehlt, hier 
tunliche Beschränkung walten zu lassen. Von großer Wichtigkeit 
sind natürlich die Briefe; allerdings erfordert die Herrichtung eines 
möglichst vollständigen Briefwechsels im allgemeiuen mehr Mühe und 
Arbeit als die Vorbereitungen für die Herausgabe der eigentlichen 
Werke. Immerhin wird man von vornherein auch die systematische 
Sammlung der Briefe ins Auge fassen müssen. Greving erblickt eine 
besondere Schwierigkeit in der Feststellung, ob ein bestimmter Brief 
schon gedruckt ist. Er scheint die schon (gut und erreichbar) gedruckten 
Briefe vom Corpus ausschließen zu wollen, was ich im allgemeinen 
doch kaum gutheißen möchte. Im übrigen beabsichtigt Gr. das Unter- 
nehmen gleichzeitig an móglichst vielen Stellen beginnen und die Hefte 
in zwangloser Folge und verschiedener Stürke erscheinen zu lassen, 
Statt etwa erst die gesammelten Werke eines Eck, dann die eines 
Cochlaeus, Fabri usw. herauszubringen, unseres Erachtens mit Recht. 
Steht doch zu erwarten, daß, wenn die Mittel vorhanden sind, es auch 
an den Krüften zur Ausführung der Arbeit nicht fehlen wird. Wir 
wünschen dem weitaussebenden, aber augenscheinlich wohlüberlegten 
Unternehmen das beste Gelingen! 


Druck von C. Schulze 4 Co., G. m. b. H., Gräfenhainichen. 


ARCHIV FUR. REFORMATIONSGESCHICHTE 


TEXTE UND UNTERSUCHUNGEN. 


In Verbindung mit dem Verein für Reformationsgeschiehte 
herausgegeben von 


D. Walter Friedensburg. 


X.łkll. Jahrgang. Heft 2. 


Das 
sogenannte Manuscriptum Thomasianum. IV. 
Aus Knaakes Abschrift veröffentlicht 
von 


O. Albrecht und P. Flemming. , 


Forschungen zur Politik Karls V. während 
des Augsburger Reichstags von 1530. II. 


Eduard Wilhelm Mayer. 


Die Wiedereinführung der Messe 
in Frankfurt 1535 


von 


Gustav Bossert. 


Mitteilungen 


(Ein Augsburger Privatbrief aus der Reformationszeit. — 
Neuerscheinungen.) 


Leipzig 
Verlag von M. Heinsius Nachfolger 
1916. 


Ausgegeben im Mai 1916, 
Preis für Subskribenten 2,65 M., einzeln bezogen 3,70 M. 


Reformationsgeschichtliche Schriften 


aus dem Verlage von M. Heinsius Nachfolger in Leipzig. 


4 


Barge, Hermann, Frühprotestantisches Gemeindechristentum in 
Wittenberg und Orlamünde. Zugleich eine Abwehr gegen Karl Müllers 
„Luther und Karlstatt". M. 10,—. 

Berbig, Pfarrer Dr. Georg, Der Veit-Dietrich-Kodex — Solgeri 88 — 
zu Nürnberg. Rhapsodia seu Concepta in Librum Justificationis aliis obiter 
additis 1530. M. 2,—. : 

Byland, Dr. Hans, Der Wortschatz des Zürcher Alten Testaments von 
1525 und 1531, verglichen mit dem Wortschatz Luthers. Eine sprachliche 
Untersuchung. M. 5,50. 

Clemen, Prof. D. Dr. Otto, Alexius Chrosner, Herzog Georgs von Sachsen 
evangelischer Hofprediger. Preis M. 2,—. 

— Georg Helts Briefwechsel. M. 5,50. 

— Studien zu Melanchthons Reden und Gedichten. M. 2,—. 

Hegler, Alfred, t Dr. und Prof. der Theologie in Tübingen, Beitrüge zur 
Geschichte der Mystik in der Reformationszeit. Aus dem Nachlasse 
herausgegeben und mit einer biographischen Einleitung versehen von Prof. 
Lic. Dr. Walter Kóhler. Mit einem Bildnis Heglers. M. 10,—. 


Hein, Karl, Die Sakramentslehre des Johannes a Lasco, M. 5.—. 


Humbel, Dr. phil. Frida, Ulrich Zwingli und seine Reformation im 
50 der gleichzeitigen schweizerischen volkstümlichen Literatur. 


Kalkoff, Paul, Die Miltitriade. Eine kritische Nachlese zur Geschichte 
des Ablaßstreites. M. 2,—. 


— Die Entstehung des Wormser Edikts. Eine Geschichte des Wormser 
Reichstags vom Standpunkt der lutherischen Frage. M. 7,50. 

Köhler, Lie. Dr. Walther, Bibliographia Brentiana. Bibliographisches 
Verzeichnis der gedruekten und ungedruckten Schriften und Briefe des 
Reformators Johannes Brenz. Nebst einem Verzeichnis der Literatur über 
Brenz, kurzen Erläuterungen und ungedruckten Akten. M. 25,—. | 


Meissinger, Karl August, Luthers Exegese in der Frühzeit. M. 2,75. 


Müller, Prof. D. Dr. Nikolaus, Philipp Melanchthons letzte Lebens- 
tage, Heimgang und Bestattung, nach gleichzeitigen Berichten der 
Wittenberger Professoren. Mit zwei Tafeln. M. 5,—. 


— Die Wittenberger Bewegung 1521 und 1522. Die Vorgünge in und um 
Wittenberg wührend Luthers Wartburgaufenthalt. Briefe, Akten u. dgl. 
und Personalien. 2. Auflage. M. 6,—. 


Seitz, Lic. Otto, Der authentische Text der Leipziger Disputation 
von 1519. Aus unbenutzten Quellen herausgegeben. 12,80. 


Wappler, Dr. Paul, Inquisition und Ketzerprozesse in Zwickau sur 
Reformationszeit. Dargestellt im Zusammenhang mit der Entwicklung 
der Ansichten Luthers und Melanchthons über Glaubens- und Gewissens- 
freiheit, M. 5,60. 


Wotschke, Lic. Dr. Theodor, Der Briefwechsel der Schweizer mit 
den Polen. M. 15,75. 


Zerener, Dr. Holm, Studie über das beginnende Eindringen der 
lutherischen Bibelübersetzung in die deutsche Literatur. Nebst einem 
Verzeichnis EA 681 Drucke — hauptsächlich Flugschriften — der Jahre 
1522 —1525. . 5, —. 


ARCH 


REFORMATIONSGESCHICATO 


TEXTE UND UNTERSUCHUNGEN. 


In Verbindung 
mit dem Verein ftir Reformationsgeschichte 


herausgegeben von 


D. Walter Friedensburg. 


Nr. 50. 
13, Jahrgang. Heft 2. 


Leipzig 
Verlag von M. Heinsius Nachfolger 
1916. 


Das sogenannte 
Manuscriptum Thomasianum. IV. 
Aus Knaakes Abschrift veróffentlicht 
von 


0. Albrecht und P. Flemming. 


Forschungen zur Politik Karls V. wáhrend 
des Augsburger Reichstags von 1530. II. 
Eduard Wilhelm Mayer: 

Die Wiedereinführung der Messe 
in Frankfurt 1535 


von 


Gustav Bossert. 


Mitteilungen 


(Ein Augsburger Privatbrief aus der Reformationszeit. — 
Neuerscheinungen.) 


Leipzig 
Verlag von M. Heinsius Nachfolger 
1916. 


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Das sogenannte 
Manuscriptum Thomasianum. IV. 


Aus Knaakes Abschrift veröffentlicht von O. Albrecht 
und P. Flemming. 


Dritter Teil. Nr. 94—126. 
Briefe Besolds an Dietrich aus den Jahren 1541— 1546. 
Erster Abschnitt: Nr. 94—110. 


Vorbemerkungen. 


Die dritte Abteilung des Manuseriptum Thomasianum 
umfaßt 33 während der Jahre 1541—1546 zumeist in Witten- 
berg geschriebene Briefe des Nürnbergers Hieronymus 
Besold!) an Veit Dietrich in Nürnberg. 

Der Briefschreiber, eines Kürschners Sohn aus Nürnberg, 
dort auf der Sebalder Schule unter Sebald Heyden vor- 
gebildet, bezog in jungen Jahren?) die Universitüt Witten- 


? Vgl. über Besold Will-Nopitsch, Nürnbergisches Gelehrten- 
lexikon I (1755) S. 108; V (1802) S. 86; Hirsch -Würfel, Diptycha 
ecclesiae Laurentianae (Nürnberg 1756) S. 7f.; ferner Kawerau, Beiträge 
zur bayrischen Kirchengeschichte 18, 38f.; vgl. unten S.122f, Nachtrag. 

) Will a. a. O. I, 109 gibt an, daß Besold 1562 im 42. Jahr seines 
Lebens gestorben sei, woraus Nopitsch a. a. O. V, 86 sein Geburtsjahr 
als „etwa 1520“ bestimmt. Er wäre also etwa 17 Jahre alt gewesen, 
als er sich in Wittenberg immatrikulieren ließ. Dazu stimmt durchaus 
seine Bemerkung in Nr. 95, daß er selbst wie manche andere Nürn- 
berger beinahe noch als Knabe auf die Universität gekommen sei: 
Profecto male agitur cum quibusdam, qui cum omnino pueri huc 
mittantur, non commendantur certis et privatis praeceptoribus. Ideo 
fit, ut vagentur sine duce et monitoribus in studiis, moribus et tota 
vita faciantque interdum iacturam temporis et pecuniae. Mihi certe 
propemodum idem accidit primis annis, qui tamen videbar mihi egregie 
doctus (2. Februar 1542, BbKG. 18, 42). Vgl. auch den Brief Melan- 
chthons vom 7. Mürz 1541 (s. u. S. 82 Anm. 2), in dem er ihn als 
adolescens bezeichnet. 

Archiv für Reformationsgeschichte. XIII. 2. 6 


82 2 


/ 


berg (Alb. 166: imm. S. 1537 Hieronymus Besholt 
Nurnbergensis) Neun Jahre hat ihn die Stadt, in der 
er die von ihm mit schwärmerischer Hingebung verehrten 
Heroen der Reformation hüren durfte, festgehalten. Selten, 
vielleicht nur zweimal, von kurzen Ausflügen abgesehen, 
scheint er sie in dieser Zeit verlassen zu haben, das eine 
Mal im Frühjahr des Jahres 1541, als er an dem Re- 
ligionsgespräch zu Regensburg teilnehmen durfte, wo er 
Veit Dietrich Famulusdienste leistete (s. Br. 108 1°), und dann 
im Jahre 1543!) im Herbst, als er seiner Gesundheit wegen 
eine Reise nach dem Rhein unternahm, die ihn tiber 
Frankfurt a. M., Mainz, Worms, Speier, Heidelberg auch 
einmal wieder in seine alte Heimat führte (Br. 107). Nach 
der Rückkehr von dieser Reise erwarb er in Wittenberg am 
31. Januar 1544 die Magisterwürde und wurde am 18. Ok- 
tober 1545 auch in das Kollegium der Artistenfakultát auf- 
genommen (Köstlin, Bacc. und Mag. III, 15. 22). 

Lange vorher schon war Melanchthon auf den 
strebsamen Studenten aufmerksam geworden uud hatte sich 
in seiner gütigen Art seiner warm angenommen. Er verfaßte 
für Besold auch einen Dankbrief an Hieronymus Baumgartner 
(CR. 4, 736 vermutungsweise in das Jahr 1541 gesetzt), und 
in seinen eigenen Briefen an Baumgartner und Veit Dietrich 
gedenkt Melanchthon seit dem Jahre 1541?) seines jungen 


1) Nach Will a. a. O. I, 109 ist Besold im Jahre 1543 auch nach 
Torgau gereist. Aus den Briefen läßt sich darüber nichts entnehmen, 
und vielleicht liegt bei dieser Nachricht eine Verwechslung mit 
Hieronymus Schreiber vor, s.Br.107, Anm.1. Es scheint sich aber dabei 
nur um einen kurzen Ausflug zu handeln, ähnlich wie bei den Reisen 
nach Leipzig, die sich aus den Briefen folgern lassen (Br. 100 und 101), 
und nach Dessan (Br. 1132). 

2) Zum erstenmal erwähnt ihn Melanchthon in einem Briefe an 
Baumgartner vom 7. März 1811: Nunc causam tibi adolescentis Hieronymi 
Pezolt commendo. Is petit stipendium theologicum, quod ut impetret, 
valde te oro, ut iis, penes quos est ius conferendi, commendes. Nam 
et sano ac modesto ingenio praeditus est, et in studiis bonarum disci- 
plinarum bene promovit. Probo eius actionem etiam et sonum vocis. 
Quare cum spes sit Ecclesiis docendis idoneum fore, rogo ne ei desis. 
Attulit mihi & te literas, cum primum huc veniret [also im Jahre 1537]. 
Cum igitur te praecipuum habeat patronum, neminem habet alium, ad 
quem confugiat etc. (CR. 4, 115). 


3 83 


Freundes mehrfach mit em pfehlenden Worten. Diese beiden 
Nürnberger Gónner sind denn auch tatkráftig für ihren 
Landsmann eingetreten, wie Besold selbst wiederholt bekennt. 
Ihnen vornehmlich verdankte er die. reichen Unterstützungen 
von seiner Vaterstadt, die ihm den langen Aufenthalt in 
Wittenberg ermüglichten. 

Zum Danke richtete Besold nicht nur die Auftrüge 
beider, besonders Veit Dietrichs, in Wittenberg aus, indem 
er die Geldangelegenheiten der andern Nürnberger Studenten 
regeln half und tiber deren Studien Bericht erstattete, sondern 
er bemühte sich auch nach Kräften, die Wißbegierde Dietrichs 
in betreff aller Wittenberger Vorgánge zu befriedigen. Dazu 
bot sieh ihm besonders Gelegenheit, als er, was ihn un- 
beschreiblich glücklich machte, durch Vermittlung von Rórer 
seit dem 26. Mürz 1542 Zulassung an Luthers Tisch ge- 
funden hatte und nun tagtáglich in dessen Haus ein- und 
ausgehen durfte (s. Br. 96). So kann er nicht bloß von 
Vorlesungen Luthers, Melanchthons und Crucigers, von 
Predigten, Disputationen und Promotionen berichten, Ab- 
schriften von Vorlesungen und Predigten — er scheint ein 
gewandter Nachschreiber gewesen zu sein — sowie von 
Briefen der Reformatoren besorgen, neu erschienene Schriften 
übersenden, sondern er ist jetzt auch in der Lage, als un- 
mittelbarer Ohrenzeuge der Gespräche Luthers zu erzählen, 
wie dieser über die Zeitereignisse und Zeitgenossen, über 
Schriften der Gegner und der Freunde der Reformation ur- 
teilte, welche literarischen Pläne er verfolgte usw. So sind 
die Briefe auch eine wichtige Quelle für einen Teil von 
Luthers Tischreden aus seinen letzten Lebensjahren, denn 
sie bieten die ursprüngliche Niederschrift eines Hörers mit. 
Angabe des Tages, an dem die Äußerung Luthers gefallen ist 2). 


1) Die von Kroker, Lutbers Tischreden in der Mathesischen 
Sammlung S. 333 ff. unter Besolds Namen mitgeteilten Tischreden aus 
dem Jahre 1544 ergeben auffallenderweise mit unsern Briefen fast gar 
keine Berührungspunkte. Gehen sie vielleicht gar nicht auf Besold 
zurück oder nur auf ihn als Abschreiber? Und die von Kroker 
ebenda S. 247ff. abgedruckten Tischreden aus den Jahren 1542 und 
1543, in denen Besold auch schon an Luthers Tisch saß, sind nach 
dem berufenen Urteil Krokers so gut wie sicher Kaspar Heydenreich 
zuzuweisen (vgl. noch unten zu Nr. 96°). — Daß aber Besold Tisch- 


6* 


84 4 


Sie haben mehrfach Beachtung gefunden (s. auch S. 122f. 
Nachtrag). Köstlin hat sie für seine Lutherbiographie aus- 
gebeutet und ihnen manche bis dahin unbekannte wisseuswerte 
Notiz entlehnt (vgl. ARG. 12, 206). Seidemann hat gerade 
diese Abteilung vollständig und mit großer Sorgfalt ab- 
geschrieben (ebenda S. 209f) Kawerau hat 2 Besold- 
briefe aus unserem III. Teil des Manuscr. Thomasianum in 
seinem Briefwechsel des Justus Jonas abgedruekt (Nr. 97 
und 119)!) und später weitere 8 Briefe Besolds (Nr. 94—96, 
98—102) in den Beiträgen zur bayerischen Kirchengeschichte 
18, S. 39ff. und S. 82ff. veröffentlicht. Von diesen 10 schon 
gedruckten Nummern unsers III. Teils wird unten nur der 
Inhalt angegeben und einiges zu den Erläuterungen Kaweraus 
hinzugefügt. Die noch verbleibenden 23 Nummern drucken 
wir nicht nach der zufälligen Ordnung, in der die Hand- 
schrift sie bietet, sondern nach ihrer deutlich erkennbaren 
zeitlichen Reihenfolge. 

Über Besolds weiteren Lebensgang seien noch einige 
Worte hinzugefügt. Er blieb bis zu Luthers Tod dessen 
Haus- und Tischgenosse. Dann nahm ihn Melanchthon in 
sein Haus (s. Nr. 119), aber als der Schmalkaldische Krieg 
ausbrach, kehrte er in seine Vaterstadt zurück (2. November 
1546 nach CR. 6, 257f... Er wurde zuerst Mittagsprediger 
an St. Jakob, beteiligte sich (seit mindestens Dezember 1546) 
als Lehrer an den akademischen Vorlesungen, die der Nürn- 
berger Rat für die durch den Krieg zum Verlassen der Witten- 
berger Universität genötigten Studenten eingerichtet hatte?), 


reden Luthers aufschrieb, bezeugt auch seine inhaltreiche Vorrede 
vom Jahre 1554 zum 4. Teil der Genesisvorlesung Luthers (W. A. 44, 
S. XXXII ff.); doch auch die dort mitgeteilten bemerkenswerten Aus- 
sprüche sind nicht in die alten Sammlungen übergegangen. — Auf 
eine andere derartige Tischredenquelle, nümlich auf Schriften des 
Erasmus Alber, hat kürzlich E. Kórner in ARG, 11 (Nr. 19) S. 134 ff. 
aufmerksam gemacht. Vgl. Br. 103 Anm. 9. 

1) Irrtümlich steht ARG. 19, 206 nur ein Besoldbrief. Zu den 
acht Jonasbriefen des Manuscr. Thomasianum s. unten den IV. Teil. 

2) Will a. a. O. I, 108 sagt: „Er soll zuerst Kollege der Sebalder 
Schule in Nürnberg gewesen sein“ und dann: „Er soll auch als 
Professor am Gymnasio Egidiano doziert haben.“ Schon diese vor- 
sichtige Fassung zeigt, daß eine bestimmte Nachricht darüber nicht vorlag. 


5 | u 85 


und erhielt nach dem Tode Wenzel Links!) dessen Amt als 
Prediger am Neuen Spital (nach dem März 1547). Am 
30. Januar 1548 heiratete er Osianders Tochter Katharina. 
Als Osiander infolge seiner schroffen Ablehnung des Interims 
aus Nürnberg fortging, ließ Besold sich vom Rat noch gegen 
Ende desselben Jahres beschwichtigen und zum Bleiben be- 
wegen?) ja später bei Ausbruch des Osiandrischen Síreites 


Die erste Notiz scheint zurückzugehen auf einen Brief Melanchthons an 
Besold, 16. Juni 1547 (CR, 6, 577, abgedruckt ans Mel., Epp. liber V, 
220, von Würfel schon angeführt): Quare et mandavi his auditoribus tuis 
Sebaldinis, ut isthic ad te accedant, tuam familiaritatem appetant, te 
colant etc. Hier kann es sich aber wohl nicht um jüngere Schüler 
handeln, sondern um Studenten, die, weil die Wittenberger Universitüt 
noch nicht wieder „angerichtet“ war, an den in Nürnberg eingerichteten 
akademischen Vorlesungen teilnehmen wollten. Aus der Bezeichnung 
Sebaldinis möchte man allerdings schließen, daß die Vorlesungen in 
Ráumen der Sebaldusgemeinde stattfanden, wührend die Studenten . 
Unterkunft und Kost im Neuen Spital fanden, mit dem das Alumnat 
der zwölf Knaben verbunden war. Aus einem früheren Briefe Melan- 
chthons an Besold, geschrieben am 23. Januar 1547 (CR. 6, 370), geht 
hervor, daß Besold schon damals gleichzeitig im Schul- und Kirchen- 
dienst tátig war: Cum autem patria te ad docendum et in Schola 
et in Templo vocarit, annitere omni studio, ut ministerium omnibus 
virtutibus ornes. Mit dieser Schola kann aber nur die vom Rat neu- 
geschaffene Einrichtung für die Studenten gemeint sein, von der schon 
am 15. Dezember 1516 Veit Dietrich an Heß geschrieben hatte (s. o. 
5.36 Anm. 11): Hic lectiones multiplicavimus, ut hic quoque Scholae 
specimen videas. Rotingius dialecticam et Demosthenis orationem pro 
corona legit, Affinis meus Joachimus Heller Sphaeram. M. Hieronymus 
Besold rhetoricam et Vergilii Georgica, Ego Esaiam lego 
domi (also im Sebalder Pfarrhaus]. Habeo auditores plus minus 80. 
Da Roting und Heller sonst an der Egidienschule wirkten, erklürt sich 
wahrscheinlich daraus die oben erwähnte andere Überlieferung, daß auch 
Besold, der hier mitilinen zusammen tätig erscheint, Professor am Egidien- 
gymnasium gewesen sein soll. — Auch Melanchthon weiß von dieser 
Nürnberger Schuleinrichtung schon im Dezember 1546 (Br. an Eber, 
25. Dezember 1546, CR. 6, 332): Georgius (Major) vocatur Norimbergam 
et datur Hieronymo Besoldo stipendium. Ibi etiam collectae sunt aliquae 
nostrae scholae reliquiae, Aliquot enim pauperibus scholasticis nostris 
hospitium et victus datur in xenodochio, et Vitus enarrat Esaiam. 

1) Link starb 12. März 1547. Der oben S. 35 abgedruckte Brief 
wird also nach diesem Datum anzusetzen sein. 

*) Vgl. auch BbKG. 5, 286 und Raumers historisches Taschenbuch 
VI, 11 (1892) S. 220ff. 


86 6 


nahm er gegen seinen Schwiegervater Stellung und unter- 
schrieb die Gegenerklárung von 1555 (CR. 8, 563). Zu- 
sammen mit Moritz Heling hat er dann in einer Art Super- 
intendentenstellung, und zwar als strenger Lutheraner, der 
Kirehe seiner Vaterstadt gedient, auch die Visitation im 
Jahre 1560/61 mit geleitet‘). Ende Juni 1562 wurde er 
Prediger an S. Lorenz, starb aber bereits Anfang November 
desselben Jahres an der Pest. 


Literarisch hat er sich verdient gemacht durch Fertig- 
stellung der Ausgabe von Luthers Genesisvorlesung, die von 
Veit Dietrich unvollendet hinterlassen war?) (Teil II, III, IV, 
erschienen in den Jahren 1550, 1552, 1554). Er durfte 
dabei die inzwischen verschollene Nachschrift von Georg 
Rörer benutzen, mit deren eigenartigem Abkürzungssystem 
Besold sich wohl schon in seiner Wittenberger Zeit vertraut 
gemacht hatte. Wie es scheint, plante er auch eine Ausgabe 
von Luthers Vorlesung über Jesaias?) zu der es aber nicht 
gekommen ist. 


1) Hierüber s. Siebenkees, Materialien z. Nürnb. Gesch. I (1792) 
S. 234, l 


2 S. Weim. Lutherausg. Bd. 44 (1915) S. XIf., XXXff. und 
Flemming in BbKG. 19, 31 ff. 


3) Vgl. dazu W. A. Bd. 25, 79ff. Die Notiz aus einem der beiden 
alten Kataloge über die Rörerhandschriften in Jena (Bos. q 25° 
[nicht bh, aufgestellt den 25. Maii des lvii Jars: Vor ij Jaren hat 
M. Joh. Stoltz seliger mit mir gehandelt, das ich meynen Esaiam Im 
zusenden sol, so wolle er denselbigen weitter schicken an Jeronimo 
peschel, prediger zu Nurnberg Im spital, das ers brauchen sol neben 
seynem exemplar, den Esaiam zu complirn vel locupletirn, hat es nicht 
wider „geschickt,. [An den gesperrt gedruckten Stellen ist der Ab- 
druck in W. A. 25, 80 zu berichtigen] Der Ausdruck ,neben seynem 
exemplar^ kann nicht eine Nachschrift der Vorlesung durch Besold 
bedeuten. Die Jesaiasvorlesungen Luthers vom Jahre 1527—29 hatte 
ja Besold selbst nicht gehórt, wohl aber die reichere Auslegung zu 
Jes. 9 Weihnachten 1543 (vgl. unten Br. 109!*) und zu Jes. 53 Ostern 
1544, und nur von diesen konnte er wohl eigene Nachschriften benutzen, 
Vielmehr wird an die Nachschrift eines Dritten zu deuken sein, die 
in Besolds Besitz gelangt war. Vielleicht ist mit ,seynem exemplar“ 
die Nachschrift Dietrichs gemeint. Vgl. Besolds Brief an Rörer 
vom 16. April 1550 (BbKG. 19, 33): Esaiae commentarium inspexi, quem 
collegit Vitus ex ore Lutheri. Sed quantum vidi, parum distat ab 


T 87 


Nr. 94. Hieronymus Besold an Veit Dietrich, 10. De- 
zember 1541. Abgedruckt von Kawerau, Beitr. z. bayer. 
Kirchengeschichte 18, 39f. 


Brief Dietrichs am 30. November durch Melan- 
chthon erhalten. Bedanern über Dietrichs Erkrankung 
und Abwehr seiner Vorwürfe wegen vermeintlicher Säumigkeit 
im Briefschreiben. (Michael) Besler hat nur einen Teil 
seines Geldes durch M. Georg (Rörer) bekommen. Wegen 
des Geldes für Moses Hermann!) wird Mathesius 
selbst schreiben. Es ist noch in der Verwahrung von 
D. Baltasar?) Als Schnurrus?) sich sein Geld in 
Leipzig bei Ortels*) Diener abholte, hat dieser mit ihrem 
Einvernehmen das für Hermann bestimmte Geld an 
D. Baltasar abgegeben. — Der junge Joh.a Corduan 
erlangte auf Dietrichs Zettel hin sogleich Empfehlung von 
Melanchthon, der sich aber beim Lesen über die un- 
leserliche Schrift des Namens Sitzinger (dessen Neffe°) 
jetzt bei Hieronymus Schreiber) tadelnd äußerte. 
Mit ihm selbst hat Melanchthon sehr freundlich ge- 
sprochen. — Spaßiges Zusammentreffen mit Melanchthon 
auf dem Rathaus beim Abendtanz auf Melchior Klings 
Hochzeitsfeier. 

Luther hat vor wenig Tagen in seiner Genesisvor- 
lesung mit Kap. 26 begonnenf. Melanchthon erzählte 
in seiner Vorlesung über Loci communes von Grausamkeiten 
des Türkensultans (vgl. Enders-Kawerau 14, 1274) und 


aliis multis in locis, quae edita sunt. — Jene Verhandlungen des 
Weimarschen Hofpredigers M. Joh. Stolz mit Rórer erklüren sich 
daraus, daß Stolz neben Aurifaber den Druck der Jenaer Luther- 
ausgabe mit zu leiten und zu überwachen hatte (im Weim. Archiv 
O 774 befinden sich noch verschiedene Schreiben von Stolz an Rörer 
aus dem Jahre 1555 wegen des Drucks). — Zu den verschiedenen 
Jesaja-Auslegungen vgl. noch Erl. Ausg. op. lat. ex. 23, 299; dazu 
Kóstlin^ IL, 588 nebst Anm. S. 690, wo auch eines Besoldbriefes im 
Manuscr. Thomasianum gedacht ist (Nr. 109!?), — Nach Weim. Arch. 
O 775 besa8 Besold auch Nachschriften von Luthers Predigten über 
Evang. Matthäi Kap. 18—24 und über Johannes Kap. 1—4 (gehalten 
1537—40). Vgl. W. A. 46, S. XI u. 538 ff.; Bd. 47, S. VII ff., I ff., 
232 ff. 


88 8 


tadelte oft die Fürsten wegen ihrer Gleichgtltigkeit in so 
gefährlicher Zeit. In seiner Vorlesung über Aristotelis Ethik 
I, 5 äußerte er sich bitter über Fürsten und Ritter, die ihre 
Zeit mit Teilnahme an Erörterungen über theologische Streit- 
fragen verlóren oder an ihr Vergnügen düchten, statt das 
Schwert gegen die Türken zu ziehen. Dabei denke er an 
Paris bei Homer (Ilias III), der zuerst scheinbar mutig den 
Kampf mit Menelaus aufnehme, dann aber sich gern von 
Venus retten lasse, unbekümmert um seines Volkes Schicksal. 
Rörer will sehen, ihm einen Platz an Luthers Tisch im 
kommenden Sommer zu verschaffen. — Gruß an Dietrichs 
Frau und Kinder. 


1) Moses Hermann, vielleicht ein Sohn des Kantors Nikolaus 
Hermann, wirkte später in Joachimsthal (Lósche, Mathesius I, 89, 143). 
Magister wurde er am 15, Oktober 1549 (Köstlin, Bacc. IV, 9: Moises 
Hermannus Vallensis). 


*) D. Baltassar künnte wohl Baltasar Loy aus Salzburg (Pfarrer 
an der Thomaskirche in Leipzig, gestorben im Jahre 1515) sein (vgl. 
über ihn Enders 6, 208), Die Wittenberger Studenten holten sich ihr 
Geld öfters auf den Leipziger Messen, wie aus diesem und den 
folgenden Briefen (Nr. 97, 100, 101) hervorgeht. 


3) Schnurrus wohl Bernhardus Schnur Noricus, immatrikuliert in 
Wittenberg Sommer 1511 (Alb. S. 190). 


*) Es ist fraglich, ob man mit Kawerau unter diesem Ortelius 
den Wittenberger Professor Veit Órtel aus Windsheim zu verstehen hat, 
da die Wittenberger diesen wohl immer als Winshemius bezeichneten, 
so Besold selbst unten in Br. 98. Hier scheint ein Nürnberger Kauf- 
herr Örtel gemeint zu sein, der selbst oder durch einen Angestellten 
(minister) Geschüfte in Leipzig betrieb und dabei auch Geldangelegen- 
heiten für die Nürnberger besorgte. In Br. 96 und 100 wird es sich 
um denselben Ortelius handeln. J. F. Roth, Verzeichnis aller Ge- 
nannten (1802), S. 58, führt einen Andreas Órtel als Mitglied des 
Größeren Rats an in den Jahren 1513—1560. Er stiftete (S. 69) 1530 
eine größere Summe zur Aussteuer braver Dienstmägde. Träger des 
Namens Ortel führt dasselbe Verzeichnis noch an: S. 63 Sebastian Ortel 
1522—1555; S, 67 Egydius Örtel 1526—1560; S. 69 Florenz Ortel 1530 
bis 1579; S. 76 und 77, 


5) Der junge Ulrich Sitzinger wohnte später bei Melanchthon, 
dessen Nichte, eine Tochter von Sebald Münsterer, er heiratete. Er 
wurde Dr. jur. und Kanzler des Pfalzgrafen Wolfgang von Zweibrücken, 
vgl. CR. 10, 410; Krause, Melanthoniana S. 1412, 


*) Bemerkenswerte Ergänzung zu der Zusammenstellung von 
festen Daten über Luthers Genesisvorlesung in Weim. Luth. Ausg. 


9 89 


Bd. 42 S. VIII; ebenso ergünzt die Bemerkung über Melanchthons 
Vorlesungen die Zusammenstellung bei Hartfelder, Melanchthon S. 561. 


Nr. 95. Besold an Veit Dietrich, 2. Februar 1542, Ab- 
gedruckt von Kawerau, BbKG. 18, 42f.— S. 42, Z. 14 liest 
Seidemann ferres statt ferret. Doch ist wohl Besler als 
Subjekt zu denken. 


Valerius Cordus!) hat einen Brief an Dietrich 
mitgenommen und einige Bogen von (Melanehthons) 
Scholien zu Euripides?). Dietrichs Brief an Joachim 
Moller?) ist abgegeben. Besler hat von diesem und 
von M. Georg (Rórer) sein Geld bekommen. Abfälliges 
Urteil über Beslers verstecktes Wesen. Von Joachim 
Moller hat Besold die Predigten erhalten, die Melan- 
chthon in Regensburg für Crueiger und Amsdorf) 
verfaDte. Eine liegt bei, die andern sollen folgen. Besold 
hofft auch eine Schrift Melanchthons tber die Ehe") zu 
erhalten. 

M. Georg (Rórer) will ihm im Sommer Platz an 
Luthers Tisch erwirken, die Erfüllung eines heißen 
Wunsches von ihm trotz einiger Bangigkeit vor der an- 
geblich herrischen und geldstichtigen Hausfrau. 


Storch) hat er noch nicht getroffen. Auch andere 
Studenten leiden darunter, daß sie zu jung auf die Universität 
kommen und der festen Leitung entbehren. Michael 
Faber’) ist von ihm zum Studium angehalten. Petrus 
Dayg und Spalter sind von Nürnberg zurück- 
gekommen mit Briefen und den Sachen für Joh. Bart), 
dessen er sich gern annehmen wird. 


Von literarischen Neuigkeiten nur acta Vormaciensia 
et Ratisbonensia (CR. 4, 854) erschienen. Über die bei- 
liegenden Sätze wird am 3. Februar disputiert werden (Re- 
spondent Joh. Maccabaeus, der nach Dänemark geht). 
Melandhthon wird nach Abschluß seiner Euripides- 
vorlesung Thukydides erklären. 

Der treffliche M Ambrosius Berndt ist vor wenig 
Tagen gestorben. Der Tod so vieler verdienter Männer 
erweckt trübe Ahnungen für die Zukunft des deutschen Volkes. 
Für Dietrichs Genesung beten er und die andern Nürn- 


90 l 10 


berger. Bitte um Angaben über die Verteilung des Geldes. 
Gruß an Dietrichs Frau. 

1) Valerius Cordus, Arzt und Botaniker, gestorben 1544; s. ADB. 
4, 179f.; Lösche, Mathesius I, 189; Irmisch, Gymu. Progr. Sonders- 
hausen 1862 S. 10ff. 

2) Die Scholien zu Euripides vermutlich Nachschriften von 
Melanchthons Vorlesungen über den Dichter in dieser Zeit, s. Hart- 
felder, Melanchthon 561, 

*) Joachim Moller aus Hamburg (1521—1588), s. ADB. 22, 125 und 
Knod, Deutsche Studenten in Bologna S. 351. In seiner Wittenberger 
Studienzeit trat er Melanchthon besonders nahe; bei dessen Reisen zu den 
Religionsgesprüchen in Worms und Regensburg (1540 und 1541) diente 
er ihm als Sekretár. Er wurde Rat des Herzogs Ernst von Braun- 
schweig und seiner Nachfolger. Das Verzeichnis der zahlreichen 
Briefe Melanchthons an ihn CR. 10, 390, 

4) Ist sonst etwas von diesen Predigten Melanchthous (1511) 
bekannt? 

5 Kommt etwa Melanchthons iudicium de bigamia (CR. 4, 761) 
in Frage? 

9) Zu Storch s. Br. 77*. 

?) Zu Michael Faber oder Schmidt vgl. oben Br. 75*! und unten 
Br. 98 und besonders 102. 

5) Joh, Bart (Barba) wurde am 18, September 1548 Magister in 
Wittenberg (Köstlin, Bacc. IV, 7) und starb 1588 als Rektor der 
Spitalschule in Nürnberg (Will, Gelehrtenlex. I, 67). 


Nr. 96. Besold an Veit Dietrich, 11.(?)') April 1542. 
Abgedruckt von Kawerau, BbKG. 18, 44f. — $. 45, Z. 14 haben 
Knaake und Seidemann tibereinstimmend literas dignas tuli 
Demea. Vermutlich ist tali zu lesen. Zur Figur des harten 
und gefühllosen Demea in Terenz Adelphi s. Kroker, Luthers 
Tisehreden in der Mathesischen Sammlung Nr. 241, 6234; 
Enders-Kawerau 14, 2121. 

Dank für die durch Photinus und Fischer?) über- 
brachten Briefe und Dietrichs väterliche Gesinnung gegen 
ihn. Das Geld ist nach seinen Wünschen verteilt. Quittungen 
liegen bei. Die für Besler bestimmte Summe ist auf 
dessen Wunsch an Reischacher gezahlt; der verspätet ein- 
getroffene Wunsch Dietrichs, auch Schürer?°) zu be- 
friedigen, ließ sich nicht mehr erfüllen. Besler ist in 
Sprottau*) als Geistlicher. Seine Briefe an Dietrich 
zeigen seine rohe und gefühllose Art. Den ihm lieb 
gewordenen Bart wird Besold diesen Sommer über bei 


11 91 


sich behalten und auf alle Weise fördern. M.Floccus?) 
will ihn an Marcellus empfehlen. 


Seit 26. März ist Besold Tischgünger von Luther, 
was ihn unbeschreiblich glücklich macht. Über die Zeitlage 
äußert sich Luther oft mit bittern Ausfällen auf die Fürsten, 
die in dieser schweren Zeit ganz versagten. Luther teilt 
die ungünstigen Prophezeiungen von Erasmus über 
Ferdinand und Karl mit und Kaiser Maximilians 
eigene Befürchtung wegen seines Sohnes [in Wirklichkeit 
Enkels]) Ferdinand. Luthers Sorgen wegen der 
Türkengefahr. Sein Buch über Einweihung des Bischofs zu 
Naumburg von Besold tibersendet samt dem Berichte über 
eine Hungerkünstlerin?). M. Georg (Rörer) hat das Kost- 
geld (wöchentlich: !/, Gulden) bis zur Messe vorgestreckt, 
ihm auch beiliegende Schrift von Luther?) zum Abschreiben 
gegeben. Bitte, Geld durch Örtel zu übersenden, und zwar 
in kleiner Münze, da diese in Wittenberg sehr knapp 
sei?) und Käthe Luther nur solche wünsche (Dreyer 
statt der in Wittenberg nicht zu wechselnden daleri oder 
Joachimici). Mitteilung über eine geschäftliche Besorgung. 
Der letzte Teil der Predigten Melanchthons und seiner 
Scholien zu Euripides soll demnächst folgen. Bitte, bei 
Joachim Moller dahin zu wirken, daß er Besold die 
Schrift Melanchthons tber die Ehe zum Abschreiben gibt. 


1) Das Datum (11. April) erweckt Bedenken, weil auch nicht mit 
einem Wort von der heftigen Aufregung die Rede ist. die in Witten- 
berg seit dem 4. April wegen des Ausbruchs der Wurzener Fehde 
herrschte. Vielleicht ist statt 11 zu lesen II. (2. April). Vgl. W. A. 
53, 226 Anm. 3. 

2) Johannes Voit (1543—53) und Philipp Vischer (1547—62) 
(Br. 123) waren Diakonen an S. Lorenz in Nürnberg (s. Waldau, Nürn- 
berg. Zion S. 25 und BbKG. 5, 284). 

*) Schurerus vielleicht Peter Schürer, Buchdrucker in Leipzig, 
s. BbKG. 13, 186. Vgl. Br. 103. 

*) Zu Michael Beslers Wirken in Sprottau vgl. Luthers Brief an 
Dietrich 11. Mai 1548 (Enders-Kawerau 15, 156f.). 

5) Zu Erasmus Floccus s. Enders-Kawerau 16, 293 u. 351, 6; 
unten Br. 114. 

e) Über diesen Irrtum Besolds vgl. Kroker, Luthers Tischreden 
in der Mathesischen Sammlung n. 498. Dazu schreibt uns Kroker: 
Diese Ferdinand betreffende Stelle (einschließlich des geschichtlichen 


92 12 


Irrtums) in Besolds Brief v. 11. (2.?] April 1542 sei die einzige, in der 
eine auffallende Übereinstimmung zwischen Heydenreichs Sammlung 
von 1542/43 (a. a. O. S. 247ff.) und der Überlieferung in den Besold- 
briefen unseres Manuscr. Thomasianum vorliege. 

7) Über diese Hungerkünstlerin in Speier vgl. O. Clemen in BbKG. 
18, 89. 

5) Beim Mangel jeglicher nüheren Andeutung nichts darüber 
festzustellen. 

?) Dazu vgl. auch Br. 100, 101, 107 u. Luther an Jonas! Frau, 
26. Mürz 1542 (Enders-Kawerau 14, 2213, auch 13, 110). 


. [Im Manuser. Thomasianum fehlt der wichtige Brief 
Besolds an Veit Dietrich, April 1542, über die Wurzener 
Fehde, den Hummel wohl aus einer anderen Handschrift 
des Gottfried Thomasius in seiner Epp. semicenturia altera 
$.31 bekannt machte; jetzt wieder abgedruckt und erläutert 
bei Enders-Kawerau 14, 246.] 


[Nr. 97, Besold an Veit Dietrich, 25. April o. J., vom 
Abschreiber in das Jahr 1542 gesetzt, gehört in das Jahr 
1543, s. unten hinter Nr. 102.] 


Nr. 98. Besold an Veit Dietrich, 25. Juli 1542. Ab- 
gedruckt von Kawerau in BbKG. 18, 82f, 


S. 82, 2.5 v. u. Statt auctam (?) vocem liest Seidemann 
acutam vocem, was richtig sein wird. 


Dietrichs Wunsch, daß Besold Veit Örtel von 
Windsheim und D. Matthias) besuchen möchte, ist 
erfüllt. Mitteilungen über Krieg mit Braunschweig 
nach einem Brief des Kurfürsten an Luther und Über- 
sendung einer Schrift über die Gründe des Krieges. Michael 
Faber hat diesmal in der Schloßkirche gepredigt. Auch 
Rörer urteilt über ihn günstig. Verwunderung, daß die 
Töpferwaren noch nicht angekommen seien. Brief von 
Wenzel Link an Luther über das anstößige Verhalten 
von Thomas Venatorius hat Besold abgegeben. 
Luther verurteilt Venatorius, während M. (Sachse) 
Holstein ihn in Schutz nahm. Gerüchte über gewisse 
Maßnahmen der Türken hält Luther für unglaubwürdig. 
Er ist täglich auf Hereinbrechen des Jüngsten Gerichts ge- 


13 93 


labt. Gruß an Dietrichs Frau und Kinder. — Bitte, mit 
Besolds Sehwager wegen der bestellten Leuchter sich in 
Verbindung zu setzen. 


1) D. Matthias, vielleicht Dr. med. Ratzeberger (s. u. Br. 1035). 


Nr. 99. Besold an Veit Dietrich, 31. Juli 1542.  Ab- 
gedruckt von Kawerau, BbKG. 18, 84f. 

Einige Studenten werden die Evangelien, einen Teil des 
Johanniskommentars !) und der Loci communes Melanchthons 
überbringen samt einer Anzahl von Briefen Melanchthons, 
denen mehr folgen sollen. Der (nicht genannte) puer wird von 
Eber und Besold umsorgt worden. Das von Milich 
für Vogel und Stemachius?) mitgebrachte Geld ist aus- 
gezahlt. Ein kleiner Rest wird aufbewahrt; man erwartet 
die Rückkehr von M. Hieronymus (Schreiber) — 
Mitteilungen tiber seine eigene Magisterpromotion. Luther 
ist wegen der Zeitlage sehr pessimistisch gestimmt, macht 
bittere Außerungen über die Fürsten und ihr Nichtstun. 
Klage über das eigene Befinden. Eine Erholungsreise ist 
ibm angeraten?), 

1) Vgl. Br. 103. 


*) Zu Vogel vgl. Br. 472, 60, 105; zu Stemachius Br. 105*. 
) Zu dieser Erholungsreise kam es erst im Jahre 1543, vgl. Br. 107. 


Nr. 100. Besold an Veit Dietrich, 10. August 1542. 
Abgedruckt von Kawerau, BbKG. 18, 85f. 

S. 86, Z. 5 adsolvendum Druckfehler statt absolvendum. 

S.86, Anm. 4. Seidemann vermutet wohl richtig „norim- 
bergae“. 

Besold sendet Melanchthons Rede De Ambrosio, 
die M. Marcellus bei der vorjährigen Magisterpromotion 
gehalten hat; sie ist jetzt von Melanchthon durch einen 
Abschnitt über die Häretiker erweitert). Der junge Magister 
Petrus Tayg? wird auf seiner Reise in die Heimat einen 
Teil des vonPhotinus abgeschriebenen Johanneskommen- 
tars überbringen. Von den Erfolgen im Braunschweigischen 
Kriege hat Dr. Brück kürzlich an Luther geschrieben. 
Dieser glaubt nach der Flucht des Herzogs nicht an 


94 14 


Frieden, sondern vermutet eine Weiterführung des Kamptes 
gegen die Bischöfe. 

Bitte, Reischacher weiter zu fördern, der als Bayer?) 
eine ehrliche und offene Natur sei, und bei Orte!) für 
eine Verlángerung des Stipendiums einzutreten, daB er noch 
ein bis zwei Jahre Theologie studieren könne. Gruß an Frau 
und Kinder. 

Das Geld móge Stephan), und zwar in kleiner Mtinze, 
naeh Leipzig bringen, auch die Leuchter, wenn er seine 
Waren dahin schaffe. Besold wird alles selbst zur Herbst- 
messe in Leipzig holen. 

1) Unsere Briefstelle verwertet von O. Clemen, Studien zu 
Melanchthons Reden (1913), S. 40. 

2) Melanchthon schrieb am selben Tag (10. Aug.) an Dietrich 
und empfahl diesem den Petrus Tayg (CR. 4, 854). — Er war vielleicht 
ein Sohn des Schneiders Peter Tüig, den Roth, Verzeichnis aller Ge- 
nannten, S. 70 als Mitglied des Rats 1531—1548 nennt. — Nach 
Waldau, Nürnberg. Zion S. 106, 108, 128 war M. Peter Tayg 1546 
Rektor zu Hersbruck, dann ebenda Diakonus, bis er als Pastor nach 
Happurg kam, wo er 1568 gestorben zu sein scheint (vgl. auch BbKG. 
19, 23). 

3) Wasserburg, der Geburtsort Reischachers, liegt in Oberbayern, 
BezAmt Günzburg. 

*) Örtel, vgl. oben Br. 94. 

5) Stephan, ein Schwager Veit Dietrichs (Br. 101) [ob ein Bruder 
seiner Frau ?], jedenfalls ein Nürnberger Geschäftsmann, der die Leipziger 
Messe besuchte. 


Nr. 101. Besold an Veit Dietrich, 25. August 1542. 
Abgedruekt von Kawerau, BbKG. 18, 86ff. 

S.87, Z. 8 v. u. Statt „post aliud tempus* liest Seide- 
mann ,post illud tempus*, was richtiger scheint. 


Wolfenbüttel nach achttägiger Belagerung am 
12. August genommen. Zwei Söhne des Herzogs zur Er- 
gebung gezwungen, doch glimpflich behandelt. Luther 
glaubt nicht an Frieden, sondern an Fortführung des Kampfes, 
der sich nun gegen die Bischöfe richten werde. Wichtige 
Aktenstücke in Wolfenbüttel gefunden, die auch den 
Bischof von Meißen, v. Maltitz, bloßstellen. Die 
Regierung des eroberten Herzogtums führen Bernhard 
v. Mila!) und Christoph v. Steinberg nebst dem 


15 z 95 


Kanzler Franz Burkhardt. Zur Orduung der kirch- 
lichen Verhältnisse ist Bugenhagen’) nach Braun- 
schweig gerufen. Luther schreibt den großen Erfolg 
nicht eignem Verdienst zu, sondern bezeichnet ihn als Gottes 
Strafe für die Stinden und Lästerungen der Feinde. 


Dietrichs Sehwager Stephan móge das am 10. No- 
vember fällige Geld schon zur nächsten Messe in kleiner 
Münze mit nach Leipzig bringen. Besold wird per- 
sönlich alles Geschäftliche in Leipzig abmachen. 

1) Über Bernhard v. Mila vgl. Enders-Kawerau 12, 974 und 
folgende Bände s. v. | 


2) Bugenhagen vollzog diesen Auftrag in der Zeit vom 20. August 
bis November 1542, 


Nr. 102. Besold an Veit Dietrich, 3. Oktober 1542, 
Abgedruekt von Kawerau, BbKG. 18, 88f. 
S. 89, Z. 1 dio Druckfehler statt pio. 


Besold verantwortet sich gegen Dietrichs Vor- 
würfe wegen Säumigkeit im Schreiben. Den Brief an 
Luther hat er diesem abgeliefert. Über das Eindringen 
Schwenkfelds!) in Nürnberg äußerte sich Luther 
abfällig, aber nur in wenig Worten, da der Tod seines 
Töchterchens Magdalene ihn in tiefe Trauer versetzt hat. 
Daß Eichler dem Michael(Schmidt)?) die Diakonat- 
stelle in Nürnberg weggeschnappt hat, ist sehr bedauerlich. 
Eichler steht nicht in gutem Ruf Melanchthon 
fürchtet von ihm böswillige Angriffe, wie von Agricola, 
Schenk und Witzel. 


1) Zu Schwenkfelds Auftreten in Nürnberg im Jahre 1542 vgl. 
oben ARG. 13, S. 85, 

) Zu Michael Faber oder Schmidt s. o. Br. 75!! und Br. 95, 98. 
Immatrikuliert war in Wittenberg ein Michael Faber Frisingensis 
Bavarus 1532/83 (Alb. 148). Er war schon für eine Geistlichenstelle 
in Nürnberg (die Kirehe war nicht bestimmt bezeichnet) in Witten- 
berg ordiniert worden am 23. August 1542 (Michael Schmid von 
Pfaffenhofen (es kommt wohl das Pfaffenhofen zwischen Freising und 
Ingolstadt in Frage], aus dieser Vniversitet beruffenn gen Nürnberg 
zum Priesterambt, nach Buchwald, Wittenberger Ordiniertenbuch I, 
n. 429). Sein Ordivationszeugnis vermutlich (trotzdem sein Name 
fehlt) in der Zwickauer Ratsschulbibliothek erhalten (ausgestellt die 


96 16 


- 


Bartholomaei 1549 für einen Nürnberger Geistlichen), s. Weim. Luth. 
Ausg. Bd. 49 S. VIL Aus Besolds Brief muß man schließen, daß er 
die Stelle in Nürnberg nicht erhielt. Germann, Joh. Forster (1894), 
S. 381 teilt einen Brief von dem damals die Reformation in Regens- 
burg einführenden Joh. Forster an den Rat zu Nürnberg mit, Regens- 
burg, 17. Oktober 1542; hier bittet Forster im Namen des Regens- 
burger Rats, um dem Mangel an Kirchendienern in Regensburg abzu- 
helfen, móchte der Nürnberger Rat ,Herrn Michel, so erst von 
Wittenberg heraus kommen und noch nicht sonderlich gebrauchet“, 
eine Zeitlang leihen. Der Nürnberger Rat antwortete am 24, Oktober 
1542: Michel Faber sei schon andern Orts verwendet, sie schickten 
M. Joh. Funck. — Germann fügt in einer Anmerkung zu: vielleicht 
der Michael Schmidt, welcher 1555 Diakon an der Nürnberger Heiligen- 
Geist-Kirche wird und als solcher 1573 gestorben ist, naeh Waldau, 
Nürnb. Zion (Nürnberg 1787) S. 35; ebenso nach Hirsch -Würfel, Diptycha 
(1766) S. 184, Nach Waldau S. 102 war er vorher seit 1550 Pastor zu 
Altdorf gewesen. 


[Hier ist einzureihen] Nr. 97. Besold an Veit Dietrich, 
25. April (1543). Abgedruckt von Kawerau, Briefwechsel 
des Justus Jonas II, 100f. Nr. 681. Der Abschreiber der 
Handschrift setzt den Brief in das Jahr 1542. Daß er aber 
in das Jahr 1543 gehört, hat Kawerau a.a. O. wie auch 
BbKG. 18, 81 erwiesen. 

Jonas II, 102, Z. 4 hinter fidem bei Knaake noch etc.; 
Z. 14 hat Knaake Bomgartnerum; Z. 21 vermutet Knaake 
statt des unverstündlichen Os: entweder & óder etc.; in der 
Adresse hinter Theodoro ist noch hinzuzufügen: docenti 
Euangelium Noribergae. : 


Brief und Geld aus Leipzig am 20. April erhalten. 
Die kurz vorher von einem Salzburger Buchhündler ge- 
brachten Epicedia Ec kii samt Dietrichs Brief an Luther) 
abgegeben, der sich bitter und zornig darüber äußerte. 
Melanchthon lachte und will die Gedichte an Spalatin 
schicken. Der andere Brief nebst dem Brief der Venetianer 
traf aus Leipzig erst nach Melanchthons Abreise?) ein, 
so dab Dietrichs Wunsch, Melanchthon möge den 
Brief lesen, ehe Luther ihn zu sehen bekomme, nicht zu 
erfüllen war. Luther mochte nichts wegen einer Antwort 
an die Venetianer versprechen, weil er nicht gern Lateinisch 
schreibe. Heute von Besold erinnert, versprach er aber 
Bescheid, wenn seine Gesundheit sich erst gebessert habe. 


17 97 


Den ersten Brief Dietrichs in dieser Angelegenheit hat 
Melanehthon bei sich, da Luther ihn ursprünglich 
gebeten hatte, die Erwiderung zu tübernehmen. Luther 
lobt die Festigkeit des NürnbergerRats gegen König 
Ferdinand. — Vorrede zu Dietrichs Ausgabe von 
Luthers Hauspredigten®) will Luther nicht schreiben. 
Er wisse nicht mehr, was er damals gesagt; bezweifle aber 
nicht die Gewissenhaftigkeit Dietrichs bei Wiedergabe der 
Predigten. 

Besuch bei Bugenhagen noch nicht ausgeführt, da 
dieser mit Zurüstungen zur Hochzeit seiner Tochter*) be- 
schäftigt ist. Kürzlich war Jonas aus Halle zu Besuch 
da. Dessen Bitte an M. Holstein”), in seinem Namen an 
Dietrich zu schreiben, habe dieser häßliche und heuch- 
lerische Mensch abgelehnt. Klage über die bösen Zeiten. 
Luther sehnt den Tag des letzten Gerichts herbei. Luthers 
Gespräch mit Jonas über die Frage, ob vor dessen Herein- 
brechen eine Verdunklung der Glaubenswabrheiten eintreten 
werde. | 

Hieronymus Rauscher‘) überbringt einen Brief 
Luthers an Hieronymus Baumgartner. Rauscher 
sei einer Unterstützung durch ein Stipendium oder Anstellung 
in jeder Hinsicht würdig. 

!) Veit Dietrichs Brief an Luther über Ecks Tod jetzt auch bei 
Enders-Kawerau 15, 108ff. Ebenda S. 110, Anm. 8 der vermutlich an 
Besold gerichtete Brief Veit Dietrichs vom 17. Márz 1543, den Besold 
hier erwühnt, 

) Melanchthon war am 17. April 1543, begleitet von dem jungen 
Jonas und dem Nürnberger Hieronymus Schreiber, nach Bonn abgereist 
in Sachen der Kólner Reformation (CR. 5, S. VIIT). 

*) Luthers Hauspostille, herausgegeben von Dietrich 1541, vgl. 
jetzt Weim. Luth. Ausg. Bd. 52. Luther schrieb die Vorrede dann doch, 

*) Sara Bugenhagen verheiratete sich mit dem Diakonus Gallus 
Marcellus, vgl. Vogt, Bugenhagenbr. S. 268. 

5) Über Joh. Sachs aus Holstein s. Enders-Kawerau 14, 292, 

© Über Hieronymus Rauscher s. oben S. 36%, — Der Brief Luthers 
sn Baumgartner steht bei Enders-Kawerau 15, 147f. 


[Nr. 103 gehórt zeitlich hinter Nr. 104.] 


Nr. 104. Besold an Dietrich, 2. Mai 1543. 


Archiv für Reformationsgeschichte. XIII. 2, 7 


98 18 


Clarissimo Viro D. Magistro Vito Theodoro docenti 
Evangelium Noribergae, domino ac Patrono suo obser- 
vando. Nürnberg. 


in vigilia Ascens. dni 1543. 


Salutem in Christo. Venit ad nos Haslerus?) hisce 
diebus, qui tuas mihi reddidit, humanissime Patrone. Legi 
autem eas magna cum voluptate, propterea quod aperte et 
uberius de tua voluntate certiores nos redderent. Saepe 
enim testatus sum me non euratarum inanem istam gloriam 
locationis, si modo de tua voluntate et iudicio constet. Neque 
enim seeundum eruditionem, sed largitiones potius distri- 
buuntur loca, cuius rei testis mihi erit tota schola. Locu- 
pletiores praeferuntur pauperibus, praecipue de alieno hic 
viventibus, licet doctioribus?) Ideo non sum sollicitus ea 
de re, illud magis me angit, qua ratione in paucis saltem 
D. Philippo in examine satisfaciam, cuius judicium merito 
plurimi facio. Christus Opt. Max. salvum et incolumem eum 
ante promotionem reducat). De sumptibus et vestibus 
incertus sum, quid consilij eapiendum sit. Nam de mea 
pecunia nihil possum addere, vix in quotidianos usus sufficit. 
Quare valde te oro, ut significes, quid de ijs expectandum 
aut unde petendi sint. Ipsi Haslero mea officia non 
deerunt cum propter patrem ipsum Virum optimum & communem 
patriam, tum vero ut tibi gratificer. Omnia enim, quae te 
velle quaeque ad te pertinere intelligam, summa fide et dili- 
gentia eurabo. D. Lutherum rerum? admonui de negocio 
Venetorum *) et exhibui ei literas tuas, sed amanter a me 
petebat, ut se tibi excusarem, se hactenus non potuisse 
scribere propter incommodam valetudinem, nune pergam porro 
instare et spero me propediem confecturum. Hisce diebus 
accepit scriptum Regis Franciae) nuper contra Im- 
peratorem editum, de quo iudieiam eius putavi adscribendum. 
Cum legisset, dicebat: Er sagt ibm's deutsch und dürr gnug 
und grob et praeter decorum regium. Nihil legi in vita 
acerbius. Ich hab doch viel boser schrifften? wider mich 
gehabt, so sein traun Heintzen schrifften wider meinen 
Herren auch gifftig?9), aber deßgleichen hab ich nit gesehen, 
und machts so verisimile, daB ichs glauben müste, wann 
ich nicht wibte, daß die Frantzosen gern lügen, und ob 
schon etwas wahr ist, so ist doch de Caroli Persona nit 
war, von SPaniern®, halt ich, gehe es wohl hin. Cum quidam 
interrogasset, an colligi posset aliquid ex scripto de morte 
Caesaris) dicebat tantum, esse scriptum post naufragium 
celebrata ipsius morte, et addebàt: thut ers cognita eius 
morte, so ist Kein redliche Ader in seinem Leib nit, quia 
persequi manes das ist nicht fein, parcendum est manibus?) 


19 99 


Omnino existimat responsuros hispanos, etiamsi de morte 
Caesaris constet, et sine dubio ingens bellum exarsurum*. 
Mitto et propositiones D. Melchioris?) quae hie pene 
magnas contentiones excitassent, nisi quaedam mutasset ad- 
monitus, nam octavam inseruit, et iam decreverat d. Doetor 
contrarias propositiones conscribere disputandas d. Noppo? 
et M. Friderico!?, sed mutavit consilium, persuasus a 
quibusdam, ut ipse poteris colligere ex ijs, quae adscripsi. 
Mitto hie Epitaphium Filiae 11) ipsius, optimae puellae, quae 
digna est omni genere laudum. Nam memini patrem de ea 
dieere collachrimantem: Ach hat sie mich doch ihr lebtag 
nie erzürnt. Haec rara Virtus est. ipsum carmen admodum 
placebat d. doctori, ideo et ad te mittendum duxi. Bene 
vale. Datae in Vigilia Ascensionis Domini 1543. 


Hieronymus Besold. 


Partem Commentarij in loannem adferet Typographus 
ips Lufft!?. 


„so Cod. und nachher Venetorum, vielleicht statt rerum zu 
lesen dierum: * (Knaake.) [Wohl richtig.] 
b) schrifft S. 
e) hefftig S. 
d) Spaniern S. 
e) exorturum S. 
1) Noppe (bei Knaake), wohl Schreibfehler. 


1) Im Wittenberger Album ist ein Hasler aus Nürnberg nicht zu 
finden, dagegen ist in Leipzig Sommersemester 1541 immatrikuliert 
ein Johannes Hasler aus Nürnberg. Vielleicht hat sich dieser nur 
vorübergehend in Wittenberg aufgehalten. 

2) Es befremdet die Behauptung, daß bei Festsetzung der Reihen- 
folge der Kandidaten nicht die Kenntnisse der Prüflinge ausschlag- 
gebend seien, sondern die Hóhe ihrer Zahlungen. Als Besold — 
übrigens sehr viel spüter, als er hier noch annimmt — am 31, Januar 
1544 Magister wurde (Br. 110), erhielt er den vierten Platz unter 
35 Bewerbern (Kóstlin, Bacc. III, 15), was jedenfalls nicht geeignet ist, 
seine Behauptung zu hekräftigen. 

3) Melanchthon kehrte aus Bonn (s. den vorhergehenden Br. 
Nr. 972) erst am 15. August d. J. zurück. 

*) Die Evangelischen i in Venedig und einigen anderen italienischen 
Städten hatten durch Vermittlung Veit Dietrichs an Luther geschrieben 
am 26. November 1542 (s. Enders-Kawerau 15, 22). Besold hatte den 
etwa Mitte Januar 1543 in Wittenberg eingetroffenen Brief Luther 
übergeben, ohne daß der gerade abwesende Melanchthou vorher Einsicht. 
in den Brief hatte nehmen können. Die Bemerkungen der Venetianer 
über die Abendmahlsstreitigkeiten erregten Luthers Unmut, der am 
liebsten gar nicht geantwortet hätte und den Brief an Melanchthon 
abgab, damit dieser eine Erwiderung verfaßte. Aber auch Melanchthon 
verschob die Antwort und reiste Mitte April nach Bonn ab, ohne daß 
etwas in der Sache der Venetianer geschehen wäre. Daher die 
wiederholten dringenden Bitten Dietrichs, ihnen Bescheid zu geben 
(Enders-Kawerau 15, 108 Br. Dietrichs an Luther 16. Februar 1543: 
Spero, pater in Christo venerande, negotium Italicum tibi curae fore 
ut maturetur; oben Br, 97 (Jonas II, 101] Besold an Dietrich, 25. April 


7* 


100 20 


1543: .. . cum hodie iterum eum [Lutherum] admonerem, omnino 
affirmabat se scripturum, quamprimum quidem per infirmam valetudinem 
posset). Die jetzige wiederholte Mabnung durch Besold veranlaßte 
Luther endlich, die Angelegenheit seinerseits in die Hand zu nehmen, 
8. den folgenden Br. Nr. 103 (Kóstlin II, 688 zu 579). Vgl. noch 
Strobel, Bemerkungen zu Luthers Briefwechsel mit einigen Evangeli- 
schen zu Venedig, in Henke, Magazin f. Religionsphilos, Exegese u. 
Kirchengeschichte, Helmstedt 1794, I, 413—429. 

5) Sleidan, De statu religionis et reipublicae Carolo Quinto Caesare 
Commentar. libri XXVI, meldet zum Jahr 1542: Iulio mense Galliae 
rex atrocissimis verbis bellum Caesari denunciat & edito libello suis 
liberum facit, ut, quacunque ratione possint, terra marique provincias 
illius devastent. — Kommt vielleicht dieser libellus hier in Betracht? 

6) Die Lesung „gifftig“ wird richtig sein, vgl. Jonas an Joh. Lang, 
8. Februar 1541 (Kawerau, Jonas Briefwechsel I, 426): Brunsvicensis 
ó túgarvos virulentissimum librum conscripsit et iam aedidit adversus 
nostrum illustr. electorem. Weiteres darüber s. Enders-Kawerau 13, 
265!; Köstlin, Luther® IT, 686 zu 560!, 

7) Das Gerücht von Karls V. Tod, das sich in diesem Jahr ver- 
breitet hatte, wurde auch von Luther lange für wahr gehalten, s. Br. 1085 
und Enders-Kawerau 15, 135*. 

8) Aehnliche Aussprüche bei Büchmann, Geflügelte Worte? S. 351 f. 

?) Etwas Bestimmtes hierüber hat sich noch nicht ermitteln 
lassen. Köstlin, Luthers Leben“ II S. 687 zu S. 571? nimmt an, daß 
Thesen von D. Melchior Kling in Frage kommen, und scheint zu ver- 
muten (nach dem Zusammenhang, in dem er diesen Brief Besolda 
anführt), daß Kling Thesen über die heimlichen Verlöbnisse aufgestellt 
habe, wegen deren Luther damals in heftigem Streit mit den Juristen 
lag. Vielleicht ist aber an Melchior Fend zu denken (über ihn 
s. Enders in BbKG. I, 2235: aus Nördlingen, geboren 1486, Professor 
der Philosophie, dann der Medizin in Wittenberg, gestorben 1564; 
ferner N. Müller, Melanchthons Heimgang S. 143; Haußleiter, Melan- 
chthon-Kompendium S, 30). Fend wurde gerade in diesem Jahre 1543 
am 3, Juli Dr. med., vgl. Buchwald, Wittenberger Briefe S. 117* nach 
Sennert, Athenae Ggg. 3%. Welche seiner vermutlich doch medizini- 
schen Thesen Anstoß bei Luther erregt haben, muß freilich dahin- 
gestellt bleiben. 

19) Hieronymus Nopp aus Herzogenaurach und Friedrich Backofen 
aus Leipzig waren am 26. April 1543 zu Doktoren der Theologie pro- 
moviert worden, vgl. Enders-Kawerau 15, 250f. Ueber ihre Disputationen 
s. Drews, Luthers Disputationen S. 728ff.; Buchwald, Wittenberger 
Briefe S. 166. 

11) Magdalene Luther war am 20, September 1542 gestorben, vgl. 
oben Br. 102; Köstlin, Luthers Leben® II, 596. Das Epitaphium, zwei 
lateinische Distichen, Erl. Ausg. 65, 237, vgl. Köstlin a. a. O. S. 692 
zu 8.597!. Möglich ist, daß Besold in seinem Briefe ein von ihm 
selbst verfaßtes Gedicht meint. 

12) Vgl. Nr. 103 1, 2, 


Nr. 103. Besold an Dietrich. 7. Mai 1543. 


Clarissimo Viro D. Magistro Vito Theodoro Domino 
ac Patrono suo observando. Núrmberg. 


Salutem in Christo.  Humanissime Patrone, Existimo 
loannem Lufft!) qui partem commentarij in Ioannem?) et 
Locorum Communium?) adfert, etiam literas a D. Doctore 


21 101 


tibi redditurum. Nam cum heri eum iterum admonuissem 
de negotio Venetorum, dixit se scriptarum ad te“) polli- 
citatorias literas et excusaturum suum tam diuturnum silen- 
tium, petebam autem et exemplar epistolae eius ad Venetos, 
id denuo promisit se mihi datarum. Quare ex animo laetor, 
quod certa spes saltem eius literarum nobis ostensa est, et 
dabo operam, ut, cum nunc paulo firmiore valetudine sit, 
primo quoque tempore promissis satisfaciat. In communibus 
rebus baee fere sunt. Heri in coena narrabat Doctor 
Matthias”, Principis nostri Medicus”), Inducias esse factas 
in Belgico inter Geldrenses et Burgundos?) quae utinam 
perpetuam pacem et duvnoriav sanciendam faciant. In ducatu 
Brunsuicensi interceptae sunt literae Tyranni Brunsuicensis 
et omnia consilia eius prodita"). Sed qualia fuerint, nondum 
scimus, collectum fuisse equitatum circa ducatum Lignicensem?) 
constat, fortassis ad diripienda loca in extremis finibus amissae 
ditionis sita. D.Lutherus addebat: Unser Herr Gott will 
ibn nieht haben, er offenbahret ihm seine haimlichkeit, 
Marchio ad Senatum Academiae et D. Lutherum literas?) 
dedit, in quibus se excusare conatur de bello infeliciter gesto, 
transfert culpam in aliquot Principes Germaniae, qui omnino 
non aut non in tempore miserint pecuniam, deinde quod 
defuerint instrumenta bellica, Bombardae, Globi €c. Sed 
D. Doctor suaviter ridebat illa dicens: Wenn ich ein Reuter 
will sein und hab Kein pferd und Zehrung, so hab ich sorg, 
es werde mir das Reuten verbotten werden. Laudabat 
dietum Lantgravij, ad quem cum esset communis rumor 
allatus, quod iudicio omnium ipsi potius tantum negocium 
demandandum fuisset, respondisse fertur: Wenn ich den 
Krieg solt führen, so müst Nürnberg, Augspurg, 
Straßburg etc. gelt sein. Hunc vero Epimethea!?) 
esse dicebat nec scire se quid respondendum sit. Quod si 
ederet in publicum illam excusationem, fore ut ab omnibus 
exploderetur. Hisce diebus fuit apud me Sehurerus!!) 
et monuit, ut ad te scriberem, ut satisfaceres pro libris, quos 
nuper adolescentibus nostris curavit. Catalogum hie mitto 
et precia librorum. ostendebat se nonnihil irasci tibi, quod 
non potuit impetrare a te Conciones domesticas D. Lutheri, 
et minabatur se, quamprimum in publieum prodirent, curaturum, 
ut Lipsiae recuderentur. Te quaeso, ut si quid tuorum 
scriptorum apud Vos excuditur, ad me mittas exemplaria, 
non enim hue perferuntur. Concionem de lotione? pedum'?) 
a Nuneio emi 6. denarijs, nec illa, quae sub expeditionem 
Tureieam a te edita sunt!5) vidi, quae tamen admodum 
libenter legerem. M. Hieronymus Schreiber!) eum 
D. Philippo Coloniam abijt. Id me tibi significare 


102 22 


voluit, promittebat se omnino daturum operam, ut in reditu 
per Noribergam iter facerent. 

Ego hie ingenti metu et curis discrucior et exanimor 
pene propter promotionem. Scio enim mihi paratum malum. 
Decanus gener Typographi nostri est Iohannis Lufft, apud 
illum, si commodum videtur (nam et tua opera usurum eum 
puto), rogo, ut tua commendatione adiuves, cum ipse Decanus 
tibi ignotus sit. Vratislaviensis est, nomen ei est Andreas 
Aurifaber!').  Metuo ne promotionem ante reditum 
d. philippi instituat. Imo sane nolim eo decano uti, quod 
et M. Hieronymus?!) dissuadebat. Domina non est contenta 
his quae dedi!9), verum me rogavit, ut curem fornaculam 
parari, coi in mensa imponantur parvae patinae”, quibus 
uti solet d. doctor. Scripsi igitur ad quendam ex meis 
propinquis, ut curet quam primum eam parari, ut mittatur 
per Ioannem Lufft. Rogo igitur, ut perferri literas ad 
matrem cures et horteris, ut primo quoque tempore id curent. 
Pecuniam enim misi, qua tamen ipse magis opus haberem. 
Sed eum ad ipsum Doctorem hoc officium pertineat, rogo, 
ut per Ioannem Lufft mittas. Bene et feliciter vale. datae 
Nonis Maij. 1543. 

Hieronymus Besold. 


a) Schreibfehler für Matthaeus? s. RE.? 16, 471. 

b) Lotione S. 

o) Am Rande steht „NB. Ein wärmpfännichen.“ Im Cod. patmae, 
dafür ist jedenfalls patinae zu leseu, was auch S. hat. 


1) Ueber den seit 1522 in Wittenberg lebenden Buchdrucker Hans 
Lufft (1495—1584!) s. ADB. 19, 618 ff.; N. Müller in ZKG. Provinz 
Sachsen VIII, 1131, 

2) Es handelt sich um Crucigers Vorlesung über das Johannes- 
evangelium, s. oben Br. 99 und 100, ferner Br. 2 (Brenz an Dietrich, 
21. Juni 1544) und Br, 25 (Brenz an Vogler, 31. Márz 1544), ARG. 12, 
217 und 235. Melanchthon hatte Veit Dietrich schon am 20, Juni 1542 
(CR. 4, 830) auf Crucigers Vorlesung aufmerksam gemacht: Caspar 
enarrat Johannis Evangelium; eam enarrationem vellem alicubi te videre. 

*) Melanchthons neue Vorlesung über die Loci communes ist 
auch oben Br. 94 (Dezember 1541) erwähnt. Daß Melanchthon darüber 
noch im Mai 1542 las, bezeugt der Brief von Philipp Bech an Oswald 
Mykonius vom 27, Mai 1542 (Kolde, Analecta Lutherana S. 380). 

*) Dieser Brief Luthers, der Veit Dietrich wegen der noch aus- 
stehenden Antwort an die Venetianer (s. oben Br, 104, 2. Mai 1543) 
vertrösten soll, ist noch erhalten und von Kawerau zum erstenmal 
veróffentlicht in Enders-Kawerau 15, 151, datiert ebenfalls 7. Mai 1543. 
Luther entschuldigt die Verzógerung mit seinen schlechten Gesundheits- 
verháltnissen und der Abwesenheit Melanchthons, will aber, sobald es 
ibm móglich sei, antworten. Er hat auch sein Wort eingelóst. Am 
13. Juni 1543 schrieb er, ohne erst die Rückkehr Melanchthons abzu- 
warten, den Brief an die Venetianer (Enders-Kawerau 15, 164ff.), den 
Flacius überbringen sollte, und gleichzeitig an Veit Dietrich (ebenda 
S. 164): Accepit a me literas illas ad Italos fratres, quia toties a me 
flagitasti, hic Matthias Illyricus. Vgl. noch den Brief Dietrichs au 
Melanchthon, 12. Márz 1543: Utinam respondeat (Lutherus) fratribus 


23 103 


in Italia (ungedruckt, in der Sammlung von N. Müller aus der Ham- 
burger Bibliothek). 

5) Dr. Matthias, Principis nostri medicus. Gemeint ist Ratzeberger 
(3. oben Var.*). Er hatte den Vornamen Matthaeus, aber auch Bugen- 
hagen nennt ihn in einem Brief an Jonas, 25. April 1541 (Enders- 
Kawerau 13, 314!) wiederholt doctor Mathias und ebenso der Kurfürst 
in einem Brief an Luther vom 5. August 1545 (a. a. O. 16, 280) „vnseru 
getrewen Mathiassen Ratzenberger, der Ertznei Doctorn vnd vnsern 
leibartzten“. 

6, Diese Neuigkeit (vgl. auch Jonas an die Fürsten zu Anhalt, 
21. Mai 1543 [Jonas II, 105]) teilte Luther noch an demselben Tage 
dem Herzog Albrecht von Preußen mit (Enders-Kawerau 15, 150, 
7. Mai 1543): ,Im Niderland sol ein anstand sein zwischen den Bur- 
gundern vnd Hertzogen von Jülich.^ Uebrigens war die Nachricht 
irrig, s. a. a. O. Anm. 7, 

) Von der Auffindung wichtiger, die Gegner bloßstellender Brief- 
schaften in Woltenbüttel war schon oben in Br. 101 die Rede. Davon 
berichtet auch simon Wilde in einem Brief an Stephan Roth vom 
29. August 1542 (Buchwald, Wittenberger Briefe S. 161) und Fraustadt, 
Einführung der Reformation im Hochstift Merseburg (1813), S. 116 
nach Sleidan 14, 410, 

$) Hierüber nichts Náheres ermittelt. Andeutungen aber über 
anderweite kriegerische Rüstungen des Herzogs Heinrich um diese 
Zeit (August 1543) — Truppenansammlungen bei Belzig zur Bedrohung 
Kursachsens — bei Buchwald, Wittenberger Briefe (1893) S. 169 
Nr. 204 und O. Clemen. Helts Briefwechsel (1907) S. 135. Eine Reise 
Heinrichs durch Schlesien ist erwühnt in einem Brief Luthers vom 
5. Márz 1540 (Enders 13, 30), 

) Wegen des unglücklichen Ausgangs des Türkenfeldzuges vom 
Jahre 1542 war Kurfürst Joachim II von Brandenburg in den schlimmsten 
Ruf geraten. Luther schrieb am 26. Januar 1543 an Jonas: ex omni 
parte orbis pessime audit Marchio Brandenburgensis ob gestum bellum 
in Hungaria (Enders-Kawerau 15, 98). Die Rechtfertigungsschrift 
Joachims II. scheint nicht in die Oeffentlichkeit gekommen zu sein. 
Es ist zwar ein Brief des Kurfürsten an Luther, Bugenhagen und 
Melanchthon, etwa März 1513 geschrieben, bekannt (Enders-Kawerau 
15, 120), aber was Besold hier anführt, steht nicht darin. — Seide- 
maun hat am Schlusse seiner Abschrift des Manuscr. Thomasianum ein 
Zitat aus (Erasmi Alberi) Ein Dialogus oder Gespräch etlicher Personen 
vom Interim usw. 1548, Bl. E iij notiert: Darnach Ao 1512 schicket 
man abermal ein groB treffenlich fein volck wider den Türcken, da 
war abermal yedermau frölich, lustig vnd fraydig zu solchem guten 
werck. Da ordnet man vber solch fein groß vnd wolgerüstet volcke 
einen weybischen Hauptmann oder Obersten, der nye kein blutigs 
schwerdt (sagt D. Martinus Luther) gesehen hat etc. Das ist gewesen 
Marggraff Joachim zu Brandenburg, des Romischen Reichs Ertzkammerer 
vnd Churfurst, vnder demselben starben Hungers mehr denn viertzig 
tausendt Mann, die nye keinen Türgken noch gesehen hetten, aber vil 
Bancketierens sahe man, Also war abermal das grosse gellt sampt der 
Kriegßrüstung verloren: heißt das nicht Tentschland verrathen (sagt 
D. Martinus Luther), so siehts doch der verrütherey gleich. Darnach 
z ohe der vermeint oberster feldthauptmann heym vnd ließ sich auff 
einem schlitten in der Stadt vmbher furen, ala hat ers wol auügericht. 

10) Epimetheus — Herr Nachbedacht, im Gegensatz zu seinem 
Bruder Prometheus. Bei Piudar Pyth. 5, 27 heißt er öyivoos. Gemeint 
ist natürlich der Marchio. 

11) Schurerus jedenfalls der Leipziger Buchdrucker Peter Schürer 
(vgl. auch Br. 96). Veit Dietrich erwähnt ihn in einem Brief an 


104 24 


Camerarius in Leipzig, datiert Niirnberg, 26. April 1542: Ego vestrati 
typographo Petro Schürer dedi commentarios in Micham excudendos 
(Kolde in BbKG. 13, 186). Kolde bemerkt dazu, daß Dietrichs Aus- 
gabe von Luthers Kommentar zum Propheten Micha aber nicht bei 
Petrus Schürer, sondern in Wittenberg bei Vitus Creuzer herauskam. 
Daher wohl die gereizte Stimmung Schürers gegen Dietrich. — Von 
Dietrichs Vorhaben, die Hauspredigten Luthers zu veröffentlichen, ist 
schon oben in Br. 97 vom 25. April (1543) (Kawerau, Jonas II, 101) 
die Rede. Doch erschien Dietrichs Ausgabe von Luthers Hauspostille 
erst im Jahre 1544 in Nürnberg bei Berg und Neuber, s. Weim. Luth. 
Ausg. Bd. 52; vgl. auch oben Br. 5. Auch der Brief von Cruciger an 
Dietrich, in dem er sich über die geplante Ausgabe ausspricht, vom 
26. Januar 1543 (Kolde, Anal. Luth. 387) verdient noch Beachtung. 

12) Dietrichs Sermon vom Fußwaschen, gehalten am Gründonners- 
tag, war gedruckt Nürnberg 1543, s. Enders-Kawerau 15, 137*; CR. 5, 
79f.; Strobel, Nachrichten vom Leben Veit Dietrichs S. 99. 

13) Dietrich veröffentlichte die Schriften: Wie man das volck zur 
buf vnd ernstlichem gebet wider den Türcken auf der Canzel ver- 
manen soll. Nürnberg bei Joh. v. Berg und Ulr. Neuber 1542, und: 
20. Psalm Davids: Wie man für vnser Kriegßvolck recht bitten soll 
wider den Tiircken. Nürnberg bei Joh. v. Berg und Ulr. Neuber 1542. 
Vgl. Strobel a. a. O. S, 79 und 81. Vgl. auch ARG. 12, 268 (Br. 42?). 

14) Ueber M. Hieronymus Schreiber vgl. Br. 94 u. 99 (BbKG. 18, 
40 u. 84). Seit 1. April 1542 gehörte er der philosophischen Fakultät 
zu Wittenberg als Dozent an (Köstlin, Bacc. III, 21). Er begleitete 
zwar Melanchthon nach Bonn, verließ ihn aber hier bald, um wegen 
seiner Gesundheit das Bad in Aachen aufzusuchen (CR. 5, 110), wo 
er bei Dr. Echt wohnte und noch Ende Juli 1548 weilte (CR. 5, 146). 
Im Jahre 1543 reiste er mit Valerius Cordus (s. oben Br. 95) nach 
Italien, wo er Ferrara, Rom, Neapel besuchte. Als Cordus im Sep- 
tember 1544 in Rom gestorben war, acheint Hieronymus Schreiber 
Italien wieder verlassen zu haben. In Frankreich soll er im Jahre 1547 
zu Paris gestorben sein. Vgl. Melchior Adam, vita Valerii Cordi; 
Irmisch, Progr. Sondershausen 1862, S. 14 u. 23ff.; Will, Nürnberger 
Gelehrtenlexikon III, 576. 

15) Zu Andreas Aurifaber aus Breslau vgl. Kaweran in PRE.? 2, 
287f., Enders 10, 145?; Enders-Kawerau 15, 2424; ZKG. 1, 157ff. 
Vgl. auch Br. 112. Dekan war er im Sommer 1543, vgl. Kóstlin, 
Bacc. III, 15. Er wurde übrigens später der Schwager Besolds, da 
er gleichfalls eine Tochter Osianders (Agnes) heiratete. (Vgl. Müller, 
Osiander S, 341f.) 

16) Nach Br. 96 bezahlte Besold wöchentlich !/, Gulden als Kost- 
geld, einen Satz, der für jene Zeiten nicht als übermäßig bezeichnet 
werden kann. Bei den großen Anforderungen, die an ihren Haushalt 
Lestellt wurden, war Käthe zu strengster Sparsamkeit genötigt. Es 
läßt sich allerdings nicht leugnen, daß ihre Zeitgenossen ihr über- 
große Genauigkeit im Rechnen nachsagten. S. o. Br. 95. 


Nr. 105. Besold an Dietrich, 17. Juli 1543. 


Clarissimo Viro D. Magistro Vito Theodoro docenti 
Evangelium Noribergae, domino ac patrono suo ob- 
servando. 

Salutem in Christo. Hermannus!) tuas mihi reddidit, 
mi humanissime Patrone, una eum D. Lutheri et D. Philippi 
literis?). Is eum nondum redijsset ad nos, dedi epistolam 


25 105 


NM. Paulo’), qui eam et resignavit et, ut opinor, rescribet. 
Ego vero etsi multa me sollicitant, nam et incommoda vale- 
tudo accedit, quae ut hactenus ita et nunc studia impedit, tamen 
omnino constitui petere gradum ad proximam promotionem *), 
ne videar saniss.? et fideliss. consilijs tuis repugnasse. De 
sumptibus vero cum nihil spei reliquum sit, libenter acquiesco 
et accipio conditionem illam de 10, fl., quod si feliciter res 
successerit, aliud consilium capiam, et utar ea in re opera 
d. Philippi aut d. Lutheri’), a quibus spero me im- 
petraturum, ut suis commendationibus apud Bomgartnerum 
aut Senatum aliquid conficiant. Nam illi ipsi mihi, ut omnes 
boni, testes erunt, de meo stipendio tantum erogari sine magno 
incommodo meo non posse. Etiam tunica opus est. Nam 
unam tantum habeo et eam omnino detietam®, qua donavit 
me Noribergae Tuchera*) Hic autem parvo parari 
vestes non possunt, ideo te oro, ut, si putest absque aliquo 
incommodo tuo fieri, et pannum emas non ita magno precio, 
sed nigro colore, is mihi imprimis probatur, quanquam et id 
tuo iudicio permitto. lllam pecuniam tertia vice detrahes, 
si nihil auxilij interim accesserit. Optarim autem duodecim 
aureos mihi mitti. Nam oeto numerandi suntSenatui Academiae, 
quatuor vix sufficiunt ad prandium et alia personalia ut 
vocant dissolvenda. Peto autem a te, mi humanissime Patrone, 
-ut primo quoque tempore perferri omnia cures. Nam pannum 
per Mereatores Lipsiam etiam hoc tempore mitti posse 
puto. Nota est tibi fortuna et rerum mearum conditio ac 
tenuitas, neminem habeo, cuius opera aut auxilio hac in re 
uti possim. Quare spero te mihi facile Veniam daturum, 
quod tantum oneris tibi imponere ausim. Caeterum de Sueco?) 
quae mandas, curabo diligenter, nondum potui eum eonvenire, 
sed hac hora puto eum ad me venturum. Pecuniam, quae 
reliqua erat, numeravit mihi M. Paulus“): Novem aureos 
et 14 g., quos dedi Vogello. Miliehius suam intra 
octiduum numerabit, nihil igitur restabit praeter 14 g. Si et 
Stemachio tres aureos dedero, illos interim servabo, 
donec significes, quid de ijs velis fieri). M. Georgius“) 
iussit me tibi salutem adscribere, et amanter a me petiit, 
ut se de intermissione literarum apud te excusem. Impeditur 
enim jam multiplieiter? curis domesticis, quae ei multas 
molestias pariunt. Nam domus M.Staffelstein!?) qui 
nuper obijt. ex dono ni fallor Principis ad eum redijt, in 
illa refieienda et exornanda occupatus est. Caeterum omnino 
promittit, se omni studio et conatu impediturum, ne recudatur 
hie liber Coneionum!!), quanquam, quid obtineri possit apud 
avaros Bibliopolas, non ignores et multo plus periculi sit 
a Sehurero, ut et ipse nuper significavi!?), nam mihi in 
os dixit. Quod si non poterit caveri hoc?, narrat tamen, se 


106 26 


in magnam spem venisse, facilime divendi posse exemplaria 
in superiori Germania, etiamsi huc nulla perferrentur. Novi 
nihil habeo, quod scribam aut mittam neque sermonum neque 
scriptorum D. Lutheri, quae tibi omnium gratissima esse 
scio. Nuper cum interrogaretur de novis, respondebat: Ich 
waiß Kein andere newe zeitung, denn daß ich hoffe, der 
Jüngste tag werde bald Kommen, die Zeitung sind so alt 
worden, daß manns nimmer acht wolan so wil aber ichs 
gläuben etc. Suaviter ridebat titulum illum libelli Ingolstadij^* 
novi, quem in literis tuis adscripseras (Grunnitus Porcorum)!3), 
et cum quaedam legisset, dicebat, vere nihil aliud esse quam 
grunnitum, et addebat: Er hat sorg gehabt, man wiß nit. 
daß er ein grober esel sey, er hat die ohren müßen sehen 
laßen. Ich will ee Osiander befehlen, so hat er auch 
etwas zuschreiben!*) Saepe enim otium et cessationem eius 
admiratus est, et saepissime dixit, eum debere aliquid operae 
conferre ad restituendas et purgandas legendas Sanctorum )). 
Istum laborem non carere magno fructu, et scio ei ipsi et 
multis pijs gratissimam fore hane operam. Nondum credit 
Caesarem in vivis esse!9), et suspicatur sacrificulos aliquod 
magnum malum moliri, cum milites Moguntiam, ut hie 
narratur, mittantur. *9Richius?”) apud nos est, ei si quid 
voles mittere, per proximum nuncium mittes, nam nondum 
hoc? haerebit. Bene et feliciter vale. Datae Vitebergae 
XVI. Calend. Augusti 1543. 

B Salutem opto honestiss. coniugi tuae et dulcissimis 
liberis. 

Hieronymus Besold. 


Petij nuper!) a te, Mi humanissime Patrone, ut 
D. Philippo consilium tuum de petendo gradu significes, 
idem nunc peto etiam atque etiam. Nam id multum commen- 
dationis adferet, cum videbit, non meo consilio haec suscipi. 
Iterum vale in Domino. 

Evangelia!?) et in Ioannem?") mittam alias, desunt enim 
ultimi, quos nuncio dem. 


a) sanctiss. S. 

b) detritam S., wohl richtiger. 

e) „multiplieiter* liest auch S. Im Cod, Schreibfehler: multi- 
plicita, 

d) Wohl hoc zu lesen (nicht hic). 

e) und ) Durch dies Zeichen ist das folgende Wort als zweifel- 
haft bezeichnet, 

8) nondum hoc] „So Cod., vielleicht non diu hic“ (Knaake). So 
liest auch S. 

h) Der folgende Satz fehlt bei S. 

1) Der Nürnberger Briefbote Hermannus wird auch von Melan- 
chthon öfters erwähnt, so in einem Brief an Veit Dietrich vom 
27. Oktober 1543 (CH. 5, 212) und vom 9, Dezember 1543 (CR. 5, 218 


21 107 


fehlt allerdings der auf ibn beziigliche Satz; Strobel hat ihn über- 
liefert, s. Enders-Kawerau 15, 277!): Attulit nunc huc Hermannus 
tabellarius Litteras Svencofeldii ad Lutherum et quosdam libellos etc. 

?) Diese Briefe Dietrichs an Luther und Melanchthon sind nicht 
bekannt. Melanchthon kehrte erst am 15, August von seiner Reise an 
den Rhein zurück (CR. 5,. 157). 

9) Zu Paul Eber s. RE.“ 5, 118ff. 

) Ueber Besolds Magisterpromotion vgl. oben Br. 104? und 103. 

* Ein Empfehlungsbrief Luthers für Besold in dieser Frage ist 
nicht bekannt. Aber Melanchthon schrieb zwei Briefe an Baumgartner 
und an den Rat von Nürnberg, freilich erst am 25. Dezember d, J. 
(CR. 5, 456), s. u. Br. 109. 

*) Tuchera vielleicht die Witwe von Antonius Tucher? (S. oben 
S. 38.) Er selbst war freilich schon 1524 gestorben. 


) Ueber diesen Schweden war nichts zu ermitteln. Möglicher- 
weise steht der Schwede mit dem Nürnberger Studenten in Beziehung, 
von dem Melanchthon am 8. September 1542 an Veit Dietrich schreibt 
(CR. 4, 865): Puerum Noribergensem vagabundum illum nobilis quidam 
Suecus secum me adsentiente abduxit reducturus huc. Is promisit 
puerum sibi curae futurum esse. Nolebat puer hic inopiam ferre. 
Was in Br. 112 über den abenteuerlustigen und wenig fügsamen Sohn 
des Nürnberger Diakonus Pistorius erzáhlt wird, der aus Schweden 
zurückgekehrt sei, läßt sich sehr wohl hiermit vereinigen. 


5) Dietrich benutzte Besold mehrfach zur Vermittlung von Geld- 
zahlungen an andere Nürnberger, s. Br. 99. Auch da kommen Milich, 
Vogel (s. Br. 47?) und der unbekannte Stemachius in Frage. Vielleicht 
ist Steinachius zu lesen und Andreas Knoll von Steinach bei Winds- 
heim gemeint, immatrikuliert Sommersemester 1541 (Alb. S, 189) zu- 
sammen mit Leonhardus Kettner von Hersbruck und Joh. Zeleysen von 
Nürnberg. 

?) Rórer. 

10) M. Staffelstein ist Georg Elner aus Staffelstein, der von 1507 
bis 1543 als Professor in Wittenberg wirkte; vgl. N. Müller, ARG. VII, 
253ff. Zur Ergänzung dazu dient (Th. St. 1915, 80) eine Notiz Rörers 
über seinen Todestag (21. Mai 1543). Sein Wohnhaus war kurfürst- 
liches Eigentum und Jag in der Priester- oder Pfaffengasse. Schon 
zu Lebzeiten Elners (7. Februar 1535) hatte der Kurfürst das Haus 
erblich dem M. Georg Rörer zugewiesen, s. N. Müller, Aus Deutsch- 
lands kirchlicher Vergaugenheit (1912) S. 87. — Von den „Haus- 
sorgen* Rórers zu dieser Zeit erzühlt auch Georg Helt in einem Brief 
an Fürst Georg von Anhalt, 7. September 1548: magister Georgius 
Rorer propter aedificium quoddam varie divexatur (Clemen, Georg Helt, 
s. 136). 

11) Die geplante Ausgabe der Hauspredigten wurde in Nürnberg 
gedruckt, s. o. Br. 97 und 103. 

iz, S. Br. 103 11. 

13, Es scheint dasselbe Gedicht zu sein, das Melanchthon in 
seinen Briefen an Veit Dietrich seit dem 12. Oktober 1543 oft erwühnt 
(CR. 5, 198, 209, 249. 258, 303). Den Verfasser bezeichnet er als Bavaricus 
Bavius. Nach Strobel, Leben Veit Dietrichs 5. 91 wäre dies Erasmus 
Wolf, der 1548 in Ingolstadt herausgab Ep. Jo. Eckii de ratione 
studiorum suorum — alia ep. de obitu Eckii adversus calumniam 
V. Theodorici autore Erasmo Wolphio. Der Titel der Schrift stimmt 
freilich nicht zu dem im Briefe angegebenen. Möglicherweise ist er 
gewählt im Anschluß an den Streit zwischen Dietrich und Scheurl, 
bei dem Dietrich die Kirche des Papstes stabulum porcorum ge- 
scholten hatte, Scbeurl die evangelische Kirche stabulum meretricum 
(Tschackert, Ungedr. Br. z. Ref. Zeit S. 21). Vgl. unten Br. 110. — 


108 28 


In Beziehung zu der Schrift des Erasmus Wolf (Professor in Ingol- 
stadt) scheint zu stehen Epistola de doctrina et morte Eccii, qua 
respondetur maledicto Ingolstadiensium scripto, quod editum est contra 
Vitum Theodorum Concionatorem Noribergensem, Autore Petro Lembergio 
Gorlizensi Norimb. 1543 (Waldau, Neue Beyträge zur Geschichte der 
Stadt Nürnberg I [1790] S. 127). Vgl. noch Kawerau, Jonas II, 107, 

14) Die Anregung an Osiander scheint unterblieben zu sein. 
Luthers Wunsch aber, daß Osiander auch über die Legenden schreiben 
müge (s. folgende Anmerkung) wurde vielleicht durch dessen im 
Jahre 1543 gedruckte Predigt ,Von den Heiligen wie man sie ehren 
soll“ (Möller, Osiander S. 250f.) veranlaßt. 

16) Zu Luthers Wertschützung der Legenden s. seine Vorrede zu 
Spenglers Bekenntnis 1535, W. A. 38, 313f., auch mehrere Tischreden, 
z.B. Erl. Ausg 62, 36ff. Er verlangte nur, daß sie gereinigt würden. 
Zwei derartige im Jahre 1544 in Wittenberg erschienene Werke (die 
Vitae patrum von G. Major und die Consolatoria exempla et sententiae 
ex vitis et passionibus Sanctorum von G. Spalatin) hat er bevorwortet. 
Erl. Ausg. opp. var. arg. 7, 565 fl. 

16) Zu den Gerüchten über Karls V. Tod vgl. Br. 104 u. 108. 

17) Richius, vielleicht Job. Richius aus Hannover (immatrikuliert 
Sommersemester 1539), der bald nachher, 11. September 1543, Magister 
wurde und für eine Professur in Marburg in Aussicht genommen war, 
s, Enders-Kawerau 15, 187. 

18) Wohl die Andeutung in Br. 103 gemeint? 

19) Evangelia neben dem Kommentar zum Johannesevangelium 
schon im Br. 99 erwähnt. Ist vielleicht an eine Nachschrift der Anno- 
tationes Ph. Mel. in Evangelia zu denken, die dann 1514 in Witten- 
berg gedruckt wurden (Hartfelder S. 608; CR. 5, 560; 14, 161)? In 
dem Widmungsbriefe an Georg Helt (CR. 5, 561) schreibt Melanchthon 
über ihre Entstehung: Ego domi solitus sum iuvenibus summam 
doctrinae Christianae tradere et lectiones usitatas in Ecclesia 
proponere, ut ad meditationem de virtute omnium summa, id est, de 
agnitione et invocatione Dei assuefierent et alia officia Deo grata 
discerent. 

20) Abschriften des Johanneskommentars von Cruciger, s. Br. 103, 


[Nr. 106 und 107 folgen nach Nr. 108.] 


Nr. 108. Besold an Dietrich, 21. August 1543. 


Clarissimo Viro D. Magistro Vito Theodoro docenti 
Evangelium Noribergae, domino ac Patrono suo obser- 
vando. Nürmberg. 

Salutem in Christo. Superioribus literis scripsi ad te, 
Humaniss. Patrone, de Summa et ratione distributae pecuniae!), 
quae reliqua fuit apud M. Paulum et D. Milichium, 
nune tuas expecto, in quibus nos expedias de illa, quam 
D. Milichius exposuit, et ostendas, quantum ei reddendum 
sit. Nam ad eam rem Dalerum apud me retinui. Gibbos o?) 
nihildum numeravi, nec habeo, quod ei dem, praeter illos 
quatuor aureos, quos a M. Hieronymo?) expecto. Hisce 
diebus redit D. Philippus*) Dei benignitate salvus & 
incolumis, et de vita Caroli certo constare dicit’), idque, cum 
et Vestrae literae adfirment, omnibus iam est persuasissimum. 


29 109 


Nam paulo ante Sabinus?) etiam D. Hieronymi Bom- 
gartneri epistolam?) Lipsia attulerat scriptam ex N ori- 
berga ad Ioh.“ Camerarium?) illam cum et ego nactus 
essem, exbibui D. Doctori. Sed nondum adduci potest, 
ut credat, quamvis ex animo optat Caesarem vivere. Con- 
tinebat autem et tristissimum nuncium de captis oppidis in 
Ungaria, non vi aut armis Turearum, sed nostrorum Ducum 
perfidia et proditione?) Hane et ipse D. Doctor detesta- 
batur, et queritur quotidie, in aulis Principum pro Consiliarijs 
regnare proditores et Sycophantas. Ipsius vero Bomgartneri 
integritatem, pietatem et virtutem, ut saepe alias, praedicabat, 
et facile apparebat, quanta cura et sollicitudine adficiatur 
pro salute totius Reip. Erat enim Epistola plena luctus et 
gravissimarum querelarum de calamitosissimo statu omnium 
rerum. Mihi quoque legenti eam obversabantur animo et 
ante oculos erebra eius suspiria, gemitus et lachrimae, quibus 
saepe VidiRatisponae!?) deplorantem interitum optimorum 
virorum, quorum salus, incolumitas et virtus magno usui 
futura erat et Patriae nostrae et toti Germaniae, Quamobrem 
Saepius eam relego, ut me ad cogitationem de his rebus et 
ad preces imprimis pro ipso D. Bomgartnero, nostro 
Patrono, deinde pro omnibus, qui virtute, fide et consilijs 
praesunt imperijs, exuscitem. Hoe mirabar, cum legeret 
literas eius D. Doctor et quaereret Domina de authore 
earum, respondebat: Tuus ignis Amyntas" dein alter Bul !), 
neque tamen explicabatur illud. Deinde honestissime de 
nostra Republ. loquebatur, laudabat nostrorum Constantiam in 
Confessione Evangelij. Cum enim obiecisset M. Holstein!) ille 
(quem nosti optime) Noribergenses male audire in Saxonia, 
eo quod non in foedere Smalcaldensi sint, dici eos neutrales 
esse et expectare eventum, ibi respondebat graviter his verbis: 
Ey es ist zweyerley, doctrina Evangelij und foedus. Man 
thut ihnen Unrecht, Es ist Kein statt, die sich so wohl hat 
gehalten. Es ist der Kayser bei ihnen gewest, den haben 
sie gehalten als ibren Herren ete. Ist Ferdinandus zwir bey 
ihnen gewest, aber sie sein allmal fest blieben (et haec 
prolixe commemorabat, recitabat historiam de Sacrificulo illo 
Ducis Sabaudiae’), de Monachis & alia multa quae memoriter 
tenebat), und ich will sie noch wohl selbs excusirn, habt 
mirs nieht furübel? ete. Quia es hat ein mysterium mit 
dem foedere. Multum impenditur, man leßt sie darnach 
sitzen, Ich thát es selbs nit, ich verdenck sie gar nichts 
drumb, Sie wollen? nit wider ihren Herrn den Kaiser thun, 
Und das ist auch recht. Quia est civitas Imperij Die 
andern stätt die müßen drinnen sein propter vicinos, aber 
sie dörffens nit, sie sein dem Marggraffen Gott sey Lob 
starck gnug. De Osiandro dicebat!): Osiander mus 


110 30 


was eigens haben, hoc est certum: wann er nit zu Ntirn- 
berg wer, so hett er lengst ein secten angericht. Jamdudum 
erupisset, sed ibi continetur in carcere. Ach was soll Daniel 
vom Julio Caesare reden), wenn wir das 7. caput Danielis 
verliehren. Oho! ete. De Caesare sublatis in coelum manibus 
dicebat: Ich wolte von hertzen gern, daß er noch lebet. Denn 
wenn Carolus noch lebet, so ist noch aliqua spes. Ist 
er tod, so haben wir gewiße tumultus in Germania. Carolus 
der hat Gott sey lob noch autoritatem et favorem, aber 
Ferdinandus der hat fidem et authoritatem verlohrn 10. 
Man helt ihn fur ein sehuster, das ist nun nit gut, wenns 
also gehet, wie der Psalm sagt: Effundam contemptum super 
reges!) etc., so ist es auß. Drumb wolt ich gern, daß ich 
unrecht hett, daß mein glaub falsch wer, das woll der liebe 
Gott, aber ich dubitire, ich hab sorg: nondum credo. wenn 
sie Personam similem haben, wie man sagt, so Konnen sie 
Ceremonias und manum leichtlich imitirn, sagen zu ihm: IB 
und trinck also, stell dich also, red nicht viel. Carolus 
ist traun immer freundlich gewest. 

Photin um!“) demiror, quid ei in mentem venerit, aut 
qua spe aut quo consilio uxorem duxerit, quod ego nunquam 
ne suspicatus quidem sum). Domina mea iterum mecum 
iurgabit, eum audiet aliquem ex civibus nostris duxisse 
ancillam !?), dolet enim negligi suas virgines nobiles, scilicet 
quas ipsa dies noctesque praedieat. Sed nunquam tam 
commode dicet, ut ego quidem in casses eius pertrahar, 
quamvis sedulo conetur, sed mori me hercle satius est. 

Richius? per nuncium Syngrapham mittet, et fortassis 
rescribet ipse. 

Bene et felieiter vale. XII. Calend. Sept. 1543. 


Hieronymus Besold. 


a) So Cod., auch S. 

b) „Vielleicht muß es heißen: Tuus antiquus Amyntas. Im Cod. 
wie im Text.“ (Knaake.). Diese Vermutung von Knaake irrig, s. unten 
Anm. 11. 

e) saepissime S. 

d) fürübel S. 

e) wüllen S. 

f) sim S. 


1) Ueber die Geldangelegenheit s. Br. 105. 

2, Gibbosus = ? 

3, Hieronymus, wohl Schreiber, denn Baumgartner wird nachher 
im Br. selbst als D. Hieronymus bezeichnet. 

4) Melanchthon war am 15. August 1543 vom Rhein zurück- 
gekehrt, s. CR. 5, 157; Enders-Kawerau 15, 1975. 

5) Wegen der Gerüchte über des Kaisers Tod vgl. Br. 104 und 
105 und die Briefe Luthers vom 14. August 1543 an Herzog Albrecht 
von Preufen: der Kaiser soll noch leben, on das schwer zu glauben 
ist bey vielen; und vom 18. August 1543 an Amsdorf: Caesarem vivere 
per vim mihi persuadere volunt. Et sane mallem eum vivere potius 


31 111 


quam mortuum esse (Enders-Kawerau 15, 193, 196), Vgl. auch unten 
Ende des Briefes. 

^) Georg Sabinus, s. CR. 10, 405 und ADB. 30, 107. 

) Ob dieser wichtige Brief Baumgartners an Camerarius noch 
in München ist (collectio Camerariana)? 

5) Johannem Camerarium wohl verschrieben statt Joachimum 
Camerarium. 

9 Schon die früheren Erfolge der Türken wollte Luther aus 
Verrütereien erklären. Vgl. Enders-Kawerau 15, 117ff. (dazu be- 
sonders Anm. 3) und oben Br. 1032, 

10) Besold war 1541 beim Religionsgespräch zu Regensburg 
zugegen gewesen. Verpoorten, Sacra superioris aevi analecta (1708) 
S. 105 bietet einen Brief von Job. Draconites an Link, Regensburgi 
(April) 1541, in dem der Satz vorkommt: Reliqua ex Hieronymo Besoldo 
praedocto et modesto iuvene cognosces. Besold scheint damals öfter 
zwischen Nürnberg und Regensburg hin und her gereist zu sein, um 
Briefe und Büchersendungen zwischen Melanchthon und Dietrich zu 
vermitteln. Vgl. den Brief Melanchthons an Dietrich vom 15. April 
1541 (CR. 4, 170): Postea venit ad me adolescens Hieronymus et 
attulit Medici veteris amici nostri (Dr. Magenbuch) literas et tuas. 
Editionem Venetam ro äyior fkfAiov remittam per scholasticum 
Hieronymam. Ferner Melanchthon an Dietrich, 29. Juni 1541 (CR. 4, 
437): Scripseram . . primum Latinam sententiam [CR, 4, 413], quam 
misi; postea . . reddidi Germanice (CR. 4, 419] . . Exemplum tibi 
mittit adolescens Hieronymus; und Melanchthon an Dietrich, 19. Juli 
1541 (CR. 4, 523): Scripta nostra mittit adolescens Hieronymus. 

11) Die Besold unverstündliche Neckerei zwischen Luther und 
Käthe bezieht sich auf die einstige Neiguug Baumgartners zu Käthe. 
Vgl. Enders 8, 282? (Original in München ex Altocoburgo prima 
Octobris), wo auch auf diese von Seidemann schon verwertete Stelle 
hingewiesen wird. „Tuus ignis Amyntas" nach Vergil, ecloga 3, 66: 
At mihi sese offert ultro meus ignis Amyntas. Auch in spáteren 
Briefen an Baumgartner neckt Luther diesen mit seiner alten „Flamme“ 
(Enders 14, 55° u. 87). 

1%) M. Johannes Sachse ans Hettstädt bei Husum oder Holstenius, 
s. Br. 98 und 97° (25. April 1543), 

12) Ueber diesen Vorgang s. ZKG. 31, 96. 

14) Aehnliche Urteile Luthers über Osiander z. B. in den Tisch- 
reden, Erl. Ausg. 59, 256 ff. Kroker, Tischreden in der Mathesischen 
Samml. Nr. 190. Weiteres unten zu Br. 106 u, 112. 

18) Vgl. unten Br. 112 und S. 123 Nachtrag. Auffallend ist, 
daB Luther schon im August 1543 Osianders Auslegung von Daniel 
7, 20 (das zehnte Horn sei Julius Cásar) kennt, wáhrend doch dessen 
bezügliche Schrift zuerst 1544 erschienen iat (Móller, Osiander S. 260). 


16) Ungünstiges Urteil Luthers über Ferdinaud z. B. auch in den 
Briefen Luthers an Jonas. 7. Mürz 1543 (Ferdinandum et Mezentium 
et Mentzium cum suis squamis esse Germaniae hostes Turcissimos 
mihi nullum est dubium), an Amsdorf, 18. August 1543 (Ferdinandus 
in dies fit Satanior et furentior), und an Mathesius, 19. August 1543 
(de Tyrannide et furore Ferdinandi, tristissimi et miserrimi Regis); 
vgl. Enders-Kawerau 15, 123, 196, 198; weiter s. oben Br. 96, 

17) Psalm 107, 40. 

18) Photinus nach Kawerau (s. Br. 96) Joh. Voyt. Diakonus an 
S. Lorenz. Hirsch-Würfel, diptycha S. 87: M. Joh. Voit wurde 1545 
Diakonus an S, Lorenz, wegen seines Ungestüms gegeu das Interim 
entlassen (vgl. auch BbKG, 5, 284), durch Hieronymus Baumgartner 
wieder erbeten, blieb bis 1553 Diakonus, dann wieder entlassen, 
dienstlos bis 1556 in Nürnberg, dann Diakonus in Augsburg, gestorben 


112 32 


1556 oder Anfang 1557. Ordiniert ist er in Wittenberg am 6, Mai 1545: 
M. Joh. Voigt von Nürnberg aus dieser Vniuersitet beruffen gein 
Nurnberg zum predigambt (Buchwald, Wittenberger Ordiniertenbuch 
S. 43, n. 677). 

19) Zu Küthes Abneigung gegen Ehen von Studierten mit Mágden 
vgl. auch Kroker, Katharina von Bora, S. 274. 

20) Richius, s. Br. 105 u. 106. 


Nr. 106. Besold an Dietrich, 24. August 1543. 


Clarissimo Viro D. Magistro Vito Theodoro docenti 
Evangelium Noribergae, domino ac patrono suo eum 
obseryantia colendo. Nürnberg. 

Salutem in Christo. Humanissime Patrone. Mitto syn- 
grapham Richij!), qui iussit et salutem a me tibi adscribi 
eum testificatione suae voluntatis et observantiae erga te. 
Erat quidem ipse daturus ad te literas, sed non licuit per 
occupationes. Aspirat enim ad titulum Magisterij. De meo 
consilio scripsi nuper?), cur sententiam de suscipiendo gradu 
mutaverim. Ideo decem loachimicos, quos misisti, detrahes 
omnes proximo stipendio. Nam omnino opus erit ad hanc 
rem subsidio Senatus aut aliorum honestorum hominum. De 
meo stipendio Vix vestem comparare potero. Nondum mecum 
constitui, quo expaciari velim. Expecto Hermannum?), 
ut ea de re tuam sententiam audiam. Cum enim non petu- 
lantia aliqua, sed valetudinis recuperandae et conservandae 
ratio me moveat, spero me tibi facile probaturum eonsilium 
meum, neque plus mihi concedi cupio quam spacium unius 
mensis), post redibo in Scholam ed ad studia maiori alacritate. 


De Osiandro?) fama ad omnes eruditos totius Ger- 
maniae permanavit, doleo vicem tanti Viri, et Christum 
precor, ut is eum gubernet. D. Doctor confert eum cum 
Doctore Jeckel*). Heri in Coena dicebat: Wann D. Jeckel 
nit dißentire soll ab Ecclesia et a ministris, so wird er 
sterben. So ist Osiander auch, der hört nicht auff, bi 
jhn die Herrn von Nurnberg auff ein Thurn setzen. Caeterum 
de D.Iacobo existimo audivisse te, detentum esse eum 
Lipsiae quatuordecim diebus in carcere, dimissus venit huc 
hisce diebus, communicataras de quibusdam rebus cum 
Philippo et D. Doctore, sed a Doctore non est in 
eolloquium admissus. Cum enim esset in aedibus et peteret 
se admitti, curavit ei nunciari se occupatum esse neque velle 
se eum audire. M. Agricola publice in Marchia pro 
Coneione defendit ludaeos”), corruptus eorum muneribus et 
largitionibus. Vide, Avaritia quid faciat. Hic dei beneficio 
tranquillitas est. In salinis grassatur pestis?). De rebus 
Belgicis nunc silentium est”), quia omnes Iuliacensi 
metuunt!^). Christus faxit, ut componatur res bona gratia, ut 


33 | 113 


et ibi Eeclesiae recte constitui et furori grassantis Turcae 
resisti queat. Bene et feliciter vale. Die S. Bartolomaei 1543. 


Hieronymus Besold. 


1) Richius, s. Br. 105 u. 108. Magister wurde er am 1l. Sep- 
tember 1513, s. Kóstlin, Baccal. u. Mag. III, 15. 

2) Vgl. Nr. 105, auch 109. 

3) Vom Briefboten Hermannus war auch schon in Br. 105 die Rede, 

) Die zur Erholung geplante Reise Besolds schon in Br, 99 
erwühnt; vgl. auch Br. 105, 107. 

5 S. o. Nr. 1084, j 

e) Jakob Schenk. Das Folgende zitiert und erläutert Seidemann 
in seinem Dr, Jak. Schenk (1875) S. 58ff., 114; dasselbe teilweise auch 
schon in der Ztschr. f. histor. Theol. 1874, 557 f, 

7) Zum Eintreten Agricolas für die Juden vgl. den neu gefundenen 
Lutherbrief an Buchholzer, etwa 1. September 1513 bei Enders-Kawerau 
15, 859: Die spruche, so yhr mir anzeiget, wider euch gefuret, die 
Juden zu schutzen, Wil ich noch nicht hoffen, Auch noch nicht 
gleuben, das M, Isleben solte predigen oder yhe gepredigt haben usw. — 
Vgl auch den Brief Forsters an Schradin, Nürnberg, 13. Juni 1543 
(Germann, Joh. Forster, S. 305, wo nach Schilderung der Begünstigung 
der Juden durch Joachim II. der Satz folgt: Ad hanc impietatem 
promovendam haud segniter se praebet Euslebius). 

) Ueber die Pest in Halle s. Enders-Kawerau 15, 221? (in Halle 
und Vororten starben damals 6000 Menschen), den Brief Luthers an 
Jonas 30, September 1518 (Flagellum pestis iam apud vos saevit), 
a. a. O. S. 229; Kawerau, Jonasbr, II, 110 Jonas an Fürst Georg von 
Anhalt, 30. September 1513: Lues iam per totum trimestre non medio- 
criter grassatur; ebenda IT, 377 auch Fürst Georg an Jonas, Oktober 1543. 

?) In den Niederlanden hatte 1542 und im Frühling 1543 der 
geldrisch -französische Feldherr Martin van Rossem große Erfolge 
gegen die Kaiserlichen gehabt. 

19 Am 23. August wurde Düren von den kaiserlichen Truppen 
gestürmt, und am 7. September sah sich der Herzog von Jülich-Cleve 
zum Frieden mit dem Kaiser genótigt. 


Nr. 107. Besold an Dietrich. Frankfurt a. M., 13. Sep- 
tember 1543. 


Clarissimo Viro et egregia eruditione praedito D. Magistro 
Vito Theodoro docenti Evangelium Noribergae, 
domino ae Patrono suo observando. Nürnberg. 

1543. 13. September. 

Salutem in Christo. Testis erit M. Hieronymus?) 
me non sine causa aut sine longa deliberatione neque absque 
consilio et consensu Praeceptorum hane profectionem ad 
Rhenum usque suscepisse?) Tuum vero consilium magno 
desiderio expectabam, sed cum indies malum augeretur, cui 
nullum aliud remedium adferri posse iamdudum Medici ad- 
firmarant, et cessaret diutius Hermannus), non potui 
expectare responsionem tuam, praesertim cum offerretur mihi 
comes iueundissimus Erasmus Alberus*). Quare peto 
abs te, mi humanissime Patrone, ne hoc petulantiae alicui 
tribuas, ad quod necessitas me et valetudinis ratio adegit. 


Archiv für Beformationsgeschichte. XIII. 2. 8 


114 34 


Neque ultra mensem a Schola abfuturus sum. Cras petam 
Moguntiam, inde per Vormatiam et? Spiram 
Heidelbergam ibo, in reditu veniam ad vos, si commodum 
videbitur, quamvis incertus sum, ideoque hasce ad te literas 
Ottoni nostro?) dedi, ut significarem id, quod coram ex 
mandato Dominae conficiendum erat. Misit ante aliquot 
menses D. M agen bu chô) Medicamenta D. Doctori Luthero. 
Haee mirifice valetudini eius conducunt. Quare iterum a me 
petivit Domina, ut Noribergae ea a Doctore peterem, 
una cam oleo quodam Caryophyllorum, Negelein úl etc. De 
precio?) quid statuendum sit nescio, ipsa hoc consilij dabat, 
ut de mea pecunia, quae mihi mittitur, solverentur, se mibi 
Vitembergae redditoram?”. Id mihi minus probatur, etsi 
enim de fide eius non dubito, tamen vereor, ne plus offensionis 
quam benevolentiae mihi pariam, si quando eam de solutione 
admonerem. Quare tibi totum negotium commendo, cum ad 
Valetudinem et incolumitatem tanti Viri tuendam? pertineat, 
et a te multo facilius confici et vel gratis a D. Doctore °) 
impetrari possit. Spero eum, qua est humanitate, benignum 
se praebiturum esse. Paucis diebus ante discessum meum 
valde excruciabatur calculo, adeo ut putaretur animam 
efflaturus et curaret ad se media nocte D. Philippum 
vocari?) Christus eum confirmet et servet quam diutissime. 
Si non venero Noribergam, rogo, ut pecunia mea tibi 
eurae sit, decem Ioachimicos detrahes, reliquum per affinem 
et parva quidem moneta! Vitebergam ad M.Vogelium!!) 
mittito, is eam servabit, donec rediero. Hodie heic? 
Bucerus!?) concionatus est, redij enim ex Bonna”, 
adest et Pistorius!?), qui me amanter Niddae excepit 
et iussit me tibi salutem adscribere. Bene et feliciter vale 
in domino. Ego nune dei benignitate melius habeo, et spero 
me et salvum et incolumem ef summa cum alacritate ad 
studia quamprimum rediturum. Iterum vale felicissime et 
ignosce negligentiae literarum. Francofordiae ad Moenum 
XIII. September 1543. 
Tibi addictissimus 
Hieronymus Besold. 

a) inde bis et fehlt bei S. 

b) Cod. redditurum. 

c) Cod. tuendum (nach Knaake). S. hat tuendam. 

d) Im Cod. „cleir“, aber durch ^ in Zweifel gestellt. S. liest heic, 


e) Im Cod. ,Bomia*, aber durch * in Zweifel gestellt. S. liest 
Bonna. 


1) M. Hieronymus Schreiber, vgl. oben Br. 103*, Von seiner Reise 
nach Aachen war er, vielleicht mit Melanchthon, wieder nach Witten- 
berg zurückgekehrt und hatte jetzt wohl seine Reise nach Italien 
vor, auf der er auch Nürnberg berühren mußte. Vorher besuchte er 
aber noch Torgau, vgl. Melanchthons Brief vom 17, September 1543 


39 115 


an Marcus Crodel in Torgau (CR. 5, 177): Commendo tibi hunc 
M. Hieronymum Noribergensem convivam, qui Torgam proficiscitur, 
ut arcem et exempla artis Architectonicae contempletur. Wenn die 
Nürnberger Historiker eine Reise Besolds nach Torgau (s. oben Vorbem. 
S. 82 Anm. 1) besonders hervorheben, so beruht dies vielleicht auf dieser 
Briefstelle, aber dann haben sie Hieronymus Schreiber mit Hieronymus 
Besold (der damals noch nicht Magister war) verwechselt. Die Reise 
nach Italien trat er erst am 1. Oktober 1543 an (s. CR. 5, 184ff.): - 
Hieronymus profecturus in Italiam prius in patriam iter facit (8. auch 
Bindseil, Suppl. S. 187). 

*) Ueber Besolds schon lange gehegten Plan, im gesundheitlichen 
Interesse eine längere Reise zu unternehmen, vgl. oben Br. 99 u. 106. 
Zum consensus praeceptorum s. auch Bindseil, Suppl. zum CR., S. 187 
(Ergünzung zu dem Briefe Melanchthons an Dietrich vom 6. September 
1548, CR. 5, 176): Hieronymus propter valetudinem meo consilio ex- 
patiatus est et rogavit, ut meis literis apud te excusaretur. 

3) Hermannus der Briefbote, s. Nr. 105 u, 106. 

*) Zu Erasmus Alber vgl. Schnorr v. Carolsfeld, Erasmus Alberus 
1893), Koldes Artikel in RE.* 1, 287ff., besonders aber Emil Kórner, 
rasmus Alber, 1910 (= Bd. 15 von Berbigs Quellen u. Darstell. a. d. 

Gesch. des Reformationsjahrhunderts). Körner (S. 75 u. 191) führt 
unsere Briefstelle an aus Seidemanns Abschrift (Dresdener Makr. R. 280 
n. S. 347) und schaltet darin die Vermutung ein, Alber sei durch Ver- 
mittlung seines alten Universitütsfreundes Dr. Magenbuch (vgl. dazu 
Kórner S. 15) Besolds Reisebegleiter geworden. Alber, seit Dezember 
1542 Gast in Luthers Hause, kam 1513 — wir wissen nicht genau, 
wann — als Pastor nach Staden bei Frankfurt a. M. Am 241. August 
1513 promovierte er unter Luthers Vorsitz zum  Lizentiaten der 
Theologie, damals bereits wird er ,pastor in Staden prope Frankford 
ad Moganum“ genannt; und am 15. Oktober desselben Jahres wurde 
er in Wittenberg Doktor der h. Schrift (Drews, Disputationen S. 748 fl.; 
vgl. Fórstemann, Liber decan. S. 33 u. 85). Kórner meint (S. 74), er 
habe wohl den Lizentiatengrad vor seinem Abzug nach Staden über- 
kommen; Drews (S. 750) urteilt, das neue Pastorat sei der Anlaß 
seiner Promotion gewesen. — Jedenfalls hat Alber nach seiner Lizen- 
tiatenpromotion als Besolds Begleiter Anfang September 1513 Staden 
zum Reiseziel gehabt, mag er nun dort schon einige Wochen vorher 
Pastor gewesen sein oder, was wahrscheinlicher ist, eben damals in 
die ihm verliehene Pfarrstelle übergesiedelt sein. (Das „pastor“ in 
jenen Dekanatsakten bedeutet dann: pastor designatus.) 


5) Otto noster vielleicht der Nürnberger Buchhándler, von dem 
J. F. Roth, Verzeichnis aller Genannten des Nürnberger Rats S. 71 
schreibt: Ao. 1533 errichtete Joh. Otto den ersten musikalischen Verlag 
in Nürnberg mit einem Privileg von Kónig Ferdinand. Vgl. auch 
Br. 115, — Vielleicht hatte dieser Buchhändler Otto die Frankfurter 
Herbstmesse besucht, so daß sich dadurch für Besold jetzt eine be- 
queme Gelegenheit zur Befórderung des Briefes bot. 


$) Dr. Joh. Magenbuch aus Blaubeuren, lange Jahre (1524— 1546) 
Stadtphysikus in Nürnberg, vgl. Will, Nürnberger Gelehrtenlexikon II, 
530 und Enders 4, 88; mehrfach auch erwühnt bei v. Soden, Beitrüge, 
z. B. S. 496f. In den Briefen Luthers, Melanchthons, Bugenhagens, 
Jonas' wird seiner ófters gedacht. Da an den beiden zuerst zitierten 
Stellen mit Literaturnachweisen über ihn gesagt wird, es sei unbekannt, 
ob er in Nürnberg 1546 gestorben oder weggegangen ist, sei hier 
verwiesen auf Will-Nopitsch VI, 345: ,im Totenregister steht Joh. 
Magenbuch, der Arznei Doctor unter der Vesten in Nürnberg, daselbst 
9. Oktober 1546 begraben". Kurz vorher war er noch (vgl. CR. 6. 
217) zu Markgraf Albrecht ins Lager gerufen worden (Brief von 


fx 


116 36 


Hieronymus Baumgartner 30. September 1546). Bestattet wurde er 
auf dem St. Johannes-Kirchhof (Siebenkees, Materialien zur Nürnberger 
Gesch. IV, 610). Eine seiner Tóchter heiratete den Prediger Christoph 
Kaufmann zu Nürnberg (Siebenkees a.a. O.), eine andere wurde die 
dritte Frau Osianders, über die zu vergleichen Bossert, ARG, 12, 158 ff. — 
Magenbuch hatte schon einmal Medikamente an Luther geschickt, 
vgl. den Brief Veit Dietrichs an Luther vom 16. Februar 1548: Mitto 
hic medicinam, quam in tantis occupationibus Magenbuchii vix potui 
impetrare (Enders 15, 109). Vgl. auch u. Br. 110 u. 129. — Im Jahre 
1543 erbot sich auch die Grüfin Dorothea von Mansfeld, die sich viel 
mit der Heilkunst abgab, dazu, Luther ärztlichen Rat zu erteilen, 
s. ibre Briefe an Luther vom 26. August und vom 14. September 1543, 
Enders-Kawerau 15, 206 u. 225. 

7) Käthe stand in dem Rufe, lieber zu nehmen als zu geben, 
s. O. Br. 95 u. 1031, 

5) D. Doctore, das ist Magenbuch. Die Erwartung, daB dieser 
die Arznei umsonst schicken werde, hat sich erfüllt, vgl. Br. 11012. 

?) Von dem heftigen Krankheitsanfall Luthers berichtet auch 
Melanchthon selbst in einem Briefe an Mykonius vom 27, August 1543: 
Hac nocte calculus atrociter invasit Lutherum (CR. 5, 165). 

10) Wegen des Wunsches nach kleiner Münze vgl. Br. 96, 100, 101. 

11) Zu Mag. Matthias Vogel s. Nr. 105 und 472. 

1?) Bucer hatte die Predigt vermutlich Sonntag den 9, Sep- 
tember in Frankfurt gehalten. Bucer schreibt selbst aus Frankfurt a. M. 
den 13. September an den Landgrafen Philipp, aber ohne dieser Predigt 
zu gedenken (Lenz, Briefwechsel Landgraf Philipps mit Bucer IT, 158 ff). 

15) Ueber Joh. Pistorius, Pfarrer zu Nidda, der mit in Bonn ge- 
wesen war, vgl. oben Br. 6, auch Enders-Kawerau 13, 285!! und 
15, 1550, 


Nr. 109. (Besold) an Dietrieh (28. Dezember) 1543. 


Clarissimo et Optimo Viro D. Magistro Vito Theodoro 
Domino ac Patrono suo observando. Nürmberg. 

28. December 1543», 

Salutem in Christo, quem precor ex animo, ut tibi et 
dulcissimae familiae tuae largiatur annum tranquillum, faustum 
et felicem. "Vehementer enim sollieitus sum de salute et 
incolumitate tua, et quoties de magnitudine muneris, quod 
omnes nos sustinemus, cogito, opto, ut liceat tibi quam diu- 
tissime esse superstiti. Totus enim cohorresco, quoties audio 
Praeceptorum admonitiones de impendentibus malis et tenebris 
et, ut ille apud Poetam exclamat: „Heu nunquam vana 
Parentum auguria*!) Ita et ego tantorum Virorum Vaticinia 
haud dubie habitura suos eventus iudico. Accedunt et aliae 
molestiae, parit? petitio gradus?), quae animum meum nunc 
non mediocriter exercent. Utinam feliciter hoe malo defungi 
possim et uteunque satisfacere iudieio D. Philippi, cuius 
quidem quanta sit erga me benevolentia, verbis eloqui non 
possum. Commendo igitur me et valetudinem et studia mea 
tuis sanctissimis precibus. Ego ubi liberatus fuero his curis, 
omni studio in sacras literas incumbam et pro te preces ad 
deum fundere nunquam desinam. Praefationem in Genesin?) 


31 Ä 117 


hodie absolvit D. Philippus, quae admodum prolixa est, 
et scripsit meo nomine ad Senatum & d. Bomgartnerum*) 
diligentissime. eius literas una cum epistola D. Lutheri’) 
ad D. Hierony mum misi, nec petivi certam summam, si 
fortassis plus, quam ego peterem, numerarent. De Exemplaribus 
quid M. Georgius?) apud Bibliopolas confecerit, nondum 
seio, sed curabo diligenter, ut mittantur ad affinem?) D. 
Milichio?) satisfactum est de ratione pecuniaria, exhibui 
enim ei tuas literas, dicit, se nunquam ne suspicatum quidem 
esse, dolo malo secum agi aut actum esse. Quare non est, 
quod sis sollicitus ea de re, probe curata sunt omnia. Si 
recte memini, puto apud me aliquid nummorum esse reliquum?) 
quos ab eo accepi necdum distribui, sed non licuit hactenus 
quaerere per occupationes chartam, in qua signasse me ante 
profectionem meam?) puto; ubi invenero, certiorem te de 
summa faciam et numerabo ad festum Paschatis cuicumque 
volueris, aut detrahes eam meo stipendio. D.Lutherus!! 
Dei beneficio nunc recte valet, hisce diebus festis bis magna 
alacritate concionatus est, et enarrat iam publice eaput 
Esaiae IX admodum luculenter!?) deposuit enim interim de 
manibus Genesin propter festum. Cum redirem, exeipiebar 
humanissime ab utroque, quod nuper oblitus sum ad te 
perscribere!). Sed Dominae inusitata benevolentia significat 
eam aliquid monstri alere!*. Virgo interim Fabiano 
Kauffmann’) nupsit, ab illa nihil periculi est, quanquam 
dirimere matrimonium conantur. Sed aliud metuo, id ubi 
sensero, scribam ad fe, fortassis tum primum erumpet, cum 
ornatus fuero gradu et titulo Magisterij. Sed nihil agent. 
In communibus rebus nihil novi est, quare boni consulas oro 
brevitatem literarum, quas scripsi minus diligenter, eum omne 
tempus repetitioni praeceptorum, quae ad gradum requiruntur, 
tribuendum sit et multum operae collocandum in Epistolam 
D. Hieronymi % fuerit, ne fortassis negligentiam in stylo 
repraehenderet. Te Deus incolumem multos conservet in 
annos meque regat et faciat socium chori angelici canentis 
Gloriam in Excelsis Deo. Spero te missurum pecuniam per 
affinem et commendationem ad M. Floccum” Decanum?”), 
Ideo avide literas ex Lipsia expecto. Iterum vale, Salutem 
opto? honestissimae Coniugi et dulcissimis liberis. Datae 
post Ferias Natales Domini 1543. 


Mitto edictum a D. Philippo conscriptum?*) et literas 
M. Hieronymi Rauscher!?) is cum et egeat auxilio 
et propter candorem et modestiam et eruditionem non indignus 
videatur benevolentia tua, rogo ne ei deesse velis. 


a) Schreibfehler des Cod.: 1643. 
b) So auch S, Wohl eas zu ergänzen. 


118 38 


c) Im Cod. „Flaccum“. Dazu Knaake: „Oder Flacium zu lesen.“ 
Letzteres bei S, Bichtig ist Floccum, 8. u. Anm. 17. 

d) Im Cod. „quo“, durch + als zweifelhaft bezeichnet. Start 
dessen vermutet Knaake richtig „opto“, so liest auch $, 


1) Statius, Achilleis I, 26. 

2) Vgl. Br. 110, Die Promotion erfolgte am 31. Januar 1544. 

3) Melanchthons Vorrede mit dem Datum vom 25. Dezember 1543 
gedruckt CR. 5, 258; Weim. Luth, Ausg. 44, S. XIV—XX. In einem 
Brief Melanchthons an Veit Dietrich, der ebenfalls das Datam des 
25. Dezember trügt, ist diese Vorrede schon erwühnt. Damit ist aber 
Besolds Angabe oben (hodie praefationem in genesin absolvit D. Philippus) 
nicht zu vereinigen, denn das Datum unseres Briefes läßt sich (s. u. 
Anm. 11) schwerlich anders als mit 28. Dezember auflósen. 

*) Diese beiden Briefe sind uns noch erhalten, beide datiert vom 
25. Dezember, der an den Rat CR. 5, 256, der an Baumgartner CR. 
5, 255. 
5) Ein Brief Luthers an Baumgartner aus dieser Zeit ist bisher 
nicht bekannt geworden. 

6) M. Georg Rörer. 

?) affinis (auch weiter unten in diesem Brief), vielleicht Dietrichs 
Schwager Stephanus, s. Br. 1005, 101. 

5) Mit Milich waren schon früher Geldangelegenheiten zu ordnen; 
8. Br. 99 u. 105. 

*) Ein Geldrest erwáhnt in Br. 105, 

10) S, Br. 107. 

11) Zu der Nachricht, daß Luther gesund sei und an den Fest- 
tagen zweimal gepredigt habe, vgl. Luthers eigene Worte in den 
Briefen an Medler: his diebus revixi mortuus et bis concionatus sum 
sine omni difficultate; und an Amsdorf: Caput et pedes mei satis firmi 
sunt pro ista aetate. Concionatus sum bis in his festivitatibus sine 
omni difficultate et molestia praeter spem meam et omnium (beide 
Briefe datiert vom 27. Dezember 1543, Enders-Kawerau 15, 292 u. 
291) — Vgl. auch Bugenhagen an Herzog Albrecht von Preußen, 
80. Januar 1514 (Vogt, Bugenhagenbriefe S. 280): Unser lieber Vater, 
Doctor Martinus Lutherus, ist auch von Gott nach seiner schwacheit 
also gesterket, das er eine Zeit lang wedderumb lectionen in der 
schulen gelesen hat, und über das hat er auch wedder angefangen in 
diesen weinachten zu predigen. — Luther batte am 1. und 2. Feiertage 
nachmittags gepredigt, s. Weim. Luth, Ausg. 49, XXXI. Außer diesen 
beiden Predigten kennen wir aus dem ganzen Jahre 1543 nur noch 
zwei andere, vom 1. April und 13. Mai, s. a. a. O. — Da Besold die 
Tatsache von Luthers Predigten erst nach dem Feste niedergeschrieben 
haben kann, wird das oben angegebene Datum des Briefes, wie es der 
Abschreiber vermerkt hat, wohl zu Recht bestehen. Höchstens könnte 
man an den 27, Dezember denken. Der Widerspruch zwischen Melan- 
chthon und Besold wegen des Zeitpunktes für den Abschluß von 
Melanchthons Vorrede zur Genesis bleibt freilich bestehen. 


1?) Seine Vorlesung über Jesaias Kapitel 9 begann Luther wohl 
am 17. Dezember 1513, s. Weim. Luth.-Ausg. Bd. 49, S. VIII die 
Notiz aus einer verlorenen Rórernachschrift: 17, Dezember 1543 praelegit 
9. cap. Esaiae. Veit Dietrich, der jedenfalls Rörers Nachschrift erhielt, 
gab diese Vorlesung im Jahre 1546 heraus, s. Strobel a. a. O. S. 121; 
Köstlin, Luther II, 588. Die Feststellung, daß die Genesisvorlesung 
in der Festzeit unterbrochen wurde, wird nüher bestimmt durch Luthers 
eirene Worte aus der Eróffnungsvorlesung zur Enarratio Cap. noni 
Esaiae (Erl. Ausg. opp. lat. 23, 303f.): Si ratio valetudinis meae patitur, 
suspensa ad tempus historia de patriarcha Joseph, in qua nunc in 


39 119 


Genesi versamur, per hos aliquot dies commentabimur de filii Dei - 
domini nostri incarnatione. 

13) Dieser Brief Besolds an Dietrich fehlt. 

14) Ueber Käthe Luthers Heiratspláne vgl. Schluß des Br. 108. 

15) Ueber den Fall des Fabian Kaufmann, Luthers Neffen 
(immatrikuliert 8. Juni 1533, Alb. S. 149), s. Kroker, Katharina v. Bora, 
S. 154, Enders-Kawerau 15, 3123, 

16) Hieronymus Baumgartner, an den Besold auch selbst schrieb 
wegen einer Geldunterstützung für seine Promotion; vgl. oben Anm. 4 
den Brief Melanchthons an Baumgartner. 

1?) Statt M. Flaceum lies Floccum (s. o. zu c). Er war Dekan im 
Wintersemester 1543/44 (Köstlin, Bacc. IIT, 15). Vgl. über Erasmus 
Flock aus Nürnberg (1514—1568) Br. 96*. Im September 1545 wurde er 
Dr, med. in Wittenberg (vgl. unten Br. 114). Er ging nach Nürnberg, 
wo er als Arzt und Mathematiker wirkte, vgl. ADB. 8, 280 und Will, 
Nürnberger Gelehrtenlexikon V, 419. — Gemeint ist er auch unter 
dem D. Pflog in Luthers Brief an Veit Dietrich vom 23. September 
1545 (Enders-Kawerau 16, 293! u. 351). (Statt Furtter wird hier wohl 
Futterer zu lesen sein. Die Futterer waren ein angesehenes Geschlecht 
in Nürnberg.] 

18) Das edictum a D. Philippo conscriptum erwühnt Melanchthon 
selbst in seinen gleichzeitigen Briefen an Baumgartner: Mitto tibi 
proximi edicti nostri pagellam; und an Veit Dietrich: Mitto tibi 
pagellam edicti nostri (CR. 5, 256 u. 258). Vielleicht kommt der im 
Namen des Rektors Melchior Fend am 3. Dezember 1543 ausgegangene 
Anschlag wegen Beerdigung eines Studenten in Frage (CR, 5, 240). 

19) Zu M. Hieronymus Rauscher s. oben Br. 97° und ARG. 18, 36. 


Nr. 110. Besold an Dietrich, 3. Februar 1544. 


Clarissimo Viro & egregia eruditione & Virtute praedito 
D. Magistro Vito Theodoro, docenti Evangelium Nori- 
bergae, Domino et Patrono suo observando. 

Salutem in Christo, cui toto pectore et animo gratias 
ago, quod tot bonis me cumularit, Vicit enim et vota et 
omnem expectationem meam immensa Dei misericordia, cum 
tam liberaliter sumptus a Senatu collati sint, € locus ho- 
nestissimus a Praeceptoribus decretus. Nam pridie Calendas 
Februarias ornati sunt titulo Magisterij triginta quinque Can- 
didati!, inter quos quartus locus mihi vel iudicio vel quadam 
benevolentia praeceptorum attributus est, quod ego nunquam 
ne optare quidem ausus fueram. Utinam vero, ut honoribus 
meis favit Christus, ita et studia porro provehat ad gloriam 
nominis sui. Tibi, humanissime Patrone, pro commendatione 
magnam gratiam habeo, etsi enim tardius reddebantur literae 
(nam pridie eius diei, quo conferebantur nobis insignia 
Magisterij, nuncius advenerat) tamen agnosco' tuum plus 
quam paternum erga me animum, qui nihil, quod ad me non 
iuvandum solum, verum etiam ornandum pertinere videtur, 
praetermittis. D. Philippus non proficiscetar Spiram?). 
Petivit enim D. Lutherus a principe per literas, ne eum 
a Schola toties abstraheret. Valde commovebatur, eum legeret 


120 40 


illa in meis literis de Monacho amoto?) a Ministerio, et statim 
initio sibi displicuisse consilium D. Forsteri narrabat, 
qui eum ob nescio cuius commendationem vocaverat, a 
Pomerano vero ad vos missum esse negabat. D. Luthero 
valde probabatur faetum Senatus, qui conjecit nuncium in vincula 
propter libros Sehwengteldinos*). Uterque vero irascitur 
porcis Ingolstadiensibus. Cum legisset Dominus Doctor 
scriptam Saliceti") exhibitum ei a Domino Philippo, 
veniens vesperi ad Coenam, videbatur mihi plane excanduisse, 
nam avide quaerebat ex me de tuis literis & dicebat: das 
ist Veit Amerbach, Est prima foetura contra nos, et 
addebat esse impurissimum scriptum simile poemati nebulonis 
ilius Lemnij. Adscribam enim eius verba: Es ist der 
ander Le mnius, grobe seu, hanns worst”, und grobeanus® 
sein sie. Es ist nit werth, daß man darauff antwort. Ist 
ein offentliche lügen. Es ist ein Zeichen, daf sie es beber 
wißen, daß sie wider ihr eigen conscientz blasphemirn. O 
ich habs gern, wann sie so getrost lügen. Es macht mir 
allezeit frisch geblüt, wenn meine adversarij so unverschämbt°) 
lügen, als Rotzlofflichen?) und D. Eck, die weiß ich, 
daß sie es beber wißen, was“ darff er sagen, wir.improbirn 
Politias oder Magistratum, Ich will die von Nürnberg zu 
Zeugen nehmen, die haben gesagt, sie haben ihr lebtag 
nichts beßers gelesen noch gehört de Magistratu, als wir 
geschrieben haben. Accusir er den Papst, ille tollit imperia, 
tritt König nnd Kayser mit füßen, deponit Reges etc. Haec 
non sine magna animi commotione in coena dicebat de 
carmine illo. Catalogum Scholasticorum?) nostrorum addidi, 
qui egent sumptibus tum pro libris tum in alios usus. Reliqui 
sunt apud me triginta et unus grossus, sed nune non sum 
solvendo, nam plane exhaustus sum, parandae enim fuerunt 
vestes ad promotionem, et tamen tunica adhuc deest et 
indusia. Quare valde te oro, ut per proximum nuncium 
quinque daleros de reliqua pecunia, quam a Senatu impe- 
travimus, mittere velis, ne desint sumtus usque ad Mercatum 
Lipsicum. Singulis enim septimanis pecunia pro mensa 
numeranda est. Eam vero, qua opus est ad paranda indusia 
et tunicam, detrahes stipendio. Panni autem colorem aut 
nigrum auf purpureum, qualis M. Vogelij!?) est, optarim 
esse, nisi secus fibi videbitur, tibi enim omnem rem permitto. 
De studijs meis seribam alias, etiam d. Hierony mo!!) per 
literas gratias agam, et jam 4 D. Luthero impetravi ad 
D. Magenbuch!?) quas ubi scripserit, proxime cum meis 
ad eum mittam. His bene et feliciter vale. Datae postridie 
purificationis Mariae 1544. 

Salutem opto honestissimae Coniugi tuae & dilectiss. liberis. 

Hieronymus Besold. 


41 121 


(P. S) Hodie cum iterum incidisset in mensa sermo 
de Carmine Saliceti’), protulit id D. Doctor et nobis 
legendum exhibuit. Mirati sumus obscenitatem et spurcitiem 
scripti omnes, et ipse addebat: Qui talia audet scribere in 
publicum, ille non est Vir bonus. Er belt die gantze welt 
pro lupanari. er denckt nit, daß manns zu Nürnberg auff 
dem Rathhauß oder wirs hie werden lesen. Were ein ehr 
in seinem hertzen, so schämet er sich solch ding zuschreiben. 
Er ist ein grober unverschämter Esel. Ist Lemmichen??). 
Ich wolt Ihm wohl mit vier Versen antworten, aber er ist 
nit wert. Man muß M. Veiten schreiben, daß er der bösen 
wort gewohnen mus, ich hab ihr viel müßen freßen mein 
tag, wol 300 Schiff voll. Aber es leit nit dran. Es ist der 
teufel, der redt solche ding. Diabolus est iratus, Das sihet 
man wohl, aber man mus ihn verachten. Ihr werdt sehen, 
Deus puniet eum. Sie wolten uns gern seditionis arguiren, 
aber sie Kunten nit, Gott sey lob. Er ist zuweit gefahren, 
Quod Caesar alat stipendijs, qui doceant Principes infideli- 
tatem etc. Nun wolt ers gern wider hinein bringen. wann 
ich iung? wer oder die weil hett, ich wolt ihm wohl ant- 
worten. Ich wolt inn ihre Cardinál herfur mutzen, aber 
absit ab ore meo obscenitas, ich wolts nit gern in Vestris 
auribus reden, will schweigen in publicum. Sie mainen, sie 
wollen convitijs und mendacijs Papae causam agirn, aber es 
thuts nicht, argumenta und res müßens thun. Sein lauter 
Mendacia, das coniugium schänden sie und schweigen ire 
seortationes, Unser Herr Gott wird sie straffen, das werd 
ihr sehen etc. 


a) Hanns Worst S. 

b) Grobianus S. 

e) vnverschämbt S. 

d) Was S. 

e) Schreibfehler des Cod.: ,inug". 


1) Die 35 neuen Magister vom 31. Januar 1544 verzeichnet Köstlin, 
Bacc. III, 15f. Dekan war nicht mehr der Besold wenig genehme 
Andreas Aurifaber (s. Br. 103), sondern der Nürnberger Landsmann 
Erasmus Floccus. 

) Daß Melanchthon nicht zum Reichstag nach Speier zu reisen 
brauchte, war ihm selbst sehr lieb, wie er am 24. Januar 1544 an 
Camerarius schrieb: Etsi non prorsus liberatus sum metu profectionis 
ad conventum, tamen aula mihi satis comiter promittit fore ut non 
abducar (CR. 5, 293). — Ein Briefwechsel Luthers mit dem Kurfürsten 
über diese Frage ist bisher nicht zum Vorschein gekommen. 


) Ueber die Entfernung eines ehemaligen Mónchs aus einem 
geistlichen Amt in Nürnberg hat sich nichts ermitteln lassen. Joh. 
Forster, der ihn berufen hatte, war seit Oktober 1543 nicht mehr 
Propsteiverwalter zu St. Lorenz in Nürnberg, vgl. Germann, Joh. Forster, 
S. 425; oben Br. 66. 

*) Ueber diesen Vorfall ist sonst nichts ermittelt. Andere heftige 
Urteile Luthers aus dieser Zeit über Schwenkfeld s, bei Kroker, 


122 42 


Luthers Tischreden in der Mathes. Slg. S. 335f. (Abschnitt III, Besold, 
Tischreden von 1544.) 

5) Scriptum (unten: carmen) Saliceti. Nach Wiedemann, Johann 
Turmair gen. Aventinus (1858) S. 28f. (vgl. S. 20) war Georg Spies 
oder Spieß, Cuspinus, Boiemus, Behamus, auch von seinem Geburtsort 
Weiden i. d. Oberpfalz Salicetus genannt, Mitglied der von Aventin im 
Jahre 1516 gestifteten sodalitas literaria in Ingolstadt, dann (nach Prantl, 
Geschichte der Universitát Ingolstadt etc. II, 457, vgl. I, 163, 187f. 
seit 1518) Professor der Rechte und der Dichtkunst daselbst, neunzehn 
Jahre hindurch Dekan der juristischen Fakultát, spüter Kanzler und 
bischóflicher Rat zu Passau und Freising; auf dem Reichstag zu Hagenau 
1510 erhob ihn Kaiser Ferdinand in den Adelsstand. Wiedemann a. a. O. 
S. 29 zühlt eine Reihe Gedichte von ihm auf, die anscheinend alle aus 
den früheren Jahren stammen. Das von Besold erwähnte Schmäh- 
gedicht ist sonst nicht bekannt. Vgl. auch oben zu Br. 105 das über 
den libellus Ingolstadius grunnitus porcorum Gesagte. Die porci 
Ingolstadienses auch hier wieder genannt. 

6) Ueber Veit Amerbach äußert sich Luther auch in dem Briefe 
an Lauterbach vom 9. Februar 1544 abfüllig (Enders-Kawerau 15, 337). 
Vgl. Kroker, Luthers Tischreden in der Mathesischen Sammlung Nr. 653 

12. 


S. 3 

) Ueber Lemnius und seine Schandgedichte auf die Wittenberger 
(1538) vel. Köstlin® II, 421ff. u. 673 die Literaturangaben, dazu WA. 
50, 3181f. 

i ) Rotzlofflichen ist Cochleus, s. Köstlin, Luther“ IT, 306. 

3) Ueber die Geldangelegenheiten mit den Studenten vgl. Br. 105 
und 109. 

10) M. Vogel, s. Br. 105. 

11) Hieronymus ist Baumgartner, der die Geldunterstützung durch 
den Nürnberger Rat befürwortet hatte, s. Br. 109. 

E: Den Dankbrief an Dr. Magenbuch für die gesandten Medikamente 
(vgl. Br. 107) schrieb Luther erst am 15. Mai 1544 (Enders-Kawerau 
16, 24). Er übersandte ihm zum Zeichen seines Dankes ein Exemplar 
des ersten Bandes der Genesisvorlesung. 

15) „Den Namen Lemm, der in Wittenberg, wohl unter Beziehung 
auf seine untersetzte Gestalt (?), zu dem Spitznamen Lemchen Anlaß 
gab, latinisierte er in Lemnius.“ P. Merker, Simon Lemnius, ein 
Humanistenleben (1908) S. 3 (— Bd. 10£ der StraBburger Forschungen). 


Nachtrag zu oben S. 81 (Vorbemerkungen) Anm. 1. 


Beim Abdruck eines Briefes von Caspar Cruciger an Veit Dietrich 
vom 14. Februar 1544 (vgl. CR. 5, 314) erwähnt Strobel in seinen 
Beitr. z. Litteratur 11 (1786) S. 481 Anm. eine ,noch ungedruckte 
Lebensbeschreibung Besolds^ von D. Zeltner [t 1738]. in der dieser 
Briefe Besolds an Dietrich benutzt hat; darin — so führt Strobel an — 
„beschreibt Besold die Frau D. Lutherin als potentem et avaram, die 
alles zu Rath gehalten und bey den Tischgenossen auf richtige Be- 
zahlung gedrungen. Auch meldet er insonderheit, daß, als er, Besold, 
einst Luthero einen Brief überbracht, und sie nach ihrer Gewohnheit, 
wo er her und von wem man rede, gefragt, Lutherus ihr geant- 
wortet: von deinem alten Buhlen, womit er Hier, Baumgartnern 
gemeint. Wobey er zugleich anmerkt, daß sie diejenigen Theologos 
nicht leiden könne, die Weiber von schlechtem Stand geheyrathet“. — 


43 123 


Diese Stellen kommen sämtlich auch in unsern Briefen vor, vgl. Br. 95, 
103 16, 108 1. Höchstwahrscheinlich hat D. Zeltner demnach schon 
das Manuscr. Thomas. benutzt. Seine ungedruckte Biographie Besolds 
aber ist verschollen, 


Naehtrag zu Br. 108, Anm. 15 (s. oben S. 111). 


Vgl. noch Melanchthon an Dietrich 17, August 1543 (CR. 5, 159): 
Reverso statim monstratae sunt epistolae tuae de Danielis enarratione, 
de qua nunc quidem novam disputationem non instituam. Si Julius 
est parvum cornu vel Augustus, quomodo convenient caetera, quod 
bellum gerat cum Sanctis? etc. Danach scheint Dietrich die Deutung 
eines der Hórner auf Julius Cüsar zuerst aufgebracht zu haben. Diese 
Auslegung mag im Wittenberger Kreise öfter besprochen worden 
sein, so dal es dann nicht mehr auffallend wáre, wenn Luther 
schon vor Erscheinen von Osianders Schrift — der seinerseits vielleicht 
von Dietrich beeinflußt ist (oder umgekehrt Dietrich von Osiander?) — 
davon sprach. 

(Fortsetzung folgt.) 


Forschungen zur Politik Karls Y. 
wiihrend des Augsburger Reichstags 
von 1530. 


Von Eduard Wilhelm Mayer. 


II.) 
Die Zulassung 
des sächsischen Kurfürsten zur Königswahl. 


Während des Augsburger Reichstags hatte der Kaiser 
um die Stimmen der Kurfürsten für die Wahl seines Bruders 
Ferdinand zum römischen König geworben. Unter ver- 
wendung reichlicher Geldmittel hatte er alle katholischen 
Mitglieder des Kollegiums gewonnen. Nur mit Johann von 
Sachsen war nicht unterhandelt worden, da man wußte, daß 
er um des religiösen Zwiespalts willen die Wahl Ferdinands 
bekämpfen werde. Des Kaisers Absicht war daher, den 
Sachsen gar nicht einzuladen, sondern durch den Papst seine 
Exkommunikation erneuern und das Wahlrecht ihm absprechen 
zu lassen. Allein die Kurfürsten erblickten hierin eine Be- 
drohung ihrer Rechte, und namentlich Albrecht von Mainz, 
dem die Einberufung des Wahlkollegs zustand, weigerte sich, 
Johann zu übergehen. So schilderte wenigstens Granvella 
dem päpstlichen Legaten die Lage). Campegio freilich ver- 
mutete, daß auch der Kaiser selbst schwere Bedenken gegen 


*) Im ersten Teil ist die Korrektur folgender Namen mißglückt: 
S. 40 Anm. 1 Winckelmann statt Winkelmann. — S. 47 Z. 1 v. u. 
Cueva statt Cucoa. — S. 59 Anm. 5 Lanz statt Lang. — S. 61 
Anm. 1 Schweizer statt Schweiger. 

1) Campegio an Salviati 25, Oktober 1530. Ehses, Römische 
Quartalschrift XXI S. 115. Über die Verhandlungen berichtet auf 
Grund von Wiener Akten O. Winckelmann, Der Schmalkaldische 
Bund 1530—1532 und der Nürnberger Religionsfriede. S. 15, 


45 125 


die AusschlieDung des Sachsen habe, da sie einen Grund 
zum Kriege geben könne, den Karl augenblicklich zu ver- 
meiden wünsche !). 

Wie dem auch sei, jedenfalls spiegelt das erste Gesuch, 
das der Kaiser in dieser Angelegenheit an den Papst richten 
lieB, seine Unentschlossenheit wider. In einem Schreiben 
vom 30. Oktober an seinen Gesandten in Rom, Miguel Mai?), 
legt er dar, daß er selber die Berufung des Sachsen ungern 
sähe. Da aber die Kurfürsten sich dafür aussprächen, weil 
man den Ketzern einstweilen keinen Anlaß zum Kriege 
geben und auch dem Kurfürsten von Sachsen die Rückkehr 
zum alten Glauben nicht völlig versperren dürfe, habe er 
noch keinen Entschluß gefaßt, wolle sich deshalb einstweilen 
jeden Weg offen halten. Zu diesem Zwecke erbittet er von 
dem Papst zwei Bullen entgegengesetzten Inhalts, deren eine 
die Zulassung des Kurfürsten zur Wahl, trotz seiner Ex- 
kommunikation und unbeschadet der Gültigkeit des Wahl- 
aktes, aussprechen solle, während in der anderen zu erklären 
sei, daß er als notorischer Ketzer seine Ehren und Würden, 
also auch das Wahlrecht verloren habe und den anderen 
Kurfürsten verboten werde, ihn aufzunehmen. Der Kaiser 
vermutet, daß der Papst sich auf die Erteilung des Bann- 
dispenses schwer einlassen werde. Wenn der Gesandte ihn 
trotz aller Bemühungen nicht erwirken könne, solle er 
wenigstens die Bannerneuerung aussprechen lassen“). Offenbar 


1) Campegio an Salviati 14. Oktober. Ehses a.a. O, XX 74. 

*) Beilage Nr. 1. Eine lateinische Übersetzung dieses Briefes, die, 
von einer Auslassung und einem -kleinen Zusatz abgesehen, mit dem 
Entwurf in Simancas übereinstimmt, hat F. Noack in seinem Aufsatz: 
Die Wahl Ferdinands I. und die süchsische Kurstimme, Forsch. z. 
dtsch. Gesch. XXII 665f., auf Grund eines Gießener Kodex veróffent- 
licht. Hier wird irrtümlich Kardinal Loaysa als der Adressat des 
Briefes bezeichnet. In der Instruktion für Pedro de la Cueva ist aber 
ausdrücklich gesagt, daß der die Königswahl betreffende Brief für 
Miguel Mai bestimmt ist. (Heine, Briefe an Kaiser Karl V. 528.) 
Außerdem ist in Simancas der Entwurf eines kaiserlichon Schreibens 
an Loaysa mit dem Datum des 30, Oktober erhalten, das jenen Text 
nicht enthält. 

) Es heißt im Text: wenn die erste (Banndispens-) Bulle nicht 
zu erreichen sei, müsse wenigstens die zweite (Bannerneuerungs-) 
Bulle erwirkt werden, Falsche Interpretation bei Winckelmann 


126 46 


hoffte Karl mit Hilfe einer solchen päpstlichen Erklärung 
die Opposition der Kurfürsten brechen zu können. Einen 
tiefen Einblick in die Verschlagenheit der kaiserlichen Politik 
läßt die Bemerkung tun, die zweite Bulle müsse später datiert 
sein als die erste. Das hätte dem Kaiser ermöglicht, auf 
Grund des Banndispenses dem Wunsche der Kurfürsten zu 
willfahren und den Sachsen zu laden, um ihn dann, wenn 
er sich nicht gefügig zeigen sollte, jederzeit mit Hilfe der 
zweiten Bulle wieder zu entfernen. Daß das ganze Manöver 
recht eigenartig war, fühlte Karl wohl selbst. Er forderte 
deshalb von seinem Gesandten, daß strengstes Geheimnis 
gewahrt werde. Niemand dürfe erfahren, daß sie um die 
Bullen gebeten und sie empfangen hätten. 


Pedro de la Cueva, dem das Schreiben, das er selbst 
nach Rom zu überbringen hatte, gezeigt wurde!) hatte 
wirklich allen Grund zu seiner Vermutung, daß die Dis- 
pensation kaum zu erlangen sein werde. Aber was den 
Kaiserlichen vom Standpunkt der Kurie schwer erfüllbar 
schien, erregte dem Papst und seinen Beratern nicht so viel 
Bedenken. Kardinal Loaysa, Karls Beichtvater und damals 
sein geistlicher Vertreter in Rom, machte dem kaiserlichen 
Herrn Vorwürfe, daß er den Papst überhaupt um Erneuerung 
der Exkommunikation und nicht nur um den Dispens gebeten 
habe. Der Bann sei im Augenblick völlig inopportun, da 
er den Streit mit dem Gegner verschärfe. Er rät dringend 
davon ab, die zweite Bulle zu verwenden, wenn der Sachse, 
zur Wahl berufen, einen anderen als Ferdinand wählen sollte. 
Das könnte zur Aufrichtung eines Gegenkönigtums führen?). 

Noch während de la Cueva mit dem Briefe vom 
30. Oktober unterwegs war, traten in Augsburg Ereignisse 
ein, die das Interesse des Kaisers an der Erlangung des 


S.16: „Sei aber der Papst nur zur Ausstellung einer Bulle zu 
bewegen, so möge er lieber den Banndispens als die Bannerneuerung 
erlassen.“ 

1) Karl V. an Mai, 1. November. Beilage Nr. 1. Zusatz. Nachdem 
man Pedro de la Cueva in diese Angelegenheit Einblick verstattet 
hatte, bekam er in seiner Instruktion (Heine 528) Vollmacht, auch 
hierüber zu verhandeln. 

2) Loaysa an den Kaiser, 18. November. Heine 388. 


47 127 


Banndispenses verstárkten. Karl hatte den beiden in Augsburg 
anwesenden Kurfürsten, Albrecht von Mainz und Joachim 
von Brandenburg, sowie den Botschaftern der abwesenden 
mitgeteilt, daß er sich um den Dispens beim Papst bemüht 
habe, zugleich aber nochmals vorgeschlagen, daß man sich in 
dem Verhalten gegen den Sachsen auf eine durch den Papst 
erneut auszusprechende päpstliche Exkommunikation stützen 
möge!). Dies hatte zu neuen Verhandlungen geführt, in deren 
Verlauf die Kurfürsten die ständischen Rechte energisch geltend 
machten. Etwa am 10.November kam es zu einem Abkommen?) 
in dem der Kaiser seine Einwilligung dazu gab, daß der Sachse 
geladen würde, sogar selber an ihn zu schreiben versprach und 
sich verpflichtete, für ihn die Suspension des Bannes ad istum 
actum electionis tantum vom Papst zu erwirken. Weigere 
sich der Papst, den Sachsen persönlich zu rehabilitieren, 
dann solle er wenigstens die Wahl trotz der Teilnahme des 
Häretikers anerkennen. Falls auch dies in Rom nicht zu 
erreichen sei, erklären sich die Kurfürsten bereit, ohne den 
Sachsen zur Wahlhandlung zu schreiten. Sie und der Kaiser 
verpflichteten sich, die so vollzogene Wahl zu schützen und 
aufrecht zu erhalten. 

Diese Vereinbarung macht im Grunde die Teilnahme 
des Sachsen an der Wahl abhängig von der Entscheidung 
des Papstes. Sie verpflichtet den Kaiser, seinen Einfluß ein- 
zusetzen für die Wahrung der Rechte Johanns und bedeutet 
insofern die Annahme des kurfürstlichen Standpunkts durch 
Karl. Andererseits darf sie nicht als ein völliger Sieg der 
Kurfürsten aufgefaßt werden. Denn sie willigten für den 
Fall, daß der Papst den Dispens nicht erteilte, in den Aus- 
schluß des Sachsen. Einer entschiedenen Politik der Kurie 
hätte sich also hier die Gelegenheit geboten, Einfluß auf 
die Zusammensetzung des Kurkollegiums zu gewinnen. 
hy vgl. Noack 659 Anm. 2. 

2) Ranke hat die Abkunft auf Grund eines deutschen Textes 
im Brüsseler Archiv veröffentlicht (S. W. 6, 138f.). Noack 059ff, teilt 
Stücke eines lateinischen Textes in Gießen mit, den er für einen bloßen 
Entwurf hált, Der lateinische ist vom 8., der deutsche vom 13. No- 
vember datiert. Aus dem Schreiben an Mai vom 11. November ergibt 


sich, daß der Kaiser den Standpunkt der Kurfürsten schon an diesem 
Tage angenommen hatte. 


128 48 


Der Kaiser war den Kurfürsten zu Willen, weil er 
möglichst rasch die Wahl seines Bruders durchzusetzen und 
alles zu vermeiden wünschte, was Schwierigkeiten schaffen 
konnte. Er ließ deshalb am 11. November neue Weisungen nach 
Rom ergehen?), um für die Kurfürsten jeden Stein des An- 
stoßes zu beseitigen und seine Versprechungen einzulösen. 
Noch fürchtete er, daß ein wirklicher Banndispens und die 
Anerkennung der Gültigkeit der sächsischen Kurstimme vom 
Papst nicht zu erlangen sein werde. Für diesen Fall 
rät er zu dem, schon im Vertrag mit den Kurfürsten 
angedeuteten, Ausweg, daß der Papst zum mindesten die 
Gültigkeit einer in Gegenwart des Sachsen vollzogenen Wahl 
aussprechen solle. Besondere Vorsicht empfiehlt Karl für 
die Formulierung der Ausschließungsbulle, die er auch jetzt 
noch zugleich mit der anderen fordert, obwohl er entschlossen 
ist, den Sachsen zu laden. Von einer Entziehung des 
Wahlrechts — ein Ausdruck, den er selbst noch in dem 
Schreiben vom 30. Oktober verwandt hatte — dürfe nicht 
gesprochen werden, Clemens könne nur den Kurfürsten 
auftragen, Johann von Sachsen nicht zuzulassen. Man 
sieht, Karl hat gelernt, auf das kurfürstliche Standesgefühl 
Rücksicht zu nebmen, 

Bevor dieser zweite Brief in Rom eintraf, war die Ent- 
scheidung schon im Sinn des Kaisers gefallen. Pedro de la Cueva 
hatte am 17. November in Gegenwart des Miguel Mai, des 
Gesandten Ferdinands Andrea de Burgos und Muxetulas 
dem Papst ein Schreiben Karls tiber die Kónigswahl und die 
sächsische Kurstimme Überreicht). Der Papst ließ sofort 
die Kardinäle Lorenzo Pucci und Pietro Accolti kommen; in 
ihrer Gegenwart wurde das Gesuch des Kaisers besprochen 
und, da sie keine Einwände vorbrachten, die Erfüllung seiner 
Wünsche zugestanden. Die Bereitwilligkeit der Kardinäle 
wird verständlich, wenn wir von Cueva hören, daß sie gleich- 
zeitig dem Kaiser für die ihnen bewilligten Pensionen danken 
lassen. Nachträglich machte dann allerdings Kardinal Pucci 


— — 


1) Beilage Nr. 2, 

2) Cueva an den Kaiser, 17. November. Beilage Nr. 3 I. Dies 
Schreiben Karls V. an den Papst scheint in Simancas nicht erhalten 
zu sein. Sein Inhalt ergibt sich aus dem Briefe an Mai vom 30. Oktober. 


49 129 


Schwierigkeiten; aber angesichts der kaiserlichen Gnaden- 
erweise verstummte dieser Widerspruch, und Cueva ver- 
sichert, diese Trinkgelder hätten sehr gute Dienste geleistet’). 
So erkaufte sich Karl die Zustimmung der Kurie, ebenso 
wie er vorher bei den Kurfürsten sein Geld hatte spielen 
lassen ). Er wußte noch zu gut, wie er sich selbst den Weg 
zum Kaisertum geebnet hatte. 

Nachdem jedes Hindernis beseitigt war, wurden die 
Bullen und Breven am 27. November ausgefertigt. Loaysa 
erzühlt, er habe sie mit den Briefen des Kaisers verglichen 
und einer mehrfachen Korrektur unterziehen lassen, um alle 
dort geäußerten Wünsche zu erfüllen?). Das gleiche taten 
Mai und Muxetula. Am 29. November konnten die Schrift- 
stücke abgesandt werden‘). 


Der Banndispens wurde in der Form erlassen, daß der 
Papst an den Erzbischof von Mainz als den Einberufer des 
Kurfürstenkollegs die Aufforderung richtete, auch den Herzog 
von Sachsen zu laden, und die unter Johanns Teilnahme 
vollzogene Wahl trotz seiner Exkommunikation für gültig 
erklärte v). Der Ausschluß des Sachsen von der Wahl wurde 
in zwei verschiedenen Aktenstücken ausgesprochen. Wie 
schon Cueva vorgeschlagen hatte“), wurde das Gebot, den 
Sachsen auszuschließen, getrennt von der Erneuerung des 
Bannes. Jene Exklusionsbulle“) wurde wie die Dispensations- 
bulle in Form einer Aufforderung an den Kurfürsten von 
Mainz erlassen, und beide haben eine identische Arenga. 


1) Cueva an Covos 27. November, an den Kaiser 29. November. 
Beilage Nr. 3 II u. III. Über Lorenzo Puccis bekannte Geldgier vgl. 
Pastor, Geschichte der Püpste IV 1, S. 57. 

55 Vgl. Campegio an Salviati 13. September. Ehses a. a. O. 
XIX 149: La pratica dell' elettione del re de Romani procede avanti 
et il prefato Rwo Leodiense ragionando mi disse, che omnino per 
pecuniam si faria. 

) Loaysa an Karl 30. November. Heine 395, 

) Cueva an Covos 27, November, an den Kaiser 29. November. 
Beilage Nr. 8 II a. III. 

5) Beilage Nr. 4 III. 

) Karl V. an Miguel Mai 1. November, Beilage Nr. 1. Zusatz. 

) Beilage Nr. 4 II. 

Archiv far Reformationsgeschichte. XIII. 2. 9 


130 50 


So kam denn ein Urkundenpaar zustande, das eine gleich- 
lautende Einleitung hatte, aber kontradiktorisch endete: aus 
der Fülle der apostolischen Gewalt wurde die Ladung des 
Sachsen erst geboten, dann verboten. Die Wahl wurde im 
voraus für gültig erklärt, nach dem Wortlaut der einen 
Bulle, trotzdem der gebannte Kurfürst daran teilnehme, 
nach dem Wortlaut der anderen, trotzdem er nicht zuge- 
lassen werden dürfe. In noch feierlicherer Form wurde die 
Bannerneuerungsbulle*) abgefaßt. Hier wird ausführlich 
erklärt, warum Johann als notorischer Ketzer zu betrachten 
sei, und wiederholt, daß er deshalb des Wahlrechts verlustig 
sei. Auf Wunsch des Kaisers betonte der Papst, daß die 
Zulassung Johanns zum Reichstag ihm keinen Anspruch auf 
Teilnahme an der Wahl gebe. 

An diese Bannerneuerungsbulle schloß sich ein Schreiben 
an den Legaten Campegio?), das bisher fälschlich als die 
eigentliche Exkommunikation galt, tatsächlich aber nur den 
Kardinal beauftragt, jene Bulle zu veröffentlichen. Damit 
wurde nur einer Bitte des Kaisers stattgegeben: in seinem 
Brief vom 11.November hatte er gewünscht, daß einen etwaigen 
Ausschluß Johanns auch der Legat im Auftrag des Papstes 
den Kurfürsten anzuzeigen habe, Er wollte damit offenbar 
eine weitere Waffe gegen die Lauheit der katholischen Kur- 
fürsten in die Hand bekommen. Aus diesem Grunde hatte 
er auch den Papst ersucht, die Kurfürsten insgesamt und 
jeden einzelnen zur Wahl aufzufordern?) In zwei Breven 
wurde dieser Bitte entsprochen‘). 

Nur auf eine Zumutung des Kaisers hat sich der Papst 
nicht einlassen wollen. Karl wtinschte ja unter Umständen 
beide Bullen hintereinander zu verwenden und hatte deshalb 


1) Beilage Nr. 4 VI. 

2) Beilage Nr. 4 VII. 

*) Karl V. an Miguel Mai, Augsburg 12 November 1530 (Simancas. 
Generalarchiv Estado 1557, fol. 189—140). Parece que, viniendo estos 
despachos para lo de la electión, será bien que su Sat gcriva un breve 
a cada uno de los principes electores sobre ello y otro a todos general- 
mente. Tened manera que assí se haga, porque el negocio tenga 
mejor efecto y venga todo con la mayor diligencia y presteza que 
ser pudiere. 

4) Beilage Nr. 4 IV—V. 


51 131 


darum gebeten, daB der Baundispens früher datiert werde 
als die Ausschlußerklärung. In Wirklichkeit scheinen sämt- 
liche päpstliche Schreiben das Datum des 27. November 
getragen zu haben!). Die beiden verkoppelten Bullen wurden 
überdies mit einem Begleitschreiben?) versehen, in dem ver- 
boten wurde, daß von beiden Gebrauch gemacht würde; 
wenn sich der Kaiser für die eine entschieden habe, verliere 
die andere ihre Gültigkeit. Freilich bezieht sich diese Er- 
klärung nicht auch auf die Bannerneuerungsbulle. Ließ 
man damit dem Kaiser doch eine Hintertüre offen? Es ist 
immerhin auffallend, daß Loaysa und die Gesandten nach 
éingehender Prüfung der piipstlichen Schreiben versichern, 
alle Wünsche ihres Herrn seien erfüllt, zumal gerade Loaysa 
auf diesen Punkt des kaiserlichen Planes aufmerksam ge- 
worden war. 

Inzwischen war in Deutschland dem sächsischen Kur- 
fürsten die Einladung zur Wahl schon zugestellt worden. 
Àm 28. November gelangten das mainzische Aussehreiben 
und ein Brief des Kaisers in seine Hände. Wenn wir aber 
hören, daß den anderen Kurfürsten die Aufforderung schon 
etwa zehn Tage vorher zugestellt wurde, so geht daraus 
hervor, daß der Kaiser sich nicht an den Sachsen wendete, 
ehe er über die günstige Aufnahme seiner Vorschläge in 
Rom Sicherheit hatte?) Diese gab ihm vermutlich Cuevas 
Brief vom 17. November. Wenn ein abschlägiger Bescheid 


1) Die römischen Kopien der Bullen sind nicht datiert. Nur die 
Banndispensbulle trägt in einem Fall das Datum des 27. November. 
In den Abschriften des K. K. Haus-, Hof- und Staatsarchivs zu Wien 
tragen nach gütiger Mitteilung der Verwaltung alle drei Bullen dieses 
Datum. Das gleiche gilt von dem durch Lanz publizierten päpst- 
lichen Begleitschreiben. Die Brüsseler Abschrift des Schreibers an 
Campegio, die Ranke veröffentlichte, ist vom 5. Dezember datiert. 
Winckelmann 9.269 nimmt an, daß der Schreiber aus Versehen 
Quinto m. dec. statt Quinto kal. dec. gelesen hat. Jedenfalls muß 
die diesem Schreiben an Campegio zugehörige Bannerneuerungsbulle 
das gleiche Datum wie die Exklusionsbulle getragen haben, da sich 
die letztere auf die erstere bezieht mit den Worten: quem hodie 
per alias nostras litteras fautorem M. Lutheri fuisse et declaravimus... 

) Beilage Nr. 4 J. 

» Vgl. Winckelmann a. a, O. S. 19 u. 269, 

9* 


132 52 


erfolgt würe, hátte er die Ladung nicht ergehen lassen, und 
dann wáre auch für die Kurfürsten jener Artikel der Ver- 
einbarung, wonach sie ohne Teilnahme des Sachsen zu 
wühlen hatten, in Kraft getreten. 


Auf Grund des Banndispenses ist also der kurftirstliche 
Ketzer geladen worden. Wir hören nicht, daß die Dis- 
pensationsbulle den Kurfürsten, die sich Ende Dezember in 
Köln zur Wahl versammelten, gezeigt worden ist. Sachsen 
war nicht dureh Johann selbst, sondern durch seinen Sohn 
Johann Friedrich vertreten, der sich der Wahl Ferdinands 
widersetzte. Damit trat der Fall ein, für den sich Karl V. 
die Bannerneuerungsbulle als Waffe hatte sichern wollen. 
Benutzt wurde sie nicht. Die Tatsache, daß der Kurfürst 
nicht persönlich erschienen war, gab das bequemere Mittel 
an die Hand, ihn des Ungehorsams zu beschuldigen und 
„seines Ungehorsams ungeachtet in der Wahlhandlung fort- 
zufahren“ !). 


Auf die Bullen in Sachen der Königswahl Ferdinands 
hat sich in späteren Jahrhunderten die Kurie berufen, um 
sich das Recht zu vindizieren, über die Zulassung von Ketzern 
zum Kurkolleg zu entscheiden. Tatsächlich haben Kaiser 
und katholische Kurfürsten ihr dies Recht wenigstens für 
den Wahlkonvent zugestanden. Die Verhandlungen lassen 
keinen Zweifel darüber, daß sie dem Widerspruch des Papstes 
gegenüber auf die Berufung Herzog Johanns verzichtet haben 
würden. Aber die Kurie hat von dem ihr zugestandenen 
Rechte einen kläglichen Gebrauch gemacht und sich als 
gefügiges Werkzeug der kaiserlichen Politik erwiesen. 


Wer mit dem Feind, den er vernichten will, paktiert, 
hat das Treffen schon verloren. Die Weichheit, mit der 
damals die Vertreter der römischen Kirche den Wünschen 
des Kaisers nachgaben, ist nur daraus zu erklären, daß 
ihnen die Kraft der eigenen Überzeugung fehlte. Diese gerade 
gab der protestantischen Minderheit iu Deutschland ihre Stürke. 


1) F. B. v. Bucholtz, Geschichte der Regierung Ferdinands 
des Ersten, Bd. 3 S, 585, 


53 133 


Beilagen. 
Nr. 1. 


Karl V. an Miguel Mai: Die Sendung P. de la Cuevas. 

M. soll über den Erlaß zweier Bullen betr. Zulassung oder 

Ausschluß des Herzogs von Sachsen bei der Königswahl 

verhandeln. Desgleichen über dem Kaiser erwünschte Gnaden- 
erweise ftir- einzelne Deutsche. 


Augsburg 1530 Oktober 30. 
Simancas Generalarchiv, Estado 1557 fol. 126/27. 


Con don Pedro de la Cueva, nuestro mayordomo, res- 
pondemos à su S*t á lo que nos screvió sobre lo del concilio 
y le screvimos el estado en que esta acá lo de la fee; al 
qual nos ha parecido enbiar, para que le informe de todo 
lo que ha passado sobre ello, assi por la relacion que lleva 
como de palabra, y juntamente con vos solicite à su S, 
para que la respuesta y resolución sea conforme à lo que 
le serevimos y enbiamos á suplicar; que no ay otro ningund 
remedio para curar este mal que tan arraigado y encarnado 
está, Y pues por el despacho que lleva y por su relación 
seréis informado de todo lo que passa en esto y se ha de 
procurar y hazer, no ay que dezir, si no que entendáis en 
el negocio y lo guiéis y encaminéis con la prudencia y 
buena manera que conviene para el buen efetto que desea- 
mos y cunple á servicio de nuestro señor y al bien de la 
christiandad. | 

Allende desto, considerando que ni los negocios de la 
christiandad en general, ni la necessidad de nuestros reinos 
y señorios en particular pueden sufrir nuestra continua re- 
sidencia en Alemania, y tampoco ella estar sin cabega sin 
evidente peligro de las cosas de la fe, assi á causa de las 
eregias que en ella reinan y las discordias que á esta 
causa cada dia nascen, como por respecto del Turco en lo 
qual, si promptamente no se pusiesse remedio, se podrian 
seguir inconvenientes irreparables, habemos platicado en esto 
eon los electores del imperio que perseveran en nuestra 
sancta fe catholica; á los quales todos paresce que por las 
dichas causas y razones se deve elegir rey de Romanos, y 
todos unanimes han condescendido á elegir el rey nuestro 
hermano, y de sus voluntades y intenciones, quanto á esto 
estamos bien seguros. Y para effectuar esta electión, nos 
queda saber que se devrá hazer con el duque de Saxonia, 
al qual ni nos ni nuestro hermano havemos sobresto hablado 
ni consentido que los otros electores se lo comunicassen, 
pues estava apartado de nuestra religión christiana, special- 


134 54 


mente vista tan á la clara su obstinación, por respecto de 
la qual no le havemos querido dar investitura de los feudos 
que del imperio tiene; y desseamos que, si possible fuere, 
esta electión se haga sin él, como descomulgado y obstinado 
hereje. Mas por que los dichos electores, no obstante que 
sean desta mesma opinión, allegan algunos inconvenientes, 
specialmente por no dar luego occasión de comengar la 
guerra, para la qual no estan agora las cosas tan bien 
aparejadas, como sería menester, y por no rebolver más 
esta Alemania y dar más causa al Turco de venir contra 
la christiandad, y por no quitar del todo la speranca al 
dicho duque de Saxonia, que piensan que, llamandolo con 
ellos con buenas amonestaciones, lo podrian atraher al camino 
de la verdad, no havemos aun tomado sobresto resolución. 
Pero por ganar tienpo y proveer esto, como conviene, nos 
ha parescido proveer á lo uno y á lo otro. Conviene que 
ante todas cosas comuniquéis esto con micer Andrea del 
Burgo embaxador del rey nuestro hermano, para que junta- 
mente ordenéis la forma que en esto se havrá de tener con 
nuestro muy sancto padre y con la destreza y secreto que 
conviene procurar dos despachos, el uno por el qual su 8% 
permetta que el dicho duque de Saxonia sea llamado á la 
electión, no obstante que aya estado descomulgado y ob- 
stinado hasta agora en sus errores contra nuestra fe catho- 
lica, derogando para este acto à qualesquier penas, en que 
pueda haver incurrido assi por derecho y constituciones de 
papas y concilios, como por las bullas y declaraciones del 
papa Leon y del papa Adriano y en qualquier otra manera 
y con todas clausulas derogatorias y relevaciones convenientes 
y necessarias, para que la dicha eleción sea valida y se 
eviten las censuras, en que nos el rey nuestro hermano y 
los electores y otros principes que en ello han de entre- 
venir podrian incurrir à causa de estar en ello el dicho 
duque de Saxonia; fundando este despacho en que esto se 
haze por la necessidad de la christiandad y del imperio y 
evitar los inconvenientes que de otra manera se podrían 
Seguir y, si paresciere à proposito, por la speranga de re- 
duzir el dicho duque de Saxonia y otras consideraciones 
que podrian dar fundamento y razón à la dicha dispensación 
conforme à lo susodicho. El otro despacho que se devrá 
hazer de postdata del procedente!) ha de ser declaración 
contra el dicho duque de Saxonia: que, siguiendo las bullas 
de los papas Leon y Adriano y las declaraciones en ellas 
contenidas, y viendo la notoria obstinación del dicho duque 


1) Die lateinische Übersetzung des Textes (Noack a. a. O. S- 666) 
hat hier den Zusatz: si hoc obtineri non possit. 


55 135 


de Saxonia y que por ningunas amonestaciones que por 
nos y por los electores y principes del imperio en esta 
dieta le han sido hechas ha podido ser apartado de sus 
errores, sea notorio y manifiesto hereje y aya incurrido en 
las penas en drecho stablescidas, y por consiguiente en 
privación de todas sus hoñras y dignidades, specialmente 
del voto de la electión, de que las dichas bullas hazen ex- 
pressa mención, prohibiendole que no se entremeta más en 
la dicha electión ni haga acto tocante á ella, mandando so 
pena de excomunicación á los otros electores que no lo 
reciban ni admitan en los actos concernientes á sus digni- 
dades de electores del imperio. Y será menester que los 
dichos despachos, specialmente el ultimo sea por bullas 
plomadas bien y seguramente despachadas con sus nonob- 
stancias y derogaciones y specialmente: no obstante que el 
dicho duque de Saxonia aya entrevenido en esta dieta y 
entremetido se y sido tolerado en la dignidad de elector 
que ha sido por reduzirlo, como entre su S* y nos havia 
sido antes acordado, y de donde paresce la obstinación del 
dicho duque ser mayor. Y todo ha de ser secretamente 
[como dicho es, specialmente tiniendo ojo à que no se pueda 
provar ni eausar que vos ni el dicho micer Andrea lo 
ayáis sollieitado ni recibido, por evitar todos los inconve- 
nientes que podrian dello nascer, usando más del uno que 
del otro destos despachos"), y paresciendo os à vos y al 
dicho micer Andrea, el dicho don Pedro de la Cueva, podrá 
bablar sobrello al papa, como os parescera. Mas en todo 
caso es menester que estos despachos se procuren con dili- 
gencia, por que la dilación podría traher muchos enbaragos 
e inconvenientes, por donde muy encarecidamente os lo 
encomendamos y encargamos. Y si aviendo fecho la dili- 
gencia que es menester para el despacho destas dos cosas 
lo qual avéis de procurar con toda instancia, se pusiese 
dificultad en conceder el primero, alomenos conviene que 
en todo caso se despache el segundo y que nos lo enbiéis 
con diligencia, para que se pueda hazer en ello lo que es 
necesario y que en esto no aya falta. Tambien es menester 
que, venidos los dos despachos que arriba avemos dicho, 
saquéis y nos enbiéis con ellos un breve de su S“, por 
donde nos cometa que usemos dellos anbos ó de qualquier 
dellos, segund vieremos que converna al bien de la dicha 
negociación; y lo mismo se ha de hazer con el segundo, si 
veniere solo, para que usemos del. En lo uno y en lo otro 
entended, como en cosa que tanto cunple á nuestro estado 


. Der eingeklammerte Abschnitt ist bei Noack S. 666 nicht 
übersetst. 


136 56 


y servicio, y nos enbiad con toda brevedad y diligencia el 
mejor despacho que ser pueda que no dubdamos que venga 
como lo pedimos. 

Por la necesidad que avemos tenido y tenemos de con- 
tentar á algunas personas particulares desta Germania, asi 
para lo que toca a esta eleción de rey de Romanos, como 
para las otras cosas que aqui se han tratado y tratan, 
avemos scripto à su S** y á vos algunas cartas sobre cosas 
que les tocan. Y como allá avréis visto y veréis por ellas, 
y por que es necesario para el bien de nuestros negocios 
contentarlos y entretenerlos, encargamos vos que trabajéis 
en la expedicion dellas todo lo que se pudiere hazer, y en 
las que oviere dificultad y no se pudiere hazer entretengáis 
á los que allá entendieren y os solicitaren sobre ello, 
mostrandoles que hazéis la diligencia que es menester y 
dandoles speranga de buen despacho, sin desconfiarlos en 
ninguna manera, porque así conviene á nuestro servicio, y 
screviendo nos lo asi, para que lo podamos mostrar. Y 
daréisnos razón, de lo que en estas cosas hizieredes, y todo 
esto avéis de tratar con mucho secreto, por que asi conviene. 
De Augusta 30 de otubre 1530. 


Zusatz vom 1. November: De la Cuevas Meinung tiber die 
zu erbittenden Bullen. 


Simancas Generalarchiv, Estado 1557 fol. 134. 


Exzerpiert bei Gayangos, Calendar of State Papers (Spanish) 
IV 1 n. 482. 


Despues de scriptas las otras, que lleva don Pedro, por 
la confianga que tengo del legado y por la mucha afición 
que conozco que el me tiene le he hecho comunicar, lo que 
os scrivo de los dos despachos, que allá havéis de procurar 
para lo de la electión de rey de Romanos; y ha le pare- 
scido difficultosa la dispensación, para que el duque de 
Saxonia entrevenga con los otros electores en la electión. 
Pero el otro despacho le ha parescido muy bien, conviene 
á saber: la condemnación y privación del voto de la dicha 
electión contra el dicho duque de Saxonia y perhibición 
à los electores que no lo admitan en ella; y dize, que esto 
ultimo podria venir ó en la mesma bulla de la privación y 
condemnación ó por un breve aparte, offresciendose que, 
como quiera que viniere, el lo intimará con los actos ne- 
cesarios. No embargante esto procuraréis vos de haver el 
uno y el otro despacho, porque acá segun el tienpo poda- 
mos usar dél que mejor nos paresciere, y ya podria ser 
que succediesse alguna cosa, por donde al mesmo legado 


57 137 


paresciesse despues mejor usar antes de la dispensaciön 
que de la privación, y por esto será bien que acá tengamos 
recaudo para lo uno y para lo otro. Y conviene y. importa 
mucho á mi servicio que esto se procure y embie con toda 
la diligencia que fuere possible y que me lo embieis luego 
con correo expresso, porque de la tardança ó dilación se 
podrian seguir muchos y muy grandes inconvenientes, los 
quales conviene que en todo caso von vuestra acostumbrada 
sollieitud y diligencia se eviten. Esto os encargamos, quan 
encarecidamente podemos. De Augusta primero de novien- 
bre 1530. 


Nr. 2. 


Karl V. an Miguel Mai: Will den Wunsch der Kurfürsten 

erfüllen und den Herzog von Sachsen zur Wahl laden. Macht 

deshalb neue Vorschläge betr. die Dispensationsbulle und 
empfiehlt in der Form Rücksicht auf die Kurfürsten. 


Augsburg 1530 November 11. 
Srmancas Generalarchiv Estado 1557 fol. 138. 


Despues de haveros scripto con don Pedro de la Cueva 
lo que havréis visto sobre los dos despachos, que conviene 
que ahi procuréis y embiéis para lo de la electión de rey 
de Romanos que tenemos concertada en persona del Ser" 
rey de Ungria, nuestro hermano, por que venidos los dichos 
despachos no toviessemos nuevas dificultades con los electores 
y oviessemos de perder más tiempo con ellos y dilatar esta 
negociación que tanto desseamos ver acabada, havemos otra 
vez comunicado nuestra intención y parescer con los electores 
que aquí se hallan presentes y con los diputados de los que 
estan absentes. Y despues de haver bien pensado y platicado 
en la negociación, se han resolvido en que el duque de 
Saxonia deve ser llamado à la electión, prometiendo que, si 
no viniere, no por esso dexaran de proceder en ella y 
concluir la sin él, de lo qual estamos ciertos y seguros; y 
por que de necessidad conviene que contentemos estos 
principes catholicos, y despues de haver hecho todas nuestras 
diligencias, à la fin nos conformemos con su voluntad, por 
que conoscemos cumplir esto á las cosas que se tractan y 
al servicio de dios y bien de la christiandad y dessa sancta 
sede apostolica que es aquello à que principalmente tenemos 
fin, será menester que los dichos despachos, de que os 
havemos scripto, vengan de otro tenor y forma: 

El primero ha de dezir, que, tractandose de elegir rey de 
Romanos por bien de la christiandad y poder mejor reduzir las 
cosas de Alemania y resistir à la potencia del Turco y tractan- 


138 58 


dose, si el dicho duque de Saxonia, por haver mantenido y 
mantener los errores de Luthero y de sus sequaces y perseverado 
y perseverar en su obstinación, deve entrevenir en esta 
electión, su Si, queriendo usar de toda benignidad y 
clemencia con el dicho duque y sperando que, tornandose 
a hallar en tal compañia con las persuasiones que en ella 
le seran hechas se podría convertir y apartar de su obstinación; 
y por que este acto tan necessario á la christiandad con 
mejor fundamento se haga, dispensa con el dicho duque, 
para que con los otros electores pueda entrevenir en esta 
electión, no obstantes los dichos errores y obstinación en que 
ha estado y está y las penas, en que por ello ba incurrido 
assi por derecho como en virtud de las bullas de Leon X 
y Adriano VI dadas contre los lutheranos, declarando que 
ni yo ni los electores y principes que en ello havemos de 
entrevenir incurramos en penas ni censuras algunas por 
llamar tractar y conferir con el dicho duque de Saxonia y 
que la electión que se hiziere sea valida, como si el dicho 
duque en los tales errores censuras y penas no oviesse 
ineurrido, con todas las clausulas firmezas y nonobstancias 
sufficientes y necessarias. Y si, hechas vuestras diligencias, 
no pudierdes alcançar de su S% que os ottorgue este despacho, 
procuraréis de haver otro en que su S? nos prometa y 
assegure por su breve ó bullas que hecha esta electión, 
aunque aya sido llamado y entrevenido en ella el dicho 
duque de Saxonia, la coufirmará y approbará suppliendo 
qualesquier defectos que en ella puedan haver intervenido 
y specialmente por haverse llamado y hallado y dado su 
voto en ella el dicho duque de Saxonia, absolviendo à mi 
y al rey, mi hermano, y à los electores y principes que en 
ello han de entrevenir de qualesquier censuras en que po- 
damos haver incurrido, por haver llamado y admitido el 
dicho duque en esta electión; y esto se ha de hazer en muy 
buena y segura forma. 

El otro despacho ha de ser fundado en la dicha electión 
que se platica y procura por bien de la christiandad, y 
por que se tracta, si el dicho duque de Saxonia deve 
entrevenir en ella ó no, estando en los errores y obstina- 
ción en que está, su 84 lo declara por notorio y mani- 
fiesto hereje y haver incurrido en las penas en las dichas 
bullas de Leon y Adriano contenidas y manda á los electores 
so pena de descomunión, que no lo reciban ni admitan en 
esta dicha electión ni en acto alguno tocante á ella y que 
sin él procedan en hazerla; y al legado que assi se lo intime 
y requiera por parte de su S? y dessa santa sede apostolica, 
prometiendo de haver por rata grata firme y valedera la tal 
electión que, como dicho es, sin el dicho duque de Saxonia 


59 139 


fuere hecha. Y junto con esto será menester que venga el 
breve, para que acá podamos usar del un despacho ó del 
otro, como más nos parescera convenir al bien de la chri- 
stiandad. Pero havéis de estar sobrel aviso que en este 
ultimo despacho no se hable de privación alguna, conforme 
à lo que se os havia scripto, mas solamente en la forma 
suso dicha, pues en ella va incluido y estos principes electores 
nunca se contentarian dello, paresciendoles ser en perjuizio 
suyo. Y por que importa mucho que estos dos despachos 
en todas maneras se hagan, que embien sin dilación alguna, 
hablaréis luego á la hora á su S* y le suplicaréis de nuestra 
parte, con toda la instancia y calor que vierdes convenir y 
ser necessario, que mande luego hazer estos dos despachos 
en la forma y tenor suso dicho y, si despues de haver pro- 
curado el primer despacho en la manera susodicha, no lo 
pudierdes haver, procuraréis en todo caso de haver el segundo. 
Y otorgandolo su Sè como soy cierto lo ottorgará, hazeréislo 
despachar con toda la diligencia y secreto que fuere possible 
y me lo embiaréis con un correo proprio que lo traiga a 
toda diligencia. En esto es menester que uséis de vuestra 
acostambrada sollicitad, como de vos confiamos, por que de 
la dilación podrian nascer muchos y muy grandes inconve- 
nientes. De Augusta 11 de novienbre 1530. 


Nr. 3. 


Aus Briefen des Piedro de la Cueva: Verhandlungen in Rom 
über die Bullen betr. die sächsische Kurstimme. 


L An den Kaiser Rom 1830 November 17. 


Simancas Generalarchiv Estado leg. 849 fol. 8. Exzerpiert 
bei Gayangos. State Papers (Spanish) IV 1 n. 497. 


In einer Audienz vom 16. Nov. tibergibt C. dem Papst 
das Schreiben des Kaisers über das Konzil. Dixele, que le 
llevava una otra carta de V. Mt, sovre lo que convenía proverse 
para la eleción de rei de Romanos, y que otro dia por la 
magnana se la llevaria; dixome que lo iziese asi. Luego 
otro dia por la magnana volvimos a palacio, los enbaxadores 
y Muxetula y io, y, dada la letra de V. Mt à S. Si, icimos la 
relazión de lo que V. M' mandava, suplicandole que á la 
ora lo mandase prover y que fuese con todo secreto, porque 
convenía asi. Mando llamar luego al cardenal Santiquattro !) 
y al cardenal Ancona“), y venidos en presenzia de nosotros, 
se platicó la cosa, y como era tan justa, S. Si la conzedió 


) Lorenzo Pucci. 
) Pietro Accolti. 


140 60 


luego, para che se despachase à la ora, como V. M' lo 
mandava; y estos dos cardenales no la contradixeron, rein- 
graciando å V. Mt la merced que les avia echo de las pensiones. 
Entiendese en el despacho de esto con toda diligencia para 
inviarse con la más vrevedad que pueda ser. 


II. An Covos Rom 1530 November 27. 
Simancas Generalarchiv, Estado leg. 849 fol. 16. Exzerpiert 
bei Gayangos, State Papers (Spanish) IV 1 n. 510. 


El despacho de lo del rey de Ungria va ya, como V. S. 
verá, y no a sido poco sigun los embarazos le allavan 
Santiquatro y otros, despues de conzedido y acordado, que 
fuese la causa su padron. Va visto y esaminado por mizer 
Mai y Mugetula que tomaron más en el estudio que yo. 
Quiera dios, vaya, como conviene! 


III. An den Kaiser Rom 1530 November 29. 


Simancas Generalarchiv, Estado leg. 849 fol. 7. Exzerpiert 
bei Gayangos, State Papers (Spanish) IV 1 n. 517. 


El despacho que para la coronación del señor rei de 
Ungria se avia de inviar, lleva este. A nos aprovechado 
para la breve espedición la pensión que V. Mt invió à 
Santiquatro. Micer Mai, y el Mujetola, que studiaron más 
que yo, an examinado las bulas; dicen, que va conforme à 
lo que de allá se escrivió. 


Nr. 4. 


Die Bullen und Breven des Papstes Clemens VII. in Sachen 
der Kónigswahl Ferdinands I. 


Von dieser Aktengruppe finden sich im Vatikan vier 
verschiedene Abschriften, die, von zwei Fällen abgesehen, 
sämtlich undatiert sind. Die Originalregister sind nicht auf- 
zufinden. Eine vermutlich gleichzeitige Abschrift, die im 
folgenden als Grundlage gewühlt ist, liegt vor in Armadio 35 
vol. 34 fol. 45—51. (Vgl.Garampi in seiner für den zur 
Königswahl von 1764 abgeordneton Nuntius Oddi verfaßten 
Instruktion. Nunt. di Germania vol. 643 fol. 11.) Nach dieser 
Abschrift sind die Schreiben sämtlich nochmals kopiert in: 
Varia Politicorum 98 (Miscellanea 99) fol. 168—169, 179—182, 
und an die gleiche Vorlage hat sieh vermutlieh auch der 
Sehreiber von Cod. vat. lat. 7160 fol. 6—11 (Vatikanische 
Bibliothek) gehalten; hier fehlen aber die unter III, V und 
VII aufgeführten Schriftstücke. Einen selbständigeren Text 
bieten die unter Gregor XIII. (vgl. Garampi a. a. O.) her- 
gestellten Kopien in Varia Politicorum 115 fol. 212, 220—222. 
Im K. K. Haus-, Hof- und Staatsarchiv zu Wien finden sich 


61 141 


von den die Kónigswahl Ferdinands I. betreffenden Schrift- 
Stücken nicht die Originale, sondern nur Abschriften aus der 
Kanzlei Karls V. Es handelt sich um zehn Stücke, zu denen 
auch die unten aufgeführten Bullen gehören “). 


I. Papst Clemens VII. an Karl V.: Begleitschreiben zu 
den beiden Bullen tiber der Zulassung oder die AusschlieBung 
des Kurftirsten von Sachsen. 

Gedruekt bei Lanz, Korrespondenz des Kaisers Karl V. 
L 406 f. 


I—II. Die Bulle uber die Ausschließung und die Bulle 
über die Zulassung des Kurfürsten von Sachsen, gerichtet 
an den Erzbischof von Mainz. 


Die Arenga lautet in beiden Bullen gleich und wird 
deshalb in Arm. 35 vol. 34 und in Var. Pol. 98 vor der 
zweiten Bulle nicht wiederholt. In Cod. vat. lat. 7160 steht 
nur die Exklusionsbulle, in Var. Pol. 115 nur die Dispen- 
sationsbulle. 


Ad futuram rei memoriam.  Considerantes ac nobiscum 
dies ae noctes animo revolventes, quo in statu res hodie 
ehristiana versetur, quotque et quantis undique malis cir- 
cumdetur et opprimatur ac fere ad interitum deducatur, 
plurimum ad eam instaurandam ae praeservandam profuturum 
esse existimamus, si iam de Romanorum rege in Caesarem, 
cum Deo placuerit, promovendo per saeri romani imperii prin- 
cipes electores christiano orbi provideatur. Cum enim 
praeclaram totius Germaniae provinciam atque inclytum Un- 
gariae regnum, quod unieum antea et singulare christianorum 
regnorum propugnaeulum habebatur, internis inde a Luthero 
pugnis, externis hinc a Turcarum tyranno bellis impeti ac 
devastari noverimus, haud dubium quin miseranda utriusque 
ruina ac desolatio longe facilius domino concedente evitari 
repararive possit, cum ad electionem praefati Romani regis 
processum fuerit. Iía enim fore non dubitamus, ut tunc et 
domi et foris concordissimis utriusque imperatoris seilicet et 
Romanorum regis animis, consiliis, studiis atque armis non 
modo Germaniae et Hungariae, sed reliquis christianorum 
regnis atque provinciis omnibus succurratur. Propterea non 
sine precipuo Dei consilio institutum fore putamus post 
collatam imperii coronam ad electionem regis Romanorum 
per imperii principes electores quandocunque procedi posse, 


*) In eckigen Klammern stehen die Stellen, an denen die 
verschiedenen Texte unter sich abweichen, in runden: Einfügungen, 
die von mir zur Herstellung des Sinnes vorgenommen wurden. Die 
Abschriften weisen verschiedene Unklarheiten auf, 


142 62 


prout temporum condicio expostulat et rerum necessitas per- 
suadet. Quis enim hodie non plurimum prestare sentiat, ut 
quamprimum Romanorum rex eligatur, cum uno eodemque 
tempore et nephandissimis hereticorum ausibus et imma- 
nissimis Turcarum agressibus est resistendum! Habita igitur 
super his matura deliberatione nihil christiano populo aut 
utilius aut salubrius futurum rati, quam ut aliquis probus 
iustus ac strenuus princeps ac inprimis charissimo in Christo 
filio nostro Carolo V. imperatori semper augusto oportunus 
atque semper proficuus in regem Romanorum pro futuro 
Cesare eligatur. Et propterea dilecto filio nostro Alberto tt. 
saneti Petri ad vincula presbytero cardinali, qui ecclesiae 
Maguntinensi preest, tamquam uni ex principibus electoribus, 
si ad eum sin autem illi!), ad quem de eligendo Romanorum 
rege coelectores suos omnes per literas et nuncios commo- 
nefacere ac certiorem reddere iuxta laudabiles constitutiones 
per clarae memoriae Carolum IV. imperatorem editas aut 
alias spectat, ut futuram hane Romanorum regis electionem 


Die Exclusionsbulle führt folgendermaben fort: 


omnibus aliis coelectoribus excepto lohanne duce Saxoniae, 
— quem hodie per alias nostras litteras fautorem M. Lutheri 
fuisse et declaravimus ac electionem de rege Romanorum 
faciendam per alios principes electores sine ipso Iohanne 
duce fieri debere et electionem de ipso rege Romanorum 
per alios principes electores tune factam in omnibus et per 
omnia valere et validam esse, acsi dietus lohannes dux 
legitime vocatus fuisset et electioni huiusmodi interfuisset et 
votum in electione huiusmodi facienda, postquam facta 
fuisset, legitime dedisset —, intimare ac adveniente tempore 
in loco in ipsa intimatione praefixo sine dicto Iohanne duce 
procedi () possit et valeat, auctoritate apostolica tenore prae- 
sentium de apostolica potestatis plenitudine concedimus pariter 
et indulgemus ac quantum nobis licet etiam mandamus, non 
obstantibus praemissis ac apostolicis et imperialibus consti- 
tutionibus, quibus quatenus opus sit de simili potestatis 
plenitudine latissimae derogamus ceterisque contrariis qui- 
buseumque. Nulli ergo etc. Dat. 


Die Dispensationsbulle schließt den angefangenen Satz in 
folgender Weise: 
dilecto filio Iohann duci Saxonie (et) aliis coelectoribus 
suis intimare ac adveniente tempore et loco in ipsa intima- 
tione prefixo unacum duce Saxonie (huiusmodi, quem spe- 
ramus, cam in tam celebri conventu prius fuerit, eiusdem 
Caroli imperatoris ac aliorum inibi intervenientium sanis 


1) Var pol. 115: Für si — illi: et, 


63 143 


consiliis e£ monitis acquiescere debere!| ac aliis principibus 
imperii electoribus ad eligendum Romanorum regem in 
Caesarem promovendum?) procedi(!) valeat, quacumque dicti 
ducis inhabilitate non obstante, auetoritate apostolica tenore 
praesentium concedimus pariter et indulgemus atque man- 
damus. Nos enim si electio ipsa ut speramus atque optamus 
de Romanorum rege fieri contigerit, electionem ipsam?) valere 
et validam esse in omnibus et per omnia decernimus et 
declaramus, etiam si prefatus Iohannes dux publice et no- 
torie excommunicatus aut aliqua alia occasione vel causa, 
etiam (aut?) si M. Lutheri eiusque complicum et fautorum obsti- 
natus fautor et defensor sieque hereticus fuisset et ad 
praesens etiam existat ac penis in bulla felicis recordationis 
Leonis papae X predecessoris contra Martinum eiusque re- 
ceptatores et fautores edita contentis legatus sit et esse 
dicatur, [acsi premissis penis excitatus et excommunicatus 
non fuisset nec ad praesens esset; quem tamen ef prefatum 
Cesarem imperatorem et clarissimum in Christo filium nostrum 
Ferdinandum Hungarie et Boemie regem illustrem necnon 
alioseumque coelectores et principes in electionis huiusmodi 
negocio quo ad illius validitatis effectum, dumtaxat dicto 
Iohanni duci sie absoluto et dispensato in electione ipsa 
autem absolutionem et dispensationem huiusmodi illi com- 
municassent et participassent, auctoritate et tenore premissis 
absolvimus (et absolutos) fuisse et esse nunciamus ac cum 
quolibet eorum super hoe etiam dispensamus*] nonobstan- 
tibus premissis ac apostolicis et imperialibus constitutionibus, 
quibus quatenus opus sit, de plenitudine potestatis latissimae 
derogamus ceterisque contrariis quibuscumque. Nulli etc. 
Datum etc.“) 


IV. Breve an Kaiser und Kurfürsten: Aufforderung. die 
Königswabl vorzunehmen. 


V. Breve an jeden einzelnen der Kurfürsten: Aufforde- 
rung, die Kónigswahl [obne die Teilnahme des Herzogs von 
Saehsen?| vorzunehmen. 


VI. Bulle tiber die Erneuerung des Bannes gegen den Kur- 
fürsten von Sachsen und seinen Ausschluß von der Königswahl. 


1) Die eingeklammerten Worte fehlen in Var. pol. 115. 

) Var, pol 115: libere et licite. 

) Var. pol. 115: si forma solita servata fuerit. 

*) Var. pol. 115 fol. 226 steht an Stelle des eingeklammerten 
Satzes: quem sane ducem ad effectum validitatis electionis duntaxat 
et alios quoscumque electores in huiusmodi excomunicatione absolvi- 
mus et absolutos fore et esse denunciamus. 

5) Var. pol. 115: Dat. Romae. quinto kal. decembris. 

*) Dieser Zusatz findet sich in Arm. 35 vol. 34 und in Var- pol. 
98 fol, 179, fehlt aber in Var. pol. fol. 221, 


144 64 


Clemens etc. Ad futuram rei memoriam. Decet ro- 
manum pontificem ex divina tradita sibi potentia penarum 
spiritualium et temporalium promeritorum diversitate (!) dis- 
pensatorem constitutum pro animarum salute in eos, qui 
monitionum, sententiarum et mandatorum apostolicorum trans- 
gressores ac censurarum et apostolicae auctoritatis et clavium 
contemptores existunt, debite animadvertendum et acrius in- 
surgere, ne tales sic damnati et contentores dati in reprobum 
sensum eorum exemplo alios decipiant et in ruinam et er- 
rorem secum trahant ac eorum participatione et conversatione 
alios fideles infieiant et contaminent neenon ad ipsorum 
damnatorum eonfusiones quam censurarum ef penarum rei 
existant(? ad omnium aliorum publicam et certam noticiam 
deducere et declarare, ad hoc ut alii exemplo diseant a 
similibus abstinere et ab eorum damnatorum prohibita con- 
versatione et participatione se subtrahant, ut divinam ultio- 
nem evadant et eorum damnationis participes (non) existant. 
Sane felieis recordationis Leo papa decimus predecessor 
noster multos et varios errores per sacra concilia et roma- 
norum pontificum predecessorum nostrorum constitutiones 
damnatos, heresim etiam graecorum et boemicam expresse 
continentes, hereticos vel falsos, scandalosos aut piarum au- 
rium offensivos vel simplicium mentium seductivos, a falsis 
fidei cultoribus suscitatos et in inclita natione germanica 
seminatos et veritati catholicae obviantes de fratrum suorum 
eonsilio, de quorum numero tunc eramus, damnavit et repro- 
bavit ac pro damnatis et reprobatis ab omnibus fidelibus 
haberi debere decrevit et declaravit; necnon sub excommu- 
nieationis latae sententie et aliis penis tunc expressis secu- 
laribus et ecclesiasticis personis, etiam cardinalibus regibus 
et imperatoris electoribus ac principibus quacumque dignitate 
fulgentibus per universum orbem presertim in Almania 
euntibus!) (mandavit), ne prefatos errores defendere, predicare 
aut illos fovere presumerent. Ac libellos et scriptos M. Lutheri, 
in quibus dieti errores continentur, simili modo damnavit et 
reprobavit, e£ ne in domibus sive in aliis locis retinerentur, 
prohibuit, quin imo illa comburi dannavit et, nisi ipse Mar- 
tinus illiusque adherentes ac fautores infra certum tempus 
sibi prefixum errores huiusmodi revocarent, et de revocatione 
huiusmodi per publica documenta ad eundem Leonem pre- 
decessorem deferenda eundem predecessorem certiorem effi- 
cerent et alia sibi iniuneta non adimplerent, ipsum Marti- 
num ef eius complices adherentes et fautores receptatoresque 
prefatos et eorum quemlibet notorios et pertinaces hereticos 
fuisse et esse declaravit, et ut tales condemnavit et eos ab 


1) Cod. vat. lat. 7160: existentibus. 


65 145 
omnibus Christi fidelibus haberi voluit et mandavit; eosque 
omnes et singulos omnibus tunc expressis et aliis iure in 
hereticos inflietis penis subiecit ac omnes et singulos christi 
fideles huiusmodi monuit, ut hereticos predictos declaratos 
et condemnatos mandatis ipsius Leonis predecessoris non ob- 
temperantes evitarent et, quantum in eis foret, evitari face- 
rent, nec cum eisdem vel eorum aliquo commercium aut 
aliquem conversationem seu communionem haberent nec eis 
necessaria ministrarent. Et ad maiorem ipsorum hereticorum 
declaratorum et condennatorum confusionem quibusvis per- 
sonis ecclesiasticis secularibus et regularibus ac universis 
principibus etiam regibus et imperatoris electoribus, ducibus, 
marchionibus, comitibus !), civitatibus, universitatibus, potenta- 
tibus ac civibus et incolis et aliis quibusvis personis pre- 
sertim in eadem Almania constitutis mandavit, quatenus 
Martini complices adherentes receptantes et fautores per- 
sonaliter caperent et captos ad ipsius predecessoris instan- 
tiam retinerent et ad eum mitterent seu ex eorum locis ex- 
pellerent, et loca, ad quae Martinus vel ad quae ex compli- 
cibus adherentibus receptantibus et fautoribus declinare con- 
tingeret, eeclesiastico subiecit interdieto, ac patriarchis, ar- 
chiepiscopis, episcopis, prelatis, capitulis et aliis personis 
ecclesiasticis, secularibus et regularibus ubilibet constitutis 
sub similibus censuris et penis mandavit, [ut] omnes Mar- 
tini complices adherentes receptatores et fautores declaratos 
hereticos et condennatos publice nunciarent ac facerent et 
mandarent ab aliis nuneiari et ab omnibus arctius evitari, 
prout in ipsius Leonis predecessoris nostri plenius continetur. 

Cum autem notorium sit nobisque ex legitimis proba- 
tionibus constiterit et constet: dux Saxonie, unus ex 
electoribus imperii, post affixionem et publicationem litterarum 
predecessoris nostri huiusmodi singulorum terminorum in 
eisdem litteris per Leonem predecessorem prefixorum litte- 
rarum et mandatorum in eis contentorum notitias habens, 
suae salutis immemor deique timore postposito eidem Martino 
publice favere, ipsum palam recipere et protegere ae dictos 
errores sequi non fuit veritus et propterea tamquam dieti 
Martini heretici fautorem et receptatorem per Leonis prede- 
eessors huiusmodi litteras declaratum et condennatum fuisse 
constat, ut igitur Iohannes dux prefatus eum Martino et aliis 
hereticis merito computetur et, sicut in eidem Martino favendo 
eiusdem Martini pertinaciam et heresim secutus fuit, ita 
penarum particeps et secum portet penas. Cum premissa adeo 
manifesta et noticia (notoria?) sint et facti etiam permanentis, 
ita ut nulla probatione vel monitione aut citatione indigeant, 


1) Cod. vat, lat: 7160: comunitatibus. 
Archiv für Reformationsgeschichte. XIII. 2. 10 


146 66 
prout sic foret, ipsum lohannem ducem propter favores eidem 
Martino prestitos et illius receptationem iuxta declarationem 
Leonis predecessoris factam huiusmodi hereticum fuisse et 
esse ac propterea in electionem regis Romanorum in Cesarem 
promovendi faciendam admittendum non esse manifestissime 
constat, — non obstante quod ipse Iohannes dux in proximo 
Augustensi conventu celebrato ex quadam  urbanitate in 
negociis ibidem traetandis admissus et toleratus fuit, cum id 
ad eius pertinentiam moliendam seu convinciendam factum 
fuerat. Et propterea omnibus principibus electoribus et aliis 
ad quos spectat sub excommunieationis latae sententiae pena 
mandamus, ut!) dietum Iohannem ducem ín electione regis 
Romanorum in Caesarem promovendum nullatenus admittant 
et nihilominus electionem de rege Romanorum faciendam 
per alios principes eoeleetores sine ipso lohanne duce libere 
fieri posse ac electionem ipsam de ipso Romanorum rege per 
alios principes coelectores factam valere et validam esse in 
omnibus et per omnia, acsi dictus Iohannes dux legitime 
vocatus fuisset et electioni huiusmodi interfuisset et votum 
in eleetione facienda, postquam facta fuerit, legitime dedisset, 
de potestatis plenitudine decernimus et declaramus. Nulli 
ergo ete. Dat. 


VII. Papst Clemens VIL an den Kardinallegaten Lorenzo 
Campegio: Aufforderung, die obenstehende Bannerneuerungs- 
bulle zu veröffentlichen. 


Vatikanisches Archiv Arm. 35 vol. 44 fol. 49 undatiert, mit 
dem Regest: Litterae mandantes superiores litteras publicari. 
Gedruckt bei Ranke, S. W. VI 140 f. nach einer „nicht 
fehlerfreien Kopie des Brüsseler Archivs“, in der das 
Schreiben vom 5. Dezember 1530 datiert ist. Von Ranke 
mit der Ueberschrift „Exeommunication des Churfürsten von 
Sachsen“ versehen, in der Literatur (z. B. von Winckelmann 
a. a. O. S. 269) fälschlich als Bannbulle bezeichnet. 

Die Abschrift des Vatikans weist gegenüber dem Druck 
folgende nennenswerte Varianten auf: S. 140 Zeile 9 suorum 
statt tuorum ; Z. 24 regularibus statt clericis; Z. 26 communi- 
tatibus statt comitatibus; Z. 37 et facerent aliis nuntiari ac ab 
omnibus . ..; S. 141 Z. 20—30 ac patriarchis — Necnon 
omnia: vaeat; Z. 35 publici statt publica. 


VIII. Papst Clemens VII. an Kónig Ferdinand: Bestiitigt 
Ferdinands Wahl und Krönung. 

In Var. pol. 115 datiert: Romae anno domini 1530 nonis 
Martii, Pontificatus nostro anno octavo. 


1) Cod, vat. lat. 7160: ne 


— —— — O — ——— 


Die Wiedereinführung der Messe 
in Frankfurt 1535. 


Von Gustav Bossert. 


In allen Darstellungen der Frankfurter Reformations- 
geschichte, z. B. bei Ritter, Evangelisches Denckmahl der 
Stadt Frankfurt am Mayn S. 226, Kirchner, Geschichte von 
Frankfurt 2, 94, Dechent, Kirchengeschichte von Frankfurt 
am Main seit der Reformation 1, 147, wie auch bei Enders, 
Luthers Briefwechsel 10, 260 ist zu lesen, daB Frankfurt, 
welehes am 23. April 1533 die Messe in allen Kirchen ab- 
gestellt hatte, auf Grund des Heidelberger Schiedspruchs - 
vom 10. Mai 1535 in der Angst vor dem Schreckgespenst 
der Acht und einer vom Kammergericht angesagten Strafe von 
200 Mark Gold nach dem Rat Melanchthons die Bartholomáus- 
kirche wieder den Stiftsherren übergeben und die Feier der 
Messe durch sie wieder zugelassen habe. Es ist richtig, dab 
sich Frankfurt in peinlicher Lage befand, nachdem es 1531 
den Eintritt in den Schmalkaldischen Bund abgelehnt hatte 
und demgemäß zunächst nicht durch den Nürnberger Frieden 
gegen das Kammergericht geschützt war. Die in Heidelberg 
ihm gewührte Frist von drei Monaten war abgelaufen. Die 
Háupter des Schmalkaldischen Bundes waren noch mannigfach 
durch Frankfurts Haltung verstimmt. Melanchthon, den 
Frankfurt wohl durch seinen Schüler Justinian von Holz- 
hausen schon im Oktober vertraulich um Rat gebeten hatte, 
ri auch am 5. November in seiner Antwort an die Frank- 
furter Prediger (ungedruckt) zur Nachgiebigkeit, da der Rat 
kein Patronatrecht und keine Jurisdiktion über das Stift 
habe und durch etwaigen Widerstand gegen den Kaiser einen 
Weltbrand hervorrufen wtirde. Ebenso waren Brenz und 
Adam Krafft, welche der Rat sich von Hall und vom Land- 

10* 


148 68 


grafen Philipp erbeten hatte, ganz mit Melanchthon einver- 
standen und warnten vor dem Eingriff in fremdes Recht 
und Eigentum, da sie auch die Stiftskirche als Eigentum 
des Kaisers betrachteten und ihre Bestimmung zum Wahlort 
des römischen Königs durch die Goldene Bulle als unver- 
brtichlich ansahen, während kaum wenige Jahre zuvor 
Ferdinand in Aachen zum Kónig gewáhlt worden war. Die 
Ratschliige der beiden herbeigerufenen Theologen beleuchte 
ich in der Festschrift für A. Hauck. Aber bei der Beschäftigung 
mit ihnen ist mir die Richtigkeit des Novembers als Zeit 
der Rückgabe der Bartholomäuskirche an die Stiftsherren 
und der Wiedereinführung der Messe sehr zweifelhaft ge- 
worden. Ja, ich muß noch einen Schritt weitergehen und 
fragen: auf welchen Quellen beruht die Nachricht, daß die 
Messe vor 1548 wieder eingeführt wurde und auf Fürsprache 
des Landgrafen die Evangelischen den Dom mitbenutzen 
durften (Dechent S. 147, Enders 10, 260), also Erzbischof 
Albrecht auf das durch Valentin von Sunthausen angebotene, 
aber Ende November in Halle wieder zurückgenommene 
Zugeständnis evangelischer Predigt im Dom durch einen 
tüchtigen, nicht unfriedlichen oder schwarmgeistigen Prä- 
dikanten, doch schließlich wieder eingegangen wäre? (Quellen 
zur Frankfurter Geschichte 2, 257.) 

Im November kann der Dom noch nicht an das Stift 
wiedergegeben und die Messe wieder gefeiert worden sein. 
Dagegen spricht der Ratschlag Kraffts, welcher noch die 
Frage der Rückgabe auf Grund der durch die Verhandlungen 
in Halle 27.ff. November geschaffene Lage als offene be- 
spricht. Der Abschied in Halle kann aber in Frankfurt erst 
genau bekannt worden sein, als die Gesandten des Rats 
von Halle wieder zurückgekehrt waren. Das war aber am 
7. Dezember noch nicht der Fall (Enders 10, 271, wo statt 
Schwäbisch Hall Halle zu lesen ist. Denn „Ratsfreunde“ 
waren nicht nach Hall gekommen). 

Politisch war die Maßregel, von welcher Straßburg noch 
am 7. November mit allem Ernst abgeraten hatte (Winckel- 
mann, Politische Korrespondenz der Stadt Straßburg 2, 302 ff.), 
ganz überflüssig. Kurfürst Albrecht hatte ja dem Rat am 
27.f. November noch einige Monate Frist zugestanden 


69 149 


(Kirchner 2, 91). In Schmalkalden aber war Frankfurt un- 
mittelbar darauf im Dezember die Aufnahme in den Schmalkal- 
dischen Bund bestimmt in Aussicht gestellt worden (Winckel- 
mann 2, 322). Landgraf Philipp konnte am 23. Januar 1536 
die Zugehörigkeit der Stadt zum Schmalkaldischen Bund 
geltend machen, als er sich dem Erzbischof von Mainz zum 
Vermitller in seinem Streit mit Frankfurt anbot (Quellen 2, 
261 Anm. 1). Unter diesen Umstünden konnte Albrecht gar 
nicht mebr an den Vollzug des Kammergerichtsurteils und 
der Acht denken. Es ist auch, soweit ich sehen kann, gar 
keine Rede mehr davon, daß Albrecht nach der vollzogenen 
Aufnahme der Stadt in den Schmalkaldischen Bund am 
27, April 1536 (Winckelmann 2, 358) noch gewagt hätte, 
die Restitution der Messe zu fordern. 

Mag Albrecht auch kein Muster von Charakterfestigkeit 
gewesen sein, so ist es doch undenkbar, daß er den in Halle am 
27. November eingenommenen Standpunkt sofort wieder auf- 
gegeben hátte, wonach er erklürte, der Rat kónne die Wieder- 
herstellung der Messe gegen das Volk nicht aufrechthalten, 
wenn zweierlei Religionen in derselben Kirche gepflegt und 
lutherische Prediger zugelassen wtirden, die doch sich nicht 
selbst verleugnen könnten und die Zeremonien nach Kräften 
hindern und verwerfen würden (Quellen 2, 258). Wie sollte 
er da das Nebeneinander von Messe und Predigt zugestanden 
haben? 

In hohem Grade auffallend ist, daß weder Wolfgang 
Königstein noch das treuherzige, altglüubige Großmütterchen 
Kreinchen Scheffer, die doch mit tiefer Bewegung von dem 
Verbot der Messe am 23. April 1533 berichten, nichts wissen 
vom Wiederaufleben derselben im November 1535, was doch 
ein für sie hocherfreuliches Ereignis gewesen wäre. Nicht 
minder auffallend ist, daß der mitten in den Ereignissen und 
in den peinlichen Verhandlungen über die Wiederherstellung 
der Messe stehende Stadtsyndikus Dr. Joh. Fichard über 
diese in das Leben der Stadt tief eingreifende Maßregel 
ebensowenig etwas zu sagen weiß alsKönigstein und Kreinchen 
Scheffer (vgl. Quellen 2, 172, 258, 288). Dieses Schweigen 
ist so bedeutsam, daß an der Nachricht von der Wieder- 

einführung der Messe im November 1535 mit allem Grund 


150 70 


zu zweifeln ist, ja tiberhaupt für diese Wendung in der Frank- 
furter Reformation vor 1548 erst noch ganz bestimmte Nach- 
weise zu fordern sind. 

Das ergibt sich aus weiteren Nachrichten. 

Kreinehen Scheffer berichtet, daB die Altglüubigen von 
Frankfurt noch im Sommer 1536 nach Bockenheim hinaus- 
wanderten, weil man da noch christliche Ordnung hielt, 
d. h. noch Messe gefeiert wurde. Aber die Btirgermeister 
haben es dann verboten, so daß niemand mehr hinausgehen 
durfte (Quellen 2, 288 fl.). Dieses Hinauswandern auf fremdes 
Gebiet ist völlig unverständlich, wenn doch im November 1535 
die Messe in der Bartholomáuskirche wieder gestattet war. 

Weiter berichtet Ritter S. 228f., bei der Beerdigung des 
Ratsherrn Hans Bromm, eines bedeutenden Förderers der 
Reformation in Frankfurt, habe ein Maurer öffentlich gerufen: 
„Des dank ihm Gott und sei ihm gnädig, daß er den großen 
Greuel und Bestien, die Messe, hingelegt.“  Vgl.Dechent 1, 
147. Wie konnte der begeisterte Mann aus dem Volke 
dieses Lob aus tiefstem Herzen aussprechen, ohne zugleich 
seinem bitteren Schmerz Ausdruck zu geben, daß nur zwei 
Monate zuvor die Messe, die er so sehr verabscheute, durch 
den Rat wieder zugelassen worden wäre. Die ganze Szene 
ist völlig unverständlich, wenn dies wirklich der Fall gewesen 
wäre. Sicher hätte der Volksmann die Gelegenheit benützt, 
um unter dem zahlreichen, von dem Prediger Matthias Ritter 
durch seine Lobrede auf Bromm sicher ergriffene Volk 
Stimmung gegen die Messe, das Stift und den Rat zu machen. 
Gerade diese kleine Geschichte beweist, daß am 20. Januar 
1536 die Messe noch nicht wieder zugelassen war. 

Endlich haben wir mehrere Briefe aus Frankfurt vom 
großen Frankfurter Tag im März 1539, und zwar einen von 
Myconius an Luther vom 3. März, je einen von Melanchthon 
an Luther vom 3. März, an Justus Jonas vom 6. März und 
einen an Brenz vom 13. März (CR. 3, 640, 641, 644, 646), 
in welchen man eine Äußerung über die Messe in der 
Bartholomäuskirche erwarten sollte, deren Wiederzulassung 
Melanchthon 1535 im Oktober und am 5. November dringend 
empfohlen hatte, wie Brenz in seinem Ratschlag, den er im 
November dem Frankfurter Rat erteilte. Es wäre doch nur 


71 151 


natürlich gewesen, wenn Melanchthon sich über das für ihn 
erträgliche Nebeneinander von Messe und evangelischem 
Gottesdienst und die Unschädlichkeit seines Vorschlags wie 
des Brenzschen ausgesprochen hätte, wenn wirklich Messe 
in der Bartholomäuskirche gehalten worden wäre. Aber 
nirgends ist auch nur ein Wort davon zu lesen. Die be- 
geisterte Schilderung des Myconius von dem fleißigen Kirchen- 
besuch, dem Ernst der Andacht und dem Anstand des Volks 
beim Abendmahl wäre nicht zu verstehen, wenn er dabei 
absichtlich die Erwähnung der Messe unterlassen hätte. Nach 
meiner Ansicht schließen diese Briefe die Annahme aus, daß 
1539 in Frankfurt Messe in der Bartholomäuskirche ge- 
halten worden sei. 

Freilich könnte es scheinen, als erwüchse dieser An- 
nahme eine unerwartete Stütze aus Rom, denn in den 
Nuntiaturberichten 3, 505 Anm. 2 ist unter dem 19. März 1539 
zu lesen: Sanctissimus dominus noster . . . deputavit coad- 
jutorem eum futura successione in ecclesia Viennensi dominum 
Federieum Nauseam rectorem parochialis ecclesiae in Franco- 
fordia Maguntine diocesis. Allein Nausea war nur im 
Februar 1526 etwa vier Wochen Pfarrer in Frankfurt und 
wurde dann Domprediger in Mainz (Quellen 2, 100—102, 
Realenzykl. 135, 670). An der Kurie war man um dreizehn 
Jahre zurückgeblieben und über Nausea nicht genügend 
unterrichtet. Oben schon habe ich geltend gemacht, daß 
Erzbischof Albrecht unmöglich so kurz nach seinem harten 
Bescheid in Halle zugestanden haben könnte, daß neben der 
Messe in der Bartholomäuskirche auch evangelischer Gottes- 
dienst gehalten werden dürfe, wie dies vorauszusetzen wäre, 
wenn die Nachricht von Wiedereinführung der Messe im 
November 1535 richtig würe. Aber bei dem von Albrecht 
Ende November 1535 in Halle eingenommenen Standpunkt, 
senatum ejusmodi restitutionem contra plebem sustinere 
tuerique non posse, si in eodem templo diversae religiones 
colerentur et Lutherani concionatores relinquerentur, qui non 
possent non sui similes esse et receptas ceremonias pro viribus 
impedire atque prosternere; denique absurdissimum fore, 
si eodem in templo aliter cultus divinus doceatur et aliter 
rúrsus exerceatur (Quellen 2, 258), ist es kaum denkbar, 


152 72 


daß er je ein Nebeneinander von Messe und evangelischem 
Gottesdienst gebilligt hätte. Und doch bestand, wie wir 
aus den Briefen von Myconius und Melanchthon sahen, im 
März 1539 ganz unzweifelhaft in der Bartholomäuskirche, 
der Pfarrkirche, um die es sich bier vor allem handelt, 
evangelischer Gottesdienst. Wann sollte dann die Messe, 
die, wie wir sahen, zu der von den Frankfurter Historikern 
angenommenen Zeit nicht wieder zugelassen sein kann, ihre 
Wiederkehr gefeiert haben? Wenn dies je vor 1548 der 
Fall gewesen wäre, so ist doch undenkbar, daß Albrecht 
dies ohne Neuweihe der Bartholomäuskirche gestattet hätte. 
Denn diese mußte ihm durch den evangelischen Gottesdienst, 
der mindestens drei Jahre allein darin gehalten wurde, ent- 
weiht erscheinen. Von einer solchen Neuweihe aber weiß 
keiner der Frankfurter Chronisten etwas zu sagen. 

Erst als die Kirche im Interim dem katholischen Gottes- 
dienst zurtickgegeben werden mußte, erschien der Mainzer 
Weihbischof Michael Helding zur Neuweihe (Kirchner 2, 154). 
Weiter ist zu bedenken, ob denn der Rat, wenn er je 1535 
oder auch später, kurz tiberhaupt vor 1548 in den Wieder- 
einzug der Messe gewilligt hätte, keinerlei Abkommen mit 
dem Erzbischof und den Stiftsherren getroffen hätte, das 
notwendig schriftlich abgefaßt und feierlich besiegelt werden 
mußte. Aber wir hören nirgends von einem solchen für 
Frankfurt sehr wichtigen Vertrag. 

Endlich aber ist anzunehmen, wenn 1535—1548 neben- 
einander evangelischer Gottesdienst und Messe gefeiert worden 
wäre, daB dann Reibungen zwischen den Prüdikanten und 
dem scharf protestantischen Volke (vgl. z. B. das Verhalten 
desselben beim ersten Erscheinen Nauseas auf der Kanzel, 
Quellen 2, 102) einerseits und den wieder in ihre Rechte 
eingesetzten Stiftsherren andererseits kaum ausgeblieben 
wären. Darin hatte Erzbischof Albrecht in Halle Ende 
November 1535 ganz recht gesehen. Dann aber müßte es 
sicher zu einem Eingreifen des Rates gekommen sein, aber 
wo sind die Belege für ein solches? Bis jetzt fehlen sie. 

Nach all den angegebenen Momenten darf ich als Er- 
gebnis, das auf Zustimmung hoffen darf, ansehen: November 
1535 kann die Messe in der Bartholomäuskirche in Frankfurt 


13 | 153 


unmöglich wieder eingeführt worden sein. Für spätere 
Wiedereinführungen vor 1548 fehlt jeder Beweis. 

Vorstehendes war bereits niedergeschrieben und an die 
Redaktion des ARG. abgesandt, als ich vom Stadtarchiv 
Frankfurt unter Verneinung meiner Anfrage, ob die von 
Ritter a. a. O. angegebenen Quellen oder andere Akten einen 
Anhaltspunkt für die Wiedereinführung der Messe im No- 
vember 1535 oder tüberhaupt vor 1548 geben, in sehr 
dankenswerter Weise auf die Stelle Quellen 1, 114, 115 
hingewiesen wurde, welche meine Auffassung vollkommen 
bestátigte. Dort sind die Antiquitates von Johann Latomus 
abgedruckt, der ein Frankfurter Kind war, 1543 Kanonikus, 
1551 Kustos, 1561 Dechant des Stifts wurde und mit dessen 
Geschichte aus eigener Erfahrung vertraut war. Er weiß 
weder von einer Wiedereinführung der Messe in der Bartholo- 
mäuskirche im November 1535, noch von einer Feier der- 
selben vor 1548. Seine Angabe lautet so klar und bestimmt 
als möglich: Reconciliata ... ecelesia per dominum Moguntinum, 
omnia sacra offitia iterum incepta sunt die saneti Calixti 
(14. Oktober) 1548. Cessatum annis 15 mensibus septem. 
Dieses Datum stimmt ganz genau, denn seit dem 23. April 1533 
waren es genau fünfzehn Jahr sieben Monat weniger neun 
Tage. An der Glaubwürdigkeit dieser Nachricht von Latomus 
zu zweifeln ist lediglich kein Grund vorhanden. Die bis- 
herige Tradition in der Frankfurter Reformationsgeschichte 
ist unhaltbar. Der Frankfurter Rat erscheint entlastet gegen- 
über dem Vorwurf der Verzagtheit. Die Erfolglosigkeit der 
Ratschläge der Theologen Melanchthon, Brenz, Krafft liegt 
ganz klar zutage und wurde sicher von ihnen nachträglich 
selbst nicht beklagt. 


Mitteilungen. 


Ein Augsburger Privatbrief aus der Refor- 
mationszeit. Uber die Unruhen, in die zur Zeit der Einführung 
der neuen Lehre, besonders vor dem Reichstag von 1530, die alte 
Bischofsstadt Augsburg versetzt wurde, geben die Zeitgenossen Kenntnis, 
deren Chroniken und Erzählungen im 23. und 29. Bande der „Chroniken 
deutscher Städte“ abgedruckt sind; Fr. Roth hat das umfangreiche 
Material für diese Vorgünge in seinem vierbándigem Werk , Augsburger 
Reformationsgeschichte^ (München 1881ff. I. u. IT. Bd. 2. Aufl. 1901, 
1903) anschaulich und trefflich verarbeitet; einen kleinen Beitrag zur 
Kenntnis der damaligen Ereignisse in Augsburg bietet der hier folgende 
Brief eines Augsburger Bürgers, den er seinem in Zerbst wohnenden 
Schwager im Frühjahr 1528 geschrieben hat. 


Der Brief, der sich im Original im Kgl. Staatsarchiv Magdeburg 
(Copiar 468b) befindet, lautet: 


Lieber swager, ir solt wissen, das es noch ubel zcusteyt by 
uns, dan grosse ketzerey yst bey uns; ffunfferley secten!); etliche 
predigen, es sey Christus keyn godt gewest, sunder eyn prophet; die 
andren sagen, das brot oder sacrament sey nicht Cristus leib und bludt; 
etlich teuffen yderman widder; darnach seynd die Lutterysche und 
papisten?); und ist eyn solcher jammer, das die gantz stadt Auspurk 


1) Den religiösen Zustand Augsburgs in seiner ganzen Zerrissen- 
heit und Spaltung schildert ühnlich im Jahre 1530 der Pfarrer Adam 
WeiB von Krailsheim; vgl. Roth I. Bd. 2. Aufl. S, 325 Note 90; auch 
S. 309; diese Zerrissenheit spiegelt sich auch wider in dem ersten 
Augsburger Gesangbuch von 1529, das Lieder der tüuferischen, lutheri- 
schen und zwinglischen Richtung enthält; Roth ebenda S. 810. 

*) Der Vorkümpfer des Katholizismus in Augsburg war seit 1525 
Ottmar Nachtigall, ein vielseitig gebildeter Mann und Schtitzling der 
Fugger; vgl. Roth I. Bd. 2. Aufl. S. 15f, und S. 306. 


15 155 


betrubt ist. Man kopfet alle tage zcu zceitten VI, IV zcu zceitten X 
menschen, mussen auch alle tage und nacht zweyhundert lantzknechte 
yn der stadt umbherghen, auff das nicht eyn auffrur werde, Es seind 
die widderteuffer so unsinnich, das sie selber, auch frawen und junc- 
frawen dem tode entkegen lauffen; dreyhundert die kopfe abgeslagen, 
augen ausgebrochen, aus der stadt ewych verwyset!) Es ist auch 
von doctor Peitinger?), unserm stadtschriber, gesaget, das bey uns 
zu Auspurgk, Wormbs, Speyr, Straspurg, Munchen, Regenspurgk, 
Ingelstadt, Wein in Ostereich, vierdehalb tausent gekopfet seyn. Es 
ghet gantz erbermlich zcu; ........ 3) Es ist hir gantz Swaben, 
Reynstrom, Beiern, Osterich, Kernten, Steyermarck etc. verforcht 
worden; wan ein widderteuffer oder ein zwingelscher bey uns predigt, 
so sein by sechzentausent zcuhoren, wan die andern doctores predigen, 
seindt yr kaum sechs oder sieben menschen, X auffs meysthe*). Gott 
erbarm sich des grossen yrthums. Ist zcu besorgen, das wyr eymal 
alle eynander erworgen und ersthechen. Die reichstethe legen fast 
alle voll mit knechten, auch die fursthen slaen alle tage viell swermer 
todt 5), es hilfft aber nicht, jhe mehr man sie toedt, jhe mehr ir auff- 
stebn, das ein sunderliche plage von godt uns sey. Datum Auspurgk 
im acht und zwenczischen jar sonabent nach Invocavit*). 


Ewer Jochim Helm, burger zcu Auspurgk. 


Dem wirdigen und hochgelarthen Sebastian Weiß, magister und 
scholmeister zcu Zerwest, meinem lieben swager. 


Friedrich Arnecke. 


Neuerscheinungen‘). 


Die zweite Ausgabe von Heinrich Appels „Kurz- 
gefaßter Kirchen geschichte für Studierende“ zeigt, 
mit der ersten verglichen, nicht nur aller Orten die sorgsam nachbessernde 


) Besonders gegen die Anhänger der Wiedertäufer ging man 
mit Leibes- und Lebensstrafen vor; vgl. Chroniken deutscher Städte 
23 8. 194 ff.; 29 S. 41f. _ 


N) Vgl. Roth I. Bd. 2. Aufl. S. 13 und die dort S. 38 Note 40 
angegebene Literatur. 


.. ) Hier ist das Papier des Originals zerstört und dadurch der Text 
einiger Zeilen sehr lückephaft; der Briefschreiber berichtet an dieser 
Stelle von der Berner Disputation im Januar 1528, zu der ,der Zwingel 
. von Zurich mit tausent Sweycern bis gen Bern" gekommen war und 
Zu der auch der Augsburger Rat Gesandte geschickt hatte: einen 
Zwinglianer, Wolfgang Wackinger, und einen Lutheraner, Caspar Huber. 
Roth I. Bd. 2. Aufl. S. 307. 

) Vgl. ebenda S. 289. 

5) Besonders der Herzog Wilhelm von Bayern; vgl. Chroniken 
deutscher Städte 29 S. 40; Roth a. a. O. S. 313, 

°) 7. März 1528. 

*) Die Zeitschriftenschau soll auch für den laufenden Jahrgang 
nur dem vierten Hefte beigegeben werden. 


156 16 


Hand des Verfassers, sondern bietet auch grundsätzliche Veränderungen, 
die durchweg als Verbesserungen anzusprechen sind. Das Werk 
erscheint jetzt in einem Bande mit einheitlichem Register an Stelle 
der vier getrennten Abteilungen der ersten Auflage. Ferner ist die 
Einführung speziellerer Literaturangaben zu begrüßen. Auch die 
vollständigen Listen der römischen und deutschen Kaiser und der 
Päpste sind willkommen za heißen. Endlich sind die beigegebenen 
Landkarten farbig ausgestattet und begnügen sich nicht damit, die 
im Text begegnenden Ortsnamen anzugeben, sondern orientieren zu- 
gleich über die politischen und kirchlich-religiösen Zustände in den ver- 
schiedenen Zeitaltern. — Beibehalten ist unsers Erachtens mit Recht 
die alte Gliederung der Kirchengeschichte, insbesondere die herkömm- 
liche Abgrenzung zwischen Mittelalter und Neuzeit; Appel bleibt dabei, 
mit Luther eine neue selbständige Periode der Kirchengeschichte zu 
beginnen. Leipzig, A. Deichert, 1915. XIX u. 712 S. M.8.50, geb. 
M. 10.—. 


Von der durch L. v. Pastor besorgten 19. und 20. Auflage von 
Joh. Janssen, Geschichte des deutschen Volkes ist 
nun auch der zweite Band erschienen (XXXIX u. 760 S. Freiburg, 
Herder. M.10.—, geb. M. 11.60 und 12.60). Der Herausgeber hat 
das Werk sorgsam durchgesehen, das Literaturverzeichnis auf den 
Stand der Gegenwart gebracht, in längeren Anmerkungen der neuesten 
Forschung Rechnung getragen usw. Im ganzen betrachtet sind das 
freilich nur neue Flicken auf dem alten Gewande, das durch sie kaum 
verschönert wird. Die Sache liegt hier, wo die Betrachtung der 
eigentlichen Reformationsgeschichte beginnt, doch anders als beim 
ersten Bande, der einen besonderen Charakter trägt. Wir können es 
nur mit einem gewissen Bedauern sehen, daß man fortfährt, unsern 
katholischen Mitbürgern als geistige Kost ein Werk vorzusetzen, das 
seinen Lesern von der weltgeschichtlichen Bedeutung des Werkes 
Luthers kaum die leiseste Ahnung übermittelt — und das in einer 
Zeit, die eindringlicher als jede frühere den beiden Konfessionen, 
in die unser deutsches Volk gespalten ist, die Notwendigkeit predigt, 
einander verstehen zu lernen, um miteinander auszukommen. 


Zur Geschichte von Luthers Werden sei auf das schön aus- 
gestattete Buch von G. Kutzke, „Aus Luthers Heimat. 
Vom Erhalten und Erneuern^ (Jena, Diederichs, 1914, 178 S.) hin- 
gewiesen. Wir lernen hier in einer Folge lose aneinander gereibter 
sachkundiger Betrachtungen die ältesten Stätten, an denen Luther 
geweilt hat, Eisleben und Mansfeld, in Natur und Kunst kennen und 
mögen von dieser Grundlage aus die Eindrücke uns vergegenwärtigen, 
die dem Knaben aus seinem Heimatboden zugeströmt sind. Zugleich 
fühlen wir uns mit dem Verfasser in dem Wunsche einig, daß, was 
dort von Natur- und Kunstdenkmälern der Zeiten Unbill bis jetzt über- 
dauert hat, einer weiteren Zukunft schonend erhalten bleibe oder pietät- 
und sinnvoll hergestellt werde. 


17 157 


In dem Doppelheft Nr. 121/192 der Schriften des Vereins für 
Reformationsgeschichte behandelt O. Albrecht „Luthere Kate- 
chismen“. Indem er die Untersuchungen und Ergebnisse der 
Weimarer Ausgabe (Bd. 30, 1) zusammenfaßt, mehrfach auch ver- 
bessert und ergünzt, legt A. hier die geschichtlichen Voraussetzungen 
und die Entstehung, den ursprünglichen Inhalt und die früheste Ent- 
wicklung beider Katechismen dar, wobei er zugleich die seit 1910, 
dem Erscheinungsjahr der W. A., herausgekommene neueste Literatur 
einarbeitet. Die ersten zwei Kapitel bieten die Vorgeschichte und die 
gleichzeitige Entstehung beider Katechismen auf Grund der Predigt- 
reihen des Jahres 1528; daran schließt sich die gesonderte Betrachtung 
zuerst des Großen (eigentlich ,Deutschen^), dann des Kleinen Kate- 
chismus. Albrecht untersucht von jenem zuvórderst Namen und 
Zweck, gibt weiter eine Übersicht über die ültesten Ausgaben bis 
etwa 1580, um endlich die Eigenart des Werkes besonders in Hinsicht 
auf den Lehrgehalt, und zwar im Vergleich mit katechismusartigen 
Produkten der kirchlichen Vergangenheit, mit Luthers eigenen Arbeiten 
und dem Kleinen Katechismus zu untersuchen. Von letzterem wird 
dann die Geschichte der äußeren Wandlungen gegeben, die er durch- 
gemacht hat; A. handelt eingehend von den Tafeldrucken, von der 
Zusammenfassung der Tafeln in Buchform vor Luthers erster Buch- 
ausgabe, dann von den ersten hochdeutschen Buchausgaben von 1529, 
woran sich die Darstellung der weiteren Entwicklung im sechzehnten 
Jahrhundert schließt mit Einbeziehung der Nebenausgaben, Bearbei- 
tungen, Schulausgaben, Kinderpredigten, niederdeutschen Fassungen, 
lateinischen und sonstigen fremdsprachigen Übersetzungen, den 
Summarien usw. Das Schlußkapitel gibt Erläuterungen zum Wort- 
verständnis und Lehrgehalt. Es ist überflüssig zu sagen, daß diese 
Schrift des besten Kenners der Materie eine wesentliche Bereicherung 
und unentbehrliche Ergänzung der Literatur über die Katechismen 
darstellt, die bekanntlich unserm großen Reformator als eine zu- 
treffende volkstümliche Zusammenfassung seiner reformatorischen Ge- 
danken und Bestrebungen vor fast allen seiner übrigen Schriften lieb 
und wert geblieben sind. Leipzig, Komm.-Verlag von R. Haupt, V, 
196 S. (M. 8.—). 

Als Nr. 73 von Voigtländers Quellenbüchern ist er- 
schienen ,Luther und der Wormser Reichstag 1521, 
Aktenstücke und Briefe zusammengestellt von Joh. Kühn“. Der 
Bearbeiter hat sich hier nicht begnügt, die auf den Aufenthalt L.'s in 
Worms bezüglichen Stücke mitzuteilen, sondern auch ganz oder im 
Auszug eine Reihe von Dokumenten herangezogen, die von nah oder 
fern zu der großen Entscheidung hinführen, um dergestalt erkennen 
zu lassen, „welche Mächte zur Lösung der Lutherfrage damals vor- 
handen waren und welche Arten der Lósung hier und dort vorge- 
schlagen wurden; wie es dazu kam, Luther vor den Reichstag zu 
laden, was er und seine Anhänger, was die Gegner davon erwarteten 
Ud wie endlich nach einem wunderlichen Kráftespiel eine höchst 


158 18 


einseitige Entscheidung erging“. So erhalten wir eine Reihe von 
Dokumenten und Briefen, die sich zeitlich von Luthers, durch Kurfürst 
Friedrich angeregtem „Erbieten“ (Juli-August 1520) bis zur Ablehnung 
der Ausführung des Wormser Edikts durch den ersten geistlichen 
Reichsfürsten, Albrecht von Mainz (August 1521) erstrecken. Von den 
Berichten über die Wormser Vorgünge ist, um Wiederholungen zuvor- 
zukommen, jeweilig nur ein Bericht, und zwar der historisch wert- 
vollste oder inhaltreichste, aufgenommen. Ein größerer Teil der Stücke 
ist aus dem Lateinischen, Französischen oder Ttalienischen übertragen. 
bei den uraprünglich deutschen Stücken hat K. erfreulicherweise die 
Texte nicht modernisiert oder ,leise überarbeitet^, sondern sich im 
wesentlichen damit begnügt, die Orthographie zu vereinfachen und 
dem Satzbau, wo erforderlich, ein wenig aufzuhelfen; die unschöne 
Einflickung des als Ergünzung gekennzeichneten ,h^ in die Formen 
„in“, „im“ und „inen“ des persönlichen Fürworts ist wohl übertriebene 
Sorgfalt. Vortrefflich sind die den einzelnen Stücken vorangeschickten 
sachlichen Bemerkungen des Bearbeiters, die einem jeden seine Stelle 
im Zusammenhang des Ganzen anweisen. Im übrigen ist zweckmäßig 
auf die wichtigste neuere Literatur verwiesen. — Für einen größeren 
Leserkreis bestimmt mag die kleine Veröffentlichung Kühns auch dem 
Historiker als bequemes Nachschlagebüchlein gute Dienste leisten. 
Leipzig, R. Voigtländer, 121 S. M. 1.—. 

Die durch G. Schnürer veranlaßte Abhandlung von N. Didier, 
„Nikolaus Mameranus, Ein Luxemburger Humanist des sech- 
zehnten Jahrhunderts am Hofe der Habsburger. Sein Leben und seine 
Werke“ (Freiburg, Herder, 1915. 330 S. M. 6,—) beruht vorwiegend 
auf den zahlreichen Schriften Mamerans, die besonders in den Widmungen 
von dem Autor, seinem Leben und seinem Wesen Kunde geben. Dazu 
kommen einige Briefe, die Verfasser aufgefunden hat. Es ergibt sich 
danach, daß M. am 6. Dezember 1500 zu Mameran im damaligen 
Herzogtum Luxemburg geboren wurde und seit 1533 im Gefolge Kaiser 
Karls V. erscheint, dessen Reisen und Kriegsztige er länger als zwei 
Jahrzehnte hindurch mitgemacht hat. 1557 ging er mit König Philipp 
nach England; von dort zurückgekehrt, nahm er seinen Aufenthalt in 
den Niederlanden, die er jedoch 1566 nochmals verließ, um dem 
Augsburger Reichstag Kaiser Maximilians II. beizuwohnen. Dann 
verschwinden M.’s Spuren; wann und wo er gestorben ist, ist unbe- 
kannt. Im zweiten Teil seiner Abhandlung versucht Verfasser die 
schriftstellerische Tätigkeit Mamerans zu würdigen, der sich als 
Historiker, Theologe und Polemiker, Poet und Redner betätigt hat. 
Das Werk ist mit hingebendem Fleiß gearbeitet, verrät aber durch 
Weitschweifigkeit und starke Überschätzung seines Helden den An- 
fänger, der vor allem aus den Quellen sehr viel mehr herausliest oder 
herauskombiniert als in ihnen steht. Man vergleiche etwa S. 19, wo 
über die in den Quellen nicht näher bestimmte Stellung Mamerans 
im Heere Sickingens bei der französischen Expedition von 1521 be- 
merkt wird: „Irgendeinen leichten Posten im Heere wird er sich 


79 159 


ausbedungen oder vielmehr die Gunst erbeten haben, dem Heere zu 
folgen als bewaffneter, aber dennoch friedlicher Gefolgsmann.“ () Auch 
die Objektivität, besonders in  konfessioneller Hinsicht, läßt zu 
wünschen übrig; nicht ohne Staunen wird man 2. B. Seite 159 über 
Sleidan als Historiker lesen, daß er „sein Material schlecht verarbeitete, 
durch Zusätze, falsche Deutung und dergleichen oft gesündigt hat“, 
so daß sein Werk als zeitgenössische Geschichtsquelle an Wert weit 
hinter Mamerans Aufzeichnungen zurückstehe. Daß andererseits 
v. Druffel es gewagt hat, Viglius v. Zwichems Tagebuch an Wert über 
Mameran zu stellen, ist nach Didier nur aus Druffels Bestreben zu 
erklären, „seinen Autor herauszustreichen“, ein Vorwurf, der, wie 
schon angedeutet, vielmehr auf Didier selbst zutrifft; man sehe das 
„Porträt“, das dieser auf elftehalb Seiten von Mameran entwirft 
(S. 126—136). Was übrigens „ein von katholischen Grundsätzen ge- 
leiteter Wille“ ist, vermag Referent nicht zu durchschauen. — Eine 
wertvolle Zugabe bildet die Bibliographie der Schriften Mamerans (S. 269 
dis 290), die aus einer großen Anzahl von Fundstätten zusammen- 
gebracht worden sind. 

Einen sehr wertvollen Beitrag zur Geschichte und Dogmatik der 
altprotestantischen Theologie bietet P. Althaus' tiefgründige Ab- 
handlung „Die Prinzipien der deutschen refor- 
mierten Dogmatik im Zeitalter der aristotelischen 
Seholastik^ (Leipzig, Deichert, 1914. VIII, 273 S., M. 7.50). 
Nach A. legt sich in der Gegenwart die historische Untersuchung 
vergangener theologischer Gebilde unter dem Gesichtspunkt ihrer 
Prinzipien nahe, so zwar, daß dabei besonders die altprotestantische 
Theologie immer wieder zu derartigen Forschungen anlockt. Während 
aber die lutherische Theologie bereits eine Reihe glänzender Bear- 
deitungen dieser Richtung gefunden hat (Tröltsch, Weber u. a.), ist 
die reformierte immer nur gelegentlich und nebenbei berücksichtigt 
worden. So tritt nun Althaus gleichsam in diese Lücke ein. Indem 
er aber von Bartholomaeus Keckermann und dessen Schüler Alsted, 
als vor andern bezeichnend für die Prinzipienlehre der Theologie um 
1600, ausgeht, greift er, vom anscheinend Aeuferlichsten zum Inner- 
lichsten fortschreitend, drei Probleme heraus: zuerst die Frage nach 
den allgemeinen Beziehungen zwischen Theologie und Philosophie 
(wobei besonders das Problem der dogmatischen Methode und der 
Einfluß der neuaristotelischen Metaphysik auf die Gotteslehre inter- 
essiert); zweitens die Frage nach dem innern Verhültnis von Vernunft 
und Offenbarung, wie Tróltsch (Vernunft und Offenbarung bei Johann 
Gerhard und Melanchthon, Góttingen 1891) sie für Johann Gerhard 
gestellt und beantwortet hat; drittens das Problem, wie sich die 
Reflexion über Art und Grund der religiósen GewiBheit auf Grund der 
Beziehungen zwischen Philosophie und Theologie gestaltet hat. 

Wir kónnen den Ausführungen im einzelnen nicht folgen und 
geben nur wieder, was A. über den allgemeinen Eindruck bemerkt, 
den er bei seinen Studien über die dogmatische Arbeit des sech- 


160 86 


zehnten bis siebzehnten Jahrhunderts, vor allem im Vergleich zu der 
des Zeitalters der Reformation, empfangen habe. „Immer wieder“, 
bemerkt er, ,liegt es nahe, die Theologie der Generstion um 1600 
als eine Verengerung, Entseelung und Verkürzung des wundervollen 
reformatorischen Reichtums zu empfinden. In der Tat, der Reiz des 
Ursprünglichen, Lebendigen, des Paradoxen und Genialen fehlt bei 
fast allen Theologen jener Zeit. Das gewaltige Pathos, das durch 
Calvins scharfgeschliffene Sütze oft genug hindurchzittert, darf man 
bei Keckermann und Alsted, Maccovius und Polanus nicht suchen. 
Aber ohne den Eindruck von einer imponierenden geistigen Arbeit 
wird kein urteilsfähiger Leser jener Dogmatiker bleiben. Es waren 
keine Scheinprobleme, mit denen die Scholastik rang.  Keins der 
Probleme, die wir angerührt haben, ist von uns heute überwunden. 
Aber auch die Art, wie man sie zu lósen suchte, darf dauerndes 
Interesse beanspruchen. Und wenn man die Spuren der Epigonenzeit 
deutlich empfindet, so ist nicht zu vergessen, daß der Übergang von 
der genialen, aber philosophisch naiven Intuition der Reformatoren 
zu der philosophisch beeinflußten Theologie der Scholastik eine innere 
Notwendigkeit war. Zudem hat es doppelten Reiz in einer Zeit der 
Verbildung das Gefühl für die Eigenart des theologischen Gegen- 
standes immer wieder hervorbrechen zu sehen.“ 

Zum Plane der Herausgabe eines „Corpus Catholicorum“ 
(vgl. oben S. 79f.) sei noch nachgetragen, daß es laut Mitteilung des 
Leiters, Herrn Universitätsprofessors Greving in Münster, inzwischen 
bereits gelungen ist, eine genügende finanzielle Grundlage für das 
Unternehmen zu schaffen. Der Entwurf der Satzungen für die 
„Gesellschaft zur Herausgabe des Corpus Catholicorum^ ist auch 
Schon in Arbeit, und Professor Greving hofft, im Laufe des Sommers 
mit dem Druck des „Corpus Catholicorum“ beginnen zu können. 


Druek von C. Schulze 4 Co., G. m. b. H., Gräfenhainichen. 


AV ARCHIV FÜR. REFORMATIONSGESCHICATE, 


TEXTE UND UNTERSUCHUNGEN. 


In Verbindung mit dem Verein für Reformationsgeschichte 
herausgegeben von ù 


D. Walter Friedensburg. 
Nr. 51. XIII. Jahrgang. Heft 3. 


Das 
sogenannte Manuscriptum Thomasianum. V. 
Aus Knaakes Abschrift veröffentlicht 
von l 


O. Albrecht und P. Flemming. 


Die Epistola 
de miseria curatorum seu plebanorum 
von 
Albert Werminghoff. 
Brentiana und andere Reformatoria. V. 
von 


W. KÜhler. 


Mitteilungen . 
(Neuerscheinung.) 


Leipzig 
Verlag von M. Heinsius Nachfolger 
1916. 


Ausgegeben im August 1916. | 
Preis für Subskribenten 2,65 M., einzeln bezogen 3,70 M. 


Verlag von M. Heinsius Nachfolger in Leipzig. 


Soeben erschien: 


Quellen und Abhandlungen 
zur Schweizerischen Reformationsgeschichte 


(II. Serie der Quellen zur schweizerischen Reformationsgeschichte) 


herausgegeben vom Zwingliverein in Ztirich 
unter Redaktion von D. Dr. Georg Finsler in Basel 
und Professor D. Dr. Walther Köhler in Zürich. 


Band U (V der ganzen Sammlung): 


Die Täuferbewegung 
im Kanton Zürich bis 1660 


Dr. phil. Cornelius Bergmann. 
=== Preis 6 M. 50 Pf. 


Die Tüuferbewegung, die fast gleichzeitig in Deutschland, der Schweiz 
und Holland auftrat, hat sich nur in den letzteren zwei Staaten über die 
Reformationszeit hinaus erhalten kónnen. In Deutschland, wo sie zum Teil 
im Gegensatz zu den staatsbildenden Faktoren und zum gemüBigten Prote- 
stantismus in ein fanatisches Schwürmertum ausartete, ist sie gemeinsam mit 
den ihr verbundenen Bauernunruhen und auch spüter blutig unterdrückt 
worden. Dieses ist in der Schweiz trotz ähnlicher Voraussetzungen und 
Begleiterscheinungen nicht geschehen, weil die Tüuferbewegung sich sehr 
bald von der in der Reformationszeit begründeten ursprünglichen Richtung 
der unruhigen Umtriebe abwandte und sich nach der rein religiósen Seite 
zu entwickeln bestrebt gewesen ist. — Obgleich dasselbe im Prinzip auch 
für Holland zutrifft, so wird man die gelüuterte Tüuferbewegung der Schweiz, 
die wir im Unterschied zum Schwürmertum so bezeichnen möchten, nicht 
mit der niederländischen gleichsetzen können. Beide entwickeln sich aus 
den ihnen eigenen Voraussetzungen heraus, nehmen in Verbindung mit so- 
zialen Faktoren religiös-ekstatische Elemente auf und laufen, nachdem ihnen 
der Boden für die Entfaltung einer Macht entzogen ist, in die subjektivistische 
Form des religiösen Erlebens aus, nur mit dem Unterschiede, daß das 
Tüufertum in den Niederlanden sich von den Städten aufs Land verbreitet, 
während in der Schweiz es aus den Städten sich aufs Land rettet und unter 
der Landbevölkerung Formen annimmt, die durch die Kulturbedürfnisse der- 
gelben bedingt waren. — Sachliche und zeitliche Verhältnisse, denen der- 
artige Bewegungen entspringen, bestimmen ihren Charakter, auch wenn sie 
bisweilen in ihrer Ideologie mit solchen, die aus andersgearteten Zeit- 
umständen herausgewachsen sind, sich zum Teil decken. — Diese Entwick- 
lungsrichtung an der Täuferbewegung im Kanton Zürich nachzuweisen und 
ihr charakteristisches Gepräge aus diesen Gründen abzuleiten, ist der Zweck 
der vorliegenden Arbeit. 


ch 


REFORMATIONSGRSCHICHTE 


TEXTE UND UNTERSUCHUNGEN. 


In Verbindung 
mit dem Verein ftir Reformationsgeschichte 


herausgegeben von 


D. Walter Friedensburg. 


Nr. 51. 
13, Jahrgang. Heft 3. 


Leipzig 
Verlag von M. Heinsius Nachfolger 
1916. 


Das sogenannte 
Manuscriptum Thomasianum. V. 
Aus Knaakes Abschrift veröffentlicht 
von 


O. Albrecht und P. Flemming. 


Die Epistola 
de miseria curatorum seu plebanorum 


von 


Albert Werminghoff. 


— re 


Brentiana und andere Reformatoria. V. 
von 


W. Köhler. 


Mitteilungen 


(Neuerscheinung.) 


Leipzig 
Verlag von M. Heinsius Nachfolger 
1916. 


Das sogenannte 
Manuscriptum Thomasianum. V. 


Aus Knaakes Abschrift veröffentlicht von O0. Albrecht 
und P. Flemming. 


Dritter Teil. Nr. 94— 126. 
Briefe Besolds an Dietrich aus den Jahren 1541 — 1546. 


Zweiter Abschnitt: Nr. 111—126, 


Nr. 111. Besold an Dietrich, 5. April 1544. 


Clarissimo et Optimo Viro D. Magistro Vito Theodoro, 
Domino suo et Patrono observando. 
Nürmber g. 


Salutem in Christo. Habeo tibi gratiam, ut debeo, 
maximam, quod tantopere curae tibi sunt res meae, et ag- 
DOSCO veterem tuum erga me paternum animum, Humanissime 

atrone. Quare semper te mihi tanquam parentem summa 
observantia colendum esse duxi neque unquam ulla vel 
temporis vel fortunae injuria tuorum beneficiorum memoriam 
mihi eripiet. : Doleo autem ex animo non posse tibi a me 
Satisfieri hoc levi literarum officio, quod te imprimis a me 
requirere scio, et mihi quidem nihil iucundius est, quam ut 
quoquomodo gratitudinem meam et observantiam tibi decla- 
rem. Sed saepe argumentum scribendi deest, aut, siquid est 
SA oyo, a D. Philippo ad te perseribi non dubito. 

eque ea est alacritas D. Lutheri, quae quondam fuit, 
PS ex eius sermonibus materiam colligere semper queam !). 
Quare peto ut hane veniam mihi des et has etiam mihi 
Oni consulas. Nam plane nihil novi habemus Praeter ea, 
quae ex vestris literis et ex conventu?) adferuntur. Ne 
tamen prorsus ociosae essent, addidi scriptum D. Philippi 
n D. Pontanum de Amerbachio?) Exhibui ei 
Ibellum contra Cochleum, et cum dicerem, suspicari me, 
quod a te esset compositus, negabat id & addebat: Es ist 


Archiv für Reformationsgeschichte. XIII. 3. ll 


162 2 


nichts harts drinnen“. Wenns aber M. Veit‘), hat gemacht, 
so verdreußt es mich. Debuisset contemnere. Cochlei 
librum non vidit). Deinde cum in meis literis legeret tuam 
admonitionem, addebat: Ego quoque nihil ei scripsi, nihil 
enim habebam. Ich biu froh, wenn ich nichts hab, so dispu- 
tir ich ein weil mit ihm. M. Georgius?) D. Luthero 
ostendit, is significabit eius iudicium. Mitto aliquot paginas 
in Locos Communes *), quos describendos dedi Melchiori 
Michel?) ut facilius pergere in Ioannis Commentario 
Photinus?) posset. Est homo studiosus, pius et bene 
doctus, et brevi tempore plurimum profecit, quare ei potissi- 
mum hoe munus demandandum putavi. His bene & feliciter 
vale et ignosce negligentiae. Salutem opto honestissimae 
Coniugi et toti familiae, quam precor ut Deus servet tibi 
porro incolumem & salvam. Photinum adhue expectamus. 
pecuniam, quam debeo pro panno, detrahes stipendio. Iterum 
vale, pridie palmarum 1544. 


Hieronymus Besold. 
a) drinne S, 


) Hieraus darf man den Schluß ziehen, daß Besold auch sonst 
von den Tischreden Luthers seinem Gönner anf dessen besonderen 
Wunsch Mitteilung machte. „Veit Dietrich hat aber diese Aeußerungen- 
Luthers aus seinen letzten Lebensjahren in seine eigene Tischreden- 
sammlung nicht aufgenommen, die er auf seine eigene Wittenberger 
Zeit beschränkte, oder es ist uns dieser Teil seiner Sammlung nicht 
erhalten“ (Kroker). 

2) Reichstag zu Speier (Februar bis Juni 1544). 

3) Scriptum Philippi ad Pontanum (Kanzler Brück) de Amer- 
bachio s. CR. 5, 233, wo es im November 1543 angesetzt wird. 

1) Veit Dietrich. 

5) Welche von den Streitschriften des Cochläus aus den Jahren. 
1543 und 1544 in Frage kommt, die Spahn, Cochläus S. 298 ff. nennt, 
auch Cochläus selbst in De actis et scriptis Lutheri, und welche Er- 
widerungsschrift von protestantischer Seite, ist nicht auszumachen. 

e) Georg Rörer. — Von Luthers Urteil über das Buch des 
Cochláus oder über die Entgegnungsscbrift ist nichts bekannt. 

7) Zu der Abschrift aus Melanchthons Vorlesung über die Loci 
communes s. oben Br. 103°, desgl. zu der Nachschrift von Crucigers- 
Johannesvorlesung Br. 103?. 

^) Melchior Michael Noribergensis immatrikuliert 21. April 1543. 
(Alb. 203); ein Melchior Michael, der allerdings Ziapolitanus (aus: 
Dinkelsbühl) genaunt ist, wird im Jahre 1548 Magister (Köstlin, Bacc. 
IV, 7). In Briefen an Besold vom 6. August und 15. Oktober 1558 
(CR. 8, 135 und 164) nennt Melanchthon einen M. Melchior Michael 
als Pastor zu Cham, Dieser war am 6. Juli 1552 in Wittenberg gein 
Chamm in der Pfaltz zum predigambt ordiniert worden. Hier heißt 
er wieder M. Melchior Michael von Nürnbergk (Buchwald, Ordinierten- 
buch S. 80 Nr, 1282). — Vgl. unten Br. 116. 

9 Photinus, vgl. Br. 10818. Auch er ist in Wittenberg ordiniert: 
6. Mai 1545 M. Joannes Voigt von Nürnberg, aus dieser Universitet 
beruffen gein Nurnberg zum Predigambt (Buchwald, Ordiniertenbuch, 
S. 43 Nr. 677). 


3 163 


[Hier fehlt in der Handschrift Besolds Brief an Veit 
Dietrich vom 9. Juli 1544, erhalten in einer Abschrift von 
Dietriehs Hand im Germanischen Museum, veröffentlicht von 
G. Heide in Th. St. Kr. 1887, 354: Besold übersendet den 
Trostbrief Luthers für die Gattin des gefangenen Hierony- 
mus Baumgärtner vom 8. Juli 1544 (Enders-Kawerau 16, 48 ff.) 
und erzáhlt ihm, wie sich die Teilnahme Luthers an dessen 
Schicksal in allen Predigten, auch mittags und abends in 
seinen Reden bei, Tisch kundgebe.] 


Nr. 112. Besold an Dietrich, 8. August 1544. Zum 
Tel abgedruckt in Epistolarum  historico-ecclesiasticarum 
Semicenturia altera ed. B. F. Hummel, Halae 1780 p. 29—31. 
Wir notieren auch dessen Lesung (H). 


Clarissimo Viro et egregia eruditione et Pietate prae- 
dto D. Magistro Vito Theodoro, docenti Evangelium 
Noribergae, Domino suo et Patrono observando". 

8. Augusti 1544. Nürmberg. 

De sacramenti negocio & Bucero®. 

Salutem in Christo. Legi tuam epistolam, humanissime 
Patrone, non sine magno dolore, in qua non solum negligen- 
tiam literarum mearum reprehendis!), sed et ingratitudinis 
accusare me videris. quod ea qua debui diligentia ad supe- 
riores tuas non responderim. Ac initio quidem adeo pertur- 
babar, ut neque suspicionis et iracundiae huius causam in- 
telligereme satis neque animum ad eogitandum de ulla ex- 
cusatione instituere possem. Nihil enim eorum, quae tua 
Interesse existimarem, praetermisisse videbar & de quibusdam 
multo ante respondisse me certo scio. Cum igitur semper 
in animum meum induxerim te mihi perpetuo patria pietate 
et reverentia eolendum esse, quid tristius aut acerbius mihi 
posset accidere, quam incurrere reprehensionem neglecti 
officij pietatis et gratitudinis erga eum, cui mea omnia me- 
que totum debeo et acceptum refero®? Quare te quantum 
possum oro, ne existimes a me cessatum esse stulto aliquo 
fastu vel oblivione tuorum erga me meritorum, sed quiequid 
peccatam est, imprudentia magis quam improbitate peccatum 
esse statuas. Haberem enim plus quam ferreum pectus, si 
huiusmodi beneficiorum oblivisci possem, pro quibus utinam 
et assiduitate in studijs & in omni officio diligentia satis- 

faeere tibi & omnibus bonis possem. Omnia certe, quae te 
velle quaeque tibi grata sensero, tanto studio & diligentia 
exequar, ut nec fide quisquam? exequi majore nee pietate 
possit, neque unquam committam, ut de negligentia horum 
11* 


164 4 


officiorum me accusare queas. De Osiandri scripto iudi- 
cium D. Lutheri proxime significavi & singula verba an- 
notaveram, sed paucis?) quia oceupatus tum alijs cogitatio- 
nibus breviter respondebat. lam denuo quaesivi, an statueret 
veras esse conjecturas illas, respondit his verbis: PEs sein 
conjecturae, heißt doch der titul also, wie sollen wirs denn 
hoher halten, denn es der author selbst helt, Ich wolt aber 
daß sie wahr weren. Schreib ihm?) also: Quod debet supra 
modum laudare, allein darumb daß er“) nit meine, wir 
wollen uns rechen. Denn hinten in decimo cornu?) raifft er 
mich und Philippum, da er Iulium Caesarem macht 
ex decimo cornu. O das nicht, lulius Caesar os loquens 
grandia, tamen ipse contempsit?) religiones et omnia sacra, 
etiam Romana. Unus ex ferreis dentibus?) möcht er? wohl 
sein, das will ich ehe glauben. Haec ille de scripto 
Osiandri. Postea iterum de mittendis exemplaribus a te 
& D. Vincilao?) me admonebat. Legi ei illam excusa- 
tionem, quam adseripseras in epistola tua, ut simul quaererem 
de emendatione, sed negavit se quicquam ea de re scire. 
Memini autem eum aliquoties commendare tuam Postillam ë), 
nam tibi attribuit, sinit" D.“ Casparo Crucigero ma- 
jorem?), quae nuper hie prodijt. De Sacramentarijs novum 
opinor certamen orietur. nam saepe acerbe publice et privatim 
in eos invehitur Lutherus!?) Video eum quotidie mani- 
bus versare libros, quos olim contra illos" scripsit, quosdam 
etiam transferri in linguam latinam curabit, ut et in Italo- 
rum & Gallorum manus perveniant. Novam praeterea 
confessionem !!) de illo articulo editurus, et iam tres sexter- 
niones conscriptos” esse dicit. A te negat sibi quicquam a 
Sacramentarijs allatum esse, quod nescio qua ratione acci- 
derit, num perierint literae, an vero ipse oblivioni tradiderit, 
ut solet fieri in tantis occupationibus. Bucero graviter 
irascitur 1°) propter articulum de Sacramento, quem composuit 
in scripto ordinationis Ecclesiarum Coloniensium, narrat 
eum prolixe de usu Sacramenti declamitare, sed illam prio- 
rem disputationem de praesentia Corporis & Sanguinis Do- 
mini silentio praeterire. Accidet ei idem, quod Suenck- 
feldio, ut pro damnato et deplorato a Luthero habeatur. 
Ita enim dicebat: Es ist ein Kleppermaul, gehet mir? mit 
den Conciliationibus umb. aber er soll bey mir auß concilirto 
haben: Er soll mir mit seinen seriptis nit mehr unter?’ mein 
augen Kommen. Ich wil ihn®' pro damnato halten”. wills? 
Philippo sagen, ut scribat ci iram meam. Id cum signi- 
fieasset Domino Philippo post suam praelectionem, sensi 
eum admodum? perturbari!?). Postea in examine ordinan- 
dorum relegebat illum articulum cum D. Crucigero??), 
ihi audiebam eum queri de istis contentionibus et inter reli- 


5 165 


qua dicere: Obs aber auch gut sey, daD" man ein newe 
gezanck”’ anricht, das weiß” ich nicht. Audivi ipse cum 
al Rhenum !*) essem, multorum piorum & bonorum Viro- 
rum querelas, qui graviter accusabant Bucerum et multos 
homines decipi adfirmabant praetextu Concordiae inter 
nostros & ipsorum Theologos. Utinam vera & pia ratione 
Concordiam tueri studerent, neque hypocrisi et fucis suis 
miseram plebem in exitium praecipitarent. De docendis 
privatim discipulis quod mones, habeo gratiam et summa 
voluntate sequar consilium tuum, si mediocrem numerum +’) 
habere possem. Sed habitatio mutanda erit!9), non enim 
feret Domina illos discursus crebriores. Peto igitur, ut ea 
in re tuum consilium mihi ostendere velis Klemaug»”?”) 
commendabitur? ut puto Marcello) a D. Philippo. 
Filius Diaconi vestri Ioannis Pistorij*?!?) redijt ex 
Suecia, nunc apud me est. D. Philippus volebat eum 
redire in Patriam, sed cum recusaret puer et ego de volun- 
fate Patris incertus essem, retinui eum, interim suppeditabo 
ei sumptus et alia necessaria, donec intellexerim, quid de eo 
velitis fieri. Videtur habere opus inspectore satis diligenti, 
idque et genesis et mores admodum mercuriales indicant. 
Ego quod ad me attinet, omnia quae te velle intellexero, 
summa eura fideque curabo. *"si habitationem mutarem, 
retinerem eum apud me et ipsius patris viri optimi et tuo 
nomine. Quae mandasti, curavi apud Illyricum? et 
M. Aurifabrum?!, mutavit is consilium de transportanda 
suppelleetile Venetias itaque vas Lipsiae retineri cura- 
vit. His bene & feliciter vale. Datae 8. Augusti. 1544. 


“) Salutem opto honestiss[imae Coniugi tuae, Liberis & toti 
familiae. De Indusijs profecto dudum rescripsi et signi- 
ficavi me accepisse. Itaque valde mirabar, cur nunc 
de ijs praecipue scriberes. Iterum vale in Domino. 


Hieronymus Besold. 


2) Adresse fehlt bei H. 

d) Datum und Inhaltsangabe fehlt bei S. 

e) intelligere H. 
= E refero etc. H. Die folgenden Sütze von Quare bis queas fehlen 
ei 

9) quisquam] qcq. S., also quicquam; aber quisquam wohl richtig. 
. D Es seyen Conjecturae, haist doch der Tittel also, wie sollen 
Wirs dan hoher haltten dan es der author selbs helt. Ich wolt aber, 
das sie war weren. Schreib ime also: Quod debet supra modum lau- 
dare, allein darumb das er nit main, wir wollen vns rechen. Dann 
Inten in decimo Cornu raufft er mich vnnd Philippum, da er Julium 
aesarem macht ex decimo cornu. O das ist mir Julius Caesar... H. 

® contemsit H. 

b ehr H. 

i) sinit] sicut H. 

© D fehlt H. 


166 6 


1) ipsos H. 

m) scriptos H. 

n) geet nur H. 

o) bei mir ausconcilirt H. 

P vntter H. 

4) In H. 

r) haltten H. 

3) wils H. 

t) admodum] valde H. 

u) guet sei, das H. 

v) neu gezenck H. 

w) weis H. 

x) Von De docendis bis D. Philippo fehlt bei H. 
5 Klemang S. (vgl. Anm. 16). 

z) commendabatur S. 

aa) Pistoris S. 

bb) Von si habitationem bis nomine fehlt H. 
cc) curari S.] curaui H. 

dd) Salutem bis zum Ende fehlt bei H. 


1) Gegen ähnliche Vorwürfe des, wie es scheint, etwas un- 
geduldigen Veit Dietrich muß sich Besold auch in Br. 94 nnd 111 
rechtfertigen. 

2) Dieser kurze Brief Besolds an Dietrich mit dem vorlüufigen 
ersten Urteil Luthers über Osianders Schrift ist uns nicht erhalten. 
Ihr Titel lautet Coniecturae de ultimis temporibus ac de fine mundi... 
authore Andrea Osiandro. Norimbergae apud Johan. Petreium 1544 
(Möller, Osiander S. 541). Das Urteil Luthers verwertet Möller a. a. O. 
S. 261 nach dem durch Hummel überlieferten Text, — Die Schrift 
wurde damals viel besprochen, s. auch die Briefe von Thomas Vena- 
torius an Link vom 6. und 18. Juni 1544 (BbKG. 13 5. 188f), auch 
CR. 5, 440 Melanchthon an Dietrich 9, Juli 1544. 

3) ihm, d. i. Veit Dietrich. 

3) er, d. i. Osiander. 

$) Beim zehnten Horn des Tieres, s. Daniel 7, 20, 

6) Daniel 7, 19. 

*) Link. 

$) tuam Postillam. Hauspostill Martin Luthers, herausgegeben 
von Veit Dietrich, Nürnberg 1544, vgl. Weim. Ausg. Bd. 52 S. XI. 
Das Buch war nicht nur in dem Sinne, wie Luther hier wohl tua 
meint (im Gegensatz zu der von Cruciger herausgegebenen Kirchen- 
postille), Dietrichs Werk, sondern dieser hatte auch eigene Predigten 
in seine Ausgabe mit aufgenommen. S. auch Br. 122. 

?) Die Kirchenpostille hatte Cruciger Weihnachten 1543 heraus- 
gegeben in neuer Bearbeitung, vgl. Köstlin® II, 586, wo auch unsere 
Briefstelle verwertet ist. Cruciger hatte sich jahrelang mit dieser 
Arbeit bescháftigt, vgl. seinen Brief an Menius vom 1. Mürz 1541, 
CR. 4,112: Erant mihi pertexendae postillae, quod etiam convicio flagitaut 
bibliopolae; sed iam prope biennium iam coeptum opus interrumpitur. 

10) Zu Luthers neuem Zorn gegen die Sakramentierer und gegen 
Bucer s. Köstlin® II, 581ff. und Enders-Kawerau 16, 60! und 83!. 

11) Kurz Bekenntnis vom heiligen Sacrament. Luther kündigte 
es schon in einem Briefe vom 21. April 1544 an: Cogor itaque post 
tot confessiones meas adhuc novam edere, quam faciam propediem et 
novissimam (Enders-Kawerau 16, 6), Die Schrift erschien aber erst 
Ende September (Enders-Kawerau 16, 881; Erl. Ausg. 32, 397 fl.). 

12) Die scharfen Worte über Bucer stehen auch in Luthers Brief 
an den Kanzler Brück (Enders-Kawerau 16, 59), der danach richtig 
Anfang August 1544 angesetzt ist. 


167 


13) Zu Melanchthons und Crucigers Sorge s. Köstlin a. a. 0. 
-S, 582. 

M) Vgl. Br. 107. 

5) Nach Br. 126 hatte Besold im Jahre 1546 sieben Schüler. 

16) Demnach wohnte Besold im Kloster bei Luther. Vgl. S. 83. 

1) Klemaug. Der Name ist durch den Abschreiber verlesen und 
entstellt. Wahrscheinlich ist die Abkürzung für —us als g gelesen 
und außerdem statt m zu lesen in, also Kleinauus, Kleinau. Dann 
handelt es sich um den im Juli 1544 in Wittenberg immatrikulierten 
Joh, Cleinau Nurnbergensis (Alb. 214). Dafür spricht weiter ein Brief 
Melanchthons an Hieronymus Baumgartner vom 13. August 1548 
(CR. 7, 105): Quaeso ut stipendium, quod hactenus Philippo Piscatori 
dedistis, nunc in Jobannem Kleinaw adolescentem bonae spei, notum 
Vito, transferatis. Marcellus qui eum privatimerudiit, 
probat eins ingenium et mores. Der Umstand, daß der in unserem 
Briefe Empfohlene zu Marcellus kommen soll, dürfte weiteren Zweifeln 
ein Ende machen. Am 19. Februar 1549 wurde Joh. Kleinau Nori- 
bergensis Magister (Köstlin, Bacc. IV, 7). Nach Will, Nürnberger 
Gelehrtenlexikon II, 294 und VI, 220 war Joh. Kleinau 1527 zu Nürn- 
berg geboren, wurde Prediger bei dem Grafen Philipp von Waldeck 
(ordiniert in Wittenberg 3. Dezember 1550 Joh. Clanaw von Nürnberg, 
aus dieser Universitüt beruffen vnterm Graf Philips von Waldeck zum 
Hofpredigambt, s. Buchwald, Wittenb. Ord.-Buch I S. 71 Nr. 1123). 
[Da hier wieder eine andere Namensform erscheint, sei noch darauf 
hingewiesen, dad Will &. a. O. auch die Formen Kleinauius, Kleniasius, 
Klinovius anführt.] Auch bei Will wird neben Melanchthon und Veit 
Dietrich noch Marcellus als ein Lehrer, der Kleinaus Gelehrsamkeit 
lobte. genannt. Später soll er, bei Hirsch Würfel, Diptycha (1766) 
S. 141 Johann Kleinau s. Klinovius genannt, 1552- 1553 Diakonus an 
St. Egidien zu Nürnberg geworden sein, ging aber wohl 1553 weg von 
Nürnberg nach Neumarkt und kam 1562 als Stadtprediger und Super- 
Intendent nach Neuburg a. Donau, wo er im Jahre 1602 gestorben ist. 

19 In Frage kommt Joh. Marcellus aus Königsberg i. Franken, 
geboren 1510, gestorben 25. Dezember 1551 als Professor in Wittenberg 
(CR. 10, 384), Enders 11, 116°; Enders-Kawerau 14, 301, 

1) Jo. Pistorius. Vielleicht ist Johann Beck, Diakonus bei St, 
Sebald 1520—1554 gemeint, vgl. Hirsch-Würfel, Diptycha usw. (1756) 
8. 55, 81. Sein Sohn ist aus Schweden zurückgekommen. Könnte er 
mit dem in Br. 105 erwähnten Suecus gemeint sein? In Wittenberg 
Ist erst am 4. März 1545 ein Nikolaus Pistorius Nurnberg. immatrikuliert 
(Album 219). Vgl. weiter Br. 115°, 1207, 

) Illyricus ist Flacius. Er vermittelte viel den Briefverkehr 
Zwischen den Evangelischen in Venedig, wo sein Oheim Baldo Lupetino 
im Gefängnis schmachtete, und Wittenberg, wobei er in Nürnberg bei 
dessen reichen Handelsbeziehungen zu Venedig auch die Dienste 

letricha in Anspruch nahm, vgl. Enders-Kawerau 15, 164, 2198—10 
und 16, 108ff.; s. u. Nr. 115", — Seit 1544 war er Professor des 
Hebrüischen in Wittenberg, s. CR. 5, 490 und ARG. XI, 302ff. 

. ) M. Andreas Aurifaber der Arzt (s. oben Br. 24 und 10315) reiste 
im Jahre 1544 zur Vervollkommnung seiner medizinischen Studien 
nach Italien, während noch im Jahre 1543 Luther, Melanchthon u. a. 
dem Herzog Albrecht von Preußen geraten hatten, ihm die Erlaubnis 
dazu nicht zu gewühren. Er erhielt für seine Reise vom Herzog ein 
Stipendium (CR. 5, 855). Am 1.Juli 1544 hatte Melanchthon schon 
Veit Dietrich die bevorstehende Ankunft Aurifabers angekündigt und 
ihn gebeten, einen vorausgeschickten Teil seines Gepäcks einstweilen 
sicher aufzubewahren (CR. 5, 431). Durch unseren Brief wird diese 
Maßnahme rückgängig gemacht. Nach einer Aeußerung Wolf Holz- 


168 8. 


wirdts, der Aurifaber begleitete, sind sie Sonntag Bartholomaei (24. August) 
> von Halle abgereist (vgl. Irmisch, Progr. Sondershausen 1862,. 

S. 20) Dazu paßt das Datum unseres Briefes. In Padua erwarb 
Aurifaber 1544 die Doktorwürde und kehrte etwa im Juli 1545. 
(CR. 5, 811) nach Preußen zum Herzog zurück, dem er als Leibarzt. 
und Professor der Medizin an der neuen Universität in Königsberg diente. 


[Auffällig ist die nun folgende, fast ein Jahr umfassende- 
Pause im Briefwechsel.] 


Nr. 113. Besold an Dietrich, 13. Juni 1545. 


Clarissimo et Optimo Viro D. Magistro Vito Theodoro, 
Domino suo et Patrono observando c. 

Nürnberg dem Herrn? Prediger bey S. Sebald. 

Salutem in Domino. Scripsit ad me M. Crato!) Vratis-- 
laviensis, qui apud vos fuit, per hune nuncium & mirifice 
sibi gratulatur de singulari humanitate & benevolentia tua,. 
qua eum complexus es. Id etsi mihi minime miraudum et 
iucundum maxime accidit, cui iam dudum tua erga omnes 
studiosos benevolentia perspecta est, tamen maximam tibi 
habeo gratiam, quod homini optimo & erudito eam bene-- 
volentiam praestitisti, quam ipsius integritas et virtus meretur. 
Neque vero de ipsius observantia & gratitudine dubitabis,. 
praeclare enim ef iutelligit et agnoscit beneficia tua, neque 
ullam occasionem referendae gratiae praetermittet. Oseae 
editionem remoratur adhuc praefatio, quae nondum absoluta 
est aD. Philippo?) De Dichtelio?) quod saepe petivi,. 
nune quoque oro atque obtestor, ut me in corrigendo eo- 
adjuvetis & inprimis caveatis, ne pecunia ipsi reddatur. 
Lipsiae omnino corruptus est illa facilitate Patris et prae-- 
ceptoris negligentia, quod ex parvulo nuncio facile intelligetis. 
Quare patrem velim admoneri, sed tamen modeste, ne ista 
res ei aegritudini et dolori sit, ut levitatem priorem saepe 
per "literas reprehendat et ostendat, se velle omnino, ut nunc 
aliter vitam instituat, parcius se missurum sumptus et non. 
nisi me petente, a me quoque tabulam rationum exigat, ne 
sentiat puer me impulsore ista fieri, nam id omnino caveri 
velim. Prohibeat etiam Palestricam, prava sodalitia, nam. 
utrumque maxime auget ferociam et contumaciam. Ille unus 
profecto majore cura et sollicitudine me adficit quam omnes 
ali. Quid est miserius, quam invitis canibus ire venatum. 
Si non potero eum corrigere, libere significabo. Miseret me 
Parentis Optimi Viri, quem tamen perturbare nolim, sed leniter 
admoneri, donee videamus, quid monitis proficere possim.. 
Spero eum posse flecti ^P facilime, si accedet etiam autoritas. 
paterna. Hoc autem praestandum erit, ne puer intelligat, 
a me haec ad vos perscribi, sed fingite per alios ad parentem. 


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delata esse. Vehementer sum sollicitus de studijs & moribus 
eius, et eupio ei prodesse non tam propter tuam commendationem 
quam propter Patronum nostrum D. Hieronymum*. Et 
ut id possim facilius, te quaeso, ut consilio & auxilio sub- 
venire huic meae sollicitudini velis. Bene & feliciter vale. 
Salutem opto honestissimae coniugi, toti familiae & Vogello?),. 
novo marito. 


Idibus Iunij 1545, 
Hieronymus Besold. 


a) Herr S. 


b) Dadurch im Cod, das nachfolgende Wort als zweifelhaft be- 
zeichnet, 


1) M. Crato Vratislaviensis ist Johannes Krafft oder Crato aus 
Breslau, der. spätere berühmte Leibarzt am Kaiserhofe (1519—1585), 
er hatte sechs Jahre in Luthers Haus gewohnt (1536—1542), war 1544 
auf die Universität zu Leipzig gezogen. Von dort muß er die hier er- 
wühnte Reise nach Nürnberg im Jahre 1515 angetreten haben, von 
der sonst nichts bekannt ist. Seine große Reise nach Italien fällt erst 
in das Jahr 1546. "Vgl. Gillet, Crato von Crafftheim (1860), I, 62 und 
ante Beitr. zum Briefwechsel Melanchthons, Progr. Pforta 1904, 

.20 und 26. 


? In Hoseam Prophetam Lutheri enarratio, collecta per Vitum 
Theodorum. Viteb.1545 (Weim. Ausg. 13, XXVII; Strobel S. 113 f.). Siehe 
Köstlin II, 690* zu S. 588. Am 5, Juni 1545 war Melanchthous praefatio 
noch nicht fertig (CR. 5, 769 Melanchthon an Veit Dietrich: Nunc Prae- 
fationem in Hoseam- adornamus). Aber wenige Wochen danach konnte 
Melanchthon das dem Fürsten Georg von Anhalt gewidmete Buch, 
das Hieronymus Besold persónlich überbrachte, abschicken (CR. 5, 772 
Melanchthon an Georg von Anhalt, 24. Juni 1545) und am 1. Juli 1545 
über die Aufnahme an Veit Dietrich schreiben: er bedauere, daß der 
Fürst kein hóheres Honorar für das Buch gewührt habe (CR. 5, 782). 
Der Dankbrief des Fürsten Georg an Dietrich, datiert Dessau, 26, Juni 
1545 (... lucubrationem tuam in Hoseam prophetam olim a D. Luthero 
enarratam honestus et doctus vir Mag. Hieronymus Noribergensis 


um tuo nomine tradidit . ..) abgedruckt von Strobel, Leben Dietrichs 
. 114, 


) Augustin Tichtel Noricus, immatrikuliert in Leipzig S. 1543; 
Augustinus Dichtel Nurmbergensis, immatrikuliert in Wittenberg 4. Márz 
1545 (Album 219), vielleicht ein Schwager, jedenfalls ein Verwandter 
von Hieronymus Baumgartner, der 1525 eine Sibylle Dichtel geheiratet 
hatte. Deren Vater, Bernhard Dichtel von Tutzing, Pfleger zu Stern- 
berg, war im Jahre 1524 wegen seiner Hinneigung zur lutherischen 
Lehre im Falkenturm zu München gefangen gehalten und erst nach 
Zahlung einer Summe von 2000 fl. im Jahre 1525 wieder freigelassen 
worden, Er war Besitzer oder Püchter von Kupferbergwerken (N. Müller, 
Mitt. d. Ver. f. Gesch. d. Stadt Nürnberg 10 [1893], S. 248 und Enders- 
Kaweran 16, 50!). Der junge Dichtel war offenbar Besold zur Unter- 
Welsung und Erziehung übergeben, machte ihm aber bei seiner leicht- 
sinnigen Lebensweise rechte Not, vgl. auch Br. 116 und 117, ferner 
Melanchthons Aeußerungen über ihn in Briefen an Baumgartner (CR, 5, 
858 und 866). 


t) Hieronymus Baumgartner. 
*) Zu Vogel s. oben Br. 47, 60 und nach 93 (S. 35 Anm. 6). 


170 10 


Nr. 114. (Besold) an Dietrich, 13. September 1545. 


Clarissimo et Optimo Viro D. Magistro Vito Theodoro, 
Domino suo et Patrono observando. 


S. in Domino. Mitto cum reliquis carmen meum !), quod 
seripsi ad Mecoenatem nostrum D. Hieronymum, quod 
etsi tenuius est, quam ut dignum sit lectione tanti Viri, tamen, 
eum probaretur D. Philippo, putavi mittendum esse. Saepe 
doleo me in illo genere exercitij fuisse negligentiorem, cum 
tamen a prima aetate haec studia plurimi fecerim. D. Philippus 
ad editionem hortabatur, ut expeditius legi possit, sed cum 
recusarem, id consilij dedit, ut curarem per Retzmannum?3) 
describi elegantius. Si tu Stigelio?) hortator esses, fortassis 
ipse elegiam aliquam scriberet de liberatione Viri sanctissimi 
& optimi. De Rationibus apud Bibliopolam sie habe: 
Mauricius*t) nihil numeravit, querebatur enim de inopia 
pecuniae, et se, cum non fuisset in mercatu Naumburgensi?), 
non potuisse seribere ad te, ideo nolui exigere acerbius. 
Tu, quid de illa pecunia porro fieri velis, significabis. 
M. Georgius) 17 g. numeravit, praeterea nihil accepi. 
Valde sollicitus est de rationibus tuis, & semper veretur, ne 
te offendat. Exhibuit mihi ternas literas tuas, in quibus 
scriptum erat, te facile acquiescere conventis illis de 12. 
grossis" numerandis pro singulis pagellis, & vix tantum 
impetrari potest a Bibliopolis. Chartarum, quae supersunt 
in summarijs*), ideo negat rationem habitam esse, quod a 
D.Philippo conscriptae essent, pro reliquis tibi satisfactum 
esse ait. Quaeso, ut amanter respondeas Viro optimo et tui 
amantissimo, et qui non leniter exercetur ab harpijs illis. 
Scriptum heformationis?) primum omnium germanice con- 
scriptum fuit, sed negabat, se tibi missurum, D. Philippus, 
quod posterius latinum illud esset accuratius. Summaria 
proxime mittemus in Psalmos?) describet eum? Sturmij 
puer!?) quaeso, ut et ipsius et Melchioris Michel"), 
qui Epistolam ad Romanos seribit!?), rationem habeas, egent 
enim et studiosi sunt. M. Reischaehero!*) in promotione 
septimus locus deeretus est inter 40 Candidatos, dignus est, 
euius dignitas adjuvetur aliquo subsidio, nisi quid secus tibi 
videtur. In nostro numero hoc tempore neminem seio, qui ad 
munusDiaconi idoneus sit. De Profectione sua D. Philippus!*) 
Sie respondit, se, cum ad Conventum vocabitur, certo per 
Noribergam iter facturum esse, interim nihil fiet. 
D. Lutherus dedit mihi tria exempla propositionum !5) et 
iussit ad te, D. Osiandrum et D. Vencilaum!9) mittere, 
quaeso, ut ipsius nomine ea distribuas, nam mihi ad D. Ve n- 
cilaum iam non vacabat scribere. Literas tuas saepe re- 
quisivit. D. Hierony mo'?) se facile ignoscere silentium 


11 | 171 


dicebat, sed tecum ut per literas suo nomine expostularem, 
iussit. De meo stipendio expecto responsum non tam 
Chiliani*') causa, quam ne praeripiatur ab indignis. Plus 
nunc audebunt moti meo exemplo. Ideo in tempore admonendus 
mihi es ea de re, Bene & feliciter vale, et ignosce festinationi 
et negligentiae, nam omne tempus tribuendum fuit versiculis, 
qui mihi non unum sumpsere diem, quia nimis anxius sum, 
et semper cupio aliquid elaboratum proferre, cum et ingenio 
et verbis maxime destituar!?). Ideo ad te eos misi, ut meo 
Vogello?") exhibeas et horteris meo exemplo ad idem exer- 
eitium, minore enim labore et contentione scribit quam ego. 
Valde autem oro, ut utrumque remittas statim per hunc 
nuneium, non lieuit transscribere, et cupio hoc exemplum 
retinere propter manum D. Philippi. lterum vale cum 
eonjuge honestissima, eui mittam vascula per D. Flocei”) 
uxorem ??), cui nudius tertius decreta sunt insignia doctoratus. 
Vitebergae Idibus Septemb. 15450. 


a) Retzmannum (auch bei S.) wohl Schreibfehler für Ketzinannum 
(3. Anm. 2). 

b VI, grossis S, (Dieselbe Abweichung s. u. Nr. 121). 

e) Vielleicht Schreibfehler für ea. 

4 „Unterschrift fehlt, der Brief aber von Hiero. Besold“ (Knaake). 
Auch S, vermerkt dies. 


1) Das Gedicht zu Ehren Baumgartners feierte jedenfalls die Be- 
freiung aus seiner langen Gefangenschaft. Am 4. August 1545 war 
Baumgartner aus ihr nach Nürnberg zurückgekehrt (s. Br. 2 und 44). 

) Retzmannum wohl verschrieben statt Ketzmannum. Vgl. oben 
Br. 56a, wo der Kodex Hetzmannus hat. Es wird Joh. Ketzmann 
Norenbergensis gemeint sein, immatrikuliert 20, April 1545 (Album 291), 
der Schreiber der Münchner Thomasiushandschrift germ. 980. Er war 
en Neffe Dietrichs, Sohn des Rektors Ketzmann, und verfügte, wie 

der Münchner Kodex zeigt, über eine schóne Handschrift. 

3) Joh. Stigel (RE.* 19, 42 ff.) hat ein Gedicht auf Baumgartners 
Befreiung verfaßt, allerdings nicht unter seinem Namen: In reditum 
Hier. Baumgartneri editum nomine Bartholomaei Amantii, s. Stigelii 
poémata, ed. Rosefelder, Jena 1600, I, Bl. 238. Vgl. auch Dietrichs 
Brief an Melanchthon vom 5. August 1545 (CR. 5, 829): Utinam aliquis 
ex vestris poétis ornet carmine liberationem sancti viri. 

*) Mauricius wohl der Wittenberger Buchhándler Moritz Golz aus 
Belzig (gestorben 1548, CR. 6, 921). Vgl. N. Müller, Wittenberger 
Bewegung (ARG. 6, 322); Seidemann, Z. f. hist. Theol. 1860, 507; Enders- 
Kawerau 15, 6419; CR. 10, 598. 

* Naumburger Petri-Pauli-Messe Ende Juni und Anfang Juli. 

e) Wohl Rörer. 

) Hier kommen wohl in Frage die Summaria über das Neue 
Testament von Veit Dietrich 1544, s. Strobel, Leben Veit Dietrichs 
8. 70; Kolde, RE. 4, 656, Z. 33 fl. Am Ende derselben standen drei 
kleine Abhandlungen Melanchthons (1. Vnterschied des Alten und 
Neuen Testamentes, lat. CR. 12, 444, 2. Fürnemer Vnterschied zwischen 
einer Cristlichen Lere des Evangelii vnd der abgöttischen Papisten 
"d 3. Cristlich vnd kurzer Vnterricht von vergebung der sünde vnd 
seligkeit). 

) Die deutsche Fassung steht CR. 5, 578, die lateinische 5, 607, 


172 12 


Verfaßt ist das Schriftstück auf Verlangen des Kaisers. Die Stände 
sollten Denkschriften über die Kirchenverbesserung einreichen. — Vgl. 
den Brief Veit Dietrichs an Cruciger, 21. August 1545 (Kolde, Anal. 
Luth. S. 417): Habeo tibi magnam gratiam, quod Scriptum D. Philippi 
Hieronymo meo (Besold) dedisti describendum. 

?) Von den biblischen Summarien Dietrichs erschien ófter ein 
Sonderdruck der Psalmen als Schullesebuch. Vgl, Strobel a, a. O. S. 72. 

19) Sturmii puer, vielleicht der im folgenden Jahre am 8, November 
1546 von Melanchthon an Veit Dietrich empfohlene Adam, minister 
Sturmii senis xzovxos (CR. 6, 267). Sturmius wäre also der Reichs- 
herold Kaspar Sturm, der Luther 1521 auf den Reichstag zu Worms 
geleitete. Er hatte eine Altersversorgung im neuen Spital zu Nürnberg 
gefunden (seit 1538 genoß er hier eine lebenslángliche Pfründe für 
sich und einen „Jungen“), vgl. den Aufsatz von Kolde, Der Reichs- 
herold Kaspar Sturm und seine literarische Tätigkeit, ARG. IV, 117 ff. 
(Nach Kolde a. a. O. S. 150 wäre Sturm bald nach dem April 1548 
gestorben, doch findet sich in der Dresdner Bibl. R. 60 Bl. 96 —103 
in einem Sammelband ein Gedicht In obitum Casparis Sturmii caduce- 
atoris Caroli V Ao 1552.) — Nürnberger mit dem Vornamen Adam 
sind verschiedene in jenen Jahren in Wittenberg immatrikuliert worden, 
so Adamus Burckhamer 21, April 1543 (Album 203), Adamus Langk 
Juni 1543 (Album 205) und Adam Sengeisen 20, April 1544 (Album 221). 
Diesen Adam Sengeisen empfahl Besold spáter in einem Briefe an 
Baumgartner für die Stelle des ausgeschiedenen Diakonus Gaspar an 
der Lorenzkirche um 1548 (van Hout, Progr. Bonn 1877, S. 14). In 
der gegen Osianders Lehre gerichteten Erklárung der Nürnberger vom 
(30. September) 1555 unterschreibt er sich als Adam Sengeisen Eccl. 
Laur. Minister (CR. 8, 564); ebenda auch Adam Burckamer ohne nähere 
Amtsbezeichnung. 

11) Melchior Michael, s. oben Br. 111*. 

12) Es wird sich wieder um Nachschriften der Vorlesung Melan- 
chthons über den Rómerbrief handeln, die dieser im November 1544 
wiederholt hatte (Hartfelder, Melanchthon 562). 

13) Zu Reischacher vgl. Br. 96, 100 und besonders 121. 
Magister wurde er am 1. September 1545 (Köstlin, Bacc. III, 18). Die 
Angabe über seinen Platz in der Reihenfolge der vierzig Kandidaten 
stimmt. 

14) Es kommt wohl die Abordnung Melanchthons zu dem Re- 
ligionsgespräch in Regensburg in Frage. Vgl. auch Br. 116 u. 117, 
CR. 5, 909, 

15) propositiones Lutheri Wider die 32 Artikel der Theologisten 
zu Löwen, Erl. Ausg. 65, 170ff.; Köstlin®, II, 609. Luther erwähnt 
in seinem Briefe an Dietrich vom 13. September 1545 (Enders-Kawerau 
16, 293) ausdrücklich diesen an Besold erteilten Auftrag. 

16) Link. 

17) Baumgartner. 

1%) Michael Chilianus Noribergensis, immatrikuliert in Wittenberg 
Juni 1543 (Alb. 205), Magister 25. Februar 1516 (Köstlin, Baec. III, 19), 
als Magister noch einmal in Leipzig immatrikuliert Wintersemester 1547. 
Er soll spáter in Leisnig Rektor geworden sein. Jedenfalls war er 
1553—1573 Rektor in Altenburg. Als Flacianer wurde er abgesetzt 
und starb am 14, September 1576 (Lóbe, Gesch. d. Kirchen u, Schulen 
im Herzogtum S.-Altenburg I, 146), — Er war ein Vetter Spalatins, 
wohl ein Sohn des arcularius Thomas Chilianus, den Spalatin in 
Briefen an Link (9. Oktober 1538 und 16. Mürz 1589, Verpoorten, 
Anal. super. aevi [1708], S. 79 u. 84) als seinen Oheim (avunculus) 
bezeichnet. In einem weiteren Briefe vom 17. Juni 1540 (Verpoorten 
a. a. O. S. 134) erwähnt Spalatin seinen in Wittenberg studierenden 


13 173 


Verwandten Michael Chilianus, der ihm über seinen Besuch der kur- 
fürstlichen Bibliothek berichtet habe. Melanchthon empfiehlt ihn (CR. 5, 
903) sn Baumgartner für das groBe Stipendium, das Besold bisher 
genossen hatte. In etwas frühere Zeit wird der Brief Melanchthons 
an die nepotes Spalatini zu setzen sein (CR. 10, 45), die den Wunsch 
hatten, ihren Familiennamen (Kilian?) zu ändern. Melanchthon wider- 
rät dies und bringt den Namen geistreich mit dem griechischen zi 
zusammen (xls Krieger aus einer Tausendschaft). 

Chilian wurde spüter Spalatina Schwiegersohn und damit auch 
Erbe eines unvergleichlichen Reichtums von Handschriften aus den 
wichtigsten Jahren der Reformationszeit, darunter 400 Briefen Luthers 
and 200 Briefen Melanchthons im Original. Manche dieser Urschriften 
hat Chilian einzeln verschenkt, so Luthers Schrift „Vom Mißbrauch 
der Messe" an Fürst Georg von Anhalt (O. Clemen, Georg Helt S. 143), 
Luthers Brief an Georg Mohr, 8. Mai 1526 (Enders 5, 351 Vorbem.). 
Vgl. weiter Enders 4, 153 Vorbem. und Weim. Ausg. 18, 172. — Den 
wertvollsten Teil, die Originalbriefe Luthers an Spalatin, verkaufte 
Chilian an Fürst Georg von Anhalt (jetzt im Herzogl. Staatsarchiv zu 
Zerbst). Die Melanchthonbriefe an Spalatin sind zum größten Teil 
nach Basel gekommen (CR. 1, S. XCVIII). — Daneben fertigte Chilian 
auch Abschriften von Reformatorenbriefen an. Eine dieser Hand- 
schriften ist aus dem Nachla8 von Val. Ernst Lóscher in die Dresdner 
Bibliothek gekommen (C. 140 oder jetzt C. 352, vgl. CR. 1, S. CII und 
Enders-Kawerau 13, 306 10 u. De Wette-Seidemann VI, 517), eine andere 
aus der Bibliothek des Kurfürstl. Brandenburg. Rats Martin Friedr. 
Seidel in Berlin in die Kaiserl. Oeffentl. Bibliothek zu Petersburg 
(Q. 15, vgl. ZKG. 4, 287). 

19) Die Verse zu Ehren Baumgartners (s. oben Anm. 1) machten 
Besold sichtlich große Mühe. 

*) Zu Vogel vgl. Br. 113°, 

21) Erasmus Floccus (s. o. Br. 10917) war hiernach am 11, September 
1545 Dr. med. in Wittenberg geworden. Sennert, Athenae Witten- 
bergenses (1678), Bogen P? gibt nur das Jahr 1545 an. Er wandte 
sich jetzt in seine Heimat zurück, von Melanchthon an Baumgartner 
empfohlen am 26. September 1545: redit in patriam Doctor Erasmus 
Floccus (CR. 5, 858. Nach der Vorbemerkung hat er selbst den Brief 
überbracht: 1545, 7, Oktober per Floccum). Bei dieser Gelegenheit 
überbrachte er auch seinem Schwager, dem Kaufherrn Jobst Futterer 
in Nürnberg, eine Ausgabe der Bibel von 1515 mit eigenhündigen 
Einzeichnungen Luthers und Melanchthons (jetzt in Berlin, Königl. 
Bibliothek, Enders-Kawerau 16, 351). 

21) Seine Fran Margarete, eine geb. Körbitz, stammte aus Witten- 
berg; sie starb im Jahre 1578. Eine Schwester von ihr war mit 
Melchior Fend verheiratet (vgl. das Leichenprogramm auf dessen 
Schwiegermutter Hagnes Corbicia in Scripta publ. acad. Viteberg. I, 
3801. Die Gattin von Floceus scheint diesem vorausgereist zu sein. 
Er selbst kam erst etwa 7. Oktober (s. den Schluß der vorhergehenden 
Anmerkung) in Nürnberg an. 


Nr. 115. Besold an Dietrich, 3. November(?) 1545. 


Clarissimo Viro doctrina et Virtute praedito D. Magistro 
Vito Theodoro, Domino & Patrono suo observando. 
Nürmberg. 


S. in Domino. Pecuniam accepi a Stephano!) omnem, 
aureos 86. € 30., quos reddidi Rittero?). Reliquos bona 


174 14 


fide et ita, ut tu voluisti, distribui, quibus debui. Cur enim 
discederem a praescripto & rationibus tuis, cum nullam 
unquam significationem contumaciae” vel ineptae alicuius 
ztoAvztQayuogvvre praebuisse me sperem? ? Quo magis 
miror, qui tibi in mentem venerit ista de me suspicari et 
tam graviter et accurate monere, ut tuum praescriptum 
servem, ad euius iudicium? non tantum rationes et mandata, 
Verum et studia et omnes actiones semper componere studui. 
De Bavari?) illius pecunia nuper respondi accurate, sed 
fortassis occupationibus est faetum tuis, ut illius rei memoriam 
deponeres. Bona fide et bona conscientia affirmare possum, 
tantum in schedula, quae erat inserta literis, annotatos fuisse 
X. Ioachimicos hac ipsa figura, et mitterem ipsam, nisi 
perijsset mihi. Cum vero additi essent 8. loachimici & 
dimidius, putabam pertinere ad meam pecuniam dimidium, 
cum petijssem a te mutuum 10 fl., et quomodo plures solverem 
adolescenti, quam adseripti erant in scheda? Itaque prorsus 
ignorantia & errore peceatum est, nulla profecto negligeutia 
aut malitia, tamen velim te transferre omnem culpam in me, 
ut fidem tuam liberes apud illos. Egi eum quibusdam con- 
terraneis, quibus eius rationes notae sunt, qui narrant sibi 
deberi aliquot grossos, et si placet tibi, numerabo illis ea 
conditione, ut significent ipsi et patronis eius, sin minus, 
mittam ad te, ut ipsius patronis satisfiat. Tua Biblia!) 
neutiquam vendidi, servabo ea, quoad vixero, propter manum 
tuam & nomen D. Philippi. illa vendidi, quibus ego 
haetenus usus sum, dalero, ego sesquiaureo compararam. Si 
pater in me accusat ;rAeovez(íav, iniquus est profecto, ne 
dieam ingratus, eum eius filius?) hactenus non exigua cura 
aut sollicitudine affecerit me. Reliquam pecuniam distribui 
ad praescriptum: Pistorio") 8 fl, quos omnes mihi 
debuit, ut ex rationibus eius intelliget Pater. Klemangij') 
svngrapham mitto de XII aureis. Leonardus Pfaler’) 
eoram testabitur se accepisse, nudius tertius enim hine 
discessit. Reliquorum et Fischeri’) «roza: mittam intra 
biduum per quendam ex meis discipulis. Mauricius'") 
enim nondum omnibus satisfecit. De Pindaro! curae 
erit, ut alieui ex nostris tuo nomine demandem, futurus ipse 
summa voluntate, si occupationes Paedagogiae tautum ocij 
mihi concederent. Chiliano testimonia!?) praeceptorum 
non deerunt, cum et mores & studia eius sint perspeetissima. 
Vox est exilior, quod ex statura et habitu eorporis facile 
iudicare potes, sed ingenio felici, sano € modesto praeditus est. 
D. Lutbero gratum fuit, quod significasti de responso dato 
Coloniensi!) De nostro tumultu !*) altum hie et mirabile 
silentium est. Mitto quaedam nova ex aula ad Doetorem 
perlata, in quibus suaviter illud risit, quod arrogat sibi 


15 175 


titulum Commissarij Veteris Religionis), De Caesaris 
file & voluntate subdubitabat, idque publice pro concione 
saepe ostendit!9). Illiricus!?) nondum nobis dedit exemplum 
Summariorum in Psalmos?) hisce diebus iterum exigam. 
Petit in schedula, quam addidi, admoneri Ottonem?) de 
libris transmittendis, quos ab eo emit, et poterit id fieri 
commode per Nunéium, cui schedulam ideo tuis adiunxi, ut 
Ottonem admoneat et mihi emat glizerissam?, cuius masti- 
cationem mihi prodesse sensi et iusserunt etiam medici. 
D. Hieronymus suavissimam epistolam plenam humani- 
fatis & amoris ad me dedit, in qua magnifice laudat carmen 
meum??, quas laudes etsi nec agnosco nec meritus sum, 
famen gratulor mihi de iudicio tanti Viri. Valde autem te oro, 
ut per nuncium mihi remittas meum exemplum, quod ad te 
misi, nolim perire propter manum D. Philippi?'. Bene 


/ 


vale. XI. Id. 22) Novemb, 1545. Salutem opto honestissimae 
Coniugi & toti familiae. existimo iam allata ad vos vaseula??), 
quae utinam placerent! nam fuisse hie audio elegantiora, 
sed neglexi ego, quia raro ad forum prodeo. Iterum vale 
felicissime. 

Hieronymus Besold. 


a) contumeliae S. 

b) scirem 8. 

e) Im Kodex indicium, und so auch S. 

d) Im Kodex úxrozrs. 

e) Von der Hand des Abschreibers ist übergeschrieben: glycir- 
rhizam. Nur dieses bei S. 

t Zu XI. Id. bemerkt S. „so!“ Vgl. Anm, 22. 

[Auffällig ist, daß Besold in diesem Briefe nichts davon erwähnt, 
dad er wenige Wochen vorher, am 18. Oktober 1545, in den Senat der 
Artistenfakultät aufgenommen war (Kóstlin, Bacc. III, 22). Es sind 
wohl Briefe verloren gegangen, s. Anm. 3.] 


1) Stephanus wohl derselbe Nürnberger Händler, der in Br. 100 
erwühnt ist. 

2) Vielleicht Jacob Ritter Nurmbergensis, immatrikuliert 30, Mai 
1515 (Album 224). 

3) Sollte Reischacher (s. Br. 114) gemeint sein? Er war Bayer. 
Aber in Br. 114 ist von einer Geldangelegenheit mit ihm keine Rede. 
Der Brief müßte also verloren gegangen sein. 

) Von diesem Exemplar der Bibel mit Einzeichnungen Dietrichs 
und Melanchthons ist bisher nichts bekannt, 

*) Pater-filius. Es werden die Dichtel (s. Br. 113) gemeint sein. 

6 Pistorius wohl Nicolaus Pistorius, s. Br. 112'% Van Hout 
3.29 hat Regest eines Dankbriefes von diesem an Baumgartner vom 
28. Dezember 1547 und eines Briefes von Marcellus 20. September 1549, 
in dem dieser ihn empfiehlt. 

) Zu Klemangius, d. i. Kleinau, s. Br. 112. 

$) Leonardus Pfaler Weißenburgensis, immatrikuliert 16, November 
1540 (Album 188), Bacc. 21. August 1542 und Mag. 1, September 1545 
(Köstlin, Bacc. III, 8 u. 18), wurde später Geistlicher und 1573 Schatfer 
an 5. Sebald, starb 4. September 1592 (vel. Schornbaum nach Pfalers 
Aufzeichnungen BbKG. X, 83, die mit den Angaben im Album und 


176 16 


bei Kóstlin nicht ganz übereinstimmen). Nach Hirsch -Wiirfel, Diptycha 
(1756) S. 46 wurde er 1545 Diakonus bei S. Sebald. 

?) Fischer, wohl Philipp Fischer, vgl. Br. 96 u. 123, im nächsten 
Jahr, 11. August 1546, ordiniert zum Priesteramt in Nürnberg (Buch- 
wald, Ord. Buch Nr. 801, S. 51). 

10) Mauricius jedenfalls wieder Golz, s. Br. 114*. 

11) Abschrift der daro bb Melanchthons, s. Br. 116 (vgl. 
Hartfelder, Melanchthon 562; CR. 5, 781 u. ZKG. 25, 145)? Oder 
handelt es sich um einen Studenten 3 Pindar, etwa einen Nach- 
kommen des Ulrich Pindar (Enders 1, 102 f.)? 

12) Die Empfehlung Melanchthons für Chilian (Br. 114) steht in 
dem Brief an Baumgartner, 12. Dezember 1545 (CR. 5, 903); vgl. Br. 116. 

13) Vielleicht ist gemeint Defensio iudicii Vniversitatis et Cleri 
Coloniensis contra Melanchthonis, Buceri et Oldendorpii calumnias 
a R. Patre Euerhardo Billick Carmelita, Sacrae Theologiae Doctore 
(1545), s. Historia Joh. Cochlaei de actis et scriptis Martini Lutheri, 
Coloniae 1568, 329b. 

14) Ist Luthers Entfernung von Wittenberg oder seine Entfremdung 
mit Melanchthon gemeint? 

15) Wer ist gemeint? 

16) Aus Weim. Ausg. 49 und 50 hierüber nichts zu ersehen. 

15 S. Nr. 112%, 

18) Vgl. Br. 114. 

19 Otto, Buchhündler in Nürnberg, vgl. Br. 107, Nach Will, 
Nürnb. Gelehrtenlex, VII, 87 starb Otto im Jahre 1560. Vgl. auch 
Siebenkees, Material. I, 307: Vorlüufig sei nur ein Buch aus seinem 
Verlag bekannt: Mahometi Abdallae filii Theologia, in 4% 1543. 

20) Besolds Gedicht zu Ehren Baumgärtners, Br. 114. 

21) Dieselbe Bitte schon am Ende von Br. 114, 

22) Datum vielleicht XI. Cal. — 22. Oktober. An Veit Dietrich 
schrieb Melanchthon am 22. Oktober, Vermutlich benutzten er und 
Besold denselben Boten. 

23) vascula s. o. Br. 112*!. 


Nr. 116. Besold an Dietrich, 13. Dezember 1545. 


Clarissimo Viro, egregia Pietate et eruditione praedito 
D. Magistro Vito Theodoro, Patrono suo tanquam Patri 
summa observantia colendo. Nürmberg. 


S. in Domino. Chilianus!) a praeceptoribus literas 
facilime impetravit, etiam absque mea commendatione. 
Speramus autem et pro paterna tua erga nos pietate a te 
petimus, ut ipsius causam agere et nostra studia et commen- 
dationibus & precibus apud Deum iuvare et provehere velis. 
lam enim per aetatem magnitudinem muneris nostri magis 
intelligere videor eoque majorem sollicitudinem et diligentiam 
praestandam iudico. Vieissim et nos salutem et vitam 
tuam Deo commendabimus et nullum officij genus unquam 
in te colendo & venerando tanquam Patrono et Patre nastro 
unice dilecto praetermittemus, D. Hieronymus ad. me 
peramanter scripsit et hortatur ad exercitium dicendi in 
publieo?), ut finito stipendio instruetior redire ad vos queam. 
Memini autem te initio Paedagogiae instituendae*) authorem 


17 177 


mihi esse ideo, ne finito stipendio statim ex Academia 
discedendum esset, et ego omnino, quod consilio et voluntate 
vestra fiat, cupio diutius hic haerere. Quare valde te oro, 
ut cum D. Hierony mo“) agas, spero me tantum ex pen- 
sionibus discipulorum posse habere, ut diutius me hic sustentem, 
Etsi de petenda stipendij prorogatione?) me admonebant et 
D.Lutherus& D.Philippus. Sed respondi nec usitatam 
eam esse nec honeste me amplius aliquid petere posse. De 
Chiliani vero stipendio mihi in mentem venit, cum reliqui 
sint duo anni, posse fieri permutationem & illius biennij 
peeuniam mihi suppeditari, si liceret aliquid amplius petere, 
sed vereor, ne satis pie facere videar, et tuam sententiam 
desidero. nisi tibi secus videtur, sine omni negocio commen- 
dationes praeceptorum impetrabo. De Dichtelio°) vehementer 
sum sollieitus, scripsi de eo accurate ad D. Hieronymum, 
& D.Philippus etiam author est, ut avocetur, ut ipsi 
eum exploretis, et addebat: wenn wir schon iudicirn”, so 
glauben sies doch nicht, et tanta est ó;róxguotg hominis, ut 
videatur esse quantivis precij propter illam simulationem 
modestiae. Ego non possum videre, quomodo ad aliquam 
vel mediocrem eruditionem pervenire possit, eum prima 
elementa grammaticae nec teneat nee discere velit, neque frenum 
sibi injici patitur. Genesis”), quam misit D. Hieronymus, 
prorsus non correspoudet ipsius moribus. Philippus negabat 
esse verum tempus. In me profecto nec fidem nec diligentiam 
desiderari posse existimo, et tu non ignoras, quauta cura et 
sollicitudine me adfecerit, cum saepius questus sim eum 
nunquam ne coactum quidem voluisse facere officium. 
Pistorium?^*) etiam pene seduxerat. Scripsit is ad Patrem 
de minervali profecto me inscio et contra voluntatem meam, 
tantum quadam contumacia, ne videretur gratis uti mea opera, 
cum eodem loco apud me sit propter ingenium & in studijs 
diligentiam, quo alius quispiam locupletissimus. Sed curabo, 
ut eum in officio retineam, ille enim verbis emendatus est 
hactenus, etsi nonnunquam est ferocior. Mitto versionem 
Pindari?) transscriptam a Melchiore Michel“) et 
summulas in : Psalmos!) a Sturmij puero!?) exaratas, 
addidi et versiculos ex oratione L y curgi!’), quos emendatos 
missurum se ad D. Hieronymum ostendit D. Philippus. 
Vestram illam expectationem colloquij!*) suaviter risit D. 
Lutherus, ait iam in Brunsuicensi bello’°) colloquium 
celebratum esse et inutiles esse illas disputationes, cum 
referenda sint omnia ad Iudicium Papae. Enarrationem 
Genesis ante mensem absolvit!9) et addebat finita postrema 
lectione: Wolan das ist die liebe Genesis. Unser" Herr Gott 
geb, daß manns nach mir beer mach. Ich bin nun alt und 
schwach. Orate pro me, ut Dominus liberet me in bona 
Archiv für Reformationsgeschichte. XIII. 3. 12 


178 18 


hora. Caeterum Dei beneficio rectissime valet. Deus aeternus 
pater liberatoris nostri lesu Christi, qui est Vita et longitudo 
dierum nostrorum, servet eum incolumem et salvum. Bene 
vale, die Brumae 1545: 


Honestissimam tuam coniugem et liberos reverenter saluto. 
Propediem edetur libellus ad Ducem Saxoniae 
et Landgravium de non dimittendo Mezentio?”). 
Typographus remoratur editionem, alias per nuncium 
misissemus. Iterum vale, et de petitione stipendij quaeso, 
ut tuum consilium mox significes. 


Hieronymus Besold. 


a) Dazu Knaake: „Oder ,indicirn* zu lesen, eher wie im Text". 
S. hat iudicirn. 

v) Vnser 8. 

1) Chilian (s. Br. 114 und 115) wurde von Melanchthon in seinem 
Briefe an Hieronymus Baumgartner vom 12. Dezember 1545 empfohlen 
(CR. 5, 903): Est hic adolescens Michael Chilianus, natus in urbe vestra 
ex Spalatini amita, bono ingenio praeditus, qui petit stipendium, quo 
nunc fruitur Hieronymus. Valde te oro, ut hunc Michaelem adiuves, 
ut, cum Hieronymus relinquet, in hunc beneficium publicum conferatur. 

*) Zu Baumgartners Ermahnung, sich im Sprechen vor der 
Oeffentlichkeit zu üben, vgl. unten Br. 120, wo er von seinen Predigten 
spricht. 

2) Seine Paedagogia muß er im Laufe des Jahres 1545 einge- 
richtet haben. s. Br. 112. 

*) Baumgartner. 

6) Wegen des Stipendiums s, o. Anm. 1. 

e) Von Dichtel schreibt Melanchthon in dem oben angeführten 
Briefe (Anm. 1): Dichtelius minus patiens est freni quam debebat 
esse, etsi in meis aedibus modestus est, sed adversus Praeceptorem. 
[d. i. Besold] est contumax . . . Velim te deliberare, utrum accersere 
eum velitis ad inspicienda eius studia. 

) Genesis quam misit, seine Nativität. Mit diesem astrologischen 
Aberglauben gab sich Melanchthon viel ab. 

*) Pistorius vgl. Br. 115. 

°) Die Pindarübersetzung, vgl. Br. 115", wo aber vielleicht etwas 
anderes gemeint ist. 

10) Melchior Michael, s. Br. 1118. 

11) Summulae in Psalmos, s. Br. 114°. 

12) Sturmii puer, s. Br. 11419. 

13) versiculi ex oratione Lycurgi (CR, 10, 591f. Nr. 220 und 221), 
s. Melanchthon an Baumgartner, 12. Dezember 1545 (UR. 5, 903): Mitto 
tibi versiculos, qui citantur in Lycurgica oratione, qui te de tuis 
aerumnis commonefacient, quas pro Patria et pro Ecclesia sustines, 
Mittam alias plura. — Ueber die Rede Lycurgs contra Leocratem hielt 
Melanchthon 1515 eine Vorlesung (Hartfelder, Melanchthon S. 562: 
ZKG. 12, 619) (CR. 17, 939ff. und CR. 5, 836). 

M) Das Religionsgespräch in Regensburg. Zu Luthers Urteil vgl. 
seinen Brief vom 9. Januar 1546 an den Kurfürsten (de Wette V, 774): 
Ich bitte E K F G unterthäniglich, sie wollten sich wohl bedenken. 
ob M. Philippus zu schicken sei auf das itzige zu Regenspurg nichtige 
und vergebliche Colloquium, da keine Hoffnung ist. Vgl. auch vorher die 
Eingabe der Wittenberger Theoloyen (nach 19. November 1545), Enders- 
Kawerau 16, 325 fl. 


19 179 


15, Braunschweiger Krieg, der mit der Gefangennalime des Herzogs 
Heinrich endete, s. Enders-Kawerau 16, 318!. 

16) Ueber den Schluß der Genesisrorlesung (am 12. November?) 
und Luthers letzte Worte auf dem Katheder der Universitüt vgl. auch 
Weim. Ausg. Bd, 44, 825, Z. 10—12; Köstlin, Luther 115 S. 613. 

17 Mezentius ist Herzog Heinrich von Braunschweig. Die Schrift 
„An Kurfürsten zu Sachsen und Landgrafen zu Hessen D. Martin Luther 
vou dem gefangnen Herzog zu Braunschweig. Wittenberg, Jos. Klug 
1545“, s. de Wette-Seidemann, Luthers Briefe VI, 385. Ueber ihr 
Erscheinen im Dezember 1545 vgl. Enders-Kawerau 16, 331f. (Die Ver- 
zógerung des Drucks durch Klug hatte der Kanzler Brück herbei- 


geführt.) 


Nr. 117. Besold an Dietrich, 12. Januar 1546. 


Clarissimo Viro D. Magistro Vito Theodoro docenti 
Evangelium Noribergae, Domino suo et Patrono obser- 
vando. 

Dem Herrn M. Veiten Prediger bey St. Sebald, meinem 

günstigen lieben Herrn Nürnberg. 

Salutem in Christo, Filio aeterni Patris, quem precor, 
ut faustum et felicem annum largiatur Ecclesiae tuae hone- 
stissimaeque familiae tuae et.te quam diutissime servet 
incolumem. Hodie ablegavi Tichtelium!) cum literis 
D. Philippi ad D. Hieronymum et parentem ipsius, 
gaudeo me liberatum esse tanta sollicitudine, etsi nihil peri- 
euli vel molestiae unquam defugissem optimi parentis et tua 
eausa, si aliqua ex parte studium et operam meam recte 
collocatam esse intellexissem. ^ Quaeso autem, ut et tu Patri 
autor sis, quod D. Philippus etiam hortatur, ne statim 
eum ejiciat, sed in aliquam decuriam scribarum mittat, nam 
satis eleganter pingit et bonus est Arithmeticus. Heri Tor- 
gam profectus est D. Philippus’), profecturus recta ad 
conventum, speramus tamen eum retentum iri propter literas 
Doctoris?), quas ad Principem seripsit eo nomine. Negabat 
se per Noribergam nunc iter faeturum his tempestatibus, 
sed recta Ratisponam iturum. Fortasse autem fiet, ut 
et tu mittaris*. Valde itaque te oro, ut ex nostris aliquem 
tibi adiungas, sicut proximis literis ostendebas, te optare 
famulum mei similem?) Non poterit autem commodior 
contingere quam Michael Chilianus?*) propter singu- 
larem industriam & morum modestiam, et erit ei propter 
petitionem stipendij fortassis ad vos proficiscendum. Cum 
primum igitur ornatus fuerit titulo Magisterij, hortabor eum, 
ut recta in Patriam eat, neque titulus obstabit. Ego si abs- 
que discipulis essem®, ipse me denuo famulum tibi summa 
voluntate adiungerem. Quare etiam atque etiam a te peto, 
ut, quem antea tuis commendationibus ornasti, etiam hoc 
beneficio cumulare velis optimum juvenem et tui observan- 

12% 


180 | 90 


tissimum. D. Martinus heri in prandio cum ostenderet 
se velle retineri D. Philippum, tui mentionem faciebat: 
M. Veit soll man daus" schicken. der hat gute tag, hats 
Podagra, der soll legatus % natus?) sein. wir müßen nun 
deß Philippi schonen. Nos nuncium quotidie expectamus, 
per quem copiosius scribam et diligentius, haec enim subito 
per hunc nuncium scribenda duxi. Vale optime et felicissime, 
carissime Patrone. pridie Idus Ianuarij 1546. 


Peto magnopere, ut per hunc nuncium de Chiliano 
respondeatis. 
Hieronymus Besold. 


a) Im Cod. esset; S. hat: „esset (80!)*. 
b) daus auch 8. 


e) natus wird mit dem Zeichen als zweifelhafte Lesart vom Ab- 
schreiber bezeichnet. So auch bei S. 


!) Zu dem ungeratenen Zógling Dichtel vgl. Br. 118 und 116. 
Melanchthons Brief an Baumgartner ist uns erhalten. Er ist am 
10. Januar geschrieben (CR. 6, 12): ... Cum autem hodie iter in- 
gressurus essem, profecturus Torgam, prius de Dichtelio ad te scriben- 
dum esse duxi. Servari eum opto et non abiici a patre. Nam ingenium 
eius usui esse poterit ad res honestas. Scribit mediocriter et hactenus 
sine scelere vixit, paulo videtur pronior ad voluptates et minus patiens 
freni ... Didicit latinam linguam et Arithmeticen et in aliqua decuria 
scribarum [Kanzlei] exerceri posset, ut Reipublicae serviret etc. Ein 
zweiter Brief Melanchthons an Baumgartner, vermutlich 5. Februar 1546 
geschrieben (CR. 6, 27) erwühnt einen neuen Brief von Besold und 
spricht sich sehr ungünstig über den jungen Menschen aus. 


1) Nach Besolds Brief wäre die Abreise Melanchthons nach Torgau 
zusammen mit Major und Zoch also einen Tag spüter als Melanchthon 
selbst (8. Anm. 1) annahm, erfolgt. In Torgau schrieb Melanchthon 
sein Iudicium de colloquio Ratisbonae habendo am 12. Januar (CR. 6, 
14) Das Datum der Abreise Majors, der von Torgau aus gleich 
weiter nach Regensburg fubr, ist von Bedeutung für die Bestimmung 
das Datums eines noch ungedruckten Briefes von Melanchthon an 
Luther (etwa 7. Februar 1546) in der Wolfenbüttler Bibliothek, Hier 
kommt der Satz vor: Miramur Doctorem Georgium nondum quidquam 
litterarum a Danubii ripa misisse, cum absit iam amplius diebus 24, 


3) Von Luthers Bitte an den Kurfürsten vom 9. Januar 1546 
s. oben Br. 116, Melanchthon reiste auch nieht nach Regensburg. 


*) Veit Dietrich wurde von Nürnberg aus hingeschickt, konnte 
aber wegen seines Podagras erst im Márz dahin reisen, s. oben Br. 6 
und 48. 


5) Also wird Besold 1541 als Famulus von Veit Dietrich das 
damalige Religionsgesprüch mitgemacht haben, s. oben Vorwort S. 82 
und Br. 108 und 120!. 


e) Zu Michael Chilianus vgl. Br. 11416. Magister wurde er am 
25. Februar 1546 (Kóstlin, Bacc. III, 19) als 15. unter 39 Kandidaten. 
Melanchthon empfahl ihn besonders an Dietrich in einem Briefe vom 
1. Márz 1546 (CR. 6, 68). 

7) Ueber die einflußreiche Stellung des Legatus natus vgl. RE.* 
11, 341, 46ff. und Holtzmann-Zöpffel, Lexikon für Theol, und Kirchen- 
wesen? S. 653 ff. 


21 181 


Nr. 118. Besold an Dietrich, 20. Januar 1546. 


Clarissimo Viro D. Vito Theodoro docenti Evange- 
lium Noribergae, domino € Patrono suo observando. 
Nürnbérg. 
Dem Ehrwürdigen Herrn Magister Veiten Ditrich, 
meinem gunstigen lieben herrn, Prediger zu St. Sebald». 


S. in Christo. Hic nuncius subito iam ingressurus iter 
mihi oblatus est. Quare significandum vobis putavi, D. Phi- 
lippum non iturum ad Conventum!), nam eum expectari 
a nuncio nimis odiose cessante existimo. Pecuniam ex 
Lipsia accepi 22. Ioachimieos et nostris pueris distribui?). 
In Epigrapha illius epistolae, quae addita erat, annotati 
erant 8. Ioachimici, sed tantum 7. et 3 restabant. Ideo aut 
a te erratum fuit in scribendo, aut a parentibus eius, qui 
tantum septem numerarunt  Mauricium?*) adhue ex 
Lipsia expectamus. Ad Ferias Conversionis Pauli*) D. 
Lutherus rediturus est Mansfeldiam°), nam dei bene- 
fieio lites et illas discordias Comitum bona eum gratia com- 
posuit). Bene vale, festinanter Witebergae 1546. 
20. Januar. | 

Hieronymus Besold. 

8) Sebald etc. S. 


1) Vgl. Br. 1173. Der in der folgenden Zeile erwähnte nuntius 
ist wohl der amtliche Bote des Rats von Nürnberg, der in Wittenberg 
un tätig auf Melanchthons Rückkehr aus Torgau warten mußte, um 
die jedenfalla wichtigen Nachrichten desselben mitzunehmen. 

2 Zu ühnlichen Geldangelegenheiten s. o. Br. 91 und 115, 

: 3) Mauricius wohl wieder der Buchhándler Golz wie Br. 114 
und 115, 

*) Feriae Conversionis Pauli würe der 25. Januar, ein Montag im 
Jahre 1546. Luther fuhr aber schon am 23. Januar zu seiner letzten 
Reise von Wittenberg ab (Kostlin II, 617). 

5) Luther war bereits Anfang Oktober 1545 (zusammen mit 
Melanchthon und Jonas) in Mansfeld gewesen, s. Köstlin® II, 611; 
Enders-Kawerau 16, 303 ff. 

*) Das ist zuviel gesagt; die Verhandlungen waren damals ver- 
e und gewannen erst kurz vor Luthers Tod einen günstigen 

schluß. 


Nr. 119. Besold an Dietrich, 22. Februar 1546. 


Dieser Brief De funere d. Lutheri ist gedruckt von 
Kawerau, Jonas’ Briefwechsel II, 182ff. Nr. 785, nicht be- 
rücksichtigt von I. Strieder, Authentische Berichte über 
Luthers letzte Lebensstunden, 1912 (Kleine Texte von Hans 
Lietzmann Nr. 99). Zur Sache vergleiche man außerdem 
noch Kawerau in Th. Stud. u. Krit. 1907, 467 fl.; O. Clemen 
in Ztschr. f. Kirchengesch. 1913, 450 ff. (Th. L. Bericht 1913, 


182 22 


164) Ein Auszug aus Besolds Brief befindet sich nach 
ARG. 5, 385 in Augsburger Akten (als Anhang von Frechts 
Bericht über den Regensburger Reichstag zum 3. März 1546). 

Kawerau, S. 182 Z. 9 v. u. diserte] discere Knaake. 

Ss. 184 Z. 3 v. o. honestissimae coniugis] honestiss. 
Coniunx Knaake. 

Besold gibt seinem persönlichen Schmerze über 
Luthers Tod Ausdruck. Wegen seines Hinscheidens ver- 
weist er auf den Bericht von Jonas an den Kurfürsten 
vom 18. Februar, den er beilegt (Kawerau, Jonas II, 177 fl.). 
Am 23. Januar ist Luther abgereist zur Schlichtung des 
Streites unter den Grafen von Mansfeld. Am 17. Februar 
ist noch sein humorvoller Brief an seine Gattin (de Wette 
V, 791) angekommen, doch am 19. Februar hat ein kur- 
fürstlicher Bote Schreiben an Bugenhagen und Melan- 
chthon gebracht mit dem Bericht des Jonas. Melan- 
chthon hat alsbald in seinem Kolleg über den Rómer- 
brief, das er um 8 Uhr!) zu halten pflegte, dem Audi- 
torium Luthers Tod und den Bericht von Jonas über 
sein sanftes, gottergebenes und glaubensstarkes Ende mit- 
geteilt, um von vornherein falschen Gerüchten entgegen- 
zutreten. Schon vor einem Jahre hat Luther nach 
starker Erkältung an ähnlichen Brustbeklemmungen gelitten, 
wie er, Besold, sich jetzt erinnere. Melanchthon 
hat dann das Wort gebraucht, der Wagen und der Wagen- 
führer Israels sei hinweggenommen. Durch züchtiges Leben 
und Gebete müsse man seinen Schmerz und seine Surgen 
vor der Zukunft kundtun. Unbeschreiblich ist die allgemeine 
Trauer. 

Heute, am 22. Februar früh 9 Uhr, ist der Leichenzug 
in Wittenberg eingetroffen, geleitet von zwei Grafen 
von Mansfeld mit etwa 50 Reitern, Luthers drei 
Söhnen, Jonas und Chilian Goldstein. Die Profes- 
soren und der Rat der Stadt, Studenten und Bürger gingen 
ihm entgegen und begleiteten ihn in die Schloßkirche, wo nach 
einer Predigt von Bugenhagen und einer Ansprache von 
Melanchthon der Leichnam in der Nähe der Kanzel bei- 
gesetzt wurde. Erneuter Ausdruck von Besolds Schmerz 
über den schweren Verlust. 


93 183 


Wünsche für Dietrichs Gesundheit. Käthe 
Luther hat ihre Tischgäste entlassen. Besold hat Auf- 
nahme im Haus Melanchthons gefunden, was ibn mit 
tiefer Dankbarkeit erfüllt. 22. Februar 1546. Wittenberg. 

[Naehsehrift:] An Baumgartner hat er bei der Eile 
des Boten nicht schreiben können. Beigelegt ist der öffent- 
liche Anschlag wegen Luthers Tod, der Brief Melan- 
chthons an Jonas (im Namen der Wittenberger Univer- 
sität) und Melanchthons Ansprache in der Schloßkirche. 


1) Pollicarius, später Diakonus und Superintendent in Weißenfels 
behauptet: um 9 Uhr (CR. 6, 58). 


Nr. 120. Besold an Dietrich, 26. Mai 1546. 


Clarissimo Viro D. Vito Theodoro Doceuti Evangelium 
Noribergae, Domino suo et Patrono observando. 
Núrmberg. 


Salutem in Domino. Hic adolescens Nicolai Fischeri!) 
equitis, qui nobiscum Ratisbonae erat, filius est, qui 
deinde pro salute et capite D. Hieronymi fortiter, ut 
audio, et strenue dimicavit. Ipse etsi ingenio tardiore praeditus 
est, tamen diligentiam in studijs & regendis moribus hue 
usque praeceptoribus probavit De Hallero?), qui recens 
hue venit, bene spero, ut de plerisque adolescentibus nostris, 
quod et ad D. Hieronymum?) scripsi, praeter unum aut 
alterum, quos quidem caulas vel castra sequi potius quam 
scholam velim, cum propter unum aliquem ignavum fucum 
reliqui omnes male audiant aut certe negligentiae et luxus 
accusentur apud vos. Reischachero*) heri oblata est 
eonditio a D. Philippo Viennae, ut ibi aliquot adolescentes 
doceat, et promittitur stipendium 300 fl. Rhenanorum. Etsi 
vero instanf et eum propellere ad suscipiendam provinciam 
illam conantur, tamen vocationem patriae praefert. Quaeso 
autem, ut cures certi aliquid ad eum perscribi, ne tam lautam 
& praeclaram occasionem frustra amittat De meis studijs 
scripsi alias, me nunc cepisse exercitium dicendi in publico’). 
grave profeeto et difficile principium est inexercitato, et in 
re una omnium gravissima et diffieilima, praesertim cum 
et stadiorum rationem valetudo nescio qua ratione incertior 
impediat. Memini autem me videre ante aliquot annos con- 
ciones tuas apud Vencilaum Bohemum?) quas primo 
anno latine conscripseras integras, antequam diceres in publico. 
Etsi autem sciam te ad libros Doctoris & D. Philippi 
me remissurum, tamen tuum exemplum videre cuperem. Ego 
etiam integras conciones conscribo et propemodum singula 


184 | 24 


verba germanice, quia natura sum tardior et ineptior ad 
extemporalem facundiam. ^ Quare vehementer te oro, ut 
mittas libellum illum per Nicolaum, Pistorij filium’), 
sed obsignatum, qui quaedam advehi curabit opinor, erit id 
mihi non tam gratum &iucandum quam summopere necessarium 
& utile. Etiam indusijs opus habeo, nam illa, quae ante 
biennium misisti, lacera sunt. Etsi vero nolim honestissimae 
eoniugi tuae oneri esse, tamen tantum rogo, ut alteri id 
negotij det, ut parentur eadem forma qua priora. Precium 
si significaveritis, per nuncium mittam. Eadem quoque per 
Pistorium eommode mitti poterunt. Si Dominus vitam 
et vires concesserit, non ero ingratus, et ob eam causam, ita 
me Deus amet, superstes esse cupio, ut pro tantis beneficijs 
alijs etiam publice & privatim prodesse queam, absque eo 
si esset, vel hodie hae vita excedere valde cuperem. Bene 
vale. 7. Calend. Iunij 1546. 

In prandio ex D. Philippo audivi apud Oenipontem 
interpositum esse edictum Imperatorium, ut parcatur parricidae 
hispano?) Indignum sane facinus, et quod apud omnes 
ordines magnum odium ipsi Imperatori coneiliabit. Nune 
Lutherum multi desiderant, qui si viveret, haud dubie 
tantum scelus perstringeret. Neque sie tamen impune erit. 
Etiam ex Ungaria quaedam allata sunt de mulierculis 
defendentibus arcem quampiam °), quid sit, nondum comperi, sed 
D. Philippus dicebat se scriptum? ad D. Hieronymum 0. 
Funckium!!) magnam injuriam fecisse Marchioni, quod 
tantis convitijs incessisset eum. Si enim dimicasset, omnes 
fuisse occisos, cum tantum animi et roboris sit in mulieribus 
prae nostris ducibus et militibus. Narrabat interdictum esse 
Noribergae et Lipsiae lectionem et emptionem farra- 
ginis illius, et suspicabatur eum iam amotum esse. Odiosa 
certe petulantia hominis est et quae aliquid maius trahet, 
nisi compescatur. Iterum vale felicissime cum honestiss|ima 
eoniuge € suaviss[imis liberis, quibus omnibus salutem et 
ineolumitatem opto. 


Hieronymus Besold. 


 Addidi sehedulas Bavari!?) cui reliquus erat apud 
me dimidius Ioachimicus, quibus et petit et accepisse se 
testatur pecuniam. 


a) Auch S. Knaake merkt an: „So Cod.“ (Ist vielleicht scire 
oder legisse zu ergünzen? Oder ist esse scriptum zu lesen?) 


!) Ein Ritter Nikolaus Fischer, der mit Dietrich 1541 auf dem 
Religionsgesprüch in Regensburg war and sich danach in den Jahren 
1544 und 1545 Mühe gab, die Befreiung von Hieronymus Baumgartner 
durchzusetzen, ist sonst nicht nachzuweisen. Als sein in Wittenberg 
studierender Sohn kónnte Johannes Fischer Bemdingensis (aus Wemding 
in Schwaben, BA. Donauwórth) in Frage kommen, immatrikuliert Mai 


25 185 


1542 (Album 195). Klar ist aber hier bezeugt, daß Besold Dietrichs 
Begleiter in Regensburg 1511 war; s. o. Br. 1175, 

*) Haller, jedenfalls Sebastian Haller Noricus, immatrikuliert Mai 
1546 (Album 233). 

*) Baumgartner. 

4) Ueber Reischacher vgl. Br. 114 und unten Br. 121. 

5) Ueber Besolds Uebungen im óffentlichen Reden vgl. auch 
Br. 116%, 

$ Ob Wentzeslaus Widlack Bohemus ab Awssickh, immatrikuliert 
28. Mai 1540 unter den pauperes (Album 184)? — Lateinische 
Predigten Dietrichs handschriftlich noch vorhanden in Dresden, Königl. 
Bibliothek, stammen aus dem Jahre 1538: A 199k conciones anni 
trigesimi octavi, habitae Noribergae in aede divi Sebaldi. Eigenhändig. 
Vgl. Seidemann in Z. f. hist, Theol. 1874, S. 115. 

) Nikolaus Pistorius, s. Br. 112!9 u. 115°. 

*) Alfonso Diaz, Mitglied eines püpstlichen Gerichtshofes, hatte 
seinen dem Evangelium geneigten Bruder Johannes Diaz, der auf dem 
Religionsgesprüch zu Regensburg mit zugegen gewesen war, in seiner 
Herberge zu Neustadt an der Donau ermorden lassen (27. Mürz 1516) 
und sich dann wieder nach Innsbruck (Oenipons) geflüchtet. Melan- 
chthon verfaßte eine kurze Schrift darüber (CR. 6, 112). Vgl. auch 
CR. 6, 240 und besonders F. Roth, Zur Verhaftung und zu dem Prozeß 
des Dr. rotae Alfonso Diaz (Arch. Refgesch. VII, 413ff.). Das Mandat 
des Kaisers vom 4. April ordnete den Stillstand der Verhandlungen 
m bis König Ferdinand Weiteres verfüge. Der Mörder ging schließlich 
rei aus. 

?) Darüber nichts weiter bekannt. 

10) Jedenfalls ist Baumgartuer gemeint. 

11) Funckius, s. Br, 73®, damals noch Prediger in Wöhrd bei 
Nürnberg, seit 1547 Hofprediger in Königsberg in Preußen. Mit dem 
. Marchio scheint Kurfürst Joachim II. von Brandenburg gemeint zu 
sein, der unglüokliche Führer im Türkenfeldzug des Jahres 1542. 
Funks Buch wird sein: Chronikon durch Mag. Johann Carion. Voll- 
streckung dieser Chronika vom 32. Jahr der mindern Zahl bis in 46, 
Durch Joh. Funcken Pastor in Wöhrd prope Norimbergam zusammen- 
getragen, Frankfurt a. M. 1546. 8° (CR. 12, 708). Melanchthon tadelt 
Funk in einem Brief an Baumgartner, 14, Mai 1546: Vestrum Historicum 
Funkium doleo quaedam narrasse minus circumspecte (CR. 6, 135). 

11) S. Br, 115 und 121. Da Reischacher in diesem Briefe aus- 
drücklich mit seinem Namen genannt ist, scheint er doch nicht in 
Frage zu kommen. 


Nr. 121. Besold an Dietrich, 12.[6.?] Juli 1546. 


Clarissimo Viro D. Vito Theodoro, Domino suo et 
Patrono observando. Nürmberg. 


Salutem in Domino. Proficiscitur ad vosM. Reischacher!), 
quod faustum et felix sit, cui ex animo gaudeo contigisse 
Scholam Cul manni?), cum et propter eruditionem honesto 
loco dignus sit et multas splendidas conditiones huic post- 
habuerit, propterea quod patriae nostrae, in qua educatus 
fuerat, omnia sua studia merito se debere agnosceret libenterque 
acceptum referret. Ipsum vero, mores & studia facile vobis 
probaturum confido, propter quae D. Philippo & D. Cru- 
cigero hie fuit coniunctissimus. De bello nihil exploratum 


186 26 


habeo. Schola Dei beneficio adhuc satis tranquilla est, et, 
ne turbaretur, praesidium in vieina oppida « pagos collo- 
catum est. De eventu, etsi is in omnibus bellis incertus 
est, D. Philippus divinare videtur, fore penes nostros 
victoriam 5) nec facile ullam pacificationem admissuros. Dolet 
vicem Caesaris, cui semper favit plurimum, quod existimet 
magis aliorum virulentis consilijs quam sua voluntate impulsum 
id instituisse, neque tamen ad eum deducturos finem, quem 
ipsi sperent. Ex Liehtenbergio* quoddam vaticinium *) 
recitabat de Caesare: Sapientia tua vertetur in Scoriam, 
& nominatim ibi fieri mentionem quorundam locorum circa 
Moguntiam aiebat, quibus aliquae calamitates praedice- 
rentur. Narrat hoc fuisse consilium Imperatoris, tollendos 
esse e medio Electorem nostrum Principem & Landgravium 
aut certe castigandos esse, quos videret perpetuo obstare 
sanioribus consilijs et reformationi & praecipue tueri doctrinam. 
Illis sublatis posse ad aliquam restitutionem in integrum 
omnium" rerum perveniri. Basiliscum*” vero illum Ferdi- 
nandum?) urgere totam rem similem ob causam, quod 
metuat, ne, si superstes esset fratri. non posset pervenire 
ad speratum dignitatis fastigium salvis & manentibus nostris 
principibus. Sapienter ista cogitata sunt, sed moderatiora 
omnia, quam ut Luthero piae memoriae satisfacerent. llle 
classicum caneret haud dubie, si viveret, et veriorem causam 
ostenderet, quam plus millies ex eo audivimus et ego et 
multi pij: Insidias videlicet et odium libertatis germaniae, 
eui insidiari Imperatorem cum Ferdinando et Hispanis 
narrabat, et collaturos eos quacunque occasione oblata ad 
eam opprimendam omnes vires. Hoc etiam soli mihi (Nam 
loeum adhuc in horto optime memini) praecinebat aliquoties 
hortabaturque, ut animo & memoriae infigerem et, si quando 
inciderent motus aliqui, nostros homines de hoc oraculo 
admonerem 9), etsi tantam sapientiam nostro Senatui tribuebat, 
ut secum sentire eum iudicaret. Et sane exitus et res ipsa 
dieta probat. Utinam et illud sanctissimi Prophetae oraculum 
fidem inveniat, quod saepe ex eo auditum D. Philippus 
commemorat. Dixerat de se ipso, se esse magnum doctorem 
ideoque funus amplum habiturum & tracturum secum ingentem 
stragem Episcoporum & sacerdotum’). Adhuc Dei beneficio 
nostros Principes animo excelso & hilari praeditos esse audio. 
Nostra etiam Patria propter constantiam et fidem celebratur 
a multis. Sed vicini nostri“) antiquum obtinent: Islebius?) 
eum Marchicis mirifice gratulantur & iam de nobis con- 
clamatum esse clamitant. Sed et Misnensium!9) perfidiam 
metuit D. Philippus. et dimicaturos adhue eum nostro 
Principe existimat de Episcopatu Hallensi & Halber- 
stadiensi!') mortuo Marchione??), qui nunc tenet. Sed 


27 187 


confidamus et invocemus illum. qui in circuitu populi sui 
est et visitat iniquitatem patrum in filios in Tertiam & Quartam 
Generationem. De Rationibus et pecunia apud Bibliopolas 
quid confectum sit, ex scheda, quam addidit Mauricius !*), 
intelliges. Reuschachero??!*) tomum secundum reddet, 
apud me est reliqua pecunia 1 fl. 18 g. 61°), de qua quid 
faciendum sit significa. Bene vale. 1546. die 12 Iulij? 1546. 


Hieronymus Besold. 


a Lichtenbergico S. 

d omniumq S. 

e) Baosıscum S. 

a So auch S. 

e) die VI. Iulij S. (s. o. Nr. 114). Wie eine Verwechslung zwischen 
12, u. VI möglich ist, läßt sich nicht erklären. 


1) Ueber Reischacher vgl. Br. 114 und 120. Näheres über ihn 
gibt Will, Núrnberg. Gelehrtenlexikon 111 (1757), der ihn aber Rau- 
schacher (vgl. unten die Namensform Reuschacher) nennt: „wurde 
vielleicht zwischen Nicolaus Agricola und Johannes Barba Inspektor 
der 12 Knaben und bekleidete spüter von 1549 bis zu seinem T'ode 
(12. September 1555) das Rektorat der Spitalschule“. Melanchthon 
hatte ihn am 18. August 1544 (CR. 5, 467) an Menius (für Eisenach?) 
empfohlen. Bugenhagen wollte ihn zum Rektor der Wittenberger 
Schule machen. Vgl. weiter die Empfehlung an Baumgartner CR. 6, 164. 

2) Zu Leonhart Culmann (1487 [?)— 1562), 1523—1549 Rektor der 
Schule im Neuen Spital zu Nürnberg, vgl. oben Br. 2 und 21, ferner 
a in BbKG.3, 176!, Hirsch-Würfel, Diptycha eccl. Sebald. (1756) 
S. 6f. 

5) Diese Hoffnung Melanchthons (vgl. CR. 6, 203ff. und Bd. 28 
Anhang, Annales vitae S. 91 zum 20. u. 27. Juli 1546) erwies sich bald 
als eitel. Vgl. auch Br. 1221. 

*) Johannes Lichtenberger aus Lichtenberg im Kreis St. Wendel, 
Regbz.Trier, lebte als angesehener Astrolog am Hofe Kaiser Friedrichs III. 
Die Weissagungen Johannes Lichtenbergs, seit 1488 viel verbreitet, 
waren, von Stephan Roth neu verdeutscht, 1527 wieder in Wittenberg 
erschienen und von Luther mit einer Vorrede ausgestattet worden. 
Vgl. Köstlin, Luther“ IT, 144; ADB. 18, 538; Kroker, Luthers Tisch- 
reden S. 271, n. 589; Sincerus, Neue Sammlung von lauter alten Büchern 
2 Tentzel, Monatliche Unterredungen 1691, 965 ff.; Weim. Ausg. 
23, Iff. 

) Basiliscum, Wortspiel mit Baorder:. 

e) Vgl. Weim. Ausg. 30 IT, 146 Anm. 3. 

?) Die Weissagung Luthers sonst erwähnt? Diese nicht bei 
Grisar II, 133ff. 

$) Es sind wohl die Brandenburger und Meißner gemeint. Vgl. 
Germann, Forster S. 365. 

) Islebius Agricola, Marchici die Regierung Joachims II von 
Brandenburg, der am Schmalkaldischen Krieg nicht teilnahm. Vgl. 
Kawerau, Agrikola S. 245. 

10) Misnenses Herzog Moritz von Sachsen und sein Hof. Diese 
Befürchtung Melanchthons sollte nur zu bald in Erfüllung gehen. Im 
November 1546 erschien Moritz mit seinem Heer vor Wittenberg, das 
er allerdings nicht bezwang. 

11) Wegen Moritz’ Absichten auf die Bistümer vgl. Brandenburg, 
Moritz von Sachsen I, 497; Hertzberg, Geschichte der Stadt Halle II, 191 ff. 

12) Marchio Markgraf Johann Albrecht von Brandenburg, seit 


188 28 


Oktober 1545 Nachfolger des am 24. September 1515 gestorbenen 
Kardinals Albrecht, 

13) Mauricius wohl wieder Golz, s. Nr. 114 und 115. 

14) Renschacher vgl. oben Anm. 1. 

18) Nach 6 fehlt die Münzbezeichnung (nummuli). 


Nr. 122. Besold an Dietrich, 1. August 1046. 


Clarissimo Viro D. Vito Theodoro, Patrono suo 
observando. 


Salutem in Domino. Ternas ad te mitto, humanissime 
Patrone, ut resarciam, quod hactenus a me neglectum est, 
praesertim cum hie adolescens, qui ante a te mihi commen- 
datus est, literas meas ad te flagitaret. coactus inopia & 
egestate discedit. Nam in tanta difficultate annonae sine 
certo stipendio hic vivere perdifficile est!). Bonus et studi- 
osus esse videtur & dignus, cuius ratio habeatur. Hodie 
nunciata est pugna, quae commissa est Neoburgi?) eodem 
in loco, quo Diasius interfectus est, quod ominosum esse 
D. Philippus dicit & luitoros" Caesarem & Regu- 
lum?) ipsum supplicium parricidae, quem ipsi absolutum 
dimiserunt. Mitto scriptum D. Philippi‘), in quo est re- 
eusatio concilij multo ante composita, sed nunc primum 
voluntate & jussu Principum edita, Ego proxima die Sa- 
. turni cepi pro concione enarrare?) Psal. 51: Miserere etc. 
iussu D. Philippi, nondum vero me audivit impeditus 
multis alijs occupationibus. Antea docui Psal. 125: Qui 
confidunt in Domino etc., quem absolvi tribus concionibus. 
Utor commentarijs D. Lutheri a te editis®), sed nusquam 
mihi satisfacio. Plus omnino difficultatis est, quam plerique 
existimant, qui subito se fundere conciones jactitant. M. 
Paulus Eberus”) de tua valetudine nuper diligenter in- 
quirebat et optabat adhiberi tibi aliquem bonum et doctum 
iuvenem, cuius opera in scribendo utereris, ut exciperet dic- 
tata. Nam multi vehementer editionem Genesis?) exoptant. 
Si Domino aliquando visum fuerit, ut in patriam revocer, 
& poterit tibi hae parte mea opera prodesse, paratissimus ero, 
et spero tuam consuetudinem non minus commodam et utilem 
futuram quam omnium, qui hic docent, praeter unum D. P hi- 
lippum. Ego totum me contuli ad lectionem concionum 
domesticarum"), quod facilius eas imitari queam & perspicere 
ordinem et seriem partium et locorum. Exempla Concionum, 
quae sequar, hic nulla habeo!'?^. D. Crucigerus rationem 
dicendi plane mutasse videtur. Sumit unum aliquem locum, 
ilum amplificat non sententiarum sed verborum copia, qua 
plurimum valet. Illa ratio amplificandi D. Philippo dis- 
plicet, nee docetur populus. Utinam Dominus tam diu vires 
& valetudinem tibi sufficiat, ut te possim audire. Interim 


29 189 


tamen tuas conciones!!) lego diligenter. D. Pomeranus 
densus" est, sed sine ordine et prolixus usque ad fastidium. 
Amplius duabus horis solet concionari. Saepe tamen non 
fam prolixitate offendor, quam quod non possum tam diu 
attentus esse. Singulis septimanis semel in arce!?) dico, 
sed sine censore, nec libet alium adhibere praeter D. Phi- 
lippum, cui haec officia alia negotia excutiunt, ne videar 
arrogantia quadam iudicium eorum expetere. Utinam Deus 
valetudinem confirmet et vires sufficiat, ut possim pro pluri- 
mis beneficijs Patriae vicissim pro mea mediocritate operam 
meam navare quocunque? loco. Illud unum si assecutus 
fuero, reliqua omnia posthabiturus sum. Bene vale. Calen- 
dis Augusti 1546. 

M. *9Seyurus!?) salvus et incolumis Dantiscum 
usque pervenit Dei beneficio, quo loco literas ad me dedit, 
quas heri nobis reddidit Chilianus!*, nepos D. Philippi. 
Iterum vale. 

Hieronymus Besold. 


a) So Cod. (auch S.) statt luituros. 

b) densus auch 8. 

c) quocumque S. 

& Im Cod. Scyarus mit dem Zeichen der Zweifelhaftigkeit des 
Wortes. (Lies: Sciurus, s. Anm. 13.) | 


Der Rektor der Universitát Joh. Marcellus hatte schon am 
20. Juli den Studenten freigestellt, angesichts des drohenden Krieges 
in ihre Heimat zu gehen (CR. 6, 203). Und Melanchthon schreibt am 
27. Juli an Lange: plerisque adolescentibus hortator sum, ut vel in 
suam quisque patriam vel in alia loca tranquilliora hinc discedant, iis 
práesertim, qui non instructi sunt pecunia (CR. 6, 205), — Die Auf- 
lósung der Universitát erfolgte erst am 6. November (CR. 6, 265). 

2) Kámpfe bei Neuburg an der Donau werden in Melaachthons 
Briefen erst aus spüterer Zeit berichtet, so in seinem Brief an Ams- 
dorf, vom 23. September 1546 (CR. 6, 240), in dem er ebenfalls auf 
Juan de Diaz (s. Br. 120) zu sprechen kommt. 

3) Regulus ist Ferdinand I. 

*) Melanehthons Schrift Recusatio concilii Tridentini wieder ab- 
gedruckt von Bindseil im Suppl. zum CR. S. 239 ff. Nr. 305. 

5) Von seinen Predigtversuchen erzáhlt Besold auch im Br. 120. 

*) Enarratio Psalmorum 51. et 80. per Martinum Lutherum nunc 
recens edita. Argentor. 1538 (Strobel, Leben Dietrichs S. 55; Köstlin, 
Lather® II, 265, 451) Die Erklärung von Ps. 125: In XV Psalmos 
graduum commentarii ex praelectionibus Lutheri cum praef. Viti 
Theodori Argentor. 1540 und 1542 (Strobel a. a. O. S. 65; Köstlin, 
Luther® II, 265). 

) Ueber Paul Eber vgl. RE.“ V, 118—121. Zu seinem Vorschlag, 
Veit Dietrich móge sich einen jungen Studenten zur Hilfe für das 
Schreiben von Briefen und Schriften annehmen, vgl. Br. 1175, 

5) Zur Fortsetzung seiner Ausgabe der Genesisvorlesung Luthers 
(Teil I erschien 1544, s. Br. 2) war Dietrich von Melanchthon und 
Bugenhagen, Cruciger und Menius, Brenz, Calvin u. a. ermuntert 
worden. Dietrich hat auch diesem Wunsche entsprochen. In einem 
Briefe vom 19. Februar 1517 bat er Rórer, ihm einen weiteren Teil 
seiner Nachschrift der Vorlesung zu übersenden, und zwar durch 
Melanchthon, der demnáchst nach Nürnberg reisen wollte. Die Er- 


190 30 


krankung seiner Enkelin hielt diesen auf, der Krieg zog sich immer 
näher an Wittenberg heran. die Sehlacht von Mühlberg (24. April) 
wurde geschlagen, und Melanchthon flüchtete nach Braunschweig, dann 
nach Nordhausen, wo er im Mai Aufnahme im Hause des Bürger- 
meisters Meienbury fand. Hierhin wareu mit seinem Gepáck auch die 
Manuskripte Rórers gelangt, die er nach Nürnberg hatte mitnehmen 
sollen. Lange blieben sie unberührt in Nordhausen liegen; Melanchthon 
hatte sie im Drange der Entwicklung der Dinge wohl ganz vergessen, 
da er in den nächsten Monaten fast unaufhörlich unterwegs war. Ein 
Mabnbrief Dietrichs erinnerte ihn daran. Von Wittenberg aus be- 
auftragte er seinen treuen Diener Johannes, ut chartas, quae continent 
enarrationem Lutheri in Genesin, positas in arca iuxta mensam, sibi 
mitteret. Es sei ein fasciculus quadrangulus membrana tectus, vgl. 
CR. 7, 1056 Nr. 5188 (31. August 1547, nicht 1552). Am 2. Septem- 
ber 1547 meldete Melanchthon dann Dietrich die Absendung des 
Manuskriptes, das so nach langer Irrfahrt endlich in Nürnberg an- 
langte, Dietrich nahm die Arbeit noch in Angriff und bereitete Rórers 
Nachschrift für den Druck vor, aber ehe er zum Abschluß eines zweiten 
Teiles kam, raffte ihn ein früher Tod dahin. Und schlieBlich war es 
Hieronymus Besold selbst, der diesen Teil zu Ende führte und durch 
a des dritten und vierten Teiles das ganze Werk abschloß. 

Weimarer Ausg. Bd. 42—44, bes. 44 S. Xff. Das Rórermanuskript 
» jetzt verschwunden. 

) Ueber die von Dietrich herausgegebene Hauspostille Luthers 
s. oben Br. 112. Sie enthielt auch mehrere Predigten Dietrichs selbst 
(vgl. Weim. Ausg. Bd. 52). 

10) Beachtenswert sind die folgenden Urteile über die Predirt- 
weise Crucigers und Bugenhagens. Von letzterem besitzen wir noch 
Predigten, die Buchwald 1910 herausgegeben hat (86 Predigten aus 
den Jahren 1524—1529), außerdem Katechismuspredigten vom Jahre 
1525 und 1532, herausgegeben von G. Buchwald und O. Albrecht. 
Auch Luther klagte über die Länge der Predigten Bugenhagens: 
s. Hering, Doktor Pomeranus usw. (1888) S. 138. 

1j Vielleicht ist nicht bloß an die einzeln im Druck erschienenen 
Predigten Dietrichs zu denken, von denen Strobel verschiedene anführt 
(vgl. auch oben Br. 10312), sondern auch an die in der Hauspostille 
stehenden, Mit der Hauspostille wurden auch die Passivnspredigten 
Dietrichs vereint (Weim. Ausg. Bd. 52 S. VIII?, CR, 5, 782, 1, Juli 
1545: Tuas conciones de Agone filii Dei nondum legi) Sie erschienen 
zuerst in einem Sonderdruck 1245 mit Widmung an Frau Sibylla 
Baumgartner (s. N. Müller in Mitteil, des Vereins für Gesch. d. Stadt 
Nürnberg 10. Heft |1893] S. 15). 

12) Die Schloßkirche in Wittenberg scheint häufig für Kandidaten- 
predigten benutzt zu sein, vgl. oben Br. 98 

13) Johannes Seiurus, d. h. Eichhorn aus Nürnberg, immatrikuliert 
in Wittenberg 1537, Magister seit 1. September 1545, ging nach 
Königsberg in Preußen als Professor der Mathematik, dann des Grie- 
chischen und Hebráischen, auch der Theologie. Er starb am 3, No- 
vember 1574, 5. Freytag, Prenßen usw. in Wittenberg (1903) S. 94. 
Melanchthon hatte ihn am 6. Juli 1546 (CR, 6, 186) an Herzog Albrecht 
empfohlen. 

*) Kilian Grunbach, Sohn von Melanchthons Schwester Anna. 
die mit dem Bürger Grunbach in Heilbronn verheiratet war. Kilian 
wurde am 19, April 1534 in Wittenberg immatrikuliert (Album 152) 
und scheint in Preußen Dienste genommen zu haben, Schon im 
Jahre 1545 überbrachte er einen Brief Melanchthons mit einer Schrift 
Laskos dem Herzog Albrecht von Preußen (CR. 5, 791, 15. Juli 1545). 
Vgl. N. Müller, Georg Schwartzerdt (1908) S. 216, 


31 l 19ł 


Nr. 123. Besold an Dietrich, 13. August 1546. 


Clarissimo Viro D. Vito Theodoro, Domino suo & 
Patrono observando. . 

Salutem in Christo. „Quod felix et faustum Patriae & 
Ecclesiae sit, Philippus Piscator!) ad vos proficiscitur 
post explorationem studiorum suorum faetam a praeceptoribus 
et ordinationem, ac sani mores et doctrina ad munus diaconi 
obeundum satis idonea visa est. De Paedagogo quid con- 
stituerit, D. Philippus significabit ipse?. Concionator, qui 
Ravenspurgum destinatus est“), nihildum certi statuit. 
Porro id mihi negocij D. Philippus dedit, ad te ut scri- 
berem de Rege Angliae, quod Reverendo Viro D. Osiandro 
commemorares. Heri ex Hamburgo certis autoribus 
nunciatum est, Regem conjecisse in Vincula Cromerum et 
Latimerum?*, propterea quod fuit liberior praedicatio 
durante bello, quam quidem ipse concesserat, ut hae ratione 
germanum militem haberet addictum magis. finito bello voca- 
vit Cromerum, sperans fore ut recantaret, ipse vero liberiore 
multo, quam ante, Confessione usus est. Itaque in vincula 
coniectus est et multi alij eremati & amplius ducentis adhue 
captivos tenet tyrannus. Haec eo nobis commemorabat, ut 
ostenderet se multorum opinionem vel vanam potius spem 
reprehendere, qui de externis Regulis saepe magnifica sibi 
pollicerentur, cum crudelitate, impietate & mendacijs etiam 
veteres aequent. Praesertim vero in Argentinensibus’) 
reprehendit. studium illud emendandi Regis gallici, cui 
nunquam neque fidem neque constantiam tribuit, et in his 
motibus plus periculi ab eo quam praesidij expectandum 
censet. In quadam visione Sigismundi Imperatoris “)), 
quae accidit Posonij, narratur significari, coniunctum iri 
Gallum cum Carolo & Caesarem sedaturum hos tumultus 
auxilio Galli & Unius Principis. Optandum quidem & oran- 
dum est, ut placidam zaragroogyı,v sortiatur motus omnium, 
qui unquam fuerunt, maximus. plus enim perieuli esse ad- 
firmat quam tempore Macchabaeorum, qui quid agendum 
et quid peteretur certo sciebant, nunc strophis et fallacijs 
suis perturbationem in multis auxisse Carolum. Bene vale. 
Vitebergae XIII. Augusti, quo die Philippus Melanthon 
ante annos 28 primum Noribergam ingressus est‘) iturus 
in Academiam Vitebergensem, ut ibi doceret graecas 
literas, quo tempore Conventus imperij Augustae regnante 
Maximiliano celebratus est, Anno 1546. 


Hieronymus Besold. 


.) Philipp Fischer von Nürnberg (vgl. Br. 96? u. 115), aus dieser 
Universitát berufen doselbsthin zum priesteramt, ordiniert am 11. August 
1916 (Buchwald, Wittenberger Ord. Buch n. 801). Nach Hirsch -Würfel,. 


192 32 


Diptycba eccles. Laur. (1756) S. 42 und 88 war er von 1517 bis zu 
seinem Tode 1562 Diakonus der S. Lorenzkirche. 

2) Diese Stelle wird aufgeklürt durch den gleichzeitigen Brief 
Metanchthons an Veit Dietrich (CR. 6, 214). 18. August 1546: Succes- 
sorem Hieronymo Lycio [= Wolf, s. Br. 17] Magistrum Nicolaum 
Agricolam Salveldensem (s. Br. 124], notum Magistro loachimo [Hellero, 
Rektor der Egidienschule, s. oben 3.37] ingenio, eruditione et bonis 
moribus egregie ornatum, ad te mittere decrevimus.  Eruditus est in 
Latina et Grseca lingua et in Philosophia, scribit carmen et est Arith- 
meticus non vulgaris. Sequetur triduo post nuncium. 

3) Auch von dem Vorschlag für die Predigerstelle in Ravensburg 
(vgl. dazu oben Br. 66 und 73) ist in Melanchthons Brief vom gleichen 
Tag (CR. 6, 214) die Rede: De Ravensburgio concionatore etiam 
cogitavi. Habemus in vicinia, in oppido Sidonio, pastorem Ecclesiae, 
doctum et modestum virum, non procul a Norlinga natum, qui etsi 
praesenti fortuna contentus est, tamen videtur adduci posse, ut in 
Sneviam migret. Kaspar Roth blieb aber in Seyda, wo er noch 1577 
nachzuweisen ist (Pallas, Registraturen der Kirchenvisitationen im Kur- 
kreis I, 562). 

*) Zum Vorgehen des Königs von England gegen Cranmer, 
Latimer usw. vgl. RE.“ 4, 317ff. und 11, 297f. Der folgende Satz 
ist wohl so zu verstehen, dad der Kónig wührend des Krieges freiere 
evangelische Predigt gestattet hatte, um die angeworbenen deutschen 
Landsknechte sich zugetaner zu machen. 

5) Unter den Straßburgern ist wohl Bucer zu verstehen. 

9) Ueber diese Erscheinung Kaiser Sigismunds in Prefburg war 
nichts zu ermitteln. 

) Zum Datum vgl. N. Müller, Melanchthons Heimgang S. 141: 
Am 20. August 1518 war Melanchthon, der zur Reise von Augsburg 
nach Wittenberg, die er zu Pferde zuriicklegte, drei Wochen brauchte, 
in Leipzig (CR. 6, 218: 20. August 1546: Die 20. Augusti, quo ante 
annos 28 primum veni Lipsiam adolescens ignarus, quam dulcis sit 
Patria [vgl. CR. 6, 637]. In Melanchthons Haus muß damals viel von 
diesen Tagen die Rede gewesen sein, daß Besold sich dieser Datierung 
bediente). Am 25. August traf er dann in Wittenberg ein, und zwar 
„circa horam 10.“, vgl. Th. Stud. u. Krit. 1915 S. 88 Anm. 2. 


Nr. 124. Besold an Dietrich, 18. August 1546. 


Clarissimo Viro D. Vito Theodoro docenti Evangelium 

Noribergae, Domino suo & patrono observando. 
Nürnberg. 

Salutem in Christo. Qui hasce adfert, M. Nicolaus 
Agricola?) Salveldensis, a D. Philippo mittitur, ut 
praesit paedagogio nostro. Ingenij et studiorum testimonium 
publicum admodum honorificum a praeceptoribus jam pridem ® 
consecutus est, et in familiari consuetudine et Reischachero?) 
& mihi moderatio eius et modestia semper probata est. Opto 
autem, ut feliciter studia puerorum gubernet, cum illa prima 
institutio in Academia non perinde felix sit et plerique tamen 
adveniant Regularum Grammaticarum | admodum rudes. 
L y cium?) mutasse conditionem istam non miror, sed relin- 
quere patriam nostram vehementer doleo, hominem amicum 
et quem olim studiorum & vitae socium speraveram. De 


33 | 193 
bello altissimum silentium et propemodum mirandum, nisi 
quod consulto Bostae*) a Principibus retineri creduntur. 
Quicquid erit, tanta dimicatio tanto ardore animorum utrinque 
futura videtur, quanta nunquam fuit in Germania, nisi, quod 
speramus & optamus, idem Deus, qui nos melius, quam optare 
auderemus, Lycaonis°) insidijs & tumultu antea liberavit, 
respexerit. Hie nihil aliud quam suspiria & gemitus ine- 
narrabiles piorum animadvertere licet. Illud tamen eipruo», 
quod de Mauricio bene sperare incipimus?). Etsi de 
ipsius Virtute non dubitamus, sed consiliariorum & Viperarum 
Misnensium perfidiam formidamus. Rationes a Mauricio”) 
scriptas & confectas per Reischacherum?) misi. si recte 
memini, in scheda Mauricij tantum Unus loachimicus”, XI. 
grossi & 3 nummuli annotati fuerunt, et totidem ego accepi. 
In tuis vero literis 18. grossi adseripti sunt. Nihil tamen 
adfirmo, et inspecta Schedula ut me admoneas, oro. Oratio 
Stigelij?) habita in promotione sub prelo est. quam, si 
prodierit, mittam et eurabo etiam aliam quandam de pre- 
catione!?) describi. Bene vale & feliciter. Vitebergae 
18. Augusti. 1546. 
Hiero. 
Besold. 


Cum haec ante coenam scripsissem, postea ín mensa 
ex D. Philippo audivi exercitus iam conjunctos esse 
in Bavaria, & oppidulum Rain!!), quod tenet Capi- 
taneus Caesaris Der Klein Heß, obsideri a 
Lantgravio. 


a) pridem] dudum S. 

b) Unius Ioachimici S. 

1) Nikolaus Agricola, immatrikuliert Sommersemester 1542 (Album 
198) als Nicolaus Agricola Blanckenburgensis (also aus Blankeuburg 
bei Saalfeld); Magister am 3. Februar 1515 (Köstlin, Bacc. III, 17). 
Vgl. den zu Nr. 123? zitierten Melanchthonbrief. Über ihn s. Will I, 6. 
Der 1527 geborene Schelhamer, um 1549 Chorschüler, nennt (vgl. 
Will III, 505) Nikolaus Agricola und Michael Roting seine Lehrer. 
Bei Siebenkees, Materialien zur Nürnberg. Gesch. IV, 635 bezeichnet 
"Christoph Kaufmann, geboren 1529, nachdem er unter die 12 Knaben 
aufgenommen sei, als seine Lehrer Michael Roting, Joachim Heller, 
Hieronymus Wolf (s. Anm. 3), nach ihm Nikolaus Agricola. Melanchthon 
schrieb am 16. August 1546 (CR. 6, 216) einen besonderen Empfehlungs- 
brief für ihn an Veit Dietrich. In Nürnberg war er noch 1550 
(Münchner Hofbibl., Handschr. n. 11982, Annotationes in rhetoricam Ph. 
Mel. ab M. Agricola duodecim suis pueris praelectae Norinbergae a. 
1550). Er kam dann 1551 als Rektor nach Regensburg, wo er 
wegen des Interims zeitweilig schweren Stand hatte, s. (Gemeiner), 
Gesch. d, Kirchenreformation in Regensburg (1792), S. 240 u. 253; 
ferner Kleinstáuber, Geschichte der Regensburger Schulanstalten (1882 ) 
im 36, Band der Verhdl. d. hist. Ver. d. Oberpfalz, S. 24, — In Regens- 
burg hat Agricola noch bis zum Jahre 1562 gelebt. 

2) Zu Reischacher vgl. Br. 121. Aber wie war nun dieser gestellt? 


Archiv für Reformationsgeschichte. XIII. 3. 13 


194 34 


) Lycium. Hieronymus Wolf (s. Anm. 1) lebte in der Einbildung, 
er würde in Nürnberg verhetzt (Will IV, 286), vgl. oben Br. 17 und 
1232. Er berichtet selbst über seine Tätigkeit in Nürnberg (Juli 1539 
bis Januar 1541 an der Sebalderschule und 1544 [?] bis Dezember 1546 
als Inspektor der 12 Knaben) in seiner Selbstbiographie (Reiske, Ora- 
tores Graeci VIII, 820 und 826). 

4) Bostae. Knaake hat mit seiner Vermutung, daB es — Posten 
sei, recht. Nach Du Cange ist Posta im Sinne von Fahr- oder Reit- 
post für das Jahr 1502 bezeugt. In den Briefen der Reformationszeit 
begegnet das Wort noch nicht häufig, z. B. CR. 4, 183 (= Enders- 
Kawerau 13, 311) Cruciger an Luther und Bugenhagen, 22. April 1541: 
D. Philippus, cum abiret posta, non aderat; und bei Germann, Joh. Forster 
S. 360: Forster an Schradin, 29, Juni 1542: Proxima bosta significatam 
est exercitum nostrum crevisse ad viginti septem milia virorum. 

5) Herzog Heinrich von Braunschweig, der 1545 bei dem Ver- 
suche, sein Land wiederzugewinnen, in Gefangenschaft geriet. Br. 116!5; 

6) Die Hoffnung wegen des Herzogs Moritz von Sachsen erwies 
sich als trügerisch. Unter den consiliarii Misnenses wohl besonders an 
Georg v. Carlowitz und Pistoris gedacht, s. die Lutherbriefe bei Enders- 
Kawerau 14, 118, 261, 279, 280, 285; 15, 230, 260; 16, 324, 332. 

) Die Geldrechnungen wohl wieder von Moritz Goltz vermittelt, 
8. Br. 114, 115, 118, 121. 

*) Reischacher, s. oben uud Br. 121. 

?) Oratio de Machabaeis, recitata a Ioanne Stigelio in promotione- 
magistrorum 3. August 1546, von Melanchthon verfaßt, s. CR. 11, 721. 
Vgl. Nik. Müller, Zur Chronologie der Reden Melanchthons S. 129. 

10) Gemeint ist die Oratio de vera Dei invocatione (in der Rede 
selbst das Thema formuliert: primum ipse pauca de precatione 
dicturus sum), die Melanchthon für den Leipziger Professor Bernhard 
Ziegler verfaßte, CR. 11, 659, wo sie nz in das Jahr 1544 versetzt 
ist. Nik. Müller (Festschrift für Köstlin) S. 129 hat unter Bezugnahme 
auf CR, 6, 67, 70 und 80 nachgewiesen, daß sie in den März 1546 
gehört (11. Mürz 1546 schreibt Melanchthon an Camerarius: Laterensi 
(d. i. Ziegler) misi orationem arego edyör, sed Epilogum nondum addidi, 
in quo dicendum est de precatione filii Dei, quam cruentus ante 
mortem dicit . . ). i 

1) Ueber die Belagerung von Rain vgl. den Brief Melanchthons 
an Pannonius vom 7. Oktober 1546 (CR. 6, 245) (Carolus Imperator) 
recepit et oppidum Rhain in confluente Danubii et Lyci; dazu Krause,. 
Melanthoniana S. 100: Zeitung aus dem Lager vf den 28. Septembris : 
(Nach Einnahme von Neuburg) Die ander tage hat ehr Rein ein- 
genohmen. 


Nr. 125. Besold an Dietrich, 1. September 1546. 


Clarissimo Viro D. Vito Theodoro, Domino suo & 
Patrono observando. 


Salutem in Domino. Nunciolus avide hic expectatur. 
De nostris enim exercitibus altissimum silentium est, inprimis 
D. Philippus vehementer angitur de Belgicis copijs. 
quae ad Rhenum sunt’), quod vastationem patriae metuat 
et florentissimae partis germaniae. Interim Bojemos ar- 
mari certo nunciatar. Mauricius?) milites reducit a fini- 
bas Bojemiae, quos hactenus tenuerunt, in loca vicina 
Lipsiae. Suspicamur eum episcopatum Naumburgen- 


39 195 


sem & hallensem tentaturam?). Turcam?) enim & 
Iulium?) tueri creditur, et Turca mandata ab Imperatore 
impetravit, ut restituatur a Mauricio suis possessionibus °), 
quae ab Episcopo Hallensi ereptae ei sunt. Ita contra 
Pontium (hoc est Turcam) & Pilatum (Iulium) 
praeliandum* est. Utrumque enim nomen mali ominis est, 
quod saepe per jocum metuere se dicit D. Philippus. 
Fortassis respondent haee somnio illi“), de quo nuper ad te 
seripsi, Albim praeterfluxisse cruentam arcem, in qua sede- 
rant Philippus et loachimus?). alicubi erunt clades 
& vastationes, alicubi victoriae, perinde ut Machabeorum 
tempore gerebantur omnia, lieet nune plus perieuli & Con- 
fusionis esse existimetur. Syrus ille Islebius") in 
Marchia acerbissimos & Cainici odij plenos Sarcasmos 
spargit publice pro concionibus et sermonibus privatis, palam 
nostros appellat furiosos & seditiosos. Scripsit ad Consulem 
nostrae urbis!®) haec verba: Eur Prophet D. Martinus 
hat euch zuvor weißaget, der Baurn auffruhr hab Gott ge- 
straffet, er werde der fürsten auffruhr auch straffen 11). Quan- 
ta malevolentia € diabolicum odium erga illos, a «quibus 
nutritus, educatus & edoctus est! Neque enim haee seditio, 
sed iustissima defensio est, Sed non recedet malum a domo 
ingrati 1). Narrant Hungari, qui hic sunt, esse exercitum 
Turcicum in Pannonijs et capitaneo ex Vienna 
munera missa esse, quae res suspicari nos cogit, conjunctas 
in copias Turcicas & Romanas adversus Ecclesiam !3) 
et ita impletum iri, quod ab Ezechiele de GoG & 
Magogh.e.deAntichristo & Turca praedictum est!*). 
Quod si fieret, certo nostris Victoriam pollicetur D. Phi- 
lippus, et hunc ultimum paroxismum fere" adfirmat, tum 
enim fulmine, ut *t?Maclinij 5, discussurum omnia deum 
& revelaturum gloriam Filij hominis liberatoris nostri lesu 
Christi !). Marchio Joannes!) dixit tanta multitudine 
nostros cinctos iri ab Imperatore, ut non possit?^' esse 
locus vel tempus defensioni. Coniungunt fortassis arma totius 
orbis, & eo nomine inducias et pacem cum Turcico Ty- 
ranno fecerunt superiori anno!9) Schola adhue satis tran- 
quilla est!9), et pristina alacritate docetur ab omnibus prae- 
ceptoribus. Illud ipsum divinitus accidit, quod uterque exer- 
citas non nostras, sed hostium ditiones adfligit. Deum precor, 
ut porro arcem istam artium et disciplinarum tueatur & 
defendat, Bene vale cum honestiss(ima coniuge et familia. 
Vitebergae Calendis Septembris 1546. 


Hieronymus Besold. 


a) praeliandum, d. i. proeliandum. 
*) Zu fere fügt S. ,so!^ hinzu, (Wohl fore zu lesen.) 


13* 


196 36 


e) Hierdurch das folgende Wort im Kod. als zweifelhaft bezeichnet. 
S. liest Marlinii und notiert ein „so!“ dabei. 
d) posset S. 


1) Maximilian v. Büren, der an der Spitze der niederlündischen 
Truppen stand, vereinigte sich am 17. September mit dem Kaiser 
(Krause, Melanthoniana S. 98, Ranke 4, 341). 

*) Ueber den Feldzug des Herzogs Moritz von Sachsen, den er 
von Bóhmen her gegen das Kurland begann, vgl. Brandenburg, Moritz 
von Sachsen I, 4961t. 

3) Das Bistum Naumburg wurde von Moritz ebenso wie Halle 
Ende November 1546 besetzt. 

*) Dr. Christoph Türk, seit 1528,29 Kanzler des Erzbischofs von 
Magdeburg, war 1545 in die Dienste des Herzogs Moritz getreten, 
s. CR. 5, 912; De Wette, Luthers Br. V, 774; Brandenburg, a. a. O. 
I, 413ff.; Hertzberg, Gesch. d. Stadt Halle II, 85, 191. 

5) Julius ist Julius Pflug, der Anwárter der Katholischen auf das 
Bistum Naumburg. 

$) possessiones Turcae ereptae, die Güter Konradsburg und Erms- 
leben, s. Hertzberg a. a, O. Il, 200. 

*) Der Traum Melanchthons ist in keinem der vorhergehenden 
Briefe Besolds erwähnt. Es scheint also wieder einer verloren zu sein. 
Den Traum hatte übrigens Dietrich schon am 22. August in dem 
Briefe an Brenz berichtet (UR. 6, 220 nach Strobel, Beitr. z. Liter. II, 
483; vgl. auch Strobel, Leben Veit Dietrichs S. 118). 

8) Joachimus Camerarius. 

?) Syrus ille Islebius. Ist Syrus im Sinne von „durchtrieben, 
aller Rünke voll^ gebraucht nach dem Vorbilde der Sklaven in der 
römischen Komödie? Seidemann notiert in seiner Abschrift einen 
Brief Georg Majors an Amsdorf, 22. September 1546 (ZKG. II, 165): 
Eislebius pessima vipera est; tam maligne enim et rabiose in nostros 
principes pro concionibus et in conviviis debacchari scribitur, sed huius- 
modi Semei (2. Sam. 16, 5) dabunt olim poenas. 

1) Ambrosius Reuter, s. Kawerau, Agricola S. 246, wo diese 
Aeuferung Agricolas angeführt wird. 

11) Seidemann verweist hierzu auf Luthers Schrift „Vom Krieg 
wider den Tiircken 1528*, Erl. 31. 75 (— W. A. 30H, 145, 9ff.). 

1?) Vgl. Sprüche Sal. 17, 13. 

33) Solche Gerüchte gewannen an Wabrscheinlichkeit durch die 
Tatsache des Waffenstillstandes, der im November 1545 zu Adrianopel 
zwischen Karl und den Türken zustande gekommen war, s. u. Anm. 18. 
— Die Ungarn, die davon in Wittenberg erzählten, waren wohl 
Studenten. 

14) Bekanntlich hat Luther diese Deutung von Ezech. 38, 39 
(vgl. Offenb, 20, 7) öfter vorgetragen, z. B. in der Schrift Das XXX VIII. 
und XXXIX. Kapitel Hesechiel vom Gog 1530 (W. A. 3011, 220 ff.). 

15) Maclinij =? 

16, Zur Sache vgl. Luthers Brief vom 26. Oktober 1529, Enders 
7, 176 Z. 11 ff. (2. Thess. 1, 7£.). 

17) Doch wohl Markgraf Hans von Küstrin, der Bruder Joachims II. 

18) Zum Waffenstillstand mit den Türken vgl. z. B. Köstlin- 
Kawerau5 II, 605f.; v. Bezold, Gesch. d. deutsch. Ref. S. 764: Als 
ein Zeichen des kommenden Weltendes hat Luther in seiner letzten 
Zeit die Verhandlungen mit der Pforte betrachtet, welche der Kaiser 
schon im Frühjahr 1545 eingeleitet hatte. Gemeinschaftlich sandten 
Karl V. und Franz I. ihre Vertreter nach Konstantinopel, und der 
Waffenstillstand, welcher im November 1545 zu Adrianopel geschlossen 
wurde, schob wenigstens für die nüchste Zeit ein Haupthindernis des 
Religionskriegs beiseite. Dazu Ranke 4, 292f. 


37 197 


19) Vgl. Br. 1221. Danach waren doch schon im Juli Aufforde- 
rungen an die Studenten ergangen, die Heimat aufzusuchen. Die Auf- 
lösung der Universität wurde allerdings erst am 6. November aus- 
gesprochen. 


Nr. 126. Besold an Dietrich, 13. Oktober 1546. 


Clarissimo Viro D. Vito Theodoro, domino suo & 
Patrono observando. Nürnberg. 

Salutem in Christo, Filio aeterni Patris, liberatore nostro, 
in quo confidat anima nostra et speret in verbo eius, usque 
adeo verum est, quod toties ingeminant piorum querelae: Vana 
salus hominum, Nos animae viles & inops desertaque turba!). 
propediem nostro periculo idem experiemur. Nam de Vicino 
Mauricio?) certa res est aspirare eum ad Electoratum et 
eo nomine oecupaturum hane ditionem. D. Philippus angitur 
animi", & quanquam de summa rerum minime desperat, 
famen magnum dolorem adferunt pericula Principis et dissi- 
patio Scholae?), nec dubito, cum multis bonis et pijs hune 
dolorem nobis communem esse, qui omnes interitum fot 
bonorum scriptorum Lutheri?), quae in privatis Bibliothecis 
multorum adhuc asservantur, deplorabunt. Praecipue hane 
Seholam infensus odit Diabolus, quod illa fulmen ab arce 
venit). Hic nulli admodum apparatus bellici sunt, et de 
discessu nihildum significatum est. Ex D. Philippi literis?) 
rectius fortassis intelliges omnia, qui heri dicebat, scripsisse 
se ad Franciscum Driandrum), propediem se cum 
eo fore Argentinae. Si quid erit periculi, eum discipulis, 
tribus halleris&Hieronymo?) in Patriam me conferam, 
ibi dominus de conditione & hospitio providebit, aut si non 
tutum erit iter facere, aliquandiu apud amicos in Misia 
haerebimus, etsi mihi quidem sumptus desunt. Nam praeter 
hosce quatuor reliqui omnes discesserunt, necdum satis 
fecerunt pro institutione, fateor sane me negligentiorem esse 
et in pecuniarijs rationibus € mearum rerum, et de Biblio- 
polae rationibus non miror. Facilius enim verbera quam 
peeuniam numerassent. Convitijs profecto tantum non ob- 
ruebant, nihil mihi posthac negocij erit cum hisce barpijs. 
Solus Mauricius?) frugi est, is de suo pecuniam erogabat 
omnem, tantum ut tibi satisfieret. Pecuniam distribui omnem 
ad praescriptum tuum M. Paulo?) 28!/, Ioachimicos, cuius 
literas mitto. Pro concionibus!) magnam gratiam habeo, 
obtuli alterum exemplum D. Philippo. reliqua tradita sunt 
Mercatoribus Brutenis!?). Seriptum ad Vieinos!*) mittit 
D.Philippus a se compositum. Adhuc quidem confidit 
victoriam penes nostros faturam, etsi aliquid erit periculi. 
Saepe illud recitat Abbatis Ioachimi!*: Veniet aquila, 
quae vincet omnes praeter unum, qui tandem contemptus 


198 38 


a Populo relinquetur, id de Macedone””) intelligit. Hie 
tantum Tureum Misnicum!9) metuimus, Basiliseum!‘) 
prorsus eontemnimus, cum Boemi non sequantur eum ducem. 
Sed dabit Deus fortassis et his finem !“), et conteret viperas 
istas, semen serpentis, sub pedibus nostris semen mulieris!*), 
spes & salus nostra Christus, ei te quoque et valetudinem 
fuam commendo. Bene vale 1546. 13. Octobris. 


Hieronymus Besold. 


a) ,animi* griechische Konstruktion statt „animo“, s, W. Freund, 
Wörterbuch der lateinischen Sprache, s. v. ango am Ende; gewöhnlich 
als alte Lokativform erklürt. 


1) Nachgebildet dem Vers bei Vergil, Aeneis XI, 372: Nos animae 
viles, inhumata infletaque turba. 

2) Die Befürchtungen wegen der Stellungnahme des Herzogs 
Moritz erwiesen sich bald als begründet. 

3) Vgl. Br. 12519, 

) Die Befürchtung wegen der Vernichtung von Luthers Schriften 
hat die Gegenreformation wahr gemacht. In welchem Grade dies ge- 
schehen ist, zeigt z. B. der Aufsatz von Lippert, Bücherverbrennung 
in der Oberpfalz 1628 (BbKG. VI, 173ff.). In diesem nicht gerade 
großen Bezirk wurden damals mehr als 10000 protestantische Bücher 
dem Feuer überliefert, darunter 307 Bibeln, 794 Postillen, 1054 Psalter, 
1027 Katechismen usw. 

5) Nach Ovid trist. I, 1, 72: venit in hoc illa fulmen ab arce 
caput, wo Ovid andeutet, daß vom Palatium, der Wohnung des Augustus 
auf dem mons Palatinus, der Verbannungsbefehl gegen ihn ergangen sei. 

*) Ein Brief Melanchthons an Veit Dietrich aus diesen Tagen ist 
noch nicht bekannt. Bindseil, Suppl. z. CR. S. 267 n. 309 notiert aller- 
dings aus einem Briefverzeichnis Vaters, das sich jetzt auf der Seminar- 
bibliothek in Wittenberg befindet, einen Brief Melanchthons an Dietrich 
vom 12, Oktober 1546 mit dem Anfang ,Apud Euripidem Theseus non 
vult secum proficisci Adrastum“, aber zum Vorschein ist dieser Brief 
noch nicht gekommen. 

) Ueber den spanischen Protestanten Franz Enzinas oder Dryander 
vgl. CR. 10, 356. Er war bis zum Ausbruch des Schmalkaldischen 
Krieges in Wittenberg, reiste dann nach Nürnberg (CR, 6, 179 fl. Juni 
1546) und Basel. Ein entsprechender Brief Melanchthons an ihn ist 
ebenfalls noch nicht bekannt. Dagegen findet sich CR. 6, 372 ein 
Brief Melanchthons an ibn sus Zerbst, 23. Januar 1547, der nach dem 
gleichzeitigen Briefe an Veit Dietrich dem Dryander nach Strafburg 
überbracht werden sollte. Dieser muß sich also um jene Zeit schon in 
Straßburg aufgehalten haben. Uebrigens kündigt auch da Melanchthon 
seine Absicht an, ihn aufzusuchen: Ego, quamprimum erunt tempestates 
mitiores, ad te proficiscar. 

5) Es handelt sich wohl um Sigismundus und Martinus Heller 
Noricus und Jieronimus Schwab Noricus, immatrikuliert im Januar 1546 
(Album 229), und Sebastianus Haller Noricus, immatrikuliert Mai 1546 
(Album 233). Vgl. Br. 120%, 

?) Mauricius jedenfalls Golz, vgl. Br. 124. 

10) M, Paulus ist Eberus, vgl. Br. 1227. 

11) Vgl. oben Br. 122!!, Vielleicht Kinder Predig über die 
Sonntags- und Festevangelien von Veit Dietrich, Nürnberg 1546 
(Strobel S. 119), 

12) Veit Dietrich stand in regem Briefverkehr mit Herzog Albrecht 
von Preußen. Tschackert, Urkundenbuch zur Reformationsgeschichte 


39 199 


des Herzogtums Preußen III, 293 und 300 verzeichnet 17 Briefe des 
Herzogs an Dietrich und 20 Briefe von Dietrich an den Herzog, dar- 
unter einen Brief vom 29. September 1546, mit dem Dietrich ein 
Exemplar seiner Kinderpostille übersendet. 

15) Vielleicht ist der Ratschlag an Fürst Georg von Anhalt 
gemeint, der CR. 6, 273 Anfang November angesetzt wird und nach 
Christmann, Melanchthons Haltung im Schmalkaldischen Kriege S. 13 ff. 
auf den 23. November zu setzen wäre. 

M) Abt Joachim von Floris + 1202, vgl. Enders 1, 242 1% RE. 
Bd. 9, 227 ff. 

15) Landgraf Philipp von Hessen. 

16) Dr. Christoph Türck, s. Br. 125. 

17) Basiliscus König Ferdinand wie in Br. 121. 

18) dabit Deus fortassis et his finem, nach Verg. Aen. I, 199: O 
passi graviora, dabit deus his quoque finem. 
| 19) Vgl. 1. Mos. 3, 15. 


[Wenige Wochen darauf verlieB Besold Wittenberg, 
um in seine Vaterstadt zurückzukehren. Melanchthon 
meldete dies am 1. November 1546 an Dietrich (CR. 6, 
257): Schola propter metum obsidionis (durch Herzog Moritz 
von Sachsen) dissipatur. Igitur Hieronymus (Besoldus) 
-cras iter ingreditur. Und in einem zweiten Briefe an Dietrich 
und einem andern an Baumgartner, die beide auch 
noch am 1. November geschrieben sind, empfiehlt er ange- 
legentlich seinen jungen Freund dessen Gónnern in Nürn- 
berg. Mit dem Briefe vom 14. Januar 1547 (CR. 6, 363) 
setzt dann der rege Briefwechsel zwischen Besold und 
Melanchthon ein.)] 


Naehtrüge. 


Zu XIII, S. 94 (Br. 101): Über Christoph von Steinberg 
vgl. ARG. I, 343 Anm. und Th. St. u. Kr. 1912, S. 574 zu 
CR. Nr. 2537. 

Zu XIII, S. 122 (Br. 110) Anm. 5: Das Seriptum oder 
Carmen Saliceti ist vielleicht die Elegia Ioannis Saliceti 
Eckii contra Petri Lempergi calumniam (s. Br. 105 S. 108 
Anm. 13], Ingolstadii 1544, erwühnt von G. Th. Strobel, Bey- 
träge zur Liter. besonders des 16. Jahrh. Bd. II (1787), S. 400. 


Die Epistola 
de miseria curatorum seu plebanorum. 
Von Albert Werminghoff. 


Die kleine Flugschrift des ausgehenden 15. Jahrhunderts 
mit ihrer Schilderung von neun Plagegeistern, die das Leben 
der Landpfarrer heimsuchen, ist, wie es scheint, in der Diözese 
MeiBen verfaBt worden. Zuerst gedruckt wurde sie im 
Jahre 1489, wenigstens sind Drucke mit dieser Jahreszahl 
sowohl in Leipzig als auch in Augsburg entstanden. Ver- 
schiedene Drucke ohne Jahreszahl, darunter ein solcher aus 
Kóln, bezeugen die weite Verbreitung der Satire, von der 
spätere Ausgaben aus den Jahren 1521, 1540, 1701 und 1915 
vorliegen ?). 

Unsere Edition verfolgt einen doppelten Zweck. Einmal: 
sie will den Wortlaut der Epistola nach dem Leipziger Druck 
von 1489, einem der Augsburger Drucke ohne Jahr und der 
Wittenberger Ausgabe von 1540, wie Luther sie anregte 
und mit einem Vorwort versah, bekanntmachen. Sodann: 
sie will eine zweite Form der Epistola darbieten, die sich. 
in einer jetzt verschollenen Handschrift des Koblenzer Staats- 
archivs fand und von der allein eine Übersetzung im Auszug, 
kaum doch eine Überarbeitung, vorliegt. Das Verbältnis 
beider Formen der Epistola stellt Fragen, zu deren Beant- 


1) Eingehende bibliographische Nachweisungen bringt die Unter- 
suchung von A. Werminghoff: Beiträge zur bayerischen Kirchen- 
geschichte XXII (1916) S. 145 ff.; ihr vorauf ging die Ausgabe und Uber- 
setzung der Schrift dureh G. Braun: ebenda XXII S. 27 ff., 66 ff., der 
wir die Anregung zu unseren Studien verdanken. Auch der Ausgabe 
von 1701 ist eine deutsche Ubersetzung beigegeben. 


41 201 


wortang weitere Naehforsehungen erwtinscht würen. Gerade 
zu ihnen aber móchten wir anregen, und wenn Luther einst 
die Flugschrift von 1489 nicht in Vergessenheit geraten 
lassen wollte, so darf wohl auch das , Archiv für Reformations- 
geschichte“ ihrer sich annehmen. 


IL Die Epistola de miseria curatorum seu 

plebanorum nach dem Leipziger, dem Augs- 

burger und dem Wittenberger Drucke von 
1489 —1540. 


Die Ausgabe der Epistola de miseria curatorum seu plebanorum 
stützt sich auf drei Drucke. 


L ist ein Leipziger Druck aus dem Jahre 1489 von Konrad 
Kachelofen. Er besteht aus acht nicht paginierten oder mit Buchstaben 
und Ziffern bezeichneten Blüttern, Die Vorderseite des ersten Blattes 
weist den Titel auf, die Rückseite ein Bild: in einem Torgewölbe mit 
der Zahl 1489 steht der Pfarrer, umgeben von acht Münnern, die 
durch ihre Tracht als Patron, Bischof usw. kenntlich sind; aus einem 
Fenster blickt die Pfarrköchin, die in der Hand den Kochlöffel hält. 
Soweit nur irgend angángig wurde dieser Druck wiederholt, seine Ortho- 
graphie beibehalten, der Wechsel der Seiten durch * angemerkt; nur 
offensichtliche Fehler wurden in die Lesarten verwiesen, die Inter- 
punktion aber einheitlich geregelt und jeder Zusatz des Herausgebers 
in eckige Klammern eingeschlossen, Benutzt wurde das Exemplar der 
Leipziger Universitütsbibliothek (Kirchengeschichte 973. 49, darin n. 17). 


A ist ein Augsburger Druck ohne Jahresbezeichnang von Antonius 
Sorg. Orthographische Verschiedenheiten von L wurden nicht ange- 
merkt, wohl aber dutch das Zeichen // der Wechsel der Seiten in der 
benutzten Ausgabe von G. Braun: Beiträge zur bayerischen Kirchen- 
geschichte XXII (1915/16), S. 80—41, 66 —78, 

W ist ein Wittenberger Druck aus dem Jahre 1540 von Nikolaus 
Schirlentz. Er besteht aus sechzehn Blättern in Kleinoktav. Das 
erste Blatt weist auf der Vorderseite den Titel auf: Epistola de miseria 
curatorum sen plebanorum aeditus anno 1489 cum praefatione D. Mart, 
Lyth. Vittembergae 1540, umgeben von einer Randleiste mit Engeln und 
Blumen; die Rückseite ist leer. Blatt A 2—3 enthalten die Vorrede 
Luthers“), Blatt A 3! bis B 7 den Text der Epistola und Blatt B 7! eine 
Schlußbemerkung; die Blätter B 8 und B 9 sind leer. Den Wechsel der 
Seiten deutet das Zeichen T an. Benutzt wurde das Exemplar der 
Königlichen und Universitätsbibliothek Königsberg i. Pr. (Cb 61. 89, 
darin Beiband 8). 


7) Ihr Text folgt unter III; s. unten S. 227 (67). 


202 42 


*t45 * Epistola de miseria curatorum seu plebanorum. 


* [| 8.30 */| Securum® est semper seriptura teste in faciendis 
consulere, incautum vero est ad aliquid vel consentire vel 
dissuadere. De cura pastorali suscipienda, amantissime lo- 
hannes", velut iam expertum tuis me litteris pie consulis. 
Sed? a me quid? Rem utique difficilem requiris. Inter 
clericos Christo summo pastori nullus plebano officio vicinior. 
Quemadmodum crucifixus est nobis omnibus scientibus 
Christus a ludeis%, ita? quottidie crucifigitur eodem Christo 
attestante plebanus a parrochianis; quomodo enim dicit: 
Non?) est discipulus super magistrum, servus super dominum suum, 
Si me persecuti sunt, el vos persequentur. Si sermonem meum 
servaverint P, et vestrum sercabunt. Christus in vita eterna ad 
t A4 dexteram Dei sedet, crucis obpro- y brium paeienter sustinens. 
Plebanus in eadem vita secundum post Christum locum tenet, 
tribulationum*) acies fortiter vincens, et non solum in eterna 
gloria post Christum erit primus, quia idem cum eo habet 
offieium, immo in iudicando?) vivos et mortuos cum Christo 
sedebit iudex precipuus, quia non susceperunt eius predi- 
cationis verbum. Unde Petro de laboris premio interrogante 
Christus ait: Amen?) dico vobis, quod vos, qui secuti estis me, 
sedebitis super sedes, iudicantes duodecim tribus — Israhel), 
Pastoris? ita gloriam eiusdem et ignominiam extreme considero 

J| $31]] et in hae re tibi et consentio et penitus dissuadeo. Invitat 
ad conseneiendum meritum, inducit ad dissuadendum ob- 
probrium. Ego pastorum? indignissimus infinitas infestationes 
sustineo, et nondum est finis. Si ad Christi oves pascendum 
te induxero, ad conseribendum tua obprobria que rogo 
sufficit" pellis? Oportet ergo aliquas tibi temptationes pro- 
ponere et his cognitis quid faciendum sit in te dimittere. 
Quisquis igitur curam pastoralem portat, novem diabolos sine 
intermissione se lacerare sciat. Quod nequaquam sustinuisset ™ 
servus, pacienter” tune tolerat dominus. 

+ A [S 1]. Primus? diabolus inter omnes est ipse collator, 
qui, dum ecclesiam, quam confert, suam esse putat, plebanum 
tanquam alium subditum tenet et tractat. Et quia hane in-* 
tentionem falsam habet, missas celebrare et quecunque alia 
ad libitum facere iubet. Quid hae temptatione acrius? 


* 


a) ecumm L, A. d) Ioannes A, W. o) Sed— requiris] fehlt A. 
d) Iudaeis A, W. + ita quottidie ita L. N) servaverunt W. 8) tribu- 
lationum etc.] Ubi ergo episcopi sedebunt?  Respon.: Episcopus est 
unus de novem diabolus () W am Rande. b) Israel W. 1 Pastores (.) 
itaque gloriam et eiusdem ignominiam W. k) pastor A. Ð sufficeret W. 
m) sustineret W. n) pacienter-tolerat] nisi pacienter tunc tolerasset W. 
9) Primus] Diabolus I. Primus W und so entsprechend bei allen folgenden 
Abschnitten. 

1) Johann. 15, 20. ) Vgl. 2. Timoth. 4, 1. ) Matth. 19, 28, 


43 203 


Quando eollatoris irrationabilem voluntatem saltem in minimo 
. non implet, preter cetera improperia etiam mortis periculum 
vix effugiet. // Seit Deus, quia non mentior quod dico. Ispe / & 32 
hodie sustineo que in pastorem dominatio tam est tyrannica 
quam iniusta, ut liceat collatori plebano quidquam? mandare, 
quem et?) nec habet, immo non potest investire, dummodo? 
Sanctissimo imperator humilibus genibus prosternitur. Numquid 
imperatore dignior collator, qui? sub plebano minime in- 
curvatur? Hunc et consimiles apte et congrue Pilatus designat, 
quando dixit: Nescis!), quia potestatem habeo te dimittendi et 
erucifigendi? | Superbe ad Christum dixit. Sed quid? Malum 
vite finem Pilatus habuit, sententians Christum. Ita procul 
dubio sine salute omnis collator peribit, persequens plebanum. 
Herodes multos in Bethleem occidit pueros ut t fieret deus). 45 
Propter quod ille per multas infirmitates in peccatis suis 
pessime obiit. Collator multa plebano infert mala, ut sit" 
plebanus. Propter quod iste absque hesitatione sine plebano 
vitam terminabit. Hec singula per? vindictam dicta sunt, 
ut, dum huiusmodi malum non manet inultum, omnis collator 
discat ex hoc suo plebano esse subiectum et toto corde 
studeat illum diligere, sine quo nequaquam potest animam 
suam salvare. Ad quid sermonem protraho? Tantum plebanum 
collator tribulat, ut propter infinitas istas tribulationes multos 
ecclesias suas permutasse constet?, qui malunt tranquillam 
vitam ducere quam iniuriis subiacere. 


// [8 2]. Secundus diabolus est custos ecclesie,; ss 
qui quanto minor in potestate tanto maior in persecutione. 
Non manifeste ledit, sed ut serpens occulte retro pungit. 
Ile, te per pratum transeunte®, in graminibus latens in- 
deliberate mordet, et iste ubi non putas improvise nocet. 
Famuli conditionem, ut est, gerit in domo tua; singula, que 
aguntur, prospicit. Sed quando emolimentum consuetum a te 
non suscipit, omnem invidi-+am contra te accendit. Secreta 4: 
tua, que ante amicus celare? studuit, cunctis tunc inimieus )* 
revelare non contremiscit. O infestatio super omnem in- 
festationem magis severa! Iaculis manifestis obicitur ? clipeus, 
contra occulta campanatorum tela nullus proficit galerus. 
Quid crudelius? Sicut aliquando aput ludeos” Iudas tradidit 
Christum, ita aput adversarios suos campanator accusat 
plebanum. Et quemadmodum per pacis osculum suum? 
iste didicit facere bellum?), sie per falsam amiciciam contra 


a) quidquid W. d) et fehlt W. o quomodo W. dq) quia L. 
e) Bethlehem VW. N sit ipse W. s per vindictam] de vindicta W. 
h) subiectus IV. Ð constat L, 4. k) transeuntem A. D clare 4. 
m) inimicis A. ») proicitur L, A. 9 Iudaeos W, P suum fehlt A. 

1) Johann, 19, 10. *) Vgl. Matth, 2, 16. 3) Vgl. Luk. 22, 47f. 


204 44 


dominum suum iste non desinit suscitare prelium. Ego 
|| s.ssinutilis eeclesie pastor multa // benefitia campanatori cuidam 
exhibui; sed quam cito propter suam malitiam beneficia 
solita abstuli?, tam cito in malis, que Deo teste non feci, 
validum aput officialem traditorem cognovi ^ Sed quid? 
Iudas se suspendendo pessime suum luit reatum!), et multos 
cognosco campanatores in summa paupertate suum penitere 
flagitium, quorum scelera ita singulis plebanis sunt” cognita, 
ut tanquam oves errantes nusquam habere possint? servicia. 
[S 3]. Tertius diabolus est coca, tua domina, per quam 

+ Ashabes tot temptationum stimulos, + quot in capite geris 
capillos, nunquam fidelis, semper pigra, in cunctis rebellis. 
Que nisi ab omnibus esset despecta meretrix, nullatenus domus 
tue fuisset facta dispensatrix. | Et? quia est famula tua, 
non permanens uxor, in singulis abstrahit, ut, dum a te 
propter suam malitiam expellitur, penuriam nullam in futuro 
paciatur. Tanto minus te curat, quanto plus, quia ea carere 
non potes, considerat. Hoc malum et alia quamplura quando- 
cunque in ea invenies, ab intra per iracundiam consumeris. 
Malum est, si percutis; peius est, si ad hoc nihil dicis. Tune 
S. as si rem recte dis- // cutis, nullum* te miserabiliorem appre- 
bendis. Cum vero non aut vix sit fidelis viro legittima, 
quomodo esse potest commodosa plebano soluta? Si, quod 
valde rarum est et accidens, matronam sanctam habet, super 
omnes sanctos eandem celebrare oportet. Et quamvis in 
dispensando commodat, tamen multum verbis suis inutilibus 
stimulat. Ceterum leccatrix forsitan est. Igitur vult libidinis 
ardorem in ea a te extingui; quem si non deles, male habes. 
Si vero animum eius eupientem exples, te ipsa, non tu illam 
* possides. * Sic fit, antequam cocam cum filiis dimitteres, 
pocius ecelesia dimissa cum eisdem exul maneres. Heu 
quanta miseria euratorum! Numquid melior buecella panis b, 
tA altare T exiguum cum pace quam domus plena diviciis*, 
ecclesia magna cum merore? Sed obiceret quis: „Damna 
plurima suscipis®; preter omnia famam bonam amittis; cur 
non pocius probam et honestam queris, ex? cuius provida 
dispensatione et multa comoda capis et omnem infamiam 
preterfugis? Quantum ego capere possum, quia infelix vivis, 
tue infelicitatis manifesta causa ipse existis.“ Audi quaeso? 
qui talia proponis quam insipienter loqueris. Sine dubio 
hee amplius non obicis”, si diligenter quam dicam curatorum 


a) abstulit . b) sunt cognita] cognita sunt A. 9 possunt L, 4,17... 
a) Et quia etc ] Vult dicere fructum coelibatus W am Rande. e nullum — 
miserabiliorem] nullum te miserabilius L. nihil esse te miserabilius W., 
1) panis et altare W. 8) diviciis et ecclesia W. h) suspicis 4. Ð et A. 
k quia L., 4. D obiicies W. 

1) Vgl. Matth. 27, 5. 


45 205 


ignominiam agnoseis®. Suspensor, excoreator”, curator, 
nomina tria, differentia sunt officia®. Suspensor fures patibulo 
annectit; excoreator ipsos equos excoreat; curator Dei populum 
informat. Illorum officium quodlibet summe necessarium est; 
jj mundus eisdem carere non potest, cum) fures omnia / S. 36 
tollerent, equi ad nares feterent, homines boisarent*. Quantum 
igitur isti tres omnibus hominibus necessarii sunt, tantum 
omnes homines eos despiciunt. Inter suspensorem, exeoriatorem, 
euratorem in layeis quoad aspernationem nihil interest. Ego 
nondum pastoralem curam gerens honestam quandam 
matronam’ in eocam futuram subtilibus verbis meis conveni, 
sed, quando famulan- f di tempus advenit, infamationem timens t 47 
famulari respuit. Servus cum capellanis comedere voluit; 
sus eum gallinis®, aucis esurivit; nemo vaccas mulsit: omnis 
honesta famulatum meum fugit. Quis precor me tune 
angustior fuit, quem etiam invitum, Deum testificor, multum 
infamatam personam, Slavicam, natura infidelem, bibulam in 
meam dispensatricem?) reeipere oportuit? Dic ergo queso 
que virtuosa, munda, casta suspensori, excoriatori, curatori 
unquam famulabitur? Forte iterum obicis?: „Quasi omnis 
curator concubuit. Quia vero casta ancillas suas multos 
curatores maculare apprehendit?, maculationem fugiens” 
famulari contemnit. Sibi ipsi igitur * talis contrarius existit: 
si continenter viveret, nullam in honestis acquirendis diffi- 
eultatem haberet.“ Audi qui ita improperas. Quis ¡/ forcior, , s. 3? 
sanctior, sapientior Samsone””, David, Salomone? Si fortitudo, 
sanctitas, sapientia Samsonem ™, David, Salomonem a concubitu 
mulieris preservare non potuit, quis curatores ab eodem veneno 
unquam liberabit? Sicut impossibile est cum pice communicari 
et ab ea non coinquinari, ita non suscipiendum est cum muliere 
habitare et ab ea non”? maeulari. Si vir uxorem habens, non urens, 
sine necessitate castitatem conjugalem sepius defedat, o quam 
ra- f rum est, si curator uxorem non habens, semper urens, a7 
se non coinquinat. Ab hoc tempore, quo clericos ab uxoribus 
sanctio apostolica sequestravit, nullus unquam, quantumcunque 
sanctus et continens, sine suspitione fuit. Fortiter preterea 
audeo in medium proferre: si inter curatores nullus concu- 


* 


a) agnosces W. d) excoritator W. o) Die Zusammenstellung 
erscheint fast volkstúmlich; vgl. Thomas Platters Lebenserinnerungen 
herausgegeben von H. Kohl (Voigtländers Quellenbücher n. 21. Leipzig 
[1912], S. 66: „Ehe ich wollte Pfaff werden, wollte ich eher ein 
Schinder oder Henker werden.“ d) dum W. » boisarent| boisarent, 
id est: fierent boves seu brutescerent W am Rande. — G. Wissowa 
rerwies gütigst auf Corp. gloss. lat. III, 18, 56: Boúrgayos boisos. 
f) matronem L. 8) gallinis et W. b)dispensationem A. © obicis — 
suas] obiicis. Casta vero, quia quasi omnis curator concubuit, ancillas 
suas W. k) deprehendit W. D effugiens A. m) Sampsone A. 
2) Sampsonem A, o) perseverare A. p) non fehlt A. 


206 46 


binarius esset, adhuc propter eandem suspitionem curatori 
honesta non deserviret. Quapropter? eum fidutia loquor: 
nisi ecclesia presertim curatores in antea uxores habere 
tolleret, cum seortis omnes usque ad unum domesticam curam 
portare oporteret". O0 quantum dedecus! Inde populus 
incidit damnationis periculum, unde deberet sumere? bene 
vivendi exemplum. Antea per sacerdotis prolem tota nostra 
salus profluxit, nunc autem nonnisi scandalum venit. Olim 


l| S.ssunusquisque? sacerdotum in sua legi- / tima contentabatur; 


FAS 


nunc vero sacerdos, quia propriam non habet, feminis in- 
differenter utitur. De illis nemo quod malum est promebat; 
de istis quomodo luxuriantur”, eciam puer cantat. Sic ad 
ultimum, quieunque es, plebane, si cocam etiam honestam 
habes, et multa ex ea incomoda recipis et super omnia infa- 
miam ineurris. 

y [84]. Quartus diabolus est vitricus eeclesie. 
Tantum impugnat, quantum est, quod non considerat. In 
ecclesia tua sine licencia mendicat; mendicandi tempus non 


"observat. * De comodo tuo semper murmurat. Quando non 


totum ad suam tabulam aeeumulat, ad fabam te non curat 


S. % qui oblationes recipiendi autoritatem se habere existimat, 


HAR 


preterea ecclesie legata solus capit. Tabulam tecum non 
dividit; imagines cereas sicut suas ad trabes nectit; caseos, 
ova, pullos, linum vendit; cimiterii gramina metit, in exequiis 
lumina tollit. Sedes in ecclesia edificandi et quotcunque 
reponendi licentiam tribuit; computationem receptorum, ex- 
positorum sine te facit. Unum dumtaxat deest: missas cele- 
brare nescit; alias totam ecclesiam tuam regit. O dura 
temptatio! Quid est plebanus, si quecunque in ecclesia ad 
libitum vult facere vitrieus? Non!) sit super magistrum. di- 
scipulus neque. super dominum servus. Dominus ecclesie est 
plebanus, sed servus ipse vitrieus. Quicquid ergo in supra- 
nominatis ecclesie acciderit, vitrici est colligere, sed solius 
plebani est dispensare. Vitrieus colligat, collecta representet b. 
Tune plebanus si ex y collectis eeclesie partem dederit, ex 
gratia et misericordia venit, que® solus omnia iure dictante 
servare poterit. Sicut sine capite membra corporis non 
possunt vivere, ita, quia caput eius est, sine plebano ecclesia 
esse non potest. Si igitur indigeus plebanus fuerit, et singula 
sine divisione ad tempus, donec resurgat, retinere poterit. 
Melius est enim ecclesiam quam ipsum plebanum egere et 
degere", quemadmodum securius est membrum quam ipsum 


a) Quapropter etc.] Nota conscientias bonas contra papam clamantes 
W am kande. db oportebit W. œ summere L. d) unusquisquam 4. 
e luxuriant 4, Y repraesentat L. 8) qui W. d) deficere IV. 

1) Johann, 15, 20. 


47 207 


eaput perire. Quamobrem sit quodcunque, si aliquid ecclesie 
tantum legatum fuerit, suam mediam portionem ex legato 
plebanus canonice recipit. / Si plebano tantum defunctus / s. 4o 
legavit, eum ecclesia, si vult, dividit. Si aliquid plebano et 
eeclesie simul indeterminate legatum fuerit, equalis divisio 
fiat, et uterque mediam portionem recipiet ). Si vero in specie 
illad plebano et istud ecclesie in testamento idem defunctus 
determinat, unusquisque suum testamentum sine divisione 
obtineat. In summis festivitatibus, diebus patronorum, dedi- 
eationis, festis beate virginis, quiequid tabula capit cum 
plebano vitrieum equaliter dividere convenit. Denique si 
ecclesia * necessitate coacta non fuerit, quocunque tempore - 
mendieando circuit, mediam partem plebanus iuste capit. Et 
quia ex pura + gratia et misericordia venit, ut? cum ecclesia + 2: 
dietas? divisiones facit. Item caseos, ova, pullos, linum pro 
domo sua semper non immerito tollit. Imagines cereas, 
lamina in exequiis, quando ceram non habet, cum ecclesia 
dividat. Cimiterii gramina vitrieum metere non annuat, sed 
eampanatori, si pauper est, tribuat. In ecelesia edificare aut 
quiequam reponere sine licencia sua non permittat. Com- 
putationem omni anno plebano, non collatori faciat vitricus. 
Campanatorem et vitricos locare tantum ad plebanum spectat. 
Hec si, ut dictum est, vitrieus non observat, sed in his contra 
plebanum frivole decertat, maiorem? excommunicationis 
sentenciam intrat, a qua nonnisi" papa liberat. O stulticia 
et omnium curatorum demencia! Miror de vobis atque mirari 
non suffitio: bis in anno omnes ad sanetam synodum con- 
i| venitis et pessime in vobis vitricos dominari sinitis. Colla- ; s. 47 
tores de ecclesie bonis villas, agros et allodia emere favetis 
et“ vos potius non contradicendo in miseria magna degetis 9. 
Non noseitis, quia omnia ecclesie accidentalia sine divisione 
tanto iustius capiatis, quanto ecclesiam propter superhabun- 
dantiam sine spe recipiendi inutiliter multis multa accomodare 
conspieitis®? Sie demum qui collatoris, non T plebani intuitu + B 1 
vitrieus existit non quod plebanus, sed quod collator iubet 
facit; ex iure omnia se? recipere credit, que plebanus ex“ 
misericordia et gratia pie ecclesie dimittit. 

i| [8 5]. Quintus diabolus est ipse rusticus ideo; s^ 
malus, quia nullus in eo intelleetus. Predicationes tuas vitu- 
perat; contra missas tuas longas murmurat; tempore inter- 
dicti de divinorum cessatione te inclamat; ad que non teneris 
obligat; excommunicatus offendere cogitat; laborans contra 
cibum et potum tuum, mercedem? semper insultat. * Offer-* 


a» recipiat W. b) ut fehlt W. e) dictas] Dei cunctas 4. 
* maioris JV. €) nemo nisi A. 1 et — degetis fehlt A. 8) degitis W. 
1 guspicitis WV, Ð se fehlt A. k) et 4. D mercedemque 4. 


208 48 


torium non presentat et, quia? que habes sine labore te 
possidere existimat, tricesimos, votivas vigilias, animarum 
commendationes, testamenta et his similia studio quo potest 
impedire non cessat. Nisi omnia ista prius impediat, firmiter 
eredas, ad infirmum te venire cum sacramentis nullatenus 
rogat. Ob) quot sexagenas, vaccas, vestimenta et cetera ex 
invidia sic? obtinet rusticus, quod? alias per bonam agoni- 
santis voluntatem merito omnia tolleret plebanus. Denique 
quia domum tuam vicinam sue videt, differentiam inter te 
t Bzet alium T rusticum non habet. Quicquid ergo totam com- 
munitatem facere oportet, ad hec te angustiare non pudet. 
Quid hac re durius? Si communitatem cum rusticis servare 
contempseris, recte quidem facis; sed ex hoc infinitas perse- 
cutiones, lapides super caput fuum colliges. Nuper rustici 
mei aquarum necessitatem sustinentes tota communitate iuvante 
per occultas fistulas fontem quendam vicinum in mediam* 

„& es villam perduxerant; ecclesiae? campanatorem aquas // haurire 
sine contributo permiserant. Sed quia duos aureos dare 
rennui, quos mihi contribuendos dietarant, cum magna teme- 
ritate meam ab aquis famulam repulerant. In tantum contra 
me fremere ceperant, ut etiam aérem, si potuissent, prohibere 
parati erant. O quanta in curatores ipsorum rusticorum 
invidia! Numquid una plebanus cum ecclesia in singulis 
immunitate gaudent? Qua igitur fronte plebanum ad contri- 
buendum arcent et ecclesiam eum campanatore libere ferre 
aquas favent? Nisi quia rustici de plebani prospero successu 
ex intimo corde semper dolent. Curatorum igitur nullus cum 
rusticis communitatem teneat; ad pascendum porcos, vaccas, 
oves®, aucas non contribuat; ordine eum tangente non casto- 

+ B diat; ad sepes, munitiones 1 communes reparandas familiam 
suam non mittat. Hoc solum caveat, de suis rusticis ut 
damna non senciat, Quicquid alias sit, quodcunque com- 

*inunitatem facere oporteat, liberum * ab hoc se fore sciat. - 
Si secus faciat, tociens quociens excommunieationis sententia 
eum mulctat. Tandem omni tempore rustiei plebano invident 
et in nullo sibi favent et, si aliquando eo carere possent, 
dudum in ipsum lapides misissent. 

li S. 68 [| [8 6]. Sextus diabolus est ipse officialis. Quanto 
sua iurisdictio latior, de tanto in plures tyrannidior et forcior. 
Quemadmodum vultur hine et inde volat, ut laceret pullos, 
sic iste iam? ab illis, iam ab istis parrochianis explorat, ut 
exactionet plebanos. Mandata innumerabilia mittit. Si non 

in eorundem executione magis quam in tua negociatione 


a) quia fehlt A. b) O etc] Hie papissat nimium W am Rande. 
e) sic sic L. d) quae W. e) mediam villam] villam mediam A. 
f) ecclesiam L, ecclesiam et W. c) oves fehlt 4. ) iam fehlt A. 


-49 209 


-diligens fueris, itineris importunitatem, domus tue dispensa- 
tionem non ponderat; gaudens illico te citat, ut mali quid 
in te inveniat, non ut puniat, sed magis ut marsubium” suuin 
impleat. Si non comparueris, indignationem eius? quis enar- 
rabit? Sicut canis impetuose latrat et, nisi panes ante eum 
proicies, a latra- tione non cessat, ita iste assidue te in- t Ba 
festat? et, nisi florenos expendas, quos solum optat, mandare 
non cessat nec mandata cassat. Et quomodo securus esse 
poterit unquam ipse plebanus, quem etiam cottidie proprius 
lacerat // prelatus? Scribit „Salutem in Domino“ quasi; s 69 
fautor tuus optimus ef inter omnes persecutores in lacerando 
non?) est pessimus®. Mandatis suis aliquando minus iustis 
quomodo potest contra te rusticos incitat. Mandat, iterum 
mandat, mandare non cessat. Sed illatam a rustieis iniuriam 
te conquerente non vindicat. O magnum periculum! Si 
processus exequeris, rusticus impugnat, si non publicaveris, 
officialis murmurat. O plura sunt, que infestant plebanum, 
sed profecto nihil est, quod foreius officiali? impugnaret. Qui 
te sine causa infamat, numquid est malus? Qui quodam- 
modo ex nihilo te irregularem * probat, quomodo poterit * 
esse bonus? In ecclesie mee districtu multi sunt fornicatores 
et adulteri, pauperes occulti, nobiles manifesti. Citat pauperes 
manifeste ad libitum suum et punit, honorat nobiles nec 
plectit. Si ex alio officialis nequieia non patet. ex isto 
omnibus hominibus aperte claret. Hec presens epistola cum 
tanta audatia non proferretur? nisi omnis homo y in hoe: 55! 
-officiali malediceret. Recipit pecuniam et admittit ignominiam. 
Amat denarium et tolerat fornicarium; tollit munera et destruit 
iura; eredit rustico et invidet plebano; nisi portaverit munus, 
nullus ab eo est acceptus; eitat, monet, excommunieat, aggravat, 
reaggravat, relaxat, interdicit: in his omnibus non Dei gloriam 
querit, sed solum lucrum diligit, pecunie servit et innumera 
mala propter hanc committit. Tanta in euratores est ipsius 
Officialis tribulatio. Si ecclesiam non haberem, j; nullam / & 7o 
utique susciperem, quia omnibus aliis diabolis dormientibus 
iste solus ad nocendum vigilat, aliis quiescentibus iste solus 
inquietat. 

[S 7]. Septimus diabolus est ipse episcopus. Quod 
per totum annum omnis solicitudo tua collegit, hoc iste per 
subsidium tollit. / Singula bona tua, que possides, immunia / s. 71 
sant; iam episcopus contributum, iam postulat subsidium. 
Sic qui immunitatem bonorum tuorum deberet conservare, 
de anno in annum hane non pudet ipse infrivgere. Episcopum, 


3) marsubium] — Geldbeutel. b) eius fehlt A. c: infestare 4. 
à non fehlt A. €) postremus W. f officiale W. 8) proferetur L. 


Arehiv tar Reformationsgeschichte. XIIL 3. 14 


210 50: 


solum eum necessitas ingruat”, que” propriis relevari? stipen- 


t B4diis non po- f test, caritativum postulare decet subsidium; 


dudum iam nulla necessitate rationali quodammodo urgente 
sine misericordia requisivit contributum. Nunc vero, quasi 
nunquam esset sibi subventum, instanter postulat subsidium. 
O super omnem lupum lupus rapax! Lupus eo esuriente 
ovem rapit et, nisi eum summa urgeat necessitas, non redit. 
Episcopum autem nulla penuria cogit et semper ad alterum “. 


*annum subsidium capit. Sie * bona tua, que alias manerent 


immunia, per continuum sine causa subsidium facit civilia. 
Nuper quadraginta marcas subsidii collectori numeravi; in* 
tantis me marcis satisfecisse existimavi. Collector institit. 
preter has registrales poposeit et de qualibet marca scribenda 
tres Hallenses recepit; bursam penitus evacuavit et me dolente *' 
ipse risit. Rusticus prebet censum et satisfacit domino; 
plebanus donat subsidium nee sufficit episcopo. Quantum 
igitur ex iniustis registralibus colligere valeo, neminem ipso 
episcopo cupidiorem apprehendo?, qui, ne in subsidio senciat 


j| $.:2 aliquod damnum, per curatorum sudores collectori dat // suum 


precium, quod tantum est. Vellem potius fieri subsidii col- 
lectenarius quam effici ecclesie Misnensis vicarius. Quid est. 


+ B+ quia officialis in svnodo sepius audit hoe verbum y neutrale: 


* 


„Vacat“, nisi quia? eum multis* aliis episcopus ultra vires 
plebanum exactionat? Dignitatem aut libertatem non de- 
fensat; lupos baculo pastorali nou fugat. Dum in curiam 
episcopalem venerit plebanus, vix ad eum „Beneveniatis“ 
dieit. Si vero nobilitaris", non solum cum omni solennitate 
acceptatur, immo celarium eum optimi liquoris vasis aperitur; 
ad prandiumm, cenam invitatur; eausa eius auditur et ex- 
peditur. Plebanus vero spernitur, nec cibus nec potus ei 
prebetur; in iusta causa damnatur; prudenter loquitur et 
arguitur. Sic quidem a proprio domino suo repellitur et a 
eunetis vasallis” odio habetur. Agri tolluntur; census alie- 
nantur; domus parroehiales?' violantur; clerici sine causa 
tanquam latrones captivi ducuntur; cottidie in clerum violencie 
aguntur, Et quasi non sit episcopus vel prelatus, hec omnia 
perpetrantur. Nunquid es episeopus? Si denique episcopus, 
ubiP (queso est tous baculus? Si tenes baculum, cur non 
prohibes lupum? O irrecuperabile damnum! Perditus est 
omnis elerus, quia amiei sunt pastor * et lupus. Sed timendum 
est, eum lupus amplius non habuerit ovem, devorabit et pa- 
storem, et iusto iuditio pastor eum ovibus perit, qui nullam 


a) ingruit W. br quam 4. o) relevare L, 4, N.  ? alium 4. 


e et . f) proposcit 4. g) dolentem 4. h) reprehendo 4. 
3) quod 4. k> multis aliis] aliis multis A. 1) nobilitaris] v ] ꝰ]è zu 
verstehen und zu verbessern: nobilis erit. m) prandium et W. 


n) vasellis L. 9) parochialis violatur 4. P ut A. 


51 211 


ll diligentiam circa oves habere voluit. + Frustra et indigne ; N. 73 
geris, o episcope, baculum te ordines celebrante, quem gerere ! ?? 
non vis lupo clerum tuum invadente.  Diligentem igitur 
euram de ovibus tuis habeas, quarum et lac ae butirum con- 
tributum cum subsidio de die in diem congregas. Dic cum 
salvatore: Qui!) vos andit me audit et qui vos spernit me spernit. 

Et quandocunque in euriam tuam venerit plebanus, honora 
illam, quemadmodum in eterna patria Christus honorat apo- 
stolos. Omnem eius iniuriam tuam reputa; lupos sibi insi- 
diantes cum magna strennuitate ad aliorum terrorem fuga. 
Tu enim es Christus, plebanus tuus discipulus. Sicut in suis 
tribulationibus Christus non deseruit apostolos, nec et tu in 
suis infinitis tribulacionibus ac persecutionibus dimittas ple- 
banos. Sed heu! Quod non plantavit lupus tollit, quia magis 
lupos quam oves diligit episcopus. Sic demum de bonis 
ecelesie dives est vasallus”, et summe pauper semper manet 
plebanus. 

[8 8]. Octavus diabolus est ipse capellanus. Hie; s. 
in ecclesia tua nec cantat nec legit, nisi unde ipse suum 
profectum habere possit. Vix f sine confusione requiem cantat+ 5 » 
et quasi in singulis tibi rebellisat. Si prandium tuum et 
cenam" non semper equaliter sumit, non solum in te, sed in 
cocam tuam etiam fremit. Et quia tecum discordat, rixas 
quomodo potest adversum te excitat, Forte ebrius est, per 
totam noctem in taberna levat cantaros“ et mane non pudet 
immolare sacrificium. Somnolentus est, quando in ecclesia 
tua deberet? comodum tuum agere; iacens in lecto forte 
adhue matutinas cum accessu altaris debet incipere. Impatiens 
est; vult equitare; non eurat, si te oportet per pedes am- 
bulare, et, si non habuerit equum, non complet tuum mini- 
sterium. 0% quociens ego plebanus fui pedester et dura 
feci? vestigia! Ipse capellanus in // equo meo quietus et letus ;; 5. :5 
cantavit carmina. Curiosus est; iun-* git se vasallis®; loquitur * 
quod non audivit; recitat quod non vidit. Et si persequendi 
modum non haberent ex alio, quomodo noceant plebano, 
habent ex capellano. Superbus est in ministerio; semper 
locum et formosum appetit habitum, non ut in hoc decoret*) 
Christum, sed magis ut ad se inclinet populum, non ut per 
illan honestatem de cetero maneat capellanus, sed magis ut 
depulso domino suo ipse futurus succedat plebanus. Avarus 
est; commodum tuum pro f posse impedit. Sepius quod tuam t B6 
observaret coquinam, in votivas vigilias, hoc est in suum 


a) vasellus L. b) cena L. € cantros L, I. d) debet A. 
e) O etc.] Nota mores sub regno papae W am Rande. D feci fehlt A. 
e) vasellis L. h) decorat A. 

!) Luk. 10, 16. 


14* 


212 52 


profectum vertit. Te aecrescente semper dolet; quia nihil 
dicere audet, ubi potest occulte nocet. [n mari igitur arenam 
numera et in capellano temptationes pensa. Et procul dubio 
qui te putas esse plebanum et dominum, invenies te tuorum 
eapellanorum capellanum et servum. 


[8 9]. Nonus diabolus est ipse predieator. Quanto 

i $.761n doctrina gloriosior”, tanto plebano infestior // acceptum 

se in populo considerat et plebanum quasi cifram pro nihilo 

reputat. Et quia scientia inflat, non solum a plebano, sed 

etiam a capellanis tanquam prepositus" celebrari oportet. 

Si non semper delicata cibaria manducat, vinum conditum 

eum cerevisia” optima potat; de hoc in ambone predicat. 

Coram? plebis multitudine te seandalisat. Non in suorum 

verborum apparatu profectum tuum queritat, sed quomodo 

ipse acerescat, toto conatu laborat. Si per te ipsum predicare 

non poteris, multociens ab eo asinus? ef cornutus vocaris. 

+ Bs Confidit in doctrinam et multiplicat calumniam. y Velis nolis 

contra te predicator permanet, qui totum populum tuum ad 
brachium? suum habet. 


Ecce, mi lohannes%, potes bibere calicem et curam 
suscipere pastoralem? Essencialia solum tibi temptamenta 
proposui de accidentalibus infinitis mentionem nec feci. 
Quod quottidie ex adverso te infestat, quis est qui numerat?? 
Ad curam igitur pastoralem suscipiendam meritum ponderans 
*fideliter * consulo; obprobrium censens penitus dissuadeo. 
Quantum igitur ecclesiasticum regimen est meritorium, tantum 
est onerosum, quantum excelsum, tantum? ignominiosum. 
Quid est, quod“ plures religionem intrant et in eadem non 
perseverant, multi ecclesias suspieiunt” et non multo 
ii s.25 / tempore effluxo dimittunt, nisi quia isti seilicet religiosi 
duram contra vicia ante non ponderarunt pugnam et isti 
acerbam prius non mastieaverunt? miseriam? 


Ego quidem usque adhuc pastorale onus portavi. Sed 
quia tribulationes, quas? non mereor, sustineo, ecclesiam 
meam pro benefitio non eurato quantocius possum commutabo. 
Quapropter si poteris patienter, quas dixi, sufferre calumnias, 
secure ecclesiam suscipe. Si sustinere non potes nec unquam 
sustinuisti erumnas, pocius alias ecclesiasticas portare curas 

tB?dimitte. Tu enim om-ni honore et reverentia, quod non 
ego sed plures de te affirmant, es dignus, cum non solum 
in septem artibus liberalibus, immo in tocius sacre scripture 


a) gloriosor W. b) praepositum W. o) cervisia A. ) Coram 
etc]  Graviter pingit mores istius seculi, quos vidimus ipsi ante 
30 annos W am Rande. e) azinus L. N baculum A. 8) Ioannes 4, W. 
h) nor A. h munerat W. X tanto 4. D quid A. m) suscipiunt A. 
n) masticaverunt] = perpenderunt; vgl. Ducange 8. v. ©) quibus L, 4. 


53 213 


quodammodo sis expertus semitis. Non ergo te decet tantum 
virum ecclesie lumen per tot miserias obfuscari, modio supponi, 
sed salvatore testante ab omnibus curis expeditum super 
candelabrum !), hoc est excelsam cathedram, locari et in 
summa reverentia haberi, quia ut multi peccatores in pecca- 
forum suorum tenebris ambulantes peccata sua super carbones 
nigra videant, videndo recognoscant, recognoscendo defleant, 
deflendo confiteantur, confitendo peniteant, penitendo puri- 
ficentur, purificati" mundi permaneant et tandem ad celestem 
mandiciam, hoc est eternam felicitatem, ad quam creati sunt, 
perveniant, prestante domino nostro Ihesu Christo. Vale. 
|| Explicit? epistola de miseria curatorum seu pleba- jj s. 28 

norum. 


I. Die Fassung der Epistola de miseria cura- 

torum seu plebanorum nach einer jetzt ver- 

schollenen Koblenzer Handschrift des 16. Jahr- 
hunderts. 


„Das Aktenstück, welches wir im nachstehenden in einer etwas 
abgekürzten Übersetzung geben, ist im Original in lateinischer Sprache 
abgefaßt. Letzteres befindet aich im K. Staatsarchive zu Koblenz, 
Indessen ist mit Sicherheit anzunehmen, daß dasselbe selbst nur eine 
alte Kopie aus dem 16. Jahrhundert ist, wie durch die Schrift und 
auch besonders dadurch bewiesen wird, daß der Kopist eine Anzahl 
Abkürzungen im ursprünglichen Original nicht mehr verstanden und 
darum korrumpiert hat.“ 

Mit diesen Worten wird die einzig bekannte Uberlieferung einer 
zweiten Fassung der Epistola eingeleitet, wie es scheint ein Werk von 
L. Eltester, dessen Vorlage aber nicht mehr auffindbar ist“). Das 
Verhültnis dieser Vorlage zu der unter I neu herausgegebenen Fassung 
ist noch nicht mit Sicherheit festgestellt: ging die Koblenzer Hand- 


3) purificati — permaneant fehlt A. b) Explicit epistola de 
miseria curatorum seu plebanorum. Impressum Augustae per Anthonium 
Sorg 4; Impressum Vittembergae per Nicolaum Schirlentz anno 1540 
W, wo auf S. B 7! noch folgt: Ex hac epistola ut nihil aliud tamen 
mores istius seculi proximi licet cognoscere; vere enim ut scribit, ita 
gerebantur res ipsae. Quare et agendae sunt gratiae Deo patri miseri- 
cordiarum, qui mutavit ista pericula, et orandus, ne sinat redire mala 
illa seu peiora prioribus. Am Fuße der Seite folgt eine kleine Schlup- 
leiste, Blatt B 8 und 9 sind leer. Druckwermerk und Nachsatz der 
Wittenberger Ausgabe von 1540 sind in der Neuausgabe von 1701 
wieserholt. 

) Vgl. Luk. 8, 16. 

) Vgl. G. Braun: Beiträge zur bayerischen Kirchengeschichte XXII 
s 28 mit Anm. 2; A. Werminghoff: ebd. XXII (1915/16) 

154ff. 


214 54 


schrift mittelbar oder unmittelbar auf einen álteren Text als den vom 
Jahre 1489 zurück oder benutzte sie diesen, um ihn zugleich zu er- 
weitern und um seine Anordnung zu ándern? Die Übersetzung scheint 
sehr frei gehalten zu sein, kaum aber durch eigene Zutaten Eltesters 
so gestaltet, daß ihr Neudruck ausgeschlossen wäre. 


Zugrunde liegt: Zeitschrift für deutsche Kulturgeschichte, Neue 
Folge III. Jahrgang, herausgegeben von J. H. Müller (Hannover 1874), 
S. 545—550, 633—638; hinzugefügt ist allein die Einteilung iu 
Paragraphen. 


S. 545 * Antwortschreiben eines Pfarrers an einen Mitbruder, 
worin weitläufig und zierlich (e/eganter) die Gefahren, Ver- 
folgungen und Vorwürfe geschildert werden, unter denen der 
Pfarrer durch neunerlei Bosheiten der Menschen zu leiden hat. 


Hochzuverehrender Herr Johannes, geliebtester Mitbruder! 
Weitläufig hast Du mir geschrieben, wie Du geplagt wirst, 
und hast darüber meinen Rat verlangt. Nun ist es wohl 
leicht, einen Rat zu erteilen, es hängt aber von der Sache 
ab, wieweit man zustimmen oder abraten kann. Wenn das 
Leben eines jeden Menschen auf Erden die reine Versuchung 
ist: wie vielen Gefahren soll wohl das Leben des Pfarrers 
ausgesetzt sein, da er Angriffe von allen Seiten zu erdulden 
hat! Wenn schon der Einsiedler in seiner verborgenen Höhle, 
gleichsam unterm Scheffel weniger leuchtend als qualmend, 
den Stößen der Winde nicht allerwegen auszuweichen ver- 
mag und, von beständigen und mannigfachen Versuchungen 
ermattet, im Winde hin und her schwankt, wie kann der 
auf die Leuchte gestellte Pfarrer von aller Stürme Angriffe 
verschont bleiben? 


Der Pfarrer hat manches gemeinsam mit Christus. Wie 
Christus gekreuzigt wurde von den Juden, so wird täglich 
der Pfarrer von seinen Pfarrkindern und andern Plagegeistern 
der Pfarrer gekreuzigt. Denn es steht nicht der Schüler 
über dem Meister und nicht der Diener über seinem Herrn. 
Haben sie Christus verfolgt, werden sie auch uns verfolgen, 
haben sie auf sein Wort geachtet, werden sie auch unseres 
beachten. Christus sitzt im ewigen Leben zur Rechten Gottes 
und erwarb sich diesen Sitz, weil er in Geduld den schimpf- 
lichen Tod am Kreuze erlitt: der Pfarrer — den würdigen 
meine ich — wird nach ihm den zweiten Platz in jenem 


55 215 


Leben einnehmen, wenn er in diesem die feindlichen An- 
fechtungen tapfer überwindet. Und nicht allein wird er in 
der ewigen Herrlichkeit nach Christus der erste sein, sondern 
er wird sogar, weil er dasselbe Amt wie Christus gehabt 
hat, mit diesem vereint zu Gericht sitzen, vor* allem über * s. 546 
die, welehe seine Predigt zu beherzigen sich weigerten oder 
die ihm nichtswürdigen Schimpf antaten. Daher sagt 
‚Christus dem Petrus, der ihn nach dem Lohn für die Arbeit 
fragt: Amen, Amen sage ich euch, weil ihr, die ihr mir nach- 
gefolgt seid, sitzen werdet als Richter über die zwölf Stämme 
Israels! Hat er so den Fischer getróstet, warum soll er 
nicht mit gleichem Troste den Hirten erquicken? Aber ach! 
Schwach sind wir und wankelmütig. Jener Fischer erlag 
einmal der Versuchung, aber erstanden fiel er nicht wieder, 
sondern zu seinen Brüdern gewandt stárkte er sie nicht nur, 
sondern wurde auch ihr und der ganzen Kirche Haupt und 
‚oberster Priester. Und nochmals ach! Wenn wir von tausend 
Versuchungen bedrängt werden, fallen wir tausendmal; 
höchst selten richten wir uns wieder auf wie der Fischer 
Petrus und werden standhaft; der hohenpriesterlichen Würde 
werden wir weder bei Gott noch den Menschen für würdig 
erachtet. O welch ein großer Unterschied in der Tugend 
besteht daher zwischen dem geringen Fischer und mir und 
Dir, den unwürdigen Hirten. Ich sage: unwürdig, weil wir 
uns der Würdigkeit nicht rühmen sollen. Was mich betrifft, 
obwohl ich viel älter bin als Du, so rühme ich mich doch 
weniger der Verdienste, als daB ich wegen meiner Erfahrung 
Dich am schicklichsten unterweisen kann. Ich will Dir daher 
erkliren, wo, von wem, warum, wie Du nicht weniger als 
andere Hirten wirst Anfechtungen erdulden müssen, damit 
Du in soleher Erkenntnis lernst was Du zu tun hast. 

Wer also das Hirtenamt führt, hat sich ohne Unterlab 
von neun Plagegeistern martern zu lassen, und Du wirst das 
als wahr befinden, wenn ich Dir dieselben, soweit sie mich 
selber quálen, vor Augen stelle. 

[S 1]. Der erste Plagegeist ist eben Euer Junker), 
der, weil er Dich für die Kirche präsentiert hat und diese 


1) Vgl. oben S. 202 (12) $ 1. 


216 56 


für sein Eigentum hält, Dich als Untergebenen ansieht und 
demgemäß behandelt. So in der Überzeugung seines Rechts 
befiehlt er Dir Messe zu lesen und alles sonst nach seinem 
Belieben zu tun. Wenn Du aber des Junkers unvernunftigen 
Willen auch nur in der geringsten Kleinigkeit nicht erfüllst, 
wirst Du in ihm den Plagegeist spüren und außer sonstigen 
Unzuträglichkeiten selbst ernsten Gefahren nicht entgehen. 
Ich kenne mehrere Mitbrüder, die jetzt eine ebenso tyranni- 
sche wie ungerechte Herrschaft erdulden. Es meinen näm- 
lich solehe Patronatsherrn, sie könnten dem Pastor alles Be- 

* 8. 547 liebige befeh-*len, und es sei Pflicht der Pastöre, ihren Vor- 
schriften in Demut zu gehorchen. Wenn Du das nicht vor 
allem andern tust, dann wirst Du hören, wie Dein Junker in 
der Art des Pilatus spricht: „Weißt Du nicht, daß ich die 
Macht habe, Dich zu entlassen? die Macht, Dich zu kreuzigen? 
Wer wird Dir Hilfe bringen?“ Die Bischöfe sind gemeinig- 
lich von Vater oder Mutter Seite, als Neffen oder sonstwie 
mit ihnen verwandt, die Konsistorialbeamten aber sind ihre- 
Tisch- und Trinkbrüder, die bei den Verfolgungen gegen 
Dich ein Auge zudrücken, weshalb es oft genug vorgekommen 
ist, daß nicht wenige von den Pastören durch diese Sorte 
von Menschen schwer geärgert ihre Kirchen entweder auf- 
gegeben oder das Regiment darin den Junkern überlassen. 
haben, indem sie lieber ein ruhiges Leben führen als sich 
vielen Anfechtungen preisgeben wollten. Sieh, das ist nun. 
der erste und zwar ein ganz gefährlicher Plagegeist. 

[$ 2]. Der zweite Plagegeist ist Dein Bischof von: 
heutigen Schlage (modernus)?*), der, was alle Deine 
Sorge während des ganzen Jahres ansammelt, für sich ein-- 
zieht, nicht als Liebesgabe, sondern als Zwangssteuer. Wenn. 
der Wolf gesättigt ist, stiehlt er nicht und raubt er nicht, 
aber wenn Euren Bischof auch kein Hunger, kein Mangel 
und keine Not drängt, so raubt und rafft er doch. In den 
Wölfen steckt es von Natur, daß sie die Schafe rauben und 
fressen, Eurem Bischof scheint es natürlich vorzukommen, daß 
er die Hirten der Schafe frißt, die er billig mit höchster 
Ehre und Wohlwollen gleichsam als seine Stellvertreter be- 


1) Vgl. oben S. 209 (49) $ 7. 


57 217 


handeln sollte. Aber o weh! Wenn ein Pfarrer die bischöf- 
liche Kurie betritt, wird er veráchtlich angesehen, wenn aber 
ein Gaukler oder Schauspieler, wird er freundlich auf- 
genommen und man hat herzliches Verlangen nach ihm; 
bittet der Pfarrer um Beistand gegen die Quälgeister, dann 
zieht er aus der Audienz trostlos ab. O Zeiten! O Sitten! 
Bischófe an der Spitze, aber zu nichts nütze! Sonst bedeutete 
Bischofsein Arbeit und Titigkeit, jetzt nur Ehre; sonst ver- 
langte niemanden Bischof zu werden, der nicht auch Lust 
zur Arbeit hatte, jetzt hat man die Last auf die Suffragane, 
Vikarien und Pfarrer abgeschtittelt und will nur die Ehre 
haben. Ich beklage daher Dein Schicksal, teuerster Bruder, 
dab Du und Deine Kollegen von einem so argen Plagegeiste 
gequält werden; mir und meinen Mitbrüdern dagegen gratu- 
liere ich zu unserm ganz vortrefflichen* Bischofe, der seine 
Pfarrer nieht wie Untergebene traktiert, sondern wie Brüder 
liebt und ehrt, der bei seinen Wanderungen durch die Diö- 
zese nur Priester um sich haben will, während Eurer mit 
zweierlei Tuch, Jägern und Hunden herumzieht. Und weil 
dieser Plagegeist allzumüchtig ist, so ist es besser, seine 
Tyrannei geduldig zu ertragen, als mit schwerer Gefahr sich 
ein Unglück auf den Hals zu ziehen. 

[S 3]. Der dritte Plagegeist sind die Mitglieder 
der geistlichen Behörde  (consistoriales) ), unter 
denen der Fiskalprokurator sich besonders bemerklich macht. 
Je weiter sich nämlich die Jurisdiktion erstreckt, gegen desto 
mehrere und desto ärger zeigen sie sich als Tyrannen. Wie 
der Geier hin und wieder fliegt, um Küchlein abzufangen, 
so fliegen jene Konsistorialherren umher und sinnen darauf, 
wie sie die Pfarrer aufjagen können. Sie haben ihre Auf- 


* 3, 548 


passer, die mit bestimmten Anweisungen scheinbar als 


Handelsleute Städte und Dörfer durchziehen, aber sie trachten 
nur die Pastóre dieser Ortschaften zu verkaufen. Sie schámen 
sieh nicht, in den Kneipen dem Wandel derselben nachzu- 
spüren; erfahren sie was Schlimmes, freuen sie sich; steht 
alles gut, sind sie ürgerlich. Weil diese Geier vom Bischof 
nur spárlich besoldet sind, zwingt sie dies, darauf zu sinnen, 


1) Vgl. oben S. 208 (48) $ 6. 


218 58 


wie sie den reicheren Pfarrern einen tüchtigen Aderlaf bei- 
bringen. Wenn man sie nicht ófter besucht, mit gebogenem 
Knie und mit gekrümmten Fingern, so läßt man es an ge- 
hörigem Respekte fehlen; kommt man häufiger und bedenkt 
die Küche, so hat man kein gutes Gewissen. Unzählige 
Mandate schicken sie uns; wenn der Pastor bei der Aus- 
führung derselben nicht mehr Eifer als bei seinen eigenen 
Sachen zeigt, so fragen sie nicht, ob einem die Reise gelegen 
ist und man von Haus abkommen kann, — sie freuen sich, 
wenn sie einen herzitieren können, nicht um ihn bloß mit 
Worten anzufallen, sondern seinen Geldbeutel zu teilen, wenn 
sie diesen nicht gar ganz wegnehmen. Gewiß, sie schreiben: 
„Heil Dir im Herrn“ — als wären sie unsere besten Gönner; 
aber sie sind die letzten, die sich um das Heil der Pfarrer 
bekümmern. Fast alle zehn Jahre verbessern sie die alten 
geistlichen Bücher und geben zum eigenen Nutzen neue 
heraus, welche die Pfarrgeistlichen um teures Geld kaufen 
müssen, und um sie dazu zu zwingen, peinigt man sie, daß 
sie auf jeden Skandal und alle Vergehen der Pfarrkinder 
passen und diese zur Anzeige bringen müssen. Daher ge- 
schieht's, wenn die Angezeigten bestraft werden, daD die 
* s. 549 Pfarrer“ in Leibes- und Lebensgefahr geraten oder wenig- 
stens mit tausend Flüchen belastet werden, so daß die Liebe, 
die zwischen Pfarrer und Pfarrkindern herrschen sollte, völlig 
verschwindet. Dann ist auch ein großes Verderbnis, daß die 
Beamten den Pfarrern durchaus nicht gestatten, die Vergehen 
der Pfarrkinder mit Geldbußen — nicht sowohl zum eigenen, 
als zum Vorteil der Kirche — zu ahnden, sondern diese 
Geier raffen allein alles weg und vergeuden es vielleicht 
mit unnützen Dingen. Mittlerweile sind oder bleiben die 
Kirchen arm, die Geistlichen unterlassen die Anzeigen von 
vorkommenden Vergehungen und setzen sich tausend Gefahren 
aus. So häuft sich vielerorten ungestraft Skandal auf Skan- 
dal. Sieh, mein Herr Johannes, wie schlimm dieser Plage- 
geist ist! Mit aller Kühnheit möchte man nicht das 
obige Urteil als richtig erhärten, wäre es nicht allgemein 
bekannt, daß jeder Pfarrer Eure Konsistorialbeamten ver- 

wünscht. 
[S 4]. Die vierte Plage sind Deine Kirchenvor- 


59 219 


steher!) welche über Deinen Vorteil immer murren, von 
ihrem eigenen immer schweigen und Dich schweigen heißen; 
die das Recht, ohne Dich Vergabungen anzunehmen, zu haben 
glauben und daher die Vermächtnisse an die Kirche auch 
allein einkassieren; mit Dir nicht Halbpart bei den Kollekten 
machen; die wächsernen Votivbilder, als gehörten sie ihnen, 
an die Gestelle hängen; bei Leichenfeierlichkeiten die Kerzen 
hinnehmen; sich die Befugnis anmaßen, in der Kirche Sitze 
zu bauen, anzuweisen und beliebig zu verlegen; ohne Dich 
die Kirchenrechnung über Einnahmen und Ausgaben auf- 
stellen, — es fehlt nur noch eins: daß sie selbst auch die 
Messen lesen. Sonst verstehen sie sich nicht auf die Ver- 
waltung des Weltlichen, sonst würden sie Deine ganze Kirche 
regieren. Du erwähnst, Du seiest einmal in Not gewesen 
und habest keine andere Hilfe gehabt als vom Kirchen- 
vermögen ein Kapital, um das die Vorsteher nicht wissen, 
anzugreifen, jedoch mit der Absicht, es in besseren Um- 
stánden wieder zu ersetzen, und Du verlangst dartiber meinen 
Rat. Ich antworte: bleibst Du in Not, so beruhige Dich, 
denn es ist besser, daß die Kirche arm ist, als daß der 
Pfarrer hungert, wie es vorzuziehen ist, daß ein Glied, als 
daB das Haupt zugrunde gehe. Wenn nun der Kirche allein 
etwas vermacht worden ist, so erhält der Pfarrer nach kano- 
nischem Rechte davon die Hiilfte, ebenso wenn das Legat 
ohne nähere Bestimmung dem Pfarrer zugleich und der 
Kirche zufällt; ist aber ausdrücklich etwas Bestimmtes aus- 
gesetzt, so nimmt jeder das* Seinige. Was an hohen Fest- 
tagen, an den Feiertagen der Patrone, der Kirchweihe und 
an anderen auf dem Altar geopfert wird, braucht der Pfarrer 
mit den Kirchenvorstehern nicht zu teilen; die Wachsbilder 
aber, die Kerzen bei den Begräbnissen und dergleichen hat 
er mit der Kirche, falls diese kein Wachs hat, zu teilen; 
das Gras auf dem Kirchhofe und die Früchte von den Bäumen 
braucht er nicht den Kirchenvorstehern abzutreten, auch 
nicht zuzugeben, daß in der Kirche ohne seine Erlaubnis 
gebaut oder etwas hingestellt wird; desgleichen muß er da- 
für sorgen, daß im ganzen Jahre die Rechnungen ihm, nicht 


1) Vgl. oben S. 206 (46) $ 4. 


* 3.550 


220 60 


dem Rechnungsführer oder der Behörde verabfolgt werden; 
und wenn dies alles die Kirchenvorsteher nicht beobachten 
oder darin dem Pfarrer sich widerspenstig zeigen, so soll 
er sie mit dem größern Kirchenbanne bedrohen. O der 
Torheit und Unvernunft so vieler Pfarrer! Ich wundere 
mich über Euch und kann mich nicht genug wundern; der 
Oberpriester (archipresbiter) beruft Euch so oft zusammen, und 
niemals tut Ihr der Herrschsucht der Kirchenvorsteher Er- 
wühnung und bekümmert Euch auch nicht um Abstellung 
derselben. Wenn sie nicht mit dem weltlichen Sehwerte 
bezwungen werden künnen, warum laBt Ihr in Euren Hánden 
das geistliche Schwert untätig? Vordem war es so: die 
Kirchenvorsteher der alten Zeit waren Jünger Christi, ohne 
Eigennutz, umsiehtige Leiter, sorgsame Verwalter, wohl- 
wollende Beschützer der Pfarrer, jetzt sind es gottesläster- 
liche Räuber, harte Verwalter und ungerechte Haushälter, 
boshafte Feinde der Geistlichen, in ihren Beschlüssen ge- 
wissenlos und verrucht in ihren Beratungen. Das siehst Du, 
spürst es, schweigst — vielleicht weil Du diesen Plagegeist 
aus eigener Macht nicht zu bannen imstande bist oder 
weil Du ihn durch den Bischof zu bannen hoffst — ich 
glaube sowohl aus dem einen wie besonders aus dem 
letzteren Grunde; weil aber der eine Plagegeist dem andern: 
Gut Heil! wünscht, wirst Du selbst kein Heil finden. 


* 8.033 * 5]. Der fünfte Plagegeist ist Dein Küster oder 
Glöckner!), der um so größer in seiner Bosheit ist, je 
weniger Macht er hat; offen führt er keinen Streich, sondern 
wie die Schlange sticht er hinterrücks. Die Schlange, im 
Grase der Wiesen verborgen, beißt den Menschen ohne Über- 
legung, der Glöckner aber, wenn er nicht die Macht hat, 
offen zu schaden, übernimmt in Deinem Hause die Stelle des 
Famulus und spioniert alles aus, was geschieht. Wenn er 
nun den gewohnten Vorteil nicht zieht, wühlt er allen Haß 
gegen Dich auf und schämt sich nicht, Deine Geheimnisse, 
die er vordem als Dein Freund zu verschleiern sich beeiferte, 
jetzt, obne von Dir im geringsten gekränkt zu sein, allen 
preiszugeben. Ist eine solche Anfeindung von seiten eines 


1) Vgl. oben S. 203 (43) $ 2. 


61 221 


hinterlistigen Menschen nicht recht verdrießlich? Den offen 
geworfenen Speeren hält man den Schild entgegen, den 
hinterrücks abgeschossenen Pfeilen Deines Glöckners wehrt 
man nicht einmal mit dem Galgen. Wie bei den Juden 
einst Judas Christum verriet, so weiß Dein Glöckner Dir bei 
Deinen Widersachern Unannehmlichkeiten zu bereiten, und 
wie jener durch den Kuß des Friedens den Krieg gegen 
Christus erregte, so hört Dein Glöckner nicht auf, mit falscher 
Freundschaft an Deinem Verderben zu arbeiten. So erzeigte 
ich einem Glöckner vorzeiten viele Wohltaten, als ich ihn 
aber einmal mit Recht strafte, lernte ich ihn als einen ge- 
waltigen Verräter bei den Menschen kennen. Indessen wie 
Judas dadurch, daß er sich erhing, sein arges Verbrechen 
büßte, so bereuten dieser und andere Glöckner ihre Untat 
in der größten Armut. Ihre Nichtswürdigkeit wurde allen 
Pfarrern bekannt, so daß sie, wie Schafe umherirrend, keinen 
Dienst mehr bekommen konnten. Schenk Du daher solchen 
Plagegeistern kein Vertrauen und teile ihnen nieht mit, was 
Du geheim halten willst. 


*[S 6]. Der sechste Plagegeist ist der Kaplan), auch» s. oss 
andere gewöhnliche Priester, die sich bei Dir aufhalten und 
die in Deiner Kirche nicht singen noch (Messe) lesen, sie 
hátten denn ihren Vorteil davon. Für den geringsten Dienst, 
den sie Dir leisten, glauben sie niemals hinlänglich ent- 
schädigt zu werden. Sie haben Ähnlichkeit mit dem Glöckner: 
je weniger Macht sie nämlich haben, desto größer ist ihre 
Verfolgungswut, doch nicht frei und offen zeigen sie diese, 
sondern im Geheimen spüren sie alle Deine Handlungen 
fleißig aus, die sie dann stets zum Schlechtesten auslegen. 
Unter allen Gegnern scheint mir Dein Kaplan der Fähnchen- 
führer zu sein, der um so rebellischer ist, je gesicherter 
seine Stellung, verliehen von dem Bischofe, bei Dir ist, der 
um so unbescheidener sich zeigt, je gütiger Du gegen ihn 
bist. Wenn er das Frühstück und das Mittagsessen nicht 
immer in gleicher Weise erhält, so wütet er gegen Dich und 
gegen Deine Köchin, und weil er mit Dir in Unfrieden lebt, 
hetzt er, soviel er kann, Zank und Streit gegen Dich. Du 


1) Vgl. oben S. 211 (51) 88. 


222 62 


wunderst Dich, daB die Konsistorialbeamten dies wissen und 
durch ihre Nachsicht gestatten, daß Du geärgert wirst. Magst 
Du Dich wundern, — ich wundere mich nicht, weil der eine 
Plagegeist einen zweiten ähnlichen erzeugt und weil nach 
dem Zeugnis Christi die bösen Geister unter sieh nicht zwie- 
spältig sind, denn sonst würde ihr Reich keinen Bestand 
haben. Hauptsächlich. zwei Fehler habe ich an Deinem 
Kaplan bemerkt, der eine ist, daß er trunksüchtig ist, — 
ich schließe daraus, daß er schlecht ist; der andere besteht 
in seiner Neugier, womit er Deinen Angelegenheiten nach- 
spürt, um bei den Konsistorialbeamten speichelleckerisch den 
Anlaß zu haben, über Dinge zu sprechen, wovon er nichts 
gehört hat, und zu berichten, was er nicht gesehen hat. 
Wenn jenen daher von den Pfarrern selbst nicht die Hand- 
habe gegeben wird, ihnen zu schaden, so erhalten sie solche 
vom Kaplan. Zähle daher den Sand am Meere und bei 
dem Kaplan und andern Priestern die Aufechtungen, die 
von ihnen ausgehen, und ohne allen Zweifel: der Du Dich 
für den Pfarrherrn hältst, wirst Dich als Helfer Deiner Priester, 
als Kaplan und Knecht finden. 


[S 7]. Der siebente Plagegeist ist der dort statio- 
nierte Mönch), der, je mehr er sich auf seine Weisheit 
einbildet, desto aufsätziger gegen Dich ist. Sich allein hält 
er für beliebt beim Volke, Dich achtet er wie Unflat für 
nichts, und weil er sich mit seinem Wissen aufbläht, so ver- 

„S. esp langt er von Dir und * den anderen Priestern wie ein Vor- 
gesetzter verehrt zu werden. Drei Stunden frißt und säuft 
er an Deinem Tische, und wenn er da nicht immer was 
Leckeres zu schmausen und zu schlürfen bekommt, so streicht 
er Dich bei andern mit schwarzer Kreide an. Mit aller 
Macht sucht er Dich beim Volke verächtlich, sich selbst aber 
beliebt zu machen. Kannst Du selbst nicht predigen, so 
heißest Du ein Dummkopf und Esel; läßt Du den Dienst 
durch ihn verrichten, so hechelt er Deine Reden wie 
Schwätzereien durch, erhebt seine Kenntnisse über die 
Deinigen, tut Dir vielfach Schmach und Schande an, — Du 
magst wollen oder nicht: der Mönch behauptet gegen Dich 


1) Vgl. oben S. 212 (52) $ 9. 


63 223 


das Feld, weil er darauf ausgeht, Deine Gemeinde an der 
Hand za halten. 

[S 8]. Der achte Plagegeist ist der schlimme Bauer), 
der Gottes Wort für nichts achtet, gegen die langen Messen 
murrt, Dir Speise und Trank mißgönnt und meint, daß Du 
das, was Du hast, ohne Arbeit hättest, der die Totenfeier, 
Gelübde und Seelenmessen, die letztwilligen Bestimmungen 
und Vermüchtnisse, kurz alles dem Ähnliche mit allem Eifer 
zu hintertreiben sueht und der darum, weil Dein Haus in 
seiner Nachbarschaft steht, zwischen Dir und einem beliebigen 
Bauer keinen Unterschied kennt. Was die ganze Gemeinde 
tun muß, verlangt er ohne Scheu auch von Dir als Frohn- 
dienst; verachtest Du die Gemeinschaft mit den Bauern, suchst 
Du ihre schlechten Gewohnheiten zu bessern oder abzustellen, 
so gibst Du der Verfolgungswut unzählige Waffen gegen Dich 
in die Hände. Mehr will ich nicht anführen, Du wirst sehen, 
wo und wie Dich der bäurische Quälgeist peinigt. 

[S 9]. Der neunte böse Geist ist Deine Köchin‘), Deine 
Herrin, durch die Du so vielen Versuchungen ausgesetzt bist, 
wie Du Haare auf dem Kopfe hast. Sie ist niemals treu, immer 
rebellisch; wäre sie nicht von allen als feile Dirne verachtet, so 
wäre sie niemals Deine Haushälterin geworden. Weil sie Deine 
Dienerin ist, nicht Deine ständige Gattin, so ist sie in jeder 
Beziehung diebisch, damit sie in Zukunft nicht Mangel leide, 
falls Du sie etwa wegen ihrer Schlechtigkeit wegjagen solltest. 
Weiß sie, daß Du sie schwerlich wegschickst, so klimmert 
sie sich um so weniger um Dich, je mehr sie erwägt, dab 
Du sie nicht entbehren kannst. Schlimm ist es, wenn Du 
sie züchtigst, noch schlimmer, wenn Du zu allem schweigst. 
Bedenke, liebster Bruder, wenn kaum die rechtmäßige Gattin 
dem Manne treu ist, * wie kann es eine Frau sein, die nur 
der Eigennutz an Dich bindet. Findest Du, was selten ist, 
eine würdige Matrone und bekommst sie zur Köchin, so 
mußt Du sie über alle Heiligen preisen. Aber sieht sie auch 
im Haushalte auf Deinen Vorteil, so ärgert sie Dich anderer- 
seits mit vielen unnützen Worten. Übrigens wenn sie etwa 
gleichsam Deine Bettgenossin ist, weil sie von Dir die Be- 


1) Vgl. oben S. 207 (17) $5. ) Vgl. oben S. 204 (44) $ 3. 


* 3. 636 


S. 637 


224 6t 


friedigung ihrer Lüste fordert, — so bist Du übel daran, 
wenn Du diese nicht stillst; erfüllst Du aber ihr Verlangen, 
so besitzt sie Dich, nicht Du sie. O wie groB ist das Elend 
der Pfarrer! Besser ein klägliches Brot in Frieden als ein 
Pfarrhaus voll Heichtümer, aber mit Kummer und mit dem 
Gestank der Fleischeslust. Der Henker, der Abdecker, der 
Pastor bezeichnen weit auseinanderliegende Verrichtungen; 
der Henker knüpft niimlich die Diebe an den Galgen, der 
Abdecker zieht den Tieren das Fell ab, der Pfarrer unter- 
weist das Volk in Gottes Wort. Eine jede dieser Verrichtungen 
ist notwendig, die Welt kann sie nieht entbehren, sonst 
würden die Diebe alles stehlen, die Kadaver der Tiere würden 
die Luft verpesten, die Menschen in Gottlosigkeit verfallen. 
Aber wie sehr diese drei in der Welt notwendig sind, ebenso 
sehr werden sie von allen verachtet, besonders der Geist- 
liche, der um so geringschätziger angesehen wird, je ver- 
trauter er angeblich zu seiner Köchin steht. Als ich vor- 
zeiten das Pfarramt antrat, mietete ich mir eine ehrbare 
Matrone zur demnächstigen Haushälterin, aber als die Zeit 
da war, den Dienst zu übernehmen, weigerte sie sich aus 
Furcht vor búser Nachrede. Der Knecht mufte mit mir 
verzebren, was wir ungeschickt zusammenkochten; aber 
Schwein nebst Kuh und Henne litten Hunger, es fehlte an 
allen Ecken. Daher mußte ich eine anrüchige Person vom 
Stamme Levi, dem Trunke ergeben und auf meinen Wein- 
keller versessen, als Wirtschafterin in meiu Haus aufnehmen. 
Nun denke, wie manchmal ich in meiner Einsamkeit bei 
mir überlegt habe, daß keine Tapferkeit, Heiligkeit und 
Weisheit den Simson, David und Salomo vom Zusammen- 
liegen mit dem Weibe zurückhielt, — wer sollte mich vor 
dem Gifte der Schlange schützen, die ich zu mir genommen 
hatte? O wie oft habe ich über deu wahren Satz des 
heiligen Bernard gebrütet: immer mit einem Weibe beisammen 
sein und sich nicht mit ihr einlassen, heißt das nicht mehr 
als einen Toten erwecken? Dies, was geringer ist, vermag 
er nicht; ob er das Schwierigere fertig bringt, möchte ich 
kaum glauben. Am Tische sitzt * täglich Seite an Seite 
mit Dir ein junges Frauenzimmer, in Deiner Kammer steht 
Dein Bett neben dem seinigen, im Gespräch seht Ihr Euch 


'59 225 


einander in die Augen, hier und da berühren sich bei der 
.Arbeit Eure Hánde, und Du willst für enthaltsam gelten? 
Magst Du es sein, aber ich traue dem Dinge nicht. Fiirwabr, 
hátte ich nicht beizeiten jenen búsen Geist aus dem Hause 
geworfen, so hätte ich ihn als schändliche Beischläferin 
immer bei mir behalten müssen. Denn wie es unmóglich 
ist, Pech anzugreifen und sich nicht zu besudeln, ebenso 
undenkbar ist es, mit einem Weibe zusammen zu hausen 
und von ihr nicht befleckt zu werden. Wenn der Mann, 
der eine Frau hat, oft die Keuschheit der Ehe ohne Not 
verletzt, o wie selten ist es, daß ein Geistlicher, der keine 
Frau hat und doch immer entflammt ist, sich nicht befleckt, 
Vordem war der Sproß des Priesters die Verkündigung unseres 
Glückes, nun aber ist das Pfaffenkind der Schandfleck unseres 
geistlichen Standes. Vordem beging jeder der Geistlichen mit 
seiner rechtmäßigen Frau keine Sünde, nun aber bringt den 
Priester, der keine rechtmäßige Frau hat, eine fremde in 
Sündenschuld. Vordem war es den Aposteln gestattet, eine 
Frau zu haben, eine Sehwester mit sich zu führen, nun aber 
erregt solches bei den Menschen Hohngelächter und Skandal, 
— jenes bezeiehnete niemand als sehandbar, aber von der 
verdüchtigen Üppigkeit der heutigen Geistlichen singen die 
Jungen auf der Straße. Das also ist der Plagegeist aller 
Plagegeister! Die wir oben aufgezählt haben, die peinigen 
nur den Kórper, nicht die Seele: die weiblichen Dámonen 
bringen aber Seele wie Körper in die Hölle. O allmächtiger 
und gütiger Gott, verleibe uns Deine Gnade! 

Außer diesen neun Quälgeistern haben die Pfarrer auch 
¡unter mehreren andern zu leiden, je nach Zeit und Ort, be- 
sonders unter den Ortsbehórden. Wie die Maulesel ein 
Mittelding sind zwischen Pferd und Esel, stehen dieselben 
‚gewissermaßen in der Mitte zwischen vornehmen und Plebejern; 
es sind blutdürstige Flóhe, die in den Hücken stechen und 
das Blut aussaugen: wenn der Pfarrer diese hungrigen 
Kehlen nicht immer zustopft, erhált er einen Denkzettel, den 
-er schon fühlen soll Sie wissen nämlich die sonst ruhigen 
Gemeinden so gegen ihn aufzuhetzen, daß er Mühe und Not 
hat, sie wieder zu besánftigen und sich aus der Klemme zu 
ziehen. Laut Erfahrung haben wir auch Plagen zu erdulden 

Archiv für Reformationsgeschichte. XIII. 3. 15 


226 66. 


* 8.658 von falschen Mitbrüdern, * von vorgeblichen Freunden, den: 


Bettelmónchen, den Juden und Judengenossen und zahllosen 
andern, die ich ein anderes Mal erwähnen will. 


Nun, mein lieber Johannes, kannst Du den Leidenskelch 
leeren und die Sorge des geistlichen Hirtenamtes aushalten? 
Nur das Wesentliche unseres Erbteils habe ich Dir vorgeführt, 
die unzähligen Nebengeschichten habe ich unerwähnt ge- 
lassen; was Dich, mich und andere tagtäglich peinigt, wie 
könnte man das alles herzühlen? Sieh daher, erwäge die 
genannten Plagen, — ich für meine Person rate gänzlich 
davon ab, Pastor zu werden. So verdienstlich das Kirchen- 
amt ist, ebenso beschwerlich ist es und ebenso gefährlich 
wie erhaben. Wie kommt's, daB nicht wenige in Gewissen- 
skrupel verfallen und darin stecken bleiben? Wie kommt's, 
daß viele Pfarrer Kirchenämter antreten und sie nach kurzer 
Zeit wieder aufgeben? Eben weil jene den harten Kampf 
gegen die Laster zuvor nicht bedacht, diese aber das bittere 
Elend zuvor nicht geschmeckt hatten. Mein Rat ist daher, 
ertrage jetzt mit Geduld die geschilderten Schikanen: Du 
hast die Hand an den Pflug gelegt, was willst Du zurück- 
blieken? Wenngleich die Bösen Dich hassen, alle Guten 
loben und achten Dich; nicht ziemt es sich, daß ein Mann 
wie Du durch Verleumdungen verdunkelt, oder daD ein solches 
Licht unter den Scheffel gestellt werde, sondern auf den 
Leuchter, damit es zum Neid Deiner Feinde strahle vor den 
Menschen. Hast Du vielleicht Gebrechen und Mängel, so 
erkenne sie und lege sie ab, nimm zu an Tugend und Voll- 
kommenheit, damit Du endlich eingehst zu jener Herrliehkeit, 
wo es keinen, weder nüchtlich noch am hellen Tage waltenden. 
Dämon mehr gibt, wie es verkündet unser Herr Jesus Christus. 
Leb wohl, geliebtester Mitbruder. 


Gegeben zu Meißen 1475, am Tage Petri Kettenfeier! ).. 


1) 1. August 1475, 


67 227 
IM. Luthers Vorrede zur Wittenberger Neu- 
ausgabe der Epistola vom Jahre 1540!) 


+ D. Mart[inus] Lutherus. t A3. 


Hune libellum nolui inter blattas et cariem interire, 
dignum iudicans, quem etiam, nos hodie pastores eeclesiae, 
legamus. Placet prae caeteris confessio miseriarum liberrima; 
etsi parum latinus videatur, tamen res ipsas ceu Cato quidam 
sine orationis flore exequitur et consequitur. Et satis miror 
fuisse ausum aliquem eo tempore tantam” audatiam, ut epi- 
scopos palam appellaret? diabolos et tyrannos pasto-Trum.t 4 2 
Unus certe fuit illorum, quos Dominus remissis peccatis 
idolatriae mirabiliter servavit in ista perditione Antichristi d. 
Nam quod ita Christum facit exemplum pastorum seu, ut 
vocat, euratorum et praefert offitium pastorum et crucem 
episcoporum ordini, quis non sentit Christianorum id esse 
scintillam quandam seu. ut Christus dicit, linum fumigans?) 
verae pietatis. et scientiae Dei in tam afflicta, humili et 
patiente anima? Tales viri fuerunt de ecclesia sub papatu, 
etsi non sine vitiis, peccatis et erroribus, Christum tamen 
velut iam submersi suspitientes, gementes et clamantes, dum 
interim alii y clerici, ut vocant, diabolo servierunt, imo t 43 
diaboli ecclesiarum fuerunt. Ita fuit ecclesia servata per 
parochos et ludimagistros, qui et verbum docere et sacramenta 
administrare coacti sunt, etsi non sine vitio vixerunt et 
egerunt alia, per Antichristum et suos principes oppressi. 


a) tantum ed. 1540. db) apellaret ed. 1540. o) Antichisti ed. 1540. 

1) D. Martin Luthers Werke LI (Weimar 1914), S. 453 (heraus- 
gegeben von O. Clemen; hier auch Angabe álterer Drucke und Ueber- 
setzungen; s. dazu A. Werminghoff: Beiträge zur bayerischen Kirchen- 
geschichte XXII, 1915/16, S. 147f. Anm. 3). 

*) Vgl. Matth. 12, 20. 


15* 


Brentiana und andere Reformatoria V. 
Von W. Kóhler !). 


28. Weitere Gutachten in der Frage des 
Widerstandsrechtes gegen den Kaiser (1531). 


Die allgemeine historische Situation für das Problem 
des Widerstandsrechtes gegen den Kaiser 1529/30 im 
Lager der Evangelischen darf als bekannt vorausgesetzt 
werden, zumal sie neuerdings von H. v. Schubert: Be- 
kenntnisbildung und Religionspolitik 1910 S. 1941f. eine 
eingehende Darstellung erfahren hat. Die im folgenden mit- 
geteilten Gutachten zur Frage führen in das zweite Stadium 
der Verhandlungen (v. Schubert a. a. O. S. 228), und zwar 
nach Wittenberg in die Kreise der dortigen Theologen und 
Juristen. Da sie aufeinander Bezug nehmen, hängen sie 
untereinander zusammen, und da eines der Aktenstücke eine 
Aufzeichnung ist für eine Beratung ad proximam diem Sabbati ` 
apud Melchiorem Kling hora 12, also bei dem bekannten 
Wittenberger Juristen und Schüler des Hieronymus Schurf, 
so sind auch die übrigen Aktenstücke nach Wittenberg zu 
weisen. Sie führen uns mitten in die Debatte hinein und 
lassen in sehr interessanter Weise die Meinungsverschieden- 
heiten und üblichen Kompromißversuche erkennen. Deutlich 
heben sich Juristen und Theologen von einander ab. Der 
Standpunkt der ersteren kommt in den beiden lateinischen 
Aktenstücken: Quod liceat inferiori magistratui in certis 
casibus se contra superiorem defendere und in der Zusammen- 
stellung der Gesetzesbestimmungen für den Satz: ludici pro- 
cedenti iniuste an licitum sit resistere zum Ausdruck. Klar 


!) Vgl. diese Zeitschrift IX S. 79—84 u. 93—141, X S. 166—197, 
XI S. 241—290, 


69 229 


und logisch entwickeln sie ihre Gedanken. Allgemein aner- 
kannter Grundsatz ist: Verteidigung gegen ungerechte Gewalt 
ist einem jeden von Rechts wegen erlaubt. Ein Einschreiten 
des Kaisers gegen die evangelischen Stände wäre aber ein 
ungerechter Gewaltakt, da dem Kaiser in Religionssachen 
eine Jurisdiktionsgewalt gegen die Stánde nicht zusteht. Un- 
beschadet ihres Treueides können die Stände diesen Gewalt- 
akt zurückweisen, kraft Naturrecht und positivem Recht, wie 
am Falle der Notwehr klargemacht wird, in dem sogar 
der Sohn den Vater töten darf. Die entsprechenden Gesetzes- 
bestimmungen sind von den Juristen zusammengestellt worden, 
und auf Grund dessen wurde ein Urteil formuliert. Den 
lateinischen Text bringen wir nachstehend zum Abdruck, 
den deutschen hat Hortleder: Handlungen und Ausschreiben etc. 
H 6 S. 72f. geboten; wie der Vergleich zeigt, ist er der 
sekundüre, eine Übersetzung mit einigen Erweiterungen. Die 
Juristen spielen abgesehen von den Gesetzesbestimmungen 
vorab den Konzilsbegriff aus. Fürsten und Stände haben 
an ein freies, christliches Konzil appelliert; damit ist die 
sonstige Jurisdiktion suspendiert. Der Kaiser besitzt aber 
in Glaubenssachen überhaupt keine Jurisdiktion, er kann 
ein Konzil zusammenberufen, ja, ist dann aber an die Be- 
schlüsse gebunden, die er zu exekutieren hat. Man darf 
aueh nicht sagen, die evangelischen Artikel würen in früheren 
Konzilen, vorab in Konstanz, verdammt; einmal ist das nicht 
riehtig, und sollte es für einige Artikel stimmen, so ist doch 
eben ein neues Konzil zugebilligt, auf dem sie neu zur Ver- 
handlung kommen sollen. Letztlich muß man in Glaubens- 
sachen Gott mehr gehorchen als den Menschen. 

Wie nun Hortleder (a. a. O. S. 85) ganz richtig gesehen 
hat, ist dieses juristische Gutachten (dieser „Zettel“) den 
Theologen vorgelegt worden, die in einer kurzen Erklürung 
ihre Zustimmung abgaben und ihren früheren Standpunkt 
in aller Form desavouierten: „dann daß wir bißher gelehret, 
stracks nicht zu widerstehen der Obrigkeit, haben wir nicht 
sewust, daß solches der Obrigkeit Rechte selbst geben, 
welchem wir doch allenthalben zu gehorchen fleißig gelehret 
haben «, Unter Verweis auf den Text bei Hortleder verzichten 
Wir auf den Abdruck nach dem Codex Suevo-Halensis. 


230 10 


Den Theologen ist aber diese Zustimmung schwer ge- 
worden. Das zeigen die beiden Ratschläge, die nachstehend 
zum Abdruck gebracht werden und zeitlich vor die End- 
entschließung fallen müssen. In dem ersten derselben hören 
wir von Parteiungen unter den Theologen, für und wider 
das Widerstandsrecht gegen den Kaiser. Der Verfasser will 
nun prüfen, ob es trotz Röm. 13 einen Fall geben könne, 
dem Oberherren mit gutem Gewissen den Gehorsam zu ver- 
weigern. Er bejaht die Frage, hält sich aber ganz auf der 
Höhe der rein theoretischen Erörterung, ohne praktische An- 
wendung auf den vorliegenden Fall, für die er sich in- 
kompetent fühlt. Wenn man mit der Schrift argumentiert, 
so muß man den ganzen Sinn der Schrift ins Auge fassen 
und darf nicht einzelne Stellen herausreißen. So muß Röm. 13 
aus der Isolierung losgelóst und mit dem vierten Gebot: 
Du sollst Vater und Mutter ehren, verbunden werden, denn 
die Obrigkeit ist nichts anderes als „Amtmann und Vikar 
von Vater und Mutter“. Nun zeigt die Bibel, daß das dritte 
Gebot häufig durchbrochen wurde ohne Sünde; wenn das 
beim dritten erlaubt war, so auch beim vierten, und da 
Róm. 13 sich mit diesem deckt, auch Róm. 13 gegenüber — 
ein sehr einfacher Schluß! Wenn Christus Mt. 22 die beiden 
vornehmsten Gebote die Liebe zu Gott und dem Nächsten 
nennt, so darf man der Obrigkeit widerstehen, wenn es die 
Liebe Gottes und des Nächsten erfordert, genau so wie man 
ihr gehorsam sein muß, wenn es die Liebe und Gottesfurcht 
gebieten. Mt. 7, 12 gibt dem Christen, der nicht will, daß 
die Leute ihn alles verderben lassen, vielmehr ihren Wider- 
spruch dagegen wünscht, das Recht, auch seinerseits einer 
unchristlichen Obrigkeit zu widerstehen. Ein zweiter Theologe 
hat dem streng biblischen Gutachten ein kurzes Resümee 
beigefügt. Wer die beiden sind, bleibt offen. Das zweite 
Gutachten macht den Juristen scharfe Opposition, in engem 
Anschlusse an das juristische Gutachten: iudici procedenti 
iniuste an licitum sit resistere. Der Satz, quod iudici pro- 
cedenti iniuste liceat resistere, darf im vorliegenden Falle 
nieht angewandt werden, denn der Kaiser ist nicht 
„Richter“, sondern oberste Majestät des weltlichen Schwertes, 
ist also exlex. Außerdem handelt es sich nicht um die 


71 231 


Person des Kaisers allein, sondern um die Reichsgewalt 
= Kaiser, Kurfürsten und Stände. Ein Konzil steht zwar 
über dem Kaiser in Sachen des Glaubens, aber nicht in 
Sachen der Administration des weltlichen Schwertes. Folglich 
hat eine Appellation an das Konzil mit der ganzen Ange- 
lerenheit nichts zu schaffen. Der Kaiser ist und bleibt eben 
der oberste Verwalter des weltlichen Schwertes, dem man 
zum unbedingten Gehorsam verpflichtet ist. Selbst einmal 
angenommen, es wäre infolge der Appellation an ein Konzil 
die Administration des Schwertes durch den Kaiser suspendiert, 
80 Wäre damit noch nicht das aktive Widerstandsrecht legi- 
tim ert. Verfolgung leiden ist stets der Kirche förderlich 
gewesen. „Notorisch“ ist des Kaisers Ungerechtigkeit nicht. 
Widerstand gegen den Kaiser bedingt eine mutatio imperii. 
Die aber widerspricht den kaiserlichen Gesetzen, also darf 
man keinen Widerstand tun. Päpstliche Gesetze, die ihn 
erlauben, sind nicht maßgebend. Unterläßt man den Wider- 
stand, so werden nur wenige verfolgt werden. Endlich — 
das ist der Höhepunkt für den Verfasser — der Krieg ist 
unchristlich, und man muß Gott mehr gehorchen als den 
Menschen. 

Wer die Verfasser des zweiten Gutachtens gegen das 
Widerstandsrecht sind, bleibt ebenfalls einstweilen offen. Die 
Datierung auf 1531 ist durch Hortleder sichergestellt. 


Quod liceat inferiori magistratui in certis casibus se 
Contra superiorem defendere: 

l. Defensio contra iniustam vim de iure cuilibet est 
Permissa. 

2. Appellamus autem eam vim iniustam, que de facto 
nulla justa causa precedente infertur. 

3. Nam si propter exequcionem sue illata fuerit vis 
haberetur propter autoritatem rei iudicatae pro iusta, licet 
Wterdum in effectu sit iniusta, itaque non est eadem ratio. 

4. Cum autem hue usque eontra status imperii evangelio 
adherentes 1) propter defectum iurisdictionis eorum, qui tulerunt 
sententias, legittime nulla sentencia lata sit, 

. 9. Nec eciam contra eos in causa religionis pronunctiacio 
feri possit, que de iure authoritatem rei iudicare asse- 
queretur, 

D 
1) Mannskript adherentem. 


232 72 


6. Sequitur: Si Cesar eis bellum propterea inferret, quod. 
non possit pretendi exequucio, sed esset iniusta vis, 

7. Quam non obtestante iuramento fidelitatis iure vi. 
repellere et se defendere possint, 

8. Quia talis defensio non tantum in paribus erga pares, 
sed eciam in subditis erga superiores de iure naturali et 
positivo est lieita. 

9. Filius enim, si aliter periculum evadere non potest,- 
non obstante patria potestate et naturali affectione patrem 
impune interficit Idemque iuris est in vasallo erga dominum, 
etiamque!) fidelitatem domino iuraverit. 


Ad proximam diem Sabbati apud Melchiorem Kling hora 12. 
Iudiei procedenti iniuste an licitum sit resistere “. 


Lex in ea. si quando de officio delegati dicit, quod non. 
D. Ab. ibi in 1. col. in no. sic dicit, quod si iudex procedit 
post appellacionem, quod licitum est ei violenter resistere, 
et postea dieit, quod Inno. in ca. dilecto de sen. exco. iuri 
dixit, quod si iudex iniuriatur alicui, iuris ordine non servato- 
potest violenter resisti. Adde tu et fac regulam, quod 
iudici non est licitum resistere, ut in ca. si quando et in- 
ca. qui resistit 11 q. 3 de quo vide Fel[inum] in die. ca. si 
quando in princip. Adde, quod ista regula fallit, ubi esset 
appellatum. Inno. in d. ca. si quando et Bal[dus| in l. addictos. 
C. de episcopo audien. Vide Fe[linum] in d. ca. si quando 
in 1 col, ubi dicit, quod Bart. in l. prohibitum C. de iure 
fisci tenuit contrarium. Sed respondit, quod hoc est verum, 
quando preiudicium est irreparabile. Item fallit ista regula. 
quando iudex procedit extraiudicialiter gravando quod, licet 
non sit appellatam, potest resisti violenter. Et hoc quando- 
damnum est irreparabile, tunc indistincte potest iudici resisti, 
eciam si non est appellatum. De quo vide Ci[num] in l. 
ab. exequucione C. que appella. non recipi, et d. Abb. in d- 
ca. si quando 1 col. in d. verbis. Sed concordando. Et ibi 
Fe[linum] in vers. 3 fallit, ubi gravamen. Etsi sentencia 
iudicis est notorie iniusta, tune licitum est resistere iudici 
violenter. Dominus Abb. in d. ca. si quando in ver. 4 fallit 
col. penultima. 

Prineipes et civitates appellarunt ad Cesarem et Con- 
cilium coniunctim, ergo suspensa est iurisdictio. 

Obedire Cesari in edietis vel mandatis suis contra verbum 
esset gravamen irreparabile et magis oportet in causa fidei. 
obedire deo et veritati evangelice quam homini. 


1) lies etiamsi. 
2) Zu den im folgenden zitierten Rechtsquellen vergleiche man 
Hortleder: Handlungen und Ausschreiben II 6 S. 72f. 


13 233 


Preterea Cesar omnino nullam habet iurisdictionem in 
causis fidei. Convocare potest Concilium papa negligente, 
sed nihil statuere. Et si diceretur articulos nostros in pri- 
oribus conciliis esse damnatos, ergo oportet ei tanquam ad- 
vocato ecclesie manutencio determinatorum, respondemus 
negando nostros articulos esse condemnatos et posito quod 
sint quidam in concilio Constan[tiensi] per maliciam et im- 
pudieiam condemnati, tamen per decreta Comieiorum imperi- 
alium de episcoporum et principum assensu rursum admissum 
est de his in proximo concilio futuro tractari. Nam in 
privatis causis sie est, si pars, pro qua lata est sententia etc. 
citra appellacionem permittit adversarius de iniusticia sen- 
tencie prius late disputare, evacuantur eius et rei iudicate 
vires. A foreiori in causa fidei, propter periculum anime. 
Siemt eciam in causa matrimonii etc. Cesar non est iudex 
cause fidei, sed privatus, quo ad cognicionem et statuicionem, 
nee competit ei exequucio, eausa in Concilio nondum rursum 
discussa vel determinata. Sed licitum est resistere iudici, 
quia iudex est et iurisdictionem de causa cognoscendi habet, 
quando iniuste procedit vel est ab eo appellatum etc. A 
foreiore illi, qui cause non est iudex, et nullam in causa 
iurisdictionem habet, et si haberet, esset per appellacionem 
suspensa, quia extra [terminos] sue iurisdictionis ius dicenti 
non paretur impune. 

Non potest papa Cesari potestatem  iurisdicendi vel 
statuendi in causa fidei demandare, maxime cum ad Concilium 
appellatum est. 


Preterea Cesaris iniusticia notoria, imo plus quam notoria 
est. Et quorum utitur opera in consilio suo, quia in causa 
fidei notorii sunt inimici adversarii et emuli. — 


Ob die underthonen iren aigen oberhern in etlichen 
verderblichen und uncristenlichen furnemen mit gwalt widder- 
standt thon mogen, und wem, desgleichen auch in welchen 
lellen oder ursachen solcher widderstand gebur. Ratschlag. 


Fursichtig Erbar weiß gunstig lieb hern. Dieweil under 
anderm auch das von E. E. W. gefragt wurdt, wan k*. Mt. 
die straff wider die cristlichen stend selbs mit der that fur- 
nemen wurde, ob im als unserm oberhern auch mit der that 
zu widdersten gezimmen ete. Und aber wir, die Theologi, 
noch nit alzumol ainhelligklieh und entlich entschlossen sein, 
was hierin recht sey, zum teyl darumb, das etlich gelerte 
leuth mit iren radtschlegen vorhin ein prejudicium gemacht 
und also gleich den weg der warheit fleyssig und unver- 
hindert zu suchen verlegt haben, zum teill darumb, das die 
sach an ir selbs schwer wichtig und ferlich ist, zum teill 
darumb, das noch nicht ein yeder aus unß der sachen nach 


234 T4 


notturft hat nachgedacht, auch zum teyl darumb, das etlich 
besorgen, dasjenig, so sie schon fur recht halten, mocht 
dannocht ein heimlichen verborgen mangel haben, darumb 
es entlich nit besteen kont — so will ich auff disen articul 
in sonderheit und allein antworten. [Er versprieht gründ- 
liche Erörterung] . . . Ich will aber dise frag, ehe dan ich 
darauff antwort, vorhin ein wenig anderst stellen, nemlich 
also: Ob sich auch ein fall begeben kondt, dieweyl die 
gschrift sagt, man soll der oberkeit underthon sein, dan wer 
sich widder die oberkeit setze. der widderstreb der ordnung 
gottes etc. Röm. 13, I ff.], das einem oberhern in uncristen- 
lichen verderblichen furnemen seine aigne underthon mit 
gwalt widerstreben und widderstandt thon mogen. Also das 
dannocht daran nicht unrecht, sonder recht geschee und sich 
vor got im gwissen laß verantworten. 

[Antwort . . . Ja, es kan woll ein solcher fal komen 
[wie er noch zeigen wird, aber es fragt sich, ob der vor- 
liegende Fall ein solcher ist. das kann er nicht entscheiden, 
sondern die in weltlichem Regiment sitzen, deshalb hat er 
auch die Fragestellung geändert. 

| Man darf aus der heil. Schrift keine Worte herausreißen] 
Sonder man muß den sin, mut und hertz der gantzen helgen 
gschrift durch und durch einhelligklich gefast haben und 
alsdan das stuck oder einzelen spruch nach dem gantzen 
urteylen und erkennen und gar nicht das gantz nach dem 
stuck . . . (Beweis: Mt. 19 sagt Christus, es sei nieht recht 
sich scheiden zu lassen und doch werde Deut. 24 die 
Scheidung erlaubt; Christus verbiete Mt. 5 den Eid und doch 
werde geschworen; man dürfe da nicht auf die einzelne 
Stelle sehen] . . . Unnd wan dem allem nit also wer, was 
dorfts vil studirens, ein yeder, so nur bloB lesen kont, wer 
schon ein gutter prediger, es will sich aber nit finden, sonder 
man muß die gschrift allenthalben wussen, gegeneinander 
halten und dem besten und edelsten den vorzug lassen, das 
ander darnach richten und erckleren . . . [So muß man es 
auch Róm. 13 gegenüber machen]. Und darmit ich zur sach 
komme, acht ieh, es sey nun woll bekant und unlaugbar, 
das in den zehen gebotten gottis die oberkeit mit begriffen 
und gemeint sey. Da gott der her spricht: Du solt vatter 
und mutter eren |2. Mos. 20, 12], dan die oberkeit ist doch 
niehs anders dan ein gmeiner amptman und vicarien aller 
vatter und mutter, die ire kind selbs nit recht ziehen konden 
oder wollen. Das also das gebot vom gehorsam der eltern 
und oberkeit sey das vierdt, in der ordnung und das erst 
in der andern tafel, die den nechsten antrift. [Nun gibt es 
aber im A. T. selbst viele Beispiele, daß die Gebote ohne 
Sünde gebrochen wurden, z. B. das Sabbathgebot] ... Kan 


15 235 


man nun in disem fall das drit gebott brechen, das got 
antrift und dannocht on sund sein, Ey, so kan man warlich 
auch das virdt brechen in etlichen fellen, das nur menschen 
antrift, und dannoch on sundt bleiben. [Ahnlich ist es beim 
öten Gebot. 

Das sey nun gnug von andern gebotten . . . Nun will 
ich das gebot vom gehorsam der oberkeit selbs fur mich 
nemen und mit gwissem wort gottes und mergklichen grossen 
exempel auf der heilgen gschrift beweysen, das man in 
etlichen fellen auch darwider thon kan und dannoch on 
sund bleiben. 

(Christus nennt Mt. 22 als die beiden vornehmsten Ge- 
bote Gott und den Nächsten lieben. Man muß also alles 
tun, was Gott und dem Nächsten lieb ist, auch gegen die 
Gebote ...] Darauß ja unwidersprechlich volgen muß, wan 
die lieb gottes und des nechsten erfordert, das man den 
Oberhern in irem uncristenlichen verderblichen furnemen 
widderstandt thue, das dasselbig on sund woll geschehen 
kondt, ja geschehen soll, und muß das gebot vom gehorsam 
still sehweygen und es lassen geschehen und darf die, so 
da widerstandt thon, nicht anclagen noch einer sunden 
sehuldig machen. 

[Act. 13, 38, 39 beweist ferner, daß alle Gebote von 
Sachen, die den Menschen nicht gerecht machen, aufgehoben 
sind durch Christum. Das Gebot von der Liebe gehórt dazu 
aber nieht, gilt also noch. Allerdings soll man solche Freiheit 
von den Geboten nicht zur Zügellosigkeit werden lassen; 
wo die Liebe erfordert, daß man sie halte, müssen sie ge- 
halten werden.| Nun ist das gebot, das man der oberkeit 
nieht weren oder widerstand thon soll, auch ein solehs gebott, 
dardurch niemandt gerecht worden ist oder noch werden 
kan, dan es konnens woll die aller grosten sunder und 
schelck halten, die im land sein und dennocht sunder und 
sehelek bleiben, darumb muß gwißlich das gebot auffgehaben 
sein... Ist es aber auffgehaben, so hatt es nun furohin 
auch die meinung wie andere auffgehabne gebot. Erforderts 
die lieb, so sein wir sie schuldig zu halten. Erfordert aber 
die lieb, das man den Oberhern were, so hatt mans zu thon 
auch recht und macht. 

[Christus Mt. 7, 12 ist nur zu verstehen von einem 
rechten und guten Willen, nicht von willkürlichem Wollen] .. 
So aber ein crist auß rechtem Christenlichem gmüt, willen 
und wollen soll, das man im lieber widderstandt thue dan 
das man in alles verderben solt lassen, so volgt, das ers 
auch widderumb zu thon macht hatt, und wan ers thut, so 
thut er die meinung des gantzen gsatz und aller prophetten. 
Thut ers aber nitt und wolt doch, das mans im thet, so 


236 76 


thut er wider das gantz gsatz und alle prophetten. Und 
hilft in nicht zu entschuldigen, das er die wort, man soll 
der Oberkeit nit widdersthen, fur sich hatt. 

Joh. 13, 34 zeigt, daß hinter dem Gebot der Liebe 
alles zurücktreten muß.] — 

[Folgt eine Zusammenfassung dieses Ratschlags von 
einem anderen Verfasser.] 

Das Richterbuch, das Makkabäerbuch zeigen, nach dem 
Verfasser des Ratschlags, „das man auch on offentlich bevelch 
gottes der oberkeit widerstanden hat und on sund bliben ist“. 


[Röm. 13] ,distinguit ille consultor (d. h. der Verfasser 
des Ratschlags) inter magistratum et personam magistratus 
senciens: Obediendum esse magistratui, non autem semper 
persone magistratui. Siquidem magistratus est ordinacio dei, 
non persona, idque multis verbis explicat . . . 


Deinde tractatur locus Apoca: 13 de dracone, ubi dicit, 
quod quieunque iustificet impietatem draconis et non resistat 
ei, adoret draconem. Exemplum sumitur Nero, qui tunc fit 
dei ordinaeio, cum struit reip. Ceterum eum occidit Paulum, 
non est dei, sed draconis ordinacio — ergo tunc ei resi- 
stendum est etc. . .. 


Postremo monet, ut quamvis probaverit posse aliquando 
iure magistratui resisti, tamen non esse nunc utendum eo 
iure, quia fortassis plus incommodi futurum ex resistencia 
quam ex paciencia. Dicit tamen se non definiturum, an plus 
incommodi ex resisteneia proventurum sit, sed illud commen- 
daturum iuris consultis et in rep[ubliea] expertis, qui sciunt, 
quantum incommodi afferat bannus et proseriptio imperialis. — 

An Christianis principibus bona consciencia liceat, ut 
vi resistant Cesari evangelion persequenti? 


In diser frag. .. mag es sein, das die Jurisconsulti 
etlich leges und Capitula auß den rechten anzeigen des 
scheinlichen inhalts, quod iudiei precedenti iniuste liceat 
resistere. So ist auch von Theologis gelert worden, das man 
weltlich recht soll lassen gehn, gelten und halten was ver- 
mugen etc. 

Aber das ist zu bedencken, das man in diser sach nit 
handelt von einem riehter, der einen hohern weltlichen gwalt 
in dem ampt des weltlichen schwerts underworffen ist. Sonder 
man bandelt von der hochsten und obersteu Maiestet des 
weltlichen sehwerts, von welcher alle andere oberkeit des 
Romischen reichs den bevelch des schwerts ordenlich furen. 

Aueh wurdt in disem handel die person des Kaysers 
fur sieh selbs nit allein vermeint, sonder die gantz Kayser- 
lich Maiestet (das ist) der Kayser, die Churfursten, fursten 


77 237 


und stend des reichs. Welche zusamen gefast seyen Senatus 
et summus magistratus Romani lmperii . . . 

Darzu, ob woll ein Concilium in den sachen den glauben 
betreffendt hoher ist dan die kayserliche Mt, jedoch so ist 
das concilium nit hoher in der administracion des weltlichen 
schwerts. Dan ein Cristlich Concilium hat allein das geist- 
lich schwert (das ist) das wort gottes und bleibt kayserliche 
Mt. alweg der hochst und oberst magistrat in administracione 
gladii. 

[Nun mögen die von den Juristen angezogenen Gesetze 
zwar gelten von einem Richter, der einem hóhern unter- 
worfen ist. 

Aber das ist noch nit lauter und clar gemacht, das man 
summo magistratui et Cesaree Maiestati, preter quam non 
est alia ordinaria administracio gladii, in irem unbillichen 
furnemen mit dem gwalt des schwerts widderston mag. 


Noch weniger klar ists gemacht, quod Cesaree Maie- 
statis iurisdictio, preter et ultra quam non est alia gladii 
iurisdictio, sit suspensa facta appellacione ad Concilium. Ja, 
wan die appellacion mocht geschehen zu einem hohern 
Richtern, der auch die Jurisdiction des weltlichen schwerts 
het, so must k* Mt Jurisdiction hie zwischen angestelt sein. 
Aber das Concilium hat kein verwaltung des weltlichen 
schwerts, und ob man schon zu dem Concilio appelirt, so 
bleibt dannocht die k. Mt. der oberst verwalter des welt. 
lichen sehwerts, welches in andern mitteln oder under welt- 
lichen richtern nit geschicht. 


Unnd ob sehon auch wor were, das von wegen der 
appellacion die verwaltung des schwerts der k* Mt. suspen- 
diret were, so will es sich doch nit reumen, so k* Mt. mit 
unbillichem gwalt des schwerts furfure, das die cristenlichen 
stend demselben mit gwalt des schwerts begegnen wolten... 
Und ob woll die leges civiles in etlichen casibus das schwert 
contra iudicem iniuste procedentem aut contra officialem 
absque literis imperialibus bona civium confiscantem zu furen 
erlauben, So mag doch k* Mt., que est viva et animata lex, 
widerumb das schwert in solchen oder andern casibus zu 
furen verbietten. Ist man nun der kayserlichen Mt. gehor- 
sam im bevelch und gebot des schwerts, so soll man im 
auch im verbot und aufhebung des sehwerts gehorsam sein ... 


Zudem ob wol naeh vermug der recht die Assessores 
dem unbillichen furnemen des richters widersteen sollen, wie 
aber, wan der grosser teyl der Assessorum mit dem richter 
stimmen und einhelligklieh einschlagen und nur einer oder 
zwen under den Assessoribus recht und woll stimmen, sollen 
dieselben ainzelingen Assessores ein Rumor under dem pobel 


238 78 


anfahen und sie wider den grossen teyl der Richter oder 
Assessorum auffrurisch erregen? [Beispiel: Joseph von Ari- 
mathia stimmte dem Todesurteil gegen Jesus nicht zu, machte 
aber keinen Rumor.| 


Weytter: so ist verfolgung leiden und nit mit gwalt 
widerstreben der Cristenlichen kirehen kein gravamem irre- 
parabile, sonder ein furderung unnd merhung der kirchen. 
[Folgen Belege, darunter das Tertullianwort: Semen est 
sanguis Christianorum.] . 


Auch so ist der kn” Mt ungerechtigkeit nicht Notoria; 
den ob sie schon den eristenlichen stenden notoria ist, so 
ist sie doch dem merern teyl der widersecher nit notoria, 
ja, sie ist vil mer denselben irs bedunckens notorie iusta; 
dan sie halten das wesen der cristenlichen stend fur ein ir- 
thum, fur ein ungehorsam gegen kayserlieh Mt., auch fur ein 
unbilliehen raub, der den clostern und gotsheusern von den 
Cristenliehen stenden begegne. 


Uber das alles, so tregt der widerstand, so gegen kr Mt. 
gweltiglich geschicht. gwißlich ein Mutacionem Imperii auf 
im. Nun seyen die leges imperiales dahin gericht, ut con- 
servetur presens status imperii. Darumb ist wol zu vermuten, 
das die leges imperatorie nicht erlauben k" Mt in enicherley 
sach gwaltiglich widerstand zu thon. So dan schon leges 
pontificie solehs erlauben, ists kein wunder; dan es stet von 
den geistlichen bapstlichen geschriben: dominacionem con- 
temnunt [|ete. 2. Pet. 2, 10]. | 


[Wenn man auf die christliche Liebe als Meisterin des 
Worts verweise, so] erfordert ytz Cristlich lieb mer die ver- 


folgung zu leyden, dan derselben gweltigklich wider k* Mt 
zu widerstreben. . . 


Auch ist gentzlich zu vermutten, so der widerstand 
underlassen werd, die verfolgung werd allein auff wenig 
person geratten, bis unser HERR got ein fuglich mittel der 
erlosung zuschicke. 

Zudem weyß der Cristlich glaub woll, das die ver- 
folgung Cristlich leiden und gedulden alwegen der kirchen 
mer nutz und frid dan sehaden und verderbnus ... gebracht 
hat. [Widerstand verdirbt auch die Seele.| 


[Der Krieg bringt viel Jammer und Elend mit, dafür 
kann man mit gutem Gewissen nicht eintreten.) 

Unnd weytter so ists von Theologis gelert worden, das 
man weltlich recht soll lassen gehn gelten und halten was 
sie vermugen ete. Es ist aber darbey auch gelert worden, 
das man goth mer muß gehorsam sein dan dem menschn. 
|Beispiel: ein Christ darf nur um Ehebruchs willen sich 


19 239 


scheiden lassen, obwohl das weltliche Recht noch andere 
Gründe zuläßt.] 

[Summa summarum] ... so will es gentzlich mit keinem 
gutten gwissen den cristenlichen stenden geburen, sieh wider 
die verfolgung kr Mt von wegen des Evangeliums gweltiglich 
zu weren. Finis. 

De eadem questione vide Gersonem parte prima 17 P. 
et sequentibus parte tercia 56. Q)). 


y Soweit ich sehe, wird hier nach der vierbändigen Gerson- 
Ausgabe von 1514 (StraBburg, Knobloch) zitiert, Die Zahlen 17 und 
56 bedeuten die Sexternen, die in rómischer Ziffer XVII, LVI oben 
auf den Seitenrand gedruckt sind; die Buchstaben P und Q bedeuten 
die an den Seiten, einzelne Abschnitte markierenden Buchstaben. An 
den betreffenden Stellen ist tatsächlich, allerdings indirekt, von dem 
betreffenden Problem die Rede, — Inzwischen ist das oben S. 2321f. 
mitgeteilte Gutachten: Iudici procedenti etc. von K. Müller in den 
Sitzungsberichten der K. bayr. Akademie der W. W. 1915 Abh. 8 
nach einer Weimarer Handschrift veröffentlicht worden, die aber nicht 
das Original ist. Es finden sich einige Abweichungen vom obigen. 
Texte. Zur ganzen Frage vgl. man jetzt K, Müller. 


Mitteilungen. 


Neuerscheinung. 


Unter dem Titel „Aus Luthers Frühzeit. Briefe aus dem 
Eisenacher und Erfurter Lutherkreise 1497—1519“ teilt H.Degering 
aus einem Sammelband der Erfurter Bibliothek, jetzt in der König- 
lichen Bibliothek in Berlin, nach Abschriften einer gleichzeitigen Hand 
24 Briefe mit, die, soweit datiert, zwischen 1497 uud 1510 fallen und 
fast sámtlich in Eisenach oder Erfurt geschrieben oder dortbin ge- 
richtet sind; im besondern steht Johann Brun in Eisenach, der väter- 
liche Freund Luthers, mit der Sammlung in engster Beziehung. Die 
Briefe aber werfen nicht nur auf die Umwelt des jungen Luther ein 
willkommenes Licht, sondern der künftige Reformator selbst ist Ver- 
fasser von zweien, Und zwar tritt Nr. 3, vom 5. September 1501, 
worin ,Martinus Viropolitanus^ Johann Brun seine Immatrikulation 
in Erfurt and Aufnahme in die Burse zur Himmelpforte meldet, als 
weitaus ältester nunmehr an die Spitze aller bekannten Lutherbriefe! 
Ferner lüdt in Nr. 16 vom 27. April 1507 Luther seinen Lehrer in 
Eisenach (Johann Trebonius) — wie im bisher bekannten ältesten 
Briefe Johann Brun — zu seiner Primiz ein. Wenn aber der Heraus- 
geber ferner den Brief Nr, 13 vom 23. Februar 1503, worin ein Un- 
genannter das ihm vom ungenannten Empfänger (Johann Brun?) ge- 
spendete Lob ablehnt und eine Abhandlung des Lyra zu entleihen 
wünscht, weniger wegen bestimmter Einzelheiten, als im Hinblick auf 
den ganzen aus dem Briefe sprechenden Geist und die darüber aus- 
gebreitete, etwas weltschmerzliche Stimmung Luther zuweisen möchte, 
so leuchtet das Ref. nicht ein; der Hinweis des Briefes auf Aus- 
schweifungen paßt zu dem Erfurter Studenten Luther durchaus nicht 
(vgl. Scheel!) — Übrigens hat Herausgeber die kleine bedeutsame 
Publikation mit Einleitung und Kommentar sorgfältigst ausgestattet. 
(Sonderabdruck aus Zbl.f. Biblw. XXXIV, 3/4 S. 67—95. Leipzig, 
Harrassowitz. M. 1.—.) 


Druck von C. Schulze 4 Co., G. m. b. H., Gräfenhainichen. 


— ——— 


ARCHIV FÜR. REFORMATIONSGESCHICHTE 


TEXTE UND UNTERSUCHUNGEN. 


In Verbindung mit dem Verein für Reformationsgeschichte 
herausgegeben von 


D. Walter Friedensburg. 
XIII. Jahrgang. Heft 4. 


Zur Entstehung des Wormser Edikts 


Paul Kalkoff. 


Das 
sogenannte Manuscriptum Thomasianum. VI. 
Aus, Knaakes Abschrift veröffentlicht 
von 


O. Albrecht und P. Flemming. 


7 


———— e 


Mitteilungen 
(Aus Zeitschriften.) 


| Leipzig 
Verlag von M. Heinsius Nachfolger 
1916. | 


Ausgegeben im Dezember 1916. 
Preis für Subskribenten 2,80 M., einzeln bezogen 3,90 M. 


Verlag von M. Heinsius Nachfolger in Leipzig. 


Die Entstehung 
des Wormser Edihís. 


Eine Geschichte des Wormser Reichstages 
vom Standpunkt der lutherischen Frage 


von 


Professor Dr. Paul- Kalkoff. 
Preis 7 Mark 50 Pf. 


Aus sicherer Beherrsehnng des Materials und gründlicher 
Kenntnis der Zeitlage und aller mitwirkenden Faktoren heraus 
behandelt P. Kalkoff mit gewohnter Gründlichkeit ,Die Ent- 
stehung des Wormser Edikts“ von den ersten Anregungen 
durch Aleander bis zur erschlichenen Annahme durch den Reichstag, 
nebst einer Betrachtung über die Aufnahme im Reich und die 
historische Bedeutung des Edikts. Verf. legt den Ton darauf, daß 
das Wormser Edikt, „mehr ein schmähstichtiges Pamphlet als ein 
Gesetz“, das der undeutsche, von Undeutschen beratene, französisch 
redende Karl von Gent, der Erbe der burgundischen Valois und 
der „katholischen Könige“ von Spanien, dem Medicäer Leo X. beim 
Abschluß eines Kriegsbündnisses als Angebinde darbrachte, fremd- 
ländischen Ursprungs, von einer Gruppe landfremder Politiker ent- 
worfen und durch unerhörte Ränke durchgesetzt worden ist. Diese 
seine Entstehungsgeschichte aber liefert noch heute „den besten 
Beweis daftir, wie berechtigt Luthers Angriffe auf jene ‚drei Mauern 
der Romanisten‘, seine Kritik der verweltlichten Papstkirche war; 
wie notwendig auch fernerhin die Gegenwehr gegen das Grund- 
übel des Ultramontanismus, den Mißbrauch der Religion zu politischen 
Zwecken, ist“, Beigegeben ist der erste Entwurf des W. E. in Ale- 
anders lateinischer Fassung. 


(Archiv für Reformationsgeschichte XI, 3.) 


— — 


ARCHIV 


RERORMATIONSGESCHICHTE 


TEXTE UND UNTERSUCHUNGEN. 


In Verbindung 
mit dem Verein für Reformationsgeschichte 


herausgegeben von 


D. Walter Friedensburg. 


Nr. 52. 
13. Jahrgang. Heft 4. 


Leipzig 
Verlag von M. Heinsius Nachfolger 
1916. 


Zur Entstehung des Wormser Edikts 


Paul Kalkoff. 


Das sogenannte 
Manuscriptum Thomasianum. VI. 
Aus Knaakes Abschrift veröffentlicht 


von 


0. Albrecht und P. Flemming. 


Mitteilungen 
(Aus Zeitschriften.) 


As E —-oQo- 2 


Leipzig 
Verlag von M. Heinsius Nachfolger 
1916. 


tm, 


Zur Entstehung des Wormser Edikts. 


Von Paul Kalkoff. 


Das furchtbare Reichsgesetz, das die konfessionelle 
Spaltung des deutschen Volkes besiegelte, ist stets als ein 
Markstein seiner Geschichte aufgefaßt worden. Dabei hat 
man bis jetzt nur eine sehr oberflächliche Einsicht in seine 
Entstehungsgeschichte gehabt; ja, man hat seine Tragweite 
kaum dem Wortlaute nach, viel weniger nach den Absichten 
seiner Urheber entsprechend gewürdigt“). 

Es hat sich nun gezeigt, daß der von dem Nuntius Ale- 
ander auf Grund seiner Instruktion geforderte Erlaß eines 
die Verdammungsbulle vom 15. Juni 1520 vollziehenden 
Reichsgesetzes von vornherein einem Herzenswunsch des 
jungen Kaisers wie der Überzeugung des leitenden Staats- 
mannes, des Piemontesen Gattinara, von der politischen Not- 
wendigkeit der Glaubenseinheit entsprach. Beide waren weit 
davon entfernt, die kirchliche Bedrängnis des Papstes fur 
die Ziele der habsburgisch- spanischen Politik auszunutzen, 
das Religionsgesetz als Tauschobjekt für das Bündnis mit 
Leo X. gegen Frankreich anzusehen. Wohl aber haben sie 
sich tunlichst gehtitet, durch allzu offenes und schnelles Vor- 
gehen in den Reichstagsverhandlungen über Luther die der 
Achtserklärung hartnäckig widerstrebenden Stände vor den 
Kopf zu stoßen und so die Bewilligung der Romzughilfe und 
andere reichspolitische Zugeständnisse zu gefährden. Dabei 


1) P. Kalkoff, Die Entstehung des Wormser Edikts. Eine Ge- 
schichte des Wormser Reichstags vom Standpunkt der lutherischen 
Frage. Leipzig 1918 im Verlage dieser Zeitschrift. S. 4f. Eine vor- 
treffliche Ubersicht der Ergebnisse bietet die Besprechung von H. Barge 
in den Mitteilungen aus der histor. Literatur XLIII, 257 — 262. 

Archiv für Reformationsgeschichte. XIII. 4. 16 


242 2 


ging der Anstoß zu den einzelnen Phasen der mehrmals ab- 
gebrochenen oder auf einen toten Punkt gelangenden Ver- 
handlungen stets von Aleander aus, der auch die Entwürfe 
zu den verschiedenen Vorlagen lieferte und die Vertrauens- 
männer im burgundischen Kabinett wie im deutschen Hofrat 
auswühlte, denen er die weitere Vorberatung, Bearbeitung 
und Übersetzung anvertraut sehen wollte. Die Reichsstünde 
haben noch in ihrer am 30. April 1521 erteilten Antwort 
auf den kaiserlichen Antrag die gegen Luther und seine 
Anhänger geforderte Acht und die Bücherverfolgung wie die 
Entwürfe vom 15. Februar und 2. Mürz stillschweigend ab- 
gelehnt und dabei mit aller Deutlichkeit kundgegeben, daß 
ein Reichsgesetz in der lutherischen Angelegenheit nur nach 
reiflieher Prüfung des in Aussicht gestellten kaiserlichen 
Entwurfs und mit der dann erst zu erteilenden Zustimmung 
des Reichstags veröffentlicht werden dürfe). Die scheinbare 


) Entstehung S. 191 ff. Als Beispiel für die bisherige Anschau- 
ung mögen die Äußerungen G. Egelhaafs in seiner „Deutschen Ge- 
schichte im 16. Jahrhundert“ (Stuttgart 1887—92. I, 332, 334, 345) 
dienen: „seit Ende April . . . Luther hatte sich so starr erwiesen, 
daß niemand seiner Achtung mehr hatte widerstehen können; die 
deutschen Stände hatten entschieden die Partei ihres Kaisers ergriffen 
und ihm eine stattliche Hilfeleistung gelobt —“. Aber damals lag 
lediglich der Beschluß der Stände vom 24. März vor, in dem sie jedes 
Eingehen auf die geforderte Romzughilfe ablehnten, ehe der Kaiser 
ihnen nicht in den andern Reichsfragen entgegenkumme (Entstehung 
S. 169f. Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V. von A. Wrede 
— weiter angeführt mit DRA. — IT, 390, 394ff.), Wenn E. bemerkt, 
nach der Abreise Luthers hätten „die Stände den Beschluß gefaßt, 
daß sie allem beipflichten wollten, was der Kaiser gegen Luther tun 
werde", so hat er damit nur wiedergegeben, was Aleander am 5. Mai 
über die ihm sehr unbequeme Antwort des Reichstags vom 30. April 
nach Rom zu berichten für gut fand (Entstehung S. 194 Anm. 2). 
E. hat dann die nach dem offiziellen Schluß des Reichstags angeordnete 
Komödie, die von den Eingeweihten vor den übrigen Reichsständen 
bis zum allgemeinen Aufbruch streng geheim gehalten wurde, kurzweg 
als Fortsetzung der legitimen Versammlung aufgefaßt. Wenn er sich 
dabei wundert, daß nicht auch der Erzbischof von Trier sich entfernt 
hatte wie die Kurfürsten von Sachsen und von der Pfalz, nachdem er 
sich so viel Mühe gegeben hatte, ein Einvernehmen mit Luther herbei- 
zuführen, so habe ich in meinen Forschungen zu Luthers rómischem 
Prozeß die Legende von der schiedsrichterlichen Mission des Trierers 
hinlänglich widerlegt und in der „Entstehung“ auch seine Rolle auf 


3 243 


Annahme des nun von Aleander bedeutend erweiterten und 
verschürften Gesetzes ist denn auch nur in einer von ihm 
und dem Hofe sorgfältig vorbereiteten Trugversammlung 
möglich gewesen, deren fürstliche Teilnehmer sich genau 
feststellen lassen: sie sind als der Keim einer papistischen 
Liga innerhalb der ihrer großen Mehrheit nach noch durch- 
aus altkirchlich gesinnten Reichsstände anzusehen. Es lief 
sich dann im einzelnen der Nachweis erbringen, wie wenig 
die Stände geneigt waren, das erschlichene Gesetz auszu- 
führen oder auch nur bekannt zu machen; vor allem aber 
hat die ständische Reichsregierung selbst am 20. Januar 1522 
davon Zeugnis abgelegt, wie man in ihren Kreisen schon in 
Worms ein Reichsgesetz gegen die lutherische Bewegung 
sich gedacht hatte: man beschränkte sich darauf, einigen 
erst jetzt hervorgetretenen Auswtichsen zu begegnen, verwarf 
ausdrücklich die vom Kaiser gewünschten scharfen Maßregeln 
und wollte im übrigen nur mit Ermahnung oder Belehrung 
auf das Volk einwirken und das Weitere einem neuen Reichs- 
tag oder einem Konzil vorbehalten!). Erst auf das Drängen 
einer kaiserlichen Gesandtschalt trat man im Jahre 1524 
einer Erneuerung des schon völlig in Vergessenheit geratenen 
Gesetzes näher, erweckte aber nun gerade bei dem eifrigsten 
Vorkämpfer der katholischen Sache, bei Herzog Georg von 
Sachsen, die schwersteu Bedenken gegen seine ungeheuer- 
lichen Vorschriften?. Man kann also von der Zeit des 
Wormser Reichstages nicht sagen, daß, „wenn etwas für die 
evangelische Sache erreicht werden sollte“, es nicht nur 
gegen Kaiser und Papst, sondern „auch gegen die Stände 
des Reiches erreicht werden mußte“; oder: „das Edikt von 
Worms drängte die nationale Bewegung in die Bahn der 
Revolutions)“; auch dieser Satz bedarf einer starken Ein- 
schränkung, und wenn, was bei einem protestantischen Histo- 
riker wohl anzunehmen ist, mit dem letzten Ausdruck nicht 


dem Wormser Reichstage dahin aufgeklärt, daß dieser „schlaue Fuchs“ 
auch vorher nie daran gedacht hat, „des Kaisers Wege zu durch- 
kreuzen“. 

) Entstehung S. 276f. 

7) Entstehung S. 288 fl. 

3) Egelhaaf S. 341. 


16* 


— ————— —j—ůn—ꝛ —I— ae E 


244 4 


sowohl die von Luther angeregte Kirchentrennung, als die 
sozialen Wirrnisse des Ritter- und des Bauernaufstandes ge- 
meint sind, so ist er erst recht mit Vorsicht anzuwenden. 
Die Bedeutung des fingierten Reichsgesetzes liegt viel- 
mehr darin, daß es seit der Mitte der zwanziger Jahre zum 
Feldgeschrei der nun planmäßig betriebenen Gegenreforma- 
tion wurde, wenn auch die entsetzlichen Absichten seiner 
Urheber kaum in den wildesten Vorgängen des Sehmalkal- 
dischen oder des Dreißigjährigen Krieges vollstreckt worden 
sind. Denn bei der MiBhandlung der deutschen Landschaften 
durch die siegreichen Spanier, bei der Zerstórung Magde- 
burgs handelt es sich in erster Linie um kriegerische Vor- 
günge, und auch die nach jesuitischer Methode erfolgte 
Drangsalierung der Evangelischen auf dem Eichsfelde oder 
die Rekatholisierung Böhmens ist noch weit von dem Ideale 
Aleanders entfernt, der die Zehntausende von Lutheranern 
durch einen tumultuarischen Mordbefehl auszurotten gedachte: 
dureh die Preisgebung ihrer Güter sollte die Raubgier der 
armen Ritterschaft aufgestachelt, die Habgier der Fürsten 
zugleich durch einen Kriegszug des schwäbischen Bundes 
gegen Kursachsen befriedigt werden: hatte doch soeben das 
fromme Erzhaus auf diesem Wege das Herzogtum Württem- 
berg an sich gebracht. Nicht minder frivol als diese im 
Geiste der alten Ketzergesetze und der Albigenserkriege ge- 
dachte Massenichtung war die geplante Knebelung der ge- 
samten literarischen und künstlerischen Produktion des 
deutschen Volkes, die klerikale Bevormundung aller wissen- 
schaftlichen Arbeit. Da in dem kaiserlichen Antrag vom 
30. April die in den früheren Entwürfen vorgesehene Zen- 
sierung und Vernichtung aller kirchen- und romfeindlichen 
Schriften wieder verleugnet und nur das Verbot der Werke 
Luthers verlangt wurde, so war dieses zweite, in der end- 
gültigen Fassung des Wormser Edikts angehüngte Gesetz 
nicht nur erschlichen, sondern auch untergeschoben. Indem 
ich nun in einer kurzen Schlußbetrachtung die Ausstrahlungen 
der Gegenreformation bis auf die neuzeitlichen Bestrebungen 
des Ultramontanismus verfolgte und auf das charakteristische 
Grundübel, den Mißbrauch der Religion zu politischen 
Zwecken hinwies, ergibt sich von selbst die Beobachtung, 


5 245 


daB die Methoden heute unendlich feiner, aber eben deshalb 
für die protestantische Welt vielleicht gefährlicher geworden 
sind als die jenes gelehrten Libertins aus der Schule der 
Borgia und Medici. Dabei aber habe ich mir in einer 
unserer vornehmsten kritischen Zeitschriften den Vorwurf 
zugezogen, daB diese „Beleuchtung Aleanders von moderner 
Kulturkampfstimmung aus für ihn nicht günstig sei)“. Dem- 
gegentiber bemerke ich, daB weiteres Material zur Beurteilung 
Aleanders und seiner Hintermánner auf dem Wormser Reichs- 
tage sowie ein vernichtendes Urteil tiber den Charakter des 
späteren Kardinals aus dem römischen Lager in einer er- 
gänzenden Schrift bereit steht. Im tübrigen lehne ich jene 
Klassifizierung ab mit dem Hinweis auf meine gesamte 
wissenschaftliche Arbeit, nehme aber zugleich für mich das 
Hecht in Anspruch, nicht nur als Profestant und Deutscher?), 
sondern schlechthin als Mensch von dem ,Ungeheuern* dieses 
Frevels ergriffen zu werden: „das Schaudern ist der Mensch- 
heit bestes Teil!“ 

Es stimmt auch nicht, daß auch diese Arbeit „aus dem 
schier unerschöpflichen römischen Brunnen Kalkoffs hervor- 
gegangen“ sein soll; eine Bemerkung, die zum mindesten 
eine schiefe Beurteilung meiner Arbeitsweise herbeizuführen 
geeignet ist. Als ich mit kurzem Urlaub nach Rom kam, 


1) W. Köhler in der Theol. Literaturzeitung 1913 Sp. 654. 

*) Vgl. den Eingang S. 1 als Erläuterung zu dem Ausdruck: 
„das blutdürstige welsche Süpplein“ (S. 296). Wenn sich „die Pro- 
fessoren der Bischöflichen philosophisch-theologischen Fakultät zu 
Paderborn“ in ihrer „Zeitschrift für den katholischen Klerus“, „Theo- 
logie und Glaube“ (1915, Nr. 5) auf die sanfte Mahnung beschränken, 
daß meine „Ausführungen größeren Eindruck machen würden, wenn 
sie in ruhigerem Tone gehalten wären“, so scheint der Herr Referent 
sich mit der Lektüre der letzten Seiten begnügt zu haben; im wesent. 
lichen befolgt auch er die Taktik der katholischen Fachpresse, voran 
des „Historischen Jahrbuchs", meine Arbeiten totzuschweigen und 
bestenfalls den Titel zu verzeichnen, Ich beschränke mich auf die 
Feststellung, daß ich bisher der katholischen Kritik für keine Förde- 
rang meiner Untersuchungen verpflichtet bin, obwohl diese vorzugs- 
weise der römischen Seite des großen Kampfes gegolten haben. Dank- 
bar verzeichne ich eine Besprechung meines Buches von Heim in der 
Zeitschrift „Der romfreie Katholik“, III. Jahrg. Nr. 23. Kempten- 
Allgäu 1914. 


246 6 


war sehr zu meiner Befriedigung der weitaus größte Teil 
der in Betracht kommenden Quellen, besonders aus dem 
Nachlaß Aleanders, schon durch Gelehrte wie den päpst- 
lichen Archivar P. Balan, den früheren Leiter des Preußischen 
Instituts W. Friedensburg, den französischen Stipendiaten 
J. Paquier veröffentlicht worden. Kurz vor mir hatte H. Ul- 
mann auf demselben Gebiet eine Nachlese gehalten und 
A. Schulte mußte erfahren, daß die von ihm herausgegebenen 
Stücke aus den Konsistorialakten längst bekannt waren. 
Jedem Neuling wurde am Historischen Institut eingeschärft. 
daß fast hinter jedem Blatt sich eine unsichtbare Warnungs- 
tafel erhebt: „Schon gedruckt!“ Und gerade für die Unter- 
suchung über das Wormser Edikt habe ich außer einem 
recht belanglosen Zettel!) nichts Römisches und auch sonst 
nichts Ungedrucktes zur Verfügung gehabt. Dasselbe gilt 
für weitere Beiträge zur Geschichte dieses Reichstags?), die 


1) Entstehung S. 144 Anm. 2. 


) Außer kritischen Einzeluntersuchungen handelt es sich um 
biographische Skizzen über hervorragend beteiligte Personen wie den 
Erzbischof von Trier, den Bischof von Lüttich, einige kaiserliche 
Räte u, &, nachdem diese Methode einer schärferen Belichtung der 
Charaktere in jenem Wendepunkt der Geschicke sich bei meinen Unter- 
suchungen über Erasmus, Kajetan, Hutten, Hermann v. d. Busche u. a. 
bewährt hatte. Seit Beginn des Weltkrieges ruht das Manuskript im 
Gewahrsam einer landesgeschichtlichen Kommission, die erst nach 
Friedensschluß die Drucklegung in Angriff nehmen kann. 

Dieses Schicksal teilte eine bereits seit drei Jahren druckfertige 
zusammenfassende Darstellung meiner Ergebnisse über die erste Periode 
der Reformationsgeschichte, wie sie soeben wieder R. Wolff in der 
DLZ. 1915, Sp. 2593 von mir gefordert hat. Sie war zugleich als 
Einleitung zu den „reformatorischen und politischen Schriften“ gedacht, 
die den ersten Teil der „Ausgewählten Werke Martin Luthers“ bilden, 
einer von dem Germanisten Dr. H. H. Borcherdt geleiteten Ausgabe, 
die der Verleger, Herr Georg Müller, mit bekannter Munifizenz und 
künstlerischer Feinheit durchzuführen beabsichtigt. Dieselbe wird nur 
mit streng authentischen Porträts der Zeitgenossen, aber mit allen 
gleichzeitigen Bildnissen Luthers und den Titelblättern seiner Schriften 
ausgestattet sein, da sie somit eine bibliographische Ergänzung der 
Weimarer Ausgabe und die Grundlage zu einer von dem Herausgeber 
in einem Ergänzungsbande beabsichtigten Ikonographie Luthers liefern 
soll. Der 1914 erschienene und bereits in Leipzig ausgestellte Band 
bringt schon eine Untersuchung Borcherdts, in der nachgewiesen wird, 


7 247. 


ich zunächst aussondern mußte, um den. geradlinigen. Gang 
der Beweisführung nicht zu stören: denn diese baut sich auf 
der schon vor vielen Jahren gewonnenen Beobachtung auf, 
dab alle Entwürfe der Religionsgesetze von Aleander her- 
rühren und daß als Ausgangspunkt seiner kirchenpolitischen 
Tätigkeit wie seiner redaktionellen Arbeiten schon die nieder- 
làndischen Erlasse, das erste Plakat Karls V. vom 28. Sep- 
tember und das Lütticher Edikt vom 15. Oktober 1520, zu 
benutzen sind. 


Eine wertvolle Ergänzung hat nun diese Gruppe grund- 
legender Aktenstücke noch erfahren durch den von J. Kühn, 
dem jetzigen Herausgeber der Reichstagsakten, geführten 
Nachweis’), daß ein von A. Wrede unter den Akten des 
Nürnberger Reichstages von 1524 aufgefundenes und daher 
von ihm im IV. Bande mitgeteiltes Mandat?), die gleichzeitig 
mit dem Dezemberentwurf des Wormser Edikts geplante 


daß wir das erste Porträt Luthers in einem als Titelbild voran- 
gestellten Kupferstich Cranachs von 1520 besitzen, während man bis- 
her eine ungeschickte Nachahmung von der Hand eines Schülers, die 
gleichfalls mit dem Künstlerzeichen Cranachs geschmückt ist, dafür 
gehalten hat. So wird noch in dem von J. v. Pflugk-Harttung heraus- 
gegebenen Prachtwerk ,Im Morgenrot der Reformation" (Hersfeld 1912) 
auf S. 391 dieser ,Kupferstich von L. Cranach", Luther in der ver- 
zeichneten Nische, mitgeteilt von dem dann wieder mehrere vóllig 
wertlose Holzschnitte abhängig sind, Erst der Vergleich mit dem 
ursprünglichen Meisterwerke läßt erkennen, was wir durch dessen Ent- 
deckung gewonnen haben: so und nicht anders war Luthers Erscheinung, 
als er vor Kaiser und Reich trat. — Zu S. 273 hat Borcherdt den 
Holzschnitt mit den sich beißenden Hunden wiedergegeben, den der 
Straßburger Buchdrucker J. Prüf seiner Ausgabe der „Babylonica“ 
beifügte und den Aleander in seiner Rede vom 13. Februar 1521 vor 
den Reichsstünden gegen Luther verwertete (DRA, IT, 502). Es folgt 
S. 273—278 eine für die Fachgelehrten bestimmte Untersuchung über 
die Tendenz der von Th. Murner angefertigten und an Prüß ver- 
kauften Verdeutschung, in der ich mich mit dem neuesten Biographen 
des ,Franziskaners Dr. Th. M.", Th. v. Liebenau (Freiburg i. Br. 1913) 
auseinandersetze. — Von meiner „Einleitung“ enthält der Band nur 
die ersten zehn Kapitel; die Sonderausgabe unter dem Titel ,Luther 
und die Entscheidungsjahre der Reformation" ist soeben (1916) mit 
besonderem Vorwort und Personenverzeichnis erschienen, 
1) ZKG. XXXV, 372ff., 529ff, 
2) DRA. IV Nr. 108, 


248 8 


»Lex impressoria^ ist, sowie daB der von Th. Brieger?) in 
Zürich gefundene Text einen schon „für die Zusammenkunft 
Karls und der Kurfürsten, die dann in Aachen und Köln 
stattfand, gearbeiteten Entwurf?)* darstellt. Die in der 
Hauptsache völlig zutreffenden Ausführungen Kühns lassen 
sich jedoch im einzelnen noch ergänzen oder berichtigen. 
Er nennt seine Arbeit einen „philologischen Versuch“; 
und so möchte ich vor allem auch auf diese beiden Stücke 
meine an dem Dezemberentwurf?) erprobte Methode an- 
wenden, sie unter Heranziehung des Wortlautes der end- 
gültigen Fassung, wie der Bulle „Exsurge“ und des Lütticher 
Edikts in das Lateinische zurück zu tibersetzen, eine Probe 
auf das Exempel, die nebenbei zu nützlichen Beobachtungen 
führt. Die Hauptsache aber ist, daß auch die lateinische 
Fassung zur Veröffentlichung bestimmt war, wie denn auch 
bei dem endgültigen Wormser Edikt nicht nur der deutsche 
Text Gesetzeskraft hatte. Die lateinische Ausgabe war, wie 
schon die Ergänzung Aleanders zu dem herkömmlichen Ein- 
gangsprotokoll besagt und wie schon in der Bulle „Exsurge“ 
und in Aleanders Instruktion vorgesehen war, in erster Linie 
für die Universitäten und gelehrten Kollegien bestimmt“), 


) Zwei bisher ungedruckte Entwürfe des Wormser Ediktes. 
Leipzig 1910. 

2) ZKG. XXXV, 391. 

2) Entstehung S. 301—806. Besonders die wörtliche Abhängig- 
keit des Entwurfs von der Bulle sowie von dem Lütticher Edikt tritt 
dabei übersichtlicher hervor. 

, 4) Vgl. Entstehung S. 241f., 301. Wenn Kühn uns in einem 
besondern Exkurs belehrt, daß derartige Formalien von Wichtigkeit 
sein können, so übersieht er, daß ich den obigen Punkt ebenso wie 
die für den Nuntius bequemere und vor allem billigere Art der Be- 
glaubigung der Kopien durch das Siegel eines Prälaten, endlich die 
schon von Wrede bemerkte Bedeutung des lateinischen Originals für 
die Erblande bereits hervorgehoben hatte (Entstehung S. 67ff., 241). 
Ich habe nur eine umstündlichere Beweisführung für überflüssig ge- 
halten, weil jeder Fachmann die übliche Formel kennt, und habe hier 
wie durchweg manche Kleinigkeit beiseite gelassen, weil ich schon 
voraussah, daß mancher Kritiker meine Arbeit ohnehin schon „etwas 
weitschichtig“ finden würde (Theologie der Gegenwart 1914, 5), — 
Vor allem hütte Kühn bezüglich der Tendenz Aleanders, seine anfüng- 
lichen MiBerfolge der Kurie gegenüber zu vertuschen oder gar zu ver- 
schweigen, schon S. 378 auf meine durchweg (besonders aber S. 144 


9 249 


sodann aber auch für die bischóflichen Regierungen, die In- 
quisitoren und Kongregationen, ja ftr den Klerus und die 
Gebildeten tiberhaupt, sowie endlich für die romanischen 
Erblande Karls V. 

Die politische Lage, die Aleander auszunutzen gedachte, 
um ein für das ganze Reich bestimmtes Religionsgesetz 
herauszubringen, ist in meiner Arbeit schon ausführlich ge- 
kennzeichnet worden und zwar so, daß die Einordnung des 
ersten Entwurfs noch etwas genauer erfolgen kann, als Kühn 
annimmt. Aus der bekannten Mitteilung Aleanders, daß 
schon „vor der Krönung in Aachen die kaiserlichen Räte 
ein Edikt gegen Luther und die Drucker, und zwar gegen 
diese nach der Bulle des Laterankonzils, in dieser Form für 
unmöglich erklärt hätten )“, entnimmt er, daß der Entwurf 
„schon vor der Krönung vorgelegen habe und jedenfalls im 
Oktober verfaßt worden sei?)“. Er berücksichtigt dabei 
aber nicht meinen Nachweis, daß der Nuntius nicht den 
Krönungsakt vom 23. Oktober im Auge hatte, vor dem gar 
keine Zeit zu Verhandlungen war, sondern die erst am 26. 
erfolgte feierliche Verlesung der Bulle über die Verleihung 
des Kaisertitels durch den Papst. Auch dann ist für das 
schnelle Vorgehen Aleanders noch Voraussetzung, daß er in 
Antwerpen bereits die grundsätzliche Bereitwilligkeit des 
Kaisers und seiner spanisch- burgundischen Räte, zumal des 
einflußreichen Bischofs von Lüttich, zu rücksichtslosem Ein- 
schreiten gegen die deutsche Ketzerei festgestellt hatte. Am 
24. Oktober dürfte Aleander, um die günstige Gelegenheit 
nicht zu verpassen, den schon recht stattlichen Entwurf her- 
gestellt haben, was ebenso wie die Abfassung des endgültigen 
Wormser Edikts in der Nacht zum 1. Mai?) durch die An- 
lehnung an die Bulle und die niederländischen Gesetze er- 


bis 147, 155 fl., 172, 269 f.) an Aleanders Berichterstattung geübte 
Kritik verweisen sollen; es ist sehr gütig, daß er S, 532 in einer Anm. 
mir wenigstens zugesteht, daß ich „zu zeigen gesucht“ hätte, daß der 
Nuntius über das Sequestrationsmandat nicht den Tatsachen ent- 
sprechend berichtet habe. 

1) Vgl. Entstehung S. 28 fl. 

1) ZK G. XXXV, 889, 391. 

) Entstehung S. 196—199. 


250 10 


leichtert wurde!). Auch der weit verbreitete Kanzleigebrauch, 
dem Bittsteller die Abfassung der gewünschten Urkunde 
zu überlassen?) spricht dafür, daß Aleander am 26. Ok- 
tober den Ráten sogleich mit dem fertigen Entwurf zu 
Leibe ging. 

Der wichtigste Beweggrund, den Erlaß des kirchlichen 
Gesetzes jetzt schon im Austausch gegen den Kaisertitel 
durchzusetzen, war das Bestreben, den Reichstag vor eine 
vollendete Tatsache zu stellen, wie es Aleander noch nach 
dessen Eröffnung versucht hat. Aber er wünschte diese 
Politik vor allem dem Beschützer Luthers gegenüber zur 
Geltung zu bringen, den man ja an der Kurie längst als 
einen zähen und verschlagenen Gegner kennen gelernt hatte 
und schon als „Feind der Religion“ in die Verfolgung ein- 
zubeziehen entschlossen war. 

Anderseits war es wünschenswert, bei Umgehung der 
Reichsstände die Autorität des jungen Kaisers in diesem 
seinem ersten und zugleich so bedeutsamen Erlaß wenigstens 
durch die der Kurfürsten zu unterstützen. Es kam dazu, 
daß gerade dieser mächtigste Reichsstand dem Neugewählten 
schon im Jahre 1519 die Verpflichtung auferlegt hatte, 
niemanden „ohne Ursache und unverhört in des Reiches 
Acht zu tun, sondern stets den ordentlichen Gerichtsgang 
nach den bestehenden Satzungen des Reichs einzuhalten“. 
Gerade dieser Satz wie der andere, daß niemand „außerhalb 
deutscher Nation“ und mit Umgehung seiner ordentlichen 
Richter, also in Luthers Falle seines mit dem privilegium 
de non evocando ausgestatteten Landesherrn, sich zu ver- 


1) Diese Voraussetzungen für Inhalt und Form des Aachener 
Entwurfs sind in den beiden ersten Kapiteln meiner Arbeit so voll- 
ständig gegeben, daß Kühn sich und dem Leser durch entsprechende 
Verweisungen manche Mühe hätte ersparen können. Das Antwerpener 
Plakat ist überdies in den Schriften des Vereins f. Reformationsgesch. 
Nr, 79 S. 110ff. leichter nachzulesen als in dem Corpus inquisitionis 
Neerlandicae. 

2) Entstehung S. 13; von Kühn S. 516f. nicht beachtet; daß sich 
„die Kanzlei des h. Reiches“ durch diesen Nuntius mehr „ins Hand- 
werk pfuschen ließ“, als sonst vielleicht üblich war, erklärt sich zur 
Genüge schon durch die Bestechung des Reichsvizekanzlers Ziegler 
(vgl. etwa Entstehung S. 275). 


11 251 


antworten brauche!) war durch Friedrich von Sachsen in: 
die Wahlverschreibung hineingebracht worden. Waren nun 
die Könige auch nach den früheren Wahlvertrügen gehalten 
gewesen, in wiehtigeren Fragen die Zustimmung ihrer Wühler 
einzuholen, so schien es im vorliegenden Falle doppelt un- 
erläßlich, eine so bedeutsame Abweichung durch sie gut- 
heißen zu lassen. Denn nach der Vorschrift der Bulle und 
seiner Instruktion ließ Aleander den Kaiser gebieten, daß 
man Luther, seine Anhänger und Beschützer gefangen setze 
und an ihn ausliefere, damit er sie dem Papste zu gebtihrender 
Bestrafung übergebe, oder daß sie zum mindesten aus dem 
Reiche vertrieben werden sollten?). Der Nuntius hat also 
mit gutem Grund die Erklárung des Kaisers vorangestellt, 
daß er solches „nach reiflicher Beratung und Erwägung mit 
den Kurfürsten und andern seinen Edeln und Räten“ be- 
schlossen habe?). Und auch die staatsrechtliche Zweideutig- 
keit war nicht unbeabsichtigt, daß hier nur von „Rat und 
Betrachtung“, nicht von „Zustimmung“)“ der Kurfürsten ge- 
sprochen wird. Denn einmal wurde dadurch dieser Schritt 
für das kaiserliche Selbstgefühl leichter annehmbar gemacht, 
und zweitens genügte es dazu, daß man mit den einzelnen, 
gerade anwesenden Kurfürsten die Angelegenheit besprochen 
hatte, ohne es zu einer fórmlichen Beratung und Abstimmung 
des Kollegiums kommen zu lassen. 

Denn eine solche mußte der Nuntius ebensowohl zu 
vermeiden suchen wie eine Beschlußfassung der sämtlichen 
Reichsstánde. Er wußte nämlich aus seinen nahen Beziehungen: 
zu Papst und Vizekanzler, wenn er nicht selbst der Redner 


1) ZKG. XXV, 513ff, Auf Verlangen der Kurfürsten mußte 
Karl V. den Vertrag, den bisher nur seine Gesandten eidlich bekräftigt 
hatten, vor der Krönung noch einmal persönlich beschwören. DRA. 
U, 85. 

*) Brieger, Entwürfe S, 57, 

3) a. a. O. S. 29, 15 fl. 

4) Hier lautet die Formel nur: ,accedente maturo consilio ac 
deliberatione“, während die erschlichene „Zustimmung“ der Reichs- 
stände stets durch Hinzufügung der Worte „de unanimi consensu“ 
(z. B. auch in dem von Kühn abgedruckten Teile S. 540 Z. 5 ff.) be- 
urkundet wird. Kühn spricht wiederholt (S. 390, 530 Anm. 1) von 
der „Zustimmung der Kurfürsten“ in dem Entwurfe. 


252 12 


in jenem Konsistorium vom 9. Januar 1520 gewesen war, 
daß man den zweiten Prozeß auch gegen den Kurfürsten 
persónlich gerichtet und diesem davon unzweideutige Kunde 
gegeben hatte*); und weiterhin dürfte er bei seiner als 
Kanzler von Ltittich erworbenen Kenntnis der Reichsgeschüfte 
auch gewußt haben, daB jene für Luther so wertvollen Vor- 
behalte dem Kurfürsten von Sachsen zum mindesten die Ver- 
schleppung der Angelegenheit erleichterten. Wenn Kühn 
vermutet, daß Aleander auf eine „am Kaiserhofe emp- 
fangene Anregung“ hin die Kurfürsten als „Vertreter des 
Reichs“ erwähnt habe, so meint er damit die der deutschen 
Verfassung kundigen Räte, die zu anderer Stunde schnell 
bereit waren, dem Kaiser ein weitgehendes Verordnungs- 
recht beizulegen®), dann aber immer wieder betonten, daß 
dieses an dem Widerstand der Fürsten und Städte, gegen 
eine von ihnen nicht gebilligte Verfügung seine natürliche 
Grenze finde. Diese Beamten konnten es natürlich zweck- 
mäßig finden, die Kurfürsten nur eben dem Scheine nach 
zu befragen und ihnen so das Gehässige des ganzen Ver- 
fahrens an ihrem Teile zuzuschieben, ohne daß der Kaiser 
ihnen anderweitige Zugeständnisse zu machen brauchte. Viel 
wahrscheinlicher aber ist es, daß der Nuntius auch diesen 
Wink von dem skrupellosen Parteigänger Frankreichs und 
der Kurie, dem hinterhaltigen und selbstsüchtigen Richard 
von Greiffenklan erhalten hatte, der auch über die Vorgänge 
im Schoße des Kurfürstenrates besser Bescheid wissen mußte 
als die österreichischen Räte. Er hatte damals die letzten 
Anstrengungen gemacht, Friedrich den Weisen zur Annahme 
der Kaiserwürde zu bewegen, und sich gleichzeitig alle Mühe 
gegeben, dessen Schützling unter listiger Vorenthaltung eines 
Geleitbriefs in die Falle seines angemaßten schiedsrichter- 
lichen Auftrags zu locken. Aleander konnte von ihm Mitte 
Dezember rühmen, daß er als kluger Mann schon bisher 
seine Schuldigkeit getan habe: so hatte er alsbald nach dem 


1) ZKG. XXV, 568 Anm, 2. 

*) S. 390, wo weiter oben irrtümlich von „der Zustimmung 
der Kurfürsten und des kaiserlichen Hofes“ gesprochen wird. 

3) Vgl. dazu Entstehung S. 81ff., 111f. und im besondern über 
die kaiserliche Gesetzgebung inbetreff der Ketzerei S. 77ff. 


13 253 


Krónungefest die Bticher Luthers in Trier verbrennen lassen, 
wollte die Bulle in den lothringischen Bisttimern verbreiten 
lassen und hatte endlich die päpstliche Gesandtschaft sorg- 
lich vor den Anschlügen Huttens gewarnt. Selbstverstündlich 
konnte auch der Bischof Eberhard von der Mark, der im 
Jahre 1519 der habsburgischen Wahlgesandtschaft angehört 
hatte, manche nützliche Aufklärung geben!) 


Aleander mußte sich also dartiber klar sein, daß Friedrich 
keinesfalls für eine Umgehung der von ihm selbst geschaffenen 
Rechtsmittel zu haben sein würde, die nun auch ihm selbst, 
als dem vornehmsten ,Begtünstiger und Enthalter“ Luthers 
im Sinne der Bulle zugute kommen mußten. Die Gunst der 
Lage bestand somit bei Gelegenheit jener „Kaiserkrönung“ 
besonders darin, daß weder Friedrich noch der bisher im 
französischen Lager stehende, also dem Kaiser vielleicht jetzt 
noch widerstrebende Joachim von Brandenburg nach Aachen 
gekommen waren. Der einzige weltliche Kurfürst, der hier 
erschienen war, Ludwig V. von der Pfalz, war kirchlich 
gleichgültig gestimmt und hat in Worms nur aus altem Haß 
gegen Habsburg und unter dem Einflusse Sachsens sich den 
päpstlichen Forderungen widersetzt, für die demnach in 
Aachen nicht nur eine Mehrheit des Kurfürstenrates, sondern 
dessen einhellige Zustimmung vorhanden zu sein schien. 
Deshalb bedauert Aleander am 23. Oktober, daß er wegen 
des Krönungsfestes noch nicht mit den Kurfürsten habe ver- 
handeln können. Am 25. hatte er eine feierliche Audienz 
bei Albrecht von Mainz, wobei er mit Genugtuung feststellte, 
daß dieser in Rom stark beargwöhnte Kirchenfürst „über 
die Ketzereien Luthers wie die Bosheiten Huttens aufrichtig 
erbittert“ sei und die geforderten Maßregeln gegen Hutten 
und seine Schriften schon vollzogen habe?). Bei seiner da- 
bei bekundeten Ergebenheit gegen den Papst durfte Aleander 
erwarten, daß der Erzbischof von Mainz keine Einwendungen 
gegen einen den päpstlichen Urkunden genau entsprechenden 
Erlaß machen würde. Und wenn er bald darauf von Her- 


1) P. Kalkoff, Die Depeschen des Nuntius Aleander vom Wormser 
Reichstage 1521, 2, Auflage. Halle 1897. S. 32, 42, 58. 


3) a a. O. S. 29ff. 


254 14 


mann von Wied rühmt, „der Erzbischof von Köln gehe in 
‚allen Stücken mit dem Mainzer und habe sieh bisher sehr 
brav gehalten 1)“, so konnte er dies Mitte Dezember nur auf 
‚ähnliche Versicherungen des kirchlichen Gehorsams beziehen, 
die er in Aachen zur Unterstützung des kaiserlichen Erlasses 
schleunigst auszunutzen gedachte. 

Sobald dann der Hof am 28. Oktober nach Köln über- 
gesiedelt war, suchte Aleander zwar eine Audienz bei 
Friedrich von Sachsen zu erlangen, stieß aber sofort auf 
dessen gewöhnliche Taktik, Geschäfte oder Krankheit vor- 
zuschützen, um unbequeme Besprechungen zu verweigern. 
Er setzte sich daraufhin zunächst mit den Kurfürsten von 
Köln und von Trier in Verbindung, von denen jener mit 
dem Mainzer, dieser mit dem Sachsen zu reden versprachen, 
um sich den Befehlen des Papstes willfährig zu zeigen?) 
Es ist dies zugleich ein letztes Zeugnis für die in Aachen 
noch so günstige Konjunktur und das erste Anzeichen eines 
Umschwungs, den Aleander schon in der nächsten Depesche 
vom 6. November bitter beklagt: der Kurfürst hatte in den 
bekannten Verhandlungen vom 4. und 6. die Maßregeln der 
Bulle gegen Luther und seine Schriften abgelehnt, er hatte 
den Kaiser persönlich sehr ernst an seine Pflicht gemahnt, 
und auch die Stimmung der hier zahlreich erschienenen Edel- 
leute und Literaten unter der Führung eines Erasmus und 
Hermann von dem Busche, die Vertretung des abwesenden 
Hutten durch Sickingen lied es dem Kaiser und seiner Um- 
gebung kaum tunlich erscheinen, den Nuntien mehr Entgegen- 
kommen zu zeigen als in Aachen. 

Denn schon dort bei der „vor der Krönung“ erfolgten 
Vorlegung des Entwurfs hatten die Räte es abgelehnt, „ein 
mit der Strafe des kaiserlichen Bannes ausgerüstetes Mandat 
in dieser Form gegen Luthers Person und gegen die Drucker“ 

1) a, a. O. S. 42. 

2) a. a. O. S. 25. Darauf bezieht sich eine spätere Anspielung 
Friedrichs, daß die Kurfürsten von Trier und Köln ihm bezeugen 
könnten, daß er schon auf dem Tage zu Köln es abgelehnt habe, sich 
mit Luthers Sache zu befassen: seine gewohnte Ausrede, die also auch 


die von Aleander beauftragten Kirchenfürsten zu hören bekamen. Zu 
Kühn S. 390 Anm. 8. Vgl. ZKG. XXV, 456 Anm. 1. 


15 255 


zu erlassen!);. ihr Bedenken richtete sich dabei in erster 
Linie gegen die nach der Wahlverschreibung nicht so ein- 
fache Verhüngung der Reichsacht und die zu unabsehbaren 
Weiterungen führende Einbeziehung der Presse in das Gesetz. 
Daher konnte Kühn nun die von mir früher auf das Sep- 
temberplakat bezogene Antwort Karls V. an Sickingen, daß 
er noch kein Mandat gegen Luther erlassen habe?), mit 
Recht nunmehr auf den Aachener Versuch der Nuntien be- 
ziehen®), von dem Sickingen schon durch seine nahen Be- 
ziehungen zu dem Kämmerer Paul von Armstorff etwas er- 
fahren haben wird. Aber jener Entwurf war schon in Aachen 
„beseitigt“ worden; wenn Kühn sich darauf beruft, daß er 
„seinem Inhalt“ nach noch in die Kölner Tage paßt, weil 
Aleander am 4. November dieselben Forderungen an den 
Kurfürsten von Sachsen gerichtet habe, nämlich Luthers 
Bücher zu vernichten und ihn an den Papst auszuliefern 
oder die Bestrafung selbst zu tibernehmen, so entsprach dies 
eben hier wie dort den Vorschriften der Bulle und seiner 
Instruktion. Bezüglich des Mandats aber galten Aleanders 
Bemühungen nun schon einem neuen Entwurf, der auch 
den sonstigen Ausstellungen der kaiserlichen Räte Rechnung 
tragen sollte, und zugleich war Luthers Angelegenheit in 
Köln aus einem andern Grunde „in ein neues Stadium ge- 
. treten“: eben „durch den Widerstand, den Friedrich gegen 
eine Verurteilung ohne Verhör erhob“ und den auch 
Sickingen sich dort schon zu eigen gemacht hatte. 

Man kann also nicht sagen, wie Kühn wenigstens als 
möglich dargetan haben möchte‘), daB „Karl sich um die 
Wende des Oktober und November für den Erlaß eines 
Reichsmandates allein in Verbindung mit den Kurfürsten im 
Sinne jener Stelle des Aachener Entwurfs eingesetzt“ und 


1) So auch Kühn S. 529. In einer recht praktischen Zusammen- 
stellung von „Aktenstücken und Briefen“ in Voigtländers Quellen- 
büchern (Nr. 73: Luther und der Wormser Reichstag 1521. Leipzig, 
ohne Jahr, S. 15) sagt Kühn: „Jedenfalls noch im Oktober legte Ale- 
ander den Entwurf eines ... Edikts vor"; genauer kann man sagen: 
„Jedenfalls noch in Aachen und zwar spätestens am 26. Oktober ..“ 
) ZKG. XXV, 549 Anm. 2; XXXV, 391 Anm. I. l 

3) S. 391 Anm. 

4) S. 392 Anm. 


256 16 


dabei den Kurfürsten „die Grundzüge des Inhalts mitgeteilt“ 
habe. Im Gegenteil ergibt sich aus der schon vor der 
Krönung erfolgten Ablehnung des einseitig von Aleander 
vorbereiteten Entwurfs der staatsrechtlich wichtigste Unter- 
schied zwischen diesem Aktenstück und dem im III. Kapitel 
meiner Arbeit eingehend behandelten „ersten Entwurf des 
Wormser Edikts!)“: erst dieser ist am 14. Dezember in einer 
Sitzung des deutschen Hofrats in Worms vom Nuntius ge- 
fordert und begründet, dann von einem kaiserlichen Redak- 
tionsausschuß geprüft, am 29. Dezember von dem Gesamt- 
staatsrat unter Zuziehung der schon anwesenden deutschen 
Fürsten zugleich für das Reich wie für die Erblande gebilligt 
und durch Beurkundungsbefehl des Kaisers von diesem adop- 
tiert worden. Der Aachener Text war dabei teils von Ale- 
ander selbst auf Grund der inzwischen gemachten Erfahrungen 
und der Weisungen der kaiserlichen Umgebung, teils von 
der Kommission erheblich verändert worden; vor allem hatte 
der Nuntius von vornherein die Bestimmungen tiber die 
Presse ausscheiden und in einem besonderen Gesetzentwurf 
unterbringen mtissen?), den die kaiserlichen Staatsmänner 
dann doch zunächst einfach unter den Tisch fallen ließen, 
entschieden in der Berechnung, daß man mit der geplanten 
furchtbaren Verfolgung der Lutheraner dem deutschen Volke 
für den Anfang gerade genug zumutete und daß man die. 
unbequemen Schriftsteller und Buchdrucker auch mit Hilfe 
des einen Gesetzes unschädlich machen kónne?); im tibrigen 
mochte die Kirche sich der ihr feindlichen Literatur mit Hilfe 
ihrer eigenen Vertreter und auf Grund der Bulle vom 
4. Mai 1515 zu erwehren suchen. 

Verglichen mit dem Dezember-Entwurf, dem zu seiner 
reichsgesetzlichen Gültigkeit nur noch die Ausfertigung und 
Unterzeichnung durch den Kaiser fehlte, muß also der 
frühere, umfassendere Text Aleanders als eine Privatarbeit 


1) In der deutschen Übersetzung zuerst wiedergegeben von A.Wrede 
in der ZKG. XX, 546ff,, dann von Brieger, Entwürfe, und in der 
ursprünglichen Form wiederhergestellt, Entstehung S. 801—806. Die 
Verhandlungen S. 34 ff. 

9) Dies wird von Kühn zutreffend ausgeführt S. 383 ff., 530. 

5) Entstehung S. 47. 


17 291 


des Nuntius!) bezeichnet werden, oder, da er immerhin ein 
Zwischenstadium in der Entwicklung des Gesetzes vorstellt, 
als ein Vorentwurf; die ,eigentliche Entstehung des 
Wormser Edikts?)“ beginnt erst mit der Annahme des 
Dezemberentwurfs durch das kaiserliche Kabinett. 

Dieser Umstand ist geschichtlich auch um deswillen von 
so entscheidender Bedeutung, weil ja auch das endgültige 
Reichsgesetz vom 8. Mai 1521, obwohl es seinem Wortlaut 
nach sich staatsrechtlich von dem Dezemberedikt dureh die 
scharf und wiederholt betonte „einhellige Zustimmung“ der 
sämtlichen Reichsstände unterscheidet, doch tatsächlich nur 
ein kaiserlicher Erlaß war, der genau auf demselben Wege 
zustande gekommen ist wie der nur infolge des Widerspruchs 
des Kurfürsten von Sachsen nicht veröffentlichte Beschluß 
vom 29. Dezember 1520. Denn die Scheinversammlung des 
Reichstags vom 26. Mai war im besten Falle nichts anderes 
als die Sitzung jenes Gesamtstaatsrates aller von dem Habs- 
burger beherrschten Nationen, ein Verhältnis, das sich auch 
rein diplomatisch in dem Umstande ausspricht, daß auch das 
Wormser Edikt als Hinweis auf die staatsrechtlich wichtigste 
Grundlage das Datum des 8. Mai als des kaiserlichen Be- 
urkundungsbefehls trägt wie der erste Entwurf das „Datum 
in civitate Nostra imperiali Vormacia, die XXIX. mensis 
Decembris anno MDXX.“, während sowohl bei dem Aachener 
Vorentwurf wie bei dem im Dezember a limine abgelehnten 
Pressegesetz sogar jeder Ansatz zu einer Datierung fehlt*). 


1) Dazu stimmt es, daß die Übersetzung nicht von einem kaiser- 
lichen Sekretär herrührt, sondern von Dr. Michael Sander, bei dessen 
Brotherrn, dem Bischof von Sitten, sich Aleander am 6. November 
für gute Dienste bedankt (Dep. Aleanders S. 27). Der Schweizer 
schrieb einen so ungelenken Stil, daß Kühn (S. 389 Anm. 3) fragt, ob 
das Deutsche überhaupt die Muttersprache des Übersetzers gewesen 
sei; doch erklärt sich dies hinlänglich daraus, daB Sander lange Jahre 
als päpstlicher Zeremonienmeister in Rom gelebt hatte (Entstehung 
8.106). Beachtenswert ist es auch, daß diese Übersetzung nicht auf 
dem Papier der Reichskanzlei mit der gotischen Kaiserkrone, sondern 
auf Papier mit einem schweizerischen Wasserzeichen geschrieben ist, 

*) Kühn S. 381. 

*) Dieses Fehlen ist also kein ,Zufall“. Zu Kühn S. 381, 531. 
Aleander hat selbstverständlich dafür gesorgt, daß auch der Entwurf 
für den Druckereierlaß ins Deutsche übersetzt wurde, um auf alle 

Archiv für Reformationsgeschichte. XIII. 4. 17 


258 18 


Im einzelnen hat Kühn zutreffend nachgewiesen, wie 
der Aachener Entwurf Aleanders sich auch in Nebenpunkten 
eng an die Bulle wie an die niederlündischen Erlasse an- 
schließt. Abgesehen von dem Hauptpunkte, daß Luther und 
seine Anhünger zwar an den Kaiser ausgeliefert, aber durch 
den Papst nach dem kirchlichen Recht bestraft werden sollen, 
so daB der Kaiser ,einfach als ausführendes Werkzeug des 
Papstes erscheint“, tritt diese Bevorzugung der päpstlichen 
Autorität besonders in dem Gesetz gegen die Drucker her- 
vor, das sich auch im Wortlaut besonders eng an die Bulle 
des Laterankonzils und demnächst an das Antwerpener 
Plakat anschließt. Schon in der Narratio wird umständlich 
des päpstlichen Gesetzes gedacht und dann die Bücher- 
verbrennung zuerst kraft päpstlicher Gewalt und dann erst 
im Namen und auf Befehl des Kaisers angeordnet. Die 
Zensur, die auch im niederländischen Erlaß auf alle kirchen- 
feindliche Literatur ausgedehnt und besonders zum Schutze 
der römisch gesinnten Gelehrten und Universitäten aufgeboten 
wurde, soll ganz nach den Vorschriften der Bulle durch den 
Bischof oder seinen Vertreter gehandhabt werden, während 
die niederländische Regierung sich dieses Amt selbst vor- 
behalten hatte; dagegen wurde die von ihr beliebte Drittelung 
der Buben!) auch für das Reich als zweckmäßig befunden, 
indem dabei die Landesherren berücksichtigt wurden“). 


Fälle gerüstet zu sein. Daß Aleander auch „die schlechten Erfahrungen * 
mit seinem Aachener Entwurf nicht nach Rom berichtet hat, können 
wir trotz des Verlustes der Novemberdepeschen aus der von mir 
(Dep. Aleanders S, 28 Anm. 1) angeführten Äußerung des Vizekanzlers 
vom 3. Dezember über die hohe Befriedigung des Papstes entnehmen. 
Zu Kühn S. 378, 532f. 

1) Entstehung S. 16 fl., 24ff. Vgl. bes. S. 26 über den Grund, 
warum Aleander im Septemberplakat noch auf ,die Organisation der 
Zensur* (Kühn S. 388) verzichten mute. 

*) Kühn S. 388—388, In meiner Arbeit sind die charakteristischen 
Züge des Aachener Entwurfs als die eines erblündischen Mandats ver- 
zeichnet worden, das der Kaiser nach seiner von dem Strafburger 
Kanzler mitgeteilten Erklärung vom 14. Februar 1521 in die öster- 
reichischen Lande schon verschickt hatte und auch den spanischen 
Königreichen wollte zugehen lassen (Entstehung S. 103, 105; Kühn 
S. 382). Es sprach dafür vor allem der Umstand, daß Karl V. diesen 
seinen Untertanen gegenüber nicht die Rücksichten zu nehmen brauchte 


19 259 


Erst nach der Ende November erfolgten Ankunft des 
Hofes in Worms dürfte Aleander wieder Muße gefunden 
haben, an die Ausarbeitung eines neuen Entwurfs heran- 
zugehen, den er mit seiner am 14. Dezember vor dem deutschen 
Hofrat gehaltenen Rede übergab. So würde die erste Hälfte 
des Monats auf die Betätigung des Nuntius, die zweite auf 
die des Ausschusses entfallen. Für den wichtigsten Gesichts- 
punkt aber, daß der Erlaß jetzt erst das Gepräge eines 
kaiserlichen Gesetzes erhielt, ist von vornherein festzuhalten, 
daß er diese Eigenschaft doch nicht erst durch die Kritik 
der Hofräte gewonnen haben kann, sondern daß Aleander 
klug genug war, seinen viel ausführlicher und schärfer ge- 
haltenen Text nach den Ausstellungen einzurichten, die ihm 
schon in Aachen zu Gehör gekommen waren und ihm auch 
in Worms zunächst viel Ärger verursachten. Der Streit 
wurde verschärft durch die von Karl V. am 28. November 
zugesagte Berufung Luthers zu einem Verhör, das die Kaiser- 
lichen aus Rücksicht auf den Kurfürsten von Sachsen und 
die Wahlverschreibung nicht verweigern zu können glaubten ). 


wie bei den Reichsständen, so daß die frühere Arbeit Aleanders mit 
ihrer strengen Wiedergabe der kirchlichen Forderungen dieser Sach- 
lage völlig zu entsprechen schien. Es ist also auch S. 62, 73, 77 
Anm, 1, 216, 217, 228, 224 Anm. 3 der „Aachener Vorentwurf“ ein- 
zusetzen. 

Wenn Aleander sich in diesem als Propst von S. Johann in 
Lüttich einführt, so war dies zunächst eine Anlehnung an das Breve 
seiner Kommission (Balan, Mon. ref. Luth. p. 4sq.), in dem er sich 
mit dieser seiner höchsten kirchlichen Dignität hatte bezeichnen lassen, 
weil er mit der Zugehörigkeit zu diesem vornehmen Kapitel seinen 
recht fragwürdigen Adel zu beglaubigen liebte (Dep. Aleanders S. 9 
Anm.); nebenbei gehörte Aachen zum Lütticher Bistum. Entstehung 
S. 73f., 808. 

Zu den von Kühn S. 534 ff. nebeneinander gestellten Texten der 
Zensuredikte ist zu bemerken, daß das bei Brieger S. 39, 9 ausgelassene 
Wort nach Anm. 2 ,einsilbig^ sein muß, also, wie ich S. 217 vor- 
geschlagen habe, wohl „ruf“ zu lesen ist statt „leumund“. In der 
dritten Spalte Z. 20 ist zu lesen: ,refertos“; S. 544, 2. Sp. iat in Z. 6 
das Komma zwischen „universitatum studiorum“ zu tilgen, da dies 
ein Begriff ist; in Z. 22 ist zu lesen: „communitum“. 

1) Die Zurücknahme erfolgte am 17. Dezember (vgl. Entstehung 
S. 31ff); wenn Kühn (Luther und der Reichstag) S. 24 sagt: „Die 
Vermutung, daß dieser Brief des Kaisers einen Schachzug der kaiserlich- 


17* 


260 20 


«e 


Sie erteilten den Nuntien jetzt schon die Versicherung, dab 
Luther nur zur Ableistung des Widerrufs zugelassen werden 
solle: dies war der von dem Großkanzler Gattinara auf- 
gestellte Grundsatz, den vor allem die beiden Bischöfe, Pietro 
Bonomo von Triest und Bernhard Cles von Trient, vertreten 
haben werden. Wenn Aleander dann fortführt: „andere 
rieten, ihm nur den Widerruf der von den allgemeinen Kon- 
zilien und den Kaisern verdammten Sätze zuzumuten,“ so 
war dies der Vorschlag des von dem Erzbischof von Salz- 
burg begünstigten Dominikaners Johann Faber von Augsburg, 
der eben damals im Bunde mit Erasmus für ein gelehrtes 
Schiedsgericht eintrat und in der Romzugfräge eine nationale 
Politik unter heftigen Ausfällen gegen die verweltlichte Kurie 
verfocht*). Als Theologe vertrat er die Lehre von der 
Superiorität der Konzilien, so daß Aleander die Befürchtung 
äußerte, man werde die Angriffe Luthers auf den Primat 
des Papstes aus dem Spiele lassen und in dem Mandat 
weder des jetzigen noch der Päpste überhaupt Erwähnung 
tun. Wenn Faber dann als Hofprediger bei der Leichenfeier 
des Kardinals Croy am 22. Januar 1521 erklärte, man dürfe 
die Schriften Luthers keineswegs dulden, und, wenn es der 
Papst dabei an sich habe fehlen lassen, so mtisse der Kaiser 
sich zur Züchtigung des Abtriinnigen erheben?), so ist dies 
derselbe Standpunkt, den die Räte des Kaisers schon bei 
der Ablehnung des Aachener Vorentwurfs geltend gemacht 
haben werden. Besonders werden die kanonistisch gebildeten 


päpstlichen Politik bedeute, sei bisher nachzuweisen nicht gelungen,“ 
so habe ich wenigstens stets vorausgeschickt, daß Karl V. nie daran 
gedacht hat, durch Begünstigung Luthers einen Druck auf den Papst 
in bezug auf die Bündnisfrage auszuüben. Aber ich habe nachgewiesen, 
daß soeben in Rom sich eine grundsätzliche Annäherung zwischen 
Karl V. und Leo X, vollzogen hatte; wenn der Kaiser nun erst nach 
Eingang der betreffenden Nachricht die Aufforderung an Friedrich 
zurückzog, obwohl ihm die Nuntien das Bedenkliche dieses Schrittes 
schon vorgehalten hatten, so muß man doch wenigstens das Bestreben 
darin erblicken, die sich anbahnende Verständigung im Kampfe gegen 
Frankreich nicht durch einen kirchenpolitischen Mißgriff zu stören. 

1) Entstehung S. 67. Depeschen Aleanders S. 31 u. ó. Archiv f. 
RG. I, 6ff. ZKG. XXV, 123; XXXII, 12. 

2) Dep. Aleanders S. 33f. Kalkofi, Briefe, Depeschen und Berichte 
über Luther. Halle 1898, S. 28. 


21 261 


Bischöfe von Triest und Trient, die Aleander mehrmals 
dankbar erwühnt und die ihm mehrfach, so bei den Ver- 
handlungen mit dem Kurfürsten von Sachsen in Kóln wie 
bei einer damals beabsichtigten Sendung an Friedrich!) be- 
hilflich waren, schon bei der Umarbeitung des Entwurfs da- 
für gesorgt haben, daß der Autorität des Kaisers gehörig 
Rechnung getragen wurde. 


Daher ist auch in dem Dezemberentwurf der Lex im- 
pressoria, die der Hofrat von vornherein beiseite legte, die 
Berufung auf die Bulle des Laterankonzils und den Befehl 
des Papstes verschwunden. Die Verfolgung der Bücher ist 
auf die gesamte Literatur ausgedehnt; außer den Druckern 
sollen auch die Verfasser verantwortlich sein, und die ganze 
Einrichtung ist den Reichsständen dadurch annehmbarer 
gemacht worden, daß sie auch Schmähschriften gegen 
„Fürsten und Prälaten“ betreffen soll?). Auch wird deut- 
licher auf die politischen Folgen der lutherischen Irrlehren 
hingewiesen: denn, während der Vorentwurf nach dem Wort- 
laut der Bulle „Inter sollieitudines^ nur von „scandala et 
simultates in ecclesia“ redet, wird jetzt auf die „seditiones, 
tumultus, rebelliones, schismata in regnis, provinciis et popu- 
lis“ hingewiesen, wie der Nuntius gleichzeitig im Eingang 
des Haupterlasses die Folgen der von Luther betriebenen 
Aufreizang der Gemtlter ausmalte?). Zur Stütze des unsichern 
kaiserlichen Verordnungsrechtes auf einem Gebiet, das die 
Interessen der fürstlichen und besonders der reichsstädtischen 
Obrigkeiten stark bertihrte, diente die Formel, daß dieser 
Erlaß „die bindende Kraft eines unverletzlichen Gesetzes“ 
haben solle+). | 


Im allgemeinen aber steht der Dezemberentwurf des 
Hauptgesetzes dem endgültigen Wormser Edikt doch näher 


— 


1) Dep. Aleanders S. 27, 34f, 44. 

2) DRA. IV, 497, 10, Die Rüte vermieden es aber, das Interesse 
des Kaisers selbst an der politischen Zensur in den Vordergrund zu 
rücken, wie dies Aleander im Aachener Entwurf mit den Worten ge- 
tan hatte: ,contra Nos, bonos mores et orthodoxam fidem...^  Brieger, 
Entwürfe S. 40, 18. 

) Entstehung S. 302. DRA. IV, 496, 18f. 

*) Brieger S, 41, 7. DRA. IV, 497, 32f. 


262 22 


als der des Pressegesetzes, da dieser eben doch nicht die 
Prüfung dureh den Ausschuß des Hofrates durchgemacht hat. 

Auf dessen Einfluß dürfte nun vor allem die vorsichtige 
Fassung des Absatzes über die Bestrafung Luthers zurtick- 
zuführen sein!) Zwar wird, wie auch Kühn?) hervorhebt, 
auch dieser Schritt aus kaiserlicher Machtvollkommenheit 
unternommen; aber die Verhaftung geschieht durch die 
Landesobrigkeit, und das Verfahren des Kaisers soll nur 
„nach rechter und gebührlicher Maß“ erfolgen?); der gute 
Wille der Stände muß nach altem deutschem Brauch durch 
das Versprechen reicher Belohnung und des Ersatzes der 
Unkosten gestärkt werden. Bei der Anordnung der Bücher- 
verbrennung wird sorgfältig auf die Pflicht aller mit aus- 
reichender Gerichtshoheit ausgestatteten Behörden hin- 
gewiesen )). 

Die Strafe der Reichsacht wird auch in den Dezember- 
entwürfen nicht über Luther und seine Anhänger selbst ver- 
hängt, sondern sie wird, wie im Aachener Entwurf nur den 
Subjekten der Erlasse bei Nichtbeachtung der kaiserlichen 
Befehle angedroht; den höheren Ständen wird dabei beson- 
ders Lehnsverlust und Entziehung der Privilegien nebst 
kaiserlicher Ungnade angedroht und im Dezember allen Zu- 
widerhandelnden auch noch die Acht in Aussicht gestellt; 
am Schluß beider Entwürfe ist hier offenbar infolge eines 
Hinweises auf die übliche Formel auch das ,,crimen laesae 
maiestatis" eingesetzt’); dagegen ist der im Vorentwurf ent- 
haltene Hinweis auf die Strafandrohungen der Bulle und des 
kanonischen Rechts gegen Ketzer und Begtünstiger der 
Ketzerei gestrichen worden. 

Das Vorgehen gegen den offenkundig von hoher Stelle 
beschtitzten Häresiarchen war von dem gegen seine Anhänger 
getrennt worden, und daher kommt es, daß, wie Kühn meint, 


1) Entstehung S. 305f. 

2) S. 884, 387. 

) Entstehung S. 305, 27f.: „donec nos de legitima in eum prose- 
eutione facienda vobis significemus . . .^ gleich Brieger, Entwürfe 
S. 36, 4. 

4) Entstehung S. 305, 6: ,tam principes, quam alii, ad quos 
iustitiam pertinet ministrare .. .“ 

5) Entstehung S. 304, 23f., 306, 18. 


„einige besonders grausame Züge erst durch die Hervor- 
kehrung des Weltlichen“ in die Dezemberentwürfe hinein- 
gekommen sind!). Wenn sie nach der in Aachen an- 
gekündigten Forderung des Papstes den kirchlichen Gerichten 
zu gebührender Strafe zu überliefern waren, so wartete ihrer 
nach den Ketzergesetzen auDer dem Tode auf dem Scheiter- 
haufen ebenfalls noch Güter- und Ehrverlust, kurz, völlige 
Rechtlosigkeit für sie selbst wie für Kind und Kindeskinder. 
Der Nuntius hatte jetzt einfach von den kaiserlichen Räten 
sich belehren lassen, daß die Bischöfe sich schwerlich zu 
einer planmäßigen Verfolgung der Lutheraner aufraffen 
würden; daß man vielmehr gut tue, von vornherein die 
kireblichen Behörden mit dem Odium dieser Prozesse zu 
verschonen, daß man aber den Lutheranern durch Preis- 
gebung ihrer Gitter die Raubritter auf den Hals hetzen könne, 
zumal die Sekte besonders in den durch reichen Handel ein- 
ladenden Städten Wurzel. geschlagen hatte; bei diesem 
summarischen Vorgehen war es freilich unpraktisch, gleicher 
Zeit die mildere Maßregel der Landesverweisung zu emp- 
fehlen. Mit der eifersüchtigen Wahrung des kaiserlichen 
Ansehens vertrug es sich auch nicht, daß in Aachen die 
alten kaiserlichen Satzungen — die Ketzergesetze Friedrichs 11. 
von 1224 und 1232 — nach der Bulle als „pro libertate 
ecclesiae“ erlassen bezeichnet worden waren?); dies wurde 
gestrichen, dagegen eine ausführliche Begründung der kaiser- 
lichen Schutzpflicht mit unverkennbarer Beziehung auf den 
Krünungseid?) zugelassen, die der schwärmerischen Auf- 
fassung des jungen Herrschers durchaus entsprach. Endlich 
ist es wohl höfische Rücksicht auf den seit dem 7. November 
dem Kaiser endgültig verschwägerten König Ludwig IL und 
die in Aachen und Köln anwesende böhmische Krönungs- 
gesandtschaft*) gewesen, wenn die im Vorentwurf nach dem 
Wortlaut der Bulle erfolgte Kennzeichnung der lutherischen 
Lehren als „böhmische Ketzerei°)“ jetzt wegfiel. 


1) ZKG. S. 387, 

2) Entstehung S. 77 Anm. 1, 79. 

2) Brieger, Entwürfe S. 28, 1—5. Entstehung S. 35. 303f. 

*) DRA. II, bes. S, 108, 4ff. 

5) Brieger, Entwürfe S. 18, 3 ff., 19, 4. Entstehung S. 301, 15 ff. 


264 24 


An einer andern Stelle aber ist eine Abschwiichung der 
päpstlichen Autorität nicht aus dem Gegensatz zur weltlichen 
Macht entsprungen, sondern aus dem von jenem Dominikaner- 
prior vertretenen Widerstreit der konziliaren und der kuria- 
listischen Richtung innerhalb der Kirche. Auch die Bulle 
und somit Aleanders Entwürfe und Reden berufen. sich ja 
immer wieder darauf, daß Luthers Lehren nicht nur von 
dem jetzigen und früheren Päpsten, sondern auch schon von 
Konzilien, besonders dem Konstanzer, verworfen worden 
seien, um den Widerwillen der Deutschen gegen die husi- 
tische Bewegung auszunutzen; aber erst im Eingang des 
Dezemberentwurfs der Lex impressoria wird gesagt, daß die 
in Deutschland verbreiteten Irrlehren „a sacris conciliis et 
ab ecclesia universali“ verdammt!) seien. Das ist aber das 
Gegenteil jener thomistischen Lehre, die Silvester Prierias. 
schon in seiner ersten Streitschrift dem Wittenberger Augu- 
stiner als „Fundamentalsatz“ entgegenhielt: daß die all- 
gemeine Kirche, die in Glaubensfragen nicht dem Irrtum 
unterworfen ist, virtuell im Papste, als dem Haupte der mit 
jener identischen römischen Kirche?) enthalten sei, während 
Luther wie Faber nach dem Vorgange Occams und der 
französischen 'Antikurialisten nur einem freien Konzil den 
Charakter einer Vertretung der „allgemeinen Kirche“ zu- 
erkennen wollten. 

Schon in der Bulle „Exsurge“ hatte der Kardinal Accolti 
sich bemüht, den Spruch des Papstes durch den Hinweis auf 
die Befragung der Kardinäle und Ordensgenerale sowie 
theologischer Sachverständiger zu stützen; und Aleander hat 
sich. nun erst recht bemüht, seinen Aachener Entwurf durch 
weitere Ztige zu ergänzen, die das Bild eines Scheinkonzils 
hervorrufen sollten“): jetzt erst spricht er auch von „Bischöfen 


1). Brieger, Entwürfe S, 89, 7f. DRA. IV, 496, 12. 

) Vgl. im Aachener Vorentwurf den Titel des Papstes: ,sacro- 
sanctae Romanae et universalis ecclesiae summus pontifex"; weiter 
unten wird der Kaiser als , Romanae et universalis ecclesiae advocatus" 
bezeichnet. ` 

) Entstehung S. 69 ff., 302, 15f., 303, 1. Daß der Kaiser im 
Vorentwarf die Kardinäle nach dem Vorgang der Bulle als „amici“ 
(wie der Papst als „fratres) nostri carissimi“ bezeichnen sollte, war 
einfach ein Lapsus, der den Erlaß nur verdächtig machen mußte. 


25 265 


und Prälaten“ und hebt bei den Gelehrten die Kenner der 
biblischen Ursprachen hervor, die tiberdies verschiedenen 
cbristlichen Nationen angehört hätten; endlich behauptet er 
in dreister Entstellung des tatsiichlichen Verlaufs der beiden 
Prozesse, daß „Luther dazu berufen und geladen und erst, 
als er in seinem Ungehorsam beharrte, verurteilt worden sei". 

Eine weitere Bezugnahme auf den augenblicklichen 
Stand des kirchlichen Verfahrens wurde notwendig durch 
die erst in Köln aufgetauchte Gefahr einer Befragung der 
Reichsstände: darum muß der Kaiser jetzt erklären, daß 
man einen „notorischen Ketzer, der jetzt auch schon dafür 
erklärt und verurteilt worden sei!)", nicht mehr anzuhören 
brauche?). Und er beseitigt jede Besorgnis, als ob das Ur- 
teil ungerechtfertigt sein oder der Verurteilte noch durch 
reuige Unterwerfung der Vollstreckung zuvorkommen könnte, 
durch die Feststellung, daß dieser nicht nur, wie schon in 
Aachen bekannt war, weitere glaubensfeindliche Schriften 
herausgegeben, sondern überdies noch andere fluchwürdige 
Untaten *) begangen habe: die Verbrennung der Verdammungs- 
bulle war zugleich ein Akt von so unbestreitbarer „Notorie- 
tät“, daB er allein eine summarische Verurteilung gerecht- 
fertigt haben würde. Aber diese war längst erfolgt und der 


1) Brieger, Entwürfe S. 30, 5ff. Entstehung S. 804, 15 fl. Und 
wenige Zeilen darunter (S. 32, 4 bzw. 805, 2) wird bei den Schriften 
Luthers über den Aachener Entwurf (Brieger S. 33, 3) hinaus ihr In- 
halt als „notorische Ketzerei“ bezeichnet. 

2) Wenn Kühn S. 883 Anm. 8 dazu bemerkt, daß der Kaiser dies 
erst nach erfolgter Publikation der Bulle sagen konnte", so ist dies 
in mehrfacher Hinsicht unzutreffend. Die Bulle war dem Kaiser im 
Original vorgelegt und in Löwen wie in Köln den Universitäten förm- 
lich bekannt gegeben worden. Ihr öffentlicher Anschlag in den drei 
östlichen Bischofstädten war nur die rechtliche Voraussetzung für den 
Beginn der Luther noch zum Widerruf verstatteten Frist, deren Ablauf 
dann wieder Voraussetzung war für die Vollstreckbarkeit des im 
übrigen unanfechtbaren und endgültigen Urteils gegen die Person des 
Erzketzers. Die Notorietät seiner dogmatischen Verirrungen wie seiner 
kirchlichen Rebellion war schon festgestellt worden als Anlaß zu dem 
ein weiteres Verhör ausschließenden summarischen Verfahren vom 
August 1518 (ZKG. XXXIII, 40f. oder „Der Prozeß des Jahres 1518“. 
Gotha 1912, S. 171f.). 

) Brieger, Entwürfe S. 34, 11 ff., 85, 11ff, Entstehung S. 305, 1 fl. 


266 26 


hóchste Richter hatte nur aus Gnade den Vollzug des Bannes 
gegen die Personen der Ketzer noch an den Ablauf einer 
zum Widerruf!) vergönnten Frist gebunden. Eine besondere 
Bannbulle war eigentlich überflüssig und wurde auch erst 
spüter von den kaiserlichen Ráten gefordert, um sich den 
Bedenken des Reiehstags gegenüber den Rücken zu decken. 

Auch eine sachlich recht bedeutsame Neuerung ist nicht 
von weltlicher Seite angeregt worden: wenn die Zensur der 
theologischen Schriften jetzt an das von dem Bischof ein- 
zuholende Gutachten einer benachbarten theologischen Fakultät 
gebunden wurde, so hat der Nuntius damit einmal seinen 
eigenen Erfahrungen Rechnung getragen; denn schon war 
er in Köln wie in Mainz auf den passiven Widerstand der 
beiden Metropoliten wie ihrer Umgebung gestoDen; sodann 
aber werden ihm seine Lówener und Kólner Kampfgenossen, 
die scholastischen Theologen unter der Führung Hochstratens, 
ihre guten Dienste angeboten und auf das alte Ehrenrecht 
der Kölner Hochschule in Verfolgung der glaubensfeindlichen 
Literatur verwiesen haben?). Auch wünschten dieselben 
Häupter der Dominikaner und Karmeliten, daß in dem Reichs- 
erla nicht länger die Ordenszugehórigkeit des irrenden 
Mönches verschwiegen werde, wie dies in der Bulle und 
danach im Aachener Entwurf noch geschehen war, um den 
Gesamtorden der Augustiner zu schonen. | 

Im Übrigen ist die besonders im Eingang des Dezember- 
entwurfs sehr gesteigerte Bosheit und Leidenschaftlichkeit 
bei der Kennzeichnung Luthers und seiner Bestrebungen“) 
das eigenste Werk Aleanders; dabei läßt sich jetzt genau 
feststellen, daß er die Anregung zu der niederträchtigsten 
Entstellung einer Äußerung Luthers erst in Köln, also durch 
Hochstraten empfangen hat, wie zu vermuten war*. Man 
möchte zur Ehre dieser deutschen Gegner Luthers annehmen, 
daß sie doch nicht gewagt hätten, ihn öffentlich alles Ernstes 


1) Hier sind in meiner Rückübersetzung, Entstehung S. 303, 14 
vor „se errores suos revocasse“ die Worte „mutata sententia^ nach 
Brieger, Entwürfe S. 24, 8 noch einzufügen. 

5) Vgl. Entstehung S. 225 f. 

) Ausführlich Entstehung S. 49ff. 

t) Entstehung S, 56 Anm. 1. 


21 267 


zu beschuldigen, daß er das Volk zum allgemeinen Priester- 
mord aufgerufen habe, wo er tatsächlich nur im heiligen 
Zorn über römische Gewissenlosigkeit mit einem Bibelwort 
auf das schreckliche Strafgericht Gottes hingewiesen hatte: 
„Der Gerechte, der es erlebt, wird dann seine Hände im 
Blute des Sünders waschen.“ Dem Italiener war diese ruch- 
lose Mißdeutung höchst willkommen, da sie die triftigste 
Begründung des der ketzerischen Sekte zugedachten Schick- 
sals bot, durch das er, wie auch Kühn feststellt), „geradezu 
gesetzlose Zustände heraufbeschwören mußte“. 


1) S. 387. Dieser hat durch Schriftvergleichung gefunden (S. 380f.), 
daß die Übersetzung der beiden Dezemberentwürfe von dem kaiser- 
lichen Sekretär Ulrich Varnbüler (nicht Warnbüler) herrührt, während 
Spiegel aus demselben Grunde nicht in Betracht kommt, so daß die 
ihn betreffende Bemerkung (Entstehung S. 39) zu streichen ist. In der 
Tat ist Varnbüler auch am 22. Dezember 1520 in Worms nachweisbar 
(DRA. II, 770, 6). Doch ist er auch bei der Vorbereitung des deut- 
schen Textes nur in untergeordneter Stellung tätig gewesen, wie schon 
aus der Anlage des Konzeptes hervorgeht, in dem sehr oft mehrere 
Wendungen oder Worte dem Dezernenten zur Auswahl gestellt werden. 
Diese entscheidende Rolle aber lag damals wie bei den späteren Ent- 
würfen in der Hand des Reichsvizekanzlers Nikolaus Ziegler. Nur ihn 
nennt daher der Nuntius am 8. März als seinen Mitarbeiter, der ihm 
den Text des Sequestrationsmandats in einer den Absichten und der 
Ehre des Papstes entsprechenden Form habe herstellen helfen; er be- 
zeichnet ihn dabei nach der Art seiner Hilfeleistung als „secretario 
di lengua Germanica"; bei Übertragung des endgültigen Edikts in der 
Nacht vom 7. auf den 8. Mai haben Ziegler und der ihm ebenfalls 
untergeordnete Spiegel gemeinsam gearbeitet (Dep. Aleanders 8. 114, 
214; Brieger, Aleanders Depeschen S. 91, 7f, 192, 11). Varnbüler 
erscheint gleichfalls als sein Untergebener, indem er a. a. O. städtische 
Gesandte bei ihm einführt. Ziegler war für die Nuntien überhaupt 
nicht zu umgehen, wenn sie sich, wie schon in Aachen und jetzt in 
Worms geschah, mit einem Antrag an den deutschen Hofrat wandten, 
dem nach der Geschäftsordnung der Reichsvizekanzler die Suppli- 
kationen zu unterbreiten hatte (z. B. DRA. II, 928). Er war auch, 
nachdem er vom 7. bis 20. Oktober zu Verhandlungen mit den Kur- 
fürsten in Kúln geweilt hatte, nach der Krünung in Aachen anwesend 
(a. a. O. S. 80 ff. 186. 99); doch hatte Aleander damals offenbar noch 
keine Zeit gehabt, mit ihm Fühlung zu nehmen, was vielleicht die 
schnelle Ablehnung des Áachener Vorentwurfs erklüren hilft. Denn 
die Kritik desselben vom Standpunkte der kaiserlichen Interessen ist 
in erster Linie auf ihn zurückzuführen; die bedeutenden Forderungen, 


268 28 


Meine Darstellung der mit der Entstehung des Wormser 
Edikts zusammenhängenden Vorgänge ist also durch die Ein- 
ordnung der beiden Aktenstücke in keinem wesentlichen 
Punkte abgeändert, sondern nur bestätigt und durch einige 
eharakteristische Züge bereichert worden. Für die Verhand- 
lungen, die der Einbringung des zweiten Entwurfs vor den 
Reichstag voraufgingen'), lernen wir endlich noch eine nicht 
unwichtige Tatsache kennen aus dem Briefe eines Agenten 
des Herzogs von Mantua?) an den Bischof von Trient vom 
29. Januar 15213). Es heißt da: 

„Die Angelegenheit der Ketzerei Martin Luthers zieht 
sich täglich nur immer mehr in die Länge, obwohl Kais. 
Majestät Öffentlich erklärt, daß er nicht nur seine Reiche, 
sondern auch das eigene Leben einsetzen wolle*), um dieses 
böse Gewächs mit der Wurzel auszurotten. Obwohl nun 
der Nuntius [Caracciolo] und Signor Girolamo [Aleander] 
diesen Morgen gar lange vor dem Kaiser und dem Rate für 


die er schließlich an die Kurie richten durfte, beweisen, welchen Wert 
er selbst seinen in Worms geleisteten Diensten beimaß. 

Ob Ziegler dann schon Anfang Februar und Anfang März bei 
Herstellung der folgenden deutschen Texte den Sekretär Spiegel heran- 
gezogen hat, der dann für diese und anderweitige Dienste vom Nuntius 
auch entlohnt wurde, läßt sich mit Sicherheit nicht ausmachen, Ale- 
ander hatte sich schon am 6. Februar mit ihm ins Einvernehmen ge- 
setzt, um durch ihn auf seine Vaterstadt Schlettstadt und seinen Oheim 
Wimpfeling einen Druck auszutiben. Das hindert nicht, daß er gleich- 
zeitig am 8. Februar gerade auf ihn abzielte, wenn er die Befürchtung 
aussprach, daß die kaiserlichen Sekretäre, „die sehr lutherisch oder 
wenigstens romfeindlich gesinnt seien“, bei der Übersetzung seinen 
Entwurf verhunzen könnten (Dep. Aleanders S. 67. 73. Entstehung 
S. 107). Denn außer Spiegel, der sich soeben durch Herausgabe anti- 
kurialer Schriften der konziliaren Periode unbequem gemacht hatte, 
wüßte ich überhaupt keinen kaiserlichen Sekretär anzuführen, der diese 
Charakteristik verdient hätte; keinesfalls paßt sie auf den farblosen 
Varnbtiler, der sonst nicht erwähnt wird und auch im Dezember nur 
eine subalterne Rolle gespielt hat. 


1) Entstehung, Kapitel IV. 

2) Über diesen Antonio Bagarotto vgl. DRA. II, 824 Anm. 1, 849. 

3) Von Kühn mitgeteilt S, 532 Anm. 2. In meine Darstellung 
einzuschalten Entstehung S. 97, vor dem letzten Absatz. 

) Wie er auch am 19. April schriftlich erklärte (DRA. II, 595, 
24f). Vgl. Entstehung S. 118. 


29 269 


die Ausfertigung des kaiserlichen Mandats gesprochen haben, 
weiß ich doch nicht, ob es jetzt zustande kommen wird.“ 

Daraus scheint nun deutlich genug hervorzugehen, dab 
die Nuntien auch jetzt noch, naeh der am 27. Januar er- 
folgten Erüffnung des Reichstags, es darauf abgesehen hatten, 
dureh schleunige Veröffentlichung des Gesetzes die Stände 
vor eine vollendete Tatsache zu stellen. Und zwar hat Ale- 
ander dem alsbald!) vom Kaiser bestellten Redaktions- 
ausschuß wieder beide Dezemberentwürfe in lateinischer 
Fassung eingereicht; doch dürfte der deutsche Hofrat auch 
diesmal sehr bald darauf hingewiesen haben, daß man bei 
der auch dem Nuntius sattsam bekannten romfeindlichen 
Stimmung sehr zufrieden sein müsse, mit dem Hauptgesetz 
leidlich durchzukommen. Aber nachdem der junge Herrscher 
in einer Sitzung des Gesamtrates ühnlich der vom 29. De- 
zember die Ausfertigung des Mandats befohlen hatte, setzte 
die reichsstündische Opposition in den nüchsten Tagen mit 
solehem Nachdruck ein, daß der Großkanzler es doch vor- 
zog, den umgearbeiteten Entwurf dem Reichstage vorzulegen. 
Bei der Ankündigung dieser Maßregel am 14. Februar suchte 
der Kaiser seinen bisherigen Standpunkt noch einigermaBen 
zu wahren, indem er die Erklárung voranstellte, er werde 
das Mandat gegen Luther — unabhüngig von der Haltung 
der Stände — in seinen österreichischen Erblanden, Württem- 
berg inbegriffen, und in den zur spanischen Krone gehören- 
den Erbkönigreichen bekannt machen lassen?) Doch läßt 
sieh dafür, abgesehen von der Erneuerung des September- 
plakats für die Niederlande, kein Zeugnis anführen. 

1) Wenn dessen Beratungen am 29. Januar begannen, 80 war 
Aleanders am 8. Februar erfolgte Außerung, daß er nun schon „zehn 
Sitzungen" in dieser Sache mitgemacht habe, nicht übertrieben. Zu 
Entstehung S. 106. 

2) Entstehung S. 105. Dieser Absicht Karls V. hatten schon die 
Dezemberentwürfe Rechnung getragen, indem im Eingangsprotokoll 
außer dem heiligen Reiche auch die „erblichen Königreiche, Fürsten- 
tümer oder Herrschaften“ erwähnt und noch im Wormser Edikt der 
Erblande an dieser Stelle gedacht wurde. Kühn S. 544, 546. Vor 
allem aber wurden im Text des am 15. Februar vorgelegten Entwurfs 
zweimal „die erblichen Königreiche und Lande“, „unsere österreichischen 
und burgundischen Lande" neben dem Reiche hervorgehoben (DRA. 
IL, 511, 14, 512, 11). 


270 30 


Von allen Einzelheiten abgesehen hat auch diese er- 
gánzende Untersuchung ergeben, daB wir neben den Depeschen 
Aleanders als der auch rein menschlich interessantesten 
Quelle zur Geschichte dieses Reichstags eine fast ebenso er- 
giebige Fundgrube in den tibrigen von ihm verfaßten Akten- 
Stücken, besonders in den verschiedenen Entwürfen des 
Wormser Edikts besitzen, die zugleich eine sichere Grund- 
lage für die unerläßliche Kritik der Depeschen darbieten. 


Beilagen. 


1. Der Aachener Vorentwurf Aleanders 
[rom 24.—26. Oktober 1520). 


Carolus Quintus etc. universis et singulis sacri Romani 
imperii!) principibus tam ecclesiasticis quam saecularibus, 
archiepiscopis, episcopis, praelatis, principibus, marchionibus, 
ducibus, comitibus, baronibus, nobilibus, militibus, praefectis, 
praesidibus, iudicibus, scultetis, burgimagistris, consulibus, 
scabinis civitatum, oppidorum, villarum, terrarum et quorum- 
vis aliorum locorum communitatibus necnon ,universitatum 
sive collegiorum?)“ rectoribus et locumtenentibus seu officia- 
libus eorundem ac ceteris quibuscunque nobis iure sacri 
imperii subiectis et fidelibus dilectis, cuiuscunque status, 
gradus aut conditionis sint, ad quos praesentes vel earundem 
exemplum „sigillo alicuius praelati ecclesiastici“ sive etiam 
„publici notarii®)“ communitum pervenerit, gratiam Caesaream 
et omne bonum. 

Quum sanctissimus in Christo pater et Dominus Leo 
Decimus, Sacrosanctae Romanae et universalis ecclesiae 
Summus Pontifex, Dominus noster clementissimus, non immerito 
commotus sermonibus perniciosis, scriptis ac libris cuiusdam 
fratris Martini Lutheri ,multos enormes et Christifidelibus 
offensivos errores atque Bohemicam haeresim et alia scan- 
dalosa*)* dogmata tam „in Summorum Pontificum Sanctam- 
que Sedem Romanam quam constitutiones praedecessorum 
nostrorum et conciliorum generalium dedecus et vilipendium 


1) Das ,electoribus^ der üblichen Formel ist hier nicht ohne Ab- 
sicht ausgelassen, da der Erlaß im Namen des Kaisers und der Kur- 
fürsten an die übrigen Stände ergehen sollte. 

2) Bulle „Exsurge“, Opera latina M. Lutheri varii argumenti. 
Frankfurt 1867. IV, 284, 286. Vgl. Entstehung S. 67f. das Vorgehen 
„contra universitates et collegia" in Aleanders Instruktion, Balan p. 10, 5. 

3) Opp. v. a. IV, 300. Entstehung S. 68. 

*; Opp. v. a. IV, 267, 270, 280. 


31 271 


continentibus !) praedictum Martinum Luter a principio pa- 
terna ,clementia et mansuetudine mitius hortatus sit“, ut 
huiusmodi iam sparsos „errores revocaret“ et in posterum 
talia disseminare desisteret, nec tamen factum sit, ut prae- 
dietus Martinus tam „elementibus et paternis hortationibus °)“ 
obedientem se praestaret, sed indies peiores perversi ingenii 
sui fructus ederet?) et religionis leges ab antecessoribus 
nostris constitutas contemneret atque populi animos non 
minus „verbis quam scripturis Latino et Germanico idiomate “)“ 
impressis ad rebellionem et odium Suae Sanetitatis et sacer- 
dotum provocaret et sub tegmine ovino religionis vel ordinis 
sui, quem simulat, in Christifidelium ovile lupum rapacissimum 
se ostenderet, 

Idem Beatissimus Pater, ad quem ,ex officio suo pasto- 
rali veram fidem catholicam curare)“ spectat, ad „opportuna“ 
neque tamen insueta „remedia®)“ procedere statuit; itaque 
convocatis ,saepius venerabilibus Sacrae Romanae Ecclesiae 
Cardinalibus, amicis nostris carissimis, accersitisque regula- 
rium ordinum Prioribus seu Ministris generalibus pluribusque 
aliis“ scientia et probitate praestantibus et in omni doctri- 
narum genere „Doctoribus et Magistris?^ Sanctitas Sua 
praedicti Martini scripta tam Latino quam Alemanico sermone 
edita ut „perniciosa ef fidei unitatique ecclesiae contraria 
damnavit“ et auetoritate sua Apostolica praefatorumque 
accedente „Cardinalium consilio et assensu“ ,Doctorumque 
et Magistrorum matura deliberatione®)“ „ubique locorum 
comburenda prorsusque delenda?)* censuit et decrevit, „Mar- 
tinum vero ipsum, nisi infra eertum expressum terminum a 
publieatione huius decreti!®)“ mutata sententia „errores suos 
recognosceret et revocaret! et „ad poenitentiam se redi- 
isse !?) “ docuisset, ut inobedientiae et „iniquitatis filium", 
ut schismaticum et „haereticum“ ab omnibus „evitandum“ 
et, „prout iura postulant, puniendum declaravit 18)“ sub poenis 


1) Opp. v. a. IV, 267 und im Lütticher Edikt, Balan p. 151, 4. 

) Opp. v. a. IV, 288—292. Vgl. Entstehung S. 50. Leo X. an 
Friedrich von Sachsen, Balan p. 2, 14. 

5, Aehnlich die Bulle: addens mala malis ... Opp. v. a. IV, 290, 

*) Opp. v. a. IV, 288. 

*) Opp. v. a. IV, 271. Balan p. 5, 23. 

6) Balan p. 6, 40. 

*) Opp. v. &. IV, 281: Professoribus sive Magistris et quidem 
peritissimis ... 

5) Opp. v. a. IV, 281, 283. 

3) Opp. v. a. IV, 288, 296. 

19) Opp. v. a. IV, 293. 

!! Im Breve der Kommission Aleanders, Balan p. 5sq. 

12) Opp. v. a. IV, 295. 

13) Opp. v. a. IV, 295. 296. Entstehung S. 72. Leo X. an 
Friedrich, Balan p. 3, 33. 


272 32 


et censuris, quae in Apostolicis literis super hac re editis 
continentur. Ä 

Quas Sua Sanctitas ad Nos utpote Christianae fidei 
verum et supremum propugnatorem et. sedis Apostolicae 
sanctaeque Romanae ef universalis „ecclesiae primarium ad- 
vocatum !)^ „non sine literis in forma brevis per reverendum, 
devotum, dilectum nostrum Hieronymum Aleandrum, praepo- 
situm ecclesiae S. Iohannis Evangelistae Leodiensis, Suae 
Sanctitatis et praedictae sedis nuntium et oratorem?)“, dedita 
ad hoc opera misit, petens atque requirens, ut pro officio ac 
debito imperialis dignitatis in omnibus regnis, dominiis et 
provinciis nostris, in universo Romanorum Imperio ef prae- 
sertim in „Germania, Catholicae veritatis vere germana et 
haeresum acerrima semper oppugnaítrice")", praestito in 
auxilium fidei Catholicae brachio saeculari omnia et singula 
in iam dietis litteris Apostolieis contenta inviolabiliter obser- 
vari et executioni mandari iuberemus*). 

Quapropter pro Imperialis dignitatis divina gratia Nobis 
traditae debito ac, „quam gerimus, cura)“ et praesertim in 
hae parte ab eodem Beatissimo patre requisiti absque insigni 
macula nostra atque ,Christianae religionis iniuria rem tanti 
ponderis nullo modo negligere potuimus?)", ut etiam non 
debuimus neque voluimus, sed potius ,praedecessorum No- 
strorum, Romanorum Imperatorum“, vestigiis insistentes 
eorumque ,laudabiles pro libertate eeclesiae proque ex pro- 
vinciis suis expellendis exterminandisque haereticis factas 
constitutiones”)“ observantes, 

Accedente maturo consilio ae deliberatione nostra et 
sacri Imperii electorum ac aliorum nobilium ef consiliariorum 
nostrorum ex cería nostra scientia animoque deliberato man- 
damus vobis omnibus et singulis praefatis distriete praeci- 
pientes „sub poenis“ Nostrae gravissimae indignationis ac 
etiam „amissionis feudorum, dominiorum“ ef bonorum, grati- 
arum quoque et omnium privilegiorum a Nobis et sacro 
Imperio dependentium, quae ,obtinuistis hactenus“ aut prae- 
decessores vestri ,quomodolibet9)* obtinuerunt, 


1) Opp. v. a. IV, 268sq. und Instruktion Aleanders, Balan 
p. 8, 25sq. 

*) Hinweis auf das Breve der Kommission Aleanders unter wört- 
licher Aufuhrung des Eingangs, Balan p. 48q. 

3) Opp. v. a. IV, 269. 

*) Kurze Zusammenfassung der Kommission Aleanders, Balan 


5) Opp. v. a. IV, 271. 
© Opp. v. a. IV, 271. 
?) Opp. v. a. IV, 269. 
8) Opp. v. a. IV, 269, 285. 


33 273 


Ne quis praedicti Martini scripta a sanctissimo Domino 
nostro, ut praemittitur, damnata aut alia quaecunque ab 
eodem ut a recta via aberrante et a fide Catholica abalienato 
,condita vel in posterum condenda emere, vendere, tenere, 
legere, describere aut illis quoquo modo favere praesumat, quae 
omnes et singuli comburenda!)* curetis et praedictis „nuntiis 
seu eorundem commissariis", si operam vestram ad hanc 
executionem requisierint, fideliter et diligenter „adsistatis“ 
et nihilominus in eorum absentia per vos ipsos haec sic fieri 
Nostro nomine ef iussu omnino et re ipsa faciatis, in quo 
omnibus fidelibus dilectis „subditis nostris, ut vobis“ ut 
„Nobismet ipsis assistant et pareant?)", tenore praesentium 
iniungimus et mandamus; 
necnon praefatum fratrem Martinum, quem indies peiores 
et Catholicae fidei perniciosiores libros scribere et publicare 
non sine magna animi Nostri molestia cognovimus, „eius- 
que adhaerentes, complices, fautores et receptatores“, nisi 
„per publica documenta“ „se ab erroribus suis destitisse“ 
t „Apostolica auctoritate absolutos)“ esse fidem fecerint, 
Nostro nomine ac vice „personaliter capiatis et retineatis 5)^ 
et ad manus Nostras tradi et praesentari faciatis, ut ipse 
vel ipsi per Sanctissimum Pontificem nostrum „condigna 
poena puniantur", ,vel saltem eos de omnibus locis* ac 
„terris“ praedicto Nostro Imperio quomodolibet subiectis, 
„dominiis, cathedralibus ecclesiis, civitatibus et locis quibus- 
cunque vestris omnino expellatis")" sub praedictis poenis et 
Banni Imperialis et, ut praemittitur, in litteris Apostolicis et 
„in iure contra haereticos et eorum receptatores expressis)"; 
„Insuper quia?)* praedictus Sanctissimus „per eundem 
nuncium Bullam Apostolicam constitutionem super impressione 
librorum in concilio Lateranensi editam)“ continentem Nobis 
praesentavit et nomine Suae Sanctitatis notum fecit, tot 
libros in Germania nunc impressos esse et quotidie ubique 
imprimi multis ,erroribus* et articulis iam antea per con- 
eilia damnatis et in Summos Pontifices sanctamque sedem 
Apostolicam et „contra famam personarum“ ,honestarum* 


!) Opp. v. a. IV, 288. 296. Liitticher Edikt, Balan p. 151, 7s«. 
Breve der Kommission p. 7, 28. 

2) Lütticher Edikt, Balan p p. 151, 33, 37sq. Instruktion Aleanders, 
Balan p. 10, 198. 

3) Opp. v. a. p. 293. 285. Breve der Kommission Aleanders, 
Balan p. 7, 138qq. 

) Opp. v. a. IV, 297. 

5) Nach der Instruktion Aleanders, Balan p. 9, 39sq. und der 
Bulle opp. v. a. IV, 2978. 

*) Opp. v. a. IV, 285. 269. 

) Opp. v. a. IV, 288. 

8) Lütticher Edikt, Balan p. 150, 208. 


Arehiv für Reformationsgeschichte. XIIL 4. 18 


274 34 


contumeliis refertos!), „ex quorum lectura?)* Christifideles 
„in maximos tam in fide quam in vita et moribus prolabun- 
tur errores, unde varia saepe scandala“ et simultates in 
ecclesia Dei, „prout experientia docuit, exorta fuerunt et 
maiora indies exoriri formidantur*)", huiusmodi obviare malis 
ad Nos maxime pertinet. 

Idcirco „omnibus ef singulis supradictis“ iubemus, ut 
eiusmodi „famosos et perniciosos libros“ omnes et singulos 
antehac impressos vel posthac quomodolibet imprimendos 
necnon etiam manuscriptos, „ubicunque“ locorum „per sacram 
Imperium atque etiam nostra haereditaria regna et dominia 
inveniuntur*)*, qui ,invectivas et ignominias contra Sanc- 
tissimum Dominum Papam, sanctam Romanam ecclesiam, 
universitates studiorum et eorum facultates honestasque per- 
sonas)“ aut contra Nos, bonos mores vel orthodoxam fidem 
eriminationes continent, Apostolica auctoritate et Nostro iussu 
et nomine ,auferant, occupent, diripiant et publico igni com- 
burant?)*, 

Atque ut omnis eiuscemodi errorum magnaeque „pestis 7)“ 
occasio tollatur, tenore praesentis mandati et edicti, quod 
vim inviolabilis legis habere decernimus, ne quis de cetero 
impressor auf alius quivis ubilibet per sacram Imperium at- 
que nostra praedicta dominia constitutus libros ullos seu 
aliam quamcunque scripturam nisi secundum tenorem ac 
formam praefatae constitutionis a concilio Lateranensi appro- 
batae ullo pacto imprimere vel vendere aut imprimi vel vendi 
facere per seipsum vel alios, directe vel indirecte praesumat 
aut attentet ullo pacto aut quovis quaesito colore „sub 
poenis praedietis et supra poenas in [bulla] Lateranensis 
eoneilii contentas* et amissionis omnium bonorum, ,quorum 
tertia pars* nostrae camerae vel fisco Imperiali, tertia domino 
executionem facienti, „tertia denunciatori debeatur?)", et sic 
huiusmodi bona pro proscriptis habeantur, ut ea expresse et 
cum effectu pro prosriptis haberi volumus, decernimus harum 
testimonio literarum sigilli Imperialis munimine roboratarum. 


t) Bulle „Inter sollicitudines"; Lütticher Edikt, Balan p. 151, 6. 

2) Durch diesen Ausdruck der Bulle „Inter sollicitudines“ wird 
die Vermutung Kühns („us welicher lesung“) ZKG. XXXV, 534 
Anm, 2 bestätigt. 

3) Bulle „Inter sollieitudines“, 

) Lütticher Edikt, Balan p. 151, 18. 3484. Opp. v. a. IV, 296. 

6) Lütticher Edikt, Balan p. 151, 4sqq. 

6) Lütticher Edikt, Balan p. 151, 354. 

1) Lütticher Edikt: perniciosissima animarum pestis evitanda ... 
Balan p. 151, 2684. 

) Lütticher Edikt, Balan p. 150, 31 sqq. 


35 275 
2. Der Dezemberentwurf der Lex impressoria. 


Carolus Quintus etc. Videmus et audimus non sine 
magna animi Nostri offensa, multos impressos libros et qui 
eum alibi tum maxime in Germania imprimuntur, pluribus 
malis erroribus et articulis a saeris conciliis et ab ecclesia 
universali damnatis et in Summos Pontifices sanctamque 
sedem Romanam et contra bonam famam praelatorum et 
principum et aliarum personarum honestarum contumeliis 
refertos esse, ex quorum leetura Christifideles in maximos 
tam in fide quam in vita et moribus prolabuntur errores, 
unde non solum varia saepe scandala et simultates in eccle- 
sia Dei, prout experientia docet, exorta fuerunt, verum etiam 
seditiones, tumultus, rebelliones, schismata in regnis, provin- 
ciis et populis indies exoriri!) formidantur. 

Quia pro Imperialis dignitatis divina gratia Nobis tra- 
ditae debito et potestate ad hane perniciosissimam pestem 
extinguendam omnibus viribus intenti sumus, convocatis 
consiliariis nostris et quibusdam principibus ac nobilibus 
nationis praecipue Germanicae neenon ceteris omnibus tam 
de iure Imperii quam haereditario Nobis subditis de eorum 
unanimi consilio et matura deliberatione necnon ex certa 
Nostra scientia atque Imperiali auctoritate hoc Nostro edieto 
iubemus?) sub Nostri atque Imperii banni et interdicti poenis 
omnibus et singulis in Nostris et Romani Imperii et in 
Nostris haereditariis regnis ac dominiis constitutis, districte 
praecipientes, ut huiusmodi famosos et pestilentes libros seu 
quascunque alias schedas et seripturas omnes et singulas 
antehac impressas vel posthac quomodolibet imprimendas 
neenon etiam manu scriptas, ubieunque locorum per sacrum 
Romanum Imperium atque nostra haereditaria dominia in- 
veniuntur, quae contra orthodoxam fidem et id, quod saneta 
Romana ecclesia hactenus observavit, atque etiam invectivas 
et ignominias eontra Summum Pontificem, praelatos, principes, 
universitates studiorum et eorum facultates honestasque alias 
personas aut contra bonos mores aut orthodoxam fidem 
eriminationes continent, Nostro iussu et nomine occupent, 
diripiant et publico igni eomburant, 

et nihilominus huiusmodi perniciosorum librorum, sche- 
darum et seripturarum autores ae etiam post praesentis 
mandati publicationem impressores, emptores et venditores 


1) Das am Rande nachgetragene „entstehen mogen“ (DRA. IV, 
196 Note a), das Kühn, ZKG. XXXV, 535, Sp. 2, 12 werläßt, sollte 
eben diesen aus der Bulle ,Inter sollicitudines* stammenden Ausdruck 
wiedergeben. 

2) Dieser Ubergang wörtlich dem Dezemberentwurf des Wormser 
Edikts entsprechend, Entstehung S. 303 und 304. 


18* 


276 36 


necnon eorum iura et bona omnia et singula capiant, appre- 
hendant et detineant ac iure optimo et pleno in usus suos 
convertant !). 

Et quia iniustum atque Nostro Imperiali officio minime 
dignum esset, si quosdam malos ae impios homines, qui de 
orthodoxa fide eiusque ritu et sacramentis aliter, ac tota 
universalis ecclesia docuit ef patres nostri hucusque tenue- 
runt?) pro violentia animi ae perverso ingenio suo omnia, 
quae sibi placuerunt, etiam publice et suo nomine contra 
divinam et humanam legem impune scribere pateremur, id- 
circo atque uf omnis eiuscemodi et aliorum errorum ac tam 
perniciosae pestis occasio prorsus tollatur et ne talia seriben- 
tium venena longe lateque diffundantur, sed praeclarum im- 
primendi libros artifieium in bonos tantum et laudabiles usus 
exerceatur", sub iisdem poenis iubemus tenore praesentis 
mandati et edicti, quod vim inviolabilis legis habere decer- 
nimus, ne quis de cetero impressor vel librarius aut alius 
quivis ubilibet per sacrom Imperium atque nostra praedicta 
regna et dominia constitutus „libros ullos seu aliam quam- 
cunque scripturam“ sacras literas vel fidem catholicam con- 
cernentem non habito prius consensu et voluntate ordinarii 
loci aut eius „ad id“ substituti aut „deputati*)“ cum autori- 
tate etiam alicuius propinquae universitatis pro prima vide- 
licet impressione, alios vero cuiuscunque rei et facultatis 
libros sine consensu ordinarii ullo pacto imprimere vel vendere 
aut imprimi vel vendi facere directe vel indirecte praesumat 
aut aítentet. 

Quod si quis, cuiuscunque sit dignitatis, gradus aut con- 
dicionis hanc Nostram mentem, decretum, statutum et ordina- 
tionem in omnibus et singulis supradictis inviolabiliter obser- 
vandam ullo paeto aut quovis quaesito colore vel ingenio 
eontrafacere aut-venire ausu temerario praesumpserit, se 
in laesae maiestatis eriminis poenam et Nostram et Imperii 
gravissimam indignationem neenon praedietas poenas incur- 
risse cognoscat. 


1) Die letzte Wendung stimmt nicht mit der von Kühn S. 538 
verglichenen Stelle des endgültigen Textes vom 8. Mai, sondern mit 
der des Dezemberentwurfs, Entstehung S. 306, 11f., überein. 

2) Hier ist etwa zu ergánzen: sentiunt. 

*) Aus der Arenga der Bulle ,Inter sollicitudines", Entstehung 
S. 224 Anm. 3. Hier wird auch schon das Bild gebraucht: ne medi- 
cinis venena intermisceantur ... 

*) Ausdrücke der Bulle ,Inter sollicitudines". 


Das sogenannte 
Manuscriptum Thomasianum. VI. 


Aus Knaakes Abschrift veröffentlicht von O. Albrecht 
und P. Flemming. 


Vierter Teil. Nr. 127—144. 
(SchluB.) 


Die letzte Abteilung des Manuseriptum Thomasianum 
bringt eine Anzahl von Schriftstücken ohne inneren Zusammen- 
hang. Drei Briefe sind an Hieronymus Baumgartner!) ge- 


1) Schon oben (Bd. 12 S. 242 Anm.) wurde darauf hingewiesen, 
daß das Archiv der Familie Baumgartner jetzt ganz zerstreut zu sein 
scheine. Dies wird bestütigt durch einige inzwischen aufgefundene 
Notizen. So war das Original des Lutherbriefs an Baumgartner vom 
12. Oktober 1524 im Jahre 1799 im Besitz von C. G. v. Murr in Nürnberg, 
der es damals zum Verkauf ausbot (Enders 5, 34). Den Lutherbrief 
vom 1. Januar 1531 (Enders 8, 335) besaß ein Herr Börner in Nürnberg, 
der ihn nach Heilbronn verkaufte. Eine ,starke Sammlung rarer Briefe 
von Melanchthon, Brenz, Bucer, Osiander u. a. an Hieronymus Baum- 
gartner und Veit Dietrich“ waren um 1733 in der Bibliothek des 
Obersten Haller von Hallerstein in Nürnberg, s. Neue Gelehrte 
Zeitungen 1733, Nr. 86, S. 768, Vieles befand sich um die Mitte des 
vorigen Jahrhunderts noch in Nürnberg selbst, wie aus einem Briefe 
des Nürnberger Stadtarchivars Lochner an Seidemann erhellt. Lochner 
schrieb nämlich am 27. April 1876 (vgl. Th. St. 1878, S. 322) an 
Seidemann: ,Paumgartnersche Familienpapiere wurden vor 20 oder 
30 Jahren (das wäre also in der Zeit von 1846—1856) in Massen ver- 
kauft". Eine Sammlung von etwa 25 Briefabschriften von Baumgartners 
eigner Hand nebst einem Verzeichnis der von ihm besessenen Briefe 
ist jetzt im Melanchthonhaus zu Bretten, wo sich auch einige Originale 
von Briefen G. Majors an Baumgartner (s. u.) befinden. Zu den in 
Bretten und Góttingen (s. ARG. 12, 242, Anm.) vorhandenen Stücken 
treten noch Originale in der Kgl. Bibliothek zu Dresden (C 107), er- 
worben aus dem Heerdegschen Antiquariat in Nürnberg, darunter sechs 


278 38 


richtet (zwei von Georg Major [Nr. 131 und 132], einer von 
Jakob Runge [Nr. 133]), sechs an Veit Dietrich (Nr. 130 von 
einem jungen Mädchen und Nr. 134—138 von Jonas), einer 
stammt von Dietrich selbst (Nr. 129 an Dr. Magenbuch). 
Dazu treten das Bruchstück eines Lutherbriefes (Nr. 127), 
der Brief der in Sehmalkaden versammelten Geistlichen an 
die zum Bunde gehörenden Fürsten (Nr. 128), Briefe des Jonas 
an den Nürnberger Abt Friedrich Pistorius (Nr. 139) und an 
Melanchthon (Nr. 140 und 141), der Bericht eines Ungenannten 
über die Verfolgungen Evangelischer in Antwerpen (Nr. 142). 
Ganz aus dem Rahmen der übrigen Schriftstücke, die in die Re- 
formationszeit selbst hineinführen (keiner der bisher genannten 
Briefe geht über das Jahr 1555 hinaus), fallen die beiden 
Schlußnummern, zwei Briefe des Altdorfer Professors Edo 
Hildersen an den jüngeren Hieronymus Baumgartner aus dem 
Jahre 1583 (Nr. 143 und 144). 

Abgedruckt werden aus dieser Abteilung nur die noch 
nieht bekannten Stücke. 


Nr. 127. Vermahnung von wtirdigkeit deß Predigampts. 
Dieses Stück ist die Abschrift eines Teils von Luthers Brief 
an den Amtmann Georg von Harstall und den Rat zu Creuz- 
burg vom 27. Januar 1543, der bei Enders-Kawerau, Luthers 
Briefwechsel, 15 S. 98 fl. abgedruckt ist. Unsere Abschrift 
enthält nur Zeile 4—36. Da der Abdruck bei Enders- 
Kawerau das im Weimarer Archiv befindliche Original be- 
nutzt, der Abschreiber des Manuscriptum Thomasianum dagegen 
nur die Jenaer Ausgabe von Luthers Werken, Tom. 8 (1562) 
S. 107, 108 als Quelle nennt, ist es zwecklos, auch nur Les- 
arten mitzuteilen. 


Nr. 128. Schreiben der in Schmalkalden versammelten 
Prädikanten an die Chur- vnd Fürsten vnd Mitgewandten der 
christlichen Verständnuß, Schmalkalden am Tag Matthiä 
[24. Febr.] 1537, gedruckt im CR. 3, 288ff. nach dem im 


Briefe von Simon Minervius und vierzehn Briefe von Caspar Peucer 
an Hieronymus Baumgartner, endlich solche in der Meusebachschen 
Sammlung der Kgl. Bibliothek zu Berlin (N. Müller in Mitt. des Ver, 
f. Gesch. d. Stadt Nürnberg 10 [1893] S. 245 ff.). 


39 | 279 


Weimarer Archiv vorhandenen Original. Knaake hat den 
Brief nicht vollständig abgeschrieben, sondern nur die vom 
Druck abweichenden Lesarten, die ausschließlich ortho- 
graphischer oder stilistischer Art sind, notiert; deren Abdruck 
ist unnötig. 


Nr. 129. Veit Dietrich an Dr. Magenbuch. O. D.“) 


Epistola Viti Theodori ad Magenbuchium. 


Basilius ad Eustathiam medicum dicit: mot toi: 
Ti» lavQuxi» pereovo pılavdowreav elvar tò èrmirýðevua, 
ou j loro véyyn vijc vyuelas ¿ori xognyog?). Recte igitur 
eum tali professione, mi Magenbuchi, natura tua hu- 
manissima coniuncta est. Ac sentio ideo etiam fortunari 
magis studium tuum, quod tu quoque, sicut idem Basilius 
dieit, e ] zvotetg acavrQ Tis quAav9owztíag vovg 0povsc, 
dum sic sollicite omnes ac praesertim eos curas, qui in ali- 
qua parte gubernandarum ecclesiarum consistunt. Quare 
existimavi tua benignitate € humanitate uti. Tu vicissim 
mihi impones, si quid voles a me tibi confici De uxore 
sic habe. Creberrimis cordis compressionibus vexatur seu 
Orificij Stomachi ac saepe in lipothomias" inde labitur. 
Nune etiam accedunt dolores ventris seu tormina, ac metuo, 
ne magis sint invalitara. Accidit autem ei nunc, quod cum 
primo esset gravida?) ut nullum potum appetat quam aquam. 
Quanquam autem hactenus me prohibente nondum biberit, 
tamen cum cervisiam & vinum quotidie magis ac magis 
abominetur*) nescio quid statuendum sit.. Itaque consilium 
tuum expecto. Si quid miseris pro ipsa, curabo, ut sumat. 
Ego quoque Catapotia hoc vesperi sumam. Itaque mitto 
vasculum. Bene vale cum coniuge tua dilecta. 


Vitus tuus. 


a) Im Cod. Schreibfehler: oi. 
b) Statt lipothomias wird lipothymias (4«to29vuía) ,Ohnmachten* 
zu lesen sein. 


1) In Ermangelung weiterer Angaben läßt sich die Zeit des Briefes 
nicht näher bestimmen. Er muß nach August 1537 (s. Anm. 3) und 
vor Oktober 1546 angesetzt werden, in dem der Tod Magenbuchs (über 
ihn vgl. oben S. 115 Br. 107°) erfolgte. 

) Vgl. Basilii Opp. graeca (Basel 1551), S. 333 in Epistolarum 
liber den Brief von Basilius an den Arzt Eustathius. 

3) Dietrichs erstes Kind wurde im Januar 1537 geboren. Im 
August desselben Jahres kam seine Frau mit einer Fehlgeburt nieder, 
s. Br. 41*, Nach dieser Zeit muß der Brief geschrieben sein. 

*) Daraus darf man wohl schließen, daß man Bier und Wein 
damals als gewöhnliches Getränk ansah, während man den Genuß von 
bloßem Wasser als bedenklich, wenn nicht gar als gesundheitsschädlich 
betrachtete. Die Schüler von Pforte bekamen im sechzehnten Jahr- 


280 40 


hundert nach der Speiseordnung viermal täglich Bier, zum Mittagbrot, 
als Vespertrunk, beim Abendessen und endlich noch einen Schlaftrunk, 
außerdem einmal wöchentlich Wein. Als einmal das Maß verringert 
wurde, verwendeten sich die Professoren der Leipziger Universität, 
die die Schule inspiziert hatten, in einem Bericht vom 10. August 1589 
dafür, den Schülern wieder das alte Maß zu gewähren, „sintemalen 
die knaben in mangelung deßelben nicht vnderlaßen in der großen 
Hitze in den Keller zulauffen, den Kofent, auch wol Wasser zu 
trinken, welchs Ihnen dann zu Krankheiten, auch andern medien 
heitten leichtlich vreach geben kann“ (Haupt-Staatsarchiv zu Dresden 
loc. 10597 der drei Fürstenschulen Visitation 1589 ff. Bl. 80ff.). 


Nr. 130. Lateinisches Gedicht eines unbekannten jungen 
Mädchens aus der Lausitz, namens Fulgentia, in dem sie 
ihren Dank für Übersendung eines Schriftchens von Veit 
Dietrich zum Ausdruck bringt. Es macht der dreizehn- 
jährigen Lateinerin alle Ehre. 


Fulgentiae Lusatinae puellae XIII. annorum Versus sive 
earmen ad Vitum Theodorum 


(ex autographo). 


Ad Vitum Theodorum Eruditissimum Virum Fulgentia 
Lusatina. 


Redditus est nobis pulcherrimus ille libellus, 
Qui fuerat nostros jussus adire lares. 

Quo simul accepto tam divite munere, multum 
Laeta quidem, moesto sed quoque corde fui, 

Munere pro tali dignum, ne ingrata viderer, 
Namque dare indolui nil potuisse tibi. 

Istud enim excedit, quiequid Pactolus in Undis 
Versat et auriferi ditior unda Tagi. 

Immemor aecepti sed ne tamen esse viderer, 
Haee tibi cum grata carmina mente damus. 

Munera parva quidem inque tuas indigna venire 
Sunt, fateor, doctas, o Theodore, manus. 

Sed eape, quod misso pro dono reddere possum, 
Nam vi animus *suplet” deficiente: Vale. 


a) Durch ^ ist vom Abschreiber das folgende Wort als zweifel- 
haft bezeichnet, Es ist supplet zu lesen. 


Nr. 131. Georg Major!) an Hieronymus Baumgartner 
(in Nürnberg). 
Wittenberg, 3. (?) Januar 1529. 
Aueh von Seidemann abgeschrieben S. 94. 


Clarissimo ac Doctissimo Viro D. Hierony mo 
Baumgartner Patrono suo. 


— — 


41 281 


S[alutem. Solent, qui amicis rarius scribunt, illa vul- 
gari uti excusatione, quod aut in nuncios aut negocia culpam 
conferunt. Ego vero nihil aliud meae culpae, si qua est, 
praetexo, quam quod homini gravibus reipublicae causis 
occupato puto inanes literas legere non parum esse molestum. 
Quare si hac.in parte erro fortassis, scribam deinde ad te 
frequentius, Vir Doctiss(ime. Caeterum, quia nondum puto 
D. Martini Apologiam adversus Principis Georgij 
libellum?) ad Vos perlatam, putavi non ingratum futurum, 
si ilam tibi mitterem, in qua mirum est cernere ut in 
caeteris omnibus artificem. Metuendum autem est, ne illo 
seribendi certamine relieto sie exacerbatis animis tandem 
deveniatur ad arma, quo nune res omnes spectare videntur. 
Narratur magnam & equitum & peditum multitudinem con- 
fluere circa oppidum Premam?*) in Saxonia, illorum 
ducem esse Sebastianum defuneti Principis Friderici 
Elect[oris, quem te nosse puto, nec constat, cuius stipendio 
sint conductae aut alantur istae copiae. Princeps noster 
Elector hoc die hic Vuittembergae & passim in suis 
urbibus interdixit, ne reditus ecclesiastici praeberentur ijs, 
qui sub principis Georgij sunt ditione, quia idem iam- 
pridem antea inhibuerit Princeps Georgius). Videntur 
nobis multa mala imminere, quae deus sua benignitate 
avertat. Philippus noster detinetur adhuc in constituendis 
rebus ecclesiasticis in Turingia?) Doctor Martinus 
eum quibusdam alijs ad earum ecclesiarum, quae in Saxonia 
& Misia sunt, statum inspiciendum his proximis diebus missus 
est?) Postremo non ignoras, Vir Clarissime, cum proxime 
in Patria essem, rogasse me tuam humanitatem, si quando 
futurum esset, ut hi autores, qui in ius Civile scripserunt, 
quorum magnus numeros in Augustinensium bibliotheea 
extat") distraherentur, ut mei quoque aliqua ratio haberetur 
ab ijs, qui harum rerum curam & administrationem habent, 
id quod se facturum recepit Dominus Leo Schurstab?). 
Quare rogo, ut in his libris comparandis mea studia ad- 
juves. Cum has scriberem, narratur advenisse huc princeps 
Marchio Georgius?) & celeriter missum nuncium in 
oppidulum Schweynitz, accersitum Doctorem Martinum. 
Nam ibi istam doxıuaolav & ecclesiarum inspectionem primum 
inchoarunt nostri. Bene vale, Vir Clarissime. Vuittem- 
bergae 3.2 Januarij 1529. 

| T. Georgius Maior. 


a) Zum Datum vgl. Anm. 9. 

) Zu Georg Major, der auch geborener Nürnberger war, vgl. 
RE.* 12 S, 85ff, Er befand sich damals noch in Wittenberg, wo er 
Studierende in sein Haus nahm und weiter bildete, Vermutlich war 
er auch Mitglied der Fakultát. 


282 42 


2) Luthers Schrift von heimlichen und gestohlenen Briefen war 
Neujahr 1529 erschienen. S. Köstlin, Luther’ II S. 114ff.; Enders 7, 14, 
35 f., 38; W. A, 3011, 10ff. 

3) Ueber diese Truppensammlungen bei Bremen war nichts zu er- 
mitteln. Ueber Sebastian (von Jessen), einen natürlichen Sohn vom 
Kurfürst Friedrich, der im Jahre 1535 als ein General des Königs 
Christian II. von Dänemark genannt wird, einige Notizen in Seckendorffs 
Historie des Luthertums, deutsch von El. Frick (1714) S. 702, 703, 705; 
Seckendorff I, 68 und II, 33. 

) Daß die kurfürstliche Anordnung wegen Sperre der kirchlichen 
Einkünfte aus kurfürstlichen Orten an Empfänger im Fürstentum des 
Herzogs Georg auch befolgt wurde, lehrt z. B. ein Bericht des Abtes 
Peter I. von Pforte an den Herzog Georg vom 25. Juni 1531. Danach 
hatte der Kurfürst „nu ins dritte jar die Zinsen aus (den unter kur- 
fürstlicher Hoheit stehenden Dörfern) Altenburg / Saale und Flemmingen, 
die dem Kloster zuständen, einbehalten“ (Böhme, Urkundenbuch des 
Klosters Pforte 11? [1915] S. 479). 

5) Melanchthon war vom Oktober 1528 bis Januar 1529 in Thüringen, 
um an der Visitation der Kirchen und Neuordnung aller kirchlichen 
Verhältnisse teilzunehmen (s. CR. 1 S. CLIX, Annales vitae z. J. 1529; 
erst etwa am 24. Januar 1529 kam er nach Wittenberg zurück). Vgl. 
auch Burkhardt, Gesch. d, sächs. Kirchen- und Schulvisitationen S. 27 fl.; 
Sehling, die evang. Kirchen-Ordnungen des 16. Jahrh. II S. 41ff.; 
Pallas, Registrataren der Kirchenvisitationen des Kurkreises in den 
Geschichtsquellen der Prov. Sachsen Bd. 41. 


e) Ueber die Teilnahme Luthers an der Visitation des Kurkreises 
1528/29 vgl. Kóstlin, Luther? II S. 381f. (der Satz Doctor Martinus usw. 
aus unserm Briefe benutzt und zitiert von Köstlin II S. 631 zu S. 393), 
ferner außer’ Burkhardt und Sehling a. a. O. besonders Pallas a. a. O. 
(mehrfach), auch W. A. 301, 346, 431; Enders 7, 39f. Nach Köstlin 
weilten die Visitatoren erst vom 7.—9. Januar in Schweinitz, wo 
während ihres Aufenthaltes im Schloß ein gefährliches Feuer ausbrach. 
Nach unserm Brief muB aber Luther schon früher dort gewesen sein, 
da Major ja bereits von seiner Abwesenheit berichtet und am Schluß des 
Briefes sagt, daß die Visitatoren ihre Tätigkeit diesmal in Schweinitz 
begonnen hätten. Vorhanden ist noch ein Brief Luthers an Amsdorf 
aus Schweinitz, der schon am 30. Dezember 1528 geschrieben ist 
(Enders 7, 35), ferner der Bericht der Visitatoren über Prettin, datiert 
ebenfalls vom 30. Dezember 1528 (Pallas a. a. O. 11? S, 3), Sonst ist 
keinerlei Datum über die Tage der Visitation bekannt. 


7) Die Bücher und Handschriften der eingezogenen Klöster Nürn- 
bergs, darunter auch des Augustinerklosters, bildeten später den Grund- 
stock der im Jahre 1538 durch Hieronymus Baumgartner und Erasmus 
Ebner eingerichteten Nürnberger Stadtbibliothek, s. G. E. Waldau, 
Neue Beytr. z. Gesch. d. Stadt Nürnberg IV (1790) S. 800. — Major 
trieb damals offenbar eifrig juristische Studien, s. u. Nr, 1329 u. 17. 

8) Zu Schürstab vgl. Br. 56%, 

?) Markgraf Georg von Brandenburg-Ansbach reiste durch das 
kurfürstliche Gebiet nach seinen schlesischen Besitzungen, Die adligen 
Visitatoren Metzsch und Taubenheim sollten ihn auf seiner Reise be- 
gleiten, baten aber in einem Schreiben voin 9, Januar (Enders 7, 39), 
die Visitation mit Luther und Pauli fortsetzen zu dürfen, was indessen 
nicht genehmigt wurde. Es ist auffällig, daß Major schon am 8. Januar 
von dem Abgang eines Boten nach Schweinitz weiß, während die 
Visitatoren ihr doch gewiß eiliges Schreiben erst am 9. Januar, also 
sechs Tage später, abgehen ließen. Sollte in unserm Briefe 8, Januar 
zu lesen sein? 


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Nr. 132. Georg Major an Hieronymus Baumgartner. 


Wittenberg, 9. Márz 1529. 
Abschrift bei Seidemann S. 96. 


Clarissimo ae Doctiss. Viro D. Hierony mo Baum- 
gartner, Patritio ac Senatori Nurmbergensi, Domino 
& Patrono suo. 


Zu Nürmberg wohnhafftig am Obsmarck. 
1)1529 per Vuolfgangum Iacobi?) & ignotum 
quendam 26. Martij. 


S. Nolim te arbitrari, Doctissime Hieronyme, 
gratius tibi meum fuisse officium, quam mihi iucundae fu- 
erunt doctissimae literae tuae, non tantum eo nomine, quod 
ex ijs recte meum studium & officium cecidisse € majorem 
tibi gratifieandi occasionem mihi datam cognovi, quam quod 
tam diligenter & amanter ab homine publicis & gravioribus 
negocijs occupato mihi responderi video. Porro indicio sunt 
eum proximae ad me & frequentes aliae ad Veteres amicos 
literae tuae, tum maxima tua in nos omnes beneficia, quam 
fu in retinenda & eonservanda amicitia sis constans, eamque 
ex multis alijs, in quibus hoc a quibusdam desideratur, 
Unus existimationem & laudem apud bonos Viros passim 
obtines, quod neque fortunae splendor neque honorum ampli- 
tado mores commutavit tuos. Est enim vulgare hoc: honores 
mutare mores. Caeterum si qui hic ex veteribus amicis 
sunt, qui hac in parte peccant, quod rarius fortassis ad Vos 
scribunt, nulla mihi alia ratione facere videntur, quam ne 
suis literis molesti sint vobis. Sed quia eleganter scribis 
cupere te, ut omnes hic sedulam operam demus, quo mole- 
stissimi simus, efficiam profecto, ut posthac satis molestiarum 
habeas. 

Neque vero ad coémendos libros opus erat nunc pecu- 
niam mittere, sed quia id a me fieri desideras, curabo omnes 
Lutheri libellos, qui apud nos deinceps excudentur, ad 
Vos perferri. Hoc autem tempore nihil recens excusum ex- 
tabat Lutherus parat nunc expeditionem ad- 
versus Turcam 5), novum genus pugnae: non vi aut armis, 
sed verbis € chartis geritur res, quem infestissimum certe 
hostem si eiusmodi apparatu & machinis profligaverimus, nae 
ilum omnes Alexandro magno, Annibali & omnui- 
bus Seipionibus praeferendum censebunt. Puto autem 
brevi futurum, ut iste libellus adversus Turcam, 
quem Hessorum Lantgratfio dedicavit, una cum epi- 
stola“) ad reges & principes Germaniae, qui nune 
Spirae comitia habent, edatur, quos, quam primum fuerint 
absoluti, ad Vos transmittam. 


284 | 44 


Schola nostra magna ex parte nunc friget?) Philippus 
enim (quod te scire puto) Spiram ad Comitia cum Illu- 
strissimo Principe abijt®), Doctor Hieronymus & 
Augustinus fratres? vocati sunt Vuinariam ad 
Iuniorem Principem. 

Habeo autem gratiam, quod tam liberaliter tuam mihi 
operam polliceris, si quando futurum sit, ut Iureconsultorum 
libris) ex Augustinensium bibliotheca distrahantur. 
Iuris Civilis editionem?) omnes mirantur tam diu differri. 
Magna est certe omnium expectatio. 

Proximis diebus per adolescentem quendam plane 
rhetorica et illustri oratione declamationis loco publice cele- 
brata et laudata est patria nostra, cuius artifex fuit Vitus 
noster 10). Et fuit ea oratio sane popularis, quae si inter 
franconicos equites haberetur, mirum ni illi dicentem 
patienter audirent. 

Wolffgangum Aubeck!!) tam felici nuncio vehe- 
menter exhilaravi, is Vobis omnibus, quorum opera & bene- 
volentia tantum beneficium est consecutus, per literas gratias 
aget. Amicos, quos iussisti, diligenter tuo nomine salutavi 
omnes. Blycardus'!?) noster ex longo adeo morbo incipit 
nune paulatim reconvalescere. 

Postremo, mi  Doctissjime Hieron[yme, scripsi 


parenti !°) meo, ut ille privatim D. Hieronymi Ebneri!* 


animum pertentaret, num quorundam precibus impetrare 
possent, uf stipendium, quo nune utor, in Unum aut duos 
adhue annos mihi prorogaretur, et quanquam de ea causa 
fere desperarim, eum non ignorem Sebaldum 5) nostrum 
multorum commendatione hoc non potuisse obtinere, putavi 
tamen hoc saltem tentandum, neque aegre laturum D. Eb- 
nerum, si hoc privatim fieret. Licet autem nune idem 
mihi quod Luciano!) conqueri. Nam si quod est studium, 
quod eget zóvov rrollo xal xoóvov uaxgov xal Óarzávrg 
ot cutxgús, certe iuris studium est“). Nosti autem quoque 
rà de Tuérego et TE elvar. Quare si quo consilio aut 
opera poteris, rogo, uf parentem adjuves. De D. Hieron[y mo 
Ebnero non est mihi dubium, quin ille meis rebus optime 
eonsultum velit, sed, ne apud alios hoc obtinere possimus, 
vereor. Putavi tamen citra molestiam fieri, si privatim peri- 
culum faceremus. Iussi autem, ut Parens hac in causa tuo 
uteretur consilio. Quare si dissuaseris, desistemus a tota 
eausa, sin aliquam spem dederis, eo magis maturandum erit 
nobis, ne ij qui ambituri videntur, nos praeoccupent. Bene 
vale cum tuis omnibus, Vir Clariss(ime atque summe Patrone. 
Vuittembergae 9. Martij 1529. 
Tjuae Dlignitati 
d[editissimus Georgius Maior. 


tom —U P — — 9 


45 285 


1) Das Folgende offenbar Prüsentationsvermerk. 

2) Zu Wolfgang Jacobi d. i. Jacobäus s. Br. 33% und 75%, Nach- 
zutragen M daß der aus Hoffheim bei Königsberg i. Franken 
stammende Jacobi in Leipzig Wintersemester 1515 immatrikuliert war 
und ebendort im Sommer 1517 Baccalaureus wurde. Dann ging er 
als Lehrer an die Lorenzschule in Nürnberg, der er früher auch als 
Schüler schon angehört hatte. In dieser Zeit wurde Veit Dietrich ihm 
zur privaten Unterweisung übergeben, und als er ihn genügend vor- 
bereitet hatte, zog er noch einmal mit seinem Zögling auf die Hoch- 
schule, diesmal nach Wittenberg, wo er am 24, März 1523 als Wolff- 
gangus Jacobi de Hoffheym Herbipol. dioc. immatrikuliert wurde 
(Alb. 114. Unmittelbar hinter ihm stehen in der Matrikel eingetragen 
Vitus Dittrich Nurnbergens. Bambergen. dioc, aber mit dem. Datum 
18. Marcii wie der dann folgende Lazarus Spengler Nurnb.). Vgl. 
Dietrichs Oratio funebris auf seinen Lehrer in cod. Monac. lat. 941, 
39 b ff. Da es hier heißt, daß er mit Dietrich zwei Jahre lang in 
Wittenberg zusammen gewesen sei, scheint er im Jahre 1529 nur 
vorübergehend sich in Wittenberg aufgehalten zu haben. 

*) Luthers Schrift Vom Krieg wider die Türken, s. Köstlin, 
Luther“ II S. 116f, und S. 637 zu S. 116? [wo Z. 2 statt 9. Februar 
zu lesen ist 9, Márz] und den Brief Luthers an Nikolaus Hausmann 
vom 3. Márz 1529: Libellus contra Turcam iam cuditur (Enders 7, 61). 
Vgl. noch O. Clemen in ZKG. 31, 3223 und W. A. 3011, 81ff., 96. 


*) Es ist wohl das kaiserliche Ausschreiben zum Speirer Reichs- 
tay, datiert vom 11. November 1528, gemeint (Seckendorff, deutsch 
von E. Frick Sp. 936). In der Bibliographie W. A. 30H, 97ff. ist ein 
solcher gemeinsamer Druck nicht erwähnt. 

*) Vgl. den von Enders 7, 69! angeführten Bericht des Haupt- 
manns Metsch an den Kurfürsten, der schon vorher am 8. Februar 
meldet, daß, während Luther und Melanchthon infolge ihrer Tätigkeit 
als Visitatoren von Wittenberg abwesend gewesen, mehr denn 100 
Studenten fortgezogen seien. | 

*) Melanchthon war Mitte Februar nach Speier abgereist (CR. 1 
8. CLIX). 

) Ueber Hieronymus Schurf vgl. ADB. 33, 86 ff., über Augustin 
Schurf N. Müller in ARG. VII, 360ff. 

8) S. Br. 131”, 

°) Vielleicht ist die Ausgabe des corpus juris civilis von Holo- 
ander (Meltzer, Nürnberg 1529—1531) gemeint. Ueber Haloander s. 
ADB. 10, 449—451. 

10) Diese Rede Dietrichs über Nürnberg ist unbekannt, nicht er- 
wühnt bei Strobel, Will-Nopitzsch. 

1) Wolfgang Aubeck, wohl derselbe, den Melanchthon im Laufe 
des Jahres 1528 zweimal an Baumgartner empfiehlt wegen Erhóhung 
eines Stipendiums, CR. 1, 937 (hier heiüt er Aupell) und 1000, vgl. 
auch Enders 7, 137. 

1) Zu Blykardus Sindringer, Dr. jur. utr. und Professor in 
Wittenberg (gest. 1551), vgl. Enders 7, 1525 und Seidemann zu den 
Regesten seiner Briefe an Baumgartner ZhTh. 1874 S. 547ff., 555 fl. 

13) Vater Majors, Leonhart Maier, war Obstmesser, s. Majors 
Brief an Frau Sibylle Baumgartner (Waldau, Neue Beytr, z. Gesch. 
von Nürnberg I S. 330). 

14) Zu Hieronymus Ebner s. Enders 1, 112. 

15 Zu Sebald Münsterer vgl. oben Br. 26?, 

16) Steht in Lucian meg 700 àvvz»íov $ 1. 

17) Vgl. oben Anm. 9 und Nr. 131“. 


286 46 


Naehwort. 


Nach einem in der Dresdner Bibliothek befindlichen 
Verzeichnis (Mser. C 109*, besprochen durch van Hout im 
Programm des Bonner Gymnasiums vom Jahre 1877 S. 3ff.) 
zühlte das Baumgartnersche Familienarchiv 23 Briefe von 
Georg Major an Baumgartner und zwei von demselben an 
Veit Dietrich. Ein groBer Teil davon ist verloren gegangen 
oder wenigstens bisher nicht zum Vorschein gekommen. 
Immerhin lassen sich außer den beiden oben mitgeteilten 
noeh 10 Briefe im Original und von 3 wenigstens die Inhalts- 
angabe nachweisen. 

1. Wittenberg, 26. März 1529, Original zu Bretten im 
Melanehthonhaus (s. Anhang). 

2. Wittenberg, 17. April 1529, Original früher im Besitz 
des Senators Dr. Gwinner zu Frankfurt a. M, 1907 durch 
das Antiquariat von C. G. Boerner in Leipzig versteigert, 
abgedruckt von O. Clemen in ZKG. 31, 322. 

3. Wittenberg, 16. Mai 1529, Original im Januar 1911 
von dem Antiquariat Ernst Henrici in Berlin zum Kauf an- 
geboten. 

4. Magdeburg, 7. Mürz 1531, Original angeboten vom 
Antiquariat K. E. Henrici, Lagerkatalog 14 Nr. 328. 

5. Magdeburg, 30. Oktober 1531 (Regest bei van Hout, 
Programm des Bonner Gymnasiums 1877 S. 20 Nr. 172 
mit Datum 30. September) Original angeboten von K. E. 
Henrici, Lagerkatalog 14 Nr. 329. 

6. Magdeburg, 4. September 1534 (Regest bei van Hont 
a. a. O. S. 20, Nr. 173 mit dem irrigen Datum 24. September 
1534), Original zu Bretten im Melanchthonhaus, erworben 
1904 aus dem Antiquariat von Leo Liepmannssohn in Berlin 
(s. Anhang). 

7. Magdeburg, 1. November 1534, Regest bei van Hout 
a. u. O. S. 20 Nr. 174. 

8. Magdeburg, 16. April 1535 (Regest bei van Hout 
a. a. O. S. 21 Nr. 175), Original zu Bretten im Melanchthon- 
haus (s. Anhang). 

9. Magdeburg, 20, Juli 1536 (Regest bei van Hout 
a. a. O. S. 7 Nr. 2), Original angezeigt im Antiquariats- 
katalog XIV von C. G. Boerner (1909) $. 27. 


47 287 


10. Wittenberg, 5. Januar 1541, Regest bei van Hout 
a. a. O. S. 21 Nr. 176. 

11. Magdeburg, 1. Dezember 1546, Original im Melan- 
ehthonhaus zu Bretten (s. Anhang). 

12. Weimar, 9. September 1547 (Regest bei van Hout 
a. a. O. S. 21 Nr. 178), Original im Jahre 1911 angeboten 
von dem Antiquariat Henrici in Berlin. 

13. Wittenberg, 12. Januar 1549, Regest bei van Hout - 
a. a. O. S. 21 Nr. 179. 


Nr. 133. Jakob Rungius!) an Hieron. Baum- 
gartner [den Alteren]. Stettin, 25. Dezember 1555. — 
Abschrift auch bei Seidemann S. 97. 


Clarissimo & Sapientissimo Viro Domino Hieronymo 
Baumgartnero, Gubernatori in inclyta Republica No- 
rica, Domino suo colendo. 

1556. 18. Jan.?) Respondi 20 febr. ut intus. 


s. d. Clarissime et Sapientissime Vir, Quod Telema- 
chus iuvenis apud Homerum queritur se turbari pudore, 
eum Nestorem Virum Senem Sapientem et gravem allo- 
queretur?), idem mihi ad te scribenti accidit. Quotiescun- 
que enim mente te intueor, accendor praecipua admiratione 
virtutum tuarum & Deum oro, ut te propter Ecclesiam, 
Seholas & Rempublieam diu incolumem servet & Noricam 
urbem Vestram, quae vere, ut Croesus Cyro deliberauti 
de excindendis Sardis) dixit, est sony) zaAwv véyvw»(!), 
clementer adversus Alcibiadem Maoyirnv?°) tueatur. 

Gratias autem tibi ago pro ingentibus beneficijs, quibus 
isthic?) adfectus sum, quae praedicare non desino. Inde 
autem Vestram erga me Voluntatem nune vere perspexi, 
quod D(ominus Philippus ad me scripsit”), te optare me 
potius Noribergae quam alibi docere. Et addit te rogare, 
ut mihi hortator sit. Ego, Clarissime Vir, imbecillitatem 
meam agnosco. Sed cursum meum commendo deo & piorum 
ac bonorum Virorum consilijs. Quocunque loco me deus 
esse volet, dicam et faciam ea, quae pia, recta & moderata 
sunt. In hisce Haleyonijs?) sub Brumam hie coacta est 
Synodus, in qua Osiandrica causa Artopoei audita 
est?) Initio ut Consensus doctrinae inter omnes docentes 
constitueretur una cum Actis Colloquij nostri, quae vidistis, 
propositum & approbatum est scriptum, quod istic proxime 
est conditum. Non possum eloqui, quam avidi et laeti 
omnes lectionem Scripti & commemorationem earum rerum, 
quae Noribergae sunt gestae, audiverint. Vere dico 


288 48 


Actiones istas Noricas non modo profuisse Vestrae Civitati, 
sed toti Ecclesiae. Ac erit Res Confessionis loco apud 
omnem posteritatem. 

Artopoeus etsi initio pertinaeiter Osiandrica 
propugnabat, tamen severe a Synodo admonitus agnitis erro- 
ribus culpam plenissime est deprecatus. Ac sua sponte in 
Synodo Absolutionem in conspecta omnium Pastorum & 
Deleetorum ex aula & Senatu, qui praesidebant, petijt. Sua. 
sponte publice Revocabit scripto & voce. Si fidem praestabit. 
vere adfirmamus, Vix simile exemplum verae Poenitentiae 
in tali negotio & in tali persona nostra aetate auditum esse. 
Principes eum exautorarunt stipendio & loco. Ac dubitatur, 
an eum intra fines suos laturi sint. Verum ob admirandam 
humilitatem & rrapenciay in confitendo errore Synodus pro 
ipso deprecata est. 

Festinatio tabellarij fecit, quod Dominis Superattenden- 
tibus Vestris Besoldo & Mauritio?) non potui scribere. 
Gratissimum mihi erit, si pro commemorabili tua bonitate, 
qua ordinem literarium nostrum complecteris, foves, tueris 
& auges, ipsis salutem dices & hortaberis, ut ad me scribant. 
Cupio enim scire, ubi sit Culmannus!!) € quid post 
discessum nostrum sit consecutum. Haec monente D. Phi- 
lippo ad te, Clarissime Vir, scripsi, & ut benigne acoipias, 
reverenter oro. Deo commendo te, Urbem & Ecclesiam 
Noricam, & salutem opto omnibus Benefaetoribus, amicis 
& Dominis meis, qui istic sunt. Ex Stettino. Die nati 
Filij Dei ex Maria, qui est 25 Decembris anni adhue cur- 
rentis!?) 1555. 

Iacobus Rungius. 
1) Über Runge (1527—1595), seit 1558 Professor der Theologie 


und Pastor in Greifswald, seit 1556 Generalsuperintendent von Pommern, 
s. O. Vogt, Balt. Studien 42 (1892) S. ff. 

2 Prüsentationsvermerk. 

3) Homer Odyssee III, 24: aldws Ò ad véov Aid o yepaitegor 
e SEE 

4) Xenophon, Cyropaedie VII, 2, 13 etwas anders: %» de diaoráo,s 
[tv nói], xai ai reyvaı vor, As Any As gaoi vOv xaAOn elvas, ieg Sa u 
Eoovraı. [Statt Sardis erwartete man Sardibus.] 

5) Maoyitrs = Marchicus oder Marchio, Markgraf von Branden- 
burg, s. CR. 10, 321. Hier handelt es sich um Albrecht Alcibiades 
von Brandenburg-Culmbach, über den zu vgl. ADB. 1, 252, 

9) isthic, Runge war von Ende September bis in den Oktober 
hinein iu Nürnberg gewesen als Begleiter von Melanchthon, um die 
dort verbliebenen Anhänger Osianders umzustimmen oder zu entfernen, 
8. CR. 8, 546 Vorbemerkung zu Nr, 5847 und O. Vogt, Balt. Studien 
42 (1892), S. A. S. 2f. Vgl. auch oben Br. 22! (ARG, 12 S. 230). 

?) Dieser Brief Melanchthons ist nicht erhalten. Ein Brief von 
Baumgartner an Melanchthon vom 22, Oktober 1555 (ungedruckt, Ab- 
schrift in Bretten) erwähnt noch nichts von einer Berufung Runges 
nach Nürnberg, ebensowenig Melanchthon in seinem Brief an Baum- 


49 289 


gartner vom 10. November 1555 (CR. 8, 602). Dagegen ist von dieser 
in Briefen des Jahres 1556 oft die Rede. Runge war geneigt, dem 
Rufe Folge zu leisten, erhielt aber von den Herzögen zu Pommern 
nicht die Erlaubnis hierzu. Vgl. O. Vogt a. a. O. S. 7; CR. 8, 774, 
797, 867; Regesten von Briefen Runges an Baumgartner und an 
Melanchthon (beide vom 27. September 1556) bei van Hout, Programm 
des Gymnasiums zu Bonn 1877, S. 23 Nr. 217 und 218; den Brief 
Runges an Melanchthon 3. September 1556 bei Vogt a. a. O. S, 14; 
den Brief Baumgartners an Runge, 12. August 1556, Runges an 
Besold, 28. September 1556 (O. Vogt, Balt. Studien N. F. II [1898], 
S. 601i) und Baumgartners an Melanchthon, 12. August 1556 (un- 
gedruckt in Bretten). : 

*) In hisce Halcyoniis (sc. temporibus oder diebus)  Alcyonia 
oder Alcedonia, die stille und unstürmische Zeit im Winter, 7 Tage 
vor und 7 Tage nach dem kürzesten Tage, wührend welcher der Eis- 
vogel brütet. 

9) Die Synode trat am 16, Dezember 1555 in Stettin zusammen. 
Peter Artopóus (Becker), Pfarrer an der Marienkirche zu Stettin, der 
sich wegen seiner Hinneigung zu Osianders Lehre vor ihr verantworten 
mußte, leistete Widerruf, s. Vogt, Balt. Studien 42, a. a. O. S, 6 und 
CR. 8, 659. Als er danach sein Verhalten doch wieder änderte, wurde 
er seines Amtes enthoben, s. Vogt a. a. O. 

10) Moritz Heling. der ebenfalls wie Runge mit Melanchthon im 
September 1555 nach Nürnberg gereist war (CR. 8, 546), nahm die 
ihm angebotene Stellung in Nürnberg Ende 1555 an als Prediger an 
S. Sebald und hat dort noch lange Jahre in einflußreicher Stellung 
gewirkt. Ueber sein früheres Leben vgl. Will-Nopitsch, Nürnberger 
Gelehrtenlexikon II, 80, VI, 55; ferner Freytag, Preuß. Studenten in 
Wittenberg S. 42; ADB. 11, 690. Ueber seine Berufung nach Nürn- 
berg s. auch ungedruckte Briefe von Peucer und Melanchthon an 
Besold (28. und 29. November 1555) in Bretten. | 

11) Leonhard Culmann (s. Br. 2, 21 u. 22), seit 1549 Prediger an 
S. Sebald als Nachfolger Dietrichs, wurde 1555 als Anhünger der Osiander- 
schen Lehre abgesetzt. 1556 wurde er Pfarrer zu Wiesenstaig in 
Württemberg (Kolde, Beitr. z. bayr. Kirchengesch. 3, 1761), 

12) Man rechnete damals bekanntlich öfter Weihnachten als den 
Anfang eines neuen Jahres und änderte demgemäß die Jahreszahl vom 
25. Dezember ab. Durch die obige Ausdrucksweise soll offenbar dies 
ausgeschlossen werden. 


Nr. 134. Justus Jonas an Veit Dietrich, 
Halle, 18. Juli 1543. Bei Seidemann S. 98. Gedruckt 
von Kawerau, Jonas’ Briefwechsel IT, 107f. Nr. 691 nach 
dem Manuseriptum Thomasianum. Ein Stück daraus schon 
bei Pressel, Jonas S. 136; der Brief vollständig, aber fehler- 
haft bei Th. Sincerus, Neue Sammlung von lauter alten und 
raren Büchern (1733, 34), S. 429f., dessen Lesarten von 
Kawerau mitgeteilt werden. 

Bei der Unterschrift hinter J. Jonas D. schwankt 
Knaake zwischen nune und imo, Seidemann und Kawerau 
geben nune. In der Nachschrift Z. 1 M. Vite bei Knaake 
wie bei Sincerus. 

Archiv für Reformationsgeschichte. XIII. 4. 19 


290 50 


Nr. 135. Jonas an Veit Dietrich, Halle, 
9, März 1546. Bei Seidemann S. 100. Gedruckt von 
Kawerau a. a. O. IL, 185 Nr. 789 und früher von Sincerus 
a. a. O. S. 497 ff. 

Z. 5 statt quod bei S. q, was gleich qui würe. 

Z. 9 sanctissimis hinter variis auch in Knaakes Abschrift. 

S. 186 Z. 8 Magebuchus Kn. und S. 

Z. 12 optarint Kn. 

In Adresse: et fratri Sincerus. 


Nr. 136. Jonas an Veit Dietrich, Halle, 
17. März 1546. Bei Seidemann S. 101. Abgedruckt von 
Kawerau a. a. O. II, 187£. Nr. 792 und früher von Sincerus 
a. a. O. S. 433. 

Z. 6 lesen Kn. und Sincerus exemtionem, Kawerau hat 
executionem, was wohl richtig ist. | 

Z. 8 percacati fehlt bei Sincerus. 

Z. 12 Reginas bei S, aber doch irrig. 

S. 188 Z.2. Knaake hat wie Sincerus amicos. 


Nr. 137. Jonas an Veit Dietrich, Halle, 
26. Juni 1548. Bei Seidemann S. 102. Abgedruckt von 
Kawerau a. a. O. II, 263 Nr. 884 und früher von Sincerus 431 ff. 

Z. 2 Von den hebräischen Worten nur das erste und 
letzte bei Sincerus. 

S. 264 Z. 4 üyıaıvovonv bei Kn, von Kawerau mit 
Recht geändert in vyıalvovoav. Die griechischen Worte 
fehlen ganz bei Sincerus. 

Z. 9 ut nosti fehlt bei Sincerus, dahinter liest S. Caesar, 
wohl irrig. Ä 

Z. 10 und 11 climactericam Kn. und S. 

Z. 20 promisit Kn. 

Z. 24 lotium Kn. 

Z. 25 artenta oder artelita Kn., arthritis S. 

Z. 28 Bdelvyudrwv fehlt bei Sincerus. 

Z. 3 v. u. ac vob diaSdlov Kn. und Sincerus. 

[Die Antwort Dietrichs auf diesen Brief von Jonas, 
datiert Nürnberg, 24. Juli 1548, machte O. Clemen bekannt 
in ZKG. 31, 314] 


51 291 


Nr. 138. Jonas an Veit Dietrich, Halle, 
3. September 1548. Bei Seidemann S. 104. Abgedruckt 
von Kawerau a. a. O. II, 268 ff. Nr. 889 und von Sincerus 
a. a. O. S. 434; ein Stück auch bei Pressel, Jonas S. 137. 

Z. 2 ynolws Kn. 

S. 269 Z. 4 ego statt ergo Sincerus. 

Z. 5 atlerol fehlt Sincerus. 

Z. 19 &orcovda Sincerus. 

Z. 13 v. u. et hoc fehlt Sincerus. 

Z. 4 v. u. nur celeriter Sincerus. 

S. 270 Z. 3 hinter nostrae noch nunc Kn. 

S. 270 Z. 3 ullo modo fehlt bei Sincerus; ull® bei Kn., 
aufgelöst in ullo modo, wie von S. 


Nr. 139. Jonas an den Abt des Egidienklosters, 
Friedrich Pistorius, Koburg, 16.Juli 1551. Bei 
Seidemann S. 106.  Abgedruckt von Kawerau a. a. O. II, 
307 Nr. 921 und früher von Sincerus a. a. O. S. 423f. 

In der Unterschrift R. D. V. amico [und Abkürzungs- 
zeichen für -rum| S., also amicorum, was auch Kn. vermutet. 

[Ein Sehreiben des jüngeren Jonas an den Abt Friedrich 
aus derselben Zeit, Leipzig, 6. August 1551, s. bei Tschackert, 
Ungedr. Briefe z. allg. Ref.Gesch. (1894) S. 35.] 


Nr. 140. Jonas an Melanchthon, Koburg, 
30. Januar 1552. Bei Seidemann S. 107. Bei Kn. nur 
Adresse und Lesarten. Gedruckt Sincerus a. a. O. S. 437ff, 
Pressel, Jonas S. 138, Bindseil, Suppl. zum CR. S. 327. 
Kawerau a. a. O. II, 320 Nr. 925 teilt ebenfalls nur Adresse 
und Lesarten mit. 


Nr. 141. Jonas an Melanchthon, Koburg, 
4. März 1552. Bei Seidemann S. 108. Gedruckt von 
Kawerau a. a. O. II, 320f. Nr. 926 und früher von Sincerus 
a. a. O. S. 436. 

Z.7 XXXVI Sincerus und Kn., aber die Änderung von 
Kawerau in XXXI ohne Zweifel richtig. Man möchte aus 
diesem Irrtum fast schließen, daB Sincerus alle diese Briefe 
aus derselben Quelle, eben dem Manuscriptum Thomasianum, 

19* 


292 52 


hatte. Dagegen spricht wieder, daß Sincerus außer den im 
Manuscriptum Thomasianum stehenden acht Briefen, die eben 
aufgeführt sind, noch weitere fünf Briefe des Jonas an den 
Abt Friedrich Pistorius abdruckt aus demselben Manuskript, 
„von einem hohen Maecenaten gütigst communicirt“. Eine 
handschriftliche Quelle für diese fünf Briefe hat sich noch 
nicht gefunden. 


Nr. 142. Brief über eine Verfolgung Evangelischer in 
Antwerpen, ohne Angabe des Schreibers (eines Nürn- 
berger Druckers?) und des Empfängers (Baumgartners ?) “). 


De Persecutione Christianorum in Antuerpia (ex Ano- 
nymi cuiusdam autographo antiquo). 

Domine, accepi beri literas ex antuerpia a Stepha- 
no?) socio meo Typographo antuerpiensi, qui multa 
scripsit ad me flaudrica lingua de Tyrannide, quae nunc 
ibi exercetur, et, ut etiam intelligere posses, scripsi latine. 

Tanta hic Christianorum fit persecutio, qualis antea 
nunquam. Combusserunt iam Bruxellis Virum et Verbo 
& facto Christianum nomine Aegidius Tilmanns?), qui 
tapetijs faciendis victitabat, Huius probitas cum conjuncta 
misericordia omnibus vicinis nota erat. Quicquid labore 
adeptus est, hoc in egenorum effundebat alimoniam, ob hoc 
tamen sacrificis invisus, quia desolatis ac Iam morituris fre- 
quens aderat, eos Verbo «Dei instruens ae impium Missae 
sacrificium eis invisum reddens. Prae caeteris tamen urgebat 
haec res divitem quendam sacrificum, qui vocatur Sacellanus 
de Capella, ae huius opera faetum est, ut a Magistratu haec 
bono Viro prohiberentur. Cui eum non paruisset bonus Vir, 
tandem eaptus est et, ne a populo vi eriperetur, plus 30 militibus 
ad captivitatem duetus. Post aliquot dies productus est ad 
Praetorium, ibi interrogatus fidei suae rationem reddidit, ac 
Consules capta caussa mortis eum educi iubent, Reservabatur 
itaque bonus Vir in eo loeo, qui vocatur Stein, quotidie 
expectans, quidnam de eo ageretur. Tandem una dierum 
lata est sententia, eum igne cremandum, eo tamen non prae- 
sente, quod raro visum est. Quod ubi nunciatum est misero, 
gavisus est dieens: ago tibi gratias, Deus meus Jesu Christe, 
quod eo dignitatis me perducere dignatus es, uf pro nomine 
tuo moriar. Et nuncio respondit: amice, si pecuniam haberem, 
darem tibi ob laetum hoe nuncium bibale, sed profecto non 
habeo, rogabo Christum, ut bonum spiritum tibi velit im- 
partiri. Sie eam noetem orando transegit. Interim cumulantur 
ligna, ad mortem ducitur eaptivus, in itinere, dum ventum 


53 293 


esset ad angulum plateae, ubi erecta erat imago Mariae, 
injunctum est misero, ut imaginem Mariae adoraret”, sed 
cum non pareret, ex satellitibus nonnulli caput eius vi in- 
elinabant, alij humeros deprimebant, ut se flecteret, ille tamen 
noluit & dixit se solum adorare Jesum Christum, filium 
Mariae Virginis, & se oredere latam sententiam judieis non 
hoc in se continere, ut Mariam adoraret, sed ut combureretur, 
huic sententiae lubens pareret. Ad forum itaque dum venisset 
ac struem lignorum magnam videret, alta suspiria emittens 
praetorem rogavit, ut gladio eum occideret € ligna illa pau- 
peribus daret. Praetor tamen noluit immutare sententiam. 
Sic bonus Vir vivus combustus est per totum diem ad cineres 
usque. Lovanij sunt quatuor decollati Lutherani, et 
Amstherdami duo decollati, illi tamen dicuntur fuisse 
Anabaptistae. I 

Inquisitores innocentis sanguinis hodie VII. februarij 
venerunt anthuerpiam, ob hoc ego simul cum fratre 
uxoris meae jam non possum esse domi. Impressimus enim 
ea, quae eorum venationi obsunt. 


(Quantum ex alijs literis hisce adiunctis conjicere 
licuit, scripta sunt 1548.) 


a) Im Cod. Schreibfehler: adorarent. 


1) Schreiber und Uebersetzer des Antwerpener in flämischer 
Sprache geschriebenen Berichts könnte der mit Ulrich Neuber gemein- 
schaftlich arbeitende Joh. v. Berg (Montanus) sein. Er soll aus Gent 
in Flandern stammen (ADB. 23, 476) und ist 1563 gestorben. 

2) Ein Angehöriger der berühmten französischen Buchdrucker- 
familie? Oder ist Stephanus nur der Vorname eines Unbekannten? 

) Ludwig Rabe (Rabus), Historien der Märtyrer berichtet im 
19. Kapitel des 5. Buches von dem Bekennertode eines Brüsselers 
Egidius, der hier aber als Messerschmied bezeichnet wird, ohne Zeit- 
angabe. Darauf ruht änscheinend die populäre Darstellung von der 
Hinrichtung des Gilles Tillemann in Brüssel am 26. Januar 1542, bei 
Fliedner, Buch der Märtyrer (IIT) S. 459—466, Die darin. näher er- 
zählten Umstände lassen es als unzweifelhaft erscheinen, daß dieser 
mit dem Aegidius Tillmanns identisch ist. Einige Andeutungen über 
die damaligen Verfolgungen in den Niederlanden z. B. bei Möller- 
Kawerau, Ref. u. Gegenref. (1907) S. 199. 

4) Wohl Vermerk des Abschreibers, Nach Anm. 3 scheint der 
Bericht ins Jahr 1542 zu gehóren (auch ist die Zeitangabe 7. Februar 
mit 26. Januar gut zu vereinigen). 


Nr. 143. Edo Hildersen) an den jüngeren Baum- 
gartner?), Altdorf, den 15. April 1583, Bei Seidemann 
nur erwähnt. Gedruckt von Bernhard Friedrich Hummel, 
Celebrium virorum Epp. ineditae (Norimb. 1777) Nr. 34 
S. 73 (s. o. ARG. 12, 213). 

Wir notieren: die Abweichungen Hummels. 


294 54 


l Amplissimo Viro, nobilitate generis, Prudentia, Pietate 
et Virtute Praestanti Domino Hieronymo Baam- 
gartnero, inclytae Reip. Noribergensium Septemviro, 
Ecelesiarum & Scholarum Noricarum Praefecto & Aca- 
demiae Aldorfinae Scholarchae dignissimo, Domino, 
amico & Patrono suo observando”, 


S. D. Prophetae et rex David in Psalmo inquit: Nolite 
confidere in principibus & filijs hominum, in quibus non est 
salus?. Quod dictum Eobanus Hessus his versibus 
reddidit): | 

Tutius est praestatque Deo confidere soli 
Quam se Principibus credere mille Viris. 


Hoc vere ita se habere, aliquo modo iam experitur eruditus 
et pius Vir Dominus Martinus Schallingus*), qui 
speravit fieri non posse, uf a se sui Principis animus unquam 
abalienaretur. Nec fortasse hoc ei accidisset, nisi mataeo- 
logorum Ubiquistarum tyrannis infelici hoc seculo dominari 
coepisset. ^ Desertus igitur a suo Principe Martinus 
Schallingus in aetate sua ingravescente confugit ad 
tuum & consilium € auxilium, ut filij studijs, qui annum 
fere in hac schola literis operam dedit, consulatur. Tres 
omnino sumus, qui a Palatino Electore ob recusationem 
subscriptionis Libri Concordiae ab officio Theologico remoti 
fuimus, Dominus Martinus Schallingus, Lucius?) 
et ego. Sed mihi et Domino Lucio divina Providentia 
tam benigne consuluit, ut in Schola et Ecclesia Vestrae 
celeberrimae Reip[ublicae locum receperimus?. Utinam igitur 
aliqua honesta sese offerret occasio, qua a Prudentissimo & 
Optimo Senatu Noribergensi etiam Dominus Martinus 
Schallingus aliquid subsidij ad filij studia promovenda 
impetraret! Ut ego sentio, optimus Vir videbitur quasi re- 
viviscere € maximam sublevationem aerumnarum sui exilij 
sentire, si per tuam amplitudinem a munificentia amplissimi 
vestri Senatus aliquid bonae spei sibi fieri posse intellexerit. 
Qua de re aliquid certi cognosceinus, cum deo iuvante, quod 
brevi fore spero, propter utilitatem Academiae huc venies. 
Dominus enim Schallingus, cuius literas tuae amplitu- 
dini? mitto, ne te alioqui Reipubl[ieae negotijs occupatissimum 
rescribendi labore oneret, satis esse putat, si ita videbitur, 
ut per me de spe suae petitionis certior fiat. Credo Aca- 
demicum nostrum Senatum vobis ad Vestrum scriptum re- 
spondisse, quid loco Philosophieae lectionis utiliter mihi 
imponi posse iudicet. Iniungatur mihi, quod utilissimum 
videbitur, meum est modeste obtemperare. Ego nunc duas 
illas horas, quas hactenus epitomae Philosophiae moralis 


55 295 


Philippi? tribui, quasque ad finem perduxi, tribuo prae- 
lectioni Theologicae, Unam earum veteri testamento, alteram 
Locis Theologicis. Clamat quidem ipsa necessitas, utile fore, 
8i theologiae studiosa iuventus ad lectionem quorundam 
orthodoxorum Veterum Patrum cum Graecorum tum Latinorum 
assuefiat: sed totam hanc deliberationem Vestris iudicijs 
libenter permitto. Vale in domino nostro Jesu Christo*. Al- 
dorfij die 15. Aprilis. Anno” 1583. | 


Tuae amplitudini 
addictus 
Edo Hildericus D. 


a) Adresse fehlt bei Hummel, ebenso der Briefeingang S. D. 
b) repererimus H. 

o) Amplitudini tuae H. 

d) nostro Jesu Christo fehlt bei H., dafür etc. 

e) Anno fehlt bei H., ebenso die Unterschrift. 


1) Edo Hilderich oder Hildersen, damals Professor in Altdorf. 
Vgl über ihn Will, Nürnb. Gelehrtenlexikon II. 125 und Hartfelder, 
Melanchthoniana paedagogica (1892), S. 231ff. Er stammte aus Varel 
in der Herrschaft Jever, studierte in Wittenberg (Alb. 8. 808 Edo 
Hilbrandus Jeverensis Frisius 28, Juni 1555), wo er auch Magister 
wurde (27. Februar 1556 Edo Hiltericus, Köstlin, bacc. IV, 17) und 
im Jahre 1559 in die Artistenfakultät als Dozent eintrat (Köstlin 
bace. IV, 29). Dann wirkte er als Professor noch an einer Reihe von 
Universitäten, erst Jena, dann seit 1567 wieder in Wittenberg, zwischen- 
durch 1578— 1575 als Rektor des Magdeburger Gymnasiums, seit 1575 
in Frankfurt a. Oder, seit 1578 in Heidelberg, verlor aber 1580 hier 
sein Amt, weil er die Konkordienformel nicht unterschreiben wollte, 
und fand endlich ein dauerndes Heim in Altdorf als Professor der 
Theologie. Hier ist er am 12. Mai 1599 gestorben. i 

*) Ueber den jüngeren Hieronymus Baumgartner bieten Will, 
Nürnb. Gelehrtenlexikon III, 124 und Waldau, Neue Beitr. z. Gesch. 
von Nürnberg (1790) S. 248 nur wenige Notizen, Etwas mehr erfahren 
wir durch Nikolaus Müller in Mitt. d. Ver. f. Gesch. d. Stadt Nürn- 
berg (1898) S. 19ff. Geboren ist er am 11. Juli 1538. Erasmus Flock 
(s. Br. 1091”) leitete aus der Nativitit des Knaben günstige Voraus- 
sagen für sein späteres Geschick ab (3. April 1544), s. van Hout, Progr. 
d. Bonner Gymnasiums 1877 8. 17. Aehnlich spricht sich auch Melanchthon 
aus in einem Briefe vom 8. August (o. Jahr, jedenfalls nicht 1538, wie 
Bindseil, Suppl. z. CR. S. 116 hat, sondern nach Koldes Vermutung 
vielleicht 1545 mit Bezug auf die im Briefe erwühnten kriegerischen 
Rüstungen des Herzogs von Braunschweig und seine Truppensamm- 
lungen bei Bremen, von denen Melanchthon auch in einem Briefe vom 
26. September 1545 [CR. 5, 858] spricht). Melanchthon widmete ihm 
auch im November 1552 die neue Ausgabe seines Liber de anima, die 
1553 erschien (CR. 7, 1198). Seit 1554 studierte der junge Baumgartner 
in Leipzig, machte n mit anderen jungen Nürnbergern seine groBe 
Auslandsreise (1558 und 1559 in Frankreich in Paris und Bourges, 
seit Ende 1559 in Italien in Padua). 1563 trat er in den größeren Rat 
ein; er bekleidete eine Reihe einflufreicher Aemter, erwarb sich als 
Kurator der Universität Altdorf um deren Begründung und Entwicklung 
besondere Verdienste und starb am 18. Dezember 1602 als vorderster 
Losunger und Verweser des ReichsscbultheiBenamts, 

3) Psalm 146, 3. 


296 56 


1) Eobanus Hessus hat den ganzen Psalter in lateinische Verse 
übersetzt. Vgl. Krause, Eobanus Hessus II, 204 Psalterium universum 
(1537). Einzelne Psalmen hatte er schon vorher in Distichen über- 
tragen, s. Krause a. a, O, IT, 81 u. 97. 

5) Ueber Martin Schalling s. Will-Nopitsch 3, S. 484f.; 4, S. 44 ff.; 
Koch, Gesch. d. Kirchenliedes Bd. 2 (1866) S. 282ff. ADB. 39, 566. 
Von seinem Gönner, dem pfälzischen Kurfürst Ludwig VI, 1576 zum 
Generalsuperintendent der Oberpfalz ernannt, fiel er bei diesem in Un- 
gnade, alg er 1580 die Unterschrift unter die Konkordienformel ver- 
weigerte. 1583 seines Amtes entsetzt, begab er sich zunächst zu 
Professor Hilderich nach Altdorf, dem Schreiber des obigen Briefes. 
1585 wurde er Pastor an S. Marien zu Nürnberg. Am bekanntesten 
ist er durch sein Lied „Herzlich lieb hab ich dich, o Herr“ geworden. 

6) Ueber diesen Lucius war nichts Näheres zu ermitteln; vielleicht. 
war er der Chr. Lucius, der nach G. E. Waldau, Nürnb. Zion (1787) 
S. 111 in den Jahren 1582—1585 Pfarrer in dem Nürnbergischen 
Städtchen Velden an der Pegnitz gewesen ist. 

Von Melanchthons epitome Philosophiae moralis erschien 
die erste Ausgabe Straßburg 1588; wieder abgedruckt CR. 16, 21ff. 
Vgl. Hartfelder, Melanchthon S. 231. 


Nr. 144. Edo Hilderich an den jüngeren Hieronymus 
Baumgartner, Altdorf, 13. Juli 1583. Nur erwähnt. bei 
Seidemann. 


Clarissimo et amplissimo Viro, nobilitate generis, Pru- 
dentia, eruditione & Pietate praestanti Domino Hierony mo 
Baumgartnero, inclytae Noribergensium Reipu- 
blieae septemviro, Noricarum Scholarum & Ecclesiarum 
Praefecto atque Aldorfinae Academiae Scholarchae, 
domino, amico & Patrono suo reverenter colendo. 


(Conqueritur de Calumnijs sibi a Schelhammero 
illatis. Item de Martino Schalingo)?). 


S. D. Quae potui signa benevolentiae, quae potui officia 
humanitatis, Vir amplissime & Patrone summa observantia 
colende, ei Viro praestare, qui in Vestra Republica multis 
bonis & doetis Viris non parum negotij facessit, ea cupide 
praestiti & deinceps pro Virili cupio praestare, ut per eum, 
quantum in me est, multorum eivium benevolentiam nostrae 
scholae conciliem. Sed per fide dignos homines ad me per- 
fertur, eum virum, cuius nomen volens non exprimo?) de 
me apud suos etiam in convivijs non parum sinistre loqui. 
Apud Thucydidem?*) quidam dicit, Calumnias neque 
dicere neque audire honestum est. Et Salomon in Ec- 
clesiaste inquit: Calumnia turbat sapientem & frangit robur 
cordis eius“). Itaque nec ego sine dolore audire possum 
falsas de me ealumnias spargi: quas tamen fretus bona con- 
scientia & bonorum virorum iudicio me consolans contemnere 
debeo. Ne autem falsae calumniae ab isto bono Viro de 
me apud quosdam cives sparsae noceant Scholae nostrae 


57 297 


& aliquorum civium animos a nobis alienent, quos omnibus 
legitimis modis nostrae Academiae conciliare studemus: earum 
brevem refutationem hic subjiciam, ut si quis civium huius- 
modi calumnijs eredens de me apud tuam amplitudinem 
conqueratar, ea habeat, quid tali civi respondendum sit, uf 
scholae nostrae amieus maneat. Primum crimen, quod optimus 
iste Vir et amieus noster nobis obijcit vel obijcere dicitur, 
hoc est, quod a mensa & convictu meo filium eiecerim & ex- 
pulerim, Responsio plana haee est. A publica praelectione 
domum rediens, cum filius eius ad prandium veniret cum 
alijs meis convictoribus, objurgavi eum severe, quod a mea 
praelectione publica sine iusta causa abfuisset, cirea oppidum 
ociosus obambulans aut intempestivos lusus cum jactura suornm 
studiorum sectans: atque uf serio me agere intelligeret, manu 
etiam semel atque iterum leviter eius caput magis tetigi 
quam percussi. Factum hoc est in praesentia aliorum 
meorum convictorum, qui interrogati testari possunt, me illa 
percussiuncula limites officij praeceptoris non excessisse. 
Idem suo ipsius facto ipse adolescens sic a me admonitus 
testatus est, Statim enim post hane admonitionem una cum 
alijs meis convictoribus mensae assidere coepit ad prandendum. 
Sed postea eodem die petulans € ociosus hic adolescens ad 
coenam meam non rediji Me enim inscio cum quodam 
sartore alente studiosos egit, ut ab ipso in convictum re- 
ciperetur, a quo etiam receptus fuit. Accersivi adolescentem 
sciscitans, eur mea mensa relicta ad alium se contulisset 
hospitem: videndum ipsi esse, ne patrem graviter offendat, 
quod non solum negligens sif in audiendis publicis meis 
praeleetionibus, quas ab eo pater voluit audiri, sed nune 
etiam sine consensu patris alibi mensam & convictum quaerat. 
Respondit se utrumque facere consensu patris. Miratus sum, 
cum pater eius hisce de rebus prius nihil scripsisset. Cum- 
que non crederem verbis adolescentis, iussi eum eadem sua 
manu scribere et testari, quae dixisset, quod fecit. Eius 
chirographum patri misi, ut intelligeret, me extra culpam 
esse, quod filius mensam mutasset, Haec narratio, quae 
multorum testimonijs probari potest, ostendit, me falsa 
ealumnia onerari, eum adolescentem illum a mea mensa ef 
convictu vi expulisse dicor. Alterum est crimen de lusu 
meorum discipulorum, quod hine originem calumniae duxisse 
opinor Quidam juvenis Brunswicensis, honestus & 
literarum studiosus, qui apud professorem quendam hie 
habitat et cibum capit, Noribergae paucis septimanis 
ante pascha emerat tabellam lusoriam, quam meis quibusdam 
convictoribus, qui tum mecum Noribergae fuerant, tradi- 
derat huc ferendam. Ea lusoria tabella circiter unam 
septimanam penes meos discipulos et convictores me inscio 


298 58 


fuit Et accidit, ut uxor mea praeteriens habitationem eorum 
forte audierit strepitum, quem aleae in tali tabella iactae 
edunt, Introspieit uxor & videt Brunschwicensem 
illum cum quibusdam meorum convictorum colludentem, 
eumque intelligit tabellam illam lusoriam fuisse illius 
Brunschwicensis, monet eum, ut illam statim auferat: 
fore alioqui, uf ego resciscens eam in ignem conijcerem. 
Post hane uxoris admonitionem mei convictores ea tabella 
lusoria non visi sunt amplius uti. Hic unus atque alter 
meorum convictorum conspectus lusus" praebuit originem 
ealumniae ab isto bono viro de me sparsae, quasi mei 
discipuli apud me nihil aliud egerint, quam ut luderent, 
quasi item ego loco privatarum praelectionum cum eisdem 
lusum exercuerim. Sed haec falsissima deprehenderentur, 
si tantum ocij esset bonis Viris, ut de his puerilibus ineptijs 
longior inquisitio institueretur. Qui me meosque convictores 
ad isíum bonum virum detulit, quicunque is est, is videtur 
tali delatione eius benevolentiam captasse & sibi stipendium 
voluisse comparare. Sed abrumpo haec & iudico me male 
facere, quod huius epistolae lectione tractationem gravissi- 
morum Reip[ublicae negociorum, quae fuae amplitud[ini offe- 
runtur, impedio. atque ipse maxime a tali soriptionum genere 
abhorreo. Reipublicae Vestrae & Scholae nostrae nomine 
aequo animo feram injuriam, quam accepi, & huiusmodi 
calumnias magis ipsis factis quam oratione refutare conabor. 
Filius Dei cum tota Vestra Republica te nobis quam diutis- 
sime incolumem servet. Vale Aldorfij, die 13. Julij 
Anno 1583. 
Tuae amplitudini 
addictus 
Edo Hildericus D. 
a) So Cod. 


1) Inhaltsangabe des Abschreibers, die sich zugleich auch auf 
Nr. 148 zu beziehen scheint, 

9) Nach der Inhaltsangabe des Abschreibers M. Joh. Schelhamer, 
seit dem Jabre 1562 Nachfolger Besolds als Prediger an S. Sebald, 
was er bis 1605 blieb (Waldau, Nürnberg. Zion [1787], S. 28). 

) Thucydides VI, 41, 2: óiagoààc od oGgpov odres liyev rivas 
de dAinlovs odra rode dxovovras drrodéxeoPas. Aehnliche Gedanken bei 
Herodot VII, 107: diaBodr ydo lors dewörarov, 5 uà» yàg drafdido 
ddixst od rapeóvros xatnyopéov, d die dÓier dvammeDóusvos, nov j 
drossdos ixuády etc. 


*) Pred. Sal. 7, 8. 


59 299 


Anhang. 


Vier Briefe G. Majors an H. Baumgartner 
(8. o. Nachwort zu Br. 132). 


Von P. Flemming. 


l. Georg Major an Hieronymus Baum- 
gartner, Wittenberg, 26. März 1529. Original im 
Melanchthonhaus zu Bretten Nr. 65. 


Clarissimo Viro D. Hieronymo Baumgartner 
patrono suo summo. 

Auf der Adresse, wohl von Baumgartners Hand: 1529 13 Ap. 
per Hofman!) August. VI). 

S. Dedi proximis diebus ad vos literas?) vna cum 
libellis quibusdam recens apud nos editis, quibus satis ver- 
bose me tibi respondisse arbitror, humanissime Hierony me. 
Et quod nunc breuius quam fortasse conuenit scribo, facit 
nuncii huius celer abitus, neque etiam nunc est, quod ad 
vos scribi maximopere referat. Quare hane breuitatem boni 
consules. Libellus Lutheri adversus Turc am)) est 
quidem fere absolutus, sed eius editionem impediunt nunc 
frequentes hoc tempore conciones, quibus occupatur 
Lutherus) Sed instat nuncius. Bene vale, optime 
patrone. Vuittembergae ipsa die Parasceues Anno 1529, 

| T. Georgius Maior. 

1) Jedenfalls der cn Johannes Hofmann, der auch 
aus Nürnberg stammte und in den Jahren 1527—1529 noch einmal in 
Wittenberg studierte, s. Enders 6, 1201, 233°, 2881, 3951. Im Jahre 1529 
wurde er Pfarrer zu Altdorf, was er bis 1541 blieb (vgl. oben ARG. 13, 34). 

*) August(inensem). VI ist die Ordnungsnummer des Briefes in 
der Gruppe der 25 Majorbriefe. 

*) Jedenfalls der Brief vom 9. März 1529, der oben als Nr. 1398 
abgedruckt ist. 

4) Vgl. Br. 182, Anm. 8. 

5) Nach Weim. Ausg. Bd. 29 S, XXXIII hat Luther im März 1529 
nicht weniger als zweiundzwanzigmal gepredigt. 


2. Georg Major an Hieronymus Baun- 
gartner, Magdeburg, 4.September 1534. Original 
im Melanchthonhaus zu Bretten Nr. 306. Regest bei 
van Hout, Progr. des Gymnas. za Bonn 1877, S. 20 Nr, 173, 

Clarissimo ac Ornatissimo Viro D. Hieronymo 
Baumgartner Patricio ac Senatori Nurenbergensi 
Domino ae Patrono suo Summo. 

Auf der Adresse das Zeichen 2. und auffülligerweise zwei Ord- 


Dungsnummern: ZH 


300 | 60 


S. Nisi mihi perspecta et re ipsa satis probata esset 
humanitas tua, vir Ornatissime, peterem a te omnia ambi- 
tiosius. Quare tuae facilitati, non meae impudentiae im- 
putabis, si qua liberius a te postularo. Nam cum te semper 
nobis benignum ef facilem praebueris et omnia nostra 
eaussa te facturum receperis, negocia nostra iam omnia in 
tuum caput reiicimus, quae quamquam non possint non esse 
sic occupato oneri, tamen pro veteri ergo nos amore aequo 
animo feres. Frater Ioannes!) quod tu fieri volebas, 
cam non haberet pedestres comites, hoc tempore in patriam 
a matre?) commeatum impetrare non potuit. Quare ne fides 
mea in dubium apud quosdam vocaretur, volui has Senatus 
nostri literas cum hoc commodo tabellario ad vos perferri, 
ex quibus tua humanitas intelliget, quid mater a te petat, 
euius negocia ne grauatim suscipias, te per deum obtestor. 
Scripsi D. Cressio?) quam potui humanissime, ne hominem 
aliqua parte offenderemus. Illarım literarum exemplar misi 
Vuolfgango*), vt tibi exhiberet, quo minori molestia 
nostram causam ageres. Reliqua tu omnia pro tua prudentia, 
quae in rem nostram esse videbuntur, quam optime statues 
et ad ea tanquam ministro Vuolffgango tua humanitas 
vtetur. "Vides in nemine alio nobis quiequam esse vel spei 
vel praesidii. Quare rogo, vt nostri patrocinium suscipias. 
Bene vale, Vir ornatissime, Magdeburgi 4. Septem: 1534. 

T. Georg. Maior. 


1) Ueber diesen Bruder Majors ist sonst nichts weiter bekanut. 

*) Majors Mutter Margrete Maierin (s. Majors Brief an Frau 
Sibylle Baumgartner vom 9. Juli 1544 Gotha B. 15, 492, gedr. Waldan, 
Neue Beytr. z. Gesch. von Nürnberg I [1790] S. 330) scheint damals 
in Magdeburg bei ihrem Sohn gelebt zu haben. Vgl. auch den 
nüchsten Brief. 

*) Wohl der Nürnberger Ratsherr Christoph Kreß, erwähnt für 
das Jahr 1528 auch bei Tschackert, Ungedr. Br. usw. 8. 10, Anm. 6. 
: *) Vermutlich. Wolfgang Jakobäus, über den zuletzt zu S 

r. 132%, 


3. Georg Major an Hieronymus Baum- 
gartner, Magdeburg, 16. April 1535. Original im 
ON zu Bretten Nr. 302. Regest bei van Hout 
a. a. O. S. 21 Nr. 175. | 

vidi ac Optimo Viro D. Hieronymo Baum- 


gartner. Patricio ac Senatori Nurenbergensi Patrono 
suo Nurmbergk 


Auf der Adresse die Ordnungsnummer XVI. E 


S. Quae de aedibus et cum tutoribus acta sunt, Vir 
ornatissime, ea matri!) ac nobis omnibus summe. placent, 


61 301 


habemusque pro tua hac opera gratias maximas. Sed vbi 
molestum non erit, de his rebus mater cupit per te fieri 
certior, Primum an pecunia apud D. Cressiu m’) deposita, 
110 aurei, si rite memini, vna cum argenteo cratere tibi 
sint redditi, Neque enim eius rei a te in literis facta est 
mentio. Deinde quantum Senatus, si pecunia transferatur 
ad nos, relinqui postulet. Nam mater tuis, Cressii atque 
aliorum quorundam Senatorum precibus putat a Senatu im- 
petrari posse, vt hoc remittatur, et eius nomine, si multum 
relinquendum sit, statuit ipsa reuerti in patriam. Quare 
rogamus, ví hae in re nobis quoque fua consulat ef pro- 
spiciat prudentia. Postremo omnibus modis rogat mater, ne 
quid vel filiae vel genero aut cuiquam numeretur. Nam 
quae haec dementia aut impium est scelus, quod matre viua 
et superstite audent partem hereditatis isthic sibi relinqui 
petere? Fieri enim posset, vt est incerta hominum vita, ut me 
mortuo suis rebus ipsa opus haberet. Quare ne tibi alioqui 
occupatissimo aliquid negocii facessant, censeo eos aliquo aeri 
et vehementi obiurgatione a te dimittendos. Dabimus vero 
operam, ne quid molestiae ex nobis porro habeas, quamprimum 
de superioribus tua nobis rescripserit humanitas. Bene vale, 
Vir Ornatissime, vxorem cum liberis recte valere et salutari 
eupimus mater atque ego, Magdeburgi, 16 Aprilis 1535 
TH 


T Georg. Maior 


1) S. den vorhergehenden Brief, Anm 2, Die Mutter lebte noch 
im Jahre 1541. Vgl. das Regest des Briefes von Major an Baum- 
gartner 5. Januar 1541 bei van Hout a. a. O. S. 21, Nr. 176: Matrem 
velle apud se reliquam aetatem consumere. In dem Briefe vom 
9. Juli 1544 (s. den vorhergehenden Brief Anm. 2) spricht er aber von 
ihr als einer Verstorbenen. 

*) Vgl. ebenfalls die vorige Nummer, Anm. 3. 


4. Georg Major an Hieronymus Baum- 
gartner, Magdeburg, 1. Dezember (1546). Origi- 
nal im Melanchthonhaus zu Bretten Nr. 68. 


Clarissimo Viro Pietate et Doctrina praestanti Domino 
Hieronymo Baumgartner Senatori Nurmbergensi 
Domino et amieo suo obseruando. 

Auf der Adresse: XXII. 

S. Cum his diebus D. Philippus ex Zeruesto?) 
hoc Magdeburgum ad nos qui hie exulamus excurrisset, 
varia inter nos, ut sunt haee tempora, consuluimus. Ibi 
inter cetera mihi autor fuit, vt meam tibi mentem aperirem, 
qua de re et se scripturum tibi adfirmabat. 

Ego iam multos annos satis magnis beneficiis ab illu- 
strissimo principe nostro affectus sum. et a teneris (ut 


302 62 


nouisti) in ipsius patrui aula?) enutritus, cuius erga me 
beneuolentiam testantur ipsius literae hoc mense ex castris?) 
ad me scriptae, ita ut turpissimum sit, quem florentem secutus 
sum, eum inclinatis rebus.deserere. Sed necessitas, quae 
multis et magnis rebus exeusationem offert, illa et meum 
mitigabit consilium. 

Cum enim meae facultates, quae semper admodum 
fuerunt tenues, propter nuper adeo extructas aedes vehementer 
sint attenuatae, ita ut huius belli exitum (qui quando futurus 
sit, quis queso videre possit?) dum nullum nobis numeratur 
salarium, in alendis vxore et decem superstitibus liberis et 
reliqua familia ferre et expectare non possim, cogit ipsa me 
inopia quaerere alium dominum ef victum meis literis et 
familiae. Saepius autem meam vobis voluntatem antea 
literis testatus sum me nemini quam dulcissimae patriae 
meae seruire malle, cui quanta debeam, satis intelligo. 
Quare si mihi apud vos locus esse poterit, te pro veteri tuo 
erga me amore oro atque obtestor, vt amicum iam exulem 
et adflictam iuues, id quod mihi constanter quoque de te 
polliceor. Possem alibi habere conditiones satis honestas, 
sed quod reliquum est aetatis, in patria degere et ibi, si 
dominus volet, vitam, vbi diuinitus concessa est, deponere 
malo. ltaque me meosque tuae fidei commendo et vt respon- 
deas oro. (Am Rand: Cetera scribet D. Philippus ).) 
Bene vale Magdeburgo 1. Decemb: 

T. Georg: Ma: 


Explorata vestra voluntate dabo operam, si me recepturi 
estis, vt bona cum gratia missionem ab Illustrissimo principe 
impetrare possim. Quare, ne quam offensionem mihi hoc 
consilium pariat, nolim haec spargi Doctóor Ionas et 
Chilianus Goltstein*) eiecti sunt a principe Mauro 
Salinis, eum vrbem suo exercitu teneret, quae autem alia 
isthic designarit, puto ad vos perlata, Hic in Saxonia 
eogitur iam miles ad eius furores reprimendos. Post paucos 
dies plura et certiora ad vos seribam de exercitu, qui in 
Saxonicis vrbibus colligitur. Wittembergam vali- 
dissime munitam praesidio haud facile tentabit. 


1) Melanchthon war seit 11. November 1546 nach Zerbst gegangen, 
während ein großer Teil der Professoren und Studenten von Witten- 
berg sich nach Magdeburg gewendet hatte (s. CR. 6 S. IX und X). 
In Magdeburg hielt sich Melanchthon vom 27. November bis 6. De- 
zember auf (s. a. a. O. S. X). 

2) Major war seit seinem neunten Lebensjahre auf Befehl und 
Kosten Friedrichs des Weisen bei Hofe unter den Süngerknaben er- 
zogen worden, s. RE.“ 12 S, 86. 

3) Das kurfürstliche Lager befand sich bis zum 23. November 


noch in Giengen (bei Ulm), s, Egelhaaf, Deutsche Geschichte im 16. Jahrh. 
II S. 472. 


63 303 


4) Dieser Brief Melanchthons ist abgedruckt im CR. 6, 297 
und 298, ebenfalls am 1. Dezember 1546 an Baumgartner und zwar 
in doppelter Ausfertigung geschrieben. In dem zweiten Briefe empfiehlt 
er Major auf das würmste für ein geistliches Amt in Nürnberg, ebenso 
(CR. 6, 299) in einem Briefe an Veit Dietrich mit demselben Datum. 
Auch später wiederholt Melanchthon seine Empfehlung, z. B. am 
3. Dezember an Baumgartner (CR. 6, 803). Die Verhandlungen über 
seine Berufung nach Nürnberg führten aber nicht zum Ziele (CR. 6, 
367, 375, 876, 399, 424, 593). Major blieb den Winter in Magdeburg, 
kehrte dann nach Wittenberg zurück und übernahm im August des 
Jahres die Stiftssuperintendentur in Merseburg (Kawerau in RE.“ 
S. 86), von wo er sich 1548 wieder an die Wittenberger Universität 
zurückwandte., . 

5) So schreibt auch Melanchthon an Ebner aus Magdeburg, den 
30. November: Hodie aderit doctor Chilianas pulsus ex Salinis (CR, 6, 
295). Vgl. auch oben Nr. 65* des Manuscriptum Thomasianum und 
die dort aus Kawerau, Jonasbriefe angeführten Stellen. 


Mitteilungen. 


Aus Zeitschriften ^. 


Allgemeines,  ,Rómische Rotaprozesse aus den 
Sächsischen Bistümern (nämlich Halberstadt, Münster, Osnabrück 
und Paderborn) von 1464—1518“ teilt N. Hilling aus dem Archive 
des Römischen Rota, und zwar aus den Hand- oder Protokoll- 
büchern (Manualia), in die die Notare der Rota alle Prozeßhandlungen 
eintrugen, in tabellarisch angeordneten Regesten mit. Seine Materia- 
lien gewähren für den tatsächlichen Zustand der römischen Rota im 
ausgehenden Mittelalter wie auch für die Geschichte der Deutschen 
an der Kurie wichtige Beiträge; ferner berühren sie, da es sich in 
den Prozessen vorwiegend um Pfründenangelegenheiten handelt, auch 
das Gebiet der allgemeinen Kirchengeschichte, wobei u. a. die Tat- 
sache aufs neue Bestätigung findet, daß die römischen Kurialbeamten 
an den Pfründenprozessen beteiligt waren; überhaupt wird die für die 
Seelsorge und den Gottesdienst wie auch für die Einigkeit unter dem 
Klerus gleich unheilvolle Praxis der Pfründenhäufung und der Pfründen- 
streitigkeiten durch die von H. mitgeteilten Prozeßakten grell be- 
leuchtet (Arch. f. kathol. Kirchenrecht Bd. 95 4. Folge Bd. 3 S. 88—77, 
201—265, 389—421, 579—611). — Wir erwähnen noch, daß H. schon 
1908 in Grevings Reformationsgeschichtl, Studien und Texten als erstes 
Ergebnis seiner Forschungen im Rota-Archiv die Schrift „Die römische 
Rota und das Bist. Hildesheim am Ausgang des Mittelalters. Hildesh. 
Prozeßakten aus dem Archiv der Rota“ veröffentlicht hat. 

Im Histor. Jahrb. 36 S.306—316 und 598—608 bringt L. Schmitz- 
Kallenberg „Kleine Beiträge zur Geschichte der Windesheimer Kon- 
gregation^ auf Grund von Protokollen über die Generalkapitel, die 
sich in einer Hs. des 18. Jahrh. (in Privatbesitz) erhalten haben. Er 
besprieht die Ausbreitung der Kongregation, Ort und Zeit des General- 
kapitels, die Reihenfolge der Generalprioren und das 1559—1561 ver- 
handelte Projekt einer Provinzialeinteilung der Kongregation. 


) Die Redaktion ersucht die Herren Verfasser höflichst um Zu- 
sendung einschlügiger Zeitschriftenartikel zur Anzeige an dieser Stelle. 


65 | 305 


Die zuerst 1489 auftauchende Flugschrift Epistola de miseria 
curatorum seu plebanorum, die A. Werminghoff in unserer Zeitschrift 
oben S. 200—227 behandelt und in mehreren Fassungen wiedergegeben 
hat, ist vorher von G. Braun in BBK, 22 S, 27—41, 66—78 nach 
dem Druck von 1489 veröffentlicht und durch eine selbstverfaßte Über- 
setzung bereichert worden, woran anknüpfend Werminghoff am 
gleichen Orte S. 145—164 sich weiter mit der Epistola beschäftigt, 
indem er verschiedenen Drucken nachgeht, die von ihr veranstaltet 
worden sind, und die Spuren verfolgt, die nach der Heimat der Schrift 
zu weisen scheinen. W. glaubt diese in der Diözese Meißen zu finden; 
als Abfassungszeit nimmt er 1475 oder wahrscheinlicher 1489 an. 
Andererseits weist er alle über den Verfasser aufgestellten Vermutungen 
als haltlos ab; in diesem Punkte bleibt es bei einem Non liquet. Zum 
Schluß weist W. auf die Stellung der Epistola im Kreise ähnlicher 
literarischer Erzeugnisse und ihre Benutzung durch spátere Schrift- 
steller hin, wie in erster Linie durch Sebastian Brant in seinem 
Narrenschiff. 

In Beitr. z. Sáchs. KG, 29 S. 9—84 untersucht G. Buchwald 
die in einem der Klosterbibliothek von Altzella entstammenden Predigt- 
band auf der Leipziger Univ.-Bibl, enthaltene Sammiung von 105 im 
Kloster Altzella 1493 und 1494 gehaltenen Predigten. Die nicht 
originalen, sondern zugestandenermaßen, wie unzählige andere mittel- 
alterliche Predigten, in ausgedehntem Maße auf Grund fremder Vor- 
lagen ausgearbeiteten Predigten erscheinen doch deshalb der Beachtung 
wert, weil sie ,fere omnes coram populo^ gehalten sind. Man kann 
ihnen den sittlichen Ernst und die aufrichtige Absicht der religiósen 
Unterweisung nicht absprechen. Auch findet sich in ihnen manches 
Erbauliche und. Volkstümliche. Auf der anderen Seite unterliegen sie 
dem scholastischen Zuge zum Distinguieren und in dessen Schematis- 
mus vertrocknet der an sich dürftige Inhalt. Auch die Auslegung 
der Schrift verharrt auf dem tiefen Standpunkt der Scholastik; dem 
Text wird nieht sowohl etwas abgewonnen als ein aus dem 
kirchlichen Vorstellungskreise entnommener Inhalt aufgenótigt, recht 
im Gegensatz zu Luther, der in seinen Predigten nicht die Lehre der 
Kirche in die Schrift hineinzwingt, sondern aus der Schrift schüpft 
und lebensvolle, erneuerude Gedanken gewinnt, 

Aus der mit 1914 ins Leben getretenen Vierteljahrsschrift 
„Franziskanische Studien“ (Münster, Aschendorff) erwähnen 
wir folgende Aufsätze: Jahrg. I Heft 1 S. 65—76 F. Doelle, Aus 
den letzten Tagen der Franziskaner zu Meißen (nach einem Schreiben 
des Meißner Kustos Jakob Schwederich von 1540 im HHStA. zu Wien). 
— Heft 3 S. 356—362 derselbe, Die Statuten der Klarissen 
zu Weißenfels von 1513 (die einzigen erhaltenen Statuten der 
Klarissen in der Sächsischen Provinz, erteilt und niedergeschrieben 
von dem Minister der Sächs. Franziskanerprovinz Ludwig Henning, 
im Dresdener HStA). — Jahrg. 2 Heft 4 und Jahrg. 3 Heft 1 Ein noch 


nicht abgeschlossener Aufsatz von C.Schmitz, Der Anteil der süd- 
Archiv für Reformationsgeschichte. XIII. 4. 20 


306 66 


deutschen Observantenvikarie an der Durchführung der [Ordens]- 
Reform am Ende des Mittelalters. — Jahrg. 3 Heft 8 S. 246—989 
F. Doelle, Die Reformbewegung unter dem Visitator regiminis der 
sächsischen Ordensprovinz. (Handelt von der in der Sächs. Provinz 
seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts begegnenden Institution 
eines Visitator regiminis und ihrer Unterdrückung durch Ludwig 
Henning im Interesse der Einheit in der Provinz um 1509; mit zahl- 
reichen Beilagen aus dem Ratsarchiv zu Görlitz.) 

Über ,die Musik in Deutschland am Ausgang des Mittelalters" 
handelt G. Bossert in Nkirchl. Ztsohr. 1915 S. 227—944 auf Grund 
des Liber heroicus de Musicae laudibus des Ulmer Deutschordens- 
priesters Joh. Boémus von Aub (gedruckt 1515) und des Magisters 
Andreas Ornitoparchus aus Meiningen Musice actice Micrologus von 
1517. B. verfolgt die Lebensumstünde beider Männer und schildert 
dann ihre Stellung zur Musik. Beachtenswert ist u. a. die herbe Kritik, 
die Ornitoparchus am Kirchengesang übt, was wiederum mit der auch 
aus andern Zeugnissen bekannten Vernachlüssigung der gottesdienst- 
lichen Feiern durch den Klerus zusammenhängt. Es erscheint danach 
völlig begreiflich, daß, wie sowohl Ornitoparchus als Boémus deutlich 
erkennen lassen, die Führung in der Musik von der Kirche auf die 
Fürstenhófe übergegangen war. Auch über die Pflege der Musik in 
den Städten und über den Volksgesang unterrichten unsere beiden 
Autoren, über letzteren besonders Boëmus. 

Kardinal Raimund Peraudi als Ablaßkommissar in Deutsch- 
land 1500—1504 und sein Verhältnis zu Maximilian I. behandelt 
G. Mehring in Forsch. und Versuche zur Gesch. des Mittelalters und 
der Neuzeit (Festschrift für Dietrich Schäfer) S. 334—393 mit 9 Bei- 
lagen, zumeist nach zeitgenössischen bisher nicht verwerteten Drucken. 

Im  Bremischen Jahrbuch Bd. 26 8. 1—78 veröffentlicht 
F. Sander tagebuchartige Berichte der Vertreter der Stadt Bremen 
auf den Religionsgesprächen za Worms und Regens- 
burg (1540/41), des Ratsberrn und späteren Bürgermeisters Daniel 
von Büren und des Pastoren an der Bremer Martinikirche Johann 
Timann aus Amsterdam. Ihre Berichte sind sehr ausführlich und 
anschaulich und geben interessante Stimmungsbilder aus jenen Tagen. 
Eine Erläuterung und Zusammenfassung der Berichte sucht die voran- 
gehende kurze Darstellung Sanders zu geben. Die Originale der Be- 
richte finden sich im Bremischen Archiv und auf der Stadtbibliotbek. 

Im Histor. Jahrb. 37 S. 400—411 teilt J. Schweizer aus dem 
Archiv von Simancas dieInstruktion für den Kardinal Christof 
Madruzzo für seine Legation nach Rom am Vorabend des Schmal- 
kaldischen Krieges mit. Das Aktenstück ist ein vom Kaiser unter- 
schriebenes Original, dem aber die weiteren Merkmale der Expedition 
fehlen, so daß es unentschieden bleibt, ob die Instruktion ausgegangen 
ist, was übrigens für ihren historischen Wert nicht viel austrägt. 
Das Stück ist ganz in Chiffern, die Herausgeber an der Hand des 
Schlüssels aufgelöst hat. 


67 307 


Den Frankfurter Deputationstag von 1590, der be- 
rufen wurde, um den Beschwerden des niedersüchsischen und west- 
fälischen Kreises gegen die Vergewaltigungen, denen sie im nieder- 
ländisch-spanischen Kriege vielfach unterworfen wurden, abzuhelfen, 
schildert nach der gedruckten Literatur und hsl. Quellen J. Sch weizer 
im Histor. Jahrb. 36 S. 37—104. Da die katholischen Stände aus 
Vorliebe für die Spanier einer Exekution widerstrebten, so wurde in 
Frankfurt nichts ausgerichtet. Eine Anzahl von Aktenstücken folgt der 
Darstellung; weitere Aktenstücke sollen in einem Bande der , Nuntiatur- 
berichte^ Platz finden, 

Die Entstehungsgeschichte des Trienter Predigtreform- 
dekrets (im Reformdekret der 5. Sitzung mit Ergánzung in der 
24. Sitzung) verfolgt eingehend J. E. Rainer in Zeitschr. f. kathol. 
Theol. 39 S. 256—817 und 465—523. — Ebendaselbst S. 452—404 
schildert J. B. Umberg die Rolle, die Kajetans Lehre von der 
Kinderersatztaufe auf dem Trienter Konzil (Januar bis Februar 
1547) spielte. l 

St. Ehses, Des sel. Petrus Canisius Votum über den 
Laienkelch zu Trient am 15. Juni 1562 (Hist. Jahrb. 86 S. 105—109) 
bemüht sich, über den Inhalt der von Massarelli nur in einem kurzen 
Auszug wiedergegebenen Rede, in der C. sein Votum begründete, 
Näheres beizubringen. 

Rich. Wolff, „Wandlungen in den Anschauungen über das 
Refurmationszeitalter* (Korr. Bl. der Ges. Ver. 1916 Sp. 55—69) belehrt 
uns, daß die „Clique“ der deutschen Humanisten „ein geschäftiges 
und ehrgeiziges, italienische Berühmtheiten kopierendes Gelehrten- 
proletariat“ war, daß Reformation, Humanismus und Renaissance „echt 
mittelalterliche Kräfte“ sind, daß für die Ausbildung des modernen 
Geistes die katholische Wissenschaft und Kultur ungleich produktiver 
war als die protestantische, und daß nichts rückständiger ist als 
kirchlich-religiösen Momenten einen ausschlaggebenden Wert für den 
Verlauf und die Einteilung der Geschichte beizumessen. 

Persönliches, In der ZKG. 36 S. 118—122 setzt O, Clemen 
seine „Beiträge zur Lutherforschung^ (VII—XI) fort; er gibt 
wiederum allerlei kleine Nachweise und Feststellungen, weist die 
Quellen gewisser Überlieferungen nach (u, a. an Tetzels Auftreten 
anknüpfender Anekdoten), bringt Ergänzungen zu der neuen Ausgabe 
der Tischreden usw.; auch teilt er aus einer Sammelhandschrift Stephan 
Roths nicht uninteressante „Waldensium articuli aliquot et ritus“ mit. 

Angesichts der bisherigen drei Bünde der unter E. Krokers 
Auspizien herausgegebenen Tischreden Luthers inder Weimarer 
Ausgabe wirft F. Cohrs einen Rückblick auf die Sammlung und 
Herausgabe der Tischreden von Anfang an, wobei er zwei Perioden 
unterscheidet: die nach etwa 800jühriger Dauer durch die Ausgaben 
Förstemanns und Bindseils zum Abschluß gebrachte erste Periode, 
die an Aurifabers Sammlungen orientiert war, und die durch Seide- 
manns Lauterbach-Tagebuch 1872 inaugurierte Periode, die sich um 

20* 


308 68 


die originale handschriftliche Überlieferung der Tischreden, die Nach- 
schriften statt der Sammlungen, bemüht. Diese Periode erreicht ihre 
Vollendung in der neuen Ausgabe, die eine umfassende Verarbeitung 
alles bisher erreichbaren Materials darstellt. Zustimmend bespricht 
dann Cohrs die bei der Ausgabe befolgten Grundsütze, stellt fest, was 
in ihr erreicht ist und würdigt die Verdienste der neben dem Haupt- 
herausgeber Kroker beteiligten Mitarbeiter. Theol. Litbl. 37 (1916) 
Nr. 14 Sp. 265ff. 

Die Frage nach dem Schreiber der im Cod. Solger 13 der Nürn- 
berger Stadtbibliothek überlieferten, in der Weimarer Ausgabe un- 
gekürzt abgedruckten zahlreichen Predigten Luthers zwischen 
1528 und 1532 (darunter der dritten Reihe der Katechismuspredigten) 
beantwortet G. Buchwald, der dem gleichen Schreiber auch in einer 
Berliner Handschrift begegnet, wo ein Randvermerk auf Anton 
[Lauterbach] hinweist, was dann durch Einsicht in eine Lauter- 
bachhs. des Dresdener Hauptstaatsarchiv sich bestütigte. Zu Stephan 
Roth in Zwickau und Georg Rórer in Wittenberg tritt also Anton 
Lauterbach in Pirna als wesentlich verdient um unsere Kenntnis der 
Tätigkeit Luthers auf Kanzel und Katheder. 

Die „Entstehung von Luthers Kirchenbegriff“ findet K. Hol! 
nicht, nach der allgemeinen Annahme, in den Jahren 1518—1521, 
sondern seiner eingehenden Untersuchung zufolge ist der Kirchen- 
begriff, mit dem L. gegen die römische Hierarchie angeht, längst vor 
dem Ablaßstreit bei ihm vorhanden, nicht aus irgendwelchem Gegen- 
satz heraus, sondern im einfachen Verfolg seiner religiösen Grund- 
gedanken, indem seine Rechtfertigungslehre unmittelbar auch seine 
neue Auffassung von der Kirche hervortrieb. Im besonderen betont 
Holl die großartige Folgerichtigkeit in Luthers Entwurf: „hier ist 
nichts von Aufgeregtheit, kein stürmisches Draufgehen, keine Ein- 
mischung eines unsachlichen Beweggrundes, daram auch kein Seiten- 
sprung, sondern ein langsames, für den Beschauer manchmal eher 
allzu langsames Wachsen von innen heraus, ein sicheres Fortschreiten 
auf gerader Linie, bis das Ziel erreicht, bis der innere Antrieb und 
die äußere Form miteinander ausgeglichen sind". Forsch. u. Versuche 
zur Gesch. des MA. und der NZ. Festschrift D, Schäfer z. 70. Geburts- 
tag dargebracht, Jena 1915, S. 410— 456. 

Max Lehmann, Luther und Zwingli (in Preuß. Jahrbb. 
1916 Januar S. 13—25) will zeigen, wie es gekommen ist, daß die 
Deutschen, als sie den Angriff auf die mittelalterliche Kirche begannen, 
sich nur um zwei Führer schaarten, und weshalb nicht auch die letzten 
übrig gebliebenen Differenzen sich überwinden ließen. Er stellt dann 
fest, daß Luther in der Welt des deutschen Protestantismus dominierte 
bis auf Leibniz und daß, als dann die große Säkularisierung des 
Geisteslebens begann, er es wieder war, der bewirkte, daß die deutsche 
Aufklärung dem christlichen Specificum näher blieb als die englische 
und franzósische. Aber auch Zwinglis Wirkung geht über Zürich, 
Bern und Basel hinaus; er gehórt durch den direkten EinfluB, den er 


69 3U9 


anf den Süden und Westen Deutschlands ausübte, unserer Reformations- 
geschichte an, ist ferner der Inspirator der Kirchengemeinschaften, 
die man unter dem Gesamtnamen „reformiert“ begreift; endlich bat 
ganz direkt und heilvoll die Kirche, die mit Zwinglis Schópfungen 
beginnt, auf die nach Luther genannte zurückgewirkt im Pietismus: 
in der Zurückstellung des Dogmas, in der Forderung von Liebeswerken, 
in der Zucht des Wandels erkennen wir unschwer den Geist des 
Pfarrers vom Grofen Münster an der Limmat. 

E. Fuchs, „Die Zukunftskraft der Wormser Luther- 
worte“, sieht in den letzteren, wie die Legende sie gestaltet hat, 
das Symbol der neuen Frómmigkeit, námlich den Ausdruck der unab- 
hängigen selbstentscheidenden Persönlichkeit, die Luther sowohl vom 
Katholizismus (der die unfehlbare Kirche hat) als vom Calvinismus 
(dem das Gesetz Gottes aus Bibel und Gemeinde der Heiligen und 
der Sprache des Geistes entgegenleuchtet) unterscheidet. Luther, ein 
Prophet, dessen Worte, Taten, ganzes Wesen einem Volke zum Symbol 
wurden, lebt noch in der Gegenwart bei uns fort. Aus dem Ringen 
dessen, was in Luther erlebt und unklar in widersprechenden mittel- 
alterlichen Begriffen gefaßt war, stieg die Aufklärung hervor, das 
Denken und Suchen der neuen Zeit und die gesamte deutsche Wissen- 
schaft, Aber auch „eine neue Gemeinschaftsbildung von unheimlicher 
Organisationskraft und Gewalt über die Menschen“, die darin besteht, 
daß letztere in ihrer Innerlichkeit eine gleiche Zielsetzung erleben 
und sich um ihrer Innerlichkeit willen der Gemeinschaft einordnen, 
in deren Dienst sie das Erstarken ihrer Innerlichkeit erleben und 
finden. „Sklaven nennen uns die andern, weil sie eine solche Ein- 
ordnung in die Gemeinschaft nur als Sklaverei kennen. Wir kennen 
sie als Tat unseres freien Ichs. Hier zeigt sich auch ein Weltziel, 
alle Völker mit solcher Gemeinschaftssehnsucht zu erfüllen, daß sie 
als Tat ihres eigenen Wesens die Gemeinschaftsbildung bedürfen, 
nicht zerbrochen werden von einer Weltherrschaft, sondern vollendet 
werden durch gemeinschaftliche Weltgestaltung und Weltbezwingung.“ 
Gustav Krüger zur Feier seiner 25jühr. Wirksamkeit in Gießen ge- 
widmet (Darmstadt, Histor. Verein f. d. Großh. Hessen 1916) S. 98—131. 

Unter der Aufschrift „Die Wittenberger Beutel- 
ordnung vom Jahre 1521 und ihr Verhältnis zu der Einrichtung 
des gemeinen Kastens im Januar 1522“ bringt K. Pallas in ZVKGS. 
12 S. 1—45, 100—137 aus dem Nachlaß Nik. Müllers die Beutel- 
ordnung selbst und was sich von Müllers Hand über diesen Gegen- 
stand sonst vorgefunden hat, zum Abdruck. Es sind das reichhaltige 
und nach M.s Art mit ausgiebiger Mitteilung archivalischen Stoffs 
versehene, wennschon nicht erschöpfende erklärende Bemerkungen zu 
Einzelheiten der Beutelordpung; dann kürzere Darlegungen über den 
Verfasser der Beutelordnung, über die Zeit ihrer Entstehung; sodann 
wieder ausführlicher über die Entwicklung des „Gemeinen Beutels“ 
bis 1525 und die Wittenberger Ereignisse im Winterhalbjahr 1521/22, 
die zum Erlaß der Ordnung der Stadt Wittenberg vom 24. Januar 1522 


310 10 


führten, und über das Verháltnis des gemeinen Kastens der Wittenberger 
Stadtordnung zum gemeinen Beutel. Der Abschnitt endlich ,Folgen 
und Wirkungen der Rückkehr Luthers“ bricht in M.s Handschrift un- 
vermittelt ab; ein Nachwort, das Pallas verheißt, um zu prüfen, wie- 
weit die mit der Beutelordnung zusammenhüngenden Fragen durch 
Müller gefördert oder gelöst worden sind, steht noch aus. — In dem 
Abdruck der Beutelordnung selbst wird uns ein gegen Barge's Text 
wesentlich berichtigter Text gegeben; gegen Barge setzt Müller auch 
die Entstehung der Beutelordnung schon nm die Jahreswende 1520/21 
an, gestützt auf stüdtische Ausgabeposten über Anfertigung des ge- 
meinen Kastens vor dem 11. Januar 1521; da aber die Beutelordnung 
schon in ihrem ersten Satz einen ,Kast“ in Aussicht nimmt, so muß 
sie damals bereits zustande gekommen und eingeführt worden sein. 
Folgerichtig ist dann auch die Beutelordnung als geistiges Eigentum 
Luthers in Anspruch zu nehmen. 

Eine bisher wenig beachtete Anwesenheit Johannes Brenz’ in 
Frankfurt a. M. im Herbst 1535 klärt G. Bossert nach Frankfurter 
Akten auf (Geschichtl. Studien Albert Hauck z. 70. Geburtst. S. 252 
bis 259). In Frankfurt drohte infolge eines Kammergerichtsurteils 
die Rückgabe der Stiftskirche von St. Bartholomäus (des Domes) an 
den katholischen Gottesdienst, Hierüber sollte Brenz ein Gutachten 
abgeben. Es fiel, ebenso wie das des hessischen Theologen Adam 
Krafft, für die Rückgabe aus, da die Stiftskirche Eigentum des Kaisers 
sei; wie aber Bossert inzwischen in unserer Zeitschrift (oben S. 147 
bis 158) nachgewiesen hat, ist diese Rückgabe trotzdem vermieden und 
die Messe in Frankfurt damals nicht hergestellt worden. 

In BBK. XXII S. 68—70 teilt A, Schnizlein die Antwort mit, 
die auf die Bewerbung Johann Eberlins von Günzburg um die 
erledigte Hauptpredigerstelle in Rothenburg a. T. seitens des Bürger- 
meisters Konrad Eberhard erfolgte, an den sich Eberlin und der 
markgräfliche Sekretär Georg Vogler gewandt hatten. Die Antwort 
ist ablehnend; der Rat wolle zurzeit keinen neuen Prediger annehmen. 
Sie erfolgte am 12. September 1525, als sich bereits der Rückschlag 
nach dem Bauernkrieg in der Stadt fühlbar machte; auch Eberhard 
selbst war Anhänger der alten Richtung und hatte, zu Anfang der 
Bewegung aus dem Rat gedrängt, seinen Bürgermeisterposten erst 
nach dem Umschwung wiedererlangt. 

Im Histor. Jahrb. 36 S. 1—30 bespricht Jos. Schlecht „Dr. Johann 
Ecks Anfünge". Er führt diese, auf mancherlei neue Zeugnisse ge- 
stützt, bis zu Ecks Disputation in Bologna am 12. Juli 1515; auf 
diese Disputation beziehen sich auch drei der vier Beilagen. 

In Monatsh. f. Rhein. KG. X S, 207—218 veröffentlicht H. Keussen 
„Neue Beiträge zur Geschichte des Theodor Fabritius“ (vgl. ARG. 
V S. 823) aus dem Kölner Stadtarchiv. Die ersten vier Stücke 
behandein die Vorlesungen des Fabritius über Hebräisch an der Kölner 
Hochschule, die ihm der Rat 1526 fortzuführen verbot (1526 —1528); 
das fünfte sind Artikel der Kölner Universität gegen die von F. ins 


71 311 


Deutsche übersetzte Epistola apologetica des Cornelius Agrippa von 
Nettesheim zur Unterrichtung des Kölner. Erzbischofs (1533), zu- 
gleich ein Beitrag zu dem bekannten Streit zwischen Agrippa und der 
Hochschule. 

Zur 400. Wiederkehr des Geburtstages Johann Habermanns 
oder Avenarius (geb. 8. August 1516) gibt Bónhoff in Beitr. z. Sáchs. 
KG. 29 S. 213—230 eine Skizze seines wechselvollen Lebenslaufes und 
würdigt Habermann auf Grund seiner Schriften als Hebräist, als Homile- 
tiker und als Erbauungsschriftsteller; vor allem wird sein 1567 zuerst 
herausgegebenes Gebetbüchlein besprochen, das neben Johann Arnds 
„ Wahrem Christentum“ eins der beliebtesten Andachtsbücher der evan- 
gelischen Kirche geworden ist. Beigegeben sind u. a. eine Geschlechts- 
tafel der Familie Habermann und ein Verzeichnis der Geistlichen in 
denjenigen sächsischen Orten, in denen J. H. 1542—1564 wirkte, so- 
weit sie seine Mitarbeiter, Vorgänger und Nachfolger gewesen sind. 

Der eifrige Mitarbeiter Bucers und Capitos bei der Straßburger 
Reformation Kaspar H ed io (1494—1552), der zugleich als Kirchen- 
geschichtsschreiber einen hervorragenden Rang einnimmt, hat bisher 
noch keinen ausreichenden Biographen gefunden; auch an einer voll- 
ständigen Liste seiner zahlreichen Veröffentlichungen fehlt es noch. 
Es ist daher zu begrüßen, daß J. Adam in ZG.d. Oberrh. N.F. 31 
S. 494—429 in Berichtigung und Ergänzung der älteren Schriften über 
Hedio, ohne freilich selbst Vollstiindigkeit anzustreben, auf eine größere 
Anzahl seiner Schriften hinweist. 

Einige Ergünzungen zu dem Aufsatz Tetzners über Hieronymus 
von Hirscheide (vgl. diese Zeitschrift XII S. 308f.) teilt B ön- 
hoff in Beitr. z. Sáchs, KG. 29 S. 280—982 mit; besonders sucht er 
festzustellen, wann H. in Stolberg und wann in Kürbitz Pfarrer ge- 
wesen ist. i 

„Ein vergessener Erziehungstheoretiker aus der Reformations- 
zeit“ ist Georg Lauterbeck, an den R. Stölzle in Z.f.G. d. 
Erz. u. d. Unterr. V, 2 S. 79—92 erinnert. Er war aus dem Bayrischen, 
warde in Leipzig Dr. juris, hernach Stadtschreiber in Naumburg, 
Mansfeldischer Kanzler und endlich Kulmbachischer Rat (T 1578); er 
verfaßte neben juristischen zwei pädagogische Werke, das 1559 er- 
schienene mehrfach aufgelegte „Regentenbuch“, eine Art Fürstenspiegel, 
und die „Kurze und gründliche Anweisung, wie man die Jugend zur 
Zucht und Schulen halten und christlich unterweisen soll“. Letztere 
Schrift, die mit einer Vorrede Melanchthons 1550 in Wittenberg er- 
schien, wird von Stólzle eingehend besprochen. L.s Gedanken sind 
gesund, besonnen und vernünftig, wenn auch nicht durch Originalität 
ausgezeichnet; wertvoll aber sind die Einblicke, die er in die Sitten 
der Zeit gewährt. 

Aus den Jahren der Tätigkeit von Johannes Meinertshagen 
in Bonn als Gehilfe Bucers in der Verkündigung der neuen Lehre 
stammen zwei Briefe von ihm an seinen Freund Heinrich Bechers aus 
Weinheim, den späteren Pfarrer von Kempen, die aus einem Kopial- 


312' 12 


buch im Kempener Pfarrarchiv G. Terwelp in Ann. d. HV. f. d. 
Niederrhein 58 S. 187—189 veröffentlicht. Die Briefe, aus den Jahren 
1543 und 1544, bekunden die innere Freudigkeit M.s an seinem Wirken 
und gedenken auch seiner Ebeschließung, durch die er anderen Priestern 
und Mönchen ein Beispiel gegeben zu haben hofft, „ut desinant tandem 
scorta et discant sanctum amplecti matrimonium, in quo Deo bona 
conscientia serviant neque vagis libidinibus sese conspurcent.* 

Eine Abhandlung von J. Studer, Urbanus Rhegius und 
die püpstliche Bulle gegen Luther in Schweizer. theol. Ztschr. XXXII 
S. 81—40, 81—89, 134—141 schildert kurz das Leben und die Wirk- 
samkeit Rhegius' und verweilt dann länger bei seiner unter dem 
Pseudonym Henricus Phünizeus von Roschach Mitte 1521 veröffent- 
lichten Schrift , Anzeigung, daß die römische Bulle merklichen Schaden 
im Gewissen manches Menschen gebracht habe, und nicht Dr. Luthers 
Lehre", in der Rhegius (der schon seiner Zeit als Verf. galt und nicht 
widersprochen hat) in volkstümlicher Weise die lutherische Lehre aus- 
legt und vor allem nachweist, daß es sich in ihr um keine neue, son- 
dern um die lautere alte Lehre des Evangelinms handelt, worauf im 
zweiten Teile eine Kritik der römischen Bannbulle und des großen 
Schadens, den sie anrichtet, gegeben wird. 

Aus bisher unbeachteten, den Bestánden des Reichskammer- 
gerichts entnommenen Aktenbündeln des StraBburger Bezirksarchivs, 
die den Streit um den Nachlaß des Beatus Rhenanus (+ 23, De- 
zember 1547) zum Gegenstand haben, teilt H. Kaiser in ZG. d. 
Oberrh. N. F. 31 S. 80—52 einiges über die letzten Jahre, besonders 
ein Verlóbnis mit Anna Braun, das B. Rh. dann aber nicht zur Voll- 
ziehung zu bringen über sich vermocht hat, und die letzte Krankheit 
des berühmten Humanisten mit. 

Die in einer Sammelhandschrift der Zwickauer Ratsachulbibliotkek 
erhaltene, ungedruckte ,Zwickauer Schulordoung des Rektors E s r om 
Rüdinger vom Jahre 1550% unterzieht E. Schwabe in Neue 
Jahrbb. f. Pädagogik XVIII. Jahrg. (Bd. 36) S. 293—318 einer sehr 
instruktiven Besprechung. Als in der Hauptsache eine Fortsetzung 
und Erweiterung der kurzen Ratschläge Plateanus’, des Vorgängers 
Rüdingers, wird die Ordnung als ein Abkómmling der Pädagogik der 
Hieronymianer (und Johannes Sturms) nachgewiesen und in den Gesamt- 
zusammenbang eingereiht; daneben trügt sie, allerdings in mehr neben- 
sächlichen und äußerlichen Punkten, der als allgemein Sächsische Norm 
anerkannten Melanchthonischen Weise Rechnung. Ihr erster Teil (de 
navantibus operam in ludo; Idealbild des Lehrers) beruht fast gans 
auf der antiken, durch den Humanismus übermittelten Tradition 
(Quintilian); der zweite Teil (de doctrinae et studiorum ratione; Lehr- 
plan und Studienverzeichnis) ist die Fortbildung der Gedanken des: 
Plateanus unter Einflu8 der Schriften des Camerarius; der dritte Teil 
(leges scholasticae) zeigt keine hervorstechenden Besonderheiten. 
Sehr bemerkenswert aber ist die in der Hs. der Schulordnung folgende 
Bibliotheksordnung, wohl die früheste für eine sächsische: Gelehrten- 


73 | 313 


schule abgefaßte und eine der ersten derartigen Ordnungen überhaupt; 
sie ist von 1562 datiert, geht aber nach Schwabe wohl sicher auf 
Rüdinger (der bis 1557 Schulrektor ia Zwickau war) zurück. 

Elmer E.S. Johnson, dem nach dem Tode von Chester David 
Hartranft (+ 1914) die Leitung der Herausgabe des bekanntlich von: 
den Schwenckfelder Gemeinden in Pennsylvanien unterhaltenen Corpus 
Schwenkfeldianorum zugefallen ist, schildert in einem Vortrag 
das Leben Hartranfts, besonders im Hinblick auf seine Verdienste um 
die Erneuerung des Andenkens Schwenckfelds und die Vorarbeiten für 
die Herausgabe seiner Schriften, wobei er auch Schwenckfelds Leben 
und Lehre in den Hauptzügen andeutet. Wir ersehen aus seinen Dar- 
legungen, daß die durch den Krieg verzögerte Fortführung des Corpus 
keineswegs aufgegeben ist; von den 17 Bänden, auf die es veranschlagt 
ist, sind Bd. 1—4 von 1907—1914 erschienen, der 5. ist im Erscheinen, 
mit dem Druck des 6. aber wird bereits begonnen (Braunschweig. 
Magazin 1916 S. 85—94). — Als Arbeit, die einem deutschen Geistes- 
helden gilt, ebenso wichtig für die deutsche wie für die allgemeine 
Geschichte ist und durch das Zusammenwirken von Amerikanern 
deutscher und englischer Herkunft ermöglicht wnrde, darf das Corpus 


Sehwenckfeldianorum bei uns in Deutschland gerade jetzt sicherlich: 


rege Teilnahme beanspruchen. 

Fr.Braun,Lazarus Spengler und Hieronymus von Berchnis- 
hausen (in BBK. 22 S. 1—27, 49—65, 97—120) geht von dem „Kurzen 
Auszug aus dem päpstlichen Recht“ des Nürnberger Ratsschreibers 
Lazarus Spengler aus, um dann der Gegenschrift des Cochläus (In 


obscuros viros, qui decretorum volumen infami compendio Theutonico 


corruperunt, Expostulatio) zu gedenken und sich endlich der , Antwort 
anf das unwahrhaft gedicht, so Johann Cocleus wider den gedruckten 
Auszug bebstlicher rechten neulich hat ausgehen laßen“ zuzuwenden 
und zu untersuchen, wer sich hinter dem vermutlich pseudonymen 
Verfassernamen „Dr. Hieronymus von Berchnishausen“ verbirgt. Doch 
kommt Br. nur zu dem negativen Ergebnis, daß Spengler selbst der 
Verfasser der „Antwort“ nicht gewesen sein könne. Er teilt hierbei 
auch einen bisher ungedruckten Entwurf Spenglers zur Ablehnung des 
Cochläus mit. | 

In dem Aufsatz „Jörg Spitzenberg in Konstanz und seine 
Reformationsdrucke (1527—1530)“ lehrt uns K. Schottenloher 


einen bisher kaum beachteten Drucker und einige ganz unbekannt: 


gebliebene Drucke kennen. Im ganzen weist er sieben Drucko Spitzen- 
bergs nach, als ersten die Appellation der verheirateten Priester von 
Konstanz gegen die Zitation vor den bischöflichen Vikar (1527) und 
die ausführliche Verantwortung des Konstanzer Rats von 1528. Auch 
Schriften der Brüder Blaurer und eines unbekannten, vielleicht pseu- 
donymen evangelischen Autors Leonhard Huber hat Sp. gedruckt, 
zwischendurch aber seine Typen — vielleicht aus Not — dem Augu- 
stinergeseral Konrad Treger zu scharfen Angriffen auf Konstanz und 
die evangelische Bewegung dort zur Verfügung gestellt. Nach 1530 


v 


314 74 


begegnet weder Spitzenbergs Name noch finden sich seine Typen 
wieder. 

Heinrich von Tengern, genannt Slachtscaep, der als Anh änger 
Johanns von Leiden am 28. Oktober 1584 in Soest hingerichtet wurde, 
bildet den Inhalt einer Arbeit P. Bockmühls in Jahrb. d. V. f. die 
Evangel. KG. Westfalens XVI S. 281—302. Beigegeben ist ein Brief 
Sls an Bucer von 1582, ein Traktat des ersteren über die Abend mahls- 
frage und ein Trostbrief, den er an die Gemeinde zu Süstern richtete. 

Den bei Enders 9 S, 254—257 Nr. 2058 abgedruckten wahr- 
scheinlich 1532 fallenden Brief des Wasserberger Prüdikanten Dio- 
nysius Vinne an Luther, nach dem Entwurf im Düsseldorfer 
Staatsarchiv vervollständigt, und den vermutlich gleichzeitig abgefabten 
Abendmahlstraktat Vinnes veröffentlicht mit eingehenden Erläuterungen 
P. Bockmühl in Theol, Arbeiten aus dem rheinischen wissenschaftl. 
Predigerverein N. F. Heft 16 S. 1—40. B. entnimmt daraus, daß die 
Wasserberger Prüdikanten, ehe sie unter den unheilvollen Einfluß 
Johanns von Leiden gerieten, ernste und ehrliche Leute waren, denen 
das Evangelium und seine lautere Verkündigung am Herzen lag. 

Katharina Zell, Ehefrau des ersten evangelischen Predigers- 
von Straßburg, Mathäus Z. (heiratet 1523, + 1562), ist als Verfasserin 
verschiedener erbaulicher u. a. Schriften bekannt. Fast unbeachtet 
ist dagegen ihre Schrift „Den Psalmen Miserere ... paraphrasirt von 
Katharina Zellin ... sampt dem Vatter Unser mit seiner Erklärung...“ 
(1558), auf welche, nach einem Exemplar auf der Stadtbibliothek zu 
Zürich, J. Adam in ZG. Oberrh. N. F. 31 S, 451—455 hinweist, indem 
er diejenigen Punkte hervorhebt, die über die Verfasserin selbst und 
den Adressaten Junker Felix Armbruster Aufschluß geben; u. a. läßt 
sich Katharinas Alter danach feststellen (geb. 1497 oder 1498). 

Landschaftliches. Eine ausführliche Schilderung des 
Verlaufs des Bauernkrieges von 1525, soweit durch ihn Villingen 
und der obere Schwarzwald in Mitleidenschaft gezogen wurden, ent- 
wirft nach gedrucktem und hsl. Material (Baumanns hsl. Kollektaneen 
im Fürstenb. Archiv zu Donaueschingen; Stadtarchiv Villingen) Chr. 
Roder in ZG. Oberrh. N. F. 818. 881—410. Die Stadt Villingen hat 
sich inmitten ihrer aufriibrerischen Bauern behauptet, ist auch von 
Belagerung verschont geblieben und hat an der Niederwerfung des 
Aufstandes tätigen Anteil genommen. Auf Seite der Bauern erweckt 
besonders die Gestalt des Hauptmanns Hans Müller Teilnahme, dessen 
Haupt im August 1525 unter dem Schwerte des Scharfrichter zu 
Laufenburg fiel. | ' 

Die sehr sorgfältige Abhandlung G. Bosserts.über die Hof- 
kapelle unter Herzog Ulrich (von Württemberg) in Württemb. 
Vierteljahrsh. f. Landesgesch. N, F. 25 S. 388—480 läßt auch einige 
Streiflichter auf die Hinwendung des Herzogs zur Reformation fallen; 
am Schluß stellt Bossert fest, daß in der evangelischen Periode Ulrichs 
sein Sinn für die Musik und die Pflege, die er. dieser Kunst widmete, 
nicht zurückgegangen, sondern erst recht zur Entfaltung gekommen sind. . 


75 315 


In dem Aufsatz ven G. Bossert, „Der Kampf um die württem- 
bergische Kirchenordnung in Unteröwisheim 1576“ (in ZGOberrh. 
N.F. 30 S. 311—342, 544—578) handelt es sich um Konflikte zwischen 
der Gemeinde und ihrem Pfarrer Elias Marcellus, die zum Teil davon 
ihren Ausgang nahmen, daß M. statt einer vorgefundenen hsl. Kirchen- 
ordnung, in der er Calvinischen Einfluß witterte, die württembergische 
KO. einführte. Das Ende war, daß letztere im Brauch blieb, der Pfarrer 
aber versetzt wurde. Die anschaulich geschriebene Abhandlung (die 
auf Akten des Generallandesarchiva zu Karlsruhe beruht) führt in die 
gesamten einschlügigen Verhültnisse auf politischem und kirchlichem 
Gebiet ein und läßt die Schwierigkeiten erkennen, die sich in der Epi- 
gonenzeit der Reformation. bei der schlie&lichen Ordnung des kirch- 
lichen Lebens nur allzu leicht ergaben. 

Wie W. Germann, Geschichte der Buchdruckerkunst in 
Schwäbisch-Hall bis Ende des 17. Jahrh. (= Würtembergisch 
Franken, N.F. XI, VII, 174 S. mit 20 Abbild.) zeigt, verdankt 
Schwäbisch-Hall seine selbständige Drucktätigkeit der Reformation. 
Nachdem früher aus Hall gebürtige Drucker außerhalb der Stadt tätig 
gewesen waren, führte Joh. Brenz 1536 den Drucker Peter Braubach, 
der in Hagenau gewirkt und hauptsüchlich reformatorische Schriften 
gedruckt hatte, 1536 nach Schwäbisch-Hall, wo er jedoch nur bis 1540 
blieb, um dann nach Frankfurt a. M. überzusiedeln. In Hall aber ent- 
falteten seine Nachfolger Pankratius Queck, Peter Frentz und Thoman 
Bibel bis 1559 eine reiche Tütigkeit in dem Druck technisch vorzüg- 
lich hergestellter reformatorischer und humanistischer Schriften, Der 
Verf. begleitet Braubach auch nach Frankfurt; andererseits nimmt er 
die Haller Druckergeschichte im Jahre 1684 wieder auf, nachdem von 
1555 bis dahin in Hall überhaupt nicht gedruckt worden war, und ver- 
folgt sie bis 1697. 

In BBK. XXII S, 190—183 behandelt Fr. Roth im ersten 
seiner Beiträge „zur Geschichte des Marktes Bruck an der 
Ammer und des Klosters Fürstenfeld im 16. Jahrhundert" 
den Pfarrer Zachari'as Weichsner, der, 1516 zum Priester ge- 
weiht und 1518 zum erstenmal als Pfarrer seines Geburtsortes Bruck 
erwühnt, die Pfarrei noch tiber das Reformationszeitalter hinaus inne- 
hatte und ein durch Pflege der Wissenschaften, der Poesie und feinere 
Geselligkeit gehobenes Leben führte, auch als trefflicher Musiker weit- 
hin bekannt war. Ebenso aber stand er in dem Rufe eines treuen ge- 
wissenhaften Seelenhirten. Schon früh zeigte W. lutherische Sympa- 
thien; er gehört zu denen, die dem jungen Johann Mathesius, der eine 
Zeitlang als Gast bei ihm lebte, die Kenntnis lutherischer Schriften 
vermittelten (1528). W. selbst las auch weiterhin Luthers Bücher und 
gestattete sich, wie manche seiner Amtsgenossen, im Gottesdienst und 
der Seelsorge einige Abweichungen von den kirchlichen Vorschriften. 
Auch war er für Aufhebung des Zölibats (mit dem er persönlich es 
nicht gewissenhaft nahm); andererseits fand er nicht die Tatkraft, den 
Bruch mit der alten Kirche zu vollziehen. Eine 1562 vorgenommene 


316 | 16 


Kirchenvisitation ließ W. auf seinem Platz, doch wurde 1567 einer der 
fanatischsten Vorkämpfer des Katholizismus, der Franziskaner Johann 
Nas, nach Bruck gesandt, um die Gemeinde vor Verführern zu warnen, 
Kurz danach scheint Weichsner gestorben zu sein, wonach die Pfarre 
an entschiedene Katholiken kam. Beigegeben ist die Visitationsakte 
von Bruck 1562. 

Der zweite Beitrag Roths (in BBK. XXII S. 161—169) gibt 
eine Übersicht tiber die Geschichte des Klosters Fürstenfeld bis 
zum dritten Jahrzehnt des 16, Jahrhunderts und über den Stand seines 
Besitzes um 1594 und verbreitet sich über Quellen und Literatur zur 
Geschichte des Klosters. — Der dritte Beitrag (ebenda S. 210—228 
und S. 261—271) gibt die Geschichte des Klosters von 1522 bis 1548 
(1551). Es zeigen sich schon sehr früh starke lutherische Regungen, 
die freilich bei der bekannten Haltung der Herzóge von Bayern nicht 
aufkommen konnten; im Klostergesinde begegnet auch „Täuferei“. 
Roth zeichnet, soweit es die Quellen erlauben, die Personen der einzelnen 
Ábte; am merkwürdigsten ist Johann V. (Albrecht, auch Beck oder 
Pistorius genannt), der die kirchliche Neuerung anfangs auch dichterisch be- 
kümpfte, dann von ihr gewonnen wurde und Schritte tat, um eine Be- 
rufung als lutherischer Prüdikant zu erlangen, als ibm dies aber nicht 
glückte, die Funktionen des Abtes wieder aufnahm. Einen gewissen 
Namen machte er sich auch ais Verfasser eines Dialogs ,de fato et 
fortuna”. Später wurde Johann durch die Herzöge wegen übler Finanz- 
verwaltung und sittlicher Anstöße der Abtswürde entsetzt; er hinter- 
ließ gänzlich zerrüttete Zustände in Fürstenfeld, die Disziplin war ge- 
sunken und die Zahl der Mónche bedeutend zurückgegangen. 

„Bilder aus dem Leben der Geistlichen der Diözese Eich- 
städt um die Mitte des 16. Jahrhunderts“ bietet A. Hirschmann 
im Archiv für Kulturg. XII S. 380—400. Sie sind entnommen dem 
Geschüftsbuch des mit der Aufsicht über das Leben der Geistlichen be- 
auftragten fürstbischöflichen Generalvikars Willibald Frankmann, 
Vicariatus liber, das im bischöflichen Ordinariatsarchiv zu Eichstädt 
beruht. Die Aufzeichnungen umfassen etwa die Jahre 1551—1574. Im 
Wesen der Geistlichen begegnen als hervoratechendste Züge eine er- 
schreckende Unsittlichkeit und Rauflust; viele Geistliche waren auch 
tief verschuldet; Versäumnis der priesterlichen Berufspflichten war die 
natürliche Folge von alledem. 

Im Arch. f. hess. G. N. F. X, 1 S. 66—105 gibt E. Becker Bei- 
träge zur Geschichte der Wiedertüufer in Oberhessen aus 
dem 16. Jahrhundert auf Grund von Akten des Freiherrlich Riedesel- 
schen Samtarchivs in Lauterbach, die als Beilagen der Darstellung 
folgen. Briefe des Landgrafen Philipp, Protokolle und Urfehden geben 
Kunde von einzelnen Wiedertüufern im Riedeselschen; noch 1581 hatten 
sich in Wernges bei Lauterbach zwei Bauern wiedertüuferischen Ge- 
danken zugewandt. Am interessantesten ist der Fall eines Sendboten 
der Mährischen Táufergemeinden, der 1587 in Landershausen fest- 
genommen wurde und bei dem man Briefe, Denkzettel und Namens- 


77 317 


verzeichnisse von Personen fand, die für die „Gemeinde Gottes“ 
vielleicht zu gewinnen seien. Es erhellt daraus, daß 10 bis 14. Per- 
sonen miteinander von Mähren nach Hessen gezogen waren, um für 
ihre Sache zu werben, jeder mit einem bestimmten Reiseprogramm. 
Die Behandlung der Täufer durch die Riedesel war, entsprechend den 
Verordnungen des Landgrafen, sehr milde, auch bei den hartnückigsten 
Sektierern ging man über Landesverweisung nicht hinaus. 

Wie in Heusenstamm die Reformation bis Ende des 16. Jahr 
hunderts völlig durchdrang, dann aber die Gegenreformation den Ort 
für die. alte Kirche zurückgewann, schildert in Kürze H. Roth im 
Archiv f. hess. Gesch. N. F. XI, 1 S. 24—45 unter Mitteilung der die 
Gegenreformation betreffenden Akten aus dem Würzburger Kreisarchiv. 

Mitteilungen „zur Reformationsgeschichte von Wöllstein“ 
macht W. Hoffmann im Archiv f. hess. Gesch. u. A. NF. Bd. 10, 1 S. 106 . 
bis 111. Die Gemeinschaft Wöllstein, die noch die beiden Nebenorte 
Pleitersheim und Gumbsheim umfaßte. gehörte zur Reformationszeit 
verschiedenen Herren (Kurpfalz, Simmern, Baden, Nassau und Grafen 
von Falkenstein), die aber alle der lutherischen Konfession anhingen. 
So wurde diese dort anstandslos eingeführt, 1589 aber mußte unter 
kurpfälzischem Zwang der lutherische Diakonus einem reformierten 
weichen; auch blieb trotz Nassaus Bemühungen der Calvinismus be- 
stehen, bis nach dem Orleansschen Erbfolgekrieg die Stelle dem evan- 
gelischen Bekenntnis überhaupt verloren ging, während die Kirche von 
Wöllstein gleichzeitig Katholiken, Reformierten und Lutheranern diente. 

In der Schrift: G. Krüger z. Feier seiner 25 jähr. Wirksamkeit 
in Gießen gewidmet (Darmstadt, Histor. Verein f. d. GroBhzgt. Hessen 
1916) veröffentlicht und bespricht F. Herrmann die Statuten der 
Pfarrkirche zu Friedberg aus dem Jahre 1517, die besonders des- 
halb bemerkenswert sind, weil sie eingehende Aufschlüsse über die 
Altaristen bieten. Es zeigt sich, daß diese, die damals durch ihr Ver- 
halten die Kritik der Bürgerschaft herausforderten, ebenso ungenügend 
bezahlt wie beschäftigt waren. Altar- und Chordienst füllten ihre Zeit 
nicht aus und stellten in geistiger Hinsicht keine Anforderungen an 
sie. So gerieten sie auf Abwege und haben als geistliches Proletariat 
das Ansehen der Kirche untergraben helfen. Mit Recht hat die Refor- 
mation das ganze Institut hinweggefegt (S. 3—18). — Ebenda S. 19 
bis 41 würdigt E. Preus chen die im Jahre 1560 zum Druck be- 
förderte, vorher aber von Melanchthon begutachtete Erbacher 
Kirchenordnung. Melanchthon hat das Ergebnis seiner Prüfung in Ge- 
stalt von Randbemerkungen in den hsl. Entwurf eingetragen: er dringt 
auf stärkere Betonung der Begriffe Buße, Bekehrung, Glaube, Gehor- 
sam; doch sind seine Bemerkungen im Druck unberücksichtigt ge- 
blieben und der rein praktisch gerichtete Entwurf hat sich durchgesetzt. 
— Weiter bringt W. Die hl Beiträge zur Geschichte der Reformation 
und Gegenreformation in den Patronatspfarren des Klosters II ben - 
stadt: die Reformation vollzog sich hier in den Zeiten zwischen dem 
Interim und dem Augsburger Religionsfrieden; die Gegenreformation 


318 T8 


— unter Führung von Kurmaiuz — setzte zu Anfang des 17. Jahr- 
hunderts ein, behauptete sich aber an den meisten Orten, wo sie durch- 
drang, nur bis zur Schwedenzeit (S. 42— 76). i 

Die Gegenreformation in Marienborn bei Mainz, die W, Diehl 
in Hessische Chronik, Jahrg. 4 S. 257—263 auf Grund eines Akten- 
bandes im GroBh. H. u. St.-A, zu Darmstadt schildert, gehört erst dem 
17. Jahrhundert an. Es war aber bisher ganz übersehen, daß Marien- 
born bis dahin ein lutherischer Ort war, wie das bei den dort 
waltenden Hoheitsverhültnissen gar nicht anders sein konnte, da die 
dortigen Oberherren des 16. Jahrhunderts, sowohl die Herren von 
Reipolskirchen als die Grafen von Falkenstein sich zum Luthertum be- 
kannten. Auch besaß M. damals einen eigenen (evangelischen) Pfarrer. 

Einige im Archiv des ehemaligen adligen Nonnenklosters Alten- 
berg gefundene Notizen, die auf die Reformationsgeschichte der Graf- 
schaft Solms-Braunfels Licht werfen, teilt F. H. Himmel- 
reich in Monatsh. f. Rhein. KG. X S, 811—813 mit und bespricht die 
Haltung des Grafen Bernhard III. von Solms-Braunfels, der sich be- 
sonders auf dem Speierer Reichstag von 1526 als Freund der Refor- 
mation betütigte, spüter aber vorsichtiger wurde und sich auf dem 
Augsburger Reichstage von 1530 an die Seite des Kaisers stellte, ohne 
doch darum die von dem Erbgrafen Philipp begünstigte Ausbreitung 
der Reformation in seinem Lande zu hindern. 

J. O. Müller, ,Zur Gesch. der Ref. in der Grafschaft 
Schleiden“ (in Monatsh. f, Rhein. KG. X, S. 129—179), greift zu- 
nächst auf eine Kontroverse zurück, die er über seine Schrift „Aus 
den Eifelbergen“ 1893 mit dem katholischen Pfarrer Joh. Becker ge- 
habt hat, und bringt weitere Gründe für den von ihm schon in 
letzterer Schrift behaupteten Übertritt des Schleidener Pfarrers Servatius 
Hirt zum Luthertum mit seiner Gemeinde bei; er kann darauf gestützt 
das Gründungsjahr der evangelischen Gemeinde in Schleiden von 1569 
auf 1560 zurückführen. 

In Annalen des HV. f. d. Niederrhein Heft 96 S. 1—24 behandelt 
Therese Virnich die Anfänge der Kölner Jesuitenschule (bis 1563), 
ohne Neues zu bringen oder bringen zu wollen. 

Eine im Düsseldorfer Staatsarchiv befindliche „Amtsanweisung für 
den (evangelischen) Pfarrer in Mühlheim an der Ruhr aus dem 
Jahre 1594" veröffentlicht und erörtert Forsthoff in Monatsh. f. 
Rhein. KG. IX S. 353—868. Bemerkenswert ist die in der übrigens 
durchaus evangelischen Geist verratenden Anweisung hervortretende 
vóllige Abhüngigkeit der Mühlheimer Kirche und Gemeinde von der 
Landesobrigkeit (Grafen Wyrsch VI) und der Mangel an Fühlung mit 
dem erwachenden synodalen Leben. 

Im Jahrb. d. V. f. d. Evangel. KG. Westfalens XVI S. 98—113 han- 
delt Schüßler über Sendgerichtsprotokolle des 16. Jahrh. und teilt 
solche von 1551—1559 aus dem Staatsarchiv zu Münster mit. Eine 
Einleitung betrachtet Entstehung und Entwicklung der Sendgerichte 
nnd die Konflikte, die darüber zwischen der geistlichen und der welt- 


79 319 


lichen Macht, im besondern Kurköln und Jülich, entstanden. Wie die 
abgedruckten Protokolle zeigen, ist die Kompetenz der Sendgerichte 
auf eigentlich kirchliche Angelegenbeiten, einschließlich Ehe und Un- 
zucht beschränkt. 

Über das Buch der „Armenkiste an UL Frauenkirche zu Bremen“, 
ein Anschreibebuch, das zwischen 1525 und 1580 historische Ereignisse 
sowie Ausgaben und Einnahmen des Gottes kastens verzeichnet, handelt 
E. Büttner im Archiv f. Kulturgesch. XII S. 345—862. Er unter- 
sucht die gewährten Unterstützungen nach Verteilung und Höhe, die 
Einnahmen, die Verfassung und Verwaltung, endlich die allgemeine 
Bedeutung des Buches und seine Verwandtschaft mit andern Armen- 
büchern. Das Buch ist als Rechnungsbuch eines der ältesten unter 
den Kistenbüchern; geistiger Zusammenhang scheint durch den aus 
Ypern oder Kortryck stammenden Jakob Propst, der nach Heinrichs 
von Zütphen Tode die Bremer Kirche lenkte, mit der Armenordnung 
von Ypern bestanden zu haben; Bremen und Ypern scheinen durch 
Jakob von Wittenberg aus beeinflußt worden zu sein. 

Kleine Beiträge zur Geschichte des Bauernkrieges in Thüringen 
bietet Jordan in Mühlhäuser Geschichtsbll. Jahrg. 15 S. 101f. 
(der „Brandmeister“ im Zuge in das Eichsfeld) und S. 108 ein (kürz- 
lich aufgefundenes) Schreiben Hz. Heinrichs d. J. aus dem Lager vor 
Mühlhausen vom 29. Mai 1525, — Ebenda 8. 35 — 50 setzt sich der- 
selbe mit Wapplers Buch über die Täuferbewegung in Thüringen 
auseinander, das er in manchen Punkten berichtigt oder ergünzt. 

A. Neupert sen, Der vogtlándische Bauernkrieg und 
die Schlacht bei der Possig, widerlegt die Angaben älterer vogtlündi- 
scher Historiker von einer blutigen Niederlage der vogtlündischen auf- 
ständischen Bauern und weist aus urkundlichen Zeugnissen nach, daß 
die Bewegung im Vogtlande über die ersten Anfünge nicht hinaus- 
gekommen ist. (Mitt, des AV. zu Plauen i. V. XXVI, 1916 S. 265 —274.) 

Unter dem Titel „Zweierlei Franziskaner in der Oberlausitz* 
behandelt E. Koch in N. Laus. Mag. 91 S. 122—158 die Geschichte 
des Klosters in Kamenz, das auf Veranlassung des Kónigs Wladis- 
law von Bóhmen und Ungarn 1498 für die Franziskanerobservanten, 
die bis dahin noch kein Kloster in der Oberlausitz besaßen, gestiftet 
wurde. Verf. schildert besonders das Verhültnis zu den übrigen Fran- 
ziskanern („Reformaten“) des Landes und verfolgt die die kirchliche 
Geschichte dieser Gegenden durchziehende Frage, welcher Ordens- 
provinz die Klöster angehören sollten. Das Kloster in Kamenz erhielt 
sich in einem gewissen Ansehen bis 1535, wo ihm durch den Tod des 
letzten katholischen Stadtpfarrers von Kamenz seine wesentlichste 
Stütze inmitten der schon überwiegend lutherischen Bevölkerung ent- 
riaaen wurde. Von da beginnt sein Hinsiechen; sein Ende fand das 
Kloster 1570 durch Übergabe an den Stadtrat. 

Der Posener Bürgermeister Nikolaus Schilling, den Th. 
Wotschke in Hist. Monatsbll. f. d. Prov. Posen XVI S. 151—156 be- 
handelt, war der Sohn eines der WeiBenburger, die nach der Ver- 


320 80 


wüstung ihrer Vaterstadt im bayr.-pfülz. Erbfolgekriege in Posen eine 
neue Heimat suchten. Hier stand Sch. bald mitten in dem Kreise, 
der die studia humaniora pflegte; durch ein Glied des Kreises, Johann 
Statius, Orator des Grafen Gorka, gewann er die Gunst des letzteren, 
die ihm bei seinem, auch durch eine patrizische Heimat erleichterten 
Aufstieg bis zum Amt des regierenden Bürgermeisters (1559) behilflich 
war. Sch. war eifriger Anhünger der Reformation und hat sich auch 
den Bóhmischen Brüdern hilfreich erwiesen, ohne sich jedoch ihnen 
.anzuschlieBen. 

„Kleine Beiträge zur Gesch. des beginnenden 16. Jahrhunderts“ 
— mit Bezug auf Er m la n d — veröffentlicht J. Kolberg in Ztschr. 
f. d. G. u. A. Ermlands 55 (= XIX, 1) S. 807—321: darunter einige Briefe 
über den Verfall der Antoniterprüzeptorei in Frauenburg (1518 und 
1520); einen Brief des Nikolaus von Schönberg an Bischof Fabian von 
Ermland 1518, dem er seine Ankunft als Sendbote des Papstes an- 
kündigt; Auszüge aus dem Regestum des Ägidius von Viterbo zur 
Geschichte des Augustinerklosters in Heiligenbeil (1509), — Ebenda 
S. 829—394 schildert K. von Miaskowski die Jugend- und Studien- 
jahre des Bischofs Hosius von Ermland, und teilt S. 473—475 
J. Kolberg einen Brief dieses an Dantiscus von 1538 mit. 

Ausserdeutsches. Die Vorgeschichte der Religionskon- 
zession Kaiser Maximilians II. vom 18, August 1568, durch die den 
protestantischen  Adelsstinden Nieder österreichs die Aus- 
übung der neuen Lehre freigegeben wurde, untersucht V. Bibl in 
Jahrb. für Landesk. von Niederöst. N. F. 18/14 S. 400—432. Die Kon- 
zession bedeutet ganz entschieden eine Abkehr von Maximilians bisher 
befolgter Religionspolitik, die, wie Bibl des Näheren zeigt, auf einen 
kirchlichen Ausgleich der beiden Konfessionen hinarbeitete. Sie ist er- 
folgt in einer Zeit, wo Maximilian einerseits gegen die Hauptmächte 
der Gegenreformation, der Papst und Spanien, verstimmt war, während 
er andererseits das Bedürfnis haben mußte, die protestantischen Stände 
Niederósterreichs, die ihm in drangvoller Zeit opferwillig entgegen- 
kamen, zu befriedigen. Inbetreff der persönlichen Stellung M.s zu den 
beiden Konfessionen weist Bibl auf den entscheidenden Umstand hin, 
daß Maximilian in seinen letzten Lebensstunden die katholischen Sterbe- 
sakramente zurückgewiesen hat; doch betont er mit Recht, daß die 
Religionspolitik Maximilians von seiner persónlichen Glaubengmeinung 
wohl zu trennen ist. Schließlich hat die innere Zerfahrenheit des 
Protestantismus diesen gehindert, in Osterreich die relativ günstige 
Epoche Maximilians gebührend auszunutzen, so daß nach den Tode 
des letzteren die Gegenreformation kein wohlfundiertes, gefestigtes 
Gebáude vorfand, das ihrem Ansturm hütte Widerstand leisten kónnen. 


Druck von C. Schulze 4 Co., G. m. b. H., Gräfenhainichen. 


ARCHIV. 


RERORMATIONS GESCHICHTE 


TEXTE UND UNTERSUCHUNGEN. 


— — — 


In Verbindung 
mit dem Verein für Reformationsgeschichte 


herausgegeben von 


D. Walter Friedensburg. 


XIV. Jahrgang. 1917. 


Leipzig 
Verlag von M. Heinsius Nachfolger 
1917. 


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——— 


ZT ee = it — 


Iuhaltsverzeichnis. 


W. Matthießen, in Bonn, Theophrast von Hohenheim, 
genannt Paracelsus, Zehn nr Abhandlungen 
LE 8 $$ . . . . S. 1-48; 

F. Behrend, Dr. phil., RR des deutschen Kommission 
in Berlin, Die Leidensgeschichte des Herrn als Form 
im politisch-literarischen SE besonders im Re- 
formationszeitalter 

R. Stölzle, Dr., Geh. Hofrat, Univ. Prof. in Würzburg, 
Gerard Geldenhauer, ein unbekanuter Erziehungs- 
theoretiker der Reformationszeit : 

Th. Wotschke, Dr., Lic. theol. Pastor in Erates (Bez. 
Halle), Wittenberg und die Unitarier Polens I 

W. Kühler, D., Univ.-Prof. in Zürich, Brentiana und 
andere Reformatoria VI : "E 

O. Albrecht, D. in Naumburg, Kritische bones 
zur Überlieferung der nen Buch- und 
Bibeleinzeichnungen Luthers Pe . 

G. Kawerau, D., Propst, Ob.-Kons.-Rat in Berlin, | Die 
„Trostschriften“ als eine der ältesten Quollen für 
Briefe Luthers . u ee o ee e 

O. Reichert, Lic. theol. in Giersdorf (Schlesien), Die 
letzten Arbeiten Luthers am Neuen Testament 

W. Köhler, D., Univ.-Prof. in Zürich, Lutherbriefe aus 
der Zeit des Augsburger Reichstages ; 

Th. Wotschke, Dr., Lic. theol. in Pratau, Luthers Haus- 
postille polnisch : 

à P. Kalkoff, Dr., Professor in Breslan, Friedrich T Weise, 

= der Beschützer Luthers und des Reformationswerkes 

E. Kroker, Dr. phil., Professor, Stadtbibliothekar in Leipzig, 
Hat Tetzel den Ablaß zu seiner Bereicherung ge- 
mißbraucht?’ T" : 


2 
N 


49—64 


161—186 


187—204 
205—3235 
236—M1 
242 —248 | 


249—962 


263 —276 


— [V — 


Seite 
G. Bossert, D., Pfarrer emer. in Stuttgart, Jodocus Neu- 
heller, Neobolus, Luthers Tischgenosse . . . . 911—900 


W. Friedensburg, D. Dr., K. Archivdirektor in ige 
burg, Ein englischer Spion in . zur Zeit 
Luthers (1639) . . . . . . 301—310 


Mitteilungen: G. Bossert, Zur Charakteristik des Land- 
grafen Philipp von Hessen S. 152f. — W. Friedens- 
burg, Neuerwerbungen S. 78—80; Schriften zum 
Reformationsjubelfest S. 153—160; Lutherana in Zeit- 
schriften usw. S. 311—316. 


TEX T E UND UNT HORGEN 


Eng mit dem Verein für Reformationsgeschichte 
herausgegeben von 


D. Walter Friedensburg. 2 
XIV. Jahrgang. Heft 1. E . 
| * 
A AUT Theophrast von Hohenheim, E 
K 23 genannt Paracelsus. M 
Zehn theologische Abhandlungen. I. A 
E " von A 


W. MatthieDen. 


Die Leidensgeschichte des Herrn als Form 
| im politisch -literarischen Kampf besonders 
E im Reformationszeitalter 


von 


Fritz Behrend. 


1 * 
AN 


Gerard Geldenhauer, ein unbekannter 
- Erziehungstheoretiker der Reformationszeit 


I von 


Remigius Stölzle. 


Mitteilungen 
(Neuerscheinungen.) 


Leipzig 
Verlag von M. Heinsius Nachfolger 
1917. 


EC. Ausgegeben im Februar 1917. 
für Subskribenten 2,65 M., einzeln bezogen 3.70 M.» MH ox: 


i 
— . 


Voranzeige. 


Heft 55 des Archivs für Reformationsgeschichte 
wird anláblich der Reformationsjubelfeier als 


Lutherheft 


erscheinen und Beiträge von G. Kawerau, O. Albrecht, 
G. Bossert, W. Köhler, E. Kroker und Th. Wotschke 


sowie ein Geleitwort des Herausgebers enthalten. 


Einzelpreis dieses Heftes etwa 4 Mark. 


Verlag von M. Heinsius Nachfolger in Leipzig. 


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— — aS ͤ wäũĩt — — 2Iu c 


ARCHIV 


PPOR MATIONSCESCHIGHTE 


TEXTE UND UNTERSUCHUNGEN. 


In Verbindung 
mit dem Verein für Reformationsgeschichte 


herausgegeben von 


D. Walter Friedensburg. 


Nr. 53. 
14, Jahrgang. Heft 1. 


— — 000 ie 4 L dm 


Leipzig 
Verlag von M. Heinsius Nachfolger 
1917. 


Theophrast von Hohenheim, 
genannt Paracelsus. 
Zehn theologische Abhandlungen. 1. 


von 


W. MatthieBen. 


Die Leidensgeschichte des Herrn als Form 
im politisch-literarischen Kampf besonders 
im Reformationszeitalter 
Fritz Behrend. 

Gerard Geldenhauer, ein unbekannter 
Erziehungstheoretiker der Reformationszeit 


Remigius Stölzle. 


Mitteilungen 
(Neuerscheinungen.) 


l Leipzig 
Verlag von M. Heinsius Nachfolger 
1917. 


- Theophrast von Hohenheim, 
genannt Paracelsus. 


Zehn theologische Abhandlungen. 


Nach cod. Pal. germ. 476 zum ersten Male herausgegeben 
von W. MatthieDen. 


Vorbemerkungen. 
I. 


Es hiefe nichts weiter als Sudhoff!) ausschreiben, wenn 
wir an dieser Stelle eine nähere Beschreibung unserer 
Handschrift, genaue Nachweisungen über ihr Verhültnis zu 
anderen Paracelsus-Handschriften geben sowie über die 
Authentizität unserer Vorlage ausführliche Erörterungen 
bringen wollten. Wir verweisen daher ein für allemal auf 
Sudhoffs Werk. besonders S. 2--12 und 435—469, Nur 
einige knappe Angaben, die zur Orientierung unumgänglich 
nótig erscheinen, seien uns gestattet. 

Sudhoff bezeiebnet die Heidelberger Handsehrift als 
eine „der wertvollsten aller erhaltenen Paracelsushand- 
schriften“ 2). In der Tat geht die Handschrift auf die seit 
der Mitte des 16. Jahrhunderts im Archiv der Bayernherzöge 
und Pfalzgrafen bei Rhein zu Neuburg an der Donau ruhenden 
Paracelsischen Original-manuseripte zurück. Huser, der erste 
wissenschaftliche und gewissenhafte Herausgeber des Hohen- 
heimschen Nachlasses, entlehnte nämlich dort im Oktober 
1594 eine ganze Reihe theologischer Abhandlungen Hohen- 
heims in dessen Autogramm. Herausgegeben hat er indes 


1) Versuch einer Kritik der Echtheit der Puracelsischen Schriften. 
Il. Teil: Paracelsus-Handschriften. Berlin 1899. 
2) a. a. O, S. 469. 
Archiv für Reformationsgeschichte. XVI. 1. 1 


2 | 2 


diese Schriften nicht, da sie rein theologischer Natur waren. 
Ihre Titel — die Original-Handschriften sind seit 1694 in 
Düsseldorf verschollen — sind in den noch erhaltenen Ent- 
lehnungsakten!) anfbewahrt und entsprechen genau den in 
unserer Handschrift gegebenen Titeln. Denn cod. Pal. germ. 
476 hat uns fast alle in diesem Verzeicbnis aufgeführten 
Traktate Hohenheims erhalten. Man sieht, daB die Vor- 
lagen unseres Schreibers keine anderen gewesen sein kónnen, 
als die Neuburger Originalien, zumal da unser Codex noch 
weitere Stücke enthält, die Huser in seiner Quart-Ausgabe 
„ex autographo* abdruckt?) und die genau mit den Texten 
von Pal. germ. 476 übereinstimmen. Mag auch Huser, der 
gewiegte Kenner der Hand des Paracelsus, häufig bessere 
Lesarten bringen, als unser Schreiber, so beweisen gerade diese 
Abweichungen schlagend, daß sowohl Huser wie der Heidel- 
berger Kopist nach derselben Vorlage gearbeitet haben. Ich 
nenne etwa folgende: erinnibus— euntibus; beneficiis — triplicibus; 
neben—gegen; mein im,; wirs— wir sy. usw. Danach bleibt für 
einen Zweifel an der Authentizität unserer Texte nicht mehr 
viel Raum. Cod. Pal. germ. 476 überliefert uns als einzige 
der zablreichen Handschriften diese Traktate in ihrer ur- 
sprünglichen Form. Nur eines der von uns zur Veröffent- 
lichung vorgesehenen, ganz kurzes Stück ist mehrfach über- 
liefert. Von den übrigen neun, bzw. zehn Abhandlungen 
sind anderweitig nur Auszüge vorhanden. Ich habe jedesmal 
darauf verwiesen und gebe hier nur noch eine Übersicht 
der verschiedenen Handschriften und der für sie gebrauchten 
Zeichen: 


Nr. bei 3 ; Alter 
Zeichen | Sud- Nähere Bezeichnung der der Hand- 
hoff Handschriften schriften 
A 90 | Cod. Palat. germ. 476 1560—1570 
B  ! 88 | Leiden: cod. Voss. Chym. in Fol. 24| 1560—1570 
C 89 | Leiden: cod. Voss. Chym. in Fol. 25 | 1560—1570 
D 83 | Görlitz, Oberlausitz. Gesellsch. d. Wiss. 
| Th. 146. 40 1564 
E 95 | Breslau, Stadtbibl. cod, Rhed. 334 Fol. 1588/89 


1) Sudhoff a. a. O, S. 10ff. 
*) Sudhoff a. a. O. S. 456—463. 


o 
0 


DT 93 Náhere Bezeichnung der „ Ig de tere Bezeichnung der | „Alter rid T 
eichen hoff Handschriften | schriften 
F 96 | Breslau, Stadtbibl. cod, Rhed.333, Fol. | 1590—1600 
G 98 | Wolfenbüttel, herzogl. Bibl. 28:4 Ms. | 1593—1599 
Aug. 4? 1595—1597 
H 106 | Greifswald, U. B. Mss. theol. Quart. 8. 
I 107 | Kopenhagen, Kgl. Bibl, E coll. Thott. | 1590—1610 
in 49. Nr. 119 
K 108 | Salzburg, K. K. Studienbibliothek V. 1590—1610 
1. g. 121. Fol. 
L 114 | Kopenhagen, Kgl. Bibl, gl. Saml. | 1620—1630 
Nr. 1366. 40 
Neub. hsv. Neuburger Handschriften verzeichnis!) 
Oss. hsv. Osseger Handschriften verzeichnis“) 
II. 


N Etwas ausführlicher muß ich mich über meine Text- 
gestaltung und deren Grundsätze äußern. Wie bereits gesagt, 
konnten keine Parallelüberlieferungen herausgezogen werden, 
weil unsere Handschrift als einzige die originalen Texte 
aufbewahrt hat. Im einzelnen sind diese Texte nicht selten 
recht verderbt, einerseits weil der Kopist seine Vorlagen 
häufig nicht entziffern konnte und doch zu gewissenhaft 
war, mit eigenen Kombinationen die Lücken zu füllen, an- 
dererseits, weil Hohenheims Manuskripte häufig wohl nur 
Konzepte darstellten, die sich nachweislich in einem recht 
schlechten Zustande befunden haben?). Bei Hohenheims 
eigenartigem Stil, hielt ich es für geboten, bei allen Ande- 
rungen und Ergánzungen des Textes gróDte Vorsicht walten 
zu lassen, Ich änderte nur da, wo die Berechtigung dazu 
unmittelbar einleuchtete und sich die richtige Lesart geradezu 
aufzudrängen schien. So mußten eine ziemliche Anzahl 
merkwürdiger Konstruktionen, Worte und Wendungen unbe- 
rührt bleiben. Indessen habe ich die völlig sinnlose Inter- 
punktion meiner Vorlage einigermaßen nach unseren Be- 


1) Sudhoff d. a. O. S. F. 
® Sudhoff a. a, O. S. 37 f. 
9) Sudhoff d. d. O. S. 463. 


4 4 


dürfnissen veründert, damit sie dem Verstiindnis der Texte 
nicht mehr so, wie es in der Handschrift der Fall ist, ent- 
gegenarbeite. 

Noch durchgreifender habe ich die Orthographie nor- 
malisiert. Denn dieses schien schon dadurch geboten, daB 
die Handschrift von zwei verschiedenen Händen geschrieben 
ist, deren jede natürlich ihre besondere Orthographie hat, 
wenn sie auch in der dialektischen Form gut übereinstimmen. 
Ich mußte also zum mindesten im Rahmen der Handschrift 
normalisieren. Von da bis zu einer allgemein Abwerfung 
des nutzlosen Rechtschreibungsballastes war kein großer 
Schritt mehr. Daß ich nirgend auch nur im geringsten die 
Sprachform angetastet habe, ist selbstverständlich. Aber die 
Orthographie ist etwas durchaus Nebensächliches und Zu- 
fülliges, ebenso zufállig und unwesentlich, wie das Papier eines 
Buches, die Type oder der ductus der Handschrift. Ich 
berufe mich da auf J. Franeks bahnbrechende Arbeit in den 
„Beiträgen z. Gesch. der deutschen Sprache“ Band 27, 368 fl. 
und verweise auch auf die schöne Einleitung Alfred Goetzes!) 
zu seinem ,Frühneuhochd. Glossar.^ Bonn 1912. 

Daß ich nicht unsere Rechtschreibung zur Norm ge- 
nommen habe, bedarf keiner Versicherung. Davor bewahrte 
mich schon die in mancher Beziehung recht vernünftige 
Schreibweise meiner Vorlage, die beipielsweise statt ihm, 
ihnen, liegen, biegen, himmel, gott durchweg schreibt im, inen, 
ligen, bigen, himel, got. Damit waren mir die wichtigsten 
Richtlinien gegeben. Es galt, alle überflüssigen Buchstaben- 
häufungen zu eliminieren, und das Wort in seinem reinen 
Klangwert herauszuschälen, in dem Klaugwert natürlich, den 
es für Paracelsus gehabt hat. Ich durfte also nicht ratten 
in raten, vatter in vater, ellend in elend verwandeln. Wohl 
aber mußte ich statt 8% 5t, schulldig, anndern, seindt usw. 
schreiben sanft, schuldig, andern, seint. Diese Vereinfachung 
des Buchstabenbestandes ist unsere erste Änderung. Zum 
zweiten war überall derselbe Laut auch durch dasselbe 
Zeichen zu deuten, also wu nieht einmal durch u, dann durch 


) Herrn Prof. Dr. A. Goetze bin ich zu größtem Danke ver- 
pflichtet für die Beratung, die er mir in den Fragen der Textyestaltung 
angedeihen ließ. Der Herausy. 


5 5 
v und beliebig auch durch w, sondern ein für allemal 
durch u. Für 1 wurde überall, wo es angüngig war, statt y 
und j i gesetzt; für c trat in deutschen Wörtern k ein, 
während in lateinisch flektierten c blieb. Unsere Umlaute 
0, ü und à gibt die Handschrift meistens durch einfaches o, 
u und e wieder. Jedoch kommt auch ó, 4 und d vor. Ich 
habe somit überall, wo mit einiger Sicherheit gesagt werden 
konnte, daB Paracelsus den Umlaut ó und ü gesprochen hat, 
statt o, u à, ö eingesetzt, also statt fur, uber, sunde, bos ge- 
schrieben für, über, sünde, bós. Für das in der Handschrift selten 
vorkommende d habe ich überall das historisch richtigere e 
eingesetzt. Wo s als Fortis gesprochen wurde, habe ich überall 
B gesetzt, sonst 3. Nur bei das als Konjuntion und Artikel habe 
ich in etwas unhistorischer Weise mich entschlossen, nach 
unserer Orthographie zu scheiden, also das für den Artikel 
und daß für die Koujunktion zu setzen. Wenn ich mich, 
was am unverfänglichsten gewesen wäre, nach der Schreibung 
der Handschrift hätte richten wollen, hätte ich in den aller- 
meisten Fällen das, und nur sehr selten dag und noch sel- 
tener daz schreiben müssen. Das würde aber der Auslaut- 
verhärtung widersprechen, und da außerdem die Handschrift 
völlig willkürlich darin schaltet, entschied ich mich, schon 
des besseren Verständnisses halber, im Sinne unserer Ortho- 
graphie zwischen das und daß zu scheiden. 

Damit wäre das wichtigste gesagt. Zum Verständnis 
der Anmerkungen sowie der Änderungen innerhalb des Textes 
diene folgendes: Im Texte sind alle Änderungen durch Kur- 
svdruck kenntlich gemacht. Ergänzungen sind einfach in 
Kursivdruck gegeben, und so erübrigte sich ein besonderer 
Hinweis in den Anmerkungen wegen des Fehlens des be- 
treffenden Wortes in der Handschrift. In den Anmerkungen 
sind die Originalformen des Textes, von denen unsere Text- 
gestaltung abweicht, angegeben. Die übrigen Nachweisungen 
sind in Kursivdruck gegeben. 


1. Liber prologi in vitam beatam 
Theophrasti Hohenhaimenas?s. 


[210 a] So nun ain guter baum on gute frucht nit sein mag, 

und ain guter baum mit guten früchten vom guten samen 
a soll geseet werden in den acker, in den er gehört, der auch 
gut sei, ist nun das die ursach, hie von dem seligen leben 
zuschreiben denen, so zum guten baume verordnet sein und 
begerent. Dann niemants ist der, der nach seim dot selig 
muge sein, er sei dann uf erden geseliget und darzu erwelt 
10 und gezogen worden. Dann so nun uf erden der mensch 
das sein muB, das er will nach seim dot sein, ist not, daß 
er dohin tracht und denk, daB er uf erden das werde, wie 
er naeh seim tod sein will. Ain böser som gibt bösen baum, 
und nachfolgt bóse frucht, und ain guter som guten boum 
15 und gute frucht. Daß aber der böse som ain mensch sei, 
das ist er nit Daß der gute som ain mensch sei, ist er 
auch nit. Der gute sam ist got, der böse der deufel, der 
mensch der acker. Kompt der gute som inn menschen, er 
wechst us im. Dann der mensch ist der acker, und sein 
so herz sein baum, sein werk sein frucht. Mag nit ain acker, 
der búse frucht tregt, gereutet werden und von der bósen 
frucht geseubert und ain gute darein gesetzt? Oder mag nit ain 
wilder stock zam werden und fast wol? Mag dann nit auch 
ain guter acker init bösem samen geseet [2105] werden? Auch 
25 wol. Also mag der acker gezogen werden nach dem samen 
und nit der samen nach dem acker. Dann der same regiret 
den acker. Der acker ist nit herr über den samen. Wirt 
ain guter samen geseet inn acker, so wechst ain guter baum 
herus. Dann kain guter som wirt nit geseet, der acker sei 
zo dann do. Kain böser som wirt auch nit geseet, der acker 
sei auch dann do. Ob man sagt, es werd zwaierlai acker, 
guts und bös, der bös im bösen, der gut im guten, — das 
ist nit. Alle menschen seint gleich ain acker, und weder 
gut noch bös sonder ain mitels. Der sam aber macht den 
ss acker fruchtbar. Und nachdem und er ist, — falt ain guter 
som inn acker, und der acker nimbt in an, so ist er gut, 
falt ain böser darein, und er nimbt in an, so ist er bös. 


1—2 Der vollständige text ist nur in A erhalten. Den anfang, 
zeile 3— 15, finden wir noch in D. Außerdem bringt D einen auszug 
des traktats. Derselbe auszug ist erhalten in B und mit zahlreichen 
kleinen abweichungen in I. Das Neub. hsv: führt den traktat an als 
Prologus in vitam beatam . . . 7!/, bletter; das Oss. hsv. nennt ihn 
Von dem seligen leben. 

Im folgenden gebe ich für Zeile 3—15 die varianten des von D 
überlieferten fragmentes. 

3 eine gute frucht bringt und sein mus. 10 darumb so 
nun. 13 Abschnitt. 14 nachfolgend. 


T 7 


Nit aber, daß der acker an im selbst bös sei oder gut: er 
ist gleich wie ain wasser, was farben darein fallen, die ferben 
das wasser. 

Dab aber Christus spricht und Johannes Baptista: Ir 
ottergezicht! das ist sovil als ain acker, der nichts soll, in 
den nichts guts zusehen ist, als in ain schlangen, ottern 2c. 
Darin ist kain adler zusuchen noch zusehen. Was ist aber 
die ursach? Die ist sie: so der mensch sich gegen dem 
bösen naigt und entpfacht den bösen samen und tregt densel- 
bigen baum, so mag kain guter samen in denselbigen fallen 10 
noch grünen. Der bös ersteckt in. Nun fürhin tut got das: 
entsetzt disen acker [211a] von guten samen und beraubt 
denselbigen, leBt in öd und ler ligen in guten dingen und 
mit distel Üüber wachsen. Daun do ist der punkt zumerken: 
dann der mensch hat den verstand des guten und bösen, 18 
und das us dem paradeis gebraucht. Dieweil er nun den 
verstand hat, und waißt das, und waißt hierauf, was uf das 
bös folgt, was auch uf das gut folgt, und nimbt über das 
den ersten somen an, mit seinem freien guten willen und 
wol bedracht, über sein gewißne, do sein herz ist, so wirt 20 
das daraus, daß in got uf solche gewißne leBt faren und 
machen; und uf dasselbige folgt hernach, daB im selbigen 
kain guter som gründen mag. Und also wirt erfüllt das 
exempel, wie Christus sagt, daB etlicher som fiel in guten 
weg, etlichs in die dorn, etlicher uf den felsen: kainer ging s; 
herfür als allain, der inn guten acker fiel. Das ist der gute 
acker, der do erkent in seiner gewißne guts und bös und 
waißt, was im zu beiden seiten darauf stet, — und verleßt 
das bös und nimbt das gut. Das ist der bös acker, der 
auch guts und bós verstet und verleBt das gut und nimbt das so 
bós. Also was in den acker fellt, das fellt mit des ackers 
willen. Dann der acker ist nit unentpfindlich, ist nit tirisch, 
ist nit on vernunft, sonder er ist ain acker, der guts und 
bös waißt, und nicht, dab er muß annemen, was in treib in 
sat, sonder das er will, das wirt in in geseet. Will er guten, ss 
er wirt in in geseet, will er bösen, wirt aber in [2115] in 
geseet. Also nach wem der acker durst, dasselbig trank 
wird im geben. Wornach in hungert, dieselbig speis wirt 
in in geseet. Also seint vilerlai hunger zum bösen, vilerlei 
zum guten. Vollends dus zum bösen, vollends auch zu gutem: «o 
uß dem entspringt nun vilerlei frucht der bösen, vilerlei 
frucht der guten. Jetzt sagt man: sovil haubter, sovil sinn, 
sovil baum, sovil andere frucht von der baiden, guten und 
bösen. 


4f. Matth. 12, 34; 23, 33. Matth. 3, 7; Luk. 3, 7. 
24 Matth. 13, 3 usw. 


8 8 


Man mocht uf das sagen, wir hetten den freien willen, 
tan oder nit. Das ist nit. Wir mogen nichts tan, got gebs 
dann. Der bóes tut, dem muB got das bós da geben, sonst 
mag ers nit tun. Der guts tut, dem mub got geben, er mags 

ssonst auch nit tun. Wie kann dann der mensch tun, was 
er will, so er doch nit kann ain har weiB oder schwara 
machen? Der hat seinen freien willen, der kann und mag 
tun, was er will und ist niemants über in, und niemants, 
der es im mug wenden. Wer ist der? allain got. Sagstu: 
10 ich mag den erstechen oder mags lassen, das stelen oder 
mags nit stelen, ehebrechen oder nit brechen, ich habs in 
meinem gewalt, — welcher ist der, der solches reden muge? 
niemants. Dann ob gleichwol tausent gulden vor dir legen 
und du woltest tun, so mag got sovil, daß du im grif er- 
15]amest und nichts sihest und nit waibt, wo du bist, und macht 
dich unsinnig, doll 2c. Wo ist itzt, daB du tun magst, was 
du wilt? Tust dus, — got stat [212a] still, bist darumb 
nit, der du mainst. Dann der dot bricht dir dasselbig. Das 
ists aber, du bist ain acker, du magst an dieh nemen, wen 
0 du wilt, darzu bistu frei, gut oder bös. Nimbst bös, so tuts der 
deufel, du nit. Sagstu: ich habe das geton aus meinem freien 
willen, — nein, der deufel hats geton, des ist die er und 
das lob. Du hast aber als ain acker den bom in dich ge- 
pflanzet. Nimbstu ain guten somen an dich und machest 
as doten lebendig. ussetzigen rain, treibest deufel us, du magst 
darumben nit sagen: ich mags tun oder nit. Dann du dusts 
nit. Got ist der, der es tut. Warumben kanstu dich dann 
beruemen, du magst oder nit, tun oder lon? Ist nun got 
in dir, so wirkestu us got, ist der deulel in dir, so wirkestu 
sous dem deufel. Als ein gleichnus: die apostel hetten got 
in inen, sein hailigen gaist 2v. Darumb machten sie die 
doten lebendig und reden mit feurigen zungen die wunder- 
werk gottes. Die besessen menschen hetten den deufel in 
inen: derselbig plert und redt und brült us inen. Nun sich, 
ds wer do sein freien willen hab, die apostel oder die besessen. 
Nemlich kainer tail Die apostel verbrachten den willen 
gottes, die besessen den willen des deufels. Also ward er- 
füllt in den aposteln der will gottes, in den besessen der 
will des deufels: noch hat der mensch kainen freien willen do. 
40 Darumben so müssen wir die fantasei ligen lassen und 
den dingen nit nachsinnen, in dem, daß wir (212b] uns so- 
vil und mer zulegen, dann wir haben. Secht an ain groben 
und unverstandnen menschen. Do mocht auch gesagt werden: 
er hat sein freien willen zetun oder lon. Und aber er waißt 
«nit zutun oder zulon, ging also wie ain doll mensch, der 


12 meinen. 26 du dutsts. 


9 9 


weder von got noch vom deufel waißt und entwederm nach- 
denkt, hat sein bauch für sein got, waißt weder herkomen 
noch hinkomen. Was soll der hon, ain narren, ain esel, 
ain dölpen. Ist dann ainer witzig und tut bös, er muß 
zalen. So er nun zalen muß, was ist sein freier will, daß s 
nit one schaden usget. Was die sel antrifft, do haben wir 
kain freien willen, Das ist: im seligen leben haben wir 
kainen auf erden, aber in dem haben wir in: ain hafner 
mag ain hafen machen oder ain kachel, so im got zusagt 
die kraft zu geben in sein handwerk. Was ist aber das: 10 
got gibt uns das leben, kraft, macht 2c. So wir nun das- 
selbige hont, die zugebrauchen, got oder dem.deufel, dem 
nechsten oder uns, — wer ist aber der, der das für ain 
freien willen schetz, die weil der henker hinder im stet, mit 
dem schwert zurichten. Als wenig, als ain acker vermag 15 
zutun, was er will, als wenig du auch. Aber er hat die 
macht, frucht zutragen, distel oder trauben, gilgen oder dorn. 
So er nun distel und dorn tregt, so stechen die dorn, der 
acker aber nit. Also auch: tregt er trauben und gilgen, so 
neußt man dieselbigen, den acker aber nit. Darumb sose 
folgen uns nach unsere werk, das ist: [213a] unsere werk 
seint in der auferstehung der menschen. Und der mensch 
ist sein frucht, die us im gewachsen ist. Und der acker ist 
der wurmen und soll nichts. "Wie kann do sein, daB der 
mensch vermain, er seis, und legt im sovil gewalts zue. 26 
Dann also vermaint auch Lucifer, do er im himel war, er 
mócht tun, was er wolt, und er tats, do fiel er us dem 
himel herab. Wo maisterschaft ist, do ist kain freier will. 
Der aber kain maister hat, derselbig hat den freien willen. 
Der ist got. Und wir seint die allain, so hie uf erden se 
fechten und wandlen, daß wir ain somen tiberkomen. Und 
wie derselbig us uns wechst, also handlet derselbig. 

Hie ist vil acht zubaben uf das wort gottes, do er ge- 
sprochen bat: mich hat gereuen, daß ich den menschen ge- 
macht hon. Dann ursach: so gar vom grund soll geredt s 
werden, so merken das exempel: ainer, der do geschickt ist 
und verstet die vernunft, erkent got und das gerecht und 
die liebe und die warhait, und wandlet in demselbigen, und 
derselbige kompt an ain ort, do findt er pauren, bürger, 
edelleut, münich, pfaffen c. Und dieselbigen ain tail ist so «o 
geitig, daß sie weder gottes 2c. art nit achten. Der ander 
tail ist so grob, so eblich, daß er weder von got 2c. nit 
hören will, — und sicht also, daß baide tail allain sinnen 
zu dem, das wider got ist, und wellen gar nit erkennen 
noch begeren zu- [213 0] kennen. Solt aber der maister, der 46 


94 1. Mos. 6, 6. 


10 10 


solche leut sicht, nit gedenken: es muß den billig reuen, 
der sie gemacht hat, dab ers gemacht hat. Dann sie sollen 
nirgend zu nichts, sonderlich zu dem, darzu sie geschaffen 
sein. Wem wolt nur ain solch volk gefallen? Dieweil 
¿nun das augenscheinisch ist, daß got den menschen be- 
schaffen hat und denselbigen nun fast wol, witzig, geschickt, 
hübsch 2c. und aber seine kinder stand also wie der vater, 
— solt got nit reuen, ain solchen puffel bauern, buffel 
edeln, der so gar an got nit sinnet, daß er Adam gemacht 
10 hab. Nit daß Adam ine gereuen hab, noch Abraham noch 
Jesse 2c., sonder den Kain und andere seine nachfolger in 
seinem leben. Christus, der nu ain neuen menschen be- 
schaffen hat, der hat die geburt anderst gesetzt. Nit daB 
ain jeglicher sein sun sei, sein kreatur sei, darumb, dab er 
ıs von sant Peter geborn sei, oder von sant Paul. Sunder in 
die geburt hat ers gesetzt, die in got geborn seint. Itzt 
werden die nach dem fleisch nit, wie us Adam, sonder us- 
geschlossen, die do nichts sollen. Adam muß alle die für 
kinder hon, sie geraten wol oder übel, so seint sie seines 
20 bluts und von im do. Aber Christus hats nit also geschaffen, 
sonder er hats geschaffen, uf daD er nit zu rue keme seiner 
kreatur, wie sein himlischer vatter. Darumb nit in das blut 
der menschen noch in dem willen des mannes, sondern in 
dem willen: den sein himlischer vatter zu im zeucht, [214a] 
as derselbig ist us im geboren. Also werden die groben nebulon 
und die geutigen, die Kainisten 3c. abgesondert, — ob gleich 
in vatter Abraham were, so ist der sun darumb nit Abra- 
hams blut. 
Dieweil in solehem ain verstendnus genomen werden, 
s daß in Adam niemants selig wirt, darumb daß er so böse 
kinder hat, des berumpt ist, seinen kindern nichts nutzlich 
noch hilflich zu sein in jener welt, sonder also geschiden, 
daß ain jeglicher sein bürde selbs tragen wirt und muß und 
niemants für den andern; und im selbigen fleisch Ade kain 
sselikhait ist noch gefunden wirt, und ain ander fleisch do 
muß sein, in dem der mensch uferstehen muß zu den seligen 
in das reich gottes. Uf solchs ist nun Christus geborn und 
mensch worden im blut und fleisch, nit von Adam, sonder 
us dem hailigen geist. Darumben so hat er ain neue kreatur 
% ufgericht, daB allain die, so in in glauben, werden wider 
geboren und geschaffen, aber in das fleisch und blut, das 
dureh den hailigen gaist wirt. So es nun vom selbigen 
muß komen, so ist da die fürsichtikhait des sons gesein, 
dab ain jeglieher, der do will sein ain son gottes, gefleischt 
«us dem hailigen gaist, derselbig muß am ersten glauben in 


23 Joh. 1, 13. 24 Joh. 6, 44. 


11 11 


den, den got gesant hat, Jesum Christum, seinen son, und 
denselbigen hören. Jtzt uf das folgt, daß der mensch kain 
sun himlisch geburt, allain irdisch. Der aber himlisch sein 
will, der glaub und hör Christum. Itzt [2745] ist er ain 
sun gottes, wie gemelt. Itz ist weiter zumerken, daß der s 
mensch der alten kreaturn got des vatters, der also buflich 
und eblich ist, auch vichisch, wolfisch 2c. soll unterricht und 
gelert werden von der neuen kreatur vom seligen leben, 
und im seine dólpische art nemen, underweisen, uf dal er 
zu erkantnus kom Christi, der do ist der son gottes und 10 
höre sein wort, das uns got der himlische vatter gehaißen 
hat. Darumb folgt uf das, daB Christus gesagt hat: geet in 
alle welt us und predigen allen kreaturen das euangelion 2c. 
Warumben in alle welt? darumb, daß allen die selikhait 
des himels offen ist, und allen kreaturen, — daß etlich aufs 
esel natur, etlich auf hunds art genant seint in irem ver- 
stand, etliche schweinen kind, etliche menschen kinder: das- 
selbig seint die kreatur, — uf daß sie komen in erkant- 
nus und gwisen werden von der alten kreatur zu der 
neuen: — Es sei dann die kreatur, die sich gegen dem se 
planeten helt, gegen dem vich, gegen dem deufel und seinen 
gaisten — Daß sie alle wissen, verstanden und erkennen 
die neu kreatur. Dann niemant ist Christus bekant, er 
werde dann demselben verktindt. Kain gaist tuts nit, kain 
planet verkündt im nichts, kain vich predigt im nit, es muß 25 
allain das apostel ambt tun und der prophet stand, der 
jünger stand. Dann den ist das gehaiß worden. 

Das ich hie beschreib vom wesen im seligen leben, ist 
nit, [215a] daB ich den unglaubigen oder den unwissenden 
von Christo ler geb. Dann nit ain apostel oder dergleichen so 
bin ich, sonder ain philosophus nach der teutschen art. Aber 
das beschreib ich denen, so in Christo getauft seint und 
aber in nit hören wellen, etliche sich selbs fürsetzen Christo, 
ander, die vil irsal einfueren, dieselbigen allain etliches tails 
zumelden und fürzuhalten: nit daß also do sei, was not ist; s5 
dann die ding zubeschreiben ist meines vermugens nit. 
Christus hats beschriben. Ich allain die irsal fürgenomen, 
so bei Christo nit gesein seint under den getauften. Dann 
das ist one zweifel, wie dis exempel uswaist: wer zu den 
zeiten Christi die christenbait gesein wie itzt, so würde man «e 
hierinen, daß weder Christus noch Petrus würden gestatten 
den rómischen bracht, und vilmer zufürkomen durch pueb 
und bet predigen. So es aber itz ist, und nit zu der zeit 
Christi, ist bilich das zumelden. Also auch der itzig gewalt 
des kaisertumbs und aller königen, fürsten, herrn, stetten, + 


12f. Marc. 16, 15. 23 Christum. 31 phy. 


12 | 12 


lender ꝛc. gerechtikhait: so sie wer gesein zu den zeiten 
Christi, er wird nit sagen: das lex ist von got, oder das lex 
von got, sonder er würd sagen: das lex ist vom deufel, und 
das auch, der kanon ist us der leviathen, der kanon auch, 
sund der paragraphus auch. So auch die itzigen gewerb und 
hantirung, so uf erden seint, under Christo gesein werent, 
er wirt nit sagen: das ist kain wucher, sonder: es ist ain 
wucher, der ist des deufels mit seinem stift 2c., der auch. 
Darumb so es mit der zeit dohin komen [2155] ist, von 
10 tag zu tag in die wider ler Christi erwachsen, so ist bilich, 
daß nun us derselbigen rott das an tag komen. Dann der 
putz wirt vom deufel nit gar usgelassen, sonder an aim ort 
usgelassen, am andern verhalten. Wo ausgelassen, ain 
bösern eingeflickt mit subtile. Dann welcher deufel wolt 
15 wider sich selbst sein, welcher richter wider sich selbst, 
welcher pfaff wider sich selbs, und welcher junker wider 
sich selbs? Ist er wider sich selbs, so will er ain neue 
gift einfueren. Darumb ward Petrus und ander fischer ge- 
nomen, die in den phariseischen handiungen nichts zu tun 
20 hetten und unbefleckt bliben und ir und ir warent. Also 
kompt das an tag, das got an tag hon will. Also satzt er 
auch seine propheten und ander wider die, die nit von inen 
warent. 
Wievil hailigen seint im reich gottes, die nit uf erden 
as mit köstlicher ziert ufbutzten, do sie uf erden gingen, nit 
den funfzigisten tail vermochten, sovil ir bildnus vermag. 
Werent sie uf erden und sehents, so fluhent sie von dem 
hinweg. Wievil ler seint geschriben worden von vil lerern: 
so sie itzt verhanden werent, sie würdens nit lassen bleiben. 
so Und das also: man muß vil von aim baum abhauen, von 
zweigen und dergleichen estli, bis der baum recht und schön 
usgebutzt wirt und on mangel do stet. Also do auch. Wie- 
vil vergebene bücher seint geschriben worden, die bliben 
seint nach irem dot: das alles mit solchen esten gesein seint, 
s die ain bom (216a] hat in seiner frucht und obs. Ain 
schuler, der lernt, und muß vil vergebens schreiben, bis er 
schreiben lernt, vil vergeben buchstaben, bis er buchstaben 
kann. Solten darumb die bösen buchstaben gelten und vor 
unsern augen ston? Nain, sonder die letsten, die besten, so 
4 er gar us und wol begriffen hat. So sich begeb, dab ainer 
ain hailig wurt, als sant Peter, solte darumb das auch in 
sein hailigtumb gerechnet werden, das er geton hat vor 
seinem beruef in das apostelampt? Nain. Vil werk und 
machen, das nit in das hailigtumb gehört, ob gleichwol der 
4b werkmaister hailig würde im end. Ain arzt, der ain kranken 


20 oder und ye und ye warend zu lesen? 40 es. 


13 13 


hat, der braucht vil, bis er in ufbringt: ist darumb nit alles 
arzenei, sonder das im hilft ist ain klains. Vil ist unnutz, 
und doch für nutz angesehen wirt. Solches alles ist darumb 
angezaigt, daB wir im seligen leben nit ainem jeglichen kopf, 
nit aines jeglichen reden, nit ains jedlichen auslegung sollen s 
wir annemen. Dann dieweil nur 12 in das apostelambt be- 
rueft seint worden, und sonst kainer, so leit do auch ain 
beruef, daß niemants zuschreiben babe, er halt dann den 
beruef, das ist: der hailig gaist. Nun kompt er nit ainem 
iglichen darumb, daß er doktor ist, maister ist und der- 10 
gleichen des namens. Dann wie Paulus war zuachten under 
allen gelerten, aber kainer nam den beruef an, als Dionisius 
Areopagita. Darumb der gaist gaistet wo er will, [2165] 
nit in allen, nit in vilen, sonder do, do es in lust. Und vil 
überreden sieh selbs, sie seient der gaist selbst, und aber ıs 
er ist nie do gesein. 

Es hat got allen dingen ir zeit geben, uf daB sie wachsen 
sollen und darvor nit zeitig sein. Und vor dem und es zur 
frucht kompt, so laufen vil für: am ersten die proßlen, 
darnach die schoßling, darnach die pluest, darnach die, 
frucht 2c. Und die alle haben vil zufell, vil feindschaft, 
bis sie in die ernd und hülsen komen. Also mit den 
menschen: er hat ain zil zum dot und der dot ist der 
schnitter der ern des menschen, ist sein weinbeer im wein- 
garten, sein obs abklaubet 2c, Nun die geburt ist sein frue- ss 
ling, do wachsen auch an esten sein problen. Darnach sein 
schußling, darnach die pluest 2c. bis uf die frucht. Solt nun die 
frucht des menschen (das ist sein gab) abzuschneiden sein, die- 
weil es ain prob were oder ain schibling? Wiewol er maint, er 
sei etwas und darumb, dab er mer frucht tregt, dano ain nuD- se 
baum, so maint er, es sei für und für frucht und ern umb in. 
Das ist nit. Sondern der mensch soll aeht uf sich hon, 
daD er nit offentliche zaichen tregt, wie die boum im garten, 
uud aber wie derselbig seine zeit verfürt und verschleubt, 
Will er nun das übersehen und malen, so der waiz nit kernt sé 
ist, so ist alles dum und nichts sollent. Dann got gibt vor 
der zeit kaine frucht, [2174] es muß alles mit der zeit 
gon. Dem gibt er aiu fruere ern, dem noch ain fruere, 
dem ain spetere und speter. Dann also auch mit allem ge- 
wechs: etliche sein im merzen do, etliche im april, etlich «e 
im maien 2€. Also auch under den menschen. Aber wie 
im allem sei, so mub die zeit verlaufen seines jars, es gang 
früe oder spet in die ern: das stet bei got. Vor dem und 
der blum nit gar erwachsen ist, soll niemants ußbrechen mit 
kainer weisheit, vernunft, fürsichtikhait. Dann also tunt «e 


6 nun. 13 Joh. 3, 8. 


14 14 


im die schlaugen: seint fürsichtig, brechen nit herftir us 
irem wesen, es sei dann die zeit umb sie. Got ist der, der 
dich fligen le8t, du  habest oder nit die flügel seint 
do oder nicht: er leßt dich wenen, meinen, schetzen, achten. 

s Und aber, so du meinest, du seiest hoch bis in den dritten 
himel geflogen, so bistu nit über das gras uf dem felde 
aufgewehet und bist nirgend nutz. Und die frucht, so us 
dir solt gewachsen sein, hast ersteckt und verbrent und 
soll nichts, samt dir nichts: dann sie ist nit geraten. 

10 Dieweil nun dem piren und obsbaum sovil zustet, 
noch vilmer dem menschen. Warumb will dann der mensch 
fligen vor dem daß ainer seiner frucht wol offenbar ist? 
Es verbirgt sich nit in dir. Bistu berueft ain buch zu 
machen, es wirt mit versaumbt werden, solts 60 oder 70 jar 

15 an- [2170] ston und noch lenger. Gats in dir umb, und 
entpfindests, so schnall nit so bald. Es wirt nit dobinden 
bleiben, es wirt berus müssen, wie ain kind von dem bauch 
seiner mutter. Was also heraus get, das ist fruchtbar und 
gut, laßt nichts versaumen. Allain folg seiner ler und bitt 

20 und klopf an. Und nit, daß du wollest noch ainen jeg- 
lichen dorn für die ern erkennen, sonder es kompt die 
stund, daß alles heraus falt. Ich gedenk, daß ich plumen 
sach in der alchimia, vermaint das obs wer auch do. Aber 
do war nichts. Do aber die zeit kam, do war die frucht 

25 auch do. Vil fligent habe ich verloren in der geometri, bis 
ich kam in den aqaeductum, der lang komen ist. Nachdem 
und ich vil fligent verloren hett, ich maint, ich ernt mir, 
morgen was nichts. Also auch mit anderen dingen, die im 
Binn, im verstand, in dem hirnen sollen grünen und wachaen, 

20 mit fligenden gaisten betrogen werden und verfürt.  Wievil 
tausent bogen werden mit groDer arbait verschriben: so es 
alles us ist, so ist es alles narrerei. Wer demselbigen nit 
besser, er gedechte: stand still, laß bab waizen! Was aber 
vor dem prot inn ofen schlifen will, dem geschicht also. 

ss Und was do schneiden will, wo nit hingeseet ist, das effet 
sich also. Was sein muß us dir, und ist in dir, und got 
wils us dir hon, das get herus, und du waißt nit wie oder 
von wannen es kompt, oder wo es hin will. Und am letsten 
so findstus darinen, das du [215a] nie gelernt hast, nie 

« gesehen hast. Itz sichstu die frucht, und niemants waits, 
wer die isset oder wenn. Dann vil seen und ander schneiden. 


22f, plumen in der alchimia: vgl. hierzu in der Paracelsischen 
Schrift: „De natura rerum“ (4°. ed. 1589. Teil VI). S. 269: und 
also wird aus dem gold ein gar seltsames, wunderbarliches, lustiges ge- 
wächs, welches die alchimisten herbam auream und arborem philosopho- 
rum nennen, 26 aqdudum. 


15 16 


und vil schneiden und behaltens und dreschen us, ander 
malens und bachens und essens. Vile malen und bachen, 
andere essens, die do nit gemalen noch gebachen hon. 
Also gent die arbait uf dieser welt hin und her und wissen 
nit, von wannen oder wohin. b 
Darumb ir alle, dieweil allain der beruef gilt, so wir 
zu einem ding hont, so get es hinaus, ist es pretestinirt, wo 
nit, so wer es schad, sünd und übel, dab wir etwas machten 
oder schriben. Niemants setzt das angezundt licht under 
den malter, sonder ein jeglicher stellts herfür. Nun, ist: 
ain Licht in uns, so hats got in uns geton, unser irdischer 
schulmaister nit. So nun got das licht in uns gestellt hat, 
so wirt ers auch fürhin tun, daß man darbei sehe, so die 
komen und do seint, die darbei sehen sollen. Warumben 
sollen wir got nit sovil achten, daß er ain licht in uns tue 15 
und laß dasselbig verdeckt. Er zwingts fürhin zu seiner 
zeit. In dem aber kain licht ist von got, und aber vom 
schulmaister der erden, und derselbige vermaint aus seiner 
tirischen vernunft, ain licht sei in im, derselbig versaumpt 
sich, verfürt sich und ander. Ain jeglicher lern zum 20 
höchsten, was er lern mug und behalts zum höchsten auch, 
laß nit für sich hinauskomen. Ist etwas in dir, das herus 
muß, und got wils, [2180] so kumpts herus, dir gleich als 
unwissent und on gesucht und nachgestellt. Dann vil können 
schreiben, ist doch nur ainer kanzler. Vil können regiren, ss 
ist doch nur ainer könig. Darumb seint das gaben der 
ambter: der soll das machen, der das, und nit der das, das 
der ander machen soll Zu meinen zeiten hat es vil 
schreibens geben. Dann also ist die schul der gelerten 
gericht: wann ainer herfür bricht mit ainem argument, so se 
ist ain großer hauf do, und falt auch darein. Am letsten 
aber zerschmelzen sie wie der schne und hetten ir arbait 
wol gesparet. Dann es nutzt nit und bleibt nit bestendig. 
Do Paulus war, da wolten auch vil im gleich sein und 
ander apostel. Aber nain: dann sie warent nit us dem be- ss 
ruef. Darumben behielten die apostel den namen apostel 
und die andern den namen falsch zuglegt dem  apostel 
namen. Man muß in den dingen hie uf erden nit anfahen, 
es sei dann von got in uns gossen. Und was in uns gossen 
ist, das do leuchten soll vor den menschen, das verbirgt «o 
sich nit. Dann got hats darumb nit daher gestellt. Er ist 
der, ders öffnet und herfirstellt Das vermaint licht ist 
aber dermaßen genaturt, daß für und für vor dem prot inn 
ofen will. Und am letsten, so ists nichts do, dann ver- 
brunnen eschen und kolen. Ermeß ain jeglicher, daß er nit 4 


2 vilen. 19 versampt. 22 sie. 


16 16 


weich us dem, darzu er berueft sei. Dann ain rat gibt kain 
volkomen er ist blieben. 
Dise zeit meines schreibens ist zeitig, dann ich darf 
des nichts [219a] verschonen, das ich verderbt hab. Es ist 
s noch nit geflogen worden: die werk zeigen an, daß die arbait 
us ist und zeitig ist. Als so ain ganz haus do stet und 
gemacht ist, so ist es ain zaichen, daß zeitig gsein ist in 
seim maister. Also auch hie. Die zeit der geometri ist 
zum end gangen, die zeit der artisterei ist zum end gangen, 
10 die zeit der philosophei ist zum end gangen, der schne 
meines ellends ist zum end gangen; der im wachsen ist, 
ist us. Die zeit des sumers ist hie. Von wannen 
er kompt, das waiß ich nit, wohin es komt, das waiß ich 
nit: es ist da! So nun die zeit deren dingen do seint, die 
ıs ander augen sichtlich do seint, die sich lange jar verhalten 
hat und ufgezogen, so ist auch hie die zeit zuschreiben 
vom seligen leben und von dem ewigen. Dann die geben 
frucht, und die frucht wachsen us ainer wurzen und us 
ainem stamen. Dann wol mag in ainem stamen mer 
20 als ain oder zwo frucht gepflanzt werden, und doch uf einem 
baum. Die zeit der frucht ist hie, der winter ist hin. Nun 
kain .... Darumb vom seligen leben zufueren, wie das- 
selbig sei bei den irigen anzunemen, halt ich etlich punkten 
für, uf das, — nit darumb, das mir gefolgt werde von den 
as bösen, die auch Christo selbst nit folgten, so er do were, 
auch nit, daß sie sollen erschlagen werden, sonder daß der 
gerecht und der do zur gerechtikhait do ist, erkennen, was 
ir tun sei und sich selbst zu got ker, wie dann noch vil 
mer hailigen, die uns offentlich exempel bewisen hont, an- 
sozaigen: als der ist von denn [219b] us der Reichen ow ge- 
flohen. llett er bei inen guts gesehen, er wer bei inen 
bliben. Er ließ sein abt abt sein und ließ im seinen bracht. 
Er aber schied sich freundlich von inen und dienet got. 
Nit allain der, sunder aueh Onofredus und ander, die die 
ssirrigen und falschen christen wol haben erkent, und aber, 
daß es inen nit muglieh war abzetun, darumb verliben sie 
die im namen gottes und zohent us irem gewalt in die welt 
und wildnus, uf daß sie under dem zwang der falschen 
christen nit warent und dorften inen folgen naeh irem gesatz. 
40 Selig und mer dann selig ist der man, dem got die 
gnad gibt der armut, us ursach: der die gnad » hat, 
derselbig gedenkt: wolan, du bist ain reich man mit vil grob 
guts und gelts und allem wollust, und bist des gewalts und 
under dem kaiser und pabst. Nun wolan: sie seint falsche 


1—2 verderhter. Text. 92 wohl eine Lücke im Texte anzu- 
nehmen. 


17 | 17 


christen, sie regiren üppiglichen, sie hont böse gesatz, sie 
beschirmen ainander in iren boshaiten, und du bist der, der 
do hilft und tuts auch, und folgest ihren geboten und ler. 
Und aber es ist des deufels leben, nit christlich, nit us der 
ler Christi. Stirbst also, ferest zum denfel Wie wilt im s 
tun?  Stiftsí du dein gut zum kloster, so get es zum deu- 
fels dienst 2c. Also wiltu im tun, als verkaufs, den armen 
geben, und in die armut laufen, in die wilde, uf das, daß 
dich kain richter suech, der dich itzt in deiner reichtumb 
sucht, und daB du nit dorfest halten böse gebot, nit halten e 
und stimen zu dem argen und bósen. So mach dich arm, 
und betel arm, so verlebt dich der bapst, so verleBt [220a] 
dich der kaiser und halten dich fürhin für ain narren. Jetzt 
bistu ruwig und dein narrhait ist ain große weishait vor got. 
Dieweil aber das herz nit do ist zur willigen armut, soie 
gehestu traurig hin, als der jüngling bei Christo, den Christus 
hieB verkaufen sein haus, hof 2c. und im nachfolgen. Dann 
so er im hett nachgefolget, so wer er bliben gesein von dem, 
das in verdambt. Aber vonwegen des guts beschachs nit. 
Darumb mer dann selig ist der, der die armut lieb hat. Eso 
lediget vil von banden und gefenknus der hellen, es gibt 
nit wucher, nit diep, nit mórder und dergleichen. Was aber 
reichtum liebt, das stet noch auf ainem geferlichen zweig: 
es mag leicht ain luft oder ain windlin kommen, — es fellt 
ein zustelen, wucheren, fürkaufen und dergleichen zu andern 3 
dingen, die in die reichtumb helfen des deufels und nit gottes. 
Darumben hie im seligen leben die ler anzunemen ist nit 
gesagt den liebhabern der reichtumben, dann sie finden 
hierinnen nichts für sie, sonder allain für die, so lust hont 
zur armut und zu gemainem wesen der armen, in gerechtik- se 
hait wandlen, daß kainer über den andern sei in der notturft, 
ir ainer mit dem andern laid trag, helf und sieh freu und 
weine. Dann freuen mit frólichen und trauern mit traurigen 
ist billich, gibt gleiche wag. 

Daß ich acht oder main, den liebhabern der reichtumb ss 
ain dienst geton haben, — das acht ich nit, allain verach- 
tung [2200] und gespött. Dann also ist es andern auch 
gangen, die wider die reichtumb warent. Ich habe aueh 
kain dienst hie zuvermueten bei den gaistlichen. Dann sie 
lieben die reichtumb mer als got, und verdeckens aber pha- «e 
riseisch und schreiberiseh. Den edlen ist auch kain dienst 
zuversehen beschehen sein. Dann dieweil wir der neuen 
geburt seint, so ist der adel nichts, der gewalt ist auch nit 
sein. Dann was ist, daß sie mit gewalt besitzen? Und der 
gewalt erbt aber nit, dann erben gibt narren, buben, seuler, 46 
schelk 2c, gibt nit from leut zuregiren, ist nit gewiß. 


Arcbiv für Reformationsgeschichte. XIV. 1. 9 


18 18 


Allain denen ist dient, die zu got wellen und sich dohin 
ergeben, daß sie uf erden wellen sein, daß sie dann in jener welt 
begeren, und daß die groben, und die do von natur unver- 
standen seint und do verfürt werden, erkennen den irsal 
č und das falsch, ob etwan ainer were, der sich erhielte im 
seligen und daran sich stiße und besserte. Wiewol das 
isí, daB niemants zum sun kompt, der vatter ziehe in dann 
zu im, so ist doch das gebot: verkünden. Ist verkünden 
geboten, so ist auch lernen geboten. Also lernen, nit ver- 
10 ktinden, sunder den verkünden, die Christum kennen, den 
Schreib ich die ler ainer christenlichen polizei, den haiden 
nit. Dann sie gründen nit in das ewig, den türken auch 
nit, stellen auf irem leib ir selikhait, also andern auch nit. 
Dann wer will leben seligklich uf erden, der muf sein ler. 
16 regiment und ordnung auf den eckstain Christum setzen, 
Derselbig ist alles, us dem muB es [221a] gezogen werden. 
Dann kain ler ist nutz, sie kum dann vom himel, kain ge- 
bot nutz, es kem dann vom himel, kain kunst nutz, es kum 
dann vom himel. Und also mit andern allen. Soll es nun 
* vom himel komen, so ist das am allerersten, daf nichts 
vom himel ist komen, der uns die ding ler, als Christus. 
Do er von uns aufgefaren ist, do hat er uns den hailigen 
gaist gesandt. Also, allain es sei dann us dem hailigen 


gaist gemacht, genomen, — sunst soll es alles nichts. Und 
2 wiewol der mensch mag subtil sein und der sach ain gestalt 
geben. — aber was ist das? Nit der mensch ist herr, got 


ist herr. Wir seint nit von der freien, sonder von der eh- 
liehen. Darumb so haben wir auch ander freihait und ander 
gesatz: aus got und nit us den menschen. 

W Und wiewol das zugeben wirt, daB vil mugent us den 
üppigen leuten, orden, stenden und dergleichen selig werden, 
als ir vil seint und under den hailigen, als sant Nikolaus 
under den bischofen, sant Gall under den abten, sant Linus 
under den pabsten 3c, und doch weiter us denselbigen 

86 stenden, orden, sekten wenig mer, und als übels ding wechst 

nit allain under den gaistlichen, sunder auch weltlichen. 

Wie dasselbige beschehe,. ist hie nit not zu melden in di- 

sem volumen. Aber von dem leben der hailigen werden 

dieselbigen punkteu von aim zum andern |2210] erzelt. Und 

40 auch so wissen hie in disem volumen allain, wie ain selige 

polizei ir ainer gegen dem andern als gegen im selbs wandlen 

und handlen sollen. Darzu auch, daß ain jeglicher sein gab, 
so im got geben hat, brauche zu der liebe gottes und seines 
negsten. Dann am ersten ist unser anfang der glaub. Der 


7 Joh. 6, 44. 14 sein die ler. 18 von. 28 ,von der 
ehlichen" vielleicht kreatur zw ergünzen. 


19 19 


beschleußt sich im herzen, wie ain schatz in ainem kasten, 
der niemants nutzet und doch do wol versorgt leit. Darnach 
ist die liebe, das ist das, daß alles, das do im schatz ge- 
funden mag werden, heraus kum und hilf dem negsten. 
Als es legen tausent gulden do und weren verspert, und es s 
kem darzu, daß mans in armut bedörft, sie würden genomen 
und gebraucht. Also ist der glaub in uns ain schatz und 
hat in im die gab, welcher der ist, der da kompt, dem- 
selbigen soll sie aufgesperrt werden und herfürgenomen. 
Das ist itzt die liebe. Alsdann, so wir die liebe herus ne- 10 
men, was do im schatz ligt und wandlen mit uf erden, so 
mügen wir uf das wol hoffen zu der dritten tugend: ain ge- 
wisse hoffnung zu dem ewigen. Das aber die liebe nit 
sucht im schatz, der hoffet dum und ler strow. Also ist 
fürhin die ler gegrundt allain uf die liebe gegen got undis 
dem negsten, nach ingang des glaubens und vor der hoff- 
nung, und also uf dasselbig zu got unserm erlóser uns ver- 
sehen, dab sein leiden und sterben werd unser erlósung 
sein zu dem ewigen. Darumb also für zu faren uf erden, 
daß sein will [222a] bei uns geschehe und nit unser will. 20 
Allain die werden angenomen, die dem herrn sein willen 
tun, und nit die, so iren willen tun und sich selbs über 
den herrn setzen und stellen. 


2. Liber de re templi ecclesiastica Theophrasti. 


[108a] Einen gemainen brauch einzufieren zur zucht, as 
foreht, ler, gehorsam, erfarung göttlichs worts im hailigen 
leben ist bilich zuordnen und anzunemen von den, so in 
der liebe gottes gerecht erfunden und erkent werden, mit 
großem aufsehen, daß kein falscher prophet und dergleichen 
einreiB und do ain falsitatem aufbring und mache. Dann 30 
das ist in ainem solchen brauch zuerkennen, so wir ainen 
gemainen brauch annemen, und er wirt gefelscht, so ist 
der falsch ain anfang der abgótterei, vor dem wir uns sollen 
bewaren und hüten. Dann also ist gemain brauch zugrunden, 
daß do allain sei ain haus der ler, der zucht, der frumbkait 2c. 38 
wie wir gegen got uns sollen halten, und dasselbig, das wir 
gegen got sollen handlen und tun, sollen wir in dem tempel 
tun, der unser leib ist, und nit in der mauren. Also spalten 
Sich zwo kirehen, aine zu der ler, aine zu volbringung. 


14 inen, - 14 dun. 24 Das Neub. hsv. führt den traktat 
an als De re templi ecclesiastica . . . 7!/, bletter; das Oss. hsv. nennt 
ihn Von kirchen sachen. Der text ist nur in A erhalten. B D H 
bringen völlig übereinstimmende auszüge. 


2* 


20 | 20 


Die zur ler ist eußerlich, die zuvolbringen inerlich. Als 
ain exempel: man lert in der kirchen das euangelion und 
im selbigen stet geschriben: du solt beten. Jetz, so du das 
hörst, so bet in deinem herzen, daß dich niemants sibet, 
snit in der kirchen, nit oftenlich uf der gassen. Dann wür- 
destu das tun, so wirdestu ain gleichsner geacht und eth- 
nicus. Sondern gang in dein schlafkamerlin: das [2085] ist: 
an ain ort, do niemants ist, zugleicherweis als in ainer kamern. 
Do bist allain, als bis im euBerlichen gemacá allain, und 
10 beten in dem tempel, der ist dein leib, in dem dein herz 
leit. Daruf nun soltu groß acht haben, und ist von großen 
nóten. Dann do seint zwo kirchen, die ain eußerlich, die 
ander inerlich, Uber das so gesagt ist von der euDerlichen 
und das also: so du beten wilt, so mueßtu eußerlich beten 
is mit dem mund, knien ?c. Darzue seint zwo stet: aine, so 
dir der abgot anzaigt, das ist in der kirchen der samblung. 
Die ander, so dir Christus anzaigt, das ist in deiner schlaf- 
kamer. Jetz nun so wiß, daß dein leib nit soll gesehen 
werden, daB er bete, oder dergleichen tue. Darumb von 
20 deswegen so haißt dich Christus gen in dein schlafkamer, 
daB dich niemants sehe. Das ist die stat des betens. Der 
wider got aber haißt dich beten vor den menschen und sagt 
also, daß man deine gute werk sehe. Und aber Christus hat 
das nit gehaißen also zusehen lassen. Aber die verfürung 
25 ist do. Dieselbig ist gewaltig vom widergot. Aber was 
Christus sagt, bei dem soll es bleiben. 

Daruf nun sollen wir wissen, daß wir sollent hon ain 
haus der ler des wort gottes, so zusamen komen, und das- 
selbig lernen, von aim mund all gemain. Und was wir do 

0 lernen, in unserm herzen volbringen und nit im selbigen 
haus, in dem wirs lernen. Dann [109a] ursach, sollen wir 
im selbigen haus lernen und das wir lernen, im selbigen 
haus tun, so sichts ir ain jeder vom andern. Das ursach 
nun, daß ainer mer bet, dann der bet allain, so ligts nit an 

ss der vile, leit am herzen. Also auch, es macht, daß er sonst 
nit tet: das ist jetz ethnisch und gleichsnerisch, die uf den 
gassen beten und wollen geschen sein. Also auch mit andern 
dingen, so ist das ain verfuerung, die groß ist: guts tun, 
beten 2c. daß jederman sicht vom andern, daß ainer sein 

40 hoffnung, trost, liebe setzt in dasselbig haus, denkt im: 
mochstu nun in dem haus sein und beten, darin du wirdest 
selig. Diser vergißt gottes, der gesagt hat, man soll nit do 
beten, sonder beten in deiner schlafkamer. Do setz dein 
hoffnung hin, do du allein seiest, als Christus geboten hat, 

4 daB er auch gesagt hat: meins vaters haus ist ain bethaus 


9 Luk. 18, 1. 9 gemahe. 20 Matt. 6,6. 


21 21 


und ir machen mir ain spelunken der múrder daraus, ist 
die auslegung: im alten testament hont sie nit inerlich 
gebeten, allain euberlich. Darumb hat sie got tempel 2c. 
haißen bauen, opfer, altar und dergleichen machen, alls 
eußerlich ding. Dann es war alles eußerlich ir werk, das 5 
ist, sie warent vor dem himel, nit im himel. Aber itz so 
seints im himel, nit ußerthalb dem  himel. Darumb so 
beten wir inwendig, nit uswendig mer, nit im tempel sacer- 
dofum, sonder im tempel Christi, der unser leib ist. Darauf 
folgt nun, daB Christus sagt: es [109b] wirt darzue komen, 19 
daß ir weder do noch uf dem berg beten werden, — das 
ist: ir werden der alten bet müßig gon mit irem brauch 
euBerlich, sonder alles inerlich beten fürhin in meinem tempel, 
der Christus ist, der der mensch ist. Und ist ain tempel, 
ist entsprungen in dem wort, do Christus sprach: ich will 15 
den tempel zerbrechen und am dritten tag wider ufrichten. 
Also bleibt der tempel der tempel des neuen testaments, in 
dem wir sollen beten und weiter in kaim tempel nit. Also, 
80 wir im alten testament wolten das hail suchen, so felen 
wir. Dann im selbigen ist kain hail nit. Es ist im neuen 20 
tempel, der alt ist nimer. Darumben sollen wir nit sein wie 
die ethnischen, phariseer 2c. Die beten uf den gassen und 
geben ir almuesen mit trumeten. Das ist alles, daß allain 
die leut sehen ir gotsgab und almusen und seligkait. Das 
alles will Christus im neuen testament nit hon, sonder er 25 
wils also hon, daß die linken hand nit wait, was die 
recht tue. 

Die alt kreatur ist hinweg und die neue ist. Die ist 
neu in Christo Jesu. So nun die alt kreatur hinweg ist und 
ain neue ist, so seint auch die ding neu, so den kreaturen se 
anhangen. Also der mensch aus Adam bis uf Christum ist 
die alt kreatur. Von Christo bis zum end der welt die neu 
kreatur. Was nun der alten kreatur ist, die haben von got 
dem vatter gehabt die ordnung und satzung zum opfer, zum 
zehenden, zun kirchen und tempel, zun [110a] sacerdotes, 3% 
zun leuten und dergleichen, wie dann im alten testament 
Melchisedech, Aaron 2c. gehaißen seint worden und gehalten 
baben, und dieselbigen haben müssen in dem alten testa- 
ment ir eußerlich gebot got erzaigen, wiewol alls umb sonst. 
Dann nichts eußerlich gilt, allain das inerlieh. Dieweil 4e 
aber zu derselbigen zeit im alten testament das inerlich 
nichts golten hat und umb sonst gesein ist, noch hat got 
vom menschen wellen erkent sein, geert und gelobt euDerlich, 
und inn das nit übersehen. Uf solches so wissen, dieweil 
1 Mark. 11, 17. 10f. Joh. 4, 21. 15 Joh. 2. 19. 
23 Matth. 6, 2. 


22 22 


nun got im alten testament nit tiberseben hat den dienst 
vom volk und gehorsame und forcht, wiewol alles ver- 
gebens, dab ers noch vilmer im neuen testament haben 
will inerlich, als sprech er: sichstu, neue kreatur, wie 
sstreng und gewaltig David, Salomon, Asaph, Aaron, Moises, 
Abraham, Israhel haben müssen uf mich acht haben, gehor- 
sam sein, willig und behend, und war alles inen kain nutz. 
Also noch vil mer will iehs in euch hon inerlich, also was 
do euDerlieh gesein ist, daB es in euch vil mer inerlich 
ıosei und nimer euferlich. Dann ursach: das neue testament 
ist ain neue kreatur und ist fürhin kóstlicher, als der tempel 
Salomon. lm selbigen sollen alle ding volbracht werden. 
Und das so haimlich, daß dein aigen linken hand die recht 
nit sehe. Also ist das euDerlich gestorben mit der alten 

15 kreatur: altar, zehenden, opfer 2c., und ist geboren ain neue 
kreatur, [1200] die eußerlich kain bethaus hat, sonder allain 
ain tempel, der der leib selbst ist. Im selbigen soll gebett 
werden, gefastet, anklopfet, geleutet, also, daß nichts eußer- 
lichs do mit lauf. Dann alles eußerlichs ist gestorben und 

20 allein das inerlich lebt. Also soll kain mensch mer ler, 
sacerdot, samlung ꝛc. hoffnung noch trost suechen. Daun 
si, die alten, suchtens auch, aber es war umbsonst. Noch 
vil mer umbsonst bei uns in der neuen kreatur. So wir 
von der neuen kreatur fielen zu dem alten, iu die alten, so 

ss würden wir abgefallen kreaturen geacht, die Christum suchen 
in gemeuren und zimmer, der doch offenlich underm himel 
geschenkt ist worden, offenlich uf gefahren zu den himeln 
und sich niemants hat haißen suechen. Dann bei uns wolt 
der sein, wo wir in seinem namen versamelt sint. 

80 Also falt jetz hindan, dab wir in dem neuen testament 
kain alts testament, gesatz noch ordnung haben in kainerlai, 
und daß wir nichts offentlichs sollen tun, daß das haimlich, sei 
und so haimlieh, daß niemants waißt. Das ist nun die ler Christi: 
der will Christo in seinem leiden danken, der darf das sein nach- 

ss baurn nit sagen, der im will beten, darfs aber seim nachpar nit 
sagen. Dann was darf im sein nachpar darinen helfen oder 
geben? Offenlich aber werde buß gefunden bei den [111a] 
alten und neuen, aber nit beten bei den neuen offenlich 
oder fasten 3c. Die Niniviter taten buß, dorften got nit 

40 bitten umb vergebung, so groß war ir sünd. Aber die bueß 
nam got an, stund ab von seinem zorn. Also auch ain 
jeglieh not geschwörn, reich, landpünduns 2c, so sie sündt 
und gesündt hat, deren bet get nit zu got. Aber so sie in 
die bueD gent der gemain, wie Ninive, so erhört sie got. 


4 also sprech er. 22 sanf schlecht leserlich. 28 wol. 
29 Matth. 18, 20. 


23 23 


Was gemain gestindt hat, das soll gemain bueDen, was ainig 
sändt, ainig bueB. Also scheidt sich do auch guets tun und 
bös tun: guets tun verborgen, bós tun offenlich. Wer kan 
ain urtail do sagen oder wissen daraus heraus, wie dis 
exempel laut, daß ain offner bub nit offenlich bueBen soll, s 
es sei nach dem gewalt oder sein aigen reu, die sich nit 
mag verbergen. Dann wir sollen ainander unser sünd 
beichten, spricht der apostel sant Jakob. Das ist also, daß 
ain dieb offenlich beicht sein diebstal, ist bilich, daB an 
tag kombt, und sein reu und bueß darauf offenlich sei, nit 10 
in die oren blasen, sonder mit offner schand, wie der arm 
sünder in der kirchen stund, der do sagt: herr ich bin nit 
wirdig, daß ich mein augen zu dir ufheb. Und aber der 
gaist der erhalts alles. Wer will da ain urtail sagen, der 
sag her: so ain kriegsvolk beiainander ligt, verrat ain herrn 15 
oder umb sein land 2c, daß sie nit alle, wie sie seint, in 
ofne [1115] bekantnus sollen gon, reu und laid ir stind 
all und nit ainer oder zwen, all. Dann Ninive ward auch 
nit gesundert. Do wirt auch nichts gesondert werden. 
Dann ain bundnus muß mitainander heben und legen vor 20 
got. Dann ir ainer mit andern ain helfer ist gesein. Also 
ist nichts im neuen testament, das sich mit dem alten ver- 
gleicht, als allain reu, bueD, laid umb sein sünd. Die ist 
vor got almal gesein im alten und neuen testament, und 
bleibt bis in ewigkait on end. Bedenkt im seligen wesen 25 
all wol, was rat, was gemain, was pund, was geselschaft 2c. 
handelt, das mueß wider eingon zusamen in sein bueD, reu 
und laid, und das offenlich, daß alle menschen das wissen 
und sehent, uf daß sie ir sünd erkennen und sieh hueten. 
Und die offen schand ist ain zeuknus, daß sie der warhait so 
holt seint und die nit verbergen. 

Kain gelt, golt, silber, gestain 2c. verdilgt die sünd, als 
allain reu und laid und bue. Der in dieselbig gat, der 
gibt ain anzaigung, daf er sein sünd erkent. Verschwaigt 
ers nit, sagts seinem nechsten, und öfnet die, so ist das ss 
öffnen mit seiner reu und laid in der bueD gleich wie ain 
purgaz, die aus dem kranken treibt die krankhait, so in im 
ist Also get das auch heraus, was vom sünder ist, mit 
dem mund, so er in auftut. Dann ain offen maul ist ain 
emunktation der sünd und die reu, laid weiset die cura. «o 
Daß wir aber im neuen testament offenlich bitt [112a] halten, 
allain es sei bueD, bitt, reu, laid, erkennen unser sünd, 
sonst ist es alles gleisnerei, als mit kreuzgang geschichts, 
in bueb, reu und laid weis, als die gestindt hont, so ist es 


2 seindt. i der aus. 7 f. Jak. 5, 16. 12f. Luk. 18, 13. 
24 in alten. 


24 24 


vor got, nachdem und unser herz ist. Geschicht es aber nit 
in reu, laid, buß 2c., sonder allain umb regen und guet 
wetter, glück uf unser seiten, jetz ist es alles bueberei. 
Dann wir sollen got haimlich bitten umb das, so uns not- 
sturftig ist, und aber offenlich bueßen. Als man forcht und 
besorgt ain teurung im land zukünftig nach ansehung und 
zufell der zeit, und wir beten got mit kreuzgengen das zu- 
fürkomen und nach unserm willen lassen geraten, — das 
ist ietz falsch. Am ersten muessen wir wissen, ob es ain 
ıblag sei, wie über Sodoma und Gomorra ꝛc. von wegen 
unser sünd, und in dasselbige gon und unser sünd die 
schuld geben. Nun sich, so wir das betrachten im seligen 
leben, ob wir sollen got bitten oder dörfen oder nit? freilich 
nain! aber wie die Niniviter taten: in die bueß gon und 
ıs kreuz, in seck und eschen und kalch. Jetz so leßt got 
sein zorn ab und ist uns gnedig und gewert uns. Was 
seint die sünd der teure? fürkaufen, wucher, nit all müssen 
geben, bescheißen den armen umb sein narung, zehenden 
und dergleichen, uf sein korn und wein stellen 2c. Die 

a Sünd tunt hinweg, so ist die teuri hinweg, und reu, buß, 
und wirken bueß, so folgt hernach fruchtbar jar. Das ist 
ain ainfeltig [1125] kreuzgang und laut gegen got, daß korn 
wol gerat, daB dem armen man brot werd und seinen kindern. 
Und so ers hat, so nemens im die, so got bitten umb guet 

26 wetter, raubens im. Was solt im dann got geben? es 
bleibt inn doch nit. Gibt er inn vil, so nimbt man inn vil 
uhd nimbt in darzue noch mer, dann er hat. Am ersten 
tue den raub hinweg, darnach so wirt die teuri auch hin- 
wek sein. 

30 Darumb hat got gereuen, daD er den menschen gemacht 
hat. Dann er will allain uf sein eigeu nutz gon und nit 
uf den nutz der nechsten. Darumb so hat er dureh sein 
son Jesum Christum ein neu kreatur gemacht. Dieselbig 
kreatur tracht nit, das er ist, sonder das ires nechsten ist, 

ss und ist darumb ain neu kreatur, geschiden von der alten, 
also zuverston. Die alt kreatur ist grundt in den elementen. 
Also der ist ain sun Saturni, der ain son Martis, de ain 
son Solis und dergleichen. Der ist under dem ascendenten ge- 
boren, der under dem, der also, der also; der ist der natur 

4o Veneris, der der natur Lunae, und wie sie also alle seint, 
so ist es bei allen: allain bescheißerei, lugnerei, triegerei 
under uns allen in der alten kreatur. Dann das ist uns 
angeboren, daB wir nichts sollen, und habens von Adam und 
Eva aus der natur eingeborn, daß wir in allen kreften nichts 

+ sollen. Darumb hat got gereuen, daB er den menschen ge- 


——— 


7 krennzgengen. 36 genug. 


25 25 


macht hat. Uf solches aber ist do ain neue kreatur worden, 
Dieselbige kreatur ist also: der im tauf geborn wirt und 
[113a] aus Christo, der ist von dem fleisch, so vom himel 
Bteigt, derselbig ist ain son gottes, ain son des lichts, ain 
bruder Christi. Jetz seint die planeten tot und haben kain s 
kraft mer in dem. Allain der tod hat macht über den im 
alten fleisch. Sonst überwindt kain vatter die alte kreatur, 
sein son, weder Mars, Saturnus, Jupiter 2c. unser ler vor- 
geer, sonder do tiberwindt die kraft gottes, aus dem er 
geborn ist. Jetz folgt hernach, der ist ain son des apostolats 10 
ambt, der ist ain son der gesundmachung, der ist ain son 
der weishait, der ist ain son 3c. Also sollen wir weiter, 
kainer . . . ausgetailt sein, sonder nach den gaben gottes, 
durch Christus, nit durch das gestirn. Dann die do aus 
dem gestirn geborn werden, wol reden, die seint ethnici, 15 
vermaint, es liege alls im maul. Die ander aus Christus 
wol reden geborn werden, die reden mit feurigen zungen. 
Als die aus dem gestirn arzt geborn werden, die sein ir 
kunst ungewiß, ungrundt. Die aber aus got durch Christum 
geborn werden, die wissen den rechten grund. Also seint 20 
auch sun des firnaments, die do zaichen tunt, die wunder- 
barlich seint. Dann der himel wirkt wunderbarlich ding, es 
deut aber nichts. Also werden auch in der neuen kreatur 
sun geborn, die auch zaichen tunt, und aber diesel- 
bigen ..... durch die werden , die do beladen, 25 
und die teufel ausgetriben. Also soll man die zwo kreatur 
vonainander [113b] kennen, daB man wiD, so ain mensch 
etwas tut, ob es aus dem vatter Mars oder Venere, oder 
aus got durch Christum, und nit glauben in ein jegklichen. 
Dann do seint vil zuerzelen, die den menschen mechten so 
verfürn, so er die underschid nit wissen trueg. 

Dieweil nun also zwo geburt do seint im menschen, 
so mueDt du die alt von dir tun und in der neuen sein. 
Dann dustu das nit, so wirt sie got auch nit von dir don. 
Und mueßt von dir tun Martem, Jovem, Saturnum 2c. und 36 
an dich nemen die gaben der neuen geburt. Dann die in- 
fluenz und gaben seint gleich in dem zu verston, daß baid 
influenz seint. Die influenz der alten kreatur ist in die 
stern gesetzt, nun aber im menschen der neuen kreatur die 
influenz des hailigen gaist. Darumb ist es ain gab, das ist «o 
ain vergeben gab und mag ein influenz haißen die neue 
kreatur. Und die influenz der alten mag auch haifen ain 
gab von got der alten kreatur. Also ist jetz Christus unser 


8 von himel. 13 wohl eine Lucke. 14f. dann Christus. 
19 ungewiß und grundts. 25 text verderbt: dieselbigen denen 
[dvuen?] durch die werden die do beladen. 34 wir sie got. 39 ein. 


26 26 


himel. Darumb so muessen wir den alten himel weg tun 
und von uns tun. Das ist die riterschaft uf erden, allain 
do zu fechten, daB wir komen von der alten zu der neuen. 
Und die weishait Jovis und die kunst Mercurii und frólichait 
5 Veneris ꝛc. haben von Christo nit die wort ewig. Dann 
der himel des gestirns wird zergon in der alten kreatur, 
und die alt kreatur mit im. Aber der himel der neuen 
kreatur wird nit zergen, der bleibt ewig. Darumb [114a] 
so bleiben auch seine kinder ewig. So wir nun die alten 
1 gestirn von uns sollen tun und den neuen himel annemen, 
der uns die influenz gibt, und sehent und wissent, das er 
in seinen kindern, als in Petro, Paulo ꝛc. gewirkt hat: daß 
sie hont tod leut lebendig gemacht 3c. und dergleichen. 
In dieselbig influenz sollen wir also auch, in desselbigen 
15 neuen himels art auch. Das ist: im alten testament was 
das gehaib von got dem vatter, im neuen testament ist das 
gehaiß gottes sons, und ist ain anders des vatters. Der sun 
ist der, dem wir sollen gehorsam sein. Dann do ist ain 
andere kreatur, auch ain ander gebot. Also ist aus das 
20 euDerlich wesen und ornat, und ist jetz inerlich. Die figur 
seint für, jetz seints inwendig werk und frucht. Also soll 
der mensch fechten mit zwai riterschaft, wider den alten 
himel und firmament und element und wider die alten ord- 
nung der templischen gesatz und sich dero zwaien im se- 
asligen leben entschlahen und do den neuen himel lassen in- 
fluiren, inprimiren, konstelliren und den neuen schöpfer der 
neuen kreatur annemen in seim gebot und ler und dasselbig 
tun, und folgen: also wirt die neu kreatur erkent, daB sie 
nimer die alt ist und den alten gepoten nit underworten, 
sosonder ain neue kreatur darumb werden, daf sie der alten 
gebot nit halten soll, sonder allain der neuen. 

[114b] Es solt noch zuverwundern sein vil von der 
alten schöpfung, dieweil Christus sagt: niemants kompt gen 
himel, er sei dann von dem himel. Darumb so muessen 

ss wir all aus Christo sein. Sonst kombt kainer gen himel. 
Dieweil aber got den menschen gemacht hat nit vom himel, 
noch aus seiner substanz, sonder von der erden und aus 
der erden substanz, so er ir, kont er ir nit gen himel 
komen, aber in das paredeis. Und auch do nit sein blei- 
40 bung war. Dann darumb: er war nit vom paredeis gemacht 
sonder von der erden. In die mueßt er wider, es wolt 
sich nit zusamen reimen: leimklotzen und manna. Aber 
darumb er in das paredeis ist komen, acht ich es sei die 
ursach gesein, daB got wol gewülßt hat, daß zwai wider- 


4 kunst F ii. 5 von Christo die wort. 29 do alt, 
33f. Joh. 3, 13. 


27 27 


wertige ding nit mugen beiainander ston: also auch Adam 
und paredeis. Damit aber Adam lernet in der welt in 
jamer sein und in jamer kam und in ellend, darinen got 
ain wolgefallen hat, dieweil er gesagt hat: selig seint die 
armen, selig seint die so verfolgung leiden, selig seint die s 
durstigen. So wer Adam unselig bliben im paredeis und 
also für und für darin gesein gleieh als ain stork in seim 
hohen nest, und nit gen himel komen. Aber in das pare- 
deis kam er, darin lernet er kain ellend und armut. Darumb 
mueDt er heraus wider in die welt. Dann im paredeis war 1 
kain armut, (on zweifel). Also wirt Adam und die seinen, 
so im ellend ligen, salig, die sonst im paredeis ruet hetten, 
[115a] wie die huener, wann sie voll seint. Aber jetz seint 
wir im ellend und in armut und in jamertal. Darumb so 
sollen wir dultig sein, dann dieweil wir ie von der erden ı6 
seint, so mags nit anderst sein. Es muß erlitten werden 
und erlitten sein. Dann tibersach got sein son nit, — uns 
noeh vil minder oder gleich als vil und als wol geschicht 
uns, als seinem son. Darumb so ist die neue kreatur, daß 
wir nimer der alten seint. Dann die alt ist im fluch, die 20 
neue in der auserwelung. Und doch aber die alt nit von 
uns genomen. Dann allain, was wir selbst von uns tun 
das mueß mit herzlaid und jamer geschehen. Verlassen, 
das unserm herzen wee tut, das unserm herzen ain laid ist. 
Das mueß aber sein. Und in die neue kreatur gon, also, 25 
daB wir vom himel seient, nit von der erden, die erden tiber- 
winden und alle gestirn im himel, sie leuchten, wie haiter 
sie wellen, alle erd liebe, alle himel liebe: also geliebt es 
got, daB wir zu im komen in der gestalt und in kainer 
andern. 30 
Darauf so merken, so es dahin trifft, und den weg hat, 
so gilt die euberlich kirch nichts mer, dann als vil als ain 
lerhaus, darin man lernt. Also seint vergebens die ordnung, 
80 in derselbigen gebraucht werden nach sitten der alten 
ehe. Jetz ist ain neue. Jetz ist nur ain prister, nur ain ss 
hirt. In der alten ehe warent |1155] ir vil. Aber alle aus. 
Einer ist jetz prister, der ist Christus, der ist prespiter, 
das ist (probeus iter) Der zeigt den weg. Und vil tempel. 
Das ist: ain jegklicher mensch ist ain tempel. Das aber der 
prister ist, und ist sacerdos, das ist (sacram donum), das to 
get von got. Daß Melchisedech den neuen gegolt hat, ist 
ain figur gesein, daB der recht komen wirt; ist im ver- 
gangen; wie Johannes baptist. Darumb so ist Melchisedech 
kainer mer, aber Christus ists. Also weicht hinweg der erb 


4f, Matth. 5, 2f. 9 lernet er ellend, 88 und. 40 auch 
im text eingeklammert. 


28 . 28 


Salomon, der erb Aaron, der erb Melchisedech, und bleibet 
allain Christus. Das alles im tempel des neuen corpus, der 
neuen kreatur, und als wenig als in baptista, do der größt 
ist und der hailigist aus mutter leib gesein ist, der nie ge- 
sborn ist worden, weder prister noch pfaffen, weder in 
der kirchen noch uf dem altar kain selikhait nie gesucht 
hat: also wenig und noch vil minder mugen wirs darinen 
suchen. Und aber er ist nie komen in das bethaus, dann 
ursach, er hat in muetter leib gelert, und eingeborn kind 

10 aus göttlicher influenz der neuen geburt. Darumb so dorft 
er der sinagogen nit, auch nit des tempels Salomonis, allain 
Christus, des wir alle bedörfen, und das so uns vorleßt, nit 
ansehen noch in demselbigen etwas suchen. Dann es ist tot, 
das ist: in der stat sollen wir nichts suchen, das do sei, 

ıs das, so do sein soll nach unserm vermainen. Der aber in 
demselbigen haus suechen will sein hail, der versaumbt sich 
und setzt [226a] sein hoffnung von got und ist gleich ain 
ding als ainer, der ain eheweib hat und ein hueren. Der- 
selbig setzt sein hoffnung zum eeweib, aber sein herz zur 

20 hueren. Setzt er sein herz zum eeweib, so hett er kain 
bueren. Darumb aus der ursach, do er sein herz hat, do 
hat er sein reich. Also, so du in die kirchen preng kaufest 
und dein herz setzest, so setzest zur hueren und vergißt 
das, das dir geben ist zur ehe, zu ton. Das ist das leiden 

25 Christi und seinen fueßstapfen nachzefolgen und nit der 
kirchen. Dann also hont nachgefolgt sant Johann baptista, 
alle apostel, sant Stefan, sant Paulus, sant Dionisius 2c. und 
ander mer. Wer die kirch mer gesein, dann Christus, so 
hetten sie dieselbig gesucht und Christum lassen sein. 

30 Was nun also von dem rechten weg gefallen wirt und 
dermaßen zur hueren gelaufen, so begegnet eitel huererei 
und huern frucht. Als die huererei hat in stelen, liegen 
triegen, bescheiben, morden, erwürgen, er abschneiden und 
in allen dingen falseh brauchen und niemants gehorsam 

so sein nach dem gebot gottes. Darumb hat auch der teufel 
gewalt, hierein zufallen und do zumachen sein unfrid, sein 
ordnung und sein herz zusetzen. Also auch so wir von der 
ehe fliehen, die Christus ist, und halten uns zur hueren, das 
ist, zur alten gesatzungen und dergleichen, jetzt ist kain ehe 

«mer do, wiewol ain ehe, aber ain eebruch darbei. Christus 
ist der [1160] kirchen glider, die kirch ist das volk. Ist 
nun ain ander do, der ain gemahel ist des volks als allain 
Cbristus? so ist es ain eebruch, dann wir verhoffen in den- 
selbigen, das ist ain huererei. Wir verlassen Christum, 

4 nemen die hueren an, glauben der huern, dem ehgemahel nit. 


42 alles allain. 


29 29 


So wir nun uns an die huern henken, was wirt daraus als 
dieberei, bescheißerei und dergleichen, morderei, ehebrecherei 
und anders arges alles. Zu dem der teufel mit seiner ab- 
götterei. Jetz ist es alles do, darumb der teufel ficht. 
Darumb soll im seligen leben nichts fürgenomen werden s 
von eeremomien, vom ornat, von dergleichen dingen, die sie 
mugen dem alten testament gleichen oder vergleichen, sonder 
deren aller ledig seint, und deren kaines mer gedenken 
noch annemen. Dann so die geschrift sagt: selig seint die, 
so in einfalt wandlen, so ist deren kainer selig, so decreta, 1e 
decretales und pfaffen wandel, sitten ꝛc. gemacht hont. Dann 
do ist kain ainfalt, sonder groß list und laster, über alle 
füchs. So tunt nit wie die bueben. Die füllen iren kropf 
und schlafen darnach darauf. Dise füllen iren kropf und 
den sack und alles darzue. Es mue alles in einfalt gon, ıs 
als dann Johannes baptista auch gesein ist. Wer ordnung, 
decreta, decretales ꝛc. zumachen ain ainfalt gesein, er hetts 
auch gemacht. Aber es war kain ainfalt, sonder ain [117a] 
großer list, daraus die groß huer Babilon erhalten wirt, 
daraus der Lucifer erhalten wirt, das ist Leviathen, in deme , 
kain ainfalt ist. Christus hat recht gesagt: seid fürsichtig 
wie die sehlangen oder als Leviathan. Trachten wider sie, 
die wider euch auch trachten, den komen entgegen, das 
ist dein wider got. Und einfeltig wie die dauben. Das ist, 
die dauben erdenken nichts neues, also wir im auch tun. s 
Es ist alles gemacht, es mag nit besser werden. Darumben 
so sollen unser list nichts. Allain ainfeltig sein und brauchen 
das, so Christus haibt und die apostel bewisen hont. 

Am ersten lernen wir in der schul gottes got zubitten 
und alsdann was uns not ist, das schicket er uns zu. Was 30 
er uns nun zuschickt uf unser bit, das sollen wir annemen. 
Du bittest umb die nottutrft in deinem schlafkamerlin. Das 
hasta gelert auf der schuel gottes. Nun schickt er dir das 
zu, in was weg er well. So nimbst in seim namen an. 
Als du werest krank, und betest in umb gesundhait. Ess 
kem zu dir ein man gottes und macht dich gesund, so 
bistu gesund: Nit acht des mitls. Zwingt er dich gen Rom, 
gen Einsiedel, gen sant Jakob 3c. und du wirst gesund, so 
gedenk, daß er also vil gesund hat gemacht in solcher 
gestalt, durch ander, die er zu inen geschickt hat. Bittestu « 
in umb brot, und es gibt dir ain paur ain brot, damit du 
gegnuegt wirdest, so hat gob dich gewert. Klag nit [1170] 
ob im, dann der paur ist sein, das brot auch. Was also 
aus got uf dein bit get, das nimb im namen gottes an, es 
ist alles sein, himel und erden und was darinen ist. Bistu 4 


1 was wir daraus. 9 Matth.5,3/f. 21,24 Matth. 10, 16. 35 warest, 


30 30 


gefangen und betest in umb erledigen, hilft er dir mit dem 
strosail heraus, so laß dich benuegen: bist gleich so wol 
ledig, als mit tausent pferden. Bittestu in umb gut, und 
uf dein bitt gewert er dich, du findest bergkwerk, reichs 
s weib 2c. so ist alles aus got. Also gewert er dich. Darumb 
so wiß, wann du bittest, daB du gerecht in deinem herzen 
-seiest und bittest recht. Sonst wirdest verfarn uf die ge- 
werung: besser du werest pit gewert, und was du im seligen 
leben bitten wilt von got, do für sein bet, und die notturft 
10 erzelt. Er waißts aber vorhin, was dein not ist. Behalts 
in deinem herzen und bet in deinem herzen, daß dein linke 
hand nit waißt, was die recht im sinn hab. Nit mit psalmen, 
nit mit sprechen, nit mit reimen. Dieselbigen warent etwan 
gut. Jetz ists ain anders, jetz ists in deim herzen. Wo du 
15 dann hingewisen wirdest, das nim an. Das alles ist sovil 
gesagt vom tempel und kirchen dingen. Dann du allain 
solt dich in das inerlich ziehen und das inerlich fueren, 
und nit euferlich, und dich an die alten wesen eußerlich 
nit beladen. Dann sie dienet nit zum seligen leben. 
so Darumben so war es inen alles vergebens und umbsonst. 
Noch aber so muebten sies tun und annemen von got, aber 
alles war [118a] vergebens, und sein figur, dab also in 
das iner wirt komen, das vorhin das eußer wurde sein. 
Und dieweil das euDer von dem alten in dem neuen ist, 
26 80 seint wir nit der neuen geburt, sonder der alten. Da- 
rumb so werden wir des tods sterben und der ufersteung 
in Christo beraubt sein, und ufersten zu den verdambten 
verordnet. 


So frei ist die neu geburt, daß sie auch kaius lerhaus 

so darf eußerlich geziert und mit zierte verfaßt. Dann lernen 
mag an allen orten geschehen. Der gaist der neuen geburt ist 
nit aingedrungen in kains mans hand, es ist auch kainer 
gewaltiger dann der ander, ir ainer alsvil als der ander. 
Darumb ist niemants herr über den tempel der ler, niemants 
ss herr über den leib, niemant herr über die sel, als allain 
got, als allain Christus. Dieweil nun niemants mer ist 
dann der ander, wer ist der prister, wer pfaff, wer münch, 
wer diser oder diser, wer gibt dem den orden? Das, 80 
ainer nit hat, in dem ist ir ainer wie der ander: in den 
« gaben: hat diser die gaben der gesundmachung, so hat der 
ander die gaben der weishait. Welcher ist jetzt herr über 
den andern?  Seints nit gleich, ir ains umb das andere? 
Hat der gwalt zubinden, so hat diser gwalt zuentledigen. 
Welcher ist mer? Aber so vil ist ainer anderst, dann der 
is ander: Der ander ist der lernt und ist doktor, so die [118b] 
ander das nit seint Die andern aber, so von inen 


31 31 


lernen, sinf auch anderst, dann die, so sie aus wachsen. Der 
nun anderst ist dann der ander, der kann under den kranken 
die kranken gesund machen. So sie gesund werden, so seint 
die anderst, dann der, der sie gesund hat gemacht. Darumb 
aber daß ainer anderst ist, der ist darumb nit gewaltiger s 
oder mer, aber minder, und der ander auch minder. Aber 
in dem tempel sollen anderst leuf sein, die do lernen nit 
weltlich ding, aber góttlich ding, und das weltlich zu ainem 
exempel geben, wie got gegen inen gehandelt hat. Was 
ist die Babel, als allain weltlich ding, und wie die weltlich 10 
gegen got und got gegen inen gehandelt hat. Also obschon 
gleiehwol got nit mundlich mit uns redt oder persónlich bei 
uns ist, so ist aber sein wort bei uns. Wo dasselbig ist, 
do ist er auch, aber uns unsichtbar. Also dórfen wir nie- 
mants in der kirchen, als allain den, der anderst ist, dann rs 
die andern, das ist: zulernen dieselbigen, die anderst seint, uf 
daß sie im wort gottes: erwachsen und dohin komen, daß sie 
ir góttlichs mugen brauchen, so sie von got haben, und nit 
im selbigen erdrinken, sonder daß ir schatz herfürkom. 
Das muß durch solches lernen herfürgebracht werden, domit 20 
der schatz nit vergraben bleib oder werd. Das ist mer geton, 
daun alle alte gesatz im neuen volbracht mit seiden und 
samat und allem pomp. Dann das ist, das got von uns will. 
[119a] Und ain influenz haben die im seligen leben, 
also, daß sie in ir ler grundlich komen uf den willen 25 
gottes in aller seiner ler. Das ist sovil: so ain ler von 
Christo geben ist, wer will do versten on den hailigen gaist? 
niemants. Der sie verston will, der mueß den hailigen gaist 
an dem ort haben. On in so gont die auslegung der plan- 
neten an: die geben vil koment; oder auslegung der 20 
aszendenten: die machen vil scolia; oder der teufel, der macht 
vil hereses. Darumb so mueb im seligen leben ein verstand 
sein aus dem hailigen geist und weiter aus kainer andern 
weishait nit. Dann wir handlen hie uf erden nit von wegen 
des gestirns oder teufels, sonder von wegen des ewigen. 26 
Das mueß frei und guet geschehen, nit durch glübt: als so 
ich imer ain rock schwur zutragen den und kain andern: 
der ist nun irdisch und kombt nit gen himel, und nichts 
irdisch ist nutz. Oder ich globt junkfrauschaft: Das ist der 
erden gelobt und nit dem himel; und kriege mit der Venus: 40 
derselbigen sag ich ab ir wirken und streit wider sie. Also 
auch ich gelob vil zubeten, kirchfarten: das ist ain maul- 
werk und ain fueßwerk, und deren fueß und maul kombt 
kains gen himel. Sunder wir geloben wider die gelübt 


1 lernern. 2 der kam. 27 versten den hailigen gaist. 
37 so ich under. 40 gelebt. 


32 | 32 


oder in zwanknus von dem und dem abzuston, das oder das 
zu tun, aus merer ursach des leibs arbait zu dem seligen 
leben: ist nit in seiner übung vil zu gewinnen oder zuer- 
laufen. Es mueß in der liebe sein. Die lauft allain zu 
517190] got on allen trit. Aber zum nechsten mit trit. Darumb 
zum hailigen laufen, ist aus leibs arbait, nutzt dich nit 
noch deinen nechsten. Das herz mueß dasselbig tun, daß 
dein kirchfart desselbigen hailigen zu dir gang, nit zu im. 
Als sant Jakob mueß zu dir, du nit zu ime. Aber zum 
10 nechsten lauf und hilf demselbigen mit deinem leib: gegen 
got und sein hailigen ist es nit leiblich zutun. Darumb 
so magstu der dingen kaines saligklich geloben und kain 
bös zetun geloben. Ist falsch: dann ursach: du gelobest 
dein jungkfrauschaft zuhalten: Haltests nit, so bist du des 
ıs teufels; tusts aber nit, bist oder wirst ehlich, so bist aber 
ain junkfrau, du brichest dein stand nit. Was nutzt dich 
dein glübt, fasten, beten globen ist offenlich, nun ist es 
gleichsnerei. Liebe got in deinem herzen, do fast, daß nie- 
mants sehe, on glübt. Der gebot seint sovil, daß wir nit 
20 globen können. Sonder wir seint selbs schuldig on glübt. 
So kann der himlisch leib der neuen kreatur nit glübt tun. 
Er darf es nichts. Was nutzt es dann dem irdischen, den 
die würm fressen? 
Das höchst glübt ist: lernen das wort gottes und das- 
a selbig glauben und lieben, und die frucht, so daraus komen 
und gon sollen, dieselbigen üben und brauchen, und uns in 
kain sekten werfen noch abtrinnig machen von denselbigen, 
anderst, dann wie das euangelion laut und ist und vermag: 
dasselbig teglichen hören und in euch fassen. Dann es ist 
so die speis, dorin die ewig ist. Wir [120a] leben nit allain 
vom brot. Dann der leib ist tödlich, der das brot isset. 
So aber wir zwen leib hont: ain ewigen, so muessen wir 
denselbigen auch speisen, das ist, mit der speis, so aus dem 
euangelion kombt und uns durch des euangeliou geben wirt, 
ss und in aller unser ler gedenken, daß wir die tugend des 
euangelions an uns fassen und nemen, als, es stet geschriben: 
selig seint die barmherzigen, uns barmherzig machen, ob 
wir gleichwol Saturni werent, die art von uns werfen und 
nit in derselbigen hangen noch bleiben. Also auch: du 
«solt milt sein. Obgleich ainer ain reibend leu wer und ain 
wolf: milt sein und die art hinwerfen. Also auch klaiden 
den nackenden, speisen den hungerigen: solche stück in dich 
zwingen, so die natur selbs wider dich were, und nit ver- 


11 es ist nit. 15 tusts oder nit. 29 er darf er. 22 dann 
den. 97 Matth. 5,7. 39 Matth. 5, 3f. 41 die alt. 
41f. Matth. 25, 34 ff. 


33 33 


hengen der natur, sonder der neuen kreatur influenz her- 
fürpringen. Dann durch dieselbig tugend get der weg gen 
himel. Also ist der tempel der mensch, und in dem tempel 
sollen die gnad und ablaß sein: uszugeben, den armen 
klaiden, den hungerigen speisen, den turstigen trenken ꝛc. 6 
Das seint die frücht des tempels. Die diug, so zu dem 
tempel oder kirchen gehórent, ist inwendig in den herzen 
got anruefen, fasten und beten, und allain in got sehent, 
und in uf kaim altar suechen und dergleichen. Dann die- 
weil er selbst sagt: sagen sie, do ist er, im wald, in der 1o 
kamern, 2c. so glaubens nit. Gont nit hinaus, daß ir sehent. 
Darumb so [1206] er nienen an solchem ort ist und weder 
in Jerusalem noch auf dem berg angebetet soll werden, so 
ist auch darbei der tempel oder kirchen versperrt, in da- 
rinen zabitten. Dann was bedeutet Jerusalem  anderst, 15 
dann ain tempel und kirch, do jederman hin kombt und 
mitainander betet. Was bedeut der berg, als allain, daß 
die haiden uf den bergen 2c. haben got angebetet. Aber 
wie Christus sagt: es wirt die stund komen und ist jetz, 
daß ir in weder zu Jerusalem oder uf dem berg werden 20 
anbeten. Das ist sovil: ir werden in anbeten in euch selbs. 
In euch selbs wirt er sein, und ir werden sein tempel sein. 
Darumb hat er uns selbs gewisen, aus ursach, daß wir der 
tempel seient, in dem' got selbs ist, in dem wir in suechen 
sollen, und auberthalb nit. 26 
Also do ist der tempel, do Christus hingewisen hat, 
daB do die stund und zeit komen wirt, daB wir weder uf 
dem berg noch zu Jerusalem beten werden, sonder im geist 
und warhait. Was ist der gaist? Der neu mensch ist er. 
Dann der neu mensch ist vom hailigen gaist inkarnirt, wie so 
aueh Christus vom hailigen gaist inkarnirt ist. Also durch 
Christum wir aueh in der neuen geburt. Das ist nun sovil 
gesagt, als spreeh Christus: ir werden fürhin anbeten den 
vatter iin. neuen fleisch der neuen Kreatur, das vom himel 
gestigen ist. Das ist: das hail ist aus dem himel, das ist, 35 
Christus ist aus dem himel Darumb im selbigen müssen 
121d] wir den vatter anbeten, und sonst wirt kain anbeten 
guet sein. Sollen wir nun in den vatter anbeten im gaist, 
so ist das der geist: die neu geburt. Dann die neu geburt 
ist got, und got ist dieselbiz. Das ist, die neu geburt ist4o 
der gaist, und gaist ist sie. Darumb haißen wir kinder 
gottes, und wie ain kind sein vatter besitzt, also do auch 
wir nach got haiben und dieselbig seint. Solch bitten und 
anbeten muß geschehen in der warhait, das ist, in Christo. 


10 ff. Matth. 24, 32 ff. 19 Joh. 4, 21. 34 der vom himel. 
35 aus den juden. 36 aus den juden, 43 haibt. 


Archiv für Retormationsgeschichte. XIV. I. 3 


34 34 


Dann wo wir anderst beten und anbeten,.so beten wir lugen. 
Als so ich beten wolt nach der figur und anzaigung der 
alten, so bit ich nit in der warhait. Sonder das ist in der 
warbait angebetet, so wir im weg Christi und aus Christo beten. 
5 All ander gebet seint nichts. Das ist, der juden, der haiden, 
der tiirken, — als nur allain der neuen kreatur gebet. 
Das get in der warheit. Dann kain lugen kombt vom himel. 
Also sollen wir im seligen leben uns erhalten und wandlen, 
dann daB wir templen und kirchen. ceremonien und preng 
wallain dohin fueren, daB im herzen lige und das herz nit 
in figuren gewisen werd. Was aber die figuren des neuen 
testaments seint, die sollen gespilt werden in komedi der 
zucht, nit in anbetung, nit in reverenz, nit in cerimonien, 
sonder gedechtnus gehalten, darzu die comedia genugsam 
1iSeint, und das mit seinen züchten vellenden, und darbei 
alle ding im [21215] herzen gehalten und tragen on end, und 
gedenken, daf wir nimer in Jerusalem und uf dem berg 
den betstul haben, sonder fürhin im geist, weleher geist die 
neue geburt. Aus demselbigen sollen wir beten, und in der 
20 warhait, Das ist, in got, nit in ceremoniis und dergleichen. 
Und das alles on ergernus und gaben, on wort und der- 
gleichen. So unser herz dohin stet. so wirt uns got geben 
die erkantnus des neuen lichts uud von der finsternus er- 
leuchten und nemen. 


25 3. Das buch der erkantnus 
Theophrasti Hohenheimensis. 
Ad lectorem. 
Sermones ad Clementem, pont. max. 
et chorum cardinaleum: Theophrasti. 


30 [43a] Besser ist rue, dann unrue, sanctissimi mortalium 
mortales, nutzers aber unrue, dann rue. Not ist, daß laster 
werden und beschehen, wiewol der verflueht wirt, durch 
den sie komen. Der unruhe hat. ligt in teglicher übung. 
Der aber rue hat, betracht allain, was zur rue gehört. Da- 

ssrumben bei den unruwigen ist die erfarnhait, kunst, ge- 
sehieklikhait deren dingen, darein er sich unruwig gibt. 
Bei denselbigen sollen lernen, erfaren, die geschickliehkait 


4 christo. 22 80 wir. 25 ff. Im Neub. hsv. ist dieser doppel- 
traktat nicht genannt, Das Oss. hsv. führt ihn an als Ex libro ser- 
monum der Erkantnus ad Clementem septimum, — Von der ander 
erkantnus ad Clementem. 7, Codex G, der einen Auszug des ersten 
Teils enthält, betitelt den tractat Liber sermonum de errantibus. — Der 
vollständige text ist nur in A erhalten. B, E, G bieten auszüge. 


35 35 


haben wollen, Dann nit ain iglieher gibt sich in unrue, 
der doch der unrue nutz begert, als wol als der unruwig. 
Dann also lernt ainer vom andern. Darumb das not ist, daß 
laster werden, ist die ursach, daf laster die frumigkait her- 
fürtreibt. Der geschendt wirt mit im, der sunst still seße s 
oder got lestert, der gibt ain ursaeh dem gerechten, got 
weiter zu erkennen und nit beim unrechten zu bleiben. 
Der ain kunst sehilt, der schilt iren maister: der maister be- 
schreibt sein kunst und lernt sie noch baß. Der bös, der arg, der 
lugner, der falsch ist gericht zu schenden das gegentail. 10 
nemlich das gut, das nutz, die warhait, die gerechten. Der 
aber in der warhait lebt, im gaist, in gutem, der schlaft in 
im. Aber ime ist gleich als aim hund, [43b] der erzaigt 
sein gute in dem, so in der jeger uf das gejegt fürt, wo 
kain gewild were, — so wer kain guter hund erkantlich. 15 
Das wild erzaigt die hund, bringt sie herfür in ir gute. 
Das ist not. Wee aber dem gewild. Dann der hund 
güte zerreibt sie. So nun das laster gut ist, das kompt, 
und wie gut, dab es ist, dann ains bewegt das andere, — so 
muß das Jaster darumb gut sein, daß es das gut herfürtreibt, 20 
das in dem guten still ligt und schlaft. Wee aber dem, 
der den schlafenden weckt. Dann die warhait wirt allain 
dureh die lugen erweckt. Verflucht ist nun der, durch den 
die lugen komen. 

Got hat dem menschen geben das sein, das ist, ain gab: 25 
dem bösen die notturft des bösen, dem guten die notturft 
des guten. Also ist der bös versorgt mit seim bösen, und 
das gut versorgt mit seim guten. Im bösen steckt alle 
boshait, im guten alle guthait. So er will böses tun, denkt 
im nun nach, so lernt er sich selbs. Dann es ligt in im. so 
Ist er ruewig, so macht er sich unruewig, so findt er, was 
boshaiten in im seint. Der gut ist, der denkt im nach, der 
findt in im, das gut ist, so er sicht und sich zu dem unru- 
wigen macht. Der bús, der sich nit übt, der waibt nit, 
was bös in im ist, der doch des voll ist. Der gut, der sich ss 
nit übt, der wailt seine gute auch nit. Ain jeglicher soll 
sich üben und den verborgen schatz us im treiben. Dann 
niemants ist on ain schatz, der bós [44a] oder der gute. 
Diser schatz ist ain perlin, das ist golt. Das ist, ain jeg- 
lieher mensch hat in im bós oder guet, das perlin und golt «o 
übertrifft und die anderen erz und metallen. Das bús ist 
dem bósen ain perlin, das gut ist dem guten ain perlin. 
Darumb so sech ain iglicher, das in im sei: der bós das bós. 
Dann not ist es, daß solche laster komen, not ists, daß das 
gut kum. Selig seint die guten, verflucht aber die bösen. 45 


3 also denkt ainer. 19 daf sie ist. 19 das andern. 
3* 


36 | 36 


Es muß herus, was im menschen ist. Dann das bós ist 
dem  bósen ain licht, das gut dem guten ain licht. 
Nun ist das licht nit under den benken zu verbergen, 
sonder auf den benken zu stellen, uf daß jederman dar- 
s von sech. Dann ir ain licht erweckt das ander, daB 
sein schatz heraus prumle, das ist, alts und neues, was da 
ist, das alt, was ie und ie nun gestellt hat, daB herfürkum 
das neu, daß herus kum das neu übel in dem bösen, in 
dem guten, daß alts und neues guts herfür kum. Und 

10 die ding müssen alle von herzen gon, von mund. Darumb 
ist es not, daB laster werden von herzen und daB derselbig 
bós spricbt: Ich kann in meim herzen nichts auderst wissen. 
Das ist nun war, er ist der bós, soll nichts anderst haben, 
dann solches. Der gut soll im guten auch also sein. Also 

15 bleibet der bös auf seinem glauben und stirbet also. Also 
der gute uf seinem glauben und stirbet also. Was aim 
jeglichen geben ist, das weichet demselbigen nit. 


Ein guter baum gibt gute frucht, der böse böse frucht, 

[44b] und nachdem der baum ist, also ist auch die frucht. 
2 Wie nun us ainem guten baum gute frucht wachsen, also 
in ainem guten menschen wechst nichts bús. Darumb 
so bleibet er uf seiner gute und stirbet darin. Wie aber 
der böse baum sein seure, sein bittere, sein koloquint nit 
lebt, also tut derselbig böse mensch auch, Er legts von im 
35 nit, dann er ist also domit eingewurzt, dab nichts aus im 
mag, und glaubt uf das im selbs. Darauf bleibet er und 
stirbet darin, es ist nichts anderst in im. So nun die menschen 
also seint, wie die zwo art der baum, so ist not anzutreten 
die erkantnus guter und böser baum. Dann der gute baum 
so hat sein erkantnus, der bós auch. Ain iglicher vogel erzaigt 
sich bei seinem gesang, ain jedlicher baum bei seiner frucht. 
Also in die zwai müssen wir auch gon. und am allerersten 
erkennen die zaichen der menschen, wes baums sie seint. 
So waiDt man naehdem von inen zudenken. Dann betriegk- 
ss lich ist es, drinken von brunnen, den man nit kent oder 
essen vom baum, den man nit kent: wie bald ist der tod 
gegessen. Aus erkantnus versucht man die speis. Uf solches 
gebürt sich dem menschen, gleich so wol zu beschreiben, 
was baums er sel, dieweil er derselbe baum ist, das mer 
40 ist, dann der leib baum. und mer frucht gibt, und listiger, 
und manigfaltiz: süß, saur, bitter, reB 2c. Und aber wie 
nit alles süß ding gut ist. nit alle bitter bós 2c., also hie 
auch. Das vermag die natur, daB sie herfürzaigt ir kraft, 
was bös. gift. guts in ir ist. So vermags auch der [45a 


20 gutem. 42 alle bitter ꝛc. also. 


31 37 


mensch, so er dem nachdenkt, das in im ist. Die bösen 
baum uf erden müssen herfür, die erden leßt nichts in ir: 
es muß heraus. Also treibt auch der deufel das bös heraus, 
so im menschen ist. Demnach so treibt got herus die frucht 
im guten baum, damit daß kain schatz verhalten oder ver- s 
borgen bleib. Also laßt das sein die vorred und argument, 
und dir ain underricht deren dingen, so ich traktiren will, 
allain zugon uf erkantnus guter und böser baumen. 


Zum ersten. 


Zugleicherweis, wie der sumer durch sein zaichen 10 
erkent wirt, wann er kompt oder wie nahet er ist, also 
seint alle ding uf warzaichen gegrundet, bei denselben zu- 
erkennen, was zu künftig ist und zu gegen. Dieweil nun 
Christus reden darf zu ainem exempel von den dingen, so 
vorbetracht sollen werden, und so dieselbigen seint, daß 15 
wir darbei sollen wissen, daß nahet der sumer sei, also, 
nit daB er wöll, daß wir allain den sumer sollen erkennen, 
sunder wie wir das exempel haben, also den sumer zu- 
erkennen, daß wir auch erkennen also alle andere ding, so 
uns begegnen und zufallen werden. Dann zugleicherweis 20 
wie der sumer nit kann komen, er muß am ersten die 
argen us den winklen treiben, die bletter von paumen, also 
wenig mag auch etwas anderst komen auf uns, es gebe 
dann solehe gezwungne vorpoten, gut oder bús, darbei das 
nachfolgend erkent soll werden. [455] Dann dohin laut ss 
das exempel, von Christo geben. Der dise ding nit weiter 
ermißt, sonder left in im solches bleiben, der redt gleis- 
nerisch. Wie Christus sagt: ir gleisner, die morgen röte, 
obend róte erkennen ir wol, aber die zeit nit. Das war 
sovil: ir wissen die zaichen des sumers, des wetters, der so 
schöni, aber ir wissen nit, worauf ichs red, das ist: uf euch 
selbst rede iehs, euch dureh solehe exempel eur róte zu 
morgen oder abends zuerkennen. Als wolt er sprechen: 
morgen röti ist abend röti. Was ists aber das. daß irs 
wissen und weiter nit mer wissen, lernen und gedenken ss 
dorbei, dab ir, gut und bös, alle solehe vorboten haben. 
Dasselbig lernen. wissen, daB man euch erkennen, und lernt: 
die morgenröti soll ston, sie deut mir regen und sehne. 
Darauf sie Christus hypocritas hieb, nit der kunst halben. 
dureh die werk. In den werken gottes gibts hain gleisnerri. 4o 
Gleisner mugens aber zu gleisnerei brauchen. Das will 
nun got nit. Gleich als wolt er sprechen: beim gewüik 
sehent ir ain zukünftigen regen, beim donneren ain zu- 
künftigen hagel stral. So 6 nun das sebent offenlieh mit euren 


12 demselben. 28 Matth. In, 2]. 


38 38 


augen, so tunt sie auch auf und sehent offentlich die falschen 
propheten, die gerechten propheten, das ist: sehent die 
rechten weissagung an, so mugen ir sehen und erkennen 
den sumer, den regen 2c. Ist gleich sovil gesprochen: on 
sdie zaichen des feigenbaums, der weintrauben sagen kain 
sumer [46a] zusein, allain durch die zaichen des sumers. 
die dann seint die augen, der problen, und als wolt er 
sprechen, der winter sei wie warm er wólle, so sagen nit, 
daB sumer sei Dann die wirme ist nit ain zaichen des 
10 sumers, sondern sein gruene und herfürtrucken. 


Zum andern. 


Ein igliche verenderung ist ain monarchei, oder was 
do anfaeht ain anders, dann angefangen ist. Also von 
Adam get die monarchei der geberung bis in end der welt. 

15 Von David get die monarchei der propheten,- von Christo 
die monarehei der erlósung. Und also gont auch andere 
monarchei: der kónigen, der fürsten, von den ersten und 
meristen bis uf iren Jetsten. Also auch die monarehei von 
den gelerten, vom ersten derselbigen gelerti oder weishait 

20 bis auf den e gelerten. Und was nun erfunden wirt, 
dieselbig erfindung ist ain monarchei, so lang es wert. Also 
seint Julius monarcha der kaiser, Melchisedech monareba 
der prister, Salomon monareha der weishait, und ain jeg- 
lieher gelert in seiner sekten, wie er dieselbizen dann fuert. 

35 Also ist auch Johannes baptista ain monareha des strengen 
lebens und des predigen der pueB. Also ist auch Johannes 
euangelista ain monarcha der propheten im neuen testament 2c. 
Nun aber so ist es so ain treflenlich ding in der monarehei, 
[46061 so us den großen monarcheien seint, dab kain mo- 

so narchei nit ist, sie habe ain weissagung, die ir vorget, das 
ist, die do anzaiget ain zukünftige monarchei. Und kain 
monarchei zerget on ain weissagung. Also seint uns die 
weissagung geben, dab wir nit anderst dieselbisen sollen 
annemen, als anzaigung der verenderung solcher dingen. 

35 Dann do Adam beschaffen ward, der erst monarcha der ge- 
berung, do hat er sein weissagung, die nun uf erden verging. 
Das waren die sechs werktag, darinen got ufrichtet und 
machet himel und erden, vogel, fisch, tier 26. Warumb solchs? 
daß nit umb sunst da stunde, sunder von weren des men- 

«sehen, der doch noch nit beschaffen war. Darumb war es 
ain anzaigen, do die ding beschaffen warent, daB ain mensch 
hernach würd komen, der sie nießen und brauchen würd. 
Do die sehlang in das paradeis kam, was bedeut es anderst, 
dann dal sie von des mensehen wegen do war. Sonst war 


———— — 


20 auf denselbigen gelerti. 37 abrichtet. 


39 39 


ir wonung nit da. Do ir aber über ir wonung der zugang 
zum paradeis erlaubt war, was war das anderst, dann ain 
vorbot ainer verenderung des menschen. Daß sie reden 
kunt, was war es anderst, als allain, daß sie mit irem reden 
den menschen verfueren wolte. Sunst darf sie kainer red s 
nit. Also verstanden wir aus dem: so ain neue welt wirt, 
neu geschöpf der ding (on den menschen), daß es ain vor- 
bot were aines neuen menschen. So ain tier reden wirt, 
was hedeut es anderst, dann daß die schlang redt, das ist 
sovil, dab die schlang den [47a] menschen betrogen hat 
und betreugt noch. Das weisen solche wunderbarliche ding 
aus. Dann ain jeglichs ding soll in seim ambt bleiben, und 
was darüber ist, das ist ain zaichen aines neuen dings auf 
den menschen. | 


ps 


0 


Zum dritten. 15 


Dab die selizen propheten Jeremias, David 2c. haben 
weisgesagt. was bedeut das anderst. dann daß solche ding 
geschehen werden, so sie gesagt haben. Darumb seint ir 
red bluest und vorboten aines somers oder der früchten 
solcher ding, so ain jeder traktirt. Ain paur wirt geschickt 
und fürsichtig, der den anfang des somers kent. Also auch 
über andere weis und geschiekt, der die propheten kent. 
Dann er waiDt, was zu seinen zeiten geschehen wirt. Wo 
nun solehe ding nit gesehehen werden, so wer kain prophet 
nit gesein. Also ul das so erkennen. dieweil die vorpoten. 
die vorgenger den anfang, wie gemelt ist, solehe ding an- 
zuigen, dab sie wol sollen erkent werden. Dann on solche 
erkantnus mag das nit erkant werden, von dem es sagt. 
Christus mag on die propheten nit erkent werden, sonder 
durch die propheten. Darumb der die propheten verstet. 30 
der waißt, daB Christus ist ain sun gottes. Also aueh der 
do wait die propheten, das ist. des glaubens die vorgenger, 
derselbig waißt aueh [470] sein frucht der naehfolgung. 
Also wirt auch Christus ain gerechter baum mit guten früchten 
erfunden. Also auch wie die propheten weiter ausweisen ss 
von den bösen baumen und früchten, ist gleich so not zu 
erkennen, als von dem guten baum. Wer kann dann ain 
guten baum erkennen, der sein vorgang nit waißt? Aus 
den früchten erkennen wirs. das ist, aus iren früchten er- 
kennen wir der propheten anzaigen. dab sie solche frucht «o 
angezaigt haben. Der aber die propheten vorhin waißt, der 
isset der früchten nit. Der es aber nit waißt, der isset un- 
wissent von den früchten. So ers innen wirt, so ist er ge- 
fallen gleich wie Adam und Eva und ausgesehlagen in das 


— 


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5 


315 der die waißt. 


40 40 


ellend. Was ist das ausschlahen? Die bueß leidung, da- 
rinen wir getrieben werden. Also wirt fürhin allain mein 
fürnemen sein, den anfang zu erzelen, und wie das geberen 
aus dem anfang sein die vorgeng, die ich hie ein anfang 
s heiß, domit durch solche vorgeng verstanden werden die 
ding der nachfolgung. Als die pluest ist ain zaichen aines 
gewissen somers. Die abfallung der pletter von paumen 
ist ain gewiß zaichen des winters. Die pluest zaigt an 
sein fróliche zeit. Das abfallen sein traurige zeit. Also 
10 kompt nichts on ain vorboten, liebes oder laides. Es seint 
alles vorboten, wie ain schwert ain vorbot des verwundten 
menschen, der zorn, der neid, der hab 2c. vorboten irer werk 
und frucht. [48a] Also sollen alle ding im anfang erkent 
werden. Daraus werden verstendig nachfolget ding. Der 
15 aus dem end lernt, der hat ain harte schuel. 

Haltung und zusamen geben der ehe ist ain anfang, 
vorbot aines fridlichen lebens, huererei aines unfridlichen. 
Also sollen alle ding im ersten betracht werden. Dann 
sie werden do sten als warnung: was du tibersichst, ist dir 

20 übersehen. 

Wie angezaigt ist: warumb macht man das schwert 
allain zu morden und bluet vergißen: so ist das sein vorbot, 
daß die kunst der kriegsberaitung gefunden ist. Dise kunst, 
was ist sie anderst, dann ain vorbot der schwerter. Nach- 

as folget durch die schwert die kriegen und morden. 


Zum vierten. 


Nun besehen die ding der welt, was sie seient: ain 
tail ist volkomen, der ander nit. Das unvolkomen soll 
durch das volkomen geregirt werden. Als ain mörder, dieb, 

so eebrecher 2c., der ist nit volkomen. Die oberkait ist nun 
volkomen, die soll regiren. Der schuler ist nit volkomen, 
darumb so lernt in sein schulmaister. Ist er volkomen, so 
lernt er in auch also. Wo nit, so geschichts nit. Nun aber 
darumb [40] ich das anfach, ist allain die ursach. die vol- 
356 komenhait zuermessen und zuerkennen. Als es wer ainer, 
der predigte mir von got, so soll ieh ie am allerersten sein 
volkomenhait ansehen. Hat er die, so soll ichs im lassen. 
hat ers nit, so soll iehs im nit lassen. Nun was ist sein 
volkomenhait? daB er sei wie sein maister, und ist alsdann 
zo genung, dab er sei wie sein maister. Sein maister ist 
Christus, also soll er auch sein in seinen fuebtapfen. Ist er 
also, so tut er, was Christus geton hat: die kranken werden 
gesund. die toten lebendig. Secht, der ist itzt volkomen 
in dem. darumb er do ist. Dann diser kompt im namen 
s des herrn. Wo das nit ist, so kompt derselbig in seinem 


41 41 


aigen namen. Daraus mugen ir wol gedenken, was ainer 
handlet, der in seinem aigen namen kompt.  Ainer, der die 
sel trost, der soll auch den leib trosten. Das ist: kanstu 
der sel helfen, raten, so kanstu dem leib noch paß. Kanstu 
dem leib nit helfen, noch vil weniger der sel. Die nit seen * 
können, aber schneiden, die seint nit anzunemen. Der aber 
seen kann, dem stet schneiden wol an. Wer will den loben, 
der nichts kann, dann trotten und darnach das trotter trinken. 
Der ist anzunemen, der pflanzen kann in reben und zum 
trotten bringen kann. Also sollen alle ding vom volkomen 10 
herfließen und nit vom halben oder gestuckten volkomen. 
Denn trotter muß man haben, auch den schnitter in der ern. 
Der muß sie aber haben, der geseet |49a| und gepflanzet 
hat. So sie derselbig bestellt hat, so trotten sie wol, wo 
aber nit, so trotten sie übel und bös ist ir schnit. Der do:5 
schneidt, der do trott, antwurten das, das in überantwort 
ist worden. Dann der das geseet und gepflanzet hat, der 
tregt kain falsch, das ist ganz, das er gibt, und darumb seet 
und pflanzet er den schnitter und trotter oder weinber. Der 
hate zwen weg: überantwurten oder felschen. Also lauten 30 
zwo weissagung: auf den, der do seet, zu ainem zaichen, 
daB kainer mer seet noch seen kann, dann der; und auf den 
der do schneidt und wimlet, wie dieselbig zwo art seint. 
die do überantworten rechte maß irer arbait dem herrn. 
Von diser zweien art der arbaiten ist mein fürnemen, ein- 25 
ander nach sie zuerkennen geben, so weit die prophezei 
und weissagung inhalten. 

Wie wol es groD ist zu reden, dab der menseh soll 
volkomen sein, der do das ambt hat aines volkomen, — nun 
muß es also sein, und nit anderst. Dem tut es wee die red, 30 
dann fürwar, der nit volkomen ist und doch schneidt und 
drottet. Darumb hat Christus dise volkomenhait anzaigt. 
daB er sagt: die in meim namen komen, werden das und 
das tun. [495] Die nun das tunt, die haben der volkomenhait 
genueg geton. Weiters dürfen sie nit volkomen sein. 36 
Der ist volkomen genug, der do tut, das sein maister haibt. 
und das er im gibt, und wie ers in haißt und gibt. Darumb 
hat ers im geben, daß vil komen werden und werden das 
ambt fueren und werden falseh sein. Und ist gleich sovil 
als sprech Christus: alle eur predikanten, prister 2c. die + 
euch lernen, besehens am ersten: ist es sach, dab sie das 
tunt, so folgen in kecklich. Tun sies aber nit, so fleuch 
von inen. Daun so getreu ist Christus, dal) er uns vor den 
leuten warnet, Dann ist er gestorben für unsertwegen. für- 


5 die nit sehen konnen. 6f. der aber sehen kan. 18 die 
ist. 331, Mark, 16, 17. 


42 42 
war, so hat er das wort auch nit vergebens geredt: sie 
werden in meinem namen die doten lehendig machen. Gleich 
als sprech er: tunts sie aber nit, so haben sie mein namen 
nit, so glauben auch irem maul nichts. Dann der den 
snamen gottes hat, der hat in mit wort und werk. Und wort 
und werk ist ain zusamen ding, das nit von ainander ge- 
schiden mag werden. Sie seint verbunden zusamen, wie ain 
ehe man und weib. So wir aber das übersehen und ver- 
achten, und tailents von ainander, also daB wir dem mund 
10 glauben on die werk, itzt seint wir verfuert. Dann die 
zung, so von got ist, ist on sein werk nit. Wer kan 
sprechen: das ist der will gottes, der den gaist gottes nit 
hat, So er spricht, so ist es gleich gesprochen, [50% als 
sprech ainer: das hat Hans geredt oder Nikolas: das ist war, 
15 aber on den gaist, das ist, on kraft. Der anfang aines argen 
ist hoch zubetrachten. Do ligt auch aller grund in, und 
das ist also: so du spriehst on den gaist und on die werk: 
du solt nit stelen. so hastu nun das wort gottes geredt 
und ist recht. So aber der gaist gottes nit darbei ist, so 
20 folgt hieraus der falsch, und das ist der wucher, hetrueg. 
Jetz stilstu nit. aber betreugest. Also get ain arges hinweg, 
darumb daß du aber falsch im herzen bist, darumb so folgt 
ain anderst hernach, das gleich so arg ist. Item, bist du 
ain falscher apostel, so sagstu: du solt nit ehebrechen 
25 Und das ist nun recht geredt und ist das wort gottes. Darumb 
aber, dab du nichts solt im gaist gottes, was folgt hernach? 
Verbietung der ehe, schaiden der ehe, richter der 
ehe zu sein.  Werestu ain gerechter apostel, so ge- 
sehwigestu der schaidung der ehe und tribest sie zusammen 
sozuverzeben, zu verzeichen, zu nachlassen 2c. und verbutest 
die ehe nit, liebest got sein ehe ordnung für sieh gon. Also 
haben die apostel nie kain ehe gesehiden noch auch Christus, 
den wir sollen nachfolgen, habens aueh nit verboten. Der 
sich selbest aber beschneidet, der tregt kain verbot, halt 
sssich selbs frei, und i ward das reich gottes on ander Sorg. 


Zum fünften. 

Das ist zu hoch getriben, so wir treiben mer, dann 
Christus [506] und sein apostel, auch Paulus. Als sie haben 
lassen bleiben die zehen gebot unverruckt, glauben in ain 

4 got. Der mensch aber hat sich selbst auch dohin gesatzt, 
sagt: glaub mir an seine stat, glaub meiner auslegung. Und 
wir sollen allain in got glauben. Warumb ist kain ander 
mitel do gesetzt? Darumb, daß der gaist gottes ist und 
nit des menschen, in dem wir erleucht werden, durch welche 

4 Erleuchtung wir selig werden. Darumb so müssen wir dem 


|f. Mark. 16, 17. 34 vyl. Matth, 19, 12. 


43 43, 


gehaiß glauben us got und nit us den menschen. Nun wirt 
er uns dureh den menschen. Darumb so tunt gute werk 
und wort mitainander. Also auch: du solt nit schweren: 
also lassents die apostel bleiben und machen kain weiter 
geschwetz. Die aber nit ganz apostel seint, machen jurament, 5 
aid. pflicht, geburnns, treu in der hand und dergleichen. 
Dann sie seint nit ganz apostel oder volkomen im ambt. 
Inen zerrint vil. Also auch: du solt nit anders gut be- 
geren. Das haben die rechten apostel lassen bleiben. Aber 
die ungerechten apostel setzen zehenden, opfer, ander stipu- 10 
lation, necessitates, und ist ains wie das ander. Deren ze- 
benden oder provision haben die apostel nit gedacht noeb 
genossen. Das alles kompt aus den getailten apostlen, die 
allain das maul haben und die werk nit. sagen das wort 
gottes und ir wort darneben. Darfür warnet uns Christus, 15 
do er sagt, was die tunt so in seinem namen komen, 
Warumb sagt er: in seinem namen. und was sie tun werden? 
Alain, dab wir uns hueten vor |¿1a| denen, die nit also 
seint. ob sie schon reden das wort gottes, mit was frucht 
und nutz sies reden. Also kans auch der deufel, und so 20 
er mensch wer, so würd ers auch nit anderst predigen, dann 
von der ehe, wie sie tunt. vom stelen 2€, wie sie tunt. 
Dann was begert er mer. dann das, daß sie dann auch 
tunt. Aber dieweil werk und zaichen für ain ding gehalten 
wirt, so ist die irrung auf der selbigen seiten. Nemlich: 
so man will ansehen ir werk, so sagen sie, man beger 
zaichen. und zelen für das zaichen Jonas. und vergessen der 
werk mit den plinden. lamen, kranken, doten, ussetzigen 2c. 
und betrachten nit, dab die juden zaichen vom himel be- 
gerten, und nit im menschen. Das ist: sie wolten sehen, ob 30 
er die sunn wolt umbkeren 2c. oder den mon endern in ain 
ander spher, als so er zaubern kont. Darauf er in Jonam 
gab zu ainem zaichen. Was triflt aber das gesund macher 
an. der doten lebendig macher an? Dieweil aber gesund 
machen von den apostlen gleich den jüdischen fragen ge- 35 
setzt wirt, so ist es nichts. dann falsch. Tunt, das euch 
Christus gehaiben hat. Durch eure werk reden ir offenbar 
in der warhait und nit durch eur maul. Es seint nit zaichen 
oder jtidisch begeren, sunder nach ehristlicher notturft an- 
fang und gehaib durch Christum. Dann wer will euch sonst +0 
erkennen oder glauben eur ler. dieweil der deufel [510] so 
falsch ist und so listig, und der mensch hat nichts, domit 
er sich weret. als dureh Christum. So dann in seiner gestalt 
ain falsch aufsteigt, meinen ir, Christus habs nit betracht? 
Darumb hat er seine scheflin uf ir werk gewisen, nemlich # 


28 Matth. 12, 38, 28 dem plinden. 82 sper. 40 Christi. 


e 


5 


44, 44 


der sunst kaim, als ainem solchen, ob er in sunst nimer 
sicht, so ist er got nur dester lieber, daB er so bestendig 
bliben ist. Dann got leßt die seinigen nit verderben, allain, 
daß sie in einfalt bleiben, nit in den sinagogen, und so sie 
sus in selbs nit disputation machen. 

Der aber, der do bleibet in der ler gottes, gebot und 
gehaiß, der ist ain frei man, er macht nichts neues, er 
verstets, wie es an in selbst ist. Daß man möcht sagen: 
man muß verkünder haben, das ist war. Aber nit verkerer, 

1» mag man nit in einfalt wandlen und gottes wort lassen die 
weishait sein, und nit die unser. So Christus gesagt hat: 
das ist mein leib, das ist mein bluet, das essen, trinken, 
— gehört nit ain einfalt darzue und kain weishait, so dürfen 
wir ir niemants darzue, als allain, der uns das sagt, wie es 

15 Christus gesagt hat. Das tut der einfeltig und nit der weis. 
So wir nun wissen, dab es on ceremonien zugangen ist, so 
dtirfen wir allain der einfalt darzue und kaiuer ceremonien. 
Also auch, so Christus gesagt hut: sein bluet sei vergossen 
von unser sünd wegen, so muß [52a] ain einfalt do sein 

20 und kain predig, daß er allain das geton hab, und weiter 
on alle weishait, predigen, darbei bleiben. Das macht aber 
vil weishait, der falsch einziehen will. Der geet der klueg- 
hait nach und nit der einfalt nach. So die ehe bleibet als 
sie sein soll, one eingemischte ordnung, was darf man chor- 

25 gerieht, bücher ?c.. der ehe auslegung? Das macht bücher, 
das macht chorgericht, das macht ander arges und übels. 
So man ain ehe nit schid, nit verbut, und zusamen komen 
plob wie Adam und Eva, die nichts hetten, als die arbait, 
für ir heuratgut, secht, was laster und schand wirt vermiten, 

39 darinen wir sonst sehwimen und waten, und also durch 
den deufel hin und her gefürt werden. Der sagt: das gut 
gehórt der frauen zum heuratgut, das zur morgengab, das 
ist ain testament, das ist das, das, das, — secht, die ding 
alle wie sie seint, sent niehts anderst dann verfuerung, und 

35 haben doch die ding alle mit dem wort gottes bestett. Aber 
allain die, so des wort gottes nit volkomen seint. Kain 
volkomner hat weder heuratgut, morgengab. erb 2c. trak- 
tirt, geschiden noch verboten. Die unvolkomen aber. die- 
selbigen traktiren darvon. Das ist nit in einfalt gelebt. 

so sonder in hoflart. Die haben also ir nachfolger, die im 
soleh testament und gut ordnung, gailhait gestatten, aber 
der nachfolger ist wie der lerer: sie sollen zu beden [520] 
seiten nichts. Man soll nit us dem weg weichen, im weg 
bleiben. Der ist in der einfalt. Dann nit allain in dem ist 

salso, sunder in allen andern dingen ain betrueg und falsch, 


12. 18 Matth. 260, 26 ff. 


45 45 


der aller us solchen falschen apostlen erstet. Wir dürfen 
ibr nit mer. Folgen wir nit den fueßstapfen nach, die sie 
gelernet haben. Es ist genueg und weiter nichts not mer. 
Darumb nun so wissen, daB wir, die do seint schaf 
Christi, niemants dürfen als unsers negsten. Des, der nit s 
unser negster ist, des bedürfen wir nit. Nun mugen wir 
durch unser einfalt nit wissen, wer der negst ist, allain aber 
aus dem, wie uns Christus zuverston geben hat durch ain 
exempel mit dem in Jericho. Durch dasselbig verstanden, 
wer unser negster ist. Ist nit also, daß der prister und i- 
levit die nasen verhueben und wolten nit schmeckten den 
armen menschen, der do verwundt war, und gingen furtiber 
und namen sich seiner nichts an? Was bedeut das? Allain, 
daß wir sie nit haben sollen, der prister, levit, den rö- 
mischem stuel und sein orden. Der levit bedeut die predi- 15 
kanten, so der rómisch stuel ketzer haißt. Sie seint uns 
baid nichts nutz. Das seint nun die, vor den uns Christus 
warnet, die er haiBt falsche propheten, falsche apostel und 
dergleichen. Ursach: sie geent im selbigen stand und setzen 
sich uf den stuel, steigen [53a] aber in das haus, gont nit se 
zur tür hinein. Sollen wir uns vor in hueten, warumb 
beichten wir dann inen? Warumb hören wir ir stim? 
Warumb lassen wir uns nit ain exempel sein, daß sie selbst 
zwitrechtig seint? Was bedeut das? Daß ir reich nit ganz 
ist und nichts soll. Was nichts soll, das zertailt sich ins 
sekten, in vil weg. Was soll, das bleibet in aim ewig, get 
nit ab in irrung. So nun dis die seint, die uns verfueren, 
was stet uns darauf? nichts, als allain verdamnus. Sollen 
wir dardurch verdamnus erwarten, und deren gewiß sein, 
so ist bilich, daB wir sie kennen. Wellen wir der ler und so 
worten Christi nit glauben, nit zuherzen fassen, und seiner 
apostel, die solches deutlich anzaigen, so müssen wir deut- 
licher gen in den grund der warhait: so haben wir kain 
andern weg, als allain die propheten, deren mund alle ding 
ausbreit und vor sagt mit erkantnus und fürbildung. Der dos 
nit glaubig will werden, und fliehen vom bösen haufen, dem 
ist got und sein reich nit lieb, der stellt nach der ewigen 
verdamnus. Man sagt, man mul prister haben. Das wort 
gottes aver sagts nit. Man muß predikanten haben. Das 
wort Christi sagts nit, sunder sie baide fliehen, sie seint tag- 40 
loner. Das sagt die geschrift: geet hin in die welt und ver- 
künden das euangelion. Was ist das? Geet hin zu turken, 
tattern, haiden 20. Dann die christen kennen 53% Christum. 
Wellen sie in nit im herzen tragen, der inen vor 1500 jaren 


. 2 folgen wir dem fueBtapfen. 9 ff. Luk. 10, 30 ff. 204. Joh. 
40,1. 33 gent in den grund, 36 mit. 41 Joh. 10,12. 41 Mark. 16 15. 


46 46 


verkündt ist worden, so bleiben sie auf irem jüdischen weg. 
Sie haben der verkündigung genug. Geet hin, verkünden 
den unwissenden, nit als die prediger, die do aigen stall, 
futter, weib. kinder 2c. haben und ligen wie die pleiklotzen 
sin sanfter rue, sonder wie die apostel geredt hon: so werden 
euch alle dinge müglich sein, berg in das mer zu werfen. Aber 
bei euren weibern und polster köchin wirts nit geschehen. 
So das wort gottes hait. den staub von den schuen 
sehutlen und hinzon, das bedeut ain ungesessenen man 
10 zu sein, der do verkünden soll. und ainer, der do mit 
kainer pfrund versorgt ist. Der ain pfrund hat, der hat sich 
gesetzt und im ist wol, die verleurt er nit. Dann er maint. 
got habe ims geben, die rue und die faulkait, und bezal sie 
mit der meh oder mit ainer predig. Das ist ain ellends 
15 mainen, und sie verfueren sich selbs uud andere mit in. 
Wo rue ist. do ist Christus, do dürfen sie kains pristers, 
apostels, levit. predikant; allain wo die nit ist, do darf man 
sie nun aber. Wo ist unrue? Bei denen, die Christum nit 
kennen. Die Christum kennen, die haben in bei inen, dürfen 
20 kaines predigers noch pristers. Die in aber nit kennen, 
deren seint zwaierlai: gedauft und ungedauft, Der ain tail, 
das ist die gedauften, dürfen kains predigers. Sic haben 
den hailigen 5%] gaist, sie wellen im aber nit folgen. 
Darumb, so man in schon prediget und sagt, so hilfts nit, 
25 sie weichen dem hailigen gaist nit mit iren kopfen. Die 
aber nit gedauft seint, die daufen sie, und die jenigen, die 
sie daufen, haben kain andern namen, als verkünder Christi. 
die haben kain pfruend, kain meb, kain ambt, sunder den 
pilger gang in die welt. Lassen euch das gesagt sein, daß 
so die Christen, so under Christo leben, kains verkünders dürfen, 
sie haben Christum. Darumb so seint sie itzt glaubig. So 
sie nun glaubig seint und gehaiben werden, so dürfen sie 
kainer predig. Dann predig ist allain für die unglaubigen. 
Daß du aber sagst: sie irren, man muĝ sie lernen, predigen, 
s daB sie wider uf die ban komen, — so wissen, daß sie 
nit lernens dürfen. Seint sie glaubig, so glauben sie Christo. 
Glauben sie Christo, so haben sie sein euangelion. Dem- 
selbigen sollen sie glauben. Mainen sies von herzen, so 
ligt das euangelion on predig in irem herzen. Mainen sies 
“nun nit von herzen, so hilft die predig auch nit. Durch die 
herd gont die prister, leviten 2c, schinden und erfreuen 
sich darin. Durch die ander herd gont die predikanten, 
schelten und sehmehen, und seint baid laster und schand. 
Nun aber, die das geren hören, was seint sie? Brecher 
s der gebot gottes und aigen nutzig leut. Und predige denen. 


6 Math. 21,21. 8f. Luk. 9, 3/7. 26 deren. 29 des. 30 christum. 


47 47 


was du wilt, so geet es zu aim or ein, zum andern aus, 
und fellt neben den weg, uf den stain, in die dorn. [54b] 
Woltestu auf disteln, dorn feigen pflanzen, weintrauben? 
Nain, sie wachsen nit do, der pflanzt umb sunst. Aber die 
rue, die pfrund, die provision und der anblick deines weibes s 
oder kellerin. die behalten dich im nest, aus dem komestu 
nit: so findestu allemal sovil argument, sovil dir die pfrund 
zuerhalten not ist, O ir prister und leviten, das ist, o ir 
pfaffen und predikanten! 

Also kompt alle unser not und angst, unser mord und 
jamer von denen her, sie haben uns verfürt, und dergleichen 
noch. Darumb so ligt unser kónig und fürsten im kampf 
gegenainander und kainer ist ruewig. Warumb? Sie haben 
nit den apostel weg noch apostel bei inen. Darumb werden 
sovil krieg, pestilenz, hunger. teure, ellend, zaichen im mon 
und in der sonnen und dergleichen, der vatter wider den 
son, son wider vattern. Dann darumb, was do irret, das 
tut im nit anderst, es strettlet durch ainander und rent 
sich selbs nider, baumen sich selbs gegen ainander auf. Ain 
jeglicher, der do prediget und schreiet, und hat die werk 20 
der apostel nit bei im, der ist falsch und nit gerecht. Da- 
rumb so werden bei uns christen kain apostel gefunden. 
Dann sie haben uns erleucht, aber wir seint vom licht ge- 
fallen. Der uns predigen wirt zum letzten in unser wüs- 
testen. irrung, derselbig wirt sein Helias und Enoch, und die 25 
werden die zeit beschlieDen auf diser welt. [55a] Sonst 
sollen wir kains andern erneuhung warten, als derselbigen. 
Was itzund ist (on sie), das ist alles irrung, ellend und jamer. 
Selig wirt der sein, der verharrt bis in das end. Dann sie 
werden nach folgen Helie und Enoch. Aber apostel sollen so 
sein. die do sollen verkünden bei den unglaubigen und denen. 
die Christum nit glauben. Und so dieselbizen komen werden, 
als dann so wissen, dab sie werden toten erwecken, die 
aussetzigen rainigen, die plinden gesehen machen. Und sie 
werden nit provisioner noeh pfrunder noeh pensionirer, sunder ss 
bilger, und warten, was man für stellt. Aber under uns 
Christen mag das nit sein. Dann wir haben Christum. 
Wellen wir im glauben, so haben des genug, wir dürfen 
kaines predigers. Wo aber nit, was ist predigen anderst, 
danu das laster, das oben stet? Dardurch werden wir verfuert 40 
und geblent. Domit dürfen wir wol, daß wir die leut er- 
kennen, nit darumb, daß sie uns lernen, sunder darumb, dab 
wir ir müDig gangen. Dann ir lernen ist nichts. Wo ain 
arges angesagt wirt, do seint zwai an der stat. Darumb 
die, so inen folgen wollen, betrachten nit ein wort, sunder «s 


— 


0 


— 
S 


2 Matth. 13,2 ff. 5 dem. 35 profisianer. 


48 48 


alles, was do zubetrachten ist, daB nit der zaun, der zerbrochen 
ist, an ainem ort ganz werd, und das ganz sie zerbrechen werd. 
Dann die ding seint die, die mit der zeit noch erger und 
búser werden, dann do komen siben deufel in das haus. Als 
wirt es von inen auskert und bóses an die stat gesetzt. 
[550] Nit allain, daß von den verfuerern geredt werd 
in der geschrift, sunder auch von dem aigen nutz und hoffart 
des neids und haß und aller andern laster und stinden. 
Darumb so werden die vorboten und warzaichen all dohin 
gefürt zu dem, den sie bedeuten und bezaichnen, einmal dem 
prister, ainmal dem leviten, ainmal dem prediger; also auch 
ainmal den plinden kónig, ainmal den plinden gewalt, ainmal 
den unzognen underton, also auch etwan ain mal dem wucher, 
ainmal die gleisnerei, ainmal die sünd und laster, so in der 
welt seint. Dann do werden alle laster und sünd be- 
griffen, so vom ersten bis zum letsten beschehen werden. 
So wirs nun also wol durchlesen und erfaren die geschrift, 
so finden wir je lenger je mer truebsal, jamer und not und 
angst und kain aufhóren noch schnelles end. Dann der gut 
2 tag gehabt hat und gut ding eingenomen hat, der muB die 
zeit erstatten mit dem bösen, domit maß auf maß gemessen 
werd. Darumb verhoff kainer ain kurze zeit, sonder ainer 
wolgemeDnen langen zeit, mit ainer guten zugab. Darumb 
dieweil es die lang zeit begritfen wirt, so ist vonnóten den 
25 auserwelten, daß sie solche vorganger, vorlaufer, vorboten 
verstanden und wissen, wie sie weisgesagt seint, domit das, 
das so weisgesagt ist, erkent werde und verstanden [56a] und 
fürgenomen, vor inen zuhueten, und nit glauben den ma- 
nicherlai fligenden gaisten, so doher fallen and einprablen, 
so ain jeglicher mit seiner welt ler. Also verstanden ir zu 
Hom, du Clemens der sibent, itz das haupt der christen, dab 
du und dein cardinal chor euch erfaren und erforschen die 
gesehrift, was sie von euch sag. Und nit allain du, Clemens 
der 7. und dein eardinalhauf, sonder alle die, so von deiner 
35 hand gesalbet seint und werden, der wurzen du bist. Dann 
so du die wurzen abhauest. so ist abgehauen das ander alles. 
Es ligt allein an dir. Du tragst sie alle auf dir, wie ain 
baum sein est. Und also auf deines baumes abhauen, dab 
deine feind. so dein stuel erbrechen wellen und verwerfen, 
40 Sich selbs auch abhauen. ain jeglicher sunderbar. Dann sie 
haben nit ain wurzen, sunder vil wurzen. distel und dorn 2c. 
Recht dustu, dab du sie nit an deine stat lebt sitzen. Behuet 
uns schaf auch auch got darvor, dann sie würden erger 
daun du. bóser dann du. bóser dann der deufel: dureh die 
iben, so sie mit in bringen. 


D 


1 


- 
— 


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cu 


191, tag gut gehabt. 
(Fortsetzung im nächsten Heft.) 


y 


Die Leidensgeschichte des Herrn 

als Form im politisch-literarischen Kampf 

besonders im Reformationszeitalter. 
Von Fritz Behrend. 


Das Mittelalter und die beginnende Neuzeit schied 
zwischen Dieseits und Jenseits, zwischen Himmlischem und 
Irrdischem nicht scharf. Wie es möglich war, daß an 
demselben Ort, wo die heiligen Handlungen der Kirche 
gefeiert wurden, spöttische, karrikierte Messen stattfinden 
konnten: es wird unserm Empfinden sehr schwer, diesen 
Tatsachen verstehend gegenüber zu treten. Freilich der Ver- 
kehr mit den Heiligen hat etwas Anheimelndes, Erwärmendes; 
aber auch Gottvater, Gottsohn und die Gottesmutter gehörten 
gleichsam zur Familie; auch mit ihnen durfte man einmal 
auf menschiiche Weise derb scherzen. 

Auch in der Literatur begegnen uns ernste Glaubens- 
motive in heiterer, humoristischer Verwendung. Es ist nichts 
mehr als ein harmloser Scherz, wenn Niclas Manuel in 
seinem Missiv-Brief 1526 (abgedruckt bei Grüneisen, Niclas 
Manuel 1837, S. 291—293) das Martyrium des Weins dar- 
stellt. So handelt noch das Prosagedicht des protest. Pastors 
von Osterweddigen, Johannes Sommer, von der „Martinsgans“ 
(1609), von ihrer ,wunderbarliehen Geburt, lóblichem Leben, 
vielfaltigen Gut- und Wohlthaten* und von der unschuldigen 
Marter und Pein der Gänse und ist „allen Mertensbrüdern 
zur Erlustigung wolmeinend“ zugeschrieben. Bei dem gleich- 
lautenden, humorvollen ,Ganskónig* Wolfhart Spangenbergs 
(1607) klingt hier und da in den erheiternden Versen schon 
ein parodistiseher Ton mit: er gibt Karrikaturen des katho- 
lischen Glaubensbekenntnisses und der Seelmesse. Dei diesen 


Arehiv für Retormationsgeschichte. XIV. 1. 3 


50 50 


humoristischen Behandlungen ist irgendein Martyrium nach- 
gebildet, das Vorbild des Gottessohns bleibt außerhalb der 
Sehweite. Anders ist es bei den politischen Passionen. Hier 
wird mit Absieht auf Jesus hingewiesen; um die Parallele 
recht sinnfüllig zu machen, wird sogar der Evangelienberieht 
nachgebildet. Man ist sich bewußt, eine scharfe Waffe im 
politisch-literarischen Kampf damit zu führen; diese Pasquille 
und Traktate sollen aufreizend wirken. Aber nichts wäre 
falscher, als wenn man glauben wollte, das Evangelium selbst 
sollte getroffen werden. Der Glaube selbst bleibt durchaus 
unangetastet. 


Man bedient sich nun zweier Weisen in dieser Kampf- 
literatur. Man setzt einmal eine historische Persönlichkeit 
für Christus ernsthaft ein und sucht so Mitleid für sie wach- 
zurufen und den Glauben zu erwecken, daß. auch ihrer end- 
lich eine Auferstehung und Erhöhung warte. Die andere 
Art ist die, dab man für Christus einen Schurken substituiert 
und nun ironisch dessen Geschichte erzählt, um so durch 
den Kontrast den Eindruck zu verstärken. Diese letztere 
Form möchte ich die ironische Passion nennen; sie findet ihre 
literarische Parallele in den ironischen Gebeten, Kredos, 
Psalmen, die bereits in der mittelalterlichen Literatur be- 
gegnen. 

Die ironische Passion in Evangelienform war vorbereitet 
durch alte Vagantentravestierungen der Evangelien. Ein Bei- 
spiel begegnet uns bereits inmitten der Carmina burana der 
Benediktbeurener Handschrift. 


S. 22. No. XXI. Evangelium. 
Initium sancti evangelii seeundum Marcas argenti. 


In illo tempore dixit Papa Romanis: Cum venerit filius 
hominis ad sedem maiestatis nostre, primum dicite: Amice. ad 
quid venisti? At ille si perseveraverit pulsans nil dans vobis, 
elicite eum in tenebras exteriores. Factum est autem ut 
quidam pauper elerieus veniret ad curiam domini Pape et 
exclamavit dieens: Miseremini mei saltem vos, hostiarii Pape, 
quia manus paupertatis tetigit me. Ego vero egenus et 
pauper sum, ideo peto, ut subveniatis calamitati et miseriae 
mente. Illi autem audientes indignati sunt valde et dixerunt: 
Amice, paupertas tua tecum sit in perditione, vade retro 
Sathanas, quia non sapis ea que sapiunt nummi . .. 


51 51 


Handelt es sich hier um ein Verspotten des Papstes, 
so schlägt die Erzählung in reine Parodie um in dem 
Evangelium secundum Lupum (im Anklang an Lucam), das 
nichts anderes als eine Verherrlichung des Bachus ist (bei 
Wright and Halliwell, Reliquiae antiquae II 58). In variierter 
Form begegnet uns das Lucas-Evangelium der carmina burana 
etwa 350 Jahre später wieder. (Pasquillorum tomi duo, 
Eleutheropoli MDXLIII; auch bei Wolf, lectiones memora- 
bites cent. VI. tom 2. p. 806; danach bei Oskar Schade, 
Satiren und Pasquille der Reformationszeit, 1. S. 310 f.) Es 
lautet: Evangelium Pasquilli olim Romani jam peregrini. 
Dolus vobiscum et comito tuo, frequentia falsi evangelii 
seeundum archam (!) auri et argenti; gloria tibi auro et 
argento. In illo tempore (dixit papa rapax earpinalibus suis) 
eum venerit filius hominis ad sedem majestatis nostrae, dicat 
hostiarius illi: amice, ad quid venisti? et si pertransierit 
pulsans, nihil dans ligatis manibus et pedibus projicite eum 
in tenebras exteriores . . . 

Dasselbe deutsch (Schade a. a. O. No. X, S. 105 f.): 
„Ain Evangelium Pasquilli darin das Römisch Leben gegründet 
und bestetiget wird. In der Zeit (spraeh der wütend bapst 
zu seinen Carpinelen) wenn komen wird ain sun des Menschen 
zu dem stul unser majestet, so sag der türhüter zu im: 
„freund. warum bistu daher komen?“ und so er wird anläuten, 
für gon und nichts geben, mit gebundenen henden und füßen 
werft ihn in die auDwendigen finsternus . . ." 


Die scholastische Freude an der Antithese, die noch 
Lucas Cranach etwa einer Passio Christi einen Passio Anti- 
christi in einer Bilderreihe gegenüberstellen läßt, ist bei 
diesen literarischen Spielen eine Haupttriebkraft. Das sic 
et non wird vollends auf die Spitze getrieben, wenn an die 
Stelle Christi im Leidensbericht ein Schurke tritt. Ein Bei- 
spiel dafür bietet das handschriftlich erhaltene Hardeggersche 
Evangelium (Ulm, Stadtbibliothek, Sehadsehe Sammlung, 
cod. 111, Bl. 235) vom Jahre 1595. 


Hardeggische Passion naeh Anleitung des 22. und 
23. Kapitels Lucae. 


„In derselben Zeit nahet sich der Tag deb verderbens 
der Stadt Raab, vnd die Fürsten gewaltigen vnd herrn 
beratsehuagten sich mit ainander, wie man der Vóestung 
Raab zur hilff khomen khóndte. Es war aber der Sathanas 
gefahren in den grafen, genant von Hardegg, der ware einer 
aus den Obersten, gienge hin vnd redet mit dem Türggen 


r] 4* 


52 52 


vnd seinen haubtleuthen und sprach, was wolt ir mir geben, 
ich will euch Raab verrathen ... vnd sie wurden fro, 
gelobten ime ein grosse Summe gelts vnd der graf versprach 
sieh vnd suchte gelegenheit, do ers vberantwortet, ohne 
Romor. Es kham nun der Tag der Neu gemachten ver- 
rütherey, auf welchen man solte Raab aufopfern vnd er 
sandte Herrn von BreyB vnd hauptman Rechberger vnd 
sprach, gehet hin vnd verbüetet allen büchsenmeistern von 
meinetwegen bey Leibsstraff, daß keiner einigen schuß auß 
der Vestung nicht mehr thue vnd siehe, wenn ir hingeehet, 
werden euch begegnen deb Simon Bassa Obersten, volget 
inen und führet sie herein zu vns; sie gingen hin vnd 
funden, wie er inen gesagt hat, vnd zu der abent stunde 
sezt er sich mit den haubtleuten vnd Obersten vnd sprach 
zu ihnen, mich hat herzlich verlanget, mit euch dib Nacht- 
mahl zu essen, ehe ich die Vestung vbergib, den Ich sage 
euch, dz ich hinfort nit mehr allhie essen werde vnd er 
nam dz glab vnd sprach, nemet hin vnd trinkhet gschwind 
eines auf Türgischen Kaysers vnd Simon Bassa gesundheit 
herumb, denn ieh sage euch, Ich werde nit mehr trinkhen 
von dem Weinstoekh . . ." 


Am befremdendsten aber wirkt diese literarische Form 
auf uns, wenn historische Personen allen Ernstes für Christus 
substituiert werden; hier offenbart sich am stärksten der 
Wandel des historischen und ästhetischen Empfindens. 

Die älteste bekannte Verwendung stellt Luther dar 
vor dem Reichstag zu Worms, denselben Luther, der aus 
religióser Seheu nicht dureh Menschen die Passion des Herrn 
aufgeführt wissen wollte. 


Doctor Martin Luthers Passion (Schade a. a. O., Nr. XI). 


„Es ist aubeangen der Luther mit seinen Jungern über 
den Flub des Rheins und eingangen gegen Wormbs, da der 
Kaiser ain Reichstag hat. Als aber die Fürsten die Priester 
und die gleisner erfurn, dab er kommen was, haben sie sich 
versamlet in dem hof des meinzischeu Bisehofs, der genannt 
ist Kaiphas und send zu rat gangen mit den Gsatzweisen, 
dab im das frei sicher gleit nit solte gehalten werden, aber 
daB sie in mit listen fiengen und verbrenten. Denn sie 
sprachen: ,er ist ain ketzer; im mag nit frei gleit geben 
werden; er soll gefangen werden und getódt, aber nit an 
dem Reichstag, damit nit ain aufrur werd im Volk“. Da 
aber Luther was in dem haus des conventoris S. Johannis, 
haben zu im gesehiekt die diener des papsts, Carracciolus, 
genant Pedico, und Aleander Jud, die in vnder dem fried 


53 53 


des Kaisers verraten wolten. Aber Luther wibende alle 
Ding, die über in komen würden, ist herfür gangen sagende: 
„wen sucht ir?“ haben sie geantwurt: „den doctor Luther“; 
sagt Luther: „ich bins!“ 

(Eine lateinische Fassung dieser Passio Lutheri in den 
von Johannes Aurifaber gesammelten, von Georgius Celestinus, 
Berlin 1579 herausgegebenen Epistolae Lutheri tom. ll; 
daraus wieder abgedruckt in Danielis Gerdesii Historia 
Reformationis Tom. II, Groningae et Bremae 1746, Monum. 
antiquit. Nr. V. Gerdesius spricht von der alten Sammlung 
als einem liber jocularis.) 

Doch auch die Geschichte Karls V. wird etwa zwei 
Jahrzehnte später in die gleiche Form gepreßt.“ 

Evangelium secundum Pasquillum Romae in adventu 
Caesaris editum MDXXXVI (Schade a. a. O., Nr. XII). 

In illo tempore ante decem dies Paschae venit Carolus 
in monasterium, postquam Clemens mortuus erat, fecerunt 
autem ibi coenam ei scribae et pharisaei et religio ministravit 
ei. Roma ergo prineeps latronum accepit libram unguenti. 
dixit ergo unus ex Gallis qui erat eum defamaturus, quare 
hoe unguentum non venit ad nos decem millibus et non 
datur Francisco? dixit autem hoc, non quod Franeiseus illi 
eurae esset, sed quia far erat et masurpium habebat eaque 
quae mittebantur vorabat. dixit ergo Carolus, sine illam! 
in diem enim vietoriae meae hoc unguentum servavit: vos 
enim Gallos semper Roma nutrit, me vero non semper 
eognovit . . .' 

Aus streng orthodox-lutherischen Kreisen heraus stammt 
1546 die Passion des unglücklichen Kurfürsten Johann 
Friedrieh von Sachsen; da die einzelnen Etappen des Donau- 
feldzuges festgehalten werden, ist die Darstellung, die sehr 
beliebt gewesen sein mub, — ich kenne davon fünf Hand- 
schriften: zu Maihingen, Fürstl. Ottingische Bibliothek, Mainz, 
Bischófl. Seminarbibliothek, Ulm, Stadtbibliothek, Sammlung 
Sehad und 2 Hdss. der Kgl. Bibl. Berlin — nicht jedes 
Wertes bar; stilistiseh ist sie hóchst ungeschickt, schon des- 
wegen, weil die Rolle des Hohenpriesters Karl V., die des 
Statthalters der due de Alba spielen muß.  Auffallen mag, 
daB sich diese Schrift auch als Pasquillus bezeichnet; am 
Schluß der Ulmer Fassung z. D. heißt es: „Der ander Teil 
der begrebnus steckt bei Pasquillauten in der Feder“, 


54 54 


In der Mainzer Fassung lautet diese Passion — in der 
Handschrift heißt es in alter Art „der“ Passion — also: 

(Mainz, Seminarbibl. Nr. 2.) 

Bl. 14. 


„Vnd die Bundtsgenoßen thatten wie Ihnen der Churfürst 
bevoblen hatt; da kam der von Wurttemberg vnd Schertlin 
mitt Ihrer Kriegsrüstung vnd namen dem König die Klaußen 
ein, auch dem Bischoff von Düllingen vnd bereitteten von 
Donauwördt biß vff Ingolstadt dem Churfürsten das Oster- 
lamm. Vnd da die Stund kam ließ sich der Churfürst mitt 
seinem fußvolkh zu Roß vnd fal nieder, vnd alle seine 
BundtsgenoDen mitt Ihm das Lamm zu ehen, vmb diber 
Warheit vnd ehrlichen bekendtnib willen, darumb ich dan 
otft angefochten vnd verfolgt worden, darumb bin ich in 
eigner persohn zu euch kommen Weib Kind vnd der(?) ver- 
laben eeh dann ich leid; dan wahrlich Sag ich Euch, dz 
Ich hinfürth nit mehr inn eigener person mitt euch elen 
wirdt, bib alles erfüllet wirdt, so zu der ehre Gottes an 
mir geschehen soll. Vnd er sprach wider: Ich sag euch 
Ich hab ein hinder mir verlaßen, welcher aueh wider vnser 
bekendtnuß ist, der wirth mich verrahten. Da wurden sie 
sehr betrübt vndereinander.. Da sprach ein ieder, Herr binn 
lehs? Er aber spraeh zu Ihnen: der mit der Hand von 
Jugendt auff an meinem Hoff in die schüssel gedunckhet 
hatt, den ich wie meinen eignen sohn vfferzogen hab, der 
wirdt mich verrathen, aber Ich beger darinnen in der Wahr- 
heit Gottes, wie mir Von ihm gebotten ist; doch weh dem 
menschen, dureh welchen Ich verrathen werd, besser er 
wer nie gebohren. Da andtwordten sie Ihme aber ein mahl. 
Vieleicht ist er Herzog Moritz? Er sprach aber: Ihr habens 
gesagt. Da sie aber aßen, nahm der Churfürst das brott, 
danckhet Gott dem Vatter vmb allr empfangene Wohlthatt, 
Und als er dz brot gebrochen hatt, gab er seinen bundts- 
verwandten: nemet hin von dißem brot der Trübsahl, den 
mein leib wirdt für euch dem Kayser vbergeben; darnach 
nam er dz Drinckgeschirr. danket vnd sprach: nemet hin 
vnd drinkhet alle darauß, dz ist der Kelch in meinem blutt, 
dz für eüch vergoDen würdt zu Vergebung aller eüwrer 
büberey vnd mißethatt so Ihr wider dem Keyser than haben; 
so offt ihr mitt einander trinckhen, so wöllen Ihr mein darbey 
gedenckhen, den Ich sag eüch fürwahr Ich wird hinfürth 
nicht mehr von dem Gewächß des Weinstocks mitt eüch 
frölich trinckben, bib an dem Tag, da ich von netem mitt 
euch trinckhen werd zu Augspurg in meines Vatters Reich; 
vnd da sie das Lobgesang vor Ingolstatt, mit den Car- 
thaunen, Schlangen, Falchhenet hin gesprochen haben, da 


55 55 


kam er für Ihnen an den Olberg. Es erhub sich aber ein 
Zanckh, vnder dem Laudtgraften, Schertlin vnd anderen 
Obristen, welcher vnder Ihnen für den höchsten gehaltten 
solt werden: der Churfürst sprach zu Ihnen, die von wegen 
des h. Euangeliums vnd der ehre Gottes streitten, die be— 
gehren groß Keyser, König vnd Herren zu werden, vnd die 
Vólckher zu heiben, solche heist man Gnedig Herren. Ihr 
aber nit also, sonder der groD Vnder eüch, soll sein wie 
der aller wönigst, vnd Ich als der fürnehmbst, wie der 
Diener, dan welcher ist der Gröbt, der da dient oder zu 
disch sitzt, ists nit also, der zu diseh sitzt. Ich aber bin 
mitten vnder euch, bin ein Diener mitt Hertzen vnd thatten, 
gern das best thun wolt. Ihr sindt die, die bifher beharret 
sindt bey mir in meiner anfechtung, aber hinfurth wan 
mich die Spannier vmbgeben. werden Ir mich verlaben, doch 
werden Ihr Sitzen vff den 12 stülen, vnd riehten die 12 ver- 
rütterisehe Geschlecht, so an vns meineidig vnd brüchig 
worden sindt; vnd der Churfürst spraeh zu dem Landtgraven: 
Sohn, der Teuftel hatt dein begerdt, dz er dich möcht reütten, 
den du hast mich schon verlaben, vnd Inn deinem Hertz bob 
wider mieh gedacht. Ich hab aber Treüwlieh für dieh ge- 
betten, dz dein starekher Glaub, vnd standthalftig gemüth, 
so du ettwan gehabt hast nicht vífhór; sihe die Trübsal 
wirdt auch vif dich fallen, doch wan du dich einsmahls 
beBerst. so sterckh du dein bruder, so gräßlich an dir gethan. 
vnd geergert haben; bin Ich docb herkommen alles das zu 
leiden, vnd zu vbersehen so dir zustehn wirdt, leh mitt 
dir in die gefangnuf) vnd tod zu gehn, aber der Hahn wirdt 
nieht krähen, bib, [15r] daß mich der von Wiirtenberg. 
pfalzgraf vnd Ulm zum dritten mal werden verleugnen; 
der Churfürst sprach zum gantz Kriegsvolkh. so offt Ich 
euch gesandt hab ohn desehen vnd ohn schuh, habt Ir ie auch 
mangel gehabt? Da andwurt Ibine der diener; da sprach er 
zu Ihnen: Wer hinfürder einen Seckhel vberkommen kan, 
der nem in auch, dergleichen [15 v] die desch derzu vnd lug, 
kauff Ihm ein schwerdt, denn Ich sag euch, wir haben noch 
viel in Sachsen zu schaffen, da wird an mir vollendet 
werden wie Gott verordnet hat, als dan wird ieh vnd die 
Vbelthäter gerechnet werden, den was D. Martin Luther vnd 
andere vorlengst von mir geschriben haben; darauff sie ge- 
sprochen: Es sindt noch zwey Schwert, das ein haben die 
Hubaren, das ander hatt der Graf v. ManDveld. Er aber 
sprach zu jhn: es ist genug. Vnd ging also hin in sein tod. 
Da kam der Churfürst zu den Reichsstetten vnd sprach: 
ha: t in dieDer nacht, eh ich gar in mein todt kommen wirdt, 
werd ir euch all an mir ärgern, an mir meincidiz werden 
von mir ab weichen vnd flihen, den es steth geschriben: Ich 


56 56 


werd den Hirtten schlagen vnd die schaff werden zerstreuwet 
werden; wan Ich aber in meinem tod widerumb vffersteh, so 
will ich euch vergohn in Galiläa da es euch auch soll hertz- 
lich reuwen, was Ihr wider mich gethan haben: Sie sprachen 
alle luth, wan wir mitt dir sterben sollten, so wollten wir 
dein nit gar verleugnen. In dem kam der Churfürst zu 
Leibzig in das feld mitt namen Gottfang, da sprach er zu 
dem Landtvolekh, lagert iuch in dieDer Stett, bib ich dorthin 
gang, rudlein Cum, vnd daselbst will ich Gott meinen himm- 
lischen Vatter vmb Sig vnd Vberwindung hertzigliehen bitten, 
vnd nahm zu sieh Hertzog Ernsten vnd Reckherot, in dem 
fing er an zu zitteren vnd zu zagen vnd sprach, mein Sehl ist 
betrübt bib in den tod, haltten euch hie ob Ihr ettwas furcht- 
bares ausrichten móechten, wachen. vnd haltten gutt wacht; 
er aber ging ein wónig fürbaß ein steinwurff weith gehn 
Altenburg, fiel vff die erd vnd bettet inniglichen von,hertzen 
in solcher seiner großen noth vnd sprach: Allmechtiger 
Gott, Ist es möglich so nim mein sund von mir, doch gescheh 
dein [16r] will. In dem sandthe Ihm Gott ein starckh glaub- 
hafftig Hertz vnd Vnuerbrandt gemtith in allem Anfechten, 
die er hatt, dz er im Will Gottes beharrtt; vif solchs bettet 
er noch weitter vnd hertziglich vnd mitt gantzem ergebenen 
Geist zu Gott den 1. psalmen Davids vnd er stund vff von 
altenburg auf dem gebett, Kam wider in dz feld zu seinem 
Kriegsvolekh; die fand er für Leipzich traurig vnnd schläffrig; 
da sprach er zu Ihnen: was schlaffen Ihr hie, mögen ir nicht 
ein stund mitt mir dz best thun vnd wachen, Wachen vnd 
betten, dz ir nicht in anfechtung fallen, mein Geist war 
wohl willig, aber dz fleisch ist schwach, darumb múben wir 
vff Göttlich hilf vnd beystand im Glauben beharren, vnd 
nieht zweitllen. Vnd der Churfürst ging nachmahl hin vnd 
bettet wider, vnd wie er Kam, fand er sein Kriegsvolckh 
zum andrem mahl schlaffen, vnd zum dritten mahl bib sie 
den Hohenpriester Carolum inn dz land kommen ließen. 
Wie er das vernahm, sprach er zu seinem Kriegsvolekh, nit 
schlaffen, dan er würdt vns vmb die Chur vnd vmb das land 
bringen vnd würdt kein wachen mehr heltfen, wo Gott nicht 
hilfft, denn die stund ist Kommen, dz Ieh vberandtwortet 
soll werden in die Hend der Hußahren, Spannier vnd Mama- 
Juckhen, sehen zu, der mich verrath, ist mitt den hußaren 
noch an die Elb Kommen. da der Churfürst solches geredt 
hatt, ging er herauf vber den bach Kedron (vernimbs die 
Elb) vnd lagert sich in einem gartten nicht weit von Wulber- 
gitz(?). Da kam vor tag der Verrütter Hertzog Moritz vnd 
mitt Ihm ein große schar der Hußaren, Spannier vnd Mama- 
lucken mit sehwerdter vnd kolben vnd des Hohenpriester 
Carolus gesandter; aber der Verrätter hatt ein Zeichen geben: 


57 57 


also welchen Ich Küßen würd, der ists! Greiffen in dapffer 
an; [16 v] von stund an trat er mitt den Hußaren vnd andern 
durch die Elb zu dem Churfürst vnd durch einen seiner 
Edelleuten, dem der Churfürst seinen pitschirring zu der 
gefangnub des Kaysers von der hand zog, gab Ihm den. 
Da sprach Hertzog Moritz: Meister, Gott grüß dich, du 
bist mein gefangener. Da andtwortet Ihm der Churfürst: 
Freind, warumb bistu also mit einem gewaltt mich zu suchen 
za mir kommen, da du doch an meinem Hoff aDest mitt 
mir das brot. Da legten die Hußahren die Hand an ihn vnd 
fingen ihn vnd einer auß des Churfürsten diener, der alda mitt 
Ihm, war allein bestendig, derselbig zuckt sein schwert, streckt 
sein hand auß vnd fochte ritterlich, also dz er des hohen- 
priesters Knecht Kopff, Ohren, Hand vnd Füß abhiewe. Da 
sprach der Churfürst zu jhm: thu das schwerdt an sein ort, 
dann es.hilfft nichts mehr, laB dir solches ein benügen sein, 
dan alle, die das schwert wider das Euangelium vnd wordt 
Gottes brauchen, die werden mit dem schwerdt der ewigen 
Verdamniß gerichtet werden, oder meinstu nicht, das es Gott 
vnserem himmlischen Vatter móglich wer, wen es Ihn Zeit 
hett gedunkt, er het vns wohl vor solchem mógen behaltten 
vnd behütten; warumb aber es nit geschehen ist? will Gott 
der allmechtig dem Hohenpriester Caroly vnd seinem anhang 
ein Zeit wie dem König Pharao Verhengnuß geben, bif zu 
der stund Gottes, dan es mub also sein vnd ist vns gutt zu 
vnserer Selen Heil. Da sprach der Churfürst zu der schabr, 
so jhn gefangen hieltten: Ihr seidt aubgangen als zu einem 
mörder mitt Verrütterey vnd arglistigkeit mit schwerdtern 
vnd spießen mich zu fangen, so Ich mich täglich aller billig- 
keitt |17 r] vnd gehorsam befliBen hab vnd geben was Gottes 
ist vnd dem Kayser, was des Kaysers ist! hab mich nichts 
nicht gewidert, auch ist mein lehr nit heimlich, sonder 
offentlich im tempel gepredigt worden. Ihr aber haben mich 
durch fürsichtigkeit vnd gewallt nicht gefangen, sonder Gott 
hat euch wunderbarlicher weiß verhenekhet, vf dz euwer 
Versteckter glaub erfüllt werd, weil ir vermeinen, mein Glaub 
sey wider Gottes wordt, deDen ir mich nit mitt heiliger 
Schrifft bezeugen können: In solchem verließe Ihn all sein 
Kriegsvolek zu Rob vnd [fuf vnd gaben die flucht. 
Die aber den Churfürsten gefangeu hatten, fürtten Ihn zu 
dem Hohenpriester Carolin, da dan die schrifftgelärten vnd 
die Obersten bey einander waren, Comfein folgt im von 
ferren nach biB in dem hoff des hohenpriesters Carolin vnd 
seine Obristen des Rahts der pharisaeer vnd schrifftgelertten 
erfreuweten sich dureh die gantze weltt mit freiden feur zu 
schießen vnd zu frolockhen seiner gefangnuD vnd suchten 
durch gemein auß falsche Zeugen, vff dz sie sein lehr 


58 . 58 


nemblich das wordt Gottes gantz vertruckten vnd zum tod 
brechten. f 

Da dratten herzu zwen falsche spitzbuben von Dillingen 
vnd der ander von Triendt; die sprachen er hett ein practica 
mit falscher lehr gehabt, vnd sagt, er wolt in dreyen tagen 
das Rómisch reich zerstören vnd wider vffrichten. Vnd der 
hohepriester stund vff vnd sprach zu dem gefangenen Chur- 
fürsten: Wie schön seit ir ietzund Kayser worden! Warumb 
andtwordtestu nit vif dife Zeugen, aber wie du verdient hast, 
also wóllen wir dich haltten. Er aber andtwortet vff dib- 
mahl niehts. Da spraeh der Hohepriester Carol wider zu 
jhm: bista noch der Meinung dich ein Kind Gottes mit deiner 
abtrunnigen [17 v] luttrischen Lehr durch eigen werkh vnd 
den Verdienst Jesu Christi zu nennen vnd nit darvon ab- 
weichen? Da sprach der Churfürst: Ich, ich bius vnd Ir 
werden Gottes sohn zur rechten bandt seines Vatters sehen 
Kommen in der Krafft vnd herrlichkeitt des himmels wolkhen 
zu richten alle die diber meiner lehr, dem Wordt Gottes 
zuwider geweben sindt, dureh die herrlichkeit seiner Glory. 
Da sprachen sie all, was bedürffen wir weiter Zeugnub, er 
ist ein Ketzer vnd hat Gott gelestert. Der Rómisch hauff 
verdambte Ihn vnd sprachen: er was des todes würdig, 
schlugen Ihn in sein angesicht vnd sprachen: welcher hat 
dich geschlagen, die Hufaren oder die Spannier. Aber 
pfaltzgraf Fridrieh sab draußen in des Hohenpriesters hoff 
bey dem Feur zu schwäbischen Hall vnd es drat zu Ihm 
der Bischoff zu Arras vnd sprach: Du warest auch bey 
dem Churfürsten von Saxen! er leugnet vnd sprach, er 
kenne Ihn nitt. Ich weib auch nit, was er sagt. Als aber 
der von Würzburg gehn Ulm zu dem Hohenpriester Carolin 
kam, sahe in ein Graff vnder andern, des Hohenpriesters 
diener, der sprach zum Duca de Alba. Diber wird auch zu 
Dilingen vnd zu Heilerim (muD Heilbron sein) bey dem 
Churfürsten geweßen sein. Er aber schwur vud sprach: Ich 
kenn den fürsten nit. Vber ein Kleine Zeitt dratten herzu 
alle Oberländische Stett, eine nach der andern sich bey dem 
Spannischen feur zu Wermen, dz in des Hohenpriesters hoff 
angezündet war. Da sprach des Hohenpriesters diener zu 
der Stadt Ulm, die dan das Haubtpaner fürth: Warlich Ihr 
Städt warend auch Churfürstlich, dan Euwer Saxische red 
euch verrathen. Vlm aber hub an sich zu verfluchen vnd 
schwehren, fürwar |18r] vnser hertz ist nie am Churfürsten 
gehangen. Desgleichen thatten auch die andern Stett mitt 
schwehren. Von stund an da kriihet der Hahn. Da gedacht 
Augspurg an die wordt, die der Churfürst zu Ihnen mit 
treuwen hertzen vnd festem Glauben geredt hatt vnd ging 
hinaub vnd weintten bitterlich vnd gedachten erst was sie 


59 59 


zu Gott vnd dem Churfürsten geschwohren hatten vnd ver- 
bunden gewesen mitt eide. 


Vnd am morgen vor Wittenberg im feldlüger vbergübt 
der Hohepriester mitt den Eltisten, Obersten vnd schrifit- 
gelerten mitt sambt dem gantzen Römischen Hauffen den 
Churfürsten, damitt sie Ihm zum tod hültfen, rathen vnd 
fürderten Ihn den zu vberandtworten dem Landpfleger Duca 
de Alba. Vnd der Landpfleger fragt den Churlürsten: Bistu 
sehuldig an allem dem, das sie dich bezeugen vnd beklagen: 
nemblich das du gebotten hast dem Kayser nit gehorsam zu 
sein? Vnd Ihme den ZinBpfennig nit zu geben. Heltst dich 
ein Obristen der Schmalkaldischen zu sein, dz ist ein König 
der Gutten. Er andtwortet Ihme. Du sagts, aber dem 
Kayser gehorsam zu sein mehr dan den menschen bin Ich 
zu wider geweben. Da sprach der Duca de Alba zu dem 
Kayser vnd dem gantzen Volekh. Fürwahr, Ich find kein 
Vrsach an dem menschen, Sondern Ich haltt in für ein 
frommen redlichen vnd ehrlichen fürsten. Aber der gantz 
Antichristisch Hauff schreyen: Wüßt ir nit, das er dz gantz 
Volekh mitt seiner lehr gantz auffrührisch gemacht im gantzen 
land von Halilea bis hieher. Da solches Duca de Alba hóret, 
fragt er den Churfürsten, ob er auß Meißen wer. Da audt- 
wortet er Ihm: er wäre von Gott zu einem Christen ver- 
ordnet. Da Duca de Alba, welcher in denselbigen tagen 
auch zu Wüttenberg war... Da aber der Römisch König den 
Cburfürsten ersah war er sehr froh, den er hatt vor Ingol- 
statt von jhm hören sagen. vermeint auch ein zeichen von 
Ihm zu sehen vnd fragt ibn, warumb er ihn solang nit für 
ein Römisch König hatt wollen erkennen vnd sich debelbigen 
gewidert, auch [18 v] fragt er Ihn sonst mancherley. Er aber 
gab Im gar kein andtwort. Da stunden sie alle vmb jhn 
vud verlachten Ihn hefftig gegen dem König vnd zogen Ihm 
seine Kleider aus vnd dieselbigen in i!) einer dem anderen 
zum beutpfennig vnd legten Ihm ein Weiß Kleid an, sandten 
Ihn wider zu Duca de Alba; vff den tag ward der König 
aus Dünnemarkh vnd der Kayser freind, die vorlang feindt- 
schafft gehabt hatten. 


Da aber Hertzog Moritz sah, der Ihn verraten hatt, dz 
er also in vnschuldiger gewaltiger gefangnuD war, reuwet 
es [hn von hertzen vnd hett gern gewollt, dz er die 30 Silber- 
ling von dem Hohenpriester Carol vnd den Elttisten zu 
Regenspurg nit genommen hett; an dieDem seinem Vatter, 
der in dan als sein eigen Kind erzog vnd Ihm vil treuw 
hewißen: darumb jhm Gott sein Hertz vnd gewiDen genommen, 
dv er nuhn hinfür kein ehrlichen mann mit vffrechten Kopf 
anschauwen darf. 


60 60 


[18v] Vnd der Landtpfleger Duca de Alba fragt den 
Churfürsten wider vnd sprach: Der Kayser vnd alles Volckh 
hatt dich vns vberandtwordt, was hastu doch gethan dz man 
dir so feind ist? Darauff andtwortet Ihm der Churfürst: 
Mein Reich ist nicht zu meiner selligheit von dißer weltt, 
den es ist mir von Gott nitt befohlen, dz ich’mich dem Anti- 
christischen hauffen entzih vnd sein Gebott veracht; den wer 
mein Reich von diber weldt, so hett ich gleich die Meyßnerey 
vnd bubenstuckh Können treiben als andere, wolt auch dem 
nicht vberandtwordtet vnd verathen worden sein; dieweil 
aber mein Reich nicht von dißer Weltt ist, so ist mir besser, 
das ich diß alles verlihr dan das ich von der Ewigen Wahr- 
heit abwich vnd menniglich ein ärgernuß geb. Da sagt 
Duca de Alba. So höre ich wohl, du bist Luterisch? Da 
sprach der Churfürst: Ich bin ein Christ vnd darzu gebohren 
vnd in die Weltt kommen; darumb Ich mitt hertzen vnd 
mundt auch Leib vnd Blutt die Wahrheit bezeugen soll; den 
wer auß der wahrheit ist, der liebt die Wahrheit. Vnd weistu 
nit, sprach der Churfürst zu Duca de Alba [19r]. das kein 
ding größer vermaledeyet ist, dann die Wahrheit. In dem 
ging Duca de Alba wider herauber vnd spraeh abermahl 
zu dem Volkh: Ich find kein schuld an Ihm, sonder Ich 
haltt jhn für ein frommen. standhaftigen Fürsten, der vmb 
der wahrheit willen gern alles leiden will, was Ihm gott 
zusendt. Es war aber ein gewohnheit, dem volkh ettliche 
gefangene loĝ zu lassen welchen das Volekh begertt, Es 
waren aber zu derselbigen Zeitt ettliche GroDe Herrn ge- 
fangen, nemblich Hertzog Heinrich von Braunschweig., Mordt- 
brenner vnd Marckgraff Albrecht von Brandenburg, ein strassen- 
riuber; vnd der Landgraff von Leuchtenberg vnd sonst ein 
Vhelthäter. 

Da sprach Duca de Alba zum Römischen Volekh: welchen 
wolt Ihr, den Ich Euch loß geb: Barrabam oder den Chur- 
fürsten? dan er wust wohl, das Ihn Hertzog Moritz auß 
falschem Neid vberandtwortet hatt. Das Römisch Volkh 
schrey mit lautter stimm: Laßet vns Barrabam den Magd- 
brenner ledig, und den Churfürsten ereutzigen. 


Da sprach Duca de Alba: was hatt er doch Vbels 
gethan, das Ich den Churfürsten des Römischen Reichs 
creutzigen soll. Sie aber schreyen noch vil mehr mit lautter 
stimm: kreutzige jhn, creutzige ibn, dan Wo du dz nicht 
thettest, so werstu nit ein freund des Römischen Bischoffs 
zu Rohm. Da er solches höret, ging er in dz Richthaus vnd 
vberandtwortet den Churfürsten dem Römischen Kriegsvolkh. 
Die floehten Ihm ein dörnene Kron der lesterung, die satzten 
sie vif sein haubt, legten Ihm ein purper kleid an der 


61 61 


Vnkhern an, rieffen(?): sey gegrüßet Lieber Obrister der 
luteraner? Da fürth in Duca de Alba herauß vnd sprach zu 
dem Volkh: Ieh Kann kein Schuldt an Ihm finden vnd sprach 
allein zu Im Eece homo. Da schrauwen die hohen priester 
vnd Eltisten des Volkhs: Kreutzige, creutzige Ihn. 


Da aber der Hohepriester vff dem Richtstuhl saß, will 
er in sachen handlen, da schicket der Bohem zu Im sprechend: 
[19 v| hab du nichts mit dibem gerechten zu schaffen, den 
wir vihl im traum von seint wegen erlitten haben; da aber 
Duca de Alba dz hort, dz er nichts schaffen mocht, setzt er 
sich nider vnd verurthelt Ihn, vff dz Ihr schreyen erfült 
wijrdt. Da ward der Mordbrenner vnd Strabenreuber ledig, 
aber den Churfürsten gab er seinen Spanniern, dz sie In zu 
gefangnuD bib vf diße stund bewahrenn sollten, vff dz er 
genug gecreutziget vnd geplagt würd. 

Die Churfürsten des Reiehs namen Wafer, wuschen Ihre 
Hend, vnd sprachen: wir sindt unschuldig an dibem gerechten, 
doch sehen aber zu, die Ihn verraten haben. Da schreyen 
die Bisehóff vnd alle derselbigen anhang: sein blutt kom 
vber vnB vnd alle vnsere Nachkommen; vnd als sie Ihn hin- 
fürrtten zur Scheitelstat gehn Augspurg, ergreiffen sie einen 
mitt namen Pfalzgratf Ott Heinrich, dem legten sie als Simon 
das Kreutz vff, das er es dem Churfürsten nachtrüg. Es 
volgten aber allenthalben nach ein große schahr, wo 
man Ihn durch ein Statt oder Fleckhen fürth, Weib vnd 
Kindt schreven vnd elagten vber Ihn. Er aber wendt sich 
vif vff dem Wegen vnd sprach zu Ihn: Ihr töchter Syon auf 
den Reichstetten, weint nit vber mich, sonder vber euch 
selbs vnd vber ewere Kind, den Sihe es wirdt vnd ist schon 
bie in welchem man wirdt sprechen, Selig sind die Unfrucht- 
baren vnd die leib, die nicht getragen haben. Den werden 
Ihr ansehen vnd sagen zu den bergen: fallen vber vns, das 
wir die grobe schmach vnd sehand der Spannier nit sehen; 
den so man dz thutt an den Gläubiren, was will dan Gott 
an den \ngläubiren thun; die dan Ihr die Vnglüubigen sindt, 
vnd also wirdt auch mitt Ihme hingefürth zwen Vbelthiiter, 
nämblich der Landgraf zu Hessen vnd die Statt Magdeburg. 
Der Churfürst sprach: Allmechtiger Gott vnd himmlischer 
Vatter: Vergib allen denen, die wider dein göttlich Wort 
streitten dan sie wiDen nicht. was. sie thun: Es waren aber 
seine Kleider vnd leutt zetheilt vnd. das lob vber die 
fromme [20 r] gewortfen, vtt das erfüllt wird, dz da ist durch 
D. Martbin Luther gesagt. Sie werden dz vnsehuldig land 
vud leutt vnder Verräter teilen vnd die bößewicht werden 
dz lob die frommen . . . (sie! Vnd die hohenpriester vnd 
Nehritlzelertten mittsambt dem Römischen hauflen verspotteten 


62 62 


ibn, wie auch die teuschen Kriegsknecht vnd das von Madrutz 
Regiment bracht mitt verspottung eBig vnd Gallen, dan welcher 
zum spöttlichsten reden kundt, der ward der best geacht. Es 
ward aber ein Vberschrift vnd wahrhaftige bekendtnuß durch 
gemeines auch von seinem eignen feind vber sein Kreutz vnd 
leiden geschriben, Hebreisch, Kriechiseh vnd lateinisch durch 
die gantze Weltt auch alle Nationen: Hertzog Hann Friedrich 
der Eltter in Sachben, das ist sovil gesagt, der fromm, vn- 
schuldig, redlich. standhaftig vnd gerecht Churfürst. Solche 
Vbergeschriflt lassen vil Teutseher Mann vnd Mamalueken, 
die sprachen zu dem von Alba: laßen nieht schreiben. der 
Eltter, vf dz man nieh gedenkh. er sey der recht vnd 
wahrhafftig Churfürst zu Sachsen, so wir keinen anderen 
Churfürsten kennen, dan Hertzo; Moritzen. Er aber sprach 
zu Ihnen: was gesehriben ist, dz ist geschriben. 

Aber der Vbelthetter von Heben, der mit Ihme gecreutzigt 
ward, lesterte Ihn vnd sprach, vnd du woltest vor Ingolstätt 
schlagen, hilff dir ietzt vnd mir auch. Da andtwortet der 
ander Vbelthätter Magdenburg vnd sprach zum Landtgraften: 
Ich sihe wohl, du fórehtest dir nicht vor Gott vnd dem 
frommen  Churfürsten, den du vor Giengen dem Kayber 
vberantvorten hast, welcher ime sein hant versprochen, 
der du doch in gleicher verdamnuf) bist; dan wir emphahen 
der thaten wert vnd sindt zwar billig vnd sonderlich in der 
gefangnuß, diber aber hatt nichts vnredlichs gethan. Da 
sprach Magdenburg zu dem Churfürsten: Herr, gedenkh mein, 
wann du kombst in dein land, dan Ieh vnd Bremen haben 
treuwlieh an dir gehandlet. Vnd der Churfürst |20 v] sprach: 
warlich, warlieh, wer bebarret bib an dz end, der wirdt 
seelig. Vnd da es vmb die 6te stund war, kam ein Finster- 
nub vber dz gantz Concilium zu Triendt, dz sie verblendt 
vnd das Wordt Gottes nit sehen mochten biß vff die 9 stund. 
Vnd die Sonn der Wahrheit verlor Ihren schein vnd der fürbang 
des Tempels rib mitten entzwey. Da schrey der Churfürst 
lautb vnd sprach: O mein Gott, wie gar bin ich von Menschen 
verlaben. Etliche die das hortten, sprachen, er rufft weitter 
vmb hilff In sein land. Vnd als er weitter schrey, mich 
dürst hart nach dem wahrhafltigen wordt des allerhöchsten, 
da vermeinten sie, es dürst Ihn nach der Chur. Er aber 
sprach: es ist alles vollbracht, was Gott vber mich verhengt 
hatt, vnd sprach mit willigem gemütt: Ich befehl mich, mein 
land vnd leut, hab, ehr, leib vnd guth in die hendt meines 
herren vnd Gottes, neigt sein haubt, gab die Chur, Land vnd 
Leuth dem Kayser auff, aber der Meister de Compe vnd alle 
die vmb Ihn waren, die Ihn bewahreten, da sie sahen all 
sein bestendigkeit vnd dz er also bestendig alles vber- 
gab, Sprachen sie alle: Warlich er ist ein frummer Ebrlicher 


63 63 


vnd redlicher first, desgleichen sagten alle Spannier vnd 
Kriegsvolkh vnd die herren förchten Ihnen vnd schlugen an 
Ihr brust vnd der von Bayren wandte sich vmb vnd redt mit 
Ihnen, vnd die vor seine große feind waren geweßen, die 
fingen an Ihn zu trósten (?) von aller seiner Trübsal vnd 
preisten Gott seinen Herrn. 

Hie endet sich diefer Passion, dan von seiner auff- 
erstehung vnd begräbnuß noch nichts zu schreiben, bib es 
Gott nach seinem Willen verordnet.“ 

Wie beliebt noch diese ernsthafte Form gewesen ist, 
beweist auch die handschriftlich erbaltene (Ulm, Stadt- 
bibliothek, Sammlung Schad Nr. III), dem Jahre 1606 ent- 
stammende Passio domini nostri Sigismundi Tertij Regis 
Poloniae secundum eius servum et fidelem subditum Domino 
suo compatientem. 

Daraus eine kurze Probe! 

n illo tempore videlieet 30. Julij Anno 1606 dixit Rex 
Senatoribus suis, quia post sextiduum Rokosch fiet, et filius 
hominis Regis Sueciae demortuj, Rex Poloniae, columniatur, 
ut Regno suo privetur et oecidatur. Tune congregati sunt 
Principes Rokossanorum, et praecipua capita Haereticorum 
senioresque populi sedueti ab ipsis, in locum destinatum, qui 
dicebatur Pokrzyconica, et consilium fecerunt, ut illum dolo 
tenerent et Regno spoliarent aut occiderent . . . 

Schluß. Cui tot passus ab istis Rokossanis 

Rex pientissime miserere nobis. 
Rex 


878010 


Rocossani Libertas Aquitas Res publica 


seyinbryuy 


Regnum. 
Qui legit, intelligat, Rokossani, Respublica, Regnum, consurgunt 
adversus Regem. Libertas, Æquitas, Antiquitas adversus Potes- 
tatem ne Hercules quidem adversus tuos. 


64 | 64 


Aber noch aus der Zeit des dreiDigjührigen Krieges 
finden wir Beispiele dieser Art; in der Sammlung von Opel 
und Cohn (Der dreißigjährige Krieg. Eine Sammlung von 
historischen Gedichten und Prosadarstellungen. Halle 1862) 
treffen wir aus dem einen Jahr 1621 nicht weniger als drei 
Darstellungen dieser Art an. Sie sind vom Herausgeber be- 
zeichnet als des Pfalzgrafen Versuchung; Evangelium Johannis 
am ersten Kapitel; Der Pfalzgraf im Gefángnib des Elends 
(Nr. 22, 22a, 23). 

Die Neuzeit, die ans der Fülle literarischer Einkleidungen 
politischer Fehdeschriften nur so weniges gerettet hat, hat 
auf dieses wirkungsvolle Motiv der Passion, so seltsam es 
uns auch anmuten mag, nicht verzichten wollen. Noch in 
einer Flugschrift vom Jahre 1758 begegnet es; ja sogar 
noeh 1807 wird König Friedrich Wilhelm II. mit leisen 
Wandlungen des evangelischen Berichts ebenfalls als Kreuz- 
träger dargestellt. 

(Berlin, Kgl. Bibl, Flugschriften 1807, 2.) Das Ende 
aber lautete: 


„. .. und siehe der Vorhang der preußischen Monarchie 
zerriß mitten entzwey, nämlich von oben der Quer an bis 
unten an die Elbe, der geheimnißvolle preußische Friedens- 
Knote zerparstete; jedes preubische Herz bebte und die 
physiseh toten Leiber der Ausgewanderten alle, die gehofft 
hatten, stunden auf und traten in England aus den Winkeln 
hervor, erschienen ihren Freunden und Anverwandten, darnit 
sie aufgenommen würden, aber auch alle Zeitungsschreiber 
und politische Kannengieber riefen einstimmig aus: Es ist 
vollbracht! und beym letzten Stoß ruft ein pohlnischer Magnat 
seinen Landsleuten zu: Der größte, der weiseste und gerechteste 
Heerführer ist Napoleon der Grobe und Siegreiche!“ 

Nachschrift. Goedeke, Grundriß II? S. 157 Nr. 8 erklärt 
Luthers Passion als gegen Luther gerichtet. Das ist unrichrig. Im 
cod. Ms. Germ. 8% 267 der Kel. Bibl. zu Berlin findet sich sowohl 
die Passion Luthers als die des Kurfürsten Johann Friedrich; es tragen 
auch alle übrigen Stücke dieses Sammelcodex einen ausgesprochen 
antipiipstlichen Charakter, — Janssen, Geschichte des deutschen Volkes 
VI 13, 14 S. 129 Anm. 1 verweist auf die zeitgenössischen Gemälde: 
Luther erscheint als Heil. Petrus oder als Lucas, Melaıchthon als 
Marcus, Kurfürst August als Christus selbst. Cornelius Ketl verfertigte 
ein Abendmahl mit den Bildern von zeitgenössischen Künstlern und 
Kunstfreunden. 


Gerard Geldenhauer, 
ein unbekannter Erziehungstheoretiker 


der Reformationszeit. 
Von Dr. Remigius Stölzle. 


Gerard Geldenhauer, geb. 1482, in der Fraterschule des 
Alexander Hegius und an der Hochschule zu Löwen gebildet, 
später Mitglied des Ordens der Kreuzbrüder, dann Kaplan 
am Hofe Karls von Österreich in Brüssel, darauf Sekretär 
des Bischofs Philipp von Burgund zu Utrecht neigte zur 
neuen Lehre und schloß sich, nach einer Reise im Jahre 1525 
zu Luther in Wittenberg, auch der Reformation an. Er lebte 
dann, um Verfolgungen zu entgehen, in Worms, wo er sich 
verheiratete, und ernährte sich mühsam durch Unterricht in 
Straßburg. 1531 wurde er als der erste Rektor an das 
Gymnasium St. Anna in Augsburg, 1532 als Professor der 
Geschichte an die Universität Marburg berufen und lehrte 
seit 1534 dort auch Theologie. An der religiösen Bewegung 
seiner Zeit hatte er großen Anteil. Er starb 1542 an der 
Pest. In der Geschichte der Wissenschaft hat er sich einen 
Namen gemacht als Historiker und als Apologetb. Nicht 
bekannt ist aber, daB er auch als Erziehungstheo- 
retiker auftrat. Ich habe wenigstens in der mir zugäug— 
lichen Literatur nirgends eine pädagogische Schrift von ihm 
erwähnt gefunden. Auch Mertz in seinem wertvollen 
Werke: „Das Schulwesen der deutschen Reformation im 
16. Jahrhundert (1902)“ erwähnt ihn nicht. Und doch 
existiert eine solche pädagogische Schrift von ihm, welche 
ihm auch in der Geschichte der Pädagogik einen 


1) Nach der allgemeinen deutschen Biographie und Van der Aa: 
Biographisch Woordeubork der Nederlanden, Zevende deel (1862), 
S, 77—79. S. auch Crophius: Kurtze... Erzehlung vom Ursprung 
. des Gymnasii zu St. Anna in Augspurg 1740, S. 105—13. 

Arehiv für Reformationsgesohichte. XIV. 1. 5 


66 66 


wenn auch bescheidenen, aber immerhin bemerkenswerten 
Platz sichert. Es ist das die Schrift: „Institutioscholae 
Christianae, autore Gerardo Geldenhaurio Noviomago, 
Frankforti apud Christianum Aegenolphum“ ), die, wie es 
am Schlusse der Schrift heißt: „Anno MDXXXIIII Mense 
Septembri“ verfaßt ist. Die bisher unbekannten päda- 
gogischen Anschauungen Geldenhauers sollen nach dieser 
Sehrift im folgenden dargestellt werden. 


Über die äußere Anlage der Schrift, die 9 cm 
breit, 14 cm hoch und abgesehen von der Signatur A 2—5 
und B—B 5 unpaginiert ist, ist zu sagen: Sie wird erüffnet 
mit einer Epistel an den ihm befreundeten Verleger 
Christian Egenolf (so!), darin bittet. er ihn, diese für 
den Augsburger Patrizier Virsung ursprünglich entworfene 
Sehrift entweder herauszugeben, wenn sie ihm dessen wert 
erscheine, oder andernfalls sie ungedruckt zu lassen. Im 
ersten Fall aber soll der Verleger sich mit dem gemein- 
samen Freund Johannes Fichard?) beraten und nach Belieben 
ándern, wegnehmen oder zusetzen, in jedem Fall aber soll 
er für eine fehlerfreie Ausgabe sorgen. Dieser Epistel folgt 
ein Widmungsschreiben an den Augsburger Patrizier 
Christophorus Virsung, einen ebenfalls zur neuen 
Lehre tübergetretenen Freund humanistischer Studien, der 
für Erziehung seines Sohnes Philipp in christlicher Frömmig- 
keit und schöner Literatur eine Art Formel christlicher Er- 
ziehung von Geldenhauer erbeten hat. Geldenhauer erklärt. 
sich bereit, seinem Freunde, dem er alles verdanke, diesen 
Wunsch zu erfüllen und weist auf die Schwierigkeit des Unter- 
nehmens hin und empfieblt besonders Otto Brunfels®), doch will 
er Virsung zu Willen sein mit einer Zusammenstellung von 
Stellen aus Quintilian, die für Kindererziehung besonders 


1) Ich habe mir die Schrift auf der großherzoglich hessischen 
Hofbibliothek in Darmstadt vor einigen Jahren notiert. Für die 
freundliche Übersendung der Schrift an die hiesige Universitätsbibliothek 
sage ich hier besten Dank. 

*) J. Fichard, geb. 1512, Rechtsgelehrter und Syndikus zu 
Frankfurt a. M., + 1581. 

3) Brunfels (ca. 1484— 1534) schrieb: Aphorismi institutionis 
puerorum 1519. 


67 67 


notwendig sind. Nach Anführung der Lobsprüche des jüngeren 
Plinius und Martials auf Quintilian als Püdagogen folgen in 
Großdruck, teils wörtlich, teils etwas abgeändert, Stellen 
aus Quintilian ohne nähere Angabe von Buch und 
Kapitel und Paragraph und zwar: 1. über Heiligkeit des 
Elternberufs *), 2. über Ammen?), 3. über ungebildete Eltern)), 
4. über die Zeit zu lehren“), 5. über Spiel- und Studien- 
genossen’), 6. tiber Pädagogen®), 7. über Beginn des fremd- 
sprachlichen Unterrichts?) 8. tiber die Übung?) 9. tiber 
Sittlichkeit?), 10. über Lehrer!?) 11. über Unterrichtsfächer, 
Auswahl der Autoren und Schulordnung +’). 

Diese Stellen, die wir in Anmerkung mit Anfangs- und 
Schlußwort bezeichnet haben, begleitet nun Geldenhauer in 
Kleindruck mit Anmerkungen, welche Erläuterungen der 
Quintilianischen Stellen, meist aber Geldenhauers Anschau- 
ungen tiber pädagogische Fragen enthalten. 

Diese, in den Anmerkungen zerstreut geäußerten päda- 
gogischen Ansichten Geldenhauers fassen wir zusammen und 
stellen zunächst dar, was er über häusliche Erziehung und 
dann, was er über Schule und Unterricht gedacht hat. 

1. Für die Familienerziehung betont Gelden- 
hauer wie Quintilian Notwendigkeit und Nutzen der Bildung 
für die Eltern. 


) Quintilian I, 1, 1: nato — fiet. 

2) Qu. I, 1, 8—4: protinus — ratio est. 

5) Qu. I, 1, 6: In parentibus — loquor. 

*) Qu. I, I, 16: nullum tempus — voluit; ab illis — iudicat; 
I, 1, 19: non ergo — tenacissima est; J, 1, 20: instandum — operam; 
lusus — laudetur; praemiis — evocetur. 

5) Qu. I, 1, 7: de pueris — educabitur; idem — sit. 

) Qu. I, 1, 8: de paedagogis — perdocent. 

” Qu. J, 1, 12: a sermone — perhibet. 

5) Qu. proemium 26: Illud — natura; 27: sicut et — prosunt. 

) Qu. I, 2, 3: Si studiis — viderentur. 

10) Qu. I, 2, 5: Si bona — licet; II, 2, 2: magistrum oportebit; 
IT, 2, 3: et maior — deterreat; II, 2, 4: sumat — animum; II, 2, 5: 
non austeritas — comitas; I, 1, 31: repetere — non properare; I, 1, 35: 
ii versus — monentes; I, 3, 14: nec opus — exstiterit; I, 1, 28: 
studiorum initia — tractari. 

11) Qu. I, 8, 4—5: Vetera — legentur; I, 8, 6: his — elegeris; 
1, 8, 6: Horatium interpretari; I, 8, 6: Elegia — reserventur; I, 8, 7: 
comoedia cum mores — erit; I, 8, 8: pueris — praelegenda. 

5% 


.68 68 


Sehon um der Kinder willen sollten die Eltern gut und 
gebildet sein wollen, da sie doch nur den Ruhm ihrer Kinder 
‚wünschen. Von nichts hätten die Eltern mehr Vergnügen, 
als wenn sie ihre Kinder geehrt und empfohlen sáhen, denn 
Tugend und hervorragender Geist werde als Erbteil der 
Eltern angesehen, wofür auf Horaz (Oden lib. IV, 4, 29—42) ` 
verwiesen wird. Daher sollten Eltern nach Bildung streben, 
damit sie selbst haben, was sie ihren Sóhnen wünschen. 
Davon werden die Eltern dreifachen Vorteil haben: durch 
ihr Beispiel werden sie die. Kinder aneifern, wie Wilhelm 
Budaeus!) bloß durch das Beispiel seines Vaters zu höheren 
Studien begeistert worden sei; dann könnten gebildete Eltern 
besser als andere gute und gebildete Lehrer auswählen und 
die rechte oder falsche Lehrweise beurteilen. Endlich kónnten 
sie im Notfall den Unterricht ibrer Kinder selbst übernehmen. 

Den Vorteil der Bildung für Kinder beweise der Friese 
Johannes Canter?) aus Groningen, der seine ganze Familie, 
Söhne und Töchter, in wenig Jahren durch seinen Unter- 
richt zum Gegenstand der Bewunderung der ganzen christ- 
lichen Welt gemacht habe, wofür der von Geldenhauer mit- 
geteilte Brief Kaiser Friedrichs III. vom 25. Januar 1472 an 
Andreas Canter?) Zeugnis ablegt. Den Vorteil der Bildung 
beweise dann Conrad Peutinger, der Sóhne und Tóchter und 
Frau so unterrichtet habe, daß er nun Enkel und Enkelinnen, 
besonders aber seinen Sohn Claudius Pius durch Bildung 
und Sitten ausgezeichnet sehe — und das „nostro saeculo 
alioqui corruptissimo et in quo rectissime locum invenit 
illud Juvenalis: ... Res nulla minoris — Constabit patri 
quam filius.“ 

Um so mehr beklagt er die Vernachliissigung der wissen- 
schaftlichen und sittlichen Bildung seiner Zeit. Gerade die 
Kinder gebildeter Viiter werden nachlissiger und nachsichtiger 
als andere Kinder erzogen. „Tanta est saeculi nostri perversitas, 


1) Budaeus (1167—1510). Hervorragender französischer Ge- 
lehrter. 

7) Canter, Johannes, hatte als Söhne Jacob, einen berühmten 
Dichter, und Andreas (s. A. J. van der Aa, biogr. Woordenboek). 

3 Canter, Andreas, geb. 1463 zu Groningen (nach A. J. van 
der Aa, biogr. Woordenboek). 


69 69 


tanta caecitas“. Darum hält Geldenhauer den Zeitgenossen 
das Beispiel der Heiden vor, die, wie z. B. so wenig bemittelte 
Väter wie der Vater von Horaz (Sat. I, 6, 71—72, 76— 77, 
88) oder von dem hl. Augustin, besser ftir Erziehung ihrer 
Söhne gesorgt hätten. Dabei gedenkt er dankbar der Auf- 
wendungen seines armen Vaters für sein (G.s) Stadium. 

Besonders aber liegt Geldenhauer die sittliche Er- 
ziehung der Kinder am Herzen. In -dieser Hinsicht mahnt 
Geldenhauer im Anschluß an Quintilians Vorschriften über 
die Wahl der Ammen die Familienväter, auf die sittliche 
Qualität der Knechte und Mägde zu sehen und selbst mit 
Frau reine Sitten zu haben. Freilich entlockt ihm der Blick 
auf die Gegenwart den bittern Ausruf: O mores? O tempora? 
Quae ethnicorum praecepta? Quae Christianorum vita? 

Noch mehr aber als die sittliche betont er die religiöse 
Erziehung. Er erinnert an die heilige Geschichte, derzufolge 
Eltern schon vor der Geburt der Kinder bedacht hätten, wie 
die Kinder möglichst zur wahren Religion erzogen werden 
könnten, und verweist auf das Beispiel der Mutter Anna bei 
Samuel. Ja, er dringt darauf, daß diese religiöse Erziehung 
möglichst früh beginne. Der christliche Knabe soll schon 
in der Wiege Hände und Augen zum Himmel erheben lernen, 
den himmlischen Vater eher als den irdischen anzurufen sich 
gewöhnen. Den Namen des Erlösers Jesu Christi soll die 
stammelnde Zunge anrufen. Das Vater unser, das apostolische 
Glaubensbekenntnis, die zehn Gebote soll der Knabe, wenn 
nicht mit Worten, wenigstens mit versuchender Gebärde mit 
andern oft hersagen. Das und ähnliches erreiche er bloß 
mit dem Gedächtnis. 

2. Weit ausführlicher handelt Geldenhauer tiber Er- 
ziehung und Unterricht in der Schule. Was 
die erstere betrifft, so spielt sie natürlich bei Geldenhauer eine 
Hauptrolle. Wie Quintilian!) will er Sittlichkeit höher 
stellen als Studien. Er mahnt wie dieser (Quintilian I, 1, 7) 
zur größten Wachsamkeit in der Auswahl der Spiel- und 
Studiengenossen zu Hause und außer Haus, da der Knabe 
eher die Sitten dieser als der Eltern oder Lehrer nach- 


1) Quintilian: Inst. or. I, 2, 3, 


70 70 


zuahmen pflege. Dabei weiht er seinem Vater ein Wort des 
Dankes, der ihm in Franziskus Cranefeld *) einen unschuldigen 
und sittenreinen Jüngling als Studiengenossen gab, und ge- 
denkt auch dieses Kameraden, jetzigen Senators in Mecheln, 
und dessen Vaters mit hoher Dankbarkeit. Die Schüler sollen 
zu Bescheidenheit besonders in der Óffentlichkeit, zur Liebe 
gegen die Eltern, zu Achtung vor den Lehrern, zu Ehrfurcht 
gegen Hóhere, zu Freundlichkeit gegen gleich und nieder 
Gestellte ermahnt werden. Verwünschungen, Lügen, Schwören 
sei Sünde. Geldenhauer hált sogar eine zweimalige Prüfung 
in der Woche tiber Fortschritt in Sitten für nützlich. 

Nicht weniger will Geldenhauer religiöse Erziehung 
gepflegt wissen mit Lehre und Übung. Jede Lektion soll mit 
Gebet (Vater unser oder Psalm oder Hymnus von Prudentius) 
beginnen und mit einem Hymnus schließen. An Sonntagen 
sollen die Knaben den Eltern oder Lehrern in die Kirche 
oder zu heiligen Ansprachen eilig und munter und bescheiden 
nachfolgen. So klein und unwissend sie auch seien, sie 
hören doch immer etwas, was sie zu Hause erzählen können, 
was Geist und Sitten und Gedächtnis nicht wenig unterstütze 
und befürdere. Eltern, Pädagogen und Lehrer sollen den 
reinen Kindergemütern oft Anschauungen und Aphorismen 
einflößen, welche eines christlichen Herzens würdig seien 
so daß sie die Scylla und Charybdis der Heiden und Ketzer 
vermeiden können. z. B. der eine Gott sei der Schöpfer 
aller Dinge, ihr Ordner und Erhalter, ohne dessen Ratschluß 
nicht ein Haar von, unserem Haupte falle, oder Sátze über 
die Erlösung durch Christus, über die unverletzliche Autorität 
der heiligen Schrift. Solche Aphorismen bieten zahlreich 
des Erasmus Schriften. und Martin Cellarius?) in seinem 
goldenen Büchlein: De operibus Dei. 

So hoch aber Geldenbauer religiöse und sittliche Er- 
ziehung wertet, so vernachlässigt er doch keineswegs die 
wissenschaftliche Bildung, den Unterricht. Er berührt 


B Jurist, geb. 1473 oder 1474, + 1564, Ratsherr in Mecheln, lernte 
noch mit 60 Jahren Griechisch und tibersetzte griechische Schriften 
ins Lateinische (Zedler, JA. van Aa, biogr. Woordenboek). 

) Martin Cellarius (eigentlich Martin Borrhaus) 1490 
bis 1564. 


71 | 71 


mehr oder weniger ausführlich Fragen der Organisation und 
handelt von Unterrichtsstoff und Methode. 

Was die Organisation betrifft, so will Geldenhauer 
Stundenplan und Klasseneinteilung der Klugheit 
der Lehrer tiberlassen. Dagegen widmet Geldenhauer aus- 
führliche Erörterungen den Pädagogen und Lehrern, ihrer 
wissenschaftlichen und sittlichen Qualität, ihrer Wahl und: 
Besoldung, und belebt seine Charakteristik dureh kultur- 
historisch-interessante Streiflichter auf eingerissene MiBstiinde 
hinsichtlich der Pádagogen und Lehrer. 

Die Pádagogen sollen die Führer, aber nicht Lehrer 
der Knaben sein, sie sollen beim Knaben ihres Herrn Wissen 
und Autorität nicht herabzusetzen sich unterfangen. Denn 
wenn die Autorität der Lehrer einmal durch Verächtlich- 
machung erschtüttert sei, werde alles, was man lehre, dem 
Knaben kaum jemals wieder genehm sein. 

Über die Wahl der Pädagogen bemerkt Gelden- 
bauer: Man soll nicht jene geschniegelten und anmaßenden 
Magister der allgemeinen Schulen nehmen, welche, sobald 
sie sich in die Familien der Wohlhabenderen, zu den Tischen 
der Vornehmeren manchmal mit einer erkauften oder erbettelten 
Empfehlung eingeschlichen haben, gleich wie erstmals aus 
dem Stall gelassene Kälber sich zu tiberhasten beginnen, und 
zwar nicht bloß zur höchsten Gefahr für den Knaben, den 
zum Lehrer zu -bringen, zu edlen Studien mit Wort und 
Beispiel fleißig zu ermuntern ihre Aufgabe ist, sondern auch 
manchmal zur Schande der ganzen Familie. Auch gebe es 
unter den Pädagogen Leute, welche, um die Knaben länger 
in Bewunderung für sich zu erhalten, sie zu Hause unter- 
richten; mit welchem Erfolg, beweise der Ausgang der Sache. 
Wenn sie aus solchem Unterricht kommen und über Literatur 
reden wollen, stellt sich heraus, daß sie schweigsamer sind 
als Bildsäulen. Besonders für die Augsburger will das 
Geldenhauer angemerkt haben. Nirgends nämlich werde 
seines Wissens bei Auswahl der Pädagogen soviel gefehlt 
wie zu Augsburg, obwohl nirgends nobler bezahlt werde. 

Der Lehrerfrage widmet Geldenhauer efngehende 
Erörterung, besonders hinsichtlich Qualität, Wahl, Wechsel 
und Besoldung der Lehrer. Er eignet sich die Ansicht 


72 12 


Quintilians*) an und empfiehlt einen Lehrer, der gewissen- 
haft, kein Prügelpüdagoge, kein Hitzkopf sei, durch seinen 
Ernst die wilderen Knaben biindige und infolge seiner 
vollendeten Bildung nichts lehre, was sie wieder umlernen 
müßten, der nicht für seinen Gewinn, sondern wie ein Vater 
für den Geist der Schüler sorge. Aber an diese Dinge denke 
man bei der Wahl eines Lehrers in ganz Deutschland nicht. 
Vielmehr klagt Geldenhauer: „Affectus ubique regnant, ami- 
citiae privatae dominantur, inanes saepe tituli, non solida 
eruditio magni aestimatur“. Daher hätten wir Lehrer, Pro- 
fessoren, Gymnasiarchen, ja sogar Scheusale von Menschen, 
welche die Jugend durch ihr Beispiel verderben, aber nicht 
recht unterrichten können. Er könnte Lehrer solches Ge- 
lichters mit ihren eigenen Farben zeichnen, die ein Herz von 
Blei, eine Stirne von Holz, eine Zunge wie ein Hund, d. h. bald 
voll Schmeichelei bald voll Wut, einen Nacken hart wie Stahl 
und Hände mehr als schlaghart haben, aber er wolle die 
Lebenden schonen, wenn sie gewarnt ihre Fehler aufgäben 
und naeh Quintilians Vorschriften ihr Leben einrichten und 
die Kunst ausüben, die sie wirklich kennen. Außerdem warnt 
Geldenhauer noch vor dem schädlichen Wechsel der 
Lehrer; denn da ihre Lehrweise verschieden sei, müsse 
der Knabe bisweilen beim einen Lehrer verlernen, was er 
vom andern gelernt habe. Schließlich mahnt Geldenhauer 
zu anständiger und ständiger Besoldung der Lehrer. 
Ebenso ausführlich geht Geldenhauer auf Fragen ein, 
welche den Unterrichtsstoff betreffen. Er handelt hier 
über den Beginn und Betrieb des fremdsprachlichen Unterrichts, 
über Unterrichtsfächer und die entsprechenden Lehrbücher 
über Auswahl der Autoren uud endlich über die Methode. 
Geldenhauer empfiehlt, den fremdsprachlichen 
Unterricht mit Latein zu beginnen, dem dann gleich 
das Griechische folgen soll; Hebräisch soll man nach Bonifaz 
Wolfhard?) der frühesten Jugend lehren. Kein Schüler soll 
mit seinen Kameraden, wo er auch sei, anders als Latein oder 
Griechisch reden. Verfehlung dagegen soll bestraft werden. 
AlsUnterrichtsfächer nennt Geldenhauer die her- 
) Qu. I, 2, 5. II. 2, 2-5, I, 1, 3, 14, 23, 35. 
*) Uber ihn konnte ich nichts ermitteln. 


73 73 


kómmliehen, nümlich Grammatik, Dialektik, Rhetorik, dazu 
die Elemente von Arithmetik, Musik und Geographie als not- 
wendig für die Vorbereitung zum Besuch der Universität 
(universalium scholarum). Dabei bezeichnet er die für diese 
Fücher geeignetsten Lehrbücher. 

In der Grammatik habe man bis vor 36 Jahren sich 
an das doctrinale des Alexander von Villa dei!) gehalten, 
habe es dann, als man seiner überdrüssig zu werden begann, 
mit den grammatischen Lehrbüchern von Perottus ?), Sulpitius 
Verulanus?), Guarinus*), Aldus Romanus"), Antonius Nebris- 
sensis®), auch mit Kompilationen aus anderen Grammatiken 
versucht. Sein Lehrer Alexander Hegius?) auch Agricola 
und Wessel®) hätten das doctrinale nicht verworfen, der 
Satiriker Petrus Montanus?) habe sich sogar Geldenhauer 
gegenüber sehr anerkennend ausgesprochen, was Gelden- 
hauer ausführlich, weil bisher unbekannt, mitteilt. Wenn 
man das doctrinale aus der Schule verbannen wolle, empfiehlt 
Geldenhauer die Grammatik von Melanchthon und erzählt, 
daß er im Privatunterricht an einige Adlige in Löwen guten 
Erfolg erzielt habe mit einem Auszug aus Aldus über 
Deklination und Konjugation und mit Zusätzen von Vor- 
schriften über lateinische Sprache, wie sie Murmellius in der 
Pappa puerorum zusammengefaßt habe, und mit Voraus- 
schickung einer leichten Erklärung von Donat. 


1) Geb. in der Normandie ca. 1170, + ca. 1250 als Kanonikus zu 
Avranches, schrieb ca. 1199 eine Grammatik in leoninischen Hexametern, 
die bis in die Humanistenzeit die Schulen beherrschte, 

) Nicolaus Perottus (1420—1480) schrieb: Rudimenta 
Gramatices 1473 u. 1476. 

5 Sulpitius, Johann, auch Verulanus, nach seiner Heimat 
Veroli genannt, schrieb: Praeludia grammatica de octo partibus orationis 
(seit 1512 auch in Deutschland gedruckt). 

) Guarino Veronese schrieb: Grammaticae institutiones, 
1487 und öfter. 

Y Aldus Romanus, Verfasser einer Grammatik, 

© Antonius Nebrissensis (1444—1522) schrieb: libri V 
de institutione linguae latinae, 1481. 

7) Alex. Hegius wirkte an der Schule zu Deventer. 

$ Wessel, Johann, (1420—1489), berühmter Humanist, lehrte 
in Paris, Lehrer von Agricola und Reuchlin. 

% Petrus Montanus, Italiener im 16. Jahrhundert, schrieb: 
Satyra de generibus morborum (Zedler). 


74 74 


Für Dialektik empfiehlt Geldenhauer die Logik- 
lehrbücher von Agricola!) und Johannes Caesarius’). 

Für Rhetorik Melanchthons Elemente der Rhetorik, 
Erasmus: de duplici Copia verborum ae rerum und de 
conscribendis epistolis (1522), wünscht auch Joannes Caesarius; 
Rhetorica. Diese genügen ftir die niederen Schulen. 

Wenn dazu noch die Anfangsgründe von Arithmetik 
und Musik und noch Henricus Glareanus®) Geographie 
kommen, werde man einen nicht untauglichen Hörer zu den 
allgemeinen Schulen schicken. 

Besonders bemerkenswert sind Geldenhauers Ansichten 
über die Auswahl der zu lesenden Autoren. Maß- 
gebend für die Auswahl ist Geldenhauer die Erhaltung der 
Knaben in Unschuld und christlicher Lehre, also der sitt- 
liche und religiöse Gesichtspunkt. Er weiß, daß man 
diesen seinen Standpunkt ablehnen oder als neue Möncherei 
verschreien wird. Er will niemand zwingen, auf seine (Gs.) 
Worte zu schwören, es ist ihm nur um das reine Christen- 
tum zu tun, und keine gehässige Auslegung werde ibn von 
der Wahrheit abbringen. Und nun stellt er einen Kanon 
von Autoren zur Lektüre auf für die Grammatik-, die 
Dialektik- und Rhetorikschtiler. Für die Grammatik- 
schüler empfiehlt er: Sprüche Salomos, Cato“) mit den 
Scholien des Erasmus, die Sprüche der 7 Weisen, Aesops 
Fabeln. Er will nicht wie Quintilian mit Homer und Virgil, 
sondern mit Nonnus°) oder Gregor v. Nazianz und dem Dichter 
Iuvencus®) beginnen. Dadurch werden den Knaben Aussprüche 


1) Agricola schrieb: de inventione dialectica. Köln 1570. 

*) Caesarius, Johann, (1468—1551) schrieb: Lehrbücher über 
Grammatik und Rhetorik. | 

2) Heinrich Loritus, genannt Glareanu s, (1486—1536) schrieb: 
Isagoge in Arithmeticam 1539; isagoge in Musicam 1516; de geographia 
1527, 1539. 

) Gemeint sind die als Schulbuch benutzten disticha Catonis. 

5 Nonnus, hófischer Dichter, anfang des 5. Jahrhunderts, 
spüter Christ, schrieb: Paraphrasis über das Evangelium St. Johannis 
in Versen. 

9 luvencus, christlicher Dichter im 4. Jahrhundert, schrieb: 
Vier Bücher historia evangelica, d. h. er gab in 800 Hexametern den 
Inhalt der vier Evangelien. 


75 15 


und Taten unseres Erlósers besser eingeprügt. Dann lese 
man Prudentius!) und andere christliche Dichter, erkläre 
und lasse einige Psalmen auswendig lernen, wie sie von 
Eobanus Hessus?), Melanchthon, Micyllus?) und andern in 
schöne Verse gebracht sind. Geldenhauer will Virgil und 
andere gute Autoren nicht aus christlichen Schulen aus- 
schließen, sondern ihre Lektüre nar für ein gefestigteres 
Alter und solideres Urteil aufschieben. Eine solche Lehrart 
habe unter Julian Apollinaris*) der Syrer eingerichtet. Dieser 
schrieb statt Homer ein hebräisches Altertum, ahmte — Stoffe 
aus der heiligen Literatur nehmend — Menanders Komödien, 
Euripides Tragödien und Pindars Oden nach. Freilich unsere 
Schulmeister zischen diesen Apollinaris mit seiner frommen. 
Einrichtung aus. Diese erklären den Knaben Terentianische 
Komödien, ja bringen sie ihnen durch Gebärden — ich will 
nicht sagen, durch was für — noch nahe, ohne auf Quintilian 
zu hören, der die Lektüre von Komödien erst empfiehlt, 
wenn die Sitten fest geworden*). Die echt, lateinische 
Terenzianische Phrase aber könne man in der Sammlung 
von Cornelius Graphaeus?) (deutsch von Joannes Pinicianus) 
lesen. Geldenhauer kónnte mit Beispielen aus dem Leben 
zeigen, wenn er nicht keusche Ohren schonen wollte, zu 
welchen Schändlichkeiten oft junge Leute durch Aufführung 
von Komödien und Tragödien herabsinken. Er begntigt sich 


) Prudentius (ca. 348 geb., Todesjahr unbekannt), christlicher 
Dichter, schrieb: liber Cathemerinon, d. h. zwölf Hymnen, die ersten 
"sechs für den tä glichen Gebrauch; peristephanon, ein den Märtyrern 
gewidmetes Hymnenbuch; Apotheosis, ein Gedicht auf die Gottheit 
Christi; Hamartigenia, eine Dichtung über Ursprung des Bösen. 

) EobanusHessus schrieb: christliche Heroiden und poetische 
Übersetzungen der Psalmen, die in Schulen gebraucht wurden. 

) M i c y 1l u s (1503—1558) schrieb: Sylvae, fünf Bücher Gedichte. 

) Apollinaris, der ältere von Alexandrien, ein Grammatiker, 
lehrte später in Syrien, Priester, ca. 362, brachte die Bücher Mosis nach 
Vorbild Homers in ein heroisches Gedicht, legte die übrigen Bücher 
der A. T. in griechischen Versen dar, schrieb auch Komödien und 
Tragüdien nach Anleitung der heiligen Schrift; vorhanden noch: eine 
Metaphrasis Psalmorum (nach Zedler). 

5) Quintilian: Instit. or. I, 8, 7. 

© Cornelius Graphaeus, ein Poet und Musikus (+ 1588), 
schrieb: Colloquiorum formulas; coniugandi et declinandi regulas. 


76 76 


mit einem Ausspruch Cyprians hierüber. Der christliche‘ 
Knabe soll also die Gedichte von keuschen Dichtern singen, 
heilige Geschichten vortragen, einen frommen Vortrag aus- 
wendig lernen. 

Den Dialektikschülern empfiehlt Geldenhauer: 
Ambrosius und Cicero: de officiis. Beide geben nach den 
Vorschriften der Dialektiker und Rhetoren Definitionen, Ein- 
teilungen, Beweise, aber Ambrosius um so kräftiger, je 
christlicher. 

Den Rhetorikschülern soll man ausgewählte 
Werke von Cyprian und Lactantius geben, besonders solche, 
welche in der christlichen Religion bestärken und die der 
Gegner widerlegen. Solche Schriftsteller, wie die zwei ge- 
nannten, habe das Heidentum nie gehabt, in Dichtung und 
Prosa geschult. Erst wenn das christliche Herz mit den 
Schöpfungen so gelehrter, beredter und frommer Autoren 
erfüllt sei, dann dürfe man zu Cicero, Caesar, Livius, Tacitus, - 
Plutarch und andern greifen. Geldenhauer will nur, daß die 
heidnischen Autoren den christlichen nicht vorgezogen werden. 
Fehle es aber an Exemplaren von christlichen Autoren, dann 
sollen die Zuhörer sie abschreiben, das übe den Stil und- 
stärke das Gedächtnis. 

Endlich finden wir bei Geldenhauer auch einige Winke 
über Unterrichtsmethode. Er empfiehlt wie Quintilian 
(prooemium 26, 27) fleißige Übung, ebenso Wieder- 
holung, die die Knaben allein zu Hause oder noch besser 
mit einem Kameraden vornehmen sollen, auch Pflege des- 
Gedächtnisses, und hält eine zweimalige Prüfung in 
der Woche über Fortschritt in Wissenschaft für nützlich. 

Geldenhauer will mit diesen pädagogischen Anmerkungen 
angesichts der zahlreichen pädagogischen Schriften mehr an- 
deuten als entwickeln. Er hat mit seiner Schrift nur die 
Ehre Christi, unseres Gottes und Erlösers, im Auge. 

Geldenhauers Schrift ist, um die Summe aus seinen 
Bemerkungen zu ziehen, in mehrfacher Hinsicht bemerkens- 
wert. Auf die Persönlichkeit Geldenhauers fallen einige 
neue Lichter, die ihn uns wegen seiner gegen Eltern und 
Lehrer, Freunde und Wohltäter betätigten Dankbarkeit und 
Pietät sympathisch machen. Die in der Schrift mehrfach 


* 


77 77 


auf die Sittenzustände jener Zeit geworfenen Streiflichter, die 
Klagen über Vernachlässigung der häuslichen Erziehung in 
gebildeten Familien, über Mißstände in der Wahl der Lehrer, 
über das Treiben der Pädagogen, über Ausschreitungen bei 
theatralischen Aufführungen, über Geringschätzung wissen- 
schaftlicher Bildung machen die Schrift auch für den Kultur- 
historiker wertvoll. In pädagogischer Hinsicht end- 
lich gewährt die Schrift interessante Einblicke in den damaligen 
Schulbetrieb durch die Bemerkungen über Anstellung, Be- 
soldung, Wechsel der Lehrer, über Schulbücher und ihre 
Schicksale. Geldenhauers Pädagogik ist ja nicht originell, 
sondern an Quintilian orientiert, zeigt aber gesunden und 
praktischen Verstand. Geldenhauer ist ein warmer Freund 
der humanistischen Studien, der drei Sprachen und auch 
der antiken Autoren. Aber Sittlichkeit und besonders reines 
Christentum steht ihm noch höher. Dieser tief religiüse Zug 
Geldenhauers, der all seine Ausführungen beherrscht, offen- 
bart sich besonders in seiner Stellung zur altklassischen 
Lektüre. Es hat von jeher ab und zu ängstliche Seelen 
und Eiferer gegeben, welche die antiken Autoren als sitten- 
und religionsgefährlich vom Jugendunterricht ausschließen ?), 
und begeisterte Humanisten, welche nur altklassische Lektüre 
zulassen wollten. Geldenhauer ist nicht so extrem. Er nimmt 
einen vermittelnden Standpunkt ein. Aber während diese 
Vermittlung gewöhnlich darin besteht, daß klassische Autoren 
und christliche nebeneinander gelesen werden, fordert 
Geldenbauer ein Nacheinander. Er will nämlich für den 
Anfangsunterricht nur christliche Autoren und die antiken 
Autoren erst für das reifere Alter. So sucht er Humanismus 
und die neue Lehre zu versöhnen. Diese Lösung, mit der 
er freilich keine Nachfolger gefunden hat, ist für Gelden- 
hauer charakteristisch. So gestattet Geldenhauers Schrift 
Einblick in die Art, wie er seine pädagogische Aufgabe auf- 
faßte, worüber Crophius nichts Näheres zu berichten wuDte?). 


1) Vgl. über diese Bestrebungen Eckstein: Lateinischer Unter- 
richt (1878) S. 601—602 (Separatausgabe aus der ersten Auflage von 
„Schmid, Encyclopüdie des gesamten Erziehungs- und Unterrichts- 
wesens“ 1882), 

2) S. Crophius a, a. O. s. 10, 


-—— — — 


Mitteilungen. 


Neuerscheinungen. 


Das 124, Heft der Schriften des Vereins ftir RG. 
(Leipzig, Komm.-Verlag R. Haupt, 56 S. M. 1.—) bietet zwei ebenso 
bedeutsame wie zeitgemäße Abhandlungen hervorragender Forscher: 
H. von Schubert behandelt Luthers Frühentwicklung 
(bis 1517/9) und G. Kawerau, Luthers Gedanken über 
den Krieg. 


I. v. Schubert will in seiner auf einem Vortrag beruhenden Ar- 
beit über den zeitigen Stand der Frage unterrichten. Zunächst zeigt 
Per, daß sie infolge der neueren Lutherfande — Glossen, älteste 
Predigten und Vorlesungen sowie der Tischreden — nicht unlösbar 
ist. So haben sich auch schon feste Punkte herausgestellt und ge- 
winnen immer allgemeinere Anerkennung. Eine eigene Schwierigkeit 
in der Verfolgung des Entwicklungsgangs Luthers liegt andererseits 
in dem Umstand vor, daß Luther sich langsam, nicht sprunghaft ent- 
wickelte, und wenn er einer neuen Erfahrung oder Auffassung den 
Zutritt gestattet hatte, damit die alte längst noch nicht los war. 


Der Verf. weist zunächst nach, daß krankhafte Anlage nicht an 
der Schwelle der großen inneren Kämpfe Luthers steht. Vom Huma- 
nismus sodann, der ihm in Erfurt bis zu einem gewissen Grade nahe 
trat, prägt Schubert das Wort, daß ein Schein dieser Geistesart Luther 
ins Herz gefallen und dort haften geblieben sei, mehr aber nicht. 
Andererseits hatte Luther in Erfurt schon vor dem Klostereintritt 
grundlegende philosophische Probleme zu bewültigen; doch wissen wir 
Dicht, wie damals deren Wirkung auf sein Gemüt war, So ist auch 
das Motiv zum Klostereintritt nicht restlos aufgeklürt; hier klafft eine 
Lücke, der gegenüber man sich nach v. Sch. immer wieder getrieben 
fühlen wird, den Versuch psychologischer Begründung zu machen. 
Vóllig feststehend und durch die ungeschickten Versuche Denifles und 
Grisars, es in Zweifel zu ziehen, nur als um so sicherer bewührt ist, 
dal es Luther mit der Móncherei Ernst war. Auch die Romreise hat 
ihn mindestens für den Augenblick weder an der Möncherei noch an 
seiner Theologie irre gemacht, Luther war damals noch unzweifelhaft 


79 19 


ein ebenso treuer Mönch wie ein wirklicher Anhänger der in seiner 
Umgebung herrschenden katholischen Lehre, letzteres, wie man weiß, 
speziell auf der Grundlage des Nominalismus oder Okkamismus, des 
„neuen Weges“. Der Prozeß der Lösung aus diesen Ketten aber hat 
etwa ein Jahrzehnt gedauert. v. Sch. zeigt hier das Aufkommen einer 
neuen Frömmigkeit bei Luther, die negativ auf dem stärksten Sünde- 
gefühl rubte, positiv aber in einer unmittelbaren Hinwendung zu 
einem gnädigen Gott erkennbar war, die dann an Augustin Nahrung 
fand, Der Durchbruch der neuen Erkenntnis von der Glaubens- 
gerechtigkeit erfolgt von etwa 1512 ab, an der Hand des Bibelstudiums, 
zu dem Luther, seit 1511 als Staupitz’ Nachfolger Inhaber der Lectura 
in biblia an der Wittenberger Universität, auch amtlich sich hin- 
gewiesen fand. Schon die Psalmenvorlesung (1513—1515) zeigt — 
nicht, wie Hunzinger wollte, Neuplatonismus — sondern die nach 
Luthers eigenem Wort erlösende Erkenntnis des Paulinischen Begriffs der 
Glaubensgerechtigkeit. Auch Augustin ist nach v. Sch. nicht in dem 
MaBe entscheidend geworden, wie früher vielfach angenommen wurde. 
Grundlage ist die Schrift, Ausgangspunkt der Nominalismus, den 
Luther — nach v. Schuberts Ausdruck — mit seinen eigenen Mitteln 
überwand, indem er ihn gleichsam über sich selbst hinaus entwickelte. 
Und endlich der Ort, an dem Luther die Erleuchtung des heiligen 
Geistes zuteil wurde? v. Sch. hält für das Wahrscheinlichste, daß die 
ominóse Abkürzung cl, die in einer Hs. vorliegt, als capitulum auf- 
zulüsen sei. ,Diese Kunst hat mir der hl. Geist ,auf dies capitulum* 
— nämlich von der justitia Dei — gegeben,“ falls nicht etwa der 
ganze Satz spütere Zutat ist (woftir manches spricht). 

„Die sogenannte Lutherlegende“ — schließt v. Sch. zusammen- 
fassend — „ist keineswegs nur eine Lutherlügen.e. Die wesentlichsten 
Züge balten auch nach dem heutigen Stand der Forschung der Kritik 
stand. Vor allem geblieben ist die originale GróBe unseres Luther, 
der erst alles in sich zerbrochen hat, was sich zwischen Gott und ihn 
stellen konnte, ehe er die alten Stützen äußerlich wegbrach, und die 
absolute Reinheit und Innerlichkeit seiner Motive ... Das Feuer der 
Kritik zeigt nur, daß er kugelsicher ist.“ 

IT. Wenn in unserer ebenso furchtbar ernsten wie gewaltig großen 
Gegenwart Münner der vaterlándischen Vergangenheit, die einmal in 
ernster Zeit unserem Volke führende Geister gewesen sind, weil sie 
die Zeichen der Zeit verstanden, in unserem Gedüchtnis wieder auf- 
leben, so hat, wenn irgendeiner, Martin Luther den Anspruch darauf, 
in diesen Tagen zum deutschen Volk zu reden. Welche Frage an 
den Reformator aber liegt zurzeit wohl näher als die, welches seine 
Gedanken über den Krieg waren? Und Luther hat, wie G, Kawerau 
des näberen zeigt, die Frage nach dem Recht des Krieges, d.i. nach 
dem Verhültnis des Evangeliums Christi zu der brutalen Notwendig- 
keit des Krieges und seinen Greueln und Schrecken, wiederholt er- 
órtert, insbesondere um sich mit den Bedenken auseinanderzusetzen, 
daß doch nach den Worten der Bibel es dem Christen nur anstehe, 


80 80 


Unrecht zu leiden, nicht aber es zu vergelten, sich zu wehren. Luther 
hat demgegenüber wieder mit dem ihm eigenen Weitblick und jener 
inneren Freiheit, die ihm gerade das Bewußtsein, sich mit Gott in 
Einklang zu befinden, verlieh, die Entscheidung getroffen. Er unter- 
scheidet zwischen der Gesinnung, die der Christ, wo ihm Unrecht und 
Gewalt geschieht, beweisen soll, und den Unvollkommenheiten des 
wirklichen Lebens, die eine Obrigkeit nötig machen, die das Sch wert 
führt zur Strafe der Bösen und zum Schutze der Frommen. Zunächst 
im eigenen Lande allen Ubeltátern gegenüber, aber weiterhin doch 
auch zum Schutz gegen fremde Gewalt, d. h. also: unter Umständen 
darf und muß die Obrigkeit Krieg führen, der doch nicht nur viel 
Übles bringt, sondern unendlich viel größere Übel abwehrt und ver- 
hütet. Natürlich denkt hier Luther an die Notwehr, den Verteidigungs- 
krieg. Aber er weiß auch, daß nicht immer am Tage liegt, wer in 
einem Kriege Angreifer, wer Verteidiger ist, und auch für solche 
Fälle findet er wieder die befreiende Formel: Können die Untertanen 
nicht wissen oder ergründen, wo das Recht liegt, dann müssen sie 
Gott die Sache anheimstellen und mögen ihrem Fürsten folgen ohne 
‚Gefahr ihrer Seele. Luther hat hier ja noch das geworbene Sóldner- 
heer im Sinne; er redet auch nicht von dem Recht und der Ehre 
einer Nation, sondern betrachtet den Krieg wesentlich als Ang elegen- 
heit der Fürsten. Aber von Bedeutung für die Gegenwart bleibt doch, 
dal er die Kriegsfrage von der Frage völlig loslöst, wie sich der 
einzelne als Christ dem Unrecht gegenüber zu stellen hat, und daß 
er den Krieg in Verbindung bringt mit der Schutz-, Abwehr- und 
Strafgewalt der Obrigkeit, und aus dem göttlichen Beruf dieser als 
ultima ratio das Kriegsrecht ableitet. — Dies der Kern der Schrift 
Kaweraus, der außerdem noch zeigt, wie sich L. im konkreten Fall 
dem drohenden Kriege (in der sog. Wurzener Fehde) und dem wirklich 
entbrannten Kriege — wider die Türken — gegenüber verhalten hat. 
Hinsichtlich des Türkenkrieges wendet sich Luther mit großer Schärfe 
gegen die herkömmliche Auffassung, daß der Papst im Namen Christi 
die christlichen Völker zum Kampfe gegen die Ungläubigen aufrufe; 
Krieg, sagt Luther unbeirrt, ist weltliche Sache; man ziehe daher 
unter dem Gebot, Panier und Namen des Kaisers (d. h. als der hóchsten 
weltlichen Obrigkeit, nicht als des sog. Schirmherrn des Glaubens) 
wider den Türken zu Felde. — Recht interessant für die Gegenwart, 
ja wie für unsere Tage, ist geredet, was Luther von den Italienern 
sagt, die auf beiden Achseln tragen, den Mantel nach dem Winde 
hängen, „welcher Teil Sieg hat, mit dem halten sie es“, u. dgl. m. 
Auch sein Urteil über die Einbildung der Franzosen und die Hoffahrt 
der Englünder hat durch die Jahrhunderte seinen Wert behalten. 


Druek von C. Bchulne 4 Co., G. m. b. H., Gräfenhainichen. 


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— 


FÜR REFORMATIONSGESCHICHTE, 


In Verbindung mit dem Verein für Reformationsgeschichte 
herausgegeben von 


D. Walter Friedensburg. 
XIV. Jahrgang. Heft 2. 


_ Theophrast von Hohenheim, 
2 genannt Paracelsus. 

Zehn theologische Abhandlungen. II, 
von 


W. Matthießen. 


Wittenberg und die Unitarier Polens. I. 


Th. Wotschke. 


Brentiana und andere Reformatoria. VI. 


W. Köhler. 


Mitteilungen 


(G. Bossert, Zur Charakteristik des Landgrafen Philipp von 
Hessen. — Neuerscheinungen,) 


Leipzig 
Verlag von M. Heinsius Nachfolger 
1917. 


Ausgegeben im Juni 1917, e 
Sir Suhekrihonton J RRM  oinzoln harnnan 370 M 3 9? ni 


Voranzeige. 


Das Doppelheft 55/56 des Archivs für Reformations- 
geschichte wird aus Anlaß der Reformationsjubelfeier als 


Lutherheft 


erscheinen und Beiträge von O. Albrecht, G. Bossert, 
P. Kalkoff, G. Kawerau, W. Köhler, E. Kroker, O. Reichert, 
Th. Wotschke und vom Herausgeber enthalten. 


Einzelpreis dieses Heftes etwa 5 bis 6 Mark. 
Verlag von M. Heinsius Nachfolger in Leipzig. 


Ner Google 


AkCHIN 


REFORMATIONSGESCHICHTE 


TEXTE UND UNTERSUCHUNGEN. 


— — 


In Verbindung 
mit dem Verein für Reformationsgeschichte 


herausgegeben von 


D. Walter Friedensburg. 


Nr. 54. 
14. Jahrgang. Heft 2. 


Leipzig 
Verlag von M. Heinsius Nachfolger 
1917. 


Theophrast von Hohenheim, 
genannt Paracelsus. 

Zehn theologische Abhandlungen. II. 

von | Do 


W. MatthieBen. 


Wittenberg und die Unitarier Polens. I. 


Th. Wotsch ke. 


Brentiana und andere Reformatoria. VI. 


von 


W. Köhler. 


Mitteilungen 


(G. Bossert, Zur Charakteristik des Landgrafen Philipp von 
Hessen, — Neuerscheinungen.) 


Leipzig 
Verlag von M. Heinsius Nachfolger 
1917. 


Theophrast von Hohenheim, 
genannt Paracelsus. 


Zehn theologische Abhandlungen. 


Nach cod. Pal. germ. 476 zum ersten Male herausgegeben 
von W. Matthießen. 


II. 


Sermonum liber secundus Theophrasti 
ad Clementem VII, pontificem et ad 
cardinalium chorum. 


[57a] Dieweil es dahin komen ist under dem volk, daß 
man in allen dingen irreí und alle ding wider sain arts 
brauchet, anderst dann es sein soll, so mag sich kainer uf 
den andern vertrosten oder verlassen oder suchen bei dem 
andern, das im geprist. Dann ainer je ain plinder wirt den 
andern plinden fueren. Dann darzu ist es komen, daB wir 
alle in plindhait wandlen und ainander fueren. Darumb 80 10 
fallen wir alle in die gruben. Dise gruben ist das hellisch 
feuer. Dann der bapst fürt den kaiser, der kaiser den 
bapst. Also fürt ain plinder den andern. Sie seint bede 
plind. Also merken, das Christus von zwaien plinden gesagt 
hat: nemlich die bedeuten die zween stend der christen, das 18 
ist, der gaistlich und der weltlich. Die zween fueren ain- 
ander und fallen baide in die grueben, das ist, in die hellen. 
Dann die Christen haben kain fuerer als Christum. So sie 
von dem weichen, so fürt sie niemants als sie selbs. Und 
sie selbs seint blind sich selbs zefüren. All ander glauben 20 
füren einander aus vernunít, die sie haben, der christ aber 
nit. . Der underschlecht sein vernunft gegen got und vor got. 
Er ist der, der sich nichts schetzt vor got. Darumb ist der 
einfaltig und braucht das wort, die ler und gesatz gottes 
und tut sein vernunft hinweg. Das ist aber ain weissagung ss 
von Christo: so ain Luder den andern [575] fürt, so fallen 


14 Matth, 15, 14. 
Archiv für Reformationsgeschichte. XIV. 2. 6 


82 2 


sie baide in die grueben. Die weissagung laut nit anderst, 
als sprech Christus: darzu ist es komen under den juden, 
daß sie (on got) ainander fueren. Darumb fallen sie in die 
gruben. Also auch ir christen. So ir werden jüdisch ain- 
s ander füren, also wirt euch auch beschehen. So ir werden 
aufwerfen, die euch füren, und dieselbigen werden ir füren. 
Also werden ir die plinden sein, die in die grueben fallen, 
das ist, in die ewige verdamnus. Dis ist ain weissagung, 
die groB von got ist anzunemen und endlich nit zuverachten. 
T Darumb ist es ain gleisnerei, die groD ist, so die phariseer 
anhangen der weissagung von meteoris, so sie sehen bei der 
morgenróti ain abend regen, bei der abend röti ain morgen 
schóne. Dann die ding seint in der natur, und aber gerecht. 
Was ist aber, daß wir das alles wissen und nit weiter, 
15 dieweil in der astronomia kain selikhait ist, allain in Christo 
ist sie. Darumb so der mensch das waißt, das astronomia 
lernt, so soll er auch noch mer wissen: die abend röti und 
morgenróti des wort gottes, welches noch gewisser und 
aigenlicher ist, auch seliger. Darumb so verstanden das in 
so dem weg, als wolt Christus sprechen: nit allain sehent die 
morgenröti an und abend röti, sonder secht mich und mein 
wort und meine werk an, von deren wegen ich itzt do bin, 
und lassent die röti itz ain röti sein. Das ist genötiger und 
do ligt mer an. Daruf [58a] verstanden, daß wir die reden 
2 gottes sollen als prophezei lernen oder hören oder versten. 
Dieselbig regen, so sie anzaigen, da werden nit den acker 
oder unser rocken netzen, sonder leib und sel in ewigen 
verdamnus. Darumb.sollen wir aus Christo ain weissagung 
nemen deren dingen, so die plindhait antreffen, wie gemeldt 
soist. Das will Christus, daß wir in den weissagung ligen 
und nit ersticken on frucht in himel róti oder in meteorts 
oder firmament und dergleichen, die weter der erden betreffen, 
sonder der sel nach betreffen. Dasselbig ist uns fürzunemen. 
Was in der astronomia ligt on verfassung des güttlichen worts 
ss und on nutz der sel, das ist nun alles allain hypocrisis und 
ain haidniseh ding. Dem astronomo gebtirt sich, den himel 
zuerkennen nach dem wort gottes und in auf die ler Christi 
ziehen, und nicht den schne anzaigen, sonder die falschen 
propheten, die irrang, plindhait, die alle im himel stet, wie 
« auf erden. On das ist allain hypokrisches. 

Die juden begerten ain zaichen von Christo, das er in: 
etwas vom himel zaichnete, auf daB sie sehen wer er doch 
gewest were, und im glaubten. Nun ist das ein weis- 
sagung: Christus gibt sich also nit zuerkennen, das ist, daß 

4, er wellte die sonne, mon, stern nach unserm willen fueren 


— — 


11 neteoris. 41 Luk. 11, 16. 


3 . 83 


oder wenden, auf daß wir im glaubten, auch nit den schne 
oder winter in ain dau oder sumer machen. Dise ding 
seinf der natur geben, isí do nit zuendern. Das ist gerecht 
und gut gemacht. Das ist nun ain weissagung und ain ler, 
daß wir seinen worten sollen glauben in dem, so er spricht: s 
das ist also, als der berg fellt [585] in das mer, so du ain 
glauben hast, als ain hanfkorn. Oder das ist mein blut 
und das mein fleisch. Und es ist wein und ist brot. Der 
unglaubig begert zaichen, der glaubig nit. Darumb so glaubt 
disen worten allain der, der Christum geglaubt hat auf sein 10 
wort, Christum zu sein und sonst kain andern behelf haben 
kann, dann sein wort. Der ander aber, der auch glaubig 
ist, der glaubet nichts, dann was er sicht, als der jud, der 
in in seiten stach und blut und wasser kam, der glaubet 
darnach Christum zusehen. Die zaichen seint mit Christos 
hin, das ist aber bei uns, das wir glauben, und daB diser 
glauben werk mit dem tauf bestet werde, und weiter nit 
anderst in uns haben, als allain glauben. All ander ding 
seint aufgehebt. Darumb so ist das auch ain prophezei, daß 
er sagt: inen wirt kain zaichen geben, als allein das zaichen 20 
Jone. Das was beschehén, und beschehen dingen mußten 
sie glauben. Also erneuet Christus kain zaichen, sonder 
beschehenden dingen sollen wir glauben. Dann so bald er 
von uns ist aufgefaren, do ist all sein wort in unsern 
glauben gesetzt, das zuglauben, daß es sei, wie es war in 285 
seiner hand, in seim mund, und das beschließen wir mit 
dem tauf. i 
Das auch, das Christus sagt zu seinen aposteln: ir seint’ 
das licht der welt, salz der erden, was ist das anderst, dann 
allein, daß Christus die neuen doktorn der sinagogen und 50 
dergleichen in der gotthait erkent hat, von aim [59a] zum 
andern, und ist gleich eben aine red, als sprech er am 
jungsten tag: ich habe alle doktorn der Christen vermaint 
do steen und maister und alle gelerte leut. Aber sie seint' 
nichts als tod und finsternus. Ir 12 seint das licht der welt, ss 
die euch nit gefolgt haben, die seint nit im licht gewandlet 
und mit domben salz gesalzen. Darumben werden sie aus- 
geworfen werden. Daruf er inen zu ainer letzen geben hat 
den hailigen gaist und in den gesendt, daß er sie alles dis 
lerne. Den haben sie allain, und hat sie alle gelert, aus 
dem haben sie mit feurigen zungen geredt und alle sprachen 
verstanden und sie verstanden worden. Weiter ist er still 
gestanden und weiter gen himel gefaren, allain daß wir 
benugt bleiben in den apostlen, so haben wir in auch. 


6f. Matth. 17, 20. 7f. Matth. 26, 27. 20f. Luk, II, 29. 
28 Matth. 5,13 usw. 86 nit fehlt beide Male. 


e 


84 4 


Darumb ist do kain hailiger gaist, do die feurige zungen 
und der sprach erfarung nit ist. Er wirt auch dermaßen 
weiter nit geschickt. Paulo wart er nit geschickt. Aber 
Paulus wart im himel aufgezogen und lernte do. Das alles 
sseint uns underweisung, dodurch wir sollen erkennen, daß 
wir nit den hailigen geist suchen außerhalb den 12, außert- 
halben Paulo. Sunder daß wir in suchen bei denen, das 
ist, nit den hailigen geist selbs, sonder seine werk und 
arbait, so er in disen verbracht hat. Darumb beschleußt die 
10 red sovil, als sprech Christus: ir 12 seint das licht, und 
aber vil falsche lichter werden ufersten under meinen scheflin. 
Ir aber werden allain sein, die in eurem licht wandlen, die 
wandlen wol. Die von euch gesalzen werden, werden nit dum. 
59b] Alle ding der zukunftigen zeit ist Christo für- 

ıs gebildet gesein nach göttlicher macht, also, daß er ain jeg- 
lichen menschen seins glauben gesehen hat, vom ersten zum 
letsten, beder, frauen und man, alt und jung, und nit ain 
herlin ist an uns, Christus hats gesehen. Dieweil im nun 
die ding alle wissen gesein seint, so hat er darauf geredt, 
so als stunden sie gegenwertig do, das uns zukuuftig ist, und 
ist sein red dermaßen gangen, daß alle menschen betreffen. 
Als do er sprech zu seinen jüngern: geet hin in die weg 
der haiden, wirken und verktinden 2c. und tragen kain 
seckel, stecken, noch zween röck, noch ainen. Was ist das 
ss anderst, dann daß er die bischof und abtes und bapst steb 
' gesehen hat? Die hat er seinen jüngern verboten. Das ist 
auch ir stab des gewalts tiber weltlich hendel. Was hat 
er sonst mit dem stecken gemaint, als allain den stab des 
gewalts? Darumb hat Petrus kain stab gehabt, ist auch 
20 kainer zuerben. Der auch ain stab hat, der ist auch nit 
ain jünger Christi. Also mit den zwaien rócken. Was ist 
es anderst, als allain kutten, tiberrock tiber die röck und 
dergleichen. Was wolt sonst daran ligen, wievil sie rock 
antrügen? Also auch kain seckel. Was ist das anderst, 
zs Als allain kain schatz auf erden zuhaben, kain zins, kain 
gült 2c. Darauf dann folgt: essen, was man euch ftürtregt. 
Darbei er begreift, nichts aigens zuhon. Darauf er dann 
auch weiter sagt: wo man euch nit will annemen, do 
schtitlen den staub von schuen. Was ist das anderst, dann 
4 daß ain zaichen ist, daß sie do [60a] nichts zuverliren haben. 
Was ist dann das nit zuverliren für ain zaichen oder weis- 
sagung? Dis ist es, als wolt er sprechen: meine jünger 
seint on gut, on reichtumb. Aber es werden falsche jünger 
komen, die werden mit behausung, weiber, frauen, zinsen, 
« gütern, pfrunden, provision 3c. versorgt sein, daß sie nit 


22 fl. Matth. 10, 6f., Luk. 10, 9ff. 25 steb. 


5 85 


mugen weichen, sonder werden predigen, was dem volk 
angenem ist und den staub von schuen nit schütlen. Dann 
sie werden von meines namens wegen iren schatz, stecken, 
seckel nit verliren. 

Also weiter so hat Christus zu seinen jüngern gesagt: s 
gont hin in die ganze welt und verkünden das wort gottes 2c. 
Was ist das anderst, dann ain zaichen, daß ain jeglicher 
verktinder soll frei und ledig sein von weib und kind, haus 
und hof, so kann er wandern. Was bedeut das anderst, 
dann daß wir die nit sollen für prediger halten, die nit also 10 
seint. Do aber die jünger us dem leib komen seint und 
seint wie die pleiklotzen gefestiget in behausung und zeit- 
lichen güter, secht, do ist der glaub nit weiter gewachsen, 
sonder ist bliben still ston, und die zum glauben komen 
seint, dieselbigen seint abgefertiget worden und verkert. 15 
Dann der ist nit Christo folgig, der in seine apostel prediger 
behaft mit aigentumb und reichtumb, sonder er ist wider 
Christum. Die sollen wandern in die ganze welt und nit 
still ligen. Kompt es darzu, daß sie sollen still ligen, so 
ist die ganze welt glaubig, so dürfen wir derselbigen nicht so 
mer, sunder [605] wir seint alle bekert. Darauf so wissen, 
dab die red alle zuermessen seint, daß ain prediger soll 
wandern, nit still ligen. So er nun wandert, wie die apostel, 
so waißt er wol, wo sein haus ist, wo sein weib und kind 
seint: aber nemlich bei im nit. Aber still ligen, das mag 25 
on ain argernus nit sein, sunder aller laster, schand und 
lugen voll. Dann Christus will, daß sein wort fürgang, und 
sonst kain ander wort nit. Wo das nit beschicht, und der 
mensch macht nach seim wort, so mag er nit on ergernus 
leben, sehand und laster. Daraus dann entstet krieg, jamer, so 
teuri, hunger und sterben und alles ellend. Dann ermessen 
alle: wo ist ain ergernus je gesein oder ain laster beschehen, 
das nit us disen falschen apostlen den ursprung genomen 
hab, oder ain krieg oder anderst, das sie nit geursacht oder 
gesteurt haben und darzu geholfen. 36 

Dieweil nun der ding vil seint, die alle dohin gont, wo 
ergernus ausgangen, daB man sich vor denselben hueten 
soll und nichts von inen annemen. Dann ergernus ist ain 
zaichen, darbei die erkent werden, von den der glauben 
gebrochen wirt und das volk verfuert. So mocht doch wol 40 
ainer sprechen: er predigt wol, wie wol er bös ist. Ich will 
sein boshait nit ansehen, sonder sein wort. Darauf wiß: 
was dorfestu seines worts? gar nit. Dann ursach: er kann 
dir je nit anderst sagen, dann Christas ist geboren von 
ainer jangfrauen: das waibtu [61a] selbst wol. Item, er ¡stas 


3 seckel. 6 Mark. 16, 15. 


86 6 


erstanden vom dot: das waißtu auch wol. Und also mit 
andern dingen. Was lust und hoffart hastu zu aim, der dir 
das sagt, daD du als ain christ mit dem dauf erlernen solt. 
So dus waißt, ist es nit gnug? Muß man dirs noch mer 
sSagen? Was ist das sagen? Sag dir selbs und dinge dir 
kain pfaffen zum wort gottes. In dir muß es ligen, und nit 
in oren. Weiter, was ist, daß er dir soll das wort gottes 
sagen? Das tut ain iglicher, der lesen kann. Dann der 
mensch kann nichts darvon noch darzu tun. So ist es auch 
nit der will Christi, daß ir sollen seine prediger also aumesten 
und füllen und misthaufen setzen. Wie ers geredt hat, also 
will ers haben, und nit nach eur ordnung. Dann der glaub 
ist lauter und so leicht zuverston, daß es kains baccalaurius 
darf, ich geschweig aines maisters oder doktors. Die seint 
16 lichter, die er ausgeschickt hat, und nit ir. Sie sollen bei 
den glaubigen nicht bleiben, sonder zu den unglaubigen. 
Was ist schuech schütlen vom staub anderst, dann: bis leicht 
und arm, laß dich die pfrund nit heben. Wo ist sie? allain 
bei den glaubigen. Darumb bleibt nit bei inen, zeucht zu 
» dem unglauben. Die geben dir kain pfrund, pfrundner 
schütlen kain schuech. 

Der, der do wolt sein vater am ersten vergraben. ehe 
und er wolt Christo nachfolgen, was war das fúr ain red 
von demselbigen, als allain, daß die, so die doten [615] ver- 

əs graben, solch falsch apostel seint und haben mit den doten 
ir gefreß. Darumb Christus sagt: laß die doten die doten 
vergraben. Der dot, der vergraben wirt, der ist dot am 
leben. Die in vergraben haben, die leben und seint aber 
dot im gaist. Was ist das anderst, als allain uf uns geredt, 
so daB wir derselbigen nicht sollen aehten, sonder sollen Christo 
nachfolgen. Bei den juden ist auch gesein, wie im neuen 
testament, sünder, ceremonien und pomp: von den gleisnern, 
phariseern. Dieselbigen seint nun die toten. Der son, der 
sein vater vergrebt, der ist nit tod, man left aber den son 
ssnit vergraben, sonder die doten vergraben in. So laD, du 
son, die doten den vater vergraben, falg du Christo nach. 
Auf das wissen, daD hie in disem nichts anderst zu verston 
ist, als allain sprech Christus: die, so die doten vergraben, 
werden vil andacht, klaidung, requiem, vigil 2c. gebrauchen: 
40 lab sie machen mit iren doten, die toten. Du aber gee von 
inen, das ist, laß sie dich nit herrschen, laß dich nit töten ze. 
Folg mir nach, daf ist, gang in iren tempel nit, in ir vigil 
nit ꝛc. Als sprech er: ich hab kain gefallen in den dingen, 
darumb so fleuch sie und folg mir nach. Was underschaid 
sist nun zwischen den doten und Christo? Christus lérnet 


1 


e 


221. Matth. 8, 21, 22. 


7 87 


im leben fürzukomen dem, dem die doten nach dem dot 
fürkomen wellen, das ist, sie wollen den gestorben man 
gein himel bringen, den sie im leben [62a] verfuert haben. 
Und Christus will, daß in unserm leben die ding sollen für- 
komen werden und nit darnach. Darumb Christo folgen, s 
ist, beim leben selig werden. Den doten folgen ist, alle 
ding sparen und nichts tun, und vertrauen den pfaffen und 
münchen, naeh dem dot iun himel zuhaben. 

Was soll die red Christi (so er gesprochen hat, do die 
kinder vor im stunden, und sagt: die kinder seint mein, ir 10 
ist das reich der himeln, besser were dem, der sie verfuert, 
er het ain mülstain am hals hangen und würde gesenkt in 
die diefe des mers) anderst sein, dann daD er darbei ain 
weissagung geredt hat, als wolt er sprechen: die kinder, 
so vor mir stont, seint rein, sauber und seint wie ir vatter 16 
und mutter, wie Adam und Eva, on alle frembd befleckung. 
Darumb so ist das reich gottes ir. Nun aber so sie us dem 
stand genomen werden und werden in ain andern gefuert, 
pesser wer demselbigen, der sie aufnimbt in ain andern 
stand, er het ain mülstain am hals und würd in die diefe 20 
des mers gesenkt. Warunb wer im das besser? So es 
beschech, so betrueg er kain nit, betrügt ers, so wirt er 
gesenkt mit ainem stain in die tiefe des hellischen mörs. 
Was ist nun us dem zunemen anderst, dann das: Christus 
will die kinder, daß sie bleiben, wie sie seint, und nit ins 
ander frembde art gangen. Worauf hat er geredt? fürwar 
uf die mtlnieh, [625] pfaffen und irs gleichen, dann sie nemen 
ie die kinder von laien stand und machen us in ain andern 
stand, den got nit haben will. Er hat die apostel leien 
lassen bleiben in dem stand, darinen sie geboren seint. so 
Also im selbigen sollen wir bleiben, darinen Christus und 
sie alle bliben seint. Und do ist kain verenderung nie 
geschehen in inen, haben weib und kinder, acker und wisen 
verlassen, aber nit sich im stand verendert, sonder in dem 
bliben, wie sie gefunden seint worden, und dem ambt nach- ss 
gangen der verkündung. Darumben so ist die prophezei 
nichts anderst, als allain, daß die kinder sollen in kindhait 
weis bleiben. Darumb aber daß sie sollen verkert werden, 
darumben bats Christus anzaigt, als wolt er sprechen: ir 
phariseer, lassent mir die kinder bleiben, euch gehört ain 40 
mtilstain an hals, und mit dem gesenkt in die diefe des mers, 
uf daß sie nit in eur regel und sekten komen. 

So muB ie in allen dingen verstanden werden dasjenig, 
80 Christus redt, dieweil wir ie sollen us seim wort leben 
und nit us unserm. So hat er gesagt: selig seint die armen, 46 


10 ff. Matth. 19, 14, 18, 6, 45 Matth. 5, 5j. 


P d 


88 8 


dann ir ist das reich der himel. So nun die armen sollen 
selig sein, so muß der reich nit selig sein. Das ist, selig 
ist der arm, das ist, der arme apostel. Dann ie sein ist das reich 
der himel. Also wer es recht, es wer der apostel, dann sie 
sseint arm uf erden gesein, [63a] und also wer der reich 
apostel nit selig, sein wer auch nit das reich der himeln. 
Dieweil nun die irrtumb so hoch begriffen seint, so muß ie 
sein durch die, deren das reich zu verkünden ist: arm sein 
und nit reich. Dann wer will von reichen gottes predigen, 
1980 es nit sein ist. Allain sollen wir predigen vom reich 
gottes, so es unser ist. Darumb so muß der reich, der vom 
reich gottes prediget, nit des reichs sein, und also prediget 
er von dem, von dem er niehts waiBt. Dann in der gestalt 
kann auch der deufel vom reich gottes predigen: es soll uns 
1 aber nit angenem sein. So folgt also auch darauf: selig 
seint die milten.' So seint ie die unmilten nit selig. Also 
werent die apostel, die unmilt seint, gelt begeren, zehend 
begeren. Sein nit apostel, dann sie seint nit milt, sonder 
durr und grob und wunderberlich und grim. Also selig, 
2 die do leiden verfolgung durch der gerechtikait willen 2c. 
So leiden nun dieselbigen nit und wellen nit leiden, ver- 
fluchen den, der in zuleiden gibt, wellen unbektimert sein, 
wellen gleich sein mit der rue, als mit dem zaichen: das 
ist, sie sagen, Christus habs alls erfüllt, und also mugen sie 
ss essen und trinken, und weiter nichts mer. So will Christus 
iedoch das vor allem, daB wir nichts annemen, allain es 
habe dann von im furderung und beruef. Nun seintie das 
sein furderung, wie er von den seligen [635] sagt. So sie 
nit also seint, so ist es ie nichts bei inen, das göttlich sei. 
solst aber etwas do, so gedenkts uns, und ist das, das uns 
verfuert und blendt und betreugt. Danu armut gelitten, ver- 
folgung 2c. seint zaichen deren, die do komen im namen 
des herren. 
So wirt auch gesprochen: huetend euch vor dem saur- 
35 taig der phariseer. Nun was ist saurtaig anderst, als ain 
vergiftiger anschlag der prister, domit sie das mel seuren. 
Und das mel ist der gemain weltlich man. Dann was tunt 
sie anderst, als daß sie allain dem nachgont, das ir mil ist, 
zu ir gleisnerei und reiehtumb. So nun die apostel sich 
40 sollen vor dem ferment hueten, die weltlich seint, und sollen 
ir müDig gon, noch vil ehe wir, die in der apostel stat stont 
und seint, solcher saurtaig müßig sollen gon. Nun ist zu 
wissen, was das ferment sei. Was ist es anderst, dann ir 
konzilien, sinoden 2c., hohenschulen, dekret, regel, statut und 


15, 19 Matth. 5, 3f. 34f. Matth. 16, 11. 


9 89 


was sie also machen. Dann mit demselbigen werden wir 
weltlich gehoffelt wie ain mel und müssen ain brot sein 
nach irem saurtaig, und nit nach dem saurtaig Christi. 
Dann also werden all ir weishaiten ferment gehaißen. Es 
seient 12 predigt, und was... Nun seint die ding all ain s 
weissagung, daß auch wir uns dermaßen vor dem saurtaig 
sollen hueten. So wir nun wellen wissen [64a] der pharise- 
ischen saurtaig, so mtüssen wir von ainander schaiden den 
gerechten apostel und den falschen. Dann es ist allain auf 
die apostel geredt, und nit auf den gemainen man. Nun 10 
secht an die ler Pauli, Petri, Jacobi, Simon Jude 2c., und 
secht an die ler der bepst, der münch, der pfatfen, der 
doktorn und schauen, wie das ferment lig. Secht, welches 
vom nutz, gelt, gewin 3c. traktir, oder welches nit, welche 
ler dureh Christum gon, welche ler nit durch Christum 15 
gon. Secht, wie die ferment gangen. Was ist ain ferment? 
Allain der list der verfuerung,:der recht butzi, der uns be- 
treugt und bescheibt. So ist nun kain fermenter nit gesein, 
noeh gegenwertig, noch zukunftig, des pildnus nit stand in 
den propheten, apostlen und im himel. Darumb so ist bilich, so: 
sovil an inen ligt, dab man sie nun wol erkennen, dann 
das ist ain ferment, das zu der hellen fuert. 

Dieweil auch so stark Christus redt: wehe euch recht 
erfaren, ist es itz uus nit von nóten zuwissen, was recht 
die seien, deren wir nit sollen erfaren sein. Dann der fluch: as 
wee, ist die ewig verdamnus. So müssen wir ie uns hueten, 
daß wir in den rechten uns nit erfaren machen noch halten. 
Dann sie nemen den schltissel der weishait. Nun ist der 
schlüssel und die weishait bilich und göttlich und soll bei 
uns sein. [645] So es nun bilich und göttlich ist, daB wir so 
den schlüssel und die weishait haben, so müssen wir ie 
wissen, wer der schlüssel sei und die weishait. So ist der 
sun die weishait, der am kreuz gestorben ist. Und also ist 
kain recht, allein in der weisbait sollen wir leben. Der 
schlüssel dieser weishait, wer ist es anderst, dann der, der ss 
uns dise weishait uftut. Wer ists, als allain got der vatter 
dureh den hailigen gaist. So wir in unserm rechten ligen, 
so dorfen wir des schlüssels nit, allein, so wir wellen leben 
in der weishait gottes, so müssen wir in haben. Die, so 
in uns nemen, seint die rechtfuerer, haißen uus auf sie und 40 
ir recht acht haben. Damit so wirt die weishait ausgelescht, 
domit sie geent nit in die weishait. Also wir auch nit, also 
ligen wir in dem rechten, die uns dann fueren zu der ver- 
damnus. Dann ain ehrist soll nit im rechten leben, der do 


5 und was dann sei, nun seint anscheinend eine Textverderbnis. 
5 allain weissagung. 16 firment. 18 firmenter. 23f, Luk, 11,46. 


90 10 


wil durch die weishait inn himel komen, sonder er soll 
eingon in die weishait, die ist Christus, und in derselben 
soll er leben und seim nechsten aus derselbigen weishait 
dienen, helfen, raten. Und alles, das der mensch tun soll, 
s soll aus der weishait gan, leben und genesen und nit aus 
dem rechten, welche zu kainen andern dingen gut seint, als 
allain zu verfueren aus der weishait in die ellend dorhait. 

Also wird auch gesagt, daß auf dem stul Mosi sitzen 
[G5«a| schreiber und phariseer. Nun muß ie gewißt werden, 

10 was der stul Moisi sei. So ist es nichts anderst, dann die 
gerechtikait, so die menschen haben, und ist gleich als sprech 
Christus: Moses hat ain stuel, das ist der stuel des gewalts, 
des gerichtes, des gelerten. Nun ist aber Moses gerecht, 
darum so folgen im. Also weiter: auf sein stul werden 

ıs sitzen die schreiber und phariseer, das ist, dieselbigen, die 
den stul des gewalts besitzen und gleisner seint, schreiber 
und phariseer. Dann der stuel ist von got, aber nit aiu 
jeglicher, der darauf sitzt, nemlich die nit, so gemeldt seint 
durch Christum. Dorauf er weiter sagt: alles, das sie euch 

20 haiben, dasselbig ist: das euch haißen diejenigen, so uf dem 
stul seint, das tunt. Nun wissen, daß der gleisner art ist, 
die leut zubaiden, was gut ist. Darumb redt hie allain 
Christus von gleisnern und nit von den tirannen auf disem 
stuel. Solche, was sie uns haiBen, das sollen wir tun. Nun 

25 müssen wir wissen, dieweil wir tun sollen, so muB ie nichts 
bös do gehaißen werden, allain was gut ist. Darumb so 
tunt sies nit und greifens mit kaim finger an. Nun was ist 
das anderst als ain weissagung, daß der stul Mosi mit un- 
nutzen leuten versorgt ist und daß kain apostel darauf sitzt, 

so allain schreiber und gleisner, phariseer. [65b] Deren ist kainer 
kain apostel nit, darumb so tunt sie auch das nit, daß sie haißen 
tun. So ist uns hie bilich zuwissen, wer die seint, so uf 
dem stuel sitzen. Seint sie tirannen, so seint wir in nichts 
schuldig, seint sie aber phariseer und schreiber, so seint wir 
sin schuldig us dem wort, wie Christus redt, und ist die summ 
diser red sovil, daß uf dem gewalt des scepters und regiments 
sitzen schreiber und gleisner. Was sie uns haiDen, das sollen 
wir tun. Aber nach iren werken soller wir nit tun, das ist, 
wir sollen uns hueten, daß wir nit dohin komen, do sie 

4 seint. Dann der stul soll tod und absein und gestorben 
under Christo. 

Die, so uns verfueren werden, die werden komen in 
schafsklaidern. Nun ist uns vonnöten, das schafklaid zu- 
erkennen. Was ist es anderst, dann dal) sie so warm werden 

8, 19 Matth. 23, 2%. 13 Moses gebrecht. 23 allaiu. 
39 die sie. 42 fl. vgl. Matth. 7. 15 ff. 


11 91 


sein, als aiu sebaf. Das ist, das schaf freuret nit, hat sein 
guten belz an. Also auch haben die an gute belz, so 
Christus hie vermaint. Und secht nun eben darauf, wo sie 
frier oder wo ainer sei, der nit mit belzen wol versorget 
sei. Zu dem auch, daß sie mit den schafsitten komen, 5 
fridlich gegen leuten, und aber mit [66a| reiBendem herzen. 
Das ist in manicherlai weg. Den schelten sie, den loben 
sie, und allemal richten sies demnach, daß sie gunst behalten 
von leuten, von dem, der sie kann erhalten. Alsdann ist 
ain jeglicher gleisner, hat leut uf seiner seiten, mit denen 10 
kann ers, die andern reißt er wie ain wolf. Und dieweil 
das reißen ist, das ist, in ain haufen schneiden, in den andern 
liebkosen, dieweil verstee auch nit anderst, als allain, daß 
die seint, vor den wir uns hueten sollen. Sobald ainer 
besser sein will dann der ander, so ist es an dem, daB wir w 
uns sollen bewaren. Dann sie seint wie die schaf, aber 
reibend, zuckend wolf, das ist, mórder der sel, dem leib 
aber wolgefellig, und gefallen der welt weishait wol, aber 
der sel schedlich. So nun Christus das volk anzaigt, ist nun 
bilieb, ain iegklichen zu scheuhen, der do sagt: ich bin eur so 
selsorger ꝛc., sonderlich, so er mit belzen, rücken, kutten, 
klaid 2c. wol bewart ist, sunderlich auch, so er dem leip 
sein willen prediget, menschen weishait wolgefellt: ob nicht 
diser verborgen ain reißender wolf in die sel ist, ob er 
schon ainander bischof schilt oder ander setzten 3c. und 25 
spricht: das ist Christus, das ist Christi 2c. Mit disen worten 
seint sie schaf, das ist, Christus [664] ist ain schaf, also 
komen sie wie Christus und seint gar in Christo, aber mit 
solchem falsch voll, dab ir herz nur ist als reißend wolf. 
So wir dem wort gottes wolten folgen, so solten wir auf so 
irer list, die sie inen haben, mit solchen listigen betrüglich- 
keiten, fliehen alle die, so do predigen, und nur ain pelzlin 
anhetten, aigens oder verheurat. Dann bei der klaidung 
sollen wir alle die fliehen, die ainer handbrait also geklaidt 
seint: so weit reicht das wort Christi. 86 
Darumb seint gesetzt die namen der apostel, deren 12 
seint, und beschriben und bezaichnet von wegen des, ob ain 
belzpfaff (als dann ain jedlicher haißt, der warm ... hat) 
sich in die zal der apostel gemischt hat, daß wir vor im 
bewart werent und uns vor im hütent. Nit allain, dabo 
solehes auf ain sekten geredt sei, sonder uf alle sekten der 
ehristen. Dann was ist ain zertailen in ainem reich, als dab 
ie ainer wider den andern sein will und über den andern, 
will den andern ungerecht machen, und ist selbst ungerecht, 
und der ander aueh. Darumb soll man sieh an ir feind- « 


38 ain ylicher. 38 der warm empgemescht hat. 


92 12 


schaft nicht keren, die sie gegen ainander brauchen, es ist 
nichts, dann ain übrige üppige hoffart, die dem wohlgefellt, 
dem andern [67a] tibel, und also den leuten ain spigel vor- 
gemacht. Darumb so ist uns die zal der apostel angeschriben, 
s und bei denen bliben, und ist weiter kainer mer. Und ob 
ainer schon were, der do from mocht geacht werden, so 
muß das achten allain aus dem gon, daß sie arm, so pilger- 
fertig, so ganz, so volkomen seient, dardurch wir sie ver- 
standen und erkennen warbaftig, mit allen zugehörenden 
10 dingen und tugenden. Noch so seints in der zahl nit, aber 
folgen in die fueBstapfen. Darumb so ist in nichts neues 
erlaubt zu predigen im glauben, sonder strack zupleiben in 
der predig und ler der apostel. Darauf wissen, wie sie alle 
articul gehalten haben, haben lassen bleiben, und was sie 
ıs haben lassen bleiben und gehalten, darbei sollen wir alle 
bleiben. Dann do ist kain mensch mer, dem do mugklich 
sei oder geben sei von got, den wenigisten buchstaben zu- 
endern oder verendern. Darumb was do verendert, ist nur 
alls verfuerung, was subtiler ist, dann die apostel, eitel ver- 
2 fuerer. Das sie haben ongerechtfertigt gelassen, on disputirt 
lassen bleiben, das sollen wir auch bleiben lassen. Darumb 
ist die zal der apostel angesetzt, darumb, daß sie bezeugen 
das wort gottes, in dem, daB sie do nit widerruft haben, 
weder deutelei noch zaichen [67b] geeffert, sander beim wort 
os gottes bliben in einfeltigem verstand. Uber den verstand ist 
uns kainer mer anzunemen. 

Also auf die ding alle, wie angezaigt ist, deren noch 
vilmer seint, erfordert notturft, daß wir guet erkantnus 
kriegen im wissen und erkennen deren, so uns lernen, 

so predigen und verkünden. Dann ie sie mugen sich nit ent- 
schuldigen, daß sie nit begriffen seint von Christo, sunder 
dab er sie angezaigt hat und mit beteudlichen warzaichen 
fürbildet. Nun ist nit minder, der inen mer glaubt, dann 
Christo, und die weishait bei inen sucht und nit bei Christo: 
ss derselbig wirt glauben werden, daß das schafklaid nit also 
zuverston sei, sonder wie Christus geredt hab: ich bin ain 
weg, ain tür, ain licht, und ist doch kain scheur dor, kain 
ackerweg, kain unslitkerzen. Also auch, so sei hie nit das 
sehafklaid als ain belz zuverston, oder als ain schaf uswendig, 
4 und inwendig reißend wolf. Dann welcher ist der, der ge- 
stolen hat, so man fragt: wer bat das geton? der do sage: 
ich, oder er ließ gut sein, wer in wolt im zig haben. Inen 
ist auch also. Der inen, irem geschwetz glauben will. so 
seint sie über alle apostel, und die apostel under inen. 
4, Dann also ward Luzifer aus dem himel gestoßen, der die 


36f. vgl. Joh. 14, 6. 


13 93 


bossen auch riD, [68a] und gleich auf erden ist es auch also. 
Darumb sollen wir beten das paternoster, wie uns Christus 
das gelernet hat: dein will, der geschech, das ist, dein will 
ist, daD der Luzifer us dem himel ist komen, also auch 
auch auf der erden durch dein willen von uns genomen s 
werde. Dieweil wir aber beten und im selbigen pitt iedoch 
dem Luzifer anhangen, und lesent in und folgen im, wie 
kann dann unser bitt im herzen, us dem alle pitt komen 
sollen und gont, von got gewert werden. Wir bitten: dein 
will geschech, und wir wellen aber dise falsche propheten :o 
und falsche apostel haben. Wie soll er uns auf unser bitt 
unsers verfürten herzen geweren?  Darumb so habe ain 
ieglicher acht darauf, was er tue. Dann am jüngsten tag 
wirt nichts übersehen werden, die hoffart und dein abfallen 
von Christo wirt dir aigentlichen fürgehalten werden. 15 


4. Liber de officiis, beneficiis et stipendiis Theophrasti. 


[32a] Unser leben uf erden ist dermaßen, daB uns got 
selbs gesetzt hat embter und stend, die uns sollen auf erden 
fürsten in unser nottarft Wie nun dieselbigen von got seint 
aufgesetzt, also sollen wir dieselbigen zal halten und haben. 20 
Seine embter seint gesein am ersten apostel, darnach doktor, 
darnach discipel 2c., wie sie dann ainander nach gefunden 
werden. Also werden wir auch haben, es sei dann sach, 

. daß wirs erkennen oder nit, das ist, sie seint dann haimlich 
oder offenlich bei uns, verborgen oder offenbar, so seint sie as 
uns. Dann wie die welt ist, so ist allemal ainer, der ain 
apostel ist under in. Der ist ainer, der do apostolische 
warhait sagt, dergleichen die prophetischen, dergleichen dok- 
torischen 2c. Aber nit all werden sie gefunden in der zal 
deren, so der gemain man oder der alber man dafür helt. so 
Dann zugleicherweis wie Christus auf erden ging, und in 
namen wenig an, vil mer namen Herodem und Caipham und 
Annam an, dann Christum. Darumb so seint noch mer solche 
leut, die blind seint gegen den rechten aposteln, propheten, 
doktorn ꝛc. Alsdann seint, die nit blind seint. Dann obschon ss 
ainer den namen vom volk hat: prophet, apostel, doktor, 
noch ist es nit erfüllt. Daß das oben bei got auch sei, wie 
die vülker machen und erwelen, das betreugt vil volks. Dann 


16 Das Neub. hsv. nennt den traktat wie unsere hs.: De officiis, 
-beneficiis et stineud'¡-. Das Oss. hsv. schreibt: Von Aemptern, pfründen 
und stipendija. Jen vollständigen text überliefert nur A. Im wesent- 
lichen gleichlautende Auszüge UID D, B und H. 95f. die nit 
blind seint steht zweimal. . x 


94 14 


also macht sich der endebrist ein. Darumben, so wir kunden 
und die gnad von got hetten der apostel, so noch under uns seint, 
und propheten, doctores 2c., so wurden etwan ander an die 
stat gesezt, als die, so an derselbigen sitzen. Wiewol ein 
‚sjegklicher sagt, er sagt das wort gottes: nit ainem jegklichen 
ist es: beschehen, nit jegklicher wirt die belonung darumb 
nemen, 320] nit aim jegklichen wirt aufgeton werden. Aber 
die embter werden wir behalten, und wenig, die sie annemen 
und recht erkennen, wie dann auch Christus wenig werd 
10 erkennet und von mererm tail gar nichts erkent. Also sollen 
wir wissen, daB wir im seligen leben sollen acht hon auf 
die ersten, auf daß wir nit Caipham, Annam, Herodem 2c. 
ergreifen. Dann sollen wir dieselbigen hüren, so werden sie 
vil gar abfüren und ergern, wiewol geschriben stet, wir 
15 Sollen uns nit kerent an ir werk, sonder ler. Dieweil wir 
aber so schwaeb seint im fleiseh und so ring und kalt in 
der liebe gottes, so ist es zubesorgen, sie verfueren vil leut, 
die dem gebot Christi nit nachgangen, in dem, daB sie irem 
werk nit nachfolgen sollen, die do werden nachfolgen auf 
ao gute hofnung. Solches zuvermeiden, braucht aufsehen. 

Nun seint embter von got gestellt auf uns, das seint 
apostel.  Dieselbigen hont von got großen gewalt. Sie 
machen die aussetzigen rein, sie machen die blinden ge- 

- sehent, die lamen gont, die beseßnen ledigen sie und was 
as sie vom gift trinken, das schadt in nit. Und darzue so reden 
sie mit freien zungen alle sprachen verstendig under ainer 
red und verkünden Christum wunderbarlich auf erden, daß 
sich in irem verktinden alle menschen verwundern, so scharpfe 
große mirakulen, Deren hat Christus zwelf userwelt, und 
zo ainer ward ain verrüter. Nachdem ward ainander an sein 
stat gesetzt, nemblich Matthias. Jetz warent ir aber zwelf. 
Darnach folgt hernach Paulus. Dem ward der namen geben 
ains apostels, dann er tat ire werk und zaichen, und wie 
die apostel den hailigen geist empfingen am pfiugsttag, also 
ss ward Paulus in den himel ufgehebt und an demselbigen ort 
erleucht, daß er gleich war den [33a] aposteln und ein 
apostel. Also beweist nun uns das, daB nit allain die, so 
in der zal der apostel Christi seint, von Christo benambt 
seint, auch die hernach werden, die apostel seint. Doch 
s aber ain apostel wirt von hailigen geist, oder wirt in den 
dritten himel geruckt, wie er werd. Sein ler, sein predigen 
kombt nit vom menschen, nit aus der schul, nit aus den 
buchstaben, sonder von got. Das ist ein apostolische under- 
weisung und lerung on mitels von got und sonst von kainem 
«andern. Darumb reden sie feurin, nit menschlich, wie Cicero, 


5 mit 45 werden sie feurin nit mensch wie usw. 


15 95. 


wie Lactantius, wie Origenes, wie Tertullianus ꝛc. Was also 
mit den feurigen zungen nit redt mit sambt den beiwonenden 
zaichen, das seint nit apostel, das ist, sie werden nit mit 
Paulo apostel genant, deren neuen apostel Paulus der erst 
ist, wie Petrus under den erwelten der erst. 5 


Nach disem hat uns Christus gesetzt propheten. Dié- 
selbigen seint des ambts bei got auserwelt, und aber nit 
aus apostolischer zal, sonder von got genomen, zuverktinden 
die zukunft der wörter Christi zu ainer underrichtung des 
volks, zur buf. - Und dieselbigen setzt auch got selbs, das 10 
ist, Christus setzt sie. Zugleicherweis als mit Jonas, do er 
in schickte gen Ninive mit kurzem beschaid, in do zu ver- 
künden, daß sie wurden undergon 2c. Und also mit andern 
dingen mer. Solcher propheten ambt ist nit apostel ver- 
kündung zu gebrauchen, allain anzaigen zukünftig über die 18 
ungehorsamen. Sie namen ir weissagung nit von gestirn, 
nit von ktinsten, nit von auguren, nif von magis, sonder on 
allen behelf deren aller aus góttlichem mund, gleich den 
alten propheten, als allain inen solehes verborgen. Dann 
im neuen testament seit der auffart herr Christi, ist kain so 
stim mer zu den kirchen geschehen wissent, [33b] aber wol 
geschehen, aber nit gehört. Aber die propheten wol, deren 
vil gesein seint, aber so verborgen, also still, daß sie kaum 
mügen erkent werden. Und also ist ir ambt, daß sie gemain 
schlecht leut seint, nit der welt weisen, sonder von inen as 
veracht. Aber im verkünden der zukunft Christi in seinen 
worten scharpf und hoch, wie gegen Ninive 2c. Also werden 
die zwai embter aus got groD und vor den menschen pit. 


Nach denen hat Christus gesetzt doktorn, die weder 
apostel ambt hont noch prophetisch ambt, sonder allain aus- so 
leger und underrichter wider die einfallenden irrsal und 
ketzereien, so daraus der ler mag erston. Solch aber werden 
nit vom menschen gelert die ding auszulegen, sonder allain 
auch von dem hailigen geist, wiewol er nit offenbar. bei in 
ist, wie bei den aposteln, das ist, sie reden nit mit feurigen ss 
zungen, aber feurige auslegung, sie sagen nit weis, sie legens 
aber aus. Und solche doctores seint allain darumb gesetzt, 
daß der teufel wider die apostel ficht, wie er in der ler 
könne falsch machen under dem volk, das ist falsch und 
betrogen. damit sie in ein mibverstand gebracht muge werden, «o 
auf daß inen kain glauben geben werde, damit daß sein 
gewalt fürgang.  Dise doctores auch, so weissagung ge- 
schehen, ob schon gleichwol propheten nit kemen, so ist ion 
doch das wort prophezei kundbar und wissens auszulegen . 
und seint allain darumb als ausleger, interpretirer deren ss 
würter, so die propheten für halten und apostel geben und 


96 | 16 


lernen, dergleichen auch der würter Christi. Und aber ir 
weishait der auslegung entspringen nit vom menschen, allain 
vom hailigen geist. Dann niemants mag die wörter Christi, 
der apostel und propheten wörter auslegen, allain es sei 

sdann sach, daß inn der hailig geist das offenbart. Darumb 
so seint vil [34a] wörter irrig und falsch ausgelegt worden 
in der geschrift aus ursachen, daß der hailig geist bei den- 
selbigen doktorn nit gesein ist. Dann der teufel reißt über 
all sein doctores und seine propheten und seine apostel 

10 hierin, uf daß ain irrung do werd, die denn wunderbarliche 
auslegung gebe. Dann so bald der teufel die seinen ein- 
reißt, vonstundan gibt dieselbig auslegung ein zweihung im 
reich. Darbei ist sie zuerkennen, daB sie falsch ist. Aber 
die ler Christi, nach inhalt der uslegung aus dem hailigen 

ıs gaist, gibt kain entzweihung, sonder ein ganzen einigen ver- 
stand und grund. 

Also nachfolget hat er auch jünger gesetzt, das ist, 
jünger der apostel, jünger der propheten, jünger der doktorn zc., 
also daß ir dreierlai seint, deren ambt ist, daß sie dieselbigen 

20 lernen von denen, deren jünger sie seint. Als die do seint 
die jünger der apostel, reden von der apostel ler, wie sie 
die von inen enpfahen hörent. Die so seint jünger der 
propheten, reden und sagen derselbigen propheten ler, auch 
wie sies von inen gehört hont. Die do seint jünger der 

ss doktorn, auch also, was sie von denselbigen lernen und 
hörent und sehent, das sagen sie auch weiter aus. Also 
seint die jünger von got geordnet, nit daß sie den hailigen 
geist haben, sonder aber sie hörent in reden und seint in 
irem ambt sovil, daB sie zeugen seint, das ist, zeugnus geben, 
so Wer sie seint, das ist, wer die seint, von denen sie das ge- 
bört haben. Und jünger ist sovil, als ainer, der ausktindt 
und weiter sagt das wort, das sein herr und maister geredt 
hat. Darumb so seint die apostel jünger Christi, aber in 
apostel gemacht, auf daB sie nit allain, das sie gehürt hont 
ss von Christo reden und verkünden, sonder auch sein leiden, 
leben und tod und uferston und auffart verkünden, darzue 
auch, was ler von Christo [345] nit gemeldt ist, vollenden 
sollen. Dann denselbigeu geist hat er inen geben. Also 
hat er auch ander jünger bei im gehabt, denn er den 
so hailigen geist nit geben hat, sonder jünger bliben seint, 
verkünder des worts und nit mer, dann sovil sie gehört 
hont. Und das, so sie gehört haben, dasselbige haben sie 
nit vom menschen gehört, sonder vom hailigen geist, der 
dann gesein ist und geredt hat aus irem preceptoribus, bei 
« dem die jünger gesein seint. 


20 als sie. . 35 Christi. 


17 97 


Also hat nun got verordnet. die drei embter zu ver- 
sehen aus den seinen und im die wal behalten, wen er will, 
zunemen. Und ob das volk sehon vil wolte handlen und 
tun, so wirt es doch alles nichts sein on die stim des obern. 
Daun das volk soll sich selbs nit darfür halten, daB sie die ; 
seient, die sie mugen weihen, salben, machen, welen 2c., ein 
apostel ein prophet, ein doktor oder ein jünger, sonder 
allain: das sie welen und setzen, das seint bischof, pfarrer 
eelich 2c, die weder apostel noch propheten noch doctores 
noch jünger seint, sonder aufgeworfen leut, nachdem und 10 
das volk ist. So es fram gerat, ganz, gut, so seint sie auch 
also. Wo nit, so seint sie dem gleich. Darumb sich das 
volk darfür nit achten soll, dieweil sie so aines üppigen 
lebens und laster seint, daD sie in kainerlai weg mugen solche 
ambter setzen noch entsetzen, als allain irer, wie sie seint, 15 

So sie nun got setzt, darumb belont er sie auch. Aus 
der ursach suechen sie kain belonung vom menschen, weder 
apostel, weder propheten, weder doctores, weder junger, 
sonder alle suechen sie ir belonung von got und gar nit 
beim menschen. Das sie vom menschen hont, das hont sie 20 
von der erden, dann got gibt der erden ir frucht dester mer, 
daß auch dester mer haben, den sie zu haus [35a] komen, 
und inen fürlegen, das sie essen und drinken. Sie finden 
aucb allemal die, so userwelt seint, inen zugeben, bei denen 
sie bleiben, bei denen der frid ist. Darumb so essen sie 26 
niemants niehts ab. Dem sie abessen, denn hat er iren tail 
verordnet und zugestellt, bei demselben finden sie in, das 
ist, wo sie den frid finden, do finden sie ir narung. Wo nit, 
do essen sie nichts. Dann do hat inn got nichts hingelegt, 
Darumb so essen sie niemants nichts ab, weder sein arbait so 
noch schwaiß noch den bettel noch das almusen, sonder ir 
kuchen wechst inen für ir lon und kostung, sovil sie denen 
geben, so aus dem ambt gottes do seiut. Us der ursachen 
finden sie allemal die, so inen got zugibt, die sie speisen. 
Dann also fürt sie got, daB die bósen sich nit dürfen be- ss 
rümen: wir hont in zuessen geben, zutrinken geben zc. 
Daramb so haben sie kain zehenden. Dann in geben gut 
und bös, die von got und die vom teufel. Dergleichen essen 
sie kain opfer, dann es gont gut und bös, fram und gleisner 2c. 
Allain die userwelten speisen sie, bei denn der frid ist, Die- so 
selbigen klaiden sie auch, sovil und inen not ist. Aber wie . 
unser hergot in seinem klaid ist gangen, das kains machens 
getorft hat, also auch diser apostel, prophet, doktor und 
jünger ꝛc. Was weiter die belonung ist, inen zugeben, die- 
selbig wirt inn geben im reich der himeln. Do werden sie 45 


— — 


8 das sie wellen. 12 sie das. 45 im. 
Arehiv für Reformationsgeschichte. XIV. 2. 1 


98 18 


ir frid und wollust habe», und auf erden nichts dann jamer 
und not. Dann ir reich ist nit auf diser welt. Darumb so 
suechen sie dasselbig bie nit, darumb entpfahen sie vom 
menschen kain belonung, dann der mensch vermag sie nit 
szuzalen. Es muß sie nun Christus zalen von wegen der 
menschen. Also die propheten [350] empfahen auch kain 
propheten belonung vom menschen, allain von got. Dann 
wie mecht ain stat als Ninive war, Jone gnugsam belonung 
sagen, ich geschweig geben, daß ir stat mit in nit under- 

10 ging, ich gesehweig sovil tausent selen, so undergangen 
werent, so sie Jonas nit gewarnet het zur reu und bueß. 
Also auch die doctores haben kain belonung vom menschen, 
noch die jünger. Sie suechen nit das iherig, sonder allain 
des andern, und das one belonung. 

15 Das seint, die do werden im himel leuchten, wie die 
sternen, deren namen seint in das buech des lebens ge- 
scbriben. Das seint die, die sich nit freuen oder erheben. 
darumb, daß sie vil zaichen und wunderwerk auf erden 
geton haben, sonder darumb werden sie sich freuen, daß 

20 sie im himel angeschriben mit iren namen, wie ein jegklicher 
geist. Das ist ir belonung darvon, daß sie auf erden ambt- 
leut Christi gesein seint. Nit daß sie auf erden belonung 
suechen oder bauchvolle oder zins oder gült und dergleichen. 
Got der speist sie auf erden bei den seinen. Denselbigen 

25 gibt er, dab auch die seinen gnug darvon hont, und sie 
geben inen unwissent von irem gut. Aber got besolt sie 
haimlichen. Das seint die, denen Mattheus redt: Ir seint 
salz der erden, ir seint lichter der welt. Dann darumb 
seint sies, daß auch bei inen ist der bailig geist, aus dem 

so das licht get der welt und das salz der erden. Das salz 
wechst nit von der erden, es wechst auch nit das licht vom 
wax, sonder aus dem hailigen gaist. 

Aber dieweil auch Christus sagt: so dis salz dum ist, 
warzu ist es gut, als allain daß mans werfe hinaus: das 

s salz gibt ein anzaigung in disen embtern. Also spricht 
Christus: es wirt salz sein auf erden, aber nit aus mir. 
sonder aus der [36a] erden. Darumb so werden auch zweier- 
lei salz, salz der apostel und deren, so aus dem hailigen 
geist reden und lernen, den ich besoldung und narung gib 

« auf erden und im himel. Und wirt auch salz sein auf der 
erden, das wirt aus der erden sein, nemblich vom menschen. 
Das wirt dum sein und dorechtig, das wirt nit gut sein zum 
himel und im himel. Darzue ist es allain gut, daB maus 
hinaus werf und mit füßen darauf tret. Hiebei ist zuverston. 

«dab in den embtern der verkündung, lernung und under- 


— — 


16 f. Phil. 4,3. Apoc. 3,5 usw. 27, 33f. Matth. 5, 13. 37 auf. 


39 99 


weisung Christi ain groß aufmerken zuhon ist, dieweil die 
apostel salz seint und aber Christus do ein zwifach salz 
anzaigt und das ander salz verwirft. So ist gar eben ein 
achtung darauf zuhon, auf daß wir nicht gesalzen werden 
von dem dumen salz. b 

Das nemblieh das ist von phariseern, pfaffen und 
schreibern und recht erfarnen, und die do sitzen uf dem 
stul Mosi. Dann das seint, die do versehen das ambit, 
darumb sie sich auch für dieselbigen ausgeben und sein 
wóllen, aber nit gleich dem ersten salz. Sie essen vom o 
guten und bósen, wer in gibt, der ist ir freund. Der in aber 
nit gibt, dem vergeben sie nichts. Sie reden allain mit irer 
mutter zungen, und was sie mit herter arbait in der schul 
gelernt hont. Darumb es ain dum salz ist, darumb daß sie 
nit salzen das irig, nit waiden, sonder sie muß man waiden. 15 
Darumb daß sie also reiBend wölf seint, haißt sie Christus 
ain doriehts salz, dann ir weishait, ir gewalt, ir seligkait ist 
ain narrhait vor got. Darumb so gehórent sie niendert hin, 
als für die tür hinaus. darauf mit fuefen zutreten. 

So erfindt sich auch in der geschrift. daB auch prister so 
gesein seint, [360] aber nit von got gesetzt, das ist von Christo. 
So findt es sich auch nit, daß sie von den aposteln gesetzt 
seint worden. So ist aueh kein underrichtnng do, von wannen 
sie erstanden oder komen seint von irem ursprung her in 
das neu testament, und was doch ir ambt gesein sei, tuns; 
und lon. Dieweil sie aber seint den aposteln angehangen 
und mit inen zugestimbt, als sich in actis und sonst beweist, 
so seint sie also zuverston, daß die prister gesein seint bei 
den juden. Und nachdem und sie vonn juden komen seint 
zum glauben Christi, daß sie alsdann den namen behalten so 
haben. Oder vielleucht seint sie fürgend leut gesein und 
sonderlich got gedienet für ander aus mit guten exempeln 
und fürbildung, und dem volk ain guten weg angezaigt. 
Dann das ist also: so ein nation eins anderen glaubens ist 
und heten ire prister ꝛc., wie sie dann iu allen andern ss 
glauben also gebaifen mügen, und so sich ein nation bekert 
vom selbigen glauben, in disem glauben so mügen sie wol 
dem volk sonderlich weiter auch ler geben, docb nit als 
apostel, nit als propheten, nit als doctores, nit als discipul, 
sonder als die, so vorhin solche gesein seint und bekent, «e 
und aber bei denselbigen bleiben, doch on gewalt der apostel 
und dergleichen. Desgleichen auch so seint landbreuch, die 
soleh namen hont in iren gegnen, die vielleueht von wegen 
des brauchs etlich also gehaißen seint worden. Daß aber 
cin sonderlicher stand sei, der do sein müsse, on den mans 


15 das sie ralzen das irrig. 
7* 


100 20 


nit sein müge, oder von got gesetzt, das ist nit. Sonder so 
weit zaigt es an, daB sie wol mtigen als vil gesein sein, als 
vorgeer des volks, lermaister und dergleichen, die das volk 
gelert haben zum glauben nach den aposteln, propheten, 

sdoctores, jüngern, als die letsten verweser. Wiewol auch 
der apostel Johannes in [37a] seiner epistel am letsten ein 
prister und in ainer ain theologus genent wirt, ist gleich 
ein ding: der haißt ainen also, der ander also, nachdem 
und die epistel geschriben seint worden, so stat am anfang 

ein apostel, und damit die ander auch also vermaint sollen 
werden. Daß aber anderst und anderst stet, haben die hinzu 
gesetzt, denen zugeschriben ist worden ain jegklicher, nach- 
dem und er in erkent hat: sein ausgeben ist apostel. Der 
ander hat prister gesetzt nach seim gedunken, der hat ein 

ıstheologen, wie dann nach andern namen geben werden, 
anderst, dann ainer im selbs gebe. Daß aber der stand 
prister sonderlieh mueb sein oder angesehen sei von Christo, 
das ist nit. Dann es ist ain alts herkomen, und also ge- 
nant, als die do den weg geben dem volk. 

20 Wol meldt Paulus zu Tito ain meldung, die kurz ist, 
daB er sich soll züchtig, redlich, warhaftig, embsig ?c. halten. 
Solche dugend ist nit minder, sie gehört aim zu, der do wil 
gerecht und frum sein vor dem volk, ain vorgeer. Aber 
darumb ist er kains gewalts. Dann wiewol Titus ain vor- 

2j geer gesein ist, so ist do hiebei nit gemeldt, daß Paulus im 
weiter apostel ambt noch propheten ambt noch doktor ambt 
noch jünger ambt befolhen hab zuverwesen, und darnach 
befileht er im, wie Titus nun gefunden wirt, daD er nichts 
sei gesein us den bemelten emptern, als allain ain angenomner 

so von Paulo, der im sonderlich lieb ist gesein, darumb so er 
im sonderlieh mer vertraut hat als allen andern, wie ainem 
bruder, (als sich dann mer nit findt), hat er im den gewalt 
geben über die prister und bischof, die zustrafen und zu 
korrigiren. Aber es wirt hierin nit begriffen, daß do ain 

ss gewalt [370] oder dergleichen ufgesetzt sei, das do müsse 
sein. Sondern sovil wirt do verstanden, so weder apostel, 
propheten, doctores, jünger nit warent, daB ain oberkait soll 
ainen fürsetzen, der das volk lerne nach dem buechstaben 
das euangelion, dieweil bis ain prophet, apostel, doktor 2c. 

40 Kum, und daß derselbig sei ain ganz warhaftig, aufrechter 
prister, kain huerer, spiler, saufer :c. Daß aber disem 
weiter vil befolhen sei, als allain from zesein, als guet 
exempel vortragen, weiter befindt sich nit, als man dann 
nach tun mecht in absein der apostel, der propheten, der 

45 doctores: setzen ein geleren, verstandigen, frumen menschen, 


22f. Tit. 2, 2. 


L4 


21 101 


der das volk underweis und lernete, denselbigen ain prister, 
oder ain bischof oder auch ain lermaister, lesmaister nennen, 
und daß er sei ain eheman und kains andern stands, das 
ist, kainer sekten, als mtinch, pfaffen ?c, sonder allain ain 
prister, das ist kain pfaff, ist auch kain münch sonder ein s 
weltlich man, der eelich ist. Darbei wol zuverston, daß 
in nit groD apostel ambt befolhen ist, dieweil er bei der 
frauen sein soll und nit weib und kind verlassen. Darumb 
so seint münch, pfaffen ainander sekten, dann hiebei Paulo 
verstanden wirt. Solt ain prister, bisehof etwas mer sein, 10 
es würt ainander gesatz do steen und ain merer straf wider 
sie, als allain die gemainen straf. 

So meldt er auch. in der ander epistel zu Timotheo, 
do er in ermant, wie er soll fest sein in der gab, so in im 
sei gewürkt durch sein hand. Do mag wol etwas gleichs 15 
ainem apostel verstanden werden, und aber weiter wirt nichts 
gemeldt, als allain die gnad gottes, so in im sei, daß die- 
selbig wol erschieB und daß er die leut lerne, und daß 
dieselbigen andern ungeschickt leut [384] lernen. Also mag 
wol ain solcher, der do ander leut lernt, sein ein bischof 20 
und ain prister, das Paulus legt auf den und alle die, so 
do lernen und vorgeer seint, in kaim weg haben oder sollen 
hon dasjenig, so sich zuhon die münch und pfaffen beruemen. 
Allain als ob ainer eim ein haus halten befelhe in seinem 
abwesen, do gut ufzusehen hon, daß man im glauben 2c. 25 
blibe und in aller frumbkait, auf daß die jungen oder vor- 
mund niemants verfuer vom guten zum búsen: seint diener, 
wie Mareus gesein ist ain diener Pauli, aber kain pfaff, kain 
münch, allain ain diener. Also für diener soll mans auch 
nemen die brister und bischof, und nit höher halten. Dann so 
Paulus berümbt sich selbs vil seins gewalts und seiner gaben. 
Aber von den andern, daß sie dergleichen haben, wirt nit 


-gemeldt, sonder allain, daß er sie hab als bruder und diener. 


Und sonderlich ermant er Timotheon, welcher an sich 
nam das biscbof ambt und gab: der begert ein ersams, das 35 
ist nit ein hoffertigs ambt, nit pomposisch, sonder gar ein 
erbars und ersams ambt begert er. Darumb nun, daB es ist 
ain ersams ambt, do zaigt er darauf an, wie er sein soll, 
mit was tugenden und ersamkait. Aber der dingen wirt 
kains gemeldt, die so den münchen und pfaffen beiwonent 40 
und gebrauchen. Darumb so mag das ambt nit anderst 
gefunden werden, als allain ain ambt zusein der ler und 
eins guten wandels, und ein ufrechter exemplar vor dem 
volk, das volk in zucht, liebe und forcht gottes behalten und 
sie lernen den glauben, die ler Christi fürhalten. 45 


14f. 1. Tim. 4, 14. 18 wo erschieß. 45 Christo. 


102 232 


Wiewol er aucb zu den Korinthern vom nachtmal Christi 
kain [38b] sonder ambt, daß do müge ain ander ambt ver- 
standen werden, als knecht, diener 2c.. daramb so ist sich 
nit zu versehen, daf do weder apostel noch prophet noeh 

s doktor 2c. benembt werden, auch kain sonderlicher gewalt, 
als allain ain jegklicher lernen, was das wort gottes sel. 
und weiter ein jegklicher soll den lassen sein, das er sein sol!. 

Wiewol nit minder ist. das er fürhalt gegen Tito, dub 
er soll die prister halten, wie ers im verordnet hab. die 

10 Ordnung ist aber nit do, sie wirt aber wol verstanden. dab 
sie nit anderst ist, als allain pur laien. on gewalt und berümeu 
des hailigen geists und desselbigen kraft. Auch meldt er 
wol ain ordnung. die er machen well, so er zu Timothe» 
kum 2c., die auch nit do ist. Sein ordnung, aber im haubt- 

i5 stuck ist do. Darumb us denselbigen wol zuermessen. wie 
es sein soll, gleich als du, ain jegklieher selbs, das er tun: 
soll, essen selbs das nachtmal Christi, tauf selbs, wiewo! 
durch die grobhait des volks ain sonderen zuhon zu den 
dingen. gebürlich ist. 

20 So meldt auch Paulus vun diser leuten narung uni 
spricht: der dem altar dient, der soll vom altar essen. und 
der dem euangelion dient, vom euangelion. Das ist ein 
solche red. daß solche leut dienen dem altar. das ist. sie 
seint vorgeer in der kirehen und dem volk, allain in zueh: 

25 Und erbarkait und ler. Dieweil nun nit ain jegklicher darzu- 
geschickt ist, sonder mer ungesehiekt. aus der ursachen, mat; 
muß leut darzue lernen, die dann von wegen solcher lernunz 
versaumen handwerk uud ander narung. Ist nun bilich. dab 
mans in dem ort erstatt, wie ein handwerksman sein lidlon 

so mag austragen. Do wirt auch nichts gemeldt, weder zehendeı:, 
opfer 2c.. sonder [55al allain narung, inmaben wie gesagt ist 
vom altar, und aber der altar hat niehts, daruf auch nieht: 
der diener. darufs dem soll mans geben. Also auch der dem 
euangelion dient: darbei werden die verstanden. so im aposte! 

x5 ambt wandlen. Dieselbigen sollen ernert werden vom euangelio 
Das ist, wie gemeldt ist von der apostel narung, daß sie ir 
speis finden bei denen. do es got hinlegt. und haben doch 
nichts aigens. und betlent doch nichts. und in wirt auch 
nichts geschickt. Darumb Christus sagt: gont in die heuser 

«und was man euch fürstellt, das essen. als wolt er sprechen: 
ich bin der, der euch weiset in die heuser. das ir eur speis 
finden, und ich bin, der euchs do berait und gibt. Darum! 
wie ich euchs do berait hab. also essens. Dann Christus 
will nit uf erden. dab us seinen jüngern. aposteln 2c. Rainer 

i reiehtumb, aigens besolts gewib hab mit seim wissen, er 


Y Tu. 1,5 usw. 2lf. J. Cor. 9, 1%. 38 wirt auch und iu 
auch nichts geschickt 


23 103 


aber versorgt sie, sie sollen der dingen halben on sorgeu 
sein. sonder der himliseh vatter wirt für sie sorgen. 

So stet auch ein ambt im euangelion, do Christus spricht: 
ir sollen mir mein gesalbten nit angreifen. Das ist also: 
die er salbt, die maint er, er haißt auch Christus. aber von s 
seiner salbung ist nichts geschriben, daD in die menschen 
gesalbt haben, sonder wol von got, seinem himlischen vatter. 
Also ist es noch: wen er salbt, den hailiget er und ist hailig. 
Wee dem. der in weiter angreift auf das wort. Der aber 
nit hailig ist, der ist nit sein gesalbter. Der wirt auch nit 10 
hie begriften in disem bot. Darumb soll niemants kain 
hailigen angreifen und in in dasten oder schmehen. Dann 
wer dieselbigen gesalbten, das seint hailigen. verschmecht, 
der verschmecht auch got. Der sie höret. der hört auch 
got. Der sie habt, der habt auch got. Darumb vergieb ıs 
kainer sein blut an inen. 

Aber nun wiewol ander embter seint, die auch von got 
seint und [59b] in der welt muessen sein, und aber sie 
sehaiden sieh von den andern vorgemelten, aber dureh sonder 
art, oberkait, gelerte, das ist, die doctores, so wissen auf 20 
solehes. daB dise sollen von jugent auf zu den dingen ge- 
zogen werden und erhalten von der kirchen, das ist, von 
der gemain, auf das sie in iren tagen komen zu dem ver- 
stand. erfarn leut zusein, und die do ain wissen tragen, in 
den dingen, so dann ir ambt fürhin inhalt, als arzt, als ge- s 
waltig regirer, als gelert leut zur sitten, zur phv«Len, zun 
andern natürlichen dingen, so ainem menschen zuwissen 
zustont. Und ob es also gleichwol gab seint von got. so 
seints doch nit gaben. die do von in selbs einfließen. Dann 
ob aim schon ist geben die gnad der sprach, so mub ers so 
lernen, und so ers lernet, so grlinet dieselbige gab heraus, 
zugleieherweis wie ein gras aus der erden. Also auch seint 
etliche, die gaben hont zureden. Darumb sollen sie gelernet 
werden, daB sie reden die warhait und nit vou in selbs 
ungelert zur lügen komen und reden, was wider die war- ss 
hait und seinem nechsten sei. Also mit der arznei Die- 
selbigen, so die gaben und liebe darzue hont, darzue ziehent 
und lernen, uf daD nit bescheiber in der arznei aus inen 
werden. Dergleichen auch, so ainer zum gewalt die gab 
hat, darzu zieben. domit daß nit sein unwissenhait das land « 
betrüg und verfür. Dann dieweil got die ding gesetzt hat 
und gibt die gaben, so seint nit alle menschen darzue gericht. 
dieselbigen von got zu empfahen on mitels, sonder dureh 
lernen. Darumb sollent sie mit lernen nit versaumbt werden, 
uf daB sie von inn selbs nit in ain unverstand komen. ss 


> E —— 


4 1. Chr. 17,22. Ps, 105, 15. 20 zur phven.- 15 im. 


104 24 


dodurch land, leut, statt und alles in verftirung, betrug und 
falsch komen aus unverstand und unwissenhait. Man soll 
auch das wissen, daß die, so nit darzue beruft seint, als ir 
ist nit die gab der [40a] arznei, nit die gab des gewalts, 
snit die gab der sprach, nit die gab der red, und doch 
solche ding gebrauchen, daß sie mit allen iren dingen ver- 
fuert werden und in allen dingen unwissent seint. Dann 
wem die warhait nit geben ist, der mag sie nit brauchen. 
Dem die warhait geben ist, der mag nit liegen. Also auch 
10 dem die arznei geben ist, dem get sie glücklich abstat und 
wol mit seinen kranken. Dem sie nit geben ist, dem get 
sie widersinnig. Darumb nachdem und von got ainem jegk- 
lichen die gab und gnad verlihen ist, dermaßen soll mans 
halten und ziehen uf dasselbig, daB sie das ierig und das 
15 alte zusamen krammen. 

Dann do Christus sagt, daB das reich der himel gleich 
sei ainem, der aus seim schatz herfür trug alts und neues, 
das ist sovil geredt: der schatz ist die gab, so ain jegklicher 
von got hat. Das neu ist, das er ietzund gibt, das vorhin 

20 noch nie geben ist, als neue kunst, neue ler, neu arzt, neu 
gesatz 20. Das alt ist dasjenig, so den alten geben gesein 
ist und ietzt an uns langt, von den alten ererbt durch ge- 
schriften oder in ander weg eröffnung. Also kompt in uns 
das neu und das alt. Also ist der himel auch also. Er 

es gibt die gnad und gab in uns, daß wir alts und neues 
wissen, lernen und erfarn mügen. Nun das alt das muessen 
wir lernen, es sei dureh hóren, durch lesen, durch ander 
erfarnhait. Das neu das gibt uns got selbs zu dem alten. 
Uf solches sollen wir nun das wissen, daß die kinder zu den 
so gaben sollen gezogen werden von jugend auf. Das seint 
nun die empter von den menschen, so der mensch zusetzen 
hat, und solches zulernen und zuerfarn, solche auch so sies 
künnen, so habens sies mit vergebens empfangen noch gelert. 
Darumb können sies nit umb sonst usgeben. Dann es erfüllt 
ss die stat aines handwerks, domit sich ein jegklicher selbs 
erneren soll. So sie [405] aber aus der kirehen gut dohin 
gezogen werden, so honts sies vergebens gelernt, bilieh, so 
sie auch von der kirchen erhalten werden vergebens, daß 
sies ausgeben und tailen. Das seint die embter der benefizien, 

40 die bei den ersten gesein seint, das ist, bei den alten. Und 
aber dieselbigen art und brauch ist komen, daß sie ver- 
wandelt seint worden in die pfaffen und kaplan, münch c. 
daraus gemacht, vermaint, daß ir beten, fasten nutzer sei, 
dann ain arzt im land, ein gelerter im land, ein frumer 

asregirer im land. Also ist es aus der hand komen deren, 


15 das alten. 16f. vgl. Matth. 13, 52. 


25 105 


die es hon solten und könen, in den stand oder sekten 
der pfaffen und mtinch, deren ursprung nit mag gefunden 
werden, woher sie doch komen. Dann es wirt von inen 
nienen nit gemeldt, daß ein gab inen sei allain geben und 
sonst niemants. Was sie sich berümen, mag nit auf sies 
langen. Darumb im seligen leben sollen ir wissen, daß 
solche leut nit sollen fürkomen, die nit wol in der geschrift 
grundt seint und iren anfang nemen, uf daB ander ergrundt 
gaben durch sie nit undergangen und zerrütt werden. Dann 
es ist kain geschlecht der gaben, die ander mügen us der 10 
hell erlesen oder erbeten und dergleichen. Es ist kain gab 
deren es die apostolisch, sie seint aber aus dem stand der 
pfaffen und münch nit gesein. 

Und ob gleichwol aus denselbigen pfaffen und münchen 
etwas guts gedeihen mechte oder würe beschehen, so istis 
doch ein grof achtung uf das zuhaben, ob es recht oder 
unrecht darzue komen sei. Dann ursach: wirt ain solcher 
ein hailig, so muD es anderst zugangen sein, dann durch 
pfaffen -und münehs ordnung. Dieselbig vermag kain hailigen 
zumachen, noch auch nichts seligs. Ist aber das nit, sondern so 
es ist durch müncherei und pfatfenhait beschehen, [41a] so 
ist zugedenken an das wort Christi: es werden falsch propheten, 
falsch apostel, falsch Christen komen, die werden vil ver- 
fueren und werden zaichen tun und miracul. So nun zaichen 
tun und miracul bei denselbigen auch ist, und die tugend ss 
des euangelions werden do nit gefunden, aber wol die pfaff- 
hait und müncherei, und die pfaffen und müncherei und 
zaichen und miraculen seint beiainander, wer wolt anderst 
gedenken, dann daß sie seient aus der zal, wie obstet, der 
falschen propheten, falschen apostel und dergleichen. Es ist so 
auch vil an die red Christi zugedenken, do er sagt: wee 
euch, die ir gleich seint wie die toten greber, ausweudig 
hübsch, inwendig stinkende leiber. Dann dise seint auch aus- 
wendig himlisch, aber inwendig nichts guts, sondern reißende 
wölf. Sollen wir nun die leut aus iren früchten und werken ss 
erkennen, und wir wissen, was die guten frucht seint, was 
die guten werk seint, und wissent aus inen den guten 
baum, wissent auch also die bóse frucht der bósen werk 
und der bösen baum, so ist nun bilich, auch daß wir das- 
selbig betrachten und nit glauben geben solchen selbs uf- 40 
geworfen und eingesetzten lerern. Dann der teufel ist bei- 
schlegig, er get uns tag und nacht nach wie ein wuetender 
leu, daß er uns hinfuer. So wir seine grimigkait verston, 
so tut er sie hinein und verbirgt sie, legt ein schafhaut an, 


22f, Matth. 24, 24. 31f. Matth. 23, 27. 38 denn bósen. 
42 vgl. 1. Petr. 5,8. 


106 96 


auf daß er nit grimig werd. Aber das schaf. wie milt es 
sicht, so ist es inwendig ein reißender wolf. Nun von der 
haut gont die werk und frucht, nit sie gont vom herzen 
heraus, aus der ursach: so sie von herzen gont, so leBt sie 
s der wolf, der wütend leu. Merken uf dasselbige, hont acht. 
das heraus get, nit das ußer an im hangt. [41b] Also sollen 
im seligen leben gefürdert werden die, so gaben von got 
tragen. Dann dieselbigen seint die. deren wir dürfen, und 
sie seints nit, deren wir nit dürfen. Darumb soll die kirchen 
z0 wol versorgt sein, daß sie die fürdere und fürbring. vou 
deun Paulus sagt: es seint gaben der zungen, gaben der 
weishait, gaben der gesundmachung. Das seint. deren wir 
dürfen, in denn wir got ein wolgefallen beweisen. 
Darnach, so die leut verzogen seint zu den gaben und 
15 dieselbige» gegrundt tragen und haben, soll inen nit nach- 
gelassen werden. dab sie dieselbigen im aigen nutz brauchen. 
sonder sie sollen mit stipendiis der notturft versorgt sein, 
nit zuvil, nit zuwenig. sonder inn mitel die maß fueren, und 
dieselbigen bei der kirchen erhalten, uf daß sie die jugend 
ain der kirchen erziehen, lernen und underweisen in guten 
züchten und tugenden, und seient ein gut exempel der 
menschen. die inn vorgangen und von inen guts, erlichs und 
redlichs sehent und lernen aus denen. Und die seint die- 
selbigen. von denn Paulus sagt, wie ein bischof, prister +c. 
35 Sein soll. Also werden Timothei. also werden Titi, also 
wirt das volk geregirt und geftirt Uf solch leut, die aus 
got ir gaben geben. den leuten vorfueren, ist sieh gltick und 
hail zuversehen und zuverhoffen, ainer jungen zucht der 
erbarkait und frumkait zumachen, welche, so sie under den 
so Stand kombt, der nit aus den gaben do ist. so werden sie 
verfuert und komen in die böshait, daß sie proseliti genennt 
werden, das ist, sie werden zwaimal böser, dann die seint. 
die sie lernen. Darumb soll man auf die acht haben, dab 
die jugend und das gemain volk nit verfürt werd, nit under- 
as worfen denen, so nit us got do seint. Dann bei den- [42.| 
selbigen wirt niemants gut noch nützlich. als betrueger. wie 
sie seint. Dann dieweil Christus uf dieselbigen redt. do er 
spricht: ir get das ganz mer aus und alle lender, auf dab 
ir ein proseliten machen, und so ir ein gemacht hont. so 
4 wirt er zwaimal böser, dann ir seient. Nun hat er allaiv 
zu denen geredt, die sacerdotes gehaißen hont und dorbei 
mit den zwai namen: gleisner. phariseer. schreiber. Aber 
ir aller ainiger stand ist sacerdotium. und die ietz im neuen 
testament haiben sacerdotes. so seint sie eben gleich die, 
45 die proseliten machen und dergleichen das volk verfueren. 


11 I. Kor. 12. II. 15 dieselbige. 31. 38 ff. Matth. 23, 15. 


to 


21 107 


Darumb so sollen wir im seligen leben die leut von uns tun, 
und allain die haben, die wir wissen, daß sie die gaben vou 
got gegen uns brauchen, welcher gaben namen gnugsam 
gesehriben seint. Dann also seint die rechten stend und 
ordnung under uns, daB wir von solchen leuten lernen: so 5 
ist es gleich sovil, als hetten wir türken, tattern und ander 
dergleichen bei uns, deren kainer us der weihe weder Anne, 
Caiphe noeh Herodis gesein ist. 


So ain ding gebraueht wirt, wie es gebraucht soll 
werden, wie kann es dann im seligen leben übelgon, so 
wir die apostel suchen bei iren früchten, die propheten bei 
irer warbait, die doctores bei dem hailigen geist, die jüuger 
in ir maister ler. So wir aber auderst und ander suechen, 
wie kann das im reich ain ainigkait sein oder bleiben? 
Dergleichen auch, so wir die suechen, denn die gaben geben 
seint, so lernen wir vom rechten prunnen. So wir aber die 
suechen,. die inn selbs gaben geben und sagen: ich bin 
Christus. do ist corpus Christi, wie kans uns wolgeen? 
Darumb dieweil wir dermaßen seint underainander, dab wir 
timer kain rechten prunnen achten wellen noch suechen: 
sonder apostel selbs [425] setzen und propheten und doctores 
und jünger und dieselbigen selbs begaben, die uns gleich 
seint und mit uns in sünden ligen, in huererei, in spilen, 
in saufen, in voller üppigkait und die uns nit widerwertig 
seint in unserm leben, sondern uns fürdern und selbs auch as 
tun, so mögen wir nit komen in das licht, sonder in der 
tinsternus bleiben wir bis in den tod und darnach in den 
ewigen tod. So wir aber an uns selbs nit sollen und nichts 
sollent bleiben wellent, so haben wir aueh mit nichts sollenden 
leuten haus. Also zeucht aueh got sein hand von uns und 20 
labt uns im jamertal und im ellend trostlos und in unsern 
sünden leben uud sterben. Und so der tag komen wirt, 
do wir alle werden erscheinen zusamen, so werden wir 
sehent die falsch apostel und Christen uud werden unser 
ellend sehent, mit was üppigkait wir uns auf erden versorgt s; 
hont. Darumben disem zukünftigen tag des zorns. der bitter- 
kait, zuentrinnen, ist vonnóten, dab wir hie mit ernst haus- 
halten und die augen wol uftunt. den gerechten und den 
irumbsten zuerkennen. Dann so wir auf den tag müssen 
und rechnung geben, so wirt es nit ler auslaufen, und do 40 
werden wir sehent, ob wir an das ort oder zu dem prunnen 
gangen seint, der us got do ist gesein oder nit. Darumb 
so wir der vernunft nit wollen sein, sonder schlafent 
ainem jegklichen geist glauben, der do her kombt, und nit 
betrachten. ob er us got sei oder nit, so schleicht der teufel 45 
mit den seinen in unser reich und verfürt uns. Solches 


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108 28 


alles ist unser liederlicher weis schuld, daß uns die apostel 
baß gefallen, die mit uns buben und schölmen seint, dann 
diejenigen, so von got do seint, bei denn wir gefunden 
werden in der ufersteeung mit allen freuden und seligkait. 


5 F inis. 


5. Liber de felici liberalitate Theophrasti. 


69a] Dieweil uns nun got begabt mit mancherlai gaben, 

die wir auf erden gebrauchen sollen und dasselbig vom frei 
gemüt hinweg dapfer und guetwillig ausgeben, wie Paulus 
sagt: ain schnellen usgeber und ain frölichen hat got lieb. 
Nun kann niemants usgeben, allain es sei danu, daf er 
reieh sei, es sei, warin es well: der reich in der arznei soll 
reichlich ausgeben, das ist, reichtumb der arznei, vil kónnen 
und wissen, dergleichen mit andern dingen, gut oder anderst. 
15 So ist aber nun zuwissen, so got ainem ain solche reichtamb 
zufuegt, so soll der mensch, der sie hat, an im ain liberaliteten 
angeborn haben oder eingepflanzt, daß er dieselbig mtige 
reichlich austailen denen, dohin es gehórt. Nun aber so ist 
der mensch von der erden und die erden hat vil seltsamer 
20 kinder in ir. Der ist saturnisch: neidisch, untreu, aigennutzig. 
Der ist Jupiter: zart und faul. Der merkurisch: gar zu leicht- 
fertig, und dergleichen mit andern uf solches. Dieweil die 
natur, die do soil dasselbig frei ustailen, nit allemal die 
milte hat oder die guete, andern zuhelfen oder zugeben, so 
ə folgt uf das, daß der mensch soll die ler hören und an sich 
nemen, so von der liberalitet geschriben stet, und sich mit 
gewalt hinein treiben und pflanzen. Dann also ist auch der 
glaub Christi gepredigt worden den unglaubigen, und also 
vil seint von irem wesen gefallen and dem glauben zugangen, 
so und verlassen die alt natur, aigenschaft, wesen und was do 
ist. Also soll aueh hie beschehen. Wie not ist, den groben 
und unverstandnen den glauben zuverktinden, also ist auch 
not, die tugend den untugendhaftigen zuentdegken, uf daß 
sie oder do etliche bewegt werden zur ustailung der gaben, 
s$S0 sie von got hont. Dann nit vil seint der reichen, die 
[59b] von natur die liberalitet der seligkait an in haben. 
Wie vil, die inen selbs nit die speis gonnen. Solch leut, 
die also in ir grobhait und geiziger natur ersteckt seint und 


6 Das Neub. hsv. nennt unseren tractat ebenfalls De felici libe- 
ralitete, das Oss. hsv. verdeutscht Von gliickseliger freyhaitt. Der 
originale text ist nur in A erhalten, ziemlich gleichlautende Auszüge 
in B und E. 10 2. Kor. 9, 7. 13 will. 16 liberaliten. 
28 gaub. 


29 109 


gar in unverstand vermacht, denselbigen soll man predigen 
und verktinden die liberalitet. Wo die nit gebraucht wirt, 
do wirt nichts helfen, sie werden der verdamnus zugon. Und 
das wirt inn fürgehalten am tag der rechnung: ir hont mich 
nit gespeist, do ich hungerig gesein bin, nit gedrenkt, do ich s 
durstig gesein bin, nit klaidt, do ich nackent war 2c., nit 
haimgesucht mit eurer erznei, do ich krank war. Darinen 
wirt alsdann ain urtail ursachen über sie zu der hellen. 
Darumb die selig liberalitet soll verkündt werden, uf daß sie 
in verstand komen, in die gaben. Unverstanden, hoffertigen, 10 
stolzen menschen, die do vermainen, es sei kain got, sie 
seient über himel und erden, und also in solehem verstand 
werden sie verdambt. Das soll fürkomen werden in allen 
oder vilen. 

Wiewol seint, die do sagen und vermainen, so sie ir 18 
gut behalten iren kindern und erben, und das nit allain an 
den armen ersparen. sonder auch an irem aigen leip, — sie 
fuent recht, und soll also recht sein, so sie vil hinder in 
lassen. Aber Christus zilt niehts uf vergangen reichtumb 
oder verlassne. Es stet geschriben: und ire werk folgen in 20 
nach. Und des guts nachfolgen stet nit. Darumb soll 
niemants sich der liberalitet entschlahen sonder dieselbigen 
gebrauchen, nachdem und sie im got geben hat. Die hat 
er nun nit geben zusparen bis nach seinem tod seinen erben. 
Dann wer waißt der erben herz, wie sie geraten. Du solt ss 
dein gab geben selbs, und das geben ist dein werk, das dir 
nachfolgt nach dem tod in jene welt, naehdem du gefragt 
wirdest umb rechnung zugeben. Aber vil ist von dem zureden, 
daB vil seint, die ir güter und gaben nit den armen oder 
[70a] andern liberaliter mittailen. Dargegen ist aber auch so 
zuverston, daß sie die gnad von got nit hont, dasselbige 
uszetailen den armen und notturftigen. Dann vil seint, die 
ir gut mit bescheiBerei, wucherei und ander leckerei ge- 
wünnen haben. Demselbigen hilft kain predigt nit noch 
lernen. Dann die gnad gottes ist nit bei inen. Gott will ss 
die seinen nit von solchem gut settigen, sonder will die- 
selbigen settigen von den gaben, die ufrechtlich do seint. 
Darumb stet das wort gottes wol, das do sagt: gont hin und 
verkünden das euangelion, und in welches haus ir eingont. 
sagen: der frid sei mit euch. Empfahen sie euch, so bleiben 4o- 
do, wo nit, so schüt den staub von euren schuhen. Es wirt 
Sodoma und Gomorra am jüngsten tag baß ergon dann 
disen leuten 2c. Also hie auch, die nit von got seint sonder 
vom teufel, dieselbigen nemens nit an, sie behalten iren 


1 mit macht. 4ff. Matth. 25, 43. 20 Apoc. 14, 13. 
38 fl. Matth. 10, 1 ff. i 


110 30 


schatz und gunnen den inen selbs nit. Bei solchen ist kain 
liberalitet zusuechen noch in sie zutreiben. Dann got hat 
sie auf ir üppigs, sündliehs leben verblendt und zu stummen 
gemacht und zu gehörlosen leuten. Ob sie schon augen 
shont, so sehent sie nit. Auch mit iren oren hören sie nit. 
Das ist, sie hont die gnad des verstands nit. So ist auch 
kain selige liberalitet zuverkünden denen gleisnern. Dann 
dieselbigen tunt alle ir ding nun faul, nit volkomen, allain 
auf den schein, daB sie groß gesehen werden von den leuten. 
10 Derselbigen herz soll auch nichts zur liberalitet, dann do 
mag kain gueter baum gepflanzt werden. Ain jegklicher 
gleisner tut ain schein, aber kain dat, nichts das niemants 
muge erfarn, behalt allemal den schatz im selbs. Den 
spreuer gibt er uns, ain wenig für vil, tut nit als die frau. 
180 ain pfennig gab in den stock von ir substanz, die Christus 
lobt über die reichen all. Sie gaben doch, das inen nit am 
schatz abging. 
[705] Am ersten so du in der liberalitet die gab hast, 
so mach dich frei selbs, auf daß du dein frei herz habest 
20 und dich niemants hindere. Bist ain knecht und in eim 
dienst, in eim ambt, so get es dir schwer zu, frei zu sein. 
Du mußt sorgen uf dein dienst, mer als auf die liberalitet. 
So soll aber der, dem got gab und reichtumb geben hat, 
kains andern sein, sonder sein selbs aigen herr und willen 
sund herz, uf daß sie von im gangen, und frólich, das im 
got geben hat. Dann ainer, der von got ein gab hat und 
sich undertenig gemacht hat domit ainem andern, der ver- 
gibt sein tail am himel. Als ain arzt, dem got die reich- 
tamb der arznei geben hat, und pflicht sich in die fürsten 
so hof, in die stett dienst. Derselbig ist jetzt der liberalitet 
beraubt. Dann er mueb auf die seiden klaider warten: die 
hont mit im zu gebieten. Und aber kain gebot soll über 
sie gon, sollen auch sich nit under die gebot mischen, sonder 
ain freies herz behalten. Dann ainem, dem got reichtumb 
m» Oder gab geben hat, der sols von kaines guets wegen, weder 
von silber noch golt wegen verkaufen oder versetzen, sonder 
sein wesen setzen wie ain farer, pilger, der weder mörder 
noch dieb forcht und sein freien mut behalt. Dergleichen 
verheft dich nit ainem weib, die dein meister sei und dich 
40 ziehe wie sie wilt. Darzue, so deine kinder groß werden 
und erwachsen, alsdann über dich werden und du mit inen 
ain gefangen man seiest, deiner libertet beraubt. Dermaßen 
handel im selbigen, daß dein frau nit dos aug sei, das dich 
Christus haißt ausgraben und hinwerfen. Ist sie dasselbig 
6 der. 14 ain wenig vyr fill. 14fl. Mark. 12, 42. 39 mit 
ainem weib. 40 kinder groß steht ziceimal im text. 43 fl. Matth. 5, 29. 


31 111 


aug, besser, du werfsts in ain gruben, dann daß sie dich 
soll verfueren und binden in deiner liberalitet, Daun der 
teufel ist seltsam und beischlegig, wo er sieht ain gerechten 
menschen, fieht in in vil weg an, dureh krankhait, durch 
weib, durch kinder. Aber du salt im zustark sein, du bist > 
ain man, sie nit. Du bist der [71a] vatter, deine kinder 
nit. Darum bis und bleib, das dir got geben hat. Kain 
mensch ist so schwach nit uf erden, er ist dem teufel stark 
genug, in zu überwinden, auch weib und kind. Darumb so 
schau und probir dich, ee du in ding gangest, damit dui» 
wider aines andern seiest noch auch deiner frauen nit. 
Sonder dir soll eben sein, so du ain weib hast, als habest 
kain weid, hastu kinder, als habest kains, und also frei sein 
in deinen gaben, daB dich niemants nit zwing noch zu nótigen 
habe, dein gab zu versperren oder zu verkaufen. Sonder 15 
auf dem bleibe: vergebens hab ichs empfangen, vergebens 
will ichs wider geben. Do gehört ain frei herz zue, ain 
frólichs, wie Paulus sagt: den got lieb hat, so er frólich 
ausgibt. 

So du nun also dich geledigt hast und frei bist wie 20 
ain betler und wie ain raine jungkfrau, so nimb für dich, 
daB du verstandest dein gab, wie sie hin gehórent. Das ist 
nun der erst anfang der liberalitet. Dann wo du das nit 
verstest, so gebrauchest dein liberalitet unfleiBig und gibests 
den sauen. Dann nit all kranken seint der arznei befolhen, 2; 
vil plagen under inen. Darumb so lern. wo du sie hinbrauchen 
wilt und solt, damit so sie wol anlegest. Vil haben ir libe- 
ralitet im saufen und zalen für alle gesellen. Das ist nit 
liberalitet. Vil zalen huererei für sie, ist nit liberalitet des 
seligen lebens nun gefuert, das nichts soll und das do ist y, 
wider das selig leben. Dern dingen kains uit. Dann ist 
nichts geben, das dohin gehört. Auch soltu vorhin geben, 
das do vorhin ist, nit laden, daß man dich wider lad. Dann 
es ist uberthalb der gab, daB du ain ladest, der nichts hat, 
und so er hat, so hastu nichts, und der ander ladt dich wider. y, 
Aber die, so die freien gaben haben, dieselbigen laden nit 
uf widergeben. Dann dasselbige seint nit die freien, werden 
nif numerirt in der zal der liberaliteten. Darumb so ist am 
ersten vonnöten, daB du wissest die [714] gaben anzulegen, 
seligklieh, nit unseligklich. Und wiewol im selbigen die „ 
pósen auch deiner gaben mügen genießen, dasselbig laß dich 
nit erschrecken. Dann got fuert auch sein liberalitet lauter, 
laßt die sunn und mon scheinen über guet und bös, laßt das 
feld sein frucht geben guten und bösen, beschirmbt sie all, 


13 kain wein, 18f. 2. Kor. 9,7. 94 dann es dano 
ußerthalb. 


112 32 


gibt inen allen. Also hast du ain freien gab, sei wie die 
sunn domit, bis frólich und frei, laß dein schein tiber und 
über gon, treib deine gab aus deinem schatz, wie die erden 
im frueling die baum und garten zur bluest und samen und 
ssei in deinen gaben reichlich in austailen wie das mer mit 
seinen fischen und laß dich niemants hindern, wie er sei. 
Gib, wo not tuet, wo nit, da halt still, und gib nichts tiber- 
flüssiges. Dann zugleicherweis wirt dasselbige ain stind sein, 
als wenn du dem bauch mer gebest, dann er nottürftig 
1» were, und wirdest krank naeh im. Also werden auch die 
kretzig, faul, neidig, denn du zuvil mittailest. Gibe, daß 
nichts zukünftig bleib nach deim tod. Dann du schlefest, 
so gat dein gut in üppigkait umb, und ain ander, der legt 
aueh darzue, der dritt auch. Also werden do gefunden am 
ısletsten die leut, von denn Christus sagt: wee euch, die 
wachsen aus dem tberflüssigen guet. Darumb bis frei in 
deinem ausgeben, nit zuvil, allain die notturft, damit das 
vile niemants in geile bringt, die dir und deiner seel der 
fod sei. 
so An dem ligt am meristen, daB ain jegklicher verstand, 
welches das sei, das er tun soll. Uf solches geptirt sich 
nun, die gesehrift zuelesen, die do sagt: selig ist der, der 
do verstet auf den armen und notturftigen. So der bós tag 
kombt, so erlóst in der herr. So nun der verstand sovil in 
ssim hat, so ist er sovil, als der verstand sein soll, wie den 
armen zuhelfen sei in gepresten des gelts, in gepresten seiner 
gesundhait. ln denen zwaien leit aller grund. Vom reichen 
wirt hie nichts gemeldt, das gleich so-[71a]vil ist, als ir 
niemants kain acht haben. Allain von den armen, in selbigen 
soist der selig, der den verstand hat, der im helfen kann. 
Vil die mügen inn helfen, sie hont aber den verstand nit. 
Was ist, daD ainer reich ist und hat vil, und aber got hat 
im den verstand nit geben, daß er wiß mit seiner reichtumb 
zetun, das, so er tun soll, damit es im zu guetem erschieb. 
ss Desgleichen seint vil, die do wol arzneien können, aber sie 
hont den verstand nit, daß sie den armen sollen und wellen 
helfen. Darumb so ist gar nahent sovil an dem verstand 
zuerkennen. Es spricht der prophet: selig ist der, der die 
gnad hat ttber den nottürftigen und armen, das ist, im zuhelfen. 
s Vil seint auch, die do gern helfen, und aber nit haben und 
nit kónnen. Darumb so seint die selig, die do von got hont, 
es sei reichtamb in gelt oder in arznei, damit sie mtügen 
den armen zuhilf komen. Und do erfinden sich zwaierlai, 
daß vil reichtumb in gelt und gueter und vil reiehtumb in 


4f. und stammen, und sei in deinem gaben. 15f, vgl. Luk. 
11, 42; 6, 24. 22f., 38f. Ps. 40, 2. 


33 113 


der arznei seint, die der teufel gibt, und dieselbigen werden 
erkent bei dem, daB sie dem reichen dienen und nit dem 
armen. Dem reichen seint sie verpflicht, dem armen gar nit. 
Was sie dem armen tant, get hypokritisch zue, eitel gleichs- 
nerei. Darumb so soll unser reichtumb, es sei in guet oder 
in der gab, dermaßen sein und an uns komen, daß wir die- 
selben mit freier liberalitet usgeben, nit huerern, nit drinkern, 
nit spilern. Die ir liberalitet also fueren, derselbigen reich- 
tumb ist vom teufel do und nit von got. Sonder die sie 
ustailen mit dem verstand, wissen den armen nottürftigen, 1o 
denselbigen ist ir guet vorgeben. Darumb fellt es in den 
rechten weg, kombt vom rechten grund her. Was got gibt, 
das get in die selige liberalitet. Was der teufel gibt, das 
get in die deuflische [726] liberalitet. Die selig liberalitet 
ist die allain: den armen, den nottürftigen, den wainenden, is 
den klagenden zuhelfen. Dann ir ist das reich der himel 
und nit den spilern. 

Der verstand des seligen reichen ist also, daß er sich 
nit bal beklaidt dann den armen gleich, wie dieselbigen 
gont. Also ist auch sein klaidung und das in dem weg: 20 
so ain groDe erbarnus ist in disen seligen freien: het er 
hundert guldin, die er im an ain klaid legen will und 
sicht arm leut neben im, die nacket seint, jetz gat sein 
liberalitet, daß er die hundert guldin nimbt und zelt die 
armen ab und sich mit inen und tailt die hundert guldin s; 
uf gleiche klaidung, im und die armen, wo sie raichen 
mugen. Desgleichen er isset nit anderst, dann wie die 
armen, weder mer noch minder. Das ist also: er isset alle 
tag von htinder und kapaunen, wilbret, vogel, fisch und 
krepsen, und das mit haufen, was in gelüst. Nun ist das so 
alles recht und rain. Aber der selig frei, der sicht die armen, 
und so ers sicht, daB nit zuessen 2c. hont, so zelt ers ab, 
und sich mit inen, fürts in sein kuchen tiber sein fisch und 
isset mit inen und sie mit im, daß inen allen gleich vil werd, 
also sein zal wie der. Er drinkt nichts zudrinken, ver- s; 
schütten c. Dieselbig zal nimbt er und zelt die armen 
durstigen und sich mit inen in ain gleiche zal, uf das drinkt 
er mit inen gleichen drank. Dann der reich selig geduldt 
nichts in seiner liberalitet, daß er ain bissen brot für uns 
hab, dern der armen manglen muß. Sonder die freihait ist so 
so groD: ehe geb er in dem armen und er manglet. Das 
ist der frei muet in der liberalitet, den got liebt, wie Paulus 
meldt. Und also lang als sein guet, was er hat, in die 
gemain der armen, also daB weder klaider, speis, trank, 
bens, stuben, better, rue und alles, gleich sei den armen. « 


4 yppoiritisch. 
Archiv für Reformationsgeschichte. XIV. 2. 8 


114 34 


Sie arbaiten auch, weben den armen. Das ist, ainer, der 
ain guet, gelt [73a] nit hat, den armen zuerfreuen, so stat 
er neben im und ... in gleiche arbait trete, und tregt mit 
seinem nechsten gleiche pürde und arbait. Und in alweg 
s mag dise freie liberalitet nit gedulden, daß der nechst Übler, 
armut halben, e8 und trink dann er, desgleichen mer arbait 
hab dann er, aus armut, zwanknus. Dergleichen mag er 
auch nit leiden, daß sein necbster frost, hitz, bloß und anders 
mer leid, dann er, sonder er macht sich im gleich in allen 

10 dingen. Das get aus dem freien herzen. In die liberalitet 
komen die phariseer und hypokritischen nit hin. 


Es geschicht auch nit in der freien liberalitet, daD ainer 
niße weiß brot und sein nechster schwarz brot. Das ist die 
recht liberalitet nit, daß diser hinder eß, der in der liberalitet 

ıs soll leben, und sein nechster habermus, auch nit, daß er 
semlen esse, und sein nechster haberbrein, das ist brot aus 
rocken oder habern. Sonder die ding werden underspickt 
also, daß semel und habermel zusamen komen und zusamen 
gebeutelt, zusamen geknetet und in ain brot gebacken und 
20 darnach glaich gessen der liberalitet und dem nechsten. 
Also auch daß die kuchen mit den hindern und die kuchen 
mit dem habermus zusamen komen in ain hafen, also daß 
die supp vom hun, das wasser, so am habermus, und das 
fleisch zu baiden seiten in gleichen zenen hang und gekeuhet 
2 werde, Und so du in der seligen liberalitet ain samet zu 
ainem rock machen wilt und dein nechster ain loden, so 
get die liberalitet vom samat auch in loden oder der loden 
in samet. Dann die klaidung gont gleich aus, und also alles. 
Nit daß dein haus für feuer versorgt sei, und der armen 
sall tag in feurs not und sorg. Nit daß dein dach ziglen 
sei und deines nechsten stroi. Nit daß dein heuser glösser 
scheiben und [735] eisen reich seint und des armen schliem 
und papier. Nit daß man dir ain tag dreimal ain heiz und 
den armen in zweien tagen ainmal. Nit daß du den armen 
æ überbauest, der arm muB hinden bleiben und dergleichen. 
Was ist es, daß ain stat ir selbs ain kostlich rathaus bauet 
mit großen kosten und wol versorgt ist inner zu guet, und 
der armen heuser seint alle tag im regen und in wind mit 
sorgen beladen. Do ain solcher rat ist, der ain hübsch 
s haus muß hon, do ist der armen vergessen, do werden die 
armen in ain ketten gebunden und in groß gedreng. Dann 
do seint hulzin ratsherrn, legen iren verstand in üppige, 


1—4 Der verderbte text lautet Sie arbait auch, weben den armen, 
das ist ainer der aim guet, gelt nit hat, den armen zu erfreuen, so 
stat er neben im und auch auf Inn gleiche arbait trete und tregt mit 
seinem gleiche pürde und arbait. 13 wisse. 21 fleiß. 


35 115 


unntitze hoffart. Also mit den fürsten hófen. Die versorgen 
ir palast und der armen palast ist an allen orten baufellig. 
Darumb seint do nit gueter oder gaben von got, allain vom 
teufel. Sie würden sonst nit über den armen sein, sonder 
würden bauen, daß der armen auch so wol seß als sie.s 
Daß aber solliches ungleich zugat, ir ainer über den andern, 
kainer des andern mer acht, darumb ist der teufel in der 
welt, und seint hypokritisch weli kinder, die dem teufel 
dienen und seinem willen nachgont. Derselbig lernt und 
underricht die leut, des armen nichtzit achten, sonder die 10 
liberalitet brauchen gegen tippigen leuten, dem spiler schuld 
schenken, dem pfeifer silber an pfeifen henken, den hueren 
zwai klaider, den armen lassen ligen. 


Denn daß ir nun selbst ermeßt, wie groß es ain laster 
vor got ist, dieweil wir alle von Adam tierisch geboren seint 15 
und doch den verstand hont, daß wir alle seint aus Adam, 
ainer wie der ander, und aber nit gegenainander, wie wir 
dann gegenainander gleich seint, hilflich oder erschießlich 
erscheinen. Sonder, wer baß mag, der tut bab, unangesehen 
der lieb in seinen nechsten. [74a] Das ist nun sein freud, so 
daß wir ietzund alle brüder seint, aus Christo geboren und 
durch in gleich erlóst, kainer mer, dann der ander, kainer 
minder dann der ander, und aber nit destminder weder Adam 
noch Christum ansehen. Ein jegklicher vergißt seines nechsten. 
Es mag doch ain jegklicher in im selbs wissen und gedenken, 28 
daß solch leut alle, die do aines gottes seint, von eim gleich 
begabet und erlóst, und zu dem, daD es sein gebot ist, noch 
das alles nit ansehen, daB es mueß vom teufel sein und daß 
der teufel ir aller herr ist, und daß sie von got gefallen 
seint in abgótterei. Was ists, das man saget von hulzin, so 
silbern bilder, die im alten testament seint gebraucht worden. 
Sie warent abgótter. letz aber im neuen testament seint 
sie lebendig bilder, nimer hulzin, nimer silberne. Sie warent 
figuren, als sprech das alte testament zu dem neuen: wie 
jetz die kinder Israhel kelber anbeten, also werden ir im ss 
neuen testament menschen anbeten. Die werden eur abgútter 
sein. Aber der teufel treibt den verstand vonn leuten und 
macht inn also verbrennen die altar und die hailigen. Aber 
er treibt nur in die, so durch das alt testament bedeut seint 
worden. Das ist, ain abgot, der wider got wandlet. Der 40 
wandlet wider got, der nit sein nechsten liebet sonder sich 
selbs. Das seint enden Christi im neuen testament, dann 
sie seint wider Christi. Die samlen inen alles, wie die 
ameissen. Darumb wer zu inen kombt, den beseichen sie, 
das ist, den verfueren sie. Darumb der prophet bilich sagt: «s 
selig ist der, der do verstet über den nechsten, nottürftigen 


8* 


116 36 


und armen. Das seint die werk und frucht, aus deun man 
den erkennen soll der aus got ist. Der sie nit hat, der 
ist aus dem teufel, ob er gleichwol in welt umblauft, ich 
geschweig in gueten mauren. Das ist das fell vor [745] 
sden augen, daB die groß Diana bedeut den pfaffen. Ist er 
nit silberi oder mit den henden gemacht, so klaidt er sich 
in Diana mit seinem ornat, darinen er ain Diana mueß 
erkent werden. Dann die klaider seint nit mit im gewachsen, 
sonder arbait von menschen hend. Darumb seints abgötter, 
19 der mensch aber nit. Der mensch ist nit mit den henden 
gemacht vom menschen, aber sein ornat. Das ist die groß 
göttin Diana, die frauen sant Lukas angezaigt hat. 
Wem gibt die groß göttin Diana sein narung, wem tailt 
sie mit die liebe im nechsten nach inhalt des gebots, dann 
15 was gleisnerisch beschicht? Niemants. Also auch niemants 
dient diser grofen Diana, dann was gleisnerisch zuget. Was 
ist das gleisnerisch? Daß die abgötter, oder der teufel, — 
der ist es —, etwan predigen dat, uf daß man in lobt. Also 
die abgútter im neuen testament, dieselbigen die geben ain 
so wenig almuesen von spreuer und kleien, uf daß man sag, 
sie geben almusen. Do der spruch nit stund: ir sollen vol- 
komen sein, wie eur himlischer vatter, so mußt es alles 
gnug sein und recht, was sie teten. Aber nacket sein, das 
vertreibt den gleisner. Dann sie behalten nit ain ziegel 
25 uf dem dach, der nit der armen were, nit ain federn von 
aim hun, der nit der armen were, nit ain faden am leib, der 
nit den armen auch gleichermaß beruert. Was ist aber das, 
darumb sie abgótter seint, die im alten testament prefigurirt 
seint worden. Darumb tunt sie dieselbigen frucht und werk. 
so Der sie aus iren früchten und werken nit will erkennen, der 
ist vom deufel in starneblindhait gefuert worden. Der im 
neuen testament will die bild zerbrechen, die mit den henden 
gemacht seint, der irret weit. Der aber die zerbricht, die 
nit mit den henden gemalt seint, überzogen mit lustbarkait 
ssund edlem gestain, und inwendigs [75a| seint sie kot und 
kiben. Ein hulzni bild ist inwendig nichts, dann holz. Dise 
Diana seint auswendig schón, inwendig stinkend, ellend, 
erlogen, kot, dreck, wie die stinkenden greber. Das seint 
die, von denn Christus sagt, der nit die bilder gemeldt hat, 
“sonder allain die gleisner, die schüler, die phariseer, die- 
selbigen verflucht er. Warumb? darumb, daß sie die seint, 
die abgötter seint, end Christen. Hat nun Christus die ver- 
flucht, nit die crucifix und dergleichen figuren, warumb ist 
uns dann nof, das holz zu tóten, und den nit, der den namen, 


5, 12 usw. Apg.19,23/f. — 91f, Matth. 5,48, 38 Matth. 23, 27. 
44 dem. l 


37 117 


und der man ist. Aber in der liberalitet 2c. sollen wir 
wissen, daB wir von Diana kain exempel sollen nemen 
zutun unserm nechsten, wie sie im tunt, sonder Christo 
nachfolgen, der do sagt: sie ruerens mit dem wenigisten 
finger nit an. Darumb so sollen wirs anrueren und uns nits 
kumern noch annemen an ir weis und form und haushalten. 
Sie gonnen niemants nichts von herzen, alls allain inen selbs. 
Was weiter von inen get, das ist aus ainem búsen herzen. 
Sie seint die, durch die die freiseligen liberalitet verfürt 
würd und betrogen, und also, daß der gemain man sich 10 
an die Diana henkt und nit anderst mainent, dann do sei 
der himel, und was darinen, sei alls eitel engel. Das selig 
leben hat nit ain solche liberalitet in im, sonder ain aindere. 
Dieselbigen braucht ir selbs nichts, allain andern, allain den 
notturftigen. Bei denselbigen seligen freien werden nit huerer, 15 
nit kaufer gefunden, allain die selig armen. 

Also aber ir, die nit abgótterisch seint: bist ain riter, 
was tustu mit der guldine ketten am hals und mit dem golt 
an sporen und zeumen. Wilt du ain riter sein und streiten 
zum seligen, bis in der liberalitet riter, nit plutvergieDen. 20 
Dem ketten klaid [755] nichts, den armen, und das unnutz 
golt, das hin und her hangt. Was ist es, daß du ain fürst 
mit großem pomp und kostfrei deinen kamri, kanzlei, reuterei. 
Ist es auch wol angelegt, oder ist es in der liberalitet der 
seligen angenem? nain, sie verdienen iren lidlon, so es lidlon ss 
ist oder sein soll. Gegen deinen arbaitern bistu das sonst 
schuldig, inen ir maß zugeben, und aber nichts darüber. 
Dann so Johaunes gesagt hat: es soll ain jegklicher kriegs- 
mann (wie dann dein knecht seint) zufriden sein an seinem 
sold und weiter niemants nichts nemen. So soll es auch » 
also an deinem hof sein: irn sold, nichts hinüber. Das 
hinüber ist den armen von freien herzen geben. Dann 
gegen deim sun, deim knecht, deim freund kanstu kain 
liberalitet beweisen, allain gegen denen, welchem du nit 
schuldig bist vom geblut oder dienst und die dich nit zu- ss 
bezalen hont oder dich wider zuladen. Also auch so du 
reitest, so reit dermaßen, daß dein nechster auch reit. Daun 
bösser ist est, daß, der do hinkt, krumb, lam ist, reit dann 
du. Du gebest im die guete speis und issest du die bösen. 
Dann er ist krank, du gesund. Er bedarf ir, du nit. Also 40 
der jung soll dem alten vortreten, er für in betlen gon und 
in erneren, eh er den alten laßt betlen gon, für in arbaiten 
und dergleichen, für in wasser trinken und in lassen wein 
trinken. Das alles tunt die im seligen leben. Was man 
irem leib tut, das nemen sie im und gents dem, der das- 4s 


— 


4f. Matth. 23, 4. 981. Luk. 3, 14. 


118 38 


selbig wol dienens nottürftig ist und bedarf. Sie ligen auf 
den benken und lassen den armen, dürftigen, kranken in 
das bet. Das ist die frei liberalitet und die selig, die erlangt 
das ewig leben, Die aber nit der freien, hailigen liberalitet 
sseint, die vertreußt es, daß sie nun die armen sehen sollen, 
daB sie in ein deller brot sollen geben, und ratschlagen tag 
und nacht, wie im zutun sei, daß man inen nichts geb oder 
doch fast [76a] wenig, und man inen das land verbut, törer 
zusperr, damit sie nit für ir tür ꝛc. komen. Bei dem 

10 Sperren, zutun, abfertigung vor der tür erkent man, in welchen 
stetten, hof, kloster 2c. der teufel ist und wo seine kinder 
seint, die welt kinder diser erden, die allain gegen irem 
wollust geben und sonst nichts. Das seint die reichen. Wee 
euch reichen! 

16 Also sollen wir uns freundschaft machen gegen got und 
freid suechen bei dem himlischen durch die frei selige libe- 
ralitet gegen den armen. Dann ir ist das reich der himel. 
Durch dise liebe, so du in beweisest, werden sie deine freund. 
Jetzt machst du dir freid im himel aus deinem gut, das du 

so hast als ain gab, die dir got geben hat. Aber die khoschreyen 
der unseligen liberalitet dieselbigen machen inn freid aus den 
mammon der böshait, das ist, alles ir guet ist dieberei, ge- 
stolen und betrogen, und gewunnen aus dem teufel. Dann 
wie gemeldt, etliche reichtumb und gaben komen aus got, 

ss etliche vom teufel. Uf das redt nun Christus: machen euch 
freund aus den mammon der böshait. Das ist sovil geredt, 
als sprech er: aus euren guetern, reichtumb, gaben machen 
ir euch freund. Seint dieselbig reichtumb, gaben aus got, 
so machen ir euch freund aus got, seint sie aus dem teufel, 
soso machen ir euch freund aus dem teufel. Also reiten zu- 
samen die abt ir ainer zum andern, also die bischof, also 
die bröbst, also die kardinel, ladt ir ainer den andern uf 
kundschaft, uf daß so sie not angang oder ain übel, gangen 
bei dem andern hilf oder mitleiden haben. Darumb reiten 
ssie zusamen uf fasnacht, uf schießen, uf hochzeit und zu 
ander banketen. Also die fürsten diser welt, ladt ir ainer 
den andern, schenkt ir ainer dem -andern, als ietz grull, 
ietz zobel, ietz andere klainat. Dise mied gaben, so sie 

„also ausgeben auch den andern, [765] mindern, dann sie 
seint, damit machen sie inn freund, domit dieweil sie nichts 
sollen, auch ander mit inen nichts sollen. Als der kunig 
von frankreich, der hat sein gut aus dem mammon, darumb 
macht er im freundschaft aus dem mammon, der do ist 
ain mammon der böshait, domit er erlangt land und leut, 


6 nun deller. 13 f. Luk.6.24. 20 Die bedeutung von khoschreyen 
ist mir nicht klar. 25f. Luk. 16, 9. 44 domit er erlangt er. 


39 119 


als ain aigenschaft. Mit demselbigen tuet er das, das das 
guet vermag. Es vermag nichts guts. Dann vom mammon 
ist es hie, zur böshait gehört und dient es auch, nichts guts 
isís, nichts guts wechst daraus. Us wem es ist, im selbigen 
gat es wider: aus dem teufel und wider in teufel. Alsos 
auch mit andern. So aber das gut wtirde angelegt den 
armen, und die hoffart gemindert gleich dem armen getragen, 
alsdann so würden die werk anzaigen, daß das gut nit vom 
mammon wer, sonder aus got. Aber die werk, so daraus 
folgen, die zaigen an, daB vom teufel sei und im teufel ver- 10 
zert wirt. Darumb so gont teufel werk heraus, verreterei, 
lugnerei, verkaufen aigen blut und fleisch und dergleichen, 
nit allain mit dem, sonder auch mit ainem jegklichen, der 
sein reichtumb und gab nit verzert in der seligen liberalitet. 
Unser narung auf erden ist klain und die natur wirt 16 
in klainem erhalten. Darumb so soll kainer sagen, daD er , 
vil bedarf zu seiner erhaltung oder dürfte uf zukünftige zeit 
sorgen, und damit abschlahen die selige liberalitet. Dann 
das ist also, daß brot speis genug ist ainem jegklichen. Ist 
weiter do von ander speis, — laß langen an die, so ir dürfen. so 
Dann es ist nit aines freien manns natur noch art, daB er 
seim leib zehen oder 20 3c. trachten uf den disch soll stellen 
oder hon muesse allain für sich selbs. Stellen mag ers wol, 
so ims got geben hat, aber das ist darbei: iB du für dich 
aine, ist gnug, füllt dir den bauch und [77a] den magen ss 
wol. LaB die andern laufen in die selig liberalitet. Ob dein 
zung, dein kelen schon belustiget zu ander speis auch oder 
trank, gib nit folg. Dann das fleisch ist nichts, dann ain 
fleisch, das dich verfuert, wirt nit mit dir uferston am jüngsten 
fag, sonder wirt faulen und verderben. Das mit dir wirt so 
uferston, dasselbig fleisch wirt nit zu solcher speis gerechnet. 
Darumb so laß dich dasselbig nit tibergon, laß dir dein 
nechsten lieber sein dann dein lust, dein zung, dein kelen. 
So der mag sein dauung hat, ist gnug, mußt nit schweinig 
sein mit voller speck. Dann die ding faulen all und seint ss 
der würmen speis und mastfutter. Vor dem htit dich, Also 
auch behalt dir nichts uf morgen oder auf künftigs. Dann 
so du auf zukünftigs dich bewarest und brichest der freihait 
ab, so bist du ietz in untreue verfaDt, bistu dir selbs mer, 
dann dem nechsten. Also bis, daß du mit deim nechsten 4o 
hebest und legest und gleich mit im einsamblest in allen 
dingen, nichts besondert. Wie David tat, der begert ainer 
tat, auf daß er nit besondert würd von seinem nechsten und 
seinem nechsten gleich were. Also du auch. Kann dein 


99 mir. 40f. Also biß das du dem nechsten, also biß daß. 
du mit denn nechsten hebest usw. 


120 40 


nechster nichts behalten uf zukünftigs, so mueß des morigen 
tags glick erwarten, so stell dich neben im, wie es im morgen 
gang, also heut dir auch und morgen auch. Die aber aus 
dem mammon leben, dieselbigen stiften inn zukünftigs guet, 
srent, zins 2c. uf das, so heur dis jars der hagel schlahe, dab 
im ander jar zubrassen haben und nit betrachten, was er 
hab, der geschlagen wirt. Spreuer tailen sie mit demselbigen. 
Darumb so soll er in der seligen freihait sein mit den 
armisten im land, uf das, daß er bei den seligen armen 
10 gefunden wirt. 

Es ist auch ain selige freihait, der sich tiber die armen 
gefangen vor- [770] stet und erkent. Dann ursachen, sie ligen 
in nöten und in sorgen ires lebens, nit allain die gefangen der 
menschen, sonder auch gottes, sonder auch der krankhait, 

15 sonder auch des teufels. Dann also seint die gefangen, die 
der mensch gefangen legt, seint zuerbarmen, und der mammon 
ist herr, der forcht kainen, der des teufels sei, allain, die 
gottes seint. Darumb hab mit inn mitleiden und beweis inn 
all barmherzigkait. Dann der mammon leßt sie hart ligen 

20 und übel. Dergleichen die do gefangen ligen in krankhaiten, 
laß dich auch erbarmen. Dann so das glück von inen weicht, 
was konnen sie in selbs tun? gar nichts. So ligen sie do. 
So sagt die geschrift: got ersucht die seinen. Darumb 80 
bis gegen inen frei und wol gertist zu allen iren nöten. Und 

as die gefangen so got gefangen hat, denn bis auch tróstlich 
und hilflich, dann got wirt sie erlösen zu iren zeiten auch, 
sie seient bei uns oder nit. So laß dein frei liberalitet auch 
diejenig sein. Wir seint jedoch alle brüder und noch nit 
geschiden vonainander, sonder aines noch all. So ist dein 
zo trost ir trost. Die gefangen seint im teufel, das seint die 
besessnen, die iren gwalt selbst nit hont, sonder der teufel 
hat sie überwunden und regirt sie. Sie seint ellend leut. 
Bis inn gütig, verlaß sie nit. So got den teufel von inen 
treibt durch sein macht, so wirt dir die belonung all werden. 
ss Du dusts got, nit dem teufel, nit dem kranken, nit dem 
mammon, nit dem douben sonder alls allain got, des gefangen 
sie alle seint, und zu im gefürt werden durch sein himlischen 
vatter, und welche die seint, durch die er sein wunderwerk 
will offenbaren. Darumb leßt er sie gefangen werden. Dann 

«zu gleicherweis als ainer der krank wirt, warumb wirt er 
krank? allain darumb, daß got sein erznei will sehen [78a] 
lassen, und sein kraft in derselbigen. Darumb so tue im 
guts, bis got mit seiner hand selbs kombt, und dieselbigen 
erledige. So wirt dir dein belonung. Und nit allain, daß 

«das gefengknus seint, die 4, sonder auch vil mer, die do 


23 Job. 7, 18. 


41 121 


gefangen seint auf dem mör, in die pflug, die dann tag und 
nacht dich nit solten frülich sehen, bis dieselbigen deiner 
aller nechsten erlediget werden oder erfreuet in iren nöten. 
Das erfreuen ist got geton. Dann was wir denn allen tunt, 
das funt wir got selbs, und sein ist die gab, den seinen wirt s 
sie braucht und der seinen ist sie. Und in allen dingen 80 
fleiß dich, daß du mit verstand und freien willigen gemüt 
die ding alle vollbringest und fertigest. 

Do soll und ist kain zweifel, was das recht rain herz do 
ist zur seligen liberalitet. Do beschert got alle tag, sovil 10 
mag nit usgeben werden. Es ist noch vil mer in der hand, 
und das vermag ain selig herz, das mit solchem glauben in 
Christo handlet, daß uns aus gropfen hausen werden, aus 
spatzen ochsen, zugleicherweis wie Christus geton hat, der 
hat aus fünf gerstenbroten vil tausend menschen gespeist 15 
und aus wenigen fischen. Also wirt das auch werden. Dann 
was wir begeren und bitten von got unserm himlischen 
vatter, desselbigen werden ir gewert. So wir des gewert 
werden, warumb seint wir dann nit die und begerens, uf 
daB die armen solches genieDen. Vil seint, die sich apostel so 
nennen und vil, die sich propheten nennen, aber falsch. 
Dann ursachen, das euangelion sagt von falschen propheten, 
falschen aposteln. Ist das also, ja warumb seint sies, die- 
weil sie doch die seint auch, die das wort gottes verktinden. 
Darumb seint sies, daß sie umb got nichts erwerben, allain ss 
predigen sie den buchstaben on den gaist. Hetten sie den 
gaist, was geschehe? das geschehe: sie würden die krummen 
gerad machen, die plinden gesehent, die teufel ustreiben. Aber 
der buchstab ist ir got, [78b] der gaist nit. Darumb todt 
sie der buchstab. Im buchstaben standen sie, der gáist aber se 
ist der, der do lebendig macht. Sie nennen sich die gesalbten, 
aber falsch Christi. Dann ursach, so sie die gesalbten werent, 
so het die salb ain kraft, die kranken stunden auf vil ehe, 
dann aus der salben populeum. Aber der gaist ist nit bei 
inen, allain der buchstab. Darumb so werden sie aus dem ss 
gaist kain freihait in der seligen liberalitet erlangen. Petrus 
war frei in seiner liberalitet, er hett weder golt noch silber, 
das er hett, das gab er flux aus, und sprach: im namen 
unseres herrn Jesu Christi stand auf, und er stund auf. Das 
ist die apostolisch freihait und liberalitet gegen denen, die o 
ir dorfen. Nit gelt, nit golt 2c. ausgeben, aber teufel ustreiben, 
aussetzigen reinen. Darumb seint die kranken beschaffen, 
daß sie kain arzt seint, die apostel sollens hailen 2c. Sie 
aber, dieweil sie ir liberalitet im buchstaben suechen und 
nit im gaist, so leben sie mit mund im gaist und mit dem «s 


2 dich solltest frólich sehen. 4 dem. 31 sich.  38f. Apg. 3, 6. 


122 42 


herzen im fleisch. Jetz folgt aus dem, daß do kain gerechter 
apostel ist, allain falsch propheten, falsch Christi, falsch arzt, 
und darbei reift sich der teufel auch ein, gibt in ain phari- 
seische liberalitet, daB sie mit trumeten oder mit gelock ir al- 
s musen verkünden oder mit dem mund usschreien, und das darumb, 
domit man sie kenn, daß die nit seint, die der gaist erleucht hat. 
Und so ir etwas überigs hont, das die nottürftigen nit 
bedürfen, so behalt dus und gibs nit, nit laß sie in die gaile 
kommen. Dann so ain armer in die natur kombt, die der 
10 hund hat im schwanz, so kann seim wadlen niemants gnug 
geben. Darauf folgt nun: ein hund, der frißt, bis ers alles 
wider kotzt. Also tunt auch die armen so do betlen. Dann 
irer seint zwaierlai, [79a] die us got do seint, und die aus 
dem teufel do seint. Dann der teufel ist auch bei retig, 
15 dieweil er merkt, daß den armen geben so groß ist, und die 
menschen darumb gern und redlich geben, so schickt er 
auch arm zu inen, die tunt nichts, dann geilen für und für, 
hont kain poden in iren secken und kesten, fassen für, samblen 
uf schatz: die erlangens aus irem samblen. Die aber aus 
20 got do seint, deren seint nit vil, dieselbigen seint, die nit 
zur volle komen, bei denselbigen laß sie all bleiben, die 
armen Christi, die armen des teufels, domit der teufel mit 
den seinen nit für far in seinem fürnemen. Dann der spruch 
Christi raicht weit aus: vil seint berueft, das ist, vil betler 
ss komen zu dir, gilt nichts 2c. Aber wenig seint userwelt. Das 
ist, wievil ir komen, so seint wenig rechter betler under in. 
Uf das folgt nun, sie seint alle berueft, so gib in all. Aber 
dieweil wenig seinf userwelt, so gib inn allen gleich auf die 
notturft der userwelten. Du wirdest sie nit erkennen bis an 
so dem tag, den der prophet nent den bósen tag, auch den tag 
der troher, des wainens, des zitterns. Do wirdstu sie sehen, 
und fast wenig under ainem großen haufen. Also ist das 
selig leben, daß wir unser selige liberalitet im seligen leben 
fueren in Christo und nit uferthalb, als in seinem gebot, ler 
ss und gehaiß fürfarn. Dann in im werden wir behalten selig, 
und in im werden wir uferston und wachsen aus dem stinken- 
den mos korper, ain ainiger, seliger leib, der do wirt bei got 
sein und bleiben an dem disch seines suns und do mit Christo 
mit aller liberalitet auch essen ainmal, darzu er all liberales 
4o geladen hat, das uns berait ist von got sein vatter, unsern 
himlischen vatter in ewigkait mit friden und rue abgesundert 
vom teufl und den seinen. Und die, so vom [796] mammon 
haben freund gesucht und gemacht, werden in ewige ver- 
damnus beschiden. 
21 ff. Matth. 20. 16. 30f. Jes. 13, 9. 38f, und domit Christo. 


41 friden und rewen. 
(Fortsetzung im nüchsten Heft.) 


Wittenberg und die Unitarier Polens. 1. 


Von Theodor Wotschke. 


Oft haben in der Polemik vergangener Zeiten lutherische 
Theologen es ausgesprochen, daß nur vom reformierten Be- 
kenntnisse Übertritte zum Sozinianismus oder Unitarismus erfolgt 
seien oder erfolgen kónnten. Dem unglticklichen Adam Neuser, 
dem ehemaligen Diakonus an der Peterskirche in Heidelberg, 
der nach kurzem Aufenthalte unter den polnischen Unitariern 
in Konstantinopel schließlich zum Islam tbergetreten ist, 
haben sie das Wort in den Mund gelegt: , Wer nicht gern 
ein Arianer werden will, der htite sich vorm Calvinismo. 
Wäre ich nicht calvinisch geworden, so wäre ich in dies 
Labyrinth nicht geraten!)* Mit demselben Rechte hätten 
die Reformierten antworten können, daß die Führer der 
Unitarier sich aus Wittenberg ihre Lehren geholt hätten. 
Denn tatsächlich haben fast alle, die unter den Unitariern, 
unter den polnischen Brüdern, wie sie sich selbst nannten, 
in alter Zeit eine führende Stellung einnahmen, einst an 
der Leucorea studiert. Hier seben wir Wintersemester 1537 /38 
Stanislaus Lutomirski?), den Schwiegersohn Laskis, unter 
dessen Superintendentur 1563ff. die antitrinitarische Kirche 
sich konstituierte, und Sommer 1550 Gregorius Pauli’), 


1) Vgl. Sam, Fr. Lauterbach, Der ehemalige polnische arianische 
Socinismus, S. 95. 

5) Vgl. Wotschke, St. Lutomirski, Ein Beitrag zur polnischen 
Reformationsgeschichte. Archiv für Reformationsgeschichte, III, 
S. 1051ff. 

3) In der Universitätsmatrikel habe ich Paulis Namen nicht ge- 
funden, doch bezeugt er selbst seinen Aufenthalt in Wittenberg in 
dem interessanten Schreiben, welches er den 28, Oktober 1553 aus 
Brzeziny in der Wojewodschaft Lenschitz an Joh. Blahoslaus nach 
Prerau richtete: „Ritus, quos ex carnali sapientia M. Lutherum instituisse 
puto, non tanti facio; hoc enim animo puto reliquisse Lutherum aliquid 


124 44 


welcher der Wortführer des polnischen Unitarismus wurde, 
in Wort und Schrift unermüdlich für ihn warb. Am 13. Ok- 
tober 1553 hat weiter die Wittenberger Hochschule bezogen 
Martin Krowicki!) der beredte Polemiker gegen die alte 
Kirche, der spátere Superintendent der Lubliner Gemeinden, 
der die Trinitütslehre ablehnte, aber mit dem Anabaptismus, 
wie ihn Gregorius Pauli zugleich vertrat, sich nicht befreunden 
konnte, und am 28, April 1558 Georg Schomann, der immer 
radikaler wurde, 1572 noch der Wiedertaufe sich unterzog ?), 
schließlich am 7. Februar 1565 der Lubliner Johann Balze- 
rowski, der im September 1568 die Leucorea mit der Heidel- 
berger Ruperta vertauschte, der Freund Fausto Sozinos?), 
der 1586 Andreas Lubieniecki zum Begleiter sich anbot, als 
dieser nach einem Beschlusse der Chmielniker September- 
synode nach Goslar ging, um für Christoph Ostorods Mutter 
und Schwestern die Erlaubnis zur Auswanderung nach Polen 
zu erwirken. Auch Lelio Sozino, nach dem der polnische 
Unitarismus vielfach genannt wird, hat bekanntlich vom 
Spütsommer 1550 bis Herbst 1551 in Wittenberg geweilt 
und hier viel im Hause Melanchthons verkehrt, desgleichen 
hat Franz Davidis, der spátere Führer der ungarischen 
Unitarier, seit 1545 in der Elbstadt studiert“). 


papismi, ut plebes aliqua conformitate veterum ceremoniarum allicerentur. 
Sed puritate magis pertrahendae erant quam hoc fermento pharisaico. 
Hinc et imagines proh dolor tolerabat et «lxovoudxovs eorum osores 
appellabat. Hinc illa in coena domini elevatio diabolica sacramenti, 
qualis totam Marchiam, Silesiam et reliquas terras hucusque occupavit, 
latinae cantiones in ecclesia, candelae accensae, musica illa theatralis 
ad canendum fabricata hucusque in ecclesia Vittenbergensi tolerantur, 
organorum harmoniae ad avocandas mentes inventae, quae omnia non 
sine horrore quodam interiore audivi et vidi ipse Vittenbergae.“ Das 
Schreiben bietet der achte Lissaer Foliant im Herrenhuter Archive. 

1) Vgl. Wotschke, Geschichte der Reformation in Polen, S. 110, 
139, 146ff. 

2) Vgl. ,Schomanni testamentum ultimae voluntatis ^ bei Sand, 
Bibliotheca antitrinitariorm, S, 191—198. 

3) Sozino gedenkt seiner in seinen Briefen an Czechowicz und 
Niemojewski. 

*) Auch der Unitarier Maczinski, der spüter in Wilna tütig war, 
hat 1550 in Wittenberg geweilt. Vgl. Wotschke, Briefwechsel der 
Schweizer mit den Polen, S. 27. Archiv für Reformationsgeschichte, 
Erg.-Band III, 1908, 


45 125 


Selbstverstándlich ist Wittenberg ganz unbeteiligt an 
der theologischen Entwicklung, die diese Münner in der 
Folgezeit dem Antitrinitarismus zugeführt hat). Wenn Lisma- 
nino später antischolastische Äußerungen Luthers heranzog 
und verwertete?) wenn die Unitarier ihm hierin folgten), 
so sind diese Worte des Reformators erst nachträglich auf- 
gespürt und zur Verteidigung der eigenen Stellung heran- 
gezogen worden. Irgendwie bestimmt haben sie die theo- 
logischen Gedanken der unitarischen Kleinpolen nicht. 


In Wittenberg war man ängstlich bemüht, jede Berührung 
mit den Antitrinitariern zu meiden. Als Gonesius, ein Schüler 
des Matteo Gribaldi in Padua, von der Secyminer Januar- 
synode 1556 nach der Elbstadt geschickt war, um seine 
antitrinitarischen Gedanken Melanchthon vorzutragen und 
sich von ihm belehren zu lassen, wies ihn dieser sofort aus 
seinem Hause, gewährte ihm auch nicht die öffentliche 
Disputation, um die er bat. Schon wollte er auch seine 
Entfernung von der Universität herbeiführen, als Gonesius 
Wittenberg freiwillig verließ. War es wirklich nur Arbeits- 
überlastung, die den Reformator von einer Polemik wider 
den polnischen Unitarier anfänglich zurtickhielt? War es 
nicht auch die Sorge, durch eine Schrift gegen den Trinitäts- 
leugner den Kampf um das altkirchliche Dogma von den 
Ufern der Weichsel nach der Elbstadt zu verpflanzen? Nur 
auf Radziwills Drängen, der ihm in der Folgezeit Bücher 
des Gonesius sandte, schrieb er endlich 1557 wider den 
polnischen Unitarier*. Jedenfalls war neben anderem dies 
Bedenken in Paul Eber lebendig, als im Herbst 1564 Erasmus 


1) Über diese theologische Entwicklung vgl. Wotschke, Geschichte 
der Reformation in Polen, S. 197 ff. 

2) Vgl. Dalton, Lasciana, S. 550, Wotschke, Briefwechsel, S. 127, 

3) Dies bezeugt der Posener Jesuit Alphons Pisanus im Vorwort 
seines Buches „Nicaenum concilium, Coloniae 1581“. 

4) CR. IX Nr. 6705. Hier schreibt Melanchthon unter dem 
9. Mürz 1559: ,Ich habe vor zweien Jahren gegen die Lüsterung ge- 
schrieben, da einer, genannt Petrus Konyza, zu Schutz derselben 
Lüsterung Bücher in Druck gehabt, die Razivil ernstlich verboten hat 
zu verkaufen, hat mir aber ein Exemplar zugeschickt“. Gedruckt ist 
dies Schreiben oder diese Schrift Melanchthons nicht worden und heut 
anscheinend auch handschriftlich nicht mehr vorhanden. 


126 46 


` 


Glitzner, der im folgenden Jahre zam Superintendenten der 
großpolnischen lutherischen Kirche gewählt wurde, vor ihn 
trat und ihn bat, seine Schrift wider die polnischen Tritheisten 
zu veröffentlichen. Am 17. November sandte er dem polnischen 
Streiter für das Trinitätsdogma seine Polemik zurück). Auch 
die in Wittenberg geplante Drucklegung von Lismaninos 
Schrift über die Trinität hat Eber anscheinend verhindert. 
Erschien Glitzners Buch 1565 in Frankfurt a. d. O., so des 
Korfioten Schrift in demselben Jahre in Königsberg. 

Infolge dieser Zurtickhaltung schlug kaum eine Welle 
des heftigen theologischen Kampfes um das Trinitätsdogma 
aus Polen bis zur Reformationsstadt. Kein Wittenberger 
Theologe trat gegen die polnischen Antitrinitarier auf den 
Kampfplatz, wohl aber der Leipziger Alesius, der Wismarer 
Wigand, der Tübinger Andreá, um nur diese Lutheraner zu 
nennen. „Gregorius Pauli kenne ich nur wenig“, schrieb 
Peucer am 15. Oktober 1566 aus Wittenberg an Beza, 
„Blandratas Name ist bei uns bekannter“. Deshalb und 
mit Rücksicht auf die zahlreichen Studenten aus Ungarn in 
der Reformationsstadt richtete die Wittenberger theologische 
Fakultät dafür am 23. August 1564 und am 7. Juni 1568 
zwei Sendbriefe an die Ungarn), deshalb schrieb auch Georg 
Major 1569 sein Buch „de uno deo et tribus personis adversus 
Franciscum Davidis et Georgium Blandratam“. Als diese 
Unitarier darauf eine „Refutatio“ ausgehen ließen, verüffent- 
lichte er noch in demselben Jahre eine ,Commonefaetio ad 
ecclesiam eatholieam orthodoxam de fugiendis et execrandis 
blasphemiis Samosatenicis, Arianis, Eunomianis et aliis contra 
Blandratam et alios nonnullos huius sectae renovatores*. 

In der Folgezeit waren die polnischen Unitarier eifrig 
bemüht, in Wittenberg für ihre Ablehnung der Trinitätslehre 


1) „Remitto librum tuum, quem non credere possum hic excuden- 
dum recipi, cum prela aliis scriptis sint occupata et liber emendatione 
accurata egeatet alioqui non libenter has disputationes 
in hanc academiam attrahamus evulgatione talium 
scriptorum, quorum lectio curiosis ingeniis occasionem praeberet 
inquirendi cum periculo de erroribus illis, quos si tali scripto non satis 
accurate refutatos cernerent, possent postea illos ipsos. pro veris et 
irrefutabilibus amplecti“. Aus der herzoglichen Bibliothek in Gotha. 

*) Vgl. Consilia theologica Witebergensia I, 656ff, 


47 127 


Propaganda zu machen !). Natürlich in tiefster Verborgenheit. 
Zur Lutherstadt schickten sie ihre geheimen Sendboten, die 
in der Stille unter den Studenten arbeiten sollten. Waren 
Johann Chrzonstowski?) und Thomas Sienienski®), die am 
10. bzw. 22. Mai 1571 an der Leucorea sich inskribieren 
ließen, solche unitarischen Sendlinge? War es Hieronymus 
Moskorowski, dessen Namen uns die Universitütsmatrikel 
unter dem 20. Januar 1575 bietet? Ich kann es nicht 
sagen. Moskorowski, der im Oktober 1593 eine Tochter 
des bekannten Unitariers Dudith heimführte, der Gründer 
der unitarischen Kirche in Czarkow an der Weichsel, ist 
wohl erst später für den Unitarismus gewonnen worden, war 
zur Zeit seines Wittenberger Studiums anscheinend noch 
rechtgläubig. Jedenfalls aber waren Emissäre der polnischen 
Brüder in Wittenberg tätig. Von ihnen wurde dem Anti- 
trinitarismus zugeführt der begabte Johann Volkel aus 
Grimma, 1578 kurfürstlicher Stipendiat, dann auch Magister 
in Wittenberg. Er ging nach Polen, wurde Fausto Sozinos 
Amanuensis und starb 1618 als Pastor der unitarischen 
Gemeinde in Schmiegel. „Der Wittenberger Magister“ hieß 
er bei seinen Glaubensgenossen, die seine Begabung außer- 
ordentlich schätzten, seine nachgelassenen fünf Bücher tiber 
die wahre Religion auch 1630 auf Synodalkosten veröffent- 
lichten. 

Am 9. Mai 1584 ließ sich an der Leucorea inskribieren 
Andreas Voidowski, ein Sohn des Chmielniker Pastors Johann 
Voidowski und Schüler Fausto Sozinos. Nach der Mahnung 
seines Lehrers vom 18. März 1583 hatte er sich der Theo- 
logie zugewandt, Etwa acht Jahre weilte er in Wittenberg, 


1) In Tübingen hat seit dem 26, September 1583 studiert und 
gewiß auch für seinen unitarischen Glaubeu zu wirken gesucht Albert, 
Kalisius, der später zu Sturm in Beziehung trat und in seinem Geiste 
als Rektor die Schule zu Lewartowa, der holländischen Kolonie nörd- 
lich von Lublin, leitete, bis sie 1601 nach dem Tode des evangelischen 
Grundherrn katholisiert wurde. Vgl. Wotschke, Graf Andreas von Lissa, 
Jahrbuch für Kirchengeschichte der Provinz Posen 1914, S. 30, 

5 Über den Unitarier Andreas Chrzonstowski vgl. Sand, Bibliotheca 
Antitrinitariorum, S. 108, und Bock, Historia Antitrinitariorum, I, 98. 

) Ein Johann Sienienski, Kastellan von Zarnow, hat 1569 Rakow, 
den Vorort der Unitarier in Polen, gegründet. 


128 48 


unablässig bemüht, seinem Glauben Anhänger zu gewinnen. 
Bei der Vorsicht, die er gebrauchte, gelang es ihm, unent- 
deckt zu bleiben. Wir können deshalb auch nichts Näheres 
von seiner Tätigkeit und ihrem Erfolge berichten. Der Brief, 
den Sozino am 26. Apri! 1590 an ihn nach Wittenberg ge- 
richtet hat, würde uns einigen Aufschluß geben, aber wohl- 
weislich hat der Herausgeber den Teil des Briefes, der der 
Propaganda in Wittenberg galt, unterdrückt. Zuletzt war 
Voidowski in der Elbstadt als Erzieher des jungen Zacharias 
Krokierius!) aus Lublin tätig, dessen Name uns unter dem 
15. Januar 1590 in der Universitätsmatrikel begegnet. Mit 
ihm zog er Ende 1590 nach Straßburg. Hier, wo er 
mit den oberdeutschen Täufern in Verbindung trat und sie 
zu einem Schreiben an die Schmiegeler Gemeinde veranlaßte )), 
gelang es ihm, den Gothaer Valentin Schmalz zu gewinnen, 
der schon September 1592 nach Schmiegel zog und nach 
Sozinos Tode der führende unitarische Theologe wurde. 
Bereits 1593 ließ er in Rakow erscheinen: „Wahrhaftige 
Erklärung aus Grund der heiligen Schrift von des Herrn 
Jesu Christi Gottheit“. Am 15. März schickte der 21 jährige 
dies Büchlein einem sächsischen, also wohl einem Witten- 
berger Theologen mit einem herausfordernden Schreiben: 
„Wenn du nicht antwortest, so muß ich annehmen, du kannst 
es nicht widerlegen.“ 


Im Jahre 1595 dachte Voidowski, wie wir aus dem 
Schreiben Sozinos vom 9. August dieses Jahres sehen, von 
neuem. daran, als Apostel seines Glaubens nach Deutschland 
und doch wohl auch nach Wittenberg zu gehen. Zweifellos 
berührte er die Elbstadt, als er Anfang Juli 1598 mit 
Christoph Ostorod nach Holland zog, um dort seine Netze 
auszuwerfen. In Leiden glückte es ihm, den Studenten der 


1) Wohl ein Sohn jenes Matthias Krokierius, den Sozino in seinem 
Schreiben vom 20. Juni 1580 an Czechowicz grüßen läßt und den die 
Luclawicer Maisynode 1582 nach Danzig schiekte, um eine Vereinigung 
der dortigen holländischen Unitarier mit den polnischen Brüdern herbei- 
zuführen. Jener Paul Krokierius, der von 1612—1616 dem Rakauer 
Gymnasium vorstand, wird sein Bruder gewesen sein. 


*) Vgl. Wotschke, Ein dogmatisches Sendschreiben des Unitariers 
Ostorod. Archiv für Reformationsgeschichte, XII, S. 137 ff. 


49 129 


Medizin Ernst Soner zu gewinnen!) der wenig später eine 
Professur in Altdorf erhielt. Aber schon war er mit seinem 
Genossen auch erkannt. Bereits am 12. August erstattete 
die theologische Fakultät Anzeige?). Am 8. März 1599 
wurden Voidowski und Ostorod durch ein Dekret der 
Generalstaaten aus Holland verwiesen). 


Den Schleier, den die unitarischen Sendlinge in Witten- 
berg tiber sich und ihr Wirken zu breiten verstanden, können 
wir selbst heute nicht lüften. Mit Bestimmtheit vermag ich 
nicht zu sagen, wer in der Folgezeit an der Leucorea unter 
dem Deckmantel eines Studenten oder Präzeptors junger 
Adliger antitrinitarische Lehren auszustreuen versucht hat. 
Wurde vielleicht auch die Propaganda in Wittenberg eine 
Zeitlang zurückgestellt zugunsten der Bemühungen an anderen 
Hochschulen? In Heidelberg“) war jedenfalls seit dem 2. Juli 
1602 Petrus Schomann?°) tätig, der 1596 Schmalz’ Freund 


1) Vgl. Zeltner, Historia Crypto-Socinismi, S. 33. 

2 Vgl. Zeltner, S. 36. 

3) In der Folgezeit wurde Voidowski Pfarrer in Lublin, dann in 
Rakow. Die Matrikel des Thorner Gymnasiums bietet unter dem 
23. Januar 1613 die Namen: ,Faustus Voidovius, Andreae Voidovii 
Zakrzeviae natus, Rakoviae et Fraustadii operam dedit literis, Valentinus 
Zehowski Luccoriensis ex Volhinia“, und unter dem 29. Februar 1613 
» Paulus Peldowski, Cujaviensis Photinianus, antea Rakoviae dedit literis, 
Iacobus Weise, Varsaviae natus, Wenceslaus Voidovius, Andreae 
frater paedagogus, Johannes Zbosi Zakrzewski, Philippi filius, Stanis- 
laus Niemojevius, Martini filius, Gabriel Cursaski, Ravensi ex districtu 
paedagogus, Laurentius Niemojevius, Stanislai frater". Da Faustus 
Voidowski in Zakrzewo geboren ist, scheint sein Vater mit dem 
Unitarier Philipp Zakrzewski eng verbunden geweseu zu sein. Seine 
Schrift wider die Posener Jesuiten hat dieser Zakrzewski aus Zakrzewo 
unter dem 20. Dezcmber 158] datiert und dem Grafen Raphael von 
Lissa gewidmet, 

*) Der Martin Pisecius, welcher am 3. Juni 1594 an der Ruperta 
sich inskribieren lied, war rechtgláubig. Unitarisch aber war seine 
Schwester Rosina, die Gattin des Czarkower Pfarrers Simon Pistorius, 
Johann Krells Schwicgermutter, und vor allen sein Bruder Thomas. 
Vgl. über diesen Bock, Historia Antitrinitariorum, I, S. 6334. 

5) Petrus Schomann, ein Sohn des oben erwähnten Georg 
Schomann, war Mediziner; sein Bruder Paul starb am 26. Juni 1617 
ala Lehrer in Rakow. 

Archiv für Reformationsgeschichte. XIV. 2. 9 


130 50 


Petrus Ostrowski!, den Sohn des Lubliner Bannertrügers 
Jakob Ostrowski, auf seiner Gesandtschaftsreise nach Kon- 
stantinopel begleitet hatte, und seit dem 22. Juni 1603 
Johann Grotkowski, der 1610 Schmalz l5jährige Tochter 
Katharina als Gattin heimführte, 1612 das Pfarramt in 
Zarszyn unweit Sanok in Galizien übernahm und 1620 als 
Pfarrer nach Rakow ging?). In Altdorf finden wir schon 
1580 Alexander Vitrelin®), den Sohn des einstigen Pinezower 
Pfarrers, und 1582 Petrus Statorius den Jüngeren, den 
späteren Pastor von Luclawice bei Krakau, dann von Rakow, 
und 1595 wiederum die Brüder Peter und Paul Suchodolski 
mit ihrem Lehrer Stanislaus Jurgewitius*), der November 
1597 nach Leiden ging. Des eben genannten Luclawicer 
Pfarrers Statorius junge Söhne Stephan und Johann?), die 
sich am 17. Mai 1598 an der Paläocome inskribieren ließen, 
konnten um ihrer Jugend willen für ihren Glauben unter 
den Studenten noch nicht wirken, um so mehr wird es der 
Kreis getan haben, der von 1600— 1604 in Altdorf um Daniel 


! Im Hause seiner Mutter, einer geborenen Suchodolska, hielt 
die Lubliner unitarische Gemeinde anfänglich ihre Gottesdienste. 
Vgl. Lubieniecki, Historia reformationis polonicae, S. 254, 

2) Er war in Heidelberg der Prüzeptor des Abraham und Christoph 
Sienuta, deren Vater als Schutzherr für die unitarische Gemeinde in 
Lachowce bei Kremenez in Wolhynien sorgte. 

3) Jener Vitrelin, der 1582 im Auftrage der Maisynode in 
Luclawice mit Martin Czechowicz und Matthias Krokierius nach Danzig 
ging, um die dortige holländische unitarische Gemeinde zum Anschluß 
an die polnischen Unitarier zu bestimmen, war der ältere Vitrelin. 
Seine Mission war vergebens, da die Danziger die Prüdestination und 
den unfreien Willen ablehnten. Zur Belehrung der Danziger schrieb 
darauf Czechowiez eine Erklárung von Róm. JX. Die Wengrower 
Maisynode 1584 billigte diese Schrift, 

4) Die „Theses de ortu animae", welche Jurgewitius im April 1596 
in Altdorf in einer Disputation unter dem Vorsitze des Taurellus ver- 
teidigte, hat er dem Unterkümmerer des Chelmer Landes Paul Orzechowski 
gewidmet, dem Gründer der unitarischen Gemeinde in Krupe südwest- 
lich von Lublin und in Suraz am Narew in Podlasien. 

5) Dieser Johann Statorius hat 1597 auch in Frankfurt studiert. 
Er war der letzte Rakauer unitarische Geistliche, wurde 1638 bei der 
Zerstórung seiner Gemeinde geüchtet und für infam erkliirt Seine 
jüngeren Brüder Petrus und Christoph, von 1608—1612 Pfarrer in 
Lachowce, lieBen sich am 22. November 1604 in Altdorf immatrikulieren. 


51 131 


und Hieronymus!) Dudith, Johann Czaplicki?), Roman Hoski 3), 
Stephan Niemiryez*) und Samuel Nieciecius*) sich sammelte. 

Im Jahre 1601 sehen wir unfern Wittenberg in Zerbst 
Matthäus Radecke, den 17jährigen Sohn des ehemaligen 
Danziger Sekretärs Matthäus Radecke, der anfänglich luthe- 
risch zu den Reformierten, dann zu den Mennoniten über- 


1) Hieronymus Dudith starb schon am 7. Juli 1612 in Czarkow 
bei seinem Schwager Moskorowski. Für seine ganz verarmte Witwe 
sammelte die Rakower Synode 1615 118 Gulden. 


*) Die Czaplicki waren die Schutzherren der bedeutenden unita- 
rischen Gemeinde in Kisielin unfern Luzk in Wolhynien. Dem 
Kisieliner Erbherrn Georg Czaplicki und seinem Bruder Martin, dem 
Erbherren in Hluponin hat Schmalz unter dem 1. März 1616 gewidmet 
seine ,Refutatio duorum Martini Smiglecii Jesuitae librorum, quos de 
erroribus novorum arianorum inscripsit". Dieser Martin Czaplicki hat 
am 24. Januar 1597 die Paláocome bezogen. Unter dem 20. August d. J. 
widmete er seinem Vater Friedrich, dem Landrichter in Luzk, ,Theses 
de discendi docendique prudentia, quas in academia Altorphiana 
Martinus Czaplic de Spanow publice tueri conabitur. Noribergae 
excudebat Paulus Kaufmann“. Noch bemerke ich, daß sein Lehrer 
Balthasar Krosnievicius reformierten Bekenntnisses war. Er wurde 
Pfarrer von Birze in Lithauen und Superintendent der Kirchen hinter 
Wilna. 

5) Am 7. Januar 1604 in Altdorf inskribiert, späterer Kämmerer 
von Wladimir in Wolhynien. Ihm widmete Schmalz am 1. August 1619 
sein Buch gegen Jakob Zaborowski, den tüchtigen reformierten Pfarrer 
von Kozk, etliche Meilen nórdlich von Lublin. 


*) Gleichfalls am 7. Januar 1604 in Altdorf inskribiert, spüter 
Kämmerer von Kijew, Schutzhetr der unitarischen Gemeinde in 
Szeraznie, der östlichsten aller sozinianischen Gemeinden. Als die 
Unitarier 1660 aus Polen vertrieben wurden, ließ sich ein Niemirycz 
in Neuendorf unfern Krossen nieder. Das geheime Staatsarchiv in 
Berlin besitzt verschiedene Schreiben vom 8, März, 23. Mai, 13. und 
17. Juni und 1. September 1670, die dieser Niemirycz an den Großen 
Kurfürsten gerichtet hat. 

5) Von 1610—1613 Pfarrer in Hoszcza in Wolhynien. Nietzsche 
leitete bekanntlich seine Herkunft von einem polnischen Geschlechte 
ab, das infolge religióser Bedrückungen nach Deutschland geflüchtet 
sei. Ist dies richtig, so kann meines Wissens nur dieser Nieciecius 
als ein Ahne Nietzsches in Betracht kommen. Freilich ist zur Er- 
klárung des Nietzscheschen Herrenmenschen der Hinweis auf die 
Schlachtzitzennatur seiner Vüter dann nicht zulüssig. Die polnischen 
Brüder haben, was sie vom Schlachtzitzen-Herrenmenschen von Natur 
in sich trugen, vollständig ertótet. 

9% 


132 52 


gegangen war und schließlich Frühjahr 1592 den Unitariern 
sich angeschlossen hatte, von diesen auch zum dritten Male 
getauft worden war. Was hat den Jüngling, dessen Vater in 
jener Zeit der unitarischen Gemeinde in Buschkau bei 
Danzig diente, nach dem Herzen Deutschlands, nach Anhalt, 
geführt? Hat er etwa seinen Sehwager Voidowski auf einer 
Propagandareise begleitet? Wohl nicht. Im Gegensatze zu 
seiner ganzen Familie mochte er kein Unitarier sein. Am 
31. August 1601 bat er das Zerbster Ministerium um die 
Taufe und um die Erlaubnis, das Bartholomäum besuchen 
zu dürfen!) Näheres über seinen Aufenthalt in Zerbst und 
über seine weiteren Reisen in Deutschland weiB ich nicht 
mitzuteilen. Im Jahre 1603 hat er zwischen dem Danziger 
Rektor Schmidt und Schmalz, der jenen schon gewonnen zu 
haben meinte, Unfrieden gestiftet, und am 4. Mai 1607 ist 
er früh in Padua verstorben, wührend sein Vater erst am 
29. Mürz 1612 uud sein Bruder Valentin, der Pastor der 
deutschen unitarischen Gemeinde in Klausenburg, um 1630 
seine Augen geschlossen hat. 


An der Viadrina hat sich am 31. Oktober 1605 mit 
seinen Zöglingen Stephan und Andreas Woinarowski?) in- 
skribieren lassen Michael Gittich, der begabte Sohn des 
deutschen Arztes Matthias Gittich, der einst in Venedig ge- 
lebt, mit Paul Eber korrespondiert hatte?) und spáter nach 


1) Vgl. Beckmann, Historie des Fürstentums Anbalt, VI, S. 140. 
In seiner Bittschrift schreibt Matthäus Radecke: „Cum parentum meorum 
fato s. ecclesiae per baptismi ceremoniam et mysterium initiatum me non 
esse sciam eiusque privationem pressis et flebilibus modis deplorem 
eiusdemque neglectionem, nedum tantum contemtum institutionis 
divinae summa cum impietate coniunctum in illis, quibuscum vixi, 
contester et diris omnibus devoveam, aequis a vobis contendo precibus, 
saluti meae hac in parte consultum vestra pietate cupiatis usumque 
huius sacramenti non denegandum mihi, imo impertiendum cum animo 
vestro quam primum constituatis.“ Den Fürsten Johann Georg von 
Anhalt bittet er um Unterhalt, 

2) Stephan Woinarowski, spüter Kijewer Jüger, gewührte 1641 
dem aus Amsterdam nach Polen zurückkehrenden geüchteten Jobann 
Statorius in Szersnie (im Kijewer Palatinat) einen Unterschlupf. 

) Ein Schreiben '"'"^h. aus diesem Briefwechsel ist vom 
9. November 1544 datiert und im Besitze der herzoglichen Bibliothek 
in Gotha. Es gibt am Schluß eiue Nachricht über das Los der 


53 133 


Polen gezogen war. Sein Sohn hat etliche Jahre in Sieben- 
bürgen unter den Unitariern gelebt, eng verbunden mit dem 
Klausenburger Pastor Valentin Radecke, und dann seit 
1603 ein Lehramt am Rakauer Gymnasium bekleidet. Am 
19. Juli 1607 ließ er sich mit seinen Schülern in Altdorf 
inskribieren. Hat er die ganze Zeit in Frankfurt geweilt? 
Ich vermute, daß er nur vorübergehend an der Viadrina sich 
aufgehalten und zu Propagandazwecken bald die Leucorea 
oder Argos, wie die polnischen Brüder in ihrer Geheimsprache 
Wittenberg zu nennen pflegten, aufgesucht hat. 

Am 1. Mai 1608 widmete Schmalz, der 1598 das 
Schmiegeler Rektorat mit dem Lubliner Pfarramte und dieses 
im Oktober 1605 mit dem Rakauer vertauscht hatte, „aus 
Bewilligung und Gutdünken aller Gemeinden in Polen“ die 
von ihm besorgte deutsche Ausgabe!) des Rakauer Katechis- 
mus?) der Wittenberger Universität: „weil wir gerne wollten, 
daß solche heilige Wahrheit nicht allein vor schlechte und 
einfältige Leute, sondern auch für die allerklügsten kommen 
möge. Dieweil wir uns ihrer nicht schämen, sondern allezeit 
und an allen Orten bereit sind, dieselbe aus Gottes Wort 
zu verantworten. Darnach darum dab wir für billig geachtet, 
daß die christliche Wahrheit des Evangelii, wie sie ihren 
Anfang in dieser hochlöblichen Universität durch den für- 
trefflichen Maun D. Luther genommen und von dannen in 
die ganze Christenheit ausgegangen, also auch mit Wucher 


Evangelischen in Venedig: „Captivi nostri antiqua fortuna utcumque 
tolerabiliori sub legato primo usi, quod licuit fratribus accedere et 
colloqui, nunc sub isto in totum sublati ad vos clamamus, suspiramus 
gementes et flentes in hac valle miseriarum, ut quantum potestis nobis 
non deesse velitis. Yale una cum uxore domoque tua totas quam 
foelicissime. Salutat te Baltasarus Neapolitanus (Altieri), nostrae 
ecclesiae antistes tui studiosissimus, quem literis tuis, ne deficiat, 
consolari adhortarique non graveris“, 

1) Angeblich auf Verlangen vieler frommherzigen Leute deutscher 
Nation hat Schmalz den Katechismus, dessen Ausarbeitung er mit 
Hieronymus Moskorowski, Petrus Statorius und Johann Volkel, dem 
Wittenberger Magister, am 25. April 1605 begonnen hatte, aus dem 
Polnischen ins Deutsche übertragen. 

*) Die lateinische Ausgabe des Katechismus, welche 1609 in 
Rakow erschien, ist von Moskorowski dem Könige Jakob von England 
gewidmet. 


134 51 


und mit gróberer Vollkommenheit sich wieder zu ihr kehre 
und ihr zu betrachten fürgelegt werde. So aber jemand 
gedenket, daB Gott alles, was durch den Antichrist in so viel 
hundert Jahren verderbt gewesen, in so wenig Jahren durch 
D. Luther und andere seine Mitgehülfen sollte gänzlich ge- 
bessert haben, der betrachtet nicht, was Gott für eine Weise 
und Weisheit gebraucht in solchen Werken, daß er nämlich 
nicht alles auf einmal, sondern bei wenigen offenbart, damit 
die menschliche Schwachheit durch die Vollkommenbeit seiner 
Offenbarung nicht überfallen und unterdrückt werde!) Es 
hatte Gott durch Luther den Menschen so viel offenbart, dab 
fromme Herzen eine große Hülfe hatten, die ewige Seligkeit, 
die durch den Antichrist verwickelt und verdunkelt war, zu 
erlangen, dafür sein heiliger Name gelobet sei. Weil aber 
über das noch viel andere Lehren hinderstellig waren, die 
den Menschen zu derselbigen Seligkeit sehr hinderlich sein 
können, hat Gott auch dieselben durch seine Diener allgemach 
zu erkennen gegeben und anstelle des greulichen und lang- 
wierigen Irrtums seine heilige Wahrheit von Tag zu Tag 
je vollkommlicher zeigen wollen. Dazu wir denn glauben, 
daß er nach seinem tiefen Rat auch unsere Gemeinden in 
Polen gebraucht, durch welche er viel übriger falscher 
Lehren, so vom Antichrist erdichtet sind, von anderen Ge- 
meinen aber aus Unverstand verteidigt werden, aufräumet“ °). 


1) Diesen Gedanken hat zuerst Gregorius Pauli in seinem Briete 
an die Züricher vom 20, Juli 1563 ausgesprochen. Wotschke, Brief- 
wechsel der Schweizer mit den Polen, S. 202. Auch soll Pauli eine 
Flugschrift mit Abbildungen haben ausgehen lassen, die einen Bau 
zeigte, dessen Dach Luther herabwirft, dessen Wánde Calvin nieder- 
stürzt, dessen Grundstein aber er, Pauli, selbst umstößt. 

2) Am 1. September 1609 widmete Schmalz der Heidelberger 
Universität seine Ausgabe der ,praelectiones theologicae“ Sozinos und 
am 20. November 1614 dem Straßburger Rate Sozinos Kommentar zum 
ersten Johannisbrief. Weiter eignete Hieronymus Moskorowski unter 
dem 1. März 1610 dem Landgrafen Moritz von Hessen Sozinos Dis- 
putation zu „de statu primi hominis ante lapsum“. Energisch wiesen 
unter dem 4. September 1615 die Straßburger Theologen die Widmung 
von Sozinos Kommentar zurück. „Wie viel haben Smalcius und seine 
Gesellen anderen Universitäten, auch Königen und Städten dedicieret, 
darauf unseres Wissens noch kein Buchstabe ist geantwortet“ schreibt 
1618 die Wittenberger Fakultät zur Entschuldigung der Verzögerung 


55 135 


Nattirlich waren die Wittenberger Professoren voll Un- 
willen über die Zueignung des ,gotteslüsterlichen" Buches 
mit einer solchen Widmung. „Daß diese Leute gegen unsere 
Kirche so ehrerbietig sind, stellen wir an seinen Ort“, 
schreiben sie. „Sie sollen aber versichert sein, daß sie der- 
selben keine größere Schmach hätten antun können, als daß 
sie ihr dergestalt ihr Gift beizubringen sich unterstanden, 
welches ihr einig Intent mit solcher Dedikation gewesen“ !). 
Die anmaßende Sprache, daß erst die Unitarier Luthers 
reformatorisches Werk vollendet hätten, weisen sie zurück 
mit den Worten: „Wie können sie vollkommener machen, 
was Luther und seine Mitgehülfen sollen angefangen haben, 
denen sie doch in allen Artikeln, gar wenig ausgenommen, 
zuwider sein? Man weise doch nur einige solche falsche 
und vom Antichrist erdichtete Lehre, so nicht längst zuvor, 
ehe denn diese Leute und ihre Vorfahren geboren worden, 
durch den getreuen Dienst Lutheri und seiner Mitgehülfen 
wäre aufgeräumet gewesen. Ja, heißt das aufräumen, was 
vom Antichrist erdichtet ist, wenn man vorgibt, der Mensch 
sei von Gott sterblich erschaffen, wenn man die Erbsünde 
leugnet, dem Menschen das Vermögen gibt, Gottes Gebot 
vollkommen zu halten, den Werken des Gesetzes zur Selig- 
keit als ein Verdienst zumisset, die böse Lust in dem Wieder- 
geborenen für keine Sünde hält, welches als antichristliche 
Irrtümer längst widerlegt worden“. Die Trinitätslehre aber 
sei nicht vom römischen Antichrist ersonnen, sondern von 
der Kirche festgestellt, ehe dieser aufgetreten sei. 
ihrer Antwort. Vom englischen Könige, von dem hessischen Landgrafen 
und der Heidelberger Universität ist meines Wissens den Unitariern 
überhaupt keine Antwort geworden. Doch hat der Heidelberger David 
Pareus sich schon in seinem unter dem 15. März 1608 dem Danziger 
Rate gewidmeten Kommentare zum Rómerbrief scharf gegen Sozino, 
Eniedin und Ostorod gewandt. Ihm sollte nach dem Beschlusse 
der Rakower Synode 1611 Nieciecius antworten, doch der Tod riß 
dem Hoszczer Pfarrer am 14. Januar 1613 die Feder aus der Hand. 
Darauf beauftragte die Rakower Synode des Jahres 1615 Schmalz mit 
der Vollendung der Gegenschrift, doch ist diese wohl nie abgeschlossen, 
oder wenigstens nie gedruckt worden. Ebensowenig ist veröffentlicht 
worden, was Gittich, der Nowogrodeker Pfarrer, wider Pareus ge- 


schrieben hat. 
1) Vgl. Consilia theologica Witebergensia, S. 662, 


136 56 


Von einer Widerlegung des Katechismus sah die Fakultät, 
mit anderen Arbeiten stark belastet, zurzeit ab. Dafür ver- 
öffentlichte!) der Professor Franz, für den die Unitarier in 
ihrer geheimen Korrespendenz den Decknamen Gallus ge- 
brauchten, am 1. August 1609 zwölf Disputationen über die 
zehn ersten Artikel der Augsburger Konfession?), in denen 
er sich eingehend mit den Unitariern oder Photinianern aus- 
auseinandersetzte. Am 13. August des folgenden Jahres ließ 
er zu ihrer Widerlegung weitere zwölf Disputationen tiber 
die Artikel 11—21 der Augustana ausgehen?) und schließ- 
lich 1611 noch sieben Disputationen über den zweiten Teil 
des Bekenntnisses. Ihnen gab er noch drei ganz ausgezeich- 
nete Disputationen tiber die Trinität bei*), in denen er zeigte, 


1) Auch las Franz ein Colleg wider die Sozinianer. Vgl. das 
Schreiben des Wilhelm Nigrinus, der spáter in Kaaden (Bóhmen) 
wirkte, vom 7. März 1611 an B. Meisner, der damals in Gießen studierte: 
,De praelectionibus singulorum professorum T. H. ex praesenti pro- 
grammate certior fiet. Disputationes publicae exceptis philosophicis 
apud nos carae et rarae; ab eo tempore, quo dn. d. Balduinus de fide 
parvulorum disputavit, nulla fuit habita, privatae vero non ita quidem 
rarae, sed ob rerum pondera admodum carae, Dn. Fórsterus quaestiones 
guas theoreticas et practicas ex decalogo decerptas pertexit. Dn. Franzius 
collegio suo ferme ante triennium contra photinianos incepto iam iam 
colophonem addere meditatur. Dn. Polycarpus psalmos interpretari 
auspicatus est collegioque privato quaestiones nonnullas ex Formula 
Concordiae desumptas inque aedibus Lyserianis ventilandas includere 
praesumpsit. 

2) Vgl. „Augustanae confessionis articuli priores decem disputa- 
tionibus duodecim breviter explicati auctore Wolfgango Franzio. Ex 
his 12 disputationibus, lector, imprimis etiam hodiernorum Photinianorum 
seu, ut vulgo vocantur, Arianorum de articulis istis religionis christianae 
placita vel dogmata cum brevibus eorundem refutationibus animadvertes, 
ita ut omnia reliqua, quae praeter locum de merito Christi disputant, 
nihil nisi anabaptisticas aut alias veterum haereticorum palliatas offucias 
agnoscere et discere possis“. 

) „Augustanae confessionis articuli posteriores undecim disputa- 
tionibus duodecim breviter explicati auctore Franzio. Ex his quoque 
disputationibus, lector, in specie reliqua de iisdem articulis hodiernorum 
Photinianorum seu, ut vulgo vocantur, Arianorum dogmata cum brevibus 
eorundem refutationibus deprehendes“. 

*) ,Addita sunt in fine tres aliae de tribus personis divinitatis, ip 
quibus demonstratur, qua methodo Antitrinitarii hodierni potenter et 
feliciter confutandi et reprimendi“. 


57 137 


wie die Unitarier in ihren Angriffen auf das Trinitätsdogma 
am leichtesten zurückgewiesen werden kónnten. Im Jahre 1611 
und wiederum 1613 und 1620 erschienen die umfangreichen 
Disputationen auch in einer Gesamtausgabe !). 


Obwohl Franz sich sagte, daB seine Schriften durch die 
geheimen Werber und Anhänger der Unitarier, von denen 
damals Stanislaus Podlodowski?) an der Leucorea studierte, 
längst nach Rakow in Schmalz Hände gekommen sein müßten, 
wollte er doch nichts versäumen, um seine Bücher zur Kennt- 
nis seines theologischen Gegners zu bringen. Von seinem 
Freunde Johann Timäus, dem Diakonus in Fraustadt, hatte 
er gehört, daß ein Sohn des Unitariers Andreas Voidowski 
die Fraustadter Schule besuche. So schickte er ihm sein 
Buch mit der Bitte, es weiter befördern zu wollen®). Schmalz 


) Unter dem 12. Januar 1611 ist diese Gesamtausgabe den 
Städten Danzig, Thorn und Elbing gewidmet. Von unitarischer Seite 
hatte Adam Goslaw von Bebelno, der am 24. Januar 1597 die Alt- 
dorfer Hochschule bezogen hatte, dein Danziger Rate am 1. Dezember 1607 
seine gegen Keckermann gerichtete „Refutatio“ zugeeignet. Schmalz 
widmete ferner am 19. November 1613 den drei großen preußischen 
Städten seine „Responsio ad librum Martini Smiglecii Jesuitae“. 

*) Leider ist die Wittenberger Matrikel für die Zeit nach 1600 
noch nicht veróffentlicht. Ich kann die Studenten jener Zeit deshalb 
nicht übersehen und sagen, wer von ihnen den polnischen Brüdern 
zuzurechnen ist. Nach Gottfried Svevus, Academia Wittebergensis 
haben sich 1613 in der Reformationsstadt inskribieren lassen: Stanislaus 
Podlodowski von Przytik, Samuel Gajowski und die Brüder Andreas 
und Abraham Goluchowski. Dieselben ließen sich am 13. März 1614 
in Altdorf inskribieren. Schon dies läßt vermuten, daß sie Unitarier 
waren. Von dem ersten der Genannten wissen wir es gewiß. Die 
Familie Podlodowski hielt sich zu den polnischen Brüdern. Der hier 
genannte Stanislaus, der am 21. Januar 1618 sich noch in Leiden 
immatrikulieren ließ, empfing von den Rakauer Synoden der Jahre 1624 
und 1630 die Weisung, ein Buch „de concordia et unione inter coetus 
evangelicos et unitarios“ zu schreiben. Er wird uns weiter unten noch 
einmal begegnen. Vgl. über ihn Bock, Historia Antitrinitariorum I, S. 644, 
Der Paulus Poldowski Photinianus, dessen Namen die Matrikel des Thorner 
Gymnasiums unter dem 29. Februar 1613 bietet, war wohl sein Bruder. 

3) Am 4. Dezember 1611 schreibt Timäus an Franz: „Venit et probe 
sibi commissa reddidit Menzius ultima post Trinitatis, quem e vestigio din 
nec visus nec auditus in limine excepit Woidovius; is cum videret se a 
colloquio excludi, acceptis a me R, D. T. de trinitate et super Augustanam 
confessionem, quae adhuc mecum erant, thesibus discessit", 


138 l 58 


antwortete 1614 in einem umfangreichen Buche, das er wieder 
den Wittenbergern widmete !). In der Zuschrift gab er der 
Hoffnung Ausdruck, daß die übrigen Professoren der Leucorea 
besser als Franz durch den Rakauer Katechismus über die 
unitarische Kirche unterrichtet sein würden. Hatte Franz 
erklärt, Schmalz werde noch seinen Irrtum einsehen und 
zur rechtgläubigen Kirche zurückkehren, so antwortete der 
Unitarier, so wenig als Franz je dem papistischen Götzen- 
dienst zustimmen werde, werde er je wieder zum Luthertum 
sich bekennen. In seiner Polemik ist er recht ausfallend 
und scharf. Er schmäht den Wittenberger Professor mehr, 
denn daB er ihn zu widerlegen sucht. Über die Trinitäts- 
lehre gieBt er alle Schalen seines Spottes und Hohns, ohne 
auf die drei gediegenen Franzschen Disputationen über dieses 
Lehrstück auch nur einzugehen. 


Schmalz fühlte selbst, daB er zu weit gegangen war. 
Als er auf ein Schreiben des Steinfurter?) Rektors Christoph 
Brimovius, eines geheimen Freundes, Frühling 1615 mit 
Volkel, dem Wittenberger Magister, auszog, um die belgischen 
Brüder zu visitieren, vermied er sorgfültig Wittenberg. Über 
Frankfurt, Berlin, Brandenburg, Halberstadt, Hildesheim nahm 
er seinen Weg!“). Doch war Frühling 1615 an der Leucorea 
seine Erwiderung noch gar nicht bekannt geworden. Auf 
seiner Rückreise scheint er in Leipzig dies erfahren zu haben. 


1) ,Refutatio thesium d. Franzii, quas de praecipuis christianae 
religionis capitibus a. 1609 et 1611 disputandas proposuit, scripta a 
Valentino Smalcio Gothano, coetus Racoviensis in Polonia minori 
minister, edita vero a. 1614 Racoviae typis Sternacianis“. 

2) In Steinfurt muB die Zahl der geheimen Unitarier nicht gering 
gewesen sein. War doch hier von 1596—1610 der Arminianer, viel- 
leicht auch Sozinianer Konrad Vorstius als Professor am Gymnasium 
tütig gewesen, dem die Lubliner Synode 1600 die Leitung der Luclawicer 
Schule anbot und den 1601 Hieronymus Moskorowski von neuem nach 
Polen zu ziehen suchte. Unter dem 26. Januar 1614 schreibt Schmalz 
in seinem Tagebuche: ,Generosus dominus Engelbertus a Meugden, qui 
8.1613 ex comitiis ad nos venerat Racoviam cum illustri d. palatinide, 
discessit Steinfurtum ad nostros, a quibus veritatem 
didicerat, ut eos de statu nostro certiores redderet. Reversus sub 
initium Maii in ipsa synodo“. 

*) Vgl. über diese Reise die Angaben, die Schmalz in seinem 
Tagebuche macht. Zeltner. Historia Crypto-Socinismi, S. 1208. 


59 139 


Um des sehmáhenden Tones willen, den er angeschlagen 
hattte, konnte er nicht gut selbst sein Buch Franz zuschicken. 
Er bestimmte deshalb, als er in Móstchen unfern Sehwiebus 
rastete!), einen Johann Theophilus?) in Frankfurt, sein Buch 
nach Wittenberg zu senden. Hier traf es am 18. Juni 1615 
ein. Franz, der seit dem 24. August des vergangenen Jahres 
gegen die Unitarier Disputationen über Christi stellvertretende 
Genugtuung hielt, ging in der 14. Disputation am 27. Sep- 
tember 1615 zuerst auf die Schmalzsche Entgegnung ein. 
Bitter beklagte er, daB sein Widersacher zu seinen Dis- 
putationen vom Jahre 1611 über den zweiten Teil der 
Augustana und besonders über die Trinität keine Stellung 
genommen habe. LEingehend setzte er sich mit den Aus- 
führungen seines Gegners in allen folgenden Disputationen. 
von denen die letzte, die zwanzigste, am 6. Mürz 1616 ge- 
halten wurde, auseinander. Im Jahre 1617 gab er diese 
zwanzig Disputationen als seine Replik auf Schmalz Refu- 
tation auch gesammelt heraus?) und widmete sie der Stadt 
Hamburg“). 

Auch andere Lehrer der Leucorea erwogen in jenen 
Jahren viel die Fragen, welche die Unitarier der Theologie 


1) Uber den Besitzer von Möstchen, den Unitarier Kaspar von 
Sack vgl. Wotschke, Die unitarische Gemeinde in Meseritz-Bobelwitz, 
S. 11, 13 ff. 

) Welcher Unitarier sich unter diesem Decknamen verbirgt, 
kann ich nicht sagen. 

3) Vgl. Schola sacrificiorum patriarchalium sacra, hoc est Assertio 
solidissima satisfactionis a d. Jesu Christo pro peccatis totius mundi 
praestitae in sacrificiorum veterum typis fundata et recentibus Arianis 
seu Photinianis eandem negantibus per disputationes XX opposita in 
academia Witebergensi. Ubi simul respondetur ad ea praecipua, tum 
quae Faustus Socinus in libro de servatore, tum quae V. Smalcius 
in libro W, Franzii disputationibus super Augustanam Confessionem 
editis opposito adversus eandem excogitavit et eructavit 1617 Witte- 
bergae. 

4) In der Zueignung spricht Franz die Hoffnung aus, daD in 
Hamburg nie der Unitarismus Anhänger gewinnen möchte. Doch 
hielten sich 1652 verschiedene polnische Brüder in Hamburg ver- 
borgen. Ein gewisser Redoch richtete in diesem Jahre auch von 
Hamburg aus ein Sendschreiben an die „Märkischen Brüder“. Vgl. 
Wotschke, Zur Geschichte der Unitarier in der Mark. Jahrbuch für 
brandenburgische Kirchengeschichte, 1911, S. 229, 


140 60 


stellten. Eine Anregung, die von dem Jenaer Grawer, der 
wie Franz besonders Schmalz bekümpfte, ausging, die sách- 
sischen Universitäten möchten gemeinsam eine Widerlegung 
des Sozinianismus veröffentlichen, kam allerdings nicht zur 
Ausführung !), um so eifriger beschäftigte den jungen Professor 
der Theologie Balthasar Meisner der Gedanke, das Recht 
der Kirchenlehre gegen die Antitrinitarier zu erweisen?). Vor 
allen Dingen suchte er sich in den Besitz der gegnerischen 
Schriften zu setzen. Er schrieb deshalb an alle seine 
Freunde und Bekannten im Osten, von denen er annahm, 
daB sie ihm hier Handreichung tun könnten. Er wandte 
sich an den ehemaligen Rektor in Iglau Joh. Georg 


1) Himmelfahrt 1618 schreibt Hoe aus Dresden an Meisner: 
„Literas d. d. Graweri et ipse legi et nobilissimo nostro Schönbergio 
legendas dedi. Placent in lis et displicent aliquae. Photinianos 
communi nostrorum theologorum opera refutandos et tota phalange 
opprimendos censet cum theologis Giessensibus, laudamus indicium, 
laudamus factum et facti manifestum indicium. Prodeant ordine 
phalange aliqui et sequentur dubio procul reliqui“. 


2) In einem Briefe Hoes vom 1. November 1613 an Meisuer heißt 
es: „Laboribus vestris, quos refutationi photinianorum impendere cupitis, 
benedicat altissimus!“ Tübingen, den 30. Dezember 1613 beglückwünscht 
Heinrich Hiemer Meisner zur theologischen Professur und führt dann 
fort: ,Non minorem laetitiam ex eo percepi, quod V. R. D. stylum 
suum contra photinianos stringere animadverti. Etsi enim multi magni 
nominis theologi arbitrantur horrenda ista dogmata potius silentio 
involvenda quam in publicis disputationibus proponenda esse, quod 
tamen scripta istorum haereticorum frequenter in manibus studiosorum 
theologiae versantur, consultissimum utique esse arbitror vanitates, 
blasphemias et horrenda aoddosa photinianorum luci exponi publicae". 
Aus Kaaden (Böhmen) schreibt Wilhelm Nigrin seinem Freunde 
Meisner unter dem 5. Januar 1614: „Gratum lectu fuit, quod R. V. E. 
in gratiam studiosorum photinianis controversiis nonnihil temporis 
tribuere decrevit. Confirmet deus suoque spiritu R. V. E., in hoc opere 
clementer regat. Neque enim in posterum utile, sed etiam summe 
necessarium fuerit, ut praeclara, quae deus nobis donavit, ingenia 
hostibus hisce veritatis sese opponant, cum eorum virus longe lateque 
subinde diffundatur. Optarem mihi scripta quorundam photinianorum 
vel potius omnium, si fieri potest; hactenus eorum particeps non 
valui, quantumvis pecuniae non parsissem. Si R, V. E. modum autores 
huiusmodi nanciscendi nosset, peterem obnixe, ut tantum gratificaretur 
mihique eos, quoscumque etiam adipisceretur pro pecunia, quae prima 
statim occasione certo transmitteretur, compararet“. 


61 141 


Zickler!) der ihm indessen nur wenig dienen konnte. Viel 
besser vermochte es der Rektor Martin Weigmann?) in 
Bartfeld in Ungarn und später der bekannte Rathmann in 
Danzig. Freilich ging von diesem in den folgenden Jahren 


1) ,E museo Stanneriensi^ schreibt Zickler am Sonntage Reni- 
niscere 1614: „Petis, ini excellentissime Meisnere, photinianorum scripta, 
si quae nova. Non habentur in Moravia. Haeresis ista summe blas- 
phema nostris Moravis ex dei gratia ignota et scripta ipsorum invisa, 
A bibliopega nostro accepi quidem institutiones germanicas Ostorodi 
et catechismum Racoviensem minorem, praeterea nihil. Est mihi et 
tractatus ille Lubberti de Jesu servatore nostro contra Socinum et 
antesocinus ex Paraei haeretici scriptis collectus. Sed quid? Illa 
omnia tibi vulgaria. Si vero novum quoddam scriptum ad manus meas 
veniret, statim lubens merito quam primum mittam". 

7) Vgl. Weigmanns Brief vom 20. Oktober 1614: ,Quid chartula 
haec? Offert E. V. aliquot opuscula photinianae haereseos tenore 
petitionis et admonitionis suae in eruditissimis suis et suavissimis 
superioribus mensibus ad me datis literis. Quaeso animo interim haec 
benevolo accipiat, donec plura, quod brevi fiet, habiturus sim. Ego 
istas faeces neque lego neque adspicio, venenum habent, allium 
sathanicum continent, scatent blasphemiis multis, manum inde et 
oculum procul averto. Ad maioris et excellentioris iudicii viros, quam 
ego sum, mittendos censeo potius, quam ut cum periculo aliquo meae 
sese ingerant bibliothecae". Ostern 1615 schreibt er: ,Nudius nuperus 
quaedam scripta nova photinianorum E, T. misi, quae si acceperit, 
serie cupio, missurus propediem plura modo via et tabellarius mihi ad 
manus. Quod si C. T. arrideat disputatio, quam a. 1578 de statu primi 
hominis ante lapsum Faustus Socinus cum Francisco Luccio Florentino 
habuit, verbo saltem uno innuat, libentissime transmittam“. Im Briefe 
vom 9, Juni 1615 lesen wir wieder: ,Per d. m. Jeremiam Spiegelium 
cum comite suo Witebergam abeuntem mitto E. T. quaedam (salvo 
honore) drösas«, infausti foetus photiniani, quae a me tantisper habeat, 
donec plura mitti iusserit". Im Schreiben vom dritten Pfingstfeiertage 
1618 heißt es: „Turba photiniana scribillat (?) blasphemias in filium 
dei et spiritum sanctum. Vires subinde sumit maiores in Polonia. 
Nostros fines non attingit. Privilegia a magnatibus quibusdam 
Poloniae consecuta est magna, possessiones, fundos ceterumque habet 
typographiam elegantem. Quam deus potentissimus suo brachio potente 
retundat, compescat et exterminet*! Noch am 4. März 1620 berichtet 
er: ,Exemplar Eniedini ad manus non habeo, sed et inposterum 
difficulter eius copia haberi poterit. Princeps enim Transsylvaniae 
mandato gravissimo ea interdixit et quae apud bibliopolam Claudiopoli- 
tanum exemplaria fuerint, omnia in fasciculum collegit et Albam 
Juliam deferri ibique in loco abdito adservari curavit prohibita eiusdem 
inposterum publicatione. Daturus tamen indefessam operam, ut aliquot 
acquisitis E, V. gratificer." 


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einmal eine ganze Büchersendung verloren!) Zu einer 
größeren Arbeit wider die Unitarier kam Meisner indessen 
zurzeit noch nicht. Ja, es scheint, daß er selbst die Dis- 
putationen, die er mit Studenten wider den Sozinianismus 
hielt, einstellen mußte. Wenigstens schreibt ihm der Jenaer 
Grawer unter dem 6. Januar 1614: „Collegium disputationum 
antiphotinianarum impediri miror. Quod enim periculi subesse 
putatur, nullum est; solide refutentur, quem admodum ponti- 
fieii et calviniani refutari solent, et res salva erit. Annon 
pari de causa contra pontificios et calvinianos non esset 
disputandum? Libri illorum iamiam leguntur a multis etiam 
iunioribus.“ In der Besorgnis, Meisners Disputationen könnten 
einer Verbreitung der sozinianischen Ideen unter den Studenten 
dienen, scheinen dieselben verboten worden zu sein. 

Der andere Wittenberger, der sich in jenen Jahren dem 
Unitarismus entgegenwarf, war der scharfsinnige Professor 
der Philosphie Jakob Martini. „Philosophus disputax“ oder 
auch „Anserinus“ hieß er bei den Sozinianern. Im Jahre 1614 
veröffentlichte er das erste Buch „de tribus elohim“, in dem 
er sich gegen den siebenbürgischen Superintendenten Georg 
Eniedin wandte, gegen den der Frankfurter Pelargus schon 
1593 seine Feder gespitzt hatte. lm folgenden Jahre ließ 
er das zweite Buch mit einer Polemik gegen den pelnischen 
Edelmann Goslaw von Bebelno ausgehen. 


! In dem Briefe, den Rathmann unter dem 29. Mai 1619 an 
Meisner gerichtet hat, heißt es: „Scribit R. D. V. se libros photinianos 
a me transmissos non vidisse et modum, quo illos nancisci possit, 
petit indicari. Attonitus profecto ista legi, qnippe hactenus certus 
dudum jam fuisse illos V. R. D. redditos. Noverit ergo illa me 
praeterita hieme durantibus nundinis Thoruniensibus, cum alia non 
offeretur occasio, illos fratri meo tum temporis Thorunii versant 
mercaturae causa transmisisse rogans, ut inde per mercatorem quendam 
&d vos tendentem Witebergam curaret librorum istorum fasciculum 
transportandum pecunia addita signo Y. Illud etiam fideliter, quod 
volui, executus est et Wratislaviensi cuidam civi, cui Lucas Engel nomen, 
et pecuniam et librorum photinianorum fasciculum concredidit, a quo 
illa et iste repetenda ut coniuncta. Sed vereor, ne puis studiosorum 
hoc interceperit, quod R. T. D. capere oportebat. Indaget, quaeso, 
an possit aliquid subodorari. Interea si vel eosdem vel alios etiam- 
num desiderat legendos, denuo providebo, ut aliquorum V. R. D. possit 
fieri copia, de quo illa referebat catalogo addito", 

(Fortsetzung folgt.) 


Brentiana und andere Reformatoria VI. 
Von W. Köhler’). 


29. Dokumente zum Speyrer Reichstag 
von 1529, 


Bekanntlich wurde auf dem zweiten Speyrer Reichstage 
ein sogenannter großer Ausschuß gebildet, dem seitens der 
Kurfürsten der Erzbischof von Trier und Johann von Sachsen; 
seitens der geistlichen Fürsten der Erzbischof von Salzburg, 
der Bischof von Augsburg, Vertreter des Bischofs von Würz- 
burg und Konstanz und der Abt von Weinsberg, seitens der 
weltlichen Fürsten Herzog Ludwig von Bayern, Markgraf 
Philipp von Baden, Vertreter des Herzogs Wilhelm von 
Bayern und des Herzogs Heinrich von Braunschweig, die 
Grafen von Solms und Geroldseck, seitens der Städte die 
Vertreter von Straßburg und Nürnberg angehörten. Dieser 
Ausschuß lieb am Sonntag Quasimodogeniti (= 4. April) 
ein Bedenken verlesen, das. bei Joh. Joach. Müller: Historie 
von der ev. Stände Protestation 1705, S. 25ff. sowie in der 
Walckschen Lutherausgabe Bd. XVI S. 323 fl. gedruckt ist. 
Der Codex Suevo-Hallensis bietet es auch bis zu dem Schluß 
des von Walch mit Ziffer 8 nummerierten Abschnittes. Statt 
des Schlußabschnittes (Ziffer 9 und 10) wird jedoch ein 
anderer Text geboten, der nachstehend zum Abdruck gebracht 
wird. Meines Erachtens gibt dieser Text einen Entwurf, 
der dann in die von Müller und Walch gebotene Fassung 
umgeändert wurde. Denn es handelt sich beide Male um 
dieselbe Materie. Der Hauptunterschied jedoch ist der, daß 


1) Vgl. diese Zeitschrift IX S. 79—84 und 93 —141, X S. 166—197, 
XI S. 241—990, XIII S. 228—239. 


144 64 


in dem Entwurfe, wenn wir das Aktenstück so nennen dürfen, 
dem Kammergericht Entscheidung von Streitfállen zuge- 
sprochen wird bzw. dem kaiserlichen Fiskal im Falle der 
Widersetzlichkeit gegen das Kammergericht; derselbe soll 
das Landgericht mobil machen sowie die übrigen Reichs- 
stände. Das definitive Gutachten ist demgegenüber viel mab- 
voller, scheidet Kammergericht und Fiskal vóllig aus und 
rekurriert statt dessen auf den Landfrieden und den Reichs- 
tagsabschied von 1526, mit anderen Worten, es wahrt besser 
die ständischen Rechte. 

Das zweite unten abgedruckte Dokument entstammt den 
Kreisen der Reichsstädte; es wird aus dem Archiv von 
Schwäbisch-Hall in den Codex Suevo-Hallensis hinein- 
gekommen sein. Die Bedeutung der Städte auf dem zweiten 
Speyrer Reichstag ist bekannt, „zum erstenmal hatte sich 
eine größere Anzahl Städte den Fürsten angeschlossen“ 
(K. Müller: Kirchengesch. II, 1 S. 364). Unser Gutachten 
gibt dafür die Motivation. Die Stádte haben nach Schlub 
des Reichstages ihren Städtetag abgehalten und dort Stellung 
genommen zum Reichstagsabschied. In puncto Verbreitung 
von Pamphleten usw. stimmen sie dem kaiserlichen Willen 
zu, In puneto Reformation soll das heilige, lautere, klare 
Evangelium nach den biblischen Schriften in den Reichs- 
städten verkündet werden; sie greifen also auf den Nürn- 
berger Reichstag von 1524 zurück. Über die für das kunf- 
tige allgemeine Konzil wichtigen Punkte sollen die Gelehrten 
ratschlagen und die Ratschläge dem nächsten Reichstag vor- 
legen. Um die Speyrer Protestation dem Kaiser seitens der 
Reichsstädte möglichst wirksam vor Augen zu führen, wird 
eine besondere Supplikation aufgesetzt an K. Mt, Statthalter 
und das Reichsregiment. 

Es ist nicht minder bekannt, daß die Städte nicht einig 
waren. (Vgl. G. Mentz: Deutsche Geschichte im Zeitalter 
der Reformation 1913 S. 171) Schwäbisch-Hall z. B. hatte 
nicht unterschrieben. Das führte zu stürmischen Szenen 
(vgl. Württemberg. Kirchengeschichte S. 302f.), der Rat von 
Hall sah sich zu einer Rechtfertigungssi vift veranlaßt, die 
nachstehend folgt. Er verteidigt sıca gegen den Vorwurf, 
von dem Worte Gottes abgefallen zu sein. Der Reichstags- 


65 » 145 
abschied habe nur weitere Neuerung verboten, Hall habe 
aber schon so weit reformiert, daß Neuerungen nicht mehr 
vorgenommen werden künnten, habe also keine Ursache ge- 
habt, zu protestieren. Offenbar spielt auch ein wenig theo- 
logische Angst vor dem Widerstande gegen den Kaiser mit; 
denn der Rat betont, man sei im Urchristentum zufrieden 
gewesen, wenn man ruhig seines Glaubens leben durfte. Im 
übrigen könne man immer noch protestieren, wenn es die 
ferneren Zeitläufte erforderten. — Die noch von Gußmann: 
Quellen u. Forschungen zur Geschichte des Augsburgischen 
Glaubensbekenntnisses I S. 498 ausgesprochene Ansicht, die 
nachstehende „Entschuldigung“ sei schon bei Neudecker: 
Urkunden S. 78ff. gedruckt, ist irrig, wie ich schon Th. Lz 
1903 Sp. 658 betonte. Es handelt sich im vorliegenden: 
Texte um einen Entwurf, bei Neudecker um die Ausführung. 
Das Datum ist dadurch leicht zu fixieren: ca 20 Mai 1529. 


Anno Domini 1529 seind dise notel und artickel uff 
dem Speyerischen reichstag von dem grossen außschus uff 
gmeine stende beratschlagt und geoffnet worden. 

— Walch XVI 3231f.—327 Abschnitt 8 einschl. Dann 
geht es weiter: 

Auch der tichter, Trucker und verkauffer, so solch ge- 
bott uberfaren, durch die oberkeit, darunder sie gesessen, 
nach gelegenheit gestraft werden. 

Unnd soll kainer von geistlichem oder weltlichem stand 
den andern des glaubens halb vergweltigen, tringen oder zu 
uberziehen, Noch auch seiner Rhennt, Zehendt und gutter 
entwerhn, desgleichen keiner des andern underthonen und 
verwandten des glaubens oder ander ursach halben in sun- 
deren schutz und schirm wider ir oberkeit nemen alles bey 
pen und straff des kay” zu wormbs aufgerichten landfridens, 
welcher all seins inhalts in wirden bleiben, vestiglich ge- 
halten und volnzogen werden soll. 

Unnd damit an soleher volnziehung kein mangel er- 
schein, haben sich Churfursten, fursten unnd stend einmutig- 
lich verglichen unnd vereinigt, so sich zutrug, das einicher 
stande widder alles obgemelt den andern mit herescraft oder 
sunst gweltiglich uberziehen wolt, das alsdan das kay. 
Camergericht auff ansuchen des oder der, so sich v^e;zugs 
besorgten, wider geburliehs erbietten volligen bosch, gwalt 
und macht haben sollen, den so also in gwerb und Hustung 

Archiv für Reformationsgeschichte. XIV. 2. OI 


146 66 


stonden bey der pen und acht der straff von solchem seinem 
geweltigen furnemen und uberzug abzusteen und sich gebur- 
lichs rechts gnugen ze lassen gebietten. 

Wo aber der oder die, den also gebotten, ungehorsam 
sein wurden, soll alsbalde der kay. Viscal gegen dem oder 
denselbigen ungehorsamen zu der declaracion auff obgemelt 
mandat unverzuglich und zum furderlichsten procedirn und 
volfurn, auch dieselbigen ungehorsamen durch das landgricht, 
durch die acht und ander pen des landfridens, wie sich ge- 
burt, erelert und erkant werden. Und soll neben solchem 
nieht dest weniger das landgricht gegen allen und yeden 
helfern, der oder denjenen, so wie obgemelt in rustung und 
furnemen des gwaltigen uffrurn stunden, ein gmein abforde- 
rung bey peen der acht aucb zum furderlichsten aufgehn 
lassen, dergleichen die andern anstossenden und gelegen 
Reichstende auch alsbald bey berurter pen der acht zu handt- 
habung wie obsteet erfordern unnd ermanen, dem oder den- 
jenen, so also uberzogen und vergweltigt werden wolten, 
mit statlicher hilff zuzuziehen Retthung zu thon; soll auch 
der vergwaltiger den, so obberurter maß erfordert unnd zu- 
gezogen weren, iren auffgewandten kriegscosten abzutragen 
und zu erhalten schuldig sein unnd in der helffer willen 
steen den vergwaltiger alsbald mit der thatt zu ablegung 
des costens zu vermogen oder auff messigung des Camer- 
gerichts mit pen der acht solehs von im zu pringen unnd 
darzu in auch das Camergricht furderlich und ungeweigert 
verholffen sein soll. 


Was auff dem stettag zu Speyr nach gehaltem Reichs- 
tag des glaubens halb gehandelt ist worden. 

Auff das kayserlich auszgangen mandat den Erbarn 
fray und Reiehsstetten zukomen, Luthers ler als darin gemelt 
wurdt auch das ein gmein Concilium aufs furderst imer sein 
mag uffgeschriben und gehalten werden soll betreffendt, 
haben erstlich gemeine frey und reichstet botschaften uff 
disen stettag beradtschlagt, das alle und yede frey und 
Reichsstett hinfuro in iren oberkeitten erstlichen gebietten 
und verschaffen sollen, das nieman der iren schmachbucher, 
schrift und gmel nit kauffeo, verkauffen, failhaben noch auß- 
breitten solle, auch bey iren buchtruckern und buchfurern 
verfugen, das sie derselben nit drucken oder failhaben. Da- 
mit dem puncten kayserlichs außgangnen mandats gelebt 
werde. 

Unnd nachdem sich das heilig Evangelium und wort 
gottes zu mutz der selen heil unnd uffnemung bruderlicher 
lieb auch bey den Erbarn frey und Heichsstetten sich er- 
hocht, aber ungleichs verstands durch ungelerten predicanten 


67 147 


gmeinem cristenlichen volck verkundt wurdt, darumb haben 
die erbarn frey und Reichsstett botschaften fur hoch noturft 
bedacht, das ein yede Erbare frey und Reichs-stat so vil 
muglich bei iren geistlichen und predicanten schaffen unnd 
daran sein, das durch dieselben furobin nichs anderst dan 
das heilig lautter clar Evangelium durch die Apostolischen. 
uund biblischen schriften approbirt, gepredigt und furgetragen 
werden und sunst aller ander leer, so der heilgen gschrift 
und dem Evangelio widderwertig, auch zu schmach und auf- 
rur dine, gentzlichen beschweigen unnd underlassen. 


So aber einer oder mer predicanten predigen und fur- 
tragen, das dem gotlichen wort und heiligen Evangelio zu- 
wider, dardurch das gmein volck in irrung und zwispaltung 
eingefurt werden mochten, dem oder denselben sollen alsdan 
uff warhaft grundtlich erfarung und vorgender warnung das 
predigen abgestelt unnd verbotten werden. 


Ferner das gmein universal Concilium, so außgeschriben 
und in Teutscher Nacion gehalten, damit das gut von dem 
bosen nit vertruckt, sunder eins gegen dem andern heilsam- 
lich erortert und die cristglaubigen in ein bestendig meinung 
eins ainheilligen glaubens braeht werden belangen, ist bey 
den Erbarn frey unnd reichsstetten und sunderlich die, so 
bey inen der heilgen gschrift Erbar glerte erfarn und ver- 
stendig personen haben, denselben personen mit hochstem 
fleis bevelhen sollen, das sie uber die puneten und artickel 
unsern heilgen cristenlichen glauben belangen und furnem- 
lich die so ytzo zum hochsten zum mibverstand disputirlich 
gehalten werden wollen, treulichen und mit vleis sitz[en] und 
die nach noturft erwegen, und deshalber in yeder derselben 
stat gelerten iren vleissigen wolgegrundten Radtschlag schrift- 
lichen und in geheim zustellen, dieselb statt soll alsdan sem- 
lichen verfasten Radtschlag woll verwart bey sich behalten, 
dan mit irer botschaft auff nechst kunftigen Reichstag gegen 
derselbigen gleichmessigen Ratschlegen, so auch von andern 
Erbarn frey und Reichsstetten dahin gebracht, nach notturft 
und zu einem lautern aus disen zusamenbrachten Radt- 
schlegen vffzug zu machen sich dessen zur notturfft zu ge- 
brauchen. 


Unnd dieweil das mandat von Ro k^ Mt unserm aller- 
gnedigsten hern außgangen den Erbarn frey und Reichs- 
stetten der massen und so gar beschwerlich, das die Erbarn 
stett demselben on mergkliche beschwerung unnd zurruttung 
irer pollicey in allen artickeln volg zu thon nit muglich ist, 
wie sie dauon uff nechst gehalten reichstag mundtlichen und 
schriftlichen protestirt haben, deren protestacion sie auch in 
alle weg anzuhangen gedencken, dieweil nur dises der not- 


10* 


148 | 68 


tarft nach so eylent kayserlicher Mt nit anbracht werden 
mag, ist fur gut angesehen und beschlossen, das uff disen 
stettag durch der Erbarn stet botschaften an statt irer hern 
unnd freund dif entschuldigung an kr Mt Stathalter und 
Regiment underthenigklich aubgehn und uberantwort werden 
soll. Lautent wie nach volgt: 


Supplicacio der Reichstet gegen kayserlicher Mt Stat- 
halter und Regiment kayserlichs Mandats halb, so auff dem 
Speierischen Reichstag des glaubens halb außgangen ist. 


Durchleüchtiger Großmechtigster Furst, Römischer kayser- 
lichen Mt Stathalter im heilgen Reich, Hochwirdigster, Edler 
wolgeborn, Gestreng, Hochgelert unnd Ernvest, Gnedigst 
gnedige unnd gunstige hern, verruckter zeit haben Ewr 
Furstliche Durchleuchtigkeit Churfarstlich gnaden, gnaden 
und gunsten an stat und von wegen Romischer kayserlichen 
und Hyspanischer küniglicher Mt unsers aller gnedigsten 
hern etliche irer Mt mandaten unsern hern unnd freunden 
samptlich und yeder Erbarn frey und Reichstatt sonderlich 
zuschicken und uberantworten lassen, under welchem an sie 
außgangen Mandaten aber eins, das sich uf das vor zu 
Wormbs außgangen hoch beschwerlich Mandat ziehen thut. 
Auch welcher maß es der Evangelischen oder neuwen leer 
halb als das darin genent wurdt, mitlerzeit soll gehort werden, 
die haben unser hern und freund die Erbarn frey unnd 
Reichsstett eins teils mit vorgethaner protestacion vergangnen 
Reichstag zu Nurmberg’) vor gemeinen Reichsstenden be- 
scheen auch geburlicher Reverentz in underthenigkeit ver- 
nomen, geben daruff Euwer furstlichen Durchleuchtigkeit 
Churfurstlichen gnaden, gnaden und gunsten in underthenig- 
keit zu erkennen, wiewol die erbarn frey und Reichstett 
vormals zu allen malen Romischen kaysern unnd ktingen on 
rom zu reden, nit mindern andern reichsstenden alle muglich 
billieh gehorsam unverspart ires leibs unnd guts erzeigt uud 
geleist haben, wie sie auch furo und furo diser underteniger 
neigung und meinung noch sein; so ist doch dasselbig man- 
dat dermassen und so beschwerlich gestelt, das vilen der 
erbarn stetten demselben in allen artickeln volnziehung zu 
thon nit muglich ist, sie wolten dan bey inen merckliche 
entberung, zerrutlung gutter polliceyen und zwischen iren 
oberkayten und underthonen geistlichs und weltlichs stand 
auffrur erwecken, dardurch todtschlag, blutvergiessen er- 
wachsen, und also die erbarn frey und Reichsstett der kayser- 
lichen maiestat und dem heilgen reich in Mercklichen abfall 
und gwiBlieh verderben setzen; das zeigen Euwer furstlich 


1) Der Nürnberger Reichstag von 1524. 


69 149 


Durchleuchtigkeit Curfurstlichen gnaden, Gnaden und gunsten 
wir undertheniger meinung und darumb, ob an Euwer furst- 
liche Durchleuchtigkeit gnaden unnd gunste der erbarn frey 
und Reichsstette halber etwas beschwerlichs anlangen wurde, 
das Euwer furstliche Durchleuchtigkeit, Churfurstliche gnade, 
gnade und gunst, demselben nit stat und volg geben wollen, 
sonder angezeigten und andere treffelige ursach gnedigklich 
zu hertzen furen und eingen proceb under volziehung gegen 
den Erbarn Stetten nit furnemen lassen. Dieweyl doch ye 
derselben Stett gmut unnd meinung gar nit ist, der kayser- 
lichen Maiestet, den sie von iren einigen rechten obern und 
natürlichen hern halten, unnd erkennen, ainich ungehorsam 
zu erzeigen, das werden die Erbarn frey und reichsstet umb 
Euwer furstlich Durchleuchtigkeit, Churfurstliche gnade, 
gnaden und gunsten, zuvor aber umb kayserliche Mt. iren 
allergnedigsten hern in underthenigkeit mit allem muglichen 
fleys verdienen. Geben under der gesandten Botschaften der 
Stett StraBburg, Nurnberg, Franckfurt und Ulm von wegen 
aller Erbarn frey und reichstet gsanten zu Speyr vffgedruckten 
bitschaften besigelt. 


Der Erbarn frey und Reichsstet Bottschaften auff ytz 
gehaltnen Stettag zu Speyr bey einander versamlet. 


Entschuldigung, warumb ein Erber Radt zu Hall sampt 
etlichen andern stenden des Reichs uff dem Speyerischen 
Reichstag nit protestiert hatt. 


Nachdem von wegen der underloßnen protestacion gegen 
dem ytzigen Speyerisehen abschid in dem artickel den 
glauben betreffend ein gmein gesehrey sich erhebt hatt, als 
ob ein Erbar Radt zu Hall derhalben solt vom Evangelio 
abgefallen und gewichen sein, hieruff zur anzeigung, das 
solche underlaßne protestacion fur kein abfall von dem heil- 
gen evangelio geacht und geurteilt werden soll, so ist zu 
mercken, das eins Erbarn Hats gmuet, hertz, meinung und 
furnemen nie gewesen sey, von dem wort gottes und heilgen 
Evangelio, so bis anher ein zeitlang bey in gepredigt, abzu- 
weychen und abzufallen gedencken, auch demselben also fur 
und fur mit der gnad und hilff gottes des allmechtigen an- 
zuhangen unnd sovil die gotlich barmhertzigkeit verleicht 
nachzukomen. 


Dan wu eins Erbarn Rats gmut und meinung also ver- 
borgenlieh gestanden were, das er sich het wolln ungluck, 
geferd oder not, so von hochs oder nidern stands in diser 
ellenden zergengklichen welt begegnen mócht, von dem heil- 
gen evangelio abschrecken und vertringen lassen, were inen 
woll vor diser zeit vor der welt fugliche mittel gnug zuge- 


150 70 


standen, die prediger sampt den predigen des Evangelions 
in irer oberkeit abzufertigen und abzustellen. Dieweyl aber 
sie nit allein die predig des wort gottes gedult, sonder auch 
gotlich und Cristlich ordnung in irer kirchen mit zeitlicher 
vorbetrachtung alles jomers und elends, so in diser welt 
einem Cristen begegnen mocht, zugelassen, auch andere ord- 
nung nach anweysung des heylgen Evangelii auffgericht, so 
kan menigklich gedencken und hatt sich hierauß woll zu- 
erinnern, das ir hertz und gmuet zum abfall des wort gottes 
nie gestanden sey. 


Nun so alle eüsserliche handlung nach dem gmuet und 
hertz der haubtsecher zu urteylen, sein also furtrefflich, das 
auch der hoch verstendig und heylig gsatzgeber Mose ein 
unversehenliehen on neidt unnd argen mudt geschehen todt- 
schlag fur keinen streflichen oder Capitalischen totschlag 
verurteilt unnd sunst die heylig gotlich gschrift das jehig 
seheltwort, so on neyd und haf des gmuts zur besserung 
des nechsten geschicht, fur kein streflich scheltwort achtet, 
auch hernach zur zeit der mertler im anfang der Cristen- 
lichen kirchen die flucht der glaubigen in der verfolgung 
also gar nit fur ein abfall von Cristenlichem glauben ge- 
rechnet ward, das mans inen mer fur ein bekentnus außlegt, 
dieweyl ir hertz und gmuet mit der hilff gottes dermassen 
versichert war, das sie dem Cristenlichen glauben anhengig 
sein wolten. Unnd aber eins Erbarn Hadts wie ytz gehort 
meinung, will und hertz nie gewesen von dem wort gottes 
zu weichen, so kan und mag hierauf menigklich nach 
cristenlichem verstand woll erachten, das einem Erbarn Rat 
sein erlaßne protestacion ungutlicher und unfreuntlicher wey 
fur ein abfall und verleugnus des heylgen evangelii aubgelegt 
unnd angezogen werde. 


Das aber die protestacion nit gethon, ist der ursach 
halb geschehen, dieweyl in dem abschid begriffen, das bey 
den andern stenden, bey den die ander leer entstanden und 
zum 3. Teil on mergklieh auffrur, beschwerd und geverd 
nit abgewendt werden mogen, soll doch hinfur all weytter 
neuwerung bis zum kunftigen Concilio so vil muglich und 
menschlich verhuttet werden, hat ein Erbar Radt gedacht, 
nachdem ir kirchen dermassen nach dem gotlichen wort re- 
formirt und gebessert, das nit woll weyter neuwerung fur- 
genomen werden möcht, das solchs sampt andern nachfolgen- 
den stucken des ersten artickels den glauben betrefendt 
innen unbeschwerlich und unnachteilig sein werd. 

Unnd ob woll etlich nachfolgende wort scheinen, als 
solten sie die Bepstisch Mes und andere dem wort gottes 
widerwertige Ceremonien auffrichten, so hatt doch ein Erbar 


71 151 


Radt solichs nit anderst versehen!) mugen dan nach mas 
und regeln des ersten stucks, darin weyter neuwerung sovil 
müglieh unnd menschlich zuverhutten gsatzt ist. 


Unnd dieweyl die cristen der ersten kirchen noch under 
den heiden wonendt nit sonderlich mer von der hohen ober- 
kait begert haben den das sie mit dem eristenlichen glauben 
bey andern volekern gedult werden, wie dises in den histo- 
rien der ersten kirchen vilfeltig angezeigt wurdt, so hat aber 
einmal ein Erbar Radt gedacht, es sey im und iren under- 
thonen unbeschwerlich, wan sie nach angezeigter beschwe- 
rung in etliehen puneten dureh iren gesandten zu Speyr?) 
gethon bey dem Evangelio, so die ander leer im abschid 
genant wurdt, bleyben mochten. 


Uber das alles ist auch bedacht worden, ob in nach- 
folgender zeit mit furbedachtem Radt einicherley beschwerdt 
gefunden wurdt, das alsdan inen noch nit beschlossen were, 
die thur zu protestirn unnd zu appelliren zu der zeit, so 
inen der abschid uberschickt oder anderst dan in worten 
laudt aufgelegt und furgewendt werden solt, wie dan zuvor 
auch zum teyl bescheen, das etlich reichstet, gleich im 
fusstapffen des zugesandten  absehaids  protestirt haben, 
die doch zuvor von dem reichstag unprotestirt abgeschiden 
waren. 

So aber ytz nach wolbedachter fursehung ein Erbar 
Radt sich in etlichen puncten nemlich das durch ir ver- 
willigung oder stillschweygung die bepstlichen zu irem misz- 
glauben von irer Oberkeytten verbunden sein sollen nach 
laudt des ersten puncten den glauben belangendt in irem 
gwissen beschwert findet, gedencken sie noch mit gotlichen 
rechtmessigen mitteln demselben zu begegnen unnd abzu- 
leynen, darmit sie solich handlung zuvorderst gegen gott 
unserm herrn erschopffer und erloser und hernach gegen 
kayserlichen Mt als einer cristenlichen oberkeit zuverant- 
worten wissen. Meniglich bittendt wolle dise warhaftige 
entschuldigung gunstiglich und mit cristenlichem gmuet auff- 
nemen. 

Wan es sich aber begebe, das die protestirenden stend 
an eins Erbarn Radts botschaft langen lies, dieweyl er solch 
entschuldigung darthet und glaubwurdig anzeigt, solt er nun 
hinfuro an sich zu irem Radtgesellen mithelffen schalten und 
walten als derjenig, so vorhin vor dem abschid von Speyer 
protestiret, das mag man sieh dermassen entschuldigen unnd 


1) Schreibfehler für: verstehen? Neudecker: Urkunden S. 81 
liest versteen. 
2) Anton Hofmeister. 


152 12 


entschlagen, nemlich dieweyl sie selbs die ytz versamelten 
stend nach ordnung des kayserlichen rechten ire protestacion 
gethon hetten und nit im abschid begriffen wurden, so wolt 
es inen vorhin geburn nach ordnung kayserlichs rechts ir 
protestacion und Appellacion zu volfarn; unnd standen der- 
halben in Radts forschung der gelerten in rechten, wes sie 
sich in diser sach nach außweysung weltlichs recht mit dem 
protestiren und appelliern halten sollen, darmit sie ir hand- 
lung nit allein vor gott, wie sie des zu thon verhoffen, son- 
der auch vor weltlicher kayserlichen oberkeit nach ordnung 
weltlichs rechts verantworten möchten. 

(Fortsetzung folgt.) 


Mitteilungen. 


Zur Charakteristik des Landgrafen Philipp 
von Hessen. In der Zeit, da die Doppelehe des Landgrafen 
ruchbar wurde, beschüftigte man sich am Tisch von Luther viel mit 
ihm, und Mathesius hat diese Tischreden genau verzeichnet. In den 
Tischreden zwischen 21. Mai und 11. Juni 1540, W, A. 4, 627, lesen 
wir: Et in colloquio Marpurgensi da gieng er wie ein stallbub et 
ludens texit gravissimas cogitationes, ut faciunt magni. Interrogavit 
autem Philippam: Domine Philippe, debeone ferre, ut Maguntinus 
mihi auferat meos praedicatores? Respondit Philippus: Maxime, si 
iurisdictio est Maguntini. Tum ille: Ich laß euch woll radten, aber 
thue es nichtt. Aurifaber gibt die Äußerung wieder: Im Colloquio 
zu Marburg Anno 1529 da ging S. F. G. in geringer Kleidung, daß 
ihn Niemands hätte für den Landgrafen angesehen, und gieng doch 
mit hohen großen Gedanken um etc. Köstlin 2, 184 läßt Luther 
sagen: In Marburg habe derselbe wie spielend die schwersten Gedanken 
gewoben, und dabei sei er dort herumgegangen wie ein Stallbub. Nun 
aber kann texit, das nach dem Zusammenhang Perfekt sein muf, nicht 
heißen: er hat gewoben. Das müßte texuit heißen, sondern es muß 
Perfekt von tego sein, was aber auch Aurifaber nicht beachtete, wenn 
er sagt, der Landgraf ging mit hohen großen Gedanken um. Was 
will nun Luther sagen? Der Landgraf trat gar bescheiden, schon in 
seinem ganzen Äußern, auf mitten unter den Theologen, ohne irgend- 
wie fürstliche Pracht zu entfalten, sondern war stets bereits, wie ein 
Stallbube dem Reiter das Pferd hält, den Theologen Dienste zu leisten. 
Spielend mit den schwierigsten Fragen wußte er sie zuzudecken, zu 
verschleiern oder zu beseitigen, um nicht zu sagen, zu begraben, 
Das hält Luther für die Art der Großen in der Welt, daß sie geschwind 
Gedanken anregen, aber nicht tiefer darauf eingehen, sondern gleich 
wieder abschneiden. So hatte der Landgraf an Melanchthon die Frage 
gestellt, ob er zusehen müsse, wie der Erzbischof von Mainz mit 
Gewalt evangelische Prediger seines Gebiets vertreibe. Melanchthon 
hatte darauf geantwortet: Ja, wenn der Mainzer die Jurisdiktion über 
sie habe. Das kann nicht heißen, wenn die Prediger unter dem Erz- 
bischof als ihrem kirchlichen Vorgesetzten stehen, das wäre doch bei 


154 74 


dem größten Teil von Hessen der Fall gewesen, und das wurde von 
sächsischer Seite auch gegenüber den Bischöfen von Meißen, Naum- 
burg usw. nicht zugestanden. Sondern es handelte sich um solche 
Stellen, wo der Erzbischof von Mainz Patronats- oder Lehensrechte 
hatte. Die Antwort Melanchthons gefiel dem Landgrafen nicht. Er 
ließ sich aber nicht auf weitere Verhandlung mit Melanchthon ein, 
sondern schnitt sie einfach ab mit der kurzen Erklärung, daß er seinem 
Rat nicht zu folgen gedenke. 

Daß der Landgraf mit den schwierigsten Fragen spielend an die 
Reformatoren herantrat, hatte Luther schon in Worms erfahren, wo 
der noch nicht siebzehnjábrige Jüngling ihn aufsuchte und Luther in 
ihm noch einen heftigen Gegner sehen mußte, als er ihm eine kitz- 
liche Frage, die Luther in seiner Schrift über die babylonische Ge- 
fangenschaft behandelt hatte, das Verhalten einer Frau bei Impotenz 
des Mannes (W. A. 6, 558), vorhielt und mit ihm darüber freundlich 
rechtete, zuletzt aber von Luther mit den Worten schied: Seid ihr 
gerecht, so helf euch Gott. W.A. Tischreden 2, 658 Nr. 2783c. 
Man wird dem Landgrafen nur dann gerecht, wenn man im Auge 
behält, daB ihm die feineren theologischen oder kirchenrechtlichen 
Ausgestaltungen des evangelischen Standpunkts nicht die brüderliche 
Gemeinschaft und das treue Zusammenhalten der Evangelischen hin- 
dern zu kónnen schienen. G. Bossert. 


Neuerscheinungen. 


Schriften zum Reformationsjubelfest. Von einer 
im Werden begriffenen, aber durch den Krieg unterbrochenen neuen 
Ausgabe ausgewählter Werke Luthers liegt uns ein 
Band vor, der, noch vor Ausbruch des Krieges fertiggestellt, die 
grofen Reformationsschriften des Jahres 1520 enthült, Wir erhalten 
damit zugleich eine Probe von der Art und Weise der Ausgabe. 
Letztere wird veranstaltet vom Verlage von Georg Müller in 
München, die Leitung hat H. H. Borcherdt, Mitarbeiter sind 
außer diesem H. Barge, G. Buchwald, P. Kalkoff. 
M. Schumann, W. Stammler und H. Thode. In Aussicht 
genommen sind fünfzehn Bünde, davon sechs für die reformatorischen 
und politischen Schriften, je einer für die Schriften zur Neuorganisation 
der Gesellschaft und zur Neuorganisation der Kirche, ferner je ein 
Band Predigten, erbauliche und vermischte Schriften und Dichtungen, 
wozu endlich je zwei Bände für die Tischreden und die Briefe kommen 
(Bandpreis geheftet M. 6.—, gebunden ca. M. 8,50). Es handelt sich 
also um eine wesentlich umfassendere Auswahl, als sie O. Clemen in 
der jüngsten Lutherausgabe getroffen hat, und zwar besonders nach 
der historisch-kulturhistorischen Seite hin, wührend die wissenschaftlich- 
theologischen Schriften zurücktreten. Die Ausgabe wendet sich an 
die breiten Schichten der Gebildeten, sie bezweckt in erster Linie, 


15 155 


die reiche und vielseitige Persónlichkeit Luthers, weiterhin deren 
Wirkungen auf alle Seiten des nationalen Lebens zu veranschaulichen, 
Grofes Gewicht wird auf die typographische Ausstattung der Bünde 
und auf Beigabe eines erlesenen Bilderapparats gelegt, der in erster 
Linie eine möglichst vollständige Sammlung der vorhandenen Luther- 
bilder, ebenso auch der Titelblütter der lutherischen Originaldrucke, 
daneben zumal authentische Bildnisse der hervorragendsten Zeit- 
genossen darbieten soll; endlich Schriftproben, Faksimile wichtiger 
Dokumente u. dgl. m. 

Der erwähnte vorliegende Band, der zweite der reformatorischen 
Schriften Luthers (CLXXXVI, 315 S8), ist von H. H. Borcherdt 
und P. Kalkoff gemeinschaftlich bearbeitet; dieser hat die ausführ- 
liche historische Einleitung beigesteuert, jener die Schriften selbst 
bearbeitet. Es werden dargeboten: An den christlichen Adel deutscher 
Nation von des christlichen Standes Besserung, Von der babylonischen 
Gefangenschaft der Kirche, Ein Sendbrief an den Papst Leo X. und 
Von der Freiheit eines Christenmenschen. Die Sprache ist, den Grund- 
sátzen der Gesamtausgabe entsprechend, ausschlieflich deutsch; soweit 
deutsche Originalausgaben vorlagen, sind sie zugrunde gelegt. Die 
Sprache ist modernisiert worden, aber so vorsichtig und taktvoll, daß 
sie an Ursprünglichkeit und Kraft nicht wesentlich verloren, an Flüssig- 
keit und Verständlichkeit aber gewonnen hat. An der Spitze der Er- 
läuteruggen, die am Ende des Bandes zusammengestellt sind, finden 
sich die erforderlichen Angaben über die Daten der Entstehung und die 
Drucke der betreffenden Schrift, worauf die zwar knappen, aber doch 
ausreichenden, manchmal wohl selbst über das zum Verstündnis für 
den gebildeten Leser Notwendige hinausgreifenden Erlüuterungen zu 
den einzelnen Stellen folgen. : 

Der historischen Einleitung Kalkoffs war die Aufgabe gestellt, 
in erster Linie die Sachlage bei der Entstehung der ausgewühlten 
Werke Luthers zu zeichnen, welcher Plan sich dann aber zu dem Vor- 
satz erweitert hat, in fortlaufender Erzühlung den ganzen Zusammen- 
hang der Ereignisse zur Anschauung zu bringen. Für diese Aufgabe 
war zweifellos niemand geeigneter als Kalkoff, der sich seit Jahrzehnten 
in unermüdlicher, scharfsinniger, quellenmäßiger Einzelforschung die 
denkbar größte Vertrautheit mit der Geschichte der frühesten Wir- 
kungen und Folgen des Auftretens Luthers vertraut gemacht hat. 
Indem Kalkoff nun hier Gelegenheit findet, von einer vornehmlich 
durch ihn selbst gelegten festen Grundlage aus in flüssiger, durch 
keine kritischen Auseinandersetzungen beschwerten Form eine wohl- 
abgewogene Gesamtdarstellung der schicksalsvollen Jahre von Luthers 
Auftreten gegen den Ablaßhandel bis zum Wormser Reichstag zu 
bieten, sprengt er gleichsam von selbst den Rahmen einer bloßen Ein- 
leitung zur Ausgabe der frühesten reformatorischen Schriften Luthers. 
Um so mehr ist es zu begrüßen, daß die „Einleitung“ unter dem 
Titel ,Luther und die Entscheidungsjahre der Reformation. Von den 
AblaBthesen bis zum Wormser Edikt“ neuerdings im gleichen Verlage 


156 16 


gesondert herausgegeben worden ist, von Verfasser und Verleger als 
eine Geschichte der Heldenzeit Luthers ,unsern Helden in Bewunde- 
rung und Dankbarkeit“ dargebracht, Gegenüber der „Einleitung“ ist 
diese Ausgabe um drei Kapitel vermehrt, die die Geschichte des 
Wormser Reichstags mit Bezug auf Luther hinzufügen (243 S., 1917). 

Zur Gesamtausgabe gehört ferner eine anscheinend bereits 1914 
fertiggestellte, einleitende Skizze H, Thodes über Luther und die 
deutsche Kultur, die in weitem Ausblick Wissenschaft und Kunst des 
Protestantismus von Luther bis auf Kant und Richard Wagner herab 
verfolgt (92 S.). 

„Deutsche Lutherbriefe in Auswahl“ bietet in einem 
gefällig ausgestatteten Bändchen J. Friz (Stadtpfarrer in Ulm) in 
C. F. Amelangs Verlag, Leipzig (110 S., geb. M. 1.—) dar. Von den 
rund 850 deutschen Briefen Luthers, die auf uns gekommen sind, wird 
eine Auswahl von 64 gegeben, die uns weniger den Glaubenshelden 
und die weltgeschichtliche Persónlichkeit als Luther in seinen Be- 
ziehungen zu den ihm Nahestehenden, zu Eltern, Gattin, Kinderm, 
Freunden und Kollegen, Anhüngern usw. zeigen, wo insbesondere 
sein reiches Gemüt, sein köstlicher, schalkhafter Humor, seine Treue 
und Anhünglichkeit, seine Hilfsbereitschaft sich auswirken, wührend 
doch auch die überragende, einzigartige Stellung des Briefschreibers 
allerorten durchschimmert und das Wetterleuchten der neuen Zeit, 
die er herbeigeführt, wenigstens gelegentlich sichtbar wird. Mit 
Recht geht die Ausgabe auch an derberen Wendungen Luthers und 
heiklen Gegenständen nicht ganz vorüber. Der Text ist maßvoll 
modernisiert, die Anmerkungen sind auf das Notwendigste beschränkt; 
eine biographische Einleitung schildert auf dem Grunde der neuesten 
Forschungen die Entwicklung Luthers zum Reformator und hebt im 
übrigen die Momente hervor, aus denen die Briefe erwachsen sind. 

„Lutherlieder“, ausgewählt und mit Noten für eine Siug- 
stimme versehen von Pfarrer v. d. Heydt-Berlin, gibt die Schriften- 
vertriebsanstalt (G. m. b. H.) Berlin heraus (62 S. 12% Einzelpreis 
50 Pf, in Partien ermäßigter Preis) Der Zweck der Veranstaltung 
ist wesentlich ein praktischer; es soll darauf hingewirkt werden, daß 
die Lieder der Reformationszeit, die in der Zeit der Erschlaffung des 
kirchlichen Gemeindelebens unserem Volke mit wenigen Ausnahmen 
verloren gegangen sind, wieder zum Gemeingut der evangelischen 
Kirche werden. Zu dem Ende sind nur solche Lieder Luthers und 
seiner Zeitgenossen, wie Nik. Hermann, P. Speratus, I. Gramann, 
P, Eber (im ganzen 27 Lieder) aufgenommen worden, deren Einfübrung 
in den Gemeindegebrauch keinen sprachlichen oder musikalischen 
Schwierigkeiten begegnet. 

In knapper Form behandelt Walther Köhler „Martin 
Luther und die deutsche Reformation“ (Aus Natur und Geisteswelt 
Nr. 515; 135 S. Leipzig, Teubner. M, 1.50 geb.). Köhler wirft die 
Frage auf: Was ist Martin Luther in der deutschen Reformation und 
was verdankt die Menschheit dieser Menschheitsbewegung? Und er 


17 157 


antwortet: Die deutsche Reformation ist letztlich Martin Luther, trotz- 
dem hat sie eine neue Grundlage auch für unsere Zeit geschaffen. 
Luther hat die Welt auf seinen Schultern getragen und wird den 
Weltwert nicht verlieren. Tausendfach, in unzähligen Rinnsalen, 
strümt aus dieser einzigen Figur lebendige Kraft. Aber Luther ist auch 
Deutscher und sein deutsches Land hat den ersten Befreiungskampf 
der Reformation erstritten. So muf der nationale Ton hell klingen! 
Das lebhaft und fesselnd geschriebene, gedankenreiche Buch des be- 
wührten Reformationshistorikers zerfüllt in die Abschnitte: Einleitung; 
Luthers Werden; Von Wittenberg bis Worms (1515—1521); Organi- 
sation der Reformation (Notwendigkeit, Hemmnisse, Förderung); Bünd- 
nis und Bekenntnis; Ausgleichsversuche, Kampf und Festlegung der 
konfessionellen Spaltung; Luther, der Mann und sein Werk. 

Die allgemeine Evangelisch-Lutherische Konferenz bringt aus 
der Feder zweier hervorragender Fachmünner zwei Festgaben dar: 

l. ,Luthers Charakter gezeichnet von D. Wilhelm Wal- 
ther" (Leipzig, Deichert. 214 S. M. 3.80, geb. 4.80). Indem Wal- 
ther davon ausgeht, daß eine bedeutende Persönlichkeit wie Luther 
sehr mannigfaltige, selbst anscheinend gegensätzliche Züge in sich 
zu vereinigen pflegt, schlägt er, um zu einem klaren (!harakterbilde 
des Reformators zu gelangen, den Weg ein, die verschiedenen Seiten 
seines Wesens in möglichst scharfer Ausprägung gesondert aufzuzeigen, 
um dann die gemeiusame Wurzel herauszufinden. So führt er uns 
durch Luthers Handlungen und Schriften, um an deren Hand seine 
Offenheit und Wahrhaftigkeit, seine Selbstlosigkeit, seine Demut und 
sein Selbstbewußtsein, seinen Mut, seine Selbständigkeit, seinen Op- 
timismus, seine Leidenschaftlichkeit und sein Gemüt zu veranschau- 
lichen. Als Grundlage und Voraussetzung für alles übrige ergibt sich 
dem Verf. Luthers vollendete Offenheit und Wahrhaftigkeit. In den 
wesentlichsten Charakterzügen Luthers aber tritt unverkennbar deutsche 
Art zutage. Luther fühlte sich auch selbst als Deutscher, wie be- 
sonders seine bezeichnenden Urteile über die Nationalfehler anderer 
Völker erweisen. Allerdings ist er nicht dem deutschen Volke allein, 
sondern der ganzen Christenheit geschenkt, weshalb Verf. auch nicht 
auf die Hoffnung verzichtet, daß in den heute uns entfremdeten 
Völkern manche in Luther und darch Luther sich in der Zukunft 
uns wieder nühern werden. 

2. Die zweite Jubiliumsgabe ist das volkstümliche Buch des Er- 
langer Kirchenhistorikers Hans Preuß, Unser Luther (Leip- 
zig, Deichert. VIII, 109 S. M. —.70, in Partien ermüfigter Preis), 
in dem der Verfasser auf knappstem Umfang in kräftigen, sicher ge- 
zogenen Strichen, keinen wesentlichen Zug auslassend, in echt volks- 
túmlicher Art ein lebenatmendes Bild von Luther und dem, was er 
uns bedeutet, zu entwerfen verstanden hat. Der Stoff ist auf sieben, 
mit bezeichnenden Aufschriften verc me hapitel — Vom jungen 
Luther (1483—1510); Im Kloster (1505—1517); der Ritter trotz Tod 
und Teufel (1517—1521); Feinde zur Rechten und Feinde zur Linken 


158 18 


(1522—1539); der deutsche Prophet; im Frieden des Lutherhauses; 
Abendschatten und Abendsonne (1540— 1546) — verteilt. Das Werk- 
chen durchziehen 68 mit feinem Verständnis ausgewählte Abbildungen 
nach ülteren und neueren Künstlern, die Stimmung hebend und die 
in der Schilderung angeschlagenen Tóne gleichsam aufnehmend und 
fortführend. 

Die aus Th. Briegers Nachlaß durch B. Beß uns dargebrachte 
Schrift , Martin Luther und wir“ ist zwar anscheinend nicht 
im Hinblick auf das kommende Reformationsjubiláum entstanden, ge- 
hört aber darum nicht weniger zu den wertvollsten Lutherbüchern, 
die uns diese Jahre beschert haben. Sie führt tief in Luthers Ge- 
dankenwelt und damit zugleich in das Wesen des durch ihn wieder- 
gebrachten Evangeliums ein. Brieger setzt sich die Aufgabe, Luthers 
„Christentum“, wie er sich ausdrückt, zur Darstellung zu bringen, 
nämlich das Christentum, wie Luther es als Mensch erfahren, erfaßt 
und erlebt hat. Die wichtigsten Probleme, die abgehandelt werden, 
sind: Luthers Glaube in seiner Stellung zum Dogma, zur heiligen 
Schrift und zur Kirche. Brieger zeigt, mit welcher AusschlieBlichkeit 
der Glaube (von dem durchaus zu trennen ist die Gotteserkenntais, 
die nur als Frucht des Glaubens Kraft und Bedeutung hat) bei Luther 
im Mittelpunkt steht, in dem Grade, daß Luther mit ihm das Dogma 
meistert und auf ihn gestützt sogar der Überlieferung der heiligen 
Schriften gegenüber große Selbständigkeit zeigt. Wohl ist nach Luther 
das Wort Gottes einzig und allein in den biblischen Schriften zu finden, 
aber darum sind diese doch noch nicht Objekt des Glaubens, indem 
Glaube zwar Glaube an das Wort Gottes, nicht aber an die heilige 
Schrift ist. In dem Kapitel „Luthers Glaube und die Kirche“ unter- 
sucht Verf, inwieweit Luthers von den Autoritäten unabhängiger, 
ganz auf das Individuelle gestellter Glaubensbegriff für die Kirche 
noch Raum läßt. Brieger stellt fest, daß Luther die Kirche wesent- 
lich als Gegenstand des Glaubens ins Auge faßte, auf die „Erschei- 
nung“ der Kirche aber für gewöhnlich gar nicht reflektierte, ohne 
freilich die Notwendigkeit politischer oder rechtlicher Formen für die 
Kirche zu verkennen, die er nur verwarf, wenn sie, wie in der römi- 
schen Kirche, mit dem Anspruch auftraten, von unbedingtem, d. h. 
göttlichem Werte zu sein. 

Indem er die echte und ursprüngliche Ideenwelt des Reformators 
wiederbelebt, möchte Brieger den Schäden, unter denen der gegen- 
wärtige Protestantismus krankt, der vielfach begegnenden Enge des 
kirchlichen Lebens auf der einen Seite und der Entfremdung von der 
Kirche, dem „Intellektualismus“, auf der anderen Seite, entgegen- 
wirken. Mit großem Nachdruck spricht er als seine Überzeugung 
aus, daß Luther mit seiner gesunden, mannhaften und innigen Frömmig- 
keit trotz der Weite des Abstandes, die uns keineswegs nur zeitlich 
von ihm trennt, klärend, befreiend, aufrichtend auf uns wirken könne 
wie kein zweiter Mann der Vergangenheit. Der religiöse Heros Luther 
(auf diesen allein, den Heros des Evangeliums, den selbstgewissen 


79 159 


Helden des Glaubens, nicht den Luther, der ein Sohn seiner Zeit und 
ein Mensch war, über den Stunden der Schwüche kamen, kommt es 
Brieger an) ist auch im 20, Jahrhundert nicht überholt, ja die Welt 
hat heute nach 400 Jahren das große Erbe erst zum kleinsten Teil 
angetreten, der Strom hat erst angefangen, seine Gewüsser über das 
durstige Land zu ergießen! Gotha, Perthes 1916. VI, 106 8. 

Das zeitgemäße Thema „Luther und der Krieg“, dem 
kürzlich G. Kaweran eine eindringende Studie gewidmet hat (s. o. 
S.79f.), wird auch von H.Steinlein behandelt (Nürnb., Buchh. des 
Vereins f. innere Mission 1916, Abdruck aus dem „Evangelischen Ge- 
meindebl. Nürnberg“, 54 S. M. —.40). Beide Arbeiten sind, wie sich 
versteht, völlig unabhängig voneinander entstanden, ihr Ergebnis aber 
ist wesentlich das gleiche, vor allem, daß Luther von seinem biblischen 
Standpunkt aus den Krieg keineswegs als Verstoß gegen das fünfte 
Gebot verurteilt, sondern das Recht und die Pflicht des Christen, in 
einem rechtmäßigen Krieg energisch mitzukümpfen, unumwunden an- 
erkennt. Hier wie sonst ist, wie Verf. mit Recht betont, Luther nichts 
weniger als der Mann einer überlebten Vergangenheit, vielmehr hat 
er oft selbst da, wo man es kaum erwartet, überraschend viel Gegen- 
wartsblick und Gegenwartsbeurteilung. Im übrigen geht Verf. nament- 
lich darauf ans, den engen Zusammenhang zwischen Luthers Eintreten 
für das sittliche Recht des Krieges und seinen reformatorischen Grund- 
anschauungen ins Licht zu setzen. 

Neue Wege in der Veranschaulichung der Reformationsgeschichte 
schlägt mit erfreulichem Erfolg ein „Das Buch der Reforma- 
tion, geschrieben von Mitlebenden, herausgeg. 
von Karl Kaulfuß-Diesch (Leipzig, R. Voigtländer. 523 S. 
M. 5.—, geb. M. 6.50). In ihm kommen in ausgewählten Partien die 
Zeitgenossen, die führenden, mithandelnden oder miterlebenden Münner 
unmittelbar zu Worte; ihre authentischen, jedoch insgesamt in all- 
gemein verstándlicher deutscher Sprache wiedergegebenen Berichte 
machen, vom Herausgeber in Gruppen geteilt und mit überleitendem 
Text versehen, den Inhalt aus. In den Berichten der aus ver- 
schiedenen Heerlagern stammenden Männer aller Berufe, Stände 
und Richtungen spiegelt sich die Lebensfülle der Zeit; mit Recht ist 
besonders von kulturgeschichtlichen Schilderungen ein umfassender 
Gebrauch gemacht (vgl. das Quellenverzeichnis am Ende des Werks 
S. 513—524). So werden z. B. für das einleitende, „Reformations- 
sehnsucht“ überschriebene Kapitel u. a. Kaiser Siegmunds Reformation, 
Der Türken Festnachspiel, Brants Narrenschiff, Murners Schelmen- 
zunft, die Germania des Enea Silvio, Huttens Epigramme, Geilers 
von Kaisersberg Navicula, und die Theologia Teutsch herangezogen. 
Im einzelnen läßt, wie es kaum anders sein kann, die Auswahl wohl 
noch Wünsche übrig; auch wird man sich die Auffassung des Heraus- 
gebers nicht in allem aneignen. Soweit sie sich nicht ganz auf der 
Hóhe der neuesten Forschung zeigt, kommt das wohl groBenteils auf 
Rechnung des Umstandes, daß der schon 1914 fertiggestellte Text 


160 80 


langjühriger Vorarbeiten bedurfte, füllt auch nicht sonderlich schwer 
ins Gewicht. 

Den Wert des Buches erhóht die Illustrierung durch zahlreiche 
Text- und eine Reihe Vollbilder, die O. Clem en sachverständig aus- 
gesucht hat und zwar so, daß er neben den allbekannten Bildern, die 
in einem derartigen Werke nicht wohl fehlen durften, nach Möglich- 
keit auch wenig bekanntes Bildermaterial herbeigeschafft hat, vor- 
wiegend nach Originalen der Zwickauer Ratsschulbibliothek. Auch 
ein Faksimiledruck der 95 Thesen ist neben fünf Handschriftenproben 
beigegeben. 

Als ein wirkliches Prachtwerk ist zu bezeichnen das wäh- 
rend des Krieges in den graphischen Kunstanstalten von J. J. Weber 
in Leipzig hergestellte Buch: Martin Luther. Ein Bild 
seines Lebens und Wirkens von P. Schreckenbach 
und F. Neubert (J. J. Weber, Leipzig, V u. 183 S., in Folio, 
M. 10.— geb.) Es enthält auf 116 Tafeln 384 Abbildungen, die 
Neubert zusammengestellt hat, das weitaus reichhaltigste Anschauungs- 
material über Luther und seine Zeit, das sich an einer Stelle vereinigt 
findet, ebenso fesselnd für den Laien wie instruktiv für den Fachmann. 
Soweit irgendmöglich redet hier Luthers Zeitalter in den Werken der 
besten zeitgenössischen Künstler im Gebiet der Malerei, der Zeichenkunst, 
des Kupferstichs, des Holzschnitts und der Medaillenkunst zu uns; nur 
wo zeitgenössisches Material nicht erreichbar war, ist auf zeitlich mög- 
lichst Naheliegendes zurückgegriffen worden. Luther selbst ist auf 
zahlreichen der besten und zu seiner Zeit verbreitetsten Darstellungen 
wiedergegeben, der Kreis der Zeitgenossen in Bezug auf Bild- 
nisse ungemein weit gezogen. Die Haupterinnerungsstütten, die mit 
Luther verknüpft sind, Stüdte und einzelne Gebüude, treten uns aus- 
giebig, und zwar hier auch im Zustande der Gegenwart, vor das Auge 
(die belagerte Stadt S, 55 ist jedoch trotz der Aufschrift augenschein- 
lich nicht Wittenberg). Dazu kommen endlich Schriftproben, Bücher- 
titel, Medaillen, Gemülde, kulturhistorische Darstellungen usw., alles 
in vorzüglicher Wiedergabe, unmittelbar nach den genau bezeichneten 
Quellen. Zar ersten Orientierung über die vorkommenden Personen 
dient das sorgfültig gearbeitete alphabetische Register, das die Haupt- 
lebensdaten der Zeitgenossen darbietet, — Der Text zu dem Buche, 
eine zusammenhängende Beschreibung des Lebens Luthers, hat 
Schreckenbach zum Verfasser. Er wendet sich an einen möglichst 
großen Leserkreis, dem er unter Weglassung oder kurzer Andeutung 
desjenigen, was hauptsächlich den Gelehrten oder Fachmann inter- 
essiert, das Wesentliche über Luther sagen, diesen zumal als den Be- 
gründer des deutschen Christentums, den Apostel der Deutschen 
schildern will. — Der Preis ist im Verhältnis zu dem, was geboten 
wird, ein überaus bescheidener. 


Druck von C. Schulze 4 Co., G. m. b. H., Gräfenhainichen. 


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"FÜR RERORINTINSCHSIHCNTE. ] 


TEXTE UND UNTERSUCHUNGEN. 


In Verbindung mit dem Verein für Reformationsgeschichte 


herausgegeben von 


D. Walter Friedensburg. 
XIV. Jahrgang. Heft 3/4. 


Lutherheft 


zum Reformationsjubelfest 
am 3l. Oktober 1917 


— nd 


mit Beiträgen 


O. Albrecht, G. Bossert, W. Friedensburg, 
P. Kalkoff, G. Kawerau, W. Köhler, 
E. Kroker, O. Reichert, Th. Wotschke 


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Verlag von M. Heinsius Nachfolger 


Ausgegeben im Oktober 1917, 


Preis für Subskribenten 6,— M., einzeln-bezogen:6,50 M. 


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Verlag von M. Heinsius Nachfolger in Leipzig. 


ARCHIV FÚR REFORMATIONSGESCHICHTE 


TEXTE UND UNTERSUCHUNGEN. 


In Verbindung mit dem Verein far Reformationsgeschichte herausgegeben von 


WALTER FRIEDENSBURG. 


Das „Archiv für Reformationsgeschichte“ erscheint in jährlich 
4 Heften von etwa je 5 Druckbogen. Es bringt — in streng wissen- 
schaftlicher Weise und dem Stande der modernen Editionstechnik ent- 
sprechend — unveröffentlichtes Quellenmaterial, dem im allgemeinen 


auch solche Texte gleichgeachtet werden, die lediglich in unzulánglichen. 


oder schwer erreichbaren, insbesonders etwa nur in zeitgenössischen 
Drucken vorliegen. Ferner kommen auch kritische Untersuchungen. 
zumal solche, die der Erläuterung von Quellenmaterial dienen. zur Ver- 
öffentlichung, und endlich wird darauf Bedacht genommen, neue Er- 
scheinungen auf diesem Gebiet, namentlich Zeitschriftenartikel, zu ver- 
zeichnen, sowie kleinere Mitteilungen, Notizen über Funde und einzelne 
Beobachtungen zu bringen, die für den Forscher oder den Freund der 
Geschichte des Reformationszeitalters von Interesse sein mögen. 


Verzeichnisse mit ausführlicher Inhaltsangabe sämtlicher bis jetzt erschienenen Hefte 
stehen unberechnet zur Verfügung 


Vorzugsangebot d, "Sia ie 


Jahrgang 1—12 (Heft 1—48) und 4 Ergänzungsbände 


zusammen auf einmal bezogen: M. 120,— (statt M. 171,65) 
ohne die Ergánzungsbánde: M. 96,— (statt M. 145,65) 


Ergänzungsbände. 


1. Beiträge zur Geschichte der Mystik in der Reformationszeit. , E. 


ler, t Dr. u. Prof. der Theologie in Tübingen. Aus dem Nachlasse herausgegeben 
und mit einer biographischen Einleitung versehen von Prof. Lie. Dr. Walter 
Köhler. Mit einem Bildnis Heglers. — Preis für Bezieher des „Archivs“ 
M. 8,—, Einzelpreis M. 10,—. 


Von Lic. Dr. Otto Clemen, Gymnasialober- 
u Georg Xelts Briefwechsel. cad. So Preis für Bezieher 


des „Archivs“ M. 4,40, Einzelpreis M. 5,50. 


mi Der Briefwechsel der Schweizer mit den Polen, Vor Lie. Dr. Theodor 
He Es  Woetechke, Praec IB 
Santomichel. — Preis für Bezieher des „Archivs“ M. 12,60, Einzelpreis M. 15,75. 

rv. Studien über das beginnende Eindringen der lutherischen Bibelüber- 
1 : Nebst einem Verzeichnis über 

setzung in die deutsche Literatur. 56 Drache — Vene Flag. 


schriften — der Jahre 1522 bis 1525. Von Dr. Holm Zerener. — Preis für 
Bezieher des „Archivs“ M. 4,—, Einzelpreis M. 5.—. 


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ARCHIV FUR. REPORMATIONSGESCHICHTE, 


TEXTE UND UNTERSUCHUNGEN. 


In Verbindung mit dem Verein für Reformationsgeschichte 
herausgegeben von 


D. Walter Friedensburg. 
Nr. 55/56. XIV. Jahrgang. Heft 3/4. 
Lutherheft 
zum Reformationsjubelfest 
- am 81. Oktober 1917 


mit Beitrágon 


0. Albrecht, G. Bossert, Y Friedensburg, 
P. Kalkoff, (x. Kawerau, W. Köhler, 
E. Kroker, O. Reichert, Th. Wotschke 


Leipzig 
Verlag von M. Heinsius Nachfolger 
1917. 


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Inhaltsverzeichnis. 


Kritische Bemerkungen zur Überlieferung der stammbuchartigen 
Buch- und Bibeleinzeichnungen Luthers von Otto Albrecht 


Die „Trostschriften“ als eine der ältesten Quellen für Briefe 
Luthers von Gustav Kawerau 2 

Die letzten Arbeiten Luthers am Neuen Testament von 
Otto Reichert E vk "ys us EOM 

Lutherbriefe aus der Zeit des Augsburger . von 
Walther Köhler : - 3 

Luthers Hauspostille polnisch von Theodor Wots chke 

Friedrich der Weise, der Beschützer Luthers und des Reforma- 
tionswerkes von Paul Kalkoff. jw. cuv ds d 

Hat Tetzel den Ablaß, zu seiner Bereicherung gemißbraucht? 
von Ernst Kroker . Wd. UE MP vH cE ANUS 

Jodocus  Neuheller, Neobolus, Luthers rn von 
Gustav Bossert. . . 

Ein englischer Spion in Wittenberg zur Zeit batheri (1539) 
von Walter Friedensburg . E s ; 

Mitteilungen (Lutherana in Zeitschriften usw.) 


Seite 


141 
151 


„ Kritische Bemerkungen 
zur Uberlieferung der stammbuchartigen 
Buch- und Bibeleinzeichnungen Luthers. 
Von D. Otto Albrecht. 


Luther pflegte in Bücher, die er gelegentlich ver— 
schenkte, eigenhändige Widmungen mit sinnreichen Aus— 
sprüchen einzutragen. Gerne schmiickte er so Exemplare 
seiner Bibelübersetzung, namentlich in seinen letzten Lebens- 
jahren seit 1541. als seine Bibel nach der letzten um- 
fassenden Revision vollständig neu gedruckt vorlag!). Nicht 
selten kamen auch Freunde und Verehrer — gewisser- 
maßen als Autographensammler — zu ihm mit ihren Bibeln, 
Postillen oder anderen Büchern und baten ihn, auch wohl 
die andern Reformatoren um eine eigenhändige Einzeiehnung 
zur bleibenden Erinnerung an sie, Solche Bücher wurden 
als kostbare Erbbüeher in den Familien aufbewahrt und 
sind teilweise noch vorhanden. Über 250 derartige Ein- 
zeichnungen Luthers sind uns bekannt geworden, wenn auch 
nur zum geringeren Teil in ihrer Originalschrift, zumeist 
nur durch die gedruckte Überlieferung oder auch durch Ab- 
sehriften. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß noch etliches 


1) Vel. Lie. O. Reichert bei Koffmane, Die handschriftl. Über- 
lieferung von Werken D. M. Luthers I (1907) S. 239ff.; derselbe. D. 
M. Luthers deutsche Bibel, in Schieles Religionsgesch. Volksbüchern 
IV. 13 (1910) 3, 15, Dazu meine Bemerkungen in Th\tKrit. 1914, 
157. 178 it. 193 fl., ferner Weim, Ausg. Deutsche Bibel Bd. 2 (Pietschs 
Bibliographie) S. 637 ff. 722 ff. Die letzte teilweise Berichtigung des 
Neuen Testaments, die erst in der Bibel v. J. 1546 in Erscheinung 
trat (vgl. meinen Aufsatz in ThstKr. 1914. S, 153ff. und dazu Lic. 
Reichert in den „Lutherstudien“ hersg. von Mitarbeitern der W. A., 
Weimar. Böhlau 1917), kommt hier nicht in Betracht. 
Archiv für Reiormationsgeschichte. XIV. 3,4. 11 


162 2 


einschlägige Material in Privatbesitz oder in den noch 
nicht ausreichend durchgearbeiteten Bibliotheken versteckt ist. 

Im Jahre nach Luthers Tod haben zwei bekannte 

literarische Helfer des Reformators Sammelwerke heraus- 
gegeben, deren Kern die von ihnen zusammengetragenen 
Bibeleinzeichnungen Luthers bildeten. Zuerst Johannes Au- 
rifaber Vinariensis!) unter dem Titel: 

(A) „Auslegung etzlicher // Trostspriiche, so der Ehrwirdige / 
Herr, Doctor Martinus Lu- / ther, jnn seiner lieben Herrm. 
vnd / guten Freunden Bibeln vnd // Postillen, mit eigener / 
handt (zu seinem ge- /'dechtnis) ge- / schrieben. // | Ver- 
zierung] /; Psalm. (II. // (Folgen 8 Zeilen dieses Psalmtextes, 
V. 14—17] // *. Ohne Titeleinfassung. Titelrückseite bedruckt. 
28 Bl. in 4°, letzte Seite leer. Am Ende ein Blättchen. 
Laut Vorwort ,Gegeben zu Erffurdt, am 4. tag Februarij. 
Anno 1547" ist die Schrift dem Grafen Vollrath zu Mansfeld 
gewidmet. Vorhanden z. B. Berlin (Luth. 8263). Erfurter 
Druck (nach Prof. Dr, Joh. Luther: von Wolfgang Stürmer). 
Eine andere kompresser gedruckte Ausgabe ist anscheinend 
Nachdruck der vorgenannten, vorh. auch in Berlin, Luth. 8264 
(= Erl. Ausg. 52 S. 288 Nr. 2), während die in Erl. Ausg. 52 
S, 288 Nr. 3 genanute nach Joh, Luther nicht als besondere 
Ausgabe in Betracht kommt. 


Aurifaber gibt nur von Luther stammende Spruchaus- 
legungen wieder, ohne im einzelnen den Namen des Ur- 
hebers beizufügen. Es sind 91; dazu kommen am Ende 
noch eine kurze Erörterung, beginnend „Recht findet sich,“ 
und zwei Bibelsprüche aus Joh. 6 ohne Auslegung. Manchen 
Stücken ist das Ursprungsjahr (1541—1546) beigefügt. 
Die Anordnung scheint eine zufällige zu sein, sie ist weder 
durchweg chronologisch noch richtet sie sich nach der Reihen- 
folge der biblischen Bücher. Aurifaber, der 1537—1540 
in Wittenberg studiert hatte, 1540—1544 Lehrer der jungen 
Mansfelder Grafen, 1544/45 Feldprediger im französischen 
Krieg beim Graf Volrad von Mansfeld gewesen war, wurde 
1545 nach seiner Rückkehr in Luthers Haus des Doktors 
Famulus und begleitete ihn auf seinen beiden letzten Reisen 


1) Über ihn vgl. Kawerau in PRE. Bd. 2, S. 290ff.; Bd, 23 
(Ergänzungen) S. 139; derselbe auch im ARG. XII, 2 (1915) S. 155 ff.: 
„Zur Frage nach der Zuverlässigkeit Joh. Aurifabers als Sammlers 
und Herausgebers Lutherscher Schriften“. 


3 163 


nach Eisleben (Weihnachten 1545, dann Januar und Februar 
1546). In dieser Stellung konnte er leicht Spruchaus- 
legungen, die Luther als Widmungen in fremde Bticher 
eintrug, sammeln teils dureh selbständige Abschrift teils 
durch Entlehnung von dem unermüdlichen Sammler G. Rörer 
(s. u.). Als selbständiger Abschreiber kommt er wohl na- 
mentlich für das letzte Lebensjahr Luthers in Betracht. Drei 
der von ihm überlieferten Spruchauslegungen entstammen 
laut beigedruckter Zeitangabe dem Jahre 1545, sechs aber 
dem Jahre 1546; übrigens sind dieselben fast wie zwei 
kleine Gruppen zwischen den anderen zusammengefaßt, jene 
auf Bl. C 4b —D la, diese auf Bl. G 2a—G 4a. — Bei dem- 
selben Erfurter Drucker übrigens veróffentlichte Aurifaber 
im gleichen Jahre noch ,Etliche schóne Trostschriften des 
Ehrwirdigen Herrn Doctoris M. Lutheri usw.“ (vgl. Bib- 
liothek Knaake I Nr. 883). 

Nach Aurifaber hat Georg Rörer!) eine umfang- 
reichere Sammlung im Herbst 1547 und in etwas vermehrter 
Ausgabe i. J. 1549 ausgehen lassen. Beide sind dureh 
Hans Lufft in Wittenberg gedruckt. Der Titel der ersten 
lautet: 

(R.) „Vieler schönen Sp- / rüche aus Göttlicher Schrift / aus- 
legung, daraus Lere vnd // Trost zu nemen, Welche der 
ehrnwirdige Herr // Doctor Martinus Luther seliger, vielen / 
in jre Biblien geschrie- // ben. // Dergleichen Sprüche von 
andern Herrn aus- , gelegt, sind auch mit eingemenget, // 
Wittemberg. // Psalm lxxi. /|Folgen 4 Zeilen Text: Ps. 71, 18] // 
Esa. xlvi. ; [3 Zeilen Text: Jes, 46, 4] // M.D.XL VII. // ^ 
Ohne Titeleinfassung. Titelrückseite leer. 130 Bl. in 4°. 
Letzte Seite leer. Am Ende: ,Correctur^ und: „Gedruckt 
zu Wittemberg, durch Hans Lufft. //^ Auf den ersten 10 
Seiten steht Rörers Widmungsbrief an Markgraf Albrecht 
zu Brandenburg, Herzog zu Preußen?), „Datum Witteberg, 


1) Vgl. über ihn neben dem wertvollen Aufsatz von Jacobs im 
Ergánzungsband der ADB. 53, 480 ff. noch den ausführlichen, aber durch 
neuere Forschungen zu ergünzenden Artikel von Georg Müller in 
Band 24 der PRE.?, S. 426 ff. mit Angaben über die ältere Literatur. 
Dazu besonders die beiden Beiträge von Lic. Freitag und Lic. 
Reichert in den „Lutherstudien“ (Weimar, Böhlau 1917). 

?) Herzog Albrecht dankte dem Rörer für die Übersendung des 
Buches und schenkte ihm 20 Floren am 14. März 1548. Vgl. Tschackert, 

11* 


R 


10 


164 4 


Anno M. D. XLVII. am XXIX tag Augusti.“ Vorh. z. B. 
in Berlin (Luth. 8266). 

Rörer druckt darin 198 mit Luthers Namen bezeichnete, 
aber undatierte Spruchauslegungen ab. wozu noch etwa 8 
namenlose auch wohl Luther zuzuschreibende kommen. Ein- 
gestreut sind, wie schon der Titel andeutet, Bibeleinzeich- 
nungen von Melanchthon, Jonas, Cruziger, Major, Bugenhagen, 
Amsdorf. Diese Sprüche hat Rörer, einzelne Versehen 
abgerechnet. naeh der Reihenfolge der biblischen Bücher 
geordnet. — Infolge der Zeitunruhen scheint das Buch mit 
einer gewissen Flüchtigkeit hergestellt zu sein. Rörer 
kannte wohl Aurifabers ein halbes Jahr zuvor erschienene 
Schrift (A), jedenfalls zumeist deren Quellen; denn von den 91 
biblischen Spruchauslegungen in A hat er nur 5 nicht 
in seinem eigenen Werk; sein gesamter Vorrat aber ist 
reichlich doppelt so groß. Über den kritischen Wert seiner 
Textüberlieferung werden wir am Schluß einige Bemer- 
kungen anfügen. 

Auf die Bibliographie dieser im Laufe des 16. Jahr- 
hunderts allein in mindestens 7 deutschen Ausgaben und 
in einer lateinischen Übersetzung erschienenen Sammelschrift 
Rörers, worüber die Erl. Ausg. 52, 287 ff. sehr unvollständige 
Angaben bietet, soll hier nicht näher eingegangen werden; 
sie werden durch Joh. Luther in der Weim. Ausg. ver- 
bessert und vervollständigt werden. Nur von dem zweiten 
wichtigen Oktavdruck Luflts aus dem Jahre 1549 (R?) (vorh. 
z. B. in Berlin, Luth. 8268) sei hier bemerkt, dab er sich 
auf dem Titelblatt bezeichnet als „Mit vleis widerumb dureh- 
sehen. vnd gemehret”, jedoch neben einzelnen Korrekturen 
und Zusätzen mancherlei Mängel zeigt. Z. B. ist in R? der 
Spruch Sola fides justificat (Röm. 3), entgegen dem früheren 
besseren Abdruck in R! ungeschickt eingeordnet (vgl. Th. 
St. Krit. 1915 S. 89), und ein neu hinzugefügter Abschnitt 
„Trewe Vermanung zu warer busse vnd christlichem gebet, 
D. M. Lut. so er etwa gethan, in gegenwertigkeit Fürst Ge- 


Urkundenbuch III (1890) S. 181 Nr. 2095. — Vielleicht ist dies Werk 
Rörers eins der libelli gewesen, die laut Schreiben Melanchthons vom 
18. Oktober 1547 durch Sabinus an Herzog Albrecht überreicht werden 
sollten (CR. 6, 706f.). 


5 165 


orgen zu Anhalt ete. vn andern gelarten* (Bl. 204—207) 
gehört überhaupt nicht in eine Sammlung von Bibelein- 
zeiehnungen Luthers. 

Trotz der .Unvollkommenheit der Überlieferungsform 
bleiben diese Veröffentlichungen, die wir Aurifaber und 
namentlich dem treuen Sammeleifer Hórers zu danken 
haben, etwas Wertvolles. Nicht mit Unrecht urteilt Rörer 
selbst in seiner Vorrede darüber: „Wiewol dieses Werek ge- 
ring scheint, So ist doch der nutz nicht klein, wer seinen 
Glauben mit lesen stercken wil. — — — So geben diese 
kurtze Auslegungen, darin der natürlich safft der Sprüche 
gefasst ist, mehr verstand, denn viel grosse alte Comment 
Origenis, oder vieler andern ?).* 

Genau genommen ist die von Aurifaber und Rórer 
grundlegend begonnene Sammlung von Lutherschen Bibel- 
und Bucheinzeichnungen bis jetzt noch nicht völlig abge- 
schlossen; denn es gelangen bis in die neueste Zeit hinein 
immer noch versteckt gebliebene Stücke zu unserer Kenntnis, 
oder es tauchen bessere Texte der schon früher bekannten auf. 

Lehrreieh ist in dieser Hinsicht die Geschichte 
der Überlieferung in den Gesamtausgaben, 
worüber wir jetzt eine kurze Übersicht geben wollen. 

Als älteste Gesamtausgabe kommt die Wittenberger 
(Witt), und zwar in Bd. 9 v. J. 1558 (mit Melanchthons Vorwort 
vom 16. August 1557), gedruckt durch Hans Lufft, in Be- 
tracht. Hier steht auf Bl. 4801—535b: Vieler schönen 
Sprüche aus göttlicher Schrift auslegung xc., im wesentlichen 
ein Nachdruck von R? (1549) mit einigen Richtigstellungen 


1 Im Extract aus der Historia ecclesiastica manuscripta des 
Gothaischen Consistorialrats D. Cyprian, darinnen die Historia 
Tomorum Lutheri aus denen Original-Akten des Waymarischen und 
Gothaischen Archivs abgehandelt wird (Fortges. Sammlung v. alt. u. 
nen, theol. Sachen [Unschuld. Nachr.] 1726 S. 735 ff.) heißt es im $5 1: 
„Man hätte nicht alles nach Luthers Tod drucken lassen sollen: gar- 
nichts oder nur solche Schriften cum selectu et judicio, die mit seiner 
eigenen Hand geschrieben und von ihm wohlbedüchtlich elaboriert nach- 
gelassen worden; aber es wollte sich ein ieder mit seinen manuscriptis 
breit machen und seines Verlegers Geldgierigkeit ersüttigen, zumal 
Rörer, Aurifaber und Walther." — Der Tadel in diesen Worten trifft 
jedenfalls weder auf Aurifaber noch auf Rórers besprochenes Sammel- 
werk zu. 


Witt. 


166 6 


und Verbesserungen: z. B. ist die Auslegung von Ps. 56, 9, 
die in R? bei der Gruppe der Psalmensprüche versehentlich 
ausgelassen und erst auf Bl. 201b nachgebracht war, hier 
an die richtige Stelle gerückt. Der Text in Witt. stimmt 
insonderheit mit R? auch in der Formulierung des Titels 
und darin überein, daß er zwei Sprüche, die nicht in R?, 
sondern nur in R! standen (in R* wohl nur aus Versehen 
ausgefallen waren) ebenfalls nicht mitdruckt: es sind Ps. 34, 18 
(„Wenn die Gerechten schreien, so hóret sie der HErr... Eine 
grosse sicherheit ist das ...“) und Ps. 40, 9 („Deinen willen, 
mein Gott, thue ich gerne“ mit der kurz gefaßten Auslegung: 
„Durch dis gerne thun oder gehorsam Christi ...“) Doch 
enthált Witt. allein eine Spruchauslegung, die, wenn ich recht 
sehe, weder in R! und R? noch in irgendeiner späteren 
Gesamtausgabe noch in einer Sonderausgabe steht, nümlich 
Johann. XII. |V. 36]. 
Dieweil jr das Liecht habet, so gleubet an 
das Liecht, auff das jr des Liechtes kin- 
der seid. 

WEnn die Maus des Mehls satt ist, so 

schmeckts jr bitter, Hüte dich für sol- 

chem vberdrus in Gottes wort, 

Wo Gottes Wortist gantz gemein, 

Da wirds gehalten gering vnd klein. 


Während Witt. nach der Vorlage R? Rörers Vorrede 
und auch die fremden Sprüche von Melanchthon, Cruciger, 
Major usw. mitabdruekt (wenn auch letztere nicht ganz 


. vollständig), läßt die Jenaer Gesamtausgabe in Bd. 8 


(1558) Bl. 341a—380b alle diese Stücke fort. Demgemäb 
ist hier die Überschrift dahin abgeändert: 


„Aufslegung vieler schöner tröstlicher Sprüche aus heiliger 
Schrifft, von D. M. L. etlichen seinen guten Herrn vnd 
Freunden in jre Biblien geschrieben.“ 


Willkürlieh ist hinzugefügt: „Anno M. D. XLVI.“ Den 
einzelnen Sprüchen fehlt in Jen. durchweg die Unterschrift 
„Mart. Luther,“ welche Witt. gemäß R? in der Regel den be- 
treffenden Stücken beigefügt hatte, um sie von den fremd- 
artigen zu unterscheiden. Auch Jen. hat R* im allgemeinen 
zur Grundlage, und zwar wohl unmittelbar, ohne Vermittlung 
von Witt. Vereinzelt greift Jen. selbständig auf R! zurück. 


4 167 


Jene Auslegung von Ps. 34, 18, die nur in R? stand, aber 
in R? und auch in Witt. fehlte, steht in Jen. und danach 
in den folgenden Ausgaben; anderseits aber fehlt in Jen., 
übereinstimmend mit R? und Witt, die erwähnte kurze Aus- 
legung von Ps. 40, 9 (s. o. S. 7), die allein R! hatte. Gegen 
eine Abhängigkeit von Witt. spricht, daB Jen. die für Witt. 
eigentümliehe Auslegung Joh. 12, 36 (s. o. S. 7) nieht bringt und 
auch Ps. 56, 9 nicht schon in der Hauptgruppe der Psalmen- 
Sprüche, sondern erst nachtriiglich fast am Ende des Buches 
einschaltet; in beiden Füllen folgt Jen. der Überlieferung 
von R?, abweichend von Witt. Anders wieder verhält es 
sich mit Joh. 16, 11 (,Vmb das Gericht, denn der Fürst 
dieser Welt ist gerieht. // Die Welt verdamnet das wort oder 
die Lere vom Glauben. Der Teufel erwecket viel ergernis 
dureh Ketzerey“ usw.). Diesen Spruch überliefert Jen. zuerst, 
danach die folgenden Gesamtausgaben, er fehlt noch in R 
R? und Witt. Er tritt ein als Ersatzstück für die Aus- 
legung von Joh. 16, 23 (, Warlieh, warlich, Ich sage euch, So 
jr den Vater etwas bitten werdet, // Diese vnterscheid 
zwischen Heiden vnd Christlichen Menschen sollen wir teglich 
in vnser Anruffung betrachten“ usw.), die in R! R? und Witt. 
steht, aber — soviel ich sehe — seltsamer Weise in Jen. 
und in allen folgenden Gesamtausgaben ausgefallen ist. 
Außer der Auslegung von Joh. 16, 11 gibt es noch 14 an- 
dere, die Jen. zuerst druckt, ohne daß sie vorher durch R 
oder R? oder Witt. überliefert wären. Woher stammen 
diese neuen Sprüche? Eine Randglosse zu dem achten 
dieser Gruppe, zu Marc. 10, 14 („Christus spricht, Lasset die 
Kindlin zu mir komen vnd wehret jn nicht... // DV 
teuffest die Kindlin nicht, wie du sagst, darumb, das sie 
nicht glauben“ usw.) gibt uns die Lösung, sie lautet: „Dis 
stück (wie etliche ander mehr) ist aus M. Georgij Rorarij 
seliger gedechtnis Büchlin abgeschrieben vnd hiezu gethan“. 
Diese Randbemerkung, die zweckmäßig schon der ersten 
derartigen Spruchauslegung (Ps. 2, 12 „Küsset den Son. //. 
DA stehets, Wer den Son annimpt, sol alle gnad haben“ usw.) 
hätte beigefügt sein sollen, ist später mißverstanden und 
eine Quelle von Irrtümern geworden. Sie bedeutet: dieses 
und andere Stücke seien aus den Büchlein (Handschrift- 


168 


bänden?) des verstorbenen Rörer (seligen Gedächtnisses)“ 
entnommen, oder auch: aus dem Büchlein, d. i. aus dem 
gedruekten Handexemplar Rórers, in das er vielleicht Nach- 
tráge eingeschrieben hatte(?). Und was hat man daraus ge- 
macht? Altenburg druckt noch richtig: ..aus M. Georgii 
Rorarii seliger gedächtnüß Büchlein“. Aber mit der Leip- 
ziger Ausgabe beginnt der Fehler: „aus M. Georgii Rorarii 
sel. GedáehtniD-Büchlein*. Denselben Fehler wiederholt 
Walch}, Erlangen, Waleh”. Ob man dabei an ein 
oder an mehrere Gediichtnisbtichlein (Notizbiicher, Memoriale) 
gedacht hat, bleibe dahingestellt. Georg Müller schreibt 
in seinem Artikel ‘Rörer' RE.“ Bd. 24, 431, Z. 28 fl.: „Als 
selbständiger Herausgeber tritt er in seinem Gedächtnis- 
büchlein und einer Auslegung vieler schöner Sprüche... 
auf.“ Und Koffmane (s. u.) behauptet beiliiufig, Rörers 
„Gedenkbüchlein“ — er meint offenbar damit das in Frage 
stehende „Gedächtnisbüchlein“ — sei verloren. Richtiger 
sagen wir wohl: es hat überhaupt nicht existiert?); oder 
wenn er ein Büchlein besessen haben sollte, auf das inson- 
derheit diese Bezeichnung zutraf, kann es hier nicht gemeint 
sein, denn in obigem Ausdruck ist „Gedächtuis“ mit „seliger“, 


1) Vgl. Dietz, Wörterb. s. v. Gedächtnis. Das Wort wird oft 
fem. gebraucht bei Luther, z. B.: „er Fabian Feylitz seliger redechtnis: 
h. Johans seliger gedechtnis; hertzog George vnseliver gedechtnis.“ 

2) Als ich wegen des angeblichen Gedächtnisbüchleins Rórers 
bei mehreren Bibliotheken (Jena, Wolfenbüttel, Zwickau. Berlin usw.) 
anfragte, machte Prof. Dr. Kroker mich auf Folgendes aufmerksam: 
„Luthers memorariun wird einmal von Cordatus in den Tischreden 
Nr. 2874 (Cord. 1114) erwühnt. Übrigens hatte auch Melanchthon ein 
solches Notizbuch: s. Einleitung in den 2. Band der Tischreden (W. 
A.) S. XXVI. An beiden Stellen sind wohl Notizbiicher für den eige- 
nen Gebrauch gemeint, nicht Sammlungen von Gedenksprüchen oder 
dergl. für andere.* — D. Buchwald wies mich auf den Rórerschen 
Handschriftenband Nr, XXXIII, welcher der Zwickaner Ratsschul- 
bibliothek gehört; er enthält keine Abschriften von Bibeleinzeich- 
nungen. Übrigens soll er nach Koffmanes Urteil (W. A. Deutsche 
Bibel Bd. 3 S. XVI Anm. 1 und 2) hauptsächlich von M. Joh. Stola 
geschrieben sein; eine summarische Übersicht über seinen Inhalt stebt 
in W. A. 10 III S. IX—XIII. Man beachte anderseits noch den von 
Buchwald in ThStKr. 1594 S. 377 mitgeteilten Brief Poachs vom 
6. Mürz 1561. 


9 169 


nicht aber mit ,Büchlein* zu verknüpfen. Die angeführte 
Handglosse verweist wahrseheinlieh, wie gesagt, auf die 
(seit 1893 zumeist wieder aufgefundenen) Manuskriptbände 
Rörers, die, von Joh. Friedrich angekauft, als eine Haupt- 
quelle seiner Jenaer Lutherausgabe dienen sollten und zum 
Teil auch gedient haben. Man muß abwarten, ob und wo 
die erwähnten 15 neuen (meist kurzen) Spruchauslegungen, 
die in verschiedenen Rörerbänden verstreut gestanden haben 
mögen (vielleicht auch in den verloren gegangenen), als 
handschriftliche Unterlage für Jen. gelegentlich wieder ans 
Licht treten. Möglicher Weise sind es ursprünglich gar 
nicht Widmungssprüche gewesen, sondern sonst gelegentliche 
Aufzeichnungen oder Randglossen zur Bibel in einem Hand- 
exemplar oder Stücke aus den Bibelrevisionsprotokollen ?). 


1) Über die verschollenen Bände und Stücke beachte man be- 
sonders P. Flemming, die Lutherbriefe in der Rörersammlung auf 
der Universitátsbibliothek zu Jena, in „Studien zur Reformations- 
gesch. und zur Praktischen Theologie, G. Kawerau an seinem 70. Ge- 
burtstage darrebracht* (1917) S. 71 ff. 

2 Im Weimarer Archiv Reg, O. 776, GG 3 findet sich ein Brief 
Johann Friedriehs des Mittleren an Fürst Wolfgang von Anhalt vom 
25. Januar 1562: Es sollen des sel. M. Luthers Annotationes in die 
Bibel vorhanden sein, von Mag. Rorario sel. unter Corrigendum Bib- 
lia aufgefaßt, aber noch nicht zu Rat gebracht, daraus gedachter 
Rörer sel. solche Annotationes M. Christiano Alberto, Pfarrherrn zu 
Kóthen, zugestellt, daB er sie sollt richtig machen und zurechtbringen, 
wie er denn die Arbeit darauf vorgenommen. Ob sie nun wohl fertig 
seien? Da die Bibel in Jena neu gedruckt werden solle, seien jene 
Annotationes nötig. Der Pfarrer solle, wenn er fertig sei, sie schicken, 
wenn aber noch nicht fertig, möglichst bald. [Diese Notiz verdanke ich 
Herrn Prof. Flemming in Pforta.] Zur Sache vgl. man auch meine 
Bemerkungen in ThStKrit. 1914, 179 ff. Sicher hat Luther zahlreiche 
Randbemerkunzen zu seiner Bibel selbst formuliert und schon ge- 
druckte eigenhändig korrigiert; aber manche mögen so entstanden sein, 
wie der vorstehende Brief es andeutet: sie ruhen auf Auferungen 
Luthers, die Rörer als Korrektor und als Protokollführer der Bibel- 
revisionsverhandlungen aufgefangen und dann nachträglich formuliert 
hat oder durch andere (wie jenen Christian Albert) formulieren ließ. — 
Zur ganzen Frage beachte man noch O. Reicherts neue Abhandlung 
in „Lutherstudien“ 1917, ferner in W. A. Deutsche Bibel Bd. 3 S. XVIf. 
und XX Koffmanes Bericht über Rórers Bibelrevisionsprotokoll: 
„De und dort mag sich Rórer... Notizenzettel aus Luthers Besitz in 
sein Protokollheft abgeschrieben haben, wie er doch alles aus Luthers 


170 10 


Die folgende Gesamtausgabe, die allzuviel geschmiihte 
Altenburger (Alt), bedeutet im Bereich der Bibel- 
inschriften-Sammlung einen gewissen Fortschritt. Der Abdruck, 
welcher in Bd. 8 (1662) S. 531—567 steht, legt zwar im 
Großen und Ganzen die Jenaer Ausgabe zu Grunde und 
übernimmt von dorther mit dem Titel auch die willkürliche 
Jahreszahl Anno MDXLVI, aber er führt auch darüber 
hinaus und zwar in mehrfacher Hinsicht. Erstlich hat der 
Herausgeber Johann Christfried Sagittarius") zwei neue 
Spruchauslegungen Luthers aufgespürt und hinzugetan: eine 
über Ps. 1, I ff. („Wol dem, der nicht wandelt im Rath der 
Gottlosen. / DiB ist gered nicht allein von bösem Leben, 
sondern viel mehr von falscher Lehre...) mit der Rand- 
bemerkung: „Herr Licent Heinrich Conrad Reuß, so!] 
Hochherrl. Hotfpred. zu Gera aus der Bibliotheca der Kirchen 
daselbst mir J. C. S. zugeschicket?)^ Während die Leip- 


Mund und Feder aufs emsigste sammelte und abschriftlich bewahrte.“ 
Hier werden auch die wichtigen Zeugnisse des Mathesius aus seiner 
12, und 13. Predigt über Luthers Leben beigebracht, wo es heißt: 
„Wunder schöne und lehrhaftige reden sollen bey diser arbeit [der 
Bibelübersetzungsrevision] gefallen sein, Welcher M, Georg [Rörer] 
etliche auffgezeichnet und die hernach als kleine glößlein und auBle- 
gung auff den rand zum Text gedruckt sein.^ — Übrigens werden 
auch in jenem Zwickauer Handschriftenband XXXIII auf Bl. 23 Anno- 
tationes obiter exceptae inter Castigandum biblia Germanica angeführt. 

1) Joh. Christfried Sagittarius, Altenburger Generalsuper- 
intendent (+ 1689), nicht zu verwechseln mit seinem Vetter, dem 
Jenaer Polyhistor und Historiker Caspar Sagittarius (+ 1694). Vgl. 
Lutherstudien von Mitarbeitern der Weimarer Lutherausgabe (1917) 
S. 11 Anm. 1; ferner P. Flemming in Studien zur Ref.Gesch. 6. 
Kawerau am 70. Geburtstag dargebracht (1917) S. 23, 

*) Richtiger ist zu lesen: Lic, Heinrich Conrad, Reuß. (— Reu- 
Bischer) Hochherrlicher Hoffprediger x. — Derselbe war 1656—1683 
Hofprediger, 1683—1684 Superintendent in Gera. Die Bibel ist 
nicht mehr vorhanden. Sie war wahrscheinlich ein Stück der Reufi- 
schen Kirchenbibliothek, die, von Heinrich Posthumus begründet, 
eine große, mit seltenen Exemplaren und Ausgaben reich aus- 
gestattete Bibelsammlung enthielt; dieselbe hatte ihr Lokal zuletzt 
auf dem Boden der St. Johamniskirche, wurde um 1760 mit den Bücher- 
bestünden des Gymnasiums vereinigt und fiel am 18. September 1780 
einem großen Brande zum Opfer. Dabei mag auch jene Bibel mit dem 
Luthereintrag zu Grunde gegangen sein. [Gefillige Auskunft der 
Fürstl. Reuß. ev.-luth. Ephorie Gera. 


11 171 


ziger Ausgabe diese Glosse, doch ohne sie zu erláutern, 
noch ebenso wiedergibt, druckt Walch, der das J. C. S. 
(= Johann Christfried Sagittarius) nicht verstand: „mit J. 
C. S.“; denselben Unsinn wiederholt die Erlanger Ausgabe 
und Walch?. — Die zweite in Alt. erstmalig veróffentlichte 
Spruchauslegung über Joh. 8, 51 („Wer mein Wort hält, // 
Alle müssen wir sterben, aber wehe denen, die den Todt 
sehen müssen... M. Luther D. 1544^) trägt am Rande die 
Bemerkung: „In den gróssern Catechismum Lutheri, der 
Hans von Bora, Lutheri Weibes Verwantens, gewesen, hat 
Lutherus vorn eingeschrieben.“ Weiteres hierzu unten in 
der Anmerkung. — Zweitens hat die Altenburger Ausgabe 
fünf von den in R'? fehlenden, aber in A (Aurifabers Samm- 
lung) bereits stehenden 6 Stticken in ihre Vorlage (Jen.) ein- 
gearbeitet und dabei den Aurifaber auch dadurch ausgenutzt, 
daß sie die Sprüche, die darin datiert sind, ebenfalls mit 
ihrem Ursprungsjahr versieht. Ausdrücklich verweist sie 
am Rande siebenmal auf Aurifabers Sammlung, z. B. zu 2. 
Sam. (— 2. Kön.) 23, 2 mit den Worten: „Aurifaber in den 
Trostsprüchen Lutheri Lit. E. 4^"*, in ausführlicherer Form 
auch zu Ps. 119, 2; zweimal, zu Ps. 2, 12 und zu 1. Tim. 2, 4, 
ist diese Zitationsform unangemessen, sofern diese Sprüche 
aueh in R und nicht in A allein standen. Die Datierungen 
sind aus A vollstindig übernommen, eine aber (die Hinzu- 
fügung von 1544 zu 5. Mos. 4, 2) scheint Willkür oder Ver- 
sehen zu sein; die Vermutung in Walch?: „Wahrscheinlich 
hat Walch dieselbe naeh Aurifaber eingefügt,“ ist unzu- 
treffend, denn A hat überhaupt dieses Sttick noch nicht; 
sie bezeugt zugleich, daß Walch? sich der Mühe entzogen 
hat, die ursprünglichere Textüberlieferung Aurifabers nach- 
zusehen. — Drittens sind in Alt. noch drei hier zuerst auf- 
tauchende kritische Sätze bemerkenswert. Der eine, am 
Schluß der Auslegungen von Joh. 8, 51 lautet: „Noch eine 
schöne Auslegung über vorige Worte ist drunten im Bericht 
vom Christlichen Abschiede D. M. Lutheri aus diesem tód- 
lichen Leben zu finden“; dazu am Rande: „Citante Classio 
(so!) part. II. Exeges. Evangel. pag. 879*!) Der andere 


1) Hier hat die Altenburger Ausgabe eine in den folgenden 
Gesamtausgaben sich immer mehr steigernde Verwirrung der Texte 


172 12 


steht am Rande zu Joh. 10, 27 (s. u. Anm.); der dritte ist 
eine Marginalnotiz neben der Auslegung von 1. Kor. 11, 24 
am Ende, wo von dem „Allenthalben oder au allen Orten 


und ihrer Glossen verursacht. Die Randbemerkung Citante Glassiv 
(so ist zu lesen) gehórt nicht zu dem Zwischensatz ,Noch eine schóne 
Auslegung :c.“, sondern ist vielmehr als Schlußsatz zu der Glosse der 
vornanstehenden Spruchauslegung zu verstehen. Das wird klar aus 
Salomon Glassins, Evangelicorum et epistolicorum textuum ... Exe- 
gesis P. IL (Gotha 1648) p. 879: In der Erláuterung des Evangeliums 
vom Sonntag Judica bei der Auslegung von 8.51 wird Luther er- 
wähnt, der diesen Ausspruch Christi wie ein Symbolum geschätzt und 
mit kraftvoller Erklárung ófter in Bücher seiner Freunde eingezeichnet 
habe; im Jenaer Tomus 8 Bl. 332 fl. [so nach dem Spätdruck von 
Richtzenhain und hebart, Jena 1562, während im Erstdruck des Tom. 8 
von Ródingers Erben, Jena 1558, dieselbe Spruchgruppe vielmehr auf 
Bl, 366b beginnt] stünden 14 Auslegungen Luthers darüber. Dann 
fährt Glassius fort: ,Quibus addatur, quod libello cuidam continenti 
Majorem Catechismum Lutheri € quaevis alia (cuius possessor, ut 
inscriptio exterior ostendit, Hans von Pora fuit, cognatus nimirum 
uxoris Lutheri) propria Lutheri manu praefixa in vestibulo haec vidi: 
Joh. 8. Wer mein Wort hält, wird den Tod nimmermehr sehen, Alle 
müssen wir sterben, aber wehe denen, die den Tod sehen müssen. 
Dawider hilfft Gottes Wort... M. Luther D. 1544.“ — Die Alten- 
burger Ausgabe (8, 556) druckt nun aus Glassius a. a. O. diese 15. 
durch ihn neu ermittelte Auslegung von Joh. 8, 51 nach den 14 schon 
früher bekannten ab und fügt sachgemäß am Rande hinzu, daß dieselben 
in dem Exemplar des Großen Katechismus, das Hans von Bora be- 
sessen, gefunden sei (s. o.). Aber die hierzu gehörigen Worte Citante 
Glassio usw. sind versehentlich vom Setzer hiervon abgetrennt und 
weiter unten als eine neue Glosse gedruckt zu der in Alt. im Text 
erstmalig stehenden Zwischenbemerkung „Noch eine schöne Aus- 
legung usw.“ (s. o). Diese eingeschobene Bemerkung in Alt. ist eben- 
falls ein Versehen, und zwar in zweifacher Hinsicht; denn erstlich folgt in 
Alt. ,drunten", d. h. Bd. 8, richt der hier angekündigte Bericht des 
Jonas, Cólius u. a. über Luthers Sterbestunden, wie er in Jen. Bd. 8 
(Vorlage von Alt. 8) steht; und zweitens ist die in diesem Bericht 
enthaltene Auslegung von Joh. 8, 51 (die Luther wenige Tage vor 
seinem Tode dem Rentmeister Gaßınann in Ellrich widmete, beginnend: 
„Wie vngleublich — a. L. vneleubig — ist doch das geredt*) irr- 
tümlich als „noch eine (also neue) Auslegung? bezeichnet, denn 
kurz vorher ist sie schon als vierzehnte abgedruckt mit der Rand- 
glosse, dies sei der letzten Schriften eine, die der liebe Mann kurz 
vor seinem Ende einem guten Freund mit seiner Hand in ein Buch 
geschrieben habe. — Nach dem Zwischensatz ,Noch eine schóne Aus- 
legung ꝛc.“ mit seiner irrig angeführten Glosse Citante Glassio fährt 


13 | 173 


seyn* des Leibes Christi die Rede ist: ,Haec verba non 
esse Lutheri, sed Philippi Melanehth. prolixe probat Hutterus 
in Concord. Concord. (so!) cap. 1 fol. 9!).* — Unter deu Fehlern 
des Altenburger Abdruckers hebe ich ferner hervor das er- 
gútzliche Mißverständnis der ursprünglichen, in R!, R?, Jen. 
stehenden Randnotizen zu den Sprüchen aus Ps. 119 (1. Octo:, 
2. Octo: usw.) Octo: ist — Octonarius, Bezeichnung einer 
je 8 Verse zusammenfassenden Spruchgruppe dieses alpha- 
betischen Psalms; daraus werden nun Daten: 1. Oktober, 
2. Oktober. Übrigens findet sich dieselbe falsche Auflösung 
schon in der Ausgabe von R?, die Lorentz Schwenek in 
Wittenberg 1558 gedruckt hat. 

Zeidlers Hallescher Ergünzungsband (D. M. 
Lutheri seel. In Altenburgischen Tomis bischer ungedruckter 


der Text in Alt. fort mit dem Abdruck einer Auslegung von Joh. 10, 
27: (Meine Schafe kennen mich.. ., Die zwey folgen einander. Wer 
Christum höret, den höret er wieder .../ “ und fügt ihm neu den 
Vermerk am Rande hinzu: „Das Original ist bey Herrn Sigismundo 
Abessern, Superintendenten zu Königsberg in Francken, zu finden“ 
[Nach gütiger Mitteilung des gegenwärtigen Superintendenten ist Si- 
vismund Abesser dort im Jahre 1676 verstorben, die bezeichnete 
Bibel aber befindet sich nicht in der Königsberger l'farrbibliothek; 
ob sie sich in der Abesserschen Familie fortgeerbt hat, konnte nicht 
ermittelt werden.] — Die folgenden Ausgaben Leipz., Walch!, Walch? 
haben diesen Sacheverhalt noch stärker verwirrt durch weitere falsche 
Beziehungen der Glossen und Texte zu einander. 

) In der mir vorliegenden Quartausgabe von Hutters Concordia 
Concors (Wittenberg 1622) steht die Stelle auf 8. 29ff. (am Rande 
ist die Folivausgabe zitiert. aber mit Dl. 10). Es handelt sich nur 
um den Schlubßsatz der Spruchauslegung 1. Kor, 11, 24, welche die Je- 
naer Ausg. Bd, 8 (1558) Bl. 375a Z. 11-15 erstmalig beigestenert 
hatte, die weder in R? noch in Witt. stand: „Vom Allenthalben oder 
an allen orten sein sol »icht disputiret werden. Es ist viel ein 
ander ding in dieser sach‘, So reden auch die Sehultheolozen hie nichts 
vom Allentualben, Sondern behalten den einfeltigen verstand von der 
leiblichen &czenwertcz'*eit. Christi.“ In seiner Polemik gegen Hos- 
pinian, der diese Stelle zitiert hatte, erwähnt Hutter auch Luthers 
Handexemplar des N. T. von 1510, das die Jenaer Bibliothek besitzt, 
worin am Ende ein Gutachten über das h. Abendmahl — aber erst 
vom 16. März 1516 und mit deutlicher Kennzeichnung, daß es von 
Ph. Melanchthon stamme — steht. Ich habe es in den ThStKrit. 1915, 
S. 88 Anm. 2 angeführt (statt „Mai“ ist nach Hutter „März“ zu lesen, 
die Abschrift ist stark verblaßt uud schwer zu lesen). 


Halle, 


Leipz. 


174 14 


Deutscher Sehrifften Neuer Theil usw., mit einer Vorrede Franc. 
Buddei, Halle 1702, in 2. anscheinend unveránderter Aus- 
gabe Halle 1717) enthält nur einige Nachträge ohne Neu- 
druck der Sammlung: auf S. 467 erstlich zwei zusammen- 
gehörige Sprüche unter dem gemeinsamen Titel „Kurtze 
Erklerung zweier Sprüche, vorn imNewen Testament A. 1545“, 
und zwar des Spruches Matth. 4, 4, sodann der Parallel-. 
sprüche Matth. 13, 16f.; Luk. 10, 23f; zweitens „Kurtze 
Auslegung des Spruchs, Johan. 8. von D. Mart. Luth. mit 
eigener hand in die Biblia (1545. gedruckt) verzeichnet, 
vom Original abgeschrieben.“ Ferner auf S. 475 unter der 
Aufschrift „Schrifft D. Mart. Luth. in eine Bibel, 1544“ die 
Dedikationsworte für Nicolaus Oemler (nur diese, ohne eine 
zugehörige Spruchauslegung) mit der Randnotiz „Die Bibel 
darein der seel Lutherus dises eigenhendig geschrieben, 
ist zu finden bey den Herren Erben des Wolgebornen 
Herrn Heinrichs von Bylow auff Sehraplau usw.“ 

Die Leipziger Ausgabe Bd. 12 (1731) bringt auf 
S. 96—138 den Neudruck der Sammluug, wie sie in Alt. 
Bd. 8 a. a. O. vorlag, im Anschluß daran auf S. 138—139 
als selbständige Stücke (statt sie einzuordnen) jene eben 
erwähnten zwei Nachträge aus dem Halleschen Supplement- 
band. Der Titel der Hauptschrift ist auf S. 96 so geformt: 
,Auslegung vieler schóner Sprüche H. Schrifft, welehe Lutherus 
etlichen in ihre Bibeln geschrieben, mit Georgii Rorarii 
Vorrede.“ Durch die Voranstellung der alten Varrede Rörers 
(in R! auch R?, Witt, nicht in Jen., Alt.) überbietet sie ihre 
Vorlage (Alt.), der sie sonst meist genau folgt unter Bei- 
behaltung auch ihrer wertvollen Eigenttimlichkeiten, wie 
Beifügung der Jabreszahlen nach Aurifaber usw.  Freilich 
überliefert sie auch deren Irrtümer, z. B. jene Mibdeutung 
der Randnotizen zu Ps. 119 (Oktober statt Oktonarius); 
sie verschuldet ferner selbst einige neue spáter nachwirkende 
Irrungen, z. B. das oben S. 7 f. erwähnte „Gedächtniß-Büchlein“; 
vereinzelt bezieht sie das Datum eines Spruches falsch (in 
Alt. stand 1542 am Rande zu Ps. 119, 92, in Leipz. wird 
diese Jahreszahl versehentlich zum folgenden Spruch Ps. 119. 
98 bezogen); falsch vereinigt sie die Altenburger Hand- 
glosse zu Joh. 10, 27 (Angabe des Fundorts des Originals) 


15 175 


mit der voranstehenden Zwischenbemerkung im Text (daß 
noeh eine Auslegung zu Joh. 8, 51, außer den vorher ge- 
druckten, sich im Bericht vom christlichen Abscheiden Luthers 
finde); versehentlich druckt sie eine Spruchauslegung zwei- 
mal mit verschiedenen Texten (Joh. 14, 23 und Joh. 15, 7, 
vgl. Waleh? Bd. 9 Sp. 1838 Amn. 1, wo aber irrig der alte 
Walch als Urheber der Verdopplung genannt ist) Der 
Hauptmangel ist, daß Leipz. die inzwischen anderweit ver- 
öffentlichten wertvollen Ergänzungen zu den früheren Aus- 
gaben nieht beachtet und eingearbeitet hat. Sonderlich An- 
drei Wanckels, Bürgermeisters zu Hammelburg in Franken, 
Manual, in den Unschuld. Nachr. auf das Jahr 1712 S. 755— 
777 und S. 940—960, bot neuen Stoff. Einzelnes fand sich 
noch in den Unsch. Naehr. zum Jahr 1726 und 1730, sowie 
in Löbers Historia von Ronneburg (Altenburg 1722), und 
auch schon im Serinium Antiquarium des Hallenser M. Joh. 
Gottfr. Olearius (Halle 1671). Alles dies ließ Leipz. unver- 
wertet liegen, statt es für den Neudruck nutzbar zu machen. 


Joh. Georg Walch gibt in seiner Gesamtausgabe Bd. 9 
(1743) Sp. 1340—1465 bzw. 1467 nur einen nachlässigen 
Nachdruck des Textes der Leipziger -Ausgabe mit ihren 
Fehlern, unter erheblicher Vermehrung derselben; anscheinend 
hat er die Texte hier, wie öfter sonst, durch ungeübte und 
unsorgfältige Hilfsarbeiter herstellen oder auch im Nachdruck 
überwachen lassen; selbständigen Wert haben nur seine 
bibliographischen Vorbemerkungen in der Vorrede zu Bd. 9, 
S. 23—25. Besonders häufig ist Walchs Abdruck in den 
Datierungen der Sprüche verschlechtert, sofern er die Jahres- 
zahlen, die am Rande seiner Vorlage am Schluß der Spruch- 
auslegungen zu stehen pflegen, unrichtig auf den folgenden 
Spruch bezieht, während noch die Leipziger Ausgabe in der 
Regel — nicht immer — ihrer Vorlage, der Altenburger, 
die auf A zurtickgreift (s. o.), richtig gefolgt ist. Vereinzelt 
bat er, aber außerhalb der Hauptsammlung in Bd. 9, eine 
originale Bibelinschrift eingesehen (vgl. Bd. 21 Sp. 1596f,, 
dazu De Wette-Seidemann Bd. 6, 341f. und Enders-Kawerau 
Bd. 15, 76f.), aber deren Text recht willkürlich wiederge- 
geben (s. u.). 


Wanckel 


Walch! : 


Er). 


Seidemann 


Walch- 


176 16 


Die Erlanger Ausgabe verfährt in Bd. 52 (1853) 
S. 287—398 bezw. 400, bei unvollständiger Bibliographie, 
selbständiger als ihre Vorgängerinnen, sofern sie R? (1547) 
zu Grunde legt. diese Grundlage durch A ergänzt (doch 
ohne Aurifabers Daten mitzuübernehmen) und überdies die 
Jenaer Gesamtausgabe (die auf R? ruht, aber auch Eigen- 
tümliches bringt, s. 0.) und daneben Walch. leider aber nicht 
Alt. berücksichtigt. Ferner bietet sie neben den seit dem 
Halleschen Supplementband herkömmlichen, selbständig 
überschriebenen zwei Anhängen (S. 399—400) gelegentlich 
in anderen Bänden noch einige Ergiinzungen. so in Bd. 37 
S. 106 und besonders in Bd. 56, S. LXX bis LXXIII; sie 
ignoriert aber ebenso wie Leipz. und Walch! jene wertvollen 
Ergänzungen, die in den Unschuld. Nachr. 1712 usw. er- 
schienen waren. An einem gründlichen kritischen Verfahren 
fehlt sehr viel. schon deshalb, weil abgesehen von Bd. 56 
a. a. O. nirgends auf die Originalhandsehriften zurückge- 
griffen wird. 

Einen Fortschritt in der kritischen Behandlung bezeiehnet 
die grobe Nachtragsarbeit Seidemanns zu De Wettes 
Ausgabe des Lutherschen Briefwechsels. Man vergleiche be- 
sonders die Übersicht Seidemanns in Bd. 6 (1856) 
S. 474 s. v. Bibel nebst Anmerkung 1 und S. 646, ferner 
sein Nachtragsbändehen „Lutherbriefe“ (1859) S. 85f. 

jeachtung verdient ferner die neue St. Louiser 
Ausgabe von Walch (Walch?) in Bd. 9 (1893) s. VII. 
und Sp. 1756—1859; sie ergänzt und berichtigt mehrfach 
den alten Walehsehen Text; sie fügt die in gesonderten 
Anhängen (seit Halle 1702. s. 0.) gedruckten kurzen Er- 
klärungen von den Sprüchen am gehörigen Ort ein, des- 
eleichen die in Erl. (Bd. 37 und Bd. 56) sowie bei De 
Wette-Seidemann zerstreut sieh findenden Bibelinschriften. 
mit Bedacht aber den Abschnitt De Wette 6. 43211 als 
nicht hierhergehórig auslassend. Neue Quellen erschließt 
sie nicht). Die kritischen und erläuternden Anmerkungen 


1) Aber sie wies mir den Weg zu einer Orisinalhandschrift. 
Aurf Sp. 1503 liest man zu Matth. 7,7 in der Anm. 2: „In unserm 
Exemplar der Walebschen Ausgabe findet sich von alter Hand fol- 


gende Bemerkung: Luther hat diese Worte in ein Exemplar vom Bet- 


17 177 


sind ungleichartig, meist wenig ergiebig, zum Teil irrig. 
Öfter heißt es z. B.: „Diese Jahreszahl zuerst bei Walch“; 
das ist aber jedesmal unzutreffend, denn vor Walch! stehen 
die Daten schon in Alt. (auf Grund von A) und dann in 
Leipz., aber Walch! hat meist dabei sich versehen, indem er 
die Jahreszahl nicht der Spruchauslegung, 7u der sie ur- 
sprünglich gehört, sondern der benachbarten beifügte. 

Die erheblichste Fürderung für unsere Aufgabe ver- 
danken wir dem uns Zu früh entrissenen D. Gustav Koff- 
manet. Schon aus seinem anregenden Aufsatz „Zu Luthers 
Arbeit an den Psalmen“ in der Festschrift für J. Köstlin (1896) 
bemerkt er in seiner Beschreibung des sog. Kunheimsehen 
Psalters (vgl. W. A., deutsche Bibel Bd. 3, 5. LIff, weiteres 
in dem noch nicht vollendeten Bd. 4)?) zu dem Luthersprueh 
„Spiritus per psalterion hoc gerit: Credens tentatur et tribu- 
latur. Tribulatus orat et invocat“ usw. auf S. 85: „Dieser 
Absatz findet sich sehr oft von Luther in die Bücher anderer 
eingetragen. — — — — Aus meiner Sammlung von Bücher- 
inschriften des Reformators?) ergibt sich, daß er gern, so 
unerschöpflich reich seine Bibelauslegung auch ist, bei den 
Widmungen und Denksprüchen sich wiederholte. Wir müssen 
vermuten, daß er einen Schatz erprobter Sprüche und Merk- 


büchlein mit dem Katechismus und Passional, gedruckt zu Wittenberg 
1542, welches in der Salfeldischen Schulbibliothek als eine Seltenheit 
aufbehalten wird, voran geschrieben.“ Näheres unten. 

1) Über ihn vgl. Weim. Lutherausg. Bd. 24 S. VIUR; Bd. 44 
S. III£.; Lutherstudien von Mitarbeitern der W. A. (1917) S. 43 Anm, 2. 

2) Vgl. Mathesius, 14. Predigt (bei Lösche 5. 360 Z. 19ff.): „In 
seinen letzten Jahren schrieb Doctor in vieler leut bächer; gemeinigklich 
leget er die Sprüch aus, die zum trost gericht waren in sterbens nóten, 
wie er auch in sein Pselterlein jhm selbs viel schóner trostsprúch 
zusammen verzeychnet hatte“ Mit diesem Pselterlein ist offenbar 
der sog. Kunheimsche Psalter gemeint. Die in der W. A. Deutsche 
Bibel Bd. 3 S. 521 Amn. 7 besprochene Glosse Lutbers zu Ps. 2, 12 
(nicht aus dem Kunheimschen Psalter, sondern aus dem Handexemplar 
des A. T. 1539 stammend) steht übrigens noch nicht in R! R“, son- 
dern zuerst in Jen., sie gehört zu den selbständigen Ergänzungen, die 
die Jenaer Gesamtausgabe hinzugefügt hat (s. o.). 

s Wenn es sich um eine größere Zusammenstellung handeln 
sollte, so ist sie noch nicht zum Vorschein gekommen. Durch Lic. 
O. Reichert erhielt ich aus Koffmanes Nachlaß nur einige 
Notizzettel, die mir nichts wesentlich Neues boten. 

Archiv für Reformationsgeschichte. XIV. 5,4. 12 


Kofímane 


178 18 


worte für solehe Zwecke sich in Vorrat hielt. Er trug 
sie, wie unser Fall zeigt, in seine eigenen Bücher ein.“ — — 
Und ebenda S. 88: „Es ergibt sich, daß die Sammler 
(nieht die ersten Aufzeichner) von Tischreden auch die Bü- 
cherei Luthers für ihre Zwecke durchsahen. Wir finden 
nicht nur Bücherinschriften Luthers verwendet (s. Bindseil, 
Colloquia 11 S. 249. 267 und III praef. I- VI), sondern 
ganze Abschnitte, wie bei Bindseil 11 S. 223. 224. 227. 230. 
241. 264. 277f, machen den Eindruck, als ob sie kurzen 
Notizen, welche sich Luther für Predigten, Vorlesungen 
und Stammbuchblätter auf Zetteln und in seinen Büchern 
machte, entnommen seien. Namentlich stört bei Bindseil 11, 
S. 232 ff. der Abschnitt de Catechismo den ganzen Zusammen- 
hang: die Themen über die Katechismuspredigten ).“ 

Noch wertvoller und anregender sind Koffmanes Be- 
merkungen in seinen gemeinschaftlich mit Lic. Freitag 
und Lie. Reichert herausgegebenen Kritischen Unter- 
suchungen über die handschriftliche Überlieferung von Werken 
D. M. Luthers (Liegnitz 1907) S. XIVf. Da heißt es: „VI. 
Eintragungen in fremde Bücher Wie später 
in Stammbücher, so lieb man damals in Druekwerke mit 
Vorstoßblättern von berühmten Leuten sieh Denksprüche 
einschreiben. Auch Fürsten wollten in ihren Hausbibeln 
die Schriftzüge Luthers haben. Schon 1547 erschien von 
Aurifaber ‘Auslegung etzlicher Trostsprüche .... Is. o.] und 
in demselben Jahre von Rörer, der eigene Ausgaben bisher 
nicht veranstaltet hatte, die viel umfangreichere Sammlung 
‘Vieler schönen Sprüche ... Auslegung... (Erl. 52, 289)?). 
So schnell konnten beide Männer die über Deutschland hin- 
aus verstreuten Originaleintrüge in Abschrift sich nicht ver- 
schaffen. Die Sammlung muß vor Luthers Tod angelegt 
sein?). Hierzu war für Rörer gute Gelegenheit. Das Ein- 


1) Dieser Abschnitt enthält vielmehr eine fast wörtliche Zusammen- 
stellung der Randglossen zur zweiten Wittenberger Hauptausgabe des 
Großen Katechismus Luthers v. J. 1529. Vgl. meine Schrift „Luthers 
Katechismus“ (1915) S. 40 Anm. 1. 

2) Vgl. oben unsere Bemerkungen zu A, R!, R“. 

2) Ja, begonnen wird sie damals schon sein, wie die von Kofi- 
mane angeführten Abschnitte aus Bos. q 24k und q 24! zeigen. 


19 179 


binden der Bibeln und den Versand besorgte Rörer für 
Fürsten und Gelehrte: was Luther diesen einschrieb, konnte 
Rörer also bequem abschreiben. Aber auch im Hause Luthers 
bot sich ihm Gelegenheit. Andere sammelten diese Bröcklein 
in Tischreden?). — Ist Rórers Gedenkbüchlein?) auch ver- 
loren, so bat er doch in Jen. Bos. q 24k Bl. 267f. 3) und 
Bos. q 24f Bl. 76—80*) uns den Grundstock seiner Samm- 
lung überliefert. In seine Ausgabe nahm er dann von Scho- 
lien zur Bibel, von gelegentlichen exegetischen Notizen 
Luthers noch einiges auf; so wird diese Sammlung noch 
kritisch zu reinigen sein”). — Eine Abschrift dieses Mate- 
rials besaß Matthias Wanckel, von dem sie seinem Bruder, 
dem Bürgermeister Andreas Wanckel in Hammelburg, zukam, 
veröffentlicht in Unschuld. Nachr. 1712, 755 f.). Was sie 
neues über Rörer hinaus hat, ist vielfach unsicher oder 


1) In Walch? sind mehrfach die parallelen Stellen der Tischreden, 
meist nach Aurifabers Ausgabe gebucht, vgl. Sp. 1768 Anm. 2; 
Sp. 1805 Anm. 3; Sp. 1809 Anm. 3; Sp. 1821 Anm. 3; Sp. 1826 
Anm. 1; Sp. 1846 Anm. 2. 

2) S. o. S. 7f. 

3) Beschrieben in W. A. 37, S. XII f. Kleinigkeiten sind zu be- 
richtigen. Auf S. XIII Z. 5 muß es heißen: Bl. 267 b, und in Z. 6 ist 
hinzufügen: „27. Okt. 41.“ In Z. 15 ist das „principi ab Anhalt“ 
vielleicht zum folgenden Stück zu beziehen. In Z. 22 ist wohl „44 
[nicht 47] annj zu lesen, 

) Beschrieben in W. A. 41, S. VII. Auf S, VIII ist zu berich- 
tigen, daß auf Bl. 772 des beschriebenen Handschriftenbandes oben 
zuerst der Spruch steht, den Enders-Kawerau Bd. 15 S. 67 unter Nr, 4b 
zu Ps. 1, 6 abdruckt: Novit Dominus — — Crede hoc usw. 

5) Briefwechsel, Tischreden und Bibelübersetzung sind die be- 
nachbarten Gebiete für die Durchforschung der Buch- und Bibel- 
inschriften Luthers. Sehr wichtig sind die Beobachtungen, die wir 
Kroker verdanken in der Tischredenausgabe der W. A. Bd. 4, wo 
er zur Sammlung Khummer S. 534 Anm, 3 sagt: „Unter den Stücken 
Nr. 4819 bis Nr. 4826 sind mehrere Eintráge Luthers in Bücher; Lau- 
terbach wird sie in den Tagen seines Besuches in Wittenberg im Juli 
1548 gesammelt haben“, Ebenso trifft das zu auf Nr. 4832 bis 4842. 
Kroker führt bei den betreffenden Stücken die Paralleldrucke in Erl. 
Bd. 52 und bei Enders Bd. 14 und 15 an; ihre Zugehórigkeit zu R! 
und R? ist deutlich erkennbar. 

6) S. o. S. 15. Über Matthias Wanckel vgl. Enders-Kawerau 
Bd. 13 S. 73f., dazu aber noch ADB. 41, 137. Das reiche Spruch- 
material (Unsch. Nachr. 1719, 755—777 und S. 940— 960) dürfte in 


12* 


Enders 


4 Beispiele 


180 20 


unrichtig. Unbedeutend war das von Mathesius Ge- 
sammelte!) — Aus den Originalen sind von Erl. und 
De Wette-Seidemann viele Buchinschriften veröffentlicht, und 
noch immer wird Nachlese gebracht (s. o. S. 1f.). Aber es 
ist ein gutes Zeichen für Rörers Sammelkunst: was nach- 
gelesen wird. steht in mehr oder minder treuer Abschrift 
schon bei Rörer.“ 

Es ist sehr zu bedauern, dab K o ffm an e seinen Vorstoß 
in dieses Forschungsgebiet nicht mehr hat durchführen können. 
Er selbst würde dabei noch manches nachzuholen und nach- 
zubessern gefunden haben. Seine Anregungen aber sind 
nicht vergebens gewesen. Wohl mit durch sie beeinflußt 
ist die neueste vortreffliche Veröffentlichung der Lutherschen 
Bibelinschriften von Kawerau in den zuletzt erschienenen 
Bänden des Endersschen Briefwechsels; man beachte 
besonders Bd. 14, S. 138 fl.; Bd. 15, S. 65ff. 300ff. 358; 
Bd. 16, S. 148ff. 348 fl. 363. Wanckels Manual ist hier 
noch nicht vollständig ausgebeutet, aber reiche und wertvolle 
anderweite Literaturangaben und Quellennachweise sind 
den einzelnen Stücken hinzugefügt. Es bleibt mancherlei 
zu tun übrig. Ich verzichte aber darauf, hier Nachträge 
aus der älteren und neueren Literatur zu geben, auch die 
Spuren neuer Quellen zu verfolgen; das würde zu weit 
führen und, da die Untersuchung noch im Gange ist, längst 
nichts Vollständiges bieten. 

Zum Schluß will ich einige vorläufige Bemerkungen 
über den Wert der ältesten Drucküberliefe- 
rung, insonderheit bei Rörer (R*?), anfügen. Als Maßstab 
der Kritik dienen die ursprünglichen Niederschriften Luthers 
selbst. 

Als erstes Beispiel diene ein Originaleintrag Luthers 
v. J. 1542 (noch nicht bei Enders-Kawerau Bd. 15 verwertet), 
der in Matthias Wanckels Bibel v. J. 1541 steht. Über dies 


seinem Wert etwas höher einzuschätzen sein. Übrigens ist die Hand- 
schrift in Hammelburg nicht mehr vorhanden. 

1) Koffmane denkt wohl an die drei Sprüche, die E. Kroker 
in seinen Tischreden Lutbers in der Mathesischen Sammlung (1903) 
S. 212f. abdruckte; die W. A. der Tischreden wird sie in Bd. 
Nr. 5249—5251 bringen (laut Auskunft von Dr. Kroker). 


21 181 


wichtige Bibelexemplar gedenke ich an anderer Stelle eine 
Untersuchung zu verúffentlichen. Luthers Eintrag darin lautet: 


Johannis -5- 
Suchet die Schrifft. Denn fie iſts 
die zeugnis von mir gibt 
Man mus ſuchen (ſpricht er) nicht richten 
5 Nicht Meiſter ſondern ſchuler drinnen fein 
Nicht onſern dünckel hinein tragen 
Sondern Chriſtus zeugnis drinnen holen 
Und ſo lange Chriſtus nicht recht drinnen 
funden wird 
So lange wird ſie auch nicht recht geſucht 
10 Martinus Luthe R D 
1542 


Eine Abschrift Rörers ist nicht bekannt geworden. Die 
wichtigsten Lesarten im Vergleich zum Original (Or.) bei 
A (Aurifaber 1547), R? und R? (Rörer 1547 und 1549) und 
Wanckel (W. s. o.) sind folgende?): 


Z. 1—3 Johannis bis gibt] Aliud W (A — Or.) 

Z. 1 fehlt RI. 2 (aber einige Seiten vorher steht Joh. V. als 
Gruppenüberschrift). 

Z. 2/3 Suchet bis gibt] Suchet in der Schrift etc. R12. 

Z. 5 drinnen fehlt A R12 (W = Or.). 

Z. 8 darinnen A gefunden A RI R? (W = Or.). 

Z. 10 und 11 Unterschrift und Jahreszahl fehlen in A und W, 
in R! R? steht nur: Mart. Luth. 


Hier seheinen A und W vereinzelt urspriinglicher zu 
sein als R, aber A und R sind auch miteinander verwandt. 


Als ein zweites Beispiel (es fehlt aueh bei Enders- 
Kawerau) erwühne ieh die originale Einzeiehnung Luthers in 
einem Exemplar seines Betbüchleins v. J. 1542 (s. W. A. 1011 
S. 360f.), das die Lehrerbibliothek des Realgvmnasiums in 


1) Nach R. Keil, Die deutschen Stammbücher des 16. bis 19. 
Jahrh, (1893) S, 9 soll Luther die obige Spruchauslegung dem Hans 
von Ebeleben ins Stammbuch geschrieben haben, Eine Quelle ist nicht 
angegeben. Das von uns benutzte Bibelexemplar mit Luthers Original- 
schrift aber gehórte sicher dem Matthias Wanckel, dessen Name mit 
der Jahreszahl 1542 dem alten Lederdeckel eingeprügt ist. Es ist 
nicht anzunehmen, daß Luther dieselbe Inschrift wörtlich für zwei 
Bücher gefertigt haben sollte. 


182 99 


Saalfeld besitzt) Es ist die Auslegung von Matth. 7, 7, die 
hier so lautet: 


[S. 1] Matth vii 
Bittet, [o wird euch gegeben 
Suchet fo werdet yhr finden 
Klopfft an ſo wird euch auffge 
6 than, 
Das iſt ia deüdlich geredt 
das onſer bitten, ſuchen, an 
klopffen ſolle nicht vm b 
ſonſt ſein. Sondern alles 
10 gewis ond eitel Ja fein 
O Wer das gleuben kundt, 
[S. 2] ond ynn ſolchem glaüben 
beten kund. Wie ſelig 
were der Menſch, dem 
16 ſich Gott ſelbs ſo hoch ond 
theür verbindet, das er 
wil deſſelben gebet Horen 
ond thün was er bittet 
O herr hilff onfetm vn⸗ 
20 gläuben Am en 
Martinus LutheR D 
1544 


Den ersten Druck dieser Spruchauslegung brachte R? 
(1549) Bl. L. 8b mit folgenden Abweichungen vom Original: 

Z. 1 fehlt in R? 

Statt Z. 3 und 4 steht nur etc. da in R? 

Z. 13 beten kund Or.] lebete R? 

Z. 15 selbs fehlt R? 

Z. 17 desselbigen R? erhören R? 

Z. 21/22 steht nur Martinus Luther in R? 


Rörer hat in diesem Fall wohl nicht Luthers Handschrift. 
sondern nur eine Abschrift als Vorlage benutzt. 


Ein drittes Beispiel. In einer Bibel v. J. 1541 steht 
folgender Originaleintrag Luthers v. J. 1542 (noch nicht bei 
Enders-Kawerau angeführt): 


) Auf diesen Fundort bin ich durch Walch? Bd. 9 Sp. 1803 
aufmerksam geworden; 3. o. S. 16 Anm. 1. 


23 183 


Jo Hannis -8- 
So iemand mein Wort halten wird 
Der wird den Tod nimer mehr ſehen 
Das mus ia Eine treffenliche allmechtige Ertzney ſein 
5 Die ſolchen groſſen ſchaden: als der Tod iſt: ſo leichtlich 
heilen kan das er auch nicht mehr ſolle geſehen werden 
Wenn das die welt gleubte würde ſie ſich zu 
te iffen omb das wort Gottes Aber weil fie es 
ſo ſchendlich veracht ſo iſts gewis das ſie es nicht 
ıogleubet und viel ammechtiger hellt denn eine fliege 
Martinus LutheR D 
1542 
Die Drucküberlieferung bei A, R!?, W zeigt folgende 
bemerkenswerte Abweichungen: Statt der 3 ersten Zeilen 
hat R nur die Andeutung des Textes: , Wer mein Wort 
helt, etc.“, A hat: „Joan. 8. Wer mein Wort belt, der wird 
den Todt nicht sehen 2c.“, W aber: „Joh. 8. So iemand 
mein Wort hält, der wird den Tod nicht schmecken ewiglich.“ 
Sämtliche Drucke entbehren der Jahreszahl 1542, A und W 
aueh der Unterschrift, die R!? in „Mart. Luth.“ verkürzt. 
Im Text Z. 6 lesen A und W „recht“ statt des „mehr“, was 
R12 aus Or. richtig übernommen hat; ebenda steht in ARW 
„sol“ (soll) statt des ursprünglichen „solle“. In Z. 4 haben 
alle Drucke die kürzere Sprachform „treffliche“, in Z. 10 
ist das ursprüngliche „ammechtiger“ bei R!? in „ommech- 
tiger“, bei A in „onmechtiger“, W in „ohnmächtiger“ ge- 
ändert. — In der Auslegung, abgesehen vom Bibeltext, steht 
R dem Or. am nächsten, A und W erscheinen als verwandt. 


Alsviertes Beispiel diene die Auslegung von Joh. 17,17, 
die Enders-Kawerau 15, 76f. zwar abdruckt, aber ohne das 
Original zu kennen. Dasselbe lautet nach Geh. Rat. Prof. 
Dr. Milchsacks Abschrift: 


Joh: XVij 
Dein Wort ift die Warheit. 

Es iit niemand fo grob: nod fo onüerſtendig 
der ſich gern und williglichwoltlaſſenbetriegen 
5ſonderlich ynn groffen ernften faden. Da will 
yederman die warheit haben, ond dielügennicht 
ley den Darauff ond darauſſzfolget 

das nicht menſchen fein müſſen, Sondern toll 


184 24 


ond obertoll, die Gottes Wort, die felige warheit 

lo verachten. Denn woes ernſtmityhnen were, 

die warheit zu haben, ond die lügen nicht zu 
Leiden (korr. aus meiden) 

Sowürdenſie Gottes Wort, wol anders ondhoher 

ſuchen ondhalten, als die Rechte Warheit Gottes 

15 M Sutbe D 

1542 


So steht in der von Pietsch (W. A. Deutsche Bibel Il 
S. 724) erwähnten Bibel ohne Signatur (auf dem Deckel 
] M 1542), die aus der Bibliothek der Herzogin Sophie 
Marie von Braunschweig stammt. — Beim Abdruck Rörers 
(R12 fehlt die erste Zeile (doch steht Joh. XVij zwei Seiten 
vorher als Gruppentiberschrift); innerhalb des Haupttextes 
ist nur seine Lesart „ernstlichen“ (Z. 5) bemerkenswert, und 
am Ende hat er wie gewöhnlich das D hinter LutheR sowie 
auch die Jahreszahl fortgelassen. Walch! folgt in seiner 
Weise durch Vermittlung von Leipz. der alten von R!? ein- 
geleiteten Drueküberlieferung. doch nur in Bd. 9 Sp. 1443; 
aber da, wo man einen besseren Text erwarten sollte, in 
Bd. 21 Sp. 15961, gibt er zwar die Jahreszahl 1542 nach 
dem Original, sonst aber erbebliche Verschlechterungen, z. B. 
läßt er willkürlich aus in Z. 7 „Darauff vnd“, ferner ver- 
ändert er in Z. 8/9 den ganzen Satz „das bis toll“ in „daß 
viele Menschen toll und übertoll seyn müssen“, und die 
ganze 11. Zeile unterschliigt er. [n Seidemanns Abdruck 
(6, 342) ist das Verzeiehnis der Lesarten deshalb nicht ganz 
zutreffend, weil er seinem Abdruck nicht das Original, son- 
dern R — und zwar in einem Nürnberger Naehdruek von 
R! v. J. 1547 — zugrunde legt. Jedenfalls hat sich R 
in diesem Falle gut bewährt. 


Allerdings kann erst die noch ausstehende umfassende 
Vergleiehung der ältesten Texte ein klares Bild von ihrem 
Wert oder Minderwert ergeben. Die Hauptaufgabe bleibt 
das Zurückgehen auf die Originalscbriften, soweit sie vor- 
handen sind. Ferner ist eine genaue Analyse der alten 
Abschriften Rörers in Bos. q 24f und 24* (s. o.) erforderlich: 
ihm scheint nieht immer die Ursehrift vorgelegen zu haben. 
Ich weise z, B. noch hin auf die Auslegung von Ps. 1. 1. 


25 185 


deren Original in Wernigerode sich befindet (abgedruckt bei 
Enders-Kawerau Bd. 15, 65 f.). Hierzu liegen zwei, in Ein- 
zelheiten abweichende Abschriften Rórers vor, was bei Enders 
nicht genau wiedergegeben ist. In Bos. q 24* (— Nr. 3) 
steht am Rande das ursprüngliche „die Circumeisionis“, nicht 
aber in q 24! (— Nr. 2); andererseits hat Nr. 3 die Än- 
derung im Text „am wort des HERRN“, während Nr. 2 
mit dem Or. gleich lautet; im 2. Absatz der Auslegung liest 
Nr. 2 „ein schatte“ (nicht „schnee“, wie Enders angibt) und 
Nr. 3 „eine Schatte“ (letzteres = Or.). Nr. 3 enthält am 
Ende vollständig Luthers Unterschrift, auch die Jahreszahl 
nebst Datum, dies alles aber fehlt in Nr. 2. — Bei einigen 
Stücken gewinnt man den Eindruck, als ob Hórer den ori- 
ginalen Text ausgeweitet und umschrieben hat, z. B. in der 
ursprünglich kurzen Auslegung von Ps. 40, 8, die Enders- 
Kawerau Bd. 15 S. 68 unter Nr. 6 abdruckt. Rörer hat 
sie in Bos.q. 24! Bl. 77° abgeschrieben, so wie es bei 
Enders-Kawerau a. a. O. steht; in wesentlich derselben 
kurzen Fassung druckt er sie in R! (1547) ab, ersetzt aber 
dieselbe in R? (1549) durch eine weitläuftigere, die Ka- 
werau im Lesartenverzeichnis anführt. Die kürzere Fassung 
findet sich ferner bei Wanckel (a. a. O. S. 765) mit der 
Unterschrift „M. Luther. D. 1542“, und i. g. ebenso in den 
Unschuld. Nachr. 1730 S. 715, danach auch bei De Wette 
5, 525 (unrichtig ist hier und bei Enders die Angabe, dab 
Walch 21, 1596 dasselbe bringe); desgleichen in Erl. Ausg. 
56, S. 43 (mit dem Datum 1542), ebenda auch schon in 
Bd. 52 S. 305 (nach R?), wo als Anmerkung nach Walch 
(zuerst so in R?) die erweiterte Form angefügt ist. Um- 
gekehrt druckt Walch? Sp. 1775f. die längere Fassung als 
Haupttext und verweist die kürzere Form in eine Anmerkung, 
zugleich noch eine andere verwandte Spruchauslegung bei- 
ziehend. Für die selbständige Redaktion der längeren Form 
benutzte Rörer vielleicht das Protokoll der Psalmenrevision 
v. J. 1531 (vgl. W. A. Bibel Bd. 3 S. 38 Z. 23f.). 

Ob und inwieweit Aurifaber aus Rörers Handschrift 
schópfte, wie Kawerau bei Enders 14, S. 144 zu Nr. 7 an- 
merkt, ist nicht sicher; wenn er's tat, doch wohl nur teil- 
weise. Jedenfalls hat er in seiner Sammlung einige eigen- 


186 26 


artige Stücke, die bei Rórer fehlen, und zuweilen macht 
seine kürzere Textüberlieferung im Vergleich zum Rórerschen 
den Eindruck gróferer Ursprünglichkeit (vgl. auch das oben 
auf S. 2f. Bemerkte). Rörers Gewissenhaftigkeit soll damit 
nicht angezweifelt werden. Es ist doch etwas anderes, den 
Text der von Luther festgestellten Bibelübersetzung als Pro- 
tokollführer und Druekkorrektor getreulich wiederzugeben 
(was Rórer getan hat) und anderseits in einem Erbauungs- 
buch kurze Bibelspruchauslegungen Luthers zusammen- 
zustellen, von denen ein Teil zwar vom Reformator selbst 
wörtlich aufgeschrieben, anderes aber wohl nur aus seinen 
Gesprächen aufgefangen und von Rörer teilweise selbständig 
formuliert war (s. o. S. 9 Anm. 2). Philologische Exaktheit 
im modernen Sinne dürfen wir bei seinen Arbeiten allerdings 
nieht suchen wollen. 


Die „Trostschriften“ 
als eine der ältesten Quellen für 
Briefe Luthers. 


Von €. Kawerau. 


Als!) J. K. Seidemann 1856 durch Hinzufügung des 
6. Bandes de Wettes Ausgabe der Briefe Luthers zum 
lange vermißten Abschluß brachte und dabei im Register 
der Briefe in einer Fülle von Anmerkungen aus seiner Sach- 
kunde zahllose Notizen zu den einzelnen Briefen veróffent- 
lichte, da gab er bei vielen von ihnen an, sie seien auch 
schon in den „Trostschriften“ gedruckt worden. Von diesen 
führte er in der Regel die Ausgabe o. J., Jena, durch Ródin- 
gers Erben an, mitunter aber auch, z. B. S. 478, ,Auri- 
fabers Trostschriften“ oder (S. 498) „Etliche Trostschriften, 
Wittenberg 1548“ oder (S. 548) „die von Creutziger heraus- 
gegebenen Etliche Trostschriften, 1548*. In welehem Ver- 
háltnisse diese Ausgaben zueinauder stehen, das sprach er 
nicht aus; und das Zitat aus der Ausgabe „Rödingers Erben“ 
war insofern ungünstig, als diese vom 1. März 1557 bis zum 
Jahre 1570 in Jena druckten?), sich also nicht erkennen 
ließ, ob dem Druck der Briefe in den Trostschriften die 
Priorität zukomme vor dem Abdruck in der Jenaer und 
Wittenberger Ausgabe der Werke Luthers, oder ob er etwa 
von diesen abhängig wäre. 


1) D. J. HanBleiters schöner Aufsatz über „Luthers Trostbriefe“ 
in Allg. Evang.-Luth. Kirchenzeitung 1917, 410ff., 434 ff., 457 ff., 473 fl., 
618, der sich mit den gleichen Schriften beschäftigt, um an ihnen den Seel- 
sorger Luther vor Augen zu führen, erschien, als mein Aufsatz schon 
seit Monaten der Redaktion übergeben war. Ich konnte ihn daher 
nicht mehr berücksichtigen. 

) Nach freundlicher Auskunft von Herrn Prof. Dr. J. Luther. 


188 28 


De Wette selbst hatte von diesen „Trostschriften“ 
keine Notiz genommen; sie fehlen in seinem Quellenverzeich- 
nis Bd. I S. XVII ff, wie auch sein Berater Veesenmeyer 
in seiner ,Literaturgeschichte der Briefsammlungen Luthers* 
1821 an ihnen vorübergegangen war. Unter den Älteren 
hatte J. Alb. Fabricius im Centifolium Lutheranum 1728 
zwar in Teil I ein Kapitel den Seripta consolatoria ge- 
widmet, aber nur S. 315 die Ausgabe der Trostschriften 
Leipzig 1559 aufgeführt, noch dazu irreführend als von 
Cruciger zusammengebracht; erst im II. Teil S. 763 gab 
er wenigstens den Titel dieser Ausgabe genauer an, so daß 
deutlich wurde, es handle sich um eine Ausgabe, in der 
Rörer die ältere Crucigersche Sammlung vermehrt habe. 
Nur bei Walch im 21. Bande ist in der Vorrede $ IV 
Crueigers Ausgabe, von der er Drucke von 1545 und 1546 
kennt, von der ,mit vielen andern Trostschreiben gemebrten* 
Ausgabe Georg Rörers deutlich unterschieden. Von 
letzterer nenut er die Drucke Jena 1554 und Leipzig 1559. 
In $ VI verzeichnet er aber auch Joh. Aurifabers Aus- 
gabe von Trostschriften Luthers 1547 und erwühnt auch eine 
Ausgabe etlicher Trostbriefe an betrübte Personen, Magde- 
burg 1550, freilich ohne anzumerken, daß auch diese Samm- 
lung Aurifaber zum Herausgeber hat. Leider hat Walch 
aber aucb nur diese Titel verzeichnet, ohne die Schriften 
bei der Herausgabe zu benutzen. So bleibt es Seidemanns 
Verdienst. sie in die Forschung eingeführt zu haben, wäh- 
rend auch Irmischer in der Erlanger Ausgabe sie gleich 
de Wette unbeachtet lieb und nur gelegentlieh und daher 
unvollständig von Aurifabers Ausgabe von 1547 Gebrauch 
machte (vgl. 54, 172). Aufgabe dieser Zeilen ist daher, 
über die verschiedenen Sammlungen zu berichten und fest- 
zustellen, inwieweit sie für Luthers Briefe als Quelle in Be- 
tracht kommen. 


1. Crucigers Trostschriftenausgabe. 


Vorbemerkung: Für die Bibliographie sowohl der 
Crueigerschen, wie hernach der durch Rórer vermehrten Samm- 


1) Einige bibliographische Angaben auch in 53, XV u. 65, 263. 


29 189 


lung kann ich im wesentlichen auf die Zusammenstellung 
verweisen, die P. Pietsch in Weimar. Ausg. 7, 780 ff. ge- 
geben hat. Nur einige Nachträge brauche ich zu geben, 
im übrigen kann ich mir die bibliographische Beschreibung 
der Drucke hier ersparen. 

Die erste, älteste Ausgabe — W. A. 7, 780: A — bietet 
die Überraschung, daß sie im Impressum am Schluß die 
Jahreszahl 1544, auf dem Titelblatt dagegen 1545 hat. 
Bogen B und folgende sind eben zuerst gedruckt worden, 
am Schluß erst Bogen A, der nur Crucigers Vorrede ent- 
hält. Darüber war das neue Jabr angebrochen. Diese 
Sammlung, die, wie der Titel besagt, „für die so in tods 
vnd ander not vnd anfechtung sind,* etliche Trostschriften 
und Predigten zusammenstellen wollte, zerfällt danach in 
zwei Teile. Voran stehen sechs Trostschreiben Luthers, 
nämlich 


der Brief an seinen Vater, 15. Febr. 1530, Enders 7, 230; 

an seine Mutter, 20. Mai 1531, Enders 9, 16; 

an [Barbara LiBkirchen]?), 30. April 1532 [1531], 
Enders 9, 5; 

an [Jonas von Stockhausen], 27. November 1532, 
Enders 9, 240; 

an N. N. [1521], Enders 3, 448; Weim. Ausg. 
7, 779; 

an [Herzogin Sibylle?]?) [1531], Enders 9, 134. 


——— ——— — 


1) Wo der Adressat oder das Datum nicht genannt ist, füge ich 
diese in (| bei. 

2) Man hat wegen der Adresse an „eine bekümmerte Person 
hohen Standes“ auf Königin Maria von Ungarn oder auf Kurfürstin 
Elisabet von Brandenburg gemutmaßt. Aber die Anrede lautet 
E. F. G., nicht E. Maj. oder E. K. G. Die Adressatin kann also weder 
Königin noch Kurfürstin, muß aber Fürstin sein. Andrerseits ist zu 
beachten, daß L. in der Unterschrift „untertheniger“ schreibt. Mit 
diesem Worte ist er sparsam, er gebraucht es in der Begel nur gegen- 
über den Ernestinern oder auch manchmals gegenüber dem Grafen von 
Mansfeld, als dessen Landeskind er sich fühlt. Wenn er es aus- 
nahmsweise anderen Fürstlichkeiten gegenüber anwendet, scheint 
es besonders motiviert zu sein; sonst genügt ihm ,williger*. So 
scheint mir ,E. F. G. untertheniger“ auf die Gemahlin des damaligen 
Kurprinzen Johann Friedrich zu weisen. 


190 30 


Für diese sechs Schreiben ist Crucigers 
Abdruck der älteste Druck. Dann aber finden wir 
im 2. Teil folgende Trostpredigten vereinigt: 

1. Sermon von der Bereitung zum Sterben [1519], Weim. 
Ausg. 2, 685 ff., wo der Abdruck in den Trostschriften 
nicht notiert ist; 

2, die Predigt von der Auferweekung des Jünglings zu 
Nain aus der Kirchenpostille, Erl. Ausg.? 14, 138—151; 

3. aus der Predigt von Jairus Tóchterlein, Kirchenpostille, 
das Stück Erl. Ausg.? 14, 363—366; 

4. aus Luthers Operationes in Psalmos verdeutscht das 
Stück aus der Auslegung von Ps. 21 (22), Weim. Ausg. 
5, 619,. — 626,13 
Darauf folgt die 1539 erschienene Schrift des Friedr. 

Myconius, „Wie man die einfeltigen, vnd sonderlich die 
Krancken, im Christenthumb vnderrichten sol* (ohne Luthers 
Vorwort), vgl. Weim. Ausg. 50, 662 fl. Dieser ersten, bei 
Hans Lufft gedruckten Ausgabe folgten 1546 und 1548 zwei 
weitere Ausgaben — Weim. Ausg. 7, 780 B u. C —, die 
Veit Creutzer in Wittenberg herstellte. Sie sind getreue 
Wiedergabe von A). Mit neuem Titelblatt erlebte die Aus- 
gabe C noch zwei spätere Titelausgaben, die in Weim. 
Ausg. 7, 780 fehlen: 

Ca „rot] Etliche Trostschriften vnd Predigten, [schwarz: 
fur die, so in Todes, vnd ander not vnd anfechtung sind. 
[rot:] Doctor Mart. Luth. [Kopf Luthers in Rundbild.] Witten- 
berg. schwarz:] 1557.“ Titelrückseite leer. 128 unbe- 
zifferte Bliitter in 8% (Bogen A bis Q), letzte Seite leer. Am 
Ende (Bl. Q 8% Z. 1 f. „Gedruckt zu Wittember [so], durch Veit 
Creutzer.“ Darunter drei Blättchen und ein Bild (Predigt). 

München H. Catech. 472 Nr. 6. 

Cb ,[rot:] Etliche [schwarz:] Trostschriften [rot:] vnd 
Predigten, für die, so in Todes, vnd [schwarz:] ander Not 
vnd anfechtang sind. rot:] D. Mart. Luth. [schwarz:] 1559. 
[rot:| Wittemberg.“ Titeleinfassung. Titelrückseite leer. 
198 unbezifferte Blätter in 8% (Bg. A bis Q), letzte Seite 
(B1.Q 8?) leer. Am Ende (Bl. Q8*): „Gedruckt zu Wittember [so], 


1) Zu Weim. Ausg. 7, 780 ist nachzutragen, daß C auch in Berlin 
(Luth. 9727) vorhanden ist. 


31 191 


Durch Veit Creutzer.^ Darunter drei Blättchen und ein Bild 
(Predigt). 

Erlangen U Thl. V, 2*. 

Ce. Sodann gibt es noeh eine (Wittenberger?) Aus- 
gabe (Luftscher Druek?), von der sich leider nur ein Exem- 
plar ermitteln ließ, dem das Titelblatt fehlt, Es beginnt 
Bl. A?* mit Crucigers Vorrede: „Vorrede. [G]Elobet sey 
Gott, | vnd der Vater vn- | sers HErrn Jhesu || Christi 
(spricht S.] Paulus, ij. Cor. j.) | — —“ 128 unbezifferte 
Blätter in 8% (Bg. A bis Q), letztes Blatt (Q8) leer. 

Düsseldorf, Landes- u. Stadtbibliothek, Prol. Thlg. I, 819 !). 

Endlich gehórt in Abteilung I auch die Ausgabe Weim. 
Ausg. 7, 782 H, in der 1590 der Hamburger Buchdrucker 
Hinrich Binder nicht die inzwischen durch Rörer bearbeitete 
'Trostschriften- Ausgabe, sondern die alte Crucigersche Samm- 
lung in „sächsische“, d. h. niederdeutsche Sprache übertrug. 
Gewidmet ist sie dem Bürgermeister Joachim von Kampen 
und seiner Frau Richel. Crucigers Vorrede ist fortgelassen ?). 


II. J. Aurifabers erste Trostschriftenausgabe. 


Es erschien zu Anfang des Jahres 1547 folgende Schrift: 
„[rot:] Etliche schöne Trost | schriffe, des Ebrwirdigen Herrn || 
Doctoris Martini Lutheri, So | [sehwarz:] er an den Durch- 
leuehtigste Fürsten vi Herrn, Hertzog Joannes, Churfürsten 
zu Sachsen, |, Gottseliger gedechtnis, Vnd an andere | seine 
Herrn vnd gute Freunde ge- | than, sehr tröstlichen | zu 
lesen. || (rot:] (Blümchen) || Psalm. VII. || jschwarz:] (6 Zeilen 
Psalmverse, Ps. 7, 15—17) || rot:] M. D. XLVII. |“ Bg. A bis H, 
A mit sechs, die andern mit je vier Blättern. Titelrückseite 
bedruckt. H 4: Zu Erffurdt Drückts Wolff- | gang Sthürmer, 
Zu dem Bundten || Lawen, bey S. Paul. || 4% Kgl. Bibliothek 
zu Berlin, Luth. 10556. Luther-Katalog des British Museum 


1894 p. 6. 


1) Die Ausgaben Ca—Ce nach gefi. Auskunft von Herrn Dr. 
J. Luther. 

?) Was Pietsch über das Berliner Exemplar des Buches vermerkt, 
trifft auf das mir vorgelegte Exemplar (Luth. 9750) nicht zu; dieses 
zeigt in der Jahreszahl deutlich 1590. Ein anderes Exemplar (nach 
Mitteilung von J. Luther, in Hamburg, K. D,, Vol. III p. 1058 (gleich- 
falla 1590). 


192 32 


Bg. A, der wie bei der Crucigerschen Ausgabe von 
1544/45 zuletzt gedruckt zu sein scheint, enthält auf A” bis 
A6? den Widmungsbrief Johann Aurifabers (Vinariensis) an 
Kurfürst Johann Friedrich vom 25. Januar 1547. Die Feinde 
des gúttlichen Worts versuchten es mit allerlei Listen, heim- 
lichen Tücken und Praktiken, wovon allerlei Beispiele auf- 
geführt werden!); mit diesen Praktiken hat es auch einst 
Kurfürst Johann in Augsburg zu tun bekommen. Luther 
habe noeh in Eisleben in seiner Gegenwart sowie im Bei- 
sein von Jonas, Coelius und anderen geweissagt, ,das er die 
zeit seines Lebens den Pfaffen vnd Mónchen gar zu weich 
vnd zu linde, auch jhr schutz wer gewesen vnd habe jhnen 
darzu noch die Benediction gegeben. Aber er besorgt, Es 
werde ein ander nach jhm kommen, der es viel gróber 
machen vnd jhnen mit einer stumpfen Sichel die Platten 
scheren werde, das jnen das blut werde hernach gehen“ 
(Bl. A 4). Jetzt lerne der Kurfürst, daß die Christen viel 
Unglück und Widerwiirtigkeit in der Welt haben. ,Alle, die 
zum Himmelreich sind geboren, die stechen allezeit Diesteln 
und Dorn.“ Dagegen solle er aber auch sich zu trösten 
lernen zunächst mit den Sprüchen der Schrift. , Vnd nach 
dem der Ehrwirdige Herr Doctor Martinus Luther E. Chur. 
G. Herrn Vater Etliehe Trostschriften auff den Reichstag gen 
Augspurg zugeschickt, Auch sonst andere seine gute Freunde 
durch schrifit getróstet, So hab ich der selbigen etliche zu- 
samen braeht vnd vnder E. Chur. [G.] namen im Druck 
ausgehen lassen, auff das E. Chur. G. sich der selbigen Herrn 
Vater Exempel nach, mit sampt andern Christen auch trósten 
möcht. Denn nach dem mich E. Chur. G. in dieser Christ- 
lichen Expedition vnd Zuge zu einem Feldprediger gebraucht. 
so erfoddert meim Ampt vnd sehuldige pflicht, das ich mit 
trösten vnd beten E. Chur. G. beistandt leiste.“ 

Als solche „Trostschriften“ Luthers stellt er nun zu- 
sammen: 


1. an Kurfürst Johann, 20. Mai 1530, Enders 7, 339; 
2. an denselben, 9. Juli 1530, Enders 8, 92; 


1) Dabei erzählt er ausführlicher die Geschichte, wie Johann 
Diaz ermordet wurde. 


33 193 


. an denselben, 26. August 1530, Enders 8, 215°); 

. an Kanzler Brück, 5. August 1530, Enders 8, 175; 

5. an etliche gute Freunde [seine Tischgesellen], 28. April 
1530, Enders 7, 309; 

6. an Kurfürst Johann, 20. Mai 1525, Enders 5, 174; 

7. an denselben, 28. Márz 1532, Enders 9, 161; 

8. an [Jonas, Bugenhagen, Crueiger, Melanchthon], (10. März 
1540], Enders 13, 16 Z. 22—41, Original lat.; 

9. an Joh. Brenz, 9. Juli [richtiger 30. Juni| 1530, "Enders 
8, 59, Original lat.?); 

10. an Hieron. Baumgärtners Ehefrau, 8. Juli 1544, Enders 
16, 48; 

11. an etliche Leipziger, 4. Oktober |1532], Enders 9, 230 ®); 

12. an einen guten Freund [Melanchthon], 9. Juli [rich- 
tiger 30. Juni] 1530, Enders 8, 41, Z. 24f. (mit Aus- 
lassungen) 5, Original lat.; 

13. an den Rat zu Stettin |11. Januar 1523], Enders 4, 61; 

14. an etliche Bürger [in Oschatz], 20. Januar 1533, 
Enders 9, 2715); 

15. an Joh. Rhüel (29. Juni] 1534, Enders 10, 59; 

16. an [Hans Kegel], 23. Mai 1542, Enders 14, 2699); 

17. an Hans Kohlhas. 8. Dezember 1534, Enders 10, 88; 


Für sämtliche deutsch geschriebenen Briefe 
kommt Aurifabers Ausgabe als ältester Druck in 
Betracht; auch von den ursprünglich lateinisch geschriebe- 
nen Briefen war keiner im Druck bereits erschienen; Auri- 
faber schöpfte also aus seinen handschriftlichen Sammlungen ^). 


We O5 


1) Bei diesem Brief führt Enders ausnahmsweise den Druck 
Aurifabers an. 

5) Auch hier verweist Enders (iac Erl. Ausg. 54, 172) auf 
Aurifaber. 

) Enders verweist auf Aurifaber. 

4) Man beachte, daß Aurifaber Melanchthons Namen unterdrückt! 

5) Bei Aurifaber schon richtig der Name „von der Dame“. 

6) Hier bereits so umgestaltet, daß die Beziehungen auf den 
Mansfelder Bergbau und Graf Albrecht verwischt sind, vgl. Enders 
14, 270 Anm. 1, 

7) Mit Aurifabers Sammlung berührt sich die 1549 von lacius 
herausgegebene Schrift Aliquot epistolae, deutsch: Etliche Brieffe . 
an die Theologos auff den Reichstag zu Augspurg geschrieben, da 

Archiv für Reformationsgefchichte. XIV. 3/4. 13 


194 | 34 


III. Aurifabers zweite Trostschriftensammlung 1550. 


Seinerersten Sammlung lief Aurifaber 1550 folgende Schrift 
folgen: „D. Martini Lu- | thers auslegung, vber den 129, 
Psalm Verdeutscht, | zu diesen betrübten zeiten fast nütz- 
lich zu lesen. | Auch desselbigen, etliche | Trostbrieff, an 
betrüb- te Personen. Hebr. xiij. | [vier Zeilen Bibeltext“ 
ij. Corinth. iiij. | [vier Zeilen Bibeltext.) Gedruckt zu Mag- 
deburgk durch Michel Lotther. | 1550. “ 40 Bl. 4°. Titel- 
rückseite und letzte Seite leer. Kein Impr. am Schluß. 

Berlin Luth. 9766; Halle Waisenhaus; Hamburg St.: 
Nürnberg St.; Stuttgart L. 

Auf Bl. Aij bis A4 Widmungsbrief Aurifabers an Kur- 
fürstin Sibylle, Weimar, Himmelfahrt [15. Mai] 1550. Da 
die Kurfürstin jetzt bereits ins vierte Jahr mit großen Trüb- 
salen heimgesucht sei, ,so hab ich den 129. Psalm Dauids, 
welchen der Ehrwirdige vnser lieber Vater D. Martinus Luther 
seliger im Latein ausgelegt, ... jtzt verdeutscht, vnnd solchen 
Psalm, sampt etlichen schönen Trostbrieuen . .. Luthers vnter 
E. Chur. G. namen ausgehen lassen ...“ Bl. A4" bringt den 
Text des Psalms, dann folgt Bl. B bis Gij" aus Luthers Aus- 
legung der Stufenpsalmen, von Veit Dietrich 1540 heraus- 
gegeben, in Verdeutschung das Stück Erl. Ausg. Opp. exeg. 
lat. XX, 151—176. 

Die darauffolgende Briefsammlung enthält (außer einem 
Briefe des Jonas an Joh. Rühel vom 30. Juni 1534 Bl. Kij, 
äbnlichen Inhalts wie Luthers Brief vom 29. Juni, Enders 
10, 59) 17 Briefe Luthers, von denen nur einer — der an 
Baumgärtners Frau — sich in der Sammlung von 1547 be- 
findet. Die 16 neuen Briefe sind folgende: 

1. an [Joachim von Anhalt), 23. Juni 1534], Enders 10, 54; 

2. an |Joachim von Anhalt], [9. Juni 1534], Enders 10, 50; 
von den 19 Briefen Luthers in dieser Schrift 8 bereits bei Aurifaber 
1547 stehen. Gleichwohl scheint Flacius nicht von Aurifaber abhängig 
zu sein: er hat das richtige Datum, wo Aurifaber falsch datiert, und 
er gibt eine von Aurifaber unabhängige andere Verdeutschung der 
lateinischen Texte. Außerdem ist seine Absicht nicht, Trostschriften 
zasammenzustellen, sondern die kirchenpolitische, den Interimisten und 
Adiaphoristen den glaubensstarken, Konzessionen ablehnenden Luther 


zur Beschümung vorzuhalten. Zu der Schrift des Flacius vgl. jetzt 
Haußleiter in N. kirchl. Zeitschr. 1917, 149 ff. 


35 i 195 


. an Joachim von Anhalt], 18. Juni] 1534, Enders 10, 54; 
. an Laurentius Zoch, 2. November 1532, Enders 9, 236; 
. an denselben, 7. Dezember 1532, Enders 9, 241; 
. an [Joh. v. Riedtesel| 7. September [1532], Enders 
9, 22333 a 
7. an Autor Broitzen?), 25. August 1534, Enders 10, 66; 
8. an Hans Reineck, 18. April 1536, Enders 10, 397?); 
9. an [Margarete Eschat], 11. Januar 1543, Enders 15, 89; 
10. an [Thomas Zink], [23. April 1532], Enders 9, 179; 
11. an [Matthias Weller], [7. Oktober 1534], Enders 10, 74; 
12. an [Eva Schulz], 8. Oktober 1544, Enders 16, 95; 
13. an [N. N.], 18. [25.?] Oktober 1544, Enders 16, 96; 
14. an etliche Bürger zu Leipzig, 11. April 1533, Enders 
9, 3905); 
15. an [Balthasar Jóppel|, [10. Mai 1534], Enders 10, 47 *); 
16. an [die Christen im Niederland], [Juli/August 1523], 
Enders 4, 196; Weim. Ausg. 12, 77. 
Von diesen Sehreiben war nur Nr. 16 bereits gedruckt; 
für die anderen 15 bietet uns Aurifaber den ältesten Druck. 


m Ct Wu» OQ 


IV. Rórers erste Ausgabe von 1554. 


War dureh Aurifabers Trostschriften zeitweise die ältere 
Crucigersche Sammlung zurückgedrängt worden, so beschloß 
Georg Rórer, diese Schrift so zu überarbeiten, daß sie an 
Reichhaltigkeit die Aurifabersche übertraf. Cruciger selbst 
war 16. November 1548 gestorben, seine Schrift also jetzt 
herrenlos. War Rörer doch auch im Besitz umfänglicher Samm- 
lungen Lutherscher Briefe, in die er nur hineinzugreifen 
brauchte“). Es erschien zunächst 1554 — vermutlich in 


1) Nicht „Broitzer“, wie Enders 10, 66 ihn nennt. 

2) Hier folgt der Brief an Baumgärtners Frau. 

*) Hier ist der Brief des Jonas eingeschaltet. 

) Hier mit einer Auslassung am Anfang, weil die Worte „viel 
lustiger freundschaft durch seine Musica erzeigt“ für einen „Trostbrief“ 
nicht passend erscheinen mochten. Daher beginnt der Brief hier nach 
Votum und Anrede: ,es ist mir angezeigt, wie jhr sollet fast schwach 
sein —“. Schluß: „im festen Glauben Amen“. Auch sonst gekürzt. 

5) Im Jenaer Rórer-Kodex Bos. qu. 24m notiert Rórer, welche 
Veróffentlichungen Lutherscher Schriften er plante; darunter findet 
sich auch die Angabe: „Deudsche Trostschrifften“, s. Weim. Ausg. 26, 2. 

13* 


196 E 36 


der ersten Hälfte des Jahres — die Ausgabe, die Weim. 
Ausg. VII, 781 unter D beschrieben ist (Berlin, Luth. 9729). 
Diese trägt auf Bl. O 4 folgendes merkwürdige Nachwort. 

An den Christlichen Leser. Ich hette wol gern gesehen, Christ- 
licher Leser. das dieser Trostschrifften mehr, des lieben Mans Gottes 
D. M. L. auch andere seine Schrifften, tröstlich, nützlich, auch wol 
nótig zu lesen vnd wissen, auff dis mal weren ausgangen durch den 
Drück, Die Zeit aber hats nicht leiden wollen, So ist auch sonst 
hindernis fürgefallen, Das wir haben sie müssen abbrechen, Liese in- 
des diese Schrifften mit vleis vnd besser dichs (sic]. Gibt der liebe 
Gott fried, gnade vnd stercke, sol, ob Gott wil, was jtzt verseumet 
ist, ein ander zeit erstattet werden. Hiemit in Gottes gnade vnd schutz 
befolhen, Derselbe erhalte gnediglich seine kleine Herde bey Erkentnis 
vnd Bekentnis gotlicher reiner Lere Amen. G. R. 

Also eine dureh die Zeitverhältnisse unvollendet ge- 
bliebene Schrift. „Gibt der liebe Gott fried,* dann soll das 
Buch vollstindig erscheinen. Man denkt dabei wohl an die 
letzten verzweifelten Anstrengungen des wilden Markgrafen 
Albrecht, wieder in Franken sich zu behaupten. Man sieht 
zugleich, Rörer plante nicht nur eine Vermehrung der Briefe, 
sondern er wollte auch andre Trostschriften Luthers hinzu- 
fügen, behielt daher auch Crucigers Titel bei, der Trost- 
schriften und Predigten in Aussicht stellt. Was enthält 
nun der abgebrochene Druck? 


Zunáchst wieder Crucigers Vorrede von 1545 (Bl. Aij), 
dann die sechs von diesem zusammengestellten Briefe. Am 
Schlub: ,Ende der Trostschrifften D. M. L. (welcher sechs 
sind) so D. Creutziger durch den Druck hat lassen ausgehen. 
Anno 1545.“ Dann aber (Bl. E4*): „Folgen nu andere vnd 
erstlich.^ Es folgt nun eine Sammlung von 21 Briefen 
Luthers, 3 Briefen des Myconius, 1 Brief Crucigers, 1 Brief 
eines Nürnbergers an Melanchthon über V. Dietrichs Tod 
vom 10. April 1544. 


Unter den 21 Briefen Luthers sind 11 die gleichen, die 
Schon Aurifaber in seine Sammlung von 1550 aufgenommen 
hatte; das wird nicht ein zufálliges Zusammentreffen sein, 
sondern die Sammlung dieses wird benutzt worden sein, 
wenn auch Rörer die Briefabschriften seinen eignen Sammel- 
bánden entnahm. Immerhin sind jetzt 10 Trostbriefe ganz 
neu dazugekommen. Es siud folgeude: 


37 l 197 


I. an |N. N.|, 8. August 1545, Enders 16, 2821); 

2. an Wenzeslaus Linck (14. Juli 1528], Enders 6, 300, 
Z. 61—302, Z. 118. Original lat.; 

3. an Georg Spalatin, 21. August 1544, Enders 16, 67. 

l Original lat.; 

4. an Friedr. Myconius, 9. Januar 1541, Enders 13, 241; 
Original lat.; 

5. an |Fürst Georg von Anhalt], 9. März 1545°), Enders 
16, 188; Original lat.; 

6. an [Agnes Lauterbach], 25. Oktober 1535, Enders 10,251; 

7. an Hans von [Taubenheim], 10. Januar 1539, Enders 

12, 65; 
8. an Wolf Heintzen, 11. September 1543, Enders 15, 223; 
9. an Joh. Cellarius' Witwe, 8. Mai 1542, Enders 14, 263; 
10. an Joh. Mantel. 10. November 1539, Enders 12, 283. 
Original lat. 

Von diesen zehn Briefen ist nur der erste vielleicht 
schon vorher in einem undatierten Druck (1547?) veröffent- 
licht gewesen?); für die anderen deutschen Briefe liegt hier 
der àlteste Druck vor; auch die ursprünglich lateinisch ge- 
schriebenen waren mit Ausnahme des schon 1548 gedruckten *) 
Briefes an Fürst Georg hier aus der Handschrift Rórers ent- 
nommen. Für Nr. 6, 7, 8, 9 bildet daher dieser Druck die 
Editio princeps. 

Der Abbruch des Druckes läßt uns darüber im unklaren, 
was für weitere Trostpredigten Luthers Rörer hier zu 
veröffentlichen beabsichtigt hatte. 


Y. Rörers endgültige Ausgabe der Trostschriften. 


Noch in dem gleichen Jahre 1554 konnte Rörer auf 
den abgebrochenen Druck D eine vollständige Ausgabe folgen 
lassen. Es geschah das in -der Ausgabe Weim. Ausg. 7, 


1) Über einen Sonderdruck (1547?) s. Enders a. a, O. 

2) So ist die falsche Jahreszahl 1546 auf Bl. O 4b berichtigt. 
Trotz dieser Berichtigung blieb in den spüteren Ausgaben die falsche 
Zahl 1546 stehen. 

) Vgl. die Vorbemerkung in Enders 16, 282. 

) Vgl. Enders 16, 188, 


198 38 


781, E.). Diese erlebte hernach eine Reihe neuer Ausgaben 
nämlich nieht nur die beiden von Pietsch a. a. O. verzeich- 
neten Ausgaben, die Jakob Berwalt in Leipzig veranstaltete, 
F (o. J.) und G (1559) in 8% sondern auch eine von ihm 
übersehene, deren Titelbeschreibung ich J. Luther verdanke. 


Ea „rot:! Etlieh Trostschrifften vnd Predigten des 
Ehrwird. |sehwarz:| Herrn D. M. L. für die, so in Todes, vnd 
ander Noth vnd anfeehtung sind. Durch D. Caspar Creutziger 
zusammen gebracht. rot:] Jtzt aber von newem zugericht, 
vnd mit vielen schónen herrliehen Trost, vnd andern sehrifften 
gemehret, durch Georgium Rorarium. |rot:| Allen Gottseligen 
nützlich vnd [schwarz:| tröstlich zu lesen. rot:] Gedruckt 
zu Jhena, durch Christian Ródingers Erben.“  Titelrückseite 
leer. 220 unbeziflerte Blätter in 8% (Bg. A—Z, a—e) letztes 
Bl. ( 64) leer. 


Jena U. Op. th. V. o. 17 Nr. 2; München H, Th. U 241 
Nr. 1 u. Hom. 905 Nr. 1?). 


Die Einriehtung dieser neuen Rórerschen Bearbeitung 
der Trostschriften. Er bietet zunächst wieder Crueigers Vor- 
rede und die sechs Briefe Luthers wie in der Crucigerschen 
Ausgabe von 1545 u. ff., aber jetzt eingeleitet zunächst durch 
ein Vorwort Amsdorís vom 8. April 1554, in dem dieser 
die versehiedenen Gruppen von Trostbriefen angibt, die im 
nachfolgenden zu finden seien, und Luthers Schreibweise im 
Gegensatz zu der des Erasmus und seines Anhangs rühmt. 
Dieser schreibe „durch Kunst des Wohlredens, ohne Ernst 
aus kaltem Herzen, ohne Geist und Glauben*, Luther aber 
„von Herzen, mit großem Ernst und Eifer um Gott und sein 
Wort“. Auf Amsdorfs Vorrede folgt eine Zuschrift Rórers 
„An den Leser“. Dieser möge sich nicht daran stoßen, dab 
ein Teil der nachfolgenden Briefe, „doch wenig,“ schon ge- 
druckt vorlägen; er habe diese nebst andern, „so viel ich jr 
in eil vnd kurtzer zeit aus den Büchern des seligen Vaters 
D. M.?, hin vnd wider zu hauff hab können raffen,“ gern 


! Die Blattzählung in dieser Ausgabe beginnt erst auf Bl. B 4 
mit 2, 

2) Dies die von Seidemann in de W. VI bestándig zitierte Ausgabe. 

3) Das sind hier in der Hauptsache Rórers eigene Kollektaneen. 


39 199 


und wohlbedacht zusammendrueken lassen, der kleinen Herde 

zu gut, die solche Schriften fleißig und mit Lust oft lesen, 

um Besserung, Trost und Rat in Trübsal und Anfechtung 
daraus zu empfangen. Nun erst folgt als drittes Vorstück 

Crucigers Vorwort. 

Nach den sechs Briefen (vgl. oben S. 189) folgt im wesent- 
lichen die Sammlung von Briefen, wie sie in D gegeben 
war, aber doch nicht ohne Änderungen. Geringfügig ist, 
daß der Brief an Margarete Eschat jetzt einen andern Platz 
erhalten hat, hinter dem Brief an Joh. von Riedtesel. Be- 
deutsamer, dab aus dem Schreiben an W. Linck vom 14. Juli 
1528 jetzt nieht nur der Abschnitt Enders 6, 300 Z. 61 fl. 
aufgenommen ist, sondern auch der wichtige Abschnitt Z. 13— 29, 
und daß der erste Abschnitt die Aufschrift erhält: 1. Ob 
weltliehe Oberkeit macht habe, falsche Propheten, Lerer oder 
Ketzer mit dem Schwerd oder ander weise zu straffen. 
Endlich ist zwischen dem Brief an Linek und dem an 
Spalatin jetzt das Stück eingeschaltet: Warumb ein hoch- 
betrübter Mensch allein nicht sol gelassen werden, ein Stück, 
das Enders 10, 115 unter dem J. 1534 als Bedenken an 
einen Ungenannten (nach de W.-Seidemann VI, 115) lateinisch 
gibt, das aber in mannigfach abweiehenden Fassungen auch 
in den Tischredensammlungen (vgl. Fórst.-Bind. 3, 165; Tisch- 
reden Weim. Ausg. 4, 555 Nr. 4857 p.) sieh vorfindet; die 
Jahreszahl 1534 stammt aus Stangwalds Tischreden-Ausgabe 
und ist unkontrollierbar. Mir ist zweifelhaft, ob das Stück 
zu den Briefen zu rechnen sei. i 

Im übrigen folgen die Briefe Luthers und die Zugaben 
an Briefen anderer wie in D. Hinter dem Briefe an Johann 
Mantel (oben S. 197) folgt nun der beträchtliche neue Zu- 
wachs an Briefen. Nämlich: 

l. an Fürst Joachim von Anhalt), 23. Mai 1534, Enders 
10, 48 Nr. 2174", der aber, wie Enders mit Recht 
hervorhebt, vielmehr auf den 19. Juni 1533, Enders 
9, 314, gehört; 

2. an denselben, 18. Juni 1534, Enders 10, 54, — steht 
schon bei Aurifaber 1550; 

3. an denselben, 23. Juni 1534, Enders 10, 54, — steht 
gleichfalls schon bei Aurifaber 1550; 


200 


40 


. an denselben, 26. Juni 1534, richtiger 23. Mai, Enders 


10, 48; 


. an Balthasar Jöppel, 10. Mai 1534, Enders 10, 47, — 


steht schon verkürzt bei Aurifaber 1550, aber bei 
Rörer vollständiger; 


. an Frau Elisabet Agricola, 1537, richtiger 1527, 


10. Juni, Enders 6, 61; 


. an Hieron. Baumgürtners Ehegemahl, 9. Juli 1544, 


Enders -16, 48, — schon bei Aurifaber 1547 u. 1550; 


. an [Hans Kegel], 23. Mai 1542, N 14, 269; 


Aurifaber 1547; 


. an den Rat zu Stettin 11. Januar 1523], Enders 4, 61; 


Aurifaber 1547; 


. an [Hans Kohlhase], 8. Dezember 1534, Enders 10, 88; 


Aurifaber 1547; 


. an die Christen in Niederland [ 1523), Enders 4, 196; 


Aurifaber 1550; 


. an Leonhart Keyser, 20. Mai 1527, Enders 6, 53. 


urspr. lat.“); 


. an Michael [Stifel]; 1537 [l. 1527, 22. Oktober, Enders 


6, 107, urspr. lat.; 


. an Lambert Thorn, 19. Januar 1524, Enders 4, 280, 


urspr. lat.; 


. an die verjagten Leipziger, 4. Oktober 1532, Enders 


9, 230; Aurifaber 1547; 


. an die verjagten Leipziger [c. Juli 1533], Enders 9, 


318 (sehon 1533 gedruckt); 


. an die Bürger aus Osehatz, 20. Januar 1533, Enders 


9, 270; Aurifaber 1547; 
o [Anton Lauterbach], 27. Juni 1535, Enders 10, 164; 


. an [Konrad Cordatus] 1. September?) 1544, Enders 


16, 75, urspr. lat.; 


. an Nicolaus Hausmann], 21. [22.] März 1521, Enders 


3, 115, urspr. lat.; 


. an Pon ape Baier), 24. Juli 1536, Enders 11, 12; 


1) Diesen Briefe ist beigefügt Leonhart Keysers Brief an Michael 


Stifel vom 9. März 1527. 


2) Zu diesem Datum vgl. Enders 16, 75; Aurifaber hat in Helmst. 


108, 436b den 3. Dezember; danach datieren Schütze und De Wette. 


41 


201 


. an [Löner und Medler], |7. Juni 1531, Enders 9, 23, 


urspr. lat.; 


. an [Nicolaus Hausmann], 17. April 1531, Enders 8, 391, 


urspr. lat.; 


. an Hieron? Nopus], 10. Juli 1531, Enders 9, 49, ur- 


sprünglich lat.; 


. an aie Gemeinde zu Zwickau], 29. Juni 1531, Enders 9,31; 


n [Konrad Cordatus], [23. Mai] 1531, Enders 9, 16, 
urspr. lat.; 


. an [den Rat zu Creuzburg|, 27. Januar 1543, ideis 


15, 98; 


. an Johan Schreiner], |9. Juli 1537], Enders 11, 246; 


n [Jakob Stratner|, 9. Juli [1542] 1541, Enders 14, 
354, urspr. lat.; 


. an denselben, 11. Januar 1541, Enders 13, 243, ur- 


sprünglich lat.; 


. an- Herzogin Katharine von Sachsen], 25. Juni 1540, 


Enders 13, 101; 


. an N. N. ohne Datum, De Wette-Seidemann VI, 423; 
. an den Rat [za Kamenz], 10. Sept. 1532, Enders 9, 223; 


n [Anton Lauterbach|, 8. Februar 1536, Enders 10, 
299, Z. 6—15, urspr. lat.; 


. Bedenken von der Taufe, De Wette-Seidemann VI, 332; 


Tischreden Förstemann-Bindseil II, 270—273; 


. Trost für Mütter, 1542, Enders 15, 53; 
. an |Heinrich Gnesius]. [9. Juli] 1530, Enders 8, 91, 


urspr. lat.; 


. an den Juden Jesel [Josel], 11. Juni 1537, Enders 11, 240; 
. fünf Fragen [der Königin Maria] vom Sakrament, 


Enders 8, 151, urspr. lat.; 


. Antwort auf die fünf Fragen |4. August 1530|, Enders 


8, 171, urspr. lat.; 


. Christliche Vermahnung [an Nie. Hausmann|, |26. März 


1525], Enders 5, 144; 


. an die Christen zu Halle, 26. April] 1528, Enders 7, 250; 
. an die Bürgermeister zu [Frauenstein], [27. Juni) 1531, 


Enders 9, 34; 


. an die Christen zu Leipzig, 11. April 1533, Enders 


9. 290; schon bei Aurifaber 1550; 


202 42 


45. an Wolfgang Brauer], 27. |30.] Dezember 1535, 
Enders 10, 281; 

46. an [Barbara LiDkirehen|. 7. März 1535, Enders 10, 136; 

47. an Lorenz Castner, 11. Februar 1536, Enders 10, 301; 

48. an N. N., 13. Mai 1533, Enders 9, 300; 

49. an Lazarus Spengler, 15. August 1528, Enders 6, 355; 

50. an die Pfarrherrn zu Góttingen, 1529 [1531], Enders 
8, 365; | 

51. an einen Edelmann, 19. September 1535, Enders 10, 232; 

52. an Christoph Jórger, 1535 [31. Dezember 1543), 
Enders 15, 295; 

53. an [Anton Lauterbach| 2. April 1543, Enders 15, 130, 
urspr. lat.; 

54. an [Fürst Georg von Anhalt], 25. Mai 1541, Enders 
13, 354; 

55. an Nicol. Hausmann, | 17. November 1524|, Enders 5, 52, 
von Z. 21 an, urspr. lat.; 

56. an |Hieron. Krapp], 1539, Enders 12, 85; 

57. an Wilhelm |Reifenstein], 4. Sept. 1528, Enders 6, 378; 

58. an [Leonhard Beier], 29. September 1528, Enders 6, 392; 

59. an den Rat [von Rothenburg o. T.], (26. Januar 1533]. 
Enders 9, 271; 

60. an|Wolfgang ReiDenbuseh], 25. Nov. 1537, Enders 11,291; 

61. für einen Mohren, 24. Mai 1538, Enders 11, 367; 

62. an [Johann Pfeffinger], 28. Mai 1543, Enders 15, 159, 
urspr. lat.; 

63. an den Rat von ? o. D., De Wette-Seidemann VI, 421; 

64. an Sehwenkfelds Boten, [6. Dezember) 1543, Enders 
15, 275. 

Von diesen 64 Stücken stehen 11 schon bei Aurifaber 
1547 oder 1550, 1 Brief ist schon 1533 gedruekt worden, 
18 sind aus lateinischen Vorlagen ins Deutsche übersetzt. 
Danach bleiben 34 deutsche Briefe, für die unsre Aus- 
gabe von 1554 E der erste Druck ist; auch die 
ursprünglich lateinisch geschriebenen treten hier zum ersten 
Male an die Öffentlichkeit. Die einzelnen Gruppen werden 
durch besondere Aufschriften gekennzeichnet. Zunächst vier 
schöne herrliche Trostschrifften ... an eine Person hobes 
Standes |Fürst Joachim von Anhalt], so lang mit eim harten 


43 | 203 


Fiber behafft, da trawrige gedancken, auch sonst anfechtung 
mit zugeschlagen sind ... (Nr. 1--4). Vier Trostsehrifften 
an bekümmerte Personen (Nr. 5—8). Nr. 9 u. 10 fallen aus 
dem Gesamttitel „Trostschriften“ ziemlich heraus, sind auch 
nieht als solche bezeichnet. Aber Nr. 11—18 sind wieder 
zusammengefaßt als sieben!) christliche Trostschriften an 
fromme gottselige Christen, deren etliche von wegen der Be- 
kenntnis göttlicher Wahrheit verbrannt sind, etliche gefäng- 
lieh eingezogen, etliche aber ins Elend vertrieben?). Nun 
aber erweitert sich der Begriff der Trostschriften: vierzehn 
Briefe?) erhalten die gemeinsame Aufschrift: „Etliche schöne 
herrliche Trostschriften an christliche treue Pfarrherr und 
Prediger, so ihren Pfarrkindern in Städten und aufm Land 
zu Dank und Gefallen nicht haben können predigen. Der- 
halben nicht allein bösen Lohn für ihren treuen Dienst, 
Sorge und Arbeit empfangen haben, sondern sind von ihnen 
dazu auch verfolgt, ja eins Teils ihrs Amts entsetzt worden. 
Daran dem lieben Mann Doct. Mart. groß Leid geschehen, 
wie diese Schriften ausweisen, darin er mit betrübtem Herzen 
anzeigt, was für Unrat und Schaden aus solehem Gram und 
Unwillen der Leute wider ihre fromme Seelsorger folgen 
werde, nämlich daß die ungestraft nicht bleiben, die dazu 
Ursach geben. wie vielen begegnet ist 2c. Nu sind aber 
durch diese ernstliche und harte Schriften (anzusehen doch 
im Grund trewe väterliche Warnung und Vermahnung) viel 
Leute bewegt worden, daß sie sich mit ihren Seelsorgern 
versühnet haben und förder sich freundlich gegen ihnen er- 
zeigt 20.“ Hier tritt neben den Trost die Warnung und 
Mahnung und zwar mit „ernstlichen und harten Schriften“. 
Daran schließen sich „Christliche Bedenken und Unterricht... 
für Frauen, denen es unrichtig gehet in der Geburt und 
die] darüber bleiben“, „Von der Taufe, so von Weibern in 
der Not geschicht,“ „Von Findelkindlein,* Nr. 34, 35 (aus 
mehreren Stücken bestehend), 36. Diesen folgt in lockrer 
Ideenassoziation Luthers Rat, „wie eine Jüdin soll getauft 


) Der Brief Luthers an Stifel ist dabei (ebenso wie L. Kaisers 
Brief an Stifel) von Rörer als „Trostbrief“ nicht mitgezählt. 

2) Nr, 19—32, denen dann noch ohne Zählung Nr. 33 angeschlossen 
wird. 


204 44 


werden“ (Nr. 37), und die „Jüdin“ gibt Anlaß, die Schrift an 
den Juden Josel (Nr. 38) anzuschließen. Der Charakter der 
„Trostschrift“ ist hier ganz außer Betracht geblieben. Weil 
in den vorigen Nummern Fragen der Taufkasuistik zur Er- 
örterung kamen, so führt eine andre Assoziation jetzt auf 
Abendmahlsfragen (Nr. 39 — 47). Daran schließen sich etliche 
Schriften „vom Beruf der Kirchendiener, Item von Kirchen- 
ordnung und Ceremonien, von ihrem rechten Beruf und Mib- 
brauch, Item wenn sie zu halten oder zu meiden sind“ 
(darin Warnungen vor Beteiligung an katholischen Zeremo- 
nien) (Nr. 48—56). Darauf Empfehlungsschreiben „für arme 
Studenten und andre elende, verlassene Personen“ (Nr. 57 — 63). 
Den Beschluß endlich macht der harte Bescheid, den Luther 
dem Boten Schwenkfelds als Antwort an seinen Herrn mit- 
gab (Nr. 64). Man sieht, es ist eine lose Gedankenverbindung. 
mit der hier Rörer die verschiedensten Gruppen Lutherscher 
Briefe aus den von ihm zusammengetragenen Briefabschriften 
hervorholt und aneinanderfügt. Der ursprüngliche Plan. 
Trost briefe zu sammeln, hat sich ihm mehr und mehr ver- 
schoben: es sind viele Pastoralanweisungen darunter; wir 
dürfen uns nicht wundern, daß als später (1582) Konrad 
Porta in Eisleben ein Pastorale Lutheri aus dessen Schriften 
zusammentrug, er starke Anleihen in Rörers Sammlung machen 
konnte. So sehr ist Rörer der Leitgedanke, Trostschriften 
zu sammeln, entschwunden, daß er den nach dem Titel zu 
erwartenden zweiten Teil, eine Zusammenstellung auch von 
Trostpredigten zu geben, ganz vergessen hat. Cruciger 
gab wirklich beides, Trostbriefe und Trostpredigten. sein 
Fortsetzer Rörer gibt nur noch Trost- und andere Briefe 
Luthers. Und diese sind gesammelt, nicht wie zwei Jahre 
danach Aurifaber in seinem Tom. I Epistolarum D. M. L. tat. 
in chronologischer Folge und in historisch-biographischem 
Interesse, sondern lediglich in erbauliehem Interesse zu Trost. 
Ermahnung und Befestigung der evangelischen Christen, der 
Laien wie der Geistlichen. 

Diese bis zum Jahre 1554 in mehreren Absätzen ent- 
standene Briefsammlung verwendete dann Rörer für die 
Jenaer Lutherausgabe. 


Die letzten Arbeiten Luthers 
am Neuen Testament. 
Von 0. Reichert. 


Am 22. Mai 1541 schreibt Luther an Justus Jonas in 
Halle: ,De caetero non expectes tam longas et prolixas 
literas vel epistolas. Nam cras accingar ad Novum Testa- 
mentum perlustrandum, sie imperantibus typographis dominis 
nostris. Nemo ergo mihi molestus sit. Ego stigmata domi- 
norum íypographorum in infirmitate mea portabo!).“ Auf 
Grund dieser Nachricht stellt Kawerau?) nun fest: ,Gegen 
Ende Mai maehte sieh Luther, von den Setzern gedrüngt, an 
die letzte Durchsicht des Neuen Testaments“ und bringt 
diese Arbeit mit voller Berechtigung in zeitliche Verbindung?) 
mit der großen Revision des Alten Testaments“), die Luther 
1539 bis 1541 mit dem Kollegium seiner gelehrten Freunde 
durchgeführt hatte. 

Im September 1541?) dürfte die Bibel im Druck voll- 
endet sein, die als erste den Hauptertrag des Revisionswerkes 
1539 bis 1541 aufnahm und im Titel den Vermerk trägt: 
„Auffs new zugericht“ ). Von da an haben aber alle Witten- 
berger Drucke sowohl der Vollbibel wie auch des Neuen 
Testaments, die bis 1546 einschlieBlich herauskamen, den 
Hinweis: „Auffs newe zugericht.“ Nach der Bibliographie 

1) Enders-Kawerau, Luthers Briefwechsel Bd. 13, S. 352, 

2) Köstlin-Kawerau, Martin Luther Bd. 2, S. 586. 

) Enders-Kawerau a, a. O. Bd. 13, S. 358, Anm. 12. 

*) Reichert in: Die handschriftliche Uberlieferung von Werken 
D. M. Luthers. Kritische Untersuchungen in Verbindung mit Lic. 
Freitag, Lic. Reichert u. &. herausgegeben von D. Koffmane, Bd. I, 
S. 118—252, -Liegnitz 1907; D. M. Luthers deutsche Bibel, Religions- 
geschichtliche Volksbiicher IV, 13, Tübingen 1910. J. C. B. Mohr, 
S. 35 ff.; Weimarer Ausgabe, Deutsche Bibel Bd. 3, S. 169ff. 

5) Reichert in: Lutherstudien zur 4. Jahrhundertfeier der Refor- 
mation veróffentlicht von den Mitarbeitern der Weimarer Lutherausgabe. 
— Weimar H. Bóhlaus Nachf. 1917, S. 206, 

6) Weimarer Ausgabe Bibel Bd. 2, S. 637ff., 72211. 


206 | 46 


von Pietsch in der Weimarer Ausgabe Deutsche Bibel Bd. 2. 
kommen aufer der eben genannten Bibel von 1541 in Be- 
traeht: Vollbibel 1543, S. 657 ff. *74; Vollbibel 1543, S. 660 f. 
75; Vollbibel 1545/1544, S. 675 ff. *79; Vollbibel 1546. 
S. 688 f. *82; und Neues Testament 1544, S. 6681. *76: 
Neues Testament 1546, S. 686f. *81. Eine Vergleiehung dieser 
sieben Ausgaben unter einander konnte denn auch bisher 
schon mit Sicherheit erweisen, daB Luther die für das Neue 
Testament beabsichtigte und angezeigte Durcharbeitung in der 
Vollbibel 1541 wirklich unternommen und sogar für die Bibeln 
und Neuen Testamente der folgenden Jahre fortgesetzt habe. 
Insoweit war es mit Hilfe der gedruckten Urkunden schon 
immer möglich, einiges über letzte Arbeiten Luthers am 
Neuen Testamente auszumachen; ja, sehon dieses mehr 
statistisch-äußerliche Verfahren, durch das lediglich Zahl und 
Wortlaut der Textänderangen zu ermitteln möglich war, 
mußte hinausführen über das Resultat, das Kawerau), nicht 
ganz genau, in die allgemeinen Worte fabt: ,Auch bei den 
weiteren Ausgaben vom Jahre 1543 und vom Jahre 1545. 
der letzten, die wührend seines (Luthers) Lebens erschien. 
nahm er noch Anderungen in der Übersetzung vor, jedoch 
nur an einzelnen Stellen“; denn es hätte sich gezeigt, dab 
Bibel und Neues Testament von 1546, im Druek noeh 1545 
begonnen?), aber erst nach Luthers Tode vollendet, gerade 
im Neuen Testament nach Menge und Inhalt nicht unbedeu- 
tende Veründerungen gegen früher aufwies, Anderungen, die 
sich bis heute im Bibeltext erhalten haben. Daß wir die 
Ausgaben von 1546 in den Kreis der Untersuchung ziehen 
und nieht in herkömmlicher Überschätzung bei der Bibel 
von 1545 als der „letzten Originalausgabe*?) oder der „Aus- 


n Xundiü-XKuwerau a, a. O. S. 586. 

2) Reichert bei Koffmane a. a. O. S. 947. 

*) So z.B. in dem grundlegenden und verdienstlichen Werk: 
Dr. M. Luthers Bibelübersetzung nach der letzten Originalausgabe, 
kritisch bearbeitet von Bindseil und Niemeyer, Halle, 7 Teile, 1845 
bis 1855. und nach dessen Vorgang immer wieder, sogar Eb. Nestle 
in Prot. Real-Enzyklopädie® Bd. 3, 71, Bd, 23 und A. Risch, Neue 
kirchl. Zeitschr. 1911, S. 81, Anm. 1. — Vgl. O. Albrecht in Theol. 
Studien und Kritiken 1914, S. 154ff.; Reichert bei Koffmane a. a. 0. 
S. 249ff.; Lutherstudien a. a. O. S. 221. 


47 n 207 


gabe letzter Hand* stehen bleiben, wird sich noch als not- 
wendig und berechtigt erweisen. Auf die mit dieser Be- 
hauptung zusammenhängenden Einzelfragen, daß und warum 
durchaus Bibel 1546 als „das letzte Vermächtnis Luthers“ 
zu gelten hat, brauchen wir uns hier zunächst nicht ein- 
zulassen ). i 

II. 


Die eingangs erwähnte Briefstelle konnte mit ihrer un— 
bestimmten Wegweisung nicht wohl andere Ergebnisse zeitigen, 
als die eben im Umriß beschriebenen. Auch wir gehen aus 
und rechnen für unsere Untersuchung von diesem festen 
Punkte an: Cras accingar ad Novum Testamentum perlustran- 
dum, also 23. Mai 1541. Nur daß wir, was bisher als letzte 
Aussage gelten mußte, jenseits der urkundlich Gestütztes 
nicht mehr zu sagen war, vielmehr zum Ausgangspunkt 
machen können, um an der Hand neuer Quellen zu sehr 
wesentlichen Erkenntnissen über die Art und Weise, die 
inneren Motive des Zustandekommens der letzten Textbesser- 
ungen Luthers am Neuen Testament, deren Umfang und 
Erfolg zu gelangen. Um die Resultate mit ein paar Worten 
vorwegzunehmen: Wir gedeihen durch unsere neuen, noch un- 
ausgeschöpften Quellen von der kahlen, nur mühsam reden- 
den Statistik zu einer erwünschten und wichtigen Fortsetzung 
der inneren Geschichte des Bibeltextes; wir lernen aufs neue 
hineinschauen in die Werkstatt, in der Luther mit seinen 
kundigen Genossen in sorgfältigster, kritischer Arbeit bis in 
seine letzten Jahre den Text des Neuen Testaments deutsch 
formte. Zu zwei Malen, 1541 und 1544, fanden frucht- 
bringende Revisionskonferenzen statt und zwar in der Form, 
die uns schon einigermaßen seit dem Septembertestament 
1522?), vor allem jedoch von 1531 bis 15413) hinsichtlich des 


— — 


1) Vgl. Reichert in: Lutherstudien a. a. O. S, 221; Reichert, Wert 
und Bedeutung der Bibel 1546 in Theol. Studien und Kritiken 1917. 

*) Z. B. Brief an Spalatin 1522: Nun sind wir darüber, alles zu 
feilen, Philippus und ich; es wird, so Gott will, ein fein Werk werden; 
wir bedürfen aber Eurer Hilfe, um die Worte recht zu setzen. Darum 
seid bereit, doch also, daß ihr volkstümliche Wörter an die Hand gebt; 
denn dies Buch will auf einfältige Art erklärt sein. 

) Reichert bei Koffmane a. a. O. S. 97ff. 


208 48 


Alten Testaments in ihrer Kontinuität geläufig war. Diese 
Behauptungen hängen nun nicht in der Luft, sondern sie 
werden getragen und unterbaut von dem wichtigen Tat. 
sachenbeweis unbestreitbar echter Urkunden, die, teils von 
Luthers eigener Hand, teils von der vielfach bewührten Hand 
eines Sitzungsteilnehmes, Georg Rörers, geschrieben, so un- 
mittelbar in die methodische Arbeit dieser Tagungen uns 
hineinführen, wie sie unmittelbar unter der Arbeit gewachsen 
sind; somit also absolut aktive Quellen. 

Wir wenden uns ihrer Beschreibung zu. 

Ehe wir sie unter den hier angegebenen Gesichtspunkten 
inhaltlich würdigen, wollen wir sie zunächst bestimmen nach 
Fundort und Umfang und ihrer äußeren Erscheinung. 

1. Die Jenaer Handschrift Bos. q. 25* ist das Einliefer- 
ungsprotokoll der Bücher Rörers nach Jena. In diesem 
„Register oder vertzeichnis Catalogus der Bucher M. G. 
Rorers seliger gedechtnis, welche mir der achtpar und Erbare 
Herr W. Lawensteyen furstlicher Secretarius zugestelt hat 
am Dinstag nach Vocem Jocunditatis, das ist den XV. Maji 
LVU. Jars“, werden zuerst genannt „Die Deutsche Bibel In 
groß modus“) und „In Quarto modo Das New Testament“. 

Dieses Buch, das jetzt in Jena als „Appendix Manu- 
seriptorum Nr. 25" steht, ist „Das | Newe Testament. | 
D. Mart. Luth. || Wittemberg. | D. M. XL. 42). Auf fast allen 
Blättern finden wir handschriftliche Eintragungen in wechseln- 
der Häufigkeit zur Verbesserung von Text, Glossen und hie 
und da auch Vorreden. Im ganzen haben vier oder fünf ver- 
schiedene Hánde geschrieben. Für uns fallen eigentlich 
nur die Notizen Luthers und Rúrers*) ins Gewicht. Wir 
nennen mit Albrecht, der diesem Werk eine außerordentlich 
eindringende und ergebnisreiche Untersuchung *) gewidmet hat. 


!) Führt jetzt in Jena die Bezeichnung ,Appendix Manuskrip- 
torum No. 24“ und ist das zur Revision des Alten Testaments von 
Luther benützte Handexemplar. Vgl. Reichert bei Koffmane a, a. O. 
S. 148 ff. 

2) Vgl. Weimarer Ausgabe Deutsche Bibel Bd. 2, S. 620f, Nr. *64. 

3) Zwei Eintragungen von Melanchthons Hand bleiben hier aufer 
Betracht. 

*) D. O. Albrecht, Das Luthersche Handexemplar des deutschen 
Neuen Testaments, Studien und Kritiken 1914, S. 153 ff. 


49 | 209 


diese Quelle fortan Nt .. Handexemplar Luthers zum deut- 
schen neuen Testament. 

2. In der Jenaer Handschrift Bos. q. 24* folgen auf das 
Protokoll zur Revision des Alten Testaments auf Bl. 209° 
bis 212 Rörersche Niederschriften, die zwar selbst keine 
Überschrift tragen, aber im Inhaltsverzeiehnis des Gesamt- 
bandes unter den ,Annotationes in Biblia, eum Anno 39 
denuo pereurrerent ea* mit aufgeführt werden als: 

„In 8 ad Romanos. 209 
In 1 ad Corinthios 211*, 
ebenso wie ein zweites Inhaltsverzeiehnis, Bos. q. 24° Bl. 70° 
sie nennt: ,Ànno|tationes breives in aliquot caplita ad Ro|ma- 
nos, Corlinthios.* Diese Inhaltsbestimmungen sind nicht 
ganz genau; denn die Blätter enthalten Bemerkungen zu 
Römer I, VIII - IN; XI—XII; 1. Kor. I: III—IV; XIII—XV; 
2. Kor. II—VII und sehlieblieh, mit Eile noch aufgefangen 
und skizziert, einzelne Notizen, die, obgleich dureh Uber- 
schrift nicht kenntlich gemacht und von einander getrennt, 
sich bei näherem Zusehen erweisen als zu Philipper I, 
1. Thessalonicher IV, 15; 1. Petri I, 5; Kolosser III, 5. 14f.; 
IV, 5; 1. Thessalonicher I; 1. Timotheus III, IV; 2. Timo- 
theus I; Titus I. III; Hebräer II; VI; X—XI gehörig. Ob 
diese Quelle in ursprünglieher Vollstiindigkeit vorliegt oder 
verstümmelt und trümmerhaft, ist schwer zu sagen. Zwar 
der Anfang mit seiner abgerissenen Bemerkung: ,praevenit 
Johlannes ante ingressum eius. Ehe denn er eintrat,“ was 
sich etwa auf Apostelgeschichte 13, 24 beziehen kónnte, 
legt die Vermutung nahe, daß diese paar Worte letzte Reste 
verlorengegangener Behandlung der Apostelgeschichte wären, 
andrerseits geht die Zählung der Blätter des Bandes ohne 
Unterbrechung weiter; also müßte der Verlust schon sehr 
zeitig eingetreten sein. Man darf wohl eher, trotzdem das 
Ganze eigentlich als Torso wirkt, in Anbetracht des uns 
sonst bekannten Charakters solcher Protokolle, mit der In- 
taktheit unserer Quelle rechnen!)  Hórers Hand hat die 


1) Die genauere Beschreibung und Untersuchung dieser und der 
anderen Urkunde behalte ich der Einleitung in ihre vollständige kriti- 
sche Herausgabe in der Weimarer Ausgabe, Deutsche Bibel, Bd. 4 
(unter der Presse) vor. 

Archiv für Reformationsgeschichte. XIV. 3/4. 14 


210 90 


Feder geführt. Seine vielen Abkürzungen bei schneller Nach- 
schrift, die Ergänzungen über den Zeilen, die Nachschreib- 
ungen und Vervollstindigungen allzu abgekürzter Wörter 
erschweren die Lesung. Auch hier haben wir wieder wie 
bei den anderen Protokollen jenes im Hausgebrauch der Ge- 
lehrten angewendete Gemisch von Latein und Deutsch, zwang- 
los in der Gedankenführung, sprunghaft, zufällig, unbeküm- 
mert um Abschweifungen, belebt von Erinnerungen, zeit- 
geschichtlichen Hinweisen, persönlichen Anspielungen, voller 
Sentenzen und Maximen. So trägt uns diese Urkunde in un- 
verfälschter Unmittelbarkeit einen frischen Hauch des Lebens 
bei der Arbeit am Neuen Testament in Luthers Studierstube 
über die Jahrhunderte herüber. 

Und die gleichen Eindrücke empfangen wir bei unserer 
letzten Quelle, die wir vorzustellen haben. 

Eingesprengt in ganz andersartige Stofle, und darum 
wohl bisher übersehen, enthält die Jenaer Handschrift Bos. 
q. 24 in fortlaufender Bandzühlung auf Bl. 29* bis 38* ohne 
jede Überschrift, ohne Kolumnentitel, ohne eigentlichen An- 
fang einen kleinen Abschnitt, wieder von Rórers Schnell- 
schreiberhand, der im Inhaltsverzeichnis des Bandes bezeichnet 
ist als: 

„Annotaltiones breves in Epjistolam ad Ro|manos 
In Priorem ad Corlintbios 
In 3 priora caplita in 2 ad Corlinthios“ 
und auf dem vorderen Einbanddeckel als: 
» Annotjationes Djoctoris Martini in Ep|istolam ad 
Romanos fol. 29.“ 


Wie es hier angezeigt ist, enthalten die Blütter, schwer 
lesbar, mindestens einmal durehkorrigiert, noch dazu beim 
Einbinden durch Abschneiden an den Rändern verletzt, in 
flüehtigster Schrift ziemlich ausgedehnte, sorgfältige Behand- 
lungen von Römer I; II—VII; XIII — 2. Korinther III. Die 
fehlenden Kapitel Rómer VIII—XII bringt Hórer in saube- 
rer Abschrift oder Reinschrift als Abschluß der Handschrift 
auf Bl. 36" bis 38* nach. 

Das sind die Urkunden, die uns ein besseres Wissen 
um die letzten Arbeiten Luthers am Neuen Testament er- 
schließen, als es bisher möglich war, und uns zu erkennen 


51 211 


gestatten, aus welchen inneren Beweggründen heraus die 
letzten Hauptänderungen am Neuen Testament, deren bloßes 
Vorhandensein man immer nur konstatieren konnte, vor- 
genommen worden sind. 


II. 


Freilich erstehen hier noch Probleme, deren Lösung erst den 
Beweis für diese Behauptungen erbringen wird. Wir fragen also 
weiter: Sind unsere neuen Urkunden auch wirklich die echten 
Protokolle? .Ist Nt. das Handexemplar Luthers, das den 
Niederschlag seiner letzten Arbeiten birgt und aus dem 
heraus Druck und Korrektur der Bibeln und Neuen Testa- 
mente von 1541 bis 1546 geleitet werden konnten? Wo- 
dureh erfahren sie ihre sichere Beglaubigung? In welchem 
wechselseitigen Verhiiltnis stehen sie untereinander? 

Wir wollen mit einem kleinen Umwege zurtickgreifen 
auf Analoges, jetzt Bekanntes und Erwiesenes. 

Auf der anschaulichen Schilderung, die der Joachims- 
thaler Johann Mathesius in seinen Predigten tüber Luthers 
Leben (1562—1564) gibt!) beruht unsere Kenntnis von 
dem Leben, der äußeren Situation, der Verhandlungsgebah- 
rung bei den Bibelrevisionssitzungen; und Johann Stols hat 
uns in dem Anhang des Verzeichnisses?) der von Rörer 
nachgeschriebenen Lutherpredigten (etwa 1552) ergänzend 
Kunde gegeben von dem in drei großen Abschnitten sich 
vollziehenden Werk der Bibelrevision durch Lutber und 
seinen Kreis: 

1. Von der Revision des Psalters, die nachgewiesener- 
maßen ins Jahr 1531 gehört“); 

2. von der Revision der ganzen Bibel im Jahre 1534, 
über die, weil die von Stols bezeichnete Handschrift immer 
noch unauffindbar blieb, sich nichts sagen läßt‘); 


1) Ausgabe Lösche S.313ff. Reichert bei Koffmane a. a. O. S. 97, 
2) Ratsschul-Bibliothek Zwickau, Handschrift XXXIII; Weimarer 
Ausgabe Bd. 10, 3. Abt, S. IX ff. Reichert bei Koffmane a. a, O. 
S.97f. Es bleibt übrigens noch genauer zu untersuchen, ob Joh, Stols 
auch wirklich der Schreiber von Handschrift Zwickau XXXIII ist, 
5) Reichert in Weimarer Ausgabe Bibel Bd. 3, S. XVIII ff. 
) Reichert bei Koffmane a. a. O. S. 114 ff. 

14* 


212 52 


3. von der Revision des Alten Testaments „bib auff die 
apocripha“, die am 17. Juli begann und am 8. Februar 1541 
mit einer Behandlung des Propheten Maleachi abschloß ). 


Diese vornehmlich chronologisch wertvollen Nachrichten 
des Stols wurden uns mit Leben erfüllt durch die Protokolle, 
die Rörer, emsig und gewandt wie immer den hin- und her- 
gehenden Gesprächen folgend, gleich am Versammlungstisch 
niederschrieb. Das meiste davon ist gedruckt?); und wir 
haben daran einen Maßstab, an dem sich sehr wohl eine 
Handschrift auf ihren Protokolleharakter prüfen läßt. Unsere 
neuen Quellen aus Bos. q. 24* und Bos. q. 24" bestehen 
diese Probe durehaus. Sie sind für das Neue Testament 
dasselbe. was wir in zwei Protokollen für das Alte Testa- 
ment haben, getreue Spiegelbilder aus der Arbeit der Männer. 
die sich Luther zu seiner Unterstützung berief; deutlich zeigen 
sie, wie man Meinung gegen Meinung tauschte; sie führen 
uns das Material gleichsam noch in der Bewegung und 
Gärung vor, aus dem sich allmählich die beste Form einer 
gewünschten Besserung in notwendigem, gar nicht willkür- 
lich erfindbarem Werdeprozeb herausdestillierte oder -subli- 
mierte. 

Nun lag neben den beiden Protokollen zum alten Testa- 
ment wenigstens für die Revision 1539 bis 1541 in Appen- 
dix Manuseriptorum Nr. 24 noeh ein Handexemplar Luthers 
mit vielen Originaleintragungen vor.  Eingehende Unter- 
suchung hat erwiesen?), daf dieses Buch bei der Revision 
des alten Testamentes als gleichwertige und gleichzeitige 
Ergänzung der Protokolle eine entscheidende Rolle gespielt 
hat. Vor den Sitzungen zur Präparation, in der Sitzung zum 
Festhalten des Konferenzertrages, nach den Sitzungen zur 
Anordnung für neue Drucktexte gebrauchte es Luther, und 
für Rörer war es eine immer wieder auszubeutende und aus- 
gebeutete Fundgrube bei Korrektur und Druck der Bibeln 
von 1541 bis 1546 und darüber hinaus. Und wieder können 
wir sagen, unser Nt. ist für die letzten Arbeiten Luthers am 


1) Reichert bei Koffmane a. a. O. S. 118 ff. 
2) Weimarer Ausgabe Bibel Bd. 3 und Bd. 4 (unter der Presse). 
5) Reichert bei Koffmane a, a. O. S. 148 ff. 


53 213 


Neuen Testament sowohl für sich betrachtet!) wie im Ver- 
hältnis und Zusammenhang mit den Protokollen, schlechthin 
ein Analogon. Auch hier, wie wir gleich noch an Beispielen 
zeigen, wird aus dem flutenden Hin und Her der proto- 
kollierten Besprechungen die feste Form der erstrebten Ver- 
besserung am Neuen Testament in klaren, gültigen Worten 
gewonnen und als Ertrag der letzten Arbeiten an den Rand 
des Nt, bestimmend für die künftigen Drucke, vermerkt, oft 
von Luthers Hand selber, vielleicht ebenso oft von der 
Rórers, dem Luther dann wohl bei seiner zunehmenden 
Kränklichkeit und bei der Eiligkeit der Revisionen nachträg- 
lich die zu ändernden und für den Neudruek beschlossenen 
Stellen aus den protokollarisehen Niederschriften diktierte. 
Die Protokolle und das Nt. gehören auf das engste zu- 
sammen als die Urkunden der letzten Arbeiten Luthers am 
Neuen Testament. 

Eine Eigentümlichkeit von Nt. mag noch besonders ans 
Licht gestellt werden. Wir haben zwei Protokolle zum 
Neuen Testament, jedoch nur ein Handexemplar in Nt. Und 
doch scheint das nur so. In Wirklichkeit umfaßt dieses eine 
Nt. zwei Handexemplare. Aber Luther benutzte das eine 
Buch in der geschilderten Weise sowohl unter der Arbeit, 
aus der das Protokoll Bos. q. 24° hervorging, wie bei jener 
anderen, die in dem Protokoll aus Bos. q. 24° ihren Nieder- 
schlag fand. Diese beiden letzten Arheitsepochen liegen 
aber, was sich mit aller Klarheit noch herausstellen wird, 
um ‚Jahre auseinander. Albrecht?) hat mit eindringendem 
Scharfsinn grade diese Wesenseigentümlichkeit des Nt. ge- 
würdigt und herausgearbeitet. Er stellt eine breite Unter- 
schicht von Korrekturen fest, die sich über alle einzelnen 
neutestamentlichen Bücher erstreckt, und eine zweite Ober- 
schicht, die den Bereich von Rómerbrief, 1. Korintherbrief, 
2. Korintherbrief 1—3 umspannt, also genau so viel, wie im 
Protokoll Bos. q. 24" behandelt ist?) So hätten wir denn 
für Luthers letzte Arbeiten am Neuen Testament nunmehr ge- 


2) O. Albrecht a. a. O. S. 177 ff. 
2) A. a. O. S. 177 fl. 
3) Vgl. oben S. 210. 


214 | 54 


funden drei Handschriften - vier Quellen, die wechselseitig 
zusammengehören, einander ergänzend. erklärend, deutend. 
IV. ` 
Für die Richtigkeit dieser vornehmlich durch Analogie- 
schlug gewounenen und daraus gefolgerten Behauptungen 
wollen wir nun den Beweis führen aus den Quellen selbst. 
Es kommt uns darauf an zu zeigen, daB es sich wirklich 
handelt um letzte Arbeiten am Neuen Testament, d. h. daß 
den letzten Drucken des Neuen Testaments der Ertrag der 
Arbeiten zugute kommt. In ein paar Beispielen wollen wir 
unsere Doppelquelle; das Nt., zuerst sprechen lassen, ganz 
ohne Rücksicht auf die Protokolle. Als Kontrolldrucke nehmen 
wir den ersten und den letzten in Betracht kommenden 
(vgl. o. S. 206) Abdruck des Neuen Testamentes: den aus der 
Bibel 1541!) und den aus der Bibel von 1546). Der Grundtext 
liegt vor im Druck des Handexemplars Nt. (s. o. 5. 208); und wir 
verfahren nun so, daB wir die handschriftliche Veränderung 
des Grundtextes in die Mitte stellen und daneben die ge- 
druckte Form des Textes aus der Kontrollbibel vermerken. Die 
erste Serie der Beweisstellen hat also folgendes Schema: 
a) | b) | c) 
Drucktextdes Neuen Handschriftliche Neuer Drucktert der 
Testamentsvon 1540 | Eintragung ins | Stelle in der Bibel 


(— N. T. 1540). | Handeremplar von 1541 
| (— Nt). N. T. 1541). 
N. T. 1540. | Nt. | N. T. 1541. 
Matth. I1], 3. Eine stimme eines Es ist eine stimme 


Es ist ein ruf- ruffenden rt). Am eines Predigers in 
fende stimme) ) in unteren Blatt- der Wusten”). Als 
der Wüsten’) ande auch von neue Glosse am 


1) Weimarer Ausgabe Deutsche Bibel Bd. 2, S. 637 ff., 729ff. 

2) Weimarer Ausgabe Deutsche Bibel Bd. 2, S. 688. 

5) (. . .) bedeutet, daß die iu (.. ., eingeschlossenen Wörter 
handschriftlich gestrichen sind. 

4) r bedeutet: die Worte stehen handschriftlich am Rande von Xt. 

5) Mark. I, 3 findet sich die gleiche Streichung im alten Text, 
aber die handschriftliche Korrektur in Nt. lautet: stimme eines ruffen- 
den id est predigers. 


55 215 


Luthers Hand: Rande: Dis solte 
+ Das solte den den Juden ein ge- 
Juden ein gwis zei- wis zeichen sein, 
chen sein, das Mes- | das Messias keme, 
sias keme, wenn sie : wenn sie einen pre- 
einen predigen ho- | digen hóreten, nicht 
reten nicht zu Jeru- , za Jerusalem im 
salem, ym tempel Tempel noch Sehu- 
noch schulen, son- len, sondern in der 
dern vnn der wu- | Wüsten, der also 
sten, der also pre- , predigte, der HERR 
digte. Der Herr kömpt, Wie denn Jo- 
kompt wie denn Jo- hannes gethan hat. 


hannes gethan hat. | 


— M M M —— — M — wa 2——ñ — o a ———À 


N. 7. 1540. | Nt. N. T. 1541. 

Matth. VIII, 12. heulen r; Luthers heulen und zeen 
(weinen: und zeen- Hand. Darunter klappen. 
klappen. ut infra c. 13 [vgl. 

Matth. XIII. 42 u. 

50, wo diese 

Textform schon 

| stand]. | 


N. J. 1340. F.. VNV. T. 1541. 
Matth. VIII. 14. | x, von Luthers Als neue Glosse 
Das Wort Fie- | Hand: fieber Das r: (Fieber) Das ist, 


ber ist unter- ist den Ritten auff den Ritten auf 
strichen. deudsch, fiber ist deudsch, Fiber ist 
Latinsch. Latinisch. 
AN. T. 1540. | NIE. | N. T. 1541. 
Matth. XV, 5. Am unteren: ABER jr leret, 


Aber jr /sprechet, | Blattrande: +le- Wer zum Vater oder 
Ein iglicher solle ret. Wer“zuseinem- | zur Mutter spricht 
sagen zum Vater Zum Vater oder (wenn ichs opffere, 
oder zur Mutter, Es zur mutter spricht so ists dir viel 
ist Gott gegeben, | (Wenn ichs opfere, nútzer) der thut wol. 
davon ich dir solt | so ists dir viel, 
helfen.) nützer) der thut wol. | 
Die alte Glosse 
„(Gott gegeben) Ich 
kandirsnichtgeben, 
Es ist der Kirchen 
bescheiden. Ich mus 
zum Gottesdienst 


r 


216 


geben. Wie die Ca- | 
.nones auch leren. 
| Quod semel est Deo 
| Dieatum ?c.. ist 
gestrichen und 
‚in mehrfachen 
Ansätzen der 
Versuch neuer 
| Glossengemaeht ! 
auf allen freien 
.Blattründern:: 
(Das ist (ichs 
opfere) (Nutzer) | 
das ist, Gott wird 
dirs viel anders da- 
fur bescheren. ES 
ist viel nútzer dir 
und mir, das ichs 
Gotte gebe, was du 
| fodderst, Gott wirds 
vielfeltig dir und 
mir bezalen, “das 
ichs opffere) Wenn 
iehs opffer, sokompt 
dir und mir viel 
| guts davon, das 
sonst nicht keme. 
, Summa, Esis besser 
Gotte geben. denn 
menschen, Gotte 
dienen, denn men- 
schen. So schmuckt 


sich der geitz., (Vel 
sic. Es ist dir besser, 
das ichs opffere, 
| ‘Was sol ich das. 
+ Alii sie (Wiltu; 
Sol dir das nützen, 
das ich opfferen (sol > 
mus? Alles von 
Luthers Hand und 
noch von Rúrers 
Hand die Bemer- 
| kung: Vide Testa- 
mentum grandiori- 
bus literis excusum. 


| 


56 


Dazuralsneue 
Glossen: 


(Nützer) Das ist, 
Gott wird dir viel 
anders dafür be- 
scheren. 


und 


Alii sie, Sol dir 
das nutzen, das ich 
opffern mus? 


57 217 


N. T. 1540. Nt. N. T. 1541. 
Luk. XI, 39. haltet (reinlich) die IR Phariseer hal- 
Ir Phariseer (rei- Becher und Schús- tet die Becher und 
niget das auswen- sel auswendig rein- | Schüssel auswendig 
dige am Becher und lich. r, von Rö- reinlich. 
an der Schüsseln) rers Hand. 


N. T. 1540. Nt. N, T. 1541. 
- Apostelg. IX, 5. | + Paulus sine Neue Glosse: 
Uber den du ver- | operibus?) vocatur. | Paulus sine operi- 
folgest steht + r, Rörers Hand. | bus vocatur. 


N. T. 1540. | Mt. N. T. 1541. 
Apostelg. 1 X, 35. + Verbo, sine Neue Glosse: 


Zubekeretensich | lege et operibus!) | Verbo sine lege et 
steht r + Rórers Hand. operibus. 
N. T. 150. Mt. VM. T. 1541. 
Apostelg. X, 49. , Verbo, sine lege Neue Glosse: 
Zu wurden gleu- | et operibus). Rö- | Verbo, sine lege et 
big steht r + — |rers Hand. operibus. 
N. T. 1540. Nt. | N. T. 1541. 


Jakob. IX, 10. 
iNidriget) euch 


Demutigetr. von Demütiget euch 
Luthers Hand. 


N. T. 1540. Ni. N. T. 1541. 


Jakob. IV, 15. So der HErr wil So der HERR wil, 
(Leben wir, und | und so wir leben r. | und wir leben 


wils Gott) Rörers Hand. 


Wir sehen schon an dieser geringen Auswahl von Be- 
legen: es ist gar kein Zweifel, wir haben in Nt. die eine 
der Quellen zu den letzten Arbeiten Luthers am Neuen 
Testament. Was erstmalig neu in Text und Glossen des 
Neuen Testaments der Bibel von 1541 auftritt, ist uns hier 
urkundlich erhalten teils von Luthers, teils von Rörers Hand; 
sie arbeiten miteinander. Auch was Rörers Hand schreibt 
— aber gewiß Luthers Geist findet und formt — wird Bibel- 
text in einer Bibel, die unter Luthers Augen gedruckt wurde 
und der er selber den Stempel besonderer Wichtigkeit auf- 


1) Welche Bewandtnis es mit diesen und einigen anderen neuen 
Glossen in der Apostelgeschichte außerdem hat, ist in anderem Zu- 
sammenhang zu untersuchen. 


218 58 


drüekt, wenn er im Nachwort zu dieser Bibel 1541 sagt: 
»Ob jemand diese unsere neue gebesserte Biblia für sich 
selbs begehret zu haben. der sei von mir hiermit treulich 
gewarnet, daß er zusehe, was und wo er kaufe und sich 
annehme um diesen Drukk, der hie dies 1541. Jahrs ist 
ausgegangen, denn ich gedenke nicht so lange zu leben, daf 
ieh die Biblia noeh einmal móge überlauffen. Auch ob ich 
so lang leben müßte, bin ich doch nunmehr zu schwach zu 
solcher Erbeit.* Rörers Arbeit in Nt. ist so gut wie Luthers 
Arbeit darin, ja es ist Luthers Arbeit. Es kann darum auch 
gar nicht an dem sein. was öfter behauptet wurde. daß 
Rórer seine Eintragungen in Nt. sich nachtrüglich aus fertigen 
Bibeldrucken abgeschrieben habe?!) Wir sehen ja z.B. an 
dem Beispiel aus Matth. XV, 5 gleichsam in die Entwick- 
lungsstadien von neuem Text und neuen Glossen hinein. Ist 
Nt. Luthers Handexemplar vor dem Druek und für den Druck, 
so schrieb eben auch Rürer in Luthers Auftrag und unter 
seiner Autoritát vor dem Druck und für den Druck. 

Nun gilt es, die andere Seite der selbstündigen Bedeu- 
tung von Nt. zu erweisen, námlich, daB es auch für neue 
Texte in der Bibel 1546 in ähnlicher Weise Handexemplar 
ist wie für Bibel 1541. Wir bringen zweckmäßig unsere 
Beweisstellen unter folgendem Schema: 


a) | b) o 
Drucktext des Handschriftliche | Neuer Drucktezt der 
Neuen Testaments | Eintragungen ins | Stelle in der Bibel 
von 1540 Handeremplar von 1546 
(= N. T. 1540). (= Nt). (NT. 1546). 


Albrecht?) hat schon darauf hingewiesen, daß die so- 
genannte Oberschicht (vgl. o. 5. 213) der Eintragungen in Nt. 
den Bereich von Römer bis 2. Korinther III umschließt. Wir 
halten uns in derselben Umgrenzung; nur wählen wir hier, 
unserer Voraussetzung entsprechend, solche Stellen, über die 
im Protokoll Bos. q. 24", das ja den gleichen Abschnitt be- 
handelt (vgl. o. S. 210), nichts gesagt ist. 


1) Vgl. Albrecht a. a. O., z. B. S. 155. S. 198 f. 
2) A. a. a. S. 178. 


59 


N. T. 1540, 
Römer I11.21.22.27. 
‘du stilest; 
du brichst 

Ehe 
“raubest Gott was 
sein ist. 
¿das Gesetz uber- 
trittest> 


die> 


N. T. 1540. 
Römer III. 27. 
WO “ist denn; nu 

dein? Rhum? 
ist ‘ausè. 


N. T. 1540. 
1. Korinth. XI V,24. 


^von 


Er : [nichts]. 


Ä 


] 


| 


Nt. 
bistselbereinDiebr. 
bist selbs ein Ehe- 
brecher r. 

bist selber ein Got- 
tesdieb r. 

Und bist ein Gotts- 
dieb r. 

ein ubertretter des 
Gesetzs bist r. 


Alles Rörers 
Hand. 


Nt. 

Wo [bleibt|') nu 
der] Rham? Er ist 
Luthers 
Hand. Der neue 
Text rot unter- 
strichen?). 


Nt. 
uberwiesen voninen 


denselbigen | allen das er beken- 


allen gestraffet, und | nen mus fur allen r. 


von allen gerichtet: 


Rórers Hand. 
Daneben 
Luthers Hand: 
Scholion. 
(beken) sagen, das 
ist [doch] recht von 
Gott geleret |um- 
gestellt aus ge- 
leret von Gott] “). 


von. 


A A ln a — . —— —— •ü6ä o  — M 


| 


| 


Er mus | 


219 


N. T. 1546. 
bist selbs ein Dieb 
bist selber ein Ehe- 
brecher, 
bist selbs ein Gottes- 
dieb.DiealteGlos- 
se: Denn Gottes ist 
die Ehre, die nemen 
jm alle Werck heili- 
gen bekommt die 
Einleitung Du 
bist ein Gottesdieb. 
ein Ubertretter des 
gesets. 


N. T. 1546. 
WO bleibt nu der 
Rhum? Er ist nichts. 


N. T. 1546. 
uber wiesen von jnen 
allen, das er beken- 
nen mus fur allen. 
Neue Glosse: 
Er mus sagen: das 
ist doch recht von 
Gott geleret. 


1) [. ..] bedeutet: die handschriftlichen Eintragungen stehen über 


der Druckzeile. 


2) Die rote Unterstreichung ist ganz offenbar nach vielen gleichen 
Beobachtungen an Nt. die R Luthers, daß die Stelle so 


gedruckt werden soll. 


) Das Scholion, das wir in Nt. von Luthers Hand vor uns haben, 
findet sich im Protokoll Bos, q. 24" von Rórers Hand in der Form: 
Er mus sagen das ist recht geleret und von Gott. Nt. zeigt eine korri- 
gierte Form, als Versuch und Entwurf, dürfte also die Prioritát haben 
vor der Form im Protokoll. 


220 60 


Aueh hier also die gleiche Beobachtung: Luthers und 
Rórers Arbeit nebeneinander im Nt. Was Luther anmerkt, 
wird Text, ebenso was Rörer anmerkt, und zwar in einer 
Bibel, die tatsiichlich erst nach Luthers Tode aus der Druckerei 
hervorgeht, Die Anderungen selbst aber werden noch an- 
geordnet und gebilligt von Luther durch seine letzte Arbeit 
am Neuen Testament. Von einer unberechtigten Selbständig- 
keit Rórers beim Druck der Bibel 1546 oder gar von einer 
Handlungsweise gegen Luthers Geist und Willen kann gar 
keine Rede sein. Denn wir sehen, wie Luther und Rórer 
das Nt. sozusagen als gemeinsames Handexemplar benutzen. 

Wir bestimmen somit die selbständige Bedeutung des 
Nt. kurz dahin, daB wir sagen: es ist die eine der wich- 
tigen Urkunden über Art, Umfang und Erfolg der letzten 
Arbeiten Luthers am Neuen Testament, die den in ihr von 
Luther direkt und von Luther durch Rórer niedergelegten Fleiß 
ausstrahlt und in Kraft treten läßt in der zweiten!) Hauptbibel, 
das ist die von 1541, und in der dritten Hauptbibel, das ist 
die von 1546. 

V. 

Die sehon erwiesene groDe Bedeutung von Nt. wird 
nun schlagend bestätigt dureh die von mir aufgefundenen 
neuen Quellen und dureh das Verflochtensein von deren In- 
halt mit dem Nt. Diese Quellen, zwei Protokolle. konnte 
Albrecht noch nicht kennen. Auf meine früheren vorläufigen 
Bemerkungen (bei Koffmane a. a. O. S. 120 Anm. 5, S. 148 
und 5. 251f) verweisend, hat er sie nur kurz genannt 
(vgl. Albreeht a. a. O. S. 154 unten) Den allgemeinen 
Charakter dieser Urkunden, durch den sie sich als echt 
erwiesen, haben wir sehon angedeutet (vgl. oben S. 209f.). 
Jetzt mögen sie selbst für ihre Echtheit und von ihrer Art 
zeugen und wir werden daraus ihre einzigartige Bedeutung 
für Luthers letzte Bibelarbeiten ermessen. 

Wir behandeln jedes Protokoll für sich in seiner ge- 
gebenen Wechselwirkung mit Nt. und beginnen mit dem 
Protokoll in Bos. q. 24°. In der einen Spalte wollen wir 
den deutschen Grundtext aus dem Neuen Testament 1540 
und die handschriftlichen Eintragungen dazu aus Nt. dar- 


1) Als erste natürlich die von 1534 gerechnet. 


61 221 


bieten, in der anderen den betreffenden Absatz aus Bos. q. 24*; 
die Wirkung der kombinierten Arbeit Luthers. teils am Hand- 
exemplar, teils bei der Revisionssitzung, also in Bos. q. 24*, 
stellen wir fest am neuen Texte und Glossendruck in der 
Bibel 1541. Das Schema wäre demnach: 


a) N. T. 1540: Nt. b) Bos. q. 24* Protokoll. 
e) Neuer Drucktext in Bibel 1541 (= N. T. 1541). 


X. T. 1540. l'ómer 9, 28: Mt. | Bos. q. 24* Bl, 209*. 
Denn er wird sie wol lassen Er wird ein Verderbung 
verderben. und doch dem ver- | lassen gehen |verbum consu- 
derben stewren zur gerechtig- | mans], Vel vérbum facere et 
keit, Denn der Herr wird | abbreviare [sehneit ab! und 
dem verderben stewren auff | das sol dahin. Paulus machts 
Erden): nicht so grob als Jesaia l vgl. Jes. 
Denn es wird ein verderben | 10, 22f., 11, 5]. Ich mus sehen 
und steuren geschehen, dem | eonsumantem perdentem, et 
doch gestewret wird] zur Ge- | finit eam, ut iusticia abundet. 
rechtigkeit. Und der HERR | Es ist ein solehe eonsummatio, 
wird dasselb steuren thun auff | wenn ujnser Herr Glott nicht 
Erden. Am oberen Blatt- | ein strich drein thut c. 
rande von Rórers Hand. | ‘Salvae fient! tantum  ['reli- 
quiae, quia deus sie conclu- 
sit, quod vult abbreviationem 
facere. Est illa sententia: 
(Nisl abbreviati essent dies :c.; 
[ Matth. 24, 22| i. e. non con- 
sumarentur. Ideo illa con- 
summatio abbreviatur 2c. Ego 
deus non mutor. Consumma- 
tionem abbreviatam iram miti- 
gatam, servabit aliquos de 
pereuntib|us. Loquitur tan- 
tum de abbreviatione omissa 
consummatione, [Da wird ius- 
ticia fidei ꝛc. | 51.209" | Jesaj ia: 
Consummatio abbreviata, Re- 
liqquiae erunt salvae, quia 
wird ein verderben und stew- 
ren geschehen ad iusticiam, 
das selb steuren [wehren] wird 
der HErr thun. Denn es wird 
ein verderben und steuren ge- 
schehen zurgerech|tigkeit, und 


222 


t 


| 
| 


62 


def HErr wird dasselbe steu- 
ren thun auff Erden. Quando 
dominus zornig ist, so wutet er 
nicht, sed der Teufel, darnach 
feret er zu, wheret und steuret. 


N. T. 1541. 
DENn es wird ein verderben und steuren ge- 
schehen zur Gerechtigkeit, Und der HERR wird 
dasselbe steuren thun auff Erden. 


Römer 11, 12. 
N. T. 1540: Nt. 

Denn so jrer (Fall der 
Welt reichtum ist, und jr 
schade ist der Heiden reich- 
thum, ¿so geschicht doch solchs 
umb dere willen, die die zal 
vol machen sollen.): Denn so 
jrer (Schade |r von Rörers 
Hand], [Die alte Uber- 
setzung Fall bleibt be- 
stehen] Der Welt reichtum 
ist, und jr schade ist der 
Heiden reichtum, Wie viel 
mher, wen ir Zal vollendet) 
wurde. Am Rande von 
Rörers Hand. 

Die alte Glosse zu (Vol 
machen) ist gestrichen. 


Bos. q. 24° Bl. 209". 

Si lapsus: Sind die Heiden 
reich worden per ipsorum fall. 
multomagis per eorum stand. 
[wenn sie stehen blieben we- 
ren]. Viult djicere: Die kir- 
chen wúrde grosser, si multi 
[accederent] ex Judaeis c. 
[Si defectus ipsorum] prodest 


et edificat mundum, quanto- 


e i e M —— — —9À À — € A —⅛⅛.⁊ — — — 


magis integritas, ¡plenitudo] 
magis edificaret Ecclesiam. 
Wenn ir mangel die Heiden 
reich machet [quod ipsi de- 
sunt in Ecclesia]. Wenn lap- 
sus. ltzt weil die Jüden so 
sind gefallen, so mangelts an 
inen, et tamen gentes acces- 
serunt, sie non defecissent 
Judei, multomagis accessis- 
sent [gentes], quae otfensae 
Iudeorum repugnatione :c. Si 
‘diminutio ipsorum' (passiva): 
Hat das die Heiden reich ge- 
macht, das ir wenig der 
wenig] sind erzu komen, wie 
viel mher hette sie reich ge- 
macht, wenn sie alle erzu 
komen weren. [Si] Lapsus. 
(ramus [v. 76 17|], defectus, 
amissio: idem dieit aliis ver- 
bis, similitudinibus 5 ponit 
rem ob oeulos: Amissio ipso- 
rum est acceptio gentium. Da- 
her die Juden genommen sind. 
kan man mher eraus nemen: 


63 


O mA 


223 


Vitam gentium ex morte Jud- 
[eorum. Gentes habent vitam 
ex morte lud|eorum, ex pec- 
eatis lud|eorum fiunt iustae. 
Sed hoc non fit ideo, ut sim- 
plieiter perdantur ludei Er 
helts dafur [Paulus|, man sol 
nicht vitam nemen ex mor- 
tuis. Ego intelligo negative: 
Solt ulnser H|err Glott die 
Juden darumb lassen fallen, ut 
gentes erzu komen? 1. q|uaes- 
tio, ut conciderent i. e. Das 
kein thur | weiter] offen stehet 
¿ur gnade. Non quia absur- 
dum Judeos ita impingere, 
ut simpliciter et desperab|i- 
liter pjereant. Ergo assump- 
tio gentium non est ex |B}. 
210 perditione ludeorum. 
Iudei impegerunt. sed non 
ceciderunt i. e. [Sie] haben 
sie gestossen, sed non sic ce- 
eiderunt, ut dieitur: na wird 
nichts mher ex lud[eis, sed 
[sind] simplieiter dahin. Sed 
non, quia consummationem 
fecit, sed abbreviabit. Man 
sol [das] absurdum nicht re- 
den, quod [de deo]. Man sol 
Iud|eos nicht so mortuos halten. 
similitudo hie absurdum. Solt, 
ulnser H|err Glott die Heiden 
annemen, so hat er die Juden 
mussen wegwerfien. Sol die 
[Juden] tod schlagen, die 
[Heiden] annemen. Lapsus 
quidem est salus g|entium, 
sed non sie, ut sit merus lap- 
sus, [mera] diminutio 2c. Ex 
mortuis nunc kompt auff die 
Juden. Assumptio est recon- 
ciliatio, und gehort auff die 
Heiden, ut reiectio auff die 
Juden, mors etiam. Non volo, 
ut dicatur, ut habeant [Iudei] 
pro mortuis ꝛc. Es sol nicht 


224 


— 


64 


sein ex morte ludeorum, sed 


ex vita i. e. quod vita Iudaeis 
non denegata et Ianua gra- 
ciae [non] clausa. 

Reiectio Iud|eorum Assu- 
mptio gentium. Hoc v| olu- 
mus, quod sit consummatio 
abbreviata. Negat [Paulus] 
assumptionem ex mortuis cla- 
rissime. Non est salus mundi, 
non divitiae. Es kan nieht 
eitel mors sein, Es sol noch 
heissen assumptio ex aliquib- 
¡us [in] futurum viventium. 
Vlult ex impossibili et ab- 
surdo arguere, quod deus ve- 
lit salvare gentes et penitus 
perdere gentes [ludeos]. Nolo 
eis dari voeabulum damna- 
tionis, quia Euangelii gracia 
patet omnibus sive Iudeis sive 
gentihlus usq|ue [ad finem 
mundi]. Si crediderint gen- 
tes [D. M.], venient ex morte 
in vitam. Das ist sententia 
frigida, Illam absurd|itatem sol 
man Gott nicht aufldrengen. 

Schade ist activum et pas- 
sivum. Lapsus et diminutio, 
amissio reiectio defectus, das 
sie nieht da sind], ist alls ein 
ding. Er machts seuberlich. 

Mangel hette ich gern ge- 
habt, Schade [i.e.] das sie nicht 
erzu komen. Wie mher, wenn 
sie reichlich da weren. Non 
reiieiendi Iudei penitus, das 
tractirt er serio. Prius Gen- 
tes nihil, Iam volunt inver- 
tere Gentes contra lud|aeos 
meritum odium Iudeorum gen- 
tium. 


Vos Iudei reiecti. 
ludei gloriati 

nos gentiles accepti 2c. 
contra gentes: vos. 


65 


225 


[Bl. 210”.] Non contem- 
nendi sunt ex eadem massa 
de qua nos i. e. Ex mortis 
semine vita est omnium homi- 
num, Ad quaestionem [senten- 
tiam] particularem requiritur 
partieularis ratio. 


Gentes sollen nicht, So hette 
er die Heiden angenomen 
[ists ein assumptio] [ut] viven- 
tes ex mortuis [Iudjeil, Hoe 
nolo. Die Heiden sollen nicht 
sagen, quod omnes [Iudei] 
damnati, quidam  [indurati], 
ut sequitur. Er gibt uns Heiden 
er naeh wol und hart [genug], 
sieut Iudei prius gloriati: Vos 
gentes nihil [Iam gentes]. 


Da bringt er beides Israel 
[scil|icet| dei zu samen: gen- 
tium et Iudeorum, alioqui esset 
contra superiora, Er wil kurtz 
umb beyde selig halten. Iam 
valde pavent gentes. Totus 
papatus corruit in praeceps, 
tum Turca, Nos vix reliquiae. 
Papa [gloriatur] Ecclesiam et 
tamen nihil faeit quam quod 
perdidit Ecclesiam ꝛc. Si in 
doct|rina Apostolorum multi 
Iudei accessissent, mansisse- 
mus.  [udei seandalizantur 
papatu mirabiliter, In Turcia 
non. Ideo nemo seit, quid in 
aliis regionib| us fecerit [Deus] 
cum ludeis, ubi Christianorum 
non viderint talem abomina- 
tionem, ubi tales impias ab- 
ominationes non viderunt. Man 
kan papam nicht gnug ver- 
dammen. so gros [hat er] 
schaden gethan. Multum affi- 
eiuntur nostra doctrina hodie 
Iudei: Er wird die Juden weg- 
werffen. Utinam legeretur eis 
hoc eaput. 


Archiv für Reformationsgeschichte. XIV. 83.4. 15 


N. T. 1541. 
DENn so jrer fall der Welt reichtum ist, und 
jr Schade ist der Heiden reichthum, Wie viel mehr, 
wenn jr zal vol würde. 


N.T.1540. Hebrüer X1,3: Nt. | Bos. q. 24° Bl. 212°. 

das die welt durch Gottes Da, Das einer stehet, als 
wort (gemacht ist’: + fertigt | ein maur, Totus mundus [alls] 
ist worden? r. Rórers Hand. | ist gemacht, wie wirs sollen 
Am unteren Blattrande | haben. 
von Rörers Hand: “¿Es ist 
nichts aussen blieben, Sie hat 
alles was sie haben sol. Der 
himel hat seine stern aus- 
gefertigt. Daneben von 
Lutbers Hand: fertig, das 
ist, Sie ist ynn schwanck 
gebracht das sie gehet und 
stehet nach Gottes wort on 
unterlas, ungehindert und on 
auffhoren. Darunter von 
Rörers Hand: Das ir fertig 
mocht sein mit allem harnisch. 


m — rn en 


N. T. 1541. 


das die Welt durch Gottes wort fertig ist. 
Neue Glosse: (Fertig) Das ist, Sie ist in schwang 
gebracht, das sie gehet und stehet nach Gottes 
wort on unterlas, ungehindert und on auffhôren. 


Schon diese wenigen Proben lassen uns hineinsehen in 
die intensive und fruchtbare Arbeit Luthers am Neuen 
Testament für die Bibel 1541. Einmal wenigstens ist durch 
ein von Rörer vermerktes D. M. (S. 224) = D|octor M|artinus 
angedeutet, wie in Wechselrede das exegetische Gesprüch 
herüber und binüber ging. 

Das Protokoll steht vollwertig als Urkunde neben Nt. 
In ihm verfolgen wir, wie aus mehr oder weniger breiten 
Ausführungen Stück um Stück der neue Text bisweilen bis 
„ur Wörtlichkeit im Druekexemplar herausgeformt wird; das 
Nt. nimmt dann, von Luther oder Rórer geschrieben, die neue 
Form auf und on hier aus wird sie weitergeleitet in den 
Bibeldruck v a Rörer unter Luthers Autorisation. 


67 227 


Das Nt und das Nt mit dem Protokoll Bos. q. 24° zu- 
sammen haben uns nun eine umrißmäßige Kunde gegeben 
von emer der letzten Arbeiten Luthers am Neuen Testament; 
Jetzt soll das Nt mit dem zweiten Protokoll Bos. q. 24° zu- 
sammen uns die allerletzte Arbeit Luthers am Neuen Testament 
noch niiher bringen, als es vorhin (oben S. 218f.) das Nt allein 
vermochte. Von einer solehen Arbeit stand zwar sehon in 
Rörers Nachwort zur Bibel 1546 zu lesen: „In diesem Druck 
sind zu weilen würter, zu weilen aueh gantze sententz oder 
sprüche, in der Epistel an die Römer durch aus, des gleichen 
in der 1. an die Corinther auch durchaus, und nach mals in 
der 2. bis que J. Cap. geendert und gebessert, durch den lieben 
Herrn und vater D. Mart. Luther. Welcher auch willens war, 
die andern Episteln hinaus all zumal, Item S. Johann. offen- 
barung, darnach alle Euangelisten, auch dermassen fur- 
zunemen, und darin (neben den andern Herrn, so er hierin 
allzeit zu búlffe name (auch etliche wörter und sententz) 
klarer und deudlicher ins deudsch zu bringen, wie er in 
obgedachten Episteln angefangen hatte, wo der liebe Gott 
jn nieht zuvor aus dieser argen welt zu sich jnn sein ewig 
reich ... genommen batte.* Aber man hat, weil man die 
Urkunden nicht kannte oder falsch beurteilte. Rörer einfach 
nieht geglaubt und ihn mit oft recht háblichen Worten als 
Fálscher gebrandmarkt!) Unser Protokoll Bos. q. 24" um- 
faßt genau den Abschnitt, Römer bis 2. Korinther lll, den 
Rórer als den allein ausgeführten Anfang einer letzten Durch- 
feilung des ganzen Neuen Testaments durch Luther bezeichnet. 
So werden denn unsere Quellen ein schlechthin unverdächtiges 
Zeugnis ablegen sowohl von der Wirklichkeit dieser Schluß- 
arbeit Luthers, wie von der Redlichkeit der Arbeit Hórers, 
wie von der Wichtigkeit und unanfechtbaren Giltigkeit der 
Bibel 1546; denn in ihr hat Rórer naeh Luthers Willen und 
Bestimmung die Ernte der letzten Lutherarbeit am Neuen 
Testament geborgen. Die Bibel 1546, gamz besonders in 
ihrem neutestamentlichen Teil, ist ein posthumes Original- 
werk des Reformators. Wir halten uns wieder — mutatis 
mutandis — an das vorherige Schema. (Vgl. oben 5. 221.) 


Kritiken 1917: Wert und Bedeutung der Bibel 1516. 


15* 


228 


a) N. T. 1540: Nt. 


68 


b) Bos, q. 24" Protokoll 


e) Neuer Drucktext in Bibel 1546 (— N. T. 1546). 


N. T. 1540. 
Römer V, 12,15: Nt. 
[v. 12.] dieweil sie alle (ge- 
sundiget haben): dieweil sie 


alle sunder sind. r von 
Luthers Hand. 
|v. 15.] durch (Jhesum 


Christ, der der einige Mensch, 
in gnaden war): durch die 
gnade des einigen menschen 
Jhesu Christi Joh. 1. gratia 
pro gratia. r von Luthers 
Hand. 


| 


Bos. q. 24" Bl. 30*. 

Die weil sie alle Sunder 
[sind], ist, ut supra 3 [Römer 
3, 23]. Sind alle Sunder. 
Complectitar etiam puros. vel 
sundig, rei et damnati. Pec- 
catum originale P. M.|") dixit 
Erasmus esse commentum 
Augustini. Ubi non lex, ibi 
nec [transgressio]. Omnino 
generalissententia. Uhicunque 
non lex, ibi non imputatio 
peeeati, non loquitur de aliquo 
tempore. Unus homo Christus 
est in gratia, sub omnibus 
exemptus peccatis. Nos prop- 
ter ipsum| et hoc ipsum ex 
gratia dei. So habens vor?; 
wollen geben. Es ist kurtz 
und doch gewaltig geredt. 
Vult dicere: gratificavit nos 
in dileeto. Es hilfft uns nicht, 
quam unicus Christus. ‘Nos 
omnes de plenitüdine eius 
[accepimus] gratiam’ ete. 
[Joh. 1, 16.| Hoe vult bic 
quoque dicere. Johannis 1: 
dureh die gnade. Graeciam 
pro gracia. Originale pecca- 
tum diligenter tractavit, et 
repetit ete. Magni nominis 


umbra. 
N. T. 1546. 
v. 12.] die weil sie alle Sünder sind. 
v. 15.| dureh die Gnade des einigen Menschen 


Jhesu Christi. 
Am Rande: Gnade. 


Joh. 1. 


1) P. M. — Philippus Melanchthon. 


2) vor = früher. 


69 229 


AN. T. 1540. Bos. q. 24" Bl. 33°. 

1. Korinther III, 9: Nt. Gehülffen: propter mini- 
Gottes ‘gehülffen,: Gottes- | sterium. Er ist der rechte 
Mitarbeiter. r von Rórers | erbeiter, nos, die des Herrn 
Hand. geschefft treiben. Nos thun 

auch etwas gerings zur sachen. 

Paulus wil gleichwol herrlich 
| preisen ministerium. Nos 
| tantum vasa testacea |vgl. 
¡ 2. Korinther 4, 7]. 


N. T. 1546. 
Gottes miterbeiter. 


In einem anderen Zusammenhang bringen wir sogleich 
noch eine umfiinglichere Probe des Protokolls. Aber schon 
jetzt springt in die Augen, daß das Nt. und Bos. q. 24" aufs 
näheste zusammengehören. Das Protokoll führt aus, was 
Luther entweder bei der Rüstung auf seine letzte Arbeit vor 
der Revisionssitzung sich in Nt. notierte oder was er oder 
für ihn Rörer nachher als Ertrag der Konferenz als neuen 
Text oder Glosse für N. T. 1546 fest formulierte. Luther 
selbst ist durchaus als Urheber der Veränderungen in Römer 
bis 2. Korinther III, mit denen Rörer, so ungerecht und hart 
darum angefochten, die Bibel von 1546 ausgehen lieh, an- 
zusprechen. 

Nun stehen aber nicht bloß immer je zwei unserer 
Urkunden in dem aufgezeigten innerlich begründeten Wechsel- 
verhältnis zueinander, Bos. q. 24°: Nt. und Bos. q. 24": Nt, 
sondern sie bilden eigentlich, wenigstens für die Gruppe 
Römer bis 2. Korinther III, eine viergestaltige Einheit. Luther 
hatte bei der allerletzten Arbeit am Neuen Testament nicht 
vergessen, was die vorletzte vor etlichen Jahren geschaffen. 
Sowie er sein altes Handexemplar wieder benutzte, so scheint 
auch das alte Protokoll wieder hervorgeholt worden zu sein, 
Die letzte Arbeit ist das letzte Stockwerk auf einem wohl- 
vorbereiteten, ausgebauten Fundament. Dieses letzte Stadium 
der Arbeit Luthers und seiner Getreuen wollen wir uns 
vergegenwürtigen an folgendem Sehema, in welchem wir 
einen kürzeren und einen lüngeren, aus mehreren!) hier 


1) Vgl. Albrecht a. a. O., S. 183 f. Reichert in: Lutherstudien, S. 291 ff. 


230 70 


nicht weiter zu erürternden Gründen, wichtigen und inter- 
essanten Abschnitt bieten. 


a) Bos. q. 24°. | b) Das Handexemplar | c) Bos. q. 24". 
mit allen Eintragungen als 
, gemeinsame Mittelquelle der 
` Protokolle 
| (= N. T. 1540: Nt.). 


d) Neuer Drucktext aus e) Neuer Drucktext aus 
Bibel 1541 (= N.T. 1541). Bibel 1546 (= N. T. 1546). 


Bos. q. 24* Bl. 0% X. T. 1540: Nt. | Bos. q. 24" Bl. 36*. 

Wenn wir nicht /ómer VIII, 26. | mechtiglieh, ge- 
wissen, quid peten- der Geist vertrit | waltiglich, mit eim 
dum [sit], spiritus uns selbst mechtig- grossen ernst. id 
sanctus corrigit, lich?: selbs durch est: lex et peccatum 
macht unser sach Strich hinter | accusat, gratia [et 
gut, spiritus sanctus | Geist gezogen. | spiritus] exuberat. 
redet das beste für auff beste? r, dar- Veniente[peccatoet| 


uns. . über auch von lege et accusante, 
Rörers Hand ge- da ist nur gut spiri- 
waltiglich. tus sanctus. Sanguis 


Christi praeponde- 
rat multis, imo om- 
nibus peccatis. 


N. T. 1511. N. T. 1546. 
Der Geist selbs vertrit uns der Geist selbs vertrit uns 
auffs beste. gewaltiglich. 


Bos. q. 24° Bl. 2114. N. T. 1540: Nt. | Bos. q. 24“ Bl. 34°. 
ChrHsSO!):Christ- I. Korinther XIII). Blehen est orna- 

lich wesen, non [v. 4.] die Liebe tus: meffen. auff- 

austerus, helt sich schaleket nicht’, blasen. necessariae 

freundlich, Ista vo- sie blehet nicht: die rei. 

eabula communiter Liebe treibt nicht | 

pertinent ad con- mutwillen, [von | 

eupiscentiam iras- Rörers Hand], sie 

cibilem. Sie gehet blehet sich [Rörer] | 

nicht mit  bosen nicht. 

tücken umb. Es | 

heisst mutwillig 

buberey treiben. | 


1) ChrHSO = 7e5ote(etas. 
2) Vgl. dazu O. Albrecht a. a. O., S. 184f,, Anm. 1; ebendort ist 
hinter S. 208 diese Stelle als IV. Faksimile abgedruckt. 


11 


[temerarius] fre- 
velt nicht. 

Levitas est cum 
temeritate, perver- 
sitas morum: fur- 
setzlich schaden 
thun. Aschemonei!): 
Sind Hjerzog Gle- 
orgs mores. signi- 
fieat gestus inde- 
coros in ira, steckt 
die Zung er aus, 
wenn einer gleich 
bene et pie docet, 
sticht ein Much, 
Maliciam non medi- 
tatur. 


|v. 5.] sie “ge- 
deneket nicht ar- 
ges): sie tracht nicht 
nach schaden Rö- 
rers Hand. 


[v. 6.] Sie frewet 
sich nicht. «der un- 
gerechtigkeit,, sie 
frewet sich aber 
‘der warheit,: Sie 
frewet sich nicht + 
wens unrecht zu- 
gehet, sie frewet 
sich aber + wens 
recht zugehet. Da- 
zu + Seholion. Sie 
lachet nicht in die 
faust, wenís dem 
fromen gewalt und 
unrecht geschicht, | 
wie is that (Du. 
vid), da david fur 
Absolom flohe. 


1) Aschemonei = do: 40 vet, 


231 


ungeberdig, scheus- 
lich thun. [stellet 
sich nicht]. Hjerzog 
Georg, er  sihet, 
wie der Teufel, 
stellet sich, als wolt 
er aus der haud 
faren, wirfft die 
hende hin und wi- 
der. Non est cupida 
nocendi. 


Wenn sich einer 
kutzel, wens den 
bonis ubel gehet, 
[frewet sich nieht| 
hat ein lust dran, 
wenn das ubel ge- 
schicht Jiniusticia], 
das er  begert, 
lachens in die faust, 
wens [ubel| anders. 
Sie: Sie lachet iu 
die faust |frewet 
sich noch], wen [den 
fromen] gewalt und 
unrecht geschicht. 
Severi Epizegexa- 
xos. grecum. Om- 
nes mutationes ex- 
citant homines [ita 
tantum Paulus ex- 
citatus]. Justiciarii 
opera sunt gemina 
viperarum, Locusta, 
cancer habet [Ari- 
stoteles| arma con- 
tra viperam. Suffo- 
cat ei collum mit 
den scheren. Sic 


232 


Non excidit, Non 
elicitar, man kan 
sie nicht dempffen. 
sie weicht nicht 
non cedit malis. 
lesst sich nicht ex- 
torrem machen. [non 
temporis]. Nullae 
res tam malae sunt, 
quae eam |dilectio- 
nem | extinguant. Ut 
Cant|ieorum: Aquae 


multae. | Hohesl. 
$, 7.] Vincit om- 
nia mala. In hae 


hören 


v. 7.| “glaubet>: 
vertrawet Rörers 
Hand. 

v. 8.] Die Liebe 
‘wird nicht múde.. 
‘so doch die Weis- 
sagungen “auffhó- 
ren werden), und 
die Sprachen auf- 
werden), 
und das Erkenntnis 
auffhóren — «wird»: 
Die Liebe höret 
nimer mher auf, 
so doch Es müssen 
auffhoren [maneat 
textus ut prius] die 
Weissagungen und 


72 


' oportuit te unum 


incedere. Sie frewet. 


. Grosse weisheit in 


hoc capite. Prophe- 


. fae sunt optimi com- 


magistri 


mentarii, loquitur 
Paulus, uf sapiens 


. vir eonsiderans to- 


tum mundum. [Nos 
legimus ut scholae 
autorem 
aliquem.| Ich habe 
lust da zu. das die 
fromen recht be- 
halten, Wenns aber 
den fromen recht 
geschicht, frewet sie 


sich mit den, die 


recht behalten, fiat 
pax et veritas 
Ezechiel. das nur 
recht zugehe [me 
veniente] frewet 
sich uber dem, das 
recht ist. Die fromen 
Leute sind hertzlich 
fro gewest, da Da- 
vid wider kam. 
econtra. 


múde: manet in 
eternum, uf infra. 
non vincitur alio- 
rum prius malicia. 
Erasmus in hac vita 
semper aliquid ha- 
bet quod agat. Ex- 
cellentiorem [initio 
dixit] viam mon- 
strabo. I. Aor. 12. 
31.) Loquitur de 
re, quae post hane 
vitam durabit In- 
terim dum non 
babemus fidem quae 


13 


vita non excidit, 
Deinde in futura 
durat in perpetu- 
um. Est ergo di- 
versa commendatio 
cum ea, quae se- 


kentnis wird auch 
 auffhóren. Rörers 
Die alte: 
Glosse (Nicht mů- . 


Hand. 


die Sprachen auff- 
hören, und das Er- 


! 
| 


233 


est emplastrum, di- 
lectio |diligere] dei 
super omnia, non 
fit in hae vita, hat 
kein ende, verlisscht 
nicht, Intensive in 


quitur, quae est de)istgestrichen; longitudinem, ex- 
temporis Charitas daneben und da- ' tensive in latitudi- 
manet benigna, pa- runter von Rö- nem non excidit 
tiens. rers Hand: wird etiam in futura 
nieht anders. und vita. 
leiden. Man thar. | 
was man wolle 80 
leidet sie es. und 
thut nicht anders. 
N. T. 1541. N. T. 1546. 
|v. 4] die liebe treibt [v. 4] die liebe treibt 


nicht mutwillen, sie blehet 
sich nicht 

[v. 5.] sie tracht nicht 
nach schaden 

[v. 6.] sie frewet sich nicht 
der ungerechtigkeit, sie frewet 
sich aber der warheit 


v. 7.] glaubet 

[v. 8.] Die liebe wird nicht 
müde, Es müssen auffhoren 
die Weissagungen, und auff- 
hören die Sprachen, und das 
Erkentnis wird auch auff- 
hóren. 


nicht mutwillen, sie blehet 
sich nieht 

[v. 5.] sie trachtet nicht 
nach schaden 

[v. 6.] sie frewet sich nicht, 
wens unrecht zugehet, sie 
frewet sich aber wens recht 
zugehet. Dazu als neue 
Glosse: (Unrecht) Sie lachet 
nicht in die Faust wenn den 
fromen gewalt und unrecht 
geschicht, wie Simei that, da 
David fur Absolom flohe. 

v. 7.] vertrawet 

[v. 8| Die liebe höret 
nimermehr auff, So doch die 
Weissagungen auffhören wer- 
den. und die Sprachen auff- 
hóren werden, und das Er- 
kentnis auffhóren wird. 


Mit aller wünschenswerten Klarheit blieken wir hier 


hinein in die besondere Artung jeder unserer Quellen, wie 
jede ihre Eigentümlichkeit hat und doch alle füreinander 
zeugen, miteinander wirken und alle zusammengehalten 
werden von dem einen, dem energischen Geist des rastlos 
sich nie genug tuenden, bis ans Ende schaffenden Bibel- 
verdeutschers Luther. 


234 14 


VI. 

Zu welcher Zeit hat Luther seine letzten Arbeiten am 
Neuen Testament getan? Die allgemeinen Zeiten haben 
wir ja schon genannt und sie ergeben sich ja ohne weiteres 
aus den Einwirkungen der Arbeiten auf die Bibeldrucke. 
Als man die Bibel 1541 aufs neue zurtistete, begab sich 
Luther und ein kleiner Kreis an die vorletzte Arbeit am 
Neuen Testament, oder wie er damals meinte an die letzte ), 
und als auf die nicht gerade vortrefflich?) gedruckte Bibel 
1545 bald eine andere folgen sollte, die von 1546, setzte 
er noch einmal im Gelehrtenkollegium die Feder an. Aber 
lassen sich nun noch genauere Zeiten festlegen? 

Cras accingar ad Novum Testamentum perlustrandum, 
sagt Luther am 22. Mai 15418). Also hebt die Arbeit wohl 
an am 23. Mai 1541. Melanchthon ist mit Cruziger in 
Regensburg). Jonas in Halle”). Sie muß vollendet sein vor 
Fertigstellung der Bibel 1541, d. h. vor September 1541). 
Die Urkunden selbst geben kein Datum an; im Briefwechsel 
findet sich keine Andeutung. Wir werden nicht fehlgehen, 
wenn wir sagen: Ende Mai bis etwa August 1541 hat Luther 
im kleinen Kreise, gedrüngt von den Setzern, bedrüngt von 
kórperliehen Leiden, die vorletzte Arbeit am Neuen Testa- 
ment vollbracht. 

Für die letzte Arbeit bietet Rórer im Protokoll Bos. q. 24" 
Bl. 37* ein brauchbares, auf den Tag festgelegtes Merkmal 
zur Datierung. Nämlich bei der Reinschrift (vgl. o. S. 210) 
zu Hómer X vermerkt er den: 19. decembris 44. Die 
Reinschrift steht hinter dem das Protokoll abschließenden 
Kapitel 2. Korinther III. Mithin können nach dem 19. De- 
zember 1544 Sitzungen nieht mehr stattgefunden haben. Die 
Bibel 1545 weist keine Einwirkungen unserer letzten Re- 
vision auf. Also hat offenbar die Revisionskonferenz nach 

1) Vgl. oben S. 218. 

2) Reichert bei Koffmane a. a. O. S. 246f, 

3) Oben S. 205 u. 207. 

) Briefwechsel des Justus Jonas S. 471. 


5) Brietwechsel Jonas II, XLIII, XLV. 
6) Reichert in: Lutherstudien 3. 206, 


15 235 


der Drucklegung des Neuen Testamentes von 1545, die 
Frühjahr und Sommer 1544!) erfolgt sein dürfte, ihren An- 
fang genommen. So bleibt denn etwa der Herbst 1544 
übrig, in dem Luther, wieder im größeren Kreise?), mit einer 
letzten Gabe?) seines Geistes das Werk abschloß, mit dem 
er vor fast einem Menschenalter auf der Wartburg be- 
gonnen hatte, 
das deutsche Neue Testament. 


1) Vgl. Reichert in: Lutherstudien S. 231. 

2) Mehrfach ist in Bos. q. 24" P. M. als Debatteredner neben 
Luther ausdrücklich angemerkt. 

3) Manches Einzelproblem unserer Quellen selbst und manches 
andere, das vielleicht mit Hilfe unserer Quellen der Lósung endlich 
nüher gebracht werden kann (z. B. die von Luther beabsichtigte 
glossa perpetua super totam Bibliam, vgl. Reichert in: Lutherstudien 
S. 232, und die auffällig häufige Behandlung neutestamentlicher Stellen 
in den Tischreden der vierziger Jahre; die Frage, ob und wie weit die 
Bibel Jena 1564 aus Nt. selbständig geschöpft hat [vgl. Albrecht 
a. a. O. S. 205] usw.), ist absichtlich übergangen und besonderer Unter- 
suchung vorbehalten. 


Lutherbriefe aus der Zeit des 
Augsburger Reichstages. 


Von W. Köhler. 


305. Lutherbriefe aus der Zeit des Augs- 
burger Reichstages. 


Unter den 29 Lutherbriefen, die der Codex Suevo-Hallen- 
sis bietet, befinden sich 4, die meines Wissens bisher un- 
bekannt sind. Die an Melanchthon gerichteten sind wenigstens 
bei Vogt und Flemming (Theol. Studien und Kritiken 1910 und 
1912) nicht verzeichnet. Der erste datiert vom 19. Mai 1530. 
Von diesem Tage kennen wir einen Brief Luthers an Jonas 
(Enders VII Nr. 1642). Luther hat an Melanchthon nichts 
Neues zu schreiben, da er alles ex proximis literis erfahren 
habe, worunter die Briefe Enders Nr. 1638 und 1639 zu 
verstehen sein werden. Aber die Botengelegenheit ist günstig, 
so schreibt er doch und erzählt zunächst von einem Besuche 
der Nürnberger Wenzeslaus Link, Friedrich Pistorius (vgl. 
Enders VII Nr. 1655), sowie des Dr. Stromer, die am 18. Mai 
den ganzen Tag bei ihm waren und ihm gute Nachriehten 
brachten. Ihm selbst geht es besser, die Kopfschmerzen, 
von denen er am 12. Mai an Melanehthon gesehrieben hatte. 
haben nachgelassen. Die Nürnberger haben ihm von einer 
Gegenschrift gegen Ecks Thesen erzählt, einem zweiten Eecius 
dedolatus — es ist die von Kawerau in den ,Beitrügen zur 
bayr. Kirehengeschiebte* V 128 ff. mitgeteilte Thesenreihe. 
Endlich beriehtet Luther von Vorbereitungen der Gegner 
zum Empfang des Kaisers in München, die jedoch Gott zu- 
sehanden gemacht habe. Das kann jedenfalls nur für den 


!) Die Zahl bedeutet die fortlaufende Nummer meiner Veröffent 
lichungen aus dem Codex Suevo-Hallensis, 


77 237 


Moment der Fall gewesen sein; denn als der Kaiser am 
10. Juni naeh München kam, wurde er glänzend aufgenommen 
(Enders VII Nr. 1654 Aum. 5). 

Der zweite Brief datiert vom 2. Juni, ein kurzes Begleit- 
sehreiben an den eilenden Boten, und zwar eine Antwort auf 
den Brief Melanehthons vom 22. Mai (Enders VII Nr. 1645). 
Hier hatte Melanchthon geschrieben: vellem, percurrisses 
artieulos fidei, in quibus si nibil putaveris esse vitii, reliqua 
utcunque tractabimus (vgl. dazu Th. Kolde: „Hist. Einleitung 
in die symbol. Bücher* 1907, S. IN). Luther schickt nun 
jetzt die exemplaria, die er hatte, zurück. Er ist geärgert. 
Denn entgegen ihrem Versprechen — man vgl. Melanehthons 
Worte: per Apelli nuntium plura seribemus a.a. O. — haben 
die Wittenberger den Boten Dr. Apels leer vortiberziehen 
lassen (vgl. dazu Enders VII Nr. 1645 Anm. 15). Wenn 
Melanchthon Besorgnisse um Luthers Gesundheit geäußert 
hatte, so kann dieser jetzt Besserung melden, dem Helfer 
Dr.Kaspar Lindemann will er bei anderer Gelegenheitschreiben. 
Die Briefe Bugenhagens, um die Melanchthon gesorgt hatte, 
schickt Luther jetzt zurück. Im übrigen bittet er nochmals. 
keine Boten leer vortibergehen zu lassen, da das nur Argwohn 
errege. Luther hat am gleichen Tage noch einen zweiten Brief 
an Melanehthon geschickt (Enders VII Nr. 1651). 

Der dritte Brief an Melanehthon datiert vom 21. August. 
Er schließt sich an an den vom vorhergehenden Tage (Enders VIII 
Nr. 1753), daher denn Luther nichts Rechtes zu schreiben weiß. 
Hieß es dort: anxie vos expecto reduces, so jetzt: nos anxie ex- 
peetamus vestrum reditum, und die dort ausgesprochene Hoff- 
nung auf Frieden — es handelt sich um die Ausgleiehsverhand- 
lungen — wiederholt Luther. Auch ist iu beiden Briefen von 
Luthers Befinden die Rede; wenn er von neuen Peinigungen 
des Satans redet, so hatte er am Tage zuvor nächtlichen Zahn- 
schmerz gemeldet. Ferner berichtet Luther über seine lite- 
rarischen Arbeiten. Am 15. August hatte er Melanchthon 
geschrieben: ego taedio quoque, non tantum capitis morbo 
Ezeehielem posui, interim minores Prophetas verto et in ista 
hebdomada absolvam deo volente (Enders VIII Nr. 1751); 
das ist eingetroffen, jetzt am 21. August sind die kleinen 
Propheten fertig und Luther kehrt zu dem beiseite gelegten 


238 78 


Ezechiel zurück. Aber es hält ihn noch die Schrift „von 
den Schlusseln“ fest; er arbeitet sie eben um (recudo; vgl. 
darüber WA XXX 2 S. 4281). Weiter spielt Luther an die 
bekannte Mönchsvision in Speyer, spectra monachorum an 
(vgl. darüber Enders VIII Nr. 1747 und O. Clemen in „Archiv 
für Kulturgesch.“ 8, 86 f. und A. Becker ib. 236 f.). Endlich 
ersucht er Melanchthon um Briefe an den Kommandanten 
der Coburg, den Schosser Arnold v. Falekenstein (vgl. über 
ihn G. Berbig, Bilder aus Coburgs Vergangenheit II, 1908 
S. 116) und teilt mit, daB er aus Nürnberg mehr Neuig- 
keiten erhalte, als die in Augsburg Befindlichen wüßten. 

Den versprochenen Brief an Kaspar Lindemann (vgl. 
über ihn O. Clemen im Briefwechsel des Gg. Helt 1907. 
E. Kroker in Beitrüge zur Geschichte der Stadt Leipzig 1908 
und O. Clemen im Neuen Archiv f. siichs. Geschichte 1909, 
S. 335 ff) hat Luther endlich am 21. Oktober, jedenfalls aus 
Wittenberg, geschrieben. Da wir Lindemanns Brief an Luther 
nicht besitzen, ist nicht alles klar in der Antwort. Linde- 
mann muß von einer disputatio de operibus dei oecultis ge- 
sprochen haben, und Luther warnt eindringlieh vor einem 
Erforschenwollen des undurchdringlichen Gotteswillens. Der 
Brief bietet einen erwünschten Beitrag zu diesem Problem aus 
Luthers Munde. Jenes Eindringen in die góttlichen Geheim- 
nisse ist Satanswerk. Mit der ersten Frage ist ftir Luther 
zugleich eine zweite erledigt, námlich der Vorwitz, wann 
eine Predigt auf den einen wirke und den andern nicht. 
Das ist Sache Gottes, nicht des Menschen. Endlich hat 
Lindemann von Luther eine neue Schrift gegen die Juden 
erbeten; Luther vertróstet ihn auf spátere Zeit. 


Charissimo fratri in domino, M. Philippo Nigroterraneo 
Melanchtoni M. L. 


Graciam et pacem in Christo. Quamvis nihil erat quod 
seriberem, mi Philippe, nolui tamen tam certum nuncium hinc 
ad vos abire inanem. Omnia vero ex proximis literis acce- 
pisti. Fueruut apud me heri tota die D. Venceslaus, D. Fride- 
ricus Abbas et D. Stromerus, grati et iucundi hospites. 
Ex quibus nihil triste audivi in tanta rerum turbacione, licet 
tentaciunculas quasdam indicabant et verbi contemptum 
querebantur — Christus autem sanet et servet eos; qui in 


19 239 


infirmitatibus nostris fortis est. Ego pene per omnia sum 
restitutus, nisi quod moderacius solito labore, ne recidam in 
turbas priores capitis. Ich muB also ein fauler mussiger 
Esel sein, in opere, sed corde non ferior. Eecium acriter 
odi eum sua Sathana, homicidam et mendacem. sed ea paci- 
encia mihi solacium est. Narraverunt mihi hospites posi- 
eiones eontrarias in eum prodire Nurenberge, quibus denuo 
dedolatur. Metuo, ne furiosus iste clamator denuo exeitet ob- 
seuros viros et res ab integro in novam tragediam urgeatur; 
nam istis clamoribus insanis tumultum hune, qui adhuc non- 
dum quievit, ipsi suseitarunt. Si mihi denuo est de votis 
seribendum, certe pingam eorum celibatum et vitam quoque, 
uon solum doetrinam. Sed dominus noster Jesus Christus 
dissipef istorum o WN consilia et infatuet eos in sapien- 


eia eorum, sieut cepit. Nam dieitur mihi Cesarem ab eis 
Monacum invitatum, sed misso illuc sudore Anglico deus dis- 
pulit et disturpavit eos. Sie eciam sic domine deus prospere 
procede et regna. Gracia dei cum omnibus vobis, Amen. 
Ora pro me. Ex comiciis nostris XIX Maij 1530. 


Suo Philippo charissimo Melanchtoni fidelissimo. M. L. 

Graciam et pacem in Christo. Nuncium hunc festi- 
nantem nolumus una hora differre, mi Philippe, ideo soli 
tibi et paucis scribo. Affert enim mea exemplaria, metuens, 
ne alius quispiam antevertat. Quamquam merebamini, ut 
nihil vobis seriberemus, qui nuncium D. Apelli vacuum trans- 
ire permisistis promissionibus vestris neclectis et fecistis 
nobis cogitaciones non bonas. D. Caspari alias scribam, mire 
me iuvit eius medieina. Mitto Pomerani literas nuper et 
hodie acceptas. Dominus vobiscum. Ego ero quam possum. 
Nolite deinceps committere. ut nuncii hac a vobis transeant 
inanes, ne nos gravetis tristibus suspicionibus. Valete omnes 
in Christo. Altera Junii 1530. 


Venerabili in Christo fratri M. Philippo Melanchtoni suo 
in domino carissimo. 

Graeciam et pacem in Christo. Hic nuncius festivus 
preteribat nec tamen volui dimittere inanem, mi Philippe. 
Nos anxie expectamus vestrum reditum, sed et literas, tamen 
spe bona pacis future ut hactenus, preterea nihil habeo 
quod scribam. Nam valetudo mea ut antea semper fuit, nisi 
forte sathan me novo aliquo malo gogitat [!] vexare, sed de 
hoe eoram. Finitis prophetis minoribus ad Ezechielem redii, 
sed modo de clavibus recudo meas cogitaciones. Dominus 
det vobis statim copiam abeundi. Spectra monachorum et 
abicionem, zov duAíztz0» vici in corde meo. Obsecro, dili- 


240 80 


genter scribite. Questori nostro iam bis scriptum est ex 
Augusta sine vestris literis, cur et vos non idem facitis tot 
redeuntibus vecturis et nunciis? Si nomen ignoratis, frater 
noster Schosser!) sie diligens est, seilicet N. a Falckenstein, 
curie marscalcus quis. Eciam Nurmberga plus novarum acci- 
pimus, quam vos ipsi sciatis. Dominus Jesus Christus sit 
vobiseum. Saluta fratres omnesque nostros. Ex eremo domi- 
nica post Agapitj 1530. T. M. L. 


Doctor Martinus Luther ad Casparem Lindenmannum. 

Graciam et pacem in Christo. Tardius respondeo, mi 
Caspar, literis tuis, sed nulla mea culpa, quod nullus certus 
exactor literas posceret nullusque nuncius certus mihi esset. 
Huldrieus vero noster has succepit procurandas ad te, ut 
perferrentur. Disputacio illa prior fratris, quem Gaium hospi- 
tem scribis, de operibus dei occultis tentatio est, quam vocant 
blasphemie, in qua multi perierunt, et ego ipse non semel 
ad mortem usque periclitatus som. Et quid est, quod nos 
miserimi homines, qui nondum radios promissionis divine 
per fidem comprehendere aut scintillas preceptorum dei per 
opera eapere possumus, que utraque verbis et miraculis ipse 
de celis confirmavit, tamen impuri et infirmi rapimur ad 
eomprehendendam maiestatem solaris lucis, imo incomprehen- 
sibilis lucis mirabilium dei? An ignoramus, quod lucem 
habitat inaccessibilem, et tamen accedimus, imo presumimus 
accedere?! Ignoramus iudicia eius imperserutabilia et tamen 
perserutari conamur?! Et hoc facimus, antequam radiis pro- 
missionis et scintillis preceptorum perfusi et imbuti sumus 
eum talpinis oculis irruentes in maiestatem lucis istius, que 
nec verbis nec signis demonstrata imo occultata est sigui- 
ficata. Quid mirum, si obruat nos gloria, dum scrutamur 
maiestatem? Quid mirum, si ordine lucis proposito nos 
perversi summam lucem ante luciferum appetimus? Oriatur 
primum lucifer, ut Petrus ait [9. Petr. 1, 19), in cordibus 
nostris, tum viderimus cubentem in meridie. Doceudum est 
quidem de voluntate dei inperscrutabili, ut sciamus, talem 
esse, sed niti, ut comprehendas eam, hoc est prepucium 
periculosissimum. Proinde ego me soleo coercere isto Christi 
verbo, quod ad Petrum dixit: Tu me sequere. Quid ad te. 
si volo illum manere? [Joh. 21, 22 f.] Siquidem Petrus de 
alieno opere dei disputabat, quid de Johanne esset futurum? 
Et ille ad Philippum, qui dixit: ostende nobis patrem et suffi- 
eit nobis, retusit dicens: Non credis, quod pater in me et 
ego in patre? Qui videt me, videt et patrem. [Joh. 14, 8 fl.) 
Nempe et Philippus maiestatem et secreta patris videre 


1) Manuskript: Schlosser. 


81 241 


voluit, quasi esset promissionibus preceptisque dei longe supra 
Christum. Sic et sapiencia dieit [Sir. 3, 22]: Altiora te ne 
quaesieris, sed que precepta sunt assidue cogita. et: finge nos 
scire iam ista iudicia dei occulta, quid fructus afferrent ultra 
precepta et promissa dei? Vide igitur ac dicito illi: si pa- 
cem volet habere cordis ac vitare pericula blasphemie et 
desperacionis, cogitaeionibus istiusmodi abstineat, cum sciat 
eerte esse incomprehensibiles. Quid igitur fatigari se sinit 
a Sathana iis, que sunt impossibilia, tanquam si quis solli- 
citus sit, quomodo terra super aquas eonsistere possit, ne 
demergatur, aut tale aliquid. Primum vero exerceat fidem 
promissionis et opera preceptorum; quibus perfectis videbit, 
an impossibilibus occupari debeat. Si ista non audierit, 
videat, ne sero peniteat, cum aliud non sit remedium quam 
ista negligere cogitata, quamquam sathana urgente sunt diffi- 
cillima neglectu. Necessaria enim facit ille serutatu—ideo. 
non minus hue pugnandum est pro contemptu quam cum 
diffidencia, desperaeione, heresi aut alia quavis tentacione. 
Maxima pars fallitur, quod non credunt has cogitaciones esse 
tentaciones sathane; ideo nemo fere eas contemnit, aut ut 
contemnat pugnat, cum ille ipse sint ista ignita iacula ne- 
quissimarum nequiciarum spiritualium in celestibus. Nam 
per eas cecidit Satan de celo, dum voluit similis esse altissimo 
omniaque nosse, que deus nosset, non contentus nosse que 
nosse oportuit. Fuga igitur hae pugnandum est et sapien- 
dum non plus quam oportet, sed ad sobrietatem. Quod qui 
non fecerit, opprimitur. Nam Christus cogitari non potest 
istis regnantibus cogitacionibus. Sie Adam prostravit, dum 
una arbore prohibita vexaret eum de sapiencia et voluntate 
dei summa. Hec est princeps tentacio et proprie diabolica. 
Ideo humana tentacione satis est fentari. 

Per idem respondebis alteri questioni, ut ille eonciona- 
tor fungatur offieio suo. quod mandavit ei deus, relinquens id 
quod non est mandatum dei, nempe scire, cur alius audiat, alius 
non audiat. Quid ad te, inquit Christus, tu me sequere. 
ME, ME, ME sequere, non tuas questiones aut cogitaciones. 

De Judeis alio libro monendis si vacaverit!), videro. 
Nune aliud instat, Vale et ora pro me dominum. 1530 octo, 21. 


I) Manuskript: vocaverit. 


nie -M 


Archiv für Reformationsgeschicute. XIV. 3 4. 16 


Luthers Hauspostille polnisch. 


Von Theodor Wotschke. 


Im Jahre 1574 erschien in Königsberg in polnischer 
Übersetzung Luthers Hauspostille. Wie schon vorher der kleine 
Katechismus und die Lieder des Reformators waren jetzt 
auch Predigten von ihm den Polen zugiinglich gemacht, ihnen 
ein wertvolles Andachts- und Erbauungsbuch geschenkt. Die 
Bemühungen um diese polnische Ausgabe der Hauspostille 
gehen etliche Jahre zurück. Mörlin, der 1567 Bischof von 
Samland wurde, wollte auch den polnischen Gemeinden seines 
Sprengels dienen. Er veranlaßte alsbald eine Übersetzung 
der Lutherschen Postille. Ihr Manuskript übergab er Sommer 
1569 dem Neidenburger Pfarrer Radomski!), der schon vor 
Jahren das Augsburger Bekenutnis ins Polnische übersetzt 
hatte?), zur Durchsicht, Beurteilung, ev. auch Überarbeitung. 
In Verbindung mit dem Lycker Pastor Hieronymus Maletius. 
der wie sein Vater Johann schon mauche Übersetzung ge- 
liefert hatte, sollte er etwaige Verbesserungen vornehmen. 
Am 16. Juni 1570 aber mußte Radomski dem Bischofe ab- 
lehnend schreiben?) Er habe vor einem Jahre bei seiner 


U Fr. Koch, Joachim Mörlin als samländischer Bischof, Königs- 
verg 1904, 5,48, schreibt für Radomius fälschlich Kadominius. 

*) Vel. Joh. Radomski und Martin Quiatkowski, die beiden ersten 
Übersetzer der Augustana ins Polnische. Altpr. Monatsschrift 1915. 

3) „Quod ad hoc usque tempus distulerim, quid sentiam de versione 
pulonica postillae domesticae I. Lutheri, ad R. P. V. perscribere, ne id 
rogo in peiorem partem capiat neque putet in officio me segniorem 
luisse, quam oportuit. Neque enim expedire negotium ob multas easque 
istas causas citius potui. Nam donum ante annum reversus omnia 
luctus plena reperi. Saeva enim mors vigente apud nos peste iam tun 
absumpserat inter alios familiares et sanguine iunctos germannm fra- 
trem uxoris meae cum uxore liberisque." 


83 243 


Rückkehr in Neidenburg die Pest gefunden. Sie habe zum 
tiefen Sehmerze besonders seiner Frau, die darüber fast 
selbst gestorben sei, seinen Schwager mit seiner ganzen 
Familie dahingeraflt, sie habe ihm in seinem Amte so viel 
Arbeit gebracht, dab er zu anderem keine Zeit habe ge- 
winnen können. Auch jetzt könne er aus Mangel an Muße 
die Übersetzung. die ziemlich feblerhaft sei), nicht ver- 
bessern. Zwischen Neidenburg und Lyck bestände keine 
Verbindung; ein Zusammenarbeiten mit dem dortigen Pfarrer 
sel ausgeschlossen. 

Schwer krank erhielt Mörlin Radomskis Brief. Am 
23. Mai des folgenden Jahres starb er. Dem jungen Herzog 
muß er von seinem Krankenlager aus die geistliche Ver- 
sorgung der polnisch sprechenden Bevölkerung an das Herz 
gelegt haben, wenigstens beauftragte dieser noch 1571 den 
Lycker Pfarrer Maletius mit der Anfertigung einer neueu 
Übersetzung. Dieser, der soeben die preußische Kirchen- 
ordnung und Luthers kleinen Katechismus von neuem ins 
Polnische übertragen hatte, antwortete erst ablehnend. Als 
aber die preußischen Statthalter und Räte am 29. Januar 1572 
von neuem an ibn herantraten, auch Zusagen für seine Arbeit 
machten, willigte er ein. Als auf seine Bitte um eine Bei- 


) .Redeo ad postillam illam polonicam, quam ex manibus R. P. V. 
aute annum accepi. Vir bonus ille, quisquis est qui eam transtulit, 
divino afflatu dubio procul hune laborem satis arduum subiit et prae- 
stitit sane aliqnid. Verum hoc ipsi defuit, quod neque orthographiam 
polonicam neque syntaxin didicit. In multis etiam locis sensum Lutheri 
uon est assecutus, praeterea plurimis germanismis est usus, id quod 
veri Poloni, imo et nostri Germano-Poloni sine interprete assequi non 
poterant. Ruthenica quoque verbula quaedam inmiscuit et in talibus 
rebus, in quibas propria et elegantia verba nobis nou desunt. Quare 
iudico. hune librum fore ecclesiis polonicis non utilem, immo nec ac- 
ceptum, nisi fideliter prius corrigatur et totus denuo describatur, quod 
et tempus et otium requirit. Ego vero alias satis occupatus, nam solus 
tantum ecclesiae praesum, non sufficio ad tantos labores suflerendos, 
Colleza meus, pastor Licensis, a me longe abest et habitat in eo loco, 
qui a nostris non aditur. In aliquot annis vix unum nuntium 
possumus habere, per quem literas invicem commutaremus. Librum 
adhune apud me relinquo et interea responsum a R. P. V. exspectabo, 
quidnam illa cum eo libro fieri velit.^ ‚Stadtbibliothek Königsberg, 
MS. S. 54.) 

16* 


244 84 


hilfe der junge Herzog unter dem 7. März aus Löten freund- 
lich und entgegenkommend geantwortet hatte, machte er sich 
alsbald an die Arbeit. Ein Student Johann Langhein unter- 
stützte ihn bei der Übersetzung, ein 18 jähriger Jüngling 
besorgte die Reinschrift des Manuskriptes. half spüter auch 
in der Druekerei bei der Korrektur. Noch erlitt die Über- 
tragung eine groDe Verzógerung hzw. muDte sie noch ein- 
mal von neuem begonnen werden. Maletius hatte auf An- 
weisung des Bischofs die Postille, die bekanntlich in einer 
zweifachen Gestalt vorliegt, anfánglich nach Veit Dietrichs 
Nachschriften übersetzt, währeud später eine herzogliche 
Anordnung bestimmte, daß die Niederschrift Georg Rörers 
der Übertragung zugrunde gelegt würde. Erst 1574 verließ 
die „Postilla domowa“ die Daubmannsche Presse. 


Beilagen. 


1. Statthalter und Räte an Maletius!). 


Nachdem jr euch durch ein schreiben bei vnserm gnä- 
digen fürsten vnd herrn leibes schwachheit halben des in 
gott ruhenden herrn doctoris Lutheri haußpostille der christ- 
lichen kirchen zu nutz jn die polnische sprache zuuertieren 
entschuldiget, S. F. Gnaden sich aber bedüuken lassen. e3 
wehre mit eurer leibesschwachheit dergestalt nicht beschaffen 
sein, das jr euch solches christlichenn werks. dadurch der 
christlichen kirchen vnd vielen armen seelen mercklichen 
gedienet, mit fugen zu entziehen, derwegen vns vfferlegt, bey 
euch derenthalben ferner anzuhalten, als begeren wir hiemit 
an stadt S. F. G. für unser persohn aber bittende, jr wollet 
euch soleher arbeit, so zu erbauung der christlichen kirchen 
gereicht, nicht entziehen, sondern vielmehr der tróstlichen 
hoffnung leben, der allmechtige gott werde euch zu uollendt- 
ziehung derselbigen, darumb wir euch fleissigk bitten, ge- 
sundtheit vndt stergke uerleihen, damit jr S. F. G. an euch 
ergangen beuehlieh zufolge dieselbige translation glücklichen 
uolziehen moget. Weil auch S. F. G. uon euch solche arbeit 
ohne geburliehe zimliehe ergeezung nieht begeren, so habt jr 
euch gegen vns zu erkleren, womit jr für habende muhe vndt 
arbeit uorgenüget sein wollet. Darauff wir vns hiemitt er- 
botten haben wollen, euer bestes dieses falls bey Sr. F. G. 


1) Die Beilagen sind der Stadtbibliothek in Königsberg ent- 
nommen. 


85 245 


zubeferdern, damit euch geburliche vondt billiche ergeczong 
widerfahren moge. \nd wollen nicht zweifeln, jr euch zu 
uortsetzung dieses christlichen werkes S. F. G. begeren nach 
aller gebür zuuerhalten wissen werdet. Vndt wollen euch 
solches hinwider an stadt S. F. G. zu nachriehtung nicht 
bergen. Datum Konigspergk, den 29. Januarii anno 1572. 
Verordnete heimgelassene stadthalter vndt rehte daselbst. 


2. Herzog Albrecht Friedrich an Maletius. 


Vnnsern gnedigen gruß zuuor. Wirdiger lieber getreuer. 
Wir seindt von vnsern stadthaltern vnd rehten berichtet, 
welcher gestalt jr euch vff vnser jungstes schreiben der 
version halbenn des Lutheri haußpostill, vnd was euch mehr 
jns polnisehe zu brengen beuohlen, erkleret. Das nun eure 
erklerung richtigk vndt dahin geschehenn, das jr solche ver- 
sion sonderlichen vornehmen wollet. das gereicht vns zu 
sonderm angenehmen gefallenn. Wir wollens auch dermaßen 
mit gnaden erkennen, daß jr deBelben ergeczung empfinden 
sollet, so solt jr nicht zweifeln, der liebe gott, als des ehr 
an demselben wergk gelegen vnd weil dadurch hoffentlich 
viel tausend sehlen zu seinem wahren erkendtnuD gebracht 
werden kónnen, werde euch auch solches reichlichen belohnen. 

Der zweier huben halben kónnen wir, ob wir euch wol 
mit gnaden gewogen vndt zu wilfahren nicht vngeneigt, vns 
doch nieht che erkleren, bib das wir derselben gelegenheit 
bericbt haben, darumb wir dann jn das ampt sehreiben lassen. 
Sobaldt vns der einkompt. wollen wir vns ferner nach ge- 
legenheit gegen euch resoluieren. Vífn fal euch aber solche 
huben nicht kónnen eiugereuhmet werden, wollen wir euch 
doch solehe eure arbeit, daran jr ein genugen haben solt, 
nieht vnbelohnet bleiben lassen. 

Den Johannem Langkheim mocht jr zu solehem wergk 
zu eueh erfordern. Wir seindt zufrieden, das jr seine hilfe 
dazu gebrauchen. also auch einen jungen, der eorrekt ab- 
schreiben kann, annehmen moget vndt werden euch wie auch 
dem Langkheim vndt dem jungen den tisch vndt vuderhalt 
auffm hause zur Lieke so lange reichen lassen, nach uol- 
lendung auch des werks vns gegen den jungen also mit 
enaden erzeigen, das er dannest auch für seine arbeit etwas 
hekomme, auch gnediglichen begerende, jr wollet nuhn mehr 
soleh wergk anfahen vndt daran sein, das es so uiel jmmer 
muglichen möge gefordert vndt vollendet werden. Das wollen 
wir jn thunlichen mit gnaden abnehmen, undt jr thut vns 
hieran ein christlich wergk vndt vnsern zuuerlessigen gne- 
digen willen vndt meinung. Datum Leczen, den 7. Martii 1572. 


246 86 


3. Maletius an Herzog Albrecht Friedrich. 


Gnedigster furst vudt herr. Ich thue E. F. D. ganz 
vntertheniglichen zu wissen, das jeh die kirchenordnung vudt 
kleinen catechismum D. Martini Lutheri ganz aus dem deut- 
schen sprach jn das polnische, wie mir dasselbige vfferlegt 
ist, zu nutz der polnischen kirchen transferiret vndt drucken 
lassen, welche nun fertig. Darneben ist mir vflerlegt worden, 
das ich die hauspostill sampt des gesangbuch desselbigen 
itzt gedachten teuren mano gottes D. Martini Luthers aus 
dem deutschen sprach jn die polnischen interpretiere vndt 
desto eher verfertige vndt in druck lasse gehen. 

Weil ich mich denn nieht allein jm deutschen, lateinischen 
vodt polnischen transferiren, sondern auch mit poluischem 
briefschreiben ann starosten vud woywoden jnn der Masau 
vud Littauen brauchen lasse. wie E. F. D. vndt derselben 
lóbliehen herrn rhäten vnuerborgen, vndt ich vor dasselbige 
meine treue dienst nicht mehr von E. F. D. allein die blosse 
vierezvgk mark habe, derhalben wil ich E. F. D.-hiemit vnter— 
theniglichen gebeten haben, E. F. D. wolle mir noch aus 
gnaden alle jhar ein kleidt geben) vnd dasselbige iu meinen 
bestallungsbrief zuschreibenn oder dieselbige ganez uorneuren 
lassen. Den gott ist mein zeuge, das ich uon den 40 m. 
ein gutten teil. wen ich hin vndt wider fahre vnd alhie zu 
konigspergk wohne. ob ich gleieh eine freie wonung. essen 
vndt trinken jm schloß aus gnaden von E. F. D. habe, uer- 
zehren vndt meine armutt uerseumen mussen. 

Bin der vngezweitfelten hoffnung, E. F. D. werden mir 
alden vnd ohne rhum zuermelden auch treuen diener, der 
ich 20 jhar vndt darüber dem ganzen laude zum besten, 
furnehmlich aber bey der litnischen grenez, da sie aufge- 
richtet seindt, gedienet vnd noeh dienen wil, so lang mich 
got der almechtige bei leben erhelt, nicht abschlagen vna 
meine bitte gnedigklichen zu hertzen führen. Hiemit thue 
ich E. F. D. dem lieben gott jn seinen schutz vnd schirm 
beuehlen vnd bitte uon herzen, er wolle E. F. D. ein seliges 
vndt glückseliges regiment nach seinem gnedigen willen 
lange zeitt uerleiben. Amen. E. F. D. vntertheniger williger 
diener Hieronymus Maletius, pfarher zur Liek. 


4. Maletius an Herzog Albrecht Friedrich. 


Notum facio III. Cels" V., quod postillam domesticam 
piae et sanetae memoriae d. doctoris Martini Lutheri ex Ger- 

) Dazu die Bemerkung: „Ein kleidt bewilligt in beywesen des 
landeshofmeisters. truchseß, des Lendorf vnd Schack *' 


8 247 


manico sermone in Polonieum summa cum diligentia trans- 
tuli. in quo equidem opere multum laboris, deus testis est 
mihi, subire coactas sum. Nam ad mandatum reverendissimi 
praesulis nostri magnam partem postillae domesticae, quae 
vivente praedieto d. doctore Martino Luthero Vitebergae edita 
est. in sermonem Polonicum transtuli. postea vero ad man- 
datum III. Cels"* V. aliam postillam domesticam omnino di- 
versam priori, quae nuper Ihenae in lucem edita est, trans- 
ferre coaetus sum. 


Porro autem quia nune vestimentis et literis veredariis. 
ut vocantur. careo, sine quibus omnibus Regiomontem versus 
nullo modo me conferre possum, quam ob rem Ill. Cels, We 
quam humillime supplico, ut III. Celsi V. mandare dignetur, 
ut mibi ex aerario III. Cels"* V. pannus et alia pro vestituto 
necessaria dentur et per praesentium latorem una eum literis 
veredariis mittantur. ut tanto citius me Regiomontem versus 
conferre possim, et ut praedictus liber in lucem prodeat, 
operam meam interponere valeam. Quemadmodum III. Celsto V. 
praedieta vestimenta anno praeterito ex singulari gratia sua 
erga me, subditum famulum suum, et amore verbi dei dueta 
singulis annis mihi dare pollicita est praesentibus, inquam, 
magnifico et generoso d. Joanne Jacobo Truchsessio, s. r. im- 
perii dapifero haereditario et domino in Waltpurgk. et gene- 
rosis dominis Casparo a Lendorff. magistro aulae, ac d. Vencislao 
Sehackio ete.. euius Ill. Cels"i* V, consensum generosus d. Wil- 
helinus Truchsessius in supplici libello. quem III. Ceis"! V. 
obtuli. manu propria scripsit, quem in manibus meis habeo. 


Praeterea notum facio I. Cels"! V., quod propter descri- 
beudam hane postillam domesticam sermone Polonico et con- 
ferendam sermone cum germanico. ut dictus liber absque 
erroribus et mendis in lucem prodire possit, foveo per inte- 
grum anni spatium propriis sumptibus adolescentulum 18 an- 
norum, qui latinam, germanicam et polonicam mediocriter 
novit. Quandoquidem anno praeterito mihi et dieto adolescentulo 
nullus cibus et potus ex aree Lvecensi datus est, id quod 
factum est propter pestem. quae anno praeterito apud nos 
grassabatur, et quia multam pecuniam debeo, quam pro vietu 
mihi et dieto adolescentulo per integrum annum eonsumpsi, 
et pro candelis 3 m. etiam exposui. Quamobrem III. Cels"! Y, 
quam humillime etiam supplico, ut III. Cels?» V. per literas 
mandare dignetur. ut ex aree Lyccensi mihi pecunia detur 
pro spatio integri anni pro cibo et potu una eum eisdem 3 m., 
quas pro candelis exposui, tantum scilicet pro cibo et potu, 
quantum III. Cels? V, ex singulari gratia iustum et aequum 
esse videbitur, ut me iam tandem ex aere alieno dissolvere 
et liberare et pro sustentatione liberorum et familiae meae, 


248 88 
quae domesticos labores me absente procurare debet, pecuniam 
habere possim. 

Denique quia adolescentalas, qui me in describendo et 
conferendo opere per integrum annum neglectis studiis suis 
fideliter adiuvit, et eundem ut mecum Regiomontem accipiam. 
necesse est propter correctionem preli typographici. ut vocant. 
(unieus enim in tam magno opere nullatenus satisfacere 
possum) vestimentis etiam caret, quae illi certo certius fretus 
promissione Ill. Cels"'* V. pollicitus sum, quamobrem Ill. Cels"! V. 
etiam atque etiam supplico, ut Ill. Cels?» V, illi etiam vesti- 
menta ex singulari gratia sua concedere dignetur et ut illi 
nune quoque per eundem praesentium latorem mittantur, 
serio mandare non dedignetur. ld quod equidem absque 
omni dubio ab Ill. Cels"* V. consecuturum me confido, quemad- 
modum III. Cels?» V. clementissimum principem et dominum 
benignissimum erga me et dictum adolescentalum in literis 
suis, quae ad me scriptae sunt, sese promittere dignata est 
quaerens, inquam, laudem et gloriam dei et utilitatem eeclesiae 
dei Christi idque non immerito dicente domino per Esaiam: 
„Et erunt reges nutritii tui et reginae nutrices tuae* (cap. 49), 
item dicente Christo Jhesu (Matth. 6). „Primum quaerite 
regnum eius et iustitiam eius et reliqua omnia adicientur 
vobis.“ Quando quidem praedictus liber a multis et piis 
hominibus summo cum desiderio, ut ex illis intellexi, exop- 
tatur et desideratur et ideo non solum in hoc ducatu lll. 
Cels"* V., sed etiam in tota Polonia, Lithuania, Masovia et 
in aliis provinciis finitimis acceptissimus futurus est, ut autem 
scriptis meis de promissione III. Cels”: V, fides adhibeatur 
et ea omnia, pro quibus nune urgente summa necessitate 
supplico, ab III. Cels"* V. tauto facilius et citius consequi 
valeam et ne pius labor iste ulterius ditferatur, ideo mitto 
III. Cels"! V. copias literarum, quae ad me ab Ill. Cels"* V. 
missae sunt una cum supplieatione, quae omnia in manibus 
meis habeo, plurimum et quam humillime supplicans. ut en 
omnia praelegere et singula bene et clementer deliberare 
non dedignetur. Pro cuius III. Cels" V. tanta erga me et 
adolescentulam, quem penes me habeo et qui me fideliter in 
opere adiuvit et ulterius mihi Regiomonti pro auxilio esse 
etiam decrevit, sine euius opera nihil hercle efficere potero, 
singulari clementia lll. Cels"* V. semper, quoad vivam et 
quoad potero, servire volo et deum omnipotentem assidue 
praecabor, ut Ill. Cels? V. quam diutissime vivat et bene valeat 
et felicissime dominetur. Amen. Ill. Cels"! Y, deditissimus 
famulus Hieronymus Maletius. 


Friedrich der Weise, der Beschützer 
Luthers und des Reformationswerkes. 


Von Paul Kalkoff. 


Noch immer ist die Auffassung weit verbreitet, daB 
Luther nach kurzer Fehde mit dem Ablaßprediger und seinen 
Gesinnungsgenossen sich mehrere Jahre leidlich ungestört 
seiner theologischen Forschung wie der Neugründung des 
Kirehenwesens widmen konnte, weil der Papst nach einigen 
Anläufen sich wenig um das Mönchsgezänk im fernsten 
Winkel Deutschlands bekümmert habe. Gleichzeitig sei die 
römische Kirche teils dureh die Schuld der Püpste, teils 
dureh geistigen Rückgang und sittlichen Verfall so zerrtittet 
gewesen, dab sie dem Untergang entgegentrieb und dem 
kühnen Neuerer nur wenig Widerstand entgegensetzen konnte. 
So war es dem Reformator möglich, sein Werk durchzu- 
führen, ohne besonderer Unterstützung zu bedürfen. am 
wenigsten von seiten eines Landesherren, der ihn zwar als 
zugkrüftigen Lehrer an seiner Hochschule geschätzt hatte, 
auch aus fürstlichem Selbstgefühl eine ungerechte Verfolgung 
seines Untertanen nicht gern gesehen, im übrigen aber sich 
beizeiten der unbequemen Angelegenheit „entschlagen“ habe, 
wie man ihn so oft versichern hört. Eine wissenschaftliche 
Begründung hatte diese Meinung neuerdings durch Th. Kolde 
erfahren, der sogar in Abrede stellte, dab der Kurfürst das 
für eine ernste und opfermutige Verteidigung Luthers er- 
forderliche Verständnis für den inneren Zusammenhang 
zwischen Luthers Lehre und seinen kirchenpolitischen Forde- 
rungen besessen habe. 

Neuerdings hat nun ein scharfsinniger Forscher wie 
(7. v. Below in einer Abhandlung über „Die Ursachen der 
Reformation )* jene Anschauung von der Unhaltbarkeit der 


1) Historische Zeitschrift 116, 377 ff. In einem für weitere Kreise 
bestimmten Aufsatz über „Luthers Heldenzeit^ habe ich die gleiche 
Frage behandelt im „Wegweiser für das werktätige Volk“. Monats- 
schrift hrsg. von Hermann Kalkoff. IV. Jahrgang, 10, Heft. Berlin 1917, 


250 90 


kirchlichen Zustzinde nachgeprüft. Als Wirtschaftshistoriker 
macht er besonders treffende Bemerkungen über die Mib- 
stände in der kirehliehen Verwaltung wie über die sozialen 
Verhältnisse in Deutsehland, soweit sie zur Unzufriedenheit 
mit der Geistlichkeit und somit zu einer Umwälzung auf 
kirchlichem Gebiet führen konnten. S0 zieht er einen lehr- 
reichen Vergleich zwischen dem weltlichen und dem kirch- 
lichen Aemterwesen und findet als Grundübel auf beiden 
Seiten die privatrechtliche Auffassung des Amtes. Man 
kann hinzufügen. dab. was die Kirche dabei in der Betäti- 
gung ihrer religiösen und sittlichen Aufgaben verlor, ihr au 
politischem Rückhalt zuwuchs: denn einmal waren der 
Aemterverkauf und die Taxen des Pfründenverkehrs eine 
der Grundfesten der päpstlichen Finanzen, und dann schuf 
die .dvnastische Begehrlichkeit* unserer Fürsten bis hinunter 
zu den stiftsfibigen Familien in Stadt und Land einen 
mächtigen Anhang; die Versorgung der kaiserlichen Räte 
und fürstlichen Kanzler mit Pfrinden ersetzte geradezu den 
Pensionsfond und alle Stände streckten nebenbei die Hände 
nach Ablafzeldern und kirchlichen Vergünstigungen aus. 
Gerade diese Abhängigkeit der Kirehe von den Interessen 
der Stánde bildete in den Taren des Abfalls einen festen 
Wall, an dem die Wogen der volkstümlichen Bewegung sich 
schließlich brechen sollten. Der Mißbrauch der geistlichen 
Zuchtmittel zu materiellen Zwecken wurde in weiten Kreisen 
bitter empfunden. aber die weltlichen Regierungen machten 
nur zu gern die Verfolgung der Gebannten ihren Zwecken 
dienstbar: wetteifernd haben Karl Y. in den Niederlanden, 
die Wittelsbacher in Bayern, die Habsburger in Wiirttem- 
berg die Konfiskation über die lutherischen Ketzer verhängt. 

Oder wenn v. below auch meines Erachtens die Be- 
hauptung, dab die Reformation die humanistischen Studien 
geschädigt habe, nicht entschieden genug zurückweist, $0 
hat er doch Recht. wenn er in bezug auf die geistigen und 
sittlichen Verhältnisse innerhalb der deutschen Kirche Licht 
und Schatten durchweg gleichmäbiger verteilt. Er scheint 
zwar die meist auf Acuberlichkeiten gerichteten Reform- 
bestrebungen der zahlreichen Ordensverbände etwas zu über- 
sehiitzen”), und eine „Steigerung der unerfreulichen Erschei- 
nungen“ in dem Gebaren nicht bloß der klösterlichen Geist- 
lichkeit ist schon wegen des Zusammenhangs der wachsenden 
Zuchtlosigkeit mit dem ökonomischen Verfall der meisten 
Stifter unter dem Druek der wirtschaftlichen Krisis unver- 


1) A. a. O. S. 394 ff. Durch den Zölibat war übrigens die Ver- 
erbung kirchlicher Aemter keineswegs ausgeschlossen, bei den hohen 
Kurialen so wenig wie in unsern Domkapiteln. 

2) S. 385, 393. 431, 132 Anm. 2. 


91 251 


kennbar. Aber es brauchten nicht gerade neue Kongre- 
gationen für die höheren kirchlichen Aufgaben einzutreten: 
vor allem die Dominikaner waren in ihrem wissenschaft- 
lichen Eifer und in der streitbaren Wahrnehmung ihrer 
richterlichen Pflichten keineswegs erlahmt: ihr „ Anteil an 
der politischen, dogmatischen und literarischen Bekämpfung 
Luthers !)* zeigt. welche Kräfte dem Papsttum zu Verteidigung 
und Angriff noch zu Gebote standen. Und wie sich an- 
gesichts besonders as empfundener lokaler Lebelstände 
doch auch entschiedene lteformbestrebungen geltend machten, 
deren Triiger sich von der alten. Kirehe zu trennen keines- 
wegs geneigt waren, ergibt sich besonders anschaulich aus 
meiner Arbeit über ,Jakob Wimpfeling und die Erhaltung 
der katholischen Kirche in Sehlettstadt* sowie über „Wimpfe- 
lings kirchliche Unterwerfung?) “. Auch die „Befestigung 
der Zentralgewalt der Kirehe* ist keineswegs nur durch 
Kompromisse mit den einzelnen Staaten erreicht worden, 
sondern auch durch Mabnahmen im Schobe der Kurie selbst, 
bei denen der Machtwille der einzelnen Träger der Tiara, 
trotz aller sittlichen Schwächen, trotz der Abwege des Ne- 
potismus sich schließlich doch in einer entschiedenen Ver- 
stärkung des päpstlichen Absolutismus verewigte. Die furcht- 
baren Vorgänge. in denen sieh diese Entwieklung abspielt, 
sind nur eine Bestätigung der auf so vielen Gebieten des 
römischen Kirchenwesens geltenden Beobachtung. daß die 
zähe Lebenskraft des romanischen Volkstums sich mit einem 
Grade von Unsittlichkeit und Unwahrheit verträgt, der auf 
das germanische Wesen schlechterdings tödlich wirkt. So ist 
auch die treffende Bemerkung v. Belows, dab die Landes- 
herren sich mehr als Träger der Gegenre formation betätigt 
haben, dahin zu ergänzen, daß das erste Musterbeispiel, das 
wir in den „Anfängen der Gegenreformation in den Nieder- 
landen)“ vor uns haben, von dem Erben des spanischen 
und des burgundischen Herrscherhauses unter Beihilfe des 
Venetianers Aleander durchgeführt wurde, dab der junge 
Spanier Ferdinand in den deutschen Erblanden dieselbe 
Richtung einschlug und daß die meisterhafte Intrige, durch 
die dem deutschen Volke das furchtbare Religionsgesetz hinter 
dem Rücken der Reichsstände aufgenötigt wurde, von roma- 
nischen Politikern geleitet wurde. Auch das römische Recht 
und seine meist in Bologna gebildeten Vertreter mit ihren 
absolutistischen Neigungen traten von vornherein als frei- 


!) Titel meiner Untersuchung in der ZKG. XXXI, 368 fl.; 
XXXII, 1f. 
2) Ztschr. f. die Gesch. des Oberrheius. N. F. XII, 4: XIII. 2; XXI, 2. 


Schriften des Vereins f. Ref.-Gesch, 79: 81. Halle 1903 4. 


6 


10 


52 92 


willige Vorkämpfer des Papsttums ein, wie vor allem der 
kaiserliche Minister Gattinara und der bayrische Leonhard 
von Eck )). 

Bei mancher Abweichung im einzelnen wird man jedoch 
mit v. Below feststellen müssen, daß die kirchliche Um- 
wälzung sich nicht aus den in Kirche und Staat herrschenden 
Zuständen, aus der Schwäche der Herrschenden, der Un- 
zufriedenheit des ganzen Volkes oder einzelner Kreise erklären 
läßt, sondern daß den idealen Motiven, die vor allem in der 
Persönlichkeit des Reformators verkörpert sind, das ent 
scheidende Gewicht beizulegen ist. Treflend vermerkt wird 
auch die Tatsache, daß Luther bei aller Bedingtheit durch 
die Geistesarbeit der voraufgehenden Geschlechter, durch 
Humanismus, Mystik und Scholastik, seine Größe bewährt 
durch die innere Freiheit und Selbständigkeit, mit der er 
diese Überlieferung in sich vereinigt. Als letzte Ursache 
des gewaltigen Ereignisses enthüllt sich also „der heroische 
Wille, der die Kraft in sich fühlte, jene Gedanken in die 
Tat umzusetzen?)“. 


Hier aber bleibt der auf Beobachtung des Zustiindlichen 
gerichtete Blick die weitere Erklärung schuldig. Wir hören. 
daß Luther zunächst nur die eigenen Gewissenskämpfe be- 
wegen, daß ihn dann bei seiner ersten Kritik nur die Sorge 
um das Seelenheil seiner Beichtkinder leitet; während Wiclif 
durch den gewollten Widerspruch gegen kirehliche Mißstände 
zum Reformator wird, sei Luther „von solchen zufälligen 
Bedingungen unabhängiger“... Gewiß, Luther hat nur mit 
innerem Widerstreben, mit schwerer Herzensangst sich von 
der alten Kirehe losgerungen. deren treuester Sohn er noch 
zu sein glaubte, als er längst von ihren Machthabern ver- 
dammt und ausgestoßen war. Gerade hier liegt also die 
Lösung des Problems: erst der Kampf, der dem schlichten 
Mönch und grübelnden Gelehrten durch die tibereilte, ver- 
ständnislose Verwerfung seiner Warnungen und Mahnungen 
aufgezwungen wurde, erzeugte in ihm den Willen. das zu 
bekennen. was er als den gottgewollten Inhalt des kirchlichen 
Lebens erkannt hatte, erzog in ihm die Kraft. dem Gebot 
seines Gewissens Geltung zu verschaffen. Im geschichtlichen 
Ereignis vollzieht sich der Ausgleich zwischen den persón- 
lichen und den zustiindlichen Vorbedingungen der Entwicklung. 
und so konnte nur die Geschichte dieser Entscheidungsjabre 


!; Vgl. Kalkotf, Die Entstehnng des Worniser Edikts. Leipzig 1913. 
S. lf. u. ö. sowie eine in der Histor. Bibliothek, München 1917, er- 
schienene Arbeit über .Das Wormser Edikt und die Erlasse des 
Reichsregiments und einzelner Reichsfürsten“. Bd. 37. 

2) S. 427; 416f. 


93 233 


die abschließende Antwort auf die Frage geben: Wie wurde 
Luther zum Reformator? 


Aber wenn die Macht des Papsttums und sein Rückhalt 
in Deutschland noch so ansehnlich. wenn der Wille der 
herrschenden Personen so entschlossen auf die Behauptung 
ihrer Macht, die rücksichtslose und schnelle Vernichtung des 
unbequemen Gegners gerichtet war und so geschickt sich 
betiitigte, wo lag die Möglichkeit für den armen Mönch, sich 
nur leidlich seiner Verfolger zu erwehren. geschweige denn 
Ruhe und Mube zu tieferer Begründung seiner Ansichten, 
zur Ausbreitung und Befestigung seiner Lehre zu gewinnen! 

GewiB hat v. Below das Richtige getroffen, wenn er vor 
einer Uberschiitzung der landesfürstlichen Interessen als eines 
die Reformation fördernden Umstandes warnt: die Landes- 
herren fanden ihre Reehnung sicherer und bequemer im Zu- 
sammengehen mit der alten Kirche, und nieht nur ein weit- 
gehendes uud eintriigliches Kirchenregiment ließ sich mit dem 
katholischen Bekenntnis vereinigen, sondern auch starke Ein- 
griffe in die kirchliche Gerichtsbarkeit. die Seelsorge und die 
sittliche Haltung der Geistlichkeit!). Diesen Weg hatte auch 
der Kurfürst von Sachsen sehon beschritten?), und wenn nun 
v. Below meint. daß er sich bei seinem Eintreten für Luther 
„zunächst durch landesherrliche Interessen und Maßnahmen 
der höheren Politik beeinflussen lieb“, so mußte ihm bei dem 
sehr bescheidenen Umfang seiner Macht im Gegenteil sehr 
bald klar werden. daß er sich in beiderlei Hinsicht nur 
schaden. ja sich den allerschwersten Gefahren aussetzen 
wiirde. Schon im Frühjahr 1518 drohten ihm die Dominikaner 
mit der Anwendnng der alten Ketzergesetze, mit Bann und 
Lehnsverlust: schon im August erließ der Papst gegen ihn ge- 
harnischte Breven und denunzierte ihn der Kaiser beim Papste 
als Beschützer eines kirchlichen Rebellen; am 9. Januar 1520 
wurde er im Konsistorium als „Feind der Religion“ angeklagt 
und in der endgültigen Bulle vom 3. Januar 1521 als Ver- 
teidiger der ketzerischen Sekte und Freund ihres Oberhauptes 
gebannt. Welche Folgerungen die Kurie und der bald mit 
ihr förmlich auch in der kirchlichen Frage verbündete Kaiser 
daraus zu ziehen entschlossen waren, braucht hier nur an- 
gedeutet zu werden. 


1) Ein lehrreiches Beispiel bietet das in ıneiner Untersuchung 
über die landesherrlichen Erlasse der zwanziger Jahre geschilderte 
Vorgehen des Markgrafen Philipp von Baden. Zu v. Below S. 113; 418, 
Uber die von ihm S. 416 Anm. 2 berührte Kirchenpolitik der Wittels- 
bacher findet sich eine eingehende quellenkritische Untersuchung in 
dem angeführten Bande der Histor. Bibliothek, Kap. 4—6 u. 8 (Baden). 


) Vgl. ZKG, XXXII, 214ff., 235 ff. 


254 "E 


GewiB, „für Luther ist jedenfalls die Haltung seines 
Landesherrn nicht der mabgebende Faktor geweseu*! So 
wenig. daB Luther sogar kein Bedenken trug. mit seinem 
Streitruf gegen den Ablaßvertrieb i in einem Augenblick hervor- 
zutreten, als an der Schloßkirche gerade eine von Friedrich 
hochbewertete Feier, die Spendung eines besonders heil- 
kräftigen Ablasses, sich vollzog, um dessen bessere Ausnutzung 
der gewissenhafte Fürst sich sieben Jahre lang in Rom be- 
müht hatte. Und bald mutete ihm der strenge Kritiker auch 
zu, sich der tröstlichen Reliquienschätze zu entsehlagen. Aber 
nur um so naendrücklicher muß demgegenüber betont werden, 
dali für die Rettung Luthers und noeh mehr für die gedeih- 
liche Entwicklung des Reformationswerkes die verständnis- 
volle und opfermutige Mitarbeit seines Landesherrn, der von 
iim mit der Geschicklichkeit und Ziihigkeit des erfahrenen 
Staatsmannes gelührte Kampf gegen die Oberhüupter der 
Christenheit der wichtigste, ja wohl der entscheidende Faktor 
gewesen ist. 

Auch einer der besten Kenner der kursächsischen Politik. 
der verdiente Herausgeber der Planitz- Berichte und der Korre- 
spondeuz Friedrichs. kommt zu dem Schluß, daß „die Durch- 
führung der Reformation zu einem glücklichen Ende nächst 
Luther vor allem dem Sehutze zu danken ist, den der Kur- 
fiirst ihm and seinem Werke angedeihen lieb')“. Nun kann 
man freilich bei der konfessionellen Spaltung Deutschlands nicht 
von einem glücklichen Ausgang schlechthin reden; aber dieses 
Ergebnis ist in der Hauptsache der bisher vielfach unter- 
schätzten Kraft der Widerstände zuzuschreiben. Gerade dieses 
Umstandes wegen ist es aber auch nicht richtig, nur von 
einer „bescheidenen Arbeit des Kurfürsten“ zu reden, „die 
Luthers gewaltige Tat zur notwendigen Voraussetzung gehabt“ 
habe. H. Virek hat übrigens die schw eren Gefahren, die dem 
Beschützer Luthers von der „in Wahrheit noch ungebrochenen* 
Macht des epetan drohten und dureh die “Haltung des 


1) H. Virck in einem feinsinnigen. wobldurchdachten Aufsatz 
(„Friedrich der Weise und Luther") in den -Deutschevanrelischen 
Blättern W. Beyschlags, XXIX. Jahrgang. 725—733. Halle 1904. Die 
Wiedergabe und Bewertung der gese ni Ereignisse von 1517 
bis 1521 ist zwar veraltet, aber die Grundzüge in der Beurteilung 
Friedrichs sind mit sicherer Hand gezeichnet, Recht wenig befriedigend 
gerade für den „l'rofanhistoriker ist die von v. Below S. 377 Anm. 
belobte Schrift H. Böhmers (Luther im Lichte der neueren Forschung), 
die nur für die Lutherforschung nn engeren Sinne eine bequeme Ein- 
führung bietet. (Vgl. zu seinem Urteil über Friedrich Z KG. XXXII, 62 
Anm. 2). Das wohlgemeinte Büchlein von O, Nasemaun über „Friedrich 
den Weisen“ (Sehr f. das deutsche Volk, hrsg, vom Verein f. Ref.-G.. 
Halle 1880) geht von den Anschauungen Th. Koldes aus und ist auch 
im übrigen stark veraltet, 


95 255 


Kaisers und der katholischen Reichsstände schon auf dem 
zweiten Nürnberger Reichstage in bedenkliche Nähe gerückt 
wurden, nicht außer Ansatz gelassen. Er weist auch schon 
auf den richtigen Weg. wenn er betont, daß nur die tiefe 
und altgewohnte Gewissenhaftigkeit des Kurfürsten ihm die 
Kraft geben konnte, trotz solcher Gefahren an der einmal 
gewonnenen Lberzeuzuug festzuhalten, daß Luthers Lehre 
der heiligen Schrift nicht widerspreche und also auch vom 
Papste nieht kurzerhand verworfen werden dürfe. Indem er 
das Wormser Edikt noch als einen vom Kaiser im Ein- 
vernehmen mit den Ständen gefabten Reichstagsbesehluß hin- 
nimmt, findet er in dem damalizen Verhalten des Kurfürsten, 
der trotz dieses schweren Kontliktes mit seinen reichsfürst- 
lichen Pflichten Luther nicht fallen lied, „den stärksten Be- 
weis dafür, wie sehr er sieh schon mit dessen religiöser 
Anschauung durchdrungen hatte!)“. 

Und in der Tat bietet sich hier der Schlüssel zum Ver— 
ständnis der kirehenpolitischen Haltung Friedrichs, den v. Below 
sehr mit Unrecht links liegen läßt, wenn er „die interessante 
Frage, zu welchem Bekenntnis sich der erste Landesherr 
Luthers gehalten habe“, mit der Bemerkung abtut, „man 
glaube nachweisen zu können, daß er zeitig auch aus innerer 
SIB UE Luthers Lehre seine Zustimmung geliehen habe?)“. 


) Virek, S. 733, 728, 732. 

2) Er führt aus meiner U ntersuehung über .. Abla und Reliquien- 
verehrung an der Schloßkirche zu Wittenberg‘ (Gotha 1907) nur die 
zusammenfassenden Sitze am Schlusse (S. 57 tt.) und nicht die Dar- 
legungen an über die Anfang 1518 von Luther dureh Spalatin dem 
Kurfürsten vermittelte Belehrung inbetreff der Heiligenverehrung und 
der rechten Art der Bibellektüre, Gleichwohl eignet er sich dabei 
ein Bedenken an, das H. Barge. den er jedoch nicht nennt, in der 
Hist. Ztschr. 99, 574 mir zu S. 45ff. entgegengehalten hatte. Indem 
Barge zugibt. daß der Kurfürst den Erwerb von Reliquien schon seit 
jener Zeit eingestellt habe. stellt er fest. dab von mir die ersten Ein- 
wirkungen Luthera auf die religiösen Anschauungen Friedrichs sehr 
früh angesetzt. werden, nur sei mein „methodisches Verfahren nicht 
vanz einwandfrei, religiöse Anfragen und Orieutierungsversuche Spalatins 
ohne weiteres auf Priedrichs Initiative zurückzufuhren*. Und v Below 
deutet nun an, daß die hier „in Betracht kommende quellenkritische 
Frage, ob Spalatin in seinen Briefen ganz das Sprachrohr seines Landes- 
nerrn war", zum mindesten in diesem Falle noch völlig offen set, 

Im Gruude handelt. es sich um die beliebte Auffassung, als ob 
Spalatin ein großer Theologe, ein einilußreicher Minister und weit- 
schauender Kurator der Universität gewesen sei, die neuerdings in den 
dilettantischen Arbeiten G. Berhigs anf die Spitze getrieben wurde. 
Es kommt bei dieser Frage also nicht bloß die Rolle in Betracht, die 
der Hofkaplan und Sekretär Friedrichs in seiner Korrespondenz mit 
Luther gespielt hat, und sie betrifft gleichermaßen deu Charakter und 
die geistige Bedeutung Friedrichs, den man als Zzleichgültig oder ver- 
stándnislos hinter den beiden Theologen verschwinden läßt. Ich habe 
daher schon in der angeführten Schrift S. 89f. ganz entschieden auf 


256 96 


Der scharfblickende Nuntius Aleander vermerkte zur 
Zeit des Wormser Reichstages zwar auch den Umstand, dab 
der Kurfürst die durch Luthers Tätigkeit hervorgerufene 
Blüte der Universität und der Stadt Wittenberg zu schätzen 
wisse, konnte sich aber dessen Parteinahme für den Erz- 
ketzer doch nur daraus erklären, daß Friedrich Luthers Lehre 
aus voller Überzeugung für den wahren katholischen Glauben 


diese Seite der Frage hingewiesen und sie im Zusammenhang mit der 
kirchenpolitischen Haupthandlung wiederholt und in amfassendem Sinne 
erörtert. In engerer „quellenkritischer“ Hinsicht kommt dabei auch 
die Arbeitsweise des Kurfürsten zur Sprache, der sich nicht nur stets 
die Initiative vorbehielt. sondern auch die Entwürfe seiner Ráte ein- 
gehend, schriftlich oder miindlich kritisierte und zur Umarbeitung 
zurückgab (vgl. die Beispiele Ablaß S. 13 ff. ZKG. XXV, 438 fl. 155 fl., 
503 ff.). Besonders lehrreich ist das Verfahren Friedrichs bei Be- 
antwortung des päpstlichen Uitimatums vom Mai 1520, wobei er seine 
eigenen Gedanken durch den braven. Sekretär formulieren ließ. die 
schärfsten Sätze aber, eine rechte nationale Kriegserklárung an die 
rómische Kurie, sich von Luther einholte (a. a. O. 3. 508 f.). Zum vor- 
liegenden Falle ist weiter zu bemerken, daß ich (Abla8 S. 44 ff.) für 
die Anfragen Spalatins die Initiative des Kurfürsten durchaus nicht 
„ohne weiteres" angenommen habe, denn Luther weist den Hofkaplan 
ausdrücklich an, seine Belehrung nach dem fortschreitenden Verstünd- 
nis eines Laien einzurichten, und in einem späterem Falle belobt Luther 
den Kurfürsten wegen geiner frommen Gewissensangst, von der er durch 
ihn befreit werden wollte (S. 46). Dabei ist es natürlich nicht aus 
geschlossen, daß schwierigere theologische Fragen durch den Beicht- 
vater des Kurfürsten angeregt wurden und daß auch die wissenr- 
durstigen Räte des Kurfürsten sich Belehrung erbaten; denn manche 
von diesen wetteiferten mit ihrem Herrn in dem Streben nach schrift- 
gemäßer Erkenntnis, wie die schönen Briefe des Herrn Y. Taubenhein, 
v. Dolzig und v. Hirschfeld zeigen (ARG. VIII, 39 Anm. 6. Wein. 
Lutherausgabe VIII, 337). Sodann war es mit dem theologische 
Interesse des fleißigen Sammlers und Ubersetzers überhaupt schwat 
bestellt, wie sein Mißverständnis in einer grundlegenden Frage des 
Ablaßstreits und. seine Inkonsequenz in der Bewertung der A blüsse be 
weisen (ARG.IX, 165. Kalkoff, Miltitziade. Leipzig 1911. S. 31 Anm. 9. 

Aber wenn v. Below die aligemeinen Ausführungen über Friedrich: 
religiöse Entwicklung im Eingang und in der Schlußbetrachtung (Adlad 
S. Iff., 88 ff.) eingehend gewürdigt hätte, 30 mußte er finden, dab ici 
nur die ältere, auch von Kóstlin und Kawerau vertretene Auffassung 
in ihrer Anwendung auf diesen einzelnen Fall sowie (in den Forschungen 
zu Luthers römischem Prozeß) in ihrer Bedeutung für die kirchet" 
politische Aktion des Kurfiirsteu zur Geltung gebracht habe. Beispiels 
weise sei an die merkwürdige Tatsache erinnert, daß bei Beginn des 
Wormser Reichstags die endgültige Baunbulle einging, in der ante! 
deutlicher Einbeziehung des Kurfürsten zum ersten Male der Ansdric 
„Lutheraner“ offiziell auf die verdammte Sekte angewendet wurde; 
in derselben Zeit übersandte Friedrich Luthers schärfste und zugleic! 
wissenschaftlich bedeutendste Streitschrift, die „Verteidigung (assertio) 
der in der Bulle .‚Exsurge“ verdammten Artikel in der lateinische? 
dann auch in der deutschen Fassung an seinen Nürnberger Gasttreu. 
A. Tucher mit der Begründung, daß er ihn „als einen guten Luthere! 
100 Kalkoff, Entstehung des Wormser Edickts. Leipzig 1913, 

; , 115. 


97 257 


halte: dem Kurfürsten von Brandenburg. seinem entschiedensten 
Widersacher gegenüber, habe er sich darauf berufen, „daß 
Luther uns das Licht gebracht habe, dessen unser Glaube 
so lange ermangelte und in dem wir zum Leben gelangen !)*. 
Es entspricht nun durchaus dem bedächtigen und gründlichen 
Wesen Friedrichs, das sich jeweils auch als Schwerfälligkeit 
and Angstlichkeit äußern mochte, wenn er mehrerer Jahre 
bedurfte, um zu dieser Klarheit und Entschiedenbeit seiner 
neuen religiösen Erkenntnis zu gelangen. Um so sicherer 
wird die Annahme, daß er schon im Beginn des Widerstreits 
zwischen seinem Professor und den Vertretern der herrschenden 
Kirchenlehre sich vergewissert hat, daß Luthers Ansichten 
über den Ablaß, über die Verdienstlichkeit der guten Werke 
oder die Anrufung der Heiligen schriftgemäß seien. In der 
Tat ist in jenen für Luther furchtbar ernsten Monaten der 
Bund fürs Leben zwischen diesen beiden deutschen Männern 
geschlossen worden, die mit gleicher Treue der Stimme ihres 
Gewissens folgten. Als sich damals, „wie Fledermäuse im 
nächtlichen Dunkel“ die Vorboten der päpstlichen Verdammung 
einstellten, die Aufforderung zu umfassendem Widerruf, das 
Verbot öffentlicher Verteidigung, die Umschmeichelung des 
Landesherrn, um die Auslieferung des Todgeweihten zu sichern, 
da wandte sich Luther (Anfang April 1518) unmittelbar an 
seinen Fürsten?). Er mochte in diesem uns leider verlorenen 
Schreiben von einer Schicksalsgemeinschaft ausgehen, die 
durch die Bosheit der Ablaßkrämer zwischen ihm und Friedrich 
hergestellt worden war: dieselben Dominikaner, die alle Hebel 
in Bewegung setzten, um den Augustiner als Ketzer dem 
Scheiterhaufen zuzuführen, hatten ausgesprengt, daß ihn der 
Kurfürst aus Neid auf den Ablaß des Erzbischofs von Mainz 
zu seinen Angriffen angestiftet habe. Soeben hatte Luther 
in der wichtigen Erklärung vom 31. März den Widerruf ver- 
weigert, den er sich auch durch einen Ketzerprozeß nicht 
werde abdringen lassen. Nun bat er seinen Landesherrn um 
Schutz gegen die zweifellos bald zu erwartenden Maßnahmen 
des höchsten Richters der Kirche. Seinen gelehrten Wider- 
sachern wollte er gleichzeitig bei dem Besuch der Heidel- 
berger Versammlung seines Ordens in öffentlicher Darlegung 
seines Systems die Stirn bieten; er mußte damit rechnen. 
daß die Kurie diese Gelegenheit benutzen würde, seine Ver- 
haftung herbeizuführen. Indem also Friedrich den kirchlichen 
Vorgesetzten Luthers ausdrücklich jede Verschickung seines 


1) ZKG. XXV, 561f. 

2) ZKG, XXXII, 434ff. oder P. Kalkoff, Zu Luthers römischem 
Prozeß. Der Prozeß des Jahres 1518. Gotha 1912. S. 86 ff. E. L. Enders, 
Luthers Briefwechsel I, Nr. 70—73, 


Archiv für Reformationsgeschichte. XIV. 83/4. 17 


258 98 


Professors verbot, nahm er unmittelbar den Kampf mit der 
höchsten Autorität auf, stellte sich als Schützer vor einen 
abtrünnigen Mönch, einen notorischen Ketzer und zog sieh 
damit selbst das folgenschwerste Urteil zu. 

Aus diesem Kampfe können hier nur einige charakte- 
ristische Züge hervorgehoben werden'), vor allem aber die 
Beobachtung, daß auf diesem Gebiet der Staatsmann die 
Leitung fest in der Hand behält, so daß er unter muster- 
hafter Ausnutzung der jeweiligen Lage die Verteidigung mit 
dem Angriff vertauscht und somit auch die Initiative nicht 
immer seinem Schützling überläßt. In wahrhaft großherziger 
Weise läßt er dabei für Luthers Betätigung in wissenschaft- 
licher Hinsicht den nötigen Spielraum: nicht nur, daß er 
seinen Wünschen für die Ausgestaltung der Hochschule mit 
Freigebigkeit und Verständnis entgegenkommt, er gestattet 
ihm auch für seine literarischen Fehden, seine leidenschaft- 
lichen Vorstóbe gegen das Papsttum eine wahrlich weit- 
gehende Bewegungsfreiheit. Mit feinstem Takt hat er die 
ihm von Rom aus gelegten Fallstricke aus dem Wege ge- 
räumt: daß der Papst durch das wunderliche Breve vom 
29. März 1519 Luther seiner Huld versicherte, da dieser 
angeblich seinen Widerruf angeboten habe, oder daß man 
ihn auch ohne vorherigen Widerruf durch den Kardinalshut 
und ein reiches Erzbistum zu ködern suchte. sollte Lutber 
gar nicht erfahren, um ihm Ruhe und Muße für wichtigere 
Fragen zu erhalten. Wenn es dann wieder geboten erschien. 
den Feuergeist zurückzuhalten und dieser seinem Landesherrn 
durch Ubereilung Schwierigkeiten bereitete, ließ er sich doch 
durch bald vorübergehenden Unmut nicht in der Verfolgung 
seines großen Zieles beirren. Und in der Bemessung dieses 
Zieles erscheint er kaum minder kühn als Luther selbst. 
Während dieser gerade mit der Forderung konkreter Maß- 
regeln noch lange zurückhielt und nur das Glaubensleben 
des einzelnen wie die Einrichtungen der Gesamtkirche wieder 
mit dem rechten evangelischen Geiste zu erfüllen suchte. 
hat Friedrich sehr bald daran gedacht, dem Papste selbst 
die Notwendigkeit einer Kirchenreform vorzuhalten. Luther 
hatte zuerst in den Erläuterungen zu den Ablaßthesen (Früh- 
jahr 1518) von dieser Reformation gesprochen, die jedoch 
nicht die Sache eines einzelnen, auch nicht eines Konzils 
sein könne, sondern nach dem Ratschlusse Gottes nur aus 
dem geläuterten Geiste der Christenheit hervorgehen könne. 
Friedrich aber hat, als der Papst ihm zumutete, sich die 


1) Vel. jetzt meine zusammentassende Darstellung „Luther und 
die Entscheidungsjahre der Reformation. Von den Ablaßthesen bis 
zum Wormser Edikt“. München und Leipzig 1917. 


99 259 


Auslieferung Luthers abkaufen odér ablisten zu lassen, eine 
Erklürung entworfen (Januar 1519) deren Inhalt er dann 
doch nur in seinem harmloseren Teile dem püpstlichen Unter- 
hiindler tibermittelte, die aber gerade deshalb für die Ge- 
sinnung Friedrichs höchst bezeichnend ist. Wie er nachmals 
der Kurie immer wieder entgegenhielt, sollte diese sehr damit 
zufrieden sein, daß er Luther nicht dureh Ausweisung zu 
einem Bündnis mit den gefährlichen böhmischen Ketzern ge- 
nötigt habe. Dann aber folgt in der verbindlichsten Form 
der scharfe Hinweis darauf, daß Luther zu seinem Vorgehen 
durch die Mißbräuche des Ablaßhandels gezwungen worden 
sei und daß die öffentliche Meinung nicht nur der Gelehrten, 
sondern der weitesten Kreise hinter ihm stehe. Wenn der 
Papst also nicht auf dem vom Kurfürsten schon in dem 
Schreiben vom 18. Dezember 1518 vorgezeichneten Wege 
eines von den berühmtesten Hochschulen gebildeten Schieds- 
gerichts, sondern mit Baun und Todesstrafe vorgehen würde, 
so müsse daraus eine gefährliche Empörung entstehen: der 
Papst möge daher diesen Anlaß vielmehr seiner väterlichen 
Pflicht entsprechend zu einer Besserung der heiligen christ- 
lichen Kirche benutzen!). 

Und der Kurfürst hat in seiner praktischen Art als 
sorgsamer Pfleger seiner landeskirchlichen Interessen dieses 
Ziel auch später nicht aus den Augen verloren. Nicht nur 
daB er sich in Worms durch seine Räte eifrig an den Be- 
ratungen des zur Prüfung der kirchlichen Mißbräuche ein- 
gesetzten Ausschusses beteiligte und die gleichen Bestrebungen 
des Erzbischofs von Köln?) benutzte, um seine Verteidigung 
Luthers im Kurfürstenrate zu verstärken, es läßt sich auch 
mit der größten Wahrscheinlichkeit dartun, daB Luther die 
Anregung und das Material zu seiner großen kirchenpolitischen 
Kampfschrift „von der Verbesserung des christlichen Gemein- 
wesens“ durch Friedrich erhalten hat?). 

Wie geschickt der Kurfürst die vielfach unsicher tastenden 
Wünsche Luthers mit den politischen Verhältnissen in Ein- 


1) V. E. Löscher, Vollständige Reformations-Acta und Documenta. 
Leipzig 1720ff. III, 15. Kalkoff, Forschungen zu Luthers römischem 
Prozeß. Rom 1905. S. 168 ff. Zu den Altenburger Verhandlungen 
überhaupt ZKG. XXV, 288 ff., 39911. 

2) In einer Untersuchung iiber,, die Anfanesperiode der Reformations- 
geschichte in Sleidans Kommentarien“ (Zeitschr. f. d. Gesch. des Ober- 
rheins 1917/18) habe ich nachgewiesen, daß die scharfe Denkschrift 
vom 22. April 1521 (Deutsche Reichstagsakten unter Karl V., hrsg. von 
A. Wrede. Gotha 1896. II, 704 ff.) von dem Kanzler Hermanns v. Wied 
ausgearbeitet worden ist, N.F. Bd. XXXII, 429ff. 

3) Vgl. Kap. X der Entscheidungsjahre oder der Einleitung zum 
II. Bd. der , Ausgewühlten Werke Luthers“, hrsg. von H. H. Borcherdt. 
München und Leipzig 1914. 


l7* 


260 100 


klang zu setzen verstand, dafür bietet seine persönliche Ver- 
handlung mit Kajetan das beste Beispiel. Luther hatte nur 
im allgemeinen gebeten, ihm die Vorladung naeh Rom dureh 
Verweigerung des Urlaubs oder Erwirkung eines Verhórs 
auf deutschem Boden zu ersparen; Friedrieh wartete erst 
den rechten Augenblick ab und vereinbarte dann die Za- 
sammenkunft Luthers mit dem erst daraufhin delegierten 
Richter unter allen für die Sicherheit und die Würde seines 
Schtitzlings wünschenswerten Bedingungen. 

Ausschlieblich der Initiative des Kurfürsten entsprang 
eine wohlgelungene Aktion, durch die er zu Anfang des 
Jahres 1520 dem schon von Rom aus angekündigten zweiten 
Prozeß die Spitze abzubrechen suchte. In diesem Falle 
handelte es sich darum, die für die Ausführung der päpst- 
lichen Zensuren. also auch des seinem Lande drohenden 
Interdikts, zuständigen Bischöfe zu einer für Luther günstigen 
Erklärung zu bringen, die es ihnen schwer machen mußte, 
den römischen Machtspruch anzuerkennen!) Luther hat sich 
dabei ganz der klugen Führung seines fürstlichen Beraters 
überlassen, und besonders am Hofe des Erzbischofs von 
Mainz wurde damit die wertvolle Bundesgenossenschaft der 
erasmisch gerichteten Räte gewonnen, die sich nachmals bei 
Bekämpfung des Wormser Edikts nützlich erweisen sollte. 
Auch die Beeinflussung der Gelehrtenwelt ließ sich Friedrich 
angelegen sein: auf das Urteil des Erasmus hat er lange 
vor der bekannten Unterredung in Köln (November 1520) 
durch berechnete Aufmerksamkeit und mit dem gewünschten 
Erfolg eingewirkt. 

Vor allem aber ist der bedeutendste politische Gedanke, 
die Bekämpfung des römischen Machtwillens auf dem Boden 
des Reichsrechts, seine weitschauende Vorbereitung schon in 
der Wahlverschreibung von 1519 und seine unermüdliche 
Vertretung auf dem Fürstentage in Köln wie auf dem Reichs- 
tage in Worms das eigenste Werk des Kurfürsten. Das Zu- 
sammengehen der beiden im Grunde doch weseusverwandten 
Männer bot gerade auf diesem Wege manche durch die Ver- 
schiedenheit des Temperaments, des Alters und der Kampfes- 
weise bedingten Schwierigkeiten. Es ist bekannt, wie Luther 
später, gereizt durch die Härte des kaiserlichen Spruches und 
die boshafte Sprache des erschlichenen Reichsgesetzes, es 
bereute, in Worms seinen „Geist gedämpft zu haben“; und 
der Kurfürst klagte nach Luthers feierlicher Erklärung vor 
Kaiser und Reich, daß dieser „viel zu kühn“ gleich zu Be- 
ginn der sorgsam vorbereiteten Verhandlung vor den Ständen 


1) Kalkoff, Miltitziade Kap. III: Der Kurfürst von Sachsen und 
die Bischöfe. 


101 261 


sein letztes Wort gesprochen habe. Denn alles war darauf 
angelegt, dem Kaiser und seinen rómischen oder romanischen 
Hintermännern eine jáhe Entscheidung, die nur zuungunsten 
Luthers und der evangelischen Sache ausfallen konnte, zu 
verlegen: wenn die Frage der Ausführung des päpstlichen 
Urteils infolge der nahe bevorstehenden Abreise des Kaisers 
vertagt werden mußte, dann war vor allem Zeit gewonnen 
für die weitere sieghafte Ausbreitung der evangelischen Lehre, 
von der die einsichtigsten Freunde, wie der kurmainzische 
Rat Capito, alles Heil erwarteten. Die Gegner waren scharf- 
sichtig genug, diesen Plan zu durchschauen, aber sie ver- 
mochten den ihrigen doch nur erst im letzten Augenblick, 
als Friedrich unter dem Druck der im Dienste Karls V. 
stehenden Kriegsmacht Sickingens das Feld geräumt hatte, 
und auch dann nur in der Form eines Staatsstreiches durch- 
zuführen. Es war immerhin ein groDer Gewinn, daB die 
Verfolgungsgesetze, die auf die völlige Ausrottung der luthe- 
rischen Sekte und die Knebelung des deutschen Geisteslebens 
abzielten, mit dem Makel der Ungesetzlichkeit behaftet waren. 
Weder das im Namen des Kaisers amtierende Reichsregiment 
noeh die sonst im kaiserlichen Lager stehenden Fürsten von 
gut katholischer Gesinnung haben sich dazu herbeigelassen, 
sich bei ihren kirchlichen Mabregeln auf das nach Form, 
Inhalt und Entstehungsweise anrüchige Edikt zu berufen). 
DaB die gegenreformatorischen Miichte auf diese Umwege 
abgedrüngt wurden, war ausschlieblich das Verdienst Friedrichs 
und hat zur Ermutigung und Stárkung der evangelisch ge- 
riehteten Kreise viel beigetragen. 

Der unfehlbare Beweis ftir den Erfolg eines Staatsmannes 
ist unter den Mitlebenden der Ingrimm der enttäuschten Gegner. 
So urteilt Aleander das eine Mal noch maßvoll, dab der Kur- 
fürst, ein durch und durch frommer Mann, als der eigent- 
liehe Urheber der lutherischen Bewegung anzusehen sei. der 
bei allem Schaden, den er der Kirche zufüge, doch nur in 
gutem und heiligem Sinne zu handeln glaube. Meist aber 
läßt er seiner Wut die Zügel schießen: so rät er Klemens VII, 
zur Absetzung Friedrichs zu schreiten, denn dieser sächsische 
Basilisk, der hinter dem Ofen zu schnarchen pflege, wenn 
er nicht gar betrnnken sei, verfüge nur über eine armselige 
Macht . . .). Aber vor allem hat der führende Dominikaner, 


1) Vgl. meine Arbeit in der Hist, Bibliothek. Noch Virck sagt 
S. 732: das Reichsregiment war keineswegs gewillt, das \Vormser 
Edikt ohne weiteres zu verleugnen. 

) Kalkoff, Aleander gegen Luther. Leipzig 1908. S. 139. 
J. v. Döllinger, Beiträge zur politischen, kirchl. u. Kultur-Geschichte. 
Regensburg 1882. III, 282. 


262 102 


der gleich Aleander tief in die Stimmungen und Absichten der 
Kurie eingeweiht war, Jakob v. Hochstraten, noch 1523 in 
einer leidenschaftlichen Schmähsehrift gegen Luther versucht. 
einen letzten Druck auf den Kurfürsten auszutiben, indem 
er diesen iu der feierlichen Sprache eines an ihn gerichteten 
Breves vor der Oeffentlichkeit beschwor, den dämonischen Ein- 
fluß Luthers abzuschütteln. Nur weil Friedrich den Ketzer- 
meister beschütze, verblendet dureh dessen Einflüsterungen, 
kónne dieser fortfahren, die Kirehe zu zerstóren; der Kurfürst 
selbst. der damit die unter Karl dem Groben und dem Papste 
Hadrian I. für das Christentum gewonnenen Sachsen der 
Hölle zuführe, werde der Züchtigung durch den mit Hadrian VI. 
verbundenen Karl V. nicht entgehen). 

Und diese Ausbrüche des Hasses sind nur zu verständ- 
lich. wenn man sich vergegenwärtigt. daß dieser bedächtige 
und vorsichtige Staatsmann, dem wir die Rettung Luthers 
und die Förderung des Reformationswerkes verdanken, in 
entscheidender Stunde kühn genug war, dem l'apste mit den 
folgenden Siitzen zu antworten, die ibm in Luthers AeuDerung 
über das Ultimatum Leos X. am besten gefallen hatten?): 

.In Deutschland, der Heimat trotziger Geister, blühen 
die Wissenschaften und neben den Kennern der biblischen 
Urspraehen bekunden aueh die Laien Verstándnis für die 
religiósen Fragen. Wenn also die Kirche den Doktor Martinus 
mit dem Bann und gewaltsamen Mitteln bedrüngt. so wird 
sie die Lage nur viel gefiihrlicher machen. Denn seine 
Lehre ist in Deutschland und darüber hinaus so weit ver- 
breitet, dab. wenn man mit Verdammung uud Todesstrafe 
gegen ihn vorgeht. statt ihn mit klaren Beweisen auf Grund 
der heiligen Schrift zu widerlegen, ein Aufrahr entstehen 
mub, der nie wieder beizulegen sein wird.“ 


1) Kalkoff, Das unechte Breve Hadrians VI. an Friedrich von 
Sachsen — eine Flugschrift Hochstratens. Theolog. Studien u. Kritiken, 
hrsg. von Kattenbusch u. Loofs. Gotha, Jahrg. 1917. S. 231—273. 

) JKG. XXV, 508f., 595. — Das oben S. 260 berührte Verdienst 
des Kurfürsten um die im Frühjahr 1519 angesichts der Leipziger 
Disputation erfolgte Annäherung zwischen Luther und Erasmus wird 
in einer demnächst erscheinenden Untersuchung über „den Brief- 
wechsel des Erasmus mit Luther und Friedrich dem Weisen“ quellen- 
mäßig als recht erheblich nachgewiesen, wobei auch für die S. 255 
Anm. 2 behauptete Inferiorität Spalatins weitere Belege gegeben werden. 


Hat Tetzel den Abla zu seiner Be- 
reicherung gemibbraucht? 


Von Ernst Kroker. 


Der Vorwurf, Tetzel habe den AblaD zu seiner Be- 
reicherung gemibbraucht, ist schon frühzeitig ausgesprochen 
worden, und zwar ebenso von katholischer wie von pro- 
testantischer Seite. Wir wissen auch, daß Tetzel nicht als 
bettelarmer Móneh gestorben ist; wie wir gelegentlich acht 
Jahre nach seinem Tode hören, hatte er auf einem größeren 
Hausgrundsttick in Leipzig 100 Gulden stehen!). Muß aber 
Tetzels Vermógen aus dem Ablabhandel herstammen? Kann 
es nieht vüterliches oder mütterliches Erbteil gewesen sein? 
Um diese Fragen beantworten zu kónnen, müssen wir auf 
Tetzels Familienverhältnisse etwas näher eingehen. 

Lange Zeit hat der Ablabprediger Johann Tetzel als 
ein geborener Leipziger gegolten. Gestützt auf die Leipziger 
Universitätsmatrikel. in der Tetzel zweimal als Leipziger 
verzeichnet ist — Johannes Tetzil de Liptzk im Winter von 
1482 auf 83 bei der Immatrikulation und Johannes Thitzell 
de Lipezick 1487 bei der Erwerbung des Bakkalaureats?) —, 
hat der Leipziger Chronist Johanu Jakob Vogel 1717 in 
seiner Monographie über Tetzel nachzuweisen versucht, 
Tetzel sei ein geborener Leipziger. Vogels Behauptung ist 
von den meisten spiiteren Sehriftstellern fast widerspruchslos 
hingenommen worden. obgleich Tetzels Zeitgenossen über- 
einstimmend bezeugen, Tetzel sei ein geborener Pirnaer ge- 
wesen. Es ist das Verdienst des Zwickauer Gvmnasialober- 
lehrers Prof. Dr. Reinhold Hofmann”), festgestellt zu haben, 
daß in den Pirnaischen Kämmereirechnungen von 1479 tat- 
sächlich ein Maths Tetezel als unansässiger Bürger in Pirna 
verzeichnet ist. In der nächsten uns erhaltenen Kämmerei- 


1) Vgl. weiter unten S. 270. 

2) Codex Diplomaticus Saxoniae Regiae, 2. Hauptteil, 16. Band 
(1895), S. 335 und 17. Band (1897), S. 297. 

enge zur sächsischen Kirchengeschichte, 8. Heft (1893), 
S. 325 fl. 


264 104 


rechnung von Pirna, der des Jahres 1490, fehlt Maths Tetezel. 
und erst in der Kümmereirechnung von 1503 ist wieder ein 
Maths Tetzel in Pirna bezeugt. Aus dem ersten dieser drei 
Einträge schließt Reinhold Hofmann mit Recht, dieser Mat- 
thias Tetzel in Pirna sei der Vater des Ablabpredigers ge- 
wesen; nach einer urkundlich nieht bezeugten örtlichen 
Überlieferung soll er ein Weißbäcker gewesen sein. und es 
wird auch noch sein Wohnhaus in Pirna gezeigt. Da nun 
aber der Sohn, der spätere Ablaßprediger, schon im Winter 
von 1482 auf 83 in Leipzig als Leipziger inskribiert worden 
ist, so folgert Reinhold Hofmann daraus weiter, man mtisse 
annehmen, der alte Matthias Tetzel sei zwischen 1479 und 
1482 von Pirna nach Leipzig gezogen, und erst später sei 
er dann wieder aus Leipzig nach Pirna zurückgekehrt. 

Aus den Leipziger Stadtkassenrechnungen hat Gustav 
Wustmann!) auch den urkundlichen Beweis für Matthias 
Tetzels Ubersiedelung von Pirna nach Leipzig beigebracht. 
Unter den in Leipzig neu aufgenommenen Bürgern steht am 
30. Mai 1485: „vff montag post trinitatis Mattis tetzel von 
Pirne vector ciuis factus dedit pro iure ciuili XXI gr. Sil- 
bern.^ d. h.: Am 30. Mai 1485 ist Matthias Tetzel von Pirna. 
ein Fuhrmann, Bürger geworden, hat für das Bürgerrecht 
21 Groschen in Silber bezahlt. Der Vater des Ablaß- 
predigers ist also nicht, wie die Pirnaische Uberlieferung 
besagt, ein Bácker gewesen, sondern ein Fuhrmann. 

Da es damals in Leipzig üblich war, das Bürgerrecht 
nur an solche Einwohner zu erteilen, die ein Haus besaßen 
oder zu kaufen beabsichtigten, so darf man annehmen, dab 
Matthias Tetzel in Leipzig ein Grundstück erworben hat. 
Die Leipziger Stadtkassenrechnungen bezeugen auch das. 
Sie enthalten Jahr für Jahr am Schluß ein Verzeichnis der 
Schulden, die der abtretende Rat dem neuen Rate zur Ein- 
treibung überließ; unter den Schuldnern sind besonders 
zahlreich die Bürger, die mit ihrem Schoß oder einem Teil 
ihres Schosses im Rückstand geblieben waren. In den Stadt- 
kassenrechnungen über das Rechnungsjahr 1485 auf 86 lesen 
wir nun: „Mattis tetzel tenetur dem Rathe von disen Jahr 
von beyden Erben XXXVI gr.“ Davor steht die später 
hinzugeschriebene Bemerkung: dedit, hat bezahlt. Matthias 
Tetzel hatte also 1485 in Leipzig zwei Grundstücke gekauft 
und war gleich im ersten Jahre den Schoß schuldig ge- 
blieben, bezahlte ihn aber nachträglich noch. Wir begegnen 
seinem Namen auch nicht wieder in diesem Abschnitt unsrer 
Stadtkassenrechnungen unter den Schuldnern der Stadt. Er 

lebte also in geordneten Vermügensverhültnissen. 


1) Geschichte der Stadt Leipzig, 1. Band (1905), S. 349. 


105 ` 265 

Die Grundstücke der einzelnen Schuldner werden in 
den Stadtkassenrechnungen nicht näher angegeben, denn in 
der damals noch verhältnismäßig kleinen Stadt war ja be- 
kannt genug, wem jedes Grundstück gehörte. Eine gewisse 
Ordnung in der Reihenfolge der Sehuldner besteht aber doch, 
und zwar ist es dieselbe Ordnung, die wir in den ältesten 
Leipziger Steuerbüchern durchgeführt sehen. Die ganze" 
Stadt ist in vier Viertel geteilt, und in jedem Viertel folgen 
sich die einzelnen StraDen und die einzeluen Grundstücke 
in einer wohl von Alters her fest bestimmten Ordnung. 
Matthias Tetzel steht unter dem Hainischen Viertel, und aus 
den vorhergehenden und nachfolgenden Namen läßt sich 
nachweisen, daß seine beiden Häuser in der Neustras extra `~ 
civitatem lagen, das ist in der jetzigen Nordstraße. 

Das Leipziger Türkensteuerbuch von 1481!) gibt uns 
ferner die Möglichkeit, die Zeit der Übersiedelung des alten 
Tetzel von Pirna nach Leipzig etwas genauer festzustellen. * 
In diesem Steuerbuch wird Matthias Tetzel noch nicht ge- 
nannt; er muß aber noch in demselben Jahre 1481 oder 
spätestens 1482 von Pirna nach Leipzig gekommen sein, * 
denn im Winter von 1482 auf 83 ist sein Sohn, der spätere 
Ablaßprediger, als Leipziger in die Matrikel eingetragen. 
In den Leipziger Stadtkassenrechnungen von 1482 auf 83 
steht ferner in der Abteilung: „Gemeyne Inname dis Jar 
obir gescheen“ unterm 23. November 1482 der Eintrag: 
„Item von Mattes furman seine pferde Ingericht gefuttert, 
Ingenomen 3 gr. Silbern.* Ist vielleicht dieser Fuhrmann 
Mattes mit Matthias Tetzel von Pirna identisch, und hatte 
seine Übersiedelung von Pirna nach Leipzig hier für ihn 
eine kurze gerichtliche Untersuchung zur Folge, wührend. 
deren seine Pferde von der Stadt auf seine Kosten gefüttert 
werden mußten? 

Daß Matthias Tetzel in Leipzig das Fuhrmannsgewerbe 
betrieb, das haben wir schon aus dem Eintrag über seine 
Aufnahme in die Bürgerschaft erfahren. Mit seinen Stallungen 
hing es wohl auch zusammen, daß er sich nicht in der inneren 
Stadt, sondern in der Vorstadt ankaufte. Für die Stadt 
oder den Rat scheint er niemals gearbeitet zu haben. Un- 
sere Stadtkassenrechnungen verzeichnen zwar unter den 
Sand-, Lehm- und Steinfuhren und bei Geschäftsreisen der 
Ratsherren zahlreiche Fuhrleute, so den Langen Barthel, 
den Kleinen Peter, den Langen Jörg, Greger Gernegroß, 
Hans Hübschmann, Hans Titze und wie sie alle heißen, aber 
ein Matthias Tetzel kommt unter ihnen nicht vor. In einer 


) Veröffentlicht von Gustav Wustmann in den Quellen zur Ge- 
schichte Leipzigs, 1. Band (1889), S. 65ff, 


— 


266 106 


Meßstadt wie Leipzig gab es für einen Fuhrmann auch sonst 
Verdienst genug. 

Wie lange Matthias Tetzel in Leipzig ansässig war. 
darüber haben wir keine Nachricht. Nach dem Türken- 
steuerbuch von 1481 ist uns erst 18 Jahre später ein zweites 
Leipziger Steuerbuch erhalten, das Landsteuerbuch von 1499 1). 
In diesem steht Matthias Tetzel nieht mehr. Da nun 1503, 
wie schon erwähnt. ein Maths Tetzel wieder in den Pirna- 
ischen Kümmereireehnungen verzeichnet ist. so hat Reinhold 
Hofmann?) vermutet, Matthias Tetzel sei schließlich nach 
Pirna zurückgekehrt. Aber das ist wohl nicht richtig. Der 
alte Tetzel scheint vielmehr schon vor dem Eintritt seines 
Sohus ins Dominikanerkloster in Leipzig gestorben zu sein. 
Am 24. September 1497 ließ sich nämlich Johann Tetzel, 
der spätere Ablaßprediger, von seinem Ordensgeneral in Rom 
die Erlaubnis erteilen, mit seinen Gütern (eum bonis suis) 
das Leipziger Kloster zu verlassen und in ein anderes Kloster 
seines Ordens einzutreten?). Güter aber konnte ein Mönch 
doch nur daun haben, wenn er selbst welche erworben hatte, 
und das war vor 1497 bei Johann Tetzel ausgeschlossen, 
oder wenn er Güter von seinem Vater ererbt hatte. Der alte 
Matthias Tetzel wird also schon 1497 nicht mehr am Leben 
gewesen sein. und wenn 1503 ein Matthias Tetzel in Pirna 
gelebt hat, so war das wohl nicht der Vater, sondern ein 
Bruder des Ablabpredigers. Übrigens war eine Sehwester 
des Ablabpredigers noch in den vierziger Jahren des 16. Jahr- 
hunderts in Pirna ansässig, und es wird von ihr erzählt, sie 
habe vier stattliche Pferde, deren sich auch ein großer Herr 
nieht hätte schämen dürfen, auf der Streu gehalten und ihren 
Kaufhandel damit getrieben*). Der Mann, der das berichtet, 
der Märkische Chronist Peter Haftitz, hatte in den vierziger 
Jahren die Schule in Pirna besucht, und er gibt wohl Reden 
wieder, wie er sie als Junge in Pirna gehürt hatte, wenn 
er hinzufügt, diese Frau sei durch ihren Bruder, den Ablaß- 
hiindler, reich geworden. 

Aber nicht nur von protestantischer Seite und aus ver- 
hältnismäßig später Zeit, sondern auch gleichzeitig und von 
katholischer Seite wird gegen Tetzel der Vorwurf erhoben, 
er habe den Ablaßhandel zu seiner eigenen Bereicherung 
gemißbraucht. So versichert der Bosauer Mönch Paul Lange 
in seiner Naumburgischen Chronik, Tetzel habe aus dem 


1) Veröffentlicht von Gustav Wustmann in den Quellen zur Ge- 
schichte Leipzigs, 1. Band (1889), S. 93 fl. 

2) A. a. O. S. 328. 

3) Vgl. Nikolaus Paulus in der Zeitschrift „Der Katholik* 81. Band 
(1901). S. 453f. 

4) Vgl. Reinhold Hofmann a. a. O, S. 327f. 


107 | 967 


Ablaü wie aus einer Fundgrube mehr als 2000 Gulden ge- 
hoben. Die schiirfsten Anschuldigungen gegen Tetzel sind 
jedoch von dem Manne erhoben worden, der als Vertrauens- 
mann des Papstes nach Deutsehland gekommen war, um den 
Thesenstreit zu schlichten, dem siichsischen Edelmann Karl 
von Miltitz, dem päpstlichen Kammerherrn, der dem Kurfürsten 
Friedrich dem Weisen die goldne Rose des Papstes tiber- 
bringen sollte. Er hatte zunächst in den ersten Januartagen 
des Jahres 1519 in Altenburg eine Bespreehung mit Luther. 
Dazu hatte er aueh Tetzel beordert, dieser aber, der sich in 
seinem Kloster in Leipzig verborgen hielt, hatte sieh ge- 
weigert, zu kommen, unter dem Vorwand, er fühle sich 


+. 


wegen seines Vorgehens gegen Luther seines Lebens in: 


Deutschland nicht mehr sicher. Miltitz zog also nach Leipzig 
weiter. um Tetzel zu verhóren, und zwar verhandelte er 
vorsichtiger Weise nicht allein mit ihm, sondern in Gegenwart 
des Leipziger Vertreters des mächtigen süddeutschen Bank- 


hauses der Fugger, das den Ablaßhandel finanziell in seinen 


Händen hatte; es war der Leipziger Kaufherr Andreas Mat- 
stet. Ratsherr von 1501 bis 1525. Uber das Ergebnis dieser 
Untersuchung berichtete Miltitz am 22. Januar 1519 an den kur- 
fürstlichen Rentmeister Degenhard Pfeffingerin folgender Weise): 

„Ich hab In vberwevst mit der Fucker Factor zu Leipzig, 
der das gelt des applas hat eingenummen, das Tetzel hat 
alle monden LXXX fl. für sein muhe gehat vnd alle kost 
frev mit eynem wagen vnd III pherd, beyrewtern, vnd alle 
monden für seynen diener X fl. ane das er gestolen und vn- 
nutz hat. Müget Ir denken, was er von der gnaden ge- 
predigt hat, vnd ab er der heyligen Römischen kyrchen 
gedint hat, oder meynem gnedigsten Hern von Mentz; das 
vnd vil anders hab ich warhafftiglich verstanden, vnd wen 
es tzeit hat, wolt Ichs euch allenthalben Entdecken, auch 
hat er II Kinder ete. Wolt das meynen allergnedigsten 
Herrn, so es euch gut dunekt. antzeigen.“ 

Durch Pfeffinger hat bald darauf auch Luther von diesem 
Brief Miltitzens erfahren; er spricht zweimal in seinen Briefen 
vom 12. Februar 1519 an Spalatin und vom 20. Februar 1519 


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an Staupitz?) von Tetzels riesigen Einkünften aus dem Ab- 


laßhandel und von der Schande, die über Tetzel gekommen 
sei, und wenn er in seinem zweiten Briefe Tetzels monat- 
liche Einkünfte auf 90 Gulden angibt, so stimmt das überein 
mit der Angabe Miltitzens, Tetzel habe monatlich 80 Gulden 
für sich und 10 Gulden für seinen Diener erhalten. 


1) W.E. Tentzel, Historischer Bericht von der Reformation Lutheri, 
mitgeteilt von E. S. Cyprian (1718), S. 380f. . 
2) E. L. Enders, Luthers Briefwechsel 1. Band (1884), S. 413 und 131. 


268 108 


Um diese sehweren Anschuldigungen Tetzels durch 
Miltitz zu entkräften, hat Nikolaus Paulus!) auf die geringe 
Zuverlüssigkeit des Briefschreibers Miltitz hingewiesen und 
ihn nach dem alten Wort „Wer einmal lügt“ als völlig un- 
glaubwürdig bezeichnet. Ich verspüre keine Neigung, Karl 
von Miltitz zu verteidigen, im Gegenteil, für die erst spáter 
auftauchende Behauptung, Miltitz sei ein scharfer Zecher : 
und oft des Weines voll seiner Zunge nicht mehr Herr ge- 
wesen?, kann ich aus den Leipziger Stadtkassenrechnungen 
einen eigenartigen Beleg beibringen. Als Miltitz zu Tetzels 
Verhór nach Leipzig kam, da erhielt er hier die übliche 
Weinspende, die der Rat Fremden von Auszeichnung zur 
Begrüßung zu senden pflegte. Der kleine Eintrag steht in 
den Stadtkassenrechnungen von 1518 auf 19 in der Ab- 
teilung: ,For geschenck vnd vorerung der fursten vnd ander 
hern diez Jar ausgegeben“ und lautet: „Item hern Carol 
von Miltitz geschanck II halbe st. reinphael, II halbe st. 
reiniseh wein vnd II halbe st. Koczschperger XXX gr.“ 
Das war, wie gesagt, die übliche Weinspende, und es war 
eine reichliche Spende, denn das Stübichen (st.) enthielt 
4 Mab oder Kannen, 6 halbe Stübichen waren also 12 Kannen 
Weins. Während aber die andern vornehmen Herren mit 
ihrer Weinspende stets zufrieden waren, so z. B. in dem- 
selben Jahre wie Miltitz Herzog Johann von Sachsen, der 
Bischof von Merseburg, der Abt von Pforta, Grai Magnus 
von Anhalt, brauchte der päpstliche Kammerherr Karl von 


Miltitz für seinen Durst noch mehr. In unsrer Stadtkassen- 


rechnung steht unmittelbar unter dem ersten Eintrag der 
Nachtrag: ,So hat der Burgermeister demselbigen hern Carol 
hennaeh holen lassen ein halb st. malmasier, ein halb st. 
reinphael vnd II halbe st. reinisch wein dafor XXVIII gr.“ 
Ein zweiter Fall derart dürfte in den Stadtkassenrechnungen 
nicht leicht nachzuweisen sein. Gegenüber diesen Einträgen 
berührt es aber eigentümlich, wenn Miltitz in seinem Brief 
an Pfeffinger klagt, er sei während seines Aufenthalts in 
Leipzig nie recht gesund gewesen. 

Ich gebe auch zu, daß Miltitz seinem Herrn, dem Papste, 
ein ungeschickter und unzuverlässiger, ja untreuer Diener 
gewesen ist, aber der Hauptpunkt in Miltitzens Briefe, der 
die hohen Einkünfte Tetzels aus dem Ablaßhandel und seine 
Veruutreuungen betrifft, wird meines Erachtens durch die 
geistigen oder sittlichen Eigenschaften des Briefschreibers in 
keiner Weise berührt, denn für die Richtigkeit dieser An- 
gaben steht ein Zeuge ein, der als Geschäftsmann allen 


) Johann Tetzel, der Ablaßprediger (1899), S. 70fl. 
2) Paulus a. a. O. S, 74. 


109 269 


Glauben verdient. der Leipziger Ratsherr Andreas Matstet. 
An ihn, den Vertreter des Bankhauses der Fugger, hatte 
Tetzel die verschlossenen Kästen mit dem Ablaßgeld abzu- 
liefern, und von ihm hatte er seine monatliche Besoldung 
zu erhalten. Ich habe mit einigem Erstaunen bemerkt, daß 
man nirgends, weder auf protestantischer noch auf katholischer 
Seite an der ganz ungerechtfertigt, ja unerhört hohen Be- 
soldung Tetzels Anstoß genommen hat. Man scheint sich 
gar nicht klar gemacht zu haben, was eine Summe von 
80 Gulden monatlich in jener Zeit bedeutete. 80 Gulden 
monatlich sind jährlich fast 1000 Gulden. In der reichen 
Handelsstadt Leipzig aber gab es 1506 nur gegen 100 Bürger. 
die ein Vermógen, wohl bemerkt, ein Vermógen, nicht etwa 
ein Jahreseinkommen von 1000 oder mehr als 1000 Gulden ver- 
steuerten. Der Oberstadtschreiber, der erste juristische Beamte 
der Stadt Leipzig, erhielt damals einen Jahresgehalt von 
100 Gulden. der erst 1557 auf 200 Gulden erhóht wurde. 


^w 


de 


Ein Mann wie Doktor Martin Luther bezog mit Weib und. 


Kind in Wittenberg einen Jahresgehalt von 200 Gulden, 


der erst später auf 300 Gulden und in den letzten Jahren 


seines Lebens auf 400 Gulden erhöht wurde. Und der Ab- 
laßprediger Tetzel, der doch das Geltibde freiwilliger Armut 
und Keusehheit abgelegt hatte, wenn er auch naeh Miltitzens 
Aussage zwei Kinder batte, der außerdem freie Kost, freies 
Fuhrwerk und freien Unterhalt seiner Begleiter hatte, erhielt 
für seine Mühe einen Jahresgehalt von fast 1000 Gulden, 
und sein ungenannter Diener -— nach Luthers Tischreden hieß 
er Veit — erhielt für seine Pfleze mit 120 Gulden einen Jahres- 
gehalt, der höher war, als der des ersten Beamten der Stadt 
Leipzig! Das war in der Tat ein böser Mißbrauch des AblaB- 
geldes. Der Vorwurf trifft allerdings weniger Tetzel, der das 
Geld gern nahm, oder das Bankhaus der Fugger, die das Geld 
willig vorstreckten, als vielmehr die geistlichen Vorgesetzten 
Tetzels, die einem Bettelmönche solche Einkünfte gewährten. 

Ob Tetzel über die ihm gewährten Einkünfte hinaus 
aueh noch widerrechtlieh, wie Miltitz versiehert, aus dem 


Ablaßhandel geschöpft hat, das ist schwer zu entscheiden. 


Es ist gewiß richtig. wenn von Nikolaus Paulus!) darauf 
hingewiesen wird, daß eine Veruntreuung von Geld, das 
einmal im Kasten geklungen hatte, nicht mehr möglich war, 
denn die Ablaßkästen waren mit mehreren Schlössern ver- 
sehen, zu denen verschiedene Männer die Schlüssel hatten, 
und die Kisten durften nur in Gegenwart des Vertreters 
der Fugger oder anderer Vertrauensmánner geöffnet werden. 
Es war ferner Vorschrift, daß der Käufer eines Ablaßbriefes 


1) A. a. O. S, 76f. 


E 


D os 


270 110 


sein Geld selbst in den Kasten einzuwerfen hatte. Aber 
wenn ein Ablaßprediger wirklich betrügen wollte, so hatte 
er trotz dieser Vorschriften bei den unerfahrenen Laien ein 
leichtes Spiel. Urkundliche Zeugnisse über Tetzels Geschäfte- 
führung beim Ablab sind uns nicht erhalten. Fest steht nur. 
daß Tetzel später eigenes Vermögen hatte, aber das kann 
er von seinem Vater ererbt haben; wie wir wissen, ist Tetzels 
Vater Besitzer von zwei Hausgrundstücken in Leipzig ge- 
wesen. Das einzige urkundliche Zeugnis, das wir über einen 
Teil von Tetzels Vermógen haben, spricht jedenfalls nicht 
zu seinen Ungunsten. Es ist ein Eintrag im Leipziger Rats- 
buch unterm 6. November 1527, also 8 Jahre nach Tetzels 
Tod. Da lesen wir: 

»Nachdem ettwan der wirdige pater Johannes Tetzel 
seliger prediger ordens alhier Hansen Vnwirden hundert 
gulden vff zinse solle außgethan vnd darnach die veter des 
Pauler Closters demselbigen Hansen Vnwirden auch X fl. 
vnd hernachmals III alde schock vorgestrackt vnd geliehen 
haben sollen, die vnen noch vnbetzalt, Derhalben sie die 
Hans Vnwirdin sein naehgelassen wittwe vmb solche Summa 
als IC XIIfl XVIII gr. vorm Radte angetzogen,“ so hat die 
Wittwe solche Sehuld zuniichst zwar bestritten, hat sich 
aber schließlich unter Vermittlung des Bürgermeisters Wolff 
Wiedemann und des Ratsherrn Heinz Webel dazu verpflichtet. 
ihre Schuld in Teilzahlungen an die Pauler Väter abzu- 
tragen !). 

Hans Unwirth war der Eigentümer des groDen Haus- 
grundstücks Nr. 605 an der Ecke der Reichsstrabe und des 
Schustergäßchens, jetzt Reichsstraße Nr. 6. Das Haus ge- 
hórte spiiter seinem Sehwiegersohne Dr. Christoph Zobel. 
der sieh als Herausgeber uud Kommentator des Saehsen- 
spiegels einen geaehteten Namen gemacht hat. 

Nach diesem Eintrag könnte es zunächst so scheinen, 
als hätte Tetzel seinem Mönchsgelübde zuwider mit eigenem 
Vermögen selbständig Geldgeschäfte getrieben. Aber mit 
diesem Eintrag ist ein älterer Eintrag im Leipziger Schöffen- 
buch unterm 6. September 1518 zu vereinigen. Da lesen wir: 

„Hanns Vnwierde hat bekannt, das yme die wirdige 
vond andechtige Herr Johannes Frickenhaußn Prior vnnd 
das Conuent zu sant Paul prediger ordens alhier zu Leiptzk 
Hundert guldenn Inn muntze zubesserung seiner nahrunge 
gelihen vnud vorgestrackt habe, darfur er gedachten vettern 
vnd Conuent mit gunst vnd willenn des erbarnn Raths seiu 
haus vnnd Erbe In der Reichsstrassen am Niclasgeblen ge- 


) Codex Diplomaticus Saxoniae Regiae, 2. Hauptteil, 10. Band 
(1894), S. 213 Nr. 304, 


111 271 


legen mit sein mietheusern vnd zugehorunge vorpfenndt vnnd 
ingesatzt, berurte Hundert vor ydermeniglich doruff zu haben 
vnnd zubekomen, trewlich vnnd vngeferlich. Actum Montags 
nach Anthonii Anno ete. XVIII.“ 

Meines Erachtens sind die 100 Gulden, die Hans Unwirth 
am 6. September 1518 von den Pauler Vätern, d. h. von 
den Dominikanern erborgt, dieselben 100 Gulden, die seine 
Witwe am 6. November 1527 nach anfänglichem Ableugnen 
den Pauler Vátern wiederzugeben verspricht. Bei der Auf- 
nahme dieser Summe wird also Tetzel als Darleiher des 
Geldes überhaupt nicht genannt, sondern das Kloster selbst 
streckt die 100 Gulden vor, und für die Rückzahlung der 
100 Gulden kommen wiederum nicht etwa Angehörige Tetzels, 


sondern allein das Kloster in Frage. Tetzel hat also in 


dieser Angelegenheit völlig einwandfrei gehandelt, indem er 
als Mönch seinem Kloster die Verfügung über sein Ver- 
mógen überlassen hat. 

Daß Mönche ihrem Kloster durch Erbschaft zuweilen 
ein Vermógen von Hunderten von Gulden zugebracht haben, 
dafür haben wir ein Beispiel aus Leipzig in einem bisher 
unbekannt gebliebenen Bittschreiben im Herzoglichen Haus- 
und Staatsarchiv in Zerbst!) Am 24. Januar 1540, also 
bald nach der Einführung der Reformation in Leipzig, wendet 
sieh der Kaplan Johannes Mühlstein an den Fürsten Georg 
von Anhalt mit der Bitte, ihm bei seinem Landesherren 
Herzog Heinrich von Sachsen gegen den Propst und die 
Brüder des Klosters zu Sankt Thomas in Leipzig zu seinem 
Rechte zu verhelfen. Vor 18 Jahren ungefährlich, das wäre 
also 1522 gewesen, gerade in dem Jahr. in dem zum erstenmal 
in Leipzig nach Lutherischen Büchern gefahndet wurde?), 
hätten ihm im Thomaskloster die Mönche alle Bücher Doc- 
toris Martini, d. h. alle Lutherischen Bücher weggenommen; 
dann habe er sich zwar mit ihrem Wissen und Willen von 
ihnen getrennt, sei nach Hom gegangen und habe da von 
seinem Ordensgeneral gänzliche Absolution erhalten und 
einen sonderlichen Befehl an alle geistlichen und weltlichen 


Obrigkeiten, ihn in seiner Person und in seinen erblichen 


(rütern zu schützen, aber trotzdem sei es ihm nicht möglich, 
seine Bücher, Bettgewand und Gelder, die er als Erbteil 
von Vater und Mutter, Großeltern und einer Tante mütter- 
licher Seite dem Kloster zugebracht hätte, vom Kloster zu- 
rückzuerhalten. Er gibt seinen gesamten Schaden auf 
600 Gulden an. Das Schriftstück, das für die Reformations- 


1) Ich verdanke den Nachweis Herrn Domprediger Lic, theol. 
Emil Körner. 
*) Gustav Wustmann, Aus Leipzigs Vergangenheit (1885), S. 67 ff. 


* 
~ 


272 112 


geschichte von Leipzig wertvoll ist, da es das Eindringen 
der Lutherischen Lehre auch in den Klóstern der von Herzog 
Georg dem Bürtigen vor allen Neuerungen streng gehüteten 
Stadt bezeugt, hat folgenden Wortlaut: 

.Dem Hochwirdigen Hochgebornen Fursten vnd herren. 
Hern Georgen Fursten zu Anhalth, Graffen zu Áscanien vnd 
herrn zu Bernburgk vnd Thumprobst zu Magdeburgk, meinem 
gnedigen herren. 

„Gnad vnd Frid von goth dem vatter vnd Jhesu Christo, 
vnserm eynigen Heyland vnd Mittler. Hochwirdiger Hoch- 
geborner Furst, gnediger herr, Ich armer E F G vnderthenniger 
Capellan fuge EFG clagende wissenn, wy ich vor 18 jharen 
vngefehrlich von dem Closter zu Sanet Thomas zu Leypezigk 
auß merglicher beschwerung Leybs vnd der sehlen, nach 
dem sy myr auch dy Bucher Doctoris Martini alle auff eyn 
mahll freuelichen genohmen, vnd von yhn nieht hab wider 
konnen bekommen, myt yhrem wyssen vnd willen abge- 
scheiden vnd auff yhren Trawen vnd glauben alle meyne 
Bucher vnd Bethgewanth etc., so ich von meinen sehligen 
Elderen vnd andern guthen freunden enpfangen vnd ins 
Closter gebracht, dy weil sy mych do ezu reitzten vnd vor- 
hilten, ich solts alles bey yhnen lassen, vnd wolten mirs als wol 
vorwaren. als hette iehs bey mir selbst, vnd wo ich hyn 
queme, myr hennach schicken, gelassen, vud doruber nicht 
meyner gewissen halbenn, sonder vrsach der oberkeith etwas 
wider mich oder meyn Erbteil vorezunehmen zuuormeiden. 
gen Rom gangen, doselbst eynn gentzliche Absolucion von 
orden mit sonderlichem beuehll ou alle geistliche vnd welt- 
liche vberkeyth, mieh hyruber yn meiner person vnnd Erb- 
liehen gutter schutz vnnd handezuhaben, wy zu der zeith 
gebreuchlich, erlangt. Es hat mich armen aber by her 
bey vhnen wider gotlich: geist: Naturlich*) oder auch yhr 
eigene Zusagung kunnen heltfen, vnnd haben myr doruber 
solehe Bucher vnd Bethgewanth sampt etzlichen guthen Schocken, 
so Sy von meynen großeldern gutter vns Closter meynnt 
wegen genohmen, uff meyn manchfeldiges freundtlichs an- 
sungung (sic) wider goth, ehr vnd recht nicht alleyne mut- 
willig vorenthalten, Sondern auch allen vleis vorgewauth, 
bey geistlicher vnd weltlicher vberkeith ohne eynige redliche 
vrsach des Landes zuuormeiden, vnnd seynt also myr armenn 
fornemlieh dordurch vrsach gewest aller beraubung vnd vor- 
enthaltung meyner Erblichen guther, so myr von vatter vnnd 
Mutter: Großeldern: vnnd Meyner sehligen Mutter leybliche 
Sehwester aldo zu Leipezig vou gotlichem vnnd Naturlichem 
recht angestorben, des ich alles wol auff dy sechs hunderth 


1) Hier feblt wohl: Recht. 


113 2273 


gulden schaden genohmen, den sy myr billich mit yhrenn 
gehulffen legen sollenn. Vnnd ob sy wolten vorwenden, sy 
wusten nicht drumb, wo es hyn kommen were, ist nichts, 
denn er (sic) ist jo noch von dem selbigen Capittel vnnd 
Brudern eyn oder sechs vorhanden, vnnd, wyrth sy yhr ge- 
wissen zu seiner zeith vyl anders lehren, vnnd ist Maus als 
Mutter. Hy bey wist (sie) ichs noch vmb gelympffs willen 
bleyben lassen, Goth gebe, das sy sich selber erkennen vnd 
bessern, das es keyner weytternn glosa bedarff. Byth der- 
halben EF G gantz vnderthenniglichen vnd vmb gotts willen, 
EFG wollen mieh armen gegen dem probst vnd capittel 
gemelts Closters gnedigliehen vorschreyben, das sy mir 
solche meyne Bucher vnd Bethgewanth etc., des yeh yhnen 
auch eyne auDgesehnittene zedel gegebenn, ohne weyttern 
vorezug sampt den gutten Schocken, so sy von meiner groß- 
eldernn gutter enpfangen, widergeben wolten vnnd vor solche 
gewalth vnd seheden gleich vnd recht thun, wy sy yhn 
wolten gethan haben, aber auch derbalben kegen Herezog 
Heynriehen, meynen Landes Fursten vnd gnedigen herrnn, 
gnedigliehen vorschreyben. Das wyl ich vmb EF G mit mey- 
nem herezlichen gebeth gegen goth alleczeith zuuordyneu ge- 
neigt vnd geflyDen seynn. Datum Sonnabenth Nach Fabiani 
vnd Sebastiani Anno ete. NL. EFG vnderthenniger Capellan 
Joannes Mulstein ).“ 

Wo Johannes Mühlstein damals Kaplan war, das geht 
aus seinem Bittschreiben nicht hervor. Einige Jahre früher 
war er nach einem Eintrag im Leipziger Ratsbuch unterm 
18. Mai 1537 Pfarrer in Kloster Mansfeld im Thüringischen: 

„Hansen Schneiders ader Sehevders baubfraw hat von 
wegen vhres mannes, der jetzt mit schwachheit beladen, 
bekandt, das yr man vnd sie an yrem hause an der gruben 
gelegen, welches Kaspar Molstevus seligen gewest, noch 12 
guthe schock Erbgeldes schuldig sein, vnd derhalb zugesagt, 
vífn nechsten Michelsmarckt 4 alde schock vnd dornaeh alle 
merekte 4 alde schock doran zubetzalen, alles nach inhalt 
deb vortrags im Erbbuche zu S. Thomas begriffen, welchs 
Er Johann Molstein, pfarrer zu Closter Manßfelt, auch also 
bewilliget, Domit wil yme aber der Radt keyne gerechtikeit 
. dortzu eingereumpt haben.  Aetum Freitags nach Exaudi, 
Anno Domini XV“ XXXVI.“ 

Die Reihe der uns dem Namen nach bekannten Pfarrer 
von Kloster Mansfeld setzt erst später ein?) und auch in 


1) Der Name sieht fast aus wie Schulstein, aber der Schreiber 
schreibt auch sonst das M wie Sch. Merkwürdig ist freilich, daB das 
anfgedriickte Siegel die Buchstaben I. S. zeigt. aber eine Familie 
Schulstein ist in Leipzig nicht nachzuweisen. 

2) Vgl. T. A. Biering, Clerus Mansfeldicus (1742) S. 190f. 


Archiv für Reformationsgeschichte. XIV. 8/4. 18 


274 | | 114 


den Archiven von Zerbst und za Magdebnrg sind keine 
weiteren Nachrichten über Johann Mühlstein zu finden. 
Über die Vermögens- und Familienverhältnisse des Mannes 
geben nur noch zwei jüngere Einträge im Leipziger Ratsbuch 
unterm 17. April und 20. April 1543 genauere Auskunft: 


„Die wolf von geryn wittwe vorm peters Thor am 
Eussersten schlage, als man zur Schießhutten gehet, hat jr 
haus vnd hof vfm Steinwege doselbst gelegen vor allen 
andern glaubigern hansen froner vmb 25 fl. vorpfendet, die 
er jr vím Rathause zugestelt hatt. dauon Sie 20fl. ein gelegt 
hat, her hansen Mulsteins seligen Kindern zustendig, von 
Marten Herlichs seligen Testament herkommend, vnd jr 
von wegen jres hauses, welchs Marten Herlichs gewest, zube- 
zahlen zustendig. Actum Dinstags nach Jubilate Anno XLII.- 


„Hans Muhlstayns Kynder vormunden. Symon Mulstavo 
lederer ist durch Elizabet, Ern Johan Mulstayns nachge- 
lassennen wittwen, zum vormunden gebetten jren kyndern 
Hansen, Sibillen, Annan, Rebecken vnnd der nachgelassenen 
wittwen seyns vettern obgedacht selbst. \nnd hat vonn 
wegen der kynder auch die wittwe Elizabet selbst vol- 
kommenne vorzicht gethan an allen den zuspruchen, so jr 
herr seliger, seyne kyndere, auch die wittwe selbst hetten 
haben mugen zu der Wolffen von Geryn hause. am eussersten 
schlage vorm Peters thore gelegen, dorauf gedachter her 
Johan Mulsteyn craft eines Testaments, So Margreta Herlichs. 
seynne Muhme, Ime beschaiden, 20 fl. gehabt, die die Wolf 
von Gerin der frawen obgedachten vnd jrer kinder vor- 
munden bar vber bezahlt vnd zuuorn beym Rath eingelegt 
gehabt hatt. Mehr haben obgedachte Vormund vnnd die 
wittwe verzicht gethan vor sich vnd von wegen der kinder 
vor 36 alde schock, So der kinder vadter vf jrem vedter- 
lichen Erbe, vorm peters thore bey der Schindtgruben ge- 
legen, welehs Hans Schneyder herren Mulsteins vadter abe- 
gekaufft vnd jtzt Hans Fischer. des Richters Diener, besitzt. 
stehen gehabt, welche 36 alde schock gedachter fischer 
Simon Mulstayn vnd der nachgelassenen wittwen Elizabet 
Ern Johan Mulstayns auch bar vber bezahlt vnnd vorm Ratt 
entricht hatt, Derhalben Symon Mulsteyn von wegen der 
kinder obgedacht als vormunde, auch die wittwe vor sich 
selbst vollkommene gentzliche vorzieht gethan, an allen den 
zuspruchen obgedachter von Gervn, Hansen Fyscher. auch 
das Closter zu Santh Thomas belangend, Nummer mer keine 
zuspruche zuerheben, als sie solehs auch angelobt haben. 
Actum freytags naeh Jubilate Anno Domini XV“ XLIII.* 


Es ist ein bewegtes Leben. das uns in diesen Auf- 
zeichnungen entgegentritt. Wegen Lutherischer Bücher im 


115 215 


Thomaskloster in Leipzig gemaßregelt, scheidet Johann 
Mühlstein aus dem Kloster aus, wandert nach Rom, bricht 
schließlich sein Mónchsgelübde, heiratet und wird evangelischer 
Pfarrer. Von dem Vermögen aber, das er dem Thomaskloster 
als Erbe von seinen Angehörigen zugebracht hatte und das 
er bei der Aufhebung des Thomasklosters zurückverlangte, 
war ein Teil auf Leipziger Grundstücken festgelegt, und das 
Erbbuch zu Sankt Thomas gab darüber Auskunft. Wäre 
dieses Erbbuch uns erhalten, so würden wir darin vielleicht 
auch noch einen oder den andern Eintrag über ähnliche 
Geldgeschäfte dieses Klosters finden. Wenn also Tetzel 
oder das Dominikanerkloster, dem er angehört hat, im Jahre 
1518 hundert Gulden Tetzelsches Geld auf ein Grundstück 
in Leipzig ausgeliehen hat, so braucht das keineswegs Ab- 
labgeld gewesen zu sein; es kann ebenso wie Mühlsteins 
Vermögen väterliches oder mütterliches Erbteil gewesen sein. 

Wenn ferner Tetzels Schwester später in Pirna vier 
stattliche Pferde hatte, so dürfen wir uns daran erinnern, 
daß schon ihr Vater Matthias Tetzel das Fuhrgeschäft betrieb, 
und zwar ebenfalls mit mehreren Pferden. Auch hier liegt 
es wohl näher. diesen Wohlstand auf den Vater als auf den 
Bruder, den Ablaßprediger, zurückzuführen. 

Und wenn endlich der Bosauer Mönch Paul Lange 
berichtet, Tetzel habe für sich mehr als 2000 Gulden aus 
dem Ablab gewonnen, so braucht das kein unrechtmäßiger 
Gewinn gewesen zu sein. Tetzel hatte etwa zwei Jahre 
lang den Ablab gepredigt; bei einem monatlichen Gehalt 
von 80 Gulden hatte er in der Tat gegen 2000 Gulden aus 
dem Ablab gezogen). 


Gegen Tetzel bleiben also eigentlich nur die ungünstigen | 


und ihn schwer belastenden Aussagen Miltitzens übrig. 


Miltitz ist nun allerdings kein unverdächtiger Belastungszeuge, ` 


darin hat Nikolaus Paulus Recht. Aber auf der andern 
Seite mub man doch fragen: Darf man Miltitz geradezu grobe 
und handgreifliche Lügen über Tetzel zutrauen, wie Paulus 
es tut? Hätte Tetzel beim Ablaßhandel nichts veruntreut, 
und hätte er nicht zwei Kinder gehabt, so wären diese Be- 
nauptungen Miltitzens wirklich grobe Lügen. Nikolaus 
Paulus hat aber vollkommen übersehen, daß Miltitzens Aus- 
sagen gar keine bloßen Behauptungen oder Vermutungen 
sind. Für Tetzels Unterschlagungen nennt Miltitz selbst seinen 
Gewäbrsmann, den Leipziger Ratsherrn Andreas Matstet, den 
Faktor der Fugger, in dessen Gegenwart Tetzel Rechnung 
abgelegt hat. Dabei müssen sich zum wenigsten starke Un- 
stimmigkeiten ergeben haben, sonst hätte Miltitz nicht eine 


1) Vgl. Paulus a. a. O. S. 78f, 
18* 


— As 


976 | 116 


.80 sehwere Anklage gegen Tetzel erheben und sich dabei 
auf Matstet berufen kónnen. Nikolaus Paulus will nun 
freilieh Matstets Zeugnis nur für den ersten. ihm harmlos 
erscheinenden Teil von Miltitzens Brief gelten lassen!). näm- 
lich für die Besoldung Tetzels, aber das ist Willkür; nach 
dem Wortlaut des Briefs schreibt Miltitz alles, was er Tetzel 
in Matstets Gegenwart nachgewiesen und „warhafftiglich 
verstanden“ hat, und daß er seinen Zeugen dabei ausdrücklich 
nennt, zeugt von einem guten Gewissen. Miltitz mußte doch 
darauf gefaßt sein, daB der kurfürstliche Rentmeister Degen- 
hard Pfeffinger, an den er seinen Brief mit diesen Beschul- 
digungen Tetzels sandte, bei dem ihm ebenfalls wohl- 
bekannten Matstet genauere Erkundigungen hierüber ein- 
ziehen würde, ja Miltitz erklärt sich selbst zu noch weiteren 
Angaben über Tetzels Geschäftsführung bereit. Da hätten 
Lügen kurze Beine gehabt. Das mußte ein Mann wie Mat- 
stet doch wirklich leicht feststellen können, ob beim Ablaß- 
handel Unregelmiibigkeiten und Unterschleife vorgekommen 
waren oder nicht. Es ist mir deshalb nicht möglich, die 
Beschuldigung Tetzels durch Miltitz als belanglos einfach 
bei Seite zu schieben. Das Wort „In ore duorum vel trium 
stat omne testimonium“ verliert zwar seine Geltung, wenn 
zwei oder drei Lügner beisammenstehen, aber einen Mann wie 
Matstet wird wohl auch Nikolaus Paulus als unverdächtigen 
Zeugen gelten lassen. 

Das Bild. das der AblaBhandel von 1517 und der Ab- 
laBprediger Johann Tetzel uns bieten, bleibt ein häßliches 
Bild. Wie Tetzel dureh seine Predigten dem Inhalte des 
Ablasses die empörende Fassung gab, die Luther zum Ein- 
greifen zwang, so war aueh Tetzels äußeres Auftreten dem 
eines Handlungsreisenden ähnlicher als dem eines Dieners 
Gottes. Nicht zu Fuß. sondern auf einem Wagen mit drei 
Pferden zog er durehs Land, mehrere Beireiter sicherten 
seine Fahrt, ein Diener sorgte für die Bequemliehkeit des 
Herrn Bettelmönchs, und wohin er kam, batte er Kost und 
Zehrung frei. Wozu brauchte er da eigentlich noch so viel 
Geld, 80 Gulden monatlich, und wofür mochte er es aus- 
geben? Und zu wessen Gunsten beging er auch noch Un- 
terschleife? Das für einen Mönch recht peinliche Geständnis, 
dab er zwei Kinder hatte, gibt wohl auf diese Fragen Antwort. 
Dieses Gestiindnis wird ihm durch Miltitz und Matstet bei 
der Untersuchung über den Verbleib des unterschlagenen 
Geldes abgedrungen worden sein. 


1) A. a. O. S. 76. 


Jodocus Neuheller, Neobolus, 
Luthers Tischgenosse. 


Von Gustav Bossert. 


Wenn ich es unternehme, noeh wührend des Krieges 
das Lebensbild eines Mannes zu zeichnen, der von Luthers 
Tisch hinweg in den Dienst der evangelischen Kirche 
Württembergs trat, und hier wie bei Luther keine so un- 
bedeutende Holle spielte, wie der sonst wohl unterrichtete 
Seidemann wollte!), muß ich beklagen, daß die 46 Briefe 
an ihn und der seines Sohnes Johannes an Pappus, welehe 
im Thesaurus Baumianus erhalten sind, zur Zeit nicht be- 
nützbar sind, weil sie wührend des Krieges in guter Ver- 
wahrung gehalten werden, um vor dem Schicksal bewahrt 
zu bleiben. das 1870 unersätzliche Schätze der Straßburger 
Bibliothek traf. Doch bieten Koldes Analecta Lutherana 
und Germanns Johann Forster einigen Ersatz. Ebenso 
schmerzlieh ist, dab die Pfarregistratur in Entringen, wie 
die des Konsistoriums in Stuttgart vóllig versagen und selbst 
der amtliche Bericht über seine mit Jakob Beurlin ausgeftihrte 
Reise nach Trient im Staatsarchiv fehlt. Doch reichen die 
Quellen aus, um den Lebensgang des Mannes aufzubellen 
und damit auch einen Beitrag zu Luthers Leben und Charakter- 
bild zu gewinnen. 

Der Name des Mannes heiDt in seiner Grabschrift und 
dem Briefwechsel C. Hubers Neuheller?) Auch der Re- 
formator von Hanau unterschreibt sich vor dem Stadtgericht 
daselbst am 12. September 1547: Philipp Newheller?). Dieser 
Name wurde mit Neobolus gräcisiert, der unserem Jodocus 
Neuheller seit seinem Wittenberger Aufenthalt im amtlichen 
und gelehrten Verkehr blieb. So nennen ihn die um die 


1) Seidemann: „Der von dem Sohn viel zu hoch hinauf gehobene 
Vater. Vgl. Baum, Capito und Butzer, S. 516“, Zeitschrift für hist, 
Theologie 1874, 129, 

2) Germann, Jos, Forster, S. 84, 225. 

5) Zimmermann, Hanan, Stadt und Land, S. 501. 


278 118 


Wittenberger Konkordie bemühten Theologen. So unter- 
schrieb er selbst das lateinische und deutsche Original des 
Bekenntnisses der Stuttgarter Synode vom 19. Dezember 1559 
(Pfaff. Acta et scripta ecclesiae Wirtembergicae S. 334, 340ff.. 
wo die Jahreszahlen 1560 und 1561 falsch sind und die 
Unterschriften fehlen. Schneider W. Ref.-Gesch. S. 114 hat 
falsch Neobulus) Der Name Neobolus wurde früh miß- 
verstanden und mit dem Pseudonym des Hessen Lening 
verwechselt, der als Huldericus Neobulus die Doppelehe des 
Landgrafen Philipp verteidigte. Denn von der Tübinger 
Matrikel 1556 (Hermelink, Matrikeln der Un. Tübingen 1, 383) 
zieht sich diese falsche Form als Denkmal historischer Un- 
genauigkeit herunter bis zu Germann S. 268 und 302 und 
Roth, Augsb. Ref.-Gesch. 2, 307 selbst bei Wiedergabe von 
Koldes Analecta, die S. 238, 253 richtig Neobolus schreiben. 


Daneben findet sich beim Hanauer Reformator die Form 
Neunheller, wie schon in der Heidelberger Matrikel Jodocus , 
als Nuynhellis eingeschrieben ist (Tópke, Heidelberger Ma- 
trikel 1, 513). Das geht zurtick auf den Namen Nuenheller, 
den zwei Ladenburger Bürger 1509 tragen. Daher heißt 
der Hanauer Reformator auch Enneobolus (Brammerell, Gesch. 
von der Kirchenreformation in der Grafschaft Hanau Münzen- 
berg vom Jahr 1523 bis 1610 S. 19) und mit diesem Namen 
schrieb Melanchthon unsern Jodocus in das Album der Witten- 
berger Magister (Köstlin. Bakkal. u. Magistri 1518 bis 1537 
S. 23). Diese Form hat aber Jodocus völlig abgelehnt. 

Seine Heimat ist, wie ich schon 1883 in ,Luther und 
Württemberg“ (Theol. Stud. a. Württb. S. 46) nachwies, Laden- 
burg bei Heidelberg. das rómische Lupodunum, das in alten 
Urkunden Lobtenburg, dann Laudenburg hieß, nicht Lauten- 
berg bei Straßburg in Ostpreußen oder Lauterburg im 
Elsab (Seidemann, Z. f. Th. 1874, 129), welches letztere noch 
Kóstlin-Kawerau 2?, 680 beibehalten ist. 


In Ladenburg lebten 1509 zwei Bürger Jost und Peter 
Nuenheller (Berain von Ladenburg 4895 im GroDherzoglichen 
Generallandesarchiv Karlsruhe). Jost war wohl der Schwieger- 
sohn der Katharina, Witwe des Schulmeisters Kon. Klein (?), 
mit welcher er Güter gemeinsam hatte (Fol. 16^ 48^). Er 
ist ohne Zweifel der Vater unseres Jodocus, der uns spáter 
als Meister Jobst, in seiner Grabschrift als Justus begegnet, 
was an Justus Jonas erinnert, der eigentlich Jodocus Koch hieB. 


In der Heidelberger Matrikel finden sich Philippus Nuw- 
heller de Ladenburgo am 8. November 1515, Georgius Nyheler 
ex Laudenburga am 8, Mai 1518, Jodocus Nuynhellis Lauden- 
burgensis am 1. Dezember 1522 eingeschrieben (Tópke 1.504, 
513, 523). Man wird kaum irre gehen. wenn man in ihnen 


119 | 219 


drei Brüder sieht. War ihr mütterlicher Großvater Schul- 
meister in Ladenburg gewesen, dann läßt sieh verstehen, 
daß die Großmntter und die Eltern den Ehrgeiz hatten, allen 
drei Brüdern eine akademische Bildung zu geben. Der 
mittlere derselben, Georg, ist bis jetzt noch unbekannt. Der 
älteste aber, der, wie sein Pfälzer Landsmann Melanchthon, 
wohl dem Kurfürsten Philipp zu Ehren seinen Namen be- 
kommen hatte, gab am 12. September 1547 an, er sei 53 Jahre 
alt, war also 1494 geboren. bezog also erst mit 21 Jahren 
die Universität, erlangte aber nie die Würde eine Magisters, 
ja nicht einmal die eines Bakkalaureus, was auf dürftige 
Verhältnisse hinweisen wird. Im Jahre 1528 wurde er als 
Gehilfe des Pfarrers Adolf Arbogast nach Hanau berufen, 
war aber 1532 schon Arbogasts Nachfolger. Hatte dieser 
im Geist Luthers gepredigt, aber mit der Reformation der 
Stiftskirche schonend verfahren, so ließ auch Philipp Neuheller 
erst noch Dekan und Kapitel des Stifts ihre gewohnten 
Gottesdienste versehen, da ihm das Kapitel die evangelische 
Predigt und Sakramente zugestand'). Es gelang ihm, das 
Volk für die neue Lehre zu gewinnen. 1543 gab er einen 
Katechismus heraus, der aber noch nicht wieder aufgefunden 
ist?), und vielleicht nur ein für Hanau bestimmter Abdruck 
des Frankfurter Katechismus ist. In diesem Jahr 1543 
wurde er auch beauftragt, mit Erasmus Sarcerius, die nach 
Erasmus Albers Abgang zerfahrenen Verhältnisse in Baben- 
hausen zu ordnen?) Gegenüber der Zumutung des Interims 
erklärt er mit 14 anderen Predigeru der Grafschaft Hanau 
am 19. November 1548, sie hätten sich stets an die Augs- 
burgische Konfession gehalten und wollten dabei bleiben)). 
Bei der Visitation nannte der Mainzer Weihbischcf Mich. 
Helding am 19. November 1549 Neuheller einen Schwärmer“), 
aber er rettete sich dureh die schwere Zeit des Interims, starb 
jedoeh mitten im Kriegssturm um Frankfurt am 28. Juni 1552. 


Noch ist seine Stellung innerhalb der Reformation und 
seine Beziehung zu Jodocus Neuheller noch tiefer und ohne 
konfessionelle Voreingenommenbeit zu erforschen, während 
bisher lutherische uud kalvinische Standpunkte die Aussagen 
über ihn beherrschten. die nicht einmal beachteten, daß 
Sarcerius gewib nie in Babenhausen mit einem Luther ab- 

!) Brainmerell a. a. O. S. 19. Brammerell, Weitere Ausführung 
T eee der Grafschaft Hanau-Münzenberg, S. 26. Bei- 
age . 

à 2) Reu, Mitteldeutsche Katechismen, S. 448, Den Hinweis ver- 
danke ich Prof, Flemming. 

3) Hanausches Magazin 2, 352. 

*) Zimmermann S, 608. 

>) Ebd. S. 614. 


280 120 


geneigten Mann zusammen gearbeitet hätte, und daß auch 
in Württemberg, wo Jodocus im Amt stand, neben Einfachheit 
des Gottesdienstes eine Kirchen- und Gemeindeverfassung 
nach Schweizer Muster fehlte. 

Gehen wir nun zu Jodocus Neuheller. Er ist geboren 
1504, denn nach seiner Grabschrift iu Entringen starb er 
im 68. Lebensjahre im Jahre 1572. Das stimmt mit den 
Angaben von Augustin Brunnius aus Annaberg in seinem 
Libellulus synoptieus theologieus compendiosus, einer Samm- 
lung kurzer Biographien von Theologen, S. 93. Brunnius 
war als Pfarrer von Unterjesingen der niichste Nachbar des 
Sohnes und Nachfolgers unseres Jodocus, des M. Johannes 
Neobolus, von welehem er glaubwürdige Nachrichten erhielt. 

Am 1. Dezember 1522 bezog er die Universität Heidel- 
berg (Tópke 1, 513). Hier traf er zwar Joh. Brenz nieht 
mehr, der kurz vorher das Predigtamt in Schwäbisch-Hall - 
übernommen hatte. aber Martin Frecht, das angesehene Haupt 
der Artistenfakultät bis 1529, worauf er eine theologische 
Professur übernahm, ferner Hermann von Busche, Simon 
Grynáus und bis 1524 Joh. Isenmann.  Frecht erinnerte in 
seinem Brief vom 9. Dezember 1536 Neuheller an seine - 
frühere Liebe zu ihm!). Uber Neubellers Studien in Heidelberg 
und die Dauer seines Aufenthalts dort erfahren wir nichts. 
Erst im Sommer 1532 lichtet sich das Dunkel tiber seinen 
Lebensgang. Wahrscheinlich nötigten ihn seine spärlichen 
Mittel, auf die Erwerbung der Magisterwürde zu verzichten 
und die Stelle eines Pädagogen für einen jungen wohl- 
habenden Studenten zu übernehmen.  Vielleieht war dies 
Johannes von Lówenstein, mit welchem Neuheller 1532 die 
Universität Wittenberg bezog, nachdem Heidelberg durch die 
Berufung Frechts in seine Vaterstadt Ulm im Sommer 1531 
einen ihrer bedeutendsten Lehrer verloren hatte und 30 
noch ¿irmer an tüchtigen Kräften geworden war. 

Im Sommersemester 1532 wurde Jodocus Neuheler 
Lautenbergensis neben dem schon genannten Johannes von 
Lówenstein (Lóbenstein) in das Album der Universität Witten- 
berg eingetragen, leider ohne Tagesdatum?). Lange kann 
sein Aufenthalt dort nicht gewährt haben, denn Caspar 
Huber schreibt, M. Jobst, d. h. Neuheller, sei der Priizeptor 
von Peter Honolds Sohn bis ins dritte Jahr zu Augsburg 
gewesen und dann mit dem Knaben nach Wittenberg ge- 
sehiekt worden?) Da der junge Johannes Honold (Hanolt) 
Ende des Wintersemesters 1534 35, das am 30. April 1535 


1) Kolde, Analecta Luth. S. 280: Pro tuo in me amore. 
2) Fórstemann, Album Viteberg, F. 145^ Nr. 15. 
3) Germann, Joh. Forster S. 83, 


121 281 


endigte), in Wittenberg inskribiert wurde, so sind die nicht 
ganz vollen drei Jahre seiner Erziehertätigkeit in Augsburg 
von etwa Juni 1532 bis April 1535 zu rechnen. 


Dieser Aufenthalt Neuhellers war bisher unbekannt und 
schließt eine Vertrauensstellung in sich, welche er bald nach 
seiner Ankunft inWittenberg wohl durch Luther und Melanchthon 
bekam. Die Honold waren ja die treuesten Anhánger der 
Wittenberger Reformatoren und Gegner der zwingliseh ge- 
sinnten Prediger, weshalb sie sieh in der Stille an C. Huber 
hielten und auch Bedenken trugen, das Abendmahl von den 
Zwinglianern zu empfangen. Peter Honold, der Vater von 
Neuhellers Zögling Johannes. stellte beim Reichstag 1530 
den evangelischen Fürsten seinen schónen Garten zur Ver- 
fügung”). Sein unverehelichter Bruder Hans war zwar kein 
Ratsherr, aber ,ein weiser, vernünftiger, ansehnlieher Bürger, 
auf welchen viel Bürger ein Ansehen hatten“ ). Es machte 
ihm Freude, Luther Konfekt, Arznei und ein Rezept für sein 
Kopfleiden zu senden. Luther dankte ihm dafür und sandte 
ihm ein Buch Melanehthons*). Die Familie Honold unter- 
hielt eine eigene Kapelle bei St. Moritz’). In Kaufbeuren 
hatte einer ihres Geschlechts eine Predigerpfründe gestiftet®). 


Es war ein vornehmes, feines, wohlhabendes Haus von 
althergebrachter Frómmigkeit und strenglutherischem Geist, 
in welches Neuheller eingetreten war. Er erlebte all die 
aufregenden Kümpfe der Zwinglianer unter der Führung 
Mich. Kellers und Bonifacius Wolfarts nieht nur gegen die 
‚alte Kirche, sondern auch gegen die Lutheraner, deren Führer 
Hans Honold und C. Huber waren. Ganz besonders mógen 
ihn die Nóte der Augsburger in Anspruch genommen haben, 
als diese die Notwendigkeit des Anschlusses an den Schmal- 
kaldischen Bund erkannten, aber auch die Unmöglichkeit eines 
Verständnisses mit dessen Führern und geistigen Häuptern 
bei der schroffen Haltung der zwinglischen Prediger und ihrer 
Ratsfreunde gegen Luther und seine Anhänger. In dieser 
Verlegenheit erschien Bucer, der von ca. 22. Februar bis Mitte 
Mai 1535 in Augsburg weilte, um eine Verständigung beider 
Parteien und der Zwinglianer mit Luther herbeizuführen’). 


1) Alb. Viteberg, F. 157. 

2) Roth, Augsb. Ref.-G. 1, 332, 355, 

3) Germann S. 71. 

) Zur Korrespondenz Luthers und Honolds vgl. 1528 Juni E. A. 
54. 16. De Wette 3. 337. Enders 6, 287. 1530 Okt. 2. E. A. 54, 196. 
Theol. Studien a. Württb 10. 303. Enders 8, 275. 1533 Juli 21. 
E. A. 56 XXIV. De W., 6. 143. Enders 9, 329. 

5) Roth 2, 319; 3. 251. 

o Roth 3, 254. BBKG. 21, 151, 252. 

Schieß, Briefwechsel der Brüder Blaurer 2, 815, 818. 


282 122 


Er wendete sich dabei gero an Hans Honold und andere 
Lutheraner und ihren theologischen Berater C. Huber’). lu 
diese Verhandlungen war Neuheller gut eingeweiht, denn 
Ende Mai 1535?) kann Forster an Huber schreiben, Neuheller 
habe ihm mitgeteilt „omnem rerum atatum, quae partim a 
Bucero partim a vestratibus actae sunt, et fecit mihi magnam 
spem ecclesiam vestram porro melius habituram* )). 

Wir erkennen in der hoffnungsvollen Stimmung Forsters 
den Widerhall von Neuhellers Melanchthon verwandten Neigung 
zum Frieden und zur Vermittlung und von seinem Vertrauen 
in die Aufrichtigkeit von Bucers Friedensbestrebungen. Es 
kann daher nicht überraschen, wenn die Oberdeutschen 1536 ff. 
in sein Wohlmeinen und seinen Einfluß auf Luther das 
größte Vertrauen setzten. 

Inzwischen war der junge Hans Honold für die Universität 
reif geworden. Die Wahl derselben konnte für die Familie 
nicht zweifelhaft sein. Zugleich wird sie den größten Wert 
darauf gelegt haben, den Jungen in die Nähe Luthers und 
unter seinen Einfluß zu bringen. Zu diesem Zweck gingen 
nicht nur Briefe nach Wittenberg, sondern Neuheller, welcher 
die Universitätsstudien seines Zöglings auch leiten sollte‘), 
jetzt aber auch die Mittel zur Erwerbung der Magisterwürde 
erspart hatte, wurde zeitig nach Wittenberg vorausgesandt, 
um nicht nur für seinen Zögling und sich die Aufnahme ins 
Schwarze Kloster zu bewirken, sondern auch vor Abschluß 
des Wintersemesters, das am 30. April schloß, die Magister- 
würde zu erwerben. Wirklich gelang dies zu C. Hubers 
Ueberraschung?) noch vor Schluß des Wintersemesters unter 
Melanchthons Leitung, dessen Aufzeichnung lautet: Ante 
nondinas Lipsicas mensis Maii Anno 1535 decretus est gradus 
magisterii in philosophia his, quorum nomina subscripta sunt. 
Promovente magistro Philippo. D. Andreas Winclerus guber- 
nator scholae Vratislaviensis, Judocus Enneobolus Laden- 

1) Germann S. 81. 

2 Anfang 1535 ist bei Germann S. 81 und Roth 2, 264 Anm. 5 
viel zu früh. Neuheller war bereits Magister und Bucer anscheinend 
schon abgereist. 

2) Germann S. 82, 

$) Auffallenderweise läßt Kóstlin-Kawerau 2, 487 Neuheller erst 
1537 und 1538 als Haus- und Tischgenossen bei Luther weilen, obwohl 
Kolde schon in seinen Analecta Lutherana 253 die Unrichtigkeit dieses 
Datums nachwies, 

5) Germann S. 84, Der Brief ist wohl erst Ende Mai geschrieben. 
da Huber schon zwei Briefe von Neuheller erhalten hatte und Bucer 
erst am 8. Mai von seiner Reise nach Isny, Memmingen, Lindau und 
Konstanz nach Augsburg zurückgekehrt und am 20. Mai nach Strab- 
burg zurückgereist war. Schieß 2, 818. Roth 2. 264, 


123 283 


burgensis, Simon Lemnius Rheticus, Judocus Hammelburgensis 
ex diocesi Halberstadensi !). 

Daß Neuheller von Melanchthon Enneobolus, d. h. Neun- 
heller statt Neobolus genannt wurde, beweist, daß Melanchthon 
den Namen in seiner pfälzischen Form kannte. Daß Neu- 
heller seinen Rang erst nach Winkler bekam, kann nicht 
überraschen, da dieser um fünf Jahre älter war und sich als 
Leiter der Breslauer Schule bewährt hatte, weshalb ihn 
Melanehthon D. d. h. dominus nannte?). Lebenslang aber wird 
Neuheller das Zusammentreffen im Magisterexamen mit dem 
in der griechisehen und lateinischen Sprache wohlbeschlagenen, 
gewandten Versemacher, aber charakterlosen Simon Lemnius 
unvergeblich gewesen sein. Hatte er ihm doch im Februar 
1538 im Auftrag des Augsburger Rates 20 fl. zur Fortsetzung 
seiner Studien zu überreichen, nachdem Melanchthon, der 
schwache Menschenkenner, Lemnius dem Rat für Schule oder 
Kirehe oder sonst einen Dienst empfohlen hatte?), aber dann 
den Skandal erlebte, welchen Lemnius mit seinen Versen 
gegen Luther und seine Käthe erregte. Das mußte Neuheller 
aufs tiefste empóren, da er nunmehr Luthers Tischgenosse 
war. Eude April war der junge llonold unter dem Geleit 
eines Reiters in Wittenberg eingetroffen‘) und noeh vor dem 
Schluß des Wintersemesters, vor 30. April, immatrikuliert 
worden?) Neuheller, der fortan uns als Neobolus begegnet, 
nabm seine Aufgabe als Püdagoge wieder auf, fand aber 
sicher daneben Zeit, sich in der Theologie dureh Besuch von 
Luthers Vorlesungen, Lesen seiner Schriften und tiiglichen 
Verkehr an seinem Tisch weiter zu bilden. Daß er damals 
schon Luthers Famulus gewesen und für Katharina Luther 
allerlei wirtschaftliche Aufträge besorgt habe*), entspricht 
nicht seiner Tätigkeit für den jungen Honold und den be- 
stimmten Angaben Forsters und C. Hubers, die ihn nur als 
Luthers Tischgänger kennen ‘). 

Die andern Tischgenossen Luthers waren damals Hier. 
Weller, Ludwig Rabe. Georg Schnell, der 1536 paedagogus 
von Luthers Kindern war, aber am 7. Oktober 1537 die 
Pfarrei Herzberg übernahm"), während Ant. Lauterbach erst 
Ende Oktober 1536 wieder an Luthers Tisch zurückkehrte”). 


) Köstlin. Baccal. und Magistri 1518—37 S. 23. 

2) Enders-Kawerau 12, 14l. Bauch, Zeitschr. des Vereins für die 
Geschichte Schlesiens 41, 162. 

3) Kolde, Analecta Luth, 311, 318. 

*; Germann S. 81. 

5 Alb. Viteb. S. 157. 

*) Kroker, Katharina v. Bora S, 168, 

) Germann 57, 83. 237. 

) Enders 10, 212. Germann S. 94. Kroker 173ff,, 188. 

% Tischreden W. A. 3. XI. 


284 124 


Nicht genug zu bedauern ist, dab Neobolus sich nicht 
auch am Nachschreiben von Luthers Tischreden beteiligte. 
Vielleicht schien ihm die Pflicht, seinen Zógling bei Tisch 
im Auge zu behalten, die Hand zum Schreiben zu binden. 
Aber schon bald zeigte sich sein Geschick, Luthers Ohr für 
wichtige Fragen zu gewinnen und vermittelnd zu wirken. 
Noch im Mai 1535 trug er Luther die Frage vor, wie eine 
Verstándigung zwischen Luther und Augsburg zu bewirken 
wäre!), worauf Luther zwei Wege angab. 1. Die Berufung 
eines Predigers aus Luthers Kreis, während die Augsburger 
bisher die Anstellung lutherisch gesinnter Prediger abgelehnt 
hatten. 2. Ein Schreiben der Prediger, welches ihren auf- 
richtigen Ernst der Verständigung ınit Luther beweise. 
Neobolus konnte mit der Wirkung seiner Anfrage und seines 
Berichts über Luthers Aussprache zufrieden sein. Denn die 
Augsburger schickten am 21. Juni den Vorkämpfer der 
Zwinglianer, den Arzt Gereon Sailer, und den Vertreter des 
Luthertums C. Huber nach Wittenberg und Celle, um Urb. 
Rhegius wieder für Augsburg zu gewinnen. Sie bekamen 
auch ein Schreiben der Prediger vom 20. Juni mit, das in 
seinem Ton fast zu tiberschwenglich lautet, um ganz auf- 
richtig zu sein, und von der Voraussetzung eingegeben ist, 
als wollte Luther umschmeichelt sein?) Da Rhegius ab- 
lehnte, wurde Forster, ein Augsburger Stadtkind, eine echte 
Draufgángernatur, der kurz zuvor in Wittenberg ein Predigt- 
amt erhalten hatte, berufen?) 


Zugleich war jetzt der von Bucer beabsichtigten Konkordie 
der Oberdeutschen die Bahn gebrochen, die schließlich in 
Wittenberg zum Abschluß kam, als die oberdeutschen Theo- 
logen vom 21. bis 30. Mai in Wittenberg weilten. Hier hatte 
Neobolus Gelegenheit, jenes „ardens in promovendam ecclesiae 
tranquillitatem et solidam concordiam provehendam christianum 
pectus*, das Frecht 9. Dezember 1536 rtihmt*), oder jenen 
„animum ad concordiam saluberrimam promovendam“. den 
Capito 19. Januar 1537 anerkennt’), zu beweisen. Freilich 
erfahren wir über den Verkehr der Gäste mit Neobolus wenig. 
Selbst sein Heidelberger Lehrer Frecht erfuhr erst auf der 
Heimreise dureh Musculus von der Anwesenheit seines Schtilers 
und bedauerte lebhaft, ihn nicht gesprochen zu haben*). Aber 
Musculus erzählt, er und Wolfart, also die beiden Augsburger 
Gesandten, seien von dem Pádagogen Honolds zum Morgen- 


re a a — — 


1) Germann 57, 84. 

2) Germann 86 ff., Kolde, Analecta 206. Enders 10, 159. 
) Germann 90ff., RE. 6, 130. | 

4) Kolde, Analecta 280. 

^) Ebd. 253. 


125 285 


mahl bei Luther auf 29. Mai eingeladen worden!) Bucer 
und Capito und die andern stiddeutschen Theologen, so weit 
sie am 29. Mai abreisten und noch bis Düben kamen?) ge- 
leitete, sicher auf Luthers Weisung, unser Neobolus?), der 
hier Gelegenheit hatte, Bucer und Capito näher zu treten 
und so den regen Briefwechsel mit ihnen anzubahnen. Sind 
doeh vom 13. Juni 1536 bis 18. September 1538 nieht 
weniger als 46 Briefe wáhrend seines Aufenthalts an Luthers 
Tiseh in Saehen der auszugestaltenden und teilweise ge- 
trübten Konkordie an Neobolus geschrieben worden“). Nicht 
weniger Briefe wird dieser als Antwort haben hinausgehen 
lassen, wie sich aus den Briefen an ihn und aus Germanns 
Forster S. 225, 237, 302 ergibt. 

Am fleiDigsten und tiberschwenglichsten schrieb der ge- 
alterte Capito. welcher voll Bewunderung für Küthe und ihre 
wohlerzogenen Kinder heimkehrte. Er sandte seine Briefe 
an Luther vom 13. Juni und 4. September 1536 dureh 
Neobolus, dem er gleichzeitig schrieb“). Schon von Frankfurt 
aus sehrieb er an Luther, er wolle für Küthe einen Ring 
schieken, den er am 3. September dureh die zur Messe 
reiseuden Kaufleute als Ausdruck des Dankes für die sorg- 
fältige Pflege des gemeinschaftlichen Priizeptors an Neobolus 
sandte ). Bucer, der am 22. Juli 1536 Luther über den 
Fortgang der Konkordie beruhigte, sandte den Brief per 
Honoldios Augustanos, also dureh Hans und Peter Honold, 
unter Neobolus Vermittlung, wie auch den Brief vom 
6. September 1536 mit dem Capitos vom 4. september wohl 
dureh Neobolus ging’). Dieser bekam von den Straßburgern 
die Aufgabe. Luther zum Zuwarten gegenüber den Sehwierig- 
keiten. welehen die Konkordie in der Schweiz besonders 
dureh Vadian begegnete, zu bewegen und von einer Außerung 
über die Jurisdiktion der weltlichen Obrigkeit in Fragen der 
Heformation. wie sie in Augsburg brennend wurden, und 
von einer Klage über den Bruch der Konkordie dort ab- 
zuhalten. 


1) Kolde. Analecta 228. 

2) Ebd. 229. 

3, Baum, Capito und Bucer S. 516: Er hatte den Freunden auf 
einer Strecke im Namen Luthers das Geleite gegeben. Eine Quelle 
gibt Baum nicht an. 

4, Thesaurus Baumianus. S. 110 u. 111. 

$) Kolde, Analecta 232, 234, 253, 256, 280 ff. 286, 306 ff. 317. 

6) Ebd. 231 De Wette 5, 70. 253. Zum Schicksal des Rings De 
Wette 5.70. Enders 11, 247. l 

7) Kolde 240. Enders 11, 6. Kolde 255. Mit Honoldios kann 
nicht der junge Hans Honold gemeint sein. Gegen Enders 11, 75 
Anm. 2. 


286 126 


sehr beachtenswert ist der Briefwechsel mit Frecht?.. 
dem Neobolus am 14. November 1536 mitteilte, Luther sei 
iiber die Ulmer erregt, welche die Konkordiensache cum 
impudentia vel malitia quadam betrieben. Frecht, der am 
8. Dezember den Brief über Augsburg erhalten hatte, schrieb 
am 9. Dezember schmerzlich bewegt, Luthers Verdacht sei 
unbegründet. Dab die Verhandlungen in Ulm nicht ganz so 
glatt gingen, auch die Briefe des Rats und der Prediger 
Luther Bedenken machen konnten, ist nicht zu leugnen“). 
Frecht bat dann Neobolus um Nachricht über die Aufnahme 
des Schreibens der Biberacher durch Luther, das Frecht zur 
Weiterbefórderung an Musculus geschickt hatte, und um 
fernere begütigende Einwirkung auf Luther. 


Ebenso wird Neobolus als Vermittler des Beriehts von 
Bucer und Capito, datiert den 19. Januar 1537?), über die 
Verhandlungen mit den Schweizern, die am 12. Januar an 
Luther geschrieben hatten‘), und der Erklärung der Strab- 
burger Theologen vom 18. Januar gedient haben. In diesem 
Sinn sehrieb Capito an Neobolus, er solle Luther bewegen. 
den Sehweizern freundlieh zu antworten?). Ebenso wandte 
sich der Straßburger Buchdrueker Wendel Rihel mehrfach 
an Neobolus, der ihm von Luther Erlaubnis zum Druck 
einer lateinischen Übersetzung von Luthers Werken nach 
dem Plan Capitos und Bucers zur Verbreitung in der deutschen 
und französischen Schweiz verschaffen sollte. Diese Sache 
hatte schon Capito angeregt, aber Luther war nicht dafür 
zu gewinnen") Das Buch Capitos. das Rihel an Neobolus 
über Palästina schickte, um ihm voraus für seine Bemühung 
in ihrer Sache zu danken, ist „Terrae Sanctae, quam Pa- 
laestinam nominant, Syriae, Arabiae, Aegypti et Schondiae 
doctissima descriptio una eum singulis tabulis earundem: 
topographieis authore Jacobo Zieglero. Holmiae plane regiae 
urbis calamitosissima clades ab eodem descripta. Terrae 
Sauctae altera descriptio iuxta ordinem alphabeti, quae ad 
Scripturam proxime directa est authore Wolffgango Weißen- 
burgio. Argentorati apud Vuendelinum Rihelium. MDXXXVI. 


1) Kolde 280 ff. Der Schulmeister der Trivialschule, den Frecht 
grüßen läßt, ist nicht ein Magister Nicolaus, sondern Joh. Kalkofen 
aus Ulm, der Mädchenschulmeister Jakob Eyselin aus Nördlingen. 
Th. Stud. 1913, 536, 

2 Keim, Die Reformation der Reichsstadt Ulm 347ff. Ender- 
11, 109 ff. 111 ff.. 

) Enders 11, 1181f. 182 fl. 

4) Ebd. 11, 157. 

5) Kolde 253. 

6) Ebd. 232 ff. De Wette 5, 70. Enders 11, 247, W. A. Tisch- 
reden 3, 622 Nr. 3797, 


127 287 


Der Brief Bucers an Neobolus vom 23. Juli 1537 ist 
noeh unbekannt. Aber der Capitos vom 15. August 1537!) 
zeigt uns Neobolus eifrig bedacht, die Eintracht der Ober- 
deutschen mit Wittenberg zu schützen. weshalb er Capito 
Amsdorfs Bedenken gegen die abgeschlossene Konkordie 
mitteilte, worauf Capito um genaue Angabe der von Amsdorf 
beanstandeten Worte bat?) und Wüber die Umtriebe von 
Schwenkfelds und Franks Anhängern in einer Reichsstadt 
(Ulm) klagte. Man sieht, wie wertvoll der Briefwechsel mit 
Neobolus für die Straßburger war. 


Eine schwere Verlegenheit für die Straßburger war die 
Verzögerung der Antwort Luthers auf das Schreiben der 
Schweizer vom 12. Januar 1537 infolge der Erkrankung 
Luthers in Schmalkalden. Deshalb schrieb Bucer am 
3. Dezember an Luther, zugleich aber wandte er sich mit 
Capito an Neobolus, er möchte doch alles aufbieten, daß 
Luther an die Schweizer schreibe, und sollte ihnen dann 
eine Abschrift von Luthers Brief schicken. Capito braucht 
den starken Ausdruck: oro, extorqueas id?) Inzwischen 
hatte Luther am 1. Dezember den Schweizern seine Freude 
über ihre Zustimmung zur Wittenberger Konkordie aus- 
gedrückt und sich tiber deren Ausführungen von Wort, Taufe, 
Abendmahl und Amt der Schlüssel ausgesprochen‘). Dieser 
Brief ging wohl mit Luthers Brief an Bucer vom 6. De- 
zember*) durch Neobolus Hand nach Straßburg. Hocherfreut 
schrieb ihm Bucer am 10. Januar 1538: „Was für einen Schatz 
und wie gar zu rechter Zeit hast du uns zugeschickt, ge- 
treuester Bruder.“ Ausführlich besprach er Vadians und 
Leo Judas Schriften, welche Luther ungünstig beeinflussen 
kónnten, und dann Biblianders, Karlstadts, Myconius und 
des Rats in Basel Haltung. Neobolus sollte Luther beruhigen, 
dab sein freundliches Schreiben an die Schweizer eine bessere 
Wirkung gehabt habe, und ihm mitteilen, was ihm angezeigt 
scheine. Christus werde seine treue Bemühung um die Ein- 
tracht treulich belohnen®). Die ganze Korrespondenz der 
Straßburger, besonders der letzte Brief Bucers, aber sicher 
auch der noeh unbekannte des Diakonus Martin Sehalling 
vom 13. Dezember 1537 *) zeugt von der GróDe der Vertrauens- 


!) Kolde 206. 

2) Worin Amsdorfs Bedenken bestand, ist weder aus Kostlins 
Luther noch aus Pressels Amsdorf noch aus R E. 15, 405 ersichtlich. 

3) Kolde 314. 317. 

4) E. A. 55, 190. Enders 11, 294 ff. 

*) De W. 5, 87. Enders 11, 300, 

©) Kolde 256. Walch XVII, 2599. ZhTh. 1861, 634 ff., wo 
Baxmann entging, daß der Brief deutsch bei Walch sich findet. 

*) Thesaurus Baumianus S. 117. 


288 128 


stellung, welche Neobolus bei Luther und den Straßburgern 
einnahm. Gleiches beweisen die beiden Briefe des streit- 
fertigen Vertreters des Luthertums in Bern Peter Kunz!) 
(Conzenus) an Neobolus. Kunz scheint früher in Wittenberg 
studiert zu haben. Wenigstens läßt er Luther und Melanchthon 
als seinen praeceptoribus et studiorum authoribus Grüße be- 
stellen?). Aber eine persönliche Verbindung mit ihnen war 
ihm damals nicht gelungen. Deshalb freute er sich, eine 
solehe dureh Neobolus zu gewinnen, dessen zwei Briefe vom 
7. Dezember 1537, sicher über Straßburg, am 16. Januar 1538 
nach Bern gelangt waren?) Diese Briefe hatten Kunz neuen 
Mut in seinem Kampf für das Luthertum in Bern und gegen 
Zwinglis Anhünger gegeben. Bitter schildert er am 2. Februar 
1538*) den Führer der Zwinglianer, Kasper Megander (Groß- 
mann), den er geradezu Zwinglis Affen nannte, und bewundert 
Luthers in seribendo mira brevitas et simplicitas et ardor 
ingenuus, quibus fidem et integritatem suam ecclesiis nostris 
omnibus pollieetur. Offenbar fürchtete man von Luther über- 
mütigen Triumph, weil man in jenen Kreisen seinen wahren 
Charakter nicht kannte. und war angenehm enttäuscht. Die 
Freude von Kunz über die Verbindung mit Neobolus spricht 
sich in seinem Brief an Capito und Bucer vom 2. Februar 1538 
klar aus, denen er sicher den Brief an Neobolus zur Weiter- 
befórderung übersandte. Er nennt hier Neobolus homo ele- 
gans et faeundus, mit einem Herz voll Liebe, der den Stand- 
punkt der Wittenberger überaus anschaulich beschreibe?). 
Einen weiteren Schritt tun wir mit dem großen Brief 
Capitos" an Neobolus vom 10. März 1538. -Er hatte ihm 
für einen aus Augsburg vom 30. Januar datierten, am 
20. Februar erhaltenen Brief zu danken und sandte ihm 
Kunz Brief. Er schilderte Meganders Gebahren, ohne dessen 
Namen zu nennen, um ihm den Uebergang zur wahren 
Kirche, d. h. zur Konkordie, oflen zu halten, noch schärfer 
als jener und bat Neobolus, Luther zum Schreiben an den 
Rat zu Bern und die beiden „Säulen der dortigen Kirche“. 
Kunz und Ritter, zu bewegen. und versprach sich davon 
Grobes. da der Brief Luthers vom 1. Dezember schon Großes 


1) Blósch, Geschichte der Schweizer reformierten Kirchen 1, 198. 

2) Hundeshagen. Die Konflikte des Zwinzlianismus, Luthertums 
und Calvinismus in der Bernischen Landeskirche 1532— 1538 S. 372. 

3) Hundeshagen S. 369. Wo sind diese beiden Briefe? In Bern 
sind sie nicht zu finden. 

1) Hundeshagen S. 570, wo 31 u. 2: Horum aspectu refocillatus 
sum zu lesen ist. 

5) Hundeshagen S. 374 ist der Brief vom 19. Februar datiert, 
Thes. Baum. hat sicher richtig den 2. Februnr. 

6) Hundeshagen S. 375, S. 377, Z. 25 ist regerunt falsch gelesen. 
Es muß ein Perfekt sein. 


129 989 


gewirkt habe. Darüber wollte Capito an Luther selbst kurz 
schreiben), während er alles Neobolus ausführlich darlege, 
da dieser Zeit zum Lesen habe und zur Fórderung des 
Friedens davon Gebraueh mache. Neobolus soll spiiter den 
Straßburgern keinen Vorwurf machen, daß sie Luther unnötig 
um Briefe ersuchen. Peinlich waren ihm die sicher von 
Neobolus berichteten Angriffe Witzels und Agrikolas auf 
Luther und die ftir Luther anstóDigen in Augsburg gedruckten 
Schriften. Bemerkenswert ist die Schilderung der redefertigen, 
zur Rundreise durch Deutschland rüstenden Kath. Zell, der 
er die zurückgezogen lebende Gattin seines Diakonus?) 
vegeniiberstellte. Dann wiederholte er seinen und Rihels 
alten Wunsch einer lateinischen Ausgabe von Luthers Werken 
und sandte ihm das Strabburger Gesangbuch. 

Leider fehlt uns die Kenntnis der Briefe Capitos vom 
26. Mürv, 17. Juli, 13. August, 9. September, sowie der Bueers 
vom 1. Januar und 18. September 1538?) Nur von Kunz 
kennen wir noch einen kurzen Brief vom 28. August 15381), 
der einen gedrückten Eindruck macht, da die Konkordien- 
sache in der Sehweiz naeh der Tagsatzung in Zürich, 29. April 
bis 4. Mai, auf den toten Punkt geraten war, wenn auch 
Luther am 25. Juni 1538 sieh mild über das Schreiben 
der sieben Schweizer Stände vom 4. Mai und hoffnungsvoll 
aussprach. und auch die Ausbreitung des Tüufertums?) und 
die Unterwerfung des Waadtlands neue Sorgen verursachten. 
Kunz sandie Neobolus wohl die Verhandlungen der Züricher 
Tagsatzung. So erklärt sich am einfachsten, wie Walch dieses 
wichtige Aktenstück veröffentlichen konnte“). Damit schließt 
der Briefwechsel des Neobolus in Sachen der Konkordie, so 
weit er seinem Sohn zu Gebot stand. Es ist aber anzunehmen, 
dab er wirklich einschlief, weil für ihre Förderung kein 
Raum mehr war uud Neobolus bald aueh Wittenberg verließ, 
um nach Württemberg tiberzusiedeln. 

Wir haben nun aber noch den Briefwechsel mit Augs- 
burg zu verfolgen. Leider ist die Kenntnis desselben sehr 
besehränkt. während der Thesaurus Baumianus sieben Briefe 
von Forster vom 28. Juni, 24. September, 22. November, 
11. Dezember 1536, 18. Miirz, 6. Mai, 5. Juni 1537, von 
C. Huber drei vom 17. Oktober, 2. November 1836 und von 


1) Der Brief fehlt, 

2) Es ist dies Georg Mornhinweg. Vgl. dessen Lebensbild 
Bl. f. württb. KG. 1909, 125 ff. 

3) Thes. Baum. S. 116. 

^) Hundesharen S. 374. Tischreden W. A. 3, 693 u. 3899. 

5) Ernst Müller, Geschichte der Bernischen Täufer S. 69 kennt 
den Brief von Kunz nicht, 

© Walch XVII, 2611. 


Archiv for Reformationsgeschichte. XIV. 3/4. 19 


290 130 


unbekanntem Tag, von Musculus ftinf vom 26. November 1536, 
28. März, 21. Mai, 20. August 1537, 15. Juli 1838 besitzt !). 
Hier ist also noch viel Liebt zu erwarten. Bis jetzt kennen 
wir nur ein kurzes Stück aus Forsters Brief vom.24. Sep- 
tember 1536), einen Brief von Neobolus an C. Huber vom 
6. November 1537?) und an Forster vom 26. März 1538*) 
und den kurzen lnhalt eines fehlenden Briefs an Forster von 
Ende August 15389). 

Zuniichst sehen wir, wie Forster am 24. September 1536 
sein besehwertes Herz Neobolus gegenüber aussebüttete mit 
Klagen tiber die Augsburger Prediger, besonders Mich. Keller. 
und den zum Kirchenpropst erwählten Georg Stetten*), der 
ein Büchlein von Schwenkfeld neu drucken ließ. Für unsere 
Kenntnis des Verhältnisses von Neobolus zu Luther gibt es 
kaum ein klareres Zeugnis als den Brief des Pfälzers an 
C. Huber vom 6. November 15377). Huber hatte Neobolus 
schon dreimal gebeten, daB er Luther eine in Augsburg sehn- 
süchtig erwartete AeuDerung über die dortigen Verhältnisse 
abdringe (extorqueam!. Neobolus hatte ihm schon früher 
geantwortet. er würde das bei Luther leicht erreichen, wenn 
der Anlaß ein anderer wäre. Gerade die wenigen Worte: 
me facile impetraturum, si esset alia quaecunque causa, be- 
weisen den ungemeinen Einfluß, dessen sieh Neobolus bei 
Luther bewußt war. Auf sein Anhalten erwiderte Luther. 
er werde schwerlich schreiben. Als Abhaltunzsgründe gibt 
Neobolus die auf Ehebruch verordnete Geldstrafe”, die 
„Luther sehriftwidrig fand, und das von Rörer Luther vor- 
gelegte Büchlein von Kellers Helfer, Joh. Baumgartner“), an. 
das Luther zu der AeuDerung veranlaßte: Warum lassen die 
Augsburger Prediger die Träume jedes Phantasten drucken? 
Neobolus sollte nach Augsburg schreiben, Luther rate ihnen 
treulich von solchen Seitensprüngen und dem blinden Beifall 
für neuerungssiichtige Geister ab. Unter diesen Umständen 
wagte es Neobolus nicht mehr, Luther zum Schreiben zu 
mahnen. Am Schluß erwähnte er noch das ungünstige Urteil 
der Wittenberger über die kürzlich erschienene Evangelien- 
harmonie Osianders 10. Ueber den Druek von für die 


1) Thes, Baum, 116 ff. 

2) Kolde 238. 

3) Germann 225, 

) Ebd. 257. 

5) Ebd. 302. 

e) Kolde 238. Germann 162 ff. 169, Roth 2, 413. 

) Germann 225 

) Roth 2, 329, 369. 

?) Roth 2, 414, 424 Anm. 82, Vgl. 2, 327, 354 Anm. 92. 

10) Möller, A. Osiander 205ff. Vgl. Melanchthons Urteil C. R. 3, 427 
vom 12. Oktober und Crncigers vom 27. November C. R. 3, 455, 


131 291 


Lutheraner anstóDigen Schriften in Augsburg hatte Neobolus 
auch Capito gegenüber geklagt und dabei die Frage erhoben, 
woher die Augsburger Prediger ihre theologischen Grund- 
sütze schópften. Capito antwortete am 10. März 1538 darauf, 
wenn sie in den StraDburgern ihre Lehrmeister sähen, 
würden sie sich als Luthersehüler beweisen. Man spürt die 
ganze Verlegenheit der Straüburger über das Verhalten der 
Augsburger und ihr eifriges Bemühen, durch Schreiben nach 
Augsburg das glimmende Feuer der Zwietracht und der Zer- 
störung der Konkordie auszulóschen, aus Capitos Brief, der 
Neobolus möglichst beruhigte'). 

Wie ernst Neobolus seinen Friedensberuf auch gegen- 
über Forster nahm, beweist sein Brief vom 26. März 1538 
an diesen?). Die Augsburger wollten Ambr. Blarer als 
Superattendenten berufen. Dagegen machte Forster dessen 
Verhalten in Schmalkalden“) geltend, über das er von Luther 
und Melanehthon durch Neobolus dringend Auskunft forderte. 
Dieser zögerte, wandte sich aber dann doch an Melanchthon. 
der die Frage für unersprießlich hielt und keinen Anlaß 
zur Zwietracht geben wollte, aber angab, Blarer habe 
die Artikel unterschrieben, ob er dabei eine Bedingung hinzu- 
gefügt habe, wisse er nicht. Er rühmte aber Blarers Be- 
scheidenheit und Geneigtheit zu friedlichem ZusammensehluB. 
Eine schriftliche Aeußerung verweigerte Melanchthon. 
Luther aber äußerte, er sei nicht bei der Verhandlung ge- 
wesen, habe aber von anderen gehört, daB Blarer unter- 
schrieben habe. nur ein Stück seiner Unterschrift sei bedingt 
gewesen. Nachher habe er sich entschuldigt, er habe die 
Sache nicht recht verstanden. Das hatte Luther schon vor 
21 Tagen erzählt. Neobolus wollte nicht weiter in ihn 
dringen, da er Melanchthons Mibfallen an Forsters Vorgehen 
erkannt hatte, und erklärte diesem mit dürren Worten, ihr 
ehrwürdiger Präzeptor sehe besser als sie beide, was der 
Kirche fromme. Dieser sein Wink macht Neobolus alle Ehre. 

Die Erbitterung gegen Forster stieg in Augsburg so 
stark. daß der Rat eine umfangreiche Anklage gegen ihn an 
Luther sandte und ihn sogar als Trinker verdächtigte). Als 
Luther diese Schrift am 23. August erhielt, machte er seinen 
Tischgenossen sofort Mitteilung”). Besonders empörte ihn 
die Behauptung, Keller und Wolfart hätten stets wie die 
Wittenberger gelehrt, ja sie beschuldigen Luther selbst des 


1) Hundeshagen 378, 

2) Germann 237, 

3) Zu Blarers Verhalten in Schmalkalden vgl. Keim, Ambr. Blarer 
S. 83. Pressel, A. Blaurer S. 431. 

*) Enders 11, 389. Burkhardt 365, Germann 296. 

5 W. A. Tischreden 4, 57. 


19* 


292 132 


Irrtums. Er sei stets gegen eine unaufrichtige Konkordie 
gewesen, welehe die Augsburger Prediger nur auf Zwang 
des Rats eingegangen hätten. Er wollte ihnen gar nicht 
mehr schreiben, sondern die Sache Bucer überlassen. Doch 
schrieb Luther am 29. August, er sei nicht Richter über ihre 
Klagen gegen Forster, welche sie vor ihrem Gewissen ver- 
antworten müßten. Angesichts der großen Mühe, welche die 
Konkordie gekostet habe, sollten ihre Prediger vorsichtiger 
reden. Die Schriften Kellers, die noch alle in Wittenberg 
vorhanden seien, lassen ihn nicht so rein erscheinen, als der 
Rat und seine Anhänger wollen!). 

Nun tibergab Luther die Anklageschrift und seine Ant- 
wort an Neobolus mit dem Auftrag, eine Abschrift an Forster 
zu senden. Dieser schickte nun beides und wahrscheinlich 
auch Melanchthons Trostbrief vom ca. 29. August?) mit einem 
eigenen Brief an Forster, der noch unbekannt ist’). 


Damit erschöpfen sich bis jetzt die Briefe, welche über 
Neobolus in seiner Vermittlerrolle an Luthers Tisch Auskunft 
geben. Daß die Straßburger und die Augsburger Huber und 
Forster ihm großen Einfluß auf Luther zutrauten und er sich 
dessen auch bewußt war, ist uns klar entgegengetreten. 
Ebenso sehen wir aus den Briefen der Straßburger und Augs- 
burger, wie genau er sie stets über Luthers Empfinden und 
alles, was ibn und seine Freunde geistig bescháftigte, unter- 
richtete. 

Melanehthon tut Neobolus Unreeht, wenn er am 13. Fe- 
bruar 1538 an Veit Dietrieh sehreibt: Was Deine Mitteilung 
betrifft, daß Jodoeus dort erzählt habe. Luther nehme Anstoß 
an Osianders Schrift, so bedaure ich solehes Gerede (fabellas), 
zumal so grundloses, das die Geister entzweit... Du siehst 
den Zeitgeist: Es gilt für groDe Weisheit. kleines Gerede — 
NB Tischreden! — aufzufangen und auszubreiten*) Natürlich 
ist Jodocus nieht Justus Jonas?), sondern Neobolus, der nicht 
Luthers Urteil über Osianders Schrift „Von verpotten Hevratten 
und blutschanden“ ), an welche Melanchthon dachte. gemeint 
hatte, sondern die Evangelienharmonie, über welche doch 
selbst Melanchthon und Crueiger Bedenken geäußert hatten)). 
Ein Blick in die Tischreden rechtfertigt Neobolus. Denn am 


1) Enders 11, 396. De W. 6, 206. Germann 301, 

2) Germann 301. Mit scholastici meint Melanchthon sicher zu- 
erst Neobolus. 

2) Germann 302, wo Z. 5 statt tischgeber zu lesen ist tisch- 
geher. Vgl. S. 57 n. 237 kostgeher. 

4) C. R. 3, 488. 

5) Das meint Móller, Osiander 196. 

9) Das ist auch Möller entgangen. 

?) C. R. 3, 427, 455. 


133 293 


25. Dezember 1537 äußerte Luther: Osiander stolziert mit 
seiner Harmonie. Zu solehem Stolz kommen unsere Zeit- 
besitzer. Er hat ja wóchentlich nur zwei Predigten zu halten 
und bezieht einen Gehalt von 400 Gulden !). Noch schärfer 
lautet diese Aussprache in ausführlieherer Form in Khumers 
Manuskript*. Das Horazische Zitat: Parturient montes, 
nascetur ridiculus mus?) das Neobolus in dem Brief an 
Huber vom 6. November 1537 auf die Enttáuschung durch 
Osianders Evangelienharmonie anwandte, geht wohl auf 
Luther zurück, der Horaz gern zitierte. 

Auch an den Empfindungen Luthers und seiner Freunde 
gegenuber dem Gebahren Witzels und Agrikolas nahm 
Neobolus warmen Anteil. Das beweist der Brief Capitos 
an ihn vom 10. März 1538, der mit den AufDerungen über 
beide sicher der Widerhall von Neobolus Brief vom 20. Januar 
ist*), wenn er schreibt: Vicellius et Islebius omnia debent 
D. Doetori et, nescio qua amentia, nune debaechantur in 
exitium totius ecclesiae Christi contra hominem a Deo 
singulari praerogativa excitatum ad res humanas adiuvandas. 
Aus den Tischreden ergibt sich noch ein unmittelbarer 
Beweis. Der eben von seiner in Schmalkalden fast tódlich 
gewordenen Krankheit genescne Luther äußerte am 21. März 
1537, naeh seinem Tod werden andere Prediger nicht die- 
selbe Bescheidenheit gegenüber den Papisten beweisen wie 
er, das habe man an Zwingli, Karlstadt und andern erlebt 
und sei bei vielen später zu befürchten. Unmittelbar darauf 
zeigte Meister Jobst Sätze, daB das Gesetz nicht in der 
Kirche gepredigt werden dürfe, denn es rechtfertige niemand. 
Darauf spraeh Luther erregt: Das will sich sehon zu unsern 
Lebzeiten von unseren Leuten anheben. Das ist die Meinung 
Agrikolas, der von Haß und Ehrgeiz umgetrieben wird. Ach 
daß wir Magister Philippus die Ehre geben könnten! Es 
will die Prophezeiung des Grafen Albrecht (von Mansfeld) 
wahr werden: Es steckt ein Münzer hinter ihm“). Kroker 
hat Recht, Meister Jobst ist Neobolus, Neuheller )). Bedenken 
gegen den frühen Zeitpunkt 21. Mürz 1537 erledigt der Zu- 
sammenhang der beiden Tischreden”). 


1) W. A. Tiscbreden 3, 491 Nr. 3654d. Zu licentiarii vgl. Osianders 
licentia otii Tischr. 4. 477. 

2) W, A. Tischreden 4, 476 Nr. 4763. 

3) Horaz, Art poetica 139. Germann 225, 

) Hundeshagen S. 378. 

*) W. A. Tischreden 3, 404 Nr. 3553. 

6) Ebd. 3, 405 Nr. 3554, 

) Früher dachte man an einen Jodocus Rigger. Kawerau, 
Agrikola S. 182 Anm. 

+) Ebd. 181, wonach antinomistische Thesen schon den ganzen 
Sommer in Wittenberg spukten, i 


294 134 


Die Stellung am Tiseh Luthers war eine ehrenvolle. 
Das zeigt das Testament Barth. Bernhardis, Propst in 
Kemberg, vom 3. November 1536, wo als Zeuge neben den 
„Säulen“ Wittenbergs, Luther, Jonas, Bugenhagen, Cruciger, 
Melanchthon, Mecum, Knodt, zuletzt Mag. Jodocus Neunheller 
Vormaciensis erscheint. Für seine Freunde bieibt er dabei 
immer noch der Pädagog des jungen Honold und Luthers 
Kostgünger. Sicher haben Vater und Oheim des Jünglings 
sich bei Luther nach der Entwicklung des Jungen unter 
Neobolus Leitung öfters erkundigt. Möglich wäre auch, daß 
Käthe Luther bei der Wohlhabenheit der Familie eine Er- 
höhung des vom Kurfürsten später (1538) auf den Höchst- 
betrag von 30 Gulden festgesetzten Kostgelds für Studenten. 
statt dessen manche 40 Gulden gaben?), gewünscht hatte. 

Um etwas derartiges wird es sich gehandelt haben, 
wenn Forster am 8. September 1535 an Luther schreibt, er 
habe mit Hans Honold nicht wegen seines Neffen verhandeln 
können, weil dieser, wie fast alle reichen Leute, Augsburg 
wegen der Pest verlassen habe). Die Honold müssen auch 
mit Neobolus Erziehertätigkeit zufrieden gewesen sein, denn 
durch ihre Schreibstube ging sein Briefwechsel mit seinen 
Freunden und Bekannten*) Im Januar 1538 aber weilte 
er in Augsburg, wohin er über Nürnberg gereist war, wo 
er Veit Dietrich Luthers Urteil über Osianders Evangelien- 
harmonie mitteilte?) Der Zweck dieser Winterreise wäre 
verständlich, wenn er seinen Zögling zu seinem dem Tod 
entgegengehenden Vater gebracht hätte und dieser am 
31. Januar 1538, nicht wie bisher angenommen wird, 1537 
gestorben wäre“). Sicher ist, daß Neobolus bald wieder 
nach Wittenberg zurückkehrte und vom März bis jedenfalls 
September dort weilte, wie dies die Briefe von Capito vom 
10. März und von Kunz vom 28. August, Neobolus Brief an 
Forster vom 26. März und der von Ende August oder Anfang 
September mit der Abschrift der Klageschrift der Augsburger 
und Luthers Brief beweisen, was Forster alles aus Honolds 
Schreibstube am 13. September erhielt. Wahrscheinlich hatte 
Neobolus seinen Zögling wieder nach Wittenberg mit- 
genommen, bis dieser am 21. Dezember mit seinem Bruder 
in Augsburg in das Patriziat aufgenommen wurde“). Jeden- 


!) Th. Studien u. Kritiken 1913, 538, wo Vermariensis Lesefehler 
oder Druckfehler ist. Neobolus Heimat Ladenburg gehörte damals 
dem Bischof von Worms. 

2) Kroker, Kath. v. Bora. 162. 

s) Kolde 212. Germann 94. Enders 10, 212. 

1) Germann 302. 

5) Vgl. S. 290 u. 292. 

8) Roth 1,355 Anm, 14. 

) Ebd. 2, 432. 


135 295 


falls kennt Forster Neobolus noch Anfang September 1539 
nur als Luthers Tischgeher!). 

Wie lange er dann noch in Wittenberg blieb, ob er 
nach Honolds Abgang, und wie lange etwa als Luthers 
Haushofmeister und Erzieher der Kinder noch tätig war, 
läßt sich nicht feststellen. Denn wir wissen nicht, wann er 
nach Württemberg übersiedelte, 

Wir werden nicht irre gehen, wenn wir den ein- 
schneidenden Wechsel im Leben des Neobolus in Zusammen- 
hang bringen mit der Anwesenheit von Camerarius Anfang 
November in Wittenberg?), der die Nachricht von Forsters 
Berufung nach Tübingen brachte und sich mit den Witten- 
berger Reformatoren über die kirchlichen Verhältnisse in 
Württemberg und ohne Zweifel auch über die Lage der 
Universität Tübingen besprach. Das war wohl der Anlaß 
zu Luthers eingehendem Schreiben an Herzog Ulrich, dem 
er die Pflege des Schulwesens und die Schonung der Kirchen- 
güter ans Herz legte und wohl auch dabei Forster empfahl 5), 
der am 15. Januar mit seiner Familie nach Tübingen über- 
siedelte ). 

Forsters Lage in Tübingen war nicht leicht mitten 
zwischen dem katbolisierenden Balthasar Käuffelin, der noch 
1556 die Entscheidung der Kirche über die heilige Schrift 
stellte?), und dem Zwinglianer Paul Phrygio, der zugleich 
Pfarrer war, aber den wissenschaftlichen Anforderungen kaum 
gewachsen war und zum Aergernis der ernsten Leute sich 
mit Käuffelin auf allzu vertrauten Fuß setzte ). Forster 
hatte Gewissensbedenken. das heilige Abendmahl in Tübingen 
zu genießen. Er ging dazu nach Reutlingen zu Matth. Alber, 
. der mit ihm zugleich am 29. Oktober 1539 die theologische 
Doktorwürde erhielt). Nunmehr werden Luther und Me- 
lanebthon eine Stärkung der Stellung Forsters für nötig 
erachtet haben und deshalb Neobolus an Schnepf für Tübingen 
empfohlen haben. Es war eine sehr bescheidene Stellung, 
in welche dieser als Diakonus in Tübingen"), vielleicht neben 


1) Germann 302. 

1) C. R. 3, 602, 603. 

3) Kawerau, Briefwechsel des Justus Jonas 1, 303, Germann 322. 
Leider fehlt der Brief Luthers an Herzog U irich noch, 

*) Germann 319, 

5) Ernst, Briefwechsel des Herzogs Christoph 4, 162. Hermelink, 
Die theol. Fakultät in Tübingen 1477—1534, S. 204. 

© Schieß. Briefwechsel der Brüder Blaurer 1, 750, 756. 

7) Germaun 336. Weizsäcker, Lehrer und Unterricht der ev. theol. 
Fakultät S. 12. 

$) Grabschrift in Entringen, Hartmann, Magisterbuch (Mskr. der 
Landesbibliothek) S. 63. Crusius, Excerpta 87 (Mskr. der Un.-Bibl. in 
Tübingen). 


296 136 


den früheren Karmeliter und Pfarrer in Remmingsheim Jakob 
Bern, eintrat). Denn ein Diakonus war nur Vikar des 
Pfarrers. | 

Bald verließen Camerarius und andere Professoren 
Tübingen, naehdem am 20, September 1540 eine fürstliche 
Kommission die Professoren, welche auswärts das Abend- 
mahl empfingen, scharf getadelt und gegen Forster wegen 
angeblicher Aeußerungen über Oekolampad und Blarer, die 
Forster bestritt, Klage erhoben hatte, worauf dieser 1541 
nach Nürnberg zog?) Unter diesen Umständen war ein 
Wechsel, der Neobolus ein selbständiges Amt brachte, er- 
wünscht. 

Im September 1540?) bezog er die Pfarrei Entringen, 
zehn Kilometer nordwestlich von Tübingen, zu welcher das 
Schloß Hohenentringen mit herabgekommenem Adel von ver- 
schiedenen Familien gehórte. Der letzte katholische Pfarrer 
Bernhard Sichelschmid hatte sich in seine Heimat Horb 
zurückgezogen. Blarer schickte im Oktober Jörg Distel aus 
Zürieh hin, der mit seiner fremdartigen Art, vollends unter 
dem Einfluß des streng katholischen Schultheißen Grüninger, 
es schwer hatte“), und unter Hohn und Spott und sogar 
bubenhafter Verunreinigung von Kanzel und Altar zu leiden 
hatte). Neobolus gelang es, die Gemeinde zu gewinnen, 
wenn es auch noch 1554 etliche Leute gab, die zur Messe 
in das nahe Poltringen gingen und seit 1546 das Abendmahl 
nieht empfangen hatten?) also vom Ausgang des Schmal- 
kaldischen Kriegs an sieh wieder dem alten Wesen zu- 
wandten. Jetzt wird Neobolus sich in den Ehestand begeben 
haben. 1542 wurde sein Sohn und späterer Nachfolger 
Johannes geboren‘). Mit Forster blieb er in brieflicher 
Verbindung und sicher auch mit den Freunden in Wittenberg 
und mit C. Huber, obgleich die Briefe fehlen. Forster hatte, 
als nach Phrygios Tod die theologische Fakultät nur aus 
Käuffelin bestand, Brenz den Ruf ablehnte und Schnepf 
zögerte, den Wunsch, den er am 15. September 1543 aus- 
sprach: Utinam principi tam cognitus esset Neobolus, quam est 
mihi et paucis aliis, scio lectioni alicui theologicae praeficeret ^. 


1) Jahrbuch für Gesch. des Protestantismus in Oesterreich 27. 67 ff. 

2) Weizsäcker 12. Germann 336. 

*) Grabschrift. 

4) Mitteilungen aus C, F. Hangs Leben und Nachlaß, wo S. 53—97 
eine Geschichte von Entringen steht. Crusius Excerpta 86. Hermelink. 
Tüb. Matr. 1, 173. Schieß 1, 565. 

5) Heyd, Ulrich 3, 89. Bossert, Württemberg und Janssen 119. 

$) Schneider, Württb. Ref.-Gesch. 128, 

) Brunnius, Libellulus 80. 

$) Germann 356. 

*) Ebd. 368, 


137 297 


Als im Interim zum handgreiflichen Beweis der Un- 
möglichkeit der Durchführung der Kaiserreligion auf 11. No- 
vember 1548 allen evangelischen Predigern das Amt ge- 
kündigt wurde!), erschien Sichelschmid wieder, allein die 
Gemeinde, welche den Unterschied‘ des katholischen und 
evangelischen Pfarrers jetzt kannte, wollte nichts von ibm 
wissen außer: den wenigen Altgläubigen. Er zog wieder ab 
und Neobolus konnte sein Amt wieder übernehmen’, 

Eine ehrenvolle Aufgabe erhielt der einstige Tischgenosse 
Luthers mit dem neuen Professor der Theologie D. Jakob 
Beurlin?). Am 13. November 1551 wurden sie als theolo- 
gische Beiräte der weltlichen Gesandten des Herzogs Christoph, 
H. D. von Plieningen und H. H. Heeklin von Steineck, nach 
Trient gesandt, wo sie am 28. November ankamen und 
täglich die Verhandlungen besuchten und nach Möglichkeit 
aufzeichneten. Da aber das Konzil kein Entgegenkommen 
zeigte, rief der Herzog seine Gesandten und die beiden 
Theologen heim. Letztere reisten am 13. Januar ab und 
erstatteten nach ihrer Rückkehr ca. 1. Februar schriftlichen 
Bericht über ihre Reise und Aufzeichnungen in Trient, be- 
sonders über das Mebopfer*). Neobolus mochte froh sein, 
die beschwerliche Reise nicht zum zweiten Male machen zu 
müssen, wie Beurlin, der am 7. März mit Brenz Heerbrand, 
Vannius und den Straßburgern Marbach und Sell wieder 
nach Trient zog, wo sie zum Staunen des Konzils am 
18. März eintrafen, aber am 7. April wieder abreisten, da 
die Konzilsväter die nächste Sitzung auf 1. Mai vertagten, 
weil sie es nicht gern zu einer Verhandlung mit ihnen 
kommen ließen“). 

Ein wichtiger Auftrag wurde Neobolus 1557 zuteil. 
Im Kloster Herrenalb, das im Interim dem in der Fremde 
gewählten Abt Georg Pöß. genannt Tripelmann, einer durch- 
aus minderwertigen, unguten Persönlichkeit, wieder ein- 
geräumt wurde, waren unhaltbare Zustände. Pöß wurde 
zum Rücktritt genötigt. Der im Dezember 1555 erwählte 
Abt Philipp Degen erwies sich willig zur Einführung der 
evangelischen Klosterordnung, als am 14. Februar 1556 
Brenz, Beurlin und der Rat Seb. Hormolt erschienen, die 
Zustände im Kloster genau untersuchten und die wenigen 


1) Bossert, Das Interim in Württemberg 61. 

2 Crusius, Excerpta 87. 

3 R. E. 2, 671 ff. 

4) Ernst, Briefwechsel des Herzogs Christoph 1, 314, 338, 356. 
Pressel, Anecdota Brentiana 325. Der wichtige Bericht fehlt leider. 

„) Bossert, Interim 152ff. Fischlin läßt nach Crusius, Schwäb. 
Chronik 2, 327 Neobolus auch mitreisen, was falsch ist. Supplem. 104. 


298 138 


Konventualen auf ihre Fähigkeiten für künftige Verwendung 
prüften. Sie schlugen vor, zur Einführung der Klosterordnung 
und Klosterschule den erfahrenen, tatkrüftigen Pfarrer von 
Cannstatt Val. Vannius, einen ehemaligen Mönch in Maul- 
bronn, wo er 1558 der erste evangelische Abt wurde, auf 
ein bis zwei Monate nach Herrenalb zu schicken. Die Sache 
scheint aber sich verzógert zu haben!). 1557 wurde Neobolus 
nach Herrenalb geschiekt. Die Grabschrift nennt ihn Abbatis 
viearius, die Inschrift in der Kirche zu Entringen Lektor. 
Er selbst unterzeichnet das Bekenntnis vom Abendmahl 1559 
unmittelbar nach den angesehensten Männern der württem- 
bergischen Kirehe als Pfarrer von Herrenalb?) Alle drei 
Bezeiehnungen werden richtig sein. Er war Lesemeister für 
die theologischen Fücher, vertrat in allen geistlichen Fragen 
den ziemlieh unbedeutenden, ungelehrten Abt und war zu- 
gleich Seelsorger und Prediger für die Gemeinde. Lehrer 
der humanistischen Fächer war M. Gr. Bloß’). — Neobolus 
bekam den stattlichen Gehalt von 100 fl.“). Sein Amt in 
Entringen versah einstweilen Joh. Steudlin, der von Brenz 
1560 zur Reformation von Züttlingen, Hartheim und Wach- 
bach an Wolf v. Hartheim gesandt wurde“). Allzu befriedigend 
müssen die Erfolge der neuen Klosterschule und die ganze 
Stellung von Neobolus nicht gewesen sein, denn 1560 kehrte 
er nach Entringen zurück und Bloß wurde durch M. Jakob 
Kaufmann ersetzt“), Neobolus durch den späteren Abt Konrad 
Weiß. Ein neuer wichtiger Auftrag wurde Neobolus zuteil, 
als Schwenkfeld immer neuen Anhang gewann. Er sollte 
mit Brenz, Andrei und Heerbrand den Plan zu seiner Be- 
kämpfung beraten und ein Gutachten stellen, das wohl die 
Grundlage zu dem Mandat vom 16. Januar 1564 bildet“). 
Aber 1568 fühlte er sich amtsmüde und durfte sein Amt in 
die Hände seines Sohnes Johannes legen, der schon 1553 
Dezember 28. unter die akademischen Bürger in Tübingen 
aufgenommen wurde, aber erst am 12. August 1556 sein 
Universitätsstudium begann, am 12. August im Stipendium 
Aufnahme fand und am 9. Juli 1561 Magister wurde“), 1562 
Diakonus in Nagold, 1563 Pfarrer in Mótzingen, Oberamt 


1) Staatsarchiv: Herrenalb Büschel 9, a, 

2) Schneider, W. Ref.-Gesch. 1, 4. wo Neobolus zu lesen iat. 

3) Binder, württb. Kirchen- und Lehrámter 76. Schmoller, Gesch. 
des Stipendiums in Tübingen S. 79. Severin Jüger, ein früherer 
Herrenalber Mónch (Hermelink Matr. 1, 380), ist wohl auf eine der 
zahlreichen Klosterpfarreien gekommen. 

) Bl. f. W. K. G. 1904, 86. 

5) Theol. Studien a. Württb. 1880, 273. 

6) Fischlin, Memoria theol. Wirtb. 1, 56. Reyscher, © . 1. 
der württb, Gesetze 8, 285 ff. 

?) Hermelink Matr. 1, 370, 383, 


139 299 


Herrenberg, war!) und von seinem Nachbar Brunnius als 
tüchtiger Theologe und Historiker gerühmt wurde. Noch in 
seinen alten Tagen stand dem Vater die Ehre, Luthers Tisch- 
genosse gewesen zu sein, hoeh. Das hatte er seinem Sohn 
gerühmt, der es auf der Grabschrift verewigte und 1606 dem 
Straßburger Professor Pappus mit den 46 Briefen an seinen 
Vater mitteilte?). Neobalus starb am 28. Juli 1572?) und 
fand sein Grab im Chor der Kirche. Die jetzt an der Außen- 
wand der Kirche eingemauerte Grabschrift ist stark ver- 
wittert. Die verwitterten Buchstaben gebe ich in Kursiv, 
ebenso die zu ergiinzenden, die in Klammer stehen. 


JVSTO NEOBOLO LADENBVRG(AE) O- / R10 / M(A- 
GISTRO) WITTENBERG(AE) SAX(ONIAE) D(OMINI) 
LVTHE- / RI(COM)MENS (ALI) TRIEN(UM) ET WIR- 
TENG(ENSI) (LEGA)TO AD TRIDENTUNYM) CON- 
CIL(JV.M) POST / (EA) III. ANNOS HERNALB(AE) VICA- 
(RIO) ABBA(TIS) ET(HV)/IVS ECCL(ESI)AE PAROCHO 
PERPET(VO) AB AO (ANNO) 1540 VSQVE AD 1568 
PIE(QVE) 1572 DE FVN/CTO SVO PAR(ENTI) OPT(1MO) 
ET PIENTISS(MO)/POSVIT FILIVS ET SVCCESSOR 
IN/HAC ECCL(ESI)JA M(A@ISTER) JOHAN(NES) NEO- 
BOLVS/AB AN(NO) 1568 VSQ(VE) AD 16..*) HVIC 
ECCL(ESIJAE INGERVIVIT/ET CVM MAGDAL(ENA) 
DOTZINGER STVTGAR(DIANA) / CONIVGE CASTA 
LIBEROR(VM)..¿) MATRE/I(N) PACE VIXUT). 


Die Inschrift auf der hólzeren Tafel an der innern Nord- 
wand der Kirche lautet: 


M. Jost Neuheller war genannt 

Ein Pfarher alhie lang bekannt. 

Ein glerter Manu ist er hernach worden 
Zu Wittenberg der Schul in Saxenland, 
Bey Martin Luther viel erkandt 

Drey Jar an seinem Tisch in seine Hau. 
Groß Euffer, Kunst und Ehr bracht er daraus, 
In Wirtemberg von dannen ist kommen 
Und drin zum Prediger angenommen. 

AO MDXL vom Tübinger Diakonat 

Im September hier sein erst Predig thaat. 
Im Interim er dannoch bständig blieb, 

Do sonst vil hatten Ehr und Gut zu lieb. 


1) Hartmann. Magisterbuch 62. 

2 Thes. Baum 11. 

3) Crusius, Schwib. Chronik 2, 327. 

t) Die Zahlen sollten erst nach seinem Tod eingesetzt werden. 


300 . 140 


Gen Trient ihn der fromme Fürste sandt 

Ufs Concilium hin ius Welsche Land, 

War auf 3 Jahr Lektor zu Herrenalb, 

Sein Lob wáret allentbalb. 

AO MDLXXII seliglich starb 

Und erst die Kron der Ehre erwarb. 

Der Leib ruht hie in diesem Chor 

Seins Alters im LXVIIIten Jahr. 

Dem mit allem seinem Stamm und Samen 

Gott alzeit sei gnádig. Amen. 2. Kor. 1, 12, 13, 14. 


Beim Rückblick auf das Lebensbild des einstigen 
Tischgenossen Luthers wird man gegenüber dem S. 277 mit- 
geteilten Urteil Seidemanns Kolde Analecta Lutherana 5. 253 
Anm. Recht geben, wenn er das Urteil des Sohnes über die 
einflußreiche Stellung seines Vaters bei Luther doch ziemlich 
richtig findet. 

Wir sehen. wieviel ihm die Oberdeutschen, aber auch 
Forster und Huber zutrauten. Die wenigen Briefe, die uns 
von Neobolus erhalten sind, zeigen uns einen verständigen. 
ruhigen, billig denkenden und wohlgelchrten Mann, dem es 
wirklich um Vermittlung zu tun ist, und der darum auch 
Forster beruhigt. Wie sehen, wie unrecht ihm Melanchthon 
mit dem Vorwurf der Verbreitung falschen Geredes tat. In 
Württemberg muß auch 1551 sein früheres Verhältnis zu 
Luther nicht gering geachtet worden sein. Denn ein Mann, 
der mit Luther drei Jahr im engsten Verkehr gestanden 
hatte, konnte auf die Konzilsväter, wenn es zu persönlicher 
Aussprache kam, Eindruck machen. War er doch neben 
dem viel jüngeren Jakob Heerbrand, der später mit Brenz aufs 
Konzil geschickt wurde und 1538 bis 1543 in Wittenberz 
studiert hatte, nunmehr fast der einzige Mann in Württemberg. 
der in persönlichem Verkehr mit Luther und seinem Haus 
gestanden hatte. 

Die wichtigste Seite an dem Lebensbild ist der Beitrag, 
den es zur richtigen Würdigung von Luthers Charakter bietet. 
Luther war keineswegs so verschlossen für fremde Einflüsse, 
daß er sich nieht gewinnen ließ, wenn man ihn richtig zu 
behandeln wußte. Man möchte fast fragen, ob wohl der 
Sakramentsstreit in seiner ganzen Ditterkeit wieder aufgelebt 
würe, wenn Neobolus in der Umgebung Luthers geblieben 
wäre. Der Pfälzer Magister, der die größte Begeisterung 
für Luther hatte, wußte doch mit seiner freundlichen, 
wohlmeinenden und bescheidenen Weise den sächsischen 
Bergmannssohn und geistesmächtigen Doktor der Theologie 
recht zu nehmen, und das ist sein bleibendes Verdienst. 


Ein englischer Spion in Wittenberg 
zur Zeit Luthers (1559). 


Von Walter Friedensburg. 


Beispiellos war der Aufschwung, den die 1502 in Witten- 
berg gegründete Hochschule Kurfürst Friedriehs des Weisen 
im zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts erfuhr. da der „deut- 
sche Prophet“ und der erste Pädagoge der Zeit, der „Lehrer 
Deutschlands“, Seite an Seite dort wirkten. Aus allen Teilen 
Deutschlands und der umliegenden Länder ergoß sich ein 
nie versiegender Strom von Besuchern in die Tore der be- 
scheidenen Stadt. Von Semester zu Semester verzeichnete 
die Matrikel der Hochschule hunderte und aberhunderte lern- 
begieriger Jünglinge. Doeh erschöpfen diese Zahlen die Massen 
der Ankómmlinge noeh keineswegs. Wer, dem Wittenberg 
irgend erreichbar war, hätte nicht danach gestrebt, die ersten 
Männer Deutschlands, die aller Gedanken fortgesetzt be- 
schäftigten, in Person zu sehen und zu hören und die 
Stätte zu betreten, von der das neue Weltprinzip des Pro- 
testantismus ausgegangen war und wo es noch immer 
Wurzel trieb! 

Zu den Besuchern Wittenbergs in jenen Tagen gehört 
auch der Mann, mit dem sich diese Blätter beschäftigen 
sollen. Er spielte in der Lutherstadt allerdings keine be- 
neidenswerte Rolle, sondern wurde der leidende Held einer 
Spionengeschichte, die die Behörden Wittenbergs im Sommer 
1539 in Aufregung hielt und, auch wenn sie nicht völlig 
aufgeklärt worden ist, gleichwohl vielleicht als ein Stimmungs- 
bild aus Wittenberg in seiner großen Zeit eine kurze Dar- 
stellung verdient!). 


) Die einschligigen Berichte sind gesammelt in dem Aktenstiick 
Reg. O Nr, 162 des Süchs. Ernestin. Gesamtarchivs in Weimar, 28 Bl. 


302 142 


Um die genannte Zeit wurde man in Wittenberg — wohl 
durch Angebereien aus der Studentenschaft — auf einen in 
ihren Kreisen verkehrenden Ausländer aufmerksam, der die 
gefeierten großen Lehrer der Hochschule, besonders Luther 
und Melanchthon, geschmäht haben sollte. Der Námliche 
hatte sich andererseits an letzteren mit einer Geflissenheit 
herangedrängt, die ihn um so verdächtiger erscheinen ließ. 
Man berichtete über den Fall dem Landesherrn, Kurfürst 
Johann Friedrich, dem die Sache so bedeutsam erschien, dab 
er alsbald seinen Landvogt im Kurkreis, Bernhard von Mila, 
beauftragte, sich der Person des Angeschuldigten zu bemách- 
tigen und ihn auf Grundlage mitgesandter Artikel verhóren 
zu lassen. Der Beamte säumte nicht, sich des ihm gewordenen 
Auftrags zu entledigen; der Verdächtige wurde, als er früh 
morgens 3 Uhr am 22. Juli 1539 aus seinem Hause trat, das 
Mila wohl hatte umstellen lassen, ergriffen, in den Turm des 
kurfürstlichen Schlosses gebracht und wenige Stunden darauf 
dort verbórt. Hierbei traten auch der Schösser sowie der 
Altkanzler des Kurfürsten, Dr. Gregorius Brück, der sich da- 
mals in Wittenberg aufhielt, in Tätigkeit; ferner wohnte als 
Vertreter der Universität Melanchthon der Verhandlung bei. 

Wer war nun der Gefangene und wo kam er her? Er 
nannte sich Thomas Minternus. Dieser Name findet sich eben- 
falls in den Matrikeln mehrerer Universitäten, die jener be- 
sucht haben wollte; es liegt jedenfalls kein Grund vor, die 
Richtigkeit des Namens zu bezweifeln. Aber die Zwel- 
deutigkeit beginnt schon bei dem Kapitel Heimat und Natio- 
nalität. In Wittenberg, wo Minternus sich weder hatte in 
die Matrikel eintragen lassen, noch, wie ihm hernach Brück 
vorwarf, als Fremder bei dem Befehlshaber angegeben und 
Geleit begehrt hatte, hielt man ibn für einen Wälschen, 
d. h. Italiener. Auch anderswo war er als solcher aufgetreten, 
nach dem Zeugnis der schon berührten fremden Universitäts- 
matrikeln, nämlich der Erfurter, in der Minternus als, Patavius“. 
und der Kölner, in der er als „Italus“ verzeichnet ist’). 
Dagegen stellte sich, als der angebliche Südländer nunmehr 
näher ins Gebet genommen wurde, heraus, daß er ein Eng- 


1) Vgl. unten. 


143 303 


länder sei. Er hatte also seine wirkliche Herkunft bisher 
geflissentlich verhehlt und eine fremde Maske getragen. 

Wir unterlassen es an dieser Stelle, diesem immerhin 
auffallenden Umstande nüher nachzugehen und berichten zu- 
fórderst über das, was das Verhör weiter ergab. Nach seiner 
nüheren Heimat befragt nannte Minternus eine Stadt, die das 
Verhandlungs-Protokoll mit „Zuebun“ wiedergibt, während in 
den Akten eines mit ihm angestellten zweiten Verhörs der 
Name „Serba“ lautet. Sicherlich ist beide Male das eng- 
lische Wort mangelhaft aufgefaßt und wiedergegeben worden; 
man könnte vielleicht den Namen Derby darin erkennen 
wollen; daß Minternus beide Male den gleichen Ort angegeben 
habe. ist nattirlich anzunehmen. Übrigens bot die Vernehmung 
des Gefangenen sprachliche Schwierigkeiten; sie mußte, 
da er behauptete des Deutschen unkundig zu sein, in der 
lateinischen Sprache geführt werden, in der jedoch die kur- 
fürstlichen Beamten außerstande waren, dem Gang der Ver- 
handlung zu folgen, so dal) eine zuverlässige Person als Dol- 
metsch hinzugezogen werden mußte. 

Im übrigen förderte das erste Verhör noch folgendes 
zutage: Minternus lag seiner Aussage nach seit geraumer Zeit 
juristischen Studien ob und wurde von dem Landesherrn 
König Heinrich VIII. unterhalten. Diesen wollte er vor sieben 
Jahren zuletzt gesehen haben; von England aber behauptete 
er seit zwei Jahren abwesend zu sein und in Paris, Löwen, 
Köln, Erfurt und Leipzig studiert zu haben. Paris hatte er 
seiner Angabe nach verlassen, als König Franz gegen die 
Bekenner des Evangeliums eingeschritten war, da er selbst 
sich zu diesen zähle. Er habe zuerst die Absicht gehabt 
nach Italien zu gehen, aber davon Abstand genommen, da 
er gehört habe, daß Kardinal Pole „des Orts“ sein sollte, 
der allen Engländern feind und aufsässig und, wie verlaute, 
gemeinsam mit dem Kaiser in Rüstung gegen den König von 
England sei. Ferner gab Minternus an, dem Frankfurter 
Konvent im Frühling des Jahres beigewohnt zu haben; er 
habe bei dem englischen Gesandten gelegen und sei von 
diesem und andern Engländern als Stipendiat König Hein- 
richs wohl gelitten gewesen. Auch Melanchthon sei er da- 
mals näher getreten und habe an ihn dort „eine Schrift getan“. 


304 144 


In diesen verhältnismäßig ausführlichen Angaben!) ist 
kaum ein Punkt enthalten, der sich als von vornherein un- 
wahrscheinlich bezeichnen läßt oder mit den allgemein be- 
kannten  geschichtlichen Tatsachen und Verháltnissen in 
Widerspruch steht. Zum Teil unterlagen ja auch die Be- 
hauptungen, wie die über den Verkehr mit Melanchthon, 
leichtester Nachprüfung. Die Angaben ferner über den Be- 
such der Universitäten Erfurt und Leipzig werden durch 
deren Matrikeln belegt?); in Erfurt erscheint der Name des 
Minternus unter den Immatrikulierten der Periode Ostern 1538 
bis Michaelis 15393), in Leipzig unter denen des Sommers 
1539*). Auch die Kölner Universitätsmatrikel zählt Minternus 
auf, freilich erst nach dem Wittenberger Aufenthalt, nämlich 
unter dem 4. Februar 1540°), was jedoch einen kurzen früheren 
Aufenthalt wohl nicht ausschließt). 

Wie stand es nun aber mit dem auf Minternus lastenden 
Verdacht, die Wittenberger Gelehrten, besonders die beiden 
führenden Geister, geschmäht zu haben? Er bestritt das mit 


1) Über seine Absichten für die Zukunft befragt, erklärte Minternus, 
er beabsichtige nach England zurückzukehren, wofern, wie er hoffe, 
das Gerücht, daß Heinrich VIII. wieder vom Evangelium abgefallen sei, 
sich nicht bewahrheite, — Endlich fragte man ihn noch, wohinaus er 
den Morgen so früh gewollt habe. Er antwortete, „Philippus“ habe 
wegen des Abfalls Heinrichs VIII. eine harte Rede mit ihm gehalten, 
die ihn stark bekümmert habe; deshalb habe er zu seiner Aufheiterung 
vor die Stadt hinauswandern wollen. 

2 Ob das auch für Paris und Löwen gilt, läßt sich zurzeit nicht 
nachprüfen. 

3) Weißenborn, Akten der Erfurter Universität Bd.2 (Halle 1584), 
S. 398. Minternus steht in der Reihe der „plus solito solventes“. 

4) G. Erler, Die Matrikel der Universität Leipzig I (Leipzig 1893), 
S. 629. M. ist unter 20 „Bavari“ der zehnte. 

5) Matrikel IV Bl. 159a, nach gütiger Mitteilung des Herrn Prof. 
Dr. H. Keussen vom Stadtarchiv zu Köln. 

6) Über Köln erhielt Minternus auch, wie er auf Befragen angab, 
sein königliches Stipendium aus England und zwar aus der Hand 
des „Faktors“ Johann Pastor in Köln. Ein J. P. oder Pastoir ist 
dort damals als Schultheiß nachweisbar; vgl. Macco, Beiträge zur 
Genealogie rheinischer Adels- und Patrizierfamilien IV (Aachen 1905), 
S. 184 und die Tafel S. 185; daß er englischer Faktor geweren sei, 
ergibt sich allerdings nicht. Auch im Kölner Hanse-Inventar wird P. 
nicht genannt, 


145 305 


großem Nachdruck und sprach den Wunsch aus, denen 
gegenübergestellt zu werden, die solches von ihm gehört 
haben wollten. Auch berief er sich für seine evangelischen 
Anschauungen auf seinen Wirt, Magister Anton Walther), 
und alle die sonst mit ihm näher verkehrt hätten, und be- 
hauptete, nach Wittenberg einzig za dem Zwecke gekommen 
zu sein, seine Studien fortzusetzen und in christlicher 
Liebe unterwiesen zu werden. Allein schon war ein stummer, 
aber gleichwohl beredter Zeuge aufgetaucht, der diese Be- 
hauptungen des Engländers Lügen zu strafen schien. Man 
hatte nämlich nach seiner gewaltsamen Sistierung bei ihm 
alsbald Haussuchung abgehalten und dabei zwei Notizbücher 
von seiner Hand gefunden, die nun den gegen ihn aufge- 
tauchten Verdächtigungen einen gewissen Halt gaben, insofern 
als sich unter den Aufzeichnungen solche fanden, die für 
einen überzeugten Evangelischen einigermaßen befremdlich 
klangen. 

Melanchthon — man muß sich wundern, zu wie vielerlei 
Obliegenheiten der so stark belastete sich gebrauchen ließ! 
— übernahm es, die Notizen des Engländers einer genauen 
Durchsicht zu unterziehen und die verdächtigen Stellen aus- 
zuziehen. Diese Auszüge sandte dann Brück — noch am 23. 
— dem Kurfürsten ein; der Altkanzler sah darin den 
schlüssigen Beweis, daß der „Wale, so sich itzt einen En- 
geleser bekennt“, nach Wittenberg gekommen sei, „um allerlei 
auszuforschen und auszuspähen und alle Dinge zum übelsten 
zu kehren bei den Widersachern und die ihn hierher zu 
ziehen angestiftet haben.“ Ja, Brück gibt selbst einem noch 
weiterreichenden Verdachte Ausdruck. Minternus hatte, wie 
wir jetzt erfahren, angegeben, er sei nicht weniger als vier- 
mal von Luther eingeladen worden, habe aber nicht zu ihm 
gehen wollen; doch hatte er sich erkundigt, wann Luther 
seinen vor dem Tore gelegenen Garten allein aufzusuchen 
pflege. Trug er sich etwa gar mit Mordgedanken? Für 
Brück galt das nicht für ausgeschlossen. Um so mehr hielt 
er ein nochmaliges strenges Verhör des Gefangenen für ge- 
boten, bei dem man vor allem aus ihm herauszuholen suchen 

1) Vgl. meine Geschichte der Universität Wittenberg (Halle 1917) 
S. 286, 

Archiv für Reformationsgeschichte, XIV. 3,4. 90 


306 146 


miisse, wer ihn hierher geschickt habe und auf wen die 
unwahren Angaben des Büchleins zurtickgingen, um aut diese 
Weise anderen verdüchtigen Elementen, die sich hier finden 
möchten, auf die Spur zu kommen, und an wen er berichte !). 

Auf die Vorschläge des Altkanzlers hin bestimmte der 
Kurfürst unter dem 25. Juli, Universität. Landvogt und Rat 
sollten einen Tag vereinbaren, an dem der Gefangene auf 
einem sonderen Gemach im Sehlosse verhórt würde. Seine 
Aussagen sollten sie aufzeichnen und dem Kurfürsten über- 
senden, bis zu dessen weiterer Verfügung der „Wale“ in 
seinem Gewahrsam zu belassen sei. | 

Ein „Verzeichnis“, das Johann Friedrich als Grundlage 
für das neue Verhór mitsandte, hat sich nicht erhalten, da- 
gegen liegen sowohl die Auszüge Melanchthons aus den be- 
schlagnahmten Notizbüenern vor?) wie auch die Aussagen 
ihres Besitzers in dem erneuten Verhür, das am 30. Juli im 
Sehlosse zu Wittenberg ,an dem Orte, wo man das Hofgericht 
zu halten pflegt“, mit ihm vorgenommen wurde. Über seine 
Person bestütigte oder ergünzte er hiernach das früher Ge- 
sagte: er sei Englánder, von adligem Stande und Licentiat 
der Rechte, der König von England habe ihn „verlegt“ und 
zum Studium naeh Frankreich gesandt, er sei aber von dort 
flüchtig geworden, nachdem er in der Fastenzeit mit seinen 
Genossen sechs Kapaune verzehrt habe, und sei um des 
Evangeliums halben nach Wittenberg gekommen, wolle auch 
im Evangelium bleiben und darin sterben. 

Es wurden ihm nun einzeln die belastenden Notizen 
seiner Büchelchen vorgehalten. Dort hatten sich über Luther 
besonders folgende Angaben vorgefunden: er predige, mau 
solle den Papst hängen“); er lese, wie wenn er „eine Fabel 


1) Brück hält für möglich, daB Minternus in den Diensten des 
Kardinals Pole stehe. Andererseits scheint es ihm nicht ausgemacht, 
daß jener wirklich ein Engländer und Stipendiat Heinrichs VIII. sei. 
Man sagte auch in Wittenberg, er solle vielmehr ein Domherr zu 
Mainz sein (!). 

2) Sie finden sich in Melanchthons Niederschrift auf Bl. 16—18 
des bezeichneten Aktenstückes mit einzelnen Zusützen von anderer 
Hand vor. 

2) ,Dr. Martinus stehet uff dem predigstul und schreit wie ein 
grober bauer, man soll den bapst hengen.“ 


147 | 307 


sage“; dem Kaiser und andern gegenüber verfahre Luther 

wie die bösen Männer mit ihren Weibern: er verschweige 

das Gute und erwühne einzig das Böse. | 
Luthers Ansehen in Wittenberg sei so groß, daß man 


ihn mit Johannes dem Täufer vergleiche und über Augustinus 


setze. Er nehme auch für sich allein die Gabe in Anspruch, 
die Schrift zu verstehen und lasse neben der seinigen keine 
andere Auffassung aufkommen: ,sie müssen alle leben nach 
des Luthers Vorgeben !)“ —, mit welcher Behauptung es dann 
freilich nicht recht stimmen wollte, wenn in den nämlichen Auf- 
zeichnungen die neu aufgerichtete Kirche mit dem hölzernen 
Pferde von Troja verglichen wurde: so viel gewappnete 
Männer einst diesem entstiegen seien, so viele Sekten seien 
der neuen Lehre entsprossen, als Trinitarier, Wiedertäufer, 
Sabbatiner usw. Befremdlich erschien ferner die Behauptung 
des Büchleins, daß gar manche nur deshalb allsonntäglich 
das Abendmahl nähmen, „weil sie vom Fürsten etwas darum 
haben.“ | | 

Auch Melanchthon blieb nicht unangetastet: er sage, 
vermerkt das Büchlein, in seinen Schriften, daB man der 
Obrigkeit gehorsam sein solle, aber in der ,Lektion* unter 
den Unverstündigen rede er, ,seine Sekte móchte dem Kaiser 
widerstehen“ :); „kühnlich“ lehre er auch, man solle dem 
Kaiser nicht gehorsam sein, so er gebeut, die alten Zere- 
monien, als zu Leipzig, zu halten), 

„Dies sind die vornehmsten Punkte,“ bemerkt Melanch- 
thon am Schluß, „denn er sonst auch viel Lügen und Läste- 
rung sich hóren lassen. Sonst steht aueh Narretei im Büchlein, 
das uns nichts angeht, aueh andere Stücke, die \uns nicht 
unrühmlich sind *)*. 


1) Von der Lehre Luthers und den Seinen wird noch vermerkt, 
daß, wenn in der Bibel von „guten Werken“ die Rede sei, dies als 
„ironice, d. i. spottweiß oder hónisch* gemeint ausgelegt werde. 

*, Hierzu bemerkt Melanchthon erläuternd: „Dieses, wiewohl die 
meinung recht und wahr ist, ist doch in der lection vom kaiser nicht 
geredet.“ 

.5) Melanchthon: „das ist wahr, das hab’ ich geredt.* 

) Außerdem übersandte man dem Kurfürsten einige Notizen des 
Minternus, deren Sinn man nicht entrüseln konnte, Auch am kurfürst- 
lichen Hofe aber fand sich niemand. der sie verstand. Minternus selbst 


20* 


308 148 


Es lohnt der Mühe nicht, die Antworten oder Ausreden 
des Englünders einzeln zu verzeichnen. Er verfuhr jedoch nicht 
ohne Geschick. Einiges erklärte er selbst für unwahr und 
erbot sich es in aller Form zurückzunehmen, ohne sich je- 
doch darüber auszulassen, wie er zu solchen Behauptungen 
gekommen sei!) Andere seiner Behauptungen schrinkte er 
wesentlieh ein: er wollte jetzt nicht mehr Luther haben ver- 
langen hören, daß der Papst gehängt werde, sondern die 
Sache gehe auf einen Druck (wohl ein Flugblatt oder einen 
Büchertitel) zurück, auf dem Luther den Papst habe hängend 
abmalen lassen. Und daß man „für die Kommunion etwas 
bekomme“, sei dahin zu verstehen: an anderen Orten müßte 
man den Abendmahlswein kaufen, während man ihn in 
Wittenberg vom Kurfürsten unentgeltlich erhalte. Daß er 
ferner, wie ihm in dem Verhör ebenfalls vorgehalten worden 
war, „seinen Fleiß dabin gerichtet gehabt, wie er viele 
heimliche Briefe ausforschen und bekommen möchte,“ bestritt 
Minternus nicht, suchte aber dem darauf begründeten Verdacht 
die Spitze abzubrechen, indem er sich als Autographen- 
sammler kundtat: er habe solche Briefe „als gelehrter Leute 
Hand gern haben wollen.“ Natürlich behauptet Minternus 
aueh, daB sein Bestreben, Luther in seinem Garten allein 
anzutreffen, lediglich der Absicht entsprungen sei, ihn un- 
gestört sprechen zu können, bei welchem Anlaß er übrigens 
die frühere Behauptung, daß Luther ihn zu sich habe laden 
lassen, rundweg zurücknahm ?). 

Wieder anderes will Minternus von anderen erfahren haben; 
er bat es etwa auf einem Spaziergang gehört, wobei er aber 
die, die es gesagt haben, nicht kennen will; oder: von einem 
Studenten, mit dem er umgeht. Der Vergleich der angeb- 
lichen Sektierer Wittenbergs mit den Bewaffneten iın hölzernen 


im zweiten Verhör erklärte, es seien französische Wörter und bedeu- 
teten: „Si Deus sic vult, ita fiat“ und „omnia cum honestate“. Diese 
schönen Sentenzen seien ihm als Sinnsprüche des Kurfürsten und der 
Kurfürstin von Sachsen bezeichnet worden, usw. 

1) Dies gilt besonders für ein von ihm Melanchthon zugeschobenes, 
aber in dessen Aufzeichnung nicht erwähntes Verbot an dessen Zuhörer, 
die Schriften des Erasmus zu lesen. 

2) Er sei von Luther noch keinem seiner Tischgänger zu ihm 
hinauf zu einiger Collation geladen worden. 


149 309 


Pferde von Troja ist ihm „durch etzliche zu Leipzig also ge- 
sagt worden“. 

„In Summa, heißt es am Schluß des Protokolls, hat er 
fast bei allen Fragartikeln darauf bestanden und verharrt, 
daß er unserer Lehre gewogen, um ihretwillen hergekommen 
sei und daß er darauf bleiben, verharren und sterben wolle, 
Und hat alles mit unerschrockenem Angesicht und Geberden 
geredet.“ 

Dieses Verhalten des Angeschuldigten hat, wie es scheint, 
obwohl manche seiner Ausreden offensichtlich wenig über- 
zeugend waren, auf die Anwesenden seines Eindrucks nicht 
verfehlt. Es fällt auf, daß sie, soweit es wenigstens unsere 
Vorlage erkennen läßt, nicht nachdrücklicher darauf be- 
standen haben, die Gewährsmänner des Engländers kennen 
za lernen. Mit Recht hatte, wie .wir sahen, gerade auf 
diesen Punkt der Altkanzler Brück, der bei dem Verhör selbst 
übrigens nicht zugegen gewesen zu sein scheint, den Haupt- 
ton gelegt wissen wollen. Es mußte sich darum handeln, 
herauszubekommen, ob etwa die Gegner des Evangeliums in 
Wittenberg eine Organisation zur Überwachung Luthers und 
der Seinigen geschaffen und Veranstaltungen getroffen hatten, 
um diese gleichsam systematisch ausspähen zu lassen, auch auf 
Briefe und Äußerungen der nämlichen fahndeten, um sie 
schädigen oder verderben zu können. Aber das Verhör des 
Minternus ergab hierüber, mochte es am Ungeschick der 
Untersuchenden liegen oder in der Sache selbst begründet 
sein, nichts Zweckdienliches. Auch mit dem Hinweis auf 
Leipzig als Ursprungsort jenes bissigen Vergleichs war nicht 
viel anzufangen; daß man sich von dorther alles Schlimmen 
versehen konnte, wußte man in Kursachsen und in Witten- 
berg ohnehin. Im übrigen bahnte sich ja im Nachbarlande 
eben jetzt eine völlige Wendung an. Herzog Georg weilte 
seit drei Monaten nicht mehr unter den Lebenden und von 
seinem Nachfolger durfte die Sache des Evangeliums das 
beste erwarten. 

Vielleicht war es nicht ohne Einwirkung dieses Umstandes, 
daß Kurfürst Johann Friedrich darauf verzichtete, die An- 
gelegenheit des Minternus noch weiter untersuchen zu lassen. 
Er urteilte zwar auf Grund der ihm eingesandten Akten, der 


310 150 


gefangene Englánder habe auf etliche Artikel fast unrichtige 
und unschickliche Antwort gegeben und erscheine ,der be- 
schehenen Bezichtigung und Auflage hoch verdächtig“ und 
daher strafwürdig, entschied jedoch — auf Fürbitte Mila's — 
dahin, er solle Urfehde schwören und in Freiheit gesetzt 
werden, Wittenberg aber verlassen. Da dieser Bescheid, wir 
wissen nicht wodurch verzögert, erst am 31. August erging. 
so hat Minternus diese ganze Zeit noch in Haft zubringen 
müssen. Schwerlich als ein unschuldiges Opfer summarischer 
Justiz. Das Exempel geht augenscheinlich nicht restlos auf. 
Von allem Anfang an macht die Verleugnung seiner Herkunft 
und Nationalität Minternus verdächtig. Es kommt hinzu, daß 
er nicht die Entschuldigung naiver Jugend und Unerfahrenheit 
für sich geltend machen konnte, nachdem er seinem eigenen 
Geständnis nach schon eine ganze Reihe von Hochschulen 
besucht, mehrere fremde Länder kennen gelernt, selbst, wie 
seine Anwesenheit beim Frankfurter Konvent bezeugt, sich 
zu den politisch-kirchlichen Händeln der Zeit gedrängt hatte. 
Prüfen wir aber die ihm abgezwungenen Angaben näher, so 
wird die Vermutung schwerlich abzuweisen sein, daß Min- 
ternus im englischen Solde stand und beauftragt war. im 
Interesse der auswärtigen Politik seines Heimatlandes die 
Lage der Dinge in Wittenberg zu beobachten und darüber 
zu berichten. Auf diesem Wege erklären sich ebensowohl 
die falschen Angaben des Minternus über seine Herkunft. da 
ihm daran gelegen sein mußte, seine Beziehungen zu England 
zu verheimlichen, wie der Umstand, daß der der Landes- 
sprache unkundige Ausländer in auffällig kurzer Zeit, indem 
er doch erst nach dem Frankfurter Konvent sich nach Witten- 
berg gewandt zu haben scheint, verhältnismäßig so zahl- 
reiche Notizen, von denen die durch Melanchthon uns bekannt 
gewordenen, aus einem einzelnen Gesichtspunkt ausgewählten 
Auszüge nur einen Bruchteil darstellen, zusammengebracht 
hatte. Daß andererseits die Politik König Heinrichs VIII. 
ein gewisses Interesse daran besaß, über die Vorgänge und 
die Stimmung in Luthers Umgebung unterrichtet zu werden. 
bedarf wohl keines Beweises. 


— — 21 . —— ———— — 


Mitteilungen. 


Lutherana in Zeitschriften usw. 


M. Sehulze führt uns in Deutsch-Evangelisch VIII, 5 (1917, 
Mai) S. 193—203 in kurzen Sützen „die Bedeutung der lutheri- 
schen Reformation“ vor Angen. Er betont wie Luther, durch 
den die Religion wieder zu einer Angelegenheit des Individuums mit 
seinem Gott geworden ist, in die niemand hineinreden darf, die, wenn 
sie gedeihen soll, rein der inneren Erfahrung und dem inneren Triebe 
überlassen werden mul, der Freiheit überhaupt eine Gasse gebahnt, 
dem Herrschaftsanspruch der Kirche, indem er ihn an der entscheiden- 
den Stelle zurückwies, im Prinzip alles, was darunter litt, entnommen 
hat; zeigt aber zugleich, dal das Neue nicht auf einmal und restlos 
verwirklicht werden konnte, auch wohl durch die Nachwirkungen der 
Vergangenheit getrübt wurde, Der Gegenwart liegt es ob, die Grund- 
sütze der Reformation mit voller Folgerichtigkeit durchzuführen, was 
Luther noch nicht vermochte. | 

Im Anschluß an Ausführungen W ilh, Diltheys in seiner Abhand- 
lungenfolge zur Geistesgeschichte des ausgehenden Mittelalters und 
der Neuzeit läßt sich P. Natorp in Christl. Welt 31 (1917) Nr. 24 
Sp. 459—465 über „Sinn und Geist der Tat Luthers“ aus. 
Er hebt hervor, wie mit der vollen Reife und Mündigkeit des religiósen 
Wahrheitsgewissens zugleich die volle Reife und Mündigkeit der sitt- 
lichen Stellung zur Welt endgültig errungen und damit ein máchtiger 
Schritt für das Ganze der Entwicklung der europäischen Völker zur 
Neuzeit, über das Mittelalter hinaus, getan wurde, Für Deutschland aber 
bot Luthers Auftreten, dessen deutsches Herz ihn zu dem Wagnis 
einer auf evangelischem Grunde ruhenden, aber bis in alle äußeren 
Lebensordnungen sich erstreckenden allgemeinen Erneuerung fortriß, 
noch mehr: vielleicht in keinem Augenblick seiner Geschichte ist unser 
Volk so nahe daran gewesen, eine Nation zu werden wie damals, d. h. 
zu einer Gemeinschaft des letzten Lebensinhalts zu gelangen, Luthers 
deutsche Bibel, sein deutsches Lied, seine Katechismen und Postillen, 
vereint mit dem aus deutscher Seele neu und innerlicher denn je er- 
faßten Christenglauben schufen damals eine Gemeinschaft, die unter dem 
bitteren kirchlichen und daraus folgenden politischen Hader der Folge- 


312 152 


zeit leider nicht standgehalten hat, deren innere Fortwirkung aber 
nicht erloschen ist und nie ganz erlóschen kann. 


In „Zwei Beiträge zur Lutherforschung“ gibt 
G. Buchwald erstens eine Übersicht über die in der (zur Heraus- 
gabe vorbereiteten) sogenannten Matricula ordinatorum des Hochstifts 
Merseburg (Manuskript im Magdeburger Staatsarchiv) vorkommenden 
Personen aus dem Kreise Luthers, und druckt zweitens ein in der 
Schloßbibliothek zu Schleinitz befindliches einzelnes Blatt von Luthers 
Hand aus seinem Druckmanuskript der Auslegung der Episteln des 
Jesaias (1526) ab, das allerdings mit dem Druck in W. A. 19 durch- 
aus übereinstimmt, Studien zur RG. u, prakt. Theol. (Festschrift für 
G. Kawerau) S. 15— 20. 


Ebendaselbst S. 21—40 gibt in sehr dankenswerter Weise 
P. Flemming genaue Nachweise über „die Lutherbriefe in 
der Rórersammlung auf der Universitütsbibliothek zu Jena“ 
unter Angabe der im Laufe der Zeit verloren gegangenen Briefe. Zum 
Schluß werden die in Bos. q 24r und 24t vorliegenden Vorarbeiten. 
die Rórer für eine Gesamtausgabe der von ihm zusammengebrachten 
Briefe gemacht hatte, kurz besprochen. 


Auf die (im Erscheinen begriffene) deutsche ,Lutherbibel 
in der Weimarer Ausgabe“ lenkt A. Risch in Christl. Welt Jahrg. 31 
(1917) Nr. 14 und 15 Sp. 964—267, 984—988 die Aufmerksamkeit. 
Er behandelt den geschichtlichen Rahmen, Luthers Wahrheitsernst. 
sein Sprachgefühl, endlich die Aufzeichnungen Rórers, die sog. Bibel- 
revisionsprotokolle. — Am gleichen Orte Nr. 17 Sp. 824—827 würdigt 
H. Hermelink die neue Krokersche Ausgabe der Tischreden 
in der W. A,, als deren Hauptfortschritt er die Möglichkeit zeitlicher 
Datierung der einzelnen Stücke feststellt. Indem wir jetzt im großen 
und ganzen die Reihenfolge kennen, in der die Reden gesprochen sind 
und viele bis auf den Tag festlegen können, wird natürlich ein ganz 
neues zeitgeschichtliches Verständnis des Ausspruchs möglich. Man 
kann jetzt geradezu den alternden Luther, seine letzten 16 Lebens- 
jahre, bis in die Einzelheiten kennen lernen und verfolgen, wozu in 
den folgenden Nummern der ,Christlichen Welt“ Hermelink selbst 
anregt, indem er aus inhaltlich verwandten Stücken der Tischreden 
unter einem Stichwort zusammengefaßte Gruppen bildet und diese aus 
dem Zusammenhang erläutert. So über ,Weltlich Regiment und 
römisch Reich" (Nr. 18), „Kirche und Papst“ (Nr. 20), „Kirche und 
Sekten“ (Nr. 23), „Vom Weib und von Frau Käthe“ (Nr. 25). 


In sehr verdienstvoller Weise behandelt W. Walther in Nkirchl. 
Zeitschr. 27 (1916) S. 662—686, 749—769 und 771—789 „Die Kon- 
kurrenten des Bibelübersetzers Luther bis 1525“. 
Soviel man Luthers Bibelübersetzung und im wesentlichen auch die 
von anderen nach 1525 herausgegebenen Übersetzungen behandelt hat, 
so wenig Beachtung haben die vor 1525 erschienenen Übersetzungen 
gefunden. Walther füllt also eine Lücke aus, indem er die bezüglichen 


% 


153 313 


Arbeiten Joh. Bóschensteins, Caspar Ammanns, Othmar Nachtigalls, 
. Johann Langs, Nikolaus Krumpachs, der beiden anonymen Übersetzer 
des Markus und Lukas und des anonymen Übersetzers des Galater- 
briefs eingehend und unbefangen würdigt. Seine Untersuchungen 
lehren aufs neue, wie groß nach dem Auftreten Erasmus’ und Luthers 
das Verlangen nach einer deutschen Bibel geworden war, so daß sich, 
noch bevor die einzelnen Teile der Bibel Luthers erschienen, in ver- 
schiedenen Gegenden Männer an dieselbe Arbeit machten. Der Wert 
ihrer Leistungen ist sehr verschieden. Nur ein Teil übersetzt direkt 
aus den biblischen Ursprachen, andere behelfen sich mit der Septua- 
ginta, der lateinischen Übersetzung des Erasmus und selbst der Vul- 
gata. Aber die Mehrzahl hat doch schon das Ideal erfaßt, eine wirk- 
liche deutsche Bibel zu liefern, ohne daß es freilich einer erreicht hat. 
Selbst in der besten dieser Übersetzungen stehen, wie die von Walther 
mitgeteilten reichen Proben bezeugen, neben gut geglückten Stellen 
recht mangelhafte oder ganz verfehlte. Es mangelt ihnen das, was 
Luther besaß, das tiefgehende Nachempfinden und die genügende Be- 
gabung, echt deutsch zu denken und zu reden. — Die Arbeit iet auch, 
etwas erweitert, unter dem Titel „Die ersten Konkurrenten 
des Bibelübersetzers Luther“ als Buch erschienen: Leip- 
zig, Deichert. 76 S. M. 1.80. 

In der Allg. ev. luth. KZ. 50 (1917) Nr. 18—21 (nebst Nachtrag 
Nr, 26 Sp. 618) behandelt Joh, Haußleiter Luthers Trost- 
briefe und zwar auf Grund der ersten gedruckten Sammlungen, | 
die von ihnen im Zeitalter der Reformation veranstaltet wurden, In- 
dem er diese in chronologischer Folge vornimmt, erörtert er die in 
ihnen enthaltenen Trostbriefe eingehend nach Veranlassung und erbau- 
lichem Inhalt. Es sind (abgesehen von den durch Veit Dietrich schon 
1532 abschriftlich verbreiteten Briefen, die Luther 1530 und 1531 an 
seine dem Tode entgegengehenden Eltern gerichtet hatte) die Aus- 
gaben Crucigers (1545), Aurifabers (1547 und 1550), Flacius’ (1549 
und 1550), endlich Rörers umfassendste Sammlung von 1554. Er- 
gänzend wirft H. schließlich noch einen Blick auf inhaltlich verwandte 
Briefe Luthers, die in diesen Sammlungen nicht berücksichtigt sind. 

In der Abhandlung „Mathias Flacius als Herausgeber von 
Luthers Koburger Briefen und Trostsprúchen (1530)“ 
wendet sich Job. Haußleiter gegen die von Enders aufgestellte 
und von O, Clemen übernommene Ansicht, daß jene Sammlung 
von Sprüchen nicht von Luther, sondern von Flacius als erstem 
Herausgeber zusammengestellt sei, und erbringt in scharfsinnigen Aus- 
führungen den Gegenbeweis. Flacius hat sich nicht angemaßt, eine 
selbstgefertigte Zusammenstellung unter Luthers Namen ausgeben zu 
lassen, das ihm bekannt gewordene Rüstzeug aus Luthers Waffen- 
kammer aber hat er kraftvoll und, wie Haußleiters Schlußausführungen 
über die außerordentlich große Nachwirkung der Koburger Briefe in 
der Herausgabe durch Flacius zeigen, erfolgreich geführt. Nkirchl. 
Ztschr. 28, 3 (1917 März) S. 149—187. 


314 154 


Im Jenenser Exemplar der für die Verbreitung der Rosenkranz- 
andacht durch die Dominikaner wichtigen Schrift des Leipziger Domini- 
kaners Marcus von Weida ,Spiegel hochlóbl. Bruderschaft des Rosen- 
kranz Mariae* von 1514/15 finden sich handschriftliche Glossen 
Luthers, die G. Kawerau in ThStKr. 1917, 1 S. 81—87 mitteilt. Sie 
lassen in Luthers Stimmung beim Lesen des Andachtsbuches hinein- 
blicken, in seinen Unmut über die frommen Lügen und Fabeln, die 
eine neuerliche Erfindung mit hohem Alter versetzen wollten, nnd be- 
sonders darüber, daß hier die Christen statt auf Christus auf die 
eigenen Werke verwiesen werden und man sie lehrt ,ex opere stulto 
justificari.“ 

In ZKG 36 Heft 3,4 S.350—404 setzt Weber seine kritischen Unter- 
suchungen „zu Luthers September- und Dezembertestament“ 
fort, und zwar handelt es sich um die Feststellung, ob und wieweit das 
Dezembertestament und die Wittenberger Drucke der folgenden Jahre 
als Originalausgaben gelten dürfen. Das Ergebnis ist wesentlich negativ. 
Glaubt Verfasser das Dezembertestament als „Zwitterdruck“ und nur 
mit gewissen Einschränkungen als eine zweite Originalausgabe be- 
zeichnen zu sollen, so weist er von der Grunenbergschen Ausgabe von 1522 
(W. A. *3) und den Wittenberger Ausgaben von 1524 (W. A. *7, *8, *9) 
nach, daß sie keinen Anspruch auf Originalität erheben dürfen und 
von Luther nicht merklich beeinflußt worden sind, während sich die 
Drucker gegenüber dem Text der Übersetzung vielfach erstaunlich große 
Freiheiten erlaubt haben. Ein Schiußartikel soll folgen. 

Wie Lutber die Fassung des Gemeinschaftsgedankens, die 
die katholische Kirche vertrat und vertritt, durchbrochen und den Ge- 
danken vertieft hat, zeigt K. Holl in Deutsch-Evangelisch VILI, 6 
(1917 Juni) S. 241—246. 

An der Hand aller erreichbaren, kritisch erwogenen Äußerungen 
Luthers über die Fraze des Rechts des bewaffneten Wider- 
stands gegen die weltliche Obrigkeit. im besonderen den Kaiser, 
untersucht K. Müller die Auschauungen des Reformators über diesen 
Punkt. Luther hat bis 1529, so lange der praktische AnlaD zur Be- 
fassung mit dem Problem die Möglichkeit gewesen war, daß der Kaiser 
die Auslieferung seiner Person und seiner Anhänger verlangen und mit 

Waffengewalt erzwingen könnte, von einem Widerstandsrecht schlecht- ` 
hin nichts wissen wollen, später dagegen, wo die Gesamtpolitik Kur- 
sachsens und der evangelischen Stände in den Vordergrund trat, sich 
den staatsrechtlichen Gesichtspunkten nicht ganz unzugünglich gezeigt, 
wonach der Kaiser in der Wahlkaptulation bestinimte Verpflichtungen 
gegen das Reich eingegangen ist, deren Bruch unter Umständen sogar 
seine Absetzung rechtfertigen würde. Der Kaiser würde daher auch 
bei einem Krieg gegen die Fürsten zur Vernichtung ihres weltlichen 
Regiments oder des Rechts und Eigentums der Untertanen nicht als 
rechter Herrscher handeln, so daß man ihm widerstehen und sich ver- 
teidigen dürfe. Auf die Frage allerdings, wieweit diese berechtigte 
Verteidigung zugleich eine Verteidigung des Evangeliums sein würde, 


155 | 315 - 


finden wir keine bestimmte Antwort Luthers. Überhaupt liegt bei ihm 


keine abgerundete und allgemeine stastsrechtliche Theorie vor; auch . 


handelt es sich für ihn nicht um das Verhültnis zwischen Fürst und 
Volk, sondern ausschlieBlich um des Verhültnis der Territorialherren, 
besonders der Kurfürsten, zum Kaiser. Einige bisher mangelhaft oder 
unvollstándig gedruckte Texte sind der Abhandlung beigegeben. SB. d. 
K. Bayr. A.d. W., philos.- philol. und historische Klasse 1915, Abh.8, 95 8. 

Über „Luthers Primiz“ (2. Mai 1507) handelt O. Scheel in 
Studien zur RG. und zur prakt. Theol. S. 1—14, um aus äußeren und 
inneren Gründen die Unmöglichkeit der viel wiederholten Erzählung 
zu erweisen, wonach Luthers innere Erregung bei diesem Vorgang zu 
einem peinlichen dramatischen Auftritt vor dem Altar geführt und in 
ihm eine dauernde Abneigung gegen die Messe hervorgerufen habe, 
eine Erzählung, die dann tübelwollende Schriftsteller wie Grisar zu 
Schlußfolgerungen in betreff eines abnormen krankhaften Seelenlebens 
Luthers veranlaßt haben. Überhaupt fallen bei Scheels Untersuchung 
auf Grisars voreingenommene und unmethodische Geschichtsschreibung 
bezeichnende Lichter. 

Eine vortreffliche knappe Darstellung von Luthers Auftreten 
auf dem Wormser Reichstage von 1521 nebst der Vorgeschichte 
seiner Berufung gibt H. Bóhmer im Ally. Ev.-luth, KZ. Jahrg. 50 (1917) 
Ir. 16 Sp. 362—371; u. a. setzt er die Verhandlungen vom 24. und 
25. April, die, wenn sie auch mehr einen privaten Charakter trugen, 
doch erst die endgültige Endscheidung brachten, in das richtige Licht. 
Die bekannten, Luther beigelegten Schlußworte „Hier stehe ich“ sind 
nach Böhmer, wennschon unhistorisch, doch, weil sie Luthers Meinung 
durchaus treffen, als ein ,historisch ganz echtes Lutherdenkmal, das 
älteste, schlichteste und volkstümlichste, das das deutsche Volk selber 
dem Reformator gesetzt hat,“ anzusprechen. 

P. Flemming, Zu Luthers Reisen (ThStKr. 1916, 4 S. 513 
bis 528) teilt 1. eine Abrechnung über die Ausgaben der Reise Luthers, 
Melanchthons usw. zum Marburger Kolloquium und zurück (unter den 
Handschriften des Melanchthonhauses zu Bretten) mit, die den Reise- 
weg genauer als bisher verfolgen läßt. — 2, stellt er eine Anwesenheit 
Luthers in Eilenburg am 17. Mai 1545 nach Weimarer Aktenstücken 
fest; 3, erörtert er zu Luthers letzter Reise über Halle nach Eisleben 
das Datum der Abreise aus Wittenberg — es bleibt beim 23. Januar 
(Mathesius) —, das Datum der Ankunft in Halle — für das auf 
Grund eines mitgeteilten besseren Textes von Luthers Brief an seine 
Frau vom 25. Januar der 24. Januar bestimmt wird —, und stellt die 
Führe bei Giebichenstein als den Ort fest, an dem Luther über die 
Saale setzte. | 

„Neues über Luther und Württemberg“ bringt G. Bossert 
im Schwäb. Merkur 1917 Nr. 241 und 253 (26. Mai und 2. Juni d. J.). 
Er beschäftigt sich hier, wesentlich auf Grund der Angaben Luthers 
in den Tischreden, zunüchst mit Luthers Reise durch Württemberg, 
nümlich auf dem Rückweg aus Rom, geht den Spuren der Anwesen- 


/ 


316 156 


heit des Reformators nach, erroscbt seinen Reiseweg und erörtert 
pie Zeitfrage (März 1519). Das zweite Stück behandelt in der Haupt- 
sache Luthers Urteile über die Schwaben und, im Vergleich, über 
andere deutsche Volksstámme. 

Über ,Luther und die Türken" läßt sich W. Jannasch 
in Deutsch-Evangeliseh VIII, 1 (1917 Januar) S. 18—21 aus, Er zeigt, 
wie Luther anfangs den „Türken“ in Rom sucht und das Unheil, das 
vom Papsttum kommt, húher achtet als das, was die Unglüubigen 
bringen, nach der Mitte der zwanziger Jahre aber zum Herold dee 
Türkenkampfes wird. Der durch die Hitze der ersten Kampfesjahre 
hindurch gedrungene Luther erblickt jetzt Papst und Türken in einer 
Front, beide im Dienst derselben Teufelsmacht stehend und von ver- 
schiedenen Seiten her das Reich bedrohend, so daß ihm auch die 
Türkenabwehr als vaterländische Pflicht erscheint. Und zwar hat ihn 
die Türkenfrage, wie auffallend zahlreiche Stellen in den Tischreden 
zeigen, fortgesetzt innerlich beschäftigt. 

Mit vorstehendem Aufsatz sich zum Teil berührend betrachtet 
in Allgem. Missionszeitschr. 43 S. 79—82 und 108—121 H. Barge 
Luthers Stellung zum Islam und seine Übersetzung der (im Anfang 
des 14. Jahrhunderts entstandenen) Confutatio [Alcorani] des Ricoldus 
(über diesen s. Barge ebenda S. 27—40). Für Luther, dem das 
Studium der mohammedanischen Religion dringend am Herzen lag, 
war lange Zeit Ricoldus einzige Quelle seiner Kenntnis des Korans; 
erst 1542 kam ihm ein lateinischer Koran in die Hánde; er hatte 
längere Zeit daran gedacht, diesen zu übersetzen, stand davon aber 
wegen der sachlichen Schwierigkeiten ab und gab gleichsam als Ersatz 
dafür eine deutsche, wie Barge zeigt, ziemlich freie, Bearbeitung (, Ver- 
legung“) des Ricoldus heraus (1542), die ihm zugleich dazu diente, in 
Vor- und Nachwort seine eigenen Ansichten über den Koran zu ent- 
wickeln. Wenig spáter hat sich Luther mit Erfolg bemüht, die vom 
Baseler Rat konfiszierten Druckbogen einer von Bibliander ins Werk 
gesetzten lateinischen Koran-Übersetzung freizugeben und der Aus- 
gabe zum Erscheinen zu verhelfen. Und zwar erschien sie mit einer 
Vorrede Luthers selbst. 

„Luther und die Trinksitten“ behandelt A. Römer 
in „Die Alkoholfrage" Jahrg. 13 (1917) Heft 2, 15 S, Er erörtert, 
wie Luther über die Trinksitten dachte und wie er die herrschenden 
Mißbräuche zu bekämpfen gedachte, wie er sich selbst verhielt, welche 
Erfolge er erzielte und zum Schluß: welche Gedanken Luthers in der 
Alkoholfrage der Gegenwart gute Dienste leisten können. Mit Recht 
bringt Verfasser in seine Ausführungen über Luthers Haltung in 
dieser Angelegenheit auch ein vaterländisches Moment hinein: Luther 
trägt an den herrschenden Mißständen deshalb besonders schwer, weil 
seine lieben Deutschen in diesem Punkte hauptsächlich belastet er- 
scheinen. 


Druck von C. Schulze 4 Co., G. m, b. H., Gräfenhainichen. 


— 


Verlag von M. Heinsius Nachfolger in Leipzig. 


Quellen und Darstellungen aus der Geschichte 


des Reformationsjahrhunderts. 


Herausgegeben von Dr. Georg Berbig, Pfarrer in Neustadt-Cobarg. 


Band I. 
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Berbig, Dr. Georg, Georg Spalatin und sein Verhältnis zu Martin 
Luther auf Grund ihres Briefwechsels Mit 2 bisher unveróffentlichten 
Bildnissen Spalatins. M. 9. —. 

Berbig, Dr. Georg, Aeta Comiciorum Augustae ex litteris Philippi, 
Jonae et aliorum ad M. L. Aus dem Veit-Diedrich-Kodex der Rats- 
bibliothek zu Nürnberg herausgegeben. Mit 1 Faksimile. M. 2.40. 
Richter, Dr. Max, Desiderius Erasmus und seine Stellung zu 
Luther auf Grund ihrer Schriften. Mit 1 Faksimile M. 2,50 
Theobald, Dr. Leonhard, Das Leben und Wirken des Tendenz- 
dramatikers der Reformationszeit Thomas Naogeorgus seit seiner 


Flucht aus Sachsen. M. 3,50. 


Berbig, Dr. Georg, Spalatiniana. M. 4,—. 
Geisenhof, Pastor Georg, Bibliotheca Bugenhagana. Bibliographie 
der Druckschriften des D. Joh. Bugenhagen. M. 15,—. 
Albert, Lic. th. Dr. ph. F. R., Superintendent zu Grimma, Der Brief- 
wechsel Heinrichs von Einsiedel mit Luther, Melanchthon, Spalatin 
und anderen. Aus Handschriften dargestellt. M 4,—. 
Lepp, Friedrich, Schlagwörter der Reformationszeit. M. 4.5% 
Buchwald,D.Georg.Johann Bugenhagens Katechismuspredigten, 
gehalten 1525 und 1532, Aus den Handschriften zum erstenmal 
herausgegeben. Mit Einleitung von Lic. Otto Albrecht. M. 4.— 
Neukirch, Dr. phil. Albert, Der niedersüchsische K.eis uad die 
Kreisverfassung bis 1542. M. 7,—. - 
Heep, Pfarrer Lic, theol. J, Juan de Valdés, seine Religion, sein 
Werden, seine Bedeutung. Ein Beitrag zum Verständnis des spani- 
schen Protestantismus im 16, Jahrhundert. M. 8,—. 
Seherffig, Paul, Pastor an der Peterskirche zu Leipzig. Friedrich 
Mekun von Lichtenfels. Ein Lebensbild aus dem Reformationszei- 
alter, nach deu Quellen dargestellt. M. 5,50. 
Buchwald, D. Dr. Georg, Pfarrer an der Michaeliskirche zu Leipzig, 
Ungedruckte Predigten Johann Bugenhagens aus den Jahren 1524 
bis 1529. Zumeist aus Handschriften der GroBherzozlichen Univer- 
sitätsbiblivthek zu Jena zum erstenmal veröffentlicht. M. 11,50. 
Rotscheidt, Wilhelm, Pastor in Mörs, Stephan Isaak. Ein Kölner 
Pfarrer und Hessischer Superintendent im  Heiormationsjahrhundert. 
Sein Leben, von ihm selbst erzühlt und aus gleichzeitigen Quellen 
ergänzt M. 6,—. | 
Körner, Emil, Domprediger am Freien Hochstift Meißen, Erasmus 
Alber. Das Kámpferleben eines Gottesgelehrten aus Luthers Schule. 
Nach den Quellen dargestellt. M 6.50. 
Tschackert, D. Dr. Paul, ordentl. Prof. der Theologie in Góttingen, 
Analecta Corviniana. Quellen zur Geschichte des niedersächsischen 
Reformators Antonius Corvinus (+ 1553). Gesammelt und mit einer 
Einleitung versehen. M. 4,—. 
Kipp, Friedrich, Pfarrer in Grub a. F. (S.-Koburr), Silvester von 
Sehaumberg, der Freund Luthers. Ein Lebensbild aus der Refor- 
mationszeit. Mit 4 Tafeln M. 9,—. 
Buchwald, D. Dr. Georg, Pfarrer an der Michaeliskirche zu Leipzig, 
Ungedruckte Predigten des Johann Sylvius Egranus (gehalten in 
Arcs und Joachimstal 1515— 1522). Zum erstenmal veröffentlicht. 
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18 Bünde, zusammen auf einmal bezogen (statt M. 110,90), nur M. 72,—* 


Reformationsgeschichtliche Schriften 
aus dem Verlage von M. Heinsius Nachfolger in Leipzig. 


Barge, Hermann, Friühprotestantisches Gemeindechristentum in 
Wittenberg nnd Orlamünde, Zugleich eine Abweur gegen Kari Müllers 
„Luther und Karlstadt“. M. 10,—. 

Berbig, Pfarrer Dr. Georg, Der Veit-Dietrich-Kodex — Solgeri 38 — 
zu Nürnberg. Rhapsodia seu Concepta in Librum Justificationis aliis obiter 
additis 1530. M. 2.—. 


Bergmann, Ur phil. Cornelius, Die Täuferbewegung im Kanton 
Zürieh bis 1660, M 6,50. 

Byland, ir. Hans, Der Wortschatz des Zürcher Alten Testaments von 
1525 und 1531, verglie hen mit dem Wortschatz Luthers Eine sprachliche 
Untersuchung. M. 5, 50. 


Clemen. Prof. D. Dr. Otto, Alexius Chrosner, Herzog Georgs von Sachsen 
evangelischer Hofprediger. Preis M. 2,—. 

— Georg Helts Briefwechsel. M 5,50 

— Studien zu Melanchthons Reden und Gedichten. M. 

Megler, Alfred, y Dr und Prof der Theologie in a Beiträge zur 
Geschichte der Mystik in der Reformationszeit. Aus dem Nachlasse 
herausgegeben und mit einer biographischen Einleitung versehen von Prof. 
Lic Dr. Walter Köhler. Mit einem Bildnis Heglers M. 10,— 


Il ein, Karl, Die Sakramentslehre des Johannes a Lasco. M. 5,—. 

Iliumbel, Dr phil. Frida, Ulrich Zwingli und seine Reformation im 
spiego der gleichzeitigen schweizerischen volkstümliehen Literatur. 
M 8.70 

1 "nul, Die Miltitziude. Eine kritische Nachlese zur Geschichte 
des AblaBstreites. M. 2 

— Die Entstehung des Wörsier Edikts. Eine Geschichte des Wormser 
Reichstags vom Standpunkt der lutherischen Frage M. 7,50. 

Köhler, Lic. Dr. Walther, Bibliographia Brentiana. Bibliographische- 
Verzeichnis der gedruckten und ungedruckten Schriften und Briefe des 
Reformators Johannes Brenz. Nebst einem Verzeichnis der Literatur über 
Brenz, kurzen Erläuterungen nnd ungedruckten Akten M. 25,— 


Meissinger, Karl August, Luthers Exegese in der Frühzeit. M. 2,75. 


Müller, Prof. D. Dr. Nikolaus, Philipp Melanchthons letzte Lebens- 
tage, Heimzang und Bestattung, nach gleichzeitigen Berichten der 
Wittenberger Professoren Mit zwei Tafeln. M 5,—. 


— Die Wittenberger Bewegung 1521 und 1522. Die Vorgänge in und um 
Wittenberg während Luthers Wartburgaufenthalt. Briefe, Akten u. dgl. 
und Personalien. 2. Auflage. M. 6,—. 


Seitz, Lic. Otto, Der authentische Text der Leipziger Disputation 
von 1519. Aus unbenutzten Quellen herausgegeben. M. 12,80, 


Wappler, Dr Paul, Inquisition und Ketzerprozesse in Zwickau zur 
Reformationszeit. Dargestellt im Zusammenhang mit der Entwieklung 
der Ansichten Luthers und Melanchthons über Glaubens- und Gewissens- 
freiheit. M. 5,60. 

Wotschke, Lic. Dr. Theodor, Der Briefwechsel der Schweizer mit 
den Polen. M. 15,75. 

Zerener, Dr. Holm, Studie über das beginnende Eindringen der 
lutherischen Bibelübersetzung in die deutsche Literatur. Nebst einem 
Verzeichnis über 681 Drucke — hauptsächlich Flugschriften — der Jahre 
1522 - 1525 M. 5,—. 


Druck von C. Schulze 4 Co., 6. m. b. H., Gräfenhainichen. 


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